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GEOGRAPHISCHE ZEITSCHRIFT.
HERAUSGEGEBEN
VON
Db. ALFRED HETTNER,
A. O. PROFESSOR DRR OEOGRAPHIE AN DER UNIVERSITÄT HEIDBLRBRG.
NEUNTER JAHRGANG.
MIT U TAFELN.
LEIPZIG,
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.
1903.
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES GbERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
Inhalt.
6«gohiohte und Methodik »«i^
der Geographie.
Die Geographie in den Vereinigten
Staaten. I. Die wissenschaftliche
Geographie. Von Frau Dr. Mar-
tha Krng-Genthe in Hart-
ford, Co . 626
Die Kartensammlung der königl.
Bibliothek zu Dresden. Von Dr.
Viktor Hantzsch in Dresden 165
Neuigkeiten.
Vopells Welt- und Europa-Karte . . 701
Schreibweise der geographischen Na-
men 681
Bücherbes prechungen.
Bretzl, H. Botanische Forschungen
des Alexanderzuges. Von J.Part seh 478
Crivellari, Gius. Alcuni cimeli
della cartografia medievale csistenti
a Verona. Von V. Hantzsch . . . 473
Auge, S. ColumbuB. Von K.Kretsch-
mer 416
H u g u e 8 , L. Cronologia deUo scoperte
e delle esplorazione geografiche
dall' anno 1492 a tutto il secolo XIX.
Von V. Hantzsch 176
Buge, S. Topographische Studien
zu den portugiesischen Entdeckun-
gen an den Küsten Afrikas. Von
dems 686
Schulze, Franz. Balthasar Sprin-
gers Indienfahrt 1606—1606. Von
dems 53
Testa, 0. L'av venire della geografia.
Von S. Günther 416
Weule, K. Völkerkunde und Urge-
schichte im 20. Jahrhundert. Von
A. Kirchhoff 860
Ratzel, Fr. Die Erde und das Leben.
Bd. n. Von Th. Fischer 476
Kraemer, Hans. Weltall u. Mensch-
heit. Bd. I. Von A. Hettner... 176
Dass. Bd. n. Von A. Kirchhoff. 706
Schoedlers Buch der Natur. Von
R. Langenbeck 280
Meyers Großes Konversations-Lexi-
kon. Von A. Hettner 116. 473
Soite
HaackfH. Geographenkalender. Von
dems 474
Geographisches Jahrbuch. Von
dems 538
Mathematische Geographie und
Kartographie.
Zur Bestimmung der Oberflächenent-
wicklung. Von Prof. Dr. Jakob
Früh in Zürich 167
Bücherbesprechungen.
Günther, Siegmund. Astronomische
Geographie. Von W. Wislicenus 110
Albrecht, Th. Resultate des inter-
nationalen Breitendienstes. Von J. B.
Messerschmitt 351
Mazel, A. Künstlerische Gebirgs-
photographie. Von M. Friede-
richsen 476
Stielers Handatlas. Lief 1 — 10. Von
A. Penck 292
Allgemeine phygische Geographie.
GrundbegriflFe und Grundsätze der
physischen Geographie. Von Al-
fred Hettner 21. 121. 193
Die Felsbildungen der sächsischen
Schweiz. Von dems 608
Das Karrenproblem. Von Prof Dr.
Jakob Früh in Zürich 223
Agassiz' neueste Uotersuchungen
über Korallenriffe. Von Prof.
Dr. Robert v. Lendenfeld in
Prag 627
C. Schmidts' geologische Wand-
tafeln. Von Prof. Dr. Alfred
Philippson in Bonn 678
Neuigkeiten.
ErdmagnetischeVermessung eines gan-
zen Farallelkreises 469
Erdbebenliste für das Jahr 1902 169
IL internationale seismologische Kon-
ferenz 408. 631
a*
' 4 "1
IV
Inhalt
Seite !
Kommission für die subozeanische {
Nomenklatur 847
Terminologie der wichtigsten unter-
seeischen Bodenformen 532
Internationale Meeresforschung 581
Messung der Größe und Bewegung
der Meereswellen 681
Wärmeverteilung in Binnenseen 285
Staubfall in Mitteleuropa 284
Bücherbesprechungen.
H e c k e r , 0 . Bestimmung der Schwer-
kraft auf dem Atlantischen Ozean
sowie in Rio de Janeiro, Lissabon
und Madrid. Von J. B. Messer-
schmitt 478
Nippoldt, A. Erdmagnetismus, Erd-
strom und Polarlicht. Von dems. 706
Schütz, E. H. Die Lehre von dem
Wesen und den Wanderungen der
manietischen Pole der Erde. Von
A. Schmidt 706
BrunheSfJ. Le travail des eaux cou-
rantes: la tactique des tourbillons.
Von A. Philippson 176
Macha^ek, Fr. Gletscherkunde. Von
W. Ule 177
Böhm Edler v. Böhmersheim, A.
Geschichte der Moränenkunde. Von
K. Keilhack 293
Karsten, G., und H. Schenck.
Vegetationsbilder. Heft I u. U. Von
0. Warburg 479
Allgemeine Geographie des Menschen.
Züge und Ergebnisse einer histo-
rischen Geogi'aphie. Von Prof.
Dr. Wilhelm Götz in Mün-
chen 361. 486
Die geographischen Bedingungen
und Gesetze des Verkehrs und
der Seestrategik. Von Friedrich
Ratzel 489
Neuigkeiten.
Landweg zwischen Europa und Ost-
Asien 640
Kabelverbindung zwischen Deutsch-
land und den Vereinigten Staaten 409
Zweites pazifisches Kabel 469
Bücherbesprechungen.
Driesmans, Hch. Kasse und Milieu.
Von A. Kirchhoff 707
Martin, K. Wandtafeln für den
Unterricht in Anthropologie, Ethno-
mphie und Geographie. Taf. 6.
Von F. Thorbecke 119
Helmolt, H. Weli^eschichte. ü. Bd.
Ostasien tmd Ozeanien. Der Indi-
sche Ozean. Von A. Kirchhoff. 707
Seite
S c h ä f e r , D. Kolonialgeschichte. Von
J. Partsch 479
Brunhes, J. L'Irrigation, ses condi-
tions g4^ographique8, ses modes et
son Organisation dans la peninsule
Ib^rique et dans TAfrique du Nord.
Von Th. Fischer 53
Scobel, A. Handelsatlas zur Ver-
kehrs- und Wirtschaftsgeographie.
Von A. Hettner 294
Frey tag, G. Export-Atlas für Welt-
handel und Industrie. Von E.Fried-
rich 55
Größere Erdräume.
Bücherbesprechungen.
Das überseeische Deutschland. Von
J. Partsch 177. 708
Dove, K. Wirtschaftliche Landes-
kunde der deutschen Schutzgebiete.
Von dems 231
Stielers Handatlas. Lief. 1 — 10. Von
A. Penck 292
Deutschland und Nachbarländer.
Die deutsche Nordseeküste in alter
und neuer Zeit. Von Dr. H.
Toepfer, Direktor der Real-
schule in Sondershausen 305
Zum Gebirgsbau in Schlesien. Von
Landesgeolog Dr. E. Dathe in
Berlin und von Prof. Dr. F.
Frech in Breslau 461
Neue Alpenkarten. Von Albrecht
Penck. 7. Die französischen
Karten 263
8. Übersichtskarten über das ganze
Gebiet 382
9. Schlußbemerkungen , nament-
lich über Geländedarstellung des
Hochgebirges 336. 371
Neuigkeiten.
Ausstellung von Karten zur histo-
rischen Geographie Deutschlands . 286
Wirtschaftliche Bedeutung des Kaiser
Wilhelm-Kanals 640
Regulierung der Weichsel 409
Bücherbesprechungen.
Knüll, P. Historische Geographie
Deutschlands im Mittelalter. Von
J. Partsch 709
Handbuch der Wirtschaftskunde
Deutschlands. Von F. Hahn 296
Gruber, Chr. Deutsches Wirtschafts-
leben. Von dems 296
Rechts und links der Eisenbahn.
Heft L Von L. Henkel 709
Inhalt.
Seite
Stokvis, A. Führer durch Oßtfries-
land, die Nordsee-Bäder, Jever und
Umgebung. Von F. Hahn 416
Ambrosius, E. Die Volksdichte am
deutschen Niederrhein. Von H.Kerp 416
Gade, H. Historisch -geographisch-
statistische Beschreibung der Graf-
schaften Hoya und Diepholz. Von
F. Hahn 117
Nedderich, W. Wirtschaftsgeogra-
phische Verhältnisse, Ansiedlungen
und Bevölkerungsverteilung im ost-
fälischen Hüg^- und Tieflande.
Von O. Schlüter 2^7
Drude, 0. Der hercynische Floren-
bezirk. Von G. Karsten 232
Meyers Reisebücher: Der Harz. Von
W. üle 710
Hellmann, G. Regenkarte der Pro-
vinz Sachsen und der Thüring.
Staaten. Von dems 55
Ademeit, W. Beiträge zur Siede-
lungsgeographie des unteren Mosel-
gebietea. Von 0. Schlüter 480
Walther, J. Geologische Heimat-
kunde von Thüringen. Von Fr.
Regel 351
Franz, A. R. Die Sudeten. Von
J. Partsch 352
Boy«^, P. Les Hautes-Chaumes des
Vosges. Von R. Langenbeck . . 353
Rothpletz, A. Geologischer Führer
durch die Alpen. Bd. I. Von F.
Frech 417
Meyers Reisebücher: Deutsche Al-
pen. Von R. Sieger 417. 480
Wähn er, F. Das Sonnwendgebirge
im Unterinntal, ein Typus alpinen
Gebirgßbaus. Bd. I. Von F. Frech 646
Burgklehners Tirolisclie Landtafeln
1608, 1611, 1620. Begleitt^xt von
E. Richter. Von E. Oberhum-
mer 710
Baedeker, K. Österreich - Ungarn.
Reisehandbuch. Von R. Sieger.. 480
Meyers Reisebücher : Österreich-
Ungarn. Von dems 480
Übriges Enropa«
Betrachtungen über das Relief von
Norwegen. Von Dr. Hans
Ren seh, Direktor der norwegi-
schen geologischen Landesanstalt
in Christiania. Mit 16 Abbil-
dungen auf 3 Doppeltafoln
Nr. 8 bis 10 425
Das Seengebiet des nordwestlichen
Rußlands. Von Fachlehrer S.
Tschulok in Zürich 266
Seite
Neuere Foi*schungen in der west-
lichen Balkanhalbinsel. Von
Prof. Dr. Alfred Philippson
in Bonn 149
Neuigkeiten.
Einweihung der Ofotenbahn 469
Naturwissenschaftliche Station im
nördlichsten Schweden 641
Neue Eisenbahnen in Finnland 169
Regulierung der Weichsel 409
Vergletscherung im französischen Jura 286
Triangulationsanschluß Sardiniens an
den Kontinent 409
Durchstich der Sulina-Mündung .... 112
Bücherbesprechungen.
Baumgartner. Island und die Fä-
röer. Von E. Mogk 647
Kjell^n, R. Inledning tili Sveriges
geografi. Von R. Sieger 481
Baedeker, K. Schweden und Nor-
wegen. Reisehandbuch. Von dems. 482
Meyers Reisebücher: Y. Nielsen.
Norwegen, Schweden und Däne-
mark. Von dems 482
Christ ensen, C, u. Vahl, M. Dan-
marksLand ogFolk. Von F. Hahn 686
Berchon, Ch. En Danemark. Von
dems 649
Neuse, R. Landeskunde der briti-
schen Inseln. Von A. Hettner .. 648
Popescu, St. Wirtschaftliche Stu-
dien über Großbritannien. Von
F. Hahn :.. 648
Brunhes, J. L'Irrigation . . . dans
la peninsule Ib^rique . . . Von Th.
Fischer , 53
Fischer, T. La Penisola Italiana.
Von J. Partsch 363
Nissen, Hch. Italische Landeskunde.
Bd. n. Von Th. Fischer ....66. 418
Baedeker, K. Mittel - Italien und
Rom. Von W Deecke 538
Bickli, M. Botanische Reisestudien
auf meiner Frühlingsfahrt durch
Korsika. Von Th. Fischer 233
Baedeker, K. Österreich -Ungarn.
Reisehandbuch . Von R.Sieger.. 480
Meyers Reisebücher: Österreich-
Ungarn. Von dems 480
Popescu, St. Beiträge zur Ent-
stehungsgeschichte des oberen Olt-
tals. Von F. W. Paul Lehmann 649
Neufeld-München, C. A. Illu-
strierter Führer durch Bosnien und
die Hercegovina. Von K. Hassert 418
Philippson, A. Beiträge zur Kennt-
nis der griechischen Inselwelt. Von
R. Leonhard 419
de Mar tonne, E. La Valachie.
Von F. W. Paul Lehmann 234
VI
Inhalt.
Seite
Meyers Reisebücher: Türkei, Rumä-
nien u. s. w. Von A. Philippson 66
Grothe, H. Auf türkischer Erde.
Von W. Goetz 649
Oberhummer, £. Konstantinopel
unter Sultan Suleiman dem Großen.
Von W. Rüge 864
Asien.
Land und Leute des Generalgou-
vernements Turkestan. Von
Privatdozent Dr. Max Friede -
richsen in Göttingen. Mit 6
Abbildungen auf 1 Tafel Nr. 11 601
Die Bedeutung der Kolonie Kiaut-
schou. Von Dr. Georg Wegener
in Berlin 186
Die Weltstellung Yemens. Von Dr.
Eduard Hahn in Berlin .... 657
Neuigkeiten.
Bahnbauten im Ural 48
Wif^haftliche Erschließung Sibiriens 582
Bau der transsibirischen Bahn 169
Die Eisdicke auf sibirischen Flüssen 701
Stand der sibirischen Binnenschiffahrt 112
Wegeverbindung zwischen Jakutsk
und dem Ochotskischen Meere 287
Verfall von Kiachta 118
Elbrusbesteigung 286
Über den Karaboghaz-Meerbusen . . . 225
Erforschung des Aralsees 170
Erdbeben und Zerstörung von Andi-
schan 113
Tates Beobachtungen in Seistan . . . 583
Verbindungslinien zwischen Vorder-
indien und Afghanistan 49
Neue Handelsstraße zwischen Indien
und Persien 641
Zybikows Reise nach Tibet und
Aufenthalt in Lhasa 533
Einverleibung der Mandschurei in
Rußland 682
Sarasins Durchquerung von Celebes 170
Besitzergreifung ostasiatischer Inseln
durch die Vereinigten Staaten 583
Bücherbesprechungen.
Krahmer. Rußland in Asien. Bd. V :
Das nordöstliche Küstengebiet. Von
Fr. Immanuel 56
Labb^, P. Un bagne russe (Sakha-
line). Von dems 586
Hedin, S. Meine letzte Reise durch
Inner -Asien. Von M. Friede-
richsen 639
Futterer, K. Geographische Skizze
der Wüste Gobi zwischen Hami
und Su-Tschöu. Von dems 482
Fitzner, R. Forschungen auf der
Seit«
bithynischen Halbinsel. Von Th.
Fischer 641
Ders. Anatolien, Wirtschaftsgeogra-
phie. Von H. Zimmerer 711
Rohrbach, P. Vom Kaukasus zum
Mittelmeer. Von dems 712
Grothe, H. Die Bagdadbahn und
das schwäbische Bauemelement in
Transkaukasien und Palft^tina. Von
ä^s.i 712
Oberhummer, E. Die Insel Cypem.
Von A. Philippson 297
K r a h m ejc. Rußland in Asien. Bd . VI :
Die; Beziehungen Rußlands zu Per-
sit'n. Von Fr. Immanuel 420
Kontzen, L. Goa im Wandel der
Jahrhunderte. Von V. Hantzsch 67
B o e c k , K. Durch Indien ins verschlos-
sene Land Nepal. Von E. Schmidt 178
Weber, M. Der indo- australische
Archipel und die Geschichte seiner
Tierwelt. Von W. Küken thal .. 236
Werther, W. östliche Streiflichter.
Von A. Kirchhoff 713
Afrika.
Marokko. Eine länderkundliche
Skizze. Von Theobald Fischer 65
Franki'eichs äthiopische Eisenbahn.
Von Oberstleutnant von Kleist
in Steglitz 466
Deutsch-Ostafrika. Eine klimato-
logische Studie von Dr. Hans
Maurer in Hamburg. Mit drei
Abbildungen im Text und drei
Tafeln Nr. 1, 2 und 3. 1. 80. 140. 213
Neuigkeiten.
Gradmessung durch Afrika 634
Neue Eisenbahnbauten in Afrika ... 49
Geologische Vergangenheit der Sa-
hara 534
Das Muidir- Plateau in der West-
Sahara 226
Erforschung des Tuareg- Plateaus . . . 287
Unterwerfung der Sultanate in der
Süd-Sahara 642
Der Tschadsee, seine Küste und seine
Inselwelt 470
Wasserverbindung zwischen Tschad-
see und dem Meere 635. 702
Das östliche Scharibecken und die
Gegend südwestlich von Darfur. . . 702
Grenzregulierung zwischen Eryihräa,
Abessmien und dem ägyptischen
Sudan 113. 226
Eröffnung des Sudans vom Roten
Meere aus 410
Neue Kart« der Nilprovinz 171
Lage der Nilquellen 50
Inhalt.
vn
Seite
Verbesserung der Stromverhältnisse
des Nils 410
Erforschung des Blauen Nils . . . 287. 684
Nilstaudamm bei Assuan 60
Eisenbahn nach Eumassi 642
Erforschung und Erschließung des
Kamerun-Schutzgebietes 288
Niger — Benu& — Tschadsee-Expedition 642
Eisenbahnbau in Deutsch -Südwest-
afrika 347
Vollendung der Hafenmole in Swakop-
mund 226
Die Austrocknung des Schirwasees . . 702
Wirtschaftliche Entwicklung dei*
Burenrepubliken 411
Bücherbesprechungen.
Brunhes, J. L'Irrigation . . . dans
TAfrique du Nord. Von Th. Fi-
scher. . 53
Mohr, P. Marokko. Von dems. . . 68
Schönfeld, D. Aus den Staaten
der Barbaresken. Von dems 866
de Mathuisieulz, M. A travers la
Tripolitaine. Von dems 639
Ricchieri, G. La Tripolitania e
ritalia. Von dems 118
Heni^e, H. Der NU, seine Hydro-
graphie und wirtschaftliche Bedeu-
tung. Von dems 687
V. Oppenheim, M. Rabeh und das
Tschadseegebiet. Von F. Hutter 299
Meyer, H. Die Eisenbahnen im tro-
pischen Afrika. Von A. Schenck 68
Baum,H. Kunene — Sambesi-Expedi-
tion. Von G. Karsten 714
Strecker, C. Auf den Diamanten-
und Goldfeldern Süd-Afrikas. Von
A. Schenck 687
Peters, K. Im Goldland des Alter-
tums. Von dems 660
Australien und augtralische Inseln.
Der landschaftliche Charakter Neu-
seelands. Von Prof. Dr. Robert
V. Lendenfeld in Prag. Mit
4 Tafeln Nr. 4 bis 7 241
Neuigkeiten.
Maurices Durchquerung des austra-
lischen Kontinents 227
Bau einer transkontinentalen Eisen-
bahn 60
Hauptstadt des australischen Staaten-
bundes 643
Hills B^ise in West-Australien 171
Wasserleitung von Perth nach Cool-
gardie 227
Vmkanischer Ausbruch auf Savaii . . 114
Zerstörung der Paumotu-Inseln 171
Bücherbesprechungen. seit«
Hassert, K. Die neuen deutschen
Erwerbungen in der Südsee. Von
J. Partsch 484
Krämer, A. Die Samoa-Inseln. Von
A. Kirchhoff 300
Semon, R. Im australischen Busch.
Von Fr. Ratzel 662
Deeken, R. Rauschende Palmen.
Von A. Kirchhoff 716
Nord- und Mittel-Amerika.
Der Chinook. Von Frau Dr. Martha
Krug-Genthe in Hartford, Co. 676
Am Mont Pele im März 1903. Von
Dr. Georg Wegen er in Berlin 646
Neuigkeiten.
Fortschritt der Alaska-Forschung . . . 412
Bau einer zweiten kanadischen Pazifik-
bahn 61
Entscheidimg des amerikanisch-kana- .
dischen Grenzstreites 643
Neue Erwerbungen der Vereinigten
Staaten 682
Umfang der Binnenschiffahrt in den
Veremigten Staaten 644
NeuYermessimg des Grand Canon . . . 347
Wiederaufbau von Galveston 411
Bau des Panamakanals 172. 703
Besteigung des Mont Pele 288
Bücherbesprechungen.
Leverett, F. Glacial formations and
drainage features of the Erie and
Ohio basins. Von A. Klautzsch 366
Schieß, W. Quer durch Mexiko
vom atlantischen zum stillen Ozean.
Von H. Lenk 483
Sfid-Amerika«
Die Regelung des argentinisch-
chilenischen Grenzstreites. Von
Oberlehrer Dr. P. Stange in
Erfurt. Mit 1 Textkarte 160
Neuigkeiten.
Wissenschaftliche Erforschung von
Bolivien 644
Ende des chilenisch -argentinischen
Grenzstreites 61
Entdeckung einer Wasserstraße in
Südwest-ratagonien 61
Bücherbesprechungen.
G al 1 0 i s , L. Les Andes de Patagonie.
Von P. Stange 178
Meere.
Die wichtigsten geographischen Er-
gebnisse der deutschen Tiefsee-
vrn
Inhalt.
Seite
Expedition. Von Dr. J. B.
Messerschmitt in München. . 40
Neuigkeiten.
Internationale Meeresforschung 681
Kursus für Meeresforschung 472
Terminologie der wichtigsten unter-
seeischen Bodenformen 532
Messung der Größe und Bewegung
der Meereswellen 581
Dampferverkehr auf dem stillen Ozean 114
Schwedische Expedition in den großen
Ozean 684
Bücherbesprechungen.
Deutsche Seewarte. Atlantischer
Ozean. Von W. Meinardus 716
Albert I., Fürst von Monaco.
Eine Seemanns-Laufbahn. Von G.
Schott 716
Nord-Polargegenden.
Die geologischen Ergebnisse der
Sverdrupschen Polarexpedition.
Von Prof. Dr. Eobert v. Len-
denfeld in Prag 638
Neuigkeiten.
Forschungstätigkeit in der Arktis 1903 288
Eisverhältnisse in der Arktis i. J. 1902 635
Pearys Plan einer Nordpol arexpe-
dition 583
Norwegische Nordpolarexpedition un-
ter Amundsen 348
Z i e g 1 e r s zweite Nordpolarexpedition 412
V. Tolls Polarexpedition 228
Dänische Grönlandexpedition 470
Expeditionen nach der Ost- und West-
küste Grönlands 52
Wissenschaftliche Ergebnisse der
Gradmessungsarbeiten auf Spitz-
bergen 228
Buch erbe sprechungen.
Hassert, K. Die Polarforschung.
Von M. Lindeman 59
Ludwig Amadeus von Savoyen,
Herzog der Abruzzen. Die Stella
Polare im Eismeer. Von dems. .. 356
Osservazioni Scientifiche eseguite du-
rante La Spedizione Polare di
S. A. R. Luigi Amedeo Di Savoja
Duca Degli Abruzzi 1899 — 1900.
Von dems 367
Sttd-Polargegenden.
Neuigkeiten.
Eisverhältnisse südlich vom Kap Hoorn 172
Deutsche Südpolarexpedition 348. 412. 471
Deutsche Expedition auf der Ker-
guelen-Insel 289
Seite
Hilfsexpedition für die deutsche Süd-
polarexpedition 173. 348
Heimkehr und Ergebnisse der deut-
schen Südpolarexpedition 703
Der Gaußberg auf dem antarktischen
Festland 704
Englische Südpolarexpedition 289. 349. 413
Englische antarktische Hilfsexpedi-
tion 52. 473. 583
Schottische Südpolarexpedition 290
Wissenschaftliche Arbeiten der schwe-
dischen Südpolarexpedition 173
Hilfsexpeditionen für die schwedische
Südpolarexpedition 348. 414. 636
Auffindung aer schwedischen Süd-
polarexpedition 704
Dr. Charcots Südpolarexpedition 228. 349
Bücherbesprechungen.
Hassert, K. Die Polarforschung.
Von M. Lindeman 69
F.vonBellinghausens Forschungs-
fahrten im südlichen Eismeer 1819 —
1821. Von dems 179
Geographischer Unterricht.
Ziel und Methode des geographi-
schen Unterrichts. Von Prof. Dr.
R. Langen b eck in Straßburg 90
Die Atlanten an den preußischen
höheren Schulen. Von Ober-
lehrer Heinrich Fischer in
Berlin 613. 5G0
Die Geographie in den Vereinigten
Staaten. ET. Die Schulgeographie.
Von Frau Dr. Martha Krug-
Gen the in Hartford, Co 666
Neuigkeiten.
Geographische Vorlesungen im Som-
mersemester 1903 229. 291. 350
Geographische Vorlesungen imWinter-
semester 1903/04 636. 684
Kursus für Meeresforschung 472
Prof. Dr. Sievers Ernennung zum
ordentlichen Professor 473
Prof Dr. Greims Ernennung 62
Prof. Dr. Kretschmers Ernennung. 705
Prof. Dr. Siegers Ernennung 115
Prof. Dr. V. Böhms Ernennung 52
Habilitation von Dr. Eckert in Kiel 350
Habilitation von Dr. M. Friedrich-
sen in Göttingen 473
Habilitation von Dr. Passarge in
Berlin 646
Geographie in der neuen badischen
Prüfungsordnung 290
Buch erbe sprechungen.
Schöne, Emil. Die geschichtliche
Entwicklung des geographischen
Inhalt.
IX
Seite
Unterrichts in der sächsischen Volks-
schule bis zur Gegenwart. Von
Chr. Gruber 69
Lehrbücher.
E. V. Seydlitzsche Geographie. Von
Höh. Fischer 237
Langenbeck, R. Leitfaden der Geo-
graphie für höhere Lehranstalten.
Von dems 180
Geistbeok, M. und A. Geistbeck.
Leitfaden der Geographie fClr Mittel-
schulen. Von 0. Clauß 301
Rusch, G. Lehrbuch der Geogra-
phie fOr österreichiHche Lehrer- und
Lehrerinnenbildungsanstalten. Von
A. Kraus 482
Becker, A., und Mayer, J. Lem-
buch der Erdkunde. Teill. Von Heb.
Fischer 60
H a r m s , H. Vaterländische Erdkunde.
Von P. Wagner 61
Geistbeck, M. Leitfaden der mathe-
matischen und physikalischen Geo-
graphie für Mittelschulen und
Lehrerbildungsanstalten. Von R.
LangenbecK 420
Deckert, E. Gnmdzüge der Han-
dels- imd Verkehrsgeographie. Von
A. Kraus 367
Tromnau, A. Landeskunde der Pro-
vinz Posen. Von Heb. Fischer. . . 237
Walser, H. Die Schweiz. Von E.
Zollinger 689
Hotz, R. Leitfaden für den Unter-
richt in der Geographie der Schweiz.
Von dems 61
Herbertson, F. D., und A. J. Her-
bertson. Africa. VonR. Langen-
beck 483
Dies. Central and South America
witii the West Indies. Von dems. 286
Spillmann, J. Über die Südsee.
Australien und Ozeanien. Von
dems 237
Toeppen, K. Ali, der ostafrika-
nische Seeräuber. Von P. Wagner 288
Atlanten, Hand- und Wandkarten.
Anschauungsmittel.
H a a c k , H. Kleiner deutscher Schüler-
Atlas. — Kleiner deutscher Lem-
atlas. Von Heb. Fischer 60
Schunke,H. Geologische Übersichts-
karte des Köaigreichs Sachsen. Von
P. Wagner 181
Kümmerly, H. Schulkarte der
Schweiz. Von E. Zollinger . 589
Richter, G. Wandkarte von Schles-
wig-Holstein. Von Heb. Fischer 61
Kellerer, M. Schul wandkarte von
Südbavem. Von Chr. Grub er .. .540
Seite
Schulwandkarte der Schweiz. Von
E. Zollinger 688
Martin, R. Wandtafeln für den
Unterricht in Anthropologie, Ethno-
graphie und Geographie. Taf. 6.
Von F. Thorbecke 119
Vereine und Versammlnngen.
Zeitschriften.
Der XrV. deutsche Geographentag
in Köln. Von F. Thorbecke
in Heidelberg 387. 447. 689
Neuigkeiten.
76 jähriges Bestehen der Gesellschaft
für Erdkunde zu Berlin 856
Der XIV. deutsche Geographentag. . . 173
7ö. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Ärzte 230. 473. 646
IX. internationaler Geologenkongreß 230 •
Vlli. internationaler Geographenkon-
greß 472. 684
Redaktions Wechsel beim „Globus'* . . 176
„Archiv des Erdmagnetismus" 646
„Aus fernen Landen'* 176
„Wandern und Reisen*' 115
Persönliches.
Neuigkeiten.
Kapt. z. S. Hertz' Ernennung zum
Direktor der Seewarte 473
Dr. Schotts Ernennung zum Abtei-
lungsvorsteher an der Seewarte... 116
Prof. Fischers und Prof. Kirch-
hof fs Ernennung zu Geh. Regie-
rungsräten 686
Prof. Gerlands 70. Geburtstag 115
Dr. Lindemans 80. Geburtstag 280
Prof. v.Richthofens 70. Geburtstag 291
du Chaillu f 360
Chavanne f l^^
Glaisher f 292
Hartl t 291
de la No6 f 174
Radde f 291
V. Scherzer f 174
Schneider f ö86
Schurtz t 350
V. Schwarz f 174
Nene Bücher und Karten.
Neue Bücher und Karten 62. 118. 182
238. 302. 368. 421. 4H5. 542. 590. 663. 717
Zeitscliriftenschan.
Petermanns Geographische Mit-
teilungen ..63. 119. 183. 239. 302. 359
422. 486. 548. 591. 654. 719
GlobuR..63. 119. 1H3. 239 303. 359. 423
4H6. 543. 591. 654 719
b
Inhalt.
Seite
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik ...63. 119. 188. 239. 303
369. 423. 487. 643. 691. 654. 719
Geographischer Anzeiger. . .487. 543. 691
Zeitschrift für Schulgeographie .119. 183
239. 303. 360. 487. 643. 655. 719
Meteorologische Zeitschrift.. 63. 183. 239
303. 859. 423. 487. 643. 591. 666. 719
Zeitschrift für Gewässerkunde 119. 808. 423
591. 655. 719
Zeitschrift der Gesellschaft für Erd-
kunde zu Berlin. 68. 188. 239. 303. 360
643
Veröffentlichungen des Instituts für
Meereskunde und des Geographi-
schen Instituts an der Univ. Berlin 720
Deutsche Geographische Blätter 487. 643
Mitteilungen des Vereins für Erdkunde
zu Halle 591
Mitteilungen der Geogr. Gesellschaft
in Hamburg 183. 720
Mitteilungen des Vereins für Erd-
kunde zu Leipzig 543
,^8ien" 63. 119. 303. 360. 487
Beiträge zur Eolonialpolitik und Ko-
lonialwirtschaft 63. 119. 183. 239. 803
360. 428. 487. 543. 591. 655. 720
Deutsche Erde . . . , 428. 487. 692
Mitteilungen d. Geogr. Gesellschaft in
Wien 64. 239. 303. 425. 543. 720
Abhandlungen d. Geogr. Gesellschaft
in Wien 239
Jahrbücher d. k. k. Zentralanstalt für
Meteorologie und Erdmagnetismus 183
Mitteilungen des k k. militärgeogra-
phischen Instituts 487
XI. Jahresbericht des Sonnblick- Ver-
eins 1902 423
The Geographical Journal ..64. 120. 183
240. 303. 360. 423. 487. 644. 592. 655
720
The Scottish Geographical Magazine. 64
120. 183. 240. 304. 360. 423. 488. 544
592. 655. 720
Ymer 184. 360. 592
Seite
Annales de Geographie 64. 184. 304
423. 644. 655
La Geographie 64. 120. 184. 240. 304. 860
423. 487. 544. 592. 656. 720
Bulletin de la Sociäte Neuchateloise
de Geographie 230
Rivista geografica Italiana . 120. 804. 424
Mitteilungen (Issvestiija) der Kais. Russ.
Geogr. Gesellschaft 184. 240
Veröffentlichungen der geographi-
schen Abteilung der K. R. Gesell-
schaft für Naturwissenschaften u.
Völkerkunde zu Moskau (Semlew-
jedjenie) 240
Meddelanden af Geografiska Före-
ningen i Finland 240
Publications du conseil permanent
international pour exploration de
la mer 592. 666
The National Geographie Magazine 64
120. 240. 304. 360 424. 488. 544. 592
The Journal of Geography 64. 120. 184
304. 360. 424. 488. 655
Annual Report of the ü. S. Geolo-
S'cal Survey 655
etin of the ü. S. Geological
Survey 184. 6^5
Monographs of the U. S. Geological
Survey 656
Professional Papers of the ü. S. Geo-
logical Survey 656
Maryland Geological Survey 544
Aus verschiedenen Zeitschriften .. 64. 120
184. 240. 304. 360. 424. 488. 544. 592
656. 720
Terzeichnis der Tafeln.
Tafeil— 3. Landschaftsbilder aus Deutsch-
Ostafrika.
Tafel 4 — 7. Landschaftsbilder aus Neu-
seeland.
Tafel 8 — 10. Landschaftsbilder und Skizzen
zur Morphologie von Norwegen.
Tafel 11. Land und Leute der russischen
Kolonisationsgebiete in Turkestan.
Berichtigungen.
S. 237, Spalte 1, Zeile 1 lies: „herausgegeben" statt „hergegeben".
S. 541, Zeüe 23 lies: „Sakariasenke*' statt „Sakaniasenke".
S. 577 lies Zeile 12: „Walla Walla, Wash." statt „Walla, Wash.";
Zeile 15: Miles City Moni: „— 6'>";
Zeile 17: Bismarck, N. D.: „— 22«".
Deutsch -Ostafrika.
Eine klimatologische Studie
von Dr. Hans Maurer in Hamburg.
I. Die Kfiste.
Deutsch-Ostaftika erstreckt sich südlich vom Äquator vom ersten bis
fast zum 12. Grad, während seine Küste am indischen Ozean von 4^40' bis
zu 10^40', rund in einer Länge von 700 Kilometern verläuft Bei der
Klimaschilderung eines so äquatorial gelegenen afrikanischen Landes erwartet
man wohl von enorm hohen Wärmegraden und der sprichwörtlichen afri-
kanischen Hitze zu hören. Die Vorstellungen, die man sich aber vielfach
von dieser macht, treffen, wenigstens für Deutsch-Ostafrika, nicht zu. Die
höchsten Temperaturen im Schatten, die in Deutsch-Ostafrika beobachtet worden
sind, überschreiten 38® C nicht. Vergleichen wir damit die Verhältnisse in
der nordamerikanischen Union, die ja ganz außerhalb der Tropen gelegen
ist, so müssen wir sagen; Amerika, du kannst es besser. Von dort sind
Maximaltemperaturen von über 50® C bekannt geworden; und selbst in Europa
vermag der stolze Spanier in seinem Lande Extreme von 45® aufzuweisen.
In Hamburg ist die höchste Temperatur der letzten 25 Jahre 32® C gewesen,
und über 30® kam die Temperatur in derselben Zeit 17 mal. Aber auch,
wenn wir von diesen Extremwerten absehen, zeigt die mittlere Jahres-
temperatur in Deutsch -Ostafrika nicht so hohe Beträge, wie man nach
der Nähe des Äquators anzunehmen versucht ist. Sucht man nämlich auf
jedem Meridian den Ort, der die höchste mittlere Jahrestemperatur hat, und
verbindet alle diese Punkte höchster Temperatur durch eine Linie, so erhält
man den thermischen Äquator. Dieser weicht gerade in diesen Teilen der
Erde unter der Einwirkung der starken Landanhäufung in Nordafrika und
Asien fast 15® nach Norden vom geographischen Äquator ab. Von dem
heißesten Teile der Erde, wo in der Sahara, im Sudan und in Arabien die
mittlere Jahrestemperatur 30® C überschreitet, sind wir also in Deutsch-Ost-
afrika räumlich ebenso weit entfernt wie in Griechenland. Die mittlere
Jahrestemperatur erreicht an der Küste 25® — 26® C. Von dieser Mittel-
temperatur des Jahres entfernen sich auch der heißeste und kühlste Monat
nur sehr wenig. Der heißeste ist nur 2 — 3® wärmer, der kälteste eben-
soviel kühler. Dies wird durch die äquatoriale Lage veranlaßt. Am Äqua-
tor ist bekanntlich jeder Tag genau 12 Stunden lang, und in Deutsch-Ost-
afrika währt der längste 12 Stunden 40 Minuten, der kürzeste 11 Stunden
20 Minuten. In Hamburg dagegen sind die entsprechenden Zahlen IC Stunden
GeographUoli« Keitacbrift. 9. Jahrgang. 1903. I.Heft. 1
2 Hans Maurer:
50 Minuten und 7 Stunden 10 Minuten. Dazu kommt noch, daß sich am
kürzesten Tage die Sonne bei uns nur bis zu 13** über den Horizont er-
hebt, am längsten aber bis 60**, also in der Höhe um 47** schwankt, wäh-
rend dort diese Mittags-Sonnenhöhen nur zwischen 60** imd 90** schwanken.
Und imi die Ausgleichung dieser Unterschiede ganz auf die Spitze zu treiben,
ist dort auch nicht einmal der längste Tag zugleich der, der die Sonne am
Himmel am höchsten führt. Die Wärmemenge, die die Sonne dort an einem
Sommertag herabstrahlt, imterscheidet sich also nur wenig von der, die sie
an einem Wintertag spendet.
Zur Verkleinerung der jahreszeitlichen Temperatiirunterschiede wirkt aber
an der Küste noch stark die Nähe des Meeres mit. Wasser braucht ja
wegen seiner hohen spezifischen Wärme zu seiner Erwärmung sehr große
Wärmemengen, die es wieder abgeben muß, um kühl zu werden. Eine große
Wassermenge tritt also allen Temperaturschwankungen hinderlich entgegen.
Und kühlt sich auch die Oberfläche des Meeres ab, so sinken die gekühlten
imd dadurch schwerer gewordenen Schichten hinab, und neue, die noch ab-
zukühlen sind, treten an ihre Stelle, wodurch eine rasche Abkühlung noch
mehr erschwert wird. Aber auch starke Erwärmungen können hier nicht
zu stände kommen, und dazu trägt besonders bei, daß wir es hier mit einem
Monsunklima zu tun haben. In einem solchen wehen die vorherrschenden
Winde nach den Jahreszeiten verschieden vom Meer zum Land oder vom
Land zum Meer, immer aber so, daß sie von dem kälteren Gebiet nach dem
wärmeren blasen. Da sich nämlich das Wasser langsamer erwärmt als das
Land, so wird im Sommer auch die Luft über dem Lande wärmer als über
dem Meer. Sie dehnt sich durch die Erwärmung nach oben hin aus und
fließt in den oberen Schichten seitlich nach den kühleren Gebieten ab. Über
dem kühleren Meer erhöht sich so der Druck der Luft, während er über
dem wärmeren Lande abnimmt, und die kühle Luft höheren Druckes strömt
im Sommer als Monsunwind vom Meer nach dem Land. Ln Winter bleibt
umgekehrt das Meer wärmer als das sich rascher abkühlende Land, und es
tritt umgekehrt ein vorwiegendes Strömen der Luft von dem kalten Land
nach dem warmen Meer ein. Zu allen Jahreszeiten also blasen die Monsim-
winde aus der kühleren Gegend nach der wärmeren. Diesen Winden
folgen im indischen Ozean die Meeresströmungen, und so befördern beide
jahraus jahrein nach den Stellen, die in Gefahr sind, stark erhitzt zu werden,
kühlere Luft imd kühleres Wasser. Alle diese Umstände drücken den Tem-
peraturunterschied zwischen den Jahreszeiten stark herab und erzeugen ein
so gleichmäßiges Klima, daß es uns verständlich wird, wie den Leuten dort
aller Sinn für die Zeitrechnung abgeht. Auf die Frage: „Wie alt bist du?"
antwortet selbst der kulturbeleckte Küstenneger mit einem gewissen Stolz:
„Die Wasuaheli zählen die Jahre nicht", und in Gerichtsverhandlungen habe
ich auf die Frage nach dem Alter der Zeugen als Antwort sowohl 1 Jahr
als 100 Jahre gehört.
Die Tabelle I zeigt die Mitteltemperaturen und durchschnittlichen täg-
lichen Schwankungen der extremen Monate und des Jahres für drei Stationen
an unserer Küste: Tanga im Norden, Daressalam in der Mitte und Lindi im Süden.
Dentsch-Ostafrika.
Tabelle I. Temperaturen.
Tanga
Daressalam
Lindi
Wärmster Monat
Mittel . .
Schwankung
Kältester Monat jSInlcung
1 Mittel . .
i Schwankung
Jahr
Absolutes Maximum
Absolutes Minimum
n 27,8
L,6_
vn 23,1
6,5
I 27,9
6,1
25,7
35,1
17,6
VIT 23,1
8,8
25,6
7,7
35,0
17,1
XI 27,1
11,1_
Vm 23,4
12a_
26,7
10,9
36,0
15,2
Sie läßt zugleich erkennen, daß die größte Hitze im Süden viel früher
als im Norden eintritt. In Daressalam ist der heißeste Monat der Januar,
der ja auch auf der südlichen Halbkugel dieselbe Rolle spielt wie der Juli
bei uns. Dies würde also dem entsprechen, was wir nach unseren Er-
fahrungen hier erwarten sollten. Im Norden der Küste tritt eine Ver-
spätung des Wärmemaximums ein, im Süden eine starke Verfrühung. Es
stoßen hier zwei ganz verschiedene Klimatjpen zusanmien, wie ein Vergleich
des Verlaufs der Jahreszeiten im Norden und Süden der Küste zeigt.
Im Winter der Südhalbkugel, in den Monaten Juni bis August, liegt
die Zone größter Erwärmung über der Sahara imd Arabien. Die vorherr-
schenden Winde unseres Gebietes kommen somit nach der Lage dieses an-
saugenden Auflockerungsgebietes aus südlichen bis südöstlichen Richtungen.
Sie stammen von dem um diese Zeit kühlen indischen Ozean und noch dazu
aus höheren geographischen Breiten. Die Strömung ist bei Tage, durch die
höhere Erwärmung des Landes verstärkt, sehr kräftig; es bietet sich wenig
Gelegenheit zur Kondensation von Wasser und zur Bildung von Nieder-
schlägen, da die Winde aus kühleren Gegenden in wärmere kommen und
durch die Erwärmung, die sie selbst erleiden, fähiger werden, Wasserdampf
zu tragen, ohne ihn ausscheiden zu müssen; denn warme Luft kann mehr
Wasserdampf aufnehmen als kalte. Es ist dies die kühle und trockene Zeit
des Südostwindes. Im Norden biegt dieser Wind mehr in südliche Richtung^
imi und geht schließlich in den Südwestmonsun über, der von dem kühleren
indischen Ozean nach dem sonmierlich heißen Asien weht. Im Süden der
deutsch-ostafrikanischen Küste aber bläst der Wind aus südöstlicher bis öst-
licher Richtung und bildet hier einen Teil des Südostpassat-Gürtels, der in
diesen geographischen Breiten die ganze Erde umgibi Die maximalen
Temperaturen in dieser kühlen Zeit liegen imgeföhr bei 29**, die Durch-
schnittstemperaturen bei 23^. Mit dem Nachlassen der Sonnenstrahlung am
Nachmittag sinkt die Temperatur auf dem Lande beträchtlich. Der Wind
von der See läßt nach und schon zwischen 9 und 10 Uhr Abends wird das Mini-
mum der Windgeschwindigkeit erreicht. Von da ab entwickelt sich ein süd-
westlicher, ebenfalls kühler Landwind, der die Temperatur stark weiter sinken
läßt. So konunen Morgentemperaturen bis zu 17** C zu stände. Es ist inter-
essant, zu konstatieren, wie schnell der menschliche Körper durch die Gleich-
mäßigkeit der Witterungsverhältnisse verwöhnt wird. Man empfindet eine
4 Hans Maurer:
solche Temperatur von 17^, bei der wir hier ganz gemütlich im Freien sitzen
würden, dort sehr unbehaglich, und die Neger frieren geradezu. Allerdings
ist auch die gewöhnliche Kleidung des Europäers dort leichter als unsere
Sommeranztige. Fast jeden Morgen konamt es in dieser Zeit zur Taubildung
und im Norden der Küste mitunter auch zum Regnen. Es ist dies die so-
genannte dritte Regenzeit, die sich im Norden der Küste zeigt, während sie
im Süden völlig fehlt. Wahrend in Tanga von Juni bis August im Durch-
schnitt mehrerer Jahre 235 nmi Regen fielen, erhielt Lindi in dieser Zeit
nur 17 nmi, so daß hier fast völlige Regenlosigkeit herrscht Die tägliche
Temperaturschwankung, d. h. der mittlere Unterschied zwischen der höchsten
Temperatur am Tage und der tiefsten bei Nacht, ist besonders im Süden
und der Mitte der Küste in dieser Zeit sehr groß. In Daressalam betrug
sie an einzelnen Tagen 12^, in Lindi gar 17**. In Tanga fallen die größten,
mittleren täglichen Schwankungen nicht in diese Jahreszeit, weil die zu-
nehmende Bewölkung in der dritten Regenzeit die Größe der Temperatur-
schwankung herabdrückt. Zugleich mit der Temperatur ist die Luftfeuchtig-
keit starken Schwankungen unterworfen; während früh die Atmosphäre fast
völlig mit Wasserdampf gesättigt ist, und Tau, Dunst, selbst Nebel häufig
sind, sinkt der Wasserdampfgehalt Nachmittags oft unter 50 ^o? i^ ^^^ sehr
trockenen Jahr 1898 kam er sogar selbst am Meeresufer unter 40 7o'
Rückt in den folgenden Monaten die Sonne und mit ihr das Auf-
lockerungsgebiet in Afrika weiter nach Süden, so dreht sich die vorherrschende
Windrichtung weiter nach Osten. Die Temperaturen an der Ausgangsgegend
und am Ziel der Winde sind nicht mehr sehr verschieden, imd die Stärke
der Strömung läßt nach. Zugleich tritt eine größere Zersplitterung in den
Windrichtungen auf. Solange bei Tage der mehr und mehr in Nordost über-
gehende Seewind weht, kommen keine starken Temperaturänderungen zu
stände. Kühlt sich aber das Land in der Nacht hinreichend ab, so daß der
Landwind aufkommt, so tritt von diesem Augenblick an eine starke weitere
Temperaturabnahme ein. Die Übergangszeit, in der sich die verschiedenen
Luftströmungen bei geringer Intensität mischen, gibt zu Niederschlägen
reichlich Veranlassung, und es entsteht eine Regenzeit, die im Norden der
Küste schon Ende Oktober, im Süden im Dezember einsetzt. Die tägliche
Temperaturschwankung wird mit der Zunahme der Bewölkung klein.
Die Regenzeit hat man sich nicht so vorzustellen, daß es während dieser
Zeit etwa Tag und Nacht ununterbrochen gießt. Es sind vielmehr in dieser
Zeit nur Tage selten, an denen es nicht wenigstens etwas regnet, und an
manchen fallen große Regenmengen. Die Tageszeit dieser Regengüsse ist
vorwiegend der Mittag. In Daressalam z. B. sind Regenmonate vorgekommen,
in denen infolge der mittäglichen Regengüsse die Durchschnittstemperatur
um 12 Uhr niedriger als um 11 und imi 1 Uhr war. Auch in den übrigen
Teilen des Jahres ist eine Zunahme der Bewölkung um Mittag zu erkennen,
und der Sonnenscheinautograph, ein Instrument, das die Dauer des Sonnen-
scheins für jede Stunde anzeigt, hat im Durchschnitt des Jahres um Mittag
weniger Sonnenschein als am Vormittag und am Nachmittag angegeben.
(S. das Diagramm der Sonnenscheiudauer S. 18.) Welche Wassermassen aber
(jtH)o;raphische Zeitschrift. Jahroanc^^ IX.
i 'vT Wciil/rlsv 0, ein iiaüT! 'Ji-r Ix;'
StcpjK im stKllicheii I).:i!i<^-hus:.HriKa.
BckIc Dir ii'.'i i^-ü >in.l c!m hei I> l.'rr'u-' (K ^'-'i^rn) <
.vSrn \\' t1 .> \,>!-, l>r I iill'-i.'.:'
:• - (in s..'
. 'J^t i'i. ■»'t.'.L-
.. .1 ijr (Vu sei* Z« l1
*!t r *. i.i;,
' '• .li.s A;ii
.'it. ;rvrh,'iM',-
■ 1 .Im- '-.iti-^«'
. » 'f 'n ' r-' in t\t ii
' . Ui N"i.''l<\si l''i* 1'-
;■ ' r !;r;i!.u' fiin'/''ji ,\\
. ■' . t »iJ :-•. -r. a..ti d. •
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i. . >i'i.l \ i;. t t\' ■ .-
„IJnM' i-*
•uiH-n
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'ci.:-^ ti * •
Geographische Zeitschrift. Jahrgang IX.
Tafel 1.
Der Wentzelsee, ein natürlicher Regenmesser im Nyassagebiet.
Steppe im südlichen Deutschostafrika.
t— • r\ r»^: . /o \//>kcMi\ «>rerhpinMiHpn WprlrP vnn Dr Ffillehorn ! ..Die deut
Deutsch-Ostafrika. 5
diese Regenzeiten auf das Land hemiedergießen können, mag die Angabe
beweisen, daß, während Hamburg, ein gewiß nicht allzu regenloser Ort,
durchschnittlich im Jahre 726 nmi Regen erhält, in Tanga in dem einzigen
Monat November 1896 796 mm gefallen sind, davon 200 an einem Tag,
also mehr als der vierte Teil von der Menge, die in Hamburg in einem
ganzen Jahr herabkommt.
Während im Süden die Regenzeit erst im Dezember einsetzt, hört sie
dann in Tanga schon wieder auf. Der Nordostwind, welcher nunmehr, an
den asiatischen Nordmonsun angeschlossen, den ganzen Tag über kräftig
weht, dauert nun im Norden der Küste auch die ganze Nacht hindurch an,
und diese gleichmäßige, kräftige Strömung gibt geradeso wenig Veranlassung
zu Niedei*schlägen wie im Winter der Südostpassat im Süden. Ja die Regen-
losigkeit der Monate Dezember bis Februar ist in Tanga viel ausgesprochener
als die der Wintermonate Juni bis September (vergl. das Regendiagramm auf
Seite 6). Im Süden aber fällt gerade in diesen drei Monaten Dezember bis
Februar mehr als die Hälfte der Regenmenge des Jahres. Der Abkühlung, welche
so mitten im Sommer durch die Regen eintritt, ist es zu danken, daß im
Süden die dem Regen unmittelbar vorangehende Zeit Ende November bis Anfang
Dezember die heißeste des Jahres ist. Ganz analoge Verhältnisse finden wir
auf der nördlichen Halbkugel in Indien, wo unmittelbar vor Beginn der
sommerlichen Regen der Mai der wärmste Monat des Jahres ist. Dieser
Klimatypus wird deshalb der indische genannt^).
Im Norden der deutsch-ostafrikanischen Küste dagegen nimmt in der
dort regenlosen Zeit mitten im Sommer die Temperatur immer weiter zu,
so daß Ende Februar oder Anfang März 'die heißeste Zeit des Jahres wird. Die
kräftige Nordostmonsun-Strömimg im Norden vertreibt die Wolken und bringt
sehr lange Sonnenscheindauem und sehr hohe Temperaturen der Sonnen-
strahlung zu Stande. In Daressalam betrug vom 30. November bis zum
24. Dezember 1898, also fast vier Wochen lang, die durchschnittliche täg-
liche Sonnenscheindauer 10 Stunden 50 Minuten, während sie kaum eine
Stunde mehr hätte betragen können, wenn die Sonne in der ganzen Zeit
keinen Augenblick von Wolken verhüllt gewesen wäre. Das berußte Strahlungs-
thermometer zeigte im Sonnenschein in dieser Zeit bis 66® C an. Der Sand-
boden erhitzt sich mitunter dabei so sehr, daß ihn selbst der Neger mit
seiner abgehärteten Fußsohle in beschleunigtem Tempo passiert. Gewimdert
habe ich mich über einen europäischen Hund, der sich behaglich in den so
geheizten Sand zu strecken pflegte. Wenn trotzdem in dieser Zeit die Luft-
temperatur bei Tage im Schatten nur selten bis zu 35** steigt, so liegt dies
an dem Monsun, der fortwährend verhältnismäßig kühle Luft dem Lande zu-
führt, die letzten Endes dem ima diese Zeit winterlich kalten Asien ent-
stammt. Während so die von der See herstreichende gleichmäßig tempe-
rierte Monsun-Strömung eine zu hohe Erwärmung bei Tage verhindert, so
vereitelt sie andererseits aber auch die Abkühlung bei Nacht. Unter ihrem
1) Vergl. Koppen, Versuch einer Klassifikation der Klimate. G. Z. Bd. 6.
1900. S. 698 flF. und 657 ff.
Hans Maurer:
Einfluß sinkt die tiefste Temperatur der Nacht selten unter 25®, oft nicht
unter 27^ C. In den 27 aufeinanderfolgenden Nächten vom 3. — 30. De-
zember 1897 ging in Daressalam die Temperatur keinen Augenblick unter
26,3® C. Diese heißen Monsunnächte sind es, die das Allgemeinbefinden des
Europäers durch Schlaflosigkeit leicht so sehr herunterbringen und ihn den
Malariaanfällen weniger Widerstand entgegensetzen lassen. Und gerade um
dieselbe Zeit wächst diese Gefahr schon so wie so, wo die Sonne die Tümpel
und Überschwemmungsflächen der Regenzeit auszudörren beginnt. Das
Schlinamste an der afrikanischen Hitze sind also an dieser Küste nicht die
Tage sondern die Nächte.
Bis zum Süden der Küste reicht diese unumschränkte Herrschaft des
asiatischen Nordostmonsunes nicht; dort bringt er es nur zu einem Kampfe
mit anderen Windrichtungen, und aus diesem Kampf geht die Regenzeit des
Südens hervor, die vom Dezember bis in den April währt. Im Norden da-
gegen ergibt sich erst wieder von
neuem Gelegenheit zu reichlichen Nieder-
schlägen, wenn mit der nordwärts wan-
dernden Sonne der Südostpassat wieder
gegen Norden vordringt, und im Rin-
gen beider Windsysteme sich die große
Regenzeit vom März bis Mai entwickelt.
Die Temperatur geht wieder herab
und die Luftfeuchtigkeit nimmt stark
zu. Für die Regenmengen dieser
zweiten Regenperiode mögen als ex-
treme Werte die von 1897 gelten, wo
in Tanga in der Zeit vom 9. IV.
bis zum 24. V., also in l^/g Monaten
979 mm Regen fielen. Der Anfang
der großen Regenzeit ist durch böige
Winde und Gewitter ausgezeichnet. Von der berüchtigten Gewalt der Tropen-
gewitter habe ich aber an unserer Küste wenig bemerkt; bei weitem die
meisten Blitze gingen von Wolke zu Wolke; und während Wetterleuchten
fast jeden Abend zu sehen war, waren Nahgewitter in Daressalam sehr
selten. Mit dem weiteren Vordringen des Südostpassates hören die Regen
auf; und es tritt aufs neue die verhältnismäßig trockene und kühle Zeit ein.
Einen Überblick über die verschiedenartige Regenverteilimg in Nord und Süd
gibt das Diagramm, auf dem in 7^^ der natürlichen Größe die durchschnitt-
liche Regenhöhe der einzelnen Monate angegeben ist. Die jährliche Regen-
menge nimmt von Nord nach Süd ab. Siehe Regendiagramm.
Dies die durchschnittlichen Verhältnisse; es muß aber bemerkt werden, daß
die Unterschiede hauptsächlich in der Regenmenge und auch in der Regen Verteilung
in den einzelnen Jahren ganz enorm gewesen sind. So betrugen die jährlichen
Regenmengen in Tanga in dem Jahr: September 1896 — August 1897 2597 mm,
in dem Jahr: September 1897 — August 1898 aber 577 mm, also 2000 mm
weniger. In der Zeit von Mitte 1897 bis Anfang 1899 sind 3 Regenzeiten
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Regendiagramm.
Deutsch-Ostafrika. 7
im Norden der Küste fast ganz ausgeblieben. Der feuchteste Monat in dieser
Zeit war für Daressalam der März 1898, und auch er brachte nur 138 mm
Regen. In der ti'ockenen, heißen Zeit entwickelten sich zugleich die Heu-
schrecken sehr ungestört und die schwere Hungersnot, die damals gleichzeitig
mit der großen indischen Hungersnot im Norden der Kolonie herrschte, wird
wohl noch aus den Zeitungsberichten in Erinnerung sein. Diese Variabilität
der Regenverhältnisse macht es so schwer, ein definitives Urteil über den
landwirtschaftlichen Wert des Gebietes zu fällen.
Wie sieht nun die Vegetation in diesem Klima aus?
Am Meeresufer und soweit mit der Flut, die hier die Höhe des Meeres-
spiegels etwa um 4 m schwanken läßt, das Salzwasser eindringt, ist die
Mangrove die Charakterpflanze. Sie ist dem Leben im Flutintervall, bald
innerhalb bald außerhalb des Meerwassers, aufs beste angepaßt. Zahlreiche
Seitenstützen halten die Pflanze in der Brandungswelle aufrecht, aus der Erde
hervorstehende Luftwurzeln ermöglichen ihr die Atmung in dem feuchten
Küstenboden; und schon am Baume treibt die Frucht einen Trieb aus, der
ihr nach dem Abfallen einen festeren Halt im Schlammboden gibt. Im
Delta des Rufiyi bilden diese Mangroven Waldbestände von ca. 40 000 ha,
die neuerdings rationeller ausgebeutet werden. Die Hölzer liefern gerbstoff-
reiche Rinden und zeigen neben großer Festigkeit die wertvolle Eigenschaft,
daß sie von den Ameisen nicht angegriffen werden.
Hinter dem Mangrovengürtel beginnt Buschsavanne und Buschwald, der
z. B. im Sachsenwald bei Daressalam neben einigen neuen Nutzhölzern
sogar Lianen in seinem Zweiggewirre aufweist. In dem niedem Gestrüpp
erscheint vielfach eine kleine Dumpalme (Hyphaene), während einzelne
größere Exemplare dieser oft verzweigten Palme hie und da im Gebiet
emporragen. Auch die sonderbaren an Kaktus erinnernden Euphorbien, nahe
Verwandte unserer Wolfsmilch, treten vielfach als kandelaberförmige Bäume
auf. Ihre fleischigen, reichlich Milchsaft führenden Stengel befähigen sie
starke Trockenheit auszuhalten. Die charakteristische Pflanze aber für die
Steppengebiete im Innern, die hier bis zum Meeresstrande vordringt, ist der
riesige Affenbrotbaum oder Baobab (Ädansonia), dessen plumpe unförmige
KnoDenstämme ihn vor dem Austrocknen durch die sengende Sonne schützen.
Von der Decken hat Exemplare von 50 m Stammumfang gesehen. Hier
trifft dieser Vertreter der Steppe zusammen mit der Kokospalme, die ihrer-
seits das trockene Innere meidet. Sie will, wie der Araber sagt, die Füße
im Wasser und das Haupt im Feuer haben. Sie liebt die Seeluft und ist
wenige Tagereisen landein bis auf ganz vereinzelte Punkte, wo arabischer
Fleiß sie mit Hilfe reichlicher Salzdüngung erhalten hat, verschwunden. Bei
Daressalam z. B. finden sich ausgedehnte Kokospflanzungen aus der ara-
bischen Zeit, die früher Eigentum des Sultans von Sansibar waren, und
neuerdings hat besonders die Deutsch-ostafrikanische Gesellschaft ausgedehnte
Kokosplantagen im Norden der Küste angelegt.
Die Gefahren, die der Kokos, besonders im jugendlichen Alter, drohen,
sind starke Dürre, wie es im Jahr 1898 der Fall war, und eventuell Heu-
schrecken und Käfer. Unter diesen wurde besonders ein Nashornkäfer eine
8 Hans Maurer:
schwere Plage der Planta-gen. So zahlte die PlantÄge Muoa in dem einen
Monat Oktober 1899 Prämien fttr 140 000 abgelieferte Nashornkäfer. In
Daressalam habe ich auch große Eokosbäume gesehen, an denen infolge
Heuschreckenfraßes buchstäblich nichts Grünes mehr zu sehen war. Trotz-
dem wurde die Kokosemte von 1899 im Bezirk Daressalam wieder als eine
mittlere bezeichnet. Eine lohnende Kultur scheint femer an der Küste die
der Fasern liefernden Agaven (Fourcroya) zu sein. Auch in der extrem
dürren Zeit sind diese Pflanzen gut gediehen und haben Blätter von über
2 m Länge mit guten Easem geliefert, die hauptsächlich zu Tauen und
gröberen Geweben verwendet werden. Die Agavenplantage des Gouverne-
ments lieferte 1899 als Erstlingsemte 59 000 Pfd. Fasern. In Kiomoni bei
Tanga standen 1899 170 000 Mauritiusagaven im Feld.
Eine weitere Kultur, die schon seit mehreren Jahren gute Erfolge ge-
zeitigt hat, ist die der Vanille. Auch ihr kann Dürre großen Schaden tun,
da die Pflanzen viel Feuchtigkeit verlangen. Es ist deshalb notwendig, ihre
Kultur mehr als Gartenkultur zu betreiben, zumal da auch das Insekt, das
in Südamerika die Befruchtung der Vanilleblüten besorgt, in Ostafrika fehlt,
so daß die Befruchtxmg von Menschenhand ausgeführt werden muß. Die
Qualität der Vanille, wie sie auf den Hansing-Plantagen und denen der
katholischen Mission bei Bagamoyo erhalten worden ist, ist vielfach vorzüg-
lich gewesen.
Alte Kulturen, die bereits von den Eingeborenen und den Arabern be-
trieben und nun auch von den Europäern begonnen worden sind, sind die
des Tabaks und des Zuckers. Die Erfolge mit Tabak sind bis jetzt nicht
ermutigend. Die Tabakplantage des Gouvernements im Rufljidelta mußte
verlegt werden, weil der Boden nicht günstig war und die Tabaksfelder im
einen Jahr ganz unter Wasser gerieten, im andern fast ganz verdorrten.
Besser wird es jedenfalls mit der Zuckerrohr-Industrie gehen, die im
Panganital schon lange zahlreiche arabische Zuckermühlen beschäftigt und
nunmehr im Großen von einer deutschen Fabrik betrieben werden soll.
Auch unseren europäischen Gartenkulturen ist das Klima vielfach günstig.
Neben den tropischen Gartengewächsen: Ananas, Bananen, Papayen, Mango-
bäumen, Limonen gedeihen gut Salat, Kohl, Tomaten, Bettige und Radies-
chen. Ihre Entwicklung geht sehr viel schneller vor sich als bei uns. An
Bohnen z. B., die ich in meinem Garten in Daressalam zog, habe ich in
24 Stimden ein Wachstum lun 16 cm beobachtet, obwohl sie in imgedüng-
tem schlechtem Sandboden standen. Kartoffeln und deutsches Obst geraten
an der Küste nicht.
Noch ein paar Worte über das Tierleben. Der König der Tiere, der
im allgemeinen in der Steppe lebt, ist nur zeitweise an der Küste unangenehm
aufgetreten. So ist dies augenblicklich der Fall, und so war es auch im
Jahre 1896, wo die Löwen in Mikindani, unserer südlichsten Küstenstadt,
bei hellem Tage die Negerweiber aus Feld imd Garten holten. In dem
Negerdorf bei einer dortigen Kokospflanzung erschien ein Löwe Nachts und
schlug sich durch die schwache Lehmwand einer Hütte ein Loch. Als er
aber mit dem Kopfe durch dieses Loch eindringen wollte, verteidigte das
Deutsch-Ostafrika. 9
Negerweib im Innern sich und die Seinen mit einem Feuerbrand, mit dem
sie immer wieder dem Löwen nach der Schnauze fuhr. Dies und mehr noch
ihr Geschrei, in das ihre Nachbarn einstimmten, vertrieb den Löwen. Als
er in der nächsten Nacht wieder erschien, erlegte ihn der Plantagenleiter,
der noch in derselben Woche zwei weitere Löwen schoß. Daß auch der
kleinere Bruder des Löwen, der Leopard, mitunter so keck ist, bis in die
Städte zu kommen, erfuhi*en wir z. B. in Daressalam, wo einer in dem mit
Drahtgeflecht eingezäunten Hühnerhof hinter meinem Hause in einer Nacht
etwa 20 Stück Federvieh hinmordete. Er tat uns auch den Gefallen, in
der nächsten Nacht wieder zu kommen und mit dem geraubten Lockhuhn
auf die große verankerte Falle zu springen^ machte dies aber so gewandt,
daß wir am andern Morgen außer dem Huhn nur ein paar Haare des Leo-
parden gleichsam als seine Visitenkarte in der Falle fanden. Von kleinerem
jagdbarem Wild seien Antilopen aus der Steppe und wilde Schweine an den
Creeks erwähnt. Die Flüsse beleben Nilpferde, Krokodile und zahlreiche
Vögel: Strandläufer, Reiher, Enten u. a. Das Meer liefert Schildkröten
und Fische, darunter die Lieblingsspeise der Neger, den Haifisch, dessen ent-
setzlicher Geruch ihre Märkte weithin anzeigt. An Haustieren werden
Hühner, Ziegen, Schafe, Esel imd Rinder, neuerdings auch Schweine gehalten.
Das Pferd ist selten, da es das Klima schlecht verträgt. Von Kamelen sieht
man nur ganz vereinzelte Exemplare. Die Rinder leiden unter dem durch
Zecken hervorgerufenen Texasfieber, das auf einem glücklicherweise nur
schmalen Küstenstreifen endemisch ist, imd an der Surrahkrankheit, die durch
den Stich der Tsetsefliege entsteht. Man hielt sie bisher für unabwendbar
tödlich. Neuerdings aber hat Robert Koch durch Überimpfen des Tsetse-
blutes auf eine Ratte, von da auf einen Hund und von da auf ein Rind
zurück dieses so immun gemacht, daß es 6 weitere Impfungen mit frischem
Tsetseblut, ohne krank zu werden, ertrug. Die Rinderpest ist von der
Kolonie bis jetzt femgehalten worden.
Kleine Tiere machten mir in meiner meteorologischen Tätigkeit das
Leben oft sauer. So mußte ich kleine Affen auf dem Dach des Hauses er-
legen, deren wissenschaftliche Forschungen an meinem Windrädchen mit den
meinigen allzusehr kollidierten. Ebenso gingen sie mir an meine im Erd-
boden steckenden Thermometer; und als ich sie durch einen übergestülpten
schweren Kasten vor den Affen schützte, erkor sich diesen eine Sandschlange
(Psammophis) zum Wohnsitz. Die Instrumente in der Wetterhütte waren
durch Di-ahtgeflecht gegen Affen geschützt, dafür tummelten sich auf ihnen,
die Eidechsen, imd im Thermographenkasten suchten sich wiederholt Ameisen
und Wespen anzusiedeln, während im magnetischen Haus der Skorpion sein
lichtscheues Leben führte. Die Hauptplage an der Küste sind die Moskitos,
in denen wir nach den neueren Forschungen die Überträger der Malaria zu
sehen haben. Hoffentlich bringt uns die fortschreitende Erkenntnis auch die
ffittel, diesen Hauptfeind imserer Kolonie erfolgreich zu bekämpfen. Mit der
Hitze allein würden wir schon fertig werden. Es ist bezeichnend, wie ver-
schieden die Methoden des Schutzes gegen die Hitze bei den Arabern und
den Europäern sind. Der Neger braucht gegen die Sonnenstrahlimg keinen
10 Hans Maurer:
Schutz; er arbeitet ohne Schaden zu nehmen mit rasiertem unbedecktem
Schädel im Sonnenschein bei 66® C Strahlungstemperatur. Der Araber
wickelt sich ein ca. 2 m langes Tuch als Turban dicht um den Kopf und
schließt mit der Sonne die Luft aus« während der Europäer von etwa 7 Uhr früh bis
5 Uhr nachm. den mit Ventilationseinrichtung versehenen Tropenhut trägt, der
durch den fortwährenden Zutritt frischer Luft eine zu starke Erhitzung verhindert.
Derselbe Unterschied zeigt sich im Bau der Häuser und der Städte. In Sansi-
bar, der Araberstadt, umgeben dickwandige hohe Häuser enge und winklige
Gassen. Kein Sonnenstrahl dringt in Haus und Gasse, aber auch keine
frische Luft. Daressalam dagegen zeigt sehr breite Straßen mit schattigen
Alleen und Häuser, die, ringsum mit weitausladenden luftigen Veranden um-
geben, die Zufuhr frischer Luft nach Möglichkeit erleichtem.
An andauernde körperliche Arbeit des Europäers ist an der Küste nicht
zu denken. Die Dienststunden der Gouvemementsbeamten in Daressalam
lagen von 7 — 12 und von 3 — 5 Uhr. Der Europäer hat hier genug damit
zu tun, den Neger zur Arbeit anzuhalten, nach der dieser ein sehr geringes
Bedürfiiis hat Das Land liefert ihm mühelos, was seinen geringen Lebens-
bedürfnissen entspricht, und eine fatalistische Weltanschauung läßt ihn selbst
der Hungersnot untätig gegenübertreten.
II. Usambara.
Das Bergland Usambara ist die erste Gebirgsgegend unserer großen ost-
afrikanischen Kolonie, die von den Europäern in Bewirtschaftung genommen
worden ist, und steht nach den dort engagierten Kapitalien im Vordergrund
des Literesses, wenn man von Deutsch- Ostafrika überhaupt spricht. Das Land
verdankt dies seiner ktLstennahen Lage, aus der es nicht nur den Vorteil
kurzer Verbindungslinien mit dem Weltmeer, sondern auch den einer sehr
reichlichen Bewässerung durch die Seewinde zieht. Der Ostfuß des Gebirges,
das in etwa trapezförmigem Umriß einen Flächenraum von rund 4000 qkm
bedeckt, ist nur etwa 40 km von der Küste des indischen Ozeans entfernt,
während der äußerste Westrand ca. 130 km landein liegt. Die Usambara-
Eisenbahn, die von der Küstenstation Tanga ausgehend bis nach Korogwe am
Panganifluß geführt werden soll, reicht jetzt bis in das Lu(?ngeratal, das
in einer Breite von etwa 10 km das Gebirge in einen kleineren und
niedrigeren östlichen und einen größeren und höheren westlichen Teil scheidet.
Das Lu^ngeratal selbst liegt 3 — 400 m über dem Meere; die Berge im
westlichen Teil überschreiten 1200 m Meereshöhe nur selten, während das
westliche Gebirge in seinem nördlichen Teil bis etwa 2000 m Seehöhe auf-
ragt. Die Urgesteine Gneiß und Granit, die den Grundstock des Gebirges
bilden, steigen steil und massig auf aus dem umgebenden Küstenvorland,
dem Lu^ngeraeinschnitt und den Steppengebieten des Mbaramu- und Umba-
flusses im Norden, des Pangani und Mkomasi im Westen und Süden. Die
steilen Hänge haben den Bau der Zugangsstraßen aus dem Gebirge in die
Ebene sehr erschwert.
Wie steil diese Abstürze des Gebirges nach der Steppe sind, mag die
Tatsache erläutern, daß wir, als wir auf der Bückkehr von der Kilima-
Deutsch-Ostafrika. 11
ndjaro-Expedition des Gouverneurs v. Liebert die Nordwestecke des Gebirges
erklommen, nach meinem Routenbucb 560 m in 70 Minuten stiegen; und
dabei sucht sich der Karawanenpfad natürlich nicht die steilsten, sondern die
zugänglichsten Stellen aus. Erstaunlich ist hierbei die Leistungsfähigkeit der
Neger. Mit einer 50 — 60 Pfd. schweren Last auf dem Kopf, die nicht
immer bequeme Formen hat, erklimmen sie die steilen Gebirgswände etwa
in derselben Zeit wie der frei und ungehindert sich bewegende Europäer.
Damals stiegen sie also pro Minute 8 m aufwärts und das mit ihrer Last
70 Minuten lang. Zu statten kommen ihnen dabei die nackten Füße, mit
deren geübten Zehen sie sich an den steinigen mit geringer Vegetation be-
deckten Wänden festhalten können.
Da das Gebiet in der Höhe Schichten von 300 bis zu 2000 m Meeres-
höhe durchläuft, so darf man von der Klimaschilderung erwarten, daß sie
recht verschiedene Klimate übereinander angeordnet zur Anschauung bringen
wird. Am Fuß der Berge finden wir Steppenformation, Gebiete, die in der
Regenzeit weithin imter Wasser stehen, sonst heiß und trocken liegen und
eine Gras- und Buschvegetation von sehr variabeler Dichtigkeit aufweisen.
Weiter nach oben wächst die Feuchtigkeit und wird die Flora üppiger; wir
gelangen durch eine Übergangszone in den feuchten Gebirgstropenwald mit
50 — 60 m hohen Bäumen, viel Famen, Orchideen imd Lianen. Am üppigsten
ist hier die Vegetation in Bachschluchten, die bei reicher Wasserversorgung
schon in geringer Höhe bei noch hohen Temperaturen durch günstige Lage
vor dem Eindringen austrocknender Steppenwinde geschützt sind. Baum-
fame, Bananen und Bambus säumen solche Bachschluchten ein. In seinen
oberen Teilen wird der Wald, dem Winde und einer niedrigeren Temperatur
freier ausgesetzt, knorriger und reicher an Baumsträuchem, während einzelne
hohe Bäume die Lichtungen zieren. Aber auch hier durchflechten Lianen
und Kletterpflanzen das Strauchwerk. In den oberen Teilen wasserreicher,
windgeschützter Täler bleibt auch hier die Vegetation tropisch, und die
Msalapalme soll an ganz bevorzugten Punkten bis in 1900 m Meereshöhe
steigen. In derselben Höhe etwa liegt die untere Grenze der Kumulus-
Wolkenbänke, die die Gipfel Mittags bedecken. In dieser immer feuchten
nebligen Region entwickelt sich ein Hochwald vorwiegend aus Nadelhölzern,
die vielfach dicht mit Bartflechten behangen sind. Wo aber die Berge nicht so
hoch ansteigen, daß dieser Höhenwald oder Wolkenwald sich bildet, und
auch zwischen ihm und dem Tropenwald, da erscheint oberhalb von diesem
ein grasreiches Wiesen- und Weideland, das zuletzt öden steinigen Kuppen
mit geringer Vegetation Platz macht.
Höhengrenzen für diese verschiedenen Zonen sind deshalb nicht an-
gegeben, weil sie in dem Gebiete keineswegs in den gleichen Höhen liegen,
wir vielmehr von Südost nach Nordwest fortschreitend sehr starke Unter-
schiede, die denen in der Befeuchtung entsprechen, vorfinden. Die Ent-
fernung von der Küste und hauptsächlich die Orientierung der einzelnen
Teile des Gebirges nach den Himmelsrichtimgen bewirkt diese Unterschiede.
Die südöstlichste Station, von der Messungen vorliegen, die Prinz-Albrecht-Plan-
tage Kwamkoro, hat im Jahre von August 1896 — Juli 1897 eine Regenmenge
12 Hans Maurer:
von 3685 mm gemessen, d. i. über fünfmal soviel, wie ein Jahr in Hamburg
bringt, während im äußersten Nordwesten anf der Missionsstation Neu-Bethel
bei Mtai im Jahr 1899 etwa 430 mm gefallen sind, also nicht viel mehr
als halb so viel wie in Hamburg und kaum y^ jener Menge von Kwamkoro.
Wie erklären sich diese enormen Unterschiede? Ein Teil kommt natürlich
auf die Differenz der beiden Jahre überhaupt. Daß dies aber nicht der
Hauptgrund ist, mag die Tatsache beweisen, daß in denselben 11 Monaten
November 1896 — September 1897, wo in Kwamkoro 3460 mm Regen fielen,
man in Kwai (in West-Usambara), das immer noch regenreicher als Neu-Bethel
ist, nur 1124 mm, also weniger als den dritten Teil der in Kwamkoro ge-
fallenen Menge, erhalten hat.
Die Lösung dieses Problems liegt vielmehr darin, daß die von der See
kommenden Winde bei dem steilen Aufstieg in das Gebirge sich abkühlen^
dabei ihren Wasservorrat in energischen Regengüssen an den östlichen Rand-
gebieten abgeben und dann als verhältnismäßig trockene Winde den Rest
des Gebietes durchwehen. Der jahreszeitliche Wechsel der vorherrschenden
Winde in Usambara entspricht dem Verhalten, wie wir es für den Norden
der Küste fanden. Im Winter, von Juni — September wehen Südostwinde,
die dem um diese Zeit imgestört die Erde umspannenden Südostpassatgürtel
dieser geographischen Breiten angehören. Während im Süden der Küste diese
Zeit fast ganz regenlos ist, tritt im Norden, z. B. in Tanga, dann mitunter
eine schwache Regenzeit, die dritte nach dem Range, ein. In den südöst-
lichen Teilen des Usambaragebirges dagegen bringt sie sehr ergiebige
Steigungsregen. Während die vom indischen Ozean einströmende Luft die
steilen Hänge hinaufdringt, gerät sie unter geringeren Druck, sie dehnt sich
aus imd kühlt sich dadurch ab. Kühlere Luft aber vermag nur geringere
Mengen von Wasserdampf zu tragen; was sie zu viel geladen hat, gibt sie
in Nebel und Regen ab. So sind im Osten und Süden des Gebirges
Passatmonate mit über 300 mm Regen vorgekonunen, d. i. nahezu halb
soviel als in Hamburg in einem Jahr fällt. Zugleich ist der Westen und
besonders der Nordwesten des Gebietes fast völlig regenlos. (Vergl. die
Regentabelle S. 14.) Während in der folgenden Jahreszeit der Südost-
passat zu Gunsten des von Asien vordringenden Nordostmonsuns an
Stärke und Häufigkeit nachläßt, entwickelt sich im Kampf dieser Strömungen,
der das Aufkommen rein vertikaler Luftbewegungen begünstigt, an der Küste
die kleine Regenzeit, etwa im November, an der auch Usambara teilnimmt.
Im November 1896, der an der Küste in Tanga 796 mm Regen lieferte, er-
gossen sich über Kwamkoro 900 mm Regen, und selbst das sonst ziemlich
regenarme Kwai in West-Usambara brachte es in diesem Monat auf 321 mm
Regen, die größte monatliche Regenmenge, die Kwai in den ^^^ Beo^"
achtungsjahren aufzuweisen hatte.
Die Temperatur steigt währenddessen, nachdem die Sonne im Oktober
bereits senkrecht auf das Gebiet herabgestrahlt hat. Je vollständiger der
Nordost wind zur Herrschaft gelangt, desto schwächer werden an der nörd-
lichen Küste die Regen, so daß von Dezember bis Februar die intensivste
Trockenheit des Jahres eintritt. Auch in Usambara ist dieser Rückgang in
Geographische Zeitschrift. Jahrgang IX.
Tafel 2.
Partie aus Daressalam 1897. Mangobaum, darunter Ananas. Cocos, von
Heuschrecken angefressen. Rechts junge Allee von Terminalia CkUappa.
Ein Wasserriß im südlichen Deutschostafrika.
Aus dem bei D. Beimer (E. Vohsen) erscheinenden Werke von Dr. Fülleborn
„Die deutschen Nyaaaagebiete , Land und Leute".
Deutsch -Ostafrika.
13
den Begenmengen wohl bemerkbar, immerhin aber verhütet die hohe Lage
das vollständige Aufhören der Regen auch in dieser Zeit, in der Ende
Februar die höchsten Temperaturen des Jahres auftreten.
Tabelle ü. Temperaturen in üsambara.
Station
Lage
Seehöhe in Metern . . .
Mazinde
West
570
Buloa
Ost
920
Ambangulu
Südwest
1260
Kwai
West
1610
wärmster Mittel ....
Monat \ Schwankung .
n 25,7
15,1
11 23,1
10,8
n 20,9
8.5
n 18,8
12,3
Kältester /Mittel ....
Monat i Schwankung .
VU 20,2
10,9
Vm 18,2
7,7
20,9
8,9
Vn 14,3
2,7
17,8
5,9
vn 18,4
5,7
T„, r Mittel ....
•^*^'^i Schwankung .
ca. 23*
ca. 12<>
16,8
9,6
Absolutes Maximum . . .
Absolutes Minimum . . .
37,7
13,5
31,6
9,7
27,5
10,9
30,6
5,5
Der heißeste Monat ist überall der Februar, der in Mazinde, das noch
fast in der Steppe liegt, nahezu 26^ Mitteltemperatur erreicht, während das
hochgelegene Kwai auch in diesem heißesten Monat unter 19® bleibt. Der
kühlste Monat Juli ist überall 5 — 7** kühler. In der heißen Zeit ist durch-
weg die tägliche Temperaturschwankung größer als in der kalten, gerade
entgegengesetzt, wie wir es in Daressalam an der Küste kennen gelernt
haben. Der Grund hiervon liegt darin, daß die in der heißen Zeit wehen-
den NE-Winde das Gebirge herabkommen, deshalb trocken sind und die
Wolken verscheuchen; sie bringen klaren Himmel und damit starke tägliche
Sonneneinstrahlung und starke nächtliche Ausstrahlimg; die Südostwinde aber,
die in der kühlen Zeit das Gebirge hinauf steigen, bringen Wolken und ver-
hindern so durch die Wolkendecke die tägliche Ein- und Ausstrahlung, so
daß nun die tägliche Temperaturschwankung sinkt. Besonders deutlich sind
diese Verhältnisse auf der Versuchsstation Kwai zu Tage getreten, wo ein
Thermograph seit Januar 1897 in Tätigkeit ist. Es wird darauf später
zurückgekonmien werden (S. 18). Vergleichen wir die Größen der täglichen Tem-
peraturschwankung der einzelnen Stationen mit einander, so st«ht obenan die
Steppe. Höher hinauf nimmt im Waldgebiet, in dem Buloa und Ambangulu
liegen, die tägliche Temperaturschwankung mit der zunehmenden Höhe ab.
In der freien Wiesen- und Weidezone aber, in der Kwai gelegen ist, sind
die Unterschiede zwischen Tag und Nacht wieder sehr groß, wenn sie auch
durchschnittlich nicht ganz den Betrag in der Steppe erreichen.
Läßt nach der heißen Jahreszeit der Monsun wieder nach, so tritt in
der nun folgenden Zeit schwacher Luftbewegung aus wechselnden Richtungen
von neuem Veranlassung zur Bildung kräftiger Niederschläge ein; die große
Regenzeit ist gekonmien, die im April und Mai mitunter ganz enorme Wasser-
massen auf das Land hemiedergießt. Eine Zusammenstellung der Regen-
verhältnisse gibt die folgende Tabelle HI S. 14. Die feuchteste Zeit in der
ganzen Beobachtungsperiode war die große Regenzeit 1897. Im April und
14
Hans Maurer:
Mai 1897 fielen in Kwamkoro 1562 mm Regen, d. i. in 2 Monaten mehr
als Hamburg in 2 Jahren erhält Und auch in Sakarre im Süden von
West-Üsambara maß man in denselben beiden Monaten 1079 mm. Tanga an
der Küste empfing in derselben Zeit 995 mm, und ein enormes Gebiet stand
damals unter Wasser. Ich hatte Gelegenheit, die Verwüstungen, die diese
Güsse angerichtet hatten, aus eigenem Augenschein kennen zu lernen, da ich
am 25. Mai eine Reise ins Usambaragebirge antrat. Ich brach von Tanga
mit einer Karawane von etwa 20 Negern auf. Der beste, oder richtiger der
einzige Weg, der wenigstens noch teilweise existierte, war der Eisenbahn-
damm, auf dem ich nicht geradezu mit der Erlaubnis einer hohen Eisen-
bahnbehörde marschierte. Das Betreten des Dammes war nicht etwa deshalb
verboten, weil ein heranbrausender Zug das Leben des Wanderers hätte ge-
fährden können — es konnte damals kein Zug auf diesem Damm fahren — ,
sondern man fürchtete, der Wanderer könne den geschwächten Danun völlig
niedertrampeln. In der Tat hingen an mehreren Stellen die Schienen
frei über dem Wasser, das den Damm darunter weggespült hatte. Der
Luöngerafluß, den ich nach der langen regenarmen Periode im März 1898
als einen schmalen armseligen Wasserlauf ¥dedersah, hatte damals sein Tal
in einer solchen Breite überschwemmt, daß ich beim Überschreiten einen
halben Tag fast ganz auf den Schultern eines baumstarken Negers zugebracht
habe, der durch das Wasser dahinwatete.
So stark sind die Regenzeiten aber nicht inuner; die einzelnen Jahre
zeigen darin sehr erhebliche Unterschiede, wie aus der Regentabelle ersicht-
lich ist. Vom Jahr 1901 stand kürzlich eine Notiz in den Blättern, daß
sich die bekannten ältesten Leute keiner stärkeren Regenzeit im Lu^ngera-
gebiet erinnern als der von 1901. Zahlen darüber fehlen aber zur Zeit noch,
und das Gedächtnis der ältesten Leute ist auch in Afrika nicht inmier ganz
zuverlässig.
Tabelle III. Regen in Usambara in mm.
Station
Lage
Seehöhe
Kwamkoro
und Buloa
Südost U.Ost
980 u. 920
Südwest West West
1250 570 1610
Mtai
Nordwest
1630
feuchtes Jahr
trocknes Jahr
Mitteljahr
3700
1100
1700
' 2000
800
1660
ca. 1000
1100
460
700
450
Dec. - Febr.
März— Mai
Juni— Okt.
November
200
900
500
100
200
900
500
50
?
700
100
?
130
400
100
70
100
250
60
60
feuchtest. Mo-
nat d. ganzen
Beobachtgs.- |
periode J
IV 97 : 920
V 99 : 607
V 97 : 653
V 95 : 849
XI 96 : 321
V 99 : 191
V 99 : 100
feuchtester
Passat- Mon.
der ganzen
Beobachtgs.-
periode
VII 97 : 340
Vn 97 : 268
vn 99 : 326
vn 97 : 245
IX 95 ; 50
Vn97 : 119
VII 99 : 89
Deutsch-Ostafrika. 15
Beginnt mit dem Nachlassen der Regen die Sonne die überschwenmiten
Teile ¥deder auszudörren, so kommt die für den Menschen gefährlichste Zeit,
in der sich die Fieberfälle mehren. Auch von den wenigen Europäern, die
bei der Landvermessung im Luengeratal tätig waren, liegen zwei darin be-
graben. In der heißen Zeit herrschen hier sehr hohe Temperaturen und
große Trockenheit; im März 1898 maß ich dort über 33** im Schatten bei
63** Strahlungstemperatur imd 39 7o Luftfeuchtigkeit; und es stellen diese
Zahlen keine Extreme, sondern, wie ich durchkam, zuföUige Werte dar. Die
einzige Beobachtungsstation in geringer SeehÖhe ist Mazinde, das am West-
rand von üsambara gegen die Mkomasi- und Panganisteppe 570 m über
dem Meere liegt, zu niedrig, um an dem Regen der höheren Schichten teil-
zunehmen. Die jährliche Regenmenge wird hier etwa 1000 mm betragen,
von denen der größte Teil in der Zeit von März bis Mai fällt. Der heißeste
Monat Februar zeigt nahezu 26** mittlere Temperatur. Maximaltemperaturen
von 38** im Sommer stehen Minimaltemperaturen von 13** im Winter gegen-
über, und der Unterschied in der Temperatur bei Tage und bei Nacht steigt
an einzelnen Tagen bis zu 18**. Es herrscht Steppenklima, und ihm ent-
spricht auch die Vegetation. Teils ist es Grassteppe, die je nach Untergrund
und Feuchtigkeit alle Zwischenstufen durchläuft zwischen der Öden Fläche
mit einzelnen getrennt stehenden Büscheln versengten kurzen Grases und dem
dichten schwer passierbaren mannshohen Grasbusch am Rande des Luengera-
tales. Oder sie besteht aus einzelstehenden Büschen und Bäumchen, haupt-
sächlich domigen Akazien und Mimosen, die in ihrer lichten Verteilung über
die Fläche an einen Obstgarten erinnern. Oder endlich herrschen die saft-
reichen, der Dürre widerstehenden Sansevieren oder die bizaren Euphorbien
vor, während vereinzelte plumpe Baobabs und stellenweise Leberwurstbäume
{Kigelia) die einzigen höheren Bäume der Landschaft darstellen. Die grotes-
kesten Formen, die dies trockne Klima hervorbringt, zeigt wohl die l^rena-
vaniha malvifolia mit ihren sackförmigen KnoUenstänmien.
Am trockenen Westabhang, und besonders auch im Nordwesten steigt
die Buschsteppenformation hoch hinauf und geht vielfach, ohne daß sich ein
Waldgürtel dazwischenschiebt, in das Gebiet der Hochweiden über.
Ganz anders sieht die Vegetation im Osten imd Süden aus. Unter der
reichlichen Feuchtigkeit, die die Seevdnde hierhin bringen, entwickelt sich
schon in tieferen Lagen der Tropenwald, der in etwa 850 — 1300 m Höhe
große Bestände bildet. Wenn dieser Urwald an Üppigkeit der Vegetation
auch nicht mit dem dichten Geschlinge des Kongo-Urwaldes oder dem der
südamerikanischen Urwälder zu vergleichen ist, so hat doch Stuhlmann in
Indien keinen hochstänunigen Wald gefunden, der sich mit dem Usambara-
wald messen kann.
Für die Fruchtbarkeit dieses Bodens ist die Methode kennzeichnend, in
der die Washambaa ihn bebauen. Sie brennen ein Stück des Waldes nieder
und pflanzen dann ziemlich dicht auf der abgebrannten Fläche Bananen.
Wenn diese hochgekommen sind, wird zwischen sie Mais gepflanzt, imd wenn
der hoch geworden ist, noch dazu Zuckerrohr. Ist alles abgeerntet, so wird
das Stück von neuem abgebrannt und sich selbst überlassen, um von neuem
16 Hans Maarer:
Wald zu werden. Diese Kulturen der Washambaa sind nicht nur sehr arten-
reich — Warburg zählt weit mehr als 30 Kulturpflanzen dieses Volkes auf
— , sondern sie stehen auch in den Bewässerungsanlagen auf hoher Stufe.
Es werden geradezu Wasserstauanlagen durchgefahrt, und Bewässerungsgräben
von der Länge einer halben Meile sind keine Seltenheit. Reis und Mais
werden dreimal im Jahre geemtet. Man säet unmittelbar vor der kleinen,
vor dei' großen Regenzeit und vor den Passatregen und erntet je 3 bis
4 Wochen später.
Am üppigsten ist der untere Tropenwald im Tal des Sigi und seiner
Zuflüsse entwickelt. Sehr hohe Bäume, Epiphyten und Orchideen, Lianen
und Baumfame rechtfertigen hier die Bezeichnung: Tropischer Urwald. In
den Bachschluchten ist die Flora am kräftigsten; Bambus und wilde Bananen
streiten sich hier mit den hohen Famen um den Raum.
Höher hinauf treffen wir den trockeneren oberen Gebirgstropenwald,
schon reichlicher von Lichtungen und Wald wiesen imterbrochen, den Quellen-
wald, an dessen Rändern auch prachtvolle Blumen das Auge erfi*euen. Von
den auch bei uns bekannteren Namen seien erwähnt: Begonien, Ljsimachien
und Balsaminen. Eine der letzteren mit großen weißen Blüten habe ich
dort 4 — 5 m hoch in die Bäume hinaufranken sehen.
An Tierleben ist der Wald, wie üsambara überhaupt, sehr arm. Höhere
Tiere sieht man kaum. Selten verläuft sich einmal eine Antilope in die
Berge, in denen ihren Wohnsitz kaum einige Nager und kleine Raubtiere
haben. Und nur vereinzelt helfen die Vögel am sonnigen Waldrand den be-
weglichen Eidechsen in ihrer Vertilgung der Insekten, die in einzelnen
Gegenden des Landes eine etwas reichere Fauna bilden.
Dieser Wald ist das Gebiet der Kaffeeplantagen. Mit Feuer und Axt
geht der Pflanzer gegen den Urwald vor, um in den gerodeten Parzellen den
Humusboden für seine Plantagen auszunutzen. Ein wehmütiges Gefühl be-
schleicht einen, wenn man diese prachtvolle Vegetation, darunter Bäume von
70 m Höhe, dem Feuer preisgegeben sieht, und man ist versucht, den Pflanzer
mit dem teuflischen Begleiter Fausts zu vergleichen, der da sagt:
Dem Warmen, Feuchten, Kalten
Entwinden tausend Keime sich;
Hätt' ich mir nicht die Flamme vorbehalten,
Ich hätte nichts Aparts für mich.
Die Eile in der Anlage der Kaffeeplantagen hat nicht einmal eine Sägerei
aufkommen lassen. Ihre schon in Europa konstruierten Häuser, meist aus
norwegischem Holz, haben die Pflanzer dort aufgestellt, während die Pracht-
stämme ringsum verbrannt wurden, um möglichst schnell Raum für Saatbeete
und Kaffeefelder zu schaffen. Heute stehen in diesem afrikanischen Urwald
über 4 Millionen deutsche Kaffeebäume, und wir wollen hoffen, daß zu den
guten Ernten, die sie schon geliefert haben, noch reichere hinzukommen
mögen. Eine weitere räumliche Ausdehnung dieser Kaffeeplantagen wäre da-
gegen nicht zu wünschen. Die großen Wald Verwüstungen werden auf das
Klima sicher ungünstig einwirken, uud es ist die Frage, ob die Regierung
noch in hinreichend großen Flächen den Hochwald schützen kann, da man
Deutach-Ostafrika. 17
vor der Vermessung des Waldgebietes es bei seiner Weglosigkeit größer ge-
schätzt hatte, als es war. Da es ja aber auch im Interesse der Plantagen
selbst ist, sich ein gutes Eaffeeklima zu erhalten, wird sachgemäßer Wald-
schutz auch bei ihnen auf keine unlösbaren Schwierigkeiten stoßen. Der
Boden wird nicht für so reich und tiefgründig gehalten, daüs man auf die
Dauer ohne Düngung auskommen könnte. Die Plantagen haben zum Teil
deshalb auch schon mit Viehzucht begonnen und auch mineralischen Dünger
aus Deutschland eingeführt. Nebenbei mag hier erwähnt werden, daß man
in Deutsch-Ostafrika selbst wertvollen Fledermausdünger in gewaltigen Höhlen
nahe bei Tanga gefunden hat. Dem glücklichen Entdecker der prächtigen
Höhlen gestattete der Kaiser, sie Kaiser- Wilhelm-Höhlen zu. taufen, wie er-
zählt wird, aber unter der ausdrücklichen Bemerkung, daß der Guano nicht
nach Seiner Majestät genannt werden dürfe. Von Krankheiten sind auf
den Kaflfeepflanzen bis jetzt die Hemileia vastatrix und ein Rüsselkäfer
aufgetreten, doch haben sich die Pflanzer mit gutem Erfolg ihrer er-
wehren können. Große Sorgfalt muß beim Umpflanzen der jungen Bäum-
chen, die 8 — 14 Blätter getrieben haben, aus den Saatbeeten in die Kaffee-
felder verwendet werden. Kennzeichnend für den fast abergläubischen Respekt,
den der Neger vor den Fähigkeiten des Weißen hat, ist die Art und Weise,
wie der Leiter einer solchen Plantage im Süden von West-Usambara seinen
eingeborenen Arbeitern die nötige Sorgfalt beim Umpflanzen beigebracht hat.
Er sah am Tage nach dem ersten Umpflanzen ein Bäumchen in sehr trauriger
Verfassung. Kühn behauptete er, er habe am Nachmittag vorher von seinem
Wohnhause aus, das etwa 600 m von der Stelle ablag, gesehen, daß der
umpflanzende Neger die Würzelchen im Boden nach oben umgebogen habe,
statt sie in ihrer natürlichen Stellung einzusetzen. Vorsichtig wurde die
Pflanze ausgegraben, und der Leiter hatte das Glück, daß nicht etwa ein
Schädling an die Pflanze gekommen war, sondern daß sie wirklich schlecht
eingepflanzt war. Seitdem brauchte er sich nur vor seinem Haus aufzustellen
und die Augen zu rollen, so konnte er sicher sein, daß, soweit er gesehen
werden konnte, tadellos gearbeitet wurde. Neben Kaffee sind in diesem Ge-
biet Kakao, Tee und Kardamom mit gutem Erfolg angebaut worden. Nach
den klimatischen Bedingungen dürften auch die Kolanuß, Kakao, Pfeffer,
Zimmt, Chinarinde, Vanille, Ingwer, Kautschuk, Ramie und viele tropische
Obstarten dort gedeihen. Mit einzelnen dieser Pflanzen haben die Plantagen
auch schon Versuche begonnen.
Oberhalb des geschilderten Tropenwaldes und oberhalb der Steppenfor-
mationen, aber unterhalb der eigentlichen Hochwälder, die in der täglichen
Wolkenschicht liegen, finden sich Busphbestände, Adlerfamregionen und
Wiesen- und Weideland. Hier sieht man auf den saftigen Wiesen die
schönen Viehherden der Wambugu und Wapare, die, dem Ackerbau abhold,
ein unstetes Hirtenleben in den Bergen führen. Sie stehen auf einer merk-
lich niedereren Kulturstufe als die ackerbautreibenden Washambaa, von denen
sie sich sogar unter Zahlung von Vieh ihre eigenen Hütten erbauen lassen.
In diesem Gebiet liegt die landwirtschaftliche Versuchsstation des
Gouvernements, Kwai, in einer Höhe von 1600 m über dem Meer. Die
Qeograpbiacbe Zeitschrift. 9. Jahrgang. 190S. 1. Heft. 2
18
Hans Maurer:
mittlerere Jahrestemperatur betrftgt hier nur noch 16® C, sie schwankt
zwischen 5® und 30®, der kftlteste Monat zeigt 13,6®, der wärmste 18,8®
Mitteltemperatur. Die jährliche Regenmenge ist etwa so groß wie in
Deutschland, während die Begenverteilung im Jahr auch hier zwei Regen-
zeiten und zwei trockne Zeiten erkennen läßt. Neben vielen tropischen
Kulturen, die hier mit Erfolg versucht worden sind (es ist sogar Kaffee in
dieser großen Reehöhe noch ziemlich gut gewachsen), ist es in diesem Ge-
biet möglich, deutsche Landwirtschaft zu treiben. Was zu Haus wächst,
wächst auch in Kwai. Man hat 2 Ernten im Jahr, eine im März- April,
die andere im September-Oktober. Kwai- Weizen, besonders gut behandelt,
gab pro Morgen 127^ Ctr. Ernte, die pro Tonne 9 Mark höher bewertet
wurde, als der beste europäische. Eine Futterrübe, die 8 Monate alt war,
wog 33 Pfund. Europäisches Obst war schwer gegen Ungeziefer zu ver-
teidigen; alles Gemüse und Kartoffeln kamen ausgezeichnet. Prof. Koch
hält das Gebiet für malariafrei und
zur Ansiedlung für Europäer geeignet,
wenn es möglich sein wird, die Leute
rasch und ungefährdet durch die
tieferen Malariagebiete zu befördern.
Dies wird möglich sein, wenn die
üsambarabahn bis zur Station Mombo
durchgeführt sein wird. Die Idee, die
an der Küste erkrankten und be-
sonders die durch das Klima ge-
schwächten Europäer zur Erholung in
das Gebirge zu schicken, hat in Ost-
TJsambara eine etwa 900 m hoch-
gelegene derartige Erholungsstation in
Amani entstehen lassen. Es scheint aber
dort schon etwas rauh zu sein, und vor
allem soll es bis jetzt noch nicht möglich gewesen zu sein, dort die Bequem-
lichkeiten, die man schon zum Teil an der Küste haben kann, hinreichend durch-
zuführen. Auf einer Lisel bei Tanga (auf ülenge) hat man eine andere Er-
holungsstation angelegt, deren Prinzip auf der Keimfreiheit der Seeluft be-
ruht. Erwähnt sei hier nebenbei, daß auch schon warme Schwefelquellen
in der Nähe von Tanga (bei Amboni) der leidenden Menschheit zugänglich
gemacht worden sind. Ein deutscher Ansiedler lebt schon seit mehr als
Jahresfrist in der Kwai-Gegend, der mit seiner Gesundheit und seinen vieh-
und landwirtschaftlichen Erfolgen zufrieden ist; leider fehlt es nur an guten
Verbindungen, an Wegen und Eisenbahnen, um die Produkte auf den Markt
bringen zu können. Die Ernte ist in mancher Hinsicht bequemer als bei
uns. Ein Tag Sonne trocknet wie fönf sonnige Tage zu Haus. Ganz
sonnige Tage sind allerdings selten. Während im Jahresdurchschnitt in Dar-
essalam die Sonne S^^ Stunden täglich un verhüllt scheint, strahlt sie in
Kwai nur 4^4 Stunden und zur Zeit der Südostwinde, April — August, nur
27^ Stunden, und der Nachmittag ist das ganze Jahr durch sonnenscheinarm.
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Stündliche Sonnenscheindauer in
Minuten.
Deutsch-Ostafrika.
19
Eine Darstellung dieser Verhältnisse zeigt das Sonnenscheindauer-Diagramm
(S. 18), auf dem die Höhe der Kurven über der Grundlinie für jede Stunde
des Tages die durchschnittliche Sonnenscheindauer in Minuten angibt.
Das Sonnenstrahlungsthermometer hat an besonders klaren und heißen
Tagen bis zu 59,5® Strahlungstemperatur ergeben; so ist verstandlich, daß
auch hier, 1600 m über dem Meer, der Europäer noch den Tropenhut trögt.
Dagegen sind die Nächte sehr kühl und die eingeborenen Arbeiter, die viel-
fach aus tieferen Gegenden in das menschenarme Bergland kommen, leiden
viel an Erkältungen. (Baumann schätzt die Volksdichte üsambaras auf
nicht ganz 4 Seelen auf den qkm.) Hier sind die bereits früher erwähnten
eigentümlichen Verhältnisse der täglichen Temperaturschwankungen am deut-
lichsten zu Tage getreten. Solange nordöstliche Winde vorwiegen, ist die Be-
wölkung gering, und durch die un-
gehinderte Einstrahlung bei Tage kom-
men Temperaturen bis zu 30** zu-
stande, während in der klaren Nacht
das Thermometer in extremen Fällen
bis auf 6® sinkt.
Sobald aber der Wind nach Süd-
osten umschlägt, nimmt die Bewölkung
und die tägliche Temperaturschwankung
ab, und dies prägt sich so stark aus,
daß im April, wo dieser Windimischlag
von Nordost zu Südost eintritt, in der
zweiten Hälfte nicht nur die durch-
schnittliche tägliche Maximaltemperatur
um ein paar Grad sinkt, sondern
gleichzeitig das Minimum der Nacht
um ein paar Grade steigt, obwohl wir
der kälteren Zeit entgegengehen. Ein
Bild dieser eigentümlichen Verhältnisse
gibt das nebenstehende Diagramm, auf
dem die Höhe der Kurven über der Grundlinie die Mitteltemperaturen für
die einzelnen Stunden des Tages in den beiden Hälften des April 1898, die
sich in der vorherrschenden Windrichtung unterscheiden, angibt. Zugleich mit
dem Windwechsel sinkt das Maximum um 4® imd steigt das Minimum um
fast 3®.
Die kältesten Nächte treten so nicht im kältesten Monat Juli auf,
sondern erst im Monat Oktober, der der erste warme Monat mit nördlichen
Winden ist. Und eben durch diese hat er die ersten klaren Nächte, in
denen durch die starke Ausstrahlung die niedersten Temperaturen erreicht
werden. Obwohl so die Durchschnittstemperatur des Oktober (16,2®) fast
3® über der des Juli (13,4^) liegt, ist das durchschnittliche Minimum der
Nacht im Oktober 10,0^ das des Juli 11,3^
Von den gefürchteten kalten Nächten einzelner Bergtäler westlich von
Kwai erlebte ich eine ia^ März, der fast der wärmste Monat des Jahres ist,
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Temperaturdiagramm.
20 Hans Maurer: Deutsch-Ostafrika.
wo die Temperatur in 1650 m Seehöhe auf 4,8® sank. (In Hamburg be-
trug das durchschnittliche Temperatur-Minimum in den Tagen vom 1. bis
10. Januar 1902 4,8®.) In der darauffolgenden Nacht sank in ganz der-
selben Seehöhe in einem unten offenen Tal die Temperatur nur auf 14® C.
Oberhalb dieser Wiesen- und Weideregion tritt in einzelnen Teilen von
West-Üsambara, wo die Erhebung des Gebirges dazu noch hinreicht, jener
Hochwald auf, der seine Existenz der immerwährenden Feuchtigkeit der in
die Wolkenbänke hineinragenden Gipfel dankt. Ein eigenartiges Bild dieser
Wolkenbedeckung der Gipfel verdanken wir Hans Meyer, der den Lutindi,
der sich ziemlich einsam im Norden des Luengeratales erhebt, mit einem
doppelten Wolkenhut gekrönt, photographiert hat. Der Wolkenwald ist vor-
wiegend Nadelwald, in deäi sich neben dem bis 80 m hohen tropischen
Podorarpus ausgedehnte Bestände eines Baumes finden, von dem auch der
deutsche Wald eine Spezies aufweist, nämlich des Wachholders, Juniperus \
30 — 50 m hohe senkrechte Stämme von Durchmessern bis zu 2y, m kommen
hier vor. Neben allerhand anderen Schmarotzern hängen von den feuchten
Ästen dieser Bäume meterlange graue Bartflechten herab, die dem Wald ein
phantastisches Aussehen geben. Als ich das Gebiet bereiste, habe ich einen
solchen Baum von ca. % m Stammdurchmesser von meinen Trägem fällen
lassen, die sich dazu möglichst ungeschickt anstellten, und einen Querschnitt
als Holzprobe mit zur Küste gebracht. Das wohlriechende rötliche Holz
eignet sich zu feinen Holzarbeiten, wohl besonders zur Bleistiftfabrikation.
Über diesem Wald endlich oder auch, wo die Höhe zu seiner Entwick-
lung nicht ausreicht, über dem Weideland treffen wir unwirtliche, vegetations-
arme Gipfel. Niedriges Buschwerk, mitunter etwas Heide und spärliches
Gras deckt hier kaum das felsige Gestein, wo uns einzelne Strohblümchen
(Gnaphalium) an die deutsche Heimat erinnern. Ich hatte einmal Gelegen-
heit, eine Nacht auf dem höchsten dieser öden Gipfel, dem Mlima in den
Magambabergen westlich von Kwai, zu verbringen. Es war nach der mehr
erwähnten starken Regenzeit im Juni 1897. Auch damals gab es auf dem
einsamen Gipfel kein Wasser; ich mußte mir aus dem Mkusuflüßchen einen
Eimer voll ein paar hundert Meter hinauf auf die rund 2000 m hohe Kuppe
tragen lassen. Die Temperatur fiel hier des Abends, während rasch vorbei-
stürmende Wolkenfetzen einen wunderbar phantastischen Sonnenuntergang zu-
stande brachten, rasch, und am anderen Morgen waren es 7®. Das war nicht
so kalt, als man in einer Wintemacht in dieser Höhe zu erwarten versucht
ist. Es stimmt mit der vorhin erwähnten Tatsache, daß wir dort die
kältesten Nächte eben nicht im Winter, sondern im Beginn der warmen
Jahreszeit zu erwarten haben. Immerhin war es kälter als manche Winter-
nacht in Hamburg, z. B. als die Sylvestemacht 1901/1902, deren Temperatur-
minimum 7,7® betrug. (Fortsetzung folgt.)
A. Hettner: Grundbegriffe u. Grundsätze d. physischen Geographie. 21
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie^).
Von Alfred Hettner.
Die methodischen Auseinandersetzungen über den eigentlichen Gegenstand
der Geographie sind zu einem gewissen Stillstand gekommen, es scheint im
großen und ganzen eine Klärung und Übereinstimmung der Ansichten erreicht
worden zu sein, und die Geographie kann sich jetzt, auch von den Nachbar-
wissenschaften immer mehr anerkannt, ruhig der wissenschaftlichen Forschimg
hingeben.
Damit ist aber nicht gesagt, daß nun alle methodischen Erörte-
rungen überflüssig seien. Die Methoden der geographischen Forschung
und Darstellung sind theoretisch noch keineswegs genügend klar gelegt —
die Logiker, die schon den sogenannten beschreibenden Naturwissenschaften
selten gerecht werden, lassen uns dabei ganz im Stich — , und noch mehr fehlt
es an einer methodischen Durcharbeitung des eigentlichen Inhaltes der Geo-
graphie. Die Hauptsache ist natürlich die Einzelerforschung der Tatsachen
und ihrer ursächlichen Zusammenhänge; aber die Einzelforschung kommt leicht
auf Abwege und läßt die Schärfe vermissen, wenn nicht Bemühungen einer
schärferen begrifiFlichen Formulierung daneben einhergehen. Gerade in der
Geographie, deren Objekte so mannigfaltig sind und überhaupt nur durch
eine bestinmite Art der Auffassung geographisch werden, deren Arbeiter von
ganz verschiedenen Seiten herkommen, ist das noch mehr als in anderen
Wissenschaften nötig. In manchen anderen Wissenschafben, wie namentlich der
Nationalökonomie oder gar erst der sogenannten Soziologie, haben die begrifiF-
lichen Erörterungen, lange Zeit wenigstens, zu sehr im Vordergrunde gestanden
und haben an Stelle der wirklichen Tatsachen zu sehr den Inhalt der
Wissenschaft ausgemacht; aber in der Geographie scheint mir in dieser
Richtung noch zu wenig geschehen zu sein. Ritter war mit großartiger,
wenn auch etwas verschwonamener Auffassung an diese großen Probleme
herangetreten und hatte das Wesen der Erdoberfläche zu begreifen gesucht;
aber nicht nur unsere positiven Kenntnisse haben sich seitdem so vermehrt,
sondern auch unsere ganze Weltanschauung hat sich so gewandelt, daß wir
uns heute in seine Auffassung nicht mehr hineinversetzen können. Zu einer
entsprechenden Auffassung des Wesens der Erdoberfläche vom Standpunkt
unserer heutigen Weltanschauung und auf Grund der seitdem erworbenen Kennt-
nisse ist aber noch wenig geschehen; selbst die systematischen Darstellungen
der Geographie haben, wie mir scheint, die begriffliche Durcharbeitimg meist
etwas leicht genonmien. Darunter leidet das Verständnis und schließlich
auch der Fortschritt der Forschung. Ich persönlich habe wenigstens die Un-
klarheit der geographischen Begrifife imd die Unbestimmtheit ihrer Bezeich-
nung immer als störend empfunden, und ich hoffe deshalb, daß diese aus
langjährigen Überlegungen erwachsenen Studien über die Grundbegriffe und
Grundsätze der Geographie auch anderen Geographen willkommen sein und
1) Dieser Aufsatz war niedergeschrieben, ehe der erste, gedruckt, ehe der
zweite Band von Ratz eis Werk: Die Erde und das Leben erschien.
22 Alfred Hettner:
vielleicht auch den Philosophen die Grundlage einer eingehenderen Berück-
sichtigung geographischer Dinge bieten werden.
Wir müssen dabei natürlich von einer bestimmten Auffassung des Gegen-
standes der Geographie ausgehen und können das auch um so eher tun,
als sich im Laufe der Jahre mehr und mehr eine Übereinstimmung darüber
herausgestellt hat und die Meinungsunterschiede eigentlich mehr im Ausdruck
als in der Handhabung der Wissenschaft liegen. Der Grundgedanke der Geo-
graphie ist zu allen Zeiten derselbe gewesen, so viele Wandlungen er auch im
einzelnen erlitten hat und so große Abweichungen die Ansichten solcher Metho-
diker zeigen, die nicht von der geschichtlich entstandenen Arbeitsteilung, sondern
von begrifflichen Konstruktionen ausgegangen sind*). Die Geographie ist zu
allen Zeiten Länderkunde, Kenntnis der verschiedenen Erdräume, der Heimat
sowohl wie fremder Länder, gewesen, und nur die Gesichtspunkte, unter denen
sie die Erdräume betrachtet, haben im Laufe der Zeit mit dem Stande des
Wissens und auch mit den Neigungen der einzelnen Forscher gewechselt.
Während die Geographie früherer Perioden, namentlich die des klassischen
Altertums, zum größeren Teile einerseits in rein mathematischer Betrachtung
und andererseits in Beschreibung menschlicher Dinge aufging, hat sich die
Geographie der Gegenwart zu einer allseitigen, Natur und Menschen um-
fassenden Betrachtung der Länder der Erde imd der Erde als eines Länder-
komplexes entwickelt, und wir können daher als den Inhalt der Geographie
und damit als den Gegenstand unserer Untersuchung die Sunune der Tat-
sachen, welche das Wesen der Länder und Landschaften ausmachen, oder,
anders ausgedrückt, die von Ort zu Ort wechselnden Zustände und Vorgänge
der Erdoberfläche in ihrem ursächlichen Zusammenhange bezeichnen.
Die erste Aufgabe unserer Untersuchung ist die genauere Bestimmung
dieser Tatsachen, also die elementare oder deskriptive Analyse des Inhaltes
der Geographie, bei der wir alle ursächlichen Beziehungen noch ganz außer
acht lassen und uns nur an die durch die Anschauung gewonnene Auffassung
der geographischen Tatsachen halten. Wir müssen den Begriff der Erd-
oberfläche schärfer bestimmen, sie in ihre Bestandteile zerlegen, das Wesen
der geographischen Zustände und Vorgänge feststellen.
Die zweite Aufgabe ist die Untersuchung der ursächlichen Zusammen-
hänge zwischen den Erscheinungen der Erdoberfläche, also die kausale Analyse,
an die sich der Versuch eines synthetischen Aufbaus anschließt. Welche
ursprünglichen Kräfte liegen aljen Zuständen und Vorgängen der Erdober-
fläche zu Grunde, in welcher verschiedenen Weise äußern sie sich und wie
verbinden sie sich mit einander?
Bei der Beantwortung dieser Frage befinden wir uns aber noch nicht
auf dem besonderen Boden der Geographie, sondern auf einem Boden, der
ihr mit anderen Wissenschaften gemeinsam ist. Auch die Geophysik und
Geochemie und die geobiologischen Disziplinen untersuchen Vorgänge und
Zustände der Erdoberfläche, sie haben aber mit der kausalen Untersuchung
und der Auffindung der allgemeinen Gesetze ihre Aufgabe erfüllt. Auch die
1) Die Entwicklung der Geographie im 19. Jahrhundert. G. Z. Bd. IV. S. 306 ff.
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 23
Geologie hat es mit den Vorgängen und Zuständen der Erdoberfläche zu
tun, fisißt sie aber unter dem besonderen Gesichtspunkte der zeitlichen Ent-
wicklung auf. Das eigentlich geographische Moment liegt in der räum-
lichen Anordnung und Verteilung; wir haben alle Erscheinungen als Bestand-
teile oder Merkmale der Erdoberfläche aufzufassen. Während die methodische
Grundfrage der Geologie die Frage nach dem Sinn der Erdgeschichte ist,
ist die methodische Grundfrage der Geographie die Frage nach dem Wesen
der räimilichen Verschiedenheiten und Beziehungen. Das dritte Kapitel imserer
Untersuchungen bildet darum die Untersuchung der Regionen und der räum-
lichen Systeme der verschiedenen Erscheinungen der Erdoberfläche.
!• Die Bestandteile der Erdoberflftelie«
Der Begriff der Erdoberfläche ist nicht ganz leicht zu fassen. Er ist
keineswegs allein in der Gestalt der festen Erdoberfläche oder überhaupt in
irgend einer einzelnen Tatsachenreihe gegeben, sondern umfaßt alle Natur-
reiche: den Erdboden, das Wasser, die Luft, die Pflanzen- und Tierwelt, den
Menschen und seine Werke, und spricht sich in jedem Naturreiche wieder in
den allerverschiedensten Beziehungen aus. Wir müssen ihm alle Erscheinungen
der Erdoberfläche zurechnen, welche im äußeren Bilde der Landschaft zum
Ausdruck kommen oder sich durch den Einfluß, den sie auf andere Er-
scheinungen dieser Erdstelle ausüben, als wesentliche Eigenschaften derselben
erweisen. Wenn wir den Gegenstand der Geographie schärfer definieren
wollen, können wir also sagen: den Gegenstand der Geographie bildet die
Erdoberfläche oder, da wir es genau genommen nicht mit einer Fläche, sondern
mit einer körperlichen Figur von beträchtlicher Dicke zu tun haben, die
aus festen, flüssigen und gasförmigen Teilen zusammengesetzte imd das Leben
beherbergende Erdhülle nach ihren örtlichen Verschiedenheiten, soweit diese
für die einzelnen Erdstellen wesentlich sind, d. h. in ihrem Aussehen oder
in ihrem Einfluß auf andere Dinge zur Geltung kommen, soweit sie, wenn
wir einmal den teleologischen Ausdruck Ritters gebrauchen wollen, wirkungs-
voll sind.
Die Geographie hat es also mit allen mögKchen Objekten der an-
organischen wie der organischen Natur wie des menschlichen Lebens zu
tun; sie hat es aber mit ihnen nicht an sich zu tun, sondern nur insofern
sie wesentliche Bestandteile der einzelnen Erdstellen sind. Ihren Gegenstand
bilden nicht die einzelnen Dinge oder Vorgänge als solche^); sie fragt auch
nicht nach der geographischen Verbreitung der Objekte, was vielmehr die
Betrachtungsweise von Disziplinen der betreffenden Wissenschaften, z. B. der
geographischen Botanik, der geographischen Zoologie u. s. w. ist, sondern
1) So oft diese Auffassung ausgesprochen worden ist, so wenig wird doch meist
Ernst mit ihr gemacht. Namentlich gilt daß von den geophysikalischen Vorgängen.
Die Scheidung der Geophysik von der Geographie hat sich noch viel zu wenig voll-
zogen. In der Gletscher-, Fluß-, Seen- und Meereskunde, der Betrachtung der Erdbeben
und Vulkane, der Erosion und verwandter Vorgänge u. s. w. überladen sich die
meisten geographischen Darstellungen mit rein geophysikalischen Betrachtungen und
vernachlässigen fast geflissentlich die wirklich geographischen Tatsachen.
24 Alfred Hettner:
untersucht die verschiedenen Erdräume und Erdstellen nach der Ausbildungs-
weise der drei Reiche der anorganischen Natur und ihrer Ausstattung mit
Pflanzen, Tieren, Menschen und menschlichen Werken. Man hat sie des-
halb passend, wenn auch nicht gerade geschmackvoll, die Wissenschaft von
den Räumen der Erdoberfläche nach ihrer dinglichen Erfüllung genannt. Die
geographischen Tatsachen sind zunächst Verhältnisse des Baimies, ebenso
wie die geschichtlichen Tatsachen Verhältnisse der Zeit sind. Solange sie
aber nichts als Verhältnisse des Raumes sind, sind sie rein formale Verhält-
nisse; eine selbständige Bedeutung bekommen sie erst durch ihre dingliche
Erfüllung, d. h. dadurch, daß wir sie als den Sitz von Stoffen und Kräften
oder als die Heimat von Lebewesen ansehen.
Die räumlichen Verhältnisse der E'rdoberfläche.
Die erste und in gewisser Weise grundlegende, aber doch andererseits
keine selbständige Erkenntnis vermittelnde, sondern nur Hilfsdienste leistende
Auffassung der geographischen Objekte besteht denmach in der Anpassung
ihrer räumlichen Verhältnisse oder, anders ausgedrückt, in der rein geo-
metrischen Auffassung der Erdoberfläche ohne Rücksicht auf den Inhalt.
Man wird für die Disziplin, die sich mit dieser Aufgabe beschäftigt, vielleicht
am besten den alten Namen mathematische Geographie gebrauchen,
muß sich aber bewußt bleiben, daß sie manches ausschließt, was man
gewöhnlich zur mathematischen Geographie rechnet, was man aber besser
von ihr unterscheidet, namentlich die Lehre von den Bewegungen der Erde*).
Die mathematische Geographie in diesem Sinne ist eine notwendige Voraus-
setzung der Geographie, aber sie ist doch nur eine Hilfswissenschaft, in der-
selben Weise eine Hilfswissenschaft schlechthin, wie die Chronologie eine
Hilfswissenschaft der Geschichte oder auch der historischen Geologie ist
Ihre wissenschaftliche Bearbeitung liegt auch nicht in den Händen der Geo-
graphen, ebensowenig wie die Bearbeitung der Chronologie in den Händen
der Historiker liegt, sondern bildet den Gegenstand einer besonderen Dis-
ziplin, der Geodäsie, oder ftLllt teilweise auch in das Arbeitsbereich der
Astronomie. Die Geographie muß sich, abgesehen von der gelegentlichen
Lösung einfacher Aufgaben, mit der Übernahme der Ergebnisse begnügen.
Das erste Erfordernis ist die genauere Bestimmung des Begriffes Erd-
oberfläche als der Fläche, auf welche alle räumlichen Verhältnisse zu beziehen
sind. Man kann drei verschiedene Begriffe der wirklichen Erdober-
fläche unterscheiden. Die eigentliche Erdoberfläche, d. h. die obere Grenze
der Atmosphäre, hat nur für sehr wenige geographische Erscheinungen Be-
deutung und läßt sich wegen ihrer Unbestimmtheit auch für Raimabestim-
mungen nicht verwenden. Die zweite Oberfläche, welche uns am augen-
fälligsten entgegentritt, ist die Grenze hier der festen Erdrinde, dort der
Wasserhülle gegen die Lufthülle; sie ist der Sitz des menschlichen und des
1) Es erscheint mir als eine Begriffsspielerei, wenn Günther der mathematischen
Geographie die Aufgabe stellt, die Lage der Objekte nicht auf der Erdoberfläche,
sondern im absoluten Raum zu bestimmen, und ihr darum auch die Lehre von den
Bewegungen der Erde zuweist.
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 25
größten Teiles des pflanzlichen und tierischen Lebens und dient auch den
gewöhnlichen Angaben, wie hoch über oder wie tief unter der Erdoberfläche
ein Gegenstand sich befindet. Die dritte Oberfläche ist die Grenze der festen
Erdrinde teils gegen die Wasser-, teils gegen die Lufthülle; sie stellt die
eigentliche feste Erdoberfläche dar und hat als solche große wissenschaftliche
Bedeutung, tritt aber für die einfache Anschauung so weit zurück, daß sie
lange ganz vernachlässigt worden ist und von manchen Topographen auch
heute noch in naiver Weise ganz außer acht gelassen wird.
Die komplizierte Gestalt der festen Erdoberfläche hat schon früh dazu
geführt, sich die Oberfläche des Meeres unter dem festen Lande fortgesetzt zu
denken imd damit die Oberfläche der teils wirklichen, teils gedachten Wasser-
hülle unter dem Namen der mathematischen Erdoberfläche allen geo-
graphischen Lagen- und überhaupt Raumbestinunungen zu Grunde zu legen. Die
Vereinfachung aller Messungen und auch die tatsächliche Bedeutung, welche
diese mathematische Erdoberfläche für Druck- und Bewegungserscheinungen
der Atmosphäre hat, machen es auch heute und wohl für immer notwendig,
diese mathematische Erdoberfläche beizubehalten. Man muß sich aber dabei
bewußt bleiben, daß sie gegenüber den Erscheinungen der festen Erdrinde
einen willkürlichen Nullpunkt darstellt, ganz ähnlich wie der Nullpunkt
unserer christlichen Zeitrechnung etwa gegenüber den Zeitrechnungen der
römischen Geschichte; daß also Höhen und Tiefen keinen Gegensatz bedeuten.
Und man muß femer beachten, daß die mathematische Erdoberfläche nicht,
wie man früher geglaubt hat, eine mathematische Figur, ein Sphäroid, ist,
wie sie aus der Erstarrung eines rotierenden homogenen Körpers hervorgehen
würde, sondern daß sie, wie die neueren üntersuchimgen gelehrt haben, unter
dem Einfluß der Dislokationen der festen Erdrinde eine ganz unregelmäßige
Figur, das Geoid, angenommen hat, die man im einzelnen überhaupt noch
nicht hat feststellen können.
Auf diese mathematische Erdoberfläche beziehen sich die Koordinaten,
mittels deren man die geographische Lage oder, genauer ausgedrückt, die
absolute geographische Lage jedes auf oder nahe der Erdoberfläche be-
findlichen Punktes bezeichnen kann. Das Wort absolut ist dabei in ähn-
lichem Sinne wie bei den absoluten physikalischen Maßen gebraucht und
soll den Gegensatz gegen relative Lagenbezeichnungen ausdrücken. Die geo-
graphische Breite und die geographische Länge geben die Lage des Punktes
oder seines Fußpunktes auf der mathematischen Erdoberfläche, die Höhe oder
Tiefe den senkrechten Abstand von dieser an. Die geographische Ortsbestim-
mung, mag sie nun auf astronomischem oder geodätischem Wege erfolgen,
imd die Höhen- und Tiefenmessungen bilden die unerläßliche Voraussetzung
aller weiteren geographischen Erkenntnis; aber doch eben nur eine Voraus-
setzung, keine Erkenntnis selbst, imd es muß deshalb, nebenbei gesagt, als
ein Fehler bezeichnet werden, wenn der Beisende über dieser geometrischen.
Hilfsoperation die Untersuchung der konkreten Baumausfüllung vernachlässigt,
oder wenn man, wie es z. B. Peschel einmal getan hat, die wissenschaftliche
Bedeutung der Eeisenden nach der Genauigkeit ihrer Ortsbestimmimgen be-
mißt. Die Genauigkeit der Ortsbestinunung hat überhaupt nur dann einen
26 Alfred Hettner:
Wert, wenn sie zur Fülle und Tiefe der sachlichen Erkenntnis in einem
gewissen Vwhältnis steht
In vielen Fällen wendet man auch relative Lagenbezeichnungen
an. Rein geometrisch geschieht das durch die Angabe der Längen- und
Breitendifferenz oder durch die Angabe des astronomischen oder magnetischen
Azimutes und des Abstandes. Solche relativen Angaben sind oft ein Not-
behelf. . Triangulation und Routenaufnahme ergeben zunächst nur relative
Lagen Verhältnisse, und es müssen astronomische Ortsbestimmungen, wenigstens
eines Punktes, hinzukommen, um zur Kenntnis der absoluten Lage zu führen.
Auch die meisten Bestinunungen der geographischen Länge sind nur relativ
und dabei von geringer Genauigkeit, so daß die Kartenau&iahmen außer-
europäischer Länder vielfach — viel mehr, als unsere Karten es ahnen lassen —
gleichsam in der Luft schweben, d. h. nur in sich richtig, in Bezug auf die
absolute Länge aber zweifelhaft sind. Li anderen Fällen wendet man jedoch,
auch wo man die absoluten Lagen kennt, relative Lagenbestimmungen an,
um bestimmte Beziehungen verschiedener Orte zu einander zum Ausdruck
zu bringen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die gleichzeitige Angabe
des Abstandes und des Höhenunterschiedes, weil sich daraus das Gefälle
ergibt; femer sind die Angaben des Ajdmutes imd des Abstandes zweier
Punkte wichtig, wenn zwischen ihnen eine Bewegung besteht In unbe-
stinmiterer Weise werden relative Lagenangaben überall da angewendet, wo
verschiedene Zustände an einander grenzen; man bezieht sie dann auf die
sichtbare oder vorgestellte Grenzlinie. Gerade diese rohesten geographischen
Lagenbestinunungen werden nicht nur im täglichen Leben so häufig an-
gewendet, weil sie am bequemsten sind, sondern sind auch für die geo-
graphische Erkenntnis und den geographischen Unterricht besonders wertvoll,
weil sie sofort auf bestimmte ursächliche Beziehungen hinweisen. Die Um-
risse der Länder, der Lauf der Flüsse, die Lage der wichtigeren Städte bilden
gleichsam ein zweites Gradnetz oder Koordinatensystem, das wir im Gegen-
satz zum mathematischen Gradnetz das topographische Gradnetz nennen
können. Darum wird eine gute Kenntnis der Topographie, obwohl sie nur
Gedächtnissache ohne selbständigen Bildungswert ist, alle geographischen
Studien sehr erleichtem.
Die meisten geographischen Zustände und Vorgänge treten nicht als
Punkte auf, sondern sind auf größere Erstreckung gleichartig oder in anderer
Weise verwandt, sodaß die Unterschiede vernachlässigt und sie als zusammen-
gehörige Ganze aufgefaßt werden können. Sie haben darum nicht nur eine
Lage, sondern auch eine Form^ bilden geographische Figuren. Manche
dieser Figuren, wie namentlich diejenigen, die aus der Berührung des Festen
und Flüssigen hervorgehen^ sind unmittelbar sinnlich wahrnehmbar und darum
jedermann bekannt und werden in der Greographie längst berücksichtigt,
. während andere sinnlich nicht wahrnehmbar sind oder überhaupt nur auf
einer Abstraktion beruhen und darum erst im Fortgang der Wissenschaft
erfaßt worden sind. Diese Figuren bilden einen wichtigen Gegenstand der
Untersuchung, wenngleich es sich nicht leugnen läßt, daß ihre Auffassung
leicht in Spielerei ausartet und zu vielen unfruchtbaren geometrischen Kon-
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 27
struktionen Anlaß gegeben hat. Streng genommen sind alle geographischen
Figuren dreidimensional, also körperliche, stereometrische Figuren; aber
praktisch kann man sich in vielen, wohl in den meisten Fällen die Kugelober-
fläche ausgeebnet und femer die über oder unter dem Meeresspiegel liegenden
Zustände auf diesen projizirt denken, sodaß die körperlichen Figuren in Figuren
der Ebene übergehen, die planimetrische Betrachtung an Stelle der stereo-
metrischen tritt. In anderen Fällen wird man umgekehrt auf eine der beiden
horizontalen Dimensionen verzichten und die Figui* auf einen «enkrechten
Querschnitt projizieren und damit auch wieder in eine planimetrische Figur
verwandeln. Bei sehr geringer Ausdehnung können die geographischen
Figuren häufig als Punkte, bei der überwiegenden Ausbildung der einen
Dimension als Linien aufgefaßt werden. Sowohl die Linien wie die Flächen
und Körper sind in den meisten Fällen höchst unregelmäßig gestaltet und
darum der wissenschaftlichen Behandlung schwer zugänglich. Man wird sie
zum Zwecke mancher Untersuchungen auf einfache mathematische Figuren
zurückführen können, wie es z. B. Kohl bei seinen deduktiven Unter-
suchimgen über den Einfluß der Bodengestalt auf den Verkehr und die An-
siedlungen der Menschen getan hat; aber man muß dabei sorgfältig darauf
achten, daß man nicht gerade wesentliche Merkmale der geographischen
Figuren vernachlässige.
Bei der Betrachtung von Flächen oder von körperlichen Figuren, die
man auf die Fläche reduziert, faßt man oft besonders die Grenzen ins
Auge, weil die Berührung der verschiedenartigen Zustände meist charakteristische
Folgeerscheinungen (Brandung, Ausgleichserscheinungen verschiedener Art)
bewirkt Ratzel hat besonderen Nachdruck darauf gelegt, daß die Grenzen
meist nicht scharf sind, sondern daß ein allmählicher Übergang statt-
findet, daß wir daher meist nicht von einer Grenzlinie, sondern nur von
einem Grenzsaum sprechen können. So richtig das ist, so wird man doch
fOr alle Maßangaben, sowohl fOr die oben erwähnten Bestimmungen der
relativen Lage, d. h. des Abstandes von der Grenzlinie (Punkte und Linien
gleichen Grenzabstandes), wie für die Messung der Länge und die sogenannte
Entwickelung der Grenzen, wie für Flächen- und Raumbestimmungen an der
Vorstellung einer Grenzlinie festhalten müssen.
Es ist ein berechtigtes Streben der geographischen Wissenschaft, die
räumlichen Verhältnisse ihrer Objekte möglichst scharf quantitativ auf-
zufassen, die Längen und Höhen, Flächen und Rauminhalte möglichst genau
zu messen und zu berechnen. Aus diesem Bestreben heraus hat sich bei-
nahe eine eigene Disziplin entwickelt, die man, weil die meisten dieser
Messungen nicht direkt in der Natur, sondern auf der Karte ausgeführt werden,
Kartometrie genannt hat. Es läßt sich aber nicht verkennen, daß man
bei diesen Bestrebungen oft den Boden unter den Füßen verloren hat.
Ganz abgesehen davon, daß man, was besonders Hammer des öfteren ge-
geißelt hat, die Ergebnisse der Messung vielfach in einer Genauigkeit angibt,
die zu den darin enthaltenen Fehlem in keinem Verhältnis steht, ist man
sich namentlich bei den Längenmessungen oft viel zu wenig bewußt gewesen,
daß die Längen gekrümmter Linien, wie es die meisten geographischen
28 Alfred Hettner:
Linien sind, je nach dem Maßstab der Karte und der davon abhängigen
Generalisation ganz verschieden ausfallen müssen, und daß ein Vergleich von
Längen, die auf Karten verschiedenen Maßstabes und verschiedener Genauig-
keit gemessen sind, ein Unding ist. Das ist von verständigen Leuten schon
des öfteren gesagt worden; aber immer von neuem werden ohne jene Vor-
sichtsmaßregeln Fluß-, Küsten- und Grenzlängen ausgemessen, die infolge-
dessen gar keinen Wert haben.
Einen besonderen Eifer hat man eine Zeit lang der Bestimmung räum-
licher Mittelwerte, namentlich mittlerer Höhen, mittlerer Neigungswinkel
u. dergl. zugewendet. Soweit diese Mittelwerte dazu dienen, den Rauminhalt
einer geographischen Figur, z. B. eines Gebirges, oder die Größe der wahren
Oberfläche (im Gegensatz zu der auf die mathematische Erdoberfläche redu-
zierten) zu berechnen, läßt sich gegen diese Bestimmungen nichts einwenden,
außer vielleicht, daß die darauf verwendete Mühe oft zur Bedeutung des Er-
gebnisses in keinem angemessenen Verhältnis steht. Insofern aber diese
Mittelwerte eine selbständige Bedeutung beanspruchen, muß ihr Sinn erst
noch nachgewiesen werden. Die räumlichen Mittelwerte sind offenbar den
zeitlichen Mittelwerten nachgebildet, wie sie besonders in der Klimatologie
eine so große Bolle spielen. Die Berechtigung dieser zeitlichen Mittelwerte
beruht darauf, daß sie einen bestimmten Einfluß frei von den durch andere
Einflüsse bewirkten periodischen und unperiodischen Störungen zum Aus-
druck bringen, daß sie also einen Wert angeben, der ohne das Vorhanden-
sein jener Störungen wirklich vorhanden sein würde. Auch den räumlichen
Mittelwerten wird eine Bedeutung nur dann zuerkannt werden können, wenn
sie die genannte Forderung erfüllen. Wir können hier diese Frage nicht weiter
erörtern, weil uns die Erörterung in die speziellen Probleme der Morphologie
der Erdoberfläche hineinführen würde, aber bisher scheint mir der Nachweis
einer wirklichen Bedeutung der orometrischen Werte nicht erbracht worden
zu sein. Sie werden immer von neuem berechnet und von einem Buche ins
andere übernommen; aber ich habe noch nie gefunden, daß man von ihnen,
außer der Berechnung des Rauminhaltes und damit der Masse, für die Be-
antwortung irgend einer Frage, sei es nach der Ursache, sei es nach der
Wirkung der Formen, Gebrauch gemacht hätte. Sie sind meist nichts als
eine Dekoration — oder ein Ballast, je nachdem man es auffaßt.
Insofern es die geographische Betrachtung mit isolierten Objekten zu
tun hat, wie es besonders bei den Pflanzen und Tieren, den Menschen und
ihren Werken der Fall ist, kommt es neben Figur und Größe der einzelnen
Objekte, die vielfach ganz vernachlässigt werden können, auf ihre Zahl und
Häufigkeit an. Von qualitativen Unterschieden absehend, fragen wir: mit
wie vielen Objekten ist eine gegebene Fläche besetzt, eine wie große Fläche
steht den einzelnen Objekten zur Verfügung, wie groß ist der Abstand
zwischen benachbarten Objekten? Eigentlich wären diese Fragen für jedes
einzelne Objekt zu stellen, aber bei der großen Zahl der Objekte und der
darin begründeten Unmöglichkeit, jedes einzelne nach seinen räumlichen Ver-
hältnissen zu studieren, kommt man gerade hier rasch zu einer generali-
sierenden Betrachtung, welche nach der durchschnittlichen Zahl der Objekte
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 29
auf der Flächeneinheit (der sogenannten Dichte) oder nach dem durchschnitt-
lich den Objekten zur Verfögung stehenden Flächenraum oder nach ihrem
durchschnittlichen Abstand fragt. Die Dichte stellt sich arithmetisch als
das Verhältnis der Zahl der Objekte zur Zahl der Flächeneinheiten dar; aber
man sollte doch nicht vergessen, wie man es in einer gewissen Denkfaulheit
so oft tut, daß dieser arithmetische Quotient zweier so verschiedenartiger
Begriffe kein sachliches Verhältnis sein kann, sondern eben nur einen Durch-
schnittswert darstellt; die Darstellungen der Bevölkerungsdichte wären dann
vor mancher Unkl^heit bewahrt geblieben^).
Der zeitliche Ablauf der geographischen Erscheinungen.
Die Geographie ist ihrer Begriffsbestimmung nach streng genonmaen auf
die Betrachtung der Gegenwart beschränkt und überläßt die Betrachtung
des zeitlichen Ablaufs anderen Wissenschaften, nämlich der historischen
Geologie, der Urgeschichte, der Geschichte und deren Zweigwissenschaften.
Aber ganz abgesehen davon, daß die ursächliche Erklärung ein Zurückgehen
auf die Entwickelung nötig macht, was uns ja hier, wo wir nur die Tat-
sachen als solche ins Auge fassen, noch nichts angeht, vollziehen sich viele
Veränderungen so schnell, daß die Betrachtung der Gegenwart im strengeren
Sinne des Wortes nur ein Augenblicksbild ergibt, dessen Auffassung uns
nicht genügt, und daß eine wirkliche Kenntnis der Tatsachen nur durch
die Betrachtung eines etwas längeren Zeitraumes erreicht werden kann.
Man muß zwei Klassen von zeitlichen Veränderungen der geographischen
Erscheinungen unterscheiden.
Die einen sind die periodischen oder unperiodischen Veränderungen,
welche sich um einen Nullpunkt herum vollziehen, welche man d#her als
Schwankungen bezeichnen kann. Hierher gehören vor allem die Gezeiten-
bewegungen und die unmittelbar oder mittelbar von der Sonnenstrahlung
abhängigen Erscheinungen, also die Erscheinungen der Witterung, die
Temperaturschwankungen des Wassers und des Bodens, die Bildung oder das
Verschwinden von Schnee und Eis, die phänologischen Vorgänge der Pflanzen-
und Tierwelt. Man hat längst erkannt, daß für die Geographie vor allem
das Bleibende in diesem Wechsel Wert hat; darum hat man auf die Be-
rechnung zeitlicher Mittelwerte besonderen Nachdruck gelegt, ja hat wohl
die geographische Betrachtung ganz auf diese zeitlichen Mittelwerte beschränken
wollen; aber man hat allmählich eingesehen, daß für jede örtlichkeit nicht
nur die Mittelwerte, sondern ebensogut auch die Grenzwerte (Extreme) und
Schwellenwerte imd die Art und Weise, in welcher sich die Veränderungen voll-
ziehen, charakteristisch sind. Der Gegensatz der geographischen Auffassung
gegenüber der physikalischen oder naturgeschichtlichen Auffassung besteht darin,
daß für diese der einzelne augenblickliche Zustand als solcher den Gegenstand
1) In meinem AufSsatz über Untersuchung und Darstellung der Bevölkerungs-
dichte habe ich leider diese Bedeutung des Begriffs der Bevölkerungsdichte, die
ich gleich anfangs mehr nebenbei richtig angegeben hatte, nachher als selbst-
verständlich vorausgesetzt; ich bin erst nachtrS^lich darauf aufmerksam geworden,
daß über den Begriff Verwirrung herrscht.
30 Alfred Ilettner:
des Studiums bildet, jene dagegen die Veränderungen, wie sie sich durch-
schnittlich oder gewöhnlich vollziehen, — wir können sagen: die Veränder-
lichkeit — als Eigenschaft; der örtlichkeit auffaßt. Wie weit sie dabei nur
die in kürzeren Zeiträumen sich vollziehenden oder auch die säkularen Ände-
rungen berücksichtigen soll, bleibt bis zu einem gewissen Grade willkürlich,
da eine scharfe Definition des Begriffes Gegenwart unmöglich ist.
Die andere Klasse zeitlicher Veränderungen sind die fortschreitenden
Veränderungen, bei welchen keine Bückkehr zu einem vergangenen Zu-
stand und damit auch kein Schwanken um einen Nullpunkt herum stattfindet
Insoweit es sich dabei um physikalische Vorgänge handelt, also besonders
bei klimatischen Verhältnissen, haben sie eine große Ähnlichkeit mit solchen
Schwankungen, deren Periode sehr groß ist, und können von ihnen bei
mangelhafter Kenntnis häufig nicht unterschieden werden; sie sind darum von
der Geographie ähnlich wie diese zu behandeln. Dagegen tritt bei den
meisten Erscheinungen der festen Erdrinde und der organischen Natur der
dauernde Charakter der Veränderungen sofort hervor, und andererseits gehen
diese Veränderungen nur langsam vor sich , so daß wir tatsächlich von einer
Gegenwart mit fest gegebenen Zuständen sprechen und die Aufgabe der Geo-
graphie, soweit es sich um die einfache Feststellung der Tatsachen handelt,
auf diese beschränken, die Auffassung und Darstellung vergangener Zustände
dagegen der Geologie, Prähistorie und Geschichte bez. der prähistorischen und
historischen Geographie überlassen können. Nur gewisse Erscheinungen, wie
etwa vulkanische Ausbrüche, Erdbeben, Bergstürze und dergleichen, sind von
kurzer Dauer, aber unterliegen häufiger Wiederkehr und sind deshalb von
der Geographie ähnlich wie die Veränderungen der Witterung aufzufassen.
Es ist immöglich, bestimmte Regeln dafür anzugeben, inwieweit die
zeitlichen Veränderungen zum Inhalt der Geographie gehören. Man wird
allgemein nur sagen können, daß der Geograph ihre Berücksichtigung mehr
als ein notwendiges Übel ansehen muß, und daß durch die selbständige Be-
trachtung des zeitlichen Ablaufs weder die physische Geographie in historische
Geologie noch die Geographie des Menschen in Urgeschichte und Geschichte
ausarten darf, obgleich die Erkenntnis, daß die Gegenwart nur aus der Ver-
gangenheit erklärt werden kann, die Versuchung dazu manchmal nahe legt
Selbstverständlich läßt sich die geographische Betrachtungsweise auch auf
jede beliebige Periode der historischen oder geologischen Vergangenheit
anwenden; aber diese historische oder prähistorische oder geologische Geo-
graphie hat dann für die Behandlung der Zeit doch wieder dieselben Regeln
wie die eigentliche Geographie zu beachten. Diese aber muß sich immer
bewußt bleiben, daß sie die Wissenschaft von den räumlichen Verhältnissen
der Erdoberfläche in der Gegenwart ist
Der sachliche Inhalt der Geographie.
Der Charakter der Geographie als der Wissenschaft von den räumlichen
Verhältnissen der Erdoberfläche, also, wenn man will, als einer geometrischen
Wissenschaft tritt uns deutlich darin entgegen, daß die Betrachtung der
reinen Form der festen Erdoberfläche, bei der also nur der einfach auf-
Grundbegriffe und GrundsHtze der physischen Geographie. 31
zufassende Gegensatz des Pesten gegen die Wasser- nnd Lufthülle in Be-
tracht konunt, immer im Vordergründe der geographischen Betrachtung, außer
wo sie ganz unwissenschaftlich in Völker- und Staatenkunde aufging,
gestanden hat und vielfach noch steht. Die Betrachtung der Form der
festen Erdoberfläche ist ja, wie F. v. ßichthofen hervorgehoben hat, das
einzige Gebiet, in dem der Geograph, soweit er nicht die Hilfe der Geodäsie
in Anspruch nehmen muß, ganz imd allein Herr ist, während er sich in die
Betrachtung aller anderen Gegenstände mit anderen Wissenschaften teilen muß.
Obgleich kein Geograph in der Form der Erdoberfläche den einzigen Inhalt
der Geographie sehen wird*), so sehen doch noch viele, namentlich ältere,
Geographen sie als die Grundlage der Geographie in dem Sinne an, daß der
Geograph von ihr als von einer gegebenen Tatsache ausgehen und ihre Er-
klärung der Geologie überlassen dürfe.
Wir können die Herrschaft des räumlichen Gesichtspunktes in der Geogra-
phie femer daran erkennen, daß sie sich anderer Tatsachenreihen wissenschaftlich
um so leichter bemächtigt hat, je deutlicher, und im allgemeinen kann man
wohl auch sagen, je sinnfälliger -der räumliche Gesichtspunkt in ihnen hervor-
tritt, imd je besser sie sich dadurch zur kartographischen Darstellung eignen.
Die größten methodischen Fortschritte der Geographie haben darin bestanden,
daß sie nach und nach in immer mehr Gebieten den Gesichtspimkt der
räumlichen Anordnung scharf aufgefaßt und diese Gebiete damit der geo-
graphischen Untersuchung und kartographischen Darstellung zugänglich gemacht
hat Wohl haben wir auch heute in manchen Gebieten namentlich der
Geographie des Menschen den Weg der geographischen Auffassung noch
nicht ganz gefunden; aber im allgemeinen erkennen Mrir doch die Richtungen
der geographischen Betrachtung und haben damit einen Überblick über den
sachlichen Inhalt der Geographie gewonnen.
Wir können den gesamten sachlichen Inhalt der Geographie als Tat-
sachen der geographischen Beschaffenheit oder als geographische Eigen-
schaften bezeichnen und den Verhältnissen des Raumes und der Zeit
entgegensetzen; aber der Gegensatz ist natürlich nur ein logischer, nicht,
wozu, er merkwürdigerweise oft gemacht worden ist, ein tatsächlicher. Es
sind nur verschiedene Auffassungsweisen derselben Sache: geographische Lage,
Form, Größe und Zahl sowie zeitlicher Verlauf sind an sich reine Denk-
und Begriffsformen, die des Inhaltes entbehren; allen geographischen Eigen-
schaften aber kommt notwendigerweise eine bestimmte Lage, Form, Größe
sowie, was jedoch die Geographie weniger angeht, ein bestimmtes zeitliches
Verhalten zu, und sie werden, wie wir gesehen haben, erst durch die ge-
nannten Verhältnisse zu Tatsachen der Geographie. Sachliche Eigenschaften
und räumliche Verhältnisse dürfen daher in geographischen Darstellungen
nicht getrennt behandelt werden, außer wenn man jene mehr einleitungsweise,
als Vorkenntnis, bespricht, sondern müssen mit einander verbunden werden*).
1) Die Biologen sollten darum aufhören, die Verteilung von Land und Meer
und die Bodengestaltung als geographische Verhältnisse den klimatischen u. s. w.
g^egenüberzustellen.
2) Die Abschnitte über „Lage und Weltstellung**, welche länderkundlichen
32 Alfred Hettner:
Tatsachen und Vorgänge, welche keine örtliche Verschiedenheit des Auftretens
zeigen oder deren räumliche Verhältnisse unwesentlich und gleichgiltig sind,
können überhaupt keinen Gegenstand geographischer Betrachtung bilden.
Die Bedeutung einer Tatsachenreihe für die Geographie hängt aber auch
von der Größe des Einflusses ab, den sie auf andere Tatsachenreihen ausübt.
Der Geographie ist es immer um die Auffassung des Gesamtcharakters der
Örtlichkeiten, Landschaften, Länder zu tun. Sie faßt also nur solche Tat-
sachen ins Auge, welche darin unmittelbar oder mittelbar zum Ausdruck
kommen, und wendet ihnen um so größere Aufmerksamkeit zu, je mehr das
der Fall ist. Sie kann den Erdmagnetismus, wenigstens bei dem gegen-
wärtigen Stand unserer Erkenntnis, ebenso gut beiseite lassen wie das
Ordenswesen der verschiedenen Staaten, und es ist eine durchaus richtige
Anwendimg des für die geographische Stoffauswahl maßgebenden Grundsatzes,
wenn sie von den Mineralien eines Gebietes nur oder doch ganz vorzugs-
weise die für den Menschen nutzbaren berücksichtigt, auf denen Bergbau und
Steinbrachsbetrieb beruhen, die oft Lockmittel des Verkehrs und der Ansiede-
lung gewesen sind und oft eine vollkommene Veränderung des Landschafts-
bildes hervorgerufen haben.
Die Tatsachen der Geographie, mögen es Zustände oder Vorgänge sein,
zerfallen ihrer Beschaffenheit nach zunächst in die beiden Hauptgruppen
der unorganischen Natur und des organischen Lebens. Die unorganische
Natur ist das Primäre, sie bestimmt das eigentliche Wesen der Erdoberfläche.
Das Leben ist sekundär: wir könnten es uns wegdenken, es hat wahr-
scheinlich eine Zeit ohne Leben gegeben, das Leben ist möglicherweise,
wenngleich diese Auffassung nicht wahrscheinlich ist, von außen her auf
die Erde gebracht worden und hat hier zufällig eine Wohnstätte gefunden.
Gegenüber diesem Gegensatz zwischen unorganischer Natur und Leben tritt
fiir die geographische Betrachtung der Gegensatz zwischen Natur imd Mensch
oder Natur und Geist in den Hintergnmd: der Mensch ist uns im Verhältnis
zur Erdnatur zunächst ein Teil des Lebens, und eine Zweiteilung der Geo-
graphie in physische Geographie und Geographie des Menschen ist nur aus
äußeren, nicht aus inneren Gründen berechtigt.
Ursprünglich mag die Erdoberfläche gleichartig gewesen sein, aber schon
bei der ersten Abkühlung imd Erstarrung der Erde hat sie sich in drei
Naturreiche mit verschiedenen Aggregatzuständen differenziert, die, im großen
und ganzen betrachtet, über einander liegende Hüllen oder Sphären bilden:
die feste Erdrinde oder Erdkruste (Lithosphäre), die deren Vertiefungen ein-
nehmende Wasserhülle (Hydrosphäre) imd die über beiden sich ausbreitende,
nach außen sich allmählich verdünnende und in den Weltraimi übergehende
Lufthülle (Atmosphäre). Die Scheidung ist aber nicht scharf, Li der Luft
schwebt fast immer Staub und häufig auch Sand, aber noch wesentlicher ist
der Gehalt an Wasser in flüssigem oder festem Zustande. Auch die Wasser-
Darstellungen oft Yorausgeschickt werden, behandeln meist nur den Einfluß der
allgemeinen Lage des Landes auf den Menschen; sie sind also ein Rest anthropo-
zentrischer Auffassung der Geographie und sollten lieber mit den anthropogeogra-
phischen Kapiteln verbunden werden.
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 33
hülle enthält fast überall feste Bestandteile und geht, wenn es friert, in
festen Zustand über, so daß sie in der Form von 8chnee und Eis zeitweise
oder dauernd zu einem Bestandteil der festen £rdrinde wird. Die feste Erd-
rinde schließt in allen Hohlräumen Wasser und Luft ein, und in den Süm-
pfen und Mooren findet eine formliche Durchdringung des Festen und
Flüssigen statt, so daß sie eine Zwischenstellung zwischen dem Festen und
Flüssigen einnehmen. Wir können daher nur sagen, daß in jeder der drei
Sphären der ihr eigentümliche Aggregatzustand vorherrscht, und wir gestehen
damit ein, daß die Zurechnung einer Erscheinung zu der einen oder anderen
Sphäre in manchen Fällen willkürlich ist.
Die feste Erdrinde.
Es erscheint am natürlichsten, mit der Betrachtung der festen Erdrinde
zu beginnen. Sie ist ein großes zusammenhängendes Ganzes. Wenn man
allerdings, wie es früher üblich war und bei manchen der alten Schule an-
gehörigen Geographen noch üblich ist, ausschließlich die mathematische Erd-
oberfläche, d. h. die Erdoberfläche im Niveau des Meerespiegels, ins Auge faßt,
also nur den subagrischen Teil der festen Erdrinde, das Festland, berück-
sichtigt, so ist die feste Erdoberfläche natürlich in noch höherem Grade als
die Wasserhülle zerteilt und zerstückelt. Aber eine solche Betrachtungsweise
entspricht einer tieferen wissenschaftlichen Auffassimg nicht; diese muß die
feste Erdrinde vielmehr als ein zusanunenhängendes Ganzes mit stark geglie-
derter und infolge dessen in den tieferen Teilen mit Wasser überdeckter,
subaquatischer, Oberfläche auffassen.
Die feste Erdrinde hat eine mannigfaltige stoffliche Zusammen-
setzung. Allerdings hat die Geographie deren Studium lange Zeit ganz
vernachlässigt, und noch heute nehmen viele geographische Darstellungen
kaum darauf Rücksicht; aber je tiefer das Studium dringt, um so mehr zeigt
sich die Abhängigkeit der Bewässerungsverhältnisse, des Pflanzenwuchses, der
menschlichen Wirtschaft von der stofflichen Zusammensetzung der Erdkruste,
um so mehr erweist es sich also als eine Notwendigkeit, sie ebenso wie die
Form der festen Erdoberfläche in den Kreis der geographischen Betrachtung
einzubeziehen, und es muß als ein großes methodisches Verdienst v. Bicht-
hofens angesehen werden, daß er energisch darauf hingewiesen und die
Wege der Betrachtung gezeigt hat. Die stoffliche Zusammensetzung ist in
verschiedenen Tiefen ganz verschiedenartig und erfordert daher verschiedene
Betrachtungsweisen. In größerer Tiefe dürfen wir ein gestaltloses, in den
flüssigen Aggregatzustand allmählich übergehendes Magma vermuten, das nur
chemische Unterschiede der Zusammensetzimg zeigt; aber dieses Magma ge-
hört nicht mehr zur Erdoberfläche und hat für diese nur durch seine
mechanischen, physikalischen und chemischen Vorgänge Bedeutung. In ge-
ringerer Tiefe besteht die Erdrinde aus deutlich unterschiedenen Mineralien,
die in der verschiedensten Weise Gesteine zusammensetzen, und die Be-
trachtung muß daher durchaus auf mineralogisch-petrographischer Grundlage
ruhen. Unmittelbar unter der Erdoberfläche ändert sich aber die Beschaffen-
heit meistens wieder, indem die deutliche petrographische Struktur in einen
Oeogrsphiiohe Zeittohrift. 9. Jahrgang. 1908. 1. Heft. 3
34 Alfred Hettner:
strukturlosen Erdboden übergeht, der von der Bodenkunde weniger nach
mineralogischen als nach chemisch -physikalischen Methoden untersucht wird.
An Masse weit hinter dem unterliegenden Gestein zurückstehend, hat der
Boden doch für die Vegetation und infolgedessen für die Landwirtschaft die
allergrößte Bedeutung und ist mit Recht zu einem Gegenstand des geogra-
phischen Studiums gemacht worden.
Man kann die Bestandmassen der festen Erdrinde auch unter dem Ge-
sichtspunkte des Alters ihrer Bildung betrachten. Das ist der Gesichtspunkt,
der für die Geologie der wichtigste ist, weil ihr Augenmerk ja hauptsächlich
auf die Geschichte der Erde gerichtet ist imd sie in der Beschaffenheit und
YersteinerungsfÜhrung der Schichten Zeugnisse fEbr die Zustände vergangener
Perioden erblickt. Als geologische Betrachtungsweisen sich in der Geographie
einbürgerten, hat auch diese oft dem Bildungsalter der Gesteine große Be-
deutung zugemessen. Das ist insofern berechtigt, als die Beurteilung der
Altersverh<nisse zur Beurteilung der Lagerungsverhältnisse, also der Auf-
fassimg des inneren Baus dient, und insofern die geschichtliche Ent-
wickelung das Verständnis der Gegenwart erläutert; aber eine direkte geo-
graphische Bedeutung kommt dem Alter der Gesteine nicht zu, und bei geo-
graphischen Darstellungen sollte man sich daher immer erst überlegen, ob
Angaben über das geologische Alter der Gesteine das geographische Ver-
ständnis wirklich fördern.
Eine unmittelbare Folge des festen Aggregatzustandes ist die Bedeutung
der Form Verhältnisse, d. h. die Anordnung der Bestandmassen im Zustande
der Ruhe. Man muß jedoch auch hier wieder eine ähnliche Unterscheidung
machen wie in Bezug auf die stoffliche Zusammensetzung zwischen Gestein und
Erdboden, nämlich die Unterscheidung zwischen der inneren Anordnung der
einzelnen Bestandmassen, die im Verein mit der Gesteinzusammensetzung den
inneren Bau ausmacht, und der oberen Grenzfläche der festen Erdrinde gegen
die Wasser- und Lufthülle, also der äußeren Form. Diese ist von der
Geographie mit Unrecht lange allein berücksichtigt worden. Wie der Boden
nicht dasselbe ist wie das Gestein, sondern aus einer Umwandlung des Ge-
steins hervorgeht, ist die äußere Form keine unmittelbare Folge der inneren
Anordnung, sondern steht in einem gewissen Widerspruch zu der Form der
Oberfläche, wie sie sich aus dem inneren Bau allein ergeben würde, also zu
der tektonischen Oberfläche, und die Geomorphologie, d. h. die Wissenschaft
von der äußeren Gestalt der Erdoberfläche, ist darum von der Geotektonik, der
Wissenschaft von dem inneren Bau, verschieden. Streng genommen wäre die
Gestalt der Erdoberfläche als ein Ganzes aufzufassen; aber um überhaupt einen
Überblick über das Ganze gewinnen zu können, muß man sie sich in selbständig
neben einander liegende Formen zerlegt denken, bei deren Abgrenzung man auf
möglichste Einheitlichkeit und Einfachheit der daraus entstehenden Formen
bedacht ist Man kann dabei verschiedene Größenklassen unterscheiden, die
teilweise selbständig neben einander stehen, teilweise nur als Umbildungen
oder Teilbildungen anderer größerer Formen denkbar sind, so daß man zwischen
selbständigen und unselbständigen Formen unterscheiden kann. Ein wichtiger
Unterschied der Formen beruht darauf, ob sie nach oben an die Luft- pder
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 35
an die Wasserbülle anstoßen , ob sie also subaSrisch oder subaqüatisch sind;
die Unterscheidung fällt meistens mit der Unterscheidung von Festlands- und
sulmiarinen Formen zusammen, aber zu den subaquatischen Formen gehören
natürlich auch die Becken und Betten der Seen, Flüsse und Gletscher. Eine
besondere Klasse von Formen ergibt sich an den Küsten der Meere und
Seen sowie an den Flußufem, wo Wasser und festes Land im selben Niveau
neben einander treten. Man pflegt diese Formen als Formen der wagrechten
den Formen der senkrechten Gliederung gegenüber zu stellen; aber die Be-
zeichnung ist nicht sehr glücklich, da auch bei der Küstengliederung die
senkrechte Gliederung in Betracht kommt und bei den Formen des Festlandes
und Meeresbodens unmöglich von ihrer horizontalen Ausdehnung abgesehen
werden kann.
In engstem Zusammenhang mit dem Bau der festen Erdrinde steht ihre
Mechanik; es ist eigentlich dieselbe Sache, nur aus anderem Gesichtspimkte
betrachtet. Die Anordnung der Bestandmassen stellt zugleich deren Statik
dar, während die Bewegungen der Bestandmassen deren Kinematik ausmachen.
Auch hier kann man wieder zwischen Bewegungen im Inneren der Erdkruste
und Bewegungen der eigentlichen Erdoberfläche unterscheiden; man hat jene,
eine von Humboldt geschaffene Ausdrucksweise etwas erweiternd, als endogene,
diese als exogene Bewegungen bezeichnet. Zu jenen gehören die vulkanischen
Ausbrüche und Eindringungen (Intrusionen), die Faltungen und Verwerfungen,
die Erdbeben; diese können durch die Schwere allein hervorgerufen werden,
werden aber meistens durch Bewegungen des Wassers oder der Luft ver-
mittelt, sodaß die beweglichen Bestandteile der festen Erdrinde 2eitweise der
Wasser- oder Lufthülle einverleibt werden und die Bewegungen sich in der
festen Erdrinde selbst vornehmlich als Tatsachen der Abtragung oder Ab-
lagerung äußern.
Die physikalischen Erscheinungen im engeren Sinne haben bei der
festen Erdrinde nur nebensächliche Bedeutung, wenn sie Auch vielfach zu sehr
vernachlässigt oder an ganz anderer Stelle nebenbei behandelt werden. Die
Bodentemperatur, die man gewöhnlich zusammen mit der inneren Erdwärme
als Eigenschaft der ganzen Erde behandelt, ist tatsächlich eine Eigenschaft
der festen Erdrinde, genau so gut wie die Wassertemperatur eine Eigenschaft
des Wassers oder die Lufttemperatur eine Eigenschaft der Atmosphäre ist.
Fast ganz vernachlässigt ist bisher die systematische Darstellung der Farbe
des Erdbodens, obgleich sie ein charakteristisches Merkmal der Landschaft
bildet. Unwichtig sind die Erscheinungen des Schalles, und ob man den
Erdmagnetismus als eine Eigenschaft der Erdrinde auffassen und ihm
überhaupt geographische Bedeutung zuerkennen soll, muß noch dahin ge-
stellt bleiben.
Die Wasserhülle (Hydrosphäre).
^ • Das Wasser der Erde hat ursprünglich wohl eine zusammenhängende
Hülle über der Gesteinshülle gebildet; durch die Dislokationen der Erdkruste
ist aber ein Teil der Erdoberfläche seinem Bereich entzogen worden, und
das Wasser, das infolge des von der Sonnenstrahlung eingeleiteten Kreislattf^
36 Alfred Hettner:
aus der Atmosphäre niederfällt, fällt nun zum Teil auf das Festland und
nimmt hier die verschiedensten Formen an. Teils liegt es in festem Zustande
als Schnee oder Eis auf der festen Erdoberfläche auf, in manchen Beziehungen
einen Bestandteil von ihr bildend, aber doch nach der Mehrheit seiner Eigen-
schaften dem Reiche des Wassers angehörig; teils dringt es in die feste Erd-
rinde ein, um in zahllosen einzelnen Fäden oder auch in größeren Strömen
in dieser zu zirkulieren; teils fließt es in der Form von Bächen und Flüssen
oberflächlich ab; teils sammelt es sich in Einsenkungen des Bodens zu
Teichen und Seen. Schnee und Eis, Grundwasser, Flüsse, Seen bilden also
neben dem Meere besondere Wasseransammlungen, welche jede der Betrach-
tung etwas verschiedene Gesichtspunkte darbieten, aber doch zusammen-
gehörige Erscheinungen sind und in der Darstellung nicht so auseinander-
gerissen werden sollten, wie es namentlich in deutschen geographischen
Werken üblich ist
Das Wasser als solches kann infolge der leichten Verschiebbarkeit seiner
Teile keine besondere /Form haben, sondern füllt einfach die Hohlformen der
festen Erdrinde, die es sich allerdings teilweise selbst erst gegraben hat, bis
zu einer gewissen, durch die Wassermasse bedingten Höhe aus, um nach oben
mit horizontaler oder doch nur unwesentlich davon abweichender Oberfläche
abzuschließen. Auch von einer festen und bleibenden inneren Anordnung
der Wassermassen kann nicht die Rede sein; dem Wasser kommen vielmehr
nur vergängliche, an den Grenzen verschwimmende, sinnlich wenig wahr-
nehmbare Figuren zu, die sich aus den Unterschieden der stofflichen Zu-
sammensetzung, der Bewegung, der physikalischen Verhältnisse ergeben. Eine
Ausnahme bilden selbstverständlich die Gletscher, die infolge ihres festen
Aggregatzustandes eine selbständige, unregelmäßig gestaltete Oberfläche und
ausgesprochene innere Struktur haben.
Den ersten Gesichtspunkt der Betrachtung des Wassers bildet die
Quantität der an jeder Stelle vorhandenen Wassermasse, die sich im ge-
gebenen Augenblick aus ihrer Flächenausdehnung und ihrer Tiefe ergibt.
Daran schließt sich zweitens die Frage nach der stofflichen Zusammen-
setzung, die aber von verhältnismäßig geringer Bedeutung ist, da ja
Wasser die einzige in größeren Massen auftretende Flüssigkeit der Erdober-
fläche ist und es sich nur um Unterschiede in der Menge der gelösten und
schwebenden Bestandteile handelt. Dagegen ist ^e Mechanik des Wassers
von der größten Bedeutung. Die Bewegungserscheinungen sind von ganz
verschiedener Art beim fließenden Wasser (auch dem unterirdischen Wasser
und Gletschereis), wo sie eine unmittelbare Wirkung der Erdschwere sind,
und in stehenden Gewässern, besonders im Meere, wo die unmittelbare
Schwere der Erde nicht in Betracht kommt, dagegen die Attraktion des
Mondes und der Sonne, Erdbeben und vulkanische Ausbrüche, der Wind
und auch Dichteunterschiede Bewegungen verschiedener Art hervorrufen.
Von den physikalischen Verhältnissen im engeren Sinne sind auch bei
dem Wasser die Wärmeverhältnisse am wichtigsten; demnächst Farbe und
Durchsichtigkeit, während Schall und Elektrizität nur untergeordnete Be-
deutung haben.
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 37
Aber in allen diesen Beziehungen bilden nicht die Tatsachen und Ge-
setze als solche, sondern nur in ihrer räumlichen Anordnung und Verteilung
einen Gegenstand der Geographie.
Die Lufthülle (Atmosphäre).
Die Betrachtung der Lufthülle oder Atmosphäre, deren geographisch
wichtige Zustände und Vorgänge wir als Klima bezeichnen, zeigt die ein-
fachsten Verhältnisse. Von einer Form können wir bei einer Gasmasse eigent-
lich überhaupt nicht reden; eine Form kommt ihr wie der Wasserhülle nur
passiv an ihrem Boden zu, der durch die Oberfläche des Wassers und der
festen Erdrinde gebildet wird. Auch von einer inneren Anordnung der
Bestandmassen kann nur in demselben Sinne, wie bei dem Wasser die Rede
sein. Die stoffliche Zusammensetzung zeigt verhältnismäßig geringe
Unterschiede: die beiden Gase, welche die Atmosphäre der Hauptsache nach
zusammensetzen, Sauerstoff und Stickstoff, zeigen nur geringe und, so weit wir
bisher beurteilen können, unwichtige Schwankungen ihrer Zusammensetzung;
größere Schwankungen zeigen nur die Ausbildung des Sauerstoffes als Ozon,*
der Gehalt der Luft an Kohlensäure und Wasserdampf und die Menge der
in der Luft schwebenden festen und flüssigen Teilchen. Die wichtigste
dieser Schwankungen der stofflichen Zusammensetzung, nämlich das Auf-
treten von Wasser in seinen drei Aggregatzuständen, kann aber auch als eine
thermische ErscheinmCig aufgefaßt werden. Bei der Lufthülle handelt es sich
also vorzugsweise um mechanische und physikalische Tatsachen. Die Statik
und Mechanik der Atmosphäre begreifen die Erscheinungen des Luftdruckes
und der Luftbewegung (Richtung und Stärke). Von den eigentlichen physi-
kalischen Erscheinungen sind die der Wärme am wichtigsten, zumal
wenn wir dazu auch ihre Folgeerscheinung, den Wassergehalt der Atmo-
sphäre, rechnen. Weniger wichtig, aber von der wissenschaftlichen Geographie
doch zu sehr vernachlässigt sind die Erscheinungen des Lichtes und der
Farbe, von denen ja die Stimmung der Landschaft in so hohem Maße ab-
hängt. Den Schallerscheinimgen dagegen und auch den elektrischen Ent-
ladungen kommt nur untergeordnete Bedeutung zu.
So sehen wir, daß die Bedeutung der verschiedenen Kategorien von
Eigenschaften in den drei Reichen oder Sphären der anorganischen Natur
infolge der Verschiedenheit des Aggregatzustandes verschieden ist. Die
Eigenschaften der Form, die bei der festen Erdrinde am wichtigsten sind,
fehlen in der Wasser- und Lufthülle ganz oder haben wenigstens keine
selbständige Bedeutung. Auch den Verschiedenheiten der stofflichen Zu-
sammensetzung kommt nur in der festen Erdrinde größere Bedeutung zu,
dagegen sind in der Wasser- und Lufthülle die Bewegungsvorgänge und in
der Lufthülle auch die Druckverhältnisse sowie die eigentlich physikalischen,
namentlich die thermischen Verhältnisse von viel größerer Wichtigkeit als in
der festen Erdrinde. Aber bei aller Verschiedenheit der Wichtigkeit sind
doch die Kategorien der Eigenschaften und damit auch die Gesichtspunkte
der Betrachtung in der ganzen anorganischen Natur der Erde dieselben,
während sie in der organischen Natur andere werden.
38 Alfred Hettner:
Das Leben.
Es kommt uns nicht darauf an, das grundsätzliche Verhältnis des
Organischen zum Unorganischen aufzufassen. Für die geographische Auf-
fassung der Organismen ist es, wie mir scheint, gleichgültig, ob sich das
Leben ganz auf physikalische und chemische Kräfte zurückführen läßt, oder
ob es eine besondere Lebenskraft gibt. Auch die Frage, ob das Leben auf
der Erde entstanden ist und ganz ihr angehört, oder ob es von außen her
auf die Erde verpflanzt worden ist, ist für die geographische Stellung der
Organismen ohne Bedeutung. Die für die geographische Betrachtung Aus-
schlag gebende Tatsache ist, daß die Organismen, zu denen wir in dieser
Beziehung auch die Erzeugnisse menschlichen Schaffens zu rechnen haben,
außer wo sie eine Arbeit an der anorganischen Erdoberfläche darstellen,
keine zusammenhängende Masse, sondern zahlreiche einzelne individuelle
Wesen sind, die von einer Stelle zur anderen sich bewegen oder versetzt
werden können, ohfae dabei ihre Eigenart zu verlieren. Erst wenn die
Organismen absterben und damit in die unorganische Natur übergehen, ver-
lieren sie diese Versetzbarkeit und werden zu wirklichen Bestandteilen der
Erdstelle, wie es bei der Humusbildung, in den Torfmooren und in den
Korallenriffen der Fall ist. Man hat wohl, nach Analogie der Atmosphäre,
Hydrosphäre und Lithosphäre, auch von einer Biosphäre gesprochen; aber die
Analogie ist nicht richtig, die Bezeichnung ist ungenau und irreführend und
sollte deshalb lieber vermieden werden. Man kann daher auch der orga-
nischen Natur als Ganzem weder Eigenschaften der stofflichen Zusammen-
setzung und Form noch mechanische noch physikalische noch chemische Kräfte
beimessen, sondern muß die einzelnen organischen Individuen und Genossen-
schaften als solche auffassen und in ihren Beziehungen zur Erdoberfläche be-
trachten. Der geographischen Auffassung kommt es dabei nicht auf die Orga-
nismen als solche, sondern lediglich als Bestandteile der Erdoberfläche an.
Ihr ist es daher nicht um die Verbreitung bestimmter Klassen von Organis-
men, was vielmehr der Gesichtspunkt der Botanik, der Zoologie und der
Wissenschaften vom Menschen ist, sondern um die Erdstellen und Erdräume
als Sitze der Organismen oder, wenn man lieber so sagen will, um die Aus-
stattung der verschiedenen Stellen der Erdoberfläche mit Organismen ver-
schiedener Art und Menge zu tun. Sie erkennt dabei den verschiedenen
Klassen der Organismen je nach der Rolle, die sie im Haushalte der Natur
spielen, verschiedene Bedeutung zu. Die geogiaphische Charakteristik der
Organismen stützt sich selbstverständlich nicht auf die Eigenschaften und
Vorgänge anorganischer Natur, sondern auf die Eigenschaften und Vorgänge
des Lebens, wie sie von den biologischen Wissenschaften festgestellt wor-
den sind.
Die Botanik hat die Pflanzen, wenn wir von den Einteilungen nach
ihrem Nutzen für den Menschen absehen, zuerst nach ihrem Wuchs eingeteilt;
sie ging aber bald darüber hinaus und begründete die Unterscheidung haupt-
sächlich auf die Ausbildung der Foi-tpflanzungsorgano (Blüten und Früchte).
Dieses Prinzip war ebensowohl für das künstliche System Linnes, welches
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 39
nur eine orientierende Übersicht über die Pflanzenwelt anstrebte, wie fttr
die verschiedenen natürlichen Pflanzensysteme maßgebend, welche die natür-
liche Verwandtschaft und die Abstammungsverhältnisse der Pflanzen zum
Ausdruck zu bringen suchen. Aber es zeigte sich, daß diese auf die Ab-
stammung zielenden Systeme den Lebens- und Wuchsverhältnissen nicht ge-
recht werden, weil die Ausbildung der vegetativen Organe nicht von der
Abstammung, sondern von den äußeren Lebensbedingungen abhängt, eine
Anpassung der Organismen an diese darstellt. Schon Alexander von
Humboldt stellte mit genialer Intuition neben dem genetischen Pflanzen-
system ein System der Vegetationsformen auf, das er allerdings zunächst nur
auf die Physiognomie der Pflanzen begründete und noch zu sehr mit dem
gewöhnlichen genealogischen Systeme verquickte. Die neuere Wissenschaft hat
angefangen, diesem System, selbstverständlich mit vielen Umbildungen im
einzelnen, eine sichere physiologische Begründung zu geben. So stehen heute
zwei Einteilungen der Pflanzenwelt neben einander, die nur in den untersten
Gliedern, den Arten und Abarten, zusammenfallen, in den oberen Abteilungen aber
ganz verschieden sind: das sogenannte natürliche Pflanzensystem, welches auf die
Fortpflanzungsorgane begründet ist und die Abstammungsverhältnisse darstellen
soll, und die physiologisch-physiognomischen Einteilungen, welche auf die Aus-
bildung der vegetativen Organe begründet sind und die Gleichheit oder Ver-
schiedenheit der Lebensbedingungen und Lebensweise zum Ausdruck bringen.
Man hat für diese beiden Auffassungsweisen einen kurzen Ausdruck ge-
wonnen, indem man die Pflanzenwelt unter dem Gesichtspunkt der Abstam-
mungsverwandtschaft als Flora, unter dem Gesichtspunkt der Lebensweise als
Vegetation bezeichnet. Damit sind auch der Pflanzengeographie die beiden
Gesichtspunkte der Betrachtung gewiesen. Sie hat erstens zu fragen nach
der Flora eines Gebietes, d. h. nach dem Auftreten oder Fehlen der syste-
matischen Pflanzengruppen: der Klassen, Ordnungen, Familien, Gattungen,
Arten und Unterarten. Sie entwirft Florenverzeichnisse und kann darauf
natürlich auch, wenn ihr das wissenschaftlich wertvoll erscheint, eine Floren-
statistik begründen. Sie stellt durch die Vergleichung verschiedener örtlich-
keiten die Eigenart, die Endemismen jeder einzelnen und die Verwandt-
schaft mit anderen örtlichkeiten fest. Sie untersucht auch, indem sie von
statischer zu dynamischer Betrachtung übergeht, die Wanderungen der ein-
zelnen Pflanzenarten und die Veränderungen innerhalb der Floren. Sie fragt
zweitens nach der Vegetation. Sie stellt fest, daß jedem Gebiete besondere
Vegetationsformen mit eigentümlicher Lebensweise und Ausbildung der vege-
tativen Organe, hauptsächlich der Stengel, Blätter und Wurzeln, zukommen.
Sie erkennt dabei, daß Gewächse von gleichartigen Lebensverhältnissen oder
auch verschiedenartige Gewächse, die aber durch ihre Lebensweise auf einander
angewiesen sind, zu Beständen, den sogenannten Vegetationsformationen, ver-
einigt sind, die sich schon auf den ersten Blick als wesentliche Bestandteile
der Landschaft zu erkennen geben, und sie wendet ihre Aufmerksamkeit darum
mit Vorliebe diesen Vegetationsformationen zu. Sowohl die Vegetation wie die
Floi*a zeigen infolge der Bodenständigkeit der Pflanzen feste räumliche Verhält-
nisse, welche sie für die geographische Auffassung leicht geeignet machen.
40 A. Hettner: Grundbegriffe u. Grundsätze d. physischen Geographie.
Ganz entsprechende Unterscheidungen wie in der Pflanzenwelt treten uns in
der Tierwelt entgegen, nur daß hier die Abstammungs Verwandtschaft mehr
im Vordergrund steht, die Lebensverhältnisse für jede Gattung und Art ver-
schieden sind, und nur in der Lebensweise und in mehr untergeordneten, wenn-
gleich von der wissenschaftlichen Tiergeographie allzu sehr vernachlässigten
Eigenschaften des Körpers, z. B. in dem Bau der Bewegungs- und Sinnes-
organe und der Farbe des Pelzes, zwischen femstehenden Gattungen und Arten
Übereinstimmungen bestehen, die eine besondere Auffassung erheischen. Infolge
der Bodenvagheit der meisten Tiere zeigen sie keine bleibende räumliche Anord-
nung, und wir können für sie geographische Figuren nur in demselben Sinn
wie füi* die Vorgänge der Hydro- und Atmosphäre konstruieren.
Beim Menschengeschlecht, das, zoologisch betrachtet, nur eine
Gattung und Art bildet, dessen auf der Abstanmiung beruhende Unterabtei -
limgen durch vielfache Übergänge und Kreuzungen mit einander verbunden
sind, treten die Verschiedenheiten der Lebensweise wieder sehr in den Vorder-
grund und erweisen sich vielfach auch für die Trennung der Stämme be-
deutsam. Die Geographie des Menschen muß sich darüber klare Rechenschaft
geben, wenn sie auf befriedigende Ergebnisse ihrer Untersuchungen hofl'en
will; aber die Verhältnisse sind hier so mannigfaltig und verwickelt und
dabei noch so wenig geklärt, daß es mir zweckmäßiger erscheint, in diesem
Aufsatz vom Menschen ganz abzusehen und mich auf die Tatsachen der
physischen Geographie zu beschränken. (Fortsetzung folgt.)
Die wiehtigsten geographischen Ergebnisse der deutschen
Tiefeee- Expedition.
Von Dr. J. B. MesBersohmitt in München.
Der Beginn der Tiefseeforschungen liegt kaum ein halbes Jahrhundert
zurück. Erst in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts trat durch
die Legung der Telegraphenkabel das zunächst rein praktische Bedürfnis
hervor, genauere Angaben über das Bodem*elief und die Tiefen Verhältnisse
der Meere zu erhalten. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Entdeckung
gemacht, daß in Tiefen von 3000 und mehr Metern noch ein reiches Tier-
leben herrscht und so der geographischen Verbreitung der Tierwelt durch
die Tiefsee kein Hindernis gesetzt ist. Durch diese und andere Funde an-
geregt, wurde dann zuerst die Expedition des „Challenger" von England
ausgerüstet, welches Schiff in fast allen Ozeanen während fünf Jahren von
1872 bis 77 ozeanographische und zoologische Forschungen ausführte. Diesem
Beispiele folgten bald andere Nationen. So haben die Nord- Amerikaner nicht
nur die Meere in der Nähe ihrer Küsten eingehend untersucht, sondern auch
besonders den Stillen Ozean in den Bereich ihrer Tätigkeit gezogen. (Expedition
mit dem Dampfer „Tuscarora" 1876 bis 77 u. a.) Die Holländer erforschten wieder
mehr die Tiefseeverhältnisse ihrer Kolonien in Ost -Indien. Die Franzosen
verfolgten die ozeanographischen Eigenschaften des Atlantischen Ozeans und
MesserBchmitt: Die wicht, geogr. Ergebnisse d. d. Tiefsee-Expedition. 41
des Mittelländischen Meeres. Dieses wurde außerdem von den Italienern und
Österreichern bearbeitet, wobei letztere noch das angrenzende rote Meer in
besonders eingehender Weise studierten. Die Norweger und Dlinen wiederum
bereisten die nördlichen Teile des Atlantischen Ozeans, während die Deutschen
sich mehr auf die Gewässer der deutschen Küstengebiete beschränkten*).
Doch ist schon eine größere Forschungsreise des deutschen Kriegsschiffes
„Gazelle" zu erwähnen, welches von 1874 bis 76 im Atlantischen, Indischen
und Stillen Ozean Beobachtungen und Messungen ausführte.
Durch alle diese Untersuchungen wurden unsere Kenntnisse über die
Meere und das in ihn herrschende Leben rasch erweitert, aber zugleich
auch neue Probleme aufgeworfen. Es ist daher begreiflich, daß allmählich
in den wissenschaftlichen Kreisen Deutschlands der Wunsch zum Durchbruch
kam, sich auch in reicherem Maße an diesen Forschungen zu beteiligen.
Dieser Plan warde rasch in Wirklichkeit umgesetzt, und so kam es, daß nach
Verlauf von kaum einem Jahre, seitdem der endgültige Beschluß über diese
Expedition gefaßt war, die erste deutsche Tiefsee-Expedition am 31. Juli 1898
wohlausgerüstet mit dem Dampfer „Valdivia" ihre Reise antrat und am 1. Mai
1899 nach neunmonatlicher, gelungener Fahrt in den Heimatshafen Hamburg
zurückkehrte.
Schon die ersten amtlichen Berichte*) über den Verlauf der Reise und
die ausgeführten wissenschaftlichen Arbeiten, sowie das vom Leiter der
Expedition herausgegebene allgemein verständliche und für weitere Kreise
bestimmte Werk^ haben gezeigt, ein wie reiches Material gewonnen worden
war. Man darf daher auf seine Bearbeitung, die der Natur der Sache nach
längere Zeit in Anspruch nimmt, mit Recht gespannt sein. Immerhin mag
es schon jetzt am Platze sein, wenn zunächst an Hand des fesselnd geschriebenen
Buches von Chun, das auch wegen seiner vielen vorzüglichen Abbildungen
und Karten besondere Erwähnung verdient, ein kurzer Überblick über die
Ziele, Fahrten und vorläufigen Ergebnisse der Tiefsee -Expedition gegeben
wird, an die sich noch eine etwas eingehendere Behandlung der bereits ver-
arbeiteten ozeanographischen Resultate anschließen soll.
Der Zweck der Expedition war ein mehrfacher. Es sollten die Existenz-
bedingungen der tierischen Organismen in der Tiefe der Ozeane möglichst
aufgehellt und die geographische Verbreitung der Tiefsee-Fauna untersucht
werden, um erkennen zu können, wie weit die polaren Arten und Gattungen
der sich auf dem Meeresgrunde aufhaltenden Organismen gegen den Äquator
vordringen. Daraus ergibt sich unmittelbar, wie weit die arktischen und
antarktischen Formen mit einander übereinstimmen. Zu allen diesen zoologischen
Arbeiten waren natürlich eine Anzahl anderer Fragen als Nebenbedingungen
1) Kommission zur wissenschaftlichen Untersuchung der Deutschen Meere.
Kiel. Seit 1871 fortlaufende Veröffentlichungen.
2) Die deutsche Tiefsee-Expedition 1898—99. Reisebericht an das Reichsamt
des Innern und das Reichs-Marine-Amt. Berlin 1899.
3) Chun, Carl. Aus den Tiefen des Weltmeere^. Schilderungen von der
deutschen. Tief see- Expedition. 2. Aufl. VII u. 649 S. 6 Chromolithographien,
8 Heliogravüren, 32 als Taf. gedruckte Vollbilder, 2 K. u. 390 Abb. im Text. Jena,
Gustav Fischer 1900. In 12 Lieferungen zu je X 1.50. 1902. X 18.—.
42 J- B. Messerschmitt:
zu beantworten nötig, wozu die Tiefen der Meere und die Temperaturver-
teilung in ihnen in erster Linie zu rechnen sind, weshalb auf die ozeano-
graphische Ausrüstung ebensoviel Wert gelegt wurde, wie auf die der
anderen Wissensgebiete.
Die Reise ging von Hamburg zunächst nach Edinburg und von dort
nördlich nach den Shettlands-Inseln, wo der erste Dretschzug veranstaltet
wurde. Dann ward bis ziir Faröer-Insel gefahren, worauf der Kurs südlich
gesetzt und mit den regelmäßigen zoologischen und ozeanographischen Arbeiten
begonnen wurde. Hierbei wurde den Kanarischen Inseln ein Besuch abge-
stattet, die Kapverden berührt und das Passat- und Südwest-Monsun-Gebiet
durchfahren. Hier konnten die beabsichtigten Messungen im Guinea- und
Südäquatorial-Strom ausgeführt werden. Dann ging der Weg über Kamerun,
die Kongomtindung, die große Fischbai und im großen Bogen nach Kapstadt,
in dessen Nähe der Agulhas -Strom noch eingehend untersucht wurde. Nach
kurzem Aufenthalt in Kapstadt ging die Reise weiter nach dem Süden.
In dieser ersten Periode der Fahrt waren relativ bekannte Gebiete durchfahren
worden, jetzt sollte es nach dein weniger bekannten antarktischen und
Indischen Ozean gehen, deren biologische und ozeanographische Erforschung
von vornherein als der Hauptteil der Expedition in Aussicht genommen war.
Während die früheren Expeditionen, insbesonders der „Challenger" und die
„Gazelle", von Kapstadt aus eine mehr südöstliche Richtung genommen hatten
und über die Marianen- und Crozet-Inseln nach Kerguelen gefahren waren,
wurde von der „Valdivia" der Versuch gemacht, zuerst in südsüdwestlicher
Richtung nach der Bouvet-Insel vorzudringen und dann längs der Packeis-
grenze östlich zu fahren. Dieser Versuch gelang vollständig, und es konnte
sogar infolge der günstigen Witterungs- und Eisverhältnisse bis in die Nähe
von Enderby-Land gefahren werden, von wo wegen des zunehmenden Eises
umgekehrt und nach den Kerguelen gesteuert wurde. Nach einem kurzen
Aufenthalt auf diesen einsamen Inseln fuhr dann die Expedition über St. Paul,
Neu-Amsterdam imd die Cocos-Inseln nach Padang auf Sumatra. An der
Westküste dieser Insel bis zu den Nicobaren wurden eingehende Studien an-
gestellt und dann nach Colombo auf Ceylon gefahren, von wo es über die
Malediven-, Chagos- und Seychellen-Inseln nach Deutsch-Ostafrika ging. Die
Rückreise erfolgte über Aden direkt durch das Rote imd Mittelländische
Meer nach Hamburg.
Die Wiederauffindung der Bouvet-Insel am 25. November 1898.
Die grofsartigen geographischen Entdeckungen, welche seit dem 15. Jahrhundert
von den seefahrenden Nationen in allen Teilen der Erde gemacht wurden,
erstreckten sich auch auf diese südlichsten und schwer zugänglichen Meeres-
gebiete. Die französischen Kapitäne Bouvet und Hay sichteten am 1. Januar
1739 ein Land, das sie wegen der damaligen ungünstigen Eisverhältnisse
nicht für eine Insel, sondern für das Vorgebirge eines Festlandes hielten.
Sie schätzten die Ausdehnung in ONO — WSW-Richtung auf 24 bis 30 See-
meilen und in N — S-Richtung auf 18 bis 21 Seemeilen, konnten aber nicht
landen. J. Cook sucht 1775 das Land vergeblich und glaubte daher, Bouvet
habe sich durch die Eismassen täuschen lassen. Allein Kapt. Lindsay fand
Die wicht, geograph. Ergebnisse d. deutschen Tiefsee-Expedition. 43
Bouvet
1739
54« 0'
4P 30'
Hay
1739
54 6
4 15
Cook
1775
—
—
Lindsaj
1808
54 16
6 14
Norris
1825
54 15
5 0
Norris
1826
53 56
5 30
Rofs
1843
—
—
Moore
1843
—
—
Krech
1898
54 26
3 24
1808 in der gleichen Gegend eine kleine Insel (Lindsay-Insel), auf welcher
er indessen wegen der vorgelagerten Eismassen auch nicht landen konnte.
Die Ausdehnung der Insel gibt er in 0 — W-Richtung auf etwa 5 Seemeilen
an, während er in der Beschreibung der Gestalt mit Bouvet darin überein-
stimmt, daß die N- und W-Küste sehr steil, das Ostende aber flacher sei.
17 Jahre später, am 10. Dezember 1825, wurde die Insel von Kapt.
Norris gesichtet und ein Vierteljahr später eine zweite Insel, auf welcher
er auch an der SW-Seite landen konnte. Die Positionen dieser Inseln sind
nach den Beobachtungen der verschiedenen Kapitäne:
Kapitän Jahr Südbreite Ostlänge von Gr. Name
Kap Circoncision
nichts gesehen
Lindsay-Insel
Liverpool-Insel
Thomson-Insel
nichts gesehen
Bouvet-Insel.
1843 hatten Boß und Moore die Insel nicht gefunden, weshalb man
glaubte, daß sie womöglich einem vulkanischen Ausbruche zum Opfer ge-
fallen sei.
Da die deutsche Tiefsee -Expedition in dem Schiffe „Valdivia" einen
modernen Dampfer zur Verfügung hatte, dessen Bewegungen von Wind und
Wetter unabhängiger als die eines Segelschiffes sind, konnte bei dem Vordringen
nach dem südlichen Eismeer von Kapstadt aus direkt nach dem Orte der
vermuteten Inseln gesteuert werden. Es wurde auf sämtlichen Positionen
der früheren Sichtungen vergeblich nach Land gesucht, auch die Lotungen
ergaben überall ein tiefes Meer. Dagegen wurde am 25. November etwas
westlicher eine kleine Insel gefunden, die sozusagen aus einem einzigen
vulkanischen, schneebedeckten Berge besteht. Für die vulkanische Natur der
Insel sprechen neben dem steilen Abfall ins Meer auch die Gesteinsproben,
welche in der Nähe in 457 m Tiefe gefunden wurden, die aus Tuff und
feinkörnigem Basalt bestanden. Die Insel scheint ganz unzugänglich zu sein
und läßt keine Spur von Vegetation erkennen. Nur einige Seevögel bevölkern
sie. Die Aufnahme ergab für die Mitte der Insel die oben gegebenen Positionen.
Die höchste Erhebung, der Kaiser Wilhelm Peak, ist 935 m hoch. Die Aus-
dehnung der Insel in N — S-Richtung beträgt 4,3 Seemeilen, in 0 — W-Richtung
5,1 Seemeilen.
Die Insel erhebt sich, wie sich auch aus den vortrefflichen Abbildungen
bei Chun (Seite 168 — 176) und der daselbst gegebenen Übersichtskarte ergibt,
sehr steil aus dem Meere, es wurden in SO der Insel in 2 Sm. Abstand
457 m und in 5,5 Sm. Entfernung 439 m Tiefe gelotet. In etwas größerer
Entfernung war die Tiefe bereits wieder über 1000 m.
Es ist damit die Existenz der Bouvet-Insel erwiesen und deren genaue
Position festgelegt. Ob noch eine zweite Insel in jener Gegend existiert, ist
44 J- B. MeBserschmitt:
zwar nicht ganz ausgeschlossen, aber auch nicht sehr wahrscheinlich. Sie
müßte sich wenigstens in größerer Entfernung, mindestens 50 Sm. davon
und vielleicht noch mehr östlich befinden.
Die Fahrt im antarktischen Gebiet bezeichnet Chun selbst als den weitaus
erfolgreichsten Abschnitt der ganzen Expedition. In der Tat haben die
Arbeiten auf der „Valdivia" auf dem Weg längs der Eiskante nicht nur fast
keine Unterbrechung erlitten, was von dem für antarktische Verhältnisse un-
gewöhnlich günstigen Wetter zeugt, sondern sie haben auch zu neuen
und nicht erwarteten Resultaten geführt, insbesondere ozeanographischer
Natur, auf die weiter unten noch zurückgekommen werden soll. Ferner
konnten neben den eigentlichen Aufgaben der Expedition hier auch eingehende
Studien über das Treibeis und die Eisberge angestellt werden. Die Eisberge
stammen von der gewaltigen Eismauer, welche um den Südpol lagert Sie
verbreiten sich von da allmählich über ein weites Gebiet und dringen dabei
häufig noch in solche Breiten vor, wo sie selbst die Schiffahrt nach Australien
beeinträchtigen können.
Die Gestalt der antai*k tischen Eisberge ist an ihrer Geburtsstelle tafelförmig
von einförmigem Aussehen. Sie sind oft von gewaltigen Dimensionen^ indem
solche bis 600 m Länge und 60 m Höhe gemessen wurden. Auffällig sind
dabei die häufig wahrgenommenen Streifen, welche dem Plateau parallel
laufen, die durch regelmäßige Abwechslung von blauen und weifsen Lagen
des Gletschereises hervorgerufen werden. Die scheinbare Färbung des Eises
hängt hauptsächlich von der verschiedenen Menge der eingeschlossenen Luft
ab. Je mehr Luft dem Eise beigemengt ist, desto weißer erscheint es; ist
die Luft bei dem Gletscherprozeß möglichst herausgepreßt, so erscheint das
Eis blau, wie man dies auch bei unseren Gletschern im Gebirge sehen kann.
Je weiter die Eisberge von ihrem ürsprungsorte entfernt sind, desto ver-
änderter ist ihr Aussehen. Die mechanische Wirkung des Meeres, verbunden
mit dem Einfluß der Wärme von Luft und Wasser, zersetzt die Eisberge
in mannigfaltiger Weise und bringt dann die merkwürdigsten Formen hervor.
Eine Reihe prachtvoller Abbildungen, welche dem Chunschen Buche bei-
gegeben sind, können einen Begriff von der mannigfaltigen Gestaltung dieser
Eisberge geben.
Beim Verlassen der Antarktis machte die „Valdivia" noch einen kurzen
Aufenthalt auf den Kerguelen, von welchen Chun eine lebhafte Beschreibung
gibt. Die zahlreichen Bilder der besuchten Küsten, nebst den sie bewohnenden
Tieren, geben einen charakteristischen Einblick in diese einsame Inselwelt.
In ähnlicher Weise erhalten wir Schilderungen von den anderen besuchten
Orten, von welchen namentlich die Inseln St. Paul und Neu-Amsterdam im
südlichen Indischen Ozean, Diego Garcia, Chagos- Archipel und Mähe (Seychellen)
besonders angeführt werden mögen.
Im Schlußkapitel behandelt Chun hauptsächlich die Tiefseefauna; man
kann sich da einen Begriff von dem reichen hier herrschenden Leben
machen. Die Bearbeitung dieses Materials wird in erster Linie der Zoo-
logie zu gute kommen, aber auch für die Tiergeographie manches wichtige Re-
sultat liefern.
Die wicht, geograph. Ergebnisse d. deutschen Tiefsee-Expedition. 45
Das Bodenrelief des Atlantischen und Indischen Ozeans. Der
erste Band ^) der wissenschaftlichen Ergebnisse der deutschen Tiefsee-Fxpediton,
der nunmehr bereits vorliegt, enthält die Ozeanographie und maritime Meteo-
rologie. Er bietet, abgesehen von den besonderen Kenntnissen, welche die
Tiefsee-Expedition auf diesem Gebiete gebracht hat, noch das weitere Interesse
dadurch, daß der Verfasser das gesamte hiergehörige ozeanographische Material,
soweit es den Atlantischen und Indischen Ozean betrifft, geographisch ver-
arbeitet und bildlich dargestellt hat.
Was zuefst die Tiefseeverhältnisse dieser Meere und damit zusammen-
hängend die Bodenform anbelangt, so haben die „Valdivia"-Messungen, namentlich
im südlichen Teile des Atlantischen Ozeans einige wichtige Ergänzungen zu
den bisherigen Messungen geliefert; weiterhin sind im antarktischen Meere
noch ganz unbekannte Strecken zum erstenmal durchforscht und endlich
im Indischen Ozean eine Beihe Tiefen gelotet worden, die geeignet sind,
das Bodenrelief dieses verhältnismäßig noch wenig bekannten Meeres mehr
aufzuhellen. Im ganzen wurden 186 Lotungen erhalten, davon 34 im nord-
atlantischen, 21 im Süd-atlantischen Ozean, 40 im antarktischen Meere und
der Rest im Indischen Ozean. Aus dem gesamten bekannten, veröffentlichten
Material, wozu Schott noch eine Anzahl unpublizierter Tiefenmessungen von
Kabeldampfem für den nord-atlantischen Ozean verwenden konnte, zeichnete
er eine Übersichtskarte der beiden Ozeane (Atlas, Tafel HI). Sie ist in flächen-
treuer Projektion entworfen; der Mittelpunktsmaßstab beträgt 1:30000000.
Es sind neben den Lotungen der „Yaldivia'^ noch möglichst viele andere
Tiefenlotungen, auf hundert Meter abgerundet, eingetragen, soweit dies der
Maßstab erlaubt. Dadurch ist der Leser stets im stände, nicht nur die mehr
oder weniger große Berechtigung der gegebenen Auffassung des Bodenreliefs
selbst zu prüfen, sondern auch später Lotungszahlen nachzutragen und dadurch
allfällige nötig werdende Korrekturen vorzunehmen').
Im nord-atlantischen Ozean sind die Lotungen bereits so dichtgedrängt,
daß eingehende Detailstudien möglich sind. Im süd-atlantisohen Ozean dagegen
sind noch größere Lücken vorhanden, ja ein großes Meeresgebiet daselbst,
zwischen 40*^ und 60® s. Br. (zwischen Süd-Georgien und der Bouvet-Insel)
weist nicht eine Tiefenzahl auf. Im Indischen Ozean vollends sind, mit ge-
ringen Ausnahmen im Norden, nur die allgemeinsten Grundzüge der Boden-
gestalt bekannt. Man darf diesen Umstand nie bei Yergleichungen außer
acht lassen.
Der Atlantische Ozean ist im Norden durch den Grönland-Island-Bücken,
dessen Tiefe noch nicht 1000 m erreicht, fast ganz vom nördlichen Eismeer
abgetrennt; im Süden dagegen geht er unvermittelt in das südliche Eismeer
1) Wissenschaftliche Ergebnisse der deutschen Tiefsee - Expedition auf dem
Dampfer „Valdivia" 1898—1899, herausgeg. von C. Chun; 1. Bd. Ozeanographie
und Maritime Meteorologie, bearb. von G. Schott. 4^ 403 S. 26 Taf. 36 Fig.
im Text, nebst einem Atlas mit XXXX Taf. Jena, Gust. Fischer 1902.
2) Die von der deutschen Südpolar-Expedition erhaltenen Lotungen im Atlan-
tischen Ozean (Veröffentlichungen des Instituts für Meereskunde imd des Geogra-
phischen Instituts an der Universität Berlin. 1. Heft. 1902) bestätigen die von
Schott gegebene Tiefenverteilung.
46 J- B. Messerschmitt;
über. Ein S-förmiger submariner von Nord nach Süd streichender Höhenzug
von etwa 3000 m Tiefe, der faat genau die Mitte zwischen den beiden Kon-
tinentahnassen einnimmt, durchzieht ihn in seiner ganzen Länge. Eine, wenn
auch weniger ausgeprägte Bodenerhebung erstreckt sich in der Nähe des
Äquators von Nord-Ost (Afrika) nach Süd-West (Südamerika). Auf diese
Weise entstehen gewissermaßen vier gesonderte Teile, deren tiefste Stellen als
nord-amerikanisches Becken, Kap Verden-Mulde, brasilianisches Becken und
west-afrikanische Mulde*) bezeichnet sind. Davon abgetrennt tritt südlich im
westlichen Teile noch das kleine, wenn auch tiefe, argentinische Becken und
im Osten die süd-afrikanische Mulde hinzu. Die Zerlegung der afrikanischen
Mulde in zwei Teile ist eins der Hauptergebnisse der „Valdivia"-Messungen,
welche durch die Entdeckung der Valdivia-Bank (900 m Tiefe in 25,4® südl. Br.
und 6,2® östl. L.) das Vorhandensein des sog. Walfisch-Rückens bestätigten und
die Ausdehnung großer Tiefen südlich davon bis weit nach dem antarktischen
Meere feststellten. Weiterhin ergaben aber auch die Lotungen, daß der Meeres-
boden auch in diesen Gebieten eine ähnliche Mannigfaltigkeit aufweist, wie
wir sie im nord-atlantischen Ozean bereits kennen.
Während man früher im Süden von Afrika ein verhältnismäßig seichtes
Meer annahm, wurde hier ein tiefes (5500 m) indisch-antarktisches Becken
gefunden, das sich nach Osten bis in die Nähe der Kerguelen und im Süden
bis nahe an die Eisgrenze erstreckt.
Der Indische Ozean ist bis jetzt noch weniger bekannt, weshalb die Karte
noch einfache Formen zeigt. Der tiefste Teil liegt im Osten (austral-indisches
Becken) zwischen Sumatra und Australien. Der zentrale Teil des Indischen
Ozeans ist so gut wie unbekannt. Im Norden dagegen sind zahlreiche Lotungen
vorhanden, so fallen namentlich die gleichmäßigen Tiefen Verhältnisse an der
asiatischen Küste insbesonders im bengalischen Meerbusen auf. Größere und
reichere Details dagegen bietet das Meer bei den Inseln, wie ja auch die
„Valdivia" an der Westseite von Sumatra zwischen der Hauptinsel und den
vorliegenden Inseln ein vollständig abgeschlossenes gegen 2000 m tiefes Becken
(Mentawei-Becken) und östlich von diesen Inseln einen über 5000 m tiefen
Mentawei-Graben nachzuweisen vermochte. Auch im nordwestlichen Teile des
Indischen Ozeans konnte durch die Auffindung des Chagos-Rücken und durch
die Feststellung der nördlichen Grenze des Maskarenen-Rückens eine wertvolle
Ergänzung zu früheren Lotungen gegeben werden.
Aus diesen kiuTsen Andeutungen geht zur Genüge hervor, einen wie reichen
Zuwachs durch die „Valdivia"-Expedition die Kenntnisse des Bodenreliefs im
Atlantischen und Indischen Ozean bis zum südlichen Eismeer erhalten haben,
anderseits aber auch, wie große Lücken noch auf diesem Gebiete auszufüllen
sind. Je dichter die Lotungsstellen werden, desto mehr nimmt fast immer
die anscheinende Gleichförmigkeit und Eintönigkeit des Meeresgrundes ab, und
ein ziemlich mannigfaltiges Bild kommt zum Vorschein, wodurch sich dessen
1) Es ist sehr zu bedauern^ daß die Bezeichnungsweise bisher noch nicht gleich-
mäßig ist. Hier sind die von Schott und der Seewarte gebrauchten Namen gewählt
worden.
Die wicht, geograph. Ergebnisse d. deutschen Tiefsee-Expedition. 47
Aussehen mehr dem der Landoberfläche, abgesehen von den durch Erosion
und Abrasion hervorgerufenen Einzelheiten, nähert.
Die Wärmeverteilung im Meere. Die Wärme des Meerwassers spielt
bekanntlich eine große Bolle in allen klimatischen Faktoren; um aber Schlüsse
ziehen zu können, ist ein großes Material nötig und genügen die Beobach-
tungen einer Reise in keiner Weise, abgesehen davon, daß die Temperaturen
noch von den Jahreszeiten, von Witterungs- und ozeanographischen Änderungen
abhängen. Um daher einen vollständigen Überblick über die Wäimever-
teilung auf dem Meere liefern zu können, mußte Schott weiter ausgreifen
und nicht nur auf die verschiedenen vorhandenen Publikationen, sondern auch
vielfach direkt auf die in den Schiffsjournalen der Seewarte vorhandenen
Originalbeobachtungen von Handels- und Kriegsschiffen zurückgehen. Als
Resultat dieser Untersuchung entstand Tafel IX (Atlas), welche die Jahres-
temperaturen der Meeresoberfläche des Atlantischen und Indischen Ozeans
enthält. Als wichtige Ergänzung dieser Gesamtdarstellung sind auf Tafel VIII
die Oberflächentemperaturen der sog. Auftriebszone an der Westküste von Afrika
für die Monate Februar, Mai, August und November gegeben, welche ein
charakteristisches Bild über den jahreszeitlichen Verlauf dieser geographisch
wichtigen Erscheinung liefern. „Damach hat im nordhemisphärischen Winter
das Kaltwassergebiet der nordwestafrikanischen Zone sowohl seine südlichste
Lage als auch seine geringste Ausdehnung. Zum Frühjahr hin breitet es sich
stark nordwärts aus, verliert aber etwas im Süden; es verlagert sich immer
mehr nach Norden, um im August mindestens 19 Breitengrade einzunehmen
und damit den Höhepunkt der Entwicklung zu erreichen. Kap Blanco, im
Winter polare Grenze, ist jetzt zur äquatorialen Grenze geworden. Im Herbst
beginnt der Rückzug südwärts, der zum Februarzustand den Übergang her-
stellt. Die Größe der Temperaturdifferenzen zwischen der Küste und der See
verläuft dieser jährlichen Zu- und Abnahme der räumlichen Ausdehnung einiger-
maßen proportional; es entspricht — im Durchschnitt wenigstens — das
sommerliche Maximum der Temperaturdifferenz dem in dieselbe Zeit fallenden
Maximum der Ausdehnung.^
Das Südwest-afrikanische Auftriebsgebiet hat zu allen Zeiten seine polare
Grenze in der Nähe des Kaps der guten Hoffiiung, nur die äquatoriale Grenze
verschiebt sich mit den Jahreszeiten und zwar von seiner südlichsten Lage
im November auf dem Wendekreis bis zu seiner nördlichsten Lage unter 9®
bis 10® s. Br. im August.
Im jährlichen Gang sind zwischen beiden Auftriebsgebieten die Unter-
schiede vorhanden, als auf Nordbreite das Maximum der Ausdehnung in den
nördlichen Sommer fällt, auf Südbreite in den südlichen Winter; endlich
scheinen im großen Durchschnitt die Temperaturdifferenzen zwischen Küste
und Hochsee auf südlicher Breite vergleichsweise größer zu sein als auf
nördlicher.
Die allgemeinen Ursachen dieser Vorgänge sind in der Circulation des
Meeres zu suchen, die jahreszeitlichen Änderungen dagegen können auf die
Windverhältnisse an der betreffenden Küste zurückgeführt werden.
Südlich von Kapstadt durchschnitt die „Valdivia" das Meeresgebiet, in
48 Messerschmitt: Die wicht, geogr. Ergebnisse d. d. Tiefsee-Expedition.
welchem das indisch-tropische mit dem südpolaren Wasser zusammentrifft, fttr
welches Schott die Bezeichnung Mischwassergebiet anwendet. Dieses erstreckt
sich im Westen unter 14® ö. L. beginnend von etwa 37® s. Br. bis 42® s. Br.,
nach Osten bis unter die Meridiane von Kerguelen und St. Paul, hat also
eine Längenausdehnung von mindestens 5000 km bei einer Breite von 430
bis 750 km.
Die Temperatur der Meerestiefen, für welche die Expedition selbst ein
großes Material geliefert hat, wird von Schott eingehend behs^ndelt. Es sind
im Text selbst 26 Temperatur-Diagramme (Originalbeobachtungen der „Valdivia")
gegeben, während im Atlas die Tafeln X bis XXII die Temperaturen im
Atlantischen und Indischen Ozean in 50, 100, 150, 200, 400, 600, 800,
1000, 1500, 2000, 3000 und 4000 m Meerestiefe und die Bodentemperaturen
unter 1000 m Tiefe enthalten. Auf den Tafeln XXIII bis XXVII wird der
Versuch gemacht, die TemperatuiTerteilung durch die Tiefenlage in Metern
der Isothermobathen von 20®, 15®, 10®, 5® und 3® C anschaulich zumachen.
Sehr belehrend sind ferner die 9 Temperaturprofile auf Tafel XXVIII bis
XXXII, welche die vertikale Temperaturverteilung im Meere geben. Es sind
hierfür 3 Schnitte in meridionaler Richtung und 6 Schnitte in nahe ost-
westlicher Richtung gegeben.
Auf drei Karten ist die Verteilung des Salzgehaltes an der Meeresober-
fläche und am Meeresgrund gegeben. Tafel XXXVI gibt die Verteilung der
Wasserfarbe, nebst Angaben über die Durchsichtigkeit des Meerwassers. Auch
ist eine Karte der Strömungen der Meeresoberfläche im Nordwinter mit An-
gaben über die Eisverhältnisse im südlichen Eismeere beigefügt.
Es würde zu weit gehen, auf alle diese Verhältnisse hier näher einzu-
gehen. Es genügen die mitgöteilten Resultate, um anzudeuten, wie erfolgreich
die „Valdivia"-Expedition auch auf dem Gebiete der Ozeanographie und mari-
timen Meteorologie gewesen ist.
Geographische Neuigkeiten.
Asien.
* Bahnbauten im Ural. Nach den
Mitteilungen ruasischer Zeitschriften hat
die Regierung den Bau d£r sogenannten
Tawda- Eisenbahn bestätigt, die in
erster Linie dazu bestimmt ist, die Eisen-
hütten des Ural mit Holzkohlen aus den
bisher unberührten Wäldern des Fluß-
gebietes der Tawda zu versorgen. Die
Tawda -Eisenbahn wird bei der Station
Newjansk von der Uralbahn Perm — Je-
katerinenburg nach Osten abzweigen, über
Tirbit in nordöstlicher Richtung bis nach
Tabarinskaja an der Tawda, einem Neben-
flufs des Tobol, geführt werden und in
dieser Richtung etwa 363 km Länge um-
fassen. Die Tawda ist größtenteils schiff-
bar und empfängt aus dem Ural zahl-
reiche, teils schiffbare, teils flößbare
Nebenflüsse. Das ganze Flußbecken ist
mit ausgedehnten und bisher unberührten
Wäldern bedeckt^ die auf unabsehbare
Zeiten die üraler Hüttenwerke mit Holz-
kohlen versorgen können. Dieser Um-
stand ist für die gesamte Industrie des
Ural von großer Bedeutung.
Nach den Mitteilungen der St. Peters-
burger Zeitung ist von dem Regierungs-
ausschuß zur Entlast&ng des Knotenpunk-
tes beiTscheljabinsk und zur vollständigen
Umgehung der Jekaterinenburg — Tjume-
ner Eisenbahn die Richtung Tschepzy —
Krassnotimsk — Jekaterinenburg — Scha-
drinsk — Eurgan vorgeschlagen worden.
Qeographische Neuigkeiten.
49
Nach Fertigstellung dieser Linien und der
Tawda-Eisenbahn würden den sibirischen
Erzeugnissen, die entweder mit der Bahn
in Knrgan oder Tscheljabinsk oder auf dem
Wasserwege in Tabarinskaja (a. d. Tawda),
Tjumen (an der Tura, einem Nebenfluß des
Tobol) und Kurgan (am Tobol) anlangen,
drei verschiedene Wege über den Ural
zur Verfügung stehen, die den Durch-
gangsverkehr auf den Hauptlinien ent-
lasten konnten. A. R.
♦ England ist im Begriff, seinen zwei
bisher bestehenden Verbindungslinien
zwischen Vorderindien und Afgha-
nistan, der beschwerlichen und leicht
zu sperrenden Handelsstraße Peschawar—
Eaibarpaß — Kabul und der Eisenbahn
Quetta — Chaman, eine dritte hinzuzufügen,
durch die Kabul, das politische Zentrum
Afghanistans, an das indische Eisenbahn-
netz angeschlossen werden soll. In Rawal-
pindi zweigt von der Hauptlinie Labore —
Peschawar eine Linie nach Südwesten ab,
die bisher auf dem linken Ufer des Indus
ia Kuschalgar endete. In den letzten
Monaten ist nun diese Linie nach dem
rechten Ufer des Indus über Kohat nach
Thal im Kuramtal weitergeführt worden.
Thal liegt am Ausgangspunkte einer guten
Straße durch das obere Kuramtal nach
dem Passe Paiwar, der sich schon auf
afghanischem Gebiet befindet. Dicht hinter
dem Passe teilen sich die Straßen : rechts
nach Kabul, links nach Ghasni — Kandahar.
Da die Entfernung Thal— Paiwar— Kabul
kaum 200 km beträgt, so leuchtet die
Wichtigkeit der neugeschaffenen Linie für
England ein. Bei Kuschalgar wird die
alte Schiffbrücke über den Indus durch
eine große, auf Steinpfeilern ruhende
Eisenbahnbrücke ersetzt. Der Ausbau
der Strecke Kohat— Paiwar ist für 1903 4
in Aussicht genommen. Er bedeutet eine
wesentliche Stärkung der englischen Stel-
lung in den schwer zugänglichen Grenz-
gebieten. (Globus. 82. Bd. S. 362.)
AMka.
♦ Neue Eisenbahnbauten in
Afrika. Im Auftrage des kolonialwirt-
schaftlichen Comit^s wird die Eisenbahn
Lome— Palime in Togo gebaut. Als
Hauptstationen für die Eisenbahnlinie
einigte sich der ausführende Ingenieur
mit den Interessenten auf folgende Orte :
Noeppe, Badja, Asahun, Towe, Kuman,
Towe-Djigbd und Palime. — Die Konzession
zum Bau einer Eisenbahn, welche die
portugiesische Kolonie Angola von
Benguella am Atlantischen Ozean bis
an ihre östliche Grenze durchschnei-
den soll, ist Ende November von der
portugiesischen Regierung dem Engländer
Williams verliehen worden. Die Bahn
soll an der kleinen Lobitobucht (27 km
nördlich von Benguella) beginnen und
quer durch Angola führen; von der Ost-.,
grenze Angolas wird die 1400 km lange
Bahn dann nach den Erzbezirken des
südlichen Kongostaates und Rhodesiens
weitergeführt und eine Verbindung mit
der Kap-Kairo- Bahn hergestellt werden.
Nach den Bedingungen der Konzession
behält der portugiesische Staat einen
ausschlaggebenden Einfluß auf das Unter-
nehmen; der Unternehmer erhält als Ent-
gelt das Ausbeutungsrecht für alle Mine-
ralien, die sich in einer Entfernung von
120 km zu beiden Seiten der Bahn vor-
finden werden; der Bau der Bahn wird
möglichst beschleunigt werden. — Zur
Ausführung der Vorarbeiten zum Bau der
Katanga-Bahn hat sich am 24. Okt.
1902 eine belgische Expedition in Ant-
werpen eingeschifft. Diese Eisenbahn
soll von Vue am Tanganjikasee ausgehen,
nach dem Moerosee und an dessen west-
lichem Ufer entlang nach dem linken
Ufer des Luapula bis zur Südgrenze des
Kongostaates führen und die dortigen
Erzdistrikte erschließen. Wie englische
Blätter berichten, soll diese Bahn das
Glied der Rhodes'schen Kap-Kairo-Bahn
ersetzen, das nach den früheren Ab-
machungen eigentlich durch Deutsch -Ost-
afrika fähren sollte. Die Chartered-Com-
pagnie läßt gegenwärtig die Kap -Kairo -
Bahn über Buluwajo hinaus weiter-
bauen bis zu den großen Viktoria-Fällen
im oberen Sambesi, was ebenfalls eine be-
deutende Abweichung von der ursprüng-
lich geplanten Strecke nach Westen
bedeutet. Der Bau einer großen Stahl -
brücke über den Sambesi bei den Viktoria-
Fällen macht -die Fortführung der Bahn
in dieser Richtung wahrscheinlich, so daß
hier in Südafrika ein aus der Benguella-,
der Katanga- und der Kap-Kairo-Bahn
bestehendes Eisenbahnnetz in der Bildung
begriffen ist, welches sowohl Deutsch-
Südwestafrika wie Deutsch-Ostafrika ge-
flissentlich umgeht.
a«ogr»phltche Zeitichrift. 9. Jahrgang. 190S. 1. Heft.
50
Geographische Neuigkeiten.
* Der gro&e Nilstaadamm bei
Afisuan ist nach seiner Fertigstellung
am 10. Dezember in feierlicher Weise der
Benutzung übergeben worden. In An-
wesenheit des Ghedive und des Herzogs
von Connaught, der am 12. Febr. 1899
den Grundstein zu dem Riesenbauwerk
gelegt hatte (V. Jhrg. 1899 S. 299), wurde
von der Herzogin von Connaught der letzte
Stein in den Damm eingefügt, vorauf
der Ghedive die Maschinen in Bewegung
setzte und die fünf Schleusen öf&iete,
durch die sich das Wasser mit gewalti-
gem Rauschen ergoß. Alsdann fuhren
die Festteilnehmer an Bord von Dampfern
als erste durch die Dampferschleuse des
großen Dammes nach Assuan zurück. Durch
den 2 km langen Damm wird der Nil
zu einem 167 km langen See aufgestaut,
dessen Oberflache ungefähr der des Genfer
Sees gleichkommt, und dessen durch zahl-
reiche Kanäle und Gräben über das Land
verteilte Wasser genügen wird, viele
Tausend Morgen bisher unfruchtbaren
Landes kulturfähig zu machen. Gegen-
wärtig wird nun das Wasser des Nils
an drei Stellen durch große Stauwerke
angestaut und zur Bewässerung und Be-
frachtung des Niltales verwandt: Durch
den soeben vollendeten Staudamm bei
As^an, durch den Nildamm bei Assiut,
durch den das zur Bewässerung des Fajum
nötige und durch den Bahr Yussuf dort-
hin geleitete Wasser angestaut wird, und
durch das große Stauwerk an der süd-
lichsten Spitze des Deltas, durch welches
das ganze zur Bewässerung des Deltas
nötige Wasser erhalten wird. Der durch
diese Kulturarbeiten bewirkte Fortschritt
in der Entwicklung Ägyptens bekundet
sich deutlich in der Tatsache, daß sich
die Bevölkerung Ägyptens in den letzten
siebzig Jahren von 2 auf 10 Millionen
vermehrt hat.
♦ Oljer die Lage der Nilquellen
machte Dr. Kandt auf Grund seiner
mehrjährigen Forschungsreise westlich
vom Viktoriasee in der Berliner Ges. f.
Erdkunde eingehende Mitteilungen, nach
denen die von Oskar Baumann entdeckte
Nilquelle nicht die Quelle des Hauptquell-
flusses, sondern die eines untergeordneten
Zuflusses desselben ist. Beide Forscher
sehen übereinstimmend den Kagera als
den größten Zufluß des Viktoriasees für
den Quellfluß des Nil an. Während aber
Baumann den Ruwuwu, den von Süden
kommenden Quellfluß des Kagera, fflr
dessen Hauptquellfluß und infolgedessen
seine Quelle für die eigentliche Nilquelle
hält, ist Kandt mit Graf Götzen, v. Trotha,
Ramsay und anderen Forschungsreisenden
der Ansicht, daß der von Norden kom-
mende Quellfluß des Kagera, der Njawa-
rongo, wasserreicher und deshalb der
Hauptquellfluß des Kagera ist. Nach den
Forschungen Kandts ist weiterhin der
Rukarura als der Quellfluß des Njawa-
rongo anzusehen, so daß die Quelle des
Rukarura, die Kandt in einem Felskessel
fand, wo sich da» Wasser tropfenweise
sammelte, die wahre Nilquelle wäre.
Australien.
# Der Bau einer transkontinenta-
len australischen Eisenbahn (Jahrg.
1902 S. 542), welche den Kontinent in nord-
südlicher Richtung durchschneiden soll, ist
seiner Verwirklichung dadurch bedeutend
näher gerückt, daß die Regierung von Süd-
Australien zu Angeboten für den Bau der
transkontinentalen Eisenbahn gegen Über-
lassung von Ländereien aufgefordert hat.
Die Notwendigkeit für die Ausführung
des Baus der Bahn ergab sich aus ver-
schiedenen Gründen: Süd- Australien hat
unter Aufbringung bedeutender Geldopfer
Nord-Australien zum Staatswesen organi-
siert; aber trotz des großen Mineral-
reichtums und der ausgedehnten Gras-
ebenen ist Nord-Australien bisher unpro-
duktiv geblieben, die Schuldenlast des
dünnbevölkerten Landes beträgt 42 MilU
Mark, wozu noch 16 Mill. Mark Barvor-
schüsse seitens der Kolonie Süd- Australien
kommen. Durch den Bau der Eisenbahn
gedenkt Süd- Australien den Norden zu er-
schließen und seine natürlichen Reich-
tümer nutzbar zu machen, um dadurch
wieder zu seinem Gelde zu kommen.
•Außerdem gilt es, dem Bau einer andern
nordsüdlichen Linie von Melbourne aus
zuvorzukommen, und endlich hofft man
in Süd-Australien auf einen starken Ver-
kehr auf der neuen Überlandbahn, die
den Überlandverkehr der transsibirischen
Bahn aufnehmen soll und dann ein Glied
in der kürzesten Verbindung zwischen
Europa und Südost- Australien bilden wird.
Der selbst tiefverschuldete Staat Süd-
Australien, der bei nur 860 000 Einwohnern
eine Schuldenlast von 540 Mill. Mark zu
Geographische Neuigkeiten.
51
verzinsen hat, konnte unter diesen Um-
ständen den Bau der Bahn nicht selbst
in die Hand nehmen, weshalb er sich
entschloß, den Bau durch eine Privat-
gesellschaft ausführen zu lassen und da-
für dieser Gesellschaft ausgedehnt« Län-
dereien zu beiden Seiten der Bahn zu
überlassen. Wenn auch der Boden im
Innern Australiens fast wertlos ist, so ist
doch der Mineral reich tum des Nordens
so bedeutend, daß sich sicher Unternehmer
für die Ausführung des Baus finden wer-
den. Von der Bahn ist sowohl im Süden
wie im Norden bereits eine Teilstrecke
im Betriebe, im Süden die 1088 km lange
Strecke bis Oodnatta und im Norden die
320 km lange Strecke bis Pine Creek,
die bis jetzt als tote Linien die Betriebs-
kosten nicht deckei^. Die zwischen bei-
den Endpunkten zu erbauende Verbin-
dungsbahn wird eine Länge von ungefähr
2000 km haben; sie soll sich an die
Oberland telegraphenlinie anschließen, ihre
Spurweite muß 1,067 m betragen; der
Bau wird an beiden Enden begonnen
und binnen 8 Jahren vollendet sein.
Nord-Amerika.
♦ Den Bau einer zweiten kana-
dischen Pacificbahn, die eine nörd-
lichere Richtung als die erste einhalten
soll, hat die kanadische Grand-Trunk-
Eisenbahngesellschaft ins Auge gefaßt.
Der Ausgangspunkt der neuen Bahn soll
entweder North Bay (am Nipissing-See)
oder Cravenhurst, beide in der Provinz
Ontario, an der Grand-Trunk- Linie, wer-
den; von da soll sie durch den Norden
Manitobas, Saskatchewan, Assiniboia und
Alberta, dann über den Peacefluß oder
den Pine Riverpaß nach Britisch-Kolum-
bien hineingef^ührt werden, wo sie wahr-
scheinlich in Port Simpson ausmünden
wird. Letzterer Hafen gilt als der beste
nördlich von San Francisco; er liegt an
der Dixonbucht, zwischen der Prinz von
Wales- und der Königin Charlotte-Insel.
Die Strecke würde ziemlich gerade und
etwa 4150 km lang sein; die Entfernung
von der Pacificbahn würde durchschnitt-
lich 460 km betragen. Von dem ^ipis-
singsee würde die vorhandene Linie der
Grand Trunk-Gesellschaft nach Osten zu
die Verbindung nach Quebec abgeben.
Die Kosten dieser neuen Strecke werden
auf 96 Mill. Doli, oder rund 400 Mill.
Mark angeschlagen. Bei dem Bau soll
dafür gesorgt werden, daß die neuesten
Errungenschaften der Technik verwendet
werden. Die Bahn soll 1907 vollendet
sein. In Kanada betrachtet man das ganze
Unternehmen als eine Konkurrenz gegen
die sibirische Eisenbahn Die Entfernung
von Quebec nach Yokohama über Port
Simpson soll um 1160 km kürzer sein als
über Vancouver, den Endpunkt der Kana-
dischen Pacificbahn am Pacifischen Ozean,
und Großbritannien könnte infolgedessen
seine Truppen schneller nach der Mand-
schurei befördern, als dies Rußland von
Moskau aus über Wladiwostok zu tun
vermöge. An der Prosperität der neuen
Linie wird bei dem mächtigen Empor-
blühen des kanadischen Westens nicht
gezweifelt; infolgedessen sind auch keine
Regierungszuschüsse oder sonstige staat-
liche Unterstützungen zum Bau gefordert
worden.
8ttd-Auierika.
* Der chilenisch-argentinische
Grenzstreit ist durch den am 25. No-
vember erfolgten Schiedsspruch des Königs
Eduard von England nun definitiv ent-
schieden. Nach Anhörung der von beiden
Parteien nach London entsandten Sach-
verständigen hat König Eduard keiner
von beiden Parteien das ganze streitige
Grenzgebiet zusprechen können. Er hat
vielmehr das 94000 qkm große Grenz-
gebiet zwischen beiden Parteien derart
geteilt, daß Chile 64000 qkm und Argen-
tinien 40000 qkm erhält. Damit ist ein
Streit beendet, der seit fast 20 Jahren die
Gemüter der beteiligten Nationen oft in
derartige Erregung versetzte, daß ein
Krieg unvermeidlich schien, und daher
Unsummen Geldes verschlungen hat.
* Durch die Entdeckung einer
Wasserstraße erhält das Kartenbild
von der Fjordküste Südwest -Patago-
niens ein etwas verändertes Aussehen.
Im Juni 1902 gelang dem chilenischen
Leutnant Gajardo die Auffindung der
Wasserstraße, die dem Meerbusen Obway
Waters und seiner sich landeinwärts an-
schließenden Fortsetzung Skyring Waters
nach den westlichen Fjorden einen Aus-
weg schafil. Es ist ein schmaler Meeres-
arm, welcher vom Südwestende der Sky-
ring Waters (Bahia del Despejo) nach dem
Golf von Xaultegua (Beaufort Bay) führt;
52
Geographische Neuigkeiten.
derselbe ist etwa 140 km lang, von denen
die ersten 76 km mit dem Dampfer, die
letzten 66 km nur im Boot befahren wer-
den konnten. Der Kanal ist durchschnitt-
lich 460 m, an seiner schmälsten Stelle
nur 100 m breit. König William IV.-Land
ist also nicht eine Halbinsel, wie bisher
angenommen wurde, sondern eine Insel.
Nach den vorläufigen Angaben liegt der
Kanal unter 62« 41' s. Br. und 72*40' w. L.
Da der Kanal für größere Fahrzeuge nicht
schiffbar zu sein scheint, so hat er selbst
für die Umgebung der Skyring Waters,
welche zur Ansiedlung geeignet sein soll,
noch keine Bedeutung; gelingt es später,
die Hindemisse fOr die Befahrung zu be-
seitigen, so wird er allerdings die Fahrt
von Skyring Waters nach der Westküste
und den chilenischen Häfen abkürzen.
(Pet. Mitt. 1902. S. 267.)
Polarlftnder.
♦ Nach der Ost- und Westküste
Grönlands waren von der dänischen
Grönland-Kommission mit Unterstützung
des Carlsberg-Fonds je eine Expedition
gesandt worden, die jetzt wieder glück-
lich nach Kopenhagen zurückgekehrt sind.
Die ostgrönlÄndische Expedition bestand
aus Mag. scient. C. Kruuse und seiner
Gattin; ihre Hauptaufgabe bestand in
botanischen Untersuchungen. Am 16. Aug.
1901 brach die Expedition mit dem Post-
dampfer „Godthäb^^ von Kopenhagen auf
und traf, nachdem sie 10 Tage durch Eis in
der Dänemark-Straße aufgehalten war, am
6. September in Angmagsalik, der ein-
zigen Regierungsstation an der Ostküste,
ein, Der Winter war lang und streng,
aber ruhig; von Mitte Dezember bis Mitte
Juni lag das Eis längs der Küste fest.
Vom 16. Juni bis 8. August wurden die
beiden großen Fjorde Angmagsalik und
Sermilik mittels Motorboots befahren. Die
Flora dieses Gebietes besteht aus 110—116
Arten Phanerogamen und Gefäß-Krypto-
gamen außer niederen Pflanzen; zoolo-
gische Sammlungen wxurden angelegt und
biologische und ökologische Untersuchun-
gen ausgeführt. Die Lieder, religiösen
Vorstellungen etc. des hier wohnenden,
isolierten Eskimostammes wurden gesam-
melt, und dadurch die von Kapt. Holm
1884 zusammengebrachte Sammlung ver-
vollständigt. Am 2. September 1902 er-
folgte die Abreise über Julianehäb am
südlichen Teil der Westküste; ohne Eis
angetroffen zu haben, kam das Schiff be-
reits am 28. September in Kopenhagen an.
Die Expedition nach Westgrönland
(Jakobshavn — Jsfjord und den etwas süd-
licher liegenden Gegenden) bestand aus
dem Privatdozenten Dr. Enge 11 und dem
Oberleutn. Schjörring. Nach einer
sieben Wochen dauernden Reise kam sie
am 19. Juni in Jakobshavn an, ging von
dort aus mit Boot nach dem Tasiusak-
Fjord, um zu triangulieren und zu photo-
graphieren, und machte eine photo-
grammetrische Aufoahme. Femer unter-
suchte Dr. Engeil die Gletscher und
die Gletscherbewegung und die Einwande-
mng von Pflanzen in einem neuerdings
trockengelegten Gebiet, aus dem das
Wasser verschwunden war, nachdem der
Gletscher sich zurückgezvgen hatte. End-
lich vermaß er die noch unbekannten,
weiter südlich liegenden Gegenden. Die
Expedition kehrte am 22. Oktober nach
einer 6*/, Wochen dauemden Reise nach
Kopenhagen zurück. (Pet. Mitt. 1902. S. 267.)
♦ Die englische antarktische
Hilfsexpedition auf der „Moming**
ist nach einer ungewöhnlich langen Fahrt
von vier Monaten, während der das Schiff
nur einmal kurz vor Kapstadt von einem
anderen Schiffe angesprochen wurde, am
16. November wohlbehalten in Lyttelton
auf Neu-Seeland angekommen. Das Schiff
hat sich während der stürmischen Reise
als überaus seetüchtig bewiesen, so daß
die Expeditionsmitglieder mit Vertrauen
in die Zukunft blicken. Nach beendeter
Ergänzung der Vorräte und der Aufnahme
von Kohlen gedachte die Expedition am
2. Dezember wieder in See zu gehen und
südwärts zu steuern.
Persdnliehes.
♦ Der Leiter der Deutschen Seewarte
in Hamburg, Wirkl. Geh. Admiralitätsrat
Dr. G. V. Neumayer, gedenkt am 1. April
in den Ruhestand zu treten und hat bereits
einen mehrmonatigen Urlaub angetreten.
♦ Dem Privatdozenten der Geographie
an der Technischen Hochschule in Darm-
stadt Dr. G. Greim wurde der Titel
Professor verliehen.
♦ Dem Privatdozenten der Geographie
au der Technischen Hochschule in Wien
und Assistenten am k. k. naturhistorischen
Hofmuseum, Dr. August Böhm Edlem
vonBöhmersheim wurde der Titel eines
außerordentlichen Professors verliehen.
BücherbeBprechungen.
53
Baeherbesprechiingen.
Schulze^ Franz. Balthasar Springers
Indienfahrt 1605—1606. (Drucke
und Holzschnitte des 16. und 16. Jahr-
hunderts in getreuer Nachbildung.
Vm. Bd.) VI u. 100 S. Straßburg,
Heitz 1902. JL 16.—.
Bereits im Jahre 1897, als man sich in
Portugal auch literarisch auf das Indien-
Jubiläum rüstete, tauchte in Deutschland
der Gedanke auf, die hinterlassenen Be-
richte unserer beiden ersten Indienfahrer
Hans Mayr und Balthasar Springer oder
Sprenger, die den Admiral Almeida 1606
nach Calicut begleitet hatten, in einer
würdigen Ausgabe zu veröffentlichen. Leider
gelang es damals nicht, einen Verleger
für das Unternehmen zu interessieren, und
so mußte es zunächst unterbleiben. Seit-
dem haben sich glücklicherweise die
Verhältnisse geändert, und so ist es dank
einer Unterstützung des Vereins für Erd-
kunde zu Leipzig möglich geworden, we-
nigstens Springers „Merfart vnd erfarung
nüwer Schiffung^^ nach der Ausgabe von
1609 in Faksimiledruck zu reproduzieren.
Auf Anregung Friedrich Ratzeis unter-
nahm es einer seiner Schüler, einen Kom-
mentar zu diesem Werke zu verfassen.
Diese Arbeit liegt hier vor, und sie darf
als gründlich, gewissenhaft und wohlge-
lungen bezeichnet werden, wenn man auch
die Bemerkung nicht unterdrücken kann,
daß die ausländische Literatur, insbe-
sondere die portugiesische, noch etwas aus-
giebiger hätte herangezogen werden kön-
nen. Schulze unternimmt es zunächst, auf
Grund archivalischer Studien das wenige
zusammenzustellen, was über die Lebens-
umstände Springers zu ermitteln war. Dann
bespricht er eingehend die verschiedenen
Ausgaben des Springerschen Reisewerkes,
die einzige lateinische Handschrift in
Gießen und ihren Abdruck durch die ge-
lehrten Mauriner Martine und Durand von
1724, die beiden deutschen Ausgaben, eine
größere von 1609 und eine kleinere ohne
Jahr, beide mit Holzschnitten, endlich eine
flämische Bearbeitung aus dem Jahre 1608.
Hierauf vergleicht er Springers Erzählung
mit den übrigen gleichzeitigen Berichten
über dieselbe Fahrt und weist ihre nicht
unbeträchtliche wissenschaftliche Bedeu-
tung namentlich in geographischer und
ethnographischer Hinsicht nach.
Viktor Hantzsch.
BranheSy Jean. L'Irrigation, ses
conditions g^ographiques, ses
modes et son Organisation dans
la päninsule Ib^rique et dans
TAfrique du Nord. 679 S. Paris,
Naud 1902.
Die Frage der künstlichen Berieselung
einmal auf einer breiteren Grundlage und
unter gründlicher Untersuchung einiger
wichtigerer Schauplätze zu behandeln, so
daß es möglich war, die Vielseitigkeit
der Bedingungen, Beziehungen, Ein-
wirkungen u. s. w. klar heraus zu schälen,
muß als ein sehr glücklicher Griff be-
zeichnet werden. Man wird heute, wo die
Erde der sich mehrenden Menschenzahl
überall zu eng wird, sofort daran denken,
daß es sich dem Verf. in erster Linie
um Untersuchung der Möglichkeit handle,
durch Verwertung des Wassers bisher
höchstens für Nomaden bewohnbare
trockene Erdgegenden dichter Besiedelung
zu erschließen. Doch deutet er davon
nichts an, obwohl sofort hervorgehoben
werden muß, daß seine Untersuchungen
auch in dieser Richtung von der größten
Bedeutung sind, der Praktiker, der Tech-
niker, der Kolonialpolitiker viel aus dem
Werke lernen kann. Es hätte auch nahe
gelegen, vielleicht einleitend den ganzen
trockenen Erdg^ürtel der alten Welt ins
Auge zu fassen, von Zentral-Asien und
Indien, ja vielleicht von China bis Marokko,
wo seit den ältesten Zeiten künstliche
Berieselung geübt worden ist und örtlich
zu einer ungeheuren Verdichtung der Be-
völkerung und zur Entwicklung von Brenn-
punkten höchster menschlicher Gesittung
geführt hat. Weil derartige Untersuchun-
gen in Turkestan, Iran, Südwest- Arabien
und Mesopotamien außerordentlich schwie-
rig sind, weil Indien femer liegt, be-
schränkte sich der Verf. vorläufig auf die
näher liegenden Gebiete der Iberischen
Halbinsel und Nord -Afrikas. Vielleicht
hat er diese weiteren Ziele schon im
Auge, ja auch das, was die modernste
Menschheit auf diesem Gebiete geleistet
54
Bücherbesprechungen.
hat — eine Studie von ihm über Kali-
fornien liegt schon vor. Wir dürfen viel-
leicht hoffen, daß er nunmehr diese
femer liegenden und wohl auch größeren
Aufgaben in Angriff nimmt, denn nie-
mand ist 80 gut vorbereitet wie er und
wenige werden im stände sein, so scharf-
sinnig wie er die ursächlichen Wechsel-
beziehungen zwischen dem geographi-
schen Faktor des Wassers in trockenen
Erdgegenden und dem Menschen heraus-
zufinden und klar zu legen. Denn es
kann keinem Zweifel unterliegen, daß
Zentral - Asien , Turkestan u. s. w. noch
manche neue Seite dieser Frage enthüllen
werden. Auch dürfte da ein Eingehen
auf das Geschichtliche, das der Verf.
bisher kaum gestreift hat, förderlich sein.
Brunhes bezeichnet sein Werk als eine
antbropogeographische Studie und stellt
daher in der Einleitung methodische Be-
trachtungen über Einordnung und Be-
deutung derartiger Untersuchungen an.
Es trägt durchaus streng wissenschaft-
lichen Charakter und zwar, was besonders
betont werden soll, streng geographischen
Charakter, der Verlockung, darüber hinaus
zu gehen, ist der Verf. nirgends gefolgt.
Er erscheint in ihm als ein vorzüglich
geographisch und philosophisch geschulter,
als ein geographisch scharfsinniger Kopf.
Seine Doppeleigenschaft als Professor der
Geographie in Freiburg in der Schweiz
und am College libre des Sciences sociales
in Paris prägt sich in dem Werke aus.
Der Verf. beschäftigt sich seit vielen
Jahren mit derartigen Fragen, wie eine
lange Reihe kleinerer Veröffentlichungen
zeigt, und ging wohl vorbereitet daran, an
Ort und Stelle, auf lange ausgedehnten
Reisen durch Spanien, Algerien, Tunesien
und Ägypten durch Selbstsehen, durch
Besprechungen mit den besten Kennern
der Verhältnisse, durch Benutzung ge-
d ruckter und ungedruckter Aufzeichnungen
die Fülle von Stoff zusammenzubringen,
dessen wohlgeordneten Extrakt er uns
hier in knapper, klarer, formgewandter
Darstellung vorlegt. Ich stehe nicht an,
sein Werk als eine der hervorragendsten
Erscheinungen auf geographischem, auf
anthropogeographischem Gebiete im letzten
Jahrzehnte zu bezeichnen. Zur Kennzeich-
nung des Inhalts, auf den näher einzu-
gehen hier der Raum fehlt, möge be-
merkt werden, daß das Werk durch die
Schilderung des tatsächlichen Bestandes
der künstlichen Berieselungen auf der
Iberischen Halbinsel, in den Atlasländem
und in Ägypten nicht nur ein wichtiger
Beitrag zur Landeskunde dieser Länder
ist, sondern vor allem, und das lag dem
Verf. am meisten am Herzen und darin
liegt der allgemeine Wert seines Werkes,
nach allen Seiten hin die ursächlichen
Wechselbeziehungen zwischen dem Wasser,
insofern es zur Berieselung trockener Erd-
gegenden verwendet wird, und dem
Menschen, die Beeinflussung des Landes
und der Landesnatur durch den Menschen
mit Hilfe des Wassers klar legt. Ganz
anders gestalten sich die Berieselungs-
Systeme, die wasserrechtlichen Verhält-
nisse u. s. w., je nachdem die Wasser-
zufuhr besonders in der Zeit, wo es am
nötigsten ist, reichlich und annähernd
gleichmäßig ist, wie in der Umgebung
großer natürlicher Wasserbehälter, wie in
der Sierra Nevada, der Djurdjura oder
Aures — ich möchte noch hinzufügen im
Hohen Atlas über der subatlantischen
Hochebene von Marokko; anders wo man
mit dem Wasser sorgsam haushalten muß,
wie in der Küstenebene von Valencia, im
trockensten Südosten Spaniens, im Ebro-
becken, in West-Algerien u. s. w., die alle
untereinander wieder Unterschiede der
geographischen Bedingungen aufweisen ;
anders in Ägypten, wo ein großer Strom
das Wasser femer Erdgegenden der
Wüste zuführt. Die gproßen, teils schon
früher, teils wohl in diesem Augenblicke
vollendeten Arbeiten der Engländer in
Ägypten und ihre Folgewirkungen werden
besonders eingehend besprochen. Die
zusammenfassen den Schlu ß betrach timgen
S. 426 — 40 über die Bewässerung in
trockenen Ländern, über reale Beziehungen
zwischen der Natur und dem Menschen,
über natürliche hemmende und natürliche
beeinflussende Bedingungen, über die
kritische Tragweite der Anthropogeo-
graphie sollten von jedem Geographen
gelesen werden, müssen aber auch der be-
sonderen Beachtung des Philosophen und
Geschichtsphilosophen empfohlen werden.
Das Werk macht überall den Eindruck
gründlicher Studien, großer Zuverlässig-
keit und Sorgfalt bis ins kleinste. Es
enthält nicht nur zahlreiche Literatur-
nachweise unter dem Text, sondern auch
eine bibliographische Zusammenstellung
Buch erb esprechungen.
55
der wichtigsten Literatur (S. 619 — 67). I
Eine Inhaltsübersicht und ein Namenver- ;
zeichnis erleichtem die Benutzung. Die '
Ausstattung ist vornehm; eine Reihe ,
von Karten, alle im gleichen Maßstabe
von 1 : 7600000, und zahlreiche, ganz vor-
trefflich den Text veranschaulichende
Bilder, die fast ausnahmslos auf Aufnahmen
des Verf. beruhen, kommen dem Ver-
ständnis entgegen. Ein Anhang (S. 441
bis 618) enthält Anmerkungen und Beleg-
stücke , wasserrechtliche Verordnungen,
Verträge, Satzungen von Bewässerungs-
gesellschaften u. dgl. Th. Fischer.
Freytag, 6. Export- Atlas für Welt-
handel und Industrie. Querfolio,
27 Taf. u. K. Wien, G. Freytag &
Bemdt. geb. JL 17.—.
Der Atlas ist wesentlich statistisch.
Der Hauptinhalt besteht in Diagrammen,
die Ein- und Auefuhrwerte der Haupt-
artikel des Handels (für 1898) darstellen.
Der Mitte der einzelnen Tafeln sind Über-
sichtskärtchen der betreffenden Länder
eingefügt, und im Anhange ist eine Karte
der „Verkehrswege für den Weltexport"
im Maßstab 1 : 45 Mill. beigegeben.
E. Friedrich.
HeUmamiy G. Regenkarte der Pro-
vinz Sachsen und der Thüring.
Staaten. Mit erläuterndem Text u.
Tabellen. 31 S. Berlin, Dietr. Reimer
1902. .«: 1.20.
Die in amtlichem Auftrage von Hell-
mann bearbeiteten Regenkarten der preu-
ßischen Provinzen erscheinen in rascher
Folge. Durch die vorliegende Karte der
Provinz Sachsen findet der östliche Teil
Preußens seinen Abschluß. Der neuen
Karte liegen die Beobachtungen von 286
Orten für den Zeitraum 1891—1900 zu
Grunde. Der mittlere jährliche Nieder-
schlag mit 698 mm liegt höher als der
der Provinzen Posen (613), Westpreußen
(641) und Brandenburg (6 56), aber niedriger
als der der Provinzen Pommern (699), Ost-
preußen (600) und Schlesien (680). Das
mehr ebene Gebiet der Provinz Sachsen
kommt jedoch mit 663 mm der Provinz
Brandenburg annähernd gleich. Wieder
erscheint die Regenkarte bis zu einem
gewissen Grade als ein Spiegelbild der
Höhenschichtenkarte. In den Niederungen
sinkt die Regenhöhe unter 600 mm. In
den Flaßtälem der Elbe, Saale, ünstrut
und Helme lagert ein Trockengebiet, ver-
ursacht durch die westlich vorgelagerten
Gebirge. Auf diesen steigt die Nieder-
schlagshöhe auf mehr als 1000 mm, auf
dem Brocken sogar auf 1700 mm. Von
Jahr zu Jahr beobachten wir sehr große
Schwankungen; in Torgau beträgt das
Maximum 768 mm, das Minimum 310 mm.
Innerhalb des Jahres ist fast durchweg
der Juli der regenreichste Monat. Nur
auf den Gebirgen tritt zuweilen im De-
zember das Maximum ein. Aus den Be-
trachtungen über die größten Nieder-
schlagsmengen in kurzer Zeit entnehmen
wir noch, daß bis zu 168 mm an einem
Tag beobachtet sind. Die Zahl der Nieder-
schlagstage im Jahr beläuft sich auf den
Gebirgen auf 200 bis 260, in der Ebene
auf 160 bis 180. Die Karte ist in
1 : 1300000 gezeichnet. Ule.
Nissen, Heinrich. Italische Landes-
kunde. 2. Bd. Die Städte. 1. Hälfte.
480 S. Berlin, Weidmann 1902. Jtl.—,
Nach 19 Jahren erscheint nun endlich
die erste Hälfte des zweiten Bandes von
Nissens Landeskunde des alten Italiens!
Eine langsam, aber sorgsam und gründ-
lich gereifte, köstliche Frucht! Es ist eine
historische Landeskunde des römischen
Italiens, aus der aber auch der Geograph
reiche Belehrung zu schöpfen vermag, die
das Verständnis des heutigen Italiens
(Großgrundbesitz, städtische Nichtstuerei,
Verachtung der ehrlichen Arbeit des Bauern
u. dgl. m.) vielfach zu vertiefen erlaubt.
Der Verf. will in diesem Bande die 11
Regionen Italiens nach der Einteilung des
Augudtus schildern. Es liegt bisher der
Norden und die Mitte bis Picenum und
dem Marsergebiet vor.
Einleitend wird auf 99 Seiten eine
Gesamtübersicht über Alt-Italien gegeben,
in welcher neben den für den Geographen
besonders wichtigen siedelungskundlichen
Betrachtungen solche über Verkehrs- und
wirtschaftliche Verhältnisse im Vorder»
gründe stehen. Den Landstraßen ist ein
besonders lehrreiches Kapitel gewidmet.
Der Einfluß, welchen die Scharen von
römischen Bürgern, die sich zu Erwerbs-
zwecken, gefördert durch die bevorrechtete
Stellung, die sie als solche genossen, über
die Provinzen ergossen, neben Beamten
und Soldaten auf die Romanisierung der-
selben ausübten, wird hell beleuchtet.
56
Bücherbesprechungen.
Wer wird beim Lesen des Satees (S. 90) :
„Die meisten auswärtigen Kriege, die Zer-
störung Karthagos wie die Eroberung Gal-
liens sind ohne triftige Gründe und weni-
ger aus Ehrgeiz als aus Gewinnsucht
unternommen worden^^ nicht an die Gegen-
wart erinnert? Die Volksdichte Italiens
stand in gewissen Gegenden Alt-Italiens
nur um 20— 26 7^ hinter der Gegenwart zu-
rück. Für das festländische Italien kommt
Nissen zurzeit des Augustus auf min-
destens 10 Millionen Freie, im ganzen auf
16 Millionen Einwohner. Um 200 n. Chr.
beträgt die Bevölkerung von Rom nicht
mehr die Hälfte, um 400 nur noch y,,
der zur Zeit des Augustus.
Der größte Teil des Werks ist der
Schilderung der einzelnen Regionen, ihrer
Grenzen und Größe, ihrer Landesnatur,
ihrem Landschaftscharakter und ihren
Erzeugnissen, die meist völlig verschieden
von den heutigen sind, und in erster Linie
der Topographie der Städte gewidmet.
Mit Ligurien wird begonnen; wie ganz
anders erscheint die heutige Gartenland-
schaft von Ligurien im Altertum! Ähn-
lich das Po •Land. Auf die Entwicklung
von Mailand fallen anziehende, neue Schlag-
lichter. Zum Verständnis der G^eschichte,
besonders der Kriegsgeschichte, werden
hie imd da eingehende Schilderungen des
Geländes eingefügt, die nicht selten
Selbstsehen erkennen lassen, überall aber
auf sorgfältiger Benützung der topogra-
phischen Karte beruhen.
In diesem Werke ist eine sichere Unter-
lage für das Studium der Geschichte Alt-
Italiens gegeben. Th. Fischer.
Meyers Reisebücher. Türkei, Rumä-
nien, Serbien, Bulgarien. 6. Aufl.
384 S. 10 K., 30 Pläne, 1 Panorama,
2 Abb. Leipzig u. Wien, Bibl. Inst.
1902.
Der vortreffliche und einzige vorhan-
dene deutsche Reiseführer in den euro-
päischen Orient, über den wir in dieser
Zeitschrift 1898, S. 237, berichtet haben,
ist wiederum in neuer Auflage erschienen.
Sie ist nicht nur sorgfältig durchgearbeitet
und auf dem Laufenden erhalten, sondern
auch wesentlich vermehrt worden. So
sind neu hinzugefügt Pläne von Nisch,
Philippopel, Adrianopel, Timova, gut aus-
geführte Karten der Bahnlinie Nisch —
Philippopel, des Isker-Durchbniches, des
Eisernen Tors; auch eine Tafel mit Ab-
bildungen der türkischen Münzen ist
außerordentlich nützlich für den Neuling
in dem so beispiellos verwirrten türkischen
Münzwesen. Im Text finden wir neu den
Ausflug zum Rilakloster sowie die Bahn-
linien Sofia — Schumla — Vama und Afiun-
karahissar — Alaschehr. Philippson.
Krahmer. Das nordöstlicheKüsten-
gebiet. Rußland in Asien V. Gr. 8*.
VII u. 296 S. 2 kol. K. Leipzig,
Zuckschwerdt & Co. 1902. J(. 8.—.
Wir verdanken dem Verfasser, dem
besten deutschen Kenner der russischen
Kulturarbeit in Asien, bereits drei Bände
des großen Werkes „Rußland in Asien".
Wenn er uns bisher mit Turkestan, mit
der sibirischen Eisenbahn, mit der Mand-
schurei bekannt gemacht hat, so führt
uns der vorliegende stattliche Band in
unbekannte Femen, an verlassene, fast
könnte man sagen an vergessene Küsten,
in ein Land am stürmischen, kalten Meere
unter polarischem Klima, welches Be-
siedelung und Kultur für alle Zeit aus-
zuschließen scheint.
Die Russen kamen schon sehr früh
(1581) an die Küste Nordost- Asiens. Die
Jagd auf kostbare Pelztiere, die Gier
nach Gold, schließlich auch Herrschsucht
der Kosakenführer, welche aus den armen
Volksstämmen der Ureinwohner die Kopf-
steuer pressen wollten, haben dazu ge-
führt, daß bereits im XVIII. Jahrhundert
das Küstenland bis zur Beringsstraße
wenigstens dem Namen nach dem russi-
schen Reiche unterworfen war. Die groß
angelegte Politik Katharinas II. wollte
von den Küstenplätzen des Ochotskischen
Meeres und der Halbinsel Kamtschatka
aus den Handel mit China und Japan
beleben, allein die Entfernungen auf dem
Landwege nach dem europäischen Ruß-
land erwiesen sich als zu groß, um wirk-
lichen Nutzen zu ziehen. Je weiter die
Eroberungszüge der Russen nach Süden
gingen, desto mehr wurde der öde, ge-
fürchtete Nordosten vernachlässigt. In
den letzten Jahrzehnten hatte das nord-
östliche Küstengebiet bald tüchtige, bald
gleichgültige Gouverneure und ist offen-
kundig in Verfall geraten. Hungersnot,
europäische Krankheiten, Branntwein und
Auswucherung haben die schwache Ur-
bevölkerung an den Rand des Erlöschens
Bücherbesprechungen.
57
gebracht, während die wenigen ruBsischen
Besiedler, welche entweder der Zwang
oder die Habsucht hierher geführt hatte,
im Laufe der Zeit unter dem harten Klima
und unter den schwierigen Lebensbedin-
gungen zu entarten drohten. Erst in den
letzten Jahren haben bedeutende russische
Forscher, namentlich Sljunin und 01s-
sufjew, mit rücksichtsloser Hand die
groben Vernachlässigungen und die schwe-
ren Fehler der Regierung gezeigt und mit
sicherem Blick die Wege zur Besserung
erkannt. Die ewigreiche Natur hat mit
ihren Gaben selbst im äußersten Norden
der bewohnbaren Erde nicht gegeizt.
Kamtschatka ist ein Wunderland, aller-
dings in eigenartigem Sinne. Gewaltige
Vulkane erheben sich über Hochgebirge
mit ewigem Schnee fast aus dem Meere
empor, und wenn die Küste auch unter
vulkanischen Einflüssen leidet, so haben
die Uferstriche doch ein hinreichend mildes
Klima, um die dauernde Besiedelung zur
Ausbeutung der reichen Bodenschätze zu
ermöglichen. Kamtschatka ist in dieser
Hinsicht ein Land der Zukunft, geordnete
Zustände und Arbeit einer hohen Kapital-
kraft vorausgesetzt. Das Land längs des
Ochotskischen Meerbusens von der Uda
bis zum Anadjr ist eines der gewaltig-
sten Waldgebiete der Erde, und es
bleibt auch hier nur der Verwaltung an-
heimgestellt, durch Anlage von Straßen,
FlÖßbarmachung von Flüssen, Bau von
Häfen die Holzausfuhr zu heben. Japan
und China werden die Märkte sein. Selbst
der allerfemste Nordosten, die verwahr-
loste Tschuktschen-Halbinsel, hat in ihren
Renntierherden und ebenfalls in ihren
Mineralschätzen große Reichtümer. Die
ganze Küste ist aber von einem Meere
umspült, welches an Waltieren, Seehunden,
Fischen unerschöpflich zu sein scheint,
wenngleich den Staatsverträgen zum Trotz
fast drei Jahrzehnte lang auf das Er-
barmungsloseste Raubfang getrieben wird.
Nur eine sehr kräftige Hand könnte
hier Besserung schaffen.
Das Buch schildert alle diese Zustände
mit packender Anschaulichkeit und ver-
steht es, den Leser für den Stoff zu ge-
winnen, so daß das treffliche Werk nicht
nur dem Geographen, sondern auch dem
Gebildeten überhau^it eine Fundgrube der
Anregung wird. Auf Grund der russi-
schen Fachurteile wird zur Hebung des
Landes vorgeschlagen, daß man die hoff-
nungslosen Versuche des Ackerbaues auf-
geben und dafür staatliche Lebensmittel-
magazine anlegen soll. Regelmäßige
Küstenschiffahrt, Besteuerung der Ein-
geborenen mit Geld, nicht mit Natural-
abgaben, geregelte, streng rechtliche Ver-
waltung, Belebung eines kapitalkräftigen
Unternehmungsgeistes: das sind die Wege,
auf denen Rußland seinen fernen, so lange
mißachteten Besitz zu gedeihlicher Ent-
wicklung bringen kann. Amerika hat
in Alaska das Vorbild gegeben.
Immanuel.
Kontzen, Leopold. Goa im Wandel
der Jahrhunderte. 89 S. Berlin,
Schwetschke u. Sohn 1902.
Die vorliegende kleine Schrift enthält
einen wertvollen Beitrag zur Geschichte
des portugiesischen Kolonialreiches in In-
dien, indem sie die Schicksale von Goa, der
ehemaligen Hauptstadt dieses Reiches, bis
auf die Gegenwart schildert. In der Ein-
leitung gibt der Verfasser zunächst einen
Überblick über die gedruckten Quellen
der Stadtgeschichte. Dabei begnügt er
sich nicht mit einer trockenen Aufzählung
der in Frage kommenden Chroniken und
Reisebeschreibungen, sondern er bemüht
sich, die historische und literarische Be-
deutung dieser Werke und die Eigenart
ihrer Verfasser kurz aber treffend zu
charakterisieren. Dann berichtet er die
Schicksale der Stadt vor der Ankunft der
Portugiesen und ihre Erstürmung durch
Albuquerque, der mit sicherm Blick ihre
für die Verteidigung und den Handel
gleich vorteilhafte Lage erkannte und sie
deshalb zum Mittelpunkt des portugie-
sischen Kolonialreiches, zum Sitz der
weltlichen und geistlichen Behörden und
zur Hauptstation der Kriegsflotte erhob.
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts stand
sie in höchster Blüte. Dann begann
namentlich seit der Vereinigung Portu-
gals mit Spanien und infolge der kühnen
Raubzüge holländischer und englischer
Seefahrer ein allmählich immer rascher
fortschreitender Verfall, der die Stadt bis
zu völliger Bedeutungslosigkeit herab-
sinken ließ. Was die Ungunst der poli-
tischen Verhältnisse nicht vernichtete, das
zerstörte vollends die durch wahllose
Mischung mit den Eingeborenen beschleu-
nigte Indolenz und sittliche Verwilderung
58
Bücher besprechungeil.
u
der Bewohner, die Habsucht und Kor-
ruption der Beamten, die Obermacht der
Geistlichkeit, vor allem die Schreckens-
herrschaft der Inquisition. Es ist ein
ddsteres, aber lehrreiches Bild, das dem
Leser hier vorgeführt wird. — Auch
Deutsche haben sich schon im 16. Jahr-
hundert in Goa niedergelassen, doch geht
der Verfasser leider nicht näher auf sie
ein Über den Augsburger Großkaufmann
Konrad Roth, der in Goa eine Handels-
agentur unterhielt, hätten die gründlichen
Untersuchungen von Johannes Falke und
Konrad Häbler herangezogen werden
sollen. Viktor Hantzsch.
Mohr 9 P* Marokko. Eine politisch-
wirtschaftliche Studie. IV u. 62 S.
Berlin, Siemenroth 1902. JC 1.40.
Der geographische Fachmann wird
der vorliegenden Schrift nur gerecht wer-
den und den mancherlei Bedenken, die
ihm aufstoßen müssen, kein übergroßes
Gewicht beimessen, wenn er sich genau
an den Titel hält. Es handelt sich um
die Schrift eines jungen Kolonialpolitikers,
der die große Bedeutung, welche Marokko
in politischer und wirtschaftlicher Hin-
sicht inne wohnt, klar erkannt hat,
diese weiteren Kreisen unseres Volks in
großen Zügen schildert und unseren Staats-
männern das Gewissen schärfen will, daß
unbedingt keine Entscheidung über die
Geschicke dieses Landes erfolgen dürfe,
die als eine Benachteiligung deutscher In-
teressen angesehen werden müßte. Inso-
fern muß man derselben volle Anerkenn-
ung zollen. Den Satz, daß die Zukunft
im Handel mit Marokko den Deutschen
gehört, wenn demselben von Seiten des
Reichs n|lr die nötige Pflege zu Teil
wird, möchteich unbedingt unterschreiben.
Th. Fischer.
Meyer^ Hans. Die Eisenbahnen im
tropischen Afrika. Eine kolonial-
wirtschaftliche Studie. Mit einer
Eisenbahnkarte von Afrika. X u.
186 S. Leipzig, Duncker & Humblot
1902. JC 4.80.
Wir sind dem Verfasser zu großem
Dank verpflichtet, daß er das überaus
zerstreute und nicht immer leicht zugäng-
liche Material über die afrikanischen
Eisenbahnen gesammelt und in dem vor-
liegenden Buche verarbeitet hat. Es
werden zunächst die Eisenbahnen in den
französischen, englischen und deutschen
Kolonien Oberguineas und des Niger-
gebietes, dann die des Kongobeckens,
des portugiesischen und deutschen Süd-
westafrika, die Bahnen in Rhodesia, zum
Nyassa und Tangaigika, zum Viktoria-
eee, im mittleren Nilgebiet und in Abes-
sinien, sowie endlich diejenigen der ost-
afrikanischen Inseln ausführlich be-
sprochen. Dabei beschränkt sich der
Verfasser nicht darauf, das tatsächliche
Material aneinander zu reihen, sondern
geht überall ein auf die natürlichen Be-
dingungen und auf die wirtschaftlichen
Verhältnisse, welche der Entwicklung
des afrikanischen Eisenbahnnetzes zu
Grunde liegen. Er behandelt auch nicht
nur die bereits gebauten und im Bau be-
findlichen Bahnen, sondern erwähnt und
kritisiert die Projekte, die in den ver-
schiedenen Kolonien aufgestellt wurden.
In einem Schlußkapitel gibt er einen ver-
gleichenden Überblick und erörtert die
Fragen, wo in Afrika Eisenbahnen gebaut
werden sollen, wie gebaut werden, wer
den Bahnbau unternehmen und wie die
Arbeit organisiert werden soll. Es wird
darauf hingewiesen, daß der größte Teil
der afrikanischen Eisenbahnen Stichbahnen
seien, kurze Schienenwege, die bis höch-
stens 400 km ins Innere reichen, so daß
auf ihnen selbst geringwertige Massen-
güter noch verfrachtet werden können.
Diese Bahnen dienen zur Erschließung
der betreffenden Länder; durch sie sollen
die noch schlummernden Krilfte der letz-
teren geweckt werden. Eine zweite Gruppe
von Bahnen bezweckt die Umgehung der
Kataraktenregion eines Flusses (Kongo-
bahn, prgjektierte Schirebahn u. s. w.)
oder die Verbindung zweier schiffbarer
Flüsse mit einander (Senegal-Nigerbahn).
Von der Kongobahn, der einzigen afrika-
nischen Eisenbahn, die sich bis jetzt ren-
tiert, weist der Verfasser nach, daß ihre
Erfolge auf einem staatlich organisierten
Ausbeutungs- und Ausplünderungssystem
beruhen, das später einmal zu einem Zu-
sammenbruch führen muß. Eisenbahnen
von mehr als 400 km Länge gibt es nur
wenige in Afrika. Sie kommen nur dort
in Betracht, wo entweder etwas im Lande
Wertvolles bereits vorhanden ist, oder
wo auf einen erheblichen Transitverkehr
gerechnet werden kann (projektierte
Njassabahn), oder wo außer den wirt-
Bücherbesprechungen.
59
schaftlidhen VerhältnisBeii politische und
militärische Interessen mitspielen (Uganda-
bahn, Bahn Wadi Halfa-Chartum). Er-
wähnt sei noch, daß der Verfasser sich
gegen den Bau einer ostafrikanischen
Zentralbahn ausspricht (sein Standpunkt
in dieser Frage ist ja bereits bekannt),
daß er aber für den Bau einer Stichbahn
Dar es Salaam-Mrogoro eintritt und statt
der Zentralbahn eine ostafrikanische Süd-
bahn von Eilwa zum Nyassa befürwortet,
welche die kürzeste Verbindung des ver-
kehrsreichen Nyassagebietes und auch des
Tanganjika mit der Küste herstellen
vTÜrde. A. Schenck.
Hassert, Kurt. Die Polarforschung.
Geschichte der Entdeckungsreisen zum
Nord- und Südpol von den ältesten
Zeiten bis zur Gegenwart. 166 S.
6 K. u. 2 Taf. „Aus Natur u. Geistes-
welt", Bd. 38. Leipzig, Teubner
1902. .IC 1.25.
Auf diese kleine in allen Hauptsachen
gut orientierende Schrift sei hiermit auf-
merksam gemacht ; sie erscheint zu rech-
ter Zeit, denn durch die Rückkehr der
Expeditionen von Sverdrup, Peary und
Baldwin, sowie durch ihre Berichte über
die erzielten positiven und negativen
Ergebnisse ist die allgemeine Auf-
merksamkeit wieder auJF die Polar-
regionen gerichtet. Zunächst werden die
mancherlei Ziele und Aufgaben der ark-
tischen und antarktischen Forschung in
gemeinverständlicherweise dargelegt, und
sodann folgt eine gedrängte Darstellung
der Geschichte der Polarfahrten von der
ältesten Zeit — für uns Deutsche die
um das Jahr 1040 unternommene Fahrt
friesischer Edelleute in das Eismeer —
bis auf die Gegenwart in folgenden Ab-
schnitten: 1. Die Polarfahrten im Alter-
tum und Mittelalter. 2. Die Nordwest-
und Nordostfahrten bis zum 19. Jahr-
hundert. 3. Die nordwestliche Durchfahrt.
4. Franklin und die Franklinsucher.
5. Grönland und das Vordringen durch
den Smithsund. 7. Das europäische Eis-
meer und seine Inseln. 8. Das sibirische
Eismeer und die nordöstliche Durchfahrt.
9. Die neuesten Vorstöße (bis Herbst
1901), endlich 10. Die Südpolarfahrten.
Die am Schluß eingefügten Kärtchen helfen
die Orientierung erleichtern.
M. Lindeman.
Sch5|ie9 Emil. Die geschichtliche
Entwicklung des geogra-
phischen Unterrichts in der
sächsischen Volksschule bis
zur Gegenwart. 100 S. Dresden,
Köhler.
Auf Grund eines sorgsam ausgewählten
und benützten Quellenmaterials betrach-
tet der Verfasser die geschichtliche Ent-
wicklung des geographischen Unterrichts
in der Volksschule Sachsens unter Be-
zugnahme 1. auf den jeweiligen Stand
der geographischen Wissenschaft; 2. auf
die einschlägigen pädagogischen Zeit-
strömungen; 8. auf die sächsische Lehrer-
bildung. Zuerst zeichnet er ein Bild von
den kärglichen Ansätzen des Unterrichts
in der Erdkunde vor dem Erlaß der
Schulordnung von 1773. Es ist nicht das
Schlimmste, daß für ihn in jenen weit-
entlegenen Zeiträumen eine ausgesprochene
Methodenlosigkeit charakteristisch war.
Aber es ist für die Meinung von dem
bildenden Werte dieses Lehrzweigs in
früheren Tagen kennzeichnend, daß er
vielfach in ammenhafter Art geradezu
dem Amüsement der Schüler zu dienen
hatte. (S. Endesfelders „kurzgefafste
Kindergeographie**. Breslau 1769.) — Zwi-
schen 1778 und 1836 fand zwar der
geographische Lehrstoff äußerlich Auf-
nahme in sämtlichen sächsischen Elemen-
tarschulen. Als selbständiger Unterrichts-
gegenstand existierte jedoch die Erdkunde
bis 1836 nur in den gehobeneren Schul-
anstalten. Und auch hier glich die
geographische Belehrung im allgemeinen
noch einem aus lose aneinandergereihten
Steinchen zusammengesetzten Mosaikbild.
Dazu glaubte man, daß ihr formaler
Bildungswert wesentlich auf der Ge-
dächtnisbildung beruhe. — In einer
3. Abhandlung erweist Schöne mit Ge-
schick, wie sich der erdkundliche Unter-
richt in sämtlichen Volksschulen Sachsens
von 1836 — 1873 zu einer selbständigen
Disziplin bei innerer Vertiefung auf
Ritterscher Grundlage durchrang. — Seine
abschließende Betrachtung aber widmet
der Verfasser der Lage des Greographie-
unterrichts in der sächsischen Volksschule
seit dem Erlaß des Schulgesetzes im
Jahre 1878. Er streift dabei alle bedeut-
sameren, die Schulgeographie in der
Gegenwart bewegenden Fragen und zeigt
anschaulich, wie regsam man gerade in
60
Bücherbesprechungen.
Sachsen auf diesem Unterrichtsgebiete
vorgeht. Eben ihrer letzten Abschnitte
wegen verdient die Schrift auch außer-
halb der sächsischen Grenzpfähle Beach-
tung. Christian Gruber.
Becker, Anton u. Mayer, Jnling. L e r n -
buch der Erdkunde. I.Teil. IV u.
92 S. 6 Textfig., 4 Abb. u. 6 K. im
Anhange. Wien, Deuticke 1902.
Geh. K. 1.40, geb. K. 1.80.
Der Titel könnte noch genauer sein,
wenn er den Zusatz ,,für niederöster-
reichische Schulen*' trüge; denn auf deren
Schüler ist das Buch zugeschnitten. Es
wird damit sofort einer Grundforderung
modernen erdkundlichen Unterrichts ge-
recht, die sonst Erdkunde -Lehrbücher
zu erfüllen meist nicht in die Lage kom-
men, nämlich wirklich auf dem in der
Heimat, der angeschauten und durch-
wanderbaren Umgebung, zu fußen. Auch
im weiteren Verlauf macht das Buch einen
sehr Vertrauen erweckenden Eindruck.
Kleine Ungenauigkeiten werden bei Erst-
auflagen nie zu vermeiden sein, ich notiere
z. B. gleich auf S. 3 die Bemerkung, daß
die Sonne um 9*»a. im SO und um 8*»p.
im SW stände, eine Unrichtigkeit, die bei
aller gebotenen Verallgemeinerung doch
wohl zu weit geht. Ich sehe aber davon
ab, um zur Hauptsache zu kommen: das
Buch rührt von Fachleuten her, d. h. es
ist von Männern verfaßt, die nicht nur
in ihrer Wissenschaft genügend heimisch
waren und an Schulen hie und da einige
versprengte Unterrichtsstunden gegeben
haben, sondern die sich aus breiter Unter-
richtspraxis heraus, wie wir sie im Reiche
leider gar nicht kennen lernen können,
ein für ihren Lehrgegenstand passendes
Unterrichtsmittel geschaffen haben. Damit
berühre ich aber den Kern der Lehrbücher-
frage überhaupt, wie ich sie verstehe, und
ich möchte das hier tun im Hinblick
auf des zweit genannten Verfassers Äuße-
rungen zu dieser Angelegenheit (Zeitschrift
f. Schulgeographie. XXHT. S. 299). Aus
dem Fachlehrertum der österreichischen
Anstalten hat sich ganz natürlich und be-
rechtigt erst die Lehrbuchfrage (vergl.
A. Beckers Diskussion hierüber) und dann
u. a. eine so vortreffliche Lösung dieser
Frage wie das vorliegende Werkchen ent-
wickelt. Wir im Eeich haben wohl auch
die Lehrbuchfrage, aber ihr weit voran
steht die Lehr er frage. Ich unterschreibe
unter keiner Bedingung den Mayerschen
Satz: „Ist der Lehrer methodisch unge-
nügend gebildet, dann ist es um so nötiger,
daß ihm der Leitfaden die Methodik in
jeder Zeile gleichsam greifbar mache*\
sondern bin der Meinung, daß methodisch
ungenügend gebildete Lehrer nicht in
eine höhere Schule gehören, wenn diese
den Anspruch, eine solche zu sein, be-
halten will. Auch das vollkommenste
Werkzeug in ungeschickter Hand taugt
nichts, der Fachmann aber wird auch
mit unvollkommeneren Mitteln schon aus-
kommen. Daß er sich besseres zu ver-
schaffen suchen wird, ist klar; der öster-
reichische Schulgeograph hat das mit Er-
folg gethan und ich ergreife mit Freuden
die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, wie
groß die Verdienste A. Beckers nach
dieser Richtung hin für den geographi-
schen Unterricht an österreichischen
Schulen auch schon vor Erscheinen seines
„Lembuchs" gewesen sind. Das aber an
der von Mayer gewünschten Stelle zu
tun, lag für mich keine Veranlassung
vor, denn ich sprach von den Bedürfnissen
der preußischen höheren Schule und
mußte die nächsten voranstellen und stark
betonen. — Indem ich mich aber zu
Becker - Mayers Lembuch zurückwende,
möchte ich zum Schluß das Buch dringend
allen für Geographieunterricht Interessier-
ten empfehlen, ich glaube, ein jeder von
uns kann noch eine Fülle von Anregung
aus seiner Lektüre mit heimnehmen.
Hch. Fischer.
Uaack^H. Kleiner deutscher Schü-
ler-Atlas. 27 Karten zum Unter-
richt und zur Anregung. Gotha,
Justus Perthes. JL 0.60, geb. ^H.\.—.
Derselbe. Kleiner deutscher Lern-
atlas. 28 stumme Karten zur Wie-
derholung. Ebenda. Preis: derselbe.
Die beiden kleinen Atlanten stimmen
in ihren Karten überein, nur daß 1. Him-
mel und Erde, 26. Völker, Religionen,
26. und 27. zur deutschen und zur bibli-
schen Geschichte in dem „stummen" Atlas
fehlen. Die Karten sind klar und schön, vom
Charakter etwa des bekannten Lüddecke-
Haack, trotz des kleinen Formats, das mit
ca. 20 cm : 20 cm des Deckels noch nicht
die Maße eines Quartheftes erreicht. Ich
gönne dem kleinen deutschen Schüler-
Buch erb esprechüngen.
61
Atlas, vorausgesetzt, daß er nicht einen
größeren, inhaltreicheren Atlas verdrängt,
weiteste Verbreitung; besonders möchte
ich ihn als billiges Geschenkobjekt drin-
gend empfehlen. Kleine Ungenauigkeiten
einer ersten Auflage stören wenig; doch
seien einige zwecks Beseitigung genannt.
No. 26 Westpreußen 1672 statt 1772,
No. 7 Breslau als Festung, No. 9 Utrecht
nicht als Festung, dagegen No. 15 richtig
als solche, No. 10 auf deutschem Gebiet
Niemen statt Memel, Roeskilde darf nicht
ö geschrieben werden, wie Korsör, sondern
mit oe. Die kleinen Schlachtenkarten
vertragen auch eine Nachbesserung, z. B.
müßten die blauen Pfeile auf der Karte
von Wörth z. T. von Norden kommen
(n. bayr. Korps ^ Jäger- und Sauerthal).
Doch das sind alles Kleinigkeiten, die
sich leicht ändern lassen ; die Hauptsache
bleiben die Karten selbst. Der „stumme
Atlas*^ zeigt nun zunächst wieder einmal,
wie sehr das Kartenbild durch die No-
menklatur leidet; die Blätter wirken, be-
sonders hinsichtlich Flußnetz und Oro-
plastik, außerordentlich viel eindringlicher
und harmonischer, so daß der Wunsch,
man bedürfte der Namen nicht, nur zu
rege wird. Jedenfalls wünschte ich, man
gewöhnte sich und Schüler, soweit letz-
teres geht, recht an die Betrachtung sol-
cher reinen Karten. Ich fasse daher
den Titel „Lematlas*^ ein wenig anders
auf, als vielleicht der Verfasser. Ich
wünschte, daß die Betrachter infolge des
Fehlens der Namen die wahre Gestaltung
der Erdoberfläche deutlicher kennen ler-
nen, und lege auf den Vorteil des sich
Überhörenkönnens geographischer Voka-
beln weniger Gewicht, wenn ich ihn auch
nicht als überflüssig bezeichnen will.
Die kleinen Atlanten haben in jeder
Schulmappe Platz, vieUeicht findet sie die
Zukunft in recht vielen.
Heinr. Fischer.
Harms, H. Vaterländische Brd-
kunde. 6. Aufl. 104 Abb. u. 4 färb.
Kärtchen. Braunschweig , Woller-
mann 1902. JL 5.—.
Ein recht anregendes Buch, das sich
durch Selbständigkeit in methodischer
Beziehung und reichen Inhalt vorteil-
haft vor vielen andern Vaterlandskunden
auszeichnet. Ausführliche Behandlung
Deutschlands auf Kosten der übrigen Erd-
räume, Benutzung der Vaterlandskunde
zur Gewinnung allgemeiner geographischer
Gesetze: das ist die Hauptforderung, die
Harms in seinem Buche zu erfüllen sucht.
Als Eigenartiges in letzterem möchten
wir hervorheben: Aufnahme geologischer
Betrachtungen, Gliederung in natürliche
Gebiete und ihre allseitige Behandlung,
eingehende Berücksichtigung der Kultur-
geographie, Zusammenarbeiten mit der
Karte und dem Lehmannscheu Bilderwerke,
einfache Schülerskizzen. Die neue Auflage
enthält im Anhange noch eine Besprechung
unsrer Kolonien. Die Lektüre des Buches
sei dem Geographielehrer angelegentlich
empfohlen. P. Wagner.
Richter, Gustav. Wandkarte von
Schleswig-Holstein. 1 : 160000.
Essen, Baedeker. Unaufgez. JL 12.—,
aufgez. JL 18. — .
Die Karte ist in 6 Höhenstufen (grün
über weiß zu brauner Schummerung):
0 — 20 — 40 — 60 — 80 m angelegt; die
Marsch ist dazu dunkel wagerecht ge-
strichelt, für das Diluvium durch feine
Punktierung der Geschiebe s a n d gebiete
und reine Flachenfarbe für die östlichen
Geschiebelehm gebiete eine Einteilung
versucht, die in der volkswirtschaftlichen
Bedeutung dieser beiden Landschaften ihre
Berechtigung findet. Doch entbehrt diese
Trennung der Fernwirkung. Wasser ist
blau, Situation, mit Ausnahme der größeren
Städte schwarz, Eisenbahnnetz rot, ebenso
die alten Landschaftsgrenzen, politisches
mit Farbenrändem; dazu kommen viele
kleine Zeichen, für Ruinen, Leuchtfeuer,
Dampferlinien etc. Die Karte ist also
außerordentlich reichhaltig. Störend wirkt
dies nur gegen Lübeck zu, da im übrigen
die politischen Grenzen keine Rolle spielen
und die Kreisgrenzen (schwache hellgelbe
Bänder) für die Femwirkung ausscheiden.
Die Karte wird gute Dienste leisten können
und kann unbedenklich empfohlen werden.
Heinr. Fischer.
HotZ) Rudolf. Leitfaden für den
Unterricht in der Geographie
der Schweiz. 72S. Basel, Reich 1902.
In der herkömmlichen Weise behandelt
dieses sauber gedruckte, mit 26 guten
Illustrationen versehene Büchlein die
Schweiz, indem es im ersten Teil die
Natur > nach dem allgemeinen Schema,
62
Neue Bücher und Karten.
im zweiten Teil die Kantone beschreibt.
Bei der Betrachtung der orographiscben
Verhältnisse werden oft ,, Ausblicke in
geologische Vorgänge" gemacht, die je-
doch nicht immer unanfechtbar sind,
z. B. S. 7: „Die Mulden zwischen den
Falten wurden zu Tälern"; S. 10: „In den
Nordalpen treten . . . Kalk und Kreide
auP; S. 16: „alpines Gestein" — alpin
ist kein petrographischer Begriff. Weitere
Versehen sind: S. 61: „Thomas Platter,
Rektor des Gymnasiums in Basel" —
I der Genannte stand von 1544—1578 der
I Schule „Auf Burg** vor; das Gymnasium
I wurde erst am 24. Oktober 1589 eröffnet;
S. 52 : „Am Südabhang des Simplon wird
; etwas Gold gewonnen" — - das Goldberg-
I werk in Gondo ist eingegangen ; S. 58 :
„Regensberg am Puße der ?** — gemeint
ist die Lägern; das alte Städtehen Regens-
j berg liegt aber auf der Lagern. Gut
I gelungen ist die Schilderung der wirt-
I schaftlichen Verhältnisse der Schweiz.
I E. Zollinger.
Neue Bücher and Karten.
AllgemelBe phjrtttehe GH^graphle.
Schütz, E. H. Die Lehre von dem Wesen
und den Wanderungen der magneti-
schen Pole der Erde. Ein Beitrag zur
Geschichte der Geophysik. XII u. 76 S.
4 Tabellen u. 5 kartograph. Darstel-
lungen. Berlin, D. Reimer 1902. ^IC 10.—.
Machaiek, Fr. Gletscherkunde. 126 S.
6 Textabb. u. 11 Taf. Leipzig, Gö-
schen 1902. JC —.80.
AllgeMetae Geographie des MeatcheB.
Lampert, Kurt. Die Völker der Erde.
Lief. 19—21.
Frobenius, Leo. Völkerkunde in Cha-
rakterbildern des Lebens, Treibens und
Denkens der Wilden und der reiferen
Menschheit. L Band: Aus den Flegel-
jahren der Menschheit. XII u. 416 S.
II. Band : Die reifere Menschheit. IV u.
464 S. 700 Abb. im Text u. auf Taf.
Hannover, Jänecke 1902. .^ 16.—.
DeotschUBd oad Naehbarliader.
Boy^, P. Les Hautes Chaumes des Vos-
ges. Etüde de Geographie et d'Eco-
nomie historiques. 434 S. 3 Taf. Paris,
Berger-Levrault 1903. Fr. 6.—.
Wähner, Franz. Das Sonnwendgebirge
im Unterinntal. Ein Typus alpinen
Gebirgsbaues. I. Teil. >II u. 356 S.
96 Abb., 19 Taf. u. 1 geol. K. Leipzig
u. Wien, Deuticke 1903. JC 35.—.
Tester, Ch. Schlappina. Bilder vom Hoch-
gebirge. 2. Aufl. 128 S. Zürich, Schrö-
ter 1903. X 1.—.
f briget Eorop».
Ibissen, Hch. Italische Landeskunde,
n. Bd. Die Städte. 2. Hälfte. IV u.
623 S. Berlin, Weidmann 1902. JC 8.—.
Oberhummer, Eugen. Konstantinopel
unter Sultan Soleiman dem Großen, auf-
genommen 1550 durch Melchior Lorichs
aus Flensburg. Querfolio. 24 S. 17 Text-
bilder und 22 Taf. In Mappe JC 30.—.
Attea.
Rohrbach, Paul. Vom Kaukasus zum
Mittelmeer. Eine Hochzeits- u. Studien-
reise durch Armenien. VI u. 224 S.
42 Abb. Leipzig u. Berlin, B. G. Teubner
1903. JC 5. — .
Weber, M Der indo-australische Archi-
pel und die Geschichte seiner Tierwelt.
46 S. 1 K. Jena, Fischer 1902. JC 1.—.
AfHkA.
Toeppen, K. Ali der ostafrikam'sche
Seeräuber. Erzählungen aus dem See-
räuberleben der Lamuleute Ende der
achtziger Jahre. V u. 288 S. 10 Voll-
bilder u. zahlreiche Textabb. Berlin,
D. Reimer 1908. JC 5.—.
AottnilieB oad aiBtralltehe latelwelf.
Decken, R. Die Aussichten der Kakao-
kultur auf Samoa. Vortrag. 16 S.
Oldenburg, Stalling 1902. JC —.80.
Decken, R. Rauschende Palmen. Bunte
Erzählungen und Novellen aus der Süd-
see. 204 S. Abb. Oldenburg, Stalling
1902. JC 3.—.
Nord- QBd MittelAMerlka.
Schieß, W. Quer durch Mexiko. Vom
atlantischen zum stillen Ozean. XIH u.
234 S. 55 lUustr. u. 16 Taf. Berlin,
D. Reimer 1902. .K 8.—.
Meere.
Atlantischer Ozean. Ein Atlas von
39 Karten, die physikalischen Verhält-
nisse u. die Verkehrsstraßen darstellend.
Zeitschriftenscbaa.
63
Herausgegeben von der Direktion der
Deutschen Seewarte. 2. Aufl. Ham-
burg, Friederichsen 1902. JC 22.50.
Chun, Carl. Aus den Tiefen des Welt-
meeres. 2. Aufl., Lief. 10—12 (Schluß).
Qeof raphltclier ÜBt^rrlelit.
Pütz, W. Leitfaden der vergleichenden
Erdbeschreibung. 26. Aufl., bearb. v.
F. Behr. XVI u. 288 S. Freiburg i. B.,
Herder 1902. JC 1.60.
Geistbeck, M. Leitfaden der mathema-
tischen und physikalischen Geographie
für Mittelschulen und Lehrerbildungs-
anstalten. 22. u. 23. Aufl. Vm u.
168 S. Viele Abb. Freiburg i. B., Herder
1902. M, 1.40.
Mayer, J., Becker, A., Rusch, A.
Geographische Grundbegriffe, erläutert
an Wien und Umgebung. Ein metho-
disches Hilfsbuch mit Benützung des
1. Teiles von „Becker u. Mayer, Lem-
buch der Erdkunde". 64 S. 12 Textfig.
u. 3 Abb. im Anhange. Wien, Deuticke
1903. Kr. 1.20.
Zeitschriftenscbaa.
Petermanns Mitteilungen. 1902. 11. Heft.
Yamasaki: Morphologische Beti*achtung
des japanischen Binnenmeeres Setouchi. —
Stavenhagen: Rußlands Eartenwesen in
Vergangenheit und Gegenwart. — Woei-
kof: Über den Aralsee. — Futterer:
V. Richthofens geomorphologische Studien
aus Ostasien. — Reinhard: Die deutsche
Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde
Ostasiens. — Hammer: Die Höhe des
Piks von Tenerife.
Globus. Bd.LXXXn. Nr. 19. Graeb-
ner: Holztrommeln des Ramu-Distriktes
auf Neu-Guinea. — Andree: Franz Boas.
— Das vorkolumbische Portoriko.
Dass, Nr. 20. Kaßner: Klapper-
bretter und anderes aus Bulgarien. —
V. Bülow: Das Fischereirecht der Ein-
geborenen von Deutsch - Samoa. —
Rhammi: Der Verkehr der ^Geschlechter
unter den Slaven. — Neger: Die Be-
wässerung auf der iberischen Halbinsel
und in Nordafrika.
Dass. Nr. 21. Stoll: Zur Ent-
deckungsgeschichte der Kokospalme. —
Ritchie: Unterirdische Wohnungen und
bienenkorbförmige Häuser auf den briti-
schen Inseln. — Foy: Verstärkter Bogen
von Babber. — Kaindl: Neue anthropo-
logische und volkskundliche Arbeiten über
Galizien, Russisch-Polen und die Ukraine.
— Ziemann: Zur Tätowierung der Donga
in Kamerun. — Mehlis: Moderne Stein-
werkzeuge.
Dass. Nr. 22. Schmidt: Reise-
skizzen aus Mato Grosso. — De THarpes
Reise durch das Aur^s-Gebirge und die
Sufoasen. — Kaindl: Neue anthropo-
logische und volkskundliche Arbeiten. —
Koch: Guido Boggiani, ein neues Opfer
des Gran Chaco.
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik, XXV. Jhrg. 3. Heft. Ma-
cha6ek: Die Geographie auf dem Karls-
bader Naturforschertag. — Kellen:
Durch die Wälder der Ardennen. —
Bencke: Belutschistan, Land und Leute.
— Andresen: Juan Femandez, die
Robinson-Insel.
Meteorologische Zeitschrift. 1902. 11 .Heft.
Nils Eckholm: Über Emission und Ab-
sorption der Wärme und deren Bedeu-
tung für die Temperatur der Erdober-
fläche.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erd-
kunde tu Berlin, 1902. Nr. 9. Blan-
ken hörn: Die Geschichte des Nilstromes
in der Tertiär- und Quartärperiode. — -
Meinardus: Die ozeanologischen Ergeb-
nisse der „Valdi?ia"- Expedition. —
Di eis: Reisen in Westaustralien.
Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolo-
nialwirtschaft. IV. Jhrg. 5. u. 6. Heft.
Bayer: Die Organisation von Eritrea.—
Reinecke: Die wirtschaftliche Entwick-
lung Samoas. — Schroeder: Auf der
Reise nach Saypan. — Hesse: Gibt es
eine unmittelbare Reichsangehörigkeit? —
V. Helldorf: Die Besiedlung Deutsch-
Ostafrikas. — Wiese: Beiti^ge zur
Arbeiterfrage.
Asien. 1902. Nr. 2. Gaedertz:
Schantungs wirtschaftliche Bedeutung. —
Kran n sei: Der chinesische Teehandel.
— Grießbauer: Die Entwicklung der
anatolischen Eisenbahn. — v. Kleist:
Indochina. — Der Vertrag zwischen
Frankreich und Slam 1902.
64
Zeitschriftenschau.
Mitteilungen der K. K, Geographischin
Gesellschaft in Wien. 1902. Nr. 9 u. 10,
Schönberger: Die Umrandung des
Marchbeckens. — Pudor: Island - Fahrt.
— Diener: Die Stellung der kroatisch-
slavonischen Inselgebirge zu den Alpen.
The Geographica! Journal 1902. Nr. 6.
The President^s Opening Address Session
1902/3. — Stein: A Joumey of Geogra-
phica! and Archaeological Exploration in
Chinese Turkestan. — Eliot: Notes of a
Joumey through Uganda, down the Nile
to Gondokoro 1902. — Forder: To the
Jof and Back. — Survey of India lüüO/1.
Amundsen: Expedition the North Mag-
netic Pole. — Herbertson: Geological
Reports from South Africa. — The Re-
cent Volcanic Eruptions. — Beazley:
On a hitherto unexamined Manuscript of
John de Piano Carpini.
The Scottish Geographical Magazine.
1902. Nr. 12. Sykes: The Geography of
Southern Persia as affecting its History.
— Ten Thousand Miles in Persia. —
Macalister: The Aro-Country. — The
Irrigation of Egypt. — Mason: Some
Notes on the Bonin Islands.
Ännales de Geographie. 1902. No-
vembre. Nr. 60. Zimmermann: Terres,
Climats et Glaciers antarctiques. —
Douxami: La valMe moyenne du Rhone.
— Bernard et Ficheur: Les rdgions
naturelles de TAlgerie. — Idoux: Notes
sur le Nefzaoua. — Gallois: La lettre
de Toscanelli k Christophe Colomb. —
de Lapparen t: Les grands traits du
continent asiatique, d'aprfes Sueß. —
Vidal de la Blache: L'irrigation,
d^apr^s Brunhes. — Schirmer: Mada-
gascar, d'apres Gautier. — Le g^näral
G. de La Noö f-
La Geographie. 1902. Nr. 11. Gal-
lien i: Les travaux g^ographiques a
Madagascar. — Deh^rain: Voyage du
landdrost Starrenburg au nord du cap de
Bonne-Esp^rance en 1705. — Paquier:
£tude sur la formation du relief dans le
Diois et les Baronnies orientales. —
Hardy: La Vegetation des pays illyriens.
Weinreb: Les grandes cit^s du monde.
The National Geographie Magazine.
1902. Nr. 11. J. W. Powell f. — Day:
The Course of the Retail Coal Trade. —
Mosely: Submerged Valleys in Sandusky
Bay. — Place Names in the United Sta-
tes. — Among the great Himalayan
Glaciers.
Dass. Nr. 12. Russell: Volcanic
Eruptions on Martinique and St. Vincent.
— Miller: The Copyright of a Map or
Chart. — Hovey: The Eruptions of La
Soufrii^re, St. Vincent, in May 1902. —
Sverdrups Work in the Arctics. — Vol-
canic Disturbances in Guatemala. — Ex-
plorations around Mt. Mc Kinley.
The Journal of Geography. 1902. Nr. 8.
Brown: Gaspee Point. — Adams: Post-
Glacial Origin and Migrations of Life. —
Lee: Canyons of Southeastern Colorado.
~ The Mississippi River.
Aus Terschiedenen ZeitschrifteD.
Brunhes: Le travail des eaux courantes:
La tactique des tourbillons. I. Ilots
granitiques de la premiäre cataracte
du Nil. II. Gorges du versant Nord
des Alpes suisses. Mitteü. d. Natur-
forsch. Ges. in Freiburg (Schweiz). II,
1902. Heft 4.
Geinitz: Die Einheitlichkeit der quar-
tären Eiszeit. (22 Textfig. u. 1 K.)
Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geo-
logie u. Paläontologie. 1902. Beilage -
Bd. XVI.
Hill : The Beaumont Oil Field, with Notes
on Other Oil Fields of the Texas Re-
gion. Journal of the Franklin Institute.
1902. Aug.-Okt.
Lugeon: Analogie entre les Carpathes
et les Alpes. T. B. Paris.
Marbut: The evolution of the northem
part of the Lowlands of South -Eastem
Missouri. (7 Taf.). The university of
Missouri Studies. Vol. I. Nr. 8.
Verantwortlicher Hentutgeber: Prof. Dr. Alfred Hettner in lleidelberg.
Marokko.
Eine länderkundliche Skizze
von Theobald Fisoher.
Auch bei uns in Deutschland verbindet der allgemein Gebildete mit dem
Worte Marokko einen ganz vagen Begriff eines Staatengebildes an der Nord-
westecke Afrikas. Aber selbst unter Fachgenossen dürfte keine volle Klar-
heit darüber herrschen, daß wir unter dem Namen Marokko eine ganze
Gruppe von Ländern und Landschaften zusammenfassen, die nur durch reli-
giöse Beziehungen ganz lose geeint sind, von denen aber nur ein Bruchteil
und in unablässig wechselnden Grenzen eine Art staatlichen Verbandes, dank
dem Vorhandensein einer beherrschenden Landschaft, dem Atlas-Vorlande, bilden.
Darin kommt schon imsere geringe Kenntnis dieses Teils von Afrika zum
Ausdruck. Staatsgewalt und Völker sind, wenn auch aus verschiedenen
Gründen, in der möglichsten Femhaltung der Europäer von jeher einig
gewesen.
Erst in den letzten zwei Jahrzehnten ist es gelungen, auch diesen letzten
Teil des dunkeln Erdteils wenigstens in den großen Zügen aufzuhellen, wo-
bei politische Bestrebungen eine große Rolle gespielt haben. Dem entspricht
es, daß französische Forscher, fast ausnahmslos aktive oder inaktive Ofßziere,
in dieser Hinsicht das größte Verdienst haben. Was der Vicomte de Fou-
cauld und, scheint es, da das Werk selbst noch nicht vorliegt, der Marquis
de Segonzac hier geleistet haben, gehört zu den höchsten Forscherleistungen
auf afrikanischem Boden. Viel wertvolles, namentlich kartographisches Ma-
terial, das französische Offiziere, besonders der Mission militaire, auf ihren
Reisen durch das Land gesammelt haben, dürfte noch in den Mappen des
französischen Kriegsministeriums schlummern. Von anderen mögen nur die
Engländer Hooker, Maw, Ball, Harris, die Deutschen v. Fritsch und
Rein genannt werden. Ich selbst schenke Marokko seit Jahrzehnten besondere
Aufmerksamkeit und habe das Land 1888, 1899 und 1901 zu Forschungs-
zwecken bereist.
Eine irgendwie wissenschaftlich-geographischen Anforderungen genügende
Darstellung ist nicht vorhanden. Die beste Karte ist die von R. de Flotte
Roquevaire in 1:1000 000, der eine sichere Unterlage in dem mit un-
gewöhnlichem Fleiße imd Scharfsinn geschaffenen Werke von P. Schnell*)
und der von ihm entworfenen Karte in 1 : 1 750 000 gegeben war.
1) Da8 marokkanische Atlas^ebirge. Ergänzungsheft ^r. 103 zu Pet. Mitt.
Gotha, J. Perthes 1892.
Oeoffnphitche Zeittohrift. 9. Jahrgang. 1903. 2. Heft. 5
66 Theobald Fischer:
Die Grenzen von „Marokko^^ sind nach Südosten ganz unbestimmt, dem
entsprechend auch die Größe. Nach einer rohen Schätzung schreibe ich
dieser L&ndergruppe einen Flächeninhalt von 600 000 qkm zu. Tuat schließe
ich dabei natürlich aus, Tafilalet, das ganze Draa-Gebiet, die Landschaft
Tekna und die Gebiete südwärts bis zur Sakiet-el-Hamra dagegen ein. Denn
tatsächlich übt der Sultan heute einen gewissen Einfluß bis südlich vom Kap
Jubj aus, seit er die dort gegründete englische Handelsniederlassung für
schweres Geld angekauft, mit einer Besatzung von etwa 60 Mann belegt
und den wirklichen Herrn des Landes, den Scheik El Malejnin, durch all-
jährlich sich erneuernde Geschenke veranlaßt hat, sich äußerlich seiner Ober-
hoheit zu unterstellen. Bezüglich der Bevölkerung begnüge ich mich zunächst
mit der Bemerkung, daß dieselbe etwa 8 Millionen betragen mag.
Wir sehen also hier ein Ländergebiet vor uns, dem schon nach Größe
und Bevölkerung eine große Wichtigkeit innewohnt. Gesteigert wird dieselbe
aber noch durch Lage und Weltstellung, wie durch die außerordentlichen
inneren Hilfsquellen. Marokko ist das bei weitem wichtigste der drei Atlas-
länder. Durch seine Ecklage vermag es sowohl zum Mittelmeere wie zum
Ozeane Beziehungen zu unterhalten und vor allem an der Beherrschung der
Straße von Gibraltar, der wichtigsten Straße des Weltverkehrs, teilzunehmen.
Seine ohne große Kosten zu vortrefflichen Häfen auszubauenden Seeplätze am
Ozean können zu Stützpunkten des Weltverkehrs nach West- Afrika wie nach
Süd- und Mittel-Amerika, ja selbst ins Mittelmeer werden. Larasch liegt zur
Straße von Gibraltar genau so günstig wie Cadiz. Andererseits ermöglichen Oasen
und Brunnen so lebhaften Verkehr durch die große Wüste mit dem Niger-
gebiet, daß stets, bis auf die allemeuste Zeit, wo die Franzosen diese Wege
unterbunden haben, Erzeugnisse des Sudan in Menge nach Marokko und über
Marokko abgeflossen sind, Neger einen bedeutenden Prozentsatz der Bevölke-
rung von Marokko ausmachen und Timbuktu ein Jahrhundert hindurch dem
Sultan von Marokko gehorchte. Erklärten doch noch 1887 die Bewohner
von Timbuktu, freilich nur um sich der Franzosen zu erwehren, dem Schiffs-
leutnant Caron, daß sie von Marokko abhängig seien. Seine innem Hilfs-
quellen nach Klima, Boden und Erzvorkommen können nicht leicht über-
schätzt werden. Die Küstenprovinzen am Ozean gehören dank ihrer Schwarz-
erdedecke zu den reichsten Ackerbaugebieten der Erde.
Die großen Züge der wagrechten und senkrechten Gliederung, die Be-
dingungen, die hier eine Ländergruppe von einer gewissen, wenn auch losen
Zusanmiengehörigkeit geschaffen haben, entwicklungsgeschichtlich herzuleiten,
ist jetzt noch nicht möglich. Immerhin unterliegt keinem Zweifel, daß wir
ein Stück des großen eurasischen Paltensystems vor uns haben, dessen eines
südwestlich streichendes Faltenbündel, der marokkanische Atlas, am Kap Ghir
an einem Querbruche endigt, während das andere, das Rifgebirge, als Fort-
setzung des Teil-Atlas von Algerien nach Norden umbiegend ebenfalls an
einem Querbruche endigt, bezw. vom andalusischen Faltensjsteme getrennt
wird, der durch noch heute fortschreitende Meereserosion zur Straße von
Gibraltar ausgearbeitet worden ist. Das Rifgebirge ist ein ganz junges
altengebirge und wesentlich wie der Teil- Atlas Algeriens in der Eocän- und
Marokko. 67
Miocänzeit, ja, nach dem andalosischen Faltensjstem zu schließen, bis in die
Pliocänzeit emporgefaltet und vermutlich vorwiegend aus Jura und £[reide,
gegen die Meerenge hin aus älteren Schichten aufgebaut. In mehreren
Parallelketten steil vom Mittelmeere, der Abbruchsseite, mit Gipfeln von mehr
als 2000 m Höhe aufsteigend, bildet das Rifgebirge mit seinen engen Durch-
bruchstälern ein abgeschlossenes, schwer zugängliches Gebirgsland, das zu
allen Zeiten seinen berberischen Bewohnern es ermöglicht hat, sich vom Joche
fremder Eroberer frei zu halten. Marquis de Segonzac ist überhaupt der
erste Forscher gewesen, der es zu durchqueren vermocht hat und dessen
Werk uns demnächst eine bessere Kenntnis vermitteln wird. Eine echte
Längs- und Abschließungsküste hat die an kleinen meist halbkreisförmigen
Buchten, kleinen felsigen Inseln und Schlupfwinkeln reiche Bifküste bei ihrer
Lage an der größten Welthandelsstraße bis in die Gegenwart die Bolle einer
Seeräuberküste gespielt, den spanischen Presidios zum Hohn. Diese aus einer
besseren Vergangenheit noch festgehaltenen Festungen liegen teils auf Insel-
felsen dicht an der Küste (Peilon de Velez de la Gomera, Pefion de Alhuce-
mas. Las Zafarinas) oder auf felsigen, natürlich festen Vorgebirgen (Ceuta
und Melilla). Die spanischen Besatzimgen werden aber von den Eingeborenen
hinter ihren Mauern und Blockhäusern dauernd in Belagerungszustand ge-
halten und müssen nicht nur mit Lebensmitteln, sondern selbst mit Trink-
wasser von Spanien aus versehen werden. Nach innen ist die Grenze des
Bifgebiets gegen den Atlas in einer hydrographisch gut ausgeprägten Hohl-
form gegeben, welcher von dem neuerdings soviel genannten, strategisch
äußerst wichtigen Thasa nach Westen hin der Innauen, ein rechter Neben-
fluß des Sebu, des Hauptflusses von Nord-Marokko, nach Osten zur Muluja
der kleinere Messun folgt, dann die windungsreiche Muluja selbst und ihr
rechter Nebenfluß Wed-el-Kseb bis nahe an die Grenzstadt üdjda. Diese auf
der Wasserscheide zwischen Ozean \md Mittelmeer wohl noch nicht 1000 m
Meereshöhe erreichende Tiefen- und geologische Grenzlinie ist als ur-
alter Verkehrsweg von größter Bedeutung. Er knüpft die atlantische
Abdachung der Atlasländer, Maghreb-el-Aksa, den äußersten Westen der
Eingeborenen, an das mediterrane Gebiet und hält noch heute das Muluja-
Gebiet, für Marokko eine ausgeprägte Sonderlandschaft, ein Stück des
Steppengürtels von Algerien bezw. Oran, bei Marokko fest. Seit langem
ist es das Streben der Franzosen, durch eine Eisenbahn, deren Verlauf
in dieser Tiefenlinie vorgezeichnet ist, Fäs, die nördliche Haupt-
stadt von Mai-okko , mit Tlemcen imd damit Marokko wie mit einer
eisernen Klammer mit Algerien zu verbinden. Wenn es erlaubt ist. Kleines
mit Ghroßem zu vergleichen, so erinnert diese Tiefenlinie an die Arlberglinie,
durch welche das schwäbische Vorarlberg an Tirol und Österreich geknüpft
wurde. Westlich von Fäs öfifhet sich diese Tiefenlinie zur Tieflandsbucht des
unteren Sebu. Larasch am Nord- oder Babat-Sla am Südrande dieser Bucht
würde so das ozeanische Ende der großen von der Natur scharf vorgezeich-
neten inneratlantischen Verkehrslinie sein, deren mediterranes Ende Tunis ist.
Die Tief landsbucht des Sebu ist das Gegenstück der Guadalquivirbucht. Längs
dieser Tiefenlinie, bald näher an Thasa, bald näher an Fäs bewegt sich bis
68 Theobald Fischer:
jetzt der Aufstand, dessen Träger die nördlich anwohnenden Berberstämme
der Hiaina und Bhiata zu sein scheinen.
Nach Westen hin ist die ganze Landschaft Andjera, nördlich von der
Tieflandsbucht des Sebu, die nördlichste von Marokko, deren Hauptort die
Meerengenstadt Tanger ist, das Aus- und Eingangstor von Marokko von
Europa aus, vom Rifgebirge erftUlt, das hier seine Austönungsseite in flach
gelagerten, kleine, von Abdachungsflüssen ausgesonderte Hochflächen bil-
denden Tertiärschichten dem Ozean zukehrt
Über die Geschichte des marokkanischen Atlas und seine Beziehungen
zum algerischen Sahara-Atlas sind V7ir noch wenig aufgeklärt. Von letzterem
iwissen wir, daß seine Richtung SW — NO ist, daß seine Hauptfaltung in die
Eocän- und Miocänzeit fällt, daß er im wesentlichen aus drei auch orogra-
phisch gut gesonderten großen Faltenbündeln besteht, deren einzelne meist
nur schwach gefaltete Falten mehr meridionale Richtung haben, so daß, da
namentlich auch seit Eintritt einer trockenen Zeit die imgeheuren Schutt-
massen nicht von rinnendem Wasser davongeführt werden konnten, der Ge-
birgscharakter meist nur wenig ausgeprägt ist. Aufgebaut ist er vorwiegend
aus Kalksteinen, Sandsteinen, hier und da auch Mergeln der Jura- und Kreide-
formation, unter denen allerdings je weiter nach Südwesten, gegen den
marokkanischen Atlas hin, im Gebiet des Wed Ghir und Susfana, Devon und
Carbon hervortritt. Dem gegenüber zeigt der marokkanische Atlas, abgesehen
von der gleichen Richtung, wesentlich verschiedene Züge. Namentlich nehmen
an seinem Aufbau im Sahara -Atlas von Algerien anscheinend durchaus
fehlende ältere Eruptivgesteine, Porphyre, Diorite und Granite hervorragen-
den Anteil, wie das im Gebirge selbst bezeugt ist und man auch aus der
Zusammensetzung der gewaltigen Schuttkegel am Ausgange der Täler schließen
kann. Das erinnert also an das alte abgetragene Faltengebirge der iberischen
Meseta. Auch scheinen die faltenden Bewegungen hier früher begonnen und
früher geendigt zu haben, als im übrigen atlantischen Faltenlande, nämlich
mit Abschluß der Kreidezeit. Nach J. Thomson nehmen dieselben Kreide-
schichten, die im Vorlande ungestört lagern, steil emporgefaltet wesentlichen
Anteil am Aufbau des marokkanischen Atlas. Derselbe wäre also als Ge-
birge älter als das Rifgebirge, der Teil- und der Sahara-Atlas Algeriens.
Auch dürften paläozoische Gesteine großen Anteil an seinem Aufbau haben.
Die Faltung ist weit intensiver gewesen, so daß noch heute weit be-
deutendere Kamm- (3000 — 4000 m) und Gipfelhöhen (4000—5000 m) hier
auftreten als in den jüngeren Faltengürteln. Auch die Breite des zahlreiche
Einzelfalten in drei parallelen Gürteln, dem hohen Atlas, dem Anti- Atlas
und dem mittleren Atlas, aufweisenden Gebirges (etwa 200 km) ist weit be-
deutender. Die Kammhöhe ist überall ansehnlich, tiefere Einschartungen fehlen.
Südlich von Marrakesch liegen die Pässe in 3 — 4000 m Höhe, von da nach
NO in 2500 m, nach SW, gegen den Ozean in 1000 — 2000 m. Das Ge-
birge bildet also einen hohen, schwer zu übersteigenden Wall von etwa
1000 km Länge, welcher das Vorland gegen den Ozean von der Wüste trennt.
Obwohl im allgemeinen und nicht bloß an der saharischen Abdachung, der
geographischen Breite und der Lage in einem trocknen Erdgürtel entspre-
Marokko. 69
chend, im ganzen Gebirge die Spuren verhältnismäßiger Trockenheit hervor-
treten, empfängt es doch so reichliche, vorwiegend winterliche Niederschläge,
daß seine Höhen bis in den Spätsommer schneebedeckt auf die von Sonnen-
glut und Dürre verzehrte Ebene herableuchten und die Flüsse im Frühling
und Frühsommer durch die Schneeschmelze anschwellen und eine Fülle von
Wasser zu Berieselungszwecken darbieten.
Die herrschende Trockenheit, die dm'ch eine fast bis zur Vernichtung
gesteigerte Waldverwüstung noch erhöht worden ist, die winterliche Kälte
imd Schneebedeckung, die Seltenheit weiter Talebenen, die auch nur unter
künstlicher Berieselung im Sommer Anbau ermöglichen, machen den marokka-
nischen Atlas zur Bewohnung weniger geeignet, als man erwarten sollte^
Die Bevölkerung ist auf die Haupttäler bis zu geringer Höhe hinauf bA
schränkt. Auch für Viehzucht und Almwirtschaft sind die Bedingungen nicht
gegeben. Lockmittel für Eroberer fehlen. So hat sich die berberische Ge-
birgsbevölkerung, deren Unterwerfung schwierig war, zu allen Zeiten unab-
hängig erhalten, kaum daß die Herren des Vorlands sich einige Querver-
bindungen zu sichern vermocht haben. Sie zogen es vor die Talausgänge
durch Kastelle zu sperren und da auch die Berbemdörfer meist auf steilen
Höhen liegen und die echt berberische, vom tunesischen Südlande, südlich der
kleinen Sjrte, bis an den Ozean herrschende Sitte, die Vorräte und sonstige
kostbare Habe in von einer Dorfschaft oder einem Stamme gemeinsam auf
sicheren Höhen errichteten Kastellen, hier Tirremt genannt, unterzubringen,
in gewissen Gegenden auffallend hervortritt, so bietet der Gebirgsrand hie
und da mit seinen zahlreichen Burgen und Burgentrümmem einen eigen-
artigen Anblick.
Wir dürfen, streng genommen, wie J. Thomson nachgewiesen hat, das
Faltengebirge des hohen Atlas nicht bis an den Ozean ausdehnen, sondern
nur bis an die Asif Ig Schlucht, einige 50 km von der Küste. Was west-
lich von ihr liegt, ist Tafelland, die Landschaften Mtuga und Haha. Süd-
lich davon, zwischen dem hohen und dem Anti- Atlas, sich weit zum Ozean
öffnend, liegt eine der ausgeprägtesten, zugleich eine der nach ihrer natür-
lichen Ausstattung reichsten, Sonderlandschaften von Marokko, nach dem sie
bewässernden Längsflusse des Atlas, dem Wed Sus, benannt. Reich an Erz-
vorkommen, reich an Wasser und fruchtbarem Boden könnte das Sus, das
schon heute vorwiegend den Handel von Mogador belebt, unter guter Ver-
waltung eine reiche Kulturlandschaft, die Oasenstadt Tarudant ein Brenn-
punkt des Verkehrs mit dem Süden, Agadir, der beste Hafen an der ganzen
Ozeanküste, aber dem Fremdhandel verschlossen, eine blühende Seestadt
werden.
In dem durch die Divergenz des Bifgebirges und des marokkanischen
Atlas gebildeten Dreiecke liegt nun die größte und wichtigste marokkanische
Landschaft, zu allen Zeiten das Herzland dieser Ländergruppe, der Kern der
Staatenbildung, das marokkanische Atlas-Vorland. Einen Einblick in ihre
Geschichte erlangte ich auf meinen beiden letzten Reisen. Danach läßt
sich die geschichtliche Entwicklung der heutigen Oberflächenformen etwa
in nachfolgender Weise erklären. Es erhob sich hier ein vermutlich gegen
70 Theobald Fischer:
Ende der paläozoischen Zeit steil emporgefaltetes Gebirge, vorwiegend auf-
gebaut aus paläozoischen Schiefem, Grauwacken, Quarziten, Tonsandsteinen,
von granitischen; porphyrischen und ähnlichen alten Eruptivgesteinen durch-
setzt. Wo die Richtung der Falten noch zu erkennen ist, war diese dem
marokkanischen Atlas annähernd parallel. Dies Gebirge wurde gegen Ende
des mesozoischen Zeitalters von dem übergreifenden Meere abgetragen.
WiB mit dem Rasiermesser durchschnitten bilden die fast saigeren Schief er-
schichten hie und da fast wagrechte Ebenen, aus denen aber festere Grau-
wackenschichten zimi Beleg der noch fortschreitenden äolischen Denudation
mauerartig aufragen oder Quarzite, gelegentlich, wie im Dj. Ghilis bei Man-a-
kesch, auch kompakte Kalksteine, wahre Klippenzüge bilden. Ja im Djebilet,
0nem kahlen, felsigen Gebirge, das den nördlichen Horizont von Marrakesch
begrenzt, im Dj. Achd&r, Dj. Karra und ähnlichen kleinen Bergzügen haben
wir Erscheinungen vor uns, die an den Taunus oder die Sierra de Alcudia
und ähnliche der iberischen Meseta erinnern. Die Ähnlichkeit dieses alten
Gnmdgebirges mit letzterer ist überhaupt sehr groß. Namentlich auch in-
sofei*n, als durch das übergreifende Meer, allerdings in viel größerer Ausdehnung
als dort, das alte Grundgebirge durch ein jüngeres Deckgebirge noch heute
völlig wagrechter und ungestörter, nur gehobener Schichten yerhüllt wurde.
Nur wo widerstandsfähigere Felsarten des Grundgebirges Aufragungen bedingten
oder das Deckgebirge der in der Pluvialzeit energischen Erosion und Denudation
des rinnenden Wassers, seit dem der heute fast allein wirksamen äolischen
Denudation erlegen ist, tritt jenes zu Tage. Namentlich ist die Bildung von
Tafelbergen, die besonders in dem mittleren Steppengürtel häufig sind und
oft in Gruppen bei einander stehen, auf äolische Denudation zurückzuführen.
Die Mächtigkeit dieses Deckgebirges ist gering. Soweit meine Beobach-
tungen reichen, dürfte sie jetzt 100 m nirgends überschreiten. Über seine
Formationszugehörigkeit fehlt es noch an hinreichenden paläontologischen
Belegen. Fossilien, die ich von der letzten Reise aus Schedma mit-
brachte, also aus dem äußersten Südwesten, wo mit der Emporfaltung des
Atlas zusammenhängende Störungen noch eine große Rolle spielen, schrieb
E. Ficheur, wohl der beste Kenner des geologischen Aufbaus von Algerien,
cretaceisches Alter zu. Und ich nehme danach an, daß das von mir 1899
fast von der Mündung bis auf die subatlantische Hochebene bei Marrakesch
verfolgte windungsreiche Tal des Tensift in diese Schichten eingeschnitten
ist. Nach den bisher nur durch eine vorläufige Veröffentlichung bekannt ge-
wordenen Forschungen des algerischen Landesgeologen A. Brives, der, als
erster Geologe, einen Teil des Atlas- Vorlands im Winter 1901/2 bereist hat,
hätten wir das Deckgebirge zwischen Tensift und Um-er-Rbia und nördlich
von dieser bei weitem überwiegend dem Miocän zuzurechnen.
Demnach trägt das Atlas- Vorland vorwiegend den Charakter des Schich-
tungstafellandes, die Form der Ebene herrscht vor und zwar der Hochebene.
So weit unsere Kenntnis heute reicht, ist man berechtigt zwei Perioden
der Hebung anzunehmen, eine miocäne und eine ganz junge, wohl quartäre.
Dadurch entstehen zwei Stufen, eine Küstenebene, deren Verhältnisse ich auf
der letzten Reise (1901) klarlegen konnte, und eine innere, den bei weitem
Marokko. 71
größten Teil des Atlas- Vorlands umfassende Hochebene. Jene beginnt am
Kap Hadid 20 km nördlich von Mogador in schmalem Zipfel, erreicht in
Dukkala bis zum Fuße des Dj. Achdar, der ganz Mittel-Marokko beherrschen-
den Landmarke, bei Sidi Behal, wo die vielbegangene Earawanenstraße von
Mazagan nach Marrakesch im Tale von Mtal auf die obere Stufe emporsteigt,
eine größte Breite von 80 km, die sich weiter noi^dwftrts an der üm-er-Bbia
auf 70, in Schauia auf 60 km verringert Schließlich verschwindet sie bei
Rabat fast völlig, um in der Tiefebene des unteren Sebu bis zur Schlucht
von Sidi Kassem, in welcher der Bdem sich von der oberen Stufe herabstürzt,
noch einmal eine Breite von 70 km zu erreichen. Nördlich von dieser Tief-
landsbucht verschmälert sie sich rasch wieder, man wird sie aber wohl bis
an die Meerenge bei Tanger verfolgen können. Bei Arzila fand ich sie
noch deutlich ausgeprägt, wenn auch nur etwa 10 km breit, dem Fuße des
Rifgebirges vorgelagert.
Diese unterste Stufe dehnt sich also in einer Länge von 650 km längs
dem Meere aus, von dem sie aber meist steil, im Süden bis zu 100 m, auf-
steigt Die Ozeanküste von Marokko ist also vorwiegend als eine neutrale
Schollenküste aufzufassen, deren felsiger Charakter örtlich noch dadurch er-
höht wird, daß das alte Grundgebirge ansteht. Die Erdbeben, die schon
wiederholt die Eüstenstädte heimgesucht haben, lassen vielleicht auf einen
Bruch schließen. Die Küste entbehrt daher der Gliederung fast ganz, nur
ausnahmsweise bietet eine flache Bucht, wie bei Mazagan, oder eine kleine
Erosionsinsel, wie Mogador etwas Schutz, oder es ist ein kleines Flußtal oder
ein System weicherer Schichten von Brandung und Gezeiten zu einer wenig
sicheren Bucht ausgearbeitet wie bei Safß und Casablanca. Wirkliche Häfen
bieten nur die Flußmündungen, der Um-er-Rbia: Azemur, des Bu Regreg:
Rabat, des Sebu: Mehediya, des Lukkos: Larasch. Leider aber sind alle diese
Flußmündungen bei der an der ganzen Küste fast jahraus jahrein herrschenden
starken Dünung durch Barren geschlossen, die in der Regel nur kleine Schiffe
überwinden können und die nur selten durch Hochwasser vorübergehend weg-
gefegt werden. Auch hier wie vor allen marokkonischen Seestädten müssen
daher die Dampfer auf offener Reede Anker werfen, stets unter Dampf und
jeden Augenblick bereit das offene Meer zu gewinnen. Azemur und Mehediya,
obwol an den Mündungen der größten Ströme gelegen, die beide eine Strecke
weit schiffbar sind, sind außerdem dem Fremdhandel geschlossen und daher
ganz bedeutungslos. Auch da, wo jüngere Anlagerungen, wie vor der Tief lands-
bucht des Sebu und in Dukkala südlich von Mazagan, einen Saum von Dünen
und Haffen, also Flachküste geschaffen haben, sind dadurch keine verkehrsgeogra-
phisch günstigeren Verhältnisse entstanden. Doch scheint es, als könnte das
Haff von Walidiya, nördlich von dem als Landmarke und Wetterscheide be-
kannten Kap Kantin, leicht zu einem ausgezeichneten Hafen ausgestaltet
werden.
Von diesem Steilrande, mit dem sie zum Meere abbricht, erhebt sich
diese Küstenebene, der ich eine mittlere Höhe von 150 m zuschreiben
möchte, ganz unmerklich landeinwärts auf etwa 250 m bis zum Fuße der
zweiten Stufe, die auch ihrerseits mit etwa 100 m hohem Steilanstiege, viel-
72 Theobald Fischer:
leicht das ehemalige Meeresufer, abbricht. Diese Kilstenebene trägt i««t
überall den Charakter der Ebene, ja in großer Ausdehnung erscheint sie als
tischgleiche Ebene. Die für weite Flächen in Marokko charakteristische und
verhängnisvolle Kalkkruste, die im wesentlichen als klimatische Erscheinung
zu erklären ist, und die Denudation bedingen nur hie und da Hügel und flache
Bodenwellen. Nur in Schauia tritt das Grundgebirge, vereinzelte Klippenzüge
bildend, auf dieser Stufe zu Tage. Rinnendes Wasser fehlt ganz, abgesehen
von den aus dem Innern kommenden gi'oßen Strömen. Kleinere Flüsse und
Bäche, die von der oberen Stufe herabkommen, versiegen meist sehr bald,
haben aber in ihren Tälern bequeme Aufstiege auf jene geschaffen, Nur der
dem Ozean zugekehrte Steilrand in der Breite von 10 — 20 km und ein
schmaler Gürtel zu beiden Seiten der Um-er-Rbia ist durch das rinnende
Wasser etwas gegliedert. Quellen sind daher auf dieser Landstufe äußerst
selten, sie dürften überhaupt wohl nur in Schauia, durch das undurchlässige
Grundgebirge bedingt, und in dem Gürtel längs der Um-er-Rbia vorkommen.
Im größten Teile dieser Küstenlandschaften, abseits der großen Ströme, die
zwar fast immer trübes, aber doch gutes Trinkwasser bieten, sind also die
Bewohner auf künstliche Wasserbeschaffung angewiesen. Zunächst wurden
sie wohl durch natürliche Wasseransammlungen auf der Kalkkruste, oder in
flachen Becken dazu geführt, künstliche Sammelteiche für Regenwasser anzu-
legen. Solche linden sich in dem ganzen Gebiete in großer Zahl, namentlich
in Dukkala sind viele Hunderte von Kreisform mit niederen Ringwällen, nicht
selten mit einem kleinen Hügel in der Mitte, vorhanden, an kleine Maare er^
innernd. Man hat ihnen auch vulkanischen Ursprung zuschreiben wollen. Sie
sind aber sicher Erzeugnisse menschlicher Arbeit. Ich habe ganz neu angelegte
gesehen. Weiter schuf man Cistemen, namentlich am Rande der Kalkkruste,
die das Wasser nicht in den Boden dringen ließ. Wo diese Mittel nicht ge-
nügten, um namentlich in der 8 — 9 Monate mnfassenden Trockenzeit Wasser
zu beschaffen, bohrte man Brunnen, eine sehr schwierige Arbeit, da diese
in große Tiefe, ich vermute bis auf das undurchlässige Grundgebii^e, hinab-
geführt werden mußten und Steine zum Ausmauern meist fehlten. Ich habe
Brunnen von 60 m Tiefe gemessen. Ihr Wasser ist warm und häufig mit
Salzen derartig angereichert, daß selbst die Tiere es zunächst nicht saufen
wollten und damit bereiteter Tee ungenießbar war. Und doch ist mancher
dieser Brunnen, die dann stets innerhalb der Kasbas der Kaids, als Mittel
die Bevölkerung in Untertänigkeit zu erhalten, angelegt sind, die einzige
Wasserquelle für eine ganze Landschaft. Ein Zugtier, Kamel, Pferd, Maul-
tier ist daher den ganzen Tag beschäftigt Wasser in einem großen Schlauche
an die Oberfläche zu befördern. Nicht selten sieht man Frauen eingespannt!
Hier wären Windmotorep, denen es fast nie an Triebkraft fehlen würde, recht
am Platze.
Der hohe Grad der seßhaften Bewohnbarkeit, der diesen Landschaften
heute eignet, ist daher als ein Erzeugnis der Kultur, langwieriger mensch-
licher Arbeit zu bezeichnen.
Er ist aber, ebenso wie die Form der Ebene, auch durch die erstaun-
liche Fruchtbarkeit des Bodens bedingt. Diese unterste Stufe des Atlas-
Marokko. 73
Vorlands vorzugsweise besitzt nämlich in großer Ausdehnung eine Decke von
Schwarzerde oder Tirs, wie sie im Lande selbst genannt wird, deren Vorhanden-
sein ich zuerst 1899 nachweisen, 1901 weiter verfolgen und begründen könnte.
Von zuständigsten Fachmännern durchgeführte chemische und mineralogische
Analysen von beiden Reisen mitgebrachter Proben haben einerseits die außer-
ordentliche Fruchtbarkeit dieser Bodenart erklärt, andrerseits meine Theorie
ihrer Entstehung im wesentlichen aus Staubablagerungen aus dem Innern
bestärkt. Die Mächtigkeit der Schwarzerdedecke ist meist gering. Ihre Ver-
breitung ist lückenhaft, die gi'ößten Flächen einer geschlossenen Schwarzerde-
decke dürften in Abda vorkommen. Doch gilt Dukkala als die fiiichtbarste
der Küstenlandschaften, Ich selbst habe Schwarzerde auch auf der oberen
Stufe von Schauia, aber nahe dem Rande, und im Gebiet des oberen Wed
Rdem in El Gharb beobachtet und ihr Vorkommen in Tedla, der innersten
Bucht des Atlas- Vorlandes^ dem marokkonischen Ferghana, wie ich es nennen
möchte, durch Erkundungen festgestellt.
Dieser Schwarzerdegürtel kennzeichnet also vorzugsweise die Küsten-
ebene, wo die reichlicheren winterlichen Niederschläge und eine üppigere
Pflanzendecke in Verbindung mit der spülendes Wasser ausschließenden Eben-
flächigkeit die aus den inneren Steppen herkommenden Staubfalle festhielt
In jenem gegliederten Landsaume längs der Küste und längs der üm-er-Rbia
fehlt daher Schwarzerde durchaus. Die durch die Analyse erwiesene außer-
ordentliche Wasserkapazität ermöglicht das Festhalten der winterlichen FeuchtigT
keit, die bis zu einem gewissen Grade immer wieder dui'ch die diesem Küsten-
gebiet eigenen reichlichen Taufälle ergänzt wird. So gedeihen hier nicht nur
eigentliche Winterfrüchte, sondern Frühlingsfrüchte, wie Mais, dem nach An-
sicht der Bauern Regen geradezu schädlich ist und der mit der winterlichen
Bodenfeuchtigkeit und Tau (Minsla) gut auskommt. Es wird eine nur drei
MoBftte erfordernde Spielart gegen den 1. April, also nach dem Ende der
Winterregen, gesäet und gegen Ende Juni geerntet.
So ist diese unterste Landstufe . des Atlas- Vorlands die Komkanmier von
Marokko, die in ihr gelegenen Landschaften Abda, Dukkala, Schauia und
Gharb die reichsten und dichtest besiedelten von Marokko. Dies erklärt das
Vorhandensein und die Bedeuiung der oben genannten Küstenstädte. Staunen-
den Auges sieht man von der höheren Stufe und aus dem Steppenlande herab-
steigend unabsehbar die tischgleiche Ebene von Abda zu seinen Füßen aus-
gebreitet, dunkelgrün von wogenden Feldern von Weizen, Gerste, Saubohnen,
Kichererbsen, Mais, Kanariensamen, Koriander, Linsen, Erbsen und dergleichen,
hie und da, aber erst seit den letzten Jahren, von den Europäern eingeführt,
blaue Teppiche blühenden Flachses dazwischen gespannt, das Ganze übersäet
mit weithin leuchtenden weißen Kubbas und zahlreichen kleinen aus Tabia
erbauten Duars, aber keinen Baum, keinen Strauch! Holzgewächse sind der
Schwarzerde fremd, kaum daß man hie und da einige künunerliche Feigen-
bäume oder eine Dattelpalme angepflanzt sieht.
Der bei weitem größte Teil des Atlas- Vorlands gehört so der oberen
Stufe an, die auch ihrerseits sanft gegen den Fuß des den ganzen Horizont
beherrschenden Gebirges, von etwa 400 m auf 600 — 700 m ansteigt. Auch
74 Theobald Fischer:
hier herrscht die Form ^er Ebene vor, aber nicht in dem Maße wie auf der
unteren Stufe. Die ganze kleine Gebirge, wie der Djebilet oder der Dj.
Achdar, bildenden Aufragungen des Grundgebirges, die Tafelberge mildem
die Einförmigkeit, und die großen das ganze Vorland querenden Sammel-
ströme, besonders der Tensift und die üm-er-Bbia haben mit ihrem bedeuten-
den Gefäll, in starker Strömung, ja selbst häufig Stromschnellen bildend, tiefe,
vielgewundene, oft canonartige' Täler in das Hochland eingeschnitten, die,
selbst ungangbar, ja auch als Tränkstellen nur an einzelnen Punkten zugäng-
lich, schwere Hindemisse des Verkehrs bilden. In großartiger, wilder Land-
schaft, auf dem Isthmus einer Flußschlinge der Um-er-Rbia, ähnlich der
Marienburg an der Mosel, liegt so an der Grenze beider Stufen und somit
zugleich des Steppen- und des Kulturlands das mächtige Kastell Bu-el-Awan,
das, fast sagenhaft, bisher, wie mir auch die Eingeborenen versicherten, von
keinem Europäer erreicht worden war.
Diese ganze obere Stufe empfangt, schon meerfemer, nur geringe Nieder-
schläge, es fehlt ihr die Schwarzerdedecke; das durchlässige Deckgebirge,
wie das einer Verwitterungsdecke entbehrende Grundgebirge bedingen große
Trockenheit, daher haben wir hier Steppenland vor uns, das allerdings Anbau
von Gerste, hie und da auch Weizen in regenreichen Wintern und auf
besserem, feuchterem Boden nicht ganz ausschließt. Nach wichtigen geogra-
phischen Zügen, namentlich nach Bodenplastik, Bewässerung und ^'ibaufähig-
keit läßt sich aber dies Steppengebiet in zwei wesentlich verschiedene Gürtel
zerlegen: den eigentlichen Steppengürtel und den Gürtel der sub atlan-
tischen Berieselungsoasen. Ersterer in einer Breite von 80' — 100 km
enthält zwar einige kleine Oasen, namentlich in einem Gürtel längs der üm-
er-Rbia, auf Quellen begründet, ist aber im wesentlichen Weideland, von No-
maden und Halbnomaden bewohnt. Immerhin ist der Bestand an Herden
von Rindem, Schafen, Kamelen bedeutend, zumal im Sonuner, wenn die
Vegetation der St-eppe, die im Spätwinter und Frühling einem herrlichen
Blumenteppich gleicht, von der Sonne verbrannt ist, die Herden, sei es im
Gebirge, sei es im Kulturlande der Küstenebene Nahrung finden.
Der innerste Gürtel fällt mit dem zusammen, was ich bodenplastisch
subatlantische Hochebene genannt habe. Diese dehnt sich in einer
Länge von etwa 330 km und einer Breite von 30 — 40 km längs dem Ge-
birgsfuße aus. Alle aus dem Gebirge heraustretenden Flüsse queren sie, um
sich, wohl im wesentlichen durch das alte Gnmdgebirge des Vorlands, nament-
lich den Djebilet beeinflußt, in den zwei großen Sammelrinnen des Tensift,
einem typischen Saumflusse, und der Um-er-Rbia zu vereinigen, deren Wasser-
scheide auf der subatlantischen Hochebene selbst, nur durch Schuttkegel ge-
bildet, kaum erkennbar ist und wohl in der Pluvialzeit wesentliche Ver-
schiebungen erfahren hat Die Schuttkegel der Atlasflüsse, wohl vorzugsweise
in der Pluvialzeit aufgeschüttet, aber noch heute in Weiterentwickelung be-
griffen, bilden überwiegend den Boden dieses Gürtels, der insofem etwas an
die Poebene, namentlich in Piemont, erinnert. Alle diese Flüsse bieten un-
geheure Wasservorräte zu Berieselungszwecken, die schon heute, wenn auch
nur zu einem Bruchteil des Möglichen, verwertet werden. Sie werden noch
Marokko. 75
Yermehrt durch die Wasserscbätze des Untergrunds, die durch die sog. Cfaat-
taras, unterirdische Sammelkanäle ähnlich den Kanat und Kariz von Iran,
den Sahrig von Jemen, den Feggagir (sing. Foggara) einzelner Sahara-Oasen,
gesanunillt und an die Oberfläche geführt werden. So ist hier die gelbe
Steppe^ längs der Flüsse und namentlich am unteren Saume der Hochebene
mit d^ dunkeln Flecken der Oasen übersäet, in deren größter die Haupt-
stadü* Marrakesch als wahre Oasenstadt in einem Haine von -Dattelpalmen
liegt, deren Früchte hier in einer Meereshöhe von 500 m noch reifen. Frucht-
bäume sind es, neben der Dattelpalme der Ölbaum, der Feigenbaum, der
Granatbaum, Apfelsinen und Limonen, Aprikosen und Pfirsiche, Mandelbäume
und dergleichen mehr, die diesen Oasen ihren Charakter geben und diesen
Landgürtel zum wenigst baumarmen des ganzen baumarmen Landes machen.
Im Schutze der Fruchtbäume und in der Umgebung der Fruchthaine, wo
nur während des Winters bewässert werden kann, wird auch Getreide, Gemüse
und dergleichen gebaut. So könnte dieser Landgüri;el in großer Ausdehnung
in Kulturland verwandelt werden. Wasserkräfte für elektrische Kraftüber-
tragung sind reichlich vorhanden. In glücklicher Weise vermöchten sich alle
drei Gürtel des Atlas-Vorlands zu ergänzen: der eine liefert Brotstoffe in
Fülle, der zweite Vieh, der dritte vorzugsweise Baumfrüchte. Die Gebirgs-
bewohner sind so für ihre Ernährung, ähnlich wie in Algerien die Bewohner
der Wüste auf das Teil, auf das Vorland angewiesen imd so haben sich hier,
wo Seßhaftigkeit von der Natur geboten ist, am Ausgange der Atlastäler
kleine Randstädte wie Demnat, Sidi Behal, Amsmis u. a. m. entwickelt. Die
namengebende Hauptstadt Marrakesch, der Hauptort des Tensiftgebiets, wenn
auch nicht unmittelbar am Tensift gelegen, ist dagegen eine Oasenstadt in
der freien Hochebene, zunächst wohl zur Entwickelung gekommen durch den
Wasserreichtum, dann aber durch die günstige Verkehrslage. Wie in Mai-
land, das ähnlich vor dem Alpenwalle liegt, radienfÖrmig die Alpenstraßen
zusanmienlaufen, so die Atlaswege und die nach dem Sus und dem Gebiet des
Wed Draa, in Marrakesch, um auf der anderen Seite ebenfalls nach den
nächsten Küstenplätzen Mogador, Saffi, Mazagan, Casablanca und Rabat aus-
einander zu streben. So ist Marrakesch die natürliche Hauptstadt von ganz
Süd-Marokko.
Für Nord-Marokko spielt die gleiche Rolle Fas, der Hauptort des Sebu-
gebiets, das auch seinerseits, wenn auch nur in etwa 300 m Meereshöhe, auf
der oberen Stufe Hegt, die ireilich hier näher dem Gebirge und zwischen dem
Rifgebirge und dem Atlas teilweise in Hügelland gegliedert ist Aber auch
Fäs verdankt seine Entwickelung dem Wasserreichtum, der die Stadt mit
einem Saume üppiger Gärten geschmückt hat, und der Eigenschaft als Knoten
naturbedingter Verkehrswege. Es vermittelt den Verkehr zwischen dem Ge-
birge und den Oasen jenseits von ihm, namentlich Tafilalet auf der einen, der
Tieflandsbucht des Gharb und dem Meere auf der anderen Seite; ja, dank
der schon hervorgehobenen Tiefenlinie zwischen Atlas und Rifgebirge ist es
der Brennpunkt des Verkehrs des ganzen Maghreb el Aksa mit den übrigen
Atlasländem, in strategischer Hinsicht der Schlüssel wenigstens des nördlichen
Marokko.
76 Theobald Fischer:
Selbst das Atlas-Vorland» zerfällt somit bodenplastisch und veJVköhrsgeogra-
phisch, demnach auch politisch in zwei Teile, die auch die Einwlll^ner streng
unterscheiden und nur afls in der Person des Sultans geeinigt anseHtnc Nord-
Marokko, el Gharb, vorwiegend Berg- und Hügelland, reicher beilltzt und
fast tiberall anbaufähig, und Süd-Marokko, el Haus, vorwiegend Hdtb^bene
und bis zur Steppenbildung niederschlagsarm. Gelegentlich stellt iiAn es
Sus, den Süden, als dritten gleichwertigen Teil auf. Die Grenzsclfeide
zwischen den Sultanaten van Fäs und Marrakesch gehört heute noch zu den
wenigst bekannten Gegenden des Landes, weil die sie bewohnenden auch meist
noch Tamazirt sprechenden Berberstämme der Zeiimiur, Zair, Zaian, Beni
Mgild und Beni Mtir unbedingt jeden Forschungsreisenden fern halten wie
sie auch den Sultansheeren und allen Eroberem das Eindringen oder wenigstens
das Festsetzen zu verwehren vermocht haben. Auch die Römerherrschaft
reichte niu* bis zu dieser Grenzscheide. Diese wird zwar durch die nördlichen
und nordwestlichen Vorlagen des mittleren Atlas, die sich wie ein Keil gegen
den Ozean vorschieben, das Sammelgebiet des Bu Regreg und des zum Sebu
gehenden Wed Bebt, aber nicht durch hohe Gebirge gebildet. Es handelt
sich vielmehr, so weit ich habe feststellen können, auch hier um Stufenland,
mit vereinzelten Höhen von wenig über 1000 m, deren Keni das alte Grund-
gebirge bildet, das in großer Ausdehnung durch Abtragung des Deckgebirges
bloßgelegt ist. Die steilen Terrassenanstiege, das wild zerrissene, felsige,
durchschluchtete, vielfach mit dichtem Gestrüpp, im höheren Gebirge noch
von Urwäldern zum Teil gewaltiger Cedem bedeckte Gelände ist es, welches
das Eindringen so erschwert, während die Bewohner von der Landesnatur zu
Halbnomaden gemacht in der Lage sind, sich und ihre Herden im Notfälle
durch Zurückweichen in die höheren Gebirge, die sie ohnehin im Sommer
meist aufsuchen, in Sicherheit zu bringen.
Durch dieses imgangbare Gebiet wird aller Verkehr von Nord- und Süd-
Marokko auf den einen Weg am Ufer des Ozeans entlang gedrängt und muß
selbst der Sultan an der Spitze seines Heeres, wenn er seinen Sitz von der
südlichen Hauptstadt Marrakesch nach der nördlichen Fas verlegt, diesen Weg
einschlagen. Darauf in erster Linie beruht die große strategische und ver-
kehrsgeographische Bedeutung von R«bat. Rabat ist das Bindeglied zwischen
Nord und Süd, eine große Festung, in marokkanischem Sinne, ja fast eine um-
mauerte Landschaft, die aber fast beständig durch Zemmur und Zair in la-
tentem Belagerungszustande gehalten wird. Ein äußerer Feind, der Rabat
besetzt, trennt den Norden vom Süden. Aus diesen Erwägungen heraus bezw.
entsprechenden Ratschlägen folgend hat der Vater des jetzigen Sultans durch
einen ehemaligen preußischen Genie-Offizier ein die Reede von Rabat mit
seinen gewaltigen Kruppschen Geschützen beherrschendes Fort bauen lassen.
Die klimatischen Verhältnisse, zu deren Erforschung jetzt vier
deutsche meteorologische Stationen, zwei ältere von der deutschen Seewarte
eingerichtete in Mogador und Saffi, zwei neuere von mir eingerichtete in
Casablanca und Marrakesch beitragen, nicht nur des Atlas- Vorlands, sondern
der ganzen Ländergruppe sind als günstig zu bezeichnen. Namentlich spielt
Malaria, diese Pest der übrigen Atlasländer, eine geringe Rolle. Nur jenseits
Marokko. 77
des Atlas tritt die Form der Wüst« auf und ist aller Anbau auf einige
wenige Oasen und Oasengruppen beschränkt, die, wie das Stammland der
Djmastie, Tafilalet, von den Atlasflüssen genährt werden. In dem KtLsten-
gebiet am Ozean bis zum Kap Juby fallen die winterlichen Niederschläge
noch so reichlich, daß in großer Ausdehnung gutes Weideland vorhanden ist,
ja außerhalb der Berieselongsoasen in regenreichen Wintern noch Gerste ge-
baut werden kann. Mag doch am Kap Juby die mittlere Regenhöhe noch
200 mm betragen. Schon in Mogador und vermutlich weit südlich davon ist
sie auf 400 mm gestiegen, ein Betrag, bei welchem nach den Beobachtungen
in Tunesien' Ackerbau möglich ist, um so mehr als nach ' meinen Beobach-
tungen imllPanzen Küstengebiet auf die ablandigen Winde und das kühle
Auftriebwasser zurückzuführende reichliche Taufälle vorkommen. In Casa- .
blanca übersteigt die Niederschlagshöhe 400 mm, am Kap Spartel sind es
nahe an 800 mm, in Tanger über 800 mm. Dem entsprechend ist das
ganze Küstengebiet und ganz Nord-Marokko anbau^hig, ja es bedecken im
Hinterlande von Mogador, in den Landschaften Schedma, Haha und Mtuga
lichte immergrüne Wälder, namentlich von Arganbäumen, freilich oft; mehr
Busch wald, weite Flächen bis etwa 70 km landeinwärts, wo die Steppe be-
beginni Daß aber auch im Steppengürtel, wo die Niederschlagshöhe be-
trächtlich unter 400 mm bleiben dürfte, Anbau nicht ganz ausgeschlossen ist,
sahen wir bereits. Am Fuße des Atlas sah ich wieder Weizen- und Gersten-
felder auf unbewässertem Boden als Beweis wieder gesteigerter Niederschläge.
Die Bevölkerung von Marokko ist ethnisch noch nicht genügend er-
forscht. Ich habe mir die Anschauung gebildet, daß das berberische Element
weit mehr verbreitet ist, als man gewöhnlich annimmt, und sich selbst in den
Ebenen und offenen Landschaften gegenüber dem arabischen zu behaupten
vermocht hat, wenn es auch vielfach äußerlich arabisiert ist und arabische
Sprache angenommen hat. Aber selbst auf der Hochebene fand ich einen
Tagemarsch östlich von Marrakesch Berbern, die ihre Sprache bewahrt haben.
In ganz Nord-Marokko, selbst in der Umgebung von Tanger wohnen reine
Berbern, Amazirghen, ebenso im Südwesten des Atlas- Vorlands Schluh, in
Schedma, Haha und Mtuga und im ganzen marokkanischen Atlas. Das
arabische Element ist überwiegend nomadisch und vorzugsweise auf die Ebenen
von Mittel-Marokko beschränkt, doeh ist der unter Berbern sitzende arabische
Stamm der Howara im Sus auch seßhaft. Sofort beim Eintritt in bewegtes
Gelände erkennt man, daß man sich inmitten berberischer Bevölkerung be-
findet. Die Städtebevölkerung ist gemischt, aber auch wohl überwiegend
berberisch. Auch in Marokko sind die Berbern seßhaft, Acker- und Garten-
bauer, Banmzüchter, eifrig auf Erwerb bedacht, an der Scholle häqgend. Im
Gebirge haben sie sorgsame Terrassenkultur und künstliche Bewässerung ein-
geführt. Selbst die rein berberischen Stämme der oben geschilderten Grenz-
scheide zwischen el Gharb und el Haus haben im Gebirge feste Dörfer, die
sie allerdings nur im Sommer bewohnen. Auch die völlig ai-abisierten Beni
Ahsen der Tiefebene des Sebu sind seßhaft, wenn auch in kreisförmigen Zelt-
dörfem. Im Zeltringe werden allnächtlich die Herden untergebracht. Die
Zahl der Neger, die ursprünglich als Sklaven aus dem Sudan gekommen
78 Theobald Fischer:
sind, ist sehr groß in Marokko, je weiter nach Süden, um so gi'ößer. Doch
dürfte sich dieses Bevölkerungselement jetzt bald verwischen, nachdem die
Zufuhr mit der Besetzung des Sudan durch die Franzosen unterbunden ist.
Juden sind über ganz Marokko verbreitet, tief im Inneren, in den
Dörfern des Atlas, überall findet man einzelne Familien und Gruppen solcher.
Ahnlich dem polnischen Edelmann früherer Zeiten scheint kein Kaid ohne
einen HoQuden auskommen zu können. Am zahlreichsten sind sie in den
Städten, namentlich an der Küste, wo sie am meisten Schutz genießen.
Dorthin wandern sie jetzt auch vielfach aus dem Inneren. Im Handel, aber
auch im Handwerk spielen sie eine große Rolle.
Marokko ist lediglich ein Land des Ackerbaus und der Viehzucht. Bergbau
ist heute unbekannt, die einst blühende Gewerbtätigkeit in tiefem Ver-
falle. Sie erzeugt kaum noch die unentbehrlichsten Gebrauchsgegenstände.
Mehr und mehr werden selbst Bekleidungsstoflfe, Metallwaren und dergl. aus
Europa eingeführt. Da aber die breitesten Schichten der Bevölkerung infolge
der unglaublichen Miß Verwaltung verarmt sind, der Unternehmungsgeist er-
tötet, der Erwerbssinn geschwächt, die Ausfuhr vom Getreide, Vieh, Pferden
und anderen wichtigen Gegenständen verboten, Wege- und Brückenbau un-
bekannt ist, so ist auch die Handelsbewegung eine geringe. Man kann
den Wert der Aus- und Einfuhr, freilich auf sehr imsicherer Unterlage, auf
etwa 55 Millionen Mark jährlich schätzen. In ersterer spielen Deutsche, von
denen die ersten vor kaum zwei Jahrzehnten nach Marokko gekonunen sind,
eine große Bolle, in letzterer treten sie neben Engländern und Franzosen
zurück. Doch dürfte der deutsche Handel sich in Marokko heute bereits die
zweite Stelle, nach den Engländern, erobert haben.
Infolge der Mißregierung, welche Hungersnöte, bei Dürre und Heu-
schreckenplage, trotz aller Ausfuhrbote nicht hintanzuhalten vermag, aber so
häufige Aufistände, bei denen ganze Landschaften systematisch ausgemordet
und verwüstet werden, hervorruft, daß man sagen kann irgendwo sei jeder-
zeit ein Aufstand, ist die Volksdichte auch in den reichst gesegneten Land-
schaften gering. Ich glaube, selbst in dem verhältnismäßig dicht bevölkerten
Abda, wo man alle Viertelstunden auf einen allerdings meist kleinen Duar
stößt, dürften nicht mehr als 50 Köpfe auf 1 qkm kommen. Ich glaube,
daß diejenige Schätzung, welche der ganzen Ländergnippe etwa acht Mil-
lionen Bewohner zuschreibt, der Wahrheit ziemlich nahe kommen dürfte.
Sicher ist das aber eine Höchstzahl. Davon ist aber nur ein Teil staatlich
geeinigt und dem Sultan unterworfen. Von den etwa 600 000 qkm, die ich
dieser Ländergruppe zuschreibe, gehört der bei weitem größte Teil zu dem
im Lande selbst so genannten Beled-es-Ssiba, dem unabhängigen Gebiet, auf
das der Sultan höchstens als religiöses Oberhaupt einen gewissen Einfluß
ausübt, nur etwa 180000 qkm zum Beled-el-Makhzen, dem Land der Kanzlei,
den wirklich dem Sultan gehorchenden Landschaften. Den Kern dieser
letzteren bildet das Atlas-Vorland mit etwa 85000 qkm und 3 Mill. Ein-
wohnern.
In den Händen einer europäischen Macht, die die reichen und mannig-
faltigen Hilfsquellen des heute noch in mittelalterlichen Zuständen verharren-
Marokko. 79
den Landes za entwickeln, Lage und Weltstellung zur Geltung zu bringen
vermag, kann Marokko zu einem Machtfaktor ersten Banges werden, der im
Stande wäre, geradezu eine Verschiebung der Machtverhältnisse der europäischen
Staaten hervorzurufen. Allerdings ist nicht außer acht zu iassen, daß eine
Eroberung des Landes eine schwierige und langwierige Aufgabe wäre, weniger
die des Atlas-Vorlands, durchweg offenen vom Ozean aus leicht zugänglichen
Landes, um so mehr die des ziemlich dicht besiedelten Rifgebieis und des
Gebirgslandes des Atlas. Die Zerspitterung der Gebirgsvölker in viele kleine
sich meist demokratisch selbst regierende, unter einander in Fehde und Blut-
rache liegende Stämme würde bei ihrer unbändigen Freiheitsliebe und den
Geländeschwierigkeiten nur wenig Erleichterung bieten. Namentlich der natür-
liche Weg, durch welchen Frankreich Marokko an sich ketten könnte, die
oben besprochene Tiefenlinie, auf der sich in diesem Augenblicke die Kriegs-
Operationen bewegen, wird erst sicher sein, wenn die Gebirgsvölker im Norden
und im Süden davon, die mächtigen Stämme der Rhiata, Hiaina u. a. völlig
besiegt sein werden. Und gerade diese nord-marokkanischen Berbern sind
jetzt mit den besten europäischen Hinterladern bewaffnet, die ihnen der
Schmuggel von Spanien und Gibraltar, vielleicht neuerdings auch von Algerien
her zugeführt hat. Es will scheinen, als wollten die europäischen Mächte
in klaren Bewußtsein der furchtbaren Grefahr, die die Aufrollung der marokka-
nischen Frage für den Weltfrieden in sich birgt, auch jetzt unbedingt dieses
europäischer Gesittung hohnsprechende Staatswesen aufrecht erhalten. Viel-
leicht handelte es sich für Frankreich nur darum, den übergroß gewordenen
englischen Einfluß am Hofe zu brechen. Merkwürdig mutet es dabei an,
daß, nach den Äußerungen in der Presse zu urteilen, für das Deutsche Beich
in Marokko überhaupt keine politischen Interessen vorhanden zu sein scheinen,
während an der Meerengenfrage alle Handelsvölker beteiligt sind und wir
doch in Bezug auf die wirtschaftlichen Interessen dort in zweiter Stelle stehen.
Diese wären dem Untergänge geweiht, unsere Stellung als Welt- und
Welthandelsmacht wäre aufs äußerste gefährdet, wenn Marokko in irgend einer
Form in die Hände einer Macht, etwa Frankreichs, fiele. Wird einmal
eine Veränderung der politischen Karte dieses Teils von Afrika unvermeid-
lich, so muß das Deutsche Reich sein Teil erhalten: el Haus und Sus. Unser
Interesse an der Meerenge ist ziu: Not gewahrt, wenn sich dort zwei Mächte,
Spanien selbstverständlich nicht als Macht gerechnet, die Wage halten. Jeden-
falls sind die geographischen Verhältnisse der von jeher latent vorhanden ge-
wesenen politischen Zerteilung dieser Ländergruppe günstig.
HO Hans Maurer:
Dentsch-Ostafrika.
Eine klimatologiscbe Studie
von Dr. Hans Maurer in Hamburg.
Mit drei Tafebi (Nr. 1, 2 [1. Heft] und 3).
(Fortsetzung.)
III. Der Küinian4Jaro.
Im Mai 1848 durchzogen die deutschen Missionare Krapf und Bebmann
die heiße Massaisteppe. Unter der sengenden Äquatorsonne herrscht hier
kaum 700 m über dem Meer eine Temperatur, die um Mittag 30® beträcht-
lich zu überschreiten pflegt. £s mochte ihnen wohl bang um ihre erhitzten
Gehirne werden, oder sie mochten glauben, die Fee Morgana treibe ihr Spiel
mit ihnen, als sie aus der Steppe zum Himmel aufragend einen einzelnen
Berg mit schneegekröntem Haupte zu sehen vermeinten. Auch die wissen-
schaftliche Welt stand diesen Berichten vom Schneeberg Kilimandjaro, der nur
3® vom Äquator liegen sollte, anfangs zweifelnd gegenüber. Wohl waren ja
Schneeberge in so geringer Entfernung vom Äquator bekannt, aber die lagen
in dem mächtigen Gebirge der südamerikanischen Anden. Wie unwahr-
scheinlich aber war es, daß mitten in der ebenen Steppe, die nur 700 m über
dem Meer liegt, ein einzelner Berg bis zu einer solchen Höhe aufstiege, die
ihm ein Recht zum Tragen der ewigen Schneekrone gäbe! Dazu waren
5000 m Seehöhe erforderlich. Und doch war es Tatsache, was die Missionare
berichteten, und heute ist der über 6000 m hohe einsame Schneeberg der
afrikanischen Steppe ein Objekt intensiver wissenschaftlicher Forschung ge-
worden. Speziell diwch die Expeditionen des bekannten Leipziger Forschungs-
reisenden Dr. Hans Meyer, der den Gipfel des Berges dreimal besucht hat,
kennen wir diesen Gletscherberg genauer als manchen seiner Kollegen in Europa.
Er ist ein erloschener Vulkan. Dies macht schon wahrscheinlich seine kegel-
förmige Gestalt und seine einsame Lage in der Nähe einer großen Bruchlinie
der Erde, des ostafrikanischen Grabens nämlich, der in der Verlängerung einer
vom Boten Meer abzweigenden Senke, durch den Rudolfsee und die salzhaltigen
Seen im Westen des Kilimandjaro südwestlich bis zum Njassasee sich fortsetzt.
Heute kennen wir Gesteinsproben von allen Teilen des Berges, Tuffe und Laven,
die seine vulkanische Natur außer allen Zweifel setzen; und Hans Meyer hat
den riesigen schneeerfüllten Krater des Berges in mehreren Bildern uns an-
schaulich dargestellt. Auch ein vulkanischer See, ein Maar, ist in der Um-
gegend des Berges vorhanden; es ist dies der Djalasee, dessen Innenwände
fast senkrecht von dem aus der Steppe aufsteigenden Ringwall abfallen. Vor
dem einzigen Zugang zum See an der Nordseite haben die Eingeborenen
ganze Reihen von Nashornfallgruben angelegt, die so geschickt mit Rohr
und Büschen verdeckt sind, daß man kein allzu großes Rhinozeros zu sein
braucht, um da hinein zu fallen.
Die große domförmige Öchneefläche des Berges sendet hauptsächlich
nach Süden und Westen lange Gletscher herab, deren unterste Zungen bis
gegen 4800 m Meereshöhe herunter reichen. Auf seiner letzten Reise
Deutach-Ostafrika. 81
hat Hans Meyer festgestellt, daß in einer früheren Erdperiode die Gletscher
noch fast 1000 m tiefer als jetzt gegangen sind, und daß nehen den Eis-
zeiten der gemäßigten Zonen auch solche in der heißen Zone existiert
haben müssen. Nach Meyers Ansicht handelt es sich dabei wesentlich nicht
sowohl um kältere, als vielmehr um feuchtere Klimaperioden, in denen bei
der höheren Feuchtigkeit die Eisströme sich tiefer herabstrecken konnten.
Jedenfalls ist aber das Schnee- und Eisgebiet, das wir heute mit staunen-
dem Auge in der afrikanischen Steppe bewundem, früher noch ausgedehnter
gewesen als jetzt.
Von einem Kiliman^arogebirge kann man eigentlich nicht sprechen, da
wir es hier, von ein paar Vorhügeln abgesehen, nur mit einem einzigen,
zweigipfeligen Berge zu tun haben, der allerdings ein Areal so groß wie
der ganze Harz bedeckt, und dessen Sattel zwischen den beiden Gipfeln
schon auf 4700 m Seehöhe sich erhebt. Die beiden Gipfel sind voneinander
sehr verschieden. Wahrend der westliche, 6100 m hohe Kibo eine im-
ponierende Domkuppel mit breiten Schneefeldem und langen Gletschern dar-
stellt, sein selbst gewiß in Sonnenschein und Klarheit, bietet der. 5360 m
hohe östliche Gipfel, Mawensi, das Bild einer vielzinkigen, zerklüfteten alten
Steinruine, auf der nur geringe Mengen von Schnee, mitunter sogar gar
keiner, zu sehen sind. An seben schroffen Wänden haftet der Schnee nicht,
sie entbehren den weißen Mantel, der sie am Tage gegen die starke Ein-
strahlung der tropischen Sonne, in der Nacht gegen die starke Abkühlung
in der dünnen klaren Luft schützen könnte. Unter der Einwirkung dieser
starken Temperaturschwankungen, denen das Gestein Tag für Tag ausgesetzt
ist, verwittern und zerbröckeln die Felsen, und so wird immer mehr das
ruinenhafte Aussehen des Mawensi verstärkt
Von der heißen Massaisteppe, die durch ihre Trockenheit der Ausbil-
dung des organischen Lebens gewisse Schranken zieht, bis hinauf in die Re-
gionen, in denen das Leben im ewigen Schnee erstirbt, sind sehr verschiedene
Vegetations- und Klimatypen am Berge zonenf örmig übereinander angeordnet.
Aus der umgebenden Steppe selbst liegen aus begreiflichen Gründen längere
Reihen meteorologischer Beobachtungen nicht vor. Wir sind da auf die
mehr zufälligen Beobachtungen Durchreisender angewiesen und auf verglei-
chende Schlüsse aus nicht allzufem liegenden Stationen. Charakteristisch
für die Steppe ist die Größe, zu der die tägliche Schwankung der Tempe-
ratur und mit ihr diejenige der Luftfeuchtigkeit ansteigt. So betrug auf
der englischen Station Kibwezi, die nordöstlich vom Kilimandjaro liegt, im
September 1896 der durchschnittliche Temperaturunterschied zwischen Tag
und Nacht 19,2^0. In Taveta maß ich im März 1898 noch Nachmittags um
4,^* 33^ Lufttemperatur und nur 227o Luftfeuchtigkeit, 5 Stunden später
aber nur 24®, dagegen 74^0 Feuchtigkeit. In der Nacht ist Tau in der
Steppe nicht selten, und er ersetzt in der regenlosen Zeit den Gewächsen
den Regen. Klein aber ist, der Nähe des Äquators entsprechend, der Unter-
schied in den Mitteltemperaturen des wärmsten und des kältesten Monats, er
beträgt nur 4 — 6® C. Nach den Beobachtungen zweier englischer Stationen
in diesem Steppengebiet dürfen wir die jährliche Regenmenge dort auf etwa
Geographische Zeitoohrift. 9. Jahrgang. 1908. 2. Heft. 6
82 Hans Maurer:
500 — 700 mm schätzen. Das ist eine ähnliche Menge, wie sie im Jahre
in Deutschland fällt. Für ein tropisches Oehiet aber, in dem die Tempera-
turen am Tag weit über 30® zu steigen pflegen und trockene Winde den
größten Teil des Jahres wehen, bedeutet dies sehr wenig. Dazu konunt
noch, daß dieser Begen in zwei Regenzeiten konzentriert fllUt, nämlich fast
% der guizen Menge im November und Dezember und der Rest in der
Zeit Tom März bis Mai, während die übrigen sieben Monate fast völlig
regenlos sind. So ist es verständlich, daß die Vegetation, die diesen Lebens-
bedingungen gewachsen sein soll, von der Natur vorzüglich auf Widerstand
gegen das Vertrocknen eingerichtet sein muß. Die Pflanzen erreichen dies
dadurch, daß die Ausbildung dünner blattförmiger Gebilde von großer Ober-
fläche im Verhältnis zu ihrer Masse möglichst unterdrückt wird. Die vor-
kommenden Blätter sind klein und besitzen vielfach die Fähigkeit, sich in
der Sonne zusanunenzufalten und in der Nachtkühle sich wieder zu öffiien.
Dabei schützen die Pflanzen ihr zartes Laub gegen die zahlreichen weiden-
den Herdentiere der Steppe, indem sie bald durch Domen und Stacheln,
bald durch starkriechende öle und dergleichen den Tieren den Genuß ver-
leiden. Die Stengel zeigen oft plumpe, knollige Formen und führen viel-
fach zähen Milchsaft im Linem, wie die Euphorbien, die östlich vom Kili-
man^'aro in Taita geradezu waldbildend auftreten. Es wäre falsch, wollte
man sich die Steppe bei den schweren Existenzbedingungen arm an orga-
nischem Leben denken. Zwar sind auf der besonders trockenen Nordseite des
Kilimandjaro Steppenteile vorhanden, wo auf dem überall zu Tage tretenden
vulkanischen Gestein nur kurze harte Gräser in weit voneinander ab-
stehenden Büscheln fast die einzige Vegetation bilden; der größere Teil der
den Berg umgebenden Steppe aber trägt reichlich Gras, viele Domsträucher
und Akazien, Dickichte von Euphorbien und vereinzelt ragt, das Nilpferd
der Pflanzenwelt, der plumpe Baobab empor.
An seinen Zweigen findet man hin und wieder ausgehöhlte Baumstamm-
stücke aufgehängt; das sind Honigkanonen. Die Wasuaheli gebrauchen für
diese Form von Bienenstöcken und für unsere Kanonen dasselbe Wort. Im
deutschenglischen Grenzgebiet zwischen Moshi und Taveta waren ein paar
solche Kanonen weit und breit das einzige Wertobjekt in der öden Steppe,
so daß uns der Eifer des Vertreters ihrer britannischen Majestät, mit dem er
bei der Grenzfestlegung auch die paar Baobabs in das englische Gebiet ein-
zubeziehen versuchte, nur Bewunderung einflößen konnte.
Für den Wildreichtum der Steppe möge die Angabe kennzeichnend
sein, daß in einem Treiben, das die dortige Straußenzuchtgesellschaft ver-
anstaltete, während ich mit dem Gouverneur v. Liebert den Berg besuchte,
über 100 Zebra, gegen 30 Strauße und viele verschiedenartige Antilopen
vorbeigejagt wurden. Außer diesen Tieren sind Giraffen und Nashörner Be-
wohner dieser Steppen, in denen auch der Elefant erscheint. Von Vögeln
mögen noch die großen Trappen erwähnt sein. In der Nähe des Wassers
verdichtet und erhöht sich der Steppenbusch zum Wald und speziell bei
Taveta wird dieser Wald so dicht und ausgedehnt, daß er ohne ein-
heimische Führer unmöglich zu passieren ist
Geographische Zeitschrift. Jahrgang IX.
Tafel 3.
Bambus an der Westseite des Livingstonegebirges. * !
Ana dem bei D. Reimer (E. Vohsen) erscheinenden Werke von Dr. Füllebor^: *
„Die deutschen Nyassagebiete , Land und Leute"
Deutsch-Ostafrika. 83
Die zahlreichen Bäche, die auf der Südseite des Berges aus dessen
höheren Begionen das kalte Wasser rasch in die Ehene führen, vermögen
eben wegen ihres steilen Gefälles und der niederen Temperatur ihres Wassers
der austrocknenden Gewalt der Sonne und des Windes Widerstand zu leisten
und so den wasserreichsten Fluß der nördlichen Küstenabdachung, den
Pangani zu bilden, dessen Haupt-Quellfluß allerdings aus einem ausgedehnten
Papyrussumpf am Fuße des Eilimandjaro stammt. An den üfei*n seiner Zu-
flüsse sind dichte Wälder vorhanden.
Steigen wir aus dem Steppengebiete etwa 400 m in die Höhe, so ge-
langen wir an den unteren Rand der Eulturzone des Eilimandjaro, die sich
von etwa 1100 — 1700 m Meereshöhe, im Osten der Südabdachung fast 300 m
höher als im Südwesten, erstreckt Hier liegen die Militäi-stationen des Gouver-
nements, die zahlreichen Missionsstationen und die Ansiedlungen der Neger,
der Wadjagga. An der unteren Grenze dieser Zone erinnert uns das Elima
noch in vielen Zügen an die Steppe, wie die mehrjährigen Beobachtungen der
Station Moshi in 1160 m Seehöhe beweisen. Starke tägliche Schwankungen
der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit sind hier wie in der Steppe die Regel.
Die tägliche Schwankung der Temperatur beträgt im Jahresmittel 11,4® gegen
6 — 8® an der Eüste. Die relative Feuchtigkeit betrug im Oktober 1890 um
2 Uhr Vormittags 81%, um 7 Uhr Nachmittags 37%-, und im Februar 1899
ist einmal Nachmittags ein Feuchtigkeitsgehalt von nur 15^0 konstatiert worden.
Aber schon hat sich die Regentendenz entsprechend der Erhebung am
Berg gesteigert Wenn auch noch oft der meteorologische Beobachter
drohende Wolken verzeichnet, die nachher den erhofften Regen doch nicht
bringen, so ist die durchschnittliche Jahresmenge des Regens doch schon
etwa auf das Doppelte des Betrages in der Steppe gestiegen. Nach der
Lage am Südabhang bringen die Südostwinde, die in den in der Steppe fast
ganz regenlosen Monaten Juni — Oktober vorherrschen, mitunter hier schon
nennenswerte Regenmengen, der Juli 1899 z. B. 155 mm. Der Nordabhang
des Berges dagegen, der gegen diese Winde völlig geschützt ist, ist äußerst
trocken; und er gerade zeigt jene allerdürftigste Vegetation, von der bereits
die Rede war. Die Hauptregenzeiten sind aber auch in Moshi die Über-
gangszeiten zwischen dem asiatischen Nordostmonsun, der von Dezember bis
MSrz, und dem Südostpassat, der etwa von Ende Mai bis in den September
weht. So fallen die größten Regenmengen in der großen Regenzeit März —
Mai, und in der kleinen im November. Große Lufttrockenheit bis unter
207o ^^ möglichen Wasserdampfgehaltes tritt zur Zeit der stärksten Ent-
wicklung des NE-Monsuns in der heißesten Zeit, die etwa in den Februar
fallt, auf. Dieser Wind, der den hohen Berg überstiegen hat, kommt dann
warm und trocken mit föhnartigem Charakter in den tieferen Regionen an;
und so sind hier fast 1200 m über dem Meer noch Maximaltemperaturen
von 31® vorgekommen. Über das System jahreszeitlich wechselnder Winde
lagert sich hier wie in anderen Berggegenden ein täglicher Wind Wechsel, der
bei Tage aufisteigende südöstliche, in der Nacht absteigende nördlichere
Winde bevorzugt, so daß im Durchschnitt des Jahres um 2 Uhr Nachmittags
E bis SE, um 9 Uhr Abends NE-Wind überwiegt.
6*
84 Hans Maurer:
lin oberen Teil der Kulturzone 1550 m über dem Meer liegt die evan-
geliscbe Missionsstation Mamba, auf der seit einigen Jahren beobachtet wird.
Hier beträgt die jährliche Regenmenge schon 1500 mm, und die Steigungs-
regen zur Zeit des SE-Passates liefern schon namhafte Beträge. Im Juli und
August 1899 sind dort 413 nun Regen gefallen, während die große Regen-
zeit desselben Jahres Yon März bis Mai 674 mm Regen gebracht hat. Die
Nachttemperaturen der kühlsten Monate sinken schon unter 10® (S^5^ beob-
achtet), aber bei Tage kommen wir dort in der heißen Zeit immer noch
über 28®. Auch die Schwankungen der Luftfeuchtigkeit sind sehr beträcht-
lich; es sind Minima von nur 22 7o Feuchtigkeitsgehalt in der Luft beob-
achtet worden.
Welcherlei Kulturen birgt nun diese Kulturzone? Zwei Kulturpflanzen
sind es, die hier fttr den Neger von besonderer Wichtigkeit sind. Das ist
erstens die Banane, die in ausgedehnten dichten Hainen die Dörfer umgibt.
Den AMkaforscher v. d. Decken, der in den 60er Jahren des vorigen Jahr-
hunderts dieses Bananenland besuchte, begeisterte sie zu folgender Schilderung:
„Wohl nirgends gibt es Bananen von so mächtigem Wüchse und so vor-
züglicher Güte wie im Djaggaland. Kaum eine andere Nutzpflanze verlangt
weniger Arbeit, und keine überschüttet den Menschen reichlicher mit Segen.
Auf gleich großer Bodenfläche bringt sie 40 mal mehr Kahrungswert hervor
als die Kartoffel und 20 mal mehr als der Weizen. Alles an ihr ist nutz-
bar. Der saftige Schaft dient als wochenlang sich haltendes Yiehfutter.
Trockene Blätter zum Dachdecken und zur Feuerung, frische, an der Rippe
zusammengeklappte, als Lendenschurz. Nichts Zierlicheres kann man sich
denken, als eines der jungen schön gewachsenen Djaggamädchen, welches den
bronzefarbenen Leib mit einem saftgrünen Bananenblatt verschämt hat; un-
willkürlich denkt man dabei an die Feigenblätter des Paradieses — führt
doch jetzt noch die Banane den Namen Paradiesfeige. Das Beste an dem
Baume aber ist seine Frucht. Ln reifen Zustand stellt ihr Fleisch einen
süßen, würzhaften und erfrischenden halbfesten Brei vor; in ihrer eigenen
Schale gebraten oder in einer Pfanne mit etwas Butter über dem Feuer zer»
rührt gibt sie ein unübertrefflich feines Kompot. Die unreife Frucht, in
der Asche gebacken, läßt sich zu nahrhaftem Mehl verarbeiten, oder wie
Brot und Kartoffeln ohne weiteres, sowie in verschiedenartiger Zubereitung,
verwenden. — Also Brot, Kartoffeln und Obst ersetzt die Banane, abgesehen
von dem Wein, den sie liefert, sie kleidet, nährt und ergötzt den Menschen.
Wo immer auch unsere Stanmieltem ihre ersten Tage verlebt haben mögen,
wir können uns nicht vorstellen, daß es an einem Orte gewesen sei, welcher
keine Bananen hervorbringt." Die andere Kulturpflanze der Neger ist eine
Getreideart, Eleusine, aus der sie ein leichtes Bier, Pombe genannt, brauen,
das vielleicht in noch höherem Grade als die Banane die Volksnahrung vor-
stellt. Die Getreidekömer bleiben nämlich in dem Bier und werden mit-
gegessen. Ist auch dies Bier sehr leicht, so ist doch der wohlhabendere
Dschagga, speziell der Sultan, des Abends normalerweise in etwas gehobener
Stimmung. Gerade durch die drei Sultane machte die „Kultur" dieser „Kultur-
me" auf uns, die wir 1898 mit dem Gouverneur v. Liebert den Berg be-
Deutsch-Ostafrika. 85
sachten, einen sehr eigentümlichen Eindruck. Eine dem deutschen Kaiser
durch den Weltreisenden Ehlers vorgeführte Gesandtschaft der Wadjagga
hatte vom Kaiser ffir die drei Sultane zum Greschenk drei Husarenanzüge er-
halten, einen General, einen Major und einen Einjährig- Freiwilligen. Diese
Anzüge gefielen den Herrschern sehr. Als aher die heiden andern die präch-
tigeren Achselstücke des Generals hemerkten, haten sie den Stationschef in
Moshi, er solle ihnen doch auch so dicke Brettchen ftlr die Schultern schenken,
was auch geschah. Am wunderbarsten von diesen drei dunkeln Würdenträgem
trat uns der Sultan Mareale von Marangu entgegen. Er trug eine rote
Husarenjacke mit Generalsachselstücken, pralle Hosen und hohe Stiefel. Auf
dem Kopf aber prangte ein Cylinder, in den er Schlitze geschnitten hatte;
und in diese wieder waren drei große Straußenfedern gesteckt worden. Die
Ohrläppchen waren nach Massai-Art stark aufgeweitet und trugen Draht-
spiralen, die fast bis auf die Schultern herunterbaumelten, während in den
oberen Ohrzipfeln steckend spannenlange weiße Holzstäbchen rechts und links
unter dem Cylinder hervorragten. Dazu gehörte als Attribut seiner Tätig-
keit ein kleiner Kürbis an perlengeschmückter Stange, aus dem der Sultan
sein Bier trank. Er ist der einzige von den dreien, der noch lebt; die beiden
anderen wurden nach einem Rebellionsversuoh 1900 gehängt.
Die Wadjagga treiben auch Viehzucht, und zwar halten sie Hühner,
Ziegen, Schafe und Rinder. Sie haben Stallfütierung, wohl durch die Be-
drohung der viehraubenden Massai veranlaßt, eingeführt. Wir wunderten
uns, wie prächtig z. B. die Binder des Sultans Meli von Moshi aussehen, die
in den rauchigen dunklen, kegelförmigen Hütten zusammen mit den zahl-
reichen Frauen des Herrschers wohnen und nie ins Freie kommen.
Die wissenschaftliche Kilimandjarostation, die bis 1895 am Berge tätig
war, und die Missionen haben vielfache Versuche mit europäischen Garten-
kulturen und teilweise auch Feldkulturen gemacht. Alle europäischen Ge-
müse Kohl, Buben, Zwiebeln, Kartoffeln, Bettige, auch Erdbeeren
kommen ausgezeichnet. Von Kartoffeln hat man 2 Ernten im Jahfe, und
eine gesteckte Kartoffel liefert nach einem halben Jahr 20 — 30 neue.
Die katholische Mission in Kibosho hat sogar Weintrauben und Kaffee
geemtet.
Von hier aus stieg ich am 28. Februar 1898 den Berg hinauf; und ich
darf den Leser auffordern, mit mir meine Wanderung nochmals zurück-
zulegen; wir werden dabei Gelegenheit haben, das klimatische und landschaft-
liche Bild der höheren Gegenden kennen zu lernen. Von der 1400 m hohen
Missionsstation brach ich mit einer Karawane von .10 Trägem auf. Nach
kurzer östlicher Wanderung durch das Kulturgebiet von Kibosho, das haupt-
sächlich mit Bananen bestanden war, kamen wir auf etwa 1550 m Seehöhe
in die Famzone, die zunächst oberhalb der Kulturzone den Berg in einem
in Höhe kaum 100 m breiten Band umzieht. Es sind dies Adlerfame, in
deren Bestände in den oberen Teilen sich mählich lichter Wald einmischt,
der dann in den geschlossenen Urwald übergeht. Hier lag die untere Grenze
des Urwaldes schon bei 1600 m Seehöhe, während wir sie im Südosten ober-
halb Marangu erst auf 1800 m angetroffen hatten. In breitem Bande um-
S6 Hans Maarer:
gibt dieser Gürtel wald, in der Höhe der täglichen Wolkenbänke gelegen, die
Südseite des Berges. Seine obere Grenze geht nahe an 3000 m Seehöhe
heran,
Im Urwald Klimatologie treiben, ist schwer. Immerhin ließ ich einen
Thermographen in den unteren Urwaldrand stellen, und der eifrige Pater
Rohmer von Kibosho hat ihn fast ein Jahr ohne große Störungen — ab-
gesehen vom Monat Dezember, in den die vorerwähnte Rebellion zweier Sul-
tane fiel — im Gang erhalten. Dieser Thermograph war durch einen Schutz-
kasten aus starkem Blech geschützt, der mit Läden versehen war. Draht-
netze von verschiedener Maschenweite und Stärke verteidigten das Instrument
gegen Affen, unter denen der langhaarige schwarzweiße Colobusaffe im Wald
häufig ist, gegen Eidechsen und Insekten, und damit auch der Elefant es
nicht versehentlich zertrampeln konnte, war es hoch genug an einem Baum-
ast befestigt. Die Temperatur schwankt hier, je nachdem die Sonne scheint
oder nicht und die Winde bergauf oder bergab wehen, sehr stark. Es sind
hier in 1630 m Seehöhe Minima von 7^ und Maxima von 30^ vorgekonunen.
Die Nacht aber ist im allgemeinen immer kühl; das mittlere Monatsminimum
hat im Laufe des Jahres nur von 10,0® — 15,6® geschwankt, während das
mittlere Monatsmarimum von 15,5® — 27,5® geschwankt hat Der Unterschied
des Sommers vom Winter zeigt sich also hauptsächlich darin, daß die Tage
heißer sind; die Nacht bleibt gleichmäßig kühl. Die großen täglichen
Schwankungen der Temperatur finden wir also auch hier, wie in Usambara,
in der warmen Zeit der nordöstlichen Winde, die kleinen im Winter mit
vorherrschend südöstlicher Luftströmung. Der dort zur Erklärung angegebene
Grund, daß das Gebirge von Nord nach Süden abfällt, gilt hier auf der
Südseite des kolossalen Berges noch in erhöhtem Maße. Der kühlste Monat
Juli (12,3®) war nur 1® kühler als der regenreichste, der Mai. Der heißeste
war auch hier der Februar mit 21,1®.
Höher hinauf wird der Wald feuchter und hochstämmiger mit üppigerer
Vegetation und dichterem BlätterdacL Ein schmaler Pfad führt uns auf-
wärts. Steile Bachschluchten müssen gekreuzt werden, an denen prachtvolle
Baumfame sich entfalten. Dicht bemoostes Gestein in großen Blöcken, ge-
stürzte feuchtglatte Stämme, aus deren faulendem Holze epiphy tische Farne
und Moos hervorsprießen, werden überklettert. Es ist erstaunlich, wie ge-
wandt die Träger mit ihren unhandlichen Lasten diese Hindemisse nehmen.
An blühenden Blumen fallen hauptsächlich weiße, rote, gelbe und oft schön
gesprenkelte Balsaminen und Orchideen auf. Den Waldboden bedeckt statt
des Mooses in dichten Polstern eine zierliche Selaginelle. Die zahlreichen Bäche,
die den feuchten Wald durcheilen, nutzen die Bewohner zu verzweigten Wasser-
leitiingen aus, um in den tieferen Regionen der aus der Steppe heraufdringenden
Trockenheit zu begegnen. Es ist eine wichtige Arbeit der Soldaten in Moshi, wenn
das Wasser im Stationsbach ausbleibt, den Schaden aufzufinden und zu reparieren;
da hat sich denn oberhalb irgend ein kluger Anwohner eine ergiebige Ab-
leitung angelegt, pder ein Elefant hat aus Versehen auf die Wasserleitung
getreten. Diese gewaltigen Tiere klettern durch den ganzen Waldgürtel am
Berg auf und nieder. Man findet ihre Losung in der 700 m hohen Steppe
Deutsch-Ostafrika. 87
und ebenso oberhalb des Urwaldes 3000 m über dem Meer. Auch mir war
es vergönnt, ihnen in ihrem Walde zu begegnen. Lautes Krachen zur Linken,
als ob dort Holz geschlagen würde, yerkündete ihr Nahen. Und kaum hatte
mir mein DjaggafQhrer den Grund dieses Krachens erklärt, so brachen sich
schon drei Elefanten ihren Weg nach meinem Pfad etwa 20 Meter vor mir.
Der nächste, ein großer Kerl mit schönen Zähnen, schien uns entgegen tal-
ab wandeln zu wollen, so daß meine mutigen Boys sofort den Berg hinab-
liefen, und ihnen folgten die vordersten Träger unter Zurücklassung ihrer
Lasten. Ich blieb im Weg stehen, während der Führer sich seitlich hinter
einen Busch duckte und auf einem Pfeifchen ein paar Pfiffe ertönen ließ.
Möglich, daß dieser Ton dem Tiere unangenehm war, jedenfalls zog es un-
mittelbar darauf zur Rechten in den Wald weiter, wohin auch die beiden
andern sich wandten. Ob der Pfiff ihn abgeschreckt hat, kann ich nicht
sagen. Nach ihrer behaglich wiegenden Fortbewegung, mit der sie ihren
Wald durchwanderten, hätte man eher denken sollen, daß sie von uns über-
haupt nicht Notiz genommen hatten. So gewandt sie allzu dicke Stämme
umgingen, so wenig störte das fortwährende Splittern und Krachen nach
ihrer Auffassung kleiner Äste das sanfte Hin- und Herpendeln der sie zer-
trümmernden Denkerstimen.
Je höher wir kamen, desto stärker wurde die Feuchtigkeit und desto
üppiger die Moose und Flechten, die die Bäume umkleideten. Über 1900 m
trat häufig der Podocarpus, die tropische Konifere, die wir bereits aus XJsam-
bara kennen, auf; und von 2200 m an zeigten sich unter den übrigen die
Heidekrautbäume, die den obersten Teil des Waldes bilden. Mit langen und
dichten Bartflechten sind diese Bäume phantastisch behangen; man sieht den
Hauch, und leichtes Nebelrieseln umgibt uns. Der Wald lichtet sich und
weicht hier etwa bei 2600 m Seehöhe einer mit niedrigeren Heidebüschen
und ziemlich hohem Gras bestandenen Zone. Die eigentümlichen Senecio-
bäume, die nächsten Verwandten unseres kleinen Kräutchens, des Greiskrautes,
treten auf, und nach kurzer Wanderung sind wir um ly, ühr an der
Nyumba ja Mbassa, einer kleinen Felshöhle, oberhalb des Urwaldes, 3050 m
über der See. Eine kräftige Vegetation von Heidekraut, Strohblumen und
den grotesken Formen der Senecio und Lobelia bedeckt hier den Boden in
derselben Meereshöhe, wo in den Alpen ein vereinzelter Steinbrech oder
Enzian, der ein schneefreies Fleckchen gefunden hat, die Flora dieser Höhen-
lage vertritt Große Temperaturschwankungen unter Abhängigkeit von der
Bewölkung und Windrichtung sind auch hier die Regel. Ich beobachtete um
1" Nachm. 16,6®, 2" 11,6®, 3*^ wieder 15,9®, von wo die Temperatur bis
zum folgenden Morgen auf 3,9® fiel.
Am nächsten Morgen ging es weiter aufwärts. Die Vegetation nimmt
mehr und mehr ab. Zwischen den Polstern von Immortellen tritt der steinige
aus Felsgeröll und Schutt bestehende Boden mehr und mehr zu Tage. In
3200 m Seehöhe fanden wir das erste Bis im Boden, Büschel von feinen
ca. 2 cm langen Säulchen, die stockwerkartig übereinander angeordnet waren,
wie man es auch im deutschen Wald findet. Gewaltige Felsrippen, die die
einzelnen Täler voneinander trennen, laufen hier meridional vom Kibo herab.
88 Hant) Maurer:
an denen meine die Träger anfeuernde Stimme zu deren maßlosem Erstaunen
ein siebenfaches Echo weckte.
Auf 3700 m Höhe schlug ich wieder mein kleines Zelt auf und schickte
die Leute bis auf zwei Wadjagga, die bei mir bleiben sollten, nach dem
wärmeren Waldrand zurück. Hier maß ich gegen Mittag 10® Lufttemperatur,
während zugleich das Sonnenstrahlungsthermometer in der dünnen klaren
Luft über 45® anzeigte.
Noch viel kolossalere Unterschiede zwischen der Lufttemperatur und der
Sonnenstrahlungstemperatur hat Dr. Hans Meyer gemessen, der in 4360 m
Seehöhe an seinem Strahlungsthermometer 73® Maximum ablas, während die
Lufttemperatur 6® betrug. Statt bis zum nächsten Morgen an dieser Stelle
zu warten, fing ich noch am Mittag eine, wie ich anfangs annahm, orien-
tierende Kletterei nach oben an, die aber meine definitive werden sollte.
Man täuscht sich an dem gewaltigen Berge in der klaren Luft sehr stark.
Den nächsten Band, den ich über mir sah und bis zu dem ich etwa in
20 Minuten zu konunen dachte, erreichte ich erst in etwa einer Stunde. Nach
dem Übersteigen einer mit hohem Steindamm gekrönten Bippe ging es in
nordwestlicher Richtung diwch die Nachbarmulde schräg aufwärts weiter.
Vorzügliche Bilder von diesen steinigen Mulden hat uns H. Meyer in seinem
neuen herrlichen Buch: „Der Kiliman^aro" geliefert Alles ist hier bedeckt
mit Moränentrümmem, größeren und kleineren Blöcken in bröckeligem Ge-
schiebe. Ich erstieg die folgende Rippe, von Hans Meyer die rote Mauer
genannt, da der ganze, wohl mehrere Kilometer lange Steindamm mit einer
roten Flechte besetzt ist Das letzte phanerogame Pflänzchen, das ich sah,
stand auf rund 4000 m Seehöhe und war bezeichnenderweise ein Hunger-
blümchen. Hans Meyer hat noch rund 600 m höher an anderen Teilen des
Berges eine Senecio gefunden.
Der Hang selbst war ein bis auf die roten Flechten an seinen oberen
Teilen vegetationsloses Gebilde aus zerfallenden Steinchen, die in der dünnen
Luft hell wie Glasscherben ertönten und, fortwährend unter den Ftlßen
rutschend, den Aufstieg sehr erschwerten. Immerhin kam ich trotz meiner
ungenagelten Schuhe — die genagelten hatte der gestrige feuchte ürwald-
marsch gänzlich ruiniert — und obwohl meine Schuhsohlen schließlich so glatt
geschliffen waren, daß sie spiegelten, ziemlich gut vorwärts und befand mich
etwa um 2 Uhr auf einer Zacke der roten Mauer 4700 m über dem Meer.
Die Temperatur betrug hier um 2 Uhr Nachmittags noch 6,9®; Schnee lag
vielfach in den Senkungen des Bodens. Tier- und Pflanzenleben hatten bis
auf die rote Flechte und einige Vögel, die ich von weitem kreisen sah, auf-
gehört. Ihr Flug war in der dünnen Luft, deren Druck nur noch 440 mm
betrug, weithin zu vernehmen* Einmal auch klangen in dieser Einöde Töne
an mein Ohr, die ich zuerst versucht war, für menschliche Klagelaute zu
halten. Am wahrscheinlichsten ist es, daß es das Geräusch femer Stein-
stürze war, das in der dünnen Luft so sonderbar klang. Der Mawensi zeigt,
weil ihm die schützende Schneedecke fehlt, sehr stark diese energische Ge-
steinszertrümmerung, eine Folge des schroffen Wechsels hoher Erwärmung
und starker Abkühlung. Jetzt lag er klar vor mir mit seinem vielzackigen
Dentsch-OBtafrika. 89
Profil, während seinen Gipfel in der Frähe der gelvohnte Wolkenhut bedeckt
hatte. Vom Kibo dagegen und seinen Gletschern konnte ich nur durch
Nebelspalten hie und da einzelne Partien erhaschen. Vom Tal heraufeilende
und oben sich verdichtende Wolken verdeckten ihn bald gänzlich. Auch
mich umfing rings rieselnder Nebel und bei der Gefahr, in die ich so geriet^
mein einsames Zeltchen nicht wieder finden zu können, mußte ich mich zum
Rückweg bequemen. Ich verirrte mich nur wenig und erreichte in einem
heftigen Hagelschauer bald nach 4 Uhr mein kleines Zelt, wo ich in einem
Schlafsack vom Felle des Klippschiefers, eines Bewohners dieser Höhen, ver-
geblich gegen das Kopfweh ankämpfte, das durch die große Anstrengung in
der dünnen Luft entstanden war; hatte ich doch in den letzten 33 Stunden
3300 m aufwärts durch Urwald und über Steinhalden und wieder 1000 m
abwärts zurückgelegt. Die Nacht war bitter kalt. Das Wasser in meinem
Eimer zeigte eine Eisschicht von Y^ cm Dicke. Dabei war dies in der
heißesten Zeit des Jahres. Im Juli 1887 hat H. Meyer nur 700 m höher
Nachts — 14® gemessen. Merkwürdig abgehärtet gegen die Kälte zeigten sich
die beiden Wadjagga. Als ich am Abend, wo die Temperatur nur sehr wenig
über 0® lag, einen rief, erschien er ohne Zeichen von Frösteln splitternackt
Die Beiden hatten nämlich ihre spärlichen Gewänder in ein kleines Zelt um-
gewandelt, das sie gegen den Tau und Reif der Nacht schützen sollte. In
dieser Nacht hatte ich Gelegenheit, die Wahrheit einer Bergsage am eigenen
Leib zu erfahren. Es soll oft vorkommen, daß einer, der in den höheren
Teilen des Kilimandjaro an der einen Seite eines Baumes einschläft, am
andern Morgen auf der andern Seite des Baumes aufwacht. Bei mir kam
es so, daß ich in meinem Zelt einschlief, und als ich aufwachte, draußen
lag. Das Wunder erklärte sich so, daß ich mit meinem Schlafsack auf dem
abschüssigen Boden ein Stück talab gerutscht war; und ich kann mir vor-
stellen, daß jemand, der etwas unruhig schläft, hier in einer Nacht eine
ganze Reihe von Bäumen schlafend passieren kann. Am folgenden Morgen
machte ich einige interessante Luftfeuchtigkeitsbestimmungen. Ich fand früh
um 6 Uhr bei 1,8® nur 49% Wasserdampfgehalt in der Luft und dieser nahm,
solange der zu Tal wehende Wind noch anhielt, weiter ab, so daß ich um
7^* bei 5,6® Temperatur nur 37^0 Feuchtigkeit maß. Dann kam mit der
Sonne der Steigungswind auf, der die Feuchtigkeit rasch wachsen ließ, so
daß sie um 7** schon wieder 47 7o und um 9^^ 73 7o betrug. Die Wolken-
decke, mit der dieser Steigungswind bald den Kibo einhüllte, ließ mich auf
einen nochmaligen Aufstieg verzichten; ich marschierte diesen Tag ostwärts
oberhalb des Urwaldes weiter und ging am darauffolgenden Tag durch den
Urwald nach der Kulturzone zurück. Von der Gletscherwelt des Kibo, die
ich so aus nächster Nähe nicht mehr kennen gelernt habe, hat uns H. Meyer
klassische Schilderungen und ausgezeichnete Bilder in dem genannten Buche
geliefert. Die längsten Gletscher hat er auf der Westseite des Berges ge-
funden, wo der Drygalskigletscher bis auf 4870 m Meereshöhe seine Zunge
herabstreckt. Gerade in den unteren Teilen stellt dieser Gletscher ein
färchterliches Konglomerat von Eisblöcken dar, das Hans Meyer, der dahin
nur von einem Neger begleitet kam (sein europäischer Begleiter war erkrankt).
90 Hans Maurer: Deutsch-Ostafrika.
nur ganz am Rande betreten konnte. Die starke tropische Sonne erzeugt
hier im Eise sonderbare Schmelzformen, die vielfach an die sogenannte Nieve
penitente, den Büßerschnee der südamerikanischen Anden, erinnern.
Welche Welt von Eis und Schnee liegt nun noch oberhalb dieser Zone,
wo wir uns noch nicht 5000 m über dem Meer befinden, bis zur Kaiser-
Wilhelm-Spitze, dem über 6000 m hohen äußersten Punkte des Kraterrandes!
An diesem selbst hat H. Meyer eine Eismauer vorgefunden, deren Schichten-
dicke 60 m erreicht Also selbst mitten im tropischen Afrika finden wir
Eismauern, die an Höhe mit denen, die in der Südpolarwelt Roß entdeckt
und Borchgrevingk bestiegen hat, wetteifern können. Man muß nur hoch
genug hinaufsteigen. (Fortsetzung folgt.)
Ziel nnd Methode des geo^aphisehen Unterrichts.
Von Professor Dr. Langenbeok in Straßburg.
Auf dem letzten Geographentage in Breslau war der Schulgeographie
reichlichere Zeit fttr ihi-e Verhandlungen zugemessen, als bisher üblich, und
gerade methodische Fragen sind dort in einer langen Nachmittagssitzung
sehr eingehend erörtert worden. Es könnte daher wohl überflüssig erscheinen,
daß ich zu diesen Fragen jetzt nach wenig mehr als Jahresfrist von neuem
das Wort ergreife. Aber gerade in Breslau zeigte es sich, daß über die
Methodik des geographischen Unterrichts die Anschauungen der Lehrer der
Erdkunde an unseren höheren Schulen noch außerordentlich weit auseinander
gehen, daß sich die neuere, von Alfred Kirchhoff begründete Unterrichts-
methode noch durchaus nicht überall Anerkennung verschafft hat, und daß
selbst über die Ziele, welche sich der geographische Unterricht zu stecken
hat, noch keineswegs die volle Klarheit und Übereinstimmung herrscht. Ich
bin daher gern der Aufforderung des Herausgebers dieser Zeitschrift nach-
gekommen, meine Ansichten über Ziel und Methode des geographischen Unter-
richts hier in Kürze darzulegen.
Daß sich auf dem Gebiete des geographischen Unterrichts eine einheit-
liche Methodik noch nicht herausgebildet hat, daß über die Bedeutung der
einzelnen Zweige der Erdkunde für den Unterricht und über den Umfang,
in welchem sie auf unseren höheren Schulen betrieben werden sollen, die
Ansichten noch so geteilt sind, ist ja eigentlich nicht gerade verwunderlich.
Ist doch die Erdkunde an unseren höheren Schulen so lange das Stiefkind
gewesen und beginnt sich erst ganz allmählich die ihr gebührende Stellung
innerhalb der anderen Unterrichtsgegenstände zu erringen I Trotz mancher
dankenswerten Fortschritte wird auch gegenwärtig dem geographischen Unter-
richte noch keineswegs von allen Seiten die rechte Würdigung zu teil. Das
zeigt sich wieder einmal so recht deutlich in dem zur Zeit in Baden aller-
dings vergeblich gemachten Versuch, die Geographie als selbständiges Prü-
fungsfach bei der Prüfung der Kandidaten des höheren Lehramts zu beseitigen.
Gerade wegen des in weiten Kreisen noch inuner so geringen Verständnisses
Langenbeck: Ziel und Methode de» geographischen Unterrichts. 91
üär den Wert des geographischen Unterrichts halte ich es für notwendig,
zunächst noch einmal in Kürze darzulegen, welche Bedeutung ihm innerhalb
der anderen SchulflU^her auf imseren höheren Schulen zukonmit, welche Auf-
gaben er hier zu erfüllen hat, trotzdem ich mir bewußt bin, hier nichts
Neues sagen zu können. Die leitenden Gesichtspunkte für den geographischen
Unterricht sind von Männern wie H. Wagner, A. Kirchhoff, B. Lehmann
so klar dargelegt, seine Bedeutung für den Gesamtunterricht ist von ihnen
so oft und eingehend erörtert worden, daß ich ihren Ausführungen in der
Tat nichts Wesentliches hinzuzufügen vermag.
Es liegt zunächst auf der Hand, daß die Erdkunde ein ganz hervor-
ragend praktischer Lehrgegenstand ist, und daß der Geographielehrer die
praktischen Gesichtspunkte niemals außer acht lassen darf, wenn er seinen
Unterricht wirklich nutzbringend gestalten will. Gerade in der gegenwärtigen
Zeit, in der sich Handel und Verkehr in so ungeahnter Weise entwickelt haben,
in der wirtschaftliche Fragen das Leben der Völker in erster Linie beherrschen,
ist die Erwerbung gründlicher geographischer Kenntnisse nicht nur für den
Kaufmann und Industriellen, sondern für jeden Gebildeten ein unabweisbares
Erfordernis. Wenn es früher, als wir noch in kleinen und beschränkten Ver-
hältnissen lebten, vielleicht genügte, das eigene Vaterland und die nächsten
Nachbarländer gründlich kennen zu lernen, so ist es heute, wo der deutsche
Handel die gesamte Erde umfaßt, wo Deutschland seit zwei Jahrzehnten in
die Reihe der großen Kolonialmächte eingetreten ist und angefangen hat, in
großem Maßstabe Weltpolitik zu treiben, durchaus notwendig, unseren Blick
zu erweitem über das ganze Erdenrund. Es muß jetzt von jedem Gebildeten
verlangt werden, daß er einigermaßen orientiert ist über die Lage der großen
Handels- und Lidustriezentren, über die Richtung der Hauptverkehrswege,
über die gegenseitigen Beziehungen der Haupt-Länder und -Völker der Erde
zueinander. Nicht minder wichtig ist es, klare Vorstellungen zu gewinnen
über die Bevölkerungsdichte der einzelnen Länder, ihre Hauptprodukte und
Industrieerzeugnisse, soweit sie wenigstens für den Welthandel Bedeutung
haben, endlich über die klimatischen und sonstigen Verhältnisse, die für
die Besiedelungs- und Bebauungsfähigkeit der verschiedenen Gegenden maß-
gebend sind. Alle diese Kenntnisse hat daher die Schule ihren Zöglingen
im geographischen Unterricht zu übermitteln. Einen wie großen praktischen
Wert gerade für Kaufleute, Industrielle und Politiker man auch in England
einem gründlichen geographischen Schulunterricht zuzuerkennen beginnt, kann
man aus einem auch sonst sehr lesenswerten Aufsatz von James Brjce^)
ersehen. Auch in dem neuen preußischen Regulativ ist der praktische Nutzen
des geographischen Unterrichts ganz besonders betont, vielleicht sogar zu sehr.
Ich teile in dieser Hinsicht durchaus die Bedenken, welche Auler^) auf
dem Geographentage in Breslau äußerte. Unsere höheren Schulen sollen
ja gewiß die praktischen Gesichtspunkte nicht außer acht lassen, aber ihre
1) The Importance of Geography in Education. Geogr. Joum. Vol. XIX. 1902,
p. 801- «18.
2) Verh. des 13. Deutschen Geographentages in Breslau 1901. S. 86.
92 Langenbeck:
erste uod vornehmste Aufgabe ist doch, Geist und Gemüt der Schüler zu
bilden. Der Wert des einzelnen Unterrichtsfaches im Gesamtorganismus der
Schule wird daher auch nicht in erster Linie nach dem praktischen Nutzen,
den es gewährt, zu beurteilen sein, sondern danach, was es für die Geistes-
und Gemütsbildung der Schüler zu leisten vermag.
Die eigentliche Bedeutung des geographischen für den Gesamtunterricht
liegt in dem eigentümlich assoziierenden Charakter der geographischen Wissen-
schaft. Das hat schon zu einer Zeit, in der der geographische Unterricht
bei uns noch tief daniederlag, mit voller Klarheit Her hart erkannt und
ausgesprochen, darauf haben die neueren Methodiker der Erdkunde, wie
H.Wagner, A. Kirchhoff, R. Lehmann, H. Matzat, Chr. Gruber immer
von neuem hingewiesen. Die Geographie wurzelt auf der einen Seite in den
Naturwissenschaften, sie hat auf der anderen Seite die innigsten Beziehungen
zur Geschichte und Völkerkunde. Sie allein kann daher zwischen diesen
beiden sonst getrennten Wissenszweigen die Brücke schlagen, sie allein die
Beziehungen zwischen Natur und Völkerleben aufhellen. Die Geographie
lehrt uns nicht nur die Erde als den Schauplatz der geschichtlichen Ereig-
nisse kennen, sie gibt uns auch wichtige Fingerzeige dafür, weshalb sich die
Völkerzüge in dieser oder jener Richtung bewegten, weshalb gewisse Gregenden
zu den verschiedensten Zeiten die bevorzugten Schauplätze kriegerischer Er-
eignisse gewesen sind. Sie zeigt, auf welchen natürlichen Grundlagen die
Verschiebungen in den Machtstellungen der verschiedenen Staaten oder der
Provinzen des einzelnen Staates, die Entwickelung großer Handels- und In-
dustriezentren , die Bevorzugung gewisser Verkehrsstraßen beruhen. Vor allem
aber gibt sie uns Aufschluß über den Einfluß des gesamten Milieus auf die
Entwickelung des Völkerlebens, auf die eigenartige Ausbildung d^ einzelnen
Kulturen, vielfach auch auf die Gestaltung der politischen Verhältnisse.
Auf der anderen Seite aber lehrt uns die Geographie auch erkennen, wie
durch die Kulturarbeit des Menschen die natürlichen Verhältnisse der Erd-
oberfläche umgestaltet sind, wie die Wegsamkeit der einzelnen Gegenden sich
erhöht hat, welche durchgreifenden Veränderungen die Pflanzen- und Tierwelt
und selbst das Klima imter dem Einfluß der menschlichen Tätigkeit erlitten
haben, wie durch den Gang der geschichtlichen Ereignisse der Wert der Lage
vieler Orte und Landschaften sich vollständig verschoben hat, wie gewisse
Verkehrsstraßen . ihre frühere Bedeutung verloren, andere eine ungeahnte Be-
deutung gewonnen haben.
Aber nicht nur zwischen Geschichte und Naturwissenschaften bildet die
Geographie das Bindeglied, sondern auch zwischen den einzelnen naturwissen-
schaftlichen Disziplinen untereinander, hierin am nächsten der Geologie
verwandt, die uns lehrt, wie der Aufbau der festen Ei'drinde zu stände ge-
kommen ist durch das Zusammenwirken der verschiedensten chemischen und
physikalischen Vorgänge sowie der Entwickelung des Pflanzen- und Tier-
lebens. Li ähnlicher Weise hat die physische Erdkunde die Aufgabe, zu
zeigen, wie die Natur eines Landes das Produkt seines geologischen Auf-
baues, seines Klimas, seiner Pflanzen- und Tierwelt ist, und die Abhängigkeit
darzulegen, in welcher diese einzelnen Faktoren zueinander stehen. Nicht
Ziel und Me'lhode des geographischen Unterrichts. 93
unpassend vergleicht sie daher Bryce*) mit einer großen Vorhalle, von der
aus zahlreiche Türen zu den einzelnen naturwissenschaftlichen Fächern
hinführen.
Als Bildungsmittel hat aber die Erdkunde auf der Schule auch deshalb
eine so hohe Bedeutung, weil sie derjenige Lehrgegenstand ist, welcher am
frühesten in der Lage ist, von der einfachen Schilderung des Tatsächlichen zur
Erklärung der Tatsachen fortzuschreiten und dadurch schon frühzeitig in den
Schülern das Gefühl für die in der Welt der Erscheinungen lierrschende
Gesetzmäßigkeit zu wecken. Auf diesen Punkt hat mit ganz besonderen
Nachdruck B. Lehmann^ hingewiesen und an zahlreichen Beispielen gezeigt,
daß es schon auf der ersten Unterrichtsstufe, in Sexta, möglich ist, die Ur-
sachen für viele geographische Erscheinungen den Schülern verständlich zu
machen. Daß endlich bei einem richtig gehandhabten geographischen Unter-
richt auch Gemüt und Phantasie der Schüler nicht zu kurz kommt, daran
will ich hier nur eben erinnern.
Meine weiteren Ausführungen möchte ich anknüpfen an die drei letzten
preußischen Regulative. Als allgemeines Lehrziel für den geographischen
Unterricht wird in diesen angegeben:
1882: „Grundlehren der mathematischen Geographie. Kenntnis der
wichtigsten topischen Verhältnisse der Erdoberfläche und der gegenwärtigen
politischen Einteilung; eingehendere Kenntnis von Mitteleuropa in beiden
Beziehungen. Für Realgymnasien außerdem Übersicht über die Haupt-
verkehrswege in und zwischen den Ländern der wichtigsten Kulturvölker der
Gegenwart."
1892: „Verständnisvolles Anschauen der umgebenden Natur imd der
Kartenbilder, Kenntnis der physischen Beschaffenheit der Erdoberfläche und
ihrer politischen Einteilung, sowie der Grundzüge der mathematischen Erd-
kunde."
1901: „Verständnisvolles Anschauen der umgebenden Natur und der
Kartenbilder, Kenntnis der physischen Beschaffenheit der Erdoberfläche imd
der räumlichen Verteilung der Menschen auf ihr, sowie Kenntnis der Grund-
züge der mathematischen Erdkunde."
Man sieht auf den ersten Blick, welch' durchgreifende Änderung in der
Auffassung des geographischen Unterrichtes sich bei der preußischen Unter-
richtsverwaltung in den letzten 20 Jahren vollzogen hat, wie außerordentlich
seine Aufgaben erweitert und vor allen Dingen vertieft sind. Geblieben
ist in den drei Fassungen des Lehrziels lediglich die „Kenntnis der Grund-
züge der mathematischen Erdkunde". Dieser Zweig der Geographie ist in
der Tat stets der am wenigsten umstrittene gewesen. Daß elementare
Kenntnisse in der mathematischen Geographie notwendig zur allgemeinen
Bildung gehören und daher auf den höheren Schulen erlernt werden müssen,
ist wohl immer anerkannt worden, wenn es auch mit der Durchftlhrung der
letzteren Forderung zuweilen recht übel bestellt gewesen ist. Auch darüber
1) a. a. 0. S. 803.
2) Der Bildungswert der Erdkunde. Verh. des 11. Deutschen Geographen tages
in Bremen 1896. S. 191—219.
^4 Langenbeck:
hat nie Zweifel bestanden, daß die mathematische Erdkunde nicht einer
einzelnen Klasse zuzuweisen sei, sondern daß ihre Lehren den Schülern
nach und nach, ihrer wachsenden Auffassungsfähigkeit für diese doch ziem-
lich abstrakten Dinge entsprechend, vorgeführt werden müssen. Ein paar
methodische Bemerkungen scheinen mir aber doch auch hier am Platze.
Jeder Lehrer der Erdkunde wird ans eigener Erfahrung wissen, wie
schwer es den meisten Schülern wird, von den Lehren der mathematischen
Erdkunde klare Vorstellungen zu gewinnen, und wie rasch die Kenntnisse
auf diesem Gebiete wieder verloren gehen. Man frage nur einmal die Primaner
bei Beginn des letzten Kursus der mathematischen Geographie, was sie unter
geographischer Länge und Breite verstehen, oder wie sie sich den Wechsel
der Jahreszeiten erklären. Man wird von der Mehrzahl gar keine oder ganz
verkehrte Antworten erhalten. Deshalb scheint es mir durchaus erforderlich,
daß auf allen Klassen, in denen überhaupt selbständiger geographischer Unter-
richt erteilt wird, einige Stunden der mathematischen Erdkunde gewidmet
werden. Nur durch inuner neue Wiederholung und ganz allmähliche Er-
weiterung und Vertiefung des Stoffes ist es zu erreichen, daß ihre so wichtigen
Grundlehren den Schülern allmählich in Fleisch und Blut übergehen. Dazu
müssen sich auf jeder ünterrichtsstufe einige wenige Stunden erübrigen lassen.
Einige weitere Bemerkungen möchte ich mir über den Unterricht in
der mathematischen Erdkunde auf der obersten Stufe, der Prima, erlauben.
Dieser Unterricht ist in Preußen und, soweit mir bekannt, auch in allen
übrigen deutschen Staaten von dem eigentlichen geographischen Unterricht
getrennt und der Mathematik oder Physik zugewiesen. Gegen die Zweck-
mäßigkeit dieses Verfahrens sind verschiedentlich von selten der Geographen
Bedenken geäußert worden. So sagt R. Lehmann^): „Bei jener Anknüpfung
an den mathematischen bez. physikalischen Unterricht erwächst für die
mathematische Erdkunde, wenn sie dabei überhaupt genügend zur Geltung
kommt, doch sehr die Gefahr, daß dabei zu sehr das rein Mathematische
und Mathematisch -Physikalische in den Vordergrund tritt und die speziell
geographischen Gesichtspunkte und Anwendungen zu sehr zurückgedrängt
werden!" Ganz ähnliche Befürchtungen hat neuerdings auch H. Wagner in
seiner Denkschrift*) ausgesprochen. Auch mir scheinen diese Bedenken nicht
ganz unberechtigt, ich bin aber trotzdem der Ansicht, daß der Unterricht in
der mathematischen Erdkunde in Prima nicht gut von dem mathematischen
und physikalischen getrennt werden kann, nicht nur, weil ihre Lehren sich
sämtlich als solche der angewandten Mathematik erweisen, sondern vor allem,
weil sie sich dem Primaner nur dann gründlich einprägen, wenn er auch
zahlreiche Aufgaben aus dem Gebiete vollständig durchrechnet. Es muß
daher die mathematische Geographie in Prima mit der sphärischen Trigono-
metrie und der Lehre von den Kegelschnitten Hand in Hand gehen, und es
kann daher der Unterricht in ihr mit wirklichem Erfolg meiner Überzeugung
nach nur von dem Mathematiker erteilt werden. Dabei ist es freilich, wie
1) a. a. 0. S. 202.
2) Die Lage des geographischen Unterrichts an den höheren Schulen Preußens
um die Jahrhundertwende. 1900. S. 55.
Ziel und Methode des geographischen Unterrichts. 95
aach H. Wagner hervorhefbt, in hohem Grradc wünschenswert, dafs dieser
auch über einen guten Fond wirklich geographischer Kenntnisse verfügt.
Man sollte darauf hinzuwirken suchen, daß die Lehrer der Mathematik und
Physik in Prima eine facultas docendi auch in Geographie wenigstens füi*
die mittleren Klassen erworben hätten. Die Geographie liegt ihren Haupt-
fächern ja so wie so näher, als Botanik und Zoologie, die so häufig von den
Mathematikern als Nebenfach gewählt werden. Immer wird sich das ja
freilich nicht erreichen lassen; dem Zukurzkommen der geographischen Ge-
sichtspunkte bei dem Unterricht in der mathematischen Erdkunde in Prima
würde man aber auch dadurch wirksam entgegentreten können, daB diesem
Unterricht ein von einem geographischen Fachmann verfaßter Leitfaden dieses
Unterrichtszweiges zu Grunde gelegt würde statt der Anhänge über mathe-
matische Geographie, die sich in den meisten der jetzt gebräuchlichen Schul-
lehrbücher über Physik finden. In ihnen treten in der Tat kosmologische
und astronomische Probleme meist sehr in den Vordergrund, die geographischen
Gesichtspunkte zurück. Das gilt vor allem für die Kartenprojektionslehre,
die entweder gar nicht oder in ganz dürftiger und unzureichender Weise be-
handelt wird. So werden selbst in dem sonst so vortrefflichen Lehrbuch der
Physik von Jochmann-Spies nur die orthographische, stereographische und
Merkator-Projektion besprochen, von denen die erstere doch gegenwärtig nur
noch für Mondkarten benutzt wird, die zweite auch nur sehr beschränkte
Anwendung findet. Die unsere Atlanten beherrschenden Projektionsarten
dagegen, die Flamsteedsche, Bonnesche, Mollweidesche und die Lam-
bertschen Projektionen bleiben unerwähnt. Ja es findet sich sogar der Satz:
„Die meiste Anwendung findet im übrigen (d. h. neben der Merkator-Projektion)
die stereographische Projektion", der so recht zeigt, wie gering unter Um-
ständen die geographischen Kenntnisse selbst eines tüchtigen Physiklehrers sind.
Der Wert der Kartenprojektionslehre für den Unterricht wird überhaupt
bisher viel zu wenig gewürdigt. In den iheisten unserer höheren Lehranstalten
kommt sie zur Zeit wohl ganz zu kurz und doch verdiente sie durchaus
eine eingehende Behandlung. Verständnisvolles Anschauen der Kartenbilder
wird in dem preußischen Regulativ mit Recht ausdrücklich unter den Lehr-
zielen des geographischen Unterrichts gefordert. Dazu gehört aber doch vor
allen Dingen, daß der, welcher eine Karte studiert, sich darüber Rechenschaft
zu geben im stände ist, was denn die Projektionsart, in der die Karte ent-
worfen ist, leisten kann, was nicht; welche Verhältnisse der Erdoberfläche
sie getreu wiedergibt, welche Verzerrungen bei den anderen eintreten. So
weit sollten wir die Schüler in die Kartenprojektionen einführen, um sie
dazu zu befähigen. Die grundlegenden Begriffe, wie Flächentreue, Winkel-
treue, Mittabstandtreue, sollten ihnen durchaus geläufig werden. Eines näheren
Eingehens auf diesen Gegenstand entheben mich die so vortrefflichen Aus-
führungen von Bludau^) auf dem Breslauer Geographentage, denen ich voll
und ganz zustimme. Ich möchte nur auch hier wieder neben einer ganz
1) Was gehört aus der Projektionslehre auf die Schule? Verb, des 13. Deutschen
Geographentages in Breslau 1901. S. 124—130.
96 Langenbeck:
elementaren Behandlung der Projektionslehre auf Untersekunda einer etwas
eingehenderen und vertiefteren auf Oberprima das Wort reden. Dem Mathe-
matiker, der ja auch weiterhin wohl diesen Unterricht zu erteilen haben wird,
bietet sie ja auch von seinem speziellen Standpunkte aus interessante Pro-
bleme genug.
Wenn wir von der mathematischen Geographie absehen, die unter allen
Umständen eine gründliche Behandlung erfahren muB, so liegt im übrigen
ohne Zweifel der Schwerpunkt des geographischen Unterrichts in der Länder-
kunde. Die allgemeine Erdkunde muß ihr gegenüber ganz zurücktreten.
Denn die Länderkunde ist es doch, die uns alle die für das praktische Leben
notwendigen Kenntnisse yon der Erdoberfläche, deren Bewohnern, ihren Siede-
lungen und ihren gegenseitigen Beziehungen vermittelt, in ihr kommt aber
auch allein der dualistische und assoziierende Charakter der Erdkunde klar
zum Ausdruck, während in der allgemeinen Erdkunde die einzelnen Zweige
sich zu mehr oder weniger selbständigen Teilwissenschaften entwickeln. Die
Länderkunde wird daher nicht nur den praktischen Aufgaben des geogra-
phischen Unterrichts gerecht, sondern sie ist auch in erster Linie dazu be-
rufen, dessen Hauptzweck, die verschiedenen Zweige der Naturwissenschafken
und diese als Ganzes wieder mit den Geisteswissenschaften in Verbindung
zu bringen, gerecht zu werden. Dazu kommt, daß die allgemeine Erdkunde,
die aus den Einzelerscheinungen die allgemeinen Gresetze abzuleiten sucht,
doch mit Erfolg erst dann betrieben werden kann, wenn sich die Schüler in
der Länderkunde gründliche und umfassende Kenntnisse erworben haben,
und daß sie außerdem so mannigfache naturwissenschaftliche, namentlich
physikalische und mineralogische Kenntnisse voraussetzt, daß ihre Lehren auf
den unteren und mittleren Klassen den Schülern nicht wohl zum vollen Ver-
ständnis gebracht werden können. Ganz mit Recht verweist daher das neue
Regulativ die allgemeine Erdkunde auf die oberen Klassen, wenn sie dabei
freilich auch auf den Gymnasien, für welche auf den oberen Klassen ja nur
einige Repetitionsstunden vorgesehen sind, etwas zu kurz kommen wird.
Wenden wir uns nunmehr der Länderkunde zu, so finden wir ihre Auf-
gaben in den drei preußischen Regulativen sehr verschieden gefaßt. In dem
Regulativ von 1882 tritt die physikalische Geographie noch sehr zurück,
denn neben der politischen Einteilung wird dort nur Kenntnis der wichtigsten
topischen Verhältnisse der Erdoberfläche verlangt, während in den beiden
neueren Regulativen „verständnisvolles Anschauen der umgebenden Natur
und der Kartenbilder und Kenntnis der physischen Beschaffenheit der Erd-
oberfläche'^ bei den Schülern angestrebt wird. Die politische Geographie
dagegen, die 1882 entschieden noch im Vordergrunde stand, ist in der Fassung
des allgemeinen Lehrziels im Regulativ von 1901 gar nicht ausdrücklich
genannt, an ihre Stelle ist „Kenntnis der räumlichen Verteilung der Menschen
auf der Erdoberfläche" getreten. Alle Vertreter der neueren Methodik im
erdkundlichen Unterricht werden diese Veränderungen in der Fassung des
allgemeinen Lehrziels ebenso wie die 1901 ausdrücklich ausgesprochene An-
erkennung der Geographie als naturwissenschaftliche Disziplin als einen ent-
schiedenen Fortschritt begrüßen, während die Anhänger der älteren Richtung
Ziel und Methode des geographischen Unterrichts. 97
wohl manche Bedenken dagegen haben werden. In der Tat drehen sich
alle methodischen Erörterungen über Schulgeographie während der letzten
Jahrzehnte wesentlich um die drei Fragen: 1. In welchem Umfange sind die
physische und politische Geographie im Schulunterricht zu behandeln, welchen
von beiden ist der Vorrang zuzugestehen? 2. Ist bei der Behandlung der
physischen Erdkunde mehr Gewicht auf die Einprägung der Topik oder auf
die Erkenntnis der physischen Verhältnisse der Erdoberfläche zu legen?
3. Sind physische und politische Verhältnisse bei der Landeskunde getrennt
oder im innigen Zusammenhang miteinander durchzunehmen? Mit diesen
drei Fragen werden wir uns daher auch hier näher zu befassen haben.
Unsere älteren Geographielehrer, die eine ausschließlich historisch-philo-
logische Vorbildung genossen hatten, betrachteten die Erdkunde nur als eine
Hilfswissenschaft der Geschichte, den erdkundlichen Unterricht nur als ein
Anhängsel des historischen. Sie legten dementsprechend seinen eigentlichen
Schwerpunkt in die politische Geographie. Die physischen Verhältnisse
der Erdoberfläche waren flir sie nur mehr das äußere Gerüst für diese.
Die physische Landeskunde wurde daher mehr oder weniger kursorisch be-
handelt, bei der politischen dagegen länger verweilt, der Verlauf der Staat«-
und Provinzgrenzen, die staatlichen Einrichtungen und politischen Macht-
faktoren, die Lage der wichtigeren Städte, die Verteilung der Bevölkerung
nach ihrer Dichte, ihrer Nationalität und Konfession wurden eingehender be-
handelt Auf der anderen Seite hat es, nachdem die Geographie sich zu
einer wesentlich naturwissenschaftlichen Disziplin entwickelt hatte, auch nicht
an solchen Geographielehrem gefehlt, welche in das entgegengesetzte Extrem
verfielen, die auch in der Behandlung der Landeskunde auf der Schule die
physischen Gesichtspunkte ganz in den Vordergrund schoben, die politische
Geographie eigentlich nur als ein notwendiges Übel betrachteten, die nun
einmal in keinem anderen Unterrichtsfache, als dem erdkundlichen behandelt
werden könne, aber eigentlich gar nicht zur Geographie gehöre und daher
so rasch als möglich zu erledigen sei, um den Hauptteil der Zeit der phy-
sischen Erdlmnde widmen zu können. Ich muß gestehen, daß ich selbst in
den ersten Jahren, als ich mich eingehender mit der Erdkunde zu beschäftigen
begann, ähnlichen Ideen gehuldigt habe und wie mir, wird es wohl manchen
von denen, die von mathematischen oder naturwissenschaftlichen Studien aus
zur Erdkunde geführt wurden, ergangen sein. Beide Richtungen sind der
Entwicklung eines gedeihlichen geographischen Unterrichts auf unseren höheren
Schulen in hohem Grade hinderlich gewesen. Dem vorzugsweise auf die
politische Geographie hin gerichteten Unterricht fehlte der eigentliche geistige
Gehalt, er war mehr formal und äußerlich, vermochte die Schüler nicht an-
zuregen, ihnen kein lebhafteres Interesse für den Gegenstand abzugewinnen.
Daher blieben auch seine Ergebnisse so außerordentlich dürftig. Bei dem
die physischen Verhältnisse ausschließlich bevorzugenden kamen nicht nur
viele der praktischen Aufgaben der Geographie, sondern auch die so wichtigen
Beziehungen zur Geschichte und Völkerkunde zu kurz. Vor allem aber er-
zeugte diese Behandlungsweise bei vielen Leitern unserer höheren Schulen
ein leider auch jetzt noch nicht ganz überwundenes Mißtrauen, wesentlich
Oeogrftphisohe Zeitsohrift. 9. Jahrgang. 1903. 2. Heft. 7
98 Langenbeck:
naturwissenschaftlich vorgebildeten Lehrern und selbst speziellen Fachgeographen
den Unterricht in der Erdkonde anzuvertrauen. Ich glaube, daß die beiden
extremen Richtungen jetzt so ziemlich überwunden sind. Der geographische
Unterricht geht jetzt mehr und mehr in die Hände von Fachlehrern über,
und auch die reinen Historiker und Philologen, die denselben ja noch vielfach
erteilen, pflegen der physischen Landeskunde doch jetzt meist mehr Zeit zu
widmen, als ehedem. Dazu werden sie schon durch die Lehrbücher gezwungen,
von denen auch die, welche noch nicht ganz auf der Höhe modemer Methodik
stehen, doch der physischen Landeskunde einen breiten Raum zugestehen.
Die Fachgeographen aber haben unter dem Einfluß bedeutender Hochschul-
lehrer, wie vor allem Kirchhoff und Ratzel, gelernt, daß die Erdkunde,
unbeschadet ihres naturwissenschafblichen Grundcharakters, doch in ihrem
speziellen Teil, in der Länderkunde, die menschlichen und historischen Elemente
nicht entbehren kann, daß die eine Zeit lang etwas in Verruf gekommene
politische Geographie einer wirklich wissenschaftlichen Behandlung fähig ist
und einen integrierenden Bestandteil der Länderkunde bildet.
An die Stelle der Staatenkunde, wie sie früher gelehrt wurde, ist jetzt
an unseren höheren Schulen inuner mehr wirkliche Länderkunde getreten,
deren Aufgabe es ist, die einzelnen Landschaften als geographische Individuen
und in ihrem Zusammenhang mit den höheren geographischen Einheiten, denen
sie angehören, verstehen zu lernen, die Wechselbeziehungen zwischen den
physischen Erscheinungen einerseits, der Entwicklung des Völkerlebens, der
menschlichen Siedlungen und staatlichen Einrichtungen andererseits, darzulegen,
aus den einzelnen physischen und anthropogeographischen Zügen, die sich
in einer Landschaft ausprägen, ein GesamtbDd derselben zu entwerfen. Aus
diesen Aufgaben der Länderkunde ergeben sich nun ohne weiteres das Ver-
hältnis des physischen zu dem politischen Anteil und der Umfang, in
welchem beide Teile im Unterricht zu behandeln sind. Die physischen Ver-
hältnisse, so mannigfach auch der Mensch auf sie umgestaltend einwirkt,
bleiben doch in ihren wesentlichen Zügen durch sehr lange Zeiträume un-
verändert, sie sind das durch alle Wechsel Dauernde in dem geographischen
Bilde. Aus Wüsten werden nie fruchtbare Ackerbaulandschaften, aus Steppen-
gegenden keine Waldgebiete, aus Gebirgen keine Ebenen, außer in Zeiträumen,
die weit länger sind, als die ganze Geschichte der Menschheit. Die Bevölke-
rungs- und Siedelungsverhältnisse dagegen, die Verkehrswege, die politischen
Grenzen und staatlichen Gebilde sind oft sehr raschen und tiefgreifenden
Veränderungen unterworfen. Dabei wird jedes neue Bevölkerungselement,
das in ein Gebiet eindringt, sich dessen physischen Verhältnissen bis zu
einem gewissen Grade anbequemen müssen, seine Sitten und Gewohnheiten,
seine Wirtschafts- und Siedelungsverhältnisse werden mannigfache Verände-
rungen erleiden. Wo es aber auch einem Volke gelingt, einer Landschaft
seine Eigenart ganz aufzuprägen und durchgreifende Veränderungen in ihr
hervorzubringen , wie es bei der Urbarmachung großer Waldgebiete , der
künstlichen Bewässerung trockener, der Entwässerung von Sumpf- und Moor-
gebieten der Fall ist, so treten diese Veränderungen uns doch vielfach
•n erster Linie eben in der Umgestaltung der physischen Landschaftszüge
Ziel und Methode des geographischen Unterrichts. 99
entgegen. In anderen Fällen ist es allerdings die Veränderung der wirt-
schaftlichen und Siedellingsverhältnisse, welche dem Bilde einer Landschaft
ein ganz neues Gepräge gibt. Wie anders ist das Bild von Oberschlesien
jetzt und vor etwa 6 Jahrzehnten. Damals ein dünnbevölkertes Land mit
wenigen kleinen Landstädten und ärmlichen Dörfern; jetzt dicht beieinander
gedrängt volkreiche Ortschaften mit großartigen industriellen Anlagen, reiches
geschäftiges Leben überall. Aber daß diese Umgestaltimg des Landes dem
Menschen möglich war, beruht doch nur auf dem Vorhandensein der reichen
Steinkohlen-, Eisen- imd Zinklager, also wieder auf den natürlichen Verhält-
nissen. Diese treten überall als das in erster Linie Bestinmiende im Cha-
rakter der Landschaft hervor. Daher wird auch im Unterrichte, wenigstens
auf den mittleren und oberen Klassen, wo die Wechselbeziehungen zwischen
Erde und Mensch den Schülern klargelegt werden können und müssen, die
Behandlung der physischen Verhältnisse im Vordergrunde zu stehen haben,
gegen die das Politische mehr zurücktritt. Auf diesen Unterrichtsstufen
müssen die physischen Verhältnisse wirklich gründlich behandelt werden. Es
genügt hier nicht mehr, die Oro- und Hydrographie eines Landes vorzuführen,
auch der geologische Aufbau des Landes, das Klima, die Pflanzen- und Tier-
welt, ohne deren Kenntnis ja die Landschaftsformen, vor allem aber das
ganze wirtschaftliche Leben unverständlich bleiben, sind eingehend zu er-
örtern, ohne daß es dabei nötig ist, auf Einzelheiten, mögen sie an sich
noch so interessant sein, einzugehen. Ich halte es z. B. nicht für nötig, etwa
die geologischen Formationen, die bei dem Aufbau eines Landes beteiligt sind,
durchzimehmen, höchstens wird man der Kohlenformation Erwähnung tun,
aber erfahren müssen die Schüler, ob ein Land aus festem Gestein oder
lockerem Schwemmland aufgebaut ist, welchen Anteil plutonische und vul-
kanische Gesteine, krystallinische Schiefer, Grauwacken, Sand- und Kalk-
gesteine an seiner Zusammensetzung haben. Und damit solche Namen nicht
für die Schüler leerer Schall bleiben, wird man ihnen die Gesteine auch
stets vorzuzeigen haben. Eine Sammlung der wichtigsten Gesteinsarten,
namentlich der in Deutschland und den Alpen auftretenden, halte ich für
jede unserer höheren Schulen für unentbehrlich.
Dem politischen TeU der Länderkimde fallen nun aber auch noch eine
Reihe wichtiger Aufgaben zu. Der Verlauf der politischen Grenzen, die Lage
der wichtigsten Städte nebst ihrer Staatszugehörigkeit sind jedenfalls fest
einzuprägen, die Verteilimg der Bevölkerung nach Nationalität und Konfession,
die wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse eines Landes sind jedenfalls
in ihren Hauptzügen zu besprechen. Auch die Entwicklung der territorialen
Verhältnisse darf nicht unberücksichtigt bleiben, denn sie macht in vielen
Fällen allein verständlich, weshalb verschiedene Gebiete, die jetzt politisch
verbunden sind, doch so große Verschiedenheiten in Bezug auf wirtschaft-
liche, kulturelle, konfessionelle und Bevölkerungsverhältnisse aufweisen. Ebenso
ist im geographischen Unterricht auszuführen, aus welchen Elementen sich
die gegenwärtigen Nationalitäten zusammensetzen. Das ist kein Übergriff
der Geographie in die Geschichte. Diese lehrt ja natürlich, daß z. B. die
Kelten Galliens nach der Eroberung durch Cäsar romanisiert sind, daß die
100 Langenbeck:
späteren germanischen Eroberer ihre Sprache und Eigenart dort nicht zu
behaupten vermochten; daß wir es aber in den gegenwärtigen Franzosen in
der Tat mit einem wesentlich keltischen Volke mit romanischer Sprache
und einigen germanischen Beimischungen zu tun haben, wird den Schülern
im geschichtlichen Unterricht kaum zur vollen Klarheit kommen, da hat die
Geographie einzugreifen.
Endlich ist auch die Staatsform geographisch nicht gleichgültig. Ob
ein Staat eine streng geschlossene Einheit oder nur ein lockeres Konglomerat
politischer Einzelgebilde darstellt, ob er despotisch, autokratisch, theokratisch
oder konstitutionell regiert wird, oder eine republikanische Verfassung an-
genonunen hat, das wird auch in den kulturellen und wirtschaftlichen Ver-
hältnissen vielfach zum Ausdruck kommen und muß daher im geographischen
Unterricht erwähnt werden. Jedes weitere Eingehen auf Einzelheiten der
Staatsverfassung und der staatsrechtlichen Beziehungen dagegen hat zu unter-
bleiben, denn diese haben mit der Geographie nichts zu tun. Ebenso ist
das Einstreuen aller möglichen historischen Notizen, von denen sich manche
einbilden, daß sie den Unterricht belebten, völlig zu unterlassen. Daß
die Buchdruckerkunst in Straßburg erfunden, daß in Marbach Schiller ge-
boren, daß in Braunschweig Lessing ein Denkmal errichtet ist, ist doch für
die Geographie völlig gleichgültig. Die Erwähnung solcher Tatsachen im
geographischen Unterricht kann nur dazu führen, die Aufmerksamkeit der
Schüler von der Hauptsache abzulenken. Diese wenigen Bemerkungen über
die politische Geographie werden genügen, um zu zeigen, daß ich in der
Auffassung derselben für den Unterricht mich in vollster Übereinstimmung
mit A. Kirchhoff befinde, auf dessen klare und treffende Ausführungen ich
daher für alle weiteren Einzelheiten verweisen kann^). Nur bei zwei Punkten
möchte ich noch einen Augenblick verweilen, nämlich bei den Fragen, was
von der politischen Einteilung der einzelnen Staaten zu besprechen ist und
inwieweit Schlachtfelder und sonstige Stätten wichtiger historischer Ereig-
nisse im geographischen Unterricht zu erwähnen sind. In beiden Punkten
scheinen mir viele Geographielehrer und Methodiker der Erdkunde entschieden
zu weit zu gehen.
In vielen Fällen ist ja wenigstens die oberste politische Einteilung eines
Staates aus dessen territorialer Entwicklung hervorgegangen, und die größeren
politischen Bezirke werden dann vielfach in ihren ethnischen und konfessio-
nellen, unter Umständen auch in ihren wirtschaftlichen und kulturellen Ver-
hältnissen jene territoriale Entwicklung widerspiegeln. Seltener wird sich
die politische Einteilung an natürliche Verhältnisse anschließen. Jedenfalls
bilden aber in diesen Fällen die größeren politischen Bezirke geographische
Einheiten, wenn auch niederer Ordnung, imd haben daher im geographischen
Unterricht ihren berechtigten Platz. So werden selbstverständlich die einzelnen
Kronländer Österreichs den Schülern einzuprägen sein, ebenso wenigstens die
1) Siehe A. Kirch hoff „Die Geographie" in Baumeisters Handbuch der Er-
ziehungs- und Unterrich talehre für höhere Schulen, Bd. 4, und „Sinn und Behand-
lungaweise der politischen Geographie im Schulunterricht", Geogr. Zeitschr. Jahrg.
1896, S. 90—100. •
Ziel und Methode des geographischen Unterrichts. 101
größeren von den Vereinigten Staaten Nordamerikas. Auch die preußischen
Provinzen und die bayrischen Regierungsbezirke sind etwas historisch Ge-
wordenes und weisen zum Teil sehr charakteristische Einzelzüge auf. Meist
aber ist die politische Einteilung ganz willkürlich nach irgend welchen Ver-
waltungsgrundsätzen erfolgt, die politischen Bezirke — für die Unterabteilungen
wird das wohl immer gelten — stehen dann weder mit den physischen Ver-
hältnissen noch mit der historischen Entwicklung im Zusammenhang, sind
also etwas völlig Ungeographisches, wie die Departements von Frankreich,
die Provinzen von Italien, die Kreishauptmannschaften Sachsens. Wenn wir
daher trotzdem die größeren derselben im geographischen Unterricht erwähnen
werden, so geschieht das nur, weil sie an sich wissenswert sind, der Geo-
graphie-Unterricht aber der einzige ist, der Gelegenheit dazu bietet, sie den
Schülern einzuprägen. Jedenfalls aber werden wir uns hier auf das äußerste
zu beschränken haben. Mir erscheint es z. B. schon sehr zweifelhaft, ob es
notwendig ist, einen süddeutschen Schüler die Regierungsbezirke Preußens
lernen zu lassen. Bei Frankreich, Spanien, Italien würde ich nur die wich-
tigsten der historischen Landschaftsnamen merken lassen, von der gegen-
wärtigen politischen Einteilung ganz absehen. Bei dem Heimatlande oder
der Heimatprovinz wird man dagegen aus praktischen Gründen etwas mehr
auf die politische Einteilung eingehen müssen.
Als eine unnütze Belastung des geographischen Unterrichts muß ich es
femer bezeichnen, wenn verlangt wird, daß der Lehrer der Erdkunde bei der
Behandlung der topischen Verhältnisse auch diejenigen Schauplätze berück-
sichtige, welche durch historische, dem Schüler schon bekannte Vorgänge
wichtig geworden sind, wie dies z. B. von BöttcherM geschieht. Daß die
Leipziger Bucht und der Nordrand Thüringens, das nordöstliche Böhmen, die
lombardische Ebene, die Umgebung von Poitiers und von Benevent oft der
Schauplatz kriegerischer Ereignisse und nicl^^ selten entscheidender Schlachten
gewesen sind, ist in geographischen Verhältnissen begründet, und es muß daher
im geographischen Unterricht davon die Rede sein. Aber Orte, wie Eylau
oder Tannenberg, Hubertusburg oder Villafranca, nur deshalb zu erwähnen,
weil hier eine bedeutende Schlacht oder ein wichtiger Friedensschluß statt-
gefunden hat, halte ich nicht für richtig, ebensowenig bei Orten, die an und
für sich im geographischen Unterricht besprochen werden müssen, alle wich-
tigen historischen Ereignisse aufzuzählen, die sich an ihnen zugetragen
haben, sofern diese nicht durch die Lage des Ortes wesentlich bedingt sind.
Denn von der der Erdkunde so knapp zugemessenen Zeit können wir
keinen, wenn auch noch so kleinen Teil gewissermaßen auf historische
Repetitionen verwenden, wie Böttcher es verlangt. Der erdkimdliche
Unterricht soll dem geschichtlichen nur insofern in die Hände arbeiten,
als er die geographische Bedingtheit gewisser geschichtlicher Ereignisse
den Schülern klarlegt. Nun wird man mir dagegen vielleicht einwenden,
daß die Orte, an welchen bedeutendere Schlachten stattgefunden haben, in
1) Verh. der 11. Direktoren -Versammlung in den Provinzen Ost- und West-
preußen. 1886. S. 310 f.
102 Langenbeck:
den meisten Fällen durch bestimmte geographische Züge ausgezeichnet sein
werden, wie Lage an wichtigen Verkehrsstraßen, Flußüberg&ngen oder Fassen,
durch orographische Verhältnisse, die sich besonders zu Verteidigungsstellungen
eignen, und ähnliches. Meist werden das aber solche Einzelzüge der Land-
schaft sein, daß sie im geographischen Unterricht an sich gar keine Er-
wähnung finden können, und daß daher die Abhängigkeit der Lage des be-
treffenden Schlachtfeldes von geographischen Verhältnissen nicht erweisbar
ist. Ohne den Nachweis eines solchen Zusanmienhanges aber hat die Er-
wähnung eines Schlachtortes im geographischen Unterricht keinen Wert und
keine Berechtigung. Bei dem Heimatlande, wo man mehr in die geographischen
Einzelheiten einzugehen in der Lage ist, wird man natürlich auch in der
Erwähnung von Schlachtfeldern und sonstigen Stätten historischer Ereignisse
etwas weiter gehen können.
Auf die Behandlung des Zahlenmaterials in der Länderkunde möchte
ich hier nicht eingehen. Es würde das wohl etwas zu weit führen. Auch
wird ja der diesjährige Geographentag in Köln voraussichtlich Gelegenheit
geben, diesen so wichtigen Gegenstand eingehend zu erörtern. Ich wende
mich daher zu der zweiten Frage, ob auf die Einprägung der Topik oder
die Erkenntnis der physischen Verhältnisse der Erdoberfläche mehr Gewicht
zu legen sei.
Bei der Lektüre mancher methodischer Schriften über erdkundlichen
Unterricht könnte man fast den Eindruck erhalten, als wenn das Gewinnen
sicherer Kenntnisse in der Topographie und das Eindringen in das Verständnis
der physischen Verhältnisse der Erdoberfläche gegensätzliche Dinge seien, die
sich gegenseitig nahezu ausschlössen. Man lese nur die Ausführungen
Matzats^), in denen er sich mit einer gewissen Heftigkeit gegen die wendet,
„die da meinen, daß es das Hauptgeschäft der Geographie sei, von allen
Städten, Flüssen, Bergen zu lehren, wo sie liegen", und die Entgegnung
Böttchers*) darauf, die in den Behauptungen gipfelt, daß die Schule in
den geographischen Lehrstunden hauptsächlich einen einzigen Zweig der
Erdkunde, die Kenntnis der Karte, zu pflegen habe, und daß die Einprägung
der Topographie als die eigentliche Aufgabe der Schule im geographischen
Unterricht zu betrachten sei. Hier stehen sich in der Tat zwei extreme
Auffassungen gegenüber, oder, richtiger gesagt, die beiden einander entgegen-
stehenden Anschauungen sind hier in sehr scharfer Form ausgesprochen. Denn
wenn man die weiteren Ausführungen der beiden obigen Autoren verfolgt,
so zeigt sich, daß sie gar keine so extreme Ansichten vertreten, wie es nach
ihren eben angeführten Äußerungen den Anschein hat. Matzat schiebt die
Topik keineswegs ganz bei Seite, und ebensowenig verzichtet Böttcher
darauf, die physischen Verhältnisse der Erdoberfläche und ihre wechselseitigen
Beziehungen innerhalb gewisser Grenzen den Schülern zum Verständnis zu
bringen. Indessen finden auch jene extremen Auffassungen unter den Geo-
graphielehrem Vertreter, und man wird daher mit ihnen zu rechnen haben.
1) Methodik der Erdkunde. S. 147 f.
2) Verh. der 11. Direktorenkonferenz der Provinzen Ost- und Westpreußen.
S. 507 ff. und 518 f.
Ziel und Methode des geographischen Unterrichts. 103
Da ist nun zunächst zu betonen, daß der bloßen Einprägung der Topo-
graphie ein wirklich bildender Wert so gut wie gar nicht zukommt. Ein
Lehrer, der auf sie allein Wert legt, sie allein pflegt, wird zwar den Schülern
eine Anzahl praktisch wertvoller und nützlicher Kenntnisse beibringen, geistige
Anregung gibt er ihnen nicht und wird den Hauptaufgaben des geographischen
Unterrichtes daher nicht gerecht. Ja man kann wohl sagen, daß eine der-
artige Unterrichtsmethode das Interesse der Schüler an der Geographie
geradezu ertöten muß und daher völlig erfolglos sein wird. Die Haupt-
aufgabe des erdkundlichen Unterrichts ist ohne Zweifel, die Schüler zum
Verständnis der Erscheinungen der Erdoberfläche zu führen. Diesem Ziel
hat sich alles andere unterzuordnen; aber trotzdem wäre es verfehlt, wenn
man die Einprägung der Topographie ganz vernachlässigen wollte. Nicht
bloß, weil in diesem Falle die praktischen Aufgaben des geographischen
Unterrichts nicht recht zur Geltung kommen würden. Es ist auch ein Ver-
ständnis der physischen Verhältnisse der Erdoberfläche , wie der poli-
tischen, Verkehrs- und Siedelungsverhältnisse gar nicht zu gewinnen ohne
eine klare Vorstellimg von der gegenseitigen Lage der einzelnen geogi-aphischen
Objekte. Darauf hat noch neuerdings Ratzel^) mit großem Nachdruck
hingewiesen. Daß das Quellgebiet des Nils unter dem Äquator liegt, also
in eine Begion fällt, in der eine Trocken- und eine Regenzeit miteinander
wechseln, ist das allerwich tigste, was wir uns von diesem Fluß zu merken
haben. Für den Wüstencharakter der Sahara ist es maßgebend, daß sie zu
beiden Seiten des nördlichen Wendekreises liegt und daher während des
ganzen Jahres der Wirkung des Nordost -Passates ausgesetzt ist. Der ge-
waltige Unterschied in den klimatischen Verhältnissen der Westseite Europas
und der Ostseite Nordamerikas wird nur dann zur klaren Erkenntnis kommen,
wenn man sich einprägt, daß etwa Washington und Lissabon, Labrador und
Großbritannien unter gleicher Breite liegen. Daß man femer die politische
und wirtschaftliche Stellimg eines Staates nur richtig würdigen kann, wenn
man über seine Lage zu den Meeren, zum Verlauf der Gebirge und Flüsse,
sowie zu anderen Staaten und über den Verlauf seiner politischen Grenzen
genügend klare Vorstellungen gewonnen hat, ist wohl ohne weiteres ein-
leuchtend. Auch darauf möchte ich hinweisen, daß, wie schon Batzel
hervorgehoben hat, die allgemeine Lage eines Landes von allen geogra-
phischen Beziehungen am dauerndsten ist und daher schon aus diesem Grunde
im geographischen Unterricht alle Beachtung verdient. Besonders wichtig
aber scheint es mir zu sein, daß sich die Schüler die Lage der bedeutendsten
Städte genau einprägen, nicht die absolute natürlich, die durch die geogra-
phische Länge und Breite angegeben wird, sondern die relative zu Gebirgen
und Flüssen, Paßübergängen und sonstigen natürlichen Verkehrswegen, sowie
zu anderen Städten. Denn diese relative Lage ist für Städte gerade geo-
graphisch am bedeutsamsten. Ist sie doch für deren Entwicklung meist in
erster Linie bestimmend.
1) Die Lage im Mittelpunkt des geographischen Unterrichts. Geogr. Zeitschr.
Jahrg. 6. 1900. S. 20—27.
104 Langenbeck:
Man 80II aber auch andererseits nicht zu weit in der Einprägung der
Topik gehen, nicht die gegenseitige Lage zu zahlreichen örtlichkeiten fest
fixieren wollen. Denn abgesehen davon, daß diese Einzelheiten des Bildes
dem Gedächtnis der Schüler doch bald wieder entschwinden, verliert man
auch durch zu eingehendes Verweilen bei der Topographie viel kostbare Zeit
für Wichtigeres. Es ist doch für den Schüler vollkommen gleichgültig zu
wissen, ob das Matterhom westlich oder östlich vom Monte Bosa, ob Aachen
etwas südlicher oder nördlicher als Köln liegt, wenn er sich nur einprägt,
daß jene beiden Berge in den Walliser Alpen zu suchen sind, Aachen nahe
der Mitte der Westgrenze der Bheinprovinz gelegen ist. Ebensowenig wird
man verlangen können, daß die Schüler eine genaue Anschauung gewinnen
von der gegenseitigen Lage der einzelnen Territorien des thüringischen Staaten-
gewirrs. Nur die Hauptzüge mögen sie sich hier einprägen.
Vernachlässigen wollen wir die Topographie auch in Zukunft keineswegs,
imd deshalb möchte ich auch nicht auf ein so wichtiges Hilfsmittel zur Ein-
prägen derselben, wie es das Zeichnen im geographischen Unterricht ist, ver-
zichten, so mancherlei Schwierigkeiten ihm auch entgegenstehen. Auch die
preußischen Lehrpläne verlangen ja das Anfertigen von Kartenskizzen aus-
drücklich. Über die beste Methode des Kartenzeichnens im Unterricht ist
allerdings trotz der so außerordentlich reichen Literatur^) über diesen
Gegenstand eine Einigung bisher nicht erzielt, und das wohl hauptsächlich
deshalb, weil die, wenigstens nach meiner Überzeugung, besten Methoden
auch die zeitraubendsten sind und daher bei der Knappheit der Zeit nur in
sehr mäßigem Umfang zur Anwendung gebracht werden können.
Was nun die Behandlungsweise auf den einzelnen Klassen betrifft, so
wird dem Unterricht auf der Unterstufe die Einprägung der Topik in erster
Linie zufallen. Für die Auffassung der physischen Verhältnisse fehlt den
Schülern dieser Stufe doch im allgemeinen noch das nötige Verständnis. Vom
geologischen Bau wird man hier noch ganz absehen müssen, von den
klimatischen Verhältnissen und der Verbreitung der Organismen nur sehr
weniges geben können. Ist dann aber auf den unteren Klassen eine sichere
topographische Grundlage gelegt, so wird man auf den mittleren und oberen
ohne Bedenken das Hauptgewicht darauf legen können, die physischen Ver-
hältnisse der einzelnen Länder und ihre Wechselbeziehungen zu den ethnischen,
politischen und wirtschaftlichen den Schülern zum Verständnis zu bringen.
Der dritte Hauptpunkt, die Frage, ob die physische und politische
Länderkunde im Schulunterricht getrennt oder in engster Verbindung mit-
einander zu behandeln sind, ist einer der Hauptgegenstände der schulgeogra-
phischen Verhandlungen auf dem Breslauer Geographentage gewesen. Ich
kann mich daher hier im wesentlichen darauf beschränken, die Hauptgesichts-
punkte noch einmal hervorzuheben. Allerdings muß ich dann noch auf
einige Einwände erwidern, welche gegen die von Professor A. Kirchhoff
1) Diese findet man am besten zusammengestellt bei Hassert: ,,Das Karten-
zeichnen im geographischen Unterricht". Korrespondenzblatt für die Gelehrten-
und Realschulen Württembergs 1901.
Ziel und Methode des geographischen Unterrichts. 105
und mir vertretenen Auffassungen erhoben wurden, da es in Breslau an der
Zeit gebrach, sie eingehender zu erörtern.
Wenn wir bei der Betrachtung eines größeren Ländergebietes, etwa des
Deutschen B^iches oder der Alpenländer, die physischen und politisch -ethni-
schen Verhältnisse getrennt behandeln und dann gar noch, wie es in diesem
Falle nur zu leicht geschieht, die beiden Hauptzweige der Länderkunde noch
weiter gliedern, die Oro- und Hydrographie, das Klima, die Pflanzen- und
Tierwelt, die ethnographischen, die wirtschaftlichen und Verkehrsverhältnisse,
endlich die politische Einteilung und die Siedelungen den Schülern jedes für
sich nach einander vorführen, so berauben wir uns der Möglichkeit, denselben
wirklich einheitliche Landschaftsbilder zu bieten. Wir zerfasern die Land-
schaften, die uns in Wirklichkeit doch jede als ein organisches Ganzes ent-
gegentreten, künstlich in ihre einzelnen Bestandteile. Das ist für wissen-
schaftliche Einzeluntersuchungen vielfach vorteilhaft, ja sogar notwendig, für
den Schulunterricht dagegen ist es nicht richtig und zweckdienlich. Ein
nach dieser Zerfaserungsmethode unterrichteter Schüler wird niemals wirk-
lich geographische Vorstellungen gewinnen. Er wird gewiß eine Reihe an
sich und namentlich auch für die praktischen Bedürfnisse des Lebens wert-
voller Einzelkenntnisse über Gebirgsbau, Flußsysteme, politische Grenzen, Lage
von Städten u. dergl. sich aneignen; aber einheitliche Landschaftsbilder
werden vor seinen Augen nicht erstehen. Den organischen Zusammenhang
der Einzelerscheinungen, die so mannigfachen Wechselbeziehungen zwischen
ihnen, die Abhängigkeit des einen von dem anderen wird er nicht oder
jedenfalls nur sehr unvoUkonunen erfassen. Wenn man nun bedenkt, daß
die Darstellung der Beziehungen zwischen Erde und Mensch, wie doch wohl
gegenwärtig allgemein anerkannt wird, eine der allerwichtigsten Aufgaben
des geographischen Unterrichts bildet, ja daß die richtige Liangriffhahme dieser
Aufgabe eigentlich allein der Erdkunde eine wirklich bedeutimgsvolle Stellung
innerhalb der übrigen Unterrichtsfächer sichert, so wird man zugeben müssen,
daß eine Lehrmethode, welche die Lösung dieser Aufgabe in äußerstem Grade
erschwert und nahezu auf eine solche verzichtet, als veraltet und rückständig
bezeichnet werden muß. Man wende dagegen nicht ein, daß doch auch bei
einer getrennten Behandlung der physischen und politischen Länderkunde an
vielen Stellen Gelegenheit sei, auf jene Wechselbeziehungen hinzuweisen!
Gewiß wird der Lehrer bei der Besprechung des Klimas bereits des Einflusses
gedenken können, den es auf die Verbreitung der Organismen und die
Kulturföhigkeit der einzelnen Gegenden hat, er wird bei der Siedelungskunde
an vorher in der physischen Länderkimde Gelerntes erinnern, die Bedeutung
einzelner StÄdte durch ihre Lage zu wichtigen natürlichen Verkehrstraßen
würdigen können und so fort. Ich glaube, daß eine derartige Behandlungs-
weise der Länderkunde zur Zeit am meisten üblich ist. Aber was be-
deutet sie denn anderes, als daß unsere jetzigen Geographielehrer, in der
richtigen Erkenntnis, daß die Darlegung jener Wechselbeziehungen das eigent-
lich belebende Moment für den erdkundlichen Unterricht bildet, die Starrheit
des alten Schemas durchbrochen und sich mehr oder weniger der neueren
Methode genähert haben? Warum dann aber auf halbem Wege stehen bleiben?
106 Latfgenbeck:
Erreichen läßt sich das als richtig erkannte Ziel durch solche mehr gelegent-
liche Hinweise doch nur sehr unvollkonunen, denn zu einheitlichen Landschafts-
bildem wird man durch sie nie gelangen. Ich habe auch in Breslau den
Eindruck gewonnen, daß die Mehrzahl imserer Geographielehrer in der Tat
die Kirchhoffsche Methode im Grunde genommen für die richtige hält, und
daß deren allgemeiner Durchführung zur Zeit nur noch gewisse Vorurteile,
auf die wir weiter unten noch einzugehen haben, und das dem Alther-
gebrachten nun einmal stets anhaftende Beharrungsvermögen entgegenstehen.
Als einziger wirklich prinzipieller Gegner trat auch in Breslau nur Oehl-
mann auf.
Oehlmann verglich die Behandlung eines Landes mit der eines
lebenden Organismus, etwa des menschlichen Körpers. Bei dieser werde der
Lehrer das Knochengerüst, das Muskel- und Nervensystem, die Emährungs-
und Sinnesorgane nach einander und nicht in Verbindung miteinander behan-
deln. Ebenso müsse es im erdkundlichen Unterricht geschehen. Nur durch
eine getrennte Behandlung der einzelnen Elemente, aus welchen sich das Bild
eines Landes zusammensetze, könnten dieselben den Schülern zur vollsten
Klarheit gebracht werden.
Ich kann den angeführten Vergleich als beweiskräftig für die Oehlmann-
schen Anschauungen nicht anerkennen. Gewiß wird der Lehrer bei Behand-
lung des menschlichen Körpers die einzelnen Elemente, aus denen er sich
aufbaut, zunächst getrennt behandeln, das würde den allgemeinen Übersichten
über größere Ländergebiete im erdkundlichen Unterricht entsprechen. Soll
aber der Schüler den menschlichen Körper als einen lebendigen Organismus,
dessen Teile in wundervoller Weise ineinander greifen, erkennen lernen, so
müssen bei der Einzelbeschreibung die einzelnen Elemente vielfach in inniger
Verbindung mit einander besprochen werden. Die Muskeln der Gliedmaßen
können in ihrer Wirkung doch nur verstanden werden, wenn man sie mit
den Knochen, welche sie bewegen und an denen sie befestigt sind, in Zu-
sammenhang bringt. Ebenso werden die Herzmuskeln, die Augenmuskeln erst
bei der Behandlung des Herzens und Auges, die einzelnen Teile des sym-
pathischen Nervensystems erst bei den Organen, deren Tätigkeit sie regeln,
besprochen werden können. Daß sich eine solche Behandlungsweise beim
menschlichen Körper nicht überall durchfuhren läßt, wie in der Länderkunde,
liegt in der ganz anders gearteten Natur des Unterrichtsgegenstandes. Der
Vergleich hinkt eben auch, wie jeder Vergleich.
Daß man aber im länderkundlichen Unterricht auch bei Anwendung der
Kirchhoffschen Methode die einzelnen Elemente in ihrem Zusammenhang unter
sich genügend hervortreten lassen kann, glaube ich schon in meinem Kor-
referat über diesen Gegenstand auf dem Breslauer Geographentage gezeigt zu
haben. Man muß nur nicht von einem Extrem ins andere verfallen wollen,
sondern stufenweise fortschreiten. Für die unteren Klassen, wo den Schülern
noch vielfach das Verständnis für das Erfassen des ursächlichen Zusammen-
hanges der Dinge und das Interesse für das Aufsuchen wechselseitiger Be-
ziehungen fehlt, möchte ich auch weiterhin einer im wesentlichen getrennten
Behandlung der physischen und politischen Länderkunde das Wort reden.
Ziel und Methode des geographischen Unterrichts. ]07
Man wird sich auf dieser Stufe darauf beschränken können, einige besonders
wichtige und leicht verständliche Beziehungen, diese aber um so schärfer,
hervorzuheben. Der Bildung wirklich geographischer Vorstellungen wird
man aber dadurch bereits vorarbeiten können, daß man auch hier schon
die politischen Gebilde möglichst zu natürlichen Gruppen vereinigt und nicht
aus ihrem natürlichen Zusanmienhange herausreißt. Bei seinem Eintritt in
die mittleren Klassen, wo die innige Verknüpfung der physischen mit der po-
litischen Länderkunde zu beginnen hat, wird dann der Schüler im allgemeinen
genügend klare Vorstellungen über den Verlauf der Einzelerscheinungen mit-
bringen. Daß ihm diese nicht verloren gehen, dafür haben die durchaus
notwendigen Übersichten über die größeren natürlichen Gebiete zu sorgen.
Die übrigen Herren, die sich in Breslau gegen die Kirchhoffsche Methode
aussprachen, waren keineswegs prinzipielle Gegner derselben, einer erkannte
sie sogar ausdrücklich als die ideale Methode an, sie sprachen nur die Be-
fürchtung aus, daß sie zu schwer wäre, und daß es zu ihrer Durchführung,
namentlich an Gymnasien, bei der so geringen Zahl der geographischen Unter-
richtstunden, an der nötigen Zeit fehle. Daß es für den Lehrer leichi^r
und bequemer ist, nach dem alten Schema zu unterrichten, daß er die
neuere Methode mit Erfolg nur dann in Anwendung bringen kann, wenn
er den Stoff wirklich gründlich beherrscht, das kann ja ohne weiteres zuge-
geben werden. Aber das kann doch unmöglich ein Grund sein, auf diese
Methode selbst zu verzichten, imasoweniger, als doch gegenwärtig die begrün-
dete Hoffnung besteht, daß der geographische Unterricht allmählich immer
mehr in die Hände von wirklichen Fachlehrern kommen wird. Daß für die
Auffassungsgabe der Schüler die Kirchhoffsche Methode zu hoch sei, kann
ich femer nicht zugeben. Nach den Erfahrungen, die ich in einer Reihe von
Jahren, in denen ich nach dieser Methode unterrichtet, gemacht habe, bringt
die überwiegende Mehrheit der Schüler schon auf den mittleren Klassen der
Darlegung des inneren Zusammenhanges der geographischen Erscheinungen
volles Verständnis und rege Teilnahme entgegen. Mehr vertiefen müssen
sie sich freilich in den Gegenstand als früher. Aber ich meine, das könnte
man nur als einen großen Vorzug der neuen Methode mit Freuden begrüßen.
Denn mit der größeren Vertiefung wächst auch das Interesse an dem Gegen-
stand. Ich bin überzeugt, daß viele von denen, welchen in der Schule im
erdkundlichen Unterricht mehr als bloße nackte Tatsachen geboten wird,
die zu einem wirklichen Verständnis der geographischen Erscheinungen ange-
leitet sind, auch später gern einmal zum Atlas und Lehrbuch greifen werden,
um ihre geographischen Kenntnisse aufzufiischen, und daß sie geographischen
Fragen auch weiterhin Interesse und Verständnis entgegenbringen werden.
Das ist aber das beste, was wir auf der Schule erreichen können, daß wir
hier Samen ausstreuen, die sich später weiter entwickeln und Früchte tragen.
Der zweite Einwand, daß es zur Durchführung der Kirchhoffschen Me-
thode, wenigstens an Gynmasien, an der nötigen Zeit fehle, kann leider gegen-
wärtig noch nicht als ganz unberechtigt angesehen werden. Denn mehr Zeit
kostet sie allerdings, als die alte schematische Behandlungsweise. Solange
wir auf den Gymnasien nur eine so geringe Stimdenzahl für den geographi-
108 Langenbeck:
sehen Unterricht zur Verfügung haben, werden wir, wenn auch mehr der Not
und nicht dem eigenen Triebe gehorchend, eine ganze Beihe von Gebieten
sehr kursorisch und mehr schematisch behandeln mtlssen und nur die ftlr
uns wichtigsten Länder eingehend und mit strenger Anwendung der Kirch-
hoffschen Methode durchnehmen dürfen. Soweit stimme ich den Vorschlägen
von Moritz durchaus bei, nur möchte ich die letztere Behandlungs weise nicht,
wie er will, auf Mitteleuropa beschränkt wissen. Auch eine Anzahl anderer
Länder muß den Schülern zu wirklichem Verständnis gebracht werden, in
Europa mindestens Großbritannien, Frankreich und Italien, außerhalb Europas
jedenfalls die Vereinigten Staaten und die deutschen Kolonien. Dazu reicht
auch jetzt schon bei weiser Beschränkung des übrigen Stoffes die Zeit aus.
Es ist vorhin die Bede gewesen von den allgemeinen Übersichten größerer
Länderräume, die nach meiner in Breslau geäußerten Ansicht der eingehenden
Besprechung der einzelnen Landschaften vorausgehen sollen. Dagegen erhob
sich einiger Widerspruch. Namentlich trat J. Mayer aus Freistadt für eine um-
gekehrte Beihenfolge ein. Er will mit den Einzellandschaften beginnen und
mit^ einer allgemeinen Übersicht den Unterricht über ein bestimmtes Gebiet
abschließen. Diese Methode, die Mayer als „heuristische" bezeichnete — ich
möchte sie lieber „synthetische" nennen — , ist auch sonst schon wiederholt
empfohlen worden. Am konsequentesten hat sie wohl Matzat in seiner „Me-
thodik der Erdkunde" durchgeführt. Er geht von ganz kleinen natürlichen
Länderabschnitten aus, um dann allmählich zur Behandlung immer größerer
geographischer Einheiten fortzuschreiten. Ich kann diesen Weg, trotzdem er
von einer so anerkannten Autorität auf schulgeographischem Gebiete befür-
wortet wird, nicht für richtig halten. Mir scheint, daß wesentlich eine
nicht ganz richtige Analogie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht dazu
verleitet hat, ihn einzuschlagen. Der Lehrer der beschreibenden Naturwissen-
schaften wird jetzt wohl nirgends mehr, wie es früher üblich war, streng
systematisch verfahren. Er wird vielmehr von der einzelnen Pflanze, dem
einzelnen Tier ausgehen, um dann durch Vergleichung verwandter Arten fort-
schreitend zum Begriff der Gattung, Familie, Ordnung, Klasse zu gelangen.
Ganz ähnlich sollen auch bei der „heuristischen" Methode in der Länder-
kunde durch eine successive Behandlung kleinerer Gebiete und ihre Ver-
gleichung die Schüler zum Verständnis der höheren geographischen Ein-
heiten geführt werden. Diese Analogie ist aber eben nicht zutreffend, weil
ein größeres Ländergebiet zu den einzelnen Landschaften, aus denen es sich
zusanunensetzt, in einem wesentlich anderen Verhältnis steht, wie etwa eine
Pflanzengattung zu den Arten, welche sie umfaßt. Die Gattungen, Fami-
lien u. s. w. sind etwas künstlich von den Menschen Geschaffenes; wir fassen
unter ihnen eine Reihe von Arten zusammen, die in einer Anzahl von Merk-
malen übereinstimmen, imd deshalb eben sind wir im Stande, durch Ver-
gleichung verwandter Arten zu jenen Begriffen zu gelangen. Die einzelne
Pflanzen- oder Tierform aber bleibt in ihrer Eigenart verständlich, auch ohne
daß wir wissen, welcher Gattung oder Familie sie zuzurechnen ist. Die
Einzellandschaften eines großen Ländergebietes können dagegen unter sich
außerordentlich verschieden sein und kaum irgend welche gemeinsamen Züge
Ziel und Methode des geographischen Unterrichts. 109
aufweisen, aber daß sie miteinander verbunden sind, ist etwas sehr Wesent-
liches, viele Landschaftszüge Bestimmendes; wir können sie daher nur
im Zusammenhang mit dem größeren Ganzen völlig verstehen. Wollen wir
überhaupt eine Analogie aus den beschreibenden Naturwissenschaften heran-
ziehen, so können wir ein größeres Ländergebiet nur mit einem einzelnen
Organismus, die Einzellandschaften mit dessen Gliedern und Organen ver-
gleichen. Keinem Lehrer aber wird es einfallen, bei der Beschreibimg eines
Tieres mit Einzelheiten zu beginnen. Er wird zunächst die Hauptzüge seines
Baues schildern, um dann auf die einzelnen Teile einzugehen.
Lassen wir aber einmal diese Vergleiche, die für die Beurteilung einer
oder der anderen Behandlungsmethode eines Gegenstandes nie entscheidend
sein können, ganz beiseite. Der Unterricht in der Erdkunde soll sich doch
in erster Linie auf die Karte stützen, von der Betrachtung der Karte aus-
gehen. Was aber tritt dem Schüler bei Betrachtung des Kartenbildes zuerst
entgegen? Doch nicht die Einzelheiten, sondern die großen allgemeinen
Züge des Gebietes, das die Karte darstellt, etwa eines Erdteils, seine Um-
risse, die horizontale Gliederung, die Verteilung von Hoch- und Tiefland,
der Verlauf der großen Gebirgssysteme, die allgemeine Gestaltung der hydro-
graphischen Verhältnisse. Da wäre es doch pädagogisch falsch, die Blicke
der Schüler abzulenken von dem, was sich ihnen unmittelbar durch die An-
schauung darbietet, imd sie zunächst auf die Einzelheiten hinzuführen. Dazu
kommt, daß wir zu dem Begriff der kleineren geographischen Einheiten doch
naturgemäß nur gelangen, indem wir ein größeres Gebiet nach den in ihm
auftretenden Unterschieden in Bezug auf Bodenbau, Bewässerung, Klima, Be-
völkerungsverhältnisse und politische Zugehörigkeit in einzelne Abschnitte
zerlegen, und daß die Einzellandschaften in den meisten Fällen in ihrer
Eigenart doch nur als Bestandteile eines größeren Ganzen ganz erfaßt
werden können. Aus all' diesen Gründen scheint es mir methodisch das
allein Richtige zu sein, die allgemeinen Übersichten der Behandlung der
Einzellandschaften vorauszuschicken. Daß es natürlich von Vorteil ist, wenn
man zum Schluß noch einmal zu dem Gesamtbilde zurückkehren kann, ver-
steht sich von selbst. Aber dazu wird es gegenwärtig wohl meist an der
nötigen Zeit fehlen. Wir werden uns augenblicklich wohl nach Durchnahme
eines größeren Gebietes auf eine kurze Bepetition etwa in Form eines Ex-
temporale beschränken müssen.
Für die Begrenzung der einzelnen geographischen Einheiten können je
nach den Verhältnissen sehr verschiedene Gesichtspunkte maßgebend sein.
Hier schematisieren zu wollen, wäre sehr unangebracht. Man wird sich stets zu
fragen haben, welches der geographischen Momente als das beherrschende, die
Züge des Landes in erster Linie bestimmende auftritt. Die Sahara ist eine
geographische Einheit durch die Einheitlichkeit des Klimas, das die Bewässe-
rung, die Pflanzen- imd Tierwelt, die wirtschaftlichen und selbst politischen
Verhältnisse fast ausschließlich bestimmt, sodaß selbst die Unterschiede in
den orographischen Zügen dagegen ganz zurücktreten. Zentral-Asien dagegen
ist eine orographische Einheit, denn der Verlauf der großen Gebirgszüge be-
dingt hier die hydrographischen Eigentümlichkeiten wie das Klima und wirkt
110 Langenbeck:
dadurch bestimmend auch auf das organische wie auf das Völkerleben und
die staatlichen Bildungen ein. Dem eigentlichen China hat das chinesische
Volk durch seine Eigenart, seine politische und wirtschaftliche Organisation
einen so typischen Charakter eingeprägt, daß wir es trotz der großen Ver-
schiedenheiten in der Bodengestaltung und dem Klima, die innerhalb seiner
Grenzen auftreten, als eine geographische Einheit betrachten müssen. Mittel-
europa wird als eine solche bestimmt durch seine geographische Lage und
dadurch, daß es ein wesentlich germanisches Land ist. Selbst politische
Grenzen können als naturgemäße Grenzlinien sogar für geographische Einheiten
ziemlich hoher Ordnung auftreten. Niemand wird es einfallen, das nord-
deutsche Tiefland von den deutschen Mittelgebirgen zu trennen und es im
Zusammenhang mit dem osteuropäischen Tiefland, von dem es doch weder
orographisch noch klimatisch durch eine scharfe Grenzlinie getrennt ist, zu
behandeln. Denn die russisch -deutsche Grenze gibt den Landschaften zu
ihren beiden Seiten durch die Verschiedenheit der ethnographischen, politischen
und wirtschaftlichen Verhältnisse ein so anderes Gepräge, daß wir wohl das
Recht haben, sie auch im geographischen Unterricht als eine naturgemäße
Grenzlinie höherer Ordnung anzusehen.
Zum Schluß ist noch der allgemeinen Erdkunde mit einigen Worten zu
gedenken. Es hat nicht an Stinmien gefehlt, welche diese aus dem geo-
graphischen Unterricht auf unseren höheren Schulen ganz ausgeschieden wissen
wollen. Am schärfsten hat sich in dem Sinne wohl Böttcher ausgesprochen,
der auf der 11. Direktoren -Konferenz der Provinzen Ost- und Westpreußen
die These aufstellte: „Die Ergebnisse der allgemeinen Erdkunde sind gelegent-
lich im Anschluß an die Besprechung geographischer Objekte zu erwähnen.
Zusammenhängende Vorträge über Kapitel aus der allgemeinen Erdkunde ge-
hören in den naturwissenschaftlichen Fachunterricht."^) Ich kann dieser
These durchaus nicht beipflichten. Wenn die allgemeine Erdkunde auch
aus Gründen, die ich bereits oben dargelegt habe, gegen die Länderkunde
durchaus zurücktreten muß und mit Erfolg nur auf den oberen Klassen be-
trieben werden kann, so sollte sie doch hier unbedingt eine Stätte finden.
Denn sie vermittelt den Schülern nicht nur eine Reihe sehr wertvoller und
für eine allgemeine Bildung notwendiger Kenntnisse, sie gibt ihnen auch
große allgemeine Gesichtspunkte für das Verständnis des Naturlebens und
lehrt sie die Gesamtentwicklung der Erde und ihrer Bewohner kennen. Der
naturwissenschaftliche Unterricht aber ist nicht im stände, sie zu ersetzen.
Am ersten befindet sich wohl noch der botanisch-zoologische Unterricht
in der Lage, die Schüler mit den Hauptzweigen der Pflanzen- und Tier-
geographie, allenfalls auch der Anthropologie und Ethnographie bekannt zu
machen. Die meisten Lehrpläne sehen ja auch für den letzten botanisch-
zoologischen Kurs derartiges vor. Indessen schließt der Unterricht in den
beschreibenden Naturwissenschaften auf unseren höheren Schulen bereits auf
Unter- oder Ober -Tertia ab. Auf diesen Klassen wird man aber kaum
mehr bieten können, als einiges TatsächKche über die Verbreitung der wich-
1) a. a. 0. S. 315.
Ziel und Methode des geographischen Unterrichts. Hl
tigsten Pflanzen- und Tierformen ; für das Verständnis der allgemeinen Gesetze,
die sich anch in ihr ausprägen, sind die Schüler auf dieser Stufe noch
kaum reif. Der Unterricht in der Anthropologie, der sich an die Behandlung
des Baues des menschlichen Körpers anzuschließen hätte, wird sich wohl auch
meist darauf beschränken, die köperlichen Unterschiede der Hauptmenschen-
rassen darzulegen; auf die Verbreitung dieser Rassen über die Erde, die ver-
schiedenen Kulturstufen, in denen sie uns entgegentreten, und ähnliches ein-
zugehen, liegt dem naturwissenschaftlichen Lehrer, wenn er nicht gleichzeitig
Geograph ist, fem, ganz abgesehen davon, daß es dazu wohl auch in den
meisten Fällen an der nötigen Zeit fehlen würde.
Im physikalischen Unterricht werden die Meteorologie und Klimato-
logie sowie die Lehre von den Gezeiten wohl meist behandelt werden, doch
werden auch hier die geographischen Gesichtspunkte gegenüber den rein
physikalischen in der Regel stark zurücktreten. Die Verteilung der Tem-
peraturen in den Meeren und Seen und die Meeresströmungen pflegen im
physikalischen Unterricht überhaupt nicht besprochen zu werden. Von der
allgemeinen Morphologie der Erdoberfläche und von Geologie, den ihrem all-
gemeinen Bildungswerte nach entschieden wichtigsten Teilen der allgemeinen
Erdkunde, werden die Schüler, wenigstens auf den Gymnasien, im naturwissen-
schaftliehen Unterricht nie etwas erfahren. Die Chemie kann doch höchstens
das ^chtigte aus der Gesteinslehre bringen. Auf Vulkanismus, Erdbeben,
Gebirgsbildung, auf die ganze Entwicklungsgeschichte der Erde imd damit
auch auf die der Organismen einzugehen, bietet der naturwissenschaftliche
Unterricht nirgends Gelegenheit.
Es ist mit Freuden zu begrüßen, daß nach dem neuen preußischen
regulativ wenigstens für die Oberrealschulen eine hinreichende Stundenzahl
der allgemeinen Erdkunde zugewiesen ist. Für die Gymnasien bleibt dagegen
eine gründliche Behandlung derselben vorläufig ein frommer Wunsch. Denn
wenn auch von den fär die oberen Klassen der Gynmasien vorgesehenen
12 jährlichen Repetitionsstunden einige dazu verwandt werden sollen, imi das
wichtigste ans der allgemeinen Erdkunde mitzuteilen, so kann in diesen we-
nigen Stunden doch nur dürftiges Stückwerk geboten werden. Anch sind
diese Repetitionsstunden in die Hände des Historikers gelegt, von dem man
eine Vertrautheit namentlich mit den geologischen Verhältnissen kaum voraus-
setzen kann.
Daß an den Oberrealschulen ein besonderer Kursus für Verkehrsgeo-
graphie eingeführt ist, halte ich ebenfalls für sehr wertvoll. Zwar vermittelt
dieser wesentlich nur praktische Kenntnisse, aber doch solche, die gerade in
der gegenwärtigen Zeit nicht nur für den Kaufmann und Industriellen, son-
dern für jeden Gebildeten von außerordentlich hohem Wert sind. Wenn sich
femer der Lehrer nicht darauf beschränkt, die gegenwärtigen Verkehrswege
zu besprechen, sondern — wie es ja auch die preußischen Lehrpläne vor-
schreiben — auch die historische Entwicklung der Verkehrs Verhältnisse in
den Kreis seiner Betrachtungen zieht und dadurch den Schülern Einblicke
in die wirtschaftliche Entwicklung der Völker bietet, so unterstützt er damit
auch sehr wesentlich den geschichtlichen Unterricht, der auf die Wirtschafts-
112 Langenbeck: Ziel und Methode des geographischen Unterrichts.
Verhältnisse näher einzugehen verhältnismäßig selten in der Lage ist. Dieser
Kursus in Verkehrsgeographie sollte aber auch den Gymnasien auf die Dauer
nicht vorenthalten bleiben. Die Kenntnisse, die er vermittelt, die neuen Ge-
sichtspunkte, die er den Schülern gibt, sind für den Gymnasiasten sicher
ebenso wertvoll wie für den Realschüler. Das ist aber nur denkbar, wenn
auch an den Gymnasien in den oberen Klassen selbständiger geographischer
Untemcht eingeführt wird. Ohne eine Fortführung des geographischen
Unterrichts bis auf die oberste Stufe ist überhaupt eine gedeihliche Weiter-
entwicklung desselben an den Gjrmnasien nicht möglich. An dieser Forde-
rung müssen wir Geographen daher auch fernerhin unbedingt festhalten; und
ich habe die Überzeugung, daß sich die deutschen Unterrichtsverwaltungen
ihrer Erfüllung auf die Dauer nicht werden entziehen können.
Geographische Neuigkeiten.
Europa*
♦ Derletzte Durchstich am Sulina-
Kanal wurde am 19. Oktober 1902 er-
öffnet. Der neue Sulina- Kanal umgeht
nunmehr 27 Windungen, wodurch der
ursprünglich 226 km lange Wasserweg
auf 142 km reduziert und die Schiffbar-
keit der Donaumündung wesentlich ver-
bessert wird. Nicht nur die vielen Krüm-
mungen des Stromes, sondern namentlich
auch die große Breite fährten früher zu
erheblichen Mißständen für die Schiffahrt;
denn aus letzterem Grunde und bei dem
kaum meßbaren Gefalle war bei kleinem
Wasser der Wasserstand stellenweise so
niedrig, daß der Schiffsverkehr nahezu
aufgehoben wurde. Im Winter war dann
die Behinderung durch die Eisverhält-
nisse ebenfalls außerordentlich. Die plan-
mäßige Regulierung durch die europäische
Donaukommission hat nun das Ergebnis,
daß gegenwärtig der Sulina -Arm auch
far Hochseefahrzeuge bis zu 16 Fuß Tief-
gang fahrbar ist. So ist es möglich ge-
worden, Seefrachten auf dem Flußwege
bis nach Galatz, bis in das Herz Rumä-
niens zu verschiffen. Ebenso wird auch
der Exporthandel von diesen Verbesse-
rungen Vorteil haben und die Verbesse-
rung der Schiffahrtsverhältnisse an der
unteren Donau wird für den Verkehr des
ganzen südöstlichen Europas von Bedeu-
tung werden. (Zeitschr. f. Gewk. 1902.
S. 185.)
Asien«
* Der Stand der sibirischen
Binnenschi f f a h r t kennzeichnet einiger-
maßen den Fortschritt russischer Kultur-
arbeit im nördlichen Asien. Nach den
I Ausweisen des Kommunikations-Ministe-
1 riums waren Ende 1900 auf dem Ob,
Amudarja, Jenissei, der Lena imd dem
Amur 1372 Schiffe mit 486 180 Tonnen
Tragfähigkeit und 15 700 Mann Besatzung,
darunter 839 Dampfer mit 21 895 HP
und 6554 Manu Besatzung vorhanden.
Auf dem Ob laufen 132 Dampfer mit
8100 HP tmd 1843 Mann, meist eiserne
Raddampfer; die anderen Frachtschiffe
des Ob sind der Mehrzahl nach aus Holz
gebaut und haben von 890 bis 370 Ton-
nen Ladefähigkeit. A^f dem Amur gibt
es 163 Dampfer mit 10 930 HP und 2700
Mann Besatzung; von den Dampfern sind
106 aus Eisen und 57 aus Holz gebaut.
Außerdem fahren auf dem Flusse noch
196 Fahrzeuge mit einer Tragföhigkeit
von 65 600 t und 1050 Mann. Der Je-
nissei hat 25 Dampfer von zusammen
1841 HP und 1597 t mit 638 Mann Be-
satzung. Sie dienen vorwiegend als
Schlepper für die 191 eigentlichen Fracht-
fahrzeuge, deren Tragfähigkeit 26 850 t
und deren Besatzung 2178 Köpfe beträgt.
Die Lena weist 15 eiserne Dampfer
(632 HP, 351 Mann) und 103 Fracht-
schiffe von 250 t im Mittel auf. Auf dem
Amudarja fahren 4 dem Kriegsministe-
Geographische Neuigkeiten.
113
rium gehörige kleine Dampfer. Für den i
Naphthatransport dienen Eajoken von
74 t und außerdem fahren noch Barschen
von 110 t. (Zeitschr. f. Gewk. 1902. S. 183.)
* Ein Erdbeben von besonderer
Heftigkeit zerstörte am 3. Dez. 1902 die
Kreisstadt Andischan in Ferghana
von Grund aus, wobei schätzungsweise
7000 Menschen ums Leben kamen. Am
2. Dezember zeigte das Barometer den
auBerordentlich tiefen Stand von 690 bis
700 mm, der Sturm erwarten ließ; am
Abend dieses Tages wurde ein leichtes
Beben der Erde in Andischan verspürt,
was aber keinerlei Beunruhigung hervor-
rief. Am nächsten Morgen ging ein hef-
tiger Sturm von nur kurzer Dauer über
die Stadt hinweg und unmittelbar darauf
erfolgte die erste heftige Erderschütterung,
die wellenförmig war. Bald folgten starke
Stöße und Schwankungen; Knarren und
Krachen der Gebäude und ein Dröhnen
wie Kanonendonner aus nächster Nähe
schallten durcheinander. Auf der Straße
wurden einzelne Menschen vom Trottoir
drei Schritt weit auf die Straße geschleu-
dert, andere hielten sich auf dem schwan-
kenden Boden nur mit Mühe auf den
Beinen. Nach ungefähr fünf Minuten
trat eine Pause in der Erdbewegung ein,
die eine halbe Stunde anhielt. Dann er-
folgte ein furchtbarer Stoß von noch
größerer Heftigkeit als die vorhergehenden,
der das Vemichtungswerk vollendete.
Sechs Werst südlich von Andischan scheint
das Epizentrum des Erdbebens gelegen
zu haben; dort bildeten sich große Erd-
spalten, aus denen Wasser, Schlamm und
Sand 6 — 8 m hoch hinausgeschleudert
wurden; schloß sich eine Spalte, so bil-
dete sich alsbald eine neue, aus der wie-
derum Wasser und Schlamm emporschoß.
Verschiedene Anzeichen deuten darauf
hin, daß das Erdbeben eine nordsüdliche
Richtung hatte. Das Schüttergebiet war
verhältnismäßig klein und umfaßte nur
einen Flächenraum von 15 000 Quadrat-
werst, in der nächsten Nähe dieses Ge-
bietes waren die Zerstörungserscheinungen
nur sehr unbedeutend. Die Zahl der ver-
nichteten Häuser wird auf 15 000 ge-
schätzt; davon entfallen auf den Andi-
schaner Kreis 12 000, auf den Margelaner
2000 und auf den Oscher Kreis 1000.
Andischan hatte vor dem Erdbeben 46680
Bewohner, unter ihnen 631 Bussen. Der
Andischaner Kreis* gehört zu den reich-
sten Gegenden des Ferghana -Gebiets;
hier befinden sich die besten Baumwoll-
plantagen, welche die wichtigste Erwerbs-
quelle der eingeborenen Bevölkerung
bilden.
* Die einst durch ihren Teehandel
und den sibirisch- chinesischen Grenz-
verkehr berühmte und blühende Stadt
Kiachta ist durch die gänzlich ver-
änderten Verkehrsverhältnisse in den
tiefsten Verfall geraten und bietet in
unserer Zeit ein ähnliches Beispiel, wie
nach der Entdeckung Amerikas, als viele
Städte dadurch zurückgingen ^ daß der
Handel atlantische Bahnen einschlug.
Die Zölle auf Tee haben eine Erhöhung
erfahren und der Transportweg über
Kiachta hat für immer seine Bedeutung
verloren, weil der Teehandel andere, vor-
teilhaftere Wege nimmt. Die 10 000 Be-
wohner vonTroizkossawsk und Ust-Kiachta
sind, ohne Aussichten auf eine bessere
Zukunft, zu einem bedauernswerten Da-
sein verurteilt; für Ackerbau geeignete
Ländereien befinden sich in der Nähe
nicht, die Viehweiden sind nicht groß,
und weder die Lederfabriken noch die
sonstigen wenigen gewerblichen Unter-
nehmungen vermögen auch nur dem zehnten
Teil der Arbeitsuchenden Verdienst zu
gewähren. Wahrscheinlich wird der größte
Teil der Bevölkerung die Stadt ganz ver-
lassen, und von Kiachta, der einst be-
rühmten Handelsstadt, wird nichts als
die Erinnerung bleiben. (Globus 82. Bd.
S. 394.)
Afrika.
♦ Die Grenzen zwischen Ery-
thräa, Abessinien und dem ägyp-
tischen Sudan sind durch einen jetzt
erst bekannt werdenden Vertrag vom
15. Mai 1902 neu festgestellt worden. Die
neugeschaffene Grenze schließt Italien
gänzlich vom Atbara aus, da Italien das
an der Südwestecke Eiythräas zum Atbara
vorspringende Parallelogramm gegen das
Land der Cunama eingetauscht hat; die
italienischen Absichten, dem Handel des
südöstlichen Sudans von Tomat her einen
direkten Weg nach Massaua zu eröffiien,
sind dadurch vereitelt worden. Die Grenze
selbst läuft zwischen Erythräa und dem
ägyptischen Sudan von Sabderat (21 km
östlich von Kassala) nach dem Berge Abu
OAOgTftpbitohe Zeitachrift. 9. Jahrgang. 1903. 3. Heft
114
Geographische Neuigkeiten.
Gamel (40 km südlicB von Eassala) und
von hier in gerader Linie nach Ombrega
am Setit (Takazza). Dieser Fluß bildet
dann ostwärts die neue Grenze zu Abessi-
nien bis zum Einfluß des Maiteb (von
rechts); dann begleitet sie diesen Fluß in
nordöstlicher Richtung und trifft, den
Berg Ala Takura bei Italien lassend, den
Mareb am Einfluß des Ambessas (etwa
40 km südöstlich vom Mai Daro). Dann
geht sie östlich weiter wie früher (Mareb-
Blesa-Muna-Linie). Die Ostliche Grenz-
linie zwischen Setit und Mareb soll noch
von einem italienisch -abessinischen Aus-
schuß begangen werden, der so zu ent-
scheiden hat, daß das Volk der Cunama
ganz bei Italien bleibt. Das neugewonnene
Gebiet ist reichlich 2*/, mal so groß, als
der an „den Sudan" überantwortete Land-
streifen, und der Gouverneur Martini, der
es bereist hat, preist es als fruchtbar
und vielversprechend an Kautschuk. Seit
einigen Monaten befindet sich der Haupt-
mann AdemoUo dort, um das Land auf-
zunehmen, und einige Kompagnien As-
kari bauen neue Straßen, die vorzugsweise
dem Handel dienen sollen. Italien läßt
sich die Nutzbarmachung des neuen Ge-
bietes also angelegen sein. Aber selbst
unter der Annahme, daß es gelingen wird,
den Handelsverkehr des östlichen Nord-
und Mittel-Abessiniens durch das Land
der Cunama zu ziehen, und unter der
weitem Annahme, daß die von Menelik
an italienische Gesellschaften verliehene
Konzession zur wirtschaftlichen Ausbeu-
tung des Gebietes um den Tsana-See gute
Erfolge zeitigen wird, erscheint es doch
sehr fraglich, ob Italien bei dem Tausch
ein gutes Geschäft gemacht hat.
Australien und Polynesien.
:4t Ein vulkanischer Ausbruch hat
am 30. Okt. 1902 auf der bisher nicht
vulkanischen Insel Savaii der Samoa-
Gruppe stattgefunden. Zwar finden sich
auf der Insel ausgedehnte Lavafelder sehr
jungen geologischen Alters, aber in histo-
rischer Zeit ist nachweislich eine vulka-
nische Tätigkeit nicht beobachtet worden.
Deshalb waren die Eingeborenen auf das
höchste überrascht, als am 30. Okt. Abends,
nachdem man an diesem und dem vor-
hergehenden Tage einige Erderschütte-
rungen verspürt hatte, in der Mitte der
Insel Rauch aufstieg, der in der Nacht
einen feuerroten Widerschein aufwies.
Die Ausbruchsstelle liegt in der Nähe
des Mangaasi (Feuerberg), eines noch gut
erhaltenen Auswurfskegels im Zentrum
der Insel. Der Astronom, Dr. Teten s,
der im Auftrag der Göttinger Gesell schalt
der Wissenschaften auf üpolu weilt, um
in Verbindung mit der deutschen Süd-
polarexpedition erdmagnetische und an-
dere Beobachtungen daselbst anzustellen,
hat am 8. November den neuen Vulkan
näher untersucht; er sah, daß aus einem
etwa 100 m im Durchmesser haltenden
Krater bald stärkerer, bald schwächerer
Rauch emporstieg, in kurzen Pausen wur-
den rotglühende Körper emporgeschleudert,
die teils über den Kraterrand hinweg-
flogen, teils in den Schlund zurückfielen.
Die ganzen vulkanischen Erscheinungen
auf Savaii sind zur Zeit als unbedeutend
zu bezeichnen; bei der Lage des Erup-
tionsherdes mitten in der bergigen Insel,
weit entfernt von den Siedelungen, die
fast ausnahmslos an der Küste liegen,
liegt bisher kein Anlaß zur Beunruhigung
vor. Allem Anschein nach haben die
unterirdischen Kräfte bei der Ausstoßung
von flüssigem Magma und von Dämpfen
keinen großen Widerstand zu überwinden
gehabt, so daß sich die gegenwärtige
Eruption in Ruhe abspielen wird und
nicht durch verheerende Erderschütterun-
gen und die in ihrem Gefolge auftreten-
den Flutwellen der fruchtbaren Insel ver-
derbenbringend sein wird.
Meere.
♦ Der Dampferverkehr auf dem
Stillen Ozean zwischen Nordamerika
und Ostasien hat seit der Festsetzung der
Vereinigten Staaten auf den Philippinen
einen gewaltigen Aufschwung genommen.
Im Jahre 1899 gab es zwei britische Linien
in San Franzisko und zwei in Vancouver,
je eine japanische in San Franzisko und
Seattle, zwei amerikanische in San Fran-
zisko und eine amerikanische in Tacoma.
Von diesen neun Linien verkehrten drei
mit Australien, die anderen mit Japan
und China, bis auf eine, welche nur bis
Honolulu, jetzt auch nach Tahiti fuhr.
Seit dieser Zeit sind durch die verschie-
denen Pacificbahnen noch folgende Linien
gegründet worden: Durch die Santa -F^-
Bahn eine Linie von San Franzisko aus ; die
Great-Northem-Bahn eine Linie von Ta-
Geographische Neuigkeiten.
115
coma and SeatÜe, den Endpunkten dieser
Bahn am Pugei-Sund, aas; ebenfalls von
diesen Städten aus gründete die Boston-
DampfschifPsgesellschaft eine transpaci-
fische Linie; die vereinigten SoaÜiem
und Union Pacific-Bahnen eine Linie von
ihrem Endpunkte Portland in Oregon und
eine New Yorker Firma gründete die
Amerika- Hawaii - Dampfschiffsgesellschafb.
Im ganzen waren im Jahre 1900 36 Dampfer
mit 136000 t im transpacifischen Dienst,
darunter 18 britische mit 66 000 1, 1 1 ame-
rikanische mit 35 000 t, 6 japanische mit
30 000 t und 1 norwegischer mit 8800 t;
sobald die im Bau befindlichen Dampfer
der neuerrichteten nordamerikanischen
Linien vollendet sein werden, werden die
amerikanischen Dampfer 110 000 t haben.
Die schnellste Fahrt über den Stillen
Ozean hat im Oktober 1902 der Dampfer
„ Korea ^^ der vereinigten Southern und
Union-Pacific-Bahnen zurückgelegt, indem
er die 4700 Seemeilen lange Strecke von
Yokohama bis San Franzisko in 10 gegen
bis dahin 14 Tagen durchfuhr. Der Haupt-
ausgangspunkt des pacifischen Verkehrs
in Nordamerika ist gegenwärtig noch San-
Franzisko; aber die beiden Städte am
Puget Sund, Seattle und Tacoma, nehmen
einen rapiden Aufschwimg und drohen
San Franzisko den Transportverkehr mit
den Philippinen wegzuschnappen. Die
Einwohnerzahl von Seattle hat sich im
Jahrzehnt 1890/1900 von 43 000 auf 81 000
vermehrt und Seattle ist auf dem besten
Wege, San Franzisko zu überflügeln.
Tereine und Tersammliuigeii.
Zum XIY. deutschen Geographen-
tag in Köln sind bis jetzt etwa 20 Vor-
träge über Meereskunde, Wirtschaftsgeo-
graphie, Landeskunde von Rheinland,
Ergebnisse neuester Forschungen ( E n z e n -
Hpergers Südpolarbericht, Sappers
Reisen in Mittel-Amerika) und Schulgeo-
graphie angemeldet; das Kölner Lokal-
komitee, an dessen Spitze Prof. Dr. K.
Hassert steht, hofft außerdem eine geo-
graphische Festschrifk imd eine geogra-
phische Ausstellimg nach denselben Ge-
sichtspunkten wie die Breslauer bieten zu
können. Da die Tagung erst zu Pfing-
sten, nicht schon, wie ursprünglich be-
absichtigt, zu Ostern stattfindet, sind fol-
gende Ausflüge geplant: Dampferfahrt
zum Siebengebirge; Besuch des Linzer
Basaltgebiets, des Brohltals und des Laacher
Sees; Ausflug ins ^a^ener Becken; viel- ^ ^
leicht noch ein Nachmittagsausflug ins
Kölner Braunkohlenrevier im Vorgebirge.
Außer dem üblichen Festmahl wird ein
von der Stadt Köln gegebener Empfangs-
abend im Gürzenich-Saale stattfinden.
F. Th.
Persönliches.
^ Der bisherige Privatdozent der Geo-
graphie an der Universität Wien, Dr. Ro-
bert Sieger, ist zum etatmäßigen außer-
ordentlichen Professor ernannt worden,
so daß die Geographie an der Wiener
Universität jetzt durch zwei Ordinariate
und ein Extraordinariat vertreten ist.
♦ Dr. Gerhard Schott von der deut-
schen Seewarte in Hamburg wurde zum
Abteilungsvorsteher bei diesem Institut
ernannt; damit ft,Ut ihm die Vertretung
und Leitung der hydrographischen und
mariÜm- meteorologischen Arbeiten der
Seewarte zu.
♦ Am 29. Jan. hat Prof Dr. Georg
Gerland in Straßburg seinen 70. Geburts-
tag gefeiert. Eine Abordnimg überreichte
ihm eine Adresse mit den Glückwünschen
der Fachgenossen und Schüler.
^^ In Buenos Aires starb kürzlich der
frühere A&ikareisende Dr. Josef Cha-
vanne im Alter von 56 Jahren. Auf
seinen ausgedehnten Reisen am Nil und
im Kongobecken anfangs der achtziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts sammelte
Chavanne viel wertvolles Material zur
Klimatologie und physikalischen Geogra-
phie Afrikas, welches er in mehreren
Büchern und Karten verarbeitete. Später
wandte sich Chavanne, dem das Glück
wenig günstig war, nach Argentinien, wo
er, um sich und seine Familie erhalten
zu können, Angestellter beim hydrographi-
schen Amt wurde. Nebenbei beschäftigte er
sich aber bis an sein Lebensende mit der
physikalischen Geographie seiner neuen
Heimat und mit der Abfassung geogra-
phischer Lehrbücher für die dortigen
Schulen.
Zeitschriften.
♦ Der Verlag von L. Schwann in
Düsseldorf gibt mit dem neuen Jahr eine
illustrierte Zeitschrift für Touristik, Lan-
des- und Volkskunde, Kunst und Sport
unter dem Titel „Wandern und Reisen''
heraus. Monatlich sollen zwei Hefte zum
Preis von je 60 Pfg. erscheinen.
8*
116
Bücherbesprechungen.
Bftcherbesprechangen.
Meyers großes Konversationslexi-
kon. Ein Nachschlagewerk des allge-
meinen Wissens. 6. Aufl. l.Bd. 903 S.
Mit vielen Tafeln und Abbildungen.
Leipzig, Bibliographisches Institut
1902.
Die beiden großen Konversationslexika
sind erwünschte Nachschlagewerke, in
denen wir uns gern über einzelne Länder,
Landschaften, Orte oder auch über die
vielen naturhistorischen, wirtschaftlichen,
historischen Dinge, mit denen die (Geo-
graphie in Berührung kommt, rasch Be-
lehrung holen; sie müssen uns den Mangel
eines brauchbaren geographischen Lexi-
kons ersetzen. Im ganzen kann man wohl
sagen, daß der erste Band der neuen Auflage
des Meyer diese Anforderung gut erfüllt;
aber da eine wissenschaftliche Besprechung
nicht die Aufgabe hat, bedingungslos zu
loben, sondern kritisch zu urteilen, so
möchte ich auch einige Bedenken imd
Wünsche aussprechen, die mir aufgestoßen
sind. Ein Lexikon soll ja nur Tatsachen
geben, und man kann keine eindringenderen
Erörterungen verlangen ; aber vielfach geht
die Darstellung der Hauptsachen zu sehr
in der Fülle der Einzelheiten unter. Bei
den Städten, namentlich des Deutschen
Reichs, wird gewissenhaft jede öffentliche
Anstalt, jede Spezialität der Industrie an-
geführt; aber wie die Städte eigentlich
liegen, wie sie aussehen, wird selten gesagt.
Auch bei manchen größeren Artikeln über-
wiegt der Stoff zu sehr (vergl. z. B. die
Einteilung der Alpen), und es ist hier
auch nicht immer genügend vermieden,
allgemeine Begriffe einzuführen, die nicht
erklärt werden; was kann sich der Laie
z. B. bei den tiergeographischen Regionen
denken? Die verschiedenen Abschnitte
(über Bodengestalt, Klima, Pflanzenwelt,
Tierwelt u. s. w.), die wohl von verschie-
denen Bearbeitern stanmien, sind meist
auch nur äußerlich neben einander gestellt,
nicht innerlich zusammengearbeitet, so
daß der ursächliche Zusammenhang zwi-
schen den verschiedenen Erscheinungs-
gruppen dem Leser nicht zum Bewußtsein
kommt. Ich weiß wohl, daß in der Ver-
einigung der von verschiedenen Mit-
arbeitern gelieferten Ausarbeitungen eine
Hauptschwierigkeit der Redaktion liegt;
wahrscheinlich wäre es besser, bei diesen
geographischen Artikeln den Geologen,
Botaniker, Zoologen u. s. w. überhaupt
nicht zuzuziehen, sondern sie ganz dem
Geographen zu überlassen. Die Literatur-
angaben sind meist sehr zahlreich; viel-
leicht wäre eine kritische Auswahl zweck-
mäßiger, denn sie sind doch nicht für den
Fachmann, sondern für den Laien be-
stinmit. Die Ausstattung mit Abbildungen
ist sehr reichhaltig; den Geographen wer-
den im vorliegenden Bande besonders die
schönen Tafeln der Völkertypen und ethno-
graphischen Gegenstände, sowie der Alpen-
pflanzen interessieren; statt der topogra-
phischen Karten oder neben ihnen würde
eine größere Zahl von Kärtchen der phy-
sischen, ethnischen, wirtschaftlichen u.s.w.
Verhältnisse gute Dienste leisten. — So habe
ich einige Ausstellungen und Wünsche
nicht unterdrücken können; aber ich
brauche kaum besonders zu sagen, daß
das Werk im ganzen auch uns Geographen
sehr gute Dienste leistet; wo ich verglichen
habe — in allen größeren und vielen
kleinen Artikeln — habe ich zuverlässige
Auskunft gefunden. A. Hettner.
Gfintber, Siegmnnd. Astronomische
Geographie. 12^ 170 S. Leipzig,
Göschen 1902. JL —.80.
Das Werkchen bildet den 92. Band
der bekannten Sammlung Göschen. Der
weitaus interessanteste Abschnitt ist der
erste über „Wesen und Entwickelungs-
gang der astronomischen Geographie".
Verf. trennt die „mathematische" von der
„astronomischen" Geographie, während
sonst beide Bezeichnimgen als synonym
angesehen werden. Er stellt als Endziel
der mathematischen Geographie die
Forderung hin, „einen beliebigen, mit der
Erde fest verbundenen Ort sowohl relativ
auf der Erde selbst, als auch, da letztere
selbst wieder Bewegung besitzt, absolut
gegen den Sternenhimmel zu fixieren",
während er das Programm der astrono-
mischen Geographie so definiert: „Er-
mittelt soll werden die Gestalt und Größe
! des Erdkörpers, dessen Bewegungsverhält-
! nisse im Räume imd die Methoden der
geographischen Ortsbestimmung; letztere
im ausdrücklichen Zusammenhang mit
Bücherbesprechangen.
117
der Frage, ob das Koordinatensystem,
auf welches man sich zn beziehen pflegt,
als ein vollkommen stabiles oder als ein
selbst in seiner Lage veränderliches an-
zuerkennen sei/* Dieser Unterschied
scheint mir künstlich errichtet und im
Grunde imhaltbar zu sein. Was heißt
denn das ,,einen mit der Erde fest ver-
bundenen Ort absolut gegen den Sternen-
himmel zu fixieren"? Die Astronomen
beziehen zwar bei ihren Untersuchungen
die örter der Gestirne auf ein fixes Ko-
ordinatensystem, welches an sich willkür-
lich gewählt wurde, aber die Koordinaten
der Erdorte etwa auf dieses oder ein an-
deres im Räume fixes Koordinatensystem
zu beziehen, hat doch für die Geographie
gar keinen Zweck und geschieht auch
nicht, und etwas anderes kann ich mir
unter dem Ausdruck „absolut gegen den
Sternenhimmel fixieren" nicht denken.
Wenn ich also dem Verf. in dieser
Errichtung eines Unterschiedes zwischen
mathematischer und astronomischer Geo-
graphie nicht zustimmen kann, so bin
ich andererseits durchaus mit ihm ein-
verstanden, wenn er Kartenprojektions-
lehre, Kalendariographie und Gezeiten
als nicht zur astronomischen Geographie
gehörig aus seinem Buche fortläßt. Verf.
gibt dabei selbst zu, daß man für Schul-
zwecke den Begriff der mathematischen
Erdkunde aus Zweckmäßigkeitsgründen
etwas weiter fassen und nicht nur die
erwähnten Betrachtxmgen mit hineinziehen
muß, sondern auch einzelne in dem vor-
liegenden Werk nur kurz gestreifte Ma-
terien — wie z. B. die Finsternisse —
breiter behandeln wird. Ich glaube übri- !
gens nicht, daß Verf. durch Beobachtung
dieser weisen Beschränkung sein Buch
der Benutzung in der Schule entziehen
woUte, ich wenigstens möchte es zum
Gebrauch in der Schule recht warm em-
pfehlen. Für den letzteren Zweck ist es
auch deshalb besonders geeignet, weil
Verf. bei der Gruppierung des Stoffes den
geschichtlichen Werdegang der Disziplin
selbst zum Führer genommen hat. Es
folgt daraus ja schon fast von selbst, daß
auch der Geschichte der einzelnen Zweige
ein großer Raum zugestanden ist, aber
ich möchte das hier doch noch mal als
einen besonderen Vorzug hervorheben.
Von Einzelheiten möchte ich zwei
Sachen hervorheben, die ich anders ge-
wünscht hätte. Die photogrammetrische
Art der Breitenbestimmung gehört meines
Erachtens nicht unter die Methoden der
Breitenbestimmung, denn durch die Ein-
führung der Photographie sind keine
neuen Methoden der Breitenbestimmung
entstanden, sondern die vom Verf. er-
wähnten Versuche von Marcuse und
Schnauder sind instrumentelle Neue-
rungen, aber keine methodischen. Da-
her hätte die Photogrammetrie im Ab-
schnitt VI bei den Beobachtungsinstru-
menten und nicht im Abschnitt IX bei
den Methoden besprochen werden sollen.
Der zweite Punkt betrifft eine historische
Notiz auf Seite 120. Nach den neue-
sten Untersuchungen von H. Staigmüller
wäre Heraklides Ponticus wohl 'richtiger
neben Aristarch von Samos zu nennen,
und nicht bloß als Vertreter der ein-
fachen Erdrotation neben Hiketas und
Seleukus zu stellen.
Mit Vergnügen möchte ich schließlich
noch konstatieren, daß Druck und Papier-
sorte bei diesem neuen Bändchen der
Sammlung Göschen besser sind als bei
den früheren. Walter F. Wislicenus.
Gade^ H« Historisch-geographisch-
statistische Beschreibung der
Grafschaften Hoya und Diep-
holz mit den Ansichten der
sämtlichen Kirchen und Ka-
pellen beider Grafschaften. 8®,
2 Bde., XII + 600 und 660 S. Han-
nover, M. & H. Schaper, 1901.
Es ist recht schade, daß der Verfasser
dieses unendlich fleißigen und mühevollen
Werkes keine Gelegenheit gehabt hat,
sich mit den Anschauungen der neueren
Geographie bekannt zu machen. Sonst
würde er gewiß vermieden haben, Fuß,
Meilen undR^aumurgrade anzuwenden und
Lehren über die erratischen Blöcke vor-
zutragen, die heute gänzlich veraltet sind.
Die klimatologischen Abschnitte nehmen
sich in ihrer Kürze und Unbestimmtheit
seltsam aus. Hat man aber diese Vor-
behalte gemacht, so darf man bereitwillig
den Riesenfleiß des Verfassers, der wohl
fast ein ganzes Leben an dieses Buch ge-
wendet hat, bewxmdem und die Fülle der
Notizen, die hier über jeden, auch den
kleinsten Ort (es sind 883 Orte besprochen)
zusammengetragen sind, entgegennehmen
und ausbeuten. Bieten diese Notizein doch
118
Nene Bücher und Karten
in ihrer (Gesamtheit ein immerhin lebens-
vollef Bild von Land and Volk (mehr von
letsterem als ersterem) der ziemlich ab-
gelegenen und selten besuchten Graf-
schaften. Es ist keine den heutigen geo-
graphischen Ansprüchen genügende Lan-
deskunde, aber es sind unschätzbare und
lehrreiche Materialien zu einer solchen.
Die gewaltige Arbeit des Verfassers wird
sicher nicht verloren sein. Die Kirchen-
bilder zeigen aufs neue, daß beide Graf-
schaften viele zwar einfache aber kunst-
geschichtlich wichtige und teilweise recht
malerische Dorfkirchen enthalten. Die
Hoya-Diepholzsche Landschaft und die
Kreisverwaltungen haben zu den Kosten
des Buches beigetragen: daß sich die
Beigabe einiger Karten nicht ermöglichen
ließ, wird mancher bedauern. F. Hahn.
Blc^hieriy 6. La Tripolitania e Tlta-
lia. 62 S. Milano, Hoepli 1902.'
L. 0.76.
Diese kleine Schrift des stets zur Be- |
sonnenheit und Vorsicht in dem Streben
Italiens nach kolonialer und weltwirt-
schaftlicher Ausdehnung mahnenden Geo-
graphen von Messina ist ein Wiederabdruck
von Zeitungsartikeln, die, lediglich auf
Verarbeitung fremder Beobachtungen be-
ruhend, den Zweck haben, dem italie-
nischen Volke, das sich neuerdings so
eifrig mit Tripolitanien beschäftigt hat,
in flüchtigen Umrissen, aber sehr geschickt
ein richtiges Bild des Landes und seiner
Hilfsquellen als Ziel italienischer Aus-
wanderung zu entwerfen. Der Verfasser
schätzt die von etwa 1 Million Menschen
bewohnte ertragsfähige Fläche Tripolita-
niens etwa gleich dem Flächeninhalt der
von 3'/, Millionen bewohnten Insel Sizi-
lien. Er schätzt die strategische Bedeu-
tung Tripolitaniens sehr gering ein, warnt
vor gewaltsamer Besitzergreifung und em-
pfiehlt friedliche wirtschaftliche Erobe-
rung nach dem Muster der Deutschen in
Kleinasien. Möge seine Stimme in Italien
gehört werden! Th. Fischer.
Nene Bttcher nnd Karten.
AllyeneiBei.
Ratzel, Friedr. Die Erde und das
Leben. H. Bd. XH u. 702 S. 228 Abb.
u. K. im Text, 12 K. u. 28 Taf. Leip-
zig, Bibl. Inst. 1902. .4C 17.—.
Weltall und Menschheit. Hrsg. von
Hans Kraemer. Bd.H: H. Klaatsch:
Entstehung und Entwicklimg des Men-
schengeschlechtes. — H. Potoniä :
Entwicklung d9r Pflanzenwelt. —
L.Beushausen: Entwicklung der Tier-
welt. XUI u. 618 S. Viele Beilagen
u. Testbilder. Berlin u. s. w., Deutsches
Verlagshaus Bong & Co. JC 16.—.
Lampert, K. Die Völker der Erde.
Lief. 28—27.
Lenschau, Th. Das Weltkabelnetz. X
u. 74 S. K, u. 4 Fig. Halle a. S.,
Gebauer-Schwetschke. JC 1.50.
Bnropa.
Martonne, E. de. La Valachie. Essai
de monographie gäographique. XV n.
387 S. 6 K., 12 Taf. u. 48 Textfig.
Paris, Colin 1902. Frcs. 12.—.
(Jrothe, Hugo. Die Bagdadbahn und
das schwäbische Bauemelement in
Transkaukasien und Palästina. Ge-
danken zur Kolonisation Mesopotamiens.
68 S. München, Lehmann 1902.
Oberhummer, E. Die Insel Cypem.
Eine Landeskunde auf historischer
Grundlage. Gekrönte Preisschrift. I. Tl.
Quellenkunde u. Naturbeschreibung.
XVI u. 488 S. 8 K. u. 1 geolog. Profil,
8 K. im Text. München ^ Ackermann
1903.
Kitchener, H. H. Karte der Insel Cj-
pem in 1 : 600 000, auf Grund der
trigonometrischen Au&ahme. Hrsg. v.
E. Oberhummer. Mit einer Übersicht
der Zählungsergebnisse vom 1. April
1901. München, Ackermann 1908.
Sievers, W.,u. Küken thal,W. Austra-
lien, Ozeanien und Polarländer. 2. Aufl.
XU u. 640 S. 198 Textabb., 14 K. u.
24 Taf Leipzig u. Wien, Bibl. Inst.
1902. X 16.-.
Pah de, A. Erdkunde für höhere Lehr>
anstalten. IV. Tl. Mittelstufe, drittes
Stück. IV u. 148 S. 1 Titelbild u.
3 Abb. im Text. Glogau, Flemming
1902. .H. 2.—.
Diercke. Atlas für Berliner Schulen.
Bearb. u. herausgeg. unter Mitwirkung
Zeitschriftenschau.
110
des Berliner Lehrer-Vereins. 4S. 58Taf.
Braunschweig^Westermann 1902. JL 1.—.
Martin, Rud. Wandtafeln für den Unter-
richt in Anthropologie, Ethnographie
und Geogpraphie. 88 : 62 cm.
Kleine Ausgabe: 8 Taf. in Mappe mit
kurzem erläuternden Text. Subskriptions-
preis M. 28.—. (Frcs. 86.—.)
Große Ausgabe: 24 Taf. Subskriptions-
preis JL 64.—. (Frcs. 80.—.) Zürich,
Art Inst. Orell Füßli.
Die uns vorliegende Taf 6: Dakota —
stellt nach einer . Vorlage des kürzlich
verstorbenen J. W. PoweU das Brustbild
eines Dakota-H&uptlings en Face in Über-
lebensgröße in auch in die Feme gut
wirkender Photochrom -Ausführung dar.
Beigegeben ist eine kurze Monographie
des abgebildeten Typus aus der Feder
des Herausgebers mit den wichtigsten
Literaturnachweisen. Das Werk verspricht
bei den guten dem Verlag zur Verfügung
gestellten Originalaufhahmen ein gutes
i Anschauungsmittel für den anthropologi-
schen und geographischen Unterricht zu
: werden. F. Th.
Zeitschriftenschan.
Petermanns Mitteilungen. 1902. Nr. 12.
Isachsen: Übersicht über die Arbeiten
der n. norwegischen Polarfahrt („Fram",
Eapt. 0. Sverdrup). — Seh äff er: Zur
Geotektonik des südöstlichen Anatoliens.
— Stavenhagen: Rußlands Karten-
wesen in Vergangenheit und Gegenwart.
— Dann eil: Zwei wenig bekannte Inseln
im Bismarck- Archipel. — Supan: Der
neue Eruptionstypus der Antillen. —
Himly: Sven Hedins Ausgrabungen am
alten Lop-nur.
Globus. Bd. LXXXU. Nr. 28. Die Ab-
stammung der ältesten Haustiere. —
Winter: Lettische Totenklagen. — Hoff -
mann: Neue norwegische Bahnen und
ihre Bedeutung.
Dass, Nr. 24. Foy: Ethnographische
Beziehungen zwischen Britisch- u. Deutsch-
Neu-Guinea. — Kollmann: Die tempo-
i^e Persistenz der Menschenrassen. —
Singer: Die Polarforschung im J. 1902.
Dass. Bd. LXXXin. Nr. 1. Wey-
gold: Das indianische Lederzelt im Mu-
seum für Völkerkunde in Berlin. — Hör-
mann: Der Schellenbogen der Herden-
tiere und ähnliche Holzgeräte. — Zon-
d er van: Die Erweiterung unserer Kennt-
nis von Niederländisch Neu-Guinea. —
Adachi: Geruch der Europäer.
Dass, Nr. 2. Halbfaß: Beiträge zur
Kenntnis der Seen der Lechthaler Alpen. —
Blind: Skizzen aus elsaß-lothringischen
OsBuarien. — Karutz: Engano-Popolo.
Malaiische Einflüsse im Bismarck- Archipel.
— Hörmann: Die Schellen der Herden-
tiere.
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik. XXV. Jhrg. Nr. 4. Grooß:
Zur Theorie des Vulkanismus. — Braun:
Landschaftsbilder aus Kleinasien. —
Kellen: Durch die Wälder der Ardennen
— Schiller-Tietz: Die Hungerbrunnen
und Hungerquellen.
Zeitschrift für Gewässerkunde. 1902.
3. Heft. Hempel: Die Wasserkräfte des
Harzes. - Gravelius: Neuere Häufig-
keitsuntersuchungen in Baden. — Über
den Donau-Main-Kanal. — Gravelius:
Die Flußdichte in Bayern.
Zeitschrift für Schulgeographie. 1903.
3. Heft. Zahler: Über Lawinen in der
Schweiz. — Stübler: Die verschiedenen
Methoden im geogpraphischen Unterricht.
— Zondervan: Eine internationale Aus-
stellung von geographischen Lehrmitteln
in Amsterdam.
Dass. 4. Heft. Trampler: Eine
Schulgeographie aus der Mitte des 18. Jahr-
hunderts. — Wangemann: überSamoa.
Beiträge zur Kolonialpolitik und
Kolonialwirtschaft. IV. Jhrg. 7. Heft.
Singer: Kartographische Arbeiten über
die deutschen Schutzgebiete. — Schroe-
der: Auf der Reise nach Saypan. —
Kannen gießer: Übersicht über die be-
deutendsten Forschungsreisen in Nordost-
afrika.
Asien. 1902. Nr. 3. Grothe: Deutsche
Besiedelungsarbeit in Transkaukasien. —
Gaedertz: Schau tungs wirtschaftliche
Bedeutung. — Kränsel: Der chinesische
Teehandel. — v. Kleist: Indochina. —
Die Straße durch das Rote Meer.
120
Zeitschriftenschaa.
La Geographie, 1902. No. 6. Lap-
paren t: La genese da continent asiatique
d'apräs M. E. Sueß. — Charcot: Une
excursion ä Jan Mayen. — Bruyant:
Le Mont-Dore et les lacs d'Auvergne. —
Paquier: Etudes aar la fonnation du
relief dans le Diois et les Baronnies.
The GeographicalJowrnal. 1908. Nr. 1.
Mi Ine: Seismological Observations and
Earth Physika. — Beringer: Notes on
the Country between Lake Nyaaa and
Victoria Nyanza. — Dickaon: Theeaatem
Borderlands of Kikuyu. — The Voyage of
the „Gauß" from Cape Town to Kerguelen.
Raxton: Yola. — The Chile-Argentine-
Arbitration. — Praeger: Geographica!
Distribution of Plant Groups in Ireland.
Bivista Geogr. Ital. August 1902.
Uzielli: Antonio di Tuccio Manetti,
Paolo Toscanelli e la limghezza delle
miglia nel Secolo delle Scoperte. — Lo-
re nzi: Intomo ad alcune salse del Mo-
denese (cont.). — Rajna: Annibale Fer-
rero. — Alfani: Osservatorio Ximeniano
di Firenze. — Hugues: Cristoforo Co-
lombo ed Amerigo Vespucci nella Storia
della Geografia del Prof. P. Donazzalo. —
De Magistris: Contributi geologici e
geografici forniti dalla Direzione dei
lavori della Societa italiana per le Strade
ferrate meridionali.
Dass. November 1902. Loperfrido:
Notizie sulla triangolazione delF Eritrea.
— Lorenz i: Intomo ad alcune salse del
Modenese — Marinelli: Un trattato
di Cartografia. — G. D.: D XXI. Congresso
Geologico Italiano.
Dass. Dezember 1902. Campigli:
Note biografiche sul Vice - Ammiraglio
Magnaghi. — Bertolini: Ancora della
linea delle sorgive in relazione alle laghune
e al territorio veneto. — Aldo: La spe-
dizione scientifica inglese dell' Uganda e
une lettera dell Dott. Aldo Castellani. —
Almagia: ü globo terrestre come orga-
nismo. — Errera: ün particolare note-
vole in una Carta nautica del secolo XV.
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Anno I 1901. — Rassegna di L. F. de
Magistris.
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Study of Home Geography. — Jef fer-
sen: The Influence of Ponds and Rivers
on Athmospheric Temperatures. — Jef-
ferson: Flood Studies on Matfield River.
— Hollister: Irrigation Methods. —
Smith: Geography in Germany.
27t« National Geographie Magazine.
1903. No. 1. Tittmann: The U. S. Coast
and Geodetic Survey. — Easter: Jade.
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graphischer Anzeiger. III. 1902. Okt.
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Grenzstreit. Argentinisches Tageblatt.
Okt. 1902.
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rischen Pacificbahn. Wiss. Beil. d.
Leipziger Zeitu/ng. 1903. I. Jan. 3.
Moldenhauer: Auswanderung in fremde
Staaten und Einwanderung in unsere
Kolonien. Afrika- Post. XVI. 2. 1908.
2. Jan. -Ausg. ^
Porena: Flavio Gina. Inventore della
Bussola Modema. Nuova Antologia.
1. Nov. 1902.
Schorn: Die Erdbeben von Tirol und
Vorarlberg. Zeitschrift des Ferdinan-
deums. HI. F. 46. Heft.
Y«rMitwortlich«r Heraoageber: Prof. Dr. Alfred U«ttner in Ueidolberg.
Omndbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie.
Von Alfred Hettner.
II. Die Ursaehen der geographischen Erscheimmgeii.
In dem ersten Kapitel dieser Studie habe ich mich mit voller Absicht
streng auf die elementare oder deskriptive Analyse des geographischen Tat-
sachenschatzes beschränkt; denn so sehr die Untersuchung der ursächlichen
Zusammenhänge zum Wesen der modernen Wissenschaft gehört, so sehr wir
uns freuen, daß endlich auch die Geographie diesen Geist der modernen
Wissenschaft in sich aufgenommen hat und daß nur noch wenige Vertreter
der älteren Richtung sich ihm zu entziehen suchen, so falsch ist es doch,
die einfache Betrachtung der Tatsachen, wie sie sich uns aus der Anschauung
ergibt, von vom herein mit der Auffassung des ursächlichen Zusammen-
hanges zu vermengen, wie es leider oft genug geschieht, meist ohne daß
man sich dessen klar bewußt ist. Eine gewisse Konfusion der Anschauung
und des Denkens ist die notwendige Folge davon; sowohl die Beschreibung
wie die kausale Untersuchung werden durch die vorzeitige Vermengung der
Tatsachen und der ursächlichen Zusammenhänge in ihrer Keinheit und Klar-
heit getrübt. Erst nachdem wir die Kategorien der geographischen Tatsachen,
wie sie sich der Anschauung darbieten, festgesetzt haben, dürfen wir in
die Analyse ihres ursächlichen Zusammenhanges eintreten.
Das Klima.
Es ist am zweckmäßigsten, mit der Betrachtung des Klimas zu beginnen,
weil hier die Verhältnisse am einfachsten liegen. Man hat seit langem er-
kannt, daß die klimatischen Verhältnisse in letzter Linie fast ganz auf der
Bestrahlung der Erde durch die Sonne beruhen; mechanische Ursachen, wie
Störungen des Gleichgewichts durch vulkanische Ausbrüche oder Erdbeben oder
wie Gezeitenbewegungen in Folge der Attraktion des Mondes und der Sonne, und
auch andere thermische Ursachen, wie die Strahlung des Mondes und der
Sterne oder der Einfluß der inneren Erdwärme, spielen für die geographische
Verteilung der Zustände und Vorgänge der Atmosphäre nur eine ganz unter-
geordnete Bolle. Im griechischen Altertum hat man geglaubt, alle Verschieden-
heiten des Klimas ausschließlich auf Verschiedenheiten der Sonnenstrahlung
zurückführen zu können, und darauf die mathematischen Klimazonen begründet:
aber im Fortschritt der Erkenntnis haben wir zunächst gelernt, daß die Strah-
lung je nach der Beschaffenheit des Untergrundes, insbesondere auf Festland
und Wasser, aber auch je nach der Beschaffenheit des Festlandes und seiner
Geographische Zeitschrift. 9. Jahrgang. 190S. S. Heft. 9
122 Alfred Hettner:
Pflanzenbekleidung wie nach den physikalischen Verhältnissen des Wassers
verschieden wirkt, und daß daher das solare Klima, wie wir das aus der
Wirkung der Sonnenstrahlung auf die mrkliche Erdoberfläche hervorgehende
Klima bezeichnen können, von dem mathematischen Klima verschieden ist.
Wir haben femer gelernt, daß durch die Unterschiede der Erwärmung das
Gleichgewicht der Atmosphäre gestört wird und sowohl in vertikaler wie in
horizontaler Richtung Luftströmungen heiTorgerufen werden, daß diese
Strömungen durch die Erdrotation beeinflußt werden, und daß es sich dabei
nicht um einfache Ablenkungen handelt, sondern daß große eigenartige Zir-
kulationssysteme entstehen, und daß auch die Richtung und Stärke dieser
Luffcströme wieder in Folge der Reibung von der Beschaffenheit des Unter-
grundes abhängig ist. Wir haben aber auch weiter erkannt, daß sowohl die
horizontalen wie auch, und wohl in noch höherem Grade, die vertikalen Luft-
strömungen von dem allergrößten Einfluß auf Temperatur und Feuchtigkeits-
verhältnisse sind. Wir haben also einerseits die Mechanik der Atmosphäre
als Folgeerscheinung der Sonnenstrahlung, aber auch andererseits die Physik
der Atmosphäre als eine Folgeerscheinung ihrer Mechanik aufzufassen gelernt,
und wenn es früher möglich gewesen ist und die meisten Lehrbücher aus der
Macht der Gewohnheit auch dabei bleiben, den Einfluß der Luftströmungen
auf Temperatur und Feuchtigkeit als sekimdäre Störungserscheinungen dar-
zustellen, so ist doch diese Auffassungs weise bei einer tieferen wissenschaft-
lichen Betrachtung nicht mehr möglich. Einer solchen ergibt sich vielmehr
das folgende System von Ursachen und Wirkungen:
1. Die Sonnenstrahlung, nicht nur in ihrer astronomisch bedingten Ver-
teilung (mathematisches Klima), sondern zugleich auch in ihrer verschiedenen
Wirkung auf die Erdoberfläche (solares Klima).
2. Die Statik und Mechanik der Atmosphäre, d. h. die Verteilung des
Luftdruckes und der Luftströmungen, anders ausgedrückt das System der
atmosphärischen Zirkulation.
3 ff. Die verschiedenen Folgeerscheinungen der atmosphärischen Zirkulation,
die nicht aus einander folgen, sondern neben einander hergehen und sich gegen-
seitig beeinflussen, nämlich:
3. Die Verfrachtimg des Staubes mit der Luftbewegung.
4. Die Aufnahme von Wasserdampf in die Atmosphäre (Feuchtigkeit),
seine Bewegung in horizontaler und vertikaler Richtung, seine Kondensation
zu Nebel, Wolken, Tau und Reif, und imter dem Einfluß der Schwere die
Bildung von Niederschlägen; elektrische Entladungen als Folge hiervon.
5. Die Modifikation der Ein- und Ausstrahlung der Wärme durch Feuchtig-
keit und Bewölkung; Verhältnisse des Lichtes und der strahlenden Wärme.
6. Die Temperatur als Folge der unter 5 betrachteten tatsächlichen
Strahlung und der Wärmeübertragung durch Strömungen (wobei jedoch die
Modifikationen bei vertikalen Strömungen zu beachten sind).
Die Gewässer.
Beträchtlich verwickelter liegen die Verhältnisse in der Hydrosphäre.
Das Wasser der Erdoberfläche bildet einen großen Kreislauf, bei dem es, wie
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 123
wir eben gesehen haben, durch die Verdunstung in die Atmosphäre kommt,
dieser zunächst in gasförmigem, dann in flüssigem oder festem Zustande an-
gehört, imi dann in flüssigem oder festem Zustande an die Erdoberfläche
zurückzukehren. Soweit es auf die feste Erdoberfläche fUllt, steht es zu-
nächst unter dem beherrschenden Einfluß der Schwere, welche es im allge-
meinen — wir können von der komplizierton Hydrodynamik des unter-
irdisch zirkulierenden Wassers hier absehen — von den höheren den tieferen
Stellen der Erdoberfläche zutreibt, bis es in Seebecken oder im Meere
vorübergehend oder dauernd zur Ruhe kommi Die Menge und Form des
an jeder Stelle fallenden Niederschlages ist eine Funktion' des Klimas, und
auch die Quantität des Wassers, das durch Verdunstung in die Atmosphäre
zurückkehrt und dadurch der Erdoberfläche entzogen wird, ist wenigstens
teilweise vom Klima, daneben aber von der Beschaffenheit des Bodens und
der Pflanzendecke abhängig. Daraus ergibt sich, daß die Wassermenge der
Gletscher, Flüsse und Seen sowohl nach ihrem durchschnittlichen Betrage wie
namentlich nach ihren zeitlichen Schwankungen in erster Linie eine Funktion
des Klimas ist, aber auch durch die Verhältnisse des Bodens beeinflußt wird.
Die Richtung der Bewegung und das Gefälle werden in jedem Augenblick
durch die gegebene Form der festen Erdoberfläche bestinmit. Aus Wasser-
menge und Gefälle ergibt sich die Schnelligkeit und Art der Bewegung und
auch die Befähigung zum Transport fester Bestandteile.
Von anderen Ursachen sind die Bewegungen abhängig, welche in den
stehenden Gewässern, besonders im Meere, stattfinden. Die Gezeitenbe-
wegungen sind eine Wirkung der Attraktion des Mondes und der Sonne;
gewisse episodisch auftretende Wellenbewegungen sind auf vulkanische Aus-
brüche oder auf Erdbeben zurückzufahren; die gewöhnlichen Wellen werden
vom Winde erregt, und auf die Einwirkung des Windes sind aller Wahr-
scheinlichkeit nach auch die sogenannten Küstenströme oder Küstenversetzungen
und die meisten eigentlichen Meeresströmungen zurückzuführen, während die
Strömungen in engen Meeresstraßen und auch die allgemeine Zirkulation des
Wassers auf Dichteunterschieden des Wassers und in letzter Linie auf den
physikalischen Verhältnissen der Atmosphäre beruhen. Die Bewegungen der
stehenden Gewässer sind also, mit Ausnahme der Gezeiten und der Erdbeben-
fluten, in verschiedener Weise Wirkungen atmosphärischer Vorgänge, aber in
ihrer Ausbildungsweise durch die Gestalt des festen Untergrundes bedingt.
Die physikalischen Verhältnisse der Gewässer stehen, wie die der
Atmosphäre, der Hauptsache nach unter dem Einfluß der Sonnenstrahlung,
die jedoch natürlich nicht in ihrer abstrakten mathematischen, sondern in
ihrer wirklichen, durch die Vorgänge der Atmosphäre modifizierten Verteilung
zur Geltung kommt, so daß eine Abhängigkeit der physikalischen Verhältnisse
des Wassers von denen der Luft ebenso wie umgekehrt stattfindet. Die
Sonnenstrahlung regelt zunächst die Temperatur der Wasseroberfläche und
bestimmt dadurch, zusammen mit der vorhandenen Feuchtigkeit der Atmosphäre,
den Betrag der Verdunstung. Von Verdunstung, Niederschlag und Wasser-
zufahr vom Lande her hängt im Meere der Salzgehalt und dadurch die
Dichte des Meereswassers ab, deren Unterschiede wir schon als Ursache ge-
9*
124 Alfred Hettner:
wisser Strömungen erkannt haben. Wärme und Salzgehalt bedingen wahr-
scheinlich auch die Farbe des Wassers.
Die feste Erdrinde.
Abermals viel verwickeitere Verhältnisse bietet uns die feste Erdrinde dar.
Lange Zeit hat die Wissenschaft auch ihr gegenüber versucht, mit einem einheit-
lichen Erklärungsprinzip auszukommen, und über die Natur dieses Prinzips ist
ein heftiger Streit geftthrt worden, der als der Streit der Neptunisten und der
Vulkanisten bekannt ist. Während die einen alle Abweichungen der wirk-
lichen Erdoberfläche von einer regelmäßigen mathematischen Figur auf große
Fluten und überhaupt die Kräfte des Wassers zurückführen wollten, schrieben
die anderen dem Wasser nur eine untergeordnete Rolle bei der Ausgestaltung
der Erdoberfläche zu und führten diese der Hauptsache nach auf vulkanische
Ausbrüche und Auftreibungen zurück. Keine dieser beiden Auffassungen hat
sich in ihrer Einseitigkeit aufrecht erhalten lassen. Die Vorstellung von
großen Fluten ist von der Wissenschaft ganz über Bord geworfen worden;
dagegen wissen wir, daß die Flüsse und die Brandung des Meeres in im-
scheinbarer, aber durch Jahrmillionen fortgesetzter Arbeit die Wirkungen
vollbringen, die man früher jenen zuschrieb, und daß neben dem Wasser auch
Gletscher und Wind beständig an der Umbildung der Erdoberfläche arbeiten.
Der Begriff der neptunischen Kräfte hat daher zum Begriff der äußeren oder
exogenen, d. h. der Erdoberfläche angehörigen Kräfte erweitert werden müssen
(vergl. S. 35). Ebenso ist an die Stelle der vulkanischen Kräfte der um-
fassendere Begriff der inneren oder endogenen Kräfte getreten, da sich neben
den Ausbrüchen und Eindringungen vulkanischen Magmas große Disloka-
tionen der Erdkruste vollziehen, die von jenen vollkommen unabhängig und
dabei für das Bild der Erdoberfläche von viel größerer Wichtigkeit sind.
Neptunische und vulkanische oder, wie wir jetzt allgemeiner sagen, exogene
oder äußere und endogene oder innere Kräfte schließen sich auch nicht aus,
sondern verbinden sich mit einander, um die Erdoberfläche umzugestalten und
stofflich umzubilden, wie wir gleich weiter verfolgen werden.
Zuvor aber müssen wir nach dem letzten Ursprung der beiden Klassen
von Kräften fragen. Die exogenen Kräfte sind, abgesehen von der allgegen-
wärtigen Schwere, teils die physikalischen und chemischen Verhältnisse der
Atmosphäre und des in ihr enthaltenen Wassers, teils die Bewegungen
der Atmo- und Hydrosphäre, die ihrerseits, wie wir gesehen haben, teils
wieder von der Schwere, teils von der Attraktion des Mondes und der
Sonne, vornehmlich aber von der Sonnenstrahlung und nur untergeordnet
von Vorgängen des Erdinnem bewirkt werden. Die Ursachen der endogenen
Kräfte liegen noch nicht klar; die meisten Forscher sehen sie der Haupt-
sache nach als die Wirkung einer Wärmeabgabe der Erde an den Weltenraum
und der damit verbundenen Kontraktion des Erdinnem an, während andere
sie auf chemische Umsetzungsvorgänge im Erdinnem zurückführen und wieder
andere sie als eine Folgeerscheinung der oberflächlichen Massenversetzungen
deuten. In diesem Falle würden also die endogenen Vorgänge auf die
TOgeoen und damit in letzter Linie, von der Schwere abgesehen, auf
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 125
kosmische Kräfte zurückzuführen sein; die größere Wahrscheinlichkeit spricht
aber dafür, daß sie unabhängig von jenen und viehnehr in der Konstitution
und Beschaflfenheit des Erdinnem begründet, daß sie also tellurischen Ur-
sprunges sind.
Die inneren und die äußeren Kräfte verbinden sich im Laufe der Ent-
wickelung einer Erdstelle in der mannigfaltigsten Weise. An jeder Boden-
erhebung, die durch innere Kräfte irgend welcher Art entstanden ist, arbeiten
die Kräfte der Verwitterung, nehmen Wasser, Wind, Eis einen Teil des Ge-
steinsmaterials weg, transportieren es zum Meere und lagern es in diesem
ab. Diese Materialien werden nun aber von einer Faltung oder auch Ver-
werfung oder Verbiegung ergriffen und anders angeordnet. Die innere An-
ordnung oder Tektonik der durch äußere Kräfte gebildeten Schichten und
damit zugleich die tektonische Oberfläche, d. h. die Oberfläche, wie sie aus-
sehen würde, wenn keine äußeren Kräfte sie umgestalteten, ist also die
Wirkung innerer Kräfte. Diese tektonische Oberfläche wird nun aber wieder
durch äußere Kräfte ausgestaltet und stofflich umgebildet, daran schließen
sich neue innere Vorgänge an u. s. w. So hat es die erdgeschichtliche Be-
trachtung der Geologie mit einem beständigen Ineinandergreifen innerer und
äußerer Kräfte zu tun. Aber die Geographie, der es nur auf daa Ver-
ständnis der Gegenwart ankommt, kann sich die Betrachtung einfacher
gestalten und muß das tun, wenn sie nicht zu historischer Geologie werden
will. Sie geht in der kausalen Analyse der Erscheinungen nur bis auf den
inneren Bau zurück, wie er heute ist, betrachtet sowohl die Gesteinszusammen-
setzung wie die Lagerungsverhältnisse als gegebene Tatsachen, deren Ent-
stehung sie der historischen Untersuchung der Geologie überläßt, und fragt
nur, ob die Verteilung der stofflichen und Lagerungsverhältnisse im Verhält-
nis zu anderen Tatsachen der heutigen Erdoberfläche irgend welche Gesetz-
mäßigkeiten erkennen läßi Die eigentliche kausale Betrachtungsweise der
Geographie setzt erst mit der Umbildung des inneren Baues durch äußere
Kräfte ein, welche an einer Stelle wegnehmend imd ausgestaltend, an der
anderen ablagernd und den inneren Bau verhtlllend wirken. Allerdings ist
es im einzelnen oft schwer zu entscheiden, ob wir ein Gebilde dem
inneren Bau zurechnen oder als eine äußere Umbildung auffassen sollen.
Weder die Beschaffenheit als Gestein oder als lockere Masse, die ja im all-
gemeinen unterscheidet, noch die Bildungsweise noch das Bildungsalter geben
bestimmte Kriterien ab; man wird ein Gebilde dem inneren Bau zurechnen,
wenn in Folge des Alters und später Umlagerung die ursprüngliche Bildungs-
form so weit vernichtet worden ist, daß sie fttrs Aussehen der Oberfläche
nicht mehr maßgebend ist, dagegen jüngere Meeres- oder Flußablagerungen
oder Moränen, bei denen dies noch der Fall ist, als äußere Umbildungen
auffassen.
Auch die kausale Analyse der der Erdoberfläche angehörigen Umbildungs-
vorgänge hat es mit dem Faktor Zeit zu tun; denn alle Erscheinungen der
festen Erdrinde, sowohl die des inneren Baues wie die der äußeren Um-
bildung mit Ausnahme der einfachsten physikalischen Vorgänge, sind von den
Erscheinungen der Wasser- und Lufthülle durch ihre Dauer unterschieden.
126 Alfred Hettner:
Während diese zeitlich mehr oder weniger an ihre Ursachen gebunden sind,
d. h. nur bestehen, solange diese bestehen, und vergehen, bald nachdem
diese vergangen sind, so daß vergangene Ursachen für die Gegenwart keine
Bedeutung haben und eine Summierung der Wirkimgen nur innerhalb kurzer,
der Gegenwart angehöriger Zeiträume stattfindet, überdauern die Erscheinungen
der festen Erdrinde ihre Ursachen nicht nur um eine gewisse Zeit, sondern
bleiben überhaupt bestehen, bis sie etwa durch andere Kräfte wieder ver-
nichtet werden; und wenn auch die Wirkung des einzelnen Augenblickes oft
viel unscheinbarer ist als im Wasser oder in der Luft, so summieren sich
doch, falls nur die Ursachen lange genug bestehen bleiben, die Wirkungen,
und wenn sich die Ursachen ändern, so kombinieren sich die Wirkungen der
früheren und späteren Ursachen. Während daher in der Wasser- und Luft-
hülle ein Wechsel der Erscheinungen stattfindet, jede einzelne Erscheinung
aber neu und jung ist wie die Eintagsfliege, fehlt in der festen Erdrinde ein
solcher Wechsel, und es findet dafür, ähnlich wie bei den langlebigen
Organismen, eine Entwickelung statt. Den Formen und stofi'lichen Gebilden
kommt ein bestimmtes Alter zu, mit dem sie sich oft vollständig ändern,
und das daher bei ihrer Beurteilung neben der Bildungsweise berücksichtigt
werden muß. Je älter ein tektonisches Gebilde ist, desto länger arbeiten
schon die äußeren Kräfte an seiner Zerstörung, und desto weiter wird die
Zerstörung im allgemeinen vorgeschritten sein. Darum wird sich die Wirkung
des Alters in den Denudationsreihen erkennen lassen, welche man z. B. für
die Vulkane aufgestellt hat Neuere amerikanische Forscher haben für diese
bekannten Begriffe den Ausdruck Cyklus eingeführt, aber da von einem
eigentlichen Kreislauf der Erscheinungen nicht die Rede ist, kann ich darin
keine glückliche Bereicherung unserer Terminologie erkennen. Das geo-
logische Alter kommt außer in der Dauer der zerstörenden Einwirkungen auch
darin zur Geltung, daß an der Umbildung andere Kräfte teilgenonunen haben
können, als sie heute an der betreffenden Erdstelle wirksam sind. Es ist be-
kannt, einen wie mächtigen Einfluß die Eiszeit auf die Länder der gemäßigten
Zone ausgeübt hat, an anderen Stellen scheint ein Steppenklima zum Aus-
druck zu kommen, manche Oberflächenformen unserer Hochgebirge lassen sich
wohl nur aus dem milderen Klima der Tertiärzeit erklären. Li der Auf-
fassung der jüngeren erdgeschichtlichen Vergangenheit, welche für die Auf-
fassung der heutigen Oberflächengebilde maßgebend ist, greifen also Geologie
und Geographie in einander über; aber die Geographie wird doch im Gegen-
satz zur Geologie auch hier nicht das Werden als solches untersuchen, d. h.
wird keine geschichtliche Darstellung geben, sondern wird sich begnügen
müssen, die heutige Oberfläche als etwas Gewordenes zu erfassen.
Für die geographische Auffassung der festen Erdrinde ergibt sich
daraus das folgende Bild. Das Primäre sind die Tatsachen des inneren
Baus, d. h. der Gesteinszusammensetzung und der Anordnung der Bestand-
massen; die Gesteinszusanmiensetzung und auch die Lagerungsverhältnisse
sind ja großenteils wieder durch Vorgänge der äußeren Umbildung bedingt,
aber die Geographie muß sie einfach als gegeben hinnehmen. Durch den
inneren Bau sind auch die größten Formen der Erdoberfläche gegeben; im
Grundbegriffe und Grundsätze der phy&ischen Geographie. 127
einzelnen aber findet beständig eine Umbildung des Felsgerüstes und der
tektonischen Oberfläche durch äußere Kräfte statt, die hier modellieren und
abtragen, dort der tektonischen Oberfläche neue Formen und neue stoffliche
Gebilde aufsetzen. Die Formen der Erdoberfläche im einzelnen und die
Bodenbeschaffenheit können nur als die kombinierte Wirkung des inneren
Baus und der äußeren Umbildung verstanden werden. Je nachdem die
Oberfläche den Boden des Meeres oder eines Landsees oder das Bett eines
fließenden Wassers oder eines Gletschers bildet oder an der Luft liegt,
und je nach den physikalischen und auch chemischen Verhältnissen des
Wassers an der betreffenden Stelle werden natürlich die Umbildungsvorgänge
und ihre Wirkungen verschieden sein. In den Wirlningen kommen aber nicht
bloß die Bedingungen der Gegenwart, sondern auch der Vergangenheit zur
Geltung; Oberflächenformen und Bodenbeschaffenheit können daher nur auf
historisch-geologischer Grundlage verstanden werden.
Die Pflanzen- und Tierwelt.
Die kausale Auffassung der pflanzen- und tiergeographischen Ver-
hältnisse ist insofern der der festen Erdrinde ähnlich, als es sich auch hier
um eine Entwickelung handelt, die Ursachen der Gegenwart also zum Teil
in der Vergangenheit liegen. Im übrigen machen sich natürlich die be-
sonderen Verhältnisse des Lebens auch in der Art des ursächlichen Zusammen-
hanges der Erscheinungen geltend. Von unserem geographischen Standpunkte
aus besteht dieser Unterschied, wie wir gesehen haben, darin, daß die Er-
scheinungen der anorganischen Natur ihrem ganzen Wesen nach an der Erd-
stelle wurzeln, untrennbar mit ihr zusanunenhängen, die Organismen dagegen
selbständige Wesen sind, die von einer Erdstelle an die andere versetzt werden
können und dabei nur gewisse mehr äußerliche Umbildungen erleiden, daß daher
nicht das Wesen der Organismen, sondern nur ihr Auftreten oder Fehlen
und gewisse für ihr Aussehen oft bestimmende, aber ihnen doch mehr äußer-
lich anhaftende Eigenschaften ein Merkmal oder einen Charakterzug der Erd-
stelle bilden. Das Wesen der Pflanzen und Tiere ist in ihrer Abstammung
gegeben; die äußerlichen Umbildungen beziehen sich auf die Lebensweise
und die Ausbildung der vegetativen Organe. Daraus folgt, daß die Tat-
sachenreihen der Pflanzenwelt, die wir als Flora und Vegetation einander
gegenüber gestellt haben, und die entsprechenden Tatsachenreihen der Tier-
welt auch bei der kausalen Betrachtung aus einander gehalten werden
müssen.
So lange man glauben konnte, daß die Veränderungen der Erdober-
fläche durch Katastrophen erfolgten, die älteren Schöpfungen vernichtet
würden und neue an ihre Stelle träten, mußte man annehmen, daß jede
Pflanzen- und Tierart so erschaffen worden sei, wie es den geographischen
Verhältnissen ihres heutigen Wohngebietes entspräche; was überhaupt von
ursächlichen Beziehungen zwischen dem Organismus und dem Wohngebiet
vorhanden ist, mußte in der Gegenwart liegen. Diese Auffassung mußte
sich ändern, als die Annahme einer allmählichen Entwickelung der Erdober-
fläche und ihrer Lebewelt an die Stelle der Katastrophen trat. Die Änderung
128 Alfred Hettner:
der Auffassung vollzog sich in zwei Absätzen. Zunächst erkannte man bei
der Untersuchung der Pflanzen und Tiere der britischen Inseln, daß sie
großenteils noch vor der Entstehung des Kanals eingewandert sein müssen,
daß also die Verbreitung der heutigen Pflanzen- und Tierarten teilweise
älter ist als die Entstehung der heutigen Formen der Erdoberfläche, im
besonderen als gewisse Züge in der Verteilung von Land und Meer, daß sie
darum aus den Oberflächenverhältnissen der Vergangenheit erklärt werden
muß. Dann wandte Darwin seine Theorie von der allmählichen Umbil-
dung der Pflanzen und Tiere auch auf deren geographische Verteilung an,
indem er zeigte, daß in getrennten Gebieten oder auch in Gebieten von ver-
schiedener Naturbeschaffenheit die Umbildung in verschiedener Weise er-
folgt, daß also die allmählich vor sich gehende Differenzierung der Erd-
oberfläche von einer Differenzierung der Organismen begleitet wird. Damit
waren sowohl die Ausbildimg der Sippen wie ihre Ausbreitung zu Tat-
sachen einer Entwickelung geworden, die mit der Entwicklung der an-
organischen Erdoberfläche in der jüngeren geologischen Vergangenheit im
engsten Zusanmienhang steht und darum im Prinzip einen Gegenstand der
historisch-geologischen Betrachtung bilden muß und bei den Tieren im ganzen
auch bildet, während die Geologie den pflanzengeographischen Tatsachen in
Folge der Spärlichkeit fossiler Pflanzenreste teilweise ziemlich hilflos gegen-
übersteht. Die geographische Betrachtung muß sich ähnlich wie bei der
festen Erdoberfläche gestalten; sie kann, wenn sie nicht auf ursächliche
Erklärung überhaupt Verzicht leisten will, nicht bei der Gegenwart stehen
bleiben und mag sich doch auch nicht auf das ihr fremde Gebiet historisch-
geologischer Auffassung begeben; sie betrachtet die Flora und Fauna als
etwas Gewordenes. Sie vergleicht also die Flora und Fauna eines Gebietes
mit der Flora und Fauna anderer Gebiete und zerlegt sie danach in Elemente
von verschiedener Verwandtschaft und demnach auch verschiedener Entstehung
oder Einwanderung; zur Erklärung dieser verschiedenen Entstehung oder
Einwanderung zieht sie die Bedingungen der geologischen Vergangenheit
heran.
Die Entstehung neuer Sippen ist in vielen Fällen die Folge einer An-
passung an andere Lebensbedingungen, sei es daß die Lebensbedingungen
der alten Heimat sich im Laufe der Zeit ändern, sei es daß die Sippe in
ein anderes Gebiet einwandert, wo sie nur mit gewissen Umbildungen zu
bestehen vermag. Die Entstehung der neuen Sippen ist daher in diesen
Fällen auch mit einer Umbildung der vegetativen Organe verbunden und
ist daher nicht nur eine Tatsache der systematischen Zugehörigkeit, sondern
auch der physiologischen Ausbildung, in der Pflanzenwelt also nicht nur der
Flora, sondern auch der Vegetation. Auch die Ausbildung der vegetativen
Organe erfolgt nicht nach einfachen mechanischen, physikalischen oder
chemischen Gesetzen, sondern erfolgt aus der bestehenden, von uns nicht
weiter zu analysierenden Eigenart der organischen Sippen heraus, stellt eine
Reaktion, fast möchte man sagen, einen Willensakt der einzelnen Organismen
dar, steht aber nichtsdestoweniger in strenger Abhängigkeit von den Ver-
hältnissen der äußeren Umgebung und den von ihr ausgehenden Reizen,
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 129
ist eine Anpassung an diese*). Was heute an einer gegebenen Stelle leben
will, muß den an dieser Stelle gegebenen Lebensbedingungen angepaßt
sein; oder es muß untergehen. Insofern lassen sich die Erscheinungen der
Vegetation und die entsprechenden Erscheinungen der Tierwelt als eine
Funktion der heutigen geographischen Verhaltnisse, besonders der heutigen
klimatischen Verhältnisse, auffassen. Es ist die größte Errungenschaft der
neueren Pflanzengeographie, daß sie diese Abhängigkeit, die man bisher nur
aus dem Zusammenfallen der Verbreitung gewisser Vegetationsverhältnisse
und gewisser Zustände der anorganischen Erdnatur erschlossen hatte, physio-
logisch plausibel gemacht hat. In manchen Fällen zeigt bloß eine einzelne
Art, in anderen eine Gattung, wieder in anderen eine ganze Familie, wie
die Kakteen, in allen ihren Gattungen eine bestimmte vegetative Ausbildungs-
weise; in jenen Fällen ist die der vegetativen Ausbildung zu Grunde liegende
Anpassung wahrscheinlich erst spät und in räumlich beschränkten Gebieten
erfolgt, während in diesem Falle die ganze Familie seit langer Zeit imter
denselben äußeren Bedingungen gelebt haben muß. Von einer entsprechenden
Auffassung der Tierwelt sind leider erst dürftige Anfänge vorhanden, mehr
in der halbpopulären als in der speziell wissenschaftlichen Literatur. Es liegt
hier ein wichtiges Forschungsgebiet brach, durch dessen Beackerung die Zoo-
logen die Tiergeographie mehr fördern könnten als durch die oft ziemlich
haltlosen geologischen Spekulationen.
Die Geographie hat also die kausale Betrachtung der Pflanzen- und
Tierwelt unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten vorzunehmen:
1. unter dem Gesichtspunkte der Abstanmiung; in diesem Falle kann
die Erklärung nur genetisch erfolgen, da die Verbreitung der Pflanzen- und
Tiersippen in die geologische Vergangenheit zurückreicht und daher sowohl
die Kenntnis des Stammbaums wie die geologischen Veränderungen der festen
Erdoberfläche und des Klimas voraussetzt.
2. unter dem Gesichtspunkt der Lebensweise und der damit in Zu-
sanunenhang stehenden Ausbildung der vegetativen Organe; hier kommt es
nur auf die Abhängigkeit und Anpassung an die Lebensbedingungen der
Gegenwart an, die Erklärung hat nur das E^lima und den Boden sowie die
übrigen Organismen der Gegenwart in die Rechnung zu setzen.
Das Wesen der geographischen Kausalität.
Es fehlt uns noch viel an der vollen Erkenntnis des ursächlichen Zu-
sammenhangs der geographischen Erscheinungen, aber wir kennen heute
wenigstens, wie die vorhergehenden Erörterungen gezeigt haben, fast in allen
Teilen die Art und Weise dieses Zusammenhangs. Während man noch
vor einem Jahrhundert die Erscheinungen der Erdnatur als die Entfaltungen
eines Lebewesens ansehen konnte, wissen wir heute, daß die anorganische Erd-
natur nur durch Gesetze der Mechanik, Physik und Chemie beherrscht wird,
und daß Betrachtungen über das Leben und die Seele der Erde der meta-
1) Die verschiedenen, durch die Namen Lamarck, Darwin, Nägeli, Weis-
mann, M. Wagner u. a. gekennzeichneten Auffassungen des Wesens dieser E
Wickelung und Anpassung können hier nicht besprochen werden.
130 Alfred Hettner:
physischen Spekulation überlassen bleiben müssen. Allerdings zeigt die Erd-
natur, wie wir noch weiter sehen werden, gewisse Ähnlichkeiten mit einem
Organismus und Verschiedenheiten von gewöhnlichen Mechanismen, aber diese
Verschiedenheiten sind nur die Wirkungen eines verwickeiteren Baues, als
der Mensch seinen Maschinen zu geben vermag, nicht die Folge einer
besonderen Lebenskraft der Erde. Ich lasse es dahingestellt sein, ob es
zweckmäßig ist, diesen Unterschied von gewöhnlichen Mechanismen durch das
Wort Organismus zu kennzeichnen; jedenfalls muß man sich dabei bewußt
bleiben, daß man damit nicht der Erde eine neue Eigenschaft beilegt, viel-
mehr andeutet, daß auch die pflanzlichen und tierischen Organismen, ähnlich
der Erde, schließlich nur verwickelfcere Mechanismen sein dürften.
Unsere Analyse der Erscheinungen hat ims auf eine Anzahl verschiedener
Energiequellen geführt. Wenn wir sie überblicken, so erkennen wir, daß sie
teils der Erde selbst eigentümlich sind, ihr seit ihrer Entstehung, d. h. also, nach
der gewöhnlichen Annahme, seit ihrer Abtrennung von der Sonne angehören,
teils aber den anderen Weltkörpem, der Sonne, dem Mond, den Planeten
inne wohnen und mechanische oder physikalische Einwirkungen dieser auf
die Erde darstellen. Wir können danach tellurische und kosmische Energien
unterscheiden, die wir mit den ererbten Eigenschaften des Menschen oder
überhaupt des organischen Individuums auf der einen, den Einwirkungen
der Erziehung oder überhaupt der Umgebung (des Milieus) auf der anderen
Seite vergleichen können, wobei wir uns jedoch hüten müssen, durch diesen
Vergleich in anthropomorphische Vorstellungen zurückzufallen.
Bei weiterer Unterscheidung ergeben sich uns die folgenden Energien^):
I. Tellurische Energien.
1. Die Energie der fortschreitenden Bewegung der Erde
kommt für die Verschiedenheiten an der Erdoberfläche kaum in Betracht;
dagegen wirkt die der Erde als rotierendem Körper innewohnende Be-
wegungsenergie an der Erdoberfläche als Zentrifugalkraft und ruft da-
durch nicht nur Ablenkungen, Azimutalveränderungen, der einzelnen an der
Erdoberfläche stattfindenden Bewegungen, besonders der Luft und des
Wassers, sondern auch neue Bewegungssysteme hervor. Inwieweit es sich
dabei um eine Vermehrung oder nur um eine Umwandlung der Energie
handelt, mag dahingestellt bleiben. Die Größe der Zentrifugalkraft ändert
sich mit der geographischen Breite, worin die Verschiedenheit der Luft-
bewegungen in den niederen und höheren Breiten hauptsächlich ihre Ur-
sache hat.
2. Die Schwere der Erde, die eine Funktion ihrer Masse ist, wohnt
allen Körpern der Erdoberfläche teils als potentielle Energie inne, teils be-
wirkt sie als kinetische Energie die Erscheinungen des Fallens, Rollens und
Gleitens. Ihr Betrag wechselt zwar mit der geographischen Breite und der
Meereshöhe, aber so unbedeutend, daß dieser Unterschied an sich keine
geographische Bedeutung haben würde. Die Schwere wird eine Ursache
1) Vergl. hierzu Supan, Physische Erdkunde, 2. Aufl., S. 14 0"., wo aber merk-
würdigerweise die Schwere nicht unter den Energiequellen aufgezählt wird.
Grundbegriffe nnd Grundsätze der physischen Geographie. 131
geographischer Verschiedenheiten nur durch die Verschiedenheiten der Be-
dingungen, welche die Erdoberfläche den genannten Bewegungen darbietet.
Die Umwandlung der Schwere aus potentieller in kinetische Energie wird
nur durch die vorhergehende Wirksamkeit anderer, namentlich thermischer
Kräfte möglich (Verdunstung und Hebung des Wassers in der Atmosphäre,
Lockemng des Gesteins durch Verwitterung, Bildung unterii'discher Hohlräume
in Folge der Kontraktion).
3. Auf der Erdwärme oder der thermischen EneVgie des Erd-
innern und den damit verbundenen Vorgängen der Ausdehnung und Zu-
sammenziehung sowie chemischen Umsetzung beruhen das Andringen und
Ausbrechen glutflüssigen Magmas sowie wahrscheinlich, unter Mitwirkung
der Schwere, die große Mehrzahl der Dislokationsvorgänge der Erdrinde,
wodurch nicht nur die Form und die stoffliche Zusammensetzung der Erd-
rinde, sondern auch ihre potentielle Schwereenergie geändert wird. Ihre
thermische Einwirkung auf die Erdoberfläche scheint, von örtlichen und
zeitlichen Ausnahmen abgesehen, an allen Stellen der Erdoberfläche die gleiche
zu sein, so daß sie in dieser Beziehung keinen großen Einfluß hat.
4. Ob dem Erdinnem elektrische und magnetische Energie
zukommt, wissen wir noch nicht; dagegen müssen wir mit einer chemischen
Energie des Erdinnem rechnen, deren Wirkungen wir aber noch nicht
von denen der theimischen Energie unterscheiden können, und die mit
dieser wohl auch tatsächlich großenteils zusammenfällt.
n. Kosmische Energien.
1. Eine stoffliche Einwirkung des Weltalls findet durch den Fall von
Meteoriten statt, ist aber im ganzen unbedeutend.
2. Die Gravitation oder Attraktion der Sonne, zusammen mit der
des Mondes und der Planeten, hält die Erde in ihrer Bahn und wird damit
zur Bedingung aller davon abhängigen Erscheinungen. Als geographische
Ursache wirkt sie aber nur insofern, als ihr Betrag an verschiedenen Stellen
der Erdoberfläche beträchtliche Verschiedenheiten zeigt. Die wichtigste hier-
her gehörige Erscheinung ist die Gezeitenbewegung, die jedoch nach dem
gegenwärtigen Stand der Forschung nur in der Hydrosphäre geographische
Bedeutung hat.
3. Die Sonnenstrahlung, und nebensächlich auch die Strahlung des
Mondes und der Sterne, gewinnt, soviel wir beurteilen können, in viererlei
Weise Bedeutung: 1. als Licht, aus dessen Einwirkung auf die irdischen
Substanzen auch die Farbenerscheinungen hervorgehen; 2. als strahlende Wärme,
die sich an der Erdoberfläche in Temperatur umsetzt; 3. als chemisch wirk-
same Strahlung; 4. als elektrische Strahlung, auf deren Vorhandensein die
Beziehungen zu den Sonnenflecken schließen lassen, von der wir aber sonst
noch wenig wissen.
Eine naturwissenschaftliche Auffassung wird sich schwer damit be-
freunden können, Leben und Geist als besondere Energiequellen anzusehen,
wenn das auch keine Erfahrungstatsache, sondern nur ein wissenschaftliches
Postulat ist.
Es ist die Aufgabe der ganzen physischen Geographie^ zu verfolgen, in
132 Alfred Hettner:
welcher Weise die genannten Energien in den geographischen Erscheinungen
der verschiedenen Naturreiche oder Erdsphären zur Geltung kommen. Hier
können nur die allgemeinen Gesichtspunkte angegehen werden. Diese sind
keineswegs einfach. Durch die Umbildung der ursprünglichen Energie in
andere Energieformen, z. B. der Wärme der Sonnenstrahlen in Bewegungs-
erscheinungen, sowie durch die Verbindung verschiedener Energien zu gemein-
samer Wirkung wird eine unendliche Mannigfaltigkeit von Vorgängen erzeugt,
die auch nicht je auf eine Sphäre beschränkt sind, sondern in der verschie-
densten Weise aus der einen in die andere übergreifen. Der Prozeß läßt
sich bei dem heutigen Stand unserer Kenntnisse nur qualitativ, noch nicht
quantitativ unter dem Gesichtspunkte des Gesetzes von der Erhaltimg der
Energie auffassen, und wir können auch nicht sagen, ob dabei die gesamte
Energie der Erde konstant bleibt oder sich durch Aufnahme von Energie
aus dem Weltraum vermehrt oder durch Abgabe von Energie an den Welt-
raima vermindert.
Wenn man den ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen an der
Erdoberfläche und die damit verbundene Umwandlung der Energie scharf
auffassen will, darf man sich vor allen Dingen nicht mit den allgemeinen
Begriffen: Einfluß, Einwirkung, Abhängigkeit begnügen, sondern muß zwischen
wirkenden Ursachen, die selbst, indem sie wirken, eine Änderung erleiden
und dadurch dem Prinzip der Erhaltung der Energie unterliegen, und bloßen
Bedingungen unterscheiden, die nur die Richtung oder die Äußerungsweise
des einmal eingeleiteten Vorgangs bestimmen und für die Auffassimg der
Energie nur in Betracht kommen, insofern sie durch Reibimg einen Teil der
Energie aufzehren. Nur bei jenen kann man von einer Wirkung, bei diesen
dagegen nur von einem Einfluß sprechen. Jene stellen die Triebkraft dar,
diese sind mit dem Gerüst der Maschine zu vergleichen. Alle Erscheinimgen
der Atmosphäre, von den früher genannten unbedeutenden Ausnahmen ab-
gesehen, sind eine Wirkung der Sonnenstrahlung, der Schwere und der
Zentrifugalkraft, diese sind ihre Ursachen, während als Bedingungen sowohl
der Bewegungen wie der Art der Erwärmung auch die Gestalt und Be-
schaff'enheit des festen und flüssigen Untergrundes in Betracht kommen. Das
Fließen des Wassers hat seine Ursache in der Schwere, aber die Bahnen
des Wassers werden zugleich durch die Gestalt und Beschaffenheit (Durch-
lässigkeit) der Erdoberfläche bedingt.
Sehr häufig ist ein Übergang von einem in das andere Naturreich. Die
Sonnenstrahlung erwärmt zunächst hauptsächlich die feste Erdrinde und das
Wasser. Von ihnen wird dann die Wärme durch Rückstrahlung, Leitung
und Strömung der Atmosphäre mitgeteilt, in dieser erzeugt sie Druckdiffe-
renzen, senkrechte und wagrechte Luftströmungen, die dann mechanisch auf
das Wasser (Wellenbewegungen und Strömimgen) und auf die feste Erdober-
fläche wirken. Die Wärme bewirkt auf dem Wasser auch Verdunstung, also
einen stofflichen Übergang von Wasser aus der Hydrosphäre oder aus der
Pflanzenwelt in die Atmosphäre. Hier bewirkt sie durch die Ausdehnung
der Luft Hebung des Wasserdampfes und Kondensation in der Höhe. Durch
die Hebung wird die potentielle Schwereenergie vermehrt, die früher oder
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 133
später den Fall des Wassertropfens auf die Erdoberfläche und auf dieser ein all-
mähliches Abwärtsgleiten bis in das Niveau des Meeresspiegels bewirkt Bei
dieser gleitenden und rollenden Bewegung des Wassers wird ein Teil der
Bewegungsenergie dazu verwendet, Stücke des festen Untergrundes loszureißen
und in Bewegung zu versetzen.
Bei einem solchen Übergang der Energie von einer in die andere Sphäre
oder auch von einer in die andere Erscheinungsweise derselben Sphäre kommt
es öfters vor, daß eine Erscheinung in dem einen Augenblick die Ursache
ist, im nächsten aber von der anderen Erscheinung abhängig ist. Der Bach
gräbt sich durch Wegnahme von Gesteinsteilchen selbst seine Rinne, nun
aber weist die Rinne dem Bach die Bahn an. Regelmäßige Niederschläge
ermöglichen das Aufkommen des Waldes, das Vorhandensein des Waldes
trägt aber durch die reichlichere Verdunstung un4 die Mäßigung der aus-
strahlenden Wärme dazu bei, Niederschläge hervorzurufen. Allerdings scheint
dabei die Erscheinung, welche zunächst die Wirkung ist, nie zur Ursache,
sondern nur zur Bedingung der andern Erscheinungen zu werden, und der
Ausdruck Wechselwirkung, den man dafür gebraucht, ist daher streng
genommen ungenau; man dürfte eigentlich wohl nur von ursächlichen
Wechselbeziehungen sprechen. Sie tragen viel dazu bei, den Einblick
in den ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen zu erschweren.
Eine sehr wichtige Tatsache ist die zeitliche Veränderung der
tellurischen und kosmischen Energiequellen und damit auch ihrer Wirkungen.
Wir haben bei der elementaren Analyse des zeitlichen Ablaufes der Erschei-
nungen erörtert, daß die geographische Betrachtung es unmittelbar nur mit
den in kurzen Zeiträumen sich vollziehenden, in weiterem Sinn der Gegen-
wart angehörigen zeitlichen Schwankungen und fortschreitenden Veränderungen
zu tun hat, und wenn die Erdoberfläche überall flüssigen und gasförmigen
Aggregatzustand hätte, würden uns die zeitlich weiter zurückliegenden Energie-
quellen überhaupt nichts angehen. Die Erscheinungen der festen Erdrinde
sowie der Pflanzen- und Tierwelt sind aber nicht so vergänglich wie die der
Hydrosphäre; vielmehr überdauern, wie wir gesehen haben, die Wirkungen
ihre Ursachen, und da die heutigen Verhältnisse der festen Erdrinde die Be-
dingung der Erscheinungen der Hydrosphäre und Atmosphäre sind, sind auch
diese indirekt von Ursachen der Vergangenheit abhängig.
Man kann in diesem Einfluß der Vergangenheit wieder eine Ähnlich-
keit mit einem Organismus erkennen, denn während die Einwirkimgen, die
auf eine Maschine erfolgen, immer nur als Triebkraft wirken imd das Räder-
und Hebelwerk der Maschine selbst, von einer gewissen Abnutzimg abgesehen,
nicht verändern, erleidet das ganze Werk der Erde, ähnlich wie der Orga-
nismus unter dem Einfluß der Nahrungsaufnahme, eine beständige Umwand-
lung, so daß es sich auch den von außen kommenden Einwirkungen gegen-
über in jedem folgenden Augenblick anders verhält als im vorhergehenden.
Nur die eigentlich geschichtliche Betrachtung der historischen Geologie, welche
jeden Zeitabschnitt aus dem vorhergehenden ableitet, kann die Tatsachen
der Entwickelung in vollem Umfang erfassen; die Geographie muß sich be-
gnügen, die wichtigsten Tatsachen der Entwickelung heranzuziehen, um sie
134 Alfred Hettner:
für das Verständnis der Gegenwart zu verwerten. Sie wird dabei natürlich
bemüht sein, nicht nur jede einzelne Entwickelungstatsache für sich aufzu-
fassen, sondern mit Hilfe der Geologie die Gesetze der Entwickelimg zu er-
kennen und daraufhin regelmäßig wiederkehrende Entwickelungsreihen auf-
zustellen. Ob dabei ein Vergleich dieser Entwickelungsreihen mit den Alters-
stufen und der Generationsfolge der Pflanzen und Tiere, wie er neuerdings
Mode geworden ist, wissenschaftlich förderlich ist, will mir zweifelhaft er-
scheinen.
Schließlich wird die Mannigfaltigkeit der geographischen Erscheinungen
noch dadurch vermehrt, daß eine Einwirkung verschiedener Punkte
der Erdoberfläche auf einander stattfindet und daß sich dadurch die
Wirkung von Kräften, die zunächst nur auf einen Punkt einwirken, indirekt
auch auf andere Punkte erstrecken kann. Solche Einwirkungen bestehen in
der Übertragung oder Verpflanzung von Stoffen, Kräften oder Organismen
durch die Bewegungen der Luft oder des Wassers oder auch durch die
eigene Bewegung der Organismen. Wenn am Fuße der Gebirge der Schutt
des Gebirges abgelagert wird und gelegentlich auch Gebirgspflanzen sich an-
siedeln, wenn das ozeanische Klima mit seiner Feuchtigkeit und seiner gleich-
mäßigen Temperatur nicht auf die Oberfläche der Ozeane beschränkt ist,
sondern auf die Kontinente hinübergreift, wenn Inseln vom Kontinent her
belebt und bevölkert werden, so sind das hierher gehörige Erscheinungen.
Der große Gegensatz der Gebiete der Abtragung und Ablagerung sowie die
Bedeutung der Wasser- und Windscheiden steht hiermit in Zusanunenhang.
In manchen Fällen, z. B. bei der Fortpflanzung der Wellenbewegungen, ist
die Übertragung mit einer Summierung der Wirkungen verbunden; daher
kommt es, daß Gezeiten und Windwellen nur in großen Gewässern stattliche
Größe erreichen können, damit hängt auch die Bedeutung der Größe der
Lebensräume zusammen. Geht die Erscheinung bei ihrer Bewegung oder
Fortpflanzung auf ein anderes Medium über, so entstehen beim Übergang oft
besondere Grenzerscheinungen, die bei mechanischen Bewegungen einfach
auf einer vergrößerten Reibung oder Stauung beruhen — hierher gehört
namentlich die Brandung des Meeres an der Küste — und auch im organischen
Leben, besonders im Völkerleben, meist in übertragenem Sinn als Stauungen
aufgefaßt werden können. Es ist nicht nötig, diese Erscheinungen hier näher
zu verfolgen, da wir sie bei der Betrachtung der Lagenbeziehungen von
neuem ins Auge fassen müssen. Ich möchte nur noch darauf hinweisen,
daß man in den gleichzeitig erfolgenden und in ursächlichem Zusammenhang
mit einander stehenden Veränderungen verschiedener Erdstellen eine Analogie
zur Korrelation der Teile in den organischen Körpern erblicken kann.
Synthetische Betrachtung.
Es ist ein überaus verwickelter Mechanismus oder, wenn man lieber will,
Organismus, den uns unsere analytische Betrachtung der Erdoberfläche kennen
gelehrt hat, imd wenn uns auch einzelne Teile dieses Mechanismus oder
Organismus wenigstens in ihren Grundzügen klar sind, so bleibt in anderen
Teilen unser Verständnis noch ziemlich an der Oberfläche haften, ohne in
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 135
das innere Triebwerk eindringen zu können. Darum kann die Wissenschaft,
deren letzte und höchste Aufgabe es ja immer sein muß, ihren Gegenstand,
nachdem sie ihn analytisch zergliedert hat, in synthetischer Darstellung
wieder aufzubauen, diese Aufgabe erst imvollständig erfttllen. Gerade das
Fundament des geographischen Lehrgebäudes, d. h. den inneren Bau der
festen Erdrinde, kennen wir erst sehr mangelhaft; wir müssen es einfach
stehen lassen, wie es ist, und unsere Nachbildungen darüber errichten. Die
höheren Stockwerke, d. h. die Disziplinen von der äußeren Umbildung der
festen Erdoberfläche, von den Gewässern, von der Lufthülle imd teilweise
auch die Geographie der Pflanzen und Tiere, vermögen wir wenigstens in
den allgemeinsten Umrissen der Wirklichkeit entsprechend aufzubauen. Aber
die Konstruktion des Daches, d. h. die Geographie des Menschen, will uns
wieder noch nicht recht gelingen.
Selbstverständlich kann es die Aufgabe dieser Studie nicht sein, den
Bau aufzuführen; sie kann nur eine flüchtige Umrißskizze davon vorlegen.
Aber auch hierbei werden wir gut tun, uns an einfacheren Aufgaben zu
üben, nämlich die Erdoberfläche zunächst unter vereinfachten Bedingungen
aufzubauen. Wir haben gesehen, daß die Verschiedenheiten der Erdoberfläche,
wenn wir von einigen untergeordneten Erscheinungen absehen, teils auf der
Verschiedenheit der Sonnenstrahlung, teils auf der verschiedenen Einwirkung
des Erdinnem beruhen, und wir werden deshalb gut tun, zunächst einmal
jede dieser beiden Einwirkungen für sich allein ins Auge zu fassen und uns
in zwei auf einander folgenden Betrachtungen klar zu machen, wie die Erd-
oberfläche aussehen würde, wenn nur die eine der beiden genannten Energie-
quellen vorhanden wäre, die andere dagegen fehlte, in Bezug auf sie also
die verschiedenen Teile der Erdoberfläche keine Unterschiede zeigten. Li
beiden Fällen betrachten wir die Erde als einen rotierenden Körper von ge-
gebener mathematischer Form und gegebener Masse.
Sehen wir zuerst von der Energie des Erdinnem und der Wirkung
endogener Kräfte ganz ab, so würde die feste Erdrinde aller Unebenheiten
entbehren und von der mathematischen Erdfigur, dem Sphäroid, nicht ab-
weichen. Darüber würde sich eine zusammenhängende Wasserhülle mit gleich-
falls sphäroidaler Oberfläche und über ihr die Lufthülle, ähnlich wie jetzt,
aber mit gleichmäßigem Untergrund ausbreiten. Die Erde wäre also eine
homogene Wasserkugel. Verschiedenheiten auf der Erdoberfläche würden dann
nur durch die verschiedene Bestrahlung durch die Sonne und nebenbei durch
die verschiedene Attraktion des Mondes und der Sonne hervorgerufen. Es
wären dann nur zwischen verschiedenen Breiten Verschiedenheiten möglich.
Diese würden zunächst in den Verschiedenheiten der Tageslänge und des
Einfallswinkels der Sonnenstrahlen bestehen. Die Folge davon würde eine
Abstufung der Wärme und die bekannte jahreszeitliche Verschiebung der
Wärmegttrtel sein. Dadurch würden Verschiedenheiten des Luftdruckes in
den verschiedenen Breiten \md Ausgleichsbewegungen erzeugt. In Folge des
Einflusses der durch die Rotation bedingten Zentrifugalkraft würden daraus
große atmosphärische Wirbel entstehen, von ähnlicher Ausbildung, wie wir
sie heute auf den großen Ozeanen finden, aber die ganze Erde gürtelförmig
136 Alfred flettner:
umgebend. Diese Lnftbewegungen würden in den verschiedenen Jahreszeiten
verschiedene Intensität haben und würden sich auch räumlich verschieben, so
daß gewisse Übergangsgebiete besonders in der Subtropenzone bald dem
einen, bald dem anderen Gürtel angehörten. In den verschiedenen Gürteln
würden die Niederschläge verschiedene jährliche Periode und verschiedene
Stärke haben. Daraus würden sich für die Meeresoberfläche Zonen eines ver-
schiedenen Verhältnisses der Verdunstung und der Wasserzufuhr durch Regen
und damit verschiedenen Salzgehaltes ergeben, woraus langsame Ausgleichs-
bewegungen folgen würden, während die Winde andere drifbartige Meeres-
strömungen hei*vorriefen, die sich natürlich gleichmäßig und zusammenhängend
rings um die ganze Erde erstreckten. Nehmen wir nun einmal einen Augen-
blick an, daß die Erdoberfläche keine Wasserfläche wäre, sondern ganz aus
Festland bestände, ohne doch der Feuchtigkeit zu entbehren, so würden mit
der Temperatur und den Niederschlägen auch die Wasserführung der Flüsse,
die Art und der Grad der Verwitterung wie der Zerstörung und Abtragung
durch Wasser, Eis und Wind und damit die ganze Bodengestaltung und
Bodenbeschaffenheit bestinunt sein, und zwar müßten sie eine Anordnung
nach Zonen der geographischen Breite zeigen. Auch die Vegetation müßte
sich dann nach Breitenzonen gliedern, da deren verschiedene Wärme und
Feuchtigkeit verschiedene Anpassungseinrichtungen erforderten. Unter der
Annahme, daß diese klimatischen Gegensätze schon seit langer Zeit beständen,
müßten die systematischen Verschiedenheiten der Pflanzenwelt mit den physio-
logischen zusammenfallen, die Vegetationszonen also zugleich Florenzonen sein,
da sich jede in einer Breitenzone entstandene Art bei dem Fehlen irgend
welcher Unterschiede oder Verbreiterungsschranken sofort über die ganze
Breitenzone hätte ausbreiten können und müssen. Dem entsprechend würde
sich auch die Tierwelt nur mit der geographischen Breite ändern, und auch
die menschlichen Verhältnisse könnten auf die Dauer keine anderen Gegen-
sätze zeigen; die Rassen ebenso wie die Kulturformen würden mit den Breiten-
zonen zusammenfallen, ein wirtschaftlicher Austausch würde sich nur zwischen
verschiedenen Breiten lohnen.
Ganz anders würde die Erdoberfläche aussehen, wenn umgekehrt die
Verschiedenheiten der Bestrahlung ganz wegfielen, wenn z. B. die Erde ihre
Wärme nicht von der Sonne, sondern ganz gleichmäßig aus dem Weltraum
empfinge, und auch keine Gezeiten durch die Attraktion kosmischer Körper
hervorgerufen würden, wenn vielmehr nur die verschiedene Reaktion des Erd-
innem auf die Erdoberfläche wirkte. Es ist schwerer, diese Abstraktion
durchzuführen als die vorige, weil wir die Wirkung der tellurischen Kräfte
noch nicht von allen Beimischungen kosmischer Kräfte zu trennen vermögen.
Wir müssen der Einfachheit halber allen endogenen Kräften tellurischen Ur-
sprung zusprechen und uns den innem Bau der Erdrinde ganz auf tellurische
Kräfte begründet denken, was ja streng genommen nicht richtig ist. Wir
nehmen also einfach den heute tatsächlich vorhandenen inneren Bau der
Erdrinde als gegeben an. Damit würden auch die Hauptzüge der Verteilung
von Land und Meer und der Bodenplastik so,. wie sie sind, gegeben sein, da
die äußeren (exogenen) Kräfte mehr im einzelnen umwandelnd wirken. Auch
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 137
die Mußsysteme würden im großen imd ganzen wohl den heutigen gleichen,
in vielen Einzelheiten aber anders aussehen, da der Kampf um die Wasser-
scheide, den die Flüsse mit einander führen, bei anderen klimatischen Ver-
hältnissen anders ausfallen würde. Die klimatischen Verhältnisse wären von
den heutigen vollkommen verschieden, denn der Unterschied der geographi-
schen Breite wäre bedeutungslos, nur die Verteilung von Land und Meer und
die Bodenplastik hätten gewisse Unterschiede der Erwärmung und damit auch
ungleiche Bewegungen und Niederschläge zur Folge. Die klimatischen Ver-
hältnisse würden daher keine zonale Anordnung, sondern einen bunten, ledig-
lich von der Verteilung von Land und Meer abhängigen Wechsel zeigen, und
dabei würden die Unterschiede und Gegensätze, besonders der Temperatur,
gering sein. Das Gleiche würde auch von den Verhältnissen der Bewässerung,
der Bodenbildung und der Vegetation gelten. Auch die größten Gegensätze
der Flora und Fauna, die ja auf der Trennung der beiden gemäßigten Zonen
durch die Tropen beruhen, würden wegfallen, die Verschiedenheiten der Flora
würden damit überhaupt geringer sein und wären ganz vorwiegend auf die
Absonderung der Kontinente und Inseln durch das Meer zurückzuführen.
Auch bei den Tieren und Menschen würden die großen klimatischen Gegen-
sätze der Lebensweise fehlen, dagegen die in der Bodengestaltung und Boden-
beschaffenheit und der Absonderung durch Meere und Gebirge beruhenden
Gregensätze viel mehr zur Geltung kommen.
Lassen wir jetzt diese Abstraktionen bei Seite und betrachten das wahre
Bild der Erdoberfläche als das Ergebnis des Zusammenwirkens der kosmischen
und der tellurischen Kräfte! Wir erkennen dann, daß das Bild, wie wir es von
einer homogenen, nur unter dem Einfluß der Sonnenstrahltmg und nebenbei
auch der Eosmischen Attraktion stehenden Erdkugel entworfen haben, nur in
den höchsten Schichten der Atmosphäre, auf die die Verschiedenheiten der
Erdoberfläche keinen Einfluß mehr ausüben, eine gewisse Wirklichkeit hat,
für die Erdoberfläche selbst dagegen eine reine Abstraktion ist. Dagegen
erkennen wir, daß die Tatsachen des inneren Baues, die wir als die primäre
Wirkung der tellurischen Kräfte aufgefaßt haben, keine bloße Abstraktion,
sondern etwas Wirkliches sind und nun weiter eine Bedingung aller übrigen
Verschiedenheiten bilden. Diese ergeben sich je nach der Art des Wirkens
der verschiedenen Kräfte in verschiedener Weise, und so können wir die
Tatsachen der Erdoberfläche, welche den Gegenstand der geographischen
Betrachtung bilden, in eine Anzahl von Tatsachenreihen gruppieren, die
jede in sich im allgemeinen die gleiche Kausalität haben, von einander aber
sich durch verschiedene Kausalität unterscheiden. Eine solche Tatsachen-
reihe braucht nicht auf ein Naturreich oder gar auf eine Kategorie von Er-
scheinungen beschränkt zu sein, sondern kann Erscheimmgen verschiedener
Naturreiche und Kategorien umfassen.
Die erste dieser Beihen umfaßt die Tatsachen des innem Baus der
festen Erdrinde, und wir können sie deshalb als die Reihe der Tatsachen
tektonischer, oder auch, um zugleich den Ursprung aus dem Erdinnem und
die allmähliche Entwicklung auszudrücken, als Tatsachen endogenetischer
Kausalität bezeichnen. Allerdings haben wir gesehen, daß in den inneren
Oeographitche Zeiiachrift. 9. Jahrgang. 1903. 8. Heft. 10
138 Alfred Hettner:
Ban auch exogene, also in letzter Linie von kosmischen Kräften abhängige
Vorgänge hineinspielen; aber wir haben auch gesehen, daß die geographische
Betrachtung die Gesteinsmassen als etwas Gegebenes hinnehmen und den
inneren Bau nur unter dem Gesichtspunkt der durch die inneren Kräfte be-
wirkten Anordnung dieser Gesteinsmassen auifassen muß. In diesem Sinn
können wir den inneren Bau in der Tat als das Ergebnis tellurischer oder
wenigstens endogener Kräfte ansehen, falls wir es noch dahin gestellt sein
lassen wollen, ob diese in letzter Linie tellurischen oder kosmischen Ursprungs
sind. Mit dem inneren Bau sind auch die größten Tatsachen der Form
der festen Erdoberfläche, namentlich die Verteilung und große Gliederung
der Kontinente und Ozeane und die Anordnung und rohe Form der Ge-
birge u. s. w. gegeben. Hierher gehören im großen und ganzen auch die
Flußsjsteme, obwohl hierbei auch schon klimatische Einflüsse stark mit-
sprechen.
An die Tatsachen des inneren Baues schließen sich als eine zweite
Tatsachenreihe solche Tatsachen der äußeren Umbildung an, welche ans
der Vergangenheit stammen, aber in der Einwirkung von Kräften der Erd-
oberfläche ihren Grund haben. Insofern diese Einwirlnmgen der Vergangen-
heit denen der Gegenwart gleichen, erfordern sie keine besondere Betrach-
tung. Aber in mancher Beziehung sind doch die Unterschiede, obwohl sie
in letzter Linie vielleicht nur auf unbedeutende Gradunterschiede zurück-
führen, so eingreifend, daß die Einwirkungen der Vergangenheit fdr sich
aufgefaßt werden müssen. Hierher gehören namentlich die Tatsachen der
Eiszeit und überhaupt anderer klimatischer Verhältnisse der jüngeren geo-
logischen Vergangenheit Je mehr sich die Forschung in die Züge der Erd-
oberfläche versenkt hat, um so mehr sind ihr darin die Einwirkungen der
Eiszeit, einer vergangenen Steppenzeit, auch eines warmfeuchten Klimas der
Tertiärzeit entgegen getreten; sind doch die Oberflächenformen und der Boden
ganzer Landschaften fast unversehrte Gebilde der Eiszeit I Wir können diese
Tatsachen wohl als exogenetische bezeichnen. Ihre letzten Ursachen sind
ganz andere als die der endogenetischen, aber sie stellen sich der Geographie
insofern unter ähnlichem Gesichtspunkt dar, als diese die Wirkungen hin-
nehmen und ihre ursächliche Erklärung der Hauptsache nach der Geologie
überlassen muß.
Dagegen gehört die dritte Tatsachenreihe der Gegenwart und damit
ganz der Geographie an. Sie umfaßt die Tatsachen, als deren wirkende
Ursache die kosmischen Einwirkungen und im besonderen die Bestrahlung der
Erde durch die Sonne anzusehen ist. Sie begreift also in erster Linie die
Tatsachen des Klimas, aber nicht in seiner idealen Ausbildung auf der
homogenen Erdoberfläche, sondern in der wirklichen Ausbildung, die natürlich
zunächst von der Sonnenstrahlung als von ihrer wirkenden Ursache, zugleich
aber von dem Bau der festen Erdrinde als von ihrer wichtigsten Bedingung,
abhängig ist, so daß sich die Gegensätze der wagrechten und senkrechten
Gliederung mit denen der geographischen Breite kombinieren. Insofern
können wir diese Tatsachenreihe als die klimatische Tatsachenreihe
•ezeichnen. Ihnen können wir die Tatsachen anreihen, die der Hauptsache
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 139
nach Tom Klima, daneben aber auch in größerem oder geringerem Maße
von der Gestalt und Beschaffenheit der festen Erdoberfläche abhängig sind.
Das sind zmiächst die Tatsachen der Bewässerung, femer die meisten Be-
wegungen (mit Ausnahme der Gezeiten) und physikalischen Verhältnisse der
stehenden Gewässer, femer die Kräfte der Verwitterung, Abtragung und Ab-
lagerung, wie sie in der Gegenwart wirken oder auch früher schon unter
gleichen Bedingungen gewirkt haben, schließlich die physiologische Abhängig-
keit der Pflanzen und Tiere von den Lebensbedingungen, da unter diesen
die klimatischen Bedingungen unbedingt am wichtigsten sind. Insofern können
wir die ganze Tatsaohenreihe auch als die klimatisch-physiologische
bezeichnen. Die verschiedenen Unterreihen, außer der eigentlich klimatischen,
sind einander koordiniert, d. h. keine kann vorzugsweise als Ursache der
anderen betrachtet werden, sondem sie sind in erster Linie von der klima-
tischen abhängig, und zwischen ihnen findet Wechselwirkung statt
Die vierte Tatsachenreihe ist auf die Tatsachen des Lebens beschränkt
und umfaßt diejenigen Erscheinungen des Lebens, welche sich nicht, wie die
Lebensweise, allein aus den Bedingungen der Gegenwart erkennen lassen,
sondem die in der Vergangenheit ihren Grund haben. Das gilt, wie wir uns
überzeugt haben, von den Tatsachen der Flora und Fauna, d. h. von der
Verteilung der systematischen Sippen der Pflanzen und Tiere oder auch, in
etwas anderer Weise, des Menschen, und wir können daher die darauf bezüg-
lichen Tatsachen als biogenetische Tatsachen bezeichnen. Die Ent-
stehung und räumliche Ausbreitung der Floren und Faunen hat schon in
älterer Zeit begonnen und ist mit der Entstehung der heutigen Formen der
Erdoberfläche und der Ausbildung der heutigen Klimate Hand in Hand ge-
gangen. Als wirkende Ursache hat man den im Wesen des Lebens begrün-
deten Differenzierungstrieb der organischen Natur anzusehen, über dessen
eigentliches Wesen ja die Meinungen der Biologen inmier noch auseinander-
gehen; die Bedingungen sowohl der Differenzierung selbst wie der Ausbrei-
tung der durch die Differenzierung entstandenen Sippen sind teils in endo-
genetischen, teils in exogenetischen, teils in klimatisch-physiologischen Tat-
sachen zu suchen.
An die biogenetischen Tatsachen schließen sich grundsätzlich auch die
Tatsachen der Entwickelung des menschlichen Lebens an; die Unterschiede
bestehen darin, daß als wirkende Ursachen neben und vor den rein bio-
logischen Ursachen psychische Ursachen in Betracht kommen, und daß die
Entwickelung sich vorzugsweise in der Gegenwart und jüngeren Vergangen-
heit vollzieht, so daß den von der Gregenwart abweichenden Naturbedingungen
der Vergangenheit verhältnismäßig geringe Bedeutung zukonmii
(Schluß folgt.)
10*
140 Hans Maurer:
Deutsch -Ostafrika.
Eine klimatologische Studie
von Dr. Hans Maurer in Hamburg.
Mit drei Tafeln.
IT. Das nördliche Innere.
Die Trennung des inneren Deutsch-OstaMkas in eine Nord- und eine
Südhälfte ist nicht ganz willkürlich, sondern diese beiden Teile zeigen auch
in der Tat tiefer gehende unterschiede, wie sie uns ja schon an der Küste
entgegen getreten sind. Während wir im Norden zwei durch eine intensive
Trockenheit im Sonmier getrennte Regenzeiten zu Anfang und Ende des
Sommers fanden, war im Süden nur eine Regenzeit zu bemerken, die später
begann als die kleine des Nordens und früher endigte als die große und
ihre größten Regenmengen dann lieferte, wann im Norden die stärkste
Trockenheit herrschte. Dem entsprechend fiel die heißeste Jahreszeit im
Norden der Küste auf Ende Februar, im Süden dagegen in den November.
Diese beiden Klimatypen verbreiten sich von der Küste aus auch in das
Innere, nur verläuft die Grenzschicht zwischen beiden nicht ostwestlich, son-
dern von Südosten nach Nordwesten, so daß nur die Nordostecke unserer
Kolonie denselben Klimatypus wie Tanga zeigt, wie er uns in der Tat auch
in Usambara und am Kilimandjaro entgegengetreten ist, während der indische
Klimatypus, den wir im Süden der Küste vorfanden, im Innern den größtea
Teil des Gebietes beherrscht. Erst im Nordwesten der Kolonie tritt ein dritter
Klimatypus auf, der äquatoriale, der später zu besprechen sein wird.
Während so der Nordosten und der Nordwesten klimatisch zum übrigen
Gebiet in Gegensätze treten, zeigt auch der zentrale Teil im Norden seine Be-
sonderheit, die ihn von dem Süden unterscheidet. Sie läßt sich am ein-
fachsten nach der Bodengestaltung kennzeichnen. Schon in einer Entfernung
von wenig mehr als 100 km von der Küste erreichen wir hier im Norden
die Grenze eines ausgedehnten abflußlosen Gebietes, etwa halb so groß wie
das Königreich Preußen, das dem Indischen Ozean nicht mehr tributär ist
und das Salzseen und Salzsteppen enthält.
Ganz anders im Süden der Kolonie, in dem die langen Ströme Rufiyi
imd Rovuma noch aus Entfernungen von über 500 km Luftlinie vom Meer
das Wasser zum Indischen Ozean leiten, und wo an Stelle der ebenen
Terrassen des Nordens einzelne Bergländer und ein reicheres Relief des
Bodens treten. Als Grenze zwischen Süd und Nord möge der Rufiyi mit
dem Ruaha und dem Kisigo galten.
An den Grenzen des nqäräli^en abflußlosen Gebietes nach Osten und
Südosten finden wir eine Reihe >Ton Bergländem, von denen uns das küsten-
nächste, Usambara, bereits näher bekannt geworden ist. Nordwestlich schließt
sich das Paregebirge an, das nach der größeren Entfernung von der Küste
und der Lage im Windschutze uSambaras gegen die feuchteren Südost-
winde bereits merklich trockener als jenes Gebirge ist. Im Südwesten von
Deutsch-Ostafrika. 141
Usambara folgt, von diesem durch eine ca. 80 km breite Lücke getrennt,
durch die das verbreiterte Küstenvorland mit der wasserarmen Massaisteppe
in Verbindung steht, das Ngurugebirge. Auch dieses zeigt unter dem Einfluß
der Seewinde eine feuchte Ostseite, an der wohl kaum ein wirklicher Trocken-
monat zu stände konmii Selbst in der sonst äußerst trockenen Zeit im
Januar und Februar 1898, wo ich das Gebirge von Süden nach Norden
durchreiste, hatten wir nicht selten Regen, und auch manche kleinere Bäche
waren damals nicht trocken. An ihnen entwickelt sich, allerdings nicht in
derselben Üppigkeit wie in Usambara, Wald, der die Bach- und Flußufer bis
in die Steppe hinab begleitet. Die Eingeborenen bauen Bananen, Zuckerrohr,
Mais und Tabak; und von dem Gedeihen europäischer Gemüse konnten wir
uns im Garten der Mission Mhonda überzeugen.
Weiter südlich, von Ngum durch die wildreiche Mkattaebene getrennt,
finden wir das Ulugurugebirge, das sich im Lukwanguleplateau bis zu 2420 m
über das Meer erhebt. Unter ähnlichen klimatischen Verhältnissen, wie wir
sie in Usambara kennen lernten, zeigt sich hier in 5 — 600 m Seehöhe die
Flora der Vorhügel aus Gehölz von fiederblättrigen Leguminosen und Baum-
sträuchem. Hie und da finden wir Raphiapalmen und in den Galeriewäldern
an den Wasserläufen Lianen und Epiphyten. In 600 — 1000 m Seehöhe folgt
die entwaldete Kulturzone mit Gestrüpp, Gras und Baumgruppen bewachsen,
wo die geschützten Täler bereits eine üppige Vegetation zeigen. Darüber
tritt ein Mischwald aus Steppenwald und Regen wald auf, der in 1400 bis
2000 m Seehöhe in einer Zone andauernden Nebels und Regens in Hoch-
wald mit bis zu 50 m hohen Bäumen, reichlichem Unterholz und vielen
Epiphyten übergeht Hier entspringen die wasserreichen Bäche, die in
schönen Wasserfällen die Hänge hinabstürzen. In der höchsten Höhe des
Gebirges finden wir Wolkenwald mit dürren Bäumen, die reichlich mit
Flechten behangen sind, oder die oflFene Vegetation der Hochweiden und auf
wasserdichterem Boden der Hochmoore. Man wird auch in diesem Gebirge
mit Erfolg tropische Plantagen anlegen können, wenn erst die geplante ost-
afrikanische Zentralbahn bis zum Nordfuß der Berge nach Mrogoro gebaut
sein wird, wo auf der katholischen Mission schon jetzt Kaffee mit gutem Er-
folg gezogen wird.
Ehe wir diese Bergländer verlassen, um ims zur Betrachtung der ebenen
Terrassen im Innern zu wenden, bleibt uns noch das am weitesten in das
Innere vorgeschobene Bergland übrig, das von Uluguru aus nordwestlich jen-
seits des Mkattaflusses sich ausdehnt, Ussagara. Seiner größeren Entfernung
von der Küste entsprechend ist der Wasserreichtum dieses Gebietes erheblich
geringer als in jenen küstennahen Gebirgen. Die Station Kilossa, am
vorderen Rande des Berglandes in nur 500 m Seehöhe gelegen, zeigt eine
jährliche Regenmenge von kaum 700 mm, wovon das meiste in der Mitte
des Sommers fällt, während der Winter fast ganz regenlos ist. In der Zeit von
j^ini — September sind im Durchschnitt mehrerer Jahre nur 50 mm Regen gefallen.
Der heißeste Monat mit ca. 27® Mitteltemperatur ist schon der November
unmittelbar vor Beginn der sommerlichen Regen, dem indischen Klimatypus
entsprechend. Der kälteste ist der Mai mit etwa 20® Mitteltemperatur. Die
142 Hans Maurer:
täglichen Schwankungen der Temperatur sind groß, sie betragen im Jahres-
durchschnitt 13®, und es sind im Winter Tage mit 23® Unterschied in der
Tages- und Nachttemperatur vorgekommen. Die absolut höchste Temperatur
im Jahr 1898 betrug 37,9®, die niedrigste 8,7®.
Die tieferen Lagen bringen Reis, Mais und Negerhirse und an den
Wasserläufen Zuckerrohr, ölpalmen und Maulbeerbäume hat die Station
mit gutem Erfolg eingeftthrt. Eui-opäische Kartoffeln dagegen mißrieten
im Jahr 1899/1900 wegen zu großer Feuchtigkeit, für sie ist die eine
Hälfte des Jahres zu trocken, die andere zu feucht An den östlichen
Hängen des Berglandes findet sich an den Zuflüssen des Mkatta hie und da
tropischer Urwald mit Baumfamen und Bananen. Die höheren Teile des
Landes aber, die in der Gegend von Mpuapua etwa 1000 m über der See ge-
legen sind, sind trocken und zeigen nur hie und da Buschwald, meist aber
Buschsteppe. Trotz der großen Meereshöhe sind hier Maximaltemperaturen
von über 34® beobachtet worden, und der heißeste Monat November kam
auf 24,3® Mitteltemperatur. Die Luftfeuchtigkeit sank im Winter bis auf 32®/^.
Westlich von hier verlassen wir die Bergländer und treten in die ab-
flußlosen Steppengebiete ein, von deren trauriger Beschaffenheit uns die un-
mittelbar hinter Mpuapua beginnende Marenga makali, die Bitterwassersteppe,
nach dem Natrongehalt ihres Bodens so genannt, einen Eindruck geben kann.
Das spärliche Wasser muß hier in der trockenen Zeit in den ausgetrock-
neten sandigen Flußbetten in Löchern gegraben werdei^,und bildet da eine
trübe bittersalzige Brühe, die der verdurstende Reisende mit Überwindung an
die Lippen bringt und nach einem kurzen Schluck mit Ekel von sich weist.
Schon an der Grenze dieses Gebietes in Tchunyo heißt das Flüßchen Mala
Matako d. i. „das Gesäß tut weh", weil man nämlich, nach der Erklärung
der Eingeborenen, so lange neben dem gegrabenen Wasserloch hockend warten
muß, bis es von dem langsam hineinsickemden Wasser gefällt ist (Kannenberg).
Die Wolkenbrüche der Regenzeit dagegen setzen die Wege im umsehen unter
Wasser und machen sie durch das Einreißen steiler und tiefer Wasserrisse
auch für Fußgänger fast unpassierbar. Dabei sind diese tiefen Wasserrisse
mitunter kaum 100 m lang. Die Bodenbedeckung besteht vielfach aus Dom-
büschen, den IY2 — 2 m hohen Ndulandusi mit feingefiederten Blättchen und
3 — 4 cm langen Domen, die in ihrer überwiegenden Mehrheit durch den
Stich einer winzigen Atneisenart am Grunde zu einer stark erbsengroßen An-
schwellung verdickt sind. Die Ameisen sind die eigentlichen Bewohner der
Steppe. Wieviel Tausende und Abertausende solcher Domsträucher bedecken
die viele Quadratkilometer große Steppe, wo jeder Strauch Hunderte von
Dornen zeigt und jeder Dom die Wohnung von gegen 50 dieser Tierchen
ist! Andere imponierende Massenleistungen der Ameisen in der Steppe sind
die Termitenhaufen, feste Erdschanzen manchmal bis zu 3 m hoch und so
solide gebaut, daß mitunter Bäume von mehreren Metern Höhe auf ihrer
Spitze festen Halt zu fassen vermögen.
Sieben Monate, von Mai bis November, liegt Ugogo, das Land, das die
Marenga makali umfaßt, trocken imd dürr, der rote staubige Boden wird
vielfach von nackten Gneisblöcken und Bergen durchbrochen. Kein immer-
Deutsch-Ostafrika. 143
fließender Bach ist im Lande vorhanden; die Vegetation auch in den vor-
handenen Steppenwäldem ist dürr nnd laublos. Die tägliche Temperatur-
schwankung ist sehr groß. Stuhlmann hat hier Nachttemperaturen von 4,5^
gemessen. Mit den ersten Regen Ende November aber bedecken sich die
steinigen Halden mit Grün und Blumen und der Steppenbusch und Wald
treibt Blätter und rote und weiße Blüten.
In Ugogo endigt ein Abschnitt der großen ostafrikanischen Grabensenke,
die westlich vom Kenia und Kilimandjaro vorbeistreichend durch die Salzseen
der Massaisteppe bis hierher sich ausdehnt. Hier in ügogo verliert sich ein
über 200 km langer Fluß, der Bubu, der einen großen Teil dieses Grabens
durchfließt, trostlos in der Steppe. Nur in abnorm starken Regenzeiten soll
er in eine lose Wasserverbindung mit dem Flußsjstem des Rufiyi treten.
Folgen wir diesem gewaltigen Graben nordwärts, so führt er uns an den
Westrand der weitausgedehnten Massaisteppe, die den Raum zwischen den
vorher genannten Bergländem des Kilimandjaro, von Pare, Usambara, Nguru
und Ussagara im Osten und Süden bis zu dem steileren Westrand des ost-
afrikanischen Grabens ausfüllt. Die Seehöhe dieses Gebietes schwankt von
600 bis gegen 1200 m. Große Trockenheit und große tägliche Temperatur-
schwankungen sind das Kennzeichen dieses Gebietes für den größten Teil
des Jahres. Es fehlt der Einfluß des Meeres, dessen Nähe an der Küste die
durchschnittliche Tagesschwankung auf 6 — 8® herabdrückt, während sie hier
etwa doppelt so groß ist und Tage mit mehr als 25^ unterschied in der
Tag- und Nachttemperatur vorkommen. Dadurch ist bei der starken Ab-
kühlung der Nacht trotz dur geringen absoluten Feuchtigkeit Taubildung
nicht selten, und schon 2000 m über dem Meer haben Peters, Tiede-
mann und Schöller sogar Reif und Eis beobachtet. Als Beispiele für die
Temperaturverhältnisse der Massaisteppe mögen die folgenden Daten aus dem
SchöUerschen Reisewerk dienen:
Am 19. IX. 1896 11 ühr vorm. südwestlich vom Meruberg 1360 m hoch 33,5*
„ 1. X. 1896 4" ühr nachm. östlich vom Doenyo-Ngai 800 „ „ 35,0*
«^ V ^oo^ u XI- 1. TT-ux • 6 Uhr vorm. 1860 „ „ 7,0*1
„ 29. X. 1896 östhch vom Viktonasee j^.o n^r vorm. 1980 „ l 82>)
Jedes einzelne Wasserloch, das in dieser trockenen Gegend bekannt ge-
worden ist, findet man auf den Karten verzeichnet mit einer Notiz, ob man
dort das ganze Jahr hindurch oder meist nur kurz nach der Regenzeit
Wasser erhoffen darf. Dabei ist auch hier dies Wasser in der Regel eine
sehr zweifelhafte Erfrischung, da es meist salzig ist. Im ostafrikanischen
Graben selbst finden wir dicht an seinem ziemlich steilen Westrand dies
salzige Wasser in einigen Seen gesammelt. Da ist im äußersten Norden des
deutschen Gebietes der Guasso-Nyiro, der Natronsee, etwa 600 m hoch ge-
legen, mit rotgelbem Wasser von etwa 50® C Temperatur, dessen Ufer mit
einer dicken Salzkruäte, meist Natrium bicarbonicum, bedeckt sind. Trotzdem
wimmelt der See von Flamingos und Pelikanen. Der Afrikareisende Schöller
erlegte hier auf einen Doppelschuß aus einer zweiläufigen Büchse 20 Flamingo.
Am Westrand des Sees finden sich zahlreiche warme Quellen, Zeugen der
vulkanischen Tätigkeit in der Grabenbruchzone. Im Süden des Sees liegt der
144 Hans Maurer:
noch tätige 2100 m hohe Vulkan Doenyo-NgaL Bei seinen Eruptionen
wirft er fast nor Salzwasser aus, das dem Natronsee entstammt, and die
dichte, weiße Kruste, die seinen Kraterrand umgibt, hat frühere Durch-
reisende dazu verleitet, ihn für einen hohen Schneeberg zu halten. Südlich
schließt sich der Manyarasee wieder mit salzigem Wasser an. Er liegt
1000 m über der See.
Noch weiter südlich bildet der Graben das Flußbett des erwähnten Bubu,
der das ganze Jahr Wasser führt, aber von sehr veränderlicher Länge ist.
Im allgemeinen erscheint er in eine Reihe von Tümpeln aufgelöst, wie hier
überhaupt die Wasserzusammenhänge außerordentlich variieren. Unmittelbar
nach der Regenzeit stehen kolossale Flächen der Steppe unter Wasser. Dann
gewinnt auch hier die Steppe ein üppiges Aussehen. Überall sproßt Grün
hervor, das sich aber nur kurze Zeit gegen die versengende Gewalt der Sonne
halten kann. Das Grün verdorrt, das Wasser verdunstet und nur verbranntes
Gras, laubarme Akazien und Domsträucher und hie und da ein schlammiger
Tümpel zeugen von der schnell verschwundenen Pracht.
Nicht selten glaubt der Wanderer mitten in der heißen Steppe Wasser-
flächen zu sehen, die aber mit der größeren Annäherung dem Auge ver-
schwinden. Die vom Himmel herabkommenden Lichtstrahlen werden dann
in der heißen dünnen Luftschicht über dem stark erhitzten Boden so sehr
umgebogen und schließlich total reflektiert, daß sie vom Boden her zu dem
Beobachter kommen, der die bläulich weißen und grauen Flächen, die er so
in der Landschaft sieht, natürlich för Wasser hält. Ln Suezkanal konnte
ich diese Erscheinung sehr deutlich beobachten, wo wir vor uns Seen zu
sehen vermeinten, während bei größerer Annäherung zugleich mit den schein-
baren Wasserflächen der Boden sichtbar wurde, so daß man an eine sumpfige
schwach überschwemmte Fläche zu glauben begann; und als wir dicht dabei
waren, sahen wir an derselben Stelle Wüstensand und nichts als Wüstensand.
Was die Flora dieser Steppengebiete anlangt, so ist ihr gewaltigster
Vertreter, der in dick wulstigen Stämmen von weichem Holz sich breite
Wasserreservoire schafft, der Baobab. Er tritt vereinzelt auf, ist aber bei-
nahe in der ganzen Kolonie zu finden. Stuhlmann gibt seine Nordgrenze
im Innern auf Sy,® s. Br. an, wonach er den Viktoriasee nicht mehr erreicht
Fleischige, Milchsaft führende Stengel zeigen die Euphorbien, deren einzeln
stehende Kandelaberbäume auch hier angetroffen werden. Fiederblättrige
Pflanzen, wie die Akazien und Mimosen, schützen sich vielfach dadurch vor
der Austrocknung, daß sie in der Sonne die Blättchen zusammenlegen und
erst in der Nacht und zur Zeit des morgendlichen Taues wieder auf-
spannen. Einen eigenartigen Anblick bietet die Schirmakaziensteppe. Li Ab-
ständen wie die Bäume im Obstgarten erheben die sonderbar pilzförmigeD
Akazien ihre Laubkronen bis in eine bestinmite Höhe und bedecken so viele
Quadratkilometer große Flächen. Es macht den Eindruck, als versuchten sie
ihr Laub möglichst weit von dem Erdboden, der die sengende Glut zurück-
strahlt, zu entfernen, während der Saft in ihren Adern niu- bis zu einer be-
stimmten Höhe zu steigen vermöchte, in der sich die ganze Krone ausbreitet.
Die Entfernungen der Sträucher in der Buschsteppe voneinander lassen einen
Deutsch-Ostafrika. 145
Schluß auf die Beschaffenheit des Bodens, speziell wohl auch auf die Grund-
wasserverhältnisse zu. Vielfach fehlen höhere Strauch er fast vollständig und
nur niedere Grasbüschel in großen Abständen bilden die traurigen Reste einer
Vegetationsform, die der Wüste am nächsten steht. Femer finden sich weite
Flächen sehr dicht mit ganz kurzem Gras bewachsen. Mit höherem Wasser-
gehalt des Bodens aber wird die Be wachsung höher und reicher, der Busch
dichter, \md höhere Bäume gesellen sich hinzu. Die Dumpalme {Hyjphaene)
strebt höher empor, und an die Grassteppe schließt sich der Steppenwald.
Solche Übergänge aus der Grassteppe in die Busch- und Baumsteppe und in
den Steppenwald finden wir in vielen afrikanischen Reisewerken dargestellt,
ist doch ein solcher Wechsel in der Vegetationsform oft das einzige, was in
dem viele Tage langen Einerlei der Steppe ein besonderes Interesse bieten
kann. An den Flußufem verdichtet sich der Wald zum Galeriewald mit
hohen und dichten Beständen, die, von reichlichem Unterholz und Schling-
pflanzen durchwachsen, vom Wasser aus den Eindruck einer üppigen Vege-
tation erwecken. Aber nur auf kleine Entfernungen vom Fluß reichen diese
Bestände und hinter der schmalen Coulisse erscheint bald die trockene, ein-
förmige Steppe. Trotzdem vermag die Steppe ein reiches Tierleben zu er-
halten. Das Nashorn und selbst den Elefanten, der doch gewiß nicht
wenig zum Leben braucht, triflPt man mitten in der Steppe.
Besonders aber sind die schnellfüßigen Tiere vertreten, denen es nicht
darauf ankommt, wieviel Meilen sie zur Tränke zu laufen haben: Zebra,
Giraffen, Antilopen, Gazellen und Strauße; und ihnen folgen der Löwe und
die Hyäne.
Der Westrand des großen Grabens, der sich steiler und höher als der
östliche erhebt, bietet von neuem den vorherrschenden östlichen Winden Ver-
anlassung zur Wasserabgabe; und so entsteht an ihm ein feuchteres Klima
mit üppigerer Vegetation. Hoher Urwald begleitet auf lange Strecken den
Grabenrand. Hier ist in einer Höhe von 1400 — 1800 m die Luft kühl und
besonders, wenn Mittags die Sonnenstrahlen den feuchtkalten Morgennebel
durchbrechen, sehr angenehm. Auch die höheren Teile des Ostrandes zeigen
ein fruchtbares Klima, wie z. B. die Militärstation Kondoa (1400 m hoch),
von der nach ihrem letzten Jahresbericht reiche Ernten an Bananen, Reis,
Weizen und Zwiebeln gemeldet werden.
Westwärts vom großen Graben zweigt sich zwischen dem Natron- und
dem Manyarasee der 1000 — 1100m über die See erhobene Wembaeregraben
ab, der den salzreichen Ejassisee und die Salzsteppe Nyarasa einschließt.
Er scheint in einer früheren Periode mit dem Viktoriasee, dessen Spiegel
etwa 1200 m über dem Meere liegt, in Wasserverbindung gestanden zu
haben; und noch heute würde es wohl für unsere jetzige Wasserbautechnik
keine unauflösbare Aufgabe sein, eine solche Verbindung wiederherzustellen.
Für unsere Kolonie wäre dies sicher ein großer Vorteil, am Nil freilich
würde man der Sache weniger sympathisch gegenüberstehen.
Auf dem Plateau zwischen der Wembaeresteppe und dem Viktoriasee
wechselt lichter hochstänmiiger Akazienwald mit Ödem verbranntem Grasland
und Strauchgestrüpp. Das Gebiet im Süden und Osten des Sees zeigt im
146 Hans Maurer:
allgemeinen den Charakter einer dürftigen, grasreichen Steppe, aus der sich
einzelne fruchtbarere Plateaus erheben, die yermöge ihrer größeren Erhebung
als Regensammler auftreten.
Westlich von der Wembaeresenke und südlich vom Viktoria Njanza liegen
die Lander ükonongo und ünyamwesi, das Dach Afrikas, etwas über 1200 m
über dem Meer, von dessen Bändern Wasserläufe im Norden durch den Vik-
toriasee und den Nil zum Mittelländischen Meer, im Westen durch den Tan-
ganjikasee und den Kongo zum Atlantischen Ozean und im Südosten durch
den Rufiyi zum Indischen Weltmeer abfließen.
Hier sind von dem großen Karawanenhandelsplatz Tabora genauere
klimatische Angaben bekannt geworden. Der Klimatjpus dieser (regend
nähert sich am meisten dem indischen.
Der heißeste Monat ist der Oktober gleich im Beginn der warmen
Jahreszeit; er zeigt 25,1® Mitteltemperatur, obwohl wir uns hier ebenso
hoch über dem Meer befinden, wie auf dem Gipfel des Brockens (1240 m).
Die Mitte des Sommers ist von der einzigen Regenzeit des Jahres ansgefüllt,
die etwa 700 mm Regen bringt, während die Zeit von Mai — Oktober fast
ganz regenlos ist Die 6 Monate bringen zusammen nicht 50 mm Regen.
Diese winterliche Zeit mit vorwiegend südöstlichen Winden zeigt sehr große
tägliche Temperaturschwankungen und erzeugt bei Tage starke Lufttrockenheit.
Es sind tägliche Temperaturschwankimgen von mehr als 20® beobachtet
worden, und selbst im Durchschnitt des Jahres beträgt diese Schwankimg 13,5®.
Unter 35 Beobachtungsmonaten sind 9 gewesen, in denen Mittags die Luft-
feuchtigkeit auch im Monatsdiurchschnitt unter ^0% gesunken ist. Der käl-
teste Monat ist der Juli mit 20® Durchschnittstemperatur, und absolut hat
die Temperatur zwischen 9,2® und 35,3® geschwankt. Die vorherrschende
Windrichtung im Jahresdurchschnitt ist Ost, und zwar kommen darunter
Ostwinde von großer Heftigkeit vor. Von allen beobachteten Windrichtungen
im Jahr fielen, die Windstillen mitgerechnet, um 7 Uhr vorm. 73®/^, um
2 Uhr vorm. 48®/o und um 9 Uhr nachm. 80®/^ auf die rein östliche Richtung.
Seinen eigenen klimatischen Typus zeigt der Viktoriasee. Die gewaltige
Wasserfläche von 75 000 qkm (zum Vergleich sei angegeben , daß der Boden-
see 540 qkm faßt) vertritt hier die Rolle des Weltmeeres; sie fördert bei
Tage einen Wind vom See zum Land, bei Nacht einen solchen vom Land
zum See, und so sind die vorherrschenden Windrichtungen im Osten und
Westen, die im Norden und Süden des Sees einander fast entgegengesetzt
Der vorherrschende Wind bei Tage ist so das ganze Jahr hindurch in Ru-
baga im Norden S und SE, in Bukoba am Westufer SE und E.
Der Südostpassat, welcher in den übrigen Teilen der Kolonie eine so
große Rolle spielt, hat hier nur noch den Einfluß, daß er die vom See
hervorgebrachten Tagwinde am Nord- und Westufer stärkt, am Süd- und
Ostufer schwächt. Im Süden, auf der Station Muanza bringt er es sogar zu
Wege, daß im Juni imd Juli auch nachmittags Landwinde häufiger als See-
winde sind. Dadurch wird der Juli in Muanza ein trockener Monat, da die
Südostwinde, die bis dahin über die heißen Steppenterrassen gestrichen sind,
als trockene Winde auftreten. Anders im Westen (Bukoba) und Norden
DeutBch-Ostafrika. 147
(Bubaga). Hier herrschen das ganze Jahr bei Tag Seewinde vor, die von
der gewaltigen Wasserfläche reichliche Feuchtigkeit ins Land tragen, und so
finden wir dort keinen trockenen Monat mehr im Jahr und dementsprechend
eine sehr üppige Vegetation, die gegen den steppenförmigen Süd- und be-
sonders den Ostrand des Sees gewaltig absticht Die jährliche Regenmenge
in Bukoba überschreitet 2000 mm, während sie in Muanza nur etwa 1300
betragen mag. Die Hauptregenmengen fallen in der Zeit von Oktober bis
Mai, während in der Mitte dieser Periode im Januar sich eine Regenabnahme
zeigt. Der sehr geringen Entfernung vom Äquator entsprechend zeigt der
jährliche Temperaturverlauf hier nur äußerst geringe Unterschiede zwischen
dem kältesten und wärmsten Monat Sie unterscheiden sich in Bukoba wie
in Muanza nur um 1,5^. Bei diesem geringen Unterschied ist es schon
mehr dem Zufall anheimgegeben, welcher Monat gerade am kühlsten und
welcher am wärmsten ist. Mitunter zeigt der regenreichste die niedrigste
Durchschnittstemperatur; im großen und ganzen aber zeigt das Jahr zwei
wärmere Perioden etwa zur Zeit der Tag- und Nachtgleichen, wenn die
Sonne senkrecht über dem Äquator steht und beide Erdhalbkugeln Frühling
und Herbst haben, während die kühlen Monate die sind, in denen die beiden
Halbkugeln Sommer oder Winter haben. Die durchschnittliche Jahrestemperatur
beträgt in Bukoba 20,2^ in Muanza 21,8^
Auch am Südrand des Sees nehmen die Feuchtigkeit und die Üppigkeit
der Vegetation zu, wenn wir weiter nach Westen vorgehen. Usincya im
Südwesten ist bereits mit dichterem Steppenwald bedeckt, während die Dörfer
in dichten Bananenhainen liegen. Sonstige Erzeugnisse des Landes sind Maniok,
Bohnen, Erdnüsse, Eleusine, Bataten, Sorghum und Kürbisse. Es folgt Usui,
ein regenreiches bergiges Land, und Ihangiro, für das Stuhlmann als nor-
malen Wetterverlauf angibt: früh klar; zwischen 9 — 10 vormittags ziehen
dicke Wolken vom See her, die am Mittag starke Regengüsse bringen, wäh-
rend es abends wieder klar wird.
Weit nach Westen aber reicht der befeuchtende Einfluß des Viktoria-
Njanza nicht. Schon in Karagwe kommen wir wieder in ein trockeneres
Gebiet, bis zu dem die feuchten Seewinde nicht vordringen können, und wo
einer Regenzeit von Januar bis April eine trockene Zeit im übrigen Jahr
gegenübersteht Wir befinden uns hier etwa 1500 m über dem Meer in
einem grasreichen Weideland, auf dem das großhömige Sangarind und das
Fettschwanzschaf in reichen Herden gehalten werden. Um die Ansiedlungen
gedeihen aber auch hier Mangobäume, Limonen, Papayen, Granatäpfel; auch
Reis, Weizen, Tomaten und Eierfrüchte werden mit gutem Erfolge gebaut.
Erst noch weiter westlich treten wieder Waldparzellen auf, die aber schon
das Gepräge des Kongo-Urwaldes tragen. Wir befinden uns hier auf der tier-
geographischen Grenze zwischen Ost- und Westafrika. In diesen Wäldern
treten die westafrikanischen Formen, der graue Papagei, weißnasige Affen
und Schimpansen auf, während im Gebiete die Ostafrikaner, Giraffe, Zebra,
Strauß und Löwe verschwinden. Der geschlossene Gürtel des Kongo-Urwaldes,
durch den der Afrikareisende monatelang marschiert, reicht aber nicht bis in
unsere Kolonie.
148 Hans Maurer: Deutsch-Ostafrika.
Die Länder üha, ürundi und Ruanda, die uns vom Viktoriagebiet in
das des Tanganyika hinübei-fEQiren, sind größtenteils waldarm, aber sehr reich
bevölkert und gut angebaut. Bananenhaine sind häufig; Ackerbau und Vieh-
zucht stehen in großer Bltlte. Nur in Ruanda ist Wald in den Höhen reich-
licher vorhanden. Der Afrikareisende Kandt ist entzückt von dem landschaft-
lichen Reiz der dortigen Hochtäler, als deren Charakter er angibt:
„Wasserreiche Wiesengründe, aus denen Tausende von bienenumschwärmten
Königskerzen aufragen, durchflössen von krystallreinen Bächen, die Mimosen
oder Ebereschen ähnliche Bäume begleiten; zu beiden Seiten sanft geneigte
Hügel, auf deren Kamm der dunkle Urwald beginnt, sich scharf von dem
hellen Grün der Hänge abhebend." Hier hat Kandt im Juli 1898 endgültig
die wirkliche Quelle des Nils entdeckt und damit eine Aufgabe gelöst, das
„Caput Nili quaerere", die seit dem Altertum als ein sprichwörtliches Beispiel
für ein undurchführbares Unternehmen galt.
Nicht weit von der Nilquelle hat er in einem solchen Hochtal nur
2100 m über dem Meer Frost erlebt.
Im Westen von Ruanda erreichen wir den gewaltigen zentralafrikanischen
Grabenbruch, in dem der Albert- und Albert-Edward-, der Kivu- und Tan-
ganyikasee gelegen sind. Nördlich vom Kivu steigen Vulkane in dem Graben
empor, von denen einen, den Kirunga, Graf Götzen, der jetzige Gou-
verneur von Deutsch -Ostafrika, noch tätig gesehen hat. Kivu und Tan-
ganyika, durch den Rusissifluß verbunden, gehören bereits zum Stromgebiet
des Kongo, zu dem der Tanganyikasee seinen Abfluß, den Lukuga, entsendet.
Flora und Fauna zeigen reichlich westafrikanische Formen. Die Fauna des
Tanganyikasees selbst nähert sich vielfach marinen Formen, mehr als man
in einem Binnenmeer erwarten sollte, und hat so der Zoologie und der Ent-
stehungsgeschichte dieses Sees neue Probleme geliefert. Meteorologische Be-
obachtungen am Tanganyika sind noch nicht zahlreich. Daß wir uns hier
noch im Gebiet voi'wiegend östlicher Winde befinden, scheint daraus hervor-
zugehen, daß das Ostufer merklich regenärmer als das Westufer ist, analog
wie am Viktoriasee. Die jährliche Regenmenge in Udjidji am Ostufer beträgt
7 — 800 mm, an der Westseite auf der Insel Kawala aber doppelt so viel.
Von Mai bis August bläst der SE-Wind so heftig, daß der See für die
Boote der Eingeborenen in dieser Zeit unbefahrbar ist. Die Zeit von Mai
bis Oktober ist trocken, die vom November bis April regenreich. Die wärmsten
Monate sind Oktober und Februar, die kühlsten Juli und November. Schon
diese sonderbare Auswahl der extremen Monate läßt darauf schließen, daß
wir uns hier noch im Gebiete des äquatorialen Klimatypus befinden, und
in der Tat beträgt die jährliche Temperaturschwankung nur 2^8^ Die
mittlere Jahrestemperatur mag hier, wo wir uns ca. 820 m über dem
Meere befinden, ca. 24^ C. betragen. Die Luftdruckschwankungen sind
hier, wie im ganzen Gebiet, nur sehr gering gewesen. Der höchste
Druck herrschte im Juni, wo ein absolutes Maximum von 695,6 mm erreicht
wurde, während der November ein nur 6,5 mm niedrigeres absolutes Mini-
mum brachte. In Hamburg dagegen zeigte der Januar 1902 folgende Luft-
druckextreme :
A. Philippson: Neuere Forschungen in der westl. Balkanhalbinsel. 149
Datum :
2.
I.
16.
I.
25.
L-
31.
I.
Tageszeit
Barometerstand
2 p. m. 736,9 mm
7 a. m. 776,0 „
2 p. m. 786,7 „
2 p. m. 781,9 „
Daß es gelungen war, auf dem Haupte eines Negers ein Quecksilber-
barometer unversehrt von Daressalam nach üdjidji zu schaffen, kann als ein
entschiedener Erfolg betrachtet werden, denn hier in üdjidji sind wir, in
Luftlinie gemessen, 1000 km von der Küste des Indischen Ozeans entfernt,
aber unaufhaltsam dringt die europäische Kultur in den gewaltigen Kontinent
ein. Schon schwimmt auf dem Tanganyikasee der deutsche Dampfer „Hedwig
von Wissmann" und bis zum Ostufer des Sees ist von Kapstadt aus der
Überlandtelegraph vorgeschoben, der Vorläufer jener Eisenbahn, die Afrika
vom Kap bis zmn Mittelmeer durchqueren soll. (Schluß folgt.)
Neuere Forsehungeii in der westlichen Balkanhalbinsel.
Von Alfred Philippson.
Noch vor wenigen Jahren konnte man die unter türkischer Herrschaft
stehenden Teile der westlichen Balkanhalbinsel, die Landschaften Albanien und
Makedonien, als eine wissenschaftliche terra incognita, als das „dunkelste
Europa" bezeichnen. Seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, seit
den Reisen des berühmten Botanikers Grisebach, der Geologen Bou6 und
Viquesnel — deren Ergebnisse naturgemäß den heutigen Ansprüchen der
Wissenschaft keineswegs genügen — hatte die Forschung, besonders auf
geologischem und morphologischem Gebiet, hier fast vollständig geruht. Nur
die in die sechziger Jahre fallenden Reisen Barths und v. Hahns brach-
ten noch eine Erweiterung der Kenntnisse. Es war wohl weniger die natür-
liche ünzugängüchkeit des Landes, als die Unsicherheit, die ewigen Fehden
und Unruhen der kriegerischen und fanatischen Stämme, das Mißtrauen der
türkischen Behörden, die von dem Eindringen in diese doch so hoch inter-
essanten Landschaften abschreckten.
Besser stand es, wie leicht erklärlich, mit der Kenntnis der nordwest-
lichen Teile der Halbinsel. In dem österreichischen Küstenland und
Dalmatien haben die Arbeiten der k. k. geologischen Reichsanstalt, besonders
die Untersuchimgen Staches, in Bosnien und Herzegowina bald nach der
österreichischen Besetzung die Aufnahmen v. Mojsisovics und Bittners,
in Serbien einheimische Forscher, vor allem Zujovi6, den geologischen Bau
in seinen Gnmdzügen enthüllt, und auch das benachbarte Montenegro war
durch Tietze geologisch erforscht worden. Dieses Fürstentum war dann
der Schauplatz der verdienstvollen, vielseitigen Untersuchungen Hasserts,
über die in dieser Zeitschrift schon berichtet worden ist^).
1) G. Z. L 1896. S. 684.
160 Alfred Philippson:
Im letzten Jahrzehnt hat dann aber auch für die so lange verschlossenen
südlicheren Landschaften eine neue Epoche der Forschung eingesetzt, und
schon jetzt liegen uns, trotz der dem Reisenden dort noch heute, oder viel-
mehr gerade heute drohenden ernstlichen Gefahren, die geographischen Grund-
züge Albaniens und Makedoniens in überraschender Beleuchtung vor
Augen. Das verdanken wir in erster Linie dem unermüdlichen Jovan
Cviji6, Professor der Geographie an der Belgrader Hochschule, der sich
seit dem Jahre 1888 bis 1901 alljährlich im Sonuner auf Forschungsreisen
begab. So hat er allmählich die ganze westliche Balkanhalbinsel: Serbien
und das österreichische Occupationsgebiet , Montenegro und Albanien, Make-
donien imd das westliche Bulgarien bis zum Bila-Gebirge in der Bhodope
durchzogen^). In einer größeren Zahl von Veröflfentlichungen, die allerdings
zum Teil erst vorläufige, zusammenfassende Mitteilungen sind, und die wir
weiterhin noch anführen werden, hat Cvijiö bereits seine wichtigeren Ergeb-
nisse, die in erster Linie im geologisch-tektonischen und morphologischen
Gebiet liegen, bekannt gemacht; doch läßt sich schon erkennen, daß auch in
anderen Zweigen der Geographie, wie in Vegetation, Kultur- und Siedelungs-
kunde, reichhaltige Beobachtungen gesammelt sind, die noch der Verarbeitung
harren.
Während Cv^i6 noch seine Reisen ausführte, hat sich auch ein junger
deutscher Geograph, Dr. K. Oestreich, zum Teil ohne von den Plänen
Gviji6s Kenntnis zu haben, der Erforschung Makedoniens und Altserbiens
gewidmet. In zweimaligen Reisen, 1898 und 1899, hat er die nordalbanisch-
altserbischen Beckenlandschaften und die Gebirge zu beiden Seiten des Vardar
und westlich bis zu den Dessaretischen Seen besucht'), und dabei südlich von
Skoplje (Üsküb) ein noch unbekanntes Hochgebirge, die Salakova (2530 m)
entdeckt, während durch wiederholte Messungen verschiedener Reisenden der
Ljubotn im Schar Dag sich als weit niedriger (2510 m) herausgestellt hat,
als man glaubte. Räumlich beschränkter als diejenigen Cv\ji6s, haben doch
die Reisen Oestreichs eine Fülle augenscheinlich sehr sorgfältiger und viel-
seitiger Beobachtungen geliefert. Es ist keineswegs zu bedauern, wenn zwei
Forscher unabhängig von einander dasselbe Gebiet untersuchen; dadurch ist
es dem Dritten erlaubt, leichter das Feststehende von dem noch Zweifelhaften
zu unterscheiden, als es bei einem, noch so trefflichen Beobachter möglich
ist Die Oestreichschen Veröffentlichungen haben den Vorzug, daß sie die
Einzelbeobachtungen selbst bringen, während man bei einem Teil der Cvijiö-
schen Berichte, imd zwar den tektonischen, nur die großen Ergebnisse erfährt,
deren nähere Begründung man also noch abwarten muß. Dagegen vermißt
man wieder bei Oestreich vielfach eine präzise Zusanmienfassimg; auch die
graphischen Beilagen hätten noch reichlicher sein können, so daß es zuweilen
nicht leicht ist, seiner Darstellung zu folgen.
1) Aufzählung seiner Reisen in Z. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin. 1902. S. 196 ff.
2) Reiseeindrücke aus dem Vilajet Kosoyo. Abb. d. geogr. Ges. in Wien. I.
1899. (M. K.) — Vorläufige Mitteilungen über eine zweite Reise in die europ.
Türkei. Mitt. d. geogr. (Jes. in Wien. 1900. — Beiträge zur Geomorphologie Make-
doniens. Abh. ders. Ges. IV. 1902. (M. geol. K.)
Neuere Forschungen in der westliclien Balkanhalbinsel. 151
Auch Hassert hat 1897 eine gefahrvolle Reise in die schlimmsten
Teile Albaniens, das Hinterland von Skutari bis Prizren, unternommen, wobei
fireilich die Beobachtungen durch die notgedrungene Eile und Vorsicht beein-
trächtigt wurden^).
Edm. Naumann schilderte die Eisenbahn Salonik-Monastir und ihre
Umgebung und wirtschaftliche Bedeutung mit hohem geographischem Ver-
ständnis^).
Wenn auch einer Nachbarwissenschaft dienend, so dürfen doch hier die
zahlreichen Reisen des Botanikers Antonio Baldacci nicht unerwähnt bleiben,
der alle adriatischen Landschaften der Halbinsel auf zahlreichen Routen durch-
zogen hat. Dem Berichterstatter liegen nicht weniger als fünfzehn Ver-
öffentlichungen des emsigen Gelehrten vor, die meisten rein floristischer
Natur'), aber manche auch allgemeine, sowie politische imd ethnographische
Schilderungen^). Hoffen wir, daß ims Baldacci auch eine zusammenfassende
pflanzengeographische Darstellung seines Arbeitsfeldes beschert!
Die so viel umstrittenen ethnographischen Verhältnisse des heutigen
südwestlichen Makedonien sind durch die Forschungen 6. Weigands klar
gestellt worden, der speziell zur Untersuchung der dortigen wlachischen
Volksstänune das Land 1889 imd 1890 bereiste imd die einzige zuverlässige
ethnographische Karte herstellte^). —
Wir wollen nach dieser Übersicht der neueren Reisen nun in Kürze
vorzufahren versuchen, wie sich besonders nach Cvijiös Untersuchungen der
Bau und die Oberflächengestalt der westlichen Balkanhalbinsel
darstellt.
Die bemerkenswerteste aller neuen Tatsachen ist die „dinarisch-
albanesische Scharung^^^). Die dinarischen Faltenzüge, die den
Nordwesten der Halbinsel (Bosnien-Herzegowina, Dalmatien, österreichisches
Küstenland, Montenegro) mit südöstlicher Streichrichtung erfallen, setzen sich
nicht nach Albanien hinein fort, sondern biegen nach Osten und Nordosten
um! Schon im nördlichen Teile des dinarischen Systems, in West-Serbien,
macht sich die Neigung zu dieser Umbeugung geltend, und weiter nach
Süden schwenkt eine der dinarischen Ketten nach der anderen kulissen-
förmig nach Osten, bis endlich östlich vom Skutari-See, in den „nord-alba-
nischen Alpen^* oder der Prokletije, das gesamte dinarische Faltenbündel
— bis auf einen kleinen, gleich zu erwähnenden Rest — die Richtung nach
ONO einschlägt Und zwar beherrscht diese Umbeugung nicht allein sämt-
1) Verh. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin. 24. 1897. S. 629—644. — Mitt. d. geogr.
Ges. in Wien. 1898. S. 861—379. (M. K.)
2) Makedonien und seine neue Eisenbahn. München und Leipzig, 1894.
8) Im Nuovo Giomale Botanico Italiano 1898, 1894, 1897, 1898; in der
„Malpighia^^ 1893, 1894, und anderen botanischen Zeitschriften.
4) Im Bolletino See. Geogr. Ital. 1898, 1900; Memorie derselben 1896—97,
und mehrere Kongreßvorträge. Femer „Cmagora", Bologna 1897. — Pet. Mitt.
1897, S. 168, 179.
6) Die Aromunen I. Leipzig, 1896.
6) Crijid, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. Math.-nat. Kl. CX, 1. 1901. S. 1.
M. tekton. K. — Zeitachr. d. Gea. f Erdkde. Berlin 1902, S. 210.
152 Alfred Philippson:
liclie gefaltete Formationen, sondern auch die Brüche und Üherschiehungen.
Mit dieser Neigung zur Umbeugung in die Ostwestrichtung, bringt Cv\ji6
auch die Abschwenkung der dalmatinischen Ketten nach Westen, in die
Adria hinein, in Verbindung. — Ganz entsprechend wenden sich die alba-
nischen Faltenzüge, die mit regelmäßiger Nord- oder Nordnordwest-
richtung heranstreichen, gegenüber der Umbeugung der dinarischen Züge
ebenfalls um, indem sie am Quertal des Drin nordöstliche, weiterhin, so
auch im Schar-Gebirge, ostnordöstliche Richtung einschlagen. So „scharen"
sich die beiden Gebirge am Drin, und auf der Achse der Scharung ist eine
Reihe von Becken eingebrochen: die Metoja, das Becken von Skutari, und
die Tiefe von Medua im Adriatischen Meer. Die umgebogenen Falten beider
Gebirge stoßen rechtwinklig auf den Rand der alten krystallinen Masse
von Serbien. Zwischen den Faltenenden und der alten Masse sind viel-
fach junge Eruptivgesteine hervorgebrochen. Die Falten erhalten durch die
Stauung am alten Rand einen gewundenen Verlauf. Cviji6 stellt diese „ge-
wundenen Falten" als einen neuen Typus auf. Es ist dies wohl nur die-
selbe Erscheinung, die der Referent als Zerknitterung in den Schiefem in
der Nähe der Grenze des sedimentären und krystallinen Gebirges in Griechen-
land beschrieben hat, z. B. im Othrys-Gebirge. Überhaupt zeigt das süd-
liche Thessalien in ganz ähnlicher Weise ein rechtwinkliges Auflaufen der
jüngeren Falten gegen die Grenze des krystallinen Gebirges.
Aus dieser Einbiegung der Falten von Nordwesten wie von Süden her
in die östliche Richtung folgert Cvijiö, daß die einen Falten nicht die Fort-
setzimg der anderen seien, daß das dinarische und das albanisch-griechische
Gebirge daher nicht, wie man es bisher getan, zu einem Gebirgssystem
zu vereinigen, sondern beide als selbständige Gebirgsbögen aufzufassen seien.
Er führt dafür weiter an, daß das dinarische Gebirge symmetrisch, mit
einer älteren Achse in der Mitte, das albanisch -griechische Gebirge dagegen
asymmetrisch gebaut sei; femer, daß die mächtigen mesozoischen Kalk-
massen, wie sie für das dinarische Gebirge charakteristisch sind, im alba-
nisch-griechischen Gebirge nicht in der Weise vorhanden seien, sondern zum
Teil durch reichlich zwischengelagerte klastische Sedimente ersetzt werden.
Demgegenüber möchte der Referent bemerken, daß dies letztere zwar im
westlichen Teil des albanischen Gebirges und in der Pindos-Zone Griechen-
lands der Fall ist, daß dagegen sowohl in der jonischen Zone Griechenlands
als besonders in den ost-griechischen Gebirgen doch so gewaltige Kalkmassen
auftreten, daß der Unterschied gegen die dinarischen wohl nicht sehr bedeu-
tend ist. Freilich ist die Zerstückelung durch spätere Brüche in Griechen-
land viel größer, daher auch die horizontale Ausdehnung der verkarsteten
Kalkmassen geringer.
Was dann den Unterschied des symmetrischen und asymmetrischen
Baues angeht, so möchte ich ihn vorläufig nicht allzu hoch anschlagen. Die-
selben Überschiebungen gegen die Westfront hin zeigt das dinarische wie
das griechische Gebirge, tmd man muß an die Möglichkeit denken, daß die
inneren Zonen des dinarischen Gebirges sich in den krystallinen Schiefem
und Phylliten Makedoniens und Nord-Griechenlands wiederfinden, worauf wir
Neuere Forschungen in der westlichen Balkanhalbinsel. 153
gleich noch eingehen werden. Die Fljsch- und Plattenkalkzonen des Pindos
und Albaniens setzen sich allerdings nicht in den inneren Zonen Bosniens,
sondern höchstens in den Falten der dalmatinischen Küste fort, wenn sie dort
nicht etwa ganz und gar unter der Adria versinken.
Daß also in Oriechenland andere Faltenzonen auftreten, als in Bosnien,
unterliegt keinem Zweifel. Ob sie aber darum nicht zu einem System zu-
sammenzufassen seien, erscheint mir im Hinblick auf so viel Übereinstinmiendes
noch nicht bewiesen. Oerade das umschwenken nach Osten zeigt sich ja in
Griechenland in ganz hervorragender Weise. Vollends sehen wir vor der
großen Einbeugung oder Scharung am Skutari-See, an der Küste entlang,
eine Zahl nicht umgebeugter Falten vom dinarischen zum albanischen
Gebirge ziehen und beide mit einander verkitten I Es sind die „resistenten
dinarischen Ketten" Cvijiös.
Doch — ob man die Gebirge der westlichen Balkanhalbinsel in zwei
Systeme einteilen oder in eine höhere Einheit zusanmienfassen will, das ist,
wie in so vielen ähnlichen Fällen, dem subjektiven Ermessen anheim gegeben.
Hat doch noch niemand eine befriedigende Definition davon gegeben, was
man unter einem „Gebirgssystem" oder einem „Faltensystem" versteht, be-
züglich nach welchen Gesichtspunkten man die Gebirge in Systeme ein-
teilen soll!
Wie man darüber denken mag, die Bedeutung der, zwar schon früher
geahnten, aber von Cviji6 zuerst klar gestellten ümbeugung und Scharung
der Faltenzüge am Drin wird dadurch nicht beeinträchtigt.
Auch der Zusammenhang zwischen Balkan und transsylvanischen Alpen
wird von Cvijiö bestritten. Der West-Balkan wendet sich nicht, wie man
bisher glaubte, in Ost-Serbien nach N, sondern stößt mit westlichem Streichen
gegen die alte krystalline Masse Mittel-Serbiens ab, genau so, wie von Westen
her die dinarischen Falten. Die transsylvanischen Alpen dagegen, durch
einen geringen Grad von Faltung ausgezeichnet, schlagen in Ostserbien, vor
dem Balkan, eine östliche Richtung ein und tönen allmählich gegen die
bulgarische Tafel aus.
Danach hätten wir in der Balkanhalbinsel nicht mehr zwei, sondern
vier Faltengebirge zu unterscheiden. Zwischen ihnen liegt die große krystalline
thrakische Masse oder die Rhodope-Masse, wie Cviji6 sagt*). Greht man
von der Westküste Albaniens ins Innere, so kreuzt man zunächst eine An-
zahl SSO streichender Ketten, die meist aus Flysch bestehen; dann gelangt
man in eine Zone von Kreide- und Nunmiulitenkalken mit Serpentinen
(Mokranjska Planina), die Cvijiö als Fortsetzung der epirotischen Ketten an-
sieht. Nach seiner tektonischen Karte erscheint sie eher der Pindos-Zone
zu entsprechen; es streichen ja auch die epirotischen Ketten, worauf 07yi6
selbst hinweist, eine „Virgation" bildend, am akrokeraunischen Vorgebirge
nach Nordwest ins adriatische Meer hinaus. Weiter nach Osten folgt nun
eine Zone von Grabenbrüchen, dem Schichtstreichen parallel: die Becken
1) Die tektonischen Vorg^ge in der Rhodope-Masse. Sitzungsber. d. k. Ak.
d. Wiss. Wien. CX, 1. 1901. S. 409 ff. (M. tekton. K.)
Oeograpbiiohe Zeit«chr(fl. 9. Jahrgang. 1903. S.Heft. 11
154 Alfred Philippson:
von Debar, Ocluid (mit dem gleichnamigen See) und Kortscha; Schwefel-
thermen bezeichnen die Bruchlinien. Jenseits erhebt sich die Kette der
Galicica und Petrinjska, die sich nach Norden bis zum Schar fortsetzt: über
(paläozoischen?") Phylliten liegen triadische Sandsteine, darüber mesozoische
Kalke; sie tauchen nach Süden unter die kretacischen Kalke und Serpentine
der Suha Gora hinab. Und nim folgt abermals eine Qrabenzone mit den
Becken des Prespa-Sees, des Devol und von Kastoria. Dann erst gelangen
wir endlich im Peristeri-Gebirge an den Rand des krystallinen Gebirges, der
Rhodope-Masse im Sinne von Cvijiö. Dieser Rand läßt sich in SSO-Richtung
vom Becken von Tetovo bis zur oberen Vistritsa verfolgen.
Das alte Gebirge selbst zeigt aber recht verwickelte Verhältnisse. Zu-
nächst dem Westrande liegt eine Zone von krystallinen Schiefem mit Granit-
stöcken, die sich von Tetovo nach SSO erstreckt, das Becken von Monastir
umgibt imd wahrscheinlich in den Gebirgen des nördlichen Thessalien ihre
Fortsetzung findet. Sie heißt die west-makedonische Zone. Dann aber folgt
ein breiter Streifen von Phylliten, grünen Schiefem und Kalken, mit größeren
Massen jüngerer Eruptivgesteine. Die vielleicht paläozoischen Phyllite sind
diskordant überlagert von mesozoischen und alttertiären Schichten, die alle,
bis zum Oligocän ausschließlich, gefaltet sind. Erst am Vardar beginnt
dann wieder zusammenhängendes krystallines Gebirge, das sich nun durch
Thrakien weit nach Osten erstreckt, andererseits nach Norden in Serbien
hinein fortsetzt. Die Falten der krystallinen Schiefer wechseln. In Süd-
Serbien und Nord-Makedonien herrscht S- und SSO-Richtung; in der Mitte
zwischen Monastir und Skoplje (Üsküb) ist das Streichen unregelmäßig, öst-
liche und nordöstliche Richtungen scheinen vorzuherrschen. In Süd-Make-
donien endlich liegt, nach Cvijiös Auffassung, ein nach Süden konkaver
Bogen, der die Ebene von Salonik umzieht. Alle Sedimente aber
streichen regelmäßig SSO oder SO, also in der albanischen Rich-
tung, bis zur großen Scharung im Norden.
Die west-makedonische Zone mitsamt der Phyllitregion bildet also ein
Übergangsglied zwischen dem albanischen Faltengebirge und der eigentlichen
alten Rhodope-Masse östlich des Vardar. Während Sueß sie als Glieder
seines großen dinarischen Systems auffaßt, rechnet sie Cvijiö als Randzone
zur alt^n Rhodope-Masse hinzu. Er sagt daher, daß die Rhodope-Masse zwei-
mal gefaltet sei; die eine Faltung betraf nur die altkry stallinen Gesteine;
die zweite, die Hauptfaltung, vollzog sich zu Beginn des Oligocän und betraf
alle Formationen, die dieser Zeit vorhergingen. Das scheint mir doch —
soweit man nach den kurzen Mitteilungen Cvijiös urteilen kann — nicht
ganz begründet. Die oligocäne Faltung ist doch identisch mit der Haupt-
faltung des albanisch -griechischen Gebirges (der Dinariden Sueß'), sowohl
dem Alter als der Richtung nach; und sie hat nur die west-makedonische
krystalline und Phyllitzone, also den „Westrand der alten Masse" (nach
Cviji6) ergriffen, wogegen sie in der eigentlichen Rhodope-Masse, wo — nach
Cvijiö — Sedimente gar nicht vorkommen, nicht zu konstatieren ist; im
östlichen Thrakien liegt ja das Eocän flach über den alten krystallinen
Gesteinen! Es scheint mir also aus den Darstellungen von Cvijiö eher
Neuere Forschungen in der westlichen Balkanhalbinsel. 155
hervorzugehen — was Sueß angenommen und auch ich bereits früher ver-
mutet hatte ^) — daß wir tatsächlich in der west-makedonischen krystallinen
und Phyllit-Zone, westlich des Vardar, und dann wohl auch in dem kry-
stallinen Bogen Thessalien -Chalkidike nur die inneren Zonen des albanisch-
griechischen jungen Faltengebirges vor ims haben, dessen bogenförmige üm-
schwenkung in Griechenland sie hier im Inneren, mit kleinerem Eadius,
mitmachen. Die eigentliche alte passive Masse der Rhodope würde dann
erst östlich des Vardar, ja vielleicht erst östlich der Struma beginnen. Im
ganzen sagt auch Gvijiö, daß man von Ost nach West in immer jüngere
Faltenzonen hineinkommt. „Es scheint, als ob sich die Faltimg, von der
alten Masse ausgehend, immer weiter nach West fortgepflanzt hätte .^* Das
ist genau die Auffassung, wie ich sie für Griechenland entwickelt habe.
Wir sind bisher ausschließlich der Darstellimg von Cvijic gefolgt. Wie
schwierig aber gerade die Verhältnisse in West-Makedonien sind, geht aus
einem Vergleich mit der Oestreichschen Arbeit — besonders mit dessen
geologischer Karte — hervor. Auch Oestreich unterscheidet krystalline
Schiefer (Gneise und Glimmerschiefer), Phyllite und ürtonschiefex (beson-
ders rote und grüne Schiefer). Letztere hält er für paläozoisch. Zu den
krystallinen wie zu den sedimentären Schiefem gehören Kalke. Er bezeichnet
aber das ganze Gebiet östlich vom oberen Drin bis zur Linie Skoplje-Mo-
nastir, also auch den größten Teil von Cviji6s west-makedonischer kry-
stalliner Zone, als paläozoisch, während er umgekehrt das Sedimentgebirge
Cvijiös auf der Westseite des Vardar mit der Farbe der krystallinen Schiefer
belegt; östlich des Vardar aber, wo wieder das KrystalUnische von Cviji6
beginnt, zeichnet er wieder in weitem Umfange Paläozoikum! Wer Recht
hat, kann man natürlich aus der Studierstube heraus nicht beurteilen, beson-
ders, so lange Cviji6s Einzelbeobachtungen nicht veröffentlicht sind. Jeden-
falls würden Oestreichs Angaben eine ganz andere tektonische Auffassimg
dieses Gebietes zur Folge haben müssen. Eingehend beschreibt Oestreich die
Gebirge im Süden von Skoplje, bis gegen Monastir; das Peristeri-Gebirge ;
dann das Gebirge zwischen Monastir und dem Vardar, das er Cma-Moglenica-
Gebirge nennt. Es ist eine NO streichende Synklinale, wovon jedoch nur
die beiden Enden, der Kaimakealan und das Moglena-Gebirge, stehen geblieben
sind, während in der Mitte das Senkungsfeld von Murichovo mit seinen
mächtigen vulkanischen Ergüssen eingebrochen ist. —
Erfreulich ist die Übereinstimmung beider Forscher hinsichtlich der
zahli-eichen Becken dieses Gebietes. Sie werden von beiden als Einbrüche
nachgewiesen.
Besonders interessant ist Oestreichs Entdeckung eines alten Flußsystems,
200 — 250 m über den dessaretischen Seen, das von den Beckeneinbrüchen
abgeschnitten worden ist, sowie der Nachweis der Zerstückelung des Tales
von Ostrovo-Vodena durch das Senkungsfeld von Salonik. Die meisten Ein-
brüche enthielten in der Neogenzeit Seen. Die heutigen dessaretischen Seen,
1) La Tectonique de TEg^ide. Annales de Geographie 1898, p. 118. — Der
Qebirgsbau der Ägae\*8. Verh. d. VU. Internat. Geographen-Kongresses in Berlin 1899.
S. 188.
11*
156 Alfred Philippson:
von zahlreichen Dreißensien bevölkert, sind als Relikte der größeren jung-
tertiären Seen anzusehen. Die meisten Becken enthalten noch die mächtigen
Ablagerungen der neogenen Seen; diese Schichten sind vielfach an den Rän-
dern der Becken aufgerichtet, aber nicht gefaltet; sie sind von den Flüssen zer-
schnitten, die zwischen den Neogenhügeln breite Talauen bilden, die vielfach
auch diluviale Schotterterrassen enthalten. Andere Becken aber bestehen nur
aus einer horizontalen Schwenunlandsebene, zu der die Qebirge unmittelbar
abfallen^). Letztere Becken sind augenscheinlich postneogener Entstehung.
(Auch in Griechenland sind beide Typen vorhanden.) Ein dritter Typus ist
das eingesunkene Bergland ohne verhtQlende Decke, wie es Oestreich zwischen
Gevgeli und Doiran beschreibt.
Die jüngere nach Abschluß der Faltung erfolgte Zerstückelung an
Brüchen ist maßgebend für die heutige Oberflächengestalt und hat glei-
cherweise das junge Faltengebirge wie die alte krystalline Masse betroffen. Man
sieht, daß die Zertrünunerung der Balkanhalbinsel nur graduell verschieden
ist von dem Einbruch der ÄgaeYs. Die Zei*stückelung hat sich von dem
ägaetschen Meer, wo sie ihr Maximum erreicht, nach allen Seiten mit ab-
nehmender Stärke ausgebreitet, nach Makedonien und Thrakien, wie nach
Griechenland \md Kleinasien.
Cvijiö scheint an einen indirekten Zusanmienhang der Brüche mit der
früher abgeschlossenen Faltung zu denken; wir haben schon erwähnt, daß
er die Beckenreihe Metoja-Medua mit der Scharungsachse in Beziehung bringt;
die Brüche der dessaretischen Gräben laufen dem Streichen der Falten
parallel; sie betreffen den Rand des jimgen und alten Gebirges und werden
in dieser Hinsicht mit den Einbrüchen zwischen dem Balkan und der Rho-
dope verglichen, östlich des Vardar herrschen östlich streichende Brüche
vor, die sich in der Nähe des Flusses nach NW imiwenden. Oestreich
dagegen spricht von einem großen Bruch, der dem Vardar östlich parallel
von NW nach SO verläuft. Ihm folgt ein alter Talzug, aus dem der Fluß
nach W verschoben ist, so daß der Vardar nun ein „Doppeltal" besitzt.
Nicht nur die Oberflächengestalt, sondern auch die Umrisse der Halb-
insel, und damit auch ihre kulturellen Beziehungen, werden durch die Ein-
brüche bedingt, wie Cviji6 in einer besonderen kleinen Schrift darstellt^.
Nachdrücklich weist er auf den Unterschied der dinarischen und der alba-
nischen Küste hin, die an der Scharungsstelle der beiden Gebirge zusammen-
stoßen; die eine verdankt ihre Formen positiver, die andere negativer
Verschiebung. (Letztere ist aber nicht nachgewiesen; es ist eine durch die
Anschwemmungen der mächtigen Flüsse ausgeglichene Ingressionsküste,
wobei eine negative Verschiebung nicht nötig ist.) —
Die Seen Albaniens und Makedoniens hat Cvijic eingehend untersucht') und
einen großen Atlas derselben, mit Umgebungs- und Tiefenkarten, veröffentlicht*).
1) Oestreich, Geomorphologie. S. 125 ff.
2) La Forme de la P^ninsule des Balkans. ,,Le Globe*'. 89. Gen^ve, 1900.
8) Die macedonischen Seen. Mitt. d. ungar. geogr. Ges. XXVni. 1900. — Lee
cryptod^pressions de rEm-ope. La Geographie. V. 1902. S. 247 ff.
4) Jezera Makedonije, Stare Srbije i Epira. Belgrad, 1902.
Neuere Forschungen in der westlichen Balkanhalbinsel. 157
Sehr interessant sind die unterseeischen Karstschlote, die er am Rande des
sonst flachen (7 m) Skutari-Sees fand, und von denen einer 44 m tief ist.
Es geht daraus hervor, daß der See eine überschwemmte Karstpolje ist; ein
neuer Beweis für eine junge, positive Niveauverschiebung I
Hieran knüpft Cvijiö eine Übersicht über die unter den Meeresspiegel
reichenden Seeböden Europas. Er findet sie . in zwei Gruppen entwickelt.
Die eine umzieht das adriatische Meer und ist durch positive Niveau-
verschiebimg aus Festlandsformen entstanden; hierzu rechnet er auch die
italienischen Alpenseen. Die zweite besteht aus Seen nordischer Vereisung
und ist durch Glacialerosion ausgetieft.
Ausführlich behandelt auch Oesti*eich den Ochrid- und den Prespa-See,
deren unterschiede er trefflich charakterisiert. Der Ochrid-See ist ein tiefes
Becken (größte Tiefe nach Cv\ji6 285,7 m) und zeigt das Phänomen der
„Seiches". Der Prespa-See reicht nur an zwei engbegrenzten Stellen unter
25 m (bis 54 m) hinab. Sein Wasser entweicht unterirdisch sowohl zum Devol
wie zum Drin. Von dem „kleinen Prespa-See", der neben dem großen liegt,
führt auch ein oberirdischer, meist aber trockener Ausfluß zum Devol. Der
Ostrovo ist 61 m tief. Der Prespa hat, weil unterirdisch entwässert, starke
Schwankungen des Wasserstandes, wie aus Hochwassermarken hervorgeht. —
Bis vor kurzem war man der Meinung, daß die Hochgebirge der
Balkanhalbinsel keine Spuren ehemaliger Vergletscherung aufwiesen.
Cviji6 hat das große Verdienst, Glacialspuren auch hier nachgewiesen zu
haben ^). Zuerst entdeckte er sie im Rila-Gebirge (2923 m), der höchsten
Erhebung der Bhodope-Masse imd der Balkanhalbinsel überhaupt Hier fand
er 32 Kare, zimi Teil mit Seen, von denen 25 gegen Nord, 7 gegen Ost
gewendet sind, und deren Boden im Mittel 2280 m ü. d. M. liegt, und im
Zusammenhang damit Moränen, die freilich nur kleinen Gletschern (nicht
mehr als 2 km lang) entstammen. Die Schneegrenze lag in 2100 m. Dann
fand man sie auch im albanischen Gebirge, auf dem Peristeri (3 Kare,
auch von Oestreich beschrieben, eiszeitliche Schneegrenze 2150 m). Im
Schar sind die Glacialformen zweifelhaft. Weit bedeutender war aber die
Entwicklung der Gletscher in den dinarischen Gebirgen. Hier sind auf fast
allen höheren Kämmen in Bosnien imd Herzegowina von Cvijiö und Penck,
auf dem Durmitor in Montenegro von Cvijiö, im übrigen Montenegro neuer-
dings von Hassert^) ansehnliche Kare und zum Teil auch größere Moränen
nachgewiesen worden, und zwar sinkt die eiszeitliche Schneegrenze gegen
die Westküste tiefer hinab (z. B. Durmitor 1800 m, Orjen an der Küste
1400 m). An letzterem Berg waren nach Penck 80 qkm vergletschert, imd
die Gletscher reichten bis 800 m ü. M. hinab. Im Inneren erreicht die
Länge der Gletscher nur ausnahmsweise 5 km, die meisten sind nur kleine
Kargletscher. Die stärkere Entwicklung der Vereisung nach Westen zu
1) Das Rila-Gebirge und seine ehemalige Vergletscherung. Zeitschr. d. Ges. f.
Erdkde. zu Berlin. XXIII. 1898, S. 201 ff. (M. Karten.) — L'Epoque glaciaire dans
la P^ninsule des Balkans. Annales de Geographie. IX 1900. S. 369 ff. — (Vgl.
auch Penck, Die Eiszeit auf der Balkanhalbinsel. Globus. 78. 1900. S. 133 ff.)
2) Verh. d. XEI. Deutsch. Geogr.-Tages 1901.
158 Alfred Philippson:
entspricht der heutigen Verteilung der Niederschlüge und der Schneeflecke
im Gehirge. Dagegen liegen die Kare im einzelnen ganz üherwiegend auf
der Nord- und Nordostseite der Känmie.
Sehr eingehend beschreibt Cvyi6 die Einwirkungen nicht nur der
Gletscher selbst, sondern auch des eiszeitlichen Klimas auf die Formen der
dinarischen Gebirge^). Bis auf Vegetation und Siedelungen verfolgt er die
glacialen Wirkungen. Wir können hier auf die Fülle der Einzelbeobach-
tungen nicht eingehen. Es sei nur hervorgehoben, daß die Karstformen
älter sind als die Glacialformen. Die Kare sind vielfach ursprüngliche
Karstmulden, die durch Schneeerosion umgearbeitet sind; dann erst haben
sich kleine Gletscher darin angesetzt. Seen bilden sich darin, indem die
Kalkmulde den unter dem Kalk anstehenden undurchlässigen Sandstein
erreicht. Um die kühn geformten, von Karwänden umgebenen Hochgebirge
breiten sich weite verkarstete Hochflächen aus, und diese sind von gewaltigen
Cafions durchschnitten. Letztere sind nur von solchen Wasserläufen aus-
gearbeitet, die von ehemals vergletscherten Hochgebirgen kommen; die Ur-
sache der Cafionbildung ist der Wasserreichtum des Quellgebietes, bei geringer
Abspülung der Wände im Karstgebiet selbst. Manche Cafions enthalten
diluviale Schottermassen. Nach der Eiszeit gewann der Karstprozeß wieder
die Überhand über die Talerosion, und manche Cafions sind von Schutt
wieder versperrt worden.
Schon in einer früheren Arbeit hat Cviji6 „das Karstphänomen"
zusammenfassend behandelt'). In dem zweiten Teil der „morphologischen
und glazialen Studien ans Bosnien u. s. w."') betrachtet er des Nähern die
dortigen „Karstpoljen". Es sind dies „ausgedehnte, geschlossene Karst-
mulden mit ebenem Boden; ihre Querachse wird wenigstens 2 — 3 Mal von
der Längsachse an Größe übertroffen, und in der Regel läuft letztere mit
dem Schichtstreichen parallel. Sie treten nur in dislozierten Kalkgebieten
jüngerer Gebirgssjsteme auf. Hydrographisch zeichnen sie sich dadurch aus,
daß ihr Boden regelmäßig in mehrere Abflußgebiete zerfällt, und daß sie
vorherrschend periodisch, zuweilen auch beständig inundiert werden, sehr
selten trocken sind Ihre besten Formen befinden sich in West-Bosnien
und der Herzegowina".
Cviji6 beschreibt eine große Anzahl solcher Poljen im einzelnen und
gibt dann eine Erklärung der Erscheinungen. Das Problem liegt darin, daß
die Längsachse der Mulde parallel dem Schichtstreichen gerichtet ist; dann in
der beträchtlichen Breite der ebenen Bodenfläche; und endlich in dem Vor-
handensein mehrerer Abflußgebiete in einer Polje. Cv\ji6 findet, daß sich
die Polje aus der Doline entwickele — die ja durch chemische Erosion des
Kalksteins entsteht — und zwar bezeichnet er als Mittelform zwischen
Doline und Polje die Karstmulde oder Uvala.
1) Morphologische und glaciale Studien aus Bosnien, der Herzegowina und
Montenegro. I. Das Hochgebirge und die Canontäler. Abb. d. k. k. Geogr. Ges.
Wien. n. 1900. Nr. 6. (M. Karten.)
2) Geogr. Abb., herausgeg. v. Penck. V, 3. Wien, 1893.
3) Abh. d. k. k. geogr. Ges. in Wien. lU. 1901. 2.
Neuere Forschungen in der westlichen Balkanhalbinsel. 159
„Oft haben im Karste Reihen oder Gruppen von Dolinen eine gemein-
same Umrahmung, indem sie eine größere Earstmulde darstellen, deren
Boden von kleinen Dolinen bedeckt ist. Karstmulden oder üvalas sind
also größere, breitsohlige Karstsenken, von unruhiger Bodengestaltung, be-
sitzen also keine Ebene an der Sohle. Sie treten stellenweise so zahl-
reich auf und sind von solch einer großen Bedeutung, daß sie die hori-
zontale parallele Struktur, den Parallelismus der Grate auf den Karstrücken
bewirken. Die Karstmulden stellen die Übergangsformen von Dolinen zu Poljen
dar. Ihre Verwandtschaft mit den Dolinen ist augenscheinlich, mit den
Poljen haben sie diese Haupteigenschaft gemein: ihre Längsachse stimmt mit
dem Schichtstreichen überein; sie unterscheiden sich von den Poljen dadurch,
daß ihr Boden nicht eben ist, und daß sie in der Regel jene besonderen
hydrographischen Verhältnisse entbehren."
Aus den Karstmulden entsteht die Polje: „Sobald sich der Boden der
Karstmulde bis zum Niveau des Grundwassers im Karste vertieft, verschwin-
det stellenweise die unruhige Bodengestaltung, es entwickeln sich Ebenen,
imd die bekannten hydrographischen Verhältnisse treten auf. Wenn
zwei bis drei oder auch mehrere solcher Karstmulden mit einander ver-
wachsen, so entstehen zusammengesetzte Poljen (z. B. das Kupresko, Glamocko,
Livanjsko u. s. w.), die oft aus zahlreichen selbständigen hydrographischen
Becken bestehen, zwischen denen niedrige, noch nicht denudierte Querriegel
liegen." Die Karstformen und auch die Poljen senken sich in weite Verebnungs-
flächen ein, die Karstplateaus, ,fpen^lains" im Sinne von Davis ^). Die
Schichtfugen weisen dem eindringenden Wasser die Wege, daher die Anord-
nung der Karstformen längs dem Schichtstreichen.
Bei starkem Zufluß bilden sich in den Poljen Seen aus. Das war im
Neogen und in der Eiszeit der Fall; man findet die Seeablagerungen und
Terrassen aus beiden Perioden in den Poljen, auch alte Abflüsse der Seen
lassen sich oben auf den Plateaus nachweisen. Aber das Neogen ist gestört,
sogar meist durch das Randgebirge der Polje überschoben und zwar immer
von der Nordostseite her; nach Südwest sind die Terrassen und der Boden
der Polje geneigt! Also haben in postneogener Zeit tektonische Zusammen-
schiebungen im Gebirge in südwestlicher Richtung stattgefunden. Durch das
Trockenwerden des Klimas zu Ende der Eiszeit sind die Seen verschwunden,
und auch die Poljen werden allmählich durch tiefere Erosion verschwinden. —
Auch sonst ist die Erforschung der in österreichisch-ungarischem Besitz
befindlichen Teile der Balkanhalbinsel in gutem Fortschreiten begriffen. Die
geologische Spezialaufnahme ist sowohl in Dalmatien — hier arbeitet beson-
ders V. Bukowski — als auch im Occupationsgebiete unter Leitung von
K atz er im Gange. Die „wissenschaftlichen Mitteilungen aus Bosnien und
der Herzegowina" bringen eine Fülle von Wissenswertem. So sei ein Ver-
such einer systematischen Einteilung des bosnisch -herzegowinischen Gebirgs-
landes mit Berücksichtigung der Geologie, Urographie und Morphologie von
1) Mit der Entstehung und den Formen der großen Verebnungsflächen des
Karstes hat sich Penck in seinen ,,geomorphologi8chen Studien aus der Herzego-
wina" (Z. d. d. u. ö. Alpenver. XXXI. 1900. S. 26 ff.) näher beschäftigt.
160 A. Philippson: Neuere Forschungen in der westl. Balkanhalbinsel.
G. A. Lukas erwähnt^), mit eingehender Charakterisierung der einzelnen
Gebirgsgnippen. Über das alte Tertiär der westlichen Balkanhalbinsel handeln
einige Arbeiten von Paul Oppenheim^) und von Dainelli^). Die Vege-
tation der niyrischen Länder hat in dem großen Werke von Beck von
Mannagetta^) eine ausgezeichnete Parstellung erfahren. Groß ist die Zahl
der Beisebeschreibungen, Reiseführer und sonstigen allgemeinen Darstellungen
von Land und Leuten, die über Bostiien und Herzegowina erschienen sind;
so Hörnes' „dinarische Wanderungen", Preindlsberger-Mrasovic „bos-
nisches Skizzenbuch" und das beispiellos billige, reich illustrierte Werk
Renners: „Durch Bosnien und Herzegowina".
So ist das österreichisch-ungarische Occupationsgebiet auf dem Wege,
eines der vielseitigst und gründlichst erforschten Länder Europas zu werden.
Und daß es mm auch in den so lange der Wissenschaft verschlossenen
Landschafben zwischen Drin und Vardar zu tagen beginnt, haben wir gesehen.
Es sei mir gestattet, hier auch meiner ganz persönlichen Freude darüber
Ausdruck zu geben, daß meine Arbeiten in Griechenland in dem Nachbar-
gebiet ihre Fortsetzung gefunden haben, und daß sich die in beiden Ländern
gewonnenen Ergebnisse im ganzen so harmonisch zusammenschließen, wie es
der Fall ist.
Die Regelung des argentinisch-chilenischeii Grenzstreites.
Von Oberlehrer Dr. P. Stange in Erfurt.
Die schon mehrere Jahre dauernden Streitigkeiten zwischen Argentinien
und Chile*) sind durch den Schiedspruch Englands beendigt. Ehe ich im
folgenden das Urteil des englischen Schiedsgerichtes mitteile, will ich noch
einmal an die Grundsätze anknüpfen, auf die ein jeder der streitenden Staaten
seine Ansicht basierte und vertrat Während Argentinien an dem Begriffe
des „Encadenamiento principal de los Andes", d. h. an der Grenzlinie fest-
hält, die über die höchsten Andengipfel zu ziehen ist, basiert Chile seine
Forderungen auf dem „Divortium aquarum", d. h. auf einer Linie, die mit
der interozeanischen Wasserscheide zusammenfällt.
1) Orographie von Bosnien und der Herzegowina. Wies. Mitt. aus Bosn. u.
Herz. Vm. Wien, 1901. (M. K.)
2) Über einige alttertiäre Faunen der österreich.-ung. Monarchie. Beitr. z.
Paläontologie Öst.-Ung. XUI. Wien, 1901. Femer N. Jahrb. f. Mineralogie etc. 1899,
II. S. 106 ff. — Zentralblatt f. Min. etc. 1902. S. 266 ff.
3) In: Canavari Memorie di Paleontologia. YU. Pisa, 1901; und Boll. Soc.
Geol. Ital. XXI. 1902. S. 176.
4) Die Vegetationsverhältnisse der Illyrischen Länder. (Engler u. Drude, Vege-
tation der Erde. IV.) Leipzig, Engelmann 1901.
6) Vergl. Hans Steffen: Chile und Argentinien in der patagonischen Kor-
dillere. G. Z.L 1896. S. 486 ff. 621ff. — Ders.: Ein neues Aktenstück zur chilenisch-
argentinischen Grenzfrage. G. Z. H. 1896. S. 468 ff. — H. Polakowgky: Morenos
neueste Reise durch West- Patagonien. G. Z. IV. 1898. S. 860 ff. — P. Stange:
West-Patagonien im Lichte der neuesten Forschungsresultate. G. Z. VIU. 1902.
S. 140 ff.
P. Stange: DieRegelnng d. argentinisch-chilenischen Grenzstreites. 161
Dem Englischen Schieds-
gericht blieben nun fol-
gende Wege offen: Ent-
weder nahm es eine der
vorgeschlagenen Grenz-
linien als richtig an, oder
es zog eine neue, vermit-
telnde Grenze. In ihrem
Bericht, den die englische
Kommission am 19. No-
vember 1902 dem Könige
vorlegte, betonte sie, daß
beide Grenzlinien unver-
einbar seien, und daß es
auf Grundlage der der
Kommission vorliegenden
Dokumente notwendig sei,
eine neue Linie festzusetzen,
welche jene Grundlagen
besser rechtfertigt.
Sehen wir uns einmal
den Bau der Kordillere in
Westpatagonien genauer
an! Die patagonische Kor-
dillere kann in zwei scharf
gegliederte Teile zerlegt
werden, in die eigentliche
Hochkordillere am Saume
des pacifischen Ozeans und
in die weiter östlich ge-
legene , niedrige Vorkor-
dillere, die wir natürlich
mit der ersteren zusammen
als „andine Eegion" be-
zeichnen im Gegensatz zu
der dann im Osten folgen-
den „Pamparegion der
Hochebenen", welch letz-
tere sich zwischen der an-
dinen Region und der Küste
des Atlantischen Ozeans
ersta-eckt. Wir wissen heute,
daß diese pampine Region
von überwiegend tertiären
Schichtgesteinen gebildet
wird, die nur an wenigen
\i^ Vou ArHentitiica üe
Durch iJ<?ii Sohidiliipmeh fi**i-
niL'litti tirenye
bfluiipntchls Grenze ,
162 P. Stange:
Stellen lokalen Störungen unterworfen sind und fast überall in nahezu hori-
zontaler Lagerung sich befinden. An manchen Orten sind diese Schichten
von mächtigen vulkanischen Basalt -Gesteinsdecken durchbrochen. Daher er-
reicht der westliche Eand dieser Hochebenen an einzelnen Orten eine ganz
bedeutende Höhe, wie z. B. südlich vom Lago Buenos Aires mit 2600 m und
in der Meseta Belgrano östlich vom Cerro S. Lorenzo mit 2300 m Höhe.
Obgleich diese Hochebenen, „mesetas", so hoch sind, unterscheiden sie sich
doch von der Vorkordillere durch ihre Gesteinszusammensetzung wie durch
tektonische Verhältnisse, wie der argentinische Landesgeologe E. Hauthal nach-
gewiesen hat. Am Fuße des steilen Westrandes der Mesetas verlaufen sich
aneinanderreihende Längsdepressionen, die durch tektonische Dislokationen
bedingt sind. Betrachten wir diese Grenzlinie näher, so verläuft diese vom
Ostende des Nahuelhuapisees (41® s. Br.) bis zum Meerbusen Ultima Esperanza
(52*^ s. Br.) in folgender Weise: Vom Ostende eben genannten Sees zieht sie
direkt südlich bis zum Lago Buenos Aires (4672® s. Br.); dann folgt sie dem
Westfuß der Meseta Belgrano (71® 52' w. L.) bis zum Lago S. Martin (49®
s. Br.); von hier bis zum Seno Ultima Esperanza beinahe gänzlich in der
Richtung von 72® 30' w. L.
Die Vorkordillere besteht aus vorwiegend cretaceischen Sedimenten (wie
zahlreiche Gesteinsproben erwiesen, die ich dem jüngst verstorbenen chile-
nischen Staatsgeologen R. Pöhlmann zur Untersuchung mitbrachte); diese be-
finden sich zum Teil metamorphisch in stark dislozierter Lagerung. Jedoch
nehmen auch eruptive Gesteine (wie ich sie im Valle Cholila fand), Granite,
Diorite u. a. am Aufbau der Vorkordillere teil. Hauthal fand sie in der
interessanten Form von Laccolithen z. B. am Cerro Payne, am Cerro Fitz Roy.
Nun folgen nach Westen große, meist tektonische Längsdepressionen, an
die sich die Hauptkordillere anlehnt. Diese Längsdepressionen sind triften-
reiche Täler und der Hauptstreitgegenstand beider Länder gewesen. Sie ziehen
vom Nahuelhuapi über das Valle Nuevo (im obem Puelogebiet), Pampa
Epuyen, Cholila (Quellgebiet des Yelcho-Futaleufü), obere Palenagebiet (Kolonie
16. Oktober, Valle Frio, Carrileufu); dann verläuft die Grenze weiter südlich
nach dem Westende des Lago Cochrane (L. Puejrredon der argentinischen
Karten), über das Längstal des Lago Vulkan, nach den Lagos Azara, Nansen,
dem Rio Mayer. Von hier etwas nach Westen abweichend zum Ostfuß des
Cerro Fitz Roy (der kein Vulkan sondern ein granitischer Laccolith ist), und
dann, die Seen Viedma, Argentino, Dickson, Hauthal östlich lassend, zum
Westende des Seno Ultima Esperanza.
Die eigentliche Hauptkordillere, die den Rand des pacifischen Meeres
begleitet, besteht vorwiegend aus alten Eruptivgesteinen, meist Graniten wie
die Proben ergaben; untergeordnet treten auch metamorphe Gesteine auf.
Diese Hochkordillere weist allerdings eine deutliche Hochkette auf, die ja
durch viele große Quertäler in einzelne Massive gesondert erscheint. Es sind
gewaltige Schneemassive mit Ansätzen zur Gletscherbildung.
Dicht an der Küste ziehen dann vom S©»o Reloncavi an (unter 41 V,®
s. Br.) eine Reihe Vulkane. Unvergeßlich bleibt mir der Eindruck, den ich
bei klarem Wetter von der Höhe der Insel Tenglo im Hafen von Puerto Montt
Die Regelung des argentinisch-chileniBchen Grenzstreites. 163
aus hatte, als sich ein Teil dieser Vulkane (vom Yanteles bis Melimoyu), wie
an einer Schnur aufgereiht, dem entzückten Auge darbot.
Ein näheres Studium der großen patagonischen Andenseen verdeutlicht
noch mehr die oben erläuterte Gliederung Westpatagoniens. Betrachten wir
z. B., sagt Hauthal, den Lago Buenos Aires oder den Lago Argentino. Ihr
östlicher, in der Region der Mesetas gelegener Teil ist breit, gerundet und
nicht von großer Tiefe, im Gegenteil, sehr flach auslaufend. Der in der Vor-
kordillere gelegene Teil verschmälert und vertieft sich, während die in die
eigentliche Kordülere noch eindringenden Arme vollständig den Charakter
schmaler tiefer Fjorde annehmen; dieser charakteristische Wechsel der Gestalt
ist vorwiegend bedingt durch das verschiedene Gesteinsmaterial. Ich habe an
den nördlicher gelegenen, von mir besuchten Seen gleiche Erfahrungen gemacht.
An dieser Stelle möchte ich eine Erwiderung an die von Hauthal auch
gegen mich gerichtete Polemik anbringen. Er hält das Zusammenwerfen der
Begriffe „Encadenamiento principal de los Andes" und „Divortium aquarum"
ftlr eine geographische Ungeheuerlichkeit. Im Spanischen sind, wie mir zahl-
reiche in ihrer Muttersprache wissenschaftlich bewanderte Zeugen erklärt
haben, beide Begriffe synonym, und von dieser Voraussetzung aus, habe ich
diese Begriffe auch verwendet; mag man zwischen Vor- und Hauptkordillere
unterscheiden oder nicht, oder mag man dafür einfach „andine Region^' setzen
(was ja auch die Argentiner tun), so bleibt die chilenische Grenzlinie, die
oben angegeben ist, inuner innerhalb der Kordillere als solcher. Erst jenseits
derselben nach Osten zu beginnen die pampinen Mesetas, die Chile nie für
sich beansprucht hat. Außerdem habe ich in der Rezension von Serrano^)
nur dessen Meinung wiedergegeben und nicht die meinige.
Was hat nun das englische Schiedsgericht entschieden, das nicht nur
die Streitigkeiten vom 40.® bis zum 52.® s. Br. zum Austrag gebracht hat,
sondern das auch die alte Streitfrage über den Paso San Francisco in Nord-
Chile (etwa unter 2672 s. Br. am SW. Ende der Puna) regelte?
Nach Artikel 1 des Schiedsspruches wird die Grenzlinie zwischen Chile
imd Argentinien in der Region des Paso San Francisco durch die interozea-
nische Wasserscheide gebildet, die sich vom bereits aufgestellten Grenzstein
(„hito") bis zum Monte Tres Cruces erstreckt.
Dem 2. Artikel zufolge wird die Senke des Lacarsees (östlich von
Valdivia) den Argentiniern zuerkannt.
Gemäß Artikel 3 verläuft sie vom Perez Rosales-Paß an (nahe dem
Nordende des Nahuelhuapi) bis zum Lago Viedma über den Tronador, durch-
schneidet die Flußsysteme des Manso, Puelo, Futaleufu-Yelcho, Palena, indem
der Oberlauf dreier Ströme an Argentinien, ihr Unterlauf an Chile fällt. Da-
mit kommen, resp. verbleiben bei Argentinien die Täler Villegas, Nuevo,
Cholila, Colonia 16 de Oetobre, Frio, Huemules y Corcovado oder Carri-
leufii (d. h. oberer Palena). Die Linie verläuft weiter über den Lago General
Paz (Quellsee des Carrileufu), kreuzt den Rio Pico und geht zur interozea-
1) Limites con la Repüblica Argentina per R. M. Serrano. Pet. Mitt. 1900.
Lit Nr. 466.
164 P. Stange: DieRegelung d. argentitiisch-chilenischen Grenzstreites.
nischen Wasserscheide auf der „loma Baguales"; sie verfolgt diese bis zur
„cumbre Galera". Hier verläßt sie wieder die interozeanische Scheide, durch-
quert die Lagos Buenos- Aires, Cochrane und San Martin, indem sie über den
Monte Cochrane oder S. Lorenzo zum Cerro Fitz Roy verläuft. Vom Cerro Fitz
Roy bis zum Monte Stokes fällt sie wieder mit der Wasserscheide zusammen.
Der 4. Artikel bestimmt die Grenze zwischen dem Monte Stokes und
dem schon früher endgültig als Grenze festgelegten 52. Breitengrad. Sie
verläuft anfangs üj)er die „ Sien-a Baguales'*, verläßt diese sodann und zieht über
den Rio Viscachas zum Monte Cazador, an dessen Südostende der Rio Ouillermo
gekreuzt wird; im Osten des Mont« Solitario vereinigt sie sich wieder mit
der Wasserscheide; somit verbleibt der Seno Ultima Esperanza Chile, wenn
auch die argentinische Grenze sich ihm auf 8 — 25 Meilen nähert. Es ist
dies überhaupt der Punkt, wo auf der ganzen Linie Argentinien fast den
pacifischen Ozean erreicht.
Welche Vor- oder Nachteile hat nun diese englische Grenzlinie gebracht?
Schon der erste Blick zeigt uns, daß, mit Ausnahme der Region am Monte
S. Valentin und Lago Buenos Aires, die chilenischen Ansprüche aufs stärkste
beschnitten worden sind. Die fruchtbaren Längstäler, östlich der höchsten
Ketten, sind ganz in argentinischen Händen; überall wo ein argentinischer
Kolonist sitzt, ist das betreffende Land an Argentinien gefallen, wie z. B.
Koßlowsky am obem Aisen, Contreras an der Ultima Esperanza u. s. w.
Lacar und das obere Mansotal, Valdivia und Puerto Montt so nahe liegend,
sind geradezu herausfordernd für Chile. Argentinien besitzt mit Ausnahme
des kleinen Tales des Rio Cisne die Hälfte aller pacifischen Täler. Da seine
Grenzlinie an den Strömen dahin fällt, wo die „Angosturas" liegen, die ja
vorläufig noch schwer passierbare Engpässe sind, so wird in kommender Zeit
mit sich entwickelndem Handel, bei Eröffnung von den Stromlauf folgenden
Wegen, Argentinien schnell und leicht am pacifischen Ozean sein. Bald nach
Passieren dieser Angosturas beginnt die ruhige Stromfahrt auf den ruhigen
und tiefen Fjorden, in die die 14 größten westpatagonischen Ströme sich er-
gießen. Praktisch also ist Argentinien durch die so weit nach Westen vor-
geschobene Linie Besitzerin der pacifischen Küste; das, was an Land hier für
Chile bleibt, sind wüste gebirgserfüUte Striche, die höchstens dem Holzfäller,
nur in sehr beschränktem Maße dem Viehhirten Raum zur Betätigung übrig
lassen. Noch ehe der englische Schiedsspruch fiel, hatte Fr. Fonck, vor
Jahren schon in seinem schönen Werke ^) über die Reisen des Padre Menendez,
und letzthin in seinem „Examen Critico de la Obra del Senor Argentino
Fr. P. Moreno" (Valparaiso 1902) auf diese von mir angeführte Gefahr der
argentinischen Prätensioneu mit voller Klarheit hingewiesen. Leider sind
seine klaren und auf tiefer wissenschaftlicher Einsicht gegründeten Worte im
Winde verhallt. Kurz, die Weisheit des englischen Schiedsspruches ist sehr
gering; statt den Knoten zu lösen, durchhaut er ihn. Das chilenische Volk,
wie seine Regierung, die jederzeit vor gesetzlichen Abmachungen hohe Achtung
zeigten, werden sich auch in diesen Ausgang der Angelegenheit zu finden wissen.
1) Libro de los Dianes de Fray Francisco Menendez. Valparaiso, 1900.
V. HantzBch: D ie Karten Sammlung der königl. Bibliothek zu Dresden. 165
Die Kartensammlung der kfinigl. Bibliothek zu Dresden.
Bekanntlich hat das Studium der Geschichte der Kartographie in den
letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Man hat sich nicht nur ein-
gehend mit den Werken einzelner Kartenzeichner beschäftigt, sondern auch
die Entwicklung der kartographischen Darstellung einzelner Länder von den
Anfängen bis auf die Gegenwart verfolgt. Trotz dieser zahlreichen und wert-
vollen Spezialuntersuchungen ist auf dem Gebiete der Geschichte des Karten-
wesens noch sehr viel zu tun. Daß in Deutschland bisher nicht mehr ge-
leistet wurde, lag hauptsächlich daran, daß es bei uns nur wenige große
und wohlgeordnete Landkartensammlungen gibt. Eine der umfangreichsten
dürfte die der königl. Bibliothek in Dresden sein, deren Ordnung nach mehr-
jähriger Arbeit kürzlich vollendet wurde. Sie zerfällt in vier Abteilungen.
Die erste, in einem besonderen Baume untergebracht, umfaßt in mehr als
600 Bänden eine große Anzahl von Atlanten über alle Teile der Erde. Wir
bemerken unter ihnen die meisten seit dem 15. Jahrhundert gedruckten Aus-
gaben der Geographie des Ptolemäus, dann das Theatrum orbis terrarum des
Abraham Ortelius in 10 und den Atlas des Gerhard Mercator in 14 Ausgaben,
femer noch aus dem 16. Jahrhundert 15 Ausgaben von Sebastian Münsters
Kosmographie, Christoph Froschowers Landtafeln, das Speculum orbis ter-
rarum des Gerard de Jode und die Kartenwerke des Matthias Quad, aus
dem 17. die teilweise vielbändigen, meist illuminierten Atlanten der großen
holländischen Kartenverleger Hondius, Blaeu, Jansson, Visscher und de Wit,
der beiden Franzosen Sanson und des Italieners Coronelli, aus dem 18. die
von Schenk, de Fer, Nolin, Homann imd den Homännischen Erben, Schreiber
und Reilly. An historischen Atlanten finden wir die von Jansson, Chätelain
und Gueudeville, Köhler, d^ Anville und Bonne, von Seeatlanten die von
Waghenaer, Blaeu, Dudley, Goos, van Keulen, Doncker ubd Renard, den
Neptune fran9ois und den Neptune oriental, sowie die Liselbücher von Bor-
done, Porcacchi und Coronelli, von neueren Sammlungen älterer Karten die
von Lelewel, Jomard, Nordenskiöld und Kretschmer. Außerdem sind als
besonders merkwürdig zu erwähnen der berühmte Atlas royal, ein Prachtwerk
in 19 Bänden größten Folioformats, das August der Starke in den Jahren
1707 — 1710 zu Amsterdam von den geschicktesten Zeichnern, Malern und
Kupferstechern mit einem Kostenaufwande von 19 000 Talern anfertigen ließ,
und der gleichfalls sehr reichhaltige Atlas electoral in 25 Bänden, der 1793
für den Privatgebrauch des Kurfürsten Friedrich August des Gerechten zu-
sammengestellt wurde. — Die zweite Abteilimg umfaßt die sehr zahlreichen
Atlanten und Karten einzelner Länder, soweit sie in Buchform gebunden
oder in buchförmigen Kapseln verschiedensten Formats untergebracht sind.
Diese werden nicht zusammen in einem besonderen Räume der Bibliothek
aufbewahrt, sondern stehen vereinzelt unter den gedruckten Büchern ver-
wandten Inhalts. — Die dritte Abteilung bUden die gebundenen oder ein-
gerahmten handschriftlichen Karten. Unter ihnen befinden sich wertvolle
und in der Literatur wiederholt gewürdigte Seltenheiten, so zwei portugiesische
Seekarten auf Pergament von Pero Femandez aus Oporto, die eine von
1528, die andere undatiert, zwei sehr sorgfältig ausgeführte Atlanten von
der Hand des fleißigen italienischen Kartenmalers Battista Agnese aus den
Jahren 1536 und 1544, eine für die Entdeckungsgeschichte wichtige Welt-
166 Y.HantzBch: DieEartensammlungderkönigl.BibliothekzaDreBden.
karte des Nicolas Desliens aus Dieppe von 1541, eine katalonische Pergament-
karte des Mittelmeeres von Banet Panades aus Mallorka von 1557, ein
prachtvoll illuminierter Seeatlas, gefertigt 1568 von dem portugiesischen
Kartographen Diego Homem, 16 kleine Landtafeln einzelner Gegenden Kur-
sachsens nach Vermessungen des Kurfürsten Vater August, zwei Karten der
sächsischen Lande von Hiob Magdeburg, die größere, leider nicht völlig wohl
erhaltene, von 1566, die kleinere, in herzförmiger Gestalt, von 1584, sowie
eine auf Glas gemalte Karte Mitteleuropas aus der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts. — Die vierte Abteilung der Sammlung ist die umfang-
reichste. Sie umfaßt gegen 30000 meist gedruckte, zum Teil aber auch
gezeichnete, in Mappen aufbewahrte Einzelblattkarten, darunter 4000 auf
Sachsen bezügliche. Sie sind zunächst systematisch nach Ländern und inner-
halb dieser Gruppen wieder chronologisch oder nach ihrer genetischen Zu-
samimengehörigkeit geordnet. Will sich also jemand über die allmähliche
Entwicklung der kartographischen Darstellung eines Gebietes unterrichten, so
braucht er sich nur die betreffenden Mappen vorlegen zu lassen. Für die
Zeit bis 1800 ist eine schöne, wenn natürlich auch bei weitem nicht absolute
Vollständigkeit erreicht. Dagegen sind für das 19. Jahrhundert noch sehr
beträchtliche Lücken auszufüllen. Als hervorragende Seltenheiten dieser Ab-
teilung mögen genannt werden Georg Glockendons Straßenkarte des heiligen
römischen Reiches aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts, Hiob Magde-
burgs Holzschnittkärte des Meißnerlandes von 1562, Philipp Apians Bayrische
Landtafeln von 1568, eine anonyme Chorographie von Meißen und Thüringen
aus der Zeit um 1570, die ich dem Matthäus Nefe zuschreiben möchte, so-
wie eine größere Anzahl alter handschriftlicher Karten einzelner Teile der kur-
sächsischen Länder, darunter Blätter von Matthias öder und Adam Friedrich
Zümer. Neben den Landkarten sind auch mehrere tausend zum Teil aus
geschichtlichen und geographischen Bilderwerken herausgeschnittene Pläne
und Ansichten von Ortschaften und berühmten Gebäuden vorhanden.
um die Benutzung der Kartensammlung zu erleichtem, ist in den letzten
Jahren ein Zettelkatalog angefertigt worden, der gegen 30000 Titelkopien
umfaßt und allen denen, welche zu wissenschaftlichen Zwecken irgend eine
Abteilung durchzusehen wünschen, zimächst zur Kenntnisnahme vorgelegt
wird. Mit seiner Hilfe kann sich jeder, der Karten eines bestimmten Gebietes,
Pläne oder Ansichten irgend eines Ortes sucht, in wenig Minuten unter-
richten, ob er Studienmaterial für seine Zwecke vorfindet. Für diejenigen
Benutzer, welche ein bestimmtes Werk oder alle vorhandenen Arbeiten eines
einzelnen Kartographen kennen zu lernen wünschen, ist ein alphabetisch ge-
ordnetes Autorenregister von gegen 40000 Zetteln vorhanden, das seiner
Vollendung entgegengeht und die Namen und Werke aller in der Sammlung
vertretenen Zeichner, Stecher, Herausgeber und Verleger von Karten ver-
zeichnet. Eine Drucklegung beider Kataloge ist nicht geplant. Nur die auf
Sachsen bezüglichen Titelkopien sollen der zur Zeit in Bearbeitung begriffenen
„Bibliographie der sächsischen Geschichte" einverleibt werden. Einige der
wichtigsten handschriftlichen Schätze, darunter Homems Atlas und Desliens'
Weltkarte, sollen demnächst in photographischer Reproduktion erscheinen.
Auch eine ausführliche Geschichte imd Beschreibung der Sanmilung dürfte in
einiger Zeit veröffentlicht werden.
Dresden. Viktor Hantzsch.
J. Früh: Zur Bestimmung der Oberflächenentwicklung. 167
Znr Bestimmnng der Oberflächenentwicklung.
Nach dem Vorgange von J. Bruch 1887 und den vereinfachten Me-
thoden von Finsterwalder, Penck und Peucker wird das wahre Areal
auf Grund von Isohypsenkarten mittelst des mittleren Böschungswinkels be-
rechnet. Die Vergrößerung des in der Karte dargestellten Areals wurde
beispielsweise für den Böhmerwald zu 1,0 7o bestinamt, für den Kaiserstuhl
in Baden zu 1,62 7o» <iön Vesuv, Chasseral (Schweizer Jura) zu 47oi die
Ennsthaler Alpen zu 10% und die Jungfraugruppe zu 24,0%. Mit Recht
nennt Peucker die für die Alpen gewonnenen Daten Minimalwerte, weil —
fügen wir hinzu — das Kartenbild in der Felsregion für kurvimetrische
Arbeiten selbst bei großen Maßstäben nicht die wünschenswerte Genauigkeit
♦ darbietet.
Reliefkarten im Sinne von Modellen sind unter Umständen geeigneter.
Handelt es sich bloß darum, den Unterschied zwischen der Horizontal-
projektion imd der wahren Oberfläche zu demonstrieren, um überhaupt auf die
Beziehung aufmerksam zu machen, so genügen durch Prägung hergestellte
Reliefkarten von Gebirgen aus Papier mache, wie sie für Blinde (Kimz in
nizach) oder für den Unterricht überhaupt durch die Firmen C. Deichmann
in Kassel, E. Bertraux in Paris u. a. hergestellt worden sind. Solche
Karten sind zerrissen bis durchlöchert! Vergleicht man die geologische Karte
der Schweiz in 1:500000 von A. Heim und C. Schmidt mit dem nach
gleicher aufgedruckter Farbenskala und in gleichem Maßstabe erstellten geo-
logischen Relief der Schweiz von F. Brüngger, so erscheinen beispielsweise
auf letzterem die roten Töne der kiystallinen Hochgebirge heller, weil sie
auf größere Flächen verteilt sind als auf der Karte.
In einem Fall gelang es, die Oberflächenentwicklung zu bestinunen. Seit
langem ist Prof. Heim beschäftigt, ein Relief des Säntisgebirges in 1 : 5000
zu erstellen, welches an Genauigkeit und wissenschaftlicher Au^ssung alle
bisherigen Darstellungen weit übertriflFt. Das Gebirge wurde unter Wahrung
sämtlicher eingemessener Punkte eigentlich erst recht durch geologische und
photographische Aufnahmen aufgebaut. Zum erstenmal sieht man den wunder-
vollen Formenreichtum. Selbst 3 m dicke Schichten sind noch ausgedrückt,
und das Kartenbild in 1 : 25 000, welches als solches mit anderen Hoch-
gebirgsblättem konkurrieren darf, erscheint in den Felspartien fast nur als
Schatten im Vergleich zu dem Modell. Nach dem durch Abwart Dreyer
meisterhaft ausgeführten Abguß einer Sektion und dem Umguß der Gelatine-
matrize in Platten von nahezu gleicher Dicke wie die Matrize fand Dreyer,
daß letztere eine fast doppelt so große Fläche einnehmen dürfte als die
Grundfläche des Reliefs. Dies sollte bei einer zweiten Sektion, welche bei-
nahe vollständig in Blatt Nr. 240 (Säntis) des Topogr. Atlas der Schweiz ent-
halten ist, möglichst genau festgestellt werden. Sie reicht im NW westlich
der „Türme*' in 1390m, im NE zur Alp Maus 1530 m, im SW ans West-
ende des Gulmen in 1570 m und sinkt im SE in der Richtung gegen das
Dorf Garns im Rheintal auf 690 m herab. Das Areal beträgt 31,05 qkm
und umschließt den schönsten Teil der Faltung mit vier bis fünf orogra-
phisch ausgesprochenen Zügen: Türme- Altenalp (2052 m), Roßmad-Meglisalp,
Altmann -Hundstein (2438 m und 2159 m), Kraialp-Roslen (1992 m und
2154 m) und Gulmen -Kreuzberge (2004 und 2058 m). Zwischen ihnen
168 J- Früh: Zur Bestimmung der Oberflächenentwicklung.
liegen topographisch sechs Muldentäler einschließlich des 1,139 qkm großen
Seealpsees und des einsamen 1,1 km langen, 100—125 m breiten Fählensees
mit 1,448 qkm Nur gegen die SE-Ecke ist ein 4,7 qkm großes Dreieck
zwischen 1300 bis 690 m, dessen Böschung durchschnittlich kaum 15^ be-
tragen dürfte.
Auf der Karte ist das Areal ein Bechteck von 184 auf 270 mm, im
Relief 1:5000 von entsprechend 92 auf 135 cm, mithin von 12 420cm^
Nach einem nicht näher zu beschreibenden Verfahren betrug die Dicke der
überall nach einer „Lehre" sorgfältig aufgetragenen (gegossenen!) Matrize
11 mm. Sie konnte tadellos als Ganzes abgehoben und in einem als Kegel-
stumpf geformten Geschirr zur Volumenbestimmung umgeschmolzen werden.
Das Volumen der die ursprüngliche Konsistenz erhaltenen Gelatine berechnete
sich auf 25 958 cm^, mithin die Oberfläche der Matrize oder des Reliefs zu
23 598 cm^ woraus sich eine Zunahme des Areals von 23 598:12420 = 1,9
oder 90% ergibt. Die wirkliche Oberfläche dieses eng gefalteten Gebirgs-
teiles bebrägt mithin 58,99 qkm gegen 31,05 der Horizontalprojektion.
Hierbei durfte die Erhebung des Areals der Karte auf das Niveau des
tiefsten Punktes (etwa 690 m) vernachlässigt werden, da dieselbe höchstens
eine Vergrößerung um etwa % Hektar ergeben würde. Das Resultat muß
überraschen gegenüber den 24% <i^r Jungfraugruppe und den 59,49%,
welche J. Bruch fttr ein 57,64 qkm großes Kartenareal im Rätikon nach
Isohypsen von 20 zu 20 m, höher oben von 100 zu 100 m berechnet hat.
Auf den ersten Blick zeigen sich aber in diesen beiden Gebieten zahlreiche
flache Böschungen, nicht bloß auf den Firnen des Berner Oberlands, sondern
auch zwischen Dorf Brand, der Scesaplana 2962 m und dem Schweizertor
2 1 50 m in Vorarlberg. Hier dagegen eine die Schneelinie kaum erreichende,
durchlässige Faltenscharung mit steilen Schenkeln von Schrattenkalk, welche
gelegentlich gleich den „Dolomiten" 100 — 300 m über die Umgebung ragen
und verlockende Ziele der Klubisten bilden. Nach den am Relief bergmän-
nisch genommenen Winkeln gibt es zahlreiche Wände, ganze Züge, mit
Böschungen über 45^. Es zeigen Roßmad 45^, Südseite der Teselalp 52^,
Südseite des Altmann 71®, Nordgehänge des Fählenseetales 60®, Wildsee-
türme 70—80®, Gloggeren 70 — 80®, Kreuzberge bis 90®. Nicht nur sind
diese auf der Karte maximal verkürzten und eng gedrängten Flächenelemente
auf der Matrize vollständig erhalten, sondern das Relief bietet noch eine Un-
zahl kantiger, ein- und ausspringender Detailformen, welche beispielsweise für
die Bestrahlungsvorgänge sehr ins Gewicht fallen, aber selbst in Karten
großen Maßstabes kaum ausgedrückt und daher nicht in Rechnung gezogen
werden könnten. Ob sich die kleinen und bei diesem Verfahren nicht ganz
zu vermeidenden negativen und positiven Fehler gegenseitig aufheben, war
nicht zu kontrollieren. Selbst dann, wenn das Ergebnis um 5®/^ zu groß ist,
wofür kein zwingender Grund vorliegt, ist es noch überraschend.
J. Früh.
Geographische Neuigkeiten.
169
Geographische Neuigkeiten.
Allgemeines.
* Eine Erdbebenliste für das
Jahr 1902 stellt die Wochenschrift „Eng-
lish Mechanic^^ zusammen. Das letzt-
vergangene Jahr nimmt wegen der Häu-
figkeit und Heftigkeit seiner Erdbeben
eine besondere Stellung ein, nament-
lich im Zusammenhang mit den Yulkan-
ausbrüchen. Zeitlich den ersten Platz
nimmt das große Erdbeben von Schemacha
in Transkaukasien am 14. Februar ein.
Die Opfer dieser gewaltigen Erderschütte-
rung zählten nach Tausenden, und über
20 000 Menschen wurden ihres Obdachs
beraubt. Im April kamen Nachrichten
von schweren Erdbeben aus Guatemala;
das ganze Land war während 48 Stunden
heftigen Stößen ausgesetzt gewesen, zwei
Städte wurden völlig zerstört und ent-
setzliche Grewitter begleiteten die Beben.
Im Mai begannen die starken Vulkan-
ausbrüche in Westindien, und ihnen ging
am 30. April ein Erdbeben voraus, das
sich in Südengland heftig fühlbar machte.
Die Katastrophe auf Martinique und
St. Vincent kostete im ganzen gegen
22 000 Menschen das Leben. Am 6. Juli
ereignete sich ein heftiger Erdstoß auf
der Halbinsel Saloniki, der ebenfalls Ver-
luste an Menschenleben, eine große Panik
und viele Schäden an den Häusern ver-
ursachte. Das 1000 Kilometer entfernte
Observatorium in Laibach konnte den
Verlauf dieser Erdbewegung genau ver-
folgen. Gegen Ende August wurde Nica-
ragua der Schauplatz von Erderschütte-
rungen, und die anschließende Eruption
des Vulkans von Masaja versetzte die
Umgebung in großen Schrecken. Am
22. August kam die Kunde von einem
entsetzlichen Erdbeben in Innerasien mit
dem Zentrum in Kaschgar. Am 27. Sep-
tember fegte ein gewaltiges Unwetter über
Sicilien unter gleichzeitiger Erregung der
dortigen Vulkane. In Schottland traten
am 14. Oktober Erdbeben auf, am 24. Ok-
tober wurde ein scharfer Stoß in Rom
verspürt, in den letzten Tagen des Oktober
hatte wieder Guatemala schwer zu leiden.
Endlich brachte der Schluß des Jahres
noch die Kunde von der völligen Zer-
störung der Stadt Andischan durch ein
Erdbeben.
Europa.
* NeueEisenbahnen inFinnland.
Am 1. November 1902 wurden im Groß-
fürstentume Finnland im nördlichsten und
südlichsten Teile des Landes zwei wich-
tige Linien dem Verkehre übergeben. Die
eine Bahn führt von Uleaborg nach Kemi
und bildet eine Teilstrecke der Linie
Uleaborg — Tomea, der nördlichsten Eisen-
bahn Finnlands. Die Gesamtlänge der Ulea-
borg— Tomea -Eisenbahn bis zur schwe-
dischen Grenze wird rund 340 km um-
fassen, die Teilstrecke Uleaborg— Kemi
ist etwa 110 km lang. Diese Linie ist
gleichzeitig die brückenreichste Bahn Finn-
lands, denn sie besitzt nicht weniger als
42 Brücken. Die Eröffnung des Betriebes
auf der Strecke Kemi — Tomea kann erst
in diesem Jahre stattfinden. Die andere ist
als Küstenbahn des finnischen Meerbusens
von der Station Karis der Hyvinkäa —
Hangö - Eisenbahn nach Helsingfors ge-
führt und bildet die Fortsetzung der Linie
Abo— Karis. Sie durchschneidet ein dicht
bewohntes und reiches Gebiet und bildet
die kürzeste Verbindung zwischen der
Hauptstadt und dem wichtigen Hafenplatz
Abo, der früheren Hauptstadt Finnlands,
und Hangö, dessen Hafen selbst im Winter
nur auf kurze Zeit zufriert. A. R.
Asien.
y^ Der Ausfühmng des ursprünglichen
Planes der großen sibirischen Eisen-
bahn stellten sich am Baikal -See und
östlich davon derartige Schwierigkeiten
in den Weg, daß man zum größten Teil
davon Abstand nehmen und neue Pläne
ausarbeiten mußte. Da an der südlichen
Hälfte des Baikal -Sees die Gebirge so
nahe an den See herantreten, daß dort
eine Eisenbahn nur mit großen Opfern
an Zeit und Geld hätte gebaut werden
können, so hatte man sich entschlossen,
die Bahn vorläufig nicht um den See,
sondern quer über den See derart weiter-
zuführen, daß die Eisenbahnzüge auf
großen Trajektdampfem über den See
befördert werden sollten. Die Eisverhält-
nisse auf dem See erwiesen sich aber so
ungünstig, daß eine regelmäßige Beförde-
rung der Eisenbahnzüge nicht durch-
geführt werden konnte, so daß man sich
QeogTftphiiche Zeitschrift. 9. Jahrgang. 1908. 3. Heft.
12
170
Geographische Neuigkeiten.
zur sofortigen Ausföhmng der ümgehungs-
bahn des Baikal-Sees entschließen mußte.
Die geringeren Schwierigkeiten bietet das
Ostufer, auf dem der Bau der Strecke
von Kultuk am Südende des Sees nach
MjBOvaja bald zu Ende geführt sein
wird; ungleich größer sind sie auf
dem Westufer auf der Strecke zwischen
Listwenitschnaja und Kultuk, wo zwar
der Bau auch eifrig betrieben, aber
vor 1905 nicht beendet sein wird. Erst
dann wird eine ununterbrochene Schienen-
verbindung mit Ostasien hergestellt sein.
Eine weitere Änderung erfuhr der Plan
der transsibirischen Eisenbahn dadurch,
daß man den ursprünglichen Plan, die
Bahn längs der Schilka und des Amur
bis Chabarowsk zu führen uud sie dort
an die Üssuri-Bahn anzuschließen, fallen
ließ und die Bahn nur bis Strjetensk
an der Schilka baute, während man die
Hauptlinie südostwärbs durch die Man-
dschurei nach Port Arthur leitete.
Die ca. 2000 km lange eisenbahnlose
Strecke zwischen Stijetensk und Chaba-
rowsk wurde bisher auf Dampfern zurück-
gelegt, die auf der Schilka und dem Amur
fuhren. Da aber ein derartiger Verkehr
im Winter durch Zufrieren der Flüsse
unterbrochen wurde und auch im Sommer
wegen der Untiefen und Sandbänke nur
schwer aufrecht zu erhalten war, hat sich
die russische Regierung entschlossen, von
Strjetensk nach Chabarowsk eine Kunst-
straße zu bauen, deren Kosten auf 9,3 Mill.
Rubel veranschlagt worden sind. Die süd-
östwärts gerichtete Hauptlinie, die trans-
mandschurische Bahn, zweigt 120 km hinter
Tschita von der transsibirischen Haupt-
bahn ab, erreicht nach 300 km die chi-
nesische Grenze und führt dann ostwärts
zum Nordende des Dalai-Nor. Von hier
folgt die Bahn dem Tal des Chailar, über-
schreitet das Chin-gan-Gebirge und tritt
zuerst in das Tal des Jal, später in das
desl^onniunddesSungariein. In Charbin
teilt sich die Bahn abermals: Ein Zweig
führt ostwärts nach Wladiwostok; die
Hauptlinie geht südwärts über Kwang-
tsching-tsu und Mukden nach Port Arthur
mit Zweigbahnen nach Niutschwang (russ.
Inkor) und Dalny, dem neugegründeten
russischen Handelszentrum und Freihafen
an der Bucht von TaliSnwan.
* Im Sommer 1900 hat L. Berg im
Auftrag der k. r. geogr. Ges. den Aral-
see eingehend erforscht*). Vor allem
sollten die alten Aufnahmen von Buta-
kow und Pospjelow (1847/48) geprüft wer-
den, um die vielumstrittene Frage zu
entscheiden, ob der See wirklich im
Schwinden begriffen ist. Die neueste Ver-
messung ergab eine Wasserfläche von
67 962 qkm. Der See liegt 74 m über
dem Kaspischen Meere, also 48 m ü. d. M.
Im Verhältnis zu seiner gewaltigen Aus-
dehnung ist die Tiefe sehr gering, da nur
3% der Fläche mehr als 30 m tief sind;
die größte Tiefe ist 68, die mittlere 15 m.
Die Ufer sind im Osten und Süden sehr
flach, im Norden und Westen steil, zum
Teil felsig, bis 30 m hoch. Die Frage,
ob der See tatsächlich im Rückgang be-
griffen ist, d. h. ob der Wasserzufluß des
Amu-Darja und Syr-Darja die Verdun-
stung des Seewassers nicht zu ersetzen
vermag, verneint Berg auf Grund einer
Vergleichung des alten Nivellements mit
dem Wasserstand vom Sommer 1900. In
geschichtlicher Zeit ist eine Verminderung
des Sees nicht wahrnehmbar, im Gegen-
teil läßt sich gegen die Beobachtungen
von 1847/48 und 1874 ein Steigen um
rund 60 cm beobachten. Die Schwan-
kungen erklären sich aus einem perio-
dischen Wechsel des Zuflusses, der in ganz
ähnlicher Weise auch beim Kaspischen
Meere beobachtet worden ist. Diese Er-
scheinung wird für den Aralsee aus dem
Wechsel erklärt, dem die Schneemassen
auf den zentralasiatischen Hochgebirgs-
ländem unterliegen. Folgende Liste ver-
anschaulicht diese Schwankungen:
Min.: 1800 1835 1861 1885
Max.: 1820 1850 1880 1900/01.
Immanuel,
t Eine zweite Durchquerung von
Celebes an seiner breitesten Stelle von
Norden nach Süden haben vom 3. Juli
bis 3. Oktober vorigen Jahres die For-
schungsreisenden Paul und Fritz Sara-
sin glücklich durchgeführt. Die Reise,
welche von Palu an der gleichnamigen
Bucht im Nordwesten der Insel aus quer
durch die Insel nach Paloppo im inner-
sten Golf von Boni führte, drohte im Be-
ginn an der Feindseligkeit einiger Küsten -
stänune zu scheitern, weshalb ein Auf-
gebot von Regierungstruppen anfangs die
1) Beiträge zur Hydrologie des Aral-
sees. 62 S. IK. Taschkent, 1902. (Russisch.)
Geographische Neuigkeiten.
171
Expedition begleitete; weiter aber ver-
lief die Reise ohne StÖrong Die wissen-
schaftlichen Ergebnisse waren recht za-
friedenstellend. Man entdeckte ein großes
Floßsystem, den Koro, von dem man bis-
her nur die MQndung bei Lariang kannte,
während der Fluß noch selbst ganz un-
bekannt war, und ein hohes Gebirge,
Korouwe, das nach Schätzung der Reisen-
den bis 8600 in emporragt. Die während
der Reise angelegten ethnographischen,
zoologischen, botanischen und geologischen
Sammlungen, von denen ein Teil der zoo-
logischen an das Museum in Dresden ab-
gegeben worden ist, enthalten vieles Inter-
essante; die Lage einer großen Zahl von
Orten wurde astronomisch bestimmt und
ihre Höhe mit dem Siedethermometer ge-
messen, wodurch das bis jetzt nur fiktive
Kartenbild vom westlichen Zentral-Celebes
ansehnlich abgeändert werden wird. (Glo-
bus 83. Bd. S. 46.)
Afrika.
* Von der Nilprovinz, in der Emin
Pascha einst regierte und die gegenwärtig
einen Teil des englischen Uganda-Protek-
torates bildet, gab es bisher keine zu-
verlässige Karte, so daß die Verwaltung
der Provinz, in der noch eine Anzahl
meuternder sudanesischer Soldaten ihr
Wesen trieb, der englischen Regierung
nicht geringe Schwierigkeiten machte.
Der gegenwärtige Militär- und zugleich
auch Civilgouvemeur der Nilprovinz, Major
Radcliffe, hat nun auf zahlreichen Reisen
die Provinz systematisch aufgenommen
und die Ergebnisse in einer Karte ver-
verzeichnet, die im Geogr. Joum. Vol. XXI
S. 162 von Johnston, dem Gouverneur des
Uganda-Protektorates, veröffentlicht wor-
den ist. Neben einer Anzahl bisher wenig
oder gar nicht bekannter Flüsse verzeichnet
die Karte die erste genaue Aufnahme des
weißen Nils von seinem Austritt aus dem
Albert-See bis Dufile, die den seenartigen
Charakter des Flusses auch auf dieser
Strecke deutlich erkennen läßt. Besondere
Sorgfalt hat Major Radcliffe auf seiner
Karte auf die korrekte Schreibweise der
Namen von Dörfern, Bergen und Flüssen
verwandt, welche durch die eingewanderten
Bantus oft merkwürdige Veränderungen
erfahren hatte. Die jetzige von Radcliffe be-
gründete Regierungsstation der Nilprovinz
heißtNimule und liegt etwas oberhalbDufile.
Angtralien und aastralisehe Inseln.
'♦ Im „Adelaide Observer" vom 4. Okt.
finden sich einige Einzelheiten über eine
Reise, die H. W. Hill i. J. 1900 im Auf-
trage eines Syndikates in die Eastem Di-
vision West-Australiens unternommen
hatte. Hauptzweck war, in der Gegend
der Gebirgsketten, die ungeMir unter 26*^
8. Br. die große australische Wüste unter-
brechen, nach Erzen zu schürfen. Die
Route führte vom Wellsee in ostnordöst-
licher Richtung über dab Von -Treue-
Plateau und die Waburton-Barrow- und
Rawlinson- Kette über die Grenze von
Süd- Australien nach der Petermann-Kette.
Wie Maurice, der dasselbe Gebiet von
Süden her erreicht hat, ist auch Hill der
festen Überzeugung, daß ein Teil des er-
forschten Landes Gold führt. Er meint
auch, daß in der Gegend artesisches und
.subartesisches Wasser vorhanden isl, so
daß nicht nur die Einrichtung einer Ver-
bindungsstraße zwischen West- und Süd-
australien etwa unter 26 ^ s. Br. möglich
wäre, sondern auch der Bau der trans-
australischen Bahn. Daß periodischer
Regen, der manchmal sogar den Charakter
von Güssen annimmt, in der Nachbar-
schaft der erwähnten Gebirge fällt, wird
nach Hill durch die große Zahl von Creeks
bewiesen, die strahlenfdrmig von ihnen
ausgehen; allerdings scheint dann das
Wasser nach wenigen Kilometern unter
dem Sande zu verschwinden und seinen
Weg südwärts zum Meere in unterirdischen
Kanälen zu suchen. Inmitten der mit
Sand und Spinifexgras bedeckten Wüste
fand Hill Wasser in reichlicher Menge,
nachdem er durch das unter dem Sande
liegende zersetzte gneisähnliche Gestein
ein Loch von 6—6 m gegraben hatte.
(Globus 88. Bd. S. 68.)
• * Von einem eigenartigen Unglück
wurden die Paumotu- oder niedrigen
Inseln, die östlichste Gruppe der poly-
nesischen Inseln, heimgesucht. Am 13. Ja-
nuar trieb eine Reihe von Flutwellen
über die nur 20 Fuß über den Meeres-
spiegel emporragenden Koralleninseln hin-
weg, wodurch die meisten Bewohner der
Inseln, jedenfalls einige Tausend, ins Meer
geschleudert und getötet wurden. Nach
den Aussagen von überlebenden, die von
dem Dampfer Excelsior nach San Fran-
cisco gebracht wurden, nahm der Himmel
am 11. Januar eine eigentümliche Färbung
12*
172
Geographische Neuigkeiten.
an, die Luft wurde sehr drückend und es
setzte ein Sturm ein, dessen Stärke am
14. und 16. ihren Höhepunkt erreichte.
Am 13. jagten eine Anzahl von Flutwellen
über die Inseln hinweg, von denen jede
folgende die vorhergehende an Höhe und
Gewalt des Wassers übertraf, bis schließ-
lich eine 12 m hohe Wassermauer über
die Inseln dahinstrich, alles Lebendige
unter sich begrabend und alles Beweg-
liche mit sich fortreißend. Die Einwohner
hatten sich zum größten Teil auf die
Kokospalmen gerettet; da aber nur die
stärksten Bäume der Gewalt des Wassers
widerstanden, fanden die meisten ihren
Tod in den Fluten. Die Mehrzahl der
Inseln verloren ihre gesamte Bewohner-
schaft. Die Ursache der Springfluten mag
entweder in dem mehrere Tage wehenden
Orkan, oder in Seebeben, die vielleicht
mit den mittelamerikanischen Erdbeben
in ursächlichem Zusammenhange stehen,
zu suchen sein.
Nord- and Mittel-Amerika.
* In der Greschichte des Baus eines
interozeanischen Kanals in Mittel-
Amerika ist kürzlich ein Ereignis ein-
getreten, welches wahrscheinlich den
Schlußakt in diesem verwickelten Hergang
einleitet. Nach dem Abschluß des Haj-
Pauncefote -Vertrages 1902 (Jhrg. 1902
S. 106) war es sehr wahrscheinlich, daß
die Vereinigten Staaten den Nikaragua-
Kanal fertig bauen würden, da das Ee-
präsentantenhaus das hierauf bezügliche
Gesetz angenommen hatte und auch die
Annahme seitens des Senats als ganz
sicher angesehen werden konnte; die Be-
mühungen der Vertreter der Panama-
kanal-Baugesellschaft, die sämtlichen
Rechte der Gesellschaft und die bereits
von ihr ausgeführten Arbeiten am Kanal
den Vereinigten Staaten zu verkaufen,
waren bis dahin an der Höhe der fran-
zösischen Forderung und an der Unsicher-
heit der Rechtstitel der neuen Panama-
Gesellschaft gegenüber den Vereinigten
Staaten von Kolumbien gescheitert. Als
diese Forderung aber nach Annahme der
Nikaragua -Bill im Repräsentantenhause
auf 40 Mill. Doli, ermäßigt wurde, er-
mächtigte der Kongreß der Ver. Staaten
am 29. Juni 1902 den Präsidenten Roose-
velt nach vorheriger Prüfung der Rechts-
titel gegenüber Kolumbien alle Rechte
und das Eigentum der neuen Panama-
kanal-Gesellschaft für höchstens 40 Mill.
Doli, anzukaufen und mit Kolumbien einen
Vertrag abzuschließen, der den Ver.
Staaten den ausschließlichen und dauern-
den Einfluß über einen Landstreifen von
mindestens 6 Meilen Breite zu beiden
Seiten des Kanals und das Schutzrecht
über denselben sichert. Obgleich die
Prüfung der Rechtstitel günstig ausfiel,
verzögerte sich der Abschluß des Ver-
trages mit Kolumbien, das sich scheute,
seine Besitzrechte auf den Kanal an einen
fremden Staat abzutreten und dadurch
seine staatliche Selbständigkeit zu ge-
fährden, bis zum Januar 1903, wo die
Unterzeichnung erfolgte. Dieser Vertrag
sieht eine einmalige Zahlung von 10 Mill.
Gold -Dollar durch die Unionstaaten an
Kolumbien und eine jährliche Zahlung
von 260000 Dollar vor. Dafür tritt Ko-
lumbien einen 10 km breiten Land-
streifen an die Vereinigten Staaten ab,
welche die Jurisdiktion über den Kanal
und die Berechtigung erhalten , zum
Schutze des abgetretenen Gebietes Trup-
pen zu entsenden, falls Kolumbien dazu
nicht in der Lage ist. Das Gebiet am
Kanal soll neutral bleiben und die
Vereinigten Staaten garantieren die Ober-
hoheit Kolumbiens. Weiter verpflichtet
sich Kolumbien, keiner Macht inner-
halb des neutralen Gebietes Grund und
Boden für Kohlenstationen weder ab-
zutreten noch zu verpachten oder über-
haupt etwas gegen die Sicherheit oder
den freien Gebrauch des Kanals zu tun.
Panama und Colon werden zu freien Häfen
für die den Kanal durchfahrenden Kauf-
fahrteischiffe erklärt werden. Die Ver.
Staaten erhalten die Gerichtsbarkeit über
die durch den Kanal verbundenen Ge-
wässer und alle Hafenabgaben von den
durch den Kanal fahrenden Schifi^en.
14 Jahre nach dem Austausch der Rati-
fikationen soll der Kanal dem Handel ge-
öffnet werden. Wenn auch der definitive
Abschluß des Vertrages noch der Ge-
nehmigung der gesetzgebenden Körper-
schaften beider Staaten bedarf und
diese durch Parteikämpfe vielleicht noch
längere Zeit verzögert wird, so ist
doch an seiner endgültigen Annahme
kaum noch zu zweifeln und der
Bau des Panamakanals al8 gesichert an-
zusehen.
Geographische Neuigkeiten.
173
Polargegenden.
* Eisverhältnisse im Süden von
Kap Hoorn 1902. Nach einer Mitteilung
der ,,Annalen der Hydrographie'' (1903,
Heft 1) ist im Oktober 1902 im Süden
von Kap Hoorn ganz außergewöhnlich un-
günstiges Wetter angetroffen worden. Auch
wurde in 58» bis 59" s. Br. und 64« bis
67" w. L. mehrfach Eis gesichtet. Bis
jetzt läßt sich allerdings noch nicht er-
kennen, ob dies nur ein vereinzeltes Vor-
kommen ist oder ob ein allgemeines Vor-
rücken der Treibeisgrenze stattgefunden
hat. Nähere Nachrichten können erst im
Frühjahre, nach der Rückkehr der Kap
Hoom-Fahrer, erwartet werden. Immerhin
beanspruchen diese Meldungen ein weiteres
Interesse, da die Eisverhältnisse im Süden
für die gegenwärtig in der Antarktis be-
findlichen Südpolar-Expeditionen von größ-
tem Einfluß sind. M.
* Dem Plane einer Hilfsexpedition
für die Deutsche Südpolar-Expe-
dition ist man an maßgebender Stelle
bereits näher getreten, obgleich sich bis
auf die etwas verspätete Abfahrt von
Kerguelen - Insel in das antarktische Ge-
biet im Januar 1902 nichts Unvorher-
gesehenes ereignet hat, wovon wir Kenntnis
bekommen hätten. Man hat sich jedoch
in Anbetracht der schwierigen Schiffahrts-
verhältnisse in der Antarktis entschlossen,
mit der Entsendung einer Hilfsexpedition
nicht erst bis zum Jahre 1904 zu warten,
wie es in Aussicht genommen war für den
Fall, daß die Expedition i. J. 1903 nicht
zurückkehrte imd wir über den Verlauf
der Expedition im Jahre 1903 auch keine
Nachricht erhielten, sondern die Hilfs-
expedition bereits i. J. 1903 auszuschicken,
falls bis zum 1. Juni 1903 keine näheren
Nachrichten von der Expedition einge-
troffen sind. Infolgedessen sind in den
diesjährigen Etat für das Deutsche Reich
485000 uü zur Ausrüstung einer Hilfs-
expedition eingestellt worden.
* Über die wissenschaftlichen Ar-
beiten der schwedischen Südpolar-
expeditionauf denFalkland-Inseln
und in Feuerland berichtet der Ex-
peditionsgeolog Andersson im Geogr. Jour-
nal 21. Bd. S. 169: Nach der Rückkehr
der „Antarktik" von Südgeorgien nach
Port Stanley (8. Bd. S. 599) unternahmen
die Expeditionsmitglieder die verschieden-
sten Untersuchungen auf den Falkland-
Inseln. Der Botaniker sammelte Meeres-
algen und Landpflanzen, in den seichten
Meeresbuchten ¥nirden 17 Schleppnetzzüge
gemacht, die eine reiche Ausbeute lieferten ;
ebenso konnten auf dem Lande und im
Süßwasser viele Insekten, Mollusken und
Krusten tiere gesanmielt werden. Bei den
geologischen Untersuchungen ergaben sich
viele Funde mariner Fossilien im Devon-
Sandstein, aus dem die Inseln hauptsäch-
lich aufgebaut sind; als das Liegende
des Devons konnte bei Kap Meredith
Gneis und Granit beobachtet werden.
Spezielle Aufmerksamkeit wurde den für
die Falkland - Inseln charakteristischen
„Steinflüssen" gewidmet, deren Ursprung
der Verf. inSchneeschmelzwässem zu sehen
glaubt, welche zeitweise einen umfassen-
den Gesteinstrümmertransport talwärts
bewirken. Aus Beobachtungen an den
Küsten ergab sich eine doppelte Strand-
linienbewegung: die engen Flußtäler,
deren untere Teile unter das Niveau des
Meeres gesunken und mit Wasser an-
gefüllt waren, ließen erkennen, daß die
Inseln vor der Eiszeit zwischen 30 und
50 Fuß höher aus dem Meere emporragten,
während andererseits Strandterrassen da-
rauf hindeuteten, daß die Inseln in einer
postglacialen Periode mindestens 210 Fuß
tiefer in das Meer tauchten als gegen-
wärtig. — Auf der Rückfahrt von den
Falkland-Inseln nach Feuerland vom 11. bis
16. Sept. wurden weitere Schleppnetzzüge
gemacht, die wertvolles Material für die
Kenntnis der noch wenig bekannten Fauna
jener Meere lieferten, und in Feuerland
wurden die im März desselben Jahres be-
gonnenen Untersuchungen des Beagle-
Kanals fortgesetzt. Im November gedachte
dann die Expedition nach den Shetland-
Inseln zu gehen und hier kartographische,
biologische und geologische Untersuchun-
gen anzustellen, und gegen den 10. De-
zember sollt« die „Antarktik" wieder bei
der Hauptexpedition in Süd- Georgien sein.
Vereine und Versamminngen.
♦ Zum XIV. deutschen Geogra-
phentag haben der ständige Zentral-
ausschuß und der Kölner Ortsausschuß
eine Einladung auf den 2., 3. und 4. Juni
d. J. erlassen. Vorsitzender des Ortsaus-
schusses ist Prof. Dr. H. Schumacher,
der Studiendirektor der Kölner Handels-
Hochschule, Generalsekretär Prof. Dr. K.
174
GeographiBche Neuigkeiten.
HatiBert, an den auch die Anmeldungen
zum Besuch der Tagung erbeten werden.
Dies zur Berichtigung unserer Notiz im
n. Heft, in der es (S. 115 o.) natörlich
statt ,, Badener*' Aachener Becken heißen
muß.
Persönliches»
♦ Am 20. Februar starb in Görz, wo
er im Buhestand lebte, der frühere öster-
reichisch-ungarische Generalkonsul Karl
Ritter von Scherzer. Scherzer war
zuerst Schriftsetzer bei Brockhaus, bildete
sich dann weiter fort, studierte und trat
in österreichische Staatsdienste. Er be-
reiste 1862— 186Ö mit dem Naturforscher
Moritz Wagner Nord- und Mittelamerika
und nahm 1857 in leitender Stellung an
der Novara-Expedition teil. Außer reichen
Sammlungen brachte er von dieser Reise
ein vollständiges Tagebuch in die Heimat,
das die Grundlage zum „Beschreibenden
Teil" der „Reise der österreichischen
Fregatte xNovara« um die Erde in den
Jahren 1867-1859" bildete. Nach seiner
Rückkehr in den erblichen Ritterstand
erhoben, wurde Scherzer 1866 als Mini-
sterialrat in das österreichische Handels-
ministerium berufen, wo er die Abteilung
für Handelsstatistik und volkswirtschaft-
liche Publizistik organisierte. Als erster
Beamter und Leiter des handelspolitischen
und wissenschaftlichen Dienstes der ost-
asiatischen Expedition trat er 1869 seine
dritte Weltreise an. Seit 1872 wirkte
Scherzer als Generalkonsul in Smyma,
seit 1875 in London; 1878 wurde er zum
österreichisch-ungarischen Geschäftsträger
für die thüringischen Staaten und zum
Generalkonsul für das Königreich Sachsen
mit dem Sitz in Leipzig, im September
1884 zum Greneralkonsul in Genua, 1894
zum Generalkonsul 1. Klasse ernannt;
1896 trat er in den Ruhestand. Im Auf-
trage der österreichischen Regierung gab
er die „Fachmännischen Berichte über die
österreichisch-ungarische Expedition nach
Siam, China und Japan" heraus. Außer-
dem veröflTentlichte er: „Reisen in Nord-
amerika", „Die Republik Costa -Rica",
„Wanderungen durch die mittelamerika^
nischen Freistaaten Nicaragua, Honduras
und San Salvador", ,vA.us dem Natur-
und Völkerleben im tropischen Amerika",
den „Statistisch-kommerziellen Teil" der
Novara - Expedition, „Statistisch - kommer-
zielle Ergebnisse einer Reise um die
Erde etc.", „Smyma", „Las historias
del origen de los Indios de la pro-
vincia de Guatemala", „Weltindustrien.
Studien während einer Fürstenreise durch
die britischen Fabrikdistrikte", „Das
wirtschaftliche Leben der Völker".
(Leipziger Tgbl.)
* F. von Schwarz f- Am 8. Dez.
1847 in Bämstein bei Grafenau im baye-
rischen Wald geboren, begab er sich
nach Vollendung seiner mathematischen
und astronomischen Studien in München
1871 nach Rußland und wurde 1874 bis
1878 bei der topographischen Abteilung
des Generalstabs in Turkestan und den
angrenzenden Gebieten von Afghanistan
mit astronomischen, geodätischen und
erdmagnetischen Aufnahmen beschäftigt.
Dann übernahm er den meteorologischen
und erdmagnetischen Dienst an der
Sternwarte in Taschkent. 1889 verließ
er Rußland und lebte seitdem in Mün-
chen, wo er 1896 an das dortige neu
zu errichtende erdmagnetische Observa-
torium berufen wurde. 1902 trat er
wegen eines schweren Herzleidens in den
Ruhestand, das ihn auch veranlaßte, zu-
letzt Hand an sich selbst zu legen.
Seine „Astronomischen, magnetischen
und hypsometrischen Beobachtungen, aus-
geführt im Jahre 1886 in Buchara, Darwas,
Karategin, Fergana und im Syr-daija-
und Sarawschan- Bezirk" sind 1889 im
3. Bd. der Annalen der Sternwarte zu
Taschkent und dem Archiv der deutschen
Seewarte Bd. XV in Hamburg veröffent-
licht. Außerdem schrieb er: „Die Züge
Alexander des Großen", „Die Sintflut"
und „Turkestan, die Wiege der indoger-
manischen Völker*'.
Seine Verdienste um die geographische
Erforschung von Turkestan wurden 1882
durch die russische Geographische Gesell-
schaft mit der goldenen Medaille belohnt.
Auch hat ihm die russische Regierung
den persönlichen Adel verliehen. M.
♦ Am 1. Sept. V. J. starb zu Paris
General G. de La No6, der durch seine
topographisch - geographischen Arbeiten
bekannte Chef des „Service Gäographique
de TArmt^e". 1836 geboren, wurde er
schon als junger G^nie-Kapitän von Napo-
leon HI. der „Commission de la Topo-
graphie des Gaules" zugeteilt, der er bis
zu seinem Tode als eifriges Mitglied wie
Bücherbesprechungen.
175
als Präsident der Sektion fOr Geographie
angehörte. In dieser Eigenschaft veran-
laßte er 1889 eingehende Umfragen über
die BevölkerongsverhäHnisse Frankreichs
und die Zerstörungen des Meeres an der
französischen Küste. Vor allem aber ist
sein Name eng verknüpft mit den topo-
graphischen und kartographischen Ar-
beiten des französischen Generalstabs;
die Neuherausgabe der Generalstabskarten
1889, die Anleitungen zur Aufnahme von
Algier und Timis, die Neuauflage der
Karte von Frankreich in 1 : 200 000,
die lebhafte Unterstützung des Planes
einer Erdkarte im einheitlichen Maß-
stab 1:1000000 gehen auf ihn zurück.
In der wissenschaftlichen Geographie
hat er sich durch die gemeinsam mit
E. de Margerie 1888 herausgegebenen
„Formes du terrain" einen guten Namen
gemacht.
Zeitsehriften«
♦ Die Redaktion des „Globus**
übernimmt zu Ostern d. J. an Stelle von
Prof. Dr. Richard Andree, der sich
nach einähriger Redaktionstätigkeit von
den Geschäften zurückzieht, Dr. H. Singer.
* Unter dem Titel „Aus fernen
Landen" erscheint seit Anfang dieses
Jahres im Verlage von W. Süsserott, Ber-
lin, eine illustrierte Monatsschrift, die
nach dem Titel geographische und ge-
schichtliche Unterhaltungsblätter mit be-
sonderer Berücksichtigung der Kolonien
und Nachrichten aus der Deutschen Ko-
lonialschule „Wilhelmshof^' in Witzen-
hausen enthalten soll. Redigiert wird die
Zeitschrift von A. Seidel , dem Redakteur
der „Deutschen Kolonialzeitung**, unter
Mitwirkung von Direktor Fabarius in
Witzenhausen, Oberlehrer H. Fischer in
Berlin und W. Schmidt.
Bficherbespreehnngen.
Weltall und Menschheit. Geschichte
der Erforschung der Natur und der
Verwertung der Naturkräfte im Dienste
der Völker. Herausgegeben von Hans
Kraemer. Erster Band. 4^ XII u.
492 S. Viele Taf. u. Abb. Berlin,
Deutsches Verlagshaus Bong & Co.
geb. JL 16 —.
Ein groß angelegtes Werk, das zwar
nicht direkt geographisch ist, dessen In-
halt sich aber in vielen Teilen mit der
Geographie berührt und das deshalb auch
an dieser Stelle besprochen werden muß.
Ganz klar ist mir freilich der Plan des
Werkes auch nach der Einleitung des
Herausgebers nicht geworden, und ich
beschränke mich darum vorläufig auf den
Inhalt des ersten Bandes. In diesem sind
die Beziehungen zur Geographie besonders
eng, denn im ersten Teil behandelt
K. Sapper die Erforschung der festen
Erdrinde, im zweiten derselbe die Be-
ziehungen zwischen Erdrinde und Mensch-
heit, im dritten A.Marcusedie Erdphysik.
Sapper hat die Geschichte der Erforschung
der Erdrinde nach Gegenständen ge-
gliedert, indem er nach einander die Ent-
stehung und Beschafifenheit der Erde,
Vulkanismus und Gebirgsbildung, Ver-
steinerungen und Erdgeschichte, die geo-
logische Tätigkeit des Wassers und Windes
bespricht. Er hajb mit der Erforschungs-
geschichte in sehr geschickter Weise die
Darstellung der Tatsachen selbst verbun-
den und gibt auf diese Weise eine sehr
angenehm zu lesende Darstellung der
physikalischen Geographie und dynami-
schen Geologie. Auch der zweite Teil
hält sich nicht ganz an das eigentliche
Thema; denn während die direkten Be-
ziehungen zwischen Erdrinde und Men-
schen eigentlich etwas kurz abgetan wer-
den, wird wegen der indirekten Bedeutung
' far den Menschen auch der Einfluß der
I festen Erdrinde auf Klima und Pflanzen-
decke behandelt. Ich halte das nicht für
ganz glücklich, denn der Einfluß der festen
Erdrinde auf Klima und E^anzendecke ist
doch nur sekundär, und der unerfahrene
Leser kann darüber den primären Einfluß
der Breitenlage leicht zu gering ein-
schätzen. Aber gerade in diesen Ab-
schnitten finden sich auch die schönsten
Partien des Buches ; die Erörterungen über
die Bodenbildung wird auch der Fach-
mann mit Gewinn lesen. In der Dar-
stellung der Erdphysik von A. Marcuse
scheint mir der leitende Gesichtspunkt
des Werkes, die Beziehung auf den Men-
schen, ziemlich verloren zu gehen. Es
176
Bücherbesprechungen.
ist eine Darstellung des Erdmagnetismus,
der Ebbe und Flut, der Meteorologie,
ähnlich wie in anderen Büchern.
Die Ausstattung in Abbildungen, Druck,
Einband ist von einer Pracht und sucht
dabei mit dem Lehrreichen künstlerischen
Wert in einer Weise zu verbinden, wie
man es in solchen Werken bisher kaum
gekannt hat; daraus zusammen mit dem
verhältnismäßig niedrigen Preise erklärt
sich auch der ungeheure buchhändlerische
Erfolg. Manche Abbildungen wollen mir
freilich fast als Spielereien erscheinen;
aber die große Mehrzahl sind sehr ge-
lungen, und an solchen Farbentafeln,
wie den Landschafts- und Wolkenbildem
bei Föhn, Bora und andern Winden (nach
F. V. Kemer) muß man seine Freude
haben. A. Hettner.
Hngnes^ Lnigi* Cronologia delle sco-
perte e delle esplorazioni geo-
grafiche dair anno 1492 a tutto
il secolo XrX. Vm u. 487 S. Milano,
Ulrico Hoepli 1902. Lire 4.60.
Der Verf., der auf dem Gebiete der
Entdeckungsgeschichte bereits mit einer
großen Zahl von Einzeluntersuchungen
hervorgetreten ist, gibt in dem vorliegen-
den nützlichen und außerordentlich preis-
werten Werke eine chronologisch geord-
nete Übersicht über die wichtigsten Reisen
und Entdeckungen sowie über die (be-
schichte der Kartographie und der wissen-
schaftlichen Erdkunde von 1492 an bis auf
die Gegenwart. Er hat mit bewunderungs-
würdigem Fleiße die ungemein reiche und
zerstreute Literatur über diese Wissens-
gebiete durchforscht und die wesentlichen
Ergebnisse hier zusammengestellt. Daß
eine derartige vorzugsweise kompilato-
rische Arbeit nicht alle Wünsche gleich-
mäßig befriedigen kann, daß sie insbeson-
dere zahlreiche Versehen und Irrtümer ent-
halten muß, liegt auf der Hand. Manche
Leser werden sich daran stoßen, daß die
Zeit vor 1492 ausgeschlossen ist. Andere
werden den Mangel literarischer Nach-
weise beklagen, den der Verfasser durch
die Knappheit des Raumes zu entschul-
digen sucht. Noch andere werden finden,
daß das 19. Jahrhundert ungebührlich
bevorzugt ist, da es von 462 Teztseiten
nicht weniger als 300 umfaßt. Vom
deutschen Standpunkt aus ist zu bedauern,
daß von unsem vaterländischen Reisenden
und Forschem namentlich viele ältere
übersehen sind. Namen wie Samuel Braun,
Augerius Busbek, Samuel Fritz, Siegmund
von Herberstein, Georg Marggraf, Leon-
hard Rauwolf, Ulrich Schmidel, Balthasar
Springer, Hans Staden und andere dürften
nicht fehlen. Auch die geographischen
Verdienste der Jesuiten und der evan-
gelischen Missionare hätten ausgiebiger
gewürdigt werden müssen. Diese Mängel
vermögen aber nicht den Wert und die
Brauchbarkeit des Buches wesentlich zu
vermindern. Es ist vielmehr trotzdem als
ein nützliches und dankenswertes Unter-
nehmen zu bezeichnen, und es wäre sehr
zu wünschen, daß sich ein in der umfang-
reichen modernen Literatur der Geschichte
der Erdkunde wohlbewanderter deutscher
Bearbeiter fände, da Peschel-Ruges Ge-
schichte der Erdkunde und Embachers
Lexikon der Reisen von Jahr zu Jahr
mehr veralten und bereits jetzt in sehr
vielen Fällen völlig versagen.
Viktor HantzBch.
Brnnhes, J* Le travail des eaux
courantes: la tactique des tour-
billons. (Mdmoires de la Soci^tä
Fribourgeoise des sciences naturelles.
Geologie et Geographie ü, 4.) 71 S.
Abb. Freiburg (Schweiz), 1902.
Der bekannte Professor der Geographie
an der Universität in Freiburg (Schweiz)
hat sich in sehr dankenswerter Weise der
so oft genannten und doch nur ungenügend
untersuchten Riesen- oder Strudeltöpfe
(marmites) angenommen. Nachdem er in
der Nähe seines Wohnortes Gelegenheit
gehabt hatte, die schnelle Bildung solcher
Löcher innerhalb weniger Jahre zu be-
obachten, hat er die zahllosen derartigen
Hohlformen im ersten Nilkatarakt, dann
in den Alpentälem studiert. Er kommt
dabei zu recht wichtigen Ergebnissen.
Nach der Form des Bodens unterscheidet
er zwei Typen; der eine, mit konkavem
Boden, umfaßt die vollendeten, der andere,
mit einer kegelförmigen Erhöhung auf
dem Boden, die unvollendeten Strudel-
töpfe; letztere walten am Nilkatarakt,
erstere an den Wänden der alpinen
Schluchten vor. Die Ausarbeitung der
Töpfe, die nur in festem, nicht in locke-
rem oder zerspaltenem Gestein vorkommen,
geschieht durch das wirbelnde, rotierende
Wasser mit Hilfe von Sand, wogegen
Bücherbesprechungen.
177
einzelne größere Steine oder gar Geröll-
massen nur eine hindernde Last bilden
und in größerer Menge die weitere Aus-
kolkung verhindern. Das zeigt sich über-
zeugend am Nil, wo nur Sand vorhanden
ist. So ist die bisherige Vorstellung irrig,
die im Gletschergarten von Luzem zum
Ausdruck kommt, wo man in jeden Topf
einen „Mühlstein" als Urheber der „Glet-
schermühle" hineingelegt, bezw. darin
gelassen habe. Indem die StrudeUöcher
wachsen, vereinigen sie sich schließlich
vielfach und verwandeln den härtesten
Fels in eine Ruine. So bilden sie das
wichtigste Hilfsmittel des Wassers bei
Durchsägung von Felsriegeln und beim
Einschneiden von Schluchten in harten
Fels. In der Tat zeigen sich die Wände
alpiner Klammen, sofern die Erhaltungs-
bedingungen günstig sind, wie in der
Aare-, Tamina- Schlucht u. a., fast ganz
mit Teilen alter Strudellöcher bedeckt.
Es ist ein großes Verdienst des Ver-
fassers, diese hohe morphologische Be-
deutung der Strudeltöpfe ins rechte Licht
gesetzt zu haben. Treffliche Photogra-
phien begleiten den lehrreichen Text.
Philippson.
Maehacek , Fr. Gletscherkunde.
(Samml. Göschen. 164.) 126 S. 6Text-
abb. u. 11 Taf. Leipzig, Göschen 1902.
.K —.80.
Die bekannte Göschensche Sammlung
ist wieder um ein neues gutes Bändchen
vermehrt worden. Dieses belehrt in ge-
meinverständlicher Sprache über alle
wichtigen Erscheinungen der Gletscher.
Außer Heims vortrefflichem Handbuch
der Gletscherkunde dürfte das vorliegende
gegenwärtig das einzige Buch sein, das
uns im ganzen Umfange den heutigen
Stand der Gletscherkunde veranschau-
licht. Der Verfasser behandelt der Reihe
nach Schneeregion und Schneegrenze, Er-
nährung, Ablation und Abschmelzung des
Gletschers am Boden, Material des Glet-
schers und Struktur, Bewegung, Be-
ziehung zur Umrahmung und zum Unter-
grund , geographische Verbreitung und
Schwankungen der Gletscher. Den Schluß
bildet ein kurzer Abschnitt über die
Eiszeit.
Der Text steht durchaus auf der Höhe
der Zeit, die neuesten Arbeiten, nament-
lich die von Drygalski und Finsterwalder,
sind eingehend berücksichtigt. Die theo-
retischen Darstellungen sind im all-
gemeinen sachlich und objektiv, nur die
Ausführungen über Wirkungen des Glet-
schers auf den Untergrund verraten etwas
zu sehr den Anhänger einer starken
Glacialerosion. Ob die Lehre von der
glacialen Übertiefong der Täler bereits
in ein für Laien bestimmtes Buch Auf-
nahme finden darf, ohne daß sie auch
genügend als Hypothese gekennzeichnet
wird, scheint uns zum mindesten fraglich.
Solche Bedenken sind uns beim Lesen
mehrfach , gekommen , so bei der Be-
merkung über die Drumlins, die ohne
weiteres als subglaciale Bildungen dar-
gestellt werden, und über die Zahl der
Eiszeiten auf S. 121. Gleichwohl em-
pfehlen wir das gut ausgestattete Buch
dem Geographen aufs wärmste. Ule.
Das überseeische Deutschland. Die
deutschen Kolonien in Wort und Bild.
Lieferung 1—12, S. 1 — 384. Viele
Abb. Stuttgart u. s. w., Union, Deutsche
Verlagsgesellschafb 1902. Gesamt-
preis (20 Lief.) JC 8.—.
Für den Unternehmungsgeist eines
leistungsfähigen Verlages ist auch nach
den vorliegenden zusammenfassenden Wer-
ken eine Gesamtdarstellimg der deutschen
Schutzgebiete eine lockende Aufgabe, für
deren Lösung vortreffliche Kenner der
einzelnen Gebiete unschwer zu gewinnen
sind. Daß ihr Zusammenwirken uud die
eifrige Verwertung des vorhandenen wirk-
lich guten Illustrationsmateriales eine
Reihe verdienstlicher Einzeldarstellungen
sicherte, war von vornherein unzweifel-
haft und hat sich tatsächlich bereits er-
geben. Aber für das nicht gering zu
Bchätzende Ziel, trotz der Verschiedenheit
der Mitarbeiter die Einheitlichkeit des
Ganzen möglichst zu sichern, wäre eine
wirksame Zentralleitung, die mindestens
die Grundzüge des Arbeitsplanes festlegen
konnte, wünschenswert gewesen. Daran
hat es augenscheinlich gefehlt. Jeder
Autor hat sich seine Aufgabe begrenzt
und gegliedert, wie es ihm gut schien.
Nach einem bisweilen etwas dithy-
rambisch sich aufschwingenden Vorwort,
in dem bedenkliche Sätze nicht fehlen,
nimmt Hauptmann Hutter, Zintgraffs
Gefährte im Balilande, • das Wort zur
Schilderung Kameruns (S. 7—168). Wo
178
Bücherbe Bprechungen.
er nicht aus eigener Anschauung spricht,
gewinnt seine Darstellung frisches Leben
durch geschickte Entlehnungen aus den
verläßlichsten Reisewerken anderer For-
scher. Ein munterer Zug geistiger Reg-
samkeit geht durch die ganze Arbeit.
Stofifreich und durch eigene Erfahrung
belebt ist auch R. Büttners Darstellung
des Togolandes (169—266). Prof. K. Dove
hat den für ihn verfügbaren Raum (S. 267
bis Ö22) unter Verzicht auf die von den
anderen Mitarbeitern einbezogene Er-
forschungs-Geschichte zu einer ganz eigen-
artig erwogenen, in sich methodisch an-
gelegten und ebenmäßig ausgebauten Dar-
stellung von Land und Leuten der Haupt-
teile Südwestafrikas verwertet, die mehr
auf die lebendige Charakteristik von Natur
und Menschen als auf Genauigkeit des
topographischen Bildes ausgeht. A. S ei d e 1
bewährt in Deutsch- Ostafrika seine gründ-
liche Kenntnis der hier schon zu großen
wissenschaftlichen Monographien fortge-
schrittenen Literatur. J. Part seh.
Boeck, Knrt. Durch Indien ins ver-
schlossene Land Nepal. 319 S.
30 Separatbilder, 1 Panorama, 240
Textabb. u. 1 K. Leipzig, F. Hirt &
Sohn 1902. JC 10.—.
Der Verfasser hat zu verschiedenen
Malen das Wunderland Indien bereist,
zuerst 1890 zu alpinistischen Zwecken im
Himalaja, dann, als bei ihm das Interesse
an den fesselnden und reichen Erschei-
nungen des Völkerlebens und der tro-
pischen Natur geweckt war, noch drei-
mal in den Jahren 1893, 1896 und 1898.
Was er auf diesen wiederholten Reisen
mit liebevoller Vertiefung in die tropische
Natur und in die so eigenartige drawidisch-
hinduisch-muhammedanische Kultur ge-
schaut, schildert er in lebendig geschrie-
benen Skizzen. Er führt uns aus der
paradiesischen Üppigkeit Südwest-Ceylons,
dem der Theeanbau sein besonderes wirt-
schaftliches Gepräge gibt, nach einem
Abstecher zu den Pagoden der Haupt-
stadt Burmas in das sonnverbrannte Land
der Tamilen zu den großartigen Tempeln
von Madura, Trichinopoli (Seringham),
Kondschewaram und den aus dem Ur-
geateinsfels herausgehauenen Pagoden von
Mawilipuram bei Madras. Haiderabad
hat er zur Zeit des fanatisch aufgeregten
Moharramfestes aufgesucht; mit Bewunde-
rung spricht er von der indischen Kunst
in den Hauptstädten der Radschputen
(Dschodpur, Amber), der Moguls (Ahme-
dabad, Delhi, Agra, Futtipur Sikri) und
der Hindus (Allahabad und Benares), mit
Abscheu von den Greueln des Sipoi-Auf-
standes in Kahnpur, Delhi und Laknau.
In Kalkutta gewann er durch freund-
schaftliche Beziehungen einen genaueren
Einblick in das Innere des Hindu-Hauses,
als es den meisten Europäern vergönnt
ist, urteilt daher weniger hart, als es
gewöhnlich geschieht, über die soziale
Stellung der Hindufrau. Von besonderem
Interesse ist des Verfassers Abstecher
nach Nepal, für dessen einmonatlichen
Besuch ihm ganz ausnahmsweise ein Er-
laubnisschein der einheimischen Regierung
ausgestellt worden war. Leider verhin-
derte ängstliche Überwachung seiner Be-
wegungen jede umfangreiche und tiefer
eindringende Beobachtung, so daß wir
von der Hauptstadt und einigen benach-
barten Plätzen nur kurze Notizen er-
halten. Für den Alpinisten war es eine
besondere Genugtuung, die höchsten
Bergriesen der Welt, die er auf seiner
ersten Indienfahrt von Osten her geschaut,
jetzt von Westen aus, aus dem fast her-
metisch verschlossenen Land Nepal, sich
gegenüber zu sehen. Verfasser bean-
sprucht weder auf naturwissenschaft-
lichem, noch auf ethnographischem Ge-
biet Fachmann zu sein, aber was er von
seinen Beobachtungen mitteilt, hat den
Reiz 'des persönlich mit gesundem, nicht
durch Voreingenommenheit getrübtem
Blick Geschauten. Eine Zierde des
Buches bilden die zahlreichen Abbildun-
gen nach Originalen des Verfassers, eines
Meisters der photographischen Kunst.
Emil Schmidt.
Gallois^ L« Les Andes de Patagonie.
(Extrait des Annales de Gdogp*aphie.
X. Nr. 51.) 28 S. Viele Abb. u. 1 K.
Paris, Armand Colin.
Im ersten Teile seiner Arbeit erwähnt
der Verf., daß West-Patagonien erst in
Folge der zwischen Chile und Argentinien
entstandenen Grenzstreitigkeiten einer ge-
nauen Erforschung unterzogen wurde, die,
wenn sie auch noch nicht alle geo-
graphischen Probleme daselbst endgültig
gelöst hat, uns doch schon ein zuver-
lässiges Bild über die orographischen
Bücherbesprechungen.
179
und hydrographischen Verhältnisse da-
selbst zu geben im stände ist. Zunächst
verbreitet sich der Verf. über die ge-
schichtliche Entwicklung dieses Grenz-
streites und läßt sich mit sehr zutreffen-
den Bemerkungen auf die Bedeutung des
Begriffs der interozeanischen Wasser-
scheide für die Abgp*enzung von Gebieten
ein. Für die richtige Beurteilimg dieses
west-patagonischen Gebietes unterzieht er
zum erstenmal die Tätigkeit des fließen-
den Wassers, deren Gesetze ja erst eine
Errungenschaft der neuesten Zeit sind,
einer sachgemäßen Untersuchung (pag 286
u. 237) und sagt mit Recht, daß all
die zahllosen Streitigkeiten zwischen
beiden Nachbarrepubliken unterblieben
wären, wenn man sich vor Abschluß der
Verträge über die wahre Landesnatur
West-Patagoniens Aufklärung verschafft
hätte. Da die Auffassungen beider Län-
der nicht auf der modernen Anschauung
der Tätigkeit des fließenden Wassers
basiert sind, so war das englische Schieds-
gericht in eine schwierige Lage versetzt
und konnte nach Lage der Dinge sich
für keine der voiliegenden Auffassungen
entscheiden. Der nun vorliegende Urteils-
spruch, über den ich mich in einem be-
sonderen Bericht in der G. Z. S. 160 ff. ver-
breitet habe, hat diese Annahme bestätigt.
Eine recht gute Übersicht über die
Landesnatur Patagoniens gibt uns der
Verf. im zweiten Teile seiner Abhand-
lung. Er betont mit Recht, daß man ein
Gebiet nur dann recht begreift, wenn
man die Geschichte seiner Bildung er-
kannt hat. Wenn wir auch noch keine
vollständig fertige geologische Karte
Patagoniens entwerfen können, so sind
die diesbezüglichen neueren Forschungen
doch mit Zuhilfenahme der altem seit
Darwin angestellten Untersuchungen so
weit geklärt , daß wir geologisch genau
die Pampa- Region von der andinen, und
in letzterer wieder zwei Gruppen, die der
Haupt- von der östlichen Vor-Kordillere,
unterscheiden müssen. Der Verf. beginnt
in seiner Schilderung mit der steilen
Küste Patagoniens am Atlantischen Ozean,
bespricht die inneren Hochebenen , die
subandinen achtbaren Längsdepres-
sionen, die vor allem das strittige Gebiet
ausmachen, und geht dann zur Schilde-
nmg der Anden und ihres pacitischen
West-Saumes über. Entgegen der Ansicht
von Ed. Sueß, ist auch er der Meinung,
daß eine Hebung Patagoniens vor sich
gegangen ist; zahlreiche neuere Unter-
suchungen bestätigen diese Auffassung.
Nur eins läßt sich gegen diese Ansicht
aufführen: die überschwemmten, unter-
getauchten Wälder, die sich hie und da
an der West-Küste finden ; doch hat dies
nach Steffen wohl nur lokale Bedeutung.
Eine in großen Zügen gehaltene
Schilderung der oro- und hydrographischen
Verhältnisse der chilenischen Kordillere
von der Puna de Atacama bis zu den
wogenimirauschten Magellan-Ländem füllt
den dritten Teil der Arbeit aus. Sie fußt
auf Morenos „Notes prel. sobre una ex-
cursion a los territorios de Neuquen" etc.,
verwertet aber auch in geschickter Form
andere neueste Ergebnisse der patago-
nischen Forschungen. Der Verf. bekämpft
zum Schlüsse die von Hatcher (er ent-
deckte den in den Lago San Martin
fließenden Rio Mayer) aufgestellte Theorie
der untergetauchten Täler; diese sollen
nach ihm den Urtypus der patagonischen
Täler bilden. Mit Steffen glaubt Gallois,
daß die Abwässerung der westlich der
interozeanischen Wasserscheide gelegenen
Täler erst durch Anzapfung in Folge rück-
wärtsschreitender Erosion von Westen her
in einer jungen geologischen Periode er-
folgt ist.
Bilder und eine Karte im Maßstabe
von 1 : 1 500 000 sind zur Erläuterung
der vortrefflichen Arbeit beigegeben.
P. Stange«
F. von Bell in gsh aus ens Forsch ungs-
fahrten im südlichen Eismeer
in den Jahren 1819 — 1821. Auf
Grund des russischen Originalwerks
herausgegeben vom Verein für Erd-
kunde zu Dresden. 200 S. Leipzig,
Hirzel 1902.
Der Verein für Erdkunde zu Dresden
hat in seiner Bibliothek das schon seit
längerer Zeit im Buchhandel vergriffene
lunfangreiche russische Reisewerk F. von
BelUngshausens über die Forschungsfahr-
ten, welche dieser ausgezeichnete Seemann
in den Jahren 1819-1821 im Südpolar-
meer ausgeführt hat. Unsere deutsehe geo-
graphische Literatur besitzt schon lange
einen kurzen Auszug aus diesem Werk,
der im Jahre 1842 in Emians Archiv zur
wissenschaftlichen Kunde von Rußland
180
Bücherbesprechungen.
erschien. Gerade jetzt, wo die Südpolar-
forschung wieder aufgenommen worden
war, schien es höchst wünschenswert, die
in der Geschichte der Südpolarreisen vor-
handene Lücke auszufüllen durch eine
sachkundige Bearbeitung des großen
Werks. Professor Dr. Gravelius in Dres-
den übernahm in uneigennütziger Weise
die in mehrfacher Beziehung nicht leichte
Bearbeitung des Werks, die bekannte
Verlagsbuchhandlung von S. Hirzel in
Leipzig fand sich bereit, das Werk unter
liberalen Bedingungen zu verlegen. Auf
ihren Wunsch wurden wiederholt in der
Bearbeitung Kürzungen vorgenommen.
Durch dieses Zusammenziehen des für
den geograj^hischen Leser weniger Wich-
tigen hat die Veröffentlichung an Wert
und Interesse nur gewonnen. Die Kür-
zungen erstreckten sich hauptsächlich auf
die Partien, in denen das subjektive Mo-
ment mehr hervortrat. Die deskriptiven
Elemente von Bellingshausens Darstellung
wie die physisch -geographischen Ergeb-
nisse sind in absolutem Anschluß an den
Autor wiedergegeben worden. Seine zahl-
reichen Ortsbestimmungen sind bis zui-
Rückkehr nach Rio de Janeiro alle mit-
geteilt, so daß der Leser den Weg der
Schiffe in den Einzelheiten verfolgen kann;
ebenno die Messungen der magnetischen
Deklination, wie die Beobachtungen me-
teorologischer und physikalischer Art. —
Hier sei noch kurz der Verlauf der Ex-
l>edition gegeben. Sie war auf Alexan-
ders L Befehl ausgerüstet und bestand
aus zwei Segelschiffen leichter Bauart,
den Korvetten „Wostok" imd „Mirnyj".
Außer dem seemännischen Personal nah-
men noch ein russischer Astronom und
ein Maler teil. Am 4. Juli ging sie von
Kronstadt in See. Die Expedition verweilte
dann noch kurze Zeit in England und
traf Anfang November in Rio de Janeiro
ein. Von hier aus wurde der erste Vor-
stoß in das südliche Eismeer unternommen,
über Süd-Georgien. Schwere Stürme ver-
anlaßten die Trennung der beiden Schiffe,
die sich erst im März 1820 in Sydney
wieder zusammenfanden. Diesem ersten
Teil der Reise, bei welcher die Schiffe
unter außerordentlichen Beschwerden fast
bis 70® 8. Br. vordrangen, folgte die
Kreuzfahrt im Sommer 1820 durch einen
Teil der polynesischen Inselwelt, wobei
die geographische Lage einer großen An-
zahl Eilande genau bestimmt wurde. Sehr
interessant ist namentlich die Schilderung
des Aufenthalts auf Tahiti. Nachdem die
Schiffe sich für die zweite Fahrt aufs
Neue in Sydney ausgerüstet hatten, wurde
sie im Oktober angetreten und den ant-
arktischen Sommer hindurch fortgesetzt.
Dieser zweiten unter den schwierigsten
Witterungsverhältnissen durchgeführten
Fahrt verdanken wir u. a., wie bekannt,
die Entdeckung der nach Peter dem Großen
genannten Insel und des Alexander I.-
Landes. Auf beiden Reisen zusammen
hat Bellingshausen die Südpolarregion
vollständig umkreist und dabei absichtlich
den Kurs Cooks vermieden. Nach üm-
fahrung der Süd- Shetlands- Inseln wurde
das südliche Eismeer verlassen und die
Rückreise angetreten. Über Rio, wo die
nötige Reparatur der Schiffe vorgenommen
wurde , erreichte die Expedition am
24. Juni 1821 wieder ihren Heimatshafen
Kronstadt. Bellingshausens Expedition
war jedenfalls eine ausgezeichnete see-
männische Leistung und auch wissen-
schaftlich wichtig, während es andrerseits
im höchsten Grade zu beklagen bleibt,
daß außer dem Astronomen kein Natur-
forscher daran teilnahm.
Moritz Lindeman.
Langenbeck, Rieh» Leitfaden der
Geographie für höhere Lehr-
anstalten. 2. Teil. 8. Aufl. Aus-
gabe für Realanstalten: 814 S., 29
Fig., geb. JC 3. — , für Gymnasien:
260 S., 28 Fig., geb. .€ 2.60. Leipzig,
Engelmann 1902.
Die Ausgabe für Gymnasien ist dort,
wo es dem Verfasser angängig schien,
gekürzt. Wie dies geschehen, läßt sich
nicht im einzelnen zeigen, wo es ge-
schehen, deutet folgende Übersicht an:
Pensum für: Realanst. Gymn.
Untertertia (Erdteile) 101 S. (2 St.) 81 (1 St.)
0bert«rtia(Deut8chl.^ 63 „ (2 St.ji 63 (1 St.)
Unter8ekunda(Europa)65 „ (2 St.) 66 (1 St.)
Obere Klassen (Allg.
Erdkde.) . . . . 96 „ vac.*) 66 vac.
Der Verfasser, den wir als einen
unserer berufensten Vertreter der Schul-
geographie kennen, hat es also nicht ver-
1) Mit Ausnahme der 1. Stunde an den
preußischen Oberrealschulen und der sog.
math. Geographie der Mathematiker.
Bücherbesprechungen. i
181
mocht, wenn er überhaupt etwas Brauch-
bares schreiben wollte, in den beiden
mittleren Kursen (O.-Tert. u. U.-Sek.)
irgend etwas für die Gymnasien als über-
flüssig zu streichen, trotzdem dort nur die
halbe Zeit zur Verfügung steht, und er-
fahrungsmäßig schon an den Realanstalten
die Zeit nicht ausreicht, den in unseren
Lehrbüchern gegebenen Stoff zu bewäl-
tigen. Bei einer ernsthaft gemeinten Be-
sprechung eines modernen Geographie-
lehrbuches ist es ganz unmöglich, dieses
Dilemma zu verschweigen. So lange Erd-
kundelehrbücher von wissenschaftlichen
Männern und Kennern ihres Faches ge-
schrieben werden, ist es unumgänglich
notwendig, daß diese Bücher in einem
starken Kontrast zu dem stehen, was
naturgemäß an den Schulen geleistet wer-
den kann. Ich bin daher auch dieser neuen
Auflage gegenüber in der üblen Lage,
sagen zu müssen, daß es sich im Geo-
graphieunterricht bei seiner augenblick-
lichen Lage nur schwer verwenden läßt,
daß ich aber ebenso wie gegenüber Pahd^
u. a. auch nicht angeben kann, wie es
vor der zukünftigen Besserstellung des
Erdkundeunterrichts im höheren Unter-
richt anders imd besser zu machen wäre.
Ich wünsche aber solche Bücher trotzdem
an unseren höheren Schulen, schon als Fer-
ment, dann aber, weil sie eben von dem
Geiste unserer Wissenschaft getragen wer-
den und es für die geistige Höhe tmseres
Gymnasialunterrichts von fundamentaler
Bedeutung ist, daß wir uns in keinem
Fache zu seichter Mittelmäßigkeit herab-
drücken lassen. Daß Langenbecks Bücher
vortreffliche Leistungen sind, habe ich im
übrigen schon betont; ich hoffe auch,
daß so mancher Knabe nebenher sich in
ihre Lektüre vertiefen mag. — Soll ich
kleine Ausstände machen, so würde ich
in der Ausgabe für Bealanstalten grie-
chische Worte lateinisch drucken (§ 176),
und würde versuchen, ein wenig spar-
samer mit wissenschaftlichen Fremd-
wörtern zu sein: „heterocerkale Ga-
noiden" fließt uns leicht aus der Feder,
Knaben, außer dem Klang, schwer in den
Kopf. Der Abschnitt über Projektionen
gelallt mir hier ebenso wenig, wie in
anderen Schulbüchern, z. B. bei Kirch-
hoff. Er scheint mir zu wenig geogra-
phisch. Vielleicht könnte der Versuch
gemacht werden, unter Verzicht auf Kon-
struktionsanleitungen, die doch meist sehr
kurz bleiben müssen, eine für das Ver-
meiden zu grober Meßfehler ausreichende
Beschreibung der Eigenschaften der Pro-
jektionen zu geben. Dann wird der Lehrer
unter den Projektionen besser wählen,
sie zweckmäßiger benutzen lernen, wäh-
rend jetzt die auf modernen Karten
immer mehr zur Herrschaft gelangenden,
wie die flächentreue Azimutalprojektion,
in den Lehrbüchern zu kurz kommen.
Heinrich Fischer.
Schnnke, H, Geologische Über-
sichtskarte des Königreichs
Sachsen für den Schulgebrauch.
12 S. mit Karte. Dresden, Huhle
1902. JC -.50.
Das Kärtchen (in 1:687500) ist für
Schüler höherer Lehranstalten bestimmt
und daher so sehr als möglich schemati-
siert. Zur leichteren Lesbarkeit ist das
Diluvium abgedeckt und nur durch die
südliche Grenzlinie der nordischen Ge-
schiebe vertreten. Die in Wirklichkeit
stark zerfetzte Tertiärdecke ist so nament-
lich im NW in größeren Zusammenhang ge-
bracht. Auch bei den Eruptivmassen sind
kleinere Flecke, deren unterirdischer Zu-
sammenhang wahrscheinlich ist, zusam-
mengezogen worden. Die Schwierigkeiten,
die eine übersichtliche Darstellung des
Vogtlandes bietet, sind dadurch umgangen
worden, daß das ganze ältere Paläozoicum
dieselbe Farbe trägt. Dabei wurde zu-
gleich das Hainichener Zwischengebirge
klarer zum Ausdruck gebracht. Kontakt-
höfe sind aus methodischen Gründen nicht
gezeichnet, wohl aber in der Erläuterung
erwähnt. So ist ein Bild entstanden, das
durch seine großen Züge und die leb-
haften Farbenkontraste recht eindringlich
wirkt.
Die wissenschaftliche Genauigkeit der
Karte reicht mit wenigen Ausnahmen so
weit, als es der mäßige Schwarzdruck
(der Friedemannschen Karte) und der kleine
Maßstab zulassen. Bei Planitz fehlt die
wichtige Steinkohlenformation ; südlich
von Werdau ist lUlschUch Granit einge-
zeichnet; die Tuffe bei Chemnitz bedecken
ein größeres Gebiet; bei Würzen könnte
mehr Tertiär angegeben werden. Gröbere
Fehler weist die Glacialgrenze auf, die
ebenso wie die — jedenfalls hier ver-
wertete — Linie auf der Carte geol. inter-
182
» Neue Bücher und Karten.
nationale viel zu südlich verläuft. Gänz-
lich verzeichnet ist auch der Faltenwurf
im Profil.
Der beigegebene Text hat verschiedene
Ungenauigkeiten in der historischen Folge
der geschilderten Vorg^lnge; so gehören
die west-erzgebirgischen Granite ins jung-
carbonische Zeitalter (Dalmer), die Lau-
sitzer Hauptverwerfung ins ältere Tertiär
(vor-oligocän bis miocän nach Petraschek).
Der rote und graue Gneis haben ihre
Namen nicht nach dem Glimmer, son-
dern nach dem Feldspat. Der Ausdruck
^Massiv*' sollte für Grebiete mit Eruptiv-
gesteinen reserviert bleiben.
P. Wagner.
Nene Bficlier und Karten.
AllfeMeiae phytinelie Geo^rsplil«.
Schoedlers Buch der Natur. II. Teil,
2. Abt.; Mineralogie und Geologie von
B. Schwalbe ti E. Schwalbe u.
H. Böttger. XVÜ, Vm u. 766 S. 418
Abb. u. 9 Taf. Braunschweig, Vieweg
u. Sohn 1903. Geb. JC 18.50.
Geoyrspliie des HenseheB.
Weule, K. Völkerkunde und Urge-
schichte im 20. Jahrhundert. 43 S.
Eisenach u. Leipzig, Thüring. Verlags-
anstalt 1902. JC 1.—.
Lampert, Kurt. Die Völker der Erde.
Lief. 28—30.
Eiropft.
Christensen, C. C, u. M. Vahl. Dan-
marks Land og Folk. Til brug ved
Geografiundervisningen i Folkephoskoler
Seminarier og andre videregaaende Sko-
1er. 99 S. Viele Abb. u. 1 K. Kopen-
hagen, Nordiske Forlag 1903.
AflieB.
Fitzner, R. Der gegenwärtige Stand
der Meteorologie in Kleinasien. 14 S.
Rostock, Volkmann 1903.
Derselbe. Niederschlag und Bewölkung
in Kleinasien. (Ergänzungsheft Nr. 140
zu „Petermanns Mitteilungen".) 90 S.
1 K. u. 1 Taf. Gotha, Justus Perthes
1902. JC 6.—.
Bretzl, H. Botanische Forschungen des
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ABBirmllen ■■<! satirftllBclie 1bb«1w«U.
Hassert, K. Die neuen deutschen Er-
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Nachtrag zu Deutschlands Kolonien.
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Leverrett, Frank. Glacial Formations
and Drainage Features of the Erie and
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PoUrfefeadeB.
Ludwig Amadeus von Savoyen, Her-
zog der Abruzzen. Die „Stella Polare''
im Eismeer. Erste italienische Nord-
polexpedition 1899—1900. Mit Bei-
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Oberstabsarzt CavalliMolinelli. XTV
u. 566 S. 166 Textabb., 28 Taf., 2 Panor.
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geh. JC 9.—, geb. JC 10.—.
OeogrBpliUelier ÜBterrlcht.
E. V. Seydlitzsche Geographie. Aus-
gabe D in 6 Schülerheften u. 1. Lehrer-
heft herausgeg. v. E Oehlmann,
A. Rohrmann u. F. M. Schrceter.
Heft 1: Länderkunde Mitteleuropas,
insbesondere des Deutschen Reiches
(Unterstufe. Lehrstoffder Quinta.) 7. Aufl.
62 S. 86 Abb. JC —.60. Heft 2:
Europa ohne das Deutsche Reich, (Lehr-
stoff der Quarta.) 7. Aufl. 64 S. 18 Abb.
JC —.60. Heft 3: Die außereuropä-
ischen flrdteile. — Die deutschen Ko-
lonien. (Lehrstoff der Untertertia.)
6. AufL 112 S. JC —.80. Heft 4:
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83 Abb. JC 1.—. Breslau, F. Hirt 1902.
ZeitBcbriftenschau.
183
Heilmann, E. Das heilige Land. Der
Israeliten religiöses und bürgerliches
Leben sowie die geographischen Ver-
hältnisse des Landes. Dargestellt zum
Schulgebrauch. 2. Aufl. 44 S. 22 Abb.
u. 6 K. Königsberg, Bon 1902. Jt, — .80.
ZeitschriftenscIiaQ.
Petermanns MiUeüungen 1908. Heft 1.
Reinecke: Savaii. — Reger: Regen-
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Schiedsspruch im chilenisch - argenti-
nischen Grenzstreit. — Stange: Der
Vuriloche-Paß. — Thieß: Das sibirische
Küstengebiet. — Saad: Deutsche Kolo-
nisation in Palästina.
Globus. 83. Bd. Nr. 8. Götze: Eine
neue steinzeitliche Station in Serbien. —
Hansen: Veränderungen auf der Karte
von Jütland. — Vigström: Geister- und
Gespensteraberglaube aus'Västra, Gröinge
und Skäne (Schweden). — Weitere Reisen
der Herren Sarasin in Celebes. — Ste-
vens: Die Schöpfungssage der Drang
Temia auf der Halbinsel Maläka.
Dass. Nr. 4. Sapper: Mittelameri-
kanische Waffen im modernen Gebrauche.
— Kobelt: Aus den Abhandlungen des
Deutschen Seefischereivereins.
Dass. Nr. 6. Schott: Beobachtungen
und Studien in den Revolutionsgebieten
von Domingo, Haiti und Venezuela 1902.
— Sievers: Das Gebiet zwischen dem
Ucayali und dem Pachitea-Pichis. — Das
Nilstauwerk von Assuan.
Dass. Nr. 6. Schott: Beobachtungen
und Studien. — Wilser: Anthropologia
suecica. — Förstemann: Zwei Maja-
hieroglyphen.
Deutsche Hundschau für Geographie
wnd Statistik. XXV. Jhrg. 6. Heft. Bersch:
Die Moorgebiete Österreichs. — Erb-
st ein: Die neue Bewässerung des Nil-
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Meteorologische Zeitschrift 1902. 12.Heft..
Liznar: Änderungen des Grundwasser-
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von Deutsch -Ostafrika. — Stolberg:
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Schuster über Methoden der Forschung
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Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolo-
nicdtoirtschaft. IV. Jhrg. 8. Heft. v. Fischer:
Viehzucht in Paraguay. — Zur Tabak-
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in Nordosta&ika. H.
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Yenuitwortlicher Her»aigeber: Prof. Dr. Alfred Hettner in Beidolberg.
Die Bedentnng der Kolonie KiautsdiOQ^.
Von Dr. G^org Wegener.
Die erste Blüte unserer europäiscben Kultur, die beut die mäcbtigste
auf dem Erdball geworden ist, entfaltete sieb rings um das Mittelländiscbe
Meer. Später nahm sie beide Ufer des Atlantiseben Meeres in Besitz, so
daß scbon gegenwärtig dieser Ozean als das Mittelmeer der jetzt europäisch-
amerikaniscb zu nennenden Weltcivilisation bezeichnet werden kann. Zuletzt
und vor unseren Augen wird endlich auch das größte und europafemste
aller Weltmeere, der Große Ozean, in ihren Bereich einbezogen; an den
westlichen Küsten Nord- und Südamerikas und an den östlichen Asiens und
Australiens breitet sich diese Oivilisation siegreich aus und überspinnt auch
die Inselwelt jenes Meeres selbst. Mit Biesenschritten geht diese Entwick-
lung vorwärts. Einer solcher Schritte — um nur einige der jüngsten tind
am meisten ins Auge fallenden zu nennen — ist beispielsweise die Vollendung
der ersten Eisenbahn, die von Europa bis zur Ostküste Asiens führt; ein
zweiter das politische Großmachtsbündnis zwischen England und Japan; eia
dritter die soeben vollzogene Legung des ersten transpacifischen Kabels vom
englischen Nordamerika nach Australien — womit nun das Telegraphennetz
rund um die Erde herum geschlossen ist; ein vierter endlich steht in der
heut wohl als gesichert anzusehenden Durchstechung der mittelamerikanischen
Landenge bevor.
Die beiden deutschen Kolonialgebiete, die der Welt des Großen Ozeans
angehören und uns somit einen unmittelbaren Anteil an der bedeutsamen, im
Fluß befindlichen Entwicklung dieses Erdraums sichern, sind Kiautschou
und die deutschen Südsee-Inseln. Hierin liegt ihr wesentlichster Wert für
uns. Eine innere Beziehung zueinander haben sie freilich vorläufig noch so
gut wie gar nicht und können deshalb gesondert behandelt werden.
Im Beginn des Jahres 1898, also vor nunmehr bald fünf Jahren, nahm
Deutschland die Ermordung einiger Missionare einerseits und die Dienste,
die es China in dem vorhergehenden japanischen Kriege geleistet hatte,
andererseits zum Anlaß, die an der Wurzel der Provinz Schantung gelegene
Bucht, die nach der nahe an ihrem Nordrande gelegenen chinesischen Pro-
vinzialmittelstadt Kiautschou genannt wird, vom chinesischen Reich auf 99
Jahre zu pachten. Innerhalb dieses Gebiets begab sich die chinesische Regie-
rung aller Hoheitsrechte. Seine Grenze folgt genau den üfem der Bucht
1) AuB einem Vortrag über die pacifischen Kolonialgebiete Deutschlands, ge-
balten im Kaiserhof zu Berlin am 26. November 1902 vor dem Verein Berliner
Kaufleute und Industrieller.
Geographische Zeitschrift. 9 Jahrgang. 1903. 4. Heft 13
186 Georg Wegener:
und umschließt nur zu beiden Seiten des Eingangs noch je eine Halbinsel;
westlich eine kleinere, östlich eine größere. Insgesamt umfaßt der Bereich
des deutschen Schutzgebiets hier rund 500 qkm. Dazu wurde noch eine
neutrale Zone von 50 km Breite rings um die Bucht vereinbart, welche unter
chinesischer Verwaltung blieb; China verpflichtete sich aber, wichtige Maß-
nahmen innerhalb dieser Zone nur mit Zustinmiung Deutschlands vorzunehmen,
öffentlichen Arbeiten im Interesse des Landes, insbesondere der Regulierung
der Wasserläufe durch Deutsche, keinen Widerstand entgegenzusetzen und den
Diu*chzug deutscher Truppen jederzeit zu gestatten.
Man sieht auf den ersten Blick, wie winzig an sich das Pachtgebiet ist,
das ja kaum achtmal den Flächenraum Berlins (64 qkm) umschließt Es
muß sich also hier um eine Kolonie ganz anderer Art, als die vorher er-
worbenen, handeln, um eine solche, deren Hauptwert nicht im Lande selbst,
sondern in dessen Beziehungen zur Umgebung liegt. Die Bedeutung des
Schutzgebiets von Kiautschou ergibt sich durch die Beantwortung der beiden
Fragen: Was wollen wir an dieser Stelle? Welche Gewähr bietet uns die
Kolonie, daß wir unsere Absichten erreichen?
Um die erste Frage zu beantworten: Was wollen wir an der Kiautschou-
Bucht? muß ich hier etwas weltgeschichtliche Fraktur reden. Ich spreche
zu Vertretern unseres Handels und unserer Industrie, die ja mehr als viele
andere Bevölkerungsklassen daran gewöhnt sind, mit großen Zukunftskombi-
nationen zu arbeiten; sie werden mit Leichtigkeit verstehen, daß es sich bei
dem Erwerb von Kiautschou um eine Spekulation großen Stils handelt, nicht
auf Jahre hinaus, sondern auf viele Jahrzehnte, ja vielleicht — wir hoffen
es — auf Jahrhunderte.
Soweit Menschen überhaupt weltgeschichtliche Entwicklungen voraus-
sagen können, ist eins unbedingt gewiß, nämlich, daß die Millionenmassen
von China nicht mehr wie bisher in kultureller Abgeschlossenheit fortleben
können, sondern sich dem durch das Expansionsbedürfiiis der Großmächte
Europas und Amerikas und die Macht der modernen Verkehrsmittel mehr
und mehr heraufgeführten Gesamtleben der Völker anschließen werden. Ob
dieser Vorgang in China noch vorübergehende rückläufige Bewegungen hat
oder nicht, ist ganz gleichgültig, konmien wird er sicher.
Und ebenso sicher ist, daß dieses Eingreifen der mehr als vierhundert
Millionen Menschen Chinas mit ihrer beispiellosen Arbeitsfähigkeit, ihrem
erstaunlichen Geschäftstalent, ihrer in Europa meist weit unterschätzten Intel-
ligenz in die Weltwirtschaft, daß die damit verbundene Erschließung der außer-
ordentlichen natürlichen Hilfskräfte des Landes einen Hauptanteil an der
weltgeschichtlichen Entwicklung der nächsten Jahrhunderte nehmen muß, die
ja wahrscheinlich sehr viel mehr durch wirtschaftliche, als durch militärische
Kämpfe bestimmt werden wird. Und Ströme von Leben werden an den
Stellen entstehen, wo diese beiden bedeutendsten Kulturwelten, die es heut
nebeneinander gibt, die europäisch-amerikanische und die ostasiatische, sich
elektrischen Polen gleich berühren.
Um aus dieser Entwicklung den richtigen Vorteil ziehen zu können,
müssen wir einen eigenen sicheren Stützpunkt in den ostasiatischen Gewässern
Die Bedeutung der Kolonie Kiautschou. 187
haben. Wir müssen einen Hafen besitzen, den uns keine feindselige Macht
verschließen kann, wo unsere Schiffe jederzeit militärischen Schutz, wo sie
KohlenyorHlte und eigene Docks zur Reparatur finden.
Schon des Prestiges der Deutschen in Ostasien halber ist ein solcher Be-
sitz notwendig. England, Rußland, Frankreich haben derartige Häfen, folglich
müssen auch wir, die wir in den Augen der Asiaten mit diesen gleichstehen
wollen, einen solchen Stützpunkt haben. Das Prestige eines Staates ist auch
für den Kaufmann von größtem Wert; es erhöht sein eigenes Ansehen, seinen
Kredit, es tritt besonders in Erscheinung bei Erteilung von Konzessionen, für
Unternehmungen im Auslande, um die ja gegenwärtig gerade in China ein
besonderes Wettrennen stattfindet. Ferner müssen wir eigene Kohlenvorräte
haben, sonst ist eines schönen Tages einmal, z. B. wenn uns England und
Japan gleichzeitig den Kohlenbezug wehren, die Mehrzahl unserer Schiffe
dort draußen lahm gelegt, wie Vögel, denen man die Flügel beschnitten
hat. Endlich brauchen wir eigene Docks. Es ist für jeden, der in den
letzten Jahren draußen war, eine beschämende Erinnerung, daß wir zur
selben Zeit, wo hier in Deutschland unausgesetzt so patriotisch über das
perfide Albion geschmäht wurde, für unsere Handels-, ja unsere Kriegsschiffe
die Gastfreundschaft englischer Docks in Anspruch nehmen mußten und
auch bereitwilligst erhielten. Bei einem Konflikt mit England würde das
natürlich sofort aufhören.
Außer den zur Erfüllung dieser Forderungen nötigen Eigenschafken muß
der Platz aber auch eine möglichst gute Handelslage besitzen, schon deshalb,
damit er die Kosten der unumgänglichen Anlagen wieder herausbringt
Ist nun die Kiautschoubucht in all diesen Punkten eine günstige Wahl
gewesen oder nicht?
Was zunächst die militärische Sicherheit betrifft, so wäre ja wohl eine
Insel wie Hongkong für eine Ansiedelung noch besser gewesen. Allein auch
die Halbinsel im Osten des Eingangstors zur Bucht, auf der wir unsere Nieder-
lassung Tsingtau angelegt haben, läßt sich durch Benutzung der an ihrer
Wurzel gelegenen Höhen genügend befestigen und ist es z. Z. schon.
Der Hafen genügt an sich nicht allen Ansprüchen; die Bucht ist gar
zu groß, so daß bei Nordweststürmen, wie sie im Winter häufig sind, der
Seegang auf ihr den Schiffen gefährlich werden kann. Eine Mole wird dieser
einen Schwierigkeit indes abhelfen. Ist sie fertiggestellt, dann werden die
Schiffe hier mit vollkommener Sicherheit Kohlen einnehmen oder nach Ein-
richtung von Docks Reparaturen vornehmen können.
Wie steht es aber mit der großen Frage nach der Handelslage?
Zu ihrer Beantwortung werfen wir einen Blick auf die Landkarte.
Drei große Ströme münden an der Küste von China. Im Süden der
Sikiang; dieser erschließt einen großen Teil des südlichen China. An seiner
Mündung haben die Engländer die Insel Hongkong besetzt und auf ihr eine
ihrer glänzendsten Kolonialschöpfungen entwickelt. Hier wäre eine Konkurrenz-
gründung nicht mehr möglich.
Der zweite große Strom ist der Jangtsekiang, einer der Riesenströme
des Erdballs und eine seiner besten Wasserstraßen. Er erschließt in ge-
13*
188 Georg Wegener:
waltigem Umfang das mittiere China und verknüpft dessen Verkehr mit dem
Meere^ Aber auch an der Mündung des Jangtse besteht bereits eine Handels-
ansiedelung eui*opäischer Art, Schanghai, jene internationale Stadt, die man
bereits heute das künftige London des Ostens zu nennen pflegt. Sie beherrscht
den Handel auf dem Jangtse so yollkommen, daß auch an der Mündimg
dieses Stroms eine deutsche Nebengründung nicht mehr ausführbar wäre.
Die dazwischen liegende Eüstenstrecke besitzt eine Menge ausgezeichneter
Hafenbuchten, die ja auch dicht an der hier vorüberziehenden großen Welt-
handelsstraße der China-See liegen. Allein sie sind alle für den Großverkehr
mit dem Hinterlande wenig geeignet, da sie davon Gebirge trennen. So kann
also die ganze Südhälfte der chinesischen Küste für uns nicht mehr in
Betracht kommen.
Ganz anders ist die Eüstenhälfte nördlich vom Jangtsekiang gestaltet.
Sie ist — mit einer einzigen, gleich zu erwähnenden Ausnahmestrecke —
ganz flach, eine der sogenannten „eisernen^' Küsten, die gegen das Meer
streng abgeschlossen ist. Zwar mündet innerhalb ihres Bereiches der dritte
der großen Ströme Chinas, der Hwangho, allein er ist ein so wilder Ge-
selle und seine Mündung ist überdies so ungünstig gestaltet, daß er für den
Handelsverkehr ganz ohne Bedeutung ist So ist es gekommen, daß der
unbedeutende und ebenfalls an der Mündung arg versandete Peiho das Ein-
gangstor zum nördlichen China geworden ist. An ihm hat sich die dritte
wichtige Fremdenansiedelung, das internationale Tientsin, gebildet.
Hier ist nun eine Konkurrenz sehr wohl möglich. Der Peiho bietet
nur kleinen SeeschiflFen Zutritt; sein Eingang ist kein geschützter Hafen, son-
dern eine sehr flache, offene und gefährliche Reede, und er mündet überdies
in die innerste Bucht des Gelben Meeres, die alljährlich mehrere Monate
zufriert.
Eine solche Konkurrenz kann anknüpfen an die felsige Halbinsel Schan-
tung, die eine Ausnahmestrecke, welche die gleichmäßige flache Küstenlinie
Nordchinas mit einer reichgegliederten Steilküste unterbricht. Hier gibt es
mehrere gute Hafenbuchten. Die geräumigste unter ihnen und für den
Weltverkehr bestgelegene ist die Bucht von Kiautschou. Sie ist in ihren
südlichen Teilen sehr tief, friert niemals zu und gewährt zugleich einen
vortrefflichen Zugang zum Hinterlande, da nördlich von ihr eine breite Tief-
landsgasse das Gebirge der Halbinsel Schantung quer durchsetzt und eine
bequeme Verbindung mit der großen Ebene von Nordchina schafft.
Unfraglich ist somit die Bucht von Kiautschou der beste Hafen Chinas
nördlich von Jangtsekiang. Allerdings nicht ohne weiteres. Ihre trefflichen
Eigenschaften sind gleichsam latent, sie müssen erst von einer starken und
kundigen Macht zielbewußt entwickelt werden. Darin liegt ja auch der
Grund, weshalb diese Stelle bisher noch keine Rolle gespielt hat. Daß die
Größe der Bucht noch zuvor einen Molenbau gegen den Nordwest erforder-
lich macht, erwähnten wir bereits. Ferner muß der Verkehr mit dem Hinter-
lande erst entwickelt werden durch die Schaffung einer Bahn. Beides ist
gleich nach der Besetzung energisch in Angriff genommen worden.
Ich habe die Kolonie Kiautschou vor etwa zwei Jahren, im November
Die Bedeutung der Kolonie Eiautschou. 189
1900 besucht, und hatte zuvor schon viele englische Kolonien gesehen, die
mich mit Bewunderung erfttllt hatten: Britisch-Indien , Ceylon, Singapore,
Hongkong, Australien, Neuseeland. Hier fand ich zum erstenmal auf deut-
schem Auslandsboden ganz denselben großzügigen, kraftvollen Wagemut, mit
dem der Engländer ans Werk zu gehen pflegt, und der schon eine unerläßliche
Vorbedingung für den Erfolg ist; denn ohne Einsatz gibt es keinen Gewinn.
Es war schon damals erstaunlich, was an Stelle des unbedeutenden
Chinesenortes Tsingtau, der auf der Halbinsel gestanden hatte, geschaffen
worden war. Noch mehr heute. Weite, wohlgebaute Straßenzüge überziehen
heut das wellige Felsterrain, stattliche, villenartige Wohn- und Geschäfts-
häuser sind allenthalben an ihnen emporgeschossen, schöne, gesunde Kasernen
sind für die Truppen fertiggestelt, ein großer Leuchtturm am Eingang der
Bucht hatte schon zur Zeit meiner Anwesenheit begonnen, auch Nachts den
Schiffen den Weg in die Bucht zu weisen. Die Kolonie steht unter der Ver-
waltung des Reichsmarineamts, und dies hat es verstanden, große Mittel
dafür in Bewegung zu setzen; Mittel übrigens, die zum größten Teil dem
deutschen Volke wieder zu gute kommen, denn ausschließlich aus Deutschland
werden alle Lieferungen bezogen. Zwei Häfen sind gebaut worden. Der
eine, der sogenannte kleine, für Schiffe bis zu 5 m Tiefgang, ist bereits
fertig und dem Verkehr übergeben. Der große, für die größten Ozeanriesen
gedacht, nähert sich der Vollendung. Seine Mole^ die 5 m über Hochwasser
ragen und oben 5 m breit sein soll, wird 4}/^ km lang werden; auch ein
Schwimmdock, für die größten an der ostasiatischen Küste verkehrenden
Dampfer ausreichend, ist im Bau und soll 1904 fertig werden.
Die Ghinesenbevölkerung ist in besondere Viertel konzentriert und dort
mit gesunden Häusern versehen worden. Man vermeidet dadurch den nament-
lich sanitär so unangenehmen Fehler der Vermischung der europäischen
Ansiedler mit den Langzöpfen, der in Hongkong z. B. heut nicht mehr rück-
gängig zu machen ist. Die Wasserleitung ist nach mehreren mißlungenen
Versuchen hergestellt. Diese beiden Maßnahmen haben die Hauptgründe der
ehemaligen Ungesundheit Tsingtaus und damit diese selbst energisch be-
kämpft Es läßt sich schon heute absehen, daß in kurzer Zeit von einer
besonderen ungesundheit dieses Platzes nicht mehr die Rede sein kann.
Das Hauptgewicht ist aber auf den Bau der Schantung-Eisenbahn zu
legen. Wenn aus Tsingtau etwas werden soll, so konmit alles darauf an,
die Beziehung zum Hinterlande energisch zu fördern, und das ist Aufgabe
der Eisenbahn.
Dies „Hinterland" Tsingtaus ist im engeren Sinne die Provinz Schantung,
im weiteren Nordchina überhaupt
Wie sieht nun diese Provinz Schantung aus?
Die chinesischen Provinzen lassen sich weniger mit dem vergleichen,
was wir bei uns „Provinz", als was wir „Reich" nennen. Schantung ist mehr
als doppelt so groß wie das Königreich Bayern und hat 38 Millionen Ein-
wohner, d. h. 4 Millionen mehr als das ganze Königreich Preußen. Das
ergibt eine Bevölkerungsdichte, wie wir sie bei uns in Europa nur ganz ver-
einzelt auf engen Industriegebieten kennen.
190 Georg Wegener:
Und diese winimelnde Bevölkerungsmenge ist von der höchsten Betrieb-
samkeit. Jeder Beisende gibt von neuem seinem Erstaunen Ausdruck über
die unerhörte Sorgfalt, mit welcher die Chinesen hier ihre Äcker bauen;
wie sie jedes Fleckchen fruchtbaren Bodens auszunützen wissen, wie sie die
Qehänge der Berge selbst sorgfältig terrassieren, durch künstliche Bewässe-
rung die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens vermehren. Gebaut werden
hauptsächlich verschiedene Getreidearten, Kohl, Hülsenfrüchte, Ölfrüchte und
Obst. Hierzu treten verschiedene Industrieerzeugnisse, besonders Seide, femer
Strohgeflechte, die schon heut einen wichtigen Ausfuhrartikel bilden, Töpfe-
reien. Endlich kommen Bodenschätze des Landes in Betracht, von anderen
Mineralien abgesehen vor allem die Kohlen. Wir kennen fünf größere
Steinkohlen -Fundgebiete, wo die Kohle z. B. schon seit alter Zeit von den
Chinesen abgebaut wird: bei Weihsiön, Poschan, Tschangkiu am Nordrande
des Gebirgslandes von Schantung; femer bei IhsiSn und bei Itschoufu am
Südrande. Namentlich die Kohle von Poschan gilt als ganz vortrefflich, der
besten englischen Kohle wenig nachstehend. Daß diese Schätze des Bodens
und der menschlichen Betriebsamkeit bis jetzt noch wenig nutzbar gemacht
worden sind, liegt an den unentwickelten Verkehrsmitteln in Schantung.
Schiffbare Wasserwege von Bedeutung gibt es in Schantung gar nicht. Nur
im äußersten Westen durchschneidet der Kaiserkanal das Land, er mündet aber
erst weit außerhalb der Provinz, am Jangtse und am Peiho, in den Welt-
verkehr. Sonst findet man nur Landstraßen, die ganz erbärmlich sind. In
der Regenzeit oft unergründliche Sümpfe, in der Trockenzeit so holprig, daß
unsere europäischen Wagen darauf binnen kurzem in Stücke gehen würden.
Seit uralter Zeit bewegen sich deshalb auf ihnen nur äußerst .urtümliche
Verkehrsmittel: einrädrige Schubkarren, kleine, zweirädrige Wagen oder Trag-
tiere. Mit diesen unbehüflichen Mitteln findet ein sehr intensiver Lokal-
verkehr statt, die Landstraßen sind voll von Verkehr. Aber es ist klar,
daß der schwerfällige Transport die Ware sehr rasch verteuert; sie kann nie-
mals weit von ihrem Erzeugnisort verfrachtet werden.
Gerade diese Ungunst der bisherigen Verkehrsverhältnisse ist aber die
beste Anwartschaft für ein Blühen der Eisenbahn. Sie hat somit keinerlei
ernsthafte Konkurrenz zu überwinden. Bei ihrer sehr viel größeren Billigkeit
wird sie den Verkehr in den von ihr durchschnittenen Gegenden rasch an
sich ziehen. Ja nach alten eisenbahnökonomischen Erfahrungen wird sie
diesen Verkehr erst recht entwickeln und Gegenden in Verbindung mit anderen
und mit der Küste setzen, die bisher nie an so etwas gedacht haben.
Durch die bessere Verwendung der Erzeugnisse, die die Eisenbahn
diesen Gegenden gewährt, wird sie sie andererseits wohlhabender und dadurch
aufnahmefähiger für die von der See her eingeführten Auslandsgüter machen.
In richtiger Erkenntnis dieser Möglichkeiten wurde gleich nach Sicherung
der deutschen Herrschaft von der mit einem Kapital von 54 Millionen Mark
gegründeten deutschen Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft der Bau dieser Eisen-
bahn, als vorläufig eingeleisige Vollbahn, begonnen. Die Trace der Bahn
läuft von Tsingtau aus um den Ostrand der Bucht und durchzieht dann
die Flachlandsenke, welche das Gebirge der Halbinsel in zwei Teile trennt
Die Bedeutung der Kolonie Eiautschou. 191
Hierbei berührt sie die yielgenannteii Städte Eiautschou und Eaumi und er-
reicht dann die große Ereisstadt Weihsii^n am Nordrand des Gebirges und
damit einen der bedeutendsten alten Verkehrswege der Provinz, der am Fuß
dieses Gebirges entlang zieht. Dem Gebirge folgend biegt sie von hier nach
Westen um, durchschneidet immer dichter bevölkerte Gebiete, berührt die
großen Seidendistrikte, erschließt die drei genannten hier gelegenen Eohlen-
gebiete und erreicht endlich die große Landeshauptstadt Tsinanfu am Hwangho
und damit den ganz ebenen Ostteil der Provinz, welcher der sogenannten
„großen Ebene", jenem völkerwimmelnden Hauptkulturgebiet Nord-Chinas, an-
gehört Mehrere Städte von 50000, 100000, ja 200000 Einwohnern wird
sie auf dieser etwa der Entfernung von Berlin nach Danzig gleichkommenden
Strecke zwischen Tsingtau und Tsinanfu berühren. Die Hauptstadt wird auf
3 — 400000 Einwohner geschätzt.
Von hier aus soll sie dann nach Südwesten gefCÜui; werden, z. T. längs
des Eaiserkanals, um dessen Verkehr aufzunehmen, und weiterhin im Süden
des Berglandes über die Eohlenfelder von Ihsi^n und Itschoufu nach Tsingtau
wieder zurück.
Trotz der Boxerunruhen des Jahres 1900 sind die vereinbarten Fristen
für den Bau innegehalten worden. Am 1. Juni dieses Jahres wurde der
regelmäßige Betrieb schon bis zu der vorhergenannten wichtigen Stadt Weih-
sien, dem Sitz der großen Seidenhändler des Gebiets, eröffnet; täglich läuft
je ein Zug hin und her zwischen Weihsien und Tsingtau.
Überraschend schnell haben sich die Chinesen an den Bahnbau ge-
wöhnt, dem sie entsprechend ihrer konservativen Natur anfangs feindlich
gegenüberstanden. Ihr sicherer Geschäftssinn hat sie schneller seine Vorteile
für das Land kennen gelehrt, als es seinerzeit bei den ersten Bahnbauten in
Europa mit unserer eigenen Bevölkerung der Fall war. Die Vorstände der-
selben Dörfer, die sich 1900 an den Unruhen beteiligt hatten, haben später
freiwillig die Bahnhöfe bei der Eröffnung des Betriebes ausgeschmückt und
erklärt, es wäre sehr töricht gewesen, daß sie sich einer so nützlichen Ein-
richtung widersetzen konnten. Schon heute wird die Eisenbahn in reichem
Maße von den Chinesen selbst benützt.
Ein sehr erfreuliches Anzeichen für das Vertrauen, das die geschäfts-
kundigen Chinesen unserer Gründung selbst entgegenbringen, ist darin zu
sehen, daß chinesische Firmen in steigendem Maße in Tsingtau Grundbesitz
erwerben und sich einheimische Banken für den Geldverkehr mit dem Hinter-
lande dort auftun. Diese Anteilnahme des chinesischen Großkaufoianns ist
eine wesentliche Vorbedingung für die Entwicklung Tsingtaus als Handelsplatz.
Ganz besonders wichtig wird aber die Eohle sein. Die Schantung-
Eisenbahn- Gesellschaft, die zugleich die Bergwerkskonzession besitzt, hat
gleichzeitig auch die modern bergmännische Förderung der Eohlen, zunächst
im Revier am Weihsiön, in Angriff genonmien. Letzten Herbst hat sie
damit nach Herstellung eines großen Schachtes begonnen, und bereits sind
Eohlenzüge an die Eüste gekommen.
Soviel über die Provinz Schantung selbst, zu deren natürlichem Seetor
die Bahn Tsingtau machen wird.
192 Georg Wegener: Die Bedeutung der Eolouie Kiautschou.
Weiterhin soll aber die Kiautschoubucht die Haupteingangspforte für
ganz Nord-China werden.
Ein wichtiger Schritt dazu wird der Weiterbau der Bahn von Tsinanfu
nach Tientsin sein. Hierdurch wird Tsingtau der Hafen für die rascheste,
im Winter, wo der Golf von Petschili zugefroren ist, sogar für die einzige
Verbindung mit der Reichshauptstadt Peking werden.
Eine weitere Linie wird von Tsinanfu nach dem Westen gehen müssen.
Diese wird die fruchtbare „große Ebene^^ quer durchziehen und dann den
Anschluß an die schon im Bau befindliche große Nordsüd-Bahn Chinas Peking-
Hankau-Canton gewinnen und endlich die Kohlenfelder von Schansi erreichen,
die bekanntlich zu den reichsten der Welt gehören. Für diese Kohle, die
bestimmt ist, in der Wirtschaft der Zukimfb eine große Rolle zu spielen,
wird dadurch der nächste Ausgang zu Meere unser Tsingtau werden.
Wollen wir endlich die Blicke noch weiter in die Zukunft richten, so
dürfen wir daran denken, daß dereinst einmal die große asiatische Zentral-
bahn gebaut werden wird, deren natürliche Trace durch die Senken der
Mongolei und Dsungarei schon F. v. Richthofen vorgezeichnet hat. Es
zeigt sich schon jetzt, daß die sibirische Bahn nur ein Vorläufer des trans-
kontinentalen Verkehrs durch Asien sein kann, denn sie mündet nicht in die
eigentlich wertvollen Gebiete des Ostens. Wahrscheinlich wird Rußland selbst
diese Bahn bauen, sobald es sich der betreffenden Gebiete Innerasiens be-
mächtigt haben wird — ein Vorgang, den der noch etwas geheinmisvolle
Tibet -Vertrag anzubahnen scheint. Diese künftige Zentralbahn wird von
Westen her nach der großen alten Kaiserstadt Singanfu in Nordwest-China
führen, von hier längs des Hwangho die Gebirge zwischen Schansi und
Honan durchschneiden und sich dann jedenfalls bei Kaifongfu in der „großen
Ebene^' gabeln. Ein Ast wird das Meer bei Schanghai erreichen imd diesen
Ast zum Endpunkt des großen Durchgangsverkehrs machen, ein zweiter —
der kürzere — bei Tsingtau.
Es ist Zukunftsmusik, die hier gemacht wird. Allein das soll kein ent-
schuldigendes Eingeständnis, das soll ein Lob sein. Wir wollen und sollen
in Tsingtau gerade Zukunftsmusik großen ' Stils machen.
Ich will nicht übertreiben und erkenne die Grenzen des Möglichen sehr
wohl. Gewiß können wir in Tsingtau niemals das erreichen, was Hongkong
und Schanghai dank ihrer Wasserstraßen ins Innere dereinst sein werden;
allein etwas weniger kann auch schon sehr viel bedeuten und des Schweißes
der Edlen wohl wert sein.
Eins ist freilich die notwendige Voraussetzung für das Gelingen all dieser
Pläne: Deutschland muß so mächtig bleiben wie bisher, daheim und draußen.
Denn nur so lange werden uns die Chinesen an dieser Stelle dulden, wie
sie müssen, und nur so lange werden die um die Vorteile der Erschließung
Chinas wetteifernden Fremdmächte unsere Anwartschaften achten, wie sie
uns fürchten!
A. Hettner: Grundbegriffe u. Grundsätze d. physischen Geographie« 193
Onindbe^iffe und flmndsätze der pbysiselieii fleo^apbie.
Von Alfired Hettner.
m. Klassen und Komplexe der geographischen Erscheinungen.
Aus dem bunten Spiel der Kräfte, wie wir es im vorigen Kapitel
kemien gelernt haben, geht die unendliche Mannigfaltigkeit der Erdoberfläche
hervor, die sich vor unseren leiblichen und geistigen Blicken ausbreitet und
deren Erkenntnis den eigentlichen Gegenstand der Geographie bildet. Es ist
die Aufgabe dieses Kapitels, die allgemeinen Verhältnisse dieser irdischen
Mannigfaltigkeit für die einzelnen Erscheinimgskreise der Erdoberfläche dar-
zulegen.
Klassifikation, Gliederung, Einteilung.
Um uns die Betrachtung zu erleichtern, wollen wir einmal die An-
nahme machen, daß alle Beziehungen der Erdräume zu einander lediglich
auf einer Differenzierung, auf einer Unterscheidung, wenn das Wort nicht zu
barbarisch wäre, möchte ich sagen, auf einer Verungleichung der Erdober-
fläche beruhten, wir es also nur mit einer größeren oder geringeren Gleich-
heit (Ähnlichkeit) oder Verschiedenheit zu tun hätten. Diese Ajmahme ist
nicht richtig, aber nichts hindert uns, jede Erscheinungsgruppe (Kategorie)
der Erdoberfläche zunächst einmal ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt
zu betrachten, — solange wir uns eben nur bewußt bleiben, daß diese Be-
trachtung nicht die Wirklichkeit erschöpft, sondern eine Abstraktion ist,
und daß die Gebiete gleicher Ausbildung durchaus keinen räumlichen Zu-
sammenhang zu haben brauchen. Darum können wir auch die gewöhnlichen
Kegeln der Klassifikation auf die Erscheinungen der Erdoberfläche anwenden,
sie Gattungsbegriffen unterordnen, ein System der Erscheinungen jeder Kategorie
entwerfen. Nur müssen wir uns dabei klar sein, daß die Klassifikation nur
eine logische Möglichkeit darstellt, aber nicht der wirklichen Entstehung
entspricht oder wenigstens nicht zu entsprechen braucht.
Selbstverständlich haben die Begriffe Gleichheit und Verschiedenheit, auf
Erscheinungen der Erdoberfläche angewandt, nur relative Bedeutung, und
was uns bei generalisierender Betrachtung, gleichsam bei einem Blick aus
der FemC; als ähnlich erscheint, löst sich bei spezialisierender Betrachtung,
in der Nähe, in Verschiedenheiten auf. In großem Abstand von der Erde
bemerken wir z. B. nur den Gegensatz von Pestland und Ozean oder, wenn
wir uns die Wasserhülle entfernt denken und nur die feste Erdrinde
berücksichtigen, den Gegensatz der kontinentalen Aufragungen und der
ozeanischen Einsenkungen. Kommen wir näher, so sehen wir auf dem Fest-
land Gebirge, Hochland und Tiefland. Wieder in größerer Nähe können
wir auch die größeren Züge der Gebirgsgliederung, die Gegensätze von
Känunen und Tälern und schließlich auch die feineren Formen der Gliederung
erkennen. Wir können einen in sich gleichen, aber von der Umgebung ver-
schiedenen Raum als ein Individuum auffassen; aber aus der relativen Be-
deutung des Begriffes Gleichheit ergibt sich, daß auch der Begriff Indi-
viduum relativ ist: Räume, die uns zimächst als individuell erscheinen^
194 . . Alfred Hettner:
bestehen bei näherer Betrachtung aus einer Aneinanderreihung von Individuen,
und Individualität im strengsten Sinne des Wortes kommt nur der einzelnen
Erdstelle zu.
Die unterschiede, die innerhalb einer Kategorie von Erscheinungen
bestehen, können rein quantitativ sein, d. h. die Größe oder Intensität der
Erscheinungen betreffen. Dahin gehören die Höhe der Berge und Gebirge,
der Grad der Temperatur, die Stärke des Luftdrucks, die Regenmenge und
vieles andere; bei Erscheinungen, die einer zeitlichen Veränderung unter-
liegen, wie die Wettervorgänge, kann sich der Unterschied ebensowohl auf
die zeitlichen Mittelwerte wie auf die Veränderlichkeit beziehen. Verschiedene
Intensitäten grenzen gewöhnlich nicht scharf an einander, so daß der Über-
gang sprungartig ist, sondern pflegen allmählich in einander überzugehen.
Es sind auch meist alle Werte der Skala irgendwo in der Wirklichkeit vor-
handen; darum ist jeder Abschnitt willkürlich, und wenn man auch, nament-
lich bei der kartographischen Darstellung durch Höhenlinien, Temperatiur-
linien u. s. w., solche Abschnitte nicht vermeiden kann, so ist doch die
Aufstellung und starke Betonung von Größenklassen, die in der Literatur
eine ziemlich große B^Ue spielen, nicht zu empfehlen, da abgerundete
Zahlenangaben, besonders wenn man sie in Reihen ordnet, denselben Zweck
erfüllen und den falschen Eindruck scharfer Gegensätze vermeiden.
In anderen Kategorien sind die Unterschiede qualitativ, indem sie sich
auf die verschiedene stoffliche Zusammensetzung oder die verschiedenen
Formen oder die verschiedene Natur des Vorgangs beziehen. Diesen Unter-
schieden gegenüber tritt die Aufstellimg von Klassen in ihr Recht ein, denn
wenngleich auch hier die Übergänge manchmal allmählich sind, so daß die
Klassen nicht scharf von einander getrennt sind, sondern in einander über-
gehen, so kann doch die Gleichartigkeit oder die Ungleichartigkeit der Er-
scheinungen überhaupt nicht auf andere Weise aufgefaßt werden.
Sowohl die auf Quantitätsunterschiede begründeten Reihen wie die auf
Qualitätsunterschiede begründeten Klassen beziehen sich zunächst immer nur
auf eine bestimmte Eigenschaft und müssen deshalb mit den künstlichen
Systemen der Botanik und Zoologie verglichen werden. Sie gewähren eine
klare Übersicht und sind darum der ersten Auffassung förderlich, erschöpfen
aber den Gegenstand nicht. Denn die verschiedenen Eigenschaften sind nicht
in ganz beliebiger Weise mit einander verbunden, sondern stehen in ursäch-
lichem Zusanunenhang. Ebensowenig wie eine beliebige Form des Tier-
kopfes mit beliebigen Gliedmaßen verbunden sein kann, kann auf der Erd-
oberfläche eine beliebige stoffliche Zusammensetzung mit beliebigen Formen
und beliebigen physikalischen Verhältnissen verbunden sein, sondern mit einer
Eigenschaft ändern sich auch die andern. Ebenso wie die natürlichen
Systeme der Pflanzen imd Tiere auf die Gesamtheit der Eigenschaften
begründet sind, kann darum auch eine Klassifikation der Erscheinungen der
Erdoberfläche nur dann als eine natürliche Klassifikation angesehen werden,
wenn sie der Gesamtheit der mit einander verbundenen Eigenschaften Rech-
nung trägt. Um ein Beispiel zu nennen, so hat man früher die Küsten nach
einander nach ihrem Grundriß und ihrem Aufriß und ihrer Gesteinsbeschaffen-
Grundbegriffe und Grundsätze der physiAchan Geographie. 195
holt eingeteilt und hat dabei die Eigenschaften der Küsten noch kaum
erschöpft; im Fortgang der Forschung hat man erkannt, daß ein bestinmiter
Grundriß mit einem bestimmten Aufriß und einer bestimmten stofflichen
Zusammensetzung verbunden zu sein pflegt, und hat darauf zuerst an einzelnen
besonders auffallenden Beispielen (wie den Fjorden), dann in umfassenderer Weise
die natürlichen Eüstentjpen begründet, die mit einem Worte den ganzen
Charakter der Küsten ausdrücken.
Die regelmäßige Vereinigung verschiedener Merkmale beruht darauf,
daß diese verschiedenen Merkmale von einander oder von einer gemeinsamen
Ursache abhftngig sind. Die auf eine solche Vereinigung begründeten Ver-
hältnisse oder Typen haben also zugleich kausale oder genetische Bedeutung,
d. h. drücken die gleich^ oder vei*schiedene Entstehungsweise aus, und sind
darum als natürliche Klassen oder Typen zu bezeichnen.
Die Art und Weise, wie man zur Aufstellung dieser natürlichen Klassen
und Typen kommt, ist verschieden. In der Regel wird man nach induktiver
Methode von der vergleichenden Betrachtung der Tatsachen ausgehen; aber
die auf diesem Wege gewonnene Klassifikation kann als innerlich begründet
erst angesehen werden, wenn es gelungen ist, auch die Gleichheit der Ent-
stehungsweise nachzuweisen. Manchmal wird man umgekehrt — und nachdem
durch die Induktion eine solide Basis gewonnen ist, sollte man jedenfalls
auch diesen umgekehrten Weg gehen — aus den bekannten Ursachen die
verschiedenen möglichen Entstehungsweisen und damit auch die verschiedenen
möglichen Eigenschaften abzuleiten suchen.
Bei der Kompliziertheit aller Vorgänge der Erdoberfläche werden die
verschiedenen Merkmale allerdings nur in Ausnahmefällen genau dieselbe
Verbreitung zeigen: die natürliche Klassifikation wird daher nie scharf und
frei von Willkür sein. Aus diesem Grunde hat man meist auf eine scharfe
Klassifikation verzichtet und sich mit der Aufstellung von Typen begnügt,
welche in empirischer Weise eine Anzahl von Eigenschaften zusammenfassen.
Aber diese Enthaltsamkeit scheint mir nur für einen gewissen Stand der
Kenntnis, nicht im Grundsatz richtig zu sein. Denn obgleich die Typen
genetisch begründet werden können, so gehen sie doch aus keiner voll-
ständigen kausalen Analyse hervor, sie stehen unvermittelt neben einander,
sie lassen nicht erkennen, ob die vorhandenen Möglichkeiten der Entstehung
erschöpft sind; die Aufstellung von Typen muß darum zu einer wirklichen
genetischen Klassifikation überleiten, zu deren Wesen ja keineswegs eine Ein-
schachtelung der Erscheinungen gehört, wie sie bei künstlicher Klassifikation
beliebt ist, die vielmehr die Übergänge erkennen lassen kann.
Wenn die Entstehungsweise eines geographischen Typus oder einer
Klasse geographischer Eigenschaften bekannt ist, wenn wir sie also deduktiv
abgeleitet haben oder wenigstens deduktiv ableiten können, wie es z. B. bei
den klimatischen Verhältnissen heute im großen und ganzen der Fall ist, so
sind mit den Eigenschaften zugleich auch die räumlichen Verhältnisse, Lage
und Ausdehnung, bekannt und gegeben. Wenn wir dagegen den Typus
befi(chreibend gewonnen und noch nicht auf seine letzten Ursachen zurück-
geführt haben, so treten Lage und Ausdehnung als neue, von den Eigen-
196 Alfred Hettner:
Bch&ffcen scheinbar unabhängige Merkmale hinza; so verhält es sich z. B»
hente im ganzen noch mit den Typen des inneren Gebirgsbaus. Aber das
liegt eben nur am Stand imserer Kenntnis; tatsächlich sind mit den Eigen-
schaften auch hier sofort die räumlichen Verhältnisse gegeben.
Mustern wir die allgemeinen räumlichen Verhältnisse der geographi-
schen Klassen und Typen, so tritt uns mit besonderer Wichtigkeit der
Umstand entgegen, daß sie in den meisten Fällen nicht zusammenhängende,
sondern zerstückelte Ausbreitung zeigen, teils weil die ursprünglich bestehenden
Zusammenhänge nachträglich aufgehoben worden sind, teils weil die Gleich-
artigkeit von vornherein nur auf einer Analogie der Ausbildung in getrennten
Erdräumen beruhte.
Die Grenzen verschiedener Klassen und Typ.en können scharf oder
bandartig sein; aber eine besondere Bedeutung kommt diesen Grenzen über-
haupt nur mittelbar zu, insofern die verschiedene Ausbildungsweise Lagen-
beziehungen hervorruft. Auch die Figur und Größe der Gebiete geographisch
gleichartiger Ausbildimg sind direkt nur insofern bedeutsam, als sie die Aus-
dehnung der Erscheinung und der wirkenden Ursache anzeigen, werden aber
nicht selbst zur Ursache, wie es bei den Bewegungserscheinungen der Fall
ist. Solange wir nur die Gleichartigkeit oder Ungleichartigkeit der Er-
scheinimgen ins Auge fassen, können wir daher nicht eigentlich von einer
Gliederung, die immer Wechselbeziehung der Teile voraussetzt, sondern nur
von einer Anordnung der Erscheinungen sprechen.
Neben den Beziehungen der Gleichheit und Verschiedenheit findet aber
zwischen den Erdstellen und Erdräimien auch eine direkte Einwirkung statt;
neben den Eigenschaften im engeren Sinne des Wortes haben wir daher auch
die Lagenbeziehungen zu beachten. Sie können verschiedenen Ursprungs
sein: namentlich für die Geographie des Menschen sind die durch Licht-
strahlen vermittelten Eeiz Wirkungen von großer Bedeutung; aber die Lagen -
beziehungen innerhalb der unorganischen Natur und auch der Pflanzen- und
Tierwelt beruhen zum größten Teil auf Bewegungserscheinungen, seien
es reale Bewegungen und damit Übertragung von Stoffen und auch von
Kräften und Zuständen, seien es Fortpflanzungen von Wellenbewegungen.
Solche Bewegungen oder andere Lagenbeziehungen können vorübergehend
und nebensächlich sein und werden dann bloß als Störungserscheinungen
empfanden; sie können aber auch dauernd und wesentlich sein und gewinnen
dann große geographische Bedeutung. Ein wichtiger Unterschied entspringt
auch aus dem Verhältnis ihrer Dauer zur Dauer der Wirkungen. Wo die
Bewegungen andauern, werden wir die Beziehungen der verschiedenen Teile
des Bewegungssystems verhältnismäßig leicht wahrnehmen, wo sie dagegen
vorübergehende Erscheinungen sind und nur ihre Wirkungen andauern, wie
es bei den Erscheinungen der festen Erdrinde und im ganzen auch der
organischen Natur der Fall ist, werden wir die verschiedenen Stücke der
Bewegung und ihre Lagenbeziehungen zunächst nur als neben einander
liegende Zustände von verschiedener Beschaffenheit auffassen und erst bei
eindringenderer Betrachtung eben als Teile von Bewegungssystemen erkennen
und gleichsam als Wachstumserscheinungen ansprechen. Jedem Teile des
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 197
Systems kommen bestimmte Eigenschaften zu; z. B. sind bei Bewegungen
meist die Region des Ursprungs, ein Mittelstück und die Begion des Endes
der Bewegung von einander verschieden. Zwischen den verschiedenen Teilen
eines Bewegungssystems bestehen bestimmte Beziehungen, die wir als eine
Korrelation ihrer Eigenschaften auffassen können, d. h. jede Veränderung
eines Teiles wird notwendig von einer bestimmten Veränderung des anderen
Teiles begleitet. Dadurch kommen zu den ursprünglichen Eigenschaften der
einzelnen Teile neue dem Bewegungssystem als solchem zugehörige Eigen-
schaften hinzu, die besonders auffällig an den Stellen hervortreten, wo ver-
schiedene Teile an einander grenzen (Brandimgserscheinungen u. s. w.). Wegen
dieser ursächlichen Beziehung lassen sich die Teile eines Bewegungssystems
oder überhaupt Erdstellen, zwischen denen Lagenbeziehungen vorhanden sind,
mit den Organen der organischen Individuen vergleichen; die Systeme im
ganzen können wir wohl mit einem gelegentlich von Bitter gebrauchten Aus-
druck als physiologische Individuen bezeichnen und die Ausbildung der
verschiedenen Teile als eine Gliederung auffassen.
Im logischen Sinne sind die Systeme, worauf Hözel hingewiesen hat,
individuelle Komplexbegriffe, denn während sie auf der einen Seite eine
Summe von geographischen Individuen umfassen, sind sie andrerseits selbst
Individuen, da jedes System als solches, wie wir gesehen haben, bestimmte,
auf einer Beziehung der Teile zu einander beruhende Eigenschaften hat. Er-
fordert die Komplexnatur eine besondere Betrachtungsweise, so läßt die
individuelle Natur daneben die ganze Betrachtungsweise gewöhnlicher geo-
graphischer Individuen auf sie anwenden. Insofern gelten für sie auch die
allgemeinen Begeln der geographischen Klassifikation; über die Aufstellung
von Größenreihen und andere künstliche Klassifikationen hinaus müssen wir
auch hier zu einer natürlichen Klassifikation auf Grund der Gesamtheit der
Merkmale und der darin zum Ausdruck kommenden Entstehung zu gelangen
suchen. Darum können auch Komplexe oder Systeme unter einander wieder
Lagenbeziehungen haben; größere Systeme können sich in Teilsysteme gliedern,
kleinere zu größeren zusammenfügen.
So sehen wir, daß wir auf der Erdoberfläche zweierlei Beziehungen
unterscheiden müssen: l) Beziehimgen der Gleichheit und Verschiedenheit;
2) Lagenbeziehungen oder Beziehungen gegenseitiger Einwirkung. Aus jenen
ergeben sich die Klassen oder Typen, aus diesen die Systeme und Kom-
plexe der geographischen Erscheinungen. Jene zeigen uns eine sta-
tische Anordnung, diese, eine dynamische, ja man kann sagen organische
Gliederung.
Es erheben sich nun zwei Fragen: l) In welchem ursächlichen Zu-
sammenhang stehen die beiden Reihen von Beziehungen zu einander? 2) In
welcher Weise verbinden sie sieh mit einander zu einer die Gesamtheit der
Erscheinungen zunächst innerhalb jeder einzelnen Kategorie von Erscheinungen
umfassenden Gruppierung der Erdräume oder, anders gewendet, Einteilung
der Erdoberfläche? Es ist klar, daß die Antwort auf diese Fragen unsere
gesamten Kenntnisse in jedem Zweige der Geographie zusammenfassen muß.
Wir können sie deshalb nur auf Grund einer Untersuchung der einzelnen
198 Alfred Hettner:
Erscheinungskreise zu geben versuchen, müssen aber vorher noch die formalen
Anforderungen an geographische Einteilungen bestimmen.
Eine Einteilung ist ihrem Begriff nach eine fortschreitende Zerlegung
des Ganzen, eine geographische Einteilung also eine fortschreitende Zerlegung
der Erdoberfläche in ihre Teile. Die Teile müssen notwendigerweise räum-
lichen Zusammenhang haben und unterscheiden sich dadurch von den Klassen
oder Typen, die des räumlichen Zusammenhangs entbehren können. Der
Einteilungsgrund ist willkürlich; ebenso wie zwischen quantitativer und quali-
tativer, künstlicher und natürlicher Klassifikation können wir auch zwischen
Einteilungen auf Orund quantitativer Abstufung oder qualitativer Verschieden-
heit, auf Orund einer Eigenschaft oder der Gesamtheit der Eigenschaften
unterscheiden; und ebenso gut wie auf Gleichheit oder Verschiedenheit der
Eigenschaften kann die Einteilung auch auf Lagenbeziehungen begründet
werden, so daß wir etwa die verschiedenen Bewegungssysteme als Abteilungen
auffassen. Man kann weiter sagen: eine Einteilung, die entweder nur auf
Gleichheit der Eigenschafben oder nur auf Lagenbeziehungen begründet ist,
ist einseitig und künstlich, eine natürliche Einteilung wird beides berück-
sichtigen müssen.
Leider fehlt es noch an einer allgemein angenommenen Bezeichnung für
die räumlichen Verhältnisse der Klassifikation, Gliederung und Einteilung;
besonders in den verschiedenen Disziplinen der Geog^raphie ist der Sprach-
gebrauch ganz verschieden. Der Mißbrauch des Wortes Zone ist heute wohl
seltener geworden, und man beschränkt es richtig auf Erscheinungen, die
sich wirklich gürtelförmig um den Erdball schlingen. In der einschränkenden
Form: Höhenzone oder Höhengürtel ist es für die Bezeichnung der senk-
rechten Anordnung geeignet, da ja die senkrechten Verbreitungen meistens
Gürtel bilden, welche um den Berg oder das Gebirge herumlaufen. Der
bei den Pflanzengeographen beliebte Gebrauch des Wortes Region speziell
für die Höhenanordnung ist, wie Wagner richtig bemerkt, weder sprachlich
gerechtfertigt noch sachlich zweckmäßig; das Wort wird vielmehr am besten
fdr die Bezeichnung einer bestimmten Größe geographischer Gebiete gebraucht
werden. Hierfür stehen außerdem die Worte Reich, Gebiet, Bezirk, Provinz
und andere zur Verfügung; es wäre gut, wenn im Laufe der Zeit eine Über-
einstimmung über den Gebrauch dieser Worte erzielt würde.
Die feste Erdrinde.
Bei der Betrachtung der festen Erdrinde müssen wir wieder zwischen
dem inneren Bau, den oberflächlich umbildenden Kräften und der aus dem
Zusammenwirken beider hervorgehenden äußeren Form und oberflächlichen
Beschaffenheit des Bodens unterscheiden.
A. Der innere Bau der festen Erdrinde ist eine Tatsache von
komplizierter Entstehung; aber wir haben uns überzeugt, daß wir vom geo-
graphischen Standpunkt aus die Gesteinszusammensetzung als eine gegebene
Tatsache hinnehmen und den inneren Bau als die Wii'kung der inneren
Bewegungsvorgänge auffassen müssen. Darum werden wir auch die tektonische
Klassifikation, Gliederung, Einteilung der Erdoberfläche, wo es sich um die
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 199
großen Gegensätze handelt, auf die inneren Bewegungsvorgänge und die
daraus sich ergebenden Lagerongsverhältnisse begründen müssen, während bei
den kleineren Gegensätzen mehr und mehr die Gesteinszusammensetzung zu
ihrem Rechte kommt. Die tektonischen Einteilungen müssen aber bisher danmter
leiden, daß wir die Bewegungsvorgänge und damit die letzten Ursachen der
Tektonik zu wenig kennen. Auch wenn wir uns auf den Boden der Hypothese
stellen, daß alle endogenen Vorgänge Wirkungen der Kontraktion des Erdinnem
seien, so können wir doch durchaus noch nicht sagen, auf welchen Ursachen
die ursprünglichen Verschiedenheiten in der Erstarrung der Erdrinde beruhen,
und auch nicht, nach welchen Gesetzen an der einen Stelle ein Bruch, an
der anderen ein Zusammenschub erfolgt. Wir müssen den innem Bau vor-
läufig noch rein empirisch aufzufassen versuchen. Wir können nur ganz
allgemein aussagen, daß zunächst irgend welche Verschiedenheiten vorhanden
gewesen sein müssen, und daß sie dann Bewegungen in der festen Erdrinde
eingeleitet haben, durch welche ganze Stücke der Erdrinde in andere Lage
gebracht und wobei auch Stücke von verschiedener Beschaffenheit zusanmien
geschweißt und in einander gearbeitet, andere bisher gleichartige Stücke
dagegen differenziert oder räimilich von einander getrennt worden sind. Wir
können dabei etwa folgende Vorgänge von einander unterscheiden:
1) Die Entstehung tektonischer Einheiten, d. h. gleichartiger
und zusanmienhängender, aber von der Umgebung verschiedener Gebilde durch
einheitliche Bildungsvorgänge. Der Begriff der Einheitlichkeit und Gleich-
artigkeit ist natürlich relativ; schon verhältnismäßig einfache Gebirge zeigen
in ihren verschiedenen Teilen verschiedene Gesteinszusanunensetzung und ver-
schiedene Lagerungsformen, also Verschiedenheiten im einzelnen innerhalb
der Gleichheit im allgemeinen. Ein Faltengebirge, wie der Schweizer Jura,
zerfällt nicht erst in Folge der Erosion, sondern schon in Folge der Faltimg
selbst in eine Anzahl von Ketten, die räumlich nur locker zusanmienhängen.
West- und Ostalpen zeigen große Gegensätze, wahrscheinlich wegen ihrer
verschiedenen Vorgeschichte; und entweder gleichfalls auf Verschiedenheit der
Vorgeschichte oder auf Asymmetrie der Faltung sind die bei den meisten Falten-
gebirgen vorhandenen Unterschiede einer Vorder- und einer Rückseite ziu^ck-
zufOhren. Sind in diesen Fällen die Gleichheit und Einheitlichkeit noch
deutlich ausgesprochen, so daß man solche Gebirge als Individuen auffaßt,
so wird der Zusanmienhang in anderen Fällen so locker oder die Verschieden-
heit der verschiedenen Stücke so auffallend, daß man das Ganze nicht mehr
als ein individuelles Gebirge, sondern nur als ein Gebirgssystem oder einen
Gebirgskomplex bezeichnet.
2) Die Zerlegung oder Zerstückelung tektonisch einheitlicher
Gebilde durch Einbrüche oder auch Einbiegungen des dazvdschen liegenden
Stückes oder auch umgekehrt durch eigene Hebung, so daß die ursprünglich
zusammenhängenden gleichartigen Stücke nun von einander getrennt sind.
Die Trennung ist in vielen Fällen nur unvollständig, so daß der Zusammen-
hang an einer oder auch an mehreren Stellen gewahrt bleibt; in anderen
Fällen ist die Zerreißung vollständig, so daß wir etwa ein Gewölbe mit ein-
gebrochenem Mittelstück oder ein zerbrochenes Tafelland oder ein zerbrochenes
200 Alfred Hettner:
Faltengebirge vor uns sehen. Besonders auffallend und auch besonders
bedeutsam wird die Zerreißung, wenn die eingebrochenen Stücke unter dem
Meeresspiegel liegen, die erhalten gebliebenen, tektonisch zusammengehörigen
Gebilde also durch das Meer von einander getrennt werden. Aller Wahr-
scheinlichkeit nach sind ganze frühere Kontinente auf diese Weise zerstückelt
worden; beispielsweise haben wir ja die vorderindische Halbinsel imd Süd-
afrika als die Bruchstücke eines alten Kontinents anzusehen.
3) Gleichartige tektonische Bildung in getrennten Bäumen,
also tektonische Gleichartigkeit ohne tektonischen Zusammenhang. Es ist oft
schwer zu unterscheiden, ob eine nachträgliche Unterbrechung des Zusammen-
hangs oder eben nur eine Analogie der Bildung vorliegt, aber die Beantwortung
der Frage ist nicht nur von großem historisch -geologischem, sondern auch
von biogeographischem Interesse. Vulkanische Ausbrüche und auch Ver-
werfungen erfolgen in getrennten Räumen in ganz gleicher Weise, dagegen
scheinen alle jüngeren Faltengebirge der Erde einem großen zusanunenhän-
genden Gürtel anzugehören.
4) Nachträgliches Anwachsen neuer Stücke und Verbindung
ursprünglich getrennter tektonischer Gebilde zu tektonischen Kom-
plexen. Eine solche Verbindung kann durch Sedimentbildung geschehen,
besonders wenn darauf eine Hebung des Landes erfolgt; am häufigsten aber
und in den großartigsten Fällen wird sie durch Faltungsvorgänge bewirkt.
Ein interessantes Beispiel dafür ist der Mont Ventoux, der ein erhaltenes
Bruchstück des alten ursprünglich wohl mit den Pyrenäen zusammenhängenden
proven9alischen Gebirges ist, an den aber die Faltenzüge der Alpen so dicht
angeschoben sind, daß ihn die morphologische Betrachtung kaum von diesen
trennen kann. Wohl alle Faltengebirge sind an die Kontinente, zu denen
sie gehören, angewachsen, und in manchen Fällen sind dadurch andere Land-
massen angeschlossen worden, z. B. die vorderindische Halbinsel an den
asiatischen Kontinent. Alle angegliederten Halbinseln im Gegensatz zu den
abgegliederten gehören hierher. In der großen Faltungszone sind vielfach
Angliederungen imd Abgliedenmgen auf einander gefolgt.
Das Ergebnis dieser Betrachtungen ist, daß tektonische Gleichartigkeit
und tektonischer Zusammenhang nicht mit einander Hand in Hand gehen,
sondern daß gleichartige tektonische Gebilde, teils in Folge nachträglicher
Zerreißung, teils in Folge ursprünglich analoger Bildung in getrennten Erd-
räumen wiederkehren, und daß die zusammenhängenden tektonischen Gebilde
mitunter aus sehr verschiedenartigen Stücken zusammengesetzt sind. Eine
geotektonische Klassifikation, welche ihre Klassen oder Tjpen auf die Gleich-
artigkeit des inneren Baus begründet, ist also nicht zugleich auch eine
tektonische Einteilung der Erde, die ja vom räumlichen Zusammenhang der
Erscheinungen ausgehen muß. So zufällig viele tektonische Komplexe,
namentlich die größten, die Kontinente, im Lichte der Erdgeschichte erscheinen,
so heterogenen Ursprungs sie sind, so wenig wir die Bildungsgesetze kennen,
die sie zusammengefügt, so muß sich eine geotektonische Einteilung doch in
erster Linie an sie halten und kann erst in zweiter Linie die tektonischen
Individuen, d. h. die Stücke gleicher Geschichte und gleichen Baues, aus
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 201
denen sie zosammengesetzt sind, zur Darstellung bringen. Bei der weiteren
Einteilung der tektonischen Individuen, z. S. der Gebirge, wird man sich,
je nachdem, mehr von der Rücksicht auf den Bewegungsvorgang imd die
Lagerungsformen oder auf die Gesteinszusammensetzung leiten lassen können.
B. Die Umbildung der festen Erdrinde durch äußere Kräfte
läßt verschiedene Einteilungsgründe zu. Zunächst ist zu beachten, daß diese
Kräfte und demzufolge auch ihre Wirkungen in verschiedenen Erdräumen
verschieden sind. Die Verwitterung, d. h. die Umbildung an Ort und Stelle,
ist bald mehr ein durch Insolation oder Prost bewirkter mechanischer Zerfall,
bald mehr eine chemische Zersetzung; an der Abtragung und Ablagerung
nehmen neben dem fließenden und spülenden Wasser, deren Verhältnis auch
sehr verschieden ist, vielfach Gletscher oder der Wind Teil oder haben
wenigstens in vergangenen Perioden Teil genonmien. Man hat deshalb die
Erdräume nach der Art der umbildenden Vorgänge klassifizieren können.
Da die Art der Umbildung in erster Linie von den Klimaten der Gegenwart
und Vergangenheit, in zweiter Linie von der Gesteinsbeschaffenheit abhängt,
stuumen die darauf begründeten Typen und Klassen in ihrer Verteilung in
erster Linie mit der Verteilung der Klimate teils der Gegenwart, teils der
Vergangenheit, in zweiter Linie mit der Velrteilung der Gesteinsarten überein.
Sie werden also keine räumlich zusammenhängenden Verbreitungsgebiete
haben, sondern in getrennten Gebieten analog wiederkehren müssen; ihre An-
ordnung stellt also auch keine Einteilung im strengen Sinne des Wortes dar.
Durch die transportierenden Kräfte, welche an der einen Stelle Material
wegnehmen und es an einer anderen, oft weit entfernten Stelle wieder ab-
lagern, wird eine Unterscheidung zwischen Gebieten der Abtragung und der
Ablagenmg hervorgerufen, die mit einander in Korrelation stehen und dem-
zufolge physiologische Komplexe bilden. Die geographische Verteilung dieser
Gebiete ist bei den verschiedenen Bewegungsvorgängen von verschiedenen Ur-
sachen abhängig; neben dem inneren Bau konunen auch die klimatischen Ver-
hältnisse in Betracht.
Wir können den Gegensatz und die Beziehungen der Teilstücke bei
jedem Bache verfolgen, und in größerem Maßslabe sind die Ausgestaltung
der Gebirge und die Auffüllung der an ihrem Fuße gelegenen Einsenkungen
darauf zurückzuführen. Die skandinavische Halbinsel oder die Alpen sind
Gebiete vorherrschend glacialer Abtragung, die oberdeutsche Hochebene und
die norddeutsche Tiefebene Gebiete der glacialen Ablagerung, so daß Penck
die oberdeutsche Hochebene daraufhin geradezu als Alpenvorland bezeichnet
hat. Die Fels wüsten sind Gebiete der Wegnahme alles lockeren Materials,
in den Sandwüsten wird der Sand, in den Steppen der Staub wieder abge-
lagert; die drei Gebiete müssen darum räumlich immer mit einander verbunden
auftreten. Die Wirkung des Küstenstromes bewirkt den Gegensatz und das
Nebeneinanderliegen von Abräumungs- und Anschwemmungsküsten. An die
primäre Verschiedenheit der umbildenden und besonders der transportierenden
Kräfte, auf die wir eine Klassifikation der oberflächlichen Umbildung der
festen Erdrinde begründen können, schließt sich also eine Gliederung an,
welche jedes Gebiet gleichartiger und einheitlicher Bewegung in zwei oder
Geographische Zeitschrift. 9. Jahrgang. 1903. 4. Heft. 14
202 Alfred Hettner:
auch mehrere nach der Stelle im Bewegongssjstem verschiedene Abteilungen
oder Glieder zerlegt; eine Einteilung nach der äußeren Umbildung der festen
Erdrinde wird auf beides zugleich Bücksicht nehmen müssen.
Die Kräfte der Abtragung haben in ihren verschiedenen zeitlichen
Stadien verschiedene Wirkungen. Ihr schließliches Ergebnis ist eine allge-
meine Einebnung, aber zunächst bewirken sie, da sie meist nicht gleichmäßig
über die Fläche verteilt sind, sondern großenteils — besonders gilt das von
dem fließenden Wasser, das ja die anderen Eräffce des Festlandes an Wirk-
samkeit weit übertrifft — in mehr oder weniger schmalen Bändern arbeiten,
eine Modellierung und Zerteilung des Bodens. Da die Verteilung der Wasser-
läufe der Hauptsache nach von der tektonischen Entstehung abhängig ist, so
kann auch die Anordnung der Erosionsfurchen der Hauptsache nach als eine
Funktion der Tektonik aufgefaßt werden, so daß jedem tektonischen Typus
eine bestimmte normale Anordnung der Erosionsfurchen und damit eine be-
stimmte erosive oder, mit einer allgemeineren Bezeichnung, exogene oder
oberflächliche Gliederung zukonmit, die man eben wegen dieser Abhängigkeit
auch als sekundäre oder unselbständige Gliedenmg bezeichnen kann. Die
morphologische Bedeutung der Erosionsfurchen, das Wort im weitesten Sinne
gebraucht, ist ähnlich wie die der langgestreckten Grabeneinbrüche, mit
denen sie ja auch oft verwechselt worden sind; nur handelt es sich im all-
gemeinen um viel kleinere Gebilde. Sie bewirken einerseits eine Unter-
scheidung zwischen Tälern und Bücken, andererseits eine allerdings nur
unvollständige Trennung vorher zusammenhängender Stücke, d. h. der Bücken
durch die Täler und der Täler durch die Bücken.
Auch in den Gebieten der Ablagerung kann eine gewisse Gliederung
durch die Ablagerung selbst, z. B. durch Dünen- oder Moränenbildung, statt-
finden; im allgemeinen wird jedoch dadurch eher die vorhandene Gliederung
verwischt
Die oberflächliche Gliederung kann innerhalb einer tektonischen Einheit
die inneren tektonischen Unterschiede und auch die Unterschiede in der Art
der oberflächlichen Umbildung an Wichtigkeit weit übertreffen und ist darum
für die natürliche Einteilung solcher Gebiete von großer Bedeutung. Aber
ihre Bedeutung erstreckt sich doch nicht über das einzelne tektonische
Gebiet hinaus, und man kann nicht etwa von einer allgemeinen äußeren
(exogenen) Gliederung der festen Erdrinde sprechen.
C. Die Formen der Erdoberfläche sind früher i'ein künstlich, nach
Meereshöhe, Umriß und dergl., klassifiziert worden. Manche Geographen
halten auch heute noch grundsätzlieh an solchen künstlichen Klassifikationen
fest. Aber die wissenschaftliche Auffassung muß auch hier von der Ent-
stehung ausgehen. Sie muß sich bewußt bleiben, daß die Formen der Erd-
oberfläche aus dem Zusammenwirken der inneren und äußeren Kräfte entstehen;
jene schaffen die großen Formen, diese gestalten sie aus und erzeugen die
kleineren Formen; jene bewirken die primäre oder selbständige, diese die
sekundäre oder unselbständige Gliederung der festen Erdoberfläche.
Sowohl die Gliederung wie die Klassifikation der Formen müssen diesen
doppelten Ursprung erkennen lassen. Die große oder selbständige horizontale
Grundbegriffe und Grundsätze der phjBischen Geographie. 203
und vertikale Gliederung der festen Erdoberfläche ist tektonischen Ursprungs.
Die Form und Anordnung der Kontinente, der Verlauf der Küsten im großen
und ganzen, die Anordnung und Bichtung der Gebirge und der ihnen an
Größe entsprechenden Formgebilde sind der Hauptsache nach tektonisch be-
wirkt, und es gilt daher für sie alles, was von der tektonischen Gliederung
gesagt worden ist. Der tektonische Einfluß erstreckt sich auch noch weiter
in die Einzelheiten, und besonders in vulkanischen Gebieten sind auch ganz
untergeordnet« Formen endogenen oder tektonischen Ursprungs; aber im
ganzen ist die sekundäre oder Einzelgliedenmg nicht mehr ein Werk der
inneren (endogenen), sondern der äußeren (exogenen) Kräfte, und die innere
Gliederung ist für sie nur insofern bedeutsam, als sie die Eichtung der aus-
gestaltenden Kräfte bestimmt. Je mehr wir daher auf die einzelnen Züge
der Gliederung eingehen, um so mehr kommt die oberflächliche Gliederung
zur Geltung. In vielen Fällen werden tektonische und oberflächliche Gliederung
einander durchkreuzen, und die morphologische Einteilung kann daher sowohl
der einen wie der anderen folgen. Bei dem Streit, der zwischen Diener
und Böhm über die Einteilung der Alpen geführt worden ist, hat es sich
daher eigentlich auch nicht um die Richtigkeit, sondern nur um die Zweck-
mäßigkeit gehandelt; es liegt kein Grund vor, die Berücksichtigung der
tektonischen Anlage für wissenschaftlicher zu halten als die der äußeren
Umbildung.
Die auf die Auffassung von Gleichheit oder Ungleichheit gerichtete
Klassifikation im engeren Sinne kann sich natürlich inmier nur auf bestimjnte
Gliederungsformen, z. B. Inseln, Gebirge, Täler, Höhlen, oder wenn je
mehrere Gattungen von Gliederungsformen von denselben Ursachen abhängig
sind, auf Gruppen von Gliederungsformen beziehen. Frühere künstliche
Klassifikationen haben sich an einzelne Formmerkmale gehalten; eine natürliche
Klassifikation muß sich aber auf die Gesamtheit der Merkmaie gründen und
dadurch zugleich die Enstehung auffassen. Da die großen selbständigen
Formen der festen Erdoberfläche hauptsächlich tektonischer Entstehung, die
kleinen unselbständigen Formen hauptsächlich oberflächlicher Entstehung sind,
hat sich im wesentlichen die E^assifikation jener an die tektonische Klassi-
fikation, die Klassifikation dieser an die Klassifikation der Umbildungsvorgänge
anzuschließen. Beispielsweise sind die Gebirge als Ganzes nach ihrer Tektonik
anfzufassen, bei den großen Tälern kommen ihre Anordnung in Bezug auf
das Gebirgsganze und ihre durch die oberflächlichen Kräfte bedingte Form
neben einander in Betracht, die Form der Talhänge und die damit zu-
sanmienhängenden Einzelformen spiegeln in erster Linie die Art der sie er-
zeugenden oberflächlichen Kräfte und erst in zweiter Linie die vom inneren
Bau abhängige Zusammensetzung und Lagerungsweise des Gesteins wider.
Die Ausgestaltung eines Gebirges ist von ganz andersartigen Ejräften als
seine Entstehung abhängig, und wenn wir seine ganze Erscheinung zum Aus-
druck bringen wollen, so werden wir es durch eine doppelte Bezeichnung tun
müssen, die sich einerseits auf den inneren Bau, andererseits auf die Art der
äußeren Umbildung bezieht. Als drittes Chai'akteristikum könnte man das
tektonische Alter und die dadurch bewirkte Dauer der äußeren Einwirkungen
204 Alfred Hettner:
IdnzafÜgen, aber soweit es sich um die eigentlich geographische Betrachtung
handelt, glaube ich, daß dieser umstand gegenüber den beiden anderen
zurücktritt.
D. In Bezug auf die stoffliche Zusammensetzung des Bodens
durchkreuzen sich dieselben beiden Ursachenreihen, aber die Art der äußeren
Umbildung ist hier, wie wir gesehen haben, von verhältnismäßig viel größerer
Bedeutung als die Gesteinszusammensetzung des Untergrundes. Darum trägt
auch eine natürliche d. h. genetische Klassifikation der Bodenarten, wie sie
in geographisch befriedigender Weise zuerst v. Richthof en aufgestellt hat,
in erster Linie den exogenen Ursachen: der Verwitterung, Ablagerung und
Abtragung, und erst in zweiter Linie der Gesteinsbeschaffenheit Rechnung.
Auch die geographische Verteilung der Böden nach ihrer Beschaffenheit zeigt
die großen Regionen entsprechend der Verteilung der äußerlich umbildenden
Kräfte, während das Gestein nur mehr lokale Modifikationen oder Facies,
nach dem geologischen Sprachgebrauch, hervonuft.
Die Gewässer.
Das Wasser ist von der festen Erdrinde vornehmlich durch seine Be-
weglichkeit unterschieden; während wir es bei dieser hauptsächlich mit Dauer-
zuständen zu tun gehabt haben, die wir nur indirekt und mangelhaft auf
Bewegungen zurückfähren konnten, müssen beim Wasser die Bewegungen selbst
in den Vordergrund der Betrachtung treten.
Die erste Bewegung ist die durch die Schwere bewirkte Bewegung des
fließenden Wassers. Überall wo es auf die feste Erdoberfläche auftrifft,
nimmt es seinen Lauf gemäß der Böschung des festen Untergrundes, und die
Scheidelinien entgegengesetzter Böschungen, wie sie teils im inneren Bau be-
gründet, teils durch äußere Umbildung geschaffen worden sind, werden daher
zugleich Wasserscheiden. Das von der Scheide abrinnende Wasser vereinigt
sich dann aber mit den Wassertropfen, die es auf seinem Laufe antrifft, und
so ensteht durch eine erste Verbindung und Sammlung der Bach- oder
Flußlauf. Durch die Vereinigung verschiedener Bäche und Flüsse ergeben
sich als größere hydrographische Komplexe die Flußsysteme, deren topo-
graphische Anordnung und Ausdehnung wir als Flußnetze und Fluß-
gebiete zu bezeichnen pflegen. Die Flüsse und Flußsysteme sind aus-
gezeichnete physiologische Individuen, da das Wasser in ihnen zirkuliert wie
das Blut im tierischen Körper, imd alle Teile des Flußlaufes in Bezug auf
Menge, Bewegung, stoffliche Zusammensetzung, physikalische Eigenschaften
des Wassers in Abhängigkeit von einander stehen. Nicht selbständig, sondern
nur als Modifikation der von oben mitgebrachten Eigenschaften kommen die
an Ort und Stelle stattfindenden Einflüsse zur Geltung, aber diese Geltung
erstreckt sich dann auch in vieler Beziehung flußaufwärts, so daß es ebenso
unmöglich ist, die oberen Stücke eines Flußlaufes für sich ohne Rücksicht
auf das untere Stück zu verstehen wie lungekehrt. In weiterem Sinne bilden
auch noch die verschiedenen Systeme der in ein Meer einmündenden Flüsse
mit diesem einen hydrographischen Komplex, der schon allein durch die
Tatsache der zusammenhängenden Wassermasse für die Wanderungen der
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 205
Organismen und den Verkehr der Menschen von Bedeutung ist, aber auch,
namentlich bei kleineren abgeschlossenen Meeren, wie der Ostsee oder dem
Schwarzen Meere, in Wasserführung und physikalischen Eigenschaften des
Wassers zur Geltung kommt
Während die verschiedenen Teile eines und desselben Flu£laufes oder
die verschiedenen Flüsse eines und desselben Flu£systemes ungleiche Aus-
bildung zeigen können, die sie in Bezug auf ihre Eigenschaften verschiedenen
Klassen zuweist, können verschiedene Flüsse und Flußsysteme und bestimmte
ätücke verschiedener Flußläufe in Bezug auf ihre Form, ihre Wasserführung,
ihre Geschwindigkeit, ihre Beimengungen, ihre physikalischen Verhältnisse
mit einander übereinstimmen, imd auf Grund der dabei entdeckten Analogien
kann eine gattungsmäßige Klassifikation vorgenommen werden. Die Klassen
oder Gattungen werden, wie sich aus den früheren Erörterungen leicht ent-
nehmen läßt, in ihrer Verbreitung teils mehr Abhängigkeit von tektonischen,
teils mehr von klimatischen Ursachen zeigen. Eine allgemeine hydrogra-
phische Einteilung der Erdoberfläche wird in erster Linie, wie es ja üblich ist,
auf die Flußsysteme begründet werden müssen, daneben aber auch die ver-
schiedenartige Ausbildung der einzelnen Flüsse und Flußstücke nach klima-
tischen und tektonischen Begionen zur Darstellung bringen können.
Die Meere und bei spezieller Betrachtung auch die Binnenseen verlangen
eine besondere Einteilung nach ihren hydrogi*aphi8chen Verhältnissen. Hierbei
sind die innerhalb der stehenden Gewässer, hauptsächlich der Meere, vor-
handenen Bewegungen des Wassers viel mehr in den Vordergrund zu stellen,
als es gewöhnlich geschieht, denn ihre physikalischen und chemischen Eigen-
schaften können nur auf Grund der Bewegimgen wirklich verstanden werden.
Krümmel hat die Meere mit Hecht als physiologische Individuen bezeichnet
und ihre Einteilung darauf begründet. Die Analogien verschiedener Meere
beziehen sich zunächst auf die Art der Bewegungen, man könnte sagen auf
ihre Physiologie, und auch eine hydrographische Klassifikation der Meere und
Meeresteile wird daher zuerst den Bewegungen Eechnung tragen müssen.
Die Klimate.
Fast noch mehr tritt die Bedeutung der Bewegungssysteme in der
AtmospMre in den Vordergrund, aber es ist lehrreich zu beachten, wie man
erst ganz allmählich zu deren Würdigung gelangt ist. Die griechische Geo-
graphie hat einen genialen Versuch zu einer natürlichen klimatischen Ein-
teilung der Erde gemacht. Dieser Versuch war deduktiv, er ging davon
aus, daß das Klima eine Funktion der Bestrahlung der Erde durch die
Sonne ist, imd leitete demgemäß die Verschiedenheiten des Klimas aus den
durch die Breitenlage bedingten Verschiedenheiten der Sonnenstrahlung ab.
Aber dieser Versuch mußte scheitern, weil er die große Verschiedenheit der
Erwärmimg je nach der Beschaffenheit des Untergrundes übersah imd der
Bedeutung der Dynamik der Atmosphäre keine Rechnung trug. Die mathe-
matischen Klimazonen haben weder für die Temperatur noch für die Ver-
hältnisse der Licht- und Wärmestrahlung eine reale Bedeutung, denn auch
diese wird in hohem Maße von der Bewölkung beeinflußt. Die wirklichen
206 Alfred Hettner:
Elimate der Erdoberfläche sind von so vielen umständen abhängig, da£ eine
rein deduktive Auffassung überhaupt nicht gelingen konnte, sondern daß
eine natürliche Einteilung der Klimate erst auf Grund eines reichen Be-
obachtungsmaterials möglich wurde. Es ist leicht erklärlich, daß man zuerst
die einzelnen klimatischen Elemente fOr sich behandelt und sich auf die
Auffassung der quantitativen unterschiede, besonders der zeitlichen Mittel-
werte, beschränkt hat, aber es war doch eine merkwürdige Täuschung, daß
man auf solche Mittelwerte, wie z. B. die Jahres- und Monatstemperaturen,
eine natürliche klimatische Einteilung der Erde begründen zu können glaubte.
Viel bedeutsamer in dieser Richtung war die Unterscheidung einzelner be-
sonders charakteristischer Klimatjpen, wie des See- und Landklimas, des
Höhen- und Tieflandklimas, des Monsunklimas oder des tropischen Klimas
überhaupt im Gegensatz zimi Klima der gemäßigten Zone. Aber es waren
doch nur einzelne empirische Ansätze. Eine schärfere und umfassendere Be-
handlung der Aufgabe wurde erst möglich, als die Meteorologie den ursäch-
lichen Zusammenhang der verschiedenen Faktoren der Witterung kennen ge-
lehrt hatte, zuerst durch die Windrosen, die die Abhängigkeit der Temperatur,
Niederschläge u. s. w. von der Windrichtung zeigten, dann in viel vollkommener
Weise durch die aus dem Studium der Wirbelstürme hervorgegangene Lehre
von der Dynamik der Atmosphäre, welche Luftdruck und Winde jedes Ortes als
Bestandteile eines großen Systemes der atmosphärischen Zirkulation kennen
lehrte und zugleich die Abhängigkeit aller Witterungserscheinungen von den
Bewegungen der Luft, noch mehr von den vertikalen als von den horizontalen
Bewegungen, zeigte. Eine Art Vorstufe zu einer natürlichen, den ganzen
Charakter des Klimas berücksichtigenden klimatischen Einteilung der Erde
bilden die besonders von Wojeikof und Koppen unternommenen Versuche
einer üntei-scheidung der Begengebiete nach dem jahreszeitlichen Verlaufe der
Niederschläge; denn dieser steht im engsten Zusammenhang mit dem ganzen
Charakter des Klimas und läßt auch nicht, wie die Temperatur, eine starre
quantitative Einteilung zu. Später folgten dann Versuche einer gleichzeitigen
Berücksichtigung aller klimatischen Faktoren. Sie waren zunächst wesentlich
empirisch und gingen mehr auf das Verständnis der Wirkungen als der
Ursachen des Klimas aus, aber sie bahnten doch auch das genetische Ver-
ständnis an. Wenn auch im einzelnen noch viele Zweifel bestehen, so
können wir heute doch im großen und ganzen die Verteilung der Klimate
auf der Erdoberfläche verstehen^), ja es ist bis zu einem gewissen Grade
schon möglich, sie aus ihren Ursachen abzuleiten.
Die Hauptsache ist eine Einsicht, die leider noch viel zu wenig all-
gemein durchgedrungen ist und namentlich in den Übersichtsdarstellungen
der Klimatologie viel zu wenig zur Geltung kommt, die Einsicht nämlich,
daß die senkrechten und wagrechten Bewegungen der Luft nicht, nur unter-
geordnete Störungen verursachen, sondern alle Verhältnisse der Atmosphäre
beherrschen, daß also die Einteilung der Klimate nur als eine Funktion der
1) Vergl. W. Koppen, Versuch einer Klassifikation der Klimate. G. Z. VI.
t900. S. 698 ff. u. 667 ff.
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 207
atmosphärischen Zirkulation verstanden werden kann. Aus dieser Einsieht
folgt die Überzeugung, dafs klimatische Differenzierung und Bewegungs-
erscheinungen mit ihren Wirkungen in komplizierter Weise in einander greifen,
und daß daher eine natürliche Einteilung beiden zugleich gerecht werden
kann und muB. Die erste Tatsache ist die primäre Ungleichheit in Folge
der Verschiedenheit der Wärmestrahlung in verschiedenen geographischen
Breiten, also die Ausbildung der mathematischen Klimazonen; daran schließt
sich aber sofort eine primäre Bewegung, nämlich die Entstehung großer
Luftwirbel, welche die Erdoberfläche, wenn sie homogene Beschaffenheit hätte,
umkreisen würden und in den höheren Schichten der Atmosphäre, wie es
scheint, tatsächlich umkreisen. Es ist hierdurch eine primäre oder all-
gemeine (universale), d. h. die ganze Erde umfassende Gliederung nach der
geographischen Breite gegeben. Die Regelmäßigkeit dieser Verhältnisse wird
durch die verschiedene Erwärmung der Ozeane und Kontinente, die ver-
schiedene Hemmung der Luftbewegung auf ihnen und durch die dadurch be-
wirkten Ablenkungen der Luftströmungen (Monsune u. s. w.) oft gestört; wäh-
rend auf den Ozeanen die allgemeine Zirkulation mit den ihr eigentümlichen
Witterungsverhältnissen bestehen bleibt und demgemäß die primäre Gliederung
Gültigkeit behält, stellen sich auf den Kontinenten Uhd in ihrer Nachbar-
schaft besondere Systeme der Luftbewegung und damit besondere Verhält-
nisse der Temperatur und der Niederschläge ein, die wir im Gegensatz zu
jenen als die kontinentalen bezeichnen können. Die Klimate der Kontinente
sind nicht bloß von der Breitenlage, sondern auch von der Lage zum
Ozean abhängig. Die Ausbildung ist auf jedem Kontinent je nach seiner
Form und Größe verschieden; aber es findet doch eine ausgesprochene
Analogie der Ausbildung statt. Die ozeanische Ausbildung wird nun weiter
durch größere Inseln, die kontinentale durch die horizontale und vertikale
Gliederung in mannigfacher Weise geändert, und zwar findet auch diese
Änderung wieder hauptsächlich in der Weise statt, daß die Bewegungen
durch den mechanischen Widerstand und die verschiedene Erwärmung des
Untergrundes gehemmt und abgelenkt werden, und daß sich in Folge davon
auch Abänderungen der Temperatur und der Niederschläge einstellen. Man
kann diese Abänderungen als regional bezeichnen. Ihnen schließen sich
die lokalen Verschiedenheiten an, die durch die Küstengliederung im engeren
Sinn, die Gliederung der einzelnen Gebirge u. s. w. hervorgerufen werden.
Es ist klar, daß auch bei diesen regionalen und lokalen Abänderungen in
den verschiedenen Erdräumen zahlreiche analoge Wiederholiuigen stattfinden,
die als solche aufgefaßt und berücksichtigt werden müssen.
Auch in Bezug auf das Klima können wir denmach zunächst die Tatsachen
der Gleichartigkeit (Analogie) für sich auffassen. Auf den beiden Halbkugeln,
auf den einander entsprechenden Seiten der verschiedenen Kontinente, Halb-
inseln, Inseln, Gebirge u. s. w. finden wir gleichartige oder ähnliche Klimate,
wenn auch in verschiedener räumlicher Ausdehnung und von verschiedener
Intensität der Ausbildung (klimatische Analogien). Wir müssen sie in ihrer
Gleichartigkeit auffassen und nach den logischen Regeln der Klassifikation
behandeln; es ist ein großer Mangel einer natürlichen Einteilung der Klimate,
208 Alfred Hettner:
wenn sie diese Analogien nicht zur Geltung bringt. Aber die Auffassung
der Klimate unter dem Gesichtspunkt der Gleichartigkeit ist ungenügend,
denn andererseits stehen die verschiedenen Klimatjpen innerhalb jeder Halb-
kugel oder jeden Kontinents oder jeder Insel oder jedes Gebirges in räum-
lichem Zusammenhang, sie bilden Teile oder Glieder von Bewegungssjstemen
und stehen damit in Beziehungen der Korrelation: die Ausbildung des einen
hängt von der Ausbildung des anderen ab. Eine natürliche Einteilung muß
die Anordnung der klimatischen Analogien als eine Folge der Gliederung
auffassen. Über der Klassifikation der Klimate darf die Auffassung der
klimatischen Gliederung nicht vergessen werden.
Die Pflanzen- und Tierwelt.
Wir haben gesehen, daß die Pflanzen- und Tierwelt unter zwei ver-
schiedenen Gesichtspunkten, nämlich unter dem der Abstanunung und unter
dem der Lebensweise und damit der Anpassung an die Lebensbedingungen
des Ortes, aufzufassen ist (s. S. 129). Daraus ergeben sich zwei verschiedene
Arten der geographischen Verteilung, die wir als die biogenetische und die
biophysiologische bezeichnen können.
Unter den Lebensbedingimgen der Pflanzen steht das Klima oben an,
darauf folgt die Bodenbeschaffenheit. Darum schließen sich die Gebiete
gleicher Lebensverhältnisse und demzufolge auch entsprechender Ausbildung
der vegetativen Organe, also die Vegetationsgebiete, im großen an die
Klimagebiete, im kleinen an die Gebiete gleicher Bodenbeschaffenheit an.
Diese Übereinstimmung geht so weit, daß Koppen die Benennung und teil-
weise auch die Abgrenzung seiner Klimagebiete nach pflanzengeographischen
Merkmalen vornehmen konnte, und daß seine Karte in den wesentlichsten
Zügen mit einer von mir entworfenen Karte der Vegetationsgebiete über-
einstimmte. Auch die Vegetationsgebiete zeigen demnach eine ausgesprochene
Analogie in den entsprechenden Teilen der verschiedenen Kontinente; auf
jedem einzelnen Kontinente aber treten verschiedene Vegetationsgebiete in be-
stimmter Weise zusanmien und bewirken eine bestimmte Gliederung seiner
Vegetation.
Wenn man einmal, was meines Wissens leider noch nicht geschehen ist,
den Versuch machen wollte, zoobiologische Karten, d. h. Karten der Lebensweise
der Tiere und der dadurch bevrirkten Ausbildung ihrer Organe, zu zeichnen,
so würden diese Karten wahrscheinlich mit den Vegetations- und damit auch
mit den Klimakarten große Ähnlichkeit zeigen, da die Lebensweise der
Tiere hauptsächlich von der Vegetation abhängig ist.
Viel verwickelter ist die Verteilung der Pflanzen imd Tiere unter dem
Gesichtspunkt ihrer Abstammung. Man hat die Floren- und Faun engebiete
früher hauptsächlich durch eine Statistik der Arten, Gattungen und überhaupt
Sippen zu charakterisieren versucht, richtet aber heute sein Hauptaugenmerk
darauf, bestimmte Genossenschaften herauszufinden, die zusammen aufzutreten
pflegen. Es ist a priori nicht unmöglich, daß dieselben Arten zu wieder-
holten Malen an verschiedenen Stellen entstehen; aber wenn diese Auslassung
3chon für die einzelnen Arten unwahrscheinlich ist, so läßt sie sich auf
Grundbegriffe und Grundsätze der physischen Geographie. 209
ganze Genossenschaften nicht mehr anwenden. Floristische und faonistische
Übereinstimmung weist also auf Abstammungs Verwandtschaft hin, und eine
bloße Analogie der Entstehung kommt nur in gewissen mehr formalen Eigen-
schaften, z. B. den allgemeinen Eigenschaften der Inselfloren und -faunen,
zur Geltung.
Eine Differenzienmg der Floren und Faunen scheint immer dann ein-
getreten zu sein, wenn entweder die Lebensbedingungen in den verschiedenen
Teilen eines vorher gleichen Gebietes verschieden wurden, oder wenn zwei
Stücke mit gleichen Lebensbedingungen durch ein dazwischen liegendes Stück
mit anderen Lebensbedingungen von einander getrennt worden. Eine Aus-
bildung neuer Arten mag zwar auch ohne eine solche rftumliche Differenzierung
stattfinden, aber die neuen Arten werden sich bei Gleichheit der Lebens-
bedingungen über das ganze Gebiet verbreiten können, also keine Differenzierung
der Flora oder Fauna zur Folge haben. Die Verschiedenheit der Lebens-
bedingungen kann natürlich mehr oder weniger groß sein; je nachdem wird
eine kleinere oder größere Zahl von Arten im Stande sein, sich den Lebens-
bedingungen beider Gebiete anzupassen. Auch die Absonderung kann mehr
oder weniger groß sein; je nachdem werden weniger oder mehr Arten in
Folge ihrer verschiedenen Wanderungs- und Ausbreitungsföhigkeit im Stande
sein, das Hindernis zu überspringen. Die Ausbildung der Verschiedenheit
oder die Absonderung kann auch mehr oder weniger alt sein. Je älter sie
ist, um so größer wird die Differenzierung der Flora und Fauna werden,
vorausgesetzt natürlich, daß sich inzwischen keine neuen Verbreitungswege
darbieten. Wo die Differenzierung jungen Ursprungs ist, wird sie nur die
Arten, vielleicht auch die Gattungen, wo sie alt ist, auch die Familien be-
treffen. Wo umgekehrt eine Verbindung der Länder bezw. Meere oder eine
Ausgleichung der klimatischen oder anderen natürlichen Lebensbedingungen
eintrat, konnte auch eine Ausgleichung und Kreuzung der Floren und Faunen
stattfinden, die wir in manchen Fällen noch in der Entwicklung begriffen,
in anderen Fällen schon so zum Abschluß gekommen sehen, daß wir die
ursprüngliche Verschiedenheit gar nicht mehr oder nur in Einzelheiten
bemerken.
Lisofem stimmen alle Gruppen des Pflanzen- und Tierreiches in Bezug
auf die Gesetze ihrer Verbreitung überein; aber die tatsächliche Verbreitimg
wird für jede Gruppe je nach ihrem geologischen Alter und nach ihrer An-
passungs- und Ausbreitungsfähigkeit verschieden sein, und die geographischen
Einteilungen, die auf verschiedene Klassen begründet werden, müssen not-
wendigerweise im einzelnen von einander abweichen. Wenn man, was aus
praktischen Gründen zweckmäßig ist, eine einheitliche biogenetische oder
wenigstens eine einheitliche floristische und eine einheitliche faunistische Ein-
teilung der Erdoberfläche anstrebt, so wird man sie entweder auf gewisse
besonders wichtige Gruppen unter Vernachlässigung der übrigen begründen
oder einen Mittelweg einschlagen müssen. Es ist hier natürlich nicht der
Ort, die verschiedenen Versuche im einzelnen zu besprechen oder gar einen
neuen Versuch der Einteilung zu machen. Es sollen vielmehr nur die geo-
graphischen Grundtatsachen dargelegt werden.
210 Alfred Hettner:
Die erste und wichtigste Differenziening ist natürlich die zwischen den
Organismen des Wassers und des Landes; wir müssen es dahingestellt sein
lassen, oh diese Differenzierung nur einmal für immer stattgefunden oder sich
immer von neuem wiederholt hat. Lassen wir im weiteren die Organismen
des Wassers bei Seite, so ergibt sich für die Pflanzen und Tiere des Fest-
landes eine primäre Differenzierung nach den drei Klimazonen, d. h. zwischen
den Tropen und der nördlichen und der südlichen gemäßigten Zone mit den
dazu gehörigen Polarzonen. Erst darauf folgt, die Differenzierung zwischen
den Kontinenten der östlichen und der westlichen Halbkugel, die in den
Tropen und auf der südlichen Halbkugel viel ausgeprägter als in der nörd-
lichen gemäßigten Zone ist. Daß diese Differenzierung an Bedeutung hinter
der klimatischen zurücksteht, erklärt sich daraus, daß die heutigen Konti-
nente erst verhältnismäßig jungen Ursprungs und in hohen Breiten ziemlich
eng mit einander verwachsen sind. Drittens und viertens folgen ungefähr
gleichwertig die weiteren geomorphologischen und klimatischen Differenzie-
rungen, namentlich die Absonderung der Liseln und die Trennung durch Ge-
birge einerseits, die Ausbildung der kühleren Höhen und der Trockengebiete
andererseits. Dadurch, daß diese Differenzierungen sowohl eine direkte Diffe-
renzierung der von ihnen betroffenen Lebewelten wie eine Absonderung der
auf ihren beiden Seiten liegenden Gebiete oder auch umgekehrt die Ent-
stehung von Verbreitimgsbrücken bewirken, rufen sie eine große Mannig-
faltigkeit der Erscheinungen hervor. In den letzten Ausläufern führen sie
natürlich auf die heutigen Lebensbedingungen hin, und die unteren Flora- und
Faunaprovinzen werden daher mit den pflanzen- und tierbiologischen Begionen
übereinstinunen.
Zusammenfassung.
Fassen wir die Ergebnisse unserer Betrachtungen über die Verhältnisse
der Gleichheit und Verschiedenheit und die Lagenbeziehungen und Bewegimgs-
systeme in den einzelnen Naturreichen und die daraus sich ergebenden Mög-
lichkeiten der Klassifikation, Gliederung, Einteilung kurz zusammen!
Wir haben es auf der Erdoberfläche nirgends mit einer einfachen Diffe-
renzierung oder Entstehung von Ungleichheiten zu tun, sondern überall
treten Lagenbeziehungen hinzu. Auch solche Erscheinungen, wie z. B.
die Verschiedenheiten der Vegetation, die zunächst rein statisch von ihren
Bedingungen abhängen und insofern einfach neben einander liegende Ver-
schiedenheiten darstellen, sind doch, da diese Bedingungen die Wirkungen
einer Gliederung sind, indirekt auch als Gliederungserscheinungen aufzufassen.
Andererseits gibt es auch keine Tatsachen der Gliederung für sich allein,
sie sind viehnehr immer sofort mit verschiedener Ausbildung der Teile ver-
buDden. Das Verhältnis ist im allgemeinen so, daß zunächst durch die nach
Erdräumen verschiedene Einwirkung einer tellurischen oder kosmischen Ur-
sache Verschiedenheiten entstehen, daß diese aber immer sogleich Bewegungen
und damit Gliederungserscheinungen im Gefolge haben, und daß dadurch die
ursprüngliche Verschiedenheit fast ganz verloren geht. In manchen Fällen
köDDen wir verfolgen, wie dann in regelmäßiger Abstufung sekundäre Ver-
üüedenheiten und sekundäre Bewegungen, tertiäre Verschiedenheiten und
i
Grundbegriffe und Grundsätze der pliysisclien Geographie. 211
tertiäre Bewegangen u. s. w. entstehen. Dieselbe Differenzierung kann sich
an verschiedenen Stellen analog wiederholen; dem entsprechend werden anch
die Bewegnngssjsteme und ihre Teile an verschiedenen Stellen analog aus-
gebildet sein. Damm fallen Klassifikation, die nur die Gleichheit oder Ver-
schiedenheit im Auge hat, und Einteilung, die auf den räumlichen Zusanunen-
hang achten muß, in den meisten Erscheinungskreisen aus einander; die Ein-
teilung muß sich zunächst meistens an die Gliederung anschließen und führt
erst weiterhin zu Gebieten von gleichartiger Ausbildung, wie sie die E^lassi-
fikation auffaßt.
Die räumlichen Verhältnisse der verschiedenen Erscheinungskreise stehen
in mannigfaltiger Weise mit einander in Zusanunenhang. Die Art dieses ur-
sächlichen Zusammenhanges haben wir schon im vorigen Kapitel kennen ge-
lernt; es fragt sich hier nur, wie sich dieser Zusammenhang räumlich äußert,
wie er in der Klassifikation, Gliederung, Einteilung der Erdoberfläche zur Gel-
tung konunt. Das Vorhandensein von Verschiedenheiten im einen Erscheinungs-
kreise kann auch im anderen zunächst nur ein Auftreten von Verschieden-
heiten bewirken, aber diese Verschiedenheiten können nun Bewegungen ein-
leiten, welche die Verschiedenheiten selbst an Bedeutung weit übertreffen, so
daß tatsächlich Verschiedenheiten im einen Erscheinungskreise Bewegungen
im anderen hervorrufen, wie z. B. der Gegensatz von Hoch und Tief die Be-
wegung des fließenden Wassers, der Gegensatz von Land und Meer Strö-
mungen der Atmosphäre und damit die sekundäre klimatische Gliederung.
In diesem Verhältnis liegt die Wichtigkeit dessen , was man gewöhnlich als
die geographische Lage im Gegensatz zu den direkten geographischen Eigen-
schaften bezeichnet. Die so oft betonte ozeanische Lage, d. h. Lage am
Ozean, ist deshalb und nur dann klimatisch bedeutsam, weil und wenn der
Wind die klimatischen Eigenschaften des Ozeans auf das Festland hinüber-
tiügt. Am wichtigsten ist die „Lage^^ in der Geographie des Menschen, im
Hinblick auf die man sie ja auch vorzugsweise betrachtet, teils wegen der-
leichten Beweglichkeit des Menschen, teils weil der Gegensatz hier auch schon
als B«iz wirkt.
Dadurch wird das ursächliche Verhältnis zwischen Klassifikation, Gliede-
rung und Einteilung der verschiedenen Erscheinungskreise sehr kompliziert,
und wenn schon den am Schlüsse des vorigen Kapitels aufgestellten vier
Beihen ursächlicher Verknüpfungen nur ganz im allgemeinen Gültigkeit zu-
konunt, so gilt das noch viel mehr von den Gruppen natürlicher Klassifika-
tionen, Gliederungen und Einteilungen, in die wir die Ergebnisse der vorher-
gehenden Betrachtimgen zusammenfassen wollen.
Wir haben gesehen, daß eine Reihe von Erscheinungen der Hauptsache
nach vom inneren Bau der Erdrinde abhängig sind; demzufolge müssen sich
auch ihre Einteilungen an die tektonische Einteilung der Erde anschließen.
Diese kann sich in der obersten Abteilung nur auf die großen tektonischen
Komplexe beziehen, welche wir in ihrer äußeren Form als Kontinente auf-
fassen, und wird auch in weiteren Abteilungen manchmal am besten den Er-
scheinungen der tektonischen und damit auch der morphologischen Gliederung
Rechnung tragen. Hier konunt aber auch die auf gleicher oder analoger
212 A. Hettner: Grundbegriffe u. Grundsätze d. physischen Geographie.
Entstehung beruhende tektonische und morphologische Gleichartigkeit zur
Geltung und verdient sehr hervorgehoben zu werden, weil sie von gleich-
artiger Ausbildung der Entwässerung, gleichartiger Modifikation der klima-
tischen und der davon abhängigen Verhältnisse begleitet wird. In den
unteren Abteilungen verliert aber die Einteilung nach der Tektonik immer
mehr an Bedeutung und wird zweckmäßig meist durch eine Einteilung nach
der oberflächlichen Gliederung ersetzt, die ja überhaupt keine selbständige Be-
deutung hat, sondern sich nur auf die einzelnen tektonischen Individuen be-
zieht, und die deshalb hier angeschlossen werden kann.
Aus der Tektonik gehen auch die Flußsysteme hervor, in der Weise,
daß die Scheitellinien der tektonischen YoUformen Wasserscheiden bilden.
Aber es findet doch keine einfache Abhängigkeit von der heutigen Tektonik
statt, sondern es kommt dafär die Entwickelungsgeschichte der Tektonik in
komplizierter Weise in Betracht, so daß die Flußsysteme ganz selbständige
Gebiete bilden. Sie haben Bedeutung für die ümlagerung von Materialien
der festen Erdrinde wie für die Wanderungen der Pflanzen und Tiere und
für den menschlichen Verkehr, aber ihre Bedeutung ist im ganzen viel ge-
ringer, als man sie früher angeschlagen hat.
Eine weitere Tatsachenreihe ist von den Tatsachen der äußeren Um-
bildung der Erdoberfläche abhängig, ihre Einteilung schließt sich daher an
deren Einteilung an. Sie fällt teilweise mit der klimatischen Einteilung der
Erde zusammen, aber doch nur teilweise, weil in ihr die umbildenden Faktoren
der Vergangenheit ebenso zum Ausdruck gebracht werden müssen wie die der
Gegenwart. Der allgemeine Charakter der unselbständigen Formen der festen
Erdoberfläche imd die regionale Verteilung der Bodenarten gehören hierher.
Von hier führt uns ein Schritt zur klimatischen Einteilung der Erd-
oberfläche, die nicht nur für' das Klima selbst, sondern auch für die Wasser-
fuhrung, die heutige Art der oberflächlichen Umbildung der Erdoberfläche,
*die Vegetation, die Lebensverhältnisse der Tiere und auch viele Erscheinungen
des Menschenlebens maßgebend ist. Sie ist, wie wir gesehen haben, von
dem inneren Bau der Erdrinde mit abhängig, aber in einer so komplizierten
Weise, daß sie ein ganz anderes Bild als die tektonische Einteilung zeigt.
Ihre obersten Abteilungen sind die Zonen der geographischen Breite, erst in
den folgenden Abteilungen ergeben sich die durch den Gegensatz der Kon-
tinente und Ozeane und dann durch die kontinentale und kleinere Gliederung
bedingten Windsysteme und Klimagebiete. Da die Gebirge und überhaupt
die morphologischen Vollformen hier vielfach als Grenzen wirken, zeigen die
Klimagebiete mitimter eine gewisse Übereinstinunung mit den Flußgebieten.
Wieder verschieden sind schließlich die biogenetischen d. h. die flori-
stischen und faunistischen Einteilungen. Sie sind auf die allmähliche Ent-
wicklung sowohl der Gestalt der Erdoberfläche wie des Klimas begründet
und beruhen teilweise auf der Anpassung an verschiedene Lebensbedingimgen,
teilweise aber auch auf der Trennung durch Gebiete anderer Lebensverhält-
nisse. Sie arbeiten daher gleichsam mit dem Material der tektonischen und
klimatischen Einteilung, stellen es aber in anderer Weise zusammen und
treten ihnen daher selbständig gegenüber.
Hans Maurer: Dentsch-Ostafrika. 213
Eine noch weitergehende Vereinigung der Einteilungen zu einer all-
gemeinen, allen Naturreichen gleichmäßig gerecht werdenden Einteilung der
Erdoberfläche ist unmöglich. Eine allgemeine natürliche Einteilung der Erd-
oberfläche, deren die wissenschaftliche Länderkunde unumgänglich bedarf,
kann nur dadurch erhalten werden, da£ sie jeweils eine Auswahl zwischen
den Einteilungsgründen trifPt und die übrigen darüber vernachlässigt. Sie
muB dabei aber die geographischen Erscheinungen des Menschen ebenso be-
rücksichtigen wie die Tatsachen der physischen Geographie; ihre Erörterung
muß darum einer besonderen Studie vorbehalten bleiben.
Deatseh-Ostafrika.
Eine klimatologische Studie
yon Dr. Hans Maurer in Hamburg.
Mit drei Tafehi.
y. Das Bftdliche Innere.
Im wesentlichen smd es die Stromgebiete der zwei größten Flüsse
Deutsch-Ostafrikas, des Rufiji und des Bovuma, die den Süden unserer
Kolonie zusammensetzen. Nur kleine Teile des Gebietes sind keinem von
diesen beiden Flüssen tributär. Es sind dies ein Zwischengebiet zwischen
den beiden Flüssen an der Küste, in dem wir kleinere Küstenflüsse vorfinden,
der steile Grabeneinbruch des Nyassasees, dessen Abfluß Shire dem Zambesi
zufließt, und die Rukwasenke, das einzige größere abflußlose Gebiet, das wir
im südlichen Teile des Schutzgebietes vorfinden. Der Rovumafluß bildet im
größten Teil seines Laufes die Grenze zwischen Deutsch- und Portugiesisch-
Ostafrika und erhält nur kleine Zuflüsse aus dem deutschen Gebiet, während
das Stromgebiet des Rufiyi mit seinen beiden Quellflüssen ülanga und Luvegu
und seinem großen, nördlichen Zuflüsse, dem Ruaha, das Innere des süd-
lichen Teiles der Kolonie ausfüllt. Oberhalb des Rufijideltas, dessen Man-
grovenbestände bereits geschildert wurden, zeigt der Fluß an seinen üfem
fruchtbares Alluvialland, in dem hauptsächlich Reis angebaut wird, während
man Zuckerrohr in geringerer Menge pflanzt. Außerdem werden Sesam,
Mais, Bohnen und Tabak gebaut. Eine üppigere Bewachsiing finden wir,
von diesem Flußlauf abgesehen, im Küstenvorland nur auf einzelnen
Plateaus, die größere Waldbestände aufweisen. So ist dies der Fall in der
Landschaft Donde und nahe der Küste auf den Plateaus von Mwera, Mpatila
und Makonde. Aus diesen Wäldern stammen die größten Mengen des
Kautschuks, der aus Deutsch-Ostafrika in den Handel gebracht wird. Speziell
in Donde sind neuerdings auch Versuche mit der Anlage von Kautschuk-
plantagen von ManHiot Glaziovii gemacht worden. Ein anderes wichtiges
Produkt vorwiegend des Südens der Kolonie ist der Kopal, das Harz einer
Leguminose Trachylohium ^ das teils von den Bäumen selbst als Baumkopal,
in viel wertvollerer Qualität aber fossil gewonnen wird.
214 Hans Maurer:
Weitaus der größte Teil des südlichen Küstenvorlandes ist Steppe, und
zwar baumreiche Grassteppe, die sich von derjenigen im Norden von Deutsch-
Ostafrika durch das fast vollständige Fehlen der dort so häufigen Mimosen
und Akazien unterscheidet. Es sind hier dafär kleine Laubbäume von meist
etwa 10 — 20 cm Stammdurchmesser, die meist in der lichten Vegetations-
form der Obstgartensteppe auftreten. Auch in diesen südlichen Steppen-
gebieten fehlt der für das Steppenklima charakteristische Baobab nicht. An
wertvollen Hölzern findet man in dem Gebiete das ebenholzähnliche Grena-
dillholz, das schon seit längerer Zeit einen Ausfuhrartikel europäischer
Firmen bildet. Ausgezeichnet ist dies südliche Gebiet durch das Auftreten
ausgedehnter dichter Bambusbestände, durch die der Eeisende sich oft viele
Kilometer lang mühsam seinen Weg bahnen muß, während solche Bestände
im Norden der Kolonie fast gänzlich fehlen. Die durchschnittliche Seehöhe
dieses Küstenvorlandes beträgt 340 — 420 m. Überall in dem Gebiet finden
sich aufgesetzt einzelne Inselberge von Gneis von einer relativen Erhebung
bis zu 600 m. Diese gewaltigen Gneisblöcke sind durch Abrasion sehr
stark bloßgelegt und eine groteske Vegetation von Büschelgras gibt den
Kuppen ein wunderliches Aussehen.
Die einzige meteorologische Station aus diesem Gebiet ist die katho-
lische Mission Lukuledi am gleichnamigen Flüßchen, das bei Lindi ins Meer
geht. Einer mehr als halbjährigen intensiven Trockenzeit von Mai — November
steht hier eine Regenzeit von Dezember — April gegenüber, die ihre
Hauptgüsse in der Mitte des Sommers bringt, ganz wie wir es für den
Süden der Küste und den größten Teil des nördlichen Innern kennen lernten.
Der heißeste Monat ist so der November vor Beginn der sommerlichen Regen-
zeit mit einer Mitteltemperatur von 26,9^, der kälteste der Juni mit 19,9®.
Die absoluten Extreme im Jahr betrugen 12® und 35,5®. Während in der
Regenzeit große Überschwemmungen ausgedehnte Gebiete unter Wasser
setzen, muß die Mission in der Trockenzeit das Wasser weither holen. Es
leidet hier der Boden abwechselnd unter stagnierender Nässe und unter Ver-
härtung, immer aber unter dem Mangel an Durchlüftung. Auch auf den
Bergen um Lukuledi und um die Nachbarmission Masassi, die durch ihre
Erhebung etwas feuchter sind, ist der Baumwuchs noch spärlich; indessen
sind die quellenreichen Masassiberge gut angebaut. Man verkauft dort viel
Salz, das vegetabilischen Ursprungs ist. Die Lauge der in der Trockenzeit
verbrannten Gräser und Büsche sammelt sich nämlich in der Regenzeit in
abflußlosen Mulden, in denen dann beim Austrocknen das Salz ausblüht. Es
enthält mehr Pottasche als Kochsalz.
Masassi ist der letzte vorgeschobene Posten gegen die trostlose Wakua-
steppe. Von dieser besitzen wir eine erschütternde Schilderung des Leut-
nants V. ßehr, der mit 20 Negern im Oktober 1891, also unklugerweise in
der allertrockensten Jahreszeit einen Ausflug in diese Steppe wagte und nur
zufällig dem Tode des Verschmachtens entging. An einem der vereinzelten
Wasserlöcher nördlich von den Mayeyebergen waren ihm seine Wakuaföhrer
unter Mitnahme eines geschossenen Wildschweins weggelaufen. Den Rück-
weg in der gleichförmigen Obstgartensteppe und das vereinzelte Dörfchen an
Deutflch-Ostafrika. 215
den Bergen traute v. Behr sich nicht wiederfinden zu können, und er
zog deshalh nordwärts, wo er den UmhekurufluB treffen mußte. Aber dieser
ca. 300 km lange FluB lag hier am Ende der Trockenzeit wohl etwa
60 km von seiner Quelle entfernt so trocken, daß auch durch Graben in
seinem Bett kein Wasser erhalten werden konnte. Nun versuchten sie doch
die Mayejeberge, von denen sie drei starke Tagemärsche entfernt waren, zu
erreichen, und marschierten bis tief in die Nacht einem Elefantenpfade nach
in der Hoffiiung, daß dieser sie an Wasser führen würde. Um 3 Uhr
morgens aber endete dieser Pfad in einem völlig ausgetrockneten Sumpf. Am
dritten Tag, den sie ohne Wasser und nun auch ohne Essen verbrachten, da
die Leute nichts mehr tragen konnten, versuchten sie den gallertigen Saft
einer Liane zu genießen, der aber bei Behr solche Übelkeit erzeugte, daß er
alle Hoffnung aufgab und sich verzweifelnd unter einem Baume niederwarf.
Nun verloren die Neger vollends den Kopf und waren im Begiiff, tätlich
gegeneinander vorzugehen. Das Mitleid mit den armen Menschen gab dem
Europäer seine Energie wieder; er führte sie weiter. Am vierten Tage aber
vermochte er nur noch mit der Pistole die Leute zum Beieinanderbleiben
und Einhalten der richtigen Wegrichtung zu zwingen, bis ein verfrühter Ge-
witterregen um Mittag ihnen eine kleine Hilfe brachte; doch konnten sie
nur die Blätter ablecken, und die Haupterfrischung bestand in der Durch-
nässung ihrer Haut. Schon eine halbe Stunde nach dem B^gen war aber
jeder Tropfen Feuchtigkeit wieder verflüchtigt. Neue Mutlosigkeit bemäch-
tigte sich aller, und der Zusammenhalt der Karawane ging völlig verloren.
Von der folgenden Nacht, in der v. Behr allein war, hat er nur ganz un-
klare Vorstellungen. An Schlaf war vor Durstschmerzen nicht zu denken;
lange Ohnmächten traten an seine Stelle. Aus einer solchen wurde v. Behr
dadiu-ch aufgeschreckt, daß er den Atem und das Bellen einer Hyäne dicht
vor seinem Gesicht wahrzunehmen glaubte. Er sprang auf und lief eine
Strecke, bis er von neuem bewußtlos zusammenbrach. Die Sonne des
nächsten Morgens gab ihm wieder soviel Energie, daß er noch zwei weitere
qualvolle Stunden des Suchens nach Wasser aushalten konnte, das er dann
endlich in einem Loche fand. Dorthin gelangte wenig später auch sein
Diener. Sie kamen zu ein paar Negerhütten am Berg, wo man ihnen für
ein Schächtelchen Streichhölzer Essen gab, mit dem sie Masassi erreichten.
Dahin kamen schließlich auch die Träger, bis auf zwei, die in der baum-
reichen Einöde verschmachtet waren.
Eine ebenso starke Variabilität in der Wasserführung, wie sie hier
im Umbekurufluß dieser Expedition so verhängnisvoll geworden ist, finden
wir in den nördlichen Zuflüssen des Rovimia, von denen z. B. der Mohessi
in der Regenzeit 250 m breit imd bis zu 5 m tief, in der Trockenzeit da-
gegen ca. 50 m breit und bis % m tief ist. Der Bovuma selbst ist flach,
inselreich und steinig und deshalb trotz seiner 700 km betragenden Strom-
länge (so lang wie die Weser) nirgends schiffbar. An seinen Ufern finden
wir viel Bambus- und dichteren Laubwald, der aber schon in geringer Ent-
fernung vom Fluß in die Laubsavanne übergeht.
Ähnliche Verhältnisse zeigt der östliche Quellfluß des Rufiji, der Luvegu;
216 Hans Maurer:
auch seine Ufer säumen Bambusdickichte und lichter Wald ein. Von ihm
bis zur Küste erstreckt sich die Laubsteppe, die einem dichteren Wald nur
in Mhitu and Barikiwa in der Landschaft Donde Platz macht.
Erst mit der größeren Bodenerhebung ändern sich die Verhältnisse.
Das nördlichste dieser Bergländer ist übe he, im Norden und Westen be-
grenzt vom Ruahafiuß, der es von den bewaldeten Rubehobergen Ussagaras
trennt Im Osten und Südosten fällt das Qebirge steil gegen den Ulanga-
fiuB ab. Die Ulanganiederung, Mahenge, zeigt fruchtbaren Alluvialboden, auf
dem die Eingeborenen in gut gehaltenen Feldern Reis, Mais und Negerhirse
bauen. Der ülanga führt das ganze Jahr reichlich Wasser; eine sehr üppige
Vegetation im Fluß selbst yerhindert sowohl die starke Verdunstung als
auch den raschen Abfluß der gewaltigen Wassermassen der Regenzeit, so
daß in dieser ein weites Gebiet unter Wasser tritt und erst in der trockenen
Zeit das Reservoir sich mählich entleert. Gesund ist dieses Gebiet natürlich
durchaus nicht, aber sehr fruchtbar. Eine sehr reiche Tierwelt belebt den
Fluß: Flußpferde, Krokodile, sehr viel Fische und zahllose Vögel: Enten,
Gänse, Schlangenhalsvögel, Strandläufer, Reiher und Adler. Von einer meteo-
rologischen Station in diesem ungesunden Gebiet, der Ulangastation, 230 m
über dem Meer, sind immerhin % Jsihre Beobachtungen vorhanden. Wir
unterscheiden auch hier eine Regenzeit im Sommer mit kurzer Regenpause
im Februar und eine lange intensive Trockenzeit im Winter. Die jährliche
Regenmenge mag bis zu 1400 mm betragen. Im Januar 1895 fielen
529 mm. Gewitter im Sommer sind häufig. Der jahreszeitliche Wechsel
zwischen NO-Monsun und SO-Passat war deutlich zu erkennen. Dem Vor-
dringen jenes Klimatyps, den wir an der nördlichen Küste fanden, bis hier-
her entspricht es, daß wir hier zwei Regenzeiten im Sommer haben und der
trockene Sommermonat Februar in seiner Mitteltemperatur nicht hinter dem
November zurücksteht. Beide zeigen etwa 26^ Der kälteste Monat, der
Juli, hatte 22^ Mitteltemperatur. Die absoluten Extreme des Jahres waren
14^ und 34^, während die tägliche Temperaturschwankung im Winter bis zu
15^ im Maximum kam. Die höheren Lagen in Mahenge und der südlicheren
Landschaft üpogoro zeichnen sich durch starke Morgennebel aus, die aus
den Flußtälem aufsteigen und mittags in den Bergen sich zu Regen ver-
dichten. So ist dort das ganze Jahr so feucht, daß man jeden Monat
frischen Mais ernten kann. Auch Kartoffeln sind in Mahenge gut ge-
kommen; femer werden dort Maniok, Bataten, Gurken, Kürbis, Sesam, Erd-
nüsse, Bohnen und Zucker geerntet.
Das eigentliche hochgelegene ühehe ist ein grasreiches Bergland mit
wenig Baumwuchs. In 1700 m Seehöhe beträgt hier auf der Missionsstation
Tosamaganga bei Iringa nach den Aufzeichnungen eines Thermographen die
mittlere Jahrestemperatur 17,5** C. Der November ist hier der wärmste
Monat mit 20,2^, der Juni der kälteste mit 14,3^ Mitteltemperatui*. Die ab-
soluten Extreme waren 30,6^ und 6,2^, während die Tagesschwankung im
Mittel 10,7**, im absoluten Maximum 18,0** ergab. Die kühle Zeit von Mai
bis Oktober ist regenlos. Die 15 Monate Juni bis Oktober in den Jahren
1897, 1898 und 1899 brachten alle zusammen nur 14,4 mm Regen, wovon 10,2
Deutsch-Ostafrika. 217
im Oktober 1899 fielen. In den Sommermonaten regnet es, am meisten im
Januar und Februar. Die tieferen Teile am kleinen Rnaha in der N&be von
Iringa steben dann unter Wasser, nach dessen Ablaafen die Steppe sich mit
Grün bedeckt und nun von großen Herden von Antilopen und Zebra be-
völkert wird. Die Gesamtregenmenge des Jahres überschreitet kaum 500 mm.
Südostwind herrscht das ganze Jahr vor. Nördliche Winde überwiegen
mittags fast in keinem Monat, früh und Abends in keinem. Besonders ge-
eignet erscheint dies Gebiet für Yiehwirtschaft; doch ist auch europftiscbes
Getreide hier mit gutem Erfolg gebaut worden.
Mit der BesiedlungsfEhigkeit Uhehes durch deutsche Landwirte dürfte
es ähnlich wie in Hoch-Üsambara liegen. Nur wird es bei der größeren Ent-
fernung von der Küste noch schwerer sein, die Menschen nach den gesunden
Höhen von Malariakeimen nicht infiziert zu bringen, da gerade die Fluß-
täler des ülanga und Rufiyi, die sich als Wege bieten, sehr ungesund sind,
und bei ihrer Flachheit und durch die breiten großen Stromschnellen des
Bufiji die Schiffsverbindung sehr erschweren. Ebendadurch wird auch der
Absatz der landwirtschaftlichen Produkte stark erschwert, so daß der An-
siedler dort zwar gesund bleiben und, was er zum Leben braucht, bauen
kann, aber, wenn er nebenbei noch verdienen will, neben seiner Viehzucht
und Landwirtschaft mancherlei anderes treiben muß, wie z. B. Handel mit
Tierfellen und Gehörnen, die ihm das wildreiche Land liefern kann. Auch
an Elefanten scheint ühehe noch ziemlich reich zu sein.
Auch im Westen von Uhehe finden wir am großen Buaha ein fi*ucht-
bares Getreideland, übena. Es ist gut angebaut und reich bewässert, so daß
dort Überschwemmungsgefahren näher liegen als solche der Dürre. Im
Januar treten dort fast täglich von heftigen Güssen begleitete Gewitter auf.
In größerer Entfernung vom Fluß weiter westwärts in der Landschaft
Ussangu aber finden wir aufs neue Gras und Baumsteppe vor. Südlich von
Uhehe gelangen wir in das Gebiet Songeas, das hochgelegene Quellgebiet des
Luvegu und des Bovuma, deren Quellen kaum 25 km von einander entfernt
sind. An den Abhängen dieser ca. 1500 m hohen Berge finden wir vielfach
Wald, sonst meist Baumsavannen und an den Flußläufen dichten Busch und
gewaltige Bambusbestände, während die höchsten Erhebungen baumlose
Weideflächen tragen. In etwa 1300 m Seehöhe sind hier die Missions-
stationen Peramiho und Ngomba gelegen, von denen für ein Jahr meteoro-
logische Beobachtungen vorhanden ist. Die Regenmenge eines Jahres be-
trägt hier etwa 1000 mm, die ohne merkliche sommerliche Regenpause in
den Monaten Dezember bis April fallen, während der Winter fast ganz
regenlos ist. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt hier 20^. Der heißeste
Monat ist der November mit 24,1®, der kühlste der Juni mit 16,3® Mittel-
temperatur. Die jährliche Wärmeschwankung ist also ziemlich groß. Neger-
hirse und Mais werden viel gebaut und bringen auch in trockenen Jahren
gute Ernten. Hungersnot soll dort ganz unbekannt sein.
Westlich von hier erreichen wir in allmählichem Anstieg das Living-
stone-Gebirge, das dicht am Nyassasee hinziehend die Wasserscheide zwischen
diesem und dem Rovuma- und Rufiyigebiet bildet. Nur an einer Stelle
Geognphitobe ZelUchrifl. 9. Jahrgang. 1903. 4. Heft. 15
218 Hang Maurer:
werden die steilen Wände, in denen das Gebirge fast senkrecht zum See ab-
stürzt, durchbrochen, um dem Ruhuhufluß einen engen Durchpaß zu ge-
statten. Auf dem Gebirge selbst, das sich über 2000 m Seehöhe erhebt,
finden wir sehr spärliche, lichte Be wachsung mit einer Flora, die der der
Alpenmatten nahe steht, und ausgedehnte Hochweiden. Oben auf den Bergen
ist es empfindlich kalt. Die Wakinga haben das ganze Jahr hindurch Feuer
in ihren Hütten. Dagegen wird an den Hängen und in den Gründen viel
Ackerbau in kleinen Bubatten betrieben. Überhaupt finden wir hier all-
gemein die Erscheinung, daß die kahlen Höhen äußerst kalt sind, während
in den geschützten Schluchten sich vielfach dichter Wald breit macht. In
diesen Wäldern leben die schwarz-weißen ColobusafTen und Wildschweine,
während im offenen Gelände hie und da der Büffel erscheint.
Besonders nördlich von der Ruhuhumündung fällt das Gebirge dicht am
See äußerst steil zu diesem herab, dessen Spiegel nur 500 m über dem
Meere gelegen ist, während sein Boden beträchtlich unter das Meeresniveau
herabgeht, da neuere Lotungen Tiefen bis zu 790 m ergeben haben. Von
den steilen Hängen sausen in den Schluchten vielfach kalte Fallwinde herab,
die die Schiffahrt auf dem Njassasee gefährden. Auch Wasserhosen bei
Gewitterluft sind auf dem See nicht selten. Eine andere Merkwürdigkeit
auf dem See sind Gebilde, die einer Wasserhose ähneln und ebenfalls mit
dem Winde, meist von Ost nach West, über den See hinziehen. Es sind
dichte braune Wolken, bestehend aus Milliarden kleiner Fliegen. Der See
selbst ist nach Wissmanns Angabe nicht allzureich an Fischen, Krokodilen
und Flußpferden; dagegen entfaltet sich an seinen Ufern ein reiches Vogel-
leben: Perlhühner, Riesenreiher, Kormorane, Möwen, Schlangenhalsvögel und
Adler. Meteorologische Beobachtungen besitzen wir am deutschen Seeufer
von der Missionsstation Ikombe im Norden des Sees.
Wir befinden uns auch hier im Gebiet des indischen Klimatjpus, in-
sofern der November mit 26,2^ Mitteltemperatur der heißeste Monat ist.
Der kälteste ist der Juni mit 20,5**. Wind und Regen sind aber hier durch
die lokalen Verhältnisse allein geregelt und von denen der übrigen Kolonie
fast ganz unabhängig. Das hohe Livingstonegebirge bildet eine scharfe
Wetterscheide, und ganz entgegengesetzt der Erfahrung im übrigen Schutz-
gebiet finden wir seine Ostseite trocken und schlecht bewachsen, seine West-
seite, die dem Nyassa zugewendet ist, feucht und vielfach waldig. Eine
enorme Üppigkeit zeigen z. B. die Bambusbestände an den Nordwesthängen
des Gebirges. Die Windverhältnisse regeln sich in folgender Weise: So-
wohl der Unterschied zwischen Land und Wasser wie der zwischen Tal
und Gebirgskamm verlangen beide bei Tage Winde, die vom See aus die
Hänge hinaufströmen, in der Nacht umgekehrt gerichtete, und so wehen denn
in der Tat in Ikombe das ganze Jahr hindurch Nachmittags 2 Uhr süd-
liche, um 9 Uhr Abends nördliche Winde. Die Winde vom See bringen sehr
reichliche Regengüsse, und wir finden hier eine jährliche Regenmenge von
1800 mm, 2% mal so viel wie in Hamburg und doppelt so viel wie in der
gleichen Breite am Indischen Ozean; als eigentlich trockene Monate sind
höchstens September und Oktober zu bezeichnen. Die Hauptmengen fallen
Deutsch-Ostafrika. 219
allerdings in der Zeit von Januar bis Juni; am regenreichsten sind April
und Februar. Ikombe hat im Eegenmaximum in 24 Stimden bis jetzt den
Rekord in Deutsch-Ostafrika erreicht; es 'fielen in den 48 Stunden vom 16.
bis 18. Juni 1898 473 mm, davon in 24 Stunden 315 mm, d. i. in einem
Tag nahezu so viel wie in Hamburg in Yg Jahr.
Im Norden des Sees liegt das Kondeland, einer der gesegnetsten Land-
striche unserer Kolonie. Die tieferen Regionen nahe am See enthalten sehr
fruchtbaren Alluvialboden, der wohl früher Seeboden gewesen ist. Er ist
reich mit Bananen und Getreide angebaut. Außerdem wird Maniok, Mais,
Negerhirse und hauptsächlich eine einheimische Bohne gebaut. Die Bakonde
sind treffliche Ackerbauer. Zuerst wird die Erde mit Hacken bearbeitet,
dann in langer Linie zu hohen Beeten angehäuft, auf die dann die Saat ge-
streut wird. Es wird gedüngt und mit verschiedenartiger Pruchtfolge im
Feldbau abgewechselt. An Vieh werden hauptsächlich Rinder gehalten, die
vorwiegend mit Bananenblättem gefüttert werden, außerdem aber auch Fett-
schwanzschafe, Ziegen und Hühner. Da es in den nördlichen, gebirgigen
Teilen von Kondeland auch im Winter noch tüchtig regnet, führen die Flüsse
das ganze Jahr hindurch Wasser. In diesen höheren Teilen finden wir reidi-
lich Laubwald und Bambuswald. Die Pioniere unserer Kultur sind hier die
Missionare, die seit Beginn der 90 er Jahre sich ein reiches Arbeitsgebiet er-
schlossen haben. Von 3 dieser Missionsstationen, Wangemannshöh in 900,
Rutenganio in 1300 und Manow in 1600 m Seehöhe, liegen meteorologische
Beobachtungen vor. Danach ist auch hier der November der wärmste Monat,
aber auch er erreicht in Manow kaum mehr 20® Mitteltemperatur, während
der Juli dort schon unter 14® Mitteltemperatur sinkt. Die jährlichen Regen-
mengen sind noch größer als direkt am See; sie übersteigen in Rutenganio
und Manow 2000 mm beträchtlich und kommen mitunter an 3000 mm heran.
Im April 1893 fielen in Manow 979 nmi, davon 203 mm an einem Tag.
Von einer Regenpause im Sommer ist hier keine Rede; aber auch die ver-
hältnismäßig trockenen Wintermonate Juni bis Oktober bringen hier immer
noch 300 mm. Einen von der Natur angelegten großen Regenmesser be-
sitzen wir in diesem Gebiet; es ist das der kleine ab- und zuflußlose Wentzel-
see, der an seinen steilen Wänden die Marken der Wasserstände früherer
Jahre deutlich erkennen läßt. Wir sehen daraus, daß wir ims gegenwärtig
in einer trockenen KHmaperiode befinden, da die früheren Wasserstände be-
trächtlich über dem heutigen liegen. Die Wassermenge, die jährlich hier
verdnnstet, überschreitet die Mengen, die der Himmel nachfüllt. Allerdings
wäre es verfehlt, aus einem derartigen Beispiel auf eine trockene Klima-
periode zu schließen. Da wir aber analoge Erfahrungen an vielen anderen
Stellen des Schutzgebietes machen, wovon nachher noch zu reden sein wird,
sind wir zu jenem Schlüsse berechtigt.
Kondeland ist zur Anlage tropischer Plantagen außerordentlich geeignet;
der Geologe Lieder stellt es in seinem Werte noch über Usambara. Die
Regenmengen und die Regenverteilung sind hier ja ähnlich günstig wie in
Usambara, dabei ist aber der Boden, aus den Verwittenmgsprodukten vul-
kanischer Gesteine bestehend, fruchtbarer als der Usambaras. Zugleich haben
15*
220 Hans Maurer:
wir in Konde das einzige Land Dentsch-Ostafrikas vor uns, in dem bis jetzt
abbaufähige Steinkohlen gefunden worden sind, während der nördliche Teil
des Landes reichlich Eisen enthält.
Die beste Verbindung des Gebietes mit dem Meere geht über den
Njassasee, den der deutsche Dampfer „Hermann v. Wissmann^' befährt, durch
den Shirefluß und den Zambesi durch englisches imd portugiesisches Gebiet.
Daß eine Eisenbahn, die direkt durch den Süden unserer Kolonie den Njassa
mit der Küste verbinden würde, ein Projekt, dem einzelne Kenner den Vor-
zug vor dem der ostafrikanischen Zentralbahn geben, schon bald gebaut
werden würde, ist kaum zu erwarten.
Die Berge des Kondelandes sind vulkanischer Natur und steigen z. B.
im Bungwe so hoch an, daß auf seinem Gipfel Schnee und Eis im August
beobachtet worden sind. Es darf angenommen werden, daß diese gewaltigen
Vulkanberge der ostafrikanischen Grabensenke ihre Existenz verdanken, als
deren südlichster Teil der Nyassasee selbst aufzufassen ist, während hier im
Norden des Sees die Grabenform durch diese Vulkanbildungen selbst völlig
verwischt erscheint. Weitere Zeugen vulkanischer Tätigkeit finden wir in
dem Gebiet in der Form von heißen Salzquellen mit Sinterterrassen, wie sie
z. B. bei Utengule gefunden worden sind.
Westlich von Konde schließt sich Bundali an, ein schon merklich
trockeneres, aber fruchtbares und gesundes Grasland, das großen Viehherden
Nahrung gibt. In Unyika finden wir noch vielfach dichten Steppenwald,
aber je weiter wir dann nach Westnordwesten gegen den Tanganyikasee vor-
schreiten, desto trockener und öder wird das Land. Nordwestlich von dem
hohen Bejagebirge, das Kondeland im Norden abschließt, gelangen wir in
die Bukwasenke, das einzige größere abflußlose Gebiet, das wir im südlichen
Teile von Deutsch-Ostafrika finden. Ein flacher brackiger See, der Bukuga,
dessen Wasser wie Chokolade mit Milch aussieht, füllt den äußersten Süd-
osten dieser Senke aus. Seine Ufer umgeben Dombüsche und trockene
sandige Strecken. Früher, und zwar noch vor wenigen Jahren, war der See
sehr viel ausgedehnter als jetzt. An seinem Nordufer in Kia starb 1882
der deutsche Beisende Kaiser, dessen Grab noch heute dort wohl erhalten ist.
Aber es liegt jetzt nicht mehr am Seeufer, sondern über 100 km von diesem
entfernt. So weit ist der See in der gegenwärtigen trockenen Klimaperiode
zurückgewichen. Etwa 17 km von Kaisers Grab mitten im ehemaligen See
liegt heute die Missionsstation St. Peter Claver von Bukwa. Der See bedeckte
1882 noch etwa 2300 qkm, heute aber ist er kaum 700 qkm groß, und
ein Landgebiet fünfrnal so groß wie das Fürstentum Beuß ä. L. ist dort
gewonnen worden. Freilich ist es ein trauriges ödes Steppenland, und selbst
das schlechte brackige Wasser wäre dort wertvoller als dieser Zuwachs an
Steppe. Wie groß der Wassermangel schon in der allernächsten Umgebung
des Sees ist, bezeugt die Tatsache, daß ein evangelischer Missionar, der
etwa vor einem Jahr die Gegend bereiste, nur ein paar Kilometer vom See
als Gastgeschenk des Häuplings eine kleine Menge schmutzigen Wassers er-
hielt. Bezeichnend ist auch, daß das Flüßchen, das von Norden dem Buku-
gasee zustrebt, Kavu heißt, auf Deutsch ,,Trocken", gewiß die sonderbarste
Deutsch-Ostafrika. 221
Bezeichnung für einen Fluß. Trocken und sandig liegt hier weithin die
Gegend, und an Stelle der Wasserhosen des Nyassa sehen wir hier Staub-
und Sandhosen die trockene Ebene durchziehen.
Eine ähnliche Erfahrung über den starken Bückgang eines Sees in
jüngster Zeit konnte ich in kleinerem Maßstab in einem ganz anderen Teile
OstaMkas, nämlich am Jipesee südöstlich vom Kilimandjaro machen. Im
deutsch-englischen Grenzvertrag findet sich hier als ein wichtiger Grenzpunkt
derjenige angegeben, in dem der Breitegrad 3^40' das Ostufer des Sees trifft.
Als ich damals diesen Punkt im Gelände zu bestimmen suchte, fand ich,
daß der Breitegrad den See überhaupt nicht trifft; der See war mittlerweile
so weit nach Norden zurückgewichen; und dadurch war der Grenzpunkt, wie
die Mathematiker es nennen, imaginär geworden, eine Tatsache, die an der
Grenze gegen britisches Gebiet ihr Bedenkliches hat
Westlich von der Bukwasenke gelangen wir zum Tanganyikasee und
haben damit unseren Bimdgang durch die deutsche Kolonie beendigt.
VI. Schluß.
Zum Schlüsse sei es gestattet, unsere Besultate noch einmal kurz zu-
sammenzufassen :
Nach der jährlichen Wärmeverteilimg haben wir in der Kolonie drei
Klimatypen zu unterscheiden, von denen der indische weitaus den größten Teil
des Gebietes beherrscht. Nur der Nordosten und der Nordwesten gehören nicht zu
seinem Gebiet. Er zeigt die höchste Temperatur unmittelbar vor Beginn der
sommerlichen Begenzeit etwa im November. Die ihm vorausgehende kühlere
Zeit ist trocken, vielfach fast völlig regenlos, und in ihr führt der Südost-
passat die Herrschaft. Am regenreichsten sind die Monate Dezember bis
Februar, in denen wir im Nordosten der Kolonie den asiatischen Nordost-
monsun am stärksten entwickelt finden. Im zentralen Teil des Landes und
im Süden der Küste dagegen bringt es der Monsun auch' in dieser Zeit nicht
zur völligen Herrschaft, es entsteht dann nur ein Nachlassen des Südost-
passates und so eine Zeit schwächerer Winde* aus wechselnden Bichtungen,
die die Veranlassung zu der einzigen Begenzeit des Jahres sind.
Im Nordosten an der Küste, in Usambara und am Kilimandjaro dagegen
wird der Nordostmonsun in der Mitte des Sommers so kräftig, daß die
Monate Dezember bis Februar wiederum eine Begenpause darstellen, und zwar
die trockenste Zeit des Jahres, womit der Februar der heißeste Monat wird,
umgekehrt ist dort die Trockenzeit des winterlichen Südostpassates lange
nicht so ausgesprochen, läßt vielmehr sogar eine schwächer entwickelte
Begenzeit, die dritte nach dem Bange, aufkommen, die in den Gebirgen kräf-
tige Steigungsregen veranlaßt. Die beiden Hauptregenzeiten aber im Norden
fallen in die Übergänge vom Passat zum Monsun und umgekehrt zu Anfang
und zu Ende des Sommers.
Der dritte Klimatypus endlich trat im Nordwesten der Kolonie auf; es
war dies der äquatoriale. Die Unterschiede zwischen dem wärmsten und dem
kältesten Monat waren hier sehr klein, und statt einer wärmeren und einer
kälteren Periode im Jahr fanden wir hier je zwei, die beiden Sommer dann,
222 Hans Maurer: Deutscb-Ostafrika.
wann die beiden Erdhalbkugeln Frübling und Herbst haben; die beiden Winter
4ann, wann die beiden Halbkugeln Sommer und Winter haben. In diesem
Gebiet zeigten West- imd Nordseite des Viktoriasees sehr große Feuchtigkeit
mit aus lokalen Gründen. Ebenso fanden wir große Begenmengen nördlich
des Njassasees und an den Bandgebirgen des abflußlosen Gebietes im zen-
tralen Teile des Nordens. Die tägliche Wärmeschwankung nahm mit der
größeren Entfemimg von der Küste landein zu, sie erreichte in den trockenen,
vielfach salzigen Steppen ihre höchsten Beträge.
Fassen wir nun noch die Kulturfähigkeit der einzelnen Gebiete ins Auge,
so haben wir das Wissmannsche Wort bewahrheitet gefunden: ^jq des Ge-
bietes sind Steppe. Daß auch diese nicht völlig wertlos ist, ist bekannt; sie
liefert manche Nutzhölzer wie das eisenharte Kamballaholz, das Grenadill-
holz, Kautschuk-, Gerbstoff- imd Faserpflanzen und besitzt einen in seinem Wert
nicht zu unterschätzenden Wildreichtum. Andere Erzeugnisse der Steppe sind
Wachs, Kopal und Salz. An der Küste fanden wir die Mangrovenbestände,
die Nutzhölzer und Gerbstoffe vorwiegend im Bufiyidelta liefern.
Von tropischen Plantagen haben sich an der Küste als zweifellos nutz-
bringend die von Kokos, Faserpflanzen, Vanille und Zucker erwiesen, während
in den waldigen Gebirgen in üsambara, Uluguru imd im Kondeland Kaffee,
Kakao und Tee gebaut werden können. Fruchtbare Alluvialgebiete, die für
Beis, Mais, Getreide, Zucker und vielleicht für Tabakbau geeignet sind, fanden
wir vorwiegend am Bufiyi, Ulanga, Pangani und im südlichen Kondeland.
Für europäische Land- und Viehwirtschafk werden sich Hoch-Üsambara, ühehe,
Hochkonde und vielleicht später einmal auch Ssongeas Gebiet und Buanda
eignen.
Der unlängst verstorbene Dr. Oskar Bau mann rechnet ein Gebiet von
rund 150 000 qkm aus, das bei einer Meereshöhe von meist über 1500 m
für europäische Besiedlung eventuell in Betracht kommen könnte. Das wäre
etwa doppelt so viel Fläche wie das Königreich Bayern umfaßt. Wenn auch
an die Ausnutzung großer Teile dieses Gebietes erst nach einer vollkommenen
Änderung der heutigen Verkehrsverhältnisse gedacht werden kann, so erscheint
doch schon heute die wirtschaftliche Erschließimg von Zentralafrika nur noch
eine Frage der Zeit, wenn erst einmal die Schienenstränge von Kapstadt und
vom Nil her, vom Kongo und vom Mombassa her sich am Viktoriasee treffen
werden.
Auch der Besiedlimg von Deutsch-Ostafrika durch Europäer steht man
heute nicht mehr ganz so abweisend gegenüber wie damals, als Baumann
jene Aufstellungen machte. Die höheren Gebirgsländer sind vermutlich
malariafrei, und wenn es auch dem Ansiedler nicht möglich sein wird, die
Malariagegenden völlig zu vermeiden, so ist doch auch unsere Kenntnis und
damit die Möglichkeit einer rationellen Bekämpfung dieses Hauptfeindes der
Kolonie in der letzten Zeit gewachsen. Daß in großen Teilen der Kolonie aber
Vieh- imd Landwirtschaft auf gute Erträge rechnen können, ist erwiesen.
Die Frage, um die es sich heute hier allein noch dreht, ist die, ob es mög-
lich sein wird, ausreichende Absatzgebiete für diese Erzeugnisse zu schaffen.
Deren Beantwortung gehört aber vor ein anderes Forum als das des Klimato-
J. Früh: Das Karrenproblem. 223
logen. Hoffen aber wollen wir, daß es der Mitarbeit des deutschen Volke»,
dessen Energie und Intelligenz im Herzen des wohlgegliedertsten Erdteiles,
Europas, sich entwickelt hat, gelingen möge, auch in den plumpen Landklotz
Afiika hinein der Kultur und wirtschaftlichen Entwicklung die Wege zu
bahnen.
Ausgezeichnete Vegetationsbilder aus Deutsch -Ostafrika findet man außer
in dem Werke von Dr. Fülleborn, aus dem hier mit freundlicher Genehmigung
des Verfassers einige Aufnahmen wiedergegeben sind, hauptsächlich in folgenden
Werken: Hans Meyer, „Der Kilimandjaro", Berlin 1900; Carl Chun, „Aus den
Tiefen des Weltmeers'', Jena 1900; „Vegetationsansichten aus Deutsch-Ostafrika
nach 64 photographischen Aufnahmen von Walter Goetze, zusammengestellt und
besprochen von A. Engler'', Leipzig 1902; Franz Stuhlmann, „Mit Emin
Pascha ins Herz von Afrika", Berlin 1894; Graf von Götzen, „Durch Afrika von
Ost nach West", Berlin 1896.
Das Karrenproblem.
M. Eckert, seit 1893 mit dem Karrenproblem beschäftigt, gliedert in
einem wissenschaftl. Ergänzungsheffc der Zeitschrift des Deutschen und öster-
reichischen Alpenvereins für das Jahr 1902^) seine trefflichen, die ganze
Frage berührenden Untersuchungen in fünf Abschnitte: 1) Das Gottesacker-
plateau, ein Karrenfeld. 2) Verbreitung der Karren und karrenähnlicher Ge-
bilde. 3) Ansichten über die Entstehung der Karren. 4) Karrenkarte des
Gottesackerplateau und Karrenbild. 5) Entstehung der Karren auf dem
Gottesackerplateau.
Die Karren der Ostschweizer (vgl. Kar=Geftlß) od. Schratten der Mittel-
schweizer (vgl. Scharte), Lapiaz der Westschweizer sind Oberflächen formen,
welche stets vergesellschaftet auftreten als „Karrenfeld" oder „Karrenland-
schaft" (Eckert 1897). Man kann sie in Haupt- und Nebenformen einteilen.
Zu den Haupt formen gehören die charakteristischen Zacken, Schneiden
und Gräte, welche im allgemeinen gleich Wellenkämmen parallel angeordnet
sind und, wie Duparc und E. Chaix (1895) zuerst erkannt haben, auf
primär und tektonisch angelegte Spalten zurückzuführen sind.
Es gibt auf weite Strecken nachweisbare Haupt- oder Grundspalten, welche
im Gottesackerplateau OSO — WNW d. h. im allgemeinen quer zum Streichen
der Kalktafeln verlaufen, 1 mm — 3 m breit und 0,5 — 20 m tief sind. Sie
werden von sekundären bis tertiären Spaltensystemen geschnitten, bald unter
fast rechten, häufiger unter schiefen Winkeln. Durch Erweiterung solcher
Spalten entstehen in Abstufungen seichte elliptische Karschüsseln, Karröhren
oder in größerem Maßstabe die cistemenartigen Karbrunnen und großen Kar-
trichter oder eine Kalktafel wird in Steinwaben aufgelöst. So eiinnert sich
der Referent der schachbrettartigen Entwicklung von „Siebes" im Waatländer
Jura, gewissermassen ein Analogon zu gewissen arktischen Rautenfeldern.
Die entstandenen Karren zeigen örtlich Schattierungen von den messerscharfen
Firsten und lamellaren Karrenplatten mit keilförmig sich vertiefenden
1) Eckert, M. Das Gottesackerplateau, ein Karrenfeld im Allgäu.
Wissenschaftl. Ergänzungshefte zur Z. d. D. u. ö. Alpenvereins, gr. 8®. lOS S.
20 Taf., 64 Textill. u. 1 K. in 1 : 7500. Innsbruck, 1902.
224 J. Früh: Das Karrenproblem.
Zwischenräumen zu abgerundeten niederen Wülsten mit runden Böden, letztere
hauptsächlich bei reicher Anwesenheit von Humus. Hier hätte noch schärfer
auf den an die Windungen des Großhirns von Mammalia erinnernden Ver-
lauf solcher stumpfer Firste hingewiesen werden können (vgl. Ebel, Simony,
Cranmier, Cvijiö u. a.), die mehr tiefere und schwach geneigte Teile der
Landschaft beherrschen. Die Nebenformen umfassen die ,,Karrensteine" oder
isolierten, launenhaft begrenzten Trünuner, die isolierten, durch Zerfall der
Kalkmassen gebildeten „Karrenblöcke" und vor allem die Riefenbildung. Der
Verfasser hätte einschalten können, daß die ersteren streng genommen sich
nicht auf Karrenfelder in situ beschränken, sondern überall angetroffen
werden, wo Trümmer von reinem Kalk in humusreichem Boden begraben werden,
z. B. innerhalb Laubmassen der Wälder, im Humus- und Ackerboden. Die
Erratica im schweizerischen Mittellande und die Felstrümmer im Juragebirge
liefern hiefür zahlreiche Beispiele. Unstreitig ist die Riefelung ein charakte-
ristisches Merkmal der Karrenphänomene, jedoch nur bei geneigten Flächen.
Bald erscheinen die Karrenrinnen 5 — 50 mm breit, 10 — 20 tief, gleich
der Kannelierung dorischer Säulen durch Schneiden getrennt und parallel von
den Firsten in der Richtung der Schwerewirkimg verlaufend, bald nach joni-
schem Typus 5 — 40 cm tief, 1 — 8 m lang und durch flache Stege getrennt,
in dieser Form nur an Steilwänden nicht unter 50^ Seltener sind von
einer Kegelspitze aus radial verlaufende Rillen.
Fimflecken, Quellenlosigkeit sind begleitende Erscheinungen. Innerhalb
der 2,5 qkm großen kartierten Fläche zählte Eckert im August 1898
zwischen 1720 und 2070 m ca 90 Fimflecken zu 10 — 160 qm.
Nachdem Flora (zu wenig ökologisch), Fauna und wirtschaftliche Ver-
hältnisse besprochen, gibt der Verfasser eine Übersicht über die Verbreitung
der Karren und karrenähnlichen Erscheinungen (s. Seite 99). Die Abtrennung
der letzteren ist hiefür sehr wichtig. Karrenartige Regenrinnen hat bekannt-
lich selbst der Granit der Tropen (s. Ratzel, Die Erde, Bd. I, S. 543) und
als karrige Oberflächen sind dem Referenten die Kalke auf dem rechten Ufer
des Rummel bei Constantine (in Algerien) in Erinnerung im Gegensatz zu der
splittrigen Form der übrigen Kalkplateaus. Lehrreich ist die vergleichende
Zusammenstellung der Ansichten über die Entstehung der Karren: Nur
chemisch (Heim, E. Richter), durch Gletscher (Agassiz, Charpentier, Desor,
A. Favre, E. Renevier, Simony ursprünglich), durch Regen und Fehlen einer
Pflanzendecke (Penck, Brückner) und von Humus (Christ, Crammer, Gremblich,
Waltenberger, Eckert 1895), ganz bis teilweise. In Details einzutreten,
müssen wir uns hier versagen. Das fünfte Kapitel hat mehr allgemeine Be-
deutung. Die Karrenlandschaft entsteht nach Eckert durch Abtragimg, durch
Erosion, worunter die molekulare und die durch die Schwere bedingte mecha-
nische verstanden sind. Darauf deutet schon das dominierende Vorkommen
von alpinen Karren überhaupt in 1700 — 2200 m hin, d. h. innerhalb der
Zone maximaler Niederschläge. Die ganze Erscheinung kann niemals auf
einen Faktor allein zurückgeführt werden, sondern ist die Resultierende
von vielerlei Faktoren. Sie ist abhängig von dem Material und den äußeren
Agentien. Die Karren treten orographisch hauptsächlich in schwach ge-
neigten Kalklandschaften auf, femer in tektonisch innerlich von Spalten
durchsetzten Gesteinen, endlich nur in reinen Kalken; haben doch die
schweizerischen Naturforscher den „Schrattenkalk^' des Urgon schon lange
nach den Oberflächenformen von anderen Kalken unterschieden. Die chemische
\nalyse von Gesteinen von 6 verschiedenen Lokalitäten . zeigt eine über-
Geographische Neuigkeiten.
225
raschende Übereinstimmung und Reinheit Wichtig ist dann noch die In-
homogenität des Gesteins oder das ungleichförmige, Angriffspunkte bietende
innere Geföge, obschon vielleicht nach unserer Ansicht örtlich Diaklasen-
reichtum ebenso bestimmend sein kann. Jedenfalls ist die Annahme leichter
Bildung von Karrenlöchem an Stelle zapfenartiger Entwicklung einer Korallen-
facies mit dem Verfasser mehr als hypothetisch. Nach Erfahrung des Ref.
zeigt gerade diese Facies massige, homogene Gesteine.
Für die Kannellierung wird der Regen und die Wetterseite in erster
Linie angefahrt (Wasser und Kohlensäure), dann die ftolische Kraft von
Regen, Schnee, Hagel; die splitternde, benetzende Wirkung von Frost, Reif,
Tau kommen allgemein in Betracht. Die Schneedecke liefert Wasser und
Kohlensäure, hat im übrigen „lange nicht einen solchen Einfluß, wie man
ihr beizulegen gewohnt ist". Von unterstützendem Einfluß sind wieder
höhere Pflanzen in chemischer und physikalischer Hinsicht (vgl. auch für
Korrosionsfiguren die ,JKleesteine" der schwäb. Alb und anderer kalkhaltiger
Landschaften) und nicht zuletzt der Humus. Dies muß für gewisse Stadien
nach unserer Anschauung sehr betont werden.
Was wir uns schon lange selbst als Aufgabe gestellt, finden wir auch
hier nicht ausgeführt, d. i. eine Untersuchung des Inhaltes der Karrentöpfe,
eine Schlemmanalyse, Prüfung der Auslaugungsrückstände, die wieder Schlüsse
auf den Charakter des zerstörten Gesteins gestatten würden, Menge der
organischen Substanz u. s. w. Sicher ist, daß das Karren- und Karstphänomen
nicht streng zu trennen ist, daß vielmehr ersteres durch seine Tiefenwirkung
mehr und mehr eine karstartige Landschaft erzeugt (Cvijic). Die Karte, welche
sich auf die offiziellen Aufnahmen, dann auf 84 Aneroidpunkte imd 43 Photo-
graphien stützt und von der in Ratzeis „Erde" ein Ausschnitt verkleinert
ist, krönt mit den das Karrenbild betreffenden Erläuterungen die ganze
Abhandlung. J. Früh.
6leo^apliisehe Neuigkeiten.
Agien.
* Über den Karaboghaz- Meer-
busen, den bisher noch unerforschten
Ostlichen Busen des Easpi-Sees, macht
Woeikof (Met. Ztschr. 190S. S. 64) auf
Grund der Veröffentlichungen der russi-
schen Earaboghaz - Expedition v. J. 1807
bemerkenswerte Mitteilungen. Der Meer-
busen steht nur durch eine enge und
seichte Straße mit dem Hauptkörper des
Sees in Verbindung; fast beständig, außer
bei starken Ostwinden, fließt das Wasser
vom EjMpi in den Earaboghaz, wo es
verdunstet. Eine Rückströmung schweren
salzhaltigen Wassers, wie im Bosporus,
den Dardanellen, der Straße von Gibral-
tar und der von Bab-el-Mandeb, ist wegen
der Seichtigkeit der Straße unmöglich.
Nach sorgfältigen Messxmgen der Tiefe
und der Stromstärke in der Straße ergibt
sich, daß im Laufe eines Jahres 17930 km'
Wasser vom Kaspi in den Earaboghaz
fließen, was bei der Oberfläche des Bu-
sens von 18 346 km' eine Wasserschicht
von 0,98 m oder rund 1 m pro Jahr gibt.
Da das Wassemiveau des Busens kon-
stant bleibt, so muß ebensoviel Wasser
im Laufe des Jahres verdunsten, was die-
selbe Verdunstungsmenge wie die für den
Easpi berechnete ergeben würde. Auf
diese Weise nimmt der Earaboghaz eine
Menge Salze aus dem Easpi auf und er-
niedrigt den Salzgehalt des Easpi jähr-
lich um 0,00039% oder um 1% in
2564 Jahren. Die Wassermasse des Ea-
raboghaz beträgt 183 465 000 000 m' und
sie enthält bei einem Salzgehalt von ca.
16% ungefähr 34 178 000000 Metertonnen
226
Geographische Neuigkeiten.
Salze. Ans dem Kaspi fließen jährlich
ein 33 257 Mill. m», welche 428 Mill.
Metertonnen Salze enthalten; sie vermehr-
ten also den Salzgehalt des Karaboghaz
um l,257o jährlich und lOO^'/o in 80 Jah-
ren, falls nicht fortwährend Salze ausge-
schieden würden. Diese ausgeschiedenen,
sich als Bodensatz findenden Salze sind
Gyps und Glaubersalz, aber nicht Koch-
salz, wie man &üher glaubte, da das
Wasser des Kaspi ärmer an Kochsalz ist
als Wasser des Ozeans. Erst nach 200
Jahren wird, wenn die Verhältnisse so
bleiben wie jetzt, die Konzentration des
Wassers im Karaboghaz so zugenommen ha-
ben, daß eine Ausscheidung von Kochsalz
und später auch von Chlorkalium begin-
nen kann, also ein russisches Staßfurt
entstehen wird. Im großen und ganzen
wirkt der Karaboghaz günstig auf den Kaspi
ein. Schon jetzt nimmt das organische
Leben nach der Tiefe ab; würde keine
Ablagerung der Salze nach dem Kara-
boghaz stattfinden, so würde die vertikale
Zirkulation der Gewässer noch schwächer
werden als jetzt, die Menge Sauerstoff
abnehmen, die schon jetzt vorhandenen
Bakterien würden die schwefelsauren
Salze zersetzen und Schwefelwasserstoff
bilden, welcher sich bei Mangel an Sauer-
stoff ansammelt und das Leben schon in
einer kleinen Tiefe unmöglich macht, wie
es schon jetzt im Schwarzen Meere bei
188 m der Fall ist.
Afrika.
* Über das Muidir-Plateau in der
westlichen Sahara, welches die Tidi-
kelt-Oasen von dem großen Tuareg-Massiv
scheidet, war bisher nur sehr wenig be-
kannt geworden; in jüngster Zeit ist das
Plateau von französischen Truppen in
ihren Kämpfen gegen die Hoggar-Tuareg
einigemal gekreuzt worden, und Leut.
Bequin gibt über seine dabei gemach-
ten Beobachtungen in dem Bull, de
TAfrique Fran9aise einige interessante
Mitteilungen, denen Leut. Rousseau
eine Karte beigegeben hat. Eine allge-
meine Charakteristik der physischen Geo-
graphie der wildzerklüfteten Gegend läßt
sich sehr schwer geben. Im Norden wird
das Plateau durch ein verwickeltes Sy-
stem von Bergrücken und im Westen
durch eine senkrechte Böschung von fast
gleichbleibender Höhe begrenzt, das In-
nere bildet ein wirkliches Chaos. Cha-
rakteristisch sind einmal die zahlreichen
tiefen Klüfte zwischen 600 bis 1000 Fuß
hohen Wänden und dann die Felsrücken
und Grate, die über das Plateau hinziehen
und bisweilen zu mächtigen Trümmer-
haufen zerfallen sind, die das Aussehen
von Mauerresten haben. Auf der Tal-
sohle der tiefen Klüfbe ziehen Wadis hin,
welche mit Vegetation bedeckt sind und
guten Weidegrund gewähren. Das Mui-
dir-Plateau wird vor den Tidikelt - Oasen
von der Natur durch einen regelmäßigen
Niederschlag und durch einen Reichtum
an Gehölz bevorzugt. Es war früher be-
wohnt, jedoch scheinen die Bewohner
durch die französische . Besatzung der
Tidikelt - Oasen jetzt verscheucht worden
zu sein. (Geogr. Joum. Vol. XXI. S. 322.)
♦ Die durch den Vertrag vom 16. Mai
1902 (s. S. 113) zwischen Abessinien
und dem ägyptischen Sudan fest-
gesetzte Grenze verläuft von Ombrega
am Setit, der Südwestecke Erythräas, fast
südlich über Gallabat nach Bumbod^ am
Blauen Nil, läßt das Land der Beni
Changul und die Stadt Kirin bei Äthio-
pien und erreicht den Baro etwas ober-
halb seiner Einmündung in den Sobat;
bis dahin bildet der Baro die Grenze.
Diese folgt dann dem Pibor und später
dem Juba aufwärts bis M^lil^ , von
wo sie gradlinig bis zum Schnittpunkt
des 6.<» n. Br. und 85.<» ö. L. verläuft.
Gleichzeitig verpflichtet sich der Negus
von Abessinien in diesem Grenzvertrage:
1) weder im Blauen Nil, noch im Tanasee
oder im Sobat Baulichkeiten auszuführen
und von anderen ausführen zu lassen,
durch welche der Wasserzufluß zum Wei-
ßen Nil gehemmt werden könnte; 2) durch
abessinisches Gebiet von der englischen
Regierung eine Eisenbahn bauen zu lassen,
welche den Sudan mit Uganda verbindet;
8) der Regierung des Sudan bei Itang
am Baro ein Gebiet von 2 km Uferlänge
und 400 Hektar Oberfläche zur Anlegung
einer englischen Handelsstation unter eng-
lischer Oberhoheit zu verpachten.
♦ Durch die am 13. Febr. erfolgte
Vollendung der Hafenmole von
Swakopmund hat Deutsch - Südwest-
afrika den längst ersehnten Hafen erhal-
ten, der in Verbindung mit der Eisenbahn
Swakopmund — Windhoek die wirtschaft-
liche Entwicklung dieses Schutzgebietes
Geographische Neuigkeiten.
227
hoffentlich beechlennigen wird. Sobald
man erkannt hatte, daß die englisch ge-
bliebene Walfischbai wegen fortschreiten-
der Versandang kein günstiger Hanpt-
eingangshafen für Deutsch-Südwestafrika
wäre, und durch eingehende Untersuchun-
gen festgestellt worden war, daß an der
ganzen Küste keine einzige geeignete
Landungsstelle zu finden sei, wurde der
Bau eines Hafens bei Swakopmund, wo
wegen des Fehlens der Dünen der Zu-
gang nach dem Innern sehr bequem war
und sich auch Wasser fand, durch Auf-
führung einer Mole beschlossen. Am
2. September 1899 wurde der Grundstein
zur Mole gelegt, ein Jahr später war sie
schon 150 m lang, und am 1. Mai 1901
wurde bereits die Landung der Post und
der Passagiere an der Mole gestattet.
Die Vollendung der Mole war schon für
Mitte 1902 yorausgesehen , aber eine
Sturmflut vernichtete ein Stück derselben,
so daß man von neuem bauen mußte. Die
Kosten des Baues belaufen sich auf ins-
gesamt 2123000 Mark.
Australien«
* Eine Durchquernng des austra-
lischen Kontinentes von Süd nach
Nord unternahm i. J. 1902 der Reisende
R. T. Maurice, nachdem er schon im
vorhergehenden Jahre eine sich weit in
das Linere des Kontinents erstreckende
Reise unternommen hatte. Die Expedi-
tion, der 14 Kamele zur Verfügung
standen, brach im April 1902 von Fow-
lers Bai an der inneren Großen Austra-
lischen Bucht nordwärts auf und brauchte
sieben Monate, um die Nordküste bei
Wyndham am Cambridge Golf zu er-
reichen. Man entdeckte verschiedene
Wasservorkommen, welche, da das Jahr
ausnahmsweise trocken war, zweifelsohne
das ganze Jahr hindurch Wasser halten.
Über Oolarinna gelangte der Reisende zur
Everard - Range , wo trotz kurz vorher
gefallenen Regens nur schwer Wasser zu
finden war. Die Gegend bei Musgrave
Range erwies sich trostloser, als man
bisher geglaubt hat; von den Scharen
von Kaninchen, welche sich einst hier
tummelten, waren nur noch wenige Exem-
plare sichtbar. Jenseits der Musgrave
Range mußte eine steile, zerklüftete Berg-
kette passiert werden, und dann erreichte
die Expedition Opparina, wo das im vo-
rigen Jahre gefundene fließende Wasser
immer noch floß. Hier fand man in
einem Baume nach Entfernung der unte-
ren Zweige eine Inschrift „J. Lamb", die
von einem unbekannten Besucher dieser
entfernten Gegend herrührt. Auf dem
Weitermarsche nach dem Amadeus-See
fand man etwas südlich von demselben
ein Wasservorkommen und in dessen Nähe •
Spuren eines alten Lagerplatzes. Da man
den Amadeus-See wegen der Weichheit
des Bodens nicht durchkreuzen konnte,
mußte man ihn in westlicher Richtung
umgehen und fand dann bei Giles* Creek
ein großes Wasserloch mit einem Inhalt
von ungeföhr 1 Mill. Gallonen klaren
Wassers. Bei Eva Springs an Warbur-
tons Route fand man noch Reste von
dem Lagerplatz dieses Reisenden v. J.
1873 und entdeckte in der Nähe zwei
herrliche Quellen. Jenseit des Mt. Sing-
leton wurde eine ungewöhnlich große
Höhle entdeckt und nach einem Marsche
durch die trostloseste Wüste Dr. David-
sons Route erreicht. Da hier ein Teil
der Kamele durch giftiges Futter zu
Grunde ging, suchte man sobald als
möglich bewohntes Land zu erreichen
und gelangte Sturts Creek entlang auf
vielbegangenen Wegen nach Wyndham
am Cambridge, wo die Reise ihr Ende
erreichte. (Geogr. Joum. Vol. XXI. S. 823.)
♦ In Coolgardie auf den westaustra-
lischen Goldfeldern fand dieser Tage in
Gegenwart der Vertreter sämtlicher austra-
lischer Staaten die feierliche Eröffnung der
525 Kilometer langen Wasserleitung
statt. Coolgardie, eine Stadt von nahezu
40 000 Einwohnern, liegt in öder Wüste
und bezog sein Wasser bisher aus 12
Sammelteichen, die durch Regenwasser
gespeist wurden und in günstigen Jahren
für einige Monate Vorräte aufspeicherten.
Das rasche Wachstufu der Stadt und der
umstand, daß die Goldproduktion oft eine
monatelange Unterbrechung erlitt, wenn
wenig Regen fiel, brachte die Regierung
auf den kühnen Gedanken, das Wasser
aus dem Helena fluß unweit Perth in
einer eisernen Röhrenleitung auf die Gold-
felder zu führen. Im Jahre 1898 begann
der Bau, dessen Kosten auf 50 Mill. Mark,
also 600 Mark auf den Kopf der Bevölke-
rung, veranschlagt waren. Am Helena-
fluß jenseits der Darlingsberge legte man
ungeheure Brunnen an, hob das Wasser,
228
Geographische Neuigkeiten.
um den nötigen Druck zu haben, 780 Meter
in die Höhe und führte nun die Leitung,
indem man die gußeisernen Röhren ein-
fach auf die Erde legte, über Berg und
Tal, durch Wald und Wüste ihrem Be-
stimmungsorte zu. Nach genau fünQäh-
riger Arbeit ist das Werk vollendet, die
Anschlagskosten wurden nicht überschrit-
ten, und täglich entströmen jetzt 22 Mill.
Liter klares, reines Wasser der Leitung.
Die Leitung wird bis Ealgoorlie, dem
zweiten Zentralpunkte der Goldfelder,
weitergeführt werden; ihre Gesamtlänge
beträgt dann 640 Kilometer und das An-
lagekapital 60 Mill. Mark. Es ist natürlich,
daß die Fertigstellung dieses Biesen werks
einen bedeutenden Einfluß auf die Gold-
gewinnung haben kann — man berechnet
den Ertrag für das Jahr 1902/08 auf
200 Mill. Mark. (Köln. Z.)
Polargegenden.
* Das wissenschaftliche Ergeb-
nis der vierjährigen Gradmessungs-
arbeiten auf Spitzbergen besteht in
der Messung eines Meridianbogens von
4^11' zwischen dem Keilhaus - Berg im
Süden und der Kleinen Tafel - Insd im
Norden. Die russische Abteilung vermaß
den südlichen Teil zwischen 76^88' und
79®4' n. Br., die schwedische den nörd-
lichen bis 80<^49' n. Br. Die von den
Schweden vermessene Basis war 10 960
Yards, die der Bussen 6799 Yards lang.
Breitenbestimmungen wurden außer an
allen Punkten, an denen Winkelmessun-
gen nötig waren, noch an sechs Punkten
vorgenommen, wodurch im ganzen 29
Breiten oder eine auf je 9 Minuten des
Bogens gemessen wurden. Schweremessun-
gen mittelst des Pendels wurden au ver-
schiedenen Punkten vorgenonmien. Außer
der Vermessung wurde auch den meteo-
rologischen, geologisdien und botanischen
Beobachtungen g^oße Aufinerksamkeit ge-
schenkt. Alle Beobachtungen sollen ein-
gehend veröffentlicht werden; jede der
beiden Kommissionen soll ihre Vermes-
sungsetgebnisse selbständig berechnen,
das Endresultat aber gemeinsam festge-
stellt werden. Von der vermessenen Ge-
gend soll eine Karte im Maßstabe von
1 : 200 000 und von den einzelnen Trian-
gulationspunkten Spezialkarten in größe-
rem Maßstabe veröffentlicht werden. Die
Forschungsergebnisse werden binnen Jah-
resfrist in französischer Sprache gedruckt
werden, zuerst die geodätischen und astro-
nomischen und die Schwerebestimmungen,
später die meteorologischen, magnetischen
u. a. Beobachtungen.
« Aus Irkutsk kam am 18. März die
Nachricht, daß der Zoolog von der
Polarezpedition des Baron v. Toll,
Bjalinitzki-Birula, von den Neusibirischen
Inseln wohlbehalten dort angekommen
sei. Wie bereits früher (1902, S. 708)
mitgeteilt wurde, hatte sich Birula vom
Winterhafen auf Kotelnoi, wo die gesamte
Expedition überwintert hatte, am 1. Mai
nach der Insel Neusibirien aufgemacht,
um den Sommer über dort zoologischen
Studien obzuliegen, während Baron v.
Toll am 28. Mai mit dem Astronomen
Seeberg und zwei Jakuten nach der Ben-
nett-Insel aufbrach. Beide Parteien konn-
ten am Schluß des Sommers wegen der
ungünstigen Schiffahrtsverhältnisse von
dem Expeditionsschiff „Sarja^* nicht ab-
geholt werden und mußten deshalb auf
den Inseln überwintern. Birula ist nun
glücklich heimgekehrt, während vom Ba-
ron V. Toll noch keine Nachricht wieder
eingetroffen ist. Man hat daher bereits
im Februar den Ingenieur Brußnjeff mit
einer Hilfsexpedition nach den Neusibiri-
schen Inseln abgesandt und nach Eintreffen
der Nachricht von der Bückkehr Birulas
ist der Leutnant Koltschak, ein ehemali-
ges Mitglied der „Sarja^'- Expedition, im
Auftrag der Petersburger Akademie der
Wissenschafben mit einem Teil der Be-
satzung der „Saija*^ von Irkutsk nach
Norden aufgebrochen, um über üsijjansk
und Kasatschje nach Neusibirien und von
da nach der Bennett-Insel vorzudringen
und dem Baron v. Toll Hilfe zu bringen.
* Eine französische Nordpolar-
expedition rüstet gegenwärtig Dr.
Charcot mit Unterstützung verschiedener
wissenschaftlicher Gesellschaften Frank-
reichs aus. Das Expeditionsschiff mißt
82 m Länge und 7 y, m Breite, hat einen
Gehalt von 400 Tonnen und ist sowohl
Dampf- als Segelschiff. Für die in Aus-
sicht genommenen geologischen, zoologi-
schen, bakteriologischen, meteorologischen,
hydrographischen u. a. Forschungen sind
genügende Arbeitsräume im Schiffe vor-
gesehen. Auf der sechzehn Monate lan-
gen Reise soll die Expedition Jan Mayen,
Spitzbergen, Nowaja Semlja und Franz-
Geographische Neuigkeiten.
229
Josef-Land besuchen. An der Expedition
nehmen außer Charcot, der als Arzt und
Bakteriologe tätig sein wird, der belgi-
sche Südpolfahrer de Gerlache als Kapitän
und noch sechs andere Gelehrte teil. Die
Reise soll im Mai von Le Havre aus an-
getreten werden. Seit Dtunont d'ürvilles
Polarexpedition i. J. 1888 ist dies wieder
die erste französische Polarexpedition.
(j^eographiseher Unterrieht.
Oeographisohe Vorlesungen
an den deutschsprachigen UnivereitÄten und tech-
nischen Hochschalen im Sommersemester 1903 1.
Deutsches Reich.
Berlin: o. Prof. v. Richthofen: Die
Inselländer Ost-Asiens und Ozeaniens, 48t.
— Kartographische Übungen. — Kollo-
quium, 2 st. — o. Prof. Sieglin: Erklä-
rung von Skylax* Periplus Maris intemi
(Geographie der Mittelmeerländer), 28t. —
Im Seminar für historische Geographie:
Gtoogpraphie Italiens und der wichtigsten
Provinzen des römischen Reiches, 2 st. —
Pd. Meinardus: Die Methoden der
neueren Meeresforschung, Ist. — Die
Probleme der modernen Polarforschung,
Ist. — Pd. Kretschmer: Geographie
Deutschlands, 2 st. — Pd. Streck: Übun-
gen des Seminars ftlr historische Geogra-
phie: Einführung in das Studium der
arabischen Geographen, 2 st.
Bonn: o. Prof. Rein: Geographie Eu-
ropas mit Ausnahme Deutschlands, 4 st.
— Übungen, 2st. — Pd. Prof. Philipp-
son: Mathematische Geographie und
Kartenlehre, mit Übungen, 2 st. — Grund-
züge der Festlandskunde, 2 st.
Breslau: o. Prof. Part seh: Geogra-
phie von Europa, 4 st. — Gletscherkunde,
2 st. — Übungen des Seminars, 2 st. —
Pd. Leonhard: Geographie von Vorder-
Asien, 28t.
Erlangen: a. o. Prof. PechuSl-
Loesche: Australien und Ozeanien, 4 st.
— Übungen, 2 st.
Freiburg i* Br.: o. Hon.-Prof. Neu-
mann: Mitteleuropa, 4 st. — Methode und
Hilfsmittel des geographischen Unterrichts,
1 st. — Kartenentwurfslehre, 1 st. — Kollo-
quium.
Gießen: a. o. Prof. Sievers: Klima-
kunde, 2 st. — Geographie von Deutsch-
land, 4 st. — Kartenkunde, 2 st. — Karto-
graphische Übungen, 2 st. — Exkursionen.
GKSttingen: o. Prof. Wagner: Mathe-
matische Geographie, 4 st. — Kartogra-
phischer Kurs für Anfänger, U. Teil:
Karteninhalt, 28t. — Übungen für Fort-
geschrittenere, lV,st.
Oreifswald: o. Prof. Credner: Grund-
züge der Klimatologie, 2 st. — Geographie
des außermediterranen Europas, Sst. —
Übungen mit Exkursionen.
Halle: o.Prof.Kirchhoff:Ausge^;v^hlte
Abschnitte aus der Anthropogeographie,
Ist. — Asien, 4 st. — Südliches Mittel-
europa, Ist. — Palästinakunde, Ist. —
Übungen im Seminar, Ist. — Pd. Prof.
Ule: Allgemeine Erdkunde, I. Teil, 48t.
— Topographische und geogpraphische Auf-
nahmen mit praktischen Übungen, 2 st.
— Pd. Prof. Schenck: Physische Geo-
graphie und Geologie des norddeutschen
Flachlandes. — Kolloquium, 2st.
Heidelberg: a. o. Prof. Hettner:
Die außereuropäischen Erdteile, mit Rück-
sicht auf Weltwirtschaft und Politik, 4 st.
— Einführung in das geographische Ver-
ständnis deutscher Landschaft und Kultur,
Ist. — Übungen im Seminar, 28t.
Jena: a. o. Prof. Dove: Geographie
von Asien, 3 st.
Kiel: o. Prof Krümm el: Geschichte
der Geographie im 19. Jahrhundert, Ist.
— Das Deutsche Reich, 4 st. — iSrakti-
kum, 2 st.
Königsberg: o. Prof Hahn: Über die
neuesten Polarreisen, mit kurzer Über-
sicht der Polargebiete, 1 st. — Geographie
von Afrika, 3 st. — Übungen, iy,8t.
Leipzig: o. Prof Ratzel: Der Atlan-
tische Ozean und die atlantischen Mächte,
politisch- und verkehrsgeographisch, 3 st.
— Die wissenschaftliche Auffassung und
Darstellung der Landschaft, 1 st. — Übun-
gen über ausgewählte Fragen der Mor-
phologie, Ist. — a. o. Prof. Berger: Die
Geogpraphie zur Zeit der Eroberungen in
Amerika und Südasien, 2 st. — Im histo-
risch-geographischen Institut: Die Nach-
richten von der Kugelgestalt der Erde
bei den Griechen, iy,st. — Pd. Fried-
rich: Uandelsgeographie, 2 st. — Im geo-
graphischen Seminar im Auftrag des Di-
rektors: Besprechungen aus dem Gebiete
der Pflanzen-, Tier- und Menschengeo-
graphie, Ist. — Kartenskizzen an der
Wandtafel, Ist.
Marburg: o. Prof Fischer: Geogra-
phie von Deutschland, 4 st. — Kartenkund-
liche Übungen, 2 st.
230
Geographische Neuigkeiten.
München:
Münster: o. Prof. Lehmann: Allge-
meine physische Erdkunde, I. Teil, 3 st.
— Geographie von Süddeutschland und
den Alpenländem Mitteleuropas, 3 st. —
Die geographischen Grundlagen des Wirt-
schaftslebens im mittleren und östlichen
Teil von Norddeutschland, Ist. — Über
die afrikanischen Schutzgebiete des Deut-
schen Reiches, Ist. — Übungen, 28t. —
Exkursionen.
Itostook: 0. Prof. Geinitz: Quartär
Europas und sein Einfluß auf die Ober-
flächengestaltung, 2 st. — Pd. Fitzner:
Geographie von Deutschland, 2 st. —
Einführung in das geographische Studium
und die Methodik des geographischen
Unterrichts, 1 st. ~ Übungen, 2 st. — An-
leitung zu geogr. Beobachtungen und Ar-
beiten auf Exkursionen.
Straßbnrg: o. Prof. Gerland: Geo-
physik, I. Teil, 4 st. — Die Sintflut, Ist.
— Seminar, 2 st. — Pd. Prof. Rudolph:
Geogpraphie von Italien mit besonderer
Berücksichtigung des Altertums, 2 st. —
Geographie von Frankreich, 28t.
Tübingen: a. o. Prof. Sapper: Landes-
kunde von Württemberg, 2 st; — Ethno-
graphie der mittel-amerikanischen India-
nerstämme, 1 st. — Kartographisches Prak-
tikum mit Übungen im Feld, 2 8t.
Würzburg: a. o. Prof. Regel: Das
Deutsche Reich, ist. — Das Deutschtum
an unseren Sprachgrenzen, Ist. — Übun-
gen (Morphologie der Erdoberfläche), 2 st.
Vereine und Yergammlangeii«
♦ Der Vorstand der Abteilung für
Geographie, Hydrographie und
Kartographie der 76. Versammlung
deutscher Naturforscher und Ärzte
in Cassel (15.— 26. Sept. 1903) lädt die
Fachgenossen zu dieser Tagung ein und
bittet, Vorträge und Demonstrationen wenn
möglich bis zum 15. Mai d. J. bei dem
Einführenden dieser Gruppe, Oberlehrer
P. Gally (Cassel, Schlangenvreg 15) an-
zumelden.
4 Die Sitzungen des IX. internatio-
nalen Geologen-Kongresses in Wien
(vgl. G. Z. 1902. S. 652) dauern (nach
einem n. Rundschreiben) vom 20. bis
27. Aug. d. J. Der Mitgliederbeitrag
(20 Kr. s=sz IS JC) ist an den Schatzmeister
des Kongresses, Berg^at Max von Gut-
mann (Wien, L, Kantgasse 6) zu richten,
ebenso 20 Kr. für jede Exkursion, an der
man teilzunehmen v^ünscht. Der „livret-
guid&* wird den Mitgliedern auf Wunsch
zum Preis von 10 Kronen zugestellt.
Hauptberatung^gegenstände werden sein:
1) Der gegenwärtige Stand unserer Kennt-
nis von den krystallinen Schiefem ; 2) Das
Problem der Überschiebungen und der
Klippen; 3) Geologie der Balkan-Halbinsel
und des Orients.
Persönliches.
üf- Dr. Moritz Lindeman, der sich
durch seine Arbeiten über Seefischerei
und Polarreisen in der geographischen
Welt bekannt gemacht hat und auch
dieser Zeitschr. seit ihrem Bestehen durch
rege Mitarbeit ein lebhaftes Interesse ent-
gegenbringt — es sei hier nur an seine
Aufsatzreihe über die Nordpolar-Beisen
der letzten Jahre im vorigen Jahrgang
erinnert — hat am 27. März in Dresden
seinen 80. Geburtstag gefeiert.
F. Th.
Bficherbesprechangen.
Schoedlers Buch der Natur. 23. Aufl.
2. Teil. 2 Abteilungen: Mineralogie
und Geologie. Von B. Schwalbe f,
E. Schwalbe und H. Böttger. VI
u. 776 S. 418 Abb. u. 9 Taf. Braun-
schweig, Vieweg & Sohn 1908. JC 12.—.
Schoedlers Buch der Natur erfreut sich
eines so ausgezeichneten Rufes, daß es
l^aum nötig erscheint, zu seinem Lobe
hier etwas Besonderes zu sagen. Der
leitende Gesichtspunkt, die einzelnen natur-
wissenschaftlichen LehrgegeuBtände unter
sich und mit verwandten Unterrichts-
fächern möglichst eng zu verknüpfen, ist
auch in der neuen Bearbeitung streng
festgehalten worden. In diesem, der Mi-
neralogie und Geologie gewidmeten Teile
sind demgemäß die chemischen und phy-
Buch erb esprechungen.
231
aikalisclien Prozesse, welche bei der Ent-
wickelungsgeschichte der Erde und bei
der Bildung der Mineralien und Gesteine
eine Rolle spielen, eingehend erörtert
und ist die Entwickelung des organischen
Lebens in ihren Hauptzügen zur Dar-
stellung gebracht. Ebenso sind die geo-
gpraphischen Gesichtspunkte und die Be-
ziehungen zu dem Menschen überall klar
hervorgehoben. Die Darstellung ist ein-
fach und klar, die Anordnung des Stoffes
sehr übersichtlich. Die Ausstattung durch
Illustrationen ist geradezu mustergültig.
Die dynamische Geologie, welche
etwa die Hälfte des Bandes einnimmt, ist
mit besonderer Liebe und Verständnis
behandelt. Die ihr gewidmeten Abschnitte
stehen durchaus auf wissenschaftlicher
Höhe und haben auch die neueste Lite-
ratur gewissenhaft berücksichtigt. Weni-
ger geglückt sind die Abschnitte über
Petrographie und Formationslehre. Auch
finden sich in ihnen manche auffallende
Fehler und Versehen, welche in einer
neuen Auflage ausgemerzt werden müß-
ten. Ich will hier nur einiges wenige an-
führen. Eigentümliche Versehen sind es
jedenfalls, wenn (S. 196) gesagt wird, daß
Kohlen- und Permformation unter dem
Namen Djas zusammengefaßt würden,
wenn (S. 199 ff) der Name „Laurentische
Formation" als gleichbedeutend mit azoi-
scher Formationsgruppe gebraucht, die
„Huronische Formation" Nordamerikas
dagegen als Äquivalent des älteren Pa-
läozoikums bezeichnet wird, während an
anderen Stellen die Namen Dyas, Lau-
rentische, Huronische Formation durch-
aus in dem gebräuchlichen Sinne ange-
wandt werden. Die Beschränkung der
Bezeichnung „Lava" auf die glasigen Mo-
difikationen der vulkanischen Gesteine
(S. 176) ist mindestens ungebräuchlich,
die Angabe, daß die Porphyre keinen
eigentlich vulkanischen Charakter haben
(S. 220), geradezu falsch. Der Unterschied
zwischen plutonischen oder Tiefengestei-
nen und vulkanischen oder Ergußgestei-
nen ist überhaupt nirgends recht klar
hervorgehoben. Daß unter den Beweisen,
daß in der azoischen Periode bereits or-
ganisches Leben bestanden habe, auch
die Tatsache angeführt wird, daß in den
krystallinischen Schiefem der Alpen Spu-
ren von Belemniten gefunden seien (S. 199),
wirkt auch recht befremdend. Denn die
betreffenden krystallinischen Schiefer bind
doch nichts anderes als metamorphisierte
Lias-Schichten. Daß die Dyas arm an
Versteinerungen sei (S. 206), ist auch nicht
allgemein richtig, sondern nur für ihr
eines Glied, das Rotliegeude, gültig, nicht
aber für den Zechstein und die Tiefsee-
facies der Dyas. Die Angabe, daß sich
bei nfeld am Harz und bei Halle Stein-
kohlenlager finden (S. 204), beruht offen-
bar auf einer Verwechslung mit Braun-
kohlenlagem. Leopold v. Buch als An-
hänger der Descendenz - Theorie zu be-
zeichnen (S. 232), ist doch auch kaum
angängig. R. Langenbeck.
Dove^ Karl« Wirtschaftliche Landes-
kunde der deutschen Schutz-
gebiete. (Dr. L. Hubertis Moderne
kaufmännische Bibliothek.) Vlil u.
113 S. Leipzig, Huberti 1902. AL 2.76.
Der Verf., dessen Bildnis, Vertrauen
zum Klima der Schutzgebiete weckend,
statt der sonst gewählten Figuren im
Jugendstil die Vignette am Kopf des
Vorworts ziert, will keine wissenschaft-
liche Geographie der deutschen Kolonien
schreiben, sondern nur die für deren wirt-
schaftliche Verwertung wichtigen Tat-
sachen zu einem Bilde der Einzelland-
schafteu verarbeiten. Das ist eine inter-
essante Aufgabe, deren Lösung jeder Leser
mit Aufmerksamkeit verfolgen wird. Im
Vordergrund stehen Lage und Aufbau der
Länder als Bedingungen der Verkehrs-
entwicklung, das Klima als Daseins-
bedingung alles organischen Lebens, wäh-
rend Beschaffenheit und Wert der nur
kurz erwähnten Erzeugnisse als bekannt
vorausgesetzt werden. Geographische Ein-
zelheiten treten zurück, um Baum für
wirtschaftliche Angaben (Mittel, Kosten,
Geschwindigkeit des Verkehrs) zu ge-
winnen. Über das Ergebnis dieser Stoff-
auswahl werden die Anschauungen viel-
leicht etwas auseinandergehen. Daß eine
wirtschaftliche Landeskunde unserer Ko-
lonien es geradezu vermeidet, die Eng-
länder als Nachbarn Togos, ihre Uganda-
Bahn, ihre Telegraphenlinie vom Kap zum
Tanganika -See, ihre privilegierten Er-
werbsgesellschaften auf dem Boden Süd-
west-Afrikas zu erwähnen, wird manchen
überraschen. Aber innerhalb des Planes,
den er selbst entworfen und folgerichtig
festhält, erweist sich der Verf. selbst-
232
Bücherbesprechungen.
verständlich als überaus sachkundiger
Führer der Leser, an die er sich wendet.
J. Partsch.
Drade, 0. Der hercynische Floren-
bezirk. Grundzüge der Pflanzen-
Verbreitung im mitteldeutschen Berg-
und Hügellande vom Harz bis zur
Rhön, bis zur Lausitz und dem Böh-
mer-Walde. (Vegetation der Erde. VI.)
671 S. 6 Vollbilder, 16 Textfig., 1 K.
Leipzig, Engelmann 1902. Subskr.-
Preis JL 20.—, Einzelpreis M. 80.—.
Der Inhalt des Werkes gliedert sich
in folgender Weise:
I. Geschichte und Literatur der bota-
nischen Forschungen im hercynischen
Berg- und Hügellande. 11. Geographischer,
klimatologischer und floristischer Über-
blick, IQ. Die hercynischen Vegetations-
formationen in ihrer Ausprägung und
Gliederung. IV. Die Verbreitung der For-
mationen und ihre Charakterarten in den
hercynischen Landschafben. V. Die hercy-
nischen Fiorenelemente und Vegetations-
linien.
Besonderes Interesse beanspruchen Ab-
schnitt III und rV. Ersterer bietet eine
Übersicht über die vom Verf. unterschie-
denen Formationen, deren Zahl 32 be-
trägt. Die Art der Behandlung mag an
dem Beispiel der „hercynischen Wald-
formation" veranschaulicht werden.
Eine Liste der hercynischen Wald-
bäume, nach ihrer systematischen Stellung
in die Hauptgruppen der Coniferen, Amen-
taceen und Angehörigen anderer Verwandt-
schaft gegliedert und mit Bezeichnung
ihrer Verbreitungsareale versehen, bildet
die Einführung. Notizen über die ur-
sprüngliche Verbreitung dieser Bäume
reihen sich daran; insbesondere findet die
Edeltanne eingehendere Behandlung und,
ebenso wie die Fichte, kartographische
Darstellung ihrer Nordgrenze. Angaben
über das höchste Vorkommen reiner Be-
stände wie einzelner Exemplare der ver-
schiedenen Baumarten sind von Interesse.
Es folgen Listen der Waldsträucher
und der wesentlich charakteristischen
Stauden und Kräuter, jedesmal mit mehr
oder minder ausführlichen Bemerkungen
über das Verbreitungs- Areal versehen.
Nachdem so das Pflanzen-Material gekenn-
zeichnet worden ist, werden die unter-
schiedenen 11 Waldformationen mit ihren
Leit- und Charakterpflanzen aufgeführt;
z. B. : „Formation 4. Kiefern- und Birken-
wald (mit Sarothamnus und zwei Vacci-
nien). Hauptverbreitung von Luzula ne-
morosa im Hügellande; häufig Calamctgro-
stis epigeios. An Lichtungen Senecio
silvaticus; Gnaphalium silvaticum (setzt
sich im Gebirge in F. 9 fort), Selinum
carvifolia. Niederste Waldstandorte von
Amica montana im Hügellande. Forma-
tion für die nach Westen in Zunahme be-
griffenen Standorte von Iimcus tenuis
(Lausitz!;. Von Pirolaceen am häufigsten
P: secunda, in der montanen Facies dieser
Formation (400—600 m Vogtland) P. chlo-
raniha, als Seltenheit Chimaphila umbel-
lata; im Schatten Manotropa Hypopitys
gemein.*^ Listen der Gefäßkryptogamen
und der Moose schließen die Betrachtung
der Waldformationen.
In ähnlicher Weise werden im gleichen
Abschnitte „Die Sandfluren und Heiden*',
„Die trocknen Hügelformationen'*, „Die
Wiesen, Moore, Bergheiden und Borstgras-
matten", „Die Formationen der Wasser-
pflanzen", „Die Ruderalpflanzen und Feld-
unkräuter" behandelt.
Der etwa die Hälfte des Gesamt-
umfanges einnehmende vierte Abschnitt
bringt nun die räumlich - geographische
Verteilung dieser Formationen in den
einzelnen „floristischen Landschaften" des
Gebietes, wie sie sich im zweiten Abschnitt
unter „Gliederung der Hercynia" ergeben
hatten, nämlich: Das Weser-Bergland, das
Braunschweiger Hügelland, das Hügel-
land der Werra und Fulda mit der Rhön,
das Thüringer Becken, das Hügelland der
imteren Saale, das Land der Weißen
Elster, das Muldenland, das Hügelland
der mittleren Elbe, das Lausitzer Hügel-
land, das Lausitzer Bergland und Elb-
sandstein-Gebirge, der Harz, der Thüringer
Wald, das Vogtländische Bergland, Fran-
kenwald und Fichtelgebirge, das Erz-
gebirge, endlich der Kaiserwald, Ober-
pfälzer, Böhmer- und Bayerische Wald.
Stets wird der orographisch-geognostische
Charakter der Landschaft, Gestaltung der
Formationen und ihre Charakterpflanzen
vorweg behandelt und eine Reihe topo-
graphischer Florenbilder gleichsam als
Illustration dazu angefügt.
Das Kapitel „Das Thüringer Becken"
z. B. bringt an der Hand einer geolo-
gischen Skizze die Charakterisierung der
Bücberbesprechungen.
233
Landschaft als eines im Norden und Süden
von schmalen Bändern der Zechstein-
formation umrandeten Trias-Beckens, aus
dem der Eyffhäuser durch abweichenden
Aufbau sich heraushebt. Dann wird ge-
zeigt, wie trotz der geognostischen Ähn-
lichkeit mit dem Werra- Hügellande die
abweichende Flora des Beckens seine Be-
handlung als besonderer floristischen Land-
schaft rechtfertigt. Endlich werden Nieder-
schlagsvernältnisse und Oberflächengestal-
tung eingehender berücksichtigt. Li dem
folgenden Absatz wird der allgemeine
Charakter der Flora als den trocknen
Hügelformationen angehörig bezeichnet
und durch Aufführung der Charakter-
pflanzen näher begründet. Eine Liste
anderer in abweichende, ebenfalls im Ge-
biet vertretene Formationen gehöriger
Pflanzen ' schließt diese Ausführungen.
Von topographischen Florenbildem sind
»für diese Landschaft drei gegeben, welche
verschiedenartige Gegenden schildern :
a) Die drei Gleichen und die Seeberge,
b) der Kyffhäuser, die Hainleite, Schmücke
und Schrecke, und c) der Mittellauf der
Saale bis Naumburg (südlicher Abschnitt,
Leutrathai und Jena, nördlicher Abschnitt
mit Domburg, Freyburg, Naumburg).
Solche Bilder werden für jede der ge-
nannten Landschaften gegeben, sie sind
durchweg sehr gut geschrieben, so daß
man fast eine plastische Darstellung von
Gegend und Flora zu sehen meint. Sie
zeugen von einer außerordentlich sorg-
fältigen Sammlunf und Durcharbeitung
des ganzen Materials, auf die, wie Verf.
in der Vorrede sagt, drei Jahrzehnte ver-
wendet worden sind, und erwecken den
Eindruck, daß die Bearbeitung dieses
Florenbezirkes nicht in besser geeignete
Hände hätte gelangen können.
Endlich wird im fünften Abschnitt die
Frage erörtert: „welches Band denn nun
eigentlich den hercynischen Bezirk zu-
sammenhält?**, eine Frage, die bei den
großen Verschiedenheiten zwischen Hügel-
region und Bergregion, wie sie im Laufe
der Darstellung hervortraten, nicht un-
berechtigt genannt werden kann. Die
Antwort des Verf. lautet: „Trotz der Ver-
schiedenheit zwischen Hügelregion und
Bergregion im hercynischen Bezirk sind
doch gewisse Gemeinsamkeiten in seiner
geographischen Lage begründet; westliche
Arten dringen im Hügellande rings um
den Harz vor und ebenso . . . treten andere
von Westen her in das Gtebirge; östliche
Arten herrschen im Elbhügellande , aber
auch das Erzgebirge oder die Lausitz . . .
verhält sich viel »Östlicher< als der Harz
oder die Rhön. Das geographisch Ein-
heitliche muß, auch über die durch ver-
schiedene Höhenstufen bewirkten Ver-
schiedenheiten hinweg, einer einheitlichen
Darstellung unterworfen werden." —
Zum Schluß mag hinzugefügt sein,
daß die Ausstattung des Buches in ge-
wohnter Weise einwandsfrei ist. Die Text-
abbildungen und Vollbilder — teils Karten-
skizzen, teils photog^aphische Wieder-
gaben von Landschaften — sind instruktiv;
die Schlußkarte ermöglicht eine leichte
Orientierung besonders auch über die
Grenzen von Hügelregionen und Bergland.
G. Karsten.
Biekli^ M. Botanische Reisestudien
auf meiner Frühlingsfahrt
durch Korsika, gr. 8«. XHIu.liOS.
29 Landschafts- u. Vegetationsbilder.
Zürich, Füsi & Beer 1908. JL 4.60.
Ein allerliebstes Buch, dessen Lesung
mir reichen Genuß und Belehrung ge-
bracht hat. Es wird durch seine wunder-
vollen Landschafts- und Vegetations-Schil-
derungen und Bilder, die überall das
geübte, die ursächlichen Beziehungen
herausfindende Auge des Naturforschers
erkennen lassen, nicht nur Korsika neue
Besucher zuführen, sondern vor allem dem
Pflanzengeographen und dem Geographen
das Verständnis für die Pflanzenwelt der
Mittelmeerländer und ihre Eigenart ver-
tiefen. Ganz besonders gilt dies von den
Macchien, denen sich der Verf. mit sicht-
licher Vorliebe gewidmet hat, die man
allerdings in solcher Ausdehnung und
Formenfülle nur noch in Spanien und
den Atlasländem wiederfindet.
Gut mit Empfehlungen versehen, hat
der Verf. in 7 Wochen, April und Mai
1899, erstaunlich viel zu erreichen ver-
mocht. Nur für die alpine Region, von
1800 m aufwärts, war es noch zu früh.
Diese schildert und gliedert der Verf.
mehr nach der Literatur.
Der einleitende, vorwiegend geogra-
phisch gehaltene Abschnitt enthält manche
länderkundlich wertvolle Beobachtung.
Daß die den toskanischen Archipel mit
Korsika verbindende unterseeischeSch welle
Oeograpbitohe Zeitschrift. 9. Jahri^ang. 1903. 4. Hoft.
16
234
Bücherbesprechungen.
kaum 200 m unter dem Meeresspiegel
verl&uft, ist ein freilich längst berichtig-
ter Irrtum.
Das Schwergewicht des Buches ist
natürlich im Botanischen zu suchen. Verf.
schätzt die Gesamtzahl der Gefäßpflanzen
Korsikas auf 1800—2000 Arten, erstaun-
lich viel für die kleine Fläche. Zahlreiche
Lokalfloren lassen sich unterscheiden, viele
Arten sind so kurzlebig, daß man im
Frühling dieselbe Fläche alle 14 Tage
anders gefärbt finden kann, also ganz
wie dies der Berichterstatter vor 26 Jah-
ren schon von Sizilien (Beiträge S. 106)
geschildert hat. Mit Recht betont der
Verf., wie dies schon Grisebach getan,
daß mehr die ausgesprochene Trocken-
periode als die vermehrte Wärmemenge
den eigenartigen Charakter der Mittel-
meerflora bedingt. Er kennzeichnet die
Pflanzenwelt der Mittelmeerländer da-
her nach der Art der Anpassung an die-
sen klimatischen Charakterzug von zehn
Gesichtspunkten aus. Die einen bilden
mächtige Pfahlwurzeln oder lange unter-
irdische Eriechtriebe, andre Knollen und
Zwiebeln oder sind succulent oder bilden
Kugelbüsche, zeigen Sclerophyllie oder
Trichophyllie, scheiden ätherische öle aus,
haben besondere Blattstellungen, kurze
Vegetationszeit und Kurzlebigkeit oder
besitzen Einrichtungen zur Sicherung der
Keimimg.
Der Verf. unterscheidet drei Regionen :
1) die Kulturregion, bis 900 m, echt me-
diterran, Region der Macchien; 2) die
montane Region, 900 -—1800 m, Region
der Gebirgswaldungen; 3) die alpine Re-
gion. Von den Macchien werden die 25
bis 80 wichtigsten Formen aufgezählt.
Neben den Macchien unterscheidet er die
Felsenheide, wobei aber nicht ersichtlich
ist, warum er Grisebachs Bezeichnung
Matten, mit denen diese völlig überein-
stimmt, nicht beibehalten hat. S. 83 spricht
er von Matten = Blumenwiesen. Auch
die Strandformation, die 184 Arten, also
ca. 10% der Gesamtflora enthält, wird
eingehend geschildert. Wenn der Verf.
S. 91 und 100 darauf hinweist, daß zwar
Lärchen vereinzelt vorkommen, aber ver-
mutlich angepflanzt, niemals Bestand bil-
dend, wie ich angenonmien hatte, so bin
ich jetzt durchaus überzeugt, daß das ein
Irrtum war, wenn ich auch nicht fest-
stellen kann, wo ich ihn der Literatur
entnommen habe, denn selbst gesehen
habe ich auch nur einzelne Lärchen. Pi-
ntis Pinaster Solander xmd P. Laricio Poir.
sind die Hauptbestandteile des vorzugs-
weise die Höhe von 800 -^ 1200 m ein-
nehmenden aus mediterran^ Nadelbäumen
gebildeten Nadelwaldgürtels, darüber bis
zu 1800 m der Buchen Waldgürtel.
Th. Fischer.
de Martonne^ E. La Valachie. Essai
de monographie g^ographique.
XV u. 887 S. 5 K. u. 60 Abb, Paris,
Armand Colin 1902. Fr. 12.—.
Dieser „Versuch einer geographischen
Monographie" ist eine gute Landes- und
Volkskunde der Walachei. Der Verfasser
ist geschulter Geograph von vielseitiger
Bildung, er besitzt Gestaltungskraft und
schreibt einen gewandten Stil, de Mar-
tonne kennt einen großen Teil des Lan-
des aus eigener Anschauung und steht mit
vielen tüchtigen Vertretern der Wissen-
schaft in Bukarest in naher Beziehung,
er verwertet neben den eigenen For-
schungen und Anschauungen die beson-
ders im letzten Jahrzehnt zu Tage ge-
tretenen Resultate der Landesaufnahme,
der geologischen und meteorologischen
Beobachtungen und der sich allmählich
mit energischer Anspannung aus den de-
fekten Windeln herausarbeitenden Stati-
stik. Neben der rumänischen Literatur
ist de Martonne mit der deutschen ver-
traut. Kein größeres deutsches Werk,
kein Aufsatz in unsei-n größeren Zeit-
schriften entgeht seiner Aufmerksamkeit.
Das Buch behandelt in 21 Kapiteln:
die Bodengestalt im Vergleich zur CFm-
gebung, das Klima und die dadurch be-
dingten Lebenserscheinungen, die Gliede-
rung des Landes , das Relief und die
Tektonik der Karpathen, die Talbildungen
unter der Einwirkung von Wasser und
Gletschereis, das Klima der Karpathen,
das Pflanzen- und Tierleben der Gebirgs-
welt, das Hirtenleben, die spezielle Gliede-
rung der Karpathen, die Ott^nie oder die
kleine Walachei, das Hügelland und die
Ebene der Muntenia oder großen Walachei,
das Donautal, das Stromgebiet und die
Lebewelt der Donau, die Ethnographie,
die Dörfer, die Bauern, den Ackerbau, die
Industrie und die Städte.
Wenn de Martonne betont, es gäbe
keine alleinseligmachende Methode in
Bücherbesprechungen.
235
einer wissenschaftlichen Landeskunde, es
gäbe für jede landeskundliche Darstellung
neben den wissenschaftlichen Forderungen
eine künstlerische, so bin ich der letzte,
der mit ihm rechten wird. Ich nehme
ihm gar nicht übel, wenn er dem Namen
Südkarpathen die Bezeichnung „transsyl-
vanischeAlpen^^ vorzieht und wenn er ihnen
andere Grenzen setzt, als ich's mal in der
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde
getan habe. Ich fing im Westen mit dem
Retjezat an, weil ich darüber hinaus nichts
wußte, und schloß im Osten mit dem
Königstein, weil ich über das Übergangs-
gebiet des Burzenlandes und den But-
schetsch (rum.: Busiegin, ungar.: Buesecs)
in einem Vortrage (Verh. d. Ges. für Erd-
kimde) und in einem Aufsatz (Globus) das
meinige gesagt hatte. „ ;>yater unser«
ein schön Gebet, so jemand »unser Vater«
spricht, in Gottes Namen laß ihn beten!*'
Beigegeben sind dem Buche 5 Karten
und 60 Abbildungen verschiedener Art,
die fast alle die Darstellung in dankens-
werter Weise ergänzen und erläutern.
Die 6 Karten veranschaulichen die Boden-
plastik, die geologischen Verhältnisse, die
Niederschläge, die Wälder und die Volks-
dichte unter geschickter Benutzung des
bis jetzt erschienenen amtlichen Quellen-
materials. Die Volksdichte ist nicht für
die Distrikte, sondern för möglichst kleine
physische Einheiten berechnet; daß in
Deutschland manche ähnliche Versuche
der Art gemacht sind, scheint dem Ver-
fasser nicht bekannt zu sein.
Auf Bemängelung von kleinen Einzel-
heiten wird verzichtet. Daß ich mein
Urteil über einzelne Fragen mit der freu-
digen Anerkennung der Gesamtleistung
nicht gefangen gebe, bedarf wohl kaum
der Versicherung.
F. W. Paul Lehmann.
Weber^ Max. Der indo-australische
Archipel und die Geschichte
seiner Tierwelt. 46 S. Jena,
Fischer 1902. JL 1.—.
Der verdienstvolle Leiter der Siboga-
expedition hat seinen auf der Karlsbader
N aturforscherversammlung gehaltenen Vor-
trag über die erdgeschichtliche Entwick-
lung des indo-australischen Archipels auf
Grund tiergeographischer Forschungen in
erweiterter Form herausgegeben. Der
kleine Aufsatz enthält vieles höchst Be-
achtenswerte. Zunächst schildert der Verf.
die Aufgaben des Tiergeographen und die
Verknüpfung der Tiergeographie mit der
Erdgeschichte, und wendet sich gegen die
Methode, bei Vergleichung von Faunen
einzig eine empirische Statistik der glei-
chen und der verschiedenen Arten anzu-
wenden, indem er mit Recht darauf hin-
weist, daß vor allem die stammesgeschicht-
liche Qualität, nicht nur die Quantität
der Arten, ins Auge zu fassen ist. In
der Praxis wird das freilich in vielen
Fällen sehr schwierig sein. Indem sich
dann der Verf. der Geologie des indo-
australischen Archipels zuwendet, weist
er darauf hin, daß zur Jurazeit ein tiefes
Meer von ozeanischer Ausdehnung an
Stelle des jetzigen Landes existiert haben
müsse. Darauf weisen die aus Radiolarien-
skeletten bestehenden Lagen von Jaspis
und Hornstein, wie sie in Zentral-Bomeo
(Molengraaff) , in Celebes (Sarasins) und
Ceram (Martin) aufgefunden worden sind.
Zur Kreidezeit erscheinen ausgedehnte
Landmassen. Es hob sich ein Teil von
Zentral-Bomeo als Bergland über die
Fluten. Im Eocän veränderte sich ein Teil
des Archipels in ein seichtes Korallenmeer,
und in die tertiäre Zeit fallen auch die
Einstürze in tiefe Meeresbecken, welche
wir genauer durch die Sibogaexpedition
kennen gelernt haben. Im mittleren und
späteren Tertiär treten neue Trocken-
legungen auf, die bis zum Quartär an-
halten. Auch junge Vulkane, sowie die
Tätigkeit der Korallen helfen am Aufbau
der Inseln mit. Weitere Fingerzeige lie-
fert die Ozeanographie, die uns lehrt, daß
Sumatra, Bomeo, Java und Bali auf einem
submarinen Plateau von unter 100 m Tiefe
liegen. Die von Wallace behauptete Tiefe
der Straße zwischen Bali und Lombok ist
nur eine Fiktion, da die Sibogaexpedition
nachwies, daß diese Straße ein untiefer
Rücken ist, der noch dazu 8 Inseln trägt.
Die ehemalige Verbindung von Celebes
mit Java und den kleinen Sundainseln,
wie sie von den Sarasins behauptet wor-
den ist, erhält durch die Lotungen der
Sibogaexpedition eine ozeanographische
Stütze. Die heutige Verbreitung der Tier-
welt liefert weitere bedeutungsvolle Auf-
schlüsse zur Erdgeschichte des Archipels.
Die scharfe Grenzlinie zwischen orienta-
lischer und australischer Region ist auf-
zugeben, vielmehr verbindet ein breites
16*
236
Bücherbesprechungen.
Band von Inseln: Celebes, die kleinen j
Sundainseln und die Molukken, den Ost-
lichen und westlichen Teil des Archipels.
Die weiteren Ausführungen lassen sich
in folgendem, natürlich noch sehr hypo-
thetischen Schlußbild zusammenfassen :
Asien und Australien waren zur Kreide-
zeit verbunden, und von eurasiatischen
Tierformen bewohnt. Im Eocän trennte
sich davon ein südöstliches Stück: das
heutige Australien und Neuguinea, in
welchem sich Monotremen, Beuteltiere
und alte Formen anderer Tierklassen er-
hielten. Im Miocän traten bedeutende
Niveauveränderungen ein, indem durch
Einbrüche die jetzigen tiefen Meeresbecken
entstanden, andererseits Länder wie Celebes
emporwuchsen und im Wasser Landver-
bindungen entstanden, welche die Ein-
wanderung asiatischer Tiere ermöglichten.
Weitere Niveauverilnderungen führten den
Archipel seiner heutigen Konfiguration
zu. Die Einwanderung asiatischer Formen
hielt am längsten an für die großen
Sundainseln, von denen sich Java zuerst
loslöste. Daher schließt sich die Fauna
der großen Sundainseln aufs engste an
die asiatische an, während ostwärts davon
eine Mischfauna beginnt, die nach Osten
zu an asiatischen Formen ärmer, an
australischen reicher wird. Die einzelnen
Bestandteile dieses Gebietes sind aller-
dings imgleichartig, indem sich Celebes
ältere asiatische Formen wahrte, die ihm
vielleicht über die Philippinen zugingen,
während es jüngeren Zuzug von ebendort,
von Java und den kleineu Sundainseln
her, aber nicht direkt von Bomeo empfing,
von dem es durch die alte Makassarstraße
geschieden ist. Außerdem empfing Celebes
australische Bestandteile von den Moluk-
ken, wo sie teils Relikten, teils Ein-
wanderer vom australischen Gebiet waren.
Auch die kleinen Sundainseln mögen spär-
liche Zuzüge von ebendaher erhalten haben.
Es ist erA*eulich, daß sich Webers
hier wiedergegebene Auffassung in vielen
und wesentlichen Puinkten mit den An-
sichten deckt, welche die beiden Sarasins
in ihrem klassischen Werke über die geo-
logische Geschichte der Insel Celebes auf
Grund der Tierverbreitung (Wiesbaden
1901) vorgetragen haben , und wenn auch
viele Fragen noch nicht geklärt sind,
so können wir doch in diesen Arbeiten
der letzten Jahre einen ganz erheblichen
Fortschritt auf dem Wege der Lösung
des hochinteressanten Problems begrüßen.
Kükenthal.
Herbertson, F. D. und A. J« Herbertson«
Central and South America
with the West Indies. XXXIII u.
239 S. 24 Textabb. London, Black
1902. JC 2.60.
Das vorliegende Buch bildet den ersten
Teil einer größeren Sammlung, die unter
dem Titel „Descriptive Geographies from
Original Sources" erscheinen soll. Sie
soll eine Schilderung der einzelnen Länder
unmittelbar nach den Onginalquellen bie-
ten. Die Veranstalter der Sammlung be-
schränken sich daher darauf, selbst nur
in einer 20 Seiten langen Einleitung eine
knappe Übersicht über das Gesamtgebiet
zu geben, und lassen im übrigen die ein-
zelnen Autoren selbst reden. Das Buch
setzt sich daher im wesentlichen aus
einer Anzahl einzelner, unter sich nicht
unmittelbar im Zusammenhang stehender
Artikel zusammen, die teils wörtlich den
Werken und Aufsätzen von Reisenden in
den betreffenden Gegenden entnonmien,
teils verkürzte Auszüge aus solchen sind.
Im allgemeinen haben die Herausgeber
bei der Auswahl der Artikel großes Ge-
schick gezeigt. Landschaftliche Schilde-
rungen und Städtebilder wechseln mit Ar-
tikeln über Geologie, Klima, Pflanzenwelt,
Tierwelt und wirtschaftliche Verhältnisse
ab; nur die Ethnographie ist gar nicht
berücksichtigt. Auch ist die Mehrzahl
der Artikel wirklich guten Autoren ent-
nommen, so finden sich solche aus den
Werken von AI. v. Humboldt, Schomburgk,
Wallace, Charles Darwin, Markham,
Whymper, Fitz Gerald, 0. Nordenskjöld
u. a., daneben freilich auch manche recht
minderwertige. Aber die Idee, welche
dem ganzen Buche zu Grunde liegt, ein
möglichst anschauliches Bild eines Landes
zu geben, dadurch, daß man unmittel-
bar Männer reden läßt, die es selbst
kennen gelernt haben, muß doch als
durchaus verfehlt bezeichnet werden.
Ein klares und einheitliches Bild eines
Landes können solche zusammenhanglose
Einzelschilderungen doch niemals geben,
imi so weniger, als viele der Artikel so
kurz und abgerissen sind, daß sie beim
Lesen nicht einmal einen ästhetischen
Genuß gewähren. R. L an gen b eck.
E, T. Seydlitzsche Geographie, hei^
gegeben von E. Oehlmann. Aus-
gabe C: Großes Lehrbuch der Geo-
graphie. 28. Bearb. XVI u. 684 S.,
284 K. u. Abb. in Schwarzdmck, 4 K.
u. 9 Taf. in Farbendruck. Breslau,
Ferd. Hirt, 1902. .€ 6.26.
Gegen die 22. Bearb. bedeutet die
neueste eine wesentliche Vermehrung; dort
waren es 608 S., 227 Karten etc. in schwarz,
6 Karten u. 8 Tafeln in bunt. Daß das
Buch in 3 Jahren schon wieder eine neue
Auflage erlebt hat, weist auf große Beliebt-
heit hin. Von den Gründen möchte ich den
am meisten anerkennen, der in ihm ein
„bewahrtes Hand- und Nachschlagebuch**
sieht; dagegen scheint es mir für „Spezial-
schulen wie Lehrerbildungsanstalten und
Handelsschulen**, direkt als Schulbuch
gedacht, weniger geeignet. Besser wäre
es, man empföhle es dem abgehenden
Seminaristen etc., als daß der Unterricht
im Seminar sich auf ihm aufbaute; die
Gefahr, im Stoff zu ersticken, ist zu groß.
— Auf die Änderung im einzelnen ein-
zugehen, ist nicht möglich; es genüge,
auf die Sorgfalt hinzuweisen, mit der das
glänze Buch durchgesehen und auf dem
laufenden erhalten wird. Aus der „all-
gemeinen Erdkunde** sind im übrigen
die alten Abschnitte H — VI ausgeschieden
und als „astronomische Geographie** in
die Nähe des Schlusses gebracht. Zu
einem Mangel des Buches könnten sich
mit der Zeit die Abbildungen auswachsen,
der ehemalige Stolz des Verlags. Es
muß offen ausgesprochen werden, daß
der sonst so rührige Verlag hier in Ge-
fahr steht, den Anschluß zu versäumen.
Wenn die Abbildungen einst dem Stande der
Holzschnitt-Technik und dem noch wenig
regen Verständnis für die wirklichen For-
men der Erdoberfläche entsprochen haben,
so stehen sie jetzt weit hinter dem
zurück, was man von einem inhaltlich so
reichen Buche verlangen kann. Hier tut
ein entschlossener Bruch mit der Ver-
gangenheit dringend not. Mit den Kosten,
die durch die Einfügung der doch nur zum
Teil gelungenen Buntdrucke verursacht
worden sind, hätte der Übelstand schon
stark gemildert werden können; so aber
hat man es leider vorgezogen, diese Bil-
der noch um ein wenig schönes S. 180 zu
vermehren.
Hch. Fischer.
Bücherbesprechungen. 237
Tromnao, Adolf. Landeskunde der
Provinz Posen. 2. Aufl. 64 S.
Breslau, Ferd. Hirt 1902. JC 0.76.
Eine sorgfältige, recht inhaltsreiche
kleine Heimatkunde der Provinz. Auf-
fällig ist die Anordnung der „Boden-
kunde**, „Klimakunde** und hinten der
„besonderen Landeskunde**. Der Abschnitt
„Bevölkerung** ist besonders hübsch. Von
den Abbildungen ist nur eine, die
„Weichsellandschafb**, instruktiv. Die klei-
nen Karten von Posen und Bromberg sind
in den seltsamen Maßstäben 1 : 127 300 und
1 : 91 800 gezeichnet und auf einer Seite
vereinigt; das ist nicht gut. Daß Ab-
schnitte wie „staatliche Verwaltung**
nicht geographisch sind, bedarf kaum der
Erwähnung, anderseits lassen sie sich
anderen Lehrgegenständen fast noch
schwerer aufhängen; so müssen wir sie
schon vorläufig mitschleppen und nur
gelegentlich auf solch fremdes Gepäck
hinweisen. Hch. Fischer.
Spillmaiui, J. S. J. Über die Süd-
see. Australien und Ozeanien.
Ein Buch für die Jugend. 2. Aufl.
XI u. 378 S. 1 K. u. viele Textabb.
Freiburg i. B., Herder 1902. .4C 7.60.
Das Buch ist, wie schon der Titel
besagt, dazu bestimmt, der reiferen Jugend
Belehrung und Unterhaltung zu gewähren,
und trifft im allgemeinen hierfür durch-
aus den richtigen Ton. Auch sind die
sehr zahlreichen Abbildungen meist gut
ausgewählt, wenn auch nicht gerade
hervorragend ausgeführt. Trotzdem kann
das Buch für unsere Jugend nicht em-
pfohlen werden wegen der einseitigen
und tendenziösen Art der Darstellung.
Die Schilderungen der einzelnen Länder
und Völker sind fast ausschließlich den
Berichten katholischer Missionare ent-
nommen, von anderen Reisewerken sind,
wie in der Einleitung ausdrücklich gesagt,
nur sehr wenige und auch diese nur aus-
hilfsweise benutzt. Der Schilderung der
katholischen Missionstätigkeit ist denn
auch ein übertrieben breiter Raum ge-
währt, während die evangelische, die doch
in vielen Teilen Australiens und Ozeaniens
weit bedeutender ist, als jene, selten er-
wähnt wird, und auch dann meist nur, um
sie herabzuwürdigen. Eine Unbefangen-
heit in konfessionellen Fragen kann man
ja freilich auch heutzutage von einem
238
Neue Bücher und Karten.
Jünger der Gesellschafb Jesu leider nicht
erwarten! B. Langenbeck.
Toeppen, Kurt. Ali, der ostafrika-
nische Seeräuber. Erzählungen
aus dem Seeräuberleben der Lamu-
Leute Ende der achtziger Jahre.
288 S. Berlin, D. Reimer 1908. UK8.— .
Toeppen sucht seine achtzehnjährigen
Erfahrungen aus Ostafrika dem Volke
und der Jugend näher zu bringen, indem
er sie in das Gewand einer Räuber-
geschichte kleidet. Ali ist einer jener
„ehrlichen Spitzbuben**, die ihre Schand-
taten mit dem Nimbus der Tapferkeit,
Schlauheit und Kameradschaft umgeben,
ein Tjpus, der bei der männlichen Jugend
immer eifrige Bewunderer finden wird —
trotz des Kopfschütteins sittenstrenger
Erzieher. Als guter Kenner des Volks-
lebens legt der Verfasser das Haupt-
gewicht auf eine Charakterschilderung
der Wasuaheli und Araber, ihre Be-
ziehungen zu den Europäern, ihren
Sklavenhandel. Rein geographische Be-
lehrungen sind dünn gesät. Wir werden
in die Mangrowedickichte mit ihren
Schlupfwinkeln, auf die Strandebenen ge-
führt, erfahren von den Meeresströmungen
und Monsun winden. Die Handlungen
spielen sich meist auf hoher See oder an
der Küste ab, so daß wir leider auf andere
Landschafbsschilderungen , Vegetations-
bilder u. s. w. verzichten müssen. Bei
der Darstellimg der Gespräche mischt sich
bisweilen in den Negerstil etwas unmoti-
viertes Berlinertum oder eine Redensart
mit Fremdwörtern, die dem geistigen
Niveau der Handelnden wenig ange-
messen ist. P. Wagner.
Nene Bftcher and Karten.
Allgemeines.
Meyers großes Konversations-
Lexikon. 6. Aufl. II. Bd. Astilbe—
Bismarck. 914 S. Leipzig, Bibl. Inst.
1908. JL 10.—.
Pauly-Wissowa. Real - Encyklopädie
der klassischen Altertumswissenschaft.
Suppl.-Heft I. 874 S. 1 K. Stuttgart,
Metzler 1903.
MAthemAtUche Oeographie.
Güßfeldt, Paul. Grundzüge der astro-
nomisch - geographischen Ortsbestim-
mung auf Forschungsreisen und die
Entwicklung der hierfür maßgebenden
mathem.-geometr. Begriffe. XIX u.
878 S. 96 Textabb. Braunschweig,
Vieweg & Sohn 1903. JL 10.—.
Allgemeine physifehe Geograplüe.
Heck er, 0. Bestinmiung der Schwer-
kraft auf dem Atlantischen Ozean sowie
in Rio de Janeiro, Lissabon und Madrid.
Veröff. d. k. preuß. geodät. Inst. N. F.
Nr. 11. 187 S. 9 Taf. Berlin, Stan-
kiewicz 1908.
Karsten, G., u. Schenck, H. Vegeta-
tionsbilder. Hefb 1. Schenck: Süd-
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Geinitz: Die geographischen Verände-
rungen des südwestlichen Ostseegebietes
seit der quartären Abschmelzperiode. —
Kahler: Die Gewinnung von Feingummi
nnd Kautschuk in Brasilien. — Anders-
so n: Die wissenschaftlichen Arbeiten der
schwedischen Südpolarexpedition auf den
Falkland-Inseln und im Feuerland. —
Heß: Der Schuttinhalt von Innenmoränen.
— Hammer, M.: Oberbirma und die
Schanstaaten. — Dannenberg: Die
Äquatorfrage in der Geologie. — Ham-
mer, £.: Beiträge zur russischen Militär-
kartographie.
Globus. 83. Bd. Nr. 7. Blind: Skiz-
zen aus elsaß-lothringischen Ossuarien. —
Die Forschungsreise der schwedischen
Südpolarexpedition nach Südgeorgien. —
V. Bülow: Der vulkanische Ausbruch auf
Savaii. — Krause: Kann Skandinavien
das Stammland der Blonden und Indo-
germanen sein ? — Behrens: Die Weser.
Dass. Nr. 8. Koch: Der Paradies-
garten als Schnitzmotiv der Payagua-
Indianer. — Behrens: Die Weser. —
Bugiel: Polnische Sagen aus der Pro-
vinz Posen. — Der 13. Internationale
Amerikanistenkongreß in Neu York.
Dass. Nr. 9. Reich und Stegel-
mann: Bei den Indianern des Urubamba
und des Envira. — Eskimomusik. —
Hoernes: Das Campignien. — Wolle-
mann: Das Ende der Nephritfrage. —
G r e i m : Die Wetterschießkonferenz in Graz.
Dass. Nr. 10. Kaap: Reisen auf der
Insel Nias bei Sumatra. — Höfer: Die
indogermanische Frage durch die Archäo-
logie beantwortet. — Pech: Die epische
Volkspoesie an der Petschora. — Jäger:
Innsbruck, eine erdgeschichtliche Betrach-
tung. — Fenn er: Mulla Ali Mahdibajew
über die Krankheiten der Kirgisen.
Deutsche JRwndschau für Geographie
und Statistik. XXV. Jhrg. 6. Heft. Struck:
Der makedonische Erdbebenschwarm im
J. 1902. — Dinter: Wanderung in Groß-
namaland. — Hübner: Forschungsreisen
amRioBranco. — Meinhard: Hochzeits-
bräuche im südwestlichen Europa.
MeUorologische Zeitschrift 1908. Nr. 2.
Wo e i k 0 f : Probleme desWärmehaushaltes
des Erdballs. — Woeikof: Die Resultate
der Karaboghaz-Expedition. — Woeikof:
Die Isothermen im westlichen tropischen
Südamerika. — Hegyfoky: Die Früh-
lingsankunft der Wandervögel und die
Witterung in Ungarn. — Grimaldi:
Der Wolkenbruch vom September 1902 in
Sizilien.
Zeitschrift fil^r Schulgeogi-aphie. 1903.
6. Heft. Ottsen: Die Lektüre im geo-
graphischen Unterricht des preußischen
Lehrerseminars. — Imendörffer: Die
häusliche Vorbereitung der Schüler für
den geograph.Unterricht. — Oppermann:
22 Schulgeographen des 19. Jahrhunderts.
Beiträge zur KolonicUpolitik und Kolo-
nialwirtschafl. IV. Jhrg. 10. Heft. v. B ü 1 o w :
Die deutsche Sprache in Deutsch-Samoa.
— Ried er: Ist der Nyong schiffbar? —
Reise des Forstreferendars Wiedeburg nach
Südwestafrika.
Zeitschrift d. Ges. f. Erdkde. zu Ber-
lin. 1903. Nr. 1. Passarge: Reisen im
venezolanischen Guayana. — v. d. Stei-
nen: Der Xin. internationale Amerika-
nistenkongreß. — über den Ausbruch des
Santa Maria.
Dass. Nr. 2. Friedrichsen: For-
schungsreise im zentralen Tien-schan und
dsungarischen Alatau, 1902. — Bren-
necke: Ergebnisse der Höhenmessungen
Philippsons im westlichen Kleinasien, 1901.
Mitteilungen der K. K. Geographischen
Gesellschaft in Wien. 1902. Nr. 11 u. 12.
Schaff er: Die alten Flußterrassen im
Gemeindegebiete der Stadt Wien. —
Koch: Reise in Matto Grosso.
Äbhatidlungen der K, K, Geographischen
Gesellschaft in Wien. 1902. Nr. ö u. 6.
Fischer: Meer- und Binnengewässer in
Wechselwirkung. — Ule: Die Aufgabe
geographischer Forschung an Seen.
Bulletin de la Society Neuchateloise de
Geograj)hie, Tome XIV. 1902—08. Hu-
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guenin: Racatea la sacr^e (viele Abb. im
Textu. auf Taf.). — Garnier: Vocabulaire
des indig^nefl de TAustralie occidentale.
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Hedin: Tbree Years' Exploration in
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the Ancient Kingdom of Lau-lan or Sben-
Shen. — Anderson: Kecent Volcanic
Eruptions in tbe West Indies. — Jack:
Two Trips to tbe North of Cheng-tu. —
TheTanganyika-Problem. — Freshfield:
Tbe bigbest Mountain in tbe World. —
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1903. Nr. 8. Hedin: Tbree Years' Ex-
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A Naturalists* Society and its Work. —
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L'oeuvre de M. Pavie ä Tlndocbine
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Abbaba au Nil. — Dumoulin: Le com-
mandant Lamy.
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i Fitüand. (Scbwedisch mit deutseben od.
engl. Refer.) VI. 1901—1903. Hirn: Tbe
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Rosberg r Pbys.-geogr. Bescbreibung des
Kircbspiels „Kyrkslätf* in Finland (1 K.).
— K. R. M.: Die Fortscbritte der Boden-
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bof: Die Mandschurei und die Ussuru-
Provinzen. Reiseskizzen. — Forsman:
Geograph. Beobachtungen betrefiFend den
„Ganmielstadsvik" (1 K.) — Häyr^n:
Die Delta des Kumo-elf. — Brotberus:
Yegetationsskizzen aus Zentral-Asien. —
— Boldt: Heimatsforschung in Finland.
— Einige Bemerkungen über die Wasser-
scheide westlich vom Flusse Kyrö. —
Blomqvist: Wallins Reisen. — Ders.:
M. A. Castr^ns Reisen. — Alfthan: The
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Mitteilungen (Isxcestija) d. Kais. Russ.
Geogr. Ges. Bd. XXXVHI. 1902. Heft lU.
(Russisch.) Fedschenko: Pamir und
Schugnan. — Warneck: Die Verteilung
des Eises und die Möglichkeit der Schif-
fahrt auf dem Seewege nach Sibirien
(3 K.). — Kolomeizow: Die russische
Polarexpedition des Barons Toll.
Dass. Heft IV. Ladygin: Einige
Angaben über den Handelsverkehr in
Kansu, in Tibet und in der Mongolei auf
Grund der Ergebnisse 1899—1902. —
Swjetschnikow: Die Viehzucht in der
nordöstlichen Mongolei u. deren Bedeutung
für den Grenz verkehr mit Transbaikalien.
Erdkunde ( Semlew jedjenie). V er äff. d.
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wiss. u. Volkerkde. zu Moskau. 1902.
Heft IV. (RuBsisch.) Ule: Der gegen-
wärtige Stand der Seenforschung in
Deutschland (2 Skizzen). Übersetzung aus
dem Deutschen. — Anutschin: Der Bai-
kalsee. — Korotnew: Die Erforschung
des Tierlebens im Baikalsee (1 K. u. 9
Fig.) — Anutschin: P. G. Ignatow
(1 Porträt). — Berg: Über die ehemalige
Einmündung des Amu-Darja in das Kas-
pische Meer. — Beilage: Günther: Ge-
schichte der geographischen Entdeckungen
und der Ergebnisse der wissenschaftlichen
Erdkunde im 19. Jahrhundert. Über-
setzung aus dem Deutschen durch L. D.
Sindizki unter der Redaktion von .
Anutschin.
The National Geographie Magazine.
1903. Nr. 2. Curtis: The Great Turk
and bis lost Provinces. — Soutberland:
Tbe Work of tbe ü. S. Hydrographie
Office. — Why Great Salt Lake bas fallen.
Aus Terschiedenen Zeitschriften«
Codrington: La Magie cbez les Insu-
laires Melanesiens. Trad. par Cam-
maerts. Vublication Nr. 8 de Vlnst.
Geogr. de Bruxelles. 1903.
Crammer: Das Alter, die Entstehung
und Zerstörung der Salzburger Nagel-
fluh. Neues Jahrbuch für Mineral. y
Geol. u. Paläontol. Beil.-Bd. XVI.
Etzold: Die von Wiecherts astatischem
Pendelseismometer in der Zeit vom
15. Juli bis 31. Dezember 1902 in Leip-
zig gelieferten Seismogramme von Fem-
beben. (1 Taf.) Ber. d. math.-phys.
Kl. d. k. Sachs. Ges. d. Wiss. zu Leipzig.
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G r e i m : Studien aus dem Paznaun. (4 Taf.)
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Müller, Wilb.: Die Photographie im
Dienste der Kartographie und ihre An-
wendung im k. u. k. militärgeograpbi-
schen Institut in Wien. Lechners Mit-
teilungenphotographischenlnhaUs^r. 1 1 G.
Januar 1903.
Reclus: L'enseignement de la Geogra-
phie. Bull, de la Soc. Beige d* Astro-
nomie. 1903. I.
VonmtwortUobor Herausgeber: Prof. Dr. Alfred Ueltnor in Heidelberg.
Der landschaftliche Charakter Neuseelands.
Von Bobert von Iiendenfeld in Prag.
Mit vier Tafeln (Nr. 4 bis 7).
In seinei' Gestalt, Lage und Qröße ähnelt Neuseeland Italien, dem es
nahezu antipodal gegenüberliegt. Wie dieses ist es in polar-westlich-äquatorial-
östlicher Richtung langgestreckt und hat die Form eines hohen Stiefels. Es
ragt aber nicht wie Italien als Halbinsel in eine fast ganz abgeschlossene
Binnensee hinein, sondern liegt frei, mitten im Weltmeere. Die schmale
Cookstraße teilt Neuseeland in zwei annähernd gleichgroße Inseln, die nord-
östliche „Nord"- und die südwestliche „Süd"-In8el. Von den kleinen, diese
beiden Hauptinseln umgebenden Nebeneilanden ist die Stewartinsel im Süden
die bedeutendste. Das eigentliche Bückgrat Neuseelands bildet ein in an-
nähernd derselben Bichtung, in der die beiden Hauptinseln sich in die Länge
dehnen, Südwest-nordöstlich streichendes, aus hoch empor gefalteten Sediment-
gesteinen aufgebautes Kettengebirge. Dieser Gebirgszug erstreckt sich von
der, als Absatz des neuseeländischen Stiefels erscheinenden, stark vorragenden
Nordostecke der Nordinsel bis über die Mitte der Südinsel hinaus. Sein
nördlicher, in der Nordinsel gelegener Teil folgt der Südostküste, während
der südliche, in der Mitte der Südinsel liegende Teil dicht an die Nordwest-
küste herantritt. Der Nordwesten der Nordinsel und das Südwestende der
Südinsel werden von Gesteinsfaltenzügen eingenommen, welche senkrecht zur
Streichungsrichtung jenes Hauptgebirges, in nordwest-südöstlicher Bichtung
verlaufen. Im mittleren Teile der Nordinsel herrschen vulkanische Bildungen
vor und auch anderwärts, im Nordwesten der Nord- und an der Südostküste
der Südinsel, werden solche angetroffen. Im Osten des südlichen Teiles der
Hauptkette breitet sich eine große Ebene aus, welche den südöstlichen Teil
der Mitte der Südinsel einnimmt. Diese Verschiedenheiten des geologischen
Aufbaues der einzelnen Teile des Landes bringen es mit sich, daß die Ober-
fiächengestalt in den verschiedenen Distrikten eine sehr verschiedene ist. Da-
zu kommt, daß sich Neuseeland über 13 Breitegrade, vom 34. bis zum
47. Grad s. Br. erstreckt, so daß die klimatischen Verhältnisse der einzelnen
Landesteile wesentlich voneinander abweichen: während es im Süden recht
kühl ist, herrscht im Norden ein völlig subtropisches Klima. Jene geo-
logischen und diese klimatischen Unterschiede haben zur Folge, daß der land-
schaftliche Charakter der verschiedenen Teile Neuseelands sehr verschieden ist.
Die ioteressantesten und wichtigsten Landschafkstypen, die in Neuseeland
angetroffen werden, sind das Vulkangebiet der Nordinsel, die große Ebene im
Südosten der Mitte der Südinsel, der höchste, südliche, durch eine großartige
(}eogr»pbitohe Zeittchrift. 9. Jahrgang- 190S. 6. Heft 17
242 Robert von Lendenfeld:
Vergletscherung ausgezeichnete Teil der Hauptgebirgskette und der an Fjorden
und Alpenseen reiche Südwesten der Südinsel. Im folgenden sollen diese vier
Landschaftstypen geschildert werden.
Das Vulkangebiet der Nordinsel erstreckt sich im Norden und Westen
bis an die Küste, im Osten und Nordwesten wird es von Faltengebirgen ein-
gefaßt. Seinen südwestlichen Eckpfeiler bildet der einem weit vortretenden
Kap entragende Taranaki (Mount Egmont), ein alter, jetzt erloschener Vulkan
von recht regelmäßig kegelförmiger Gestalt und einer Höhe von 2522 Metern.
Dichter Wald imd Kulturen breiten sich an seinem Fuße aus; in 8 — 900 Meter
Höhe ändert sich der Charakter der Vegetation, die Bäume werden niedriger,
und ihre Stämme und Äste gewinnen ein knorriges Aussehen. 300 Meter
höher hat sich der Hochwald bereits ganz in niedriges Krummholz ver-
wandelt. Auf das Krummholz folgt ein etwa 300 Meter breiter Gürtel von
Gras, Alpenkräutem und Moos; weiterhin ist alles Fels und Geröll bis hinauf
zum Gipfelkrater. Vom Kraterwalle sind gegenwärtig nur mehr drei ge-
trennte Klippen übrig. Der Krater selbst wird von einem kleinen Fimfelde
eingenommen. Der Berg ist von allen Seiten leicht zu ersteigen. Im Osten
geht die Eisenbahn vorüber: von der höchstgelegenen Station, Stratford, ist
der Gipfel kaum 20 Kilometer entfernt. Von dem genannten Orte reitet man
auf gutem, sanft ansteigendem Wege durch Föhren- und Batawald gegen
Westen. Nach einer Stunde kommt man an einige steilere Terrainstufen,
die Bäume werden niedriger, Flechten hängen an den Ästen und wie in
einem Zauberwald fühlt sich der von den eigentümlichen und ungewöhnlichen
Vegetationsformen dieser subalpinen Region umgebene Wanderer. In etwa
1100 Meter Höhe kommt man aus dem Wald heraus und gewinnt, niedriges
Buschwerk durchreitend, einen freien Ausblick nach Osten, über die Wälder
hinaus nach den stattlichen Vulkanbergen des Innern. Bald sind nun die
von Holzpüanzen freien Abhänge erreicht; hier wachsen starke Grasbüschel:
an solche binden wir die Pferde und setzen zu Fuß den Marsch fort. Zu-
nächst folgt man einem Bücken, steigt dann in die ihn im Norden begrenzende
Manganuischlucht hinab und klettert an ihrer jenseitigen Wand empor. Feste
Felsmassen und loses Gerolle bilden diesen Abhang. Das letztere sorgfältig
vermeidend, kommen wir ganz gut hinauf. Plötzlich sehen wir die kleine
Fimkappe vor uns. . Ist das Eis hart, so müssen hier einige Stufen geschlagen
werden. Von den drei Felsköpfen, welche diesen, die Kratermulde erfüllen-
den Firn umstehen, ist die westliche die höchste, sie ragt ungefähr 25 Meter
aus dem Eise hervor; bald ist ihr Gipfel gewonnen. Auf drei Seiten, im
Süden, Westen und Norden bespült das Meer den Fuß des Berges. Greifbar
nahe erscheint die Strandlinie, wie kleine Spielzeuge sehen die Hafenbauten
von Neuplymouth an der Westküste aus; weithin dehnen sich die Wälder,
aber überall blicken zwischen ihnen freundliche Siedlungen zu uns herauf. Die
zum Teil über 100 Meter hohen Strandgebirge sind kaum zu entdecken:
winzigen Zwergen gleich umstehen sie den Riesen, auf dessen Scheitel wir
lagern. Im fernen Osten ragen die schneebedeckten Gipfel der großen Vul-
kane des Inneren, der Ruapehu, Ngauruhoe und Tongariro auf, im Süd«n
Geographische Zeitschrift. Jahrgang IX.
Tafel 4.
2
EL
3
o
o
Zu: Robert Ton Lendenfeld. Der landschaftliche Charakter Neuseelands J
Der landschaftliche Charakter Neuseelands. 243
sehen wir, jenseits des Meeres, die Berge des nördlichen Teiles der SüdinseL
Beim Abstiege suchen wir die losen Geröllstreifen, die wir beim Aufstiege
so sorgsam vermieden haben, auf; Staubwolken aufwirbelnd und ganze Geröll-
lawinen in Bewegung setzend, geht es in sausender Eile über sie hinab.
Im Mittelpunkte des Vulkangebietes der Nordinsel breitet sich der 626
Quadratkilometer große Tauposee aus, dessen Spiegel 400 Meter über dem
Meere liegt. Er ist weitaus der größte See Neuseelands. Seine Ufer be-
stehen aus vulkanischen Schlacken und Bimsstein. Die größte Tiefe beträgt
163. Meter. Vermutlich ist das Tauposeebecken durch Einsturz entstanden.
Das westliche Ufer ist hoch und felsig, das östliche sandig und flach. Zahl-
reiche Gewässer ergießen sich in den südlichen Teil des Sees, aus seinem
Nordende geht der Waikatofluß hervor. In der Umgebung des Tauposees
sowie auch weiter nördlich, zwischen ihm und der Nordküste, ist allenthalben
die Tätigkeit vulkanischer Kräfte zu verspüren. Es finden sich da, von den
ab und zu heftig ausbrechenden, eigentlichen Vulkanen abgesehen, zahllose
heiße Quellen, Gejsir und ähnliche Erscheinungen, welche diesem Gebiete
einen ganz eigenartigen Charakter verleben. Die interessantesten Phänomene
dieser Art werden in der Umgebung von Botorua angetroffen, das ziemlich
weit vom Tauposee entfernt im Norden liegt.
Von der Hafenstadt Auckland führt eine Eisenbahn nach Botorua. Auf
diesem Wege wollen wir dahin reisen, uns vorher aber in Auckland selbst
etwas umsehen. Die Nordinsel von Neuseeland bildet einen nach Nordwesten
weit vorragenden Fortsatz: das ist der Vorderteil des neuseeländischen Stiefels.
Von beiden Seiten her dringen mehrere tiefe Buchten ziemlich weit in diesen
Landvorsprung ein, so daß er stellenweise ganz schmal wird. Besonders gilt
das fOr jene Landbrücke, welche zwischen der von Nordosten her eindringenden
Hauraki- und der von Südwesten her eindringenden Manukaubucht liegt.
Dieser Isthmus ist nur 10 Kilometer breit und wird dadurch, daß schmale
Wasserarme noch weiter in ihn einschneiden, an zwei Stellen bis auf eine
Breite von ly^ bis 2 Kilometer eingeengt. Zwischen diesen beiden Ein-
schnürungen, über welche seit jeher der Verkehr der Nordost- mit der Süd-
westküste geht, liegt die Stadt Auckland. Sie ist die größte Stadt Neusee*
lands und hat samt den Vororten über 60000 Einwohner. Die Waitemaha-
bai der Haurakibucht, an deren Südufer sie liegt, ist den größten Ozean-
dampfern zugänglich. Früher war Auckland Sitz des Statthalters, jetzt ist
Wellington, an der Südküste der Nordinsel, die Hauptstadt von Neuseeland.
Es gibt in Auckland viele schöne Bauten^ Kirchen, Ämter, Banken, den alten
Palast des Statthalters und ein Museum. Auch des Besitzes einer Univer-
sität erfreut sich die Stadt; diese ist aber lange nicht so bedeutend wie die
anderen neuseeländischen Hochschulen in Dunedin und Christchurch. In der
nächsten Umgebung von Auckland erheben sich zahlreiche kleine, jetzt erloschene
Vulkankegel. In vielen ihrer Krater werden runde Miniatur-Seen angetroffen.
Ersteigt man eine dieser Höhen, so gewinnt man eine sehr hübsche Aussicht
über die freundliche Stadt mit ihren parkumschlossenen Villen und stattlichen
öffentlichen Bauten, die überaus reich gegliederte Küste imd die zahlreichen
Inseln der Haurakibucht, die sich im Norden ausbreitet. Im fernen Südwesten
244 Robert von Lendenfeld:
erheben sich waldige Bergketten, während in der Nähe und im Süden das
Land kahl ist.
Auf diesem, jetzt baumlosen Lande stand einstens ein Kauriwald. Die
Kauribäume (Damara australis) erzeugen viel Harz, welches zum Teil in
den Boden gelangte und hier im Laufe der Jahrhunderte zu einer, dem Bern-
stein ähnlichen Masse versteinerte. Der Wald ist vermutlich in Folge von
Änderungen der klimatischen Verhältnisse verschwunden, das Kauriharz im
Boden aber ist geblieben. Man gewinnt es, indem man entweder mit einem
spitzen Eisenstab den weichen Boden sondiert und die dabei bemerkten Harz-
stflcke dann ausgräbt oder besonders reiche Strecken bis zu einer Tiefe von
einem Meter und darüber ganz umgräbt. Die Harzstücke sind nuß- bis
kopfgroß, meist dimkel und opak, seltener heller, durchscheinend oder durch-
sichtig. Die ersteren werden zur Lackfabrikation verwendet, die letzteren zu
Zigarrenspitzen und dergleichen verarbeitet Die Ausbeute ist beträchtlich,
zwischen 7 und 9000 Tonnen im Werte von 8 bis 10 Millionen Mark im
Jahre. Qegen 10000 Leute beschäftigen sich in dieser Gegend mit der
Kauriharzgewinnung.
Die Reise auf der Bahn von Auckland nach Rotorua bietet nicht viel
Literessantes und nimmt 8 bis 10 Stunden in Anspruch. Zunächst föhrt man
durch ziemlich fruchtbares, gut kultiviertes Hügelland in südöstlicher Richtimg
bis zum Waikatoflusse, folgt diesem wasserreichen Strome eine Strecke weit,
setzt über ihn und kommt dann auf eine recht Öde, zumeist mit niederen
Farnkräutern bestandene, großenteils ebene Fläche hinaus. Endlich beginnt
die Bahn anzusteigen, die Vegetation wird üppiger; durch einen schönen, an
großen Fambäumen reichen Wald erreichen wir die wasserscheidende Höhe
und bald darauf den jenseits nur wenig tiefer, 378 Meter ü, d. M., gelegenen
Rotoruasee, an dessen südlichem Ufer die gleichnamige Ortschaft liegt.
Das Klima ist angenehm; den verschiedenen heißen Quellen, welche dort
aus der Erde hervorkonmien, wird eine große Heilkraft zugeschrieben. Des-
halb hat die Regierung in Rotorua ein Sanatorium errichtet, auch gibt es
daselbst viele Badeanstalten und Gasthöfe. Nicht weit von der modernen
Ortschaft liegt das immer noch ziemlich volkreiche Maoridorf Chine-mutu,
welches wohl eines Besuches wert ist. In diesem Dorfe, sowie allenthalben
in der Umgebung, gibt es zahllose heiße Quellen, größere und kleinere
Geysir, Fumarolen und dergleichen. In Chine-mutu, wie in Whaka-rewarewa,
einem anderen benachbarten Maoridorfe, benützen die Eingeborenen zum
Kochen kein anderes Heizmaterial als die dem Boden entströmenden Dämpfe,
welche zum Teil eine den Siedepunkt erreichende oder ihn sogar übersteigende
Temperatur haben.
Der nordwestlich von Rotorua sich erhebende, bis zu einer Höhe von
670 Meter ansteigende' Ngongo -taha- Berg bietet eine sehr schöne Aussicht
über die Umgebung; der durch den „Urbusch" — Urwald kann man diese
niedrige Holzvegetation wohl kaum nennen — hinauffahrende Weg ist
sehr hübsch. Interessanter als dieser Berg ist der etwas weiter entfernt im
Osten liegende Vulkan Tarawera, der nach längerer Ruhepause im Jahre
1886 plötzlich eine gewaltige Tätigkeit entfaltete. Um ihn zu besuchen,
Geographische Zeitschrift. Jahrgang IX.
Tafel 5.
Mount Elle de Beaumont vom westlichen Vorgipfel des Höchste tter Dom. (Aorangigruppe.)
Taamangletscher, Aorangi und Mount Tasman vom obersten Tasmanfirn. (Aorangigrupjl^,)
Der landsqhaftliche Charakter Nenseelands. 245
reitet man nach dem etwa 15 Kilometer entfernten Dorfe Wairoa, welches
am Fufie des Berges liegt rmd bei jenem Ausbruche arg mitgenommen wurde.
Nicht weit von Eotorua beginnen kahle Flächen von vulkanischen Auswurf-
massen an Stelle der Vegetation zu treten. Immer ärmlicher wird das Busch-
werk, bis es endlich ganz aufhört. Von den bei jedem Regen entstehenden
Wässern sind allenthalben kleinere imd größere Schluchten in diesp Öde
Fläche eingerissen worden. Am Tikitapusee vorbeireitend kommen ^fir an
den Botokakahisee, der in einem Boote überquert wird. Aus den mächtigen
Auswurfmassen in der Umgebung des Sees blicken die Giebel der Dächer der
bei der Eruption von 1886 verschütteten Hütten hervor. Jetzt wohnt kein
Mensch mehr dort, aber manche von den Obstbäumen, die seiner Zeit in der
Nähe gepflanzt wurden, haben den Ausbruch überlebt und schmücken die
trostlose Gegend. Endlich ist der 314 Meter über dem Meere liegende Ta-
rawerasee erreicht. In einem Boote fahren wir zu dem jenseitigen Ufer hin-
über und beginnen dann über den Abhang des Berges emporzusteigen. Wegen
des weichen und locker gefügten vulkanischen Auswurfmaterials, aus dem diese
Abhänge bestehen, ist der Aufstieg sehr mühsam. Der Berg hat drei Gipfel,
der mittlere, Buawahia genannt, ist am höchsten und liegt 1150 Meter ü. d« M.
Der mehrfach erwähnte Ausbruch dieses Vulkans am 10. Juni 1886 dauerte
von 2 bis 6 Uhr früh. Zuerst begann der nördlichste der drei Gipfel Feuer
zu speien, dann folgte der mittlere und endlich der südliche. Der durch die
herrlichen Sinterterrassen an seinen Ufern berühmte Rotomahanasee an der
Ostseite des Berges verschwand in einer gähnenden Spalte und die vulka-
nische Asche wurde bis zu einer Höhe von nahezu 7000 Metern empor-
geschleudert Man schätzt die während dieses Ausbruches emporgeworfenen
vulkanischen Massen auf anderthalb Kubikkilometer.
Am interessantesten in der Rotoruagegend dürfte wohl die Höllenpforte
von Tikitere sein. Eine Strecke östlich vom Rotoruasee liegt ein Tal, dessen
flacher Boden ganz außerordentlich reich an heißen Wasserbecken, kochenden
Schlammtümpeln und Fumarolen ist. Eine schmale Landbrücke trennt zwei
von den größten dieser Seen. Der allenthalben von den Wasserflächen empor-
steigende und dem Boden entweichende Dampf hüllt den Wanderer, der über
diese Brücke dahinschreitet, ein; die Luft ist erfiült von Schwefelwasserstoff
und anderen giftigen, den kochenden Schlammassen entströmenden Gasen,
und der Erdboden zittert unter der Gewalt der vulkanischen Kiiifte, die sich
hier so mächtig betätigen.
Es ist oben erwähnt worden, daß auch an der Ostseite der Südinsel
Vulkanberge vorkommen; diese sind aber seit sehr langer Zeit schon erloschen;
so daß die atmosphärischen Einflüsse seit der Vollendung ihres Aufbaues Zeit
gehabt haben, in ziemlich ausgedehntem Maße umgestaltend auf sie einzu-
wirken. Die bedeutendste von diesen vulkanischen Massen erhebt sich ganz
isoliert im Südosten jenes Faltengebirges, welches das Rückgrat Neuseelands
bildet, ungefähr 160 Kilometer vom wasserscheidenden Hauptarme des letzteren
entfernt Der Gebirgsstock besteht aus einer Gruppe nahe beieinander liegen-
der und ineinander übergreifender Vulkankegel, er hat einen Umfang, welcher
246 Robert von Lendenfeld:
annähernd jenem des Ätna gleichkommt. Diese vulkanische Gebirgsmasse
entstand mitten im Meere und bildete eine Insel, die sich in Folge der häufig
wiederholten Eruptionen und der Anhäufung der dabei ausgestoßenen Staub-
und Lavamassen immer höher über den Spiegel des Meeres erhob. Von
diesen dicht zusammengedrängten Vulkanen schwemmten dann die atmo-
sphärischen Wässer die weicheren, oberflächlichen Schichten ab, wobei es zur
Bildung von Schluchten kam, die sich immer tiefer in die Bergwände hinein-
senkten, bis sie schließlich die Eraterränder der einzelnen Vulkane durch-
brachen und den Wässern, die sich im ihrem Inneren sammelten, einen Ab-
fluß nach außen ermöglichten. Immer tiefer einschneidend, bildeten diese
Schluchten schließlich schmale, weit in die Bergmasse eingreifende Talfurchen,
in deren Böden das Meer eindrang, so daß sie jetzt als Qordähnliche Buchten
erscheinen.
Das Material, welches die vom Südostabhang des großen Faltengebirges
herabkommenden Bergströme mitbrachten, wurde natürlich vor den Mündungen
dieser Flüsse im Meer abgelagert, und so allmählich eine Ebene aufgebaut,
die sich an den Südostfnß des Gebirges anschmiegte und — infolge der fort-
dauernden Materialablagerung — immer größer wurde und immer weiter nach
Südosten vorrückte. Auch von der vulkanischen Insel, welche jener wachsen-
den Ebene vorgelagert war, wurde viel Material herabgewaschen und natür-
lich im anstoßenden Meer abgelagert. Die also gebildeten Ablagerungen
füllten allmählich das zwischen Gebirg und Insel liegende Meer aus: es ent-
stand eine große, am Südostfuß des Gebirges sich ausbreitende Ebene, welche
sich bis zu jener Gruppe von Vulkanbergen erstreckte, und die letztere er-
schien nun als ein hohes Vorgebirge, welches über den Rand der Ebene
meerwärts beträchtlich weit vorragte. Jene Ebene ist die Canterbury-Ebene,
dieses Vorgebirge die Bankshalbinsel.
Die Canterbiuy-Ebene erstreckt sich 180 Kilometer in die Länge und
ist 50—60 Kilometer breit. Abgesehen von der Stelle, wo die Banksvulkane
sich erheben, grenzt diese Ebene im Südosten an den Ozean und steigt von
hier aus sehr allmählich gegen das große Faltengebirge im Nordwesten an.
Hinter dem Banksgebirgsstock liegt sie nur 6 Meter über dem Meere.
Mehrere Flüsse, von denen der Waimakariri, der Rakaia und der Rangitata
die bedeutendsten sind, strömen durch die Ebene von Nordwesten nach Süd-
osten zum Meere hinab. Im Frühling, zur Zeit der Schneeschmelze in den
Bergen breiten sich diese sehr weit aus, um dann im Herbst zu kleinen Flüßchen
zusammenzuschrumpfen, welche mäandrischen Laufes ihre geröllerfüllten,
stellenweise über 3 Kilometer breiten Inundationsgebiete durchziehen. Fort-
während lagern sie frisches, von dem Gebirge herabgebrachtes Material in
ihren Betten ab und erhöhen sie dadurch so, daß sie sie immer wieder ver-
lassen und neue Laufirichtungen einschlagen müssen. Lange, hölzerne Eisen-
bahnbrücken überspannen diese Flußbetten.
Die Ebene selbst ist teils steinig und unfruchtbar, teils erdig und für
den Feldbau geeignet. Da die regenbringenden Winde zumeist von Nord-
•»-esten kommen und den größten Teil der Feuchtigkeit, die sie mitbringen,
'm Überwehen des Gebirges fallen lassen, ist die Canterbury-Ebene recht
I'atel ti
ßöberl Ton Ltndcjireltl» Her lana^cliaftlithc' Cbttrakter Neiiseelaads
Der landschaftliche Charakter Neuseelands. 247
trocken und niederschlagsarm. Von Natur aus ist sie deshalb vollkommen
baom- imd strauchlos und mit sparrigem Steppengrase bedeckt.
Die Qordartigen, aus Wildbachschluchten hervorgegangenen Buchten der
Bankshalbinsel bilden ausgezeichnete Häfen; eine der größten von ihnen, die
Bucht von Lyttelton im Norden, ist einer der wichtigsten Handelshäfen Neu-
seelands: in ihrem Hintergrunde steht die Hafenstadt Lyttelton. Da die Ab-
hänge, welche diese Bucht einfassen, sehr steil sind, konnte sich diese Stadt
jedoch nicht ausbreiten; man gründete daher jenseits des Berges, auf dem an
die Banksbergmasse anstoßenden Teil der Canterbury- Ebene die Hauptstadt
jenes Teiles von Neuseeland und verband sie durch einen Tunnel mit dem
Hafen von Lyttelton. Dieser Tunnel durchsetzt den Kraterwall in seiner
ganzen Dicke und bietet sehr interessante geologische Aufschlüsse. Jene
Hauptstadt — man hat ihr den Namen Christchui-ch gegeben — hat samt
den Vororten jetzt schon weit über 50000 Einwohner und erfreut sich eines
sehr angenehmen und gesunden Klimas.
Von dem kulturellen Mittelpunkte aus, den diese Stadt bildet, ist die
ganze Ganterbury- Ebene besiedelt und dem Menschen dienstbar gemacht
worden. Eisenbahnen und zahlreiche vortreffliche Straßen durchziehen sie,
und überall gibt es Gehöfte und Ortschaften. In der Nähe dieser Siedelungen
sind viele Bäume gepflanzt worden, die — das gilt namentlich von den
australischen Eukalypten — sehr gut gedeihen. Auf den fruchtbaren Strecken
werden Weizen und andere Feldfrüchte kultiviert, das übrige wird als Weide-
land benutzt. Durch häufiges Abbrennen des einheimischen Steppengrases und
durch Aussaat anderer, eingeführter Grasarten ist die Ertragsfähigkeit dieser
Weiden bedeutend erhöht worden. Wenn auch die Niederschlagsmenge im
Gebiete der Ganterbury -Ebene etwas unzureichend ist, so leidet man doch
dort nirgends an Wassermangel, denn es fließt nur ein Teil der von den
Bergen im Nordwesten herabkommenden Gewässer oberirdisch dahin: ein be-
trächtlicher Teil sucht unterirdisch seinen Weg und erfüllt den ganzen Unter-
grund der Ebene mit ausgezeichnetem Trinkwasser, welches überall leicht er-
bohrt werden kann und an mehreren Orten, so auch in der Hauptstadt
Christchurch, aus den Bohrlöchern von selbst als artesisches Wasser her-
vorsprudelt.
Besteigt man einen der Gipfel der Banksgruppe — der bedeutendste von
ihnen ist ungefähr 1000 Meter hoch ' — , so gewinnt man einen herrlichen
Ausblick. Man sieht die von vertikalen vulkanischen Gängen durchsetzten
Lava- und Aschenlagen, aus denen die ganze Bergmasse der Halbinsel auf-
gebaut ist. Sanft dachen diese nach außen hin, gegen das Meer sowohl, wie
gegen die Ebene ab, während sie nach innen, gegen die durch Erosions-
schluchten mit dem Meere in Verbindung gesetzten alten Krater quer ab-
gebrochen, mit steilen, in den oberen Teilen vielerorts senkrechten Felswänden
abstürzen. Im Westen blicken wir hinaus über die weite Ganterbury-Ebene
mit ihren Straßenlinien und Siedelungen zu den gipfelreiphen Kämmen der
großen Bergkette. Im Osten dehnt sich endlos das Meer. Zu unseren Füßen
aber sehen wir auf der einen Seite das ruhige Wasser des Hafens, auf dem
große Ozeandampfer von ihrer letzten Weltreise ausruhen, auf der anderen
248 Robert von Lendenfeld:
die freundliche Stadt mit ihren schönen Bauten und von baumreichen Park-
anlagen eingefiaBten Villen.
Der böchste und interessanteste Teil der großen neuseeländischen Falten-
gebirgskette ist ihr südwestliches Endstück, die Aorangigruppe (Tafeln 4 und 5).
Hier erhebt sich der Aorangi, der höchste Berg Neuseelands, 3768 Meter über
das Meer, und bier stehen noch viele andere hoch über die Schneegrenze empor-
ragende Berggipfel. Infolge der Gleichmäßigkeit der Temperatur des streng
ozeanischen Klimas und der bedeutenden, in den Höhen als Schnee herabfallenden
Niederschläge, welche von den Nordwestwinden beim Überwehen des Oebirges
fallen gelassen werden, ist die Vergletscherung dieses Gebirges ganz kolossal. Die
Aorangigruppe läßt sich am besten mit der Glocknergruppe in den europäischen
Ostalpen vergleichen, deren höchster Gipfel, der Großglockner, 3798 Meter U.d.M.
liegt, also ungef^r ebenso hoch wie der Kulminationspunkt der Aorangigruppe
der, wie eben erwähnt, 3768 Meter hohe Aorangi oder Mount Cook ist Wie
in dieser schließen auch in der Aorangigruppe die höchsten Erhebungen ein
in südlicher Bichtung herabziehendes Hochtal ein, welches von dem Haupt-
gletscher der ganzen Gruppe — am Glockner die Pasterze, am Aorangi der Tasman-
gletscher — ausgefüllt wird; wie in dieser liegt auch in der Aorangigruppe
der höchste Gipfel nicht in der Hauptwasserscheide am oberen Ende, sondern
ziemlich weit unten, am rechten Ufer des Eisstromes in einem ganz kurzen
Nebenkamme; wie in der Glocknergruppe bildet auch in dieser neuseeländischen
Bergmasse ein im Süden ziemlich abgerundeter und ganz überfimter, nach
Norden aber mit steilen Felswänden abstürzender Berg (Johannisberg, Hoch-
stetter Dom) den Schluß des großen Tales, durch welches der Hauptgletscher
herabzieht; und wie der Großglockner ist auch der Aorangi ein scharfer und
schmaler, steil aufragender Gipfel. Wesentlich imterscheidet sich aber die
Aorangi- von der Glocknergruppe dadurch, daß die erstere zwischen 43 und
44 Grad s. Br., die letztere unter 47 n. Br. also mehr denn 3 Grad vom
Äquator weiter entfernt ist, und daß das Fundament, von dem sich die Berge
der ersteren erheben, die Sohlen der zwischen ihnen eingesenkten Täler in
der ersteren weit tiefer als in der letzteren liegen. Aus diesen beiden Unter-
schieden sollte man schließen, daß die Vergletscherung in der Glocknergruppe
viel bedeutender sein müßte als in der Aorangigruppe. Dem ist jedoch nicht
so: gerade das Gegenteil wird beobachtet. Während die Pasterze, der Haupt-
gletscher der Glocknergruppe, nur wenig über 9 Kilometer lang ist und in
einer Höhe von ungefähr 1950 Meter endet, ist der Tasmangletscher in der
Aorangigruppe bei 28 Kilometer lang und reicht bis zu einer Höhe von
718 Metern herab. Der Aorangigipfel liegt also 3050 Meter über dem
unteren Ende dieses Gletschers. In Bezug auf diese relative Höhe wäre die
Aorangigruppe viel eher den höchsten Erhebungen der Westalpen als dei:
Glocknergruppe zu vergleichen, denn es beträgt in dieser jene Höhendifferenz
(Pasterzenende-Glocknergipfel) bloß 1848 Meter, während die entsprechenden
Höhendifferenzen in der Montblancgruppe (Mer de Glace-Ende — Montblancgipfel)
3660, in der Finsteraargruppe (Aletßchgletscherende — Jung&augipfel) 2829
" inderMonteroßagruppe(Gomergletscherende — Monterosagipfel) 2 7 98 Meter
Geographische Zeitschrift. Jahrgang IX.
Tafel 7.
Zu: Robert Ton Lendenfeld, Der landscliaftliclie Charakter Neuseelands.
Der landschaftliche Charakter Nenseelands. 249
betragen. Da nun der (xrad der Bedeckung der verschiedenen Berggruppen
mit Firn und Gletscher den allergrößten Einfloß auf ihren landschaftlichen
Charakter ausübt, so ähnelt die Aorangigruppe trotz ihrer yiel geringeren
Höhe den letztgenannten europäisch -westalpinen Berggruppen viel mehr als
der, in Bezug auf die absolute Höhe ihr gleich konmienden Glocknergruppe.
Auch der umstand, daß in der Aorangigruppe die relativen Höhen der
Gipfel über die zwischen ihnen liegenden Täler viel bedeutender als in der
Glocknergruppe sind und den an den höchsten Erhebungen der Westalpen
beobachteten Verhältnissen nahe konmien, verringert die Ähnlichkeit der
Aorangigruppe mit der Glocknergruppe und erhöht ihre Ähnlichkeit mit der
Montblanc-, Monterosa- und Finsteraargruppe: wie diese hat auch sie einen
hochalpinen, ungemein großartigen Charakter.
Wenn sich aber auch die Aorangigruppe mit den genannten Westalpen-
gruppen ganz gut vergleichen läßt, so gibt es doch auch beträchtliche Unter-
schiede zwischen ihnen, welche teils auf der Gestaltung des Terrains, teils
auf dem Charakter der Eisströme beruhen. In Bezug auf ersteres ist zu be-
merken, daß in der Aorangigruppe das Belief im allgemeinen und ganz besonders
die Talformen viel einfacher und weniger abwechslungsreich sind als in den
genannten, europäischen Gebirgen. Das Tasmantal (Tafel 6), dessen oberer Teil
von dem großen, gleichnamigen Gletscher eingenommen vmrd, erstreckt sich,
ohne irgendwelche bedeutendere Erünmaungen zu bilden und durchaus die
Gestalt eber tiefen und mehrere Kilometer breiten Furche mit flacher Sohle
beibehaltend, vom Hochstetterdom am Talschluß bis zum unteren Ende des
Pukakisees über 80 Kilometer in der Länge. Das Gefälle des Talbodens ist
gering und nimmt sehr gleichmäßig nach unten hin ab: in dem unteren,
gletscherfreien Teile konmien tiirgends steilere Stufen vor und auch oben, wo
der Eisstrom das Tal ausfüllt, scheint es keine solchen zu geben. In welchem
Gegensatze stehen diese einförmigen Verhältnisse zu der reichen Abwechslung,
der wir in den großen Hochtälern unserer europäischen Alpen, wie etwa im
Visper Tale begegnen, wo freundliche Weitungen und sdimale Steilschluchten,
durch die der Talbach rauschend hinabstürzt, miteinander abwechseln, imd
wo sich an jeder der vielen Krümmungen des Tales ein neues Bild vor den
Augen des Wanderers auftut.
Was die Gletscher anlangt, so scheinen sich jene der Ostabdachung der
Aorangigruppe, zu denen ja auch der Tasman gehört, durch die Langsamkeit
der Bewegung vor den großen Hauptgletschem der europäischen Alpen aus-
zuzeichnen. Dieser Unterschied kommt darin zum Ausdrucke, daß die Gletscher-
zunge von den Seiten her schneller abgeschmolzen wird, als das fast stationäre
Eis sich seitlich auszubreiten vermag, daß auf der Oberfläche des Eisstromes
große dolinenartige Einsenkungen zur Ausbildung kommen, und daß die Mo-
ränen, welche die Gletscherzunge bedecken, ganz ungeheuere Dimensionen an-
nehmen. Durch das Überwiegen der seitlichen Abschmelzung, der seitlichen
Ausbreitung gegenüber, werden große Längstäler gebildet, welche den Gletscher
zu beiden Seiten einfassen xmd ihn von den Talwänden trennen. Diese
Seitentäler lassen sich vom unteren Gletscherende bis zur Gletschermitte
wenigstens 14 Kilometer weit verfolgen. Wo Nebengletscher in den Haupt-
250 Robert von Lendenfeld:
gletscher einmünden, vertiefen sich diese Seitentäler stellenweise zu gähnen-
den Schlünden. Die dolinenartigen, trichterförmigen Einsenkungen der Gletscher-
oberfläche gehen vrahrscheinlioh durch lang fortgesetztes Abschmelzen des
Eises aus Gletsohermühlen hervor. Das merkwürdigste an diesen Gletschern,
besonders am Tasmangletscher, sind aber die ungeheueren Moränen. Die
Moränen unserer europäischen Alpengletscher erscheinen als verhältnismäßig
schmale Streifen von Gesteinstrümmem, welche — ^ nach unten hin im allge-
meinen immer breiter werdend — von da: Schneegrenze, wo sie beginnen,
zur Gletscherstime hinabziehen. Stets findet man solche Gesteinstrftmmer-
streifen an den Seiten (Seitenmoränen), zuweilen auch in der Mitte (Mittel-
moränen) des Gletschers. Am unteren Gletscherende gehen sie in eine kleinere
oder größere Endmoräne über, welche die Gletscherstime zu bedecken pflegt
Am Tasmangletscher sind die Seiten- und Mittelmoränen so bedeutend, daß
sie selbst in seiner halben Länge, 14 Kilometer oberhalb der Gletscherstime,
mehr als die Hälfte der ganzen Breite des Eisstromes einnehmen. Die unter-
sten 7 Kilometer sind fast ganz von Moränen bedeckt und in der Nähe des
unteren Gletscherendes ist nirgends moränenfreies Eis zu sehen.
Neuerlich sind Hütten und ein Gasthaus erbaut und die Wege etwas
verbessert worden, so daß ds jetzt nicht schwer ist, von den östlichen Städten
aus die Aorangigmppe zu besuchen. 53 Kilometer unterhalb des Endes des
Tasmangletsch^rs füllt eine, während der Eiszeit aufgebaute, riesige alte Mo^
räne das Tasmantal aus. Diese bildet einen Damm, hinter welchem der
Tasmanfluß sich zu einem See, den Pukakisee, aufgestaut hat. Den aus dem
Südende des Pukakisees wieder hervortretenden Fluß überspannt eine Fähre.
Es ist das die einzige Stelle, an welcher man ohne Schwierigkeit von dem
linken nach dem rechten Ufer des Tasmanflusses gelangen kann. Diese Pu-
kakifähre ist durch eine fahrbare Straße mit dem östlichen Eisenbahnnetz
(die nächste Station ist Fairly Creek) verbunden. Will man die Aorangi-
gruppe besuchen, so tut man am besten, vom Osten auszugehen, über Fairly
Creek und die erwähnte Sü-aße nach der PukakifUhre zu fahren , hier über
den Fluß zu setzen und dann seinem rechten Ufer entlang durch das breite
Tasmantal in nördlicher Richtung weiterzureisen. Ziemlich weit oben mündet
von links her das Hookertal in das Tasmantal ein. An der Einmündungs-
stelle steht das Gasthaus „Hermitage", in welcjiem man gute ühterkunft findet
Bis hier herauf geht die Fahrstraße, deren Fahrbarkeit allerdings etwas
problematischer Natur ist Weiter kann man dann reiten. Der Saumpfad
führt am rechten Ufer des Tasmanflusses, weiterhin des Tasmangletschers
durch das Seitental nach Norden bis zur Ballhütte — es werden dort nicht
etwa Bälle gegeben, sondern sie wurde nach dem englischen Alpenforscher
Ball so genannt — , welche imgeföhr 8 Kilometer oberhalb des Gletscherendes
liegt und den besten Ausgangspunkt für Bergbesteigungen in der Aorangi-
gruppe bildet.
Die Steppenflora der Canterbury- Ebene erstreckt sich über die Vorberge
und durch die breiten Täler weit nach Westen bis zum eigentlichen Hodi-
gebirge. Braungrünes Büschelgras bekleidet die alten Moränen der Eiszeit
unterhalb des Pukakisees, die flache Sohle des Ta^mantales und die ziemlich
Der landschaftliche Charakter Neuseelands. 251
i
steilen Abhänge, welche das Thal einfassen. Der wasserreiche Fluß durch-
zieht, in ein Netz ewig wechselnder Torrouten aufgelöst, den breiten, fast
ebenen Boden und allenthalben unterbrechen ausgedehnte Geröll- und Sand-
ablagerungen die Rasenvegetation des Talgrundes. Talein, dem Gletscher zu,
ändert sich der Charakter der Vegetation. In den kleinen, die TalwÄnde
durchfurchenden Schluchten treten ziemlich niedrige, aber außerordentlich
dichte, domige Gebüsche auf, die sich nach oben hin immer weiter ausbreiten
und in der Umgebung des Gletschers selbst einen großen Teil der Hänge be-
kleiden. In noch höheren Regionen tritt zun8ch.st niedriger Wacholder und
weiterhin Alpenmattenflora an Stelle dieses fast undurchdringlichen Dom-
gestrüppes.
Geht man von der Ballhütte eine Strecke weit über den Gletscher hin-
auf, so gewinnt man einen herrlichen Ausblick auf die Bergmassen, welche
ihn einschließen, namentlich den Aorangi selbst imd den Hochstettergletscher,
welcher über seinen Ostabhang herabzieht, um sich in den Tasman zu er-
gießen. Der höchste, in seinem nördlichen Teile der Hauptwasserscheide an-
gehörige Gebirgskamm der neuseeländischen Alpen schließt im Westen das
Becken ein, in dem die den Hochstettergletscher speisenden Fimmassen sich
ansammeln. Überaus steile Pimhänge, Felsrippen und Schneerimien ziehen
von jener schön gegliederten, 2000 bis 2500 Meter über unserm Standpunkte
aufragenden Kanunlinie zu jenem Fimbecken hinab. Der Abhang selbst wird
in halber Höhe von einer sehr deutlich ausgesprochenen Stufe durchzogen.
Der Rand dieser Stufe hat eine etwas über einen Kilometer breite Ein-
kerbung, zu deren Seiten er zwei vorspringende Felsbastionen bildet, welche
mächtigen Pfeilern gleich die von jener Einkerbung gebildete Pforte ein-
fassen. Durch diese Pforte finden die Fimmassen des Hochstettergletschers
ihren Abfluß. Hier treten sie über den Rand der Stufe, deren Scheitel sie
bedecken, hinaus, um dann über den bei 800 Metern hohen Steilhang hinab-
zufließen ins Haupttal. Wegen der bedeutenden Steilheit tmd der Unregel-
mäßigkeit dieses Abhanges werden die über ihn herabkonmienden Fimmassen
nach allen Richtungen hin zerbrochen und zerklüftet: in eine Masse von
Türmen, Zürnen und Blöcken zerrissen zieht der Eisstrom zu Tal. Die laut-
lose Stille der Hochregion ruht auf diesem herrlichen Bilde und die in
ihren kühnen Gestalten wilde Kraft und stürmische Bewegung darstellenden
Eismassen scheinen sich gar nicht zu regen, wie ein Heer zu Marmor er-
starrter, himmelstürmender Titanen stehen sie da. Plötzlich fällt eine der
kirchturmgroßen Eisnadeln über die Felswand herab, die links unter der Mitte
aus dem Eishange hervorschaut. In kleine Stücke zersplittemd schlägt das
Eis auf den Felsen auf, um dann einem Wasserfalle gleich von Stufe zu
Stufe bergab zu fließen und tief unten erst, auf dem Hauptgletscher, zur Ruhe
zu kommen. Weit hinaus springen einzelne Trümmer, die in rasender Eile
wirbelnd sich drehend blitzartig in der Sonne funkeln, während Wolken von
Eis- und Schneestaub über die herabstürzenden Massen emporsteigen. Und
jetzt erreicht das dumpfe Krachen des Eissturzes unser Ohr. Das Klirren
der zersplitternden Stücke mischt sich mit - dem donnernden Krachen der
252 R- ▼• Lendenfeld: Der landschaftliche Charakter Neuseelands.
schweren aufschlagenden Trümmer und dem Rauschen der weiter rollenden
Eislawine. An den Bergen hin tönt grollend der Widerhall dieses herrlichen
Orgeltones, um in der Feme allmählich zu verklingen. Wie bezaubert
von dem mächtigen Eindrucke, den der Eissturz auf uns gemacht, stehen
wir regungslos da — er hat uns gezeigt, daß die Buhe jener Masse von
wilden Eisgestalten nur scheinbar ist, und daß sie in Wirklichkeit alle nach ab-
wärts wandern; langsam freilich und für das Auge nicht sichtbar, aber stetig
und unaufhaltsam bis die eine oder andere Masse an eine steilere Stelle
herankommt, ihr Gleichgewicht verliert und unter Bildung einer Eislawine
zusammenbricht und herabstürzt.
Die ersten Versuche, einen der Gipfel der Aorangigruppe zu ersteigen,
wurden im Jahre 1882 von Green mit zwei Schweizer Führern untemonmien.
Er machte sich an den Hauptgipfel, den Aorangi selbst, und es gelang ihm,
bis nahe an den höchsten Punkt heranzukommen, wirklich erstiegen hat er aber
weder diesen noch einen anderen Gipfel der Gruppe. Im darauffolgenden
Jahre gelang es dann mir, eine andere Spitze, den den Talschluß des Tasman-
tales bildenden Hochstetterdom zu ersteigen. Erst 11 Jahre später, im
Jahre 1894, wurden weitere Gipfelbesteigungen in der Aorangigruppe aus-
geführt und auch der Aorangi selbst von dem Neuseeländer Fyfe mit zwei
Genossen erklettert.
Der südwestliche Teil der Südinsel von Neuseeland hat einen ähnlichen
landschaftlichen Charakter wie Norwegen. Es ist ein 1500 bis 1700 Meter
hohes, aus Granit und krystallinischen Schiefem aufgebautes Plateau, dem
zahlreiche zum Teil sehr scharf und kühn gestaltete Berggipfel entragen
und in das viele, reich gegliederte Schluchten eingesenkt sind. Diese
Schluchten sind sehr tief, bis 2000 Meter imd darüber, und werden von un-
gemein steilen Wänden eingefaßt. Das Gefälle der Sohlen dieser Schluchten
ist nicht gleichsinnig: sie sind in der Nähe der wasserscheidenden Kämme,
von denen sie herabziehen, beträchtlith tiefer als weiter draußen. In die
nach Nordwesten herabziehenden dringt das Meer ein, so daß diöse als
Fjorde erscheinen, während die nach Südosten herabziehenden, etwas höher
gelegenen Täler sind, deren Senkungen in der Nähe der Hauptkämme von
Seen eingenommen werden: den tief ins Land einschneidenden nordwestlichen
Fjorden stehen im Südosten herrliche Alpenseen gegenüber.
An der Nordwestküste dieses Plateaus finden sich nicht weniger als
dreizehn Fjorde, von denen einige durch Querarme miteinander in Verbin-
dung stehen. Der schönste und großartigste von diefien Fjorden ist der am
weitesten nördlich gelegene von ihnen, der Milfordfjord (Tafel 7). Dieser i^ord
ist gegen 17 Kilometer lang und am Eingang zweieiphalb Kilometer breit.
Der ihn einnehmende Meeresabschnitt hat eine 23 Quadratkilometer große
Oberfläche. Vor dem Eingang ist das Meer nur 77 Meter tief, im Eingange
selbst beträgt die Tiefe 130 Meter, während drinnen, zehn Kilometer vom
Eingange entfernt, eine Tiefe von 360 Metern gelotet worden ist. Die Ab-
hänge, welche diesen Fjord einfassen, sind sehr hoch und überaus steil, nur
in seinem Hitergrunde, wo der Gleddau und Poseidonfluß in ihn einmündeli,
Albrecht Penck: Neue Alpenkarten. 253f
breitet sich eine kleine Ebene aus. Die durchschnittlich etwa 1000 Meter
hohen Wände des Fjords bestehen aus dunklen Granitfelsen, doch haben sich
überall, wo Bänder und Stufen die Wandflucht unterbrechen, immergrüne
Bäume und Sträucher angesiedelt, welche mit ihrem dunklen Grün die
düsteren Felsen beleben. Weißglänzenden Silberbändem gleich stürzen Wasser-
falle über die Abhänge herab, und fimgepanzemte Berggipfel ragen über
ihnen empor. Der schönste von diesen Bergen ist die im Süden sich er-
hebende nadelscharfe Bischofsmütze.
Ein beschwerlicher Weg führt vom Hintergrunde des MilfordQordes über
das Gebirge hinüber zu den östlichen Seen. Dichter, fast undurchdring-
licher, immergrüner Urwald bedeckt die unteren Teile der Abhänge. Darüber
folgen sumpfige Mooswiesen, dann Felsen und Firn.
Die größten von den süd-neuseeländischen Alpenseen sind der Wakatipu,
der Te Anau und der Manipori. Der erstere liegt weiter östlich im Gebiete
der paläozoischen tmd phyllitischen Schiefer, die beiden letzgenannten sind Reste
eines einst viel ausgedehnteren Wasserbeckens, dessen östlicher Teil von plio-
cänen und jüngeren Ablagerungen ausgefällt worden ist, und von dem nur mehr
die Qordartig in die westliche Granitmasse eindringenden Teile als Seen
erhalten sind. Diesen Verhältnissen entsprechend sind die Ostufer dieser
Seen flach imd wenig gegliedert, während die westliche Strandlinie eine reiche
Gliederung aufweist und von hohen, steil abfallenden Bergmassen eingefaßt
wird. Der größte von den Seen dieses Gebietes ist der 342 Quadratkilo-
meter große Te Anau, dessen Spiegel 200 Meter ü. d. M. liegt. Die tief in
das granitische Hochplateau eindringenden Westarme dieses Sees, sowie sein
nach Westen sich umbiegendes Nordende gehören zu den schönsten und
großartigsten Landschaften Neuseelands. Kühn gestaltete Berggipfel von
mannigfacher Gestalt erheben sich bis zu 2000 Meter über den Seespiegel.
Schneefelder imd Gletscher schmücken ihre Flanken, während ihr Fuß mit
dichten Urwäldern bekleidet ist, die zur Blütezeit des Ratabaumes in tiefem
Scharlachrot prangen.
Nene Alpenkarten.
Von Albreoht Penck in Wien.
7. Die französischen Karten^).
Das große Spezialkartenwerk Frankreichs, die Carte de France 1 : 80000
ist erst im Jahre 1880 vollendet worden. Seine zuletzt, seit 1870 er-
schienenen Blätter betreffen teils die Insel Corsica, teils die Alpen und zwar
hier sowohl die 1859 zu Frankreich gekommenen Gebiete yon Savoien und
Nizza, als auch größere Teile der Departements Hautes Alpes und Basses
Alpes. Wir haben daher bei unserer Betrachtung der neueren, in den letzten
25 — 30 Jahren erschienenen Alpenkarten auch ein Werk zu würdigen, dessen
1) Catalogue des cartes, plana et autres ouvrages publica par le aervice geo-
graphique de Tarm^e. Paria, Baudoin 1895.
254 ALbrecht Penck:
Planlegiing in den Beginn des nunmehr zu Ende gegangenen Jahrhunderts
zurückreicht, und das in vieler Hinsicht vorbildlich gewesen ist für die
neuere Kartographie. Über seine Entstehung und Ausftihrung gewährt uns
das kürzlich erschienene monumentale Werk des Chefs der kartographischen
Abteilung des Service geographique de Tarm^e fran^aise, des Obersten Bert-
haut, betitelt: La Carte de France^), eine Fülle wertvoller Aufschlüsse.
Es teilt uns, begleitet von ausgezeichneten Kommentaren, das Wesentliche
aus den Protokollen der zahlreichen Kommissionen, die über die Karte be->
raten haben, und die Vorschriften mit, nach denen sie ausgeführt wurde;
es schildert uns die bei ihrer Aufnahme verwendeten Instrumente und macht
uns mit der Art ihrer Herstellung bekannt Nicht bloß das, was früher
aus einzelnen Abhandlungen^) mühsam zusammengelesen werden mußte, haben
wir nunmehr in übersichtlicher Weise zusammengefaßt vor uns, sondern es
werden uns vor allem auch zahlreiche bisher unveröffentlicht gebliebene Akten
zugänglich gemacht, und neben Ausschnitten der veröffentlichten Karten wer-
den uns solche von Originalzeichnungen wiedergegeben, so daß Verständnis
und Würdigimg der Karte nunmehr wesentlich erleichtert sind.
Ihre Planlegung reicht in die Zeit des ersten Napoleon zurück, die aller-
dings für die Kartographie der an Frankreich angrenzenden Länder, wie
Schwabens, Bayerns und der Bheinlande, fruchtbarer gewesen ist als für Frank-
reich selbst. Aber eine 1802 zusammengetretene Kommission hat bereits den
großen Gedanken einer Karte von Frankreich 1:50000 gefaßt, welcher
während der Zeit der Restauration wieder aufgegriffen wurde. 1817 wurden
drei Kommissionen eingesetzt; eine Commission royale de la carte de France,
in welcher die verschiedenen Zweige der Verwaltung und das Institut ver-
treten waren, eine Commission du Depot de la Guerre, sowie endlich ein
Comit^ du D^ot de la Guerre. Die Commission royale erstrebte unter dem
Vorsitze von Laplace eine topographische Karte, welche für alle öffentlichen
Zwecke geeignet ist, und im Verein mit der Katasterau&iahme ausgeführt
werden solle; sie kam auf den Maßstab 1:50000 zurück; im Comiti du
Dipot de la guerre vrurde der Plan eine Militärkarte, die im Maßstabe
1 : 80000 veröffentlicht werden sollte, gefaßt. Er ist es, der zur Ausführung
gelangt ist, imd zwar in der Weise, daß man vom ursprünglich geplanten
Maßstabe der Originalaufnahmen IrlOOOO zunächst auf 1:20000, dann
1 : 40000 zurückgegangen ist. Die geplante Einbeziehung der Katasterauf-
nahme in die Kartenau&ahme erwies sich als undurchführbar, man mußte
sich beschränken, die Katasterkarten, die keineswegs immer richtig orientiert
und im gleichen Maßstabe gehalten sind, einzupassen in das Netz der großen
trigonometrischen Operationen. Nur diese letzteren sind ganz in dem Um-
fang ausgeführt worden, wie es Laplace als nötig bezeichnet hat. Die Carte
de France beruht auf einer vorzüglichen geodätischen Grundlage und ist durch
1) 2 Bde. 4^ XVm, Sil u. 68Ö 8. Paris 1898. Vergl. Bigourdan. La Carte
de France. Annales de g^ographie. VIII. 1899. S. 427—437.
^) B. Dali et. Construetion d'une carte. Annales de geographie. II. 1892/93.
p. 11. P. Moos aar d. La Topographie. Paris, o. J (Encyclop^die scientifique des
aide-memoires).
Nene Alpenkarten. 255
dieselbe ausgezeichnet vor einigen anderen Werken, welche gleich ihr als
Militärkarten zu gelten haben, und als solche mehr eine ausdrucksvolle als
unbedingt im einzelnen verläßliche Darstellung erstreben.
Eine solche konnte die Carte de France schon deiswegen nicht erreichen,
weil sie im einzelnen auf den Arbeiten des Katasters fußte, die nicht an
das große trigonometrische Netz angeschlossen waren, dann aber auch, weil
den einzelnen Mappeuren eine zu große Arbeit ziigewiesen war. Nachdem
man zu den Originalaufnahmen (Minutes) im Maßstabe 1 : 40000 über-
gegangen war, sollten sie im gewöhnlichen Gelände im Jahre Y^ eines der
großen Blätter der Karte von 2560 qkm, also über 420 qkm au&ehmen, im
Mittelgebirge 320 qkm, im Hochgebirge 256 qkm. Dabei war die Ausrüstung
der Topographen mit einem Boussoleninstrument durchaus nicht hinreichend,
und auch die Vorschriften über die Greländeaufnahmö gewannen erst all-
mählich ein festeres Gepräge. Aber man war sich von vornherein kljar über
die bedeutungsvollen Linien des Geländes.
Bereits die Kommission des Jahres 1802 stand auf dem Boden der
Anschauung, daß die Linien des größten Gefälles ungemein wichtig zur
Charakteri^ik der Bodengestalt waren, und empfahl sie zu deren Wiedergabe.
Man trug femer bereits der Theorie von Dupuis de Torcy und Brisson
Rechnung, derzufolge diese G^fällslinien senkrecht auf den Schichtlinien ver-
laufen, konnte sich aber nicht entschließen, die letzteren gleichfalls in die
Karte aufzunehmen. Es geschah jedoch später, als diese in Angriff ge-
nommen . wurde. Die Minutes 1:10 000 wurden schraffiert, aber die Schraffen
brechen jeweils an den im Abstände von 5 m gezogen gewesenen Schicht-
linien ab, so daß man diese durch die Karte leicht hindurch verfolgen
kann; ein Teil der Minutes 1 : 20 000, nämlich alle 1828—1831 ausgeführten,
liegen nur mit Isohypsen von 5 zu 5 m vor und bei den anderen sind
letztere durch die Enden der Schraffen deutlich gekennzeichnet. Endlich sind
von den Aufiiahmsblättem 1 : 40 000, die in Beinzeichnung letdiglich schraffiert
sind. Pausen mit den Schichtlinien von 10 zu 10 m angefertigt Die Karte
von Frankreich 1, : 80 000 beruht somit allenthalben auf hypsometrischen
Aufiiahmen, und ihre Geländedarstellung steht in inniger Abhängigkeit von
den Schichtlinien. Aber die Schichtlinien in den Originalaufiiahmen sind in
ihr nicht wiedergegeben. Sie ist lediglich Schraffenkarte. Doch existiert für
geringe Böschungen eine enge Beziehung zwischen den Kurven und Schraffen:
Man zeichnete nämlich letztere nur zwischen den ihrer Konstruktion zu
Grunde liegenden Schichtlinien voq 20 m V^rtikalabstand , sparte letztere
also aus, und machte den Abstand der Schraffen gleich ein Viertel ihrer da-
durch bestimmten Länge; man könnte daher aus der Dichte der Schraffen auf
die Steilheit des Geländes schließen, falls die in Kupfer gestochenen Blätter
1 : 80 000 dieses einfache System der Geländedarstellung konsequent hätten
durchführen können.
Bereits beim Entwürfe der Minutes zeigte es sich^ daß die erhaltenen
Kartenbilder der Plastik entbehrten, und 1828 beschloß die topographische
Kommission, welche die Ausfßhrung der Karte zu überwachen hatte, eine
wesentliche Ergänzung des Gesetzes über den Schraffenabstand (loi d'un quart).
256 Albrecht Penck:
Sobald der Horizontalabstand zweier aufeinanderfolgender Schichtlinien unter
2 mm werde, sollte an Stelle jenes Gesetzes das der Schraffenverstärkung
treten, und zwar sollte letztere proportional der Steilheit des Oefölles zu-
nehmen (Berthaut I, 311). Nach dieser Skala nahm die Schattierung mit dem
Quadrate der Böschung zu, darnach ward sie fOr das Flachland zu gering,
fElr das Hochgebirge zu stark; Bonne entwarf daher neue Skalen, in einer
ersten ließ er die Schattierung mit dem ganzen Sinus, in der zweiten mit y^
des Sinus des Neigungswinkels zunehmen. Beide Skalen ließen die Plastik des
Flachlandes nicht hervortreten, sie wurden 1853 ersetzt durch eine neue des
Kommandanten Hossard. Nach ihm ist die Schattierung proportional dem
anderthalbfachen Betrage des Gefälles (a = 1.5 tg a). Der Abstand der
Schraffen voneinander (a), welcher früher gleich Y^ der Horizontalentfemung
(e) der Isohypsen gesetzt worden war, wurde von ihm nunmehr proportional der
Quadratwurzel aus demselben angenonunen (^ "= g + 0.16 mm). So änderte
sich denn während der Aufiiahme der Karte die angewandte Schraffenskala
mehrfach, und eine Instruktion vom 15, März 1851 empfahl den OfiGizieren,
im Hochgebirge um einen Grad in allen Abteilungen der Schraffenskala
herabzugehen. Dazu kam, daß man den Vorlagen fOr den Stecher vielfach
mit dem Pinsel einen gleichmäßigen Ton zu geben suchte, „wodurch mehr
Effekt erreicht wird, allerdings auf Kosten der Genauigkeit^^).
Der Grund fOr alle diese Maßnahmen liegt in erster Linie darin, daß
man sich bei Planlegung der Karte nicht über die zu wählende Art der Ge-
ländeveranschaulichung hatte einigen können. Die Kommission von 1802
hatte sich für Schattierung nach schräger Beleuchtung ausgesprochen, jedoch
unter Weglassung aller Schlagschatten. Dies System wurde vom Depot de
la guerre, der polytechnischen Schule und der Schule von St. Cyr angenommen,
wogegen die Artillerie- und Genieschule in Metz für die senkrechte Beleuchtung
eintrat (Berthaut, I, 144). Sie brachte 1817 ihren Standpunkt gegenüber der
königlichen Kommission für die Karte energisch zur Geltung, imd in der durch
sie angwegten Diskussion sind durch ihren Kommandanten, Baron Berge, so-
wie durch Bonne die Momente, welche für die senkrechte Beleuchtung spre-
chen, eingehend dargelegt worden, während der Ingenieur-Geograph Puissant
für die Vorteile der schrägen eintrat. Diese Diskussion föhrte nicht zu einer
Einigung der gegnerischen Parteien, obwohl sie eine Menge wichtiger Gesichts^
punkte zu Tage förderte; namentlich trifft eine Denkschrift; Bonnes das Wesen
der Sache, indem er ausföhrt, daß dort, wo Schichtlinien das Gelände geo-
metrisch festlegen, die Wahl der Beleuchtung eine einigermaßen gleichgültige
Sache wird, während sonst die senkrechte Beleuchtung mehr den kleinen, die
schräge mehr den großen Formen gerecht wird. Die erstere Erwägung ist für die
Aufnahmsblätter der französischen Karte maßgebend geworden. Man wollte
in ihnen eine streng geometrische Wiedergabe des Geländes erzielen, und sah
von vornherein davon ab, sie durch eine Schattierung zu unterstützen. Für
1) Brief von Huc, citiert in „Die Schweizerische Landeavermessung 1832—1864".
1896. a 142.
Neue Alpenkarten. 257
Karten eines Maßstabes von mehr als 1 : 10 000 hielt man die Schichtlinien
für hinreichend zur Chankkteristik der Formen, bei kleineren Maßstäben bis
zu 1 : 100 000 glaubte man mit einer Verstärkung der Wirkung der Kurven
auskonmien zu können, und ersetzte sie durch viermal enger stehende Schraffen,
wodurch dieselbe Abtönung, jedoch in versi^ktem Maße erzielt wurde. Aber
dies Prinzip war nicht praktisch durchführbar; unwillkürlich zeichneten die
Topographen die Schraffen auf steilem Gelände stärker als auf sanffcem und
führten so tatsächlich die senkrechte Beleuchtung in das Eartenbild ein.
Man erkennt, wie verschieden von der deutschen, durch Lehmann be-
gründeten sich die französische Geländedarstellung entwickelt hat. Lehmann
legte gleich den Franzosen Gewicht auf die Wiedergabe der Linien größten
Gefälles, und erzielte seine plastischen Kartenbilder, indem er diese Linien
gesetzmäßig entsprechend der Böschung verstärkte. Seine Darstellung ist
im wesentlichen eine klinometrische. Die Franzosen aber brauchten die
Linien größten Gefälles lediglich zur Ausfüllung der zwischen den Schicht-
linien gelegenen Flächen. Je mehr sie von den ursprünglichen großen Plänen
abgingen und auf den weit bescheideneren einer bloßen Militärkarte kleineren
Maßstabes sich beschränkten, desto mehr schalteten sie die Isohypsen aus
der Karte aus und kamen zur Annahme von Schraffenskalen, die nicht, wie
bei Lehmann, von vornherein nach bestimmten Grundsätzen aufgebaut waren,
sondern sich sozusagen exprimentell ergaben. Lidem sie aber dabei streng
daran festhielten, die Schraffen jeweils an den Isohypsen enden zu lassen, be-
wahrten sie die Möglichkeit, Höhenunterschiede direkt, und damit indirekt
auch die Böschungen aus der Karte zu entnehmen. Ihre Darstellung ist im
wesentlichen eine hypsometrische. Beide Methoden der Geländeschraffierung
haben sich, wie es scheint, völlig unabhängig voneinander entwickelt. In
den verschiedenen Protokollen und Denkschriffcen , welche Berthaut mitteilt
oder abdruckt, findet sich nicht der leiseste Hinweis auf die Lehmannsche
Skala; und wenn bei den Beratungen der ersten Kommission des Jahres 1802,
also drei Jahre nach dem Erscheinen von Lehmanns anonymer Schrifb, schon
erwähnt wird, daß man die Steilheit des Geländes durch die Stärke der
Schraffen ausdrücken könnte, so muß man daraus nicht schließen, daß man
die von Lehmann ausgesprochenen Prinzipien schon in Frankreich kannte.
Es waren die Gefällslinien hier bereits von den Topographen (ebenso wie
die Schichtlinien von den Genieoffizieren) in Anwendung gebracht worden,
weswegen nicht unwahrscheinlich ist, daß sich hier die Lehmann sehen Ge-
sicl^tspunkte von selbst aufgedrängt haben, wie umgekehrt die Ideen, welche
in Deutschland 1820 Carl Louis ^) selbständig entwickelte, nämlich die Länge
der Schraffen jeweils gleich der Entfernung zweier Isohypsen zu machen, be-
reits 1818 von der Commission du D^pot de la Guerre als die an der
Schule der Ingenieur-Geographen gelehrte Methode für die Geländedarstellung
der französischen Aufnahme in Vorschlag gebracht worden war.
In der Umgebung von Paris begonnen, hat die Carte de France 1 : 80 000
zunächst nur Flachland wiederzugeben gehabt, und dieses ist von unverkenn-
1) Anleitung zur Situations-Bergzeichnung, 0. J. u. 5. 0. (München 1820).
0*ogr»phitche Z«itMhrift. 9. J»hrg»nfr. 1903. 6. Heft. 18
258 Albrecht Penck:
barem Einfluß auf das gewählte System der Geländedarstellung gewesen.
Für das Hochgebirge der Alpen liefert es ebenso, wie das der Karte des
Deutschen Reiches, zu dunkle Bilder, und diese beschränken sich lediglich auf
das französische Gebiet. In Bezug auf plastische Wirkung stehen die zuletzt
erschienenen Karten den älteren erheblich voran. Man nehme das 1844 er-
schienene Blatt Chamb^ry und das angrenzende, 1875 dazu gekommene
Albertville, man vergleiche das ältere Blatt Grenoble (1852) mit dem an-
stoßenden neueren St. Jean de Maurienne (1876), und man wird gewahr
werden, wie eine steife Geländedarstellung durch eine viel schmiegsamere
ersetzt ist, welche dem mannigfaltigen Charakter des Gebirges weit mehr
gerecht wird; aber auch sie bringt ihn nicht vollauf zur Geltung. Das Ge-
ländebild wirkt auch auf den neuesten Blättern unruhig. Teilweise flÜirt
sich dies darauf zurück, daß in der Gipfelregion weiße Streifen für die
Grate des Hochgebirges, daß auf den Gehängen weiße Flächen für die Bück-
fallkuppen ausgespart sind, welche sich grell aus den dimkel schraffierten Flächen
hervorheben, daß femer die Mittelgebirgskämme zu sehr wie Baupen ge-
zeichnet sind. Fast mehr noch aber als diese durch die gewählte Methode
bedingten Züge stören die inneren Ungleichheiten die Harmonie des Karten-
bildes. Die einzelnen Aufnalmisgebiete sind vielfach nicht einheitlich be-
handelt und heben sich im Rahmen eines Kartenblattes deutlich voneinander
ab. So erscheinen mitten im Blatte Albertville (169 bis) zwischen Beaufort
und Moustiers zahllose Runsen, während man sie ringsimi nicht angegeben
findet; sie beschränken sich auf das Aufnahmsgebiet des Hauptmannes
Ghalangui. Eine ähnliche ins Einzelne gehende Darstellung finden wir auf
dem Blatte Brian^on in der Gegend von Guillestre, während sonst auf dem
Blatte die Berghänge in großen Zügen wiedergegeben sind. Auf dem Blatte
Nizza ist ein Viereck um Grasse viel eingehender und plastischer dargestellt,
als die Gegend ringsum, es kennzeichnet sich als das Aufnahmsgebiet des
Konmiandanten Tesson.
Diese Ungleichheit in der Behandlung erstreckt sich auch auf das Ge-
wässernetz. Seine Darstellung bietet in den französischen Alpen wegen des
torrentartigen Charakters ihrer Flüsse größere Schwierigkeit als gewöhnlich:
man hat in vielen Tälern breite Schotterflächen, in welchen die Gerinne
ihren Lauf häufig ändern. Ihre genaue Aufnahme hat daher nur temporäre
Bedeutung und mag, da in der Regel ein Jahrzehnt zwischen Aufnahme
und Veröffentlichimg eines Blattes verstrich, als unwichtig angesehen worden
sein. Aber es ist gewiß unrichtig, und widerspricht auch den Vorschriften
für die Aufnahme der Karte, wenn die ganze breite Schotterfläche als Fluß
dargestellt wird. Auf den Blättern Vizille, Le Buis, Digne und Castellane
werden Drac, Eygues und Bleone als Wasserspiegel von einigen hundert Meter
Breite verzeichnet, während andere Flüsse von ganz gleichem Charakter,
wie der Buech und die Durance oberhalb Sisteron, wie der Var ob Nizza
richtig als verwildert mit ihren einzelnen Armen wiedergegeben werden*).
1) Möglicherweise haben sich die Topographen an die Katasteraufnahme ge-
halten, welche die Flösse gewöhnlich zu breit macht, weil sie die unbebauten
Nene Alpenkarten.
Wie sehr jene Darstellimg der Schotterflächen irreleitet, lehren unsere
Atlanten. Vogels vorzügliche 4 Blatt -Karte von Frankreich in Stielers
Handatlas zeigt, verleitet durch Blatt Eorcalquier der französischen Karte,
die Durance zwischen den Mündungen der Bl^one und Asse als ehenso breiten
Strom wie die Bhone unterhalb Arles, während sie tatsächlich hier nur
ebenso verwildert ist, wie weiter unterhalb und oberhalb von Vogel nach
anderen Blättern der französischen Karte richtig wiedergegeben wird. Die
Karte der westlichen Alpenländer in Debes', die von- Ostfrankreich in Andrees
Handatlas haben im Tale des Drac oberhalb Grenoble einen langgedehnten
See, denn wie ein solcher ist genannter Fluß auf Blatt ViziUe, aber nicht
darüber hinaus, angegeben.
Die Felszeichnung auf der Carte de France ist schematisch. Teils ist
sie nach senkrechter Beleuchtung durchgeführt, teils nach schräger, z. B. Blatt
Gap SW. In der Pelvouigruppe (Blatt Brian9on) ringt sie nach Ausdruck
und hebt den Umfang des kristallinischen Gebirges glücklich, wenn auch
in einzelnen hart und manieriert, hervor. Die Karsthochfläche des Desert
de Plate, welche seither durch E. Ghaix^) im Maßstabe 1 : 5000 auf-
genommen worden ist, ist hingegen auf Blatt Annecj als solche durchaus
nicht zu erkennen. Sehr häufig wechselt die Felsdarstellung an den Grenzen
der Aufiiahmegebiete zweier Mappeure. Was der eine noch als Böschung
schraffierte, charakterisierte der andere als felsig. Man kann daher nicht sicher
sein, auf einem noch als gangbar dargestellten Gelände der Carte de France
steile Wände anzutreffen. Ich wurde dessen zuerst in den Pyrenäen gewahr.
Fand ich doch am Abfalle des Pic d'Antenac unfern Bagneres de Luchon
eine Beihe von Karen ^), welche auf Blatt Bagneres nicht einmal angedeutet
waren. Bietet das Wandern im Hochgebirge bloß an der Hand der Carte
de France nicht nur manche Schwierigkeiten, sondern ist auch vielfach kaimi
möglich, so gewährt sie in den Tälern allenthalben gute und sichere
Orientierung. Längs der Durance fand ich 1894 das Wegnetz durchweg gut
evident erhalten. Hierauf wird namentlich neuerlich großes Gewicht gelegt.
Berthaut bringt darüber viele lehiTeiche Tatsachen, die wie gewöhnlich
durch einige Tafeln erläutert werden. Wir erfahren von ihm, daß durch
die topographischen Bureaus der Armeekorps fünf der Alpenblätter (Vizille,
Brian^on, Aiguilles, Gap und Lärche) 1873 — 1890 vier, alle übrigen drei
Revisionen auf dem Gelände erfahren haben, und daß sie alle seither neuer-
lich zwischen 1894 und 1898 durch den Service g^ographique revidiert wor-
den sind. Dagegen hege ich Zweifel an der Richtigkeit so mancher Höhen-
zahl; die Rekonstruktion von Schotterterrassen an den Flüssen ist nach der
Karte nur schwer möglich.
Die Carte de France ist nach Bonnescher Projektion in einer Ebene
Kiesb&nke zum Flusse stellt. Die Instruktion vom 15. März 1851 lenkt die Auf-
merksamkeit besonders auf diesen Punkt (Berthaut I, 325).
1) Contribution k T^tude de lapi^s. La Topographie du desert de Plate
(Haute Savoie). Le Giobe 34. 1895.
2) Vergl. Die Eiszeit in den Pyrenäen. Mitt. d. Ver. f. Erdk. Leipzig, 1883.
S. 163 (214).
18'
260 Albrecht Penck:
entworfen; das bringt mit sich, daß die Meridiane und Parallele nicht parallel
den Blattgrenzen laufen. Speziell in den Alpen bilden sie mit denselben
einen Winkel Ton 3 — 4^, was man bei der Orientierung im Felde stets be-
achten muß.
Das Format der Blätter ist dasselbe, welches fOr die geplante Karte
1 : 50 000 ins Auge gefaßt war und auch fdr den bayerischen topographischen
Atlas gleichen Maßstabes angenommen ist, nämlich 50 : 80 cm, so daß jedes
Blatt im Maßstabe 1 : 50 000 1000 qkm haben würde. Ursprünglich kamen
die direkten Abdrücke yon den Platten in den Handel, später solche yon
Umdrucken auf Zink, die vielfach nicht recht sauber ausgefallen waren.
Seit 1889 hat man anf galvanoplastischem Wege neue Kiq>ferplatten her-
gestellt, welche nach eingehenden Revisionen, namentlich in Bezug auf das
Wegenetz, korrigiert worden sind. Sie umfassen nur je ein Viertel der alten
Platten, liefern also weit handlichere Blätter, die auch im Überdrucke von
Zink ein freundliches Aussehen haben. Das ist der Tjpus 1889 der Karte,
welcher gegenwärtig ausschließlich in den Handel kommt, zu sehr mäßigem
Preise (35 Ctms. das Viertel) und daher sehr viel gebraucht wird. Der
durchschnittliche Absatz der Alpenblätter ist gegenwärtig etwa 1000 Abzüge
von einem jeden im Jahre.
Von den fr*anzösischen Alpen haben wir neben der einfarbigen, schraffierten
Karte 1 : 80 000 auch eine zweite Karte desselben Maßstabes mit Schicht-
linien, welche über die Grenzen Frankreichs hinüber, beinahe bis an die Po-
ebene reicht, also fast die ganzen Alpen südlich vom Großen St. Bernhard
umfaßt. Es ist dies* die Carte de la fronti^ des Alpes. Sie wurde 1872
vom Oberst Saget begonnen, um, wie Berthaut berichtet, der öffentlichen
Meinung entgegenzukommen, welche farbige Karten wünschte, und um ge-
wissen kritischen Bemerkungen Rechnung zu tragen, welche über einige zu
dunkel ausgefallene Hochgebirgsblätter der Carte de France gemacht worden
waren. Die Karte umfaßt 58 Blatt (14 weitere des Übersichtsblattes sind
unausgeführt geblieben), welche den Vierteln der Carte de France entsprechen.
Nach letzterer sind Situation und Schrift durch Übertragen von Pausen ge-
wonnen, die Schichtlinien im senkrechten Abstände von 20 m sind jenen
Vorlagen entnommen, welche flbr den Kupferstecher angefertigt worden waren,
damit dieser auf der Carte de France die Schraffen streng gesetzmäßig nach
den Schichtlinien ausführte. Diese Vorlagen wiederum beruhen direkt auf
den Minutes.
Die Ausführung der Karte ist eine mehrfarbige. Die Gewässer sind
blau, und da sie nach der Carte de France gepaust sind, so macht sich die
oben erwähnte Darstellung breiter Schotterflächen als Flüsse besonders auf-
fällig geltend. Da sieht man, wie in den wasserarmen Bergen der Gegend
von Digne 60 — 80 m breite Flüsse nahe an den Wasserscheiden entspringen.
Das Wegnetz ist schwarz, und zwar ursprünglich sehr kräftig; die als dicke
schwarze Linien wiedergegebenen Wege untergeordneter Bedeutung sind viel
augenfälliger, als die Hauptstraßen, welche in üblicher Weise durch zwei
parallele Linien verzeichnet sind. Seit 1896 hat man es feiner ausgeführt
und damit das Gelände mehr zur Geltung gebracht. Es wird durch graue
Nene Alpenkarten. 261
oder graubraune SchichÜmien dargestellt, die im Bereiche der manieriert be-
handelten Felsen aussetzen. Die von 80 zu 80 m sind leise verstärkt, was
die Übersicht erleichtert; fClr das Auszählen der Isohypsen wäre aber eine
Verstärkung der 100 m Linien mehr am Platze gewesen. In Italien sind
sie nur, wie ausdrücklich angegeben, Gefühlslinien (fictives), in Frankreich
genau (reguüeres). Auf den Minutes beruhend, geben sie uns eine Vor-
stellung Ton der Isohypsenziehung gelegentlich der Aufnahme der Carte de
France.
Oegen ihre Exaktheit im einzelnen haben sich jüngst in Frankreich selbst
mehrere Stimmen, namentlich die von Martel^) und Guebhard^ erhoben.
Ich kann die von ihnen gemachten Einwände nicht kontrollieren, muß aber
gestehen, daß sie mich nicht überraschen, denn auch mir flößen die Iso-
hypsen der Carte de la fronti^re des Alpes im großen und ganzen kein Ver-
trauen ein. Ihr Verlauf ist zum mindesten manieriert An den Talgehängen
sieht man regelmäßig gekrümmte Bogen zwischen den Wasserrissen, wirkliche
Höhenkurven; Ecken, die doch in der Wiedergabe eines scharfgratigen Gebirges
eine große Bolle spielen sollten, fehlen fast allenthalben. Selbst unten
nahe den Talsohlen, wo die Wildwässer auf Schuttkegeln fließen, krünmien
sich die Schichtlinien nach ihrem Laufe einwärts, anstatt sich auswärts zu
biegen. Vor allem aber fallt auf, daß sie an den Firsten des Gebirges
manchmal weit auseinandertreten, um jene ebene Scheitelfläche zwischen sich
zu lassen, welche die Carte de France zwischen den SchrafTen des Berg-
abfalles systematisch einschaltet. Alles dies erweckt den Eindruck, daß wir
es nicht mit genau aufgenonmienen Höhenlinien, sondern mehr mit einer an-
nähernden Darstellung von solchen zu tun haben; nach dem, was Berthaut
mitteilt, kann in der Tat auch nichts anderes erwartet werden. In der
Instruktion vom 15. März 1851 wird empfohlen, die Schichtlinien dermaßen
zu konstruieren, daß man zwischen Wasserscheiden und Talwegen die
Schnitte der Hauptschichten nach benachbarten Höhenzahlen mittels der auf-
genommenen SchrafTen einschätzen solle. Zwischen so erhaltenen Haupt-
schichtenlinien von 40 zu 40 oder 80 zu 80 m könne man die anderen
dann leicht verfolgen (Berthaut I, 328). In einer Instruktion vom 1. April
1864 heißt es dann femer, daß in jenen Hochgebirgspartien, für welche
keine Katasterau&ahmen vorliegen, man die Firste und Talsohlen festlegen
solle, um dann die Oberflächengestalt im ganzen und einzelnen (les formes
g^n^rales du terrain et les accidents secondaires) mehr oder weniger a la vue
einzuzeichnen (Berthaut II, S. 61). Dabei wird aber besonders eingeschärft,
den Verlauf der Grenzen Frankreichs genau festzulegen, damit ßin voll-
ständiger Anschluß an die Karte des Nachbarstaates erreicht werde. Diese
Aufgabe ist nicht vollständig gelöst worden; der Verlauf der französisch-
italienischen Grenze zeigt im Gebiete südlich vom Mont Blanc auf den
Karten beider Staaten nicht unbeträchtliche Abweichungen, und konunen die
Mecreshöhen der trigonometrischen Hauptpunkte einander auf 1 — 3 m nahe,
1) Le Trayas. Ann. club alpin firan9ai8. XXIV. 1897. 8. 204.
2) Vergl. Die französische Generalstabskarte und ihre Irrtümer. Allgem.
Militärzeitung. LXXTÜ. 1898. Nr. 97, S. 772.
262 Albrecht Penck:
80 weichen die anderer Spitzen um + 10 m, die einiger Sattelpunkte um
+ 20 m voneinander ab.
Wie in den meisten Staaten ist man auch in Frankreich nach Voll-
endung des großen Spezialkartenwerkes an die Herausgabe der Original-
aufhahmen gegangen. 1881 verfügte General Farre die Herstellung einer
neuen Karte 1 : 50 000 mit Schichtlinien nach den alten, durch Revisions-
arbeiten ergänzten Minutes. Es sind lediglich 75 Blätter vom Nordosten Frank-
reichs erschienen, dann wurde die Fortsetzung dieser „Garte d'essai^^ eingestellt,
nachdem sich gezeigt hatte, daß, wie Berthaut berichtet, die Schichtlinien
der Minutes vielfach nur annähernd aufgenommen, manchmal aber lediglich
nach den Schraffen gezogen seien. Die Alpen werden von jener Karte nicht
erreicht. Wir haben von ihnen nur zwei Karten, die direkt auf den Mi-
nutes beruhen. Die 1865 erschienene Karte des „Massif du Mont Blanc"
1 : 40 000 bezeichnet sich als einen Auszug aus den Minutes und die „Carte
topographique du massif du Mont Pelvoux, esquisse mise en relief par
M. Prüden t 1:40 000 (Annuaire club alpin fran9ais 1874) verwertet sie
direkt. Das Gelände ist auf ihr durch braune, auf Gletschern blaue Schicht-
linien von 40 zu 40 m (auf dem Titel steht irrtümlich 10 zu 10 m) wieder-
gegeben; die Linien von 160 zu 160 m sind verstärkt. Darüber ist eine
rotbraune, im Bereiche der Gletscher blaue Schunmierung nach schräger
Beleuchtung (von Nordwesten her) gebreitet. Das Felsgelände ist schematisch
gezeichnet. Die Täler haben giünliches Kolorit; die Wege rot. Die Ge-
samtwirkung ist eine derbe, sie vermittelt weder den Eindruck von der
Schärfe der Grate des Gebirges, noch den von Einzelheiten seiner Talscenerie.
Die rundlich verlaufenden Isohypsen sehen aus, als ob sie im Zimmer nach
ungenügender Geländedarstellung gezeichnet worden wären.
Das Schwergewicht der neueren of6ziellen Kartographie in Frankreich
liegt in der Verwertung der Carte de France 1 : 80 000 für andere Karten-
werke kleineren und selbst auch größeren Maßstabes. Zwei sind in früherer
Zeit begonnen und stehen hinsichtlich ihrer Ausführung auf gleichem Boden
wie ihr großes Vorbild. Bereits 1838 regte der General Pelet die Heraus-
gabe einer strategischen Karte an, es ist die Carte de France 1 : 320000,
welche 1852 — 1886 erschien. Jedes ihrer 33 Blätter hat die Größe eines
solchen der achtzigtausend teiligen Karte und imifaßt das Gebiet von deren 16.
Die Darstellung des Geländes geschieht durch Schraffen, doch sind diese
noch weniger nach einer bestimmten Skala gehalten. Die Alpenblätter sind
recht dunkel. Auch die sechsblättrige Carte de France 1 : 6Ö0 000 wurzelt
in älterer Zeit, sie stellt die Fortsetzung einer bereits 1837 bearbeiteten
Karte von Nordostfrankreich dar, welche in den sieb2%er Jahren auf den
Osten, in den achtziger Jahren auf den Westen Frankreichs ausgedehnt
wurde. Auch sie gibt das Gelände durch schwarze Schraflfen wieder, die
aber nur im Flachlande und Mittelgebirge nach senkrechter Beleuchtung aus-
geführt sind; im Hochgebirge bringen sie auch Schatten nach schräger Be-
leuchtung zum Ausdrucke. Die Blätter Lyon (V) und Marseille (VI) um-
fassen die Westalpen bis zur Furka, sie suchen die einzelnen Gruppen des
Gebirges zu individualisieren imd die Pässe gut hervortreten zu lassen, dabei
Neue Alpenkarten. 263
geht der Zusammenhang der Erhebimgen verloren. Beide Blätter sind recht
dunkel. Seit 1890 ist die Karte in mehrfarbiger Ausführung um eine
Kolumne weiter nach Osten ausgedehnt worden. Die neuen Blätter sind
geschummert, als Vorlage ihrer Geländedarstellung diente die Wiener Karte
1 : 750 000, also eine solche kleineren Maßstabes.
Alle anderen offiziellen Karten sind in den letzten 30 Jahren geschaffen
imd zwar durchweg in mehrfarbiger Ausfährung; Schrift und in der Regel
das Wegnetz schwarz, letzteres manchmal aber auch rot, Gewässer blau,
Wald grün, Gelände braun oder graublau, in tnannigfaltigster Ausflihrang in
Schraffen, Schichten oder bloßer Schunamerung. Durchweg sind Höhenangaben
vorhanden, auf Gipfeln reichlicher als auf Pässen. Wir nennen folgende
Werke, welche insgesamt für die Alpen vollendet sind:
La Carte de France 1 : 100 000. Sie wurde für den Service vicinal
auf Befehl des Ministers des Innern hergestellt. Auf der Karte 1 : 80 000
beruhend, unterscheidet sie sich von derselben wesentlich durch Hinzufügung
statistischer Daten und eine andere Darstellung der Wege, die nach ihrer
administrativen Klassifikation und nicht nach ihrer Wegsamkeit durch rote
Linien gezeichnet sind. Das Gelände ist nach schräger Beleuchtung ge-
schummert. Einige Blätter gewähren ziemlich plastische Wirkung, andere
sind verschwommen. Für eine strenge Wiedergabe der Formen reicht das
Verfahren nicht aus.
La Carte de France 1 : 200 000 du Ministere des Travaux publics ist
gleichfalls im wesentlichen eine Administrativkarte, welche zahlreiche wirt-
schaftlich wichtige Daten enthält, das Gelände aber nur in groben Umrissen
durch Höhenschichten von 100 m und eine lichte Schunamerung darstellt.
La Carte de France 1 : 200000 du Service geographique de Tarm^ ist
als Seitenstück zur Carte d'essai 1 : 50 000 vom General Farre angeordnet
und in ihrer ersten Ausgabe schon 1888 vollendet worden. In Maßstab und
Zweck entspricht sie sowohl der Generalkarte des Wiener militärgeographi-
schen Instituts als auch der Reymannschen Spezialkarte und ergänzt beide
räumlich. Sie greift über die Grenzen Frankreichs hinaus und umfaßt die
ganzen Alpen südlich vom Großen St. Bernhard. Im Prinzipe Schichten-
karte hat sie zart ausgeführte Isohypsen im senkrechten Abstände von anfäng-
lich 20 m, dazu gesellt sich eine geschickt ausgeführte graublaue oder braune
Schummerung, die im Mittelgebirge senkrechter, im Hochgebirge schräger
Beleuchtung entsprechend, der Karte zu guter plastischer Wirkung verhilft,
die aber namentlich in ihren braunen Tönen auf den Blättern Grand
St. Bernhard, Tignes, Lärche, Nice die feinen Höhenlinien völlig schlägt, so
daß das feste Gerippe der Geländedarstellung verloren geht. Dies hat 1896
dazu geführt, daß man als Nofmalabstand der Isohypsen 40 m festsetzte,
nach Erfordernis werden punktierte Zwischenlinien im Abstände von 20 m
eingeschaltet; alle 200 m werden die Kurven verstärkt, so daß sie besser
hervortreten. In den großen Seen — mit Ausnahme des Thuner — sind
teils nach Delebecques Atlas des lacs fran9ais, teils nach dem Schweizer
Siegfriedatlas Tiefenlinien gezogen. Wegnetze und Ortschaften sind rot,
Flußnetz blau, die Gletscher sind weiß gelassen, der Wald grün. Die Karte
264 Albrecht Penck:
ist als Übersiebt der Südwestalpen auch dem Geographen recht nützlich, ihr
Wert würde aber noch größer sein, wenn sie namentlich auf Pässen reich-
licher mit Höhenzahlen ausgestattet wäre. Fehlen doch solche auf dem Col
de Lärche, dem Col de Sestri^res, dem Col de la Seigne und selbst auf dem
Kleinen St. Bernhard.
La Carte de la Fronti^re des Alpes 1 : 320 000, die ganzen Südwest-
alpen umfassend, ist eine Reduktion der gleichnamigen Karte 1 : 80000 in
gleicher Darstellimgsweise. Auch in ihr macht sich wenigstens in den
älteren Blättern das Wegnetz zu schwer geltend, neuerlich ist es zarter dar-
gestellt worden. Die Isohypsenzeichnung ist unnatürlich.
La Carte de France 1 : 600 000 wurde mitten im Krieg von 1870/71
geplant und 1871 im Depot des Fortifications begonnen; dann wurde sie
1886 vom Service geographique de Tarmee übernommen und 1893 vollendet.
Im Osten reicht sie bis zum St. Gotthard, und liefert deswegen fast von den
gesamten Westalpen eine Darstellung, welche recht einheitlich ausgefallen ist.
Es sind drei Ausgaben zu unterscheiden: 1) mit braunen Schraffen nach ein-
seitiger Beleuchtung, 2) mit braunen Schichtlinien von 100 zu 100 m, die
von 500 zu 500 m verstärkt sind, endlich 3) eine kombinierte Schichten- und
Schraffenkarte. Die schraffierte Karte gibt ein gefälliges und richtiges Bild
des Geländes; die Isohypsendarstellung ist zu stark generalisiert, und wird
der SchroflFheit des Hochgebirges nicht gerecht. Die braunen Kurven sind
über die Gletscher hinweggeführt, die nicht als solche gekennzeichnet sind.
Finsteraarhommassiv und penninische Alpen ei*scheinen als wenig gegliederte
Erhebungen von Mittelgebirgsart. Kombinierte Schichten- und Schraffen-
karten sind mir für die Alpen nicht vorgelegen. Wichtig ist die Eintragung
der Isobathen an den Küsten, sie zeigen an der Biviera das Untertauchen
eines stark zertalten Gebirges. Die Beschreibung mit Höhenzahlen ist
durchweg umsichtig und enthält auch die nötigen Daten für die Pässe. Die
Wiedergabe des Gewässernetzes (blau) ist zart und vermeidet die übertrieben
breiten Flußbetten der Carte de France 1 : 80 000, welche sowohl in die
Karten 1 : 320 000 und 1 : 600 000 wie auch namentlich die militärische
1 : 200 000 übergegangen sind. Letztere läßt z. B. an der Westseite des
Devoluy Flüsse von 200 — 300 m Breite entspringen, während auf der Ost-
seite nur unbedeutende Gerinne eingezeichnet sind. Die Schrift der Karte
1 : 500 000 ist klar, das Wegnetz schwarz angemessen, nicht zu aufdringlich.
Nur passen die Farben gelegentlich nicht recht. Vom geographischen Stand-
punkte aus ist imsere Karte, vielfach auch die Prudentsche genannt, ent-
schieden die beste von den verschiedenen neueren Übersichtskarten Frankreichs;
bis Madrid ausgedehnt, liefert sie nicht bloß die größte einheitliche Darstel-
lung der Pyrenäen, sondern auch ein vielfach neues Bild von Nordostspanien.
Es hat in Frankreich in den letzten 30 Jahren seitens der verschiedenen
Staatsanstalten eine ungemein rührige Tätigkeit auf kartographischem Ge-
biete geherrscht. Wir haben für das weite Land eine wahre Fülle von
Übersichtskarten für die verschiedensten Zwecke und in den verschiedensten
Darstellungsweisen erhalten, welche fortwährende Verbesserungen erfahren
haben, so daß es schwer hält — mir ist es bei verschiedenen Ankäufen nie
Nene Alpenkarten. 265
gelungen — von ein und demselben Kartenwerke Blätter in derselben Aus-
fOlinmg zu bekommen. In jener Schaffenslust spiegelt sich der Wunsch, das
Beste zu leisten, aber er hat sich bisher nur auf einem Boden betätigt,
nämlich der Verwertung des reichen Inhaltes der Carte de France 1:80000.
In neuester Zeit werden sogar ihre zart gestochenen Blätter auf 1 : 50 000
vergrößert, um so dem Bedürfoisse nach leicht lesbaren Karten großen
Maßstabes entgegenzukommen, und Berthaut berichtet, daß geplant ist, nach
und nach diese Vergrößerungen verschiedenfarbig herausstellen, was den
Vorteil leichter Evidenthaltung bietet. Einen Ausschnitt aus einem solchen
farbigen Blatte, ein Stück aus der Umgebung von Grenoble darstellend, teilt
er mit; es wirkt durch sein rotes Wegnetz, sein blaues Gewässer, seinen
grünen Wald und seine grauen, durch einen Ton um einen Schatten nach
schräger Beleuchtung verstärkten Schraffen recht nett, aber es heißt doch
wohl von der alten Karte 1 : 80 000 zu viel erwarten, wenn man sie mit
allen ihren Mängeln vergrößert, und man könnte wohl nach solchen Unter-
nehmungen betreffs Weiterentwickelung der französischen Topographie besorgt
sein, wenn man nicht erführe, daß man im Service geographique de Tarm^e
den Plan einer neuen auf neuen Aufnahmen beruhenden Karte Frankreichs
ernstlich erwägt. Eine solche ist unbedingt nötig. Indem an Stelle der ge-
planten großen Karte Frankreichs 1:50 000 eine Militärkarte 1:80000 ge-.
schaffen worden ist, ist an Stelle eines allen Bedürfnissen entsprechenden
Werkes ein solches mit speziellem, kaum definierbarem Interesse getreten, das
nicht jenen Grad von Verläßlichkeit besitzt, den man vom wissenschaftlichen
Standpunkte aus verlangen muß. Es gibt ein schönes Zeugnis für den
wissenschaftlichen Ernst, mit welchem man im Service g^graphique de l'arm^e
arbeitet, daß man dort den groß angelegten Plan einer Carte de France
1 : 50 000 nach Aufnahmen 1 : 10 000 wieder in Beratung zieht Berthaut
teilt eine Reihe einschlägiger Vorarbeiten mit, und es scheint nur eine Geld-
frage zu sein, das Werk zu schaffen. Möchte der Plan bei den maßgebenden
Faktoren in Frankreich volle Würdigung finden, und das Land im 20. Jahr-
hundert die Karte erhalten, die am Beginn des 19. mit weitem Blicke er-
strebt wurde.
Die Schaffensfreudigkeit auf kartographischem Gebiete erstreckt sich
betreffs der französischen Alpen nicht auch auf weitere Kreise. Einer ähn-
lichen Pfiege der Kartographie^ wie sie der Schweizer Aipenklub und der
deutsche und österreichische Alpenverein ausüben, begegnen wir in Frankreich
nicht. Zwar hat der Club alpin fran9ais mit der oben besprochenen Karte
der Pelvoux-Gmppe einen einschlägigen Anlauf genommen, aber es sind
keine weiteren Schritte erfolgt Man hat sich später begnügt, Ausschnitte
aus der Carte de France zu bringen, oder bloße Orientierungskärtchen über
den Kammverlauf (Kärtchen der Grandes Bousses und der Vanoise Annuaire II,
1875, La Chaine des Ecrins IX, 1882, La Meije XII, 1885), oder kleine
Übersichtskärtchen, wie Marius Chesneaus Carte du massif du Mont Blanc
(Ann. XVin, 1891, S. 128). Erst in jünster Zeit begegnen wir einem Ver-
suche selbständiger Aufnahmen, wie sie uns G. A. Martel in seinem Aufsatze
über Le Trayas bietet (Ann. XXIV, 1897, S. 204). Auch die Zahl der
266 Albrecht Penck: Neue Alpenkarten.
sonstigen Touristen- mid Wanderkarten ist gering. Die Karte „Sallanches
a Chamounix 1 : 80 000" des Service geographique ist aus der Carte de
France hervorgegangen, indem Situation und Schrift schwarz, Gewässer blau
und Schraffen braun wiedergegeben wurden. Eine zweite Ausgabe stellt das
Gelände durch braune Schichtenlinien dar. Guillemin und Läderich, Carte
du Haut Dauphin^ 1 : 50 000 war mir nicht zugänglich. Die Karte der
Provence, welche Marcel Bertrands Studie über die Niedere Provence be-
gleitet (Annales de geographie. 1898. VIL pl. l), ist eine ziemlich bunte
Höhenschichtenkarte, welclue so koloriert ist, daß die Grenze zwischen Alpen
imd Provence recht augenfällig wird.
Die verdienstliche Carte de France 1 : 500 000 hat sichtlich die schöne
große 6 blättrige Karte von Frankreich 1:100 000 in Vivien de Si Martinas
Atlas üniversel beeinflußt. Sie ist ungemein zart und fein in Kupfer ge-
stochen, das Gebirge ist ausdrucksvoll nach schräger Beleuchtung schraffiert,
und trotz reichlicher Beschreibung ist die Karte nicht überladen. Sie ent-
hält viele, verhältnismäßig groß gestochene Höhenangaben, die sich auf
Gipfel, Pässe und Täler entsprechend verteilen. Blatt 4 reicht bis zum
Gotthard nach Osten und südwärts bis zum Pelvoux, Blatt 6 von dort bis
zum Meere. Die neue 6 blättrige Karte von Frankreich gleichen Maßstabes
in Andrees Handatlas (4. Aufl.) ist eine selbständige Arbeit. Sie stellt auf
zwei Blättern (S. 79 — 82) die gesamten Westalpen westlich vom Matterhom
dar. Die Geländeschraffur ist kräftig gehalten nach einseitiger Beleuchtung,
sie kommt neben der reichlichen Beschreibung und umsichtigen Ausstattung
mit Höhenangaben gut zur Geltung.
Das Seengebiet des nordwestliehen Rufiland^).
Von 8. Tsohulok in Zürich.
I.
Neben dem großen Seenreichtum der vier Provinzen Petersburg,
Pskow, Nowgorod und Olonetz, einem Merkmal, das schon in der Be-
zeichnung des Gebietes zum Ausdruck gelangt, ist ein sehr wichtiger anthropo-
geographischer Zug bei der Zusammenfassung dieser Provinzen zu einer
höheren geographischen Einheit maßgebend: die Lage an den Wasser-
straßen, die die vier Meeresbecken des europäischen Rußlands verbinden
und dies Gebiet zu einem Durchgangsland stempeln. Doch lehrt auch
1) Hauptsächlich nach: Rußland. Yollständige geographische Beschreibung-
Redigiert von W. P. Ssemenow. Band HI: Das Seengebiet. Bearbeitet von
B. G. Karpow. N. J. Jljin. J. F. Stawrowsky. W. W. Moratschewsky.
A. M. Rykatschew. N. A. Sokolow. A. N. üspenskaja. 466 S., 119 111.,
37 Diagramme, Kartogramme, schematische Profile, 1 gr. (1:2520000) u. 8 kl.
(1 : 10000000) Übersichtek. St. Petersburg, A. P. Devrient 1900.
Vgl.: Das Moskauer Industriegebiet und der Oberlauf der Wolga. Geogr.
Zeitschrift. Vm. 1902. S. 23 ff.
S. Tschulok: Das Seengebiet des nordwestliclien Rußland. 267
hier schon ein flüchtiger Blick auf die Karte, wie wenig streng solche Zu-
sammenfassungen gelten: denn der äußerste Nordwesten schließt sich in seiner
orographisch-hjdrographischen Natur, sowie in seiner Gesteinsunterlage und
manchen anderen Verhältnissen eng an Finnland an; schon die nach NW
gerichteten Ausläufer des Onegasees, die größere Meereshöhe, die sich im
Masselga-Zug (Kreis Powjenetz, Gouvem. Olonetz) bis zu 1000 Fuß steigert
(Adlersberg), die charakteristische Bundhöckerlandschaft und die riesenhaften
aus Urgesteinsblöcken zusammengewürfelten Seitenmoränenzüge oder „Sselgas^'
— das alles sind so charakteristische Merkmale des finnländischen Plateaus,
daß es vom oro-hydrographischen Standpunkt aus wohl berechtigt wäre, die
Ostgrenze Finnlands etwa dem 62.^ n. Br. entlang um volle 7 Längengrade
nach Osten zu verschieben. Man ziehe etwas südlicher vom 62.^ n. Br. eine
Linie von der finnländischen Grenze dem Flusse Schuja entlang, dann quer
durch den Onegasee und setze sie dann im Wodlofluß bis zu seinem Quell-
gebiet fort, dann liegt nördlich von dieser Linie der ausschließlich aus Gneis
imd Granit gebildete Südosthügel des finnischen Plateaus, südlich die von
Glacialbildungen überdeckten paläozoischen Ablagerungen der „baltischen
Niederung".
Dieser baltischen Niederung, die im Westen von der Ostsee, im Norden
vom finnischen Meerbusen, im Osten und Süden vom zentralrussischen Plateau
oder seinen Ausläufern begrenzt wird, gehört auch der größt« Teil unseres
Seengebiets an. Die tiefste Partie dieser Niederung zieht sich in einer
schmalen Zone an der Südküste des finnischen Busens entlang und setzt sich
dann im Newatal xmd im Südufer des Ladogasees fort — es ist die Zone
der von weichen kambrischen Tonen unterlagerten Alluvialbildungen. Eine
ziemlich hohe und stellenweise sehr scharf ausgebildete Terrasse bildet den
Anfang der sich nach Süden ausbreitenden Landschaft von abweichendem
Typus — der paläozoischen Kalksteinzone. Diese Kalksteint-errasse beginnt
im äußersten Osten des Gouvernements Petersburg, wo sie in malerischen
Stromschnellen von den Flüssen Ssjaß und Wolchow durchschnitten wird,
und zieht sich dann durch das ganze Gouvernement nach Westen, erreicht
zwischen Gatschina und Jamburg die größte Breite und bildet ein wasser-
armes, nach N imd 8 abfallendes Plateau. Der Steilabsturz hat in seinem
ganzen Verlauf von 0 nach W verschiedene Namen erhalten. Von Staraja
Ladoga am Wolchowfluß (genau unter 60® n. Br.) bis nach Schlüsselburg
wird die Erhebung als „Putilowsche Anhöhen" (140 Fuß) bezeichnet, dann
folgen die Anhöhen von Zarskoje Sselo, die Pulkowschen (247 Fuß) und
Duderhofschen (549 Fuß); weiter ist die Terrasse zu verfolgen durch die
Ortschaften Ropscha, Koporje (347 Fuß), Jamburg und Narwa, an der Grenze
des Gouvernements Esthland, wo sich der Narwawasserfall vom Steilabsturz
hinunterwirft. Dann tritt die Tenasse in das benachbarte Gouvernement
Esthland ein, wo sie dicht ans Meer herantritt imd als „Glint" bezeichnet
wird. Diese sich über 4 Längengrade hinziehende „Falaise" bildet in ihrem
schwach NO — SW- Verlauf die Grenze zwischen dem nördlichen sumpfigen
und dem südlichen hügeligen Teil des Gouvernements Petersburg. Weiter
südwärts tauchen die Silurkalke unter die jüngeren Devonkalke unter.
268 S. TBchulok:
Im Gouvernement Nowgorod finden sich die letzten Ausläufer des zen-
tralrussischen Plateaus, die hier die Wasserscheide zwischen dem Ostsee- und
Kaspi-Becken bilden und als Waldaiberge bezeichnet werden. In der Nähe,
im Gouvernement Twer, das sich südwärts anschließt, erreichen sie mit etwa
310 m ihre größte Höhe. Während das Waldaiplateau nach Nordosten all-
mählich in das von den Ladoga-, Onega- und Bjeloje-Seen umgrenzte Flach-
land übergeht, bilden der westliche Teil des Gouvernements Nowgorod sowie
die sich anschließenden nördlichen Kreise des Gx)uvemements Pskow eine
sehr flache sumpfige Ebene. Nur im südlichen Teil von Pskow haben wir
wieder eine hügelige Landschaft vor uns, die letzten nördlichen Vorposten
des sich südwärts anschließenden Newel-Witebskschen Plateaus. An einem
dieser Hügel liegt das Swjatogorsche Kloster, in dem der große Dichter
Puschkin beigesetzt wui*de.
Die Seen sind nicht gleichmäßig über unser Gebiet verteilt; die meisten
gehören dem Nordwesten an: im Gouvernement Olonetz zählt man bis zu
2000 Seen, die im ganzen etwa 19% des Areals einnehmen, darunter auch
die beiden größten Süß Wasserbecken Europas, der Ladoga- und der Onega-
see. Die Seen stellen bald unregelmäßig begrenzte, gelappte, weite und
flache Mulden, bald schmale lange Furchen, bald runde kesselartige Vertie-
fungen dar. Die Grundzüge der Hydrographie unseres Gebietes sind folgende.
Der Norden, das oben angedeutete Gebiet der kristallinischen Gesteine, erhält
durch die zahlreichen Seen, Flüsse, Wasserfälle und Stromschnellen ein ganz
eigenartiges Gepräge. Hier ist alles Wasser: das allbeherrschende flüssige
Element drängt sich auf Schritt und Tritt in seiner ganzen Machtftille dem
Bewußtsein der Bewohner auf und ruft begreiflicherweise sehr bezeichnende
Vorstellungen über das Wasser als den Ursprung aller Dinge der Welt
hervor. Die karelische Sage läßt alles Festland und Gebirge aus den durch
Machtspruch des Schöpfers gebannten und erstarrten Wasserwellen entstehen.
In den vertieften Stellen zwischen den Wellenkämmen sammelten sich äie
Regenwasser und bildeten Seen und Flüsse, Ihre ursprüngliche Wellenkamm-
form verloren die Gebirge erst nach und nach.
Mächtige Felsen und kleine Blöcke ragen überall aus dem Wasserspiegel
der Seen heraus. In einem See, dem „Kontschesero^S ^^^^ ^^^ so viele ver-
einzelte Felseninseln zählen, als es Tage im Jahre gibt; dabei liegen alle
mit ihrer Längsachse den Seeufem parallel, nur eine legt sich querüber,
weshalb sie die „Dunune^* genannt wird.
Unter allen diesen Seen ist der Onega am größten. Bei 9751 qkm
Oberfläche erreicht er die größte Länge von 220 und die größte Breite von
75 Werst. Seine mittlere Tiefe beträgt etwa 160 m, die maximale geht bis
400 m. Mit seiner südlichen Hälfte ragt er in das Gebiet des Devonkalkes
hinein und berührt ein Gebiet, dessen Hydrographie einen ganz andern
Charakter hat.
Von Südosten her ragen in unser Gebiet die von zahlreichen Neben-
flüssen und Seen gespeisten und ruhig dahinfließenden Ober- und Mittelläufe
zweier Wolganebenflüsse, der Scheksna und Mologa, herein. Der von Süd-
osten in den Onega-See mündende Wjtegrafluß teilt sein Quellgebiet mit
Das Seengebiet des nordwestlichen Rußland. 269
der Kowscha, und hier wurden sie durch einen Kanal verbunden. Die Kowscha
fließt dann fast genau in N — S- Richtung dem Bjeloosero (Weißen See)
zu, aus dem dann die Scheksna austritt, um sich bei Rjbinsk, dieser wich-
tigsten Handelsstadt des Wolgaoberlaufs, in diesen mächtigen Strom zu er-
gießen. Dies ist das „Marienkanal-Sjstem^^, der hochwichtige Verbindungs-
weg zwischen dem Wolga- und Kaspisjstem einerseits und dem Finnischen
Busen anderseits. Denn aus dem Onega führt der Swirfluß zum Ladoga
und von da die Newa nach Petersburg. Alle drei Seen stehen aber nicht
direkt im Dienste des Verkehrs, sondern werden auf großartigen Kanälen in
weiten Bögen umfahren.
Der Onegasee wird im Süden von einer Gruppe kleiner Seen umkränzt,
welche durch eine Menge interessanter, vom Volksgeist höchst originell ge-
deuteter Erscheinungen die geologische Natur ihrer Unterlage verraten. Bald
wird der eine bald der andere See trockengelegt, um sich in den Weißen
oder in den Onegasee zu ergießen durch einen imterirdischen Kanal, dessen
Verlauf durch eine Reihe von Einsturztrichtem markiert wird; bald tritt ein
sonst harmloses Flüßchen, von unteridischen Zuflüssen gespeist, mit ver-
heerender Kraft aus seinem Bett heraus. Von zwei dicht nebeneinander He-
genden Seen ist der eine dem Weißen, der andere dem Onegasee tributär,
je nach dem Verlauf seines unterirdischen Abflußkanals (wir befinden uns
hier auf der Wasserscheide zwischen dem Kaspi- und dem Ostseebecken).
Um die Besprechung der östlichen Hälfte abzuschließen, mag noch kurz er-
wähnt werden, daß im äußersten NO (Kreis Kargopol) der ziun Flußsjstem
des Weißen Meeres gehörende Onegastrom in unserem Gebiete seinen Anfang
ninmit; an seinen Oberlauf schließen sich südlich zwei Seen an, der Latscha-
und der Woschesee, von denen kleinere Wasseradern einerseits zum Weißen
anderseits zum Kubinskojesee führen. Dieser letztere, der Suchona und
weiterhin der Dwina und den Weißem Meere tributär, ist seinerseits mit
dem Mittellauf der Scheksna durch einen Kanal (bei Kirilow) verbimden.
Neben dem Marienkanal-Sjstem besteht noch eine zweite kürzere Ver-
bindung zwischen dem Wolgabecken und dem Finnischen Busen, das sogen.
Tichwinsche Kanalsjstem. Aus der oben erwähnten Mologa gelangen wir
in deren Nebenfluß, die Tschagodoschtscha, dann in die Ssomina; diese ist
durch den Tichwinschen Kanal mit der Tichwina verbunden, welche durch
den Ssjafsfluß in den Ladogasee mündet.
Die Tichwinsche Wasserstraße bildet die Grenze zwischen der nordöst-
lichen und der südwestlichen Hälfte des Seengebiets. Während die Hydro-
graphie des nördlichen Drittels des Gebiets durch den Seenreichtum und die
krystallinische Unterlage einen besonderen Charakter gewinnt, während die
zentrale Partie durch die mehr verbindende als trennende Wasserscheide
zwischen dem Wolga- und dem Newabecken beherrscht wird, bildet das dritte
südwestliche Drittel die Durchgangspforte der Gewässer, die vom zentral-
russischen Plateau herunterkonunen und ziun finnischen Busen hin ihren Lauf
nehmen. Kein Wunder, daß dies Durchgangsland, der große Nowgorod,
schon frühe seine Selbständigkeit aufgeben imd sich dem allgemach erstarkten,
nach dem Meer hin drängenden moskowischen Staatswesen fügen mußte. Bei
270 S. Tschulok:
Betrachtung einer Karte fällt uns sofort der Umensee als der Sammelpunkt
aller vom zentralrussiscben Plateau herabkommenden Wasseradern auf. Msta,
Pola, Lowatj, Polista, Schelon — alle diese Gewässer treten dann durch den
Wolchowfluß aus dem Ilmensee aus, um sich nach einem Weg von etwa
115 km in gerader Richtung in den Ladogasee zu ergießen. Hier am Aus-
fluß des Wolchow liegt die einst so wichtige Handelsstadt Nowgorod, die im
Mittelalter als Vermittler der Handelsbeziehungen zwischen dem Osten und
Westen eine so große Bf^deutung erlangt hatte. So groß war der bestim-
mende Einfluß der geographischen Lage, daß sich hier eine ganze Reihe
charakteristischer Züge in der sozialen Entwicklung geltend machten, die
in den andern slavischen Gebieten durchwegs fehlten: die ständische Ver-
fassung, die weitgehende Ausbildung des Selbstverwaltungsprinzips, die Tole-
ranz gegenüber fremden Einflüssen u. a. m. Die ökonomische Abhängigkeit
von den benachbarten Ssusdal-moskowischen Provinzen war aber zu groß,
als daß sich Nowgorod als selbständiges Staatswesen zu behaupten vermochte.
Aber noch lange nach Verlust der Selbständigkeit flackerten die alten Tfa-
ditionen der freiheitsliebenden Nowgoroder in den Aufständen und Empörungen
auf, und noch lange mußte die Einverleibung Nowgorods in das moskowische
Staatswesen durch massenhafte Hinrichtungen und zwangsweise Überführung
zahlreicher Bojarenfamilien in die Provinzen des Stammlandes besiegelt werden.
An der Westgrenze unseres Gebietes liegen zwei mit einander verbundene
Seen, der Psko wische See und der Peipus-See. Der Wjelikaja-Fluß (große
Fluß) fuhrt dem Pskowischen See die vom Witebsk-Ne welschen Plateau
herabkommenden Gewässer zu; entwässert wird der Doppelsee durch die in
den finnischen Meerbusen mündende Narowa. In ihrer Nähe ergießt sich
selbständig ins Meer der Lugafluß, der das ganze Gouvernement Petersburg
in der Richtung SO — NW durchschneidet
Ln Norden wird dieses westliche, weitaus wichtigste Drittel unseres
Gebiets von mächtigen Wasserbecken begrenzt. Der Ladogasee, mit mehr
als 18000 qkm Oberfläche, das größte Süß Wasserbecken Europas, nimmt im
Osten die vom Onega herkommende Swir, im Süden die bereits erwähnten
Flüsse Ssjaß und Wolchow auf und wird von der nur 75 km langen, aber
außerordentlich wasserreichen (über 100000 Kubikfuß in der Sekunde) Newa
entwässert. Er wird im Süden von flachen, aus Sand, Lehm und Kies be-
stehenden, unbewaldeten, im Norden dagegen von steilen, felsigen, bewaldeten
üfem begleitet; seine Tiefe ist im Süden unbedeutend, nimmt aber nach
Norden fortwährend zu, um westlich von den Walaamsinseln 265 m zu er-
reichen; die mittlere Tiefe wird auf etwa 110 m geschätzt, was ein Wasser-
quantum ergibt 24mal so groß wie das des Genfer Sees. Die Wasserstands-
schwankungen erreichen den Betrag von 7,3 m. Die ganze Wassermasse
befindet sich in einer Bewegung: den östlichen üfem entlang nach Norden,
am westlichen nach Süden.
Über die geologischen Verhältnisse unseres Gebiets sei erwähnt, daß
das älteste Glied der sedimentären Formationsreihe hier durch die schmale
Zone der kambrischen Tone repräsentiert wird, die wir von der Westgrenze
bei Narwa bis zur Südostecke des Ladogasees verfolgen können; über dem
Das Seengebiet des nordwestlichen Rußland. 271
Ton liegt der sogen. Ungnlitensandstein und darüber ein yersteinerungsarmer
bituminöser Schiefer. Nach S tauchen die kambrischen Schichten unter die
oben beschriebene süurische Kalksteinterrasse unter. Die aus Glaukonitsand
und Orthoceratitenkalk bestehenden Silurablagerungen haben keine große Aus-
dehnung. Bald ist ihre südliche Grenze erreicht, und sie tauchen ihrei*seit.s
unter die Devonablagerungen unter, was besonders schön in den Gostinopol-
schen Stromschnellen des Wolchowstroms zu beobachten ist. Wohl die Hälfte
der Gesamtoberfläche unseres Gebiets ist von Devonablagerungen bedeckt, die
aus bunten Sandsteinen, Mergeln, Kalksteinen und Tonen bestehen und gut
erhaltene Reste mitteldevonischer Panzerfische aufweisen. Das Karbon ist
durch Ablagerungen des Bergkalktypus vertreten; der obere Bergkalk bildet
das Plateau im zentralen Teil des Gouvernements Olonetz, der untere zieht
sich in breitem Streifen und in korallogener Ausbildimg auf eine weite Strecke
von den Waldaihöhen im SW fast bis zum Onegafluß im NO. An nutz-
baren Mineralien und Gesteinsarten sind neben den minderwertigen Kohlen
die zur Schwefelsäurefabrikation dienenden Schwefelkiese (bei der Stadt
Borowitsch im Gouvernement Nowgorod) und die vielfach ausgebeuteten feuer-
festen Tone zu nennen.
Vom Ende des Carbon bis auf imsere Tage blieb das Gebiet Festland.
In diesQm ungeheuren Zeitraum wurden die Oberflächenformen definitiv mo-
delliert, ausschließlich durch die äußeren Agentien — das Wasser in flüssiger
und später, im Diluvium, auch in fester Form. Es ist übrigens zu bemerken,
daß die Grundztige der Oberfiächengestaltung schon lange vor Eintritt der
Eiszeit in ihrer heutigen Gestalt ausgebildet waren, so daß sie auch jetzt
noch, unbeschadet der von den Gletschern bewirkten Veränderungen, klar
durchschaut werden. Das bis auf den blauen kambrischen Ton eingeschnit-
tene Newatal ist sicher präglacial, ebenso wie die oben erwähnte Silur-
Kalksteinterrasse (der „Glint") und wie die Becken des Pskower- und Peipus-
Sees, die zusammen mit dem Narowabett einem alten Meeresarm angehörten,
der den finnischen Busen mit dem Rigaer verband.
Als Bildungen der Eiszeit sind hauptsächlich der Blocklehm (Grund-
moräne von wechselnder Mächtigkeit), dann der ihm zuweilen unterlagemde
untere fluvioglaciale Sand und der obere Gletschersand zu nennen. Durch
allmähliche Veränderung dieser Oberflächenschichten entstehen die verschie^
denen Bodenarten, die den drei Haupttypen: Rasenboden, Podsolboden und
Sumpfboden — angehören.
Die Reste von abgestorbenen Pflanzen, die sich bei ungenügendem Luft-
zutritt und bei Überschuß an Feuchtigkeit zersetzen, bilden organische Säuren,
die auf den Mutterboden einwirken, indem sie ihm mit Hilfe des kohlen -
säurehaltigen Wassers die Alkalien und das Eisen entziehen und die Kiesel-
erde allein zurücklassen; so nimmt der Boden in seinen oberflächlichen Lagen
eine hellgraue Farbe an. Dies ist das Wesen der Podsolbildung. Der Rasen-
boden zeichnet sich durch einen schwächeren Zersetzungsgrad der Boden-
mineralien aus. Eine Begleiterscheinung stark ausgelaugter Böden ist der
Ortstein; das an der Grenze zwischen der Bodenschicht und dem Mutter-
gestein abgeschiedene, unlösliche Eisenoxyd umhüllt den Sand und Lehm und
272 S. Tflchulok:
bildet eine undurchlässige Schiebt, die eine Versumpfung der darüberliegend^i
Bodenpartien herbeiführt. Die sich weit hinziehenden Sümpfe bilden eine
Quelle des vielfach ausgebeuteten Sumpfeisenerzes, das meist von den Bauern
gewonnen und an Ort und Stelle zu Spaten, Sicheln ^ Nägeln u. s. w. ver-
arbeitet wird. Auch dem Torf steht angesichts der rasch fortschreitenden
Entwaldung eine große Zukunft bevor, zumal die Petersburg-Moskauer Eisen-
bahn im Gouvernement Nowgorod fast durchweg durch Torfmoore geht, die
eine durchschnittliche Mächtigkeit von 2 m erreichen.
Die geologischen Bildungen der Gegenwart vervollständigen noch die
Dünen, welche die flachen Küsten des finnischen Meerbusens wie der großen
Süßwasserbecken begleiten und besonders bei Ssjestrorjetzk im Gouvernement
Petersburg recht bedeutenden Schaden anrichten.
n.
Für die Beurteilung der klimatischen Verhältnisse des Seengebiets ist
zunächst des mildernden Einflusses der Ostsee und der großen Süßwasser-
becken zu gedenken, die es bedingen, daß das Land relativ wärmer ist, als
seiner geographischen Breite entspricht.
Die vorherrschenden Luftströmungen zerlegen das Gebiet in drei Teile:
1. Im Nordosten wehen während des ganzen Jahres im allgemeinen Süd-
und Südostwinde; nur im Sommer werden die Nord- und Nordostwinde
häufiger. Die größte Stärke erreichen die Winde im Winter, vor allem die
Südwinde. 2. Im zentralen Teil herrschen während des ganzen Jahres Süd-,
Südwest- und Westwinde vor; am heftigsten wehen hier, auch im Winter,
die Westwinde. 3. Im südwestlichen Teil (im Gouvernement Pskow und in
benachbarten Teilen des Gouvernements Petersburg) sind die Südwestwinde
am häufigsten und stärksten. Diese Verteilung der Winde erklärt sich da-
durch, daß im Jahresdurchschnitt, besonders aber im Winter, das baro-
metrische Minimum nordwestlich von unserm Gebiet gelegen ist (daher Vor-
herrschen des SW); nur im Sommer, wo das Minimum über dem asiatischen
Kontinent liegt, treten Nord- und Nordwestwinde auf. Das häufige Auf-
treten von Ostwinden im südwestlichen Teil, namentlich im Frühling, hat
seinen Grund in dem häufigen Erscheinen barometrischer Minima in Westeuropa.
Häufig sind die mit dem Wandern der Cjklone im Spätherbst verbun-
denen Überschwemmungen in der Newamündimg. Beim Fortschreiten der
Cyklone von W nach 0 verwandelt sich der Südwind, der das Wasser zu-
nächst zum Eingang in den finnischen Busen getrieben hat, in einen West
und Nordwest; dadurch entsteht im finnischen Busen ein Weststurm, der das
Wasser nach Ost treibt und in der Newamündung staut. Am meisten leidet
unter diesen Überschwemmungen Petersburg, wo das Wasser zuweilen 8 und
mehr Fuß über dem Normalstand erreicht, z. B. am 27. VIH 1890; 16. XI.
1897; 8. XII. 1898. Die größten Verheerungen haben die beiden großen
Überschwemmungen vom 21. IX. 1777 (10 Fuß 6 Zoll) und vom 19. XL
1824 (13 Fuß 8 Zoll) angerichtet.
Die mittlere Jahrestemperatur unseres Gebiets schwankt zwischen 1,4**
in Powjenjetz \md 4,8® in Pskow, indem sie von NO gegen SW eine stetige
Das Seengebiet des nordwestlichen Rußland.
273
Zunahme zeigt. Die Jahresschwankung bewegt sich zwischen 30 ** (im NO:
Powjenjetz und Bjelosrjersk) und 25** (im SW: Pskow). Der mildernde Ein-
fluß des Meeres und der großen Seen spricht sich darin aus, daß die Früh-
lingsmonate kühler als die Herbstmonate und die Wintermonate hier wärmer
sind als im Moskauer Gebiet. Der Januar ist in Petersburg um 1,7 ** wärmer,
als im 4® südlicher gelegenen Moskau.
Die Zunahme der Temperatur von NO nach SW wird durch folgende
4 Zahlenreihen zur Genüge veranschaulicht:
I
n
m
IV
VI
vn vra
IX
X
XI
Xn Jahr
Powjenjetz . . .
Petrosawodsk
Petersburg . . .
Pskow
— 12,4
10,2
9,3
— 6,8
^11,2
- 9,9
- 8,4
- 7,2
7,4 0,0
— 6,6
-4.7
-5,1
0,8
4.4
6,4
6,7
8,7
11,4
13,4
13,6
14,8
15,6
17,1
16,7
17,7
17,6
14,4
14,5
16,1
15,3
8,7
9,3
10,8
11,3
1,6
3,1
4,5
5,5
— 3,8
— 3,3
-1,6
-0,1
— 10,6
- 8,4
— 6,6
- 4,5
1,4
2,3
3,7
4,8
Die relative Feuchtigkeit schwankt im Jahresdurchschnitt innerhalb
ziemlich enger Grenzen, etwa zwischen 78 und 82 ^/q. Sie erreicht ihr Mi-
nimum im Juni mit 65 — 69% ^"^^ i^^ Maximum im November bis Dezember
mit etwa 88 — 91 %. Auch die Bewölkung hat ihr Minimum im Juni mit
etwa 50 Yo (für Petersburg) und ihr Maximum im November mit etwa 86 7o-
Der Jahresdurchschnitt schwankt im ganzen Gebiet zwischen 64% (Wjölikije
Luki im äußersten Südwesten) und 72% (Bjelosjersk im Osten).
Die jährliche Niederschlagsmenge ist am größten um Petrosawodsk —
579 mm, als Durchschnitt 21jähriger Beobachtungen, am kleinsten um Peters-
burg — 475 nun, als Mittel aus 66 Beobachtungsjahren. Von ersterer Zahl
konunen auf den Winter 93,* Frühling 122, Sommer 209 und Herbst 157 mm;
von letzterer sind die entsprechenden Quoten: 73, 90, 186 und 131 mm.
Nach der Menge der Niederschläge ordnen sich also in beiden Fällen die
Jahreszeiten wie folgt: Sommer, Herbst, Frühjahr, Winter. Dabei ist der
niederschlagärmste Monat fast durchweg der Februar, die niederschlagreich-
sten Juli und August Diese beiden letzten Monate können allein auf dem
ganzen Gebiet als schneefrei gelten, denn schon im September fällt im Gou-
vernement Olonetz Schnee, wenn auch zunächst nicht viel. Im Oktober er-
scheint der Schnee im ganzen Gebiet, im November ist er im NO die vor-
herrschende Niederschlagsform; Dezember, Januar, Februar, März haben fast
ausschließlich Schnee, im April zieht er sich wieder nach dem Gouvernement
Olonetz zurück, wo er im Mai noch in geringen Mengen vorkommt. Nörd-
lich von Petrosawodsk fällt zuweilen, wenn auch selten, auch noch im Juni
etwas Schnee. Die maximale Mächtigkeit der Schneedecke wird in Peters-
burg im Februar mit 25 cm erreicht. Die Zahl der Regen- oder überhaupt
Niederschlagstage im Monat schwankt in Petersburg zwischen 11, im April
und Juni, und 16, im November; in Petrosawodsk sind die entsprechenden
Zahlen 13 und 21. Die Amplitude der jährlichen Niederschlagsmenge, soweit
sie durch 66jährige Beobachtung (in Petersburg) festgestellt ist, kommt der
des Moskauer Gebiets sehr nahe: das niederschlagreichste Jahr dieser Pe-
riode war das Jahr 1864 mit 744 mm, das niederschlagärmste 1853 mit
308 nun.
Oeographitoha Z«itachrifl. 9. Jahrgang. 1903. 5. Heft. 19
274 S. Tschulok:
Über das Auftauen und Gefrieren der Flüsse und Seen sei hier nur be-
merkt, daß die Zahl der eisfreien Tage in unserm Gebiet zwischen 200 und
233 schwankt, sich also in denselben Grenzen bewegt, wie im Moskauer
(198 — 234 Tage). Dabei ist zu beobachten, daß sich im Frühling zuerst
die großen Ströme von Eis befreien, was wohl hier in ihrer großen Strö-
mungsgeschwindigkeit seine Erklärung findet. Dann folgen die kleineren
Flüsse, dann die Kanäle, die zu langsam fließen, und endlich die Seen. Im
Herbst bedecken sich zuerst die Kanäle mit Eis, dann folgen die kleinen
Flüsse, darauf die großen Ströme und endlich die Seen. Diese Reihenfolge
zeigt folgende Tabelle:
Es verspätet sich gegenüber dem Ober-
achreiten oder dem Eintritt von 0® in
der Luft
bei den Seen
Das Auftauen
nm 29 Tage
n 12 ,.
« 21 „
Das Zufrieren
um 25 Tage
n 22 „
,. 17
„ „ großen Strömen
„ „ kleinen Flüssen
„ „ Kanälen
,. 12 „
Die Dauer der Schiffbarkeit nimmt im allgemeinen von NO nach SW
zu: 191 Tage am Onega-Kanal, 225 Tage im SW des Gouvernements Peters-
burg. Ausnahmen werden durch die Nähe großer Süßwasserbecken oder
durch große Strömungsgeschwindigkeit bewirkt. Die Schwankungen der ein-
zelnen Jahrgänge sind ziemlich beträchtlich; für die Newa bei Petersburg,
wo die Beobachtungen bis auf 1706 zurückreichen, war die Dauer der eis-
freien Periode im Minimum 172 Tage (1852) und im Maximum 279 (1822).
m.
Im Gegensatz zum Moskauer Gebiet, das auch vor der Besiedelung
natürliche steppenartige Waldlichtungen, sogen. Poljes, aufzuweisen hatte,
stellte das Seengebiet in prähistorischer, und sogar weit in die historische
Zeit hinein eine nur durch Flüsse, Seen und Sümpfe unterbrochene ürwald-
fläche (Taiga) dar. Erst in relativ neuerer Zeit ist der Wald mehr und
mehr der vordringenden Kultur gewichen, und wie sehr die Waldvemichtung
auch noch im letzten Jahrhundert um sich gegriffen hat, zeigt die Tat-
sache, daß seit dem Generalkataster der Waldbestand in Petersburg von 70 %
auf 45 7o, in Olonetz von 717^ auf 63 7o, in Pskow von 54 7o auf 32 7o
und in Nowgorod von 60 7o auf 49 7o zurückgegangen ist. Die Waldfläche
des ganzen Gebiets beträgt aber auch jetzt noch an 50 7o ^^ Gesamtareals.
Die Verteilung des Waldes ist, abgesehen vom Gouvernement Olonetz, un-
gleichmäßig: es gibt Kreise (üjesd) mit nur 20 7o Wald neben solchen
mit 84 7o.
Aber selbst dort, wo der Wald noch weite Flächen einnimmt, hat er
den Charakter des ursprünglichen Urwaldes verloren und den der „gelichteten
Taiga'^ angenommen. Durch das an manchen Orten, namentlich in Pskow
und Nowgorod, auch jetzt noch bestehende System der Neulandwirtschaft
wurde hier eine besondere Waldformation geschaffen, die man hier zu Lande
Das Seengebiet des nordwestlichen Bußland. 275
als „Ljada** bezeichnet. Der Fichtenwald wird ausgerodet oder ausgebrannt,
und die so gewonnene Fläche dient während etwa 5 — 6 Jahren dem Getreide-
oder Leinban. Darauf zieht der Pächter davon und die sich selbst über-
lassene Bodungsfläche bedeckt sich von neuem mit dünnem Fichten- oder
Mischwald, der mit Erlen-, Weiden- und Espengestrüpp vermischt ist Die
Wiesenpflanzen werden nach und nach von Waldkräutem verdrängt; charak-
teristisch für diese Formation sind verschiedene Campanula- Arten. Eine
andere Formation, als Produkt der Waldbrände aufzufassen, ist das Callu-
netum, das vorwiegend im Kiefernwald auftritt. Die dichten Rasen und
Polster lassen keine nennenswerte Kiefemvegetation aufkommen imd die
häufig wiederkehrenden Waldbrände verrichten wiederholt ihr Vemichtungswerk.
Die große Zahl derartiger Waldlichtungen ließ sogar die Vermutung
aufkommen, es handle sich um Stellen, die immer waldlos gewesen seien;
doch läßt sie die nähere Untersuchung des Callunetums als Ergebnis der
vom Menschen verschuldeten Entwaldung erkennen.
Der gegenwärtige Wald imseres Gebiets wird vorwiegend aus Nadel-
hölzern, und zwar in erster Linie aus Fichten und, etwas weniger häufig,
aus Kiefern gebildet. Doch lassen die bei der Durchgrabung des Sjaß-
Kanals gemachten Beobachtungen erkennen, daß in vorhistorischer Zeit an
Stelle des heutigen Nadelwaldes die Eiche herrschte, deren Grenze damals
weiter nördlich lag; später wurde sie von der Kiefer verdrängt, und in
unserer Zeit trat die Fichte ihre Herrschaft an. Diese ist hier in 2 Arten,
Picea excelsa und P. vulgaris vertreten, nur im äußersten Osten kommt eine
dritte Art, die sibirische Picea obovata vor. Nicht immer sind die Fichten-
bestände rein, sondern mit Birke, Espe, Linde und anderen Laubhölzem ge-
mischt; im Süden gesellen sich Eiche, Esche und Ahorn, an feuchteren Stand-
orten Erle, Weide und eine Birkenart {Beiula pubescens) hinzu.
Der Fichtenwald siedelt sich auf mehr oder weniger fruchtbarem Boden
in Niederungen an. Wird ein Fichtenwald ausgerodet und dann sich selbst
überlassen, so treten an seine Stelle zunächst Birke, Espe und Weide von
Himbeergestrüpp begleitet, nach 30 — 40 Jahren werden aber die Laub-
bäume wieder von der Fichte verdrängt. Die Kiefer dagegen siedelt sich
auf trockenen sandigen Böden an und ist weniger stabil als die Fichte; sie
regeneriert sich nicht oder nur sehr selten, nachdem sie einmal ausgerodet
ist. Meist treten dann, wie oben erwähnt, die polster- und rasenbildenden
Pflanzen auf; da sie aber viel Feuchtigkeit ansanmieln und der Luft den
Zutritt zu den unteren Schichten verwehren, so bilden sich Humussäuren, die
die Eisenverbindungen des Bodens lösen. Diese Eisenverbindungen bilden
aber das Zement, das den lockeren Sandboden zu Ortstein verwandelt. Das
Wasser wird jetzt gestaut, und es beginnt eine Versumpfung. Solche in
Versumpfung begriffene Wälder bedecken im Gouvernement Petersburg 30 7o
des Bodens, während auf die reinen Sümpfe etwa 9 % entfallen. Die schlanke,
hohe Kiefer wird hier nach und nach von der Zwergkiefer ersetzt
Neben diesen beiden Formen spielen die sibirische Lärche {Larix sibirica)
und die sibirische Weißtanne {Äbies »ibirica), die nur im Nordosten des
Gebiets eine weitere Verbreitung haben und bald ihre westliche Grenze ei^-
19*
276 S. Tschnlok:
reichen, nur eine untergeordnete Rolle. Unter den Laubhölzern sind zu-
nächst jene 5 Formen zu nennen, welche hier ihre nördliche Verbreitungs-
grenze finden. Am weitesten nach Norden ist die Grenze der Linde und
Schwarzerle vorgeschoben, die selbst noch zwei Drittel des Gouvernements
Olonetz einnehmen. Dann folgt der Bergahom (Acer plaianoides)^ dessen
Grenze etwa zwischen 61® imd 62® n. Br. liegt. Noch weiter südlich findet
Eiche und Esche ihre boreale Grenze, indem sie nur auf die südwestliche
Hälfte unseres Gebiets beschränkt sind (die Grenze verläuft etwa von Peters-
burg nach OSO gegen die Wolga).
Von den anderen Laubbäumen haben nur noch Espe und Birke eine
bedeutendere Verbreitung, die übrigen dagegen, wie Ulmen, Vogelbeere u. a.,
konmien nur in einzelnen Exemplaren, nicht in zusammenhängenden Beständen
vor. Durch unser Gebiet läuft femer die nördliche Grenze des Obstbaues,
etwa in der Höhe des 61.® n. Br. (Insel Walaam am Ladogasee, Südufer
des Onegasees, Bjelojesee).
Bei der großen Verbreitung, welche die Moore in diesem Gebiet haben,
verlohnt es sich, ihnen eine kurze Betrachtung zu widmen. Da ist zunächst
zu bemerken, daß die große Mehrzahl der Moore zum Typus der Sphagnum-
oder Hochmoore gehören, in deren Vegetation die Moose eine Hauptrolle
spielen, und deren Tätigkeit sich hauptsächlich in der fortschreitenden Ver-
landung zahlreicher Seen ausspricht. Solche in den Wäldern häufigen Hoch-
moore beherbergen gewöhnlich im Zentrum noch den letzten Rest des ehe-
maligen Sees in Form eines Wasserbeckens, das unmittelbar von einer Zone
von Menyanthes trifoliata mit beigemischtem Carex und Eriophorum umgeben
ist. Darauf folgt eine Zone von Sphagnum, dem Hauptelement des Sphagnum-
moores, mit hier und da eingestreuten Oxycoccus palustris, Andromeda poly-
folia und Droseraarten. An den am längsten eroberten Stellen wächst schon
Polytrichum und weiterhin auch Zwergkiefer, und auf trockeneren Stellen auch
Heide (Calluna), Schachtelhalme und Birken. Südlich von der Newa im
Gebiete der Silur- und Devonkalke ist ein anderer Typus — die Gras- oder
Flachmoore — häufig. Vorherrschend sind hier namentlich Sauergraser (Carex-
Arten), daneben auch einige Süßgräser, wie Ccdamagrostis u. a. m. Das kalk-
reiche Wasser verhindert hier die Bildung von Sphagnum\ wird nun das
kalkreiche Wasser nicht erneuert, so kann es zur Bildung eines Hochmoores
auf dem darunter liegenden Grasmoor kommen. Wird aber das Wasser immer
wiefler erneuert, und der Überschuß etwa durch ein Bächlein drainiert, so
t^iil w R'kelt sich bald auf dem humusreichen Boden eine Strauch- und
Baun (Vegetation, bestehend aus Himbeere, Weide, Birke und namentlich
Scbwarzerle.
Die Fauna des Seengebiets beherbergt fast gar keine Tierformen, die
etwa fttr es allein charakteristisch wären. Ziemlich seltene Vertreter der
Waldfauna sind unter den Säugetieren Elch, Renntier, Reh und Luchs. Noch
selteüer sind Vielfraß und Eisfuchs. Häufig dagegen sind Dachs, Baum-
marder, Fuchs, Bär und Wolf, sowie Eichhörnchen und Flughömchen. Süd-
licher, wo die Laubwälder auftreten, ist auch der Siebenschläfer verbreitet.
Ad deD waldigen Ufern der Flüsse hausen Nörz und Fischotter, im südlichen
*k
Das Seengebiet des nordwestlichen Rußland. 277
Teil auch die Wasserspitzmaus. Der den Ladogasee bewohnende Seehund
{Fhoca anneUata) hat keine große wirtschaftliche Bedeutung. In der Fauna
des Feldes nehmen die verschiedenen Vertreter der Familie der Mäuse, dar-
unter im Süden der Hamster, den ersten Platz ein. Sie haben unter den
Nachstellungen der Hunde und des Hermelins zu leiden, welch letzteres seines
Pelzes wegen eifi-ig gejagt wird. Wiesel und Iltis sind häufig, letzterer aber
im Norden fast völlig unbekannt. Der Maulwurf kommt nördlich vom Onega-
see nicht mehr vor, der Igel erreicht nicht einmal die Breite von Petrosawodsk.
Von den zwei Hasenspecies ist der Schneehase überall gleichmäßig verbreitet,
der Feldhase dagegen nur im Süden häufig, im Norden war er bis in die
60er Jahre des letzten Jahrhunderts fast völlig unbekannt.
In der Vogelfauna herrschen die Bewohner des Waldes und der Gewässer
entschieden vor, so daß nur ein Zehntel aller Arten zu den Bewohnern des
freien Geländes gehört So war bis vor etwa 50 Jahren im Gouvernement
Olonetz, dem waldreichsten des Gebiets, das Rebhuhn vollkommen unbekannt.
Häufige und wirtschaftlich wichtige Bewohner der Wälder sind hier Auer-
huhn, Birkhuhn, Schneehuhn und namentlich das Haselhuhn. Letzteres bildet
in Olonetz neben dem Eichhörnchen wohl das wichtigste Objekt der gewerbs-
mäßigen Jagd. Femer sind noch die Waldschnepfe und zwei wilde Tauben-
arten {Cölumba pcUumbus und (7. oenas) zu erwähnen.
Da bei dem großen Formenreichtum der Raubvögel, Wattvögel u. a. eine
eingehende Besprechung hier nicht angebracht erscheint, so mögen nur einige
wichtigere tiergeographische Tatsachen kurz erwähnt werden. Es fällt näm-
lich in unser Gebiet die nördliche Verbreitungsgrenze mancher Vögel, die
weiter östlich nirgends so weit nach Norden gehen. So der weiße Storch,
der bis in die Gegend von Petersburg nistet, der Wiedehopf, Eisvogel, Grün-
specht, die alle im Gouvernement Pskow nisten; dabei sind diese Gegenden
von den genannten Formen relativ unlängst erobert worden, so daß sie eine
deutliche Verlegung ihrer Grenze nach Norden aufweisen.
Von ähnlichen Tatsachen, die sich auf die sehr formenarme Reptilien-
und Amphibienfauna beziehen, sei hervorgehoben, daß der grüne Wasserfrosch
(Rana esculenta) den 59.® n. Br. nicht überschreitet, während die zwei anderen
Arten {R, oxyrrhina und B, plodyrrhina) überall im Gebiete verbreitet sind.
Ebenso findet die Knoblauchskröte schon im Süden des Gebiets ihre Verbrei-
tungsgrenze, während die graue Kröte {Bufo einer ms) überall gemein ist.
Ziemlich selten ist von den zwei Eidechsenarten die Zaimeidechse (Lctccrta
agüis)y viel häufiger die Lacerta vivipara. Die im Süden nicht seltene Ringel-
natter scheint in Olonetz ganz zu fehlen.
Zum Schluß noch einige Worte über die Vertreter der Fischfauna,
welche einen wirtschaftlichen Wert haben. Unter den marinen Formen sind
der Strömling (Meletta vulgaris) und der Hering {Clupea harengus oder
fnembras) zu erwähnen, die im Brackwasser des finnischen Busens häufig
sind, und von denen namentlich der letztere in der Mündung des Narowa-
flusses in großen Mengen gefangen wird. Unter den Süßwasserformen sind
einige Glieder der Karpfenfamilie, wie etwa die Brachsen (Abramis brama)j
und einige Lachse, die zum Laichen in die Süß Wasserbecken einwandern
278
S. Tschulok:
{Coregonus lavaretus, Baeri, fera, cUbula) oder beständig im Süßwasser leben
{Osmerus eperlanus var. spiriuchus\ besonders erwähnenswert. Faunistisch
interessant ist es, daß die wirbellose Fauna des Ladoga- und Onegasees
solche Formen aufweist, wie Idothea entomon, Miosis relicta^ Gammarus loricatus
Pontoporeia affinis und AcanihohhcUa pelecima, welche neben einigen Fischen
zur Vermutung geführt haben, die genannten Seen stellten Überreste eines
sich vom nördlichen Eismeer nach S. erstreckenden Golfes dar, welcher all-
mählich seinen Zusammenhang mit dem Ozean verloren hat und ausge-
süßt wurde.
IV.
Nachstehend sind einige bevölkerungsstatistische Angaben in tabellari-
scher Form mitgeteilt.
Areal
:3S
9
il
Zahl der
Frauen auf
100 Männer
S2
2
9
« a
^ to
3-"
M tu
1-
Es ge-
hören zu
ßCo
Auf 100 Einw.
kommen
^1
9 9
'S!
Petersburg . .
Pskow
Nowgorod . . .
Olonetz
53 768 2 107 691
44 209 1 136 540
122 .H39 |l 392 933
148 764! 366 715
80
97
101
107
105
107
101
111
97
106
107
111
0,50
0,73
0,71
0,81
2,58 2,15
4,17
4,22
2,82
3,03
4,42j3,10
0,43
1,35
1,19
1,32
Für die Volksdichte ergibt sich bei einer Betrachtung der einzelnen Kreise
das Resultat, daß fast die Hälfte des Gebiets, nämlich das ganze Gouverne-
ment Olonetz und die größere, östliche Hälfte des Gouvernements Nowgorod,
eine Volksdichte von unter 10 pro Quadratkilometer aufweist. Die übrigen
Kreise des Gouvernements Nowgorod, die meisten Kreise von Petersburg und
die westlichen waldreichen Kreise von Pskow haben eine Volksdichte von
10 — 30 pro Quadratkilometer. Nur die westliche Hälfte von Pskow und die
der Hauptstadt nahegelegenen Kreise von Petersburg (Peterhof, Zarskoje Sselo)
haben eine Volksdichte zwischen 30 und 70. Schließt man die Stadt Peters-
burg mit 1 267 023 Einw. aus, so weist das Gouvernement Petersburg bloß
eine Volksdichte von 24 auf. Seit dem Jahre 1724 ist die Volksdichte des
Seengebiets auf das SYjfache gestiegen, während sie sich in Süd- und Süd-
ostrußland in derselben Zeit verzehnfacht hat.
Über die ständische Zugehörigkeit der Bevölkerung ist zu bemerken,
daß sich der für das Moskauer Gebiet heiTorgehobene hervorragende Anteil
des Bauernstandes an der Bevölkerung der Städte im Seengebiet nur für das
Gouvernement Petersburg wiederfindet. Den 32% bäuerlicher Bevölkerung
stehen die 66 7o d^^ Stadteinwohner gegenüber. Der industrielle Charakter
der Provinz und Stadt Petersburg gibt sich darin zu erkennen. In den
andern Provinzen des Gebiets sind die Zahlen der nichtbäuerlichen Stände
und der städtischen Bevölkerung entweder im Gleichgewicht, oder es tritt
die gegenteilige Erscheinung ein, daß die Angehörigen der niohtbäuerlichen
Stände auf dem Lande leben. Daß dies besonders klar beim Gouvernement
Pskow auftritt (Nichtbauern 12%, städtische Bevölkerung 6%), deutet auf
Das Seengebiet des nordwestlichen Rußland. 279
die Annähemng an die Verhältnisse des westlichen europäischen Buß-
land hin.
IJm für die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine Grundlage
zu schaffen, mag zunächst die Frage beantwortet werden: In wessen Händen
befindet sich der Boden, der im ganzen etwa 30 Millionen Dessätinen
(a 109,25 Ar) beträgt? Das ist nun für die einzelnen Gouvernements ziem-
lich verschieden: Während im Gouvernement Olonetz, das den dritten Teil
des Gebiets ausmacht, der Staat mit 71 % als vorherrschender Grundbesitzer
erscheint, sinkt der Anteil des Staates am Grundbesitz bis auf 3,6%, wenn
wir das Gouvernement Pskow betreten. Für Nowgorod und Petersburg sind
diese Zahlen 22 7o ^öd 16%. Für das ganze Gebiet berechnet sich der
Anteil des Staates am Grundbesitz mit 39%) cLer der Bauemgemeinden mit
28%; die Privatgrundbesitzer nehmen 30% und die Städte, Klöster u. s. w.
2% der gesamten Bodenfläche in Anspruch. Lassen wir das Olonetzsche
Gouvernement beiseite, so läßt sich die Verteilimg des Bodens in großen
Zügen folgendermaßen charakterisieren: Die Hälfte der Gesamtbodenfläche
findet sich im Privatbesitz, die andere Hälfte verteilt sich zwischen den
Bauerngemeinden und dem Staat, wobei die Bauemgemeinden etwas mehr als
der Staat besitzen (28% in Nowgorod, 19 7o ^^ Petersburg und volle 41%
in Pskow). Unter den Privatgrundbesitzem nunmt der Adel den ersten Platz
ein; fast die Hälfte des in Privatbesitz befindlichen Bodens nennt er sein
eigen. Dann folgt der Kaufmannsstand und die Bauern, die einzeln oder in
Genossenschaften den verschuldeten Adeligen ihre Landgüter abkaufen. Es ist
aber hier im allgemeinen dieselbe Erscheinung zu beobachten wie in anderen
Distrikten Bußlands: Trotz der vielfachen Unterstützungen imd Vergünsti-
gungen, die der Staat den Adeligen gewährt, um dem Thron eine Schar
treuer Anhänger zu sichern (bildet doch die Frage nach den Mitteln zur
Hebung des Adelsstandes einen permanenten Studiengegenstand zahlreicher
Konunissionen), gehen Tausende adeliger Grundbesitzer ihrem wirtBchafüichen
Buin entgegen und gelangen alljährlich Hunderte von Adelsnestem zur zwangs-
weisen Versteigerung. Mit dem neuen Besitzer bemächtigt sich der Gegend
ein neuer Geist. Bald ist mit der alten Herrlichkeit aufgeräumt; und wo vor
kaum 40 Jahren die idyllische Buhe in Wald und Flur nur bei feierlichen
Anlässen durch Jagdhorn und Feuerwerk gestört wurde, da saust die Dampf-
maschine und raucht der Fabrikschomstein. Ob dabei das Volk beglückt
wird, ist allerdings eine andere Frage, denn die Schattenseiten dieser groß-
artigen wirtschaftlichen Umwandlung lassen sich zunächst viel intensiver spüren,
als der beglückende Einfluß gehobener Kultur, den sie herbeizuführen verspricht.
Wo einst der Bauer mit bewunderungswürdiger Ausdauer und Treue die
Bürden des Frondienstes trug, da arbeitet er jetzt mit Frau und Kindern in
den engen unsauberen Fabrikräumen unter den denkbar schlimmsten hygieni-
schen Bedingungen. Der Segen der schönen Fabrikgesetzgebung steht nur auf
dem Papier, die Fabrikinspektoren sind zu einer Kreatur des Polizeidepartements
degradiert. Und wo einst der unbotmäßige Leibeigene auf dem Pferdestall
allergnädigst ausgepeitscht und dann ins Militär gesteckt wurde, da wird heute
auf die friedlich demonstrierenden Scharen der Streikenden gefeuert! ....
280
S. Tßchulok:
Dooh kehren wir zu unseren Zahlen zurück. Im folgenden habe ioh die
vorliegenden Daten über die Verteilung des Grundbesitzes, sowie über den
Anteil der einzelnen Kulturarten am Gesamtareal in einer Tabelle übersicht-
lich zusammengestellt.
^2
55 8)
SB
g.2
So
Eigentum des Staates
„ der Banemgemeinden ....
„ „ Privatgrundbesitzer . .
„ Städte, Klöster u. s. w.
Jiic,
3,6
41,2
63,5
22,6
28,3
45,8
16,3
29,1
62,8
71,0
24,3
3,9
39
28,4
30,6
2,1
Am PrivatffTundbesitz beteiligen sich
die Adeligen mit
„ Bauern mit
„ Kauf leute mit
„ die übrigen Stande mit
Gegenüber dem Besitzstand des Jahres
haben die Adeligen verloren
1877
61 7o
27 „
11 „
26
40 7o
60%
18 „
19 n
20
17%
9 »,
71 n
66
46%
22 „
22 „
10 „
Verteilung des Bodens auf die Kulturarten in
%) des Gesamtareals
Wald
Ackerland
Grrasland
Unproduktiver Boden
Vom gesamten Ackerland besitzen die Banem-
gemeinden
Vom gesamten Grasland besitzen die Bauern-
gemeinden
31,7
26,7
73%
66 „
66
11,7
80%
46,7
12,8
79%
60,6
6
97%
96 „
63%
11 ,,
11 „
26 „
80%
67 „
Die Bodenpreise sind seit den 60 er Jahren ge-
en um
400%
500 %
230 7,
Die Betrachtung der Tabelle ergibt neben anderem, daß der Staat über
die Hauptmasse der Waldfläche verfügt, namentlich im dünnbevölkerten Gou-
vernement Olonetz. Die im bäuerlichen Grundbesitz am stärksten vertretenen
Kulturböden sind dagegen Acker- und Grasland; daraus folgt, daß die Land-
wirtschaft eine der wichtigsten Erwerbsquellen der ländlichen Bevölkerung
bildet. Bei den Privatgrundbesitzem bildet das Ackerland nur 6 7© i^^res
Grundbesitzes, bei den Bauern 31 7o- I^i© Privatgrundbesitzer haben dem-
gegenüber 60 7o Waldbesitz. Die Waldwirtschaft liegt also in den Händen
der Privatgrundbesitzer, die Bauemgemeinden treiben mehr oder weniger aus-
schließlich Ackerbau.
Eine Betrachtung der Ergebnisse des Ackerbaus in unserem Gebiet ist
sehr lehrreich. Der durchschnittliche jährliche Ertrag (unter Zugrundelegung
der Jahre 1884—1898) berechnet sich zu etwa 26 Mill. Pud Roggen; für
den Konsum der etwa 3 400 000köpfigen ländlichen Bevölkerung sind 41 Mill.
Pud erforderlich (12,1 Pud pro Kopf). Somit müssen etwa 15 Mill. Pud,
oder 47^ pro Kopf angekauft werden, was bei den hier herrschenden Brot-
preisen etwa 14 Mill. Rubel erfordert. Diese Ausgaben werden aus dem
Ertrag des Lein- und Haferbaus bestritten. Die etwa 2,2 Mill. Pud Leinfaser
ergeben einen Erlös von ca. 8 Mill, (3,70 Rubel pro Pud) und die 26 Mill.
Das Seengebiet des nordwestlichen Rußland.
281
Pud Hafer einen solchen von 18 Mill. Rubel. Nach Abzug der 14 Mül.
Rubel, die nach obigem för den mangelnden Roggen ausgegeben werden,
bleiben also bloß 12 Mill. Rubel übrig, die selbstverständlich für sämtliche
übrigen Ausgaben des Haushalts nicht ausreichen (weniger als 3 Rubel pro
Kopf jährlich!). Es müssen also die landwirtschaftlichen Nebengewerbe in
die Lücke treten, deren Notwendigkeit sich auch aus folgender Betrachtung
ergiebt: Eine Familie aus 6 Mitgliedern, darunter 3 erwachsene arbeitsfähige
Personen, kann unter den hier herrschenden Kulturverhältnissen eine Saat-
fläche von 7 Dess. bearbeiten; die gesamte Saatfläche mit 1725 000 Dess.
beansprucht also die Arbeit von rimd 750 000 Arbeitern. Nimmt man die
ganze arbeitsfähige Bevölkerung zu 1 700 000 an, nämlich die Hälfte der ge-
samten ländlichen Bevölkerung, so müssen 900 000 Arbeiter für ihre Arbeits-
kraft eine andere Betätigung suchen.
Da konunt vor allem der gewerbsmäßige Gemüsebau in Betracht, der
an manchen Orten, namentlich in der Nähe der Residenz eine große Aus-
dehnung gewinnt; dann der Obstbau, das Einsammeln von Pilzen und Beeren,
die Imkerei. Die Viehzucht ist ziemlich schwach entwickelt, jedoch im Steigen
begriffen. Die Zahl des Groß- und Kleinviehs beträgt in:
Peters-
burg
Pskow
Now-
gorod
Olonetz
auf 100 Einwohner
26
14
■ ■
99
31
79
13
93
anf 100 Dess. produktiven Bodens
4
Das Vieh ist im allgemeinen klein und schwach. Das Durchschnitts-
gewicht eines Rindes im Gouvernement Pskow beträgt nur 200 — 240 kg.
Im Gouvernement Olonetz hat die Viehzucht noch sehr viel unter den Raub-
tieren zu leiden, welche in einem Jahre bis zu 4000 Köpfe töten. Die
Milchwirtschaft beschäftigt im Gouvernement Petersburg 3500 Bauemfamilien ;
der Ertrag einer Kuh steigt bis zu 75 Rubel im Jahr; in den entfernteren
Distrikten wird die Kälbermast von mehreren Tausenden Bauernhöfen be-
trieben. Die Schaf- und Schweinezucht sind kaum erwähnenswert.. Mit Pferden
sind die Bauern dieses Gebiets etwas reichlicher versehen, als etwa im Moskauer
Industriegebiet. Trotzdem sind aber auch hier in Olonetz 15%, in Now-
gorod und Pskow 16 7o ""^ ^^ Petersburg sogar 23 7o pferdelose Bauern-
höfe verzeichnet worden.
Bei dem großen Seenreichtum spielt die Fischerei die Rolle eines wich-
tigen Erwerbszweiges. Es werden im ganzen jährlich über 6 Mill. Pud
(a 16 kg) gewonnen, wobei die jährliche Produktivität einer Dessätine auf
ca. 2 Pud geschätzt wird, was etwa 180 Pud pro Quadratkilometer Wasser-
fläche ausmacht.
Vor allem ist die Fischerei in Olonetz von Bedeutung, wo die Seen fast
ein Siebentel des Gesamtareals einnehmen — auf das genannte Gouvernement
entfallen 60 7o ^^s Gesamtertrages. Nach Deckimg des eigenen Bedarfes
werden von hier aus für etwa 150 000 Rubel Fische in den Handel gebracht.
Von den hier vorkommenden Arten sind besonders wichtig: Flußbarsch (^Perca
fluviatiUs)^ Kaulbarsch (Ädrina ceruna)^ Quappe (Loia vulgaris)^ Brachsen
282 S. Techulok:
(Abramis brama\ Maräne (Coregonus tnaraena)^ Schnäpel (Coregonus oxyrhin-
chus\ Lachs (Salmo solar) ^ Hecht {Esox lucirn) und Stint {Osmerus eperlnnus).
Die Ausfuhr befindet sich in den Händen der Zwischenhändler, die den
Fischern in Zeiten der Not Geld vorschießen, um dann den Ertrag des
Fanges zu den denkbar billigsten Preisen für sich in Anspruch zu nehmen.
Auch im Gouvernement Petersburg gibt es ganze Dörfer, die ausschließlich
von der Fischerei leben. Im Peipussee zeigt sich in Folge des rücksichtslosen
Fanges der laichenden Fische eine merkliche Abnahme des Fischreichtums,
weshalb das Zemstwo (Landschaftsvertretung) von Pskow und Petersburg die
Initiative einer gesetzlichen Regelung des Fischfanges ergriffen hat. Auch
hat sich in letzter Zeit das Ackerbauministerium und die kais. russ. Fischerei-
Gesellschaft durch Vermehrung der Fischbrutanstalten der notleidenden Fischerei
angenommen. Der Fang wird meist von kleineren Genossenschaften („Artel")
betrieben, wobei der Besitzer der Netze die Hälfte des Ertrages ftlr sich in
Anspruch nimmt, während sich die übrigen 15 — 24 Teilnehmer mit der
anderen Hälfte begnügen. An anderen Orten ist diese primitive Organisation
schon vor der modernen, rein kapitalistischen gewichen.
Auch die gewerbliche Jägerei hat ihre größte wirtschaftliche Bedeutung
im waldreichen Olonetzgebiet, wo etwa 70 000 Bauern damit beschäftigt sind.
Allein in Kargopol werden jährlich 2 Mill. Eichhömchenpelze bearbeitet, wobei
Hunderte von Bauern töchtem bei 12 stündiger Arbeitszeit mit 10 — 15 Pfennig
Tageslohn beschäftigt werden. Weitere Jagdobjekte sind: Bär, Wolf, Fuchs,
Marder und Hase. Welche Rolle die Zwischenhändler auch hier spielen, ist
aus dem Umstände zu ersehen, daß sie vom Volke direkt „die Plünderer"
genannt werden.
Um die Übersicht über die Gewinnimg der Rohprodukte abzuschließen,
mag noch erwähnt werden, daß das in Rede stehende Gebiet mit Mineral-
schätzen verhältnismäßig reichlich bedacht ist. Namentlich sind es Eisen-
erze, die in der Form von Sumpf- und Seeerz in Olonetz eine weite Ver-
breitung haben. Auch Magneteisen und Eisenglanz kommen vielfach vor.
Seit dem Jahre 1702 war der Staat unermüdlich um die Förderung der
Metallgewinnung besorgt. Die Hauptstadt von Olonetz, Petrosawodsk, nahm
ihren Ursprung von einer der staatlichen Gießereien. Doch ist auch heute
noch die Produktion keineswegs groß. Im Gouvernement Petersburg hat
dagegen die Gewinnimg des Kalksteins für Bauzwecke einen großen Auf-
schwung genommen und wird in manchen Distrikten auf kapitalistischer Basis
betrieben. Guter feuerfester Ton wird im Gouvernement Nowgorod ge-
wonnen, Torf in großen Mengen eigentlich erst in neuester Zeit unweit von
Petersburg, wo eine Fabrik über ein 5000 Dessätinen umfassendes 1 — 2 m
mächtiges Torflager verfügt. Es werden von der Dessätine im allgemeinen
bis zu 1,200 Kubikklafter gewonnen.
Der große Waldreichtum und die zahlreichen Flüsse und Kanäle, die
das Gebiet zum Durchgangsland stempeln, bedingen es, daß ein großer Teil
der ländlichen Bevölkerung beim Export des Holzes und beim Schiffsverkehr
schäftigung findet. Der dadurch erzielte Verdienst ist aber sehr gering
35 — 40 Rubel im Jahr) und die Ausbeutung der Arbeiter durch die
Das Seengebiet des nordwestlichen Rußland. 283
Werkflihrer grenzenlos. Erwähnenswert ist, daß an der überaus schweren
Arbeit des Auf- und Abiadens der Schiffe das weibliche Geschlecht mit 40 7o
der Gesamtzahl beteiligt ist, sowie daß unter den 2000 Personen, die im Gou-
vernement Petersburg beim Ziehen der Lastschiffe in den Kanälen beschäftigt
sind, 25 7o Minderjährige sind.
Die Hausindustrie hat im Seengebiet keine so große Bedeutung erlangt,
wie etwa im Moskauer Industriegebiet. Am meisten entwickelt ist sie in
Nowgorod und Petersburg, am wenigsten in Pskow. Sie erstreckt sich auf
Holzbearbeitimg, Textil-, Metallbearbeitung, Verarbeitung von Mineralstoffen
und tierischen Produkten und andere Branchen. Die Lage des Hausindustriellen
ist überaus beklagenswert: Bei der Beschaffung des Rohmaterials steht ihm
keine Kreditgenossenschaft zur Seite; keine Gewerbeschule sorgt für eine
höhere Ausbildung seiner Fertigkeiten, weshalb die Fabrikate äußerst niedrig
bewertet werden und nur die bescheidensten Ansprüche zu befriedigen ver-
mögen; nie vermag er mit dem Konsumenten in direkte Verbindung zu treten:
das alles ist eine Folge der Ausbeutung durch den Zwischenhändler und
macht einen weiteren Fortschritt immöglich. Zwar versuchte das Zemstwo
(Landschafts Vertretung) Abhilfe zu schaffen, aber die Geldmittel und die
Wirkungssphäre dieses einzigen russischen Selbstverwaltungskörpers werden in
letzter Zeit so sehr eingeschränkt, daß er auch nach dieser Richtung kaum
eine größere Wirksamkeit entfalten kann.
Die Großindustrie des Gebiets ist eigentlich auf das Gouvernement
Petersburg beschränkt. Von der etwa 200 Mill. betragenden Gesamtproduktion
der Fabriken entfallen 95% a^^ <ias Gouvernement Petersburg. Nowgorod
ist mit 37j7o» Pskow und Olonetz mit je 1% beteiligt. An erster Stelle
steht die Bearbeitung der Baumwolle, die etwa 22% der Gesamtproduktion
ausmacht und über 20 000 Arbeiter beschäftigt; ihr gegenüber treten die
übrigen Zweige der Textilindustrie (Wolle, Leinfaser u. a.) mit einem Anteil
von 8% und etwa 9000 Arbeitern zurück. Die zweite Stelle nimmt die Metall-
bearbeitung ein, welche 20 7o ^^^r Gesamtproduktion und etwa 20 000 Ar-
beiter aufweist. An dritter Stelle kommt die Industrie der Nahrungs- und
Genußmittel (18% der Gesamtproduktion und 15 000 Arbeiter), dann folgen:
Chemische Industrien (10 7o ^^^ 8000 Arbeiter), Papierfabrikation und poly-
graphische Industrien (8 % und 10 000 Arbeiter), Verarbeitung von tierischen
Produkten (8 7o ^"^ 5000 Arbeiter) u. s. w. Die Gesamtzahl der Fabrik-
arbeiter wird zu 105 000 angegeben, darunter 27% Frauen (in der Textil-
industrie 43 — 48 7o) ^^^ ®*'Wa 7% Minderjährige und Kinder. .
Die „auswärtigen Gewerbe" spielen in diesem Gebiet keine so große
Rolle wie im Moskauer. Doch sind auch hier 10 7o ^^r Gesamtbevölkerung,
oder 20% der erwachsenen arbeitsfähigen Bevölkerung darauf angewiesen,
alljährlich für längere oder kürzere Zeit ihre Dorfgemeinde zu verlassen und
in mehr oder weniger weit entlegenen Städten und Landgütern, vor allem
aber in der Residenz, Arbeit zu suchen. Die Auswanderung läßt sich zeit-
lich in zwei Hauptwellen auseinanderhalten: nach Abschluß der Feldarbeit,
im August bis September ziehen diejenigen aus, die im Winter in den Städten
irgend eine Beschäftigung zu finden hoffen (als Hausgesinde, Fuhrleute, Hand-
284 S. Tschulok: Das Seengebiet des nordwestlichen Rußland.
langer, Fabrikarbeiter u. s. w.); im April wandern diejenigen, die einerseits bei
den städtischen Sommerarbeiten (beim Bau und der Ausbesserung der Häuser
und beim Straßenpflastem), anderseits bei dem intensiven Verkehr auf den
Wasserstraßen und endlich bei den landwirtschaftlichen Arbeiten der großen
GutsheiTcn ihren Nebenverdienst suchen. Daß es bei dieser völlig ungeord-
neten Bewegung nicht allen glückt, zeigen die Schiffbrüchigen, die zuweilen
allein mit Hilfe des Betteins ihren Heimweg zurückzulegen vermögen. Hin
und wieder werden die Scharen der zu Fuß heimkehrenden Landarbeiter von
vorüberrollenden leeren Güterzügen eingeholt: ein Platz wird ihnen nicht ge-
boten, obwohl sie das Fahrgeld in Form von „staatlicher Subvention an die
Eisenbahn" sicher bezahlt haben!
Geographische Neuigkeiten.
Allgemeines.
♦ Ein Staub fall, ähnlich dem vom
März 1901, ist vom 21. bis 28. Februar
1903 in Mitteleuropa niedergegangen.
Soweit sich bis jetzt hat feststellen lassen,
wurde der Staubfall in Wales und Süd-
england, Nordfirankreich, Belgien, Holland,
Schweiz, Österreich, Deutschland und
Dänemark beobachtet. Bei uns in Nord-
deutschland trat dieser Staubfall etwas
anders auf als im März 1901; er wurde
nicht bloß durch Niederschläge herab-
gebracht, sondern die staubführende Luft-
schicht, die meist als gelbliche Nebel-
wolke geschildert wird, senkte sich bis
zum Erdboden herab, machte die Luft
sehr undurchsichtig und brachte den
Staub durch offene Fenster in die Wohn-
räume herein. An verschiedenen Orten
im östlichen Teile des Staubfallgebietes
scheint zweimal Staub gefallen zu sein,
in der Nacht vom 21. zum 22. und in der
nächstfolgenden Nacht bezw. am friihen
Morgen des 23. Februar. In ursächlichem
Zusammenhange mit dem Staubfall steht
offenbar die plötzliche Steigerung der
Temperatur und das Sinken der relativen
Feuchtigkeit, das zum erstenmal in der
Nacht vom 21. zum 22. und dann noch
stärker in den Tagesstunden des 23. ein-
trat. Die Temperatur stieg rasch auf lo
bis 18 **, die Feuchtigkeit sank bis zu 40 7,„
und man hatte allgemein das Gefühl,
plötzlich nach viel südlicheren Regionen
versetzt zu sein. Am folgenden Tage, am
24. Februar, war Temperatur und Feuch-
tigkeit auf die normalen Werte zurück-
gegangen^ ohne daß die Windrichtung
sich wesentlich geändert hatte. Aus Nord-
deutschlandstammende Staubproben sehen
fast genau so aus wie diejenigen des
Staubfalles vom März 1901, dessen afri-
kanische Herkunft als erwiesen angenom-
men werden darf; auch eine sehr gute
Staubprobe, die Forel aus Couvet im Jura
von dem daselbst am 22. Februar ge-
fallenen Staube erhalten und untersucht
hat, führt zu der Annahme, daß der ge-
fallene Staub afrikanischen Ursprungs ist.
Der Weg, den der Staub von seinem Ur-
sprungsorte nach dem Niederschlagsgebiete
genommen hat, unterscheidet sich aber
wesentlich von dem geraden und ein-
fachen Weg von S. nach N. im März 1901.
Da nämlich Italien selbst vom Staubfall
nicht betroffen wurde und am Tage des
Staubfalles südlich vom Staubfallgebiet
eine weite Zone hohen Luftdrucks lag,
kann der Staub den einfachen südnörd-
lichen Weg nicht genommen haben, man
muß vielmer annehmen, daß der Staub
durch den starken und breiten südwest-
lichen Luftstrom herangeführt wurde, der
an jenen Tagen ganz Mitteleuropa über-
wehte und vielfach stürmisch auftrat. Es
ist im höchsten Grade wahrscheinlich, daß
der Staub auf einem großen Umwege aus
Afrika zu uns gelangt ist, nämlich im
weiten Bogen um das über der Iberischen
Halbinsel lagernde, ungewöhnlich hohe
Maximum. Am 18. und 19. Februar lag
zwischen Madeira und den Kanarischen
Inseln eine Depression, die nordwärts zog,
und sich bereits am 21. mit einer die
Geographische Neuigkeiten.
285
Azoren berührenden Södwestströmung ver- |
einigt hatte. Führte also jener von den
Kanaren nordwaxts ziehende Lnftwirbel
Stanb mit sich, dann konnte dieser anch
in der angedeuteten Weise nach Mittel-
europa transportiert werden. Briefliche
Nachrichten aus Orotava auf Tenerifa,
nach denen am 19. Febr. ein ungewöhn-
lich heftiger Staubsturm auf Tenerifa
herrschte, bestätigen diese Annahme und
damit die Richtigkeit der Hypothese.
Nach diesen vorläufigen Ergebnissen kann
man schon als erwiesen annehmen, daß
Staub, Wärme und Trockenheit vom 21.
bis 23. Februar 1903 in Mitteleuropa afri-
kanischen Ursprungs waren. (Met. Zeitschr.
1903. S. 133.)
♦ Auf Veranlassung des Herrn Prof.
Dr. 0. Fetter ßon in Stockholm sind
während des Jahres 1900 im Genfer See,
Loch Katrine, Wetternsee, Mjösensee,
Ladogasee und Enaresee in den vier
Jahreszeiten gleichzeitige Unter-
suchungen der Wärmeverteilung
vorgenommen worden, über welche Forel
in den Archives des sc. phys. et nat.
4»ne p. t. XII und Petterßon in der k.
Svenska Vet. Akad. Handlingar Bd. 28
(1902) berichtet haben. Die beiden be-
merkenswertesten Resultate sind, daß die
nördlicher gelegenen Seen im Laufe des
Sommers mehr Wärme erhalten haben
als diejenigen in mittlerer Breite gelegenen
und daß die jährlichen Schwankungen in
der Wärme des Wassers bei dem Genfer
See schon zwischen 100 — 150 m Tiefe
aufhören, während sie in den nördlicheren
Seen weit tiefer herabgehen und zum Teil
selbst auf dem Grunde des Sees nicht
endigen. Im Enaresee erreicht die jähr-
liche Differenz der Temperatur in einer
Tiefe von nur 80 m den enormen Betrag
von 8,4 ^ während sie beim Genfer See
in derselben Tiefe nur 0,3** beträgt.
Diese unerwarteten Resultate werfen auf
gewisse Erscheinungen der Elimatologie
ein ganz neues Licht und haben selbst
einen Meteorologen wie W o e i k o f f (Zeit-
schrift für Gewässerkunde V, 4) in großes
Erstaunen versetzt. Die Resultate gleich-
zeitiger thermischer Untersuchungen in
Meeresteilen sind weniger greifbar, weil
durch die Meeresströmungen und den
Wechsel der Salinität die Ursachen der
Wärmeverteilung zu sehr kompliziert
werden. W. H.
Deutsetaland und Nactabarländer.
* Gleichzeitig mit der VII. Versamm-
lung deutsch er Historiker zuHeidel-
berg vom 14. bis 18. April d. J. hielten
die landschaftlichen Publikations-
institute Konferenzen ab, unter Lei-
tung von Prof. Lamprecht, der einen
Überblick über das bisher Geleistete gab
und vor allem die Erweiterung vom Linear-
Problem der Grenze zum Flächen-Problem
forderte und als Ziel die Vereinigung
beider Probleme hinstellte. In das bisher
schon Erreichte gewährte eine sehr lehr-
reiche Ausstellung historischer
Kartenwerke und ihrer Erläuterungen
einen guten Einblick, zeigte aber auch,
daß die Probleme bisher von den ver-
schiedensten Stellen in ganz verschiedenem
Sinn zu lösen versucht wurden. Die
Gesellschaft für rheinische Geschichts-
kunde hatte historisch-statistische Grund-
karten von Gebieten der heutigen Rhein-
provinz ausgestellt, die in dem bunten
Flächen- und Streifenkolorit die frühere
territoriale Zersplitterung der Rheinlande
deutlich zur Anschauung brachten; die
Arbeitsweise und die methodischen Grund-
sätze wurden durch Referate von Prof
Hansen aus Köln, Dr. Fabricius aus
Darmstadt, Dr. Forst aus Zürich erläu-
tert. Privatdozent Dr. Kötzschke aus
Leipzig erklärte die für Teile der Provinz
Sachsen, besonder« den Nord-Thüringgau
von der Stadt Quedlinburg herausgegebenen
Wüstungskarten, die das Terrain in Höhen-
schichten, die verlassenen oder zerstörten
Siedelungen jeder Art durch rote Signa-
tur geben, und bot dann einen sehr lehr-
reichen Überblick über die Kartographie
der Gebiete des ehemaligen Kurfürsten-
tums und heutigen Königreichs Sachsen,
wo schon vor 200 Jahren eine syste-
matische Landesaufnahme stattgefunden
hatte, die für die jetzt vom historisch-
geographischen Institut der Universität
Leipzig unter Leitung des Referenten in
Angriff genommene Bearbeitung der histo-
rischen Grundkarte Kursachsens eine von
anderen deutschen Landschaften sehr ent-
behrte, allerdings nur z. T. unbedingt
zuverlässige Grundlage abgibt. Das würt-
tembergische statistische Landesamt hatte
Flurkarten ausgestellt, Prof. Thudichum
in Tübingen rechtsgeschichtliche Grund-
karten der oberen Main- und Neckar-
gegenden, Prof. Lorentzen in Heidel-
286
Geographische Neuigkeiten.
berg eine Gan-Earte der unteren Main-
Neckargegenden ums Jahr 1000. Am leb-
haftesten aber wurde das Interesse des
Geographen erregt durch die von Prof.
Eduard Richter veranstaltete Ausstel-
lung, die zeigen sollte, wie im Grazer
geographischen Institut am historischen
Atlas der österreichischen Alpenländer
gearbeitet wird und wie das Werk allmäh-
lich entsteht; bis jetzt liegt Blatt Salzburg
(mit Erläuterungen von Richter) vollendet
vor. Diese Karten geben keine Abgren-
zung einzelner Territorien, sondern stellen
die alten Landgerichte dar, die Einheiten
der Kriminalgerichts- Verwaltung, die auf
die alten Grafschaften und damit wieder
auf Zenten der alten Gaue zurückgehen.
Die hier ausgestellten vollendeten, vor
allem aber die noch in Arbeit befind-
lichen Blätter ließen die durch Aufnahme
der Geländedarstellung in die hi-
storischen Karten gerade für ältere
Zeiten so wichtige Bedeutung der Boden-
beschaffenheit ins hellste Licht treten.
Prof. V. Zwiedineck-Südenhorst gab
die nötigen Erläuterungen. Übrigens
hofft Richter auf dem Kölner Geogra-
phentag über seinen Atlas selbst sprechen
zu können; dann werden auch die Geo-
graphen von Fach Einblick in dies schöne
Werk nehmen. F. Th.
Übriges Europa.
♦ A.DelebecquehatseineForschungen
über Spuren ehemaliger Vergletsche-
rung im französischen Jura (vgl.
Geogr. Zeitschr. Bd. VI. S. 640) fortgesetzt
und auf das Flußgebiet des Ain ausge-
dehnt. Dasselbe ist nach ihm der Schau-
platz zweier zeitlich auseinanderfallender
glacialer Erscheinungen gewesen. Die erste
zeigt sich in Ablagerungen von Moränen
in den Tälern des Ain und seiner beiden
Zuflüsse, der Bienne und des Oignin,
welche sich bis 60 m über dem Lac de
Chalain erheben, der mit ihnen gleich-
zeitig entstanden zu sein scheint. Diese
Ablagerungen bilden eine nahezu kom-
pakte Masse, besitzen aber weder End-
moränen noch fluvioglaciale Terrassen. Die
zweite glaciale Erscheinung wird charak-
terisiert durch einen Stillstand der Glet-
scher des Ain, des H^risson, der Syr^ne
und des Drouvenant in der Combe d'Ain,
welche die moränenartigen Ablagerungen
^erkstelligen, die zur Bildung der Seen
von Chamblj, Val, Clairvaux und Nantua
führten und deren Spuren auch an einem
erloschenen See im Tal der Seille deut-
lich sichtbar sind. Es bleibt ungewiß,
ob diese Endmoränen einer besonderen
Vergletscherungsperiode angehören oder
nur Etappen im Rückzug einer allgemei-
neren Eiszeit bedeuten. W. H.
Asien«
t Eine Elbrusbesteigung. Oberst-
leutnant Nowizki hat nach einem in der
Kais. Russ. Geograph. Gesellschaft ge-
haltenen Vortrag im vorigen Jahre von
Kislowodsk aus zwei Touren zum Elbrus
gemacht : die erste zum Studium der End-
moränen der Gletscher; die zweite mit
der von Erfolg gekrönten Absicht, den
Gipfel des Berges zu erreichen. Er traf
am 20. August im Dorf Urusbiewo ein,
mietete hier Führer und Träger — was
bei der mangelnden Neigung der Gorzen,
die Bergriesen zu erklettern, einigermaßen
schwer hielt — und trat am 28. den Auf-
stieg an. Der Weg führte über nackten
Fels und Trümmerfelder bis zur unteren
Schneegrenze in einer Höhe von 8600 m;
hier wurde genächtigt. Bei noch voll-
kommener Dunkelheit wurde am andern
Morgen aufgebrochen und das ausgedehnte
Schneegebiet betreten. War auch bei der
geringen Zahl ganz steiler Flächen und
dem gänzlichen Fehlen von Gletscher-
spalten der Aufstieg nicht allzu gefähr-
lich, so bereitete doch die Ausdehnung des
Schneegebietes nicht geringe Schwierig-
keiten, weil das Steigen in dem lockeren
und nach Sonnenaufgang an der Ober-
fläche tauenden Schnee überaus ermüdend
war. Dazu erzeugten die dünne Luft und
die sengende Hitze der Sonnenstrahlen
brennenden Durst. Stellenweise mußten
die Bergsteiger nach 40 — 50, ja sogar
nach 10 Schritten anhalten. In etwa
4600 m Höhe wurde die letzte größere
Rast gemacht und alsdann mit neuen
Kräften die letzte Strecke erklettert.
Nach genau zwölfstündigem Marsch wurde
der eine Gipfel des Elbrus erreicht. Beide
Gipfel, erloschene Krater, sind knapp
1 Yj km von einander entfernt. Der Durch-
messer des westlichen Kraters ist etwa
500 m, der des anderen 300 m groß ; ersterer
liegt etwas höher. Der Blick vom Elbrus
enttäuscht etwas. Nur nach Osten ist die
Aussicht gut; man hatte endlose Schnee-
Geographische Neuigkeiten.
287
Felder bis zum Kasbek vor sich, im Westen
erschien ein Streifen des Schwarzen Meeres.
— Kurz nach 3 Uhr v/urde der Abstieg
angetreten, wobei es sich als sehr schwierig
erwies, den eigenen Sparen zu folgen.
Erst mit einbrechender Dämmerung ge-
langte Nowizki zur Stelle seines Nacht-
lagers, am folgenden Tage zum Ausgangs-
punkt seiner Bergfahrt, ürusbiewo. („In-
valid" 48. 03.) T.
i¥ Im Frühjahr und Sommer dieses
Jahres sollen die Vorarbeiten für eine
Wegeverbindung zwischen Jakutsk
und dem Hafen Ajan am Ochotski-
schen Meere ausgeführt werden. Sie sind
einer Expedition unter dem Civil Ingenieur
Popöff übertragen, welcher dafür 4000
Rubel erhält. Die Arbeiten werden ^ich
vornehmlich auf die Erkundung eines
fahrbaren Weges zwischen Ajan und
Nelkan an der Maja (einem schiffbaren
Nebenfluß des Aldan, welcher etwa 130 km
unterhalb Jakutsk in die Lena mündet)
zu erstrecken haben. Hier ist das
Jablonowy-Gebirge, die auf 760—1300 m
Kammhöhe nahe dem Meere verlaufende
Wasserscheide zwischen dem Ochotski-
schen Meere und dem Lenasjstem, zu
überschreiten, während die Strecke von
Nelkan ab auch zu Lande geringere
Schwierigkeiten bietet und von Ustj-
Maiskaja, der Mündung der Maja, bereits
ein Weg bis Jakutsk vorhanden ist.
Eine direkte fahrbare Wegeverbindung
von Jakutsk nach dem Meere und zwar
nach Ajan, als dem besten Hafen, ist von
der größten Wichtigkeit für das von der
Natur so stiefmütterlich bedachte Gouver-
nement Jakutsk. Dem entsprechend ist
über den des öfteren bereits durch Expe-
ditionen studierten Ajan-Trakt eine kleine
Literatur entstanden und im Jahre 1894/95
ein detailierter Voranschlag für einen fahr-
baren Landweg Nelkan-Ajan aufgestellt
worden. Die Kosten dafür sollten sich
auf reichlich 400000 Rubel belaufen. („In-
valid".) T.
Afk'ika.
i< Die Erforschung des Tuareg-
Plateaus in der West-Sahara, welche
seit der Niedermetzelung der Expedition
Flatters i. J. 1881 vollständig geruht hat,
hat in den letzten Jahren in Folge des be-
waffneten Vordringens der Franzosen von
Algerien in der Richtung auf Timbuktu
schnelle Fortschritte gemacht. Nachdem
erst auf Seite 226 über eine Erkundung
des Muidir-Plateaus berichtet worden ist,
bringen jetzt die Annales de Geographie
(1903. S.184) Mitteilungen über eine Reise
in den zentralsten Teil des Tuareg-Massivs.
Auf einer Strafexpedition begriffen, drang
der Leutnant Guillo-Lohan von In-
Salah südlich über Ideles, Tazerout, durch
das Tal des Tin Tarabin nach Taman-
rasseh im Süden von Atakor n'Ahaggar,
dem Kulminationspunkt des Plateaus, vor
und durchquerte damit das Tuareg-Plateau
in nordwest-südöstlicher Richtung. Auf
dem Rückmarsch durchschritt Guillo-
Lohan das Massiv von Atakor n^Ahaggar
von Süd nach Nord und beendete in In
Amguel die Expedition nach zweieinhalb-
monatlicher Dauer. Obschon genauere
Nachrichten über die wissenschaftlichen
Ergebnisse der Expedition noch nicht vor-
liegen, so läßt doch die große Zahl der
mitgebrachten Photographien undQesteins-
proben einen wesentlichen Fortschritt un-
serer Kenntnis der Sahara erwarten. Die
Höhe des Berges Häman in Atakor n*Aha-
ggar, der bis zu 2600 m erstiegen wurde,
schätzt der Reisende auf mehr als 3000 m.
Für die Trockenheit und den Wüsten-
charakter der durchreisten Gegend mag
als charakteristisch erwähnt werden, daß
Guillo-Lohan in In Amguel infolge hef-
tiger Regengüsse und plötzlicher Wasser-
hervorbrüche in den Wadis zeitweilig am
Weitermarsch verhindert wurde; auch sah
er große Herden von Schafen, Rindvieh
und Kamelen.
♦ Zur vollständigen Erforschung
des noch unbekannten Oberlaufes des
Blauen Nils hat sich im März der Eng-
länder Mac Millan nach Abessinien ein-
geschifft. Es handelt sich hierbei um die
im abessinischen Hochlande gelegene
Flußstrecke zwischen dem Tana-See und
Famaka, die zwar schon öfters und an
verschiedenen Stellen von Forschungs-
reisenden überschritten worden ist, deren
Verlauf im einzelnen und deren Fluß-
charakter aber noch in Dunkel gehüllt
ist. Durch die vom Tana-See flußabwärts
bis zur Einmündung in den Weißen Nil
beabsichtigte Reise soll besonders fest-
gestellt werden, ob der Fluß auf dieser
ungefähr 1000 englische Meilen langen
Strecke schiffbar ist und ob auf diesem
Wege eine Verbindung zwischen dem
ägyptischen Sudan und dem zentralen
288
Geographische Neuigkeiten.
Abessinien hergestellt werden könnte. Da
aber der Tana-See in 1750 m und Famaka i
in 640 m Meereshöhe liegt, hat der Fluß
innerhalb des abessinischen Hochlandes
eine Höhendifferenz von 1110 m zu über-
winden, muß also ein sehr starkes Gefälle
haben, das eine Flußschiffahrt hier kaum
zulassen wird. Mac Mi Hau führt vier
Stahlplattenboote mit sich, die mit luft-
dichten Abteilungen versehen und daher
besonders schwimmfö.hig sind; diese wer-
den auf Maultieren zum Tana-See trans-
portiert und von hier aus wird dann die
Fahrt flußabwärts nach Chartura ange-
treten werden.
♦ Die zur Erforschung und Er-
schließung des Kamerun-Schutz-
gebietes ins Werk gesetzten Unter-
nehmungen sind glücklich zu Ende geführt
worden. So hat die im September v. J.
durch das Kameruner Eisenbahn-Syndikat
nach Kamerun entsandte Forschungs-
expedition (s. G. Z. 1902. S. 650) ihre
Arbeiten unter der Führung des Stations-
leiters Romberg und der Regierungs-
baumeister Neumann und Reichow
nach Überwindung großer Hindemisse
glücklich und erfolgreich beendet. Die
Expedition hat die ganze Balistraße bis
nach Tinto-Bafut sowie das Bakossi- und
Manengubagebiet bis zum Beginn des
Graslandes im Nordwesten der Kolonie
untersucht und die Trassierung einer
Strecke von rund 360 bis 400 km der zu
erbauenden Eisenbahn vollendet. Auf
ihrem Marsche sind weite Strecken bis-
her ganz unerforschten Gebietes durch-
quert worden. Sie fand im Innern des
Schutzgebietes überall sehr fruchtbares
Land und eine zahlreiche aufgeweckte,
wohlhabende Bevölkerung. Die Arbeiten
der Expedition haben ergeben, daß in
dem unerforschten Gebiet alle Grund-
lagen für die Ertragsfähigkeit der zu er-
bauenden Eisenbahn in reichem Maße-
vorhanden sind. Auch in technischer
Hinsicht liegen die Verhältnisse recht
günstig. Die {Expedition hat auch be
deutsame geographische Ergebnisse ge
liefert. Sie befindet sich zur Zeit zum
Studium der großen Kongo-Eisenbahn im
Kongostaat und wird alsbald die Heim-
reise antreten.
Die Expedition des deutschen Niger-
Benue-Tschadsee-Comitds, die sich mit
90 TiUgern Anfang September in Garua
in Bewegung setzte (s. G. Z.. 1902. S. 598),
hat, wie die Kolonialgesellschafb femer
mitteilt, nun den zweiten Teil ihrer Auf-
gabe, nämlich die Bereisung und Er-
forschung der Gegenden um den oberen
Benue, erfüllt. Mitte Dezember traf die
Expedition, ohne wesentliche Zwischen-
fälle gehabt zu haben, in Garua wieder
ein. Gama ist ein aufstrebender Ort von
2500 Einwohnem, der dereinst berafen
sein dürfte, Yola den Rang abzulaufen,
das schon jetzt bedeutend verloren hat,
seit es seiner politischen Bedeutung für
Adamaua entkleidet worden ist. Die Er-
folge der Expedition liegen in der Haupt-
sache auf geographischem Gebiete. Es
wurde eine bis dahin als weißer Fleck
auf der deutschen Kamerunkarte gekenn-
zeichnete unbekannte Gegend durchquert,
ein neuer, nicht unbedeutender Nebenfluß
des Benue, der Mao Shuffl, entdeckt und
festgestellt, daß der Benue selbst in
seinem Oberlauf bedeutend weiter west-
lich läuft, als auf den bisherigen Karten
angegeben war.
Nord- and Mittel-Amerika.
♦ Am 25. März d. J. haben Prof. Dr.
Karl Sapper aus Tübingen und Dr.
Georg Wegener aus Berlin den Mont
Pele auf Martinique bestiegen und Tags
darauf einen schönen Ausbrach des Vul-
kans vom Observatorium von Fonds S.
Denis aus mit angesehen. Inzwischen ist
Sapper von seiner Forschungsreise (vgl.
G. Z. 1902. S. 599) vneder glücklich in der
Heimat angelangt.
Polargegenden.
♦ DieForschungstätigkeit in der
Arktis wird im Sommer 1908 voraus-
sichtlich wieder lebhafter werden, als sie
es in den letzten Jahren gewesen ist.
Außer dem Franzosen Charcot (s. S. 228)
plant Commander Peary , den sein voriger
Mißerfolg nicht entmutigt hat, eine neue
Expedition zur Erreichung des Nordpols
von Nord-Grönland aus und ist gegen- .
wärtig mit der Zusammenbringung der
nötigen Geldmittel beschäftigt. Ebenso
ist der amerikanische Mäcen Ziegler
durch das totale Mißlingen der von ihm
vorzüglich ausgerüsteten Baldwin- Expe-
dition nicht entmutigt, sondern will in
diesem Sommer eine neue ebenso gut
ausgerüstete Expedition gegen den Nord-
Geographische Neuigkeiten.
289
pol hin vorschicken, die von Tromsö ihren
Ausgang nehmen soll; Führer der Expe-
dition wird Anthony Fiala sein; wie
der Föhrer so werden auch alle Teil-
nehmer an der Expedition einschließlich
der Schiffsmannschaft Amerikaner sein,
um Nationalitätsstreitigkeiten, die den
Erfolg in Frage stellen könnten, zu ver-
meiden. Das Expeditionsschiff „Amerika*^
ist bereits auf dem Wege nach Tromsö.
Im Frül^ahr 1903 gedenkt sodann auch
Amundsen seine Expedition zur Be-
stimmung des magnetischen Nordpols (s. G.
Z. 1902. S. 709) anzutreten, und schließlich
ist auch noch der schwedische Botaniker
Ekstam mit einem Plane zur Erfor-
schung des unbekannten und anscheinend
ganz vereisten nördlichen Teiles von
Nowaja Semlja an die Öffentlichkeit ge-
treten. Der Expedition steht ein beson-
deres Schiff zur Verfügung, für die ge-
planten Schlittenreisen hofft man bei den
seit einigen Jahren auf Nowaja Semlja
angesiedelten Samojeden die nötigen
Hunde zu bekommen. Ob sich die Tätig-
keit des auf der Bennett-Insel über-
winternden Barons von Toll auch noch
in das Jahr 1903 hinein fortsetzen wird,
dürfte von den Verhältnissen abhängen,
unter denen die nicht ganz freiwillige
Überwinterung des Forschers zu Ende ge-
führt werden wird.
♦ Die deutsche Expedition auf
den Kerguelen ist Ende März wider
Erwarten auf einem deutschen Dampfer
• nach Sydney zurückgekehrt; ihr Leiter,
Dr. Joseph Enzensperger, ist am
2 Februar d. J. an Beri-Beri gestorben,
Dr. Werth liegt in Sydney krank, be-
findet sich aber Zeitungsnachrichten zu
Folge auf dem Weg der Besserung,
Dr. Luyken ist gesund auf der Heimreise.
♦ Von der englischen Südpolar-
expedition hat die ihr auf der „Mor-
ning^* nachgesandte Hilf8expedition,welche
nach Erfüllung ihrer Aufgabe am 25. März
nach Lyttleton zurückgekehrt ist, gün-
stige Nachrichten zurückgebracht,
welche recht gute Endergebnisse der Ex-
pedition erwarten lassen. Der Gesund-
heitszustand der Expeditionsmitglieder war
mit wenigen Ausnahmen gut. Leutnant
Shakleton wurde während einer an-
strengenden Schlittenreise invalid und
kehrte auf der „Moming** nach Hause
zurück, und ein Mitglied der Schiffs-
bemannung ertrank während eines hef-
tigen Sturmes. In Folge Verderbens und
dadurch Ungenießbarwerdens eines Teils
der Konserven litt die Mannschaft vor
Ankunft der „Moming" etwas Mangel;
durch die Hilfsexpedition konnten jedoch
alle Nahrungsmittel Vorräte voll ergänzt
werden, so daß die Expedition noch einen
Winter in der Antarktis zu bleiben be-
schloß. In dem telegjraphischen Bericht
über den Verlauf der ^Ixpedition ist noch
manches unklar, weil durch das For-
schungsgebiet der 180. Längengrad hin-
durchgeht und in dem Bericht nicht an-
gegeben ist, ob die mitgeteilten Längen-
angaben östlich oder westlich von Green-
wich gemeint sind. Bereits Anfang Ja-
nuar 1902 drang die Expedition bei 67**
8. Br. in das Packeis ein, besuchte Kap
Adare, Wood-Bay und unter 76^ 30' s. Br.
einen vorzüglichen Hafen in Viktoria-
Land und legte am 22. Januar beim Kap
Crozier einen Reisebericht nieder. Dann
fuhr die „Discovery** wieder nordwärts
und später der großen Eisbarriere ent-
lang ostwärts bis 76** s. Br. und 162* 30'
ö. L. oder fast 150 Meilen weiter, als
man bisher in dieser Richtung gekom-
men war. Bei 166** ö. L. bog die Eis-
mauer etwas nach Norden um und das
Wasser wurde seicht. Von dem Rande
der Eismauer zogen sich Schneefelder zu
einem ausgedehnten, stark vergletscherten
Land hinauf, auf dem hin und wieder
nackte und zerrissene Felsen sichtbar waren.
Auf der Rückfahrt fuhr das Schiff bei
174** L. in eine Öffnung der Eismauer ein,
und eine Schlittenexpedition erforschte
hier das Land bis 78'» 60' s. Br. Auf
einer Insel in der Nähe der Mts. Erebus
und Terror fand man ausgezeichnete
Winterquartiere und erforschte die Küste
von Viktoria-Land bis 78** 50' s. Br. Am
24. März war das Schiff eingefroren und
trotz stürmischen Wetters verbrachte die
Expedition den Winter ganz leidlich; das
Thermometer sank bis 62 <* unter Null.
Am 2. September begannen die Schlitten-
reisen wieder, von denen die vom Com-
mander Scott, Dr. Wilson und Leut.
Shakleton unternommene 5)4 Meilen süd-
wärts bis 80 • 17' s. Br. und 163« L.,
nach einer späteren Nachricht sogar bis
82** 17' s. Br. vordrang. Auf dieser
Schlittenreise gingen alle mitgenommenen
Hunde zu Grunde, so daß die drei Teil-
Oeographiache Zeitiohrift. 9. Jahrgang. 1903. 5. Heft.
20
290
Geographische Neuigkeiten.
nehmer gezwungen waren, die Schlitten
selbst zum Schiffe zurückzuziehen^ wobei
sich Leut. Shakleton eine ernstliche Er-
schütterung seiner Gesundheit zuzog. Man
fand, daß Viktoria- Land* von hohen Ge-
birgsketten durchzogen wird, welche unter
82* s. Br. eine Höhe von 3—4000 m er-
reichen, und von einem erklommenen
Gletscher aus konnte man eine weite
Hochebene von 3000 m Höhe erblicken.
Die Küstenlinie sah man sich in ziemlich
genau südlicher Richtung wenigstens bis
83« 20' s. Br. hin fortsetzen. Scott ist
der Meinung^ daß die große Eisbarriere
schwimmt und mit dem Inlandeis zu-
sammenhängt. Außer den rein geogra-
phischen Ergebnissen hat die Expedition
auch wertvolle biologische, erdmagnetische,
ozeanographische, meteorologische und
seismologische Resultate ergeben. (Geogr.
Joum. 1903. S. 499.)
i¥ Die schottische Südpolarexpe-
dition auf der „Scotia" hat die Reise
vom Cljde nach den Falkland-Inseln ohne
jeden Unfall in der verhältnismäßig kurzen
Zeit von 69 Tagen zurückgelegt und ist
am 6. Januar in Stanley Harbour vor
Anker gegangen. Auf dieser ganzen Fahrt
wurde nur in Madeira, St. Vincent und
St. Pauls Land berührt. Nach Ergänzung
der Proviant- und Kohlenvorräte und nach
Vergleichung und Einstellung der wissen-
schaftlichen Instrumente hat die Expedi-
tion am 25. Januar Port Stanley mit süd-
östlichem Kurs nach der Weddell - See
verlassen, um nach Erreichung von 30"
w. L. einen rein südlichen Kurs in das
unbekannte Gebiet zu nehmen. Entgegen
dem ursprünglichen Plane will die Ex-
pedition in der Antarktis überwintern und
erst im Frühjahr 1903/4 nach den Falk-
land-Inseln zurückkehren, da die Jahres-
zeit schon zu weit vorgeschritten ist, um
vor Winters Anfang noch nach den Falk-
land-Inseln zurückkehren zu können. Im
Sommer 1903/4 sollen dann die Arbeiten
fortgesetzt werden, in der Hoffnung, daß
es in der Heimat gelungen ist, die Kosten
für diese Verlängerung der Expedition
zusammenzubringen .
Geographisclier Unterricht.
♦ Die neue badische Ordnung
der Prüfung für das Lehramt an
höheren Schulen ist am 1. April in
Kraft getreten. Der Kandidat muß sich
küni^ig in mindestens drei Fächern, und
zwar zwei Hauptfächern und einem Neben-
fach prüfen lassen und hat aus dem einen
von ihm zu bezeichnenden Hauptfach eine
wissenschaftliche Arbeit anzufertigen. Die
Prüfungsfächer können nur in bestimmter
Zusammenstellung gewählt werden. Geo-
graphie kann in der sprachlich-geschicht-
lichen Abteilung nur als Hauptfach, und
zwar entweder in Verbindung mit Fran-
zösisch oder mit Englisch oder mit Ge-
schichte als anderem Hauptfach genom-
men werden. In der mathematisch-natur-
wissenschaftlichen Abteilung ist die Geo-
graphie sowohl als Haupt- wie als
Nebenfach, aber nur in Verbindung mit
Mathematik, Botanik und Zoologie zu-
lässig. Außerdem kann sie in beiden
Abteilungen in jeder Zusammenstellung
als weiteres Haupt- oder Nebenfach ge-
wählt werden.
Die besonderen Prüfungsbestim-
mungen für Geographie verlangen:
A) als Nebenfach: 1. Kenntnis der
grundlegenden Tatsachen und Gesetze der
mathematischen und physischenGeographie
und der Geographie des Menschen nebst
den Elementen der Völkerkunde. 2. Geo-
graphisches Verständnis der Umgebung
des Wohnortes. 3. Übersichtliche Kennt-
nis der Länder Europas und der außer-
europäischen Erdteile nach ihrer Topik,
ihrem Naturcharakter und den geogra-
phischen Verhältnissen des Menschen;
genauere Kenntnis Deutschlands wie der-
jenigen Länder oder geographischen Fak-
toren, die mit den Hauptfächern des Kan-
didaten in engeren Beziehungen stehen.
4. Bekanntschaft mit den wichtigsten
Hilfsmitteln des geographischen Studiums
und Unterrichts, insbesondere Vertrautheit
mit dem Gebrauch des Globus, des Re-
liefs und der Landkarte; einige Fertigkeit
im Entwerfen von Kartenskizzen.
B. Als Hauptfach überdies: Ver-
trautheit mit den Lehren der mathemati-
schen Geographie; Kenntnis der physika-
lischen und der wichtigsten geologischen
Verhältnisse der Erdoberfläche. Übersicht
über die räumliche Entwicklung und die
heutige politische Geographie der Haupt-
kulturstaaten ; genauere Bekanntschaft
mit der Länderkunde Europas und eines
speziell gewählten wichtigeren außer-
europäischen Gebietes. Der Kandidat soll
mit der geographischen Literatur vertraut
Geographische Neuigkeiten.
291
sein und einige der wichtigsten Reisewerke
durchgearbeitet haben.
Geographische Vorlesungen
an den deutschsprachigen Universit&ten und tech-
nischen Hochschulen im Sommersemester 1903.
Schweiz.
Basel:
Bern: o. Prof. Brückner; Astrono-
mische und physikalische Geographie,
I. Teil, 38t. — Länder- und Völkerkunde
von Amerika, 3 st. — Handelsgeographie,
Ist. — Repetitorium der physikalischen
Geographie, 28t. — Kolloquium, 28t. —
Anleitung zu selbständigen Arbeiten.
Zürioh: o. Prof. StoU: Physikalische
Geographie, 2 st. — Länderkunde von
Asien, 3 st. — Länderkunde von Zentral-
europa, Ist. — Länderkunde von Nord-
westeuropa, 2 st.
Österreich- Ungarn.
Wien: o. Prof. Pen ck: Geographie von
Europa, 6 st. — Seminar, 2 st. — Übungen
für Fortgeschrittenere, 5 st. — Prof. Pd.
Sieger: liest nicht.
Czemowitz: o. Prof. Löwl: Mathe-
matische Geographie, 6 st. — Übungen,
2 st.
Graz: o. Prof. Richter: Geographie
der Mittelmeerländer, 3 st. — Mathema-
tische Geographie, 28t. — Übungen, 28t.
Innsbruck: o. Prof v. Wies er: All-
gemeine Erdkunde, 4 st. — Übungen, Ist.
Frag: o. Prof. Lenz: Geographie von
Afrika, 48t. — Geographie von Frankreich,
Ist. — Übungen, 2 st.
Technische Hochschulen.
Darmstadt: a. o. Prof. Greim: Mathe-
matische Geographie in elementarer Be-
handlung. — Über Hilfsmittel und Me-
thode des geographischen Unterrichts.
Dresden: o. Prof Rüge: Die deut-
schen Kolonien.
München: o. Prof. Günther: Handels-
und Wirtschaftsgeographie L — Geogra-
phie von Amerika U. — Potentialtheorie
in ihrer Anwendung auf Geophysik. —
Seminar. — o. Hon. -Prof Götz: Die Ge-
biete der warmen Zone. — Die glacial-
zeitlichen Wirkungen auf den Boden
Europas.
PersöDlioheB.
♦ Am 5. Mai d. J. hat der o. Prof. d.
Geographie an der Universität Berlin,
Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Ferdinand
Frhr. v. Richthofen, seinen 70. Ge-
burtstag gefeiert; von ehemaligen Schü-
lern und Verehrern wurde dem Jubilar als
Ehrengabe eine Ferdinand von Richt-
hof en-Stiftung überreicht.
♦ Am 3. April d. J. starb in Wien der
o. ö. Professor der Geodäsie an der dor-
tigen Universität, der k. k. Oberst Dr.
Heinrich Hartl im 64. Lebensjahre.
♦ Li Tiflis starb in der Nacht vom 16.
auf den 16. März d. J. im Alter von 71
Jahren der Naturforscher und Asien-
reisende Dr. Gustav Radde, der Di-
rektor des von ihm 1866 begründeten
kaukasischen Museums und der öffent-
lichen Bibliothek in Tiflis. Am 27. Nov.
1831 in Danzig als Sohn eines Lehrers
und Küsters geboren, mußte er aus Mangel
an Mitteln auf höhere Schulbildung ver-
zichten und als Lehrling in eine Apo-
theke eintreten. Aber schon 1862 ging
sein Herzenswunsch, die weite Welt ken-
nen zu lernen, in Erfüllung. Auf Kosten
der Naturforschenden Gesellschaft seiner
Vaterstadt konnte er seine erste Reise
nach der Krim unternehmen, wo er die
Berge und Wälder der Südküste durch-
streifte. Dabei machte er die Bekannt-
schaft des Botanikers Steven , dessen
bildenden und anregenden Einflusses er
stets gern gedachte. Ein zweijähriger
Aufenthalt auf einem Gute der Krim
gab Radde Gelegenheit zu gründlicher
Erforschung der dortigen Flora und
Fauna. Li St. Petersburg ward man
bald auf den jungen Deutschen aufmerk-
sam; schon 1856 wurde er einer Expedi-
tion nach Sibirien zugeteilt. Am oberen
Amur, in den wilden Bergen des kleinen
Chingan führte er fast zwei Jahre ein
wahres Robinsonleben. Nach 6 Jahren
zurückgekehrt, wurde er 1863 vom da-
maligen Statthalter Kaukasiens, dem Groß-
fürsten Michael Nikolajewitsch, mit der
biologisch-geographischen Erforschung des
Kaukasus betraut, worüber er in zahl-
reichen Aufsätzen und selbständigen
Schriften berichtete. Seit dieser Zeit lebte
Radde in Tiflis, wo er den Mittelpunkt
des geistigen Lebens bildete, blieb jedoch
während dessen stets in regem geistigem
Verkehr mit seinen deutschen Fachge-
nossen, wie dies auch seine lebhafte An-
teilnahme an den Verhandlungen des in-
ternationalen Geographenkongresses in
Berlin erkennen ließ. („Beil. z. Allg. Ztg."
1903. Nr. 76.)
20*
292
Geographische Neuigkeiten.
♦ Am 7. Februar starb in Croydon bei
London der englische Meteorolog James
Glaisher im Alter von 94 Jahren, der
sich durch seine zahlreichen, zu wissen-
schaftlichen Zwecken unternommenen
Lufbballonfahrten einen Namen gemacht
hat. Am bemerkenswertesten ist seine
im Jahre 1862 mit dem Luftschiffer
Coxwell unternommene Luftreise, bei der
er eine Höhe von 11 000 m erreicht haben
wollte, die aber in Wahrheit nicht 9000 m
erreicht haben wird. Glaisher war von
1840 bis 1870 Direktor der magnetischen
und meteorologischen Abteilung am kgl.
Observatorium zu Greenwich und Be-
gründer der Royal Meteorological Society.
Bficherbesprechnngen.
Stielerg Handatlas. Neue, IX. Lieferungs-
Ausgabe. 100 E. in Kupferstich hrsgeg.
von Justus Perthes' geographischer An-
stalt in Gotha. Lief. 1—10. Gotha
1902. 60 Liefgn. JL 30.—. Jede
Lief. JL —.60.
Stielers Handatlas ist von seinem erst-
maligen Erscheinen {1823—1833) an das
unentbehrliche Rüstzeug des Geographen
gewesen. Die ganze ältere Generation
hat an ihm gelernt, und die jüngere ist
ihm auch lange noch treu geblieben, als
sich bereits billigere Werke den großen
Markt erobert hatten; denn anfänglich
war ihr verwandtschaftliches Verhältnis
zum Stieler ein recht offenkundiges. Aber
im Laufe der Zeit sind ihm doch in den
letzten Auflagen von Andrt^es Handatlas
und in Debes' neuem Handatlas auch auf
wissenschaftlichem Gebiete Eonkurrenten
erwachsen, nachdem der erstere ihm schon
in praktischen Neuerungen, z. B. dem Na-
mensverzeichnis, vorangegangen war. Zwar
bewahrte der außerordentlich schöne
Eupf erstich insbesondere seiner neueren
Earten dem Stieler trotz seines höheren
Preises noch zahlreiche Freimde, aber so
mancher weitsichtig Gewordene mußte
doch zu den mehrfarbig gedruckten At-
lanten mit größerer Schrift übergehen.
Mit seiner neuen, neunten Lieferungs-
Ausgabe stellt sich in Bezug auf Preis
und äußerliche Ausstattung der „Stieler"
auf den Boden seiner Eonkurrenten und
unternimmt einen kräftigen Vorstoß, den
allgemeinen Mcurkt zu erobern. Er bietet
100 Earten in gegenüber früher wenig
vergrößertem Formate für nur 80 J^; es
sind nicht mehr die bekannten einfarbig
schwarz gedruckten und mit der Hand |
zart kolorierten Earten , sondern Far- .
bendrucke. Nur Schrift und Situation
schwarz, das Gelände braun unter Her-
vorhebung besonders kräftig schattierter
Partien durch einen grauen Schatten,
Meer und Seen blaues Flächenkolorit,
Sümpfe blau schraffiert, Gletscher weiß
mit tiefblauen Schatten, Sandwüsten
orange, Lavafelder grau. Dazu eine wahre
Fülle verschiedener politischer Grenzen.
So klar und bestimmt sie gezogen sind,
so schlagen sie doch nur selten die Ge-
ländedarstellung. Letztere tritt meist auf
das deutlichste hervor und drückt auch
der Mehrzahl der Earten des neuen
Stieler eine charakteristische Signatur
auf. Die Schrift ist klein geblieben.
Nach wie vor beruht der Stieler auf
Eupferstich; während er aber früher
direkt von den Platten gedruckt wurde,
wird er nun mittels Umdrucks erstellt.
Letzterer liefert durchaus tadellose Ab-
züge, hat aber den Vorteil größerer
Billigkeit. Indem femer Schrift und Ge-
lände verschiedenfarbig gedruckt werden,
stört keines mehr so wie häufig früher
das andere, und die Lesbarkeit beider
gewinnt dadurch.
Neben solch tiefgreifenden Verände-
rungen in der äußeren Ausstattung laufen
kaum minder belangvolle des Inhaltes.
Eein Blatt gleicht einem der achten
Lieferungsausgabe. Zum mindesten ist
die alte Platte in zwei neue, die eine
für Schrift und Situation, die andere für
Gelände zerlegt worden. Aber dabei sind
immer Verbesserungen vorgenommen wor-
den, und in ihnen offenbart sich die-
selbe Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit,
welche den wissenschaftlichen Wert des
alten Stieler bestimmt haben. Unter den
Blättern, die also in neuem Gewände er-
scheinen, befindet sich Petermanns 6 Blatt-
Earte der Vereinigten Staaten von Nord-
Bücherbesprechungen,
293
Amerika. Blatt I läßt in zahlreichen
Einzelheiten die vorsichtig nachbessernde
Hand von H. Habenicht erkennen und
erzielt auch mit braunen Geländeschraffen
eine vorzugliche plastische Wirkung. Zu
den alten Blättern in neuem Gewände
möchten wir, im Gegensatz zum Inhalts-
verzeichnisse des Atlas, das hier von
einer ganz neuen Karte spricht, auch die
Karte der Schweiz (westliche Alpenländer)
stellen; Vogels Meisterwerk kommt auch
in polychromem Druck prächtig zur Gel-
tung, die Geländeschraffierung hat nur
selten Verstärkung durch graue Schatten
erheischt.
Die große Mehrzahl der Blätter ist
ganz neu, wenn sich auch einige von
ihnen in Bezug auf Maßstab und Um-
grenzung an Karten des alten Stieler an-
schließen, wie z. B. die Karte der Nieder-
lande und von Belgien oder die von
Schottland. Gerade letztere Karte be-
zeichnet einen großen Fortschritt in der
Wiedergabe des aufgelösten Berglandes.
Auf Koffmahns Werk sind die Gebirgs-
raupen der Grampians verschwunden;
deutlich erkennen wir die Isoliertheit der
einzelnen Gruppen, doch sind die süd-
lichen Hochlande im Vergleich zu den
nördlichen viel zu stark gehalten.
Neu sind vor allem Erdteilkarten.
Eine Karte von Australien von Haack
lehnt sich im Maßstabe an Petermanns
Karten von Südost- und Westaustralien
an und bringt den ganzen Erdteil auf
4 Blatt zur Darstellung. Die unbeholfene
Geländedarstellung auf australischen Kar-
ten hat hier das Gothaer Werk sichtlich
beeinflußt. Haack hat sich von den Ge-
birgsraupen der Wasserscheiden nicht frei
machen können. Hält die Karte von
Australien noch fest an einem Prinzip,
welches die Benutzbarkeit des alten
Stieler, z. B. von Lüddeckes Afrika Bl. V
u. VI, gelegentlich sehr störte, nämlich,
daß Erdteilkarten immer zu einem Tableau
zusammengesetzt werden konnten, so be-
grüßen wir nun die individuelle Behand-
lung der Einzel karten von Nord- Amerika
und Asien. Nord-Amerika wird auf 6 Kar-
ten wiedergegeben: West-Canada, Ost-
Canada (neu), Vereinigte Staaten, Über-
sicht (neu), Mexiko (neu) und West-Indien.
Diese einzelnen Karten greü'en randlich
aufeinander über, jede hat aber ihren
eigenen Mittelmeridian und bringt jeweils
ein abgeschlossenes Gebiet zur Darstellung,
vier haben denselben Maßstab 1 : 7600000,
die der Vereinigten Staaten (noch nicht
erschienen) 1:12500000.
Das bedeutendste Werk des Atlas ist
jedenfalls die Darstellung fast des ganzen
Erdteiles Asien im Maßstabe 1 : 7500000
auf 9 Blatt, wovon die Mehrzahl bereits
erschienen ist. Westsibirieo, Arabien, so-
wie Iran und Turan von H. Habenicht,
femer Inner-Asien von Domann sind un-
gemein plastisch wirkende Blätter; in
Vorder-Indien von Domann wird aber
die Geländedarstellung vom politischen
Kolorit stark beeinträchtigt, etwas mono-
ton wirkt China von Barich, während
dessen Spezialkarten der ostindischen
Inseln wieder recht glücklich heraus-
gearbeitetes Gelände zeigen. Gleichwohl
können wir uns mit letzterer Karte nicht
befreunden. Es ist eine Sammlung von
Karten der einzelnen Eilande, Welche an-
geordnet sind unter dem Gesichtspunkte
größter Raumausnutzung ohne Rücksicht
anf ihre geographische Lage. Es wäre
möglich gewesen, den ganzen Archipel
von Mindanao bis zur Mitte Sumatras
auf einem Blatte 1 : 7500000 darzustellen
und in den Ecken West -Sumatra und
Luzon unterzubringen.
Verschiedene praktische Neuerungen
verzeichnen wir mit Vergnügen. Der
Außentitel der Karte wird begleitet von
einer Übersicht der Nachbarkarten. Die
Schrift läuft femer in der Regel in der
Richtung der Parallelen, man braucht
den Atlas nicht zu drehen und zu wenden,
um ihn lesen zu können. Wir konunen
auf das bedeutende Werk zurück, wenn
weitere Lieferungen von ihm vorliegen.
Penck.
Böbm Edler r« Böbmerslieiin, A, Ge-
schichte der Moränenkunde.
334 S. 4 Taf. u. 2 Textfig. Abh. d.
k. k. Geogr. Ges. zu Wien. 1901.
Die Absicht, an den Beschlüssen der
internationalen Gletscherkonferenz, die im
August 1899 zu Gletsch tagte, Kritik zu
üben, hat den Verfasser veranlaßt, die
historische Entwicklung der Moränenkunde
eingehend zu studieren. Auf den ersten
217 Seiten seines Werkes gibt er eine
Übersicht über alle Arbeiten, die sich
seit den Tagen Sebastian Münsters
(1544) mit den einschlägigen Verhältnissen
294
Bücherbesprechungen.
beschäftigt haben, indem er zu gleicher
Zeit auf die Wandlungen der Anschau-
ungen und auf die Umdeutungen hin-
weist, die die einzelnen Autoren mit
den von ihnen vorgefundenen BegriiFen
vorgenommen haben. In einem beson-
deren Anhang wird uns in der gleichen
Weise die Entwicklung des Begriffes der
Drumlins vorgeführt. Damit hat der Ver-
fasser eine breite Grundlage gewonnen,
auf der er an die von der genannten
Gletscherkonferenz aufgestellte Klassifika-
tion und Nomenklatur herantritt. Seine
Kritik richtet sich im wesentlichen gegen
das Haupteinteilungsprinzip der Moränen
in bewegte und abgelagerte Moränen und
gegen die unhistorische Umformung des
Begriffes der Grundmoränen. Da die
unter dem tätigen Gletscher entstehende
Grundmoräne im älteren Sinne (d. h. vor
Beschluß der Gletscherkonferenz) hier dem
Schema zu Liebe und im Gegensatz zur
Obermoräne als üntermoräne bezeichnet
und der Name „Grundmoräne*' auf die
zur Ruhe gekommenen Ablagerungen eis-
zeitlicher Gletscher oder auf das Gebiet
vor dem Ende der heutigen Gletscher
beschränkt wird, so wird durch die Mitte
einer einheitlichen Bildung insofern ein
Schnitt gelegt, als auch die unter einem
lebenden Gletscher vorhandene Grund-
moräne in ihrem unteren Teile als ab-
gelagerte, in ihrem oberen Teil dagegen
noch als bewegte Moräne anzusehen ist,
und es wird gezeigt, daß in dieser künst-
lichen Teilung eines durchaus zusammen-
gehörigen Gebildes die Hauptschwäche
der Einteilung der Konferenz liegt. Böhm
zeigt ferner, daß man nach dem von der
Konferenz aufgestellten Schema für die
Ausdrücke „Grundmoräne" und „Unter-
moräne" vier verschiedene Auslegungen
finden kann. Ebenso ablehnend steht er
den von der Konferenz aufgestellten „Wall-
moränen" gegenüber, da es solche nur
unter den „abgelagerten Moränen" geben
soll, während doch die Seiten- und Mittel-
moränen der lebenden Gletscher zweifel-
los als „Wallmoränen" bezeichnet werden
müssen. Um diese unhistorische Umdeu-
tung der Begriffe zu vermeiden, bringt er
nun eine neue Gliederung, in welcher er
die gesamte Menge der verschiedenen
Moränen zunächst in Wandermoränen, in
Stapel- oder Umwallungsmoränen und in
Schwundmoränen einteilt. Die erste
Gruppe ist auf die heutigen Gletscher
beschränkt, während die zweite und dritte
Gruppe sowohl an heutigen Gletschern
als in eiszeitlichen Vergletscherungsgebie-
ten vorkommen. Die gesamte Gliederung
für heutige und eiszeitliche Gletscher er-
gibt sich aus der folgenden Übersicht:
Gletscher ^ g^j^^^^
Mittelm.
Deckm.
\ Siebm.
Wanderm. L f^?®"°
Innenm. < Emschaarungsm.
[ Sohlenm.
Grundm.
Oberflächenm.
Eiszeit
Stapel- od.
Umwallungsm.
Schwundm. . . .
Uferm Randm.
Stimm Endm.
Haldenm.
Feldm Schwundm.
(Gmndm.-Decke)
Schwundmittelm.
Drumlins
Diese Einteilung und diese Benennungen
der Moränen dürfte allerdings der von der
Gletscherkonferenz vorgeschlagenen Ein-
teilung vorzuziehen sein; nur ergibt sich
daraus derObelstand außerordentlich lang-
atmiger Bezeichnungen, wenn wir die von
einer Moräne erzeugten Landschaflsformen
ausdrücken wollen. Es wird z. B. die
Grundmoränenlandschaft ehemals ver-
gletscherter Gebiete zu einer „Schwund-
moränendeckenlandschaft**, ein Name, der
nach Ansicht des Referenten nur wenig
Aussicht auf Annahme hat, selbst wenn
man ihn nach dem Vorschlage des Ver-
fassers in „Moränendeckenlandschaft*' ab-
kürzt. Keilhack.
Scobel^ A. Handelsatlas zur Ver-
kehrs- und Wirtschaftsgeogra-
phie. Für Handelshochschulen u. s. w.
4^ 68 Haupt- und 73 Nebenk. Biele-
feld und Leipzig, Velhagen und Kla-
sing 1902. kart. .^ 5.50, geb. M. 6.—.
Ein Atlas der Wirtschaftsgeographie
tut uns not; es ist daher verständlich, daß
wir bald nach der zweiten Auflage von Lang-
hans einen neuen Atlas der Wirtschafts-
geographie geschenkt bekommen, der unter
der Leitimg Scobels von Dr. E. Ambro-
sius, R. Enderich, Dr. E. Friedrich, Prof.
E. Schigert, K. Tänzler, A. Thomas und
E. Umbreit bearbeitet worden ist. Er ist
ausführlicher als jener, da er viel mehr
Karten enthält, obgleich er auf topogra-
Bücherbesprechungen.
295
phische Karten ganz verzichtet. Er will
den gewöhnlichen Atlas nicht ersetzen,
sondern ergänzen. Ob es nicht trotzdem
zweckmäßig gewesen wäre, die natürlichen
und kulturellen Bedingungen der wirt-
schaftlichen Verhältnisse eingehender zur
Darstellung zu bringen und neben der
Erdkarte der Vegetationsformen und
Meeresströmungen und der klimatischen
Krankheiten auch Karten des Klimas, der
Bevölkerungsdichte, der Rassen (zum Ver-
ständnis der Arbeiterverhältnisse) zu geben,
mag dahingestellt bleiben.
Die Mehrzahl der Karten sind Ober-
sichtskarten der Erde in ziemlich kleinem
Maßstabe. Dazu kommen je eine Karte
der außereuropäischen Erdteile i. M. 1 :
40 Mill. und der Ver. Staaten 1 : 20 Mill.,
mehrere Karten Europas 1 : 20 u. 1 : 30 Mill.
und eine Anzahl Karten Mitteleuropas in
verschiedenen Maßstäben. Dagegen fehlen
leider besondere Karten der übrigen
europäischen Länder, wie sie Langhans
wenigstens für die britischen Inseln und
Frankreich bietet; die Spezialkärtchen
einiger wichtiger Industriegebiete geben
dafür doch nur ungenügenden Ersatz. Für
' das Studium der Wirtschaftsgeographie
Europas ist der Atlas gegenwärtig unge-
nügend, und der Mangel sollte daher bei
einer neuen Auflage beseitigt werden.
Die Verf. haben sich mit Erfolg be-
müht, die Klippe zu vermeiden, an der
die meisten wirtschaftsgeographischen Dar-
stellungen scheitern; statt der üblichen
statbtischen Kartogramme bieten sie
uns wirkliche geographische Karten. Da-
gegen vermisse ich in anderer Richtung
noch die rechte wissenschaftliche Durch-
dringung des Stoffes und zunächst schon
die scharfe Fragestellung. Die drei Karten
auf Blatt 7 sind überschrieben: Mineralien,
und ebenso finden wir in den Legenden
der Spezialkarten die Namen der Minera-
lien eingetragen ; man erfährt aber nicht,
ob damit eigentlich das natürliche Vor-
kommen der Mineralien oder ihre Aus-
beutung dargestellt werden soll. Das sind
doch zwei verschiedene Dinge, die aus-
einandergehalten werden müssen. Auch
fehlt jede Rücksichtnahme auf die Wich-
tigkeit des Vorkommens oder der Aus-
beutung, und die Karten geben daher ein
ganz falsches Bild von der Mineralproduk-
tion der Erde; ich führe nur an, daß die
britischen und deutschen Kohlengebiete
kaum größer als die französischen und
spanischen erscheinen, und daß das größte
Kohlengebiet der Erde in den Steppen
westlich vom Mississippi gezeichnet ist.
Ebenso verhält es sich mit den Karten
der Landwirtschaft, das Wort im weite-
sten Sinne genommen; sowohl auf der
Übersichtskarte der Erde wie auf den
Karten der Erdteile sind die einzelnen
Produkte eingetragen , ohne daß die
drei dabei in Betracht kommenden Ge-
sichtspunkte scharf unterschieden wür-
den: kommen die betr. Pflanzen oder
Tiere überhaupt vor? — kommen sie in
größerer Masse vor, so daß sie eine Rolle
in der Volkswirtschaft spielen? — werden
sie für den auswärtigen Handel ausge-
beutet? Der erste Gesichtspunkt hat nur
pflanzen- und tiergeographisches Interesse,
und die Verf. hätten sich darum nicht
gerade vorzugsweise an ihn halten sollen !
Die Wirtschaftsgeographie hat es nur mit
den beiden anderen Gesichtspunkten zu tun.
Für die Beurteilung der landwirtschaft-
lichen Produktion kommt es auch nicht
so sehr auf das einzelne Produkt als auf
den ganzen Charakter der Wirtschaft an,
wofür namentlich Engel brecht und Sering
die Wege gewiesen haben; es ist zu be-
dauern, daß die Verf. ihnen nicht gefolgt
sind. Die einzelnen Produkte hätten nur
eingezeichnet werden sollen , soweit sie
für den Welthandel Bedeutung haben.
Dieser Gesichtspunkt kommt ganz zu kurz;
z. B. läßt sich aus dem Atlas nicht er-
sehen, welches denn eigentlich die für
den Welthandel in Betracht kommenden
Getreideländer sind. Ähnliche Einwürfe
sind auch gegen die Darstellung der In-
dustrie zu erheben, aber dafür sind ge-
eignete Methoden meines Wissens über-
haupt noch nicht angegeben worden.
Eine Industriekarte der Erde fehlt leider
ganz. Auf den Handel beziehen sich vier
Karten des deutschen Außenhandels, leider
ohne jedes Verständnis kartographischer
Methode entworfen; die ganze Fläche jedes
Staates ist mit dem absoluten Werte des
deutschen Handels mit diesem Staat statt
mit dem relativen, auf die Flächeneinheit
reduzierten überdeckt!! Am wenigsten ist
methodisch gegen die Darstellung der
Verkehrslinien zu erinnern, die ja auch
wenig Schwierigkeiten bietet. Auf der
Verkehrskarte von Europa ist das Bild
von Westeuropa verfehlt.
296
Bü ch erbe 8p rech ungen.
Zu tadeln ist echließlich auch, daß
außer dem Hinweia auf einige Karten des
statistischen Amtes alle Quellenangaben
fehlen, auch wo die Karten einfache Re-
produktionen ohne selbständige Zutaten
sind.
Es ist mir schwer geworden, diesen
Atlas in vieler Beziehung absprechend be-
urteilen zu müssen, weil ich das Bedürf-
nis nach einem guten wirtschafbsgeogra- i
phischen Atlas lebhaft empfinde und doch
den früher gehegten Plan, einen solchen
zu entwerfen, aus Rücksicht auf andere
Arbeiten habe aufgeben müssen. Aber es
schien mir nötig, die methodischen Mängel
scharf hervorzuheben, damit sich endlich
die Überzeugung Bahn breche, daß der
Entwurf solcher Karten ohne eindringende
wissenschaftliche Überlegung nicht mög-
lich ist. A. Hettner.
Uandbucb der lYtrigobaftskuDde
Dentscblands. Hrsgeg. i. A. d. Deut-
schen Verbandes f d. Kaufmann,
ünterrichtswesen. Bd. II. Gr. 8«.
253 S. 4 K. u. 2 Taf , 1 Textk. Leip-
zig, Teubner 1902. ^K. 6.—.
Der zweite Band dieses brauchbaren
Handbuches, der dem ersten rasch gefolgt
ist, umfaßt die Besprechung der auf die
Gewinnung der Nutzpflanzen und Nutz-
tiere bezüglichen Gewerbe, einschließlich
der Jagd und Fischerei und der Bienen-
zucht. Unter den zahlreichen Mitarbeitern
begegnet uns auch Prof. Halbfaß in Neu-
haldensleben, der die Binnenfischerei be-
handelt hat. Die Vielheit der Mitarbeiter
hat hin und wieder eine nicht ganz gleich-
mäßige Behandlung des reichen Stoffes
zur Folge gehabt, über den Obstbau
spricht Dr. Steinbrück S. 65 f. und dann
nochmals und ausführlicher Dr. Zürn
S. 112 ff. Wenn es auffällt, daß der geo-
graphische Gesichtspunkt hier und da
zurücktritt, so wolle man nicht vergessen,
daß die statistischen Tabellen, auf denen
sich die Ausführungen der einzelnen Ver-
fasser zumeist aufbauen müssen, immer
nur politische Bezirke zu Grunde legen
und legen können, Sache der Fachgeo-
graphen wird es sein, mit der Zeit auch
für die Wirtschaftsgeographie physische
Provinzen und Untergebiete aufzustellen.
Mancher dahin zielende Versuch ist ja
z. B. in den Forschungen zur deutschen
Landes- und Volkskunde bereits gemacht
worden. Immerhin bieten die einzelnen
Arbeiten viel Lehrreiches und ihre Lek-
türe ist auch dem Geographen zu em-
pfehlen. Scharf tritt in den verschiedensten
Beziehungen der Gegensatz zwischen Ost
und West in Deutschland hervor. Der
Osten ist das Land der Einförmigkeit und
des Großgrundbesitzes, der Westen das
Gebiet der Mannigfaltigkeit auf kleinerem
Räume und des Kleinbesitzes. Es sind
die preußischen Regierungsbezirke Marien-
werder, Bromberg, Posen, Cöslin, Stettin,
Stralsund sowie die beiden Mecklenburg,
in denen der Großbesitz am meisten über-
wiegt, während der Kleinbesitz in einem
breiten Streifen vorherrscht, der sich an
der Nordwest-, West- und Südgrenze des
Reiches von der Elb- und Wesermündung
bis zum Oberrhein und zur Salzach ver-
folgen läßt. Der Osten ist auch vorwie-
gend das Land des Nadelwaldes, der
Westen (mit einzelnen Ausnahmen) das
des Laubwaldes, und zwar läuft die Grenze
etwa von Lübeck über Braunschweig und
Eisenach zum Bodensee. Die Karten (von
Wagner u. Debes) verdienen großes Lob.
Die noch ausstehenden Bände sollen bald
erscheinen. F. Hahn.
Omber^Cbr. Deutsches Wirtschafts-
leben. (Aus Natur und Geistes weit.
42. Bdchen.) kl. 8^ VT u. 187 S.
4 K. auf 2 Taf Leipzig, Teubner
1902. cÄ: 1.26.
Weit mehr als das große Handbuch
der Wirtschaftskunde steht diese kleine,
höchst ansprechende Schrift des bayrischen
Geographen Gruber auf geographischem
Boden. Es war eine glückliche Idee, in
wenigen, scharf umrissenen und geschmack-
voll geschriebenen Kapiteln die geogra-
phischen Grundlagen des deutschen Wirt-
schaftslebens aufzubauen. Manche Be-
rührungen ergeben sich mit Ratzeis
bekanntem kleinen Werk über Deutsch-
land, doch soll dies nicht etwa ein Tadel,
sondern ein Lob sein. Im ersten der vier
großen Kapitel werden die geographischen
Grundlagen des deutschen Handels aus-
reichend und im ganzen völlig zutreffend
erörtert. Man kann zweifelhaft sein, ob
das zweite „Alpenlandschaft und Alpen-
wirtschaft" überschriebene Kapitel ganz
in den Rahmen des Buches hineinpaßt:
die Bedeutung des bescheidenen Anteils
Deutschlands an den Alpen für das Ge-
Buch erb esprechun gen.
297
samtgebiet ist, wie auch Gmber selbst
hervortreten läßt, nicht gar so groß;
die übrigen Landschaften, die zum großen
Teil gar nicht näher besprochen sind,
werden durch diese einseitige Hervor-
hebung der Alpen etwas benachteiligt.
Aber möchte deshalb jemand das präch-
tig geschriebene und auch manches Neue
bietende Kapitel missen wollen? Gruber
wollte auch wohl nur eine besonders
charakteristische und anziehende Wirt-
schaftsprovinz, die ihm zudem besonders
vertraut ist, recht scharf hervorheben.
Das dritte Kapitel, in dem eine kleine
Monographie der Holzspiel waren-Industrie
des Erzgebirges auffällt, befaßt sich mit
den Gegensätzen in Land- und Fori^twirt-
schaft und Industrie, das vierte, beson-
ders anregende und mit Geschick und
Begeisterung geschriebene, mit Deutsch-
lands Stellung zum Meer. Ich kann das
kleine Werk bestens empfehlen.
F. Hahn.
Neddoricb^ W« Wirtschaftsgeogra-
phische Verhältnisse, Ansied-
lungen und Bevölkerungsver-
teilung im ostfälischen Hügel-
und Tieflande. (Forsch, z. deut-
schen Landes- u. Volkskde. Bd. XIV.
Heft 3.) 179 S. 2 K. Stuttgart, Engel-
hom 1902. .€ 9.—.
Es steckt eine große Menge von Stoff
in dieser Arbeit, die auf eingehender
Kenntnis der z. T. schwer zugänglichen
und entlegenen Literatur, gründlicher
Inaugenscheinnahme des Gebietes und
eifrigen Erkundigungen beruht. Aber es
ist dem Verfasser nicht gelungen, aus der
Menge des Einzelnen Ergebnisse von
weitertragender Bedeutung abzuleiten oder
auch nur ein geordnetes, sich dem Ge-
dächtnis einprägendes Bild der darge*
stellten Verhältnisse zu geben. Daß nach
dieser Richtung hin nicht mehr geschehen
ist, erscheint um so verwunderlicher, als
das Gebiet, dessen Wahl und Abgrenzung be-
sonders glücklich genannt werden müssen,
mit seiner reichen geographischen Mannig-
faltigkeit viel Anreiz zu tieferdringenden
Vergleichen enthält. Läßt man den eigent-
lich wissenschaftlichen Gesichtspunkt bei
Seite, so kann allerdings nicht in Abrede
gestellt werden, daß die übersichtliche
Zusammenstellung eines so ausgedehnten
und vielseitigen Tatsachenmaterials sehr
verdienstlich ist und etwaigen späteren
Untersuchungen in wirksamer Weise vor-
arbeitet. Nur die wenigen geschichtlichen
Notizen, die der Verfasser gibt, sind
nicht gerade sehr glücklich. Wenn er
das Alter der Orte vielfach nach ihrer
ersten urkundlichen Erwähnung beurteilt,
so ist das durchaus irrig; und ebenso-
wenig kann man es gelten lassen, wenn
Orte, deren Entstehung auf Grund solcher
Nachrichten in das 9. oder 10. Jahrhun-
dert gesetzt wird, als „sehr alt" bezeichnet
werden. In dieser Zeit gegründete Nieder-
lassungen würden in dem behandelten
Gebiet nicht als alt, sondern als recht
jung zu betrachten sein.
In den beigegebenen Karten sind die
Anregungen über die Behandlung der be-
völkeningsstatistischen Verhältnisse, die
A. Hettner in verschiedenen Aufsätzen
gegeben hat , zum erstenmal praktisch
verwertet. Während Karte 2 (1 : 600000)
eine Übersicht über die Volksdichte nach
natürlichen Gebieten gibt, ist Karte 1
(1 : 200 000) als „bevölkerungsstatistische
Grundkarte'* im Sinne Hettners ge-
zeichnet. Außerdem ist noch der Prozent-
satz an nichtlandwirtschaftlicher Bevölke-
rung veranschaulicht und eine Menge von
Daten über einzelne industrielle Erwerbs-
zweige eingetragen. Man kann in man-
chen theoretischen Fragen andere An-
sichten haben — und die meinigen wei-
chen von denen Hettners, die sich der
Verf. zu eigen macht, in recht wichtigen
Punkten ab — , ohne den Wert dieser
Karten irgendwie zu beanstanden. Be-
sonders das Hauptblatt ist sehr reich-
haltig und interessant und in seiner Weise
bisher durchaus einzigartig.
0. Schlüter.
Oberbammer, Engren« D i e In 8 e 1 C y p e r n.
Eine Landeskunde auf historischer
Grundlage. Gekrönte Preisschrift.
I. Quellenkunde und Naturbeschrei-
bung. XVI u. 488 S. Karten u. 1 Profil.
München, Ackermann 1903. ^tC 12. — .
Der Verf., der Cypem zweimal be-
suchte, hat sich diese Insel zu seinem
besonderen Arbeitsfeld erkoren und über
sie wiederholt kleinere Abhandlungen ver-
öffentlicht. So erscheint es natürlich,
daß er seine geplante Darstellung der
hellenischen, nicht zum eigentlichen Grie-
chenland gehörigen Inseln, abgesehen von
298
Bücherbesprechungen.
einer kleinen Arbeit über Imbros, mit
Cypern beginnt. Das Werk muß auf ganz
besondere Beachtung Anspruch erheben,
einmal wegen des hohen Interesses, das
Cypem durch seine Mittelstellung zwi-
schen Kleinasien und Syrien, durch seine
Vermittlerrolle zwischen dem Orient und
den westlichen Mittelmeerländem in geo-
graphischer wie geschichtlicher und kul-
tureller Beziehung besitzt, dann aber auch,
weil der Verf. in diesem Buche, wie er
im Vorwort ausführt, ein Musterbeispiel
der historischen Länderkunde schaffen
will, wie sie ihm vorschwebt und wie er
sie in einem Vortrage auf dem IX. deut-
schen Geographentage 1891 formuliert hat.
Er will darin „die Gesamtheit der geo-
graphischen Erscheinungen nach ihrer
ganzen historischen Entwickelung^^ be-'
handeln, das „Naturbild der Insel zeich-
nen, mit allen Veränderungen, die es im
Laufe der Jahrhunderte mit oder ohne
Zutun des Menschen erfahren hat". So
wird also dem Werk von seinem Verf.
die Bedeutung eines wissenschaftlichen
Programmes beigelegt. Die Geographie
kann dieses Unternehmen nur mit Freu-
den begrüßen. Der Referent teilt mit
dem Verfasser und wohl mit vielen Fach-
genossen die Ansicht, daß die wissen-
schaftliche Geographie sich bei der Dar-
stellung des ursächlichen Zusammenhangs
der menschlichen Erscheinungen mit der
Natur ihres Schauplatzes keineswegs auf
die Gegenwart beschränken soll, son-
dern daß sie diesen Zusammenhang auch
in der historischen Vergangenheit klar-
zustellen hat. Nicht die Zeit gibt die
Grenze zwischen geschichtlicher und geo-
graphischer Behandlung ab, sondern die
Methode. Die so aufgefaßte historische
Landeskunde bildet einen notwendigen
Zweig der Geographie — im Gegensatz
zur historischen Topographie, die, weil
nur durch historische Methoden zu be-
arbeiten, lediglich der Geschichtswissen-
schaft zufällt.
Warum sind aber bisher so wenige
Versuche in dieser Richtung gemacht
worden? Einfach deswegen, weil wissen-
schaftliche Geographen so selten das dazu
nötige historisch - philologische Rüstzeug
besitzen, während andrerseits den meisten
bisherigen „historischen Geographen" die
geographische Methode zu wenig eigen
ar, als daß sie mehr als alte Topographie
hätten schaffen können. Als Vorbilder
seiner Arbeit nennt der Verf. — nach K.
Ritter — Nissen und Neumann -
Partsch, jedoch will er sich nicht wie
diese auf das Altertum beschränken, son-
dern ganz besonders auch das Mittelalter
berücksichtigen. So hätte er wohl, als
bisher unübertroffenes Muster einer Dar-
stellung, die alle historische Zeiten be-
rücksichtigt und doch ganz und gar
modern geographisch ist, Partschs Mo-
nographien der Jonischen Inseln anführen
können.
Oberhummer ist sicherlich im Besitz
der zu seinem Unternehmen nötigen Be-
herrschung der historischen und geogra-
phischen Methoden. Aber es ist natür-
lich, daß doch entschieden das historische
Element bei ihm vorwiegt. Die Darstel-
lung der Natur der Insel ist fast durch-
gängig referierend, auf die Arbeiten an-
derer aufgebaut; ein Bild des Zusammen-
wirkens der natürlichen Faktoren zu den
tatsächlichen Erscheinungen der Natur,
die Ableitung der Erscheinungen aus
ihren Ursachen, ist nur unvollkommen
erreicht, und originelle Gesichtspunkte
bietet in dieser Hinsicht das Buch kaum.
Dagegen sind mit ungeheurem Fleiß und
eingehender kritischer Sorgfalt die Nach-
richten über die Insel aus der Vergangen-
heit gesammelt und berücksichtigt. Eine
ausführliche Mitteilung alter Nachrichten
fällt allerdings methodisch aus dem Rah-
men geographischer Darstellung heraus
und ist nur als Vorarbeit für die histo-
rische Landeskunde zu betrachten. Je-
doch ist ihre Aufnahme in das Werk
nicht zu verwerfen, da sie die bisher
nicht vorhandene Gnmdlage der histo-
rischen Landeskunde Cypems bildet. Aus
demselben Grunde hat z. B. der Refe-
rent in seinen Arbeiten über Griechen-
land die geologischen Grundlagen neu
schaffen und daher auch weit ausführ-
licher mitteilen müssen, als sie streng
methodisch in einer geographischen Lan-
deskunde hätten Platz finden dürfen.
Im ersten Abschnitt wird zunächst
zusammengestellt, was die orientalischen
Literaturen über Cypern aussagen : ägyp-
tische und assyrische Texte, Bibel, phö-
nizische und „epichorische" Inschriften,
die rabbinische, armenische, syrische,
arabische, persische und türkische Lite-
ratur, die russischen Pilgerschriften. Aber
Buch erbesprechun gen.
299
auch bei allen einzelnen Gegenständen,
die im folgenden behandelt werden, wird
angeführt, was darüber die verschieden-
artigsten Quellen von den ältesten bis
zur jüngsten Vergangenheit melden, und
so etwaige Veränderungen festgestellt
und zu verstehen gesucht. Allerdings
muß die eigentliche Zusammenfassung zu
einem lebensvollen, auf Ursache und Wir-
kung beruhenden Bilde des Zustandes
und der Bedeutung der Insel in den ver-
schiedenen Zeiten vom zweiten Bande er-
wartet werden, der den anthropogeogra-
phischen Teil bringen wird.
Wir können natürlich hier den Inhalt
des Buches nur ganz kurz anführen, ohne
auf Einzelheiten einzugehen. Das zweite
Kapitel behandelt den Namen der Insel
und schließt mit einem non liquet; das
dritte die Lage; ihre Folgen für die hi-
storische Rolle Cypems in den verschie^
denen Zeiten werden treflPlich geschildert.
Dann werden behandelt Gestalt und Größe,
Meer und Küste (nebst der historisch sehr
wichtigen Salzgewinnung, dem Fischfang,
dem an der Küste vorkommenden eigen-
tümlichen Meeresschaum, der mit dem
Aphrodite-Mythus in Verbindung gebracht
wird); Gebirgsbau; nützliche Mineralien
(von denen allein das Kupfer eine große
Bedeutung, aber nur im Altertum besaß);
Klima und Bewässerung (auch künstliche
Bewässerung, Krankheiten u. dergl.\ dann
das Pflanzenkleid (nebst Fi-uchtbarkeit,
Geschichte der Bodennutzung und Kultur-
pflanzen — besonders sind die Abschnitte
über das Zuckerrohr und die Baumwolle
hervorzuheben — wohl das wertvollste
Kapitel des Buches); die Tierwelt (der
ein größerer Raum in der Landeskunde
angewiesen wird, als bisher üblich). End-
lich wird die Karte von Cypep in ihrer
Entwickelung verfolgt und durch Abbil-
dungen erläutert, dabei viel für die Ge-
schichte der Kartographie Neues gebracht,
z. B. aus der türkischen Seekarte des
Pin Refs. Den Schluß bilden Nachträge,
eine Zeittafel, eine Literaturübersicht und
ein sehr sorgfältiges Register. Eine Karte
der Insel in 1 : 500 000 ist beigefügt.
Abgesehen von der methodischen Eigen-
art, die wir in ihren Vorzügen und Schat-
tenseiten zu charakterisieren vemicht
haben, ist das Buch ein so wertvolles
und umfassendes Quellenwerk, wie wir
es kaum von einem anderen Teile des
Mittelmeergebietes besitzen. Hoffen wir,
daß uns der zweite Band bald beschert
wird! Philippson.
Ton Oppenheim, Max. Rabeh und das
Tschadseegebiet. IXu. 199S. 1 K.
Berlin, D. Reimer 1903. JC 4.—.
Wer die Geschichte des afrikanischen
Sudan im letzten Jahrzehnt — und wenn
auch nur in der Tagespresse — verfolgt
hat, dem ist der Name Rabeh begegnet.
Die Vorstellungen, die er mit diesem Namen
verknüpft erhielt, waren ziemlich verworren
und ungenau. Auch in unserm deutschen
Schutzgebiet Kamerun, in seiner nordöst-
lichen Ecke, am Ufer des Tschad, hat
dieser Name eine Rolle gespielt; ja die
(freilich kurze) Zeit seiner größten Macht-
entfaltung hat dieses Gebiet zum Schau-
platz. Einen zusammenfassenden Bericht
nui^ über diesen unstreitig bedeutenden
Mann zu geben, der in seinem Eroberer-
zug durch ganz Innerafrika weite Kreise
zu seinen Lebzeiten bewegte und — in-
direkt — ^ vielleicht noch weitere nach
seinem Sturze bewegen wird, hat sich der
Verfasser zur Aufgabe gemacht.
Diese Aufgabe muß, soweit nicht die
Kürze der Zeit seit den erst jüngst ver-
flossenen Ereignissen, die Unzuverlässig-
keit der Quellen und andere Umstände
hemmend und störend wirken, als ge-
lungen bezeichnet werden ; zum mindesten
ist mit vorliegendem Buch ein Werk ge-
schaffen, das zum erstenmal im Zu-
sammenhang über die ganze Lebens-
geschichte dieses kühnen Arabers, „der zu
den erfolgreichsten Eroberem zu rechnen
ist, welche die Welt in den letzten Jahr-
hunderten hat auftreten sehen", über die
durch sein Auftreten hervorgerufenen ge-
waltigen Umwälzungen im Sudan berichtet.
Der Verfasser war für diese seine Auf-
gabe, abgesehen von seinem Fleiß und
kritischen Studium aller einschlägigen
Tagesberichte in französischen u. a. Publi-
kationen, ganz besonders geeigenschaf-
tet durch seinen langjährigen amtlichen
Aufenthalt in Kairo, „das", wie er selbst
in der Vorrede betont, „für die Beobach-
tung aller Vorgänge in der mohammeda-
nischen Welt ein hervorragend geeigneter
, Punkt ist", wo es ihm möglich war, einer-
I seits durch persönlichen Verkehr mit Ra-
1 behs einstigem Führer Zuber Pascha,
I andererseits „durch Angehörige verschie-
300
Bücherbesprechungen.
denster innerafrikanischer Länder un-
mittelbare Nachrichten über die frühere
Entwicklung der Macht Rabehü und über
die jüngsten Ereignisse am Tschadsee zu
sammeln". Auch die persönliche Rück-
sprache mit Gentil, dem Oberwinder Ra-
behs, konnte dem Buche nur zum Vorteil
gereichen.
So liegt in dem Werke die erste zu-
sammenfassende Darstellung der tief ein-
greifenden Vorgänge im weitern und
engem Tschadseegebiet klar und über-
sichtlich vor uns; es hat gerade jetzt für
uns Deutsche ein um so größeres aktuelles
Interesse, als wir durch den Zug des
Kameruner Schutztruppenkommandeurs
Oberst Pavel nunmehr selbst am Tschad-
see unsere Flagge gezeigt haben, auch
in die Ausläufer der durch den kühnen
Eroberer erzeugten gewaltigen Bewegung
hineingeraten sind und — vielleicht .mit
am Vorabend neuer Ereignisse ungeahnter
Tragweite da drinnen im Sudan stehen.
Auch dieser noch offenen Zukunftsfrage,
80 wichtig für unser Kamerun; gedenkt
der Verfasser.
Einzelne kleine Unrichtigkeiten, wie
z. B. die Unterschätzung des Einflusses
der einstigen Royal Niger Company auf
die Handelsbeziehungen des Sudan (8. 66),
die Aufführung von Schweinfurth, Junker
und Marchand unter den speziell um das
Tschadseegebiet verdienten Forschem
(S. 159) beeinträchtigen den Wert des
Buches in keiner Weise.
Ich halte dasselbe für einen gerade
jetzt äußerst schätzbaren Beitrag zur poli-
tischen Kenntnis des entlegensten Hinter-
landes von Kameran, das jedem, der da
drinnen amtlich oder privat zu arbeiten
das Glück hat, geradezu unentbehrlich
sein muß, das auch in der Heimat bei Be-
urteilung jener fernen Verhältnisse das
richtige Verständnis erschließt.
Hutter, Hauptmann a. D.
Krämer, A» Die Samoa-Inseln. Ent-
wurf einer Monographie mit beson-
derer Berücksichtigung Deutsch-
Samoas. 1. Bd.: Verfassung, Stamm-
bäume, Überlieferungen. 509 S. 3 Taf.,
4 K. u. 44 Textfig. Stuttgart, Schweizer-
barth 1902. .€ 12.—.
Dieser wuchtige Quartband macht die
erste Hälfte eines sehr schätzbaren Ori-
ginalwerks aus, zu dem der kaiserliche
Marinestabsarzt Dr. Augustin Krämer den
Stoff hauptfiächlich auf einer zweijährigen
Südseereise (1897—1899) gesammelt hat,
nachdem er bereits in den Jahren 1893
bis 1895 auf Samoa sich mit Aufnahmen
von Überlieferungen aus dem Mund der
Eingebomen beschäftigt hatte.
Das Werk enthält nicht, wie der Titel
es vermuten hißt, eine fertige Monogra-
phie Samoas, vielmehr eine Fülle von
Materialbeiträgen zur Landes-, viel mehr
noch zur Volkskunde der herrlichen Insel-
gruppe.
Einleitungsweise wird em Blick ge-
worfen auf die Geschichte Samoas, die
sich, obwohl bis zur Landung des nord-
amerikanischen Missionars Williams (Au-
gust 1830) bloß mündlich fortgepflanzt,
doch ziendich sicher bis um das Jahr
1000 n. Chr. zurückverfolgen läßt; dazu
gesellen sich kürzere Erörterungen über
die ziemlich verwickelte Verfassung und
Verwaltung während der Zeit der Selbst-
ständigkeit Samoas sowie einiges über
Sitten und Bräuche (Kawatrank, die eine
so große Rolle spielenden feinen Flecht-
matten u. a.), über Familie und Gesell-
schaft.
Den Hauptinhalt des Bandes bilden
ganz ins einzelne gehende Mitteilungen
über Savaii, Upolu, Tutuila und Manua
(d. h. die Gruppe der kleinen Ostinseln
Ofu, Olosenga, Tau). In jeder dieser vier
Abteilungen wird abgehandelt: 1) Siede-
lungsverteilung nebst verfassungsmäßiger
Landschaftsgliederung; 2) Genealogie der
führenden Geschlechter mit ganz ausführ-
licher Angabe der Stammbäume; 3) poe-
tische und prosaische Überlieferungen in
samoanischer Sprache mit seitlich bei-
gefügter deutscher Übersetzung.
An dieser Stelle kommt vor allem der
jedesmalige siedelungskundliche Abschnitt
in Betracht. Er bedeutet freilich keine
wissenschaftliche Siedelungslehre, sondem
nur eine genaue Aufzählung und Lagen-
angabe der über die Küsten verteilten
Siedelungsbezirke, die in eigentümlicher
Weise (ähnlich wie der Hauptort Apia)
alle in mehrere, gewöhnlich 3 — 4, „Dorf-
teile" zerfallen. Durch Abwandern sämt-
licher Küsten zu Fuß hat der Verf. neben
genauer Feststellung von Namen und
Lage aller dieser Siedelungsgruppen auch
sonst noch manche topographische Einzel-
heiten richtig zu stellen gefunden. Zu
Bücherbesprechungen.
301
jeder seiner vier Abteilungen hat er seine
sorgfältigen Ortsvermerke in eine Umriß-
karte der betr. Inseln eingetragen. Zur
Upolu-Karte ist der Umriß der Karte von
Langhans benutzt mit stillschweigender
Berichtigung der Lage des schönen Kra-
tersees Lanutoo (n i c h t in östlicherer Länge
als Apia, sondern südwestlich von diesem).
Man wird übrigens gut tun, die vielfachen
Namenberichtigungen dieser Karten stets
mit dem Text zu vergleichen, der oflTen-
bar maßgebender ist. So heißt z. B. die
Ortschaft Samamea in Ost-Upolu an der
Fangaloa-Bai auf der Karte versehentlich
Samameu. Dagegen dünkt das ng der
Karte, bei Fangaloa, Berg Olemanga u.a.
der im Text gewählten Transkription mit
g vorzuziehen, weil ng die tatsächliche
Aussprache wiedergibt. Nach jener
Schreibweise müßten wir auch Toga statt
Tonga setzen. Die Schreibart Fidji, die
der Verf. gebraucht, ist eine für den
Deutschen unzulässige Französierung des
englischen Fiji. Kirch ho ff.
Geistbeek, M. und A. Geistbeek. Leit-
faden der Geographie für Mittel-
schulen. V. Teil, a) Lehrstoff der
5. Klasse (Obertertia) der humanisti-
schen Gymnasien. Europa und Deutsch-
land. 58 S. b) Abriß der Länderkunde
für die 6. (oberste) Klasse der Real-
schulen. 70 S. München, Oldenbourg
1902. JL —.66.
Beide Bändchen sollen dem abschließen-
den wöchentlich einständigen geographi-
schen Unterricht einerseits in der Ober-
tertia der bayrischen Gymnasien, ander-
seits in der letzten Klasse der bayrischen
Realschulen eine Grundlage geben. Der
Inhalt beider Bändcheu unterscheidet sich
gemäß den Vorschriften der bayrischen
Schulordnung im wesentlichen darin, daß
in dem für Gymnasien bestimmten nur
Europa behandelt wird, während in dem
für Realschulen bestimmten Bändchen
neben Europa auch die außereuropäischen
Erdteile zur Darstellung gelangen. Den
meisten Raum von je 30 Seiten bean-
sprucht in beiden Bändchen das germa-
nische Mitteleuropa; in dem Bändchen für
Gymnasien erfahren außerdem die Mittel-
meerländer eingehendere Besprechung.
Viel Stoff wird geboten. Wir werden
belehrt über die Erwerbsquellen der ver-
schiedenen Länder, über deren Industrie-
I Zentren. Wir lernen die wichtigsten Ver-
I kehrswege kennen, die Lage einer ganzen
Reihe von Städten wird uns erklärt. Wir
erfahren, welcheVolksstämme die einzelnen
Landschaften bewohnen, welche hervor-
ragenden Männer aus denselben hervor-
gegangen sind, welche Rolle einzelne
Landschaften im Verlaufe der Geschichte
spielten. — An ethnographischem Stoff
dürfte es des Guten zu viel sein; das
meiste hiervon gehört in den geschicht-
lichen und literar-historischen Unterricht.
— Die geographische Darstellung ist teil-
weise recht anschaulich; hervorzuheben
sind in dieser Beziehung die Schilderungen
der Bodenfläche der norddeutschen Tief-
ebene, der schwäbisch-bayrischen Hoch-
fläche, des ungarischen Tieflandes. Doch
leidet die geographische Darstellung an
einer gewissen Leere. Warum lernen wir
bei Deutschland nicht hervorragendeWerke
der Baukunst wie Kanäle, Eisenbahn-
bauten auf Grund der geographischen
Bedingungen verstehen, warum gewinnen
wir nicht einen Einblick wenigstens in
die Anlage unserer größten Hafenstadt
Hamburg, warum gibt man uns nicht
einen Einblick in die Erschließung der
Kohlenschichten in einem unserer Kohlen-
bezirke, warum erfahren wir nichts Nähe-
res über Moorkulturen usw. ? Noch dürf-
tiger ist die Belehrung bei außereuropäi-
schen Ländern. Z. B. wird als vorherr-
schendes Wirtschaftssystem der Mittel-
meerländer der Gartenbau mit künstlicher
Bewässerung angegeben. Warum wird uns
dieses Wirtschaftssystem nicht gleichzeitig
mit den Kulturpflanzen für eine ganz be-
stimmte örtlichkeit vorgeführt? Oder was
ist dem Schüler damit gedient, wenn er
hört, die Union stehe betreffs der Eisen-,
Steinkohlen-, Gold-, Silber-, Kupfer-, Petro-
leum- und Quecksilbererzeugung an erster
Stelle, ohne Näheres über den Ursprung
solcher Erzeugnisse zu erfahren? Reifere
Schüler, für die ja die Bändchen bestimmt
sind, vertragen schon einige Einzelheiten,
wenn solche in dem richtigen Zusammen-
hang dargeboten werden.
Die Schüler sollen durch den geo-
graphischen Unterricht sehen lernen.
Die Geistbeckschen Bändchen suchen den
Schülern eine Menge Wissen beizubringen ;
doch ist Referent der Ansicht, daß die
Schüler mit diesem Wissen im Leben nur
wenig werden anfangen können. Olauß.
302
Neue Bücher und Karten.
Nene Bficher and Karten.
Al1|ir«nelDeN.
Teata, Oscar M. L'awenire della Geo-
grafia. IV u. 84 S. Neapel, Pierro
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X. Jahrg. 1903. Bearb. v. F. Umlauft.
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E. Z ollin ger. Geographische Heimats-
Kunde der Stadt Basel in Lesestücken
und ausgeführten Lektionen. VUI u.
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Füßli 1903. Fr. 1.50.
Zeitschriftenschaa.
Petermanns Mitteilungen 1903. Heft 8. der kaukasischen Grenze nach Tabriz und
Senfft: Ethnographische Beiträge über | Kaswin. — Braun: Der Schilling-See im
die Karolinen- Insel Yap. — Stahl: Von | Preußischen Oberlande. — Sievers: Neue
Zeitschriften seh an.
303
Literatur zum chilenisch -arf^entiniachen
Grenzstreit.
Globus. 83. Bd. Nr. 11. Rüge: Klein-
asien als Wiege der wissenschaftlichen
Erdkunde! — Sievers: Zur Schreibweise
der Orts- und Stamraesnaraen in Süd-
amerika. ~ Raap: Reisen auf der Insel
Nias. — Greim: Die Abbildung der vor-
herrschenden Winde durch die Pflanzen-
welt.
Dass. Nr. 12. Seidel: Die deutschen
Salomo-Inseln sonst und jetzt. — Rage:
Kleinasien als Wiege der wissenschaft-
lichen Erdkunde ü. — Katzer: Das Po-
povopolje in der Hercegovina.
Das8. Nr. 18. Singer: Die deutsche
Afrikaforschung. — Hauthal: Die Ent-
scheidung im argentinisch -chilenischen
ürenzstreit. — Rütimeyer: Die Nilgala-
weddas in Ceylon I. — Weitere Ent-
deckungen zur Vorgeschichte Kretas. —
Förster: Vom Nyassa zum Viktoria
Nyansa.
Dctss. Nr. 14. Struck: Die mazedo-
nischen Seen IL — Die New Yorker Juden.
— Rütimeyer: Die Nilgalaweddas in
Ceylon 11. — Krebs: Studien an der neuen
Monatskarte für den Atlantischen Ozean.
— Singer: Zur Festlegung der Grenzen
Kameruns. — Oppert: über einen der
Begräbnisplätze der Asche Buddhas.
Boss. Nr. 16. Wolkenhauer: Dr.
Karl V. Scherzer f. — Thom6: Die Götzen
am Kilimandscharo. — Tetzner: Seelen-
und Erdmännchenglauben bei Deutschen,
Slawen und Balten. — Struck: Die
mazedonischen Seen II.
Deutsche Bundschau für Geographie
und Statistik. XXV.Jhrg. T.Heft. Neuber:
Die systematische Geographie. — Kar-
stedt: Ein Streifzug durch Savolaks und
Karelien (Finland). — Wagner: Der
Schreckenstein. — v. Orlowsky: Ein
mächtiges Gebiet, welches durch Irriga-
tion kultiviert werden soll.
Meteorologische Zeitschrift 190?^. S.Heft.
Ischirkoff: Zum Klima von Sofia. —
Kassner: Über den täglichen Gang der
Temperatur von Sofia. — Ebert: Die
atmosphärische Elektrizität auf Grund der
Elektronentheorie. — Martin: Zum Klima
von Südchile, Llanquihue und Chiloä.
Zeitschrift für Schulgeographie. 1903.
7 Heft. Schwarzleitner: Zur Länder-
kunde Europas auf der Oberstufe. —
Braun: Turan, eine morphologische Studie.
Zeitschrift fwr Gewässerhmde, 1903.
4. Heft. Wojeikow: Der jährliche
Wärmeaustausch in den nordeuropäischen
Seen. — Steuer: Über geologische Vor-
arbeiten für die Trinkwasserversorgung
in Rheinhessen. — Weigelt: Die Be-
gründung einer biologischen und Ab-
wasser-Versuchsstation der deutschen che-
mischen Industrie. — Crugnola: Zur
Dynamik des Flußbettes.
Asieti. 1903. Nr. 4. v. Brandt: Der
englisch-chinesische Vertrag vom Septem-
ber 1902. — Schlagintweit: Deutsche
Schiffahrt nach Ostasien. — Kürchhoff:
Eisenbahnen und Eisenbahnbaupläne in
China. — Tischert: Verschärfung des
russisch-englischen Gegensatzes in Per-
sien. — V. Bruch hausen: Die Quetta-
Nuschki-Bahn. — v. Kleist: Die wirt-
schaftlichen Verhältnisse der Mandschurei.
— Telegraphen- Verbindung in China.
Dass. Nr. 6. Wirth: Die Anfänge
Japans. — Arakelian: Der Babismus
in Persien. — Vosberg: Arabien. —
Kürchhoff: Eisenbahnen in China. —
Kr an sei: Der chinesische Teehandel. —
Klein: Vize-König Chang Chi-Tung über
Eisenbahnen.
Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolo-
nialwirtschaft. IV. Jhrg. 1 1 . Heft. Mohr:
Algerien. — Herb: Die Aussichten neuer
Unternehmungen in Südamerika. — Fell-
mer: Einrichtung eines großen Vieh trans-
portweges durch Südwestafrika.
Dass. Sonderheft. Brose: Die deut-
sche Kolonialliteratur im Jahre 1901.
Zeitschrift d. Ges. f. Erdkdt. zu Ber-
lin. 1903. Nr. 8. Steffen: Reisenotizen
aus Westpatagonien. — Wegen er: Die
vulkanischen Ausbrüche auf Sawaii. —
Woeikof: Das Warmwasser vor den
Straßen von Gibraltar und Bab-el-Mandeb.
Mitteilungen der K. K. Geographischen
Gesellschaft in Wien. 1903. Nr. 1 u. 2.
Grab er: Geographisch-Geologisches aus
dem oberösterreichischen Donautale. —
Schaffer: Geologische Forschungsreise
im südöstlichen Kleinasien.
The GeographicalJoumal. 1903. Nr. 4.
Buckley: Colonization and Irrigation in
the East Africa Protectorate. — Smith
and Moss: Geographical Distrubution of
Vegetation in Yorkshire. — Hamilton:
From Quito to the Amazon via the River
Napo. ^— Dickson: The Hydrography of
the Faeroe-Shetland Channel. — The Vol-
304
Zeitschriften schau.
canic Eruption on Tarishima. — Return
of the „Moming'*. — Additional Remarks
on New Discoveries in the Text of Ca-
prini.
The Scoiiibh Geographica! Magazine.
1Ü03. Nr. 4. The „Scottia"« Voyage to
the Falkland Islands. — Hawes: A Visit
to the Island of Sakhalin. — The Tanga-
nyika-Problem. ' -
La Geographie. 1903. Nr. 3. Recon-
naissance g^ographique de la r^gion du
Tchad par le lieutenant-colonel Destenave.
— Rabot: La Laponie suädoise. —
Doutt^: Figuig. Notes et impressions.
Ännales de Geographie. 1908. Nr. 62.
Caullery: Le Plankton. — Hitier: Le
yillage picard. — Segonzac: Voyages
au Maroc. — d'Ollone: Cöte d'Ivoire et
Liberia. — Van Cassel: Geographie
t^conomique de la Haute Cöte d'Ivoire
Occidentale. — Haug: Le bas Ogooue.
— Girardin: Sur un projet de Corpus
topographique du monde ancien. —
B risse: Le reseau ferr^ de l'Asie Mi-
neure.
Riv. Geogr. Ital. Ann. X. 1903. Jan.
u. Febr. Bertelli: La leggenda di Fla-
vio Gioia inventore della Bussola. —
Mori: Origine e progressi della Carto-
grafia ufficiale negli Stati modemi. —
Bertolini: Ancora della linea delle sor-
give in relazione alla laguue e al terri-
torio veneto. — Crocioni: Termini geo-
grafici dialettali de Velletri e distorni. —
Melzi: Osservazioni dei Tromometri foto-
grafici al Collegio della Querce. — Al-
fani; Osservatorio Ximeniano di Firenze.
— Marinelli: Uno studio sul Moritello.
— Regalla: Lmfima razza umana. —
Castellani: Una visita al Re di Uganda.
— La seconda riunione de! comitato per-
manente per i congressi geografiei italiani.
Dass. Milrz. Bertelli: La leggenda
di Flavio Gioia (cont.). — de Magi-
stris: Le torbide del Tevere — Mori:
Cartografia ufficiale (cont.) — Pagnini:
L'ipotesi del P. Timoteo Bertelli sulla
distribuzione della densita nelF intemo
della terra. — Marinelli: I ghiacciai
nel regime dei fiumi alpini. — Mori:
Riunione della R. Commissione Geodetica
Italiana Firenze.
llie Natuynal Geographie Magazine
1908. Nr. 3. Foster: The Canadian
Boundary. — Westdahl: Mountains of
Unimak Islands. — Emerson: Opening
of the Alaecan Territory. — The Forests
of Canada. — Work in the far South. —
The Development of Cuba. — Theories
of Volcanic Action.
The Journal of Geography. 1908.
Nr. 1. 4'*^^®^^- Phyßical Conditions
and Explorations as illustrated by Austra-
lia. — Philipps: How the Mangrove
Tree adds New Land to Florida. —
Whitbeck: The Glacial Period and Mo-
dern Geography. — Carney: The Dome-
stication of Ginseng. — Travel and Traffic
in China. — The Danish West Indies. —
Raymond: Geographical Positions of the
Base Lines and Principal Meridians.
Aus Tersehiedenen Zeitschrifteu«
van Baren: Het alpine Gletscherijs ;
zijne afzettilgen en invloed op de vor-
men van het Hooggebergte. Tijdschrift
van het Kon. Nederlandsk Äardrijks-
kundig Genotschap. 1908.
D e t m e r : Reisebilder aus Algerien, Tune-
sien und der Sahara (Schluß). Himmel
und Erde. Bd. XV. 7. Heft. April 1903.
Gobet: Les grandes villes de la Terre
situ^es au-dessus de 2000 m. Revue de
Frihourg. 1903. Janv.— Fövr.
Is for holdene i de arktiske Have 1902.
The State af the ice in the arctic seas
1902. (6 K.) Danske meteorologiske
Instituts nautisk' meteorologiske Aarbog.
Maurer: Meteorologische Beobachtungen
aus Deutsch - Ostafrika. Monats- und
Jahresmittel von 34 Beobachtungssta-
tionen. Mitteilungen aus den deutschen
SchutzgehieUn. Bd. XVI. 1908. Heft 1.
Richter: Der historische Atlas der
österreichischen Alpenländer. Deutsche
Geschichtshlätter. IV. Bd. 6./7. HefL
März/April 1908.
Schrameier: Die Grundlagen der wirt-
schaftlichen Entwicklung in Kiautschou.
Verh. d. Abt. Berlin- Charlottenburg d.
Deutschen Kol-Ges. Bd. VII. Heft 2.
Verantwortlicher Herautgeber: Prof. Dr. Alfred Hettner in Heidelberg.
Die deutsehe Nordseekfiste in alter und neuer Zeit.
Von Dr. H. Toepfer.
Vor der Geest, der schwachen zum Diluvium gehörigen Erhebung, die
sich an der Nordseeküste hinzieht, liegt in wechselnder Breite das Gebiet der
Marschen und Watten.
Es gehört durchaus der jüngsten Erdbildungsperiode, dem Alluvium, an,
wenn auch viele Jahrhunderte vergangen sind, seit sich der erste Saum neuen
Landes an dem Abfall der sandigen Geest ablagerte, um sich dann weiter,
dem Meere zu, auszubreiten.
Wie das geschehen ist, woher insbesondere das Bodenmaterial stanmite,
das läßt sich wohl entscheiden, denn noch heute setzt sich der Bildungs-
prozeß fort, unzweifelhaft genau so wie in ältester Zeit.
Es ist bekannt genug, daß die Flüsse zu jeder Zeit, insbesondere aber
nach länger andauernden Regengüssen, eine Menge gelöster und ungelöster
Stoffe — Salze, Ton-, Kalk- und Sandmassen — , die aus ihrem Einzugs-
gebiete stammen, mit sich führen, dem Meere zu. Einen Teil, zuerst die
schweren und massigen Gesteinstrümmer und den groben Kies, setzen sie
unterwegs ab, entweder im Flußbette oder bei Überschwemmungen auf dem
üfergelände, aber einen immer noch großen Teil, und von den ungelösten
Stoffen natürlich die feinsten, tragen sie bis zu ihrer Mündung.
Von der Menge der schwimmenden und gelösten Stoffe macht man sich
bald eine zu geringe, bald eine zu hohe Vorstellung. Man betont zuweilen,
daß die Fortführung fester Massenteilchen nach und nach eine Erniedrigung
aller Höhen, ja schließlich ein überall gleiches Niveau erzeugen müsse. Nun
damit hat es gute Wege. Vorläufig ist noch für viele Tausend, ja für Mil-
lionen Jahre gesorgt, daß die Gebirge Gebirge bleiben, und wir brauchen
nicht zu fürchten, daß das über die Meerfläche hervorragende Land ganz
und gar ins Meer geschwemmt werde — wenn es auch Platz darin fände —
und sich über die ganze Erdkugel eine zusammenhängende Wasserhülle
ausbreiten werde. Andererseits freilich erscheint uns oft das Flußwasser so
klar, daß wir die Menge der darin schwebenden Stoffe kaum für erheblich
ansehen möchten. Es ist eben die Menge der von einem Strome als Schwemm-
masse oder auch in gelöstem Zustande mitgeführten festen Bestandteile zu
verschiedenen Zeiten sehr verschieden, und es bedürfte sorgfältiger imd jahre-
lang fortgesetzter Beobachtungen, um von der Gesamtmasse eine sichere Vor-
stellung zu gewinnen. Solche liegen aber von keinem einzigen unserer
größeren Flüsse vor. Nur mit Vorbehalt führe ich ein paar Zahlenergeb-
nisse an.
Oeographisohtt Zeitaohrill. 9. Jahrgang. 1908. 6. Heft. 21
306 H. Toepfer:
Mit dem Rheine fließen täglich im Durchschnitt etwas üher 222 Mil-
lionen Kuhikmeter Wasser aus Deutschland ab, im Jahre also mehr als
81 000 Millionen. Bechnet man nun mit Bischof, der seine Beobachtungen
in Bonn anstellte, auf 100000 Gewichtsteile im Mittel 25,27 Gewichtsteile
an gelösten und schwebenden Stoffen, so ergibt sich als Landverlust im
Jahre rund 2072 Millionen Tonnen, die einen Baum von etwa 10 Millionen
Kubikmeter einnehmen würden. Sollte diese Masse auf das ganze beinahe
IGOOOOqkm umfassende Stromgebiet gleichmäßig verteilt werden, so würde
der Abtrag jährlich nicht mehr als 0,063 mm betragen, also verschwindend
klein sein. Und doch könnte die gesamte Schwenmiasse einen Landstreifen
von 1000 Hektaren oder 10 Quadratkilometern 1 Meter hoch mit Schlamm
bedecken. Von anderer Seite wird die Menge der vom Rhein mitgeführten
festen Bestandteile wesentlich höher, nämlich zu Sß^^ Millionen Kubikmetern,
angenonmien; inunerhin würde der hierdurch bewirkte auf das ganze Strom-
gebiet verteilte Abtrag erst in 100 Jahren 23 nun ausmachen, allerdings
aber eine Fläche von 1000 qkm mit einer Schlammschicht von 3,6 m Höhe
überziehen können.
Wie schon gesagt, man braucht diesen Zahlen kein übermäßiges Ver-
trauen entgegenzubringen, braucht auch gar nicht anzunehmen, daß die
Schwemmassen der Flüsse nur bis zu ihrer Mündung geführt werden,
jedenfalls werden wir es begreiflich finden, daß die von einem größeren
Strome dem Meere zugeführten festen Stoffe, wenn sie irgendwo niedersinken,
im Laufe von Jahrhunderten eine ganz gewaltige Ausdehnung erreichen
können. Und wir werden es auch wenigstens für möglich erachten, daß die
vom Rhein, der Ems, Weser und Elbe aus dem Innern des Landes herbei-
getragenen Massen genügendes Material boten, aus dem sich, unter Mit- und
Gegenwirkung des bewegten Meeres und durch die Arbeit des Menschen ge-
sichert, Holland und das Vorland der ganzen norddeutschen Küste bilden
konnte ^).
Wo den ausmündenden Flüssen die Bewegung des Meeres in der Form
der Gezeiten entgegentritt, da erfolgt bei Flut notwendig eine Stauung. Die
Strömung hört zeitweilig ganz auf und nun sinken selbst die leichtesten der
mitgeführten Schwemmteile zu Boden. Ja eine Stauung muß schon eintreten,
wo das strömende Flußwasser in das ruhende Meer eindringt, also auch da,
1) Die Ausdehnung des angeschwemmten Landes an der norddeutschen Küste
ist nicht übermäßig groß, sie wird weit übertroffen durch die sonst bekannten
Delta- und Inselbildongen. Es hat z. B. der Nil ein Delta von 400, der Ganges
ein solches von über 800 Geviertmeilen. Ganz besonders groß muß die Menge der
Schwemmstoffe sein, welche die größeren chinesischen Ströme dem Meere zuführen:
durch den Peiho ist der Busen von Petschili mit einer Menge von Untiefen und
kleinen Inseln erfüllt, und seine mittlere Tiefe beträgt nur sechs Faden; den vom
Hoangho mitgeführten Massen feinen Tons verdankt das weite Gelbe Meer seine
Farbe; vor der Mündung hat der Jantsekiang nicht bloß ausgedehnte Sandbänke,
sondern auch die 20 Meilen lange und 6—6 Meilen breite Insel Thung-Ming ab-
gelagert, die vor 600 Jahren noch nicht bekannt war. Wenn gerade der mäch-
tigste aller Ströme, der Amazonas, kein Delta gebildet hat, so ist das der Meeres-
strömung zuzuschreiben, die an der Küste Brasiliens vorüberzieht.
Die deutsche Nordseeküste in alter und neuer Zeit. 307
wo eine Flutbewegimg nicht bemerkbar ist, wie z. B. im Mittelmeere. Gleich-
zeitig aber erfolgt beim ZusammentreJOfen des süßen und salzigen Wassers,
bei der Bildung des Brackwassers, ein großes Sterben mikroskopischer Tiere,
die dem Flusse oder dem Meere angehört haben; die einen können eben
nicht in dem salziger gewordenen, die anderen nicht in dem salzärmeren
weiter leben. Namentlich sind es kieselschalige Seeinfusorien, die sich in
ungeheuren Mengen dem niedersinkenden imd weitergeführten Schlick bei-
mengen. Pressel gibt an, daß in jeder Ebbezeit die im Emdener Hafen
gebildete obere Schlickschicht zu %q aus Infusorienpanzern bestehe. Gerade
dem Gehalte an diesen tierischen, also stickstoffhaltigen Bestandteilen wird —
um das gleich hier zu erwähnen — die außerordentliche Fruchtbarkeit des
aus Schlickmassen gebildeten Marschbodens zugeschrieben.
Von einiger Bedeutung ist vielleicht auch die Einwirkung der in den
abfließenden MoorwUssem enthaltenen Humussäuren. Sie können mit der
Kalk- und Talkerde der im Meerwasser gelösten Salze feste Verbindimgen
bilden, die sich zugleich mit den angeschwenmiten Massen niederschlagen.
In dieser beschränkten Weise mag auch die See zur Bildung des Schlicks
beitragen, wirkliche Schwemmstoffe aber kann sie nur in geringster Menge
heranführen, denn bis zum Meeresboden reicht die Bewegung des Wassers
nicht, und was die Abnagung etwa an den Steilküsten Norwegens oder
Schottlands liefert, wird kaum bis an unsere Küste gelangen; das würden
schon die in langer Reihe vorgelagerten Düneninseln verhindern.
Aber Schicht kommt auf Schicht, und langsam erhebt sich an bestimmten
Stellen eine der Flußrichtung vorlagemde Bank, eine kleine Insel, oder es
erfolgt ein Vorrücken des Flußufers, also ein Landansatz, seitwärts von der
Stromrichtung. Die Inselchen schließen sich aneinander, der Fluß gabelt
sich, dann durchbricht er wohl auch hier und da die selbstgeschaffenen
Hindemisse, es entsteht ein immer weiter vorgeschobenes von Wasseradern
durchzogenes Land, ein Delta. Ein solches, dessen Gestalt oft freilich nicht
mehr der Bezeichnung entspricht, wird sich vorzugsweise dann bilden, wenn
die Flutströmung der Flußrichtung möglichst senkrecht entgegentritt.
Wo der ausmündende Fluß auf eine Nehrung oder auf vorgelagerte
Inseln stößt, da bedarf es schon gar nicht mehr der Flutwirkung des
Meeres, um eine Stauung hervorzubringen; der Absatz der Schwemmstoffe
kann in ausgedehntem Maße erfolgen, und nach und nach mag sich das
Haff bis zur Inselreihe vollfüllen. Kommt die Flut mehr von der Seite, ent-
steht ein Küstenstrom, so werden die Schlickmassen oft weit fortgeführt und
setzen sich erst da, wo die Meeres wogen in ihrem Laufe gehemmt werden,
an der Küste ab.
In unserem Gebiete treffen wir auf die verschiedensten Bildungen: auf
ein vollständiges Delta beim Rhein, auf immer weiter foitschreitende Aus-
füllung der durch vorlagemde Inseln gebildeten Haffe vor dem östlichsten
Rheinarme, vor der Ems und teilweise vor der Weser. Bei der Elbe da-
gegen treibt die seitwärts gerichtete Flutwelle die Schlickmassen gegen die
holsteinsche Küste, die gewissermaßen nur das rechte Ufer des Stromes bildet.
Es sind gewiß vorzugsweise von der Elbe stammende Sinkstoffe, welche die
21*
308 H. Toepfer:
zwischen die nordfriesischen Inseln und die schleswigsche Küste eindringende
Flut herantreibt, durch die sich die Küste vorschiebt und das Wattenmeer
immer seichter wird; die unmittelbar der cimbrischen Halbinsel angehörenden
Flüsse sind viel zu unbedeutend, als daß sie die betreflFende Landbildung
allein ermöglichen könnten.
Doch verfolgen wir die allmähliche Bildung neuen, aus dem Meere auf-
steigenden Landes weiter. Als typisch greife ich dabei die Erscheinungen
an der schleswigschen Küste heraus. Wenn die Flut, von W oder NW
konmiend, sich dem Festlande nähert, so ist ihre Kraft schon zum größten
Teile durch die Bewegung über den langsam ansteigenden Meeresboden und
durch den Widerstand der vorlagemden Inseln gebrochen. Bei der nach
6 Stunden erfolgenden Rückströmung ist sie wesentlich der mitgebrachten
Schwemmstoffe entledigt, in dünner Schicht haben sich dieselben nieder-
geschlagen. Und Flut folgt auf Flut. Eine jede trägt etwas — sei es
noch so wenig — zur Erhöhung des Bodens bei. Wird ein Stück des
unteren Marschbodens herausgehoben und getrocknet, so tritt die papierdünne
Schichtung deutlich hervor.
Ist endlich der Boden so weit gewachsen, daß er bei Ebbe vollständig
vom Wasser entblößt ist, so erwacht das Pflanzenleben. Über den Schlick
verbreiten AlgenfUden einen grünen Schinuner; und obgleich die gewöhnliche
Flut noch fußhoch über dem salzdurchtränkten Boden steht, steigt aus ihm
als erste Blütenpflanze der Krückfuß (Salicornia herbacea) empor. Es ist
das ein den Binnenländer ganz besonders fremdai-tig anmutendes Gewächs;
fleischig, blattlos, erinnert es mehr an einen Kaktus der trockenen Tropen-
region, als an eine Pflanze der nassen, trüben, gemäßigten Zone. Sie wird
von besonderer Bedeutung dadurch, daß sie in ihrem gegliederten Stengel
die Schlammteilchen ziu^ckhält und so eine weitere, langsam aber stetig
steigende Erhöhung des ganzen Vorlandes bewirkt. Schon vermögen nur
die höchsten Fluten über dasselbe hinwegzuziehen. Da aber wird der Krück-
faß durch eine sich besser den neuen Verhältnissen anpassende Pflanze ver-
drängt, durch die Seeaster {Aster tripodium), die an der Jahde Züddig ge-
nannt wird. Es ist ein eigentümlicher, nicht reizloser Anblick, zu Zeiten die
blauen Blütensteme dicht gedrängt aus dem Wasser hervorragen zu sehen.
Und wenn die Aster das Ihrige getan hat, wenn das Land nur noch von
Zeit zu Zeit überschwemmt wird, so erscheinen Gräser und Kräuter in
größerer Zahl, namentlich das Süßgras (Glyceria maritima) und der See-
strandswegerich (liantago maritima)^ Wermut u. a. An einzelnen Stellen mag
sich der ganze Vorgang etwas anders abspielen, im großen imd ganzen ist
er aber an der ganzen Nordseeküste gleich.
Und so hatte sich wohl an die Geest schon ein mehr oder minder
breiter von Wasserflächen durchbrochener Streifen Landes angesetzt, als
der Mensch erschien, um von ihm Besitz zu ergreifen. Die ersten Be-
wohner der Nordseeküste waren, wie aus neueren Gräberfunden geschlossen
wird, Angehörige der kurzköpfigen Basse niedrigen Wuchses, die einst einen
großen Teil Europas inne hatte, jetzt aber nur noch durch das wenig zahl-
^iche Volk der Lappen im äußersten Norden unseres Weltteils vertreten
Die deutsche Nordseeküste in alter und neuer Zeit. 309
wird. Wir wissen nichts Bestimmtes von den Kämpfen, durch die sich ein
kräftigeres Volkstum an ihre Stelle setzt.e, vielleicht aber weisen die jetzt
noch auf den Düneninseln umgehenden Sagen von einem Zauberkünste üben-
den Zwergenvolke auf die früheren Bewohner hin. Wir wissen auch nicht
die Zeit zu bestimmen, in der sich die Einwanderung germanischer Stänune
vollzog, denn solche sind es, die schon die Nordseegestade besetzt hielten,
als die Leuchte der Geschichte über ihnen aufging.
Die ersten Nachrichten, die uns aus dem griechischen und römischen
Altertume über die gesamten nördlichen Gebiete unseres Erdteils überliefert
sind, erscheinen recht dürftig und unbestinunt und bieten für die ab-
weichendsten Deutungen Spielraum.
Es ist bekannt, daß die Griechen das für die Herstellung der Bronze
nötige Zinn zuerst aus Massilia bezogen, wohin es auf dem Landwege aus
dem fabelhaften Norden gekonmien war; wir wissen femer, daß die Kar-
thager von Zinninseln erzählten, die sie erreicht hätten, nachdem sie durch
die Säulen des Herkules gefahren und weit nach Norden gesteuert seien.
Man glaubt, daß unter den Kassiteriden die Scilly Bands zu verstehen sind,
die jetzt freilich kein Zinn mehr liefern.
Pytheas von Massilia soll etwa in der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr.
mit bewundernswerter Kühnheit das stürmische Nordmeer befahren und das
Bemsteinland erreicht haben. Man nahm früher allgemein an, daß Pytheas
bis in die Ostsee an die bemsteinreiche samländische Küste vorgedrungen sei.
Von neueren Forschem wird das mit Recht bestritten. Auch an der Küste
der Nordsee, namentlich an den friesischen Liseln, wird heute noch Bernstein
gefunden, die „Absonderung des geronnenen Meeres^^ wie sich Plinius aus-
drückt. Früher fand sich vielleicht das geschätzte Harz reichlicher, wenn
es auch wohl eine Übertreibung ist, daß es die Bewohner der (fabelhaften)
Insel Abalus zur Feuerung benutzt hätten.
Es wird von einer cimbrischen Flut erzählt, die die Länder der Nord-
seeküsten im Süden und Osten weithin überschwenunt und die Cimbem imd
Teutonen gezwungen habe, andere Wohnsitze zu suchen. Das Ereignis
müßte im 3. Jahrhundert v. Chr. stattgefunden haben, denn so weit zurück
sind die Anfänge der cimbrischen Wanderungen zu verlegen. Nun brauchen
wir an dem Auftreten einer besonders hohen und verderblichen Flut, deren
Gedächtnis sich noch lange im Andenken der Menschen erhalten habe, nicht
zu zweifeln — im Laufe der Zeiten waren ja noch viele zu verzeichnen — ,
ma^ aber eine Flut noch so gewaltig und verheerend gewirkt haben, wie
damit die Austreibung ganzer Volksstänmie in Verbindimg zu bringen sei,
will nicht recht einleuchten. So oft später schlimme Fluten über die nord-
deutschen Küstenländer gekommen sind, eine Auswanderung in größerem
Maße haben sie niemals veranlaßt.
Wenn man die sogenannte cimbrische Flut als eine Folge des plötz-
lichen Durchbruchs der Landenge zwischen der englischen und der fran-
zösischen Küste angesprochen hat, so ist das erst recht verfehlt. Jener
Durchbruch hat in einer sehr frühen Zeit, jedenfalls lange bevor die be-
treffenden Küstenländer von Menschen bewohnt waren, stattgefunden, sicher-
310 H. Toepfer:
lieh vor der Zeit, da die Wanderungen der Cimbem begannen. Ich er-
wähnte schon, daß die Fahrt des Pytheas in das vierte Jahrhundert vor
unserer Zeitrechnung fällt, Pytheas aber segelte durch den Ärmelkanal^).
Eine wirkliche Geschichte der Nordseeküsten — und zunächst auch noch
mit vielen Fabeln gemischt — beginnt erst mit Cäsar. Auf seinem Zuge
gegen Ambiorix und die Eburonen kam er bis an die Scheide; er sieht sie
als einen Nebenfluß der Maas an, genauer hätte er bekanntlich sagen sollen,
daß sie mit einem Arme der Maas eine gemeinsame Mündung hat*). Er
kennt die Verbindung der Maas mit der Waal. Vom Rheine weiß er, daß
er sich in mehrere Arme teile und auf diese Weise viele mächtige Inseln
bilde; diese Inseln seien größtenteils von wilden und barbarischen Völkern
bewohnt, deren einige nur von Fischen und Vögeln lebten^). Das ist un-
gefähr die ganze Ausbeute, die wir dem Bellum gallicum für imseren Zweck
entnehmen können.
Auch später berichten die römischen und griechischen Schriftsteller
immer nur Einzelheiten, aus denen sich erst mit Mühe eine Vorstellung von
Land und Leuten der nordöstlich von Gallien gelegenen Gebiete gewinnen läßt.
Als sicher können wir aber folgendes annehmen: Die jetzt vielfach durch
einspringende Meerbusen gebrochene Küstenlinie zog sich geschlossen von der
heutigen Nordspitze Hollands, dem Helder, bis zur Eibmündung; vor ihr lag
wie heute eine Beihe langgestreckter, schmaler Inseln; aber die Inseln waren
zahlreicher und die Durchgänge zwischen ihnen enger*). Von den Inseln
und der niedrigen Küste war ein seichtes Meer eingeschlossen, aus dem zur
Ebbezeit, genau so wie in unseren Tagen, weit ausgedehnte Landflächen her-
vorragten, um beim Eintritt der Flut wieder vom Salzwasser bedeckt zu werden.
Was das Innere des Landes anlangt, so wird uns nicht viel Anmutiges
erzählt: der unbekannte Verfasser des Panegyricus auf Kaiser Constantius
sagt (ich erlaube mir eine etwas freie Übersetzung)*): „Das Land, das durch
deine ruhmvollen Kriegszüge, o Cäsar, in Besitz genommen und von Feinden
gesäubert ist, ich meine jenes Land, das von der Waal und ihren Abzwei-
gungen durchflössen und zum Teil von dem Rheine eingeschlossen wird, ist.
1) Als eine zu seiner Zeit umlaufende dunkle Sage erwähnt Florus die cim-
brische Flut. Er sagt (B. 3. K. 3): „Die Cimbern, Theutonen und Tiguriner, flüch-
tend aus den äußersten Enden Galliens, weil das Meer ihr Gebiet überschwemmt
hatte, suchten auf dem ganzen Erdkreis neue Wohnsitze." Aber schon 100 Jahre
vor Florus berichtet Strabo (B. 7. K. 2), daß Ephorus (also zur Zeit Alexanders
des Großen) von dieser Flut erzählt habe. Er selber will nichts von ihr wissen
und meint, daß eine übermäßig große Flut gar nicht stattfinden könne. Wir
wissen freilich, daß sich der alte Geograph darin irrte, und Prof Forchhammer,
nach ihm Fack, hat die Spuren einer Flut, die immerhin als „cimbrische" be-
zeichnet werden könnte, auf der Cimbrischen Halbinsel nachgewiesen. Sie soll
60 Fuß hoch gestiegen und im Tale der Eider hinauflaufend durch zwei Ein-
gänge nach der Kieler Bucht gekommen sein. Pet. Mitt. 1869. S. 11.
2) Caesar. Bell. gall. VI. 38.
3) Caesar. Bell. gall. IV. 28. 31.
4) Von Texel bis zur Eider waren zur Römerzeit 23 Inseln vorhanden, 7 von
nen sind spurlos verschwunden.
5) Sueß Pas Antlitz der Erde. Bd. II. S. 531) gibt den lateinischen Text.
Die deutsche Nordseeküste in alter und*neuer Zeit. 311
wenn ich so sagen darf, eigentlich kein Land. So sehr ist es von Wasser
durchtrankt, daß es nicht allein da, wo es als reiner Sumpfboden erscheint,
den Fuß einsinken läßt, sondern auch da, wo der Zusammenhalt ein wenig
größer ist, beim Auftreten schaukelt und bis zu einer gewissen Entfernung
hin schwankt."
Die Schilderung trifft heute nicht mehr für das ganze Holland, wohl
aber für die immer noch beträchtlichen Moorstrecken zu, die sich dort und
in ganz Norddeutschland vorfinden^).
Von den großen Flüssen des Nordseegebietes lernten die Römer außer
dem Rheine yomehmlich die Ems und die Weser kennen. Da mußten ihnen
zunächst die gewissermaßen unfertigen Zustände der Beuferung auffallen und
die zu Zeiten übermäßige Ausdehnung der Wasserflächen. Sie sahen — was
heutzutage noch von den üi-waldströmen erzählt wird — losgerissene, mäch-
tige Baumstämme, manchmal zu wahren Inseln vereinigt, mit den Fluten in
die See treiben. Wie Plinius erzählt, geschah es, daß einer römischen Flotte
einmal nachts die aufrecht heranschwimmenden Bäume als ebenso viel Schiffis-
maste erschienen, so daß man sich zum Seegefecht vorbereitete.
Bis zum Meere, ja fast in das Meer hinein reichten die Ansiedlungen
der nicht zahlreichen Bevölkerung, die nach der Ansicht der Römer ein wenig
beneidenswertes Leben führte, von dem ungastlichen Meere, gegen das kein
Damm schützte, ewig bedroht. Die Schilderung, welche Plinius von dem
Lande und dem Volke der Chauken entwirft, entsprach — von einigen Über-
treibungen des an feinere Daseinsbedingungen gewöhnten Mannes abgesehen —
gewiß nicht bloß den Zuständen des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrech-
nung, sondern auch der nächstfolgenden. Er sagt: „Zweimal schwillt in der
Zeit eines Tages der ungeheure Ozean an, und zweimal sinkt er. Bei diesem
ewigen Kampfe der Natur möchte man zweifeln, ob es Land sei oder Meer,
was man sieht. Hier und da ragen Hügel auf, die das Meer gebildet hat,
und die von Menschenhänden noch erhöht wurden. Auf diesen wohnt das
ärmliche Volk in Hütten. Umringt von der Flut, sind sie Schwinunenden
und, fällt das Wasser, Schiffbrüchigen zu vergleichen. Sie haben kein Vieh,
und Jagdbeute ist ihnen versagt; ihre einzige Nahrung sind Fische. Um
ihre Speisen zu kochen imd ihre von Frost starrenden Glieder zu erwärmen,
verbrennen sie getrocknete Erde*)."
Zwischen den sich westwärts wendenden Rheinarmen, also in Holland,
wohnten die deutschen Stämme der Bataver und Kaninefaten, die sich später
mit den Franken vereinigten; nördlich und westlich von ihnen bis zur Ems
hin die Friesen. Zwischen der Ems und der Elbe saßen die Chauken. Die
cimbrische Halbinsel nahmen Angeln und Sachsen ein; und wahrscheinlich
erst, als ein großer Teil die alte Heimat verlassen hatte, um von Britannien
Besitz zu ergreifen, siedelten sich auf den vorlagemden Liseln und am
Küstensaume Friesen an.
1) Diese unter dem Tritte bebenden Moore sollen der zu dem holländischen
Seeland gehörigen Insel Beveland den Namen gegeben haben (?).
2) Wohl die erste Erwähnung von der Verwendung des Torfes als Brenn-
material. Plinius. Eist. nat. XVI. 1.
312 * H. Toepfer:
Die Nachrichten der römischen Schriftsteller reichen nur bis ins 2. Jahr-
hundert. Sie sind, wie ich schon betonte, dürftig, aber noch viel dürftiger,
nämlich gar nicht vorhanden, sind von Zeitgenossen verfaßte Berichte aus
den nächsten Jahrhunderten, mindestens bis zu den Anfängen des fränkischen
Kaisertums. Ja eigentlich erst mit dem 10. und 11. Jahrhundert beginnt
wieder eine beglaubigte Geschichte des Nordsee-Küstenlandes.
Nun wissen freilich die Chronikenschreiber jener Zeit Wunders viel zu
erzählen von dem, was geschehen in alten Tagen, aber was sie erzählen,
sind Fabeln und haltlose Sagen. Vor allem haben sie zu berichten, daß die
ursprüngliche Ausdehnimg ihres Gebietes viel größer gewesen sei, als zu
ihrer Zeit, viel größer, als sie jemals gewesen sein kann. Wie sie dazu ge-
kommen, ist leicht erklärlich: Wenn sie Augenzeugen waren von den Ein-
griffen des gewaltigen Meeres, wenn sie sahen, wie ein Stück ihres Landes
nach dem anderen weggerissen wurde, so nahmen sie einfach an, daß solche
und noch viel größere Landverluste auch früher vorgekommen sein müßten.
Noch jetzt lebt im friesischen Volke die Überzeugimg, daß die friesischen
Inseln, auch die im Norden, einst mit dem Lande in unmittelbarem Zusammen-
hange standen, ja daß das Friesenland weit über sie hinaus reichte und selbst
Helgoland einschloß. Wann das der Fall gewesen sei, weiß freilich keiner
zu sagen. Übrigens waren nicht bloß die alten Chronikenschreiber und ihre
leicht überzeugten Leser, sondern auch Gelehrte der letzten Jahrhunderte
von einer unglaublichen Naivetät in geographischen Dingen; ein ergötzliches
Beispiel bieten die Beschreibungen und die Karten des alten Helgoland.
Tacitus^) hatte von einer im Nordmeere gelegenen Insel gesprochen, auf
der sich ein der Göttin Nerthus, der Mutter Erde, geweihter heiliger Hain
befinde; alljährlich halte die Göttin auf ihren von Kühen gezogenen Wagen
einen Umzug, und überall, wo sie einkehre imd sich aufhalte, herrsche Glück
und Freude; die Waffen ruhten, bis die Göttin wieder in ihr Heiligtum
zurückgekehrt war. Mit Gewalt wollte man in der Nerthus-Insel Helgoland
erkennen; zu diesem Zwecke wurde sie zunächst mehrere Male so groß ge-
macht, als sie jetzt ist. Namentlich dehnte man sie weit nach Osten hin
aus und erzählte, daß eine einfache Fähre einst den Verkehr Helgolands
mit Dithmarschen und Eiderstedt vermittelt habe; ja man verstieg sich zu
der Behauptung, der Kanal zwischen der Insel imd der schleswigschen Küste
sei so schmal gewesen, daß ein darüber gelegtes Brett als Brücke diente.
Diese Phantasien spielten lange genug und erhielten Nahrung durch eine
von dem königl. dänischen Mathematikus Joh Mayer hergestellte Karte, auf
der der Umfang und die Topographie der Insel, wie sie angeblich in den
Jahren 800, 1300 imd 1640 gewesen war, genaue Darstellung fand. (Diese
Karte fügte Dr. Kaspar Dankwerth seiner 1694 erschienenen Beschreibung
der Herzogtümer Schleswig und Holstein bei.) Nach ihr war im Jahre 800
die Insel ein großes Land mit vielen Häfen, Flüssen, Wäldern, Burgen, Tem-
peln und Ortschaften, die alle genau benannt sind. Im Jahre 1300 ist sie schon
wesentlich kleiner geworden und 1640 hat sie ungefähr den heutigen Umfang.
1) Tacitus. Germania. 40.
Die deutsche Nordseeküste in alter und neuer Zeit. 313
Nach gründlicheD geologischen Forschungen ist eine ehemals beträcht-
liche größere Ausdehnung der Insel ganz unmöglich. Daran zu denken, daß
die Jüerthus-Insel des Tacitus Helgoland gewesen sein könnte, verbietet also
schon der geringe Umfang. Hierzu kommt die völlige Abwesenheit von Über-
resten firüherer Wälder auf der Insel sowohl, wie auf dem umliegenden See-
boden. Ebensowenig wie heute könnt« bei den ewigen starken Winden ge-
wiß auch früher kein Baomwuchs aufkommen, und in der Tat wird die
völlige Waldlosigkeit Helgolands im Jahre 1072 von Adam von Bremen be-
stätigt. In neuerer Zeit meint man, die Nerthus-Insel sei eins der Elb-
eilande gewesen, vielleicht mit mehr Recht hat man wohl auch an Bügen
gedacht.
Die Landbildung an der norddeutschen Küste hatte zur Römerzeit einen
zwar nicht genau nachweisbaren, aber doch gewiß erheblichen Umfang er-
reicht. Wäre sie nun in der Weise, die ich als den natürlichen Gang ge-
schildei-t habe, ungestört weiter gegangen, so würde sicherlich der breite
Wasserstreifen, der sich immer noch zwischen der Küste imd den Dünen-
inseln hinzieht, schon vollständig ausgefüllt sein und jene Inseln wären land-
fest geworden. Aber das Meer ist ein böser Nachbar.
Die Chroniken des Mittelalters sind voll grauenvoller Berichte über das
durch die Einbrüche des Ozeans bewirkte Unheil. Mehrere hundert Über-
flutungen, die Land zerstört und Menschenleben vernichtet haben, werden
allein in den Niederlanden aufgezählt, und nicht geringer an Zahl und
ebenso grausam waren die, welche die heutige deutsche Küste heimgesucht
haben.
Ich will hier nur einige der bedeutendsten dieser Verwüstungen, ins-
besondere solche anführen, deren Wirkungen noch bis auf den heutigen Tag
sichtbar sind. Wer eine ausführliche Darstellimg wünscht, mag sie in den
Schriften von Arends und von HoflF suchen.
Als die Römer in den nördlichen Teü des heutigen Holland vordrangen,
trafen sie da, wo sich jetzt der südliche Zipfel des Zuyder-Sees ausbreitet,
einen Landsee, in den sich, mit der Yssel vereinigt, der östliche Arm des
Rheines ergoß. Seinen Abfluß in den Ozean fand dieser Flevus genannte
See wahrscheinlich zwischen den Inseln Vlieland und Terschelling. Bis ins
12. Jahrhundert bewahrte der Flevus seinen Umfang. Nun erfolgten aber
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts vom Meere her eine Reihe großer
Überflutungen, durch welche sich nach und nach die völlige Trennung der
heutigen Provinz Nord-Holland von West-Friesland vorbereitete; und diese voll-
zog sich endgültig im Jahre 1282. Seine volle Ausweitung erhielt aber der
neu entstandene Meerbusen erst nach dem Jahre 1400. Er bedeckt jetzt)
wenn man ihn bis zu den Inseln rechnet, eine Fläche von 5500 qkm; nur
die kleinen Inseln Urk und Schokland sind von dem versunkenen Lande übrig
geblieben. Schon vor der Bildung des Zuyder-Sees hatten ähnliche Über-
schwemmungen und Einbrüche an der deutschen Küste stattgefunden. Die
erste bestimmte Nachricht haben wir von dem alten Reimchronisten Renner;
er erzählt aus dem Jahre 1012: „Die Elbe und die Weser stiegen drei Tage
lang, sie wurden über die Maßen groß und liefen über. Da das Wasser
314 H. Toepfer:
wieder zurückfloß, wurden viele tote Leute gefunden, davon kam eine große
Pestilenz." Nach dem Mönch Godefried und dem friesischen Geschichtschreiber
ühbo Emmius drang im Jahre 1144 eine Flut fast 12 Meilen in das
Land ein.
Im Jahre 1016 hatte schon die Bildung des Jahdebusens begonnen,
1218 kam sie zur Vollendung; doch noch 1509 imd 1511 fielen beträcht-
liche Stücke des Landes dem gierigen Meere zum Opfer.
Bei der Flut von 1164, die ganz Nordfriesland verwüstete, kamen im
Kirchspiel Brunsbüttel fast alle Menschen um; 1216 ertranken wieder in
Nord-Friesland 10 000 Bewohner und ebensoviel bei der Marcellusflut im
Jahre 1219.
Li der Weihnachtsflut des Jahres 1277 entstand der Dollart Li den
nächstfolgenden Jahren dehnte sich der neue Meerbusen weiter aus; das
dauerte bis 1507, wo auch der letzte Rest des Landes in den Fluten ver-
sank. Ln ganzen sollen hier 50 größere und kleinere Ansiedlungen , die
schönsten und reichsten in Friesland, untergegangen sein; mehr als sechs
Quadratmeilen wurden vom Wasser bedeckt. Die Ems, die zur Bömerzeit
sich in zwei oder drei Mündungen unmittelbar ins Meer ergossen hatte, ver-
änderte ihren Lauf und biegt jetzt südlich von Emden fast rechtwinklig ab.
Am 16. Januar 1362 kam über die damals ausgedehnte Lisel Nord-
strand die erste große Verheerung; eine Reihe urkundlich nachgewiesener
Orte sind damals verschwunden. Noch schrecklicher waren die Wirkungen
der am 11. und 12. Oktober 1634 hereinbrechenden Flut. Die Lisel wurde
in drei Teile zerrissen, die heute unter dem Namen Nordstrand, Pellworm
und Hoge bekannt sind.
Am 8. September 1362 sollen 30 Kirchspiele in Friesland mit ihren
Bewohnern zu Grunde gegangen sein; von Sylt und Föhr wurden große
Stücke abgerissen. Das war die große Mannestränke, die noch heute im
Gedächtnis der Menschen lebt.
Furchtbar muß die am Allerheiligentage des Jahres 1570 herein-
gebrochene Überschwemmung gewesen sein. Ihre Verheerungen reichten von
Holland bis Jütland, in wenigen Stunden war alles eine einzige wilde Wasser-
wüste, kein Damm widerstand, kein Dorf blieb verschont, keine Wurt blieb
trocken; mehr als 100000 Menschen sollen umgekommen sein, so daß lange
Jahre eine Menge Land unbenutzt liegen blieb, weil die Hände zur Bebau-
ung fehlten.
Im selben Jahrhundert kamen noch drei gi'oße Überschwemmungen vor,
und im 17. Jahrhimdert wurden 13 Sturmfluten gezählt.
Aus dem vorvorigen Jahrhundert ist nur eine allgemeine Flut zu ver-
zeichnen, aber eine der allerfurchtbarsten. Von ihr entwirft Arends eine
eingehende Schilderung, von der ich einen ganz kurzen Auszug gebe:
Mehrere Tage vor Weihnachten des Jahres 1717 hatte es stark und
anhaltend aus SW geweht, und viel Wasser war durch den Kanal in die
Nordsee getrieben. Am heiligen Abend ließ der Wind allmählich nach und
'n Emden hatte man keine Ahnung von einer kommenden Überschwemmung.
\ erhob sich Nachts zwischen 1 und 2 Uhr der Sturm in unerhörter Wut
Die dentsche Nordseeküste in alter und neuer Zeit. 315
ans NW, die See schwoll rasch so hoch an, daß schon kurz nach 2 Uhr
das Wasser durch die ganze Stadt strömte. Die Deiche wurden mehrere
Fuß hoch überflutet und brachen an vielen Stellen, so daß sich das wild-
tobende Wasser in die offene Stadt ergoß. Es war ein böses Erwachen aus
erstem Schlafe unter dem Heulen des rasenden Sturmes, dem Bollen des
Donners und dem Getöse der einbrechenden Wogen. Das Wasser stieg höher
und höher; auf Böden und Balken das bloße Leben rettend verbrachten die
Bewohner eine schreckliche Nacht. Und der Tag brachte keinen Trost, er
zeigte nur grauenvolle Zerstörung. Keine Ebbe folgte auf die Flut, sondern
drei volle Tage trieb der Orkan inmier neue Wogen gegen die Küste. So
lange mußten die armen Menschen halbnackt in der Winterkälte, hungernd
imd durstend, da aushalten, wohin sie sich in dem ersten Schrecken gerettet
hatten. Viele kamen um. Und nicht Emden allein hatte zu leiden; die
Sturmflut erstreckte sich längs der ganzen südlichen und östlichen Nordsee-
küste. Am schwersten wurden Groningen, Ost-Friesland, Jever und Oldenburg
mitgenommen; 75 Quadratmeilen Landes wurden überströmt, an manchen
Stellen 10 — 14 Fuß hoch, und grauenvoll war nach dem endlichen Verlaufen
des Wassers der Anblick dieses Landes. Fast überall lagen auf den Feldern
Leichen, zuweilen in dichten Haufen; die Deiche waren fast alle zerrissen,
niedrige Gegenden blieben fast monatelang Seen, und an vielen Stellen waren
tiefe Kolke entstanden.
Die Flut von 1717 war nicht die einzige des 18. Jahrhunderts, aber,
wenn auch einzelne Teile der Küste noch hart betroffen wurden, es war doch
bis auf den heutigen Tag die letzte von größerer Ausdehnung.
Die angefahrten Berichte sind wohl ausreichend, um aus ihnen zu ent-
nehmen, wie und zu welcher Zeit die tief eingreifenden Risse und Einschnitte,
die Buchten und Meerbusen entstanden sind, die, wie schon erwähnt wurde,
vor 2000 Jahren noch nicht vorhanden waren. Es sind die bleibenden Denk-
mäler, die sich die übergewaltige See gesetzt hat. Viel weniger sicher sind
die Angaben über die außerordentlichen Menschen Verluste , die das Volk der
Friesen betroffen haben sollen, und ich will nicht verschweigen, daß berufene
Forscher, wie G. Marsh und Dr. Hansen, solche Angaben, wenn sie von
Zehntausenden imd Hunderttausenden ertrunkener Menschen reden, für weit
übertrieben halten. Aber mag das auch richtig sein, so bleibt noch genug
imsäglichen Jammers und Unglücks übrig, und immer wieder ist die todes-
mutige Zähigkeit zu be wundem, mit der die Küstenbewohner an dem ungast-
lichen Gestade, an ihrem Heimatlande bis auf den heutigen Tag festgehalten
haben.
AUmers widmet seinen Stammesgenossen ein begeistertes und verdientes
Lob. Er sagt: Die Geschichte des Friesenvolkes ist ein ewiges Siegen und
Erliegen, ein grausiges Bingen und Kämpfen ohne Ende; hier mit den Fluten
lun den teueren Heimatsboden, um Leben, um Hof und Herd, um Weib und
Kind; dort um seine Freiheit und sein gutes R^cht mit hochmütigen Fürsten,
kriegerischem Adel und habsüchtigen bremischen Erzbischöfen. Die politischen
Kämpfe des Friesenvolkes zu schildern, ist hier nicht der Ort, aber wie es
gegen das Meer gekämpft hat und noch kämpft, wie es angriffsweise gegen
316 H. Toepfer.
den gewaltigen Feind vorgegangen ist und sich endlich eine — nach mensch-
lichem Ermessen — gesicherte Heimat errungen hat, das zu erörtern darf
wohl besonderes Interesse in Anspruch nehmen. Wir werden sehen, wie das
stolze Wort der Holländer: „Deus mare, Batavus litora fecU" berechtigt ist,
und wie es seine Anwendung auch auf die übrigen Bewohner der Nordsee-
küste findet.
Die ersten Ansiedlungen lagen samt und sonders auf dem hohen Geest-
rande und der äußersten Dünenreihe. Es war zunächst gewiß nur ein stoß-
weises und zaghaftes Vordringen, als man sich auf die unbeschützten Schwemm-
lande wagte. Lange Zeit dienten diese Vorlande nur zur Viehweide. Wenn
sich Menschen nach und nach hier niederließen, so geschah das nur, nachdem
man durch künstliche Bodenerhöhungen trockenen Baum bei eintretender Flut
gewonnen hatte. Diese einzeln stehenden Wurten, nach und nach in langer
Zeile aneinander gereiht, gewährten endlich Platz für ganze Ortschaften. In
ihrer Namensendung verraten viele Niederlassungen an der schleswigschen
Küste diesen jetzt nicht mehr deutlich hervortretenden Ursprung.
Die Errichtung von Wurten war jedenfalls die erste landschützende
Tätigkeit an der ganzen Küste von Holland bis nach Jütland. Es verstand
sich wohl von selber, daß man das vorliegende Land nach und nach durch
kleine Dämme gegen die gewöhnliche Flut zu schützen suchte und neue
Wurtenreihen in das Meer vorschob. So finden sich zwischen der Geest und
Marne allein fünf Wurtenreihen mit Dörfern, deren Namen auf ein hohes
Alter deuten^).
Aber Seedeiche, was wir heute als solche bezeichnen, durch welche allein
der Besitz des ange^chwenmiten Landes gesichert werden konnte, waren das
freilich noch nicht. In Holland sollen zur KaroUngerzeit an einzelnen Stellen
höhere Schutzdänmie angelegt sein. Wie wir gesehen haben, waren auch sie
gegen die Gewalt der Sturmfluten unzureichend, und erst im 12. Jahrhundert,
veranlaßt durch die gerade in dieser Zeit in erschreckendem Maße auf-
tretenden Seeeinbrüche, begann der eigentliche Deichbau. Die Zeit des dul-
denden Widerstandes war vorüber, wenn auch noch lange nicht von einem
vollkommenen Schutze der Küste die Rede sein konnte. Die Gründung der
Städte Amsterdam und Rotterdam, deren Grund und Boden nur dem Wasser
abgewonnen ist, fäUt in diese Zeit Seit 1427 trat namentlich die Stadt
Groningen energisch für den Deichschutz ein, und 1454 wurde unter Leitung
des Drosten von Groningen der starke Deich von Runde bis Pinsterwalde
angelegt Ganz besondere Verdienste erwarb sich der 1573 als Statthalter
und Generalkapitän von Groningen und Friesland eingesetzte spanische Be-
fehlshaber Kaspar de Robles.
Auch an der deutschen Küste im Gebiete der Ems und Weser sind im
frühen Mittelalter Deiche entstanden; der Sachsenspiegel spricht von ihnen,
und der Reimchronist Renner sagt in seinem Bericht über die große Sturm-
flut von 1012:
1) Dr. R. Hansen. Die Entwickelung der Marsch zwischen Elbe- und Eider-
mündung (Pet. Mitt. 1891. S. 106). Hansen. Küstenveränderungen im südwestlichen
Schleswig (Pet. Mitt 1898. S. 177).
Die deutsche Nordseeküste in alter und neuer Zeit. 317
dorob is man tho Rade gähn,
den Wasserdiek to maken.
Wir können noch etwas weiter zurückgehen. Vor 1100 Jahren bestand
das Gebiet zwischen den hannoverschen und holsteinischen Höhenzügen aus
Schilfinseln, Sand- und Schlammbänken, zwischen denen sich viele reißende
Ströme und unergründliche Sümpfe ausdehnten. Nur allmählich bildeten sich
an den höher gelegenen Flußrändem und auf Wurten einzelne Ansiedlungen.
Erst 810, als sich Karl der Große Nordalbingien unterworfen hatte, was in
der Erbauung der Essesveldoburg bei dem heutigen Itzehoe seinen Ausdruck
fand, begann Besiedelung in größerem Maßstabe; von einer Bedeichung war
freilich noch nicht die Rede. Im 11. und 12. Jahrhundert führten die Erz-
bischöfe von Bremen-Hamburg in die durch Mord und Brand von den Nor-
mannen und Wenden verheerten Niederungen Holländer und Friesen ein, die
in den schweren Sturmfluten jener Zeit Hab und Gut verloren hatten. Die
älteste dieser Ansiedlungen in der heutigen Wesermarsch erfolgte 1106. In
den Eibmarschen begann die Einwanderung etwas später, nachdem Adolf I.
von Schaumburg Ruhe und Sicherheit hergestellt hatte. Einige Oi-te sind
schon im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts entstanden, die Mehrzahl aber
erst nach 1200.
Die Sachsen in Dithmarschen und im Lande Hadeln lernten den Deich-
bau von Holländern und Friesen. Der erste größere Seedeich an der schles-
wig-holsteinischen Küste, der mit Sicherheit nachzuweisen ist, wie Hansen
sagt, ging von Meldorf über Marne bis Eddelak-Dinkshom; er soll 1150
(nach anderen Nachrichten sogar schon 1050) gebaut sein. Um das Jahr
1400 war die Eiderstedter Insel durch Eindeichung vollständig mit dem
Lande verbunden und zur Halbinsel geworden.
Die alten Seedeiche waren, was ja schon aus den vielen Überflutungen
weiter Landstriche geschlossen werden kann, nicht sehr widerstandsfähig, es
waren Notbauten, die nur eine gewöhnliche Flut abhalten konnten. Aber
wenn sich, etwa zur Zeit des Voll- und Neumondes, die Flutwelle zu un-
gewöhnlicher Höhe erhob, wenn gleichzeitig ein Nordweststurm wütete, dann
brachen eben die schwachen Dämme. Da war die verzweifelte Anstrengung
der Bewohner vergebens, mochten sie auch, wie es tatsächlich geschehen
ist, die klaflTende Lücke mit ihren Leibern zu stopfen suchen.
Wenn sich aber die alten Deiche nicht kräftig genug erwiesen im Kampfe
gegen den übermächtigen Feind, so haben die Friesen und die altsächsischen
Anwohner der Nordseeküste nach und nach gelernt, ihm wirksamer zu be-
gegnen. Ich bemerkte schon, daß seit länger als 100 Jahren der verderben-
bringenden Einbrüche des Meeres weniger geworden sind, und daß sie nicht
mehr die fiühere Ausdehnung erreichen. Wir haben das nur dem festeren
Zusammenschluß zu Deichverbänden, der fortgeschrittenen Wasserbaukunst
und dem weit größerem Kostenaufwande zuzuschreiben. Dabei ist nicht zu
vergessen, daß sich auch die Regierungen mehr als in früherer Zeit an den
Schutzbauten beteiligen.
Verfolgen wir die Anlage eines neuen Deiches, wie sie sich im vorigen
Jahrhundert herausbildete. Wenn sich das Außenland nach und nach, wesent-
318 H. Toepfer:
lieh unter Beihilfe des Pflanzenwuchses, so weit erhöht hat, daß eine Über-
schwemmung nur noch bei besonders hohen Fluten eintritt, so kann man
dazu schreiten, dies Kwelderland, so heißt es in Holland, durch einen Deich
dem Festlande anzugliedern. Ein solch neues, in sich abgeschlossenes, in der
Regel halbmondförmiges Stück heißt Polder, in Schleswig Koog. Die nun
nicht mehr vom Meere bespülten Deiche dürfen übrigens nicht abgetragen
werden, sie haben eine zweite, dritte Schutzwehr bei etwaigen Durchbrächen
des Außendeiches zu bilden. So zieht sich der Küste entlang Deich hinter
Deich, ein zusammenhängendes, mehr oder minder weitmaschiges Netz von
künstlichen Bodenerhebungen.
Das Material für die Seedeiche liefert fast immer der Boden des Vor-
landes; dem entsprechend liegen vor ihnen, dem Meere zu, große flache
Gruben, die sich erst nach iind nach vollfüllen. Nur undurchlässige £rd-
arten: Lehm, Ton, Klei sind für den Deichbau zu verwenden. Von beson-
derer Wichtigkeit ist der Untergrund, der Fuß des Deiches. Darum müssen
Stellen mit Triebsand oder Moorerde abgegraben oder umgangen werden^
und so konmit es, daß namentlich die älteren Deiche viele Krünmiungen
aufweisen. Wo das Außenland fehlt, wie bei den unmittelbar längs eines
Stromes aufgeführten Deichen, da muß Holz vorgesetzt oder Steinfüllung an-
gewandt werden^).
Die Innenseite der Dämme ist ziemlich steil, nach außen hin ist aber
ihr Abfall ganz allmählich. Zum Schutze vor Abbröckelung, die durch
Trockenheit oder durch das inuner nagende Wasser erfolgen kann, werden
die Deiche mit Rasen überzogen, und die Böschung wird wohl auch mit
Schilf und Weidenruten belegt. Nicht überall reicht diese Befestigung aus,
und häuflg sind darum am Fuße der Deiche starke Eichenpfähle und Balken,
manchmal in doppelten Reihen, eingerammt und mit sturkem Weidengeflecht
verbunden; vor und zwischen die Pfilhle versenkt man dann noch große
Steine.
Die Höhe der Deiche ist verschieden, durchschnittlich beträgt sie 5 bis
10 Meter. Daß sie breit sein müssen, ist selbstverständlich, denn sie haben
gar manchmal, wenn die Flut 5 — 6 Meter über der Fläche des inneren
Bodens steht, gewaltigen Druck auszuhalten. Der 1845 im innersten Winkel
des Meldorfer Busens aufgeführte Danun ist eine Meile lang, erhebt sich
5 Meter über die gewöhnliche Fluthöhe und hat über 2 Meter obere Damm-
breite, seine Heretellung erforderte einen Aufwand von 300 000 Mark. Der
den Kronprinzenkoog einschließende Deich kostete 750 000 Mark. Der
Friedrichskoog ist von einem drei Meilen langen Daomi eingeschlossen, der
oben über 2 Meter, unten über 40 Meter breit ist und eine Erdbewegung
von 2y2 Millionen Kubikmeter erforderte.
Da sich immer ein neuer Damm an einen älteren ohne Lücke anschließen
muß, so entsteht eine einzige fortlaufende Deichkette, die, nur durch die
ausmündenden Flüsse unterbrochen, längs der ganzen Nordseeküste und weit
hinauf an den Flußufem hinläuft.
1) Wich mann. Die Hamburger Marschdörfer. Deutsche Rundschau, 1885.
Die deutsche Nordaeeküste in alter und neuer Zeit. 319
Die hannoverschen Weser- und Eibmarschen sind durch einen Deich ge-
schützt, der von Osterstade bis zum „alten Lande^' laufend 21 geographische
Meilen lang ist. Er ist bloßes Menschenwerk mit alleiniger Ausnahme an
der äußersten Nordwestspitze im Amte Kitzebüttel, wo die Geest unmittel-
bar ans Meer tritt, und wo Dünen die Aufgabe des Seedeiches übernehmen.
Es ist klar, daß solch gewaltige Arbeiten in noch viel höherem Maße
als schon früher den Zusammenschluß zu großen Deichverbänden erfordern.
Solche Deichverbände mit ihren genau bestimmten Satzungen aus alter Zeit,
die die Rechte und Pflichten der Anwohner regeln, strenge Strafen für den
saumseligen Arbeiter oder den mutwilligen Beschädiger der Deiche auflegen,
Bestimmungen über die Wahl der Bichter bei entstehenden Sreitigkeiten
treffen, bestehen heute überall an der ganzen Nordseeküste; die wahrhaft
barbarischen Strafen früherer Zeit sind allerdings wesentlich gemildert. Bei
Deichbrüchen ist die ganze Gemeinde fOr die Herstellung haftbar, schadhafte
Stellen, die bei der ersten der drei Jahresbesichtigungen aufgefunden sind,
muß der Besitzer der Deichstrecke ausbessern. Noch heute gilt: „Wer nicht
will deichen, der muß weichen."
Das durch die Deiche dem Meere abgerungene Land bildet die Marsch.
Das Wort bedeutet Niederung, weist also darauf hin, daß der größte Teil
dieses Landes tief liegt — tiefer als der Meeresspiegel, wenigstens bei Flut-
zeit ^). Diese tiefe Lage rührt aber vor allem davon her, daß der neue,
vorher wasserdiurchtränkte Boden bei dem Zurückweichen des Ghnmdwassers
einsinkt; man rechnet gewöhnlich um 4 — 5 Fuß. Wollte man sich mit der
bloßen Eindeichung begnügen, würde man also, in Folge der Ansammlung der
Niederschlagswässer und weil die aus dem Binnenlande kommenden Bäche
und Flüsse durch den Seedeich gestaut sind, nur einen bald mehr, bald
weniger unter Wasser stehenden Morast gewinnen. Zunächst wird darum
der ganze Boden der Marsch mit Gräben durchzogen, in denen sich all
das überflüssige Wasser ansammelt; aus ihnen wird es in die höher ge-
legenen Siele und Schleusen gehoben. Zu diesem Emporheben benutzt man
Windmühlen, in neuerer Zeit auch Dampfinaschinen. Die Windmühlen wurden
zu dem angegebenen Zwecke erst im 15. Jahrhundert in Holland angewandt;
mit den Holländern wanderten sie nach Osten, und in den Eibmarschen z. B.
finden sie sich in großer Menge; von einzelnen Punkten des rechtsseitigen Eib-
deiches aus soll man gleichzeitig wohl 100 dieser Mühlen in Tätigkeit sehen.
Solange der Meeresspiegel niedrig steht, geht der Abfluß durch die
Siele und mittelst der Stollen, die an bestinmiten Stellen unter den Deichen
durchgeführt sind, leicht von Statten. Kommt die Flut, so schließen sich die
an der Außenseite der Deiche angebrachten Schleusentore selbsttätig und
verhindern das Eindringen des Meerwassers. In ganz ähnlicher Weise, aber
in viel größerem Maßstabe, sind die Schleusen eingerichtet, welche die zur
Schiffahrt dienenden Kanäle vom Meere absperren. Bewundernswerte Werke
dieser Art, Triumphe der Wasserbaukamst, sind überall an der Küste verbreitet.
1) Die gewöhnliche Flut steigt an der friesischen Küste nur 1,5 bis 2 m, er-
reicht 2,5 m vor der Jahde und beinahe 3 m am Ausflusse der Elbe; Springflut und
Nippflut unterscheiden sich etwa um 1 m.
320 H. Toepfer:
Sachen wir jetzt eine Vorstellung zu gewinnen von der gesamten Aus-
dehnung des dem Meere abgenommenen und einzig durch die Deiche ge-
schützten Landes. Wir beginnen mit den Niederlanden. Von dem Boden
Hollands gehört nur ein sehr kleiner, nach Hektaren zu berechnender Teil
der tertiären und sekundären Erdbildungsperiode an, 41% siad dem Dilu-
vium zuzuweisen, alles übrige, im ganzen etwa 18 000 qkm, ist neu an-
geschwemmtes Land. Nasse sagt: Wollte man in Holland die Deiche sämt-
lich entfernen, so würden bei gewöhnlicher Fluthöhe der Nordsee die Pro-
vinzen Zeeland, Süd- und Nord- Holland (mit Ausnahme des Dünenterrains)
gänzlich, ein kleiner an der unteren Maas gelegener Strich von Nord-Brabant^
die westliche Hälfte der Provinz Utrecht, kleine Strecken von öelderland und
Ober-Ijssel, endlich der größere Teil von Priesland und von Groningen über-
schwemmt werden. Selbst bei Ebbe würde mehr als die Hälfte dieser aus-
gedehnten Flächen unter Wasser stehen^).
Die Eindeichungen seit dem 16. Jahrhundert berechnet man für Holland
allein auf 3697 qkm. Ihre Sicherung verlangt auch noch heute unausgesetzte
Aufmerksamkeit und Tätigkeit. Zu diesen Arbeiten an der Grenze kommen
aber noch die nicht minder großartigen im Innern. Sie stehen unter der
Leitung des sogenannten Waterstaats, einer Einrichtung, die sich im Laufe der
letzten Jahrhunderte, den verwickelten Verhältnissen angepaßt, zu einer Behörde
mit fast unbeschränkter Gewalt, zu einem Staate im Staate, herangebildet
hat. Großes haben die Holländer ausgeführt, noch Größeres wird geplant.
Nachdem man mit Glück in den Jahren 1839 — 55 den Harlemer See
ausgetrocknet und mit einem Kostenaufwande von gegen 9 Millionen Gulden
18 000 ha fruchtbaren Bodens gewonnen hat^), geht man jetzt mit Ernst an
das wahrhaft großartige Werk, den Zuydersee trocken zu legen.
Seit den 90er Jahren tauchte eine Reihe von Vorschlägen auf, wie das
Unternehmen am vorteilhaftesten auszuführen sei und welche Ausdehnung man
ihm geben wolle. Nach holländischer, bedächtiger Ai-t wurden diese Vor-
schläge hin und her erwogen, ihre Vorteile und Nachteile genau abgeschätzt
Jetzt scheint die Sache der Entscheidung wesentlich näher geführt zu
sein, wenigstens hat die holländische Regierung der Kanmier einen bestimmten
Plan unterbreitet. Danach soll der größere Teil des Zuydersees vom Meere
abgeschlossen werden und unter dem Namen Isselmeer soll der Flevus der
Alten wieder entstehen. Zwei Deiche werden projektiert, zusammen 30 km
lang, 5,40 m hoch, am Scheitel 2 m breit und am Boden massig genug, um
eine gewönliche Fahrstraße und eine Eisenbahn zu tragen. Der Wasser-
abfluß des Ijsselmeeres soll an der Insel Wieringen durch 300 m messende
Schleusen erfolgen. Auf diese Weise würden 3600 qkm abgeschlossen werden.
Man rechnet auf eine Bauzeit von 33 Jahren; die Kosten würden 396 Mil-
lionen Francs noch etwas übersteigen. — Unsere Nachkommen werden ja
wohl die Austrocknung des Zuydersees erleben.
1) Nasse (Pet. Mitt. 1884. S. 11). Er fügt hinzu, daß nach Ansicht hollän-
discher Autoritäten diese Wasserbedeckung vor oder zur Zeit der Bataver wirklich
stattgefunden habe.
2) Nach d'Endegast. Pet. Mitt. 1886. S. 326.
Die deatsche Nordseeküste in alter und neaer Zeit. 321
Nicht so beträchtlich wie an der niederländischen Küste ist die dem
Wasser abgerungene Bodenfläche an der deutschen Nordseeküste, aber immer-
hin größer als mancher deutsche Staat Ich habe versucht, mittels des
Planimeters die Ausdehnung der Marschen, zu denen ich alles vor der Geest
liegende Land rechne, zu bestimmen. Danach nehmen die zu Schleswig-
Holstein gehörigen eine Fläche ein von 1698,6 qkm, die zwischen Elbe imd
Weser 1333,1 qkm, die zwischen Weser und Ems 2053,0 qkm, die links von
der Ems gelegenen 139 qkm.
Im ganzen ergibt sich also für Deutschland ein Märschgelände von
5493,7 qkm. Nach Kutzen würden hiervon 2588 qkm, wenn die Deiche
weggenommen würden, unmittelbar überschwemmt werden, die übrige Fläche
wäre aber immer noch durch Sturmfluten bedroht.
In den letzten 400 Jahren betrug der Landgewinn durch die Eindeichung
26 Quadratmeilen, also etwa 1378 qkm. Am DoUart allein wurden, zum
Teil auf niederländischem, zum Teil auf deutschem Gebiet, seit dem 16. Jahr-
hundert 297,5 qkm wieder landfest gemacht^). Trotzdem ist der durch die
Einbrüche des Meeres hervorgebrachte Landverlust noch nicht ausgeglichen.
Der nördliche Teil von Dithmarschen, das Kirchspiel Büsum, früher eine
Insel, ist erst Ende des 16. Jahrhunderts durch Eindeichung des Wardamm-
koogs landfest geworden, die Insel Hondt oder Waerholm wurde 1696 als
Hedwigenkoog hinzugefügt. Nach dem Durchbruch der Deiche im Jahre 1717
rückte Süd-Dithmarschen nur um die geringe Breite des Sophienkoogs vor,
doch in den Jahren 1785 — 87 wurde der Kronprinzenkoog (beinahe 2 km
breit und fast 15 km lang) eingedeicht. Merkwürdigerweise war die Ver-
wertung des schönen, fruchtbaren Landes außerordentlich schwierig, und in
Folge dessen scheute man weitere Ausgaben zu ähnlichen Zwecken. Erst 1845
ging man an eine neue Eindeichung im innersten Winkel des Meldorfer
Busens; der Landgewinn betrug 625 ha, die sich sehr wertvoll erwiesen.
Hierdurch wurde man wieder zu neuen Arbeiten ermuntert und ging daran,
den Außendeich Dieksand fest an das Land anzugliedern. So entstand der
Friedrichskoog, 9 km lang, im ganzen gegen 2000 ha messend. Die im
18. Jahrhxmdert entstandene Insel Norddeicher Queller wurde 1862 als
Wesselbumer Koog eingedeicht, ebenso wurde 1873 die Insel Maxqueller als
Kaiser Wilhelms-Land landfest. So schreiten die Arbeiten an der schleswig-
schen Küste langsam aber stetig weiter').
Welcher Art ist nun das Land, das der Mensch dem Meere mit unend-
licher Mühe und Arbeit abgewonnen hat, das er mit Gut und Leben ver-
teidigt?
Die Fruchtbarkeit des Marschbodens ist sprichwörtlich geworden. Und
in der Tat, nirgendwo findet man üppigere Getreidefelder, reichere Ernten
an Ölfrüchten, Küchen- und Handelsgewächsen. Wo der Boden wegen
größeren Wassergehalts nicht zum Ackerbau geeignet erscheint, ist er mit
1) Vergl. Deutsche Geograph. Blätter Bd. X, H. 4, 8. 336.
2) Seit dem Jahre 1868 sind (wenigstens bis 1886) jährlich im Durchschnitt
90 000 JL für Landgewinnung an der gchleswig-holsteinischen Küste ausgegeben
worden. Deutsche Geograph. Blätter. 1886 S. 87.
Oeogntphisohe Zeitsohrift. 9. Jahrgang. 1903. 6. Heft. 22
322 H. Toepfer:
dichtem massigen Graswuchs bedeckt, der ausgedehnte Pferdezucht ermöglicht
und das Milch- und Mastvieh nährt, das den Stolz und Beichtum der Marsch-
bewohner bildet. Die dem Meere nächsten mehr sumpfigen Teile, nament-
lich aber die nur unvollkommen vor dem Meere geschützten Vorlande tragen
wahre Wälder von Schilfrohr, das der Marschbauer mit Vorliebe zur Be-
dachung benutzt. Übrigens ist das Schilf gerade für die Vorlande von be-
sonderer Bedeutung, indem es durch seine nach allen Bichtungen den Boden
durchziehenden Wurzeln ganz wesentlich zu seiner Befestigung beiträgt Sonst
ist von einer besonderen Flora der eigentlichen Marsch natürlich keine Bede.
Nur in den Gräben finden sich — und manchmal zu riesiger Größe heran-
gewachsen — die Aster und der Wegerich des Meerstrandes.
Daß sie schön wäre die Marsch, kann man nicht behaupten. Wie soll
eine fast vollkommen ebene Fläche, aus Feldern und Wiesen zusammengesetzt,
ohne Bäume, denn solche treten nur ausnahmsweise an Wegen und in der
Umgebung der Kirchen und Gehöfte hervor, eine Ebene, nur von Dänunen
und schnurgeraden Wassergräben durchzogen, schön sein? Aber die üppige
Fülle der Pflanzen- und Tierwelt entschädigt für den Mangel an schön ge-
schwungenen Linien in der Landschaft, und die zahlreichen Dörfer und statt-
lichen Einzelgehöfte tragen zu ihrer Belebung bei.
Wenn der Anblick der Marsch auch dem an landschaftliche Schönheit
gewohnten Auge Genuß gewährt, so mag das zu nicht geringem Teile davon
herrühren, daß der Binnenländer nur nach Durchquerung der nichts weniger
als fruchtbaren Geest an die Küste gelangen kann. Wenn man etwa von
Hamburg kommend sich der Eisenbahn anvertraut, die — mit sorgsamer
Vermeidung aller Städte — mitten durch Schleswig-Holstein führt, oder von
Osten her quer gegen die Westküste vorschreitet, so befindet man sich in
einer wellenförmigen, hügeligen Landschaft. Hier und da ist sie mit Quellen
und Bächen durchsetzt, an einzelnen Stellen erblickt man Andeutungen
kümmerlichen Waldes, meist aber ist die weite Fläche mit Heide bedeckt,
unter der oft genug der sandige Boden und Geröllmassen hervortreten.
Mächtige Steinblöcke sind über das Gelände verstreut, und nur Sumpf- und
Moorstrecken bringen etwas Abwechselung in das Bild. Stille lagert über
der Öde und das Gefahl der Einsamkeit beschleicht den Wanderer. Das
ganze Gebiet erscheint fast menschenleer, wenn auch ab und zu der Weg an
der Hütte eines Torfgräbers vorüberfuhrt, und wenn auch in der Feme viel-
leicht die Spitze eines Kirchturms auftaucht. Die Ortschaften liegen meilen-
weit auseinander, und nur in ihrer nächsten Umgebung zeigt sich bebautes
Land, das keineswegs den Eindruck großer Fruchtbarkeit macht. Das gilt
auch von anderen Geestgebieten; so sind z. B. von der Münsterschen Geest
(im Oldenburgischen) nur 88 611,8 ha kultiviert, 125 903,3 ha unbebaut und
zum Teil Unland^)*). Sinnige Gemüter mögen ja auch in der Heide, das
1) Nach Kollmann: Die Heuerleute im Oldenburgischen Münsterlande. Grenz-
boten. 1898. Nr. 46.
2) AUmers entwirft von der G^eest folgendes Charakterbild: „Die Geest ist
durch und durch sanguinisch. Hier ist alles Wechsel, bald ernst, bald heiter, bald
dürr, bald fruchtbar, bald Tal, bald Hügel; hier dämmeriger Wald, dort schatten-
Die deutsche Nordseeküste in alter und neuer Zeit. 323
ist im wesentlichen die ganze Geest^ besondere Schönheiten entdecken. Man
lese nur die Naturbilder eines Storm und Jensen. Oder man höre die Verse,
die, von Hermann Allmers der Oldenburger Heide gewidmet, recht wohl auch
auf die Schleswigsche anzuwenden sind:
Wenn trüb das verlöschende letzte Rot
Herschimmert über die Heide,
Wenn sie liegt so still, so schwarz und tot,
So weit du nur schaust, die Heide,
Wenn der Mond steigt auf und mit bleichem Schein
Erhellt den granitnen Hünenstein,
Und der Nachtwind seufzet und flüstert darein
Auf der Heide, der stillen Heide:
Das ist die Zeit, dann mußt du gehn
Ckmz einsam über die Heide,
Mußt achten still auf des Nachtwinds Wehn
Und des Mondes Licht auf der Heide.
Was du nie vernahmst durch Menschenmund,
Uraltes Oeheimnis, es wird dir kund,
Es durchschauert dich tief in der Seele Grund
Auf der Heide, der stillen Heide').
Und aus der Heide treten wir in die Marsch: das Landschaftsbild ist mit
einem Schlage verändert. Dort der fast unberührte, nicht sehr erfreuliche
Naturzustand, hier das Ergebnis der künstlich gestaltenden Menschenhand,
des willenskräftig schaffenden Menschengeistes. Wenig poetisch aber drastisch
und wahr genug vergleicht Klaus Harms, weiland Hauptpastor zu St. Nikolai
in Eael, das schleswig-holsteinische Land einem fetten Schwein, das zu beiden
Seiten die fetten Schwarten, aber in der Mitte den dürren Rücken habe.
Die alten Friesen selber bezeichneten die Marsch als den goldenen Saum am
zottigen Mantel der Geest oder wohl auch als den leckeren Rand eines
mageren Pfannkuchens.
Und wie das Land, so sind auch die Bewohner verschieden. Während
uns auf der Geest ein bewegliches Volk sanguinischen Temperaments ent-
gegentritt, ist der Marschbauer eine schwerlebige Natur. Abgeschlossen,
eifersüchtig seine wirklichen oder vermeintlichen Rechte wahrend, sich selbst
lose Sandwüste; hier grünender Wiesengrund und wallende Kornfelder, dort stei-
niges, unfruchtbares Heideland; hier rauschende Mühlenbäche, dort stille rohr-
umflüsterte Teiche — alles in schroffen Gegensätzen wie der Ausdruck eines san-
guinischen Gemüts."
1) Theodor Storm singt von der Heide:
Es ist so still, die Heide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle,
Ein rosenroter Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
Die Kräuter blüh'n, der Heidedufk
Steigt in die blaue Sonmierluft.
Laufkäfer hasten durchs (Gesträuch
Li ihren goldnen Panzerröckchen;
Die Bienen hängen, Zweig um Zweig,
Sich an der Edelheide Glöckchen,
Die Vögel schwirren aus dem Kraut
Die Luft ist voller Lerchenlaut.
22*
324 H. Toepfer:
genug, bedarf er keiner das Leben yerschönemden Geselligkeit Wir mögen
diese Charaktereigenschaften mit vollem Rechte als das Erzeugnis der Natur
seiner Heimat betrachten. Wie soll sich geselliger Sinn herausbilden, wenn
der Verkehr von Ort zu Ort, ja von Gehöft zu Gehöft bei den grundlosen
Wegen im Spätherbst und Winter oft wochenlang abgeschnitten ist? Soll
der stete Kampf gegen übermächtige Naturgewalten, gegen die gesundheits-
schädlichen Einflüsse des feuchten Klimas nicht eine ernste Gemütsart er-
zeugen? Wir werden uns auch nicht wundem, wenn der durch unausgesetzte
strenge Arbeit erworbene Wohlstand ein hochmütiges Herabsehen auf die
minder gut gestellte Menschenmehrheit hervorbringt. Wo soll endlich ein
weiter geistiger Horizont herkommen bei Leuten, die den 7 — 22 km breiten
Streifen der Marsch fast niemals verlassen, andrer Menschen Städte zu sehen?
Indes die neuere Zeit, die ein vollständiges Abschließen nicht mehr duldet,
hat auch manchen friesischen Starrkopf eines besseren belehrt und in seinen
Anschauungen Wandel geschaffen.
Nachdem die Entstehung der Küstenlinie und des von ihr eingeschlos-
senen Küstensaums geschildert wurde, bleibt noch übrig, auch das zu be-
trachten, was vor jener Küstenlinie liegt und ihre Ergänzung bildet.
Wir haben die Marsch durchschritten und besteigen den abschließenden
Deich, er ist ja hoch genug, um einen Blick über das sich vor ihm aus-
breitende Meer zu gestatten. Wenn gerade Flut herrscht, so erscheint das
vom Festlande bis zu den vorlagemden Inseln reichende Wattenmeer nicht
viel anders als das offene Meer von irgend einem Küstenpunkte aus gesehen;
allerdings stiller und ruhiger ist das Wasser und aus der verschiedenen Fär-
bung der Oberfläche bei Sonnenschein können wir auf ungleiche, aber immer
nur geringe Tiefe schließen. Unmittelbar vor dem Deiche breitet sich an
manchen Stellen ein mehr oder minder ausgedehntes Vorland aus, das viel-
leicht auch schon durch niedere schwache Dämme gegen die gewöhnliche
Flut geschützt, im Sommer zur Viehweide dient. In größerer Entfernung
erblicken wir wohl auch einzelne nur eben aus dem Wasser auftauchende
kleine Inseln, die Halligen.
Ganz anders ist der Anblick zur Ebbezeit, bei der der Wasserspiegel
recht beträchtlich gesunken ist, man kann ja an der ganzen norddeutschen
Küste im Durchschnitt auf ein Zurückgehen um 2 m rechnen. Sollen wir
die uns vor Augen tretende Fläche zum Lande oder zum Meere rechnen?
Da ziehen sich in geringer Erhebung Sand- und Muschelbänkc hin, daneben
breitet sich feiner flüssiger Schlamm, der Schlick, aus, der kaum dem flüch-
tigen Vogel eine sichere Ruhestelle bietet; feste zu Stein erhärtete Ton-
massen ragen aus ihm inselgleich hervor; unzählige kleine Wasseradern, viel-
fach verzweigt, schlängeln sich durch das Watt, das letzte Ebbewasser fließt
in ihnen meerwärts ab. Es fehlt auch nicht ganz an breiteren Rinnen, die
wenigstens zur Flutzeit kleinen Dampfschiffen genügende Tiefe zur Fahrt
nach den weiter abliegenden Inseln bieten.
Und auf der oassen Fläche ist jetzt eine reiche Tafel gedeckt an Fischen,
Austern, Krebsen, Gameelen u. s. w. für alle die Tausende von Möven, Ki-
bitzen. Seeschwalben, Wrackvögeln, die herbeieilen, um die gebotenen Herr-
Die deutsche Nordseeküste in alter und neuer Zeit. 325
lichkeiten zu verzehren. Auch der Mensch nimmt teil an der Beute, selbst
die leeren Muschelschalen, die zur Kalkbereitung dienen sollen, heimst er ein.
Ein volles, vielgestaltiges Leben entwickelt sich auf der vor Stunden noch so
öden Fläche.
Zwischen einzelnen Inseln und dem Festlande entsteht bei Ebbe sogar
eine fahr- und gangbare Verbindung; so kann man bekanntlich nach Norder-
ney in freier Wahl zu Lande und zu Wasser gelangen. Selbst von dem
weiter abgelegenen Sylt sind 1864 auf der Flucht vor dem berüchtigten
Kapitän Hammer ein paar Männer zu Fuß bis an die Küste gelangt.
Im schleswigschen Wattenmeere zwischen dem Festlande und der Kette
der Düneninseln treten kleinere Inseln auf, die Halligen oder Seeaugen, wie
sie der Friese in poetischer Anwandlung nennt. Ein paar Worte mögen
ihnen gegönnt sein. Man zählt 14 solcher Inselchen; ihre Größe schwankt
zwischen 4 und 500 Hektaren, die gesamte Bewohnerschaft zählte 1889
512 Personen. Die Halligen sind dicht mit kurzem Gras bestanden, das den
Bindern und Schafen, abgemäht und getrocknet auch im Winter, kräftige
Nahrung gewährt. Natürlich ist die sonstige Flora keine andere als die
der Außendeiche und Watten, im ganzen sehr arm, hat man doch bisher
nur 26 verschiedene Pflanzenarten gefunden. Als für den Menschen un-
mittelbar nützlich könnte höchstens der von den Friesen Sudden genannte
Wegerig (Fiantago mariUma) erwähnt werden, der dem genügsamen Hallig-
bewohner, wie auch den Anwohnern der Küste als geschätztes Gemüse dient.
Von Ackerbau ist keine Bede. Es ist entbehrungsreiches, einförmiges Leben,
das der Halligbewohner führt, und noch dazu gefahrvoll. An stürmi-
schen Herbst- und Wintertagen steigt die Flut wohl 6 m über den gewöhn-
lichen Stand, sie überschwemmt das flache Vorland, und da kein Deich, kein
Damm die Gewässer abhält, so ragen kaum noch die auf Warften auf-
geführten Gehöfte aus den Wellen hervor. Dann dringt wohl die Flut in die
Wohnungen ein und die geängstigten Menschen müssen mit ihrem Vieh Schutz
auf dem Boden suchen, der zur größeren Sicherheit auf besonderen Pfählen
ruht Gar manches Hallighaus ist mit seinen Bewohnern in der See versunken.
Das launische Meer, das die Halligen aufgebaut hat, wo etwa ein Stein-
block oder eine Kiesbank Anhalt bot, zerstört auch wieder das eigene Werk.
Sie werden immer kleiner, bei Hoge z. B. wird die jährliche Einbuße auf
4 ha geschätzt, die Hallig Habel, jetzt noch 35 ha groß, hatte im Anfang
des 19. Jahrhunderts mehr als die doppelte Fläche, und wenn die Ab-
waschung so fortgeht, so wird bald nichts mehr als ein schmaler Streifen
um die Warft in der Mitte übrig bleiben. Ein paar Halligen sind durch
Erdaufschüttungen mit dem Festlande verbunden, damit ist aber nur ein An-
fang zu besonderem Schutze gemacht. Ein solcher ist aber dringend nötig,
schon weil die Halligen in kleinerem Maßstabe so gut wie die größeren
Düneninseln Wellenbrecher sind, die die Kooge des Festlandes schützen und
Anhaltspimkte fllr weitere Eindeichungen bieten.
Die größeren, nördlich von der Eiderstedter Halbinsel gelegenen Inseln
Nordstrand, Pelworm, Langeneß, Föhr sind jetzt, es war aber hohe Zeit, mit
Deichen versehen.
326 H. Toepfer;
Ich komme nun za der interessanten Inselreihe, die sich yon dem Helder,
der äußersten Spitze des holländischen Festlandes, längs der Küste bis hinauf
gegen Kap Skagen in Jütland erstreckt. Es mögen die Beste einer gewal-
tigen Nehrung sein; in noch früherer Zeit, aber vor Menschengedenken, waren
sie vielleicht mit dem Lande verbunden.
Im großen und ganzen sind diese Inseln nur Sandbildungen und ins-
besondere ist ihre dem Meere zugewandte Seite nichts anderes als ein aus
reinem Sande gebildeter Höhenzug, eine Reihe von Dünen. Nun sind Dünen
freilich nicht auf die genannten Inseln beschränkt, sie treten zunächst auch
auf der Westseite des holländischen Festlandes, an den atlantischen Ufern
Frankreichs auf, sie erreichen eine außerordentliche Ausdehnung und Größe
auf der ganzen Nordwestküste Afrikas; ja alle Weltteile haben in mehr oder
minder großer Erstreckung, da wo sie ans Meer grenzen, Dünen aufruweisen.
Kaum irgendwo aber läßt sich ihre Geschichte, ihre geologische und wirt-
schaftliche Bedeutung so deutlich verfolgen als gerade auf den friesischen Inseln.
Wenn sich das Wasser der oflFenen See xmter dem Drucke des Windes
als einfache Woge oder in der täglich zweimal wiederkehrenden Flutwelle
auf das flachansteigende Land der Inselreihe zu bewegt, so führt es auch
immer Teile des lockeren, sandigen Bodens dem Ufer zu, wirft sie weit fort
und oft über die Grenze hinaus, die es selber erreicht. Freilich nimmt die
zurückkehrende Welle einen Teil der vorwärtsgeschleuderten Sandkörner wieder
mit, eine gewisse Menge bleibt aber immer liegen, und es bildet sich ein
Saum, der durch den Stoß des wiederanbrandenden Wassers weiter vorgerückt
wird. Mit der eintretenden Ebbe folgt eine Zeit der Ruhe; der ausgeworfene
Sand wird trocken und die Winde treiben ihr Spiel mit ihm, sie wirbeln
ihn in die Höhe und jagen ihn weiter, bis der erhöhte Uferrand oder die
auf ihm befindlichen Kräuter imd Sträucher Halt gebieten. Der Sandwall,
den sich das Meer und der Wind selber bilden, wird höher und höher —
es entsteht eine Düne.
So regelmäßig ist freilich die Bildung des Dünenzuges nur selten auf
größeren Strecken. Die den Flug des Sandes hemmenden Hindemisse sind
nicht gleich am ganzen Uferrande, und ebenso sind die Luftströmungen da
oder dort von verschiedener Stärke. So wird der Wall von ungleicher Höhe,
es entstehen Spitzen und talartige Vertiefungen. Durch die Einschnitte
dringt der Wind mit größerer Kraft und reißt, was sich schon abgelagert
hat, weiter dem Lande zu. Ein Teil des Sandes ist so fein, daß ihn auch
die geringste Luftströmung auf den Dünenhöhen aufwirbeln kann, dann er-
scheinen ihre Umrisse eigentümlich nebelartig verwischt — die Dünen
stiemen, sagt der Friese. Der fortgeführte Sand fallt meist in kurzer Ent-
fernung wieder nieder, und so entsteht eine zweite Reihe von Sandhügeln.
Der Vorgang wiederholt sich, bis sich unter Umständen ein ganzes Gebirge,
ein Zwerggebirge allerdings, gebildet hat. Die Länge der Dünenkette hängt
natürlich nur von der Ausdehnung des den Sand zuerst aufhaltenden Ufer-
saumes ab; auf Sylt ist sie der Länge der Insel entsprechend 30 km lang,
an der holländischen Westküste erstrecken sich die Dünen mindestens
150 km weit.
Die deutsche Nordseeküste in alter und neaer Zeit. 327
Wo sich Dünen ungestört bilden können, ist die dem herrschenden Winde
zugekehrte Seite nur flach, etwa 7 — 8 Grad ansteigend, auf der Leeseite da-
gegen beträgt der Abfall bis zu 30 Grad. Die Breite der Dünen ist wech-
selnd, kann sich aber, wie z. B. in der Nähe von Haarlem, auf eine Wege-
stunde ausdehnen, und am nördlichsten Punkte von Sylt bedecken Dünen
die ganze Lister Halbinsel. Auch in der Höhe sind sie verschieden; während
sie in Holland im Durchschnitt nur etwa 15 m ansteigen, erheben sie sich
an einzelnen Stellen auch hier zu 58 m, in Jütland zu 62 m, in Sylt er-
reichen sie etwa 30 m. Beiläufig gesagt sollen am Kap Bojador an der
afrikanischen Westküste die Dünen 120, ja sogar 180 m hoch sein.
Wir dürfen uns übrigens die Dünen nicht als bloße Haufen losen Sandes
vorstellen. Durch zufällig mitgefiihrte, zerriebene Muschelschalen, durch die
Bildung von Eisenrost erfolgt häufig im Innern eine solche Verkittung der
einzelnen Kömer, daß ein ziemlich fester Sandstein entsteht.
Manchmal wirken die Dünen auch als natürliche Filter, und wenn sie
etwa auf undurchlässiger Schicht ruhen, so können an ihrem Fuße Quellen
entspringen. Eine solche Quelle versorgt z. B. Amsterdam mit Trinkwasser.
Was nun den Eindruck anlangt, den eine Dünenlandschaft auf uns
Binnenländer machen kann, so sei es mir gestattet, aus einer kleinen Arbeit,
die ich vor längeren Jahren über das Leben und Treiben auf Sylt veröffent-
lichte, die bezüglichen Stellen hier anzuführen^):
„Es hat eine Wanderung durch die Dünen da, wo sie zu größerer Aus-
dehnung gelangt sind, ihren eigenen Beiz. Nachdem man die ersten Hügel
und waUartigen Erhebungen überschritten hat, befindet man sich mitten im
Gebirge, einem Gebirge, dem weder die grünen Abhänge, noch die dunklen
Spalten, weder Täler noch blaue Seen fehlen. Freilich ist das Gebirge sehr
niedlich, seine Höhenzüge erheben sich kaum haushoch, freilich sind die
Täler und kesselarügen Vertiefungen nicht breit und die Seen sind nicht
unergründlich tief Aber ist denn unsere Freude an dem Gebirge allein
durch das Riesenhafte desselben bedingt? Und sind denn nicht alle Größen-
bestimmungen relativ?
Wenn man wochenlang an der Seeküste verweilt, so verschwindet merk-
würdig bald jeder Maßstab zur Höhenvergleichung; und wer kann es einem
Küstenbewohner, der vielleicht als höchste Erhebung nur eine niedere Kirche
oder einen Leuchtturm kennt, verdenken, in den Dünenhügeln Berge zu
sehen ?
Wechselnde Formen, das wunderbare Spiel von Schatten und Licht und
Farben haben wir hier so gut wie in den Alpen. Wenn ein leichter Nebel
die Umrisse verhüllt, so könnten wir wohl in den rein weißen Flächen, die
ims aus der Feme entgegenschimmem, Schnee und Gletscher zu erblicken
glauben. Volle Einsamkeit und tiefe Ruhe umgibt uns: nur das dimipfe
Brausen der See, ab und zu der heisere Schrei einer Möve läßt sich hören;
lautlos bewegen sich im Sande die wenigen Kerbtiere, die der kärgliche
Boden nährt, und lautlos entweicht der scheue Hase, den wir etwa aus
1) H. T. Skizzen von Sylt. Thüringer Hausfreund 1880.
328 H. Toepfer:
seinem Lager aufgeschreckt haben. Die Pflanzenwelt der Dünen ist arm an
Arten, aber doch nicht reizlos. Neben dem starr aufstrebenden bläulich-
grünen Sandrohr wächst die lilablütige Dünenwicke, der Meersenf mit seinen
fleischigen Blättern, das stachlige Eryngium; an geschützten Stellen zieht sidi
die kriechende Weide hin und neben ihr erscheint die schwarzfrüchtige Moos-
beere. Inmier und immer wieder erfreut uns die glockenblütige Erika, die
mit ihrer Verwandten, der uns wohlbekannten Calluna, weite Strecken über-
zieht."
Doch nicht bloß freundliche Bilder bietet die Dünenlandschafb. Unheim-
lich wird die Öde der Sandwüste, wenn ein Sturm heranbraust. Dann er-
füllt zunächst (yne Eutzen in seinem „Deutschen Land" ebenso schön wie
wahr ausfährt) dichter Sandstaub die Luft, und auf der vom Winde getrof-
fenen Fläche bildet sich wie auf einem Teiche ein Netz von feinen Wellen-
linien. Dazu gesellt sich das raschelnde, sonderbar flüsternde, oft weithin
wie der Akkord einer Äolsharfe verhallende Zusammenschlagen der dürren,
harten Halme des Dünenrohrs, das klirrende und klingende Durcheinander-
laufen der Sandkörner; und nun kommt zu diesen seltsamen Tönen das
Brausen des Windes, das Bauschen der Meereswogen. £s sind Eindrücke,
welche wohl geeignet sind, wie die einer fremdartigen Welt auf den un-
befangenen Wanderer einzuwirken.
Der vom Winde beflügelte Sand strebt weiter, die Dünen wandern ins
Land hinein. Langsam rücken sie vor, aber unaufhaltsam, wenn ihrem Vor-
rücken nicht Einhalt geboten wird. Und sie bringen Tod und Verderben;
unter den immer neu entstehenden Sandhügeln werden unbarmherzig be-
graben Wiesen imd Weiden, die vormals Hunderte von Schafen imd Rindern
nährten, der fruchtbare Ackerboden wird überschüttet, so daß der Anbau
nicht mehr lohnt und schließlich ganz aufgegeben wird.
Und doch wäre es ein Unrecht, allein von der verderblichen Wirkung
der Dünen reden zu wollen. Die Dünenreihen sind es, welche eine Schutz-
mauer gegen das vordringende Meer bilden; und das Meer ist noch viel un-
barmherziger als der tote Sand. Die Düneninseln bilden den ersten Wall,
gegen den die Hauptmacht des ergrimmten Ozeans anstürmt, an dem sie
sich bricht. Nun freilich zunächst scheint es ein aussichtloser Kampf, den
die dem Meere entstiegenen Sandmassen gegen ihren eigenen Erzeuger käm-
pfen. Oft sieht man eine Düne, das ist auf Sylt z. B. bei dem roten Klifl
der Fall, nach der Seeseite stark abstürzen. Wie das gekonmien ist, läßt
sich leicht erklären: wenn stärkerer Wellenschlag den Fuß der Düne weg-
gespült hat, so fällt ein Stück des Überhangs herab, das wieder von den an-
prallenden imd zurückflutenden Wellen fortgeführt wird. Der Vorgang kann
sich wiederholen: die Folgen sind klar.
Im Laufe der Jahrhunderte ist die Küstenlinie der friesischen Inseln
überall beträchtlich zurückgewichen. Wenn wir den alten Karten nicht
glauben wollen, so kann uns ein eigentümliches Vorkommnis, das auf Sylt
beobachtet wurde, ausreichend belehren.
Dort erschienen an der dem Meere zugekehrten Seite der Dünen die
Überreste der lange im Sande begrabenen Kirche von Altrantum ziemlich
Die deutsche Nordseeküste in alter und neuer Zeit. 329
tief unter dem Meeresspiegel; jetzt sind sie wieder vollständig verschwunden.
Wie lange wird es dauern und Neurantum, das heute unmittelbar hinter den
Dünen liegt, wird unter dem Sande begraben werden und einst vielleicht in
Resten an der anderen Seite im Meere erscheinen!
Wir können fragen, wie es kommt, daß jene Reste von Gebäuden, die
doch wohl über dem Meeresspiegel enichtet wurden, jetzt unter dem tiefsten
Wasserstande auftreten. Nichts anderes als die ungeheuere Last der über
sie hingeschütteten Sandmassen hat sie auf dem nachgiebigen Boden, auf dem
sie errichtet waren, unter den Meeresspiegel herabgedrückt. Die Erscheinung
führt mich zu der Erörterung einer Frage von viel größerer Bedeutung.
Aus dem Vorkommen unterseeischer Torfmoore, die man im Wattenmeer imd
vor den Düneuinseln findet, hat man auf ein allmähliches Sinken der ganzen
Nordseeküste geschlossen, einen weiteren Beweis für solche Senkung entnahm
man der oft genug zu beobachtenden Erscheinung, daß die Seedöiche, nament-
lich in Holland, an Höhe abnehmen und von Zeit zu Zeit wieder mit Erd-
massen überschüttet werden müssen. Ganz einfach erklärt sich auch hier
dies Sinken aus dem gewaltigen Drucke, den die künstlich aufgeführten
Dämme auf den wenig Widerstand bietenden Untergrund ausüben.
Sueß, der die fast zum Glaubenssatz gewordene Annahme einer lang-
samen Erhebung von Skandinavien und einer entsprechenden Senkung des
Nordseeküstenlandes in neuerer Zeit einer genauen Untersuchung unterzogen
hat, konmit nach sorgfältiger Einwägung zu dem bestimmten Schlüsse: „Von
Haparanda bis in die Bretagne ist seit der Bronzeepoche keinerlei Hebung
oder Senkung des festen Landes nachgewiesen ^)." Wo Senkungen vorgekonmien
sind und noch vorkonmien, haben wir es nur mit lokalen Erscheinungen zu
tun. Es lohnt sich wohl, der Beweisführung des Wiener Forschers in aller
Kürze nachzugehen.
Gegen die Annahme einer allgemeinen Senkung spricht vor allem der
Umstand, daß viele Punkte an den Ufern der Nordsee die Höhe ihrer Strand-
linien seit langer Zeit unverändert bewahrt haben. So wird an den großen
Schleusen zu Amsterdam seit 200 Jahren das Meeresniveau fortlaufend be-
obachtet, und es hat sich seine Unveränderlichkeit für diesen Zeitraum bis
auf die Genauigkeit von 8 mm ergeben. Ebenso macht die Lage römischer
Bauwerke außerhalb der Dünen eine Schwankung der Strandlinie seit zwei
Jahrtausenden von der Scheide bis Vlieland höchst unwahrscheinlich. Die
Untersuchungen von Ormond und Boyd Dawkins deuten ebenso bestimmt
auf unveränderte Lage des Strandes der englischen Südküste seit der Römer-
zeit. Forchhammer erwähnt auf der Insel Romö eine Umwallung, die von
einem Graben umgeben und durch eine flache Marsch wiese vom Meere ge-
trennt ist. Die Lage dieser Schanzen, die jedenfalls von den Vikingern er-
richtet wurden, ist eine solche, daß keinerlei Veränderung der Strandlinie
anzunehmen ist, obgleich zwischen Romö und dem Festlande ein Torfmoor
10 F. unter dem Meeresspiegel liegt.
Femer spricht die Lage der Torfmoore mit den eingewurzelten Baum-
1) Sueß. Das Antlitz der Erde. U. S. 626.
330 H. Toepfer:
stammen, die sich noch an vielen Stellen der Küste zwischen den Dünen-
inseln und dem Festlande finden, gegen eine allmähliche Senkung des Landes.
Bei einer solchen würde die vordringende Brandung den Torf zerstört und
die Bäume entwurzelt haben.
Das Herabsinken dieser Moore unter den Meeresspiegel erklärt sich aber,
wenn wir annehmen, daß die ursprünglich tief hinter einer Nehrung liegenden
Torfmassen bei einem plötzlichen Durchbruch des schützenden Dammes über-
schwemmt und durch die überlagernden Schwemmassen herabgedrtickt wur-
den. Die tiefe Lage der Torfmoore vor und hinter den Dünen wird also
wesentlich auf gleiche Weise durch den Druck der auflagernden Massen
erklärt.
Wenn dem Wind und dem Wasser für alle Zeit freier Spielraum bliebe,
so würden unfehlbar alle Düneninseln erst unter dem Sande begraben und
dann vom Meerwasser zerstört werden. Muß denn das aber sein? Soll der
Mensch, die Hände in den Schoß legend, zusehen, wie seine Werke, sein
Heim, sein Gut untergehen?
Es gilt die Dünen zu befestigen, einerseits ihre Weiterverbreitung auf-
zuhalten und anderseits sie vor den Angriffen des Meeres zu schützen.
Die Strauchzäune, durch die man früher das Wandern der Dünen auf-
zuhalten suchte, erwiesen sich als nutzlos; so kam man darauf — und die
Holländer waren auch hier die Vorgänger — , die lebende Pflanzenwelt zu
Hilfe zu rufen, durch sie den Sand festzubannen. Eine ganze Anzahl von
Pflanzen sind auf reinen Sandboden angewiesen: mit einer außerordentlichen
Lebenskraft ausgestattet, überdauern sie Kälte und sengenden Sonnenbrand;
so kärglich die Nahrung ist, welche sie aus der Tiefe zu ziehen vermögen,
sie streben doch kräftig in die Höhe und lassen sich nicht vom Sande über-
schütten. Ja, ihr dichtes, weit ausgedehntes Wurzelgeflecht umspinnt so fest
die lockeren Sandkörner, daß diese trotz Sturm und Wind zur Buhe kommen.
An der ganzen Nordseeküste sind es vorzugsweise drei durch den Gattungs-
namen hinlänglich charakterisierte Gräser, die als eigentliche Dünengewächse
bezeichnet werden können, nämlich Ammophüa arenaria, das Sandrohr, Ely-
mus arenarius, der Sandhafer, und Carex arenaria, die Sandsegge. Mehr als
Menschenhände dazu fähig wären, halten sie die wandernden Sandhügel fest;
durch vom Winde fortgefahrten Samen und durch Wurzelsprossen pflanzen
sie sich fort und überziehen oft auf weite Strecken die Abhänge. Die Anmio-
phila namentlich ist ganz unschätzbar. Wenig anmutend, graugrün von
Farbe, erhebt sie sich einen halben Meter über den Boden. Da sie auch im
Winter weder Halm noch Blätter verliert, kann sie selbst in der Zeit der
stärksten Stürme ihres Amtes walten, und dabei gehen ihre Wurzeln bis zu
6 m in die Tiefe. Ist einmal eine Pflanzendecke geschaffen, so vermindert
sich die Austrocknung der Oberfläche, es bildet sich nach und nach eine
kleine aber ausreichende Humusschicht, auf der dann Weiden, Birken, Kie-
fern u. s. f. angesiedelt werden können.
Nicht immer glückt die Befestigung der Dünen. Mühsam und in jahre-
langer Arbeit erworbener Boden kann in kürzester Frist wieder verloren
gehen.
Die deutsche Nordseeküste in alter und neuer Zeit. 331
Auf einer steil zum Meere abfallenden Dünenseite ist die Ansiedelung
der genannten Pflanzen weit schwieriger und an einzelnen Stellen vollkommen
anssichtslos. Man muß also auf andere Mittel sinnen. Was zunächst wieder
die Insel Sylt anlangt, so war unter dänischer Herrschaft zu ihrer Erhaltung
rein gar nichts getan, so wenig wie für die übrigen schleswigschen Inseln.
Die Dänen wußten, daß sie sich bei den Friesen doch nun einmal keiner
besonderen Sympathien erfreuten, wozu sollten sie in deren Interesse gutes
Geld hinauswerfen? Ja der bequeme Grundsatz des Gehenlassens hat sich
selbst unter der eingeborenen Bevölkerung festgesetzt, sie hat sich nach
und nach an den Gedanken gewöhnt, daß ihr Heimatland schließlich doch
eine Beute der Fluten werden müsse. Sie allein wäre ja freilich auch
außer stände, di^ etwa zu besonderen Bauten nötigen Kosten aufzubringen.
Hier war in der Tat Staatshilfe notwendig, und die ist auch 'erfolgt. Be-
reits im Jahre 1879 waren zwölf große Steindämme, Buhnen genannt, ein
jeder mit Aufwand von etwa 50 000 Mark, ins Meer hinausgefahrt und 18
andere sollten noch gebaut werden. Seit 1867 war übrigens auch die
Dünenbepflanzung vom Staate in die Hand genonmien. In der Tat kann
man jetzt schon von einem gewissen Erfolge sprechen. Unverkennbar füllt
sich der Raum zwischen den einzelnen Buhnen mit Sand, das Ufer hat sich
erhöht, und so kann eine gewöhnliche Flutströmimg nicht mehr bis zum
steileren Abfall der Insel vordringen, ihn nicht mehr wie sonst unterwaschen.
Die Kostspieligkeit der Anlagen wird freilich verbieten, diese auf den
ganzen 30 km langen Strand auszudehnen, und wir können nur hoffen und
wünschen, daß sie bei der notwendigen Einschränkung genügen mögen, den
mittleren Teil, den Hauptteil der Insel, zu erhalten. Der südliche, die Land-
zunge Hömum wird verschwinden. Es wäre ein großartiger Ersatz, wenn,
was vorläufig freilich nur ein Traum ist, die Insel durch meerabschließende
Dämme mit dem Festlande verbunden würde.
Was die übrigen Düneninseln anlangt, so ist da nicht viel besonderes
zu erwähnen. Die bedeutendste und am meisten genannte ist Nordemey,
eine einzige 3 Stunden lange und 1% Stunden breite Düne mit der gewöhn-
lichen dürftigen Dünenvegetation. Nur am Südrande hat sich äußerst frucht-
barer Schlick abgesetzt, der einen Marschstreifen mit eigentümlichem, üppigem
Pflanzen wüchse bildet; ebenso ist im Südwesten durch Eindeichung schöner
Wiesenwuchs gewonnen.
Außerordentliche Veränderung hat die Nordseeküste in der kurzen
Spanne der geschichtlichen Zeit erlitten. Schade, daß ich nicht wie Chidher,
der ewig junge, sagen kann: „Und aber nach fünfhundert Jahren will ich
desselben Weges fahren." Denn sie wird sich noch weiter umgestalten in
dem Kampfe des Menschen gegen die allgewaltige See^).
1) Außer den schon genannten Aufsätzen und größeren Werken wurden benutzt:
A. V. Hoff, Geschichte der natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche. 2 Bde.;
Arends, Physische Geographie; H. Allmers, Marschenbuch; F. Buchholz, Aus
dem Oldenburger Lande; G. Marsh, The Earth. as modified by human action;
Anton V. Halem, Geschichte des Herzogtums Oldenburg. 8 Bde.; G. Schilling,
Der Ozean.
332 Albrecht Penck:
Nene Alpenkarten.
Von Albreoht Fenok in Wien.
8. Übersichtskarten ttber das giokte Gebirge^).
Die letzten 30 Jahre bezeichnen für die Kartographie der Alpen eine
völlige Erneuerung des Originalmateriales. Frankreich hat sein großes Kar-
tenwerk 1:80000 vollendet, und damit Ersatz für Eajrmonds ältere topo-
graphische Karte der Alpen 1:200 000 vom Jahre 1820 geschaffen. Die
1) Seitdem der erste Artikel dieser Serie erschienen ist, ist sowohl die Lite-
ratur über den Gegenstand wie auch die Zahl der Alpenkarten angewachsen.
Eugen Oberhummer hat einen Aufsatz über „die Entstehung der Alpenkarten",
Zeitschr. d, D. u. ö. Alpenvereins XXXII. 1901. S. 21 veröfifentlicht , welcher die
älteren Karten behandelt; ein Jahr später hat er eine Artikelreihe: Die Ent-
wicklung der Alpenkarten im 19. Jahrhundert mit dem ersten Teil: Bayern be-
gonnen (Ebenda. XXXm. 1902. S. 32), der durch Abdrücke von Kartenausschnitten
illustriert ist.
General Karl Neureuther hat eine kurzgefaßte Geschichte des kgl. baye-
rischen topographischen Bureaus München anläßlich der Vollendung des ersten Jahr-
hunderts von dessen Bestand veröffentlicht, dabei das Hauptgewicht auf die Organi-
sation des Bureaus legend (Das erste Jahrhundert des topographischen Bureaus des
kgL bayerischen Generalstabes München. 8^. 50 S. 1900.). Ein ungemein wichtiges und
nützliches Werk hat A. Heller geschaffen (Die Herstellung der Karten im topo-
graphischen Bureau des k. b. Generalst^bes. München 1900). Er zeigt durch eine
Reihe von Karten, wie aus der Katasteraufnahme Positionsblätter, aus diesen die
Blätter des topographischen Atlas und schließlich solche der Karte des Deutschen
Reiches hervorgehen. Jeder Kartentypus ist durch ein Beispiel vertreten, außerdem
sind die Karten beigelegt, die den Übergang von einem zum andern Typus tech-
nisch vermitteln. Das gewählte Beispiel, Gegend von Trauchgau und Mumau,
gehört dem Abfalle der Alpen an. Von der Karte des Deutschen Reichs sind nun-
mehr die meisten Alpenblätter mit brauner Geländeschraffierung erschienen.
Zur Literatur über die Schweizer Karten habe ich einen Vortrag vom
früheren Direktor des eidgenössischen topographischen Bureaus, Obersten J. J. Loch-
mann nachzutragen (La cartographie moderne en Suisse. Le Globe. Gen^ve.
XXXVI. 1897. Mdmoires. S. 1), welcher namentlich Material zur Würdigung der
Reliefkarten enthält. Auch sei auf den 1901 erschienenen Katalog Nr. 8 der
Publikationen des eidgenössischen topographischen Bureaus verwiesen.
Über „Italiens Karten wesen in geschichtlicher Entwicklung** hat W. Staven-
hagen geschrieben (Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdkunde. XXXVI. 1901. S. 277); seine
Darlegungen beruhen für die ältere Zeit sichtlich nicht auf eigenen Studien, sie
enthalten hier große Lücken und auffällige Fehler; für die neuere Zeit gehen sie
über einen Katalog nicht wesentlich hinaus. Ein ähnlicher Aufsatz W. Staven-
hagens: Die geschichtliche Entwicklung des österreichisch -ungarischen Militär-
kartenwesens (Ebenda. XXXIV. 1899. S. 424) steht auf etwas höherem Niveau; er
wurde bald nach Erscheinen durch einen Nachtrag: Über das neueste Militär-
kartenwesen Österreich-Ungarns (Ebenda. XXXV. 1900. S. 286) ergänzt. Ludwig
Szab6 von Säro: Die Militärkarten der österreichisch-ungarischen Monarchie
(Budapest 1901), aus dem Ungarischen mangelhaft übersetzt, richtet sich an einen
geographisch wenig geschulten Leserkreis.
Die wichtigen Erörterungen zur Aufnahme der österreichisch-ungarischen
Monarchie sind in den Mitteilungen des k. u. k. militär-geographischen Institutes
in Wien fortgesetzt worden. Wir nennen: Chr. v. Steeb, Die Ausgleichung mehr-
fach gemessener Höhen bei der Militär-Mappierung (Bd. XIX. 1899. S. 41). A. Frei-
Nene Alpenkarten. 333
Schweiz hat ihrem Dufour-Atlas im Maßstabe. 1 : 100000 den Siegfried-
Atlas 1 : 25000 und 1 : 50000 an die Seite gestellt. Bayern hat zu seinem
teilweise erneuerten topographischen Atlas 1 : 50000 Positionsblätter in
herr v. Hübl, Die photogrammetrische Terrain -Aufnahme (Ebenda. S. 78). Chr.
V. Steeb, Die Kriegskarten (Bd. XX. 1900. S. 122), ein ungemein anregender Auf-
satz, welcher namentlich den nötigen Maßstab der Kriegskarten erörtert. A. Freiherr
V. Hübl, Beiträge zur Technik der Kartenerzeugung. IV. Die Aluminium-Druck-
platte (Ebenda. S. 179j. R. v. Stern eck, Das neue Aufnahmeblatt der Militär-
Mappierung und die Dotierung derselben mit Fixpunkten und Katastersektionen
Bd. XXI. 1901. S. 99). W. Wiesauer, Die Evidentstellung der Kartenwerke des
k. u. k. militär- geographischen Institutes (Ebenda. S. 114). A. Freiherr v. Hübl,
Beiträge zur Technik der Kartenerzeugnisse. Y. Das Kopieren bei elektrischem
Licht (Ebenda. S 130). Eftie kurze, ganz Yortreff liehe Orientierung über die Arbeiten
und Werke des k. u. k. militärgeographischen Instituts gewährt die reich illustrierte
Jubiläumsöchrift: Das k. u. k. militärgeographische Institut in Wien zu Beginn des
XX. Jahrhunderts. 64 S. Wien, Selbstverlag 1908. Sie enthält Ausschnitte aus der
Spezialkarte 1 : 76 000, der Generalkarte 1 : 200 000 und der Übersichtskarte
l : 760 000.
Hauptmann Levaciö ist durch meine Bemerkungen über die Transkription
des Griechischen (Geogr. Zeitschr. VI. 1900. S. 333) zu einer längeren Auseinander-
setzung „über die Umschreibung des griechischen -O", d und x in den geographischen
Namen der Balkanhalbinsel" (Mitt. k. k. geogr. Gesellsch. Wien. XLIU. S. 391) ver-
anlaßt worden, welche seine irüheren sehr kurzen Darlegungen etwas ausführlicher
bringt, aber nicht bereichert. Neu ist lediglich ein Wechsel in der Argumentation,
die griechischen Buchstaben d und ^ nicht direkt zur Transkription ihrer Laute
zu verwenden. Früher geschah dies, weil diese Buchstaben „der Mehrzahl der
Kartenbenutzer unverständlich wären" (als wären ^ und ^ verständlich I), jetzt heißt
es, weil dafür in den Schriftarten der Karten neue Zeichen zu machen seien, und
weil das ^ dem d zu ähnlich wäre. Ein solcher Wechsel in der Argumentation
erschüttert meine Bedenken gegen Levaci^s Transkription des Neugriechischen
nicht; ich halte ihre Änderung nach wie vor für geboten. Um den Lesern kurz
zu zeigen, worum es sich handelt, entnehme ich aus der Generalkarte von Mittel-
europa 1:200000 einige bekannte griechische Namen: Halkiziki (Chalkidike), Abos
(Athos). Sollte die Karte über Griechenland ausgedehnt werden, so werden wir
wohl auch ein Blatt AsinGe erhalten und haben dabei nicht an Eselinnen sondern
an Athen zu denken.
Unser Bd. VI, 1900, S. 337 geäußerter Wunsch, daß die Originalaufnahmen
der österreichisch - ungarischen Spezialkarte veröffentlicht werden möchten, ist in
Erfüllung gegangen Die YervieltUltigung der Neuaufnahmen erfolgt durch photo-
lithographisch hergestellte Aluminiumplatten. Wir erhielten einen Abdruck des
Blattes 23, X, NW. Sesana. Er unterscheidet sich von den sonst käuflichen photo-
graphischen Kopien der Originalau&ahme wesentlich durch Beigabe eines Maß-
stabes; die geographischen Koordinaten aber können lediglich aus einem Tableau
entnommen werden, das die Lage der Karte in dem zugehörigen Blatte der General-
karte 1:200000 angibt. Die schraffierte Karte macht in Schwarzdruck den Ein-
druck großer Genauigkeit. Von der neu verbesserten Ausgabe der Spezialkarte ist
ein Alpenblatt (Bludenz) von ungewöhnlich plastischer Wirkung erschienen. Die
Genendkarte 1:200000 ist nunmehr bis an die Splügenlinie westwärts vorgerückt.
Von Duponts alpinem Auskunftsbuch ist eine zweite Auflage, München 1901,
erschienen. Die topographischen Detailkarten (Wien, Lechner) sind um Blatt XIII,
Die Zillerthaler Alpen, vermehrt worden, das wieder auf der Spezialkarte beruht
und ihre unvergrößerte Zeichnung und den Maßstab 1 : 76000 hat. Der Deutsche
und österreichische Alpenverein hat 1902 seinen Mitgliedern eine Übersichtskarte
der Dolomiten 1 : 100 000 von G. Frey tag in Wien geboten. Es ist eine Isohypsen-
karte mit lichter Beschattung nach einseitiger Beleuchtung. Die Felsen sind kräftig
334 Albrecht Penck:
doppeltem Maßstabe gesellt. Österreich hat an Stelle der älteren Karten
des (Jeneralquartiermeister-Stabes 1 : 144000 neue Spezialkarten 1 : 75000
treten lassen und den größeren Teil der Originalaufnahmen 1 : 25000 in
photographischen Kopien, kürzlich auch in Druck zugänglich gemacht Italien
endlich hat die älteren Karten von der Lombardei und Venetien 1 : 86400
sowie von Piemont 1 : 50000 durch eine einheitliche Karte 1 : 100000 ersetzt
imd davon bis vor kurzem auch die Aufnahmen 1 : 25000 und 1 : 50000
veröffentlicht Diese letzte Errungenschaft ist allerdings wieder verloren
gegangen, da der Verkauf der Tavolette und Quadranti eingestellt worden ist,
so daß wir nunmehr lediglich auf die Carta del ^Regno d'Italia ange-
wiesen sind.
Wie nicht selten die Zeit rüstigen Fortschrittes der Forschung für das
Zustandekommen zusanmienfassender kompilatorischer Arbeiten nicht sonderlich
förderlich ist, so sind auch die letzten 30 Jahre für zusammenfassende kar-
tographische Darstellimgen der Alpen nicht gerade günstig gewesen. So
viele Karten einzelner Teile wir erhalten haben, so wenige umfeissen das
ganze Gebirge. Von offiziellen konnten wir in letzterer Hinsicht nur die
italienische 1 : 500000 und die österreichische 1 : 750000 nennen, aber
gerade ihre Geländedarstellimg wird den mannigftdtigen, vom Gebirge ge-
stellten Aufgaben nicht gerecht. Auch sonst fehlt es an Werken, die für
die Gegenwart das bezeichneten, was P. Mayrs Atlas der Alpenländer
(1858 — 1864) 1:450000 oder Schedas die ganzen Alpen auf sieben
Blatt darstellende Karte von Zentral-Europa 1 : 576000 für die Zeit ihres
Erscheinens waren. Die einheitlichen Alpenkarten größeren Maßstabes der
neuesten Zeit sind lediglich Wandkarten für den Unterricht Wir können
hier ebensowenig wie bei den Touristenkarten alle einschlägigen Werke be-
sprechen und müssen ims auf die Erwähnung der markantesten beschränken.
Randeggers Alpenland mit den angrenzenden Grebieten von Zentral-
europa 1 : 500000 (Zürich 1884) ist ein großes neunblättriges Werk, das
für eine Wandkarte eine ziemlich ins einzelne gehende Darstellung aufweist
Die Flüsse sind blau, das Gebirge im Westen mit großem Verständnis unter
Annahme schräger Beleuchtung geschummert Leider steht die Zeichnung im
Osten nicht auf gleicher flöhe. Der Alpenabfall gegen das niederöster-
reichische Alpenland konmit gar nicht zur Geltung; als ein hoher Gebirgszug
zweigt sich das flügeUand östlich Graz von den Alpen ab; Sau- und Koralpe
sind gezeichnet, als lägen Hochgebirgsgrate vor.
V. V. Haardts Wandkarte der Alpen 1 : 600000, bei Hölzel in Wien
erschienen, ist weit einheitlicher als Randeggers Karte. Sie hält sich in
Bezug auf die Geländedarstellung an das Vorbild der Dufourkarte: die
braunrot gehalten, aber nicht gerade charakteristiBch gezeichnet L. Aegerter
hat femer in seiner Karte der Sellagrappe 1 : 12 600, herausgegeben vom Deutschen
und österreichischen Alpenverein 1903, ein Beispiel ganz ausgezeichneter Felsdar-
Stellung für die Dolomiten Sfidtirols geliefert. G. Freytag hat endlich von ein-
zelnen Gebieten der Umgebung von Wien ICarten für Touristen bearbeitet, die in
Bezug auf Sauberkeit der Isohypsenzeichnung und Eleganz der Schrift Schweizer
Vorbilder erreichen. So die Karte des Semmering 1 : 26 000. Wien 1902.
Weitere neuere Erscheinungen werden wir in folgendem besprechen.
Neue Alpenkarten. 335
Hügellands- und Mittelgebirgsformen sind nach senkrechter, die Hochgebirgs-
gebiete nach schräger Beleuchtung braun schraffiert. Das Tiefland hat
durchsichtig grünen, das Hochland licht erdfarbenen Flächendruck, das Ge-
wässernetz blau. Die Gesamtwirkung ist eine recht vorteilhafte. Es gibt
drei Ausgaben, eine detaillierte mit reicher Beschreibung, eine Schulausgabe
mit weniger Beschreibung und eine stumme. Von der ersteren liegt in
V. V. Haardts Übersichtskarte der Alpenländer eine photolithographische
Reduktion auf 1 : 1000000 vor, welche eine sehr billige (Preis 1 Kr. 20 h)
und, abgesehen von den großen Übersichtskartenwerken von Mitteleuropa und
Italien, die einzige handliche Übersichtskarte des ganzen Gebirges in nicht
zu kleinem Maßstabe darstellt
Wir dürfen hier wohl auch, obwohl sie nur einen Teil der Alpen um-
faßt, die Schul Wandkarte der Schweiz 1 : 200000 erwähnen, die vom eid-
genössischen topographischen Bureau bearbeitet, von N. Kümmerlj in Bern
mit vielfarbiger Reliefdarstellung versehen ist. Es ist ein Werk, das die Manier
der Schweizer Reliefkarten auf eine Wandkarte überträgt und damit eine
Plastik des Kartenbildes erzielt, wie sie von einer Wandkarte bisher nie er-
reicht worden ist. Dies ist namentlich mit der Farbenwahl zu danken: Das
niedere unter 700 m Höhe gelegene Land ist in zwei Stufen mattgrüner
Töne, das höhere Land in gelbbraunen Tönen dargestellt. Den von Nord-
westen her beleuchteten Gehängen sind rötliche Lichter aufgesetzt^ die Gegen-
seiten in violette und saftgrün« Schatten getaucht. Aus den also hervorge-
hobenen Känmien erglänzen weiß oder leicht beschattet die Schneefelder
und Gletscher, auf den Schattenseiten nwt violetten Tinten versehen. Mit
dieser auch auf namhafte Entfernung plastisch wirkenden Yeranschaulichnng
des Geländes paart sich eine ins einzelne gehende Isohypsendarstellung
(100 m Linien, die 500 m Linien gestrichelt), so daß bei näherem Herantreten
die Höhen der Berge vom Schüler „ausgezählt^' werden können. Die Be-
schreibung ist auf Nahwirkung berechnet, stört daher das Kartenbild nicht.
Dies wird trotz der konsequent festgehaltenen schrägen Beleuchtung auch
den Plateauformen des Hügellandes gerecht; Schwarzwald und Wasgau machen
aber einen zu kuppigen Eindruck. Ungern vermissen wir die Höhenzahl
für den höchsten Gipfel der nördlichen Kalkalpen, die Parsejer Spitze.
Auch stört uns etwas, daß die Eisenbahnlinien nur bis zu den rot gehaltenen
Ortszeichen hingeführt, aber in ihnen nicht verknüpft sind, was durch zarte
Linien geschehen könnte. Zweifellos bezeichnet die Schulwandkarte der
Schweiz, die an die Schulen der Eidgenossenschaft unentgeltlich abgegeben
wird, einen sehr großen Fortschritt.
Während Übersichtskarten der Alpen längst in den Schulatlanten ein-
gebürgert sind, finden sie erst jetzt allmählich Eingang in unsere großen
Atlanten. Erst Debes' neuer Handatlas brachte in seiner ersten Auflage 1895
auf zwei Blättern eine den Alpen speziell gewidmete Darstellung, die jedoch
südwärts nur bis zur Maira reicht, also die Alpen der Provence und die
Seealpen nicht mit umfaßt. Die beiden randlich etwas übereinander grei-
fenden Blätter sind ungemein sauber gestochen; das Gelände ist braun, nach
schräger Beleuchtung schraffiert, Flüsse und Schrift sind schwarz, Eisenbahnen
336 Albrecht Penck:
rot. Die Karten enthalten so viel, wie ihr Maßstab erlaubt, nnd sind selbst
in Einzelheiten verläßlich; sie wurden mit zwei anderen Karten des Debes-
sehen Atlas den Besuchern des VII. internationalen Geographen-Kongresses
in Berlin 1899 dargeboten. Stielers Handatlas bringt in seiner eben er-
scheinenden neuesten neunten Auflage zwei Blätter Alpenländer. Das west-
liche beruht auf C. Vogels prächtiger Karte von Südwest-Deutschland und
der Schweiz, stellt aber, wie in der neuen Auflage allgemein, das (jelände
durch braune Schraffen dar, deren Wirkung durch einen aufgedruckten grauen
Ton verstärkt wird. Die Schraflfen sind, abgesehen von der durchgeführten
Erweiterung der Karte nach Süden und Osten, identisch mit denen der
Vogelschen Karte, sie bringen deren Vorzüge auch in Braundruck zur
Geltung. Die Gletschergebiete sind teils weiß gelassen, teils haben sie blaue
Schatten. Das ganz neue östliche Blatt steht nicht auf gleicher Höhe.
Seine Geländedarstellung legt zu viel Gewicht auf die Herausarbeitung der
einzelnen Gebirgsgruppen und zu wenig auf die im Maßstabe 1 : 925000
noch mögliche Wiedergabe der Kämme (Hohe und niedere Tauem). Die
großen Längstäler der Ostalpen werden dadurch über Gebühr auffällig.
Das Steirisch-Kärtnerische Gebirge mit seinen Mittelgebirgsformen erhält durch
die schräge Beleuchtung einen falschen Charakter. Die Höhen des Karstes
sind im Vergleiche zu denen der niederösterreichischen Alpen zu schwach
schraffiert. Der von der Vogelschen Karte übernommene Maßstab erlaubte
nicht die ganzen Ostalpen bis nach Wien darzustellen. Die Karte reicht
Dur bis zum Semmeringgebiete, und das Blatt westliche Alpenländer schließt
die französischen Alpen, mit Ausnahme der savoischen, aus.
9. Schlaßbemerkungen, namentlich über Gelftndedarstellnng des Hochgebirges.
Man ist heute bei Studien über die Geographie der Alpen im wesent-
lichen auf die Kartenwerke größeren Maßstabes, auf die topographischen
Karten imd Spezialkarten angewiesen. Diese aber zeigen, wie wir gesehen
haben, in Bezug auf Anlage und Ausflihrung große Verschiedenheiten. Teils
haben wir es — im Deutschen Reiche, in Italien und in Österreich — mit
Gradabteilungskarten zu tun, von welchen ein jedes Blatt nach den Himmels-
gegenden orientiert ist, teils mit den aus der Projektion eines größeren
Landes auf eine Ebene herausgeschnittenen Rechtecken, welche schräge zu
den Meridianen gestellt sind, was beim Gebrauche der französischen Alpen-
karten als Übelstand empfunden wird. Wir haben es mit Maßstäben von
1 : 25000, 1 : 50000, 1 : 75000, 1 : 80000 und 1 : 100000 zu tun, die
zwar mehr kommensurabel sind, als die in früheren Zeiten beliebten, aber
jeder, der nach Karten wandernd von Bayern nach Österreich übertritt,
empfindet es als Schwierigkeit, die Entfernungen in den Karten 1 : 75000
ebenso richtig zu taxieren, wie in jenen von 1 : 50000. Weit schwieriger
ist es, von der Schweiz nach Frankreich übertretend, sich an den Maßstab
1 : 80000 zu gewöhnen. Am schwierigsten aber ist, sich mit den ver-
schiedenen Arten der Geländedarstellung so vertraut zu machen, daß einem
die Formen des Gebirges nach den verschiedenen Karten lebhaft vor Augen
Neue Alpenkarten. 337
treten und man in den deutschen, österreichischen, italienischen und fran-
zösischen Karten das Gelände anstandslos „liest^^
Immerhin zeigt aber die Entwicklung der neueren Alpen kartographie
doch in sehr vielen Stücken eine Anbahnung einer gewissen Einheitlichkeit.
Die Gradabteilungskarte, welche die bequemste Orientierung nach den Himmels-
gegenden ermöglicht, ist herrschend geworden und wird auch für die neu«i
geplante Karte von Frankreich 1 : r)0000 vorgeschlagen. In den neueren
Aufhahmekarten begegnen wir femer nur noch zwei leicht miteinander ver-
gleichbaren Maßstäben 1 : 25000 und 1 : 50000; sie bieten augenscheinlich
die meisten Vorteile, und es ist nur zu wünschen, daß sie mehr und mehr
zur Anwendung kommen.
Auch in Bezug auf die Gelände darstellung begegnen wir einer ge-
wissen Annäherung. An Stelle der älteren klinometrischen Aufnahmen sind
nun auch im Deutschen Reiche, in Österreich und Italien durchweg hypso-
metrische getreten, die Schichtlinien haben ihren Einzug nicht bloß in den
Originalaufnahmen, sondern auch in den Spezialkartenwerken Österreichs und
Italiens gehalten; sie treten uns selbst auf den Alpenblättem der Karte des
Deutschen Reiches entgegen, welche sie sonst absichtlich vermeidet; sie
leuchten schwach durch die GeländeschrafiPor der Carte de France hindurch.
Während man sich aber in den Originalaufnahmen der Schweiz, Bayerns
und Italiens beschränkt, die Geländedarstellung lediglich in Schichtlinien und
wenigen Zutaten zur Kennzeichnung der Oberflächenbeschaffenheit zu geben,
hat man in den Spezialkartenwerken die Schattierung durch Schraffen zur
Veranschaulichung der Bodenplastik beibehalten. Über die Art dieser Schat-
tierung gehen noch heute wie zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Meinungen
auseinander. In der Schweiz hat die schräge Beleuchtung nach wie vor
begeisterte Vertreter; sie beherrschen hier die Kartenproduktion mit einer
gewissen. Ausschließlichkeit. In Italien hingegen ging die offizielle Landes-
aufnahme, die in der „Carta degli Stati di S. M. Sarda in terra ferma
1 : 250000" ein Werk mit schräger Beleuchtung geschaffen, zur sogenannten
senkrechten über. Frankreich wiederum, das die schräge Beleuchtung, auch
französische Manier genannt, in seinem Hauptkartenwerke verlassen, ist zu ihr
in neueren Werken zurückgekehrt. Unverändert ist nur der Standpimkt der
offiziellen Kartographie im Deutschen Reiche und in Österreich geblieben;
ausschließlich wird die Beleuchtung nach Lehmannschen Prinzipien, wenn
auch nicht genau nach der Lehmannschen Skala, verwendet. Aber die Karten
von Privatanstalten haben häufig auch hier die Geländeveranschaulichung
durch schräge Beleuchtung zur Anerkennimg gebracht. Man schwankt noch
vielfach zwischen der Auswahl des einen oder anderen, und dieses Schwanken,
das sich in den Werken ausspricht, steht in auffälligem Gegensatze zu der
Bestimmtheit, mit welcher die Vertreter beider Systeme manchmal zu argu-
mentieren pflegen. Wiener Anhänger der Schattierung nach senkrechter Be-
leuchtung nannten die Darstellung nach schräger „ein unwissenschaftliches
Prinzip"^). Andererseits haben Anhänger der schrägen Beleuchtimg diese
1) Peterm. Mitt. 1887. S. 118.
Oeogrmpbitoba ZeiUohrift. ».Jahrgang. 1903. 6. Ueft. 28
338 Albrecht Penck:*
der senkrechten als eine natürliche gegenüber gestellt. Becker^) sagt:
„Punkto Beleuchtung dürfen wir uns endgültig an die natürliche halten" (er
meint damit die schräge) — und bemerkt an einer anderen Stelle*): ,^ie so-
genannte senkrechte Beleuchtung ist * gar keine Beleuchtung, sondern eine
theoretisch angenommene Manier/'
Die Geländedarstellung^) auf Karten ist ein praktisches Problem,
das nicht nach Schlagworten zu behandeln ist. Die namhafte Zahl ausge-
zeichneter Karten, die es in verschiedener Weise zu lösen trachten, verge-
wissert uns, daß nicht bloß ein einziger Weg dazu offen steht, und ermög-
licht uns die Anwendbarkeit der einzelnen Verfahren imd deren Grenzen zu
ermitteln. Dabei müssen wir ims vor allem vor Augen halten, daß wir
unter dem Namen Geländedarstellimg drei verschiedene Aufgaben zusanMnen-
zufitösen pflegen, die wir bei Betrachtung eines Abdruckes der Isohypsenplatte
von Finsterwalders Vemagtfemerkarte auseinander halten lernten: Erstens
die genaue Wiedergabe der Erhebungsverhältnisse, zweitens die Kenn-
zeichnung der geographisch wichtigen Oberflächenbeschaffenheit, drittens die
Veranschaulichung*) der Geländegestalt. Für die Lösung der ersten Aufgabe,
die im wesentlichen geometrischer Art, stehen uns lediglich die Schichtlinien
zur Verfügung, denn sie allein gestatten uns, die Höhen aller Punkte der
Karte aus dieser selbst innerhalb gewisser Grenzen zu entnehmen.
Die Kennzeichnung der Oberflächenbeschaffenheit geschieht durch konven-
tionelle Zeichen. So scheiden wir Wasser imd Land, heben Flüsse und Seen
hervor, verzeichnen Gletscher, sondern den Fels vom abgeböschten Gelände,
charakterisieren nicht selten Schutt- und Sumpf land. Derartige Ausscheidungen
werden um so reicher, je größer der Kartenmaßstab ist, aber sie fehlen auch,
wenigstens in Gestalt der Trennung von Wasser und Land, keiner Karte.
1) Neuere Bestrebungen auf dem Gebiete der Kartographie. Jahrb. Schweiz.
Alpenklub. XXIV. 1889. S, 320 (327).
2) Die schweizerische Kartographie. S. 19. Im Texte heißt es hier „schiefe
Beleuchtung". Nach Sinn und Druckfehlerverzeichnis ist die senkrechte gemeint.
3) Das Hauptergebnis der nachfolgenden Darlegungen über die Verwendung
verschiedener Methoden bei verschiedenen Maßstäben wurde bereits 1899 von mir
auf der Naturforscherversammlung in München vorgetragen (Verhdlgn. d. Gresellsch.
deutsch. Naturf. u. Ärzte 1899. H. S. 33). Unmittelbar darauf hat Eugen Ober-
hummer auf dem VII. intemat. Geographenkongresse zu Berlin (vgl. dessen Ver-
handlungen I, S. 8ö) über denselben Gegenstand gesprochen und zugleich die weit-
gehende Übereinstimmung unserer beider Anschauungen erwähnt. In Bezug auf
die Leistungsfähigkeit der senkrechten und schrägen Beleuchtung stimmen meine
bereits 1898/99 niedergeschriebenen Bemerkungen erfreulich überein mit denen
Peuckers in seiner 1898 gedruckten, aber erst 1899 versandten anregenden Schrift
über Schattenplastik und Farbenplastik (Wien, Artaria 1898), die er in der dritten
seiner „Drei Thesen zum Ausbau der theoretischen Kartographie" (G. Z. VIII. 1902.
S. 66. 145. 204) weiter ausgebaut hat. Angesichts der Verschiedenheit des Aus-
gangspunktes unserer Betrachtung, der bei Peucker rein theoretisch ist, dürfte es
aber doch von Nutzen sein, wenn die unabhängig voneinander erhaltenen Ergeb-
nisse von beiden Seiten veröffentlicht werden.
4) In der von vornherein durchgeführten scharfen Sonderung zwischen Wieder-
gabe der Höhen und ihrer Veranschaulichung stimmen wir durchaus mit Peucker
^'Iberein (Schattenplastik Ö. 4).
Neue Alpenkarten. 339
Die mehr oder weniger ausgiebige Kennzeichnung der Ober-
flächenbeschaffenheit ist das Kriterium der geographischen
Karte, das sie vom geometrischen Grundrisse unterscheidet*);
die Veranschaulichung der Geländegestalt erachten wir dagegen nicht als ein
unbedingtes Erfordernis geographischer Karten, denn sehr viele Karten, und
zwar gerade die Originalaufnahmen verzichten mehr oder weniger darauf; sie
sind gutenteils nackte Schichtlinienkarten mit äquidistanten Isohypsen.
Erst bei den auf den Originalaufnahmen beruhenden Spezialkarten tritt uns
die Gelände veranschaulichung in vollem Umfange entgegen, in Spezialkarten-
werken sich meist, entsprechend dem Vorschlage E. v. Sydows*), mit der
Darstellung durch äquidistante Isohypsen den schattierten Schichtkarten
vergesellschaftend, während die bloße Kartenschattierung ohne exakte Wieder-
gabe der Erhebungsverhältnisse ihre frühere Beherrschimg der Spezialkarten
verloren hat Wir begegnen der bloß schattierten Karte unter den Alpen-
karten nur nodi bei Werken kleineren Maßstabes. Auf solche beschränkt
sich im allgemeinen auch die Veranschaulichung der Höhen in den Höhen-
schichtenkarten, in denen die häufig nicht von äquidistanten Isohypsen
begrenzten Höhenschichten koloriert werden. Deutlich erkennen wir bei
einem flüchtigen Überblicke über die neueren Alpenkarten, daß Verwendung
und Art der Höhenveranschaulichung in Beziehung zum Kartenmaßstabe steht.
Untersuchen wir nun, inwieweit dies im Wesen der Sache begründet ist.
Die Schichtlinienkarten verwirklichen das Ideal, die Meereshöhen
aller Punkte der Karte innerhalb der Genauigkeitsgrenzen, welche durch die
Aquidistanz der Isohypsen gezogen sind, anzugeben. Je kleiner die Aqui-
distanz, desto wertvoller die Karte. Aber der Vermehrung der Schichtlinien sind
praktisch durch den Kartenmaßstab Grenzen gezogen, welche im Hochgebirge
viel enger sind als sonst und daher die Verwendbarkeit der Schichtlinien-
karten einschränken. Man kann nicht mehr als drei Schichtlinien auf einem
1 mm breiten Streifen zusammendrängen, wenn man sie noch bequem aus-
zählen will, wie auf den bayerischen Positionsblättern; zwängt man ihrer 4
auf 1mm zusammen, wie auf den französischen Karten 1:80 000 und
1 : 200 000, so sind sie im einzelnen nur noch mühsam zu verfolgen; zieht
man sie noch enger, so werden sie kaum unterscheidbar. 3 — 4 Schichtlinien
auf 1 nmi erscheint uns als das äußerste des Darstellbaren. Untersuchen
wir nun, wie viele Isohypsen auf diesem Baume zusammentreffen können.
Die höchste im Hochgebirge häufiger vorkommende Böschung (vom Fels
sehen wir einstweilen ab) dürfte 60^ betragen. Bei einer Karte im Maß-
stabe - ist 1 mm == yI^— m; einer solchen Entfernung entspricht bei einer
Böschung von 60^ ein Höhenunterschied von r^ • Ys m. SoUen sich nun
1) Wir halten hier fest an unserer Äußerung in der G. Z. Bd. V. S. 691; eine
nur geodätischen Anforderungen genügende Wiedergabe der Unebenheiten der Erd-
oberfläche bietet noch keine Karte. Wenn E. Hammer hierin nur eine Redensart
erblickt (Geogr. Jahrb. XXIV. 1901. S. 46), so ist ihm offenbar ganz entgangen, in
welchem Zusammenhang jene Äußerung gemacht worden ist.
2) Drei Kartenklippen. Geogr. Jahrb. I. 1866. S. 848.
28*
340 Albrecht Penck:
auf 1 mm höchstens 3 — 4 Isohypsen zusammendrängen, so dürfen wir im
obigen Höhenunterschiede auch nicht deren mehr an treffen , das heißt ihr
senkrechter Abstand darf nur -. - • -^m oder kleinstens ^ll^ • --- m sein,
oder rund jJ^^Kq * 5 m beziehentlich • 4 m.
Nach letzterem Ausdrucke ist die minimale Äquidistanz der Isohypsen
einer Hochgebirgskarte, falls man Böschungen von 60^ gerade noch dar-
stellen imd solche von 45^ bequem lesbar machen will:
im Maßstabe
1 1^ 1 11 1^ 1 1 _ 1 1
10 000 25 OOÖ 6Ö0Ö0 Ib'ÖOÖ 80 000 100 000 200 000 820 000 500 000 1000000
4 m 10 m 20 m 30 m 32 m 40 m 80 m 128 m 200 m 400 m.
Verwenden wir imsere Tabelle zu einer Kritik der einzelnen Karten-
werke, so sehen wir, daß die Äquidistanz der Isohypsen des bayerischen
Positionsatlas und der Blätter 1:25 000 des Siegfriedatlas gerade noch zur
Wiedergabe steilster Böschungen hinreicht, während sie in den Blättern des
Siegfriedatlas 1:50 000, der neueren italienischen Meßtischblätter 1:25 000
und 1:50000, sowie der österreichischen Originalaufnahmen 1:25000 weiter
als nötig ist. In der Carta del Begno d' Italia könnte sie nicht enger sein,
wenn beabsichtigt ist, daß auch die Kurven von 100 zu 100 m in der Karte
erscheinen; wohl aber könnte sie es in der österreichisch-ungarischen Spezial-
karte 1 : 75 000 und der Karte des Deutschen Reiches. *Die neue Spezialkarte
des letzteren 1 : 200 000 wird in den Alpen nur die von ihr bereits stark ge-
haltenen 100 m Linien bringen können, und muß hier vielleicht mit Ausnahme
der Täler auf die 20 m Kurven verzichten. Wenn die französische Karte der
Alpengrenze und die erste Ausgabe der Carte de France du Service gfogra-
phique 1 : 200 000 Isohypsen im Vertikalabstande von 20 m enthalten, so ist
dies nur unter Verzicht auf eine genauere Wiedergabe des Hochgebirges mög-
lich, gleiches gilt auch von der neueren Ausgabe der letztgenannten Karte,
der Grenzkarte 1 : 320 000 und der Carte de France 1 : 500 000. Ihre
Schichtenhöhe drängt zu manierierter Darstellung, wie wir eine solche auf
ihnen kennen gelernt haben. Aber auch Leuzingers verschiedene Relief-
karten, wie z.B. die von Tirol 1:500000, können bei einem senkrechten
Abstände der Isohypsen von 100 m diese nicht mehr genau verzeichnen. In
der Tat sehen wir, vne sie über die Talgehänge schematisch ausgebreitet
werden, was namentlich von den Trogtälem der Zentralalpen gilt. Das aber
müssen wir zur Voraussetzung aller Geländedarstellung machen, daß
sie grundrißtreu bleibt.
Nach unserer Tabelle ist eine grundrißtreue Darstellung des Alpen-
reliefs mittels Isohypsen nur in großen Maßstäben möglich; denn die Wieder-
gabe des Gebirges mit den charakteristischen Zügen seiner Gestaltung setzt
kleine Vertikalabstände der Schichtlinien voraus. Wenn ein solcher von
30 m noch dem Hochgebirgsgelände gerecht wird, was nach dem Siegfried-
atlas angenommen werden kann, so ist der Maßstab von 1 : 75 000 der
kleinste einer einheitlichen Schichtlinienkarte der ganzen Alpen. Schon für
wenig kleinere Maßstäbe beginnt die Hochgebirgsdarstellung durch Isohypsen
Neue Alpenkarten. 341
allein zu versagen, notwendig wird die Veranschaulichiing des Geländes durch
Schatten oder Farben. Für viel kleinere Maßstäbe aber sinkt sie fast zur
Bedeutungslosigkeit herab. Eine Übersichtskarte der Alpen im Maßstabe
1:1000 000, also von der Größe der Alpenkarten in Debes' Atlas, würde
höchstens Isohypsen im Abstände von 400 zu 400 m enthalten können, wo-
mit die Möglichkeit einer entsprechenden Wiedergabe des Gebirges aufhört,
und die bloße Veranschaulichung der Formen als einziges Mittel zur An-
deutung ihres Vorhandenseins überbleibt. Hiernach ist die Stufenfolge Schicht-
linienkarte, schattierte Schichtkarte und schattierte Karte, die wir bereits
erwähnt haben, in dem Unvermögen begründet, die Isohypsen auf den Karten
über ein bestimmtes Maß hinaus zusammendrängen.
Wir haben bisher inmier angenommen, daß die steilsten im Gebirge
vorkommenden Böschungen 60^ betrügen. Wir können außer acht lassen,
daß in der Gipfelregion des Hochgebirges noch viel steilere Abfälle, Wände
von 7U — 80^ Neigung, nahezu lotrechte Abstürze vorkommen, denn sie ge-
hören fast ausnahmlos dem Felsgelände an, das als eine besondere Kategorie
der BodenbeschafPenheit in der Regel in eigener Weise dargestellt wird.
Dies geschieht meist unter Weglassung der Isohypsen infolge der Erwägung,
daß sich auf so steilen Böschungen die Schichtlinien unentwirrbar zusammen-
drängen würden. Allein gerade im Felsgelände, dessen kartogi'aphische
Wiedergabe gegenwärtig fast allenthalben mehr nach dem Gefühle als nach
bestimmten Regeln geschieht, ist es besonders nötig, das feste Gerippe der
Schichtlinien zu bewahren, da sie allein über Höhe und Steilheit des Geländes
Auskunft geben können. Wenn man befürchtet, daß sie sich zu eng zu-
sanmiendrängen, so lasse man sie im Bereiche der Felszeichnung in bestimmten
Intervallen aus, wie dies auf der Österreichisch-ungarischen Originalaufnahme
geschieht, welche die „Hauptschichtlininien" durch den Felsen durchzieht,
während sie die „Zwischenschichtlinien" ausläßt. Bei einfarbigem Drucke ist
es allerdings schwierig, Schichtlinien und Felszeichnung zu verbinden; aber
bei Farbendruck ist es leicht möglich. Auf den Karten des Siegfriedatlas
und den Positionsblättem Bayerns brauchte man z. B. die Schichtlinien in
Fels nur schwarz und diesen darüber braun zu zeichnen, um sie deutlicher
erkennbar zu machen und zugleich zu zeigen, daß sie in weiterem Intervalle
als sonst gezogen sind.
Von einer Schichtlinienkarte müssen wir strenge Durch-
führung des gewählten Verfahrens der exakten Geländedarstellung
verlangen. Es ist gefehlt, die Isohypsen auf gewisse Kategorien der Boden-
beschaffenheit, auf das normal-geböschte Gelände zu beschränken, wie es bei
einigen Schichtschattenkarten z. B. der österreichisch-ungarischen Spezialkarte
und der Carta del Regno d' Italia geschieht. Sie gehören auf alle Partien
der festen Kruste, daher sowohl auf den Fels als auch auf die Oberflächen
von Gletschern und den Boden von Seen, wo man sie häufig vermißt. Die
praktische Durchführbarkeit in letzterer Hinsicht wird durch die Karten des
Siegfriedatlas erwiesen, welche durch ihre Schichtlinien auf den Gletschern
eine Reibe wissenschaftlicher Untersuchungen förderten und durch ihre Iso-
hypsen am Grunde der Alpenseen die Herausgabe eines besonderen Karten-
342 Albrecht Penck:
Werkes über die Scbweizerseen überflüssig machten, während für die deutschen,
österreichischen und französischen Seen besondere Atlanten nötig waren, und
für Italien noch zu gewärtigen sind.
Wenn unsere Schichtlinienkarten großen Maßstabes in der Begel auf
eine besondere Veranschaulichung der Gebirgsgestalt durch Schatten oder
Farben verzichten, so liegt der Grund darin, daß sie durch das Zusammen-
drängen ihrer Isohypsen bereits eine Art Schattierung erhalten. Diese
Schattierung kann allerdings auf einfarbigen Karten nicht recht zur Geltung
kommen, weil sie hier durch Schrift und Situation gestört wird. Wenn aber,
wie mehr und mehr geschieht, die Isohypsen braun gedruckt werden, so ist
die durch sie bewirkte Schattierung unverkennbar. Peucker geht entschieden
viel zu weit, wenn er der Schichtlinienzeichnung an sich jede Anschaulichkeit
abspricht*). Gerade die Karten des Hochgebirges, wie viele Blätter des
Siegfriedatlas und zahlreiche bayerische Positionskarten, insbesondere die der
Umgebung des Königssees, erweisen das Gegenteil. Bei Hochgebirgs-
karten kann ein Teil der Geländedarstellung, nämlich die be-
sondere Veranschaulichung der Formen, entfallen.
Die Schattierung, welche die Schichtlinienkarten durch Isohypsen er-
halten, entspricht der wirklichen senkrechten Beleuchtung und ist bei den
Hochgebirgskarten durchweg geringer, als die nach der Lehmannschen Skala,
wie Peucker für den Siegfriedatlas 1 : 50 000 graphisch gezeigt hat'). Doch
muß dies nicht allgemein so sein, da die Schattierung proportional der
Tangente des Böschungswinkels und der gewählten Breite der Isohypsen, aber .
umgekehrt proportional deren Äquidistanz und dem Kartenmaßstabe ist. Eine
Karte 1:100 000 mit 10 m Isohypsen, eine solche 1:50000 mit 5 m Iso-
hypsen, beide nur für Hügelland möglich, würden ähnlich stark wie durch
die Lehmannsche Schraffierung schattiert erscheinen, welch letztere die
Schattierung für geringe Böschungen annähernd proportional dem Sinus und
sohin auch, roh genommen, der Tangente des Böschungswinkels macht').
Letzteres geschieht bei der Carte de France, wie aus folgendem erhellt.
Die Schattierung a, welche eine Anzahl dichtgedrängter Isohypsen einer Fläche
verleihen, ist abhängig von ihrer Breite b und Horizontalentfemung (Horizontal-
abstand -\- Breite) e; es kann gesetzt werden <r = — •
Zwischen Horizontalentfemung zweier Isohypsen (e) und ihrem senkrechten
Abstände {d) besteht die bekannte Beziehung « = d cot a — , wenn a der Böschungs-
Winkel, — der Kartenmaßstab ist. Damach ergibt sich a = -^ tga fi. (1)
Auf der Carte de France 1 : 80 000 wurden die Schraffen ursprünglich in einem
1) Schattenplastik und Farbenplastik. 1898. S. 6.
2) Schattenplastik und Farbenplastik. Fig. 1, S. 40.
3) Die Carte topographique de la Belgique 1 : 40 000 mit ziemlich kräftigen
Isohypsen im Abstände von 6 m erscheint so stark schattiert, wie nach Lehmann,
worin man sich z. B. durch das Blatt Spaa leicht überzeugen kann, sobald man die
Ausgabe ohne farbig aufgedmcktes Wegnetz betrachtet. Die belgischen Blanchettes
1 : 20 000 mit Isohypsen von 1 zu 1 m sind durch letztere viel stärker schattiert,
als sie es durch Lehmannsche Schraffen sein würden.
Nene Alpenkarten. 343
Abstände von einem Viertel der Horizontalen tfemung gesetzt; also die erhaltene
46
Schattierung war a = — , später setzte Hossard a = 1.6 tga.
unsere Gleichung (1) erlaubt uns zu berechuen, wie stark wir die Isohypsen
im senkrechten Abstände von 20 m machen müßten, um einen gleichen Effekt wie
Hossards Skala hervorzubringen. Wir setzen 1.6tga = — tga-SO 000 und erhal-
30
ten b = --—^^— m == 0.376 mm.
80 000
Nehmen wir 0.1 mm als die normale Breite einer Schichtlinie an, so finden
wir, daß Hossards Skala die Schatten beinahe viermal stärker macht, als das
bloße Zusammendrängen zarter Isohypsen ergeben würde. Sie ergibt also durch
Verdickung der Schraffen dieselbe Abtönung wie das ursprüngliche System durch
deren Anordnung. Da aber bei 0 = 1 voller Schatten eintritt, so reicht sie nur
bis zu Böschungen, für welche tga = -— ist, und ist sohin für Winkel von mehr
1.5
als 36^ bereits unverwendbar. Gleichung (1) ermöglicht uns auch die Schattierung
verschiedener Karten zu vergleichen, z.B. der Blätter 1:26 000 und 1:60 000 des
Siegfriedatlas. In beiden Fällen ist etwa 6 = o.l mm, d = 10, bez. «= 30 m, daher
ist «^16000 = ^-25 tg«i «^ 60000 = 0.1671 tga; die Karte 1 : 26 000 ist also lV,mal so
stark als die 1 : 60 000 schraffiert.
Zu einer Schatten Wirkung kommen die Schichtlinien nur dort, wo sie
sich dicht auf einer ausgedehnteren Fläche zusammenscharen, also wo ihre
Äquidistanz klein, die Böschungen steil und groß sind. Vom Hochgebirge,
wo sich die Steilheit mit der Ausdehnung der Böschungen paart, liefern die
Schichtlinienkarten erheblich plastischere Bilder als vom Mittelgebirge oder
gar von flacherem Gelände. Da femer, wie wir gesehen, die zulässige
Minimaläquidistanz der Isohypsen umgekehrt proportional dem Kartenmaßstabe
ist, so hängt ihre Maximalzahl bei gleichen Böschungen direkt von diesem
ab. In gleicher Abhängigkeit vom Kartenmaßstabe steht aber auch die Aus-
dehnung der Böschungen, so daß bei sonst gleichen Verhältnissen die größte
Schattenwirkung der Isohypsen mit dem Quadrate des Kartenmaßstabes
wächst. Hieraus erhellt, daß sie nur für Karten größeren Maßstabes praktisch
in Betracht kommt, und daß es Grenzen des letzteren gibt, über welche
hinaus sie unwirksam ist. Wir können diese nach den vorhandenen Alpen-
karten für das Hochgebirge annähernd bestimmen.
Wie erwähnt, machen die Positionsblätter und die Siegfriedkarten 1 : 25 000
vielfach einen recht plastischen Eindruck, gleiches gilt von vielen Blättern
des Siegfriedatlas 1:50 000; aber die allerdings nur in Schwarzdruck aus-
geführten Blätter der Carta del Regno dltalia gewähren mit ihren Isohypsen
von 50 zu 50 m keine anschauliche Vorstellung des Reliefs mehr^). Glauben
wir auch, daß braune Isohypsen die Karte erheblich plastischer machen
würden, so möchten wir doch angesichts ihrer kaum annehmen, daß sich mit
Schichtlinien allein für das Hochgebirge noch für erheblich kleinere Maßstäbe
als 1 : 100 000, wo die zulässigste kleinste Äquidistanz der Isohypsen 40 m
ist, noch plastische Wirkung erzielen läßt. Für das Mittelgebirge, wo wegen
1) Supan nannte die aus mehreren von ihnen zusammengestoßene Karte in
S. Marineil is Guida della Camia (Udine 1898) ganz charakterlos. Peterm. Mitt.
1899. Lit. Ber. Nr. 396.
344 Albrecht Penck:
des Mangels steiler Böschungen die zulässige kleinste Äquidistanz der Iso-
hypsen erheblich kleiner ist, kann man auch noch in kleineren Maßstäben
plastische Bilder erhalten, wie die neue Karte des Deutschen Reiches 1 : 200 000
lehrt. Die strenge Äquidistanz der Isohypsen ist selbstverständlich eine Vor-
aussetzung homogener plastischer Wirkung: Jede eingeschaltete Zwischenlinie
verstärkt sie, jede weggelassene Linie schwächt sie ab. Will man die An-
schaulichkeit der Karte nicht beeinträchtigen, so muß man also die zum
Verständnisse besonderer Geländeformen unbedingt nötigen Hilfslinien so zart
als möglich machen, und muß im Felsgelände, wo die Isohypsen notwendiger-
weise in weiteren Abständen gezogen werden müssen, den dadurch entfallenden
Betrag der Schattierung durch die Felsdarstellung ersetzen.
Es fehlt nicht an Versuchen, die plastische Wirkung der nackten
Schichtlinienkarten durch die Art der Zeichnung der Schichtlinien zu steigern.
Das Verfahren, welches Franz Keil^) in seiner orographisch-physikalischen
Karte des Groß-Glockner und seiner Umgebung angewendet hat, ziemlich weit
abstehende Isohypsen um so dunkler zu machen, je höher sie liegen, hat bei
weitem nicht die plastische Wirkung wie sie durch dichte Drängung der
Schichtlinien erzielbar ist, und hat nur in stummen Repetitionskarten Peuckers
für Schulen Nachahmung gefunden. Aber auch das Verfahren von Lößl
und Pauliny, die Isohypsen auf einer beleuchteten Seite heU, auf einer
beschatteten Seite dunkel darzustellen, trägt weniger zur Veranschaulichung
des wirklichen Geländes, als zu der einer ihm einbeschriebenen, einseitig
beleuchteten Treppenpyramide bei. Will man über dem Gerippe der Schicht-
linien die volle Form des Geländes zur Darstellung bringen, so muß man
unbedingt zur Schattierung greifen, für deren Ausführung die beiden
Methoden der senkrechten und schrägen Beleuchtung zur Verfügung stehen.
Die Betrachtung der neueren Alpenkarten hat uns Material geliefert, die
Wirkimgsfähigkeit beider Methoden kennen zu lernen.
Die Schattierung nach schräger Beleuchtung ist ein ausgezeichnetes
Hilfsmittel zur Wiedergabe der Hochgebirgsformen, wenn diese, wie in der
Schweiz fast die Regel, senkrecht zur angenonmienen Beleuchtungsrichtung
streichen'). Indem die eine Flanke Licht, die andere Schatten erhält, wird
der Kamm durch die Beleuchtungsgrenze scharf hervorgehoben. Sobald aber
die Kämme in anderer Richtimg streichen, sollte sich der Gegensatz zwischen
belichtetem und unbelichtetem Gehänge abschwächen und ganz verschwinden,
wenn die Kämme in der Richtung der Lichtstrahlen streichen. Praktisch
hilft man dem ab, indem man die Richtung der Lichtquelle etwas ändert,
um den Kamm als Beleuchtungsgrenze zu bewahren. Dies beeinflußt den
Eindruck der Karte nur sehr wenig; man bemerkt es in der Regel erst bei
eingehenderem Studium, es bezeichnet aber eine Abweichung von streng geo-
metrischer Auffassung. Der senkrechten Beleuchtung bieten die Grate des
Hochgebirges unter aUen Umständen Schwierigkeiten^). Man muß die First-
linie hervorheben, um sie kenntlich zu machen; man schaltet zwischen die
1) Petermann'ß Mitteilungen 1860. Taf. 4.
2) Vergl. Peucker's dritte These A.
3) Vergl. Peutker, Schattenplastik S. 41.
Neue Alpenkarten. 345
beiden dunkel schattierten Gehänge eine lichte Firstfläche ein, die in der
Natur nicht vorhanden ist und, falls man ihre Breite nicht auf ein Minimum
beschränkt, wie z. B. auf den Karten des Zillertales und der Venediger-
gruppe (herausgegeben vom Alpenverein), leicht einen wulstigen Eindruck
macht, wie auf den Karten des militär-geographischen Institutes in Wien.
Die Einschaltung dieser Kammflächen bezeichnet ein Abgehen von der
Grundrißtreue, welche die Grundbedingung jeder Geländedarstellung ist. Es
greifen also beide Beleuchtungsarten für das Hochgebirge zu Willkürlichkeiten,
die schräge aber nur zu Inkonsequenzen in der Art der Veranschaulichung,
die senkrechte zu einer Fälschung des Grundrisses, die um so größer wird,
je kleiner der Kartenmaßstab ist. Die schräge Beleuchtung ist hier der
senkrechten unbedingt überlegen.
Anders bei Mittelgebirgs- und Plateauformen. Die scharfe Grenze zwischen
steiler Gehänge- und einer sanft geneigten Hochfläche verschwindet bei streng
durchgeführter schräger Beleuchtung, wenn beide denselben Winkel mit den
Lichtstrahlen bilden. Deshalb kommt auf v. Pelikans Karte des Salz-
kammergutes, deren Schummerung durch Photographie eines Reliefs erhalten
ist, also ganz ungekünstelt ist, der Nordwestabfall des Dachsteinplateaus
nicht zur Geltung; er ist ebenso belichtet, wie letzteres selbst, da der Winkel
zwischen beiden durch die Lichtstrahlen halbiert wird. Dementsprechend
kann die streng durchgeführte schräge Beleuchtung auch den Übergang eines
beleuchteten Gfehänges in eine sanft; gewölbte Kammfläche nicht eindringlich
wiedergeben. Wenn gleichwohl die schräge Beleuchtung auch Plateaus und
Mittelgebirgsrücken oft recht gut wiedergibt, so liegt dies daran, daß sie
nicht streng durchgeführt wird und die Richtung der Beleuchtung, die bereits
in der Horizontalen verschoben worden ist, auch in der Vertikalen bewegt
wird. Die senkrechte Beleuchtung liefert hingegen für jene Formentypen
inmoer richtige Bilder ohne Grundrißfalschung*).
Lenken wir den Blick auf die Hohlformen, so sehen wir die Täler bei
schräger Beleuchtung — gleich den Kämmen — je nach ihrem Verlaufe
ganz verschieden. Streichen sie senkrecht zur Richtimg der Lichtstrahlen, so
ist das eine Gehänge in Licht, das andere in Schatten getaucht, und im
Lichte und Schatten verschwinden ihre Einzelformen. Diese kommen zur
Geltung, wenn Tal und Licht gleich gerichtet sind, dann aber verschwindet
der Gegensatz beider Gehänge, und das Tal erscheint nicht eingetieft. Da-
gegen ti'eten die Täler bei senkrechter Beleuchtung in allen Fällen samt
den Kanten, Leisten und Rippen hervor. Die senkrechte Beleuchtung ist
unentbehrlich zur Veranschaulichung der Tal formen. Dagegen versagt sie für
die Darstellung eines Geländes, das neben isolierten Erhebungen leere, ge-
schlossene Hohlformen zeigt, wie z. B. das Karstland, nahezu völlig; man
muß hier die Dolinen und andere Wannen durch eingefügte Minus-Zeichen als
solche kenntlich machen. Hier liefert die schräge Beleuchtung wieder ein-
wandfreie Bilder, und so in die Augen fallend sind hier ihre Vorteile, daß
V. Steeb^ vorschlägt, sie selbst auf Kriegskarten zur Charakteristik der
1) Vergl. Peucker, Schattenplastik S. 43. These UI A.
2) Über Kriegskarten. Mitt. k. u. k. miütärgeogr. Inst. XX. 1900. S. 122 (145).
346 Albrecht Penck: Neue Alpenkarten.
Karstformen heranzuziehen: sie sollen unabhängig von der senkrechten Be-
leuchtung durch einen von schräger Beleuchtung hervorgerufenen braunen
Schatten wiedergegeben werden. Damit weicht ein entscbiedener Vertreter
der senkrechten Beleuchtung von ihrer ausschließlichen Verwendung ab.
Was endlich den Gegensatz von Hoch und Niedrig anbelangt, so wird
er durch die senkrechte Beleuchtung nicht im entferntesten so klar und an-
schaulich gemacht, wie durch die schräge. Fast alle nach senkrechter Be-
leuchtung schattierten Alpenkarten machen einen flauen Eindruck; sehr viele
sind dunkel, wie namentlich die Karte des Deutschen Reiches, oder im Aus-
drucke schwach, wie manche der reambulierten Spezialkarten Österreichs und
namentlich die Carte de France. Die schräge Beleuchtung hebt dagegen
die beleuchteten Kämme aus den in Schatten befindlichen Tälern kräftig her-
vor, sie macht das Auf- und Abwogen des Geländes viel anschaulicher, als es
je bei Anwendung senkrechter Beleuchtung möglich ist, und gibt bei guter
DurchfQhrung die Möglichkeit an die Hand, den Höhen Wechsel relativ zu
schätzen. Sie läßt das Land reliefartig erscheinen, verzichtet aber dabei auf
eine eindeutige Illustrierung der Böschungen.
So hat denn jede der beiden Beleuchtungsarten bestimmte Gebiete ihrer
vorteilhaftesten Anwendbarkeit; für Hochgebirge und Karst ist die eine, für
Plateaus, Mittelgebirge und Täler die andere tiberlegen. Man wird daher mit
der einen wie mit der anderen eine passende Veranschaulichung des Geländes
erreichen können, sobald es sich um bestimmte Formengruppen handelt. Ist
aber ins Auge gefaßt, die Schattierung für ein größeres Kartenwerk zu
suchen, das sich über ein wechselvoll gestaltetes Land erstreckt, so wird man
das Verfahren wählen, das für den vorwaltenden Charakter am meisten an-
gemessen ist. Von diesem Gesichtspunkte erscheint begreiflich, daß in der
Schweiz die schräge Beleuchtung immer Verfechter gefunden hat, während
man im Deutschen Reiche ebenso wie in Österreich zähe an der senkrechten
festhält; denn für beide ist der Alpenanteil, der in der Schweiz überwiegt,
ein mehr oder minder kleiner Bruchteil des Landes. Will man endlich allge-
meiner die Frage zu beantworten trachten, so hat ma\i mit der Tatsache zu
rechnen, daß die senkrechte Beleuchtung den Böschungen gerecht wird, die
schräge aber mehr den Massen, wie bereits 1817 Oberst Bonne*) hervor-
gehoben hat. Die Böschungstreue macht die senkrechte Beleuchtung zur
Wiedergabe der einzelnen Formen geeignet, wie wir an den schweizer Karten
gelernt haben (Bd. V. 1899. S. 636), die Relieftreue*) die schräge Be-
leuchtung zur Veranschaulichung der Landschaften mit wechselnden Formen.
Sie ist deswegen für kleinere Maßstäbe besser zu gebrauchen als die böschungs-
treue senkrechte Beleuchtung'). (Schluß folgt.)
1) Berthaut. La Carte de France. I. S. 223.
2) Der umstand, daß wir zur Wiederjifabe einzelner Formen die Böschungs-
treue brauchen, hindert uns nach Peucker die Darstellung mit schräger Beleuchtung
als „Formenplastik" zu bezeichnen (Schattenplastik, S. 56). Statt von Böschungs-
und Formenplastik reden wir von Böschungs- und Relieftreue, und gebrauchen
Böschungstreue in demselben Sinne, wie kürzlich Peucker in seiner dritten These.
3) Ich habe dies außer in meinem Münchener Vortrage auch in meiner An-
zeige von Peuckers Schattenplastik und Farbenplastik ausgesprochen (G. Z.
Geographische Neuigkeiten.
347
Geographisclie Neuigkeiten.
Allgemeines.
* Auf dem siebenten internationalen
Geographenkongreß war beschlossen wor-
den, eine internationale Kommission
für die subozeanischeNomenklatur
einzusetzen, mit dem Auftrag, spätestens
bis zum Zusammentritt des nächsten Kon-
gresses die Bearbeitung und Veröffent-
lichung einer berichtigten Tiefseekarte
des Weltmeeres zu veranlassen. Am 16.
und 16. April hat nun in Wiesbaden die
in Berlin gewählte Kommission getagt;
es nahmen daran teil der Fürst Albert
von Monaco, Prof. Supan (Gotha), Prof.
Krümmel (Kiel), Prof. Pettersson
(Stockholm), Dr. Mill (London) und Prof.
Thoulet (Nancy), während Sir John
Murray, Prof. Nansen und Admiral
Makaroff am Erscheinen verhindert
waren. Auf Vorschlag des Prof. Thoulet
wurde beschlossen, die Tiefenkarten im
Maßstab 1 : 10000000 und gewisse Teile
des Meeresbodens im Maßstab 1:1000000
herzustellen; in Bezug auf Terminologie
und Nomenklatur der unterseeischen
Bodenformen sollen dieselben Prinzipien
zur Anwendung kommen, wie auf S u p a n s
Tiefenkarte (Pet. Mittig. 1899, Tafel 12).
Die Kosten des ganzen Werkes, das einen
umfangreichen Atlas bilden wird, sind
beträchtlich; doch hat der Fürst von Mo-
naco in Aussicht gestellt, die .Arbeit auf
seine Kosten ausführen zu lassen. Außer
diesen Karten sollen auf Vorschlag des
Prof. Pettersson noch besondere Karten
über jeden der großen Ozeane hergestellt
werden, auf denen die Konfiguration des
Meeresbodens zur Darstellung kommt.
Afrika.
^^ Ein für die wirtschaftliche Ent-
wicklungDeutsch-Südwestafrikas be-
deutungsvoller Eisenbahn bau ist jüngst
beschlossen und finanziell gesichert worden.
Die Otavi-Minengesellschaft hat be-
schlossen, ihren im nördlichen Teile der
Kolonie gelegenen aussichtsreichen Minen-
besitz durch eine Eisenbahn mit der Küste
zu verbinden, die in Swakopmund ihren
Ausgangspunkt nehmen und auf dem
rechten Ufer des Khanflusses nach den
Otavi-Minen weitergeführt werden soll.
Den ursprünglichen Plan, von der Station
Karibib der südwestafrikanischen Eisen-
bahn aus eine Zweigbahn nach dem Minen-
distrikt zu bauen und von Karibib aus
bis zur Küste die bestehende Linie zu
benutzen, hat man wegen des für die
Erzbeförderung nicht genügend starken
Oberbaus dieser Strecke und wegen des
Mangels an rollendem Material auf der-
selben fallen gelassen und die Strecke
auf dem rechten Ufer des Khanflusses ge-
wählt, auf der auch große Steigungen
vermieden werden können und stets ge-
nügend Wasser für den Eisenbahnbetrieb
zu finden ist. Die Otavi-Minengesellschaft,
die unter deutschem Einfluß steht, baut
die Bahn mit deutschem Kapital und mit
deutschem Material und wird den Bau
möglichst bald in Angriff nehmen.
Nord-Amerika.
» Von dem Grand Gafion des Co-
lorado hat die Geological Survey eine
Neuaufnahme gemacht, deren Ergebnisse
als ein besonderes Kartenwerk veröffent-
licht werden sollen. Die sich aus dieser
Neuvermessung ergebenden Größenverhält-
nisse des Grand Caüon sind folgende: die
durchschnittliche Breite von üferrand zu
Uferrand beträgt selbst in den breitesten
Teilen nicht mehr als 16 km und sinkt
häufig auf 12,ö km herab. Der Fluß fließt
nicht in der Mitte der riesigen Talmulde,
sondern 1,5 bis 5 km von dem südlichen
Ufer derselben entfernt. Alle die so
wimderbar gestalteten Felsformen und
Mesas liegen nördlich vom Flusse, un-
gefähr 8 bis 11 km von den besuchtesten
Aussichtspunkten entfernt. Die Tiefe des
Grand Canon wird ebenso häufig über-
wie unterschätzt; von dem südlichen Ufer-
rande aus gemessen beträgt die Tiefe meist
VI. 1900. S. 233), ohne allerdings an letzterer Stelle klar ersichtlich zu machen,
daß es sich um eine Ansicht von mir handelt. Peucker hat seither mit Recht
darauf hingewiesen, daß sie in seinem Werke nicht vertreten werde (Ebend. VlU.
1902. S. 164). Die weiteren Aussetzungen Peuckers an meinem Referate, näm-
lich, daß es nicht vollständig ist und nicht alle seine Ideengänge ausführlich wieder-
gibt, sind meines Erachtens wegen meines besonderen Hinweises auf so „manche
Bemerkung, die im Referat nicht wieder gegeben werden kann^', gegenstandslos.
348
Geographische Neuigkeiten.
nicht 1600 m; sie beträgt beim Bright
Angel Hotel, welches selbst 6866 Fnß
über dem Meere liegt, 4430 Fuß oder
1480 m, und der höchste Punkt auf dem
Südrande liegt 4900 Fuß oder 1630 m
über dem Fluß. Der Nordrand des Canons
liegt dagegen beträchtlich über 1600 m
über dem Flußniveau und erhebt sich
sogar bis 2000 m darüber. Im allgemeinen
liegt der Nordrand iiOO bis 400 m höher
als der Südrand. (National Geogr. Mag.
1908, S. 162.)
Polargegenden.
♦ Die norwegische Polarexpedition
unter Führung von Roald Amund-
sen zur genauem Bestimmung des mag-
netischen Nordpols (s. Jahrg. 1902. S. 709)
hat am 11. Mai die Reise ins arktische
Gebiet angetreten. Kapt. Amundsen hat
sich für seine Unternehmung bei der
deutschen Seewarte in Hamburg und am
magnetischen Oberservatorium in Potsdam
vorbereitet, wo er auch die nötigen In-
strumente beschafft hat. Zu den Kosten
steuerten König Oskar und die Großkauf-
leute Anker und Stang je 10 000 Kronen
bei. Außer Amundsen, der selbst die bel-
gische Südpolarexpedition unter Führung
von de Gerlache als erster Steuermann
mitgemacht hat, nehmen noch acht er-
probte Polarschiffer an der Reise teil;
erster Offizier ist der dänische Marine-
leutnant Hansen, dem außer der Schiffs-
führung die astronomischen Beobach-
tungen zufallen. Ein Physiker soll im
nächsten Sommer nachfolgen; um diese
Zeit wird ein norwegisches Fangschiff
einen Teil der Ausrüstung und die In-
strumente, die Prof. Birkelund bei seinen
letztjährigen luftelektrischen Untersuchun-
gen im nördlichsten Norwegen und den
benachbarten Archipelen benutzt hat, zum
Lancaster-Sund befördern, wo die „Gjöa"
vermutlich den ersten Winter zubringen
wird. Die Dauer der Expedition ist auf
fünf Jahre berechnet.
» Nach Bewilligung der Mittel für die
Ausrüstung der Hilfsexpedition für
die deutsche Südpolarexpedition
durch den Reichstag haben sich schiffs-
bautechnische Sachverständige im Auftrag
des Reichsamts des Innern nach England,
Norwegen und Amerika begeben, um ein
geeignetes Schiff für die im Herbst ins
Werk zu setzende Hilfsaktion auszusuchen
und anzukaufen; es soll auch bereits die
„Southern Groß", das bewährte Expe-
ditionsschiff Borchgrevinks auf seiner ant-
arktischen Forschungsexpedition 1898 bis
1900 (G. Z. 1900. S. 466), für den Ankauf
in Aussicht genommen sein. Dieses ener-
gische Vorgehen der deutschen Behörden
läßt daraufschließen, daß man die Hoff-
nung, in diesem Jahre jetzt nach Rück-
kehr der Kerguelen - Station noch Nach-
richt von der Expedition zu erhalten,
aufgegeben hat und sich auf eine noch-
malige Überwinterung der Expedition in
der Antarktis gefaßt macht. Für den
Fall nur einmaliger Überwinterung hatte
der Leiter der Expedition die Absicht,
nach dem Freiwerden des Schiffs noch
einige Wochen an den etwa neuentdeckten
Küsten zu kreuzen, sie, wenn möglich, bis
zum Viktorialand hin aufzunehmen und
im Juni 1903 mit der Expedition heim-
zukehren. Da es aber ungünstiger Eis-
verhältnisse wegen wahrscheinlich nicht
zur Ausführung dieses Plans gekommen
ist, will man bereits in diesem Jahr die
Entsatz-Expedition aussenden , entgegen
dem ursprünglichen Plan, nach dem die
Expedition erst dann Hilfe erwarten sollte,
wenn sie bis zum April 1904 nicht heim-
gekehrt wäre. Würde man nach diesem
ursprünglichen Plan verfahren, so könnte
das Entsatzschiff erst im Dezember 1904
der Expedition Hilfe leisten, wo es ?ielleicht
schon zu spät sein würde. — Glücklicher-
weise haben sich alle unsere Befürchtun-
gen als grundlos erwiesen, da am 1. Juni
folgendes Telegramm in Berlin eintraf:
„Südpolarschiff »Gauß« Pfingstsonntag
Durban Kapstadt aufwärts passiert.'^ Am
2. Juni meldete eine andere Depesche:
„Expedition, nach Kapstadt fahrend, Dur-
ban angelaufen, alle wohl. Berichte ab-
gesandt. Adresse Kapstadt. Schiff vor-
trefflich bewährt. Drygalski." Diese hoch-
erfreulichen Meldungen wurden von dem
in Köln versammelten XIV. Deutschen Geo-
graphentage mit großem Jubel aufgenom-
men. — Die „Gauß** ist ein Jahr lang im
Polareis festgelegen unter 60** 30' s. Br. ;
mit dem britischen Expeditionsschiff ist
sie in Verbindung gestanden, mit dem
schwedischen aber nicht zusammen-
gekommen. Weiteren Nachrichten ist mit
Interesse entgegenzusehen.
♦ Auch für die schwedische Süd-
polarexpedition wird eine Hilfsexpedi-
Geographisclie Neuigkeiten.
349
tion unter Leitung von Prof. Dr. A. G.
Natborst und nautischer Führung von
E[apt. 0. Gylden geplant.
♦ Von der englischen Südpolar-
expedition sind nachträglich noch einige
Einzelheiten bekannt geworden, die im
Geogr. Joum. S. 548 mitgeteilt werden.
Danach ist immer noch die Möglichkeit
vorhanden, daß die „Discovery" schon in
diesem Jahre heimkehrt; es hängt dies
nur davon ab, wann das Eis dort auf-
bricht und wann das Schiff frei wird.
Nur im ungünstigen Falle sollen Winter-
quartiere bezogen werden, aber an einer
anderen, der freien Bewegung der Expe-
dition günstigeren Stelle. Für alle Fälle
ist die Expedition mit genügenden Vor-
räten für 12 Monate versehen, woraus sich
allerdings die Notwendigkeit ergibt, daß,
wenn die „Discovery** in diesem Jahre
nicht zurückkehrt, die Entsatzexpedition
auf der „Moming** im nächsten Frühjahr
nochmals zur Neuverproviantierung der
Expedition nach dem Süden gehen muß.
Irrtümlich war gemeldet worden, daß
Kapt. Skott und seine Begleiter auf
ihrer Schlittenreise 94 Meilen nach Süden
vorgedrungen seien, während es heißen
muß, daß sie 94 Tage auf derselben unter-
wegs waren und dabei 82** 17' s. Br. er-
reichten. Eine andere bisher noch nicht
erwähnte Schlittenreise unter Leut. Ar-
mitage nach Westen dauerte 62 Tage
lang; man erreichte während derselben
eine Höhe von 8000 m, bei der Rückfahrt
fiel Armi tage in eine Eisspalte, blieb in
10 m Tiefe hängen und konnte nur mit
Seilen aus seiner gefährlichen Lage be-
freit werden. Diese Reise muß besonders
ergebnisreich gewesen sein, da sie direkt
in das Innere von Viktoria-Land geführt
hat. Anzeichen von Skorbut, die sich
während dieser Expedition zeigten, ver-
schwanden nach der Rückkehr zum Schiffe
wieder. Bis auf den Leut. Shakleton,
der auf Anraten des Arztes zurückkehrte
und durch Leut. Mulock von der „Mor-
ning** ersetzt wurde, waren alle Expedi-
tionsteilnehmer gesund und gern bereit,
noch ein weiteres Jahr in der Antarktis
zu bleiben.
♦ Dr. Charcot, der ursprünglich eine
Nordpolfahrt geplant hatte (S. 228), hat
seinen Plan geändert und will sich nun
nach dem Südpol wenden, der von Ale-
xander-Land aus angegriffen werden soll.
Die Expedition soll 18 oder 20 Monate
unterwegs bleiben und nur einen Monat
lang Winterquartiere beziehen. Das eigens
für die Expedition gebaute Schiff ist fast
fertig; es soll „Pourquoi pas" (Warum
nicht?) heißen und eine Mannschaft von
11 Mann mitnehmen, die sämtlich schon
Fahrten Dach den Eismeeren mitgemacht
haben. Der wissenschaftliche Stab der
Expedition besteht aus: Jean Charcot,
Kommandant der Expedition; de Gerlache,
dem Leiter der belgischen Südpolar-
expedition; J. Bounier, Laboratoriums-
chef an der Sorbonne, Zoologe; Ch. Perez,
Professor der Zoologie in Bordeaux; Zim-
mermann, Professor der Geographie in
Lyon; Koineau, Ingenieur. Das Expe-
ditions-Schiff ist nach dem Vorbilde von
Nansens „Fram" gebaut worden, aber
mit bedeutenden Verbesserungen. Vor
allem wurde darauf geachtet, daß alle
hygienischen Anforderungen genau be-
obachtet werden. Man weiß bis jetzt
noch nicht geuau. wann die Fahrt be-
ginnen kann. Auf dem Schiffe, das außer
zahlreichen Instrumenten und Kleidungs-
stücken 400 Tonnen Lebensmittel mit-
führen soll (abgesehen von den frischen
Lebensmitteln für die Zeit der Überfahrt),
ist ein sehr großes Laboratorium ein-
gerichtet worden, das die modernsten
Apparate enthalten wird. Die Regierung
überläßt der Expedition alle Präzisions-
Instrumente, die sich an Bord der „Bel-
gica^^ befanden und von der französischen
Marine für wissenschaftliche Forschun-
gen angekauft wurden. Unter den Ar-
beiten der Expedition sollen die astro-
nomischen den ersten Platz einnehmen.
Nach der Heimkehr sollen, außer dem
Schiffstagebuch, alle wissenschaftlichen
Beobachtungen veröffentlicht werden. Die
Kosten der Expedition sind auf 800 000
bis 3Ö0 000 Fr. veranschlagt worden. Den
größten Teil des Geldes steuert Charcot
selbst bei; die noch fehlenden 160000 Fr.
hofft man rasch aufbringen zu können.
Da die Expedition so reiche Gönner bat
wie den Fürsten von Monaco, dürfte das
Geld in der Tat leicht zu beschaffen sein.
Der Zweck der Expedition ist, so weit als
möglich zum Pol vorzudringen und den
Versuch zu machen, mit einer der anderen
Südpolarexpeditionen, der schottischen,
englischen, deutschen oder schwedischen,
Fühlung zu erlangen.
350
Geographische Neuigkeiten.
Geographischer Unterricht.
♦ Im Verzeichnis geographischer Vor-
lesungen (Heft V. S. 291j sind für Wien
noch folgende Vorlesungen und Übungen
nachzutragen: a. o. Prof. Sieger: Poli-
tische Geographie, 2 st. — o. Prof. Ober-
hummer: Geographie der antiken Welt,
Ost. — Seminar, 28t.
Persönliches.
♦ In Kiel hat sich Dr. Max Eckert
aus Leipzig als Privatdozent der Geo-
graphie habilitiert. Er hält in diesem
Sommersemester eine Vorlesung über:
„allgemeine Wirtschafts- und Verkehrs-
geographie** und hält ein „geographisches
Praktikum" ab.
♦ Am 2. Mai starb zu Bremen im Alter
von 41 Jahren Dr. Heinrich Schurtz,
Direktorialassistent am dortigen Museum
für Völkerkunde, der bedeutendste unter
den jüngeren deutschen Ethnologen und
Prähistorikern, der sich besonders um die
Völkerkunde Afrikas große Verdienste er-
worben hat.
♦ Am 29. April starb zu Petersburg
im Alter von 68 Jahren der verdienstvolle,
aber fast vergessene Afrikaforscher Paul
du Chaillu. Aufgewachsen in der neu-
gegründeten französischen Niederlassung
am Gabun, wo sein Vater Konsularbeamter
war, unternahm er schon im Alter von
20 Jahren eine vierjährige Reise in West-
afrika, von der er reiche naturwissen-
schaftliche Sammlungen mitbrachte, über
welche er 1861 ein größeres Werk ver-
öffentlichte. 1868 trat er vom Ogowefluß
eine neue Reise nach dem Innern an, die
nach zwei Jahren wegen der Feindselig-
keit der Eingeborenen ein ziemlich er-
gebnisloses Ende erreichte. Später be-
suchte du Chaillu die Vereinigten
Staaten, Schweden, Norwegen, Finnland
und Rußland, wo er Vorträge hielt und
naturwissenschaftlichen Forschungen ob-
lag. Er starb in Petersburg kurz nach
Beendigung einer zwölfmonatigen Studien-
reise durch Rußland.
Vereine und Versammlungen.
* Die Gesellschaft für Erdkunde zu
Berlin feierte am 5. Mai ihr 75 jähriges
Bestehen durch eine Festsitzung; der der-
zeitige Vorsitzende Prof. Dr. Hellmann
gab den Geschäftsbericht, Dr. Sven Hedin
sprach über die Seen in Tibet, Prof. Dr.
Sapper über seine letzte Reise im Vulkan-
gebiet Mittel-Amerikas und der Antillen.
Darauf erfolgte die Preisverteilung und
(die schon im letzten Heft erwähnte)
Übergabe der Richthofen-Stiftung im Be-
trag von 26 000 .K
Weule, K. Völkerkunde und Ur-
geschichte im 20. Jahrhundert.
48 S. Eisenach imd Leipzig, Thü-
ring. Verlags-Anstalt 1902. JC 1.— .
Diese Broschüre enthält in etwas er-
weiterter Form die Antrittsrede, die der
Verf. am 31. Mai 1902 gelegentlich der
Übernahme der Professur für Ethnographie
und Urgeschichte an der Leipziger Uni-
versität gehalten hat.
Sie kennzeichnet in klarer Weise die
Ziele und nächsten Aufgaben, die der
Anthropologie , Ethnologie und Urge-
schichte, diesen drei nahe verwandten,
im wesentlichen erst seit 1830 zu selbst-
ständigen Disziplinen erwachsenen Wis-
senszweigen nach ihrem großen Aufschwung
während der Schlußjahrzehnte des 19. Jahr-
hunderts für das neue Jahrhundert ge-
stellt sind, und beleuchtet ihre Methoden.
Mit Recht wird betont, daß die soma-
tische Anthropologie, nachdem sie allzu
BttcherbesprechHngen.
lange einseitig bei der Ermittelung von
vorwiegend kraniologischen Mittelwerten
verweilt hatte, nunmehr in eine erfolg-
reichere Gesamtbetrachtung des mensch-
lichen Körpers nach der Vielgestaltigkeit
der Rassen und Völker eingelenkt sei. Als
Endziel wird das entwicklungsgeschicht-
liche bezeichnet. „Aus den Rassenmerk-
malen sucht man zu Entwicklungsreihen
zu gelangen und damit endlich zur Be-
antwortung der Frage nach der Herkunft
des Menschen selbst.'^
Bei der Haupterörterung über Völker-
kunde (die man kaum nötig hat in Ethno-
graphie und Ethnologie zu scheiden, so
wenig wie man Erdbeschreibung und
wissenschaftlich eErdkunde trennen könnte)
werden zu näherer Erläuterung der Me-
thodik in hübsch übersichtlicher Skizzie-
rung konkrete Beispiele vorgeführt: die
Zwergstämme Afrikas und Südost-Asiens,
Bogen und Pfeil in Afrika, Asien, Mela-
Bficherbesprechungen.
351
nesien, das Augenomament nebst ge-
wissen Mythen und Sittenzügen in ihrer
Ausdehnung durch die westliche Südsee
bis ins nordwestliche Nord-Amerika.
Der Abschnitt über die Urgeschichte
weist darauf hin, wie die jüngsten Aus-
grabiingsfunde in Ägypten xmd Babylo-
nien uns beträ<)htlich gefördert haben in
der Zeitbestimmung auch unserer euro-
päischen vorgeschichtlichen Funde; kaum
in die Hallstattperiode reichte früher für
letztere die Möglichkeit genauerer chrono-
logischer Ansetzung, jetzt aber läßt sich
selbst unsere Kupfer- und Bronzezeit nach
Jahrhundertmaß annäherungsweise fest-
setzen und schon für jene Urzeit Handels-
bewegung aus dem fernen Morgenland
bis nach Nordwest-Europa erweisen.
Man wird dem Verf. wohl beipflichten
dürfen, wenn er das Geschlecht der Men-
schen schon „tief im Tertiäralter" begin-
nen läßt. Dann hat er also auch recht,
für urzeitliche Kassenaus breitung wie
Kassenisolieruug ganz andere Länder-
umrisse als die heutigen anzunehmen.
Nur behauptet er zu viel, wenn er das
Herüberziehen der ersten Menschen aus
Nordost-Asien ins benachbarte Amerika be-
streitet, weil (was ja feststeht) der Mensch
schon im Düuvialalter Amerika bewohnte,
der äußerste Nordwesten Amerikas jedoch
„erst nach der Eiszeit dem Meere ent-
stiegen" sei. Hiergegen spricht eine er-
drückende Fülle pflanzen- und tiergeo-
graphischer Tatsachen. Kirchhoff.
Albrecht) Th* Resultate des inter-
nationalen Breitendienstes.
(Zentralbureau der internationalen
Erdmessung. N. F. No. 8.) 173 S.
12 Taf. Berlin, 1U03. .fC 10.—.
Das Studium des Verlaufes der Be-
wegungen des geographischen Poles ist
seit einer Reihe von Jahren durch die
„Internationale Erdmessung" gefördert
worden und führte schließlich zu einem
besonderen Breitendienst, der zehn Jahre
bestehen soll. Um die möglich größte
Sicherheit der Resultate zu erreichen,
wurden 6 gleich ausgerüstete Beobach-
tungs- Stationen, nämlich Mizusawa in
Japan, Tschardjui in Zentral- Asien, Carlo-
forte in Italien, Gaithersburg, Cincinnati
und Ukiah in Nord- Amerika auf dem genau
gleichen Parallel {+ 89*^ 8') ausgewählt.
Die vorliegende Publikation enthält in
aller Ausführlichkeit die Ergebnisse der
beiden ersten Jahre lUOO und 1901. Da-
nach bewegte sich der Pol im ersten
Jahre im Abstände von U",05 um eine
mittlere Lage; seit dieser Zeit ist der
Abstand allmählich grrößer geworden und
übersteigt 0",1. Die gefundene mittlere
Lage des Poles konnte durch Vergleichung
mit Beobachtungen an 5 anderen Stern-
warten als identisch mit derjenigen nach-
gewiesen werden, welche den früheren
Ableitungen der Polbewegung seit 1890
zu Grunde gelegt war. Ob diese Mittellage
aber konstant ist, oder ob säkulare Ände-
rungen vorhanden sind, kann erst im Laufe
eines längeren Zeitraumes erwiesen werden.
Messerschmitt.
Walther, Johannes« Geologische
Heimatkunde von Thüringen.
245 S. 120 Leitfossilien in 142 Fig.
u. 18 Profilen im Text. 11. Aufl. Jena,
Fischer 1903. .IC 3.—.
Die Voraussage einer baldigen zweiten
Auflage dieses ansprechenden Buches in
meiner Besprechung der ersten im letzten
Jahrgang dieser Zeitschrift (Vlll, S. 479
u. 480) ist rasch zur Tatsache geworden.
Es liegt nunmehr eine in vieler Beziehung
erweiterte und wesentlich vervollkomm-
nete Neubearbeitung vor, die trotz der
ganz bedeutenden Bereicherung an Ab-
bildungen, Profilen, Gliederungstabellen
und mehreren neuen Abschnitten im Preis
nur wenig gestiegen ist, was der weiteren
Verbreitung des Büchleins ja nur nützen
kann. So stieg der Umfang von 176 auf
245 Seiten; die meist nach Originalstücken
gezeichneten schönen Abbildungen sind
fast verdreifacht (120 Leitfossilien in 142
Figuren statt 43 Figuren) und zwei Pro-
file hinzugefügt worden sowie wertvolle
Gliederungstabellen des Silur, des Devon,
des für Thüringen besonders wichtigen
Rotliegenden mit seinen 5 Abteilungen
(Gehrener, Manebacher, Goldlauterer, Ober-
böfer und Tambacher Schichten), femer
des Zechstein, des Hauptbuntsandsteins,
des Röt, des Muschelkalks, der drei Keuper-
Abteüungen und des Lias nach zum Teil
noch nicht veröffentlichten Aufzeichnungen
E. Zimmermanns und R. Scheibes,
endlich wird eine dankenswerte vorläufige
Zusammenstellung der vorhandenen geo-
logischen Sammlungen mitgeteilt. Dem
speziellen Teile, Geologische Wanderungen,
352
Bücherbesprechnngen.
ist jetzt eine gut auf dieselben vorberei-
tende Anleitung zur Benutzung von geo-
logischen Karten, insbesondere den Spezial-
karten der geologischen Landesaufnahme,
vorausgeschickt und am Schluß derselben
in einem Kapitel die zweckmäßige An-
ordnung einer größeren geologischen Ex-
kursion durch das thüringische Grebiet
hinzugef&gft sowie Bemerkungen über die
beste geologische Ausnutzung einer Renn-
stiegwanderung. Auch sonst ist vielfach
die verbessernde Hand des Verfassers wie
zahlreicher Spezialforscher zu bemerken,
auch die vom Ref. beanstandete zu knappe
Fassung mancher der Erläuterungen im
„Wörterbuch der Fachausdrücke** wurde
geändert sowie die Literaturnachweise
ergänzt und auf den neuesten Stand ge-
bracht. So ist diese Heimatkunde ihrem
Ziele, auch in den breiteren Schichten der
Lehrer und der Gebildeten unseres Volkes
ein tieferes Verständnis der Entwickelung
des thüringischen Bodens zu übermitteln,
bedeutend näher gekommen uud vermag
dieser schönen Aufgabe immer besser und
vollkommen zu dienen. Fr. RegeL
Franz, A. R« Die Sudeten. Bau und
Gliederung des Gebirges, eine Skizze.
S.-A. aus dem 2. u. 3. Jahresber. der
deutschen Landes-Oberrealschule in
Leipnik. 1901. 1902. 82 u. 26 S. 1 K.
in 1 : 600 000.
Ein Schüler Pencks versucht in
dieser sorgfältigen Arbeit eine selbständige
Orientierung über die so oft, nach Sydow
am eingehendsten von Dathe behandelte
Urographie der Sudeten von der Mährischen
Pforte, auf deren Scheitel Penck und
seine Schüler auf der Wanderung zum
Breslauer Geographentage die von C amer-
1 a n d e r übersehenen Reste alpinen Miocäns,
die Beweise der miocänen Meeresverbin-
dung des galizischen und österreichischen
Tertiärgebietes auffanden, bis an die
Lausitzer Bucht. Er trennt Ost- und West-
Sudeten durch das Neißetal und gliedert
die letzteren derartig in zwei Züge, daß
Eulengebirge, Waldenburger Kohlenge-
birge und Niederschlesisches Schiefer-
gebirge als nordöstlicher Gürtel dem
Adler- und Habelschwerdter Gebirge, der
bühmiflch-schlesisclien Kreidemulde samt
ihrem Randgebirge und dem Riesen- und
Isergebirge gegenübertreten. Der Druck
in einer minder leistungsfähigen Werk-
statt entschuldigt die ziemlich zahl-
reichen Fehler. Aber manche, die sehr
hartnäckig wiederkehren, wie Freiberg
(statt Freiburg), Ethymologie (mit h) oder
ein so bösartiger wie Augitgneis (statt
Augengneis; sind doch etwas störend.
Breslau. J. Parts eh.
Boy^, Pierre. Les Hautes-Ohaumes
des Vosges. £tude de Geographie
et d'^lconomie historiques. 482 S.
8 Taf. Paris, Berger-Levrault 1903.
Ff. 6.—.
Das vorliegende Werk ist ein sehr
wertvoller, auf gründlichen Quellenstudien
beruhender Beitrag zur Siedelungs- und
Wirtschaftsgeschichte der Vogesen. Hau-
tes-Ohaumes nennen die Franzosen die
waldlosen, als Weide dienenden Rucken
der Hoch vogesen. Mit der etwas dunkeln
Etymologie des Wortes beschäftigt sich
der Verf. sehr eingehend im 1. Kapitel,
doch kommt auch er zu keinem ganz
sicheren Endergebnis. Im 2. Kap. sucht
er nachzuweisen, daß die Vogesen ur-
sprünglich bis zu ihren höchsten Gipfeln
hinauf bewaldet waren uud daß die wei-
ten Rasenflächen, welche gegenwärtig die
meisten Hochkämme einnehmen, das Werk
des Menschen sind. Für diese AuffiEissung,
die auch unter den Botanikern Vertreter
hat, bringt er eine Anzahl neuer Beweis-
momente vor. Im 8. Kapitel sind sorg-
fältig alle Nachrichten über die Hautes-
Chaumes bis zimi 13. Jahrhundert zu-
sammengestellt. Daraus geht mit ziemlicher
Sicherheit hervor, daß keinesfalls vor dem
7. Jahrhundert in den Vogesen Sennwirt-
schafb getrieben ist, die meisten der
Hochflächen wahrscheinlich wohl erst weit
später urbar gemacht sind. Die folgen-
den Kapitel behandeln die Hautes-Ohau-
mes vom 13.— 16. Jahrhundert Die recht-
lichen und Besitzverhältnisse und die
wirtschaftlichen Zustände werden ein-
gehend geschildert. Das 10. Kapitel legt
die vollkommene Verödung der Hoch-
vogesen in Folge des 80jährigen Krieges
und der ihm folgenden Wirren dar. Im
11. Kapitel werden die älteren touristi-
schen und botanischen Beschreibungen der
Hautes-Ohaumes besprochen. Das letzte
Kapitel schildert die Wiederbesiedelung
der im 17. Jahrhundert vollkommen ver-
lassenen Gebiete in der ersten Hältle des
IB. Jahrhunderts. Diese kurze Inhalts-
Bücherbe sprechungen.
353
angäbe mag eine Yorstellang von dem
reichen Inhalt des Buches geben.
R. Langenbeck.
Flfteher^ Teobaldo. La Penisola Ita-
liana, saggio di corografia
scientifica. Prima traduzione ita-
liana sopra un testo intieramente
rifuBO ed ampliato dall' Autore, arri-
chita di Note ed Aggiunte a cura
dell' Ing. V. Novareae, DoU. F. M.
Pasanisi e Prof. F. Rodizza. XVI
u. 498 S. 60 Textabb. u. 29 Taf.
Turin u. s. w., Unione Tipografico-
Editrice 1902.
Fünfundzwanzig Juhre nach dem Be-
ginn seiner achtbaren schriftstellerischen
Tätigkeit über Italiens Natur- und Eultur-
bild, ein Jahrzehnt nach dem Abschluß
seiner großen Gesamtdarstellung dieses
Landes im Rahmen von A. Kirchhof fs
Länderkunde von Europa (11, 2 S. 283 bis
616) schließt Th. Fischer seine Arbeit
für dies Land ab mit einer ganz nach
seinen methodischen Grundsätzen aus-
gebauten Neubearbeitung des großen
deutschen Werkes, die auf Anregung und
unter Mitwirkung italienischer Gelehrten
in deren Sprache an die Öffentlichkeit
tritt. Es ist eine Ehre, deren die deutsche
Wissenschaft mit Stolz sich freuen kann,
daß für ein Land, das als reichster Schau-
platz der Erdgeschichte und der Welt-
ereignisse, als bevorzugtes Reiseziel aller
Gebildeten, als Tummelplatz der bedeu-
tendsten Natur- und Geschichtsforscher
aller Völker eine seltene Vereinigung
geistiger Interessen auf sich lenkt, die
auf dem Boden deutschen Geisteslebens
erwachsene Darstellung einzelnen führen-
den Köpfen des geistig überaus regsamen
italienischen Volkes selbst so wertvoll und
begehrenswert erschien, daß sie daraus
ein Gemeingut der gebildeten Bevölkerung
ihfer Heimat zu machen wünschten. Die
drei im Titel genannten italienischen Ge-
lehrten haben die Übersetzung des Werkes
unternommen und zu seiner Vervollkomm-
nung nach Kräften mitgevdrkt. Nament-
lich steuerte der Geologe Novarese in
eigenem Entwurf eine auf seinen For-
schungen beruhende Darstellung der
Piemontesischen Alpen (p. 146—179), einen
Abschnitt über Bergwerke und Steinbrüche
(p. 402 — 414), eine Übersicht der neuesten
Eilgebnisse der Malaria-Forschung (p. 857
bis 869) oei und wirkte an der erweitern-
den Neugestaltung der Darstellung des
tjrrhenischen Apenninenvorlandes ebenso
mit, wie Zaccagna, der geologische Er-
forscher der Apuanischen Alpen, an der
zeitgemäßen Schilderung dieses Gebietes
und der Pisaner Berge.
Aber auch der Verf. selbst hat sein
Werk vollendeter wiedererstehen lassen.
Der schon vor 10 Jahren reiflich durch-
dachte Plan des Ganzen ist allerdings im
großen unverändert geblieben, nur er-
gänzt worden durch einen den 10 Kapiteln
vorausgeschickten Überblick der Quellen
von Polybius und Strabo bis auf die
bewundernswerten topographischen, hy-
drographischen, geologischen und statisti-
schen Aufnahmen des ganzen Königreichs.
Aber die einzelnen Abschnitte haben nicht
nur durch sorgfältige Berichtigungen und
sachliche Zutaten gewonnen, sondern
auch durch eine freiere Entfaltung der
Darstellung und eine Erweiterung ihres
Horizontes, die ihr früher aus Rücksicht
auf das Ganze, dem sie sich einfügen
mußte, versagt blieben. Wie die Ent-
stehungsgeschichte des Landes überall
voller aus den reichen Ergebnissen der
geologischen Einzelforschung schöpft, so
gönnt die Küstenbeschreibung sich einen
methodischen Anlauf und freieren Aus-
blick über die Becken der umfangenden
Meere, über die Kräfte, die einzelne Ufer
gestalten, über die Anziehungskraft, die
diese auf die Siedelungen geübt haben.
Sehr tiefgreifend sind die morphologischen
Teile imigestaltet; die Alpen mußten
schon mit Rücksicht auf Novareses
Mitwirkung völlig neu geschrieben werden
ohne ängstliche Scheu vor einer Über-
schreitung der Schweizer und der Tiroler
Grenze, die aber keineswegs als eine Nach-
giebigkeit gegen die uferlosen Wünsche
begehrlicher Politiker erscheint. Auch
die Gebirge der Halbinsel sind ausfuhr-
licher und genauer in Wort, Bild und
Durchschnitten gezeichnet, nicht minder
die Inselwelt, die der Titel keineswegs
ausschließen will. Bei Klima, Pflanzen-
und Tierwelt ist die Beigabe einer ge-
naueren Malaria - Karte hervorzuheben.
Die Völkerkunde ist durch Berücksichti-
gung der antiken Volkselemente und die
auch im Kartenbilde veranschaulichten
anthropologischen Studien Li vis er-
weitert. Der Name Anthropogeographie
Oeogimphiwhe Zeitachrift 9. Jahrgang. 1903. 6. Heft.
24
354
BflcherVe Sprech ungen.
für die noch folgenden Teile ist, wohl
dem Widerstreben der Italiener zuliebe,
gefallen, erweist sich auch nicht als un-
entbehrlich. Denn die Kapitelüberschriften
„Land und Leute in ihrer Wechsel-
wirkung** und „Volksdichte und Siede-
lungskunde" reichen aus. Ersterer Ab-
schnitt hat namentlich die Wirtschafts-
geographie nach allen Richtungen ver-
tiefend, erweiternd und verschärfend ver-
vollkomnmet ; der letztere die Geschichte der
Volksvermehrung nach den neuesten Unter-
suchungen eingefügt, den Baucharakter
italischer Städte in einer allgemeinen Be-
leuchtung der dafür entscheidenden Stoffe
und Kräfte zur Geltung gebracht, nament-
lich aber die spezielle Übersicht der
Siedellingen in strengerer räumlicher An-
ordnung geboten. Dabei kommen die
früher an die Spitze gestellten fein aus-
gearbeiteten Charakterbilder der großen
Hauptstädte auch nicht zu kurz; auch
sie erfahren manche Bereicherung. Man
vergleiche z. B. bei Venedig den Bück
auf das Wasser- und Schienennetz seines
heutigen Binnenverkehrs und die Wasser-
versorgung durch eine g^roße Leitung.
So gewinnt die sorgsame Prüfung überall
den Eindruck, daß auf der alten, wohl
gewählten und sorglich geebneten Bahn
der Verfasser nur etwas weiter fort-
geschritten ist zu einem noch höheren,
sein ernstes Streben noch vollständiger
befriedigenden Ziele. Heute wurde gegen-
über den Werken von Theob. Fischer
und Nissen wohl niemand mehr Karl
Ritters Wort zu wiederholen wagen,
daß kein Darsteller Italiens Strabos
Leistung übertroffen habe. Das Jahr, das
uns den Abschluß dieser beiden Werke
bescherte, wird ein denkwürdiges in den
Annalen italischer Landeskunde bleiben.
Der Methodenlehre geographischer Arbeit
werden diese beiden Bücher in dem,
was sie gemein haben, wie in dem, was
sie trennt, Musterbilder der historischen
Länderkunde und der Länderkunde ohne
geschichtliche Beschränkung bieten. Ins-
besondere darf der Ref. über das vor-
liegende Werk mit vollem Recht das Ur-
teil wiederholen, das er anderwärts (D.
L.-Ztg. 1896. Nr. 1) für die deutsche
Originalarbeit näher begründete, „daß
dies stattliche Buch durch die Auffassung
von der Aufgabe der Länderkunde, die
es vertritt, durch den Reichtum der eige-
nen vieljährigen Beobachtungen des Verfs.,
durch die Vielseitigkeit und Gründlich-
keit eines zu vollster Stoffbeherrschung
gediehenen literarischen Studiums, durch
die Selbständigkeit der geistigen Durch-
dringung des Materiales, durch die liebe-
volle Sorgfalt einer gefälligen, des Inhalts
würdigen Darstellungsform als eine der
bedeutendsten Schöpfungen deutscher
Länderkunde sich darstellt, als ein dauernd
wertvolles Denkmal des heutigen Zustan-
des der geographischen Wissenschaft*'.
Breslau. J. Part seh.
Konstantinopel unter Sultan Sulei-
mann dem Großen, aufgenommen
im Jahre 1559 durch Melchior
Lorichs aus Flensburg. Heraus-
gegeben von Eugen Oberhummer.
München, Oldenbourg 1902. 22 Taf.
JC 30.—.
In dem Artikel „Cgnstantinopolis*^,
den Oberhummer in Pauly-Wissowas Real-
encyklopädie, IV, 968—1013 geschrieben
hat, ist S. 1018 ein Panorama von Kon-
stantinopel erwähnt, das Lorichs 1557
bis 1559 gezeichnet hat, das sich aber
noch unveröffentlicht und kaum bekannt
in Leiden befand. Diese Zeichnung
legt Oberhummer jetzt in einer außer-
ordentlich schönen und vornehm aus-
gestatteten Ausgabe vor. Das Original
ist im halben Maßstab auf 21 Tafeln re-
produziert, die von der Firma J. B. Ober-
netter hergestellt worden sind. In zier-
licher Zeichnung ist Konstantinopel von
der Serailspitze und dem asiatischen Ufer
bis über Ejub am inneren Winkel des
goldenen Horns dargestellt, jedes Haus,
jedes Dach, jeder Turm und Mauervor-
sprung ist sorgfältig ausgeführt. Ober
der Zeichnung imd teilweise noch darin
stehen Legenden, die fast alle topogra-
phischen Inhalts sind; sie sind aber nicht,
wie man zuerst annehmen möchte, durch-
aus selbständige Zutaten des Zeichners,
sondern hier hat sichLorichs manchmal,
wie Oberhummer zeigt, an italienische
Stadtpläne angeschlossen. Dadurch sinkt
natürlich ihr Wert. In dem begleitenden
Text hat sich der Herausgeber in be-
wußter Absicht darauf beschränkt, nach
einigen kurzen Angaben über das Leben
imd die Werke von Lorichs den Inhalt
eines jeden Blattes anzugeben und die
Legenden, die stellenweise recht schwer
Bücherbesprechungen.
355
lesbar sind, abzudrucken. Nur an einer
Stelle glaube ich etwas anderes lesen zu
können : auf Tafel VIII links am Rand im
Meer steht nach Oberhummer „ein schwer
leserliches Wort piruhe, wohl = pirogue".
So viel ich sehe, ist der erste Teil als
„Fischer** zu lesen, den Rest kann man
vielleicht als „Tor" deuten. Allerdings
steht schon auf dem 6. Blatt an der Mauer
„Fischerporten", und dadurch wird die
Lesung des zweiten Teiles unsicher, aber
die erste ist klar und paßt auch gut in
die Gegend; denn weiter rechts kommen
„Fischer Häuser**.
Für Spezialimtersuchungen ist mit
der Publikation eine neue, wertvolle Quelle
allgemein zugänglich gemacht worden;
dafür verdient der Herausgeber aufrich-
tigen Dank. Walter Rüge.
Schönfeld^ Dagobert« Aus den Staa-
ten der Barbaresken. 267 S.
Berlin, D. Reimer 1902. JC 8.—.
Reiseschilderungen eines allgemein Ge-
bildeten, der keinerlei fachliche Neigung
(Geschichte?) und Vorbildung zu erkennen
gibt, auf breit ausgetretenen Pfaden —
Ostseite von Tunesien, Tripolis und Um-
gebung — gewandelt ist und Dinge schil-
dert, die schon so und so oft in den vier
Kultursprachen geschildert worden sind.
Um die Literatur hat er sich so gut wie
gar nicht gekümmert, selbst die topogra-
phische Karte und Reiseführer von Tu-
nesien kennt er nicht. Wie ihm so alles
neu war, so nimmt er das auch von an-
dern an. Auf der Höhe von Utika ste-
hend, spricht er von der „Hafenfläche^
welche 6 — 6 Quadratmeilen umschloß,
aber heute durch Erdablagerungen des
Medjerda völlig ausgefüllt worden ist**.
„Dieses an Ort und Stelle untersucht zu
haben, ist von höchstem Interesse.** Daß
über diese Versandung der Bucht von
Utika gründliche Untersuchungen vor-
liegen, ist ihm natürlich auch unbekannt
geblieben.
Immerhin glaube ich, daß seine Schil-
derungen, die sich fast ausschließlich auf
Städte imd Menschen beziehen, keinen
Schaden anrichten werden, da sie, so
wenig Neues sie bringen, doch naturwahr
und zuverlässig sind. Daß die vorzügliche
militärische Organisation der Türken in
Tripolis noch einmal klar vor Augen ge-
führt wird, kann nicht schaden. Ebenso
wird über kurz oder lang politisch in
die Wagschale fallen, daß die Franzosen,
wie der Verf. überzeugend darlegt, es
verstanden haben, die Sympathie, mit
welcher ihnen die Masse der Bevölkerung
Tunesiens nach der Besitzergreifung ent-
gegen kam, trotz der unleugbaren Wohl-
taten, die sie dem Lande erwiesen haben,
in Haß zu verkehren. Th. Fischer.
Leverett, Frank« Glacial formations
and drainage features of the
Erie and Ohio basins. ü. S. geo-
logical survey, monographs vol. XLI.
802S.26Taf.u.8Textfig. Washington,
1902.
Das behandelte Gebiet erstreckt sich
von Geneseetal im Staate Neu- York nach
Westen durch das nordwestliche Pennsyl-
vanien und Ohio bis nach Mittel- und
Süd-Indiana und reicht von den Ufern
des Ontario- und Erie-Sees bis zum Alle-
ghany und Ohio. Die Höhenunterschiede
dieses weiten Distriktes schwanken im
weitesten Maß: sie variieren von 260 Fuß
und, zieht man den Ontariosee noch mit
in Betracht, von unter Meeresniveau bis
zu fast 2600 Fuß. Das Land südlich des
Ontariosees erscheint als ein System von
Ebenen, die durch steil geböschte, zug-
artig angeordnete Höhenzüge von einander
geschieden sind; noch weiter nach Süden
hin folgt ein stark zerschnittenes ebenes
Gebiet. In diesem liegen nach Westen
hin die Senken des Grand- und Scioto-
River und noch weiter westlich die Tief-
ebene des zentralen Mississippibeckens,
dessen Ostrand bis zum westlichen Ohio
reicht. Man erkennt in dem Aufbau
dieses Gebietes die typischen Gebilde der
einstigen Inlandeisbedeckung. Es um-
schließt Produkte verschiedener Glacial-
zeiten von wechselnder Ausdehnung.
Bildungen der ältesten hier bekannten
Vereisung (Kansan oder Pre-Kansan) finden
sich hauptsächlich nur im nordwestlichen
Pennsylvanien, spärlich im südwestlichen
Teil des Staates Neu- York und im öst-
lichen Ohio. Die Grenze der nächst
jüngeren Eiszeit (ülinoian) verläuft von
dem einspringenden Winkel der Glacial-
gprenze im südlichen Indiana östlich bis
nach Mittel-Ohio, wo sie von den Ab-
lagerungen einer jüngeren Vereisung (Wis-
consin) verdeckt wird. Bildungen der
nächst jüngeren Glacialperiode (Jowan)
24*
356
Bücherbesprechungen.
fehlen, an ihre Stelle treten lößartige
Bildungen und umgelagerte Sedimente der
als Sangamon und Peorian bezeichneten
Interglacialzeiten. Ablagerungen der äl-
teren Wisconsinperiode sind nur östlich
des sogenannten Miamilobus in dem Ge-
biete ungefähr zwischen Indianopolis und
Dajton, Ohio, bekannte; die größte räum-
liche Ausbreitung besitzt dagegen die
jüngere Wisconsinperiode. Ihre haupt-
sächlichsten , südwärts geschwungenen
Loben bezeidinet Verfasser von West nach
Ost als die des Miami, des Sdoto und des
Grand River. Hinter den Endmoränen-
zügen dieser Bogenstücke liegt eine stark
bewegte Grundmoränenlandschafb, mit
eingesenkten Becken- und Seenbildimgen,
Drumlins und Eskers, bis zu den Ufern
der großen Seen, mehrfach von schwächeren
jüngeren Endmoränenzügen unterbrochen.
In der weiteren Umgebung dieser Seen
erkennt man an deutlich ausgeprägten
Terrassen die Bildung größerer Stausee-
becken, deren Niveaus und Ausbreitimg
ein fortlaufendes Stadium der Senkung
dartun. Die weiteste Ausdehnung hatte
der sogenannte Lake Maumee. Er hatte
den höchsten Stand und ward im Norden
und Osten von dem Inlandeisrand begrenzt.
Seine Entwässerung erfolgte durch zwei
Auslässe, bei Fort Wayne in Indiana und
bei Imlay in Michigan. Bei ersterem Ort
strömten seine Wasser durch den Wabach-
River zum Ohio, bei letzterem durch den
Grand River westwärts zum Michigansee.
Sein Niveau reichte bis zu 182 Fuß über
den Spiegel des heutigen Eriesees. Un-
gefähr um 30 Fuß tiefer lag die Ober-
fläche des nächst jüngeren Glacialsees,
des Lake Whittlesey. Der Ausfluß zum
Wabach wurde gesperrt: es bildete sich
hier im Südwesten des Eriesees die weite
Bucht von Belmore. Der einzige Abfluß
lag im Nordwesten bei Ubly westlich des
Huronsees und erfolgte durch den soge-
nannten Lake Saginaw und den Grand
River gleichfalls nach Westen zum Michi-
gansee. Im Gebiete des heutigen Huron-
und Eriesees entwickelte sich sodann bei
weiterer Senkung der glaciale Lake Warren,
dessen Niveau 40—76 Fuß unter dem des
Lake Whittlesey lag. Zu dieser Zeit
standen Ontario-, Erie- und Huronsee in
Verbindung und auch der einstige Lake
Saginaw verschmolz mit diesem gewaltigen
Becken. Südlich des Ontariosees erstreckte
sich eine weite Bucht durch den west-
lichen Teil des Staates Neu -York aus
der Gegend von BufPalo durch Gtonesee-
County bis in die westliche Umgebung
von Syracuse. Der Abfluß dieser weiten
Wassermasse erfolgte gleichfalls durch
den Grand River nach Westen. Bis zur
Entwicklung der heutigen Seenbecken
lassen sich noch mehrere Stillstands-
Perioden erkennen, doch sind diese we-
niger markant. Fairshild und Spencer
unterscheiden hier noch den Lake Dana
und den Lake Iroquois. Letzterer be-
schränkte sich allein auf das Gebiet des
Ontariosees und entwässerte nach Osten
bei Rome zum Mohawktal. A.Klautzsch.
Ludwig Amadeas Ton Saroyen, Henog
der Abnizzen« Die Stella Polare
im Eismeer. Erste italienische
Nordpolexpedition 1899 — 1900. Mit
Beiträgen von Kapitänleutnant C a gn i
und Oberstabsarzt Cavalli Moli-
nelli. 166 Abb. im Text, 28 Separat-
bilder, 2 Panoramen u. 2 K. Leipzig,
Brockhaus 1903.
Diese gut ausgestattete deutsche Aus-
gabe des italienischen Polarreisewerks
enthält zunächst in sechszehn Kapiteln
einen allgemeinen Bericht über den Ver-
lauf der ganzen Reise. Darauf folgt eine
sehr eingehende Schilderung der unter
Leitung des Kommandanten Cagni in der
Zeit vom 81. März bis 23. Juni 1900 aus-
geführten großen Schlittenreise von der
Teplitz-Bai auf Kronprinz Rudolf -Land
nordwärts, wobei man bekanntlich eine
etwas höhere Breite erreichte als Nansen.
Dieser ungefähr 200 Seiten umfassende
Bericht darf als einer der denkwürdig-
sten Abschnitte der Geschichte der mo-
dernen Polarreisen bezeichnet werden.
Die sorgfältigsten Vorbereitungen, um
einen vollen Erfolg zu sichern, waren für
diese Expedition getroffen worden. Mit
einer Hingebung sondergleichen unterzog
sich die kleine Schar mutiger Männer der
schweren Aufgabe. Aus dem ausführlich
mitgeteilten Tagebuche des Kapitäns Cagni
ersehen wir die stets neu sich auftürmen-
den Schwierigkeiten durch das Klima,
das Terrain und viele andere große und
kleine Hemmnisse. Leider ging, wie wir
wissen, die erste Gruppe der drei Partien,
aus welchen die Expedition bestand, auf
der Rückfahrt zum Schiffe verloren, und
Bücherbesprechungen.
857
es war nur einem Qlückszufall zu danken,
daß Kommandant Cagni selbst, anf der
Rückkehr südwärts vertrieben, doch noch
wohlbehalten die Übennnterongsstation
der Expedition an der Teplitzbai erreichte.
Jedenfalls hat diese Schlittenfahrt Cagnis
in den Versuchen, von Franz Josephs-Land
den Nordpol zu erreichen, einen gewissen
Abschluß in negativem Sinne gebracht.
Sehr lehrreich nach mannigfachen Rich-
tungen hin ist der Bericht des Oberstabs-
arztes Achille Cavalli-Molinelli über die
sanitären Verhältnisse der Expedition, die
durchweg als sehr gut bezeichnet wer-
den konnten. Unter strenger Einhaltung
aller erforderlichen Vorsichtsmaßregeln^
namentlich bei der geeigneten Diät, hat
der Skorbut seine frühere Furchtbarkeit
nahezu völlig verloren; dies hat sich auch
auf dieser Expedition gezeigt. Es ist in
dieser Zeitechriffc (Bd. Vm, 1902, S. 686 ff.)
die ganze Unternehmung nach dem damals
vorliegenden Material kurz beleuchtet wor-
den, deshalb und da der Raum für diese Be-
sprechung ein beschrankter ist, möchten
wir aus der Fülle neuer Details, welche
das vorliegende Werk enthält, nur noch
einige wenige Daten hervorheben, welche
für die Geschichte der Polarreisen über-
haupt besonders bedeutsam erscheinen.
Außerordentlich verschieden waren die
auf der Fahrt nach Norden , je nach der
Gunst oder Ungunst des Terrains, des
Gesundheitszustandes, der größeren oder
geringeren Ermüdimg der Mannschaften
und Hunde, täglich zurückgelegten Ent-
fernungen; sie schwankten zwischen 15
und 36 km! Als geeigneste Kleidung be-
währten sich die Wollstoffe gegenüber
den Pelzkleidem. —
Der am 26. April 1900 unter 86<» 31'
n. Br. und 68** ö. L. erreichte höchste
Punkt war eine weite Fläche neugebilde-
ten Eises, das stark zerklüftet und von
zahlreichen Kanälen durchschnitten war.
Lufttemperatur — 86® C. „Die Luft*S so
sagt das Tagebuch Cagnis, „ist vollkom-
men rein; zwischen Nordosten und Nord-
westen treten klar die unzähligen, oft
seltsam gestalteten, schwarzen, blauen
und weißen Spitzen, Zacken oder Kuppen
der riesigen Eisblöcke hervor, welche
durch die Pressungen in die Höhe ge-
hoben worden sind. Weiterhin am strah-
lenden Horizonte zieht sich im Halbkreise
von Osten nach Westen eine riesige bläu-
liche Mauer hin, die aus dieser Entfernung
gesehen unübersteiglich erscheint. ^^
M. Lindeman.
Osservazioni Scientifiche eseguite
durante La Spedizione Polare
di S. A. R. Luigi Amedeo Di Sa-
voia Duca Degli Abruzzi 1899
— 1900. 728 S. Mailand, Hoepli
1903. L. 26.—.
Den Hauptteil des Inhalts dieses Wer-
kes bildet der 600 Seiten starke Bericht
des Fregattenkapitäns der Kais. Kriegs-
marine Umberto Cagni über die nach
verschiedenen Richtungen während des
Verlaufs der Expedition und besonders in
der Überwinterungsstation an der Teplitz-
Bai, Westküste des Kronprinz Rudolph-
Landes , angestellten astronomischen,
hydrographischen, physikalischen und
magnetischen Beobachtungen und die
daraus durch weitere Bearbeitung gezoge-
nen Ergebnisse. An der Ausarbeitung dieser
letzteren wirkten die Professoren Aimo-
retti und Palazzo von der Universität
Turin mit. Besonders wichtig sind femer
die während der Schlittenreise nach dem
höchsten Norden angestellten Beobach-
tungen. Nicht minder beachtenswert für
die Polargeographie sind die Mitteilungen
über das Tier- und Pflanzenleben und
den geologischen Aufbau von Kronprinz
Rudolph-Land, zumal sie ein bisher so gut
wie unbekanntes Gebiet betreffen. Wir
verdanken sie in erster Linie dem Arzte
der Expedition dem Dr. Cavalli-Moli-
nelli. An der Bearbeitung dieses wissen-
schaftlichen Materials beteiligten sich die
Professoren bezw. Doktoren L. Came-
rano, Salvadori, Pollonera, Giglio-
Tos, Nobili, Parona, Mattirolo,
Belli, Spezia, Piolti und Colomba.
Dieser zweite Teil ist eine willkommene
Ergänzung unserer bisher mehr auf den
westlichen Teil von Franz Joseph-Land,
dank der englischen Expedition von Jack-
son, sich beziehenden naturwissenschaft-
lichen Kenntnis des Archipels.
M. Lindeman.
Deckert, Emil. Grundzüge der
Handels- und Verkehrsgeogra-
phie. 8. Aufl. 888 S. Leipzig,
Poeschel 1902. JC 4.20.
Wir besitzen dank der längst vermiß-
ten Neuauflage des in Fachkreisen wohl
358
Bücherbesprechungen.
bekannten Lehrbuches einen neuen brauch-
baren Leitfaden für den Unterricht in
der angewandten Geographie, und zwar
von einem Autor, dessen wissenschaftliche
SteUungund reiche Erfahrungen die vollste
Sachkenntnis verbürgen. So möge denn
hier nur einigen methodischen Bemerkun-
gen Raum gegeben werden.
Wir begrüßen in dem ersten Abschnitt
einen Ansatz zu einer ganz kurzen schul-
gemäßen „allgemeinen Handelsgeogra-
phie". Er behandelt: die Atmosphäre
(S. 1—2), das Meer (S. 2—3), die einzel-
nen Ozeane mit ihren wichtigsten Rand-
und Binnenmeeren in ihrer durch die
Einwirkung geographischer und histori-
scher Tatsachen herbeigeführten wirt-
schaftlichen Bedeutung (S. 4 — 31), das feste
Land nach seiner Natur, seiner Bevölke-
rung, seinen Produktions- und Bevölke-
rungsverhältnissen (S. 31 — 56). — Die ge-
sonderte Schilderung der Luftströmungen
über den einzelnen Ozeanen und hernach
der Klimagürtel des Festlandes wird je-
doch schwerlich ein genügendes Verständ-
nis für den innigen Zusammenhang dieser
Erscheinungen und der von ihnen ab-
hängigen Vorgänge erwecken. Im Unter-
richt wird unbedingt noch eine ergänzende
Erläuterung der allgemeinen klimatischen
Gesetze, natürlich auch ihrer Einwirkung
auf das Wirtschaftsleben hinzutreten
müssen.
Die Schilderung der einzelnen Wirt-
schaftsgebiete wird mit einer treffenden
und anregend geschriebenen allgemeinen
Charakteristik der betreffenden Kontinente
eingeleitet. Manche hier aufgenommene
Betrachtungen fänden wohl besser ihren
I Platz in einem die Summe der wirtschaft-
lichen Leistungen der einzelnen Räume
I zusammenfassenden „Rückblick". — Die
Behandlung dieser, namentlich der grö-
I ßeren, erfolgt nach dem Schema: Größe
I und Bevölkerungsziffer, Lageverhältnisse,
I Grenz- und Küstengestaltung, orographi-
sche Gliederung, Klima und Abflußverhält-
nisse , Kulturzustand der Bevölkerung.
Produktion, Handel und Verkehr. Die po-
litische Gliederung und ein reichhaltiges
Städteverzeichnis bilden den Beschluß. —
j Der wirtschaftlichen Schilderung der
I mitteleuropäischen Staaten (im weiteren
I Sinne) geht eine längere Skizze des Boden-
. Charakters und des Stronmetzes des ge-
samten Gebietes voran. — Referent vermag
, sich mit dem Schema im allgemeinen und
I insbesondere mit dem bei der Darstellung
: Mitteleuropas geübten Vorgang nicht zu
I befreunden. Er ist vielmehr der Ansicht,
daß für die Schilderung der wichtig-
sten Gebiete Raum genug vorhanden sei
zunächst zu einer kurzen, allgemeinen
Skizze ihres geographischen Charakters
und damit ihrer wirtschaftlichen Eignung.
An diese schlösse sich eine mehr oder
minder eingehende physische und kultu-
relle Schilderung der natürlichen Land-
schaften, so daß eine aus diesen Grund-
lagen hervorgehende zusammenfassende
Darstellung der einzelnen Wirtschafts-
zweige, das Wirtschaftbild des Staate-
ganzen, den Abschluß böte. —
Das Lehrbuch muß trotz der vorge-
brachten methodischen Bedenken als der
brauchbarste, weil zuverlässigste Leitfaden
der Handelsgeographie bezeichnet wer-
den. Alois Kraus.
Nene Bttclier nnd Karten.
lUgemeiiie phyiische Geographie.
Schott, G. Physische Meereskunde.
162 S. 28 Textabb. u. 8 Taf. Leipzig,
Göschen 1908. JC —.80.
Karsten, G.u. H. Schenck. Vegetations-
bilder. Hefts. H. Schenck: Tropische
Nutzpflanzen. Taf. 13—18. Jena, Fischer
1903. Die Lief. JC 2.60.
Allgemeine Geographie dei Henichen.
Michelis, E. de. L'origine degli Indo-
Europaei. VUI u. 699 S Torino, Bocca
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Heß: Der Taltrog. — Geinitz: Die geo-
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lichen Ostseegebietes seit der quartären
Abschmelzperiode (Schluß). — Senfft:
Ethnographische Beiträge über die Karo-
lineninsel Yap. — Philippson: Eisbildung
auf der Bucht von Salonik im letzten
Winter.
Globus. Bd. LXXXIU. Nr. 16. An-
dree: Asiatisch -amerikanische Folklore-
Beziehiingen an der Beringsstraße. —
Tschulok: Einige Ergebnisse der Mur-
manexpedition. — Sapper: Eine Reise
über den Isthmus von Panama. — Preuß:
Die Sünde in der mexikanischen Religion.
— Die Briten in Nigeria.
Dass. Nr. 17. Rütimeyer: Die Nil-
galaweddas. — Die ersten Erfolge der
englischen Südpolarexpedition. — Ark-
tisches Museum in Stockholm. — Preuß:
Die Sünde in der mexikanischen Religion.
— Lehmann: Isländische Futterkräuter.
Dass. Nr. 18. P. u. F.Sarasin: Über
die Toäla von Süd-Celebes. — Förste-
mann: Zusammenhang zweier Inschriften
von Palenque. — v. Schkopp: Zwerg-
völker in Kamerun. ^- Schmidt:
H. filaatschs Theorie über die Stammes-
geschichte der Menschen. — Halb faß:
Zwei Seen in der Moränenlandschaft des
Bodensees.
Deutsche Bundschau für Geographie
und Statistik, XXV. Jhig. 8. Heft. Sosta-
ric: Durch Albanien und Macedonien. —
Fehlinger: Die Igorroten von Nord-
Luzon. — Nishimura: Der Ausbruch
des Torishima in Japan. — Hübner:
Forschungsreisen am Rio Branco. —
Krebs: Asiens Gebirgsbau.
Meteorologische Zeitschrift, 1908. 4. Heft.
Rosenthal: Die Szintillation der Fix-
360
ZeitBchriftenschau.
Sterne vom Standpunkte der synoptiflchen
Meteorologie. — Draenert: Zum Klima
des Staates Cear4, Brasilien. — Grund-
mann: Über die Ausmessung meteorolo-
gischer Photogramme.
Zeitschrift für Schulgeographie. 1908.
8. Heft. Mayer: Die Geographie am
VIII. deutsch-österreichischen Mittelschul-
tag. — Glotz: Die Entstehung von Land-
karten und deren Reproduktion. — Gorge:
Zur Konzentration der Geschichte und
Geographie Deutschlands.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erd-
kunde tu Berlin. 1908. Nr. 4. Engler:
Über die Vegetationsformen Ostasiens. —
Ule: Die Beziehungen zwischen Nieder-
schlag und Abfluß in Mitteleuropa.
Beiträge zur Kölonialpolitik und Kolo-
nialwirUchaft IV. Jhrg. 12. Heft. Oloff:
Die Arbeiterfrage in Kamerun. — Schrei-
ber: Die Besiedelung unserer Kolonien
und die Wehrverfassung. — Fellmer:
Aufforstungsprämien für Südwestafrika.
— Schröder: Die Besiedelungsfrage in
Deutsch-Südwestafrika. — Boether: Sin-
gapore als Handelsplatz. — Der Streit
um die Grenze Alaskas.
Dass. 18. Heft. Hartmann: Meine
Expedition 1900 ins nördliche Kaokofeld
und 1901 durchs Amboland.
Dass. 14. Heft. Meinhold: Betrach-
tungen über die deutsche Kolonisation
von Südbrasilien. — Schröder: Die Ein-
geborenenfrage in Deutsch-SüdwestaMka
und ihre Lösung. — Seidel: Die Zukunft
Deutsch-Ostafrikas. — Dieter: Automobil-
betrieb in Deutsch-Ostafrika. — W aech-
ter: Die Tanganyka- Dampferexpedition
1898—1901.
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land auf dem Wege zur Vorherrschaft in
Asien. — Etienne: Die landwirtschaft-
liche Konkurrenz Sibiriens. — Maercker:
Die Entwickelung des Kiautschougebietes.
-— V. Kleist: Indo-China 1901/02.
Dass. Nr. 7. Vosberg-Rekow: Auf-
gaben der deutschen Asien -Politik. —
Grothe: Zur Nationalitätenfrage in Ma-
cedonien. — Seh lagint weit: Die Häfen
der syrischen Küste imd die Deutsche
Levante-Linie. — Wirth: Epochen asia-
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Erforschung Mittelasiens.
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Geographie des r^gions du Mälfur. —
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Le bassin houiller de la Campine.
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Lifwei. Vol. XXL 1908.
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Schöne: Der moderne Landschaftsbegriff
in seinen Forderungen an den erdkund-
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Ssolowjew: Unter den Kirgisai. (9 Fig.)
Himmel und Erde. XV. 8. Mai 1908.
Verantwortlicher Herausgeber: Prof. Dr. Alfred Hettner In Heidelberg.
Zflge und Ergebnisse einer historischen Geographie.
Von Prof. Dr. Wilhelm Oöta in München.
Ohne Zweifel hat die Geographie den gegenwärtigen Tatbestand der
Erdoberfläche im Zusammenhang mit dem Menschen zu erkennen und dar-
zustellen. Sie kann dies aber nicht mittels einer Tätigkeit, welche jener
des Momentphotographen ähnlich wäre, da solcher nicht nur das kausale
Erkennen, sondern vor allem der Gegenstand selbst wehrt. Denn die aktiven
tellurischen Kräfte, deren jeweilige Wirkung das Aussehen und die Aus-
stattung der Erdoberflächenteile zu sein pflegt, betätigen sich in unuater-
brochenem Ändern der Erscheinungen, besonders im Neubilden vnd Auf-
lösen der organischen Gebilde. Jene Wirkungen auf das Aussehen unserer
Wohn- und Nutzgebiete zu beobachten, wird daher notwendig zu einem
wesentlichen Bestandteil der erdkundlichen Erkenntnis. Wenn hienach zu-
nächst nicht der ändernde Naturprozeß selbst seiner Zusammensetzung und der
Beschaffenheit seiner Kräfte nach Arbeitsaufgabe des Geographen ist, so
wird er die Fortentwicklung der Erdbeschaffenheit, ihre Wirkungen, ihre
Erfolge sich dadurch zur Anschauung bringen, daß er dieselben nach ein-
zelnen Stadien, daß er eine Aufeinanderfolge von erreichten Zuständen über-
blickt und vergleicht. Diese Erkenntnistätigkeit zu pflegen, ist Sache der
historischen Geographie. Gewiß hat sie „zu zeigen, wie ein gegebenes
Stück Erdoberfläche, groß oder klein, „zu einem bestimmten Zeitpunkte der
Vergangenheit wirklich aussah" (S. Günther. Beil.z. Allg. Ztg. 1901. Nr. 227);
aber hiermit wäre ihre Aufgabe nicht erschöpft, selbst wenn der menschliche
Faktor in diese Definition einbezogen erscheint und wir ihre Anwendung
auf die gesamte Ökumene voraussetzen wollen. Zugleich werden die äußeren
Ursachen des Aussehens und die Folgerungen, zu welchen es führt, mit und
ohne Bücksicht auf die Bewohnerschaft, in dem „Zeigen" wohl auch nach
Günther enthalten sein. Aber es bedarf sodann nicht nur das Aussehen,
sondern namentlich auch die je geänderte Bedeutung der Gebiete einer be-
sonderen Feststellung, freilich in ihrer Beziehung auf den Menschen, da doch
nur aus dieser die wandelbare Wichtigkeit oder Bedeutungslosigkeit der
Länder — beides nur relative Begriffe, relativ zum Menschen — erwachsen
kann. Merklich anders, ireilich auch um 10 Jahre früher (was doch bei
der so jungen wissenschaftlichen Geographie sehr viel ausmacht), hat sich
E. Oberhummer über die Stellung der Menschen in der historischen Geographie
ausgesprochen. Als erster hat er beim Wiener Geographentag die Aufgabe
Oeognphisobe Zeittohrifl. 9. Jahrgang. 1908. 7. Heft. 26
362 Wilhelm Götz:
dieses Sonderfaches zu formulieren untemommen. Hiemach wäre dessen
Hauptarbeit „das Studium des Menschen in seiner räumlichen Verbreitung
auf der Erdoberfläche nach Völkern, Staaten, Verkehrswegen und Ansiedlungen
im vollen umfange der geschichtlichen Entwicklung". Doch würde wohl,
wie wir vermuten, eine neu unternommene Darlegung von Seiten dieses
Autors der tellurischen Seite eine stärkere Position in dem Sonderfache
geben. Jedenfalls erschiene es als unabsehbar und für mächtig große Zeit-
und Ortsräume ganz ausgeschlossen, daß wir „eine nur mit allen Mitteln
historisch-philologischer Forschung arbeitende Wissenschaft" hier betreiben.
Dadurch wurde die historische Geographie ihren Platz außerhalb des Ge-
bäudes der Erdkunde erhalten und wäre überhaupt kein Zweig dieses Ganzen.
Ist aber unser Arbeitsobjekt der Werdegang der Erdoberfläche in ihrem
Zusammenhang mit dem Menschen, diesem einflußreichsten Faktor für die
Änderungen im Aussehen der Erdräume, so liegt es nahe, daß die histo-
rische Geographie die Haltpunkte ihrer Überschau nicht je der ganzen
bekannten Erde gelten läßt, sondern die einzelnen Länder und Gebiete ge-
sondert betrachtet, da die Menschheitsteile, die Völker, örtlich und zeitlich
überaus verschieden auf dieselben einwirkten. Demgemäß hält man sich aus
dieser empirischen Rücksicht zunächst an das Vorgehen der Länderkunde,
ohne die Methode der physikalischen Geographie grundsätzlich abzuweisen.
Wohl können fär einzelne, an verlässigen Zeugnissen reiche Gebiete alle
Gesichtspunkte der Länderkunde in Anwendung gebracht werden; jedoch
würde hierbei die Vermeidung ermüdender, teilweise müßiger Wiederholungen
im Verfolgen der einzelnen Epochen bei jedem Lande sehr schwer werden.
Dagegen verlangt es der Zusammenhang der Änderungen der Länder mit
ihrer Bewohnerschaft und ihre sich nur durch die Beziehung zum Menschen
ergebende verschiedene Bedeutung, daß namentlich die jeweils gewordene
Stellung oder anthropogeographische Lage regelmäßig eine besondei-e
Würdigung erhalte.
Die Darlegung der geogi-aphischen Wandlungen in der Länderbeschaffen-
heit wird daher nach vorgenommener Unterscheidung der Zeiträume, um
welche es sich ja für das einzelne Gebiet handelt, unter drei Haup%esichts-
punkten sich vollziehen. Solche sind: 1. Die Änderungen durch das Wirken
der Naturkräfte an sich (endogener und exogener Art); 2. die Einwir-
kung der Bevölkerung auf das Aussehen und die Zustände der Gebiete;
3. die durch beides bestimmte anthropogeographische Stellung oder
Lage derselben.
Natur, Kultur, Lage könnten hierbei etwa als Stichworte dienen.
Daß namentlich bei Ziffer 2 fast die ganze länderkundliche Behandlung f(ir
die von Kulturvölkern bewohnten Gebiete anwendbar wäre, insbesondere
quantitative und statistische Nachweise zu einer gründlicheren Vergleichung
der Zeiträume begehrenswert seien, liegt nahe. Jedenfalls aber kann hier
nur durch eine beispielsartige Skizze oder Vorführung des Werdeganges
einzelner Erdgebiete unsere Auffassung zweifelsfrei veranschaulicht werden.
Wir wählen als reichlich von einander verschiedene Länder das deutsche
Mitteleuropa (= Deutschland im geographischen Sinne) und Italien.
Züge und Ergebnisse einer historischen Geographie. 363
I. Dentschland.
Hier soll vor allem markiert werden, wie sich ungefähr und im all-
gemeinen die Betrachtung gestaltet; daher seien nur ganz wenige Zeit-
abschnitte bestinunt, so daß also auch eine Zusammenziehung zweier un-
schwer zu trennender Perioden in eine vorgenommen erscheint. — Es wird
dadurch möglich — obwohl wir an die postglaciale oder die diluviale End-
zeit anschließen — die ganze recente Ära unseres Landes in drei Perioden
zu teilen.
1. Periode. Vom Beginne der recenten Zeit bis etwa 120 v. Chr. —
Die Zeit des feuchtkühlen Naturlandes, und zwar bis zum Eintreten der
meisten deutschen Stämme in die Seßhaftigkeit oder bis zur allgemeinen
Heraufführung der Eisenzeit.
2. Periode. Bis etwa um 1650 n. Chr. — Die Zeit der Kulturarbeit
am verteilten Boden, auf welchem sich bodenfreie Arbeitsmittelpunkte ent-
wickeln.
3. Periode. Bis zum Ende des 19. Jahrh. — Zeit der bereicherten
Bodenproduktion und steigender Unabhängigkeit der Gesamtgütererzeugung
vom Boden.
Wenigstens schätzungsweise ein Alter der ersten Periode (bis 120 v. Chr.)
anzugeben, über welches wir nicht hinauf gehen wollen, erscheint naturgemäß.
Wann endigte etwa jene niederschlagsreiche Phase des postglacialen Diluviiuns,
die große Regenzeit, welche durch ihre Erosions- und Schwemmtätigkeit so
ausgiebig in der gemäßigten Zone bezeugt wird? Ob längeres Walten eines
trockenen Klimas mit Steppenverbreitung sich noch anschließe, erscheint nicht
sicher, bleibt daher hier außer Betracht. Jene morphologisch unbestreitbare
Wirksamkeit starker Niederschläge mußte sich über die Mittelmeerländer über-
haupt erstrecken, da sie auch in der Balkanhalbinsel und an den Pontus-
gestaden sich geltend machte; sie mußte wenigstens in den vom Mittelmeer-
klima beherrschten südöstlichen Gebieten noch kräftig fahlbar sein. Jeden-
falls zeigt sich kein Grund, die damaligen Luftdruckverhältnisse der ganzen
Klimaprovinz uns anders zu denken, als sie sich heute äußern. Wenn dem
so ist, so gehört auch Unterägypten und das Euphratland hierher. In diesen
Ländern reicht aber die von allen Sintfluttatsachen ungestörte Kulturentwick-
lung nach den neuesten Aufdeckungen bis mindestens 6500 v. Chr. zurück.
Wenn fQr das ozeannahe und beträchtlich nördlichere Germanien auch ein
viel längeres Nachwirken der Niederschlagshäufung angesetzt wird, so ist doch
wohl die Zeit um 5500 oder spätestens 5000 v. Chr. als die der beginnenden
freundlicheren Klimaperiode anzuerkennen. Würde das Ende der diluvialen
Begen- und Schmelzwasserwogen bedeutend später eingetreten sein, so wären
doch wohl auch etwas deutlichere Spuren der Flutsage von den Vorgängern der
eingewanderten indogermanischen Stämme den letzteren übermittelt worden.
Oder man fände nicht die erforderlichen Zeiträume für ein naturgemäßes Nach-
einander der neolithischen, der bronze- und der eisenzeitlichen Entwicklung.
Welcher Wandel nun vollzog sich von damals an in unserer ersten Periode?
Jedenfalls lag zunächst eine sehr reiche Bodendurchfeuchtung vor, und
zahlreiche ruhende Wasser erglänzten neben nahrungsarmen Schotterboden-
26*
364 Wilhelm Götz:
und Schwemmsandstrichen; eine ungleich größere Zahl von Bächen und
Flftßchen durchzog das Gelände. Die Unebenheiten, welche die subglacialen
und die offenen Schmelzwasser den Moränenschuttmassen und Schottern ge-
geben, waren durch die ÜberstrOmungen von selten der Niederschläge vielen-
orts verwaschen worden; nur brachten letztere auch wiederum neue und aus-
gezogenere Tiefenlinien auch in die flachen Landesteile. Der höhere Stand
und die größere Menge des Grundwassers sorgte fär zahlreichere Quellen
und bewirkte viele Sumpf bildung, dann Vermoorung. Schwächere Wieder-
holungen jener Regenzeit kamen, wenigstens im Norden, zur Geltung, wovon
im Elbegebiet oder ihm nahe mehrere durch tonigsandige Lagen getrennte
Vertorfungen über einander Zeugnis geben, die freilich auch in die end-
glacialen Bückzugsstadien Pencks versetzt werden könnten.
Daß vermehrte Luftfeuchtigkeit und niedrigere Temperatur, auch im
Winter, aus diesen Tatsachen folgte, bedarf keines Nachweises. Dieses trübere,
minder sonnige Klima wird uns fär die älteste Zeit in seinem Einflüsse aaf
die Bewaldung noch durch die für Schlesvdg-Holstein und Dänemark erwiesene
Herrschaft der Fichte bestätigt, jenes Baumes, welcher durch seinen geringen
Lichtbedarf den Laubhölzem und der Föhre gegenüber in solchen Verhält-
nissen überlegen zur Geltung kommt*). Jedenfalls sorgten diese Luft- und
Bodenzustände dafär, daß die wasserfreie Oberfläche eine baldige Besiedlung
und Überdeckung mit Gras-, Kraut- und Baumwuchs erhielt, so daß die
Bewohnbarkeit des Landes durch Tier und Mensch gegeben war. Doch hatte
der letztere so sehr sich an die Wasser- und SumpfQäohen und ihre Nutz-
barkeit gewöhnt, daß er in ausgedehntem Maß seine Behausimg in sie setzte:
der Pfahlbauer lebte ja noch lange von der Urproduktion (Fische, Wild,
wildwachsende Fruchtträger). Auch in der Ebene auf schwachen Erhebungen
baute man sich ähnlich an und (in West-Ungarn erweislich) errichtete über den
Boden gehobene Holzhütten. Daneben war in Höhengebieten entweder die
Höhle ein gesuchtes Heim, oder man stellte auf Vorsprüngen und niedrigeren
Flachgipfeln Wohngruben mit Überdachung her. Von der jüngeren Steinzeit
bis in die mittlere Eisenzeit herauf werden diese verschiedenen Wohnörtlich-
keiten durch Waffen-, Schmuck- und Gerätefunde bezeugt.
Doch allmählich ward das Landesaussehen freundlicher: die Bodenfeuchte
nahm ab, weil die Flüsse durch ihre Erosion tiefer gelegt wurden, größten-
teils auch noch in der Tieflandzone; der Grundwasserspiegel mußte merklich
sinken. Darauf hin ergänzte sich die Urproduktion des Pfahlbauem durch
die Nutzung von Haustieren; Schaf, Rind, Hausschwein und Hund finden
sich in den Wohnresten dieses Zeitabschnittes. Dazu tritt Bodenanbau neben
die Ernte von Strauch- und Baumfrüchten: mehrere Getreidearten, Erbsen,
Eicheln, Bucheckern, Haselnüsse, Kernobst, Beeren und Lein (für Speise und
Gespinste) zeigen sich in Verwendung. Jedenfalls bestimmte die Vermehrung
der Bevölkerung, wohl auch Zuwanderung durch die Westwärtsbewegung der
indogermanischen Völker oder nur der letzteren Bedür&is imd Lebens-
1) Wir unterlassen es in diesem Aufsätze, die Belege und Autoritäten für
solche Angaben beizusetzen, da wir sie in einer größeren Arbeit binnen weniger
Monate ohnedies anzufahren haben und hier der Raum gebricht.
Züge und Ergebnisse einer historischen Geographie. 365
gewohnheit, einiges um die Wohnorte her zu roden, nachdem die natürliche
Einschränkung der überfeuchten Boden:flächen solches erleichterte. Gewiß
haben die bereits mit geförderten Kulturmitteln versehenen Eeltenstämme
den Bodenanbau über die ersten tastenden und engbegrenzten Versuche hinaus
kräftig ausgedehnt, wenn sie auch noch selbst mit Stein- und Holzgeräten
lange Zeit gearbeitet haben, und wenn es zutreffen sollte, daß sie erst von
Südosten und Südwesten her mit Metall wäre bekannt wurden. Im Norden
des Tieflandes freilich wurde der nutzbare Boden zugleich wieder eingeschränkt,
wo die Flüsse in Folge des träge gewordenen Laufes bei beträchtlicherer Zu-
führung von Transportmaterial ihre Sohle aufschütteten, starke Inundationen
veranlaßten und das Grundwasser da und dort sich etwas erhöhte. Yer-
moorungen und Überdeckung Ton vorher sumpfartigen Strichen durch auf-
geschwenmite Schichten zeugen hiervon da und dort in Talniederungen.
Die auch in morastigem und anmoorigem Boden gedeihende Eiche erlangte
die Vorherrschaft, später erst die Buche, was der Versorgung der Bevölkerung
dienlicher war als Eoniferenwald. Das landschaftliche Aussehen aber ge*
wann besonders zwischen Weser und Rhein durch die Anlegung von Ort-
schaften der Kelten, deren Seßhaftigkeit auch der Einbürgerung des Pferdes
und neuer Getreidearten (Hafer, Einkorn) diente. Einigen Nachteil erfuhr
ohne Zweifel das kulturelle Aussehen des Landes durch die Verdrängung
der Kelten von Seiten der Germanen, welche zwar mit dem Ackerbau bereits
notdürftig bekannt waren, aber lieber durch Viehzucht und Jagd ihren Unter-
halt beschafften. Die erstere jedoch stand von selbst einer Begünstigung
der Bewaldung bei jeder Art des Weidens entgegen. Dieses Westwandem
der Germanen fand etwa um 400 statt; wir erachten nicht nur die Aus-
wanderung der Kelten nach Ober-Italien als eine Wirkung davon, sondern
auch Pjtheas fand in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, daß an
der von ihm besuchten Nordküste die Bevölkenmg östlich der Rheinmündungen
eine andere war als bis zu diesen von Südwesten her. Zwischen Weser und
Rhein schlössen sich aber immerhin die Ankömmlinge an die Wohnweise der
Kelten an (Müllenhoff, Meitzen). So zeigt denn Mittel-Europa gegen Ende
unserer Periode eine beträchtliche Abwechslung von Laubwaldfiächen mit
kleinen Agrikulturgemarkungen in den südlichen, keltisch gebliebenen Regionen,
während auch Nord-Germanien kräftige Ansätze zu ähnlichem Charakter weit-
hin aufwies. Die immerhin noch beträchtlich feuchten Boden- und Luft-
verhältnisse ftlhrten ohne Zweifel in niederschlagsreiohen Jahrgängen manche
lokale Überströmungen und für kleinere Flüsse Verlegung oder Stauung ihres
Laufes auch in Süd-Deutschland herbei, so daß neue Vermoorungen da und
dort erfolgten und Waldreviere ertränkten. Aber an dem Gresamtzustande
ändert dies wenig. Selbst die ohne Deichbauten belassenen Nordseeküsten-
striche haben durch hereindrängende Sturmfluten nicht mehr gelitten als
noch etwa 1000 Jahre nach dem Ende dieser Periode. Auch der Umstand,
daß die Germanen von Anfang an im Besitze des Eisens gewesen sein werden
oder es sofort durch die Kelten kennen und gebrauchen lernten, änderte in
Bezug auf die häusliche und hinsichtlich der landwirtschaftlichen Kultur lange
Zeit hindurch wenig. Die vorherrschende Bewaldung hinderte zudem das engere
366 Wilhelm Götz:
Zusammenschließen der Stämme, welche sozusagen als Ganstämme ein kräf-
tigeres kulturelles Zusammenwirken vermissen lassen, weil sich ein bewußtes
Volkstum noch nicht entwickelte.
Diese Zustände bestimmen wesentlich die anthropogeographische Lage
des Ganzen. Letzteres erschiene als ein Durchgangsland, wenn nicht
Wald und Sumpf diesen Charakter beträchtlich ändern würden. Jedenfalls
war ihm durch diese Landesbeschaffenheit die von Ratzel so bezeichnete
„Schwellen-" und ebenso die „Übergangslage" mit all ihren Nachteilen und
Gefahren für die Anbahnung einer selbständigen politischen Bedeutung er-
spart, während der Beruf der Vermittlung infolge des noch mehr rückständigen
Kulturstandes der östlichen Nachbarschaft überhaupt nicht in Betracht kommen
konnte. Da infolge der höheren Kulturstellung der Völker im Westen und im
transalpinen Süden die Geschichtsseite unseres Gebietes nach diesen Richtungen
hin gegeben war und von dort her die meisten menschlichen Anregungen zu
weiterer Änderung des Landesaussehens kommen mußten, so besaß am Ende
dieser Periode das meist germanische Mitteleuropa in seinen Beziehungen zur
Kulturwelt erst die Stellung eines Vorlandes, noch nicht eine anthropo-
geographische „Randlage".
Eine wesentliche Änderung hierin trat ein durch die Entwicklung in
der zweiten Periode bis 1550 n. Chr. Eine Trennung dieses Zeitraums
durch eine Überschau um das Jahr 1000 n. Chr. wäre mit der umfassenden
Kultivation, welche um diese Zeit beginnt, wohl zu begründen.
Den anscheinend frühen Anfang dieser oben (S. 363) gekennzeichneten
Periode rechtfertigt wohl die Tatsache, daß damals bereits der vorhandene Land-
raum einem größeren Teile der germanischen Stämme unzureichend erschien:
sie wollten großenteils bei vermehrter Kopfzahl die Aufgabe der Rodung and
kulturellen Mehrarbeit nicht auf sich nehmen, nicht einer entsprechenden
Bodenständigkeit sich hingeben. Ln nunmehrigen Besitze von Eisenwaffen
schritten sie zu kampfbereiten Umsiedlungen und Wanderungen, welche den
Cimbemsturm, das Südwestwärtsdrängen der Sueben und die Vertreibung der
Kelten aus Boierheim mit sich brachten. Zugleich beginnen statt der Gau-
stämme infolge der Minderung trennender Markwälder Volksstämme auf-
zutreten; die in ihren Wohnsitzen Verbleibenden aber bezeugen eben hierdurch
zugleich ihren Entschluß, die festgehaltenen Wohngaue als befriedigende Heim-
stätten nach Bedarf auch durchgreifender als bisher zu kultivieren. Diesen
Bedarf brachte die natürliche Bevölkerungsmehrung und die nun eingeleitete
nähere Bekanntschaft mit begehrenswerten Genußgütern des fortgeschrittenen
Gallien und des italischen Außenhandels rasch genug. Sowohl die Zusammen-
fassung des Volkes in die Gemeinschaften der fünf großen Stämme als auch
die tätige Bekanntschaft zweier derselben (dazu wie vorher auch der Friesen)
mit der Seeschiffahrt mußte in gleicher Weise anregend wirken. Das Aus-
wandern jener Stämme aber, welche das Römerreich stückweise besetzten,
führte lediglich für den Nordosten zu einer Änderung, indem hier für die
nachrückenden Slaven Raum frei wurde. Sie haben, soweit aus mittel-
deutschen Beispielen ersichtlich, durch die Dichte ihrer Dorfsiedlungen keines-
wegs den Rodungsprozeß zum Stillstand gebracht. Wenn derselbe samt der
Züge und Ergebnisse einer historischen Geographie. 367
dann beschlossenen Kultivation auch etwa im Gebiete der Sachsen sich ver-
langsamte und im obersten Saale- und Muldegebiet bis um nahezu 1200
n. Chr. überhaupt noch nicht in Angriff genonunen wurde: die kulturelle Zu-
sammenfassung der deutschen Lande durch die Frankenkönige und Karl den
Großen und namentlich die in allen Gauen und Hundertschaften ansässig
werdende Kirche brachte eine durchgreifende Wandlung in der Ausdehnung
und Bewertung des Kulturbodens. Es entstanden immer zahlreichere Acker-
gemarkungen entweder als Inseln in den Forsten, oder sie lösten deren Zu-
sanmienhang und zogen ihnen wesentlich engere Grenzen. Ungezählte Dörfer,
Weiler und Gehöfte wurden durch Kapellen und Kirchen sowie durch welt-
liche Lehensherren ins Dasein gerufen, imd damit ihre Feldmarkungen. Da-
durch, insbesondere durch die erfolgenden Entsumpfungen, mußte das Klima
in Bezug auf Jahreswärme gewinnen. Zugleich erhielt das Pflanzenkleid Deutsch-
lands viele Bereicherung durch die romanisch-christliche Welt. Die Garten-
kultur, der Weinbau, die Einbürgerung von Zierpflanzen in den Gärten der
Bitterschlösser brachten neue Erscheinungen über das ganze Land. Von
Osten war im fünften Jahrhundert der Hanf gekonunen, später der Hopfen.
An Stelle der primitiveren Ackerwirtschaft, welche die Felder im einen Jahre
besäte, im andern brach liegen ließ, trat wahrscheinlich im 11. Jahrhundert
die Dreifelderwirtschaft, zumal der steigende Luxus des Adels und die aus-
giebige Bossehaltimg aller Berufsklassen und die Einführung der Natural-
abgaben der Grundholden vor allem dem Körnerbau eine mächtige Entwick-
lung brachte. Dies alles nahm zu bis an das Ende unserer Periode.
Dazu konmit die bedeutende Änderung im Landesaussehen, welche man
den werdenden Städten verdankt: Waren sie auch bis etwa 1500 zumeist
nur von 2 — 12 000 Seelen bewohnt, so sind sie, abgesehen von den Bhein-
und Donauufem, doch fast überall eine ganz neue Erscheinung seit dem
Ende der Karolingerzeit, und es verstärkten sich in ihnen zunächst alle
Faktoren, durch welche die Landeskultivierung gefördert wird. Welch neue
landschaftliche Erscheinung brachte schon allein das jeweilige Ortsbild I Eine
eminente Bereicherung im Aussehen Deutschlands neben den tausenden von
Burgen und den allerdings erst im 15. Jahrhundert zu ihrer Vollzahl ge-
langenden Klöstern!
Im Vergleich zu dieser vom Menschen herbeigeführten Wandlung der
geographischen Landesbeschaffenheit erscheinen freilich diejenigen, welche
die Natur von selbst brachte, sparsam und vereinzelt, wenigstens soweit sie
berichtet werden und unzweifelhaft sind. Im wesentlichen sind es ja fast
nur die Gewässer, welche hier in Frage kommen. Die großen Flüsse wie so
manche kleinere verlegten in diesem bedeutenden Zeitraum einzelne Strecken,
änderten ihre Mündungen und erweiterten in Abschnitten schwächeren Gefälles
die Breite ihres Hochwasserbereiches. Mußte doch die so ausgiebige Ab-
holzung aller gehobenen Waldstriche die Größe der Hochwasser vermehren,
so daß z. B. unzweifelhaft der Oberrhein seine Schotter und Geschiebe beider-
seits des normalen Strombettes breiter ablagerte als Mher. Darum ist im
Mittelalter kein einziges Städtchen am Rheine selbst von Basel bis Germers-
heim entstanden, und noch heute finden wir außer Straßburg auch alle
368 Wilhelm Götz:
kleinen Städte mehrere Kilometer vom Ufer dieser Strecke abgelegen. Verlegungen
des Rheines kamen damals in der nördlichen Bheinprovinz and im Delta vor, wie
auch zweifelsohne schon in dieser Periode bei der Elbe nahe Magdeburg, der
Weichsel bei Pordon. Die Entstehung der drei Buchten Südersee, Dollart
und Jade vom 13. — 16. Jahrhundert ist bekannt. Merkwürdig erscheint es,
daß höchst wahrscheinlich noch wfthrend der Karolingerzeit die Nordseeküste
den Sturmfluten schutzlos preisgegeben war, und daß man auch dann nur
niedrige Deiche anlegte, was ja eben vor allem die Dollartkatastrophen so
leicht eintreten ließ. Wohl der gleiche Quietismus wird für die schweren
Verluste an den Inseln der Westküste Schleswigs die Schuld tragen, weniger
die lockere Beschaffenheit ihres Materials. Der Beichtum an Teichen und
Seen im Binnengebiete ging zwar nur mäßig zurück, zumal die Geistlichkeit
nicht wenige neue Fischweiher von Belang entstehen ließ; aber die beträcht-
lichen Marktpreise, deren z. B. der Heringsimport sich erfreute, deuten uns
doch an, daß die natürlichen Fischbassins aufhörten, der Nachfrage zu ge-
nügen, gewiß auch deshalb, weil sie an Zahl und umfang immerhin abnehmen
mußten. Allerdings war ja derlei Nachfrage in der trotz furchtbarster epi-
demischer Krankheiten (bis Ende des 14. Jahrhunderts) sehr gehobenen Be-
wohnerzahl und dem mit ihr schritthaltenden Wohlstand der Städte begründet.
War doch das Volk der Deutschen samt etlichen nichtdeutschen Nacbbar-
völkem zu einem Reiche verbunden worden, in welchem sowohl durch die
geistlichen und fürstlichen Höfe als durch das Städtebürgertum Gewerbe und
Kunstgewerbe und der auswärtige Handel auf die vorderste Stufe in Europa
gehoben wurden. Dies und bedeutende politische und kulturelle Wandlungen
in der Nachbarschaft fOhrten die wesentlich neue Lage des mittel-europäischen
Staatsganzen herbei.
Diese Lage war nun anthropogeographisch zentral geworden. Die
Zusammenfassung zu einem Gesamtvolke und Staate mit fester Einwurzelung
aller Teile in den Boden hatte eine starke Vervielfältigung der produktiven
und militärischen Kraft zur Folge. Das Reich der Deutschen gliederte sich
abhängige Länder an und erreichte die vorhin bezeichnete wirtschaftliche
Aktivität. Von hier aus fand der bedeutendste Ausfuhrhandel statt; hier
erblühten die zahlreichsten größeren Städtegemeinwesen. Besonders nach Osten,
Norden und Westen dehnte sich das Marktgebiet dieser mitteleuropäischen
Arbeitsleistungen aus. Die mittels der christlichen Kultur emporgehobene
Gesittung der Ostländer und des Nordens, lange Zeit auch von der deutschen
Kirche abhängig, machte dieselben kaufkräftig, jedoch zugleich zu politisch-
militärischen Nachbarn von Bedeutung. Aber jedenfalls war man weder in
England noch im slavischen und magyarischen Osten auf die gleiche Stufe
der Bodennutzung und der städtisch-gewerblichen Produktion gelangt. Ins-
besondere hatte das Volk Deutschlands auch eine wirksame Meereslage
erlangt und damit alle die Vorteile für die geistige Spannkraft, die Schulung
des Blickes, die Exportproduktion u. dgl., wie dies der Seeverkehr eines
Mittelmeeres und eines Randmeeres, nämlich der Ost- und der Nordsee,
bringen mußte. Die volle ünbekanntschaft der nichtfriesischen Stämme mit
T Schiffahrt sehen wir am Anfange; aber durch die Seeraubfahrten der
Züge und Ergebnisse einer historischen Geographie. 369
Sazen und Franken hindurch gelangt die Entwicklung allmählich bis zur
Hansa mit ihrer Ausbreitung deutscher Handelskolonien von Londons Stahl-
hof bis zum Quartiere von Nowgorod. Die Willigkeit zur Anteilnahme an
neuen, größeren Schiffahrtskursen, wie sie Columbus und Vasco da 6ama
brachten, war jetzt auch in weiteren Kreisen des deutschen Handelsstandes
bis nach Ulm und Augsburg wohl vorbereitet.
Die dritte Periode von 1550—1900 (S. 363) erscheint allerdings
gegenüber der zweiten kurz bemessen; allein die Länge der letzteren ist ja
nur eine Folge der Zusammenfügung von zweien. Jedenfalls aber ist seit
dem 16. Jahrhundert genug im Aussehen unseres Landes verändert worden,
um die Selbständigkeit dieser neuzeitlichen Periode begründet zu machen.
Im Norden wurde die Küstenzone infolge der entwickelten Meeres-
kenntnis und Tätigkeit zur See von den Territorialgewalten der neuzeitlichen
Ordnung ernstlich gegen die Fluten gesichert. Die Marschen erhielten des-
halb jetzt als weit wertvollerer Boden landwirtschaftliche Kultur, und im
19. Jahrhundert beginnt die erfolgreiche Wiedereroberung verlorenen Gebietes
an der Westküste beiderseits der Eider, wie in Holland die große Bucht
,yHarlemer Meer" zu Festland verwandelt wurde und die Südersee es größten-
teils bald sein wird. Freilich brachte man erst im letzten Jahrzehnte die
Verschiebung der ostpreußischen Nehrungen, dieser Dünenzüge, zum Auf-
hören. — Ln norddeutschen Flachlande erfuhren die noch immer sehr ver-
breiteten Moore eine ausgiebiege Umänderung. Es hängt, der natürliche
Faktor dieses Vorganges ursächlich mit der forstlichen Wandlung zusammen.
Hier geschah zweierlei: die Laubwälder wurden großenteils abgeschwendet
und die rascher wachsenden Koniferen an ihrer Stelle verbreitet, zum teil
auch wegen der besonders gesuchten Harzgewinnung; aber so manche Bücken
und Berge blieben nach dem Kahlhiebe oben dauernd kahl, wie die vordem
buchenbedeckte Bhön, der Vogelsberg und das Hohe Venu. Andrerseits wurde,
abgesehen von der allerdings sehr fühlbaren Gegenbewegung infolge des Ver-
schwindens vieler Dörfer im 30jährigen Krieg, sowohl vorher als nachher in
der Verwandlung des Waldbodens zu Ackerland kräftig fortgefahren, da sich
die Ansaat mit Handels-, Genuß- und Nahrungspflanzen immer lohnender
gestaltete. Dies zuerst bis in die ersten Jahre des 30jährigen Kriegs; dann
förderte hierin seit Anfang des 18. Jahrhunderts besondei*s die beginnende
Volkswirtschaft der landesfürstlichen Begierungen. Die Verbreitung von
Ackerland und die Beseitigung von Wald diente zweifach dem Einflüsse des
Windes. Weit mehr als vorher vermochte er nämlich nun Staub und kleine
andere Partikel des Bodens zu erfassen und über das Flachland auszustreuen.
Vor allem auf nassem Boden wurde dies wichtig, von wo keine nachstoßende
Windwelle das Deponierte bald Mrieder weitertransportieren kann. Die Ver-
wandlung von Sümpfen in Moore und die von Mooren in anmoorigen Boden
war die notwendige Folge, letzteres in allen seichteren Moorlagen. Dazu
kam des Menschen Arbeit in so manchen Niederungen, teils von Staats wegen,
wie die Oderbruchregulierung des 18. Jahrhunderts, die des Donaumooses, die
am Pregel, teils infolge der Strebsamkeit des einzelnen, wie die große Um-
gestaltung in den Niederlanden, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
370 Wilh. Götz: Züge und Ergebnisse einer historischen Geographie.
aber in Norddeutschland eine wachsende Zahl freundlicher Dörfer, welche in
kultiviertem Ackerland an Stelle bisheriger Moore neben unbesiedelteren kulti-
vierten Neulandstrichen sich erheben.
Eine andere Belebung und nützliche Bereicherung erfuhr die Nutzung
des Kulturbodens durch Gewächse, welche die neuentdeckte West-Welt zufQhrte.
Der Anbau von Tabak, die Ausbreitung der Kartoffel, ohne welche ja die
heutige Volksdichte Deutschlands nicht denkbar wäre, von Kolbenhirse, Mais,
Topinambur zeugen vom Einfluß Amerikas auf unsere Ackerpflanzungen. Auch
das Vordringen der Türken führte wichtige neue Crewächse zu. Wohl schwand
die Ausdehnung der Weinkultur sehr bedeutend und fast allenthalben, selbst
noch in der zweiten Hälffce des 19. Jahrhunderts (z. B. am unteren Main);
aber die erfolgreichste Bedeckung einzelner Striche mit Hopfen, besonders in
Franken, brachte Ersatz. — Mit der Vergrößerung der Territorialherrschaften
und der Verminderung ihrer Zahl mehrte sich die schützende und fürsorgende
Anregung des Bodenanbaues und damit dessen Mannigfaltigkeit. Hiermit
hängt aber wesentlich auch die Bekämpfung der Flußverwilderung und ihrer
üferlandzerstörung zusammen, wie solche am Oberrhein schüchtern noch im
18. Jahrhundert begonnen wurde, weiterhin an der Ems und im zweiten Teil
des 19. Jahrhunderts an allen großen Flüssen. Die Vergrößerung der nutz-
baren Bodenfläche ist nur eine der nächsten Wirkungen hiervon. Aber auch
die schwächere Wasserführung und der Verlust oberer Laufstrecken vieler
Nebengewässer steht außer Zweifel. Bei der größeren Plumpheit der Last-
kähne jener Zeiten war ein entsprechender Tiefgang von selbst gegeben. Es
ist z. B. unmöglich, die heutige Wasserführung der Vils nächst Amberg als
genügend fär einen Lasibooteverkehr zu Berg anzusehen, während sie doch
im 17. Jahrhundert zureichte, ganz ähnlich wie die der Naab bis in die
Waldnaab aufwärts. Letzteres Beispiel führt noch zu einem solchen in anderer
Richtung. Denn die Naab hat, wie ohne Zweifel andere sammelnde Flüsse,
durch das Aufhören der Zufuhr von Quellbächen dauernd verloren. Der im
Fichtelgebirge östlich des Ochsenkopfes noch im 17. Jahrhundert vorhandene
Fichtelsee nämlich hörte auf zu existieren, wodurch die Fichtelnaab einen
Zubringer verlor; jener See eratarb, da die seitlich ihm vorher zufließenden
Sickerwasser ausblieben. Daß auch in anderen Gegenden Bäche heute unter-
halb ihrer obersten Binnsalfurche beginnen, und daß dies zum Teil erst seit
wenig Jahrhunderten der Fall sei, sagen außer mündlichen und deshalb doch
auch großenteils verlässigen Berichten der Ortsbewohner namentl^ so manche
Positionsblätter der topographischen Landesaufnahmen deutlich genug.
Eine besondere Belebung ihres mannigfaltigen Eindrucks erhielten die
deutschen Landschaften durch das Aufkommen fester Landstraßenkörper,
welche gegen Ende des 18. Jahrhunderts von den modernen Staatsverwal-
tungen zu bauen begonnen wurden. Welch mannigfaltige Änderungen des
Aussehens der Gegenden, sowohl hinsichtlich der Ansiedlungen als durch ein-
zelne Bauleistungen für den Schienenweg, die Eisenbahnen bewirkten, dies
genauer zu zeigen, vermöchte nur eine größere Sonderarbeit. Ganz wesentlich
aber hat die moderne Lidustrie imd die von ihr unmittelbar und mittelbar
e wirkte machtvolle Entwicklung des Städtebaues und der Neuschöpfung von
Albrecht Penck: Neue Ali)enkarten. 371
kleineren St&dten, Märkten und anderen Orten eine Wandlang in den sicht-
baren Znstand der nächstbeteiligten Grebiete gebracht. Die durch beide große
Errungenschaften veranlaßten Flußlaufänderungen, Steinbruchanlagen, Berg-
werksaufschüttungen, Talüberquerungen u. s. w. erscheinen nur im einzelnen
als geringfügig, bilden aber durch ihre Zahl und Verbreitung eine Vorgangs-
summe von Bedeutung für die geographische Landesgeschichte. Dagegen hat
das 19. Jahrhundert nur eine geringe Zunahme der Abforstung erlaubt;
denn dasselbe staatliche Walten, welches durch seine Beeinflussung des indu-
striellen Erwerbslebens dessen moderne Anlagen und dessen Änderungen so
begünstigte, befleißigte sich namentlich von der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts an, die noch vorhandene Walddecke gegen Einschränkungen zu
schützen, da diese in zunehmend schlimmen Folgen sich äußern müßten.
Freilich vermochte bis zuletzt die fürsörgende Tätigkeit des Staates die
Verluste, welche unser Gesamtgebiet in Bezug auf seine Lage erlitt, nicht
gut zu machen.
Noch im 16. Jahrhundert traten die weitgreif endsten Verluste in der
Meereslage ein. Denn die Niederlande, welche mit den unentdeckten Ländern
jenseits des Ozeans in regen Beziehungen standen, wurden von dem Zusanmien-
wirken des deutschen Staatsganzen losgelöst, so daß letzterem die Vorteile jener
Aufschließung einer neuen Produktionswelt vorenthalten wurden. Und doch
hätte Deutschland seine bisherige Vorzugsstellung auch mit Hinzunahme der
Niederlande nur mit Mühe behaupten können. Aber die vernichtende Flutwelle
des 30jährigen Krieges vertausendfachte den Schaden, welchen die Amputation
des Bhein- und Scheldeästuariums gebracht hatte. Erst das letzte Dritteil des
19. Jahrhunderts führte zu einer beträchtlichen Besserung, ohne daß jedoch
die beiden mittel-europäischen Großstaaten in Bezug auf ihre Produktionsmittel
den Vorsprung der ungestörter fortgeschrittenen einholten. Erstere, vor allem
das Deutsche Reich, befindet sich daher jetzt nur in einer Zwischenlage.
Es schließt sich nämlich im Osten der wesentlich in Naturproduktion tätige
Nachbar wie politisch so auch wirtschaftlich fremd ab; der westliche An-
grenzer steht uns industriell gleich und hat reichere Geldmittel zu Unter-
nehmungen und zur Gewaltanwendung; überlegen der Nachbar jenseits der
Nordsee. Dadurch wurde die centrale Stellung aufgehoben, welche das Land
in der vorigen Periode einnahm, und nur eine durch schwierigen Wettbewerb
gekennzeichnete Zwischenlage innerhalb der uns unschwer beengenden Gebiete
erscheint auf lange Zeit als gegeben. (Schluß folgt.)
Neae Alpenkarten.
Von Albreoht Fenck in Wien.
9. Über Geländedarstellnng des Hochgebirges (Sohloß).
Wenden wir uns nach den Darlegungen über die praktische Verwend-
barkeit der senkrechten und der schrägen Beleuchtung einer Erörterung der
theoretischen Richtigkeit der nach ihnen durchgeführten Schattierung zu.
Wir können dabei vom bekannten Lambertschen Gesetze ausgehen, wonach
372 Albreoht Penck:
die Beleuchtungsstärke eines Flächenelementes hei unendlich großer Entfernung
der Beleuchtungsquelle proportional dem Cosinus des Einfallswinkels zwischen
Lichtstrahl und Flächennormalen ist, welches Gesetz nach Christian Wiener^)
der Wahrheit am nächsten kommt, sobald es sich um vollkommen matte
Oberflächen handelt. Eine solche hat zwar die Erdoberfläche nicht, sie hat
nicht das Aussehen von Gips oder mattem Silber; aber wir müssen, wenn
wir nicht das Problem komplizieren wollen, von der Voraussetzung der voll-
kommen matten Oberfläche ausgehen, welche keine Glanzpunkte besitzt, in
denen sich das Licht spiegelt. Da nun nach Wiener (a. a. 0. S. 399) die
Helligkeit eines Flächenelementes, sobald wir von der Lufbperspektive ab-
sehen, unabhängig vom Austrittswinkel der Lichtstrahlen ist, so können wir
die Helligkeit einer topographischen Oberfläche gleich ihrer Beleuchtungs-
stärke setzen. Hieraus folgt, daß die Helligkeit eines senkrecht beleuchteten
Stückes der Erdoberfläche proportional dem Cosinus des Böschungswinkels
seiner einzelnen Flächenelemente ist; bei schräger Beleuchtung ist die Hellig-
keit der Oberflächenelemente hingegen abhängig von ihrer Böschung und ihrem
Streichen, sowie vom Einfallswinkel der Lichtstrahlen, wie von W. Wiechel*)
ausführlich dargelegt worden ist.
Keine der nach schräger Beleuchtung entworfenen Karten befolgt strenge
die sich heraus ergebende Helligkeitsskala. Es wird in der Kegel darauf
verzichtet, die senkrecht zu den Lichtstrahlen gestellten Böschungen, also,
bei der üblichen Beleuchtungsweise, die unter 45*^ nordwestlich fallenden ganz
hell, und die unter gleichem oder steilerem Winkel entgegengesetzt fallenden
ganz dunkel zu machen; auch werden die Ebenen nicht, wie es geschehen
sollte, schattiert. Wird dazu der übliche Wechsel in der Richtung der Be-
leuchtung genommen und erwogen, daß man mit wenigen Ausnahmen nur
den Eigenschatten, nicht auch den Schlagschatten der Formen zur Darstel-
lung bringt, so erkennt man, daß die gewöhnliche Geländeschattierung nach
schräger Beleuchtung sich sehr weit von den Regeln der darstellenden Geo-
metrie entfernt. Aber noch viel mehr geschieht dies in den nach senkrechter
Beleuchtung schattierten Karten: in den meisten Werken, die auf Lehmann-
schen Prinzipien beruhen, wird die Schattierung nicht zum Sinus des
Neigungswinkels, sondern zu diesem selbst in Beziehung gebracht Die
sanfteren Böschungen werden unverhältnismäßig stark schattiert, und an Stelle
einer gesetzmäßigen Abnahme der Beleuchtung mit zunehmender Böschung
tritt ein rein willkürliches Schema. Dadurch kann man wohl erzielen, daß
dieselben Böschungen auf der nämlichen Karte stets mit gleichem Schatten
erscheinen; aber je nach der Wahl dieses Schemas — jedes größere Karten-
werk hat seine eigene Schattenskala — fallen die Kartenbilder verschieden
anschaulich aus; es geht die optische Vergleichbarkeit der einzelnen Karten-
werke verloren, was für den Gebrauch von größter Bedeutung ist
Daß ein solch' willkürliches Schema allenthalben an Stelle eines streng
geometrisch durchführbaren Verfahrens getreten ist, liegt in dem Unvermögen
1) Lehrbuch der darstellenden Geometrie I. Leipzig. 1884. S. 397,
2) Theorie und Darstellung der Beleuchtung von nicht gesetzmäßig gebildeten
Flächen mit Rücksicht auf die Bergzeichnimg. Civilingenieiur XXIV. 1878. 8. S35.
Neue Alpenkarten. 373
der senkrechten Beleuchtung, die für den Menschen wichtigen Formen der
Erdoherfläche überhaupt zur Darstellung zu bringen. Jeder Bergsteiger weiß,
daß eine Landschaft bei hohem Sonnenstande von oben gesehen kein „Belief ^
mehr zeigt. Gleiches ist der Eindruck von Ballonfahrern; Photographien der
Erdoberfläche bei hohem Sonnenstande vom Ballon aus aufgenonmien lassen
nicht mehr die einzelnen Böschungen erkennen, sondern zeigen die natürlichen
Farben des Geländes. Das kann nicht anders sein, sobald man berücksich-
tigt, daß der cos 25^ = 0.9 ist, d. h. eine nahezu unter dem natürlichen
Böschungswinkel ansteigende Fläche (steiler geneigte sind auf der Erdober-
fläche immer nur Ausnahmen, da sie sich in einem labilen Zustande befinden)
ist noch schwächer beschattet, als nach der Lehmannschen Skala eine unter 5^
ansteigende, nämlich die des schwächst beschatteten Grades. Das gänzliche
Unvermögen der nach strengen Regeln durchgeführten senkrechten Beleuchtung
erhellt am schlagendsten durch Betrachtung eines senkrecht beleuchteten
Reliefs^); es wird niemandem in den Sinn konunen, die Photographie eines
solchen als Geländedarstellung anzunehmen, während die Photographien von
schräge beleuchteten Reliefs recht anschauliche Karten liefern. Es sei in
dieser Beziehung namentlich auf eine „C^rte phototypique (muette) de la
Suisse^ hingewiesen, welche das Comptoir min^ralogique et g^logique suisse
in Genf nach dem großen Perronschen Relief (l : 100 000) der Schweiz im
Maßstabe 1 : 250000 (2 Blatt 16.50 frcs.) und 1 : 500000 (1 Blatt 3.50 frcs.)
in den Handel gebracht hat. Sie wirkt ungemein plastisch; allerdings ist
auch die Gestaltung der Schweiz für Nordwestbeleuchtung ungemein günstig.
Aber auch ein neuestes Werk, G. von Pelikans „Reliefkarte der Gr. Glockner-
gruppe 1:75000" (Salzburg 1902), nach einem Originalrelief bearbeitet,
wirkt recht anschaulich und auf den ersten Blick verständlich. Das wäre
die Photographie eines senkrecht beleuchteten Reliefs nie. Als v. Steeb
auf den wechselnden Eindruck eines Geländes bei verschieden gerichteter
schräger Beleuchtung durch Photographien eines aus verschiedenen Richtungen
schräge beleuchteten Reliefs aufinerksam machte, um damit auf gewisse Nach-
teile der schrägen im Vergleiche zur senkrechten Beleuchtung hinzuweisen, stellte
er den schräge beleuchteten Reliefs kein senkrecht beleuchtetes, sondern einen
Ausschnitt aus der Spezialkarte mit manierierter Geländedarstellung gegenüber.
Die strenge durchgeführte senkrechte Beleuchtung ist aus-
geschlossen für eine praktische Geländedarstellung, weil sie die
geographisch wichtigen Abstufungen des sanfter geböschten Landes
nicht zum Ausdrucke zu bringen vermag. Dafür ist kein Ersatz, daß
sie die des steileren Gebirges sehr ersichtlich macht und die Böschungen
von über 60^ ebenso abstuft wie die unter 60^; denn die steilen Böschungen
sind doch immer nur die Ausnahmen auf der Erdoberfläche.
1) Ich pflege dies in meinen Yorlesungen durch ein Relief des Trentino zu
demonstrieren, das im Hörsaale gegenüber den Fenstern beweglich angebracht ist.
Solange es senkrecht beleuchtet ist, macht es gar keinen plastischen Eindruck; es
wirkt nur durch seine Farben. Wird es aber so gedreht, daß die Lichtstrahlen
schräge auffallen, so wirkt es ungemein kräftig plastisch. Bei künstlicher Be-
leuchtung wird dies durch deren Wechsel leicht zur Darstellung gebracht
374 Albrecht Penck:
Wenn also auch die senkrechte Beleuchtung uns fOr die Oel&nde-
darstellung ausgeschlossen erscheint, so möchten wir darum doch die Leh-
mannsche Art der Kartenschattierung ebenso wenig verwerfen, wie wir die
Dufours nicht aufgeben wollen. Liefert sie doch praktisch verwertbare Er-
gebnisse, liefert sie uns doch die ftlr viele Zwecke wichtige Böschungstreue.
Man könnte sich über ihre theoretische Unzulänglichkeit vielleicht dadurch
hinwegsetzen, dafi man sie als eine konventionelle Manier bezeichnet, welche
das geographisch Wesentliche in dem objektiven Geländebilde nach dem ganzen
Gewichte seiner Wesentlichkeit mit dem ganzen Aufgebote ihrer optischen
Ausdrucksfähigkeit zur Anschauung bringt und damit die Geländeveran-
schaulichung in gleiches Niveau rückt wie die Verdickung der Flußläufe,
die auf Übersichtskarten notwendig wird, wie die Übertreibung der Straßen-
breiten auf Militärkarten. Man kann sich aber auch fragen, ob nicht viel-
leicht die Lehmannsche Schattierung anders als bisher theoretisch begründet
werden kann.
Es schien mir einen Augenblick, als ob die übliche Lehmannsche Schat-
tierung verstanden werden könnte unter Annahme diffuser Beleuchtung, näm-
lich daß das ganze Hinmielsgewölbe die Erdoberfläche beleuchte. Mein ver-
ehrter Freund S. Finsterwalder, dem ich diese Erwägung mitteilte, machte
mich aber sofort darauf aufmerksam, daß die Helligkeit eines Flächenelementes,
das von einer unendlich fernen Kugelfläche beleuchtet wird, proportional der
Projektion des leuchtenden Teiles der Kugel auf die Ebene des Flächen-
elementes ist. Ist das Flächenteilchen isoliert, so ist seine Helligkeit daher
nur von seinem Böschungswinkel a abhängig und proportional 1 -f- cos o.
Mit anderen Worten, die Helligkeitsabstufungen sind fOr flachere Böschungen
noch geringer als bei der wirklichen senkrechten Beleuchtung! Das lehrt
folgende Tabelle:
Helligkeit beleuchteter Flächenelemente.
Böschungen 0<> 10« 20« SO* 40<> 60« 60« 70« 80« 90<»
Beleuchtung senkrecht 1 0.98 0.94 0.87 0.77 0.64 0.50 0.84 0.17 0.00
„ diffus l 0.99 0.97 0.98 0.88 0.82 0.76 0.67 0.69 0.6
Dazu kommt, daß in einem aus verschiedenen Flächenteilchen zusammen-
gesetzten Gelände das eine dem andern difiuses Himmelslicht durch Beschränken
des Horizontes wegnehmen wird, was namentlich in Tälern der Fall ist.
Eine Geländedarstellung mit diffuser Beleuchtung würde daher nicht bloß noch
schwächere Abstufungen zeigen, als die nach senkrechter Beleuchtung, sondern
auch auf Böschungstreue verzichten; tief eingesenkte Böschungen würden
weniger beleuchtet sein als gleich steile exponierte. Das Kartenbild würde
durch ktztei-es allerdings eine Art der Plastik gewinnen, die, weit verschieden
von der Lehmannschen oder der schrägen Beleuchtung, möglicherweise an-
schaulich wirkt, aber praktisch ungemein langwierig herzustellen ist.
Eine andere Überlegung führt zum Ziele. So wenig sich sanfte Bö-
schungen bei hohem Sonnenstande durch den Grad ihrer Beleuchtung von
einander abheben, während sich die steilen gerade dann von einander sondern,
so ist es bei niedrigem Sonnenstande umgekehrt. Kurz vor Sonnenuntergang
eht man die Felswände des Rosengartens bei Bozen fast gleichmäßig hell
Neue Alpenkarten. 376
leuchten, obwohl sie in den oberen Partien erheblich steiler sind, als in den
tieferen; dafCbr heben sich die verschieden geneigten sanfteren Böschungen des
Porphyrplateaus durch ihre verschiedene Lichtstärke recht kräftig von ein-
ander ab. Dies ist ohne weiteres klar. Befindet sich eine Lichtquelle genau
im Horizont« einer senkrecht zur Richtung ihrer Strahlen streichenden Er-
hebung, so werden deren Flächenelemente nach dem Lambertschen Gesetze
proportional dem Sinus ihres Böschungswinkels beleuchtet sein. Es werden
sich die Helligkeitsgrade wie folgt gestalten:
Böschung 0* 10* 20« 30<> 40« 60« 60« 70« 80« 90«
Helligkeit 0 0.17 0.34 0.60 0.64 0.77 0.87 0.94 0.98 1.00
Die Abstufungen dieser Helligkeitsgrade geschehen für die sanfteren
Böschungen in ähnlicher Weise, wie die Abstufungen der Lehmannschen Schat-
tierung und der nach ihren Prinzipien entworfenen. Namentlich ist die Über-
einstimmung mit den Abstufungen der Schatten auf der bayerischen topo-
graphischen Karte 1 : 50 000 bis zu Böschungen von 45® eine geradezu über-
raschende. Endlich ist auch die Übereinstimmung mit den Abstufungen der
Schattierung von nackten Schichtlinieukarten, sobald bei diesen -r (i = 1
wird, bis zu Böschungen von 20® praktisch vorhanden. Das alles zeigt nach-
stehende Tabelle:
Böschungen 0« 6« 10« 16« 20« 26« SO« 46« 60«
Helligkeit bei der erwähnten
Horiz.-Beleuchtung 0 0.087 0.174 0.269 0.342 0.428 0.600 0.707 0.866
Schatten nach Lehmann . . 0 0.111 0.222 0.338 0.444 0.666 0.666.. 1.000 —
Schatten der bayer Karten 0 0.083. .0.167. .0.260 0.838.. 0.416 0.500 0.760 1.000
Schattierung der Isohypsen 0 0.087 0.176 0.268 0.864 0.466 0.677 1.000 1.732
Würde man eine Karte dermaßen schattieren, daß man sich jedes
Flächenteilchen für sich durch eine Lichtquelle beleuchtet denkt, die in der
Ebene seines Horizontes und zwar senkrecht zu seiner Streichungsrichtung
steht, so würde man ein Geländebild erhalten, das die einzelnen, praktisch
bedeutsamen flacheren Böschungen ähnlich scharf von einander hielte, wie es
auf den topographischen Karten Bayerns geschieht, nur daß die flacheren
Böschungen dunkel, die steileren hell wai*en. Ein gleiches Geländebild würde
man erhalten, wenn allseitig aus dem unendlich fem gedachten Horizonte des
Geländes, also zentripetal Lichtstrahlen auf dieses zustreben würden, wenn
zugleich angenommen wird, daß kein Flächen teilchen das andere beschattet
— was man ja auch bei der schrägen Beleuchtung gewöhnlich nicht zuläßt —
und ihm die ihm zukonmienden Strahlen entzieht, während das Flächenteilchen
selbst für die letzteren undurchlässig ist.
Eine nach diesem Gesichtspunkte bearbeitete Geländeschattierung würde
in der Hauptsache einen ähnlichen Eindruck machen, wie eine solche nach
der üblichen senkrechten Beleuchtung. Aber da das ebene Land schwarz er-
scheinen würde, wäre keine Möglichkeit vorhanden, hier, wo es am nötigsten
ist, das Kartenbild zu beschreiben, solange man bei dem üblichen Druckver-
fahren bleibt und Schwarz auf Weiß druckt und nicht, wie es ja auch*
manchmal geschieht, Zeichnung und Schrift im Schwarzen ausspart. Wollte
man der dargelegten Art der Beleuchtung Eingang verschaffen, so müßte man
376 Albrecht Penck:
sich gewöhnen, die gemeinhin zur Kennzeichnung der Beschattung auf
Karten dienenden Striche oder P^nkte als Symbole der Beleuchtung zu
nehmen, was unschwer dann möglich ist, wenn man sie in einer in die Augen
springenden, rötlichen Farbe wiedergibt. Hat man sich daran gewöhnt, daß
die Geländeveranschaulichung eine Beleuchtung darstellt, so wird man endlich
in einer Kennzeichnung der Beleuchtung durch schwarze Schatten und Punkte
ebenso wenig Bedenken finden, wie man daran Anstoß nimmt, auf der schwarzen
Tafel einen Berg mit weißen Kreidestrichen zu schattieren und in den am
dunkelsten gehaltenen Partien die am hellsten beleuchteten zu erblicken. Die
nach solchem Gesichtspunkte gezeichneten Karten nun würden im großen und
ganzen das Aussehen der nach der Lehmannschen Manier schattierten haben
und bis ins Hochgebirge hinein in Bezug auf Oeländedarstellung den Blftttem
des bayerischen topographischen Atlas gleichen. Man hätte also bloß einen
Wechsel im Kartenlesen eintreten zu lassen, um in den meisten, nach Leh-
mannscher Manier schattierten Karten Darstellungen zu erblicken, welche
durchaus nicht in dem Umfange, wie es zunächst scheint, der geometrischen
Begründung entbehren. Man hätte lediglich zu sagen: in dem oder jenem
Maße „beleuchtet'^ anstatt „schattiert".
Man kann also die Lehmannsche Schattierung für die praktisch wichtigen
Geländestufen zurückführen auf eine zentripetale Seitenbeleuchtung, welche
uns das vor uns liegende Gelände etwa so zeigt, wie es sich ausnehmen
würde, wenn die Lichtstrahlen von unsem Augen ausgehen würden, und so,
wie wir es tatsächlich bei Sonnenuntergang sehen, wenn wir den Blick auf
die senkrecht zu den Strahlen streichenden Partien beschiHnken. Sie zeigt
uns das Gelände vom menschlichen Standpunkte aus, und darin liegt unseres
Erachtens der Grund für die allgemeine Anwendbarkeit der Lehmannschen
Schraffenskala, daß sie uns das Gelände von solchem Standpunkte aus yer-
anschaulichi
Bei steileren Böschungen geht aber die Übereinstimmung zwischen den
Abstufungen der Lehmannschen Skala und der Sinusskala der zentripetalen
Seitenbeleuchtung verloren. Während nach Lehmann und Nachfolgern durch-
weg gleichen Helligkeitsabstufungen gleiche Winkel entsprechen, werden letztere
bei der Sinusskala größer und größer. Wir zeigen dies gleichfalls in einer
Tabelle.
Lichtstärke:
0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.6 0.6 0.7 0.8 0.9 1.0
Böschungswinkel:
0* 6<>44' 11082' 17<>27' 28^86' 30«0' 86<>Ö2' 44<>2ö' 63<>8' 64*9' 90^
Winkelunterschiede für eine Lichtstärke 0.1:
ö<>44' 6<>48' 6*66' 6*8' 6*26' 6*62' 7*88' 8*48' 11*1' 26*61'
Abgerundet:
6* 6* 6* 6* 6* 7* 7* 9* 11* 26*
Diese Differenz macht sich aber erst in den Böschungen von über 30®
leicht und in denen von über 44^25' stärker geltend, um dann in den steilsten
Böschungen von über 64^9' sehr stark zu werden. Gerade aber für steilere
Böschungen versagt die Lehmannsche Skala und bedingt zu dunkle Bilder.
Hier würde ihr die der zentripetalen Seitenbeleuchtung weit überlegen sein.
Neue Ali^enkarten. 377
Daß dabei gleiche Abstufnngen in der Helligkeit scUießlich immer größer
werdenden Differenzen der Böschungswinkel entsprechen, kann nicht schaden.
Es hat keinen praktischen Wert, das schwer oder gar nicht gangbare Gelände
ebenso fein nuanciert zur Yeranschaulichung zu bringen, wie das fahrbare
und leicht gangbare.
Man könnte vielleicht gegen die Oeländeveranschaulichung durch zentri-
petale Seitenbeleuchtung einwenden, daß sie die Schattierung des Geländes zur
Charakteristik von seiner Beleuchtung verwende, während diese sonst, z. B.
bei der schrägen Beleuchtung, als Symbol von seiner Beschattung gebraucht
wird; daß also dasselbe Mittel der Darstellung im einem Falle als Symbol
des Lichtes gilt, das im andern eines des Schattens ist. Nichts hindert
uns aber, im Sinne unserer obigen Überlegung auch bei der Darstellung nach
schräger Beleuchtung die Schattierung, sobald sie einfarbig ausgeführt ist, als
Wiedergabe verschiedener Mengen auffallenden Lichtes anzusehen, so wie wir
umgekehrt beim Zeichnen auf der schwarzen Tafel die Schattierung mit
weißen Kreidestrichen ohne weiteres als Schattengebung betrachten. Sobald
wir uns in diese von der herrschenden abweichende Vorstellung eingelebt haben,
werden uns die in üblicherweise gezeichneten Karten nicht erscheinen als schattiert
infolge des schrägen Einfalls von Strahlen, die aus Nordwesten kommen,
sondern wir werden in ihnen die Darstellung verschieden starker Beleuchtung
in Folge schräg einfallenden, aus Südosten kommenden Lichteinfalles er-
blicken. Eine solche Auffassung würde auch einen Einwurf beseitigen, welcher
oft gegen die Natürlichkeit der schrägen Beleuchtung erhöben worden ist,
indem man darauf hinwies, daß sie eine in der Natur unmögliche Lage der
Lichtquelle annehme: Sobald wir die Schattierung als ein Symbol für Lichte
quantitäten nehmen, erzielen wir die höchste plastische Wirkung unter Vor-
aussetzung einer in einer natürlichen Lage, nämlich im Südosten befindlichen
' Lichtquelle.
Wir beseitigen eine ganze Beihe von Schwierigkeiten, welche der theore-
tischen Interpretierung der bisher üblichen Beleuchtungsmethoden nach Lehmann
und der Dufour-Schule erstanden, sobald wir übereinkommen, die Schattierung
nicht als Symbol des Lichtmangels, sondern direkt der Belichtung
zu nehmen. Für das Kartenlesen und Kartenzeichnen ist ohne weiteren
Belang, wenn wir von einer Lichtplastik statt einer Schattenplastik sprechen.
Man wird fortfahren können, ähnlich wie bisher einfarbig zu schummern und
zu schraffieren, nur bei steilen Böschungen werden sich gegenüber der Leh-
mannschen Manier praktischen Bedürfnissen entsprechende Änderungen ergeben;
denn bei der schrägen Beleuchtung hat man ja immer davon abgesehen, die
dunklen Schatten ausgiebig, z. B. für die im Eigenschatten liegenden Partien
zu verwenden. Es wird auch theoretisch zulässig sein, schräge Beleuchtung
mit der zentripetalen Seitenbeleuchtung zu kombinieren, so wie es der Oberst
Goulier^) für sie und die senkrechte vorgeschlagen hat. Auch die mehrfarbig
schattierten Karten, wie die Schweizer Reliefkarten, können als lichtplastische
gelten, nur halten sie an der herkömmlichen Beleuchtung von Nordwesten
1) Berthaut, La Garte de France U. S. 226.
Qeographitoh« Z«itsohria 9. Jahrgang. 1908. 7. Heft 26
378 Albrecht Penck:
her fest, mit Ansnahme der neuesten Karte von F. Becker: Die oberitalie-
nischen Seen und ihr Exkursionsgebiet 1:150000 (Winterthur). Becker
beleuchtet hier das Gelände von Süden und Osten her, er gibt den nach
diesen Himmelsgegenden gerichteten Abdachungen lichtere Farben als den
anderen und setzt ihnen von etwa 1500 m Höhe an ziemlich grelle Orange-
töne auf, denen tiefer herabreichende blaue Schatten auf den andern Seiten
entsprechen. Ist das erzielte Bild deswegen auch recht grell, so vergewissert
es doch, daß auch eine von Süden konunende Beleuchtung bei farbiger Aus-
führung plastische Wirkung zu erzielen vermag. Bei Karten femer, die der
Gel&ndeveranschaulichung nur einen besonderen Farbenton widmen, würde es
sich empfehlen, ihn nicht mehr wie bisher, um die Schatten anzudeuten, grau
oder braun, sondern rötlich zu wählen. Das Aussehen der Kärtchen in Bae-
dekers Reisehandbüchern gibt uns die Überzeugung, daß ein solcher Ton für
die Geländedarstellung recht geeignet ist.
In optischer Hinsicht sind die beiden üblichen Verfahren der Gelände-
darstellung durch Schummerung und Schraffierung gleichwertig, solange
es möglich ist, bei entsprechender Sorgfalt durch beide genau die ge-
wünschten Lichtabstufungen zu erzielen. In der Originalzeichnung ist dies
bei entsprechender Sorgfalt der Ausführung möglich; in der technischen Re-
produktion geht aber viel verloren, nicht bloß von der Zartheit der Schumme-
rung, sondern auch, wie Baron v. Hübl gezeigt hat, von der Genauigkeit
der Schraffierung. Im Sinne der darstellenden Geometrie ist aber die
Schraffierung der Schummerung überlegen, denn sie enthält ein wichtiges
Element zur Charakteristik des Geländes, nämlich die Gefällslinie. Man
kann auf dieselbe verzichten, wenn die Isohypsen hinreichend dicht geschart
verlaufen, um über die Richtung der Gefällslinien keinen Zweifel zu lassen.
In solchen Fällen beeinträchtigen sogar die Schraffen, wie die Original- Auf-
nahmen der Österreich-ungarischen Spezialkarte zeigen, die leichte Lesbarkeit
des Kartenbildes. Die Schummerung erscheint uns daher als die richtige
Schattierung für die topographischen Karten großen Maßstabes, 1:25000 bis
1:50000. Welche Art der Schummerung, ob nach Lehmannscher oder nach
schräger Beleuchtung, vorzuziehen ist, sollte von Fall zu Fall nach den
oben dargelegten Erwägungen entscheiden werden. Erhalten die Karten durch
ihre Isohypsenzeichnung bereits eine merkliche Böschungsplastik, die, wie wir
gesehen haben, in ihrer Wirkung der der Lehmannschen Beleuchtung nahe
kommt, so ist es oft weniger geboten, sie noch durch jene Beleuchtung zu
verstärken, als das Relief durch schräge Beleuchtung hervorzuheben, zumaJ da
diese bei geschickter Behandlung auch dem Plateaucharakter des Geländes ge-
recht zu werden vermag. Die Charakteristik des Bozener Porphyrplateaus auf
der Simonseben Rosengartengruppe, herausgegeben vom deutschen und öster-
reichischen Alpen verein, ist mit wenigen Schatten vorzüglich gelungen; die
Karte hat sich bei meinen Wanderungen als Orientierungsmittel ganz außer-
ordentlich der entsprechenden Originalaufnahme des militärgeographischen
Institutes überlegen gezeigt. Die von H. Petters gestochene Reliefkarte der
braunschweigischen Landesaufnahme 1:25000 (Harzburg -Brocken) ist ein
ausgezeichnetes Beispiel für die gelungene Schattierung von Mittdlgebirgs-
Nene Alpenkarten. 379
und Plateauformen durch eine frei behandelte schräge Beleuchtung. Ihre
freie Behandlung stört so lange nicht, als das geometrische Eartenbild
deutlich sichtbar bleibt und über die Steilheit der Böschungen nach der
Isohjpsenzeichnung kein Zweifel ist. Es mufi daher die Schaffierung zart
und durchsichtig bleiben. Dies geht bei mehrfarbiger Schattierung verloren;
die bunten Schweizer Reliefkarten sind mir als Wanderkarten bei weitem nicht
so nützlich gewesen, wie die zart geschummerte Bosengartenkarte; ja ich habe
ihnen wiederholt die Blätter des Siegfriedatlas vorgezogen.
Wesentlich anders wird die Rolle der Kartenschattierung, wenn der
Eartenmaßstab den Isohypsen nicht mehr die Scharung erlaubt, die zu einer
genauen Wiedergabe des Gelände nötig ist. Hier muß und kann die Schraf-
fierung einen Teil der Funktionen übernehmen, welche die Schichtlinien nicht
mehr auszuüben vermögen. Die Schraffierung hat für solche Maßstäbe eine
ganz hervorragende Bedeutung; sie wird für sie, wie alle Spezialkarten lehren,
auch benutzt, und zwar indem man durch sie meist eine Lehmannsche, in
der Dufourkarte, indem man durch sie eine schräge Beleuchtung zum Ausdrucke
bringt. Die vorwiegende Anwendung der Lehmannschen Beleuchtung ist
durch ihre Böschungstreue hinreichend begründet und wird bei Wande-
rungen als großer Vorteil empfunden, denn sie orientiert über die zu ge-
wärtigende Steilheit der Gehänge, was die schräge Beleuchtung nicht tut.
Begreiflich ist daher, daß die Militärmächte mit Zähigkeit an der meist nur
wenig modifizierten Lehmannschen Manier festhalten; begreiflich aber auch,
daß in der neutralen Schweiz die schräge Beleuchtung, welche ihr Relief so
vorzüglich zum Ausdrucke bringt, zur Geltung kommen mußte. Es ist aber
nicht zu leugnen, daß das Wandern im Hochgebirge an der Hand der Dufour-
karte weit schwieriger ist, als mit einer lehmannisch beleuchteten öster-
reichischen oder deutschen Karte, wie sehr die letzteren auch an plastischer
Wirkung hinter der Dufourkarte zurückstehen. Bei einer solchen Sachlage
halten - wir die Schraf&eruog nach Lehmann und nach zentripetaler Seiten-
beleuchtung für die richtige Geländedarstellung auf Spezialkarten, die zur
Orientierung im Gelände und nicht bloß zur Orientierung über das Ge-
lände dienen sollen.
Nur darf man von dieser Schraffierung nicht mehr verlangen, als
sie bieten kann. Es ist nicht möglich, sie fein abzustufen. 10 Abstufungen
von weiß bis schwarz erscheinen uns im Kupferstiche als das äußerste des
Möglichen — haben wir doch bereits lichte und dunkle Blätter der Karte
des Deutschen Reiches — , die 15 Abstufungen der österreichisch-ungarischen
Spezialkarte gehen, falls sie richtig gezeichnet gewesen sein sollten, beim
Drucke verloren; es ist mir nie möglich gewesen, sie auf den Karten zu
unterscheiden. Die Lehmannsche Schraffenmanier ist nur in rohem
Umfange böschungstreu. Diese Tatsache macht verständlich, daß Dufour^)
an einer mathematischen Präzision der Schraffen überhaupt zweifelte; sie macht
aber auch begreiflich, daß in der Praxis sehr häufig die Böschungstreue der
1) Notice sur la carte de la Suisse. Jahrb. Schweiz. Alpenklub. YII. 1872.
881 (348).
26*
380 Albrecht Penck:
Schraffen aufgegeben wird, wenn es sich darum handelt, das Eartenbild zu
beleben. Nachmessungen auf den österreichischen Karten haben mich über-
zeugt, daß im Hochgebirge nicht gar selten die enge Beziehung zwischen Ab-
stand der Isohypsen und Starke der Schraffen nicht erkennbar ist; und dies
in den neueren, plastischer wirkenden Karten viel öfter, als in den alteren^).
Gleiches gilt von den italienischen Karten. Eine weitere Freiheit in der Be-
handlung der Schattierung wird häufig diktiert durch die Nötigung, kleinere
Fonnen, wie Abstürze, hervorzuheben, was nur durch eben solche Übertreibung
möglich ist, wie wir sie bei der Darstellimg von Straßen, Einzelsied-
lungen u. s. w. anwenden.
Wir möchten solche Freiheiten nicht als Systemlosigkeiten rügen, solange
sie dazu dienen, das Verständnis des Kartenbildes zu erleichtem, wenn sie
Böschungsunterschiede klar hervortreten lassen und sich nicht zu weit aus
den ziemlich weiten Grenzen entfernen, innerhalb welcher die Lehmannsche
Schraffierung böscbungstreu gedruckt werden kann. Für genauere Bestim-
mung der Böschung wird man immer auf die Berücksichtigung der Abstände
der Isohypsen angewiesen bleiben und aus diesen allein Höhenunterschiede be-
stimmen können. Dazu reicht die Lehmannsche Schraffierung nie aus. Man
denke nur an einen Hang von 1 km Länge; seine Böschung sei durch die
Schraffierung genau zu 35® festgelegt, d. h. sie kann in Wirklichkeit zwischen
30® und 35® schwanken, also entweder um 577 oder um beinahe 700 m
ansteigen! Bei solcher Sachlage kann nicht dankbar genug begrüßt werden,
daß die neueren Spezialkarten durchweg mit dem alten System gebrochen
haben imd nicht mehr bloße Schraffenkarten sind, sondern auch Isohypsen
enthalten. Ohne solche ist die Geländedarstellung auch der besten Schraffen-
karte ein Körper ohne Skelett, gleichgültig ob sie nach sogenannter senk-
rechter Beleuchtung schattiert ist, wie die Carte de France, oder nach schräger,
wie die Dufourkarte.
Für Spezialkarten geschaffen hat die Lehmannsche Schraffierung ziemlich
enge Grenzen ihrer Anwendbarkeit. Sobald der Kartenmaßstab nicht mehr
die Wiedergabe einzelner Böschungen erlaubt und bloß noch die Darstellung
eines ausgedehnten Hanges zuläßt, ist sie nicht mehr streng durchführbar
und muß zu Generalisierungen greifen. Wenn aber damit die Böschungstreue
tatsächlich aufgegeben wird, erscheint es nicht mehr nötig, auf letztere Ge-
wicht zu legen, und es rückt in den Vordergrund die Aufgabe: das Relief
des Geländes soweit als möglich zur Darstellung zu bringen. Dafür ist, wie
wir gesehen haben, die Geländedarstellung nach schräger Beleuchtung be-
sonders geeignet, solange es sich um die Firstformen des Hochgebirges
handelt, während die Lehmannsche Manier die Mittelgebirge und Plateau-
formen auch in kleinen Maßstäben noch vorzüglich wiedergibt. Bei dieser
Sachlage ist naturgemäß zu einer variablen Beleuchtung zu greifen, um die
1) y. Steeb schreibt: Der Soldat muß sehr rasch die Terrainformen erfassen
können, braucht also eine sinnlich packende Zeichnung, mit kräftigen Gegensätzen.
Was steil, was flach und was mittelmäßig geböscht, soll leicht zu erkenen sein.
Mehr Unterschiede wird kein Soldat suchen und kein Zeichner darstellen können.
(Die Kriegflkarten. Mitfc. k. u. k. militärgeogr. Inst. XX. S. 145.)
Neae Alpenkarten. 381
einzelnen Formentypen, die auf der Karte noch auseinander gehalten werden
können, hinreichend zu charakterisieren.
Diesen Ausweg hat zielbewußt Dufour^) betreten und mit ihm die
großen reliefplastischen Wirkungen der beiden großen Schweizer Karten
1 : 100000 und 1:250000 erreicht Wir wollen daher das angewandte Ver-
fahren, die einzelnen Formentypen je in das rechte Licht zu stellen, Dufo ur-
Beleuchtung nennen. Sie wurde von C. Vogel in einer Beihe von Karten
in Stielers Handatlas und namentlich in seiner Karte des Deutschen Eeiches
1:500000 verwendet; sie verleiht den Karten der Alpenländer 1:1000000
in De b es' Handatlas die plastische Wirkung ebenso wie der großen Haar dt sehen
Alpenkarte aus Hölzeis Institut. Wir vermögen in dem Wechsel der Be-
leuchtung keine Inkonsequenz zu erkennen, da er systematisch ausgenutzt
wird; wohl aber glauben wir, daß die Dufour- Beleuchtung, solange nicht
die Geländeschattierung an einem dichten Isohypsennetze aufgehängt werden
kann, ihre Vorteile hauptsächlich in Karten kleineren Maßstabes zur Geltung
bringt In Maßstäben 1:100000 und 1:250000 ist, wie die Karte des
Deutschen Reiches und die bayerische Übersichtskarte von Südwest-Deutsch-
land lehren, eine böschungstreue Darstellimg des Hochgebirges noch durchaus
möglich; wir möchten daher fOr diese Maßstäbe, solange es sich um Karten
zum Feldgebrauche handelt, die Lehmannsche Manier, bez. die zentripetale Seiten-
beleuchtung nicht aufgeben; andererseits zeigt uns die Übersichtskarte von
Zentral-£uropa des Wiener militärgeographischen Instituts, daß die Lehmannsche
Manier för den Maßstab 1:750000 versagt: Um die Hochgebirgsformen
hervortreten zu lassen, mußte sie allenthalben zur Einschaltung eines weißen
Streifens an den Firstlinien greifen, der die Schraffen der beiderseitigen
Flanken trennt Wie schmal dieser Streifen auch ist, so deckt er doch auf
einem Kartenblatte (Innsbruck) Hunderte von Quadratkilometem, die sohin
nicht mehr grundrißtreu dargestellt sind. Unseres Erachtens hat Vogel mit
der Anwendung der Dufour-Beleuchtung ftir seine Karte des Deutschen Reiches
1 : 500 000 bereits das Richtige getroffen.
Die Dufour-Beleuchtung ist noch für erheblich kleinere Kartenmaßstäbe
benutzbar als der von 1 : 1 000 000, bis zu welchem herab wir die vorliegen-
den neueren Alpenkarten betrachtet haben. C. Vogel hat sie mit großem Er-
folge noch fOr seine Karten der europäischen Staaten 1 : 1 500 000 angewendet,
und selbst auf seinen Übersichtskarten 1 : 3 700 000 des Deutschen Reiches,
von Österreich und Frankreich damit eine recht treffliche Darstellung der
Alpen erzielt Aber je kleiner die Maßstäbe werden, desto mehr entschwindet
die Möglichkeit, das Relief plastisch zu veranschaulichen. Wenn unsere At-
lanten auch in Maßstäben von 1:5000000 und darunter die Karten schraf-
fieren, so hat hier die Schraffe eine ganz andere Bedeutung als bei der
Lehmannschen oder Dufourschen Geländedarstellung. Sie gibt weder die
Steilheit der Böschungen noch den Charakter der Formen wieder, sondern
1) Notice 8ur la carte de la Suisse. Jahrb. Schweiz. Alpenklub. VII. 1S71/72.
S. 881; vgl. auch: E. Imhof Die topographischen Karten der Schweiz. Ebenda.
VIII. S. 806 (314).
382 Albrecht Penck:
wird unwillkürlich zum Augdmoke für vorhandene Höhenunterschiede^). Man
wird sich dessen recht inne bei Betrachtung der Übersichtskarten von Nord-
amerika. Selbst unsere besten Karten schraffieren den Abfall der Sierra Nevada
zur kalifornischen Senke ungemein dunkel und machen den zum Great Basin
licht, obwohl genanntes Gebirge nach Westen sanft, gegen Osten steil abfällt'),
also sowohl nach Lehmannscher wie auch nach Dufourscher Manier auf dieser
Seite am stärksten schraffiert sein sollte. Man überschreitet unseres Erachtens
die Grenzen, welche der Anwendbarkeit der Schraffen überhaupt gesetzt sind,
wenn man sie für Übersichtskarten kleinen Maßstabes auf einmal zur Cha-
rakteristik der Höhenplastik verwendet. Dafür gibt es bessere Hilfsmittel,
nämlich die Darstellung der Höhenschichtenkarte.
Unsere Betrachtimg der Alpenkarten hat ims gezeigt, daß die Höhen-
schichtendarstellung mit ganz wenigen Ausnahmen auf kleinere Maßstäbe
beschränkt bleibt. Sehen wir ab von der Karte von Schneeberg und Bax
1:75 000, so sind Ravensteins Karten der Ostalpen und der Schweiz die
größten Maßstäbe, für welche eine Höhenschichtendarstellung in größerem Um-
fange ausgeführt worden ist, aber nicht in ganz konsequenter Weise: Baven-
stein kommt einem praktischen Bedürfnis entgegen, indem er die Ebenen
aus der Höhenschichtendarstellung ausschaltet und gleichmäßig grün koloriert:
Dadurch wird ermöglicht, den Fuß der Gehänge zu erkennen, und die Karte
erreicht damit ihren Wert als Wanderkarte. Gleichzeitig aber steigert sie
auch ihre plastische Wirkung, wie ein Vergleich mit der Ravensteinschen
Höhenschichtenkarte der Ostalpen 1 : 500 000 lehrt. Gleiches gilt von der
österreichischen Karte 1 : 900 000. Diese Tatsache ist uns ein wichtiger
Fingerzeig für Bestimmung der Grenzen, die der praktischen Anwendbarkeit
der streng durchgeführten Höhenschichtenkarten gesetzt sind. Wir müssen
die Höhen der farbig kolorierten Höhenschichten ziemlich groß nehmen, wenn
wir den hypsometrischen Wert der einzelnen Farbe sofort erkennen wollen,
denn unsere Augen unterscheiden faktisch weit weniger Farbenabstufungen,
als wir durch moderne Druckverfahren praktisch erzielen können. Dies hat
zur Folge, daß die strenge Höhenschichtendarstellung des Gebirges auf jene
Maßstäbe eingeschränkt ist, bei welchen es nicht mehr Interesse hat, die
einzelnen Landschaftstypen streng voneinander zu sondern. Sie tritt dann
in den Vordergrund, wenn die Dufour- Beleuchtung zu versagen beginnt.
Dabei schließt sie sich aber mit letzterer keineswegs aus, was sie in einem
gewissen Grade mit der Lehmannschen Manier tut, deren Böschungstreue
leidet, wenn wir zur Schattierung noch Farben gesellen, die selbst wie Schatten
wirken. Mit Becht kombinieren daher die Karten kleineren Maßstabes unserer
Schulatlanten Dufour-Schrafßerung mit Höhenschichtendarstellung.
1) Dies ist besonders von C. Vogel hervorgehoben worden (Die Terraindar-
stellung auf Landkarten mittels Schraffierung. Peterm. Mitt. 1893. S. 148). Wir
glauben auf diesen Punkt besonders zurückkommen zu sollen, da er von Schul-
männern nicht immer beherzigt wird. Wir finden in einer Reihe von Atlanten Er-
läuterungen zur Geländedarstellung nach Lehmannscher Manier, ohne daß diese
letztere im Atlas selbst zur Anwendung käme.
2) Drake. The Topography of Califomia. Joum. of Geology. V 1897. S. 66«.
Neue Alpenkarten. 383
Bei den neueren Höhenscliichtenkarten der Alpen kommt mehr und mehr
die Absicht zum Ausdrucke, durch bestimmte Tonabstufongen das Bild
einheitlich zu machen. Vereinzelt steht die bayerische Höhenschichenkarte
1:250000 mit regellos bunter Farbenwahl; sonst hat sich die fi aus-
lab sehe Skala eingebürgert, deren Grundsatz bekanntlich ist^): Je höher
desto dunkler. Doch vermag kaum ein Kartenwerk hieran streng festzu-
halten; fOr die größeren Höhen wählt man in der Begel neue Farben, blaue
Töne (Ravenstein, italienische Karte 1:500000) oder wieder lichte (öster-
reichische Karten). Dadurch wird der Eindruck regelmäßiger Abstufungen
der Höhen, welchen die Karte erzielen kann, mindestens sehr beeinträchtigt,
in der Begel sogar stark gestört. Wir glauben, daß Karl Peucker^) den
richtigen Weg für eine normale Farbenskala von Höhenschichtenkarten an-
gegeben hat, wenn er vorschlägt, um so intensivere, leuchtendere Farben zu
wählen, je höher die Höhenschichten liegen, und, anknüpfend an optisch-
physiologische Untersuchungen, als natürliche Farbenreihe für eine Höhen-
schichtenkarte in aufsteigender Ordnung empfiehlt: blaugrün, grün, gelb,
lichtbraun, rötlichbraun. Es wäre interessant, einmal diese Skala für Alpen-
karten größeren Maßstabes als 1 : 1 500000 verwendet zu sehen, den die Karten
der Schweiz und der österreichischen Alpenländer in dem von Peucker nach
seinen Prinzipien bearbeiteten treflflichen Atlas für Handelsschulen (2. Aufl.
Wien 1899) haben. Der Versuch wird auch erst zu entscheiden gestatten,
inwieweit die Peuckersche höhenplastische Skala nicht bloß für Karten kleineren
Maßstabes, sondern auch für solche größeren Maßstabes Vorteile liefert. Der
Versuch wird endlich erst klarlegen können, inwieweit die Vereinigung von
schattenplastischer Darstellung mit einer farbenplastischen der Höhen, die
Peucker als die voUkonunen abgeschlossene dreidimensionale raumtreue Gelände-
zeichnung hinstellt^), imd die auch, allerdings auf weniger streng theoretisch be-
gründeter Basis, Bavesi und Fritzsche*) erstrebten, ihrem Zwecke entspricht.
Man kann sich vorstellen, daß durch eine solche Vereinigung, falls sehr zahlreiche
und an sich imbedeutende Farbenabstufungen gewählt werden (ein strenges
Auseinanderhalten durch das Auge ist in großen Maßstäben nicht mehr nötig,
da die Isohypsendarstellung über die Erhebung der einzelnen Höhenschichten
genau orientiert), ähnlich plastisch wirkende Kartenbilder gewonnen werden
können, wie sie die schweizerischen Beliefkarten sind, und daß dabei zugleich
die Geländeveranschaulichung auf strengere Grundlage gestellt wird. Aber
es muß sich auch fragen, wie weit sich Farbe und Schattierung vertragen,
ob nicht die eine die andere wenigstens teilweise um ihre Wirkung bringt,
wie dies auf den Karten der Schweiz und der österreichischen Alpenländer
in Peuckers Atlas für Handelsschulen der Fall ist. Beide Karten geben
1) Über die graphischen Ausfuhrungsmethoden von Höhenschichtenkarten.
Mitt. k. k. geogr. Ges. Wien. 1864. S. 80.
2) Schattenplastik und Farbenplastik. Wien 1898. S. 96.
8) Zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension. G. Z. VII. 1901.
S. 22 (41). Drei Thesen zum Ausbau der theoretischen Kartographie. Ebenda.
Vm. 1902. S. 221.
4) La rappresentazione orografica a luce doppia nella cartografia modema.
Primo congresso geografico italiano. Roma. Istituto cartografioo italiano 1892.
384 Albrecht Penck:
kein anscbauliches Bild der Alpen; die Grenze des grünen und gelben Farben-
tones, der Höbenscbichten von 200 — 560 m und 500-1500 m erlangt fftr
das Kartenbild eine viel maßgebendere Bedeutung als die Schummerung, so
daß der Gebirgsfuß, wenn er in diese Farbentöne fallt, gar nicht zur Geltung
kommt Dabei ist aber die Schummerung so wenig grundrißtreu behandelt,
daß sie die Kämme der Zillertaler Alpen und Graubündens plateauartig darstellt.
Mit Spannung imd Interesse praktischen Versuchen im Sinne der
Peuck er sehen Vorschläge entgegensehend^), können wir eine Erwägung nicht
unterdrücken: Der Apparat an. Farben imd Schatten, den eine raumtreue
Karte Peuckers im großen Maßstabe erheischt, ist nicht geringer, als der
der Schweizer Reliefkarten. Sie wird daher notwendigerweise viel kostspieliger
werden, als die farbenschlichte Spezialkarte, die sie nur durch die Anschaulich-
keit ihres Inhaltes, nicht durch diesen selbst übertreffen wird. Sie wird da-
her dem Fachmanne, welcher das Kartenlesen versteht, nicht besouders nötig
sein. Ihre Anschaulichkeit wird die Bedeutung der lichtvollen, populären
Darstellung eines wisseuschaftlichen Beobachtungsergebnisses haben; als solches
wird sie namentlich für ünterrichtszwecke an ihrem Platze sein.
Es darf überhaupt ausgesprochen werden, daß die vielfarbige Her-
stellung namentlich eine Popularisierung der Karten erstrebt hat. Klar hat
dies Becker ausgesprochen^; er hoffte mit den farbigen Reliefkarten einen
wahren Volksatlas zu schaffen. Er hat bald die Vielfarbigkeit der Karten
fallen gelassen; er hat geäußert^), daß wir schließlich doch zur einfarbigen
Tonkarte zurückkommen werden, und sich in seiner Silvretta-Karte mit einem
Minirnnm von Farben begnügt; aus der Reliefkarte hat sich aber in der
Schweiz die Neigung zu DarsteUimgen aus der Vogelschau entwickelt, die
nicht bloß in Imfeids Karte des Vierwaldstättersees entgegentritt, sondern
auch einen ganzen Atlas der Schweiz „Magginis Volksatlas^ (Zürich, Orell
Füßli) beherrscht. Viel wichtiger für eine wahre Popularisierung als die
notwendigerweise mit hohem Preise verbundene große Anschaulichkeit der
Karte erscheint uns deren Verbilligung. Seitdem sie billig geworden sind,
haben die österreichischen Spezialkarten eine ungemeine Steigerung ihres Ab-
satzes erfahren (300 — 400000 Exemplare im Jahre gegen 6000 bei der
Dufourkarte). Tausende von Wanderern bedienen sich ihrer in den östlichen
Alpen und sind durch ihren Gebrauch im Felde im Kartenlesen und Karten-
verständnis geübt worden. Beides lernt man leicht und rasch, wenn man
Natur und Karte vergleicht
Wir sind nunmehr an den Schluß unserer Erörterungen über alpine
Geländedarstellung gelangt. Keine theoretische Voreingenommenheit hat uns
l)Artaria8 Karte des Otschergebietes in Niederösterreich 1:50 000 von
Peuck er nach seinem System farbenplastisch koloriert (Ausstellung neuerer Lehr-
mittel Ostern 1903 in Wien) machte die isolierte Erhebung des ötscher recht an-
schaulich, gab aber dessen Form durchaus nicht plastisch wieder: Der Farbenplastik
wohnt keine Relieftreue inne. (Anmerk. während der Korrektur)
2) Neuere Bestrebungen auf dem Gebiete der Kartographie. Jahrb. d. Schweiz.
Alpenklubs. XXIV. 1888/89. S. 820. Die Schweizerische Kartographie. 1890.
8) Nekrolog auf Wild. Schweizerische Bauzeitung. XXIV. 1894. S. 69.
Nene Alpenkarten. 385
dabei geleitet; kein Wunsch, zu etwas Neuem zu gelangen, dabei beseelt
Wir beschränkten uns absichtlich darauf, gestützt auf unsere eigenen Beob-
achtungen beim Gebrauche der verschiedenen Alpenkarten, durch das Studium
des vorhandenen Materials Erfahrungssätze über die Anwendbarkeit der ein-
zelnen eingeschlagenen Verfahren zu gewinnen. Dabei hatten wir selbstver-
ständlich den Standpunkt so weit und allgemein als möglich zu wählen, weil
wir es mit Werken von sehr verschiedener Art und sehr verschiedenen Zwecken
zu tun haben. Es freut uns, daß E. Hammer^) diesen weiteren Gesichts-
punkt anerkannt hat, wenn er auch beinahe tadelt, daß viele Sätze unserer
früheren Abschnitte „zu vielerlei Interessen zu dienen suchen*^
Daß ein solches eklektisches Verfahren gelegentlich auch zur Beseitigung
theoretischer Schwierigkeiten führen kann, dürfte unsere Untersuchung über
die Lehmannsche Beleuchtung lehren. Wir hätten letztere unbedingt ver-
werfen müssen, wenn wir sie als „senkrechte" Beleuchtung in mathematischer
Strenge auf ihre Richtigkeit ebenso geprüft hätten, wie es ihre ausschließ-
lichen Anhänger gern mit der schrägen Beleuchtung tun; denn als senk-
rechte Beleuchtung ist sie vom Standpunkte der darstellenden Geometrie, der
doch allein in Betracht kommen kann, absolut nicht haltbar. Ihre unver-
kennbaren Vorzüge haben uns dazu geführt, zu untersuchen, unter welchen
Gesichtspunkten sie exakt interpretiert werden könne, und dabei haben wir
gesehen, daß dies möglich wird in dem Momente, wo wir mit der üblichen
Vorstellung brechen, daß ihre Schraflfen Schatten darstellen, und diese als
Symbole der Intensität einer eigenartigen seitlichen Beleuchtung nehmen.
Wir konnten im Anschluß daran zeigen, daß auch Einwände gegen die Natür-
lichkeit der schrägen Beleuchtung fallen, sobald wir die Geländeschattierung
als Symbol der Beleuchtimg nehmen; konsequenterweise wurden wir dazu
geführt, den Ausdruck Schattenplastik durch Lichtplastik zu ersetzen. Daß
femer ein solch eklektisches Verfahren gerade gegenüber Kartenwerken am
Platze ist, wird jeder zugestehen, der da berücksichtigt, daß unsere Karten
gewöhnlich ohne Motivenbericht an die Öffentlichkeit treten. Es wäre weit
gefehlt, wollte man deswegen annehmen, daß sie die Werke einer momentanen
Inspiration seien. Sie beruhen in der Begel auch hinsichtlich ihrer Geländedar-
stellung auf sorgfältigsten Überlegungen und lunfassendsten Voruntersuchungen.
Es sei nur daran erinnert, daß Berthauts Werk über die Carte de France
Gutachten aus dem Anfange des 19. Jahrhunderts wieder zu Tage gefördert
hat, welche, wie die des Obersten Bonne, Gesichtspunkte vertreten, die viel
später erst zur allgemeinen Diskussion gelangt sind. Nicht genug kann des-
halb dafür gedankt werden, daß man in Bern und Paris damit begonnen hat,
die Akten zur Geschichte der großen Kartenwerke zu veröffentlichen, und daß
man in Wien die Erwägungen für die weitere Ausgestaltung der österreich-
ungarischen Karten an die Öffentlichkeit bringt. Dadurch kann nur das
Ansehen der Karten erhöht und die Eichtigkeit ihrer Beurteilung gesteigert
werden, welche vielfach daran gelitten hat, daß man nicht erkannte, was
bei Herstellung des betreffenden Werkes maßgebend war.
Bei solcher Sachlage dürften die Gesichtspunkte, di« sich bei Würdigung
1) GeographiBches Jahrbuch. XXIV. 1901. S. 45,
386 Albrecht Penck: Neue Alpenkarten.
einer großen Anzahl von Kartenwerken herausgestellt haben, nicht schlechthin
als subjektive Eindrücke zu gelten haben, sondern bis zu einem gewissen um-
fange als Leitmotive der modernen Geländedarstellung Überhaupi Letztere
hat nicht bloß, ähnlich wie die Projektionslehre, mit der Aufgabe der Dar-
stellung räumlicher Verhältnisse auf einer Ebene zu tun, sondern überdies
mit der Darstellung von Objekten verschiedener Größenordnung, deren Wieder-
gabe abhängig ist von der Größe des Kartenmaßstabes. Wir haben diese
Objekte an anderer Stelle in einzelne Größenkategorien zu sondern gesucht^)
und unterschieden: Formenelemente, nämlich Abdachungsstücke, die zu
Einzel formen, wie Berg imd Tal, zusammentreten. Diese vergesell-
schaften sich zu Landschaften, die ihrerseits zu Bäumen zusanmientreten.
Die Wiedergabe dieser verschiedenen Größenkategorien ist in anschaulicher
Weise nicht in demselben Maßstabe möglich. Will man die kleinen Formen-
elemente exakt darstellen, so braucht man große Maßstäbe, in denen man
nicht zugleich auch Räume anschaulich machen kann, dazu wären Karten-
flächen von einer Weite nötig, die man nicht überblicken könnte. Will man
die Bäume wiedergeben, so muß man zu kleinen Maßstäben greifen, die nicht
mehr die Darstellung von Formenelementen und Einzelformen zulassen. Es
ändern sich die Aufgaben der Geländedarstellung mit dem Wechsel
des Kartenmaßstabes. Damit muß sich auch gleichzeitig ein Wechsel
in den anzuwendenden Methoden der Geländedarstellung voll-
ziehen. Daß dies von der Mehrzahl der Kartenwerke tatsächlich geschieht,
ist das Ergebnis unserer Untersuchungen. Wir sehen, daß die nackte Iso-
hypsendarstellung sich auf „topographische" Karten größeren Maßstabes
(1:25000, 1:50000) beschränkt, welche allein die Formenelemente des
Hochgebirges genügend zur Anschauung bringen kann. Unsere Spezialkarten
(1:100000, 1:200000), welche die Einzelformen des Gebirges mit ihren
Teilen exakt wiedergeben wollen, greifen zur „böschungstreuen" Lehmannschen
Beleuchtung; die Übersichtskarten (1:500000, 1:1000000), die nur die
Landschaften mit ihren einzelnen Formen charakterisieren können, wählen die
relieftreue Dufour-Beleuchtung, bei Übersichtskarten noch kleineren Maßstabes,
welche die verschieden hoch gelegenen Bäume veranschaulichen wollen, drängt
sich die farbige höhenplastische Darstellung mehr imd mehr in den Vorder-
grund. Diese Begeln sind durch die Grenzen des Darstelliingsvermögens der
einzelnen Arten der Geländedarstellung bestimmt Sie sind keine Gesetze,
die ausnahmslos gelten. Es fehlt nicht an Versuchen reliefplastischer Dar-
stellung für Einzelformen und böschimgsplastischer und höhenplastischer für
Landschaften. Gerade solch abweichende Versuche haben uns die Grenzen
der vorteilhaften Anwendbarkeit der einzelnen Verfahren zu bestinunen er-
möglicht. Wir halten jene darum nicht fftr feste Demai^ationen; es bleibt
immer ein Spielraum für den Gebrauch der einzelnen Methoden der Gelände-
darstellung, je nach ihrem Objekt und ihrem Zweck. Objekt und Zweck
sollen überhaupt unseres Erachtens in der Kartographie immer in erster Linie
entscheiden über die Wahl der anzuwendenden Mittel, nachdem diese in ihrer
theoretischen und praktischen Anwendbarkeit geprüft worden sind.
1) Morphologie der Erdoberfläche. I. S. 88.
F. Thorbecke: Der XIV. dentsohe Geographentag in Köln. 387
Der XIV. deatscbe Geographentag in KSlnO.
Von F. Thorbeoke in Heidelberg.
In der Pfingstwoche, vom 2. bis 7. Juni d. J., tagten im gastlichen Köln
die deutschen Geographen. Nach einem zwanglosen Zusanmiensein am Vor-
abend wurden am Vormittag des ersten Versammlungstags, der dem Bericht
über Forschungsreisen gewidmet war, die Sitzungen in dem prächtigen großen
Saale des Oürzenich durch den ständigen Präsidenten der Centralkommission,
Geh. Admiralitätsrat von Neumayer eröffnet; Prof. Hassert begrüßte im
Namen des Kölner Ortsausschusses an Stelle von dessen leider erkranktem Vor-
sitzenden, dem um die Vorbereitungen hochverdienten Studiendirektor der
Handelshochschule Prof. Dr. Schumacher, die Versammlung; er wies hin
auf die von der Handelshochschule in Gemeinschaft mit andern Kölner Ge-
lehrten dargebotene Festschrift, die Beiträge zxu- Wirtschaftsgeschichte und Wirt-
schaftsgeographie der Stadt Köln und des Kheinlandes enthält, sowie auf die
das Breslauer Beispiel befolgende geographische Ausstellung, die die Entwick-
lung der Kartographie des Rheinlands zeigt und dabei auch die Werke der
beiden größten Kölner Kartographen, Gerhard Mercators und Kaspar
Vopells, in sonst seltener Vollständigkeit bringt. Vertreter der Staats- und
Provinzialregierung, der Stadt Köln und der Handelshochschule folgten; manch
treffliches Wort der Anerkennung durften die Geographen aus nicht-geogra-
phischem Munde hören; der stellvertretende Studiendirektor, Prof. Eckert,
wies als Nationalökonom auf den engen Zusammenhang der modernen National-
ökonomie mit geographischem Forschen und geographischer Methode auf den
Grenzgebieten der Wirtschaftskunde und Wirtschaftsgeographie hin.
Exzell. von Neumayer dankte und gedachte der Männer, die die Geo-
graphentage, dieses nützlichste Institut für die Förderung geographischer For-
schung, ins Leben gerufen, vor allen andern Nachtigalls. Viele Aufgaben
habe sich diese Versammlung neben den Berichten über Forschungsreisen ge-
stellt; der geographische Schulunterricht sei von jeher auf ihrem Programm
gestanden, sein HauptfÖrderer, Hermann Wagner, sei leider heute nicht
anwesend, Krankheit halte ihn zum ersten Mal einer Tagung fem. Auch
andere sonst regelmäßige Besucher würden heute schmerzlich vermißt, wie
Ferdinand v. Richthofen, Günther, Partsch und Penck.
Bericht über Forschungsreisen.
Mitten in den Bericht über Forschungsreisen hinein führte die Mit-
teilung des Präsidenten, das Schiff der deutschen Südpolarexpedition „Gauß"
habe auf der Fahrt nach Kapstadt die Küste von Natal bei Durban passiert
Diese von vielen sehnsüchtig erwartete erste Nachricht über die deutsche
Expedition weckte allgemeine Begeisterung und gab der Kölner Tagung erst
so recht die Weihe.
Herzlich begrüßt, erstattete sodann das Mitglied der deutschen Süd-
polarexpedition, Dr. K. Luyken, Bericht über die Tätigkeit der Ker-
guelenstation. Der Verlauf dieser Zweigexpedition vom 9. Nov. 1901,
dem Tage der Ankunft des Leiters der Expedition, des leider zu früh von
1) Zur Abfassung dieses Berichts wurden neben eigenen Notizen von den
Vortragenden liebenswürdigst zur Verfügung gestellte Manuskripte oder Auszüge
daraus benutzt, teilweise auch die Referate der „Köln. Ztg." und der „Weserztg.**
388 F. Thorbecke:
tückischer Krankheit dahingerafften Meteorologen J. J. Enzensperger, und
des Erdmagnetikers Dr. Luyken mit dem Dampfer „Tanglin^^, bis Ende März
1903 wurde hier zum ersten Mal aas berufenstem Mimde geschildert.
Die Ereignisse bis Ende Januar 1902, bis zur Abfahrt der nach langem
Warten endlich eingetroffenen „Oaufi", sind noch in aller Gedächtnis^). Mit
der „Gauß" war noch Dr. Werth, Biolog der Expedition, mit dem Matrosen
ürbanskj eingetroffen, so daß die Station, den mit Enzensperger gekom-
menen Matrosen Wiencke eingerechnet, aus fünf Personen bestand. Enzen-
sperger hatte den ursprünglich in Aussicht genommenen Bojal-Sund für
ungeeignet befanden — steile Hügel aus grauem Basalt begrenzten rings die
Aussicht — und war daher nach Hinterlegimg einer Flaschenpost für die
„Gauß" sofort nach der Observatory-Bay übergesiedelt. Hier wurden zum
Teil auf den Trümmern des Beobachtungshauses der englischen Venusdurch-
gangsexpedition vom Jahre 1874 das Wohnhaus and das Yariationshaus bis
zum 24. Dez., dem Tag der Abfahrt der „Tanglin", fast fertiggestellt Die
Arbeit war langwierig und sehr beschwerlich; an den chinesischen Matrosen
hatte man keine Hilfe, unter ihnen wütete die heimtückische Beri-Beri, die
auch den zurückbleibenden Europäern noch furchtbar werden sollte. Zehn
Tage später kam die „Gauß"; an Bord war alles wohl. Während ihres Auf-
enthalts wurde das Haus für absolute magnetische Beobachtungen aufgebaut.
Am 31. Jan. 1902 fuhr die Hauptexpedition ab; am folgenden Tag, dem
1. Febr. 1902, begann das internationale Polarjahr.
Die Kerguelenstation war als meteorologische Station I. Ordnung ein-
gerichtet: Die meteorologischen Elemente (Luftdruck, Temperatur, Feuchtig-
keit, Wind-Richtung und -Geschwindigkeit), sowie die Temperatur des Erd-
bodens bis zu 2 m Tiefe wurden von Enzensperger beobachtet; dazu kamen
photometrische Messungen und solche der Loftelektrizität. Auf einem 160 m
hohen, in der Kähe gelegenen Felsgipfel wurde eine meteorologische Höhen-
station für achttägige Ablesungen eingerichtet. Luyken selbst beobachtete
die magnetischen Elemente, Deklination, Inklination und Horizontalintensität
im Variationshaus und prüfte sie im „absoluten'* Haus. Werth stellte bio-
logische Untersuchungen an und begründete auch eine kleine biologische und
geologische Sammlung; Temperaturmessungen des Meeres, sowie Plankton-
untersuchungen wurden, auch in kleinen Süßwasserseen, nach Möglichkeit vor-
genommen. Aber eine Exlnirsion ins Innere, dessen geographische Erfor-
schung ja auch zu den Aufgaben der Station gehörte, war erst nach Ankunft
des Dampfers „Essen'' möglich. Als dieser am 2. April yorigen Jahres kam
und am Tag darauf wieder ging, war der Gesundheitszustand der Expedi-
tion vorzüglich und die Mitglieder voller Hoflaang auf Erfüllung aller ge-
stellten Aufgaben und auf glückliche Heimkehr! Diese Hoffnung sollte nicht
erfüllt werden!
Noch Mitte April hatten Werth und Enzensperger mit dem Matrosen
ürbansky eine fünftägige Exkursion ins Innere unternommen, auf der der
Gazelle-Hafen, ein Fimfeld im Westen und der "West-Fjord besucht wurden.
Wider Erwarten sollte das die erste und einzige Exkursion sein!
Bald setzte schlechtes Wetter ein: der süd-hemisphärische Winter meldete
sich mit Schneeregen und Böen aus "W und NW, gegen die die Station
1) Die Berichte von Enzensperger, Fxpf. v. Drygalski und Dr. Werth
über die Errichtung der Eergnelenstation und ihre Arbeiten bis zum 2. April 1902
sind in Heft 1 und 2 der Veröff. d. Inst. f. Meereakde. u. d. Geogr. Inst. a. d. üni-
vers. Berlin im März und Aug. 1902 mitgeteilt.
Der XrV. deutsche Geographentag in Köln. 389
allerdiiigs ihre Lage am Ostabhang des Berges schützte. Gefährlicher wurden
O-Stürme; doch blieben beide Häuser unversehrt. Die Temperaturen waren
für die hohe südliche Breite (etwa 49®) recht hoch und gleichmäßig unter
dem mildernden Einfluß des Ozeans; — 8® C. im Juni war das Minimum,
-j- 8® C. das Maximum.
Eigenartig ist die Natur der Insel. Baum und Strauch fehlen ganz;
nur der sogenannte Kerguelenkohl bedeckt weite Flächen; aber die 1874
ausgesetzten Kaninchen, die sich ungeheuer vermehrt hatten, hatten bereits
starke Verwüstungen unter ihm angerichtet. Sonst besteht die Flora noch
in der Kähe der Statioli aus etwa 20 Phanerogamen und einigen Flechten.
Die Fauna ist sehr artenarm. Die wenigen Insekten haben gar keine
oder nur rudimentäre Flügel; doch kamen mitunter Mücken sogar in Schwärmen
vor. Pinguine und Bobben, auf die man sehr gehofft hatte, fehlten anfangs
fast ganz; erst später stellten sich einige offenbar verirrte Exemplare ein.
So waren die Forscher in ihrem Küchenzettel fast ganz auf Kaninchenfleisch
angewiesen; eine willkommene Abwechslung bot das Fleisch von vier Robben,
mehr konnten nicht erlegt werden. 12 Pinguine wurden gefangen; darunter
waren Königes-, Esels- und Schopfpinguine. Aber sie waren nicht lebend zu
erhalten; sie verweigerten jede Nahnmgsaufiiahrae und mußten förmlich ge-
nudelt werden; trotzdem gingen sie bald, nach 1 — 2 Monaten, ein. Sonst
befanden sich in der Yoli&re noch Scheidenschnäbel und Kormorane, die aber
später auf dem Schiff ebenfalls eingingen, Möven und Sturmvögel, die auch
das Leben in der Gefangenschaft nicht lange ertrugen. Allein die Sturm-
möven gediehen und wurden später, beim Verlassen der Insel, frei gelassen.
Im August zwangen heftige Schneestürme zum Schluß der vierten bis-
her offen gelassenen Seite des Hauses; doch war die Schneedecke nur gering,
und nur einmal zeigte sich Eis!
In dieser Zeit wurde Werth krank; Anfang August zeigten sich Wasser-
anschwellungen in den unteren Extremitäten; auch die Lunge schien an-
gegriffen; er konnte das Bett nicht mehr verlassen. Während des ganzen
Aufenthalts ist er nicht mehr völlig zu Kräften gekommen. Anfang September
begann auch Enzensperger unter ähnlichen Erscheinungen zu kränkeln;
im November hatte Luyken die Gewißheit, daß bei beiden Beri-Beri aus-
gebrochen sei. Das einzige, einigermaßen sichere Mittel, Digitalis, fehlte;
wer hätte auch bei einer antarktischen Expedition daran gedacht! Es war
ein seltsam- tragisches Verhängnis, daß in diese reine antarktische Luft die
Keime einer Tropenkrankheit verschleppt waren! Am 15. Dezember begann
die schwerste Leidenszeit; die Schwellungen nahmen bei Enzensperger
immer mehr zu, er fand keinen Schlaf mehr; am 2. Februar erlag er ohne
Todeskampf seinen Leiden. Werth, der wieder einigermaßen hergestellt
war, bekam einen schweren Rückfall, an dem er noch jetzt in Sydney im
Hospital krank liegt. In einem einfachen Holzsarg, mit der Reichsdienst-
flagge bedeckt, ward Enzensperger von seinen gesunden Gefährten zu Grabe
getragen. Mit bewunderungswürdigem, unerschütterlichem Pflichtgeftlhl hatte
er seine meteorologischen Beobachtungen angestellt, solange er sich noch be-
wegen konnte. Die Wissenschaft verliert in ihm, der sich schon durch seine
Winterbeobachtungen auf dem Zugspitz-Observatorium einen guten Namen
gemacht hatte, einen ihrer begeistertsten Jünger; am meisten aber traf sein
Hinscheiden den kleinen Kreis von Menschen auf der einsamen Kerguelen-
station. Tiefempfundene Worte treuen Gedenkens rief der Vortragende dem
auf so tragische Weise entrissenen Freunde nach.
390 F. Thorbecke:
Am 30. März lief die „Staßfurt" von der Hamburg-Australischen Dampf-
schiffahrtsgesellschaft Obsenratory-Bay an; zwei Tage darauf wurde die deutsche
Station auf den Kerguelen aufgelöst und kehrte nach Sydney zurück.
Haben auch die wissenschaftlichen Erfolge durch die Krankheiten der
Teilnehmer sehr gelitten, haben diese auch vor allem eine geographische Er-
forschung der Insel selbst verhindert, so konnten doch die meteorologischen
und erdmagnetischen Terminbeobachtungen vollkommen durchgeführt und
biologische und geologische Sammlungen angelegt werden. Trotz des Un-
sterns, der von Anfang an über der Expedition waltete, hat sie ihre wichtigste
Aufgabe vollauf erfüllt!
Reicher Beifall der Versammlung bewies dem Vortragenden den Dank
und das Interesse, mit dem man seinen Ausführungen über das Leben auf
der einsamen Insel an der Orenze der Antarktis folgte.
Als zweiter Redner sprach Prof. Dr. Karl Sapper aus Tübingen über
die Ergebnisse seiner im Herbst 1902 unternommenen Reise zur Unter-
suchung der vulkanischen Ereignisse in Mittel-Amerika und auf
den Antillen. Seit kurzer Zeit befindet sich dort die Erdrinde in einem Zu-
stand außergewöhnlicher Erregung. Selbst wenn man von den vielen falschen
Nachrichten sensationslustiger oder auch irregeführter Reporter absieht, ist doch
die Summe der wirklich stattgehabten seismischen und vulkanischen Ereignisse
in Central-Amerika und auf den Antillen so unverhältmäßig groß, daß die Aufmerk-
samkeit der Menschheit auf sie gelenkt werden mußte. Vor allem riefen die furcht-
baren Katastrophen des Ausbruchs der Soufriere auf St. Vincent vom 7. und der
Montagne Pelee auf Martinique vom 8. Mai 1902 das allgemeine Interesse wach.
Da in West-Indien bei Sappers Ankunft Regenzeit war, fuhr er weiter
nach Guatemala, dessen Hochland am 18. April von einem großen Erdbeben
heimgesucht war. Die eigentümliche Verbreitung und manche Einzelerscheinimg
dieses Bebens ließen vermuten, daß es kein einheitliches Ereignis war, daß
das tektonische Beben von Ocos ein noch schwereres unmittelbar darauf ein-
setzendes vulkanisches Beben ausgelöst hatte. Denn während in Oc<Ss und
Umgebung nur einerlei Schwingungsrichtung bemerkt wurde, war in
Quezaltenango und andern heimgesuchten Gebieten des Hochlands von
Guatemala nur beim ersten Stoß dieselbe süd-südwestliche Bewegungsrichtung
beobachtet wie in Oc6s; die späteren Stöße kamen aus ganz verschiedenen
Richtungen; sie waren eigentlich erst verderbenbringend. Die Gebiete
größten Schadens bilden zwei völlig getrennte Zonen, eine im Osten, eine
zweite längs der guatemaltekischen Vulkanreihe. Seit der großen Erschütterung
vom 18. April 1902 nahm die Zahl der Beben in selbst für das erdbeben-
reiche Guatemala ungeahnter Weise zu. Vor dem 18. April fanden (nach den
Aufzeichnungen der deutschen Kaffeeplantage Las Mercedes) etwa zehn Beben
statt, nachher waren es im April 115, im Mai 50, im Juni 30, im Juli 47,
im August 29, im September 49, wobei die kleinen Nachbeben nach der
schweren Erderschütterung vom 23. April nicht eingerechnet sind.
Die Stoßrichtung kam immer deutlich aus der Vulkangegend her und
erweckte daher bei den Guatemalteken Furcht vor Vulkanausbrüchen. Nach
der schweren Erderschütterung vom 24. Oktober in Guatemala-Stadt erzählte ein
unbefangener Beobachter, daß sich die stärksten Bewegungen im S. Maria,
Zunil und Cerro Quemado konzentrierten^ dort sei auch irgendwo der Herd
der Beunruhigung zu suchen. Er sollte Recht haben: noch am gleichen
Abend fand am Südabhang des S. Maria ein schwerer Ausbruch statt, der,
geologisch betrachtet, alle Ausbrüche des Mont Pelie und der Soufriere weit
Der XrV. deutsche Geographentag in Köln. 391
übertraf. Auf Grund all dieser Tatsachen dürfen wir annehmen: Mechanische
Erschütterungen des tektonischen Bebens haben den labilen Gleichgewichts-
zustand des S. Maria gestört und so zum Ausbruch vom 24. Okt. geführt.
Auch der Izalko in S. Salvador, der am 10. Mai nach 15 monatlicher Pause
seine kleinen gewohnten Erschütterungen wieder aufgenommen, hatte am
5. September einen stilrkeren Ausbruch, ausgezeichnet durch mäßigen Aschen-
regen, durch das Entsenden eines ansehnlichen Lavastroms und die Verlegung
der Eruptionsö&ung. Ebenso hatten der Masaya in Nicaragua im August
1902 imd am 10. Januar 1903 leichte Aschenauswürfe.
Ein Vergleich der Zeitpunkte der wichtigeren seismischen und vulkani-
schen Ereignisse in Central- Amerika und West-Indien^) ergibt manch auf-
fllllige zeitliche Annäherung: trotz der großen räumlichen Entfernung (von
fast 3000 km) beider Vulkangebiete ist man geneigt, an einen Zusanmien-
hang, an ein „Belaisverhältnis^, zu denken.
Die guatemaltekisdien Vulkanaasbrüche zeigten nur bekannte Typen:
Der Izalko entsandte einen Lavastrom; bei ihm, beim S. Maria und Masaya
und den meisten Ausbrüchen der Soufriere wurden nur die gewohnten auf-
steigenden Dampf- imd Aschenwolken beobachtet; sekundäre Bewegungen er-
zeugten bisweilen Wirbelbewegungen der Aschenwolken: einmal hat Sapper
beim S. Maria die herrliche Pilzgestalt einer Streitschen Wolke in glänzend-
ster Weise beobachtet, die aber bald wieder hinter vorschießenden Dampf-
wolken verschwand. Dagegen zeigten die Soufriere am 7. Mai und der Mont
Pel^ bei allen größeren Ausbrüchen einen vorher ganz unbekannten Typus
absteigender Eruptionswolken, die bergsturzartig das geneigte Gelände herab-
eilten und dabei mit Orkangewalt alles vernichteten, was sie auf ihrer Bahn
anti'afen; sie blähen sich ähnlich den aufsteigenden in steten Wirbeln zu
blumenkohlförmigen Gestalten auf, verlieren aber bei dem allmählich lang-
samer werdenden Hinabrollen nie die Fühlung mit dem Erdboden. Sie be-
stehen nicht bloß aus leichten Lapilli, sondern neben Wasserdampf und
Aschen vor allem aus dem groben Gesteinsmaterial des Andesits, aus dem
das Gebirge aufgebaut. Dies wurde schon im Anfang der Abwärtsbewegung
abgesetzt. Die Temperatur dieser Wolken war sehr hoch, doch je nach der
Intensität der Ausbrüche stark schwankend, stets aber hoch genug, um den
Tod der Opfer von St Pierre aus dem Einatmen der heißen Dämpfe völlig
zu erklären; bei kleineren Ausbrüchen des Mt. Pelee hat La Croix Tempe-
raturen unter 200® C. beobachtet, bei einem wurde nicht einmal die Tempe-
ratur des schmelzenden Zinns erreicht. Doch war einmal die Asche 3 Tage
nach einem Ausbruch noch 115® C. heiß. Maximaltemperaturen konnten
wegen der mangelnden Schmelzspuren nur unsicher bestimmt werden. Ob
schwere Gase (wie Kohlensäure) in den Wolken waren, ist sehr fraglich,
1) 18. IV. 1902. Guatemala. Erdbeben. 28. IV. Martinique. Leichte Beben.
10. V. Izalko erwacht. ^ ^' Katastrophe von { |** y^^^^^
6. IX. Ausbruch des Masaya. f j™* ^^l'^^Ä ^""f p^i^""^ A^'^'^a
*#. x^. r^uou uvii i^cc ^(»«jr». g j^ Ausbruch dcs Mout Pcl^c uud gToßcr
Ausbruch der Soufriere.
23. IX. Erdbeben in Guatemala. 21. IX. Ausbruch der Soufriere.
24. /2ö. X. Großer Ausbruch des S. Maria. 15./16. X. Großer Ausbruch der Soufriöre.
25. 1. 1908. Mäßiger Ausbruch des M t. Pelee.
22. 1. Soufri^re-Tätigkeit erwacht wieder.
26. m. Mäßiger Ausbruch des Mt. Pel^e.
21/30. m. Großer Ausbruch der Soufriäre.
392 F. Thorbecke:
wenn auch ihre Anwesenheit das Abwftrtsrollen der Wolken erklärlicher
macht
In bilderreicher, anschaulicher Sprache schilderte der Vortragende die nach
der Art und Weise des Ausbruchs natürlich sehr verschiedenen Wirkungen.
Die absteigenden Wolken vernichteten jählings alles Leben und alle Menschen-
werke in ihrem Bereiche vollständig; die von den aufsteigenden Wolken aus-
gehenden Aschen- und Bimssteinregen braditen allmählich durch das Gewicht
ihrer Absätze Schaden, schließlich aber auch völlige Vernichtung. Auf Mar-
tinique verloren etwa 32 000 Menschen das Leben, auf St. Vincent etwa
1600; in Guatemala werden kaum über 500 Opfer des Vulkanausbruchs an-
zunelunen sein, zumeist durch Hauseinstürze in Folge Aschendrucks. Nennens-
werter Schaden trat in Mittel-Amerika erst bei einer Mächtigkeit der
Aschendecke von 20 cm und darüber ein, allerdings auf einem Gebiet von
etwa 5000 qkm gegenüber nicht ganz 200 qkm auf den beiden Antilleninseln.
Die verschiedene Wirkungsart der ab- oder aufsteigenden Eruptionswolken
hat auf Martinique und St. Vincent die Hauptmasse der Auswürflinge in den
Talsohlen und den sonstigen Vertiefungen des Geländes abgesetzt, in Guate-
mala mehr gleichförmig über das ganze Gelände verteilt. Der Zutritt von
Wassermassen erzeugte bei den hohen Temperaturen hier wie dort gejsir-
artige Explosionen. Die Abtragung der Auswürflinge durch spülendes und
fließendes Wasser war auf den Antillen viel leichter als in Guatemala, einmal
weil dort die absteigende Wolke ihre Absätze haupi*iächlich in den stärker geneigten
Talsohlen konzentrierte, dann wegen der Inselnatur. Die topographischen Ände-
rungen wai'en an der Meeresküste nur gering, stark verändert sind aber die
Krater selbst, besonders am Mont Pel4e, wo aus dem neu entstandenen cen-
tralen Schutikegel durch Herauspressen von unten her ein gewaltiger Fels-
zacken emporgewachsen ist Große Senkungen des Meeresbodens haben sich
nicht nachweisen lassen.
Von viel größerer Bedeutung sind die wirtschaftlichen und sozialen
Folgen der Ausbrüche. Auf den Antillen sind Wälder und Städte völlig
zerstört. Auf Martinique mußte der verwüstete Bezirk abgesperrt werden,
um Raub und Plünderung zu verhindern, auf St. Vincent waren solche Ge-
waltmaßregeln bei der besseren Bevölkerung nicht erforderlich. Hier machte
die englische Regierung Versuche mit Anpflanzungen auf den von den neuen
Eruptionsprodukten gebildeten Erdarten. Auf Martinique sind von den Fran-
zosen zur wissenschafklichen Beobachtung der vulkanischen Ereignisse zwei
Observatorien errichtet worden. Die aus den verwüsteten Bezirken geflohene
Bevölkerung ist von den Kolonialregierungen in neu errichteten Dörfern
untergebracht und mit Ländereien versehen worden, so daß ihre Zukunft
gesichert erscheint; trotzdem herrscht in den Kreisen der Notleidenden viel
Unzufriedenheit, und die Gegensätze zwischen Schwarzen und Weißen haben
sich auf Martinique neuerdings noch verschärft. In den nicht betroffenen
Teilen dieser Insel geht das wirtschaftliche Leben gerade so weiter wie
früher, es ist sogar noch etwas intensiver geworden; Fort-de-France hat als
Handelsplatz gewaltig gewonnen. Ganz anders liegen die Verhältnisse in
Guatemala. Die Regierung hatte nach dem Erdbeben vom 18. April 1902
große Energie entfaltet, griff aber nach dem großen Ausbruch des S. Maria
nicht wesentlich helfend ein. Die auf den Kaffeepflanzungen arbeitenden
Indianer entflohen, kehrten aber in den minder heimgesuchten Distrikten
später wieder zur Arbeit zurück; die stark verwüsteten Plantagen mußten
dagegen völlig verlassen werden. Die Verluste in Folge des Emteausfalls
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 393
und des gänzlichen Eingehens vieler Pflanzungen sind außerordentiich groß.
Leider ist deutsches Kapital dabei herrorragend beteiligt; man spricht von
etwa 50 MilL Mark, die in dem betroffenen Gebiet angelegt sind; man
darf wohl sagen: mindestens die Hälfte aller Kaffeeplantagen ist hier in deut-
schem Besitz gewesen oder von deutschem Kredit abhängig. So wirft das
central-amerikanische Ereignis seine Schatten auch auf uns herüber, und in
dem Sinn steht uns der Ausbruch des S. Maria näher als die erschütternden
Katastrophen von St. Vincent und Martinique.
Dr. Max Friederichsen aus Hamburg gab an der Hand ausgezeichneter
Lichtbilder Beiträge zur Morphologie des centralen Tien-schan. Ein-
leitend sprach er kurz über die Vorgeschichte und äußere Organisation der
im Sommer 1902 von der Universität Tomsk in West-Sibirien imter Leitung
des Botanikers Professor W.W. Saposchnikow in den centralen Tien-schan
entsandten Expedition^), an der er als Geograph und Geolog teilgenommen
hatte. Dann wurden die morphologischen Grundzüge des im zweiten Drittel
jener Heise besuchten Sary-dschas- Entwässerungsgebiets im Westen des
Khan -Tengri- Massivs erläutert an morphologisch äußerst charakteristischen
Landschaftsbildem und zwei Karten; eine Diapositiv-Reproduktion der vom
Vortragenden entworfenen und von seinem Vater, Dr. L. Friederichsen,
gezeichneten Karte des „Entwässerungsgebietes des Sary-dschas*' in 1 : 300000*),
sei hier besonders erwähnt.
Zuerst gab Friederichsen eine Übersicht über die oro- hydrographi-
schen Grundzüge des Sary-dschas -Entwässerungsgebiets. Wie in unsem
Alpen das Auftreten sehr hoher Gipfel weniger von der Widerstandsfähig-
keit des Gesteins abhängt als vielmehr von der Anordnung des Talnetzes
und der Breite eines durch Erosion wenig zerfurchten Sockels, so bestätigt
diese Erfahrung auch die Lage der höchsten Gipfel des Gebiets, des mit
Firnsclmee und Gletschereis bedeckten, bis 6890 m aufragenden Khan-
Tengri-Massivs im Osten und des sicher 5000 m überschreitenden Akschir-
jak-Berglands im Westen. Ihnen entströmt alles Wasser, das sich in der
Mitte des Gebiets zum Sary-dschas vereinigt und in engem Quertal alle
Ketten durchbricht, die vom Khan-Tengri aus in NO - SW- Biehtung (gen
Westen) ziehen. Von rechts und links strömen diesem engen Durchbruchstal,
auffallend regelmäßig angeordnet, eine Reihe von Nebenflüssen zu, darunter
der Külu, L^sch, Inyltschek und Kalndjf, alle einander ähnlich in der im
schroffsten Gegensatz zum engen Sary-dschas-Tal stehenden Ausbildung von
breiten Längstälem oder Hochflächen, die in ONO-WSW- bis NO-SW- Richtung
durchströmt und von einer Reihe gleich gerichteter Ketten begleitet werden.
Die drei mittleren Ketten vereinigen sich im Westen von neuem zum Ak-schir-
jak-Bergland, die nördlichste und südlichste, der Terskei Ala-tau und der
Kok-schal-tau, ziehen beide gen Westen weiter, aber in ganz verschiedener
Ausbildung im östlichen, dem Khan-Tengri benachbarten Teil. Der Kok-
schal-tau bildet, soweit wir wissen, bald westlich vom Khan-Tengri eine hohe,
gipfelreiche, schneegekrönte Kette; aber an Stelle des hohen schneebedeckten
Kamms des Terskei Ala-tau, wie er Friederichsen noch im Turgin-Aksii-
Quellgebiet mit Höhen bis über 5000 m entgegengetreten war, trat mit An-
näherung an den Khan-Tengri eine Anzahl von höchst merkwürdigen, aus
1) Vgl. G. Z. 1902. S. 290. 641. 596. 650.
2) Diese Karte wird im Jahrgang 1904 der Mitt. d. Hamburger Geogr. Ges.
erscheinen.
Qeographltohe Zeitschrift. 9. Jahrgang. 1908. T.Heft 27
394 F. Thorbecke:
dislocierten und später anscheinend denudierten Schiefem und Carbon-Ealken
aufgebauten Hochflächen, völlig gipfellos und obwohl höher als 3800 m fast
völlig schneefrei. Bei den Kirgisen heißen hier, wie im ganzen Sary-dschas-
Quellgebiet, solche Hochflächen „Syrt".
Nach des Redners eigenen Beobachtungen über die Geologie und Tek-
tonik seines Reisegebiets und den Ergebnissen der 1886 hier unter dem
Bergingenieur Ignatjew tätigen Expedition besteht eine enge Abhängigkeit
der heutigen Oberfläche vom inneren Aufbau, besonders in den alten kry-
stallinen Schiefem, die als Gneise, Glimmer-, Chlorit- und Tonschiefer, stellen-
weise von Eruptivgesteinen durchbrochen, die Granit-Syenitachsen der Haupt-
ketten vorwiegend in derselben ONO- WSW- bis NO-SW-Richtung, wie die
Ketten des Sary-dschas-Gebiets, begleiten. Alle diese alten Schiefer lassen
deutliche Spuren starken Druckes erkennen, wie sie Gresteinen im Herzen alt-
krystalliner Kettengebirge eignen. Lagerung und petrographische Beschaffen-
heit des Kalkes zeigen hier auch die einzigen bisher in diesem Gebiet ge-
fundenen paläozoischen Sedimente aus dem Unter-Carbon, die, durch Fossilien
belegt, als sicher am Kakpak-Paß und dem Sary-dschas-Nebenfluß Itsch-
keletasch H, als wahi-scheinlich am Ischigart-Paß nachgewiesen sind. Älteres
wie jüngeres Paläozoicum ist dagegen bisher noch nicht nachgewiesen, wenn
auch an seinem Vorhandensein nicht gezweifelt werden kann, so wenig wie
an der auf Carbon- und Permo-Carbon, im Sary-dschas, wie überhaupt im
ganzen centralen und östlichen TiSn-schan folgenden ununterbrochenen Kon-
tinentalperiode. Damit ist der Schlüssel ftlr das richtige Verständnis der
Entstehung jener eigenartigen Konglomerat- und Sandsteinschichten gegeben,
der bis auf weiteres einzigen Vertreter jugendlicherer Ablagerungen, die der
Vortragende, aber in viel größerer Mächtigkeit, auch in anderen Teilen des
Gebirgs, wie am Südabfall des Dsungarischen Ala-tau und am Nordabhang
des Terskei Ala-tau^) anstehend gefunden hat. Früher hielt man eine Zeit
lang diese Vorkommen junger Konglomerate und Sandsteinbildungen des Tien-
schan und seiner Umgebung (in Kaschgarien, der Mongolei, im Hoangho-
Quellgebiet) für marin. Bald aber hat man diese irrige, durch keinen einzigen
Fossilfund gestützte Ansicht aufgegeben, heute denkt man an die Bildung
dieser Ablagerungen in abgeschlossenen Binnenseen. Aber auch das gilt nicht
allgemein: bei den Vorkommen im Sary-dschas-Entwässerungsgebiet, wie am
Südabhang des Dsungarischen Ala-tau scheint es sich nach Friederichsens
Beobachtungen an Ort und Stelle mehr um die Ablagenmg kontinentalen
Schutts in einem trockenen central-asiatischen Klima zu handeln, wie sie
Johannes Walther am Wüstenschutt beobachtet hat. Zum Zustande konunen
solch mächtiger Schuttbildungen am Südfuß des Dsungarischen Ala-tau bot
die lange .Kontinentalperiode reichlich Zeit.
Am jugendlichsten aber sind die glacialen und fluvioglacialen Bil-
dungen: alte Endmoränen unmittelbar am heute abschmelzenden Gletscher-
ende oder weit von ihm entfernte alte Wälle oder das Tal auffüllende
Schutthügel, vor ihnen in tieferen Teilen der heutigen Täler große Schotter-
massen, durch die Schmelzwasser der einstigen Gletscher abgelagert und dann
vom heutigen Fluß in deutlich horizontal geschichteten Terrassenstufen zersägt,
wie im unteren Külii- und Irtisch-Tal.
Diese geologischen Betrachtungen gipfeln in den drei Tatsachen: Inten-
1) M. Friederichsen. „Vorläufiger Bericht." Z. d. Ges. f. Erdkde. zu Berlin.
908. Heft 2. S. 109 ff.
Der XrV. deutsche Geographentag in Köln. 395
sive Faltung der alten Gesteinsarten von ONO- WSW nach NO-SW; lange
Kontinentalperiode nach dem Carbon; einstmalige größere Gletscherentwicklung.
Alle drei sind aber auch nötig zum causalen Verständnis der Morphologie
des heutigen Oberflächenbildes des Sary-dschas-Entwässenmgsgebiets.
Ein Vergleich mit unseren europäischen Alpen ergibt lehrreiche Unter-
schiede. In jedem alpinen Kettengebirge in gemäßigtem Klima werden theoretisch
drei gut unterscheidbare Höhenzonen ausgebildet^): eine mit Vegetation bedeckte
Fußzone mit runden Mittelgebirgsformen, eine Fels- oder Schuttregion mit
beginnenden Hochgebirgsformen und eine Fimregion mit echten und scharf
ausgeprägten Hochgebirgsformen, mit Karen, Fimnischen, Fimhömem, Fels-
graten u. s. w. In den meisten Teilen der Alpen fehlen aber diese drei
theoretischen Stufen; fast völlig fehlt, darauf weist Richter mit besonderem
Nachdruck hin, die zweite Zone: immittelbar von der Waldregion aufwärts
beginnen in unsem Alpen schon Hochgebirgsformen. Das verdanken die
Alpen der Eiszeit. Für das morphologische Verständnis der heutigen Alpen-
scenerie haben die jüngsten Eiszeitforschungen von Penck, Brückner und
Bichter nachgewiesen, daß sich die ganze mittlere, nach der Theorie
zu erwartende Schuttregion imserer Alpen in dem „erborgten Schmuck
von Formen einer verflossenen Periode", eben der Eiszeit, präsentiert. Ganz
anders im Tien-schan! Hier ist diese zweite Fels- und Schuttregion in
einem trockenen central-asiatischen Klima und ohne eine so intensiv morpho-
logisch umgestaltende Eiszeit, wie in unseren Alpen, ungemein mächtig und
charakteristisch entwickelt. Hier im Tien-schan ist die den Boden schützende
geschlossene Vegetationsdecke (in etwa 2800 — 3000 m Höhe) von der
gleichfalls den Fels konservierenden Fimregion (zwischen 3600 und 4000 m)
imi viele 100 m getrennt durch die dazwischen liegende Schuttzone, die den
Einflüssen des extremen central-asiatischen Klimas^) schutzlos preisgegeben ist
und im Winter, bei der tiefen Lage der an den nördlichen Randketten fest-
gehaltenen Schneewolken schneefrei, den Wirkungen des Spaltenfrostes allein
unterliegt.
Die Szenerie des Tien-schan ähnelt so am ersten in der Fußzone und
der Fimregion der unserer Alpen.
Den Nordabhang des Terskei Ala-tau, der Wasserscheide des Sary-dschas-
EntwässeruDgsgebiets und des Einzugsgebiets des Issyk-kul und Balkasch-
Sees, zieren dagegen dieselben schön bewaldeten, von rauschenden Bergflüssen
durchbrausten Talschluchten, die gleichen saftig grünen Matten, dieselben sanft
geschlungenen Bergformen, wie unser Alpenland.
Auch die Hochregion des Sary-dschas-Entwässerungsgebiets gleicht der
unserer Alpen. Der ragende, kegelförmige Schneegipfel des Khan-Tengri,
emporgetürmt auf einem wahrhaft gigantischen, mit Firn und Eis bedeckten
Sockel, kann sich mit jedem Alpenhochgipfel messen; nicht minder die zur
Seite des Sary-dschas-Durchbruchtals gewaltig aufstrebende Pyramide des
Eduard-Piks von Almasys oder die scharfzackigen Grate und Spitzen im Sary-
dschasyn-tau mit ihren Anklängen an die Matterhorn-Form der Alpen oder
die Gestalt des Ushba im Kaukasus oder die das Terekty-Tal 3000 m über-
ragende bis zu 5200 m aufsteigende Saposchnikow-Spitze.
1) Ed. Richter. Geomorphologische Beobachtungen in den Hochalpen. Pet.
Mitt. Ergbd. 132. S. 74.
2) Fiiederichsen gibt hierüber Näheres in seiner „Morphologie des Tien-
schan'* in der Z. d. Ges. f. Erdkde. zu Berlin. Bd. 34. 1899. S. 248 ff.
27*
396 F- Thorbecke:
Ganz anders ist das morphologische Charakterbild der Schuttregion.
Auch die Alpen bieten zwischen Baum- und Schneegrenze Bilder, wie etwa
das mittlere Turyen-Aksu-Tal mit seinen von tiefgründig verwittertem Granit-
schutt überladenen Talflanken; aber zu dem vom Kara-kyr-Paß überschrittenen
Bergrücken wird man in den Alpen vergebens ein Ajialogon suchen. Bis
ins innerste Mark ist der hier anstehende Tonschiefer verwittert. Nur an
wenigen Stellen durchdringt er den dichten Schuttmantel. Regen- und Schnee-
schmelzwässer bilden streckenweise einen zähflüssigen tonigen Brei, der wie
die Tonschiefertrümmer der Schwere folgend zu Tal gleitet und schwer
begehbare, ungeheuer steile Gehänge von über 30® bildet, die sonst nur die
steilsten Vulkankegel der Erde aufweisen.
In dieser Schuttzone liegen die weitbodigen hochgelegenen Längstäler,
das Külii- und Irtisch-Tal und „Syrte" des Sary-dschas-Quellgebiets. Ihre
vegetationslosen Felswände sind ebenso massenhaft mit Yerwitterungsschutt
bedeckt, wie die Eammrücken am Kara-kyr-Paß; allen gemein aber ist die
erstaunliche Breite ihrer weiten Talböden: im Sary-dschas-Quellgebiet erreicht
sie einen derartigen Grad, treten die es beiderseits begleitenden Bergketten
so weit auseinander, ^daß aus dem Hochtal eine weite Hochfläche, die „Syrt^^
der Kirgisen wird. Sie ist wie der Untergrund des weiten Irtasch-Tales aus
stark gefalteten und steil aufgerichteten, heute aber völlig eben abgeschnittenen
krystallinen Schiefer- und Carbonkalkschichten zusammengesetzt. Wie sind
diese Flächen hier im Gebirgs-Innem in unmittelbarster Nähe der Bergriesen
des heutigen Tiön-schan entstanden? Gegen Meereswirkung sprechen alle geo-
logischen Tatsachen. Am ehesten könnte man an suba^rische Denudation,
vielleicht in Verbindung mit seitlicher Flußerosion denken, an eine „Peneplain"-
Bildung im Sinne Davis'. Die hierfür nötigen langen Kontinentalperioden
stehen ziemlich sicher. Doch dürften sich diese Denudationsflächen kaum in
ihrer heutigen Höhe von etwa 3000 m gebildet haben, auch nicht air ihre
Teile im gleichen Niveau, so wenig wie sie von späteren tektonischen Ein-
flüssen unberührt blieben; man muß vielmehr ziun Verständnis der tatsäch-
lichen Verhältnisse eine spätere Hebung im Zusammenhang mit gleichzeitiger
Zerstückelung einzelner Teüe, wie bei den bruchi-and artigen Kohlenkalkböschungen
im Norden der Sary-dschas- Syrte, oder mit intensiver Neufaltung anderer
Gebiete annehmen. Doch sollen all diese Erklärungsversuche bei der lücken-
haften Kenntnis der Tektonik des Gebiets nur zu späterer Lösung der Probleme
auf Grund genauerer Forschungen anregen!
Hier in der mittleren Schuttregion findet man auch besonders deutliche
Eiszeitspuren und Ablagerungen aus dieser Periode. Die Kare und Gletscher-
schliffe am Nordabhang des Terskei Ala-tau im heutigen Gebiet der Baum-
vegetation bei etwa 2600 m oder die alten Moränen und fluvioglacialen
Schotterablagerungen im Irtasch- und Külu-Tal sind deutlich erkennbar; aber
auch das Sary-dschas-Quellgebiet zeigt deutlich Spuren ehemaliger Vergletsche-
rung in seinen heutigen an die eisverlassene norwegische Fjeldlandschaft ge-
mahnenden Formen. Sicher waren die weiten Denudationshochflächen der Syrt
einst tief im Eis begraben. Alle etwaigen Zweifel schwinden aber beim An-
blick der typischen glacialen Trogtäler, die diese Hochflächen heute in ebenso
viele Tafelberge zerlegen. Die Trogtäler münden in Stufen in das vom
Gletscher übertiefte Sary-dschas-Haupttal und zeigen an den Flanken ihrer
U-förmigen Talprofile als Marken des einstigen Eisstandes deutlich Gletscher-
schliffe; ebenso wenig fehlen echte Karbildungen an den Talleisten, den Resten
Iter Talböden, und die für Glacialgebiete typische Rundhöcker-Landschaft.
Der XIY. deutsche Geographentag in Köln. 397
Trotz dieser leicht nachweisbaren Einwirkungen einer einst weiten Verglet-
schening der Saiy-dschas-Hochregion kann doch von einer Eiszeit in der
Ausdehnung wie in unsem Alpen keine Bede sein; nur die Talgletscher waren
sehr viel ausgedehnter wie auch die in den Hochgebirgsregionen in nächster
Nachbarschaft der noch heute völlig verfimten Massive. „In diesen Grenzen,"
so schloß der Redner seine frisch und lebhaft vorgetragenen AusfiQirungen,
„hat unsere Expedition vielleicht dazu beigetragen, die morphologische Bedeu-
tung dieser Vorgänge auf die Ausgestaltung des heutigen Gebirgsbildes deut-
licher und nachdrQcklicher zu erweisen, als alle bisher im Tien-schan tätig
gewesenen."
Meereskunde.
In der Nachmittagssitzung gab Prof. Dr. 6. Gerland aus Straßburg einen
Überblick über den Stand der Erdbebenforschung im Deutschen Reich, über
den an anderer Stelle in diesem Heft (S. 408) berichtet wird. Prof. Supan,
der den Vorsitz führte, betonte, daß das Hauptverdienst an der Förderung
dieser Forschungen Gerlands Tätigkeit und Initiative zu danken sei, womit
sich die Versammlung durch lebhaften Beifall einverstanden erklärte.
Prof. Adolf Schmidt, Vorstand der erdmagnetischen Abteilung des
preußischen meteorologischen Instituts in Potsdam, sprach über die Er-
forschung der Meeresströmungen. Die deutsche Wissenschaft sei schon
lang auf dem Gebiet der Meeresforschung tätig gewesen und habe dabei auch
nicht der Würdigung und Unterstützung durch das Reich entbehrt. Zum
weitem Ausbau der Forschung scheine es geboten, den bisher behandelten
Aufgaben noch eine neue hinzuzufügen, die direkte Messung der Meeres-
strömungen in einer gewissen Tiefe, etwa von 500 m ab. Die große Gleich-
förmigkeit der Zustände und Vorgänge in großen Tiefen läßt durch solche
Messungen eine große Vereinfachung imd Verbesserung der theoretischen Unter-
suchung erwarten; praktisch werde damit eine Grundlage zur genaueren
Feststellung der wechselnden Strömungsvorgänge an der Meeresoberfläche ge-
wonnen. Zur Durchführung der vorgeschlagenen Messungen könnte man in
der Tiefe Bojen (mit gewissen automatischen Reguliervorrichtungen) schwimmen
lassen und ihrem Lauf mit dem Schiff, dessen Ort wiederholt durch astrono-
mische Messungen bestimmt wird, folgen. Dabei könnten auch die in die
Tiefe gerichteten vertikalen Strömungen gemessen werden. Die Ausführung
des Planes erfordere allerdings ein eigenes Schiff, das dauernd dafür ver-
wendet würde. Auch andere wissenschaftliche Aufgaben drängten zur Forde-
rung nach einem nur für Meeresforschung benutzten „schwimmenden Ob-
servatorium", vor allem die einwandfreie magnetische Vermessung der Ozeane.
So würde man mehreren Zwecken gleichzeitig dienen. Die an der Meeres-
forschung beteiligten Gelehrten könnten dann auch mehr als bisher in die
praktische Beobachtung auf längeren Reisen eingeführt werden, was bis jetzt
nur wenigen vergönnt war.
Der Vortrag fand lebhaften Beifall; Geh. Rat von Neumayer befür-
wortete die Bestrebungen des Vortragenden. Dr. G. Schott von der See-
warte in Hamburg wies darauf hin, daß man in der „Poseidon" schon ein ge-
eignetes Beobachtungsschiff besitze.
Dann verbreitete sich Schott über die Stromversetzungen auf den
internationalen Dampferwegen zwischen dem Englischen Kanal
und Neu-York, die sehr wichtiges praktisches Interesse haben. Er erläuterte
seine Ausführungen durch übersichtliche graphische Darstellungen und Karter
398 F. Thorbecket
und faßte ihre Ergebnisse in folgende Sätze zusammen: 1. Die Größe der Ver-
setzungen von Dampfern steht im umgekehrten Verhältnis zur Schiffegröße,
scheint dagegen kaum von der Schnelligkeit und Maschinenkraft von Schiffen
abzuhängen. 2. Ausnahmsweise große Versetzungen, die meist durch be-
sondere Naturereignisse, schwere Stürme, gewaltige Strömungen u. dergl.
hervorgerufen werden, kommen bei Schiffen jeder Größe fast im gleichen
Maße vor. 3. Alle Schiffe werden am häufigsten nach Lee oder nach dem
Quadranten rechts von Lee versetzt. 4. Die Versetzungen im Sinne der
herrschenden Stromrichtung pflegen am größten zu sein. 5. Die Versetzungen
sind im Durchschnitt auf der westlichen Hälfte der Dampferwege wesentlich
größer als auf der östlichen; die Grenze der schwachen und starken Ver-
setzungen liegt im Mittel bei 40® w. L. für die südlichen, bei 30® w. L. für
die nördlichen Wege. 6. Auf der östlichen Hälffce beider Wege sind die
Versetzungen nach allen Kompaßrichtungen ziemlich gleichmäßig verteilt.
7. Auf der westlichen Hälfte der südlichen Wege überwiegen überall Ver-
setzungen nach Norden und Osten. 8. Auf der westlichen Hälfte der nördlichen
Wege von 30® w. L. bis Land wechseln die vorwiegenden Versetzungen zweimal.
Damit schlössen die Nachmittagsvorträge. Das vom Vorsitzenden unter
allgemeiner Spannung der Versammlung verlesene Telegranma über die „Gauß",
demzufolge „an Bord alles wohl" sei, gab dem Tag einen schönen Abschluß.
Der Vortrag von Prof. v. Halle über das Meer in wirtschaftsgeogra-
phischer Hinsicht war in letzter Stunde abgesagt.
Wirtschaftsgeographie.
Die dritte Sitzung am Mittwoch Vormittag war der Wirtschafts-
geographie gewidmet.
Prof Dr. Robert Sieger aus Wien erörterte die Forschungsmethoden
in der Wirtschaftsgeographie. Bisher sei in den methodischen Erörte-
rungen immer nur von der Darstellung, nie von der Forschung die Rede ge-
wesen. Es sei aber principiell wichtig, sich die Frage vorzulegen, ob es
überhaupt wirtschaftsgeographische Forschung gebe und welche Methoden
ihi- zukämen. Die Antwort auf diese Frage müsse zur Lösung des Grund-
problems nach der Stellung der Wirtschaftsgeographie unter den geographi-
schen und anderen Wissenszweigen beitragen. Die Versuche, das Gebiet der
Wirtschaftsgeographie zu umgrenzen, haben Übereinstimmung über ein Kem-
gebiet dieser Disciplin ergeben, über die Geographie der Produktion, des
Konsums und der Güterübertragung oder des Handels. Die Außenprovinzen
seien dagegen vielfach strittig. Der Vortragende untersucht die Methoden,
die auf diesem sichern Kemgebiet zur Anwendung kommen. Zwei sich be-
fehdende Richtungen lassen sich durch die Worte: wirtschaftliche Geographie
imd geographische Wirtschaftskunde kennzeichnen. Sie bestehen in der An-
wendung geographischer Gesichtspunkte auf wirtschaftliche Daten (geogra-
phische Verbreitung von Produktion, Konsum, Handel imd anderen damit
zusammenhängenden wirtschaftlichen Faktoren) und in der Anwendung wirt-
schaftlicher Gesichtspunkte auf geographische Daten (wirtschaftliche Bewer-
tung der geographischen Momente, Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Effekte).
Nach Sieger führen beide Wege dahin, das ursächliche geographische Ver-
ständnis der wirtschaftlichen Faktoren und Zustände zu gewinnen, nur muß
der eine den anderen ergänzen und kontrollieren. Das weiteste Ziel sieht er
freilich auf rein anthropogeographischem Boden, indem die gesamten wirt-
schaftsgeographischen Kenntnisse ausgenützt werden sollen zur besseren Er-
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 399
kenntnis der Menschheitsverteilung über die Erde. — Auf den besprochenen
Wegen der Forschung ordnet der Geograph nicht nur Daten, die ihm wirt-
schaftliche Bisciplinen liefern, nach geographischen Gresichtspunkten und um-
gekehrt, er muß auch das ihm vorliegende Material durch Feststellung neuer
Tatbestände ergänzen. Das geschieht, wie der Vortrag weiter ausführte,
nicht nur durch Quellenkritik, sondern auch durch eigene Beobachtungen.
Die Wirtschaftsgeographie ist also nicht eine bloß „angewandte^^ Disciplin,
sondern ein Teil des geographischen Wissens- und Forschungsgebiets.
Siegers Ausführungen beleuchtete geschichtlich Dr. Alois Kraus aus
Frankfurt a. M. in seinem Vortrag über die Geschichte der Handels- und
Wirtschaftsgeographie. Er versuchte, ausgehend von einem Kasseler
ßchulprogramm von A. M. Janson vom Jahr 1855, zum ersten Mal eine
kritische Entwicklung der Handels- und Wirtschaftsgeographie im Zusammen-
hang mit dem Werdegang der allgemeinen Geographie und der National-
ökonomie zu geben. Die Ablösung und Verselbständigung des geographischen
Stoffe, der dem Interessenkreis des Kaufmanns entsprach, dürfte schwerlich in
der geographischen als vielmehr allmählich in der handelskundlichen Literatur
erfolgt sein, die sich seit dem 14. Jahrhundert zimächst in dem wichtigsten
Wirtschaftsgebiet Europas, in Italien, entwickelt hat Ihre Ausgestaltung er-
hielt die Handelsgeographie im Zeitalter des Merkantilismus, als das Interesse
an der Erforschung der wirtschaftlichen Verhältnisse des eigenen Staats und
fremder etwa rivalisierender Länder erwachte. Sie tritt uns ungefilhr seit
der Mitte des 18. Jahrhunderts zunächst als ein unentbehrlicher Teil der
großen systematischen handelskundlichen Werke entgegen, dann als ein selb-
ständiges Glied der politischen Geographie und schließlich auch der ihr ver-
wandten, von Achenwall systematisierten Statistik oder Staatenkunde. Sie
findet als Lehrgegenstand ihre Pflege an den neuen Bildungsanstalten der
Merkantilzeit, nicht nur an den Realschulen und Handelsakademien, auch an
den Ritterschulen, so an der hohen Karlschide in Stuttgart. Es ist leicht be-
greiflich, daß die aus dem Kreise der Statistiker hervorgehenden handels-
geographischen Darstellungen über die bloße Hervorhebung der Handelsprodukte
und Verkehrswege hinaus auch die wirtschaftlichen Verhältnisse aller anderen
Erwerbsstände im Auge behielten. Die bei ihnen übliche Voranstellung von
aUgemeinen Erwägungen über den Zusammenhang geographischer und wirt-
schaftlicher Tatsachen muß als methodischer Fortschritt, als ein allerdings
sehr dürftiger Ansatz zu einer allgemeinen Wirtschaftsgeographie bezeichnet
werden.
Eine wissenschaftliche Ausgestaltung, die Fähigkeit der Darstellung ur-
sächlicher Zusanunenhänge erhält die angewandte Geographie durch Humboldt,
bei dem sich ja in seltener Weise ein hohes Maß naturwissenschaftlicher
Erkenntnis mit kameralistischen Erfahnmgen vereinte. Wenn auch sein Haupt-
werk „Essai politique sur le royaume de la Nouvelle Espagne" 1811 die
Grenzen der Wirtschaftsgeographie überschreitet, so ist doch seine Gliederung
im Streben nach ursächlicher Verknüpfung des Stoffs und in der kritischen
Sichtung und Veranschaulichung des statistischen Materials vorbildlich.
Der zweite Schöpfer der modernen Geographie, Ritter, hat wohl seine
Erdkunde als reine der angewandten gegenübergestellt, aber schon durch
seinen Aufsatz „der tellurische Zusammenhang der Natur und Geschichte in
den Produktionen der drei Naturreiche" der Handelsgeographie mit seiner
Forderung nach einer die natürlichen, wirtschaftlichen und geistigen Zu-
sammenhänge berücksichtigenden geographischen Produktenkunde eine ho^
400 F- Thorbecke:
Aufgabe zugewiesen. Die Periode nach Bitter mit ihrer Abkehr von den
Naturwissenschaften bedeutet im allgemeinen einen Verfall der Geographie,
besonders der angewandten Erdkunde. Wie weit die Smithsche Richtung in
der Nationalökonomie Inhalt und Methode der handelsgeographischen Darbie-
tungen dieser Zeit beeinflußt hat, will der Vortragende einer weiteren Unter-
suchung vorbehalten.
Mit der neuen Strömung innerhalb der geographischen Wissenschaft in
den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, die ihr die Ergebnisse und Methoden
naturwissenschaftlicher Forschung zuführte, beginnt auch für die Handels- und
Wirtschaftsgeographie eine neue Epoche. In die lebhafte methodische Dis-
kussion der 80er Jahre fallen auch die Ausfahrungen von Götz „über Wesen
und Aufgabe der Wirtschaftsgeographie"^); aber die von ihm gegebenen Be-
griffsbestimmungen sind einerseits zu weit, andrerseits zu eng. Die doch un-
umgänglich notwendige Einbeziehung sozialer und psychischer Faktoren zur
Erklärung wirtschaftsgeographischer Entwicklungen ist durch sie ausgeschlossen.
Kraus stellt ihr eine andere gegenüber; nach ihr hat die Wirtschafts-
geographie die ¥rirtschaftlichen Erdoberflftchenerscheinungen darzustellen, ihre
räumliche Anordnung, ursächliche Erklärung und wirtschaftliche Würdigung
zu geben, so wie sie durch die natürliche Ausstattung der Erdräume und
die Wechselwirkimg von Natur und Mensch hervorgerufen sind. Durch diese
Formulierung glaubt der Vortragende nicht nur das Forschungsobjekt der
Disciplin, sondern auch ihr Verhältnis zu allen andern Disciplinen dahin
klargestellt zu haben, daß sie alle zur Erklärung wirtschaftlicher Erdober-
flächenerscheinungen heranzuziehen sind, mögen sie den Natur- oder Geistes-
wissenschaften angehören. Mit dieser Begriffsbestimmung wendet er sich gegen
eine Verquickung der Wirtschaftsgeographie mit der Wirtschaftskimde , die
allerdings der ersteren überaus wertvolles Material zu bieten vermag.
Die Wirtschaftsgeographie bedarf keiner Erweiterung ihres Stoffgebiets,
wohl aber seiner systematischen Bearbeitung, seiner Vergeistigung durch eine
vergleichende Betrachtung ihrer Erscheinungen über das Erdganze hin unter
dem Gesichtspunkt der Entwicklung, kurz einer ähnlichen, wenn auch metho-
disch anders gearteten Behandlung, wie sie Ratze 1 der politischen Geographie
hat zu teil werden lassen.
Privatdozent Dr. Ernst Friedrich aus Leipzig sprach über einige
kartographische Aufgaben in der Wirtschaftsgeographie. Die
Karte soll die Verbreitung einzelner Wirtschaftsobjekte darstellen, wie auch
ein Gesamtbild der Wirtschaft geben. Diese letzte Aufgabe bietet große
Schwierigkeiten: eine ungeheure Fülle von Objekten soll gleichzeitig auf der
Karte veranschaulicht werden. Eine Karte, die das leistet, verdient dem ge-
schriebenen Wort vorgezogen zu werden, das die räumlichen Verhältnisse nur
mangelhaft zur Darstellung bringt, wie auch der Tabelle, die zur Darstel-
lung quantitativer und qualitativer Unterschiede nur einen kläglichen Not-
behelf bildet.
Die wirtschaftsgeographische Karte hat drei wichtige Aufgaben zu er-
füllen: Sie soll das einzelne Objekt der Wirtschaft (Tee, Kaffee, Wolle, Kohle
u. a.) darstellen in seiner örtlichen Verbreitung nach Menge und Qualität,
sein Vorkommen erklären aus dem Subjekt der Wirtschaft und den örtlichen
Naturverhältnissen, es als Teil der Gesamtproduktion würdigen in seinen Be-
ziehungen zu Siedlung und Verkehr. Die Wichtigkeit der Qualitätskarte auch
1) Z. d. Ges. f. Erdkde. zu Berlin. 1882.
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 401
für die Praxis, für die Eenntnis des Materials und der Marktpreise, wurde am
Elfenbein gezeigt. Die zweite Aufgabe besteht in der Darstellung des wirt-
schaftsgeographischen Gesamtbilds größerer Erdräume, in der Einfügung jedes
Einzelobjekts in den Rahmen der Gesamtdarstellung. Die äußere Schwierig-
keit der Darstellung einer großen Fülle von Objekten auf einer Karte ist
nicht unüberwindlich, wie Scobel und Langhans gezeigt haben.
Die dritte und letzte Aufgabe, die noch nicht in Angriff genommen, ist
die kartographische Darstellung der Wirtschaftsstufen, die ein
Abbild der geschichtlichen Entwicklung der Wirtschaft geben sollen.
Aus solchen Karten glaubt der Vortragende die allgemeine Tendenz des wirt-
schaftlichen Fortschritts und die Wirtschaftshöhe nach der Art der Wirt-
schaftsführung, nach dem modus rerum geren darum beurteilen zu können.
Von national-ökonomischer Seite, von Hildebrand und Bücher sind Wirt-
schaftsstufen aufgestellt, die aber, weil zu einseitig, den Geographen wenig
fördern.
Überall strebt die Entwicklung nach oben und sucht der Naturschranken
Herr zu werden, die in der Lage, im Luftdruck und in den Winden, im Boden-
umriß und in der Bodenform und vielem andern liegen. Der Grad der
Wirtschaftsstufe hängt ab vom Grad der Befreiung vom Naturzwang. Auf
Grund dieser allgemeinen Untersuchungen stellt Friedrich folgende vier
Wirtschaftsstufen auf, die er an dem Beispiel der Viehzucht erläutert: die
Wirtschaftsstufe der tierischen Wirtschaft, die der Naturgebundenheit oder
des Instinkts, die der Überliefenmg oder Tradition, des langsamen, aber ste-
tigen Fortschritts, und endlich die der Wissenschaft, die zuerst Zielbewußt-
sein und methodische Befreiung vom Naturzwang zeigt. Durch alle vier Stufen
läßt sich die allmähliche Befreiung der Bedürfnisbefriedigung vom Naturzwang
des Orts, der Zeit, der Menge oder Quantität und der Qualität verfolgen.
Zahlreiche Einzelbeispiele und eine Karte der Viehzucht illustrierten
diese allgemeinen Ausführungen über diese schon von Vierkandt aufgestellten
vier Kulturstufen, die darin gipfelten, daß das Maß der äußerlichen Befrei-
ung des Menschen vom Naturzwang ein Abbild der innem geistigen Befrei-
ung sei, eine Projektion seines Lmenlebens in die Außenwelt.
Li der sehr lebhaften Diskussion über diese drei Vorträge begrüßt es
Dr. Lehmann aus Aachen als ein wertvolles Ergebnis, wenn die Geographen
vom Fach zu klarer Nomenklatur und Begriffsbestimmung kämen, und betont
auf eine Bemerkung eines der Redner hin, daß die von ihm mitheraus-
gegebene, eben bei Teubner erscheinende Wirtschaftskunde Deutschlands keine
Wirtschaftsgeographie, sondern nur eine Tatsachensanmilung als Grundlage für
weitere Forschung abgeben solle; sie sei zunächst nur als wirtschaftliche
Propädeutik gedacht. Die Wirtschaftsgeographie, die durchaus selbständig
sei, soll dadurch angeregt werden, nicht allein im Rahmen Deutschlands,
sondern auch fürs Ausland. Dr. Wiedenfeld aus Berlin will die tierische
Wirtschaftsstufe Friedrichs lieber die Stufe der Wirtschaftlsosigkeit nennen;
nirgends sei in ihr der Zweck auf irgend eine Wirtschaft erkenntlich: ein-
mal frißt der Wilde sich voll, das andere Mal leidet er Hunger! Die dritte
und vierte Stufe sei von Sombart in ihrer historischen Aufeinanderfolge
schon als die des Handwerks und des Großkapitals der modernen Zeit unter-
schieden worden, auch heute beständen sie noch nebeneinander. Die enorme
praktische Bedeutung der Qualitätskarten betonte auch Wiedenfeld, z. B. für
Weizen, Baumwolle, Kohlen und Erze.
Pro£ Hettner meint im Gegensatz zu Lehmann, daß die Wirtschafts-
402 F. Thorbecke:
geographie nicht zu einer allgemeinen Wirtscbaftskunde werden dürfe, son-
dern daß der Geograph sowohl in der länderkundlichen wie in der allgemeinen
geographischen Behandlung immer die methodischen Gesichtspunkte seiner
Wissenschaft im Auge behalten müsse. Zu Friedrichs Ausführungen bemerkt
er, daß man nicht nur zwischen dem botanisch möglichen Vorkommen einer Pflanze
und ihrem Anbau, wie der Vortragende getan, sondern auch zwischen dem Anbau
nur für den lokalen Konsum und dem als Stapelartikel für den Handel unter-
scheiden müsse. Eine der wichtigsten Aufgaben wirtschafksgeographischer
Karten sei die Darstellung des ganzen Charakters der Wirtschaft imd zunächst
der Landwirtschaft, wie sie unter andern Sehring, Engelbrecht, Ratzel
und Deckert gegeben hätten. Nicht richtig gewürdigt seien vom Vortragenden
die Wirtschaftsformen Eduard Hahns, die schon den ganzen Charakter der
Wirtschaft eines Landes gäben und den älteren Wirtschaftsstufen gegenüber
einen Fortschritt bedeuteten, da sie neben der Höhe der erreichten Kultur
auch ihrer verschiedenen Ausbildung unter den verschiedenen Naturbedingungen
Ausdruck verliehen. Die Kulturformen Vierkandts, die den Ausgangspunkt
der Friedrichschen Betrachtung bildeten, stimmten trotz der Verschiedenheit
des Gesichtspunktes tatsächlich in vieler Beziehung mit der Darstellung der
Wirtschaftsformen bei Hahn überein.
Friedrich erwidert, daß er sich nicht die Darstellung der Wirtschafts-
formen, d. h. der Art der Befürfnisbefriedigung, sondern der Wirtschafts-
stufen, d. h. der Höhe der Bedürfnisbefriedigung zum Thema gewählt habe;
Ed. Hahns Arbeiten schätze auch er außerordentlich.
Prof. Eckert, der der wirtschaftsgeographischen Sitzung präsidierte,
konstatiert beim Schluß der Debatte mit Freuden, obwohl die Wirtschafts-
geographie ein Grenzgebiet zwischen Geographie und Nationalökonomie und
daher ein Kampfgebiet, seien doch wenig methodologische Streitfragen auf-
getreten, sie sei daher ein Arbeitsgebiet für beide.
Die beiden folgenden Vorträge waren der Wirtschaftsgeographie Nord-
und Mittel-Amerikas gewidmet.
Dr. Emil Deckert aus Steglitz sprach an der Hand voraüglicher Licht-
bilder und Diagranune nach eigenen Aufnahmen über die Ströme im
Wirtschaftsleben der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika. In
der Besiedlungsgeschichte dieses Erdteils haben die Ströme eine hervorragende
Bolle gespielt. Für die angelsächsischen und deutschen Ackerbaukolonisten
waren Delaware, Susquehanna, Potomac und Roanoke die großen Aufmarsch-
straßen empor zum Kamm des „Alleghany Mountain", und jenseits des (Je-
birgs lag ihre Haupteinfallspforte in das westliche Land geraume Zeit an
der Vereinigung des Monongahela und Alleghany, wo sie an Stelle des zer-
störten Forts Duquesne ihr Pittsburg aufbauten. Der Ohio ünig sie dann auf
ihrem Siegeszug talwärts, und nicht minder auf roh zusanmiengezimmerten
Flachboten den Überschuß ihrer Ernte- und Viehzuchterträge. Ein gewaltiges
Verkehrsleben erwachte auf den Strömen, als 1807 die Erfindung Robert
Fultons ihre Probe bestanden hatte, und 1853 zählten Scherzer und Wagner
an den Kais von St. Louis nicht weniger als 93 Dampfer, die sich zu ihren
Fahrten nach Neu-Orleans, Minneapolis, Florence, Nashville, Little Rock,
Cincinnati, Pittsburg, Kansas City und Fort Ben ton rüsteten. Ganz wesentlich
durch ihren Stromverkehr blühten St. Louis, Cincinnati und andere Städte in
jener Zeit zu großen Handelsmetropolen auf.
Im gegenwärtigen Wirtschaftsleben liegen die Verhältnisse wesentlich
anders. Da bietet zwar die Hudsonmündung, an der der Europäer seine
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 403
erste Bekanntschaft mit den nord-amerikanischen Strömen zu machen pflegt,
noch ein wahrhaft blendendes Wasserverkehrsbild mit seinen stattlichen
Salonfähren, seinen großartigen Exkursionsdampfem und seinen in den See-
verkehr hinein spielenden Lastbootkarawanen vom Eriekanal her. Stolz
aber blickt die East-Biver-Brücke auf das Wassertreiben herab mit ihrem
Zwanzig-Sekunden-Verkehr elektrischer Bahnen: man darf sie füglich als einen
Sieg der Schienenstraßen über die Wasserstraßen deuten. Sind doch zur Zeit
zwei andere East-River-Brücken im Bau begriffen, Tunnelunterftthrungen des
North-River aber beschlossen. Die überaus lebendigen Wasserverkehrsbilder
im Cuyahogaflusse bei Cleveland oder am Buffalo Creek bei Buffalo sind kaum
wirkliche Stromverkehrsbilder, denn die großen Lorenz -Seen haben verkehrs-
geographisch verschiedene Eigenschafben, die sie zur Kategorie von Binnen-
meeren erheben; und einen großen Teil seines Lastverkehrs hat der Hudson
auch nur, weil er durch den Eriekanal eine künstliche Ausgangspforte der
großen Seen geworden ist. Von einem Stromverkehr darf man aber bei
Pittsburg reden, das besonders durch die Kanalisierung des Monongahela im
westpennsylvanisch-westvirginischen Kohlenfeld einen gewaltigen Wasserfracht-
verkehr aufweist mit 8,8 Mill. Tonnen im Jahr 1899. Viel ruhiger geht es
bei Cincinnati zu, das kaimi noch die Hälfte des Dampferverkehrs der sech-
ziger Jahre zeigt und 1899 nur 2,1 Mill. Tonnen Wasserfrachtverkehr
hatte. Gegen Cairo hin macht der große Strom einfach den Eindruck starker
Verödung. Seine Regulierung unterhalb der Davis-Schleuse, 7 km unterhalb
Pittsburg, unterblieb besonders mit Rücksicht auf die ungeheuren Hochwasser,
die bei Cincinnati bis 21,7 m steigen, während im Spätsommer und Herbst
oberhalb Marietta das Fahrwasser bisweilen nur 45 cm, öfters aber nur
60 cm tief ist. Selbst bei St. Louis ist heute der Eisenbahnverkehr über die
beiden Mississippi-Brücken und die Stromfähren ungleich gewaltiger als der
eigentliche Strom verkehr (29 Mill gegen 670000 Tonnen). Auf dem oberen
Mississippi, wo die Naturverhältnisse für die Regulierung am günstigsten liegen,
und wo bis St. Paul das Fahrwasser jederzeit 1 m tief ist, verkehren im
ganzen 2,9 Älill. Tonnen, auf dem unteren Mississippi 2,2 Mill., und in Neu-
Orleans gehen noch 1 Mill. Tonnen durch die Stromschiffahrt ein. Die Win-
dungen, mehr aber noch die beständigen Lauf- und Fahrwasseränderungen
bereiten hier dem Wasserverkehr vielfach Verlegenheiten, Überschwemmungen
aber stiften furchtbaren Schaden. Vollständig erdrückt ist der Stromverkehr
auf dem Missouri, der den Anforderungen an eine brauchbare Schiffahrts-
straße in keiner Weise genügt, und auf dem selbst • zwischen St. Louis und
Kansas City keine Dampfer verkehren. Das vereinsstaatliche Ingenieur-Corps
sucht hier nur noch die großen Brücken sowie die Brückenstädte vor dem
gelegentlichen Fortgerissenwerden durch den wilden Strom zu bewahren.
Aus ähnlichen Gründen wie beim Ohio haben bei den süd-appalachischen
Strömen die Eisenbahnen das Wasserverkehrsleben leicht lahm legen können.
Die schiffbare Strecke bricht auch bei allen diesen Strömen an der so-
genannten Fallinie ab, und in ihrem Oberlaufe bieten sie nur der Industrie
stark wechselnde und schwer zu zügelnde Wasserkräfte.
Auf die neuengländischen Ströme sowie auf die von Michigan, Wiskonsin
und Kanada hat die Eiszeit ihre Wirkungen geltend gemacht: durch ihren
Schnellen reichtum können sie nur streckenweise der Schiffahrt dienen. Da-
gegen bieten sie verhältnismäßig wohl regulierte Wasserkräfte, und die
Industrie der Gegend ist durch sie hervorragend gefördert worden. Den
Kanufahrten bieten die Schnellen meist kerne unüberwindlichen Schwierig-
404 F. Thorbecke:
keiten, der Dampfschiffahrt wenigstens im Lorenzstrom nicht. Dieser ist
durch Seitenkanäle zu der besten nord-amerikanischen Schiffahrtsstraße aus-
gestaltet worden, ihr Hauptübelstand liegt indes in der 5 Monate andauernden
Eisbedeckung. Hervorragende kanadische Wasserbautechniker hegen die Hoff-
nung, daß die winterliche Stromsperre in Zukunft durch starke Eisbrecher
wesentlich abgekürzt werden kann.
Die Kordillerenströme dienen im allgemeinen nur der künstlichen Be-
wässerung und großen Kraftanlagen; zu ersterem Zweck hat man den Ar-
kansas, den Bio Grande del Norte u. a. in Colorado so gut wie vollkommen
ausgeschöpft. Nicht selten fordern die wilden Ströme aber für ihre Kultur-
dienste schweren Tribut, und es mag hier besonders auf das Bersten des
Hassayampa-Danmis in Arizona (1890) und des Austin-Dammes in Texas
(1900) hingewiesen werden. Für Kraftanlagen mit elektrischer Transmission
erweisen sich am günstigsten die ehemals vergletscherten Gegenden im Norden
und in den westlichen Hochgebirgen, vor allem in der Sierra Nevada.
Dr. Georg Weg euer aus Berlin sprach auf Grund einer in diesem
Frübjahr unternommenen Reise über den Panamakanal ^). Wegen der schon
weit vorgerückten Zeit beschränkte er sich auf einen Überblick über die ge-
schichtliche Entwicklung des Gedankens der Verbindung der beiden Welt-
meere, der schon in den Köpfen spanischer Conquistadoren spukte, bis auf
die neuere und neueste Zeit der französischen Kanal-Projekte und -Arbeiten,
die nach des Redners Meinung das Werk doch weiter gefördert haben, als
gemeiniglich vor allem bei uns angenommen wird, und zeigte dann die großen
Vorteile des alten französischen gegenüber dem neueren nord-amerikanischen
Konkurrenzplan der Durchstechung der Landenge von Nicaragua, der ja auch
tatsächlich bereits längst fallen gelassen ist, mit dem es den Vereinigten
Staaten auch wahrscheinlich nie recht ernst war. Die Weltpolitik, die die
Union seit dem spanisch-amerikanischen Krieg treibt, verlangte gebieterisch
die Abkürzung der Seeverbindung zwischen dem atlantischen und großen
Ozean; die Regierung sollte das verkrachte und dann formell wieder auf-
gerichtete französche Panamauntemehmen aufkaufen. An den hohen Forde-
rungen der französischen Gesellschaft schien der geplante Ankauf bereits zu
scheitern; da wurden im vorigen Jahre statt der ursprünglichen 109 nur
40 Millionen Dollai*s gefordert, ein Gesetz ermächtigte den Präsidenten
Roosevelt zum Ankauf.
Anfangs dieses Jahres mußte die kolumbianische Regierung in einem
Vertrag mit den Vereinigten Staaten diesen gegen eine einmalige Zah-
lung von 10 Millionen und eine jährliche Abgabe von Y^ Millionen Dollars
das Kanalgebiet för 100 Jahre verpachten. Die Oberhoheit Kolumbiens ist
zwar formell gewahrt, tatsächlich aber herrscht die Union politisch und
militärisch über den Kanal. Die Nord- Amerikaner haben den Vertrag schon
im März ratifiziert, die kolumbianische Volksvertretung berät ihn eben. Wie
die endgültige Entscheidung ausfällt, ist zweifelhaft. Wird der Vertrag auch
in Bogota genehmigt, werden die Amerikaner bei ihrer bekannten Tatkraft
den Kanal wohl in zehn Jahren vollenden. Bei einer Ablehnung wird man
in den Vereinigten Staaten auf das Nicaragua-Projekt zurückgreifen trotz der
größeren Kostspieligkeit dieses Schleusenkanals gegenüber dem Niveaukanal
1) Wir geben die Ausführungen Wegen er b nur ganz kurz wieder, da er
über den Panamakanal in einem der nächsten Hefte der G. Z. einen Aufsatz ver-
öffentlichen wird, der vor allem die verkehrsgeographische Bedeutung des neuen
^eewegs beleuchten soll.
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 405
von Panama. Mit einer Warnung vor einer Überschätzung dieses rein nord-
amerikanischen und allein den Vereinigten Staaten zu gute kommenden
Kanalprojekts bei uns in Deutschland schloß der Redner seine kurzen aber
inhaltsreichen Ausfühiomgen, die durch ein schönes Material an Karten und
Plänen erläutert wurden.
Prof. Dr. Wilhelm Halb faß aus Neuhaldensleben , der eifrige Vor-
kämpfer der Seenforschung in Norddeutschland, schilderte die Bedeutung
der Binnenseen für den Verkehr. Seine (wegen des überreichen Pro-
granoms der wirtschaftgeographischen Sitzung auf die letzte Nachmittags-
versanmilung verschobenen) Ausführungen gaben einen Überblick über die
verschiedenen Arten des Verkehrs auf den Seen und den heutigen Stand der
Binnenseeschiffahrt; sie decken sich der Hauptsache nach mit den entsprechen-
den Abschnitten der (in der 6. Z. 1902 S. 266 £f. erschienenen) Abhandlung
„die Binnenseen und der Mensch", auf die daher hier verwiesen sei*).
Die wirtschaftsgeographische Sitzung wurde mit einem Vortrag über die
Seehäfen der Rheinmündungen und ihr Hinterland von dem Privat-
dozent der Nationalökonomie Dr. K. Wiedenfeld aus Berlin beschlossen.
Die geographischen Bedingungen der Weltstellung eines Seehafens haben
im letzten Menschenalter in ihrer Wertung eine vollkommene Wandlung er-
fahren. Solange der Umschlag der zur See einkommenden und auf ihr
wieder ausgehenden Güter den Hauptanteil am Gesamtverkehr hatte, war
die Lage zu den großen Meeresstraßen das entscheidende geographische Moment,
so bei Karthago, Byzanz, Amsterdam, London. Jetzt sind durch die all-
gemeine Errichtung direkter Dampferlinien die Beziehungen zum Hinterland
so ausschlaggebend geworden, daß die Seelage ganz in den Schatten ge-
stellt ist. Diese Hinterlandsbeziehungen sind durch die Verdichtung der
Eisenbahnnetze vollständig umgewälzt worden; früher beherrschte jeder See-
hafen monopolistisch den ihm durch die natürlichen Verbindungen angeglie-
derten Landkomplex; heute lassen die sich vielfach kreuzenden Schienenwege
ein Monopol nicht mehr aufkommen, an seine Stelle ist ein allgemeiner Wett-
bewerb der überhaupt erreichbaren Seestädte getreten. In diesem Kampf um
das Hinterland sind die drei Bheinmündungsplätze durch die Natur denkbar
günstig gestellt; der Rhein übertrifft jetzt an Leistungsfähigkeit und Billig-
keit alle andern Straßen Europas: er trägt auf 560 km Schiffe von
1500 Tonnen Tragfähigkeit und auf weitere 140 km noch Schiffe von
800 Tonnen, während auf der Elbe nur auf 650 km Schiffe von nur
800 Tonnen verkehren. Außei-dem sind Maas und Scheide kanalisiert uud
führen den Einfluß von Rotterdam und Antwerpen noch nach Frankreich
hinein, wo ihnen allerdings, ebenfalls auf abgabenfreie Kanäle gestützt, Dün-
kirchen bald entgegentritt. Die Flußverbindung ist die Grundlage für den Massen-
güterverkehr: Getreide, Petroleum werden von der Rheinmündung bis in die
Schweiz und ins Donaugebiet tief nach Bayern hinein eingeführt; umgekehrt
versendet Bayern sein Holz, soweit es überhaupt zur Küste bestimmt ist,
auf dem Rhein. Diese Wirkung greift mn so weiter über das unmittelbare
Flußgebiet hinaus, je größer die Entfernung von der Küste ist; im Norden
liegen schon Dortmund \md Aachen etwa an der Grenze vom Einflußbereich
der drei Rheinhäfen. Für wertvollere Güter, bei denen Zeitverlust imd
Transportversicherung ins Gewicht fallen, schiebt sich der Schienenweg in den
1) Über den Vortrag von Dr. Friedrich Wickert aua Wiesbaden über den
Verkehr auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen werden wir im Anschluß
an die landeskundliche Sitzung berichten.
406 F. Thorbecke:
Vordergrund, hier wird die Tarifpolitik, die sich vielfach von den Entfer-
nungen unabhängig gestellt hat, maßgebend, und darin stehen die holländisch-
belgischen Plätze hinter Hamburg und Bremen zurück. Denn der Einfluß
der holländischen und belgischen Bahnen reicht nicht weit genug, um wirk-
sam den Kampf mit den deutschen, insbesondere den preußischen Bahnen
aufzunehmen. Die Bheinhäfen können von Glück sagen, daß sich die Rück-
sicht auf die Produktion des Rheingebiets von vornherein einem etwaigen
Versuch, sie von diesem Hinterland durch Maßnahmen der Eisenbahntarif-
politik abzuschneiden, entgegenstellt; nur ganz wenige Ausnahmetarife der
deutschen Bahnen sind ausschließlich auf den Verkehr mit den deutschen
Häfen beschränkt. Dies Bestreben, Hamburgs und Bremens Einfluß hierher
zu tragen, bedeutet aber eine starke Verschärfung des Wettbewerbs, die der
rheinischen Produktion und Konsumtion zu gute kommt; die Forderung der
Rheinschiffahrtsinteressenten, von dieser Tari^olitik abzugehen, ist ebenso ein-
seitig wie das Verlangen der Eisenbahnfanatiker, nur zur Erleichterung des
eisenbahnlichen Wettbewerbs die Ströme mit Abgaben zu belegen: weder
Schiffahrt noch Eisenbahnen sind Selbstzweck. Im Gegenteil beweist diese
Gegnerschaft nur, daß hier einmal umgekehrt wie wohl sonst die Eisen-
bahnen die Transportkosten nach unten drängen — naturgemäß, da es ja
der Rhein an Schnelligkeit und Sicherheit mit den Schienenwegen aufninunt,
diesen also nur das Moment der Billigkeit bleibt. Das Hinterland hat den
Vorteil von diesen Reibungen; die Seehäfen aber sind benachteiligt, da ihnen
namentlich von der Ausfuhr der Eisenfabrikate und der Einfuhr der Kolonial-
waren ein großer Teil genommen wird. Das trifft am empfindlichsten Amsterdam,
dessen ganzer Verkehr sich auf den Handel mit Produkten der holländischen
Kolonien aufbaut; aber auch Rotterdam, das so am Ausbau eines weit-
verzweigten Netzes von regelmäßigen Seeschiffahrtslinien verhindert wird; am
wenigsten Antwerpen, das in Belgien unmittelbar vor den Toren eines sehr
verkehrbedürftigen Hinterlandes liegt, dies sein eigen nennt und sich deshalb
freier bewegen kann. Im allgemeinen versorgt Amsterdam das Rheingebiet
selbst mit Kolonialwaren, zieht von der Ausfuhr aber nur wenig an sich
und geht auch über das Flußtal kaum hinaus, da ihm Hamburg in denselben
Artikeln entgegenarbeitet; Rotterdam ist Speditionsplatz für den Massengüter-
verkehr in Getreide, Erz, Petroleum und beschränkt sich daher ebenfalls auf
das unmittelbar vom Rhein abhängige Gebiet; Antwerpen dagegen ist haupt-
sächlich Ausfuhrhafen für die industriellen Fabrikate des ganzen Gebiets,
doch ist in den Spezialartikeln seines Eigenhandels, in argentinischem Ge-
treide, Baumwolle und Wolle, auch seine Einfuhr immerhin bedeutend.
Hamburg und Bremen, ganz im Süden auch Havre dringen mit ihren
Spezialartikeln, insbesondere Kaffee imd Baumwolle, bis ins Rheintal selbst
ein; in Massengütern müssen sie sich aber auf die Peripherie des Gebiets
beschränken. Wenn trotz alledem, obwohl das Rheingebiet an Produktions-
und Konsumtionski-aft unzweifelhaft die Elbegegenden Übertrifft, doch Ham-
burg den Seeverkehr der Rheinmündungshäfen beträchtlich hinter sich zurück*
läßt, so liegt dies daran, daß der Elbehafen dank der historischen Entwicklung,
die auch Altona und Harburg nicht aufkommen läßt, die einzige Öffnung
für das ganze Elbegebiet ist; in den Rheinverkehr teilen sich drei Seehäfen,
und es spricht eine deutliche Sprache, daß alle drei zu den Brennpunkten
des Weltverkehrs, zu den Welthäfen gezählt werden müssen.
In der Diskussion betonte der Bonner Nationalökonom Prof. Dr. Gothein,
daß sich schon vor der Zeit der Eisenbahnen ähnliche Konkurrenzen ab-
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 407
gespielt hätten; die Suprematie von Rotterdam und Amsterdam sei nur
möglich gewesen durch die Scheldespemmg nach dem westfälischen Frieden.
Seine weiteren Ausführungen wesentlich wirtschaftsgeschichtlichen Charakters
bezogen sich vor allem auf die den Großhandel beherrschende Stellung von
Frankfurt a. M. und seiner Messe bis ins XIX. Jahrhundert hinein im Kampf
der Land- mit den Wasserstraßen.
Prof. Eckert schloß sich im wesentlichen seinen Ausführungen an.
Wiedenfeld dagegen sieht den wesentlichen Unterschied zwischen einst und
jetzt darin, daß früher Alttraditionelles, heute der Wettbewerb den Verkehr
beherrscht, was er am Beispiel des Elsaß näher ausfährt. Das wesentliche am
Wettbewerb liegt für ihn darin, daß jeder Teil mit vollkommener Initiative
eingreift
Dr. Niermeyer aus Rotterdam führte aus, als Rotterdamer habe er
mit Interesse von Wiedenfelds AnsfÜhnmgen Kenntnis genommen. Rotterdam
habe in Amsterdam immer seinen größten Konkurrenten gefürchtet. Amster-
dam bleibe aber die große reiche Stadt, weil hier das Kapital sitzt Jetzt
fürchte Rotterdam ein Übergewicht Emdens, das den rechtsrheinischen Ver-
kehr an sich zu reißen drohe; er bitte die deutschen Geographen in Köln
um ihre Meinung darüber. Dr. Wiedenfeld kann keine feste Antwort geben,
sie hänge ab von der Fortsetzung des Dortmund -Ems -Kanals zum Rhein.
Dann müsse man allerdings der Meinung sein, daß den Rotterdamer Reedern
der Löwenanteil an diesem Verkehr zufallen werde. Man brauche nur das
Schmunzeln jedes Rotterdamer Reeders zu sehen, wenn man auf den Kanal
zu sprechen komme. In seinem Schlußwort hob Prof. Eckert hervor, daß
auch in der Erörterung über die Verkehrswege und Hafenplätze nur Nuancen
in der Auffassung der Geographen und Nationalökonomen zu Tage getreten
seien, und teilte dann noch mit, daß in wenig Wochen von Prof. Gothein ein
Werk über die Geschichte der Rheinschiffahrt erscheinen werde.
Schulgeographie.
Am Mittwoch Nachmittag fand die Sitzung der schulgeographischen
Sektion statt unter zahlreicher Beteiligung auch von Nicht- Schulmännern ;
Vertreter der Oberschulbehörden aber fehlten ganzi Prof. Kirchhoff aus
Halle a. S. präsidierte. Direktor Dr. Au 1er aus Dortmund erstattete den
Bericht über die Tätigkeit der auf der letzten Tagung in Breslau eingesetzten
Kommission für erdkundlichen Schulunterricht. An den Bericht
schloß sich eine lebhafte Diskussion an, in der die Geister oft heftig auf-
einander platzten; viele Wünsche wurden vorgebracht, alte, die auf jedem
Geographentag wiederkehren, und neue, alle aber waren einig in dem Haupt-
ziel, der Geographie eine ihrer wissenschaftlichen Stellung ent-
sprechende würdige Vertretung auch im Lehrplan der Oberstufen
unser höheren Schulen langsam aber stetig zu erwerben! Prof. Hettner be-
richtete über die Stellimg der Geographie in der neuen badischen Prüfungs-
ordnung, die ja unsem Lesern bereits bekannt ist. In die oben genannte
Kommission, die wohl in Folge ihrer Vielköpfigkeit (sie bestand aus 18 Mit-
gliedern!) bis jetzt erst eine geringe Wirksamkeit entfalten konnte, wurden
auf Vorschlag nur sieben Vertreter der Schulgeographie gewählt, darunter
Dir. Dr. Auler, Oberlehrer Heinrich Fischer in Berlin als einstweiliger Vor-
sitzender, Dr. Christ. Gruber in München, Oberlehrer Dr. Felix Lampe in
Berlin, Prof. Dr. Wolkenhauer in Bremen und Oberlehrer Dr. Zemmrich in
Plauen i. V.
408 F. Thorbecke: Der XIV. deutsche Geographentag in Köln.
Dann berichtete Direktor Dr. Steinecke aus Essen über die Reform-
schulen und den geographischen Unterricht mit besonderer Bücksicht
aufs Reform-Realgymnasium. Die Frankfurter Lehrpläne dieser neuen Schul-
gattung, nach Ansicht des Vorsitzenden der Schule der Zukunft, zeigten in
der Stellung der Geographie einen bedenklichen Rückschritt: Zwar waren ihr
in Quarta drei Stunden zugewiesen, dafOr aber in U III und ü II nur eine
gelassen, auf der Oberstufe fehlt der geographische Unterricht völlig 1 Es ist
das Verdienst Steineckes, hier eine gründliche Reform geschaffen zu haben:
nach dem neuen auf der Gasseier Reformschultagung im vorigen Jahre be-
schlossenen und vom Vertreter des preußischen Kultusministeriums warm
befürworteten Lehrplan wird die Geographie künftig in U in und 0 ÜI mit
2 Stunden vertreten sein; die 3 Stunden in IV sind geblieben und sollen
einer Vertiefung des an sich viel zu umfangreichen Pensums dienen. Die
Behandlung der Geographie der außerdeutschen Länder Europas soll, soweit
das auf dieser Stufe möglich ist, ozeanographische und wirtschaftliche Ver-
hältnisse in den Kreis ihrer Betrachtung ziehen. Den Vorschlägen Steineckes
haben sich bis jetzt angeschlossen die Reform-Realgymnasien in Essen, Rem-
scheid, Elberfeld, Lüdenscheid, Erfurt und Naumburg Der Geographentag
wünscht, daß auch an die andern diese Lehrpläne gesandt werden.
Reallehrer Dr. Steinel aus Kaiserslautem sprach über die Herstellung
von Ueimatskarten für das Deutsche Reich nach einheitlichen Gesichts-
punkten. Die nationale Bedeutung solcher Karten wurde schon von Kirch-
hof f betont. Das vorzügliche Kartenmaterial des Generalstabs und der Landes-
aufnahmen könne durch solche Heimatskarten auch breiteren Volksschichten
zugänglich gemacht werden. Doch sind die Kosten sehr hoch, ohne staatliche
Beihilfe sei an eine Verwirklichung dieses auch vom Geographentag sympatMsch
begrüßten Planes nicht zu denken. Bis zur nächsten Tagung soll das nötige
Material vorbereitet werden. Dr. Haack von Perthes' geographischer Anstalt
aus Gotha unterstützte in seinem Korreferat als Kartograph die AusfELhrungen
Steineis aufs wärmste. (Schluß folgt.)
Oeographisehe Neuigkeiten.
Allgemeines.
♦ Über die zweite internationale
BeiBmologische Konferenz der
Staaten - ABBOciation , welche in der Zeit
vom 24. bis 28. Jali 1903 in Straßburg
zuBammen treten wird, machte Prof Ger-
land, der Direktor der seismologischen
Centralstation zu Straßburg, auf dem
XrV. deutschen Geographentage ausführ-
liche Mitteilimgen. Danach sind der
internationalen Staaten -Association bis
jetzt 22 Staaten, darunter fast alle euro-
päischen, die Vereinigten Staaten von
Nord- Amerika, Mexiko und Japan, bei-
getreten und haben die Entsendung von
einem oder mehreren Delegierten zur
Konferenz zugesagt. Zunächst soll auf
der ' Konferenz die Konstituierung der
internationalen Staaten -Association, die
Beratung des Statutenentwurfs, die Wahl
des Centralbureaus und die Konstituierung
der permanenten Kommission vorgenom-
men werden. An zweiter Stelle will man
in eine Besprechung der wissenschaftlichen
Verhandlungen und Beobachtungen der
Association eintreten und den umfang
und die Art und Einrichtung der Be-
obachtungen feststellen. In den Kreis der
Beobachtungen sollen einbezogen werden:
a) Bewegungen, welche nicht durch Erd-
bebenstöße veranlaßt sind, Gesamtbewe-
gungen von Flächenteilen der Erdrinde,
langsame Bewegungen solcher Teile;
b) Bewegungen, welche durch Erdbeben-
stöße veranlaßt werden; c) seismische
Störungen der magnetischen Instrumente;
Geographische Neuigkeiten.
409
d) Nutzen und Anwendung der Seismologie
für praktische Fragen. Die Verhandlungen
über Art und Einrichtung der Beobach-
tungen sollen umfassen : a) Die Aufstellung
einer allgemeingültigen Intensitätsskala
für makro- und mikroseismische Beobach-
tungen; b) Bestimmung der Zeitrechnung
für die internationalen seismischen Be-
obachtungen; c) die Errichtung und Ver-
teilung der seismischen Beobachtungs-
stationen in den einzelnen Ländern;
d) Sammlung, Bearbeitung und Zentrali-
sierung der Erdbebenberichte der ver-
schiedenen Länder; e) die Wahl der
Beobachtungsinstrumente der Stationen;
f) Einigung über ein internationales
seismologisches Frageschema, über die
Verteilung und Beantwortung desselben.
Die Durchführung dieses auf breiter Grund-
lage ruhenden wissenschaftlichen Pro-
gramms wird in kurzer Zeit eine Fülle
wertvollen Beobachtungsmaterials zu-
sanunenbringen und die lange Zeit ver-
nachlässigte Seismologie kräftig fördern.
* Die Intensität der Beziehungen
zwischen Deutschland und den Ver-
einigten Staaten ist in stetem Wachsen
begriffen und macht bereits die Legung
eines zweiten Kabels zwischen beiden
Ländern nötig, nachdem erst im Jahre
1900 das erste deutsch - amerikanische
Kabel Emden-Azoren-Neu-York dem Ver-
kehr übergeben worden ist. Am 10. Mai
hat man in Borkum mit dem Legen des
zweiten deutsch - amerikanischen Kabels
begonnen, womit man bis zum 1. Januar
1906 fertig zu werden hofft. Das neue
Kabel wird in derselben Richtung und
mit denselben Stationen ausgeführt werden,
wie das erste; es wird jedoch etwas länger
werden als dieses, da es in einigem Ab-
stand von demselben, das in der günstigsten
graden Linie zwischen den Endpunkten
Hegt, geführt werden muß. Die Zahl
der gebrauchsfähigen Kabel nach
Amerika wird durch das neue auf fünf-
zehn erhöht, die sechs verschiedenen Ge-
sellschaften gehören. Nur für die deut-
schen Kabel, das bereits liegende und das
jetzt zu legende, bildet Neu-Tork selbst
den Endpunkt; die anderen Kabel landen
an anderen Stellen der amerikanischen
Küste und erhalten entweder durch be-
sondem Anschlußkabel oder durch Land-
verbindung Anschluß an Neu- York. (Nach
Globus. 88. Bd. S. 364.)
Deutschland und Nachbarländer.
♦ Diejetzige Bedeutung der Weich-
sel als Schiffahrtsstraße entspricht
keineswegs der Wassermenge und der
Länge dieses gewaltigen Stromes, da seine
Schiffahrtsverhältnisse auf russischem Ge-
biete mangels jeder Flußregulierung noch
wenig entwickelt sind und deshalb das
ausgedehnte Hinterland für den auf deut-
schem Gebiete liegenden Unterlauf des
Flusses nur von geringer Bedeutung ist.
Zur Beseitigung dieses Übelstandes führt
die deutsche Regierung gegenwärtig diplo-
matische Verhandlungen wegen der Weich-
selregulierung auf russischem Gebiete. Sie
verlangt nicht nur die Eröffnung einer
internationalen Handelsverbindung auf der
Weichsel, sondern betont auch die Not-
wendigkeit der Eröfinung eines Weges
für ausländische Dampfer und Kähne im
ganzen Weichselgebiet, d. h. auf dem
Narew, dem Bug, der Warthe und den
übrigen schiffbaren Nebenflüssen. Gegen-
wärtig werden Dampfer unter der rus-
sischen Flagge nicht zum Befahren der
Weichsel auf deutschem Gebiete zugelassen,
um dadurch das russische Verkehrs-
ministerium zu schnellerer Regulierung
dieses Flusses auf russischem Gebiete zu
veranlassen. Nach Ausführung der Weich-
selregulierung von Nieszawa bis Zawichost
wird die deutsche Regierung Dampfer
unter russischer Flagge zum freien Ver-
kehr auf ihrem Teile der Weichsel zu-
lassen, worüber ein besonderes Abkommen
geschlossen werden soll. Mit der Regu-
lierung der Weichsel auf russischem Boden
wird dann auch eine Beschleunigung der
Dnjester-Regulierung behufs Verbindung
des Baltischen mit dem Schwarzen Meere
verbunden sein.
Cbriges Europa«
♦ Der Anschluß des Triangu-
lationsnetzes von Sardinien an
dasjenige des europäischen Kon-
tinents, der von der Internationalen
Geodätischen Association im Jahre 1900
wegen wichtiger Pendelbeobachtungen im
Mittelländischen Meere als besonders
wünschenswert bezeichnet wurde, ist im
Laufe des Jahres 1902 durch das italienische
militärgeographische Institut durchge-
führt worden. Zwischen den beiden Trian-
gulationsnetzen von Sardinien und Corsika
bestand keine Verbindung, obschon Cor-
Ooographitohe Z«itocbrift. 9. J»hrgaog. 190S. 7. Heft
28
410
Oeograpiiisclie Neuigkeiten.
flika, allerdings durch ältere, nicht zu-
verlässige Messungen, an das europäische
Kontinentalnetz angeschlossen ist. Eine
direkte Verbindung der 1878 durch das
italienische militärgeographische Institut
ausgeführten Triangulation Sardiniens mit
dem Festland hielt man bisher wegen der
großen Entfernung zwischen beiden und
wegen der geringen Höhe der sich gegen-
überliegenden Küsten für undurchführbar.
Erat der 1890 vollendete Anschluß des
geodätischen Netzes von Malta an das
von Sicilien zeigte die Möglichkeit der
Verbindung, die mit Benutzung der tos-
kanischen Inseln Giglio, Monte Christo
und Elba ausgeführt wurde. Die größte
Visierlinie zwischen dem Mte. Capanne
auf Elba und dem Mte. Nieddu auf Sar-
dinien hatte eine Länge von 232 km,
jedoch war es ein leichtes, des Nachts
bei günstigen atmosphärischen Verhält-
nissen mittels Acetylenlichts eine auch
dem bloßen Auge sichtbare optische Ver-
bindung zwischen beiden Punkten herzu-
stellen. Wenn es die Umstände erlauben,
will man auch das corsische Netz über
Sardinien an Italien anschließen, um die
auf dieser Insel durchgeführten geo-
dätischen Arbeiten der modernen Wissen-
schaft dienstbar zu machen. (Annales de
Geogr. 1903. S. 272.)
Afrika.
♦ Die Bemühungen, die Strom Ver-
hältnisse des Nils auf seinem
ganzen Laufe zum Zwecke einer ge-
regelten und vermehrten Wasserzufuhr
nach Ägypten und dem Nil -Delta zu
verbessern, werden seitens der englisch-
ägyptischen Regierung mit großem Eifer
fortgesetzt. So ist im Mai 1903 der
Unterstaatssekretär im ägyptischen Mini-
sterium, Gastin, von einer Forschungs-
reise zurückgekehrt, die er zu dem Zweck
unternommen hatte, die Entstehimgsorte
der Nilschwelle zu untersuchen und an
Ort und Stelle über die verschiedenen,
nach ihrer Vereinigung den weißen Nil
bildenden Flüsse ein Urteil zu gewinnen.
Gastin besuchte zunächst den Viktoria-
Nyansa und die Niponfälle, erreichte dann
den Albert-Edward-See und folgte dessen
Nordküste bis zum Semliki, den er dann
später nochmals nördlich vom Ruwenzori
berührte. Schließlich untersuchte er den
Albert-Nyansa und den Viktoria-Nil und
folgte dann dem Bahr-el-Dschebel über
Wadelai, Dufil^ und Gondokoro, von wo
ein Dampfboot der Sudanregierung ihn
nach Chartum zurückbrachte. Das Haupt-
ergebnis der Reise ist wohl die nunmehr
erlangt Gewißheit, daß über die Hälfte
des Lado erreichenden Nilwassers auf der
Strecke zwischen diesem Ort und dem
No-See in den Ufersümpfen verloren geht.
Die Beseitigung dieses Ubelstandes durch
Reinigung des Flußbettes von schwinunen-
den Pflanzenmassen und die Aufführung
ausgedehnter Uferbauten wird nun nach
Vollendung der Stauwerke bei Assuan in
Angriff genommen werden, zumal man
auf die ebenso wichtige Aufstauung des
den blauen Nil speisenden Tsana-Sees
aus Rücksicht auf die Empfindlichkeit
Meneliks verzichten zu wollen scheint.
* Die Eröffnung des Sudans vom
Roten Meere aus durch den Bau einer
Eisenbahn von Suakin nach Berber
bildet gegenwärtig eine der wichtigsten
Aufgaben der englisch-ägyptischen Ver-
waltimg. Für die Vermessung der Linie
sind bereits 200 000 JC ausgeworfen,
während für die Verbesserung der Hafen-
verhältnisse in Suakin 620000 JC bestimmt
sind. Nach der Ansicht Lord Cromers,
des Chefs dieser Verwaltung, ist wegen
der großen Entfernungen das Niltal bis
zum Verschiffungshafen Alexandrien nicht
der natürliche Ausweg für den Sudan,
höchstens für Waren, die eine hohe Fracht
vertragen, wie Elfenbein und Gummi
arabicum, während die Gewinnung von
Stapelwaren wie Baumwolle nur dann
lohnen kann, wenn der kürzere Zugang
zur See offen ist. Auf der anderen Seite
müssen dem Sudan manche Waren auf
einem billigeren Wege als dem bisherigen
zugeführt werden, so z. B. Steinkohle, die
in Khartum noch 80 JC die Tonne kostet.
Für Ägypten würde allerdings die neue
Eisenbahn von Nachteil sein, da es nach
ihrer Vollendung den Durchgangshandel
nach dem Sudan verlieren würde; jedoch
würden sich die schon jetzt bedeutenden
Handelsverbindungen zwischen Indien und
dem Sudan noch inniger gestalten und
zu einem indischen Monopol des Sudan-
handels fuhren.
Mit ebenso großem Eifer setzen anderer-
seits Italien und Frankreich ihre
Bemühungen fort, von ihren Besitzungen
am Roten Meere aus Verkehrslinien zu-
Geographische Neuigkeiten.
411
nächst nach Abessinien and von dort
ans später nach dem Sudan zu schaffen
und Handelsbeziehungen daselbst anzu-
knüpfen. So meldete am 2ö. Mai ein
Teleg^mm aus Dschibuti, daß die Tele-
graphenlinie von Dschibuti nach
Addis Abeba fertiggestellt und damit
die Hauptstadt Abessiniens an das Welt-
telegraphennetz angeschlossen worden sei.
Über den Anschluß von Addis Abeba an
das Welttransportverkehrsnetz gibt Auf-
schluß ein im nächsten Heft erscheinender
kleiner Aufsatz von V. E 1 e i s t über F r a n k -
reiohs äthiopische Eisenbahn.
Die Bemühungen Italiens sind vor-
läufig darauf gerichtet, durch den Bau
einer Handelsstraße von Massauah nach
der Westgrenze Erythräas einen Teil des
Handels des westlichen Abessiniens und
des östlichen Sudans von dem Wege über
Eassala-Suakin ab- und nach Massauah
hinzulenken, ursprünglich sollte diese
neue Handelstraße bis zum Atbara führen ;
da aber Italien durch den italienisch-
englisch-abessinischen Vertrag vom 16. Mai
1902 vom Atbara ausgeschlossen wurde,
entschloß man sich zum Bau einer Han-
delsstraße, welche die Flüsse Gasch und
Setit verbinden und etwa 60 km lang
werden wird; 10 km davon sind schon
ausgebaut. Die Straße geht von der
Einmündung des Sitlona in den Setit
ans, folgt dem Flüßchen aufwärts bis
Tanacu, durchschneidet die Berge von
Kogiga und trifft den Gasch bei Docam-
bini; dann begleitet sie diesen aufwärts
bis nach Mai Dato und wendet sich hier
nordwärts nach Agordat zu, von wo auä
später eine Eisenbahn über Keren nach
Asmara gebaut werden wird. Offenbar
hat diese Handelsstraße eine große Zu-
kunft, da das Nordufer des Tsana-Sees,
wo Menelik den Italienern wertvolle Kon-
zessionen verliehen hat, von Ombrega am
Setit nur 260 km entfernt ist. Nach
Ombrega führen auch alte Handelswege
von Suk-Abusin imd Metemmeh, den etwa
170 km entfernten Hauptorten der suda-
nischen Provinzen G^edaref und Gralabat,
und von hier aus ist der Weg nach Mas-
sauah um ein Drittel kürzer als über
Eassala nach Suakin.
* Die wirtschaftliche Entwick-
lung und Angliederung der einver-
leibten Burenrepubliken Oranje-
Freistaat und Transvaal seitens der
älteren britischen Kolonien in Südafrika
macht stetige Fortschritte. So versucht
jetzt die Regierung von Natal einen Hafen
für Transvaal zu schaffen und hat zu
diesem Zwecke die Küste des Sululandes
untersuchen lassen. Es handelt sich da-
rum, auf dem kürzesten Wege und mit
einer noch zu erbauenden Bahn, die aus-
schließlich durch britisches Gebiet führt,
die Produkte des Randgebietes ans Meer
zu bringen. Die bisherige Verbindung
zvnschen Transvaal und dem Meere wurde
durch die in portugiesischem Besitz be-
findliche und in dem portugiesischen Hafen
Beira endende Eisenbahn hergestellt. Für
den zu erbauenden Hafen kamen die Bai
von St. Lucia und die Lagune ümhlatusila
in erster Linie in Betracht. Da aber die
erstere örtlichkeit neben vielen andern
Fehlem eine ungesunde Umgebung hat,
so empfiehlt man jetzt nur die Lagune
Ümhlatusila zum Ausbau, deren Aus-
mündung 68 km südlich vom St. Lucia-
fiuß und 70 km nördlich vom Tugela liegt.
Soweit die Tiefe nicht ausreicht, kann sie
leicht durch Baggern vergrößert werden,
auch ist die Lage gesund und Süßwasser
in der Nähe vorhanden. Die Kosten des
Hafenbaus werden auf etwas über 20 Mill.
Mark geschätzt. Durch die im Anschluß
an den neuen Hafen zu erbauende Eisen-
bahn würde nicht nur Transvaal sondern
auch Sululand eröffnet werden; sie vnirde
die Hauptlinie etwa bei Volksrust er-
reichen und die kürzeste und beste Linie
nach dem Randgebiet darstellen. Deshalb
würde sie auch einen großen Teil des
Verkehrs der Delagoabai und der portu-
giesischen Eisenbahn Beira-Transvaal an
sich ziehen und das angelegte Kapital
gut verzinsen. (Nach Globus Bd. 83 S. 866.)
Nord- Amerika.
t Der Wiederaufbau der Stadt
Galveston, die im September 1900 durch
eine Sturmflut fast gänzlich zerstört wurde,
legt ein bedeutsames Zeugnis ab för die
Tatkraft des amerikanischen Volkes. In
Gemeinschaft mit der Southern Pacific
Railroad Company, deren Eisenbahn-
anlagen ebenfalls vernichtet worden waren,
wurde nach Anhörung einer Sachverstän-
digen-Kommission ein 17 600 Fuß langer
imd 16 Fuß hoher Damm gegen das Meer
hin errichtet und mit dem Wiederaufbau
der Stadt begonnen. Man hofft, daß dieser
28*
412
Geographische Neuigkeiten.
Damm eine Wiederholung der Sturmflut
vom Jahre 1900 verhindern wird. Außer-
dem wurde der Grund und Boden, auf
dem die neue Stadt aufgebaut ist, um
10 Fuß erhöht; zu den dem Staate Texas
hieraus entstehenden Kosten im Betrage
von 8 000 000 Doli, soll die Stadt 17 Jahre
lang anstatt der Steuern jährlich den
Steuerbetrag an den Staat abfahren. Die
Kosten für den Dammbau belaufen sich
auf 1 800 000 Dollars.
* Die Alaska-Forschung seitens
der U. S. G«ological Survey wird im
Sommer 1908 mit demselben Eifer
früherer Jahre fortgesetzt werden und
sich hauptsächlich auf Kartierung und
geologische Aufnahme erstrecken. In
erster Linie ist die Vollendung der Er-
forschung der Seward- Halbinsel, auf
welcher sich die wichtigsten Qoldvor-
kommen des ganzen Territoriums finden,
ins Auge gefaßt'; man hofft durch diese
eingehende Untersuchung weitere Kennt-
nis über die Art des Gold Vorkommens in
Alaska überhaupt zu erhalten. Zur
Erforschung des Yukon - Golddistriktes
werden zwei Expeditionen ausgerüstet;
die eine unter Gerdine wird eine topo-
graphische Aufnahme des Fortymile-
Distrikts westwärts bis zum Tananafluß
und wenn möglich der Goldfelder am
unteren Tanana ausführen, die andere
wird eine geologische Untersuchung und
Prüfung der Erzvorkommen im Fortymile-
und Birch-Creek und am unteren Tanana
anstellen. Die stratigraphischen Verhält-
nisse am oberen und unteren Yukon, be-
sonders in Bücksicht auf die Lagerung
der kohlefiihrenden Schichten, wird Dr.
H oll ick weiter untersuchen, während
C. Schrader zuerst die Petroleum- und
Kohlenfelder auf der Kayak-Insel und an
der ControUer-Baj und später diejenigen
am Cook-Inlet auf ihre Ausdehnung und
Ausbeutefähigkeit untersuchen soll. Im
südöstlichen Alaska wird Dr. Spencer
auf Grund einer im vorigen Jahre her-
gestellten Karte den Juneau-Minendistrikt
eingehend studieren.
Die kürzlich erfolgte Entdeckung
neuer reicher Goldvorkommen an einigen
Nebenflüssen des Tanana im Gircle-City-
Distrikt erfolgte in einem Gebiete, wo
einige Jahre vorher amerikanische Gold-
gräber trotz eingehendsten Suchens GU>ld
nicht zu finden vermochten. Die neuen
Minen sollen von außergewöhnlichem
Reichtum an Gold sein und haben einen
gewaltigen Zuzug von Goldgräbern aus
Dawson City und anderen Distrikten ver-
ursacht.
Polargegenden«
* Die diesjährige, zweite Nord-
polarexpedition, welche der Ameri-
kaner William Ziegler auf seine Kosten
ausrüstet und entsendet, hat Ende Juni
Trondjem auf der Dampfyacht „Amerika"
verlassen. Nach dem Expeditionsplane
soll das Schiff in diesem Sommer soweit
wie möglich nach Norden vordringen, im
Herbst nach Franz Josef-Land zurück-
kehren und dort überwintern. Möglichst
früh im Jahre 1904 soll dann der Vor-
marsch nach dem Pole beginnen, wobei
die „Amerika'^ die Expedition begleiten
wird. Im Juni 1904 soll eine Hilfsexpe-
dition unter dem Befehle von S. Chamy
der Expedition neue Lebensmittel zuführen
und sie dann nach Haus geleiten. Leiter
der Expedition ist der 88 jährige Ameri-
kaner Anthony Fiala, der die vor-
jährige, von Ziegler ausgesandte Nord-
polarexpedition als zweiter Offizier mit-
gemacht hat ; zweiter Offizier ist W i 1 1 i a m
J. Peters von der U. S. Geological Survey,
der schon ausgedehnte Schlittenreisen in
Alaska gemacht hat. Außer 200 Schlitten-
hunden hat die Expedition 80 sibirische
Ponies mitgenommen, die sich auf der vor-
jährigen Expedition verwendbarer als die
Hunde erwiesen haben. Die übrigen Teil-
nehmer der Expedition einschließlich der
Bemannung sind Amerikaner. (Nat. Geogr.
Mag. 1903. S. 261.)
♦ Durch die glückliche Rückkehr
der deutschen Südpolarexpedition
nach Südafrika (S. 848) ist nicht nur von den
deutschen Geographen, die die erfreuliche
Nachricht bei Eröffnung des Kölner G^eo-
graphentages mit lautem Jubel begrüßten,
sondern von allen Deutschen eine drückende
Last genommen worden. War doch der
1. Juni, der äußerste von Prof. v. Drygalski
bezeichnete Termin für das Eintreffen einer
Nachricht von der Expedition oder für
die Rückkehr derselben, herangekommen,
ohne daß wir die geringste Kunde von
der Expedition erhalten hätten, so daß
Befürchtungen wegen des Schicksals der
Expedition einigermaßen berechtigt waren
und die Aussendung einer Hilfisexpedition
Geographische Neuigkeiten.
413
beschlossen wurde. Die am 1. Jnni aus
Laurenzo Marquez und am 2. aus Durban
eingetroffenen Telegramme über die Rück-
kehr der „Gauß" haben aber noch recht-
zeitig alle Befürchtungen zerstreut und
uns das Wohlbefinden der gesamten Ex-
peditionsmitglieder gemeldet. Nähere
Nachrichten über den Verlauf und die Er-
gebnisse der Expedition liegen zur Zeit
noch nicht vor, werden aber hoffentlich
alsbald nach Eintreffen der sofort ab-
gesandten Berichte in authentischer Form
veröffentlicht werden, ohne sie wie die
bisherigen Expeditionsberichte für die
^^Veröffentlichungen des .Instituts für
Meereskunde** zu reservieren. In großen
Zügen ist der Verlauf der Expedition fol-
gender gewesen: Nach der Abreise der
Expedition von den Eergueleninseln wurde
bereits am 14. Februar Treibeis angetroffen;
am 22. Februar auf 66^ 2' südl. Br. und
89<> 48' östl. L. war das Schiff vom Eise
eingeschlossen und man entschloß sich in
der unmittelbaren Nähe einer neuentdeck-
ten Insel, welcher man den Namen Kaiser-
Wilhelm n.-Land gab, zur Oberwinterung.
Das neu entdeckte Land war mit Aus-
nahme eines erloschenen Vulkans mit Eis
bedeckt; hier lag die Expedition fast ein
Jahr lang im Eise fest. Die Mannschaft
bezog die Winterquartiere, die wissen-
schaftlichen Arbeiten und Beobachtungen
nahmen ihren ungestörten Fortgang. Als
nach Jahresfrist die Winterquartiere
schließlich geräumt werden konnten, war
die Jahreszeit schon sehr fortgeschritten;
furchtbare Schneestürme und Nebel mach-
ten die Weiterfahrt äußerst gefährlich und
ließen den ursprünglichen Plan, den Bück-
weg durch das Wedell-Meer zu nehmen,
als zu gewagt erscheinen; deshalb ent-
schloß man sich zur Rückkehr. Das Schiff
ging nordwärts und verließ die Eisregion
am 8. April 1903; auf der Weiterreise
wurde St. Paul und Neu-Amsterdam an-
gelaufen, und am 12. Mai traf die „Gauß'*
südlich von Mauritius die norwegische
Bark „Garcia", der sie die ersten Mit-
teilungen über den glücklichen Verlauf
der Expedition übergab. Die Mitglieder
der Expedition erfreuten sich einer guten
Gesundheit, es ereignete sich kein Krank-
heits- oder Unglücksfall. Das Schiff zeigt
außen Spuren vom Festsitzen im Eise, hat
sich aber sowohl auf hoher See wie im
Eise vortrefflich bewährt. Proviant war
noch für zwei weitere Jahre genügend vor-
handen; es wurde eine Nahrungsmittel-
station errichtet und Stangen als Weg-
weiser für spätere Expeditionen wurden
an sichtbaren Stellen aufgepflanzt. Als
Hauptergebnis der Expedition mögen die
Entdeckung eines neuen Landes und die
über ein Jahr lang exakt durchgeführten
wissenschaftlichen Beobachtungen der ver-
schiedensten Art anzusehen sein. Die
während der Expedition gemachten Samm-
luiigen sind bereits auf dem Wege nach
Berlin.
* Die im Laufe des Monats Mai ein-
getroffenen brieflichen Mitteilungen
seitens der Teilnehmer der englischen
Südpolarexpedition bestätigen vollauf
die telegraphischen Berichte über den
günstigen und erfolgreichen bisherigen
Verlauf dieser Expedition und schaffen
auch Klarheit über die bisher noch be-
stehenden Zweideutigkeiten in den ge-
meldeten Ortsangaben. Als die wichtigste
geographische Entdeckimg ist wohl die
festgestellte Tatsache anzusehen, daß die
Vulkane Erebus und Terror auf einer
verhältnismäßig kleinen Insel liegen, daß
die sogenannte Mc Murdo-Bai in Wirk-
lichkeit eine Meeresstraße ist und daß
an der Westküste der Mc Murdo-Straße
mächtige Binneneismassen bis zu 9000 Fuß
Höhe ansteigen Diese Eismauer erstiegen
Armitage und Shakleton auf ihrer
beschwerlichen Schlittenreise. Kapitän
Skott entdeckte auf einer nach Süden
gerichteten Schlittenreise ein ausgedehntes
Festland, welches von Gebirgszügen bis
zu 14 000 Fuß Höhe durchzogen wird.
Das am östlichen Ende der großen Eis-
mauer entdeckte Land scheint mit Viktoria-
Land nicht zusammenzuhängen und wurde
von Kapitän Skott König Eduard VH-
Land benannt. Das Entsatzschiff „Moming"'
entdeckte auf seiner Fahrt nach Viktoria-
Land unter dem Polarkreise zwei neue
Inseln. Wegen schwieriger Eisverhält-
nisse vermochte die „Moming" nur bis
auf 8 km an die eingefrorene „Discovery"
heranzukommen, die Verbindung zwischen
beiden Schiffen wurde durch Schlitten
hergestellt. Das Wetter war während
des letzten Jahres besonders schlecht ge-
wesen und wurde auch kurz vor der Ab-
fahrt der „Moming" schon wieder kälter
und stürmischer. Skott bedauerte das
Festsitzen der „Discovery" im Eise be-
414
Geographische Neuigkeiten.
sonders deshalb, weil er, anstatt znm
zweitenmal zu überwintern, lieber nach
Neu -Seeland zurückgefahren und nach
dem antarktischen Winter wieder nach
Viktorialand zum dritten Sommer zurück-
gekehrt wäre. Die wissenschaftlichen
Beobachtungen wurden während des zwölf-
monatigen Festsitzens im Eise auf der
„Discovery" mit der peinlichsten Sorgfalt
ausgeführt und damit wurde der Haupt-
zweck der Expedition, eine 12 Monate
umfassende Beobachtungsreihe aus der
Antarktis zu erhalten, ebenso wie von
der deutschen Südpolarezpedition voll-
kommen erreicht.
* Da seit dem Herbste 1902 von der
schwedischen Südpolarexpedition
(S. 178) keinerlei Nachrichten wieder nach
Europa gelangt sind, hegt man über ihr
Schicksal die schwersten Besorgnisse und
hat sich deshalb zur Aussendung einer
Hilfsexpedition entschlossen (S.348). Von der
schwedischen Regierung sind zu diesem
Zwecke 200 000 Kronen bewilligt und
außerdem sind von privater Seite noch
über 50 000 Kronen gesammelt, so daß
die Aussendung der Hilfsexpedition für
Ende Sommer 1908 gesichert ist Der
Führer der Expedition, die für drei Jahre
ausgerüstet werden wird, wird der schwe-
dische Kapitän Gylden sein, der, gegen-
wärtig 36 Jahre alt, im Jahre 1901 das
Schiff „Antarktik" auf der Gradmessungs-
expedition nach Spitzbergen geführt hat.
Da der Hauptzweck der Expedition die
Aufsuchung Nordenskjölds auf der
„Antarktik" sein soll, so wird der Schwer-
punkt hierauf und nicht auf wissenschaft-
liche Forschungen gelegt werden und des-
halb wird wahrscheinlich außer dem Zoo-
logen Frhr. Klinkowström kein Ge-
lehrter die Reise mitmachen. Die schlimm-
sten Befürchtungen hegt man wegen der
Seetüchtigkeit der „Antarktik", da das
alte Schiff kaum noch den schwierigen
Eisverhältnissen des Südpolarmeeres ge-
wachsen sein dürfte und man deshalb ein
der Expedition verhängnisvoll gewordenes
Schiffsunglück fürchtet. Nach der Mei-
nung des Prof Nathorst, welcher der
schwedischen Regierung als Sachverstän-
diger zur Seite steht, muß die beabsich-
sichtigte Hilfsexpedition Ende August
oder Anfang September von Schweden ab>
gehen, um Ende November im Forschungs-
gebiete eintreffen zu können. Die Nach-
forschungen sollen dann zunächst dem
Dr. Bodman gelten, der mit einem Manne
der Besatzung bei Snow-HiU zurück-
geblieben ist, als Nordenskjöld dem
Plane gemäß die Reise nach König Oskar-
Land antrat, von der er noch nicht
zurückgekehrt ist.
Nach einer Mitteilung von Prof Hau-
thal aus La Plata erwartete man in Ar-
gentinien für Ende April von der schwe-
dischen Südpolarexpedition Nachrichten
über den Verlauf der Sommerkampagne
sowie über den Zustand der Expedition.
Diese Nachrichten, die der Leiter der Ex-
pedition, Dr. Otto Nordenskjöld, selber
mit Bestimmtheit für spätestens Ende April
zugesagt, sind ausgeblieben ; die hierdurch
hervorgerufene Beunruhigung ist groß und
im Wachsen begriffen. Da hat der Direktor
des La Plata-Museums, Dr. F. T. Moreno,
früher Sachverständiger im argentinisch -
chilenischen Grenzstreit, die Initiative er-
griffen und die argentinische Regierung auf
die dringende Notwendigkeit hingewiesen,
so bald wie möglich eine Hilfsexpedition
auszusenden, um die „Antarktik" aufzu-
suchen. Die argentinische Regierung hat
nun am 7. Mai beschlossen, eine solche
Expedition auszurüsten, es herrscht nur
darüber noch Zweifel, ob ein für die
antarktischen Gewässer taugliches Schiff
im Auslande erworben werden oder ob
ein geeignetes Schiff der argentinischen
Flotte genommen werden soll. Der Marine-
minister ist der Ansicht, daß das argen-
tinische Kanonenboot „Uruguay" sehr
wohl geeignet sein dürfte. Dasselbe ist
in seinen Verhältnissen der „Antarktika*
sehr ähnlich, hat eine Geschwindigkeit
von 8 Knoten, einen Gehalt von 290 Ton-
nen, ist 148 Fuß lang, 26 Fuß breit und
hat einen Tiefgang von 17*/, Fuß. Diese
Hilfsexpedition würde aber nicht vor dem
Beginne des antarktischen Frühjahres,
also wohl erst im September, abgesandt
werden können.
Bücherbesprechungen.
415
BQcherbespreehaBgen.
Bnge^ S« Columbus. 2. Anfl. V a.
214 S. 3. Abb. u. 2. K. „Geistes-
helden (Führende Geister)". 6. Bd.
Berlin, E.Hoftnann&Co. 1902. JL 2.40.
Nach etwa zehnjährigem Zwischen-
ramn erscheint hier in neuer Auflage die
lebensvolle Darstellung einer der meist
genannten Persönlichkeiten der Welt-
geschichte. Der Verfasser entwirft ein
trefflich abgerundetes Bild seines Helden,
den er freilich nicht bedingungslos jenen
wahren „Geisteshelden" anreihen mag,
welche sonst die Sammlung bietet. Denn
Columbus war noch ganz im Doktrinaris-
mus des Mittelalters befangen und ver-
mochte die weittragende Bedeutung seiner
Tat nicht im entferntesten zu ermessen,
am allerwenigsten aber als fahrender
Geist sich aufzuspielen. Auf Grund seiner
umfassenden Quellen- und Literaturkennt-
nisse liefert der Verfasser dem weiteren
Leserkreise eine ansprechende Lektüre,
dem Fachmann ein willkonmienes Orien-
tierungsmittel über den gegenwärtigen
Stand vieler Einzelfragen der wissen-
schaftlichen Forschung. Den Schluß des
Buches bildet ein Literaturverzeichnis.
K. Kretschmar.
Testa, Oscar M. L'avvenire della
geografia. IVu. 84S. Napoli, Pierro
e Figlio 1903.
Dieses Schriftchen des Verfassers, der
Professor am technischen Institute zu
Neapel ist, knüpft an an dasjenige, wel-
ches derselbe früher erscheinen ließ (La
geografia modema nei suoi rapporti con
la scienza, Napoli 1888), und welches
durch das gerade von Gerland ausgegebene
Programm, mit dem er die „Beiträge zur
Geophysik" eröffnete, veranlaßt war. Da
Italien gerade gegenwärtig an allen me-
thodologischen und didaktischen Bestre-
bungen lebhaftesten Anteil nimmt, wie
am besten die „Atti'^ des Mailänder geo-
graphischen Kongresses (1901) beweisen,
so darf jede von dort zu uns heruber-
klingende Stimme auf Beachtung rechnen.
Es bekümmert den Verf., daß die Erd-
kunde, soviel auch ex- und intensiv für
sie in den letzten Jahren geschehen sei,
gleichwohl sich „in einer mißlichen Lage**
befinde, weil sie, gut deutsch herausge-
sagt, nicht recht wisse, was sie wolle.
Mancher, so der Unterzeichnete, wird
denken, daß das Unglück nicht so groß
sei, weil eine junge, nach Selbständigkeit
und Freiheit ringende Wissenschaft nicht
gewillt ist, sich gleich wieder auf einem
formalistischen Streckbette die Glieder
zurecht richten zu lassen. Von allen mög-
lichen Disciplinen müsse sie sich unter-
stützen lassen; gewiß, das beweist eben,
daß ihr eine centrale Stellung im wissen-
schaftlichen Gesamtorganismus zukonmit.
Darum kann Referent auch nicht bei-
stimmen, wenn an einer Reihe deutscher
und anderer Werke der Mangel methodi-
scher Korrektheit gerügt wird, und er
fürchtet, daß das Streben nach solcher
die Forschungstätigkeit geradezu gefähr-
den könnte. Im zweiten Kapitel wird
an der Hand der geschichtlichen Entwick-
lung zu zeigen gesucht, wie sich die An-
sichten über das Wesen der Geographie
im Laufe der Zeiten wandelten; so recht
habe das doch eigentlich nur ein einziger
verstanden ; nicht etwa Peschel, der einige
Schuld daran trage, daß die Geographie
sich vom rechten Wege verloren, sondern
filisäe R^clus, „addirittura geniale". Da-
mit ist für die summarische Betrachtung
des dritten Kapitels und der folgenden
Abschnitte der Fingerzeig gegeben: Geo-
graphie ist Länderkunde im Reclusschen
Sinne, und sowohl Ratzeis „Anthropo-
geographie", die an einem sie beeinträch-
tigenden „inneren Fehler" leidet, wie
auch Gerlands Betonung der Geophysik
verlieren damit die Berechtigung, der Erd-
kunde als solcher anzugehören; es sind
sozusagen Outsiderwissenszweige. Die Geo-
graphie ist ihrer Natur nach eine synthe-
tische Wissenschaft; ihre Synthese ist —
das läßt sich nicht gut übersetzen —
„spaziale e localizzatrice". Neidlos läßt
sie der Geologie, der Ozeanographie, der
Meteorologie, was diesen Nachbargebieten
angehört, und nach der historisch-sozio-
logischen Seite verhält sie sich ebenso.
Dann wird das ,, Chaos" geklärt, das
methodologische Problem endgültig ge-
löst sein.
Der Berichterstatter verkennt in keiner
Weise, daß der Autor folgerichtig denkt
imd scharfe Schlüsse zu ziehen weiß, so
416
Bücherbesprechungen.
daß anch Bein Schloßergebnis, wenn man
ihm die Prämisse zugibt, unangreifbar
dasteht. Deswegen wird die kleine Schrift
auch in Deutschland, wo man vielfach
ähnliche Anschauungen hegt, gewiß Bei-
fall finden. Wir selbst allerdings stehen
von vornherein auf einem anderen Stand-
punkte, halten das Aufsuchen und Ab-
zirkeln von Grenzlinien für nicht unbe-
denklich und treten, wenn wir uns eines
in der Politik jetzt gebräuchlich gewor-
denen Ausdrucks bedienen dürfen, ent-
schieden für die „Greater Geographj" ein.
S. Günther.
AmbrosiaS) E« Die Volksdichte am
deutschen Niederrhein. (For-
schungen zur deutschen Landes- und
Volkskunde. Bd. Xm. Heft 3.) 116 S.
2 K. u. 3 Textill. Stuttgart, Engel-
hom 1901. .*: 9.60.
Nach einer Einleitung, durch die wir
mit der einschlägigen Literatur bekannt
gemacht werden, behandelt der Verfasser
im I. Abschnitte die verschiedenen Me-
thoden zur Darstellung der Volksdichte.
Auf die nach der relativen Methode auf
Grundlage der Gemeindegemarkung ge-
zeichnete Volksdichtekarte, welche 10
Dichtestufen in verschiedenen Farben aus-
prägt, hat Ambrosius femer alle Siede-
lungen in topographischem Sinne, d. h.
nur ihrer Lage bezw. Form nach, aber
ohne Rücksicht auf die absolute Zahl der
Bewohner eingetragen, um dadurch zu-
gleich einen Überblick über die Besied-
lungsverhältnisse zu geben. Hierbei wurden
Einzelsiedlungen durch Punkte, Häuser-
gruppen aber durch kleine offene Ringe
bezeichnet. Diese Darstellungsweise konnte
in einem Gebiet, wo die zerstreute Sied-
lungsweise vorherrscht, genügen, während
in Gebieten, in denen die Haufensiedlung
vorwieget, das Interesse, außer von der all-
gemeinen Volksdichte auch von der Größe
der Ortschal'ten und der Häufung der Be-
wohner ein klares Bild zu erhalten, um
die (lunst oder Ungunst einer Ortlichkeit
für menschliches Wohnen möglichst deut-
lich zu erkennen, wohl eine Zuhilfenahme
der absoluten Methode verlangt.
Es folgt ei^ie recht klare geographische
Beschreibung des zur Darstellimg ge-
wählten Gebietes, wobei 6 Naturgebiete:
1) das Gebiet der östlichen Randhöhen,
2) das Rheintal, 3) die linksrheinischen
Hügelgmppen, 4) das Nierstal und 6) das
Gebiet der westlichen Grenz-Höhen und
-Moore unterschieden werden.
An dritter Stelle werden die Ursachen
der Volksdichte untersucht. Diese Arbeit,
die man als eine gründliche volkswirt-
schaftliche Studie bezeichnen kann, war
für den Verfasser insofern recht inter-
essant, als das Gebiet nicht bloß aus den
oben angegebenen 5 Naturgebieten be-
steht, sondern im S und SO auch in den
rheinischen Industriebezirk hinübergreift,
wo neben Ackerbau und Viehzucht, den
beiden Haupterwerbsquellen im größten
Teile des Gebiets, plötzlich Industrie,
Handel, Verkehr und zum Teil auch Berg-
bau als wichtigste Nährquellen einer dort
viel dichteren Bevölkerung auftreten. Die
verkehrsreichen Rheinhäfen Ruhrort und
Duisburg fallen noch mit in den Rahmen
der Arbeit, und auf der linken Rheinseite
schneidet das Gebiet unmittelbar an der
Stadtgrenze von Ejrefeld ab. So ergab sich
eine Fülle von Ursachen der Volksdichte, die
vom Verfasser überall geschickt hervorge-
hoben und nebeneinander gestellt wurden.
16 Seiten Tabellen vervollständigen
die Schrift und illustrieren die vorher-
gehenden Hauptabschnitte. Für den, der
sich mehr in die Schrift vertiefen will,
bieten sie viel Interessantes.
Die beiden Karten hätten an Über-
sichtlichkeit bedeutend gewonnen, wenn
nicht die Namen der Flüsse und auf der
Höhenschichtenkarte auch die der Ort-
schaften fortgeblieben wären, da das Auf-
suchen von örtlichkeiten, entgegen der An-
sicht des Verfassers, zuweilen mit Schwie-
rigkeiten verbunden war. Kerp.
StokTiSy A« Führer durch Ostfries-
land, die Nordsee-Bäder, Jever
und Umgebung, kl. 8«. XVI
u. 192 S. 63 Bilder, 6 K. Emden,
Schwalbe, o. J. (1902).
Das kleine Buch gehört zur Klasse
der besseren Lokalführer. Geht der Ver-
fasser auch nirgends tiefer auf geogra-
phische Fragen ein, zu denen gerade
Natur und Siedelungen Ostfrieslands so
oft Anlaß geben würden, so sucht er doch
nicht bloß dem Touristen, sondern auch
dem Einheimischen ein möglichst reich-
haltiges,vorwiegend allerdings historisches,
Material zu bieten. Die geographische
Einleitung möchte man aber viel ausfuhr-
Buch erb esprechungen.
417
lieber wünschen, sie läßt manchen wich-
tigen Punkt ganz nnberührt. Die zahl-
reichen ninstrationen , unter denen sich
auch einzelne Landscbaftstjpen befinden,
stellen vorzugsweise seltener abgebildete
(Gebäude u. a. dar. Die Karten mögen
ausreichen; för die Übersichtskarte, welche
Marsch, Geest und Moor zu unterscheiden
sucht, wäre aber eine andere Wahl der
Farben gewiß zweckmäßiger gewesen.
F. Hahn.
Mejers Reisebflelier« Deutsche Alpen
2. Teil. 7. Aufl. 12«. Xu u. 878 S.
27 K., 5 Pläne, 8 Panoramen. Leipzig,
Bibl. Inst. JL 4.50.
Von Heinrich Kucharz sachkundig
bearbeitet, ist das Reisehandbuch bis auf
den neuesten Stand gebracht — bei dem
raschen Aufeinanderfolgen der Auflagen
keine leichte Arbeit. Auch diese 7. Auf-
lage hat alle die bekannten, in dieser
Zeitschrift schon besprochenen Vorzüge
ihrer Yorgängerinnen. Sieger.
Rothpletz^ A. Geologischer Führer
durch die Alpen. I. (Jebiet der
zwei großen rhätischen Überschie-
bungen zwischen Bodensee und dem
Engadin. (Sammlung geologischer
Führer. Bd. X.) XIV u. 256 S.
81 Textfig. Berlin, Gebr. Bomtiäger
1902. JL 4.—.
In der Einleitung wird die geologische
Propädeutik — Unterscheidung sedimen-
tärer, krjstalliner und eruptiver Gesteine,
Grundlagen der Tektonik sowie eine
Schichtentafel des Exkursionsgebietes
knapp und klar behandelt. Ein Verzeich-
nis der vorhandenen topographischen und
geologischen Karten sowie der wichtigsten
Literatur ist in aller Kürze im Vorwort
gegeben. Die Einleitung enthält endlich
auf wenigen Seiten eine kurze theoretische
Auseinandersetzung über „Bau und Alter
der Alpen*', d. h. die anderwärts ausföhr-
licher dargestellten Ansichten des Verf.,
die besonders in der kühoen und kaum
zu haltenden Hypothese von zwei enormen
von Ost nach West bewegten Überschie-
bungen gipfeln. Das heutige Alpengebirge
entstand durch Faltungen in der Mitte
der Tertiärzeit und zwar in zwei Etappen
(mittleres Oligocän und jüngeres Miocän).
Die Unterscheidung dieser beiden Fal-
tungsphasen wird für das Engadin vom
Verf. so gedeutet, daß während des Oli-
gocän eine G«birgsbildung in der Rich-
tung von SO nach NW erfolgt sei.
Später bewegte sich dann eine zweite
„rhätische Faltung** in der Richtung von
0 nach W. Den schon in anderem Sinne
stärker gefalteten Schichten konnte eine
weitere Zusammenpressuug nicht mehr
zugemutet werden, und so erfolgten dann
— auf den zwei flachen Schubflächen —
zwei große Zerreißungen. Auf diesen flach
gegen W ansteigenden Flächen wurden
die hangenden über die liegenden Ge-
birgsmassen viele (mehr als 70) Kilometer
weit fortgeschoben.
Von den zwei Hauptschubmassen
wurde 1) die westliche über das stehen
gebliebene basale Gebirge der Westalpen,
2) die Östliche in ähnlicher Weise über
den westlichen Überschiebungskuchen hin-
wegbewegt. Die östliche Schubmasse,
also die obere der beiden, wird als obere
rhätische Überschiebung, die west-
liche Masse, also die tiefer liegende, als
die untere rhätische Überschiebung
bezeichnet. Das Ausmaß des Horizontal-
schubes soll nach dem Verf. bei der west-
lichen (unteren) „mindestens 40 km", bei
der östlichen 80 km betrageu.
Erst nach diesen mannigfachen Be-
wegungen ist die zweite allgemeine jung-
miocäne Hebung erfolgt, bei der das
Gefüge des Gebirges nur noch schwache
Verbiegungen, aber vielfach Zerreißungen
und Verwerfungen erfuhr. Die Ansichten
des Verf. sind nicht als das Ergebnis
ausgedehnter Kartierungen anzusehen,
sondern beruhen meist auf einzelnen Ex-
kursionen, wie sie in den 18 folgenden
Kapiteln (Allgäu, Vorarlberg, Rheintal,
Graubünden-Glarus) geschildert werden *).
So wenig man in den Alpen und in dem
vorliegenden Exkursionsgebiet das Vor-
handensein von Überschiebungen an sich
bestreiten wird*), so erscheint es doch
1) Nur über das geotektonische Pro-
blem der Glamer Alpen hat Verf. eine
Karte nebst ausführlicher Darstellung ver-
öffentlicht.
2) Es sei nur daran erinnert, daß das
in dem Buch behandelte Gebiet auch die
Glamer Doppelfalte oder die Glamer
Überschiebung umfaßt, über deren innere
Lagerung das Urteil aller urteilsfähigen
Geologen durchaus feststeht; nur darüber
ist ein Zweifel möglich, ob eine Doppel-
418
Bücherbe Sprech ungen.
geboten, gegenüber dem 70 -Kilometer-
Schübe und dem Wechsel der Richtung
bei den Falten und Schubmassen das Er-
gebnis der £inzelaufnahme abzuwarten.
So fragt z. B. Steinmann auf Grund des
Nachweises f daß in dem leicht zugäng-
lichen und gut zu übersehenden Jura-
gebirge eine anfänglich von allen Seiten
angenommene Überschiebung lediglich
einen einfachen Einbruch darstellt, mit
Rücksicht auf die rhätischen Schubmassen :
„Wie werden die nach den neuesten
Theorien massenhaft übereinander ge-
schichteten Überschiebungskuchen im
Alpengebirge den Detailuntersuchungen
gegenüber standhalten?^'
Die Schwierigkeiten, die der Alpen-
geologe zu überwinden hat, beruhen vor
allem in der Versteinerungsarmut oder
Leere großer Gesteinsmassen. Je nach-
dem man z. B. den fossilleeren Röthi-
Dolomit der Dyas (Verf. und Heim) oder
der Trias (Tobler, E. Philippi, Ref.)
zurechnet, wird die Entscheidung über
das Vorhandensein normaler oder ver-
kehrter Lagerung anders ausfallen.
Bei der Beschreibung der einzelnen
Exkursionen des Führers treten diese
Überschiebungshypothesen jedoch gegen-
über den durch Profile und Landschafts-
skizzen erläuterten Tatsachen in den
Hintergrund. Frech.
Nissen^ Heinrieh. Italische Landes-
kunde. 2. Bd. 2. Hälfte. 522 S.
Berlin, Weidmann 1902. Jt 8.—.
Mit der zweiten Hälfte des zweiten
Bandes, die der ersten erfreulich rasch
gefolgt ist, liegt nun Kissens grund-
legendes Werk zur altitalischen Landes-
kunde vollendet vor, um gewiß für lange
Zeit einen zuverlässigen Führer zum Ver-
ständnis der Geschichte Alt - Italiens,
namentlich der Begründung der Macht
Roms zu bilden. Im unmittelbaren An-
schluß an die erste Hälfte und ganz in
gleicher Weise behandelt diese Rom, die
Städte von Latium, Campanien und der
übrigen Landschaften Süd-Italiens bis zur
Meerenge. Geschichtlich besonders wich-
tige Gegenden werden besonders genau
nach ihrer Topographie geschildert,
namentlich auch in Bezug auf etwaige
falte oder eine einfache nordwärts ge-
richtete Überschiebung vorliegt.
seit dem Altertum eingetretene Ver-
änderungen im Gelände. Einzelne Siede-
lungen werden sorgsam durch die Jahr-
hunderte nach ihrer geschichtlichen Ent-
wickelung verfolgt mit steter Rücksicht
auf die einwirkenden geographischen Be-
dingungen. Zu den anziehendsten Kapiteln
gehört das Apulien gewidmete, wo wir
freilich gern die Frage etwas näher unter-
sucht gesehen hätten, ob die heute
menschenleeren weiten Räume zwischen
den großen Siedelungen nicht doch im
Altertume teilweise von kleinen Siede-
lungen bedeckt waren, wofür manches
spricht. Die hier in dem trockenen, alles
wohl erhaltenden Boden so lohnende
Gräberforschung wird vielleicht auch für
diese Frage mehr Licht bringen. Die
Geschichte der Weidewirtschaft und ihrer
Begleiterscheinungen ist uns ^besonders
anziehend erschienen. Daß neuere geo-
graphische Forschungen anscheinend
grundsätzlich unverwertet geblieben sind,
muß auffallen. Vielleicht wurde es doch
möglich gewesen sein, hier und da die
geographischen Faktoren schärfer hervor-
zuheben. Th. Fischer.
Nenfeld-Mttnchen^ C. A« Illustrierter
Führer durch Bosnien und die
Hercegovina. (A. Hartlebens Dl.
Führer Nr. 66.) 92 S. 31 Abb., 1 K.
Wien u. s. w., Hartleben 1908.
Seitdem Bosnien und die Hercegovina
als österreichisches Occupationsgebiet der
gebildeten Welt erheblich näher gerückt
worden sind als zur Türkenzeit, kommen
sie wegen ihrer landschaftlichen Schön-
heiten und wegen der Eigenart ihrer Be-
wohner als Touristenziel immer mehr in
Aufnahme und werden nicht mit Unrecht
das Reisegebiet der Zukunft genannt.
Die musterhafte Verwaltung des Landes
läßt es an Fürsorge für die Reisenden
nicht fehlen xmd hat für ein weitver-
zweigtes Netz trefflicher Straßen, för
Eisenbahnen, Unterkunft (auch in den
abgelegeneren Gegenden) und vor allem
für vollkommene Sicherheit Sorge ge-
tragen. Eine Durchwanderung des Occu-
pationsgebietes ist deshalb ein in jeder
Beziehung lohnendes Unternehmen und
findet einen sehr brauchbaren Ratgeber
in dem vorliegenden Führer, der den
illustrierten „Führer durch Dalmatien^'
desselben Verlages (G. Z. 1902. S. 602)
Bücherbesprechungen.
419
unmittelbar fortsetzt. Trotz seines gerin-
gen Umfanges von 92 Seiten entspricht
er allen Anforderungen, die man bei
einem der Touristik noch zu erschließen-
den Lande an ein solches Handbuch stel-
len kann.
Auf eine kurze Zusammenstellung der
wichtigsten Wörter in deutscher und
serbischer Sprache folgt ein sehr knapper
geographischer und geschichtlicher Abriß.
Daran reihen sich praktische Winke über
Reisezeit und Beiseprogramm, Ausrüstung,
Verkehrsmittel (die Bedürfnisse der Rad-
fahrer finden ebenfalls Berücksichtigung)
u. s. w. Hierauf werden in sieben, im
wesentlichen den Eisenbahnen und Post-
straßen folgenden Routen die hauptsäch-
lichsten Wanderungen beschrieben und
nach Art der gebräuchlichen Reiseführer
die geographischen, geschichtlichen, kul-
turlichen und sonstigen Merkwürdigkeiten
der einzelnen Gegenden und Ortschaften
angegeben. Der Verf. hat sein Reise-
gebiet durch eigene Anschauung genau
kennen gelernt — nur die Angaben über
den Ausflug zum Durmitor (nicht Dor-
mitor, S. 71) sind etwas unklar — und
beschränkt sich zum Unterschied von den
„Reiserouten in Bosnien und der Herce-
govina^^ desselben Verlages nicht auf
die bequem zu bereisenden Heerstraßen,
sondern behandelt auch die weniger be-
kannten, darum aber nicht minder inter-
essanten Grenzgebiete z. B. die hercego-
vinisch-montenegrinischen Alpen, die von
Osterreich besetzten Teile des türkischen
Sandiaks Novipazar und die Floßfahrt
auf der Drina. Soweit des Referenten
Erfahrungen reichen, ist das gut aus-
gestattete und wie alle Hartlebenschen
Führer reich illustrierte Buch ein zuver-
lässiger Führer. Nur die beigegebene
Übersichtskarte ist wegen ihres kleinen
Maßstabes (1 : 760000) nicht genügend,
und unter den wenigen zur Orientierung
empfohlenen Werken (S. 18) durften die
ausgezeichneten Bücher von G. Capus,
A travers la Bosnie et THerz^govine (Paris
1896) und Milena Preindlsberger-
M r a z o V i c (aus Sarajevo), Bosnisches
Skizzenbuch (Leipzig und Dresden 1900)
auf keinen Fall fehlen. K. Hassert.
PldlippBon, Alfred. Beiträge zur
Kenntnis der griechischen In-
selwelt. 4^. 172 S. 4E. (Eizänzungs-
heft Nr. 134 zu „Petermanns Mit-
teilungen*^) Gotha, Justus Perthes.
JC 10.—.
Nach Abschluß seiner grundlegenden
Arbeiten auf dem griechischen Festlande
hat sich Philippson demjenigen Gebiete
Griechenlands zugewendet, dessen Kennt-
nis bisher am dürftigsten geblieben war,
der Inselflur des Ägäischen Meeres. Nur
wenige der zum Königreiche Griechen-
land gehörenden Kjkladen und Sporaden
waren vorher eingehender erforscht wor-
den, wie Thera (Santorin) und Melos; für
manche fehlte seit dem Erscheinen der
„Inselreisen" von L. Roß jegliche landes-
kundliche Arbeit. Die Grundzüge einer
Darstellung der ägäischen Inselflur —
soweit sie zum Königreiche gehört — ver-
danken wir nunmehr Philippson, welcher
die Ergebnisse seiner Bereisung der Aegaeis
im Sommer 1896 in dem vorliegenden
stattlichen Hefte niedergelegt hat.
Trotz der Kürze der ihm zur Ver-
fügung stehenden Zeit hat es der energi-
sche Forscher ermöglicht 21 Inseln zu
besuchen, unter denen mehrere durch ihn
die erste Darstellung in geologischer Hin-
sicht erfahren haben. Wiederum hat
Philippson seine Fähigkeit bewährt, in
kürzester Zeit eine Fülle trefflicher Einzel-
beobachtungen zu machen und sie unter
einheitlichen Gesichtspunkten zu einem
Gesamtbilde zu vereinigen. Dies gilt
insbesondere für die Erkundung des geo-
logischen Baues, nicht minder aber für
die Darstellung der Oberflächengestal-
tung. Die Kartographie der Inseln wurde
im Rahmen der Küstenumrisse, welche
die britische Admiralitätskarte bot, we-
sentlich gefördert und vor allem das Ter-
rain auf Grund eigener Anschauung und
Aneroidbestimmungen durch Isohypsen von
je 100 m Vertikalabstand in sehr aus-
drucksvoller Weise dargestellt. Dieselben
beiden Blätter in 1 : 300 000 liegen der
geologischen Karte zu Grunde, welche natur-
gemäß genau bekannte und skizzenhaft
angelegte Partien vereinigt. Der erste
Teil der Abhandlung teilt die Beobach-
tungen des Verfassers für jede einzelne
Insel mit, berücksichtigt jedoch auch die
ältere Literatur. Der zweite Teil gibt die
Zusammenfassung. Der Abschnitt über
Stratigraphie weist auf die Probleme hin,
welche trotz der Fortschritte der Erkennt-
nis durch Neumayr, Teller, Bittner, Lep-
420
Bücherbeeprechangen.
Sias, Philippson n. a. noch vorliegen. Zu
dem Kapitel Bau und Oberflächengestalt
vermiBse ich die schöne Karte des Ver-
fassers aus den Annales de Geographie
1898, welche die Leitlinien der Faltungen
und die Bruchlinien zur Darstellung bringt.
Das Kapitel über Klima, Vegetation und
Kultur schöpft im wesentlichen aus der
Literatur.
Vor allem in physischer Hinsicht hat
Philippson für die ägäischen Inseln eine
Grundlage geschaffen, auf welcher nun-
mehr — wenn auch eine eingehendere Er-
forschung der einzelnen Inseln sich nicht
erübrigt — ein besseres Verständnis dieser
Inselflur sich aufbaut. Leonhard.
Krahmer, Rußland in Asien. Bd. VI.
Die Beziehungen Rußlands zu
Persien. gr. 8. 126 S. Leipzig,
Zuckschwerdt & Co. 1903. JC 8.—.
Der als ausgezeichneter Kenner der
russischen Kolonialarbeit in Asien be-
währte Verf. führt uns in der yorliegenden
Schrift auf ein Gebiet, welches volle Auf-
merksamkeit verdient. Der lebhafte Wett-
bewerb Rußlands und Englands um die
endgültige Erringung des entscheidenden
Einflusses auf Penden in politischer wie
in wirtschaftlicher Hinsicht ist eine der
wesentlichsten Fragen unserer Zeit. Es
wird zunächst gezeigt^ wie Rußland schon
im 15. Jahrhundert zu Persien in Handels-
beziehungen trat, die aber erst durch die
Eroberungen Peters des Großen am
Schwarzen und am Kaspischen Meere für
Rußland Wert und Bedeutung gewannen.
Peters Nachfolger kämpften mit wechseln-
dem Glück um die Landschaften im Süden
des Kaukasus und vermochten eigentlich
erst nach Bezwingimg der Kaukasusvölker
eine folgerichtige Ausdehnungspolitik
gegen Persien einzuleiten; ja man kann
sagen, daß Rußland an keiner Stelle
Asiens so langsam, so zögernd vorgegangen
ist als gerade gegen Persien hin, das
doch so offen vor Rußland liegt. Der
Grund mag darin zu suchen sein, daß
Persien ein altes, in sich abgeschlossenes
Kulturland ist, welches zwar nur noch
als ein Schatten seiner einstigen Blüte
erscheint, aber trotzdem dem russischen
Andrängen einen kompakteren Wider-
stand entgegensetzt als die menschen-
leeren und herrenlosen Länder Ostasiens, j
Seit den letzten 20 Jahren ist Rußland |
mit ganz außerordentlichem Erfolg in
Persien tätig gewesen und hat durch
Handelsverträge, Anleihen, Konzessionen
fOr Straßen-, Eisenbahn- und Bergbau
einen ganz gewaltigen Vorsprung ge-
wonnen. An der Hand eines sehr reich-
haltigen, amtlichen Materials weist der
Verf. nach, daß Persien in wirtschaft-
licher Beziehung durch seine großen
natürlichen Schätze und durch die Ent-
wicklungsfähigkeit seiner Hilfsquellen ein
fast noch unbeackertes, aber sehr aus-
sichtsreiches G^ebiet ist. Wie aber Ruß-
land im Norden Persiens mit Hilfe seiner
Eisenbahnen in Kaukasien und Trans-
kaspien sowie der Dampfschiffahrt auf
dem Kaspischen Meere seinen wirtschaft-
lichen Einfluß mehr und mehr zur Geltung
brachte, so hat sich England aufs nach-
drücklichste bemüht, vom persischen Golf
her Süd -Persien wirtschaftlich zu be-
herrschen. Obwohl auch Rußland keine
Kosten imd Mühen scheut, ebenfalls am
persischen Golf festen Fuß zu fassen, so
steht England hier doch noch im Vorder-
grunde, was der Verf. zahlenmäßig treffend
nachweist. In neuester Zeit haben die
Engländer fOr einen Handelsweg aus
Indien durch Belutschistan und Kirman
nach Meschhed gesorgt, um auch hier die
Fortschritte Rußlands zu bekämpfen. Wir
können uns dem Gedanken nicht ver-
schließen, daß Rußlands Aussichten in
dem vorliegenden Buche doch wohl etwas
optimistisch beurteilt werden. Gewiß hat
Rußland auch in Persien große Eisenbahn-
pläne und hofft auf gewaltiges Empor-
blühen seines Handels. Wird es aber
möglich sein, daß Rußland gleichzeitig
an zwei Stellen — in Persien und in Osi-
asien — eine so hochfliegende Politik
treibt? Der Verf. zollt den Russen vollen
Beifall und beweist dies mit schlagenden
Gründen aus Rußlands bisheriger Politik.
Wenn wir an dem unbesiegbaren Fort-
schreiten Rußlands in mancher Hinsicht
zweifeln, so kann dies trotzdem die Hoch-
schätzung des trefflichen Buches nicht
herabmindern, dessen klare und geistvolle
Darstellung den Leser bis zum Schlüsse
fesseln wird. Das Werk sei bestens em-
pfohlen! ImmanueL
Geistbeok, MichaeL Leitfaden der
mathematischen und physika-
lischen Geographie für Mittel-
Neue Bücher und Karten.
421
schulen und Lehrerbildungs-
anstalten. 22. u. 23. Aufl. 168 S.
Viele m. Preiburg i. B., Herder 1902.
JL 1,40.
Die neue Auflage des vortrefflichen
Leitfadens verdient durchaus das Lob,
das einer früheren in dieser Zeitschrift
gespendet werden konnte. Der Verfasser
hat bei Bearbeitung derselben die neuere
einschlägige Fachliteratur gewissenhaft
verwertet. Die Anordnung des Stoffes ist
unvei^ndert geblieben. In den Abschnit-
ten über mathematische Geographie sind
naturgemäß nur wenige Zusätze hinzu-
gekommen (z. B. die Erwähnung des Pla-
neten Eros). Etwas umfangreicher sind
die Veränderungen in dem 2. Teil, der
physikalischen (besser hieße es wohl
physischen) Erdkunde. So ist z. B. der
Abschnitt über C^birgsbildung umgearbei-
tet und durch einige neue Abbildungen,
schematische Darstellungen der Haupt-
gebirgsformen bereichert. Wir können
das Buch auch in dieser neuen Bearbei-
tung auf das wärmste empfehlen.
R. Langenbeck.
Neue Bttcher und Karten.
AllgeMelaee.
Baschin, 0. Bibliotheca Geographica.
Hrsg. V. d. Ges. f. Erdkde. zu Berlin.
Bd. Vm. Jahrg. 1899. XVI u. 511 S.
BerHn, Kühl 1902. Jt 8.—.
Pitzner, R. Deutsches Eolonial-Hand-
buch. Nach amtlichen Quellen bear-
beitet. Ergänzungsband 1908. IV u.
242 S. Berlin, Paetel 1908. JL 8.—.
Meyers GroßesKonversations-Lexi-
kon. 6. Aufl. 3. Bd. Bismarck- Archipel
bis Chemnitz. 922 S. Leipzig, Bibl.
Inst. 1908. JL 10.—.
■mtheniAtieche Geo^aphle.
Schmidt, W. Astronomische Erdkunde.
Vm u. 281 S. Tettabb. u. 8 Taf. Wien,
Deuticke 1908. JL 7.—.
Vital, A. Die Kartenentwurfslehre. VIII
u. 96 8. 19 Textabb. u. 4 Taf. Wien,
Deuticke 1908. JL 6.—.
AllgfMelae phynlsche Geographie.
Bulletin des r^sultats acquis pen-
dant les courses p^riodiques
publik par le bureau du conseil per-
manent international pour Tex-
ploration de la mer avec Tassistance
de M. Knudsen. Ann^ 1902—1903.
No. 1. Aoüt 1902: S. 1—46. 2 K.
No. 2. Nov. 1902. S. 47—112. 2 K.
Kopenhagen, H0st u. Söhne.
Mazel, A. Künstlerische Gebirgsphoto-
graphie. Aus dem Französ. übersetzt
von G. He gg. 174 S. 12 Taf. Berlin,
Gust. Schmidt 1908. JL 4.—.
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nen physischen Geographie. Begleit-
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Verzeichnis von Glas-Photogra-
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Ratzel, Fr. Politische Geographie oder
Geographie der Staaten, des Verkehrs
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1908. JL 6.—.
Gempeler-Schletti, David. Heimat-
kunde des Simmentais. 90 Abb. u. 8 K.
in 1 : 200 000. 6 Lief, zu Ft. 1.— =
JL —.80. Lief. 1. Bern, Francke 1903.
Beschreibung des Oberamts Heil-
bronn. Hrsg. V. d. K. Statist. Landes-
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Penck und Brückner. Die Alpen im
Eiszeitalter. Lief. 6. Leipzig, Chr.
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AoAerdevtichet E«rop».
Brachelli, H. F. Die Staaten Europas.
Statistische Darstellung. 6. Aufl. Hrsg.
422
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ningar vid Göteborgs HOgskola. XITT.)
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Bibl. Inst. 1908. JC 6.60.
Baedeker, K. Mittel-Italien und Rom.
Handbuch für Reisende. 13. Aufl. LXXX
u. 484 S. 1 Panorama von Rom, 1 An-
sicht des Forum Romanum, 1 Wappen-
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Ardouin-Dumazet. Vojage en France.
27. S^rie: Bourbonnais et Haute-Marche.
348 S. 27 K. Paris, Berger-Levrault
& Co. 1903. Fr. 8.60.
Das 8. 28. Särie: Limousin. 338 S. 26 K.
Paris, ebda. 1903. Fr. 3.60.
Dass. 29. Serie: Bordelais et Perigord.
407 S. 31 K. Paris, ebda. 1908. Fr. 3.60.
▲tlen.
Schaffer, Franz X. Cilicia. (Ergän-
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v. Brandt, M. Die Zukunft O&tasiens.
Ein Beitrag zur Geschichte und zum
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3. Aufl. IV u. 118 S. Stuttgart,
Strecker & Schröder 1903. .IC 2.60.
Hedin, Sven. Meine letzte Reise durch
Inner-Asien. (Angewandte Geographie.
I. Serie. 6. Heft.) XIV u. 60 S. 1 K.,
I Abb. Halle a. S., Gebauer-Schwetschke
1903. JC 1.60.
Weber, E. Vom Ganges zum Amazonen-
strom. Reiseskizzen. 178 S. 21 IlL,
3 Übersichtsk. Berlin, D. Reimer 1903.
JC 6.—.
Sfid-Amerika.
Sievers, W. Süd- und Mittel-Amerika.
2. Aufl. VI u. 666 S. 144 Textabb.,
II K. u. 20 Taf. Leipzig, Bibl. Inst.
1903. JC 14.—.
Oeoimphtucher Uaterrlcht.
Bamberg, K. Wandkarte von Deutsch-
land für Mittel- und Oberklassen. Physi-
kalische Ausgabe. 20 Blätter. Berlin,
Chun 1903. JC 16.—.
Fischer, Hch. Bericht über einen im
Auftrage des Berliner Magistrats unter-
nommenen Studienausflug zum Be-
such der „Internationalen Aus-
stellung geographischer Lehr-
mittel^* in Amsterdam. Sonuner
1902. Wiss. Beil. z. Jahresber. d. So-
phien-Gymnasiums zu Berlin. Ostern
1903. 28 S. Berlin, Weidmann 1903.
Vereine nnd YemAmMUBgen.
Festschrift zur Begrüßung des
14. Deutschen Geographentages.
Beiträge zur Wirtschafts-Geographie
und Wirtschafts-Geschichte der Stadt
Köln und des Rheinlandes. K 1 e i n , H. J. :
Materialien zu einer Klimatologie von
Köhi. — Steller, P.: Die Köbier In-
dustrie. — Bauer, W.: Der Hafen zu
Köln. — WirminghauB, A.: Das Ver-
kehrswesen im Gebiete der Stadt Köln.
— Schott, C: Das niederrheinische
Braunkohlenvorkommen und seine Be-
deutung für den Kölner Bezirk. —
Morgenroth, W.: Das Wirtschafts-
gebiet der rheinisch-westfälischen Groß-
industrie. IV u. 186 S. 1 K. u. 4 Abb.
auf Taf. Köln, Dumont-Schauberg 1903
Katalog der Ausstellung des 14.
Deutschen Geographentages zu
Köln. Den Mitgliedern und Teilneh-
mern der Versammlung überreicht vom
Ortsausschuß. 38 S. Köln, Dumont-
Schauberg 1908.
Zeltschriftenschaa.
Fetermanns Mitteilungen. 1903. 6. Heft. 1 und Argentinien. — Eichhorn: Entwurf
Hauthal: Die Vulkangebiete in Chile | einer Sonnenscheindauer-Karte für Deutsch*
Zeitsohriftenschau.
423
land. — Hann: Die Temperatur von Cal-
lao. — Blumentritt: Neuere Arbeiten
der Jesuiten über die Philippinen.
Globus. Bd. LXXXm. Nr. 19. Stenz:
General Tschan-t'chien, ein chinesischer
Forschungsreisender des U. Jahrhunderts.
— Togo im Jahre 1902. — Gentz: Einige
Beiträge zur Kenntnis der südwestafrika-
nischen Völkerschaften. — Goldziher:
Der Seelenvogel im islamitischen Volks-
glauben. — Prähistorisches aus Persien.
Dass. Nr. 20. Klose: Das Bassari-
Yolk. — Französische Forschungen im
Schari- und Tschadseegebiet. — Weißen -
berg: Kinderfreud und -leid bei den süd-
russischen Juden. — Deutsch-Südwest-
afrika im J. 1902.
Dass. Nr. 21. Schurtz: Die Her-
kunit des Moriori. — Krebs: Die täg-
lichen Wetterberichte der deutschen See-
warte. — Mann: Archäologisches aus
Persien. — v. Schkopp: Religiöse An-
schauungen der Bakoko. — Wilser: Das
Verbreitungszentrum der nordeuropäischen
Basse. — Zimmerer: Konstantinopel
unter Sultan Soliman dem Großen.
DcLSS. Nr. 22. Klose: Das Bassari-
Tolk. — Ranke: Ballistisches über Bog^n
und Pfeil. — Appenzeller Volkslieder. —
Reise der Herren Dr. P. und F. Sarasin
inCelebes. — Förster: Deutsch-Ostalrika
1900—1902.
Deutsche Bundschau für Geographie
und Statistik. XXV.Jhrg. O.Heft. Struck:
Montenegro und sein Eisenbahnprojekt. —
Mucha: Geographische Sonderbarkeiten.
— Dürr: David Livingstone. — Schnur-
pfeil: In den Steppengebieten Deutsch-
Ostafrikas.
Meteorologische Zeitschrift. 1908. 5. Heft.
Margules: Über Temperaturschwankun-
gen auf hohen Bergen.
Zeitschrift für Gewässerkunde. 1908.
5. Heft Braun: Die Aufgaben geogra-
phischer Forschungen an Seen. — Wang:
Die Ursachen der Wasserverheerungen.
Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolo-
nialmrtschaft. 15. Heft. v. K e 1 1 e r : Wehr-
pflicht in den Kolonien. — Wa echt er:
Die Tanganyka-Dampferexpedition 1898
bis 1901. — Hoefer: Die evangelischen
Missionen in den deutschen Schutzgebie-
ten. — V. Schkopp: Sitten und Gebräuche
der Bakoko in Kamerun.
Deutsche Erde. Beiträge zur Kenntnis
deutschen Volkstums cdlerorten und aUer-
Zeiten. Zemmrich: Deutsche und Slaven
in den österreichischen Sudetenländem.
— Gerstenbauer: Entstehung des nie-
derdeutschen Volksstammes in Südafrika.
— Langhans: Die Urheimat der Buren.
— Wilser: Wanderwege der Wandalen.
— Prayon-v. Zuylen: Die vorgeschla-
gene Umwälzung der niederländischen
Sprachlehre. — Doebner: Der Einfluß
der deutschen Kultur auf die Letten. —
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1. Juni 1908.
Verftntworilioher H«rautgeb«r: Prof. Dr. Alfred Hettner in Heidelberg.
Betrachtimgen ttber das Relief von Norwegen.
Von Dr. Hans Beusoh«
(Mit 16 LandscbafUbildern und Skizzen auf 3 Doppeltafeln, Nr. 8 bis 10.)
Einleitung.
Die skandinavischen Hochgebirge werden zuweilen als Plateaugebirge
beschrieben. Dies ist jedoch, was den inneren Bau betrifTt, insofeiii unzu-
treffend, als wir in einer breiten Zone der Westküste entlang von dem Süd-
ende Norwegens bis zum Nordkap ein ausgesprochenes Faltengebirge haben,
ebenso gut wie in den Alpen, nur daß die Faltung schon vor der Kohlen-
periode abgeschlossen war. Die jüngsten gefalteten Gesteine sind fossilfreie
Sandsteine (nördlich von Bergen), in denen man devonische Ablagerungen
zu vermuten hat. Östlich vom großen Faltenzug, z. B. im mittleren
Schweden, liegen die Silurschichten horizontal, sind aber durch vertikale Ver-
werfungen in verschiedene Höhe gebracht. Die Erdkruste ist in dem west-
skandinavischen Gebirgszug nicht nur in Falten zusammengeschoben, auch
große Überschiebungen haben stattgefunden. Es scheinen sogar gewisse Teile
der Erdkruste durch beinahe horizontale Spalten von ihrer Unterlage ab-
gelöst und danach durch Schub in horizontaler Richtung viele Kilometer
weit bewegt worden zu sein. Archäische Gesteine sind dadurch über weite
Strecken auf silurische gekommen.
Einige Forscher, namentlich Kjerulf, haben versucht, das Relief in
Übereinstimmung mit dem geologischen Bau zu bringen durch die Annahme
einer wirklichen Hebung der höheren Teile des Landes, wodurch der Silur
in den Hochgebirgsgegenden durchgehends in eine größere Höhe als an den
Küsten imd in den niedrigen Teilen des Landes gebracht wurde. Diese
Regel hat aber gar keine Gültigkeit. Ln Herzen des Landes, an den inneren
Verzweigungen des SogneQords liegen silurische Phyllite in Meereshöhe,
während archäische Formationsglieder nicht weit davon sehr hoch liegen.
Große vertikale Verwerfungen sind nachgewiesen (z. B. längs der Ostseite
des ChristianiaQords) ohne irgend einen Einfluß auf die äußere Gestalt des
Landes.
Die Gebirge Norwegens sind Rumpfgebirge. Durch ungezählte Jahr-
tausende sind ungeheure Massen von der Erdkruste abgeschält, so daß uns
die gegenwärtige Oberfläche nur Gesteine zeigt, die einst tief begraben lagen.
Die Vorstellung von Cyklen der Erosion ist, wie bekannt, sehr frucht-
bar gewesen fttr eine richtige Auffassung der Reliefformen. Das Endziel
der Erosion ist die Peneplain (Fast-Ebene), das schwachwellige, von trägen
Flüssen durchströmte und von bedeutenden Verwitterungsmassen eingehüllte
Oeographitchfl ZelUchrift. 9 Jahrgang. 1903. 8 Heft. 29
426 Hans ReuBch:
Land. Wenn die Peneplain gehoben wird, wird die ausgrabende Wirksam-
keit des fließenden Wassers neu belebt; die Peneplain wird in ein Gebirgs-
land ausskulptiert, um wieder, wenn der neue Erosionscyklus vollendet ist,
als Peneplain zu endigen.
Paläische Oberfläche und neue Täler.
Es wäre einladend, ganz Norwegen mit Schweden und Finnland, also
die ganze „Fennoskandia", als eine in einem und demselben Cyklus gebildete
Peneplain zu betrachten, die nur von später hinzugekommenen Tälern und
Fjorden gefurcht wurde. Wenn man aber der Sache näher tritt, findet man,
daß diese Betrachtungsweise viel zu summarisch ist. Die Oberfläche Skandi-
naviens bietet eine Fülle von genetischen Problemen, deren Erforschung gegen-
wärtig eben erst begonnen ist.
Ich für meinen Teil kenne am besten den Abschnitt von den westlichen
Gegenden, der auf dem Übersichtskärtchen (Taf. 8. Fig. l) dargestellt ist;
mit ihm werden wir uns am meisten beschäftigen. Hat man auch nicht
eine einzige alte Peneplain und ein dann eingegrabenes Talsystem, so ist
es doch möglich, ein altes Land (weiß auf der Kartenskizze) und neue For-
men von Tälern, die sich als Fjorde bis zum offenen Meer fortsetzen
(schwarz auf der Karte), zu unterscheiden. Die alte Oberfläche habe ich
als die paläische Oberfläche des Landes bezeichnet.
Wenn man die großen west-norwegischen Fjorde bis in ihre innersten
Verzweigungen und dann in irgend eins von den weiterausstrahlenden Tälern
verfolgt, kommt man zuletzt zu einem steilen Aufstieg, wo der Fluß als
Wasserfall oder jedenfalls in steilen Stromschnellen mit kleineren Wasser-
fällen abwechselnd herniederstürzt. Wenn man da hinaufsteigt, befindet man
sich plötzlich in einem Tal von ganz anderem Aussehen, weit und flach;
man ist eben auf die paläische Oberfläche des Landes hinaufgestiegen. Wenn
man sich nun umkehrt und auf einem nicht zu niedrigen Standpunkt steht,
sieht man das eben verlassene Tal wie ein Canon in alte Landformen ein-
gegraben. Betrachten wir z. B. die Gegend bei dem Vöringfos (Fos heißt
Wasserfäll), einer von Touristen allgemein besuchten Stelle. Wenn man sich
dort gegen den Fjord (im Bild auf Fig. 2 nicht sichtbar) wendet, hat man
die hier d,^gestellte Aussicht. Die anstehenden Gesteine sind wie in den fol-
genden Beispielen aus West-Norwegen granitische und gneisartige Felsarten.
Wo das Gestein von Spalten diurchzogen ist, haben sich die dargestellten
Ausbuchtungen im Talrande gebildet. Der Wasserfall geht in den ersten
Klüften in dem Vordergrund links nieder. Das Ende des neuen Tales, in der
Richtung von außen nach innen gesehen, ist auf der folgenden Zeichnung
(Fig. 3-4) dargestellt Der Wasserfall liegt so im innersten Winkel (in der
Mitte des Budes) versteckt, daß man ihn auch hier nicht sieht. Erst auf
dem nächsten Bild (Fig. SB), das schematisch aus der Vogelperspektive ge-
zeichnet ist, tritt der Wasserfall hervor. Eine schematische Darstellung des
Endes eines nahe liegenden Tales ist in der nächsten Figur (4) gegeben.
Dieser Wasserfall heißt Rembesdalsfos. Im Hintergrunde geht ein Glet-
scher vom großen Fimfeld des Hardangerjökut zur See. Dieser Gletscher
seh.
Tafel 8.
Fig. 6. Schematische Darstellung der
Vereinigung eines Haupt- und Neben-
flusses. Durch das Wasser des Haupt-
flusses sieht man bei x, daß das Bett
des Nebenflusses zu dem des Haupt-
flusses hängend ist.
Fig. 6.
Betrachtungen über das Relief von Norwegen. 427
sperrt nebenbei gesagt den norwegischen „Märjelensee^^, den Danuneyand in
eineoä Seitental ein. Auf Stellen, wie den hier beschriebenen, erhalten wir
einen bestimmten Eindruck davon, wie ausgesprochen der Gegensatz zwischen
der neuen, noch gegenwärtig durch die Arbeit des Wasserfalles rückwärts
weichenden Erosion und dem früher dagewesenen Land ist.
Ein Beispiel von rückschreitender Erosion.
Es läßt sich eine Fülle von Beispielen angeben, wo Wasserfälle den
Endpunkt der zurückweichenden Erosion bezeichnen. Diese Art von Wasser-
fällen sind überhaupt eine zahlreiche und recht charakteristische Gruppe der
nordischen Kaskaden. Andere Arten sind dadurch gebildet, daß die Flüsse,
in den quatemären Ablagerungen grabend, nicht den früheren Talweg wieder-
gefunden, sondern eine stark geneigte Fläche des Gebirges bloßgelegt haben
und nun da hinunterschäumen. Ich möchte gern eine solche Stelle in ein
paar Zeichnungen (Taf. 9. Fig. 7, 8, 9) vor Augen führen, um so mehr, als
und dadurch zugleich ein vorzügliches Beispiel von rasch rückwärts schreitender
Erosion geboten wird.
Die erste Zeichnung (in Fig. 7) stellt die Umgebung des Härfos dar.
Der Härfos wird vom Verdalsfluß, der in den TrondhjemsQord mündet, ge-
bildet. Vor dem 12. September 1893 floß der Fluß langsam über marinen
Ton, in welchem er ein kleines aber verhältnismäßig weites Tälchen gebildet
hatte. Bei Punkt 1 stieß er auf festen Fels und ging darüber in einem
schrägen Wasserfall* Bei 2 machte er eine Biegung. Die Strecke zwischen
2 und der oberen Biegung bei 3 bestand ausschließlich aus Ton, und der Fluß
grub jährlich etwas vom Abhang oberhalb 2 weg. Der kleine Rücken bei 3 wurde
dadurch immer schwächer. Die Bauern der Umgebung waren auf diese Ge-
fahr aufmerksam geworden, konnten sich aber nicht mit den öffentlichen
Behörden darüber einigen, wie eine Ausbesserung des schwachen Punktes
ausgeführt werden sollte. Unterdessen verging die Zeit. Dazu war im
September jenes Jahres der Wasserstand ungewöhnlich hoch. Eine kleine
Wasserader, die anfangs sehr unschuldig zu sein schien, rieselte am 12. über
den kleinen Bücken bei 3. Sie machte aber sein Bett tiefer, je mehr Wasser
zuströmen konnte, und im Lauf einer Stunde hatte sich ein großer reißender
lehmgef^rbter Fluß gebildet, der mit donnerndem Geräusch aus einer weiten
Bresche hervorströmte. Dies ist auf der zweiten Zeichnung dargestellt. Das
alte Bett des Wasserfalles bei 1 ist mm trocken geworden; man kann es
begehen und die vielen Riesentöpfe, die sich im Laufe der Zeit gebildet
haben, betrachten. Die Erosion im festen Gebirge des alten Wasserfalles
war überaus langsam. Anders in der neuen Stromschnelle zwischen 8 und
2, wo das Wasser nur den losen Ton zu bewältigen hatte. Der Anfangs-
punkt des Grabens, also der Punkt, wo der Fluß, nachdem er ruhig geflossen
war, mit Eile zu strömen begann und damit die grabende Wirksamkeit
anfing, dieser Punkt rückte von Tag zu Tag rückwärts im Tale. Dieses
Zurückweichen dauerte, bis die Erosion 4 km in gerader Linie aufwärts vom
verlassenen Härfos wieder auf festen Fels stieß. Von den zwei nach Photo-
graphien wiedergegebenen Abbildungen (Fig. 8 u. 9) zeigt die erste die Stelle,
29*
428 Hans Reusch:
wo die Erosion ihren Anfang nahm bei meinem Besuche im Sommer nach der
Katastrophe. Das Ende der neuen Talbildung war mit einem Wasserfalle
markiert. Drei Jahre nachher sah dieselbe Lokalität wie auf der nächsten
von Herrn A. Holmsen mitgeteilten Photographie (Fig. 9) aus. Um die Verbin-
dung zwischen den beiden Seiten zu erhalten, hatte man eine Taubrücke ein*
gerichtet, wo die Personen in einer Art Käfig stehend sich selbst hinüber-
ziehen konnten. Eine Person ist eben auf der Zeichnung dabei den Fluß zu
passieren. In demselben Tal, Verdal, kamen etwas früher in demselben Jahre
bei einem großen Erdfall am Fluß 111 Menschen um. Die norwegisch ge-
schriebene Literatur über dieses Begebnis und die Katastrophe beim Härfos
von Amtz, Björlykke, Brögger, Friis, Heiland, Münster, Reusch, Schmidt-
Nielsen, Steen, Sätren findet sich im Jahrbuche der geologischen Landes-
untersuohung Norwegens 1894 — 95. (Kristiania 1896) S. 139 citiert. Siehe
auch Jahrbuch für 1900. Heiland hat speziell über den Härfos geschrieben.
Diese Abschweifung zeigte uns die moderne Bildung eines Erosionstales.
Wir sahen hier, wie bei einem Modell in Miniatur, den gewöhnlichen Pro-
zeß, der auch wirksam war bei der Formung der Hauptzüge der norwegi-
schen Täler und Fjorde.
Die Arbeit der Gletscher.
Es ist aber nicht nur dieser eine Prozeß, die Erosion durch fließendes
Wasser, der zur Ausbildung unserer Täler geführt hat, auch die Gletscher
der Eiszeiten haben eine wichtige Rolle gespielt. Ein Gletscher ist wie be-
kannt eigentlich nur ein ungeheuer großer und außerordentlich langsamer
Fluß im fester Form. Steht man in einem von einem Fluß ausgegrabenen
Tal und der Fluß ist verschwunden, sieht man vor sich ein Flußbett von
ü-förmigem Querschnitt und zu beiden Seiten die schrägen Talwände, so daß
das Profil des Tales, im großen gesehen, die Form eines Y hat. Kommt
man dagegen in ein Tal, wo ein weggeschmolzener Gletscher gearbeitet
hat, findet man „ein Bett für das feste Wasser^^ das ganz andere Dimen-
sionen hat; dieses Bett des Gletschers hat aber, wenn der Gletscher lange
noch gewirkt hat, auch ein U- förmiges Profil. Ein solches Bett eines
Gletschers ist so groß, daß man es ein Tal nennt, und man drückt sich
gern so aus, daß imter dem Einfluß des fließenden Wassers Y- förmige und
unter dem der Gletscher ü- förmige Täler entstehen. Im ersten Fall denkt
man bei den Seiten des Tales an die Abhänge oberhalb des Bettes des
Wassers, im zweiten Falle aber an das Bett des Wassers selbst. In dem
Boden eines ausgetrockneten Flusses kommen viele Unebenheiten vor, darunter
beckenartige Yertiefungen. Ebenso finden sich auch hervorragende Partien
und auch rund umschlossene Einsenkungen in alten Gletscherbetten.
Eine Eigentümlichkeit der U-förmigen Täler ist, daß die Seitentäler sehr
oft „hängend" sind, das heißt, die Seitentäler endigen mehr oder weniger
hoch oben auf der Seite des Haupttales und nicht, wie Seitentäler sonst
pflegen, am Boden des Haupttales. Die Ursache dafür, daß ein Seitental
hängend geworden ist, liegt darin ^ daß der große Gletscher des Haupt*
tales ein tieferes Bett hat als der schwächere Seitengletscher. Hängende
1 8. Anfang der Erosion oberhalb dem Härfos 1894.
Fig. 9. Dieselbe Stelle drei Jahre nachher.
429
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428
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hoch ob<
pflegen,
hängend
Betrachtungen über das Relief von Norwegen. 429
Tftler sind in Norwegen wie in anderen stark vereisten Ländern ganz
gewöhnlich.
In trocken gelegten Betten des fließenden Wassers hat man sicherlich
oft Gelegenheit wahrzunehmen, daß die Seitenbetten znm Hauptbette ober-
halb seines Bodens stoßen, also hängend sind (Taf. 8. Fig. 5). Die auf ge-
wöhnliche Weise von Flüssen gebildeten Seitentäler sind dagegen nicht hängend.
Es ist freilich ein gewöhnlicher Fall, daß ein Hauptfluß kräftiger als ein Seiten-
fluß gräbt, aber eben dadurch bekommt der Seitenfluß einen stärkeren Fall
gegen den Punkt, wo er sich mit dem Hauptfluß vereinigt, und folglich erodiert
er mit größerem EJBfekt. Die Oberfläche des Wassers steht in den ausschließ-
lich durch Wasserwirkung gebildeten Tälern natürlich auf der Vereinigungs-
stelle immer im selben Niveau, wenn auch das eigentliche Bett, wie gesagt,
zum Grund des Hauptflusses hai^gend ist.
An den Tälern Norwegens hat sowohl fließendes Wasser wie Eis ge-
arbeitet. Über die Formen, die das Eis allein hervorbringen kann, herrscht
noch ziemliche Unsicherheit, z. B. darüber, was das Eis in einer Million
Jahren auf einer gehobenen Pfeneplain erreichen könnte. Es würde wohl
Aushöhlungen von außerordentlicher Weite zu stände bringen. Unsere Täler
zeigen, daß das Wasser zur Tertiärzeit und in den milden interglacialen
Zeiten gearbeitet hat; zuletzt nach der letzten Eiszeit hat das Wasser
wieder eine letzte Periode seiner Wirksamkeit angefangen. Wir wollen
etwas näher betrachten, wie ein von einem Flusse gebildetes Tal umgeformt
wird, wenn das Land eine Eiszeit durchmacht. Figur 10a (Taf. 9) zeigt
uns ein Flußtal und ein daran anstoßendes Nebental. Auf der folgenden
Zeichnung (lOb) sind Gletscher hinzugekommen, die doch nicht völlig bis zum
obersten Rand der Täler reichen. Zuletzt (lOc) ist das Eis weggeschmolzen,
nachdem es ein U- förmiges Tal, dessen Seiten zu oberst nicht gescheuerte
Formen zeigen, hervorgebracht hat. Die Gletscher können wegen ihrer Größe
und Schwere den Boden ihrer Betten nicht nur wie die Flüsse bis zur (oder un-
bedeutend unter die) Meeresoberfläche aushöhlen, sondern sie können tiefer
wirken. Auf der Figur 10 c ist in Folge dessen der untere Teil des Tales so
tief gezeichnet, daß die See ein Stück weit wie ein Fjord hineindringt. Die
inneren Teile der Gletschertäler sind gewöhnlich in einer Weise, die noch
nicht völlig aufgeklärt ist, in Cirken umgebildet. An dem kleinen Nebental,
das auch die U-Form erhielt, ist der imtere Teil abgeschnitten und ein
hängendes Tal geworden.
Das betrachtete Tal war gradlinig; die durch Flüsse gebildeten Tälei
sind aber gewöhnlich gekrümmt, indem die eine Talseite eine Einbuchtung
hat, wo die andere mit einem Vorsprung hervorragt, wie auf Fig. 10 d dar-
gestellt ist. Ein Gletscher ist ein viel steiferer Körper als ein Fluß und
hat deswegen, wenn er sich hervorschlängeln soll, eine Neigung, den Tal-
vorsprung anzugreifen in den äußeren Partien und auf den Seiten, die nach
oben gegen die Bewegungsrichtung gekehrt sind. Das Eis sucht folglich
Stücke von den Vorsprüngen abzuschneiden, wie die punktierten Linien auf
der Figur d andeuten, und der Prozeß kann wahrscheinlich damit endigen, daß
die Gletscher völlig die hervorragenden Partien zerstören. Zuweilen ver-
430 Hadb ReuBch:
bleiben einige Klippen, wo das Gestein ungewöhnlich hart oder sparsam von
Rissen und Spalten durchzogen war, wie mit xx ia der Figur 10 e ange-
deutet.
Wie schon angedeutet, muß man sich die Bildung der norwegischen
Täler nicht so einfach denken, daß es nur eine Periode der Wasserwirkung
und eine Periode der Eiserosion war. Die Geschichte der Talbildung ist
augenscheinlich viel verwickelter, und nur wenige Einzelheiten sind bisher
studiert.
Figur 11 (Taf. 10) führt uns das Lärdal vor Augen, das Tal, das von der
innersten Verzweigung des großen SogneQords heraufsteigt. Im Vordergrund
sehen wir den Fjord (F), dann folgt der unten mit marinem Sande und
Grande bedeckte Talboden bis L. Von hier beginnt ein engerer Teil des
Tales, wo man die drei niedrigen Vorsprünge 1, 2 und 3 hat. Die Ober-
seiten dieser Vorsprünge müssen als Reste eines früheren höheren Talbodens
gedeutet werden. Der Lärdalfluß konnte einmal nicht so tief wie später
graben, dann kam eine Hebung des Landes, und das Tal wurde bis zu der
gegenwärtigen Tiefe ausgegraben. Schon als*l, 2, 3 den Talboden bildeten,
hatte das Tal wahrscheinlich U-Form und war so durch Einwirkung von
Eis geworden. Nachdem das Tal in einem neuen interglacialen Zeitraum
vertieft war, wurde es einer neuen Eisscheuerung ausgesetzt Es ist indessen
zu bemerken, daß die Eisscheuerung im Lärdal nicht die eingreifende Wir-
kung wie in vielen anderen norwegischen Tälern, wo die Talvorsprünge
ganz oder beinahe völlig zerstört wurden, ausgeübt hat. Die Buchtungen
des Tales sind ja wohl erhalten, imd das Profil ist zuweilen noch ziemlich
V-förmig. Es scheint überhaupt, als ob die Täler, die wie das Lärdal bis
in die Nähe der Hauptwasserscheide des Landes reichen, viel weniger von
Gletschern umgebildet wurden, als die in den äußeren Partien des Landes.
Wahrscheinlich waren während der größten Vereisung die inneren Teile des
Landes mehr als Fimgebiete, von welchen die Gletscher gespeist wurden,
denn als eigentliche Gletscher zu betrachten; deshalb war auch die Eiserosion
dfLselbst nicht besonders kräftig.
Auch an dem zweitgrößten Fjord Norwegens, dem Hardanger^ord, ist
die Bildung in verschiedenen Perioden sehr deutlich zu beobachten. Nament-
lich hat man hier den Fjord entlang und ein wenig darüber gehobene Reste
eines früheren Talbodens, in den der eigentliche wassergefftllte Fjord hinein-
gesenkt wurde.
Was die Windungen des Lärdals betrifft, muß im Vorbeigehen bemerkt
werden, daß sie vom Gebirgsbau nicht abhängig zu sein scheinen. Sie
rühren wahrscheinlich aus einer Zeit vor der eigentlichen Talbildung her,
als sich der Fluß noch auf dem ursprünglichen Peneplain in langsamen
Biegungen hin und her schlängelte. Als dann der Fluß nach Hebung des
Landes das neue Tal ausgrub, wurde der alte imstete Weg beibehalten.
Wie bekannt, gibt es Forscher, die dem Eis beinahe alles zumuten,
wenn es Fjordbildungen gilt. Es ist mir lieb, daß ich ein paar Facta vor-
legen kann, die zeigen, daß das Eis der letzten Eiszeit, wiewohl es eine
nicht unbedeutende Arbeit zu Stande gebracht hat, doch nicht eigentlich tal-
Geographisclj Keusch.
Tafel 10.
den 8«iti9ti de» Aurkndutjordes.
mdm ge»*?iieR. Uazu Fig. 0 ü-iil' Täf n,
Betrachtungen ilber das Relief von Norwegen. 431
bildend gewirkt hat. Wenn man auf dem Dampfer an den steilen Fels«
wänden des Aarlandsfjords (eines Seitenarms des Sognefjords) vorbififfthrt,
verdienen die kleinen steil aufsteigenden Seitentäler eine genauere Beachtung,
unsere Figur (12) zeigt einige Ton diesen kleinen Tälern und dazu ein
skizziertes Profil des Tales III (IV).
Diese Täler bestehen aus einem oberen trichterförmigen Teil, von dem
ein Wasserfall hemiederfällt, der sich nur unbedeutend in die eisgeschrammte
ebene Talseite eingegraben hat. Der Aurdal-Gletscher hat diese vom fließen-
den Wasser gebildeten Täler hängend gemacht; er hat sie aber nicht ganz
zu zerstören vermocht. Es hat vor der letzten Eiszeit ein Haupttal gegeben,
da, wo heute der Fjord ist. Der Gletscher hat das früher existierende Haupt-
tal erweitert und vertieft und einige Teile der kleinen Seitentäler zerstört,
nichts weiter. Auch andere Beispiele von demselben Phänomen könnten dar^
gelegt werden. Die Frage, wieviel die Eis Wirkung ausgerichtet hat, wäre
durch Studium der hängenden Täler genauer zu verfolgen.
Die aufgezwungenen Täler der Kristianiagegend.
Bei den Terrainformen, die wir betrachtet haben, spielen Gegensätze
zwischen weichem und hartem Gestein keine Bolle. Die Gesteine waren
überall Granite und andere von bedeutender Härte. In der Kristianiagegend
sind die Verhältnisse anders. Hier gibt es weiche cambrisch- silurische
Schichten und hai'tes Gestein, zum Teil archäische, zum Teil nachsilurische
Granite, Syenite, Porphyre u. a. Die Gegend ist hier (Fig. 16) abgebildet in
Vogelperspektive. Im Vordergrund rechts hat man den innersten Teil von dem
KristianiaQord; K deutet die Stelle an, wo Kristiania liegt. Im Norden sieht
man den Binnensee Ransfjord. Von dort streckt sich ein Tal mit cambrisch-
silm-ischem Gesteine (kleine Kreuze in der Zeichnung) nach SW. über den Tyri-
Qord nach Hedenstad {He). Nordwestlich von dieser Talbildung ist Archaicum,
südöstlich herrschen postsilurische Eruptivgesteine. Wenn die Täler einfach
durch Erosion des Landes, wie es heute geschieht, gebildet wären, müßten sie
viel mehr, als sie es tun, dem weichen Gestein folgen. Der Fluß, der von
Nummedal kommt (der südlichste im Bilde), durchquert einfach die weicha
Silurzone und tritt hinein ins Granitgebiet, als ob sich eine Pforte flöir ihn
geöffnet hätte. Täler, wie dieses, das nicht zu der Beschaffenheit des Landes
paßt^ kann man als aufgezwungene (englisch superimposed) bezeichnen. Das
Zustandekommen dieser Täler hat man sich etwa so zu denken: Das Land
wurde zuerst durch die zerstörenden Kräfte zu einer Peneplain oder beinahe
zu einem solchen erodiert Die Täler folgten dann hauptsächlich den weichen
Gesteinen {A in Fig. 6 auf Taf. 8, wo die weichen Gesteine gestrichelt
und die harten punktiert sind). Dann sank das Land unter das Meer, und
eine jüngere Formation lagerte sich darauf. Als diese Formation später im
Laufe der Zeiten durch Hebung in trockenes Land verwandelt wurde,
richteten sich die Flüsse nach der Beschaffenheit des gehobenen Landes,
hatten folglich nichts zu tun mit den Gesteinen, die tief unten begraben
lagen {B in Fig. 6). Wie nun die Zeit dahinfloß, wurde die jüngere
Formation durchgegraben und die Flüsse fingen an, die alten Formen anzu-
432 Haos Reusch:
greifen dort, wo sie zuerst angetroffen wurden. Dies war besonders in den
aufragenden Rücken des härteren Gesteins der Fall (0 in Fig. 6). Die
Arbeit endigte im Laufe der Zeit damit, daß die jüngere Formation ganz
wegerodiert wurde, aber als eine Erinnerung an die vergangene Zeit haben
die Flüsse ihren Lauf quer ,über die Rücken der harten Gesteine vorgezeichnet
erhalten. Auf die Frage: Welche junge Formation hat einst die Kristiania-
gegend bedeckt? — ist die Antwort nicht leicht. Der Verfasser denkt am
ersten an jüngere Kreide, die von jüngeren Formationen in größter Nähe
ansteht, und meint, daß die Feuersteine (z. T. mit Kreideresten), die im
Moränenmaterial, obwohl nicht häufig, an der Südküste Norwegens gefunden
wurden, möglicherweise aus der Kristianiagegend herrühren.
Die aufgezwimgenen Täler haben sich nachher teilweise der Gesteins-
beschaffenheit des Untergrundes angepaßt Es bleibt aber noch etwas übrig.
Man beachte z. B. den kleinen Nebenfluß Deleren (De auf Fig. 16 links
vorne). Der Fluß arbeitet sich gegenwärtig in dem weichen Gestein rasch
rückwärts. Eines guten Tages wird er den Fluß, der durch das Nummedal
geht, erreichen und den oberen Teil dieses Flusses zum Kristianiafjord bei
Drammen {Br) ableiten. Etwa dasselbe Ereignis, das hier bevorsteht, hat
wahrscheinlich schon einmal im nördlichen Teil unseres Gebietes stattgefun-
den. Der nördliche Teil vom Ransfjord hatte Abfluß nach Südosten durchs
Haketal. Ein Fluß, der seine Wasserscheide zurücktrieb dem weichen Ge-
stein entlang, wo heute das Wasser des südlichen Teils des RansQords den
Talbodcn bedeckt, hat einmal das Haketalwassersystem „enthauptet^^, und süd-
östlich vom Ransfjord hat sich nun eine neue Wasserscheide im harten Ge-
stein ausgebildet, und von da fließt das Wasser teils nordwestlich zum Rans-
Qord, teils wie früher südöstlich. Weitere Betrachtungen über Verschiebungen
der Wasserscheiden könnten sowohl hier wie anderswo in Norwegen, wo
man ähnliche Verhältnisse hat, angestellt werden, es muß nur noch bemerkt
werden, daß, obwohl die gewöhnliche Flußerosion die großen Züge der Tal-
sjsteme bestimmt hat, das Eis viel zur Ausformung der Oberfläche, zur Seen-
bildung meiner Meinung nach gewirkt hat.
Übersicht über die Talsysteme Norwegens.
Bevor wir einen kurzen Blick auf die paläische Oberfläche des Landes
werfen, sollen ein paar Bemerkungen über die Anordnung der Talsysteme
Norwegens in großen Zügen eingefügt werden. Alle die großen Täler des
südöstlichen Norwegens konvergieren zum innersten Teil des Skageraks und
Kristianiafjords; dadurch hat die Hauptstadt Norwegens ihren von der Natur
bestinunten Platz so weit im Binnenland, wie die Seefahrt reicht, erhalten.
Im südlichsten Teil des Landes haben die Täler und die Fjorde bis zum
HardangerQord einschließlich eine ausstrahlende Richtung. Dies Gebiet ist des-
wegen mit einer Reihe von kleinen Städten der Küste entlang versehen. Nur
die größte von diesen Städten, Stavanger, liegt an einer Stelle, wo ein Kom-
plex von kleinen Fjorden und Tälern seinen Mittelpunkt hat. Bergen hat
nur ein ganz kleines Gebiet, das geologisch und geographisch sein eigenes
ist Es liegt ungewöhnlich isoliert und ist mit seinen 70 000 Einwohnern eine
Betrachtungen über das Relief von Norwegen. 433
der sehr wenigen bedeutenden St&dte der civilisierten Welt, die nicht mit einem
Eisenbahnnetz in Verbindung stehen. Daß diese Stadt bis ins 19. Jahrhundert
hinein die größte Stadt Norwegens war und noch die zweitgrößte Stadt ist,
hat geschichtliche Ursachen. Die Stadt besaß große Privilegien für den
Fischhandel; Handelstüchtigkeit und die angesammelten Kapitalien sind die
Mittel, wodurch die Stadt sich als die erste auf der Westküste Norwegens
später erhalten hat.
Der große SogneQord mit seinen SeitenQords und Seitentälern kann
im ganzen als ein Produkt von einem großen Flußsystem (das ein abwech-
selungsvolles Schicksal gehabt hat) betrachtet werden. Etwa die innere
Hälfte ät auf % in einem Zirkel von den bedeutendsten Hochgebirgen Nor-
wegens umgeben, den „Großgebirgen Norwegens". Von diesen Großgebirgen
strahlen viele kleinere Täler aus und auf ihrer Innenseite konvergieren eine
Anzahl Täler und Fjorde nach dem inneren Teü des großen HauptQordes.
Nördlich von dem SogneQord der Küste entlang ist bis weit nach Norden
ein System von Einsenkungen senkrecht zur Küste und ein anderes System
mehr oder weniger ihr parallel wohl zu unterscheiden. Die innere Partie
vom DrontheimQord mit einer Anzahl von Tälern konvergiert ganz aus-
gesprochen zur Drontheimgegend. Diese alte Königsstadt ist dadurch im
Mittelalter das Zentrum eines wohl markirten Distrikts geworden, ein kleines
Pendant zum Kristianiagebiet. Es ist sicher nicht ohne Bedeutung für die
Ausbildung dieser beiden Becken gewesen, daß verhältnismäßig weiche silu-
rische Gesteine auftreten sowohl im Drontheimgebiet wie in der Umgebung
von Kristiania. Das westskandinavische Gebirgssystem endigt in der Um-
gebung vom Nordkap. Das nicht so hohe und weniger unebene Gebiet im
äußersten Nordosten von Norwegen ist, wie früher in dieser Zeitschrift (1900.
S. 391) erwähnt, als dem timanschen Gebirgssystem zugehörig gedeutet
Unebenheiten der paläischen Oberfläche.
Wir haben uns bisher mit den relativ neuen Formen, den in der palä-
ischen Oberfläche des Landes eingegrabenen Tälern, beschäftigt. Diese palä-
ische Oberfläche kann, wie schon gesagt, nicht ohne weiteres als eine einzige
Peneplain betrachtet werden. Das Jötungebirge, das höchste Gebirge Nor-
wegens, das „Alpenformen" mit spitzen Hörnern und Kämmen zeigt, liegt
nordöstlich von dem inneren Teil des SogneiQords und gehört auch zur palä-
ischen Oberfläche. Ein schematisches Profil (Fig. 13), von dort nach Süden dem
Landesrücken parallel gezogen, kann so dargestellt werden. Man bemerkt die
ausgesprochene Tafelform des Hallingskarv. Dieses Gebirge steht nicht allein
da, sondern es gibt eine Anzahl hoch aufragender Plateaus (deren mutmaß-
liche Ausdehnung auf der Karte [Fig. 1 auf Taf. 8j mit kreuzweiser Schraf-
fierung angegeben), die als Reste einer sehr alten Peneplain (l) gedeutet werden
können. Als diese Peneplain einst im Meeresniveau ausgebildet wurde,
waren die Jötungebirge höher als jetzt. Das Land hat sich darauf etwas
gehoben und eine zweite Peneplain (2) ausgeformt. Die Jötungebirge wurden
imterdessen weiter erodiert. Auf der neuen unteren Peneplain ragen einige
Beste des höheren Landes als „Monadnocks" (die Bezeichnung von Davis)
434 Hans Reusch:
auf (m in Fig. 13). Auf diesen niedrigen Plateaus findet das Vieh
der Bauern ein paar Sommermonate hindurch seine Nahrung, während die
höheren Plateaus nackt oder immer schneebedeckt sind. Eine neue Hebung
hat ein System offener, nicht tiefer Täler hervorgebracht {xx)\ wo die Alm-
hütten meist gebaut sind. Die feste Ansiedelung der Bevölkerung beginnt
erst, wo die früher behandelten neuen Täler anfangen. Auch bei diesen
paläischen Formen des Landes dürfen wir nicht vergessen, daß die Gletscher
der Eiszeit eine lungestaltende Einwirkung ausgeübt haben, obwohl die Nähr-
gebiete der alten Gletscher wahrscheinlich am wenigsten durch Eis um-
gestaltet sind.
Unsere nächste Zeichnung (Fig. 14) führt uns zwei Plateaugebirge vor
Augen, die Reste der ersten Peneplain, dann die zweite Peneplain und ein
darin ausgegrabenes weites Tal mit ein paar Seen. Obwohl die Hochflächen Nor-
wegens, wie wir nun gesehen haben, keine einfachen Bildungen sind, kann
man doch, wenn man nur die allergrößten Züge betrachtet, von einer großen
„Peneplaination" der „Fennoskandia" sprechen. Vorläufig kann man sich nur
eine sehr unvollständige Idee davon bilden, in welcher geologischen Zeit-
periode die skandinavische Halbinsel so viel niedriger lag und ihren Charakter
einer wellenförmigen weitgedehnten Ebene erhielt, den sie abgesehen von den
neu hinzugekommenen Tälern hat. Von anderen Ländern erfahren wir, daß
die Denudation im Tertiär eine gewaltige Aibeit vollbrachte, und man kann
wohl innerhalb dieser Periode Platz für unsere große „Peneplaination" finden.
Die Strandebene.
Zuletzt müssen wir auch auf die marine Denudation ein paar Worte
verwenden. Das Land hat durch lange Zeiten am Ende des Tertiärs und in
der Diluvialzeit um ein Niveau, das nicht sehr vom gegenwärtigen abweicht,
oszilliert; dadurch ist eine wohl ausgebildete kontinentale Plattform entstanden.
Die höheren Teile der kontinentalen Plattform ragen aus dem gegenwärtigen
Meere hinaus und bilden die Strandebene, den Wohnplatz für einen bedeu-
tenden Teil der norwegischen Bevölkerung. Die kontinentale Plattform ist
von unterseeischen Tälern gefurcht, die gebildet wurden in Zeiträumen, wo
die Plattform höher lag als jetzt. Wie bekannt, sind die Fjorde auffällig
tief. Ich bin geneigt anzunehmen, daß sich die Fjorde mehr oder weniger
tief bis zu dem Abfall der Plattform fortsetzen und daß die äußeren Partien,
zum großen Teil von loserem Material, vornehmlich von Moränenraassen, zu-
geschüttet wurden. Während der Boden der Fjorde in seinem äußeren Teüe,
wie die Linie b — a (auf Fig. 15) andeutet, gegenwärtig hinaufsteigt, war es
ursprünglich etwa so, wie die Linie b — c zeigt. Die große Tiefe der Fjorde
ist zum Teil dim5h die ausräumende Tätigkeit der Gletscher hervorgebracht,
zimi Teil aber haben auch die Gletscher zu Zeiteh, wo die Gletscherzungen
nicht aus den Fjordgegenden herausreichten, den Felsgrund beckenartig aus-
gegraben. Die Möglichkeit darf auch nicht ausgeschlossen werden, daß die
Tiefe der Fjorde dadurch gesteigert werden konnte, daß die letzte Phase der
Krustenbewegung ein größeres Einsinken des Landes im Innern wie an der
Küste hervorgebracht haben kann.
Betrachtungen über das Belief von Norwegen. 435
Zum Schluß noch das Bekenntnis: Die Fragen, wie das Eelief Nor-
wegens ausgebildet worden sein kann, sind noch recht dunkel. Es müssen viel
mehr Fakta gesammelt werden. Mehr Arbeiten auf geographischem Feld
wäre deswegen sehr erwünscht. Wir sind eigentlich nur beim ersten Beginn
unserer Studien; auch was oben gegeben wurde, ist nur eine Skizze, in wel-
cher das meiste verbessert werden muß.
Literatur. Der erste Versuch, das Relief von Norwegen genetisch zu deuten,
wurde von Professor Balthasar Keilhau gemacht in der Einleitung zu: Schwei-
gaard, Norges Statistik (1840). (Norwegisch.)
Eine bedeutende Arbeit, noch recht wert, gelesen zu werden, ist: P. A. Munch,
Übersicht der Urographie Norwegens. {Gaa Norvegica. Hersg. von Keilhau. 1850.
8. Heft.) Der Verf. behandelt besonders den Gegensatz zwischen Hochgebirgsebene
und Tälern.
Professor Theodor Kjerulf verteidigte in einer Weise, die wir gegenwärtig
nicht mehr billigen kennen, die Ansicht, daß die Verteilung von Höhen und Tiefen
vom inneren geologischen Bau abhängig ist und die Täler Spalten folgen (Ein Stück
Geographie in Norwegen. Z. d. Ges. f. Erdkde. in Berlin. XIV. S. 129—49. „See-
imd Talbilduug". Übers, von Rieh. Lehmann in Mitt. d. Ver. f. Erdkde. zu
Halle a/S. 1881. S. 1—22).
Professor Amund Heiland hatte etwas früher den Gletschern der Eiszeit
eine große Rolle als Fjord- und Talbildner zugeschrieben, wobei ihm später
Dr, Andr. M. Hansen und P. A. Oeyen gefolgt sind. (Heiland. Die glaciale
Bildung der Fjords und Alpenseen in Norwegen. Fogg. Ann. XXV. 1872. S. 480 — 86.)
On the IceQords of North Greenland and on Formation of Fjords, Lakes and Cir-
ques in Norway and Greenland. {Quart. Journ. Geol. Soc. 1877. S. 142—76.) Seine
Ideen über Gircusbildungen stützen sich auf Beobachtungen von C. L orange. In
einer späteren Abhandlung (Norwegisch geschrieben. Turistforeningens Äarbog 1880)
untersucht er die großen Züge des Reliefs durch die Lage der höchsten Auf-
ragungen der Berge. Professor J. H. L. Vogt hat ähnliche Studien gemacht
(Söndre Helgelands Morphologie [Resumö deutsch]. Norges geölogiske undersögelse.
Nr. 29. Praktisk-geologiske nndersögelser af Nordlands amt. IH. Ohristiania 1900).
Professor W. C. Brögger hat nachgewiesen, wie wichtig Verwerfungsspalten sind
für den Felsbau in der Umgebung des Kristianiafjords; die Hohlform des Fjords
schreibt er der Arbeit des Eises im verhältnismäßig losen Gestein zu.
Auch von einigen Nichtnorwegern sind wertvolle Beiträge gekommen, so
von: E. Sueß (Antlitz der Erde. U. 1888. Zweiter Abschnitt), E. Richter (Geo-
morphologische Beobachtungen aus Norwegen. Sitzungsber. d. A*. Äk. d. Wiss. in
Wien. Mathem.-naturw. Klasse. Bd. 101. Abt. L Wien 1896. S. 147—189), R. L. Bar-
rett (The Sundal drainage System in Central Norway. Bull, of American Geogi'aph.
Soc. Nr. 3. 1900. 21 S.), W. M. Davis (Glacial erosion in France, Switzerland and
Norway. Proc. of the Boston Soc. of Nat. History. Vol. 29. Nr. 14. Boston 1900.
S. 278—322).
Der Verf. des vorliegenden Aufsatzes hat die norwegische Strandebene be-
schrieben (The Norwegian coast piain. Journ. of Geology. 11. Chicago 1894. S. 347
bis 849. Vergleiche dazu: Richter, Die norwegische Strandebene. Globus. Bd. 69.
Nr. 20) und einige Beiträge, gegeben zum „Verständnis dafür, wie die Täler und
Berge Norwegens gebildet wurden". (Norwegisch mit englischem Resumä im Norges
geölogiske undersögelses aarbog for 1900. Christiania 1901.)
436 Wilhelm Götz;
Ziige und Ergebnisse einer liistorischen GeograpMe.
Von Prof. Dr. Wilhelm Göta in München.
(Schluß.)
n. Italien.
Ein Land ohne eine topographische Mittellage und in klimatisch anderer
Zone ist das südlich der deutschen Gebiete sich hinziehende Italien, aber
ebenso dem Wandel seines Aussehens und seiner Lage unterstellt.
Hier macht sich das Bedürfnis, die Gesamtüberschau in vier Perioden
abzuteilen, besonders geltend.
1. Periode. Bis 650 v. Chr. — Die kühlere Zeit mit einfacher Boden-
kultur; bis zur vollen Wirksamkeit der griechischen Kolonisation.
2. Periode. Bis 400 n. Chr. — Die Zeit der Einbürgerung von Nutz-
pflanzen der Mittelmeerländer bei Ausbildung des Latifundienbetriebs; bis
zum Verlust der Hauptstadtstellung Roms.
3. Periode. Bis 1550 n. Chr. — Die Zeit neuer Städteentwicklung
neben großen bodenwirtschaftlichen Gegensätzen; bis zur Wirkung der großen
Entdeckungen.
4. Periode. Bis 1870. — Minderung der Landeserträgnisse bei ver-
stärkten örtlichen Änderungen im Aussehen Italiens.
Die klimatisch und völkergeschichtlich so beträchtlichen Unterschiede
Ober-Italiens von Sicilien und dem Südwesten Unter-Italiens machen es wieder-
holt sehr schwierig, das Land als Ganzes durch bestimmte Aussagen zu kenn-
zeichnen. Gleichwohl tritt dieser Umstand im Fortgang der Jahrhunderte
noch hinreichend zurück.
1. Periode. Bis 550 v. Chr.
Ober- und Mittel-Italien wurden von der diluvialen Vergletscherung unmittel-
bar beeinflußt; denn nicht nur die Alpen, sondern auch der centrale Apennin
sandten Moränen an so manchen Berghängen zu Tal. Feuchtkühle Witte-
rung und die Überdeckung vieler dem Gebirgsbereiche angehöriger Striche
mit dem losen Material der Eis- und Schmelzwassertransporte waren daher
von Einfluß auf die Zustände des Landes in den ältesten recenten Jahr-
tausenden. Es ergibt sich aus beidem die erleichterte Möglichkeit, daß sich
Koniferen- und Laubwälder bald über die untere und mittlere, dann auch
die obere Zone des Höhen- und Berglandes ausbreiteten. Deshalb erscheint
es nicht nur als eine Annahme römischer Autoren (wie Columella), daß hier
einst ein kälteres Klima waltete, oder als eine Angabe pars pro toto von
Seiten hellenischer Berichte, daß Italien eine von dunklen Wäldern bedeckte
Halbinsel war. Insbesondere spricht auch die Verbreitung von Pfahlbauten
an jetzigen oder einstigen Vorlandseen des Pogebietes, desgleichen jener um-
festigten großen Orte mit ihren auf Pfahlrost stehenden Hütten, terramare
genannt (deren man etwa 90 in der Lombardei und Emilia auffand), von
weit größerer Wassermenge des Bodens und von Eichen- und Buchenwäldern
im Tieflande. Der Bevölkerung jener neolithischen und Bronze-, sowie be-
ginnenden Eisenzeit dienten denn auch Früchte, wie sie rauherer Landesnatur
Züge und Ergebnisse einer historischen Geographie. 437
entsprechen: Eicheln, Bucheckern, Gerste, Eoggen, Hirse, Haselnüsse, allerdings
auch Weizen, Bohnen, Mohn, Zwetschgen, Kirschen, wilde Bebe u. a. zur
Nahrung. Ließen die Ansiedlungen der terramare durch ihre aus Reisig und
Stroh großenteils hergestellten Hütten zunächst nur eine dürftige Bevölkerung
wahrnehmen, so waren doch mindestens die Führer im Besitz von Schmuck,
Waffen und Werkzeugen, welche eine hochentwickelte Bronzebearbeitung auf-
zeigen, somit auch teilweisen Wohlstand und geförderte Technik bekunden, da
die betreffenden Gegenstände auf keine auswärtige Zufuhr hinleiten. Dieser
Wohlstand erklärt sich aus der vorhandenen Pflege von Ackerbau und von
Viehzucht, letztere durch Funde von Knochen unserer mitteleuropäischen
Nutztiere erwiesen, während solche von Hirsch und Reh über Waldreviere
berichten. Waren die Menschen jener Jahrtausende Vorgänger der Etrusker
und Ligurer? oder bildeten sie nur die früheren Generationen dieser Völker?
Oder wurden viele spätere Geschlechter der Pfahlbauem von den indo-
germanischen Einwanderern gestellt? Für das Landesaussehen wäre die Ant-
wort, wenn sie bestimmt erteilt werden könnte, nur insofern von Belang, als
die Etrusker jedenfalls eine gewisse Bürgschaft böten, daß in stetiger Ent-
wicklung die Bodenkultur und gewerbliche Fertigkeit vorwärts geführt wurde.
Denn ihre so frühzeitig wenigstens in Mittel-Italien errichteten Städte mit
mächtigen Cyklopenmauem tun uns dar, daß eine ausgiebige Pflege der
Bodenkultur vorherging, weil diese für das Werden von Städten im Binnen-
lande die Voraussetzung ist. Ihre Kunst der Metallwarenproduktion und der
Keramik bildete sich allerdings erst unter dem Einfluß der Griechen aus,
wenn sie auch zuerst wohl durch die Berührung mit den Puniem angeregt
war und durch die heimischen Erze unterhalten wurde. Küstenorte und
Hafenplätze waren jedenfalls, wenn auch in sehr geringer Zahl, eine Folge
dieser Beziehungen und sind bei der historischen etruskischen Seetätigkeit
spätestens für das siebente Jahrhundert vorauszusetzen. Freilich wird die volle
Blüte der etruskischen Kultur wohl erst in die Zeit der Wende unserer beiden
ersten Perioden zu setzen sein.
Mittel-Italien und der größere Teil des Südens wurden wohl am Beginne
des letzten Jahrtausends v. Chr., wahrscheinlicher schon beträchtlich früher von
den indogermanischen Stämmen besetzt, als deren bedeutendste Vertreter wir
die lateinischen und sabellischen Völkerschaften kennen. Sie waren ohne Zweifel
mit dem Ackerbau bereits bekannt, zumal sie durch ihre Wanderung in
bergigen oder waldreichen Ländern ohnedies veranlaßt waren, nicht von der
Herde und von Jagdtieren allein ihren Lebensunterhalt zu erwarten. Rodungen
und teilweises Pflügen grasiger Niederungen mußten deshalb schon damals
imser Gebiet mit Bodenkulturstreifen und -inseln immer mehr durchsetzen.
Als eine andere landschaftliche Bereicherung lernte man von den Etruskem
die Herstellung von Städten, und zwar auch in Flachregionen (z. B. Suessa
Pometia in Latiums Küstenzone). — Weniger gelehrig erwiesen sich die
südlichen Stämme gegenüber dem Beispiele der Griechen. Letztere fanden das
Land sehr wenig für Bodenkultur in Anspruch genommen vor; daher fühlt«
sich die offenbar spärlich verteilte Bewohnerschaft durch die besitzergreifenden
Fremdlinge und durch deren rasch gestiegene Stadtbevölkeningen sehr wenig
438 Wilhelm Götz:
beengt oder zu gewaltsamer Abwehr veranlaßt. Doch mußte schon zur Erzielong
der Lebensmittel für diese sowie zur Erwerbung der von ihnen angebotenen
Industrieerzeugnisse, desgleichen für den vielen Schiffebedarf jener Zeiten von den
großgriechischen Gestaden aus durch Rodung und Bodenbearbeitung die Außen-
zone der Halbinsel notwendig geändert werden. — Auf Sicilien hatten ver-
schiedene Stämme bereits vor der Griechen Ankunft sich unter Erbauung von
Städten kulturell beträchtlich entwickelt (Sikeler, Elymäer): sie besaßen Städte
und daher ohne Zweifel auch fortgebildeteren Ackerbau. Die punischen
Faktoreien in Ost und West wirkten in dieser Beziehung mindestens schon
seit dem 13. Jahrhundert anregend, und die nicht wohl zu bezweifelnde
Kriegsfahrt von Siciliem und Sardinien! gegen den Pharao im 12. Jahr^
hundert zeugt genügend von dem Dasein von Seestädten und einer über-
schüssigen Bevölkerung, letzteres freilich nur in Folge einer zu rudimentären
und räumlich beschränkten Bodennutzung.
Überall jedoch in Italien war auch von Seiten des Menschen in der
langen Periode vieles geschehen, um der Herrschaft feuchtkühler Klima-
zustände dauernden Abbruch zu tun und anspruchsvolleren Pflanzen oder
Bäumen eine neue Heimat zu bereiten, nachdem sie von den Hellenen her-
beigebracht worden,
Die Vorteile der natürlichen Lage des Landes freilich waren noch
keineswegs zur Geltung gekonmien: Italien war nur im Süden über eine
einflußlose Einzellage in anthropogeographischer Hinsicht hinausgelangt; die
großgriechisch - sicilischen Gebiete besaßen vom siebenten Jahrhundert an
eine Außenlage für die hellenische Welt; West-Sicilien war ein Vorland des
karthagischen Staates geworden, gleichsam ein Brückenkopf höheren Stiles
(nicht „Schwellenlage" im Sinne Ratz eis).
An sich wird für Italien Bedeutungslosigkeit durch seine Mittellage unter
den Halbinseln Süd-Europas, durch die allgemeinen Vorzüge der Halbinselnatur
und durch seine natürliche Ausstattung nahezu von vornherein verhütet Aber
das Land hatte, abgesehen vom Süden, keinen weitergehenden Einfluß auf
die umgebenden Meere; seine Bevölkerung war noch in keiner Weise sich
dessen bewußt, daß sie ein gemeinsames Ganzes als Wohnraum benutze; die
klimatische Beschaffenheit gestattete noch nicht die volle Ausnutzung der
vorhandenen Südlage, da Wald und Verdunstungskälte die Sonneneinwirkung
abschwächten; weder zu den Halbinseln in Ost und West bestand eine wirk-
same Beziehung noch weniger zum eignen oder zum südlich nahen Kontinent;
zu ersterem schon deshalb nicht, weil der größere Teil der Halbinselbevölke-
rung sein Dasein ebenso abseits vom Pogebiet, diesem Anschluß an Europa,
führte als etwa von Ulyrien und Süd-Gallien. Das Land war als Völker-
wohnraimi isoliert und hing lediglich physisch zusammen; außer Etrurien
war nur der griechisch kolonisierte Küstensaum über die Bedeutung halb-
barbarischer Binnengaue hinausgelangt.
2. Periode. 550 v. Chr. bis 400 n. Chr.
Diese Zeit brachte die in den letzten 150 Jahren der vorigen Periode
anhebenden Änderungen durch politische Mächte zur vollen Entwicklung und
gestaltete das gesamte Aussehen Italiens wesentlich um, bewirkte aber auch
Züge und Ergebnisse einer historischen Geographie. 439
die dauernden Ursachen zu nachteiligen Wandlungen seiner Leistungsfähig-
keit. Zunächst trat der Einfluß der griechischen Kolonisation in volle Wirk-
samkeit, und in Mittel-Italien erhob sich langsam der Stadtstaat Rom als eine
eminent landwirtschaftliche Macht
Die griechischen Städte, in welchen die ganze reiche Kultur und das
Genußleben des Mutterlandes sich entfaltete, erzielten nicht nur die aus-
giebigste Rodung in ihrer unmittelbaren Umgebung, desgleichen vermehrte
Agrikultur bei den Nachbarstämmen, sondern beeinflußten (wie kunstgewerb-
lich ganz Etrurien) in der Bodenbenutzung auch das seeverknüpfte schmale
Niederland des ganzen West-Italiens. Das landschaftliche Aussehen erhielt einen
neuen Zug durch die Olivenpflanzungen, durch Feigenbäume und Weingärten.
Sicilien ward zugleich auch durch die punischen Altmeister der Fruchtbaum-
nutznng gehoben. Die besitzende Klasse der erobernden Roma aber ließ es
sich besonders angelegen sein, mittels Ausstattung ihrer großen Landgüter
mit Zierbäumen und fruchtbringenden Bäumen aus den unterworfenen oder
einstweilen besiegten Ländern des Ostens Italien diese dauernde botanische
Bereicherung zu bringen. Heerführer, Statthalter imd andere Vertreter des
Staates wetteiferten, von ihren Missionen in jene Gebiete neue Gewächse für
ihre Parke und Pflanzgärten nach Hause überzuführen. In der Endzeit der
Republik und unter den früheren Kaisern kam die Mehrzahl der vorhandenen
Obstvarietäten herzu sowie der charakteristische Zug, welchen die Cypresse
in die Landschaft bringt.
Aber jenes Interesse am Grundbesitz imd der höheren Bodenkultur hatte
als Kehrseite die zunehmende Verdrängung des Bauern imd die Schöpfung
von Latifundien. Sie beseitigte zahllose Gehöfte, viele Dörfer und verrin-
gerte trotz Betonung seines Wertes den Umfang des Getreidebaus. Italien
erhielt für die arbeitsame, rührige Bauernbevölkerung durch die Bestreuung
d«r gut gelegenen Flächen des Großgrundbesitzes mit Meiereien und Pächter-
häuschen (eine Zeit lang auch Sklavenställen) keinen gleichwertigen Ersatz,
um wirtschaftlich gesunde und intensive Bodennutzung zu sichern, wenngleich
auch die Gartengewächse durch Mannigfaltigkeit und Güte die Ausbildung
dieses Bodenkulturzweiges bezeugten (Safran, Spargel, Zuckermelone, Pistazien).
Die im flachen Lande besitzlos gewordenen Kleinbauern wanderten teilweise
in das noch weniger in Privateigentum übergegangene Bergwaldgebiet und
verschafiPten sich hier durch Brandrodung Weideland, wie ja die Begüterten
noch zu Plinius' Zeit gleichfalls fortfuhren, mittels Feuers zu entwalden. Gab
es auch immerhin noch stattliche Waldreviere im flacheren Latium und
Etrurien (Hinweise von Livius, Vergil und Plinius), besonders von Eichen, aber
auch Bachen, Ahorn, so war doch das Gebirge vor allem noch reich beforstet,
besonders Etrurien und der unteritalische Apennin (von den Vorhöhen bei
Benevent an): die Tanne oberhalb der Buche und der Eiche bildete die
Bestände; Bären und Gemsen belebten dieses Bereich, in welches die Hirten
mit ihrem Kleinvieh vordrangen. Neben ihnen war freilich vor allem die
Nachfrage nach Holz von selten der Städte ein Hauptgrund ausgedehnter
Abforstung. Die Häuser Roms waren noch nach Christi Zeit fust durchweg
aus Holz und hochstöckig (Stockwerke); die allerorten verbreiteten, täglichen
440 Wilhelm GOtz:
massenhaften Warmbäder heischten die größten Mengen desselben und hiefien
in Holzkohlen verarbeiten, was man nur auf den Höhen zu fällen vermochte.
£in keineswegs zureichender £rsatz erwuchs in den aofkonmaenden Kastanien-
hainen der Mittelzone und den Fruchtbftnmen der verschiedenen Höhenlagen.
Daher wird denn auch schon für Plinius das Entstehen von Fiumaren wahr-
nehmbar, und man schafft Schiffbauholz aus den Alpen nach Mittel-Italien (in
der Zeit des Tiberius). Jedenfalls gelangte Italien an die Grenze unserer Periode
mit einer weitgehenden Minderung seiner Bewaldung. Hiermit aber war ein
gesteigertes Auftreten von Hochwassem und starkei' Gegensatz des Wasser-
standes der Flüsse in der niederschlagsarmen Sonunerzeit gegeben: es begann
zu Ende dieser Zeit da und dort das Entarten der Floßläufe und besonders
ihrer Mündungsstrecken in Mittel- und Ünter-Italien.
Jedoch wuchsen die Aufschüttungen der großen Flüsse an ihrer Mündung
noch immerhin langsam. Es war ja namentlich Ober-Italien noch weit besser
bewahrt vor Waldabschwendung. Schon der Zustand Liguriens, gänzlich
verschieden von jenem der späteren Zeit, zeugt hiervon. Wie der Po trotz
seines damals nach Südost gerichteten Hauptmündimgsarmes keineswegs die
dortige große Lagune zuschüttete, so war auch das erstehende Aquileja auf
Jahrhundei'te durch einen damaligen Nebenfluß des Isonzo mit dem Meere in
Verbindung. Eine größere Anzahl oder größere Flächen von Seen erglänzten
am Fuße der Alpen oder doch im nördlichen Polande.
Im Süden Italiens hatte man dagegen gewaltsamere Natorvorgänge zu
verzeichnen als später: die Eruptivberge waren zahlreicher tätig (Monte Al-
bano, Ischia) und einzelne Ausbrüche des Ätna und des Vesuv mächtiger als
jemals später; man befand sich immerhin den endpliocänen Senkungsvorgängen
und dem Entstehen begleitender Bruchlinien um eine beachtenswerte Zeit-
spanne näher. Weniger heftig scheinen dagegen die Erdbeben fühlbar ge-
worden zu sein, oder man war vielleicht zu sehr an die seismische Bewegung
gewöhnt, als daß man über sie berichtete. Jedenfalls aber erfuhr das Land
eine durchgreifendere nachteilige Einwirkung auf sein Aussehen erst vom
Ende unserer Periode an, dadurch daß Rom durch Constantin und dann
durch die Reichsteilung dekapitalisiert wurde: es versiegte ein Strom von
Geld und Gut, welcher bisher der Hauptstadt und durch sie zugleich Italien
jahraus und -ein zugeflossen war. Hiermit schwand auch der Vorzug der
errungenen Lage mehr und mehr dahin.
Die Lage Italiens war die denkbar günstigste geworden. Die Mittel-
meerländer waren abgesehen von Ost-Asien und Nord-Indien der civilisierte
orbis terrarum, Italien aber das beherrschende und empfangende Central-
land geworden, zusammengefaßt zu einem wirtschaftlich und politisch be-
vorzugten Innengebiet. Vom Meere umgrenzt, konnte es alle Vorteile der
spendenden Provinzen in beliebigem Ausmaße allein genießen und in seiner
topischen Mittellage nach allen Seiten hin sich Vorteile neu zuwenden oder
sichern. Die Nachbarländer über dem Wasser und an der Kontinentseite Ita-
liens waren das Umland des letzteren, für welche die Zufuhr von materiellen
Mitteln und geistigen Anregungen nach Rom und Italien eine Hauptaufgabe
ihres Lebens bildete. Dadurch konnte dann auch das herrschende Land seine
Züge und Ergebnisse einer historischen Geographie. 441
einzigartige Kultur so durchgreifend und nachhaltig diesen weiten Territorien
zum Gremeingut werden lassen.
3. Periode. 400—1650 n. Ohr.
Daß die Küstenlinien Italiens nach dem Orient zeigen, erwies sich auch
in dieser Periode, welche so viele Faktoren des Niedergangs und der land-
schaftlichen Verarmung in sich schließt, als mehrfach segensreich. Dorthin
entwickelte sich Seekandel, dadurch Unternehmungsgeist, und durch diesen
erhielt das zurückgegangene Städteleben und die Gewerbtätigkeit nach wenig
Jahrhunderten neue weitgreifende Impulse. Allerdings ist es auch die eigene
Geistesbeschaffenheit der longobardisch-keltisch-lateinischen Bevölkerung Ober-
Italiens gewesen, welche aus sich selbst das so tatkräftig vorwärtsstrebende,
in Wohlstand blühende Städtewesen der Tiefebene hervorbrachte. Die Um-
änderung weiter Gebiete der letzteren, in ertragreichstes Gras- und Ackerland
durch die zugleich für den Gewerbebetrieb hergestellten zahlreichen Kanäle
kam jetzt zu wege, wenn sie auch noch weitere Steigerung besonders im
19. Jahrhundert erfahr. Im 8. und 9. Jahrhundert wanderte die Seiden-
raupenzucht und die Verbreitung des Maulbeerbaimis ein; freilich erlitt nun
auch das Bereich der Südalpen den Verlust seiner Bewaldung für die Städte,
zwischen Como und Brescia noch besonders durch die hier schon seit Karl dem
Großen als bedeutend bekannte Eisen- und Stahlverarbeitong. Der Seeverkehr
mit seinem Schiffsbedarf diente dem gleichen negativen Zweck im ganzen
Westen der Halbinsel. So kam es in dieser Zeit zur Ausbildung der Macchien
in den Niederungen nahe der See und auf den Unterzonen der Bergzüge.
Insbesondere entstanden mehr und mehr die Fiumaren, diese Stellvertreter
der Wadis der Wüstenländer; nur daß der ersteren GeröUe, welche nach
Regentagen durch die stürmischen Wasser in engem, tiefem Taleinschnitt aus
den Berghöhen herausgeführt werden, weit schädlicher sind durch ihre Über-
deckung und ihr Hegen von Krankheitserregern. — Im Süden freilich war
auch die ursprünglich von Osten, dann vom nahen Afrika herüberkonmiende
ethnographische Bewegung überaus wichtig: die Araber brachten nach Sicilien
im neunten Jahrhundert ihre hochausgebildete Bewässerungstechnik, um hier
Orangen- und Zitronenpfianzimgen pflegen zu können, Beis, Zuckerrohr und
Baumwolle anzusiedeln, auch die Korkeiche zu verbreiten. Welche Bedeutung
dies für das Aussehen von ganz Ost-Sicilien und unteritaliseher Landschaften
hatte, ist klar. Jedoch einerseits der Araber und ihrer Glaubensgenossen
lange Ausübung von Menschenraub, andrerseits die Tyrannei der reichen ita-
lischen Geschlechter führten zum Aufgeben der Ansiedlungen an der Küste
des südlichen Unter-Italien, deren Verödung und physische Verwilderung die
Folge war.
Mannigfaltige Änderungen in der Bodengestalt, an den Küsten und in
Flußläufen kamen in diesen Jahrhunderten zunehmender Beseitigung der Wald-
und sonstigen Pflanzendecke der Berggebiete zu Stande. Sehr beträchtlich
änderte die Natur und das methodische Eingreifen der Staatsgewalt die
Mündungsverhältnisse der ober-italischen Flüsse (Isonzo, Piave, Brenta und
Po). Seen trockneten in Ober- und Mittel-Italien aus oder erfuhren weit-
gehende Abschnürungen (wie jener von Como); Bergschlipfe imd ErdfäD
Oeo^rapbitche Zeltiolurift. 0. Jahrgang. 190.*). S.Heft 30
442 Wilhelm Götz:
(Dolinenbildnng) traten in der Außenzone der Alpen ein. Auch in Mittel-
Italien wurde die negative oder kontinentale Strandverschiebung meist durch
Aufschüttungen ausgiebig, besonders von Spezzia an bis zum (}olf von Salemo
an zahlreichen Strecken, wenn auch am Golf von Neapel ein Sinken des
Landes erfolgte. Die Schiffbarkeit der Flüsse, welche am Ende der vorigen
Periode wiederholt gepriesen wurde, hörte auf, während in Städten imd auf
Straßen eine erfolgreiche Auflagerungsarbeit der Atmosphärilien mit den
Staubmassen des weithin trockenen Landes vorgenommen wurde. Aber der
Reichtum der Industriestädte des Polandes und jener der Seehandelsplätze
oder von Florenz sorgte doch noch ausgiebig für Entlohnung einer rührigen
Bepflanzung des Niederlandes und der unteren Höhenstufen, auf denen Wein
und Olive ertragsreich blieben, wenn auch die Armseligkeit der Hütten und
Dörfer der Pächter einen immer stärkeren Gegensatz zu dem Beichtum der
Renaissance in den Städten und Adelssitzen darstellte.
Die Lage blieb gleichwohl eine bevorzugte. Die physisch gesicherten
Vorteile der Mittelmeerlage konnten um so weniger entschwinden, weil kein
anderes (rebiet an diesem Innenmeere einen Vorsprung in seiner Ausstattung
und in anthropogeographischer Hinsicht überhaupt während dieser Periode er-
langte, auch nicht Spanien trotz seiner Städte, maurischen Kultur und seines
intoleranten Königtums, welches letztere zerstörte. Es behielt aber Italien,
namentlich auch in Folge des wirkungsvollen Ersatzes für frühere Verluste,
wie sie die Entwicklung des Papsttums brachte, die Lage des Vermittlungs-
landes, wenn ae auch gegen Süden sich abschwächte, wo die feindselige
Macht des Islam immer höhere Schranken zog, nachdem die Kreuzzüge dies
keineswegs, etwa als Gegendruck, bewirkt hatten.
4. Periode. 1550—1870.
Die Selbstausschließung von den großen Entdeckungen und dem neuen
Weltverkehr brachte für Italien zwar langsam, aber doch im ganzen einen
sehr fühlbaren Rückgang hinsichtlich seines Pfianzenkleides und damit Düiftig-
keit gegenüber der Aufgabe, Schäden der jetzigen Landesnatur zum Besseren
zu wenden. Allerdings konnte es bei der Verbreitung neuer Produkte in
Europa dank seinem Klima nicht leer ausgehen. Aber abgesehen von der
Goldorange, der Tomate, der Agave und dem Tabak war es nur der Mais,
welchen man bald einbürgerte und sehr ausgiebig anbaute. Die Ausbildung
der Kanalisation im Norden und die Erhöhung der Flußsohle des Po ver-
anlaßte zu ausgedehnterer Reisproduktion. Das Bedürfnis nach Mehrung des
Exportes ließ auch zahlreichere und ausgedehntere Obsthaine entstehen, be-
sonders an Küstenstrichen. Aber die Entwaldung setzte man fort: die Ge-
nügsamkeit der Hirtenbevölkerung und der erhöhte Geldbedarf der ver-
pachtenden Großgrundbesitzer ließ für jene großenteils das Weiden von Kleinvieh
noch als das lohnendste oder doch für sie zureichende Gewerbe erscheinen,
daneben die Herstellung von Holzkohlen, um einiges Bargeld zu gewinnen.
So mußten denn in vermehrtem Maße die schon in der Zeit der vorigen
Periode wiederholt verzeichneten Folgen eintreten, welche der Mangel schützen-,
der Walddecke auf den mergeligen Und sonst tonreichen, wenig harten Boden-
schichten venu-sacht. Unzählige verderbliche Bergschüpfe und Rutschungen
Züge und Ergebnisse einer historischen Geographie. 443
erfolgen, durch welche wohlangebaate sanfte Gehänge, so und so yiele Tal-
flächen zerstört, Ortschaften zertrümmert und die Bewohner entmutigt werden.
Allerorten im Apenninengebiet und noch westlich desselben erscheinen diese
Miniaturkatastrophen, eine schwer zu beseitigende Wirkung der vorausgehenden
Waldsünden. Die immer stärkere Abfuhr von Geröll und Geschiebe aus den
Erhebungsgegenden schließt sich dem an, und dadurch zeigen sich die vielen
Veränderungen an den Küsten Italiens in dieser Periode notwendig noch aus-
giebiger, als sie es schon vorher getan. Denn dies bedarf einer besonderen
Hervorkehrung, daß kein Land in Europa in gleich großem Ausmaße oder in
ebenso raschem Erfolge seine Meeresgrenze abändert. Die Deltas, die Neuland-
bildungen durch Anschwenmiung, die Nehrungs- und Strandseenherstellung
und deren Zuschüttung ergeben eine lange Beihe von Konstatierungen. Frei-
lich eine Wiederaufforstung des Apennin bis zu dem früheren Stande zur
Zeit der altrömischen Bürgerschaft würde auch dann nicht vor sich gehen,
wenn Italien die ünsunmien und die Autorität hätte, dies durchzuführen;
denn die Bodenfeuchte der Vorzeit kehrt, auf den Bergen nicht mehr wieder.
Die Lage Italiens aber wurde mehr und mehr bis zum vierten Jahr-
zehnt des vergangenen Jahrhimderts eine peripherische. Dies vor allem
deshalb, weil die europäische Kulturgemeinschaft im Süden und nunmehr
auch im Osten der Halbinsel durch den Islam in abweisender Schärfe eine
Grenze gezogen erhielt, eine Einengung, welche bei dem vorhandenen Mangel
italienischer Politik und Handelspolitik (trotz der fortbestehenden kleinen
Handelsstaaten und Venedigs) nicht beseitigt werden konnte.
Erdkandliche Urgachen and Folgerungen.
Die beiden, so verschieden von der Natur ausgestatteten Länder bezeugen
zunächst, daß solche Gebiete der gemäßigten Zone mit kulturell fortschreitender
Bevölkerung einen beharrlichen Vorgang in der fortdauernden Änderung ihres
Aussehens aufweisen: die Minderung des in den obersten Boden- oder Gesteins-
schichten verfügbaren und offen sichtbaren Wassers. Sehr beachtenswerte
Stimmen sprechen sich zwar dahin aus, daß in Mittel-Europa der Beweis für
eine daraus folgende Erscheinung, nämlich für die Abnahme des Wasser-
standes der Flüsse nicht erbracht sei. Allein die Beobachtungen sind zunächst
nur auf Einzelheiten der letzten Jahrhunderte gestützt, welche keine einwand-
freie Behauptung gestatten (wie z. B. das Flußniveau an alten Steinbrücken,
wo doch die genaue Kenntnis des Querprofils und der Tiefe des Flusses
für die Zeit vor 2 — 3 Jahrhunderten ganz fehlt; das gleiche gilt von Strom-
schnellen wie bei Orsova und bei Schandau). Sodann ist es ausgeschlossen,
diesen Versuch, die Abminderung der jährlichen Flußwassermenge zu bestreiten,
auch auf die kleinen Flüsse zu übertragen. Denn man wird kaum einen
Verwaltungsbezirk in Mittel-Europa durchwandern können, ohne durch Augen-
schein, Chronik, Rechtsüberlieferungen und sonstige historische Tatsachen
ausgiebig die Nachweise zu empfangen, daß das fließende Wasser von heute
jenem vor tausend Jahren an Menge nachsteht. Man vergleiche die heutige
schwäbische Rezat und den Gedanken eines Karl des Großen, mit ihr seinen
groß in Angriff genommenen Kanal zu speisen! Ist doch notwendig auch in
30*
444 Wilhelm GOtz:
Folge der vielen tausend qkm von trocken gelegten Teichen, Seen und Süm-
pfen die Menge von Ablanfwasser geringer geworden, welches nicht etwa
durch direkt den Bächen zurinnendes Regenwasser quantitativ ersetzt wird.
Diese Trockenlegungen sind aber nicht nur ein Ergebnis menschlichen Ein-
greifens, sondern zum Teil auch von zwei anderen Vorgängen.
Das Grundwasser dringt teilweise allmählich in tiefere Hori-
zonte, eine Tatsache, welche auch ohne vorgenommene Messung und Erd-
schichtanalyse nicht abzulehnen sein wird. Das Grundwasser in seiner unteren,
dem undurchlässigen Fundamente angehörigen Strömungsmenge befindet sich
bekanntlich zumeist in einer Gesteins- oder Erd-Schicht von großer Wasser-
kapazität So groß auch letztere sei, so wird diese Schicht (gerade auch in
Folge der Vorwärtsbewegung des Wassers) nach einem größeren Zeitraum bis
über die Grenze ihrer Auüiahmefähigkeit mit Wasser getränkt; dessen stärkere
Quantitäten in niederschlagsreichen Zeiten bewirken notwendig eine Abschwä-
chung der Kohäsion und der gegen unten abschließenden Dichte der Mineral-
teile der Grundwassersoble: Wasser vermag in die nach unten folgende
Schicht, wenn auch noch so langsam, abwärts zu dringen. So verteilt sich
dann das einsickernde Niederschlagswasser in einem größeren Volumen der
Erdrindenlagen, und es erfolgt damit ein Zweifaches: es wird mehr Wasser
innerhalb der beteiligten Erdschichten sich bewegen als früher, und es wer-
den die Austritte von Wasser an das Tageslicht weniger als früher versorgt.
Dies erhält eine Unterstützung dadurch, daß die fortschreitende Ver-
witterung imnaer mehr Wasser bindet. Bekanntlich wird die Verwitte-
rung durch die Einwirkung des Wassers und des Temperaturwechsels herbei-
geführt. Die Zersetzung in Folge bodenchemischer Vorgänge unter Mitwirkung
der Elemente der Luft tritt als vorangehende, begleitende und Weiterführende
Auflösungsaktion noch hinzu. Die Verwitterung hat natumotwendig zunächst
unter der Oberfläche des Festbodens und besonders des festen Gesteins immer
durchgreifenderen Erfolg von Jahihundert zu Jahrhundert. In Folge dessen muß
sie immer fortschreitend in den nächsttieferen Schichten ein verwandtes Ge-
schick £^lbahnen oder vorbereiten. Da das Wasser und der Temperaturwechsel
die Träger der Verwitterung sind, so wird letztere ihren vorbereitenden Ein-
fluß so tief vordringen lassen können, als sich die Temperatur der Jahres-
zeiten bemerkbar macht, d. i. in unserem Klima zur Zeit 28 — 30 m imter
der Erdoberfläche. Wenn auch Wald und Pflanzendecke gegenüber den Wärme-
gegensätzen im Boden abschwächend wirken, so ist doch das Grundwasser
unter dem Wald nahezu in völlig gleichem Niveau, wie im freien Felde un-
weit davon. Daher verhält sich dies ganz anders, als z. B. neuerdings
Ototzky es lehrte. Alle verwitterten Lagen beherbergen weit mehr Wasser
als die festeren; insbesondere bindet ja vor allem Ton, dieses bleibende Mineral
verwitterten, ja auch zersetzten Gesteines, beträchtlich viel Wasser. Wenn
also die Verwitterung imd damit die Menge von lockerem Material und Ton-
erde zunimmt, so wird auch immer mehr einsickerndes Wasser absorbiert,
wird von der Oberfläche her aufgenommen, aber nicht wieder an diese abgegeben.
Durch die Verwitterung und das Durchdringen durch die Grund wasser-
soblen werden daher die Quellen schwächer oder an Zahl geringer, wenn auch
Züge and Ergebnisse einer historischen Geographie. 445
sehr langsam ; die Durchtrftnkung der obersten Bodenschicht mit Wasser mindert
sich. Die Wasseraustritte erfolgen a>lso in tieferem Horizont. Bäche haben
heute vielenorts ihren Anfang weiter abwärts im Tale als vor wenig tausend
Jahren; die Seespiegel sinken, wie in allen Erdteilen kräftig bezeugt; eine
Aralsee -Ausnahme ist in ihrer Vereinzelung kein Gegenzeugnis I Die seit-
lichen Moorzuflüsse aus Quellen ihres Randes werden schwächer; im Hoch-
und in Mittelgebirgen ist die Waldgrenze seit wenig Jahrhunderten dauernd
gesunken; die „Verwüstung^', z. B. in Asien, und die Preisgebung trockenen
Bodenmaterials an den Windtransport nimmt ebenso erwiesenermaßen zu
(in Inner- und Vorder- Asien, der arabischen Wüste, in Ägypten und anderswo).
Die Behauptung, daß diese Symptome nur zeitweiser Art seien, oder
das Anzweifeln einzelner derselben, ebenso das Verlangen nach zahlenmäßiger
Zeitangabe für das Eintreten dieser und jener angedeuteten konkreten Tat-
sache: dergleichen würde nur dann nicht bedeutungslos erscheinen, wenn die
Naturnotwendigkeit der beiden wasserentziehenden Prozasse mit Erfolg be-
stritten werden könnte.
Immerhin kann man versuchen, dieselben auf anderem Wege als un-
wirksam zu bezeichnen. Es käme als Einwand in Betracht: der Hinweis auf
den Ersatz durch Tiefenwasser und jener auf Kondensations- und Boden-
wasser, sowie auch auf die Beeinflussung der Verdunstung und auf die der
Speisung des Meeres durch die Flüsse.
Zunächst ist es Tatsache, daß sehr tief unter den oberen festen Gesteins-
schichten große Wassermassen da und dort verteilt sind. Die seitlichen
Wasserausbrüche bei vulkanischen Eruptionen, die kraftvollen Thermen, ge-
fährdende Wasserfluten in so und so großer Kilometertiefe bei Tunnelbohrungen
u. dergl. sprechen zu Gunsten derer, für welche auch nach Anerkennung von
mehreren Grundwasserhorizonten unter einander noch besondere Ansammlungen
von Wasser in bedeutenderer Tiefe existieren. Allein wenn auch große Mengen
aus ihnen auf die Oberfläche gebracht werden, so kommen sie von vorn-
herein nur an einigen wenigen Punkten in Betracht, werden aber für unsere
Hauptfrage dadurch belanglos, daß sie in früheren Äonen naturgemäß ebenso
emportraten, ja höchstwahrscheinlich bedeutend mehr, da der Festigungs-
vorgang der Erdrinde doch fortschreitet.
Diese Tiefenwasser sind aber wohl großenteils örtliche Ausammlungen
des Kondensationswassers, welches aus Horizonten stammt, die dem Erd-
centrum noch etwas näher liegen. Gewiß besteht eine Art Notwendigkeit,
daß Wasserdampf in Folge seiner Spannung aus tieferen, heißeren Kugelschalen
der Erde nach oben drängt, und daß in Folge der hier abnehmenden Hitze bei
gesättigtem Zustande Wasserausscheidungen vor sich gehen. Allein die Spannung
des wasserhaltenden Gases ist von vornherein schwächer als jene anderer
Gase; sodann wird beim Fortschreiten nach oben in geminderter Wärme der
Spannungs- und der Sättigungszustand immer fraglicher, weshalb die Mög-
lichkeit, daß derartig entstehendes Bodenwasser der Erdoberfläche nahe komme,
schon theoretisch nahezu ausgeschlossen erscheint. Die Beobachtung und
Messung aber hat ja diesbezüglich erwiesen, daß die wechselnde Stärke und
Zahl unserer Quellen mit wenig Ausnahmen von der Größe und Dauer der
446 Wilh. Götz: Züge und Ergebnisse einer historischen Geographie.
Niederschläge abhängt, also durch eine permanente Verstärkung von unten
her nicht bestimmt wird. Wie wenig letzteres überhaupt wirken könnte,
deuten wohl auch andere Umstände an. Weder in tiefen Bergwerksschachten
vermag man die sogenannte „Bergfeuchtigkeit" auf etwas anderes als auf
die Durchdringbarkeit des Gesteins von oben her zurückzuführen, noch hat
die lange recente Erdzeit dafür ausgereicht, daß z. B. die mächtige Eisboden-
schicht Sibiriens (ganz abgesehen von der bekannten Bohrung zu Jakutsk
jedenfalls auf 80 m Mächtigkeit angenommen) von unterirdischem warmem
Kondensationswasser noch immer keineswegs beseitigt zu werden vermag. Die
Feuchte aber, welche wir in den Dünenwällen und -tälem der Sahara bald
unter der obersten Schicht treffen, ist eine Erscheinungsform des sogenannten
Bodenwassers, welches als Kondensationsprodukt namentlich der nächtlichen
Tenotperaturgegensätze ebenso bei uns in jeder Sandanhäufung während warmer
Witterung vorgefunden wird.
Endlich vermögen wir auch in dem Hinweis darauf, daß bei vermehrter
Wasserbindung weniger verdunsten müsse, und daß die Flüsse das Meer in
schwächerem Maße versorgen würden, sowie sogar auch die Niederschläge
sich abmindern müßten, ene widerlegende Kraft nicht zu finden. Daß die
Niederschläge notwendig geringer werden mußten, wenn so viele Wasser-
flächen aufhörten und das Grundwasser merklich sank, erscheint allei*dings
als natürliche Folge jener beiden permanenten Vorgänge. Jedoch könnte
immerhin die wirksamere Intensität der Bestrahlung in der weniger feucht ge-
wordenen Atmosphäre die Entstehung von Regen und freilich auch die Ver-
dunstung trotz allem im früheren Ausmaße erhalten haben. Daß aber das
Meer von Seiten der Flußmündungen heute nicht mehr die gleiche Masse von
Süßwasser erhalte als vor etlichen Jahrtausenden, kann schwerlich bezweifelt
werden. Wenn wir keine ausgedehnte kontinentale Strandverschiebung wahr-
nehmen, so erscheint dies völlig angemessen. Denn die Notwendigkeit einer
marinen oder positiven Strandverschiebung läge vor in Folge der massenhaften
Sedimentierung, welche gerade auf dem Kontinentalblock oder in der Nach-
barzone der Küste beträchtlich sein müßte. In letzterer kann man schwerlich
die Hypothese von ausgleichender Senkung des Meeresgrundes hier zu Hilfe
nehmen; dies möge den abyssischen Regionen zunächst vorbehalten bleiben!
Aber weil das Meer weniger Wasser vom Festboden her aufzunehmen hat
als früher, darum kann sich am Meeresgrunde in der Kontinentalblockzone
viel zugeführtes Material der Flüsse sedimentieren, ohne daß der Wasser-
spiegel steigt
Nach dem allen wird also der Mensch nur im Stande sein, die Ver-
armung in Bezug auf fließendes Wasser und das Sinken der Grundwasserhöhe
durch Pflege der schützenden Pflanzendecke zu verlangsamen; allein er ver-
mag diesen Naturprozeß nicht hintanzuhalten. Eine Wiederkehr eiszeitlichen
oder verwandten Klimas in unseren Breiten würde gleichfalls nur eine Hem-
mung großen Stiles für denselben bringen, vor allem in vereisten Landflächen,
wo der Boden gefroren bliebe.
Jedoch konnte auch die Bevölkerung der besprochenen und geographisch
verwandter Länder mit all ihrer bezüglichen Tätigkeit den steten Selbstvoll-
F. Thorbecke: Der XTV. deutsche Geographentag in Köln. 447
zug des in Rede stehenden Vorganges nur in geringem Maße beschleunigen:
Bei der atmosphärischen Beschaffenheit unserer geographischen Breite (ihre
Dauer vorausgesetzt) bewegt man sich auch wohl schon jenseits der Grenze
bloßer Hypothesen, indem man eine Reihe von Jahrtausenden für nötig er-
klärt, um jene Wasserbindungen zu einer bedrängenden Verarmung an ver-
fügbarem Wasser in Mittel-Europa werden zu lassen. Dies auch deshalb,^
weil die Mehrung der vom Boden gebundenen Wassermenge doch auf be-
trächtlche Zeit Gewächsen mit tiefgreifenden Wurzeln günstig ist. Deshalb
wird es wohl eine Perspektive von der eben erwähnten Längsachse späteren
Zeiten gestatten, noch eine Anzahl von Perioden historischer Geographie den
hier skizzierten anzuschließen.
Der XIV. deutsche Geographentag in KSln.
Von P, Thorbeoke in Heidelberg.
(Schluß.)
Landeskunde des Rheinlands.
Die fünfte Sitzung unter dem Vorsitz von Geh.-Rat Rein aus Bonn
am Vormittag des 4. Juni war der Landeskunde des Rheinlands ge-
widmet; ihre Vorträge sollten zugleich auf die „morphologischen" Exkursionen
vorbereiten.
Zuerst sprach Prof. Dr. A. Philippson aus Bonn über die Morpho-
logie des rheinischen Schiefergebirges. Es ist ein im Laufe der
Jahrtausende allmählich zum Rumpfgebirge abgeschliffenes altes Faltengebirge,
aufgebaut aus stark gefalteten paläozoischen Tonschiefern und Grauwacken
des Unter-Devons. Ob wir hier die ungeheuren Wirkungen der zerstörenden
Kräfte des fließenden und spülenden Wassers zu erblicken haben, oder ob die
Meeresbrandung des Trias-Meeres zur Ausgestaltung dieses Horstes beigetragen
hat, will der Redner nicht untersuchen; er hält aber das letztere für wahr-
scheinlicher. Die Buntsandsteindecke , die die eingeebneten Faltenzüge teil-
weise überdeckt, ist aus den Zerstörungsprodukten des alten Devongebirges
zusanunengesetzt. Jedenfalls ist auch nach der Buntsandsteinbildung die Ein-
ebnung des Gebirgs noch weiter fortgeschritten. Seen, Lagunen und Sumpf-
bildungen aus dem mittleren Tertiär treten in der Kölner Bucht, in der
Ville, im Neuwieder Becken und an andern Orten auf. Nachher müssen sehr
bedeutende Hebungen und Senkungen im ganzen Gebiet stattgefunden haben.
Diese zahlreichen jungem vertikalen Verschiebungen sind auch auf die Fluß-
läufe nicht ohne Einfluß geblieben. Der Rhein durchbricht das Schiefer-
gebirge an seiner schmälsten Stelle, die Mosel folgt der Trierer Bucht. Die
Durchbruchstäler im Schiefergebirge sind das Werk der Flüsse selbst. Diese
Erosionstäler sind aber keineswegs in die Höhe der Einbrüche eingetragen,
sie gehen bis höchstens 300 m, sie sind Tröge, auf deren Boden die Flüsse
fließen. Denmach sind folgende Formelemente zu unterscheiden: die Erosions-
täler der Flüsse, die beiden Trogflächen dieser Flüsse, die abseits liegenden
hohen Teile des Rumpfgebirges, die horizontal gelagerten Tertiärschichten,
die Einbruchsbecken und die vulkanischen Formen. Diese einzelnen Form-
elemente kennzeichnete der Voriragende dann näher an Beispielen aus den
Gegenden, die von den Geographen besucht werden sollten, und kam dabei
448 y- Thorbecke:
zu dem Sdüusse, daß das im ganzen als einförmig yerschrieene Schiefer-
gebirge doch eine Fülle von morphologischen Problemen biete, die zum Teil
erst angeschnitten seien. Ihre genauere Kenntnis verdanke man den Arbeiten
des Bezirksgeologen Dr. Kaiser^) aus Berlin, der zuerst in die Meßtisch-
blätter Höhenschichten eingezeichnet habe. Es sei freudig zu begrüßen, daß
die preußische geologische Landesanstalt die Spezialaufaahme des Schiefer-
gebirges energisch in die Hand genommen habe; man dürfe hoffen, daß diese
Aufnahme zu ganz neuen morphologischen Gesichtspunkten führen werde.
Dann^ sprach Dr. Kaiser selbst an der Hand einer Höhenschichtenkarte
in 1 : 25 000 über die Ausbildung des Rheintals zwischen dem Neu-
wieder Becken und der Köln-Bonner Bucht. Als niederrheinische
Bucht bezeichnet man die weite Niederung, die, mit jüngeren Bildungen aus-
gefüllt, sich vom Siebengebirge weit nach Nordwesten erstreckt. Der Teil,
in dem der Rhein heute in einer Höhe von 55 bis 40 m fließt, wird als
Bonn-Kölner Bucht bezeichnet. Sie ist ebenso wie das Neuwieder Becken
durch tektonische Einbrüche in verhältnismäßig junger Zeit entstanden« Das
Rheintal selbst hat höchstens seine erste Anlage tektonischen Vorgängen zu
verdanken. Zu seinem größten Teil ist es ein Erosionstal, das sich stufen-
förmig in das ältere Gebirge, in die Schichten des Devons und Tertiärs so-
wie in tertiäre vulkanische Gesteine eingeschnitten hat. Einzelne Terrassen
lassen sich auf weite Strecken am heutigen Rheine verfolgen. Auf ihnen
liegen Schotterablagerungen, die der Rhein in den Ruhepausen zwischen dem
Einschneiden absetzte. Ihr Material, das verschiedenen ürsprungsgebieten
entstammt, läßt die Altersunterschiede der einzelnen Terrassen klar erkennen.
Die älteste Terrasse liegt an der Ahrmündung etwa 210 bis 240 m über
dem Meer, sinkt aber nach Norden beträchtlich. Ihr Material deutet nament-
lich auf größere Mengen zerstörter Kreide. An der Oberfläche ist sie nicht
scharf getrennt von der nächst jungem Terrasse, der Hauptterrasse, die sich
am besten zu beiden Seiten des Rheins vom Neuwieder Becken (bei Linz in
einer Höhe von 180 bis 200 m) bis in die Kölner Gegend (zum Vorgebirge
bei Königsdorf-Horrem, in 120 bis 130 m) verfolgen läßt. Tiefere Terrassen
treten mannigfach auf, sind aber meist nicht durch das ganze Gebiet ver-
folgbar. Die Gegend von Linz und Remagen bietet gute Beispiele: besonders
eine Terrasse, die bei Remagen in einer Höhe von 70 m gut aufgeschlossen
ist, nach Norden hin an Höhe abnimmt, bei Köln nur noch 55 bis 60 m
hoch liegt und hier die ausgezeichnete ebene Terrassenfläche bildet, an deren
Rand Müngersdorf liegt, die von der Eisenbahn zwischen Müngersdorf und
Königsdorf westlich von Köln überschritten wird.
Nachdem sich der Rhein bis in dieses Niveau eingeschnitten hatte,
wurden die Gehänge mit Löß überdeckt, der auch im Rheintal viele der
Gesetzmäßigkeiten wieder erkennen läßt, die schon aus andern Lößgebieten
bekannt sind. Bei noch tieferm Einschneiden entstand die heutige Talfläche,
in der noch eine Terrasse, die Niederterrasse, vom Überschwenunungsgebiet
zu unterscheiden ist. Alte verlassene Flußrinnen lassen sich in der Nieder-
terrasse namentlich auf der linken Rheinseite von Bonn nach Köln ver-
folgen. Die Tiefe, bis zu der sich der Rhein eingeschnitten hatte, liegt bei
Honnef 88 m über dem Meere, bei Bonn 36 m, bei Widdig 35 m, bei Weiß
unter 18 m, bei Köln unter 7 m über dem Meeresspiegel, so daß die Auf-
1) Dr. Kaiser ist jetzt mit der im letzten Jahr begonnenen geologischen Be-
beitung der Blätter Ahrweiler und Linz beschäftigt.
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 449
sobüttongen in der Form Ton lockern Sanden und Geschieben sowie Lehm
bei Honnef 20 m, bei Bonn 17y,m, beiWiddig 21 m, bei Weiß 34 m, bei Köln
37 m mächtig sind. Im südlichen Teile des Gebiets nehmen noch Erzeugnisse
jüngerer Vulkane an der Ausbildung des Reintales teil. Ein großer Teil
namentlich der lockern Answurfsprodokte ist jedoch schon wieder durch die
Erosion fortgeführt. Die genaue Altersstellung der einzelnen Vulkanaus-
brüche, namentlich im Laacher See-Gebiet, gegenüber den verschiedenen
Phasen in der Entstehung des Rheintals ist bisher nicht erforscht worden.
In der Ausbildung des Rheintals zwischen dem Neuwieder Becken und der
Bonn-Kölner Bucht zeigen sich Analogien zu andern Gebieten, wie namentlich
zur oberrheinischen Tiefebene und zum Mainzer Becken, doch sind die bis-
herigen Untersuchungen nicht weit genug vorgeschritten, um genauere Ver-
gleiche zu ermöglichen.
Prof. Dr. Voigt aus Bonn sprach über Überreste der Eiszeitfauna
in mittelrheinischen Gebirgsbächen, über Fische und Strudelwürmer
als Rückstände der Eiszeit im Lande. Von Fischen sind bei den Gadiden,
die im Tertiftr von Norden her einwanderten, Lota vulgaris als „Winter-
laioher*' hervorzuheben. Das Laichen im Winter habe die Bedeutung, daß
zwar das erwachsene Tier den veränderten Lebensbedingungen genügend an-
gepaßt sei, um sie zu ertragen, daß aber für die zarten Embryonen die Jahres-
zeit beibehalten werden müsse, die den früheren klimatischen Verhältnissen
entspreche. Bei den Salmoniden könne man aus der zerstreuten Verbreitung
schließen, daß sie von Norden her zu uns zurückgedrängt wurden und sich
hier nur in einzelnen kälteren Wässern erhielten. Die Forelle ist ein Winter-
laicher. Alle anderen mittelrheinischen Fische sind Sommerlaicher, der Karpfen
verlangt z. B. 19^ Wassertemperatur, um sich fortzupflanzen, er ist prä-
glacial und starb zur Eiszeit aus, wurde aber später wieder eingeführt —
Von Strudelwürmern ist Planaria cUpina ein Relikt; ihre Vermehrung erfolgt
meist im Winter. Fölygdis comuta vermehrt sich bei niederen Temperaturen
geschlechtlich, bei höheren ungeschlechtlich; ähnlich nimmt Plancuria gono-
cephcUa ein niedriges Temperatur-Optimum in Anspruch. Die Verbreitung
dieser Tiere in den Bächen hängt von der Temperatur ab. Zum Schluß be-
sprach der Vortragende das staffelweise Vorrücken der Strudelwürmer in den
Bächen von der Mündung bis zur Quelle.
Dr. Fischer, Privatdozent der Botanik in Bonn, behandelte Pflanzen-
geographisches aus der Rheinprovinz. Einleitend wies er auf den
engen Zusammenhang von Pflanzengeographie und Erdbeschreibung hin: der
Standort schaffe neue Arten, also erzeuge auch die weitere Verbreitung von
Pflanzen neue Arten, was wirtschaftlich von Wert sein könne. Von den
etwa 2223 echten Bürgern der deutschen Flora enthält die Rheinprovinz 1333
oder 60 Prozent; sie verdankt diesen Artenreichtum ihrer großen meridio-
nalen Erstreckung über drei Breitengrade und ihrer Öffnung nach Süden und
Norden, die nach der Eiszeit den Kindern Floras leichten Eingang aus beiden
Richtungen bot. Ziemlich groß ist die Zahl der Pflanzen des Westens, unter
denen das aschgraue Heidekraut, Erica cinerea^ in der Umgebung von Bonn
als einzigem deutschen Standort vorkommt. Die subalpine, die Salz- und
Sandflora ist in der Rheinprovinz nur mit wenigen Arten vertreten, die
erste in engem Tälern oder auf sonnigen Felsgehängen, die zweite nur bei
Kreuznach und Saarbrücken, die Sandflora im Norden und äußersten Süden;
eine typische Hochmoor-Flora finden wir im hohen Venu. Die verschieden
sten Bodenarten, so der rote Galmeiboden des Aachener Beckens, haben stark
450 F. Thorbecke:
ändernd auf die Einwanderer eingewirkt. Die rasch erwärmten, aber nur
langsam abkühlenden Kalk-, Schiefer- und Basaltböden wurden bald die
Heimat südlicher Arten, so fast aller deutschen Orchideen- Arten, die durch
die langen Täler vordringen konnten und heute in verschiedenen Breiten, bis
zum Siebengebirge hin, allmählich ihre Nordgrenze erreichen. Die Kultur
der Römer hat auch mittelmeerische Arten hierher gebracht, so neben andern
an die Mosel den Buxbaum. In der Nordhälfte der Provinz ist die Sumpf-
flora charakteristisch entwickelt. Die Grenze beider Gebiete liegt ziemlich
scharf etwa im Parallel von Bonn, am augenfälligsten offenbart sie sich am
Aufhören des Weinbaus.
Der Kölner Archivdirektor Prof. Dr. Hansen sprach im Anschluß an
die historisch-geographische Abteilimg der Ausstellung über geschichtliche
Karten des Rheinlands. Die Gesellschaft für rheinische Greschichtskunde
gibt im Auftrag des rheinischen Provinzialverbands einen geschichtlichen
Atlas der Rheinprovinz heraus, von dem bis zu diesem Frühjahr 15 Karten
und vier Erläuterungsbände vorlagen; an ihnen schilderte der Vortragende
die Arbeitsweise, die bei der Herstellung dieses ersten bisher erschienenen
historischen Kartenwerks in größerem Maßstab (von 1 : 500000 bis 1 : 160000)
befolgt wird. Ähnliche Arbeiten sind zum Teil bereits fertiggestellt, zum
größeren Teil aber erst geplant und in Angriff genommen von andern
deutschen landschaftlichen Publikationsinstituten ^); am weitesten ist bisher der
im Grazer geographischen Institut auf Veranlassung der Wiener Akademie
unter Eduard Richters Leitung bearbeitete Atlas der österreichischen
Alpenländer voran geschritten; ein Blatt mit Erläuterungen ist bereits er-
schienen. Leider konnte Richter seinen Plan, dem Kölner Tag sein Werk
vorzulegen, nicht verwirklichen.
Das österreichische Unternehmen stand vor einer verhältnismäßig ein-
fachen Aufgabe, deren Lösung auch hochgespannten geographischen Ansprüchen
gerecht wird. Anders in den Rheinlanden. Hier lagen aus dem Mittelalter
überhaupt keine brauchbaren Karten als Quellenmaterial vor; die in den
Handschriften der Archive vergrabenen zerstreuten Notizen müssen mühsam
zusanmiengesucht, die alten Flur- und Ortsnamen zu Hilfe geholt werden.
Die Arbeit ist rückläufig: sie fängt nicht mit 1450 an, um welche Zeit etwa
die ersten einigermaßen exakten Vermessungen und Aufnahmen einzelner
Landesteile begannen, sie muß, da auch bis 1800 kein brauchbares Material
vorliegt, ausgehen von der ersten Katastrierung in den Jahren 1800 — 1832.
Durch Anlehnung an die aus jüngerer Zeit bekannten Grenzen soll so all-
mählich ein Netz von Linien als Grundlage für die historische Arbeitskarte
gewonnen werden, sind die Grenzen für die ältere Zeit zu rekonstruieren.
Die bisher erschienenen Karten stellen zunächst die Rheinprovinz in der
französischen Zeit um 1813 und bei Beginn der preußischen Verwaltung im
Jahre 1818 dar in einer Karte der ganzen Rheinprovinz in einem Blatt; die
Kantons- oder Kreisgrenzen der damaligen Zeit finden sich im zugehörigen
Erläuterungsband; beide rühren von Konstantin Schulteis her. W.Fabricius
hat die große Karte der im Gebiet der Rheinprovinz gelegenen Territorien
des alten Reichs im Jahre 1789 (in sieben Blättern und zwei Übersichts-
karten nebst zugehörigem Erläuterungsband), die Karte der kirchlichen Ein-
1) Über den augenblicklichen Stand dieser Arbeiten und über die an ihnen
beteiligten historischen Gesellschaften und Institute gibt die kurze Notiz im V. Heft
der G. Z. (S. 285) über die mit der VII. Versammlunff deutscher Historiker zu
Heidelberg im April d. J. verknüpfte Ausstellung Aufscmuß.
Der XrV. deutsche Geographentag in Köln: 451
teilnng im Jahre 1610 in vier Blättern und eine Spezialuntersnchung über
das Hochgericht Rhaunen auf dem Hunsrück bearbeitet Von H. Forst
rührt eine Spezialuntersuchung über das Fürstentum Prüm in der Eifel her.
In die Karten von 1789 und 1610 ist das Terrain nicht aufgenonunen; sie
zeigen nur das Flußnetz. Hansen ist aber grundsätzlich für Aufnahme
des Terrains, wie die Karte von 1813 zeigt, zu der eine eigene Terrain-
karte gezeichnet wurde; auch Eduard Richter hat sich im Gebirgsland für
die Terrainkarte entschieden. Ein prinzipieller Unterschied in der Auffassung
des österreichischen und rheinischen Publikationsinstituts besteht also nicht.
Nur ist die Durchführung des Grundprinzips in den österreichischen Alpen-
ländera, wo die großen Bezirke der Landgerichte abgegrenzt werden sollen,
einfacher als in der Rheinprovinz, wo oft auf sehr .kleinem Gebiet überaus
viele Grenzlinien gleichzeitig eingetragen werden müssen. Dieselbe Art der
Darstellung sei eben nicht überall anwendbar.
Der ganze Streit über die Grundkarten störe nur das ruhige Weiter-
schaflfen! Die bisherigen praktischen Arbeiten (besonders von Fabricius und
Forst) auf dem Gebiet der historischen Geographie des Rheinlands haben
die außerordentliche Stabilität der Grenzen, vor allem der kleinsten, der
Gemarkungsgrenzen ergeben; sie sei begründet in der Siedelungsweise. Aber
die Schwierigkeiten des groß angelegten Unternehmens, das für andere in
ähnlichen Verhältnissen vorbildlich werden dürfte, vor allem das Fehlen
topographischer Karten mit Flurnamen, würden inmier wieder von neuem
empfunden, je weiter die Arbeit fortschreite. Damit diese Gemarkungsgrenzen
keine Phantasiegebilde würden, sei ein Ortsverzeichnis mit Berücksichtigung
der Flurnamen geplant, zunächst flir einzelne Territorien, dann für die ganze
Provinz. Erst wenn dies fertiggestellt sei, könne an die Herstellung topo-
graphischer Karten mit Flurnamen gegangen werden.
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. G. Hellmann vom kgl. preuß. meteorologischen
Institut in Berlin, der Begründer des großen, ganz Preußen umfassenden
Netzes der Regenstationen, sprach über die Regenverhältnisse von Nord-
Deutschland mit besonderer Berücksichtigung des Rheinlands.
Im Jahr 1892 wurde die Rheinprovinz organisiert, 1893 waren alle Provinzen
dem Beobachtungsnetz angegliedert. Heute sind in Norddeutschland 2400 Regen-
stationen vorhanden; ihre Resultate liegen in der Reihe der Regenkarten vor,
die 1899 mit Schlesien begonnen hat. Der heutigen Versammlung überreichte
der Redner die letzte, die der Rheinlande, und legte eine von ihm ent^
worfene, die Isohyeten von 100 zu 100 mm zeigende Regenkarte von Nord-
Deutschland im Manuskript vor. Die Karte hat den Fehler, daß sie sich
nicht auf dieselbe Periode bezieht. Die Abweichungen innerhalb einer Pro-
vinz sind durchaus nicht homogen. Die allgemeinen Charakterzüge der Regen-
karte spiegeln in gewissem Sinne die Höhenschichtenkarte wieder; am deut-
lichsten wird der Einfluß der Höhen da, wo sie von regenbringenden Winden
getroffen werden. Aber eine Zusammenstellung aller Regenhöhen nach abso-
luten Höhen hat gar keinen Sinn. Immer nur kommt es auf die relative
Höhe an. Die Küste ist relativ regenarm; es regnet wohl viel an ihr, aber
die starken Gewitter mit viel Regen kommen dort viel weniger häufig vor
als im Binnenland. Die Regenhäufigkeit ist also hier größer, die Dauer des
Regentags aber kürzer als im Binnenland, vier bis fünf Stunden. Der Grund
liegt in der größeren Windgeschwindigkeit an der Küste.
Die mittlere jährliche Regenmenge ist nach Meinardus' Methode zur
Seetief enbestinunung, der sogen. Stichprobenmethode, bis auf Yj Tntp genau
452 F. Thorbecke:
bestimmt, sie beträgt 637 mm. Im Vergleich zu diesem Normalmittel ist
die Bheinprovinz meist zu trocken. Sechs Provinzen (Posen, Westpreußen,
Brandenburg, Sachsen mit Thüringen, Pommern, Ostpreußen) sind trocken und
6 (Schlesien, Hannover, Hessen-Nassau, Schleswig-Holstein, Bheinprovinz und
Westfalen) feucht. Ana regenreichsten ist der Harz, auf dem Brocken hat
man im Mittel 1700 mm (zwischen 1600 — 1800) gemessen. Der trockenste
Punkt liegt im Osten, im Gebiet der Weichsel und Warthe, im dortigen
Kreise Strasburg gibt es Orte von nur 440 mm Regenmenge. Auch Rhein-
hessen ist sehr trocken, dort ist das niedrigste Mittel 476 mm. In der
Provinz Sachsen berühren sich die Extreme. Steigt man vom Brocken in
die Halberstftdter Ebene, so kommt man von 1700 in 470 mm, im Maus-
felder Seekreis sind sogar in manchen Orten nur 420 nun Regenhöhe ge-
messen! Das sind die niedrigsten in Norddeutschland beobachteten. Ähnlich
ist es im hohen Venu, wo man von 1350 mm zu 600 m ins Rörtal nieder-
steigt bei einem Höhenunterschied von noch nicht 200 ml Im allgemeinen
kann man ein Ansteigen der Isohyetenflächen von West nach Ost beobachten;
doch steigen sie im Rheinland viel rascher an, wie z. B. im Riesengebirge,
wo Regenhöhen von 1000 mm, die im rheinisch-westfälischen Industriebezirk
gemessen wurden, erst in 1200m U.d.M. angetroffen werden. In den öst-
lichen Gebirgen, im Riesen- und Isergebirge, vor allem auf der Schneekoppe
erschweren schwierige Schneemessungen die Feststellung der Niederschlags-
höhen. Im großen imd ganzen ist so der Westen vor dem Osten bevorzugt.
Privatdozent Dr. P. Polis, Direktor des meteorologischen Observatoriums
in Aachen, das unter seiner Leitung eine Art Centrale fElrs Rheinland ge-
worden ist, sprach über die klimatischen Verhältnisse des Rheinlands,
insbesondere des Yenns, der Eifel und des Rheintals.
Das Gebiet steht noch ganz unter ozeanischem Einfluß: West- und Süd-
west-Winde herrschen vor, was sich auch in der Pflanzenwelt sehr deutlich
ausprägt. Die Luft ist stärker bewegt und die Temperaturschwankungen sind
geringer als weiter im Binnenland. Aber von Nord nach Süd nimmt dieser
Einfluß immer mehr ab. Am meisten zu Tage tritt der ozeanische Einfluß
und damit auch die westliche Luftströmung in den Sommer- und Winter-
monaten, wenn sich die im Norden vorüberziehenden Luftdruckminima häufen;
im Winter weht vorwiegend SW, im Sommer mehr NW. Die Windstärke
ist in der niederrheinischen Tiefebene größer als im Rheintal; nach den
Messungen am Aachener Observatorium beträgt sie durchschnittlich 4,65 m
in der Sekunde, steigt mit zunehmender Erhebung über den Meeresspiegel,
ist z. B. im hohen Venu größer als in der Ebene. Die herrschende Wind-
richtung ist in der Pflanzenwelt nirgends so deutlich abgebildet wie im
Venu und in der Eifel, wo alle Bäume und Sträucher nach NO bis 0 geneigt sind.
Die Temperaturbeobachtungen von 30 Stationen in den Jahren 1881 bis
1900 haben ergeben, daß im Jahresdurchschnitt das gesamte Rheintal, das
Moseltal und die Tiefebene zwischen Maas und Rhein nördlich vom hohen
Venu am wärmsten sind, wo die mittlere Jahrestemperatur fast 10^ erreicht.
Der ganze übrige Teil weist eine mittlere Jahrestemperatur von weniger als
9® auf, die anfangs langsam, mit zunehmender Erhebung über den Meeres-
spiegel aber schneller sinkt. Der Einfluß der Höhen bringt daher einen
starken Wechsel der Temperaturverhältnisse in dem reich gegliederten Ge-
lände des Schiefergebirgs hervor. Weniger als 7® haben Taunus, Hunsrück,
die höher gelegenen Punkte des Westerwaldes, sowie die höheren Lagen des
Sauerlands. Eifel und Venu liegen völlig innerhalb der 7 ^-Isotherme, in
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 453
ihren höchsten Erhehongen beträgt die mittlere Jahrestemperatur noch keine
6^. Die vom Vortragenden entworfenen Karten der einzelnen Jahreszeiten
zeigen diese Verschiebungen sehr deutlich: im Winter und Herbst liegen die
wärmsten Gebiete auf der nördlichen Abdachung des hohen Venns im Ge-
lände zwischen Maas und Rhein, im Sommer und Frühjahr im oberen Bhein-
tal bei Geisenheim. Die jährliche Wärmeschwankung nimmt von N mit dem
Zurücktreten des ozeanischen Einflusses nach S in der Ebene um beinahe 3^
zu, in Kleve beträgt sie 16,3®, in Fi-ankfurt a. M. bereits 18,7®.
Besonders interessant ist das Vorkommen abnormer Wärmeverhältnisse;
die Temperaturumkehr mit der Höhe weist ähnliche Verhältnisse auf wie das
Hochgebirge; zwei krasse Fälle zeigten, wie im Aachener und Neuwieder
Becken vielfach die Temperaturen bei Anwesenheit von Nebel mehrere Grad
unter dem Gefrierpunkt lagen — sie betrugen 2® und weniger — , während
gleichzeitig auf den höchsten Erhebungen des Venns und der Eifel bei Sonnen-
schein bis zu + 12® gemessen wurden. Diese Temperaturumkehr ist verursacht
durch stagnierende kalte Luftmassen in den Tälern, während die Höhen durch
dynamisch absteigende Luftströme erwärmt werden. Auch der Föhn, der zuerst in
den Alpen studierte, aber nicht auf sie beschränkte Wind, ist im Aachener
Becken, am Nordwestabhang des Venns, sowie im Neuwieder Becken an sei-
nem Südostabhang beobachtet worden; in Aachen fallen die südlichen bis
südöstlichen Winde vom Gebirge herunter und bewirken Temperatursteige-
rungen bis zu 8® und eine Verminderung der relativen Feuchtigkeit bis auf
20 — 3O®/0, im Neuwieder Becken die nordwestlichen; die hohen Winter-
temperaturen dieses Beckens werden dadurch erklärlich.
Niederschläge wurden von 1886 an gemessen; seit 1893 besteht ein dichtes
Netz von 250 Regenstationen in der Rheinprovinz. Es gibt wohl kein Gebiet
in Nord-Deutschland, welches auf geringe Entfernimgen so krasse Gegensätze
in der Regenverteilung aufweist wie die Rheinprovinz: regenreiche und trockene
Gebiete liegen z. B. beim hohen Venu in der Luftlinie kaum 50 km von ein-
ander entfernt, auf dieser Strecke sinken die Niederschlagshöhen von 1500
auf 600 mml Die mittlere jährliche Niederschlagshöhe der Rheinprovinz be-
trägt 717 mm, woraus sich annähernd eine Gesamtmenge von 19 345 377 000
Cubikmetem ergibt. Im Jahr steigt die Niederschlagshöhe an zwei Stellen
über 1000 mm an, im hohen Venu und auf den bergisohen Höhen; die Gebiete
größter Trockenheit umfassen den unteren Lauf der Mosel und der Nethe,
sowie das Rheintal von Lorch bis oberhalb Geisenheim einschließlich des
Nahetals bis Sobemheim. Die vom Vortragenden gezeichnete Karte der jähr-
lichen Niederschläge enthält zehn verschiedene Regenzonen ; innerhalb des Gebiets
schwankt die jährliche Regenhöhe um 898 mm, sie liegt zwischen 1321 nmi zu
Monte Rigi im hohen Venu und 423 mm zu Münstermaifeld an der östlichen
Abdaohimg der Eifel. Die Ebenen und die beiden Hauptflußtäler haben den
meisten Regen im Sommerhalbjahr (vom April bis September), die Gebirge
im Winterhalbjahr (vom Oktober bis März). Der Übergang vom Sommer zum
Winter macht sich in den niedrigen Gebirgslagen und den Ausläufern des Gebirgs
bemerkbar. Von den Jahreszeiten ist der Sommer am reichsten, der Frühling
am wenigsten mit Niederschlägen bedacht. Der Herbst wird im Gebirge durch
größere Regenfülle ausgezeichnet als im Flachland. Auch die Verteilung
der Gewitterhäufigkeit ist sehr verschieden; die Hochfläche des Venns mit
etwa 10 Gewittern jährlich ist nahezu gewitterarm, die Luvseite hat sogar
nur 8 Gewitter im Jahresdurchschnitt; die östliche und nördliche Abdachung,
die Leeseite, sowie das Rhein- und Moseltal mit 24 bis 30 Gewittern sind
454 F. Thorbecke:
gewitterreicb. Schneehöhen von 60 cm sind der Durchschnitt. Die meisten
Schneetage, nämlich 60, besitzen die Eifel und das hohe Venn; doch über-
steigen nach den Beobachtungen von Monte Bigi und Schneifelforsthaus selbst
in schneereichen Wintern die Schneehöhen nicht 120 cm. Den geringen
Niederschlägen und den höheren Temperaturen entspricht im Trockengebiet
am Rheinknie bei Geisenheim auch die Sonnenscheindauer; sie ist größer als
in der nördlichen Rheinprovinz, nach vierjährigem Durchschnitt zu Geisen-
heim 1655, zu Aachen 1531 Stunden.
Die großen klimatischen Gegensätze der Rheinprovinz, Regenreichtum —
Regenarmut, hohe Jahrestemperaturen — heiße Sommer (im Rhein- imd
Moseltal) — kalte Winter (auf dem hohen Venn) — milde Winter (an seiner
Nordabdachung) zeitigen in der Bebauung des Bodens und in der Beschäf-
tigungsart der Bewohner große Unterschiede. Im nördlichen Teil begünstigen
die reichen und üppigen Wiesen, eine Folge des Regenreichtums, namentlich
die Viehzucht, wie im „Butterland" an der preußisch-belgischen Grenze. Auf
der östlichen Abdachung stehen Acker- und Obstbau im Vordergrund; in
den beiden Hauptflußtälem wiegt der Weinbau vor, in den eigentlichen
Trockengebieten gelangen die besten Trauben zur Reife. Andererseits be-
günstigen die großen Niederschläge im Sauerland und auf dem hohen Venn
die Industrie; Talsperren, wie die eben im Bau begriffene von Gemünd in
der Eifel, sammeln die großen Wassermassen und ermöglichen so durch Aus-
nutzung der Wasserkräfte die Umsetzung der schlummernden Energie in
elektrische Kraft.
Dr. Fr. Wickert aus Wiesbaden sprach über den Verkehr auf dem
Rhein und seinen Nebenflüssen mit Berücksichtigung der Ab-
hängigkeit von den natürlichen Verhältnissen.
Von allen deutschen Flußgebieten hat das des Rheins den stärksten
Wasserstraßenverkehr; er spielt sich fast nur auf natürlichen Wasseradern
ab, das Eanalnetz des deutschen Rheingebiets ist noch wenig entwickelt.
Die Eleinschiffahrt hat fast nur lokale Bedeutung und ist auf den
meisten Nebenflüssen heute schon im Wettbewerb mit der Eisenbahn unter-
legen. Auch die Flößerei hat gegenüber der rascheren und bequemeren Be-
förderung durch die Eisenbahn immer mehr Boden verloren und ist heute
auf den oberen Neckar, auf die Nagold und andere Schwarzwaldflüsse be-
schränkt. Meist dient die Strömung zur Fortbewegung, auf dem Rhein und
dem kanalisierten Main werden Flöße auch von kleinen Schraubenbooten ge-
schleppt Der übrige Schleppverkehr zeigt vier Arten: 1. Die Seiltauerei, die
sich aber einzig auf der Strecke Bingen -Oberkassel gehalten hat. 2. Die
Kettenschleppschiffahrt, auf dem Neckar bis Laufen und dem Main von Offen-
bach bis Kitzingen. 3. Das Schleppen mit dem Raddampfer, wo wegen
starken Gefälles die Schleppzüge nicht zu lang sein dürfen, wie auf dem
Rhein oberhalb von St. Goar. 4. Die Schleppschiffahrt mit Schrauben-
dampf em, heute auf dem ganzen Rhein von Straßburg abwärts, die sich
besonders im ruhigen Wasser des Niederrheins und im Hafendienst bewährt.
Den Eil- und Stückgüterdienst besorgen besondere Güterdampfer zwischen
den meisten Stationen des Rheins, auf dem Main bis Frankfurt -Offenbach.
Der Wettbewerb der Eisenbahnen hat manche Wasserstraße veröden
lassen, besonders der Personenverkehr ist fast überall gleich Null, abgesehen
von Strecken, die durch landschaftliche Schönheit ausgezeichnet sind und
daher in guter Jahreszeit einen oft riesigen Vergnügimgsverkehr aufweisen,
wie der Rhein von Mainz bis Köln, in geringerem Maße auch die Mosel und
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 455
fler Neckar. Der Güterverkehr aber ist im ganzen Stromgebiet sehr be-
deutend, auf dem HauptfluB natürlich vielmal größer als auf irgend einem
Nebenfluß. Eine sehr lehrreiche, vom Vortragenden gezeichnete Karte der
„Güterströme" und Diagramme des Verkehrs auf dem Rhein und seinen
größeren Nebenflüssen in seiner Abhängigkeit vom Hoch- und Niederwasser
und vom Eisgang gaben ein anschauliches Bild des Güterverkehrs und seiner
jahreszeitlichen Schwankungen auf diesem wichtigsten, weil die günstigsten
Stromverhältnisse darbietenden Wasserweg Mittel- Europas. Der Vortragende
belegte seine Ausführungen durch eine Menge von Zahlenangaben, vor allem
über die Abhängigkeit des Verkehrs von den Wasserständen^). Er schloß
mit dem Wunsch, durch den Ausbau der Nebenflüsse, vor allem des Mains
und Neckars, zu Großschififahrtswegen und durch eine den heutigen Verkehrs-
ansprüchen genügende Ausdehnung des Bheinverkehrs auf die Donauwasser-
straße möchten die Wasseradern des ßheingebiets so nutzbar gemacht werden,
wie es bei den günstigen Wasser- und Tiefenverhältnissen gegeben ist, möchte
die heutige glänzende Stellung der Rheinschiffahrt zum Nutz und Wohl der
Anwohner so gestärkt werden, wie es dem so weit ins Innere Europas füh-
renden xmd viel verzweigten Stromsystem entspräche.
In der Nachmittagssitzung am Dienstag, den 2. Juni, wurden nach
geschäftlichen Mitteilungen des Geschäftsführers des Centralausschusses , des
Hauptmann Georg Kollm aus Berlin, als Ort der nächsten Tagung (1905)
Danzig, Greifs wald und Königsberg vorgeschlagen, als Zeit wieder Pfingsten
wegen der nordöstlichen Lage der vorgeschlagenen Städte; in der letzten Ver-
sammlung wurde dann Danzig und Pfingsten 1905 gewählt.
Auf Antrag der Centralkonunission wurden die Beitrage der Mitglieder
und Teilnehmer auf 10 und 6 Mark erhöht, um ein Deficit zu vermeiden,
was bei dem stetig wachsenden Umfang der gedruckten Verhandlungen und
der Darbietungen der Tagung durchaus berechtigt erscheint.
Prof. Kirchhoff machte in seinem Bericht über die Tätigkeit der
Centralkommission für deutsche Landes- imd Volkskunde die erfreuliche Mit-
teilung, daß die Fortführung der Berichte über die neuere Literatur zur
deutschen Landeskunde durch das überaus liberale Entgegenkommen des Leip-
ziger Verlegers Arnold Hirt gesichert sei.
Dann schloß Geh. Rat vonNeumajer die Sitzungen mit einem Schluß-
wort des Dankes an Köln imd dem Wunsch auf frohes Wiedersehen in Danzig.
Wir blicken auf eine sehr gelungene Tagung zurück. Der Kölner Orts-
ausschuß hatte seine Vorbereitungen musterhaft getroffen, aufs liebenswürdigste
dabei unterstützt von der Stadtverwaltung und der Bürgerschaft; ihnen sind
vor allem auch die großartig verlaufenen Festabende zu danken: der glänzende
Empfang durch die städtischen Behörden im Volksgarten, auf dem echt
rheinische Fröhlichkeit ihr Szepter schwang, das Festessen im Gürzenich, die
genuß- und lehrreichen Gänge durch Stadt, Dom und Hafen.
Aber eines muß doch hier ausgesprochen werden: die Fülle des Gebotenen
war fast zu groß! Eine Beschränkung der Zahl der Vorträge, die alle an-
zuhören physisch unmöglich war, hätte wohl manchmal zu größerer Ver-
tiefung gefOhrt, hätte vor allem auch die Diskussionen fruchtbarer gestaltet.
Auch der Besuch der vom Versanmalungsort recht weit entfernten geogra-
1) Näheres darüber soll seine demnächst in den „Forschungen^* erscheinende
Arbeit über den Verkehr auf dem Rhein bringen, samt den Karten, Tabellen und
Diagrammen.
456 F. Thorbecke:
phischen Ausstellung und die Teilnähme an den Führungen in der Stadt
hatte darunter zu leiden.
Doch das sind kleine Ausstellungen, die verschwinden gegenüber unserm
Dank für die schönen Pfingsttage im gastlichen Köln.
Die Ausflüge^).
Am Freitag, den 5. Juni, fuhren die Geographen in stattlicher Zahl mit
Damen auf einem Sonderdampfer frühmorgens von Köln zum Besuch des
Siebengebirges nach Königs winter. Vom Fluß aus bot sich noch einmal
ein herrlicher Blick auf die „Stadt mit dem ewigen Dom*^, auf das Meer der
Häuser imd Türme, auf das Leben und Treiben im Hafen und an den Kai-
anlagen der niederrheinischen Handelsmetropole. Weiter stromauf wurde die
Gegend bald einförmig: niedrige Ufer umsäumten den Fluß, weithin dehnte
sich die Tiefebene aus, nur hie und da unterbrach ein freundliches Dorf,
eine schöne Baumgruppe das Einerlei der Landschaft. An Bord hatte sich
bald ein lebhaftes Treiben entwickelt: die wissenschaftlichen und festlichen
Leistungen der Sitzungstage wurden beim Frühstück besprochen und kritisiert,
alte Bekanntschaften erneuert, neue angeknüpft Abwechslungsreicher wurde das
Landschaftsbild erst, als die Türme Bonns und die Höhen des Siebengebirges
am Horizont auftauchten. Der Dampfer legte in Bonn kurz an, um einige
Nachzügler und vor allem die Führer des heutigen Tages, Geh. Rat Bein,
Prof. Philippson, Prof. Rauff und Dr. Kaiser an Bord zu nehmen. Gegen
12 Uhr wurde in Königswinter gelandet.
Beim Gang 'durch die Stadt zum Bahnhof der Zahnradbahn auf den
Petersberg konnte man die ungeheuren Verwüstungen beobachten, die das
ein paar Tage zuvor niedergegangene Unwetter in der ganzen G«gend an-
gerichtet hatte; viele Weinberge waren zerstört, Wege aufgerissen, überall
bedeckten Trümmer den Boden. Nach einigem Warten ging's mit der Zahn-
radbahn auf den Petersberg. Hier gaben Geh. Rat Rein und Prof. Philippson
einen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Siebengebirges und die
spätere Ausgestaltung der heutigen Oberflächenformen durch die Erosion.
Die sanft geschwungenen Profillinien der alten Vulkane dieses Kleingebirges
mit ihren herrlichen Waldungen gaben in der Frühjahrssonne ein unvergleich-
lich schönes Landschaftsbild.
Nach einem im Petersberg-Hotel eingenommenen, durch Reden gewürzten
Mittagessen begannen die „Fußgänger mit geologischen Interessen'^ (es waren
deren sehr viele!) unter Führung der Bonner Herren die Wanderung durch
das Siebengebirge. Zunächst ging's vom Petersberg hinab zur Klosterruine
Heisterbach, deren leider nur noch sehr spärliche Trümmer alte Herrlichkeit
ahnen ließen. Von da wurde der Steinbruch auf der großen Weilburg be-
stiegen, der im Krater eines alten Vulkans der Tertiärzeit betrieben wird.
In einer ersten Ausbruchsperiode durchschlugen Trachyttuflfe die Abrasions-
fläche des Schiefergebirges und bildeten einen großen Schichtvulkan, dessen
Gipfel die des übrigen Siebengebirges an Höhe wahrscheinlich übertraf, aber
von der Erosion bald abgetragen wurde; diesen Trachyttuff kann man noch
heute im Nachtigallental bei Helle beobachten. Das in einer zweiten vul-
kanischen Periode emporsteigende Magma bildete auf dem Hauptkegel para-
sitische Krater aus typischem Drachenfelstrachyt. Eine dritte Auswurfs-
1) Die Berichte über die Ausflüge der beiden letzten Tage verdanken wir
der Liebenswürdigkeit der Herren Privatdocent Dr. K. Oestreich in Marburg und
Prof. Dr. K. Hassert in Köln.
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 457
periode beförderte in Explosionskratem Andesite, eine vierte ebenso Basalte
in die Höhe, die aber beide nicht durch die älteren vulkanischen Schichten
hindurchdrangen. So entstand, einem Maar vergleichbar, der heute im Innern
des Vulkans abgebaute säulenförmige feste Basalt, um den sich rings herum
an seinen Grenzflächen basaltische Grenztuffe gelagert haben, ein Beweis
dafür, daß das innere Material diese Tuffe geschaffen hat Durch das
Nachtigallen- und Wintermühlental mit Aufschlüssen im Löß, in tertiären
Süßwasserquarziten und Trachjttuffen kehrten die meisten Ausflügler nach
Königswinter zurück, die Bosenau, deren Besuch ursprünglich geplant war,
links liegen lassend.
Eine kleine Schar zog unter der liebenswürdigen Führung von Dr. Kaiser
zur Bosenau, von da über den Andesitgang des „Wasserfalls^' zum malerisch
gelegenen Sophien- und Margaretenhof. Entlang dem Abhang des Lohrbergs,
des größten Massivs im Siebengebirge, dessen Trachjt dem des Drachenfels
ähnelt, aber viel größere Sanidinkrystalle aufweist, führte der Weg über die
Trachjikuppe des Schleerkopfs mit einem homblendereichen Basaltgang am
„Zinkhöckerknippchen^^ ebenfalls zum Drachenfels hinauf, dessen Sanidin-
trachyt an schönen Aufschlüssen beobachtet wurde. Dr. Kaiser wies auf
diesem Marsch besonders hin auf die verschiedene Ausbildung der Berghänge,
auf die mit dem wechselnden vulkanischen Gestein in engem Zusammenhang
stehende wechselnde Neigung der Profillinien. Von der Höhe des Drachenfels
aus wurde ein (bei dem dunstigen Wetter allerdings etwas beschränkter)
Überblick über das Bheintal und seine Terrassen, sowie auf den gegenüber-
liegenden Krater des Bodderbergs gewonnen. Die Bahn braclite alle Teil-
nehmer nach Königswinter hinunter; um 8 Uhr entföhrte sie der Dampfer
aus dem schönen Siebengebirge gen Köln, wo man um 10 Uhr ankam.
Der zweite geographisch-geomorphologische Tagesausflug, vom
6. Juni, fahrte die Teilnehmer nach Linz, von da unter Führung von Prof.
Philippson zu Wagen nach dem großen Basaltbruch von Dattenberg. Die
Oberkante dieses Bruches entspricht der in 180 m gelegenen Hauptterrasse
Philippsons. Der Basalt erscheint geradezu abgehobelt und mit einer mehrere
Meter mächtigen Ablagerung von Bhein-GeröUen und -Sauden bedeckt. Der
Fluß, der diese herbrachte, hatte bereits Nahe und Lahn, wie aus den Por-
phyr- und Kieselschiefergeröllen ersichtlich, als Ursprungsarme, stand jedoch
noch nicht mit dem Mainzer Becken in Verbindung. Erst eine niedere Terrasse,
die 110 — 120 m hoch von Neuwied bis Honnef zieht, enthält Gerolle aus
dem Mainzer Tertiärgebiet. Von der Höhe über dem Basaltbruch überblickte
man bei in Folge des dunstigen Wetters leider äußerst beschränkter Fem-
sicht die besonders stromabwärts entwickelte große Hauptterrasse in 180 — 200 m
Meereshöhe, die im Basaltfels der Erpeler Lei so schroff zum Rhein abfällt
Auch eine tiefere Terrasse, die das Dorf Ockenfels trägt, in 120 m, ist
wenig oberhalb der Lei zu sehen. Ein Stück jener von Dr. Kaiser neu
festgestellten älteren Lokalterrasse, einer älteren Stufe der Hauptterrasse, die
hier noch über der normalen Hauptterrasse liegt, sich aber nach abwärts
schnell unter diese senkt, war nur ganz undeutlich im Hintergrunde des
Ahrtaleinschnitts zu sehen.
Nach der Rückfahrt nach Linz und Mittagessen daselbst fuhr man, mit
Wagen und darauf Förderbahn, zu den Basaltbrüchen des Minderbergs. Von
diesem (in 424 m) ergab sich ein sehr lehrreicher Überblick über die breite,
in über 300 m gelegene „Trogfläche", das älteste und höchste Rheintal, und
Qeo^phiioheZeltadirin. ».Jahrgang. 1003. 8. Heft. 81
458 F. Thorbecke:
die ,^auptterras86^S Erstere durchbrochen nnd überragt von Basaltkuppen,
wie Minderberg selbst, Eenneberg und Hummelsberg.
Von Linz wurde mit dem Dampfer Rolandseck erreicht und von hier zum
Krater des Rodderbergs aufgestiegen. Nachdem bisher nur Lava- Ausfüllungen
vulkanischer Schlote und Trichter gesehen worden waren, wurde hier zum
ersten Male ein vorzüglich erhaltener Aschenkegel mit Krater gezeigt, wobei
den Bomben und andern Auswürflingen, einem aus tertiärem Konglomerat
bestehenden Stück unverletzt erhaltenen alten Kraterrandes und einem tonigen
Zersetzungsprodukt aus der Tiefe mit heraufgerissenen Devongesteinsfragments
besondere Aufmerksamkeit zugewandt wurde. Von Mehlem aus wurde die
Rückfahrt angetreten.
Der 7. Juni führte zunächst ins Brohltal. Während der Fußwanderung
von Schweppenburg bis Burgbrohl wurden (unter der Leitung von Professor
Rauff, der an diesem Tag gemeinsam mit Geh. Rat Rein und Professor
Philippson führte) die Traßbrüche angesehen, also die Massen zerriebenen
Bimsteins, die in Gestalt eines vulkanischen Schlanunstroms das Brohltal
erfüllten. Einige Eigentümlichkeiten in der Zusammensetzung und Struktur
des Trasses wurden gezeigt, so, daß er bald schichtungslos, bald geschichtet
ist, femer die sog. „Sandköpfe", von den Gehängen vorspringende Riffe von
Traßmasse von etwas anderer Zusammensetzung, deren Entstehung rätselhaft
ist, die aber von dem normalen Traß sicher zu unterscheiden sind und weil
von minderer Qualität nicht abgebaut werden. Es dient der Traß nämlich,
mit Kalk und Sand gemischt, zur Zementbereitung. Eine andere, auf den
ersten Blick ganz rätselhafte Erscheinung ist das Vorkommen unregelmäßig
großer Kugeln: Kerne von Traß, die von einer Schale feiner Konglomerat-
massen umgeben sind. Sie sind an den dem Abbau dienenden Wand-
anschnitten schön zu sehen. Sie müssen einer innerhalb des fließenden Schlanun-
stromes entstandenen rotierenden Bewegung, also Ballung von lehmigen
Traßbestandteilen ihr Dasein verdanken.
In Burgbrohl wurde ein Kohlensäurewerk besichtigt, sodann das Früh-
stück eingenommen.
Auf dem Wege zum Laacher See besuchte man zunächst den das
Brohltal auf der Südseite überragenden Krater des „Lummerfelds". Er ist
gegen N geöffnet, und hier ergoß sich eine Lava, die als erster vulkanischer
Erguß das Brohltal erfüllte. So kann man in der Geschichte des Brohltals
folgende Reihenfolge erkennen: 1. Erosion des Brohltals; 2. Erguß der Lava-
massen des Lummerfelds; 3. erneute Erosion der Brohl; 4. Ausfüllung durch
die Traßmassen; 5. erneute Erosion der Brohl.
Der Niederblick zum Land nördlich der Brohl zeigte die beiden bisher
als „Hauptterrasse" zusammengefaßten Terrassenstufen (in 230 und 260 m
absoluter Höhe, Brohltal etwa 176 m) in modellartiger Deutlichkeit, über-
ragt von der Lava des Herchenbergs. Die höchste Erhebung des Lummerfeld-
Kraterrandes sind die Kunksköpfe, die jedoch nach einer anderen Auffassung
einen auf dem Rande des Lummerfeldkraters aufsitzenden Schmarotzerkegel
darstellen. So erfuhren die schön aufgeschlossenen aus Laven und Tuffen
bestehenden Profile von Seiten der einzelnen Exkursionsleiter verschiedene
Deutung, Professor Rauff machte besonders auf den — seiner Meinung
nach — an der Innenseite des großen Kraterrandes angeklebten Löß auf-
merksam, der, wenn er sich auch auf sekundärer Lagerstätte befinden sollte,
doch in dieser Lage ein sicherlich äolisches Produkt ist. Denn es sei nicht
abzusehen, wie er an dieser Stelle als Wassertrübe habe abgelagert werden können.
Der XIV. deutsche Geographentag in Köln. 459
Kurz hinter Wassenach kam man in den Bereich der Aschen des großen
iüngsten Laacher Vulkans.
Der Laacher See, der von dem auf dem Kraterrande hefindlichen Lydia-
turm zuerst erblickt und dessen Entstehung und morphologische Verhältnisse
uns erklärt wurden, ist ein Maar, eingebettet in Devon und Tertiär; er stellt
das jüngste vulkanische Gebilde der Gegend dar und hat mit den älteren
und höheren Vulkanbergen seiner „scheinbaren" Umrandung: den Veitskopf,
Laacher Kopf, Roter Berg, nichts zu tun.
Vom Lydiaturm, wo wir durch eine ebenso liebenswürdige wie reich-
liche Bewirtung vom Direktor der Linzer Basaltgesellschaft und seiner Frau
Gemahlin überrascht wurden, wandei*te man längs des Westufers des licht
blaugrünen, von Wald eingefaßten Sees, wobei man an einigen Stellen Auf-
schlüsse des Krateruntergrunds, Devon und Tertiär, sah. Das meiste ist
natürlich mit Aschen bedeckt. Der Weg führt im Anfang unmittelbar am
Seeufer hin, auf einer seit dem 12. Jahrhundert trocken gelegten (oder
gewordenen?) Terrasse. Heute hat man dem See einen Abfluß gegeben, durch
das südliche offene Gelände. Hier wurden in einem Bruche die Bimsteine
angesehen, und dann das Kloster oder das Hotel aufgesucht, wo gegen
5 Uhr das Mittagessen genommen wurde. Um 6 Uhr brachten Wagen die
Exkursionsteilnehmer von Maria Laach zur Brauerei der Brüdergemeinde in
Niedermendig. Dort wurde der große Lavastrom und der Lavakeller besich-
tigt. Dann fuhr man um Y^8 in Wagen zum Bahnhof Niedermendig und
von da um 8 Uhr mit der Eisenbahn nach Köln.
Die wirtschaftsgeographischen Ausflüge ins Aachener Becken
und ins Urfttal hatten den Zweck, einen Begriff von der Größe der rhei-
nischen Industrie, insbesondere der Eisen- und Stahlgewinnung, zu geben und
eine der großartigsten technischen Anlagen Deutschlands, die im Bau be-
griffene Talsperre bei Gemünd (in der Eifel) kennen zu lernen.
Die am 6. Juni um 9'^ V. in Eschweiler ankommenden Teilnehmer —
50 an der Zahl unter Führung von Prof. Dr. Hassert — wurden von Inge-
nieur Welcke sofort zur nahen Hauptaulage des Hochofenbetriebes Kon-
kordiahütte geführt, wo unter der fachkundigen Leitung von Bergrat Oth-
berg, Direktor des Eschweiler Bergwerksvereins, Ingenieur Welcke und
Hüttenverwalter Peetz zunächst als jüngster Fabrikationszweig die Her-
stellung von Bausteinen besichtigt wurde, die, aus Schlackensand und Kalk
verfertigt, einen dem Zement an Härte und Güte gleichkommenden Werk-
stein liefern. Dann wurden die Elektricitätswerke, der Kalkofen und die
Lagerräume für die meist aus Luxemburg stammenden Eisenerze, sowie die
Koksofen- und die eigentlichen Hochofenanlagen in Augenschein genommen.
Hierauf fand eine Füllung des Hochofens mit den verschiedenen Erzgesteinen
und Zuschlagsmitteln statt, und später wurde das Ausfließen der glühend-
flüssigen Schlacken und das Abstechen des weiß- und rotglühenden geschmol-
zenen Eisens vorgeführt. Nach Schluß der Besichtigung wurde den Teil-
nehmern unter freundlichen Begrüßungsworten ein kühler Trunk dargeboten.
Der Ausflugsleiter sprach hierauf und bei dem im Hotel Stürtz sich an-
schließenden Mittagessen unter Hinweis auf die hohe Entwicklung der rhei-
nischen Eisenindustrie den Dank der Teilnehmer aus.
Gegen 2 Uhr brachte ein Sonderzug der elektrischen Kleinbahn die Teil-
nehmer durch das von Fabrikanlagen der verschiedensten Art erfüllte In-
dustriegebiet von Stolberg in einstündiger Fahrt nach Rote Erde bei Aachen,
81 •
460 F. Thorbecke: Der XIV. deutsche Geographentag in Köln.
wo sie sofort von Direktor KinzU und einer Anzahl von Ingenieuren
des Hüttenaktienvereins „Bote Erde^^ in die Eisen- und Stahlwerke geleitet
worden. Die großartigen, aus bescheidenen Anfängen hervorgegangenen An-
lagen, die heute gegen 5000 Arbeiter beschäftigen, bestehen aus einem
Bessemer Stahlwerk, einem Siemens Martin-Stahlwerk, einem Walzwerk^ einer
Eisengießerei, einer Walzendreherei, einer Schlackenmühle zur Erzeugung von
Thomas-Phosphatmehl und einer ganzen Beihe anderer Anlagen und Werk-
stätten. In ihnen sind insgesamt 130 Dampfmaschinen mit rund 22 000 Pferde-
kräften, 5 Dampf hänuner und 170 verschiedene Hilfismaschinen tätig, während
71 Dampfkessel den zum Betrieb erforderlichen Dampf liefern. Eingehende
Betrachtung fanden die hochinteressanten Prozesse der Eisenverarbeitung und
Stahlerzeugung, insbesondere das Thomasverfahren und das Siemens Martin-
Verfahren zur Erzeugung von Thomas- und Martinstahl, der dann gewalzt
und zu verschiedenen Arten von Trägem, Eisenbahnschienen, Stahlplatten,
Stahltauen u. s. w. verarbeitet wird, während aus den aus riesigen Birnen
ausgeworfenen Schlacken das Thomasphosphatmehl gewonnen wird. An die
lehrreiche, aber heiße und durch das Dröhnen der nie rastenden, gewaltigen
Maschinen unterbrochene Besichtigung schloß sich auch hier ein in gast-
lichster Weise dargebotener Trunk und Imbiß. Prof. Dr. Oothein dankte
namens der Teilnehmer Direktor Kinzle für seine warmen Begrüßungsworte.
Dann ging es in Equipagen, die Aachener Hen*schaften und die Gast-
freundschaft des Hüttenaktienvereins bereit gestellt hatten, nach Aachen.
Dort besuchte ein Teil der Mitglieder unter Führung der Assistenten Sie-
berg und Müllermeister das sehenswerte meteorologische Observatorium,
die Centralstation für den meteorologischen Dienst im ganzen Rheinland. Der
andere Teil genoß vom Lousberg den lehrreichen Blick ins Aachener Becken
und besichtigte eines der Schwefelbäder. Der Abend vereinte die Teilnehmer
mit Mitgliedern der Technischen Hochschule und des Zweigvereins Aachen
der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft im Elisenbrunnen, wo zu Ehren
der Mitglieder des Geographentages Illumination und Kurkonzert stattfand.
Am 7. Juni trafen die von Aachen aus weiterfahrenden und die von
Köln aus neu hinzukommenden Teilnehmer, insgesamt 54, am Bahnhof Call
zusammen und wurden von einem Sonderzug unverzüglich nach Gemünd ge-
bracht, von wo sie nach kurzer Frühstückspause im Hotel Bergemann ein
Extrazug der Mat«rialbahn, den die Bauleitung, Firma Holzmann & Co. in
Frankfurt a. M., in entgegenkommendster Weise umsonst zur Verfügung ge-
stellt hatte, zur Talsperre weiter beförderte. Nach einstündiger Fahrt durch
das enge, vielgewundene, landschaftlich reizvolle Erosionstal, das die Rur in
die alten unter-devonischen Schiefer imd- Grauwacken gegraben hat, war um
12 Uhr die Talsperre erreicht, wo deren Erbauer, Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. ing.
Intze im Verein mit Wasserbau-Inspektor Frentzen die mehrstündige Füh-
rung übernahm und einen lichtvollen, durch Karten, Diagramme und einen
gedruckten Führer unterstützten Überblick über den Talsperrenbau mit seinen
Vorstudien, den technischen Schwierigkeiten und den zu beobachtenden Vor-
sichtsmaßregeln gab.
Die Talsperre, die im Jahre 1904 dem Betrieb übergeben werden soll
und nach ihrer Vollendung die größte Anlage dieser Art in Deutschland
sein wird, besteht aus einer 228 m langen und 58 m hohen Mauer mit
55 m Sohlen- und 5,5 m Kronenbreite und soll, unterstützt durch einen
gerade hier das Tal stark einengenden Felsriegel, einen 52 m hohen Au£stau
des Wassers bewirken. Die gestaute Wassermenge beträgt 45 Y^ Mill. cbm
E. Dathe: Zum Gcbirgsbaa in Schlesien. 461
und besitzt bei vollem Becken eine Oberfläche von 2l6 ha, die einen etwa
12 km langen, bald unterhalb Gemünd beginnenden See bilden wird. Die
Zuflußmenge des aus einem 375 qkm großen Niederschlagsgebiet zusammen-
strömenden Wassers beträgt im Jahr zwischen 150 bis 180 Mill. cbm, so
daß sie das abgesperrte Seebecken viermal im Jahre füllen kann.
Die Sperre, deren Baukosten ohne Eraftcentrale gegen 4 Mill. Mark be-
tragen, soll einmal den Überschwemmungen der Rur und den dadurch hervor-
gerufenen schweren Schädigungen vorbeugen — jetzt fließen 20 — 30 Mill. cbm
Hochwasser bei größerer Hochflut schon in wenigen Tagen ungenutzt und
schadenbringend ab — und dann für den wasserarmen Sommer genügende
Wassermengen zu Industriezwecken aufspeichern. Femer soll das aufgestaute
Wasser -neue billige Betriebskräfte vornehmlich für die äußerst lebhafte
Fabriktätigkeit in Aachen, Düren und im Landkreis Aachen schaffen. Zu
diesem Zweck ist bald oberhalb der Sperrmauer ein 2,7 km langer Stollen
durch den waldigen Rücken des Kermeter ins Rurtal bei Heimbach getrieben.
Das bis zum Rurtal mit 110 m GefUU bei gefülltem Becken den Stollen
durchfließende Wasser wird 8 Turbinen von zusammen 16 000 Pferdekräften
Maximalleistung in Bewegung setzen und von der elektrischen Centrale bei
Heimbach aus elektrisches Licht und elektrische Kraft nach Düren und
Aachen leiten.
Nach eingehender Besichtigung der Sperrmauer und des Stollens, die
durch eine kurze Rast in der eine vorzügliche Verpflegung bietenden Kantine
unterbrochen ward, brachte die Materialbahn die Ausflugsteilnehmer nach
Gemünd zurück. Beim Abendessen im Hotel Bergemann brachte Prof.
Dr. Hassert den Dank der Mitglieder zum Ausdruck und betonte die un-
geteilte Bewunderung, welche die Talsperre als ein Meisterwerk deutscher
Technik, Wissenschaft und Gründlichkeit bei allen Teilnehmern gefunden
hatte.
Der von Gemünd um 5*® N. abfahrende Abendzug brachte die Teil-
nehmer wieder nach Köln und Aachen zurück.
Zum Gebirgsbau in Schlesien.
In dieser Zeitschrift 1902 Heft X S. 553— 570 hat der Professor der
Geologie an der Universität Breslau Dr. F. Frech eine tektonisehe Skizze:
„Über den Bau der schlesischen Gebirge" veröffentlicht. Letztere, welche
mir spät zu Gesicht gekommen ist, enthält so zahlreiche Unrichtigkeiten und
unerwiesene Behauptungen, daß eine ausführliche Widerlegung derselben, so-
weit sie sich namentlich auf Niederschlesien beziehen, an dieser Stelle unter
bleiben muß. Ich greife nur einige Punkte heraus, die ich größtenteils in
Form von Stichworten hier nur andeuten will; sie werden später in einer
geologischen Zeitschrift ausführlicher ihre gebiüirende Beleuchtung und Ab
fertigung durch mich finden.
Zuerst eine geographische Frage, die durch Frech entstellt worden ist
Bei der Einteilung der Sudeten in Ost- und West-Sudeten nach J. Partsch,
welcher zu ersteren das mährische Gesenke, das Altvatergebirge, das Glatzer
Schneegebirge und das Reichensteiner Gebirge rechnet, schreibt Frech
(S. 554): „Die Umbiegungs- oder besser Umknickungsgebiete entsprechen dem
Glatzer Schneeberg (muß Glatzer Schneegebirge heißen £. D.), dem gegen-
462 £• Dathe: Zum Gebirgsbau in Schlesien.
überliegenden böhmischen Kamm und dem Reichensteiner Gebirge (E. Dathe
möchte sie „Mittelsudeten" nennen)." — In meiner Einteilung der Sudeten
unterscheide ich: a) die südlichen Sudeten oder die Altvatergruppe, b) die
mittleren Sudeten oder die Eulengebirgsgruppe und die nördlichen Sudeten
oder die Riesengebirgsgruppe. Zu den ersteren habe ich das mährische Ge-
senke, das Altvatergebirge, das Glatzer Schneegebirge, das Reichensteiner
Gebirge, das Habelschwerdter Gebirge und das Adler- oder Erlitzgebirge ge-
stellt; letzteres wird zuweilen auch als böhmischer Kamm bezeichnet. Zu den
mittleren Sudeten zähle ich das Eulengebirge, das Warthaer Gebirge, das
Waldenburger Gebirge und das Heuscheuergebirge. Der Leser sieht hieraus,
daß Frech mir eine ganz imgerechtfertigte Unterstellung macht; und daß,
wie er beliebt weiter zu schreiben, „die neueren Untersuchungen Lepplas
eine Sonderstellung „dieser Mittelsudeten" (nämlich des Glatzer Schneegebirges,
des Reichensteiner Gebirges und des Adlergebirges), als ganz undenkbar er-
scheinen lassen", eine ganz unbegründete und unvorsichtige Bemerkung von
Frech enthält.
Nun soll die Aufzählung der anderen hauptsächlichsten Irrtümer kurz
folgen. 1. Daß zwischen den alten Gebirgen der südlichen Grafschaft und der
Eule (soll wohl Eulengebirge heißen E. D.) ein altcarbonisches Meeresbecken
sich befunden habe (S. 561), wie er schreibt, ist von mir nirgends behauptet
worden. Die Faltung der Gneisformation ist nicht carbonisch, sondern älter,
wahrscheinlich silurisch, da doch schon im Eulengebirge auf dem gefalteten
und in große Einzelschollen zerfallenen Eulengebirge Unterculm ungleichförmig
auflagert.
2. Silur-, Devon- und Untercarboirschichten von Silberberg -Neurode
(S. 565) ist unrichtig; Neurode liegt im Gebiete von Obercarbon und Rot-
liegendem; es kann nur Silberberg- Wartha-Glatz heißen.
3. Das niederschlesisch-böhmische Steinkohlenbecken bezeichnet Frech
zuerst irrtümlich als Waldenburg-Schatzlarer Mulde (S. 557), dann als Walden-
burger Mulde (S. 557 und 563), aber S. 559 als Waldenburger Kohle nmulde.
4. W. Volz und R. Leonhard sollen in der wissenschaftlichen Deutimg
des 1895er Schollen- und Schaukelbebens erwiesen haben, daß ein System
von Brüchen die Vorberge durchzieht (S. 565). Davon steht nichts in deren
Abhandlung; sie sprechen zwar von einer Begrenzung ihrer Nimptscher
Scholle durch Brüche, diese existieren aber nicht, somit auch ihre Scholle
nicht. Man vergleiche dagegen meine Darstellung des Spaltensystems in
meiner Abhandlung: Das schlesisch-sudetische Erdbeben vom 11. Juni 1895
und diese Zeitschrift 1898. S. 287—289.
5. Die Trebnitzer Berge oder das Katzengebirge soll der äußerste und
niedrigste Parallelzug der Sudeten sein S. 565; das ist zwar neu, aber un-
richtig.
6. „Die Granitintrusion im Riesengebirge, Striegau, Strehlen u. s. w."
soll in der Mitte des Carbons erfolgt sein (S. 556). Nach Beyrichs und
meinen Untersuchungen ist der Riesengebirgsgranit mindestens von devonischem
Alter; von den übrigen Granitstöcken ist das Alter nicht sicher zu bestimmen,
aber jedenfalls ist kein Beweis für carbonisches Alter zu erbringen. Für das
devonische Alter des Riesengebirgsgranits sprechen die von mir aufgefundenen
GranitgeröUe im Culm und in den Weißst«iner Schichten des unteren Ober-
carbon.
7. Der nordostsudetische große Randbruch zwischen Goldberg und Jauemig
''S. 559) soll den oligocänen Bruchlinien angehören. Diese Bruchlinie, soweit
F. Frech: Zum Gebirgsbau in Schlesien. 463
überhaupt vorhanden, ist von verhältnismäßig geringem vertikalen Betrage;
sie geht den zahlreichen im Eulengebirgo vorhandenen Gängen von paläo-
zoischen Eruptivgesteinen parallel und ist von gleichem Alter wie diese,
nämlich jung paläozoisch. Der große sudetische Randbruch liegt am Ost-
ende der großen archäischen Eulengebirgsscholle, wozu in den Yorbergen die
Beichenbacher, Nimptscher und Strehlener Berge zählen; er liegt also ost-
wärts der letzteren und besitzt einen SO-NW-Verlauf.
8. Das Alter der ganzen Schotterterrasse bei Halbendorf bei Glatz soll
ich für pliocän angesprochen haben, trotzdem ich in der mittleren Schotter-
zone zahlreiche nordische Geschiebe nachgewiesen hätte. Diese Behauptung
Frechs ist unrichtig, denn ich habe nur die unter der mittleren Schotter-
zone (die wie, gesagt, nordische Geschiebe führt) auftretende unterste Zone
der betreffenden Schotterterrasse möglichenfalls für pliocän erklärt.
Zum Schluß sehe ich mich genötigt, den Vorwurf Frechs, ich hätte
mir fremdes geistiges Eigentum unrechtmäßig angeeignet, mit Entrüstung
zurückzuweisen. Er betrifft den ersten Nachweis der Verbreitung des nor-
dischen Diluviums in der Grafschaft Glatz. A. Leppla hatte in seiner
1900 erschienenen geologisch-hydrologischen Beschreibung des Niederschlags-
gebietes der Glatzer Neiße diese Entdeckung durch ein Mißverständnis
für sich in Anspruch genommen. Ich hatte bereits im Jahre 1883 in der
Grafschaft nordisches Diluvium in großen Flächen beobachtet und teilweise
kartiert, sodann aber in vier Publikationen in den Jahren 1894 — 1899
die große Verbreitung der nordischen Diluvialbildungen im Glatzer Kessel
beschrieben. Im 1. Heft der Zeitschrift der deutschen geologischen Gesell-
schaft 1902, das im Juli desselben Jahres ausgegeben wurde, in dem Frech
den gleichen Vorwurf gegen mich erhob, habe ich die Behauptung Lepplas
richtig gestellt. Trotz dieser Richtigstellung macht mir Frech in dem am
18. Oktober 1902 abgeschlossenen Hefte dieser Zeitschrift nochmals diese
ganz unbegründete Unterstellung, daß ich mir fremdes geistiges Eigentum
unrechtmäßigerweise angeeignet hätte. Dies zu tun, überlasse ich Frech;
man vergleiche Zeitschrift der deutsch, geologischen Gesellschaft 1902, S. 491.
Dr. £. Dathe, Landesgeologe in Berlin.
Erwiderung.
Zu 1. Es handelt sich um die Frage, ob man mit Parts oh Ost- und
West-Sudeten unterscheidet oder noch eine dritte Gruppe: „mittlere Sudeten"
(mit Dathe) zwischen beide einschiebt. Ein Blick auf die geologischen Karten
zeigt, daß fOr den Geologen die Ausscheidung einer mittleren Gruppe in
irgend welcher Abgrenzung^) unmöglich ist. Daß ein Geograph Dathes Mei-
nung folgt, ist ohnehin nicht anzunehmen.
2 und besonders 3 betreffen philologische Fragen ohne sachliche Bedeutung.
Zu 4. Von dem „System von Brüchen", welches die „schlesischen Vor-
berge durchzieht", soll in der Abhandlung von Leonhard und Volz „nichts
stehen". Von diesen Brüchen handeln aber zwei volle Seiten (S. 8 — 10)
in der Abhandlung „über das mittelschlesische Erdbeben vom 11. Juni 1895
und die schlesischen Erdbeben" in der Z. d. Ges. f. Erdkde. zu Berlin,
Bd. 31, 1896. Diese Abhandlung scheint Dathe nicht zu kennen. Es
sei nur einer der wichtigsten Sätze erwähnt: „Wie das Eulengebirge, von
1) Was Dathe eine „ungerechtfertigte Unterstellung*^ nennt, ist ein un-
genaues Citat.
464 F- Frech: Zum Gebirgsbau in Schlesien.
welchem Dathe gezeigt hat, daß es durch Bruchlinien verschiedener Bich-
tungen begrenzt und allseitig durchsetzt ist, werden auch die Gneisgebiete
des mittelschlesischen Vorlandes durch zahllose Brüche verschiedener
Systeme (hier gesp.) in eine große Anzahl von Einzelschollen (hier
gesp.) zerlegt'^ u. s. w. Kartographisch nachweisbar sind allerdings wegen des
deckenden Diluviums diese Brüche selten. Über die Da theschen „Brüche^
(= Schütterlinien des Erdbebens von 1895) urteilen dieselben Verfasser^)
zutreffend: „Auf kartographisch nachgewiesenen Brüchen verläuft kaum eine
Schütterlinie. Allen Schütterlinien (sc. Dathes) haftet als Zeugnis ihrer Ent-
stehung ein gemeinsamer Zug an: sie vermeiden das anstehende Gestein nach
Möglichkeit und verlaufen möglichst im deckenden Diluvium; in Folge von
Dathes allzu enger Anlehnung an das Nachrichtenmaterial sind sie als Ver-
bindungslinien von Wohnplätzen großenteils ident mit Chausseen" (hier
gesp.). Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Zu 6. Für das mittelcarbonische (oder iutracarbonische) Alter des
Riesengebirgsgianits und der übrigen schlesischen Granitlinsen spricht ihre
Lage in der Centralzone der carbonischen Hochgebirge (siehe die auf Taf. 11
in der G. Z. 1899 veröffentlichte Karte). Nur für die außerhalb dieser Zone
gelegenen Granitvorkommen — so die des bayrisch-böhmischen Waldes —
ist ein höheres Alter wahrscheinlich. Dathe beschreibt die von ihm im
unteren Waldenburger Obercarbon aufgefundenen „GranitgeröUe"*) als bis
„über erbsengroße Feldspatfragmente", „rötlichbraun bis fleischrot" gefärbt,
die beim Zerschlagen deutliche Spaltflächen zeigen. Die obige Angabe, daß
diese Feldspate (aus denen inzwischen „GranitgeröUe" geworden sind) aus dem
Granitstein des Biesengebirges stammen, ist um so auffallender, als (S. 63)
in derselben Arbeit „rotbraune Granite" auf ein verschwundenes Gebirge
zurückgeführt werden. Diese untercarbonischen GranitgeröUe sind eben nach
Dathe von dem Biesengebirgsgranit vollkommen verschieden. Erst im 4. Heft
der Z. d. deutschen geol. Ges. 1902 erschien von Dathe eine Angabe, daß
sich Riesengebirgsgranite als Gerolle im unteren Carbon vorfinden. Auf diese
Ende 1902 erschienene Angabe konnte ich Anfang 1902 keine Bücksicht nehmen.
Beyrichs Ansicht über das Alter eines Teiles des schlesischen Granits
ist in den Erläuterungen J. Boths') kurz zusammengefaßt Nach Beyrich
erlaubt die Erscheinungsweise des Granits des böhmisch-glatzischen
Gebirgssystems ebenso wie die der Beichensteiner Gegend (hier gesp.)
die Annahme, daß diese Granite gleich denen des Harzes und in Devon-
shire in der Zeit der devonischen oder der älteren Steinkohlen-
formation (hier gesp.) hervorgetreten sind. Ganz abgesehen von der ün-
genauigkeit, mit der Dathe hier Beyrichs Angaben wiedergibt, entkräftet
er durch das Heranziehen dieser Autorität seine eigene Behauptung. Die
Granite im Harz*) und von Devonshire gelten allgemein nicht mehr als
1) Schles. Ges. 76. Jahresber. (1898). Naturwiss. Sekt. S. 42.
2) Über die ^^devonischen Granite** Schlesiens, besser über das „devonische
Alter** schlesischen Granitvorkommens sagt Dathe in seiner geol. Beschreibung
Salzbrunns (1892) S. 63: In diesen (untercarbonische) Konglomeraten ist ein merk-
würdiges Gestein zwar sparsam aber ziemlich allgemein verbreitet. Es ist ein rot-
brauner Granit, wie er in Schlesien, Böhmen und Sachsen nirgends bekannt
ist; er gleicht gewissen schwedischen Graniten . . . Nach meinem Dafürhalten liecren
in diesen Geröflen die letzten Überreste eines verschwundenen alten schle-
sischen Gebirges (hier gesp.) vor.
3) Erl. z. der geognost. K. vom Niederschles. Gebirge. Berlin 1867. S. 390.
4) Der Harzgranit metamorphosiert devonische und untercarbonische Schichten
von Kleist: Frankreichs äthiopische Eisenbahn. 465
deTonisch-antercarboniscb, sondern als mittelcarbonisch (oder auch als jünger^)
und dasselbe würde somit auch für den Granit des böhmisch -glatzischen
Gebirges gtlten.
Zu 7. Der nordostsadetische Bandbmch soll von verhältnismäßig ge-
ringem vertikalen Betrage sein und jung -paläozoisches Alter besitzen, weil
er zahlreichen Gängen des Eulengebirges parallel läuft. Der Randbruch
trennt Gebiete von gleicher Zusammensetzung des Grundgebirges aber sehr
Terschiedener Höhenlage und beherrscht das Antlitz der Landschaft in Schle-
sien. Das nennt Dathe einen „geringen vertikalen Betrag*'. Für die Alters-
bestinmiung genügt ihm die Tatsache der Parallelität mit den paläozoischen
Emptivgesteinen des Eulengebirges. Dathe steht also noch ganz auf dem
Standpunkte Elie de Beaumonts, der aus der Parallelität der Dislokationen
auf gleiches Alter schloß.
Zu der „Richtigstellung" betr. des Glatzer Diluviums sei bemerkt, daß
mir gleichzeitig mit dem Erscheinen der betr. Arbeit Dathe s (Heft 1 d.
Z. d. deutschen geol. Ges. Juli 1902) spontane Mitteilungen zweier Vorstands-
mitglieder zugingen, wonach die betr. Polemik eine Inkorrektheit enthalte, der
sich Dathe schuldig gemacht habe. Gleichzeitig wurde mir eine Erklärung
des Vorstandes in Aussicht gestellt, die dann auf 8. 79 desselben Jahrganges
(Mai 1903) erschienen ist
Von den „Kritischen Bemerkxmgen" habe ich erst jetzt nach dem Er-
scheinen der Erklärung (Mai 1903) Kenntnis genommen, da ihr Inhalt für
mich erst hierdurch in das rechte Licht gerückt wurde.
Seit Dathe im schlesischen Gebirge kartiert, hält er sich — wie es
scheint — für verpflichtet, jede die Sudeten und das Flachland Schlesiens
behandelnde Arbeit, die von einem Mitglied der Breslauer Universität ver-
faßt ist, streng zu kritisieren: weder Mineralogen (Traube) noch Petro-
graphen (Milch*) und Geographen (Leonhard und Partsch), am wenigsten
natürlich Geologen •)* finden Gnade vor ihm. Dathe berichtigt mit Vorliebe
Namen: nicht Waidenburg- Schatzlarer sondern „niederschlesisch-böhmisches"
Becken, nicht mittelschlesisches sondern „schlesisch • sudetisches Erdbeben^^ ist
die von dem Schulmeister korrigierte Form. Auch Druckfehler oder ungenaue
Citate (Mittelsudeten) werden mit scharfem Blicke erkannt, zuweilen (Treb-
nitzer Berge) gibt Dathe lediglich seiner subjektiven Anschauung — ohne
Angabe irgendwelcher Gründe — Ausdruck. Eine Diskussion ist dann aus-
geschlossen. — Wie weit Dathe sachlich Recht behält, sei dem Urteil der
Leser überlassen. F. Frech.
Frankreichs äthiopische Eisenbahn.
Ost- Afrika und Abessinien sind seit ungefähr 50 Jahren, seit der Er-
Ö&ung des Suezkanals, aus Jahrhunderte langer Vergessenheit immer mehr
hervorgetreten. Nachdem England seine Hand auf Egjpten und damit auf
and ist also postdevonisch, was Dathe in den Handbüchern der Geologie finden
dürfte. (Credner. Elemente. IX. Aufl. S. 460, 487 u. e. w.)
1) Der Dartmoor-Granit (Devonshire) ist nach W. U. Wog dm an (G^ol. of
England p. 562) djadisch (postcarbonisch).
2) Hier nur in Bezug auf Grflnschiefer des Taunus bei Beschreibung der
Bdilesischen Strahlsteinschiefer.
S) Abgesehen von dem Unterzeichneten: Volz, Gürich.
466 von Kleist:
den Suezkanal gelegt, besetzte es die Aden gegenüberliegende Somaliküste
mit Zeila und Berbera, um den IJandel Ost-Afrikas seiner Suez-Indien-Linie an-
zuschließen, während Italien die Westküste des Roten Meeres vo« Massauah
bis über Assab hinaus in Besitz nahm. Es blieb nur noch die Küste der
Tadjurabai am Golf von Aden herrenlos, hier aber schob sich Frankreich
zwischen den englischen und italienischen Besitz ein, besetzte Obok und
machte Djibuti zum Hauptort und Hafen für sein Protektorat im Gebiete
der Somalis.
Ein Blick auf die Karte ergibt das Verständnis für seine günstige Lage:
hart an der Welthandelsstraße nach Indien und Ost- Asien, halbwegs zwischen
dem Mutterlande und seinen Kolonien Indo-China, Madagaskar, innerhalb des
Aktionsradius der großen Panzer auf der Fahrt nach dem Orient entspricht
es in hohem Maße den Anforderungen an einen Handelsplatz und eine Kohlen-
station, bei vortrefflichem Hafen mit gutem Ankergrund und genügender
Wassertiefe; dabei ist das Klima gesund, wenn auch sehr heiß. Djibuti ent-
wickelte sich so seit seiner Entstehung (1888) zu einer vielbesuchten Hafen-
stadt von jetzt 18 000 Einwohnern mit reichlichen Kohlenvorräten und Provi-
sionen, mit Schiflfewerkstätten, die auch große Reparaturen ausfahren. War
es bisher immer nur eine Zwischenstation und ein Stützpunkt fär franzö-
sische Interessen, so wird es jetzt der Ausgangspunkt und das Tor für den
Eisenbahnverkehr in das von der Küste abgeschlossene Abessinien.
Der Herrscher dieses Landes, der Negus Menelik, gab dem bisher in
einzelne Lehnstaaten geteilten Gebiete staatliche Einheit, behauptete durch
den Kampf bei Adua seine Selbständigkeit gegen Italien und ebenso gegen-
über Egypten; er stützt sich auf ein mit neuesten Waffen ausgerüstetes Heer
von 200000 Mann, erkennt aber die Notwendigkeit eines Verkehrs mit der
europäischen Civilisation an, um die Produkte seines Landes zu verwerten
und Erzeugnisse europäischer Industrie einzuführen. Aber von der Küste
und der großen Verkehrsader Ost- Afrikas, dem Nil, war sein Land abgeschlossen
durch fremden Besitz; mit wem unter den lüsternen Nachbarn sollte er sich
in Verbindung setzen, um durch den Bau einer Eisenbahn mit der Welt in
Verkehr zu treten? Auf Anraten seines Ministers, des Schweizers II g, wählte
er hierzu Frankreich und genehmigte unter Vermittlung des französischen
Generalkonsuls Chefneuf einen Vertrag mit der französischen Compagnie des
chemins de fer ethiopiens zum Bau und Betrieb einer Eisenbahn von Djibuti
nach der neuen Hauptstadt Abessiniens Addis Abeba mit einer Abzweigung
nach Harar unter Ausschluß der Genehmigung zu irgend einer anderen Kon-
kurrenzbahn auf die Dauer von 99 Jahren.
Djibuti, Addis Abeba und Faschoda am weißen Nil liegen annähernd
unter 10^ nördlicher Breite, Harar südöstlich des ersten Drittels ihrer Entfer-
nung von der Küste her. Die damals projektierte Bahn sollte den Süden des
Hochlandes von Abessinien durchziehen und dieses mit dem Meere verbinden ;
ein Anschluß an die englische afrikanische Nilbahn konnte nicht ins Auge
gefaßt werden, weil dann aller Verkehr von Djibuti ab in die englisch-
egjptische Interessensphäre geleitet wäre. Deshalb ist die Hauptstadt Addis
Abeba Endstation; ihre Entfernung von Djibuti beträgt annähernd 700 km.
200 km von dieser Hafenstation liegt die Abzweigung nach Harar; hier ist
das Hochland von der Bahn schon erstiegen, die vom Meere bis dahin die
allmählich nach Westen zu von der Küste her ansteigende Wüstenebene durch-
zieht. Die Höhenunterschiede werden am klarsten durch Angabe der Horizontal-
entfernung und der absoluten Höhe der wichtigsten Punkte: Djibuti + 0,
Frankreichs äthiopische Eisenbahn. 467
Addis Harar, der Zweigpiinkt nach Harar, 205 km — 1800 in, Asba 400 km —
1145 m und Addis Abeba 700 km — 2750 m.
Obgleich die äthiopische Bahn politisch und kommerziell recht günstige
Aussichten bot, ihre Erstellung keine übergroßen imd kostspieligen Kunst-
bauten zu erfordern schien, hatte die Gesellschaft von Anfang an mit großen
finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, auch scheint der Kostenanschlag zu
niedrig gewesen und die Durchquerung der 200 km langen Küstenwüste unter-
schätzt worden zu sein. Bei der Emission hielt sich das französische Kapital
fem, von 25 Mill. Francs kamen nur 8 Mill. auf, und hiermit wurde 1897
der Bau der ersten Teilstrecke von Djibuti bis Daunle begonnen. Jetzt
machten sich der Wüstencharakter, der Wassermangel, die Menschenleere im
Mangel jeden Hilfsmittels empfindlich geltend, alles, nicht nur das Baumaterial,
jeder Bedarfsartikel, dessen Verwendung dem Europäer den Aufenthalt und
die Arbeit in dem sonnendurchglühten Gebiete erst möglich machte, mußte
aus Frankreich bezogen werden: dies alles verzögerte und verteuerte den Bau
ungemein. Trotz der bösen Erfahrungen, die Frankreich beim Suezkanal mit
der Beteiligung englischen Kapitals gemacht hatte, sah sich die Gesellschaft
genötigt, an diese Quelle zu gehen, um, wenn auch unter ungünstigen Bedin-
gungen, die Mittel zu erhalten und so im Dezember 1901 Addis Harar, den
Knotenpunkt nach dem noch 90 km entfernten Harar, zu erreichen. Damit
aber waren die Geldmittel der Gesellschaft vollkommen erschöpft, und es lag
die Gefahr vor, den Besitz in fremde, in englische Hände übergehen zu sehen,
wollte man den Bahnbau nach Addis Abeba und Harar fortsetzen.
In dieser Notlage trat die französische Regierung helfend ein; am
22. März 1902 legte sie der Kammer und bald darauf dem Senate einen
Vertrag des französischen Protektorates der Somaliküste mit der Compagnie
des chemins de fer Ethiopiens vor und erlangte die fast einstimmige Ge-
nehmigung zur Hergabe von je 500 000 Francs auf 50 Jahre zur Fertigstellung
der ganzen Linie. Zugleich wurde der Bau der Zweiglinie nach Harar selbst
wegen der großen Schwierigkeiten und Kosten vor der Hand zurückgestellt;
damit erlangte die Gesellschaft ihre Selbständigkeit und die Möglichkeit zur
Durchführung des Projektes wieder. Harar (1850 m) bildet eine Oase in
dei: Wüstengegend, es war schon immer der Stapelplatz der reichen Produkte
aus Selwa und den Gallasländem an Kaffee, Wachs, Häuten, Baumwolle,
Harzen u. a., für welche Lebensmittel und Manufakturwaren, Waffen und
Munition eingetauscht wurden. Der Verkehr Harars mit der Küste erfolgte
bisher durch Karawanen, welche unter Mühsal und Entbehrung bei voller
Ladimg 20 bis 25 Tage, bei halber Last 12 — 13 Tage brauchten, dabei
stellte sich der Transport von 1 Tonne auf 300 Francs.
Nun wird nicht Harar selbst, sondern Addis Harar der Stapelplatz, den
Transport übeminunt die Bahn bis Djibuti, in 24 Stunden ist der wenig
mehr als 200 km lange Weg bequem zurückgelegt, die Fracht einer Tonne
stellt sich auf den zehnten Teil, auf 30 Francs, dabei fällt die Teilung der
Güter in Kamel- oder Maultierlasten, die kostspielige Verpackung fort, und wenn
der Gesamtverkehr Harars mit der Küste 1897 sich schon auf 20 Millionen
Francs belaufen haben soll, so läßt sich bei gutem Eisenbahnbetrieb auf eine
ansehnliche Steigerung des Güterverkehrs mit Recht hoffen.
Die Entfernung von Djibuti nach Addis Harar beträgt 205 km; sie bot
baulich keine nennenswerten Schwierigkeiten: keine übergroßen Schüttungen,
nur zwei größere Viadukte von 20 m Höhe und 156 m Länge, bezüglich von
28 m und 136 m waren erforderlich, die Spurweite ist 1 m, bei Kurven ge-
468 von Kleist: Frankreichs äthiopische Eisenbahn.
nügte ein Radius von 150m, die Steigung überschreitet nicht + ^ °i *^^
1 km; zur Speisung der Maschinen ergaben Bohrungen das erforderliche Wasser,
und da sein Vorhandensein die Vorbedingung für das Leben der spärlichen
Bevölkerung ist, fand sich diese bald an den Bohrstellen ein und begann sich
dort häuslich niederzulassen. Vier Jahre gebrauchte die Gesellschaft, um
die 200 km Bahnlinie durch die Wüste zu bauen. Welche unberechenbaren
Hindemisse diese Gegend aber dem Verkehr zu bereiten im Stande ist, zeigt
ein Bericht des afrikanisch-französischen Blattes „le Djibouti*^, den eine der
letzten Nummern der Zeitschrift „Mouvement geographique" bringt; es ist
dies eine sehr lebhafte Beschreibung eines Kampfes, man kann es wohl so
nennen, der Lokomotive mit Heuschreckensch wärmen. Ein Zug, der Djibuti
verlassen, traf von km 12 bis km 90 auf Heuschreckenschwärme , welche in
Wolken die Luft erfüllten oder in dicker Decke auf dem Boden lagerten.
Hinter der Brücke Hot Holl beginnt die Steigung. Die vierachsige gekup-
pelte Lokomotive fand in dem Brei der zerquetschten Tiere keine Reibung,
sie kam nicht von der Stelle, ihre, sowie die Räder der Waggons waren wie
eingeteigt. Man versuchte durch Aufschütten von Sand und Kies auf die
klargemachten Schienen die Bewegungsfähigkeit der Maschine zu erzielen,
mühsam legte auf diese Weise der Zug etwa 10 m in der Minute zurück;
als die Maschine aber noch nicht die Höhe der Steigung erreicht, bewirkte
die Schlüpfrigkeit der Schienen und die Schwere des Zuges ein immer schneller
werdendes Zurückgleiten desselben auf der eben mühsam zurückgelegten Strecke,
kein Bremsen half, bis man wieder die horizontale Richtung der Strecke er-
reicht hatte. Ich führe diesen etwas phantastischen Bericht im Auszuge nur
deshalb an, um die Erschwernisse für den Betrieb im schwarzen Erdteile
durch ein Beispiel zu kennzeichnen.
Ist nun auch die französische Gesellschaft nach der Unterstützung durch
die Regierung voller Zuversicht auf die ungehindei-te Vollendung des für
Frankreich und Abessinien so wichtigen Unternehmens, so scheinen sich doch
Schwankungen in der Auffassung des Negus Menelik gegenüber Frankreich
fühlbar zu machen, und es ist wohl erklärlich, daß sich gegensätzliche eng-
lische Einflüsse geltend machen, wo die Aussicht für sie geschwunden er-
scheint, daß das französische Unternehmen als reife Frucht in ihren Schoß
falle. Die französischen Blätter wollen von einer Sinnesänderung Meneliks
nichts wissen, empfinden vielmehr eine wohltuende Genugtuung in dem Ge-
lingen des Unternehmens im Hinblick auf den so schmerzlich empfundenen
Fehlschlag von Faschoda.
Sicherlich erhöht der Bau und Betrieb der äthiopischen Bahn Frank-
reichs Einfluß im Ost-Sudan, er legt den Handel dieses an Produkten des
Ackerbaues und der Viehzucht sowie an Naturschätzen so reichen Landes in
französische Hände, wählt zu seinem Ausgangspunkt einen französichen
Hafen und entzieht die Vorteile engster Handelsbeziehungen mit Abessinien
England und Italien. Die französische Regierung wäre sicherlich der Gesell-
schaft der äthiopischen Bahnen nicht rettend beigesprungen, wenn nicht durch
einen Zusammenbruch des Unternehmens das französische Ansehen in jenen
Gegenden aufs empfindlichste geschädigt worden wäre. von Kleist.
Geographische Neuigkeiten.
469
Geographische Neuigkeiten.
Allgemeines.
üß Zur Begründung eines ,, Vorschlags
zur erdmagnetischen Vermessung
eines ganzen Parallelkreises behufs
Prüfung der Grundlagen der Gkbußschen
Theorie des Erdmagnetismus*^ haben Prof.
V. Bezold und Prof. Adolf Schmidt
in Potsdam der Akademie der Wissen-
schaften in Berlin eine Abhandlung ein-
gereicht. Die Gaußsche Theorie des Erd-
magnetismus beruht auf der Voraussetzung,
daß das magnetische Feld der Erde ein
Potential besitze. Diese Voraussetzung
läßt sich prüfen durch die magnetische
Vermessung einer ganz in der Erdober-
fläche verlaufenden, geschlossenen Kurve.
Die beiden Gelehrten schlagen in ihrer
Schrift für eine solche Vermessung den
50. Parallelkreis vor.
* Ein zweites pazifisches Kabel,
welches die Vereinigten Staaten über Hono-
lulu und Guam mit den Philippinen ver-
bindet, ist am 4 Juli eröffnet worden. Der
Vorsitzende der Kabelgesellschaft, M a k ay ,
der sich wie der Präsident Roosevelt in
Oyster-Bai im Staate Neuyork befand,
sandte ein Telegramm um die Welt an
den Präsidenten, welches ihn nach zehn
Minuten erreichte. Nachdem erst vor
wenigen Monaten ein englisches Kabel
zwischen Britisch-Kolumbien und Austra-
lien einen Kabelring um die Erde ge-
schlossen hatte, der ausschließlich in eng-
lischem Besitz war und nur auf eng-
lischem Grund und Boden landete, wird
durch das zweite pazifische Kabel, das
sich im Besitz der Vereinigten Staaten
befindet und nur auf ihrem Besitz landet,
das englische zirkumterrestrische Tele-
graphenmonopol schon wieder durch-
brochen. Angesichts der Entwicklung
der Dinge in Ostasien ist es für die dort
interessierten europäischen Mächte von
der größten Bedeutung, beim Verkehr mit
ihren Vertretern in Ostabien nicht einzig
und allein auf ein englisches Kabel an-
gewiesen zu sein, und besonders Deutsch-
land kann mit Hilfe seines deutsch-ame-
rikanischen Kabels unter Benutzung des
nordamerikanisch-pazifischen Kabels und
des russisch - sibirischen Überlandtele-
graphen eine Verbindung rund um die
Erde herstellen, ohne ein englisches Kabel
benutzen zu müssen.
Enropa.
4c Die feierliche Einweihung der
Ofotenbahn hat am 14. Juli stattgefun-
den, nachdem bereits am 19. Juni die
Bahn dem allgemeinen Verkehr übergeben
worden war. Die weit gegen Norden bis
hoch über den Polarkreis bis 68« 77'
n. Br. vorgeschobene Lage der Eisenbahn
und die Einführung eines an die euro-
päischen Luxuszüge anschließenden Lapp-
land-Expreßzuges auf derselben werden
voraussichtlich einen starken Touristen-
verkehr nach dieser Gegend hervorrufen
und die bisher noch fast gar nicht be-
kannten Gebiete der Allgemeinheit zu-
gänglich machen. Die Hauptbedeutung
der Bahn liegt jedoch in der Erschließung
der gewaltigen Erzreichtflmer , die im
nördlichsten Schweden der Ausbeutung
harren. Die wichtigsten Fundstellen bil-
den das weltbekannte Gebiet von Gelli-
vara und die 106 km nördlich davon lie-
genden Erzfelder Kirunavara und Luassa-
vara. Seit den 80 er Jahren führte von
Gellivara eine Eisenbahn nach Lulea, von
wo aus jährlich große Mengen Erz ins
Ausland, hauptsächlich in die rheinisch-
westfälischen Industriegebiete ausgeführt
werden. Da aber der Hafen von Lulea über
die Hälfte des Jahres durch Eis ver-
schlossen bt, entschlossen sich die Regie-
rungen von Schweden und Norwegen zum
Bau einer Bahn von Gellivara nach dem
OfotenQord an der eisfreien norwegischen
Küste, durch welche auch die Ausbeutung
der nördlich von Gellivara liegenden Erz-
distrikte möglich wurde. Der Endpunkt
der Eisenbahn an der Küste ist die neu-
gegründete Stadt Narwik, die trotz
ihres jugendlichen Alters schon einige
tausend Einwohner zählt. Sie hat nicht
nur als Verschiffungshafen für das nord-
schwedische Erzgebiet Bedeutung, sondern
verspricht auch ein wichtiger Handels-
platz für das ganze nördliche Norwegen
zu werden, wobei ihr auch ihre Lage in
der nächsten Nähe der Lofoten, des größ-
ten Fischereigebietes Norwegens, zustatten
kommt. Eine zweite Stadt entstand bei
470
G^eographische Neuigkeiten.
dem Erzberge Kirunavara, der zunächst
in Angriff genommen wurde und auch
etliche Hundert Jahre vorhalten dürfte;
inmitten der einstigen Einöde entstand
hier mit amerikanischer Geschwindigkeit
die Stadt Kiruna, die „künftige" Haupt-
stadt von Lappland, die schon mehrere
Tausend Einwohner zählt und es bald
auf 10 000 Einwohner bringen dürfte.
Außer Kiruna gibt es an der 278 km
langen Ofotenbahn nur noch an der schwe-
dischrnorwegischen Grenze eine Zwigchen-
station, deren Errichtung sich wegen der
erforderlichen Zollabfertigung nötig
machte; sonst sind die von der Bahn
durchschnittenen Gebiete vollständig men-
schenleer und für die Besiedlung un-
geeignet.
AtriktL.
♦ Über den Tschadsee, seine Küste
und seine Inselwelt, soweit sie im
französischen Besitze sind, berichtete
Destenave, der Konmiandant des Mili-
tärbezirks am Tschadsee, auf Grund der
Forschungen französischer Offiziere in den
Jahren 1901 und 1902 in La Geographie,
1903, S. 421. Der Tschadsee hat die Ge-
stalt eines Dreiecks, dessen Grundlinie
ungeftlhr 170 km und dessen Höhe 180 km
beträgt, und bedeckt eine Fläche von an-
nähernd 20 000 qkm. Der See ist in einer
Wanderung nach Westen begriffen, des-
halb ist der seichten Ostküste von Kanem
ein dichter Inselkranz vorgelagert und die
Tiefe des Sees überschreitet in seiner öst-
lichen Hälfte nicht 6—6 m, beträgt . viel-
mehr meistens nur 1 — 1,5 m; die west-
liche Hälfte ist 10—12 m tief, an der West-
küste, der von Bomu, gibt es nur einige
flache und sumpfige Inseln. An der Süd-
ostküste bei Hadjer-el-Hamis hat sich der
See in den letzten 10 Jahren um ungefähr
1 km vom Ufer zurückgezogen. Wegen
der fortschreitenden Verlandung und der
damit eintretenden Verödung ist das
Küstenland Kanem fast ganz von seinen
Bewohnern verlassen, die mit ihren zahl-
reichen Rinderherden auf den sich vor
der Küste bildenden Inselgürtel über-
gegangen sind. Von den Inseln sind nur
die höheren, 15—20 m aus dem Wasser
hervorragenden, bewohnt; auf ungefähr
80 solcher Inseln wohnen 50 000 Menschen
mit 70—80 000 Rindern , welche sie auf
den niedrigeren Inseln weiden lassen; die
niedrigsten Inseln ragen kaum über den
Wasserspiegel empor und werden von den
Inselbewohnern nicht benutzt. Die Be-
wohner der höheren südlichen Inseln sind
seßhaft, sie beschäftigen sich außer mit
Viehzucht mit Hirse- und Baumwollbau,
deren Produkte sie nach Kanem verkaufen.
Die Bewohner der niedrigeren nördlichen
Inseln sind nomadisierende Viehzüchter,
die mit ihren Herden schwimmend von
Insel zu Insel ziehen. Je nach der Wasser-
menge, die der Schari dem See zuführt,
verändert sich sein Niveau; im Dezember
erreicht der See seinen höchsten Stand,
der das gewöhnliche Niveau bis 120 cm
übersteigt; dann füllen sich die Strand-
seen mit Wasser, das zur Sommerszeit
verdunstet und eine Salzkruste zurückläßt,
die von den Eingeborenen gesammelt
wird. Der See ist ziemlich fischreich, die
Inselbewohner liegen jedoch nur vereinzelt
dem Fischfang ob.
PoUrgegenden.
♦ Von der Dänischen Grönland-
Expedition, an derMylius-Erichsen
als Leiter, der Maler Graf Harald M o 1 1 k e ,
Dr. Bertelsen und stud. Rasmussen
teilnehmen, sind jetzt nähere Nachrichten
in Kopenhagen eingetroffen. Im vorigen
Sommer unternahmen die Reisenden eine
Bootsfahrt längs der Westküste Grönlands
von Godthavn bis Jakobshavn, wo die
Überwinterung stattfand. Im Februar
brach die Expedition auf Hundeschlitten
nach üpemivik, der nördlichsten dänischen
Niederlassung in Westgrönland, auf, die
im März erreicht wurde. Am 24. März
waren die Vorbereitungen zum weiteren
Vormarsch nach Norden vollendet; Erich-
sen und Rasmussen marschierten in Be-
gleitung von Grönländern und einem Dol-
metscher längs der Küste weiter nach
Norden, um an der Melville-Bay entlang
Kap York zu erreichen, wo einige heid-
nische, nur wenige Hundert Köpfe zäh-
lende Eskimostämme nomadisieren, die
man studieren wollte. Dieser Teil der
Expedition hoffte im Juli wieder nach
Upernivik zurückgekehrt zu sein. Dr. Ber-
telsen ging nach Süden durch die däni-
schen Bezirke Umanak, Godthavn und
Egedesminde, um Stoff für sein Buch über
die Krankheiten der Grönländer zu sam-
meln; auch er gedachte sich noch im
Laufe dieses Sommers wieder mit der
Nordexpedition zu vereinigen. Zur Siehe-
Geographische Neuigkeiteo.
471
rung des ganzen Unternehmens wurde
bereits im vorigen Sommer ein auf meh-
rere Monate berechnetes Proviantdepot
für sechs Mann und ein einmonatliches für
sechs Hundegespanne bei dem nördlichsten
Punkte der dänischen Eüstenmessung
niedergelegt. Die Mitglieder der Expe-
dition befanden sich in gutem Gesund-
heitszustande.
♦ Der vorläufige Bericht des
Leiters der Deutschen Südpolar-
expedition über den Verlauf der Ex-
pedition ist mit dankenswerter Schnellig-
keit am 10. Juli im Deutschen Beichs-
anzeiger veröffentlicht worden. Klar und
anschaulich schildert der Bericht den
Verlauf der Reise von den Eerguelen
ü ber Heard-Island in der Macdonald-Gruppe
in der Richtung auf die Termination-Insel,
von der aber die Expedition ebenso wie
die Challenger-Expedition trotz längeren
Ereuzens an der von ihrem Entdecker
Wilkes angegebenen Position keine Spur
entdecken konnte. Vom 14. bis 22. Fe-
bruar kreuzte die „Gauß" im Scholleneis,
ohne bei ihren Versuchen nach Süden
vorzustoßen einen nennenswerten Erfolg
zu haben, bis das Schiff bei dem letzten
dieser Versuche am 22. Februar in der
Nähe einer bisher noch unbekannten
Küste vom Eise eingeschlossen und fast
ein volles Jahr bis zu seiner Befreiung
am 8. Februar 1908 von ihm festgehalten
wurde. Sodann schildert Prof. v. Dry-
galski die ersten Tage im Winterlager
und die Winterstation, deren Lage im
Scholleneis und nicht am Land in Folge
günstiger Zusammenschiebung von Eis-
bergen und Eisfeldern im weiten Um-
kreise eine nach allen Richtungen über-
aus günstige war. Die neuentdeckte Küste
des antarktischen Landes wurde „Kaiser-
Wilhelm n.-Kü8te" und die große Bucht,
in der die „Gauß" lag, .,Posadowsky-
Bucht" benannt, während eine eisfreie
vulkanische Kuppe, die an ihrem süd-
lichen Rande in 366 m Höhe gefunden
wurde, den Namen „Gaußberg*' erhielt.
Weiter enthält dann der Bericht eine
Schilderung von der Einrichtung der
Station und von der Arbeitsverteilung.
Trotz der wütendsten Schneestürme, von
denen sich nur der eine Vorstellung
machen kann, der sie erlebt hat, wurden
die Arbeiten im Innern des Schiffes nie
gestört, da bei der festen Lage des Eises
in der Umgebung des Schiffes dasselbe
keinen Pressungen ausgesetzt war und
sich auch unter Winddruck und Schnee-
last nur wenig überlegte. Am 29. März
1902 fanden bei schönem stillem Wetter
vom Eise aus drei Aufstiege des Fessel-
ballons zu photographischen Zwecken statt,
an denen der Leiter der Expedition, der
Kapitän und Dt. Philippi teilnahmen.
Sie ergaben aus einer Höhe von 500 m
eine sehr wertvolle Umschau über die
Umgebung und die Lage der „Gauß", die
für die folgenden Unternehmungen viel-
fach bestimmend gewesen ist. Die Zeit
während des Festsitzens im Eise teilt der
Bericht in verschiedene Perioden: Die
beiden ersten Monate wurden zu Schlitten-
reisen und zu kleineren Ausflügen zu Re-
kognoszierungs-, Studien- und Sammel-
zwecken benutzt. Die zweite Periode von
Anfang Mai bis Anfang September war
die Periode der Winterstürme und deshalb
der inneren Beschäftigimg; während der-
selben hatte man im Innern des Schiffes
nicht unter der starken Kälte zu leiden,
da sich die Wärme innerhalb des Schiffes
ausgezeichnet hielt und die Zentral-
heizungsanlage überhaupt nicht benutzt
zu werden brauchte. Während der dritten
Periode von Anfang September bis An-
fang Dezember wurden wieder größere
Schlittenreisen gemacht, während in der
letzten Periode von Anfang Dezember 1902
bis 8. Februar 1908 der lockere Zustand
des Eises in Folge der starken Zersetzung
der Eisoberfläche eine weitere Entfernung
vom Schiffe nicht mehr gestattete. Die
Stationsarbeiten gingen bis zum 30. Januar
ihren ungestörten Gang und wurden erst
eingestellt, als an diesem Tage die Eis-
berge in der nächsten Umgebung in Be-
wegung gerieten. Ende Januar wurde mit
der direkten Ausgrabung der „Gauß" be-
gonnen, wobei von der gesamten Mann-
schaft und den Offizieren in angestreng-
ter, schwerer Arbeit vom 26. Januar bis
7. Februar eine Eismasse von über 350 cbm
fortbewegt wurde. Diese aussichtslose
Arbeit erreichte am 8. Februar mit dem
Loskommen der „Gauß'^ ein willkonmienes
Ende; die Maschine war klar und unter
Dampf wurde versucht, die Fahrt west-
wärts fortzusetzen. Hierbei geriet das
Schiff noch einigemal im Eise fest und
als ein Sturm am 8. April das Schiff auf
einen Eisberg mit gewaltiger Brandung
472
Geographische Neuigkeiten.
zatrieb, entschloß sich Drygalski unter
66058' s. Br. und 79<'8S' östl. Länge zum
Verlassen der Eisreg^on und zur Rück-
kehr nach Südafrika. Schon am 9. April
kam die ,,Gauß^^ aus dem Eise heraus, am
13. April wurde unter 69^54' s. Br. der
letzte Eisberg passiert und nach einem
Besuche der Inseln St. Paul und Neu-
Amsterdam wurde am 81. Mai Port Natal
und am 9. Juni 1901 Simonstown in der
Falsebai glücklich erreicht.
* Da die englische Südpolar-
expedition bis zum Beginn des antark-
tischen Winters nicht zurückgekehrt ist,
mußte die abermalige Aussendung einer
Hilfsexpedition ins Werk gesetzt werden ;
denn als die erste Hilfsexpedition auf der
,,Moming^' die im Eise festsitzende „Dis-
covery" am 2. März d. J. verließ, hatte
diese nur noch Kohlen genug, um bis
zum Januar heizen zu können, weshalb
schnelle Hilfe unbedingt erforderlich ist.
Ursprünglich hatte die Londoner Geo-
graphische Gesellschaft die Entsendung
der Hilfsexpedition wieder selbst in die
Hand nehmen wollen und hatte zu diesem
Zwecke die englische B.egierung um finan-
zielle Unterstützung gebeten. Da jedoch
die Regierung mit den „Maßnahmen der
beiden für die Expedition verantwort-
lichen wissenschaftlichen Gesellschaften
mit Bezug auf die Vfrwendung der von
der Regierung bewilligten Gelder" bei der
Aussendung der Expedition nicht ein-
verstanden war, hat sie sich entschlossen,
auf eigene Kosten eine Hilfsexpedition
für die „Discovery** auszusenden. Eine
mit den Vorarbeiten beauftragte Kommis-
sion von Seeoffizieren hat bereits den
Walfischfänger „Terra Nova** aus Dundee
gechartert, der am 10. Juli von Neufund-
land abgefahren ist und auf dem Firth
of Tay erwartet wird. Die Ausrüstung
des Schiffes wird drei Monate in An-
spruch nehmen, so daß es noch rechtzeitig
zur Stelle sein kann, um die Expedition
unterstützen oder befreien zu können.
Ob sich die gegenwärtig in Lyttleton vor
Anker liegende „Moming** an den Be-
freiungsversuchen beteiligen wird, ist noch
unbestimmt.
Geographischer Unterricbt«
t EinKursus für Meeresforschung
soll in Bergen während der Zeit vom
1. September bis 1. November d. J. ab-
gehalten werden, sofern sich eine ge-
nügende Anzahl von Teilnehmern meldet.
Der Unterricht und die Übungen, die beide
gratis sind, werden in Vorlesungen, prak-
tischen Übungskursen und Anleitung zu
Arbeiten im Laboratorium, sowie in der
Anwendung von Geräten und Instrumen-
ten bei Gelegenheit von Exkursionen be-
stehen. Mikroskope und Lupen müssen
jedoch mitgebracht werden. Die Km^se
werden nach folgendem Plane erfolgen:
Dr. Johann Hjort: Übersicht über die
Biologie der wichtigsten Fischarten des
Nordmeeres; die wichtigsten Fischereien
der Nordsee und des norwegischen Nord-
meeres. B. Heiland- Hansen: Unter-
richt mit Laboratoriums-Übungen in den
Methoden der ozeanographischen Unter-
suchungen; Übersicht über die bisherigen
ozeanographischen Untersuchungen in den
nordeuropäischen Meeren; Vorlesungen
über theoretische Hydrographie. Dr. H.
H. Gran: Das Plankton: Diatomeen und
Peridineen der Nordsee und des Nord-
atlantischen Meeres; Allgemeine Metho-
den für Kultur und Untersuchung der
Meeresbakterien. Dr. A. Appelloff:
Systematische Durchnahme der repräsen-
tativen Formen der Fische und Everte-
braten der norwegischen Fjorde, der Nord-
see und des norwegischen Nordmeeres
nebst Demonstrationen; Übersicht über
die Verteilung der Fauna dieses Gebietes
auf dem Meeresboden und deren Abhängig-
keit von der Konfiguration desselben, so-
wie von den physikalischen Verhältnissen;
Exkursionen zum Zwecke des Studiums
der Evertebraten.
Anmeldungen zur Teilnahme am Kur-
sus müßten bis zum 15. August d. J. an
Dr. Johann Hjort „Norges Fiskerist^relse
videnskabelige Afdeling** Bergen, Nor-
wegen, geschickt werden, wobei Mitteilung
über die Ausdehnung, wie weit man an
den Kursen teilzunehmen wünscht, beizu-
fügen ist. Die Kurse werden in deutscher
oder englischer Sprache abgehalten werden.
Vereine und Yersainnilaiigen.
♦ Der Vni. Internationale Geo-
graphenkongreß wird nach dem Be-
schlüsse einer Versammlung von Ver-
tretern der verschiedenen Geographischen
Gesellschafben der Vereinigten Staaten im
September 1904 in Washington abgehalten
werden. Zum Präsidenten des Organi-
Bacherb esprechun gen.
473
sationscomit^s wurde Prof. McGee von
der National Geographie Society in
Washington und zum Generalsekretär
Dr. J. H. MeCormick gewählt. Im An-
schluß an die Sitzungen in Washington
soll der Kongreß auch noch in anderen
Städten Sitzungen und Versammlungen ab-
halten und schließlich nach St. Louis
übersiedeln, um hier zusammen mit dem
Internationalen Kongreß für Kunst und
Wissenschaft zu tagen. Nach Schluß der
Sitzungen in St. Louis sind Reisen nach
der Stadt Mexiko, dem Grand Canon,
dem Yosemite-Tal, dem Tellowstone-Park
und anderen sehenswerten Punkten für
die Kongreßteilnehmer geplant.
♦ Dem Programm der 75. Versamm-
lung Deutscher Naturforspher und
Ärzte in Cassel vom 20. bis 26. Sept.
d. J. entnehmen wir folgende Vorträge
und Demonstrationen geographischen oder
verwandten Inhalts: A. Penck (Wien):
Die geologische Zeit (1. allgem. Versamm-
lung). — 6. Abt. f. Geophysik, Meteorol.
u. Erdmagnetismus : Krebs (Münster i/E.) :
Ungewöhnliche Niederschläge im verflos-
senen Jahr und damit zusammenhängende
Erscheinungen; Beziehungen des Meeres
zum Vulkanismus; Einheitsmaß für Be-
wegungsgeschwindigkeiten . M e n 8 i n g :
Erforschung der Ebbe und Flut auf hohem
Meer. Nippolt (Potsdam): Innere Natur
der erdmagnet. Variationen. Polis
(Aachen) : Heutiger Wettemachrichten-
dienst; tägl. Periode des Niederschlags.
— 7. Abt. f. Geogr., Hydrogr., Kartogr.:
Berg (Friedrichsdorf i/T.): Geogr. Mu-
seen u. Sammlungen. Keller (Berlin):
Hochwasser in deutschen Strömen. Wol-
kenhauer (Göttingen): Zur Kartogr. des
1 6 . Jahrh. D e c k e r t ( Steglitz) : Die west-
ind. Vul kanausbrüche (Lichtbilder) . H a u -
tal (LaPlata): Seenstudien in Patagonien.
Lang (Hannover): Ringsattelkrater, event.
Ausflug nach Gudensberg. Rosen thal
(Cassel): Reisebilder aus Südamerika.
Persönliches.
♦ Der bisherige außerordentliche Pro-
fessor der Geographie an der Universität
Gießen, Dr. Wilhelm Sievers, ist zum
ordentlichen Professor an derselben Uni-
versität ernannt worden.
♦ Am 1. August hat sich Dr. Max
Friederichsen aus Hamburg als Privat-
docent der Geographie an der Universität
Göttingen habilitiert.
♦ Zum Direktor der Deutschen See-
warte in Hamburg ist an Stelle des in
den Ruhestand getretenen Prof. Dr. v. Neu-
mayer der Kapitän zur See Hertz er-
nannt worden.
Bficherbesprechungen.
Bretzl, H. Botanische Forschungen
des Alexanderzv ges. XH u. 412 S.
11 Abb., 4 Kartenskizzen. Leipzig,
Teubner 1903. JC 12.—.
Seit Victor Hehns „Kulturpflanzen
und Haustiere" dürfte kein Werk er-
schienen sein, das durch die seltene Ver-
einigung botanischer Durchbildung und
philologischer Arbeit der Naturforschung
und der Altertumskunde gleichzeitig eine
so reiche Ernte zugeführt hätte, wie
dieses gehaltvolle und doch so Msch ge-
schriebene Buch. Mit der Erweiterung
des Horizonts durch das Zeitalter der
Entdeckungen kann nur die Wirkung des
Siegeszuges Alexanders d. Gr. verglichen
werden. Die Blüte der Erdkunde in den
Reichen des Hellenismus ward nur da-
durch möglich. Aber von der speziellen
Wirkungsweise der Eroberung Vorder-
asiens und des Vordringens bis über den
Indus auf irgend eine Seite des Natur-
erkennens hatte man sich noch nie in
eingehender Prüfung Rechenschaft ge-
geben. Da der erste Eindruck fremder
Erdenräume in erster Linie vom Pflanzen-
kleide abhängt, waren die Fortschritte
botanischer Kenntnis und pflanzengeo-
graphischer Einsicht besonders sorg-
samer Analyse wert, umsomehr da in
Theophrasts Werken manche neuen
Beobachtungen in klarerer, wissenschaft-
lich schärfer erfaßter Form vorliegen als
bei den Historikern des Alexanderzuges.
Ob diese Tatsache mit dem Verf. zu er-
klären ist aus der Vollkommenheit offi-
zieller, im Reic)isarchiv zu Babylon
verwahrter Berichte aus sachkundiger
I Feder, oder ob man , bei der Beschrän-
kung dieser besten Kunde auf wenige
I Landstriche, lieber Einzelwerke, wie die
I des Nearch und des Androsthenes, als
Q^o^phStche Zelttchrift. 9. Jahrgang. 1908. S.Heft.
32
474
Bücherbesprechnngen.
Quelle annehmen soll, mag dahingestellt
bleiben. Die Hauptsache iet, daß Theo-
phrast die botanischen Ergebnisse des
Zuges am reinsten widerspiegelt und für
pflanzengeographische Darstellung so fein-
sinnig verweiset, daß sein Werk den Höhe-
punkt der antiken Pflanzenkunde über-
haupt bezeichnet.
Ein einleitender Abschnitt über Blatt-
formen führt in das Verständnis der
wissenschaftlichen Sprache Theophrasts
ein, die beim Mangel Ton Abbildungen
die Anschaulichkeit der Pflanzenbeschrei-
bung nicht durch Vergleiche mit anorga-
nischen Gebilden oder Objekten aus der
Tierwelt erstrebt, sondern durch Ver-
gleiche mit bekannten heimischen Formen
von Blättern und Früchten oder ganzen
Baumgestalten. Dies Darstellungsmittel
gelangt schon zu ausgiebiger Verwendung
bei der Mangroye- Vegetation des Indus-
Deltas, des persischen Golfs und des
roten Meeres. Die antiken Lorbeer- und
Olbaumhaine der Ichthyophagen -Küste
Ägyptens und Äthiopiens bis zum Ost-
hom Afrikas sind nichts anderes als Be-
stände der Schora {Ävicennia officinalisX
welche den hervorstechendsten Charakter-
baum der dortigen Mangrove bildet und
physiognomisch für den Griechen am
besten charakterisiert wurde durch den
Vergleich des Blattes mit dem der Olive,
des ganzen Habitus mit dem Lorbeer.
Die sorgfältige Verzeichnung der mit
Schora bedeckten Eüstensäume bewährt
sich sogleich als ein Hilfsmittel der an-
tiken Topographie, in der an diesem
Ufer Daphne und Elaea (aber immer nur
in dieser ungewöhnlichen Bedeutung!)
eine erhebliche Rolle spielen. Wie hier
gelingt dem Verfasser auch bei Theo-
phrasts vortrefflichen Schilderungen der
Flutwaldungen der Insel Tylos, Earma-
niens und des Indus-Deltas die zum ersten
Male von Stocks an Aristobuls un-
vollkommeneren Berichten über die Man-
grove Gedrosiens scharfsinnig versuchte
Trennung der Hauptcharakterpflanzen :
neben Ämcennia offieinalis noch Rhizo-
phora mucronata und Aegiceras majus.
Mit Überraschung sieht man, wie das,
was die Griechen als auffallend und be-
zeichnend an diesen Bäumen hervorheben,
wieder betont wird in späteren Berichten
der Araber, der Portugiesen, der Hollän-
der, und wie die schöne Schilderung des
alten Meisters der Pflanzenkunde Leben
gewinnt durch den oft schlagenden Ver-
gleich mit den neuesten Beobachtungen
eines Karsten oder Schimper. Wie
erstaunlich steht schließlich vor uns die
unmittelbar nach dem Alexanderzug mit
sicherer Hand auf dem Südrand des Welt-
bilds eingetragene Zone eines tropischen
und subtropischen Holzwuchses, den die
Flutwelle täglich durchspült.
Es folgt des Androsthenes vortreff-
licher Bericht über die Insel Tylos, ihre
starken Quellen, die hier zuerst entdeckten
nyktitropischen Bewegungen der Fieder-
blättchen einer Tamarinde , die Nachts
wie Augenlider zum Schlaf sich schließen,
die Nutzhölzer und Baumwollpflanzungen
der Insel, die im Winter 824/3 auf einer
nach Arabien zielenden Entdeckungsfahrt
erforscht ward.
Bot sich schon hier Gelegenheit, mit
Theophrasts streng wissenschaftlichem
Bericht die im einzelnen hie und da
etwas reicheren aber im ganzen durch
Änderungen, Kürzungen, Flüchtigkeiten
ungünstig abweichenden Darstellungen
des Plinius, die wesentlich aus dieser
selben Grundlage hervorgegangen sind,
zu vergleichen und die Arbeitsweise die-
ses Kompilators kritisch zu verfolgen, so
fällt diese Abwägung griechischer und
römischer Wissenschatl besonders ungleich
aus beim indischen Feigenbaum (Ficus
bengalensis)^ dessen von den Ästen zur
Erde niedergesandte Luftwurzeln Theo-
phrast überaus treffend schildert, ohne
trotz der riesigen Ausdehnung der ganzen
Säulenhalle von Stützwurzeln an der Ein-
heit des mächtigen Baumindividuums irre
zu werden. Nur ein irriges Element ist
in seine Darstellung eingedrungen: es
werden fälschlich diesem Baume die
Riesenblätter der Musa sapientum, der
„indischen Feige" der Portugiesen, zu-
geschrieben.
Wie im allgemeinen biologische und
pflanzengeographische Momente allgemei-
nerer Bedeutung es sind, welche die Aus-
wahl der von Theophrast geschilderten
Pflanzenarten leiten, so ist die Aufnahme
von Cärus medica in seinen Horizont
wichtig geworden für die Erkenntnis
der geschlechtlichen Fortpflanzung der
Pflanzen.
Ein für die Geschichte der Erdkunde
besonders bemerkenswertes Kapitel, daa
Bflcherbesprechnngen.
475
schon als Dissertation des Verf. erschien,
behandelt den Versuch einer Scheidung
Europas und Asiens durch die Yerbrei-
tungsgrenze der Tanne. Die Tannen-
wälder Armeniens als eine einzelne Aus-
nahme von dieser Regel zu betrachten,
wurde unmöglich, seit man beim Flotten-
bau der Tannenwälder des nordwestlichen
Himalaya sich freute. In ihnen trat der
Begriff der Höhenregionen den Griechen
zuerst unabweisbar entgegen, wenn sie die
Verwandten ihrer Mittelmeerflora (nament-
lich Oka cuspidata, Rebe, Efeu, Buchs-
baum) in beträchtlicher Höhe am Hange
des indischen Hochgebirges wiederfanden.
Den Schluß macht der botanische
Ertrag des wahnwitzigen gedrosischen
Wüstenmarsches. Die den makedonischen
Saumtieren verhängisvoUen Giftpflanzen
Callotropis procera und Nerium Oleander
(bei den Griechen Daphne agria^ Oeno-
theras) werden eingehend auf Grund rei-
chen Stoffs besprochen, auch Balsamo-
dendran Mukul, Scorodosma foetidum und
Etiphorbia anHquorum.
Der Rahmen der kurzen Besprechung
reicht nicht aus, den vollen Ertrag zu
werten, den Pflanzengeographie, Kultur-
geschichte, Textkritik aus diesem vor-
trefflichen Buche gewinnen, zu dessen
vielseitigem gelehrten Inhalt aufler den
fahrenden Lehrern, dem Botaniker Gra-
fen zuSolms-Laubach, den Philologen
Schwartz und Keil, auch eine Reihe
anderer Lehrer der Straßburger Hoch-
schule in schönster Betätigung des Zu-
sanunenhangs der Universitas litterarum
beigetragen haben. Das Buch ist wirk-
lich so vieler Freunde würdig ausgefallen.
J. Partsch.
Crirellari^ Oiaseppe. Alcuni cimeli
della cartografia medievale
esistenti a Verona. 48 S. Firenze,
Seeber 1908. L, 1.60.
Die kartographischen Schätze aus
Veroneser Bibliotheken, die der Verfasser
in der vorliegenden kleinen Schrift be-
schreibt, gehören nicht eigentlich, wie
der Titel vermuten läßt, dem Mittelalter,
sondern dem 16. und 16. Jahrhundert an.
Es handelt sich um eine auch in farbiger
lithographischer Reproduktion beigege-
bene kleine Planisphäre des Venezianers
Giovanni Leardo vom Jahre 1442 in
der Kommunalbibliothek, das älteste bis-
her bekannte Werk dieses Kartographen,
auf dessen übrige Arbeiten, wenigstens
soweit sie bei Santarem, Ongania und
Nordenskiöld reproduziert worden sind,
hätte vergleichend hingewiesen werden
sollen; femer um eine sehr große, leider
stark beschädigte anonyme Planisphäre
des 16. Jahrhunderts, um einen Portolan
von Jaume Olives aus Majorca von
1668, gleichfalls, wie es scheint, dessen
älteste bisher beschriebene Arbeit; end-
lich um einen Pergamentatlas, gezeichnet
1692 von Giacomo' Scotto und be-
stehend aus 9 Karten, von denen die
Weltkarte in chromolithographischer Re-
produktion beigefügt ist. <vDiese vier kar-
tographischen Werke werden eingehend
beschrieben*, jedoch hat es der Verfasser
leider unterlassen, die übrigen vorhandenen
Arbeiten der genannten Zeichner ausgiebig
zu Vergleichen heranzuziehen.
Viktor Hantzsch.
Meyers Großes Konversations-
Lexikon. 6. Aufl. Bd. II (Astilbe—
Bismarck. 914 S.) u. III (Bismarck-
archipel — Chemnitz. 924 S.). Leipzig,
Bibl. Inst. 1903. Je JC 10.—.
Was über den ersten Band gesagt
worden ist (S. 116), gilt auch für den
zweiten und dritten, denn Plan und Cha-
rakter der Darstellung sind natürlich in
allen Bänden die gleichen. Auch in
diesen Bänden finden wir reiche stoffliche
Belehrung, so daß wir sie gern zum
Nachschlagen in die Hand nehmen wer-
den, sowie eine Anzahl zugleich lehrrei-
cher und schöner bildlicher Darstellungen,
unter denen ich namentlich die Faunen-
und Völkertafeln hervorhebe. Aber auch
in diesen Bänden kann ich die Fassung
der meisten geographischen Artikel nicht
für glücklich halten. Der Zweck dieser
Artikel ist doch wohl, Nichtfachmännern,
namentlich etwa Journalisten, Kauf leuten
u. 8. w., die sich rasch über ein Land
oder ein anderes geographisches Objekt
orientieren wollen, eine klare anschau-
liche Vorstellung davon zu geben. Ich
glaube nicht, daß dieser Zweck erreicht
wird Es ist zu viel Stoff zusammen-
getragen und zu wenig verdaut. Was
soll der Nichtfachmann mit allen diesen
stratigraphischen, floristischen , faunisti-
schen u. s. w. Einzelheiten, deren Ver-
ständnis überdies durch die übertriebene
32*
47G
Bücherbesprechungen.
Anwendung technischer Ausdrücke er-
schwert wird? Dagegen fehlt es fast
ganz an einer innerlichen Verknüpfung
der verdchiedenen Seiten der Landes-
natur. Ich habe mir z. B. bei der Lek-
türe der Artikel über Bolivien und Brasi-
lien, die übrigens auch von sachlichen
Irrtümern nicht &ei sind, sagen müssen,
daß ich mir daraus kein Bild machen
könnte; wie soll es der, dem die eigene
Anschauung und überhaupt die geogra-
phische Bildung fehlt? Auch die poli-
tischen und volkswirtschaftlichen Ver-
hältnisse lassen sich ohne Beziehung auf
die Landesnatur nicht verstehen; wie
leicht wäre es z. B., die landwirtschaft-
lichen Verhältnisse Boliviens aus dem
Klima und der Verkehrslage zu erklären !
Das Mey ersehe Konversations-Lexikon hat
der neueren Entwicklung der Geographie
insofern Rechnung getragen, als es die
verschiedenen Seiten der Natur der Län-
der eingehend berücksichtigt; aber es
läßt die eigentliche geographische Ver-
arbeitung des Stoffes noch zu sehr ver-
missen. Seine Artikel geben viele ein-
zelne geographische Kenntnisse, sind
aber mit wenigen Ausnahmen kaum ge-
eignet, geographisches Verständnis zu
vermitteln. A. Hettner.
Geographenkalender, hrsg. von H.
Haack. 1. Jahrgang. 1903/1904.
kl. 8^ XV u, 320 u. 124 S. Gotha,
Justus Perthes 1903. JL 3.~.
Die Herausgabe dieses Geographen-
kalenders, der übrigens erst sehr ver-
spätet zur Besprechung verschickt worden
ist, war ein glücklicher Gedanke, und
dieser Gedanke ist auch geschickt und
glücklich ausgeführt worden. In gefäl-
liger Ausstattung, mit einem gelungenen
Bildnis F. v. Richthofens geschmückt,
auch von einer Anzahl kleiner Kärtchen
begleitet, enthält der Geographenkalender
eine Fülle nützlicher Angaben. Den An-
fang macht ein Kalendarium, von Paul
Lehmann bearbeitet; es gehört nun ein-
mal zu einem Kalender und entspricht dem
astronomischen Interesse vieler Geogra-
phen. Als Anhang dazu hat der Heraus-
geber einige geographische Tabellen (Erd-
dimensionen, Kartenmaßstäbe, Thermo-
meterskalen u. s. w.) zusammengestellt;
ich glaube, daß diese Tabellen in den
folgenden Jahrgängen noch viel weiter aus-
gestaltet und vermehrt werden sollten, da
eine brauchbare Zusammenstellung geo-
graphischer Tabellen bisher nicht existiert.
In der zweiten Abteilung bespricht Paul
Langhans die Weltbegebenheiten des
Jahres 1902 ; hier könnten wohl die poli-
tisch und wirtschaftsgeographischen Ver-
änderungen noch etwas ausführlicher ge-
geben werden. Drittens gibt H. Wich-
mann einen Überblick über die geogra-
phischen Forschungsreisen, die er ja so
aufmerksam wie wenige andere verfolgt.
Recht hübsch und brauchbar sind auch
die im vierten und fünften Abschnitt von
W. Blankenburg und vom Heraus-
geber gebotenen Überblicke über die
geographische Literatur und über die Er-
scheinungen und Strebungen der Schul-
geographie sowie die vom Herausgeber
bearbeitete Totenschau im sechsten Ab-
schnitt. Ob die an siebenter Stelle vom
Herausgeber gegebenen statistischen Mit-
teilungen über die einzelnen Staaten der
Erde neben dem Gothaischen Hof kalender
und neben den bekannten Hübnerschen
und Hartlebenschen Tabellen einen Zweck
haben, erscheint mir zweifelhaft. Dazu
müßten sie wenigstens geographischer
gehalten sein; in der jetzigen Form er-
scheinen sie zu sehr aJs eine Anbeque-
mung an die alte Verquickung von Geo-
graphie und Statistik. Sehr willkommen
dagegen ist das reichhaltige, mit kurzen
orientierenden Bemerkungen versehene
Adreßbuch, das auch eine sehr große
Zahl ausländischer Forscher umfaßt und
neben den eigentlichen Geographen auch
die in den Nachbarwissenschaften tätigen
berücksichtigt, ^eilich auch manche, die
mit der Geographie gar nichts mehr zu
tun haben, während nach der historischen
Seite die Fäden zu wenig ausgestreckt
sind imd selbst ein Name wie Nissen fehlt.
Für eine Übersicht der Zeitschriften, Lehr-
stühle und wissenschaftlichen Anstalten
wird auf den nächsten Jahrgang verwiesen.
A. Hettner.
Mazel; A« Künstlerische Gebirgs-
Photographie. Autorisierte deutsche
Übersetzung von E. He gg. 174 S.
12 Taf. nach Original-Aufoahmen des
Verfassers. Berlin, G. Schmidt (vorm.
Robert Oppenheim) 1903. JL 4.—.
Ein Buch, welches auch dem Geo-
graphen, welcher in heutiger Zeit weit
Bücherbesprechangen.
477
mehr als früher den modern vervoUkomm
neten Photographen - Apparat als eines
seiner wichtigsten wissenschaftlichen In-
strumente kennen und beherrschen muß,
vortreffliche Dienste zu leisten vermag.
Wenn sich auch die Ausführungen des
französischen Autors (das Werk liegt in
einer deutschen Übersetzung vor) nur auf
die kultivierten Zustände unserer euro-
päischen Alpen beziehen und das An-
wachsen der äußeren Schwierigkeiten,
welche dem Geographen bei seinen Reisen
in den unzugänglichen Hochgebirgen frem-
der Länder in so reichem Maße die Wege
verbauen, außer acht gelassen ist, so
werden doch die überall gleichen eigen-
artigen Schwierigkeiten der Licht- und
Beleuchtungseffekte des Hochgebirges in
klarer und sachkundiger Weise erörtert.
Von diesem Standpunkte aus enthalten
besonders die Kapitel V, VI, VII, VHI
und IX mit Ausführungen über die Be-
leuchtung des Motivs, Effekte des Wassers,
Himmel und Feme, sowie die Gelbscheibe
und Blenden treffliche, für die Praxis
gut verwertbare Winke, überall zeigt
fcich der Verfasser als ein gewiegter Prak-
tiker, welcher auch die großen Fort-
schritte der modernen Plattentechnik ge-
bührend hervorhebt und mit Recht gegen-
über der Bequemlichkeit und der Indolenz
der Amateure der Verwendung der ortho-
chromatischen Platte in der Gebirgs-
Photographie das Wort redet. Vielleicht
wäre es ervninscht gewesen, in diesem
Zusammenhange noch mehr als bereits
vom Autor geschehen auf den Nutzen
der modernen sogenannten lichthoffreien
Platten mit einem den Reflex in dem
Glas der Platte verhindernden roten Farb-
stoffhinterguß zu verweisen. Ich halte
diese moderne Errungenschaft namentlich
in den Hochgebirgen sonnigerer Länder,
z. B. Central -Asiens, für noch weit be-
deutungsvoller als in unseren Alpen.
Sehr lehrreich für den photographierenden
Geographen, welcher in den meisten Fällen
aus Rücksicht auf das übrige Expeditions-
gepäck die Plattenformate i) x 12 cm und
13 X 18 cm nicht überschreiten wird, sind
die in Kap. XII gegebenen Winke über
Vergrößerungen, besonders über Herstel-
lung vergrößerter Papiernegative.
Da das Werkchen an sich für den
Eunstphotographen , nicht für den auf
die Photographie wissenschaftlich inter-
essierender Aufnahmen ausziehenden Geo-
graphen geschrieben ist, so ist der Er-
örterung über die „dominierende Linie",
über „starke und schwache Punkte", den
Vordergrund, die Staffage u. a. ein breiter
Raum gegönnt. Wenn auch die Beaoh-
tung dieser Dinge und das Suchen nach
künstlerisch wirkenden Motiven in der
Gebirgswelt nicht Zweck des reisenden
Geographen sein kann, so wird es liie-
mals schaden, wenn er nach Möglichkeit
auch diesen Dingen gerecht zu werden
sucht und seinen geographischen Cha-
rakterlandschaften möglichst die Eigen-
schaften eines ästhetisch wohltuend wir-
kenden, wenn möglich künstlerisch empfun-
denen Bildes aufprägt. Das Auge ist ja
das wichtigste Instrument des Geographen,
wie des Künstlerphotographen, und in der
Schulung und Übung desselben sollte der
eine dem anderen um nichts nachstehen.
Im Grunde dürfte also der das Charakte-
ristische einer Landschaft auf Basis seiner
wissenschaftlichen Studien erfassende Geo-
graph bei einiger persönlicher Begabung
das beste Zeug zum künstlerischen Land-
schaftsphotographen in sich tragen. Wie
er dieses Ideal am besten erreiche, dazu
wird ihm zweifellos durch wertvolle Winke
das vorliegende Buch verhelfen können.
Max Friederichsen.
Ratzel^ Friedrich« Die Erde und das
Leben. Eine vergleichende Erdkunde.
2. Bd. gr. 8*. 702 S. Leipzig, Bibl. Inst.
1902. Geb. JL 17.—.
Dem ersten in dieser Zeitschrift be-
sprochenen Bande ist sehr rasch der zweite
gefolgt, so daß das Werk nunmehr als
abgeschlossenes Ganzes vorliegt. Charak-
ter, Darstellung, Ausstattung stimmt durch-
aus mit dem ersten überein, die Eigenart
des ganzen Werkes tritt hier vielleicht
noch mehr hervor, da dieser zweite Band
nach einer kurzen, die organische Auf-
fassung des Erdganzen (Geosphäre, Hydro-
sphäre, Atmosphäre) behandelnden Ein-
leitung die Wasserhülle und die Lufthülle
der Erde und das Leben der Erde dar-
stellt. Wie in der Einleitung, so tritt
namentlich im letzten Abschnitte die
kennzeichnende Auffassung Ratzeis hervor.
Auch der die Wasserhülle der Erde dar-
stellende Abschnitt, namentlich die Ka-
pitel über Schnee, Firn und Eis, über die
Fimgrenze, die Wirkungen der Schnee-
478
Bücherbesprechungen.
decke knüpfen an bekannte Original-
stadien Ratzeis an. Ebenso Abschnitte
wie das Meer in der Geschichte u. a. m.
Selbstverständlich gehen daneben größere
Abschnitte, namentlich in der Klimato-
logie, einher, die mehr die ,,gemeine Les-
art** wiedergeben, aber nicht im trockenen
Tone des Lehrbuchs, sondern immer in
der frischen, anziehenden Darstellungs-
weise Ratzeis, in oft bilderreicher Sprache.
Längst bekannte Tatsachen werden oft
in neuer Form, von neuen anziehenden
Gesichtspunkten aus vorgetragen.
Auch dieser Band will im großen be-
urteilt werden, nicht unter Nörgeln an
Kleinigkeiten. Überall betrachtet der
Verf. die Erde von hohen Gesichtspunkten
aus. Er hat viel gesehen und scharf be-
obachtet, im Hochgebirge, wie in der Ebene,
in den Tropen, wie in den gemäßigten
Breiten. Die Bedeutung und Aufgabe des
Wassers auf der Erde haben wir noch nie
80 klar erfaßt gefunden, wie gleich auf
der ersten Seite: „ob flüssig oder starr
auftretend, immer behält das Wasser die
Neigung Lücken auszufüllen.** Das Ka-
pitel Firn und Gletscher ist mit großer
Liebe geschrieben. Der Schnee wird also
nicht in der Klimatologie und bei den
Niederschlägen behandelt, sondern als Teil
der Wasserhülle der Erde. Die Firngrenze
wird als Ufer eines gewaltigen Meeres
von festem Wasser bezeichnet. In der
Klimatologie möchten wir auf die hüb-
schen Kärtchen des Meteorologen Kaßner
aufeiierksam machen, welche die Wärme
und Luftdruckverteilung in Europa ver-
anschaulichen. Die Frage, daß nicht das
Klima unseres Planeten einst hauptsäch-
lich durch die größere Eigen- oder Innen-
wärme der Erde wärmer gewesen sei, son-
dern daß in der Erdgeschichte warme
und kalte Perioden auf einander gefolgt
sind, sieht der Verf. als entschieden an.
Das Kap. über Änderungen und Schwan-
kungen der Klimate möchten wir als
eine scharfsinnige Zusammenfassung alles
dessen bezeichnen, was über diese schwie-
rige und viel erörterte Frage gesagt wor-
den ist. Wenn sich der Verf. (S. öOO) für
die Wahrscheinlichkeit der zuerut vom
Unterzeichneten aufgestellten Hypothese
einer größeren Feuchtigkeit der südlichen
Mittelraeerländer in geschichtlicher Zeit
ausspricht, so verbietet leider der Raum-
mangel, an dieser Stelle auf diese von uns
seit 30 Jahren sorgsam verfolgte Frage
einzugehen.
Am meisten kennzeichnend ist wohl
der 8. Abschnitt, das Leben der Erde, wo
wir die Grundzüge der bislang von den
Geographen wenig gepflegten Biogeo-
graphie entwickelt sehen und scharf be-
tont wird, „daß alles Leben auf der Erde
im tiefsten Grunde als eines lebt, ob es
nun Pflanze oder Tier heißt, und daß der
Mensch in allem, was an ihm körperlich
ist, ganz und gar zu diesem Leben ge-
hört**. Th. Fischer.
Hecker^ 0« Bestimmung der Schwer-
kraft auf dem atlantischen
Ozean sowie in Rio de Janeiro,
Lissabon und Madrid. (Veröff.
d. K. Preuß. Geodät. Inst. N. F. Nr 11.)
VIu. 187 S. 9 Taf. Berlin, 1908. JL 10.—.
Die Intensität der Schwerkraft konnte
mit den bisher gebräuchlichen Apparaten
nur auf dem festen Land bestimmt wer-
den. Es bestand daher schon lange der
Wunsch nach Instrumenten, welche brauch-
bare Resultate auf dem offenen Meere
liefern. In der vorliegenden Abhandlung
ist der erste gelungene Versuch dieser
Art mitgeteilt.
Nachdem Mohn zuerst gezeigt hatte,
daß die Schwerkraft aus der Vergleichung
von Quecksilberbarometem mit Siede-
thermometem auf dem Lande mit genü-
gender Genauigkeit für den meteorologi-
schen Gebrauch ermittelt werden konnte,
durfte man hoffen, durch geeignete Ver-
besserungen diese Methode zu Beobach-
tungen auf dem offenen Meere zu ge-
brauchen. Dies führte den Verf. auch zu
einer Modifikation der Marinebarometer
und zur Konstruktion eines photographisch-
registrierenden Barometers, um auch auf
stärker bewegtem Schiffe beobachten zu
können. Die Versuche wurden auf einem
Dampfer nach Südamerika und wieder
zurück ausgeführt.
Aus den bisher am Lande erhaltenen
Schweremessungen wurde im allgemeinen
die Schwere auf den Kontinenten zu klein
und auf den von den Kontinenten ent-
fernten Inseln zu groß gefunden. Die
vorliegenden Messungen ergaben die In-
tensität der Schwerkraft auf dem offenen
Ozean, speziell auf den Tiefen des atlan-
tischen Ozeans zwischen Lissabon und
Bahia, nahezu normal. Sie entspricht der
Bücherbesprechungen.
479
von Prof. Hehnert aufgestellten Formel
Ton 1001. Es ist damit die von Pratt
zuerst aufgestellte, dann von Faje eben-
falls angenommene und von Helmert ein-
gehender begründete Hypothese vom iso-
statischen Gleichgewicht der Lagerung
der Masse in der Erdkruste für diesen
Teil des atlantischen Ozeans bestätigt.
Da ein gleiches Resultat im nördlichen
Eismeere mit einem Pendelapparat durch
Scott Hansen auf der Nansenschen Polar-
ezpedition auf festgefrorenem Schiffe er-
halten wurde, darf man auf eine allgemeine
Gültigkeit dieses Gesetzes schließen. Es
muß somit, wie die äußeren Kontinental-
massen annähernd durch Massendefekte,
Verminderung der Dichtigkeit, unter den
Festländern kompensiert sind, auf der
Tiefsee eine Kompensation durch größere
Dichte des Meeresbodens eintreten.
Messerschmitt.
Vegetationsbilder; hrsg. von G. Kar-
sten und H. Schenck. 4<». Heft 1
u. 2. Jena, Fischer 1903. Das Heft
von 6 Taf. JC 2.50, einzelne Hefte
JC 4.—.
Es ist als eine recht glückliche Idee
zu bezeichnen, die vielfach von den Ge-
iehrten in den Tropen aufgenommenen
Yegetationsansichten einem größeren Pu-
blikum in der anschaulichen Form mäßig
vergrößerter Lichtdrucke zugänglich zu
machen, und man kann nach den vor-
liegenden beiden Hefken nur sagen, daß
die von der Yerlagsanstalt F. Bruckmann
A.-G. in München hergestellten Repro-
duktionen den Ansprüchen, die man an
solche Vergrößerungen stellen darf, voll-
auf genügen. Das ursprüngliche Format
von 9 zu 12 oder 12 zu 18 cm wird auf
16 zu 2lV, oder 16 zu 24 cm vergrößert,
und diese Größe ist gerade sehr handlich,
um bei Vorlesungen vor einem kleineren
Kreise von Zuhörern herumgereicht zu
werden; auch ist das Kartonpapier an-
scheinend fest genug, um nicht zu leicht
zu brechen, was diese Abbildungen vor
den vom Kolonialmuseum zu Haarlem
veranstalteten ähnlichen Reproduktionen
vorteilhaft auszeichnet.
In den vorliegenden ersten beiden
Heften werden Vegetationsbilder aus Süd-
Brasilien von H. Schenck, und aus dem
Malajischen Archipel von G. Karsten ge-
bracht. Erstere beziehen sich hauptsäch-
lich auf die Waldvegetation von S. Ca-
tharina; zwei Tafeln sind dem tropischen
Regenwald, eine der Epiphytenvegetation
gewidmet, die übrigen stellen die schöne
Cocos Eomanzoffiana, die als Ameisen-
bäume interessanten Cecropien und einen
Araucarienwald des Hochlandes von Pa-
rana dar, bis auf letztere Abbildung
sämtlich nach Photographien des Ver-
fassers. Die Vegetationsbilder aus dem
Malajischen Archipel behandeln den
Regen wald von West -Java, einen ver-
breiteten Baumfam desselben, die KÜsten-
formation der Nipapalme, den Regenwald
von Amboina mit Arengapalmen, sowie
zwei Bilder aus den Dorfwaldungen (Nutz-
pflanzungen) von Amboina und Temate
mit Sagopalmen, Durian, Mangostan, Bam-
bus, Bananen, Maniok u. s. w.
Der Text beider Lieferungen ist ge-
meinverständlich gehalten, macht aber
doch, unter Hinweis auf Literatur, mit
den neuesten Ergebnissen der botanischen
biologischen Forschimg bekannt.
0. Warburg.
Schifer , Dietrich. Kolonialge-
schichte. (Sammlung Göschen 156.)
154 S. Leipzig, Göschen 1908. JC— .SO.
So viel Schönes diese Sammlung hand-
licher Bändchen schon gebracht hat, wird
doch kaum eine der in sie aufgenom-
menen Schriften in knapper, kräftiger
Sprache so reiche Belehrung als Frucht
vieljähriger Studien bieten, wie diese
prächtige Kolonialgeschichte, die mit
weitestem zeitlichen Horizont und tief-
gehender sachlicher Kenntnis ihren Gegen-
stand im Zusammenhange mit den Ver-
änderungen der räumlichen Grenzen der
Weltkenntnis und den Strömungen von
Waren, Menschen und Ideen zu erfassen
weiß und der Geschichte Lehren politischer
Weisheit abgewinnt, die man unserem
Geschlechte nicht eindringlich genug pre-
digen kann. „Ein Volk, das darauf ver-
zichtet, den eigenen Geist und die eigene
Art zur Geltung zu bringen in dem viel-
farbigen Bilde menschlicher Kultur, ver-
säumt seine Pflicht nicht nur gegen sich
selbst, sondern auch gegen die Mensch-
heit und verdient nichts anderes, als daß
die Geschichte hinwegschreitet über seinen
Bestand."
Zusammen mit D. Schäfers glänzen-
der Broschüre „Deutschland zur See", von
4?0
Bücherbesprechungen.
deren Geist sich eine ganze Flut minder-
wertiger Literatur genährt hat, wird dies
Büchlein ein Denkstein bleiben für den
frischen gesunden Sinn eines deutschen
Gelehrten, wie wir wenige, eines deutschen
Patrioten, wie wir keinen besseren haben.
Auch dem Geographen ist das Buch eine
anregende und gewinnreiche Lektüre.
J. Partsch.
Ademeity W« Beiträge zur Siede-
lungsgeographie des unteren
Moselgebietes. (Forsch, z. deut-
schen Landes-, u. Volkskde. Bd. XIV.
Heft 4.) 104 S. Stuttgart, Engelhom
1903. JL 8.90.
Das behandelte Gebiet umfaßt das
Moseltal von Trier bis ungefähr zu der
merkwürdigen Flußschlinge bei der Ma-
rienburg, die Mulde von Wittlich und die
zwischen beiden liegenden „Moselberge^S
Die Wittlicher Mulde dient dem Verkehr
als Ersatz für das zu stark gewundene
und vielfach zu steilwandige Moseltal,
dessen Bevölkerung sich fast ausschließ-
lich durch den Weinbau ernährt. Aber
auch in ihr ist kein starker Einfluß der
Verkehrslinien, unter denen die Mosel-
bahn die erste Stelle einnimmt, zu ver-
spüren; die wirtschaftliche Grundlage
bleibt hier noch immer ganz und gar der
Ackerbau. Selbst in der einzigen größe-
ren Stadt des Gebietes, in Trier, sind
Industrie und Handel nur schwach ver-
treten.
Der Verf. tritt als Historiker an die
Siedelungsverhältnisse heran. Die wirt-
schaftliche Seite des Themas wird nicht
im Zusammenhang behandelt, doch kommt
sie in den Einzelheiten der Darstellung
vielfach zur Geltung. Der Verfasser ver-
fügt auch über eine gute Kenntnis des
Bodens und über das nötige Verständnis
für die physisch-geographischen Verhält-
nisse, so daß im ganzen die Bedingungen
für eine sachgemäße Besprechung der
siedelungsgeographischen Tatsachen ge-
geben sind. Nur leidet die Arbeit daran,
daß sie oft zu sehr ins Einzelne geht,
oder besser gesagt, da auch das Einzelne
seinen Wert besitzt, daran, daß zwischen
Wesentlichem und Unwesentlichem nicht
genug unterschieden ist. Sowohl von den
physisch-geographischen Abschnitten als
auch von den Ausführungen über die
Lage und Entwickelung der Siedelungen,
die fast jeden Ort besonders vornehmen,
muß das gesagt werden. Dazu kommt,
daß das Äußere der Arbeit mit ihren viel
zu langen Absätzen, dem ängstlichen
Vermeiden jeglichen Sperrdruckes und
dem Fehlen einer Karte den Überblick
nicht erleichtert. 0. Schlüter.
Baedeker, K« Österreich-Ungarn
(nebst Bosnien und Herzegowina).
Handbuch für Reisende. 26. Aufl.
12^ XVni u. 646 S. 31 K. u. 44 PI.
Leipzig, Baedeker 1903. JL 6.—.
Meyers Reisebücher. Österreich-
Ungarn, Bosnien und Herze-
gowina. 7. Aufl. 12<». Xn u. 372 S.
25 K., 27 PI. u. 6 Pan. Leipzig, Bibl.
Inst. 1903. JL 6.—.
Meyers Reisebücher. Deutsche
Alpen. I. Teil (Bayerisches Hoch-
land, Algäu, Vorarlberg, westliches
und mittleres Tirol). 8. Aufl. 12^
xn u. 400 S. 27 K., 5 PI. u. 14 Pan.
Ebda. 1903. .€ 5.—.
Es ist wohl überflüssig, hervorzuheben,
welchen Wert die modernen trefflichen
Reiseführer für den Geographen auch als
Nachschlagebücher haben — und ebenso
bedarf es kaum mehr einer Hervorhebung,
daß sowohl Baedekers als Meyers Hand-
bücher stets mit größter Sorgfalt in Evi-
denz gehalten werden, ja daß sie selbst
über projektierte Verkehrseinrichtungen,
Schutzhütten u. dergl. — darunter auch
solche, die wohl noch einige Zeit ihrer
Herstellung harren werden, wie die Ada-
mekhütte in der Gosau [D. Alpen, 2. Bd.]
oder die Verbindung der Wiener Stadt-
bahn (Wientallinie) mit der Südbahn
[Plan bei Meyer] — als Projekte Auskunft
geben. Auch die hier genannten drei
Werke können bestens empfohlen werden.
Ein Wunsch ist mir aber bei der Lek-
türe sehr lebhaft entgegengetreten. Lon-
don, Paris, Berlin haben ihren eigenen
„Baedeker", Wien muß sich mit einem
geringen Raum, insbesondere bei Meyer,
begnügen. Ein Wiener Spezialführer ent-
spräche wol einem Bedürfnisse. Bei seiner
Ausführung müßte aber einheimischer Rat
mehr eingeholt werden, als dies bei
Meyers Österreich-Ungarn geschehen zu
sein scheint. Es liegt ja wenig an dem
Lächeln, mit dem der Wiener erfahren
mag, daß er kein „Sperrsechserl", sondern
einen „Sperrgroschen" zahlt und daß er
Bücherbesprechnngen.
481
die Backpflaumen „Zwetschkenröster"
nennt (eine ganz bestimmte Zubereitongs-
form der Pflaume), aber es ist für den
Fremden nicht gleichgültig, wenn ihn sein
Reisehandbuch verleitet, in einem nor-
malen Wiener Restaurant fast doppelt so
viel Trinkgeld zu geben, als der Ein-
heimische gewohnt ist. Ein Wiener
SpezialfÜhrer würde solche Versehen nicht
enthalten; in einem Werke, das nicht für
längeren Aufenthalt in Wien, sondern nur
für kurze Anwesenheit in einem Hotel als
Ratgeber dienen soll, sind sie nicht ver-
wunderlich und leicht entschuldbar.
Sieger.
Ejell^n, Rudolf. Inledning tili Sve-
riges geografi. (Populärt vetens-
kapliga fdreläsningar vid Göteborgs
högskola. Nr. XHI.) kl. 8^ ü u.
180 S. Göteborg, 1900. 2 Kr.
Das klare, angenehm lesbare Buch hat
trotz der populären Form wissenschaft-
lichen Wert als ein überaus anregender
Beitrag zur politischen Geographie. Eine
Übersicht der Entwicklung, welche die
wissenschaftliche Geographie überhaupt
und die geographische Forschung in
Schweden speziell genommen hat, führt
den Verf. dazu, einen Plan für eine wissen-
schaftlich - geographische Landeskunde
Schwedens zu entwerfen. Dabei weist er
der Anthropogeographie und politischen
Geographie (im Sinne Ratzeis) eine eigen-
tümliche Stellung an. Die Bedeutung des
Menschen für die Erde sei ein Objekt geo-
graphischer Betrachtung, die Bedeutung^
der Erde für den Menschen aber gehöre'
zu den Wissenschaften vom Menschen.
Somit bilde Ratzeis politische Geographie
und der Hauptteil'der Anthropogeographie
eine eigene, zur Politik gehörende Wissen-
schaft. Diese Disziplin bezeichnet Kjell^n
als „Geopolitik*', ein Ausdruck, der mir
ebenso unglücklich scheint, wie die Auf-
fassung des Autors über ihre Stellung im
System der Wissenschaften. Sie ist ihm
nicht Greographie, wohl aber kann sie
den Rahmen für länderkundliche Betrach-
tung, eine „Einleitung in die Geographie"
darstellen. In diesem Sinne ist der Titel
des Buches zu rerstehen.
Das Problem, dessen Lösung die „Ein-
leitung in die Geographie Schwedens"
anstrebt, ist die Frage: ob Schweden ein
einheitliches geographisches Gebiet dar-
stelle und natürliche Grenzen besitze. Nach
eingehender Erörterung der allgemeinen
geographischen Charakterzüge, insbeson-
dere aber nach einer genauen Analyse der
Grenzlinie als rechtliches und geographi-
sches Gebilde meint Ejellän beide Fragen
verneinen zu müssen; erst „Fennoscandia"
ist ihm ein natürliches Gebiet, mit dem
Eindringen der Russen in dieses eröffnet
sich daher eine bedenkliche Perspektive
für die Zukunft Skandinaviens. Dem steht
die norwegische Auffassung gegenüber,
die Schweden und Norwegen durch eine
„AnÖkumene" natürlich getrennt sieht.
Daß Kjell^n den Tatsachen näher kommt,
ist zweifellos; aber er unterschätzt sicher
auch die Bedeutung des bottnischen
Meeres als Grenze und sein Ergebnis
sollte lauten: Das heutige Schweden ent-
spricht einer natürlichen Provinz zweiten
oder dritten Ranges, die mit den Nachbar-
gebieten eine höhere geographische Ein-
heit bildet (ich pflege sie „Nordeuropa"
zu nennen).
Wertvoll ist die Arbeit, der eine wissen-
schaftliche Analyse der Grenzen Schwe-
dens im „Ymer*' 1899 vorausging, als Detail-
studie über politische Grenzen, deren wir
erst wenige besitzen. Ich bedaure, daß
ich diese beiden Studien nicht benutzen
konnte, als ich der Morphologie der poli-
tischen Grenze an dem Beispiel Nieder-
österreichs nähertrat (Jahrb. des Ver. für
Landeskunde von Niederösterreich 1. 1902),
freue mich aber um so mehr mancher
übereinstimmenden Ergebnisse, die für so
verschiedene Gebiete und auf so verschie-
denen Wegen gewonnen wurden. Die
Punkte, in welchen ich mit Kjellän über-
einstimme oder mit ihm nicht einverstan-
den sein kann, im einzelnen zu erörtern,
dazu ist hier nicht Raum. Seine Auffas-
sung guter und schlechter Grenzen scheint
mir unter einem prinzipiellen Mißgriff zu
leiden. Wo es galt, verschiedene Erschei-
nungsformen objektiv festzustellen, sieht er
nur aufeinanderfolgende Entwicklungs-
stufen. Wir sind vom Grenzsaum zur
Grenzlinie vorgeschritten; es ist daher
nach Kjellän nur die Qualität der letzteren
zu prüfen. Daher übersieht seine Darstel-
lung alle die typischen Fälle, in welchen
noch heute bloß der Grenzsaum geogra-
phische Bedeutung hat und der Grenzlinie
innerhalb desselben nur formaler Wert zu-
kommt, wie in den FjäUplateaus und
482
Bücherbesprechungen.
Hochwäldern; dort läuft innerhalb eines
guten Grenzzugs im Detail oft eine un>
zweckmäßige Grenzlinie, alle wesentlichen
Funktionen der Grenze aber werden treff-
lich erfüllt. Das Übersehen solcher Ver-
hältnisse bewirkt es auch, daß Kjell^n
nur eine Art von „natürlicher*^ Land-
grenze, jene durch Wasserscheiden, kennt.
Dagegen sondert er die yerschiedenen
Arten von Meeresgrenzen scharfsinnig und
glücklich und wird auch den Verschieden-
heiten der Flußgrenzen gerecht.
Eine derartige Studie kann bei dem
heutigen Stande der Wissenschaft von
Konstruiertem nicht ganz frei sein; Verf.
läßt aber des Bestreben allenthalben ge-
wahren, Beobachtungen als Grundpfeiler
seines Systems zu gewinnen. Sieger.
Baedeker, K, Schweden und Nor-
wegen nebst den wichtigsten Reise-
routen durch Dänemark. Handbuch
für Reisende. 9. Aufl. 12^ LXVI u.
489 S. u. 40 S. Anhang (Sprachführer).
37 K., 22 PI., mehrere Pan. u. Grund-
risse. Leipzig, Baedeker 1903. JCl.bO.
Auch dieses vorzügliche Reisehand-
buch ist in trefflicher Weise auf dem
Laufenden erhalten und hat seine charak-
teristischen Eigenschaften, auch jene, die
es gegenüber Meyers Handbuch kenn-
zeichnen, bewahrt. Ed ist also in allen
drei nordischen Reichen ein ausgezeich-
neter Führer. Spitzbergen ist knapper
behandelt. Ein Vorzug des Buches ist
auch, daß es durch geographische und ge-
schichtliche Einleitungen und durch
mancherlei Hinweise den Leser mit Land
und Leuten vertrauter macht. Je gleich-
förmiger die internationale Reise weise, je
geringer dieBerührung des eiligen Touristen
mit bodenständigen Verhältnissen wird,
desto mehr muß man dankbar sein, wenn
einen ein Handbuch — nicht durch die
üblichen naturgemäß wenig erschöpfen-
den „Charakteristiken'', sondern durch
Mitteilungen von Tatsächlichem — dem
Geiste der Bevölkerung näher bringt.
Im Zusammenhang damit mag mir eine
— an sich nebensächliche — Bemerkung
erlaubt sein. Ich hatte vor längerem
meine Verwunderung ausgesprochen, daß
Djekneberget bei Westeräs in keinem
Handbuch erwähnt sei. Baedeker bringt
es nunmehr, erwähnt aber gerade das
Charakteristische, die schwedische „Frei-
luft- Walhalle", wie man wohl sagen darf,
nicht, die doch in ihrer Art einzig da-
steht. Bei der Sorgfalt, mit welcher das
Buch redigiert wird, ist aber zu erwarten,
daß dergleichen kleinen Mängeln bald
abgeholfen wird. Sieger.
Meyers Reisebücher. Norwegen,
Schweden und Dänemark von
Yngvar Nielsen. 8. Aufl. 12*.
XIV u. 393 S. Leipzig, Bibl. Inst.
1903. JC 6.50.
Die neue Auflage ist gegenüber der
an dieser Stelle besprochenen von 1899
um acht Seiten stärker geworden. Neu
berücksichtigt sind die Ofoten-, Nord-,
Valdres- und die im Bau begriffene Bergen-
Bahn, neu eingefügt wurde eine „Fjord-
route**, neu hinzugekommen oder wesent-
lich verändert sind die Karten von mehre-
ren norwegischen Fjord- und Fjeldland-
schaften, von Bomholm, die Pläne von
Stockholm, Wisby, Trondhjem. Im ein-
leitenden Teil sind Bemerkungen für Rad-
fahrer, Wintertouristen, Photographen neu.
Stichproben ergeben viele Verbesserungen
und Erweiterungen, nur selten Mängel
(S. 180 fehlt Djekneberget bei Westeras
noch immer, Engelbrecht heißt hier der
„Befreier des Vaterlandes**, ist aber im
historischen Abschnitt nicht genannt).
Eine wichtige Änderung ergibt sich för
Spitzbergen, das der Verf. selbst be-
sucht hat. Das Hotel und damit die
häufigen Fahrten der Vesteraalen-Damp-
skibselskab sind 1899 eingegangen, wie
wir schon aus Nathorsts Reisebericht
wissen. Möge man Nathorsts söhr zu-
treffende Erwägungen berücksichtigen, auf
daß dies eigenartige arktische Touristen-
heim bald wieder ersteHe! — Der Führer
kann nach wie vor als ein vortrefflicher
Reisebegleiter insbesondere in Norwegen
empfohlen werden. Sieger.
Futterer, K« Geographische Skizze
der Wüste Gobi zwischen Hami
und Su-Tschöu. (P. M. Ergbd. Nr.
139.) 35 S. 1 K. in 1 : 1 000 000. Gotha,
Justus Perthes 1902. ^K 3.20.
Seitdem 1889—90 Grum - Grshimailo
nach Entdeckung der Minus-Depression
um Tnrfan (im Süden des östlichen Tien-
schan) südlich dieser Grabensenke eine
von ost- westlich gerichteten, felsigen
Höhenrücken durchzogene, hochgelegene
Bücherbesprechnngen.
483
Felsen wüste anffand, und nachdem vor
allem Obrutschew nach seiner Dnrch-
quemng der centralen Gobi zwischen Hami
und Su-Tschöu im Jahre 1894 und Be-
reisung weiter Teile Innerasiens eine zu-
sammenfassende musterhafte Skizze der
„Urographie Gentral-Asiens und seiner süd-
westlichen Umrandung^* (Jswj. d. Kais. Buss.
Geogr. Ges. 1806. S. 253—344 und G. Z. I.
18i)5. S. 257—286) gegeben hat, sind wir in
großen Zügen über das Aussehen der
Wüstengebiete zwischen den östlichsten
Ausläufern des Ti^n-schan und den Fort-
setzungen des Gobi-Altai im Norden und
den Hochketten des Nan-schan im Süden
orientiert. Wir wissen, daß sich hier im
mittleren Teile der centralen Mongolei
ein als „Pe-schan'* zusammenfassend be-
zeichneter massiger Gebirgssockel erhebt,
über welchem mit relativ nur geringen
Erbebungen abgetragene, mehr oder we-
niger unter einander parallele Gebirgs-
züge mit der Streichrichtung ONO— WS W
aufragen. Vom Nan-schan im Süden, wie
vom östlichen Ti6n-schan im Norden wird
dieser massige Sockel durch zwei zu ein-
ander parallel und analog liegende wan-
nenförmige Vertiefungen getrennt.
Durch die centralen Teile dieses Ge-
bietes nun hat auf der Strecke Hami-
Su-tschöu die Expedition Holderer-Futte-
rer vom 6. Mai bis 4. Juni 1898 eine neue
Route gelegt, welche von Professor Futte-
rer sorgsamst kartiert die Unterlage zu
der durch Dr. Br. Hassenstein (f) im vor-
liegenden Hefte in 1 : 1 000 000 konstruier-
ten inhaltreichen Karte bildet. Da F^utte-
rers Reiseweg weder mit der westlicher
gelegenen, gut bekannten und viel be-
gangenen Karawanenstraße zwischen den
genannten Orten, noch mit den weiter
östlich ziehenden Routen Grum-Grshimai-
los (1880-90) und Obrutuchews (1894)
zusammenfällt, vielmehr das dazwischen
liegende, bisher absolut unbekannte Wü-
stengebiet durchquert, so ergänzen Fut-
terers Beobachtungen diejenigen seiner
Vorgänger aufs Beste und gestatten es,
sich ein bereits sehr genaues und vom
physisch-geographischen Standpunkt aus
höchst lehrreiches Bild jener Gegenden zu
machen. Besondere Sorgfalt ist bei diesem
Kartenbild auf die in diesem merkwür-
digen Wüstengebiet besonders interessan-
ten Boden- und Vegetationsverhältnisse
gelegt, so daß wir durch die Futterer-
schen Aufiiahmen für diesen centralen
Teil des Pe-schan nunmehr über eine
treffliche Detaildarstellung verfügen.
Der beigegebene Text dient vorwiegend
zu einer Erläuterung des Kartenblattes,
indem er nach einigen einleitenden Be-
merkungen eine detaillierte geographische
Schilderung des Reiseweges von Hami
bis Su-Tschöu gibt, sodann die meteoro-
logischen Beobachtungen diskutiert und
endlich die allgemeinen geologisch-morpho-
logischen Ergebnisse rekapituliert. Auf
eine Zusammenfassung letzterer Resultate
darf wohl an dieser Stelle mit dem Hin-
weis auf die interessante im Jahrgang
1902 dieser Zeitschrift enthaltene Arbeit
Futterer» über den „Pe-schan, als Typus
der Felsenwdste*^ verzichtet werden.
Max Friederichsen.
Herbertson, F. D« u. A. J« Herbertson.
Afrika. XL u. 264 S. 29 Abb.
London, Black 1902.
Der zweite Teil der „Descriptive Geo-
graphies firom Original Sources" ist durch-
aus nach der gleichen Methode wie der
hier (S. 236) schon besprochene erste be-
arbeitet. Die gegen diese Methode ge-
äußerten Bedenken gelten also auch für
ihn. In der Auswahl der Artikel sind
die Verfasser hier entschieden weniger
glücklich als beim ersten Teil gewesen
und haben namentlich sehr einseitig ver-
fahren. Mit Ausnahme eines einzigen
kleinen Artikels über die Tuareg, der
dem Reisewerk von H. Barth entnommen
ist, kommen nur englische Reisende zum
Wort. Auch in dem zum Schluß gegebe-
nen Literaturverzeichnisse sind fast nur
englische Werke aufgeführt. Selbst Män-
ner wie Nachtigal, Rohlfs, v. d. Decken,
Wissmann, Duveyrier, De Brazza, Serpa
Pinto sind nicht erwähnt.
R. Langenbeck.
Schieß^ W« Quer durch Mexiko vom
atlantischen zum stillen Ozean.
XIII u. 234 S. 65 Textill. u. 16 Licht-
drucktaf. Berlin, Dietrich Reimer
1902. JL 8.—.
Das Buch, welches den Verlauf einer
modernen Schnellreise durch Mexiko und
die Vereinigten Staaten schildert, gehört
zu jenen Reisebeschreibungen, von denen
man mit Recht sagen kann, daß weder
der Autor noch der Verleger noch auch
484
Büchcrbesprechungen.
der Leser einen Schaden gehabt hätte,
wenn sie nicht gedruckt worden wären. —
Verf. berichtet mit einer rührenden, wohl
durch den Mangel jeglicher ernsteren Vor-
bereitung auf die Reise erklärlichen Nai-
vetät von seinen im allgemeinen ober-
flächlichen Eindrücken von Land und
Leuten, er schildert mit größter Gewissen-
haftigkeit seine meist recht uninteressan-
ten Erlebnisse einschließlich des (anschei-
nend ziemlich monotonen) Küchenzettels
und verrät dabei einen für einen Arzt
auffallenden Mangel allgemeiner natur-
wissenschaftlicher Vorbildung und Be-
obachtungsgabe. Mit der topographischen
Orientierung findet er sich augenschein-
lich sehr leicht ab. S. 121 z. B. möchten
wir unbedingt eher den Mexikanern Glau-
ben schenken, wenn sie die dort geschil-
derte Raucherscheinung durch eine bren-
nende Magneypflanzung erklären, als Herrn
Dr. Schieß, welcher in dem imposanten
Berg kurzer Hand den — Vulkan Eolima
erblickt, offenbar ohne zu bedenken, daß
dieser von der Route des Reisenden da-
mals mindestens 200 km entfernt war
und auch aus anderen Gründen gar nicht
sichtbar sein konnte! —
In gfrellem Kontrast zum Wert des
Textes steht die noble Ausstattung, welche
der rührige Verlag dem opus zu teil wer-
den ließ. H. Lenk.
Hassert, Knrt. Die neuen deutschen
Erwerbungen in der Südsee:
Die Karolinen, Marianen und Samoa-
Inseln Nachtrag zu Deutschlands
Kolonien. IV u. 111 S. Leipzig,
Dr. Seele & Co. 1908.
Zur Ergänzung seines kolonialen Wer-
kes (vgl. G. Z. 1899. S. 416 — 418) hat
der Verf. mit leichter Hand die Schilde-
rung der drei Inselgruppen hingeworfen,
ihr eine Skizze der Geschichte der Er-
werbung vorangeschickt, eine Würdigung
ihres Wertes ihr folgen lassen. Eine
Literaturübersicht macht den Schluß.
J. Partsch.
Bosch, Onstar« Lehrbuch der Geo-
graphie für österreichische
Lehrer und Lehrerinnenbil-
dungsanstalten. IL Teil (in. Jahr-
gang). Die österreichisch-ungarische
Monarchie. 197 S. 41 Abb. Wien,
Pichlers Ww. u. Sohn 1901. 2 Kr.
60 H.
An die im ersten Bande enthaltene
länderkundliche Darstellung aller Teile
der Erde (vgl. G. Z. VU. S. 688) reiht
Rusch einen zweiten Band, welcher der
österreichischen Vaterlandskunde gewid-
met ist. In dem einleitenden Abschnitt
S. 1—6 wird zunächst ein methodisch
wohl erwogener vergleichender Überblick
der Lagenverhältnisse, der Gestalt, Grenzen
und Größe der Doppelmonarchie gegeben,
ihrer politischen und natürlichen Glie-
derung. Die letztere tritt als Grundlage
aller anderen geographischen Erschei-
nungen in den Vordergrund. Von jedem
einzelnen Naturraum (Alpen, Karst, innerem
und äußerem Karpathengebiet) werden der
physische Charakter und die allgemeinen
Bevölkerungsverhältnisse besprochen und
dann sofort die in ihm zur Ausbildung
gelangten historisch -politischen Land-
schaften. Diese selbst werden nach Größe
und Bevölkerungsziffer, nach ihrem Anteil
an den natürlichen Landschaften, nach
Nationalitäten, Wirtschafts- und Verkehrs-
verhältnissen erörtert. Die Ansiedlungen
werden, abgesehen von den Hauptstädten,
in der Regel nicht nach ihren Lagenver-
hältnissen geordnet, sondern zumeist bei
der Vorführung der einzelnen Wirtschafts-
zweige als Produktionsstätten, dann als
Knotenpunkte des Verkehrs genannt. Es
folgt überdies eine Zusanmienstellung der
historisch wichtigsten Punkte und schließ-
lich auch noch eine Städtetafel mit ab-
gerundeten Angaben der Bevölkerungs-
ziffer. — Die allgemeine „Übersicht"
S. 180 — 197 gewährt einen vergleichenden
Rückblick über Bodengestaltung, Be-
wässerung, Klima, „Erzeugnisse** (auch
Handel und Verkehr ist hierin einbezogen^,
sowie Bevölkerung und das „Staatswesen".
In didaktischer Beziehung möchte ich fest-
stellen, daß der Verfasser offenbar grund-
sätzlich den Zusammenhang der Dar-
stellung durch eingestreute Fragen nicht
unterbricht, wohl aber macht er in der
allgemeinen Übersicht von der Frage-
stellung häufigen Gebrauch.
Im ganzen, trotz einzelner in der In-
haltsangabe angedeuteter Mängel, trotz
der überflüssigen Breite in Folge Wieder-
holungen derselben Tatsachen im phy-
sischen und politisch-geographischen Teil,
längerer Aufzählungen und Beschreibungen
statt kurzer Verweise auf die Karte den-
noch ein brauchbares, bequemes, für
Nene Bücher und Karten.
485
Lehrer nnd Schüler leider nnr allzu be-
quemes Lehrbuch.
Von demselben Verfasser ist (1902) im
gleichen Verlag und in ähnlicher Aus-
tattung ein Lehrbuch der Erdkunde
für österreichische Mädchenlyceen
in 2 Teilen erschienen. Der erste Teil
enthält die Elemente der mathematischen
und physischen Geographie (8. 1 — 20),
sodann (S. 20—63) die Erdteile nach
ihrer natürlichen Beschaffenheit und
natürlichen Gliederung, also wohl vor-
wiegend den geographischen Memorier-
stoff für diese Stufe, welcher durch den
Lehrer seine Belebung finden muß. Der
zweite Teil (126 Seiten) enthält einen
kürzeren Auszug der oben besprochenen
Darstellung der österreichisch-ungarischen
Monarchie.
Alois Kraus.
Nene Melier und Karten.
AllyeMelnet.
Geographen-Kalender. In Verbindung
mitW. Blankenburg, P. Langhans,
P. Lehmann und H. Wichmann hrsg.
von H. Haack. 1. Jahrg. 1908/4. XV,
820 u. 124 S. Bildnis von H. v. Richt-
hofen. 16 K. Gotha, Justus Perthes
1908. JL 8.—.
Geographisches Jahrbuch. XXV. Bd.
1902. Hrsg V. H. Wagner. IV u.
488 S. Gotha, J. Perthes 1903. JL 15.—.
Sohr-Berghaus Hand-Atlas. IX.Aufl.
hrsg. von A. Bludau. Lief. 4.
Allgeveliie pbytiiiche Geofraphle.
Barr^, 0. L'architecture du sol de la
France. Essai de Geographie tectoni-
que. m u. 898 S. 189 Fig. im Text
u. auf Taf. Paris, Armand Colin 1908.
Fr, 12.—.
Girard, J. L'^volution comparöe des
sables. L'Erosion — L* Abrasion m^t^o-
rique — Les Dunes — La transforma-
tion des Rivages. 124 S. 12 Taf., 40
Textfig. Paris, Librairiescientifique 1903.
Albert I., Fürst von Monaco. Eine
Seemanns - Laufbahn. Autoris. Über-
setzung von H. A. Fried. 863 S. Ber-
lin, BoU & Pickardt 1903. JL 6.—.
Müllner, J. Einige Erfahrungen und
Wünsche auf dem Gebiete der Seen-
forschung. 81 S. Wien, Selbstverlag
1903.
Karsten, G., und H. Schenck. Vegeta-
tionsbilder. Heft 4. Taf. 19—24. G.
Karsten: Mexikanischer Wald der Tro-
pen und Subtropen. Jena, Fischer 1903.
In Lief. JL 2.60; einzeln JL 4.~.
Müller, R. Die geographische Verbrei-
tung der Wirtschaftstiere mit beson-
derer Berücksichtigung der Tropen-
länder. Vra u. 296 S. 81 Tierbilder
auf Taf. Leipzig, Heinsius 1903. .ÄIS.— .
DratiehUiid MBd NftchbArlinder.
Statistisches Jahrbuch für das
Deutsche Reich. Hrsg. vom Kais.
Statist Amt. 24. Jahrg. 1903. VIÜ u.
274 S. 4 Taf. Berlin, Puttkamer &
Mühlbrecht 1903. JL 2.—.
Geinitz, E. Das Land Mecklenburg vor
8000 Jahren. Rektoratsprogramm. 23 S.
1 K. Rostock, 1908.
Braun, G. Ostpreußens Seen. Geogra-
phische Studien. Diss. 93 S. 1 K.
Königsberg i/Pr., 1908.
Meyers Reisebücher. Der Harz. Große
Ausgabe. 17. Aufl. XII u. 267 S.
21 K. u. Pläne u. 1 Brocken-Panorama.
Leipzig, Bibl. Inst. 1908. JL 2.60.
Meyers Reisebücher. Deutsche Alpen.
I. Teil: Bayrisches Hochland, Algäu,
Vorarlberg; Tirol: Brennerbahn, Ötz-
taler-, Stubaier- und Ortler-Gruppe,
Bozen, Schiern und Rosengarten, Meran,
Brenner- und Adamello-Gmppe; Berga-
masker Alpen, Gardasee. 8. Aufl. XII
u. 400 S. 27 K, 5 Pläne u. 14 Pano-
ramen. Leipzig, Bibl. Inst. 1903. JC 5. — .
Sonttlyet Enrop».
Baedeker, K. Österreich-Ungarn. Hand-
buch für Reisende. 26. Aufl. XVm u.
546 S. 31 K. u. 44 Pläne. Leipzig,
Baedeker 1903. JL 6.—.
Meyers Reisebücher. Österreich-Un-
garn, Bosnien und Herzegowina. 7. Aufl.
Xn u. 372 S. 26 K., 27 Pläne u. 6
Panoramen. Leipzig, Bibl. Inst 1903.
JL 6.—.
Lukas, Georg A. Studien über die
geographische Lage des österreichisch-
ungarischen Okkupationsgebietes und
486
Nene Bücher und Karten.
seiner wichtigeren Siedelungen. 72 S.
Linz, Verl. d. Staats-Oberrealschule 1908.
Baedeker, K. Schweden und Norwegen
nebst den wichtigsten Reiserouten durch
Dänemark. Handbuch für Beisende.
1). Aufl. LXVI u. 488 S. 37 K., 2 Plane
u. mehrere kleine Panoramen u. Grund-
risse. Leipzig, Baedeker 1903. JL 7.50.
de Martonne, E. Recherches sur la
distribution g^ographique de la popu-
lation en Yalachie. Avec une ötude
critique sur les proc^d^s de reprösen-
tation de la r^partition de la popula-
tion. 161 S. Bukarest u. Paris, 1903.
Qrothe, Hugo. Auf türkischer Erde.
BeiMbilder und Studien. (Yeröff. d.
Allgem. Ter. f. Deutsche Literatur.
XXIX. Abt. 1. Bi) 466 S. Viele Abb.
auf Taf. Berlin, Alig. Ver. f. Deutsche
Lit. (Paetel) 1903. JL 7.60.
Allen.
Fitzner, Bud. Forschungen auf der
Bithynischen Halbinsel. 183 S. 10 Abb.,
3 geol. Profile, 1 K. Rostock, Volk-
mann 1903. JL 6.—.
Preyer, A. Indo-Malayische Streifzüge.
Beobachtungen und Bilder aus Natur-
und Wirtschaftsleben im tropischen
Süd-Asien. VH u. 284 S. 60 Abb.
Leipzig, Grieben 1903. JL 6.60.
Afrika.
Guide-Annuaire de Madagascar ot
d^pendances. Ann^e 1903. X u.
846 S. Viele Abb. u. K. auf Taf. Tana-
narive, Imprimerie Officielle 1903.
GeOfTAphttcher IlBterrickt.
Ho ff mann, A. Mathematische Geogra-
phie. Ein Leitfaden für die oberen
Klassen höherer Lehranstalten. 6. Aufl.
von J. Plaßmann. VI u. 172 8. 60
Textfig. u. 1 Stemk. Paderborn, Schö-
ningh 1903.
Rusch, G. Lehrbuch der Erdkunde für
österreichische Mädchenljceen. IIL Teil
(3.-6. Klasse). 263 S. 78 Abb. Wien,
Pichlers W^«. 1903. K, 3.60.
Herbertson, F. D. u. A. J. Herbert-
son. Europe. XTV u. 299 S. Viele
Abb. London, Black 1903.
Diercke, C. Schulatlas für die unteren
Klassen höherer Lehranstalten (Sexta
und Quinta). 2. Aufl. 84 Taf. Mit 1
Heimatsk. Bmunschweig, Westermann
1903. JL 1.80.
Der 8. Schulatlas für die mittleren Unter-
richtsstufen. 14. Aufl. 42 Haupt- u.
92 Nebenk. auf 64 Kartenseiten nebst
1 K. zur Heimatskunde. Braunschweig,
Westermann 1903. JL 3.80.
Zeitschriftenschan.
Petermanns Mitteilungen. 1903. 6. Heft.
Engell: Über die Schwankungen des
Jakobshavns-Gletschers. — Friedel: Bei-
trage zur Kenntnis der Wirtschaftsformen
der Ozeanier. — Friederichsen: Der
Aral-See nach L. Bergs Forschungen. —
Supan: Der XIV. deutsche Geographen-
tag. — Fitzner: Erdbebenbeobachtungen
in Kleinasien. — Friederichsen: Bei-
träge zur Morphologie des centralen Tien-
schan. — Blumentritt: Neue Literatur
über die Philippinen. — Merzbacher:
C. V. Hahns Kaukasus-Studien. — Greim:
Der meteorologische Beobachtungsdienst
im Großherzogtum Hessen.
Globus. 83. Bd. Nr. 23. Schmidt:
Ein neuer ^ diluTialer Schädeltypus? —
Schöner: Aland. — Gramatzka: Sagen
der Khamta und Singpho. — Ranke:
Ballistisches über Bogen und Pfeil. —
Förster: Britisch-Ostafrika und der Vik-
toria-Nyansa.
Dass. Nr. 24. v. Bülow: Die Ver-
waltung der Landgemeinden in Deutsch-
Samoa. — Die Kunene-Sambesi-Ezpedi-
tion des Kolonialwirtschaftlichen Komitees
1899/1900. — Wilser: Beitrag zur Ur-
geschichte des Menschen. — v. Kleist:
Die Eisenbahnbauten in China.
Dass. 84. Bd. Nr. 1. Markowitz:
Der Völkergedanke bei Alexander y. Hum-
boldt. — Mielke: Die Ausbreitung des
sächsischen Bauernhauses in der Mark
Brandenburg. —Die Südpolarexpeditionen.
Meyer: Tschufnt-Kaläh. — Niehus:
Indische Rosen und ihre Verwertung. —
ten Kate: Nachtrag zur „Psychologie der
Japaner^*.
Zeitschriftenschau.
487
Boss. Nr. 2. Fitzner: Die Bevölke-
rung der denUchen Südseekolonien. —
AuBgrabnng alter Grabhügel bei Tim-
buktu. — Gentz: Die Geschichte des
südwestafrikanischen Bastardvolkes. —
Förster: Zur Klimatologie Deutsch-Ost-
afrikas. — Richel: Lippenschmuck.
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik, 25.Jhrg. 10. Heft. Lemcke:
Eine Besteigung des Vulkans Popocate-
petl. — Jüttner: Fortschritte der geo-
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Asien 1902. — Reiner: Die Sorben in
Deutschland. — Hübner: Forschungs-
reisen am Rio Branco.
Zeitschrift für Schulgeographie. 1903.
9. Heft. Hödl: Die Geographie in der
AuBsteUung neuerer Unterrichtsmittel in
Wien. — Zahler: Die Bevölkerung der
Schweiz. — Habenicht: Das malerische
Element in der Kartographie.
Meteorologische Zeitschriß, 1908. G.HefL
Bill willer: Über den Vorschlag Wilds
zur Einschränkung des Begriffs „Föhn*^
— Bericht über die Wetterschießen-Kon-
ferenz in Graz. — Hegyfoky: Die
Schwankung der Aufblühezeit und die
Temperatur in Ungarn.
Asien. 1908. Nr. 8. Saal: Java-
nische Literatur und Sprache. — Krah-
mer: Neue Pläne für den Bau von Eisen-
bahnen in Russisch-Asien. — v. Zepe-
lin: Aus Centralasien. . — Schlagint-
weit: Die Häfen der syrischen Küste
und die deutsche Levante-Linie.
D<MS. Nr. 9. Kürchhoff: Handels-
und Verkehrsverhältnisse in Japan. —
V. Stauffenberg: Handelsnotizen von
der sibirisch -chinesischen Grenze. —
E t i e n n e : Der Widerstreit der kom-
merziellen und fiskalischen Interessen
in China.
Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolo-
nialwirtschaft. 4. Jhrg. 16. Heft. Rauter:
Die Mucury-Kolonien. — Hoefer: Die
evangelischen Missionen in den deutschen
Schutzgebieten. — Hesse: Die Rechts-
verhältnisse der Schutzgenossen. —
V. Schkopp: Sitten und Gebräuche der
Bakoko in Kamerun. — Sander: Er-
forschung der Tsetsefliege.
Dass. 17. Heft. v. Schkopp: Sitten
und Gebräuche der Bakoko. — Sander:
Erforschung der Tsetsefliege. — Hesse:
Die ostafrikanische Bahnfirage. I.
Dass. 18. Heft. v. Schkopp: Sitten
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Erforschung der Tsetsefliege. — Hesse:
Die ostafrikanische Bahnfrage. U.
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nisse im Bezirk Lothringen (1 K.) —
Samassa: Deutsche und Windische in
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Götz: Karl v. Scherzer f. — Lebzelter:
Der Anteil der Deutschen an den wissen-
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VeTantwortliobar Hermusgober: Prof. Dr. Alfred Hettner in Heidelborg.
Die geographischen Bedingungen nnd Gesetze des Verkehrs nnd der
Seestrategik.
Von Friedlich Batzel.
Die geographischen Bedingungen und Gesetze des Verkehrs.
Der Verkehr von Menschen und Gütern von einer Stelle der Erde zur
anderen ist eine geographische Tatsache, insofern er die natürlichen Unter-
schiede in der Ausstattung der Länder, der Meere und der Menschen selbst
ausgleichen will und zu diesem Zweck Wege an der Erdoberfläche zurück-
legt. Weiter ist er aber auch geographisch, weil er den Baum und die
Hindemisse bewältigen muß, die in der Erdoberfläche liegen; Verkehr ist
Kampf mit dem Raum, dem Boden und den Elementen. Und endlich ge-
hören seine Wege der Erdoberfläche, und zwar auch dann, wenn sie nicht,
wie Straßen und Eisenbahnen, wesentliche Teile derselben bilden.
Auf diesen drei Gruppen von geographischen Bedingungen des Verkehres
ruht die Verkehrsgeographie. Man kann also die Natur des Verkehrs nicht
verstehen, wenn man nicht die Erde kennt, deren Bewohner seine Träger sind,
deren Güter er austauscht, und auf deren Oberfläche seine Wege ziehen.
Der Urheber des Verkehrs, das ist allerdings der Mensch selbst, in dessen
Wesen, weil er lebt, die Bewegung liegt. Nicht in der Erde, sondern im
Menschen selbst liegt der verkehrschaffende Antrieb. Es sind innere Kräfte
und Triebe, die den Menschen veranlassen, stellenweise sogar zwingen, über
einen Punkt hinauszugehen, wo er Halt gemacht hatte. Dem Trieb nach
Vergesellschaftung, der Eltern, Kinder, Blutsverwandte zusammenhält, wirkt
ein Streben nach Vereinzelung entgegen, das den einzelnen oder ganze
Gruppen aus dem alten Zusammenhange löst. Die ältesten Urkunden des
Menschengeschlechtes berichten, wie die Kinder Vater und Mutter verlassen,
um das Gebot Gottes an die ersten Menschen zu erfüllen: seid fruchtbar und
mehret euch, erfüllet die Erde und macht sie euch Untertan ; wir hören den
Fluch des bösen Gewissens: Unstät und flüchtig sollst du sein auf Erden;
und wir sehen Abraham und Lot auf das Geheiß des Herrn aus einem Land
in ein anderes ziehen: Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freund-
schaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.
So bewegt es sich vor unseren Augen, und Einzelne oder Gruppen
tauschen Land um Land. Das ist die Bewegung in der Geschichte. Und
wenn wir die Anftlnge der Griechen betrachten, was sind die Überlieferungen
von Anderen, die vorher da waren, von ^, Vorhellenen", anderes als Erinnerungen
an Bewegungen, die die einen fort- und die anderen herführten? Urgeschichte
Geographische ZeiUchrifl. 9. Jahrgang. 1903. 9. Heft. 33
490 F. Ratzel:
ist Wandergeschichte. Und so gewiß wie der einzelne Mensch mit seinen
Augen über den engen Bezirk, in dem er wohnt und schafft, hinaussieht, so
gewiß fliegen seine Gedanken bis an die äußersten Grenzen seines Gesichts-
kreises, und eines Tages folgt er ihnen nach: dem Zug seiner Gedanken folgt
sein eigenes Ziehen, sein Wandern. •
Im Vergleich mit diesen inneren Bewegungskräften ist alles Geographische
im Verkehr nur äußere Anregung, Leitung, Lenkung; es regt an, es
setzt die Ziele, weist die Wege, hemmt und fördei-t. Ist aber auch diese
Bedingtheit des Verkehres nur eine äußere, so bleibt sie doch keine äußer-
liche. Der Verkehr ist an die Erde* gebunden, keine Entwicklung löst ihn
von derselben los, jede bleibt ein notwendiger Teil derselben. Die Erde bietet
den Boden des Verkehres; im fließenden Wasser und in der bewegten Luft
stellt sie Bewegungskräfte zur Verfügung, und was der Verkehr bewegt, ist
Erzeugnis der Erde. Je nachdem nun der Boden der Erde von Natur ge-
artet ist, muß der Verkehr an einer Stelle stark und an einer anderen
schwach, hier rasch und dort langsam, hier Land- und dort Wasserverkehr
sein, hier die eine und dort eine andere Richtung einschlagen. Wie ein
großes Gesetzbuch, das eine ganze Anzahl von einzelnen Bestimmungen, jede ein
Gesetz für sich umschließt, regelt allen Verkehr die geographische Be-
dingtheit; sie, ein Grundgesetz alles Lebens, ist in der Tat auch das geo-
graphische Grundgesetz der Lebenserscheinungen, die wir Verkehr nennen.
Ich unterscheide hier zwischen geographischen Bedingungen, die
der Bau der Erde allen Bewegungen auf der Erdoberfläche von außen vor-
schreibt, und geographischen Gesetzen, die in diese Bewegungen selbst
hineinwirken, sie umgestalten. Bei den geographischen Bedingungen handelt
es sich nur um ein äußerliches Leiten und Richtunggeben, bei den geo-
graphischen Gesetzen um ein inneres Entwickeln in Wachstum oder Rück-
gang. Mit diesem Entwickeln verwachsen die geographischen Bedingungen,
werden fortwirkende Teile davon. Ein Beispiel: Landverkehr und Seeverkehr
sind immer unter dem Einfluß der Grundtatsache stehen geblieben, daß der
feste Boden den Verkehr zerteilt, zersplittert, ihn über ein Netz von immer
dichteren Maschen ausbreitet, während der Seeverkehr konzentriert, verdichtet,
große Schiffe, große Seestädte, immer dichtere Schifluhrtswege schafft: also
zwei weit auseinandergehende Entwicklungen, auf deren Grunde die Eigen-
schaften des Landes und des Wassers liegen.
So wie ein wirkliches Gesetz von Dauer ist, ändern sich auch die geogra-
phischen Bedingungen des Verkehres nur mit der Erde selbst. Keine innere
Entwicklung fahrt den Verkehr aus ihrem Bann heraus. Welche Portschritte
die Technik des Schiffs- und Maschinenbaues, des Dampfes und der Elektrizi-
tät auch machen und welche größeren ihr noch vorbehalten sein mögen, Land
und Meer, Gebirge und Flüsse, Strömungen und Winde bleiben im ganzen
und großen dieselben. Ihrer Lage, ihrer Richtung muß der Verkehr sich
anschließen. Heute quert man den Atlantischen Ozean im dritten Teile der
Zeit, die man vor 50 Jahren brauchte, aber das bleibt immer der Atlantische
Ozean mit seinen Stürmen und Strömungen, der insellose Raum zwischen
60 Meridianen. Heute braucht man im Stillen Ozean 7 Tage von San Fran-
Die geogr. Bedingungen u. Gesetze d. Verkehrs u. d. Seestrategik. 491
cisco nach Hawaii, und 10 Tage weiter nach Yokohama, dem großen Hafen
des japanischen Fremdenverkehres an der Bucht von Tokio; es wird wohl mit
der Zeit möglich sein, diese Querung des Stillen Ozeans mit Zwanzigtausend-
tonnendampfem in 10 Tagen zu vollenden, aber das bleibt immer eine See-
fahrt unter denselben Bedingungen des Baumes, des Klimas, der Meeres-
strömungen.
Zu den geographischen Wirkungen, die in das Wesen des Verkehrs selbst
übergehen, wo sie dann an seiner inneren Entwicklung mitarbeiten, gehört
nun in erster Linie der Unterschied zwischen dem Landverkehr und
dem Seeverkehr, der ebensowohl ein Unterschied des Substrats als der
Raumverhältnisse ist. Beide Verkehrsgattungen arbeiten für denselben Zweck
und doch geht ihre Entwicklung immer weiter auseinander; jede hat ihr
eigenes Gesetz. Deshalb gehört das Verhältnis des Landes zum Wasser, die
ungleiche Verteilung und Sonderung beider in Weltinseln und Meeresteile, das
Flächentibergewicht des Meeres zu den Grundtatsachen des Verkehrs. Auf
dem Wasser und auf dem Lande unterliegt jede Verkehrsart dem Gesetz
des räumlichen Wachstums, demselben, das die Völker und die Staaten
zur Ausbreitung drängt. Und innerhalb dieses umfassendsten Gesetzes sehen
wir den Verkehr sich abwechselnd in bestimmten Richtungen auseinanderlegen
und dann wieder sich auf einen bestimmten Weg konzentrieren: Das Gesetz
der Zerteilung und Zusammenfassung oder Konzentration des
Verkehrs.
Die Wege des Verkehrs streben, ein Netz zu bilden, indem zwei
Punkte, die durch einen Weg verbunden sind, mit der Zeit weitere Weg-
verbindungen entwickeln, und indem der erste Weg über seine ursprünglichen
End- und Anfangspunkte hinauswächst. Daraus entstehen die vielfachen Aus-
strahlungen, Parallelwege und Querverbindungen eines Verkehrsnetzes. Die
Maschen dieses Netzes werden nicht bloß immer kleiner und zahlreicher, ihre
Gestalt ändei*t sich auch mit diesem Wachstum ununterbrochen und zwar in
der Richtung auf längere Linien und kleinere Winkel. Die Verzweigungen
der Verkehrswege verlegen sich immer weiter rückwärts nach dem Ausgangs-
punkte zu. Früher führte ein Weg so nahe wie möglich an die Punkte hin,
nach denen die Zweigwege bestimmt waren, jetzt beginnt die Verzweigung
möglichst nahe bei dem Ausgangspunkt.
Die verkehrsreichsten Wege bilden die stärksten Fäden dieses Netzes,
und diese allerdings haben noch im Laufe der letzten Jahrhunderte Ver-
änderungen erfahren, die es erklärlich machen, daß man von einer Achse des
Verkehrs spricht, die ihre Richtung geändert habe. Denn während der Fem-
handel Roms wesentlich Handel zwischen Rom, Ägypten, Westasien und Indien
war, also zwischen Ländern verschiedener Zonen und Klimate, fließen heute
die stärksten Welthandelsströme zwischen Europa und Nordamerika, zwischen
Westeuropa, Osteuropa, Ostasien und die wichtigsten davon kreuzen den at-
lantischen Ozean. Li fiüheren Jahrtausenden, wo bei weitem nicht alle Länder
der Erde mit einander verkehrten, mochten die Wege des Weltverkehrs gering
an Zahl und einfach sein. Als in der römischen Kaisenseit Britannien das
äußerste bekannte Land im Westen und China dasselbe im Osten war, konnte
33'
492 . F. Riitzel:
man eine Linie von Britannien nach China ziehen und sagen: diese Linie
verbindet die äußersten Punkte des Weltverkehrs. An eine solche Linie
dachten wohl die Historiker, die sagten: Heute liegt die Achse des Weltverkehrs
im Atlantischen Ozean; vor 2000 und vor 1000 Jahren lag sie im Mittel-
ländischen Meer, im Indischen Ozean und in Asien. Indessen welchen Zweck
hat es, hier von einer Achse zu sprechen? Was dreht sich um diese Achse? Es
ist ein schlechtes Bild, denn es ist un geographisch. Das geographische Bild
des Weltverkehrs der Gegenwart ist ganz anders, das ist ein ungemein ver-
zweigtes Netz, das alle bewohnten Länder umfaßt oder die äußersten wenig-
stens berührt.
In jedem Verkehrssystem herrscht ein Streben nach Einheitlich-
keit der Leistung, die man auch als Harmonie bezeichnen kann. Nicht
die vollständige Gleichheit des Tempos wird angestrebt, sondern eine Über-
einstimmung nach Maßgabe der natürlichen Bedingungen und der vorher vor-
handen gewesenen Geschwindigkeiten. Der Suezkanal kürzt den Weg von
Europa nach Indien ab, daher schließt sich an seinen Bau die Verbesserung
der Schiffahrt im roten Meer und im Mittelmeer, die Schaffung oder Ver-
besserung der Alpenbahnen; ja sogar die Beschleunigung der Züge, die Ver-
stärkung des Unterbaues, die Verwendung größerer Lokomotiven auf den
nordalpinen Zufahrtslinien hängen mit jener Beschleunigung zusammen, von
der auf der anderen Seite die Schaffung schnellerer und größerer Dampfer
ausgegangen ist. Es ist eine Fortpflanzung bis in die letzten Adern eines
Netzes, wie wir sie in einem Flußnetze aufwärts wandern sehen, wenn irgend-
wo im Unterlaufe eine Tieferlegung imd Beschleunigung eingetreten ist.
Wo eine neue Verkehrsart von größerer Leistungsfähigkeit eine ältere
ersetzt, geschieht der Übergang von einer Verkehrsart zur anderen
um so ruhiger, je näher die beiden einander ohnehin schon standen. Die
Eisenbahnen haben in Europa mit der Zeit eine große Umwälzung im Ver-
kehr hervorgerufen, da aber gute und zahlreiche Straßen ihnen vorher-
gegangen waren, blieben die Straßen neben den Eisenbahnen belebt, ge-
wannen sogar an Wichtigkeit, wo sie die Zufahrt zu den Eisenbahnen be-
sorgten. Noch heute wächst ihr Verkehr auf weitaus den meisten Strecken.
In Deutschland beträgt der Verkehr auf den Landstraßen noch immer die
Hälfte bis Dreiviertel des Eisenbahnverkehrs; allerdings stehen bei uns
140 000 km Landstraßen 52 000 km Eisenbahnen gegenüber. In Sibirien,
wo die Eisenbahn sich fast unmittelbar an ein Verkehrssystem anschloß, das
nur an wenigen Stellen eigentliche Straßen benutzt, hat dieselbe endlose
Karawanen mit Tee, Seide und anderen Waren überflüssig gemacht, die viele
Tausende von Menschen und Hundei-ttausende von Zugtieren in Nahrung
setzten, und damit eine große Umwälzung bewirkt.
Aller Verkehr will seine Wege in einer bestimmten Zeit zurücklegen,
aber die Zeitmaße sind verschieden je nach den Stufen der Kultur, und des-
halb haben sie sich auch von Jahrhundert zu Jahrhundert geändert. Von
den Zeitmaßen hängt nun auch das Gewicht ab, das man den geographischen
Bedingungen des Verkehrs beilegt, und zwar nach dem Gesetz: je mehr
Zeit auf die Zurücklegung eines Weges verwendet wird, desto
Die geogr. Bedingungen n. Gesetze d. Verkehrs u. d. Seestrategik. 493
mehr Hechnung trägt der Verkehr den geographischen Bedin-
gungen, desto sklavischer folgt er Flußwindungen, umgeht er Gebirge und
Wälder, desto leichter vertauscht er eine Richtung mit einer anderen. Wenn
der eine Karawanenweg von Tripolis nach Mursuk 30 Tage, der andere, der
menschen- und wasserärmer ist, nur einige 20 Tage braucht, jener aber doch der
weitaus begangenere und, trotzdem er ein Umweg, der eigentliche Karawanen-
weg ist, so kann man daraus schließen: wenn man 20 bis 30 Tage zu einer
Strecke von 800 km braucht, kommt es nicht darauf an, ob ein paar Tage
mehr oder weniger verbraucht werden.
Verkehr und Krieg sind beides Bewegungen von Menschen von einem
Punkt der Erde auf einen andern Punkt hin. Der Verkehr besteht aus zahl-
losen kleineren oder größeren Bewegungen, die in der Regel rasch auf ein-
ander folgen, so daß sie, wie Wellen in einem Fluß sich aneinanderreihend,
dauernde Strömungen erzeugen, den Krieg bilden wenige heftige und stoß-
weise Bewegungen, die sich in einer kurzen Zeit rasch folgen, um dann eine
lange Pause zu machen. Beide unterliegen derselben Abhängigkeit von den
geographischen Bedingungen, und deshalb steht auch praktisch von allen
Zweigen der Geographie die Geographie des Verkehres der* Geographie des
Krieges am nächsten. Der Krieg benutzt nicht bloß dieselben Wege wie der
Verkehr, sondern zu Kriegszwecken werden Wege geschaffen, die dann auch
der Verkehr benutzt, und es gehören wahrscheinlich dazu die ältesten Straßen-
netze, die wir in Vorderasien und in den alten amerikanischen Kulturländern
kennen. Im Seekrieg kommen die Wege weniger, wohl aber die Fahr-
zeuge und die Zielpunkte des Verkehrs in Betracht. Dasselbe Schiff, das
Kaufleute und Waren trägt, fahrt auch Krieger und Waffen, und das Schutz-
bedürfhis ist beim Seehandel um so größer, je weiter er sich von seinen
Ausgangspunkten entfernt. Die großen Seedampfer sind direkt mit unter die
Kricgsmittel ihres Staates zu rechnen. Für keine Leistung des Seekrieges
ist der Dienst der großen überseeischen Dampfer von so entscheidender Be-
deutung wie für die Truppentransporte. Für die Pünktlichkeit, die da-
bei noch wichtiger ist als beim Dampferverkehr in Friedenszeiten, für Ord-
nung, auch selbst für die bequeme Unterbringung ist jener Dienst die beste
Schule.
Der Krieg zu Lande steht zwischen dem Verkehr und der Völker-
wanderung, dieser näher als jenem. Alle drei sind geschichtliche Bewegungen,
deren Richtung und Fortgang abhängig ist von dem Boden, auf dem sie
stattfinden. Die Völkerwanderung breitet sich weit über diesen Boden aus
und halt ihn fest; der Krie^ beschränkt sich zwar auf Heerstraßen und be-
stimmte Plätze, sucht aber ebenfalls von diesen aus das Land zu beherrschen;
der Verkehr hat nur seine Zielpunkte im Auge, das Land ist ihm weiter
nichts als der Träger seiner Wege; auf diese Wege sich soviel wie möglich
zu konzentrieren, sie so rasch wie möglich zurückzulegen, ist das Bestreben
des Verkehrs. Völkerwanderung und Landkrieg haben also ein breiteres Ver-
hältnis zu ihrem Boden als der Verkehr.
Ein allgemeiner Unterschied zwischen der friedlichen und kriegerischen
Eroberung zu Lande liegt in der Richtung ihres Vorgehens. Der Krieg geht
494 F. Ratzel:
von einein starken Lande aus und schließt ein Reich von eroberten Gebieten
um dasselbe zusammen, der Verkehr diingt dagegen von der Peripherie der
Länder in deren Inneres vor, oft von vielen Punkten aus, und setzt diese
peripherischen Punkte mit einem fernen Mittelpunkte in Verbindung. Dabei
reichen die Eroberungen soweit als der Eroberer fortschreitet, während der
Landverkehr auch mittelbare Verbindungen schafft; Byzantiner kamen nicht
an die Ostsee und nach Britannien, aber diese Gebiete waren in römischer
Zeit fest mit Byzanz durch den Verkehr verbunden. Auch darin sind nun
der Seeverkehr und der Seekrieg einander viel ähnlicher, daß sie beide
ihre Eroberungen von der Peripherie her machen und sich im allgemeinen
mit der Besetzung der peripherischen Teile eines fremden Landes begnügen,
wozu natürlich der Schutz der Seeverbindungen gehört
Der Seekrieg besteht aus unablässigen Bewegungen. Auch Blockaden
sind nicht mit der Belagerung von Landfestungen zu vergleichen; blockierende
Schiffe sind beständig in Bewegung, um einen möglichst weiten Raum in
ihren Gesichts- und Feuerkreis zu ziehen. Eine Feldarmee wohnt auf dem
Boden, den sie erobert, lebt sogar zum Teil von seinen Erzeugnissen; die be-
festigten Lager j in denen die Feldherren des siebenjährigen Krieges oft
Monate unbeweglich standen, wurden immer mit Rücksicht auf die Frucht-
barkeit ihrer Umgebungen, Trinkwasser und Weideland gewählt Derartiges
kennt der Seekrieg nicht. Sein Boden ist immer derselbe, der Schauplatz
einer Seeschlacht ist nach der Schlacht dasselbe Meer, lächelnd oder stür-
misch, wie vor ihr. Es bietet keine Deckung, keine Nahrung, keine Woh-
nung; es bleibt immer dasselbe fremde Element
Handelsflotte und Kriegsflotte stehen notwendig in einem Ver-
hältnis wechselseitiger Ergänzung. Man kann das mit der notwendigen Zu-
sammengehörigkeit der Heerstraßen und der übrigen Verkehrswege oder mit
der entscheidenden Bedeutung des rollenden Materials der Eisenbahnen für
militärische Transporte vergleichen. Es wäre weitgefehlt, zu glauben, daß
nur die Heranziehimg eines seegewohnten Matrosen Stammes auf der Handels-
flotte dies Verhältnis schürzte. Ursprünglich sind die beiden eins. Kein
phönicisches Handelsschiff kann man sich unbewaffnet denken, kein Griechen-
schiff wagte sich unbewaffnet in den ungastlichen Pontus. So sind die großen
Handelsexpeditionen der Portugiesen auf dem neuen Seeweg nach Indien
inuner von Kriegsschiffen begleitet gewesen und noch im Beginn unseres Jahr-
himderts fuhr kein Fahrzeug einzeln und unbewaffnet im Mittelmeer, das Bar-
baresken unsicher machten. In jedem Seekrieg sind Handelsschiffe als Kriegs-
schiffe ausgerüstet worden. So wie heute zur Seebeherrschung nicht nur
Kriegsschiffe, sondern auch Kabel gehören, so waren die raschen Klipper im
Zeitalter der Segelschiffahrt die unentbehrlichen Vedetten der Kriegsflotten.
Und in den Kämpfen der Niederländer mit den Spaniern entlasteten die Flotten
der beiden großen überseeischen Kompagnien die heimische Schlacht flotte, in-
dem sie den Krieg ins offene Meer hin ausspielten.
Es hat überhaupt nie einen ungeschützten Handel gegeben; einst waren
der Schutz des Handels bewaffnetes Geleite des Landhandels und Kanonen,
die aus den Stückpforten „friedlicher" Handelsschiffe droheten, die noch im
Die geogr. Bedingungen u. Gesetze d. Verkehrs n. d. Seestrategik. 495
18. Jahrhimdert nur unter „Convoy" in Meeren fuhren, wo Seeräuber zu
fürchten waren. Heute versucht man es zunächst mit dem Schutze der Handels-
verträge. Handelsverträge sind aber in nicht wenigen Fällen mit WaflPen-
gewalt erzwungen. Aus diesem Gesichtspunkt erscheint auch der Seeraub
als ein keineswegs zufälliger Begleiter des Seehandels. In dem Auftreten
des Seeraubes in Verbindung mit den Anfängen des phönicisch-griechischen
Handels sieht nur eine kurzsichtige Geschichtschreibung den Vorläufer des
Seehandels. Dem Se^handel gerade, im Gegensatz zum Landhandel, ist
vielmehr aus natürlichen Gründen der Seeraub verbunden, und zwar um so
enger, je weiter Handels- und Raubgebiete über den gewöhnlichen Horizont
hinausliegen. Seehandel, Seeherrschaft imd Seeraub sind besonders in den
Kämpfen der Niederländer, Spanier, Portugiesen und Engländer im 16. imd
17. Jahrhundert gar nicht auseinander zu halten, um so weniger als der See-
krieg damals wesentlich aus Kaperei bestand.
Die Handelsflotte und die Kriegsflotte sind nur zwei Seiten einer
und derselben Sache; sie gehören zusammen, und die Stärke der einen muß in
normalen Verhältnissen der Stärke der anderen entsprechen. Auf die Dauer
wird ein Land keine große Handelsflotte haben, ohne dieselbe durch eine
starke Kriegsflotte zu schützen, und wenn der Seehandel eines Landes zurück-
geht, wird mit der Zeit auch seine Kriegsflotte sich vermindern. Mit der
Erweiterung der Handelsbeziehungen wuchs die Zahl, die Größe und die
Kriegsstärke der Schiffe aller europäischen Flotten im 16. Jahrhundert, und
in dem Verhältnis des niederländischen zum englischen Seehandel 5 : 1 im
Jahre 1650 und 2 : 5 im Jahre 1792 liegt zugleich auch der Hochstand
und Niedergang niederländischer Seeherrschaft. Insofern, kann man sagen,
bleibt immer die alte Verbindung bestehen, die in früheren Jahrhunderten
und Jahrtausenden aus jedem Kauffahrteischiff ein Kriegsschiff machte und
Handel, Krieg und Seeraub eng verband. Daraus folgt auch, daß beim
Ausbruch eines Krieges die Schlagfertigkeit bei der Flotte noch größer sein
muß als bei dem Landheere, denn ein Teil von ihr muß mit dem Tag der
Kriegserklärung bereit sein, die Handelsflotte zu schützen, die von diesem
Tag an viel mehr bedroht ist als die Grenzen des Landes. Präsident Eoose-
velt knüpfte in seiner Botschaft vom Dezember 1901 die Frage der Kriegs-
flotte und der Handelsflotte der Vereinigten Staaten aufs engste zusammen:
Das amerikanische Volk muß entweder eine entsprechende Flotte bauen und
erhalten, oder sich entschließen, in internationalen Angelegenheiten zurück-
zustehen, nicht bloß in politischen, sondern auch in wirtschaftlichen. Diese
Aufgabe ist aber nicht bloß durch die Verstärkung der Kriegsflotte zu lösen,
sondern erfordert die Vermehnmg der Handelsflotte.
Jeder Fortschritt in der Technik des Verkehrs hat unmittelbar auf den
Seekrieg eingewirkt. Ihn haben in seiner heutigen Form die Dampfmaschine
und die Schraube, diese beiden großen Erfindungen auf dem Gebiete des
Verkehrswesens, erst möglich gemacht. Nelsons Linienschiffe waren imbehilf-
liche Massen, die sich langsam bewegten, unbehilflich manövrierten und auf
Pistolenschußweite ihre gewaltigen Breitseiten abgaben. Das moderne Linien-
schiff ist beweglich, höchst manövrierfähig, erschüttert seinen Gegner aus der
496 F. Hatzeh
Ferne oder rückt ihm atrf den Leib, umkreist oder verfolgt ihn. Wohl sind
alle Dampfer der Kohlen wegen an die Küste gebunden, aber das neuere
Kriegsschiff ist mit einem Kohlcnvorrat ausgestattet, der ihm erlaubt, jeden
Ozean zu kreuzen. Kreuzer können sogar vier bis sechs Wochen die hohe
See halten. Ziemlich allgemein beschränkt man sich jetzt auf eine Geschwin-
digkeit von 18 bis 19 Knoten für die Linienschiffe, um ihre Kampfkraft
nicht zu schmälern, kommt aber auf der anderen Seite vom Baue der schwer-
sten Linienschiffe von mehr als 15 000 Tonnen wegen ihrer Schwerfölligkeit
und ihres großen Tiefganges zurück. Für Kreuzer werden dagegen 22 Knoten
überschritten.
Die Ökumene des Verkehrs.
Der Boden des Verkehrs ist nicht die Oberfläche einer Kugel, wie
der Boden des Luftmeeres, über den Winde und Wolken ihre Wege
ziehen, sondern es ist ein Gürtel in den heißen und gemäßigten Zonen,
der an wenigen Stellen in die nördliche kalte Zone hinübergreift, die
südliche aber gar nicht berührt; mit anderen Worten, der Verkehr
bewegt sich um die Erde in einer Zone oder einem Gürtel, die der
eigentlichen Ökumene zu vergleichen, aber noch viel schmäler ist, denn die
äußersten Randbewohner im Norden und Süden haben keinen Teil an dem
großen Verkehr der inneren Völker der Ökumene. In dieser Ökumene des
Verkehrs herrscht nun der große Gegensatz zwischen dem Nord- und Süd-
rand, daß dieser vollständig im Meere liegt, also dem Seeverkehr allseitig
zugänglich ist, während der Nordrand, soweit er im Eismeer liegt, dem See-
verkehr praktisch verschlossen und, soweit er im Lande liegt, auch dem
großen Landverkehr nicht zugänglich ist. Die nördlichsten Eisenbahnpunkte
liegen in Europa in 68® und 65®, in Asien in 55®, die südlichsten in Süd-
amerika in 42® und von den erdteil verbindenden Schiffahrtslinien liegt keine
jenseits 55® n. und s. Br.
Das Eismeer, das den Nordrand der Ökumene umflutet und mit Treib-
eis und Eisbergen bedrängt, weist den Verkehr zurück; die nordwestliche und
die nordöstliche Durchfahrt gehören beide seit lange nicht mehr zu den prak-
tischen Aufgaben der Verkehrsgeographie. Nur an der klimatisch begünstigt-
sten Stelle dringt der Verkehr um Nordeuropa herum aus dem atlantischen
Ozean in das weiße Meer und in günstigen Sommern bis in die Mündungs-
buchten des Ob und des Jenissei. Als Ganzes aber ist der Nordrand der
Ökumene für den großen Verkehr unzugänglich. Demnach besteht für den Ver-
kehr die Ökimiene aus Erdteilen und Meeren, die das Gemeinsame haben, daß sie
auf der Nordseite für den Verkehr geschlossen sind, so daß man ihren Nord-
rand nur von Süden her erreichen kann. Es ist wie eine Häuserreihe, die im
Norden an einen Berg hingebaut ist: Häuser imd Straßen haben ein Ende,
wo der Berg anfängt, die Straßen enden als Sackgassen, die Häuser sind nur
von der Süd-, West- und Ostseite her zugänglich. Das größte Beispiel einer
derartigen Verbindung liefert Rußland, das von Kronstadt aus in 60® n. Br.
seine Schiffe um ganz Eurasien herum nach Wladiwostok in 43® n. Br. gehen
läßt; oder die Vereinigten Staaten von Amerika, deren Schiffe von Neuyork
nach San Francisco um Südamerika herum 50 bis 60 Tage brauchen,
Die geogr. Bedingungen n. Gesetze d. Verkehrs n. d. Seestrategik. 497
während die Eisenbahn die Sehne dieses gewaltigen Bogens in ö Tagen ab-
schneidet
Um also von einer Westseite zu einer Ostseite zu kommen und umgekehrt,
muß man entweder um die Südseite herumgehen oder Wege durch die
Häuserblöcke hindurch machen. Daher die Bedeutung der Wege imi Süd-
afrika, um Südasien, um Südamerika, durch die Straßen von Gibraltar und
von Florida, und die Bedeutung transkontinentaler Eisenbahnen. Die Ent-
deckung des Seeweges nach Indien 1498, der Magalhaesstraße 1520, des Süd-
ostendes Australiens 1642, die Panamaeisenbahn 1855, die erste nordameri-
kanische Pacifikbahn 1869, der Suezkanal 1869, die Sibirische Pacifikbahn
1900 sind alles Fortschritte in der gleichen Richtung. Das alles bedeutet
eine Steigerung des Seeverkehrs in den mittleren und südlichen Teilen der
Ökumene um ebensoviel, als die Nordseite den Seeverkehr zurückweist, den
Landverkehr begünstigt. Deshalb gehörte z. B. Südafrika schon seit dem
17. Jahrhundert zu den begehrtesten überseeischen Stellungen, wo nachein-
ander Portugal, Holland und England, die drei großen Beherrscher des
Indienhandels, Fuß gefaßt haben.
Während also die mächtigsten und reichsten Staaten, die größten Volks-
massen und die verkehrsreichsten Städte im Norden liegen, müssen wir ihre
wichtigsten Seeverbindungen von Meer zu Meer im Süden suchen: um Süd-
afrika in 35^, um Südamerika in 52** s. Br., um Asien unter den Äquator,
durch den Suezkanal in 30^, durch den dereinstigen Panamakanal in 9® n. Br.,
während die wichtigsten Ziel- und Ausgangspunkte des Verkehrs weit im
Norden zwischen 40® und 60® n. Br. gelegen sind, wo denn auch die größten
Wege und Mittelpunkte des Landverkehrs ihre Lage haben. Und so wirkt
die ungeheuere Bedeutung der ersten Fahrten um Afrika und um Südamerika,
die den Indischen Ozean und den Stillen Ozean erschlossen, noch heute nach,
denn ohne diese Wege nach Süden keine Beherrschung des Meeres, soweit
es dem Verkehre zugänglich ist Da aber Afrika nur bis 35® s. Br., Asien nur
bis gegen den Äquator reicht, während die Magalhaesstraße in Südamerika in
53® s. Br. liegt, ist der Ostweg in den Stillen Ozean der leichtere, ktlrzere,
und um so dringender ist das Bedürfnis des Verkehrs nach Durchbrechung
der mittelamerikanischen Landschranken geworden.
Von allen verkehrsgeographischen Eigenschaften des Meeres ist die wich-
tigste sein Zusammenhang, die Folge seines dreifachen Raumübergewichtes.
Aber während für die physische Geographie sowohl der atlantische als
der Stille Ozean im Norden imd im Süden offen stehen, sind also für die
Verkehi-sgeographie alle Meere im Nordeir geschlossen, der Zugang für
alle liegt im Süden. Man kann sie insofern mit den Mittelmeeren und mit
dem Indischen Ozean vergleichen. Verkehrsgeographisch gibt es nur ein
rings offenes Meer, das ist das große Südmeer, in das südlich vom 40.® s. Br.
nur noch ein Paar Halbinseln und Inseln, Ausläufer der großen Landmassen
des Nordens hinausragen: die unverstellte Bahn der scharfen Westwinde in
der Luft, des großen Ringes der Westdriftströmung im Meer, und des um
die Südenden der Festländer herum die einzelnen Meere verbindenden Ver-
kehrs. Strategisch ist dieses große freie Meer, hinter dem nur noch die Eis-
498 F. Ratzel:
wände der Südpolarländer stehen, das große Verbindungs- und Bückzugs-
gebiet, in dem verfolgte Schiffe verschwinden, aus dem sie unerwartet auf-
tauchen werden. Im kleinen vergleicht es sich den Steppen imd Wüsten
Innerasiens, aus denen Nomadenschwärme über die Oasen und Ränder der
benachbarten Kulturgebiete wie über Inseln und Küsten herfallen, in die sie
sich zurückziehen, imerreichbar für jeden, der nicht ebenso bewegliche Truppen
ihnen nachzusenden hat.
Die Verteilung von • Land und Wasser schafft Gebiete des Land-
verkehrs und Gebiete des Seeverkehrs. Das Land ist in drei großen
Weltinseln durch das Meer verteilt und jede Weltinsel ist ein besonderes
Gebiet des Landverkehrs, das mit einem andern nur zur See verkehren kann:
£urasien mit Afrika, dann Amerika, Australien. Australien hat eine Lage für
sich und ist auch der Größe nach mehr Insel. Die beiden anderen Land-
massen aber bilden zwei lange Streifen zwischen Norden und Süden und
zwischen ihnen liegen die größten Meeresteile: der Stille mit dem Indischen
und der Atlantische Ozean. Also zwei Streifen Land imd zwei Streifen Meer,
zwei Gebiete des Landverkehrs zwischen zwei Gebieten des Seeverkehrs. Aus
dieser Nebeneinanderlagerung der Erdteile und Meere ergeben sich
die großen Aufgaben der Meeresverbindungen der Länder und der Land-
verbindungen der Meere. Die Meeresverbindungen der Länder sind nun alt;
seit den Fahrten der Malayopolynesier im Stillen und im Indischen Ozean,
der Normannen über den Atlantischen Ozean, der großen Entdecker Colum-
bus, Vasco da Gama, Magalhaes und Tasman sind alle Erdteile durch alle
Meere miteinander in Verbindung. Ihre Zahl wird immer beschränkt bleiben.
Wenn der interozeanische Kanal gebaut sein wird, dürfte für lange der letzte
der großen Pläne verwirklicht sein, die der Wasserverbindung der großen
Meere dienen. Um so mehr wird dann die Aufgabe des Landverkehrs hervor-
treten, durch kontinentale Eisenbahnlinien die großen Meere zu verknüpfen.
Schon heute haben Nordamerika 6 Pacifikbahnen, Mittelamerika 2, Asien 1,
Südamerika wird in nicht femer Zeit folgen.
So wie die Oberfläche der Erde entweder Land oder Wasser ist, muß
auch aller Verkehr entweder Verkehr auf dem Lande oder auf dem Meere
sein. Aber Landverkehr und Seeverkehr sind dennoch nicht von einander zu
trennen, denn sie bedeuten nur die Lösung der gleichen Aufgabe mit ver-
schiedenen Mitteln. Wer heute mit der größten Beschleunigimg um die Erde
reisen will, quert zwei Ozeane und zwei Erdteile in 20tägiger Land- und
25tägiger Seereise auf einer Ringlinie, die die größten Hauptstädte beider
Erdhälften verbindet. Und wai* auf dem kürzesten Weg von Berlin nach
Kalkutta reist, fährt 45 Stunden zu Land nach Brindisi, 40 Stunden zu Land
von Bombay nach Kalkutta, 3^^ Tage von Brindisi nach Port Said, 10 Tage
von Suez nach Bombay, dazu noch die Kanalfahrt, zusammen 14 Tage See-
und SYg Tage Landfahrt.
Das Wesen des Seeverkehrs.
Jeder Erdteil, ja jedes größere Land legt dem Verkehre die Gesetze
seiner Lage, seiner Größe und seines inneren Baues auf; seine Ebenen,
Die geogr. Bedingungen u. Qe^etze d. Verkehrs n. d. Seestrategik. 499
seine Berge, seine Flüsse, selbst seine Steppen oder Wälder helfen seinen
Verkehr bestimmen. Das Meer dagegen wirkt nur durch Eigenschaften
der Lage und der Größe auf den Verkehr ein, denn seine Fläche ist überall
dieselbe, sein Wasser ist überall von gleicher Zusammensetzung, nur in den
Eismeeren tritt das Treibeis als verkehrshinderndes Element hervor. Daher
brandet das Meer an die tropische Koralleninsel und an die polare Eiswand
mit denselben grünlichen und bläulichen Wellen an, und soweit die Küsten
das Werk des Meeres sind, stimmen sie in allen Breiten überein. Gerade
diese physiognomischen Ähnlichkeiten machen es möglich, daß der Seemann
mit einem Gefühl der Weltbeheimatung die verschiedensten Himmelsstriche
durchsegelt und an den entlegensten Gestaden landet.
So wie bei allen Unterschieden der Meere doch immer die Grundeigen-
schaften des einen Weltmeeres die herrschenden imd bestimmenden bleiben,
so haben auch die Aufgaben der Schiffahrt in allen Zonen etwas Überein-
stimmendes. Dem Seeverkehr wohnt daher eine ausgleichende Wirkung inne.
Als der Suezkanal mit 7 m Wassertiefe in Wirksamkeit trat, war damit für
alle mit Indien und Ostasien verkehrenden Häfen eine Norm gegeben, und
die Vertiefung einer Masse von Flußmündungen, kleineren Schiffahrtskanälen
und Hafeneingängen auf diesen Betrag, und mit der Zeit bis auf 9 m folgte
nach. Mit der Zeit haben selbst zurückgelegene Plätze wie Lübeck sich
diesem Einfluß nicht entzogen, das jetzt seine Trave- Einfahrt auf 7,5 m
bringen läßt. Seit den einfachsten Verbesserungen des Schiffsbaues, der
Schiffahrtskunst und der Schiffahrtswege, seit der ersten Eindeckung des
Schiffsbauches, der ersten Anwendung der Magnetnadel und dem ersten
Wellenbrecher ist jeder Fortschritt auf diesem weiten Gebiet von einer füh-
renden Macht getragen worden, der dann alle anderen gefolgt sind.
Die Unteilbarkeit des Meeres ist nicht bloß eine große politische Tat-
sache, die die Zerlegung des einen großen Meeres in Herrschafts- und Handels-
gebiete jederzeit vereitelt hat. Es ist auch eine große Tatsache des See-
krieges. Auch für diesen ist das Meer zu groß, als daß man einen Teil
davon militärisch absondern und verteidigen könnte. Der ältere Pitt sagte:
Der Verteidigungskrieg zur See ist der Anfang des sicheren Untergangs.
Noch nie hat eine Kriegsflotte die Defensive zum System erhoben; sie kann
nur vorübergehend dazu gezwungen werden, aber nicht davon ausgehen. Und
so liegt denn im allgemeinen der expansive und zur Not aggressive Charakter
der Seemacht überhaupt darin, daß man sich nie mit einem Stückchen See-
herrschaft begnügen, sie niemals abgrenzen kann. Daß das Gesetz des räum-
lichen Wachstums auf dem Meere in viel größerem Maße wirksam ist als
auf dem Lande, zeigt sich beim Seekriege noch viel deutlicher als beim
Verkehr.
Die Gleichheit der Unterlage und der darüberhin führenden Wege macht
das Schiff zum alleinigen, allgemeinen Transportmittel zur See. In der damit
gegebenen Einheitlichkeit liegt die ganz einzige Stellung des Seeverkehres,
die jeden Vergleich mit einer anderen Verkehrsart ausschließt. Auf dem
Lande kann man zwischen vielen Orten entweder die Eisenbahn oder die
Landstraße oder den Fluß oder den Binnensee benutzen, auf dem Meere sind
500 F. Rattel:
Boden, Weg und Fahrzeug dieselben. Das Seeschiff kann sehr verschieden
sein, aber seine lange Entwicklung ist ebenfalls einheitlich. Allerdings ist sie
zugleich auch einseitig, denn hier gribt es keine mannigfaltigen Verkehrsmittel
wie Wagen, Schlitten, Lokomotive, Automobil, Floß, Flußdampfer. Dem See-
verkehr ist daher eine gewisse Ausschließlichkeit zu eigen, die ihm von Anfang
an eine ausschließliche und einseitige Entwicklung aufgeprägt und ihm ein ftühes
Übergewicht über den Landverkehr gegeben hat, das noch heute fortdauert,
aber gerade wegen der Einseitigkeit der Entwicklung auch wieder abnehmen
muß (s. u. S. 511.)
Das Meer teilt mit allen anderen Wasserstraßen den Vorzug, ein natür-
licher Weg zu sein, man braucht hier keine Wege zu bahnen oder zu bauen;
wenn ich die Wasserfläche befahren will, brauche ich zur Not nur ein Floß.
Da nun das Meer überall der Hauptsache nach dasselbe ist, wo es nicht
Eisberge oder Treibeis führt, hat der Seeverkehr auch den Vorteil der freien
Wahl des Weges auf dem offenen Meer. Er kann überall den kürzesten Weg
einschlagen, soweit Schiffe fahren können. Die große Bedeutung des Weges
im Landverkehr kennt der Seeverkehr überhaupt nicht. Seine Wege sind
verwischt, sobald die Kielfurche sich geschlossen hat, jedes Schiff schafft
seine Wege sich neu. Soweit die notwendige Wassertiefe reicht, kann das
Schiff gehen, und stehen ihm zur Not unzählige Wege nach demselben Ziele
hin offen. Man kann also von Seeweg gar nicht in dem Sinne wie von
anderen Wegen sprechen; der Seeweg ist im Grunde nur die Eichtung, in
der ein Schiff von einem Punkt zu einem anderen fährt.
Jeder Verkehrsweg auf dem Boden des Landes ist dagegen etwas Dauern-
des und etwas Greif- und Meßbares. Er ist einmal für sich ein Streifen
Land, und dann ist er von Land lungeben, das nicht von ihm getrennt werden
kann. So ist der Suezkanal an der Oberfläche 80 bis 100 m breit, zu dieser
Breite kommen die Dämme auf beiden Seiten, der Boden, auf dem Häuser der
Kanalwachen stehen, die Lade- und Hafeneinrichtungen, die Eisenbahnen u. s. w.,
kurz, das Ganze ist ein ganz betrachtliches Stück Land. Dazu gehört aber
noch Land auf beiden Seiten, wo z. B. Schutzvorrichtungen gegen Sandver-
wehung sich befinden, und ein noch viel breiterer Streifen, im Grund die
ganze Landenge wird nötig sein, wenn z. B. im Falle eines Krieges dieser
Kanal gegen Störungen seitens einer feindlichen Macht sichergestellt sein soll.
So ist jeder Verkehrsweg einmal Land für sich, und dann ist er von Land
umgeben, das wenigstens im politischen Sinn nicht von ihm getrennt
werden kann.
Der Landverkehr strebt, seine Wege beiderseits mit breiten Landstreifen
einzufassen oder, was dasselbe ist, sie durch das Innere des Landes zu ziehen,
so daß sie auf beiden Seiten geschützt seien. Nur notgedrungen ist die
randliche Lage von wichtigen Eisenbahnen und Straßen hart am Meer, wie
in Italien; der Gefahr, die in der leichten Zerstörbarkeit solcher Verbindungen
liegt, sucht man dort neuerdings durch innere, im Apennin selbst verlaufende
Verbindungen zwischen Genua, Mailand, Venedig, Florenz, Rom, Neapel zu be-
gegnen. Man hat bei der Rekonstruierung alter Verkehrswege nicht genügend
diesem Schutzbedürfnis der Wege Rechnung getragen. Gegenüber der an-
Die geogr. Bedingungen u. Gesetze d. Verkehrs u. d. Seestrategik. 501
geblichen großen Nordsüd-Handelsstraße Karls des Großen Barde wiek — ^^Lorch
an der Donau ist mit Recht geltend gemacht worden, daß eine auf so große
Entfernung der bedrohten Ostgrenze des Frankenreichs unmer entlang laufende
Straße, stets in der Flanke das kultumiedrige feindliche Volk, kaum denkbar sei.
Für die Strategie ist es ein großer Unterschied, ob ein Weg zerstört
oder wenigstens dauernd geschlossen werden kann oder nicht.
Darin liegt der größte Unterschied zwischen den natürlichen und künstlichen
Wegen. Dem Meere kann keine Macht die Eigenschaft nehmen, eine Straße
des Verkehrs zu sein, oder vielmehr sich aus Tausenden von Straßen zu-
sammenzusetzen. Ein größerer Fluß, ein Strom kann nicht einmal abgeleitet
werden. FaiTagut erzwang sich den Eingang in den Mississippi und erschien
mit seinen hölzernen Schiffen vor Neu-Orleans trotz der Batterien und See-
minen, womit die Südstaatlichen die vielgeteilten Zufahrtsarme des Deltas zu
verschließen meinten. Nur kleine Flüsse und Bäche können, auf ganz kleine
Entfernungen abgeleitet werden und dies auch nur, wenn sie in ebenem
Lande dahinfließen. Ein Talweg, ein Pfad über einen Gebirgspaß kann
blockiert werden, das Tal, der Paß bleiben wie die Natur sie gemacht hat.
Ganz anders ist es mit den Wegen, die der Mensch selbst geschaffen hat;
von ihnen kann man sagen, daß sie um so gründlicher zerstörbar sind, je
mehr Eimst auf sie verwandt worden ist. Ein gesprengter Eisenbahn viadukt,
eine aufgerissene Bahnkreuzung und Weichenstellung, eine zerstörte Kanal-
schleuse sind nicht im Handumdrehen wiederherzustellen, sie bedeuten Unter-
brechungen für lange Dauer, in vielen Fällen wohl für Kriegsdauer; die
Verkehrsmöglichkeit wird für sie auf den Stand herabgesetzt, auf dem sie
vor der Errichtung dieser Werke gewesen waren, d. h. an die Stelle des
Bahnverkehrs tritt der Wagenverkehr, an die Stelle der Brücke die Fähre,
an die Stelle der Landstraße das freie Feld.
Damit ist festgestellt, daß der Seeweg an sich kein strategisches
Objekt ist, das angegriffen oder verteidigt werden kann; es sind im See-
krieg entweder die Träger des Verkehres, die zerstört werden müssen, die
Handelsschiffe, oder die Träger der Angriffsmittel, die Kriegsschiffe. Wenn
wir also lesen: die Niederländer unterbanden am Ende des 16. Jahrhunderts
die spanisch-portugiesischen Verbindungen mit Amerika, so heißt das nichts
anderes, als daß die niederländischen Kaper die spanischen und portugie-
sischen Amerikafahrer wegnahmen — und die spanischen und portugiesischen
Kriegsschiffe, die das hindern wollten; mit anderen Worten: sie beherrschten
den Teil des Atlantischen Ozeans, durch den die Wege von Cadiz, Lissabon
u. s. w. nach Amerika führten. Dies zeigt, daß die Sicherung der Seewege
in der Seeherrschaft liegt. Deswegen setzt jede überseeische Expedition
die Herrschaft über das Meer voraus, durch das die Expedition ihren Weg
ZQ nehmen hat, sei es die zugestandene oder die erkämpfte Herrschaft Eine
starke russische Flotte im Schwarzen Meere hätte den Krimkrieg unmöglich
gemacht, und die erste Sorge Englands im südafrikanischen Krieg war die
Offenhaltung der Wege für seine Transporte \). Solange die spanische Flotte
1) Über die Größe, aber auch die Sicherheit der Transporte einer großen See-
macht orientiert ein Bericht der englischen Admiralität, dem zu Folge vom 1. Juli
502 F. Ratzel:
nach Kuba unterwegs war, stockten alle Landungsversuche der Nordameri-
kaner, sobald sie in San Jago eingeschlossen war, gingen die Amerikaner
zu Land und zu Wasser gegen sie vor.
Die Größe des Meeres.
Die zweite Haupteigenschaft des Meeres ist seine überragende Größe.
Die Räume, die dem Seeverkehr offenstehen, sind fast dreimal so groß, als
die Räume, die der Landverkehr zu beschreiten vermag. Das Verhältnis ist
ungefähr 73 zu 27. Der Seeverkehr macht also weitere Wege, setzt sich
fernere Ziele, und wie alle geschichtliche Bewegung einfacher und umfassen-
der wird, sobald sie das Wasser berührt, so ist es auch mit dem Verkehr:
er kann von kleinen Ländern ausgehen, von Ländern, die kaum mehr als
Städte sind, und vermag eine halbe Welt zu beherrschen, sobald er einmal
die weiten Räume des Meeres zu durchdringen wagt. Allen Verkehr be-
herrscht das große Gesetz der wachsenden Räume, das sich ebenso gut
in der Staaten- wie in der Verkehrsgeschichte bewährt; aber der Seeverkehr
vermag ihm leichter zu folgen, als der Landverkehr, vergrößert rascher seine
Gebiete. Da» Wasser ist physisch leicht zu durchmessen, wenn nur erst ein-
mal die Furcht vor den weiten, öden Wasserwüsten abgetan ist. Hat ein
Volk diesen Punkt erreicht, dann mag das Wachstum seines Verkehres und
bald auch seiner Macht und seiner Staatengründung an überseeischen Ge-
staden mit einer Schnelligkeit vor sich gehen, für die das Land gar kein
Beispiel hat. Im Besitze des Zuganges zum Meere und zu den Seehandels-
wegen schreiten Küstenvölker über Binnenvölker hinaus, und Küstenstaaten
breiten ihre Herrschaft über fremde Länder und Inseln aus, während hinter
ihnen die Binnenstaaten um Raum streiten. Der Gegensatz der Phönicier
und der Israeliten, der Unterschied zwischen Athen und Spai-ta stellt uns
den Typus des vom Einfluß des Meeres durchtränkten und des diesem Ein-
fluß abgeschlossenen Volkes vor Augen. In einem und demselben Volke so-
gar, von dem einige Glieder dem Meere zu-, andere dem Meere abgewandt
sind, hat die Verbindung eines weiten Horizontes mit engen Verhältnissen,
des Handels mit dem Ackerbau, z. B. im homerischen und hesiodischen
Griechenland und später, geradezu etwas Unorganisches.
Dieselbe Weiträumigkeit der geschichtlichen Wirkungen trägt auch der
friedliche Seeverkehr in das Land hinein, von dem er ausging. Der
Verkehr, der aus engen Räumen heraus auf weitere Räume wirkt, gewinnt
eben dadurch die Fähigkeit, mit einigender Kraft auf seine Ausgangsgebiete
wieder zurückzuwirken. Weit zerstreute Städte an der Ost- imd Nordsee
und im norddeutschen Tiefland, Teile eines in der Auflösung begriffenen
Reiches, faßte die Geraeinsamkeit der Interessen am skandinavischen und
russischen Handel zu dem Bunde der Hanse zusammen. Man kann sagen:
von dem kleinen Wisby auf der fernen Insel Gothland wirkte dieser Handel
1899 bis 1. März 1900 England nach Südafrika in 351 Reisen, von denen nur zwei
fehlgingen, fast 200000 Mann und 92000 Pferde oder Maultiere beförderte. 2*/, Pro-
zent der Tiere gingen zu Grunde, Menschen starben in Folge des Transports keine.
(Militärwochenblatt. 1900. S. 1910.)
Die geogr. Bedingungen u. Gesetze d. Verkehrs u. d. Seestrategik. 503
einigend, auch in politischer Beziehung, auf einen großen Teil des nördlichen
Deutschlands zurück. Wenn uns die Handelsgeschichte auch Beispiele yon
rückwirkender Zersplitterung durch den Wettbewerb verwandter Mächte auf
einem fernen Gebiet, z. B. Venedigs und Genuas in der Levante, zeigt, bleibt
doch jene einigende Wirkung häufiger und größer, und auch in diesem Sinne
kann man sagen: Das Meer erzieht Weltmächte.
Die Konzentration des Seeverkehres und der Seeherrschaft.
Der Landverkehr verteilt seine Lasten un.d vervielfältigt seine Wege, um
seine Arbeit zu erleichtern, denn die Reibung der bewegten Lasten am Boden
ist größer als am Wasser. Daher Verteilung der Lasten auf viele Träger,
die teils Menschen, teils Tiere sind, oder auf Schlitten, Wagen, Eisenbahnen.
Selbst im Zeitalter der Eisenbahnen ist die Massenleistung noch immer auf
Seiten des Wasserverkehrs, und wird es wohl immer bleiben; denn der Ver-
kehr zu Schiff konzentriert seine Transporte und hält sie zusammen. Das
große Schiff schneidet die Wellen leichter als das kleine, das schwere schwinunt
unter Umständen sicherer als das weniger beladene. Ein Schiff von 1 6 000 t
wie die „Deutschland" des Norddeutschen Lloyds transportiert das 20 — 30 fache
von einem gewöhnlichen Güterzug. Im Seekrieg hat das große Schiff den
Vorzug, daß es mehr Kohlen aufnehmen kann, daß es den kleineren Gegner
niederrennt, daß es schwerere Panzer tragen kann. Und nur die Vereinigung
solcher Schiffe vermag die Seeherrschaft zu erzwingen. Der Kreuzer- und
Kaperkrieg hat auf den ersten Blick etwas Bestechendes: eine Seemacht,
die zu stark ist, als daß man sich ihr bei geschlossener Begegnung gewachsen
fühlen könnte, an hundert verschiedenen Stellen fast gleichzeitig anzugreifen,
ihre Verbindungen abzuschneiden, ihre Häfen zu brandschatzen, ihre Handels-
schiffe wegzunehmen, ihre Kriegsschiffe zu zerstören, wo sie sich vereinzelt
treffen lassen, das ist ja als die einzig mögliche Führung des Seekrieges
gegen England so oft und eindringlich von französischen Seemännern ge-
schildert worden. Und doch ist diese Art von Seekrieg eine Utopie, denn
sie widerspricht den elementaren Bedingungen der Seegewalt, aus denen das
unerschütterliche Gesetz des großen Krieges folgt: Zusammenfassung aller
Kräfte an richtiger Stelle und zu richtiger Zeit zu endgültigen Entscheidungen.
Je entscheidender die Kämpfe zur See durch die Konzentration ihrer
Machtmittel sind, die im Falle des Verlustes schwer ersetzt werden können,
um so weniger kanI^ eine fiktive Seebeherrschung lange aufrecht erhalten
bleiben. Landarmeen können Entscheidungen hinhalten, die Flotten müssen
sie beschleunigen, und eben deshalb kommen in ihnen die wahren Macht-
verhältnisse auch früher zum Ausdruck. Karthago zeigte in den puniscben
Kriegen seine Schwäche zur See früher als zu Lande, und das Frankreich
Napoleons war zur See vierzehn Jahre früher und zwar unwiderruflich nieder-
geworfen'als zu Lande. Ein flottenkräftiges Deutschland hätte den 1864 er
Krieg auf Seeland und Fünen in einem Bruchteil der Zeit beendigt, die
Düppel und Jütland erforderten. Und einen Krieg rasch zu beendigen, ist
eine der wesentlichsten Bedingungen des Erfolges im Kriege, weil dadurch
ein Umsichgreifen der Verwicklungen, fremde Eingriffe, Ermüdung der eigenen
504 P. Ratzelt
Kräfte ausgeschlossen werden. Moltke wußte sehr gut, daB die Besetzung
Jütlands, des einzigen dänischen Gebietes, das die Armee erobern konnte,
kein Äquivalent war för die Besetzung Kopenhagens, die nur eine Kriegs-
flotte ausführen konnte; nur diese beendigte einen Krieg mit Dänemark
endgültig. Jeder Krieg setzt sich aus drei großen Akten zusammen: in
dem ersten wird der Gegner niedergeworfen, in dem zweiten muß ihm der
Friede abgerungen werden, der ihm nachteilig ist, in dem dritten handelt es
sich um die Festhaltung des Errungenen. Bei einer Macht nun, die mehr
Land- als Seemacht ist, kann die erste Aufgabe von der Landarmee gelöst
werden, die zweite aber fordert die Mitwirkung der Kriegsflotte zu voll-
ständiger Lösung; der Gegner muß umfaßt, seine Lebensadern müssen be-
droht werden. Und selbst wenn der Siegespreis rein binnenländisch liegt,
sind auch zu seiner Erhaltung Anstrengungen zur See nötig, um den unter-
legenen zu verhindern, nach seiner Wiedererstarkung seine ganze Kraft auf
eine Landaktion zu werfen.
Wer die Knotenpunkte des Verkehres beherrscht, befiehlt auf den Wegen,
die von ihnen ausstrahlen, daher das Streben der Armeen, solche Punkte zu
gewinnen, die inuner auch politische Zentralpunkte sind, weswegen mit ihrem
Verlust nicht selten ganze Kriege entschieden sind. So werden einst auch
die entscheidenden Seeschlachten dort geschlagen werden, wo der Handels-
verkehr in den dichtesten Strömen zusammenfließt, vor dem Kanal, vor der
Themse, der Elbe, dem Hudson, wie sie früher vor den Eingängen in den
Ärmelkanal, in den Sund, in die Adria geschlagen worden sind. Glieder-
reiche Meere kommen diesem Streben nach konzentrierten Schlägen dadurch
entgegen, daß sie Meeresteile einengen, wodurch Land und Meer einander ge-
nähert und Wege zusammengedrängt werden, das Zusammenwirken der Land-
armeen und Flotten begünstigt wird.
Der Seekrieg unterscheidet Küstenmeer und offenes Meer. Wenn
aber für die Ozeanographie die Grenze zwischen beiden die Tiefenlinie von
200 m ist, liegt für die See-Strategik die Grenze ganz anders. Es ist wesent-
lich der Tiefgang der Kriegsschiffe, der sie bestimmt. Wo Schiffe von 9 m
Tiefgang ungehindert manövrieren können, ist offenes Meer. Dagegen die
Schärenküste von Schweden und von Finnland ist nur flachgehenden Booten
zugänglich, wie Schweden sie in seiner Schärenflotte, wie auch Rußland sie
gegen Schweden in der von Peter dem Großen geschaffenen Ruderboot-
Flottille verwandte. Weiter muß die Strategie aber auch, mit der Geo-
graphie, die Ozeane von den Nebenmeeren unterscheiden. Der größte Teil
der Ostsee ist mehr als hinlänglich tief für große Kriegsschiffe, aber sie
ist kein freies Meer wie die Ozeane, in deren Weiten große Flotten spur-
los verschwinden können. So wie sie von Land umschlossen ist, gehört
die Ostsee mit dem Lande zusammen. Ihre geringe Größe, die große Zahl
ihrer Inseln und Halbinseln — auch die deutschen und die russischen
Ostseeküsten sind aus lauter Halbinseln zusanunen gesetzt — , ihre schmalen
Sunde, ihre tiefen Buchten streichen sie aus der Reihe der freien Meere,
werden sie in jedem Kriege zu einem Teile des Landkriegsschauplatzes machen.
Man kann sie ein küstenreiches Liselmeer nennen. Im Winter sind die
Die geogr. Bedingungen u. Gesetze d. Verkehrs u. d. Seestrategik. 505
Schweden nach Rügen übergegangen, haben die Russen den Bottnischen Meer-
busen überschritten, im hohen Sommer haben die Preußen Alsen eingenom-
men; man fährt in 4 Stunden von Saßnitz nach Trelleborg. Es ist also gar kein
reiner Landkrieg in den Ostseeländem möglich. Keine russische Armee wird
ip Ostpreußen einmarschieren, deren linke Flanke nicht vom Samland her zu
bedrohen wäre, keine deutsche wird in Jütland vorgehen, die nicht vom
Großen Belt her beunruhigt würde. Und dem kleinen Schauplatz entsprechend
werden kleine Seekrftfte vieles vermögen. Gelang es doch schon 1864 der
damals noch kleinen preußischen Flotte (157 Geschütze im ganzen 1), die
rechte Flanke der preußischen Armee zu decken, die Blockade der preußischen
Hilfen zu erschweren und die Küste gegen Landungen zu schützen. Auch
1870 mußte es sich die französische Ostseeflotte gefallen lassen, in der Kjöge-
bucht von preußischen Schiffen beunruhigt zu werden.
Die Mittel meere sind größer als die Nebenmeere, aber ihre Dimensionen
sind immer noch mit denen großer Staaten zu vergleichen, und da sie alle
reich an Halbinseln und Inseln sind, bieten sie kurze Wege und zahlreiche
Stützpunkte, und zerfallen daher in eine ganze Anzahl von leicht überschau-
baren Abschnitten, deren Zugänge immer wichtige Stellungen und zum Teil
in der Geschichte der Seekriege von großer Berühmtheit sind. Trafalgar,
Actium, Lissa, Navarin, Lepanto sind Seekampfplätze, deren Namen histori-
schen Klang haben. Im amerikanischen Mittelme^r bezeichnet seit dem ameri-
kanisch-spanischen Kriege San Jago de Cuba eine solche Stelle. Die Straßen
von Gibraltar, von Florida und von Malakka sind enge Zugänge der drei
Mittelmeere, in die sich ein gewaltiger Verkehr und entsprechend große po-
litische Interessen zusammendrängen; Gibraltar,- Key West und Singapur sind
drei der wichtigsten Seefestungen zur Deckung dieser Zugänge. Die zahl-
reichen Halbinseln und Inseln geben reichliche Gelegenheit zur SchaflFung von
festen Stütz- und Zwischenpunkten; solche sind Malta und neuerdings Ajaccio
auf Korsika; Korsika ist als Verbindungsglied zwischen Toulon und Biserta
gedacht, ebendeshalb 1901 zu einem besonderen Sous-Arrondissement maritime
erhoben worden, neben Ajaccio imd Bonifacio wird hier ein neuer befestigter
Hafen in Porto Vecchio geschaffen. Es ist begreiflich bei der geringen Ent-
fernung der verschiedenen Küsten der Mittelmeere, daß die Mächte der einen
Küste Niederlassungen auf den anderen gründen und mit der Zeit sich breit
auf denselben ausdehnen. Das römische Reich hat alle Küsten des euro-
päischen Mittelmeeres umfaßt, das byzantinische einen gi'oßen Teil derselben,
Spanien, Frankreich, die Türkei sind auf der Nord- und Südseite des Mittel-
meeres, die Vereinigten Staaten von Amerika in Portoriko und — mit einer
Besatzung und Kohlenstation — in Kuba vertreten, und ganz verschiedene
Mächte haben Kolonien im amerikanischen und australischen Mittelmeer.
Daß alle Mittelmeere wichtige Durchgangsgebiete sind, liegt in ihrer
Natur, denn sie liegen zwischen den Norderdteilen im Noi*den imd den Süd-
erdteilen im Süden, so daß sie den Verkehr zwischen diesen zwei großen
Erdteilgruppen vermitteln, und zugleich ist jedes einzelne davon ein natür-
licher Weg zwischen zwei großen Ozeanen. Man kann sie also auch als
Durchgangsmeere bezeichnen, und als solche sind sie strategisch Meeres-
Geographitche Zeittchrift. 9. Jahrgang. 1903. 9. Heft. 34
60ß P. Ratzelj
Straßen mit einer Einfahrt, einer Ausfahrt und dazwischen liegenden Bast-
ponkten, und mit jener Konzentration des Verkehres und der politischen und
militärischen Interessen, die überhaupt für Meeresstrafien charakteristisch ist.
Die geographischen Merkmale des Seekrieges.
Im Landkrieg verschwinden die für den Frieden gültigen Grenzen mit
allen daran geknüpften Yerkehrsbeschränkungen für die Kriegführenden von
dem Augenblick der Kriegserklärung an, ihre beiderseitigen Gebiete ver-
schmelzen in eines und bilden einen Kriegsschauplatz. Der Seekrieg
braucht keine Grenzen wegzuräumen oder zu durchbrechen, er spielt sich auf
einem Boden ab, der allen gemein und allen offen ist. Der Landkrieg dringt
auf bestimmten Wegen in das Gebiet des Feindes ein, wo die Grenzfestungen,
die Verkehrsmittelpnnkte und endlich die Hauptstadt seine gegebenen Ziel-
punkte sind. Für den Seekrieg gibt es keine bestimmten Wege und keine
festen Ziele dieser Art, seine Entscheidungen fallen an den entlegensten und
unerwartetsten Punkten, nämlich inuner da, wo die feindliche Flotte die
Schlacht sucht oder dazu gezwungen wird.
Der Landkrieg ist ein Ringen um Geländeabschnitte, strategische Linien
und Punkte, er schreitet von einem Abschnitt zur anderen vor, bezwingt eine
Festung nach der anderen. Der Seekrieg kennt ein solches Vorgehen nicht,
ihm ist die Aufgabe gestellt, das Meer von den feindlichen Schiffen zu
säubern, der eigenen Schiffahrt freie Bahn zu machen. Daraus ergibt sich
ein Vorgehen in zwei ganz verschiedenen Richtungen : ein weites Gebiet mufi
abgesucht und bewacht, und zugleich an einer einzigen Stelle die feindliche
Hauptmacht aufgesucht und cerstört werden: Expansion imd Konzentration.
Nur wo ein großes Objekt des Krieges: eine große Handelsstadt oder die
Hauptstadt selbst zur See erreichbar sind, kann auch der Seekrieg sich Ziele
setzen, die dem Lande angehören, wobei aber in der Regel eine Kooperation
mit Landstreitkräften eintritt. Die Flotte allein kann auch solche Eroberungen
nicht festhalten. Eine Landung an einer Küste, die von einer starken Flotte
geschützt wird, ist ein Seekampf plus Landkampf, wobei es vorkommt, daß
die feindliche Flotte siegt, aber die Landung nicht ausführen kann.
Der Landkrieg civilisierter Mächte strebt heute immer die Besetzung
des feindlichen Gebietes, besonders seiner Verkehrsmittelpunkte, seiner reich-
sten Provinzen und besonders seiner Hauptstadt an. Das war nicht immer
so; erst mit der allgemeinen Schätzung des Bodens stieg auch sein militärischer
Wert. Die Kriege tieferstehender Völker haben bei geringerer Schätzung des
Bodens die Ausrottung des gegnerischen Volkes zum einzigen Zweck; ein
Teil davon wird getötet, ein Teil in die Sklaverei geführt, das Land bleibt
wüst liegen oder fällt dem Sieger als eine Art Nebengewinn zu. Oder der
Krieg sinkt zum Raubkrieg herab, wo der Zweck der Raub aller beweglichen
Güter des imterliegenden Volkes imd solcher Glieder des Volkes ist, die ge-
eignet sind, in die Sklaverei geführt zu werden. Der Seekrieg steht nun
diesen tieferen Formen des Landeskrieges darin nahe, daß auch er keine un*
mittelbare Absicht auf den Boden des Gegners hat, sondern nur seine Macht-
mittel zerstören will, worauf dann wie z. B. bei der Eroberung der Philip-
bie geogr. Bedingungen ti. Gesetze d. Verkehrs u. d. Seestrategik. oOT
pinen der Landkrieg einsetzt, der das Land erobert, dessen Zugänge die
Flotte aufgesprengt hat.
Indem der Seekrieg nicht Felder und Garten verwüstet, nicht Wege und
Straßen zerstört, nicht Grenzen verwischt, indem das Meer dasselbe bleibt,
welche Kiiegsstürme auch über es hingegangen sein mögen, so führt er auch
nicht jene Kriegsmüdigkeit herauf, die darin liegt, daß Alles aufgezehrt, fort-
geführt oder in anderer Weise vernichtet ist, was die KriegBführung braucht,
so daß die Pflanze Krieg nicht weiter wachsen kann. Gerade dann liegt
vielmehr eine große Kraft der Seemächte, daß sie Kriege leichter ertragen
und daher zäher und gründlicher ausfechten. Daher ist es immer wieder
vorgekommen, wenn Land- und Seemächte in einem gleichen Unternehmen
zusammenstanden, daß jene sich fi-üher davon zurückzogen als diese.
Die Weiträumigkeit der Flottenaktionen beruht zum Teil in der Beweg-
lichkeit der Schiffe, die nicht bloß absolut lange Wege zurücklegen, son-
dern auch rasch hintereinander an den verschiedensten Stellen erscheinen
können. Besonders wo die Flotte in Verbindung mit dem Landheer auftritt, ist
sie durch ihre Beweglichkeit bestimmt, in einem weiten Umkreis außen
liegende Aufgaben zu lösen und damit dem Landheer eine um so konzentrier-
tere Wirksamkeit in seinem Bezirke zu ermöglichen. Bei der Chinaexpedition
der vereinigten Mächte wäre die Einengung des 'Boxerauf Standes auf die
Nordprovinzen ohne das Erscheinen der Kriegsschiffe vor den Küstenplätzen
des mittleren und südlichen China und besonders auf dem Jangtse nicht
möglich gewesen.
Was beim Zusammenwirken die Flotte der Annee zu allemächst bietet,
ist die Vergrößerung ihres Operationsraumes. Auch hier ist das Größen-
verhältnis zwischen Land und Meer die Grundtatsache und Grundzahl, und
man wird damit rechnen müssen, daß die Kriegsflotten immer mehr gemein-
same Aufgaben mit den Landheeren zu lösen haben werden, je mehr die
politischen Räume und die Aktionssphären der Staaten wachsen. Je größer
die räumliche Aufgabe des Landheeres, um so notwendiger wird die Teil-
nahme der Flotte. Wie anders würde der Einbruch der Franzosen in Ruß-
land 1812 verlaufen sein, wenn französische Geschwader in der Ostsee koope-
riert hätten! Würde auf der anderen Seite Rußland überhaupt eine gr^ße
ostasiatische Politik treiben können, ohne daß sein ostasiatisches Geschwader
die sibirische Landarmee unterstützt?
Es gibt Kriegsschauplätze von einer solchen Lage und Gestalt, daß es
unbedingt nötig wird, Teile angrenzender Meere zu ihnen zu schlagen; ohne
das wären sie zu eng. Schmale, lange Länder mit ausgedehnter Küste, wie
Italien, wie Chile, brauchen eine Flotte, die ihre hart an den Küsten laufen-
den Eisenbahnen deckt, und die Truppenmassen von einem Ende des lang-
gestreckten Landes zum anderen trägt. Ostpreußen könnte von einer russischen
Armee besetzt werden, aber solange eine deutsche Flotte die östliche Ostsee
hält, wäre die rechte Flanke dieser Armee nicht sicher, und wenn eine solche
Flotte sich auf Königsberg stützen könnte, wäre ein weiterer Vormarsch der
feindlichen Armee auch nur über den Weichselabschnitt unmöglich.
In der Blockade nimmt der Seekrieg am meisten den Charakter des
34*
508 P. Ratzel:
Landkrieges an. Die Schiffe sind an das Land gebunden, die Seeleute be-
obachten das Land mehr als das Meer, je nach der Natur der Küste zei^
streuen sich die Schiffe. Das Gelingen dieses Wachtdienstes hängt ganz von
der Beschaffenheit des Landes ab. Je größer die Küstenlänge im Verhältnis
zur übrigen Grenze ist, desto leichter ist die Blockade. Inseln kann die
Blockade einschließen, Halbinseln kann sie zum größten Teil abschließen, je
größer aber die Möglichkeiten des Landverkehres, desto weniger fruchtet die
Blockade. Ebendeshalb war die Blockade ein viel wirksameres Mittel in
einer Zeit, wo der Landverkehr noch so wenig ausgebildet war, wie zur Zeit
der Kontinentalsperre. Mit jedem Jahre wird sie weniger wirksam werden ftLr
alle die Länder, deren Verkehr mit Nachbarländern entwickelt ist. Je größer
und verkehrsreicher das Land ist, desto kleiner ist die Gefahr erfolgreicher
Landungen mit darauf folgendem Eindringen in das Innere. Die Pläne zu
Landungen in England haben immer einen ersten Schritt nach Wight oder
Irland ins Auge gefaßt.
Landmacht und Seemacht.
Dem Gegensatz von Land und Wasser entspricht der Unterschied von
Landmacht und Seemacht. Vor fünfzig Jahren war dieser Unterschied selbst
unter den europäischen Großmächten noch so scharf, daß man England als
eine reine Seemacht, Preußen und Osterreich als reine Landmächte, Frank-
reich und Rußland als Landmächte mit mehr oder weniger starken Flotten
bezeichnen konnte. Das war nur ein vorübergehender Zustand, der denn in
der Tat ^Inzlich der Vergangenheit angehört. Heute gibt es fast keine reinen
Landmächte mehr, auch kleine Staaten verfügen über beträchtliche Kriegs-
flotten, und England ist bestrebt, ein starkes Landheer fär den Fall einer
Invasion seines Inselreiches und besonders für Indien zu schaffen. Indessen
bleibt noch immer groß der Unterschied zwischen Staaten, die hauptsächlich
stark zur See, und Staaten, die stärker zu Land sind. Deutschlands Kriegs-
flotte ist mit allen Anstrengungen doch nur ein Viertel so stark wie die
Englands, aber Deutschlands Landarmee in Europa zählt 23 Armeekorps, die
Englands nur 5. Aber die Ausgleichung schreitet fort, wie sie in vorigen
Jahrhunderten fortgeschritten ist. Nachdem früher Spanien, die Niederlande,
Frankreich höchstens jeweils zwei Menschenalter lang die Herrschaft des Meeres
besessen und sie im Niedergang miteinander geteilt hatten, war nach der Be-
endigimg der napoleonischen Kriegsperiode England die einzige große Seemacht
der Welt. Langsam wuchs Frankreich, derselbe Gegner, den England zuletzt
niedergeworfen hatte, wieder zur Seemacht empor. Von 1830, dem Jahre der
Eroberung Algiers, an bildete Frankreich seine Seestreitkräfte wieder folge-
richtig aus, und stand vor 1870 England nicht mehr weit nach. So lange
hatte England nur diesen einen nennenswerten Gegner, Von den 60er Jahren
an datiert der maritime Aufschwung Rußlands, Deutschlands und Italiens. Die
Annäherung Frankreichs und Rußlands schuf in England das sogenannte Zwei-
mächte-System, d. h. man hielt die Flotte in einer solchen Höhe, daß sie der
der zwei größten anderen Seemächte gewachsen war. Für jedes Schiff, um das
die französische oder russische Flotte anwuchs, fügte England der seinen ein
Die geogr. Bedingungen u. Qesetze d. Verkehrs u. d. Seestrategik. 509
weiteres hinzu und sorgte dafür, daß jedes seiner Geschwader der etwaigen
Vereinigung zweier Geschwader dieser Flotten gewachsen sei oder sie übertreffe.
Dabei hatte England fast nur Flotten europäischer Mächte im Auge zu be-
halten. Der Kanal und die Straße von Gibraltar waren daher die Punkte,
auf die es seine Blicke in erster Linie zu richten hatte, die Kanalflotte und die
Mittelmeerflotte seine großen, immer bereiten Geschwader. Das japanische
Meer ist dazu gekonmien, seitdem Japan eine selbständige Seemacht geschaffen
und Rußland einen Zweig seiner Flotte in Ostasien kräftig entwickelt hat.
England suchte sich dieser Entwicklung gegenüber durch die Allianz mit
Japan zu sichern. Eine zweite außereuropäische Seemacht tritt in den Ver-
einigten Staaten von Amerika hervor, die ihre Geltung hauptsächlich auf der
Westseite des Atlantischen Ozeans und im amerikanischen Mittelmeer zu
suchen hat
Angesichts einer so großen, weit verbreiteten und andauernden Erscheinung
wäre es gewiß eine sehr oberflächliche und hauptsächlich eine ungeographische
Anschauung, die in der maritimen Entwicklung einer ans Meer grenzenden
Landmacht nur Nachahmung oder Luxus sehen wollte, von Reden hat die
tiefe Notwendigkeit der maritimen Entwicklung Rußlands schon 1853 in seiner
Schrift über die Kraftentfaltung Rußlands in den Satz gefaßt: „Die Erweite-
rung seiner Grenzen, um mehr See und Wärme zu erlangen, ist für Ruß-
land eine Vorbedingung seiner Entwicklung, ja sogar seiner Erhaltung."
Man kann diese Motivierung weiter fassen, indem man sie auf die Zu-
sammensetzung jeder großen Macht aus Land- und Meeresanteilen gründet:
auf einer Erde, die zu drei Viertel mit Wasser bedeckt ist, muß jede große
Macht Land- und Seemacht sein. Nicht jede wird es aber in demselben
Maße sein. Auch hier darf die Geographie es wagen, auf Grund gesetzlicher
Verhältnisse zu sagen, was sein muß und was eines Tages kommen muß.
Man hat früher zu viel von der Bedeutung der Küstenlinie für die Entwick-
lung der Kultur gesprochen, die Bedeutung der Küstenlinie für die Seemacht
ist viel klarer, liegt viel näher. Je länger die Berührungslinie eines Landes
mit dem Meere im Verhältnis zu seiner Bodenfläche ist, um so dringender
ist es darauf angewiesen, diese lange Küste durch eine starke Flotte zu
schützen. Dänemark mußte früh eine Seemacht werden, und Italien hat von
dem ersten Tage seiner Einheit an den Grund zu einer großen Flotte gelegt.
Nicht bloß für den Schutz wird damit gesorgt, sondern der Wert der langen
Küsten wird nun erst recht entwickelt. Das zeigen vor allem die Inseln.
Ein flottenloses Inselland hat die gefährdetste Lage, ein seemächtiges die
stärkste; die Seemacht wandelt äußerste Schwäche in größte Macht um; das
lehrt die Geschichte Englands, Dänemarks, Japans. Dänemark war im
14. Jahrhundert ein Vasall der Hanse und im 17. gab es Jahre, wo es sich
für eine der stärksten Seemächte halten durfte. Japan hat 1853 vor einigen
Kriegsschiffen kapituliert und ist heute die stärkste pacifische Seemacht.
Ebenso natumotwendig werden Neuseeland und der Inselerdteil Australien
starke Flotten schaffen, mit denen sie den südlichen stillen Ozean beherrschen
werden. Und Chile ist auf diesem Wege bereits ziemlich weit fortgeschritten.
Bisher hat jede Erweiterung der geschichtlichen Räume die Stellung der
610 F. Ratzel:
politischen Mächte umgestaltet. So hat vor allem die Entdecknng des At-
lantischen Ozeans zwei neue See- und Weltmächte, Portugal und Spanien,
geschaffen, und die Entdeckung des Seewegs nach Indien Venedig abgesetzt
und die Niederlande erhoben, deren Marine schon um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts, also in zwei Menschenaltem, zur größten Europas herangewachsen
war. Aber so sind überhaupt die großen geschichtlichen Ereignisse, von
denen man zu sagen pflegt, daß sie den Weltverkehr in neue Bahnen lenkten,
Entdeckungen neuer Meere und Erdteile, die neue Seewege und Handelsziele
öffneten. Nun gibt es aber auch andere Mittel zur Erweiterung der politi-
schen und Verkehrsräume als die Entdeckung. Magalhaes gab den Stillen
Ozean, als er ihn entdeckte, zunächst der Macht, die ihn zum Entdecken aus-
gesandt hatte: Spanien. Heute heißen die pacifischen Mächte ganz anders:
der Stille Ozean gehört allen denen, die ihn zu nutzen wissen. Und so ist
jedes Meer und jedes Land dem Verkehre des Volkes offen, das aus dem
Willen dazu die Macht schafft, daran teilzunehmen. Und dazu kommen die
Fortschritte in der Technik des Schiffsbaues und des Seeverkehrs. Auch
dieses sind Entdeckungen, die zu Neuverteilungen der Seemacht und des
überseeischen Landes Anstoß geben.
Im Aufeinandertreffen der Seemacht und der Landmacht zeigen sich
wiederum die geographischen Bedingungen. Jedes Land hat einen Bereich
ozeanischer Einwirkungen. Soweit die Seemacht in das Land hineinwirken
kann, wird sie immer darauf hinarbeiten, möglichst viel Land dem Meere
tributär zu machen, wobei sie selbstverständlich so lange Seemacht bleibt, als
es möglich ist. Daher werden in erster Linie die tiefen Golfe und Buchten
und die schiffbaren Flüsse von ihr aufgesucht und soweit besetzt, als sie vom
Meere her zugänglich sind. Nicht daß der Kongo ein wundervolles System
von Wasseradern für den Binnenverkehr bildet, hat ihn für die Bildung des
von der See her ins Land wachsenden Kongostaates so wichtig gemacht, als
vielmehr daß er dem Verkehre einen Weg vom Meer ins Innere bietet. Er
mag durch Stromschnellen unterbrochen sein, Eisenbahnen heilen diesen Bruch,
und immer bleibt der Kongostaat ein atlantisches Wachstum in das Innere
von Afrika. Was das Eindringen vom Meere her ins Innere eines Landes
begünstigt, wird immer der Seeverkehr und wird die Seemacht auszunützen
und womöglich zu beherrschen streben. Die untere Donau, der untere und
mittlere Jangtse, der Araazonenstrom vom Fuße der Anden an sind für den
Verkehr wie Meeresbuchten, und wie im nordamerikanischen Bürgerkrieg auf
dem Mississippi wird man in künftigen Kriegen Kanonenboote diese Flüsse
befahren und beherrschen sehen, als ob es Meeresbuchten wären.
Jede Verbesserung im Seewesen, jede Ausdehnung des Seeverkehrs auf
Kosten des Landverkehrs kommen vor allem einer ausgesprochenen See-
macht zu gute, jede Verbesserung im Landverkehr muß ihr dagegen Abbruch
tun. Das zeigt vor allem England, das zuerst den Suezkanal bekämpfte,
weil es um das Kap der Guten Hof&iung einen Weg nach Indien hatte, der
leichter mit rein maritimen Mitteln zu beherrschen war, dann aber auch vom
Suezkanal sehr bald den Vorteil zog, den es von jeder Erweiterung des See-
verkehrs ziehen wird. Englische Kapitalisten sind bereit, für Kanada einen
Die geogr. Bedingungen n. Qesetze d. Verkehrs u. d. Seestrategik. 511
Schiffahrtsweg vom Atiantischen Ozean bis in die großen Seen zu bauen,
weil es eine Erweiterung der Sphäre des Seeverkehrs ist, die England in
erster Linie zu gute konunt. umgekehrt wird jede Erweiterung und Ver-
besserung des Landverkehres die reine Seemacht schädigen, weil sie dem
Seeverkehr Abbruch tut. Nach dem Bau der Gotthardbahn sank der Anteil
Englands an der Einfuhr an Eisen -Trägern und -Schienen nach Italien von
60 auf 22 Prozent, während der Deutschlands von 2 auf 52 stieg. Folge-
richtig wird England in allen Ländern den Seehandel und die den Seehandel
dienenden Häfen und zugleich auch immer die von der Küste ins Innere
führenden Eisenbahnen begünstigt sehen wollen. In Kleinasien werden ihm
z. B. Smjma und die von da ins Innere führenden Wege wichtiger sein, als
Konstantinopel und dessen Verbindung mit den anatolischen Eisenbahnen,
die wesentlich Landverbindungen sind. Solche Bestrebungen müssen sich
selbstverständlich mit denen der Mächte begegnen, die aus dem Inneren her-
aus die gleichen Gebiete zu Lande zu gewinnen suchen. Es lassen sich fdr
einen bestimmten Zustand des Verkehrs genau die Punkte bestimmen, wo der
Landverkehr und der Seeverkehr auf einander treffen müssen. Heute gehen
z. B. russische Waren über Täbris bis Ispahan; was südlich davon liegt, fällt
in die Zone des Seehandels; aber jede Eisenbahnlinie vom kaspischen Ufer
südwärts muß dieselbe zurückdrängen. Baß Österreich bei den ersten Eisen-
bahnbauten in der europäischen Türkei diesen Punkt übersah und zuließ, daß
„Einfallbahnen^^ vom Ägäischen Meere nach Thracien imd Macedonien früher
gebaut wurden als Verlängerungen seiner eigenen Linien in dieses Gebiet
hinein: auch dieses Zuspätkommen der Landmacht ist keineswegs zufällig;
die Seemacht bringt von vornherein den weiteren Blick, die größere Raum-
auffassung mit, und die wirtschaftlichen Interessen ihres Landes sind ihr näher.
In einem solchen Kampfe hat die Seemacht den Vorteil der Beweglichkeit
und Schnelligkeit, die Landmacht den der Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit.
Was die Landmacht erwirbt, das ruht fest im Boden, den sie kriegerisch
erobert oder mit ihren Verkehrswegen überzieht; geht sie langsam vor, so
sichert sie sich dafür Schritt fftr Schritt, und wenn sie endlich am Meere
ankommt, so weiß sie sich den Rücken breit gedeckt. Die Fußfassungen der
Seemacht an der Küste dagegen haben den Rücken frei, denn das Meer ist
offen. Es war daher eine falsche Spekulation, wenn Japan glaubte, als ihm
die Besitznahme von Liaotung verweigert wiurde, es könne nun für die Dauer
Rußlands Vordringen an die Küste von Korea hemmen. Rußland als asiatische
Landmacht wird immer mit seiner ganzen Kraft in breiter zusammenhängender
Linie nach dem Stillen Ozean drängen, die pacifischen Seemächte aber, und in
erster Linie Japan, werden immer nur einzelne Punkte vom Meere her fest-
zuhalten im Stande sein.
Daß sich im friedlichen Verkehr ein ähnlicher Ausgleich vollzogen hat
und noch immer fortschreitet, stellt die neue Verteilung der Seemacht erst
in das rechte Licht. In wegarmer und besonders in voreisenbahnlicher Zeit
hatte der Seeverkehr auf weite Strecken den Vorteil der Schnelligkeit, Billig-
keit und, da keine Tenitorialgrenzen ihn hinderten, den verhältnismäßiger
Sicherheit Venedigs imd Genuas Handel, aus der Levante über Brügge und
512 F. Ratzel: Bedingungen n. Gesetze d. Verkehrs u. d. Seestrateglk.
Lübeck nach Bußland orientalische Waaren tragend, bezeugt die Billigkeit
des Wasserweges in einer Zeit, wo das Bedürfnis nach regem Handel und
Verkehr wuchs, ohne daß die Wege des Landverkehres seit der Bömerzeit
wesentlich verbessert worden wären. In dieser Zeit traten überhaupt die
Wasserwege in den Vordergrund, und damit hängt ja auch das rasche Auf-
kommen des Seeweges nach Indien zusanmien.
Mit den Eisenbahnen ist nun der Landverkehr in eine neue Entwick-
lung eingetreten, durch die auch seine zwei anderen Zweige, Fluß- und
Kanalverkehr, neu belebt wurden. Für den Transport der Personen, der Post
und wertvoller Waren ist die Eisenbahn durch ihre Geschwindigkeit dwn See-
verkehr überlegen, während Flüsse und Kanäle auch in Massentransporten dem
Seeverkehr Wettbewerb bereiten. Wir haben gesehen, wie sich jede Form des
Landverkehrs ihre Wege erst schaflfen muß, und wundem uns also nicht, daß
sie zeitlich weit hinter dem Seeverkehr zurückstehen. Aber mit jeder neuen
transkontinentalen Eisenbahn, mit jeder neuen Kanalverbindung großer Fluß-
gebiete, wie z. B. des Rheines und der Donau, wird die Wirksamkeit des Land-
verkehrs vermehrt, das Übergewicht des Seeverkehrs vermindert. In unserer
mitteleuropäischen Lage sind die Fortschritte des Landverkehrs von besonderer
Wichtigkeit. Der Bau einer neuen Zufahi-tslinie ziu* sibirischen Eisenbahn
kann z. B. für unsere binnenländischen Ostplätze verhältnismäßig ebenso gün-
stige Folgen haben wie für die Nordseehäfen die Eröffnung einer neuen
Dampferlinie ^).
Dieses allmähliche Einrücken des Landverkehrs in die vordere Linie des
Verkehres überhaupt erinnert uns daran, daß doch im Seeverkehr das Laad
von Anfang an mehr bedeutete, als die ungeheuere Entfaltung dieses Verkehres
besonders im neunzehnten Jahrhundert glauben ließ. Wenn die Schiffe noch
so weit aufs Meer hinausfahren, sie gehen vom Lande aus und kehren zum
Lande zurück, ihr Stoff sogar stanmit vom Lande, der Geist, der sie leitet, gehört
dem landgeborenen Menschen an. Der Seehandel verfrachtet Erzeugnisse des
Landes, der Seekrieg entscheidet über Fragen der Macht und des Reichtums
von Ländern; hat auch die Seestrategik die Überschätzung der befestigten
Hafenplätze aufgegeben, und die Entscheidung wieder auf die schwimmenden
Stahlfestungen der Flotten gestellt, sie bleibt immer abhängig von Kohlen-
stationen und Docks. So hat denn auch die Seemacht im ganzen ihre
Wurzeln im Lande und hat ihre größte geschichtliche Wirksamkeit dort
entfaltet, wo sie überseeischen Landbesitz dem heimatlichen hinzufügte, cis-
und transozeanische Gebiete desselben Landes zusammenschmiedete und zu-
sammenhielt. Unmittelbar hinter diese Erwägung möchte ich allerdings die
Lehre der Geschichte stellen, daß die Seemacht sich auf ihrem freien Boden
1) Wenn Busley in seiner Schrift „Der Kampf um den ostasiatischen Handel"
(1897) Deutschland und die anderen europäischen Kontinentalmächte ermahnt, durch
die Verbesserung ihrer Dampferverbindungen den Wettbewerb mit der sibirischen
Bahn aufzunehmen, so ist das an sich richtig; aber nie werden die Dampfer allein
diesen Wettbewerb mit der Eisenbahn durchfechten. Dazu gehören Linien des
Landverkehres. Die unzweifelhaft notwendige Verbesserung der Seeverbindungen
muß durch die Abkürzung der Wege zum Indischen Ozean unterstützt weiden.
H. Fischer: Die Atlanten an den preußischen höheren Schalen. 513
anabhängiger von den jeweiligen politischen Machtverhältnissen entwickelt als
die Landmacht und daß sie, vom großen Meere auf das kleine Land zurück-
wirkend, jeweils Staaten mit relativ kleinem Landbesitz, ich erinnere an
Venedig oder die Niederlande, zu großer Geltimg gebracht hat Insofern
liegt in ihr ein Prinzip der Ausgleichimg der jeweiligen Verteilung der po-
litischen Areale, die ja von tausend Zu^ligkeiten abhängt
Die Atlanten an den preußischen hSheren Schulen.
Von Oberlehrer Heinrich Fischer in Berlin.
Ihre Eigenart
Ein Versuch, den heutigen deutschen^) Schulatlas in seiner Eigenart und
seinen Beziehungen zum geographischen Unterrichte selbst zu zeichnen, muß
im Bahmen einer Zeitschrift selbstverständlich sehr kurz ausfallen imd kann
das Aufrollen von Prinzipienfragen kaum zulassen. Ich habe daher lange ge-
schwankt, ob ich mich zu einer Darlegung, wie die folgende nur werden
kann, entschließen sollte, und muß von vornherein das Skizzenhafte meiner
Ausführungen lebhaft entschuldigen. Der Grund, der fär mich schließlich
ausschlaggebend gewesen ist, liegt in dem gar zu großen Gegensatz, der sich
allmählich zwischen der Arbeit der wissenschaftlichen Geographie, hier auf
kartographischem Gebiet, imd den Kenntnissen des durchschnittlichen Geo-
graphielehrers ausgebildet und immer mehr verschärft hat, so daß eigentliche
Facharbeiten in der Regel nur wenig gelesen werden.
Das erste, was uns an einem Atlas in die Augen fällt, ist sein Format
Das Streben, die einzelnen Karten deutlicher und größer herstellen zu können,
hat hier mit der Zeit, besonders bei den Atlanten für höhere Lehranstalten,
zu einer nicht unerheblichen Ausdehnung des Formats geföhrt. Ich sehe dabei
von älteren Zeiten ab, die, wie wir hören, für die Schulen einzelne Karten-
blätter kannten, aber schon der Andree-Putzger übertraf seine Konkurrenten
gerade hierin am auffälligsten, der Sydow- Wagner ist bedeutend größer als
der alte Sjdow, der Diercke-Gaebler als der Liechtenstem und Lange, auch der
Lehmann-Putzger ist recht groß; ebenso von neueren österreichischen Atlanten
der neue Kozenn (v. Haardt u, Schmidt) und der Peucker; nur der große
Debes und der Richter haben sich ein kleines Format bewahrt Ebenfalls
kleiner sind die Atlanten für einfachere Schulverhältnisse und untere Klassen
geblieben, aber etwa mit dem alten Sydow verglichen sind auch sie, Lüddecke-
Haack, Hummel, Keil u. Eiecke, Andree-Schllmann, Lange u. s. w. immer noch
groß zu nennet). Einen wirklich kleinen, an ein Quartheft erinnernden Atlas
^aben wir jüngst in dem kleinen Schüleratlas von Haack bekommen.
Wir sind hier wohl an einer Grenze angelangt; bei Atlanten wie dem
Diercke-Gaebler, Lehmann-Putzger, die sich keinem Mappenformat anpassen,
1) Obwohl die Verbreitung der gebräuchlichen Schulatlanten außerhalb
Preußens in mancher Beziehung anders zu sein scheint, wird hier, wohl gewiß mit
Recht, von dem Versuche einer Trennung abgesehep.
614 H. Fischer:
läßt sich das Hin- und Hertragen zwischen Schule und Haus oft kaum noch
erzwingen, und eine Karte wie die von Berlin im Andree-Schillmann-Lehmann
ist auf Schulbänken fast nicht mehr benutzbar. Hierbei möchte ich beiläufig
bemerken, daß die Kartenblätter von Großstädten wegen ihrer Unübersichtlich-
keit und daneben wegen ihrer geringen inhaltlichen Beziehungen zu den
übrigen Atlantenblättern das stärkste Fragezeichen an das bekannte Prinzip
der modernen Methode erdkundlichen Schulunterrichtes setzen ^ daß mit der
Heimat und ihrer kartographischen Darstellung zu beginnen sei.
Allen Karten ist femer gemeinsam die mathematische Grundlage der
sog. Projektionen, deren Kenntnis uns den Schlüssel gibt zum Verständnis der
Art und Weise, wie das fragliche Stück Erdoberfläche verebnet worden ist.
Wenn ich sage: „alle Karten", so sind natürlich schematische Darstellungen,
wie die meisten Blätter zur mathematischen Erdkunde sie zeigen, nicht mit-
gemeint, und für so kleine Stücke der Erdoberfläche, daß sie als eben gelten
können, gilt das Gesagte natürlich auch nur theoretisch. Überhaupt wächst,
wie man sich leicht aus dem zuletzt Gesagten deutlich machen kann, mit der
Größe des auf der Karte abgebildeten Teils der Erdoberfläche auch die Größe
der Fehler, d. h. der Abweichungen von der wirklichen Lage auf der Erd-
oberfläche. Für Karten eines europäischen Landes, z. B. Deutschlands, ist
daher, besonders auch in der Schule, die Wahl der Projektion noch nicht von
gar zu erheblicher Bedeutung. Die Projektionsfehler können wohl noch über-
troffen werden durch solche, die von den Zumutungen des Drucks an Platte
und Papier herrühren. Ja selbst Europa als Ganzes bietet, in verschiedenen
einigermaßen geeigneten Projektionen dargestellt, noch wenig von einander
abweichende Bilder, wie Lüddeoke hübsch gezeigt hat^). Das gilt also von
einer Kalotte über immerhin schön ihre öO — 60 Grad. Von wesentlicher
Bedeutung auch schon für den Schulatlas wird die Wahl der Projektion
erst bei der Darstellung der größeren Erdteile, der Halbkugeln und der
ganzen Erde.
Ziemlich unbeschränkt herrschten nun bis vor wenigen Jahrzehnten in
der Schulkartographie wie in den Handatlanten die Bonnesche Projektion*)
für Erdteile in mittleren, die Sansonsche für solche in niederen Breiten;
die Planigloben zeigten sich in stereographischer Projektion, Gesamtbilder
der Erde, natürlich mit Ausschluß der höchsten Breiten^), in der des Merka-
tor. Die von Tissots Arbeiten ausgehende Revolution auf dem Gebiete des
Kartenprojektions Wesens konnte auf deutschem Boden, im Lande der aus-
gebildetsten kartographischen Technik, vor allem Erfolg haben. Des Gebietes
der Schulatlanten bemächtigten sich die neuen Projektionen meines Wissens
zuerst in der ersten Auflage von Hermann Wagners „Methodischem Schul-
atlas" (1888). Andere Atlanten folgten: Lüddecke, Peucker, Debes' Hand-
1) Lüddecke. Taf. 20, 21; Lüddecke-Haack. Taf. 28, 29.
2) Hier, wie im folgenden kann das Wesen der genannten Projektionen nicht
erläutert werden; als Leitfaden für die Kartenprojektionslehre sei vor allem Zöpp-
ritz-Bludau genannt.
3) Im Süden meist schon von 60*^ an gerechnet; vgl. dazu Verhandl. d. XI.
deutschen Geogr.-Tags S. XV ff. Antrag Rohrbach.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen. 515
atlas, Dierckes Atlas für berliner Schulen u. a. Aber trotz unleugbarer
Vorzüge der neuen Projektionen^) haben sie doch bisher die alten nicht ver-
drängen können, sondern finden sich mit ihnen oft in recht buntem Gemisch.
Als Verdrangerin sowohl der Projektionen von Sanson und Bonne, wie der
stereographischen tritt beherrschend die flächentreue Azimutalprojektion nach
Lambert auf; und ihre Weiterbildung, die als Hammers flächentreue Plani-
Sphäre bekannt ist, versucht mit der Merkatorkarte zu konkurrieren. Sanson
und Bonne geben auch flächentreue Projektion, der Vorteil der Lambertschen
Projektion liegt aber darin, daß sie geometrisch einfach zu definieren ist und
der Grad ihrer Verzerrungen vom Kartenmittelpunkt aus nach allen Rich-
tungen hin gleichartig wächst, während die Linien gleichen Verzerrungs-
betrages bei den anderen komplizierte Kurven sind. Der Vorteil leuchtet
ein; so steht zu vermuten, daß die Zukunft ganz zu Gunsten der Lambert-
schen Projektion entscheiden wird. Immerhin scheint aber der Vorteil auch
hervorragenden Kartographen nicht gar zu groß und entscheidend. Jeden-
falls hat Wagner in seinem Atlas für die Erdteile noch an den alten Pro-
jektionen festgehalten und der Lambertschen Projektion außer einigen Über-
sichtskarten nur das erst später zugefügte Blatt 41* „Mittel- und Süd-Afrika"
gewidmet; und Heiderich scheut sich nicht, auf seiner neuen Wandkarte von
Asien Bonne und Lambert nebeneinander zu gebrauchen. Anders liegt die
Sache bei den Planigloben und den Erdoberflächenkarten. Die alte stereo-
graphische Karte war winkeltreu, die neue ist flächentreu. So wird beim
Übergang ein alter Vorteil aufgegeben, um einen neuen zu finden. Aber
dieser Vorteil wurde eigentlich nur bei der Konstruktion der Karten empfun-
den, und so mag die stereographische Projektion ihre Bolle als Einführungs-
mittel in die Kartenprojektionslehre behalten; im übrigen hatte man sich
durch Übergang von ihr zu sog. Globularprojektionen ja für Atlanten schon
vorher oft ihrer Vorteile entschlagen. Vielleicht eignen sich fttr Schul-
atlantenzwecke diese vermittelnden Darstellungen auch am besten. Augen-
blicklich haben der große Diercke und Kozenn stereographische Planigloben
— Peucker und Lüddecke Lambertsche — Sjdow- Wagner, Lehmann-Petzold,
der große Debes solche in Globularprojektion. Nicht erwünscht ist die
stereographische oder eine andere nicht flächentreue Projektion bei Karten,
die gerade zu Flächenvergleichen dienen sollen, so vor allem bei den Plani-
globen der größten Land- und Wassermasse.
Anders liegt wieder die Streitfrage, ob und wie weit die Merkatorkarte
zu verdrängen ist. Als bester Ersatz konmit wohl nur die Hammersche
flächentreue Planisphäre in Betracht*), gegenüber Karten mit parallelen
Breitenkreisen'). Die Merkatorkarte wird sich als nautische Karte immer
halten, das gibt ihr von vornherein ein sicheres Anrecht auf mindestens
einen Platz im Schulatlas. Dem gegenüber hat eine Karte, die den Flächen-
1) Vgl. z. B. Blndau (auch andern Orts) Leitfaden S. 122 a. 147, 148 u. eonst.
2) Z. B. bei Peucker (II) auf Taf 4, 6, 6; in Dierckes Atlas f. berl. Schulen
auf 44—49.
8) In MoUweides homolograph. Proj., z.B. in Sydow- Wagner Taf. 9: Verbrei-
tung der Europäer — oder gar bei der Sansons.
516 H. Fischer:
räum unseres und fremden Kolonialbesitzes vergleichen soll, in der Merkator*
darstellung wenig Sinn. Nun verbindet man aber, wieder mit Recht, gern
auf einem Blatt Kolonialbesitz und Weltverkehr, Schiffahrtslinien gehören
aber wohl auf eine Merkatorkarte, So behalten die Atlanten im allgemeinen
noch selbst für den Kolonialbesitz das ungeheure Zerrbild der Merkatorkarte
bei, selbst Peucker (U) auf Taf. 2 u. 3. Nur Diercke gibt in seinem Schul-
atlas für die unteren Klassen (auf Taf. 26 u. 27) Lambertsche Planigloben,
auf die er nun auch die Verkehrslinien einzeichnet; doch schon in seinem
ein Jahr jüngeren Atlas für berliner Schulen geht er davon wieder ab und
trennt beides. Um aber eine vergleichende Betrachtung zu ermöglichen, ordnet
er die flächeutreuen Planigloben mit dem Kolonialbesitz und die Merkator-
karte mit dem Weltverkehr untereinander an, um dadurch freilich von
1 : 96 Hill, zu 1 : 144 Mill. übergehen zu müssen. Debes (im großen Schul-
atlas) und Skobel (im Handelsatlas) helfen sich mit graphischen Darstellungen;
das ist aber auch nur ein Notbehelf, Britisch- Nordamerika und Indien er-
scheinen in ihren relativen Flächenwerten darum nicht richtiger. Eine all-
gemein befriedigende Lösung wird sich hier nicht finden lassen. So steht
es in etwas abgeschwächtem Grade auch bei den andern Erdbildem zur Ver-
anschaulichung allgemein geographischer Erscheinungen. Vielfach ist Flächen-
treue sehr erwünscht, doch bei manchen Karten, z. B. klimatologischen, sind
die Störungen der Windrose kaum erträglich, dazu kommen wieder die engen
Beziehungen zwischen ozeanographischen Karten und klimatologischen. Kein
Wunder, daß wir auch hier von Einigkeit weit ab sind; u. a. hält Lehmann
(im Skobel) an der Merkatorkarte ganz allgemein fest, ist Diercke so gut
wie ganz von ihr abgegangen, bevorzugt Wagner die Merkatorkarte und gibt
daneben eine Fülle anderer Lösungen (wohl mit didaktischen Hintergedanken).
Im großen Debes zeigen die klimatologischen Karten sehr zweckmäßig die
Polarkalotten, Kozenn gibt bunte Fälle, Peucker bevorzugt die Hammersche
Planisphäre, Lüddecke hat Merkator und Mollweide.
Ist so der um die Projektionen entbrannte Streit noch nicht entschieden,
und steht einer Partei unbedingter Neuerer noch eine erhebliche Schar von
Anhängern des Alten gegenüber und zwischen beiden die Menge der Vermitt-
ler, so möchte ich doch für das Gebiet der Schulatlanten einige leitende
Sätze aufzustellen versuchen.
Unbedingt nötig ist für jedes Kartenblatt die beigedruckte Bezeichnung
der Projektion, ohne die der Lehrer nur mit Mühe, ja wohl gamicht die
Flächen, Richtungen und Strecken seiner Karte richtig werten und sich so
vor falscher Benutzung hüten kann. Der Einwmf, der wohl gemacht wird,
daß die meisten Lehrer wegen mangelhafter Vorbildung doch nichts mit
diesen Bezeichnungen anfangen können, ist hinfällig, denn diese Lehrer ge-
hören nicht in den Geographieunterricht^). Femer ist wieder nach größerer
Einheitlichkeit in den Projektionen zu streben, wenn ich auch die didaktischen
Zwecke von Sydow- Wagner (auf Taf 6, 9 u. 10) nicht verkenne und man
1) Zu bedauern ist, daß der neueste Dierckesche Atlas (f berl. Schulen) auch
diese Bezeichnungen nicht gebracht hat, und wenn es richtig ist, daß pädagogische
Einflüsse dies verhindert haben sollen, so ist dies doppelt bedauerlich.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen. 5lT
mit Recht darauf hinweisen kann, daß uns der Wechsel in den Projektionen
empfänglicher für die Fehler der einzelnen macht ^). Das wichtigste aber ist,
daß man für geeignete Anleitungen zum elementaren Verständnis der Pro-
jektionen sorgt. Hier treffen Atlanten und Lehrbücher vielleicht noch nicht
das richtige. Das ist sicher, wenn sie überhaupt nichts bringen. Es gilt aber
auch wohl far Sydow- Wagner (Taf. 4), Lehmann-Petzold (Taf. 4), Kozenn
(Taf. 5), und andrerseits für die Lehrbücher von Kirchhoff, Seydlitz und
Langenbeck. Was die genannten Atlanten bringen, ist für vielleicht %^j aller
Geographielehrer unverständlich und unbenutzbar. Das Konstruktive ist dem
Durchschnittslehrer gleichgültig, er will wissen, was er mit dem Fertigen
anfangen kann. Abgesehen davon, daß die genannten Lehrbücher der oben
geschilderten Bewegung gegenüber sich noch ziemlich stillschweigend verhalten*),
gehen sie alle zu sehr auf das rein Konstruktive ein, ohne doch bei der not-
wendigen Kürze dem Neuling genug tun zu können, und beschreiben nicht
eingehend genug die tatsächlichen Verzerrungsverhältnisse; am meisten gilt
dies vom Seydlitz, am wenigsten von Langenbeck. Man möge bedenken,
daß in absehbarer Zeit an eine wirkliche Einführung in die Kartenprojektions-
lehre auf den Schulen nicht zu denken ist: der Mathematiker hat anderes zu
tun und der Geograph — im allgemeinen auch, ganz abgesehen davon, daß
er ja nicht mit dazu genügend reifen Schülern zusammenkommt.
Femer stellt man sich die Unkenntnis auch der elementarsten Eigen-
schaften der wichtigsten Projektionen beim Gros der Lehrer meist noch zu
gering vor; sie hat zur Folge, daß auch mit dem Maßstab in unmög-
licher Weise umgegangen wird. Kann man doch noch Messungen selbst auf
Merkatorkarten erleben^), und es sind gewiß nicht die untüchtigsten Lehrer,
die überhaupt messen; aber nun mißt einer wohl auf einer Bonnekarte von
Asien, vom Nordkap Europas nach dem asiatischen Ostkap und findet
ca. 6200 km, ebenso weit findet er die Strecke von dort nach Formosa; ein
anderer mißt die erstgenannte Strecke auf einer Lambertkarte und findet
reichlich 1000 km weniger, auf Formosa zu endet er schon im japanischen
Binnenmeer. Die Jungen haben vielleicht bis Quarta den Lüddecke, dann
den Sydow- Wagner, natürlich zwei verschiedene Lehrer, so paßt das Beispiel
wunderschön*).
Daß die Maßstäbe auf allen Karten zu finden sein müssen, ist eine fast
überall erfüllte Forderung. Eine zweite verlangt leichte Vergleichbarkeit
der Maßstäbe. Sie ist ursprünglich erhoben worden gegenüber einer bunten
Fülle von Maßstäben in den seltsamsten Verhältnissen, die von Karte zu
Karte wechselten, und deren Wahl im allgemeinen bestinunt war von dem
Bestreben, das Kartenblatt nach Möglichkeit räumlich auszunutzen.
1) Man denke an die grotesken Verzerrungen der Merkatorkarte, die uns kaum
auffallen, und den unangenehmen ersten Eindruck, den eine Hammersche Plani-
sphäre macht.
2) Nur Langenbeck erwähnt Lambert kurz in einer Anm. S. 281 (Gymnas.-Ausg.
S. 208). Übrigens hat er sich in seinem Aufsatz „Ziel u. Methode des geogr. Unter-
richts" S. 96 dieses Jahrg. ähnlich ausgesprochen.
3) Natürlich ohne Benutzung des Redtiktionsmaßstabes.
4) Eigentlich in umgekehrter Atlantenfolge.
518 H. FiBcherj
Später bat man das Prinzip wohl gelegentlich übertrieben, indem man
seine Wirksamkeit überschätzt«*) und nur ganz einfache Zahlenverhältnisse
zwischen allen Karten verlangte. Es kann sich aber weniger um Strecken-
vergleiche im allgemeinen handeln, schon die Unmöglichkeit streckentreuer
Karten wirkt hier hinderlich; so weit aber Streckenmessen zulässig ist, be-
dingt der Übergang über das Maß keine große Erschwerung. Es sind meist
Flächenvergleiche, bei denen es aber gewiß schon bei Plächenverhältnissen in
den Flächenmaßstäben 1 : 16 unmöglich ist, von abschätzbaren Vergleichen
zu sprechen; so hat dieser Wert der einfachen Verhältnisse bei 1:4 schon
aufgehört Man wird ungefähr das richtige treffen, wenn man allgemein ein-
fache Strecken Verhältnisse fordert, sofern nicht wichtigere Eigenschaften der
Karte darunter leiden. Tatsächlich verfahren die besseren Schulatlanten auch
nach diesem Prinzip. Die europäischen Länder in einem, unsere afrika-
nischen Kolonien in dem doppelten, Europa, Vereinigte Staaten, Südasien u. a.
in einem dritten, die übrigen Erdteile wieder in einem anderen Maßstab,
Teile Deutschlands in größeren, so pflegt die Einrichtung zu sein. Schließ-
lich sei noch an die empfehlenswerten Eckkärtchen erinnert, die ein bekanntes
europäisches Gebiet im Maßstabe der Hauptkarte zeigen. Mannigfache son-
stige Mittel zur besseren Veranschaulichung sind außerdem empfohlen und
ausgeführt. Unter allen Umständen bleibt hier aber das beste und meiste
dem Lehrer und dem Schüler überlassen.
Gehen wir nun zum Karteninhalt über. Da ist zuerst des un-
geheuren Aufschwunges der Kartographie zu gedenken, den sie in der
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Deutschland genommen hat. Ist
dieser einerseits der modernen wissenschaftlichen Erdkunde zu danken, deren
Probleme b^rnchtend gewirkt und zu den mannigfaltigsten kartographischen
Experimenten und Lösungsversuchen gereizt haben, so bietet andererseits die
moderne polygraphische Technik weit reichere Mittel, wie zur Zeit der Allein-
herrschaft des Kupferdruckes, wo die bequeme Verwendung abgestufter Rächen-
farben nicht wohl denkbar war.
Über die Karten zur „Einführung in das Kartenverständnis" und
die Karten zur mathematischen Erdkunde möchte ich mich ganz kurz
fassen. Die Karten zur mathematischen Erdkunde verlangen eine Besprechung
für sich, die hier nicht geboten werden kann, wenn wir die wesentlicheren
Teile eines Schulatlas nicht zu kurz kommen lassen wollen. So vortreffliche
und fein ausgesonnene Blätter sich namentlich im Sjdow- Wagner und im Kozenn
finden, sie leiden doch darunter, daß sie dem tatsächlichen Unterrichtsbetrieb
im allgemeinen recht fem stehen. Der Mathematiker könnte sie wohl in
Prima benutzen; da ja aber der geographische Unterricht in den oberen
Klassen aussetzt, hat er im allgemeinen nicht auf das Vorhändensein aus-
reichender Atlanten zu rechnen, um so weniger, als ja noch immer eine große
Anzahl Anstalten keine Atlaseinheit besitzt und ein Mathematiker an einen
geordneten Unterricht zu sehr gewöhnt ist, um das Nebeneinander verschie-
dener Atlanten zu ertragen. Es genüge daher auch hier wieder auf die
1) Lange, Atlas d. Deutschen Reiches, obgleich 1901 zusammengestellt, zeigt
"hoch diesen Fehler.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen. 519
gähnende Kluft zwischen dem in unsem Schulatlanten Gebotenen und der
Wirklichkeit des Geographieunterrichts unserer hier nichts weniger als
^öheren^^ Schalen hinzuweisen. Die Karten zur Einführung in das Karten-
verständnis treten aber in den größeren Schulatlanten gegenüber denen fllr den
Anfangsunterricht ganz zurück, da man natürlich an diesen die Einführung
als Yollzogen annimmt, auch sind sie nach Inhalt und Ausdehnung strittig.
Ich halte, um es kurz zu sagen, eine Serie von Karten, die den Effekt der
Maßstabreduktion zeigen, für sehr hübsch, zumal wenn diese reduzierten
Karten in ihren Maßstäben mit Blättern des Atlas selbst harmonieren^). Ich
kann auch solche Karten, die die angewandte Darstellungsweise erläutern
sollen, verstehen, wenn ich auch ideale Karten selbst für diesen Zweck prin-
zipiell verwerfe*). Nicht aber vermag ich das Nebeneinanderstellen von Bild
und Karte als richtig anzuerkennen. Es wurde ursprünglich veranlaßt als
Versuch, der Forderung gerecht zu werden, durch Übergang vom plastischen
Bilde, vom Relief, zur Karte diese dem Kinde verständlich zu machen^).
Die AusfQhrung hat aber gezeigt, daß man entweder perspektivisch richtige
Bilder wählen muß, deren Vergleich mit der Karte ganz hübsch und auch
lehrreich ist, die aber gerade das nicht leisten können, was sie bieten
sollen, das Überleiten zur Karte*), oder Zerrbilder geben, wie leider Leh-
mann selbst in seinem Atlas für die unteren Klassen höherer Lehranstalten,
später mehr gekürzt in seiner Neuausgabe des Andree- Schillmann ^). Ich
habe mich gegen die von Lehmann inaugurierte Form der Einführungen in
das Kartenverständnis etwas eingehender, als es hier geschehen kann, an
anderer Stelle ausgesprochen*) und beabsichtige bei Gelegenheit ausführlicher
auf dies psychologisch interessante Kapitel zurückzukonunen; hier möchte
ich nur noch bemerken, daß ich Trunks Einwand nicht anerkennen kann,
da ich ihn für keinen zu halten vermag^), zumal er nach dem Beferat Haacks
(G. Anz. 1901, S. 70) und nicht nach meinem Voriarag selbst, der die Be-
gründung gibt, zu citieren scheint.
Wir kommen nunmehr zu den Karten zur Länderkunde, die den
eigentlichen Leib des Atlas ausmachen, so sehr, daß wir einen Atlas, der
wie Stiel ers Handatlas nur aus ihnen besteht, darum doch für einen voll-
ständigen Atlas halten. Auf diesen Karten erwarten wir eine physische
Grundlage, bestehend aus den Grenzen von Land und Meer und dem Ge-
lände mit dem Flußgeäder^), femer die größten und wichtigsten mensch-
1) Vgl z B. im großen Diercke auf Blatt 2 und 3 die vier unteren Darstel-
lungen.
2) Vgl. im großen Diercke Taf. 1, im großen Debea Taf. 74, im Hummel Taf. 4.
3) Vgl. die Ausführung bei Lehmann, Hilfsmitel etc. S. 278 ff., die ich, so oft
sie auch von anderer Seite aufgenommen imd wiederholt ist, doch in ihrem Kern
für irrtdmlich halte, da ich glaube, daß sie auf falscher psychologischer Voraus-
setzung über das Entstehen des Kartenbegriffes beim Kinde aufgebaut ist.
4) VgL u. a. Kozenn und Lüddecke.
6) Ähnlich Keil u. Biecke, Hummel.
6) Z. f. pädagog. Psychol. u. Pathol. IH. S. 27 ff.
7) G. Trunk. Die Anschaulichkeit des geographischen Unterrichtes. S. 140 —
eine übrigens ganz vortreffliche, inhaltreiche und sachliche Arbeit.
8) Die eigentliche, durch die Vermessung (Routenaufnahme, astax)nomische Orts-
520 H. Piscliei»:
lieben Siedeluogen je nach dem KartenmaBstabe und Kartenzweck ausgewählt,
die Grenzen der Staaten und andere durch Menschen hervorgerufene Ein-
griffe in das Erdbild, Kanäle, Dämme u. a. Hierzu hat sich in neuerer Zeit
die Darstellung der üntergrundverhältnisse des Meeres gesellt. Sie war vor
wenigen Jahrzehnten überhaupt noch nicht möglich und mußte schon deshalb
unterbleiben. Daß sie sich jetzt verhältnismäßig schnell ihre Stelle in den
Atlanten erobert hat, verdankt sie doch nicht allein dem Umstände, daß
sie die submarine Fortsetzung des oroplastischen Bildes bietet, gewiß auch
nicht ihrer Wichtigkeit für anthrogogeographische Dinge, die doch kaum über
die wirtschaftliche Bedeutung einiger Flachseen hinausgeht, sondern dem Um-
stand, daß die Meeresflächen leer und frei zur Benutzung für den Kartogra-
phen dalagen. Ähnliches, nur in geringerem Grade, läßt sich von den Wüsten-
gebieten der Erde sagen. Auch sie gestatteten, im allgemeinen von Siede-
lungen und komplizierten Staatsgrenzen nicht erfüllt, ihre Eintragung,
während auf denselben Karten an die Eintragung von Steppen, Wäldern,
Kulturflächen u. a. nicht gedacht werden konnte und daher auch nicht ge-
dacht ist. Wenn so die Plastik des Meeresuntergrundes und die Ausdehnung
der Wüsten in den Karten zur Länderkunde Aufnahme gefunden haben, so
sollte man theoretisch die Vertiefung des oroplastischen Bildes durch Auf-
nahme seiner geologischen Unterlage, der Ausbreitung der Wälder, der Be-
völkerungs- und Siedelungsdichte, der sprachlichen, kulturellen und religiösen
Verschiedenheiten u. a. m. in das länderkundliche Kartenbild fordern'). Mit
dieser Erwägung sind wir aber vielleicht schon in den Kern der Frage ein-
gedrungen. Die länderkundliche Betrachtungsweise, deren Berechtigung mit
dem folgenden ganz gewiß nicht bestritten werden soll, versucht das Neben-
und Ineinander der örtlich und damit zugleich auch ursächlich mit einander
verbundenen Erscheinungen zu erfassen und dann darzustellen und wünscht
dazu entsprechende kartographische Hilfsmittel. Trotz aller Fortschritte
unserer Kartographie kann sie solchen Ansprüchen nur in recht mäßigem Um-
fange entsprechen. fLuch die Zukunft wird hierin wenig ändern können, denn
gegenüber der unvergleichlichen Fülle und Mannigfaltigkeit der Natur selber,
gegenüber ihrer immer umfassenderen und vertiefteren Erkenntnis durch den
Menschen steht die Karte reichlich armselig, inuner nur mit Fläche, Strich,
Schatten und Farbe da^). Der Abstand ist zu groß, wie obige kleine nur
zu leicht zu vermehrende Aufzählung ja auch lehren konnte, als daß man
bestimmung, Triangulation) geschaffene topographische Grundlage, auf der der Karto-
graph sein Werk aufbaut, ist gewiß ein anderes. Für den Geographen, dem die
Karte ein Mittel zum Zweck ist, muß aber die Oroplastik den festen Untergrund
abgeben, mit dem er alle anderen länderkundlichen Momente in Beziehung setzt.
1) Vgl. auch die interessante Studie von Grub er: Kritische Betrachtungen
über Geographie u. s. w., die ich leider nur aus einem Referat (Geogr. Anz. 1902, S.99)
kenne.
2) Dem gegenüber scheint mir die von E. Friedrich gegebene Einteilung der
kartographischen Darstellungsmittel in lineare, flächenhafte und Darstellungsmittel
der vertikalen Dimension nicht recht zutreffend, denn die letzteren sind notgedrungen
auch linear oder flächenhaft; er wechselt mit dem Einteilungsprinzip, hier Zweck,
dort Mittel, das geht nicht wohl an. Vgl. „Die Anwendung der kartographischen
Darstellungsmittel auf wirtschaftsgeographischen Karten." Leipzig, Schönert 1901.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen. 521
ihn auch nur annfthemd zu beseitigen hoffen dürfte, gelbst wenn man das
oberste Prinzip jeder Karte, ihre Lesbarkeit, außer Acht ließe. Kann man
auch über das, was auf landeskundlichen Karten geboten werden soll, in
großem Umfange schwankend sein, so bleibt Ton den Prinzipien der mit
einer gewissen Leere verbundenen Deutlichkeit und der Anpassung an die
Bedürfnisse der Länderkunde wegen der absoluten Notwendigkeit der Lesbar-
keit, mit deren Wegfall alle anderen erhofften Zwecke notwendigerweise
gleichzeitig fallen, das erste das unbedingt übergeordnete. Das ist auch der
innere Grund, warum jene oben angeführten Elemente in die länderkundlichen
Karten nicht mehr aufgenommen wurden; es ging eben nicht. Jedenfalls
kann ich die von Friedrich*) gegebene Deduktion, wie dort für wirtschafts-
geographische Karten, so in ihrer daraus zu erschließenden Verallgemeine-
rung für Karten überhaupt nicht schlankweg annehmen und sehe in seinem
Beispiel*), so viel ähnliche Versuche sich auch in Atlanten finden, keinen
sehr glücklichen Weg; besonders sind Karten wie im Hummel (Taf. 8 No. 2,
3), in Dierckes Atl. f. berl. Schulen (Taf. 14 No. 5, 6 und Taf. 15 No. 3, 4,
5, 6), von Blatt 26 im Skobel ganz abgesehen, wohl noch nicht auf dem
richtigen Wege. Man bietet zu vielerlei auf einem Blatt und daher zu wenig
übersichtlich. Doch von diesen wirtschafts-geographischen Karten zu den
eigentlich länderkundlichen: auch hier ist der richtige Weg Sonderung der
länderkundlichen Elemente nach Kategorien und Vereinigung einer nicht
größeren Anzahl, als es die Klarheit des Kartenbildes zuläßt
Hiemach verfahren nun auch unsere Schulatlanten; wohl nicht absicht-
lich, soweit es sich um gesonderte Karten für die geologische Grundlage
und um Klima, Pflanzenwuchs und die meisten anthropogeogn^hischen Ele-
mente handelt (alle mit Ausnahme von Landesgrenzen, großen Siedelungen
und der Kategorie Kanäle): denn für alle diese fOr die Länderkunde so wesent-
lichen Faktoren waren die Karten schon zu überfüllt; wohl aber absichtlich,
soweit i/vir wie im großen Debes, in Lehmann-Petzold, Diercke-Gaebler u. a.
dieselben Länder mit verschiedener Auswahl der übrigbleibenden Elemente
dargestellt finden. Es kann ja auch kaum zweifelhaft sein, daß diese, also
Grenze von Land und Wasser, dritte Dimension und die genannten anthropo-
geogn^hischen Dinge, nicht notwendig auf derselben Karte vereinigt werden
müssen, wenn so wesentliche andere ohnehin fehlen und sich einmal das
Gesetz der Deutlichkeit etwa auch gegen ihre völlige Vereinigung entschiede.
Gehen wir nun die einzelnen Elemente einer landeskundlichen Karte im
engeren Sinne der Reihe nach durch. Die Darstellung der beiden horizon-
talen Dimensionen findet Linien (Punkte) und Flächen als Mittel vor. Linien-
hafte Gebilde, z. B. Grenzen, werden also auch durch Linien wiederzugeben
1) a. a. 0. S. 24 ff.
2) Wirtschaftogeographische Karte von Südafrika, a. a. 0. S. 28. — Neuer-
dings hat er eine entsprechende Karte von ganz Afrika veröffentlicht, bei der ein
erBtaunliches Material verarbeitet und eine große Geschicklichkeit in der Anordnung
bewiesen ist. Aber schon die Notwendigkeit, jede Andeutung des Geländes fort-
zulassen, zu der er sich gezwungen sah, läßt mich seine kartographische Auffassung
nicht einfach übernehmen.
O«ographiicbe Zeitschrift. 9. Jahrgang. 1908. 9. Heft. 35
522 H. Fischer:
sein. Dicke, Bestimmtheit und geringe Mannigfaltigkeit bieten Schwierig-
keiten dar, die zu überwinden sind. So müssen punktierte oder gebrochene
Linien eindeutig bleiben, was ihre Anwendung beschränkt; letztere mögen
z. 6. unsichere Kenntnis, erstere Flachküsten andeuten, wenn es sich um
Küstenlinien bei größerem Maßstäbe handelt Ist man in der Lage, an der
Grenze einen Farben Wechsel eintreten zu lassen, so kann eine ausgezogene
Lihie oft gut wegfallen; Höhen- und Tiefenstufen wird dadurch etwas von
ihrer willkürlichen Wahl genonmien. Wo statt schmaler Grenzsäume, deren
Wiedergabe durch Linien auf der Karte schon eine Übertreibung der
Breitendimension involviert, breitere Übergangsgebiete oder tmklare GrreDz-
Verhältnisse vorliegen, ließe sich das allmähliche Ausklingen von Farben gut
anwenden, wenn es neben technischen Schwierigkeiten nicht das gegen sich
hätte, daß es nur auf wenig beanspruchten Flächen wirksam bleibt Eine
große Erschwerung für die Lesbarkeit bietet der Umstand, daß nicht die
Grenzsäume allein als linienhafte Gebilde auftreten, sondern Flüsse, Kanäle,
Straßen, Bahnen, Telegraphen, Schiffahrtswege u. a. gleichfalls. Sie aus-
einander zu halten wird durch verschiedenen Duktus (vgl. z. B. den krausen
Flußlauf mit den glattgeschwungenen Bahnlinien), verschiedene Stärken, Auf-
lösungen, Verdoppelungen, Farben u. s. w. zu erreichen gesucht. Aber die Les-
barkeit hört hier schon bald auf; tiergeographische Karten leiden z. B. ganz
allgemein unter der Schwierigkeit, die sich schneidenden verschiedenartigen
Linien bequem auseinanderzuhalten, ähnlich steht es mit Schiffahrtslinien u. a.
Außer Karmin und Zinnober gibt es kaum Farben von genügender Leucht-
kraft, und auch zwischen diesen verwirrt sich bald das Auge.
Au6h die Städte gehören für die Karte den horizontalen Gebilden an.
Die meisten Karten gestatten statt der von ihnen in Wirklichkeit beanspruch*
ten Flächen nur Signaturen von Punktwert. Die Form dieser Signaturen ist
bekannt Sie gestattet eine Skala au&ustellen, neben die sich als zweite
eine durch die Schrift gegebene anschließt So besteht ein ziemlich großer
Spielraum, der z. B. einen kleinen Begierungssitz von einer großen Provinzial-
stadt doppelt zu unterscheiden möglich macht. Versucht man, wie das
Harms in seinem Volksschulatlas tut, eine von dem sonst Üblichen gänzlich
abweichende Formenreihe in die Karte aufzunehmen, so ist das im Interesse
unserer Schuljugend abzulehnen. Der Grund liegt bei ihm in der Über-
schätzung eines einzigen, noch dazu ziemlich untergeordneten Elements, der
Bevölkerungsziffer. Solche Versuche gehören nicht vor die Schuljugend, son-
dern, natürlich in vollkommenerer Form, auf das Feld der kartographischen
Versuche, wie das z. B. die bevölkerungsstatistischen Grundkarten Hettners
zeigen. Es empfiehlt sich, die Stadtzeichen (und die Namen) mit dem
Grad- und dem Flußnetz auf einer Farbentafel, der Schwarztafel, zu vereinigen
und nicht durch blaue Tönung der Flüsse und die unvermeidlichen kleinen
Verschiebungen beim Druck die Flußlage der Städte in ihrer Richtigkeit zu
gefährden, wie das z. B. im Kozenn geschehen ist; in dem mir vorliegenden
Exemplar liegt z. B. Frankfurt keineswegs an der Oder, Stargard am Madü,
Pest auf dem rechten Donauufer und Helsingborg halb im Wasser.
Sieht man von der neuesten Zeit ab, in der sich die theoretische Kartor
Die Atlanten an den: preußischen höheren Schalen. 523
graphie fast mit Vorliebe der Ausgestaltung anderer geographischer Faktoren
zugewandt hat^), so wird die Kartographie seit 100 Jahren fast beherrscht
Ton dem Bestreben, in der Kartenfläche der dritten Dimension gerecht zu
werden. Hier nun von Dukarla und Lehmann bis Peucker die karto-
graphische Literatur durchzugehen, hieße uns in einem Labyrinth yerlieren,
was um so weniger unsere Aufgabe sein kann, als wir uns hier auf das
Bedürfnis eines Schullehrmittels beschränken wollen. Wie wichtig aber die
Frage nach der besten Darstellung der dritten Dimension erschien, mag man
daran erkennen, daß jene oben (S. 518) nicht ganz gebilligten „Einführungen^
hauptsächlich dem Bestreben ihre Entstehung verdanken, die Gebirgsbildung
für jugendliche Intellekte anschaulich zu machen; daneben zeigen andere
Karten die yerschiedenen Darstellungsformen (Schraffen, Isohypsen, schiefe
Beleuchtung, farbige Höhenschichten) für Maßstäbe, die nachher im Atlas
kaum Verwendung jBjiden*). Man denke auch an die oft erhobene Forde-
rung, im ersten Geographieunterricht mit Belief und Sandk^ksten zu arbeiten.
Bin ich nun auch der Ansicht, daß die methodologischen Forderungen dieser
Art im allgemeinen über das Ziel hinausgehen und besonders für nord-
deutsche Knaben bei einem derartig auf die Behandlung der Oberflächen-
formen zugestutzten Unterrichte andere für ihn wesentlichere Teile des Erd-
kundeunterrichtes zu kurz kommen, so zeigt doch diese Richtung den hohen
Wert an, den man der Verdeutlichung der dritten Dimension beimißt. Ich
mächte diese methodologische Richtung in ihrem Entstehen als eine Art Beflex-
wirkung auffetösen, die von der unsere Kartographie fast beherrschenden
Frage nach der Lösung des Problems der dritten Dimension auf die Schul-
geographie ausgeübt worden ist, soweit nicht auch die Entwicklung des
Alpinismus mitentscheidend gewesen ist.
Begnügen wir uns daher lieber mit dem tatsächlichen Befände in
unseren gebräuchlichen Schulatlanten und knüpfen an diese einige Be-
merkungen an*).
Grundlage der Darstellung ist fast überall die Schraffe, deren Verlauf
die Richtung des fließenden Wassers angibt^ und deren Verhältnis von Stärke
zu Zwischenraum den Neigungswinkel andeutet^). Soll nach allen Himmels-
richtungen dasselbe Gesetz zwischen Neigungsmittel und Schraffenstärke
herrschen, so spricht man, wohl etwas inkorrekt, von „senkrechter Beleuch-
1) So vor allem die Darstellung der Bevölkerungsdichte und der damit zu-
sammenhängenden Erscheinungen. Die ersten Ansätze gehen freilich etwa ein halbes
Jahrhundert zurück. Vgl. Neukirch, „Studien über die Darstellbarkeit der Volks-
dichte*^, der die beste geschichtliche Entwicklung gibt.
2) Vgl. Lehmann -Petzold Taf. 6—8. Sydow- Wagner Taf. 6. Diercke-
Gaebler Taf 2 u. 8. Lüddecke-Haack Taf. 1.
3) Wer sich tiefer in diese Fragen einzuarbeiten wünscht, sei u. a. auf das
Lehrbuch der Kartenkunde von Zondervan hingewiesen und auf die methodo-
logischen Spezialarbeifen von Peucker, Haack u. a.
4) Da ja meist das Flußnetz Irrtümer ausschließt, ja die Schraife selbst streng
genommen erst durch dieses oder durch Begionalfarben und Höhenzahlen die Rich-
tung des abfließenden Wassers eindeutig anzeigt, ist ihr technisch sehr viel er-
sparender Ersatz durch Schummerung versucht. Vgl. Peucker, Atlas f. Handels»
schulen; Harms u. a.
36*
524 H.^Pischer:
tung^. In Wahrheit tritt nämlich schon Dunkelheit in der Lehmannschen
Skala bei 45® Neigung ein, und die Lichtabnahme findet nicht proportional
der des Cosinus, sondern mit dem Wachstum des Winkels statt ^). Die Dar-
stellung ist also konventionell. Nun zeigt sich, daß diese starke Beanspruchung
der Fläche bei verhältnismäßig kleinen Winkeln, die zur Erzielung von Wir-
kungen im Hügelland nötig ist, für Gebirge vom Charakter der Alpen ver-
hängnisvoll wird*). Man ist daher hier mit Erfolg zur Anwendung der
„schiefen Beleuchtung^* geschritten. Diesmal ist der Ausdruck zutreffend, denn
die Karte ist als Nachbild einer plastischen Darstellung zu denken, der das Licht
von links oben kommt, in die rechte Hand des zeichnenden Kartographen^).
Da es sich lediglich um ein Aushilfsmittel des zeichnenden Kartographen
handelt, so ist es auch nicht zu verwerfen, wenn man auf einem Blatt je
nach dem Gegenstande (Alpen hier — Mittelgebirge dort) verschiedene Me-
thoden der Darstellung vereinigt findet*). Ja der Altmeister unserer Schul-
kartographie, E. V. Sjdow, ist wenn auch nicht mit schiefer und „senkrechter'*
Beleuchtung, so doch mit verschiedenen Darstellungsfoimen für Alpen und
Mittelgebirge vorgegangen^. Früher wurde die Schraffe schwarz gegeben,
noch die vorletzte Lieferungsausgabe des Stielerschen Handatlas zeigt sie so,
jetzt findet man sie ziemlich allgemein braun getönt, wodurch der lockere
Zusammenhang zwischen Lichteinfall und Schraffenstärke noch deutlicher
wird. Denn nur schwarz ist lichtlos, nicht braun.
Die Schraffe (oder die Schummerung) hat den Mangel, daß sie nur ganz
allgemeine, gewissermaßen relative Höhenverhältnisse abschätzen läßt Auch
mit beigedruckten Zahlen, die mit Recht inmier mehr Aufnahme finden^), ist
doch nur lokal geholfen. Um so besser vermag dies die Isohypse, die, senk-
recht zur Schraffenrichtung, die Punkte gleicher Meereshöhe miteinander ver-
bindet. Doch entbehrt sie fast ganz der plastischen Wirkung, sie gleicht
einer „zusammengefallenen Krinoline** (Hauslab). Das ändert sich, wenn man
4ie Zwischenräume, also die Gebiete einer durch die begrenzenden Isohypsen
bestinmiten Höhenlage färbt und eine geeignete Farbenskala zu Grunde legt^).
Für den kleinen Maßstab imserer Schulatlanten handelt es sich um nicht
sehr zahlreiche „Begionalfarbeu**, zwischen denen man die trennenden Iso-
hypsen nicht besonders auszieht, einen besonderen Ton fOr Depressionen,
dann dunkel- und hellergrün für Tiefland, gelbliche bis weiße Töne für
. 1) Vgl. z. B. Sydow-Wagner Taf. 5, Diercke Taf. 1.
2) Daß man übrigens auch die völlige Dunkelheit für einen höheren Winkel
wie annähernd 90* angewandt hat (Müfling), sei nebenbei erwähnt.
3) An einen unmöglichen Sonnenstand 45^ hoch im NW ist dabei nicht zn
denken, wie man auch von unten (so zu sagen von S) beleuchtete Karten bisher
immer wieder aufgegeben hat.
4) Vgl. z. B. im großen Debes Taf. 61 : Mitteleuropa, Alpen und Jura.
ö) Vgl. Sydow Taf. 20.
6) Mit Recht hat Sydow-Wagner Zahlen gerade auch in den Tälern und an
Flußläufen verlangt und gegeben.
7) Die interessantesten Untersuchungen über „Farbenplastik" und verwandte
Fragen hat in den letzten Jahren Peucker veröffentlicht; die wegen ihrer Lösung
des oroplastischen Problems bemerkenswerteste Karte ist augenblicklich die von
dem Schweizer topographischen Institut in Bern herausgegebene Karte der Schweiz.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen. 525
mittlere, braune, dankler werdende für größere Höhen; die höchsten Erd-
erhebungen strahlen dann schließlich im blauweiß des Schnees. Wegen der
geringeren Beanspruchung der Fläche, bei mindestens gleicher Deutlichkeit,
gefällt mir am besten weiß für mittlere Höhenlagen (wie in den Perthesschen
Atlanten). Diese Regionalfarben werden als farbiges Kleid über die Schraffen-
karte geworfen, gelegentlich aber auch mit dann ausgezogenen Isohypsen für
Übersichtsdarstellungen der Erhebungsverhältnisse der Erde gebraucht. Da
sie aber statt der kegelmantelartigen wirklichen Erhebungsformen der Erd-
oberfläche stufenweise übereinander gebaute Klötze zeigen, eignen sie sich
nur für solche Übersichten und finden sich auch kaum mehr wo anders^);
die Versuche, ihnen größeren Umfang, ja Alleinherrschaft in den Atlanten zu
verschaffen*), sind mit Recht nicht gelungen.
Es fragt sich nun, wie weit sich diese Geländedarstellung durch Schraffe
und Regionalfarbe mit den andern oben erwähnten Elementen vereinigen läßt.
Mit Flußnetz, Städtesignaturen imd dem sonstigen topographischen Detail ge-
lingt das ohne größere Schwierigkeit, besonders seit die Schraffe braun ge-
worden ist'), wenn ich nicht irre, übrigens eines der vielen Verdienste
E. V. Sydows um die Schulkartographie; nicht so mit andern die Fläche be-
anspruchenden Darstellungen. Eine solche ist das politische Gebilde des
Staates. Es wird daher ein Verzicht nach dieser oder jener Seite in Frage
konmien. Ehe die Schalkarte die Regionalfarbe aufgenommen und noch allein
mit der Schraffe arbeitete*), gab man auf schwarzer Schraffe farbig um-
ränderte Staaten^). Versucht man dies auf braaner Schraffe und auf Regional-
farben, so wird das kaum einwand&ei gelingen. Die Regionalfarben wirken
so kräftig, daß sie schmale bunte Bänder nicht recht zur Geltung kommen
lassen*). Eine gewisse Ausnahme macht auch hier die rote Farbe, die auch
als Linie, nicht als Saum, so kräftig wirkt, daß sie sich bestinmit heraushebt
und deutlich erkennen läßt, was sie amschließt. So wird sie mit Erfolg in
vielen Atlanten angewendet für Karten mit wenigen einfachen Grenzlinien
(für die meisten europäischen Länder u. a.). Sobald man aber einer zu
großen politischen Mannigfaltigkeit gegenübersteht (wie in Teilen von Deutsch-
land, in den Vereinigten Staaten, in der Schweiz u. a.), ist die rote Grenz-
linie ungeeignet. Da sie nur einfarbig ist, bleibt die politische Verteilimg
1) Im großen Diercke Taf 10 u. 11. — Im großen Debes Taf. 6 (2). — Lüd-
decke-Haack Taf 44, 46. — Sydow- Wagner Taf 6. — Richter Taf 9. — Lehmann-
Petzold Taf. 9 u. 10.
2) Vgl. die vemnglückten Versuche H. Langes in seinem Volksschulatlas und
im Liechtenatem u. Lange in den 70 er u. 80 er Jahren.
8) Vgl entsprechende Karten der vorletzten und der letzten Ausgabe des
Stielerschen Handatlas.
4) Vgl. den alten Schulatlas von Stieler u. a.
5) Die ganze Fläche farbig zu belegen war zur Deutlichkeit nicht nötig und
ging bei dem Kupferdruckverfahren und der Schablonenhandmalerei nicht an.
6) Vgl. z. B. Sydow-Wagner Taf. 21, Mitteldeutschland. Die farbigen Ränder
drücken einerseits das oro- hydrographische Bild im Harz, Thüringer Wald, der
hohen RhOn zu tief hinab xmd gestatten andererseits doch nicht recht das klare
Erkennen der Staatsgebilde Koburg-Gotha, Altenburg, Eisenach.
526 H. Fischer: Die Atlanten an den preußischen höheren Schalen.
unklar^), und da der Linien viele sind, entstellt sie das oro-hydrographiscbe
Bild bis zur Unkenntlichkeit.
Somit müssen wir auf Begionalfarben verzichten, wenn wtr verwickeitere
politische Gebilde klar darlegen wollen. Tun wir das, so steht die Fläche
für politisches Kolorit frei. Ob nun Flächenfarbe oder Farbensaum gewählt
wird, ist eine Frage von untergeordneter Zweckmäßigkeit. Vielfach wird beides
auf einer Karte vereinigt, Flächenfarbe für politische (jlebilde eines gemein-
samen Verbandes (deutsche Staaten, österreichiscbe Kronländer u. s. w.), farbige
Säimie für die begrenzenden Staaten. Hält der Fa^bensaum die Fläche
weniger besetzt, so läßt die Flächenfarbe die Schraffen der Gebirge deutlidier
in ihrem Zusammenhange erkennen*). Denn ein völliger Verzicht auf jede
Geländedarstellung, der eine Zeitlang auf solchen Karten sich zeigte^), hat
fast ganz aufgehört*). Jenen übereifrigen Verteidigern der Länderkunde in
der Geographie, die durchaus die Beziehungen zwischen Boden und politischer
Grenze ohne Aufgabe der Regionalfarben verlangen und sich bei dem oben
gegebenen Hinweis, daß die allerwesentlichsten länderkundlichen Faktoren,
wie der geologische Aufbau, Klima und Pßanzenkleid, ja doch nicht mit zur
Darstellung gelangt sind, noch nicht beruhigen können, möge das Beispiel
eines unserer Altmeister auf dem Gebiete der Länderkunde, A. Kirchhoffs,
entgegengehalten werden, der in seinem großen Debes durchaus die Zweiteilung io
„Fluß- und Gebirgskarte" und „politische Übersicht" bevorzugt und nicht einmal an
dem im übrigen befolgteu sehr empfehlenswerten Prinzip, beide Karten auf gegen-
überliegenden Seiten abdrucken zu lassen, streng festhält (z. B. bei Asien).
An die Karten zur Länderkunde im allgemeinen schließen sich jene an,
die eng begrenzte Stellen der Erdoberfläche nicht zur Erläuterung
von Terraindarstellungen, sondern um dieser selbst willen wiedergeben. Sie
bilden eine der auffallendsten Neuerungen des modernen Schulatlas'. Der alte
Sydow enthielt nur ganz untergeordnete Kärtchen von Paris und London
(Neapel S. 1 hatte einen anderen Zweck). Schon Wagners Neuschöpfung
bringt ungefähr 20, wird aber weit vom großen Debes und noch weiter vom
Diercke-Gaebler überboten, während sich der Lehmann-Petzold ihrer wieder
fast ganz enthält. Vielleicht wird die Beliebtheit des großen Debes und
des Diercke-Gaebler z. Tl. aus dem Vorhandensein dieser Kärtchen zu erklären
sein. Beim großen Debes ist eine bewußte Auswahl und Beschränkung zu er-
kennen; auf den letzten 9 Blättern sind 78 „Typen" von Städten und Land-
schaften vereinigt und so gewählt, daß eine gewisse Vollständigkeit für
Deutschland und die Alpen erstrebt imd neben sie Typen der wesentlichsten
fremden Formen, Fjord, Wüste, Atoll gestellt sind. Der Diercke-Gaebler,
der die Typen bei den zugehörigen Ländern bringt, verfährt vielleicht etwas
zu stark nach dem Prinzip „wer vieles bringt, wird allen etwas bringen".
1) Lehmann-Petzold Taf. 47 u. 48 ; Kozenn Taf. 80—32 u. a.
2) Neuerdings gibt man wohl politischen Karten auch statt der Schraffen
einige geschummerte Höhenstufen als Geländeunterlage, vgl. Debes' Handatlas,
Peuckers Handelsatlas.
3) Vgl. sogar Sydow Taf. 7, 10 u. a.
4) Doch 8. z. B. noch im großen Debes Taf. 38.
R. v.Lendenfeld: Agassiz' neaesteUntersuchungenüb. Korallenriffe. 527
Es wird sich fragen, ob diese Erweiterung unserer Atlanten zweckmäßig
ist; und wenn diese Frage zu bejahen ist, ob wir schon die beste Form
gefunden haben. Ich möchte das erste sofort zugeben. Wenn wir yon der
Heimat als* dem uns persönlich vertrauten Stück der Erdoberfläche ausgehen
und sie so zur Grundlage des Erdkundeunterrichts machen, so sind zur wirk-
lichen Füllung unserer Begriffe von fremden Gegenden Karten in den Maßen
unserer Heimatkarten nötig. Erst wenn das berliner Kind eine Karte im
Maßstab von etwa 1 : 0,2 Mill. von der Umgebung Berlins auf ebenso groß
gezeichnete Alpenlandschaften, Fjorde oder Oasen legen kann, werden ihm
deren Maße verständlich. Woran es aber noch fehlt, das sind geeignete
heimatkundliche Karten in unseren Atlanten. Die größeren Schulatlanten
geben hier eigentlich gar nichts. Die für den Anfangsunterricht sind, außer
wenn sie auf den Unterricht in einer bestimmten Stadt zugeschnitten^), nicht
ausreichend; denn solange nicht jeder Schüler seine engere Heimat im im-
gef&hren Maßstabe 1 : 0,1 — 0,2 Mill., seine weitere in 1 : 0,5 — 0,75 MilL
in seinem Atlas dargestellt findet, schwebt die wesentliche Forderung, daß
die Heimatkunde die Grundlage des Erdkundeunterrichts sein soll, in der
Luft*). Wir haben das Vorbild des holländischen Schulatlas vor uns, das wir
bei der Größe unseres Vaterlandes freilich nicht einfach übernehmen können ').
(ScWuß folgt.)
Agassiz' neueste Untersachangeii tt1)er Korallenriffe 0-
Von August 1899 bis März 1900 hat Agassiz in dem Dampfer „Albatroß"
die Koralleninselgruppen des stillen Ozeans bereist und in dem vorliegenden
Werke die Ergebnisse dieser Reise veröffentlicht. Besucht wurden die Mar-
quesas-, Paumotu-, Gesellschafts-, Cook-, Tonga-, Fidschi-, Elice-, Gilbert-,
Marshall-, Karolinen- und Ladronen-Inseln. Weder Darwin noch Dana noch
sonst ein Korallenforscher hat Gelegenheit gehabt, so viele Koralleninsel-
gruppen zu untersuchen, und keinem von Agassiz' Vorgängern hat ein so gutes
Seekartenmaterial vorgelegen, wie ihm.
In der Vorrede bemerkt Agassiz, daß er seit dem Jahre 1877 fünfzehn
Reisen zwecks Erforschung 4er Korallenbauten im atlantischen (westindische
Inseln), indischen und stillen Ozean unternommen habe. Seine ersten Korallen-
arbeiten waren beschreibender Natur und mehr objektiv gehalten. Erst
später, als er erkannt hatte, daß seine Beobachtungen (in den westindischen
Inseln und in Florida) mit der Darwinischen Senkungstheorie nicht überein-
1) Diercke, Atlas für berliner Schulen. — Andree-Schillmann (Lehmann), Ber-
liner Schulatlas.
2) Näheres s. Deutsche Erde. 1902. Nationale Anforderungen an Atlanten und
Lehrbücher der Erdkunde (Anfang).
8) Vgl. z. B. die Atlanten von P. R. Bob, Kloeke, Ten Have, Beekman en Schui-
ling, Bruine, Bakker u. Deelstra, von denen nur die beiden letzten wesentlich unter
1 : 0,5 Mill. für alle Teile des Landes bleiben, die anderen 1 : 0,4 Mill. ja 1 : 0,8 MilL
bevorzugen.
4) Agassiz, A. The Coral Reefs of the Tropical Pacific. Mem. Mus. Comp
Zool. Havard. Bd. 28. 4^ "y^^ni u. 410 S., 236 Taf. Cambridge Mass. 1908.
528 R- V. Lendenfeld:
stimmten, gewann die Sache für ihn auch ein subjektives Interesse, und er
setzte nun die Untersuchungen mit Eifer und in der Absicht fort, die Un-
haltbarkeit der Senkxmgstheorie Darwins nachzuweisen und die wahren Ur-
sachen der Entstehung der Koralleninseln zu ergrCLnden. Er selbst behauptet
zwar, daß seine Korallenriff- Arbeiten keine gegen Darwin gerichtete Spitze
enthielten, wer diese Arbeiten aber liest, wird sofort herausfühlen, daß
Agassiz alle jene Beobachtungen mit innerer Befriedigung und ausftlhrlich
beschreibt, welche seiner Meinung nach gegen die Senkungstheorie sprechen,
während er alles, was für diese Theorie spricht, mit einem gewissen Un-
behagen behandelt und möglichst rasch darüber hinwegzukommen sucht.
Auch die vorliegende Arbeit ist in diesem Sinne geschrieben: sie ist ein
durch 236 Tafeln illustriertes Plaidoyer gegen die Senkungstheorie. Zweifel-
los ist Agassiz der beste Korallenriff kenner, den es je gegeben hat, und
niemand, am allerwenigsten der Referent, wird es ihm daher verargen, wenn
er für seine Überzeugung von der Unrichtigkeit der Darwinschen Senkungs-
theorie solcherart warm eintritt.
Über die einzelnen Koralleninselgruppen des stillen Ozeans, die er besucht
hat, sagt Agassi tz folgendes: In den Galapagos- und Marquesas-Inseln wer-
den nur sehr unbedeutende Korallenbauten angetroffen. Es gibt da nicht ein-
mal Strandriffe, sondern nur einzelne Korallenbestände in den seichten Buchten.
In den Sandwich -Inseln krönt eine Reihe von Riffen, darunter auch echte
Atolle, die vulkanische Störungslinie im Westen von Kauai. In Samoa
kommen ausgedehnte Strand- imd Wallriffe auf Upolu, sowie ein Atoll, die
Rosen-Insel vor. Im Paumotu-Archipel werden über 70 zum Teil sehr aus-
gedehnte Atolle angetroffen. Alle Inseln dieses Archipels bestehen aus
Korallenkalk, viele ragen beträchtlich hoch empor. Agassiz ist der Ansicht,
daß die niedern Eilande dieser Gruppe durch Abtragung aus höheren ent-
standen seien. Im Osten und Westen der Paumotu-Inseln liegen Gruppen
von vulkanischen Inseln, welche von Wallriffen eingeschlossen werden; im
Osten Manga Reva, im Westen die Gesellschaftsinseln. Nur eine einzige
von den letzteren, Tetiaroa, ist nicht vulkanischer Natur. In den Gesell-
schaftsinseln sind die Wallriffe sowie auch die Strandriffe sehr breit und die
Lagunen hinter den ersteren ziemlich seicht. Die Riffe im Nordwesten und
Westen von Tahiti erscheinen als Übergänge zwischen Strand- und Wallriffen.
Agassiz ist der Ansicht, daß die breiten, mit Korallen bedeckten Untiefen,
welche in den Freundschaftsinseln die einzelnen vulkanischen Eilande um-
geben, nicht etwa dem Korallenwachstum ihre ^ Entstehimg verdanken und
echte Korallenriffe im Sinne des Referenten sind, sondern durch Abrasion in
der Weise gebildet wurden, daß die See die exponierten Randteile der Inseln
bis zu einer gewissen Tiefe abgetragen hätte und daß diese Terrasse später
mit einem dünnen Überzug von Korallen bedeckt worden sei.
In den Paumotu-, Ellice- und Marshall-Riffen finden sich Kalkfelsrippen,
die radial gegen den Strand (äußeren Atollrand) ausstrahlen. Diese werden
als Reste einer — sonst überall abradierten — gehobenen Korallenkalkmasse
angesehen. Diese Felsrippen der Paumotus betrachtet Agassiz als tertiär,
jene der andern genannten Inselgruppen als weniger alt. In den Gilbert-
Inseln und auf Fidschi sollen sowohl ältere (tertiäre) als auch jüngere Fels-
rippen dieser Art vorkonunen.
Die Breite des trockenen Scheitels niederer Riffe ist großen Schwankungen
unterworfen. Bei kleineren Atollen wird dieser Scheitel ausschließlich von
außen, von der hohen See her, bei sehr großen Atollen mit einer weit aus-
Agassiz' neueste Untersuchungen über Korallenriffe. 529
gedehnten Lagune zum Teil auch yon innen, von der Lagune her, aufgebaut.
Verändernd auf die Gestaltung des trockenen Biffscheitels wirken außer den
besonders hochgehenden Wellen auch die Winde ein: auf vielen Atollen
werden ftolische Eorallensanddünnen angetroffen, welche zuweilen in die Lagune
hinein, seltener auf der Leeseite nach außen, meerwärts vordringen.
Die Ablagerungen in jenen tiefen Senkungen, welche die Atollgruppen
der PaumotuB von einander trennen, haben Hochseecharakter (roter Lehm).
Die Inseln der Cookgruppe sind zum Teil vulkanische, von Korallenriffen
eingefaßte Bildungen, zum Teil bestehen sie aus gehobenem Korallenkalk,
zum Teil sind sie niedrige Atolle; die Niue-Lisel zwischen den Cook- und
Tonga-Inseln ist aus gehobenem Korallenkalk zusammengesetzt. In der Tonga-
gruppe steht gehobener Korallenkalk zu Tage, welcher im Süden (Tongatabu)
und im Norden (Vavau) Inseln von beträchtlicher Ausdehnung mit Terrassen
bildet.
Der Korallenkalk, welcher hier, sowie in anderen Inselgruppen des
tropischen stillen Ozeans zu Tage tritt, besteht aus Lagen von Korallenskeletten,
welche mit Lagen von korallenskelettfreiem Kalkstein abwechseln. Agassi z
ist der Ansicht, daß die letzteren in größerer Tiefe gebildet und nicht
koralligener Natur seien. Dieser Kalkstein soll in einer Periode positiver
Strandverschiebung gebildet worden sein. Die relative Senkung soll ab-
wechselnd schneller und langsamer erfolgt sein, zuweilen so langsam, daß
die 'Erhöhung infolge von Foraminiferen-Sedimentanhäufung größer als das
Hinabsinken war. Infolge dessen führte diese abwechselnd rascher und lang-
samer erfolgende, positive Strandverschiebung zu einer Oszillation des
Meeresgrundes. Kommt bei dieser Oszillation der Grund nahe an die Ober-
fläche heran, so bildet sich eine Korallenbank, sinkt er dann unter das
Niveau des Korallen Wachstums herab, so wird Foraminiferensediment ab-
gelagert. Daher die Wechsellagerung. Tritt dann negative Strandverschiebung
ein, so erhebt sich dieser Korallenkalk über die Meeresoberfläche und bildet
Inseln, auf welche die Atmosphärilien und das Meer abradierend einwirken.
In der Fidschigruppe nehmen sowohl solche gehobene Korallenkalke,
wie auch vulkanische Massen am Aufbau der Inseln teil. Strand- und Wall-
riffe sind, namentlich in der Umgebung der Hauptinseln, gut ausgebildet.
In einigen von diesen Inseln (Laugruppe) steigt der Korallenkalk bis zu
einer Höhe von über 300 m an, in anderen (Argo) sind nur sehr spärliche
Beste desselben erhalten. Zahlreiche Übergänge verbinden diese beiden Ex-
treme. Die Wallriffe in Fidschi haben kleine, meist kahle, das Meer gar
nicht oder nur wenig überragende Scheitel und stehen diesbezüglich in
scharfem Gegensatz zu den am Scheitel dicht bewaldeten Wallriffen der
Gesellschaftinseln. In Fidschi sind die inneren Teile breiter Strandriffe sehr
morsch. Dies soll nach Agassiz die Bildung einer Lagune, eine Verwand-
lung des Strandriffes in ein Wallriff, einleiten.
Die großen Korallenblöcke werden von Seeigeln, Bohrmuscheln, Würmern
und Krebsen durchbohrt und zernagt, dann von den Wellen abgerissen, hin
und her gerollt und weiter zerkleinert. Algen und Bohrschwämme nisten
sich in den kleinen Bollstücken ein und lockern dieselben so, daß sie in
Körnchen zerfallen, die gegeneinander sich reibend immer kleiner werden,
bis sie schließlich vom Wasser entführt werden. Außer dieser mechanischen
Zerstückelung spielt auch die chemische Veränderung und Lösimg des Korallen-
kalkes eine sehr wichtige Bolle. Am Biffinnenrand der Atolle sieht man
allenthalben Anzeichen dafOr, daß die Lösung des Korallenkalkes sehr rasch
530 R. v.Lendenfeld: Aga8Biz*neue8te Untersuchungen üb. Korftllenriffe.
Yor sich geht, und Agassi z meint, daß die Lösung auf der Lagunenseite
noch bedeutender als draußen an der 8eeseite seL Daß an der Atollaußen-
seite die mechanische Desintegration die Lösung und an der Atollinnenseite
die Lösung die mechanische Desintegration überwiegt, ist wohl sicher, imd
das wird zur Folge haben, daß die Wirkung der Lösung an der Riffinnenseite
viel deutlicher als an der Riffaußenseite hervortritt; daß aber, wie Agassiz
sagt, die Lösimg an der (geschützten) Riffinnenseite absolut größer als an
der (exponierten; Riffaußenseite sein soll, kann der Referent nicht glauben.
Besonders gut ausgebildet und groß sind die Lagunen der Atolle in
den EUice-, Gilbert und Marshall-Inseln. Die Gestalt dieser Atolle ist be-
deutenden Schwankungen unterworfen; zumeist sind sie sehr unregelmäßig.
Die schmälsten Riffscheitel werden in den Marshall-Inseln angetroffen, und
innerhalb der Lagunen dieser Atolle finden sich nirgends größere, bewaldete
Eilande. Nauru und Paanopa im Westen der Gilbert-Inseln bestehen aus
gehobenem Korallenkalk imd ragen 80 m hoch über das Meer empor. In
den Atollen der Marshall-Inseln wurde beobachtet, daß der Wind große
Mengen von Korallensand von dem Außenrande des Riffes durch Senkungen
des Riffischeitels in die Lagune hineinbläst. Die Karolinen sind z. T. hohe
Tulkanische oder aus gehobenem Kalkstein bestehende Inseln, welche von
Strand- und Wallriffen eingefaßt werden , z. T. niedrige Atolle, deren Scheitel
nur auf der Windseite von kleinen, trockenen Eilanden gekrönt werden. Das
Ponape-Riff zeichnet sich durch seine außerordentliche Breite aus. Die nörd-
lichen Ladronen sind vulkanisch und haben keine Korallenriffe; aber auch
in den südlichen ist die Riffentwicklung gegenwärtig ziemlich unbedeutend.
Älterer Korallenkalk kommt jedoch in den südlichen Ladronen vor.
Die von Agassiz ausgeführten Lotungen zeigen, daß die submarine
Bank, von welcher sich die nordwestlichen Paumotu-Inseln erheben, 1463 m
tief liegt. Die östlichen Paumotus ruhen gruppenweise kleinen Plateaus auf,
welche durch sehr bedeutende Tiefen von einander getrennt werden. Ebenso
finden sich tiefe Senkungen zwischen den einzelnen Eilanden der Gesellschafts-
Inseln und zwischen den Cook-Inseln einer- und Niue und Tonga andrerseits.
Die Tonga-Inseln erheben sich von drei submarinen Plateaus, welche durch-
schnittlich bloß 91 m tief und durch 456 m tiefe Senkungen von einander
getrennt sind. In der EUice -Gruppe liegen tiefe Senkungen zwischen den
einzelnen Inseln. Das gleiche gilt für den größeren Teil der Gilbert- und
Marshall-Inseln, doch sind einzelne von diesen — ebenso wie die östlichen
Paumotus — gruppenweise submarinen Plateaus aufgesetzt. Die Karolinen-
Inseln werden gleichfalls durch große Tiefen von einander getrennt und zwi-
schen diesen und den südlichen Ladronen (Guam) wurde von dem ü.' S. S.
„Nero" die größte überhaupt bekannte Tiefe, 9636 m, gelotet. Agassiz hat
eine größere Zahl von Lotungen in den Paumotus-, Gilbert- imd Marshall-
Inseln in Entfemimgen von 400 bis 1600 m vom äußeren Rifirande aus-
geführt, welche Tiefen von 411 bis 731 m ergaben. Diese Angaben stimmen
mit den genauen, vom „Penguin" am Funafnti- Atoll ausgefOhrten Lotungen
gut überein und zeigen, daß bei den Koralleninseln des stillen Ozeans, die
obersten tausend Meter der äußern Riffböschung völlig ausnahmslos eine Nei-
gung von 40 — 45 Grad haben. Das Vorhandensein steiler, vielleicht senk-
rechter Stufen von 100 bis 200 m Höhe in den oberen Teilen dieser sub-
marinen Abhänge ist wahrscheinlich. In Bezug auf die Böschungsverhältnisse
stehen diese pacifischen Koralleninseln also in einem Gegensatze zu den
atlantischen, bei denen solche steile Abhänge nicht angetroffen werden.
Geographische Neuigkeiten.
531
Diese neue Reise hat Agassiz in der Anffassnng, daß die Korallen
stets nur ganz dünne Überzüge bilden und daß die Masse der Inseln aus
Ttdkanischem Gestein oder ans „altem Kalkstein'^ besteht, bestärkt. Wie sich
Agassiz die Entstehung dieses „alten** Kalksteines vorstellt, ist oben aus-
geführt worden. Der Referent hat aus der Lektüre des Werkes und aus
dem Studium der zahlreichen, demselben beigegebenen Karten, Durchschnitte
und Reproduktionen yon Photographien den Eindruck gewonnen, daß die
grundsätzliche Unterscheidung zwischen rezentem Riff und „altem** Kalkstein,
auf welcher die Agassizsche Auffassung beruht, keine Berechtigung hat, und
daß jener „alte Kalkstein** nichts anderes als der ältere, abgestorbene Teil
des wachsenden Riffes ist. In jenem „alten** Korallenkalk findet Agassiz
— dort wo er empor gehoben wurde und frei zu Tage steht — , wie er-
wähnt, abwechselnde Lagen yon Korallenskeletten und korallenlosem Kalkstein.
Die letzteren, mächtigeren Lagen nimmt er, wie erwähnt, als gewöhnliches,
ozeanisches Kalksediment in Anspruch. Dem entgegen ist der Referent der
Ansicht, daß die korallenskelettlosen Teile jenes Kalksteines aus den inner-
oder außerhalb des Gürtels lebhaft wachsender Korallen an der äußern Riff-
kante angehäuften Massen von Korallensand bestehen. Natürlich werden —
fortschreitende positive Strandverschiebung vorausgesetzt — solche Korallen-
sandmassen sich ein Mal über das wa^^hsende Riff ausbreiten, und ein anderes
Mal werden wieder die Korallen auf dem Sande Wurzel fassen tind auf seiner
Oberfläche eine Korallenbank bilden, was eine Wechsellagerung von Korallen-
skeletten mit Lagen von Kalkstein, die keine erkennbaren Aorallenskelette
enthalten, zur Folge haben muß. Auf Seite XIX sagt Agassiz bezüglich
dieses Kalkes „The formation of huge masses of limestone in which occur
at intervals lajers of coraJs or beds of reef-building corals must have taken
place in areas of subsidence**. Obwohl Agassiz sich lebhaft bemüht, diesen
seinen eigenen Worten eine andere Bedeutung beizulegen, so erblickt der
Referent in denselben doch ein gewisses Zugeständnis an die Anhänger der
Senkungstheorie. Und da der Referent die ganze Masse jenes Korallenkalkes,
auch den Teil desselben, der keine deutlich erkennbaren Korallenskelette ent-
hält, für koralligen hält und sie als den älteren bereits mehr oder weniger
fossilen imd metamorphosierten Teil des rezenten Riffes ansieht, erscheint ihm
dieses Zugeständnis ganz besonders wichtig. R. v. Lendenfeld (Prag).
Geographische Neuigkeiten.
Allgemeines.
Die Verhandlungen der 11. Inter-
nationalen Seismologischen Kon-
ferenz zu Straßburg (S. 408) haben nach
viertägigen, äußerst lebhaften imd ein-
gehenden Erörterungen zu einem be-
friedigenden Abschluß gefuhrt. Nach Ab-
lehnung einer Reihe von Abänderungs-
anträgen wurde von den Vertretern der
26 auf der Konferenz vertretenen Staaten,
unter denen sich eigentümlicherweise
Frankreich nicht befand, einstimmig ein
Abkommen angenommen, durch welches
die Organisation und der Arbeitsplan
der Assoziation festgestellt wird. Organe
der Assoziation sind: a) die Generalver-
sammlung, die aus den Delegierten der
beigetretenen Staaten besteht imd min-
destens alle vier Jahre zusammentritt;
b) die permanente Kommission, bestehend
aus dem Direktor des Zentralbureaus und
aus den von jedem Einzelstaate hierfür
ernannten Mitgliedern; c) das Zentral-
bureau, das mit der Kaiserl. deutschen
Zentralstation für Erdbebenforschung zu
Straßburg derart verbunden ist, daß de^
532
Geographische Neuigkeiten.
Direktor dereelben zugleich Direktor des
Zentralbureaus ist und daß die Kräfte
und Mittel der Zentralstation auch den
Zwecken der Internationalen Erdbeben-
forschung dienen. Das Zentralbureau
sammelt die Berichte der einzelnen
Länder, vereinigt sie zu allgemeinen Über-
sichten und veröffentlicht dieselben. Jeder
der Assoziation beigetretene Staat ver-
pflichtet sich, für die Zwecke der Asso-
ziation einen Jahresbeitrag zu zahlen.
Die Gesamtsumme der Jahresbeiträge be-
tragt mindestens 20000 JL Die Überein-
kunft ist zunächst auf die Dauer von 12
Jahren, beginnend mit dem 1. April 1904,
geschlossen. Sie gilt für jeden der bei-
getretenen Staaten auf je vier Jahre ver-
längert, wenn nicht mindestens 6 Monate
vor Ablauf dieser Periode eine Kflndigung
erfolgt Die Reichsregierung wird gemäß
einer von der Konferenz gefaßten Reso-
lution die angenommene Übereinkunft
auch den übrigen bisher nicht beige-
tretenen Staaten übermitteln imd sie
zum Beitritt einladen.
# Folgende Terminologie der
wichtigsten unterseeischen Boden-
formen ist von Prof. Dr. Supan im
Auftrag der internationalen Kommission
für unterseeische Nomenklatur ausge-
arbeitet und von Dr. Mi 11 in London mit
englischen und von Prof. Thoulet in
Nancy mit französischen Terminis ver-
sehen worden.
L Großformen, d. h. Formen von
weiter Erstreckung und daher Bestand-
teile der Hauptgliederung:
1. Von dem Kontinentalrande gewinnt
nur der Schelf (engl. Shelf, franz. Socle
oder Plateau continental) selbständige
Bedeutung. Er ist jener Teil des Kon-
tinentalrandes, der sich von der Grenze
der dauernden Meeresbedeckung ganz
allmählich in der Regel bis 100 Faden
oder 200 m Tiefe senkt und dann plötz-
lich in einen steileren Abfall übergeht.
Beispiele: der britische, der Sunda-, der
Neufundland-Schelf.
2. Die allseitig von Erhebungen einge-
schlossenen Vertiefungen sind: a) Becken,
(engl. Basin, franz. Bassin) von annähernd
rundlicher Gestalt, in denen also beide
Horizontaldimensionen nahezu gleich sind,
b) Mulden (engL Trough, franz. Vall^e)
oder langgestreckte, breite Vertiefungen
mit sanft ansteigenden Rändern. Durch
Quererhebungen können die Mulden in
Becken zerfallen, wie z. B. die beiden
atlantischen, c) Gräben (engl. Trench,
franz. Ravin), auch langgestreckte, aber
verhältnismäßig schmale Vertiefungen mit
steilen Rändern, von denen der eine (der
kontinentale) höher liegt als der andere
(der ozeanische).
Die Ausläufer der Mulden und Becken,
die mit gleichbleibender oder allmählich
abnehmender Tiefe in die Festlandmassen
oder in unterseeische Erhebungen ein-
dringen, oder einerseits von Land, ander-
seits von unterseeischen Erhebungen be-
grenzt werden, sind a) entweder breit,
von rundlicher oder dreieckförmiger Ge-
stalt und heißen dann Buchten (engl.
Embayment, franz. Golfe) oder b) lang-
gestreckt und heißen dann Rinnen (engl.
Gally, franz. Chenal).
8. Die Erhebungen sind entweder all-
seitig von Vertiefungen eingeschlossen
oder gehen von dem Kontinentalrande
aus. a) Alle Erhebungen, die ganz all-
mählich unter Böschungswinkeln von
einigen Bogenminuten ansteigen, heißen
Schwellen (engL Rise, franz. Seuil),
gleichgültig, ob sie langgestreckt oder
breit sind und wie ihre vertikale Ent-
wicklung ist. b) Langgestreckte Erhebun-
gen, die sich durch ihre steileren Böschun-
gen kräftiger markieren, heißen Rücken
(engl. Ridge, franz. CrSte). Sie sind da-
her schmäler als die langgestreckten
Schwellen; der Unterschied ist besonders
dort deutlich, wo eine Schwelle strecken-
weise die Gestalt eines Rückens annimmt,
wie z. B. der atlantische Äquatorialrücken.
c) Plateaus (engl.Plateau, franz. Plateau)
sind steilere Erhebungen von größerer
Ausdehnung, in denen die Längs- und
die Breitendimension nicht erheblich von-
einander abweichen. Sie können sich
sowohl aus den Vertiefungen des Meeres-
bodens erheben, wie über den Schwellen
(Azoren-Plateau) .
4. Die tiefsten Stellen der Vertiefungen
heißen Tief (engl. Deep, franz. Fosse);
Z.B.Nero-Tief; die höchsten der Schwellen,
Rücken und Plateaus, soweit sie nicht
dem Sockel von Inseln angehören oder
als selbständige Kleinformen betrachtet
werden können. Höh (engl. Height, franz.
Haut) z. B. Valdivia-Höh des Walfisch-
Rückens.
n. Klein formen von geringerer Aus-
Geographische Neuigkeiten.
533
debnung, aber sich stets durch steilere
Böschung von der Umgebung deutlich
abhebend.
1. Erbebungen: a) Erhebungen Ton
langgestreckter Form und meist mit un-
ruhiger Oberfläche, die sich im raschen
Wechsel der Tiefe kundgibt: Bücken,
b) Einzelerhebungen oder unterseeische
Berge, und zwar: a) Kuppen (engl.
Dome, franz. D6me), von kleiner Grund-
fläche, aber mit steilen Böschungen in
Tiefen von mehr als 200 m (z. B. Faradaj-
Kuppe), ß) Bänke (engl. Bank, franz.
Banc), die sich bis zu Tiefen von weniger
als 200, aber mehr als 11 m erheben
(z. B. Procupine-Bank westlich von Irland.)
y. Riffe oder Gründe (engl. Reef, od.
Shoal, franz. R^cif oder Haut fond), die
sich wenigstens bis zu 11 m dem Meeres-
spiegel nähern und dadurch der Schiifahrt
gefährlich werden (z. R. Paracels-Riffe,
Adler-Grund).
2. Vertiefongen: a. Kessel (engl.
Chaldron, franz. Caldeira) sind mehr oder
weniger steile Einstürze von verhältnis-
mäßig geringer Ausdehnung, wie der
Monaco-Kessel auf dem Azoren-Plateau,
b. Furchen (engl. Furrow, frtmz. Sillon)
sind tal- oder kanalartige Einschnitte in
den Kontinentalrand und mehr oder
weniger senkrecht zu diesem gestellt
(z. B. Indus-Furche, Ganges-Furche).
Asien.
♦ Über die von Täte in Seistan,
dem Sumpfgebiete an der Grenze von
Afghanistan, Beludschistan und Persien,
während der Arbeiten der Grenzkommission
gemachten Beobachtungen berichtet
Geogr. Journal, 22 Bd. S. 209. In Folge
der in Afghanistan herrschenden Dürre
war der untere Hilmend und in Folge
dessen auch der Hamun-i-Seistan oder
der Hilmend-See im Sommer 1902 voll-
ständig ausgetrocknet, wodurch ein all-
gemeines Fischsterben und der Untergang
aller Wasservögel und ganzer Herden
von Wildschweinen verursacht wurde. Die
Ruinen der alten Stadt Shahr-i-Sabari,
die für gewöhnlich von Wasser bedeckt
sind, waren sichtbar und konnten genau
untersucht werden, ebenso wie der Boden
des Sees, der aus einer Reihe von flachen
Becken besteht, die dorch schmale Kanäle
untereinander in Verbindung stehen.
Durch Messungen konnte ein Ansteigen
des Seebodens nach Süden und Westen
festgestellt werden. Am 1. März d. J.
begann der Hilmend zu steigen und der
See sich allmählich mit Wasser zu füllen,
welches durch den Rud-i-Perian, den
Hauptarm des Flusses, in den See ein-
strömte. Später strömte auch durch den
Farah-Rud von Norden und durch den
^ash-Rud von Osten Wasser in das See-
beoken, das Anfang Mai vollständig ge-
füllt war. Bei Tschakansur an der Mün-
dung des Kash Rud wurden dadurch
weite Gebiete überschwemmt, auf denen
nach dem Sinken des Wasserspiegels
saftige Viehweiden entstanden. Im Alter-
tum war das Land durch ein sinnreiches
Irrigationssystem bewässert und zahl-
reiche Trümmer von Städten, Festungen
und Dörfern zeugen noch von der hohen
Kultur des Landes zur Zeit der Parther,
der S^then und der Kalifen.
4t Über seine Reise nach Tibet und
seinen Aufenthalt in Lhasa, der seit
Huc und Gäbet 1846 von Europäern nicht
wieder betretenen Hauptstadt des Landes,
machte G. Z. Zjbikow in der allgemeinen
Sitzung derK.russ. Geographischen Gesell-
schaft in St. Petersburg die ersten aus-
fohrlichen Mitteilungen. Zybikow ver-
dankt die glückliche Ausfuhrung seines
Unternehmens ausschließlich dem Um-
stand, daß er als geborener Burgäte und
Buddhist sowohl die tibetanische Sprache
vollständig beherrschte, wie auch mit
den religiösen Gebräuchen eingehend
vertraut war; hätten die Tibetaner in
Erfahrung gebracht, daß er als Burgäte
eine europäisch -wissenschaftliche Aus-
bildung genossen hatte, so wäre auch er
wie die zahlreichen von Rußland imd
England begünstigten Reisenden, oder
wie andere Forscher, die wie Rockhill,
Dutreil de Rhins, Rjinhart, Sven Hedin
u. a. keine politischen Pläne verfolgten,
vor verschlossene Tore gekonmien. Zybi-
kow hat Tibet auf dem Wege erreicht,
den Prschewalski 1879 verfolgt hatte;
nach Überschreitung des Bumsa-Gebirges,
wo der erfahrene russische Reisende hatte
umkehren müssen, durchzog die Karawane
eine von ostwestlichen Parallelketten
durchschnittene Alpenlandschaft. Erst
100 km nördlich von Lhasa findet sich
ansässige Bevölkerung, welche Ackerbau
treibt. Lhasa selbst liegt in der breiten
Talsenkung des Tsangtschu oder Sango,
534
Geographische Neuigkeiten.
welcher nach dem Durchbruch durch den
Himalaja Brahmaputra heißt; der nörd-
liche Zufluß, an welchem Lhasa liegt,
heißt Uitechu. Ganz Tibet zahlt höch-
stens 8% Mill. Einwohner, von denen
etwa 1 Mill. Centraltibet bewohnen. Die
eingeborene Bevölkerung nennt sich selbst
Owo. Die Stadt Lhasa zählt höchstens
10000 ständige Einwohner, wozu aller-
dings ein starker Zustrom von Land-
bewohnern, Pilgern, Händlern u. s. w.
hinzukommt. Der jetzige Dalai Lama
ist 27 Jahre alt. Der ausführliche Reise-
bericht wird ohne Zweifel sowohl über
Land und Leute wie auch über die
staatlichen Einrichtungen viele Irrtümer
berichtigen, welche entstanden sind auf
Grund von flüchtigen Beobach^tungen
durch Europäer, die nur kurze Zeit im
Lande weilen konnten und meistens die
Landessprache nicht beherrschten, oder
von Aussagen von Händlern und Pilgern
der verschiedensten Völker, die natur-
gemäß ihr Augenmerk hauptsächlich auf
andere Dinge richteten. Die karto-
graphische Ausbeute scheint nach den
bisherigen Andeutungen nicht bedeutend
zu sein, doch liefert Zybikow auch Be-
richtigungen zu dem Stadtplane von
Lhasa, den wir den Aufnahmen des Pun-
diten A. K. verdanken. (Pet. Mittl. 1908.
S. 166.)
Afk*lka.
* Die von der internationalen Gesell-
schaft für Erdmessung ins Werk gesetzte
Gradmessung durch Afrika von
Kapstadt bis zum Mittelländischen
Meer schreitet rüstig vorwärts. Das vom
Leiter der Kap -Sternwarte David Gill
im Jahre 1886 begonnene Riesenwerk
der Gradmessung durch Afirika wurde
von diesem Gelehrten mit L^nterstützung
der Chartered Company bis zur Stadt
Sumbo am Sambesi durchgeführt. Jetzt
wird die Strecke vom Sambesi bis zum
südlichen Ende des Tanganjika in An-
griff genommen, wozu eine englische
Expedition bereits im März von Kapstadt
abgegangen ist. Leiter der Expedition
und der vorzunehmenden Gradmessungs-
arbeiten ist der Schwede Dr. Rubin, der
den schwedischen Teil der Gradmessungs-
arbeiten auf Spitzbergen geleitet hat und
deshalb für diese Arbeiten ausgezeichnet
vorgebildet ist. Man hofit, die Arbeiten '
bis zum Tanganjika in drei Jahren zu
vollenden. Später wollen dann die Eng-
länder an der Nordgrenze von Dentsch-
Ostafrika die Messung fortsetzen, so daß
Deutschland das fehlende Glied in Deutsch-
Ostafrika auszufüllen haben würde. Wie
bereits früher (V. Jhrg. S. 476) schon mit-
geteilt, wird man nach Vollendung der
Vermessung des sich über 66 Breiten-
gradehinziehenden afrikanischenMeridian-
bogens den bereits vor 70 Jahren von
Struwe vermessenen russischen Meridian-
bogen, der sehr nahe dem vermessenen
afrikanischen Meridian verläuft, mit dem
afrikanischen Meridianbogen in Verbindung
bringen, wodurch man die Länge eines
vom Kap der guten Hoffnung bis zum
Kap Fnlgenäs (nahe dem Nordkap)
reichenden Meridians, der sich über 105
Breitengrade erstreckt, erhalten würde.
* Der Macmillanschen Expedition,
wcdche den Blauen Nil auf einer Fluß-
fahrt vom abessinischen Hochlande zum
Tieflande des Sudan vollständig er-
forschen wollte imd zu diesem Zwecke
in eisernen Pontons am 26. Juni vom
Tanasee flußabwärts fuhr, ist nach einer
Reutermeldung aus Aden vom 22. Juli ein
Unfall zugestoßen, der das Mißlingen der
Expedition zu Folge gehabt hat. Zwei von
den Fahrzeugen, welche einen großen
Teil der Vorräte der Expedition ent-
hielten, gingen bei der Durchfahrung
von Stromschnellen verloren, wobei sich
die Insassen durch Schwimmen ans Ufer
zu retten vermochten. Die Expedition
sah sich in Folge dessen gezwungen, nach
Addis Abbeba zurückzukehren, von wo
aus die Mitglieder die Heimreise an-
getreten haben.
4^ Die bisherige Anschauung von der
geologischen Vergangenheit der
Sahara wurde vor zwei Jahren durch
die Tatsache arg erschüttert, daß der
französische Geolog deLapparent einen
fossilen Seeigel aus der Oase Bilma zu-
gesandt erhielt, woraus dieser Forscher
folgerte, daß das Meer in cretacischer
Zeit die Gegend um den Tschadsee herum
bedeckt haben müsse. Diese Folgerung
hat in jüngster Zeit dadurch eine starke
Stütze erhalten, daß französische Offiziere,
welche auf Veranlassung Lapparents nach
weiteren Versteinerungen in jenen Gegen-
den suchten, an einem Orte ungefähr
450 km westlich von Sinder in horizontal-
Geograpliisclie Neuigkeiten.
535
geschichtetem Kalkstein Petrefakte fanden,
die sich bei genauer Untersuchung in
Paris als ein Nautilus und vier Seeigel
erwiesen. Ähnliehe Fossilien sollen sich
nach den Aussagen der Offiziere auch in
der Gegend zwischen Sinder und der
Oase Air finden. Aus^ diesen Funden
und aus der TÖllig ebenen Oberfläche
jener Gegenden um den Tschadsee schließt
nun Läpparent, daß das cretacische
Meer sich bi» zum Tschadsee, sogar bis
nach Bilma ausgedehnt hat. Aus der
großen Ähnlichkeit zvrischen den am
Tschadsee gefundenen Seeigeln und solchen
neuerdings in der Umgebung von Dakar
gefundenen schließt Lapparent weiter,
daß sich ein Meeresarm vom atlantischen
Meere aus binnenwärts bis zur östlichen
Sahara erstreckt haben muß. Femer ist
dieser Forscher der Meinung, daß die bei
Bilma gefundenen Seeigel einigen indi-
schen Arten, die bisher nur in Indien
und Ägypten gefunden wurden, nahe ver-
wandt sind, daß auch zwischen Indien
und der centralen Sahara in der creta-
cischen Zeit eine ununterbrochene Meeres-
verbindung bestanden hat. Kord-Afrika
würde also zur Tertiärzeit nur aus zwei
großen Inseln bestanden haben, deren
eine die Bergländer von Air, Tassili,
Ahaggar und l\iat bildeten, während die
andere das abessinische Hochland um-
faßte. (Geogr. Joum. 22 Bd., S. 211.)
♦ Die Möglichkeit einer Wasserver-
bindung zwischen dem Tschadsee
und dem Golf von Guinea, die für
die Entwicklung der französischen Be-
sitzungen am Tschadsee von großem
Nutzen wäre, wurde im Jahre 1902 vom
französischen Kapitän Lenfant, der den
Niger auf seine Schiffbarkeit hin unter-
sucht hat, in einem Vortrage erwähnt
und daran der Wunsch nach Aussendung
einer Expedition zur näheren Unter-
suchung des Problems geknüpft. Etwas
später berichtete der Kapt. Löfler über
eine Reise von Camot durch das Quell-
gebiet des Benug nach dem unteren
ßchari, auf der er eine Wasserverbindung
zwischen Benu6 und Logone, dem Haupt-
nebenfluß des Schari, feststellte. Er teilte
mit, daß eine große Senke zwischen
beiden Flüssen selbst in der Trockenzeit
mit einer Reihe von Sümpfen und be-
deutenderen Seen ausgefüllt sei, die in
der Regenzeit zu einer einzigen Wasser-
fläche zusammenfließen und so eine Bifiir-
kation zwischen Benuß und Logone bil-
deten, auf der ein Bootsverkehr stattfinde.
Ende Juli 1908 hat nun Kapt. Lenfant
mit einer Expedition die Ausreise an-
getreten, um neben einer allgemeinen
Erforschung des Niger-Benuö-Laufes eine
genaue Untersuchung des Bifrirkations-
problems durchzuführen. — Auf einer
früheren Reise vom Okt.1902 bis Januar 1908
längs der deutsch-französischen Grenze
unter ca. 10^ n. Br. hat aber Oberleutnant
Dominik von der Kamerun-Schutztruppe
dieses Bifurkationsproblem bereits defini-
tiv gelöst. Dominik bestätigt vollständig
die Beobachtungen Löflers, doch mit der
einschneidenden Einschränkung, daß das
Zusammenfließen der sog. Tuburi-Sümpfe
und -Seen zu einer Wasserverbindung
zwischen Benud und Logone wohl hin
und wieder einmal nach einer starken
R^enzeit stattfinden kann, aber nicht
zur Regel wird. In der Regenzeit 1902,
während der Dominik die Gegend be-
suchte, fand jedenfalls keine Verbindung
zwischen BenuS und Logone statt. Wenn
sich nun auch die Hoffnung der Franzosen
auf eine zollfreie, direkte, ununter-
brochene Wasserstraße vom Meer bis
zum Tschadsee nicht verwirklicht hat,
so wird doch dieser Weg unter Ein-
schiebung einer ca. 60 km langen Eisen-
bahn vom Logone bis zum Anfangspunkt
der Schiffbarkeit des Mao Kebbi nicht
nur für die Deutschen, sondern auch für
die Franzosen von großer Bedeutimg für
den Verkehr nach den Tschadseegebieten
werden. Die Untersuchungen der Ex-
pedition Lenfant werden gewiß die Ent-
wicklung dieses Verkehrssystem fördern.
(No. 88 der Deutschen Kolonialzeitung.)
Folargegenden«
♦ Über die Eisverhältnisse in den
Kordpolarregionen im Jahre 1902
ergibt der kürzlich vom dänischen mete-
orologischen Institut auf Grund der ihm
von den Schiffsführem zugesandten Nach-
richten erstattete Bericht in der Haupt-
sache das Folgende: Im Jahre 1902
brach das Wintereis sehr spät auf, und
das Polareis lag den Nordküsten von
Europa und Asien erheblich näher, als
in Normaljahren. Der ostgrönländische
Eisstrom führte eine außerordentlich
große Menge von Packeis mit sich,
536
Geographische Neuigkeiten.
während auf der anderen Seite nur eine
ungewöhnlich kleine Anzahl von Eisbergen
von Grönland herab in die Gewässer der
gemäßigten Zone trieben. Die Erstreckung
von Polareis in den nördlichen Ver-
zweigungen der Bafßnsbaj war dagegen
beschränkter als in den letzten Jahren.
Die Sommerwitterung war in allen Teilen
der Polarregionen mit Ausnahme von
Westgrönland rauh und unruhig, in den
Meeresteilen nördlich vom atlantischen
Ozean herrschten nördliche und östliche
Winde vor. Diese Tatsachen stehen im
Zusammenhang mit der Eisverteilung,
wie sie sich im Jahre 1901 gestaltet
hatte: Die Anhäufung von Eis im Norden
von Spitzbergen, die in Folge der vor-
herrschenden Westwinde eintreten mußte,
konnte nur einen nachteiligen Einfloß
auf die Verteilung des Eises um Island
und Grönland herum im Jahre 1902 aus-
üben. Ebenso waren die Verhältnisse im
Barents-Meer, in den Gegenden von
Franz-Joseph-Land, um Spitzbergen, Ost-
Grönland und Idland sehr ungünstig. Die
Nordost-, Ost- und Südostküsten von
Spitzbergen waren den Sommer hindurch
völlig unzugänglich; ein breiter Gürtel
von Packeii lag vor der Küste von Ost-
Grönland, so daß ei außerordentlich
schwierig war, den nördlichen Teil der
Ostküste von Grönland zu erreichen; die
Eisverhältnisse rund um Island waren
seit 1892 nicht so ungünstig, wie im
vorigen Jahre.
Es ist im hohen Grade wünschens-
wert, daß das genannte Institut durch
Zusendung von Berichten der Schiffs-
führer von allen Seiten in den Stand ge-
setzt werde, diese Jahresberichte immer
vollständiger zu gestalten. Dazu würde
u. a. wesentlich beitragen, wenn es dem
genannten Institut gelänge, regelmäßig
Auszüge aus den Berichten der nach
San Francisco heimkehrenden Walfang-
dampfer zu erhalten. Diese Dampfer
dringen bekanntlich durch die Bering-
straße in das Polarmeer vor und befahren
dann die arktische Küste Amerikas bis
zur Mündung des Mackenziestromes und
weiter östlich selbst bis Banksland, indem
sie an dieser Küste zuweilen sogar wintern.
Dr. M. Lindeman, Dresden.
♦ Die beiden Hilfsexpeditionen zur Auf-
suchung der Nordenskjöldschen ant-
arktischen Expedition (S. 414) sind von
der Heimat angebrochen. Am 17. August
ging das schwedische Entsatzschiff „Frith-
jof* von Stockholm aus in See. Leiter
der Expedition ist der Kapitän der
schwedischen Kriegsmarine G j 1 d e n ,
an Bord befinden sich insgesamt 28 Teil-
nehmer, darunter 6 Gelehrte xmd Offiziere.
Das Schiff geht zunächst nach Bremer-
haven, um dort die Proviantausrüstong
an Bord zu nehmen. Die Weiterreise
geht dann über Plymouth, Madeira,
Buenos Aires, Feuerland südwärts zum
Winterquartier der „Antarktic". Die fran-
zösische Südpolarexpedition unter Führung
von Dr. Charcot, die sich ebenfalls die
Unterstützung und Aufsuchung der schwe-
dischen Südpolarexpedition zur Aufgabe
gemacht hat, ist am 16. August von
Havre aus in See gegangen.
Geographischer Unterricht.
Gtoographische Yorlesimgeii
an den deutschsprachigen UniTertitAten uad tech-
nischen Hochschulen im Wintersemester 1909/4 L
Deutsches Beich.
Berlin: o. Prof. v. Richthofen: All-
gemeine Geographie II, Geomorphologie,
8 st. — Kolloquium, 2 st — Übungen für
Anftlnger. — Kartographische Übungen.
— Einführung in den Gebrauch nautischer
und ozeanischer Instrumente, im Institut
für Meereskunde. — o. Prof. Sieglin:
Erklärung von Aviens Ora Maritima
(Geographie von Gallien und Spanien im
Altertum), 2 st. — Übungen des Seminars:
Geographie Italiens und der wichtigsten
Provinzen des römischen Reiches, 2 st. —
Pd. Kretschmer: Geographie des rus-
sischen Reiches, 2 st. — Pd. Meinar-
dus: Geographie von Centralamerika,
Ist. — Pd. Streck: Übungen des Semi-
nars für historische Geographie: Geo-
graphie von Palästina, 2 st.
Bonn: o. Prof. Rein: Ozeanographie
und Weltverkehr, ist. — Übungen über
Polarländer, 2st. — Pd. Prof. Philipp-
son: Mittelroeerländer mit Berücksich-
tigung des Altertums, 8 st. — Kollo-
quium, Ist.
Breslau: o. Prof. Part seh: Allgemeine
physikalische Geographie I, ist. — Völ-
kerkunde von Europa, 2 st. — Übungen,
2 st. — Pd. Leonhard: Entdeckungs-
geschichte und Geogn^phie der Polfu*-
regionen, 2 st.
Briangen: a. o. Prof. Pechu&I-
Geographische Neuigkeiten.
537
Loesche: Völkerkunde, 48t. — Übun-
gen, 2 st.
Freibürg i. Br.: o. Hon.-Prof. Neu-
mann: Mathematische Geographie, Klima-
tologie und Oseanographie, Ost. — Ver-
gleichende Übersicht der Kontinente, 1 st.
— Landeskunde des Großherzogtums Ba-
den, Ist. — Übungen, iy,st. — - Kollo-
quium.
Gießen: o. Prof. Sievers: Allgemeine
Geographie II, die geogr. Verbreitung der
Pflanzen und Tiere, 2 st. — Geographie
von Afrika, 28t. — Kartenkunde der neue-
sten Zeit, Ist. — Übungen, 2 st.
Qöttingen: o. Prof. Wagner: Geogra-
phie von Europa, 3 st. — Kartographischer
Kurs far Anfänger I, 28t. — Übungen
für Fortgeschrittenere, 28t. -— Pd. Frie-
derichsen: Allgemeine Morphologie der
Landoberfläche (mit Demonstrationen an
Lichtbildern), 2 st.
areifswald: o. Prof. Credner: All-
gemeine Morphologie der Erdoberfläche I,
8 st. — Physische Geographie von Deutsch-
land, 28t. — Übungen, Ist. — Demon-
strationen, iy,st.
HaUe: o. Prof. Kirchhoff: Europa
(außer Mitteleuropa), 4 st. — - Neuere Er-
gebnisse der Erd- und Völkerkunde, Ist.
— Repetitorium über Länderkunde, Ist.
— Übungen, Ist. — Pd. Prof. üle: All-
gemeine Erdkunde 11, 4 st. — Karten-
kunde mit praktischen Übungen, Ist. —
— Pd. Prof. Schenck: Wirtschaftsgeo-
graphie, 2st. — Die deutschen Kolo-
nien, Ist.
Heidelberg: a. o. Prof. Hettner:
Geographie von Europa, 4 st. — Typische
Landschaften, zur Einführung in geogra-
phisches Verständnis, Ist. — Übungen,
28t
Jena: a. o. Prof. Dove: Verkehrs- und
Handelsgeographie, 28t. — Landeskunde
der deutschen Schutzgebiete, 2 st. —
Übungen, Ist
Kiel: o. Prof. Krümmel: Allgemeine
Geophysik, Ozeanologie, Meteorologie, 4 st.
— KoUoquinm, Ist. — Pd. Eckert: Die
deutschen Kolonien, 2 st — Übungen über
wichtigere Kapitel der Wirtschafts- und
Verkehrsgeographie, 2 st.
Königsberg: o. Prof. Hahn: Das
Eisenbahnnetz der Erde, seine Geschichte
und gegenwärtige Bedeutung, 1 st. — Topo-
graphie des nördlichen Europa, 3 st. —
Übungen, iy,st
I IteipBig: o. Prof. Ratzel: Die Boden-
formen und ihre Entstehung, 38t. — Der
Indische Ozean, seine Randländer und
Inseln, politisch und wirtschafbsgeogra-
phisch, Ist. — Verkehrsgeographie, 8 st.
— Übungen für Fortgeschrittenere über
Gebirgs- und Talbildung, 2 st — Bespre-
chung selbständiger Arbeiten. — a. o. Prof.
Berger: Kosmographie und Geographie
des mythischen Zeitalters der Griechen,
2 st. — Im historisch-geographischen Se-
minar: Erläuterungen und Übungen am
Globus, iy,st — Pd. Friedrich: Wirt-
schaftsgeographie des Königreichs Sachsen,
2 st — Geogr. Seminar im Auftrage des
Direktors: Übungen im Lesen geographi-
scher Fremdnamen, Ist
Marburg: o, Prof. Fischer: Geogra-
phie der Mittelmeerländer, 3 st. — Übun-
gen auf dem Gebiete der Morphologie des
Festlandes (Talbildung), 2 st — Pd. Ost-
reich: Länderkunde von Amerika, 28t. —
Manchen:
Münster: o. Prof. Lehmann: Allge-
meine physische Erdkunde, 11, 3 st —
Geographie von West- und Nordeuropa,
3 st. — Allgemeine Einleitung in das Stu-
dium der Erdkunde, Ist — Die deut-
schen Schutzgebiete n, Ist — Übungen
in Verbindung mit Kartenzeichnen.
Bostock: Pd. Fitzner: Geographie
der deutschen Kolonien in Afrika, 28t. —
Übersicht über die wichtigsten neueren
Forschungsreisen, Ist. — Übungen, 28t.
Straßburg: o. Prof. Gerland: Phy-
sische Erdkunde II, Wasser- und Luft-
hülle der Erde, 48t. — Vogesen und
Schwarzwald, Ist. — Übungen für Fort-
geschrittenere, 28t. — Pd. Rudolph:
Geographie von Amerika, 4 st. — Übungen
für Anfänger, 2 st
Tübingen: a. o. Prof. Sapper: Völker-
kunde, 2 st. — Vulkane und ihre geogra-
phische Verbreitung, Ist — Übungen
über ausgewählte Kapitel der physikali-
schen Geographie.
Würzburg: a. o. Prof. Regel: Länder-
kunde von Süd- und Nordamerika, 46t.
— Übungen (Anthropogeographie), 2 st.
Handelshochschulen.
Köln: Prof. Hasse rt: Landeskunde
und Wirtschaftsgeographie Asiens, 3 st. —
Die deutschen Schutzgebiete in Afrika
(mit Lichtbildern), Ist — Kartenkunde,
Oeographitche Zeitoohrift. 9. Jahrgang. 1908. 9. Heft.
86
538
Geographische Neuigkeiten.
mit Berücksichtigung der SSchulkarten und
Schul atlanten (vorzugsweise für Handels-
und Geographielehrer), Ist. — Geogr.
Übungen über Landeskunde und Wirt-
schaftsgeographie Deutschlands, 2 st. —
Prof. Rein: Warenkunde der Rohstoffe
und Halbfabrikate aus dem Mineralreich,
3 st. — Übungen und Kolloquium zur
Warenkunde der organischen Stoffe', Ist.
Schweiz.
Basel:
Bern: o. Prof. Brückner: Physika-
lische Geographie U, 8 st. — Geographie
der Schweiz, 2 st. — Einführung in die
Länder- und Völkerkunde von Europa,
1 st. — Vorträge über Probleme aus dem
Gebiete der allgemeinen Geographie, Ist.
— Repetitorium, 2 st. — Kolloquium, 2 st.
— Anleitung zu selbständigen Arbeiten.
Zürich: o. Prof. Stell: Physikalische
Geographie, 2 st. — Länderkunde von Ost-
Europa und Russisch-Asien, 3 st. — Tier-
geographie der Schweiz, Ist. — Länder-
kunde von Südeuropa, 2 st
Bficherbesprechniigeii.
Geographisches Jahrbuch, hrsg. von
H. Wagner. XXTV. Bd. 1901 (444 S.)
u. XXV. Bd. 1902 (488 S. M. K.)
Gotha, Justus Perthes 1902 u. 1903.
Je JC 15.—.
Das Geographische Jahrbuch hat auch
in den beiden vorliegenden Bänden selbst^
verständlich seinen bekannten Charakter
bewahrt, der sich nun durch viele Jahre
im ganzen bewährt hat (vgl. die Be-
sprechung G. Z. Bd. Vn. S. 707 ff.).
Ich kann mich deshalb mit einigen kur-
zen Andeutungen begnügen. Einen be-
sonders breiten Raum nehmen die aus-
gezeichneten Berichte ein, welche E.
Hammer über die Fortschritte der Karto-
graphie und der geographischen Land-
messung, nun leider zum letzten Male,
erstattet. Daß Hammer es sich nicht
versagen kann, sich an uns Geographen,
sowohl denen, welche mathematische Geo-
graphie mit Vorliebe treiben, wie denen,
die sie den Geodäten überlassen wollen,
etwas zu reiben, ist bekannt. Dies Mal
sind seine Bemerkungen namentlich gegen
meine Auseinandersetzungen in dem Auf-
satze über die Grundbegriffe und Grund-
sätze der physischen Geographie gerichtet,
und ich hatte doch so gehofft, es ihm
recht gemacht zu haben; leider kann ich
ihm den Vorwurf nicht ersparen, daß er
meine Auseinandersetzungen nicht auf-
merksam gelesen und in Folge kleiner
Änderungen nicht richtig wiedergegeben
hat. Die Berichterstattung über die Geo-
physik des Erdkörpers ist von Her ge-
sell an Langenbeck übergegangen.
Der Bericht von Toula ist auch dies Mal
wieder rein geologisch und speziell strati-
graphisch; bei seiner Lektüre würde man
nicht ahnen, daß er sich nicht in einem
geologischen, sondern in einem geogra-
phischen Jahrbuch befindet. Die Morpho-
logie der festen Erdoberfläche und die
geographische Bodenkunde bleiben leider
im G. Jb. noch unvertreten. Über die
Tiergeographie hat Ortmann dies Mal
einen ausführlicheren Bericht erstattet,
der auch das Festland berücksichtigt.
Ein Bericht über die Geographie des
Menschen, abgesehen von der Ethnologie,
steht aber leider noch aus. Die Ge-
schichte der Geographie und die Länder-
kunde von Europa fehlen in den beiden
vorliegenden Jahrgängen. Dagegen sind
die außereuropäischen Erdteile, mit Aus-
nahme des russischen Asiens, wo der
Herausgeber im Stich gelassen wurde,
vollständig vertreten; den Bericht über
Nordamerika hat an Stelle Weygands
Deckert übernommen. A. Hettner.
Baedeker^ K« Mittel-Italien und
Rom. Handbuch für Reisende.
13. Aufl. LXXX u. 484 S. 1 Pano-
rama von Rom, 1 Ansicht des Forum
Romanum, 1 Wappentaf. d. Päpste
von 1417 an, 14 K. u. 49 Pläne u.
Grundrisse. L^pzig, Baedeker 1903.
JC 7.60.
Dies bewährte, treffliche und reich-
haltige Handbuch liegt nunmehr in
13. Auflage vor. Wie natürlich nimmt
Rom die Hauptmasse desselben in An-
spruch, aber daneben sind das südliche
Toskana, Umbrien, die Marken und La-
tium behandelt. Von geographischem
Standpunkte kommen eigentlich nur diese
Bücherbesprechungen.
539
Abschnitte in Betracht, da Rom im
wesentlichen in Rücksicht auf Archäologie
und Kunstgeschichte besprochen ist; und
diese angrenzenden Landesteile haben in
der neuen Auflage um so mehr Bereiche-
rung erfahren, als diese Gegenden von
Jahr zu Jahr zugänglicher und damit dem
Fremdenbesuche geöffiiet werden. Des-
halb sind auch zahlreiche kleine Notizen
wissenschaftlichen Inhalts über die Vul-
kane, den Gebirgsbau, die Flüsse und die
Hauptnaturprodukte au^nommen, die,
ohne den Umfang des Buches zu ver-
mehren, gewiß manchem Reisenden von
Wert sein werden; auch wurde die Zahl
der Routen in Toskana und Umbrien,
sowie vor allem der Ausflüge in das Al-
baner und Sabiner Gebirge vermehrt.
^ Deecke.
Uedln^ Sven. Meine letzte Reise
durch Inner-Asien. („Angewandte
Geographie", Heft 6.) 50 S. Halle a.S.,
Gebauer-Schwetschke 1903. JL 1.50.
Das Hefb bringt den wörtlichen Ab-
druck jenes Vortrages, welchen Sven
Hedin bald nach Rückkehr von seiner
letzten großen centralasiatischen Reise
(1899 — 1902) vor zahlreichen geographi-
schen Gesellschaften Deutschlands und
des Auslandes gehalten hat, und welcher
bisher in extenso in keiner deutschen
Fachzeitschrift zum Abdrucke gelangt war.
Immer von neuem läßt man sich bei
Lektüre dieser Darstellung fesseln von der
Anspruchslosigkeit der Schilderung, dem
oft köstlichen Humor, mit dem der schwere
Ernst mancher Situation glücklich ver-
hüllt wird, von dem eigenartigen Zauber
der vor Hedin von keinem Forscher mit
gleicher Kühnheit oder annähernd großem
Erfolge gequerten Wüstengebiete des
Tarimbeckens und der Hochländer Tibets.
Wenn auch dereinst nach Publikation
des am Ende dieses Jahres bei F. A. Brock-
haus in Leipzig erscheinenden großen
illustrierten Reisewerkes und des riesigen,
nur durch die werktätige Mithilfe der
schwedisch - norwegischen Regierung zu
ermöglichenden wissenschaftlichen Werkes
und Atlas diese kleine Broschüre in den
Hintergrund gedrängt werden wird, so
bleibt ihr doch stets der Wert, den Wort-
laut jener ersten Vorträge festgehalten
zu haben, mit welchem Sven Hedin
unmittelbar nach seiner Rückkehr aus
dem Herzen Asiens eine ganze Welt zu
Bewunderung und Anerkennung hinriß.
Von diesem Standpunkte aus gebührt
dem Redakteur der „Angewandten Geo-
graphie" noch ein besonderer Dank, wenn
er die Seiten seiner Zeitschrift Sven
Hedins Reiseschilderung öffnete, ob-
gleich wir mit ihm selber das Gewagte
anerkennen müssen, was darin liegt, in
eine so ausschließlich der Kultur- und
Wirtschaftsgeographie gewidmeten Zeit-
schrift eine reine Reisebeschreibung auf-
zunehmen. Lidessen wird auch dieser
Fehler nach Kräften dadurch wieder gut-
gemacht, daß Prof. Dr. Dove den Schil-
derungen Sven Hedins eine auf klimato-
logischer Basis ruhende, knappe, aber
treff'lich charakterisierende Skizze des
Tarimbeckens und des tibetanischen Hoch-
landes voraussendet und so den Rahmen
bildet, in welchen sich Hedins Detail-
skizzen einordnen. Auch das ist schließ-
lich Wirtschaftsgeographie, geographisch
nachzuweisen und zu begründen, daß ge-
wisse Strecken unseres Erdballes der Be-
wirtschaftung aus diesen und jenen Grün-
den gänzlich oder fast völlig entzogen
sind! Max Friederichsen.
de MathuiBieulX) M« A travers la
Tripolitaine. 302 S. Paris, Ha-
chette & Cie. 1903. Fr, 4.—.
In diesem recht anziehend geschrie-
benen, für einen weiteren Leserkreis be-
rechneten Bändchen schildert der Verf.
eine kleine im Frühling 1901 im Auftrage
des französischen Unterrichtsministeriums
zu archäologischen Forschungen ausge-
führte Reise durch einen kleinen Teil
von Tripolitanien : von Tripolis ziemlich
genau südwärts etwa 76 km zu dem wohl
bekannten Kasr Gharian und von da auf
dem hohen durch Flußtäler gegliederten
Steilrande der sich sanft nach Süden
neigenden Kreidetafel ca. 50 km west-
wärts bis zu der ähnlich gelegenen tür-
kischen Bergfeste Kasr Jeffren (Yffren),
dann durch die Djefara-Ebene in die
Küstenoase Zuara, längs der Küste über
Tripolis nach Lebda und über die Hoch-
fläche von Tarhuna nach Tripolis zurück.
Gewiß hat der Verf. damit den besten,
aber doch nur einen kleinen Teil von
Tripolitanien gesehen, leider ohne vor-
her oder nachher die Literatur durchge-
arbeitet zu haben. Barth und Cowper
36*
540
Bücher besprechungen.
scheinen die einzigen Erforscher des Lan-
des zu sein, deren Berichte er studiert
hat. Darum erscheint ihm das Land un-
bekannter, als es wirklich ist. Tatsäch-
lich bringt er, etwa abgesehen von
der eingehenderen Beschreibung der Trüm-
mer von Leptis magna und der in der
Tat sehr glücklichen Feststellung, daß
die Sanam von Tarhuna Ölpressen sind,
kaum etwas wesentlich Neues — wenn
nicht ein fachlich wissenschaftlicher Be-
richt noch folgen soll. Es scheint selbst,
daß der Verf. seinen Weg, abgesehen von
den Höhenmessungen, nicht sorgsam auf-
genommen hat, so wünschenswert das ge-
wesen wäre. Es trägt die Reise somit
nicht viel zu einer besseren geographi-
schen Kenntnis Tripolitaniens bei, ja, es
werden selbst alte Irrtümer, wie der, daß
der gebirgige Steilrand der Kreidetafel
(S. 28 u. 161) zum Atlas gerechnet vrird,
wieder aufgefrischt! Auch die Theorien
über die Entstehung der Sahara sind
reichlich veraltet. Der dabei genannte
Eischer (S. 257) ist offenbar Escher
von der Linth.
Daß Tripolitanien ein nur dürftig aus-
gestattetes Land ist, unterliegt keinem
Zweifel, aber gewiß nicht so dürftig, wie
der Verf. nach seinen Eindrücken annimmt.
Th. Fischer.
M. Kellerers Schulwandkarte von
Südbayern. Bearbeitet und litho-
graphiert von Dr. Wolf und Sohn,
München. München, Kellerer 1902.
JC 17.—.
Schon, das Ausmaß und die Abgrenzung
der Karte zeigen von einem starken päda-
gogischen Geschick. Sie ist im Maß-
stabe 1 : 260 000 entworfen. Dieser läßt
sowohl eine großzügige, auch für ansehn-
liche Schülermassen deutlich erkennbare
Darstellung des Reliefs im allgemeinen
zu, wie auch die Kennzeichnung der not-
wendigen charakteristischen Einzelheiten.
— Die Karte reicht im Süden bis in die
Nähe des Brenners, im Westen bis zum
Meridian von Tübingen, im Osten bis zu
jenem von Wels, im Norden bis zur
Breite von Nürnberg und Amberg. Sie
gibt also nicht bloß die deutschen, son-
dern auch ein beträchtliches Stück der
österreichischen Alpen mit Einschluß der
Hohen Tauern wieder. Dadurch zeigt
sie die Geringfügigkeit des deutschen
Alpenanteils, sowie seine äußere Ver-
wandtschaft mit den Höhenlandschaften
südlich davon klar auf. Im Westen und
Norden stellt sie den Hauptteil des deut-
schen Juras, im Nordosten den Kern des
böhmisch-bayerischen Waldgebirges dar.
Sie gibt sonach ein Bild der süddeutschen
Hochebene im Rahmen ihrer vollen Be-
grenzung und im engen Zusammenhange
mit dem österreichischen Hügellande.
Der Hauptvorzug der Karte liegt in
der gewissenhaften, plastisch wirkenden
Zeichnung der Bodenformen sowohl im
Gebirge, wie in den Flachgebicten. Die
Höhenskala ist für Tief- und Hochland
gut abgestuft (für 100—200, 200 — 360,
360—400, 400—600, 600—600, 600—700,
700—800, 800—1000, über 1000 m abso-
lute Erhebung), die J^rbengebung vom
dunkeln Grün zum tiefsten Braun har-
monisch und dem Auge wohltuend. Alles
grell Bunte wird vermieden. Durch diese
Art der Höhengliederung hat man ein
Kartenbild von großer Naturtreue eraeugt.
Und was pädagogisch von besonderer
Wichtigkeit ist: Der Grundtypus der
Berglandschaften (als Kamm-, Gruppen-
und Plateaugebirge), ihre geographische
Eigenart tritt greifbar deutlich entgegen.
Wie markant hebt sich z. B. der Jura als
Plateau ab ! Wie klar erkennbar ist der
Unterschied zwischen Böhmerwald und
Alpenketten, zwischen dem Relief der
Moränenlandschaft im Süden und der
tertiären Hügellandschaft im Norden der
Donauhochebene! Wie leicht ersichtlich
ist auch aus der Feme der Verlauf der
größeren Alpentäler und die wirtschaft-
lich so bedeutsame Paßsenke, welche von
Cham und Fürth nach Tauß führt! Bei
alledem aber erscheint das Gesamtbild
des dargestellten Stückes deutschen Bo-
dens überaus ruhig und nichts weniger
als überladen. Es ist mit liebevollem
Versenken in die geographischen Besonder-
heiten unserer Heimat und mit technischer
Vollendung zugleich ausgeführt.
Die Wiedergabe des Reliefs tritt auf
dieser ^£^arte schon um deswillen stark
hervor, weil die Flußläufe nicht in den
widernatürlich starken Linien angedeutet
sind, wie auf fast allen anderen Wand-
karten. Trotzdem wird der aufmerksame
Lehrer gerade von unserem Karten bilde
manches hydrographisch wichtige Detail
ablesen können. So fällt auf den ersten
Bücher besprechungen.
541
Blick der Charakter des Erdinger Mooses
(durch ein Versehen fehlt die Andeutung
der Moorlandschaft zwischen Isar und
unterer Amper) als eines Quellmoores
wegen seiner vielen selbständigen Wasser-
adern auf; das Donaumoos dagegen er-
kennt man am Fehlen jener zahlreichen
Bäche schon äußerlich als Staumoor.
Die Nomenklatur auf der Karte ist
reichlich, ja &st allzu reichlich. Sie genügt
selbst den weitgehendsten Ansprüchen,
die man nach dieser Richtung an spe-
zielle Karten zur Heimatkunde stellt. Ihr
Schwarzdruck drängt sich im allgemeinen
nicht lästig auf.
So bedeutet dieses Werk gegenüber
den früheren Darstellungen Südbayems
auf Wandkarten einen tüchtigen Fort-
schritt, und man darf mit berechtigter
Erwartung seiner weiteren Ausdehnung
über ganz Süddeutschland entgegensehen.
Es wird nicht bloß in jenen Lehranstalten
mit ganz besonderem Vorteil gebraucht
werden können, wo der Atlas von Lo-
reck-Winter in Gebrauch steht, sich also
Hand- und Wandkarte nahezu decken,
sondern es wird auch für diejenigen
Schulen von hohem Nutzen sein, wo die
Zöglinge andere Atlanten benutzen. Ja
gerade in Schulen, wo die Schüler bloß
die einfachsten und oft auch schon ver-
altete Karten in Händen haben, wird
diese Wandkarte viel Segen stiften.
Dr. Christian Gruber.
Fitzner 9 B. Forschungen auf der
bithynischen Halbinsel. 183 S.
10 Abb., 3 geol. Prof., 1 K. in 1 i
160 000. Rostock, Volkmann 1903.
JC 6. — ,
Dr. Fitzner bietet uns hier als wei-
tere Ergebnisse seiner so dankenswerten
kleinasiatischen Forschungen diejenigen
einer Anzahl kleiner Ausflüge und Reisen
von Konstantinopel aus durch die bithy-
nische Halbinsel im Frühjahr und Som-
mer 1900. Der größere Teil des Werk-
chens enthält nach einem kurzen Über-
blick über seine Vorgänger den etwas
trockenen, durch recht viele geologische
Einzelbeobachtungen nicht schmackhafter
gemachten Reisebericht. Die wichtigsten
Ergebnisse der Reise werden dann in zwei
zusammenfassenden Abschnitten vorgelegt,
deren einer die physische, der andere die
Kulturgeographie behandelt. Hie und da
finden sich wertvolle Literaturzusanmien-
stellungen.
Mit Recht hält auch Fitzner den
Bosporus für eine Erosionsrinne und eben-
so das goldene Hom für einen Liman.
Letztere Erscheinung, die kaum anders
als aus einem Sinken des Landes erklärt
werden kann, kennzeichnet aber die ganze
Küste von der treffend so benannten
großen und kleinen Schublade (Böjük und
Kütschük Tschekmedsche) am Marmara-
meere und dem See von Terkos an bis
nach Burgas und weiter nordwärts.
Wichtig ist, daß Fitzner (S. 146) unter
dem Tertiär der Halbinsel von Stambul
devonische Schichten nachgewiesen hat.
Deshalb können aber das goldene Hoi*n
und die Flüsse, welche dieses Erosionstal
gebildet haben, doch an eine Verwerfung
gebunden sein? Das Devon reicht auf
der bithynischen Halbinsel wesentlich
weiter, wie Tschihatscheff angenommen
hatte, nämlich bis zur Saka^asenke, wenn ^
auch in großer Ausdehnung von Kreide-
schichten, namentlich am Nordrande, be-
deckt.
Die Bevölkerung besteht überwiegend
aus Mohammedanern , sog. Türken , die
ethnisch außerordentlich gemischt sind,
Ackerbauer und Viehzüchter; an der Küste
ringsum Griechen, im Innern tscherkes-
sische, armenische, auch eine polnische
Kolonie. Im westlichen und centralen
Teile wird die Volksdichte auf 80—36
Köpfe geschätzt, im Osten auf weit frucht-
barerem Boden ist sie höher. Schade, daß
der Verf. die bithynische Riviera, die
eine große Zukxmft hat, nicht eingehender
geschildert hat. Für mich hat diese
Gegend ein besonderes Interesse, da ich
dort vor 31 Jahren meine Mittelmeer-
forschungen begonnen habe. Daß neben
dem Ölbaume hier auch Agrumen fort-
kommen, hätte, weil klimatisch außer-
ordentlich auffallend, etwas nähere An-
gabe verdient.
Die Karte stellt das Gelände durch
Schummerung und zahlreiche Höhenzahlen
dar. Dem wissenschaftlichen Kartographen
würde vielleicht eine schärfere Hervor-
hebung der Reisewege des Verf. im
Kartenbilde erwünscht gewesen sein. Der
Maßstab hätte wohl genügt, um die be-
rühmte Quelle am KaYsch-Dagh und ähn-
liche Erscheinungen einzutragen.
Th. Fischer.
542
Neue Bücher und Karten.
Nene Bflcher und Karten.
Geichlehte der Geographie.
Rüge, S. Topographische Studien zu
den portugiesischen Entdeckungen an
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Allgemeine phyiliehe Geographie.
Bulletin des Resultats acquis pen-
dant les courses pdriodiques pub-
lid par le bnreau du conseil i)erma-
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das Königreich Sachsen. 118 S. Leip-
zig, Wunderlich 1903. JL 1.60.
ZeitschriftenBchau.
543
ZeitsehrifteiiscIiaB.
Petermanns Mitteilungen. 1903. Nr. 7.
Jerrmann: Diamantino, an der Grenze
der Zmlisation. — Isachsen: Die Wan-
derungen der östlichen Eskimo. — Su-
pan: Terminologie der wichtigsten unter-
seeischen Meeresformen. — Supan: Die
deutsche und englische Südpolarexpedi-
tion. — Fischer: Zur Entwickelung un-
serer Kenntnis des Atlas-Vorlandes von
Marokko. — Futterer: F. v. Richthofens
geomorphologische Studien aus Ostasien.
— H an n : Bemerkungen über die Schwere-
korrektion bei den barometrischen Höhen-
messungen.
Globus. 84. Bd. Nr. 3. Jäger: Speyer
am Rhein. — de Mathuisieux* Reisen
in Tripolitanien. — ten Kate: Neuere
Publikationen von Dr. R. Lehmann-Nitsche.
— Basutoland.
D(us. Nr. 4. Andrae: Hausinschrif-
ten aus Dänemark. — de Mathuisieux'
Reisen in Tripolitanien. — Behrend:
Die Ems. — Tetzner: Zur Sprichwörter-
kunde bei Deutschen und Litauern. —
Krause: Die Yegetationsverhältnisse des
Lenagebietes.
Dass. Nr. 6. Friedrich: Einige
kartographische Aufgaben in der Wirt-
schafbsgeogpraphie. — Krebs: Flutschwan-
kungen und die vulkanischen Ereignisse
in Mittelamerika. — Die Inderansiedlun-
gen bei Tanga. — Schmidt: Beiträge
zur Ethnographie des Gebietes um Pots-
damhafen. — Förstemann: Inschriften
von Taxchilan.
D<iss, Nr. 6. Friedrich: Einige
kartographische Aufgaben in der Wirt-
schaftsgeographie. — Tetzner: Lock-
und Scheuchrufe bei Litauern und Deut-
schen. — Dar-es-Salaam. — Seidel:
Kamerun im J. 1902. — Trinidad und
seine Bedeutung. — Wilser: Nachschrift
zu dem „Beitrag zur Urgeschichte des
Menschen**. Entgegnung von Prof. E.
Schmidt.
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik. 26. Jhrg. 11. Heft. Sieger:
Der 14. deutsche Geographentag in Köln.
— Jüttner: Fortschritte der geographi-
schen Forschungen und Reisen im J. 1902
in Amerika. — Schoener: Die Shet-
lands- und Orkneyinseln. — Frankreichs
Stellung in Nordafrika. — Prager: All-
gemeines über die Insel Ponap^.
Zeitschrift für Schulgeographie, 1903.
10. Heft. Mayer: Das fragende Lehr-
verfahren und das Lehrverfahren in der
Länderkunde. — Gorge: Zur Behandlung
der Geographie Amerikas im Mittelschul-
unterricht.
Dass, 11. Heft. Trampler: Nach-
wort zur geographischen Abteilung der
Lehrmittelausstellung zu Ostern 1903.
Meteorologische Zeitschrift. 1908. 7. Heft.
Mack: Zur Morphologie der Wolken des
aufsteigenden Luftstromes. — Drap-
czynsky: Über die Verteilung der meteo-
rologischen Elemente zu St. Louis, Mis-
souri.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erd-
kunde zu Berlin. 1908. Nr. 6. Engler:
Über die Vegetationsformationen Ost-
afrikas. — B aschin: Dünenstudien. —
Wegen er: Einige neue Aufnahmen vom
Mt. Pelä. — Chevalier: Aus Französisch -
Kongo.
Beiträge zwr Kolonialpolitik und Kolo-
niaJunrtschaft. 4. Jhrg. 19. u. 20. Heft.
Sander: Zur Erforschung der Tsetse-
fliege. — Hesse: Die ostafrikanische
Bahnfrage.
Deutsche Geographische Blätter. Bd. 26.
Heft 2. Ratzel: Heinrich Schurtz. —
Schurtz f: Santiago de Compostela. —
Stavenhagen: Das Adriatische Meer.
Geographischer Anzeiger. IV. Jhrg.
Aug. 1908. Halbfaß: Die Stellung der
Geographie auf den preußischen Gymna-
sien und Realgynmasien. — Immen-
dörffer: Die Geographie im Lehrplane
der neuen österreichischen Mädchenlyceen.
— Lippold: Gedanken über die Her-
stellung „fröhlicher Eisenbahn-Ody sseuse".
Mitteilungen des Vereins für Erdkunde
zu Leipzig. 1902. Feldner: Die Fluß-
dichte und ihre Bedingtheit im Eibsand-
steingebirge und dessen nordöstlichen
Nachbargebieten. — Stübler: Anthropo-
geographische Studien in der Sächsischen
Schweiz.
Mitteilungen der K. K. Geographischen
Gesellschaft in Wien. 1908. Nr. 5 u. 6,
544
Zeitschriftenschau.
Krupitz: Dr. K. v. Scherzer f. — v. Lo-
renz: Nachträgliches über das Gmunde-
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The Geographiccd Journal, 1903. Nr. 2.
Günther: Earth Movements in the Bay
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The ScoUish Geogra^ical Magazine,
1908. Nr. 8. Lapworth: The Relations
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nabol: üne ezcursion k Capracotta en
Molise. — Superville: De TOubangi ä
N'Dell^ par la rivifere Kotto. — Hardy:
Les r^serves des ßtats-ünis.
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de Lacger: Le Hasli im Grund, ^tude
de morphologie glaciaire. — de Mar-
gerie: L'architecture du sol de la France.
— - Blanchard: Le val d'Orl^ans. —
Gaukler: La pluie ä Alger. — Dubois:
Bas Chan, rive sud du Tchad et Bahr el
Ghazal. — Girardin: Eaux courantes et
tourbillons. — Auerbach: La distribu-
tion de la population de Yalachie. —
Gautier: Lettre sur le Mougdir. —
Zimmermann: L^atlas des colonies
fran9aises.
The National Geographie Magazine.
1903. No. 8. Austin: The Industries of
the United States. — The Introduction
of the Mango. — Moseley: Rainfall and
the Level of Lake Erie
Maryland Geologicäl Survey. Cecil
County. (80 Taf, 24 Fig., 8 K.) Shat-
tuk: Developement of knowledge concer-
ning the Physical Features, with biblio-
graphy. — Ders.: The physiography. —
Bassom: The geology of the Grystalline
rocks. — Shattuk: The geology of the
coastal piain formations. — Mathews:
The mineral resources. — Bonsteel:
The soils. — Fassig: The climate. —
Pressey: The hydrography. — Bauer:
The magnetic declinations. — Gurr an
u. Sudworth: The forests.
Daas. Garett County. (26 Taf., 12 Fig.,
2 K.) Abbe: The Physiography. —
Martin: The geology. — Ders.: The
mineral resources. — Fassig: The cli-
mate. — Pressey u. Paul: The hydro-
graphy. — Cur ran: The forests.
Aus rerseliiedeneii Zeitseliriften.
Gebhardt: Entdeck ungsfahrten der alten
Norweger. Beil. z, (Münch.) Allg. Ztg.
1908. Nr. 183.
Pellehn: Der Pantograph. Vom ür-
storohschnabel zur modernen Zeichen-
maschine. 1608—1908. (23 Fig.) Deut-
sche Mechaniker-Ztg, 1903. Nr. 10—14.
de Quervain: Rapport sur les lances
de ballons-sondes faits en Russie.
(ätude de Tatmosph^re libre par son-
dages.) Observatoire de m^Soroiogie
dynamique. T. III. 1903.
Rumpelt: Frühlingstage am Mittelmeer
(Forts.). Himmel und Erde. XV. Jhrg.
1903. Heft 11. Aug.
Verantwortlicher Herautgeber: Prof. Dr. Alfred Hettner in HeideTber(;f.
Am Mont Pel6 im März 1903.
Von Dr. Gtoorg Wegener.
Im Anfange dieses Jahres fCÜirte micH eine Studienreise nach Mittel-
Amerika, deren Zweck nnter anderem der Besuch der Insel Martinique und
die Beobachtung des gegenwärtigen Zustandes des Mt. Pele war.
Die ersten Wirkungen der eruptiven Tätigkeit der Antillen- Vulkane
traten mir bereits auf der Überfahrt von Hamburg nach St. Thomas, etwa
300 Seemeilen vor diesem Ziel, entgegen; während nämlich an allen vorher-
gebenden Abenden im Bereiche der wärmeren Zone die Sonne ohne besondere
Farbenspiele untergegangen war, wie es im allgemeinen in diesen Breiten
geschieht, zeigte sich am 14. März einige Minuten nach Verschwinden des
Tagesgestims, und zwar fast plötzlich, ein intensives Dämmerungsleuchten,
über dem üntergangspunkte der Sonne beginnend und sich dann über
die Hälfte des ganzen Firmaments verbreitend. In feuriger, rotgelber Glut
stand der Himmel, und auch das Meer flammte wie transparent in diesem
Schein. Fast eine Stunde dauerte, langsam verblassend, das Schauspiel, ehe
es erlosch, und am nächsten Abend, an dem wir mit dem Inselchen Sombrero
das erste westindische Land sahen, wiederholte es sich in derselben Weise.
Diese Dämmerungserscheinungen erklärte man in St. Thomas für Folgen
der Eruptionen des Pele und der Soufrifere von St. Vincent, deren fein ver-
teilter Aschendunst in der Atmosphäre hängen bleibt, ähnlich wie es in so
großartigem Maßstabe vor 20 Jahren beim Krakatoa der Fall gewesen ist.
Zuverlässige dortige Beobachter sagten mir, daß man in der Regel drei
bis vier Wochen nach einer größeren oder kleineren Eruption, insbesondere
des Pele, diese Erscheinungen wahrnehme, die sich dann jedesmal, an Inten-
sität allmählich abnehmend, eine längere Reihe von Abenden wiederholten.
Das letztere war auch während meines Aufenthalts in St Thomas, der bis
zum 21. März dauerte, der Fall. Näher an Martinique heran und auf dieser
Insel selbst beobachtete ich nachher die Dämmerung in viel geringerem
Maße, was ja nicht verwunderlich ist, da der Passat den Dunst vom ür-
sprungsort wegführen muß. Auf welche Eruption die damalige Dämme-
rung bei St. Thomas gerade zurückgehen mochte, kann ich nicht sagen;
kleine Dampfausstoßungen kamen beim Mt. Pele während des Frühjahrs häufig
vor, der letzte größere Ausbruch aber hatte bereits am 25. Januar statt-
gehabt Besonders verstärkte Dämmerungserscheinungen in Folge des im
Nachstehenden zu besprechenden Ausbruchs waren, solange ich im Bereich der
kleinen Antillen weilen konnte, noch nicht zu beobachten.
Ich hatte mich bereits im vorigen Sommer mit Herrn Prof. Karl
Sapper aus Tübingen, der damals seine jüngste Reise nach Mittel- Amerika
Geographische Zeitochrift. 9. Jahrgang 1908. 10. Heft. 87
546 Georg Wegener:
antrat, verabredet, Anfang Januar mit ihm gemeinsam Martinique zu be-
reisen; da meine eigne Abreise sich jedoch bis zum Februar hinausschob, so
hatte ich auf die angenehme Aussicht, mit diesem ausgezeichneten Renner
des mittelamerikanischen Vulkanismus den Mt. Pel4 zu besteigen, bedauernd
verzichtet. Da fügte es ein seltsam glücklicher Zufall, daß Prof. Sapper,
von dem ich seit Herbst nichts mehr gehört hatte, genau zwei Tage nach
mir, von der kleinen Antillen-Insel Saba kommend, ebenfalls in St. Thomas
eintraf. Er war in der Tat bereits im Januar eine Beihe von Tagen auf
Martinique gewesen, war jedoch durch fortdauernde schwere Regen und Be-
wölkung der höheren Bergpartien in seinen Studien stark behindert worden
und hatte die Besteigung des Pel^ nicht durchführen können und beabsich-
tigte daher, vor seiner Heimreise nach Europa noch einmal Martinique auf-
zusuchen. So konnten wir denn zu beiderseitiger Freude doch noch die ge-
meinschafUiche Reise ausführen.
Vor uns hatte seit dem Beginn der Eruptionstätigkeit im Mai vorigen
Jahres noch kein deutscher Gelehrter den Gipfel des Mt. Pelä erstiegen;
Amerikanern und Franzosen war im wesentlichen das Studium des Berges
überlassen geblieben. Trotz der Vortrefflichkeit der Arbeiten dieser Forscher
bot aber und bietet der seltsame Berg in seinen so vielfach vollkommen
neuen Erscheinungen noch ungelöste Rätsel genug, die z. T. geeignet er-
scheinen, unsere gesamten Anschauungen des Vulkanismus wesentlich zu be-
einflussen. Es sei nur daran erinnert, daß wir für das sonderbare Abwärts-
wandem und Abwärtswirken der Eruptionswolken des Pele noch durchaus
keine beMedigende Erklärung besitzen, daß uns das eigentliche Wesen dieser
Wölken und ihre zerstörende Kraft, trotz aller Studien an den Ruinen von
St. Pierre, noch immer ein Geheimnis ist, daß wir für das auffallende Zu-
sammenspiel der beiden Vulkane von Martinique und St. Vincent, deren
größere Eruptionen nie ganz gleichzeitig, fast immer jedoch innerhalb eines
gemeinsamen Zeitraums von wenigen Tagen erfolgen, noch keine allgemein
befriedigende Erklärung haben u. s. w.
Besonders aber interessierte uns das letzte und sonderbarste Problem,
das der PeU der Wissenschaft) aufgegeben hat, die rätselhafte Felsennadel,
jdie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahres aus seinem Krater hervor-
gewachsen ist, und die man nach den Vorgängen der Franzosen als den
„cone" zu bezeichnen pflegt. Am 11. August vorigen Jahres hatte man die
Zacke zum ersten Mal von Mome Rouge aus ein wenig über den Kraterrand
emporragen sehen, und da während der — vom Juli bis zum November
dauernden — Regenzeit die schwere Bewölkimg der Höhen sich gelegentlich
lüftete und den Blick auf den cone frei gab, so zeigte sich, daß er fort-
während wuchs und wuchs, zu erstaunlicher Höhe und Steilheit. Zeitweilig
verminderte er sich zwar wieder, stieg dann aber von neuem empor. Auch
in der darauf folgenden „saison fraiche*^ (Dezember bis März) war in diesem
Jahr die Bewölkung fast durchweg sehr ungünstig, so daß auch nachher nur
flüchtige Beobachtungen des sonderbaren Gebildes stattgefunden hatten. Zur
Zeit von Sappers Anwesenheit im Januar hatte man sich die Theorie zurecht
gelegt, daß die Felsensäule aus vulkanischen Auswurfsblöcken aufgebaut sein
Am Moni Pel^ im März 1903. 547
müsse, die aas dem Krater herausgeschleudert würden und niederüedlend sich
übereinander türmten; gelegentlich sollte das Gebilde teilweise zusanmien-
stürzen und sich dann von neuem aufbauen.
Es braucht nicht betont zu werden, daß diese Anschauung angesichts
der Steilheit und Höhe des cone sehr abenteuerlich erschien.
In der Frühe des 21. März verließen wir St. Thomas auf einem Schiff
der französischen Compagnie G^n^rale Transatiantique, um in etwa 48 stün-
diger Fahrt nach Fort de France zu reisen. Unterwegs liefen wir am folgenden
Tage die beiden Hauptstädte der Insel Guadeloupe: Basseterre und Pointe a
Pitre, an und erfuhren übereinstinunend in beiden, daß man dort in den
frühen Morgenstunden dieses Tages von Süden her ein langanhaltendes
dumpfes Donnern yemommen habe, aus dem man auf einen neuen Ausbruch
des Mt Pele schloß.
Gegen 5 Uhr morgens am folgenden Tage passierten wir das Nordende
von Martinique, wo der Pele liegt. Die Schiffe der Compagnie waren an-
gewiesen, sich bei der Yorüberfahrt in einem Abstand von mindestens zehn
Seemeilen von der Küste zu halten, um einem etwaigen Überfall durch eine
Glutwolke zu entgehen, wie sie am 8. Mai vorigen Jahres die Schiffe auf der
Beede von St. Pierre zerstörte. Über dem noch nachtdunklen Wasser lag
der Berg in der Feme, eine finstere Masse von unbestimmten Umrissen, die
sich schon in geringer Höhe in dichten Wolken verlor; kein Anzeichen irgend
welcher vulkanischen Tätigkeit war zu beobachten. Und als wir dann zwei
Stunden später in Fort de France uns erkundigten, ob gestern ein Ausbruch
stattgefunden habe, wurde dies mit Erstaunen verneint; hier hatte niemand
von einem Geräusch, wie es in Guadeloupe gehört worden war, das Geringste
vemonmien. Hiermit war ein neues Eätsel für uns gestellt
Der Mt. Pele*) ist von Fort de France nicht sichtbar, der Yulkanstock
der Pitons de Carbet liegt dazwischen. Auch dessen gezackter Gipfel war aber
gegenwärtig bis tief hinab mit dunkelgrauen Wolkenmassen verhüllt. Das
Wetter sah für unser Unternehmen wenig günstig aus, um so weniger als
1) Auf Martinique selbst ist die Form Montagne Pel^e üblich. Der Name
bedeutet im Französischen „enthaarter^\ d. h. waldloser Berg, und erklärt sich
dadurch, daß die oberste Kalotte des Kegels keinen Baumwuchs trug. Bei der- in
Europa üblich gewordenen männlichen Form Mont Pel^ muß das ai^ektivische Bei-
wort natürlich nur mit einem 6 geschrieben werden. Die Erklärung R. T. Hills
für Pel^ als „shovelful" (Nat. Geogr. Mag. Washington 1902, S. 245) beruht wohl
auf der orthographischen Verwechselung mit dem Worte Pellte. — Nicht unerwähnt
will ich lassen, daß Paul Koch (Tägl. Rundschau vom 24. Juli 1908) die Benen-
nung auf einen altindiänischen Namen zurückführt, den die Franzosen in ihrer
Sprache umgedeutet hätten und der 1) den Berggott, 2) den Krater, 8) den ganzen
Berg bedeutet habe. Auf Hawaii heiße der Gott des feuerspeienden Berges noch
heute Pele (besiser wohl eine Göttin; als solche wurde mir Pele beim Besuch des
Kilauea bezeichnet, in dessen Krater Halemaumau, dem „Hause des Feuers**, 6ie
ihren Wohnsitz hat. Die eigentümlichen Fäden der Kilauea-Lava werden dort das
„Haar der Pele** genannt). Beiden Namen liege wahrscheinlich der altsemitische
Baal zu Grunde u. s. w. Ich muß es besseren Kennern der alten Indianer und
mythologischer Yölkerzusammenhänge, als ich es bin, überlassen, zu dieser Ansicht
und dem ganzen Artikel von Koch Stellung zu nehmen.
37*
548 Georg Wegen^r:
noch am Vormittag auch im Tiefland ein rauschender Regen ansetzte, der
fast den ganzen Tag hindurch anhielt.
Trotzdem trafen wir unsere Vorbereitungen, denn der Spielramn, der uns
zur Verfügung stand, war gering; Prof. Sapper mußte bereits am 30. Mar-
tinique wieder verlassen, um noch rechtzeitig zum Beginn seiner Sommer-
Vorlesungen in Tübingen einzutreffen, und auch mir verbot die Schwierigkeit,
passende Anschlüsse zur Weiterfahrt zu finden, einen längeren Aufenthalt.
Man erreicht den Pele am leichtesten auf dem Wasserwege, indem man
den zweimal wöchentlich fahrenden Dampfer nach Carbet benutzt; von da ist
man in einer halbstündigen Fußwanderung auf der Statte von St. Pierre.
Allein von Westen aus den Berg zu nehmen, ist noch heute eine Tollkühn-
heit, da bei den größeren Eruptionen ebenso wie bei den kleineren, häufig
eintretenden Dampfausstoßungen die Glutwolke in der Regel hierhin abwandert
Von Süden, von der Sattelfläche von Mome Rouge aus, wo Sapper im Januar
den Anstieg versuchte, ist der Weg bei schlechtem Wetter sehr schwierig.
Am besten ist es, vom Ostfuße aus unter dem Schutz des Passats an zu
steigen.
Da aber im nördlichen Martinique der öffentliche Verkelir noch nicht
wiederhergestellt ist und die Wege und Brücken vielfach zerstört sein sollten,
so konnten wir zu Lande nur mit Hilfe der Regierung vorwärts zu kommen
hoffen. Ein ursprünglich unliebsamer Vorfall, der meinem Reisegefährten im
Januar begegnet war, wurde uns dabei zum Vorteil. Der Forscher war näm-
lich im Innern von Martinique von einem übereifrigen farbigen Polizeisoldaten
als deutscher Spion verhaftet und zur Unterbrechung seiner Arbeiten ge-
nötigt worden. In Fort de France hatte der lächerliche Vorfall nicht geringe
Verlegenheit bereitet, und der Gouverneur hatte dem Reisenden für eine
Wiederholung seines Besuches jede mögliche Förderung zugesagt Daher
fanden wir jetzt die zuvorkommendste Aufnahme. Ein persönlicher Brief des
Gouverneurs empfahl uns den Eigentümern der bedeutenden am Ostfnße des
Mt. Pele gelegenen Zuckerfabrik Viv^ mit der Bitte, uns Reittiere und
Führer zur Besteigung des Berges zu beschaffen, und der Chef des mili-
tärischen Transportwesens erhielt Anweisung, für unsere Reise dorthin in
jeder Weise zu sorgen. Dieser stellte uns sofort einen kräftigen Wagen mit
vier Maultieren und zwei farbigen Soldaten zur Verfügung und wies die
über das Land verstreuten Gendarmerie-Posten, die mit einer Art Kasino ver-
sehen sind und in dieser Kolonie für reisende amtliche Persönlichkeiten eine
ähnliche Rolle spielen, wie die Rasthäuser in Ceylon, telephonisch an, uns
Nahrung und Unterkunft zu gewähren.
Mit Ausnahme einer beschränkten Zone von Kalksteinen im Süd-Osten
besteht die Insel Martinique aus vulkanischen Aufschüttungen, aber nur der
Mt. Pele besitzt die Form eines modernen Strato- Vulkans; im übrigen finden
wir ältere vulkanische Gebilde aus verschiedenen Zeitaltem, die der Insel ein
regelloses, überaus stark bewegtes Relief geben. Die Haupthöhenlinie liegt
auf dem größeren Teile der Insel der Westküste etwas näher als der Ost-
küste, so daß die Ufer von hier aus bedeutender aussehen, als von Osten
her. Zwei größere Buchten gliedern die Westküste, die flach gespannte
Am Moni Pel^ im März 1903. 549
ofifene Rede von St. Piere und die tief in das Land hineingreifende von Fort
de France. Beide genießen den Vorteil, daß sie durch den Windschutz der
Berge vor dem Passat gedeckt sind. Die Ostküste ist dagegen dem letzteren
voll ausgesetzt; unter dem Einfluß der unablässig gegen sie geschleuderten
Brandung ist sie daher im einzelnen sehr viel mannigfaltiger ausgekerbt, als
die westliche, allein die dadurch gebildeten Buchten sind eben wegen des
Passats für den Verkehr wenig brauchbar. Deshalb haben sich die beiden
Haupthäfen der Insel an der Westküste gebildet.
Fort de France bietet vom Meere aus mit seinem alten auf einer Halb-
insel weit in den Hafen hin ausspringenden Fort einen üben*aschend hübschen
Anblick dar. Im Innern verflüchtet sich dieser leider; die Stadt, nach der
Zerstörung durch einen Orkan in geraden > schachbrettartig angeordneten
Straßen Mrieder aufgebaut, sieht ziemlich armselig und nüchtern aus. Die Be-
völkerung ist mit Ausnahme der Beamten und des Militärs vorwiegend farbig,
die ganze Blüte der weißen Rasse, ihre beste Intelligenz, Energie und Kapital-
kraft war in St. Pierre vereinigt gewesen imd ist dort am 8. Mai vorigen
Jahres fast mit einem Ruck vernichtet worden. In Folge dessen hat Fort
de France anscheinend noch wenig begonnen, aus der Beseitigung der Kon-
kurrenzstadt den sonst naheliegenden Nutzen zu ziehen.
Punkt 6 Uhr morgens hielt der Militärwagen vor unserem Hotel, und
wir fuhren nach Osten in das Innere von Martinique hinein. Ich hatte mich
auf früheren Reisen durch englische Kolonien daran gewöhnt, in der aus-
gezeichneten Erschließung des Landes durch sorgfaltig gehaltene Straßen ein
besonderes Charakteristicum für die ausgezeichnete Kolonialverwaltung gerade
der Engländer zu sehen, muß aber den Franzosen hier ganz dasselbe Lob
zollen. Bei dem stark zerschnittenen Gelände müssen die Straßen in schwie-
rigen Serpentinen auf und ab geführt werden, die schweren Regengüsse der
Tropen gefährden unausgesetzt die Gräben und Wasserdurchlässe und die
Regellosigkeit der wildwasserartig in tief eingerissenen Furchen dahinströmen-
den Flüsse und Bäche erfordern schwierige Brückenkonstruktionen. Diesen
Anforderungen war auf glänzende Weise genügt. Insbesondere erregten die
meist aus schweren Quadern gefaßten Bogenbrücken unsere volle Bewunderung.
Für denjenigen, der mit der in Europa vielfach verbreiteten Ansicht
herkommt, die ganze Insel Martinique sei ein Bild des Schreckens und der
Verwüstung und einem nahen Untergange geweiht, dürfte die Wirklichkeit,
wie wir sie hier vor Augen hatten, eine große Überraschung bereiten. Man
vergißt in der Regel, daß die Verwüstungen des Mt. Pele nicht viel mehr als
ein 20tel des Gesamtareals der Insel betrafen, und daß man tagelang auf
ihr umherreisen kann, ohne das , Geringste von einer Zerstörung gewahr zu
werden.
Die Natur Martiniques ist, wie überhaupt auf den kleinen Antillen,
nicht übermäßig reich und tropisch üppig; sie steht darin entschieden hinter
den australasiatischen Inseln zurück und kann auch mit der Vegetationsfülle
des nahen festländischen Amerikas keinen Vergleich aushalten; einzig in
einigen tiefen und feuchten Schluchtentälern sah ich Vegetationsgebilde von
ähnlicher überströmender Üppigkeit, wie später dort.
550 Georg Wegener:
Gewiß trägt dazu der umstand mit bei, daß die Insel bereits in sehr
ausgedehntem Maße von der Kultur in Beschlag genommen worden ist. Es
gibt noch größere ürwaldbezirke in den höheren Bergregionen, wie beispiels-
weise im Bereich der Pitons de Oarbet; auf dem weithin größeren Teil er-
kennt man aber die Hand des Menschen. Die Gehänge sind vielfach terras-
siert, in losen parkähnlichen Beständen sieht man Gruppen von Fruchtbäumen
zwischen den Feldern verstreut, anderswo breiten sich alljährlich sorgföltig
vom Buschwerk geklärte und mit langen Baumhecken umgebene Viehweiden
aus, und nah und fem leuchten die heUgelbgrünen Flächen der Zuckerrohr-
anlagen. Dörfer und Einzel-Gehöfte sind allenthalben über die Landschaft
verteilt.
Die Häuser und Hütten der Neger sind entweder aus Brettern her-
gestellt und mit roten Ziegeln gedeckt oder bestehen aus Bambus und Palm-
geflecht, meist liegen sie in Gärtchen mit Blumen und bunten 2iiersträuchem.
Die Bevölkerungsdichte beträgt im Durchschnitt 200 Köpfe auf den qkm,
übertrifift also die des Deutschen Reiches, der neuesten Volkszählung nach,
um das Doppelte. Im Innern trafen wir fast ausschließlich Neger mit ziem-
lich dunkler Hautfarbe; nur einigemal Typen vollkommen abweichender Natur,
schön gewachsene Figuren mit braungelber Hautfarbe und auch nach imserem
Begriff stolzem und schönem Gesichtsschniti Welcher Art diese Leute waren,
ob, wie wenig wahrscheinlich, Nachkonmien der indianischen Urbevölkerung
oder Abkönunlinge ostindischer Kulis, konnten wir nicht ermitteln. Die
Negerinnen tragen einen langen hemdartigen Überwurf, der um die Hüften
noch einmal aufgeschürzt wird und bauschig über den Gürtel herabfallt,
meist aus bimtem Kattun von bäurisch schreienden Farben. Sehr häufig
sahen wir jedoch auch schwarze, beziehungsweise durch langes Tragen oliv-
grün verschossene Überwürfe, Zeugnisse von den Katastrophen des Mt. Pele,
denn diese schwarzen Kleider waren Trauerge wände für Angehörige, die bei
den Ausbrüchen umgekommen.
Unweit des Städtchens Gros Mome erreicht die Straße den höchsten
Punkt, und man schaut nach beiden Meeren zugleich hinab. Von hier aus
rollten wir rasch zu der Stadt Trinite an der Ostküste hinab.
Trinit^ ist an der Wurzel der eigentümlich gewundenen und weit in
den Ozean hinausspringenden Halbinsel de la Caravelle gelegen, in der man
vielleicht einen alten Lavastrom zu sehen hat, den die Passatbrandung aus
der Küstenlinie herauspräpariert. Die Hafenbucht der Stadt ist leider mit
gefährlichen Korallenbänken durchsetzt.
Die Weiterfahrt folgte dann dem ungemein malerischen, in vielen trotzi-
gen Kaps von senkrechter, ja häufig überhängender Steilheit gegen das immer
brandende Meer vorspringenden Strande nach Norden. Eine reiche Vegetation
wuchert in den zurückgelegenen Buchten, welchen der Jahr aus Jahr ein
von Osten her wehende Wind einen eigentümlichen Charakter gegeben hat.
Sapper hatte dafür den treffenden Ausdruck „gekämmt". Alle Bäume und
Büsche, ja auch das Polster der Stauden sind nach aufwärts und westwärts
gekehrt, als sei die Vegetation mit einem großen Kamme vom Meere her
nach dem Innern zu gestrichen.
Am Mont Pel^ im März 1903. 551
Die Sonne war bereits untergegangen, als wir unser Nachtquartier in
der Gendarmerie des Fleckens bourg de Lorrain am OstfoBe des Feli er-
reichten. Kurz zuvor hatten wir einen Fluß auf einer Furt durchqueren
müssen, weil die Steinbrdcke durch die Schlammfluten bei einem der Aus-
brüche des Mi Pel4 zerstört worden war.
Am nächsten Morgen fuhren wir von Lorrain weiter nach der noch
einige km nordwestlich grelegenen üsine Viva. Zimi erstenmal lag jetzt der
Kegel des Mt. Pele in ganzer Größe vor uns, pyramidisch mit sanften Ge-
hängen ansteigend und nur oben mit einer flachen weißen Passatwolke be-
deckt, die sich auf der Vorderseite des Windes fortwährend bildete, langsam
über den Berg hinweg wanderte imd auf der Gegenseite wieder auflöste.
Über diese Wolke aber ragte hoch in die Lüfte hinaus das erstaunliche Ge-
bilde des cone, in der Form entfernt der Spitze des Matter-Homs ähnlich,
nur ungleich steiler und schmäler; die schwächste Neigung mochte etwa
70 Grad betragen, nach Süden zu erschien die Felsennadel sogar vollkom-
men senkrecht Ihre Höhe mußte mehrere Hundert Meter erreichen, und
^s war kaum zu verstehen, wie sich diese Bildung überhaupt halten konnte.
Die Farbe war hier in der Feme ein lichtes Weiß, als sei die Spitze ver-
schneit oder vergletschert.
Auf dem Wege nach der üsine Yvvi passierten wir in Assier das klei-
nere der beiden französischen Observatorien, von denen aus der Berg täglich
beobachtet wird. Der hier stationierte, zuvorkommende Artillerie-Kapitän
teilte uns mit, daß der cone fast täglich wachse und gelegentlich in einem
Tage 2, 4, ja sogar 10 m an Höhe zunehme; gegenwärtig rage er über
257 m über den Kraterrand (von hier aus gesehen) empor. Durch das
kleine Femrohr der Station erkannten wir dabei, daß die weiße Farbe doch
nur in einzelnen Flecken an den sonst gelblichen Wänden des Gebüdes ver-
teilt war. Diese Flecken sollen bei stärkerem Begen sich vermindern und
dann wieder zunehmen; sie dürften also wohl Niederschläge oder Aus-
blühimgen irgend welcher Salze sein.
In der üsine Vive wurden wir, telephonisch bereits vorausgemeldet, auf
das Liebenswürdigste empfangen, zwei Beitmaultiere standen schon bereit,
ebenso zwei Negeijungen als Führer und Träger. Wir schickten von hier
unsere Wagen nach Fort de France zurück und begannen unverzüglich den
Anstieg zum Berge.
Am selben Morgen war übrigens einige Zeit vor ims, ebenfalls von Vive
aus, der amerikanische Geolog Dr. J. 0. Hovey, der sich schon im vorigen
Jahre durch treffliche Beobachtungen und photographische Aufnahmen am
Pele einen Namen gemacht hat, zum Krater emporgestiegen; wir hatten also
die Aussicht, ihn dort oben zu treffen.
Die Zucker-Plantagen von Vive sind bisher ununterbrochen in Betrieb
geblieben, obwohl die große Emption vom 30. August vorigen Jahres, die
Mome Bouge zerstörte, ihre verheerende Glutwolke bis auf 2 — 3 km Ent-
femung von der üsine abwärts gejagt hatte; daher sahen wir auch jetzt
552 Georg Wegen^r:
noch, als wir langsam steigend gegen den Berg anritten, zunächst keinerlei
Spuren der Verwüstung. Die Zuckerrohrfelder standen sorgfältig gepflegt in
üppiger Fülle, mit den Halmen über unsem Häuptern zusammenschlagend,
wenn wir auf schmalem Pfade hindurchritten; reich war das Gelände besetzt
mit Kakaobüschen, Mango- und Brotfruchtbäimien; in einer der Schluchten,
die wir zu durchreiten hatten, entfaltete sich die üppigste Vegetation von
Fambäumen, Schlingpflanzen und überhängenden Tropenlaubbäumen, die ich
bisher auf der Insel gesehen. Negerhäuschen mit kleinen Gärten und Feldern
begegneten uns auch hier, deren Insassen dem über all dem Grün drohend
emporragenden Haupte des Vulkans keinerlei Aufinerksamkeit zu schenken
schienen. Hier am Ostfuß war somit noch ein Zeugnis davon erhalten geblieben,
wie vor der Eruption die gesamten Untergehänge des Berges ausgesehen
hatten.
Erst bei 400 m Meereshöhe ungefähr traten wir plötzlich in die Zone
der Verwüstung ein. Von hier ab stiegen die Abhänge des ehemals bis an
die Spitze mit dichtem Urwald, in seinen obersten Teilen aber mit Gebüsch-
und Staudenwuchs überzogenen Berges vollkommen kahl empor. Der Wald
war größtenteils voUkonunen weggewischt, so daß kaum noch die verkohlten
Baumstämme übrig geblieben waren. Die Stämme waren vom Feuer verzehrt»
und tiefe Erosions-Binnen durchfurchten in Folge dessen den ungeschützten
weichen Boden. Anderswo und zwar gegen den imteren Teil der Zone hin,
waren die Baumstämme nicht verschwunden, sondern nur der Blätter, Zweige
und Binde beraubt und weiß versengt und alle mit einem Kuck von einer radial
den Berg abwärts wirkenden Gewalt zu Boden gestreckt. Wiederum anders-
wo hatte die Kraft des vulkanischen Orkans nicht mehr hingereicht, die
Bäume niederzustürzen, wohl aber die Glut noch, sie zu töten. So standen
ganze Teile des ehemals lebenden Waldes gegenwärtig als totes, weiß ver^
sengtes Gestrüpp aufrecht. Wo Schluchten sich in den Berg hineintiefken, war
die Vegetation, die ohne Frage in ihnen früher einen ähnlichen Anblick ge-
boten hat, wie in der vorhin erwähnten Talfurche, bis in die letzten Tiefen
hinein von der Glut vernichtet; die an den Rändern stehenden Bäume waren
von den Seiten her in diese Furchen hinabgekippt, in die Tiefe gezerrt und
dort mit verbranntem Buschwerk, Schlanun und Steinen zu einem wüsten
Chaos ineinander gewühlt. Es sah ganz so aus, als wäre das Gas in Form
einer Flüssigkeit den Berg abwärts gestürzt und hätte die Bäume in diese
Talrinnen hinabgespült; ob in Folge von eigner Schwere oder explosivem
Ausdehnungsbedürfiiis, bleibt natürlich die Frage. Nicht ein völlig regel-
mäßiger Kreis begrenzte die Vernichtungszone, sondern zungenförmig griff sie
hier und dort weiter hinaus, so daß Teile unzerstörter Vegetation zahnartig
zwischen zerstörte hineinragten.
Das war der Eindruck im großen. Im einzelnen erkannte das Auge
sehr bald, daß die Vegetation bereits wieder im Werke war, den Berg zurück-
zuerobern. Sapper gab seinem Erstaunen darüber Ausdruck, welche Fort-
schritte dieser Prozeß bereits seit seiner Anwesenheit im Januar gemacht hatte.
Überall sproßten aus den Wurzeln der nur oberflächlich vernichteten, niederen
Vegetation — das Hochholz war meist völlig getötet — neue Triebe hervor.
Am Mont PeU im MÄrz 1903. 553
Schlingpflanzen überzogen üppig ausgreifend den Boden; in geschützteren
Schluchten waren namentlich die Farne eifrig dabei, Msche Wedel zu treiben,
und bis anf wenige Kilometer an den Gipfel heran waren zarte grüne
Schleier einer neuen Vegetation zu erkennen. Für einen Botaniker müßte,
sollte man meinen, dieser Vorgang das allergrößte Interesse bieten.
Bei 900 m etwa ließen wir unsere Maultiere mit einem Neger zurück
und setzten den Anstieg zu Fuß auf einer der von dem Gipfel hinablaufenden
Bergrippen fort Er bot erst weit gegen oben hin nennenswerte Schwierig-
keiten, als wir in die Zone des ganz vegetationsleeren Bodens gelangt waren,
der, aus sandiger, grandiger Asche, untermischt mit größeren und kleineren
Auswürflingen und Spuren verbrannter Vegetation bestehend, den Fuß tief
einsinken ließ.
Leider hatte sich der Berg (schon ehe wir Vive erreichten) wieder um-
wölkt, so daß der Gipfel mitsamt dem cone xmsichtbar geworden war.
Gegen 1 Uhr mittags jedoch, kurz ehe wir die über uns hangende Wolken-
hülle erreichten, lichtete sie sich und legte den Gipfel frei
Wir trafen oben eine fast ebene Hochfläche, soweit wir sie überschauen
konnten von halbkreisförmiger Gestalt und etwa 100 Schritt durchschnitt-
licher Breite; sie bestand aus kleinen kömigen, weißgrauen Bapilli, unter-
mischt mit Bimssteinstücken und kleinen und größeren Auswiufsblöcken, von
denen einige die Form gedrehter vulkanischer Bomben hatten. Dr. Hovey,
den wir oben begrüßten, war dabei, mit einem Dutzend von schwarzen
Trägem, die er mit hinauf genommen hatte, die schönsten dieser Exemplare
für ein amerikanisches Museum zu sammeln. Nach Westen hin begrenzte
ein sichelförmiger Graben mit stellenweis überh&ngendem Band die Krater-
hochflAche, aus dessen Tiefe weißlicher Dampf hervor schwelte. Dieser be-
grenzte im Verein mit den über den Gipfel hin wandernden losen Wolken
rechts und links die volle Übersicht über den Krater, gab aber doch den
Blick frei auf das ungeheure Gebilde des cone, das jenseits des Kratergrabens
aus einer Schutthalde von gelblich weißem Geröll riesenhaft in die Lüfte
emporstieg. Von der etwa 50 m betragenden Tiefe des Gh*abens aus erreichte
es mindestens 300 m Höhe, also die Erhebung des Eiffelturms. Dabei waren
seine Wände tatsächlich stellenweis senkrecht, ja sogar überhängend. Nach
Südosten zu lief der Felsenturm in eine scharfe Kante aus. Seine Gnmd-
farbe war ein lichtes Lehmgelb, unterbrochen von den bereits erwähnten
schneeweißen Flächen.
So viel sahen wir sofort, daß von einer Entstehung durch aufeinander
gefallene Auswurfsblöcke gar keine Bede sein konnte. Vollkommen glatt
und einheitlich stiegen die Felsenwände in die Lüfte; der cone bestand aus
einem einzigen Stück. Allerdings übermäßig solide schien er trotz der kühnen
Architektur nicht zu sein, denn ein paar große vertikale Risse durchfurchten
die uns zugekehrte Wand, und dreimal stürzte, während wir auf dem Gipfel
verweilten, ein großer Steinfall mit gewaltigem Knattern und Prasseln von
der uns abgewandten Seite des Felsenturms hernieder. Ein Teil der Stein-
massen rollte dabei auch diesseits in den Kratergraben hinab, die Schutt-
halden um den Fuß des cone vergrößernd.
554 Georg Wegener:
Erfreulicli war das Geräusch fElr uns gerade nicht, konnten wir doch
nicht wissen, oh es nicht den Zusammenbrach des ganzen Gebildes vor-
bereitete. Jedenfalls war in diesen Steinstürzen die Erklärung fOr das zeit-
weilige Niedrigerwerden des cone zu suchen. B&tselhafter als je zuvor aber *
wurde das sonderbare Emporwachsen eines so ungeheuren einheitlichen Fels-
klotzes!
Eine halbe Stunde etwa blieb der Gipfel mehr oder minder frei, so daß
ich einige photographische Aufnahmen machen konnte^); dann bezog er sich
wieder und ein kalte^ Regen zwang uns, wenn wir die Negative retten
wollten, schleunigst abwärts zu steigen.
Gegen Abend hatten wir die Usine Viv^ in Gemeinschaft mit Dr. Hovey
wieder erreicht und verbrachten den Abend in interessantem Gespräch mit
den dirigierenden Herren der Pflanzung. Es ist zu begreifen, daß der Berg,
seine rätselhaften Erscheinungen und vor allen Dingen die Frage: wird er
noch neue furchtbare Ausbrüche zeigen oder sich beruhigen? die Gemüter
dieser Leut« vollkommen ausfüllte. Wir konnten leider die gewünschte Ver-
sicherung, daß die vulkanische Kraft im Abnehmen sei, angesichts der unheim-
lich rätselvollen Erscheinung des unablässig wachsenden cone nicht geben.
Am folgenden Tage ritten Sapper und ich über die Ost- und Süd-
gehänge des Berges, von neuem die Zerstörungszone vom 80. August durch-
querend, nach der Ruinenstätte von Mome Rouge, sandten von hier aus die
Maultiere nach dem Observatorium von Fonds Saint Denis voraus, das unser
Ziel für die Nacht war, und stiegen zu Fuß auf schönen, jetzt freilich viel-
fach mit Asche bedeckten Landstraßen im Talzuge der Riviere Roxelane zu
der Trümmerstätte des ehemaligen Si Pierre hinab.
Ich will die Schilderung der seit den Katastrophen mannigfach be-
schriebenen Ruinenfelder nicht um eine neue vermehren und bemerke nur, daß
der Eindruck auch heute noch grauenvoll, insbesondere in St. Pierre ge-
radezu überwältigend schauerlich ist, obwohl oder vielleicht gerade weil
in den Gärten der verlassenen Orte, auch ohne die Hand des Menschen, die
Blumen und Büsche nach der Regenzeit wieder zu blühen begonnen haben
imd die Zuckerrohrfelder vielfach von selbst wieder in Halme geschossen
sind. Noch ist die Zone, trotz mannigfekchen Ansturmes der vom Heimweh
nach ihren alten lieben Stätten verfolgten Bevölkerung, nicht wieder frei-
gegeben; und das mit Recht, denn noch kann niemand die Sicherheit vor
einer Wiederkehr der Katastrophe gewährleisten. Nur wenige Arbeiter sind
mit obrigkeitlicher Erlaubnis mit Aufräumungsarbeiten betraut oder graben
auf den einzelnen Grundstücken nach Wertsachen.
Die Häuser von Mome Rouge sind, obwohl sie von Holz waren, nicht
durch die Glut des Vulkans verzehrt, sondern nur glatt wie die Karten-
häuser zu Boden geweht worden. In den weiter entfernten Stadtteilen sind
1) Einige meiner Pelö-Aofnahmen sind publiziert — leider in zu eiliger und
darum recht ungenügender Reproduktion — in der Z. d. Ges. f. Erdkde. 1903.
Heft 6; später und besser in Velhagen und Klasings Monatsheften. Juli 1903.
Am Mont Pel^ im März 1908. 555
sie sogar stehen geblieben und nnr verwüstet und im Innern von trockener
Asche, stellen weis fnßhoch, verhüllt. St. Pierre dagegen ist vollständig, mit
einer unbegreiflich wilden Gewalt, der die auch meterdicken Mauern keinen
Widerstand geleistet haben, niedergeworfen und gleichzeitig ausgesengt worden,
so daß jetzt das Gelände mit den kahlen viereckigen Grundmauerresten wie
eine leere Bienenwabe aussieht.
Der oft beliebte Vergleich der Katastrophe von Si Pierre mit derjenigen
von Pompeji im Altertum, soviel Analogien sie auch besitzen, stimmt doch
in wesentlichen Punkten nicht. In Pompeji haben sich, wie es scheint, doch
die meisten Bewohner retten können; in St. Pierre dagegen sind sie alle, bis
auf den berühmten Gefangenen im Keller, in wenigen Sekunden, höchstens
Minuten, getötet worden. Pompeji wurde nur unbedeutend zerstört, ein
Aschenregen von solcher Sanftheit und Feinheit überrieselte die Stadt bis
6 m hoch, daß bekanntlich die Wohnstatten mit ihrem ganzen dekorativen
Inhalt bis auf die zierlichsten Nippes aufs sorgfältigste erhalten blieben.
St. Pierre ist nicht verschüttet worden; fast nirgends fanden wir eine Aschen-
schicht, die mehr als Yj m tief war. St. Pierre ist, wie erwähnt, in einer
so vollkommenen Weise zerstört, daß, wie Angelo Heilprin sehr treffend
bemerkt, seine Buinen heute schon Jahrtausende älter aussehen, als diejenigen
von Pompeji.
In dem Halbrund der Berge, das St. Pierre im Osten umschrankt und
so recht geeignet ist, eine vom Berge herabbrausende Glutwolke unfehlbar
über die Stadt hinzuleiten, herrschte in den Nachmittagsstunden eine sengende
Glut, die Berge hielten jeden Hauch des Passat fem und von dem kahlen
Aschenboden reflektierten die von dem westlichen Himmel hemiederbrennenden
Sonnenstrahlen mit kaum erträglicher Intensität. Als wir uns gegen 3 Uhr
in dem dürftigen Schatten einer Felswand etwas ausruhten, bemerkten wir
am südwestlichen Fuß des cone eine lebhaftere Entwickelung der aus der
Schattenhalde emporwallenden Dämpfe. Sapper glaubte auch einen Augen-
blick ein Geräusch vom Berge gehört zu haben. Doch nichts weiter geschah,
und die Dampfaushauchung verminderte sich bald wieder zum vorherigen Stand«
Zwischen 4 und 5 Uhr verließen wir St. Pierre, um in einem west-
östlich gerichteten Tal, das durch einen langhinziehenden Bergrücken vor der
Glut des Vulkans geschützt gewesen und in Folge dessen in seiner prächtigen
Vegetation erhalten geblieben war, zu dem Observatorium von Fonds Si Denis
emporzusteigen.
Diese französische Hauptbeobachtungs-Station liegt etwa 5 km von der
Küste auf dem spitzen, ungefähr 600 m hohen Gipfel eines Vorberges der
Pitons de Carbet. Die Lage des Ortes ist imgemein glücklich gewählt. In
Folge der Höhe und des dazwischen liegenden Tales ist er gegen Überfälle von
Seiten des Vulkans nach allen bisherigen Erfahrungen bei der Eruption vollkom-
men gesichert, in voller Klarheit und majestätischer Größe liegt der Berg aber
sichtbar vor dem Beobachter, mit dem Krater rund 9 km vom Observatorium
entfernt. Ein paar kleine Holzhäuser bilden die Station. Gegen eine über
alles Erwarten große Eruption soll ein kleines niedriges Gebäude mit
kasemattenartig starken Wänden und hermetisch verschließbaren Türen und
556 Georg Wegener:
Fenstern sichern, das eng an den Berghang angelehnt ist und wohin beim
Herannahen einer etwaigen Glutwolke die Beobachter flüchten können.
Es war ungefähr Y, 6 Uhr, als wir, wenige Minuten noch vom Gipfel
des Observatoriums entfernt, deutlich ein kurzes Bollen vom Berge her
vernahmen. Da aber sonst nichts« Bemerkenswertes erfolgte, beruhigten wir
uns bei dem Gedanken, es sei ein neuer Steinfall ähnlich dem gestern am
cone beobachteten gewesen. Oben auf dem Observatorium fanden wir neben
dem ständigen Leiter, dem Kapitän Perney, auch noch Prof. Girand, den
Vertreter des vor kurzem nach Frankreich zurückgekehrten Prof. Lacroix,
und, konnten sogleich an deren Abendmahlzeit unter einem schönen Baume
im Angesichte einer wundervoUen Landschaft und des Mt. Pelä teilnehmen.
Kapitän Perney bejahte unsere Frage, ob der cone bei seinem Wachsen die
Form seiner Spitze im wesentlichen unverändert behalte. Hiernach war also
kein Zweifel möglich, daß er nicht von oben her aufgehöht werden konnte^
sondern von unten langsam berauf geschoben werden mußte.
Die Sonne war bereits untergegangen, doch die Dämmerung noch hell,
als plötzlich durch die matte Wolke am Fuße des cone ein schwacher
Glutschein sichtbar wurde imd kurz darauf, 12 Minuten nach 6 Uhr, ein
wenige Sekunden dauerndes dumpfes KoUen vom Berge herüberdrang. Das
Geräusch war nicht sehr laut und dauerte nur wenige Sekunden. Gleich-
zeitig aber schoß aus einer Gegend am Südwestfuß des c6ne eine Wolken-
masse in die Höhe, deren grauweiße Farbe sich von der leichtet-en, flach auf
dem Gipfel liegenden Passatwolke deutlich unterschied. Mit ungeheurer
Schnelligkeit wuchs die Wolkenmasse senkrecht über dem Krater in die Höhe,
unter mächtigen inneren Wallungen und Wirbeln sich in blumenkohlartigen
Formen erweiternd. In weniger als 5 Minuten hatte sie eine Höhe von
3400 m über dem Gipfel erreicht und kam zum Stillstand. Auf der Ost-
seite stieg ihre Wand anfänglich ganz vertikal empor und erst etwa in der
Hälfte ihrer Gesamthöhe, also 2 — 3 km über dem Gipfel, schob sie sich
flach schirmförmig eine Strecke ostwärts vor, so daß es schien, als ob hier
in dieser Höhe der an jenem Tage überhaupt nicht besonders starke Passat
die Grenze seiner Kraft habe.
Zur selben Zeit rollte vom gleichen Ursprungsort aus ein anderer Teil
der eruptiven Ausstoßungsmasse mit der gleichen außerordentlichen Geschwindig-
keit, die anfangs 1 — 2 km in der Minute betrug, nach Westen den Berg-
abhang abwärts, dem Talzuge der Biviere Blanche folgend, auch sie unter
inneren Wirbeln und Wallungen ähnlich der vertikal emporsteigenden Wolke.
Etwas über die Hälfte des Wegs gegen das Meer hin hatte sie zurück-
gelegt, als ihre Bewegung sich rasch verlangsamte imd das Wirbeln schwächer
und schwächer wurde; sie dehnte sich dabei in die Höhe aus, verwuchs mit
der vertikalen Wolke zu einem Ganzen, das nach einer Skizze, die ich 5
bis 6 Minuten nach der Eruption in mein Notizbuch zeichnete, noch höher
als zuvor, bis über 5 km oberhalb des Gipfels, emporstieg*). Li Form eines
grauen Vorhangs, der über dem Talzug der Biviere Blanche hing, schob sie
1) unmittelbar vorher hatte ich auch eine photographische Auftiahme ver-
sucht, die, obwohl die Sonne beriBits untergegangen war, gelungen ist. Sie zeigt
Am Mont Pel^ im März 1903. 557
sich mit scbr&g vorwärts geneigter Front weiter, erreichte das Meer und
kroch allmählich, sich immer mehr verdünnend, weit westwärts üher die
Oberfläche der Bucht hinaus.
So waren wir also Zeugen genau des wesensgleichen rätselhaften Vor*
gangs geworden, der St. Pierre verwüstet hat und sich seitdem in kleinerer
und größerer Form bei den Eruptionen des Berges so oft wiederholt. Un-
leugbar hat der Anblick der absteigenden Wolke große Ähnlichkeit mit dem
Fließen einer schweren Masse. An einer Stelle teilte sich der Strom, um-
wanderte in zwei Armen ein Hindernis auf seinem Wege und vereinigte sich
hinter diesem wieder. Ob freilich dieser Augenschein hinreicht, eine wirk-
liche Schwere der ganzen Masse als die Bewegungsursache anzunehmen, bleibt
unerweislich. Sapper war geneigt, mindestens als wesentliche Mitwirkung
anzunehmen, daß die eruptiven Dämpfe sehr stark mit festem Auswurfsstoff
durchsetzt gewesen und dadurch talabwärts gerissen seien. Sobald die grö-
beren Materialien darunter zu Boden gefallen, dehnten sich dann nach dieser
Auffassung die befreiten Gase gegen oben aus. Für das horizontale Weiter-
wandem nach Westen könnte dann neben der fortgesetzten Ausdehnung auch
der Passat als Ursache mit angesehen werden.
Binnen kurzem war die Nacht hereingebrochen, die weitere Entwickelung
der Wolke entzog sich der Beobachtung, doch wurde der anfänglich in ihr
verschwundene cone wieder bemerkbar. Feurige Erscheinungen waren mit
Ausnahme des erwähnten Aufleuchtens zu Anfang der Eruption während
der Dauer des Tageslichts nicht mehr sichtbar gewesen; mit der Dunkelheit
traten sie jedoch mit großer Deutlichkeit hervor. An dem freiliegenden süd-
westlichen Fuß des cone waren zwei konvergierende Glutstreifen, augenschein-
lich Spalten, erkennbar, aus denen an verschiedenen Stellen glühende Massen,
anscheinend Blöcke, mit größerer oder geringerer Energie hervorgestoßen
wurden. Gefolgt von einem Schweif feinerer feuriger Materie, rollten sie,
roten Schlangen gleich, in bestinmiten Rinnen abwärts, um im Tale der Ri-
viere Blanche sich der weiteren Beobachtung zu entziehen. Leider waren
wir auf unsere Feldstecher und ein unbedeutendes Handfemrohr der Station
angewiesen. Es ist geradezu unbegreiflich, daß die Regierung nicht hierher
für die Dauer der Eruptionsperiode das größte transportable Teleskop ihres
Besitzes geschafft hat, denn die Gelegenheit, sich die Einzelheiten eines Aus-
bruchs dadurch in nächste Nähe zu bringen, war hier geradezu einzig.
die geschilderte Erscheinung, die flache, weiße Passatwolke und auch die abwärts
wandernde Wolkenmasse vor ihrem völligen Emporwachsen.
Es war mir hierbei eine lehrreiche Erfiahnmg, wie wertvoll doch bei der-
artigen Erscheinungen die Anwesenheit mehrerer Beobachter ist. Pemey kon-
statierte ruhig mit der Uhr in der Hand die Zeit, Sapper hatte das erste Auf-
glühen am Fuß des cöne beobachtet, und auf ihn ist auch die Feststellung zurück-
zuführen, daß die beiden Teile der Eruptionswolke anfangs scharf gesondert waren
und erst nachträglich völlig zusammenwuchsen. Mir allein, dessen Aufmerksamkeit
durch die Manipulation der photographischen Aufnahme doch teilweise abgelenkt
wurde, wäre die Entwickelnng mehr als eine einheitliche im Gedächtnis haften ge-
blieben. Auch das sogleich zu erwähnende Sichteilen und Wiederzusammen-Fließen
der absteigenden Wolke ist Sappers Wahrnehmung.
568 Georg Wegenen
Fast noch interessanter aber als diese Blockanswürfe war uns die
Beobachtung, daß auch zeitweilig hoch hinauf an der dunkeln Wand des
cone, gelegentlich bis nahe an seine Spitze heran, einzelne Glühpunkte auf-
leuchteten, die sich dann nicht talwärts bewegten, sondern an Ort und Stelle
langsam verblaßten. Wir konnten uns dies nicht anders erklären, als daß
hier, nach dem Muster der gestrigen Steinfälle, Stücke von der Wand des
cone losbrachen imd daß sich dabei sein bloßgelegtes Innere als glühend
erwies. War das richtig, dann durften wir darin einen sehr wesentlichen
weiteren Stützpunkt fElr die seit gestern uns immer wahrscheinlicher ge-
wordene Überzeugung sehen, daß der cone nichts anderes ist, als eine Lava-
masse, die von unbekannten Kräften aus einem senkrechten Schacht langsam
emporgedrängt wird, bei der Berührung mit der Luft erstarrt und oberhalb
des Kraters jene ungeheuerliche Säule bildet. Daß dieses Ergebnis, falls es
richtig ist, von schwerwiegendstem Einfluß auf unsere gesamten vulkanischen
Anschauungen sein muß, bedarf keiner weiteren Erklärung^).
Zwischen 10 xmd 11 ühr verblaßten die feurigen Erscheinungen. Ab-
gesehen von jenem ersten kurzen Anfangsgeräusch war die gesamte Eruption
für uns auch völlig lautlos vor sich gegangen.
Als wir am nächsten Morgen erwachten, war die Ausbruchswolke ver-
schwunden, aber auf den Gehängen längs dem Talzuge der Biviere Blanche
lag eine frische Decke niedergefallener Asche, anzusehen wie neuer Schnee
oder besser, in dem morgendlichen Lichte wenigstens, wie zart graue chinesische
Rohseide. Der cone ragte wie gestern morgen anscheinend unverändert über
der flachen Passatwolke empor; Pemejs Winkelmessung aber konstatierte.
1) Mir ist in der Literatur des Vulkanismus keine Beobachtung eines ähn-
lichen Gebildes wie der ,,c6ne** des Mont Pel^ bekannt. VieUeicht schärft aber
die gegenwärtige Erfahrung den Blick und läßt uns in den Ruinen älterer Vulkane
die Reste verwandter Erscheinungen erkennen. Denn es ist auch für den gewal-
tigen Kegel von Martinique nicht wahrscheinlich, daß er einen langen Bestand
haben wird.
In sehr dankenswerter Weise macht mich A. Graef in Bemburg auf eine
interessante Stelle Darwins aufoierksam (Gh. Darwins Naturwissenschaftliche Reisen.
Deutsch von E. Dieffenbach. Braunschweig 1844. Bd. L S. 10), in der von der
Insel Fernando Noronha die Rede ist: „Soviel ich während eines Aufenthalts von
wenigen Stunden an diesem Platze bemerken konnte, ist die Bildung dieser Insel
vulkanisch, doch wahrscheinlich aus einer älteren Periode. Das Hervorragendste
ist ein kegelförmiger Berg, ungefähr 1000 Fuß hoch, dessen oberer Teil ausnehmend
steil ist und auf einer Seite seine Basis überhängt. Die Felsart ist PhonoUt und
ist in unregelmäßige Säulen geteilt. Auf den ersten Eindruck, wenn man eine
dieser isolierten Massen betrachtet, ist man geneigt zu glauben, daß das Ganze
plötzlich in einem halbflüssigen Zustande hervorgetrieben wurde. Ich fand indessen
auf St. Helena, daß einige solcher Gipfel von ganz ähnlicher Gestalt und BeschafiPen-
heit durch das Heraufkreiben des geschmolzenen Gresteins zwischen die nachgebenden
Schichten gebildet worden waren, die auf diese Weise das Modell für diese riesen-
haften Obelisken abgegeben hatten.**
Graef bemerkt dazu, daß, wenn auch Darwin seine erste Meinung zurück-
zöge, sie angesichts der Entstehung des „cdne" doch vielleicht richtiger sein könnte,
als er meint. Ich selbst bin leider augenblicklich, fem von einer Bibliothek, außer
Stande, diese Frage weiter zu verfolgen ; sie verdient jedenfalls Aufmerksamkeit.
Am Moni FeU im März 1908. 559
daß er 25 m niedriger geworden war. 1570 m Meereshöhe hatte jetzt seine
Spitze über dem Meeresspiegel.
Der Ausbruch, den wir gestern mit angesehen hatten, war nach der
Angabe desselben Of&ziers der stärkste seit dem 25. Januar. Mit diesem
zusammen ist er der bedeutendste gewesen, den der Berg seit der Katastrophe
von Mome Bouge am 30. August vorigen Jahres erlebt hat.
• * •
Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Regierungswagen, der gestern
Herrn Girand hierher gebracht hatte, mitten durch die wild zerschnittene
Gruppe der Pitons de Carbet hindurch nach Fort de France zurück, ent-
zückt unterwegs durch die wundervoll üppige, noch im weiten Maßstabe
urwüchsige Vegetation dieser Partien der Insel, die namentlich durch eine
prachtvolle Entfaltung der für die Antillenwelt so charakteristischen Farne
sich auszeichnete. Diese ürwaldbezirke bieten noch reichlichen Baum für
neue Ansiedlungen, und so begegneten wir auch hier und dort den Plätzen,
wo durch Brandrodung für die aus den gefährdeten Gebieten geflüchteten
Einwohner neue Wohnplätze gewonnen wurden.
In Fort de France erwartete uns die ungemein interessante Nachricht,
daß am 22. März in den Morgenstunden auch die Soufri^re von St. Vincent
einen ungewöhnlich starken Ausbruch gehabt habe. Somit bestätigte sich
wiederum das sonderbare Zusammenspiel der beiden Vulkane. Es liegt darin
zweifellos ein Punkt, der für das Wesen des Vulkanismus von der aller-
größten Bedeutung ist; denn so großartig auch, mit menschlichem Maßstabe
gemessen, die vorhin geschilderten Vorgänge und Erscheinungen bei dem
Vulkanausbruch des Feli waren, ich konnte mich doch andererseits dem Ein-
druck nicht verschließen, daß sie, im Verhältnis zur ganzen Landschaft ge-
nommen, eigentlich doch recht geringfügig sind. Allein betrachtet würden
sie auf eine nur nahe unter der Epidermis der Erde gelegene Ursache
schließen lassen. Weit mehr als die beobachteten Eraffcwirkungen läßt der
Umstand, daß diese beide ca. 170 km voneinander entfernten Vulkane in
einem unzweifelhaften, übrigens auch noch durch die verwandte Art ihrer
Ausbrüche bestätigten Zusammenhang stehen, auf eine größere Tiefe und mely:
als einen rein lokalen Charakter der vulkanischen Herde schließen.
Mit der Nachricht von St Vincent war zugleich auch das Bätsei jenes
Geräusches gelöst, das man am 22. März früh auf Guadeloupe vernommen
hatte; freilich war auch das neue aufgegeben, weshalb dieses Geräusch die
zwischen St. Vincent und Guadeloupe gelegene Insel Martinique übersprungen
hatte. Es wäre sehr interessant, zu erfahren, wie es damit auf Si Lucia und
Dominca gestanden hat.
Auch der Gouverneur erkundigte sich, als wir ihm unsem freundlichsten
Dank für die glänzende Förderung unserer Absichten ausgesprochen, sogleich
nach unserer Ansicht, ob der Berg im Wiedererlöschen begriffen sei, aber
auch ihm konnten wir leider angesichts der beobachteten Tatsachen diese Be-
ruhigung nicht geben.
Am 30. März verließen wir beide die Insel wieder. Sapper, um nach Europa
zurückzukehren, ich, um meine Reise zur Landenge von Panama fortzusetzen.
560 H. Fischer:
Die Atlanten an den prenfiischen höheren Schalen.
Von Oberlehrer Heinrich Fisoher in Berlin.
(Schluß.)
Indem ich nunmehr zu 'den Karten zur allgemeinen Erdkunde über-
gehe, möchte ich mir nicht zu widersprechen scheinen, wenn ich jetzt der
Einfachheit halber geologische u. a. Karten einzelner Länder, besonders Deutsch-
lands, ebenso alle anthropogeographischen Karten hier mit unterbringe. Es
war ja nur eine theoretische Forderung, daß eine ideale aber praktisch un-
ausfahrbare Karte zur Länderkunde auch geologischen Untergrund gleichzeitig
zeigen müßte.
Die Mannigfaltigkeit, die uns hier in dem modernen Schulatlas entgegen
tritt, ist überraschend groß. Sie entspricht einerseits einer ausgesprochenen
Vorliebe der wissenschaftlichen Geographie und andererseits, mit gewichtiger
Ausnahme, der Leichtigkeit der Übernahme solcher Karten aus Original-
werken. Denn selbst bei eigener Überarbeitung des Kartographen, der sich
aber meist an die wenigen neuesten kartographischen Publikationen zu halten
gezwungen sehen wird, ist Stich und Kolorit gegenüber der Länderkundekarte
meist sehr Yereinfacht.
Ich gehe nun- die einzelnen Kategorien von Karten durch; ihre volle
Würdigimg wird aber auch hier wieder nicht möglich sein^
Besonders beliebt sind klimatologische Karten, Isothermen und Iso-
baren werden oft in drei und zwei Darstellungen gegeben (Jahr, Januar,
Juli), dazu konmien wohl noch die Isoamplituden. Mit Flächenfarben
werden Maxima- und Minimagebiete gegenübergestellt (Grenze 760 nmi und
20^ und 0^) und durch Farbenstufen die allmählichen Steigerungen veransckau-
licht. Bei den Isothermenkarten beschränkt man die Farbengebung gern auf
die Landmassen. Ob das völlige Fehlen jeder Terrainunterlage richtig ist,
lasse ich dahingestellt. Versuche möchten sich jedenfalls im Sinne der poli-
tischen Blätter des Debesschen Handatlas wohl empfehlen, ob sie schon ge-
macht sind, weiß ich nicht. Daneben wäre es gut, den Hinweis, daß es sich
um die Darstellung auf den Meeresspiegel reduzierter Größen handelt, nirgends
fehlen zu lassen. Das ist besonders wichtig, wenn sich neben diesen, wie
im Diercke-Gaebler auf Taf. 130 u. a., „Temperaturkarten" ohne Reduktion ein-
stellen. Solche sind fOr Deutschland gewiß sehr hübsch, die dort gegebene
Verbindung mit einigen reduzierten Januar- und Juliisothermen ist aber wohl
recht bedenklich, zumal wenn jeder erläuternde Hinweis fehlt — Femer
finden wir Begenkarten. Soweit sie die jährliche Begenhöhe angeben,
ermöglichen sie eine den anderen analoge|f Darstellungsform: Linien gleicher
Begenhöhe, die Zwischenräume farbig abgestuft. Dagegen stellen sich die
Karten zur Versinnbildlichung der Begenzeiten vielleicht als noch nicht
besonders günstiges Objekt für den Schulatlas dar. Lehmann gibt sie nicht,
Debes sehr dürftig. Sie wollen sehr komplizierte, kartographisch recht
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen. 561
schwierig fest sn haltende Erscheinungen hringen^); ich möchte hezweifeln,
ob sie sich, selbst eine andere Schule und andere Lehrer vorausgesetzt, für
einen Schulatlas eignen.
Eine Karte des magnetischen Verhaltens der Erde finde ich nur
im großen Debes, auch fast nur als Lückenbüßer. Wenn selbst Wagner, trotz
seiner geographischen Entwicklang vom mathematischen Lager her, auf solche
verzichtet, so werden wir ihr Fehlen billigen müssen.
An pflanzengeographisehen Karten haben wir solche der Vege-
tation sgebiete, mit denen meist die die Darstellungsgebiete ausschließende
Karte der Meeresströmungen verbunden ist Ob diese nicht vielleicht noch
besser auf die Weltverkehrskarte gehörte, möchte zu untersuchen sein; daß
sie dort auch Zweck hat, ist ohne weiteres klar, allein die Übersichtlichkeit
kann hier entscheiden. Lehmann und Diercke bringen auch Teile der Erd-
oberfläche mit pflanzengeographischen Darstellungen. Nirgends aber finde
ich Florenkarten außer im Richter auf Taf. 6; da eine einigermaßen klare
Vorstellung von dem Wesen einer Flora außerhalb des im botanischen unter-
richte Erreichbaren liegt, halte ich die Aufnahme der Karte für verfehlt.
Diercke bringt auf Taf. 130 eine phänolo^sche Karte Deutschlands. Ob sich
bei der bedenklichen Stellung, die heute die Phänologie einnimmt, die Auf-
nahme einer solchen Karte empfiehlt, ist mir zweifelhaft. Anschauungswert
besitzt sie ja.
An die rein pflanzengeographischen Karten schließen sich einerseits die
Karten, die die Verbreitung von Kulturpflanzen und anderen Produkten
darstellen, andererseits tiergeographische Blätter. Auch hier wieder sind
Lehmann und Diercke am reichsten, doch in verschiedenem Sinne. Lehmann
gibt mehr allgemeine Weltübersichten, Diercke mehr einzelne Karten der
,.Bodenbenutzung^ oder der Produkte^). Es muß diesen Karten gegenüber
folgendes erinnert werden: der Wert der kartographischen Versinnlichung, be-
sonders von Produktionsgebieten ist unbestreitbar, ihre Aufnahme und Aus-
bildung in Handelsatlanten und auf Spezialkarten eine von Tag zu Tag an
Wichtigkeit wachsende Aufgabe. Aber einerseits sind unsere technischen Hilfs-
mittel hier sehr unbeholfen, schon wenige Tiere oder Kulturpflanzen mit teil-
weise zusammenfallenden Verbreitungsgebieten können den Kartographen an
die Grenzen seiner Mittel bringen, und andererseits ist die Frage immerhin
aufzuwerfen, wie viel die Schule, auch wieder selbst die erstrebte ZukunftS'
schule — denn die heutige als Maß anzulegen, geht natürlich doch nicht —
überhaupt aufnehmen und verarbeiten kann, unter allen Umständen schießen
Atlanten für untere Klassen über das Ziel, wenn sie sich mit solchen Karten
beschweren'). Ein Quintaner oder auch Quartaner hat es noch vid zu nötig,
die wirkliche Gestaltung der Erdoberfläche kennen zu lernen, als daß er sie
schon als Unterlage für die Verbreitung solcher Dinge benutzen soUte. Will
1) Vgl. die Köppensche Karte in der G. Z. 1900.
2) Diercke-Gaebler Blatt 88, 86, 110 u. a.
8) Lehmann-Petzold für antere Klassen Taf. 18 u. a. Diercke fQr untere Klassen
Taf. 21 u. a., besonders dieser letztere ist ein trauriger Beweis, wie sehr dem Karto-
graphen heute die Möglichkeit fehlt, sachgemäße Beratung an den Schulen zu finden.
Oeograpbiiobe ZeiUcbrift. »Jahrgang. 1908. 10 Heft 88
562 H. Fischer:
der Lehrer ihm die Verbreitnng des Löwen oder des Kaffee einmal zeigen, so
nehme er die Karte Ton Afrika oder die Planigloben, das ist viel besser. Ich
möchte aus Atlanten für untere Klassen überhaupt alle in diesem Abschnitte
genannten Karten yerbannt wissen. Daß sie sich in ihnen finden und wohl
auch mancher Lehrer zu ihnen greift, hat einen seiner gewichtigsten
Gründe in der unglücklichen, vielleicht nächstdem durch die sog. „Reform^
des höheren Unterrichts noch verschlimmerte Lage des Erdkundeunterrichtes,
der ihn fast ausschließlich auf die unteren Klassen beschränkt Indem man
aber Dinge vor ein für sie unreifes Alter bringt, nützt man der Sache nichts,
schadet ihr vielmehr, indem man sie der Gefahr aussetzt, daß sie nicht ernst
genommen wird. Ja selbst für die größeren Schulatlanten vermögen die tier-
geographischen Karten wenig zu leisten« Das liegt an ihrer oben berührten
Unbeholfenheit, die keinem entgehen kann, der etwa den Berghaus' physika-
lischen Atlas durchblättert. Wer glaubt, daß ein Durchschnittsschüler sidi
aus dem Gewirr von Linie, Farbe und Strichelung in der Gegend von Zentral-
asien auf Taf. 15 des großen Debes ein Bild machen kann, kennt diesen
vortrefflichen Knaben kaum. Oder man nehme sich andererseits für Produkten-
karten im großen Diercke Taf. 134 vor und mache sich die ungeheuere Un-
vollkommenheit dieser Karten gegenüber den landeskundlichen in der Bestimmt-
heit und Ausgeglichenheit der einzelnen Faktoren klar, und man wird kaum
im Zweifel bleiben können, ob es nicht besser wäre, mit derartigen karto-
graphischen Versuchen — denn das sind vorläufig auch noch die besten
Karten auf diesen Gebieten — in Schulatlanten etwas sparsamer zu sein.
Die Begründung von Handelsfachschulen und das Entstehen besonderer Handels-
atlanten wird hier viell^cht eine gewisse Entlastung bringen.
Ehe ich zu anderen Karten übergehe, möchte ich noch die beiläufige
Bemerkung machen, daß manchmal eine Verbindung im Sinne der Verdeut-
lichung kausaler Zusammenhänge versucht wird, besonders indem Isothermen
über andere Karten gelegt werden, so im großen Debes auf Taf. 12 auf eine
Regenkarte, so bei Diercke auf Prodnktenkarten.
Verhältnismäßig stiefmütterlich bedacht ist in unseren Schulatlanten
andererseits die Geologie. Bedenke ich die üppige Fülle aller möglicher
Darstellungen, denen wir eben, ohne sie auszuschöpfen, begegnet sind, so
dürfte wohl die technische Seite hier eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Denn eine einigermaßen ordentliche geologische Karte bedarf eines VielfEurben-
druckes und feiner Ausführung. Das macht sie teuer. Diercke reicht hier
gar nicht hin, Lehmann, Debes und Wagner geben sie alle drei ziemlidb über-
einstimmend, so alle im Maßstabe 1 : 6 Mill. Wagner ist am besten, weil
am feinsten durchgearbeitet, aber eine Gliederung des Diluviums oder der
Trias, ja eine Trennung von älteren und jüngeren Eruptivgesteinen kann auch
er nicht geben. Irre ich mich nicht, so wird die Zukunft eine größere geo-
logische Karte von Deutschland, zum mindesten im Maßstabe der Hauptkarte,
für den größeren deutschen Schulatlas nötig machen. Wie viel weiter wir
noch gehen sollen, möchte ich nicht zu entscheiden wagen; eine geologische
Gesamtübersicht der Erde z. B. gehört vorläufig wohl, weil allzu provisorisch,
noch nicht in den Schulatlas.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen. 563
Ich komme schließlich zu anthropogeographisohen Karten. Bech*
nen wir, wie hier erklärlich, die sog. politische Karte nicht dazu, so bleiben
für Schulatlanten im allgemeinen Bevölkerungsdichte-, Völker- und
Beligionskarten übrig. Die Bevölkenmgsdiohiekarten sind sehr beliebt, an
die Erarbeitung ihr^ besten Form ist außerordentlich viel Mühe verwandt
worden^). Eüi* den Schulatlas stellt sich die Karte, noch immer an einen
ihrer ersten Versuche anknüpfend^), als eine Art Isohypsenkarte dar, bei der
vielleicht daran erinnert werden darf, daß im Gegensatz zu diesen oder kli-
matologischen Karten schroffe Wechsel vorkomnten, daher nicht, wie es ge-
schieht, zwischen Gebieten hoher und geringer Volksdichte alle gewählten
Zwischenstufen ausgezogen werden sollten. Ein fast unlösbares Problem
bieten die großen Städte, ihre doppelte Darstellung einmal in Verstärkung
der Flächenfarbe und einmal im Ortszeichen ist bis zu einem gewissen Grade
zu verteidigen. Bringt man sie aber für die Flächendarstellung ganz in Ab-
zug, so konamen Gegenden wie z. B. die Umgebung Berlins zu sohlecht fort,
tut man es nicht, wo ist dann die Grenze des Bodens, zu dem sie gehören?')
Diese und zahlreiche andere Erwägungen stellen sich ein und können
uns lehren, daß trotz aller Arbeit hier noch kein Abschluß gefunden isi Das
mag bedauerlich sein, ist aber auch erklärlich. Denn die wissenschaftlichen
Arbeiten haben sich in den letzten Jahrzehnten ganz* überwiegend auf Spezial-
untersuchungen und Darstellungen kleinerer Landschaften oder auf theoretische
Erörterungen erstreckt^ von welchen beiden ein ganz einwandsfreier Weg zu
der besten Darstellung der Bevölkerungsdichte auf Karten mittelgroßen Maß-
stabes noch nicht gefunden ist. Bei diesen ist man praktisch nur an ver-
hältnismäßig alte Vorbilder gebunden. Immerhin ist die Kartographie hier
viel weiter als auf wirtschaftsgeographischem Gebiete, freilich kein Wunder
gegenüber dem mehr einheitlichen Phänomen, das es zu veranschaulichen gilt.
Die größte Mannigfaltigkeit tritt hier erst ein, wenn statt der einfachen
Volksdichte Siedelungsart und -dichte u. a. dargestellt werden sollen. Ich habe
aber die interessanten Versuche, die hier vorliegen, noch keinen Einfluß auf
die Schulkartographie gewinnen sehen, so können wir auch hier von ihnen
schweigen.
Von ethnographischen Karten finden wir fast ausschließlich Sprach-
und Beligionskarten^) vertreten, und zwar Übersichten über die ganze
Erde, einzelne Weltteile, Mitteleuropa. Was ihre äußere Form betrifft, so
möchte man bei Übersichten die Wahl der Merkatorkarte am meisten be-
dauern. Wie unglücklich ist z. B. auf solchen Karten das Flächenverhältnis
von Bantu oder Dravida zu Jakuten oder Tschuktschen ! Bei der Fülle der
zu trennenden Völker ist eine reiche Farbenauswahl nötig. Dadurch wird
1) Siehe die erwähnte Arbeit von Neukirch; seitdem ist die dort citierte Lite-
ratur von neuem erheblich angeschwollen (Uhlig, Sandler etc.)
2) itavn s. Nenkirch S. 26.
3) Sollte hier vielleicht eine Lösung bei Verbindung mit der Isochronen-
karte möglich sein, auf deren Ausgestaltung neuerdings Schjerning einen bestim-
menden Einfluß ausgeübt hat (Fachsitzung der Ges. f. Erdkde. in Berlin Januar 1902).
4) Dierke-Gaebler gibt außerdem, z. B. auf Taf. 17, daneben noch Kultur-
formen und Staateformen.
88*
564 H. Fischer:
eine Verbindung von Dichtekarte und Völkerkarte ein schwieriges, tatsachlich
in Schulatlanten meines Wissens nicht versuchtes Problem. Ich möchte sie
aber doch empfehlen. Man könnte die Dichtekarte, die nur als Untergrund
Gegensätze und Übergänge darlegen sollte, nach Art der alten Petermann-
sehen Karten geben, wie sie sich in Schummerungsmanier im Taschenatlas
von Habenicht erhalten hat. Gar nicht befreimden kann ich mich mit der
Streifendarstellung, die ein Völkergemisch darstellen soll. Bei Karten mit
großem Maßstabe erträglich, aber wenig nötig, da ja bekanntlich die Zonen
sprachlichen Übergangs sehr schmal zu sein pflegen, stellen sie auf Über-
sichten viele Kilometer breite Bänder, breiter oft als ernst gemeinte Ver-
breitungsgebiete dicht daneben^).
Ob auf diesen Karten die Stellung der Deutschen stark und mannig-
faltig genug für einen deutschen Schulatlas zur Geltung kommt, möchte
zweifelhaft sein. Jedenfalls weise ich auf Langhans' Kolonialatlas und seine
sonstige kartographische Tätigkeit als auf einen fOr die Schulkartographie
noch nicht gehobenen Schatz hin. Ein Kartenbild, das zu manchen schiefen
Urteilen verftihren kann und das wir doch nicht vermissen möditen, ist im
besonderen die Sprachenkarte von Deutschland. Die Grenzen gegen die
fremden Sprachen liegen heute, genau untersucht, vollkommen fest. Nicht so
steht es aber mit den Dialektgrenzen im Innern. Hier werden Grenzen von
ganz verschiedenem Werte gleichartig ausgezogen. So ist der Verlauf der
Dialektgrenzen im Bereich des Ober- und des Mitteldeutschen (wenn man
letzteren Ausdruck für Franken, Thüringen und deren östliche Kolonisten zuläßt)
vielerorts auf Grund minutiöser phonetischer Untersuchungen festgestellt. Im
Bereich der Niederdeutschen aber, besonders des Osteibischen, herrschen* ganz
andere Einteilungsprinzipien'-). Aber selbst, wenn man mit Wagner, Diercke
und z. T. Lehmann nur die eine Grenze zwischen Ober- (Mittel-) und Nieder-
deutsch ausziehen will, kommt man praktisch in Ostelbien in die Brüche.
Nach dem großen Debes sprechen die Berliner Niederschlesisch, nach dem Sydow-
Wagner Niederdeutsch, nach Lehmann-Petzold Mitteldeutsch, nach dem Diercke-
Gaebler Niedersächsisch, jedoch nach Dierckes Atlas für berliner Schulen
wieder Mitteldeutsch. Es ist, wie man sieht, hohe Zeit, daß die noch immer
Ungelöste Preisaufgabe der berliner Universität: Was ist der berliner Dialekt?
endlich einmal ihre Lösung findet, schon im Interesse der berliner Schuljugend.
Der tiefere Grund liegt aber wohl darin, daß seit der hochdeutschen Bibel
und verstärkt seit dem Schulzwang des hochdeutsch sprechenden Staates das
Niederdeutsche einem Auflösungsprozeß entgegengeht, der an verschiedenen
Stellen sehr verschiedene Stadien angenommen hat; diese harren noch der
kartographischen Fixierung, ja wohl auch großenteils der Bearbeitung imserer
Germanisten. Ich weise nur auf die Unterschiede von Stadt und Land hin,
hier Zusammenfluß verschiedener Dialekte und ausgebildeteres Schulwesen,
1) Vgl. Diercke-GaeblerTaf. 16,17, 19a; Lüddecke-Haack Taf . 48 ; großer Debes
Taf. 17, 18; Lehmann-Petzold Taf. 20 u. andern Orts.
2) Vgl. im großen Debes Taf. 66, Grenze zwischen Niedersächsisch, Märkisch
und Pommersch, die nur an einer Stelle von politisch gegebenen Grenzen abweicht,
in Neuvorpommem, und dort sicher nicht der Wirklichkeit entspricht.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schalen. 565
dort Abfluß der Intelligenzen und stärkeres Nachgeben gegenüber der Volks-
sprache; ferner auf den Unterschied zwischen Alt-Preußen mit seinem alten
Schulzwang und Ländern wie Mecklenburg und Schleswig-Holstein; drittens
auf den Gegensatz von Binnenland und Wasserkante, hier das Niederdeutsche
konserviert unter dem Einfluß der allgemeinen niederdeutschen Seemanns-
spraehe, dort der Zuwanderung Oberdeutscher ausgesetzt. Diesem Zersetzungs-
Yorgang des Niederdeutschen, der sich starker von den Städten, schwächer von
seiner Südgrenze her ToUzieht, hat man in seinem wesentlichsten Beispiel,
Berlin, bald eine Eonzession gemacht, bald sie unterlassen. Jedenfalls wird
noch viele wissenschaftliche Arbeit nötig sein, ehe wir eine weniger Ein-
wänden ausgesetzte Mundartenkarte fOr das Gebiet des Niederdeutschen in
unseren Schulatlanten finden werden^).
Indem ich jetzt das Gesagte überblicke, bemerke ich, daß ich wirklich,
wie zu fürchten stand, nicht viel mehr als Aufzählungen imd Anregungen
gegeben habe; aber mehr ist eben in dieser Form auch kaum möglich. Noch
stehen dabei weite Kapitel, über die zu schreiben wäre, ganz beiseite, so vor
allem die Behandlung der Namen und der Zahlen. Beide sind zum Ver-
stehen der Karte unerläßlich, beeinträchtigen aber ihren Eindruck oft in un-
erfreulichster Weise ^). Ihre Anwendung setzt ganz besonders viel Takt des
Kartographen voraus, der mir u. a. nicht genügend bewiesen scheint, wenn
viele Alpengruppen oder nordamerikanische Großstädte mit zn großen Schrifb-
zeichen begleitet werden. Im allgemeinen gilt wohl, daß alle Schrift deut-
lich sein und doch zurücktreten muß, und daß für verschiedene Kategorien
verschiedener Schriftduktus zu wählen ist. Die Schrift würde uns dann
weiter zu Transkription führen. Das ist wieder eine äußerst schwierige
Frage, oder eigentlich ein gordischer Ejioten von Fragen, die noch in mancher
Hinsicht so wenig geklärt scheinen^), daß wir uns — zumal die Sache den
Atlas nicht allein angeht — hier mit dem allgemeinen Grundsatze begnügen
wollen, für die Jugend in zweifelhaften Fällen stets das einfachere zu wählen^).
Fassen wir nun das Gesamtbild des größeren deutschen Schulatlas zu-
sammen, so erblicken wir zunächst einen erfreulichen und gi*oßen Fortschritt,
der sich innerhalb der letzten Jahrzehnte vollzogen hat. Es hat ein voll-
ständiger Wechsel in den gebräuchlichen Atlanten stattgefunden; denn der
einzige Sjdow- Wagner, der wenigstens noch den alten Namen mitträgt, ist
innerlich erst recht ein ganz anderer geworden. Vollkommen neue Abteilungen
haben sich im Atlas entwickelt: Spezialkarten, Karten zur allgemeinen Erd-
kunde. Der Einfluß unserer wissenschaftlichen Erdkunde ist stark und un-
mittelbar gewesen, nicht weniger als drei Hochschullehrer sind an der Aus-
gestaltung der Atlanten persönlich beteiligt: Wagner, Lehmann, Kirchhofll
Ein Blick auf das Ausland zeigt uns dieses zwar in der Schulkartographie
1) Die im vorigen Jahre von Langhans begründete Zeitschrift ,,Deatflche Erde*^
wird der geeignete Sammelpunkt für solche Arbeit sein können.
2) Vgl. das lehrreiche Beispiel der beiden kleinen Atlanten von Haack, von
denen der eine ,,8tumm^^ ist.
3) Vgl. 7. Intern. Geogr.-Kongreß I, S. 187 ff.
4) Demgemäß ist die Nomenklatur auf Taf. 50 von Diercke-Gaebler stark zu
beschränken.
566 H. Fischer:
sich selbständiger maohen, aber doch noch immer weit hinter Dentschland
zurück, mit alleiniger Ausnahme Hollands, das uns in der Ausgestaltung
seiner heimatkundlichen Karten, seiner Beschränkung auf das Schulm&ßige
und in der Kartographie seiner Kolonien im Schulatlas überlegen ist, aut
anderen Gebieten (Karten zur allgemeinen Erdkunde, Ausland, Projektionen) aber
hinter uns zurückbleibt. Freilich bleiben gegenüber dem hervorragenden Kunst-
werke, als welches uns der moderne Schulatlas entgegentritt, noch immer
so manche Wünsche bestehen. Diese erklären sich einerseits aus dem rapiden
Wachstum auf allen Gebieten der wissenschaftlichen Erdkunde, durch das
immer neue karthographische Aufgaben entstehen, neue geographische Inter-
essen erblühen. Von ihnen kann die Schulkartographie nidit unberührt
bleiben, sie ist aber kaum im Stande, selbst ohne Bücksicht auf eine gewisse
Beständigkeit, wie sie die Schule wünschen muß, immer schnell genug nach-
zukommen. Andererseits aber bewirkt das Fehlen fachmännischen Bates von
der Schule her, das durch die unglückselige Entwicklimg unseres Unterrichts-
faches verschuldet ist^), daß sich so manches schulmännisch nicht Glückliche
in unseren Atlanten findet, wenn es natürlich auch ausgeschlossen ist, daß
unsere Schulatlanten das Niveau unserer heutigen höheren Schule als Maß
für sich annehmen dürften. Das würde einer Bankerotterklärung unserer
Schulkartographie, noch immer trotz unserer höheren Schule der ersten der
Welt, gleichkommen.
Schließlich möge mir erlaubt sein, einige der hauptsächlichsten Quellen
zu nennen, aus denen, wer sich weiter auf dem Gebiete der Atlantenkunde
umtun will, zu schöpfen hätte. Ich nenne zuerst, trotzdem es sachte an-
fängt zu veralten, das noch immer inhaltlich reichste: Lehmann, ,yHülfe-
mittel und Methode etc.", H. Wagner an vielen Orten, so in seinem „Lehr-
buch" Einleitung § 7, doch ohne auf Schulatlanten einzugehen; wesentlicher
für uns sind daher u. a. seine „Erläuterungen", dem Sydow-Wagnerschen
Schulatlas vorgedruckt. Hieran seien die „Begleitworte" anderer Atlanten-
autoren angeschlossen. Indem ich auf Spezialarbeiten hier nicht eingehe,
führe ich aus den letzten Jahren als umfassendere Schriften Zondervan,
,Jiehrbuch der Kartenkunde" und Trunk, „Die Anschaulichkeit des geo-
graphischen Unterrichtes" an und mache auf Haacks einschlagende Schriften
in den letzten Jahrgängen des Geogr. Anzeigers aufmerksam. Wesentlicher
als das Durchlesen solcher Schriften, so wenig es dem Geographielehrer er-
lassen werden kann, ist die persönliche Beschäftigung mit dem Atlas selbst.
Nicht im Lehrerzimmer im Schubfach und dann kurz vor der Stunde in die
Hand genommen, zu Hause, immerdar zur Hand, immer in neuer Auflage,
so sollte er es halten.
Die Verbreitung der Atlanten.
Wenn man die Verbreitung der an den höheren Lehranstalten Preußens
eingeführten Atlanten untersuchen will, so muß man zunächst den Begriff
1) Vgl. als jüngstes Zeugnis: H. Wagner. „Der Unterricht in der Erdkunde"
aus dem Sammelwerk „Die Reform des höheren Schulwesens in Preußen'^ heraus-
gegeben auf Veranlassung des preußischen Kultusministeriums.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen. 567
„Einführung*^ näher präzisieren. Man darf darunter nicht verstehen, daß
der betreffende Atlas als verbindliches Lehrmittel von allen Schülern der in
Frage kommenden Anstalt geführt wurde; es ist nur die Erlaubnis, ihn im
Unterrichte zu gebrauchen, von der Behörde gegeben. Erst die neuesten Lehr-
pläne von 1901 tuen nach der Richtung der Einheitlichkeit der in den ein-
zelnen Klassen gebrauchten Atlanten einen entscheidenden Schritt vorwärts;
S. 51 No. 3 lautet: „Li den unteren und mittleren Klassen ist tunlichst
darauf zu halten, daß alle Schüler denselben Atlas gebrauchen. Ob ein Ein-
heitsatlas fOr alle Klassen oder ein Stufenatlas zu wählen sei, bleibt den
einzelnen Anstalten überlassen» Jedenfalls sind von den unteren Klassen
größere Atlanten auszuschließen . . .'* Bekanntlich herrscht in den übrigen
ünterrichtsgegenständen strenge, oft bis auf diffizile üntei'scheidungen zwischen
wenig von einander abweichenden Ausgaben desselben Werkes durchgeführte
Einheitlichkeit der Lehrbücher; aber erst jetzt fängt man auch auf unserm
Gebiet an, dieser wichtigen Frage größeres Literesse entgegen zu bringen. Die
augenblicklich noch vielfach herrschende Atlantenanarchie in den Schulen hat
damit Aussicht, zu verschwinden. Ihr Bestehen ist natürlich historisch zu er-
klären. Eine eingehendere Geschichte der geographischen Schulmethodik soll
trotz der tüchtigen und inhaltreichen Arbeit Gruber's*) noch geschrieben
werden; so ist die Entwicklungsgeschichte des Schulatlas und seiner Stellung
im Unterricht auch noch nicht vorhanden. Mit wenigen Zügen sei darum
hier zum Verständnis der augenblicklichen Lage einiges für preußische Ver-
hältnisse Zutreffende aus diesem Kapitel angedeutet.
Die Grundlage der Handhabimg der Lehrbücher an den preußischen Schulen
bildet die Dienstinstruktion für die k. Konsistorien und Prov.-SchulkoUegien
vom 23. Okt. 1817, S. 9^), wonach Lehrbücher nicht mehr ohne weiteres
von den Schulen eingeführt werden durften. An sie wird von nun an in der
Folgezeit mehrfach erinnert, z. B. unter dem 14. Juni 1843. Li dieser Zeit und
darüber hinaus haben die Schulen andererseits, abgesehen von gelegentlichem
minderwertigen Holzschnittschund, mit billigen und geeigneten Schulatlanten
noch wenig zu rechnen. Die Atlanten (Stieler, R. v. L., Liechtenstem u. a.)
sind in Kupferdruck hergestellt, haben z. T. ein ganz unmögliches Format
und wurden wohl auch, da sie meist in Lieferungsausgaben erschienen, nur
blattweise gebraucht. Um die Mitte des Jahrhunderts entsteht in E. v. Sy-
dow's Schulatlas und dem von Liechtenstem unvollendet Henry Lange über-
lassenen ein neuer für die Schule mehr geeigneter Typus; es dauert aber
noch geraume Zeit, ehe sich diese Erkenntnis an maßgebender Stelle geltend
macht, woran wohl z. T. auch der Umstand mit schuld gewesen sein wird,
daß die in Frage kommenden Institute (F. Perthes und G. Westennann) im
preußischen Auslande lagen. — Deutlich zeigt sich die Auffassung der Be-
hörde von dem Wert eines Schulatlasses oder richtiger das Fehlen einer
1) Grub er. Die Entwickelung der geograph. Lehrmethoden im 18. u. 19. Jahr-
hundert. Der Nebentitel ,,Rückblicke und Ausblicke^^ zeigt deutlich, daß dem Ver-
fasser der fragmentarische Charakter dieses ersten, sehr dankenswerten Versuches
deutlich vor Augen stand.
2) Wiese-Kühler. Verordnungen u. s. w. 1886. S. 367.
568
H. Fischer:
Aoffassong dieser Art in der Zirkular- Verfügung vom 28. April 1857. In
ihr erfahren wir^), daß von den Prov.-Schulkollegien Berichte über die an
den Gymnasien u. s. w. eingeführten (geschichtlichen und) geographischen
Lehrbücher eingefordert worden sind und was auf die nun erfolgten Eingänge
verfügt wird. Der Unterricht hat sidi danach unter Vermeidung des Heft-
schreibens in allen Klassen an gedruckte Lehrbücher, Leitf&den oder Tabellen
anzuschließen. Über diese Lehrbücher wird dann nodi genauer bestimmt,
von Atlanten ist mit keinem Worte die Bede. Ein anders geartetes Zei:^;nis
haben wir zwei Jahre später in einer ,,Instruktion f. d. geschieht! u. geo-
graph. Unterricht an den Gymnasien und Realschulen der Provinz West£alen'^^.
Ohne auf diese recht fortgeschrittene Leistung näher einzugehen, weise ich
nur auf No. 11 (S. 200) „Methode" hin, wo verlangt wird, überall die geo-
graphische Karte, nicht das Lehrbuch beim Unterricht zu Grunde zu legen, „so
daß der Schüler den Lehrstoff aus jener und aus dem Munde des Lehrers
ausschließlich seine Kenntnis schöpfe". Indessen ist doch auch hier vor
allem an den Gebrauch von Wandkarten gedacht, die in ihren Maßstäben so
gehalten sein sollen, daß „kein Schüler zugleich einen Aüas zur Hand zu
haben braucht". „Mehr für den häuslichen Gebrauch und zur Vergleichung
dient der Handatlas." Es folgt nun eine Beschreibung von dessen bester
Form, die deutlich auf den Sydow- Typus hinweist und mit der Bemerkung
schließt, es „möge darauf gehalten werden, daß die Schüler einer oder meh-
rerer Klassen sämtlich einen und denselben Atlas gebrauchen". Dies ist
wohl die älteste behördliche Äufserung nach dieser Richtung in Preußen.
Es folgen nun mit großem Litervall die drei „Verzeichnisse der ein-
geführten Lehrbücher u. s. w." von 1880'), 1890*) und 1901*^). Aus ihnen
und den Lehranstaltenverzeichnissen ^) können wir uns über die Verbreitung
der Schulatlanten unterrichten.
Atlaseinführungen in den verschiedenen Provinzen^.
DP.
WP. Pm
Ps. Sohl.
Bd. Sa. SH.
Ha. HN. W.
Rh. Mon.
1880
b
c
22
9
20
26
25
15
20 45
8 51
52 36
46 18
1890
17
11
36 25
— 31
31
25
57 1 386
40 : 280
b
25
25
30
21
57
71
47
29
52
46
40
81
524
c
BPh.
29
•
38
34
16
(-1)
76
(-1)
96
(-1)
19
46
(-1)
»00
31
40
51
55
92
(-1)
604
b
0
23
86
27
44
28
43
20 60
28 100
95 53
145 65
26
54
51 43
82 61
46
64
92 1 564
151 1 873
*
BPh«
Debes,
Phyiik
Alischex
AtlM;
kann i
naiürlic
ii nirge
adf all
ein eil
igeftthrf
geweM
w sein
1) Wieae-Kübler. I. 194. 2) Wiese-Kübler. I. 195 ff.
3) Centralblatt für die gesamte Unterrichts- Verwaltung in Preußen. Jhrg. 1880,
8. 1—103, für Geographie im besondem IXb. S. 65—69.
4) Dass. Jhrg. 1890. S. 339—466, f. Geogr. i. bes. X. S. 420—425.
5) Verzeichnis der auf den höh. Lehranstalten Preußens eingefiihrten Schul-
bücher. Im amtl. Aufkr. herausgeg. von Dr. Hern. Leipzig, Teubner 1901.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen. 569
Aus der Tabelle läßt sich entnehmen, daß 1880 noch lange nicht auf jede
Anstalt ein eingeftLhrter Atlas kam, Ha. weist überhaupt keine Zahl auf, in
OP. und Pul bleibt sie weit nnter der Hälfte der Anstalten. Ihnen gegen-
über stehen WP., Schi., HN. mit einem Überschuß. Alles in allem wÄre
für 106 Anstalten za wenig eine Atlaseinführung nachgesucht, wenn diese
Zahl nicht, wie WP. u. a. zeigen, noch dadurch wächst, daß an manchen
Anstalten mehr als ein Atlas eingeführt wurde.
Ein ander Bild bietet 1890. Die Zahl der AtlaseinfOhrungen ist schon
um 79 Nnomidm höher als die der Anstalten, nur noch Ps., Sa., Ha. zeigen
überhaupt kleinere Zahlen in b. Überall sonst kommt schon mehr als eine
Atlaseinführung auf die Anstalt.
Das Jahr 1900 verstärkt dies Bild, b ist schon 319 Nummern größer;
in keiner Provinz komimt die Zahl der AÜaseinfÜhrungen auch nur nahe an
die der Anstalten heran, am nächsten in Ps. mit 20 zu 28. In SH. ist die
Zahl der Atlaseinführungen schon mehr als doppelt so groß wie die der
Anstalten, es muß also schon Anstalten geben, an denen mindestens drei
Atlanten eingeführt sind.
Nehmen wir zunächst das Jahr 1880. Unter den an den 280 Anstalten
eingeführten Atlanten sind 16 verschiedene^). Man beachte, daß nur ein
Atlas, der Andree-Putzgersche, genau als für die Zwecke des geograph. Unter-
richtes einer höheren Schule bestinunt bezeichnet wird. Es ist dies um so
charakteristischer, als dieser mit seinem Erscheinen (1879) den heute herr-
schenden SchulaÜanten-Typus inauguriert hat^; ein Jahr später brauchte er
nur zu erscheinen, um zu bewirken, daß ein eigentlicher „Gymnasial-Atlas^^
überhaupt noch nicht iu dem Verzeichnis hätte angeführt werden können.
Freilich sind die einfach als „Schulatlanten^ bezeichneten Nrn. 1, 7, 11, 12,
13, 15, 16 wohl auch, wenn auch eben nicht ausdrücklich, für die Unter-
6) Für 1880 a. a. 0. 1880. 8. 728 u. ff. — Für 1890 a. a. 0. 1890. S. 672—694. —
Für 1900 ist die „ZusammenfiEMsende Übersicht u. s. w.*^ von Kunzes Kalender 1901
ZQ Qrunde gelegt. — Doppelanstalten sind allemal doppel gezählt, vgl. Hom, S. lY,
Vorwort. Absolute Oewähr für völlige Yergleichbarkeit der Zahlen möchte ich
aber doch nicht übernehmen.
7) a. Abkürzung der Namen der preußischen Provinzen; b. Zahl der höheren
Lehranstalten; c. Zahl der Anstalten, an denen Atlanten als eingeführt offiziell
angegeben werden.
1) 1. Adami. Schul-Atlas (26). D. Reimer. 6 UK 2. Amthor u. Ißleib.
Volks-Atlas (32). Ißleib & Rietschel. 1 JC 3. Andree. Volksschul-Atlas. Vel-
hagen & Klasing. 1 JC 4k. Andree u. Putzger. Gymn. u. s. w. Atlas. Yelhagenft
Klasing. S JC 6. Debes. Kl. Schul-Atlas (19). Wagner & Debes. 0,60 JC
6. Handtke. Schulatlas. Flemming. 0,90 JC 7. Ißleib. Neuester Schul-Atlas (44).
Ißleib & Rietzschel. 2 JC B, Kiepert, H. Kl. Hand-Atlas (16). Reimer. 7,60 JC
9. Kiepert, R. Volksschul-Atlas. Reimer. 1 ^K 10. Lange. Neuer Volksschul-
Atlas. Westermann. 1 JC 11. Liebenow. Schulatlas. Nicolai. 4,60 JC 12. von
Liechtenstern u. Lange. Schulatlas (46). Westermann. 7,20 JC 13. Schade.
Schulatlas (83). Payne. 4,80 JC 14. Sohr-Berghaus. Hand-Atlas. Flemming.
12^ 16. Stieler. Schul-Atlas. Perthes. 4UK 16. von Sydow. Schul-Atlas (42).
Perthes. 4,60 JC
2) Dies betont R. Lehmann zu Anfang der Vorrede der Erstauflage seines
Atlasses mit vollem Recht.
570
H. Fischer:
ricbtszwecke höherer Lehranstalten gedacht gewesen. Beträchtlich ist aber
doch die Anzahl der nicht direkt für Gymnasialzwecke (andere höhere Lehr-
anstalten fasse ich der Kürze halber mit unter diesen Ausdruck) bestimmt
gewesenen. So haben wir einerseits in No. 8 und 14 Handatlanten, durch
die man sofort an die oben mitgeteilte Instruktion yom Jahre 1859 erinnert
wird, die den Atlas lediglich im Hause gebraucht wissen wollte, in No. 2,
3, 9, 10, woran wohl No. 5 und 6 angeschlossen werden müssen, anderer-
seits Volks- oder Volksschulatlanten. Die ganze Kategorie umfaßt, wie schon
die 1 tÄ nicht überschreitende Preislage (trotz der damals infolge der Aus-
nutzung der Lithographie zur Herstellung billiger und doch brauchbarer
Kartenbilder eingetretenen Verbilligung) deutlich verrät, nur Atlanten, die
sich inhaltlich unterhalb der Anforderungen halten, welche man an einen
Atlas fOr höhere Lehranstalten stellen muß^).
Li der folgenden kleinen Tabelle sind die drei Atlantentypen getrennt,
1880
I. Hand-
Atlanten
11. Kleine
(Volks-) Atlanten
Preis unter 1,60 JC
in. Gymnasialatlanten
für höhere Schulen bestimmte
Atlanten
Atlasnummer. . .
Zahl d. Einfahnmgen
8
4
14
1
8
2
8
8
9
16
10
39
5
16
6
2
1
6
4
13
7
1
11
2
12
35
13
2
16 16
44 90
82
9 110 1
193
II 61
in wieviel Provinzen I 3| 1 | 1 1 6]| 9 1 10 | 7 | 2 | 6 | 8 | 1 1 1 | 6 | 2 1 11 1 11
dagegen nur die Zahlen für die ganze Monarchie gegeben. Wir sehen, daß
die Anzahl der eingeführten Gymnasialatlanten (193) immerhin ^/s ^®^ ^®'
samtzahl (280) ausmacht, und daß der Mißgriff der Bewilligung eines Hand-
atlasses verhältnismäßig selten ist. Im einzelnen sehen wir den Sydow (16)
mit 90 (327o) fast V, behaupten; in großem Abstand folgt mit 44 (l67o),
nahezu Yg, sein älterer Verlagsbruder, der Stieler (15), so daß die Firma
J. Perthes mit 134 EinfÜhnmgen noch fast zur Hälfte die preußischen höheren
Schulen auf unserem Gebiete versorgt, soweit sie überhaupt haben versorgt sein
wollen. An dritter und vierter Stelle stehen Atlanten der Firma G. Wester-
mann: Lange, Volkschul-Atlas (10), und Liechtenstern u. Lange (12),
mit 39 und 35 Einführungen, zusammen 377^, weit über Vj. Ihnen gegen-
über treten sämtliche anderen elf Atlanten sehr zurück, indem sie es zu-
sammen nur auf 56 Einführungen, genau 75, bringen. Indessen sind doch
auch hier noch beachtenswerte Unterschiede vorhanden. Sechs Atlanten sind
nur ein- oder zweimal eingeführt worden, ihre Einführung war ein verun-
glückter Versuch oder die Sanktionierung eines veralteten Herkommens. Drei
andere aber (No. 9, 5 und 4) treten mit den nicht ganz unbedeutenden Zahlen
16, 15 und 13 auf. No. 9 und 5 sind kleine Atlanten, der erste der minder
glückliche Konkurrent H. Langes, der kleine Kiepert, der andere der erste
Vorstoß der Firma Wagner und Debes auf diesem Gebiet; No. 4 endlich
1) Das Verzeichnis führt außei diesen Atlanten noch die in Gebrauch befind-
lichen Lehrbücher auf. Ein Mittelding, ähnlich den in Frankreich u. a. beliebten
Formen, scheint Stößner gewesen zu sein: „Elemente d. Geogr. in Karten und
Text u. 8. w.", übrigens nur an einer Schule in Gebrauch.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen.
571
ist der Andree-Putzger. Ich hob schon oben hervor, was sein Erscheinen
bemerkenswert macht; hier sei noch darauf hingewiesen, daß es ihm schon
gelungen war, mit seinen 13 EinftÜimngen in acht Provinzen festen Fuß
zu fassen, und sich damit, was die größeren Atlanten betrifft, unmittelbar
hinter die beiden Perthes'schen zu setzen, die überall zu finden waren, im
scharfen Gregensatz zum Liechtenstem und Lange, der sich nur in fünf öst-
lichen Provinzen (nicht in Ps.) fand. „Für höhere Schulen bestimmte At-
lanten'* zeigen 198 Einfühnmgen bei 386 höheren Lehranstalten. Also auf
den Kopf die Hälfte aller höheren Schulen hatte keine Bewilligung eines
brauchbaren Atlas nachgesucht; diese Zahl wachst noch, wenn man, der Wirk-
lichkeit entsprechend, annimmt, daß einzelne Schulen sich mehr als einen
Atlas hatten bewilligen lassen.
Wir gehen zu dem Bilde von 1890 über. Die Anzahl der Atlanten-
einführungen hat sich wesentlich vermehrt und ist von 280 auf 604 ge-
stiegen, während statt 386 Schulen 524 gezählt werden. Besonders auf-
fallend ist aber die Vermehrung der Atlantenarten, von 16 auf 28^). 1890
1890
I. Hand-
Atlanten
n. Kleine (Volks-) AÜanten
Preis unter 1,60 JC
Atlasnummer
Zahl der Fiinführungen .
16
4
25
1
2
1
8
2
4
10
7
23
11 1 12
l| 2
14
1
16
8
17
10
18
41
21
3
24
1
in wieviel Provinzen . .
6
8
M
1
(>
1
17
6
10
1(
aber mi
1 |2
t N^
1
X 6
8
(ca,
6
40
10
Vo)
2
1
III. f. höh. Schulen bestimmte Atlanten
Aüasnmnmer
Zahl der Einfahrungen . .
1 5
6 21
6
138
8
61
9
10
10
48
13 19
1 2
20
76
22
16
23
1
26
38
27
73
28
3
in wieviel Provinzen . . .
4| 9
12
12
7
11
491(82
1| 1
7o)-
11 1
-No
«1
.6-
1|
363
10 1
oa. 607^
11 1 3
1) 1. Adami-Kiepert. Schulatlas (27). Reimer. 6 JC 2. Algermissen,
D. L. Kl. Handatlas f d. Volksschulen d. Reg.-Bez. Trier. Lang. 0,50 JC 3. Am-
thor, neu bearb. v. F. Riecke. 4. Andree. Volksschulati. 1,40 JC 6. Andree-
Putzger. Gymn.- Atlas. 4,60 JC 6. Debes. Schulatlas f d. mittl. ünterrichte-
stufen (34). 1,76 JC 7. Debes. Volksachulatlas (22). 0,80 .€ 8. Debes, Kirch-
hoff u. KropatB check. Schnlatlas f d. Oberklassen höh. Lehranstalten. 6 JC
9. Diercke u. Gaebler. Schulatlas f d. mittl. Unterrichtsstufen (36). Westermann.
8,76 JC 10. Diercke u. Gaebler. Schulatlas. Zum geogr. ünterr. an höh. Lehr-
anstalten (64). Westermann. 6,60 JC 11. Gaebler. System. Schulatlas. Lang.
0,80 JC 12. Handtke. Schulatlas. 13. Ißleib. Schulatlas. 14. Keil. Elementar-
atlas f. d. Reg. 'Bez. Potsdam. Hofiinann. 0,90 JC 16. Keil u. Riecke. Deutscher
Schulatlas. Hofimann. 1,40 JC 16. Kiepert. Kl. Handatlas. 6 JC 17. Kiepert.
Volksschul- Atlas. 18. Lange. Volksschul-Atlas. 19. Liebenow, W. Schulatlas.
20. von Liechtenstem u. Lange. Schul-Atlas (48). 21. Habenicht. Elementar-
Atlas. Perthes. 1 JC 22. Richter. Atlas f. höh. Schalen. Flemming. 4,60 JC
23. Schade. Schul-Atlas. 4,60 JC 24. Kl. Schul-Atlas f. einf. Schulverhältn. (8).
Hoffmann. 0,30 JC 26. Sohr-Berghaus. Hand-Atlas. 26. Stieler. Schul-Atlas.
6 JC 27. von Sydow. Schul-Atlas. 28. Sydow- Wagner. Method. Schulatlas.
Perthes. 8 JC
572 H. Fischer:
zählt sie auf, nach Centralblatt 1890, S. 420—425. Vergleichen wir mit
1880, so ergibt sich, daß kein Atlas verschwunden ist. Die neu hinzu-
gekommenen 12 Atlanten sind: 2. Algermissen; die Gruppe der Debesschen
Atlanten (mit Ausnahme ^es schon 1880 vorhandenen kleinsten) 6 und 8; die
Dierckeschen 9 und 10; Gaebler 11; die beiden Keuschen 14 und 15;
Perthes' Elementaratlas 21; Richter 22; Nr. 24 und 28 der Sydow- Wagner.
Dem Vorläufer Andree-Putzger sind also die drei wichtigsten modernen Schul-
atlanten gefolgt: Debes, Diercke, Sjdow^ Wagner. Neben ihnen treten die anderen
Neuheiten sehr zurück. Zunächst sei darauf hingewiesen, daß die „Handatlanten"
sich mit der Zahl 5 unverändert an ihrer Stelle gehalten haben, doch be-
haupten sie mit ihr jetzt kein Prozent aller EinfQhrungen mehr. Für höhere
Schulzwecke geeignete Atlanten (1,60 JL mag als untere Grenze einiger-
maßen ausreichen, No. 6 Debes, Mittelstufe kostete 1,75 JL und stellte doch
wohl das zulässige Mindestmaß dar) behaupten nun schon 827o) ^^ ^^^
Ys; kleinere Atlanten stellen sich auf über 177o» nie^ als Ve» H^^t man
freilich Debes, Mittelstufe für höhere Schulen, was doqh sehr berechtigt ist^
allein nicht für ausreichend, so steigt 11 auf 241, etwa 40%, und m fällt
auf 353, etwa 60%.
Was die einzelnen Atlanten betrifft, so hat der 1880 noch unbekannte
Debes, Mittelstufe weitaus die höchste Zahl erreicht, die allein fast y^ aus-
macht An zweiter Stelle steht Liechtenstem und Lange, etwa 127^%, ihm
nahe kommt Sydow, beide fehlen in Hannover^ was beim Liechtenstem seltr
sam ist, und der Debes, Eirchhoff und Kropatscheksche Atlas (noch über
10%). Neben die beiden Debes'schen Atlanten sind als beachtenswerte Neue-
rung die beiden Diercke'schen getreten (No. 9 und 10). Von den übrigen
interessieren noch Andree-Putzger (No. 5), der es nur auf eine zerstreute
Verbreitung gebracht hat, nach seinen vielversprechenden Anföngen kein
glücklicher Fortgang, und der Stieler, der im entschiedenen Bückgang be-
griffen ist. Eine achtbare Zahl weist No. 22 (Richter) auf. Unter den
kleinen Atlanten steht, wenn Debes, Mittelstufe nicht dazu gerechnet wird,
der Lange obenan (No. 18 mit 41 Einführungen), ihm zunächst steht der
kleine Debes (No. 7), nur noch unbedeutende Zahlen weisen No. 4, Andrees
Volksatlas, und No. 17, Kieperts Volksschulatlas, auf. Nehme ich nun noch
allenfalls No. 15, Keil und Bieke aus, so gilt von allen anderen das oben
Gesagte. Es sind noch 13 Atlanten mit nur 28 Einführungen insgesamt.
Lehrreich ist auch eine Vergleichung der hauptsächlich beteiligten Firmen.
Jetzt steht Wagner und Debes mit seinen durchaus neuartigen Atlanten obenan
(222 Einführungen = 37 v. H.). Die Firma J. Perthes ist damit gründlich
überholt, denn sie kommt mit 119 Einführungen nur noch auf 20%, von
fast Yg zu Yg herunter. Den Vorrang vor ihr behauptet noch Westermann
mit 174 Einführungen = 29*yrQ. Alle anderen Firmen bringen es nur zu-
sammen auf 14%. Beachtung verdient auch, daß die Neuerung aus dem
Perthes'schen Verlage, der berühmte Sydow- Wagner, es nur erst auf 3 Ein-
führungen gebracht hat, freilich kostete er damals auch noch 8 JL
Wieder wesentlich anders ist das Bild von 1899. Die Zahl der ge-
bräuchlichen Atlanten ist wieder fast auf den Stand von 1880 gesunken.
Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen.
573
auf 18^). Verschwunden sind Adami, Algermissen, Amthor, Gaehler, Handtkä,
Ißleib, die beiden Kiepert, Liebenow, Perthes' Elementar- Atlas, Schade, der
SchnlaÜas f. einf. Verhältnisse, Sohr-Berghaus, Sydow. Mit Ausnahme des
letzteren führten sie schon 1890 nur eine sehr bescheidene Bolle, einige
waren Neuerscheinungen, die sich nicht zu halten vermochten, andere, wie
etwa Adami, Kiepert, Liebenow gaben die Konkurrenz auf, wieder bei
anderen zog die Firma den alten Atlas zu Gunsten neuerer ein (Sydow).
1899
1. Hand-
Atlanten
n. Kleine (Volks-) Atlanten
Preis unter 1,60 JL
Atlasnnmmer ....
Zahl der Einfflhnmgen
in wieviel Provinzen .
vaeat
vacat
vaeat
1
19
3
816
5
20
9
10
9
11
36
407 = 477o + No. 4 = 416 -= 787,
7{12| 7| 2| 6| 8| 6
14
6
m. Gymnasialatlanten
Atlasnmnmer . . * .
Zahl der Einführungen
in wieviel Provinzen .
4 1 6
8 I 206
466
7
30
8
164
12
8
13
4
16
16
= ca. 637^ -f. No. 8 = 782
— No. 4 = 468 = ca. 627,
12 I 11 I 12 I 7 I 2 I 9 1
16
12
17
4
907o;
18
17
6 I 6 I 12 I 11 I 12 I 7 I 2 I 9 j 4 I 3 I 7
Im ganzen sind 14 Atlanten verschwunden; dafür finden sich 4 Neuerschei-
nungen. Es sind Hunmiel, womit die erste Stuttgarter Firma im Norden Fuß
faßt, 2 Stufen des Lüddecke (Perthes) und Lehmann-Petzold (Velhagen und
Klasing). Nach Firmen geordnet verftlgt jetzt Wagner und Debes über 549
Einführungen, ca. 637oi und steht damit durchaus an der Spitze, es folgt
Westermann mit 223 oder ca. 267o; ^©ide zusammen beherrschen die Situa-
tion vollkonmien. Der Westermannsche Verlag tritt dann noch stärker her-
vor, wenn man bedenkt, daß sein großer Schulatlas weit mehr überwiegt
als der entsprechende an sich schon kleinere von Wagner und Debes. Ganz
in den Hintergrund gedrängt ist Perthes mit 43, etwa ö^o» fast erreicht
von Velhagen und Klasing 35, ca. 47o- Alles andere ist nicht der Rede
wert. Zu beachten ist innerhalb der einzelnen Atlasgruppen das Verhältnis
der „veralteten" zu den neuen Atlantentypen: v. Liechtenstem imd Lange
1) 1. Andree. I. Allg. Schul- Atlas v. Schillmann; Velhagen k Klasing.
a) mit bes. Berücksichtigung d. phys., b) d. pol. Verhältnisse, n. Wupperthaler
Schul-Atlas. III. Berliner Schul-Atlas. Jeder 1,60 JL 2. Andree-Putzger.
Gymn.-Atlas. 8. Debes. Schul-Atlas (4S). 1,60 JL 4. Debes. F. weitergehende
Bedürfe. (60). 2,60.;^ 6. Debes. Elementar- Atlas (Umarbeitg. 3. Volks-Atlas) (21).
0,60 JL 6. Debes, Kirchhoff, Kropatscheck. Schul-Atlas. 7. Diereke-
Gaebler. Schul-Atlas. 3,60 UK 8. Diercke-Gaebler. Schul-Atlas. 6JK 9. Hum-
mel. Schul-Atlas (39 u. Beilage). Hobbing & Büchle. 1,20 ^ä: 10. Keil u. Riecke.
Deutscher Schul-Atlas. 11. Lange. Volksschul- Atlas. 12. Lehmann u. Petzold.
Atlas f. Mittel- n. Oberkl. höh. Lehranstalten. Velhagen & Klasing. 6,60 JL
13. Liechtenstem u. Lange. Schul-Atlas. (48) 8,40 JL^ (42) 7,10 JL, (32) 4,60 JL
14. Lud decke. Deutscher Schulatlas Unterstufe. Perthes. \ JL 16. Lüddecke.
Mittelstufe. Perthes. 2,80 JL 16. Richter. Atlas f höh. Schulen. 4,60 JL
17. Stieler. Schul-Atlas, vollst, neu bearb. v. H. Berghaus. 4 JL 18. Sydow-
Wagner. Meth. Schul-Atlas. 6 ^H.
574 H. Fischer: Die Atlanten an den preußischen höheren Schulen.
4, Diercke Ober- und Mittelstufe 184, Andree-Putsger 8, ebensoviel Lehmann-
Petzold, Sydow verschwunden, Stieler 4, Sydow- Wagner und Lüddecke 17
und 16. Also bei Westermann ist der Ersatz vollkommen geglückt, bei
Perthes nicht, Yelhagen und Klasing haben vor der Hand noch keine Ursache,
von einem durchgreifenden Erfolge zu sprechen.
Auch die Gesamtsumme der Einführungen sei mit einem Worte ge-
streift. Auf 564 Schulen kommen 873. Aus diesem Verhältnis läßt sich
aber noch nicht schließen, daß wirklich auf jede Schule auch mindestens
eine Einführung kommt. An einzelnen Anstalten scheint eine Fülle von
Atlanten „eingeführt" zu sein, an anderen vielleicht keiner. Schon die Provinz-
zahlen lassen so etwas durchblicken. In SH. komimen auf 26 Schulen 54
Einf., also mehr als 2 im Durchschnitt auf jede. In Ps. nur 28 auf 20,
also wenig über 1. Schließlich gibt auch vorstehende Tabelle einen Anhalt
dieser Art Wenn ich alle Atlanten ausschließe, die für den Gesamtbetrieb
der höheren Schulen zu klein sind, also noch No. 4, was freilich nicht
sehr ins Gewicht fallt, so bekonmie ich nur 458 Atlanten, während natür-
lich 564 nötig wären, wenn jede Anstalt einen größeren Atlas eingeführt
hätte. Da nun an manchen Anstalten mehrere eingeführt sind, reicht die
Zahl 106 noch nicht aus, die sonst die Menge der sicher mit nicht aus-
reichendem Atlasmaterial versehenen Anstalten bezeichnen würde. Vergleichen
wir hier die Entmcklung seit 1880.
c = d »
a b b — a (c.l00):b
Große Atlanten Anstalten
18B0 193 386 193 507«
1890 363 624 171 ca. 38%
1899 468 664 106 ca. 19 7^
c giebt das Minimum der Anstalten, die ohne ausreichenden Atlas sich be-
helfen, d den Prozentsatz. Man sieht, die Verhältnisse haben sich seit 1880
doch wesentlich gebessert, das Minimum ist von y, auf Vs herabgegangen.
Gegenüber einem tatsächlichen Herabgang kann man freilich für das Jahr-
zehnt 1880/90 im Zweifel sein; die vielen Neuerscheinungen können ihn
vortäuschen, da anzunehmen ist, die neueren besseren Atlanten werden auch
gerade an solchen Anstalten zur Einführung gekonunen sein, wo sich ein ge-
wisses Interesse fttr Erdkunde-Unterricht schon vorher in Gestalt von bean-
tragten Einführungen bekundet hatte. Da sich aber bis 1899 die Zahl der
Atlantenarten wieder sehr erheblich vermindert hat, können wir von einer
starken Besserung der Verhältnisse während dieses Jahrzehnts mit Beoht
sprechen. Immerhin halte man die Tatsache fest, daß noch immer minde-
stens 75 aller höheren Lehranstalten Preußens die Einführung eines angemes-
senen Schulatlas nicht nachgesucht hat. Dazu aber halte man die weitere
Tatsache, daß es sich im Gegensatz zu allen anderen Schulbüchern auch 1899
bei einer „Atlaseinführung^^ nicht um die Beschaffung eines obligatorischen
Lehrmittels gehandelt hat. Man wird danach zugeben müssen, daß auch
heute noch die Atlasfrage für die preußische höhere Schule ihrer befrie-
digenden Lösung ziemlich fem ist. Es kann hierbei die Bemerkung nicht
unterdrückt werden, daß neben anderen Gründen das Fehlen solcher Herren
Martha Erng-Genthe: Der Ohinook. 575
im höheren Lehr£ache, die sich berufsmäßig für die Interessen eines gedeih-
lichen geographischen Unterrichts interessiren müssen, also geographischer
Fachlehrer, diese Langsamkeit der Entwicklung verschuldet.
Eine andere Quelle, aus der man man Nachweise über die Verbreitung
der einzelnen Atlanten schöpfen kann, sind die Schulprogramme. Indessen
ist der Erfolg der mühseligen Arbeit, die einzelnen Angaben aus den Pro^
grammen herauszupicken, schwerlich lohnend genug, da die Angaben wenig
gleichmäßig sind; des öfteren sind sie ungenau, oft fehlen sie auch ganz. Ein
Beispiel habe ich in meinem Vortrage in Breslau gegeben. Die Angaben
bezogen sich auf zwei preußische Provinzen (Brandenburg und Pommern) im
Jahr 1899 und lauteten folgendermaßen: „Von 106 Anstalten bekannten sich
5l7o zur Atlaseinheit bis obenhin, noch etwa 11% ^^^ zu einer niederen
Klasse, bei weiteren 1 1 % fanden sich keine Bücherangaben und mehr als
267o? ^^®^ Vi aller Anstalten, verharrten noch in der alten Anarchie."^)
Außer den „höheren Schulen" im engeren Sinne, den Gymnasien, Real-
gymnasien, Oberrealschulen und ihrem Anhange, kommen in Betracht noch
die anderweitigen preußisciien Schulen mit höheren Lehransprüchen, die Semi-
narien mit Präparandenanstalten und die höheren Töchterschulen. Über die
letzteren hat Schlottmann einige Zahlen veröffentlicht. Er fand bei 190
Programimen „Atlaseinheit" in 737oi „Auswahl" in 12%, vom Reste fehlten
Angaben. Von den ersteren besitze ich kein zahlenmäßiges Material, doch
habe ich in einigen brandenburgischen Seminarien den „großen Diercke" ein-
geftihrt gefunden, dessen Gebrauch auch in anderen Seminarien mir aus
persönlicher Mitteilung bekannt ist In den Präparandenanstalten fand ich
keine solche Einheitlichkeit; der „mittlere Diercke" würde sich hier empfehlen,
wenn er nicht vom Verlage gar so stiefinütterlich behandelt worden wäre.
Der Cliinook.
über das Auftreten eines Riesenföhns berichtet der amerikanische Staats-
meteorologe Alvin T. Burrows in dem kürzlich erschienenen Jahrbuch des
landwirtschafblichen Amtes der Vereinigten Staaten *). Es ist dies ein im
Nordwesten des Landes auftretender warmer Winterwind, der unter dem
Namen Chinook der Bevölkerung dieser Distrikte wohlbekannt ist, aber in
der erwähnten Arbeit seine erste wissenschaftliche Bearbeitung gefanden hat.
Das Verbreitungsgebiet des Chinook ist für einen Wind dieser Art außer-
ordentlich groß. Es umfaßt die Staaten Washington, Oregon, Idaho, Wyoming,
Montana und die beiden Dakotas, imd in einzelnen Fällen sollen seine Spuren
bis nach Nebraska, Jowa, Minnesota und selbst Wisconsin, also in einem
Umkreise von 1000 — 1500 km, nachgewiesen worden sein, d. h., auf den
Föhn der Alpen übertragen, ein Gebiet, dessen Grenzen bis Madrid, Brest,
Kopenhagen, Danzig, Debreczin und eventuell bis Stockholm und Riga aus-
gedehnt gedacht werden müßten.
1) Verhandlungen d. XTTI. deutschen Geogr.-Tages. S. 90.
2) A. T. Burrows. The Chinook Winds. Department of Agriculture. Year
Book 1902.
576 Martha Erng-Genthe:
Der Chinook wird beschrieben als ein trockener, warmer Wind, der
w&hrend des Winters in unregelmäßigen ZwischenrÄumen mit großer Plötz-
lichkeit eintritt, bald einige Stunden, bald Tage lang anhält und vor dem
die strengste Kälte sich in kürzester Zeit in Frühlingstemperatur umwandelt
Er tritt auf, wenn über den Hochflächen im Inneren der Felsengebirge
(Great Basin etc.) ein barometrisches Maximum, auf den Hochebenen jenseits
der umschließenden Bergketten aber ein Minimum vorhanden ist. Unter dem
höheren Luftdruck des Inneren steigt die Luft an den Bandgebirgen empor,
wo sie ihre Feuchtigkeit völlig abgibt, überschreitet den Kamm und gelangt
als trockener Fallwind, dessen Temperatur sich im Herabsinken durch Kom-
pression beständig steigert, auf die jenseitigen Hochebenen hinab. Je nach
der Größe des Druckunterschiedes auf beiden Seiten der Gebirgskette ge-
schieht dies bald als sanftes Überfließen, das eine frühlingsgleiche Brise er-
zeugt, bald als verheerender Sturm; in allen Fällen aber ist seine Absorptions-
fähigkeit so groß, daß der Schnee vor ihm nicht taut, sondern direkt verdunstet
Ans Fabelhafte grenzen die Mitteilungen über die ihn begleitenden
Temperaturumschläge. 1896 z. B. trat in Montana der Frühwinter mit
solcher Strenge auf, daß schon Ende November dreißig Zoll Schnee lagen
und die großen Herden der dortigen Viehzüchter dem Verhungern nahe
waren. Am Abend des 1. Dezembers stand das Thermometer auf — 13® (F.)
bei Windstille und klarem Himmel. Plötzlich tauchte über dem westlichen
Gebirgsrande eine große schwarze Wolkenbank auf, in wenig Minuten war
schon ein warmer Lufthanch zu spüren, und sieben Minuten später war das
Quecksilber um 34® (F.) gestiegen. Der Wind nahm ständig zu bis zu einer
Geschwindigkeit von 25 Meilen, und das Thermometer stieg bis auf 38® (F.).
Innerhalb zwölf Stunden waren die dreißig Zoll Schnee verschwunden wie
weggeblasen, die Weiden waren grün und frisch wie im März.
Die Viehzüchter der Gegend schätzen daher den Chinook als den Er-
halter ihrer Herden, ohne den sie ihre großen Viehbestände, die Sommer und
Winter im Freien bleiben müssen, nicht durch die strenge Jahreszeit bringen
könnten. Die Tiere selbst scheinen einen Instinkt fär sein Kommen ent-
wickelt zu haben. Wenn die Kälte zu lange anhält und sie von Hunger
gequält werden, sieht man sie im knietiefen Schnee stehen, die Köpfe den
Bergen zugekehrt, als ob sie auf sein Kommen warteten. Ein Beobachter
auf der meteorologischen Station zu Kipp im nördlichen Montana behauptet
sogar, daß dort selbst für den Menschen das Überwintern ohne den Chinook
seine Schwierigkeiten haben würde.
Nicht minder wichtig ist der Chinook f&r die Regulierung der Wasser-
läufe. Ihm ist es zu danken, daß trotz des ungeheuren Schneefalles in diesen
Gegenden die Früligahrshochwasser nicht annähernd denselben Umfang an-
nehmen wie in anderen Teilen des Landes. Indem er auf den niedrigeren
Hochflächen den jeweils liegenden Schnee entfernt und auf den Höhen und
in den Schluchten, wo er nicht alles aufsaugen oder vielleicht nur schmelzen
kann, die Schneemassen in Firn oder Eis verwandelt, verhindert er einerseits
die Ansammlung großer Schneemassen, durch die die Schneeschmelze gefähr-
lich wird, und erhält auch einen bis in den Frülisomimer hinein reichenden
Vorrat von Schmelzwasser, der in den von ihm bestrichenen Teilen des
Landes die fließenden Gewässer weit über ihre sonstige Zeit hinaus auf be-
friedigender Höhe örhält. Die Jahre, in denen der Chinook selten ist, zeich-
nen sich stets durch Hochwasser im Frühjahr und schlechten Wasserstand
der Flüsse im Sommer aus. Der Umfang der Frühjahrshochwasser des
Der Chinook. 577
Eolumbia hängt nachweislich nicht von der Menge des im Winter gefallenen
Schnees ab.
Die folgende Tabelle veranschaulicht die großen Wärmeschwankungen,
die einen am 9. und 10. Janaar 1894 beobachteten Chinook begleiteten,
ebenso wie die Größe des Gebietes, auf dem sein Einfluß sich geltend machte.
Es ist nur ein Beispiel von vielen.
iT4JU
Met Station ''^^^^^^l'^-
Roseburg, Ore.
84 F.
Portland, Ore.
34
FortCanby,Wa8h.
88
Seattle, Wash.
82
Walla, Wash.
28
Spokane, Wash.
Helena, Mont.
14
10
Miles City, Mont.
-6
Havre, Mont.
20
Biamarck, N. D.
—22
Temperatur am 10. Jan.
8 Uhr morgens
Wechsel ;
44 F.
10
42
8
42
4
40
8
46
18
34
20
38
28
40
46
32
12
82
54
Während dieses Chinook war das barometrische Maximum mit 30,7 Zoll über
Nevada und das Minimum mit 29,8 Zoll über dem nördlichen Montana.
Merkwürdig ist, daß der Chinook nicht inmier genau dem Abhang des
Gebirges folgt, sondern oft in einer weniger steilen Ebene abwärts fließt, so
daß er die Ebene hundert oder mehr Meilen vom Fuße des Gebirges ent-
fernt erreicht. In solchen Fällen findet sich dann während eines Chinook das
Gebiet milderer Temperatur auf den höheren Teilen des Gebirges und weiter
draußen in der Ebene, während dazwischen, nahe dem Fuße des Gebirges,
die Temperatur auf Null und tiefer stehen kann. Ein Beispiel dieser Art
wird aus Kipp, Mont. berichtet. Die Station daselbst, 4400 Fuß hoch ge-
legen, hatte am 13. Februar 1897 6® F. mit Nordwestwind, klarem Hinunel
und sieben Zoll Schnee, während in Sunrndt, Moni, 5500 Fuß hoch, 39® F.,
Südwestwind und starke Bewölkung vorhanden waren. Der Chinook hatte
hier seit 13 Stunden geweht, aber das 38 Meilen entfernte Kipp noch nicht
erreicht Nach zwei Tagen aber stieg das Thermometer in Kipp in 12 Minuten
um 40® F. Reisende, die das Gebirge auf der Pacifikbahn fa'euzen, machen
oft die Erfahrung, daß sie auf der Paßhöhe müdes, warmes Wetter antreff'en
und bei der Talfahrt schon eine halbe Stunde später in Temperaturen imter
0® F. gelangen.
Der Chinook ist in den Staaten östlich vom Felsengebirge naturgemäß
ein West- oder Südwestwind, während er in Kalifomien und Oregon von
Osten und Südosten kommt. Eine Abart ist daselbst der vom Kaskaden-
gebirge herab wehende Chinook, der öfter Feuchtigkeit enthält und sogar
Niederschläge im Gefolge hat, auch weniger starke Temperaturumschläge
hervorruft. W. S. Pague, der Direktor der meteorologischen Station in
Portland, Ore.*), erklärt den Feuchtigkeitsgehalt dadurch, daß der herab-
steigende Wind mit dem Seewinde vom Pazifischen Ozean zusanunentreffe
und daher kein reiner Chinook mehr sei, die geringere Temperaturzunahme
dadurch, daß in diesen Teilen des Landes die Kältegrade nie die Höhe der-
jenigen des Inlandes erreichen, so daß der Kontrast zwischen den Tempera-
turen vor und nach dem Eintreten des Windes naturgemäß nicht so groß
ausfaUen könne. Doch sind diese Verhältnisse noch nicht zum Gegenstand
1) Pague. Weather Forecasting on the Pacific Coast
a«ographiaohe ZeitMhrift 9. Jahrgang. 1903. 10. Heft 89
^ .>4,-.-<*
578 Martha Krug-Genthe: Der Cbinook.
eingehenderen Studiums gemacht worden. Vielleicht wird, wenn diese Lücke
erst ausgefiillt ist, der Name Chinook auf diese Winde gar nicht mehr an-
gewandt werden können.
Die Spuren der Jugendlichkeit der geographischen Wissenschaft, die
kritiklose Anwendung gleicher Namen auf äußerlich ähnlich scheinende und
dabei innerlich oft ganz verschiedene Phänomene zeigen sich auch in der
Geschichte des Namens Chinook. Was heute wissenschaftlich so genannt
wird, ist alles andere als was das Wort ursprünglich bedeutete. Chinook,
der Name eines Indianerstammes am Stillen Ozean, wurde von den Ansiedlem
der Hudson Bay Für Company in Astoria, Ore., als Name der feuchten See-
winde gebraucht, die „vom.» Lager der Chinooks her" nach ihrer Station
wehten, und in dem Maße, wie das Land besiedelt wurde, verbreitete sich
der Name weiter landwärts zur Bezeichnung jedes warmen Winterwindes, ob
feucht oder trocken, ob vom Gebirge oder der See. Noch jetzt heißen im
Sprachgebrauch jener Gegenden auch die feuchten Seewinde Chinook. Nach-
dem der vorwiegende Gebrauch des Wortes wissenschaftlich für Winde ganz
anderer Art angenommen worden ist, ist es aufs dringendste zu wünschen,
daß die wissenschaftlichen Geographen Amerikas eine reinliche Scheidung
zwischen den beiden (oder, wenn man die von Pague beschriebenen be-
sonders nimmt, drei) Windarten vornehmen möchten, die auch in verschiedenen
Namen ihren Ausdruck findet, damit die weitere Bearbeitung dieses interessanten
Problems nicht durch die in seiner Begriffsbestimmung herrschende Verwimmg
an seiner völlig befriedigenden Lösung verhindert werde.
Dr. Martha Krug-Genthe.
C. Schmidts geologische Wandtafeln.
Jeder Dozent der Geographie und Geologie wird gefunden haben, daß
von allen Zweigen dieser Wissenschaften die Lehre vom Gebirgsbau dem
Verständnis der Anfönger zu erschließen am schwierigsten ist Exkursionen
zur Erläuterung verwickelter tektonischer Erscheinungen sind bei vielen Hoch-
schulen durch ihre geographische Lage ausgeschlossen; aber auch bei den
günstiger gelegenen muß die Beobachtimg in der Natui* durch Profile und
andere Anschauungsmittel im Hörsaal erklärt und ergänzt werden, wenn sie
vom AnfäDger verstanden und behalten werden soll. Derartige Anschauungs-
mittel für den Unterricht im Gebirgsbau, speziell Profile als Wandtafeln
zur Demonstration vor größerem Hörerkreise, sind bisher so gut wie gar
nicht veröffentlicht worden.
Es ist daher sehr erfreulich, daß C. Schmidt, der rühmlichst bekannte
Baseler Professor der Geologie, eine Reihe derartiger Wandtafeln hergestellt
hat, welche die Mineralien - Firma Grebel, Wendler & Cie in Genf in
Negrographie vervielfältigt und mit lichtbeständigen Aquarellfarben mit der
Hand angelegt in den Handel bringt. Die meist langen bandförmigen Streifen
sind auf Leinwand aufgezogen. Zeichnung, Schrift, Signaturen und Farben
sind vorzüglich klar und auf größere Entfernung trefflich wirksam, dabei
keineswegs grell, sondern für das Auge angenehm. So kann die Darstellung
technisch als dem Zweck durchaus entsprechend bezeichnet werden. Daß die
Profile in wissenschaftlicher Hinsicht geschickt ausgewählt imd nach den
besten Quellen, die zumeist auch angeführt werden, gewissenhaft bearbeitet
sind, braucht bei der vielseitigen Erfahrung und BedeutuDg des Verfassers
A. Philippson: G. Sohmidts geologische Wandtafeln. 579
nicht hervorgehoben zu werden. Vor allem ist zu rühmen der richtige Takt
in der Generalisierung, die sich möglichst an die Natur anschließt, ohne mehr
Einzelheiten aufzunehmen, als sich mit Anschaulichkeit und Femwirkung
verträgt.
An erster Stelle ist die prächtige Serie von fünf, ohne Überhöhung ge-
zeichneten Profilen durch die Schweizer Alpen zu nennen, die auf einem
Streifen von 5 X 1,2 m angebracht sind (mit 36 Farben und Signaturen,
Preis 125 Francs). Vier Querschnitte in 1:33 333 (Sentis — Comer See;
Rigi — Gotthard — Lugano; Pilatus — Grimsel — Arona; Moleson — Monterosa
— Val Sesia) geben ein lebensvolles Bild des zonaren Aufbaues des Gebirges.
Die Molassezone, die Flysch- und Kalkalpen mit der Glamer Doppelfalte (in der
alten Heimschen Auffassung) und mit den großen Überschiebungen, besonders
der WaadÜänder Alpen; dann die steilgefaltete krystalline Zone des Aar*
und Gotthard -Massivs, im Gegensatz dazu das breite Gneißge wölbe der
Monterosa-Zone; endlich wieder die intensive Faltung des Seengebirges treten
vorzüglich in die Erscheinung. Das (fünfte) Längsprofil der Centralalpen
vom Mont Blanc bis zur Flüela in 1 : 66 666 schneidet ebenfalls viele Fal-
tungen, besonders im östlichen Teil, dem beginnenden Ostalpenbogen.
Nicht minder instruktiv führt uns die Profilserie durch den östlichen
Schweizer Jura die einfacheren, für den ersten Unterricht besonders ge-
eigneten Verhältnisse dieses Gebirges vor Augen. Sieben Querprofile von
Nord nach Süd, in der Beihenfolge von Ost nach West angeordnet (Walds-
hut — Brugg — Mellingen bis Basel — Solothum) in 1:10 000, ebenfalls ohne
Überhöhung, sind auf zwei Tafeln von je 4 X 0,8 m verteilt (Preis 105 Francs).
Sie zeigen uns die auf die alte Masse des Schwarzwalds aufgelagerte ebene
Trias -Jura -Tafel mit ihren Verwerfungen; im Gegensatz dazu den Falten-
jura, der im Osten schmal und mit starken Überschiebungen beginnt, dann
nach Westen sich allmählich^ verbreitert imd dabei in regelmäßigere Falten
legt, während die Überschiebungen sich mehr auf den Nordrand beschränken;
die Vorfalte des Blauen gegen die Oberrheinische Tiefebene; im Süden den
Band der ebenen Schweiz mit ungefaltetem Jura und Tertiär.
Sehen wir hier Schollen- und Faltengebirge nebeneinander, so ver-
anschaulicht die Profilserie durch Vogesen, Oberrheinische Ebene und
Schwarzwald (6,4 X 0,9 m, 4 Profile, 1 : 25 000 Länge, 1 : 12 500 Höhe,
also doppelte Überhöhung, Preis 115 Francs) Bumpf- und Schollengebirge und
Grabenbruch. Sehr eindrucksvoll ist der ungemein sanfte, fast bruchlose
Abfall der mesozoischen Tafeln nach beiden Außenseiten, der Abbruch nach
Innen zum Graben, aus dem der vulkanische Kaiserstuhl, die Tertiärhügel
von Mühlhausen u. a. hervorragen. Auch der Einbruch des Hegau mit
seinen Eruptivkegeln wird noch getrofifen.
Ln Vergleich mit diesen großen Tafeln, die eine Fülle von Erscheinimgen
darbieten, machen die kleineren Profile fremdländischer Gebirge einen ein-
facheren Eindruck, so daß auch vielfach ein kleinerer Maßstab gewählt worden
ist. Teils liegt dies in der Natur begründet, teils aber auch an der weniger
fortgeschrittenen Einzeluntersuchimg. Der Schnitt durch den Kaukasus,
die Kur-Ebene und das Armenische Hochland (6,1:0,4 m, 1:66 666
Länge, 1:50 000 Höhe, also wenig überhöht, Preis 40 Francs) führt von
Wladikawkas über die Grusinische Heerstraße und Tif lis zimi Ararat. Er zeigt
uns den Kaukasus als ein großes, nach S überliegendes Faltengewölbe, in
dessen Kern ein breiter Gürtel steil gefalteter paläozoischer Schiefer zu Tage
Ö9*
580 A. Philippson: G. Sobmidts geologische Wandtafeln.
tritt, vom Bieseovalkan des Kasbek überragt. (Diese Schiefer dürften übrigens
sehr verschiedene Altersstufen enthalten, ähnlich den Bündner Schiefem der
Ostschweiz.) Die Kur-Niederung besteht aus gefaltetem Tertiär, zu einer
Fastebene denudiert. Der Antikaukasus erscheint als eine sanftansteigende
BumpfAäche auf Gneiß, mit Kroideschollen darauf. Dann folgt südwärts eine
tiefer gesunkene Scholle: ein paläozoisches Bumpfgebirge, von Kreide, Tertiär
und gewaltigen Vulkanen (z. B. Ararat) überlagert.
Die Tafel: Kartenskizze (1:90 000) und Profil (1:17 500 Länge,
1:2000 Höhe) der Halbinsel Apscheron (2,1 X 0,89 m, 45 Francs) ist
eine Vergrößerung der Tafel 7 der Geograph. Zeitschrift IV, 1898.
Das Querprofil durch den Ural auf 55® n. Br. (3,52 X 0,42 m,
1 : 83 333 Länge, 1 : 20 000 Höhe, 35 Francs) mußte bei den flachen Formen
stark überhöht werden. Es zeigt uns ein typisches Bumpfgebirge, dessen
Oberfläche, trotz intensiver Faltung des Untergrundes, von beiden Seiten fast
unmerklich ansteigt, nur dort von ausdrucksvolleren Höhenzügen überragt,
wo harte Gesteine (Quarzit und Granit) auftreten. Die Unterscheidung der
verschiedenen Höhenstufen der Denudationsflächen würde eine noch größere
Überhöhung verlangt haben. Allerdings wird das Belief in der Natur etwas
reicher durch die Täler, die auf dem Profil nicht hervortreten. Das gefaltete
Gebirge setzt sich auch unter der westsibirischen Ebene fort. Sehr lehrreich
ist auch das unter dem geologischen angebrachte orographische Profil ohne
Überhöhung; es ist, kurz gesagt, nur ein schwarzer Strich, der nach der
Mitte zu etwas dicker ist, und in weiten Abständen isolierte kleine Er-
höhungen aufweist, eben jene Züge härteren Gesteins.
Der Querschnitt durch die Bocky Mountains (3,48 X 0,63 m,
1 : 250 000 Länge, 1 : 50 000 Höhe, also fanfinal überhöht, 40 Francs), von
Canyon City zum Lake Bonneville, veranschaulicht den sehr einfachen Bau;
das flache Faltengewölbe der Park Bange, das. ebene Becken des Ghund- und
Green-Biver, den nach W aufgebogenen und abgebrochenen Band (Wasatsch-
Gebirge) zum Great Basin.
Eine andere Tafel (2 X 1 m, 60 Francs) gibt ein Längsprofil durch den
Niagara-Fall von See zu See (1:4000 Länge, 1:1500 Hölie), ein Profil
und eine Spezialkarte des eigentlichen Falls sowie eine Yogelschauansicht.
Das Profil durch Banka und Süd-Sumatra (4,5 X 0,35 m, 1:167000,
nicht überhöht, 30 Francs) läßt diese Inseln abgesehen von den Vulkanen
fast eben erscheinen. In einem paläozoischen Bumpfgebirge mit Granite
stocken ist in Simiatra ein großes Einbruchsfeld eingesenkt, erfüllt mit flach-
gefaltetem Tertiär und tertiären Eruptivgesteinen.
In den zwei Profilen durch Java (auf einer Tafel, 3,5 X 0,45 m,
1:100 000, nicht überhöht, 32 Francs) überwiegen mäßig gefaltete Kreide
und Tertiär imd die mächtigen Vulkane.
Die Sammlung ist ein ganz vorzügliches Anschauungsmittel und man
möchte ihr die weiteste Verbreitung wünschen. In diesem Sinne ist es be-
dauerlich, daß die Preise der Tafeln recht hoch sind. Auch firägt es sich,
ob sie nicht handlicher montiert werden könnten. Die bis 6,4 m langen
gerollten Streifen sind z. T. unbequem zu handhaben; man hat nicht inmier
eine so lange ununterbrochene Wandfläche zur Verfügung, auch möchte man
bald diese, bald jene Tafel vorführen. So würde es sich vielleicht empfehlen,
die langen Profile in einzelnen Sektionen auf Papptafeln aufzuziehen, die
man nach Belieben bald nebeneinander hängen oder stellen, bald auch einzeln
herausnehmen kann. A. Philippson.
Geographische Neuigkeiten.
581
Geograpliisclie Nenigkeiten.
Allgemeines.
♦ Die Schreibweise der geogra-
phischen Nainen in den deutschen
Schutzgebieten ist vom Reichskanzler
durch eine Verordnung geregelt worden,
die geeignet erscheint, auf die deutsche
Schreibweise geog^raphischer Namen im
allgemeinen angewandt zu werden, und
so einen Weg zur Lösung dieser viel um-
strittenen Frage zeigt. Die neue Verord-
nung stellt sich entschieden auf den pho-
netischen und zugleich nationalen Stand-
punkt, indem sie den Grundsatz aufstellt,
daß die Ortsnamen der Naturvölker mög-
lichst lautgetreu mit einer Mindestzahl
deutscher Schriftzeichen wiederzugeben
seien. Die Verordnung bestimmt femer,
daß bei der Schreibung der Schutzgebiet-
namen jedem Laut nur ein Zeichen, und
stets das nämliche, zukommen soll. Der
Laut, den wir mit f, v, ph oder ff be-
zeichnen, ist stets durch f, der Laut, für
den wir sonst k, c, ck, q oder ch schrei-
ben, ist ausschließlich durch k wiederzu-
geben. Für qu ist kw, für z ist ts zu
schreiben; der weiche s-Laut wird durch
s, der scharfe s-Laut durch ss bezeichnet.
Vokale und Diphthonge werden so ge-
schrieben, wie sie in der deutschen Sprache
klingen: für äu, eu, oi und 07 wird nur
eu, für ai, ei, ay und ey nur ei gesetzt.
Besondere Dehnung eines Vokals wird
nicht durch Verdoppelung desselben oder
durch Zufügen von h oder, wie bei i,
durch Zufügen von e ausgedrückt, son-
dern durch einen Dehnungsstrich (Agöme).
Besondere Kürzung wird nicht durch Ver-
doppelung des folgenden Konsonanten,
sondern durch das Kürzezeichen kenntlich
gemacht (Sehe). Es wäre wünschenswert,
daß in geographischen Lehrbüchern diese
Vorschriften Anwendung fänden und daß
bei Umschrift fremder geographischer
Namen nach unseren Lautwerten und
nicht nach englischen oder französischen
umgeschrieben würde
* Zur Messung der Größe und
Bewegung der Meereswellen hat
neuerdings Geh. Admiralitätsrat Rottok
ein Verfahren vorgeschlagen, das auf
photographischen Aufnahmen an Bord
und nachheriger Ausmessung der erhal-
tenen Bilder an Land mittels des Stereo-
komparators oder des Stereoplanigraphen
beruht. Zur photographischen Aufnahme
der Wellen an Bord sind zwei Kameras
erforderlich, die in genau gemessenem
Abstände von einander so aufgestellt sind,
daß die photographisohen Platten in einer
der Standlinie parallelen Ebene liegen
und die optischen Achsen der Objektive
senkrecht zur Plattenebene stehen. Diese
Au&ahmen in Verbindung mit Bestim-
mungen der Geschwindigkeit oder der
Periode der Wellen liefern alle Daten,
die zur Charakteristik und DarsteUimg
der Wellen erforderlich sind; sie werden
auch dazu dienen können, das Studium
der Interferenz der Wellen, wie sich diese
tatsächlich auf dem Ozean abspielt, zu
ermöglichen. Die nautische AbteUung des
Reichsmarineamts beabsichtigt, demnächst
Versuche nach dem angedeuteten Ver-
fahren anstellen zu lassen.
* Der deutsche Forschungsdamp-
fer „Poseidon", welchen die Reichs-
regierung zur Ausführung der Deutsch-
land zukommenden Arbeiten bei der
internationalen Meeresforschung
(Vn. Jhrg. S. 466) hat bauen lassen, unter-
nimmt seit Mai 1902 jährlich vier Termin-
fahrten, die im Februar, Mai, August und
November stattfinden und bei denen jedes
Mal die vorgeschriebenen Linien des
deutschen Arbeitsgebiets in der Nord-
und Ostsee zu befahren sind. Neben
diesen Forschungsfahrten bleibt dem Schiff
viele freie Zeit, die es zu biologischen
Untersuchungsfahrten unter der Leitung
der biologischen Anstalt auf Helgoland
oder zu Forschungsreisen in die nördliche
Nordsee benutzt, um die deutsche See-
fischerei durch Aufsuchen neuer Fischerei-
gründe zu fördern. Die im Dezember
1902 und Januar 1903 im Verein mit
drei deutschen Dampfern zvirischen der
fischreichen Küste des mittleren Nor-
wegens und den Shetland- Inseln vom
„Poseidon" ausgeführte Versuchsfischerei
hatte wegen der Ungunst der Witterung
leider keinen Erfolg, aber der als Hydro-
graph an der Fahrt beteiligte Dr. Perle-
witz aus Berlin vermochte in den be-
suchten Gebieten verschiedene hydro-
graphische Forschungen auszuführen. Am
2. Sept. 1903 hat dann der „Poseidon"
582
Geographische Neuigkeiten.
eine nene Versnchsfahrt von Geestemünde
ans angetreten, an der die obersten Be-
hörden des zustSjidigen Ressorts teil-
nahmen. Außerdem befanden sich an
Bord fünf Biologen, Chemiker und Phy-
siker der Kieler Universität, ein Meteoro-
loge der deutschen Seewarte in Hamburg
und ein Mitglied der biologischen Station
auf Helgoland. Die Fahrt ging zunächst
in die Nordsee, wo wissenschaftliche und
praktische Fischereiversuche und gemäß
getroffener Vereinbarung vergleichende
Fischzüge mit dem englischen Regierungs-
dampfer „Huxley" ausgeführt wurden.
Dann ging es durch den Kaiser Wilhelms-
Kanal in die Ostsee, wo hauptsächlich
die Fauna und Flora des Greifswalder
Boddens und die Frage der Grundschlepp-
netzfischerei untersucht wurden.
Asien«
* Die wirtschaftliche Erschlie-
ßung Sibiriens ist durch den Bau der
transsibirischen Eisenbahn nicht durch-
greifend gefördert worden, da nur einige
Ausfuhrartikel, wie Tee, Edelmetalle,
Butter, die hohe Eisenbahn&acht zu tra-
gen vermögen, während die landwirt-
schaftlichen Haupterzeugnisse, Getreide,
Vieh, Fleisch und Holz, von der Ausfuhr
auf diesem Wege der hohen Kosten wegen
fast ausgeschlossen sind. Die großen
sibirischen Ströme, Ob und Jenissei mit
ihrem weitverzweigten Netz von schiff-
baren Nebenflüssen, so günstig sie auch
der Ausfuhr aus dem innersten Sibirien
zu liegen scheinen, sind zu diesem Zwecke
nicht nutzbar, da schon A. E. Norden-
skjöld durch seine von 1876 bis 1878
entlang der Nordküste Asiens ausgeführ-
ten Dampferfahrten den Beweis erbracht
hat, daß zwar das Karische Meer und die
Mündungen der großen nordasiatischen
Ströme unter günstigen Verhältnissen
der Schiffahrt zugänglich wären, daß aber
der Seeweg nach Sibirien unter gewöhn-
lichen Verhältnissen für kommerzielle
Zwecke wenig geeignet ist. Um die be-
sonders schwierigen Schiffahrtsverhältnisse
im Karischen Meer zu umgehen, ist man
dann neuerdings dem Gedanken näher
getreten, eine überseeische Verbin-
dung mit Sibirien über die Petschora-
Mündung herzustellen und den Verkehr
vom Ob auf Landstraßen über den Ural
nach der unteren Petschora zu leiten.
In Petermanns Mitteilungen (1903. S. 190)
geht A. Sibiarkow näher auf diesen
Gegenstand ein und erwähnt, daß jetzt
bereits seit 17 Jahren zwischen Archangel
und der Petschora-Mündung regelmäßige
Dampfertouren bestehen und daß in der
letzten Navigationsperiode die Petschora-
Mündung schon von 16 russischen und
ausländischen Dampfern zu verschiedenen
kommerziellen Zwecken besucht worden
ist. Um auch Sibirien an dieser über-
seeischen Verbindung mit Europa teil-
nehmen zu lassen, wäre der Bau einiger
Landstraßen über den Ural zum Ob nötig,
von denen gegenwärtig nur eine auch im
Winter passierbare zwischen dem Dorfe
Schtschugorskoje an der Petschora und
Ljapin an der Sygwa, wo die Dampfer
aus dem Ob und Lrtisch anlegen, existiert.
Die Schaffung eines anderen Ausfuhr-
weges vom Ob aus bezweckt der russische
Ingenieur Getto durch den Bau einer
Polarbahn, die, bei Obdorsk am Ob
ausgehend, bis zur Belskowbucht am Eis-
meer, 60 Werst südlich von der Jugor-
straße, gehen soll (Export 1908. Nr. 37).
Die Schiffe brauchten also nicht das Ka-
rische Meer zu berühren und mit der
Belskowbucht kann die Verbindung von
der See her über fünf Monate aufrecht
erhalten werden. Die projektierte Bahn
würde 360 Werst lang werden und gegen-
über der Fahrt durchs Karische Meer
und um die Jalmalinsel eine Abkürzung
von 2000 Werst bringen. An der tech-
nischen Ausführbarkeit der Bahn ist an-
gesichts der unter schwierigeren Verhält-
nissen ausgeführten Bahnbauten in Alaska
nicht zu zweifeln, ebensowenig wie an
der Rentabilität derselben, da, trotzdem
die sibirische Landwirtschaft noch in den
Anfängen steckt, allein im Gt)uvemement
Tomsk 1899 mindestens 36 Mill. Pud Ge-
treide zur Ausfuhr bereit lagen und der
größte Teil hiervon seinen Weg der Bil-
ligkeit und Schnelligkeit wegen Ob ab-
wärts über die neue Polarbahn zum Meere
hin nehmen würde. Die Kosten der Bahn
sind auf 28 Millionen Rubel veranschlagt
* Der russische Machtbereich in
Ostasien hat kürzlich dadurch eine
große Erweiterung erfahren, daß durch
kaiserlichen Ukas aus dem General-
gouvernement des Amur und dem
Kwantunggebiet eine besondere Statt-
halterschaft unter dem Admiral Alexe-
Geographische Neuigkeiten.
583
jew gebildet worden ist. Dieser Schritt
kommt einer tatsächlichen Einverleibung
der ganzen Mandschurei in das russische
Reich gleich, wie aus den Machtbefug-
nissen des neuemannten Statthalters her-
vorgeht. Durch den Ukas wird der Statt-
halter mit höchster Gewalt in allen Zwei-
gen der Zivilverwaltung des Gebietes be-
kleidet, die gleichzeitig der Leitung der
russischen Ministerien entzogen wird. Ihm
liegt auch die Sorge für Buhe, Sicherheit
und Wohlfahrt ob, sowohl der an der
chinesischen Ostbahn liegenden Gegenden
als auch der an die Statthalterschaft an-
grenzenden, jenseit der Grenze liegenden
russischen Besitzungen. Bis zu dem Er-
laß eines Gesetzes über die Zuständig-
keiten und Pflichten des Statthalters gel-
ten für die Verwaltung des fernen Ostens
die 1846 für die kaukasische Statthalter-
schaft erlassenen Bestimmungen. Die
diplomatischen Beziehungen im Verkehr
dieser Gebiete mit den Nachbarstaaten
werden vom Statthalter geleitet. Ihm
wird auch das Kommando der russischen
Kriegsflotte im Stillen Ozean sowie aller
Truppen des Gebietes übertragen. Ein
besonderer Ausschuß unter dem Vorsitz
des Kaisers wird die Anordnungen des
Statthalters mit den allgemeinen staatlichen
Absichten und der Tätigkeit der Mini-
sterien in Einklang bringen.
♦ Von einem Kanonenboot der Ver-
einigten Staaten in Besitz genom-
men wurden im Juli d. J. sieben Inseln
in der Sandakanbucht auf Nord-
Bomeo und im September drei Inseln
in der Darvel bucht an der Südostküste
Nord-Bomeos. Die der Küste in geringer
Entfernung vorgelagerten Inseln standen
seit 26 Jahren unter englischer Verwal-
tung, weshalb England gegen die Besitz-
ergreifung in Washington Protest ein-
gelegt hat. In der Sandakanbucht be-
findet sich die Hauptstation der Nord-
Bomeo-Gesellschaft, die das Gebiet unter
britischer Schutzherrschaft seit 1881/82
verwaltet. Die Inseln waren ursprünglich
der Schlupfwinkel von Seeräubern, die
von der Nord -Bomeo- Gesellschaft un-
schädlich gemacht wurden, und seit dieser
Zeit bildeten die Inseln einen Bestandteil
des englischen Gebietes von Nord-Borneo.
Jedoch soll der Sultan von Brunei, dem
einst dieses Gebiet gehörte, im Jahre 1866
einigen Amerikanern bedeutende Rechte
in Nord-Bomea verliehen haben; indes
wurden diese Rechte nie ausgenutzt.
Polargegenden.
Kt Eine neue Expedition zur Er-
reichung des Nordpols gedenkt der
nordamerikanische Schiffisoffizier Peary
im nächsten Frühjahr anzutreten, trotz-
dem er im September vorigen Jahres
nach der Rückkehr von seinem vierjäh-
rigen Aufenthalte in Nordgrönland er-
klärt hatte, die Erreichung des Nordpols
aufgeben und diese Arbeit in Zukunft
anderen überlassen zu wollen. Aus na-
tionalem Ehrgeiz jedoch, weil nach sei-
ner imd vieler Amerikaner Meinung der
Pol nur auf der amerikanischen Route
durch den Smith-Sund und daher auch
von einem Amerikaner erreicht werden
dürfe, will er den Versuch auf einem
noch stärkeren Schiffe als die „Wind-
ward** war wiederholen; er will ein
Winterquartier an der Nordküste von
Grants-Land imter 83^ n. Br. anlegen
und im Sommer 1906 abermals polwärts
vordringen; er hofft bis 86® n. Br. Rauh-
eis und von da ab mehr oder weniger
glatte Bahn vorzufinden, so daß er die
800 km zum Pol und ebensoviel zurück
zum Standquartier in 100 Tagen, das
wären 16 km am Tage , zurücklegen
könnte.
# Die englische Hilfsexpedition
für die in der Antarktis im Eise fest-
sitzende „Discovery" ist auf dem Ex-
peditionsschiff „Terra Nova" am 27.
August in See gegangen. Da die Jahres-
zeit schon etwas weit vorgeschritten ist,
wird die „Terra Nova" durch den Suez-
kanal fahren imd bis nach Aden von dem
Kreuzer „Minerva" geschleppt werden.
Führer dieses Schiffes ist der beim Wal-
fang in der Eisschiffahrt erprobte Kapt.
Harry Mackay, die Ausrüstung des
Schiffes geschah unter Aufsicht des Kapt.
Kolbeck von der „Moming", welcher zu
diesem Zwecke von Lyttleton nach Eng-
land gekommen war. Zum Entsätze der
„Discovery" wird die „Morning", das
Schiff der vorjährigen Hilfsexpedition, mit
der „Terra Nova" zusammen von Lyttle-
ton nach Viktorialand gehen. Man hofft
bestimmt, daß Kapt. Skott im nächsten
antarktischen Sommer die „Discovery"
wird vom Eise freimachen können, da
ihm zu den Vorbereitungen hierzu ge-
584
Geographische Neuigkeiten.
nügend Zeit zur Yeifagniig gestanden hat.
Sollte es wider Erwarten nicht gelingen,
so wird Eapt. Skott mit den Expeditions-
mitgliedem und der Mannschaft die ,4^is-
covery^ verlassen und an Bord der beiden
Ersatzschiffe unter Mitnahme der wissen-
schaftlichen Ausrüstung und des Proviants
nach England zurückkehren.
Meere«
♦ Eine schwedische wissenschaft-
liche Expedition in den großen
Ozean, deren Aufgabe hydrographische,
zoologische und botanische Forschungen
im nördlichen großen Ozean und an des-
sen Küstenrändem sind, wird auf Kosten
des Konsuls Broms ausgerüstet werden.
Zum Leiter der Expedition ist der üpsa-
laer Konservator Kolthoff ausersehen,
der bereits im J. 1900 auf Kosten Broms
eine zoologische Expedition nach Ost-
Grönland unternommen hat. Die Expe-
ditionsmitglieder gehen im April nächsten
Jahres auf dem Landwege nach Port
Arthur, wo das Expeditionsschiff bereit
liegen wird. Die Untersuchungen sollen
im gelben Meer beginnen und sich durch
das japanische und ochotskische Meer
bis zur Bering^traße fortsetzen. Dabei
arbeitet gleichzeitig eine aus zwei Zoo-
logen und einem Botaniker bestehende
Abteilung auf dem Lande, vor allem in
Kamschatka und an den benachbarten
Küsten; das Schiff nimmt die Abteilung
zeitweilig an Bord und setzt sie an ge-
eigneten Punkten wieder ab. Im Spät-
sommer vdrd die Expedition nach der
amerikanischen Küste hinübergehen und
mit Eintritt des Winters wieder nach
Port Arthur zurückkehren. Die natur-
wissenschafÜichen und ethnographischen
Sammlungen werden unter die wissen-
schaftlichen Institute von Stockholm und
Upsala verteilt werden. (Globus, 84. Bd.
S. 163.)
Geographlseher Unterrieht.
Gfreographisohe Yorlesnngen
an den deatschsprachigen Universit&ten und tech-
nischen Hochschulen im Wintersemester 1903/4. II.
Österreich- Ungarn.
Wien: o. Prof. Penck: Geographie
von Österreich- Ungarn, 6 st. — Seminar,
28t. — Übungen für Fortgeschrittenere.
— 0. Prof. Oberhummer: Geschichte
der ErV^u^ide und der geographischen
EntdeckungeDv ö«t. — Geographisches
Seminar, 2 st. — a. o. Prof. Sieger: Geo-
graphie des Weltverkehrs, 2 st.
Osemowits: o. Prof. Löwl: Allge-
meine Geographie I, 5 st. — Übungen, 2 st.
Gras: o. Prof. Richter: Geographie
von Asien, 8 st. — EinHihrung in die all-
gemeine (Geographie, 2 st. — Übungen, 2 st.
Iniuibraok: o. Prof, v. Wieser: All-
gemeine Hydrographie, 8 st. — Das Fest-
land von Australien, 2 st.
Prag: o. Prof. Lenz: Geogpraphie von
Amerika, 5 st. — Besprechungen, 2 st
Technische Hochschulen.
Darmstadt: a. o. Prof. Greim: Mor-
phologie der Erdoberfläche. — Vorlesung
aus der physikalischen Geographie.
Dresden: o. Prof. Buge: Geographie
von Deutschland. — Geog^phie von
Frankreich.
München: o. Prof. Günther: Mathe-
matisch-physikalische Erdkunde L —
Handels- und Wirtschaftsgeographie IL —
Seminar.
Wien: a. o. Prof. v. Böhm: Morpho-
logie der Erdoberfläche. — Geographie
von Österreich-Ungarn.
Zürioh: Prof. Früh: Die Atmosphäre.
— Geographie der Schweiz. — Morpho-
logie von Europa und deren Beziehung
zur Siedelung.
Yereine und Yersammlangeii«
* Nach einem im Juni ausgesandten
Bundschreiben wird der Vlll. Inter-
nationale Geographenkongreß am
8. Sept. 1904 in Washington zusammen-
treten und am 9., 10., 12., 18. u. 14. d. Mts.
seine Sitzungen abhalten. Der Ausschuß
(Prof. Mc Gee in Washington) bittet die
Anmeldung von Yortrilgen und die Ein-
reichung der zur Diskussion zu stellenden
Anträge bis 1. Juli 1904 bewirken zu
wollen; die in den täglichen Veröffent-
lichungen des Kongresses abzudruckenden
Referate der Vorträge (nicht über 1000
Worte) sind bis zum 1. August einzusen-
den. Im allgemeinen ist für jeden Vor-
trag eine Bedezeit von 20 Minuten in
Aussicht genommen. Die Mitteilungen
an den Ausschuß können in französischer,
englischer, deutscher, italienischer und
spanischer Sprache abgefaßt sein. Als
Verhandlungsgegenstände sind in Aus-
sicht genommen: 1) physikalische (Geo-
graphie einschl. Geomorphologie, Meteoro-
logie, Hydrologie etc.; 2) mathematische
\
Bücherbesprechungen.
586
Geographie einschl. Geodäsie and Geo-
physik; .H) Biogeographie einschl. Pflanzen-
und Tiergeogpraphie; 4) Anthropogeogpra-
phie einschl. Ethnologie; 5) beschreibende
Geographie einschl. Entdeckungen und
Landesuntersuchungen; 6) technische Geo-
graphie einschl. Kartographie, Bibliogra-
phie, Namensrechtschreibung; 7) Handels-
und Industriegeographie; 8) Geschichte
der Geographie; 9) geographischer Unter-
richt. Vom 16.— 20. Sept. sollen in Balti-
more, Philadelphia, Neu York, Chicago
Sitzungen abgehalten werden^ wobei die
auswärtigen Kongreßteilnehmer die Gäste
der geographischen Gesellschaft der be-
treffenden Stadt sein werden. Nach
Schluß des Kongresses in St. Louis sollen
für den Fall, daß sich eine genügend
große Anzahl von Teilnehmern findet,
Ausflüge bis nach der Stadt Mexiko und
San Franzisko unternommen werden; man
hofft hierzu Fahrpreisermäßigungen von
26—40% zu erlangen. Es dürfte viel-
leicht angebracht sein, wenn sich die
europäischen Kongreßbesucher vereinigten,
um für die Überfahrt ebenfalls Preis-
ermäßigung zu erlangen.
Persdnliches.
* Die ordentlichen Professoren der
Geographie Dr. Alfred Kirchhoff in
Halle und Dr. Theobald Fischer in
Marburg wurden zu Geheimen Begierungs-
räten ernannt. Prof. Kirchhoff feierte am
1. Oktober das 80jährige Jubiläum als
ordentlicher Professor der Geog^raphie an
der Universität Halle.
* Am 8. Sept. 1908 starb zu Blasewitz
bei Dresden im Alter von 62 Jahren
Prof. Dr. Oskar Schneider, ein be-
kannter Geograph und Zoolog. Mehrfache
Reisen nach Ägypten, dem Kaukasus und
Italien und der vnederholte Aufenthalt
auf Borkum gaben dem Naturforscher
Anregung zu mannigfaltigen geographisch-
naturhistorischen Studien, die er in klei-
neren Abhandlungen veröffentlichte, zu-
letzt im Jahre 1898 über die Tierwelt
von Borkum. Als Schulmann förderte er
den geographischen Unterricht an höheren
Schulen durch mehrere Schriften, in denen
er auf die Wichtigkeit geographischer
Schulsammlungen und Anschauungsmittel
hinwies.
Bflcherbesprechnngeii.
Rage, S. Topographische Studien
zu den portugiesischen Ent-
deckungen an den Küsten
Afrikas. Abh. d. phiL-hist. Klasse
der K. Sachs. Ges. d. Wiss. Bd. XX.
No. VI. 110 S. Leipzig, Teubner
1908. JC 8.60.
Wie der Verfasser in der Einleitung
ausführt, verfolgt er mit der vorliegenden
Arbeit, die als 1. Teü eines größeren
Werkes erscheint, einen fünffachen Zweck.
Auf Grund der Küstenlegenden in den
alten Portolankarten vnll er zunächst die
am besten zu begründende Namensform
der afrikanischen Küstenplätze feststellen^
dann die richtige Reihenfolge dieser Plätze
ermitteln , femer womöglich die Ent-
deckungszeit und denEntdecker bestimmen,
von dem die Namengebung ausgegangen
ist, außerdem die Erklärung der Namen
anstreben und endlich aus dem Inhalt der
Legenden annähernd, bei undatierten
Karten genauer als bisher, die Abfassungs-
zeit abzuleiten versuchen. Um diesen
Zweck zu erreichen, bedarf es einer mög-
lichst vollständigen Sammlung und daran-
schließenden Vergleichung der Legenden
aller erreichbaren Portolankarten, auf
denen die von den Portugiesen erschlos-
senen Küsten Afrikas ganz oder teilweise
dargestellt sind. Zur bessern Obersicht
über das umfangreiche Material gibt der
Verfasser zunächst ein chronolog^ch ge-
ordnetes und durch zahlreiche kritische
Bemerkungen wertvolles Verzeichnis der
in Frage kommenden Karten und Atlanten
von den in ihren letzten Wurzeln auf
frühmittelalterliche Quellen zurückgehen-
den Zeichnungen, die sich in verschie-
denen Handschriften von DatisSfera finden,
und von der Pisanischen Portolankarte
aus dem 18. Jahrhundert an bis auf die
Karte des Pilestrina von 1511. Warum
der Katalog gerade mit dieser abschließt,
ist nicht ersichtlich. Der Wert dieses
Verzeichnisses besteht hauptiächlich darin.
586
Buch erbe Sprech ungei
daß es angibt, wie nach dem gegenwär-
tigen Stande der Forschung die Reihe
der Eur Zeit bekannten ältesten Portolane
zu ordnen ist. Die Arbeit ist nicht nur
ihrem Inhalte nach, sondern auch in me-
thodischer Hinsicht von Wert. Sie zeigt,
wie bereits durch die genaue Yergleichung
kleiner Eüstenabschnitte der alten Karten
wichtige Ergebnisse für die Geschichte
der Kartographie und der Entdeckungen
gewonnen werden können. Die bisher
von den kundigsten Forschem auf diesem
Gebiete angenommene Reihenfolge der
ältesten Portolane wird unter Beibringung
beachtenswerter Gründe mehrfach um-
gestaltet. In einem 2. Abschnitt beginnt
der Verfasser mit der Aufzählung der
afrikanischen Küstennamen, und zwar
stellt er zunächst die nordwestafrika-
nischen von Tanger bis Kap Bojador zu-
sanmien, indem er nicht nur die auf den
Portolanen, sondern gelegentlich auch die
in der geographischen Literatur vorkom-
menden verschiedenen Schreibweisen an-
gibt. Der Fortsetzung, welche vermutlich
die übrigen Küstenstrecken West- und
Ostafrikas behandeln wird, darf man mit
Interesse entgegensehen. Eine eingehen-
dere Würdigung des Werkes muß vor-
behalten bleiben bis es vollendet ist.
Viktor Hantzsch.
Christensen, ۥ ۥ, u. Yahl, M. Dan-
marks Land og Folk. 99 S. 47 K.,
Diagramme u. Bilder. Kopenhagen,
Nordischer Verlag (E. Bojesen) 1908.
Das kleine Werk ist für den geogra-
phischen Unterricht in den Volkshoch-
schulen, Seminaren und ähnlichen Bil-
dungsanstalten bestimmt. Es muß für
den Unterricht in der Geographie hier
ziemlich viel Zeit zur Verfügung stehen,
denn das Buch enthält trotz seines ge-
ringen Umfanges erheblichen Lernstoff.
Mag man auch über diese und jene Frage
anderer Ansicht sein, man muß anerken-
nen, daß die Verfasser sich durchweg be-
müht haben, mit der modernen Geogra-
phie Fühlung zu gewinnen, und nicht
bloß aufzählen und beschreiben, sondern
auch erklären und begründen. Für die
Dänen ist das Meer und seine Eigenart
fast wichtiger als das Land, ihm ist des-
halb eine verhältnismäßig ausführliche
Darstellung gewidmet. Liegen doch von
Dänemarks 74 Städten 64 unmittelbar am
Meer oder an Föhrden und Buchten,
7 weitere an Flußmündungen, so daß sie
für kleinere Schiffe erreichbar sind, aber-
mals 5 haben einen Ladeplatz an der nicht
über 2 d&n. Meilen entfernten Küste, nur
8 sind völlige Binnenstädte. Für den
dänischen Boden ist der Gegensatz größe-
rer und geringerer Meereshöhe lange
nicht so wichtig als die Beschaffenheit
des Bodens und der Gegensatz zwischen
Lehm- und Sandboden. Auch ein Leit-
faden wie der vorliegende geht deshalb
ziemlich tief in geologisch-bodenkundliche
Fragen ein. Merkwürdig kurz sind Klima,
Pflanzen und Tiere behandelt. Die Kar-
ten und Bilder sind ausreichend und im
allgemeinen gut gemacht. F. Hahn.
Labb^yPauL Un bagne russe(Sakha-
line). 16^ 276 S. 61 Abb. Paris,
Hachette & Cie. 1903. Fr. 4.—.
Die Insel Sachalin, das eisige Land
der Verbrecher und der Verbannten, ist
in den letzten Jahren mehrfach beschrie-
ben worden. Aber alle bisherigen Schil-
derungen leiden daran, daß sie bei
aller sonstigen Freimütigkeit und Offen-
heit doch nur den amtlichen Standpunkt,
d. h. das mehr oder weniger offizielle
Rußland, vertreten. Das vorliegende Buch
gibt ein wesentlich anderes, ohne Zweifel
viel getreueres Bild, denn der Verf. hat
tiefer gesehen und mit den Verbrechern
im Gefängnis, in den Bergwerken, in den
Branntweinschenken, in den Lazaretten ge-
lebt, ja er hat die entlegenen Dörfer imd
Höhlen der Ureinwohner — Aino , Tun-
gusen, Orotschonen, Giljaken u. s. w. —
aufgesucht und dem Leben dieser Natur-
völker höchst interessante Züge abge-
lauscht. Es ist ganz besonders anzuer-
kennen, daß er nicht in blindem Haß die
russische Behörde angreift und für alles
Elend verantwortlich macht, das sich ihm
auf Sachalin in furchtbarer Weise dar-
bietet. Die Insel liegt zu sehr unter dem
erstarrenden Einfluß des polarischen Kli-
mas, als daß die Ackerbaukolonien ge-
deihen könnten, die man vor 10 Jahren
im Süden der Insel unter so großen Hoff-
nungen angelegt hat. Der Versuch ist
mißlungen, die Begründung eines gesunden
Bauernstandes endgültig gescheitert. Statt
dessen lebt heute auf Sachalin eine Ko-
lonie gemeiner, meist unverbesserlicher
Verbrecher, die in den Kohlengruben ver-
Bücherbesprechungen.
587
kommen oder in den Gefängnissen stumpf
dahinleben. Die sehr traurigen klima-
tischen Einflüsse und die trostlosen Lebens-
verhältnisse haben auch auf die Beamten-
schaft zerrüttend gewirkt; unter den
Ureinwohnern räumen Branntwein und
eingeschleppte Krankheiten furchtbar auf.
Höchstens die japanischen Fischerkolo-
nien im Süden der Insel, denen das Meer
imendliche Reichtümer an Fischen spendet,
gewähren ein freundlicheres Bild. So
zeigt uns das treffliche Buch nicht nur
interessante geographische Neuigkeiten,
sondern bietet uns auch eine Fülle von
Beobachtungen, aus welchen sich eine
Fundgrube für psychologische Lehren er-
gibt. Menschliche Schuld und mensch-
liches Unglück treten uns hier in er-
greifender Weise entgegen.
Immanuel.
Henze, Hermann. Der Nil, seine
Hydrographie und wirtschaft-
liche Bedeutung. (Angewandte
Geographie. I. 4.) 108 S. 2 Abb.
Halle a/S., Gebauer-Schwetschke 1903.
.IL 2.—.
Das vorliegende Heft ist eine fleißige
Kompilation, geschickt aus den besten
Quellen zusammengestellt, aber ohne eigene
Gedanken oder Berechnungen. Es ver-
mehrt die Summe unseres Wissens vom
Nil an keiner Stelle, wird aber selbst dem
Fachmanne als bequeme Fundstelle für
Zahlenwerte, die reichlich vorhanden sind,
gelegentlich Dienste leisten. Die ange-
wandte Geographie kommt freilich nur
auf den letzten 30 Seiten zu ihrem Rechte.
Das Werk ist durchaus beschreibend,
nirgends ursächlich erklärend. Ein Ver-
such, die Greschichte des Nils zu entwerfen,
wird nicht gemacht, kaum daß sich (S. 64)
eine Andeutung in dieser Richtung findet.
Bei der Nilquellfrage hätte doch wohl
K an dt noch benützt werden können. Wenn
S. 67 gesagt wird, daß das Nildelta jähr-
lich 4 m vorrückt, so bedurfte das doch
wohl einer näheren Erläutenmg. Und
was soll man (S. 67) zu dem Satze sagen:
„Selbst bis an die Küste von Syrien wer-
den von den Fluten des Nils die Sinkstoffe
getragen." Die große Tragweite der Um-
wandlung der Bewässerungsbecken in Be-
wässerungskanäle tritt (S. 71) nicht scharf
genug hervor, und die Gefahren, welche
der Salzgehalt des Bodens birgt, werden
nicht erwähnt. Daß Zittel die Herkunft
des Wassers der libyschen Oasen auf den
tropischen Süden zurückführt, nicht auf
den Nil, scheint dem Verf. unbekannt ge-
blieben zu sein; und wenn der Verf. den
Ausdruck „große Wüstentafel" irgendwo
angewendet hätte, würde er vielleicht
nicht von der „östlichen Gebirgskette"
der unermeßlichen libyschen Wüste (S. 6),
die sich längs des ganzen Unterlaufes des
Nils hinzieht, gesprochen haben.
Th. Fischer.
Strecker, C. Ch., 0. M. J Auf den
Diamanten- und Goldfeldern
Südafrikas. XVI u. 682 S., 1 K.
Freiburg i. B., Herder 1901. JK 10.—.
Verfasser ist nicht selbst in Südafrika
gewesen, sondern hat das vorliegende
Buch zusammengestellt aus anderen Reise-
werken und Schriften über dieses Land.
Ganz besonders benutzt sind aber vorher
noch nicht gedruckte Berichte und Briefe
katholischer Missionare. Das Buch ist
abgefaßt in der Form einer fingierten,
einheitlichen Reisebeschreibung, die sich
aber aus Einzelschilderungen verschiedener
Personen zusammensetzt. Die überall ein-
geflochtenen zusammenhängenden Aus-
fuhrungen über Geschichte und politische
Verhältnisse, Landeskunde und wirtschaft-
liche Bedeutung der einzelnen Länder
lassen jedoch die eigentliche Reisebe-
schreibung mehr in den Hintergrund
treten. Da der Verfasser katholischer
Priester ist und sein Werk in erster
Linie für katholische Leser geschrieben
hat, so ist es erklärlich, daß er der Tätig-
keit der katholischen Mission einen breiten
Raum gönnt, während die evangelische
nur hier und da kurz erwähnt wird. Im
übrigen läßt sich sagen, daß das Buch
ein fleißiges und eingehendes Studium
der Verhältnisse Südafrikas verrät und
daß die Darstellung im allgemeinen als
zuverlässig gelten kann, wenn auch hier
und da kleinere Irrtümer sich einge-
schlichen haben. Namentlich gilt dies
mit Bezug auf naturwissenschaftliche
Dinge, in denen der Verfasser weniger
bewandert zu sein scheint. Die Schilde-
rungen der Diamanten- und Goldfelder
enthalten manche Unklarheiten und Wi-
dersprüche, die sich dadurch erklären,
daß verschiedene Quellen von ungleichem
Werte benutzt wurden. Daß der Ver-
588
Bücherbesprechungen.
fasser bald ,,das^' und bald ««der" Quarz
schreibt, ist wohl auf diese Verschieden-
heit der Quellen zurückzufahren. Bei der
Übersetzung mancher technischer Aus-
drücke aus dem Englischen ist nicht
immer die richtige deutsche Bezeichnung
gefunden worden, so daß hierdurch oft
Unklarheiten entstehen, die freilich dem
Laien weniger auffallen werden. In den
einzelnen Kapiteln des Buches werden
behandelt die Reise nach dem Kap, Kap-
stadt, die ältere Geschichte SüdaMkas,
Transvaal, die Goldfelder, das Weihnachts-
land (Natal), Kaffraria, Sulu-, Swasi- und
Tongaland, die südafrikanische Schweiz
(Basutoland), der Oranjefreistaat, die
Diamantfelder, die britische Kapkolonie,
Cecil Rhodes und sein Werk (Betschuana-
und Matabeleland\ Dentsch-Südwestafrika,
Buren und Engländer in Südafrika und
endlich der Krieg an der Jahrhundert-
wende. A. Schenck.
Schulwandkarte der Schweiz. Bern,
Verlag des Topographischen Bureaus
1902. Unentgeltliche Abgabe an alle
schweizerischen Schulen, die den
Unterricht in der Landeskunde als
ordentliches Lehrfach eingeführt ha-
ben. Hauptdepot für das Deutsche
Reich: K. F. Köhler, Leipzig. Laden-
preis: unaufgezogen Jt, 16.— ; aufge-
zogen u. mit Stäben versehen JL 24.-—.
Mit hoher Freude und mit dem Ge-
fühl des Dankes an die eidgenössischen
Behörden setze ich die Feder an, um
über die Schulwandkarte der Schweiz von
1902 zu berichten. Wir wollen uns gleich
mit der fertigen Karte beschäftigen; wer
zu wissen wünscht, wie sie zustande kam
und wie viel Sorgfalt Behörden und Kom-
missionen darauf verwendeten, mag dies
bei Graf, Die neue schweizerische Schul-
wandkarte (Bern, K. J. Wyß) nachlesen.
Die Karte, die innerhalb des Randes
186 X 120 cm mißt, ist im Maßstab von
1 : 200 000 angefertigt; eine schwächere
Verjüngung wäre kaum möglich gewesen,
da sie im W und 0 noch 10 km weiter
geht als die Dufourkarte. Als besonderer
Vorteil mag ermähnt werden, daß das
Bild ein vollständiges Rechteck einnimmt
und nicht durch Ausschnitte gestört wird,
indem der Titel auf dem oberen und die
Legende auf dem unteren Rande ange-
bracht worden ist. Darum sehen wir
hier — besonders im NW und SO —
Gegenden, die sonst auf keiner Schweizer-
karte dargestellt sind. Situation, Schrift
und Höhenkurven wurden im eidgenössi-
schen topographischen Bureau in Bern
mit aller wünschbaren Genauigkeit und
Schärfe gedruckt. Die Gewässer erschei-
nen blau, für die Siedelungen wurde
Schwarz und Rot, für die Verkehrswege
Schwarz, für die Grenzen Rot und für
die Höhenkurven Braun verwendet. Das
von Hermann Kümmerly gemalte Ter-
rainbild führte die Firma Kümmerly k
Frey in Bern mit 14 Steinen in Farben-
druck aus. Und eben diese Leistung ist
es, die der Karte das eigentümliche und
originelle Grepi^ge verleiht. Zwar hat
schon F. Becker 1888 in der Karte des
Kantons Glarus (Winterthur, Randegger)
den blaugrünen nach oben heller werden-
den Farbenton zur Darstellung des Ter-
rains verwendet, und dem Einfluß dieses
Mannes ist es jedenfalls zuzuschreiben,
daß bei der vorliegenden Karte die Farbe
eine Hauptrolle spielt; doch hat Hermann
Kümmerly die Aufgabe selbständig auf
empirischem Wege gelöst.
Die in die Schneeregion hineinragen-
den Gipfel und die Gletscher erscheinen
weiß resp. bläulich, d. h. in ihrer natür-
lichen Farbe. Die Tiefebenen und die
Talböden bis 600 m sind graublau ge-
malt, über 600 m wird das Terrain
grünlich, noch höher gehen die Abhänge
in Gelb und Orange über. Die Farben
folgen also genau auf einander wie
im Spektrum, und dadurch erhält die
Karte das Relief: die roten Strahlen wer-
den weniger stark gebrochen als die
blauen. Wenn also die von der Karte
ausgehenden blauen Strahlen sich auf
der Netzhaut vereinigen, so konvergfieren
die roten erst hinter derselben. Damit
diese ihr Büd auf die Netzhaut werfen,
muß die Linse sich stärker wölben; d.h.
sie muß die gleiche Anstrengung machen
wie bei der Fixierung eines näheren
Gegenstandes. Rot erscheint also im Bilde
näher, oder auf der Karte, die den Grund-
riß des Landes darstellt, höher als blau.
Kümmerly gelangte somit selbstöndig zu
ähnlichen Resultaten, wie sie Peucker
in der Schrift „Schattenplastik und Far-
benplastik'^ (Wien 1898) niedergelegt hat.
Neben der Farbe verwendet die Karte
aber auch den Schatten. Bei Annahme
Büchei'beBprechungen.
689
der schiefen Beleuchtung werden die
Schattentöne in einem zarten Violett an-
gegeben. Diese beiden Mittel — Farbe
und Schatten — bewirken, daß die Karte
dem Auge als Belief erscheint, und zwar
ob es will oder nicht, ob es im Karten-
lesen geübt ist oder nicht; hierin liegt
ihr künstlerischer Wert und zugleich
ihre große Bedeutung für den Unterricht.
Als Fehler hat man der Karte ange-
rechnet, daß sie die Beleuchtung aus
NW annimmt, d.h. aus einer Richtung,
aus der die Sonnenstrahlen nie auf die
Erdoberfläche fallen, in Folge dessen die
in Wirklichkeit beschienenen Abhänge
dunkel, die in Wirklichkeit beschatteten
dagegen hell erscheinen (Heim). Dieser
Vorwurf ist kaum stichhaltig; denn der
Schatten wird nicht durch Schwarz an-
gegeben, sondern durch einen zarten
Farbenton, der die Flächen vollkommen
klar und lesbar erscheinen läßt. Gerade
in den beschatteten Partien hat das Bild
seine größte Wirkung, während gewisse
nach der Einfallsrichtung des Lichtes ge-
wendete Abhänge zeigen, daß die Methode
der schiefen Beleuchtung ihre Unvoll-
kommenheiten hat und die Gewalt der
Natur nicht immer zum Ausdruck bringen
kann. Wie sehr wünschte man z. B., daß
der Absturz des Wildstrubels nach den
Siebenbrunnen, der Jungfrau ins Trüm-
letental, des Wetterhoms nach der Großen
Scheidegg mit mehr Krafk hätte dar-
gestellt werden können. Freilich, solche
Naturgröße macht nicht nur die Kunst
des Kartenzeichners sondern auch die des
Malers zu Schanden: sie muß in Wirk-
lichkeit geschaut und bewundert werden.
Die vielen Farben stimmen aufs beste
zusammen; es ist sogar möglich gewesen,
die politischen Grenzen durch ein Farben-
band anzugeben, ohne den Gesamteindruck
irgendwie zu stören. Inuner und immer
wieder muß man das Bild betrachten,
und wo der Blick hinfällt, da fängt das
Spiel der Erinnerung an, das uns in Ge-
danken die Wege zurücklegen läßt, die
wir in Wirklichkeit gemacht haben.
E. Zollinger.
Kfimmerly ) H« Schulkarte der
Schweiz. Ausgabe E (Reliefkarte
in Farbendruck). Maßstab 1 : 600 000.
Bern , G^graphischer Kartenverlag
H. Kümmerly & Frey und A. Francke.
Auf gew. Papier 80 Cts., auf Lein-
wand 1 Fr. 80 Cts.
Von den fQnf Kärtchen, die Hermann
Kümmerly nach der Herausgabe der
Schul Wandkarte von 1902 zum Gebrauch
für die Schüler der verschiedenen Stufen
hat erscheinen lassen, konunt das vor-
liegende in Beziehung auf die Terrain-
darstellung seinem Vorbilde am nächsten.
Von diesem Gesichtspunkte aus empfiehlt
es sich ganz besonders als individuelles
Lehrmittel für diejenigen Schulen, in
denen die schweizerische Schulwandkarte
in Gebrauch steht. Zwar wird es auch
Lehrer geben, die der Ansicht sind, das
Handkärtchen sollte eine Ergänzung zur
Wandkarte sein. Diese Anforderungen
berücksichtigt ein kleiner Ausschnitt, der
die Kantone in Flächenkolorit (1 : 276000)
darstellt. Von der Schulwandkarte unter-
scheidet sich dieses Handkärtchen da-
durch, daß es die Verkehrslinien nicht
schwarz sondern rot, und die Grenzlinien
nicht rot sondern grün darstellt. Das
erstere ist zu begrüßen, weü so eine Ver-
wechselung der Eisenbahnen mit den
Flußläufen nicht eintritt; das Grün der
Grenzen gibt dem prächtigen Bild jedoch
einen kalten Zug. E. Zollinger.
Walser, Hermann. Die Schweiz. Ein
Begleitwort der eidgenössischen Schul-
wandkarte. 116 S. Bern, Francke 1902.
Geh. JL 1.20, geb. JL 1.60.
Die neue Schulwandkarte der Schweiz
ist ein so hervorragendes Werk, daß an
ein Schriftchen, das sich ihr „Begleitwort^^
nennt, hohe Anforderungen gestellt werden.
Zum vorneherein ist nun zu konstatieren,
daß diese Erwartungen nicht getäuscht
werden. Wie löst aber der Verfasser die
Aufgabe? Als kundiger Führer hätte er
den Leser in dem interessanten und
schönen Gebiet, das die Karte darstellt,
herumführen können, um auf der sicheren
Grundlage des Tatsächlichen zum Begriff-
lichen und Gesetzmäßigen aufzusteigen.
Diesen allerdings schwierigen Weg schlägt
der Verfasser nicht ein, sondern ordnet
den Stoff nach den bekannten Kategorien,
innerhalb deren meistens wiederum all-
gemeine Gesichtspunkte mafsgebend sind.
So werden beim Abschnitt „Alpen^^ nach
einander besprochen: Wert der Kenntnis
der Alpen, Umgrenzung der Alpen, die
Alpen ein Hochgebirge, die Alpen ein
590
Neue Bücher und Karten.
Kettengebirge, die Täler bestimmen den !
Charakter der Alpen, Vergleich mit dem
skandinavischen Gebirge, Bedeutung der
Täler u. 8. w. Zu der ersehnten Ge-
samtauffassung schreitet die Betrachtung
nicht fort, doch ist sie streng wissen- 1
schaftlich. Der Verfasser erweist sich |
als gleich kompetent in der Behandlung
physischer wie historischer Probleme, er
erkennt das Morphologische so scharf wie
das Genetische, vor allem verschließt er
sich auch der ästhetischen Betrachtung
nicht. Wenn dies Büchlein dem Lehrer der
schweizer Geographie kein systematischer
Führer sein kann, noch sein will, so be-
ruht sein großer Wert darin, daß es zur
denkenden imd fühlenden Behandlungs-
weise dieses Faches anregt.
Zu verbessern sind folgende Einzel-
heiten: S. 2: Ein Längengrad hat in
der Breite von 47* einen Wert von 76 km,
nicht 79 km. S. 15: Die Gotthardbahn
wurde am 1. Juni 1882 eröffnet, nicht 1881.
S. 28: Der Ausdruck „Blätter" wird hier
gleichbedeutend gebraucht mit Schichten;
Sueß versteht darunter Verscbiebungs-
flächen („AntUtz" I. S. 169).
Ausstattung und Druck machen dem
Verlag und der Druckerei Ehre.
E. ZoUinger.
Nene Bflcher und Karten.
All9«M«1i«i.
Meyers Großes Konversations-
Lexikon. 6. Aufl. IV. Bd. Chemnitzer —
Differenz.
All9«M«lie GeoffTftplil« dei H«iieli«i.
Schurtz, H. Völkerkunde. Xm u 178 S.
84 Textabb. Leipzig u. Wien, Deuticke
1908. JL 7.—.
DeitseliUnd »d Nachbarllader.
Rechts und links der Eisenbahn!
Neuer Führer auf den Hauptbahnen im
Deutschen Reich. Her. von P. Lang-
hans. Heftl. Fischer, Hch.: Berlin —
Frankfurt a. M. über Eisenach. 2 K.
81 S. Gotha, Justus Perthes 1903.
JL —.50.
Henkel, Ludw. Beiträge zur Geologie
des nordöstlichen Thüringens. Beil. z.
Jahresber. d. Landesschule Pforta. 26 S.
4 Fig., 2 Profiltaf. u. 1 K. Naumburg
a. S., Sieling 1903.
Müller, JuL Beiträge zur Morphologie
des Harzgebirges. Diss. 89 S. 1 K.
Halle a. S., Kreibohm 1908.
Zimmermann, F. W. R. Die Bevölke-
rungszunahme und die Bevölkerungs-
dichtigkeit des HerzogtumsBraun schweig
im 19. Jahrhundert unter dem Einfluß
der natürlichen und wirtschaftlichen
Lebensbedingungen. Beiträge zur Sta-
tistik des Herzogtums Braunschweig.
Heft XVn 66 S., 16 Tab. Braun-
schweig 1908.
Cbrifei Kvropm.
Dane 8, G. Bevölkenmgsdichtigkeit der
Hercegovina. (Travaux g^ographiques
tch^ues. 8. 1902. L) 71 8. 1 K. Prag,
Selbstverlag 1908.
OrSßer« Erdriui«.
Das überseeische Deutschland.
Lief. 17—20 (Schluß).
Asien.
Jüthner, Jul., Fritz Knoll, Karl
Patsch, Hch. Swoboda. Vorläufiger
Bericht über eine archäologische Expe-
dition nach Kleinasien, unternommen
i. A. d. Ges. zur Förderung deutscher
Wissenschaft, Kunst und Literatur in
Böhmen.. 62 S. 16 Fig. u. 1 K. Pra^,
Verl. d. Ges. zur Förderung deutscher
Wiss., Kunst u. Lit. in Böhmen (Calve)
1903.
88d*AMerl]ui.
Goeldi, A. Emilio. Album de Aves
Amazonicas. 2. Fase. Taf. 18—24. Rio
de Janeiro, Alves & Cie.
6eo^T»plilieli«r üiterrlelit,
Kerp, Hch. Lehrbuch der Erdkunde.
VII u. 489 S. 65 Abb. Trier, Lintz
1908. JL 4.20.
Der 8. Methodisches Lehrbuch einer be-
gründend-vergleichenden Erdkunde. —
Einleitender Teil: Die Methodik des
erdkundlichen Unterrichts. 2. Aufl. XVI
U.188S. Ebda. 1902. UK 2.76. — Bd. I:
Die deutschen Landschaften. 2. Aufl.
VIU u. 868 S. Ebda. 1902. JL 3.80.
— Bd. U: Die Landschaften Europas.
XV u. 458 S. 4 Taf. Ebda. 1900.
JL 4.60.
Deb es -Wein eck. Schul-Atlas för die
Zeitschriftenschau.
591
unteren und mittleren ünterrichtestufen
in 60 Karten. Leipzig, Wagner u. Debes.
JL 8.60.
C. Diercke. Schulwandkarten in Ober-
einstimmung mit den Dierckeschen
1 : 200 000. 152 cm x 187 cm. Braun-
schweig, Westermann 1908. ünauf ge-
zogen JL 12. — , axifigez. mit Stäben
JL 20.—.
Das 8. Palästina. 1 : 250 000. 187 cm x
Schulatlanten. Provinz Brandenburg.; 126cm, Ebda. JL 10. — oder JL 16.—.
Zeitscbriftensehan.
Petermanne Mitteilungen. 1908. 8. Heft.
Krümm el: Die geographische Verbrei-
tung der Wind- imd Wassermotoren im
Deutschen Reiche. — Hübner: Ins Hoch-
land von Liberia. — Enderli: Zwei
Jahre bei den Tschuktschen und Koijaken.
— Friederichsen: Saposchniko ws Reisen
im russischen Altai, 1895 und 1897—99. —
Hammer: Der Pedograph von Th. Fer-
guson. — Mitzopulos: Das griechische
Erdbeben vom 11. August 1908. — Sibi-
riakow: Nordenskjöld und der Seeweg
nach Sibirien.
Globus. 84. Bd. Nr. 7. Koganei:
Über die Ureinwohner von Japan. —
Fehlinger: Die Indianer Kanadas. —
Schoetensack: Der durchlochte Zier-
stab aus Edelhirschgeweih von Klein-
Machnow. — Schmidt: Beiträge zur
Ethnographie von Potsdamhafen.
Dctss. Nr. 8. Koganei: Über die Ur-
einwohner von Japan. — Schmidt: Bei-
träge zur Ethnographie von Potsdamhafen.
— Singer: Die Heimkehr der deutschen
Südpolarexpedition. — Die Becherumen.
— Schauer: Island in neuer Beleuch-
tung.
Dass. Nr. 9. Henning: Die Ergeb-
nisse der Ausgrabungen am Beltempel
zuNippur. — Wüst: Diluviale Salzstellen
im deutschen Binnenlande. — Weißen-
berg: Die Karäer der Krim. — Von den
afrikanischen Eisenbahnen und Eisenbahn-
plänen.
Dass, Nr. 10. Henning: Die Ergeb-
nisse der Ausgrabungen am Beltempel
zu Nippur. — Meerwarth: Zur Ethno-
graphie der Paraguajgebiete und Matto
Grossos. — Gentz: Beiträge zur Kennt-
nis der südwestafrikanischen Völkerschaf-
ten. — Piechowski: Die schiffbaren
Flüsse in Russisch-Polen.
Deutsche Bundschau für Geographie
und Statistik. 25. Jhrg. 12. Hefk. Die bel-
gische Südpolarexpedition. — Zanie-
towski: Das Vinodol in Kroatien. —
Umlauft: Fortschritt« der geographischen
Forschungen und Reisen im J. 1902 in
Australien. — Lenz: Fortschritte etc. in
Afrika. — Hübner: Forschungsreisen am
Rio Branco.
Geographischer Anzeiger. TV. Jhrg.
Sept. 1908. Schwarz: Zur Frage der
geographischen Ausflüge. — Schjer-
ning: Die dritte Auflage von Alexander
Supans „Grundzügen der physischen Erd-
kunde".
Mitteilungen des Vereins für Erdkun^
zuHäaea.S. 1908. H an seh: Matthias
Christian Sprengel. Ein geographischer
Publizist. — Luedecke: Über die gleiche
geognostische Beschaffenheit von Brocken
und Kyffhäuser. — Toepfer: Der Püste-
rich in Sondershausen. — Halbfaß: Über
Einsturzbecken am Südrand des Harzes
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kunde des Eichsfeldes (2 K. u. 1 Prof.-
Taf.). — Toepfer: Phänologische Beob-
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Kossatsch: Die Lage der Troglinie in
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Über Blitzphotographien. — Hann: Die
meteorologischen Ergebnisse der Pola-
Expedition 1896/96 u. 1897/98.
Zeitschrift für Gewässerkunde. 1908.
6. Heft. Gravelius: Der Einfluß der
Gletscher auf den Wasserhaushalt der
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hang zwischen Abflußschwankungen in
den Bassins großer Flüsse und dem Gang
der meteorologischen Elemente. — Mey-
thaler: Der Oberrhein.
Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolo-
nialwirtsdiaft. 5. Jhrg. 1. Heft. Anton:
Zur Landfrage in den Kolonien. —
Maercker: Die hauptsächlichsten Aus-
fuhrartikel Schantungs. — Sander: Die
Tsetsefliege in Ostafrika. — Fies: Mis-
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Boss. 2. Heft. y. Härder: Argen-
tinien, das Land der Zukunft. — San-
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Witte: Staats- und Volksgrenzen im
19. Jahrhundert (1 K.). — Brämer: Die
Doppelsprachigen in Preußen nach der
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Deutsche Spuren in der Zips. — Hotz:
Deutscher Gottesdienst in welschen Lan-
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Tob 1er: Einige Notizen zur Geologie von
Südsumatra (1 K.). Verh. d. Natur-
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Toula: Der gegenwärtige Stand der geo-
lo^schen Erforschung der Balkanhalb-
insel und des Orients. (Wiener) DetUsche
Ztg. Nr. 11366. 1908. Aug. 27.
Verantwortlicher Herautgeber: Prof. Dr. Alfred Hettner in Heidelberg.
über Land und Leute der russischen Eolonisationsgebiete des
Oeneralgouyemements Turkestan.
Von Dr. Max Fiiederiehten, Privatdozent der Geographie in Götting^n.
Mit Abbildungen nach Originalanfiiahmen des Verfassers (Taf. 11).
Auf dem ersten Deutschen Kolonialkongreß zu Berlin (10. u. 11. Ok-
tober 1902), über dessen auch fOr die geographische Wissenschaft bedeutungs-
vollen und interessanten Verlauf Heft 12 des 8. Jahrganges dieser Zeit-
schrift berichtet hat, ist mit besonderem Nachdruck betont worden, daß ein
richtiges Verständnis för die Verwertung und Brauchbarkeit einer Kolonie
nicht zu erreichen sei ohne Eindringen in ihre geographischen Eigentüm-
lichkeiten. Besonders Hans Meyer hat in seinem Vortrage über: „Die
geographischen Grundlagen und Aufgaben in der wirtschaftlichen Erforschung
unserer Schutzgebiete" diese Anschauung energisch vertreten und darauf hin-
gewiesen, daß die wissenschaftliche Geographie der Kolonialpolitik Deutsch-
lands die Wege ebnen und mit ihr Hand in Hand arbeiten müsse.
Das, was für unsere Kolonien gilt, gilt in gleicher Weise für diejenigen
fremder Länder, und wenn ein Geograph durch die Kolonisationsgebiete
einer fremden Nation reist, so wird er, wenn ihm um ein tieferes Ein-
dringen in ihre Eigenart zu tun ist, versuchen müssen, sich über die geo-
graphischen (einschließlich klimatischen und ethnographischen) Verhältnisse
klar zu werden, auf welche das kolonisatorisch vorgehende Volk in den be-
treffenden Kolonialgebieten gestoßen ist. Nur so wird er ein richtiges Ver-
ständnis auch diesen fremden Kolonien entgegenbringen können.
Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich im folgenden versucht, das-
jenige, was ich gelegentlich einer ydssenschaffclichen Forschungsreise in den
zentralen Tiön-schan im Sommer 1902 im Generalgouvernement Turkestan über
Land und Leute habe sehen und beobachten können, oder was mir aus der
einschlägigen Literatur bekannt war, in nachstehendem Aufsatz zusanmien-
zufassen.
Er gehört also in die Kategorie der „angewandten Geographie", insofern
in ihm zunächst in großen Zügen erörtert werden soll: wie sehen die zu
betrachtenden Länder geographisch-morphologisch aus, welches Küma herrscht
in ihnen und welche Bewohner finden sich dort. Die sich daran anschließende
und auf Grund des Vorausgegangenen kausal zu erklärende Frage ist die:
inwieweit sind diese Gebiete überhaupt fttr Kolonisation durch Europäer ge-
eignet, und wie hat sie speziell Bußland wirtschaftlich verwertet?
Unter „Turkestan" werde ich im wesentlichen die Ländergebiete Rus-
sisch-Zentralasiens verstehen, welche unter dem Begriff des gleichnamigen
Oeogrsphitohe Zeittohrlft. 9.Jahrg»iig. 1908. 11. Heft 40
594 Max Friederichsen:
Generalgouvernements heute durch den Ukas vom 12. Juni 1899 zusammen-
gefaßt werden und aus den Provinzen Transkaspien , Syr-darya, Samarkand,
Ferghana und Semirjetschensk (= Siebenstromland) bestehen. Biese Provinz-
grenzen sind indessen, weil rein politisch und absolut ungeographisch, für
unsere weiteren Erörterungen ein ungeeigneter Rahmen. Wir lassen sie da-
her außer Acht imd bedienen uns für unsere Zwecke der weit natürlicheren
Dreiteilung des Generalgouvernements Turkestan in:
1) Transkaspien, zwischen dem Kaspisee und den westlichen Aus-
läufern des Titfn-schan und Hindukusch bis südlich zu den nördlichsten Rand-
ketten Persiens und Afghanistans,
2) das nördliche Vorland des zentralen und westlichen Tien-
schan von der Gebirgsabdachung bis zum Hügelland der sogenannten „Kir-
gisensteppe" an der Südgrenze Westsibiriens und
3) das Gebirgsland des zentralen und westlichen Ti^n-schan und des
Pamir-Alai.
Von dem letztgenannten dieser natürlichen Gebiete Turkestans, dem
Pamir-Alai, wird, weil es dem Verfasser persönlich unbekannt, auch vorwiegend
von politischer und nur untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist, hier
überhaupt nicht die Rede sein, während Teile des Tiön-schan, soweit sie
von Interesse sind, mit in die Betrachtung hineingezogen werden sollen.
1. Morpholofrische OmndjEfige.
a. Transkaspien.
Transkaspien in genannten Grenzen ist vorwiegend Wüstenland, so pflegt
man gemeiniglich zu glauben. Zu weitaus größtem Teile dürfte dem so sein
und Transkaspien in der Tat als Teil jenes großen Wüstengürtels aufgefaßt
werden dürfen, welcher sich zwischen den Tropen und der gemäßigten Zone
um den ganzen Erdball schlingt, und dessen Eigenart in letzter Zeit die
wissenschaftliche Geographie, besonders im Verfolg der grundlegenden und
anregenden Arbeiten von Johannes Walther, eifrig zu ergründen versucht
hat. Das Resultat dieser modernen Wüstenstudien war, daß sich die ur-
sprünglich als so monoton und einförmig verschrieene Wüstenlandschaffc in
eine ganze Reihe wohlunterschiedener Einzelformen auflöste, deren drei wich-
tigste: die Fels- und Kies wüste, die Lehm- und Salzwüste, die Sandwüste
der Reisende auch in Transkaspien in typischer Weise studieren kann, sei es,
daß er auf dem Rücken des Kamels, oder auf den Bänken der transkaspischen
Eisenbahn das Land durchzieht.
Der erste der genannten Typen, die Felswüste, tritt dem Reisenden
bereits in der Umgegend des heutigen Ausgangspimktes der transkaspischen
Bahn, um Kraßnowodsk, sowie im Bereich des von dieser Stadt aus
streng südöstlich und unmittelbar nördlich des Bahnkörpers hinziehenden Ge-
birgszuges des Großen Baichan entgegen. Dieselben Erscheinungen der
Wüstendenudation, wie sie uns die moderne Forschung aus den Felswüsten
Afrikas und Nord-Amerikas kennen gelehrt hat, finden wir hier wieder. Die
ragenden Felswände und abgestürzten Blöcke sind überzogen von jener eigen-
tümlichen schwarzen, wie Metall glänzenden Verwitterungskruste, welche
Land und Leute des Generalgouvernements Turkestan. 595
man bezeichnenderweise als „Wüstenlack" gekennzeichnet hat. Durch die
kolossalen Differenzen zwischen der hohen Hitze des Tages und der starken
Abkühlung in der Nacht ist das Gestein tiefgreifend zertrümmert; 8chuppen
lösen sich ab wie die Blätter eines Kohlkopfes; klaffende Bisse zerklüften das
Gesteinsmaterial in radialen Sprüngen; durch die Zusammenarbeit der
chemischen Verwitterung und der äolischen Denudation werden tiefe Höh-
lungen im anstehenden Fels geschaffen; kurzum unter der Einwirkung des
eigenartigen Wüstenklimas wird eine Unmasse von Gesteinsgrus geschaffen,
welcher bei der gleichzeitigen absoluten Vegetationslosigkeit der Felswüste
dem Weitertransport durch die Atmosphärilien, besonders durch Regen und
Wind, in intensivster Weise unterliegen muß. Beide atmosphärischen Agen-
tien aber pflegen in der Wüste, wenu sie auftreten, sofort mit elementarer
Wucht als Orkan und Wolkenbruch einzusetzen und daher in der mit losem
Yerwitterungsschutt überlasteten Felswüste leichtes Spiel zu haben und radikal
zu wirken. Der Wüstenwind peitscht allen Staub und Verwitterungsgrus
zwischen den Blöcken und Gesteinstrünamem der Felswüste heraus, treibt
ihn gegen die benachbarten Felsen, glättet und schrotet diese wie ein natür-
liches Sandgebläse und fegt die Oberfläche der Felswüste völlig frei von
Detritus. Der Gewitterregen seinerseits rafft den lockeren Schutt zusanamen,
welcher sich besonders im Hintergrund der Trockentäler (Abb. l), die blind
endend und ohne Wasser die Fels^rüste durchziehen, ansammelt, wälzt ihn
in schlammigem Strom kurze Strecken vor sich hin; das Wasser verdunstet
dann und läßt den Detritus, vne ein Fluß den Schlamm seines Deltas, an
der Ausmündung der Trockentäler in Form von Detrituskegeln liegen. Fährt
man mit der Bahn an den völlig vegetationslosen, den inneren Aufbau aus
wechselnden braungelben Sandsteinen und rötlichen bis grünlichen Mergel-
zwischenschichten klar bloßlegenden Steilab^llen des Baichan von Kraßno-
wodsk aus entlang, so sieht man überall diese Schuttkegel aus den Trocken-
schluchten hervorquellen und den Gebirgsfuß in Schutt begraben (Abb. 2).
Je weiter man sich mit der Bahn von dieser Felswüste am Rande des
Großen Baichan entfernt, je mehr beginnt die Kieswüste an ihre Stelle zu
treten. Die Schuttdeltas breiten sich horizontal mehr und mehr aus und
entwickeln sich zu weiten Kiesfeldem, deren einzelne Steinchen, vom schwarzen
„Wüstenlack" überzogen, dem Ganzen einen höchst düsteren und traurigen
Anstrich verleihen, der nicht verdrängt werden kann von den matten grau-
grünen Farbentönen der wenigen, weit voneinander stehenden und imter dem
Einflüsse des ungünstigen Klimas an Blättern armen, aber an Stacheln reichen
Wüstenkräutem Auch diese Kieswüste steht imter dem Einfluß von Wind
imd Regen. Der Wind freilich vermag ihre schweren Kiesel nicht mehr zu
heben, nur ringsum von Sand freizublasen und so schließlich doch noch in
eine langsam rollende Bewegung zu bringen. Dadurch arbeitet er dem Wasser
vor, welches nun im Falle des Eintretens eines Platzregens diese freigeblasenen
Kiesel leicht in Bewegung setzt und in einer Geröllflut streckenweise zu
verfrachten vermag.
Entfernt sich die transkaspische Bahn im Bestreben, das Vorland der
nordpersischen Randketten zu erreichen, noch weiter vom Baichan imd der
40*
596 Max FriederichseA:
Kies wüste seines Fußes, so tritt sie ein in eine neue Wüstenform, die Lehm-
und Sal^wüste. Diese bildet sich in Transkaspien da, wo die periodisch
oder dauernd vom höheren Oebirge der Randketten abströmenden Wasser ver-
siegen und die feinsten noch mittransportierten Schlammteilchen und die
chemisch gelösten Balze gemftB der immer geringer werdenden Transportkraft
der verdunstenden und nur periodisch fließenden Begenbftche sich ablagern.
Das sind die sogenannten „Takyrböden^ Transkaspiens, die im Blumenschmuck
des Frühlings das Auge erfreuen, im dürren staubigen Sommerkleid aber den
Beisenden entsetzen. Sie bereiten in ihrer einförmigen trostlos abwechslungs-
leeren Öde vor auf den dritten und letzten, ^eichzeitig aber auch furchtbar-
sten Wüstentjpus Transkaspiens, die Sandwüste.
Hier in dieser Sandwüste, welche weithin das Innere Transkaspiens be-
deckt, spielt bereits das Wasser als umgestaltendes und formengebendes Ele-
ment kaum mehr eine Rolle. Lediglich der Wind ist hier am Werk. Die
Sandwüste ist eine absolut äolische Bildung. Kara-kum (d. h. schwarzer Sand)
heißt diese trostlose Sand Wüstenei, durch welche sich zwischen Merw und
Buchara die transkaspische Bahn hindurchkämpfen muß und deren Eigentüm-
lichkeiten die Winde bestimmen. Nicht lange und weit sich hinziehende
Sand wälle wie in der libyschen Wüste sind ihr Charakteristikum, sondern
die als „Barchane^^ bekannten halbmondförmig geschwungenen Sicheldünen,
deren Gestalt je nach dem vorherrschenden Winde variiert. Von Mitte Februar
bis Oktober, also im ganzen Sommer, bedingt der aus Norden wehende
Wind Ausbildung der Sichelarme nach Süden und steilen unter 35^ geneigten
Absturz nach der gleichen Himmelsrichtung. Er läßt, wie die Untersuchungen
der russischen Ingenieure am transkaspischen Bahndamm erwiesen haben, den
Sand um 18 m gen Süden wandern^). Im Winter dagegen, vom Oktober
bis Januar, springt der Wind um, bläst nun konstant aus Süden und ver-
anlaßt ein völliges Umkrempeln der Arme der Sicheldünen nach Norden. Da
er schwächer und kürzere Zeit weht, wandern unter seinem Einfluß die losen
Triebsandmassen nur 12 m zurück, sodaß in jedem Jahr 6 m Triebsand von
dem Bahndamm der transkaspischen Linie femgehalten werden müssen, was
heute mit Erfolg geschieht durch Anpflanzen der typischen Wüstensträucher
des Saxäul {Hdloxylon ammodendron). Seine sperrigen, kahlen Büschel sieht
man in einer 5 km breiten Zone heute diese technisch schwierigste und land-
schaftlich ödeste Strecke der transkaspischen Bahn begleiten, imd sein knor-
riges, stahlhartes und unter großer Hitzeentwicklung verbrennendes Wurzel-
werk liegt überall in großen Haufen nahe den Stationen, welche einsam als
letzte Vorposten der Kultur in dieses Sandmeer vorgeschoben sind.
Alles Wasser von den imiliegenden Gebirgen versiegt in dieser Band-
wüstenei der Kara-kum mit einziger Ausnahme des Amu-darya, des Oxus
der Alten, an dessen Ufern bereits Alexander der Große gestanden hat und
den heute die Russen in einer 5 km langen eisernen Brücke (an Stelle
der alten Annenkowschen Holzbrücke) überwunden haben. Schokoladebraun
1) Vgl. Walther. Gesetz der Wüstenbildung. Berlin, D. Reimer 1900. S. 122.
Ders. Verh d. Ges. f. Erdkde. Bd. 26. 1898. S. 68.
Land und Leute des Generalgouvernements Turkestan. 597
wälzt der selbst inmitten dieser trostlosen Wüstenei noch majestätische Strom
in völlig flacher Umgebung und durch schlammige Liseln in zahllose Arme
geteilt seine Wasser unter den Bögen der Eisenbahnbrücke dahin. Und
doch erschlaflPb auch er weiterhin im Kampfe mit der Unbill des Wüsten-
klimas und endet frühzeitig im verdampfenden Becken des Aral-Sees. Die
wandernden Sandmassen der Kara-kum erseheinen auch an seinen Ufern, ja
überschreiten sogar seine Fluten und dringen gegen sein belebendes Naß ge-
nau so todbringend vor, wie gegen die transkaspische Bahn und vor allem
gegen die gesegneten Distrikte der Lößoasen, welche überall an der Peri-
pherie Transkaspiens zwischen Wüste und umgebendem Gebirge als letzte
typische morphologische Zone Transkaspiens auftreten. Ihr Vorhandensein ver-
dankt diese nach den Anschauungen der modernen Forschung dem gleichen
Wüstenwind, welcher die toten Sandmassen des Inneren Tran^aspiens auf-
türmte. Er trug das allerfeinste, nur langsam sinkende Staubmaterial der
Gesteinsverwitterung an den Fuß der umgebenden Gebirgszüge imd häufte
hier in unendlichen Zeiten jene mächtigen Massen ungeschichteten gelben
Lehms auf, welchen man hier, wie in den analogen Gegenden Chinas, als
Löß bezeichnet. Ist er genügend natürlich oder künstlich bewässert, so be-
dingt er die Fruchtbarkeit jener Kulturlandschaften an der Peripherie Trans-
kaspiens, zu denen die Oasen der Turkmenen nördlich der persischen Rand-
ketten, die Bezirke der Städte Buchara und Samarkand an den Ausläufern
des Alai, das fruchtbare Ferghanabecken und die Oasenbezirke von Taschkent
und Umgebung am Fuße der westlichen Ausläufer des Uimmelsgebirges in
erster Linie gehören.
b. Nördliches Vorland des westlichen und zentralen Tiön-schan.
Die vorstehend in großen Zügen charakterisierten morphologischen Grund-
tjpen der Landschaft Transkaspiens kehren im großen und ganzen auch im
nördlichen Vorland des westlichen und zentralen Tien-schan wieder.
Auch hier liegt zwischen dem Tiön-schan im Süden und der sogenannten
Kirgisensteppe im Norden ein Wüstengürtel mit den gleichen Typen der
Fels-, Kies-, Lehm- und Sandwüste.
So begleiten den nordwestlich aus dem TiiJn-schan hervortretenden Kara-
tau die Sande Mujun-kum, in welchem der Tschu genau so versandet, wie
der Murgab hinter der Oase Merw in den Sauden der Kara-kum. Vor den
zentralen Gebirgsteilen des Tiön-schan liegen die Sandwüsten Tau-kum,
Ljuk-kum u. a. Als Pendant zum Binnenbecken des Aral-Sees erscheint der
abflußlose Balkasch-See, in welchem, wie dort im Aral-See der Amu- und Syr-dary a,
hier der Ili und die Abflüsse des dsungarischen Ala-tau versiegen. Auch das
Ferghanabecken Transkaspiens findet um Kuldscha nach Gestalt, morphologischer
Oberflächenform und, wie wir später sehen werden, Kulturwert ein völliges
Analogen. Nur die Lößzone am Gebirgsfuß an der Peripherie der Wüsten
tritt in beiden Gebieten in äußerlich verschiedener Form in die Erscheinung.
Gut und seit alters berieseltes und besiedeltes Oasenland stellt diese Zone
eigentlich nur im Ilibecken dar, sonst bildet sie an den Hängen des Tien-
schan den Untergrund für eine imunterbrochene Zone von Wiesensteppen,
598 Max Friederichsen:
wie sie in dieser ausgeprägten Form Transkaspien fehlt. In einer fast zwei-
wöchentlichen Postfahrt in dem wegen seiner Federlosigkeit und ftlr West-
europäer unglaublich primitiven Ausrüstung gefOrchteten russischen Tarantaß
habe ich zwischen Taschkent und Wjemyj diese Steppenzone zwischen Ge-
birgsfiiß und Wüste hinreichend kennen gelernt und mich davon überzeugen
können, daB nur die ragenden Schneezinnen der Alexanderkette, des trans-
ilensischen Ala-tau oder des dsungarischen Ala-tau im Hintergrund dieser
Steppe für ihre eigene landschaftliche Eintönigkeit einigermaßen zu ent-
schädigen vermögen. Besonders im Hochsommer, wenn alles Gras und alle
Blumen knochentrocken und verdorrt sind, wenn der Lößstaub des Steppen-
untergrundes von jedem Hufschlag in dichten Wolken emporgewirbelt wird
und in die feinsten Poren der Haut, in Augen, Mund, Nase und Ohren ein-
dringt, dann vermag man kaum die begeisterten Steppenschilderungen zu
verstehen, welche besonders russische Dichter uns vielfach geliefert haben.
Ganz anders ist es im Frühling, wenn ein Blumenteppich in prächtigen
Farben die ganze Steppe überzieht, wenn alles blüht und duftet! Dann finde
auch ich die Steppe schön und gern erinnere ich mich der Bilder aus jenen
Maitagen des vorigen Jahres, wie sie mir an vielen Punkten der Steppe am
Nordfuß des zentralen Ti{fn-schan auf meiner einsamen Steppenfahrt von
Taschkent nach Wjemyj vor Auge und Seele traten. Saftig grünes Gras,
tiefroter, feurigglühender Mohn, hellblaue Vergißmeinnicht, schlanke Königs-
kerzen, gelbes Labkraut, rotviolette Kukuksnelken, Löwenmaul und tausender-
lei andere Gräser und Blumen bildeten gemeinsam einen herrlichen Teppich.
Schön auch ist diese Steppe am Fuße der Berge bei Abend, wenn flim-
mernd und zitternd die letzten Strahlen der Sonne über sie hinweggleiten,
sie in feurige Glut tauchen und der Himmel in nie gesehenen Tinten mannig-
fach wechselnd, langsam verblaßt.
2. Klimatische OrimdKflge.
Alles in allem ist demnach ein großer Teil des Generalgouvernements
Turkestan, zu welchem auch die hier nicht näher zu besprechenden, weil
für eine ausgedehntere kolonisatorische Besiedelung belanglosen eigentlichen
Hochgebirgsstrecken des Tiön-schan und Pamir- Alai gehören, ein ödes Wüsten-,
Steppen- und Felsengebirgsgebiet, und wenn man die später noch näher zu
erörternden Oasendistrikte an den Gebirgshängen diesen Wüsten, Steppen und
Felsengebirgen prozentualisch gegenüberstellt, so erhält man nur einen höchst
unbedeutenden Teil des Gesamtareals von Turkestan als angebautes Kulturland.
Was ist der Grund dieser Verhältnisse? Warum sieht das Land weithin
so trostlos und öde aus? Die Antwort lautet, weil es klimatisch so un-
günstig gestellt ist. Wüste und Steppe sind als Oberflächenformen unserer
Erde vorwiegend klimatisch bedingt.
Diese klimatische Ungunst Turkestans charakterisiert sich auf Basis
unserer klimatologischen Kenntnisse dieses Gebietes vor allem durch folgende
Faktoren: geringe Niederschläge, exzessive Sommerhitze, große tägliche und
jährliche Temperaturschwankungen und vor allem einen beträchtlichen Über-
schuß der Verdunstung über die Niederschläge.
Land und Leute des Generalgouvernements Turkestan. 599
Betrachtet man eine moderne Niederschlagskarte der Erde^), sg wird
man an der Stelle Transkaspiens imd des Vorlands des westlichen und zen-
tralen Tiön-schan die nicht sehr viel versprechende Bezeichnung „dauernd
regenarm^' eingetragen finden, d. h. in Zahlen ausgedrückt, dauernd unter
250 mm jahrlicher Regenmenge. Verschlimmert wird dieser Umstand da-
durch, daß diese unbedeutenden Niederschläge noch dazu im Winter fallen.
Im Sommer aber, wenn die Wasserflächen der hauptsächlich als Feuchtigkeits-
spender in Betracht konmaenden Binnenmeere des Kaspi- und Aral-Sees am
kräftigsten verdampfen, kann die hochgradig erhitzte Luft so ungeheure
Feuchtigkeitsmassen aufnehmen, daß ohne Niederschlag zu bilden alle Ver-
dunstungsfeuchtigkeit von ihr absorbiert wird. Diese heiße, mit Feuchtigkeit
beladene Sommerluft Transkaspiens kouunt unter dem Einfluß der sommer-
lichen N- und NW-Winde Transkaspiens beim Aufsteigen an den Randgebirgen
zur Abkühlimg und zum Niederschlag, und so kommt es, daß auf Kosten
des verdunstenden Aral- und Kaspi-Sees diese Gebirge im Bereich des tur-
kestanischen Generalgouvernements im Sommer Feuchtigkeitsinseln innerhalb
klimatischer Trockengebiete darstellen, also eine völlig umgekehrte, im Som-
mer gelegene Regenperiode besitzen. Und das ist fär die randlichen Oasen-
distrikte Transkaspiens imd deren natürliche und künstliche Bewässerung von
allergrößtem Einfluß. Es ist das Geheimnis ihrer Existenzmöglichkeii
Eine Folge der für die hochgradig erhitzte Luft Transkaspiens und der
nördlichen Vorlande des westlichen und zentralen Tit?n-schan viel zu geringen
Feuchtigkeitszufuhr im Sommer ist die große Zahl völlig heiterer Tage zu
dieser Jahreszeit, die in der Nacht wiederum eine starke Ausstrahlung be-
günstigen und so die eigentümlich starken Schwankungen zwischen der Tem-
peratur von Tag und Nacht, sowie Sonuner und Winter bedingen mit ihrer
Einwirkung auf die früher erörterte Gesteins Verwitterung.
Der wichtigste klimatische Faktor aber für die Erklärung des heutigen
und zukünftigen Zustandes des Generalgouvernements Turkestan ist das Ver-
hältnis der Verdimstung zu den Niederschlägen, und das ist nicht nur in
den Wüsten- und Steppenzonen Transkaspiens und des Tien-schan- Vorlandes,
sondern auch in den feuchteren Regionen des Hochgebirges selber zweifellos
ungünstig und wird immer ungünstiger. Dafür spricht nicht nur das nach-
weisbar schnelle Austrocknen transkaspischer Seen, wde z. B. des Aral- imd
Balchasch-Sees, sondern auch das Einschrumpfen des Issyk-kul im zentralen
Tien-schan, dessen alte Terrassen von mir gelegentlich unserer Expedition in
das Hochgebirge an verschiedenen Stellen begangen wurden. Schließlich
spricht für dieses immer trockener werdende Klima Turkestans auch das
deutliche und intensive Abschmelzen der Gletscher des Tiön-schan, wie ich
es in zentralen Teilen des Gebirges in einer Deutlichkeit habe nachweisen
können, die keine Zweifel zuläßt und gelegentliche ältere Beobachtimgen in-
tensiv ergänzt, so daß es heute kaimi mehr einem Zweifel unterliegen kann,
daß in nicht allzu femer Vergangenheit der Tiön-schan Talgletscher gehabt
hat von einer Größe und Mächtigkeit, die kaum hinter den analogen Bil-
1) Z. B. Supans Karte in Pet. Mitt. Ergbd. 124. 1898.
600 Max FriederichBen:
düngen in gewissen eiszeitlichen Gletscherperioden unserer Alpen zurück-
stehen dürften.
8. Die Rossen als Kolonisatoren in Tnrkestan.
Damit wären die Hauptbeweise für die klimatische üngxmst Turkestans
und somit auch für die Naturnotwendigkeit seines vorwiegenden heutigen
Wüsten- und Steppencharakters geliefert, und es früge sich jetzt, welche Teile
dieser Länder kommen demnach wirtschaftlich für eine russische Kolonisation
in Betracht, und da bleiben in der Tat vom ganzen Generalgouvernement
Tnrkestan eigentlich nur die von den umliegenden Gebirgen hinlänglich mit
Wasser bedachten Randzonen übrig, während das Innere Transkaspiens und
die Hochgebirge des Ti6n-schan und Pamir-Alai als vorwiegend unwirtlich
und nur in gewissen Teilen von Nomaden, in ganz wenigen (wie z. B. der
Umgebung des Issyk-kul) von kolonisierenden Russen bewohnbar, unmittelbar
auszuschalten sind.
Bei Besprechung dieser randlichen Kulturzonen möchte ich wiederum die
Lößdistrikte Transkaspiens von denen des nördlichen Vorlandes des zentralen
und westlichen Tißn-schan scheiden und mich zunächst einer Erörterung der
ersteren zuwenden.
a. Die transkaspische Lößzone.
In der Lößzone Transkaspiens, besonders an dem Fuß der Gebirgsaus-
läufer des Tißn-schan und Pamir-Alai ist der Russe als Kolonisator einge-
drungen in schon seit alters bebaute, kompliziert und kunstvoll bewässerte
und von einer alteingesessenen, unter dem Einfluß einer Jahrhunderte alten
mohammedanischen Kultur stehenden Bevölkerung dicht bewohnte Gebiet«.
Er hat sich angesiedelt, wo er diese Bevölkerung seßhaft fand. So entstand
neben dem sartischen Alt-Samarkand ein russisches Neu-Samarkand, neben
Alt-Buchara ein Neu-Buchara, neben dem sartischen Taschkent ein russisches
Taschkent. Und zwar siedelten sich in diesen russischen Neugründungen der
Natur der Dinge nach in erster Linie Militärs, Beamte und vor allem Kauf-
leute an. Es begann durch der letzteren Arbeit ein Import russischer und
europäischer Waren und ein Export der von der einheimischen Stadtbevölkerung
erzeugten Produkte des einheimischen Gewerbes, besonders von Seiden- imd
Baumwollgeweben, von Leder- und Metallarbeiten und ähnlichem. Diese durch
die seit den Feldzügen der Generäle Tschern ajew und von K auf f mann in
den 60 er Jahren des vorigen Jahrhunderts (Einnahme Taschkents 1865,
Samarkands 1868) eingeleitete Kolonisierung Turkestans und kaufmännische
Ausnutzung hat nun einen bedeutenden Aufschwung genommen, als Rußland
im Jahre 1888 mit dem Bau der transkaspischen Eisenbahn bis Samar-
kand vordrang. Es sind ja bekannte Tatsachen, an die hier nur kurz
erinnert werden soll, daß diese wichtige Schienenlegung im Grunde militä-
rische Zwecke verfolgt hatte und unmittelbar veranlaßt worden war durch
den Turkmenenaufstand des Jahres 1881, zu dessen Niederwerfung General
Skobelew den Bau einer Bahn von den russischen Kolonien am Kaspischen
Meere in die transkaspischen Wüstengebicte verlangt hatte. General Annen-
Land und Leute des Generalgouvernements Turkestan. 601
kow wurde bekanntlich mit dieser schwierigen Aufgabe betraut nnd löste sie
glänzend. Wenngleich auch der Turkmenenaufstand durch den Fall der Feste
Gök-tepe (18. Januar 1881) bereits entschieden war, ehe die Schienen vom
Kaspischen Meere aus auch nur die persischen Randketten erreicht hatten, so
'hatte doch schon das fertige Stück für Verproviantierung der Truppen und
Rücktransport der Verwundeten großen Nutzen gebracht, der nach Pazifizie-
rung Transkaspiens und Weiterführung der Bahn zunächst bis Samarkand
der Kolonisation Turkestaus sehr zu statten kam. Heute endigt diese unter
den größten technischen Schwierigkeiten gebaute Bahn bereits lange nicht
mehr in Samarkand. Man hat sie bis Taschkent weitergeführt und in die
fruchtbaren Baumwolldistrikte Ferghanas, in welchen letzthin auch wertvolle
Erdölvorkonunen gefunden sein sollen, eine Stichbahn bis zur Stadt Andidschan
gelegt. Auch eine militärisch höchst wichtige Abzweigung nach Kuschk an
der Grenze Afghanistans ist im Betriebe, so daß heute im ganzen auf dieser
Bahn über 2500 km Schienen in Benutzung sind. Dazu kommt, daß man
im Augenblick bereits eifrig am Bau der Bahn Taschkent-Orenburg arbeitet,
um auf diese Weise die zentral-asiatische Linie an das europäisch-russische
Eisenbahnnetz Orenburg-Samara anzuschließen, was für die Nutzbarmachung
der natürlichen Reichtümer, besonders des Ferghana-Beckens, von größter
Bedeutung sein wird. Auch eine Weiterführung der Linie von Taschkent
am Nordfuß des Ti^n-schan über Wjemyj nach Semipalatinsk und weiter bis
Omsk zum Anschluß an die große sibirische Eisenbahn dürfte lediglich eine
Frage der Zeit sein. Es bedarf daher kaum einer Betonung, daß nicht nur
die bestehenden, sondern auch die im Bau bereits begriffenen oder projek-
tierten Schienenwege Turkestans fttr die Hebung des Handels in diesen russi-
schen Kolonisationsgebieten nach den verschiedensten Richtungen von größter
Bedeutung sein müssen. Um nur eins anzuführen, hatte sich der Export von
Baumwolle aus Turkestan nach dem europäischen Rußland von jährlich
9 680 000 kg vor Fertigstellung der transkaspischen Bahn auf beispielsweise
98 280600 kg im Jahre 1897 gehoben, und heute wird diese Steigerung noch
weit bedeutender sein.
Diesen kaufmännischen Interessen der kolonisierenden Russen gegenüber
kann die Verwertimg des Ackerbodens der turkestanischen Lößzone durch
Feldbau abseiten zuwandernder russischer Kolonisatoren kaum ins Gewicht
fallen. In letzterer Beziehung wird der Russe stets gegenüber dem altein-
gesessenen Eingeborenenelement stark ins Hintertreffen geraten. Daher
kommt es denn, daß der im transkaspischen Lößgebiet kolonisierend einge-
drungene Russe den mühseligen und nur durch die geduldigste Bewässerungs-
arbeit mit Erfolg zu betreibenden Feld-, Garten- und Obstbau vorwiegend
dem Eingeborenen überläßt, welcher in unverdrossener Arbeit Reis, Getreide,
Hülsenfiüchte, Gewürz-, Futter- und Gewebepflanzen anbaut, während der
Russe die Produkte dieser Landbearbeitung aufhäuft und kaufinännisch weiter
verwertet. Schwerlich würde ein russischer Ackerbauer mit diesen genüg-
samen uftd an das heiße, trockene Klima von Jugend an gewöhnten Ein-
geborenen zu konkurrieren vermögen. Auch würde bei der bereits vorher
angedeuteten, immer weiter fortschreitenden Austrocknung Turkestans, und
602 Max Friederichsen:
bei der sorgsamen Benutzung jedes bewässerbaren und anbaufähigen Fleckchens
Oasenland der transkaspischen Lößzone kaum mehr Platz für eine vorwiegend
auf Landanbau abzielende Kolonisation Transkaspiens vorhanden sein. Nach
dieser Bichtung auf eine glänzende Zukunft der transkaspischen Lößzone als
russischer Ackerbaukolonie zu hoffen, dürfte jedenfalls absolut unangebracht'
sein. Hier liegen die Verhältnisse zweifellos ähnlich wie in vielen Teilen
Chinas, wo das Land auch so dicht besiedelt und intensiv von der ange-
sessenen Bevölkerung bewirtschaftet wird, daß kein oder wenig Platz für eine
auf Ackerbau abzielende Bewirtschaftung abseiten einer fremden Kolonial-
macht vorhanden ist, wohl aber hier wie dort ftir eine kaufmännische Ver-
wertung der Landesprodukte bei wachsendem Absatz und Bedarf der kolo-
nisatorisch eindringenden Macht eine vielversprechende Zukunft winkt.
Was aber Rußland nach dieser Richtung der wirtschaftlichen Erschließung
der transkaspischen Lößzone bisher getan hat, wird es in Zukunft zielbewußt
weiter tun; und nach dieser Richtung hin halte ich die alten Kulturländereien
dieses Gebietes, besonders das neuerdings inmier mehr und mehr erschlossene
Ferghana-Becken für eines der zukunftsreichsten, wenn nicht fOr das zukunfts-
reichste Kolonisationsgebiet Rußlands, besonders auch deshalb, weil es an
Persien imd Afghanistan stößt, und weil es vor allem Rußland verstanden
hat, mit dem hier ansässigen und vielsprachigen Völkergewinmiel ausge-
zeichnet geschickt fertig zu werden und sich den Eigentümlichkeiten der
Bewohner seiner Kolonialbesitzimgen trefflich anzuschmiegen. Und das will
einiges bedeuten, denn in Transkaspien stießen die Russen auf ein fast ebenso
buntes Völkermosaik, wie etwa im Kaukasus. Ist doch das Land im Laufe
der Geschichte von unzähligen, aus dem Innern Asiens immer von neuem
herausflutenden Völkerwellen überspült worden, die sämtlich ihre Spuren
hinterlassen haben. Nicht weniger als 26 verschiedene Völkerschaften haben
ihre Vertreter heutzutage in Transkaspien; darunter sind als Ansässige die
Sarten, Tadschiken und Usbeken, als Nomaden die Kirgisen und Turkmenen
am wichtigsten. Da es viel zu weit führt, auf diese schwierigen Völker-
verhältnisse in diesem Zusammenhang genauer einzugehen, so will ich aus
den zwei Hauptgruppen der Ansässigen und Nomaden Transkaspiens nur
die zwei bekanntesten und für das Land wichtigsten die Sarten imd die
Turkmenen herausgreifen und ganz kurz charakterisieren.
Den sogenannten Sarten begegnet man überall in den großen Städten
und kleineren Ansiedelungen Transkaspiens als dem Grundstock der ansässigen
Bevölkerung. Über ihre ethnogi-aphische Stellung findet man in der sehr
umfangreichen einschlägigen Literatur die verschiedenartigsten und von einander
abweichendsten Erklärungen imd Auffassungen, unter welchen ich persönlich
eine der älteren bevorzugen möchte, welche mir in dem schon 1872 publi-
zierten 1. Heft der Russischen Revue begegnet ist, wo Lerch schreibt: „Der
Name Sart hat nach unserer Überzeugung von Hause aus durchaus keine
ethnische Bedeutung gehabt, sondern eine kulturhistorische und hat dieselbe
auch bis jetzt bewahrt" Er kommt dann am Ende einer längeren Diskussion
des Gegenstandes zu dem Schlüsse, daß der Begriff „Sart" ein Kollektivname
zur Bezeichnung der ansässigen Bewohner unabhängig von ihrer Ursprung-
Land und Leute des Generalgouvernements Turkestan. 603
liehen ethnischen Zugehörigkeit sei und lediglich den Gegensatz zum Nomaden
bezeichne. Ethnographisch aber sind diese Sarten ein heute schwer definier-
bares Mischvolk, hervorgegangen aus intensiver Vermischung der indogerma-
nischen Urbewohner Turkestans mit allen jenen zahllosen anderen Völker-
schaften, welche sich im Laufe der Menschheitsgeschichte über diese Land-
schaften ergossen, und von denen türkische und mongolische Elemente gleicher-
weise in ihnen vorhanden sind vrie indogermanische, wie denn auch der Ein-
druck ihrer Physiognomie vorwiegend indogermanisch, dagegen ihre Sprache
türkisch ist^).
Li jeder Beziehung in strengem Gegensatz zu diesen ansässigen Sarten
stehen die Turkmenen, die Hauptvertreter der nomadisierenden Hirten-
stämme Transkaspiens, welche einst als gefOrchtete Räuber das Lauere des
Landes imsicher machten, heute aber schon teilweise seßhaft in der Oaseu-
zone vor den persischen Randketten sitzen, und denen man dort, wie beson-
ders in der Oase Merw begegnet. Es ist ein ursprünglich türkisches, später
aber durch indogermanische Elemente maßgebend beeinflußtes und seines
mongolischen Urtypus daher fast völlig verlustig gegangenes Volk von mutiger,
tapferer Sinnesart und kriegerischem männlichem Charakter. Auch sie hat
Rußland nach der blutigen Erstürmung von Gök-tepe völlig zu paziflzieren
verstanden. Ebenso verwegen und widerspenstig wie sie seinerzeit den Russen
gegenüber traten, ebenso ruhig und friedlich haben sie sich jetzt in die neuen
Verhältnisse gefunden und dem „weißen Zaren" die einmal geschworene Treue
redlich gehalten.
b. Die Weide- und Ackerbau-Zone im nördlichen Vorland des
westlichen und zentralen Tiön-schan.
Verlassen wir damit Transkaspien und wenden uns dem nördlichen Vor-
land des westlichen und zentralen Ti(fn-8chan zu mit der gleichen Frage-
stellung nach kolonialer Nutzbarkeit, so wissen wir aus früherem, daß auch
hier große Teile durch Bodengestaltung und Klima als Wüsten kolonisatorisch
unbrauchbar sind, und daß die Lößzone Transkaspiens hier auf weite Strecken
durch eine Steppenzone ersetzt wird, welche vor dem Gebirgsfuße als breites
Band liegt. Mit Ausnahme des Hi-Beckens, welches bereits vorher als ein
völliges Analogon des Ferghana-Tales ausgesondert wurde, fehlt diesem
Steppengürtel das Charakteristikum der transkaspischen Lößzone: die gut
und seit alters berieselten Oasengebiete mit ihren alten Kulturzentren (wie
etwa Samarkand, Taschkent u. a.). An ihrer Stelle erscheint die Wiesen-
steppe mit einer ausschließlich nomadisierenden eingeborenen Bevölkerung,
den Kirgisen. Diesen veränderten Boden- und Bevölkerungsverhältnissen
haben sich nun auch die kolonisierenden Russen im Tit?n-schan- Vorland an-
gepaßt Waren es in der Lößzone Transkaspiens vorwiegend Kaufleute, so
sind es hier in erster Linie russische Bauern, besonders aus den über-
völkerten Schwarzerdedistrikten des südlichen und mittleren Rußlands. Da sie
ihre Häuser genau aus dem gleichen Material des gefällten Baumstammes in
1) Näheres vgl. man in F. von Schwarz, Turkestan. Freiburg 1900.
604 Max Friederichsen:
seiner natürlichen runden Form erbauen wie in der Heimat, und ihre Kirchen
ebenso kuppel- und turmreich und bimtfarbig sind wie daheim, so machen
diese russischen Ackerbau- und Yiehwirtschaftskolonien nördlich des zentralen
und westlichen Tiön-schan, wie z. B. Tschimkent, Aulie-ata, Merke, Tokmak u. a.,
oder Eopal, Lepsinsk u. a. am Nordabhang des dsungarischen Ala-tau einen
durchaus europäischen Eindruck und muten uns an wie ein Stück europftischen
Rußlands auf innerasiatischem Boden. Häufig imd in der Mehrzahl der Fälle
scheinen in diesen Gebieten die eingewanderten Kolonisten durchaus ihr gutes
Einkommen durch Betrieb von Ackerbau und Viehzucht zu haben, so daß die
einzelnen Häuser und das gesamte Siedelungsbild einen wohlhabenden und
freundlichen Eindruck macht.
Letzteres gilt besonders von der wichtigsten Stadt dieses Teiles des tur-
kestanischen Generalgouvernements, der Stadt Wjemyj, gleichzeitig dem Sitz
des russischen Gouverneurs der Provinz Semiijetschensk (Siebenstromland),
des Generals Jonnow. Die etwa 23000 Einwohner zählende Stadt liegt am
Ufer der reißenden Almatinka, am Fuße der nahezu bis Montblanc-Höhe auf-
steigenden Schneekette des transilensischen Ala-tau (Abb. 3). Da sie im
Jahre 1887 von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht wurde, welches
alle größeren Steingebäude zertrümmerte, hat man sie seitdem fast nur in
niedrigen einstöckigen Holzhäusern, im russischen Blockhausstil, wieder erbaut.
Sie wird von zahlreichen Bewässerungskanälen durchzogen, welche die Gärten
und prächtigen schattigen Alleen berieseln, von denen alle Straßenzüge
Wjemyjs begleitet sind. Von einem erhöhten Standpunkte aus, etwa von
dem Hügelzug im Osten der Stadt, verschwindet sie daher völlig in einem
Park von grünen Bäumen und Sträuchem. Was freilich Wjemyj noch
fehlt, ist eine leichte Kommunikation mit der Außenwelt. Eine Eisen-
bahn gibt es im Augenblick noch nicht, und ehe nicht eine solche in der
früher angedeuteten Weise von Taschkent aus über Wjemjj den Anschluß
dieses russischen Kolonisationsgebiets im Vorlande des zentralen Tiön-schan
an die transkaspische Bahn auf der einen und die sibirische Magistrale auf
der anderen Seite hergestellt hat, wird eine weitergehende Abfuhr der Pro-
dukte der Viehwirtschaft und des Ackerbaus, sowie eine Ausnützung der be-
reits gefundenen oder noch zu erschließenden Minei^alschätze des Tien-schan
kaum möglich werden. Heute ist Wjemyj nur mit der russischen Post auf
langwierigen und für westeuropäische BegriflFe wenig erfreulichen Wegen per
Achse zu erreichen, und alle Erzeugnisse einer höheren westeuropäischen
Kultur müssen gleich den Landesprodukten dieser Kolonialgebiete auf diesem
umständlichen Wege transportiert werden. Es ist daher kein Wunder, wenn
für höhere russische Beamte und Militärs, welche ihr Dienst hierher ver-
schlagen hat, das Leben in Wjemyj als eine Art Verbannung empfunden
wird. Von Wjemyj aus besteht auch ein regelmäßiger Postdienst mit den
wenigen russischen Ackerbau- und' Viehwirtschaftskolonien, welche im Innern
des zentralen Tiön-schan um den ca. 1600 m hoch liegenden Alpensee
Issyk-kul gelegen sind, und unter denen Prschewalsk am Ostende dieses Sees
mit nmd 7900 Einwohnem die bedeutendste sein dürfte.
Die Bewohner dieses nördlichen Vorlands des westlichen und zentralen
Land und Leute dea Oeneralgouvernements Turkestan. 605
TiSn-scliaii und auch der wenigen Distrikte, welche als von Bussen kolonisiert
aus dem Gebirgsinnem angefahrt wurden, sind nun der Natur der Oberflächen-
gestaltong dieser Distrikte entsprechend nomadisierende Hirten, und zwar wie
schon erwähnt Kirgisen. Es ist dies em turkotartarischer Volksstamm von
echt mongolischem Typus mit vorspringenden Backenknochen, „geschlitzten"
Augen, langem, straffem, schwarzem Haupthaar und spärlichem Bartwuchs
(Abb. 6). Von Statur meist klein und gedrungen, aber von kräftigem, musku-
lösem Gliederbau, sind sie als echte Nomaden treffliche und verwegene Reiter,
welche leicht beweglich ihr nomadisches Filzzeltlager abschlagen (Abb. 4
und 5), wenn das Futter der jeweiligen Weide abgegrast ist und es fQr den
ganzen Stamm erforderlich wird, mit Hab und Gut, d. h. vor allem mit
Schafen, Pferden und Ochsen, weiter zu wandern.
Der russische Ackerbauer und Viehwirt hat sich nun mit diesem ein-
geborenen Nomadenvolk der Kii-gisen in den Steppen am Gebirgsfuß und auf
den wenigen Hochweiden des Gebirgsinnem ganz vortrefflich und ebenso gut,
wie mit den buntscheckigen Bevölkerungselementen der LöBzone Trans-
kaspiens zurechtgefunden, dabei trefflich unterstützt d\xtch die verständigen
russischen Regierungsmaßregeln. Durch letztere ist den Kirgisen dieser Ge-
biete die alte Hordeneinteilung ihrer wandernden Stämme im Grunde belassen,
nur mit der russischen Bezeichnung „Wollostj" belegt worden. Dadurch nahm
man klugerweise dem Eingeborenen nichts von dem, an das er gewöhnt war,
gab ihm dafür aber durch Einführung einer leicht getragenen russischen
obrigkeitlichen Gewalt größere Ordnung und Sicherheit von Leben und Eigen-
tum, und führte ihm in ihrem Gefolge die Errungenschaften einer höheren
Kultur in Gestalt kleiner nützlicher Bedarfs- und Verbrauchsgegenstände zu.
Von der Beglückung durch Missionswirksamkeit nahm man auch hier als
gegenüber Mohanunedanem nicht zweckmäßig völlig Abstand! Femer setzte
man an die Spitze der einzelnen „WoUostj" sogenannte „Wollostnojs",
d. h. von den kirgisischen Gemeinden selbständig gewählte, aber von der
russischen Regierung zu bestätigende Geraeindeäl teste, welchen die einheimisch-
kirgisische Gerichtsbarkeit, mit einzigem Ausschluß des Blutbannes, unum-
schränkt zusteht, und welche den Vorsitz bei dem kirgisischen Volksgericht,
dem „Bij", führen. Da diese Wollostnojs fiir gewöhnlich nicht Russisch reden
und verstehen, steht einem jeden ein russischer Schreiber, ein sogenannter
„Pissar^, zur Seite, welche in den turkestanischen Kolonialgebieten in eigenen
Dolmetscherschulen für diesen Zweck vorbereitet und ausgebildet werden.
Durch diesen „Pissar" wird der Verkehr mit der russischen Regierung ver-
mittelt.
Diese Organisation der kirgisischen Horden hat sich als sehr gut be-
währt, und da auch die von den Kirgisen erhobenen Abgaben fast unverhält-
nismäßig gering gegenüber den von den russischen Ansiedlern erhobenen sind,
so sind die Eingeborenen durchaus mit ihrer Lage zufrieden und achten die
russische Macht, wovon ich mich später gelegentlich von Proviant- und
Pferdelieferungen an unsere Expedition im Hochgebirge des Ti^n-schan genügend
zu überzeugen Gelegenheit hatte. Auch stehen die Kirgisen mit den einge-
wanderten russischen Kolonisten in stellenweise recht lebhaftem Tausch- und
606 Max Priederichßen:
Handelsyerkehr. Besonders lebendes Vieh (Pferde, Rinder, Hammel) oder
Wolle und Felle werden gehandelt, imd an zwei Stellen meiner Reise, in
Merke, am Nord faß der Alexanderkette, und später in Karkara, östlich von
Prschewalsk im zentralen Ti6n-schan habe ich interessante derartige Kirgisen-
markte zu sehen und das Treiben auf ihnen zu beobachten Gelegenheit ge-
habt Besonders in Karkara spielt sich jährlich vom Mai bis September
ein der Nishnij -Nowgoroder Messe ähnlicher kirgisischer Jahrmarkt ab.
Dann bildet sich rings um die wenigen russischen Blockhäuser dieses zeit-
weiligen Handelsmarktes ein ganzes Feldlager von Jurten. Monatelang ist so
Karkara das Ziel wandernder Kirgisen, welche hier an die russischen Auf-
käufer oft weitab im europäischen Rußland (z. B. in Saratow) beheimateter
Fabriken ungeheure Massen von Schafwolle und Tierfellen verhandeln und
sich selber für die langen Wintermonate ausrüsten mit den notwendigsten
Artikeln russischer Kultur (vor allem mit Tee und Zucker), welche sie
in 'den schmutzigen niedrigen Holzbuden der Händler der einzigen breiten und
unsauberen Straße Karkaras kaufen.
Anders als die geschilderten Verhältnisse am Nordfuß des zentralen
Ti^n-schan und in den wenigen Kolonien im Gebirge selber, sind Ansiede-
lungsbedingungen und Bevölkerungselemente im bereits vorher morphologisch
abgesonderten Ili-Becken. An seinem Rande gibt es wie im Ferghana-
Becken der transkaspischen Kulturzone wieder gut berieselte und seit alters
bebaute Lößzonen mit Anbau von Baumwolle, mit Wein- und Melonenkultur,
mit Seidenzucht und Getreidebau, daher auch mit ansässiger Bevölkerung. In
diesem Ili-Becken liegt, bereits politisch auf chinesischem Boden, die alte Stadt
Kuldscha, auf russischem das neuerdings zur wichtigsten dortigen Kolonie
erblühte Dscharkent. Letztere Stadt, in welcher ich länger weilte, erinnert
in mancher Hinsicht an die Städte der transkaspischen Lößzone. Wie Samar-
kand ist es trefflich berieselt und von schönen, gut gepflegten Alleen durch-
zogen, in deren Schatten die kleinen sauberen Steindatschen der Russen
stehen. Neben diesem lauschig freundlichen Russenviertel liegt freilich ein sehr
viel staubigerer, lauterer und schmutzigerer Eingeborenen-Stadtteil, in welchem
hier in Dscharkent, wie in Samarkand, vorwiegend ansässige, ackerbautrei-
bende sartische Völkerschaften sitzen, vor allem die Dunganen und Tarantschen.
Die Tarantschis stehen ethnisch den vorher bereits näher geschil-
derten Sarten sehr nahe, sind wie diese ansässig und in ihre heutigen
Wohnsitze im Ili-Tal im 18 Jahrhundert von der chinesischen Regierung
aus Kaschgarien versetzt worden. In ihrem Äußern gleichen sie nach Tracht
und Ausseben in vielem den Sarten und sind wie diese Mohammedaner,
Trotzdem pflegen ihre Frauen unverschleiert zu gehen und sich dadurch von
den Sartinnen zu unterscheiden.
Von ihnen grundverschieden sind die Dunganen, das zweite an-
sässige Bevölkenmgselement des Ili- Tales, welche Nachkommen türkischer
Völker sind, welche von den Chinesen zu verschiedenen Zeiten im nordwest-
lichen China angesiedelt wurden und durch ihre wilde Unbotmäßigkeit in
vielfachen blutigen Aufständen sich gegen ihre chinesischen Herren auflehnten
und ihnen schweren Schaden zufügten. Sie haben während ihres Aufenthaltes
Land und Leute des Qeneralgouvei-nements Turkestan. 607
in China chinesische Sprache und Sitte angenommen. Sie sehen nach Tracht
und Habitus völlig chinesisch aus (tragen aber keinen Zopf), während sie
ihrer Religion nach Mohammedaner sind. Diese ihre Zwittematur kommt
auch an ihren Moscheen sehr deutlich zum Ausdruck, wenigstens an dem mir
aus Dscharkent näher bekannten Beispiel. Nach der Straße zu macht das
Eingangsportal derselben einen orientalisch-zentralasiatischen Eindruck und
erinnert an die Pischtaks Samarkander Medresseen. Schreitet man durch dieses
Portal hindurch, so ist man erstaunt, auf seiner Rückseite über dem Torbogen
einen völlig in chinesischem Pagodenstil erbauten Glockenturm zu erblicken, und
geht man weiter, so steht man in dem Moscheehof vor einem gleichfalls in
seiner Architektur völlig chinesischen Bethaus mit kunstvoll geschwungenem
Dach und zierlichem Holzschnitzwerk an Säulen, Türen imd Fensterumrahmungen.
Wenn ich am Schlüsse dieser Betrachtungen auf dasjenige kurz zurück-
blicke, was ich auf Basis der Erfahrungen meiner vorjährigen Reise in den
Tiön-schan von den behandelten russischen Kolonisationsgebieten gesehen und
im vorhergehenden geäußert habe, so möchte ich zwei Dinge noch einmal
besonders hervorheben: zunächst die große ünwirtlichkeit und kolonisatorisch
dauernde Wertlosigkeit weiter Strecken des Generalgouvernements Turkestan,
hervorgerufen durch ihre vorwiegend klimatisch bedingte öde Oberflächen-
gestaltimg, sodann den Umstand, daß diese Verhältnisse auch durch umfang-
reiche Meliorations- oder Berieselungsarbeiten, wenigstens innerhalb des Be-
reiches der transkaspischen Lößzone, kaum wesentlich gebessert werden können.
Auf der anderen Seite aber kann man nicht anerkennend genug Rußlands
taktvolles Vorgehen gegen die eingeborenen Bevölkerungselemente des turkesta-
nischen Generalgouvernements hervorheben und nicht nachdrücklich genug darauf
hinweisen, daß seit den ersten blutigen Revolten der Turkmenen und Kirgisen in
den Eroberungsjahren des Landes späterhin kaum irgendwie nennenswerte Auf-
stände der eingeborenen Elemente zu bekämpfen waren, was als ein gutes Zeichen
für die Zufriedenheit mit dem neuen russischen Regiment betrachtet werden darf.
Schließlich aber könnte man sich in Deutschland getrost ein Beispiel
daran nehmen, wie Rußland, dem Vorgehen Englands folgend, unter den
schwierigsten äußeren Verhältnissen Bahnbauten, wie die transkaspische Linie
mit ihren Abzweigungen, zuwege gebracht und damit die turkestanischen
Kolonien lebensfähig gemacht hat, und wie man heute durch weiteren Aus-
bau dieses Schienennetzes bestrebt ist, die Kolonie wirtschaftlich und militä-
risch in inmier engeren Konnex mit dem russisch-europäischen Mutterland zu
bringen. Besonders vom militärischen Standpunkte aus ist diese Verstärkung
des Schienennetzes des turkestanischen Generalgouvernements von allergrößter
Bedeutung, da es ein offenes Geheimnis ist, daß Turkestan die Operations-
basis für alle weitere Expansionspolitik Rußlands gegen Persien, Afghanistan
und Indien bildet.
Im Hinblick auf diese zweifellos wichtige Rolle des Landes und das viele,
was wir Deutschen von den Russen als Kolonisatoren in diesen Grebieten lernen
können, mag es auch gerechtfertigt erscheinen, die Aufmerksamkeit der Leser
dieser Zeitschrift auf das Generalgouvernement Turkestan gelenkt zu haben.
608 Alfred Hettner:
Die Felsbildangen der sächsisehen Sehweiz^).
Von Alfred Hettner.
Die sächsische Schweiz oder das Elbsandsteingehirge nimmt in mancher
Beziehung eine Sonderstellung unter den deutschen Mittelgebirgen ein, und
nur etwa das Heuscheuergebirge nebst den Adersbacher imd Wekelsdorfer
Felsen, einige Partien des nordöstlichen Böhmens (bei Tumau und Groß-Skal),
die Berge der südlichen Hardt können damit verglichen werden. Wahrend
in den deutschen Mittelgebirgen im allgemeinen sanfte Formen herrschen und
Erdkrume das Gestein bedeckt und nur hie und da Felsriffe die sanften Tal-
hänge unterbrechen oder mächtige Granitblöcke auf den Kämmen aufgetürmt
sind, herrschen in der sächsischen Schweiz Fels und scharfe eckige Formen
vor und machen geradezu ihren Charakter aus. Überall treten uns die selt-
samsten, barocksten Felsgebilde entgegen: wabenartige Zerfressungen der
Felswände, Nischen, Höhlen, Überhänge, Tore von den kleinsten bis zu recht
beträchtlichen Ausmaßen, schmale Felsmauern und isolierte Felspfeiler und
Felsblöcke, oft wunderlich modelliert, so daß eine kindliche Phantasie darin
das Gesicht Napoleons oder die Form einer Gans, eines Lanunes, eines
Kamels, einer Lokomotive entdeckt. Die Täler oder „Gründe^' wenigstens
des rechten Eibufers haben steile, oft beinahe senkrechte Felswände, an
denen die Pflanzen nur mit Mühe haften. Die meisten Gipfel sind aus-
gesprochene Tafelberge, sogenannte Steine, bei denen sich eine Felskrone von
einem sanfter geneigten Fußkegel abhebt In anderen Teilen finden wir
ausgedehnte Felsplatten, die in steilen, durch Felskessel und Felsrippen reich
gegliederten Wänden abfallen. Die Steine und die Felsmauem erheben sich
1) Nachdem die Felsbildangen der sächsischen Schweiz schon früher von
A. V. Gatbier in seinen hübschen Geognostischen Skizzen aas der sächsischen
Schweiz, Leipzig 1868 behandelt worden waren, habe ich sie in einem kleinen
Buche: Oebirgsban und Oberflächengestaltung der sächsischen Schweiz (Forschimgen
zur deutschen Landes- und Volkskunde 11. Bd. 4. Heft), Stuttgart 1S87, untersucht.
Seitdem ist die neue, von den damaligen Landesgeologen Beck und Schalch
bearbeitete geologische Spezi alkarte unseres Gebietes mit Erläuterungen erschienen,
die namentlich für die Untersuchung der Landstufen und Ebenheiten eine sicherere
Grundlage bietet, und an deren Bearbeitung Beck auch einige Studien über Fels-
bildungen angeknüpft hat. Die schönen Wüstenstudien Walthers und anderer
haben durch die merkwürdige Ähnlichkeit mancher Wüstenformen mit denen der
sächsischen Schweiz neue Probleme gestellt. Auch Ed. Richter hat in seinen geo-
morphologischen Untersuchungen in den Hochalpen auf interessante Analogien hin-
gewiesen. Wenngleich ich in der Zwischenzeit Öfters in der sächsischen Schweiz
war, war es mir doch erst im vergangenen Herbst (1902) mOglich, bei einem etwas
längeren Besuch meine früheren Untersuchungen zu revidieren. In einzelnen
Punkten habe ich meine frühere Auffassung berichtigt, in anderen konnte ich ihr
jetzt eine schärfere Fassung geben. Da die Ergebnisse meiner Empfindung nach
nicht nur für die sächsische Schweiz, sondern für das Verständnis der Oberflächen-
formen überhaupt von Interesse sind, habe ich sie in dem folgenden Aufsatz zu-
sammengestellt. Für die ausführlichere Beschreibung der Tatsachen muß ich auf
mein früheres Buch (zitiert: S. Schw.) verweisen. Ein kürzlich erschienenes Buch von
S. Rüge über Dresden und die sächsische Schweiz (Monographien zur Erdkunde XVI)
wird wegen der zahlreichen instruktiven Abbildungen mit Vorteil eingesehen werdai.
Die Felsbildungen der sächsischen Schweiz. 609
über weit ausgedehnten wagrechten oder sanft abgedachten ^Ebenheiten^^,
in die wieder die Täler eingesenkt sind. Besonders im unteren Teile der
sächsischen Schweiz sind diese Ebenheiten deutlich ausgebildet, und man
sieht hier mehrere Ebenheiten von verschiedener Höhe mit Landstufen an
einander treten.
Schon seit langem ist man darauf aufmerksam geworden, daß die engen
steilwandigen Täler, die „Gründe", der sächsischen Schweiz eine große physio^
gnomische Ähnlichkeit mit den Canons des Coloradogebietes haben, die be-
sonders von Powell und Button beschrieben und als Gebilde eines trockenen
Klimas aufgefaßt worden sind. Auch die Ähnlichkeit der Eelskessel oder
Amphitheater mit den Nischen, die im oberen Teile der Talwände des Colorado-
eanons auftreten, ist unverkennbar. Die eingehenden Untersuchungen über
die Formen der Wüste, die wir Schweinfurth, Walther, Schenck,
Obrutschew, Futterer u. a. verdanken, haben dort ganz ähnliche Zer-
fressungen ^ Höblehen, isolierte Felspfeiler kennen gelehrt, wie sie in der
sächsischen Schweiz vorhanden sind, und damit gezeigt, daß eine Ähnlichkeit
nicht nur in den großen, sondern auch in den kleinsten Formen besteht. Man
kann wohl sagen, daß die sächsische Schweiz, wenn man ihr ihr Pflanzenkleid
nähme, beinahe den Eindinick einer typischen Wüstenlaudschaft machen würde.
Eine Wüstenlandschaft oder, sagen wir lieber vorsichtiger, eine Land-
schaft mit den Formen der Wüste mitten in Deutschland! Also haben wir
in Deutschland einst ein Wüstenklima gehabt, welches diese Formen ge-
schaffen hat? Walt her hat gelegentlich Andeutungen in diesem Sinne ge^
macht, andere haben diese Meinung plump ausgesprochen. Daß wir in
Deutschland einmal eine Zeit trockenen Klimas gehabt haben, in der auch
die Ausbildung der Erdoberfläche unter anderen Bedingungen als heute er-
folgte, ist wahrscheinlich. Namentlich weisen der Löß, wenn wir ihn mit
V. Bichthofen als einen äolischen Staubabsatz auffassen, imd die Fauna
des Löß, die ja nach den Untersuchungen Nehrings den Charakter einer
Stepp^ifauna hat, auf ein trockenes Klima und einen dem entsprechenden
Landschaftscharakter in der jüngeren Quartärzeit hin; die tieferen Teile des
deutschen Mittelgebirgslandes scheinen damals Grassteppen etwa wie heute
die Pußten Ungarns und die Grassteppen Süd -Bußlands gewesen zu sein.
Aber doch eben nur Grassteppen, nicht Wüsten oder Halbwüsten, also
Gebiete des Staubabsatzes, nicht Gebiete der Wegnahme aller lockeren Be-
standteile des Bodens durch den Wind. Allerdings finden wir stellenweise,
auch in der Nähe der sächsischen Schweiz, in den glacialen Sandablagerungen
der Dresdner Heide Dünen, allerdings sind wohl auch die Kantengerölle, die
in den Kiesgruben der Gegend von Pirna und des Pillnitzer Tännigts massen-
haft vorkonunen, als Schliffwirkungen des Flugsands zu erklären. Wir müssen
deshalb annehmen, daß diese Sandablagerungen einmal der Walddecke und
überhaupt eines schützenden Pflanzenkleides entbehrt haben, und das mag —
die Lagerungsverhältnisse weisen darauf hin — in derselben Zeit gewesen
sein, in der der Löß gebildet wurde; aber dieser Wüstencharakter ist doch
nur eine lokale, in der Bodenbeschaffenheit begründete, also, wenn wir den
von Schimper in die Pflanzengeographie eingeführten Ausdruck gebrauchen
Geographische Zeitiohrlfl. 9. Jahrgang. 190S. 11. Heft. 41
610 Alfred Hettner:
wollen, eine edaphiscbe, keine allgemeine klimatische Erscheinung gewesen,
die sich doch über größere Oebiete bStte erstrecken müssen. Hätte in
Deutschland wirklich einmal ein Wüstenklima geherrscht, auf dessen Redinung
man die Formen der sftchsiscben Schweiz setzen könnte, so müßten ähnliche
Formen doch auch, da die charakteristischen Formen der Wüste keineswegs
auf bestimmte Gesteine beschränkt sind, in den anderen deutschen Mittel-
gebirgen ohne Unterschied der Gesteine auftreten. Das ist aber nicht der
Fall. Dazu kommt, daß die Ausbildung von „Wüstenformen" in der sach-
sischen Schweiz nicht auf einen bestimmten kurzen Zeitabschnitt beschränkt
gewesen sein kann. Die großen Formen, die Felsplatten und Tafelberge und
wo^l auch die Gründe, müssen in der Periode trockeneren Klimas schon
ziemlich fertig gewesen sein; und die kleinen Formen, die Löcher, Höhlen
und Tore, die terrassierten Felswände, die isolierten Felspfeiler gehören ganz
der Gegenwart an. Wenn sie in einer geologischen Vergangenheit unter
anderen Bedingungen gebildet worden wären, so wären sie durch die heute
wirksamen Kräfte längst wieder zerstört worden.
Die eigentümlichen Felsbildungen der sächsischen Schweiz sind also
kein Erzeugnis eines Wüstenklimas, vielmehr beruhen sie, woran man ja
früher nie gezweifelt hat, auf der Beschaffenheit des Gesteins, des Quader-
sandsteins, die ähnliche Formen hervorruft wie in der Wüste die Trocken-
heit des Klimas. Es ist doch kein Zufall, daß in Deutschland nur im
Quadersandstein und an einzelnen Stellen auch im Buntsandstein ähnliche
Formen auftreten. Und auch innerhalb der sächsischen Schweiz sind sie
gerade da am schönsten und häufigsten, wo der Quadersandstein am reinsten
ausgebildet ist, während in den Teilen des linken Eibufers, wo eine mergelige
Zwischenschicht auftritt und auch der Sandstein weniger rein ist, die Formen
in die gewöhnlichen Formen der deutschen Mittelgebirge übergehen.
Der typische Qnadersandstein ^) ist ein grobkörniger, meist weißer,
grauer oder gelblicher Quarzsandstein mit ganz geringem tonigem oder eisen-
schüssigem Bindemittel. Seine meist ziemlich mächtigen Bänke lagern flach
oder sind ganz schwach geneigt, außer an dem südlichen Bruchrand der
sächsischen Schweiz. Das Gestein wird von zahllosen regelmäßigen Klüfken')
durchsetzt, die im allgemeinen senkrecht stehen und, im Grundriß betrachtet,
an jeder Stelle der Hauptsache nach in zwei, einander unter rechten Winkeln
schneidenden Systemen angeordnet sind. Diese Klüfte sind erst durch die
Verwitterung zu klaffenden Spalten geworden, sind aber der Anlage nach,
wie die Beobachtung in jedem Steinbruche zeigt, schon im Gestein vorhanden
und sind wahrscheinlich die Folge einer Zerreißung der Gesteinsmasse, die
im Zusammenhang mit den großen Verwerfungen und Dislokationen der mitt-
leren Tertiärzeit stattgefunden hat. Auf diesen Klüften beruht die quader-
förmige Absonderung, welcher das Gestein seinen Namen verdankt.
Drei verschiedene Eigenschaften sind es, welche uns am Qnadersand-
stein als die Ursachen seiner eigentümlichen Oberflächenformen entgegen-
treten: die Zusammensetzung fast ganz aus Quarz, welche nur mechanische
1) S. Schw. 12 und 46. 2) S. Schw. 43 ff".
Die Felsbildungen der sächsischen Schweiz. 611
Yerwitterong erlaubt, die große Durchlässigkeit für das Regen wasser, und
die in der quaderförmigen Absonderung begründete Neigung zur Bildung
senkrechter Wände.
Von einer chemischen Zersetzung kann beim Quadersandstein kaum die
Bede sein. Nur das geringe eisenschüssige Bindemittel kann durch die
Feuchtigkeit gelöst werden, und die Lösung mag an der Oberfläche des
Felsens, wo das Wasser verdunstet, eine Kruste bilden, welche der Schutz-
rinde der Wüstengesteine zu vergleichen ist; aber der Hauptsache nach kann
das Gestein nur mechanisch zerfallen. Hie und da mag solcher Zerfall wie
in der Wüste durch die starke Sonnenstrahlung bewirkt werden, eine viel
wichtigere Ursache ist hier aber wohl der Spaltenfrost, und dazu kommt die
lockernde Wirkung des Pflanzenwuchses, besonders der Flechten und Moose,
die sich an den Felswänden festsetzen, ihre Wurzeln zwischen die Sandkörner
eindrängen, diese allmählich lockern und schließlich mit ihnen in ganzen
Polstern abfallen. Das Ergebnis dieser Vorgänge ist die Bildung von Sand.
Gelegentlich werden wohl auch größere eckige Stücke abgesprengt, aber bei
der gleichmäßigen Zusammensetzung und dem lockeren Gefüge des Gesteins
ist das mehr eine Ausnahme. Dagegen ist die Ablösung ganzer Quadern
und Quaderreihen eine häufige und wichtige Erscheinung. Namentlich das
Gefrieren der in den Klüften sich sanmielnden Feuchtigkeit und die von oben
her eindringenden und sich beim Wachsen allmählich verdickenden Baum-
wurzeln üben diese Wirkung aus. Es bilden sich senkrechte Abrißstellen,
und wenn gleich ganze Quaderreihen niedergehen, in ähnlicher Weise wie
es im Steinbruchbetrieb geschieht, können hohe senkrechte Felswände ent-
stehen. Die niederfallenden Quadern werden häufig durch die Gewalt des
Sturzes zermalmt und zerfallen in Sand, häufig aber bleiben die großen
Blöcke am Fuß der Felswand liegen und werden nur allmählich von der
Verwitterung zerstört^).
In der Wüste scheint die Wegnahme des Sandes und der noch feineren
Verwitterungsprodukte durch den Wind, die Deflation, wie sich Walther
ausgedrückt hat, eine Haupttatsache der Bodenbildung zu sein. Ganz fehlt
sie auch in der sächsischen Schweiz nicht. Bei windigem Wetter sieht und
fühlt man, wie der Sand vom Wind weggeblasen wird; manche Sandmassen
sind wohl vom Winde angeweht worden, und an herumliegenden Glasscherben
sowohl wie an Felswänden hat Beck die Wirkung des Sandgebläses nach-
gewiesen^). Aber im ganzen ist die Windwirkung heute doch beschränkt
Auf den Hochflächen ist der Sand fast überall diurch den Wald geschützt,
und in die engen Gründe und Felskessel kommt der Wind viel zu wenig
hinein, als daß er eine große bodengestaltende Wirkung ausüben könnte.
Die Wirkung des Windes mag in einer früheren geologischen Zeit, ja
sie mag sogar in früheren Jahrhunderten, in Zeiten der Waldverwüstung,
größer gewesen sein als heute; aber es liegt gar kein Grund dafür vor, die
Bodengestaltung der sächsischen Schweiz auf diese Ausnahmebedingungen zu
begründen.
1) S. Schw. 48 f. 2) Z. d. d. geol. Ges. 1894 S. 637 ff.
41*
612 Alfred Hettner:
Die Hauptrolle hat bei der Gestaltung der sächsischen Schweiz jeden-
falls das Wasser gespielt^ aber doch in ganz anderer Weise als in der Mehr-
zahl der deutschen Mittelgebirge, ähnlich vielmehr wie in der Wüste ^). Der
Quadersandstein und namentlich der obere Quadersandstein, der am rechten
Eibufer und auch in den höheren Teilen des linken Eibufers herrscht, und
dem alle die typischen Felsgebilde angehören, lun die es sich hier handelt,
ist ein in hohem Grade durchlässiges Gestein. Nicht nur in den Klüften
dringt das Wasser, häufig den Baumwurzeln folgend, in die Tiefe, sondern
auch im einzelnen Gesteinsblock sickert es ein imd tritt erst an der unter-
fläche teilweise wieder heraus. Man kann das besonders im Winter deutlich
beobachten; die ünterflächen und teilweise auch die Seitenflächen der Gesteins-
bänke sind dann mit Eiskrusten überzogen, und an vielen Stellen sieht man
aus dem Gestein kleine Eiszapfen herabhängen. Die Oberfläche des Quader-
sandsteins, möge sie nun nackt oder von Verwitterungssand bedeckt sein, ist
immer trocken, die Gründe dagegen, an deren Wänden Feuchtigkeit aus-
schwitzt, sind feucht; dort herrscht die Kiefer, hier die Fichte. Aber es ist
immer nur ein Heraussickem des Wassers, keine eigentliche Quellenbildung,
die vielmehr im Gebiete der sächsischen Schweiz fast ganz auf die Stellen
beschränkt ist, wo der Quadersandstein durch tonige oder mergelige Zwischen-
schichten unterbrochen wird oder wo Basalt auftritt. Das ganze Gebiet des
oberen Quadersandsteins entbehrt der Quellen so gut wie vollständig. Nur
die von außen hereinkommenden Flüsse und Bäche führen immer Wasser,
alle die vielen Schluchten, welche von den Seiten her in jene Täler münden,
sind, soweit sie dem Quadersandstein angehören, für gewöhnlich wasserlos
und füllen sich nur nach besonders heftigen Regengüssen oder zur Zeit der
Schneeschmelze, wenn das Wasser nicht rasch genug in den Boden einsickern
kann; sie tragen also den Charakter von Wadis. Die Durchlässigkeit des
Bodens bewirkt demnach ähnliche Verhältnisse der Wasserführung wie das
trockene Klima in der Wüste: Abwesenheit des spülenden Wassers, unregel-
mäßiges Auftreten von Regenfluten, ein weitmaschiges Flußnetz*). Wir be-
greifen nun, daß auch die Bodenformen der sächsischen Schweiz mit denen
der Wüste verwandt sind.
Die Erscheinungen der Verwitterung und Denudation lassen sich
in der sächsischen Schweiz in solche der Felskanten, in denen sich die ivag-
rechten Oberflächen mit den senkrechten Felswänden schneiden, und solche
der Felswände zerlegen; denn den ebenen Oberflächen sind sie überhaupt
fremd.
An den Felskanten ^) sind die ursprünglichen rechten Winkel wohl
nie unversehrt erhalten. Meist sind eine ganze Anzahl von Quadern weg-
genommen, so daß der Übergang von der Hochfläche in die eigentliche Wand
allmählich und zwar mehr oder weniger treppenförmig erfolgt. Die rand-
1) S. Schw. 47f. u. 61.
2) Sehr anschaulich tritt dies in einer von H. Feldner gezeichneten Karte
entgegen. Wer Freude an Zahlen hat, wird auch durch den begleitenden Text (Mitt.
d. V. f. Erdkunde zu Leipzig 1902, S. Iff.) befriedigt werden.
8) S. Schw. 48 f. u. 52 fi*.
Die Felsbildangen der sächBischen Schweiz. 613
liehen Quadern sind immer stark abgerundet. Bei einer geschlossenen Fels-
wand mit einseitigem Abfall stellt sich das Profil ungefähr in der Form
eines Kreisquadranten dar; bei einzelstehenden, nach allen Seiten abfallenden
Felspfeilem schließt die Oberfläche halbkugelig ab. Manchmal sind solche
randliche Felsblöcke durch parallele Furchen modelliert, welche sich gegen
den Rand hin senken; v. Gutbier wurde dadurch an Karrenbildungen er-
innert An anderen Stellen treten Höcker und Löcher ohne ausgesprochene
Längsrichtung und Neigung auf, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Erd-
pjramiden kleinsten Maßstabes haben. In beiden Fällen haben wir es wohl
mit Gebilden des auftreffenden und abfließenden Regenwassers zu tun. Ob
die kleinen Felsbecken, die sich an ähnlichen Stellen gelegentlich finden,
überhaupt natürliche Gebilde sind und dem Ausblasen des Sandes durch den
Wind ihre Entstehung verdanken, wie man gemeint hat, muß ich dahin-
gestellt sein lassen.
Von viel größerer landschaftlicher Wirkung und wohl auch von viel
größerer Bedeutung für die Ausgestaltung des Gebirges als die Formen der
Felskanten sind die Formen der Felswände. Sowohl an offenen Felswänden
wie, wenn auch in geringerem Maße, in den Klüften geht die Zerstörung
beständig vor sich. Häufig sind die Wände im ganzen ebenflächig, aber
nicht glatt, sondern rauh, und vortretende Leisten und Höcker oder Zapfen
zeigen, daß die Verwitterung wirksam gewesen ist. In vielen Fällen sind
die Seiten und ünterflächen der Bänke dicht mit Löchern besetzt, zwischen
denen ein wabenartiges Netzwerk aus feuchtem, leicht zerreiblichem Sandstein
stehen geblieben ist. Diese Löcher sind namentlich an den Schichtenfugen
gut ausgebildet und treten hier als kleine Nischen, Grotten oder Höhlchen ^)
auf, die halbkugelig nach innen gewölbt sind, aber immer einen wagrechten
oder sanft nach außen geneigten Boden haben. Gewöhnlich sind sie klein,
nur etwa 10 — 15 cm hoch, mitunter aber werden sie viel größer, bis zu
fünf und mehr Metern Höhe. An größere Grotten setzen sich im Hinter-
grund oft kleinere an. Meist treten sie in Scharen, eine neben der anderen
auf, nur durch schmale Zwischenwände oder, wenn diese halb durchbrochen
sind, durch sanduhrförmige Pfeiler von einander getrennt. Walther hat
dieselbe Erscheinung aus der Wüste als Steingitter beschrieben. Wenn die
Zwischenwände allmählich ganz zerstört werden, so wei-den mehrere neben
einander liegende Nischen zu einfachen Felsüberhängen. Einzelne Felspfeiler, die
an allen Seiten Überhänge haben, bekommen pilzartige Form. Rücken dagegen
zwei Nischen von den zwei entgegengesetzten Seiten einer Felsmauer gegen
einander vor, so entstehen daraus, wie Beck ausgeführt hat, Tore, und es
scheint, daß nicht nur die vielen kleinen Tore, die wir z. B. in den Tyssaer
Wänden finden, sondern auch der Kuhstall und das Prebischtor auf diese
Weise zu erklären sind. Eine Exposition dieser Nischen und Überhänge
nach einer bestimmten Himmelsrichtung ist nicht zu bemerken. Sie treten
eben sowohl an freigelegenen Wänden wie in engen geschützten Schluchten
1) Die Bezeichnung Nische oder Grotte wäre sprachlich am besten, schon
um den Unterschied von allseitig geschlossenen Höhlen hervorzuheben; aber man
hat das Wort Nische leider schon anders verwendet.
614 Alfred Hettner:
auf. Wir können daher ihre Bildung weder dem Wind noch dem Nebel,
den y. Guthier dafär verantwortlich macht, zuschreiben. Dagegen sind sie
zweifellos an bestimmte Bänke gebunden, denn über manchen Schichtfugen
treten sie in langen Beihen auf, während sie darüber und darcmter ganz fehlen.
Dadurch wird die Vermutung erweckt, daß sie dem Sickerwafiser zuzuschreiben
seieÄ, das gerade an diesen Schichtenfugen etwas reichlicher hervorkomme,
und dabei hauptsächlich zur Zeit des Frostes Sandkörner mitnehme; und diese
Vermutung wird durch die zahllosen, kleinen Eiszapfen, die man im Wintek*
von der Decke dieser Nischen und Überhänge herabhängen sieht, fast zur
Gewißheit erhoben*).
Diese Nischen und Überhänge vergrößern sich im Laufe der Zeit, und
der Fels wird dadurch immer mehr unterhöhlt, untergraben, unterminiert').
Lange steht er auf dem immer schmaler werdenden Sockel; aber schließlich
vermag dieser die darüber liegende Gesteinsmasse nicht mehr zu tragen, und
die ganze Felswand bricht einer Kluftfläche entlang ab. Eine neue Fels-
wand tritt so an die Oberfläche und wird von der Verwitterung und Zer-
störung angegrifien. Die Grotten und Überhänge bilden sich, wie wir gesehen
haben, vorzugsweise in bestimmten Höhenzonen; darum schreitet hier auch
die Zerstörung schneller fort. Der über einer solchen Zone liegende Teil
der Felswand wird rascher zurückverlegt als der untere Teil; es entsteht
ein Sims oder eine Terrasse. Sie treten fast überall an den Felswänden
der sächsischen Schweiz auf und bilden eines ihrer landschaftlich auffallendsten
Merkmale.
So sehen wir an jeder Felswand zwei Vorgänge der Zerstörung in
Tätigkeit: Abspülimg an den oberen Felskanten und Untergrabung oder
Unterhöhlung durch Sickerwasser von den Seiten her. Während jene in
undurchlässigem Gestein fast allein in Betracht kommt, ist sie im stark durch-
lässigen Quadersandstein verhältnismäßig schwach und steht hinter dieser an
Wirksamkeit zurück; sie wird von dieser immer wieder überholt Sie gliedert
die obere Felskante und rundet deren einzelne Quadern ab, modelliert auch
auf ihnen eigentümliche Höcker und Leisten. Aber gleichzeitig werden die
Wände an den Seiten benagt, und in gewissen Horizonten bohrt die Zer-
störung tief in den Felsen ein. Nach einiger Zeit geht die Felswand nieder
und mit ihr auch die abgewaschenen Formen der oberen Kante. Die Zer-
störung muß an der nächsten Felswand von neuem einsetzen.
Ein Teil der niederfallenden Felsblöcke und Sandmassen wird durch
rieselndes Wasser und vielleicht auch diu-ch Wind weggeführt, ein anderer
Teil bleibt aber auf den vorspringenden Terrassen und namentlich am
Fuße der Felswand liegen. Dadurch wird die Verwitterung lahm gelegt
oder wenigstens verlangsamt; unter der Decke des Schuttes bleibt das an-
stehende Gestein unversehrt, während es darüber abgetragen wird. Während
die Wand allmählich zurückverlegt wird, nimmt auch die Zudeckung des
unteren Teiles mit Schutt zu, bis ein gewisses Gleichgewicht eiTeicht ist.
So wird die Zurücklegung der Felswand von der Entstehung eines Fuß-
1) S. Schw. 49 ff. 2) S. Schw. 63.
Die Felsbildungen der sächsischen Schweiz. 615
banges^) begleitet, der keineswegs, wie man früher geglaubt hat, nur aus
Schutt, sondern gi*oßenteils aus anstehendem Gestein mit einer verhältnismäßig
dünnen Decke von Sand und losen Felsblöcken besteht*).
Felswand mit Faßhang ist also das der sächsischen Schweiz eigen*
tümliche Gebilde der Verwitterung und Denudation. £s ist, um von einem
treffenden Vergleich Eduard Richters Gebrauch zu machen, das ihren
architektonischen Stil bestimmende Formelement, verschieden ebenso von den
gleichmäßig geneigten Hängen, welche das oberflächlich spülende Wasser in
schwer durchlässigem Gestein erzeugt, wie von den nackten Felswänden der
Wüste, in der der Wind den niedergefallenen Schutt aufhebt und es nicht
zur Bildung von Fußhängen kommen läßt.
Die Formen der Verwitterung und Denudation sind keine selbständigen
Gebilde, sondern machen die Bänder der Vertiefungen aus, welche, da Ver-
werfungen innerhalb der sächsischen Schweiz nicht in Betracht kommen,
durch das fließende Wasser erzeugt worden sind.
Man kann zwei Gruppen von Gebilden des fließenden Wassers unter-
scheiden: die linear gestreckten, eigentlichen Bäche oder Flüsse und die ver-
zweigten, im Umriß mehr oder weniger halbkreisförmigen Quell- oder Sammel-
gebiete, in denen eine Anzahl kleiner Wasseradern radial zusammenfließen').
Jene schneiden die eigentlichen Täler ein; für die von diesen geschaffenen,
mehr in die Breite gedehnten und im Grundriß reich gegliederten Hohlformen
fehlt uns leider eine einheitliche Bezeichnung, da sich der öfters dafOr ge-
brauchte Ausdruck Trichter, wie wii* nachher sehen werden, doch nur auf
eine bestimmte Ausbildungsweise bezieht
Die Täler der sächsischen Schweiz, wie wohl der meisten Gebiete mit
ursprünglich flacher Oberfläche, zerfallen ihrer Anlage nach wieder in zwei
Gruppen^). Die eine sind die eigentlichen Täler. Sie gehören ursprünglich
vorhandenen, meist von außen hereinkommenden Flüssen und Bächen an, die
schon auf der Oberfläche der Quadersandsteintafel in gewundenem Laufe
flössen, ehe sie überhaupt begannen sich einzuschneiden. Ihr Lauf ist daher
von den Klufkrichtungen ganz unabhängig und schneidet diese unter den ver-
schiedensten Winkeln; die Talwände sind vielfach kulissenfÖrmig und be-
kommen leicht etwas Unruhiges. Die andere Gruppe sind die Regenschluchten,
die sich erst im Gefolge der eigentlichen Täler von deren Rändern aus ge-
bildet haben. Sie folgen meist geradlinig einer Kluftrichtung, weil hier das
abfließende Wasser den geringsten Widerstand fand. Abgesehen von diesem
Unterschiede aber stimmen die eigentlichen Täler und die Regenschluchten
überein, und wir können sie unter der ortsüblichen Bezeichnung „Gründe"
zusammenfassen.
1) S. Schw. 56, wo aber die theoretische Erörterung zu sehr auf das von
oben wirkende Wasser zugeschnitten ist. Da der Ausdruck Fußk«gel nur bei einer
in sich geschlossenen, allseitig abfallenden Felswand richtig ist, habe ich ihn jetzt
lieber durch Fußhang ersetzt. Er entspricht dem englischen Talus.
2) Rüge gibt in dem schematischen Bilde S. 68 leider noch die falsche
alte Auffassung wieder.
3) S. Schw. 68 f. 4) S. Schw. 64 ff.
616 Alfred Hettner:
Die Gründe der sächsischen Schweiz oder wenigstens des eigentlich
typischen Teiles der sächsischen Schweiz hahen, wie schon im Eingang he-
merkt wurde, eine große physiognomische Ähnlichkeit mit den Canons. Wie
für diese ist auch für sie die geringe Gliederung und das steile Ansteigen
der Talhänge, deren Ausbildung in der Form von Felswänden charakteri-
stisch. Man hat diese Eigentümlichkeit bei den Canons des Coloradogebietes
und anderer ähnlicher Gegenden aus der Trockenheit des Klimas erklärt:
die Flüsse, die aus niederschlagsreichen Gebirgen herabkommen, schneiden
tiefe Rinnen ein, aber im Gebiet selbst fehlt spülendes Wasser, das die
Wände abflachen und modellieren könnte. In der sächsischen Schweiz übt
die Trockenheit des Bodens eine ähnliche Wirkung aus wie dort die Trocken-
heit des Klimas. Auch hier tritt die Abspülung hinter der Untergrabung
zurück. Daher bilden sich nicht, wie in den meisten deutschen Mittelgebirgen,
flache gegliederte Hänge, die Täler zeigen vielmehr Felswände, die auf man-
chen klammartigen Talstrecken fast senkrecht bis ans Flußbett herantreten, ge-
wöhnlich aber einen Fußhang haben. Am linken Eibufer, wo das Gestein
meist etwas toniger und weniger durchlässig ist, also mehr Wasser ober^
flächlich abrieselt, zeigen die Täler meist flachere Hänge; nur an einzelnen
Stellen, wie im Bielatal bei der Schweizermühle, treten auch hier zerrissene,
grotesk gestaltete Felswände auf^).
Walther hat aus der ägyptischen Wüste Schluchten beschrieben, die
im großen und ganzen die Form von Tälern haben, am Boden aber mit
-Sand erfüllt sind und keine gleichmäßige Neigung, sondern unregelmäßiges
Auf und Ab zeigen. Über die Entstehung dieser Schluchten hat er sich
wechselnd ausgesprochen; während er dem Winde an manchen Stellen nur
eine umbildende Rolle zuweist, stellt er ihn an anderen Stellen als den
eigentlichen Bildner dieser Schluchten hin. Mir scheint die erstere Ansicht
richtig zu sein. Keine Beobachtung gibt uns den geringsten Anhalt für
die Meinung, noch ist diese theoretisch plausibel, daß der Wind aus einer
zusammenhängenden ungegliederten Fläche länglich gestreckte und dabei ge-
wimdene Hohlforraen herauszublasen vermöge. Die Hohlform muß durch
fließendes Wasser angelegt worden sein, sei es daß ihre Bildung in eine
Zeit feuchteren Klimas zurückreicht, sei es daß die gelegentlichen heftigen
Regengüsse, die keiner Wüste fehlen, sie geschaffen haben. Nur die Um-
bildung des Talbodens ist ein Werk des Windes, der in den langen Zwischen-
zeiten zwischen stärkeren Regenfluten zur Alleinherrschaft kommt. Die
Wüstenschluchten oder Wadis sind fluviatile Gebilde, aber äolisch umge-
bildet. Angedeutet ist solche äolische Umbildung des Bodens auch in den
Schluchten der sächsischen Schweiz; der Boden ist auch hier manchmal mit
dickem Sand bedeckt, der ursprünglich wohl vom Wasser herbeigebracht,
aber vom Wind imigelagert worden ist; denn wenn das Wasser nicht in
größer Fülle herabstürzt, versickert es leicht im Sande, ohne ihm etwas an-
haben zu können.
Man kann in den meisten Tälern der sächsischen Schweiz zwei Systeme
1) S. Schw. 80 ff., bes. 8Ö.
Die Felsbildung^en der Bäcbsischen Schweiz. 617
von Talterrassen erkennen, welche auf Stillstandsperioden der Erosion
beruhen. Das jüngere besteht in Stufen und Terrassen im Längsprofile na-
mentlich der kleineren Täler, manchmal noch ganz nahe ihrer Mündung, die
auf eine ehemalige Talsohle der Elbe ungefähr 40 m über der heutigen Tal-
sohle hinweisen^). Diese Stillstandsperiode muß ziemlich kurz gewesen sein
und hat fär die heutige Form der sächsischen Schweiz verhältnismäßig ge-
ringe Bedeutung. Die andere, ältere Stillstandsperiode kommt in Gehänge-
terrassen des Elbtals oberhalb Wehlens und Hermskretschens, des sich auf-
wärts daran anschließenden Kanmitztales und fast sämtlicher Nebentäler
2um Ausdruck, wenngleich es nicht immer möglich ist, sie von den auf der
verschiedenen Widerstandsfähigkeit der Gesteinsbänke beruhenden Denudations-
terrassen bestimmt zu unterscheiden'). Unterhalb Wehlens kommt diese Ter-
rasse über das Niveau der Ebenheiten zu liegen; sie scheint sich hier in der
Form von Schotterterrassen fortzusetzen. Oberhalb Hermskretschens fehlt sie
im Elbtal zwar nicht, steigt aber auffallend rasch an^ so daß sie bei Rasseln
schon 400 m ü. d. M. liegt'). Man könnte annehmen, daß sie hier ur-
sprünglich flach verlaufen und erst nachträglich schief gestellt worden sei;
aber die Ebenheiten auf beiden Seiten des heutigen Elbtals erscheinen so
einheitlich und zeigen so wenig Bezug auf das dazwischenliegende Tal, daß
man den Eindruck bekommt, hier sei ursprünglich nur ein kleiner Bach ge-
flossen und erst nachträglich, d. h. zur Zeit der neu einsetzenden Erosion,
habe die böhmische Elbe ihren Lauf hierher gewendet^). Es mag darauf
hingewiesen werden, daß nach den Untersuchungen Kaisers auch die
Terrasse des Rheintals oberhalb Andernachs auffallend stark ansteigt.
Die oberen Erosionsterrassen sind darum so bedeutsam, weil sich an sie, wie
wir sehen werden, große Denudationsflächen anschließen, wodurch in größerer
Höhe überhaupt oft der eigentliche Talcharakter verloren geht. Ihre Aus-
bildung setzt eine sehr lange Stillstandsperiode des Einschneidens voraus,
welche wohl in der Tertiärzeit begonnen und bis in die Quartärzeit hinein-
gereicht hat, denn ihnen sind vielfach altquartäre (teilweise glaciale) Schotter
und Lehme aufgelagert, welche nicht mit Wald, wie der Sandstein, sondern
mit Feld bedeckt sind und die Terrassen und Platten schon äußerlich auf-
fUllig machen. Zur Zeit der größten Ausdehnung eiszeitlicher Vergletsche-
rung, als die letzten Ausläufer des nordischen Lilandeises bis hierher reichten,
müssen die Terrassen und Platten bereits ausgebildet gewesen sein; dagegen
ist das tiefere Einschneiden der Flüsse und damit die Ausbildung der heutigen
Gründe erst in postglacialer Zeit, d. h. nach der vorletzten, größten Eiszeit
1) S. Schw. 77 f. u. 100 f.
2) S. Schw. 102 ff. Ich habe die Terrasse seitdem auch noch in mehreren der
kleinen Nebentäler der linken Eibseite festgestellt xmd auch im Elbtal zwischen
Schandau und Hermskretschen mit Deutlichkeit erkannt.
8) Die in meinem Buch S. 103 f. ausgesprochene Skepsis ist wohl unnötig.
4) Die Mitteilungen von Hibsch im Jahrbuch d. geol. Eeichsanstalt Bd. 49
(1899) S. 641 ff. und in seinem Exkursionsführer beziehen sich leider nur auf die
diluvialen Ablagerungen, nicht auch auf die Terrassen im böhmischen Mittelgebirge
imd reichen daher für die Entscheidung der Frage nicht aus.
618 Alfred Hettner:
erfolgt^). Das Inlandeis hat auf die Ausbildung der eigentlichen Oründe
keinen Einfluß ausgeübt, und auch die Kräfte der Verwitterung und Denu-
dation haben nur verhältnismäßig wenig Zeit zur Bearbeitung der Tal-
wände gehabt. Daher kommt es, daß manche Gründe etwas Elammartiges
haben, und auch die • Canonform wird dadurch begünstigt.
Die Ausgestaltung der Quell- oder Sammelgebiete des Wassers
gehorcht denselben Gesetzen wie die der Täler. Die flachen Hänge der ein-
zelnen Bunsen, welche überall auftreten, wo spülendes Wasser wirksam ist,
werden hier in dem durchlässigen und dabei von senkrechten Klüften durch-
setzten Sandstein durch steile Felswände ersetzt, die nur an ihrem Fuß
flacher geneigt und oberflächlich mit Schutt überdeckt sind. An Stelle der
Trichter (eigentlich Halbtiichter), welche im Bereich undurchlässiger Ge-
steine die Form der Sammelgebiete sind, treten daher Felskessel oder
Amphitheater. Wir können sie im kleinsten Maßstab im oberen Teile fast
jeder Felswand bemerken, etwas größer treten sie an den Seiten der Tafel-
berge, z. B. an den Bärensteinen, auf, am größten sind sie in dem großen
Felsrevier zwischen Elbe, Kimitzsch und Kamnitz entwickelt, wo sie Durch-
messer von mehr als einem Kilometer erreichen und sich nach hinten,
manchmal in mehrfacher Wiederholung, in sekundäre Felskessel zu ver-
zweigen pflegen. Ein solcher großer Felskessel liegt hier neben dem andern,
die einen ziemlich genau halbkreisförmig, die anderen mehr in die Länge
gezogen und dadurch in die Talform übergehend, aber im wesentlichen ein-
ander gleich^). Diese Felskessel sind natürlich in beständiger Weiterbildung
begriffen. Wenn sich ihre Ränder einander nähern, werden die dazwischen
liegenden Tafelstücke angegriffen, ausgestaltet und schließlich ganz zerstört,
so daß an ihrer Stelle nur eine flache Bodenschwelle übrig bleibt, während
sich ein neuer Kessel im Hintergrunde des alten gebildet hat. Die Kessel
schreiten also gleichsam nach hinten fort, und zwar erfolgt dies Fortschreiten
viel schneller auf der Seite der Schichtenneigung als der Schichtenköpfe,
wie man an den Nikolsdorfer und Tyssaer Wänden oder in größerem Maß-
stabe an dem unterschiede der gegen die Kirnitzsch und der gegen die Elbe
gekehrten Kessel beobachten kann').
Eduard Richter hat feinsinnig darauf hingewiesen^), daß die Amphi-
theater der Wüste, welche . zuerst Powell und Dutton an den Seiten des
Coloradocanons und später Walther aus der ägyptischen Wüste kennen ge-
lehrt haben, die Felskessel der sächsischen Schweiz, welche ich ausfOhrlich
beschrieben hatte, und die Kare oder Botner der ehemals verfimten Hoch-
gebirge auf eine entsprechende Bildungsursache, nämlich die Abwesenheit
spülenden Wassers und die Abtragung durch Untergrabung, zurückzufahren
seien. Die Umrandung durch Felswände ist in allen drei Fällen gleich und
macht den Gegensatz gegen die Trichter aus. Hauptsächlich in der Ge-
staltung des Bodens der Kessel kommen die großen Verschiedenheiten der
Lage und der klimatischen Bedingungen zur Geltung, denn sie wird in der
1) S. Schw. 99. 2) Vergl. die ausführliche Beschreibung S. Schw. 86 f.
8) S. Schw. 64.
4) Geomorphologische Untersuchungen in den Hochalpen. S. 11 f.
Die Felsbildungen der sächsischen Schweiz. 619
sächsischen Schweiz wie überhaupt bei feuchtem Klima durch das Wasser, in
den Wüsten vorzugsweise durch den Wind, in dem Hochgebirge durch Firn
und Eis bewirkt. Der Boden ist daher bei uns fast immer trichterförmig,
in der Wüste kann er eben sein, in den eigentlichen Karen ist er flach
wellig und häufig beckenförmig.
In den Sammelgebieten vollzieht sich der Hauptsache nach die Zer-
störung und Abtragung der Gebirgslandschaften; denn die von Gilbert aus-
gesprochene Vermutung, daß die Flüsse selbst, an der Oberfläche harter Bänke
schräg abwärts gleitend, eine Flächenabtragung ausübten, ist zwar offc als
Vermutung wiederholt, aber wohl nirgends durch genauere Untersuchung be-
wiesen worden. Darum ergibt sich die Ausbildungsweise, der Stil der Berge
und überhaupt der Vollformen aus der Ausbildungsweise der Sammelgebiete,
ebenso wie ihre Anordnung von der Anordnung der Sammelgebiete und überhaupt
der Wasserläufe abhängig ist. Die Zerstörung der sächsischen Schweiz diu-c^
die Gewässer stinunt mit der der übrigen deutschen Mittelgebirge darin über-
ein, daß sie nur ganz allmählich von den durch die Verwerfungen und Fluß-
linien gegebenen l^efenlinien aus ins Innere vordringt^), sie unterscheidet sich
aber von den meisten dadurch, daß dieses Vordringen nicht mit trichterför-
migen, sondern, ähnlich wie in der Wüste, mit kesseiförmigen Einsenkungen
erfolgt An Stelle flacher Böschungen, die durch Trichter und dazwischen
liegende gerundete Bergrippen gegliedert sind, sind darum Felswände mit
Felskesseln und dazwischen sich vorstreckenden Felsmauem die vorwaltenden
Formen. Die erhalten gebliebenen Stücke der ursprünglichen Tafelfläche,
mögen sie noch eine weite Flächenausdehnung haben oder länglich gestreckte
Rücken oder einfache Berge bilden, sind stets durch solche Felswände be-
grenzt und sind daher je nachdem Tafelmassen, die an den Bändern in wirre
Felsreviere aufgelöst sind, oder Felsmauem oder Tafelberge, sogenannte Steine,
bei denen sich eine Felskrone von einem Fußkegel absetzt. Felsmauem, die
auf beiden Seiten von Kesseln angegriffen werden, zeigen Einsattelungen, die
nach den beiden Seiten aber nicht allmählich, wie bei gewöhnlichen Kämmen,
sondern treppenförmig ansteigen. An der Spitze einer zwei benachbarte
Kessel trennenden Felsmauer stehen häufig isolierte Felssäulen oder Fels-
pfeiler oder, in größerem Maßstab, eigentliche Vorberge, die immer die Form
von Steinen haben*). Am Fuß der Tafelmassen und Tafelberge breiten sich
sanftwellige Felsplatten aus, die aus der Zerstörung hervorgegangen sind;
die niedrigen Bodenschwellen entsprechen den ehemaligen Felsmauem.
Am schönsten lassen sich diese Formen in dem Gebiet zwischen Elbe,
Kimitzsch und Kamnitz studieren, weil der Vorgang der Zerstörung hier noch
in vollem Gange ist und die durch die vollendete Abtragung entstandenen
Platten neben wirren Felsrevieren und unversehrten Felsmassen liegen'). Viel
weiter fortgeschritten ist die Zerstörung auf dem linken Eibufer zwischen
Schöna und Königstein, wo sie von einer ganzen Anzahl unregelmäßig an-
geordneter kleiner Täler ausgegangen ist, welche durch die meist auf der
Plänerschicht entspringenden Bäche eingegraben worden waren. Hier sind
1) 8. Schw. 76 ff. 2) S. Schw. 65 u. 87. 3) S. Schw. 86 ff.
620 Alfred Hettner;
nur noch einzelne Tafelberge als Reste der alten Kesselumrandnngßn erhalten,
die im übrigen zu flachen Bodenschwellen eingeebnet sind. Ein solcher Fels-
kessel muß das bei Königstein mündende Pfaffendorfer Tälchen umgeben
haben; der Pfaffenstein, die schon ziemlich abgetragenen Höhen nordwestlich
von Kunersdorf, der Gorischstein, die Höhen nordöstlich von Pfaffendorf ge-
hörten ihm an; aber mehr gegen Eönigstein hin finden wir an der Stelle
der ehemaligen Felswände flache Schwellen, die sich gegen den oberen Band
des Pfaff'endorfer Grandes abdachen. Ein zweiter Felskessel, durch den
Gorischstein, den Papststein und den Kleinhennersdorfer Stein gebildet, lag
gleich daneben um den Gorischbach und Bietzschgrund herum. Daran schloß
sich, den Papstdorfer Bach umgebend, ein dritter Kessel, von dessen einer
Wand, die ihm mit dem vorigen Kessel gemeinsam ist, der Papststein und
der Kleinhennersdorfer Stein, von dessen anderer Wand der Koppelsberg und
äer Kohlbomstein erhalten sind, während die Hinterwand zerstört ist. Öst-
lich von Schöna und südlich von Beinhardsdorf treten uns Kaiserkrone,
Zirkelstein und Wolfsberg, bei denen aber die Tafelform schon verloren ge-
gangen und die Felskrone stark verkleinert ist, als Beste alter Felskessel
entgegen^). Zwischen Beinhardsdorf und der Elbe ist die Einebnung voll-
ständig erfolgt; hier ist nur noch eine flache Bodenschwelle vorhanden, die
einerseits gegen eine alte Talterrasse der Elbe, andererseits gegen eine alte
Terrasse des Beinhardsdorfer Baches abgedacht ist. Ganz ähnlicher Ent-
stehung scheinen die Krippener, Ostrauer, Bathmannsdorfer Ebenheiten zu sein.
Es sind ganz flache, gegen alte Talterrassen der Elbe und ihrer Nebenflüsse
abgedachte Schwellen und Buckel von annähernd gleicher Meereshöhe, die
übrig gebliebenen Bümpfe ehemaliger Felsmauem und Steine*).
In der sächsischen Schweiz erfolgt die Abtragung also nach ähnlichen
Gesetzen, wie sie Powell und Button für das Cafiongebiet des Colorado
entwickelt haben: an den Seiten der Verwerfungen und Tallinien bilden sich
Felskessel aus, sie vergrößern sich allmählich nach den Seiten und nach
hinten, die trennenden Felsrippen werden zerstört, und flache Schwellen treten
an ihre Stelle, die Felswände im ganzen weichen nach hinten zurück {Reces-
sion of Cliffs\ die ursprüngliche Tafel wird immer kleiner und verliert immer
mehr den Zusammenhang, vielfach bleiben nur noch einzelne Felsmauem und
Tafelberge davon übrig, bis auch sie verschwinden und eine flach gewellte
Oberfläche zurückbleibt. Es ist eine besondere Form des allgemeinen Vorganges
der Einebnung der Gebirge, der Peneplanation, wie man heute oft mit einem von
W. M. Davis eingeführten Ausdruck sagt, der Abrasion, wie man, eine zunächst
allerdings lÜr die Brandungswirkung geschaffene Bezeichnung v. Bichthofens
erweiternd, sagen könnte. Es ist eine besondere Form, deren Besonderheit je
nachdem in der Trockenheit des Klimas oder in der Trockenheit des Bodens und
in beiden Fällen in der Abwesenheit des spülenden Wassers und der dadurch
1) Ich habe diese ehemaligen Felakessel jetzt vollständiger zu rekonstruieren
vermocht, als es mir früher (S. Schw. 96) gelungen war.
2) Früher habe ich mich leider durch die annähernd gleiche Meereshöhe dieser
Ebenheiten täuschen lassen und sie für die Stücke einer großen, einheitlich gebil-
deten Ebene gehalten, in die die Talterrassen eingesenkt seien (S. Schw. 92 fr.).
Die Felsbildungen der säcbsiscben Schweiz. 621
ermöglichten Bildung von Felswänden ihre Ui*sache hat. Walther hat diese
Form der Bodengestaltung und Abtragung, das Auftreten der Felswände und
der tafelartigen Vorberge, die er mit einem in der algerischen Sahara üb-
lichen treffenden Ausdruck Zeugenberge nennt, als Eigentümlichkeiten der
Wüste ansprechen wollen. Aber Zeugenberge, d. h. tafelförmige Vorberge
vor Tafelländern, finden sich selbst in feuchten Klimaten der Tropen und
Subtropen und können sich überall bilden, wo durchlässige Schichten in tafel-
förmiger Lagerung auftreten. Nur in der Einzelgestaltung, in der Abwesen-
heit eines Fußhanges und dem Herabreichen der Felswand bis an den Fuß,
scheint das Wüstenklima zur Geltung zu kommen. Auch der Gvaig der Zer-
störung in den Hochalpen und der davon abhängende Charakter der Formen
ist ja ähnlich; aber die Ähnlichkeit konunt wegen der steilen Aufrichtung der
Schichten gewöhnlich nicht zu deutlichem physiognomischem Ausdruck.
Im östlichen Teile der sächsischen Schweiz treten uns am rechten Elb-'
ufer und auch in den anschließenden Gebieten des linken Eibufers mit großer
Deutlichkeit zwei Höhenzonen mit verschiedener Bodengestaltung entgegen,
die durch ein Niveau der Ebenheiten von einander getrennt werden. Wäh-
rend unterhalb dieses Niveaus nur enge Gründe eingegraben sind, an die sich
nur wenig entwickelte Schluchtennetze anschließen, das Gestein also großen-
teils noch erhalten ist, ist es über den Ebenheiten zum größeren Teile ab-
getragen, und nur kleinere Tafelmassen und Tafelberge sind als Reste und
Zeugen der ursprünglich zusammenhängenden Gesteinstafel übrig geblieben.
Dieser Gegensatz beruht nicht auf einem Gegensatz der Art, sondern lediglich
des Grades der Zerstörung. Er beruht darauf, daß die Erosion der Elbe
und ihrer Nebenflüsse aus irgend einem Grunde, den wir noch nicht kennen,
für lange Zeit in einem bestimmten Niveau, das noch heute durch ein System
von Talterrassen deutlich gekennzeichnet wird. Halt machte und erst in ver-
hältnismäßig junger Zeit, erst nach der großen Vergletscherung, von neuem
einsetzte und die Täler bis zu ihrer jetzigen Tiefe eingrub. Über dem
Niveau der Talterrassen ist die Zerstörung sehr alt und hat daher große
Fortschritte machen können; Felskessel schaffend und sie vergrößernd und
zurücklegend, hat sie über die Fläche gearbeitet und Felsplatten oder Eben-
heiten erzeugt, die gegen die Talterrassen abgedacht sind, unter diesen
Talterrassen ist die Zerstörung noch jung und daher im ganzen auf einzelne
Linien beschränkt
Mit einem Gegensatz der Gesteinszusammensetzung hat also der auf-
fallende, den Landschaftscharakter in erster Linie bestimmende Gegensatz
zweier Niveaus im östlichen Teile der sächsischen Schweiz nichts zu tun; er
vollzieht sich fast ganz innerhalb des oberen Quadersandsteins, der hier keine
trennende Zwischenschicht zeigt. Wohl aber kommt die Gesteinszusammen-
setzung zur Geltung, wenn wir uns in den nördlichen und westlichen Teil
der sächsischen Schweiz begeben. Wir finden hier eine Anzahl auffallend
regelmäßiger, sanft abgedachter Ebenheiten, die durch Landstufen von
einander getrennt werden, und in jedem Falle sehen wir diese Landstufen
von einem Gesteinswechsel oder dem Auftreten einer Zwischenschicht begleitet.
In einer ersten Stufe erhebt sich bei der Goldenen Höhe und bei Neu-
622 Alfred Hettner:
Cunnersdorf südlich von Dresden, also noch außerhalb der sSchsischen Schweiz^
der untere Quader (Carinatendandstein = cl$ der geologischen Spezialkarte) aus
dem Orundgebirge. Diese Stufe geht weiter südöstlich, also am Rande der
sSchsischen Schweiz gegen das Erzgebirge, verloren, der untere Quader, der
hier wohl toniger ist, liegt hier vielmehr flach auf dem Grundgebirge auf.
Eine Stufe wird erst durch den mittleren oder Labiatusquader (tls) gebildet.
Sie läßt sich von Dohma bei Pirna über den Ladenberg nördlich von Berg-
gießhübel, Hennersdorf und Baitza bis Tjssa verfolgen und kann hier als die
Grenze der sächsischen Schweiz gegen das Erzgebirge angesehen werden.
Sie bildet den Rand einer, abgesehen von den Taleinschnitten, merkwürdig
ebenen, gleichmäßig nach Norden geneigten Fläche, die zwischen Tjssa und
Dorf Schneeberg 620 m ü. d. M. liegt und bei Pirna unter die Eibaue ein-
sinkt. Ich habe sie als die Cottaer Ebenheit bezeichnet. Ihre Oberfläche
besteht, von den auflagernden quartären Lehmen und Schottern abgesehen,
überall aus dem mittleren Quadersandstein; nur an dem sie überragenden Cot-
taer Spitzberg hat sich unter dem Schutze des Basaltes auch der über dem
mittleren Quader liegende Pläner und glaukonitische Sandstein erhalten.
Eine neue Stufe führt uns von der Cottaer zu einer neuen Ebenheit
hinauf. Diese Stufe begleitet von Pirna an die rechte Seite des Gottleuba-
tales und zieht dann, jedoch in etwas verwaschener Ausbildung, von Langen-
hennersdorf nahe bei Hermsdorf und Rosenthal vorbei zum Schneeberg, der
sich in raschem Anstieg über die Cottaer Ebenheit erhebt, auf welcher noch
das Dorf Schneeberg liegt. Den unteren Teil dieser Stufe setzen Pläner-
mergel {t2p) und glaukonitischer Sandstein (tJ^g)^ den oberen oberer Quadersand^
stein (tSs) zusammen, der dann auch die Oberfläche der folgenden Ebenheit
bildet. Diese hat ihre klarste und besterhaltene Ausbildung am linken Eib-
ufer zwischen Pirna und Eönigstein; deshalb habe ich sie nach dem hier be-
legenen, Dorfe Struppen benannt. Auf dem rechten Eibufer zerlegt sie sich
in zwei Ebenheiten, die Copitzer und die Wehlener Ebenheit, die durch eine
von Zatzschke gegen Zeichen und Naundorf ziehende Stufe getrennt werden;
es ist bezeichnend, daß diese Zerlegung mit dem Auftreten einer mergeligen
Zwischenschicht im oberen Quader, des sog. Baculitenmergels (f4), zusammen*
fällt. In den höheren Teilen des linken Eibufers ist die Sbruppener Eben-
heit nur noch unvollkommen erhalten; schon in der breiten Haide und den
Nikolsdorfer Wänden südwestlich von Königstein ist sie durch eine von einem
Seitentälchen der Biela ausgehende Zerstörung, von der oben die Rede war,
stark angegriffen, weiter östlich und südöstlich ist sie nur noch in einzelnen
Steinen übrig, von denen der Schneebei^ der höchste (723 m) und zugleich
best erhaltene ist; in den Zwischenräumen ist die ziemlich dünne Decke des
oberen Quaders entfernt, und die weichen verwaschenen Formen des glauko-
nitischen Sandsteins sind zu Tage getreten*).
Die Felsmassen des nordöstlichen Teiles der sächsischen Schweiz: die
Schöne Höhe bei Dittersbach i. S., das Plateau der Bastei, das Plateau jen-
1) Die Konstruktion der Ebenheiten auf den Profilen in meinem Buche bedarf
in diesem Gebiete teilweise der Berichtigung.
Die Felsbildungen der dächsischen Schweiz. 623
seits äer Pölenz, auf däm der Brand liegt, das Schrammstein- Winterberg-
Plateau, wahilBCheinlich auch die Oberflächen des Liliensteins, Königsteins,
Pfaffensteins und der anderen der Elbe nahe liegenden Steine der linken
Eibseite, erheben sich noch über die Wehlener und did Struppener Ebenheit;
aber es muß dahingestellt bleiben ^ ob hier eine neue eigentliche Landstufe
vorliegt; eine Zwischenschicht von anderer Beschaffenheit, wie sie an den
übrigen Landstüfen auftritt, ist hier nicht zu bemerken.
So iareten uns in der sächsischen Schweiz, im ganzen von SW nach NO
auf einander folgend, eine Anzahl von Landstufen und Platten oder Eben-
heiten entgegen, die an Größe hinter denen des schwäbischen und fränkischen
Stufenlandes zurücktreten, aber von derselben Art und Entstehung sind. Sie
können nicht durch Yerwörfimgen heryorgerdfen söin, wie man ohne irgend
welchen Beweis angenommen hatte, da die Schichten auf beiden Seiten der
Landstufen im selben Niveau fortsetzen und jede Stufe mit dem Auftreten
eines neuen höheren Schichtenkomplexes zusanuQ^nfällt. Es ist auch nicht
wahrscheinlich, daß sie gleich bei der Ablagerung der Schichten im Meere
entstanden seien, denn an einzelnen Stellen haben sich die höheren Schichten
auch jenseits der Stufe erhalten. Die Stufen scheinen vielmehr durch Ab-
tragung entstanden zu sein, als eine Folge des Gesteinswechsels und der
darin gegebenen Ungleichheit des Widerstandes, wie es oft auseinandergesetzt
worden ist.
Aber von dem Vorgang der Abtragung können wir uns inmier noch
keine ganz klare Vorstellung machen. Es ist schwer, sich eine Kraft vorzu^
stellen, durch welche manche Schichtkomplexe fast bis auf den letzten Rest
weggeräumt werden, während die darunter liegende Schicht ^t unversehrt
erhalten ist. Walther hat in der Wüste dafür hauptsächlich den Wind in
Anspruch genonimen, der in einem trockenen Klima auf nacktem Boden für
eine solche in die Fläche wirkende Arbeit in der Tat geeignet erscheint.
Aber für unsere deutschen Stufenlandschaften dürfte er kaum in Betracht
kommen; denn abgesehen davon, daß wir in der Tertiärzeit, in welcher die
Abtragung vor sich gegangen sein muß, keinerlei Anhalt für ein Trocken-
klima haben, spricht dagegen auch die Auswahl der Gesteine, welche zerstört
und welche erhalten sind. Wir pflegen die Gesteine, welche stehen bleiben,,
als hart, die Gesteine, welche zerstört werden, als weich zu bezeichnen, und
geben uns nicht immer genügend Rechenschaft darüber, worin die Härte oder
Weichheit bestehe; wir dürften zunächst eigentlich nur von größerer oder ge-
ringerer Widerstandsfähigkeit sprechen. Die Widerstandsfähigkeit muß aber
gegenüber verschiedenen Kräften verschieden sein; somit können wir aus der
Art der Widerstandsfähigkeit auf die Kraft schließen, welche die Abtragung
bewirkt hat. In der sächsischen Schweiz werden die oberen Teile der Stufen
und die Platten, von den quartären Auflagerungen natürlich abgesehen, von
reinem Quarzsandstein gebildet, während die tonigen und mergeligen Gesteine
unter dem Sandstein im unteren Teile der Stufen auftreten, auf den Platten
aber meist zerstört oder wenigstens stark angegriffen sind. Der Sandstein
der sächsischen Schweiz ist nun keineswegs ein hartes, sondern im Gegenteil
ein sehr mürbes Gestein; die einzelnen Quarzkömer sind natürlich hart, ihre
624 Alfred Hettner:
Verkittung ist aber so mangelhaft, daß der Stein schon beim leisesten
Hanmierschlag in Sand zerfallt. Der Wind würde den Sand leicht wegwehen
and gerade umgekehrt dem Pläner und Mergel wenig anhaben können; er
kann also bei der Entstehung dieser Stufen und Terrassen keine Rolle
gespielt haben. Die Widerstandsfähigkeit des Quadersandsteins besteht
in seiner Durchlässigkeit; sie macht sich daher gegenüber dem spülenden
Wasser geltend. Der Quadersandstein wird nur langsam durch Untergrabung
zerstört und weicht in Wänden zurück. Wo dadurch Pläner nud Mergtl zu
Tage treten, werden sie weggespült, während in dem darunter herauskom-
menden Sandstein das Wasser wieder versickert und damit seine zerstörende
Kraft einbüßt.
Wenn demnach, wie ja auch ziemlich allgemein angenommen wird, das
Wasser der Bildner dieser Stufen und Platten ist, so muß deren Bildung
natürlich in Beziehung zu den Flußläufen gestanden haben, und manche der
oben entwickelten Gesetze, namentlich über das Fortschreiten der Stufen im
Sinne der Schichtenneigung, müssen auch hier zur Geltung gekommen sein.
Aber eine Abhängigkeit vom Niveau der Flüsse braucht bei diesen Eben-
heiten nicht bestanden zu haben. Sie können selbstverständlich uie tiefer
als die Flußläufe gelegen haben, wohl aber kann ihre Bildung in einer be-
liebigen Höhe des Talhanges erfolgt sein. Im Murgtal und im Neckartal,
wo sie F. Jaeger näher untersucht hat, kann man solche Denudationsterrasgen
— ich brauche diesen Ausdruck im Gegensatz zu den Erosionsterrassen —
an der Grenze des Buntsandsteins gegen das Rotliegende oder den Granit
deutlich beobachten, auch in manchen Tälern der sächsischen Schweiz, z. B.
im Gottleuba- und im Bielatal, scheinen sie, allerdings weniger deutlich, aus-
gebildet zu sein. Ebenso können auch die großen, schon in der Vergangen-
heit vollendeten Terrassen und Ebenheiten unabhängig von einem bestimmten
Niveau der Flüsse entstanden sein. Die an Gesteinswechsel geknüpften
Denudationsformen stimmen in dieser Unabhängigkeit von den Talsohlen mit
den Felsplatten überein, welche nach Richter im Niveau der Schneegrenze
durch das Rückweichen der Kare zu Stande kommen sollen.
Das morphologische Bild der sächsischen Schweiz ist gerade danmi so
schwer zu entziffern, weil zwei verschiedene Arten von Terrassen oder Eben-
heiten neben einander liegen und sich berühren, vielleicht in einander greifen,
und weil sie bei der flachen Lagerung der Schichten und der ungefähren
Übereinstimmung der Schichtenneigung und der Flußrichtimg auch äußerlich
so schwer zu unterscheiden sind^). Die einen Ebenheiten sind vom Gesteina-
wechsel unabhängig und schließen sich an Erosionsterrassen an, haben sich
in einer Zeit längerer Ruhe der inneren Erdrinde herausgebildet; die anderen
sind gerade vom Gesteinswechsel abhängig, dagegen von Erosionsterrassen
1) In meiner früheren Arbeit hatte ich wohl die Talterrassen von den großen
Platten des westlichen Teiles der sächsischen Schweiz unterschieden, aber zu diesen
fälschlicherweise auch die Ebenheiten des östlichen Teiles gestellt, die ich für
selbständige Gebilde hielt (vergl. S. 26 Amn.). Darum glaubte ich (S. 97 ff.) einen
maßgebenden Einfluß des Gesteinswechsels in Abrede stellen und die Entstehung
der Platten aus einem langen Stillstand der Erosion erklären zu müssen.
Die Felsbildungen der sächsischen Schweiz. 625
unabhängig, ihre Fortbildung kann Bodenbewegungen überdauert haben. Der
Hauptsache nach scheinen jene Terrassen jünger als diese zu sein; denn sie
sind nicht nur weniger vollendet, sondern sind, wie es scheint, auch in diese
eingesenkt oder setzen sich in Schotterterrassen fort, welche auf diesen auf-
mhen. Über ihre Bildungszeit im Verhältnis zur Entstehung des heutigen
Oebirgsbaus könnte man wohl Vermutungen äußern, aber eine begründete
Ansicht ließe sich nur auf Qrund einer Untersuchung aussprechen, die sich
auch auf die Nachbargebiete erstreckt.
So fehlt uns inmier noch der letzte Schlüssel für das morphologische
Verständnis der sächsischen Schweiz. Ihrem inneren Bau nach ist sie ein
Block von Sandstein, mit schwachen aber bedeutsamen Zwischenschichten von
Pläner und Mergel. Im Meere der oberen Kreide abgelagert, wurde sie
gegen den Schluß der Kreidezeit über den Meeresspiegel gehoben und in der
Mitte der Tertiärzeit von großen Dislokationen betroffen, die teils der
sudetischen, teils der erzgebirgischen Streichrichtung folgen; da der den Süd-
rand der sächsischen Schweiz bildende Bmch, welcher der erzgebirgischen
Bichtung folgt, an der großen Lausitzer Verwerfung umgebogen erscheint,
ist er wohl jünger als diese. Ob das Land in der ältereren Tertiärzeit Tief-
land oder zu größerer Höhe gehoben war, und welche Fortschritte die Ab-
tragung schon gemacht hatte, können wir nicht sagen; in der Hauptsache
gehört die Abtragung wohl erst der Zeit nach der Dislokation oder wenigstens
nach der im sudetischen Sinne erfolgten Dislokation, d. h. nach dem Ein-
sinken des Quadersandsteinblockes zwischen Erzgebirge und Lausitzer Platte,
an, da der Sandstein überhaupt nur in dieser Einsenkung erhalten, auf der
Lausitzer Platte und dem Erzgebirge dagegen abgetragen ist, und da auch
die Landstufen ungefähr in der Richtung der durch die sudetische Dislokation
bewirkten Schichtenneigung verlaufen. In der Bildung dieser Landstufen und
Ebenheiten, die in Abhängigkeit vom Gesteinswechsel erfolgt ist, haben wir
im ganzen wohl die älteste noch heute in Betracht konmiende Tatsache der
Ausgestaltung des Bodens durch äußere Kräfte zu erblicken. Auch die
Zerstörung innerhalb des den nordöstlichen Teil der sächsischen Schweiz ein-
nehmenden oberen Quadersandsteins hat damals selbstverständlich schon ein-
gesetzt, ist aber, wie es scheint, erst später mit der Ausbildung der Tal-
terrasse der Kanmitz-Elbe und ihrer Zuflüsse und der darauf gerichteten
Ebenheiten zu einem vorläufigen Abschluß gelangt. Diesen Zustand hat die
sächsische Schweiz in der großen Eiszeit gehabt Danach hat — die Ursache
muß dahingestellt bleiben, vielleicht hängt sie mit dem Eintritt der böhmischen
Elbe zusanmien — die Erosion weiter in die Tiefe schneiden können; aber
dieser Vorgang ist noch nicht weit gediehen, er beschränkt sich der Haupt-
sache nach noch auf die Bildung von Gründen und Schluchten. Darum
heben sich in der östlichen sächsischen Schweiz zwei Höhenzonen, eine obere
der über größere Flächen sich erstreckenden Zerstörung, der über großen
Felsplatten aufsteigenden Felsreviere und Tafelberge, und eine untere der
nur in einzelnen Linien erfolgten Zerstörung, der Gründe, deutlich von ein-
ander ab. Es ist aber nur ein Gegensatz im Betrage, nicht in der Art der
Zerstörung. Es liegt kein Grund vor, daraus auf einen Wechsel des Klimas
QttographUohe Zeitaohrlft. 9.JahrgaDff. 1908. 11. Hell. 42
62G Alfred Hettner: Die Felsbildungeu der sächsisehen Schweiz.
zu schlieBen. Die eigentümliche Art der Bodengestaltung der sächsischen
Schweiz ist nicht im Klima, sondern in der Oesteinszusammensetzimg be-
gründet; ihre Felsbildungen sind nicht, wie die der Wüste, die Folge einer
Trockenheit des Klimas, sondern der Trockenheit des Bodens; sie sind eine
lithologische oder, wenn wir nochmals den pflanzengeographischen Ausdruck
gebrauchen wollen, eine edaphische Formation.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten^).
Von Martha Erug-Ghenthe.
I. Die wissengchaftUche Geographie.
Unter den Kulturländern, die sich um die Erweiterung des geographischen
Horizontes verdient gemacht haben, nehmen die Vereinigten Staaten eine
ehrenvolle Stellung ein. Als Herren eines zum großen Teil noch völlig un-
bekannten Landes fanden die amerikanischen Ansiedler ihre geographische
Aufgabe sozusagen vor ihrer Tür liegen, und die Erfüllung dieser Aufgabe
hat seit den ersten Anfängen der Union als eine der wichtigsten Pflichten
der Bundesregierung gegolten. Die geodätischen, topographischen, geolo-
gischen, meteorologischen und ozeanographischen Arbeiten der Regierungs-
institute dürfen dem Besten an die Seite gestellt werden, was auf diesen Ge-
bieten geleistet worden ist, und Pearys Name ist nur der letzte in der
langen Reihe, die in den Polarregionen von dem Wagemute amerikanischer
Entdecker Zeugnis ablegen.
Um so auffalliger berührt es unter diesen Umständen, daß die wissen-
schaftliche Geographie als solche in den Vereinigten Staaten noch so wenig
Fuß gefaßt hat. Bis vor wenigen Jahren war sie an den wissenschaftlichen
Hochschulen (Universitäten und Colleges) des Landes völlig unvertxeten, und auch
gegenwärtig fehlt noch viel daran, daß die Gelegenheiten zum geographischen
Studium dem auf anderen Gebieten Vorhandenen gleichwertig seien. Fester
als irgendwo anders scheint hier das alte Vorurteil zu wurzeln, daß sich die
Geographie bei wissenschaftlichem Betriebe unvermeidlich in eine Reihe von
Einzelwissenschaften auflösen müsse, und daß das, was in der Regel den
Namen Geographie trägt, nichts anderes sei als ein für den Elementargebrauch
bestimmtes Konglomerat wissenschaftlicher Vorbegriffe, das nicht auf die
Universität gehört. Nur so kann es sich erklären, daß unter 75 Universitäten
und Colleges, deren Studienpläne für diese Arbeit durchgesehen wurden, nicht
mehr als 36 sich fanden, an denen Geographie gelehrt wird, und unter diesen
36 wieder nicht mehr als 9^), an denen der Betrieb einigermaßen wissenschaft-
1) Der Einfachheit halber wird in dem folgenden „Amerika" und „amerika-
nisch" häufig für Vereinigte Staaten angewandt werden, wie es auch im Lande
selbst Sprachgebrauch ist.
2) Harvard, Comell, Yale, Princeton, Teachers College (Neu- York), die Staats-
universitäten von Pennsjlvanien (Philadelphia), Indiana (Bloomington) , Kalifornien
(Berkeley) und die Universität Chicago. Die beiden einzigen Universitäten, die nach
Charakter und Studentenmaterial den Stand der deutschen Universität bewußt auf-
Martha Krug-Genthe: Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 627
liehen Anforderungen genügen kann. An den übrigen 27 ist die Angelegen-
heit so geregelt, daß der Geologe oder Naturwissenschaftler neben seinen
regulären Kursen auch noch einen solchen in physikalischer Geographie oder
Phjsiographie (s. u.) ankündigt, in der Eegel mit dem ausdrücklichen Hin-
weise, daß er als Vorbereitung fOr die geologischen Vorlesungen oder mit
spezieller Rücksicht auf künftige Geographielehrer eingefügt sei. Selbst
die 9 fortschrittlicheren Anstalten lassen in der äußeren Stellung der Geo-
graphie noch die alte Besorgnis erkennen, durch ein allzu kühnes Bekenntnis
zu diesem Gegenstande von zweifelhaftem Werte in den Verdacht der Un-
wissenschaftlichkeit zu geraten, und vermeiden nach Möglichkeit das ominöse
Wort Geographie. Einen Professor der „Geographie" findet man in Amerika
fast nur an Lehrerbildungsanstalten; in der Qualifikation der Geographen an
Universitäten und Colleges pflegt die Fakultät das Bedürhiis zu empfinden,
durch, ein Beiwort darzutun, daß es sich nicht um Geographie im gewöhn-
lichen Sinne handelt. Die wissenschaftlichen Geographen sind daher offiziell
entweder Professor der Geologie und Geographie, oder Professor der geo-
graphischen Geologie, oder Professor der physikalischen Geographie, oder
der Physiographie u. s. w., und die Geographie selbst figiuiert im Studienplane
bald als ein Zweig der Geologie, bald als eine Hilfswissenschaft der Volks-
wirtschaftslehre. Nur in zwei Fällen ü-itt sie den übrigen Wissenschaften
als selbständiges Fach gegenüber: unter dem Schutze des Namens physika-
lische Geographie in Princeton, und als Geographie schlechthin an der Uni-
versität von Kalifornien — der einzige Fall seiner Art an einer amerika-
nischen Universität (abgesehen von Teachers College in Neu- York, wo die
Frage der Lehrerbildimg wieder hineinspielt) ^).
Wenn auch diese Verhältnisse zum großen Teil auf geschichtlichen Ur-
sachen beruhen mögen, so sind sie deshalb nicht weniger bezeichnend, für
die Tatsache, daß nur in Anlehnung an eine andere anerkannte Wissenschaft
die Arbeit auf diesem Gebiete sich wissenschaftliche Anerkennung sichern
kann. Noch heute ist eines der größten Henmmisse einer gedeihlichen Weiter-
entwicklung, gegen das die zünftigen Geographen unausgesetzt ihre Stimme
erheben müssen, die allgemeine Vorstellung, daß „Geographie" imd „physika-
lische Geographie" (oder Physiographie) die Gegensätze „elementar" und
„wissenschaftlich" repräsentieren. Das geht so weit, daß die Formulare der
Stellenvermittelungen für Lehrer eine Rubrik „Geographie" und eine andere
„physikalische Geographie" aufweisen, gleich als ob das eine ohne das andere
denkbar sei. Als ich ins Land kam, wurde mir von Freunden der gute Rat
erteilt, nie zu sagen, daß ich in „Geographie" promoviert hätte, weil meine
Promotion dann als Humbug erscheinen würde. Daß dies nicht zu viel be-
hauptet war, hat mir kürzlich die Antwort bewiesen, die ich auf meine An-
frage über geographische Vorlesungen von einer Staatsuniversität des mittleren
recht zu erhalten bestrebt sind, Clark imd Johns Hopkins University, sind* be-
zeichnenderweise nicht einmal unter den 27.
1) Während dies gedruckt wurde, ist auch an der Universität Chicago ein
selbständiges „Department of Geography*^ eingerichtet worden. (Notiz in: National
Geographie Magazine. April 1903. S. 16a.)
42*
628 Martha Krug-Oenthe:
Westens erliielt: ^Da dies eine echte Universität ist, gibt es hier keine Kurse
in (elementarer) (Jeographie.^
Die Atoiospbäre, in der wissenschaftlicher Fortschritt geboren wird, ist
für die Geographie, summarisch gesprochen, in Amerika demnach noch nicht
vorhanden. Die meisten ihrer wissenschaftlichen Vertreter sind von anderer
Seite zu ihr gekommen, und die wenigen Nur-Geographen gehören fast alle
der jüngeren Generation an und haben ihre Lebensarbeit noch vor sich.
Über ein Gebiet von der Größe der Vereinigten Staaten zerstreut, stehen sie
als einzelne Arbeiter viel zu isoliert, als daß ein rechtes einheitliches Zusammen-
gehen, wie in anderen Ländern, zu Stande kommen könnte. Li den anderen
Wissenschaften macht sich das weniger fahlbar, denn in diesen hat Amerika
von der alten Welt das Erbteil jahrhundertelanger Arbeit auf kleineren
Räumen in der Gestalt eines in den ELauptzügen bereits fest gegründeten
Systems überkommen, wodurch von vornherein ein gemeinsamer Ausgangs-
punkt und ein einigendes Band auch für die räumlich weitest entfernten
Mitarbeiter gegeben war. Allein in der Geographie schafft das Land sich die
Wissenschaft selbst und hat daher auch mit allen nachteiligen Folgen des
Mangels an Organisation zu kämpfen. Es fehlt fast völlig an wissenschaft-
lichen Verständigungsmitteln und -mögHchkeiten: es fehlt eine einheitliche
wissenschaftliche Sprache, imd es fehlt sogar ein führendes wissenschaftliches
Fachorgan. Geographische Zeitschriften sind zwar vorhanden: aber sie dienen
entweder vorwiegend den Literessen des Schulunterrichts, wie das „Jonmal
of Geography", oder sie sind, wie „National Geographie Magazine^ und einige
andere, Organe einer geographischen Gesellschaft Diese Gesellschaften tragen
hierzulande einen durchaus populären Charakter^) und scheinen genötigt,
auch den Standpunkt ihrer Publikationen mehr oder weniger dem Bedürfiiis
der Mehrzahl ihrer Leser anzupassen und so das Eingehen auf wissenschaft-
liche Spezialfragen tunlichst zu vermeiden. Nur das Bulletin der „American
Geographie Society" hat ein höheres Niveau und ist noch am ersten mit den
Veröffentlichungen deutscher geographischer Gesellschaften zu vergleichen.
Aber um sich zu einem wissenschaftlich-geographischen Zentralorgan zu ent-
wickeln, wie es für England etwa das Journal der „Royal Geographie Society"
geworden ist, bedürfte es einer vollständigen Umgestaltung, vor aUem einer
viel größeren jährlichen Nummemzahl, denn in seinem gegenwärtigen Um-
fange kann es noch nicht die Hälfte der laufenden Erscheinungen, soweit sie
Originalarbeiten sind, aufnehmen. Ein sehr beachtenswerter Vorschlag, durch
dessen Ausführung unschwer die Bedingungen für die Lösung dieser brennen-
den Frage geschaffen werden könnten, ist kürzlich von Professor J. C. Russell
gemacht worden, nämlich der eines Zusammenschlusses der verschiedenen geo-
1) „Die geographischen Gesellschaften haben lange Mitgliederlisten, in denen
jeder anständige Mensch, der den vorgeschriebenen Beitrag bezahlt,, aufgenommen
werden kann/' Die Veröffentlichungen der geographischen Zeitschriften „schenken
der wissenschaftlichen Seite der Probleme nur untergeordnete Beachtung . . . Gann
anders in den geologischen Gesellschaften: ihre Mitgliederzahl ist beschränkter,
wissenschaftliche Ausbildung oder wissenschaftliche Arbeiten sind Bedingung der
Erwählung'', und geologische Organe „sind in der Regel ausschließlich für wissen-
schaftliche Fragen bestimmt". Davis in: The Journal of Geography. Vol. 1. S. 19.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 629
grapbisefaen Gesellschaften der Vereinigten Staaten zu einer großen ,fAnierican
Geographie Society^ mit der Neu- Yorker Gesellschaft, der ältesten, als Zentral-
stelle. Doch über die Aufnahme, die der Plan an den betreffenden Adressen
gefunden hat, ist noch nichts bekannt geworden.
Einstweilen muß, wer hierzulande wissenschaftlich geographisch arbeiten
will, sich seine Literatur noch an den heterogensten Stellen zusammensuchen.
In den Veröffentlichungen der geologischen Landesuntersuchung, des hydro-
graphischen Amtes, des ü. S. Weather Bureau, im Journal of Geology und
im American Geologist, in den Verhandlungen der „American Association of
Arts and Sciences*' und der Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft, in
Science, dem Organ der „American Association for the Advancement of
Science'*, im Journal of Comparatiye Zoology, in den Veröffentlichungen aller
möglichen lokalen naturforschenden Gesellschaften, von den angesehensten bis
zu den obskursten, und sogar in pädagogischen Zeitschriften liegt verstreut,
was Amerika an Beiträgen zur wissenschaftlichen Geographie geleistet hat.
Dazu vergegenwärtige man sich eine Flut pseudo-wissenschaftlicher Literatur,
die Frucht der hierzulande mehr als irgendwo verbreiteten (Un-?)Sitte der
schrankenlosen Produktion, nach der jeder, der da glaubt, einem Gegenstande
eine neue Seite abgewonnen zu haben, sich nun auch verpflichtet und be-
rechtigt fühlt, seine manchmal durch gar nicht zuviel Sachkenntnis getrübte
Ansicht der Mitwelt zu unterbreiten, und man wird es nicht zuviel behauptet
finden, daß die gegenwärtige Situation sich dem aus europäischen Verhält-
nissen kommenden Beobachter zunächst nur als ein ungeheures Chaos darstellt.
Nach langer, sorgfältiger Arbeit, in der oft ganze Berge von Spreu
durchgesehen werden mußten, um das Weizenkom zu finden, soll im
Folgenden versucht werden, die gegenwärtig im Umlauf befindlichen Haupt-
ideen und Tendenzen der wissenschaftlichen Gaographie des Landes in ihren
wesentlichen Zügen zu charakterisieren. Zweierlei muß dabei im Auge be-
halten werden: einmal, daß alle Verhältnisse noch durchaus im Werden und
in Gärung begriffen sind, so daß sich manche Widersprüche ergeben, und
manche Anschauungen, die augenblicklich den fortgeschrittensten Stand der
Entwicklung bezeichnen, noch nicht als allgemein gültig angenommen werden
dürfen; zweitens die in den Vereinigten Staaten bestehende enge Verbindung
von Universität und Schule, in Folge deren die erstere von aktuellen Schul-
problemen viel mehr in Mitleidenschaft gezogen wird als irgendwo anders,
und wodurch auch die Aufrechterhaltung der Grenze zwischen wissenschaft-
lichem und Schulbetrieb unverhältnismäßig erschwert wird.
Eine Hauptschwierigkeit, mit der die wissenschaftliche Geographie in
Folge der geschilderten ungeordneten Verhältnisse zu kämpfen hat, ist die
Unsicherheit der Namengebung. Nicht einmal der Name der Wissenschaft
selbst steht allgemein fest, und ob jemand sein Studium Geographie, physi-
kalische Geographie oder Physiographie nennen will, ist fast eine Frage per-
sönlichen Geschmackes. Der Gebrauch von „Geographie" hat seine Gefahren,
wie oben gezeigt wurde. Nur Leute von anerkannt wissenschaftlicher Be-
deutung dürfen sich den Luxus erlauben, sich Geographen schlechthin zu
nennen. Solange das Feld der politischen und Anthropogeographio hier
630 Martha Krug-Genthe:
wissenschaftlich noch so fast vollständig hrach liegt, wie es gegenwärtig der
Fall ist, wird die Identifizierung von physikalischer und wissenschaftlicher
Geographie kaum zu widerlegen seien. Ist es doch in der alten Welt schließ-
lich nicht anders gewesen. Aber während in Europa dieses Stadium jetzt
mehr oder weniger hinter uns liegt, steht die amerikanische Geographie noch
mitten darin, und eine gerechte Beurteilung darf nie außer acht lassen, daß
Amerika in diesem Sinne eine ganze wissenschaftliche Generation jünger ist
als Deutschland. Durch diese Verzögerung scheint auch die schließliche
Lösung des Problems mit größeren Schwierigkeiten verknüpft als in der alten
Welt, denn während sich dort die Wissenschaft ruhig entwickeln konnte, bis
sie zur Reife gelangt war, ist die amerikanische Geographie durch den Fort-
schritt der anderen Wissenschaften genötigt, schon jetzt in ihrer einseitigen
und unvollkommenen Ausbildung in den Kampf um ihre wissenschaftliche
Anerkennung einzuti-eten^ und das vergrößert die Gefahr, daß selbst ihre Ver-
treter auf das bereits Geleistete und Vorhandene mehr Nachdruck legen, als sich
mit seiner Stellung innerhalb des Ganzen vereinigen läßt, und so da^u bei-
tragen, das Vorurteil zu bestärken, daß dieser Teil schon das Ganze repräsentiere.
Die Folgen dieser einseitigen Betonung des naturwissenschaftlichen Ele-
mentes haben schließlich, ähnlich wie in der englischen Geographie, zu einer
Verschiebung des Schwerpunktes innerhalb der physikalischen Geographie
geführt, die sie zu etwas anderem hat werden lassen, als man im kon-
tinentalen Europa unter physikalischer Geographie versteht. Bei einer Auf-
fassung, die in der Einführung physikalischer Gesichtspunkte das Haupt-
kriterium der Wissenschaftlichkeit in der Geographie erblickte, konnte es
nicht ausbleiben, daß diese Gesichtspunkte mehr und mehr in den Vorder-
grund, die eigentlich geographischen Elemente mehr und mehr in den Hinter-
grund traten: was als Vertiefung der Geographie durch Einführung natur-
wissenschaftlicher Methoden begonnen hatte, endete mit ihrer völligen Auf-
teilung nach den Gesichtspunkten der exakten Naturwissenschaften, bei der
von Geographie wenig mehr als der Name übrig blieb. So findet man
eine ganze Reihe von Lehrbüchern für Phpsical geography, die in Wahr-
heit Lehrbücher der Physik auf geographischer Grundlage sind, in denen Ko-
häsion, Schwere, Kapillarität u. a. als Teile der Geographie behandelt
werden. So erklärt sich auch der oben erwähnte Brauch der weniger fort-
geschrittenen Universitäten und Colleges, physikalische Geographie als Pro-
pädeutik der Naturwissenschaften in den Studienplan aufzunehmen, und die
Hoffnung der Schulmänner, mit Hilfe der physikalischen Geographie „Physik
selbst in die einfachsten Schulen einführen zu können"^). Mit dem gleichen
Rechte forderten aber dem gegenüber andere, denen an der wirtschaftlichen
Seite der Geographie mehr gelegen war, daß „der industrielle und kommer-
zielle Gedanke das Zentrum der Geographie"*) bilden müsse, denn ihr Gegen-
stand sei „das, und nur das, was zur Erde als Wohnort des Menschen Be-
1) Report of the Committee of Ten (National Educational Association). Ame-
rican Book Company 1894. p. 240.
2) üniversity of the State of New York: Academic Sy Ilabus. Nr. X, 24 der
„Publicatione". p. 81.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 631
Ziehung hat^^), so daß von dieser Seite her eine Auflösung der Geographie
in Warenkunde und Technologie einzutreten drohte. Das Bestreben, diesen
verschiedenen Anforderungen gleichmäßig gerecht zu werden, fahrte, mit den
Worten W. J. Redways, zu „einer Überladung, aber nicht Bereicherung"*) des
Gegenstandes. Diese Geographie ist „zu etwa ein Viertel direkt geographisch"
(was darunter verstanden wird, darüber fehlen leider genauere Angaben), „zu
ein Halb beschäftigt sie sich mit den Bewohnern der Erde, ihren Sitten,
Gebräuchen, Industrien, Produkten, und ein Viertel ist Mineralogie, Meteoro-
logie, Botanik, Zoologie, Astronomie"'). Huxleys Charakteristik dieser „physi-
kalischen Geographie" als des „Hakens, an dem das größte Maß nützlicher
und unterhaltender Kenntnisse aufgehangen werden kann"^), erscheint nicht
übertrieben, wenn man liest, daß die genannten Wissenschaften, zuzüglich
Geschichte, Staats Wissenschaft, Ethnographie und vergleichende Beligions-
studien, schon deswegen unter der Geographie einbegriffen werden müßten,
weil die meisten Menschen „sonst nicht einmal die Hauptzüge dieser wich-
tigen Wissensgebiete kennen lernten"^). Der Irrtum, vor dem Humboldt
in seinen einleitenden Betrachtungen zum Kosmos so nachdrücklich warnt,
die Verwechselung der physischen Weltbeschreibung mit einer Encyklopädie
der Naturwissenschaften, ist in dieser Gestalt der Physical geography zu
seinen letzten Konsequenzen ausgebildet worden.
Die Erkenntnis, daß diese Art Geographie trotz alles Redens über
Refoim, Wissenschaftiiichkeit, Kausalitatsbeziehungen u. s. w. noch ein ebenso
unwissenschaftliches Sammelsurium blieb wie die „alte" Geographie, brachte den
Namen physikalische Geographie ziemlich in Verruf; und als in der jüngsten
Vergangenheit die Phase einsetzte, in der die junge amerikanische Geographie
um ihre wissenschaftliche Anerkennung zu kämpfen begann, schien es daher
angebracht, zur Vermeidung von Mißdeutungen einen neuen Namen anzu-
nehmen. Dies war das jetzt so viel gebrauchte „Physiographie".
Der Vater des Wortes ist Huxley. Er gebrauchte es im Jahre 1878
als Titel einer Monographie des Themsegebietes, worin er im Gegensatz zu
den Methoden der landläufigen „physikalischen" Geographie zum ersten Mal
wieder den geographischen Gesichtspunkt in den Vordergrund stellte, näm-
lich, die physiko-geograph'ischen Vorgänge nicht als Selbstzweck, sondern als
Mittel zum Verständnis des Werdens und des gegenwärtigen Zustandes eines
geographischen Objektes, in diesem Falle der Themse, berücksichtigte. Er
nennt sein Verfahren die Feststellung des „Platzes in der Natur" für das
geographische Objekt, doch wird es vielleicht besser als eine Anwendung des
Evolutionsgedankens auf das Studium der geographischen Vorgänge bezeichnet.
In diesem Sinne wurde das Wort von der wissenschaftlichen amerikanischen
Geographie aufgenommen, und aller Anschein spricht dafür, daß es sich hier
ein dauerndes Existenzrecht zu erwerben im Begriff steht.
1) Bulletin of the American Bureau of Geography. Chicago 1901. p. 5.
2) The New Basis of Geography. Neu- York, Mac Millan & Co. 1901. p. 178.
3) Academic Sy Ilabus p. 30.
4) Citiert nach Science. Vol. XIV. 1901. p. 206.
5) Report of the Committee of Ten. p. 206.
632 Martha Erug-Genthe:
Freilich, was nun im einzelnen unter diesem Namen verstanden werden
soll, darüher gehen die Anschauungen vorläufig noch ziemlich auseinander,
und die ohen geschilderten Zust&nde der wissenschaftlichen Literatur machen
es außerordentlich schwer, aus dem Hin und Her der Diskussion einen positiven
Kern herauszuschälen und vor allem auch das Verhältnis der Physiographie
zur physikalischen Geographie im europäischen Sinne und zur dynamischen
Geologie zu hestimmen. Gemeinsam ist den verschiedenen Bedeutungen, in
denen das Wort gebraucht wird, eigentlich nur ein negativer Bestandteil, die
entschiedene Absage an die „alte" Geographie, worunter das Mechanische,
Zusammenhangslose, Empirische des früheren Standpunktes verstanden wird.
Dem gegenüber betont die „neue" Geographie oder Physiographie in erster
Linie die Einheitlichkeit der geographischen Vorgänge und betrachtet jede
geographische Erscheinung als Glied in einer Reihe von Erscheinungen, als
Repräsentant eines bestimmten Studiums in einem Kreislaufe von organisch
zusammenhängenden Prozessen, für die die amerikanische Geographie den
Namen des „Geographischen Cyklus" geprägt hat Der Hauptwert dieser
Auffassung liegt darin, daß dadurch ein beständiger Zwang geschaffen wird,
den Zusammenhang der Erscheinungen, die großen Leitlinien der Geographie
im Auge zu behalten, worin auch für die speziellsten Arbeiten ein Gegen-
gewicht gegen die Gefahr des Auseinanderfallens der Geographie in eine
Reihe von Einzelwissenschafben gegeben ist. Leider wird mit dem Worte oft
auch recht unwissenschaftlicher Mißbrauch getrieben, da ja scheinbar nichts
leichter ist, als aus den Früchten fremder Arbeit einen „Cyklus" zusammen-
zustellen; das darf aber nicht zu einer schiefen Beurteilung der Sache an
sich verleiten, die wohl die Beachtung der europäischen Geographen verdient.
In seiner wissenschaftlichen Form enthält dieser Gedanke manches, was dem
Ausbau des geographischen Systems, wie der Terminologie sehr zu statten
kommen kann.
Der geographische Cyklus begreift, nach Davis, „denjenigen Zeitraum,
innerhalb dessen eine gehobene Landmasse durch die geomorphologischen
Vorgänge umgestaltet und schließlich bis zum Stadium eines ausdruckslosen
Tieflandes abgetragen wird"^). Wird dieses abermals der Einwirkung heben-
der Kräfte ausgesetzt, so beginnt der zweite Cyklus, der sich durch Hebung
und Abtragung wieder bis zur Grenze der Abtragungsfähigkeit fortsetzen
kann, und so fort. Im rheinischen Schiefergebirge läge demnach z. B. ein
älterer, bereits abgeschlossener Cyklus vor, in dessen Verlaufe das Urgebirge
aufgerichtet und wieder zu der Ebene abgetragen wurde, die jetzt die Hoch-
flächen des Gebirges bildet; sein jetziger Zustand entspräche einem zweiten
Cyklus, und zwar seiner zweiten Hälfte, da die Flüsse bereits wieder erodie-
rend das Werk der Abtragung begonnen haben. Die engen Talformen beweisen,
daß diese Phase erst in einer nahen Vergangenheit eingesetzt haben kann.
Die Grenze zweier Cyklen ist also die (ideale) Ebene, in der die Ab-
tragungsfähigkeit des Landes durch subaerische Agentien ihr Ende erreicht,
1) Davis. Baselevel, Grade and Peneplain. Journal of Geology. Chicago. Vol.X.
1902. p. 106.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 633
eine Ebene, die meist mit dem Niveau des Meeres oder dessen Fortsetzung
unter der Landmasse zusammenfallen wird, die aber für einen gegebenen
Punkt der Erdoberfläche auch zu verschiedenen Zeiten verschieden sein kann
(vgl. Depressionen und überhaupt abflußlose (rebiete). Für diese Ebene hat
zuerst Powell den ausdrucksvollen Namen baselevd geprägt*). Sie darf
nicht verwechselt werden mit Davis' Feneplain, die ja auch in die deutsche
Literatur aufgenommen worden ist, und worunter die geogn^phische Ebene,
das konkrete Endresultat der Abtragung vor dem Einsetzen des Wiederauf-
steigens verstanden werden muß^), welches nie eine mathematische Ebene sein
wird. In Folge der oben geschilderten Freibeuterei in der geographischen
Literatur ist freilich in Amerika selbst der größte Mißbrauch mit dem Worte
getrieben worden, so daß sich Davis kürzlich gezwungen gesehen hat, in einer
interessanten Kritik von nicht weniger als 17 verschiedenen Bedeutungen des
Wortes diesen Unfug energisch zu brandmarken ^ womit er hoffentlich am
längsten gedauert hat'). Natürlich läßt sich der Cyklus nicht überall bis
zur baseleveH verfolgen; wo eine Hebung eingesetzt hat, ehe die Abtragung
bis zum Stadium der Peneplain fortgeschritten war, haben wir es mit einem
„unvollendeten Cjklus" zu tun, und die Aufgabe der Geographie ist es, zu
bestimmen, an welcher Stelle innerhalb des Cjklus dem geographischen Ob-
jekt ein Platz anzuweisen ist.
Es läßt sich leicht dagegen sagen, di^ß dies im Grunde nichts anderes
als angewandte dynamische Geologie sei. Dennoch wäre es irrtümlich, die
Sache damit für abgetan zu halten. Wenn auch die Hineintragung des zeit-
lichen Elementes der Cyklus-Idee einen starken geologischen Beigeschmack
gibt (und sicher kann niemand Phjsiograph sein ohne geologische Schulung),
so sind die Ausgangspunkte, wie die Ziele beider Wissenschaften doch deut-
lich verschieden. Denn in der Geologie ist der dynamische Prozeß die Haupt-
sache, während die Physiographie in erster Linie nach dem Produkte des
Prozesses fragt: aber nicht so (imd darin scheint mir das Charakteristische
der Physiographie gegenüber dem Verfahren der europäischen physischen
Geographie zu liegen), daß das Einzelobjekt in seiner vorliegenden Gestalt
als gegeben angenommen und dann aus seinem Ursprünge erklärt wird, son-
dern so, daß es als in einem vorübergehenden Stadium eines langen Ent-
wicklungsprozesses befindlich betrachtet wird, also nach seiner Vergangenheit
und Zukunft, anstatt nur im Lichte des Vergangenen. So erhalten Flüsse,
Seen, Gebirge ,Jjebensgeschichten^' geographischen Charakters, und die ganze
Geographie erscheint als ein großer Schauplatz des Widerstreits entgegen-
gesetzter Faktoren, in dem der jeweils intensivste sich in der ims vorliegen-
den Form ausspricht, in dem aber „nichts beständig ist, als der Wechsel
selbst"^). Diese Betrachtung des geographischen Objektes, zugleich als eines
Individuums, das eine bestimmte Eigenart, und als Glied einer bestimmten
1) Powell. Exploration of the Colorado River of the West and its tributa-
ries. Washington 1876. p. 203, 204.
2) „The penultimate form developed in a cycle of erosion" : Baselevel , Grade
and Peneplain. p. 10.3.
3) Ebenda. 4) Redway. The New Basis of Geography. p. 66.
634 Martha Krug-Genthe:
Familie von Individuen, das eine ganze Beihe von Vorfahren und Nach-
kommen repräsentiert, meint Davis wohl, wenn er sagt, daß wir die Erde
„mit sympathischem Blick" betrachten, und mit Flüssen und Bergen ihre
Sprache reden müssen, um sie recht zu verstehen, wie in den folgenden Be-
merkungen, die vielleicht am besten geeignet sind, die Tendenz der neueren
amerikanischen Geographie zu charakterisieren^): „Jede Quadratmeile und
jeder Quadratfuß der Landoberfläche bezeichnet einen bestimmten Punkt in
einem Kreislaufe von Veränderungen, der einen konstruktiven Anfang gehabt
hat und gegen ein destruktives Ende fortschreitet. Es folgt hieraus, daß jede
Art Landoberfläche mit sympathischem Blicke betrachtet werden sollte, um
ihren Platz in dem langen Kreislauf des Lebens zu erkennen. Wir sollten
die Flüsse mit ihren eigenen Augen ansehen, und von den Bergen in ihrer
eigenen Sprache sprechen. Aus einer so gepflegten intimen Kenntnis er-
wächst dann von selbst die Erweiterung der Terminologie, und so legt die
Physiographie die Kinderschuhe ab." Denn „die Entwicklungsphasen der geo-
graphischen Objekte", sagt Davis an anderer Stelle*), „sind nicht weniger
deutlich ausgesprochen als die der organischen Formen", und außerdem ist
„die Aufeinanderfolge der Formen eines gegebenen Objektes bestimmt, so daß
die früheren oder jüngeren Formen mit Leichtigkeit von den voll entwickel-
ten und den alten Formen zu unterscheiden" sind.
Im Hinblick darauf stellt sich die Physiographie zwei Aufgaben: zu-
nächst die bestinunte Umgrenzung sämtlicher Typen, die für ein geographisches
Objekt während seines Durchganges durch den geographischen Cyklus unter-
scheidbar sind, und die Aufstellung bestimmter wissenschaftlicher Namen für
diese; dann die Festlegung ihrer wechselseitigen Verwandtschaft zur Auf-
stellung eines einheitlichen Systems auf Grund eines geographischen Stamm-
baumes der einzelnen Formen. Das erste Ergebnis dieser Methode, die
Klassifikation der geographischen Objekte als junge, vollentwickelte und alte,
hat bereits durch das ganze Land bis in die neueren Schulbücher Heimats-
berechtigung erlangt.
Zunächst ist das Verfahren ja nur auf die Geographie des Festlandes
anwendbar. Aber so groß war die allgemeine Abneigung gegen die fossile
Fhysical geography, daß der neue Name sofort allerseits als das Aushänge-
schild der Abkehr von ihr, als Sjrnonym einer lebensvolleren, rationelleren,
„geographischeren" Geographie aufgegriffen wurde*). Vergebens erhoben die
führenden Geographen, Davis voran (sein eigenes Lehrbuch heißt „Physical
Geography"), ihre Stinmie im Interesse einer logischen Beschränkung des Namens
auf eine ünterabteilimg der physischen Geographie; sie konnten nicht gegen
den Strom schwimmen. So schloß sich schließlich diese Minorität, um wei-
teren Konfusionen vorzubeugen, dem Zuge der Zeit an und adoptierte Physio-
1) Report of the 10** Annual Meeting of the New England Association of Col-
leges and Preparatory Schools. p. 43.
2) Geographie Methods in Geological Investigation. National Geographie Ma-
gazine. Vol. I. 1881. Nr. 1. Washington.
3) Report Comm. of Ten, p. 205 — 249 gibt ein vorzügliches Bild der Begriffs-
verwirrung über Geography, Physical Geography und Physiography.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 635
graphie als Ersatz für physische Geographie. . Gegenwärtig ist daher wenig-
stens üher den Inhalt des Namens im allgemeinen eine Einheit hergestellt,
wenn auch sein Gebrauch noch schwankt. Es scheint, daß in der jüngsten
Vergangenheit, nachdem die erste Begeisterung für das neue Schlagwort
etwas zur Ruhe gekommen ist, die Zahl derer, die das Festhalten an dem
alten Namen auch bei Einhaltung der neuen Forderungen fär weiser erachten,
wieder im Zunehmen begriffen sei^). In theoretischen Erörterungen hat sich
daher der Brauch eingebürgert, beide Namen nebeneinander anzuwenden, also
je nach der größeren Vorliebe des Sprechenden für den einen oder den
anderen Namen: JPhysicäl Geography — or Physiography — oder Physio-
graphy — or Physical Geography — . Auch in den Titulaturen der Geogra-
phen spiegelt sich, wie wir oben gesehen haben, diese Gleichstellung wieder.
Die Zukunft wird entscheiden, welcher von beiden Namen schließlich die
Oberhand behalten wird.
Diese Entscheidung darüber dürfte von selbst eintreten, sobald erst ein-
mal der wissenschaftliche Ausbau der politischen, Bio- und Anthropogeo-
graphie in Amerika die Notwendigkeit einer Überarbeitimg des ganzen geo-
graphischen Systems fühlbar machen wird. Vor der Hand ist die selbständige
Berücksichtigung dieser Zweige der Geographie ja noch so absolut gleich Null,
daß selbst Davis sie seiner „Physical Geography" als Anhang mitgeben mußte,
um ihnen nur überhaupt einige Aufmerksamkeit im höheren Unterrichte zu
sichern. Als Handels- und Wirtschaftsgeographie sind die hierhergehörigen
Kapitel noch am ehesten in den üniversitätsplan einzuführen, wie es z. B.
in Philadelphia geschehen ist; aber regelrechte politische Geographie im
Ratzeischen Sinne ist meines Wissens in ganz Amerika nur ein einziges Mal
an einer Universität angekündigt worden, und das war im vorigen Jahre durch
Professor Dodge, einen Schüler von Davis, am Teachers College in Neu-
York. Doch ist auch dieser Versuch im laufenden Jahre nicht wiederholt
worden.
Kürzlich hat Davis selbst zum ersten Mal öffentlich zu dieser Frage
Stellung genommen, und zwar auf von dem Hergebrachten ziemlich ab-
weichende Weise ^). Er formuliert den Gegensatz der beiden Gesichter der
Geographie weniger als den Gegensatz zwischen naturwissenschaftlichen und
historischen Elementen, als zwischen organischen und anorganischen, und er-
hält so an Stelle der alten Zweiteilung in „Erde und Mensch" eine solche
in „Erde und Leben". Dadurch werden Pflanzen- und Tiergeographie nicht,
wie bisher, der physischen Geographie zugewiesen, sondern in Verbindung
mit der Geographie des Menschen behandelt. Dieser zweite Teil der Geo-
graphie steht der Physiographie als „Ontographie" gegenüber, ein von Davis
im vergangenen Jahre zum ersten Mal vorgeschlagener Name. Inwieweit eine
solche Einteilung, deren Berechtigung zunächst wohl zugegeben werden kann.
1) Proeeedings of the National Educational AsHOciation. 1898. p. 975.
2) Systematie Geography. Proeeedings of the American Philosophical Society.
Vol. XLl. 1902. p. 236—259 — und: The Progress of Geography in the Schools.
First Yearbook of the National Society for the Scientific Study of Education.
Chicago. 1902. p. 7—48.
6S6 Martha Krug-Genthe:
im Stande w&re, die Sache zu fördern, l&ßt sich bei dem embryonalen Zu-
stande der Frage natürlich noch nicht bestinunen; es sei hier blofi die Tat-
sache erwähnt. Für Amerika ist es sicher weise, in Namen und Anordnung
vollständig mit dem Alten zu brechen, weil der Gebrauch eines in Mißkredit
geratenen Wortes in einem neuen Sinne unter den hingen V^hältnissen nur
zu leicht zu größerer Trübung als Klärung unklarer Begriffe Anlaß geben
kann. Der Urheber selbst ven^richt sich jedenfalls von einer solchen Grup-
pierung des Stoffes eine bessere Sjstematisierung der Lebensformen in der
Geographie, als es bisher möglich gewesen ist Es kann sein, daß sich auf
diesem Wege die Grenzfiragen zvrischen Geographie und Biologie leichter
regeln lassen als auf dem alten Wege, das Ergebnis kann aber ebenso gut
eine größere Verwirrung der Grenzbegriffe sein. Das wird zum größten Teile
von den Leuten abhängen, die den weiteren Ausbau übernehmen werden, und
der Name des Urhebers darf wohl als eine der besten Garantien auch fSr
die weitere Bearbeitung dieser Fragen angesehen werden.
Die „neue'' Geographie im Davisschen Sinne würde sich dann folgender-
maßen darstellen^). Es wäre ein lückenloses System der physiographischen
Typen zu entwerfen, in dem, wie in einem großen Fach werk, jeder Typ
seinen bestimmten Platz und sein bestimmtes Etikett hat, wie es in den bio-
logischen Systemen schon längst geschehen ist. Demgegenüber wäre ein
ebenso systematisches Fachwerk ontographischer Begriffe zu denken, in dem
jedes Fach für den Typus der Reaktion eines Lebewesens (oder einer Klass«
von Lebewesen) auf den Einfluß des geographischen Schauplatzes steht Es
würden dann in dem einen Fachwerk alle anorganischen Vorbedingungen des
Lebens, in dem andern alle durch diese hervorgerufenen Lebensäußerungbn
eingeschlossen sein. Denkt man sich nun jede anorganische Ursache auf der
einen Seite mit ihrer organischen Folge auf der andern Seite durch eine
Gerade verbunden, und hierauf durch diese Verbindungslinien eine Ebene ge-
legt, die parallel zu den beiden Fach werkflächen diese Linien in gleichen
Winkeln schnitte, so entspräche diese Ebene dem Begriff der Geographie
als solche, und je nachdem diese Schnittebene näher an das eine oder
das andere Fachwerk herangelegt würde, ergäbe sich eine mehr physio-
graphische oder mehr ontographische Geographie. Leider ist das bis jetst
Veröffentlichte noch zu skizzenhaft, um daraus zu ersehen, wie weit sich bi^
Berührungspunkte mit Ratzeis Formulierung der Geographie als Erde und
Leben ergeben werden.
Die Länderkunde endlich ist in Amerika wissenschaftlich noch so gut
wie gar nicht berücksichtigt worden. Ganz neuerdings haben Hill') und
Tarr') ein paar vereinzelte Versuche veröffentlicht, aber bei der vor der Hand
noch so geringen Nachfrage ist es kein verlockendes Unternehmen, und auch
diese Arbeiten sind mehr physiographisch, als in deutschem Sinne länderkuntKst
gehalten. Die Zeit der wissenschaftlichen Länderkunde, dieser reifsten Frucht
1) Systematie Geography. p. 254.
2) The Phyaical Geography of the Texas Region. U. S. Geological Survey. 1902.
8) Tarr. The Phyeical Geography of New York State. Neu- York u. London,
Macmillan 1902.
i
Üie Geographie in deü Vereinigten Staaten. 6^7
vom Baume der Geographie, wird auch in Amerika erst kommen können,
wenn die allgemeine in allen ihren Zweigen zu einer gewissen Gleichmäßig-
keit der AEshildong fortgeschritten sein wird. Ein großes Hemnmis für die
Entwicklung ist sicher, daß die ausländische Literatur im allgemeinen von
den Geographen Amerikas viel weniger berücksichtigt wird, als es in euro-
päischen Ländern geschieht. Es ist durchaus nicht immer die Folge einer
Nichtachtung fremder Arbeit, die von denen, die sie kennen, stets unein-
geschr&ikt anerkannt wird, als des unglttckliGhen „elektiven^' Systems der
amerikanischen höheren Schulen, unter dem es vom Belieben des einzelnen
Kindes ftbhftngt, ob es auf der Schule neuere Sprachen lernen will oder nicht.
Konamt der Student dann auf die Universität, so bemerkt er zu spät, daß
mit ein paar Dutzend Stunden nicht diejenige Kenntnis einer Sprache er-
worben werden kann, die ihm die wissenschaftliche Literatur erschließt, imd
die Zeit, das Versäumte nachzuholen, ist bei der viel strafferen Regulienmg
des amerikanischen Universitätsstudiums nicht immer zu erübrigen. So konmit
es, daß für eine starke Majorität der amerikanischen Geographen außer der
Fachliteratur des eigenen Landes nur die englische in Betracht kommt, die
bei der Stagnation der englischen Geographie ihnen auch nicht viel geben
kann. Vielleicht wird der internationale Geographenkongreß, der ja im
nächsten Jahre hofFentHch eine große Anzahl europäischer Forscher nach der
anderen Hemisphäre führen wird, dazu beitragen, die Notwendigkeit einer
größeren Berücksichtigung europäischer Arbeit erkennen zu lassen. Angesichts
dieser Zustände wäre es aber nicht weniger wünschenswert, daß, solange der
Umfang der wissenschaftlichen geographischen Literatur Amerikas noch so
minimal ist, die Fachgenossen in Eurc^a die Initiative ergriffen, um mehr, als
es im allgemeinen geschieht ^ mit der amerikanischen Entwicklung Fühlung
zu gewinnen. Wenn auch die europäische Qeographie an Alter und Fort-
sehritt der amerikanischen voran ist, dürfte doch gerade die Voraussetzungs-
losigkeit, die die amerikanische Arbeit auszeichnet, sie für die geschulten
Arbeiter der alten Welt anziehend machen und interessante Streiflichter auf
die europäischen Metiioden werfen. Gegensätze, sei es im Prinzip oder in
der Methode, haben sich ja von jelier anregend für die wissenschaftliche Ent-
wicklung erwiesen. Je eher die Geographie der europäischen Länder mit der
amerikanischen dieselben Wechselbeziehungen aufninmit, die unter den be-
nachbarten europäischen Vertretern der Wissenschaft bestehen, um so besser
wird es sein: denn nur solange die amerikanische Geographie noch im
gegenwärtigen Zustande des Werdens begriffen ist, kann zwischen hüben und
drüben die Übereinstinnnimg in den Hauptlinien erzielt werden, durch die
allein ein AuseinanderüftUen der Wissenschaft nach Kontinenten verhindert
werden kann. (Schluß folgt.)
638 V. Lendenfeld: Geol. Ergebnisse d. Sverdrupschen Polarexpedition.
Die geologischen Ergebnisse der Sverdmpschen Polarexpedition.
P. Schei hat einen vorläufigen Bericht*) über die geologischen Ergeb-
nisse der letzten Sverdrupschen Polarexpedition, welche sich bekanntlich vier
Jahre lang im Parry- Archipel aufgehalten hat, erstattet. Wir entnehmen ihm
folgendes: In Nord-Lincoln-Land stehen Granite von eigenartiger Beschaffen-
heit zu Tage. Diese waren zur kambrischen Zeit vom Meere bedeckt und
wurden teilweise abradiert. Stellenweise (Bache-Halbinsel etc.) konmien
mächtige, quarzitische Sandsteine kambrischen .Alters vor. Es scheint, daß
das kambrische Meer den Fuß von älteren Ealkfelsen bespült habß, denn es
finden sich — wechsellagemd mit jenem Sandstein — bis 100 m mächtige
Lagen von Kalksand und -konglomerat. Auch in der Silurperiode breitete
sich der Ozean dort aus. Ln Mittelsilur wurde Kalk abgelagert, welcher in
der Prinzessin Maria-Bucht und im Jones-Sund eine Mächtigkeit von 600 m
erreicht. Zu Anfang der Devonzeit war jenes Gebiet ebenfalls vom Meere
bedeckt. Dieses devonische Meer war ziemlich tief; auf seinem Grunde wur-
den schwarze Schiefer und Kalke gebildet. Dann rückten die Küsten näher
zusanunen und es kamen Ästuarien zur Ausbildung, in denen Schlamm, Sand,
Schotter und Beste von Fischen und Landpfianzen zur Ablagerung gelangten.
Die versteinerungsreichen Kalke mit eingelagerten Feuersteinen vom großen
Bärenkap zeigen, daß sich gegen Ende der Karbonperiode das Meer ebenfalls
über jenes Gebiet ausbreitete. Über die dieser Zeit vorangehende, sowie
über die auf sie folgende Periode geben die Funde jedoch keinen Auf-
schluß; die nächsten Versteinerungen, die angetroffen werden, sind die trias-
sischen Lamellibranchiaten und ein Ammonit von der Bärenkap-Lisel.
An der Nordküste von Heiberg-Land gab es zur Karbonzeit Vulkane,
deren mit vulkanischer Asche wechsellagemde Laven über den älteren Ab-
lagerungen ausgebreitet sind. Diese vulkanischen Bildungen werden von
marinen Sedimenten (Kalk mit Feuersteinen), ebenfalls karbonischen Alters,
überlagert. Zu Ende der Triasperiode wurden in diesem Gebiete große Ver-
werfungsspalten gebildet, die entlaug sehr bedeutende Dislokationen in verti-
kaler Richtung stattfanden. Vulkanische Massen drangen in diese Spalten
und zwischen die benachbarten Schichten ein. Wegen ihrer größeren Wider-
standsfähigkeit gegen die Verwitterung treten diese Litrusivmassen jetzt an
der Oberfläche in starkem Relief hervor. Die bedeutendsten Litrusionen und
auch die stärksten Dislokationen werden in der Gegend des Eureka-Sundes
angetroffen.
In den Senkungen wurden zur Miozänzeit Ablagerungen gebildet, die <
ungemein reich an vorzüglich erhaltenen Pfianzenresten sind. Es finden sich
da Formen, welche der kalifornischen Sequoia und der floridanischen Sumpf-
Z3rpresse ähneln. Die jüngsten marinen Ablagerungen sind die Sande und
der Lehm mit halb versteinerten Resten von Meerestieren, welche in einer
Höhe von 200 m rings um EUesmere-Land beobachtet werden. Deutliche
alte Strandlinien konmien in derselben Höhe sowohl hier wie auf der Graham-
Insel vor.
1) P. Schei. Summary of Geological Besults (Second Norwegian Expedition
in the „Fram" 1898—1902). Journ. B. Geogr. Soc. London. XXII. S. 56—65. 6 Abb.
1 Kartenskizze.
Berichtigungen. 639
Zur Vergletscherung bemerkt Schei folgendes: Nord -Lincoln ist, wie
bekannt, vergletschert. Das ganze Innere dieses Landes wird von einer
zusammenhängenden Eismasse eingenommen, von der Gletscher zum Meere
hinabziehen. In der Nahe der Küste, namentlich in der Gegend des Hayes-
Sundes, sind jedoch die vortretenden Teile des Landes in beträchtlicher
Ausdehnung eisfrei. Noch größere eisfreie Strecken werden in der Gegend
des Jones -Sundes angetroffen. Im allgemeinen nimmt die Yergletscherong
in diesem Gebiete nach Westen hin ab. Wenn man in dieser Richtung
fortschreitet, so bemerkt man zuerst, daß sich die Eisströme von der Küste
zurückziehen, und dann, daß sie ganz verschwinden. Die höheren Teile des
König Oskar-Landes sind allerdings vereist; die Eisdecke ist dort aber so
dünn, daß sie keine Eiszungen gegen die Küste hinabzusenden vermag.
Eigentlich vergletschert kann dieses Land ebensowenig wie Grinell- und der
größere Teil von Heiberg-Land genannt werden. Nur an der Südostecke der
letztgenannten Insel werden wirkliche Eisströme angetroffen, aber auch hier
erreicht kaum ein einziger das Meer. Im Sommer sind ausgedehnte Land-
strecken aper. Die Untersuchung hat gezeigt, daß diese Gebiete auch Mher
nie vergletschert gewesen sind, roches motUonnies^ Schrammen und dergleichen
wurden in diesen, jetzt im Sommer aperen Gegenden ebensowenig angetroffen,
¥de alte Moränen. Hieraus und aus der Beobachtxmg alter Strandlinien
glaubt Schei schließen zu können, daß nicht nur die Vergletscherung früher
hier nicht bedeutender war als jetzt, sondern auch, daß die gegenwärtige
Vergletscherung ein Maximum darstellt. R. von Lenden feld (Prag).
BeriGhtigongen.
In F. Thorbeckes Bericht zu meinem Vortrag auf dem Kölner Geo-
graphentag über die Morphologie des Rheinischen Schiefergebirges (G. Z.
1903. Heft 8) sind einige wesentliche üngenauigkeiten enthalten. Auf S. 447
ist der Satz: „Diese Erosionstäler sind aber keineswegs . . . auf deren Boden
die Flüsse fließen" unverständlich. Er müßte etwa heißen:
Diese Erosionstäler der bedeutenderen Flüsse sind aber keineswegs in
die größeren Höhen des Schiefergebirges eingeschnitten, sondern die Ober-
kante ihrer Wände liegt meist bei 180 bis 300 m Meereshöhe. Diese Täler
sind nämlich in den Boden breiter Tröge eingegraben, welche die höheren
Teile des Rumpfgebirges von einander trennen imd sich wieder in mindestens
zwei Stufen, die „Trogfläche" und die „Hauptterrasse" gliedern.
Auf S. 448 oben heißt es, ich hätte gesagt: „Ihre (d. h. der morpho^
logischen Probleme des Schiefergebirges) genauere Kenntnis verdanke man
den Arbeiten des Bezirksgeologen Dr. Kaiser aus Berlin, der zuerst in die
Meßtischblätter Höhenschichten eingezeichnet habe." — Das habe ich nicht
gesagt und nicht sagen können; sondern ich habe nur darauf hingewiesen,
daß wir von den — erst im vorigen Jahr begonnenen — Spezialaufnahmen
Dr. Kaisers wesentliche Aufschlüsse in diesen Fragen erwarten dürfen.
A. Philippson.
Privatdozent Dr. M. Friederichsen in Göttingen hat mir folgende Be-
richtigung zu meinem Referat über seinen Kölner Vortrag eingesandt, von
der er hofft, daß sie das, was er in dieser an sich höchst kritischen Frage
640
Berichtigungen.
hat sagen wollen, verständlicher macht. Es handelt sich tun den Schluß des
zweiten Absatzes auf 8. 396, wo es heißen müßte:
„Doch dürften sich diese Denudationsflächen kaum in ihrer heutigen
Höhe . . . gebildet haben, auch nicht alle ihre Teile im unter einander
gleichen Niveau sich seitdem erhalten haben . . ." Und weiter: „eine
spätere Hebung im Zusammenhang mit gleichzeitiger Zerstückelung einzelner
Teile, worauf die ... der Sarj-dschas-Syrte hindeuten." Die im Text zu
verbessernden oder einzufügenden Worte sind gesperrt gedruckt.
P. Thorbecke.
Oeograpliisehe Neuigkeiten.
Allgemeines.
üf- Durch die am 1. Oktober seitens
Rußlands erfolgte Freigabe der sibi-
rischen und ostchinesigchen Eisen-
bahn für die iDternationale Post-
beförderung ist ein neues Verkehrsmittel
geschaffen, das auf die wirtschaftliche
Entwicklung Ostasiens sicher befruchtend
einwirken wird. Die deutsche Postver-
waltung hat beschlossen, den neuen Weg
zur Beförderung ihrer Postsendungen nach
Ostasien zu benutzen, trotzdem an die
Verwaltung der ostchinesischen Eisenbahn,
die als Privatbahn außerhalb des Welt-
postvereinsgebietes nicht an die Transit-
sätze des Weltpostvertrags gebunden ist,
BefSrderungsgebühren gezahlt werden
müssen, die allein schon erheblich höher
sind als die ganze Porto -Einnahme für
die betreffenden Sendungen. Über Sibirien
werden von Deutschland aus mit Vorteil
befördert werden die Sendungen nach
China nördlich vom Jangtsekiang, nach
Japan und Korea. Die Beförderung ge-
schieht über Moskau, von wo aus der
tägliche Postzug die Post in 17 Tagen
nach Dalny oder Port Arthur, in ebenso-
viel Tagen nach Wladiwostok und in
16 y. Tagen nach Inkau bringt. In Dalny,
Port Arthur und Wladiwostok schließen
sich russische Dampferlinien nach Tschifu,
Schanghai, Tschemulpo (Korea) und Na-
gasaki an. Von Inkau besteht eine
wöchentlich viermalige Postverbindung
auf der Bahn nach Tientsin und Peking.
Von Berlin aus dauert die Beförderung
nach Tientsin und Peking 20 bis 22 Tage,
nach Schanghai 22 bis 28 Tage und nach
Nagasaki 28 bis 29 Tage, gegenüber der
bisherigen Beförderungsdauer von 40 Tagen
nach Peking, 38 nach Schanghai und 86
nach Nagasaki im günstigsten Falle. Sollte
später die Brief beförderung auch mit den
Luxuszügen der sibirischen Bahn aus-
geführt werden, so würde sich ein weiterer
Zeitgewinn von ungefähr vier Tagen er-
geben; ebenso wird auch die Vollendung
der noch im Bau begriffenen' Baikal-Um-
gehungsbahn eine Beschleunigung be-
wirken. — Die erste tatsächlich auf dem
Wege über Sibirien beförderte Post, die
am 26. Sept. in Tsingtau aufgeliefert war,
ist am 28. Okt. in Berlin zur Ausgabe
gelangt. Die Befördemngszeit von 27
Tagen ist um 8 bis 10 Tage kürzer als
auf dem Seewege, sodaß, hin und her
gerechnet, die zur Überwindung des Rau-
mes zwischen Deutschland und Ostasien
erforderliche Zeit um fast drei Wochen
abgekürzt worden ist.
Deutschland und Naehbarlftnder.
* Der Kaiser Wilhelm-Kanal be~
ginnt für seine Umgebung dadurch von
wirtschaftlicher Bedeutung zu wer-
den, daß nach den neuesten Beobachtungen
ein stetig wachsender Aufstieg der Ost-
seefische in den Kanal stattfindet, so daß
dieser berufen erscheint, in Zukunft für
den vdchtigsten aller Fische, den Hering,
als Schon- imd Laichgebiet von großer
Bedeutung zu werden und dadtirch mittel-
bar auch die Küstenfischerei in günstigem
Sinne zu beeinflussen. Die Fische be-
nutzen erwiesenermaßen jede gebotene
Gelegenheit zur Einwanderung in den
Kanal, wobei es sich nicht bloß um ver-
sprengte Exemplare, sondern um das Vor-
dringen ganzer Laichzüge handelt In
den wenigen Jahren seit Eröffnung des
Kanals haben die Heringe bereits zwei
Drittel des ganzen Kanals in Besita ge-
Geograpliisclie Neuigkeiten.
641
notnmen, so daß das Vorrücken der Fische
bis zur Elbe innerhalb absehbarer Zeit
erwartet werden kann. Die Eanalrinne
selbst muß wegen der damit verbundenen
Störung der Schiffahrt von der Befischung
ausgeschlossen bleiben, deshalb wird sie
sich Toraussichtlich immer mehr zu einem
Schon- und Laichrevier für die Seefische
entwickeln. Die Binnenfangplätze liegen
in den Seen, durch welche der Kanal
hindurchführt oder welche der Kanal be-
rührt; die in den letzten fünf Jahren um
mehr als das zehnfache des ehemaligen
Betrages gewachsene Pachtsumme der
Fischereigerechtsame in diesen Seen mag
als Maßstab für die jetzige Ertragfähigkeit
der Fischerei gelten. Auch der Küsten-
fischerei kommt die wachsende Bedeutung
des Kanals als Schon- und Laichgebiet
für Seefische zu gute, da erfahrungsgemäß
laichreife Fische für das Fortpfianzungs-
geschäft die eigene Geburtsstätte zu be-
vorzugen pfiegen. Je mehr Seefische also
im Kanalgebiet ausschlüpfen und als
Jungfische in die See zurückkehren, desto
größere Laichzüge dürfen im Kanal in
Zukunft alljährlich zu erwarten sein. In
Folge der besonderen Erträge hat sich
seit 1898 die Zahl der in Eckemförde und
EUerbeck auf den Frühjahrsfang aus-
ziehenden Boote nahezu verfünffacht.
Übriges Europa«
* Eine naturwissenschaftliche
Station ist im höchstenNorden Schwe-
dens nach Fertigstellung der Ofoten-
bahn begründet worden. Die Station
liegt dicht an der Ofotenbahn bei der
Ansiedelung Wassijaure, etwa 3 km von
der schwedisch-norwegischen Grenze; in
ihr sollen während des ganzen Jahres
Forschungen angestellt werden, im Som-
mer biologische, geologische u. s. w. und
im Winter meteorologische, magnetische
u. a. Als die ersten Naturforscher die-
ser Station haben Geolog Westergren,
Entomolog Haglund und die Bota-
niker Roman und Sylvän ihre Tätig-
keit begonnen. Die Tätigkeit dieser
Station wird besonders für die weitere
Erschließung Lapplands, welches nament-
lich in geologischer Beziehung ein er-
giebiges Forschungsgebiet ist, von be-
sonderer Bedeutung werden, da bisher
nur wenig Forscher in das entlegene und
aller Verkehrsmittel bare Land einge-
drungen sind. Die Mittel für die Errich-
tung des Stationsgebäudes schenkte der
Stockholmer Professor Retzius, die
Kosten für die innere Einrichtung und
die Erhaltung der Station sollen durch
private Sammlungen aufgebracht werden.
Asien.
* Eine neue Handelsstraße zwi-
schen Indien und Persien ist kürzlich
von englischer Seite eröffiiet worden. Da
Rußland sich das Privilegium des Eisen-
bahnbaus in Persien durch Vertrag ge-
sichert hat, blieb England, wenn es sich
einen Teil des persischen Außenhandels
sichern wollte, nichts weiter übrig, als
durch Einrichtung von Karawanenrouten
zwischen Lidien und Persien den Verkehr
zwischen beiden Ländern zu fördern. Die
neue Karawanenstraße führt von Quetta,
der Hauptstadt von Britisch-Beludschistan,
über Nuschki, entlang der Südgrenze von
Afghanistan durch Seistan und dann fast
nördlich nach Mesched, der Hauptstadt
von Khorassan, und hat eine Länge von
1660 km. Quetta steht in Eisenbahnver-
bindung mit Kuratschi, dem aufblühenden
Hafen am Golf von Oman, und ist in
28 Stunden von hier zu erreichen, so daß
der Anschluß des neuen Verkehrsweges
an das Weltmeer leicht vermittelt werden
kann. Um die sechzig Tage währende Reise
auf der neuen Straße nach Möglichkeit
abzukürzen, ist der Bau einer Eisenbahn
von Quetta nach Nuschki ins Auge ge-
faßt, wodurch die Reise allerdings um
eine Woche abgekürzt werden würde; und
um den Handel auf den neuen Weg zu
lenken, sind große Zollerleichterungen für
die den Weg benutzenden Waren bestimmt
worden. Die Herstellung und Unterhaltung
der Karawanenstraße ist für England mit
ungeheuren Kosten verknüpft, da die
Straße durch weite Steppengebiete führt,
in denen zur Sicherung des Verkehrs und
zur Verproviantierung der Karawanen eine
Anzahl von Relaisstationen errichtet wer-
den mußte. Trotzdem war aber England
zur Herstellung des neuen Verkehrsweges
gezwungen, wenn es Persien wirtschaft-
lich nicht vollständig in Abhängigkeit
von Rußland kommen lassen wollte, ab-
gesehen davon, daß durch die geplante
Bagdad-Bahn Persien auch in nähere Be-
ziehungen zu Europa gebracht werden
wird, dem England durch Anschluß Per-
Oeographiiche Zeitsohrift. 9. J»brgang. 1903. 11. Heft.
48
642
Geographische Neuigkeiten.
siens an Indien nach Möglichkeit vor-
hengen wollte.
AfHka.
♦ Die Unterwerfung der Sulta-
nate an der Grenze zwischen Sahara
und Sudan, welche durch die Zertrüm-
merung der Herrschaft des Rabeh und
die Eroberung Bornus eingeleitet wurde,
hat in diesem Jahre weitere Fortschritte
gemacht. Wie im Globus (84. Bd. S. 211)
berichtet wird, wurde Kano von den
Engländern Anfang Februar und Sokoto
Mitte März von ihnen erobert; jedoch
konnten die dortigen Herrscher entfliehen.
Inzwischen ist nun der Emir von Kano
gefangen genommen worden und der
Sultan von Sokoto ist im Kampfe gefallen.
Der Emir von Kano war zu einem seiner
Lehnsfürsten, dem Herrn von Maradi, ge-
flohen, der ihn aber einer anrückenden
englischen Abteilung verriet. Der Sultan
von Sokoto, der eine neue Anhängerschaft
um sich gesammelt hatte und mit dieser
den Engländern hartnäckigen und erfolg-
reichen Widerstand leistete, ist am 27. Juli
bei der Eroberung seines Stützpunktes
Durmi nach hartnäckigem Kampfe ge-
fallen. Damit dürften die Engländer end-
lich in den tatsächlichen Besitz ganz
Nord-Nigeriens gelangt sein. — Den
neuesten Meldungen zufolge hat der
Sultan von Wadai das französische Pro-
tektorat widerspruchslos angenommen. Ob
in diesem passiven Verhalten wirklich eine
friedliche Eroberung dieses Sultanats er-
blickt werden kann, muß vor der Hand
noch bezweifelt werden.
* Über die Niger-Benue-Tschad-
see-Expedition (VIII. Jhrg. S. 598) be-
richtet deren Leiter Fritz Bauer in der
Deutschen Kolonialzeitung, daß die Ex-
pedition nach Erfüllung ihrer Aufgaben
nach Lokodscha am Niger, dem Haupt-
quartier der britischen Verwaltung von
Süd-Nigerien , zurückgekehrt sei. In
geographischer Beziehung hat die Expe-
dition die Strecke von Rei Buba (am
obersten Bogen des Benue) bis nach
Ngaundere kartographisch festgelegt und
damit einen wichtigen Beitrag zur Landes-
kunde unseres Schutzgebietes Kamerun
geleistet. In orographischer Hinsicht zer-
fällt das bereiste Gebiet in zwei Teile,
in das Hochplateau von Ngaundere und
in das nördlich davon gelegene Gebiet,
-das Passarge als das Schollenland von
Adamaua bezeichnet hat; beide
durch einen westöstlich streiche nAtir gteil-
abfall von einander getreait: Das Gebiet
in der Nähe der deutsch -französischen
Grenze iat imgemein gebirgig, mehrmals
führte der Pfad über Pässe von 1000 m
Höhe, die höchsten Erhebungen erreichten
im Ngau-Janga eine Höhe von 1300 m.
In hydrographischer Hinsicht sind zwei
Gebiete zu unterscheiden: das desSchari-
Logone (Tschadsee-Gebiet) and das des
Niger -Benu^. Auf dem Hochplateau,
etwa 21 km nördlich von Ngaundere be-
ginnend, bis wohin sich außer den ge-
nannten Stromgebieten auch das des
Kongo erstreckt, zieht sich die Wasser-
scheide zwischen BenuS und Logone in
nordöstlicher Richtung hin, läuft später
etwa den 8.® n. Br. entlang, um sich
schließlich vom Schnittpunkt dieses
Breitengrades mit 15^ 30' ö. L. an nach
Nordosten zu wenden. Der Strombereich
des BenuS erstreckt sich in seinem Ober-
laufe allenthalben bis über den 16.* ö. L.
hinaus; der Fluß besaß bei Gama im De-
zember eine Breite von über 200 m bei
0,6 — 0,7 m Tiefe, bei Duli war er bei
gleicher Breite etwa 1,2 m tief. Während
der Regenzeit steigt der Fluß 3—4 m und
ist dann 500 m breit Seine beiden Haupt-
nebenflüsse sind der Mao Schina und der
Mao Schufi, welch letzterer bisher noch
unbekannt war. BenuS und Mao Schufi
werden zur Regenzeit sicherlieh bis
über Djinmi hinaus mit leichten Rad-
dampfern befahren werden können; in
der Trockenzeit sind beide Flüsse soweit
für Kanus fahrbar. Der Bergingenieur
Edlinger berichtet, daß trotz zahlreich
angestellter Waschproben und Unter-
suchungen der hierfür in Betracht kom-
menden Gesteine und Sedimente sich
nutzbare Mineralien leider nicht hätten
aufluden lassen; auch die bei den Ein-
geborenen hier und da eingezogenen Er-
kundigungen nach dem Vorkommen von
Metallen hatten nur ein negatives Ergeb-
nis. Jedoch ist ein späteres Auffinden
von Metallen nicht ausgeschlossen, da die
geologischen Verhältnisse Adamauas der-
art sind, daß sie die besten Vorbedingungen
für das Vorkommen von Gängen mit nutz-
baren Metallen und Metallverbindungen
bieten.
♦ An der Goldküste, der britischen
Kolonie in Westafrika, ist eine neue
Geographisclie Keuigkeiten.
643
Eisenbalin von der Küste nach dem
Im&ern dea Kontinents eröffnet worden.
Nach «mem Telegramm des Gouverneurs
der GoIAtetBnkolonie an das Londoner
Kolonialamt ist der erste Eisenbahnzug
am 1. Okt. mit 87 Europäern und einer
Anzahl von Häuptlingen in Kumassi, der
erst vor wenigen Jahren ^on den Eng-
ländern endgültig eroberten Hauptstadt
der Aschantis, eingelaufen. Die erste
Strecke der Bahn, von dem Küstenort
Sekondi nach Tarkwa, erschloß eine An-
zahl von Goldbergwerken; die jetzt au
eine Länge von 320 km nach Kumassi
mit der Spurweite von 1,067 fortgeführte
Bahn wird einen rationell betriebenen
Bergbau auch im Hinterlande ermöglichen.
Die abbauwürdigen Lager sind alle schon
in den Besitz englischer Unternehmer
übergegangen.
Australien«
^ Als Hauptstadt und Sitz der
Regierung war bei der Konstituierung
des australischen Staatenbundes
ein Ort in Aussicht genommen, der im
Staate Neusüdwales und wenigstens 160 km
entfernt von Sidney liegen solle, und eine
Kommission wurde mit der Ausfindig-
machung eines geeigneten, den vorge-
schriebenen Bedingungen entsprechenden
Ortes beauftragt. Nach langem Suchen
ist nun die Wahl der Konmiission auf
den Flecken Tumut gefallen, wo nach
Bestätigung durch das Bundesparlament
die neue Hauptstadt erbaut werden soll.
Tomut liegt hoch in den Bergen, in einem
reich bewässerten Tale an den Abhängen
des Kosciusko- Plateaus und hat ein aus-
gezeichnetes Klima. Der Tumutfluß, von
den Gletschern des Mt. Kosciusko gespeist,
versiegt im ganzen Jahre nicht und die
Vegetation des Distriktes grünt während
des ganzen Jahres. Die wenigen Bewohner
des Ortes nähren sich v^m Maisbau, da
sich jetzt der Anbau europäischer Früchte
und Gemüse wegen der Abgeschiedenheit
des Ortes nicht lohnt. Die nächste Eisen-
bahnstation ist das ca. 35 km entfernt
liegende Städtchen Gundagai, von wo aus
eine Zweiglinie nach Cootamundra an der
Hanptverbindungslinie zwischen Sidney
und Melbourne führt. Diese beiden Haupt-
handelsplätze Australiens liegen ungefähr
gleichweit, gegen 500 km, von Tumut
entfernt, welches auch fast in der Mitte
zwischen Adelaide und Brisbane liegt.
Nord-Ajaeiikii.
* Der amerikanisch-kanadische
Grenzstreit ist soeben durch den Spruch
eines Schiedsgerichts zu Gunsten der Ver-
einigten Staaten entschieden worden. Wie
bereits früher (I. Jhrg. S. 527 u. IV. Jhrg.
S. 293) mitgeteilt worden ist, handelte es
sich bei dem Streite erstens um den Be-
sitz der Insel Revilla Gigedo und der
Halbinsel Tongaß und zweitens um den
Verlauf der Grenze zwischen 66 **u.€0 *^n. Br.
Auf Grund des britisch-russisehen Grenz-
vertrages vom 28. Febr, 1825, in den die
Vereinigten Staaten beim Kaufe Alaskas
1867 eingetreten sind und der bestimmt,
daß <M^ Grenze zwischen 56^ u. 60^ n. Br.
dem Kamme der Küstenkette folgen soll
und, wo sich dieser weiter als 10 engl.
Meilen von der Küste entfernt, im Ab-
stand von 10 Meilen den Windungen der
Küste gleichlaufen soll, beanspruchten die
Kanadier, welche als Küstenkette den
Gebirgszug betrachten, der den Alezander-
Archipel durchzieht und in den St. Elias-
Alpen wieder auf das Festland übertritt,
die ganze Festlandkäste mit den als Zu-
gängen zum Innern so wichtigen Fjord-
buchten, während die Vereinigten Staaten
die Grenze in 10 Meilen Entfernung von
der Festlandküste verlegen wollten. Durch
den soeben gefällten Schiedsspruch wird
nun das ganze streitige Gebiet einsdiließ-
lich der Insel Revilla Gigedo und der
Halbinsel Tongaß den Vereinigten Staaten
zugesprochen; nur zwei kleine, den Port-
land-Kanal beherrschende Inseln Wales
und Pearse sind Kanada zugesprochen
worden. Der offizielle Schiedsspruch der
Kommission hat folgenden Wortlaut: „Die
Mehrheit des Schiedsgerichts hat als
Grenze gewählt eine Linie, die von der
Spitze des Portland -Kanals am Außen-
rande der auf der amtlichen Karte von
1893 verzeichneten hohen Bergkette bis
zum Mounte Whipple entlang läuft. Dann
folgt die Grenze der sog. Hunter -Linie
von 1875, indem sie den Stikine- River
24 engl. Meilen vor seiner Mündung über-
schreitet, dann weiter nördlich längs einer
Hügelkette bis Gates Needle und von Gates
Needle bis Devils Thumb. Von hier weur
det sich die Grenze über den Ghilkoot-
Paß in westlicher Richtung zu einem
Berge, der auf der dem Kommissions-
berichte beigegebenen Karte niit einer
Höhe von 6850 Fuß verzeichnet ist, er*
43*
C44
Geographische Keuigkeiteii.
reicht dann einen anderen 6800 Fuß hohen
Berggipfel, führt über den Gletscher des
Moont Fairweather und endet schließlich,
in nördlicher Bichtang über die auf der
Karte als Moonts Pinta, Ruhana und
Vancouver verzeichneten Erhebungen ver-
laufend, bei dem Mount St. Elias/' Im
Verlauf der Verhandlungen ist der Mangel
an gutem Kartenmaterial als eine wesent-
liche Erschwerung der Beratungen empfun-
den worden; es wird zugestanden, daß
die Zweifel an der Identität der in der
Grenzbestimmung genannten Berge auch
jetzt noch keineswegs behoben seien, und
es wird daher eine neue kartographische
Aufnahme der fraglichen Territorien nach-
drücklich gefordert.
♦ Der Umfang der Binnenschiff-
fahrt in den industriereichsten Teilen
der Vereinigten Staaten von Nord-
amerika geht aus einem amtlichen Be-
richt hervor, den das Schatzamt zu
Washington über die Ein- und Ausfuhr
in 20 der hervorragendsten Häfen an den
fünf großen Binnenseen erstattet hat. Ab-
gesehen von dem Verkehr, der zwischen
den Vereinigten Staaten und Kanada nur
zum Austausch von Gütern aus den und
für die Vereinigten Staaten stattfand,
liefen in den genannten Häfen an 266
Schi£fahrt8tagen des Jahres 1902 im gan-
zen 77 480 Schiffe mit 71% Millionen
Netto-Register-Tons ein und 77 899 Schiffe
mit 72 y^ Millionen Register -Tons aus.
Obenan unter den amerikanischen Binnen-
häfen stehen Cleveland (mit 6 Mill. t),
Buffalo (4,8 Mill. t), Milwaukee (4,66
Mül. t) und Chicago (4,33 Mül. t). Die
Vereinigten Staaten besitzen an künst-
lichen Wasserstraßen 66 km Kanäle und
1261 km kanalisierte Flüsse, die Einzel-
staaten 264 km kanalisierte Flüsse und
endlich industrielle und ähnliche Gesell-
schaften sowie Private 3628 km Kanäle
und 210 km kanalisierte Flüsse, während
die 426 km kanadischen Kanäle sich im
Besitz des Staates befinden. Von den
künstlichen Wasserstraßen der Vereinigten
Staaten haben die älteren, die meist in
kleineren, jetzt ungenügenden Abmessun-
gen gebaut sind, keinen sehr großen Ver-
kehr aufzuweisen; nur der Erie- Kanal
macht mit ca. 4 Mill. Tons jährlich eine
Ausnahme. Dagegen sind die Verkehrs-
mengen auf den neueren Kanälen, die
den Verkehr von Schiffen bis über 6000
Tonnengehalt zulassen, vielfach ganz ge-
waltig. So wird die Güterbewegung auf
dem St. Clair-Flats-Kanal, der erst 1899
vollendet wurde und die 1,9 km lange
und 4,9 m tiefe Verbindung des St. Clair-
fluBses mit dem St. Clairsee in Michigan
bildet, auf rund 20 Mill. Tonnen ange-
gegeben. Der im September 1896 eröff-
nete kanadische Kanal Sault 8t. Marie,
welcher 6,16 m tief ist, hatte zusammen
mit dem amerikanischen Schwesterkanal
St. Mary Falls (6,2 m tief) — beide zwi-
schen dem Oberen und dem Huronsee —
schon 1896 einen Verkehr von 17 Mill.
Tonnen, welcher im Jahre 1900 auf 27
Mill. Tonnen und 1902 sogar auf 36 V,
MiU. Tonnen, bei 22 669 Schiffen, gestiegen
ist. Von dieser Gesamtmenge entfielen
über 4y, Mill. Tonnen auf den St. Mary
Falls- und fast 81 Mill. Tonnen auf den
Sault St. Marie-Kanal. Der deutsche Nord-
ostsee-Kanal hatte vergleichsweise im glei-
chem Zeitraum einen Verkehr von rund
6 Mill. Tonnen und der Suez-Kanal einen
solchen von fast 11 Mill. Tonnen. Diese
großen Zahlen sind fast ausschließlich
der Dichtigkeit der Wohnbevölkerung der
Seengebiete und der hohen Entwicklung
der Industrie zu verdanken, ein Vergleich
mit deutschen Verhältnissen in dieser Be-
ziehung ist fast nirgends möglich; höch-
stens, aber auch nur in beschränktem
Sinne, könnte die Strecke Dortmund-Rhein
vom künftigen Mittelland -Kanal in Ver-
gleich gestellt werden. (Zeitschr. f. Ge-
wässerk. 6. Bd. S. 68.)
Sttd-Amerika.
♦ In Bolivia sind gegenwärtig zwei
Expeditionen, eine deutsche und eine
französische, mit der Erforschung des
Landes besonders nach der naturwissen-
schaftlichen Seite hin beschäftigt. An
der Spitze der deutschen, von der ba-
dischen Regierung unterstützten Expe-
dition steht Prof. Dr. Steinmann aus
F r e i b u r g i. B r., der besonders geologische
Untersuchungen und topographische Auf-
nahmen des Landes ausführen will; seine
Begleiter sind Dr. Hook und Baron von
Bistram. Die in Aussicht genommene
Reiseroute führt von Buenos Aires nach
Jujuy (Argentinien), dann nach Targa,
Tupiza, Cinti, Potosi, Sucre, Cochobamba,
Oruro, La Paz und Corocoro und führt
durch die ausgedehnten Minendistrikte
Geographische Neuigkeiten.
645
des Landes. — Die französische, eben-
falls von der Regierang aasgerüstete
Expedition steht anter der Leitung des
Graifen de Cr^qui-Montfort und will
die Regionen von Antofagasta, Callama,
die Wüste Atacama, Choquecamata, San
Pedro, Palacayo-Haanchaca, Oruro, La
Paz, Poopo-See und den südlichen Minen-
distrikt der Republik besuchen. Von dieser
Expedition sind bereits Nachrichten ein-
getroffen, welche Dr. Neveu-Lemaire,
der Arzt und Anthropolog der Expedition,
an den Herausgeber der „Geographie*'
(1903 S. 116) über seine Erforschung des
Poopo-Sees gerichtet hat. Er hat den See
in einem 8 m langen Segelboot sechs Tage
und sechs Nächte lang befahren und da-
bei die Torschiedensten limnologischen
Messungen und Untersuchungen angestellt.
Hierauf g^achte dieser Forscher nach
La Paz zu gehen und im dortigen Kranken-
hause Untersuchungen an Beri-Beri-
Eranken anzustellen; diese Krankheit
findet sich dort häufig bei den aus dem
Acregebiet heimkehrenden bolivianischen
Soldaten. Bei der vorherrschenden Kälte
auf dem bolivianischen Hochlande sind
Entzündungen der Lunge und der Luft-
wege dort häufig vorkommende Krank-
heiten; Lungenschwindsucht ist wegen der
Höhenlage des Landes ziemlich selten,
dafür dezimiert aber der Alkohol die Be-
völkerung.
Tereine und Tersammlangen.
♦ In der Abteilung 7 für Geo-
graphie, Hydrographie und Karto-
graphie der 75. Versammlung deut-
scher Naturforscher und Ärzte in
Kassel wurden nur zwei Vorträge gehalten.
Dr. Wolkenhauer aus Göttingen sprach
am Montag, 21. IX. 08, über die ältesten
Reisekarten von Deutschland aus
dem Ende des XV. und dem Anfang
dos XVI. Jahrhunderts. Als den Ver-
fasser dieser 4 Karten weist der Vortra-
gende den Nürnberger Kompaßmacher
Erhard Etzlaub nach; die älteste ist
1501 von Glockendon zu Nürnberg ge-
druckt, das sehr seltene Original heute
im Archiv des Fürsten von Lichtenstein.
Der Einfluß der Etzlaubschen Karten ist
sehr nachhaltig gewesen; noch nach 1580
werden vergrößerte Kopien als Wandkarten
gebraucht; auch die Karte Waldsee-
müllers in der Ptolemaeus- Ausgabe von
1513 beruht ganz auf der Etzlaubschen
von 1601. Die Reisekarten sollen zusam-
men mit den übrigen älteren modernen
Karten von Deutschland bis 1518 (mit der
tabula modema in der römischen Ptole-
maeus-Ausgabe von 1507 und den 4 Exem-
plaren der Cusa- Karte, die nach den
Untersuchungen des Vortragenden nicht
1491, sondern erst 1530 veröffentlicht sind)
mit Unterstützung der Wedekind-Stiftung
der k. Ges. d. Wiss. in Göttingen publi-
ziert werden.
In der kombinierten Sitzung der Ab-
teilung 7 mit der Abteilung für
Geophysik, Meteorologie und Erd-
magnetismus am Dienstag, 22. IX. 03,
behandelte der Direktor der preußischen
Landesanstalt für Gewässerkunde, Geh.
Baurat Keller vom Ministerium der
öffentlichen Arbeiten aus Berlin, die
Hochwasserkatastrophen des letz-
ten Jahres. Ausgehend vom letzten
verheerenden Hochwasser der Oder, schil-
dert der Vortragende den allgemeinen
Verlauf der Hochwässer der einzelnen
deutschen Ströme und die Bekämpfung
der Hochwassergefahren. Er betont den
geringen Wert der Talsperren und Sammel-
becken; sie seien ja ganz gut, machten
aber eine Verbesserung des Hochwasser-
bettes durch seine Freilegung nicht ent-
behrlich. Häufig werde die Größe der Hoch-
fluten der Ströme unterschätzt; Zahlen-
beispiele von den Hochfluten der Donau
und des Oberrheins belegten seine Aus-
führungen. Eine Beherrschung der Hoch-
wässer, ein Verhindern ihrer Entstehung
und Ausbildung ist mit menschlichen
Mitteln unmöglich: einzig ihren Verlauf
können wir einigermaßen erleichtem, ihren
Verheerungen mildernd entgegentreten
durch Freilegung des Hoch Wasserbettes
und Weiterführung des Ausbaus der nicht-
schiffbaren Hochwasserflüsse nach den bei
unseren schiffbaren Strömen schon be-
währten Grundsätzen, die einen Teil der
Gefahren des Hochwassers, vor allem die
Eisgefahren schon erheblich abgeschwächt
haben.
Im Anschluß an diesen Vortrag legte
Wilhelm Krebs aus Groß -Flottbeck
(früher in Münster im Oberelsaß) die
meteorologischen Ursachen des letzten
Oderhochwassers dar: das Zusammen-
treffen zweier Depressionen, einer nörd-
lichen und einer südlichen im deutsch-
646
Geographische Neuigkeiten.
österreichischen Grenzgebiet zwischen den
Karpathen und Sudeten habe zu gewalti-
gen Niederschlägen und damit zur Hoch-
wasserkatastrophe im Juli in Schlesien
geführt.
Inder Abteilung 6 für Geophysik,
die reichlicher bedacht war, hielt Prof.
Dr. Eudolph aus Straßburg einen sehr
interessanten Vortrag über die wich-
tigsten Ergebnisse der modernen
Erdbebenforschung.
In der Abteilung 8 für Mineralo-
gie sprach Dr. Emil Deckert aus Steg-
litz bei Berlin über die westindischen
Yulkanausbrüche; unterstützt durch
gute Lichtbilder, gab er in fesselnder
Darstellung eine Beschreibung des Mont
Pel^ und seiner Umgebung.
Die Beteiligung der geographischen
Fachgenossen an der Kasseler Tagung
war gering; die Anwesenheitsliste für die
erste Abteilungssitzung am Montag nach-
mittag wies nur 8 Namen auf, die für
die zweite allerdings 24, aber das Plus
Ton 16 Personen entfällt auf die Abtei-
lung 9, welche zu dem Vortrag des Geh.
Baurats Keller eingeladen war. Der Geo-
graphentag in Köln scheint das Interesse
an der Naturforscheryersammlung gelähmt
zu haben. F. Th.
Zeitgchriften.
* Die uneinheitliche Darstellung der
älteren erdmagnetischen Beobach-
tungen ist schon häufig als eine Er-
schwerung der weiteren Bearbeitung em-
pfunden worden. Diesem Übelstand sucht
Adolf Schmidt in Potsdam durch eine
Publikation „Archiv des Erdmagne-
tismus^ abzuhelfen. Demzufolge enthält
das erste Heft außer einigen Beobach-
tungen Yom Jahre 1890 die täglichen
Variationen in Toronto, St. Helena und
Hobarton nach den im fünften Jahrzehnt
des vorigen Jahrhunderts angestellten Be-
obachtungen. In der gleichen Darstellung
sollen noch einige Jahrgänge neuerer Be-
obachtungen folgen, wodurch ein einheit^
liches Material für Untersuchungen über
das magnetische Verhalten der ganzen
Erde gewonnen werden wird.
Messerschmitt.
Persönliches*
* An der Universität Berlin hat sich
Dr. Siegfrid Passarge als Privatdozent
für G^eographie habilitiert.
Bficherbesprechnngen.
Wfthner, Franz. Das Sonnwendge-
birge im Unterinntal, ein Ty-
pus alpinen Gebirgsbaus. I.
388 S. 96 Abb., 19 Lichtdrucktaf. u.
1 geolog. Übersichtsk. Wien, Deu-
ticke 1908. JC 86.—.
Je weiter die geologische Erforschung
der Alpen vorschreitet, um so klarer tritt
die Bedeutung hervor, welche die Einzel-
untersuchung komplizierter Gebirgsteile
besitzt. Das Sonnwend- (oder Rofan-)Ge-
birge liegt im Zuge der nördlichen Kalk-
alpen zwischen Achensee und Inndurch-
bruch, ungefähr an der Stelle, wo man
die Grenze der in lange Faltenzonen ge-
legten nordtiroler Berge und der flach-
gelagerten Kalkhochflächen des Nordostens
anzunehmen pflegt.
Die vorwiegend flache Lagerung der
au8 oberer Trias und Jura — untergeordnet
aus älterer Trias und Oberkreide — be-
stehenden Schichten schien die Anglie-
derung des Sonnwendgebirges an den
Osten geboten erscheinen zu lassen. Frühere
Beobachter nahmen an, daß nach der
Triasperiode eine Trockenlegung erfolgt
sei und daß die roten Lias-Sedimente sich
ungleichförmig transgredierend in die
komplizierten „Spalten und Höhlungen*'
des älteren (triadischen) weißen Kalkes
eingelagert hätten. Ob die früheren Be-
obachter (Geyer und Diener) selbst
noch an ihren 17 — 18 Jahre zurückliegen-
den Annahmen festhalten '), ist zweifelhaft.
Wahrscheinlich gibt es in Wien z.Z. nur
noch einen einzigen überzeugten Anhänger
der vom Verf. schlagend widerlegten Hy-
pothese, nach der die wunderbaren Lage-
rungsverhältnisse der Alpen durch un-
gleichförmigen Absatz auf altem Boden-
1) Und ob somit die sehr ausföhrliche
Widerlegung in dem literarhistorischen
Teile notwendig war.
Bücher besprechungen.
647
relief „erklärt" werden. Nicht durch
Unterbrechungen des Absatzes im alten
Meere, sondern durch spiltere Faltung
und die aus dieser hervorgehende mehr-
fache Überschiebxing erklärt Wähner
die häufige Wiederholung (weiß rot, weiß
rot etc.) derselben altersverschiedenen
Gesteinsmassen (weiß Trias, rot Lias).
Besonders bezeichnend ist der Durch-
schnitt durch das Sonnwendjoch und den
Rofan; hier liegen vier durch Überschie-
bungsflächen voneinander getrennte Massen
von weißem RifiPkalk übereinander. Daß
derartige scheinbar ungestörte, in Wahr-
heit durch horizontalwirkende Faltung
entstandene Lagerungsverhältnisse in
Wahrheit „Typen" des alpinen Gebirgs-
baus sind, geht aus der Übereinstimmung
mit den Beobachtungen anderer hervor:
Durchschnitte, wie die des Sonnwend-
joches hat z. B. Ref. aus dem Pflersch-
tal, haben W. Kilian, Termier u. a.
aus den Westalpen veröffentlicht. Eben-
falls im Einklang mit anderweitigen Be-
obachtungen (Radstädter Tauem, Ref.)
steht der Nachweis, daß ausgedehnte mäch-
tige Gesteinsmassen ihre Struktur als
„Dislokationsbreccie" der Verschiebung
der einzelnen GebirgsschoUen gegenein-
ander verdanken.
Die sehr ausführlichen Darlegungen
der verwickelten Verhältnisse des Ge-
birgsbaus^) erfahren eine vollkommene
und wesentliche Ergänzung durch eine
Reihe mustergültig ausgeführter, zum Teil
in Buntdruck wiedergegebener Lichtbil-
der. Wenn auch ihr Zweck wesent-
lich die Erläuterung der geologischen
Lagerungsverhältnisse ist, so bieten doch
die zum Teil panoramaähnlichen Ta-
feln (z. B. Taf. XII, XIV und XVI) auch
geographische Charakterbilder
der Kalkalpenplateaus von seltener
Schönheit und Schärfe. Bei manchen Bil-
dern des mit augenscheinlicher Liberalität
ausgestatteten Werkes kommen Geograph
und Geolog gleichmäßig zu ihrem Recht:
So ist von dem durch die Einfaltung roten
Gesteins interessanten Sagzahn die eine
Ansicht koloriert, die andere vom gleichen
Standpunkt aufgenommene in schwarzem
Lichtdruck wiedergegeben. Das schöne
Werk eignet sich besonders zur Demon-
1) Für die auf das Original verwiesen
werden muß. '
stration in Vorlesungen und Übungen,
während für die Mitnahme in das Gelände
gerade Gewicht und Umfang hinderlich
sind. Frech.
Banmgartner. Island und dieFäröer.
Vm u. 671 S. 1 Titelbild in Farbdr.,
136 Abb. u. 1 K. 8. Aufl. Freiburg i. B.,
Herder. 1902. .IC 9.—.
Baumgartners Beschreibung Islands und
der Färöer ist entschieden eine der besten
Beschreibungen jenes fernen Eilands an
der Grenze der alten und neuen Welt.
Wohl hat ihr Verfasser nur einen kleinen
Teil der Insel bereist und durch Autopsie
kennen gelernt, aber er hat mündliche
und schriftliche Erkundigungen auch über
andere Teile eingezogen und hat vor allem
die geographische Literatur der Isländer
über ihre Heimat gründlich benutzt. Da-
neben hat er es trefflich verstanden, einen
Einblick über die ganze Eulturentwick-
lung des Inselvolkes, besonders seine Dich-
tung, zu geben. So blickt man gern über
einzelne Schwächen des Werkes hinweg,
die teils durch den ausgeprägt konfessio-
nellen Standpunkt des Verfassers bedingt
sind, teils in der Vernachlässigung der
neueren wissenschaftlichen Literatur ihren
Grund haben. Die Fahrten, die Baum-
gartner hier beschreibt, gehen bereits auf
das Jahr 1883 zurück. Sie erschienen zu-
erst in den „Stimmen aus Maria-Laach^*,
wenige Jahre später als besonderes Werk
und liegen jetzt, vielfach erweitert und
verbessert und mit Berücksichtigung der
neuesten Forschungen von |>orvaldur Tho-
roddsen in neuer Bearbeitung vor. Der
Weg, den B. mit seinen Reisegefährten
gemacht hat, ist derjenige, welchen Is-
landbesucher in der Regel einzuschlagen
pflegen. Die Fahrt hat von Kopenhagen
über Leith und Thorshavn auf den Färöem
nach Reykjavik geführt, von wo aus die
Reise zu Pferd über die Mosfellsheide,
durch die Almannagja nach Thingvellir,
von dort nach dem Geysir und zum ge-
waltigen Gullfoß, dann über die |>jörsa
zur Hekla und von da zurück nach
Reykjavik gegangen ist. Also nur vom
südwestlichen Island ist ein Stück Binnen-
land bereist worden, allein dies gehört
unstreitig zu dem geographisch und ge-
schichtlich wichtigsten Teile der Insel.
Der lange zweite Aufenthalt in Reykjavik
läßt B. auf die isländische Kunst und
648
Blicherbesprechungen.
Literatur, auf das Staats- und Schulwesen,
die Beschäftigung und den Verkehr der
Isländer, auf ihre Geschichte u. a. ein-
gehen und von alledem ein im allgemeinen
treues Bild entwerfen. Die Rückfahrt auf
der Thyra ist dann um den Norden der
Insel erfolgt, wodurch Gelegenheit geboten
ist, auch die Eüstenlandschaft des Nor-
dens und vor allem die zweitgrößte Stadt
der Insel, Akureyri, näher zu beschreiben.
Die Fahrt nach Norwegen geht wieder
über die Färöer, und erst jetzt bekommen
wir eine eingehendere Darstellung über
die Geschichte dieser Inseln und über das
Leben und Treiben ihrer Bewohner. Wie
sich das ganze Buch durch Klarheit und
WUrme auszeichnet, so auch das letzte
Kapitel, das den politischen, geistigen,
wirtschaftlichen, sanitären, sozialen Auf-
schwxmg Islands im 19. Jahrh. behandelt.
— Die Abschnitte des Anhangs sind vor
allem für die Geschichte der Geographie
der Insel von Bedeutung. Sie enthalten
nicht nur die ältesten ausländischen Be-
richte über die Insel, sondern auch die
neueren Forschungsreisen in einer Voll-
ständigkeit, wie wir sie sonst nirgends
finden. Ganz besonders ist das Kapitel
über fjorvaldur Thoroddsens Forschungen
(8. 539 fiP.) aufs wärmste zu empfehlen, da
es die Ergebnisse seiner Reisen bis in
die neueste Zeit bringt und somit über
Arbeiten rekapituliert, die ganz zer-
streut bald hier, bald dort in Zeit-
schriften erschienen und för uns Deutsche
meist sehr schwer zugänglich sind.
£. Mogk.
NciiBO, Richard. Landeskunde der
britischen Inseln. 163 S Mit Bil-
dern. Breslau, F. Hirt 1903. .K. 4.—.
Das vorliegende Buch soll Geographen
und anderen Interessenten ein etwas aus-
führlicheres Bild der britischen Inseln als
die gewöhnlichen geographischen Kom-
pendien geben. Es beruht ersichtlich auf
eingehenden Literaturstudien und wohl
auch auf wiederholten Reisen im Lande.
Darum ist die Beschreibung richtig und
das Urteil gerecht, frei ebensowohl von
dem leider Mode gewordenen Schimpfen
auf England und englisches Wesen wie
von übertriebener Wertschätzung. In der
Behandlung des Stoffes sucht der Verf.
den methodischen Anforderungen der
heutigen Geographie gerecht zu werden.
Allerdings hätte er darin m. E. weiter
gehen können. Statt bei den drei Län-
dern England, Schottland, Irland stehen
zu bleiben, hätte es sich, wenigstens bei
England und Schottland, empfohlen, die
einzelnen Landschaften herauszuarbeiten,
die ja so charakteristisch verschieden sind.
Dadurch wäre auch ganz von selbst der
Wunsch gekommen, den verschiedenen Zu-
sammenhängen mehr nachzuspüren und
nicht, wie jetzt oft, bei der bloßen Be-
schreibung stehen zu bleiben. Vielleicht
erwägt der Verf. diese Winke bei einer
neuen Auflage oder bei dem geplanten
größeren Buche über die britischen Inseln.
A. Hettner.
Popesen, Stefan D. Wirtschaftsgeo-
graphische Studien über Groß-
britannien. Vn u. 178 S. Leipzig,
Oswald Schmidt 1903. JC 8.—.
Das inhaltsreiche Buch stellt dem Fleiße
und der Umsicht des Verfassers, der als
Professor an der Handelshochschule in
Jassy wirkt, ein günstiges Zeugnis aus.
Auf einer viermonatlichen Studienreise
wurden Bristol, Cardiff, Newport, Swansea,
Liverpool, Glasgow und Greenock besucht.
Besonders erfreulich ist die Berücksich-
tigung Bristols, das auf dem Kontinent
weniger bekannt ist und doch gerade als
Seehafen eine so merkwürdige, sonst nicht
häufig wiederkehrende Position einnimmt.
Überall stellt der Verfasser seine histo-
rischen und volkswirtschaftlichen Unter-
suchungen auf eine möglichst breite Basis,
ja man könnte zweifeln, ob die ausführ-
lichen Darlegungen geologischer und kli-
matologischer Art notwendig waren.
Andererseits ist es uns aufgefallen, daß
die Beziehungen der Eisenbahnen zu den
besprochenen Hafenorten nur sehr wenig
berührt werden. Gerade Liverpool, Glasgow
und auch Bristol spielen in der jetzt so
eifrig studierten und von besonderen Zeit-
schriften gepflegten Eisenbahngeschichte
Englands eine sehr wichtige Rolle. Recht
interessant sind die Untersuchungen über
den Einfluß des Schiffahrtskanals nach
Manchester auf den Verkehr in Liverpool.
Deutlich zeigt sich , daß Liverpool zu
Gunsten Manchesters schon einen Teil
seiner Bedeutung eingebüßt hat. Trotz-
dem ist der Ertrag des Manchesterkanals
bisher noch nicht glänzend gewesen.
F. Hahn (Königsberg).
Bücherbesprechungen.
649
Berchoii, Ch. £n Danemark. 16 ^
250 S. 52 Textabb. Paris, Hachette
1908. Fr. 4.—.
Das kleine Bucb gehört zu der um-
fangreichen Gruppe popnlSorer Literatur,
welche dem Fachgeographen wenig will-
kommen ist, da er, nm irgend eine brauch-
bare Notiz oder eine treffende Bemerkung
zu finden, allzuviel des ganz Unwichtigen
oder längst Bekannten mit in den Kauf
nehmen muß. Man kann ja dem Ver-
fasser, der flott zu schildern versteht, zu-
gestehen, daß er seinen Reiseplan nicht
allzu eng begrenzt hat: er kennt nicht
bloß Kopenhagen und den Sund, sondern
auch ziemlich entlegene Punkte, wie z. B.
die Insel Laesoe, von der er einige in-
teressante Bilder mitteilt. Aber dem-
jenigen, der Dänemark selbst bereist hat,
sagt er wenig Neues und auch zur Vor-
bereitung auf eine dänische Reise wird
man das Buch kaum benutzen, da es an
guter dänischer Literatur nicht fehlt. Die
höchst ausgeprägte deutschfeindliche Ge-
sinnung des Verfassers , die an vielen
Stellen hervorbricht, macht überdies die
Lektüre seines Buches wenig erquicklich.
Manche der Abbildungen sind gut ge-
wählt, technisch aber nicht immer ge-
lungen. F. HahV (Königsberg).
Popescu, Stefan D« Beiträge zur Ent-
stehungsgeschichte des oberen
Olttales. Inaug.-Diss. 94 S. Leip-
zig, 1902.
Nach einer Einleitung über die Ur-
sachen der Talbildung bespricht Verf. im
ersten Teil (S. 14—35) die geographischen
und geologischen Verhältnisse Siebenbür-
gens. Kochs wichtiges Werk, auch Stu-
dien von Schafarzik und Mrasec, die
für ihn von Wichtigkeit gewesen wären,
hat Popescu nicht benutzt oder noch
nicht benutzen können. Die Höhenziffem
sind nicht immer die durch Neumessung
berichtigten. Mit besonderem Interesse
bespricht Verf. die Wasserscheiden, aus
ihrem eigentümlichen Verlauf außerhalb
der hohen Grenzgebirge ergibt sich ihm
mit Notwendigkeit der Schluß, daß der
südliche sowie der östliche Gebirgszug
an vielen Stellen von den fließenden Ge-
wässern durchbrochen ist. Als die wich-
tigsten nennt er: Jiu, 01t, Bodza und
Bisca (Nebenfluß der Bodza). Da in die-
sem Abschnitt von der Lage, den poli-
tischen Grenzen, der Komitatseinteilung,
von den Nationalitäten bis zu Sanidin- und
Plagioklasgesteinen die Rede ist, kann
er natürlich nur sehr summarisch gehal-
ten sein.
Der 01t, dem nirgends die Bezeich-
nung eines reißenden Stromes zufallen
soll, wird in vier Abschnitte geteilt, sie
entsprechen den vier Stufen von E. A.
Bielz. In jedem Abschnitt wird Ober-,
Mittel- und Unterlauf unterschieden. In
drei gesonderten Abschnitten wird das
obere Olttal (Ursprungsgebiet, Csik und
Durchbruchstal von Tusnad) speziell be-
handelt. Ein völlig klares Bild von den
morphologischen Anschauungen des Verf.
zu gewinnen, ist mir nicht gelungen.
F. W. Paul Lehmann.
Grothe, Hugo. Auf türkischer Erde.
Reisebilder und Studien. (Veröff. d.
Allgem. Ver. f. Deutsche Literatur.
XXIX. Abt. 1. Bd.) 455 S. 22 Abb.
auf Taf. Berlin, AUg. Ver. f. Deutsche
Lit. (Paetel) 1908. JC 7.50.
Dieses Buch bringt eine Reihe von
Reisedarstellungen, großenteils über Ge-
biete, welche nur wenig oder schon seit
Jahrzehnten nicht mehr von einem um-
sichtigen Beobachter, wie Gr. es ist, be-
sucht worden sind. Daher wird auch der
mit der Länderkunde der hier behandelten
Gebiete vertrautere Leser durch die sechs
Abschnitte, welche Tripolitanien, Cyre-
naika, das Innere Kleinasiens, Makedonien
und Albanien in Einzelbildern vorführen,
mancherlei erwünschte Bereicherung sei-
ner Vorstellungen gewinnen. Es gilt dies
wohl am meisten von Tripolitanien, wo
Gr. 22 Monate sich aufgehalten. Lehr-
haft und plastisch zeigt uns der Verfasser
die verschiedenen Zonen des Bodens und
der Bodenformen. Von der mangelnden
staatlichen Fürsorge oder, entsprechender
gesagt, allenthalben entgegentretenden
staatlichen Verwahrlosung und Benach-
teiligung des Landeswohles gibt schon
die Küstenregion Kunde, von welcher seit
Jahrhunderten die Sanddünen landein-
wärts vorrücken und sehr guten Alluvial-
boden, über die Lehmmauem der Pflan-
zungen weiterschreitend, ebenso begraben
wie die Ruinen antiker Städte. Wesent-
lich günstiger aber, als man gemeinhin
annimmt, steht es gleichwohl um das
langsam ansteigende Höhenland, von
650
Bücherbesprechungen*
fruchtbaren Tälern und Bodensenken ge-
gliedert, in welchen alle Baum- und Boden-
kultur bestens vertreten ist, freilich noch
großer Erweiterung fähig. Einst nahm
jedenfalls bei ganz einfacher Wasserwirt-
schaft das Kulturland einen ausgedehn-
teren Raum ein, wie die von Gr. der
Römerzeit zugeschriebenen (doch wohl
noch älteren) Reste von Staudämmen an
Wadis bezeugen, abgesehen von schrift-
lichen Hinweisen auf Erträgnisse der
Provinz. Doch sind auch jetzt noch an
den Hängen der Plateauzone reichlich
Fruchtbäume verteilt (Pfirsich-, Mandel-,
Olivenbäume), oder es erfreuen Weinberg-
terrassen das Auge ; nur oben fehlt es an
allen Holzgewächsen. Jedenfalls ist das
Land im ganzen weit entwickelungsf ähiger,
als daß es für einen zukünftigen Landes-
herm ein untergeordneter oder etwa gar
halb und halb lästiger Besitz sein könnte.
Die geographische Forschung freilich mag
wohl ein bescheidenes Emtefeld vorfinden.
Beides gilt auch von Barka, wo die Nach-
teile der Verkümmerung durch eine mittel-
lose und kurzsichtige Regierung noch
deutlicher sichtbar werden. Gleichwohl
nimmt auch hier die einheimische Be-
völkerung zu, deren Abstanmiung, Eigen-
art und Verhältnissen Gr., wie durchweg
in den bereisten Städten und Wohnorten,
eine dankenswerte ethnographische Kenn-
zeichnung widmet. (Die Frage über eine
negative oder kontinentale Strand Verschie-
bung nächst Bengasi will Gr. auf sich
beruhen lassen.)
Wir können hier freilich nicht, wie
soeben bezüglich Tripolis, auf die anderen
Gebietsdarstellungen des Verfassers mit
bestimmteren inhaltlichen Einzelangaben
eingehen. Wir verzichten daher darauf,
seine lebensvollen oder auch bezüglich
todesstarrer Gebirgskämme so greifbar
plastischen Naturschilderungen und Städte-
zeichnungen, z. B. Armeniens, näher ver-
gegenwärtigen zu wollen. Doch sei hier
wenigstens der Vorzug dieses Darstellers
hervorgehoben, daß er bei aller Huma-
nität und angesichts seiner eigenen For-
derung, man müsse „sich der Volksseele
der Beobachteten assimilieren", gleich-
wohl nicht zu der bei so vielen Forschungs-
reisenden wahrnehmbaren weichmütigen
Begünstigung der von ihnen besuchten
Völker und Länder vorgeht, sondern sach-
gemäß sowohl Schatten- als Lichtseiten
anerkennt. — Auch bezüglich der Wür-
digung von Landschaft, Städteleben und
öfiTentlichen Zuständen in Makedonien,
welches Gr. bereits nach Beginn des
Donnergrollens der jetzigen Aufruhrbe-
wegungen von Salonik zur Adria durch-
reiste, hat Referent nur das Zutreffende
und durchaus Billige der Darstellungen
und Urteile anzuerkennen. Es kann trotz
aller von panslavistischer und von russi-
scher Seite für die Ansprüche der Bul-
garen vorgebrachter Behauptungen weder
das nationale, noch weit weniger aber
das politische Recht dieses Volkes auf
Makedonien anerkannt werden. Gr. unter-
sucht, wie er bei Tripolitanien ins einzelne
gehend die Bevölkerungszahl erhob (eine
Million Bewohner), namentlich auch die
quantitative Stellung der Bulgaren, aller-
dings mit einer unsem Begriff Makedo-
niens überschreitenden Ausdehnung. Es
wären nach seiner Schätzung (im Ver-
gleich mit den Angaben von fünf anderen
bekanntenAutoren) 935 000 Mohammedaner
(darunter 450 000 Türken samt Tscher-
kessen), 650 000 Bulgaren und bulgari-
sierte Serben (letztere etwa 300 000),
150 000 Serben, 600 000 Griechen, 80 000
christliche Amanten , 75 000 Zinzaren,
90 000 Juden v*handen. Wir halten
allerdings die hier angegebene Zahl der
Griechen für überhöht, sind aber jeden-
falls der Überzeugung, daß es eine fort-
dauernde Ursache schwerer Unruhen wäre,
wenn man lediglich nach irgend einer
der so unzuverlässigen Kopfzahlerhebungen
die Zugehörigkeit des Landes für die Zu-
kunft bestimmen wollte. Es dürfte nur
dadurch dem europäischen Frieden ge-
dient sein und zugleich der für geogra-
phische Landesdurchforschung notwen-
digen öffentlichen Ordnung, daß den Ser-
ben und Griechen als gleichmächtigen
Faktoren neben den Bulgaren die Fort-
entwicklung europäischer Gesittung auf
der umstrittenen Halbinsel anvertraut
würde. W. Götz.
Peters, KarL Im Goldland des Alter-
tums. Forschungen zwischen Zam-
besi und Sabi. XVI u. 408 S. Viele
Abb. 2 K. München, Lehmann 1902.
JL 14.—, geb. JL 16.—.
Seit seinem Ausscheiden aus dem Reichs-
dienst hat sich Dr. Karl Peters besonders
mit der Ophirfrage beschäftigt und heraus-
Buch erb esprechungen.
651
gefunden (was toi ihm allerdinge auch
schon von anderen Forschem behauptet
worden ist), daß das biblische Ophir im
südöstlichen Afrika zu suchen sei. Diese
Ansicht hat er bereits, 1896 in einer
Schrift (Das goldene Ophir Salomos) ver-
treten. Um für sie weitere Beweise bei-
zubringen, zugleich aber auch um für
eine zu gründende Gesellschaft Goldminen
zu erwerben, begab er sich 1899 nach
Südafrika und bereiste zwei Jahre lang
die Länder zwischen dem Sambesi und
Sabifluß. Von Mitonda am Sambesi durch-
zog er zunächst Makombes Land, da er
in diesem auf einer französischen Karte
von Afrika aus dem Jahre 1719 einen
Berg Fura verzeichnet gefunden hatte.
Er entdeckte in jenem Lande alte Ruiuen,
sowie einen Ort Lijakafura, und fand bei
den Bewohnern, den Makalanga, semitische
Anklänge in den Gesichtszügen, außerdem
noch Spuren des Baalkultus. Dann wandte
er sich nach der Landschaft Liyanga, wo
er ebenfalls rohe Steinbauten, viereckige
und kreisrunde Wälle, Steinterrassen und
brunnenartige Ruinen nachweisen konnte.
Ebenso fand er Ruinen verschiedenen
Alters im Manikaland, das ja ein ausge-
sprochener Goldminendistrikt ist, und alte
Werke auf Edelsteine sowie Kupferminen
im oberen Sabigebiet.
Alle diese Fnnde, wie auch philologische
nnd historische Betrachtungen haben ihn
veranlaßt, in dem vorliegenden Buche
seine Ophirtheorie von neuem zu begrün-
den. Es läßt sich nicht leugnen, daß
manche seiner Ausführungen auf den ersten
Blick bestechend sind. Aber auch der-
jenige, welcher mit ihm geneigt ist, im
südöstlichen Afrika das alte Ophir zu
suchen, wird nicht allen seinen Schluß-
folgerungen so ohne weiteres beistimmen
können. Es läßt sich nicht leicht ent-
scheiden, wie weit diese sicher begründet
sind, und wie weit der Verfasser sich von
seiner lebhaften Phantasie hat hinreißen
lassen. Urteilt er doch oft mit einer
staunenswerten Sicherheit über Dinge, die
seinem Wissensgebiet doch eigentlich fem
liegen. Wir müssen es den Semitologen
und Ägjptologen überlassen, sich mit
seinen philologisch -historischen Betrach-
tungen auseinanderzusetzen , namentlich
mit seiner Ableitung des lateinischen
Wortes Africa, des hebräischen Ophir und
des Kaffemamen Fura von einem hypo-
thetischen arabischen Worte Afur oder
Afr. Von Interesse ist immerhin die Auf-
findung der alten Ruinen in Makombes
Land, in Inyanga und Manika. Aber wir
müssen berücksichtigen, daß das« was
Peters znr Lösung der Ophirfrage beige-
tragen hat, doch eigentlich in den Hinter-
grund tritt gegenüber den Beweisen, welche
bereits durch K. Manch, Th. Beut, Schlichter,
Hall und Neal beigebracht worden sind,
imd welche natürlich von Peters mit heran-
gezogen werden. Am meisten Gewicht
möchten wir noch darauf legen, daß eine
von Th. Beut in Simbabwe gefundene In-
schrift nach Keane in himyaritischen
Lettern geschrieben ist Endgültig gelöst,
wie Peters meint, scheint uns jedoch die
Ophirfrage noch nicht, solange nicht in
Südafrika solche Inschriften aufgefunden
werden, welche unzweifelhaft auf jenes
Land hinweisen.
Nicht allein das biblische Ophir, son-
dern auch das ägyptische Punt will Peters
im südöstlichen Afrika suchen. Als Be-
weis dafür führt er hauptsächlich an, daß
die Ägypter außer anderen Produkten viel
Gold von dort mitgebracht hätten, welches
sie an der Somalküste nicht hätten er-
halten können. Dann aber stützt er seine
Ansicht auf die Abbildungen ägyptischer
Haartracht auf alten Buschmannszeich-
nungen und auf eine ägyptische Uschebti-
figur des Königs Tahutmes IE. (um 1450
V. Chr.), die er in Umtali erhielt und die
südlich vom Sambesi gefunden worden
sein soll. Es entsteht nun allerdings in-
sofem ein Widerspruch, als Peters angibt,
die Bewohner von Punt seien Hottentotten
gewesen (oder vielmehr Buschmänner, da
er die Hottentotten als eine Mischrasse
zwischen diesen und Ägyptern ansieht),
während er andererseits die Makalanga,
also einen Negerstamm, der mit semi-
tischem Blut durchsetzt sein soll, als die
Nachkommen der alten Bewohner von
Ophir ansieht. Demnach können Punt
und Ophir nicht dasselbe Land sein, man
müßte denn etwa annehmen, daß die busch-
männisch-hottentottische Bevölkerung spä-
ter durch die kafferische verdrängt wor-
den sei.
Für die geographische Wissenschaft
hat die Peterssche Expedition außer den
genannten archäologischen Funden wenig
Neues ergeben. Seine Bemerkungen über
geologische Verhältnisse sind mit Vorsicht
652
Bücherbesprechungen.
aafzanehmen. Was soll man sagen zu
Äußerungen wie auf 8. 87: „Wir kamen
an diesem Tage aus der ürformation ganz
heraus in Muschelkalk und Sandstein
hinein und passierten gegen zwei Uhr
eine Reihe von höchst interessanten Ver-
steinerungen, unter d^nen mir besonders
der Stumpf eines Baumstammes auffiel,
der aus dem Boden hervorragte. Die For-
mation ist meiner Ansicht nach klassische
Trias", oder 8. 91: „Die kraterförmige
Bildung der Berge ließ Herrn Gramann
schließen, daß wir es hier mit vulkanischem
und nicht mit sedimentärem Granit zu
tun haben." Auch auf S. 97 und 98 wird
von vulkanischem Granit und Kraterbil>
düngen gesprochen.
Eigentümlich bedihrt es, wenn Peters,
der Begründer des Alldeutschen Verban-
des, in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes
in England bereits so weit gekommen ist,
daß er in den deutschen Text englische
Redewendungen einflicht. So spricht er
beständig von einer „Kap zu Kairo Eisen-
bahn" und sagt S. 118: „Wir verfolgten
den outcrop über einen ganzen Hügel und
fanden eine Menge von Oberflächenbear-
beitung" (das englische surface working),
oder S. 231 : „Rhapta war, nach den alten
Quellen, Hauptstapelplatz für Elfenbein,
so ist Quilimane bis auf den heutigen
Tag." Auf S. 349 spricht er von „gold-
haltigem Schist" (d. i. Schiefer).
Die dem Buche beigegebenen Abbil-
dungen sind im allgemeinen minderwertig
und enthalten meist Jagd- und Lager-
szenen, bei denen die Person des Ver-
fassers besonders hervortritt; Auch bringt
das Buch nicht weniger als dreimal sein
Porträt in verschiedenen Eostilmen. Von
den beiden Karten dient die eine nur als
Übersichtskarte, sie enthält die Reise-
routen, aber keine weiteren Einzelheiten
und ist daher für den Text wenig ver-
wendbar. Die andere ist eine Wiedergabe
der bereits oben erwähnten alten fran-
zösischen Karte aus dem Jahre 1719.
A. Schenck.
SemoD, Aichard« Im australischen
Buscfar und an der Küste des
Korallenmeeres. Reiseerlebnisse
und Beobachtungen eines Naturfor-
schers in Australien, Neuguinea und
den Molukken. 2. Aufl. XVI u.
665 S. 86 Abb. u. 4 K. Leipzig,
Engelmann 1908. JC 15. — .
Wir freuen uns, die zweite Auflage
dieses Buches anzeigen zu können, das
eine der besten Reisebeschreibungen ent-
hält, die wir in den letzten Jahren in
deutscher Sprache zu lesen bekamen.
Man klagt so oft, daß die guten alten
Reisebeschreibungen am Aussterben seien.
In der Tat wird die schöne Mischung von
Erzählung, Schilderung und Betrachtung
inmier seltener, das Feuilleton und die
wissenschaftliche Abhandlung treten an
ihre Stelle, die Literatur' geht aber dabei
leer aus. In Semon sind glücklicherweise
die Fähigkeiten vereinigt, die einen Mo-
ritz Wagner, einen Wallace zu vorzüg-
lichen Reisebeschreibem gemacht haben:
Vielseitiges Interesse, scharfe Beobach-
tung, unbestochenes Urteil und, nicht zu-
letzt, eine gute Sprache. Wir könnten
zwar einige „Längen" in dem erzählenden
Kapitel, auch so Verbrauchtes, wie die
Äquatortaufe, entbehren, nehmen aber
das Buch als Ganzes, und als solches ist
es dem allgemeinen Leser und ganz be-
sonders dem geographischen dringend zu
empfehlen. Für den letzteren sind von
besonderem Interesse die größeren Aus-
führungen tiergeographischer und morpho-
logischer Natur, zu denen besonders die
Geschichte Australiens und seiner Lebe-
welt, beider Beziehungen zur Torres-
straße und Neuguinea, das nordostaustra-
lische Riff, die Eingeborenen Australiens,
die Papua und die Malajen Stoff geben;
aber es sind außerdem so zahlreiche
schöne Beobachtungen und feine Bemer-
kungen durch das Buch zerstreut, daß
man auch die Teile gern mit in Kauf
nimmt, in denen der Verfasser seine
zoologische Arbeit ausführlich schildert.
Diese hatte besonders die Erforschung
der Entwicklungsgeschichte von Ceratodus,
der Schnabel- und Beuteltiere zum Zweck.
Die Lichter, die auf die politische und
wirtschaftliche Entwicklung Australiens
und auf die Rassen&age fallen, sind um
so anziehender, als Semon hauptsächlich
in Queensland gelebt hat. Seine Mit-
teilungen über die Trepang-, Schildkröten-
und Perlfischerei in und an der Torres-
straße sind von wirtschaftsgeographischem
Interesse. Nicht am wenigsten schätzens-
wert sind die von einem feinen Natur-
gefühl eingegebenen Betrachtungen über
landschaftliche Schönheit ; die Landschafts-
schilderungen sind zahlreich und gelun-
Neue Bücher und Karten.
653
gen. Wo sich Senion auf das geologisch-
geographische und das ethnographische
Gebiet begibt, sind wir nicht immer mit
ihm einig. Wir sind weder geneigt, mit
ihm das mesozoische Zeitalter der Erd-
geschichte als das Mittelalter der Erde
zu betrachten, noch das Rätsel des Dingo,
des einzigen großen Placentaliers der
australischen Fauna, für so einfach lös-
bar zu halten, noch den kleinen zufäl-
ligen Wanderungen überhaupt so viel Ge-
vricht beizulegen, wie er im Gegensatz
zu den Sarasin und M. Weber tut;
das macht aber der Schätzung seines Ex-
kurses S. 349 über Transport durch trei-
bendes Holz keinen Eintrag. In diesen
und anderen biogeographischen Fragen,
meinen wir, sei eine ganz andere, größere
Zeitperspektive anzuwenden. Als ein
kleiner geographischer Verstoß ist uns
die Bezeichnung der Lage Jünnans „am
Südostabhang des Himalaja" (S. 217)
aufgefallen. Die Auffassung der Bezeich-
nung positive Eüstensch wankung (S. 259)
entspricht nicht dem heutigen Stande der
Wissenschaft, die gegen die angenomme-
nen Hebungen des Meeresspiegels miß-
trauisch geworden ist. In dem vorzüg-
lichen 10. Kapitel über die australischen
Eingeborenen stehe ich der Ablehnung
malayo-poljmesischer Einflüsse auf die
Mythen der Australier zweifelnd gegen-
über; auch hier trennt mich ein Unter-
schied der Perspektive von dem Verfasser,
dessen Zurückweisung Morgan scher
Phantasien ich dagegen mit Grenugtuung
begrüße, ebenso vde ich die Trefflichkeit
seiner Charakteristik der Papuas, bes.
S. 428 u. f., und der Malayen hervorheben
möchte. Die Bemerkung über den tiefen
Stand der Ethnographie als Wissenschaft
(S. 441) verübeln wir einem Zoologen
nicht, sie ist aber nicht am Platze. Wir
wollen nicht etwa mit einem Hinweis auf
darwinistische Auswüchse in der Zoologie
antworten, sondern lieber noch die aus-
gezeichneten, beherzigenswerten Schluß-
worte des 18. Kapitels hervorheben, die
wir besonders jenem leider viel zu großen
Teile der deutschen Jugend empfehlen,
der trotz allem Reden von Weltpolitik
seinen engen Gesichtskreis nie zu erwei-
tem strebt. Die letzten vier Kapitel geben
mehr skizzenhafte Schilderungen aus Java,
Ambon und Indien, die indessen durch-
aus nicht weniger lesbar sind als die aus-
geführteren vorhergehenden. Die Aus-
stattung ist gut. F. Ratzel.
Nene Bttcher und Karten.
MatheMAtltclie fleo^rmplile.
Gelcich, E. Die astronomische Bestim-
mung der geographischen Koordinaten.
X u. 126 S. 46 Textfig. Leipzig und
Wien, Deuticke 1904. JL ö.— .
AUfemelie pliytliiehe Geo^aplile.
Schmidt, Adolf. Archiv des Erd-
magnetismus. Eine Sammlung der
wichtigsten Ergebnisse erdmagnetischer
Beobachtungen in einheitlicher Darstel-
lung. Heft 1. 72 S. 8 Taf.. Potsdam
1903.
Pritsche, H. Atlas des Erdmagnetis-
mus für die Epochen 1600, 1700, 1780,
1842 und 1916. Riga, Müllersche
Druckerei 1908.
Karsten, G., und H. Schenck. Vege-
tationsbilder. Heft 6. Taf. 26 — 80.
A. Schenck: Vegetationsbilder aus
Südwest-Afrika. — Heft 6. Taf. 31—
36. G. Karsten: Monokotylenbäume.
Jena, Fischer 1903. In Lief. JL 2.50;
einzeln JL 4. — .
DeataelilAad «id NaelikarUider.
Kranz, W. Geologischer Führer für
Nagold und weitere Umgebung bis Calw,
Herrenberger Stadtwald, Horb und
Altensteig. 56 S. 6 Textfig. Nagold,
Zaiser 1903. JL 1.—.
Geognostische Karte von Württem-
berg. Hrsg. in 1:50 000 von dem k.
Statist. Landesamt. Nr. 9. Besigheim.
Begleitworte dazu. 2. Aufl. von E. F r a a s.
Stuttgart, Kohlhammer 1903.
Diener, Carl, Rudolf Hoernes,
Franz E. Sueß und Victor Uhlig.
Bau und Bild Österreichs. Vorwort von
Eduard Sueß. XXIV u. 1110 S.
4 Titelbilder, 250 Textabb., 8 K.
JL 66.— = Kr, 78.—. Auch in 4 S.-A. :
Sueß: Bau und Bild der böhmischen
Masse. IV u. 322 S. 1 Titelb., 56
654
Neue Bücher und Karten.
Textabb., 1 K. JC 20.— = Kr. 24.—.
Diener: Bau und Bild der Ostalpen
und des Earstgebiets. VI u. 820 S.
1 Titelb., 28 Textabb., 6 K. JC 20.—
=- Kr. 24.—. -^ ühlig: Bau und Bild
der Karpathen. IV u. 262 S. 1 Titelb.,
139 Textabb., IK. JC 16.— = Kr. 18.—.
— Hoernes: Bau und Bild der Ebenen
Österreichs. VI u. 194 S. 1 Titelb.,
27 Textabb. Wien u. Leipzig, Tempsky
& Freytag 1908,
Sld-Amerika.
Lübcke, Charles. Dampferwege durch
die Magellan-Straße und den Smjth-
Kanal. Anweisung für Dampfer-Kapi-
täne. (S.-A. aus „Der Pilote", N. F.,
Bd. n von 1903.) Vm u. 204 S. 128 Abb.
u. 3 K.
Afrika.
Horn, Rud. Siedelungsrerhältnisse in
Deutsch-Ostafrika. Heidelberger Diss.
47 S. Leipzig, Teubner 1903.
6eogrftpb4Bcber Uaterrlcbt.
Rusch, Gustav. Leitfaden für den
Unterricht in der Geographie für öster-
reichische Bürgerschulen. 2. Tl. 119 S.
64 Abb. (16 färb. K.) Kr. 1.70. 3. Tl.
114 S. 69 Abb. (9 färb. K.) Kr. 1.40.
Wien, Pichlers Witwe & Sohn 1902 u
1903.
Holz eis Schul Wandkarte von Asien. Po-
lit. Ausg. Bearb. von Franz Heide-
rich, In 1 .-8 000 000. 6 BL in zehn-
fachen Farbdr. 140 cm x 176 cm.
Wien, Hölzel 1908. ünaufgesp. Kr. 18.—
= JC 15. — ; auf Lwd. gesp. in Mappe
Kr. 24.— = JC 20.— ; auf Lwd. gesp.
mit StÄben Kr. 26.— == JC 22.—.
Hölzeis Schulwandkarte von Australien
und Polynesien, Stiller Ozean. Bearb.
u. gez. von Franz Heiderich. Moll-
weidesche flächentreue Projektion. In
1 : 10 000 000. 6 Bl. in lOfachem Farbdr.
160 cm X 192 cm. Wien, Hölzel 1903.
ünaufgesp. Kr. 20.— = JC 18.— ; auf
Lwd. gesp. in Mappe Kr. 28. — = ^€ 24. — ;
auf Lwd. gesp. mit Stäben Kr. 32. —
= JC 28.—.
Hölzeis Rassentypen des Menschen.
Unter Mitwirk. v. Franz Heger aus-
gew. u. bearb. v. Franz Heiderich,
gemalt v. Friedr. Beck. 4 Taf. u.
kurzer Begleittext v. Heiderich.
Taf. I u. H: Asien. Taf. HI: Afrika.
Taf. IV: Amerika, Australien u. Poly-
nesien. Wien, Hölzel 1903. Unau^esp.
in Umschlag Kr. 20.— = JC 17.— ; mit
Metall - Saumleisten zum Aufhängen
Kr. 22.— = JC 19.— ; auf Lwd. gesp.
mit Stäben Kr. 28.— = JC 24.
Zeitschriftenschaa.
Pftermanns Mitteilungen. 1903. Nr. 9.
Graf Wickenburg: Von Dschibuti bis
Lamu. — Gerland: Die IL internatio-
nale Erdbebenkonferenz zu Straßburg. —
Der geographische Unterricht an den
deutschen Hochschulen W.-S. 1903/04. —
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Reichs. — Fitzner: Die Regenverteilung
in der Kilikischen Ebene.
Globus. 84. Bd. Nr. 11. Klose: Wohn-
stätten und Hüttenbau im Togogebiet. —
Seier: Eine altmexikanische Steinmaske.
— Aus den Ruinen von Simbabye. —
Südpolarforschung.
Dass. Nr. 12. Krebs: Staubfälle,
Blutregen, Blutschnee. — Klose: Wohn-
stÄtten und Hüttenbaa im Togogebiet. —
Roth: Geschichte und Herkunft der
schweizerischen Alpenflora. — Die russi-
schen Sekten.
Dass. Nr. 13. Nordenskjöld: Eini-
ges über das Gebiet, wo sich Ghaco und
Anden begegnen. — Kretische Forschun-
gen. — Leuß: Zur Volkskunde der InseU
friesen. — Die Japaner in China.
Dass. Nr. 14. Zemmrich: Die Polen
im Deutschen Reich. — Burmeister:
Groß-Dimon. — Leu fr: Zur Volkskunde
der Inselfriesen.
Dass. Nr. 16. Bouchal: Indonesi-
scher Zahlenglaube. — Meerwarth: Aus
dem Mündungsgebiet des Amazonas. —
Maurer und Förster: Zur Klimatologie
Deutsch-Ostafrikas. — Aus den Arbeiten
der Deutschen Orientgesellschaft.
Deutsche Rundschau für Geographie
und Statistik. 16. Jhrg. 1. Heft. Henz:
Die abflußlosen Gebiete der Erde. —
Zeitschriftenschaö.
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Schoener: Stockholm. — Eettner:
Zwei bisher ungedruckte Briefe Emin
Paschas. — Meinhard: Nach Makedo-
nien. — Die deutsche Südpolarexpedition.
Zeitschrift für Schulgeographie. 1903.
12. Heft. Kerp: Der XIV. deutsche Geo-
graphentag in Köln. — Becker: Zu den
Grundsätzen f. Lehrbücher der Geographie.
Meteorologische Zeitschrift. 1908. 9. Heft.
Schneider: Die harmonische Analyse
der täglichen Luftbewegung über Ham-
burg. — Berson: Wolken und Nepho-
skope. — Exner: Messungen der Sonnen-
strahlung und der nächtlichen Ausstrah-
lung auf dem Sounblick.
Zeitschrift für Gewässerkunde. 6. Bd.
1. Heft. Oppokow: Zur Frage der viel-
jährigen Abflußschwankungen in den
Bassins großer Flüsse. — Gravelius:
Zur Kenntnis der Thermik des Comer
Sees. — Gravelius: Die schwarzen
Flüsse Südamerikas. — Classen: Zur
Lehre von den Abwässern. — We igelt:
Erwiderung. — Gravelius: Oberitalie-
nische Binnenschiffahrt.
Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolo-
nialwirtschaft. 6. Jhrg. 3. Heft. Mohr:
Von Mogador nach Marrakesch. — Kan-
nengießer: Forschungsreisen in Nord-
ostafrika. — Sander: Die Tsetsefliege.
— V. Fischer: Die deutsche Kolonie San
Bemadino in Paraguay.
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ü. S. — No. 198. Griewold: The Be-
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Alaska. (12 Taf.) — No. 8. Di 11 er and
Patton: The Geology and Petrography
of Crater Lake National Park. (19 Taf.)
— No. 4. Gannet: The Poreats of Ore-
gon. (7 Taf.) — No. 6. Gannet: The
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mates. (1 Taf.) — No. 6. Plumer: Fo-
rest conditions in Cascade Range Washing-
ton between the Mount Rainier and
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No. 7. Dodwell and Rixon: Forest con-
ditions of the Olympic Forest Reserve,
Washington. (20 Taf.) — No. 8. Lei-
berg: Forest conditions in the Northern
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Conseil perman. intemat. pour Vexplo-
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schaftsbild. Natur und Schule. U. Bd.
1908. 6. u. 7. Heft.
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nationalen Erdbebendienstes. Natur
und Kultur, I. Jahrg. Heft 1. 1. Okt.
1908.
Marek: Die geographische Lage von
Graz. Jahresher. d. Grazer Handels-
akademie für 1903.
Müller und Weber: Über filtere Pluß-
schotter bei Bad Oeynhausen und Al-
feld und eine über ihnen abgelagerte
Vegetationsschicht. Jahrb. d. Preuß.
geol L,'A. f 1902. Bd. XXm. Heft 3.
Ver&ntrrortlicbtr Herausgeber: Prof. Dr. Alfred Hettner in Heidelberg.
Die Weltstellung Temens.
Von Dr. Eduard Hahiu
Nicht in eigentlich geographischen Kreisen, wohl aher in hreiten Kreisen
der Öffentlichkeit ist in letzter Zeit die Kulturstellnng Babyloniens zum Teil
mit einer Hitze verhandelt, die bewies, daß es sich keineswegs nur um
wissenschaftliches Interesse handelte, daß sich vielmehr hier an die wissen-
schaftliche Frage Parteiinteressen und sogar religiöse Streitfragen anknüpften.
Ich werde wohl diesem Dilemma entgehen, auch wenn ich mein Thema aus
einem nicht allzu entfernten und fremden, sondern vielmehr recht sehr nahe-
gelegenen Gebiet genommen habe! Ich hoffe, es wird mir deshalb doch
gestatten, auf das eigentliche Hauptthema ohne jede Schwierigkeiten zurück-
zugreifen; denn, wenn ich auch von Yemen ausgehe, handelt es sich, ob ich
nun Ägypten oder Babylonien für den Augenblick geographisch stärker
herangezogen habe, mir doch immer in der Hauptsache um die Frage: Wel-
ches sind die Grundbedingungen unserer wirtschaftlichen Kultur, welche wirt-
schaftlichen Faktoren gehören ihr für den allerersten Anfang? Zu diesem
Thema gehört natürlich auch die Frage: Welche Länder sind als die ältesten
im Besitz unserer wirtschaftlichen Kultur befindlichen anzusehen? und daran
wird sich ebenso natürlich fernerhin die Frage knüpfen: Können wir vielleicht
einzelne Bestandteile ausscheiden, die wir mit Sicherheit dem einen oder mit
einiger Bestimmtheit dem anderen Ursprungsland zuschreiben können? und
endlich, wenn wir soweit gekommen sind, wird sich die Frage wohl kaum
ganz umgehen lassen: Welches Land hat nun am meisten Bestandteile zu
dieser ältesten aller Kulturen hergegeben? Welches Land ist das eigentliche
Ursprungsland unserer ganzen, so eigentümlichen wirtschaftlichen Kultur? Als
einen kleinen Versuch in dieser Richtung bitte ich die folgenden Ausfüh-
rungen, die ursprünglich als Vortrag für den Kölner Geographentag bestimmt
waren, anzusehen.
Yemen, die südwestlichste Spitze der ungeheuren Platte, die wir Arabien
nennen, beginnt nach langer Vernachlässigung zunächst wegen politischer
Eifersüchteleien wieder in den Vordergrund des Tagesinteresses zu treten.
Seltsam genug, daß das hohe geschichtliche, sprachliche und wirtschaftliche
Interesse, welches Yemen doch vollauf verdient, so lange nur in sehr gerin-
gem Maßstabe wirksam werden konnte.
Die arabische Platte ist in einer höchst eigentümlichen Stellung zwischen
Vorderasien und Ägypten, zwischen Indien und Afrika eingeschoben. Geo-
graphisch ist Arabien ja kräftig genug charakterisiert. Auf der einen Seite
wird es durch den gewaltigen, in großen Zacken gebogenen persischen Meer-
Qeographiscbe ZeUtchrift. 9. Jahrgang 1903. IS. lieft. 44
658 Eduard Hahn:
busen von dem ganz anders gearteten eranischen Hochland getrennt, und die
ungemein unzugänglichen Küstengebirge Persiens haben den Verkehr hier zu
allen Zeiten auf ein verhältnismäßig geringes Maß herabgedrückt. Das Meer
hat hier vielleicht weniger als irgend wo anders seine Rolle als Völker-
Vermittler spielen können. Geschichtlich kam das dadurch zum Ausdruck,
daß häufig die kleinen Häfen auf der persischen Seite und die kleinen
Kulturoasen, die sich anschlössen, in arabischen Händen waren, also poli-
tisch zur gegenüberliegenden Küste gehörten. Natürlich war das aber
immer nur dann möglich, wenn die persische Macht wieder einmal recht tief
gesunken war. Jeder kräftige Stoß von der Höhe machte dauernden Wider-
stand der Araber im Küstenlande aussichtslos.
Gegen Nordwesten wird die Senke des persischen Meerbusens fortgesetzt
durch die Alluvialebene von Euphrat und Tigris. Hier findet sich nur eine
schwach ausgesprochene, stellenweise auch gar keine geographische Begrenzung.
Was vom Hochwasser der Ströme, resp. vom Bewässerungswasser des Kanal-
systems nicht erreicht werden kann, gehört eben bedingungslos ' der Wüste,
also Arabien zu. Im Südosten springt aber aus der großen, mehr oder weniger
ungegliederten Halbinsel noch einmal ein kräftig profiliertes Bergland vor, Oman,
von dem übrigen Lande durch weite Wüsten geschieden, durch die inmierhin
Oasenketten einen zu manchen Zeiten nicht unwesentlichen Verkehr gestatteten,
während dagegen seine offene Lage zum indischen Meere mehr als einmal
in der Geschichte kräftigen Handelsvölkern und ehrgeizigen Herrscherhäusern
eine ausreichende Basis zu einer ausgebreiteten und weitreichenden Tätigkeit
gewährte, die aber als nächstes und wesentlichstes Handelsgebiet eigentlicb
immer die indischen, besonders die nordindischen, Häfen den persischen
gegenüber bevorzugte. Daß der arabische Handel auch weit darüber hinaus
bis nach den fernen Gewürzinseln der Molukken und weit an der afrikanischen
Küste hinabwirkte, brauche ich ja nur anzudeuten. Die Kolonisatoren von
Atchin, Malacca und Bnmej (Bomeo) rühmten sich arabischer Abstammung,
und die Sultane von Sansibar sind bekanntlich ein jüngerer Zweig des
Hauses der Imame von Maskat.
Nicht minder scharf wie im Osten gliedert sich unsere Halbinsel vom
afrikanischen Kontinent durch den tiefen Graben des Boten Meeres ab.
Vergebens streckt Afrika im Süden das wenig entfernte, aber fast hafenlose,
durch die wilde Bevölkerung zu allen Zeiten bis auf unsere Tage unzugäng-
liche Osthom der Somalhalbinsel vor. Nicht hier, aber wohl am Knick, wo
westlich das mächtige abessinische Alpenland und östlich das kleinere, aber
im Charakter sehr verwandte Alpenland Yemens sich ziemlich nahe konmien,
da ist die Stelle, die allezeit einen regeren Verkehr gehabt und stellenweise
einen nicht bloß für die Geschichte, sondern ganz besonders für die Kultur-
geschichte hervorragend wichtigen Austausch vermittelt hat. Auch hier spannt
sich aber auf der Hauptstrecke zwischen dem fruchtbaren Niltal mit seiner
zu allen Zeiten dichten und hochkultivierten Bevölkerung und dem Roten
Meere wieder eine schmale gebirgige Wüstenzone, die arabische Wüste, aus,
die zu allen Zeiten auf den Verkehr sehr hindernd gewirkt hat Mächtige
Herrscher konnten gewiß zu allen Zeiten die Straßen gegen die Ungunst der
Die Weltetellung Yemens. 659
geographischen Verhältnisse und besonders gegen das größte Hindernis, die
räuberischen Neigungen der Einwohner dieser schmalen Zone, verteidigen, aber
die Linien waren in nur einigermaßen unruhigen Zeiten sehr schlecht zu
halten, vielfach, zog der Verkehr es inuner vor, das Rote Meer in seiner
ganzen Länge zu übersetzen, um erst am Isthmus von Suez den kürzesten,
leichtesten und wenigst beschwerlichen Weg ins Kulturgebiet des Nildelta zu
suchen. Seit einigen Jahrzehnten ist ja dann durch den Suezkanal der Welt-
verkehr hierher gezogen, und das Rote Meer, das bis dahin fast immer ganz
von ihm verlassen war, eine seiner wichtigsten Hochstraßei^ geworden!
Gegen Norden trennte endlich früher nur die schmale, von Dünen über-
wehte, von Salzseen unterbrochene Landenge von Suez das Rote Meer und das
Mittelmeer» Trotz aller lokalen Schwierigkeit war bei ihrer geringen Ausdeh-
nung die Brücke von Suez stets eine der wichtigsten Landverbindungen der
Welt. Der eigentliche Graben des Roten Meeres setzt sich dann ja auf der
Ostseite des Sinai durch die Bucht von Akkaba und den tiefen Spalt des
Toten Meeres fort, aber durch besondere klimatische Gunst gehören selbst
einige der östlichen Länder, so Moab, und weiterhin der Hauran, noch zum
westlichen Palästina oder, richtiger gesagt, zu Syrien, von dem Palästina
ja mehr historisch als geographisch getrennt ist. Auch diese Grenzländer
haben für den Verkehr zu allen Zeiten eine sehr große Rolle gespielt, sie
sind nicht, wie die fromme Sage lange wollte, ein abgesondertes Gebiet,
sondern vielmehr ein ausgesprochenstes Durchgangsgebiet gewesen, und noch
heutzutage zieht die große Karawane der Pilger von Damaskus östlich vom
Jordan nach Mekka und Medina.
Im Norden verliert sich endlich die arabische Platte ohne feste Grenze
etwa in der Gegend von Palmyra zwischen dem Euphratufer und dem
syrischen Kulturland.
Schon aus dieser kurzen geographischen Skizze geht hervor, daß die
wichtigsten Verbindungen Arabiens nach Nordwesten führen, tmd daß ganz
besonders wichtig hier allemal die Landverbindungen gewesen sind, da das
Rote Meer wohl zu gewissen Zeiten als wichtige Straße fungiert hat, selbst
aber eigentlich immer nur geringen und einen im ganzen wenig selbständigen
Verkehr aufeuweisen hatte, meist sogar nur in möglichst eiliger Fahrt über-
schritten wurde.
Die Anfänge unsenw: Kultur liegen, darüber kann es keine Diskussion
geben, überall weit vor dem Anfang aller Geschichte. So ist es auch in
diesem Gebiet. Mögen wir die Nachrichten in der Bibel zusammenstellen,
mögen wir die Semiten bei ihrem Eintritt in die babylonische Civilisation
betrachten, immer ist keine Rede davon, daß sie kulturlose Barbaren waren.
So werden sie in der Geschichte von Joseph erwähnt als Handelsleute, die
von weither kommen und nach weit entlegenen Gegenden ziehen. Die Reiche
der nordarabischen Minäer und Nabathäer, das weitentlegene, mit sagenhaftem
Reichtum umgebene Reich der Königin von Saba, also das heutige Yemen,
das waren nicht etwa kulturlose Gebiete dürftiger Kamelhirten. Eins der großen
Ereignisse der südarabischen Geschichte, das sicher auf historischer Grundlage
beruht, auch wenn die Folgen sagenhaft ausgeschmückt worden sind — dies
44*
660 Eduard Hahn:
Ereignis bildet nämlich das Anfangsdatum fOr alle Chronologie der Stamme,
die sich zu den echt arabischen rechnen — ist der Bruch des großen Stau-
dammes von Mareb, im Norden des Berglandes von Temen. Durch diese
große Katastrophe wollen alle die großen Stämme zur Auswanderung ge-
trieben sein, und folgenschwer genug mag ja ein derartiges Ereignis ge-
wesen sein. Nirgends aber ist davon die Bede, daß in Temen, über dessen
ältere Geschichte wir übrigens nur durch einige wenige, schwer zu ent-
ziffernde Inschriften unterrichtet sind, die Elemente der arabischen Kultur,
wie wir sie in allen Zeiten finden, nicht vorhanden gewesen seien, also die
Dattelpalme, das Schaf und die stellenweise wichtigere Ziege, die Kultur
der Gerste, die mit künstlicher Bewässerung zusanunenging und für die
stets, wo sie in irgend ausgedehntem Maßstabe getrieben werden konnte,
auch das Kind in der üblichen Weise verwendet wurde. Nirgends finden
wir femer den Gedanken, daß die Verwendung der Milch erst hätte ein-
gef&hrt werden müssen, im Gegenteil hat ja gerade die Wirtschaft der
arabischen Nomaden, die wenn auch nicht ausschließlich, so doch wesentlich
von der Milch ihrer Herden leben, auf unsere ganze historische Auffassung
den allergrößten Eindruck gemacht und zur falschen Annahme des Hirten-
tums als einer notwendigen Durchgangsstufe der Menschheit gef&hrt Als
einen Rest davon finden wir aber auch hier immer wieder den Gedanken,
daß die Milch etwas Heiliges, etwas, was nicht so ganz zur bloßen Nutz-
wirtschaft des Menschen gehört, in eigentümlicher Weise ausgesprochen. Vie-
len Lesern wird ja aus meinen früheren Untersuchungen bekannt sein, daß
der Pflugochs als Teilnehmer am heiligen Geschenk der Götter, am Ackerbau,
zu vielen Zeiten und an vielen Orten eigentlich nicht gegessen werden
durfte, so noch heute ganz allgemein in China, aber einst auch im alten
Rom und ebenso im heutigen Cypem. Die Türken essen, wie mir Professor
Schwein furth erzählte, eigentlich nur ungern Bindfleisch (mit dem Kalbe
ist ja das seit Abrahams Zeiten anders). In diesen Kreis der Erscheinung
gehört es meiner Ansicht nach, daß ein ganz allgemeines Sittengesetz jedem
Beduinen, der etwas auf sich hält, auf das allerstrengste verbietet, Milch zu
verkaufen, er darf sie nur verschenken. Für die großen Pilgerkarawanen,
wo das natürlich nicht geht, haben daher schon früh besondere Bestimmungen
fUr den Milchverkauf getroff'en werden müssen.
Schweigen nun eigentliche Geschichtsquellen über die Einfahrung des
Ackerbaus in Arabien, wenigstens bis jetzt, ganz, und ist in Arabien selbst
keine Kenntnis seiner ältesten Geschichte zu gewinnen, können wir vielleicht
aus einem anderen Lande etwas mehr über die erste Geschichte des Acker-
baus ableiten? Ägypten hat doch oft als das Ui%prungsland unserer ganzen
wirtschaftlichen Kultur, d. h. also in der Hauptsache unserer Pflugkultur ge-
golten, so schon für den alten Herodot, und allerdings kann uns Ägypten
hier sehr viel weiterhelfen.
Durch einen glücklichen Zufall ist man vor einigen Jahren in Abjdos
auf die Königsgräber der ersten Dynastie gestoßen: vorher hatte schon
Flinders Petrie höchst eigentümliche Gräber in Ägypten ausgegraben, und
die Resultate dieser Funde hat dann Schwein furth mit Meisterhand zu
Die Weltstellung Yemens. 661
einem Resultate geordnet. Diese Gräber sind durch einige wichtige Funde
als die Gräber einer Reihe von Königen belegt, und unter den letzten dieser
Reihen zeigen sich im Eönigschild historisch beglaubigte Namen aus der
sogenannten ersten Dynastie der ägyptischen Könige. Die älteste Kultur ist
dabei allerdings die Kultur völliger Steinzeit , aber auch so ist die Kultur
recht achtbar, wir haben geradezu wunderbar gearbeitete Gefäße aus Ala-
baster und aus dem härtesten Diorit, wir haben große Krüge mit zahl-
reichen Figuren bemalt, deren Motive uns zumeist recht afrikanisch anmuten,
so die Strauße, aber auch die höchst merkwürdigen Tänzerinnen mit ihrem
Riemenschurz; ein häufig wiederkehrendes pflanzliches Motiv hat Schwein-
furths Meisterblick als die Aloe (später die Hieroglyphe für Oberägypten)
erkannt. Ein besonders charakteristisches Licht auf die hohe Bedeutung
dieses ältesten Nilkulturvolkes wirft aber die Zeichnung eines Schiffs, eine
Zeichnung, die ohne Zweifel wegen ihrer Wichtigkeit imd Bedeutung häufig
wiederkehrt! Diese Hieroglyphe ist nämlich ganz und gar das spätere, für
den Nil ja noch heutzutage so ungemein wichtige Nilschiff. Das ist, ich folge
auch hier Schweinfurths ausgezeichneter Führung, ein Fortschritt von ge-
radezu unabsehbarer Bedeutung gewesen. Ich bin ganz sicherlich kein Verächter
der babylonischen Civilisation, aber so gern ich alle andern Verdienste der
Einwohner Mesopotamiens anerkenne, in der Schiffahrt sind die Babylonier
immer Stümper geblieben, und ihre Nachfahren sind es bis auf den heutigen
Tag. Auf dem Euphrat und dem Tigris fährt man 'zum Teil noch heute
in runden mit Asphalt überzogenen Körben, die für den lokalen Wasser-
verkehr ja bei bescheidenen Ansprüchen einigermaßen genügen mögen, die
aber jedenfalls niemala irgend etwas zu stände kommen ließen, was man von
Rechts wegen mit dem stolzen Namen „Schiffahrt" hätte belegen können I
Ganz anders auf dem Nil: ein auch räumlich sehr achtbares, verhältnismäßig
schmales Schiff wurde von zahlreichen Ruderern mit großer Schnelligkeit
fortgetrieben, und ein einziges, aber mächtiges Segel gestattete den wechselnden
Wind im Niltal je nach dem mit Vorteil auszimutzen. Es bleibt kaimi ein
Zweifel, daß das spätere, für die Kulturgeschichte so ungemein wichtige
Schiff, das den Phöniziern zu ihren Fahrten diente, ebenso wie selbst die
moderne arabische Dhau auf dies Schiff der ältesten ägyptischen Steinzeit
zurückgeht !
Für den Ethnologen ist schon aus diesem einen Funde zu schließen, daß
die Erfinder dieses Schiffstypus eine ausgesprochene ethnologische Individualität
vertreten müssen. Nun hat Schweinfurth mit dem kühnen Griff des wahren
Forschers an der Hand jener wirklich wunderbar gearbeiteten Steingefäße
geschlossen, daß diese ältesten ägyptischen Steinzeitleute eines Stammes
oder doch einer Abstammung gewesen sind mit denen, die heute als Ababde
und Bischarin die arabische Wüste zwischen Nil und Rotem Meere bewohnen.
Hier haben sich nämlich Spuren jener ehemals ausgezeichneten Steintechnik
in Resten bis auf den heutigen Tag erhalten.
Ehe aber die älteste Zeit in Ägypten noch ganz zu Ende geht, hat sich
das Bild der Zustände gründlich geändert. Wir finden hier deutlich den
Übergang zur älteren Metallkultur, zur Bronzezeit, wir können aus den
662 Eduard Habn:
letzten Funden auf das Vorhandensein der Pflugkultur (so sage ich jetzt für
den weniger präzisen Ackerbau) mit Pflug und Rind, mit Gerste und Weizen
schließen. Auch der Lein, die Dattel und, wie es scheint, zuletzt auch der
Weinstock waren schon nach Ägypten gekommen.
Ich habe oben schon angeführt, daß Herodot den Ackerbau für in
Ägypten entstanden hielt. Darüber haben uns nun diese Funde nichts gesagt
Im Gegenteil die Bestandteile des Ackerbaus oder des Pflugbaus, der durch
ein Arbeitsgerät, den Pflug, und durch ein Arbeitstier, das Rind, und durch
den Anbau der Getreidearten, hier also Gerste und Weizen, charakterisiert
wird, treten wie anderswo, so auch hier plötzlich und gleich in der ge-
schlossenen Dreiheit auf. Natürlich sind sie dann auch in Äg3rpten heilig
gewesen, auch hier hat der König die von den Göttern zur Nahrung des
auserwählten Volks bestimmte Wirtschaftsform geehrt, indem er den Acker-
bau als heilige Handlung und ein den Göttern wohlgefälliges Werk durch
eigene Teilnahme einweihte. Auch hier war der höchste der Götter, Osiris,
ein Pflüger, das Rind war heilig, die höchste Göttin Isis tritt häufig als Kuh
auf, noch viel häufiger wird sie mit dem Kuhhaupte dargestellt, aber sie
wird auch dargestellt, wie sie dem Göttersohn, dem König, ihre Milch
spendet; denn auch den Milchgenuß hatte Ägypten angenommen, der sich von
hier aus dann über weite Strecken Afrikas verbreiten sollte, während sonst
Afrika dem urafrikanischen Hackbau treu blieb und die Pflugkultur nur die
eine, aber bedeutsame Eroberung in Afrika machte, Habesch, das eine ab-
weichende Religion, das Christentum, mit einer abweichenden Wirtschafts-
form, unserer Pflugkultur, verbindet. Nur im unteren Niltal hat sich also
unsere westasiatisch-europäische Pflugkultur ein Gebiet erobert, während sonst
das eigentliche Afrika davon unberührt geblieben ist.
Mit dieser Pflugkultur, mit der Bronzekultur und mit den Anf&ngen der
Hieroglyphenschrift zugleich scheint, wie man das wohl für die älteste Zeit
eigentlich immer annehmen muß, auch ethnisch ein neuer Bestandteil nach
Ägypten gekonunen zu sein, der sich hier nicht sowohl der Herrschaft be-
mächtigte, als sich vielmehr allmählich die herrschende Kaste assimilierte.
Dieser neue asiatische Bestandteil — im einzelnen ist ja natürlich noch
manches dunkel, aber zunächst dürfen wir wohl den Ursprung der Pflug-
kultur, wie der Bronze, etwa im Gebiet des Euphrat und Tigris suchen — -
kam also vermutlich von Asien herüber und zwar, wie es scheint, das Niltal
herab, d. h. also, daß die semitischen Elemente bei ihrer ersten geschicht-
lichen Ausdehnung nach dieser Seite schon, wie sie das später noch oft tun
sollten, die engste Stelle des Roten Meeres überschritten. Zugleich aber, oder
wenigstens ungefähr in diese sehr entfernte Zeitepoche fällt die Ausdehnung
des semitischen Elementes nach Nordosten, nach Babylonien hinein. Wir
wissen ja jetzt, daß die Urbegründer der wichtigsten geistigen Errungen-
schaften, wie das allgemein zugegeben wird, die Begründer der Lehre von
den Himmelsbewegungen und damit der Grundlagen unserer ganzen Jahres-
und Tageseinteilung, nicht etwa Semiten, sondern vielmehr eines ganz ab-
weichenden Stammes, sogenannte Turanier gewesen sind. Diesen selben Leuten
schreibe ich auch die Begründung unserer wirtschaftlichen Kultur, die Feld-
Die Weltstellung Yemens. 663
bestellung mit Pflug und Oclis und den Bau der sogenannten Brotfrücbte,
d. h. des Getreides, sowie die Milchwirtschaft zu. Diese Völker geraten nun,
das Nähere wissen wir noch nicht, nach einer Zeit der Wirren unter semi-
tische Vorherrschaft, unter der sich aber die Überlegenheit ihrer Sprache imd
Schrift noch lange geltend machte, sogar bis in den Ausgang des babyloni-
schen und assyrischen Eeiches hinein!
In einer höchst eigentümlichen Weise hat aber damals das semitische
und, wie wir wohl schließen dürfen, das südsemitische Element nach beiden
Seiten, nach Nordosten für Babylonien und nach Nordwesten für Ägypten
seinen Einfluß geltend gemacht, indem es wohl kaum ohne Beziehungen zur
politischen Stellung in Ägypten und Babylonien einen Gebrauchsgegenstand
einzufahren gewußt hat — näheres kennen wir natürlich auch hier noch
nicht — , der für die Entwicklung des Weltverkehrs und des Welthandels von
allergrößter Bedeutung sein sollte, den Weihrauch.
Für Ägypten ist diese Einfahrung um so seltsamer, als hier im Gegen-
satz zu Babylonien der semitische Einfluß nicht etwa dauernd vorherr-
schend blieb.
Die Zusammensetzung der Bevölkerung des ältesten Ägyptens ist immer
ein sehr interessantes Problem gewesen, weil die Ägypter das klassische
Beispiel eines mit Starrheit nach außen abgeschlossenen und nach innen ge-
gliederten Volkes gaben, aber trotz dieser kastenartigen Gliederung bestand,
wie gesagt, ein ganz ungemein kräftiges Nationalbewußtsein gegenüber allen
draußen stehenden Völkern. Es lag in der Natur der Dinge im Niltal, daß
die draußen stehenden für als von der Gunst der Götter ausgeschlossene
zu gelten hatten, und daß sie den Haß und die Verachtung der ürbewohner
durch Jahrhunderte lang auch dann tragen mußten, wenn sie wie die so-
genannten Hyksos durch die Gunst der Verhältnisse politische Herrscher des
Landes geworden waren.
Wie läßt sich das nun vereinbaren mit der Darstellung, die ich erst
gab, daß ein ursprünglich afrikanisches, wir dürfen wohl noch näher sagen,
ein hamitisches Element mit einem semitischen Bestandteil zum ürvolk der
Ägypter zusammenschmolz? Nun das Niltal bot, wie Mesopotamien, einen aus-
gezeichneten Boden für einen Ackerbau mit Bewässerung, der große Massen
von Volk jahraus, jahrein nicht nur ergiebig ernähren konnte, sondern sie
auch zu den notwendigen großen Kanal- und Dammbauten verlangte. Als
die ersten semitischen Ankönmilinge ins Niltal kamen, wird die ursprünglich
ansässige hamitische Bevölkerung zwar, ihre Steingeföße und manches andere
beweisen das, eine recht achtbare Kultiur erreicht haben, aber ihr afrikanischer
Hackbau wird die Bevölkerung doch nicht zu einer besonderen Verdichtung
haben kommen lassen. Das wurde mit einem Schlage anders, als die Pflug-
kultur und Milch- und Getreidenahrung ein ungeheures Wachstum der Be-
völkerung hervorriefen und alle nicht nur ausgiebig ernährten, sondern auch
ausgiebig beschäftigten; das wird übrigens auch anderswo so gewesen sein.
Das goldene Zeitalter des Ghronos, in dem Milch und Honig floß,
die Sagen von den glücklichen Zeiten, in denen man die Milch in ganzen
Teichen sanunelte und den Rahm in Kähnen abschöpfte, ein Ideenkomplex,
664 Eduard Hahn:
der sich schließlich noch bei uns den Mythus vom Schlaraffenland gebildet hat,
geht vielleicht auf jenen Umschwung in den Nahrungsverhftltnissen zurück,
den jedes Volk durch die Einführung der Pflugkultur erfahren mußte. Jeden-
falls hatte die ägyptische Bevölkerung aber Zeit, trotz der Verschiedenheit der
ursprünglichen Elemente zu jenem nach außen so ungemein abgeschlossenen
Volk zusammenzuwachsen, von dem der heutige Fellache Ägyptens noch so
viele Züge treu bewahrt hat.
Gkmz anders spielten sich die Dinge im nordöstlichen Berührungsgebiet
ab. Die ursprünglich auf ganz anderem Boden erwachsene Kultur Meso-
potamiens wurde so gründlich semitisiert, daß ohne die wissenschaftlichen Er-
gebnisse des letzten Jahrhunderts der Anspruch der Semiten, hier die aller-
wesentlichsten Kultur-, Wirtschafts- und Religionselemente selbsttätig geschaffen
zu haben, der jetzt von allen Seiten so bedenklich erschüttert wird, wesent-
lich unangefochten geblieben wäre. Von diesem Gebiete aus haben dann
wieder die wichtigsten und weitreichendsten Berührungen stattgefunden, nicht
allein auf die Urheimat der Semiten, die arabische Halbinsel, sondern sicher
doch auch auf das ursprünglich gewiß von einer Reihe sehr verschiedener
Völker bewohnte Syrien und sein Anhangsgebiet, Palästina. Aus diesen
gewiß nicht rein semitischen Völkern — der assyrische Typus kehrt ja
in ausgesprochenster Form bei einem jetzt national und linguistisch weit ver-
schiedenen Volk, den Armeniern, wieder, er findet sich aber auch unter
unseren Juden — und von hier aus, von der Ostküste des Mittelmeers, haben
ja dann Kulturberührungen allerwichtigster und einschneidendster Art weit
nach Westen und nach Nordwesten stattgefunden.
In eigentümlichster Weise kommt das zur Geltung in jenem Zwischen-
gebiet von Religionsgeschichte und Handelsgeschichte. Der Weihrauch ist
ein Produkt Arabiens und der gegenüberliegenden afrikanischen Küste. Es
war also für die Bevölkerung der Halbinsel Yemen ein Schritt von aller-
größter Bedeutung, als es irgend einem großen religiösen Reformator oder
weiter wirkenden Missionaren gelang, die Einwohner Ägyptens sowohl, wie
die von Mesopotamien zu überzeugen, vor den Göttern könne man sich an-
genehm machen nur, indem man ümen Weihrauch und Myrrhe als Rauch-
opfer darbringe. Auf die ältere Zeit muß das ganz ungemein überzeugend
gewirkt haben. In allen Gebieten um das Mittelmeer finden wir ausnahms-
los den Gebrauch von Weihrauch und Myrrhe verbreitet.
Aber auch nach Indien hin kommt von Arabien der Gebrauch, wohl-
riechende Sachen den Götte^ als Rauchopfer darzubringen, und von Indien
aus, wo sich neue wohlriechende Drogen, zum Teil von verwandten Pflanzen
gewonnen, dem Weihrauch zugesellen, kam das Rauchopfer mit dem Buddhis-
mus auch nach Thibet und China. Aus dem Heidentum und Judentum kam
dann die Sitte, zum Gottesdienst mit wohlriechenden Dingen, besonders mit
Weihrauch zu räuchern, auch ins Christentum, und mit dem Katholizismus
hat sich der Weihrauchgebrauch dann auch über die südlidhe Hälfte der
neuen Welt ausgedehnt.
Man sieht, mit Naturnotwendigkeit waren die Einwohner der arabischen
Halbinsel auf einen ausgedehnten Handelsverkehr angewiesen, der sich natur-
Die Weltfltellung Yemens. 665
gemäß in verschiedenen historischen Zeiten in verschiedener Weise vollzog,
bald kamen die Fremden aus dem Absatzgebiet, bald gingen die Händler ins
Absatzgebiet. Schon früh zieht sich das eigentlich südarabische Kulturvolk,
die Sabäer, vom Handel zurück, und die nordarabischen Eamelhirten über-
nehmen sehr bald die Vermittlung. Jatrib, Petra und andere Städte sind
kürzere oder längere Zeit in Blüte, Nabataer, Minäer und Idumäer teilen
sich oder entreißen sich gegenseitig den gewinnbringenden Handel, dessen
Ware schließlich immer in die Hände der phönizischen Seestädte kam.
Nur ganz vorübergehend machte Altägypten einen Versuch, nicht nur den
Handel des Boten Meeres an sich zu reißen, sondern auch das Weihrauch-
land durch Kolonisation in Besitz zu nehmen.
Mit genialem Blick erkannten dann die Ftolemäer die Weltstellung des
imteren Niltals zwischen Rotem Meer und Mittelländischem Meer, vielleicht
geht ja diese Idee noch auf Alexander zurück, und bis zum Ausgang des Kaiser-
reichs hat dann auf dem Boten Meer ein lebhafter Handel geherrscht, der be-
sonders indische Produkte, Pfeffer u. dergl., vertrieb. Noch einmal haben
dann die Mamelukkensultane diesen Handel zu neuem Leben erweckt, bis ihn
die portugiesische Entdeckung des Seeweges nach Ostindien dauernd in euro-
päische Hände brachte. Die Stellung Arabiens und besonders die seines älte-
sten Kulturzentrums, Südarabiens, war dabei eigentümlich passiv durch lange
Jahrhunderte hindurch. Brachte doch erst Muhameds neue Religion wieder
echte Semiten zu einer historischen Rolle außerhalb der arabischen Halbinsel,
die ja dann freilich sehr weitgreifend wurde!
Am Anfang meiner Darstellung versuchte ich es wahrscheinlich zu
machen, daß die Bringer einer höheren Kultur in Ägypten Kolonisten aus Süd-
arabien gewesen sind; und dieser so folgenreiche Eingriff sollte die einzige
historische Betätigung eines sehr begabten, mit allen •möglichen Kultur-
anregungen durchtränkten Stammes geblieben sein? Das wäre eine höchst
seltsame Erscheinung und ist denn auch keineswegs der FalL Der Weg,
den die ältesten Propheten des Ackerbaus nach Ägypten nahmen, führte sie
von Südarabien über die Enge zunächst nach Abessinien und erst von da
ins Nütal hinunter. Nur so erklärt sich doch wohl das Vorhandensein der
uralten, hier und da historisch nicht unwichtigen, aber wesentlich in meist
ziemlich rein hamitischer Halbkultur steckengebliebenen Reiches Meroe.
Bekanntlich haben verschiedentlich, so noch kurz vor dem Zusammen-
bruch des altägyptischen Nationalstaats äthiopische Könige in Ägypten ge-
herrscht. Auch dies Reich Meroe verdankte seine doch nicht unwesentliche
Halbkultur wohl wesentlich ursprünglich südsemitischen Kultureinflüssen, wie
denn zu allen Zeiten mehr oder weniger, besonders aber seit dem allerdings
sehr späten Eindringen des Islam in diese Gegenden ein ausgiebiges Wandern
oder vielmehr ein anhaltendes Einsickern semitischer Elemente auf die Tief-
länder im Zweistromland des Nils stattgefunden hat. Eine weit größere
historische Bewegung, die vielleicht die Ausschaltung Südarabiens grade in
den letzten vorchristlichen Jahrhunderten erklärt, ist die Kolonisation des
alpinen Gebiets von Afrika, des äthiopischen Hochstocks. Abessinien, wie
wir jetzt sagen, hat aus Ägypten und dem Mittelmeerland seine Religion,
666 Eduard Hahn: Die Weltstellung Yemens.
aus Südarabien aber seine Schrift und den starken Zuschuß in weit älterer
Zeit empfangen, der seine alte Schriftsprache zu einer hamitosemitischei]
machte, auch wenn sich die semitische Volksmischung im heutigen Abessinien
dem hamitischen Bestandteil gegenüber kaum noch geltend machen kann.
Hier haben auch einmal nach der anderen Seite nicht unwesentliche
historische Bewegungen stattgefunden. Das Geburtsjahr Muhameds heißt in
der arabischen Chronologie das Jahr des Elefanten, weil ein abessinischer
Statthalter von Yemen mit einem Heere auf Mekka zog, bei dem ein Elefant
eine markante Erscheinung war. Nach muhamedanischer Tradition spielt bei
dem Scheitern des Zuges ein Wunder eine Rolle. Wahrscheinlicher ist, daß
der Angriff auf die heilige Stadt durch das verheerende Auftreten der Blattern,
es ist das das erste Mal in der Geschichte der Yolkskrankheiten, scheiterte.
Bezeichnend eingeleitet wurde die Geburt Muhameds (570 n. Chr.) durch Kämpfe,
in denen sich damals persische Heere und Flotten in der Enge des Roten
Meeres mit Abessiniem begegneten, die mit dem Kaiser von Byzanz, es war
das Justinian, verbündet waren. Die ungeheure Zähigkeit des hamitischen
Yolkscharakters, die ja freilich leicht in Stillstand und Rückständigkeit aus-
artet, wii-d durch nichts so gut bewiesen als dadurch, daß das freilich ja recht
äußerliche Christentum der Abessinier allen islamitischen Missionsversuchen und
allen mit noch so großer Wucht geführten Eroberungsversuchen Widerstand
geleistet hat. Seit wenigen Jahrzehnten erst ist, abgesehen von einem ener-
gischen aber kurzen, in seinen Folgen ganz resultatlosen Versuche Portugals
im 16. Jahrhundert, Abessinien und, wie es scheint, jetzt dauernd in das
Gewebe des europäischen Welthandels und des Kampfes der Europäer um
die Weltherrschaft eingezogen. Den uralten, häufig durch Jahrhunderte fast
bedeutungslosen, jetzt durch den Suezkanal zu einer ausschlaggebenden Stel-
lung gelangten Hfifenplatz Aden haben die Engländer seit 1839 besetzt.
Politische umstände zwingen sie, zum Teil wohl gegen ihren Willen, zu einer
immer weiter gehenden Besetzung Yemens. Es ist damit ohne weiteres ge-
geben, daß dieses von der Geschichte so lange fast vergessene Gebiet dauernd
zu einer wichtigen, hoffentlich auch für es selbst nicht unvorteilhaften Rolle
berufen ist, und die letzten Nachrichten bestätigen das ja vollauf!
Die Geographie in den Vereinigten Staaten.
Von Martha Erug-Genthe.
II« Die Schnlgeographie.
A. Die höheren Schulen.
Die Schulgeographie bietet der Berichterstattung ein bedeutend weiteres
Feld als die wissenschaftliehe. Denn als Gegenstand wenigstens des Elemen-
tarunterrichts ist selbst in Amerika die Existenzberechtigung der Geographie
nie angezweifelt worden, und in den höheren Schulen^) hat sie sogar rascher
1) Das amerikanische Schulwesen ist bekanntlich streng nach dem Prinzip der
Martha Krug-Genthe: Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 667
Eingang gefunden als an den wissenschaftlichen Anstalten. In dieser Tat-
sache liegt hereits eine Folge der Wendung zum Besseren auf diesen letzteren
vor. Denn da der Lehrplan der High Schools fast ausschließlich durch die
Anforderungen hestimmt wird, die die Colleges fttr ihre Aufnahmeprüfungen
stellen, so war von dem Augenblicke an, wo diese begannen, Geographie auf
die Liste der offiziellen Prüfungsfächer zu setzen, für jene die Notwendigkeit
gegeben, fär eine angemessene Vorbereitung zu sorgen. Es fügte sich glück-
lich, daß ungefähr gleichzeitig mit der zunehmenden Anerkennung der Geo-
graphie durch die Universitäten und Colleges ihre Aufnahmebedingungen
einer Revision unterworfen wurden; das Ergebnis war die Einsetzung
einer gemeinsamen Prüfungskommission und die Annahme der gleichen Prü-
fungserfordemisse seitens der führenden Colleges. Diese „College-Aufnahme-
Prüfungskommission fttr die Mittelstaaten und Maryland"*) hat sich in
der kurzen Zeit ihres Bestehens bereits die Stellung einer obersten Instanz
für diese Fragen erobert, und diejenigen Anstalten, die noch nicht offiziell
beigetreten sind, passen sich tatsächlich ihren Forderungen mehr und mehr
an, ähnlich wie in Deutschland die preußischen Lehrpläne mehr oder weniger
vorbildlich genommen werden auch in Schulen unter anderer Verwaltung.
Diese Prüfungen, die jedes Jahr im Juni in verschiedenen Städten des Landes
abgehalten werden, werden mehr als irgend etwas dazu beitragen, die recht
großen Ungleichartigkeiten und Ungleichwertigkeiten des High School-Unter-
richts in den einzelnen Teilen des Landes auszugleichen, und ausnahmslos
im Sinne einer Hebung des Niveaus. 1901 wurde zum erstenmal in Geo-
graphie geprüft; die Statistik dieser Prüfung ist bezeichnend für die Zu-
stände früherer Jahre. Es kamen nämlich von 11 744 Aspiranten, von denen
6,7% vorzüglich — 17,8 7o gut — 31,4 7« genügend — 12,4% ungenügend
— 31,8% ganz ungenügend befunden wurden, auf Geographie ganze 5 Mann
mit den Resultaten: vorzüglich keiner — gut 1 — genügend 1 — ganz
ungenügend 3. Besser kann die Lage des Geographieunterrichts vor der
Einführung dieses Einheitsmaßes quantitativ und qualitativ kaum veranschau-
licht werden.
Über den jetzigen Stund des Unterrichtes an diesen Schulen absolut Zu-
verlässiges zu sagen, ist angesichts der Tausende von High Schools in den
Vereinigten Staaten, deren selbst jede kleine Stadt in der Regel eine und
jede größere drei, vier, sechs imd mehr besitzt, nicht möglich. Nur ein aktiv
mit der Schulverwaltung in Beziehung stehender Berichterstatter könnte
Zahlen liefern, die einigermaßen statistischen Wei-t beanspruchen könnten.
Einheitsschule organiBiert. In viennal vier Jahren folgen aufeinander die Primary
School, Granamar School, High School und College. Die ersten beiden entsprechen
der deutschen Volksschule, die High School umfaßt das Pensum der deutschen
höheren Schulen bis etwa zu Obertertia oder Untersekunda, das College, das bereits
den Zuschnitt des Universitätsbetriebes hat, entspricht den Oberklassen des Gym-
nasiums und Realgymnasiums, in seinen besten Vertretern vielleicht bis einschließ-
lich des ersten Universitätsjahres; erst was über diese Periode hinausgeht, kann als
dem deutschen Universitätsstudium gleichwertig bezeichnet werden (das sogenannte
Post-Graduate study.)
1) „College Entrance Examination Board for the Middle States and Maryland'*.
668 Martha Krug-Üenthe:
Wenn man aber annimmt, daß das Angebot durch die Nachfrage geregelt
wird, dann ist es bezeichnend genug für die neue Wendung der Dinge, daß
in den letzten zwei oder drei Jahren die neuen Lehrbücher der Geographie
(physikalischen Geographie) fOr Fortgeschrittene wie Pilze aus der £rde
schießen und zu den einträglichsten Veröffentlichungen der Verleger gehören.
Auch kann ich anführen, daß unter einer ganz leidlichen Anzahl von High
School - Programmen mir persönlich nur eines vorgekommen ist, das Geo-
graphie nicht enthielt.
Die Anforderungen, die von der Prüfungskommission an den Geographie-
unterricht auf der High School gestellt werden, beruhen auf den Beschlüssen
der Sektion für Geographie der National Educational Association^). Die
Minimaldauer des Kursus soll ein Jahr (32 — 36 Wochen) mit 4 wöchent-
lichen Unterrichtsstunden von mindestens 45 Minuten L&nge umfassen. Daß
es ersprießlicher sein würde, ihn auf zwei Jahre zu je zwei Wochenstunden
zu verteilen, ist ein Gedanke, der nicht nur in der Geographie dem ameri-
kanischen Methodiker im allgemeinen fernliegt; denn seine Verwirklichung
würde die Durchführung des elektiven Systems erschweren, in dessen Inter-
esse die einzelnen Fächer, unter denen die Schüler wählen sollen, mög-
lichst auf den Raum je eines Jahres zusammengedrängt werden müssen. Die
Schwierigkeit ist nun, in welches der vier Jahre die Geographie gelegt werden
soll. Im ersten, was die Regel ist, schließt sich der Kursus glatt an den
Unterricht der Oberstufe der niederen Schulen an; demgegenüber wird aber
mit Recht eingewandt, daß auf dieser Stufe, ehe die Schüler von Physik und
Chemie mehr als die allerrudimentärsten Kenntnisse erworben haben, der
Kursus naturgemäß in der Luft stehen muß. Wird er in ein späteres Jahr
verlegt, so werden bis dahin die auf der Elementarschule erworbenen geo-
graphischen Kenntnisse schon mehr oder weniger dem Vergessen anheim-
gefallen sein, und der Kursus wird auf andere Weise der festen Basis ent-
behren. Es besteht daher unter den Lehrern der Geographie eine Agitation
für eine Verteilung des Stoffes auf mehrere Jahre, die vereinzelt schon von
Erfolg begleitet gewesen ist, indem zwei in sich abgeschlossene, aber einander
ergänzende Kui-se gegeben werden, und in der High School des „Chicago In-
stitute" in Chicago ist, meines Wissens der einzige Fall seiner Art im Lande,
sogar das Ideal eines sich durch alle vier Jahre hinziehenden Kursus in den
„Erd Wissenschaften"^) erreicht.
Der Inhalt des typischen einjährigen Kursus in den High Schools ist
natürlich rein physisch-geographisch oder physiographisch; er gruppiert sich
1) Die National Educational Association ist die größte und wichtigste Ver-
einigung von Scholmännem der Vereinigten Staaten. Sie erstreckt sich über die
ganze Union, und ihre jährlichen Versammlungen, deren Berichte veröffentlicht
werden, sind die Marksteine des Schullebens. Von ihr aus ging der Anstoß zur
Reform des amerikanischen Schulwesens, und die Berichte des «Zehner- imd Fünf-
zehnerkomitee der Vereinigung bilden die Basis alles dessen, was seit 1894 und 95
in dieser Richtung getan worden ist.
2) Erstes Jahr: Physiographie des Landes; zweites: Meteorologie und Palä-
ontologie; drittes: Geologie, dynamisch und historisch; viertes: Anthropogeographie.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 669
um die vier Begriffe Erde als Kugel, Ozean, Atmosphäre und Land^). Der
erste Abschnitt soll umfassen Gestalt und Größe der Erde, Rotation und
Revolution, Magnetismus, Kartenprojektion. Unter Ozean werden verlangt
Grestalt, Teile und allgemeine Eigenschaften der großen Ozeane, Tiefe, Tem-
peratur und Dichte des Meerwassers, der Meeresboden, Verteilung des Lebens
in den Meeren, Bewegung des Meerwassers (Wellen, Ströme, Gezeiten), die
Tätigkeit des Ozeans und Arten der Küstenformen. Die Betrachtung der
Atmosphäre umfaßt Zusammensetzung und Bedeutung der Atmosphäre, In-
strumente zu ihrer Untersuchung, Temperatur, Druckverhältnisse, Zirkulation,
Feuchtigkeit und Niederschläge, Winde, Wetter, Klima. Die Landformen er-
halten den Löwenanteil der Arbeit, und ihre Betrachtung gruppiert sich um
folgende Gesichtspunkte: Vergleich zwischen Land und Meer, Verteilung des
Landes, kartographische Darstellung der Oberflächenformen, säkulare Niveau-
verschiebungen, Ebenen, Plateaus, Gebirge, Vu>kane, Flüsse, Gletscher. Eine
vergleichende Betrachtung der Beziehungen von Mensch, Pflanzen und Tieren
zu Klima, Bodengestalt und Areal der Ozeane bildet den Schluß. Es wird
ausdrücklich gefordert, jeden Gegenstand in seinem kausalen Zusammenhange
mit verwandten Erscheinungen darzustellen und, soweit wie möglich, auf den
Einfluß der geographischen Bedingungen auf menschliche Verhältnisse hin-
zuweisen. Dem Unterrichte ist eins der neueren Lehrbücher zu Grunde zu
legen, und die Prüfung soll Bekanntschaft mit den geographischen Gesetzen
imd mit guten Belegen fOr diese nachweisen.
Damit stehen wir bei dem zweiten Faktor, der neben den Prüfungs-
bestimmungen für die Beschaffenheit des Geographieunterrichts in den High
Schools bestimmend ist, nämlich dem Lehrbuche. Sein Einfluß auf den
Unterricht ist in Amerika weit größer als in Deutschland, wo sich im Grunde
doch jeder Lehrer seinen eigenen Lehrgang mehr oder weniger zurechtlegt,
in größerer oder geringerer Abhängigkeit vom Texte. Es ist die Folge
des Mangels an wissenschaftlich-geographisch vorgebildeten Lehrern für diese
Schulen, daß die Behörde sicherer zu gehen glaubt, wenn sie das Maß der
Prüfungskenntnisse durch den Inhalt eines für gut befimdenen Lehrbuches
bezeichnet, als wenn sie dem Lehrer bloß eine Skizze des zu Behandelnden
in die Hand ^be, deren Ausfähnmg seiner Diskretion anheimgegeben wäre.
Femer müssen wir darin wohl auch noch einen Rest des jetzt glücklicher-
weise überall im Verschwinden begriffenen Verfahrens früherer Jahre sehen,
wo der „Unterricht^' sich darauf beschränkte, daß der Lehrer der Klasse ein
* Buch in die Hand gab und sich seinen Inhalt aufsagen ließ (noch heute
ist der Name einer Unterrichtsstunde recUaiion), Es ist bezeichnend, daß
ein Äquivalent für das deutsche Wort „Leitfaden" im Englischen nicht
vorhanden ist, und daß die neueren Verordnungen immer wieder von neuem
einzuschärfen für nötig halten, daß der Lehrer der Herr, nicht der Diener
des Lehrbuches sein soll, und daß er, nicht der Text, den Mittelpunkt der
Lektion bilden sollte. Ich habe von einem Verleger ein Lehrbuch (nicht der
Geographie, zum Glück) als das beste unter seinesgleichen anpreisen sehen,
1) Coli. Entr. Ex. Board. Document No. 8. 1902. Jan. 10. S. 35 ff.
670 Martha Krug-Genthe:
weil „danach jeder Lehrer mit Leichtigkeit unterrichten könne, sogar wenn
er selbst die betreffende Wissenschaft noch nicht beherrsche". Manche ältere
Lehrbücher der Geographie scheinen von diesem „IdeaP^ nicht allzuweit
entfernt.
Die neuere Geographie hat freilich für dergleichen keine Verwendung
mehr: der Lehrer, der nach den jetzt eingeführten Lehrbüchern unterrichten
wül, wird kläglich Fiasko machen, wenn er nicht, sei es in seiner Stadien-
zeit oder dureh späteren Privatfleiß, sich selbst gründlich in den Gegenstand
eingearbeitet hat Zu dem Lehrbuche von Tarr, das schon früher von mir
eingehend gewürdigt worden ist*), haben sich in jüngster Zeit drei weitere
physikalische Geographien für fortgeschrittene Schüler gesellt, von Davis*),
Dryer®) und Gilbert- Brigham*). Sie zeigen naturgemäß eine gewisse
Familienähnlichkeit, da ja der Stoff durch die PiFüfungsvorschriften genau vor-
gezeichnet und die Freiheit der Bewegung für die Verfasser fast lediglich
auf seine Anordnung beschränkt war. In ihren Anforderumgen überschreiten
sie alle weit das Maß, das in Deutschland auf irgendwelcher höheren
Schule an den Unterricht in physischer Geographie angelegt wird. Wer
ein solches Buch ohne Kenntnis seiner besonderen Bestinunung durchsieht,
wird unfehlbar den Eindruck empfangen, daß es als Einführung in das
Universitätsstudium des Gegenstandes gedacht ist, wie denn dieselben Bücher
tatsächlich auch vielfach auf den Colleges dem Unterricht zu Grunde gelegt
werden^). Um so seltsamer berührt angesichts dieser Tatsache der populäre,
stellenweise ans Feuilletonistische streifende Stil und vor allem der selbst für
ein amerikanisches Schulbuch erstaunliche Reichtum an Illustrationen, durch
den sich auf manchen Seiten das wissenschaftliche Lehrbuch in ein geogra-
phisches Bilderbuch zu verwandeln scheint*). Dieser Zwiespalt ist bezeich-
nend und in der Natur der Verhältnisse begründet. Er beweist, daß der
Begriff tmd die Aufgaben des geographischen Lehrbuches für diese Schulen
in Amerika zur Stunde noch nicht klar ausgearbeitet und deutlich begi*enzt
sind. Von oben, von der Universität, ging die „neue" Geographie aus, und
von dort her wurden die Vorschriften für die High School- Geographie fest-
gestellt. Wie nun ein frisch von der Universität kommender Probekandidat
gewöhnlich zunächst in den Fehler verfallt, daß er in einem Auszug aus
seinen Kollegienheften das Richtige für die Bedürfnisse seiner Schüler zu er-
1) G. Z. 1898. Amerikanische Lehrbücher für den Geographieunterricht, be-
sonders S. 275/76.
2) W. M. Davis, Professor of Geology in Harvard üniversity. Elementary
Physical Geography. Boston u. London, Ginn & Co.
3) Charles R. Dryer, Professor of Geography, Indiana State Normal School
(= Lehrerseminar. Vf.). Lessons in Physical Geography. American Book Company.
4) Grove K. Gilbert, Geologist United States Geological Survey, and Albert
P. Brigham, Professor of Geology in Colgate üniversity. An Introdnction to Phy*
sical Geography. Neu-York, Appleton & Co.
6) Es kann sich sogar der Schüler, der Geographie auf der High School gehabt
hat, diesen Kursus bei der Abmessung seiner Collegestudien anrechnen, d. h. darauf-
hin von der Collegegeographie dispensieren lassen.
6; 263 Bilder und Figuren auf 370 Seiten bei 4), 847 auf 420 Seiten bei 3),
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 671
blicken glaubt, so fassen auch die Verfasser dieser Bücher, deren Lehr- und
Forscherarbeit im wesentlichen auf wissenschaftlichem Gebiete liegt (keiner
von ihnen ist aktiver High School-Lehrer), den unterschied stwischeu CoUege-
und Schulgeographie hauptsächlich quantitativ auf und stellen, auf ihrer
eigenen Lehrerfahrung aufbauend, die wissenschaftliche Seite der Probleme
durchaus in den Vordergrund. An einer einzigen Stelle begegnen wir einem
bewußten Anlaufe zu einer Scheidung zwischen den beiden Interessen (be-
zeichnenderweise in dem Buche, dessen Verfasser Seminarlehrer ist!), aber
leider in einer so unglücklichen Form, daß man sieht, der Gedanke entspringt
mehr einer unbestinunten Ahnung als einem deutlich im Bewußtsein vorhan-
denen Prinzip. „In der Anordnung des Stoffes hat die logische Aufein-
anderfolge der Gegenstände oft zu Gunsten der pädagogischen zurücktreten
müssen"^). Im allgemeinen muß eben der gemeinverständliche Stil, die ge-
fällige Darstellung und das Heer der Bilder die Aufgabe erfüllen, den spröden
Stoff für dieses Alter genießbar zu machen. Noch ein Umstand trägt zu
dieser Zwiespältigkeit bei, nämlich die Rücksicht auf den Lehrer. Solange
die Zahl der von Haus aus genügend vorgebildeten Lehrer noch gering ist,
möchten die Verfasser bis zu gewissem Grade für Lehrer und Schüler zu-
gleich schreiben, damit sich jederzeit auch der nur auf seinen eigenen Fleiß
angewiesene Lehrer rasch die verschiedenen Seiten eines Themas wieder ver-
gegenwärtigen könne, ehe er es mit der Klasse behandelt. Daß ein solcher
Abriß wissenschaftlicher Lehren, der sich zu Wiederholungszwecken vor einem
Examen ausgezeichnet eignete, nicht ein und dasselbe ist wie ein Führer,
der den Neuling mit der Wissenschaft bekannt machen soll, liegt auf der
Hand. Davis' Lehrbuch hält sich noch am freisten von diesem Widerstreit
der Interessen; es verfährt auch in der Anbringung von Illustrationen am
sparsamsten und macht daher für deutsche Augen den solidesten Eindruck.
Man fühlt in seiner Sprache weniger als bei den andern das Herabsteigen
eines Gelehrten von seinem Niveau auf das des Schülers, trotzdem — oder
vielleicht weil — der Verfasser die wissenschaftliche Nomenklatur, soweit sie
nicht die großen Hauptbegriffe der Wissenschaft betrifft, offenbar absichtlich
vermeidet. Aber das Problem des Lehrbuches, das speziell dem Interesse
des High School-Schülers, und nur diesem, dient, ist auch in diesem Buche
noch nicht gelöst.
Mehr als alle Bilder und noch so ausführliche Erklärungen werden zur
Hebung des höheren Geographieunterrichtes die sogenannten „praktischen
Übungen" beitragen, die als notwendiger Bestandteil eines rationellen Unter-
riohts verlangt werden. Sie sind zweierlei Art: lähoratory work und field
work. Das „geographische Laboratorium'^ ist das erste Requisit einer auf
der Höhe stehenden High School mit Geographieunterricht. Man darf sich
durch das große Wort keinen Schrecken einjagen lassen. Lähoratory me-
thod ist das Schlagwort der neuen Methoden, durch die im naturkundlichen
Unterricht dem Auswendiglernen uud Aufsagen von Lehrbuchsätzen der Garaus
1) Dryer S. 6. „In the arrangement of topics the logical order of the science
i8 modified by the pedagogical order of presentation to the students'*.
672 Martha Kmg-Genthe:
gemacht werden sollte. Der Amerikaner hat nun einmal die Schwäche fiir
imposante Namen: wenn der Deutsche ein Physikzimmer einrichtet, so gründet
der Amerikaner ein physicäl lahoratory^ und wenn dieser fordert, daß jede
Schule ein „Moseum^^ haben soll, so nennt man das auf deutsch einfach Lehr-
mittelsammlung. Das geographische „Laboratorium^^ ist also ein Zimmer, in
dem der geographische Apparat an Modellen, Karten, Bildern, Listmmenten,
Büchern u. s. w. vereinigt ist und zwar, und hierin liegt das spezifisch Ameri-
kanische, zum Gebrauch der Schüler. Bei allen (naturwissenschaftlichen und)
geographischen Demonstrationen wird der Schwerpimkt darauf gelegt, daß ge-
nügend Material vorhanden ist, um nicht nur den Lehrer vor der Klasse und
für diese, sondern jeden einzelnen Schüler auf seinem Platze das Experi-
ment ausführen zu lassen. Ich habe z. B. in einer Lektion über Granit
hospitiert, wo jeder Schüler je ein Stück Granit, Quarz, Feldspat, Glimmer,
Hornblende, ein Fläschchen Salzsäure, Taschenmesser u. s. w. vor sich hatte,
um die Eigenschafben des Gesteins und seiner Bestandteile eigenhändig und
mit eigenen Augen aufzufinden. Ohne auf eine Erörterung des Für und
Wider dieser Methode einzugehen, kann der Konsequenz, mit der die ameri-
kanischen Schulbehörden diesen Grundsatz durchführen, und der Freigebigkeit,
mit der das dazu Nötige bewilligt wird, nur die höchste Anerkennung gezollt
werden.
Die Prüfungsbestimmungen verlangen, daß der Examinand mindestens
40 „Übungen" im geographischen Laboratorium nachweise, wenn er sich zur
Prüfung meldet; die vorgenommenen Übungen werden daher sorgfältig in ein
Notizbuch eingetragen, das dem Examinator als Ausweis eingehändigt wird.
Eine schriftliche Bescheinigung des Lehrers, daß diese Notizen wirklich selbst
gemachte Versuche beschreiben und ohne unerlaubte Hilfe niedergeschrieben
worden sind, muß beiliegen. Die folgenden Beispiele aus der Liste der von
der Prüfungskommission vorgeschlagenen mögen die Art dieser , Jjaboratoriums-
arbeit" veranschaulichen *).
Zu „Erde als Kugel": Zeichne eine Skizze zur Veranschaulichung der
Ursache von Tag und Nacht. Skizziere die Stellung von Erde, Mond und
Sonne zur Zeit der verschiedenen Mondphasen. Zeichne eine Anzahl Linien,
die in gleichem Maßstabe den Umfang der Erde, den Erddurchmesser und
die Entfernung einiger wichtiger Städte von Neu- York angeben.
Zu „Ozean": Erkläre die Lage der Leuchttürme, der Bettungsstationen
für SchiATbrüchige und der großen Städte an der atlantischen Küste.
Zu „Atmosphäre": Bestimme die Höhe eines Hügels mit Hilfe des Baro-
meters. Vergleiche die Januar- und Julitemperaturen von 40® N. und S.
Beobachte und notiere die Temperaturen über Wasser und Land in den ver-
schiedenen Jahreszeiten. Konstruiere aus gegebenen Zahlen eine Isothermenkarte.
Stelle nach vorliegenden Angaben eine Wetterkarte für den heutigen Tag zu-
sammen. Gib auf Grund der heutigen Wetterkarte eine Prognose für morgen.
Zu „Land": Zeichne ein Profil im natürlichen Maßstabe anf Grund einer
topographischen Karte. Verwandle eine Schraffenkarte in eine Isohjpsenkarte.
1) Coli. Entr. Ex. Board. Document 8. S. 88. 39.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 673
Zeichne ein Flußprofil. Beschreibe bestimmte Oberflächenformen auf Grund
einer topographischen Karte. Gib auf Grund der topographischen Karte an,
welche Teile von New Jersey unter Wasser gesetzt werden würden, wenn das
Land 50 oder 100 Fuß imtertauqhte u. s. w.
Neben diesen Arbeiten steht das field worJc^ oder die geographische
Exkursion Auch über diese verlangt die Prüfungskommission authentischen
Nachweis in Gestalt eines beglaubigten Notizbuches. Wo immer möglich, soll
auch auf der Oberstufe die Anschauung des Objektes selbst in der Natur
dem wissenschaftlichen Erkennen zu Hilfe kommen. Die Horace Mann High
School*) hat auf ihrem Lehrplane z. B. einen Ausflug nach Staten Island in
der Bucht von Neu- York. Die Lehranweisung lautet: Beobachte am Strande
die Miniaturbeispiele für die Bildung einer Anschwenmiungsküste, die Wirkung
des Windes auf den Sand über der Flutgrenze. Gehe vom Strande nach der
Morflne zu und beachte die Veränderungen in der Beschaffenheit des Bodens
auf dem Wege, gib Gründe dafür. Welche Züge der Landschaft erscheinen
besonders moränenhaft? Gründe. Wo sehen wir, daß hier das Werk eines
Gletschers vorliegt? Welche anderen als glaciale Einflüsse müssen auch wirk-
sam gewesen sein? Welche Umstände zeigen, daß der Gletscher im all-
gemeinen südwärts vorgerückt ist? Wie haben die Gletscherablagerungen die
Siedelungen beeinflußt? — Oder im Bronx Park im Norden von Neu- York:
Vergleiche die beiden Teile des Tales des Bronxflusses und erkläre ihren
gegenwärtigen Zustand. Wo ist die Erosion am stärksten? Wo die Sedi-
mentation? Wie erklären sich die großen Strudellöcher hoch über dem Fluß-
bett? Welche Veränderungen würden im Tale stattfinden, wenn das Wehr
bei der alten Mühle entfernt würde? Sind Spuren von Gletschertätigkeit zu
sehen? Wie zeigt sich der geographische Einfluß in der Kulturlandschaft?
Ganz besondere Anerkennung verdient auch das allenthalben zu beob-
achtende Bestreben, das im Unterricht Gebotene durch Privatlektüre zu er-
gänzen und dem Literesse näher zu bringen. Die Schulbibliothek, wie die
öffentliche Stadtbibliothek, spielt in dem Lande, das einen Carnegie hervor-
gebracht hat, eine ganz andere Rolle als in Deutschland. Wenn sich auch
im allgemeinen dieses und jenes gegen die allzuhohe Schätzung eines nur
auf die Benutzung von Bibliotheken gegründeten Wissens, wie sie sich in der
Idee dieses Bücherfreundes ausspricht, einwenden läßt, so ist doch nicht zu
leugnen, daß in Verbindung mit einem vernünftigen Unterricht die eigene
Lektüre eine außerordentlich wertvolle Ergänzung dazu bilden kann.
Li dieser Beziehung kann der amerikanische Unterricht direkt als vor-
bildlich bezeichnet werden. Jedes Lehrbuch enthält am Schlüsse der ver-
schiedenen Abschnitte ein Verzeichnis von einschlägiger Literatur, und was
mehr ist, die Schüler erhalten regelmäßige Anleitung zu ihrer Benutzung.
Auf den Versammlungen der National Educational Association bildet die
Verwertung der Bibliotheken für die Schüler ein ständiges Thema. Die
Schulbibliotheken sind regelrechte Arbeitsbibliotheken, in denen auch die
1) Die High School- Abteilung der mit Teachers College in Neu- York verbun-
denen Muster- und Übungsschule, genannt nach dem gefeierten amerikanischen
Pädagogen Horace Mann.
Oeographifche Zeittchrifl. 9. Jahrgang. 1903. 18. Heft. 45
674 Martha Krug-Genthe:
Lehrer das Notwendige finden; die wichtigsten illustrierten Zeitschriften sind
darin vertreten, und die Lehrer machen im Unterrichte darauf aufinerksam,
wenn Aufsätze, die dem Unterrichte zu statten kommen können, darin er-
scheinen. Sie arbeiten auch Hand in Hand mit den Bibliothekaren der öffent-
lichen Büchersammlungen, unterrichten sie über die Bücher, deren Lektüre
von den ßchtÜem jeweils verlangt wird; die Beamten andrerseits (meistens
Frauen) leisten, als wenn sie selbst Lehrer wären, den sich an sie wenden-
den Schülern bereitwilligst jeden notwendigen Beistand in der Auffindung
dessen, was sie wünschen. An Sonnabenden (die ganz schulfrei sind) sieht
man in jeder öffentlichen Bibliothek einen starken Prozentsatz jugendlicher
Leser, und die Bibliotheken der größeren Städte haben besondere Lesezinuner
für Kinder. Die Verwertung der Privatlektüre, wie ich sie fiilher einmal an
dieser Stelle als wünschenswert hinstellte^), wird in den amerikanischen
Schulen allerseits durchgeführt. So sehr es auch dem Unterrichte sachlich,
in der Festlegung seiner Ziele und der Umgrenzung seiner Aufgaben, noch
an Klarheit und Einheitlichkeit mangelt, so sind die Folgen dieses Anfongs-
Stadiums doch weniger schlimm als man fürchten könnte; dieses Liangriff-
nehmen des Gegenstandes von den verschiedensten Seiten her, das unaus-
gesetzte Bestreben, die Selbsttätigkeit der Schüler anzuregen und ihr Interesse
am Gegenstande wach zu erhalten, bildet ein wirksames Gegengewicht för
diese Schäden. Wenn man in Erwägung zieht, wie sehr noch vor kurzem
der ganze Unterricht auf diesem Gebiete im argen lag, dann wird man
weniger geneigt sein, zu bemängeln, was noch verbesserungsfähig, als an-
zuerkennen, was in so kurzer Zeit bereits gebessert worden ist.
B. Die niederen Schulen.
In den Volksschulen im engeren Sinne ersti'eckt sich der Geographie-
unterricht über fünf bis acht Jahre mit drei- bis fünfwöchentlichen Unter-
richtsperioden von gewöhnlich 30 Minuten, auf der Unterstufe etwas kürzer,
auf der Oberstufe manchmal etwas länger. Er setzt gewöhnlich mit Heimat-
kunde im zweiten oder dritten Schuljahre ein, und wird auf der vorhergehen-
den Stufe vorbereitet durch einen naturkundlichen Anschauungsunterricht, das
sogenannte Nature Slttdy (in Amerika ist alles Lernen „Studium", jedes Schul-
kind ein „Student", wo nicht gar ein „Forscher"). Manchmal steht Heimat-
kunde auf dem Stundenplan schon vom ersten Schuljahre ab, aber in diesen
Fällen versteht man darunter in der Regel eine Art allgemeinen geographisch-
naturwissenschaftlichen Vorbereitungsunterricht, der sich in höheren Klassen
in Geographie und die verschiedenen naturkundlichen Fächer spaltet. Im
State Ohio z. B. umfaßt der Unterricht des ersten Jahres folgende Gegen-
stände ^) :
Wetterbeobachtungen: sonnige und trübe Tage. Der erste Frost. Schnee.
Windbeobachtungen: Wind und Sturm. Tau und Wolken. Farbe der
1) G. Z. 1898. S. 638—642.
2) Bei der Anordnung der Gegenstände bedenke man, daß das amerikanische
Schuljahr von September bis Juni läuft.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 675
Wolken bei trübem und hellem Wetter, bei Sonnenuntergang. Bewegung der
Wolken. Der blaue Himmel.
Wasserformen: Schnee, Eis, Regen, Hagel.
Berge. Bergabfahren ^): Begriff des Abhanges.
Allgemeines über den Frühling. Frühlings Arbeit. Sonne und Sonnenschein.
Bildung von Wasserdampf (Experiment).
Beobachtung {study) wachsender Pflanzen. Samen in öl und Wasser
keimen lassen. Teile der Pflanzen. Laß ihre Beschreibung stets nach einer
wirklichen Pflanze machen (I) . . .
Tierbeobachtungen {study), Katze. Himd. Freundlichkeit gegen Tiere.
Puppe und Schmetterling.
Beobachtungen {ohservaUons) über Tag und Nacht. Wochentage.
Lesen verwandter Stoffe im muttersprachlichen Unterricht.
Das zweite Jahr bringt mehr über Wetter, Jahreszeiten, fließendes Wasser
und Kreislauf des Wassers, Blumen, Haustiere und Insekten, und das hübsche,
fast im ganzen Lande gebrauchte Buch „Sieben kleine Schwestern"*), in dem
das Leben eines Eskimomftdchens, eines Negermädchens u. s. w. beschrieben
wird, und wodurch die ersten Vorstellungen von fremden Völkern und
Ländern in ansprechender Weise gelehrt werden. Darauf folgt im dritten
Jahre der Globus, Hinmielsrichtungen, Rotation der Erde und Einführung ins
Kartenverständnis auf Grund des Planes von Schulzinmier und Umgebung
des Schulhauses, und im vierten Jahre setzt die Geographie im engeren Sinne
mit dem State Ohio ein. In großen Städten, wie Neu- York und Chicago,
bildet natürlich die Vaterstadt ein umfangreiches Thema für die Heimatkunde,
das in allen Richtungen (Bodenformen, Industrie, Handel u. s. w.) zum Mittel
einer Einführung in möglichst viele Gebiete der Geographie ausgenützt wird.
Es folgen die Vereinigten Staaten, Nord- und Südamerika, die fremden Erd-
teile, und zum Schluß entweder eine Art Generalübersicht in Form eines
elementar gehaltenen Systems der physikalischen Geographie, oder ein noch-
maliges Durchnehmen der Vereinigten Staaten auf breiterer Grundlage im
Vergleiche mit anderen Ländern. Teilweise ist der Lehrgang auch wie in
Deutschland in zwei konzentrischen Kreisen angelegt, doch findet dieses Ver-
fahren nicht viel Beifall bei dem Durchschnittslehrer, da eine „Wiederholung"
eines schon dagewesenen Stoffes eo ipso als Gipfel der Langweile für die
Schüler und als sträfliche Zeitverschwendung erscheint. Oft hört in Folge
dessen der geographische Unterricht schon am Ende des siebenten Schul-
jahres auf.
In den Anschauungen über Wesen und Ziele der Elementargeographie
tritt im allgemeinen das menschliche Element vor dem naturwissenschaftlichen
stark in den Vordergrund. „Die Lehre von der Erde in ihrem Verhältnis
zum Menschen"^) ist mehr oder weniger die Quintessenz aller Definitionen.
„Die Erde sollte als Wohnplatz des Menschen betrachtet {studied) werden. Die
1) Mit dem kleinen Handschlitten.
2) Andrews. Seven Little Sisters who live on the round ball that floats in
the air. Boston, 1896.
3) Mi 11. The International Geography. S. 2,
46*
676 Martha Krug-Genthe:
physiographischen Tatsachen . . . kommen nur so weit in Betracht, als sie
Anteil haben, die Erde zum Wohnplatz des Menschen geeignet zu machen"^)
oder: „Den Mittelpunkt der Geograplue bildet die Entwicklung des Menschen
in seinen Beziehungen zur Erde, was stets eine Frage langsamen Werdens
ist*^^), und zahlreiche andere Äußerungen maßgebender Behörden stellen die-
selbe Forderung. So kommt es, daß auch die Schulgeographie in der ersten
Periode der Kcform unter der gleichen Überladung mit oft ungeographischem
Detail zu leiden hatte wie die wissenschaftliche, so daß in der neuesten Zeit
gewichtige Stinmien sich lauter und lauter haben vernehmen lassen, daß die
„neue^^ Geographie in einer anderen Art unzusanmienhftngenden Elleinkrams
denselben Abwegen zusteuere wie die alte. Um dem abzuhelfen, fängt man
verschiedentlich mit einem Verfahren an, das von seinem ersten Befürworter,
Professor Mc. Murry von der Lehrerbildungsanstalt in Normal, Dl., den
Namen des Typenstudiums erhalten hat Mc. Murry, der ein sehr tüchtiger
Lehrer zu sein scheint imd verschiedene wertvolle Beitrage zur Schulliteratnr
geliefert hat'), geht von dem Gesichtspunkte aus, daß jede geographische
Erscheinung auf einen bestimmten geographischen Typus zxirückgeführt werden
kann und deshalb im Unterrichte darauf zurückgeführt werden sollte. Wahrend
in Botanik und Zoologie das Individuiun stets als Repräsentant seiner Art
oder Gattung betrachtet wird, sei Geographie der einzige Unterricht, in dem
mit großem Zeitverlust jeder einzelne Gegenstand an sich und um seiner
selbst willen betrachtet wird, als ob gar keine logische Klassifikation der
Einzelerscheinungen existiere. Er verlangt daher, einen Fluß, einen Vulkan,
eine Küstenlinie, eine Baumwollspinnerei, eine Zuckerplantage, eine Kohlen-
grube, eine Rinderfarm u. s.w. genau und erschöpfend zu besprechen, dann aber
alle übrigen Vorkomnmisse derselben Art in allen Weltteilen, wie sie an
ihrem Orte auftreten, im Hinblick auf den erst behandelten Typus wieder-
holend nur kurzer Betrachtung zu unterziehen, so daß nur die Abweichungen
von jenem besondere Berücksichtigung erfahren. Er wünscht, daß eine Reihe
bestimmter Typen, etwa zwanzig, für jedes Schuljahr in progressiver Folge
fest vorgeschrieben werden, und verspricht sich davon, gewiß nicht mit Un-
recht, durch die Verminderung des Umfangs des Stoffes eine größere Ver-
tiefung der Behandlung. Es ließe sich vielleicht hinzufügen, daß so auch
der übergroße Anteil der Industrie- und Handelsgeographie zu Gunsten der
physischen etwas mehr zurücktreten wird, daß im Gegensatz zu den oben
geäußerten Forderungen die relative Wertung der beiden mehr im Sinne der
Da vis sehen Forderung abgewogen werden kann: Geographie behandelt „die
(irundtatsachen der Erdformen in ihren Beziehungen zur Beherrschung der
Erde durch den Menschen"^). Außer anderen hat auch Prof. Dodge (Teachers
College, New York) in seiner vorzüglichen Darstellung des Geographie-Unter-
1) Academic SyUabus. New York State. .S 31. 1901.
2) Report on Geography. New England ABBOciation of School Superinten-
dents. 1902.
3) Charles A. Mc. Murry. Special Method in Geography. Bloomington, IlL, 1900.
4; Davis. The State Map of Maßsachusetts as an Aid to the Study of Geo-
graphy in Grainmar and High Schools. Boston, 1897. S. 4.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 677
richts in den Horace Mann-Schulen^) (s. o.) scharf die Grenze zwischen geo-
graphischem und Industrieunterricht gezogen, so daß man erwarten kann,
diese Verwirrung in absehbarer Zeit aus dem Schulunterrichte verschwinden
zu sehen. Man fängt an, sich zu überzeugen, daß spezielle Handels-, Ver-
kehrs- und Wirtschaftsgeographie ein Fachstudium für Handelsschulen ist,
das ohne technische Vorkenntnisse keinen erzieherischen Wert hat, und ver-
weist es auf die Commerdal High Schools^), mit deren Gründung das
amerikanische Schulwesen in den letzten Jahren wieder einen Schritt vor-
wärts gekommen ist, und für die bereits ein ganz vorzügliches Lehrbuch von
Adi^ms*) vorliegt.
Als eine vorzügliche kurze Zusammenfassung, wenn nicht der bereits
überall vorhandenen Zustände, so doch der gegenwärtigen Tendenzen und
Ideale der Schulgeographie möchte ich noch folgende Stelle aus einem Privat-
briefe des Schulsuperintendenten von St. Louis, Mo., anführen. Es heißt:
„Die eingeführten Lehrbücher sind ßedway und Hinmans Geographien*).
Wir betrachten Geographie als die Wissenschaft, welche die Erde in ihren
Beziehungen zum Menschen beschreibt Auf Grund dieser Definition betonen
wir vor allem, was das Leben und die Tätigkeit des Menschen, die sozialen,
industriellen und politischen Verhältnisse eines Volkes bedingt. Jeder Ab-
schnitt beginnt mit den physischen Bedingungen, Land, Wasser, Klima, Boden,
die den Menschen beeinflußt haben, und endet mit dem Hinweise auf den
Einfluß, den diese natürlichen Bedingungen auf die menschliche Gesellschaft
gehabt haben.
Die ersten Anfänge soUen den Schüler mit seiner Heimat bekannt machen
und ihm die allgemeinen geographischen Begriffe geben, Fluß, Gebirge u. s. w.
Der Betrachtung der Karte soll stets die des Globus vorangehen, der
in zweifelhaften Fällen der Karte vorzuziehen ist. Am Beginn eines neuen
Abschnittes steht die Beliefkarte.
Geographie soll nicht ein trocknes Lernen von Namen, Grenzen und
Lage sein, sondern das Kind soll durch sie eine Vorstellung von dem Leben
in dem betreffenden Lande, seinem Klima, seinen Bewohnern, Tieren u. s. w.
bekommen. Für Privatlektüre stehen den Kindern die geographischen Lese-
bücher von Carpenter u. a. zur Verfügung, teils in der Schulbibliothek, teils
in der öffentlichen Bibliothek."
Betrieb und Methoden des Unterrichts stehen in der Geographie, wie in
allen anderen Fächern, unter dem Einfluß der sich gegenwärtig vollziehenden
Reform des Volksschulwesens des Landes, die auf die Arbeiten der National
Educational Association seit 1894 und 1895 zurückgeht*). In Ansehung der
1) Dodge. Geographie in the Horace Mann Schools. Teachers College Re-
cord. Vol. n. No. 2. Neu- York, 1901.
2) Dem oben Gesagten nach also Anstalten ähnlich den deutschen Handels-
schalen, nicht Handelshochschulen!
3) Cyrus C. Adams. A Textbook of Commercial Geography. Neuyork, Apple-
ton u. Co. 1902.
4) Besprochen von Verf. in dieser Zeitschrift 1899, S. 660 ff.
5) Report of the Committee of Fifteen. 1895. Report of the Committee of
Ten. 1894. American Book Co.
678 Martha Krug-Genthe:
Verhältnisse, die noch während der vorigen Generation hier geherrscht haben
müssen, wird es verständlich, daß der Ruf nach Loslösung vom toten Buch-
wissen und Bückkehr zur Natur im kosmischen und physiologischen Sinne in
Amerika sich seitdem viel lauter und stürmischer geltend gemacht hat als
jemals in Deutschland, und hieraus müssen manche Übertreibungen und
Wunderlichkeiten des amerikanischen Schulwesens verstanden werden. Die
erste Hochflut ist jetzt im Zurückebben begriffen, man darf schon wieder
sagen, daß nicht alles Alte als solches schlechthin verwerflich und alles Neue
von vornherein das Beste ist, ohne als engherziger Reaktionär verschrieen zu
werden; aber das normale Niveau ist noch nicht wieder erreicht. Es wird
in nicht zu femer Zeit von selbst so weit konunen, imd um den gegenwärtigen
Zustand gerecht beurteilen zu können, muß man stets eingedenk sein, daß
der äußerste Radikalismus der Reform notwendig war, um erst einmal Wandel
zu schaffen.
Daraus erklärt es sich, daß Forderungen, die dem deutschen Lehrer so
selbstverständlich sind, daß sie ihm als Gemeinplätze erscheinen, in Diskussion
und Vorschrift stets von neuem wiederkehren. Ermahnungen, daß das Lehr-
buch nicht zum Auswendiglernen für die Schüler geschrieben ist; daß der
Lehrer, nicht das Buch die Führung im Unterricht übernehmen soll; daß
kein Lehrbuch gebraucht werden solle, ehe die Schüler fließend lesen können;
daß sich der Lehrer för die Stunden vorbereiten müsse; daß das Hersagen
einer Definition keine Garantie biete, daß der Schüler den Inhalt in sich
aufgenommen hat; daß sich die Definition, wenn überhaupt gebraucht, als
unmittelbarer Ausdruck des vom Kinde selbst Erkannten ergeben müsse — diese
und ähnliche elementare Forderungen kehren in allen Lehranweisungen wieder.
Im Lichte der Reaktion gegen das tote Buchstabenwissen muß auch die be-
ständige, bis ins Extrem getriebene Forderung nach der sinnlichen Anschauung
im Unterrichte aufgefaßt werden, die wir schon im High School - Unterrichte
bemerkten, und die im Elementarunterricht ihre volle Herrschaft entfaltet.
Das „nichts ist im Geiste, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen ist'' führt
hier stellenweise zur völligen Verneinung der Möglichkeit einer geistigen
Anschauung. In Folge dessen ist der Unterricht auf der Unterstufe (Primary
School) im allgemeinen weit besser und zweckmäßiger als auf der Mittelstufe
(Grammar School). Die Heimatkunde wird, wo immer der Lehrer die neue
Methode übt, ausgezeichnet erteilt. Ein großer Teil des Unterrichts wird
im Freien am wirklichen Objekte betrieben. (Das Klima der Vereinigten
Staaten ist solchen Forderungen günstiger als das mitteleuropäische!) Von
der eigenen Beobachtung schreitet der Unterricht dann flott zur Reproduktion
des Gesehenen, um den erhaltenen Eindruck zu präzisieren und zu befestigen.
Diese Reproduktion setzt nun aber nicht, wie in Deutschland, mit der Karte
ein, sondern zunächst mit einem Zwischenglied zwischen Natur und Karte,
mit dem Modell. Das Modellieren geographischer Objekte ist einer der
charakteristischsten Züge im amerikanischen Geographieunterricht. Es ist das
lahoratory work der Elementarstufe. Ein Tisch mit Sand, etwa zwei
Quadratmeter groß und einen halben Meter hoch, so daß die ganz Kleinen
bequem um ihn herumstehen können, gehört zum eisernen Bestände jeder
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 679
Elementarklasse. Hier werden die Bodenformen, die draußen beobachtet
worden sind, modelliert. In den besseren Schulen hat aber jedes Kind ein
eigenes kleines Modellierblech mit Sand, auf dem es seine geographischen
Vorstellungen in Formen aussprechen kann^). Die Lieblingsidee Fryes^),
daß die ganze Erdoberfläche im letzten Grunde eine Vereinigung von steileren
oder sanfteren Abhängen ist'), und die zweite Grundtatsache, daß das Wasser
stets bergab fließt*), werden hier überzeugend demonstriert. Fryes Buch
„Child and Nature"^), in dem die Hauptgedanken der von ihm zuerst aus-
gearbeiteten Methode ausgeführt sind, ist auch für den Nicht- Amerikatier ein
lesenswertes Buch. Auf dieser untersten Stufe, argumentiert der Verfasser
nicht mit Unrecht, ist die absolute Genauigkeit noch nicht das Bedürfnis des
Kindes. Es sieht nicht den Sand als solchen, sondern durch den Sand hin-
durch die Natur, und „seine Sandhäufchen und Rinnen sind ihm Berge und
Täler genau so, wie das Bündel Lumpen in seinen Augen eine zärtlich ge-
liebte Puppe ist"^), und „das beste Produkt, das ein Kind hervorbringen
kann, ist nie unvoUkonunen, denn es ist der Ausdruck des Ideals des Kindes" ').
„Jeder Versuch eigner Produktion bewirkt genauere Beobachtung"^). „Um
Umrisse einzuprägen, zeichne; um Oberflächengestalt einzuprägen, modelliere"^).
Dabei verfällt Frye selbst nicht, wie viele seiner Nachahmer es tun, in den
Irrtum, daß der Sand alles sei. „Lehre direkt von der Natur und gebrauche
den Sand, um durch Reproduktion die Beobachtung und das Gedächtnis zu
unterstützen"^®). „Nicht im Sande, sondern durch ihn soll das Kind Geo-
graphie lernen" ^^). „Es kommt eine Zeit, wo der fernere Gebrauch des
Sandes die Entwicklimg der Vorstellungskraft eher hindert als fördert"^*).
Diese und ähnliche Äußerungen beweisen, daß sich der Verfasser der Grenzen
seiner Methode bewußt ist, und solange diese Beschränkung des primitiven
Modellierens auf die ersten Anfänge eingehalten und der Grundsatz, das
Modell nur als Durchgangsstadium zu betrachten, festgehalten wird, kann ein
solches „Laboratorium" vom Psychologen wie vom Geographen nur gut ge-
heißen werden. Wenn aber die Schüler des fünften Schuljahres Stunden und
Stunden kostbarer Zeit darauf verwenden, aus Ton je Vji ^^^^ Karte von
1) Es ist bekannt, daß die Methoden des Eindergartens, der in Amerika ja
eine ganz andere Stellung hat als in Deutschland, und der ein Zweig des Volks-
schulwesens ist, in den amerikanischen Schulen allenthalben auch noch die ersten
Schuljahre mehr oder weniger beherrschen.
2) Alexander Everett Frye, der Verfasser der bekannten Schulgeographien
(G. Z. 1898. S. 278 ff.)-
S) „Abhänge, nicht Kontinente, sind die Einheiten, aus denen sich das Relief
der Erde im ganzen, wie in seinen Teilen, zusammensetzt". Child and Nature. S. 127.
„Das Leben der Erde ist von den Abhängen ausgegangen'*. Ebenda. S. 11.
4) Trotzdem passiert es ihm, daß er an einer Stelle (S. 147) die Flüsse von der
Mündung nach der Quelle zeigen läßt.
5) A. E. Frye. Child and Nature. Boston 1892.
6) Child and Nature. S. 35. 7) Ebenda. S. 168. 8) Ebenda. S. 35.
9) Ebenda. S. 33.
10) Ebenda. S. 30. Desgleichen „Eine Minute in der Natur ist besser als ein
Tag mit der Karte". Teachers Manual. S. 44.
11) Ebenda. S. 82. 12) Ebenda. S. 30.
680 Martha Krug-Genthe:
Europa zu modellieren, und daraus ein „Belief ^^ von Europa zusammenzustellen,
dann ist das, selbst wenn eine Höhenschichtenkarte zu Grunde gelegt worden
ist, doch kaum anders denn als pädagogischer Unfug zu bezeichnen. Die
Karte figurierte aber auf dem Ehrenplatze der Schulausstellung und wurde
von den darob höchlichst belobten Kindern mit Stolz gezeigt, vom Lehrer
mit nicht minderer Befriedigung.
Eine andere Beihe von allgemein verbreiteten Anschauungsübungen be-
zieht sich auf die Witterungsverhältnisse. Schon die Kleinsten werden an-
gehalten, nicht nur die Länge und Kürze der Tage zu bemerken, sondern
auch die Angaben des Kalenders über Sonnenaufgang und -Untergang zu ver-
folgen und täglich in Listen einzutragen. Desgleichen werden Thermometer-
und Barometerstand schon von der Unterstufe an in täglichen Ablesungen
aufgeschrieben, Bewölkung und Windrichtung der einzelnen Tage notiert u. s.w.
In den oberen Klassen erreichen diese Beobachtungen im Lesen und Aus-
füllen von Wetterkarten ihren Abschluß. Die große Begelmäßigkeit der
meteorologischen Erscheinungen in Amerika macht diese Beschäftigung natür-
lich lohnender als in Deutschland, und die Ausdehnung der landwirtschaft-
lichen Betriebe, in denen ein Wetterumschlag Tausende kosten kann, macht
die allgemeine Verbreitung derartiger meteorologischer Kenntnisse zu einer
Notwendigkeit. Die Zeit ist nicht mehr weit, wo jeder amerikanische Farmer
im Stande sein wird, eine Wetterkarte zu lesen und seine Vorbereitungen dem-
entsprechend zu treffen. Nicht genug kann daher die Förderung anerkannt
werden, die die Regierung diesem Unterrichte angedeihen läßt, indem die
Wetterkarten und Berichte des U. S. Weather Bureau auf Ersuchen jeder
Schule des Landes kosten- und portofrei zugestellt werden.
Ein ähnlicher großer Zug der Verwaltung zeigt sich auch in der Ver-
teilung der topographischen Karten. Soweit die Landesaufoahme fortgeschritten
ist, ist jedes Blatt für den Preis von o Cent (20 Pfg.) von Washington
zu beziehen, bei Bestellungen von 100 Stück ab, gleichviel ob von einer oder
verschiedenen Karten, für 2 Cent das Stück. Die topographischen Karten bilden
daher einen anderen eisernen Bestandteil des geographischen Lehrapparates.
Sie sind absichtlich nicht gegen Nachahmung geschützt, damit die karto-
graphischen Verleger des Landes in den Stand gesetzt werden sollen, ihre
eigenen Produkte danach zu verbessern. Leider muß konstatiert werden, daß
von diesem gewünschten Erfolge bis jetzt noch keine Spur zu sehen ist.
Auch die neuen Schulgeographien ^) (Text und Atlas sind in demselben Buche
vereinigt) haben fast alle noch die gleichen Mißprodukte des Buntdrucks wie
vor Jahren, oder eine Verbesserung, die nicht viel bessert, nämlich die Relief-
karten. Ich glaube, die deutschen Reliefkartenfreunde würden bald bekehrt
werden, wenn sie an einem amerikanischen Beispiele sehen könnten, zu welchen
Konsequenzen die strikte Durchführung dieses Prinzips führt. Die Beweis-
führung der Vertreter dieses bösen Irrtums ist folgende: „Das Kind sieht
zuerst den wirklichen Berg, dann die Reproduktion des Berges im Sande,
1) Mit der einzigen Ausnahme von „Tarr and Mo. Murrys Greographies", Ver-
fasser Prof. Tarr, der Autor der „Physikal Geography", und Prof. Frank M. Mc.
Murry von Teachers College. Neu- York, Mc. Millan.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 681
dann wird diese Reproduktion, die es bereits als Berg kennt, photographiert,
und so sieht es, die Karte ist ein Büd des Berges. Die Reliefkarte sagt
ihm daher etwas, während die Höhenschichtenkarte ihm ein Fremdes ist,
worunter es sich nichts vorstellen kann. Auf der Reliefkarte sieht es doch,
hier ist ein Berg und hier ein FluB, auf der anderen sieht es nur Farben."
Man hat gut sagen, daß das Kind, ehe es lesen lernt, auch in den Buch-
staben nichts sieht als Druckerschwärze, und da£ sich, sobald es die Bedeu-
tung des Symbols kennt, die tote Seite belebt; die Höhenschichtenkarte ist
„konventionell", und damit ist die Sache erledigt. Das zunehmende Ein-
dringen der topographischen Blätter in die Schule wird hoffentlich dieses
Vorurteil allmählich untergraben: die eine und andere Stimme spricht sich
gelegentlich schon dagegen aus^), aber ehe Wandlung geschaffen werden kann,
muß die Einsicht viel allgemeiner und überwältigender konunen. Daß bei
Karten, die im besten Falle gerade erkennen lassen, daß und wo ungefähr
Berge oder Täler vorhanden sind, die rein sachliche Korrektheit nicht zuletzt
auch oft mehr als fraglich ausÜlUt, sei nur angedeutet.
Dagegen erfreut sich der Globus einer weiten und vielseitigen Verwen-
dung auf allen Stufen des Unterrichts, mehr als es in Deutschland der Fall
ist. Die Idee des ,Jiaboratoriums" verlangt, daß jedes Kind seinen eigenen
kleinen Globus besitze, und welchen Gewinn dies für die einschlägigen Ka-
pitel bedeutet, braucht nicht erst ausgeführt zu werden. Auch das Anfer-
tigen von Kartenskizzen an der Tafel und auf Papier wird fleißig und im
wesentlichen nach denselben Grundsätzen betrieben wie in Deutschland.
Das Bild niuunt, wie im ganzen Unterrichte, so auch in der Geographie
eine viel bedeutendere Stelle ein als in Deutschland. Wie jedes Lesebuch
ist auch das Geographiebuch von Anfang bis zu Ende reichlich illustriert,
nur steht leider die Qualität nicht immer auf gleicher Höhe mit der Quantität.
Der gute Wille muß oft für das Gelingen gerechnet werden, und die Grund-
sätze der Auswahl sind nicht immer leicht zu erkennen. Das Für und Wider
dieses Verfahrens habe ich schon früher^) erörtert, und ich kann mich auch
jetzt auf Grund eigener Anschauung dem damals Gesagten nur wieder an-
schließen. Theoretisch sollen die Illustrationen natürlich so ausgewählt werden,
daß sie je zur Veranschaulichung eines „Typus" dienen; aber die Praxis hält
damit durchaus noch nicht gleichen Schritt. Geographische Wandbilder nach
der Art der in Deutschland gebräuchlichen sieht man so gut wie gar nicht;
dafüi' wird erwartet, daß die Lehrerin im Laufe der Zeit aus Zeitschriften u. a.
passende Bilder ausschneide und für Schulzwecke sammele: das Saomielbucb
ist ein wichtiger Bestandteil des geographischen Laboratoriums. Vor allem
aber dient der Illustrierung des Unterrichts im größten Maße das Stereoptikon.
Eine Schule, die auf der Höhe stehen will, kann ohne ein solches nicht aus-
konunen. Um die Kosten der teuren Glasbilder zu verringern, ist in einigen
Teilen des Landes ein lebhaftes Tauschgeschäft zwischen den verschiedenen
Schulen im Gange, so daß sich auch minder bemittelte Gemeinden leihweise
1) Z. B. Redway in seinem ganz vorzüglichen Buche „The New Basis of
Greography". Neu- York, Mc. Millan 1901.
2) G. Z. 1898. S. 277. 278.
682 Martha Krug-Genthe:
die Annehmlichkeit solcher Illustration verschaffen können. Eine regelrechte
Organisation znr gegenseitigen Aushilfe mit diesen und anderen Anschauungs-
mitteln hat sich vor ein paar Jahren organisiert, das „American Bureau of
Geography", in dem man sich gegen einen Beitrag von wenigen Mark leih-
weise alle möglichen Glasbilder, Gesteinsproben und sonstigen Laboratoriums-
bedarf verschaffen kann^). Geographische Ausstellungen liefern von Zeit zu
Zeit tibersichten über die neuesten Erscheinungen dieser Art und dienen
stets dazu, in ihrem Teile des Landes die Sammel- und Yeranschaulichungs-
lust neu zu beleben').
Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß die Privatlektüre natvir-
lich auch in den Schulen dieser Art nicht vemachlftssigt wird. Was bei
Besprechung der höheren Schulen über den Gegenstand gesagt wurde, gilt
auch hier. Wenn Wissen und Können als die beiden Hauptziele des Unter
richts hingestellt werden, so, sagt Dodge, „gehört zum Können auch die
Fähigkeit, neues Material in allen verfügbaren Quellen des Wissens zu finden,
und die erkannte Wahrheit unparteiisch und genau zu klassifizieren und an-
zuwenden"'). Der ganze Unterricht ist ja, trotz aller Laboratorien, auch
unter der Reform noch viel mehr eine Anweisung zum verständigen Gebrauch
eines Buches, als eine Geographiestunde nach deutschen Begriffen. Das Lehr-
buch ist nicht, wie in Deutschland, ein Hilfsbuch zur häuslichen Wieder-
holung, sondern im wahren Sinne seines amerikanischen Namens ein texi-
hoök^ ein Text, der dem Unterricht zu Grunde gelegt wird. Er wird nicht
mehr auswendig gelernt und aufgesagt, wie früher; er ist vom Herrn des
Unterrichts zum Diener geworden, aber zu der Sorte von Dienern, die un-
entbehrlich sind. Der Text Mrird gelesen, erklärt, veranschaulicht, aber er
bleibt das verbindende Glied zwischen Lehrer und Schüler. Frye gibt in
seinem Hilfsbuche für Lehrer*) mehrere Lehrproben, wie er sich die Ver-
wendung des Buches denki Sie seien hier wiedergegeben.
1. Die Klasse liest den bezeichneten Abschnitt leise durch und wird
dann aufgefordert, jeden Abschnitt mit eigenen Worten wiederzugeben. Oder
2. dasselbe, aber anstatt der mündlichen Wiedergabe schreibt jeder über den
Inhalt jedes Satzes eine Frage, die dann an den Nachbar gerichtet wird, der,
wenn er antworten kann, seinerseits weiter fragt. Oder 3. der Lehrer schreibt
ein Stichwort für den Inhalt eines jeden Satzes an die Tafel, und die Schüler
1) American Bureau of Geography, Winona, Minn. Das „Bulletin of the
American Bureau of Geography", an dem die bekamitesten Geographen Mitarbeiter
waren, ist seit 1902 mit Dodges „Journal of School Geography*' zu dem „JonmiU
of Geography" verschmolzen,
2) Wohl die erste vor etwas mehr als zwei Jahren im Brooklyn Institute of
Arts and Sciences. Eine andere 1899 in Springfield, Mass. Die letzte und in
mancher Hinsicht umfangreichste im Dezember 1901 in Des Moines, Jowa. In Folge
davon wurden von den Stereoptikonbildem von Comell College, Jowa, die dort
ausgestellt waren, im Schuljahr 1901/1902 fast tausend Stück von Schulen entliehen,
im folgenden (Herbst 1902 beginnend) waren bis November bereits 500 bestellt.
(Privatbrief)
3> Teachers College Record, a. a. 0. S. 6.
4i Teachers Manual, to accompany Fryes (leographies. Boston, Ginn & Co.
1807. S. öfF.
Die Geographie in den Vereinigten Staaten. 683
referieren im Anschlüsse daran, mündlich oder schriftlich. Oder 4. „lest den
Abschnitt durch und denkt beim Lesen, welche Frage ich wohl bei jedem
Satze stellen könnte; seid bereit, mir jede mögliche Frage zu beantworten" u.s.w.
So wird die Stunde, wenn auch nicht mehr in der früheren geisttötenden
Weise, doch noch immer stets mehr oder weniger receptive Aufgaben an das
Kind stellen, und wo die Selbstbetätigung eintritt, da geht man ins „Labo-
ratorium". Eine geographische Lektion in dialogischer Form auf Grund der
Wandkarte ist den meisten Kindern in amerikanischen Schulen etwas völlig
Fremdes, und als ich mit der Naivet&t der deutschen Lehrerin hier meine
erste Geographieklasse übernahm und auf diese mir einzig bekannte Weise
verfuhr, waren meine Schüler zu meiner nicht geringen Verblüffung offenbar
der Meinung, eine Geographiestunde ohne Buch sei überhaupt keine Stunde,
sondern ein ungeheurer Jux. So erst wird es verständlich, daß das „Labo-
ratorium" von allen Seiten als so notwendig gefordert wird : diese Art Übungen,
die in Deutschland einfach ein integrierender Teil des Unterrichts sind, er-
seheinen dem amerikanischen Empfinden nicht als so unbedingt dazu gehörig;
da man aber ganz richtig fOhlt, daß Geographie ohne dies keinen Zweck
hat, so fordert man logischerweise Textbook plus Laboratory, Das Resultat
ist ja schließlich gleich: aber es spricht nicht sehr rühmlich für den all-
gemeinen Stand des unterrichtlichen Niveaus, daß eine solche Trennung über-
haupt möglich ist.
Hier liegt in der Tat gegenwärtig die größte Schwierigkeit, in den
üblen Nachwirkungen der nun glücklich überwundenen fttlheren Zustände, die
sich am nachteiligsten in der ungenügenden Vorbildung der Lehrer zeigen.
Der Lehrberuf ist als Beruf in den Vereinigten Staaten eigentlich überhaupt
noch nicht entwickelt. Die Zahl derer, die nach Absolvierung ihrer Schule
ein paar Jahre untemchten, bis sich ihnen etwas Erträglicheres bietet, ist
erschreckend groß, und in einer solchen Auffassung als Durchgangsstadium
kann das auf diese Tätigkeit verwandte Interesse nicht allzu groß sein.
Erst vor wenigen Jahren hat man begonnen, Lehrerbildungsanstalten in
größerem Maße zu gründen und Fachbildung bei der Anstellung obligatorisch
zu machen. In dem wegen seiner guten Schulen berühmten Minnesota waren
nach der letzten Statistik 66% der Lehrer(innen) auf Colleges vorgebildet, 20 7o
auf Seminaren, und 14% hatten nur High School- Bildung, also etwa das
Äquivalent einer höheren Mädchenschule. Die Prozente aus zehn Staaten des
mittleren Westens stellten sich zur Zeit der vorjährigen Versammlung der
National Educational Association auf folgende Zahlen: College -Vorbildung:
Maximum 6,4 7o? Minimum l,l7o- Seminar (aller Arten, von einjährigem bis
vierjährigem Kursus): Max. 53,l7o? Min. 2ß%. Nur High School- Vorbildung:
Max. 68%, Min. 30,l7o- Nur Volksschulbildung ohne High School:
Max. 45%. Min. 13,37o^).
Auf den Seminaren, die reine Berufsschulen sind und sich mit zwei-
jährigem, vorwiegend praktischem Kursus an die High School anschließen
(obwohl auch ohne High School -Diplom die Zulassung möglich ist), kann
1) Proceedings of the National Educational Association. 1902.
(584 Martha Krug-Genthe: Die Geographie in den Vereinigten Staaten.
natürlich von eigentlichem Geographieunterricht nicht die Bede sein: die 20
bis 35 Wochen zu je vier Stunden, die dem Gegenstande gewidmet sind,
werden naturgemäß durch die methodische Behandlung des Gegenstandes oder,
wie der Wortlaut des Lehrplans manchmal heißt, durch „Wiederholung des
Gegenstandes nach methodischen Gesichtspunkten^^ ausgefällt. Der Fehler ist
nur, daß in so vielen Fällen nichts zu wiederholen da ist, und daß auf diese
Weise die Tragikomik einer Ausbildung zu Stande kommt, in der der Zögling
„nur Methode und keinen Stoff lernt" ^), wie alle einsichtsvollen Beurteiler
der Situation übereinstimmend beklagen. Kommt der Zögling von einer High
School, wo er keine Geographie gehabt hat (und bei dem elektivem System
der High Schools ist das auch jetzt noch möglich), so tritt er in sein Lehr-
amt ein mit genau so viel Sachkenntnis (oder weniger, wenn man die Fähig-
keit, früher Gelerntes zu vergessen, in Anrechnung bringt), vrie er selbst
seinen Schülern einzupauken hat. Hat er Geographie auf der High School
gehabt, und wird er an einer solchen Schule angestellt, so ist der FaU der-
selbe. Geht er von der High School aufs College, so bekommt er eine gute
wissenschaftliche, aber keine methodische Vorbildung, und wenn das auch
dem umgekehrten Falle vorzuziehen ist, denn der tüchtige Lehrer baut sich
seine Methode selbst, so vergehen über diesem Bauen doch Monate und Jahre,
während deren die Schule das Lehrgeld für den Anfänger zu zahlen bat.
Alle einsichtigen Beurteiler der Situation sind daher einig in der Forderung,
daß vor allem die Beform in der Lehrerbildung einsetzen müsse, wenn alle
Opfer ftti- die schönen Laboratorien nicht umsonst gewesen sein sollen.
„Wenn ein Kursus wie in, sagen wir Weimar, jetzt in einer Stadt der Ver-
einigten Staaten eingeführt würde," sagt Bedway*), „so wären die Folgen
niederechmettemd (disastrous). Die Lehrer wären nicht im Stande, den
Unterricht in der vorgeschriebenen Weise zu erteilen, die Schüler unfthig,
ihn zu assimilieren." „In keinem ünterrichtsgegenstande kann Deutsch-
land den amerikanischen Schullehrer mehr lehren als in Geographie"*). ,^uf
die Frage: Was ist zu tun? möchte ich an erster Stelle sagen: schafft bessere
Lehrer*'*). „Die Schwierigkeit liegt in der Einführung der neuen Geographie
durch Lehrer, die in der alten ausgebildet worden sind"*) — diese und andere
Stimmen, deren Zahl von Tag zu Tag zunimmt, beweisen, daß man die Lage
durchaus richtig erkennt. Damit ist für amerikanische Verhältnisse auch
schon der Anfang einer Änderung ausgesprochen. Die Lehrerseminare suchen
sich Geographen zur Erteilung des Geographieunterrichts, es bilden sich Ver-
1) Redway: „Viele Seminare widmen sich zu ausschließlich der Methode, um
das zu leisten, was am nötigsten ist, n&mlich, die Erteilung guten Unterrichts in
den allgemeinen Grundbegriffen der Geographie." The New Basis of Geography.
S. 210. Tarr: „In vielen Seminaren erhalten die Schüler Unterweisung in der Me-
thode, ohne den Gegenstand zu kennen, auf den die Methode angewandt wird."
The Teaching of Geography. National Geographie Magazine. Vol. XTTI. S. 57.
2) The New Basis of Geography. S. 174.
3) Monroe. Geographica! Instruction in Germany. The Journal of School
Geography. Vol. I.
4) Tarr. The Teaching of Geography. Nat. Geogr. Mag. Vol. XIII. S. 65.
5) Report on Geography. New England Association of School Superintendent«. S. 12.
Wagner: Vorschläge z. VervollstäDdigung offizieller Arealangaben. 685
eine von Lehrern und Lehrerinnen zur Förderung der Geographie, und vor
allem nehmen die Universitäten und Colleges durch Sonderkurse für Lehrer
und Lehrerinnen während der langen Sommerferien rühmlichen Anteil an den
Bemühungen, bessere Zustände herbeizuführen^). Wenn auf diese Weise das
wissenschaftliche Niveau der Lehrer allmählich gehoben wird, so werden die
Methoden von selbst abgeglichener und stabiler werden, und so kann mit
Bestimmtheit erwartet werden, daß Davis' Urteil: „Das Bemerkenswerteste
an der Schulgeographie der letzten zehn Jahre ist der Fortschritt, den sie
gemacht hat"*), in weiteren zehn Jahren noch in ganz anderem Umfange
berechtigt sein wird als heute.
Vorsclüäge zur YerYoUständigimg offizieller Arealangaben.
Vortrag
gehalten bei der IX. Tagung des Internationalen Statistischen Instituts zu Berlin
von Hermann Wagner.
Die äußerst seltene Gelegenheit, als Geograph vor einem Kreise von
Statistikern, insbesondere der Vertretung der offiziellen Statistik, oft empfun-
dene Wünsche vortragen zu dürfen, ergreift mit doppelter Freude, wessen
Lebensarbeit so vielfach in der Statistik wurzelt. Schon im Jahre 1872 war
es mir vergönnt, die erste Ausgabe einer mit meinem Freunde Behm ins
Leben gerufenen Publikation persönlich dem Internationalen Statistischen Kon-
greß zu Petersburg vorlegen zu dürfen, deren Titel „Die Bevölkerung der
Erde" besagt, daß sie die gleichen Zwecke verfolgte, denen die in diesem
Kreise bekanntere Arbeit der Herren Levasseur und Bodio gewidmet ist.
Eine Neuausgabo dieser letzteren ist es, die heute zur Erörterung steht.
Erstreckt sie sich auch bisher nur über Europa, so bietet sie doch sofort eine
Fülle von Einzelfragen, die es sich verlohnte in diesem Kreise zu berühren.
Die Kürze der Zeit zwingt zur Beschränkung. Ich unterlasse es daher ab-
sichtlich zur eben diskutierten Frage einer zweckmäßigen Begrenzung Europas
vom Standpunkt der politischen und der physischen Geographie, einer Frage,
die man wohl eine eminent geographische nennen darf, auch nur mit einem
Worte Stellung zu nehmen. Nach Verabredung mit meinen Herrn Korrefe-
renten liegt mir die Beleuchtung des Standes der europäischen Arealstatistik
1) Die Comell Universität (Ithaca, N.-Y.) zeigfte för diesen Sommer folgende Kurse
an, die von 9 verschiedenen Dozenten, darunter Tarr, Brigham» Mc. Murry u. a.,
erteilt werden: Physikalische Geographie des Landes. Praktikum (= ^feorotory course)
in physischer Geographie. Phy Biographische Exkiursionen. Dynamische Geologie.
Geologisches Praktikum (= Ictboratory coursf). Geologische Exkursionen. Geographie
der Vereinigten Staaten. Geographie von Europa. Heimatkunde. Typenstudien
in Geographie für Grammar-Klassen (6. — 8. Schuljahr). Handelsgeographie. Prak-
tikum und Exkursionen in Handelsgeographie. Praktische Fragen des Schulunter-
richts. Laboratoriumsmethoden für Schulklassen, Seminar mit Diskussionen. Kursus
für Fortgeschrittene in dynamischer Geologie und physischer Geographie.
2) Davis. The Progress of Geography in the Schools. First Yearbook of the
National Society for the Scientific Study of Education. Chicago, 1902. S. 7.
(586 Hermann Wagner:
ob. Ich kann in mein Thema nicht eingehen, ohne den Herren Verfassern
den besonderen Dank der Geographen dafür auszusprechen, daß sie in ihrer
wertvollen Arbeit uns in so ausgiebiger Weise über die Herkunft und die
Bedeutung der mitgeteilten Flächenangaben orientieren.
1. Ich glaube annehmen zu müssen, daß die Arealstatistik der Mehrzahl
der Herren Statistiker ziemlich fem liegt, und greife daher mit einigen Worten
zurück. Im Laufe eines Menschenalters und mehr haben wir im Bereich der
Aufgabe, eine richtige Kenntnis der Flächengrößen aller jener politischen
Räume, welche wir Staaten, Provinzen, Kreise, Kantone u. s. f. nennen, und
in deren Rahmen sich doch alle Erscheinungen abspielen, die der Stati-
stiker durch Massenbeobachtungen festzustellen sucht, recht erfreuliche Fort-
schritte gemacht. Im Jahre 1869 herrschte in betreff jener Größen noch
eine erhebliche Unsicherheit. Auf dem Kongreß im Haag übernahm es Ruß-
land, spezielle Erhebungen nach dieser Richtung anzustellen. Wohlverstanden
aber nicht in der üblichen Form der einfachen Umfrage, wie groß jeder
einzelne Staat sein Territorium und das seiner Verwaltungsbezirke annehme,
sondern indem man ganz neue Messungen in die Wege leitete. Das Stati-
stische Zentralkomitee zu St. Petersburg entledigte sich der übernommenen
Aufgabe, indem es den bereits durch seine planimetrische Ausmessung Ruß-
lands rühmlichst bekannten General Strelbitzky für die Sache gewann.
Das erforderliche Kartenmaterial großen Maßstabes ward alsdann auf offi-
ziellem Wege von jedem Einzelstaat beschafft. In unermüdlicher Tätigkeit
vollendete Strelbitzky die Riesenarbeit. Nach sieben Jahren lag sie in der
bekannten, heute leider völlig vergriffenen Publikation „La snperficie de
TEurope" vor, die 1882 in St. Petersburg erschien. Statistik und Geographie
haben alle Ursache für immer dieses Zeugnisses entsagender Pflichttreue
dankbar zu gedenken.
Dies Werk hat freilich nicht den vom Autor wohl erhofften Erfolg ge-
habt, daß die europäischen Staaten von Staats wegen die eigenen Berechnungen
des Flächengehalts verwarfen und die Strelbitzkyschen als offizielle annahmen.
Wir düifen heute sagen mit Recht, da auch seine Ergebnisse noch eine sehr
gründliche Durchprüfung erforderten, und sich gezeigt hat, daß er dem ihm
vorgelegten Kartenmaterial in betreff der politischen Grenzen im allgemeinen
etwas zu großes Vertrauen schenkte. Aber das Werk hat doch den Gewinn
gebracht, daß eine ganze Reihe von Staaten sich durch die Strelbitzkyschen
Berechnungen von der Unzulänglichkeit der bisherigen Annahmen über die
Größe des eigenen Staatsgebietes und seiner Verwaltungsbezirke überzeugte
und alsbald eine sorgfältige, planimetrische Ausmessung der topographischen
Karte größten Maßstabes im eigenen Lande in die Hand nahm.
Ich erinnere in dieser Beziehung nur an die vortreffliche Publikation
„Superficie del Regno d^ Italia^^ vom Jahre 1894, mit späteren Nachträgen
vom Istituto geografico militare zu Florenz herausgegeben. Oder an die Be-
rechnungen des Service geographique de Tarmee von 1887 und 1894, die
man den Anregungen des Herrn Levasseur im Conseil sup^rieur de stati-
stic^ue verdankt. Daß aber in anderen Staaten in dieser Richtung noch
etwas zu erreichen ist, will ich durch ein Kuriosum illustrieren, das noch
Vorschläge zur Yervollständignng offizieller Arealangaben. 687
nicht allen Statistikern bekannt geworden sein dürfte. Es gibt inmitten
Europas einen souveränen Staat, dessen Territorium man durch Jahrzehnte
bis vor wenigen Monaten 15 mal, sage und schreibe um volle 1400 Prozent,
überschätzt hat! um einen Großstaat handelt es sich freilich nicht. Das
Fürstentum Monaco ist es. Bisher in allen statistischen Publikationen mit
einem Areal von 22 qkm angenommen, hat es in Wahrheit nach einer vor
kurzem in Ootha vorgenonunenen planimetrischen Messung nicht mehr als
deren lYj, würde also bequem im Berliner Tiergarten {2}/^ qkm) Platz
finden. Die Zahl von 22 qkm rührt von Strelbitzky her; er ist in diesem
Fall dem Mangel an Prüfung der Güte und Neuheit des von ihm benutzten
Kartenmaterials zum Opfer gefallen, und wir alle, die wir vergleichende
Arealstatistik treiben, mit ihm. Strelbitzky maß auf der älteren „Carta
degli Stati Sardi" in 1 : 50000, ohne gewahr zu werden, daß auf dieser
Mentone und Roquebrune noch in den Grenzen des Fürstentums verzeichnet
waren, während sie sich schon 1848 losgesagt, jedenfalls 1861 französisch
geworden^waren. —
2. Überschaut man nun die Zusammenstellungen der Herren Levasseur
und Bodio über Fläche und Bevölkerung Europas, so ergibt sich, daß die
der Theorie nach — aber keineswegs immer nach der Praxis — genauesten
Bestinunungen des Areals auf Grund der Katastervermessung nur für
Großbritannien und Irland, sowie die Mehrzahl der mitteleuropäischen Staaten
eingestellt sind, also für Dänemark, Niederlande, Belgien, Deutsches Reich,
Österreich-Ungarn. Aus genauen Ausmessungen topographischer Karten
resultieren die Zahlen für Südwesteuropa, nämlich Frankreich, Spanien und
Portugal und Italien, femer für die nördlichen Balkanstaaten, Serbien, Bul-
garien und Rumänien, endlich für die beiden skandinavischen Königreiche.
In betreff der Schweiz ist ein gemischtes System befolgt. Fast überall hat
sich gezeigt, daß die neuen Ausmessungen ein etwas geringeres Resultat er-
geben haben, als es Strelbitzky fand. Nur Frankreich macht dabei aus gleich
zu erörternden Gründen eine Ausnahme. Für die Türkei und Griechenland
konnten nur anderweitige Ausmessungen auf Übersichtskarten denen
Strelbitzkys gegenüber gestellt werden. Für das ungeheuere Staatsgebiet
des europäischen Rußland, das mehr als die Hälfte des Kontinents umfaßt,
lagen ausschließlich die Ergebnisse seiner planimetrischen Ausmessungen auf
der Karte 1 : 420000 vor. Es ist also, das wollte ich konstatieren, auch
heute noch ein ziemlich ungleichwertiges Material, welches der Statistiker in
betreff der Flächengröße der europäischen Staaten und ihrer Unterabteilungen
zu Rate ziehen muß.
Ich gehe nun absichtlich der Kürze der Zeit wegen auf die feineren
Korrekturen nicht ein, welche erforderlich wären, um die Angaben direkt
vergleichbar zu machen. Nur einige Andeutungen mögen gestattet sein.
Bekanntlich messen wir niemals die wahre topographische Fläche, auf der
wir uns bewegen, mit allen ihren Unebenheiten, dem Wechsel von hoch und
niedrig, steilem Aufstieg oder flacher Lagerung, sondern immer nur deren
Projektion auf eine ideale Erdoberfläche, auf das sich der Erdgestalt am
besten anschmiegende Erdsphäroid. Die Mehrzahl der w^teuropäischen Staaten
G88 . Hermann Wagner:
legt bei ihren Vermessungen und also auch bei ihren Arealbestimmungen
die Bess eischen Dimensionen der Erde, nach seiner Berechnung vom Jahre 1841,
zu Grunde. Strelbitzky ging von dem etwas größeren Sphäroid nach Clarke
(1866) aus. Immerhin ist nach letzterem jedes Gradfeld in europäischen
Breiten rund um 2 qkm größer als nach Bessel. Da ein solches im Mittel
7000 qkm groß ist, so müßte man alle in der Westhälfte Europas gemes-
senen Flächen eigentlich um Ygj bis ^j^ Prozent erhöhen, um sie sich auf
das gleiche Erdsphäroid projiziert zu denken, auf dem Strelbitzky maß. Das
bringt für das Deutsche Reich bereits 150 qkm mehr.
Andererseits erscheint Rußland durch Annahme eines etwas zu kleinen
Reduktionsfaktors bei Umrechnung der Quadratwerst in Quadratkilometer
um rund 110 qkm zu klein, als es nach den offiziellen, d. h. Strelbitzkyschen
Zahlen angenommen wird. Ich sage, ich übergehe diese theoretisch unan-
fechtbaren Einwände — von der Berechnung der wahren topographischen
Fläche zu schweigen, die wir ruhig späteren Jahrhunderten überlassen
wollen — , weil auch die dabei zu Tage tretenden Differenzen verschwinden
gegenüber der Unsicherheit im Messimgsverfahren an sich und weit mehr noch
der UnZuverlässigkeit im Kartenmaterial, besonders was Osteuropa anbelangt.
Südwesteuropa nebst Skandinavien figurieren in Levasseurs imd B odios
Übersicht mit einem rund um 15 600 qkm kleineren Areal (wenn man des rich-
tigeren Vergleichs wegen bei Frankreich für jetzt von den Küstengewässem,
2500 qkm, absieht), als es diesen Ländern von Strelbitzky gegeben wurde.
Und, wie ich glaube, geschieht dies mit Recht; man muß heute auch für
Norwegen und Schweden den offiziellen Zahlen den Vorzug vor den Strel-
bitzkyschen geben, was bis jetzt z.B. im Gothaer Hof kalender noch nicht geschah.
Gern würde ich mich einen Augenblick in die inneren Schwierigkeiten
vertiefen, welche die verschiedenen Verwaltungszweige eines und desselben
Staates noch heute finden, um zu einem gemeinsamen Resultat über die
Größe des Staatsgebietes und seiner administrativen Unterabteilungen zu ge-
langen. Das 19. Jahrhundert ist trotz wiederholter Versuche zu Ende ge-
gangen, ohne daß Katastervermessung und topographische Landesvermessung
in der großen Mehrzahl europäischer Staaten unter einen Hut gekommen
wären. Lebendig schildert uns das klassische Werk des Generals Berthaut:
„La Carte de France 1750 — 1898" (L 1899), die großen Anstrengungen,
welche Akademiker und Ingenieur -Geographen Frankreichs unter Führung
von Laplace in den Zeiten der Vorbereitung für die zweite Landesaufnahme
machten, um die Eatasterbehörden zur Kooperation zu veranlassen. Sie
scheiterten am passiven Widerstand der letzteren; die Feldmesser zeigten sich
der ihnen zugemuteten Aufgabe nicht gewachsen. In Großbritannien nahm
daher der Ordnance Survey selbst die Herstellung der Grundlage für die
Flurkarten oder Katasterkarten in die Hand; die topographische Karte basiert
dort auf der Parishekarte in dem großen Maßstabe 1 : 2500 und ward erst
nach Vollendung der letzteren ernstlich in Angriff genommen. Ähnliches
ließe sich für einzelne süddeutsche Staaten berichten.
Genug, erst vom kommenden Jahrhundert muß erhofft werden, daß all-
gemein in unseren Kulturstaaten die Katastervermessung sich dem trigono-
Vorschläge zur Vervollständigung offizieller Arealangaben. 689
metrischen Netz dritter und vierter Ordnung, wie es die Geodäten jeweilig
vorbereiten, unterordnet. Dann muß der Zwiespalt, welcher in den Ergeb-
nissen des Katasters und der topographischen Karten betreffs der Verschieden-
heit der Grenzlinien von Gemeinden, Kantonen, Kreisen u. s. w., aber ebenso
ihrer planimetrischen Ausmessungen oft beklagt wird, aufhören. Und man
erhält eine Garantie, daß weder Auslassungen noch Doppelrechnungen in den
kleinsten Teilen benachbarter Flurkarten vorkommen, oder wenigstens die Mög-
lichkeit einer wirklichen Kontrolle, wie sie jetzt großenteils fehlt. Doch das
ist ein wenig Zukunftsmusik, und ich bin mir bewußt, daß zur Anbahnung
dieses Zieles die statistischen Zentralbehörden nicht viel beizutragen ver-
mögen, wenn nicht etwa, wie dies in Württemberg der Fall, Landesaufnahme
und Landesstatistik unter einer Verwaltung stehen.
3. Aber in einem andern Punkte könnte von Seiten der offiziellen
Statistik etwas mehr geschehen. Und deshalb besonders erlaube ich mir das
Wort zu ergreifen. Ich befinde mich nach unseren Vorbesprechungen dabei
durchaus in Übereinstinmiung mit meinen Korreferenten, Herren Levasseur
und V. Juraschek. Ich meine die Inkonsequenz, welche in der offiziellen
Arealstatistik hinsichtlich der Einbeziehung gewisser Grenzgewässer
in die Angaben über die Fläche des Staatsterritoriums besteht. Aber nicht
minder muß die Schwierigkeit, die erforderlichen Daten aus den mitgeteilten
Arealzahlen herauszuschälen, betont werden.
Das Gesamtareal nach Land- und Wasserfläche zu zergliedern, hat ja
sicber in Ländern mit großen Strömen und Reichtum an Seen hohe Be-
deutung. Nicht weniger kommt dies bei Ländern mit flachen Doppelküsten,
wie sie z. B. Deutschland längs der Ost- imd Nordseeküste besitzt, in Be-
tracht. Und bei Gebieten, die vom Ozean bespült werden, mit ihren be-
deutenden Niveauunterschieden bei Ebbe und Flut, spielt die Sache eine
beträchtliche Rolle. Die Insel Re an der Küste der Vend^e hat 157 qkm
festes Land, aber sie wächst auf 267 qkm an, sobald das Meer sich bei der
Ebbe zurückzieht*).
Nun schließt z. B. Frankreich neuerdings auf Grund der Ausmessung
seines Territoriums durch den Service geographique de Tarmee auf den Kupfer-
platten der 80 000 teiligen Carte de TEtat- Major sämtliche Wattenflächen
oder „toute la laisse de la plus basse mer jusqu'au 0 des cartes marines"
mit rund 2500 qkm in seine offiziellen Flächenangaben ein*).
Es ist damit auch die wesentlichste Erklärung gegeben für die Diffe-
renzen der Ergebnisse dieser neuen Ausmessung mit den Berechnungen Strel-
bitzkys. Während diese für die Mehrzahl der Departements recht gut
stimmten, blieb er in demjenigen längs der atlantischen Außenseite um
ca. 3700 qkm hinter den Resultaten des Service geographique zurück').
Die Niederlande verfahren nicht in gleicher Weise. Dort würde die
Einrechnung der Küstengewässer, die man zu 5345 qkm berechnet hat*),
wovon der größte Teil auf die Südersee fällt, allerdings das Gesamtgebiet
des Staates, das nur 33000 qkm umfaßt, um ein volles Sechstel vergrößern!
1) Bull. Inst. int. de stat. XII. 1902. S. 22. 2) Ebenda.
3) Bevölk. der P:rde. Vni. 1891. S. 17. 4) Ebenda. X. 1899. S 25..
Geographische Zeitaohrift. 9. Jahrgang. 1903. 12 Ueft 46
690 Hermann Wagner:
Ebenso schließt die offizielle Statistik des Deutschen Reiches alle
diese Grenzgewässer, die sicher mehr als 8000 qkm ausmachen, aus^), ob-
wohl die Ostseehaffe nichts anderes sind als Strandseen, ja halbe Binnenseen.
Für England und Irland kennt man wenigstens die Größe dieser
Grenzgewftsser, kann sie also gegebenen Falls ab- oder zurechnen. Aber es
herrscht in den offiziellen Publikationen nach dieser Bichtung durchaus keine
Übereinstimmung. Bald stecken jene Gewässer in der mitgeteilten Arealzahl,
wie beispielsweise in den 84 253 qkm fftr Irland, bald werden sie still-
schweigend fortgelassen. Für Schottland geschieht dies immer, da man sie
dort überhaupt nicht kennt
Sicher müßte man sie auch bei Dänemark berücksichtigen, das reich
ist an boddenartigen Gewässern; aber es ist dort ofßziellerseits ebensowenig
üblich wie in Norwegen oder Schweden.
So kommt es, daß die Herren Levasseur-Bodio, indem sie sich ihrem
Prinzip gemäß streng an die von jeder einzelnen Regierung eingesandten
Ziffern halten, dem festen Boden Europas zwar insgesamt 3500 qkm Grenz-
gewässer zurechnen, nämlich für Portugal, Frankreich, England und Irland,
aber diejenigen längs anderweitiger Küsten im Betrage von sicher 15 —
16 000 qkm nicht!
Man wird zugeben müssen, daß im Interesse vergleichender Statistik
eine gewisse Gleichartigkeit des Verfahrens angestrebt werden müßte; und
da dies verhältnismäßig leicht durchzuführen wäre, ohne große Staatsaktionen
interner wie internationaler Art in Bewegung zu setzen, so meinen wir, das
Internationale Statistische Institut könne die Anregung dazu wohl in die
Hand nehmen. Aber es würde schon viel erreicht sein, wenn die offiziellen
Publikationen sieb wenigstens deutlich aussprechen wollten darüber, auf
welche Kategorien von Flächen sich die betreffenden Ziffern be-
ziehen, und wenn sie — es dem Privatstatistiker oder dem Geographen
überlassend, ob sie in diesem oder jenem Sinn davon Gebrauch machen
wollen — die Einzelzahlen für diese Grenzgewässer gesondert mit-
teilen würden.
Vielfach kennt man sie bereits, wie ich schon hervorhob, aber es handelt
sich mehrfach um weitere Ausfüllung von Lücken. In der Einleitung zu den
Ergebnissen der letzten deutschen Volkszählung von 1900*) wird in dankens-
werter Weise namhaft gemacht, wie groß die Haffe und Küstengewässer
längs der preußischen, mecklenburgischen und schleswig-holsteinischen Ostsee-
küste sind. Auch die Schätzungen für die Wattenflächen hn Westen Schles-
wig-Holsteins und die zur Provinz gehörige Eibfläche findet man dort. Aber
eine Summe wird nicht gezogen, weil, wie es dort heißt, in bezug auf Han-
nover und Oldenburg in diesem Punkte nichts bekannt sei. Kun wohlan,
die preußische Wasserbauverwaltung hat in ihren großartigen Werken über
die deutschen Ströme so reiches Material aller Art herbeigeschafft, daß
es ihr oder einer andern zuständigen Behörde ein leichtes sein würde, die
1) Statistik d. D. Reiches. N. F. 150. Die Volkszählung v, 1. Dez. 1900. S. 58*.
2) Stat, d. D. licichea. A. a. 0. S. 58*.
Vorschläge zur Vervollständigung offizieller Arealangaben. 691
fraglichen Küsten einer Ausmessung von autoritativem Charakter zu unter-
ziehen. Es kommt nur darauf an, daß der Chef des preußischen Statistischen
Bureaus hierzu einmal die Anregung gibt.
4. Ein letzter Punkt, den wir zur Sprache bringen möchten, betrifft die
innern Grenz gewässer, vorzüglich rücksichtlich der Binnenseen. Aber bei
Grenzflüssen wird es vielfach ahnlich liegen; es entziehen sich diese Fälle
aber weit mehr der Kognition.
Wir erfahren aus der Arbeit der Herren Levasseur-Bodio, daß Frank-
reichs offizielle Arealangabe mit 536464 qkm den französischen Anteil des
Genfersees mit umfaßt (was freilich nach spätem Nachrichten ein Irrtum
ist)*). Die Schweiz rechnet ebenso die von ihr beanspruchten Anteile am
Boden-, Genfer-, Langen- und Luganer-See mit in ihr Areal. Die deutschen
Staaten tun dies, wie die Reichsstatistik von neuem ausdrücklich versichert,
in betreff des Bodensees dagegen nicht. Nun gehört doch offenbar der Boden-
see zur Fläche Europas. Die strenge Wiedergabe der offiziellen Zahlen
zwingt daher die Herren Levasseur-Bodio, den 300 qkm großen deut-
schen Anteil am Bodensee einfach fortzulassen*), als existierten diese Flä-
chen nicht.
Es ist aber — und dies muß im Zusammenhang mit unsem Wünschen
hervorgehoben werden — oft äußerst schwierig, hinter diese ab- und zuzurechnen-
den Einzelflächen zu kommen. Es wird uns gesagt, auf den Regierungsbe-
zirk Königsberg entfallen 1723,99 qkm Wasserfläche'). Da dieser aber Anteil
am Kurischen Haff und am Frischen Haff hat, können wir daraus nicht er-
sehen, wieviel dem einen oder andern zukommt, um diese Spezialangaben
mit den übrigen Einzeldaten für beide Haffe zu kombinieren.
Die neueste Arealstatistik der Schweiz*) fuhrt zwar die Größe der
Wasserfläche an, welche jedem Kanton zukommt. Da aber ein Staat wie
Waadt sowohl Anteil am Genfer, wie am Neuenburger See hat, läßt sich
schlechterdings die Hauptfrage, welchen Anteil hat die Schweiz am Genfer
See, aus dieser Übersicht nicht entnehmen. Wieviel Fläche entfällt von den
64 qkm Wasserfläche des Kantons Tessin auf den Lago maggiore, wieviel
auf den Luganer See? Man erfährt es nicht.
Hie und da stellen sich bei diesen Grenzseen auch Ungereimtheiten
heraus, die eine Beseitigung erheischen. Frankreich rechnet nach Herrn Le-
vasseur 240 qkm auf seinen Anteil am Genfer See"), die Schweiz 362^).
1) Dies wird ausdrücklich von dem Verfasser betont, ebenso im Annuaire du
Bureau des longitudes 1899, S. 432: ,,Le räsultat de la mesure ex^cut^e sor la Carte
de TEtat-Major (536464 kqm) comprend toute la laisse de hasse mer et la partie
fran9ai8e du lac de Gen^ve."
2) Ich entnehme einem gutigen Schreiben des Generals Berthaut, Direktors
des Service geographique, v. 21. Sept. 1903 die Versicherung: „Aucune partie du lac
de Gen^ve n'est coraprise dans la superficie territoriale de la France deduit« des
mcsures ex^cut^es au Service geographique."
3) Stat. d, D. Reiches. A, a. 0. S. 58*.
4) Schweiz. Statistik. Nr. 132. V. Allg. Schweiz. Viehzahlung v. 19. April 1901.
Bern 1903. S. 4*.
5) Bull. Inst. int. de Stat. Xu. 2. S. 22: „Le lac de Gen^ve (582,4 km»;), dont en-
viron 240 constituent la partie fran^aise." In dem oben genannten Schreiben aus
46*
692 Wagner: Vorschläge z. Vervollständigung offizieller Arealangaben.
Der See müßte daher 602 qkm umfassen, er ist aber nach genauer Aus-
messung nur 582 qkm^) groß. So spielen sich im kleinen bei uns in Eu-
ropa doch noch Verhältnisse ab, die in Südamerika bekanntlich dahin führten,
daß der 18 Millionen qkm große Kontinent um fast 8 Millionen qkm, also
fast um die Hälfte hätte größer sein müssen, als er wirklich ist, wenn man
allen Ansprüchen der Einzelstaaten auf Grund ihrer offiziellen Arealzahlen
hätte Rechnung tragen wollen*)! Oder um ein realeres Beispiel heranzu-
ziehen, so erinnere ich daran, daß Fragen, wie die oben hinsichtlich der
Alpenseen erörterten, bei großen Seekomplexen schon mächtig ins Gewicht
fallen, wie z. B. bei den kanadischen Seen, wo es sich um die Aufteilung
von fast einer Viertelmillion Quadratkilometer auf die großen Nachbar-
nationen handelt.
5. Nun geht es vielleicht der Versammlung zu weit, wenn wir das
Internationale Statistische • Institut ersuchen, sich direkt an die beteiligten
Staaten zu wenden, damit sie durch neue Staatsverträge feste Grenzlinien
durch jene Binnenseen legen, an die sich die Ausmessungen alsdann halten
können. Aber wir glauben unsere Kompetenz nicht zu überschreiten mit dem
Wunsch, daß die Statistischen Bureaus oder sonstigen Behörden, denen die
Aufstellung offizieller Flächenzahlen obliegt, neue Erhebungen über diese
Punkte anstellen. Wir wünschen, daß, wenn überhaupt Anteile an den einzelnen
Grenzgewässern dem eigenen Staat zugerechnet werden, darüber ganz be-
stimmte ziffermäßige Angaben gemacht werden. Besteht daneben keine völker-
rechtliche Vereinigung über die Erstreckung der Hoheitsrechte, wie bei den
Bodenseestaaten, so kann man solche einseitig eingerechneten G^wässeranteDe
nötigenfalls ausscheiden, imi die Grenzseen im ganzen dann bei Über-
sichten über größere geographische Regionen, wie Mitteleuropa oder Europa,
wieder in Rechnung zu ziehen.
Fasse ich alles zusammen, was ich in raschem Fluge zu streifen suchte,
so sind es ja scheinbar nur sehr geringfügige Verbesserungen, die wir an-
streben. In der Tat handelt es sich nur um einen ganz kleinen Schritt vor-
wärts, aber doch um einen solchen vorwärts. Denn darüber herrscht in
diesem Kreise wohl kein Zweifel, daß, wie es bereits eine Jer Begrüßungs-
reden betonte, auf allen Gebieten der Statistik nach immer größerer Ge-
nauigkeit der Erhebungen gestrebt werden müsse.
Nun ist auf der andern Seite die fast unbeschränkte Macht, um nicht
zu sagen die Allmacht der offiziellen statistischen Zahl bekannt.
Sie ist ebenso sehr Großmacht, wie die Presse im öffentlichen Leben über-
dem Sery. g^ogr. heißt es: ,,en 1899, sur une demande deM. Levasseur, ce service a
d6termin^ la superfieie des lacs et ätangs prineipaux; la partie fran9ai8e du lac
de Gen^ve n'a pas ^te comprise non plus dans ces mesuie8^\
6) Nach Levasseur-Bodio S. S9. Oberst Siegfried hatte 1874 nur 849 qkm
für den schweizerischen Anteil gefanden. S. Bevölk. d. Erde. II. 1874. S. 22.
1) Nach französischen Quellen, s. auch Levasseur-Bodio S. 22. Auch
Halbfaß, Morphometrie des Genfer Sees, fand 1897: 582,46 qkm (Z. d. Ges. f.
Erdkde. 1897). Die Schweizer rechneten bisher ö78 qkm, s. auch Levasseur-
Bodio 8. 89.
2) Bevölkerung d. Erde. VI. 1880. S. 85.
Wagner: IX. Tagung des Internation. Statist. Institutes zu Berlin. 693
haupt. Gegen sie anzukämpfen, und sei es mit noch so triftigen Oründen,
ist der Privatstatistik oft unmöglich. Um so mehr müssen wir, je nach
unsem Kräften, dazu beitragen, daß die offizielle Zahl an sich der wahren
Schilderung von Zuständen und Erscheinungen sich asymptotisch nähert. Nur
das bezweckt unser Antrag in einer Spezialfrage. Ich gebe ihm in Über-
einstimmimg mit den Herren Levassenr und v. Juraschek die folgende
Fassung:
Das Internationale Statistische Institut spricht den Wunsch aus:
1. Daß in allen offiziellen Publikationen, welche das Areal des Staats-
gebietes betreffen, spezielle Angaben gemacht werden über die Frage, welche
Grenzgewässer in den Ziffern des Areals enthalten sind oder nicht, sei
es längs der inneren Landesgrenzen, sei es längs der Meeresküsten.
2. Diese Angaben sollen nicht nur hinsichtlich der einzelnen Verwal-
tungsbezirke, welche in Frage konmien, spezifiziert werden, sondern auch in
betreff der verschiedenen Seebecken und Uferstrecken.
3. Im Falle nur unvollständige Angaben über diesen Punkt vorliegen,
werden die Bureaus ersucht, die Ausfüllong der Lücken durch die geeigneten
Behörden oder Institute in die Wege zu leiten bezw. selbst planimetrische
Ausmessungen, wenn auch von provisorischem Charakter, zu veranlassen.
Die IX. Tagung des Internationalen Statistischen Institutes zu Berlin
21.— 26. September 1903.
Von Hermann Wagner.
Das Internationale Statistische Institut ist bekanntlich als ein ge-
schlossener Verein von Statistikern aus den früheren Internationalen Statisti-
schen Kongressen hervorgegangen, wenn auch nicht unmittelbar. Diese
Kongresse selbst, 1851 hauptsächlich von Quetelet ins Leben gerufen, haben
von 1853 bis 1876 etwa alle drei Jahre getagt; nur einmal noch kam seit-
dem die sog. Permanente Kommission des Statistischen Kongresses 1878 in
Paris zusammen. Der Wunsch nach einem ferneren Mittelpunkt der Arbeiter
und Forscher auf einem Gebiet, das in ganz eminenter Weise internationale
Kooperation, Gleichheit der Erhebungsmethoden und der Publikationsformen fttr
die Ergebnisse erfordert, zeigte sich bald von neuem. Die „Statistical Society"
in London regte die Gründung eines Vereines an, den man von Anfang an
etwas anders stellen wollte, als die freien Vereinigungen von Männern
gleicher wissenschaftlicher, wirtschaftlicher oder sozialer Bestrebungen, um
möglichst enge Beziehungen zu der offiziellen Statistik der verschiedenen
Staaten zu erhalten oder zu gewinnen. Daher ward der von dem ver-
storbenen Neumann-Spallart vorgeschlagene Name eines „Institut inter-
national de statistique" auf der Versammlung in London 1885 gewählt.
Die Mitgliederzahl ist beschränkt, war anfangs 100 und beträgt jetzt 200.
Sie ergänzt sich durch Wahl; kein Staat (bez. Bundesstaat) soll mehr als
ein Fünftel der Gesamtzahl der Mitglieder auf sich vereinigen. Das Institut
tagt alle zwei Jahre. Zu diesen Tagungen können vom Vorstand auch per-
sönliche Einladungen an Nichtmitglieder ergehen. Eine solche war dem
694 Hermann Wagner;
Referenten für die vom 21. — 26. Sept. d. J. zu Berlin sich vereinigende
Session zu teil geworden, wohl im Anschluß an den Beratungsgegenstand
der ersten Sitzung, in der Bodio und Levasseur über ihr gemein-
schaftliches Unternehmen „Statistique de la superficie et de la population
des contrees de la Terre" berichten wollten. Die im Reichstagsgebäude
tagende Versammlung war sehr stark besucht, die Präsenzliste weist gegen
240 Namen — ohne die Damen — auf, darunter besonders zahlreich fran-
zösische. Es ist dies eine Zahl, welche den durchschnittlichen Besuch der
bisherigen Tagungen um das Doppelte übertrifft. Es waren fast alle Staaten,
die eine geordnete Statistik besitzen, vertreten, daneben fast vollständig die
Vorstände städtischer statistischer Bureaus und ebenso zahlreich deutsche
Nationalökonomen. Von Vertretern der Geographie war ich in der Tat der
einzige anwesende; von Namen, die in geographischen Kreisen bekannter sind,
nenne ich Jannasch und Meitzen aus Berlin, G. v. Mayr aus München,
Levasseur aus Paris, v. Juraschek aus Wien, Bodio aus Rom, welch
letzterer jedoch erst am letzten Tage eintraf. Das Arbeitsprogramm war nicht
auf wenige bestimmte Fragen beschränkt, was von vielen Besuchern als ein
Mangel empfunden ward, da in bekannter Weise die Vorsitzenden den Red-
nern die Zeit beschneiden, auch die Debatten abkürzen mußten, um die Fülle
des Tagesprogramms zu erledigen. Da sich weitaus die meisten, aus früheren
Tagungen bereits mit herüber geholten Beratungsgegenstände auf Fn^en er-
streckten, welche dem Geographen ferner liegen, so glaube ich die Bitte des
Herausgebers, an dieser Stelle über den Kongreß zu berichten, nicht anders
zu verstehen, als daß ich mich auf die wenigen Punkte, die für uns Be-
deutung haben, beschränke. Dabei kommt vornehmlich die Frage nach Be-
grenzung und Größe Europas in Betracht, sodann die Maßregeln, welche man
vorschlug, um zu einer besseren Kenntnis des Bevölkerungszustandes in Län-
dern zu kommen, in denen bisher keine Volkszählungen oder wiederkehrenden
Registrierungen der Bewohner stattfanden. Auch manche Erörterung über
Bevölkerungsverschiebungen durch Wanderungen bot Interesse für den Geo-
graphen.
Doch möchte ich, bevor ich in die Einzelheiten eingehe, dem all-
gemeinen Eindrucke einige Worte verleihen, der sich mir weit mehr in
Privatgesprächen als bei öffentlichen Debatten aufgedrängt hat. Mehr als ich
erwartet habe, zeigte sich besonders im Kreise der Vertreter der offiziellen
Statistik ein offenes Entgegenkommen, ja der lebhafte Wunsch, mit der Geo-
graphie in nähere Berührung zu kommen. Einer der Veteranen der Statistik,
der Direktor des norwegischen Statistischen Bureaus, A. N. Kiaer, verlieh
diesen Anschauungen Ausdruck, indem er die Vorteile darlegte, welche in
einem engen Zusanmiengehen des Instituts mit den internationalen Geo-
graphenkongressen bestehen, und ein solches daher warm befürwortete. Aber
auch persönlich ward mir wiederholt versichert, wie wünschenswert es sei,
wenn Geographen den Bureaus ihre Wünsche hinsichtlich bestinamter Er-
hebungen bei bevorstehenden Zählungen oder in betreff der Abändenmg oder
Erweiterung dieser oder jener Kategorien im Bereich der Tabellenstatistik
rechtzeitig kundgäben. Derartige Anregungen werden vielleicht nicht
immer sogleich durchführbar sein, aber, auch wenn dies möglich sein
sollte, bedarf es bis zur Erteilung bestimmter Vorschriften der Anrufung so
mancher Instanzen — man denke nur z. B. daran, daß innerhalb unseres
Bundesstaates das Statistische Reichsamt im Grunde nur der Verarbeiter
des von allen einzelnen Landesstellen fertig eingelieferten statistischen Mate-
IX. Tagung des Internationalen Statistischen Institutes zu Berlin. 695
rials ist — und demnach auch so mancher Verhandlungen, daß nur Anträge,
die mehrere Jahre zuvor eintreffen, Aussicht haben, mit in die fraglichen Be-
ratungen eingezogen zu werden.
Ich gestehe, daß ich sehr gern die Frage der Herstellung statisti-
scher Grundkarten, die uns in Folge der Anregung des Herausgebers
dieser Zeitschrift auf dem letzten internationalen Geographenkongreß be-
schäftigt hat und nachmals in letzterer mehrfach behandelt ist (Bd. V.
1899. S. 703 f. u. Bd. VI. 1900.' S. 185 ff.), auf der Tagesordnung der
IX. Session des Internationalen Statistischen Instituts gesehen hätte. Aber
sie auf diese zu bringen, stand mir als bloßem Gast kaum zu, imd es hätte
die Sache, wenn man Erfolg haben wollte, sehr gründlich durch Referate
und Korreferate vorbereitet sein müssen. Nach dem oben geschilderten Ein-
druck, den ich von der letzten Tagung mit hin weggenommen habe, halte ich
es für durchaus möglich, daß der Vorstand des Instituts diesem Gegenstande
Platz in einer der nächsten Sessionen gönnen würde.
Für diesmal hielt ich es für taktisch richtiger, mit so bescheidenen An-
trägen hervorzutreten als nur möglich, um wenigstens einmal den Versuch
der Annäherang an die Kreise der Statistiker zu wagen. Die Handhabe
dazu bot, wie gesagt, das an die Spitze der diesjährigen Beratungen gestellte
Thema von Levasseur und Bodio.
Nicht alle Leser dieser Zeitschrift werden unterrichtet sein, um was es
sich dabei handelt. Die von Ernst Behm und dem Referenten 1872 ins
Leben gerufene Publikation „Die Bevölkerung der Erde" darf ich wohl bei
der Mehrzahl als bekannt voraussetzen. Wir planten, in periodischen Über-
sichten zuverlässiges Material zur politischen Geographie und Anthropo-
geographie zu liefern, indem wir die Staaten und Länder der gesamten
Erdoberfläche nach Areal und Bevölkerungsstand mit Dichtigkeitsberech-
nungen und Ortstabellen zusammenstellten. Nicht in bloßer Kompilation
anderweitig aufgestellter Zahlen. Die Kritik über die Wahrscheinlichkeit des
mitgeteilten Zahlenmaterials — vor allem auch des offiziellen — hat uns
von Anfang ernstlich am Herzen gelegen. Achtmal habe ich selbst den
mühsamen Gang über die Erde mitgemacht, nach Beb ms Tode 1891 im
Verein mit Professor Alex. Supan; seitdem diesem die Arbeit allein über-
lassend. Im großen ganzen haben wir im In- und Auslande wenige Fach-
genossen gefunden, die sich der gleichen Aufgabe zu unterziehen geneigt ge-
wesen wären. In Frankreich hat Emile Levasseur seit lange ähnliche
Bestrebungen gezeigt. Von ihm ging daher wohl auch der Gedanke aus,
die nämliche Aufgabe mit Unterstützung des Internationalen Instituts zu
lösen. Weniger durch eine Verteilung der Arbeit auf zahlreiche Mitarbeiter,
als durch eine direktere Inanspruchnahme der Statistischen Bureaus behufs
Ausfüllung bestimmter Schemata. Natürlich konnte dies nur für Länder
mit ausgebildeter statistischer Organisation geltxjn, und — das darf man
nicht außer Acht lassen — man begab sich damit im Grunde der Möglich-
keit, gegebenen Falles Besseres an die Stelle der offiziellen Zahlen zu setzen.
Hinsichtlich aller übrigen Gebiete der Erde war Levasseur gleich uns
auf die Ausnutzung der geographischen Literatur und darauf begründeter
eigener Schätzungen angewiesen. Im Jahre 1886 und 1887 veröffentlichte
er die betreffende Arbeit: „Statistique de la superficie et de la population
des contrees de la Terre" allein*). Ein besonderer Vorzug der Arbeit war,
1) Bull, de rinst. intern, de Stat. I. S^mo et i^me Hvr. Rome. 1887. S. 1—186;
II. 2^»9 livr. 1887. S. 163—242.
696 Hermann Wagner:
daß sie versuchte, auch den Bevölkerungszustand früherer Jahre festzustellen.
Nach 14 Jahren ward sie von neuem unternommen, diesmal im Verein
mit dem langjährigen Chef der italienischen Statistik, L. Bodio, der bereits
die erste einer Durchsicht unterzogen hatte.
In betreff des Umfanges der Arbeit mußten die Herausgeber die gleichen
Erfahrungen machen wie wir bezw. Professor Supan. Man mußte sich zu-
nächst auf Mitteilung der Ergebnisse über Europa beschränken. Sie wurden
im Bulletin (Tome XH. 2*°>« livr. 1902. S. 1—119) veröffentHcht. Ich er-
wartete, daß der Schluß, die außereuropäischen Erdteile betreffend, bereits
diesmal auf dem Kongreß zur Vorlage gelangte. Das war eine Täuschung.
Levasseur übergab den Mitgliedern nur die vorläufige Zusammenstellung
der Ergebnisse fQr Amerika. Sie sollen den einzelnen amerikanischen Staaten
erst zur Prüfung vorgelegt werden, unterstanden daher der Beratung auf dem
Kongreß nicht mehr. Ebenso wenig gab sich unter diesen umständen Ge-
legenheit, zu einer neuen Schätzung der Gesamtbevölkerung der Erde oder
der von Afrika und Asien Stellung zu nehmen.
Wenn man die Sache konkret anfassen wollte, mußte man notwendig
an der 1902 in betjreff Europas veröffentlichten ' Arbeit anknüpfen. Das war
von Fr. v. Juraschek bereits mittels eines sehr ausführlichen Referates und
einer etwas anderweitigen Berechnung geschehen, die er in der Österreichi-
schen Statistischen Monatsschrift Ostern 1903 veröffentlicht hat. Sie bildete
den Anknüpfungspunkt für unser gemeinsames Vorgehen auf dem Kongreß.
V. Juraschek hatte jetzt seine Wünsche in vier Thesen zusammengefaßt,
deren erste sich über die Begrenzung Europas im statistischen Sinne aus-
sprach. Die zweite deckte sich im wesentlichen mit meinen Vorschlägen in
betreff der Vervollständigung der Arealangaben, so daß er mir deren Ver-
tretung überließ (s. o. S. 685). Die dritte wollte Anregung füi* eine Feststellung
der geschichtlichen Entwicklung der Staatsterritorien nach gemeinsamen Ver-
abredungen unter den einzelnen Staaten geben, derartig, daß bei Ab- und Zu-
rechnung gewonnener und abgetretener Gebiete beiderseits die gleichen, dem
wirklichen Areal entsprechenden, daher meist erst neu festzustellenden Werte
in Rechnung gestellt würden. Zuletzt wünschte der Antragsteller noch, daß
von Seiten des Instituts Volksdichtekarten von Europa für jede Zählungs-
periode, etwa im Maßstab 1:5000000, hergestellt würden, auf denen nach
möglichst kleinen Verwaltungsbezirken die Dichten in gleichmäßig zur Ver-
wendung kommenden Stufen mittels Farben eingetragen wären.
Man sieht in wenigen Sätzen ein sehr reiches, für den Geographen be-
sonders interessantes Progranam, dessen letzte beide Teile jedoch aus Mangel
an Zeit selbst nicht mehr zur näheren Begründimg durch den Boferenten,
geschweige denn zur Beratung kamen, aber auch ohne Debatten einstimmige
Annahme fanden.
1. Der Begriff Europas im Rahmen der politischen und der
physischen Geographie — so etwa müßte man die erste Hauptfrage, die
zwischen Levasseur und v. Juraschek zur Debatte stand, kurz bezeichnen.
Es muß vorausgeschickt werden, daß Levasseur und Bodio in ihrer Über-
sicht über Areal und Bevölkerung Europas bereits dem Erdteil bestimmte
Grenzen gesetzt hatten, über welche sich streiten läßt. Zwar hatten sie die
Kanarischen Inseln und kleinen spanischen Besitzungen am Südufer der
Straße von Gibraltar, sowie Madeira und die Azoren ausgeschlossen, aber im
bewußten Gegensatz besonders gegen Supans und meine Gruppierung in der
Bevölkerung der Erde die sog. europäischen Polarinseln mit einbezogen, oäm-
IX. Tagung des Internationalen Statistischen Institutes zu Berlin. 697
lieh Island und Jan Mayen, Spitzbergen und Nowaja Semlja. Daß es in
diesem Falle nicht folgerichtig ist — wenn man nämlich Spitzbergen dazu
rechnet — Franz Joseph -Land von Europa zu trennen, gab Levasseur
sofort zu. Für den Bevölkerungsstatistiker spielt unter den genannten Polar-
inseln nur Island, als die einzig dauernd bewohnte, eine Rolle. Der Schwer-
punkt der ganzen Frage einer richtigen Begrenzung Europas ruht bekanntlich
im Osten des Erdteils. Die Verfasser hatten sich dort für die Wasserscheide
im Ural und im Kaukasus als natürliche Grenze entschieden — eine Grenze,
die ich seit Jahren als die Strelbitzkysche bezeichnet habe^ da dieser sie
bei seiner Arealberechnung Europas 1882 zu Grunde legte. Sie weicht von
der politischen Grenze der russischen Gouvernements ab. Das k. russische
Statistische Zentralkomitee hatte den beiden Statistikern den Gefallen erzeigt,
die russische Bevölkerung nach den Zählungsergebnissen von 1897 gemäß
dieser sog. natürlichen Grenze auf Europa und Asien zu verteilen, was dem
Privatstatistiker immerhin Schwierigkeit gemacht hätte, solange nicht die Er-
gebnisse bis auf die kleinen Verwaltungsbezirke veröffentlicht sind.
V. Juraschek wünschte nun dem gegenüber, daß in allen statistischen
Werken Areal und Bevölkerungszahl Europas nach seiner politi-
schen Begrenzung, „also nach dem Besitzstande der europäischen Staaten
mit Ausschluß der getrennt verwalteten Außenbesitzungen" dargestellt werde.
Er ging dabei von der m. E. durchaus berechtigten Anschauung aus, daß
mit der einmaligen Feststellung der Bevölkerung des Erdteils innerhalb einer
bestimmten Begrenzung — etwa wie der von obigen Autoren angenonmie-
nen — ja nicht alles erledigt sei. Die statistischen Erhebungen erstrecken sich
heute über eine große Zahl von Fragen sowohl in sozialer Hinsicht, z. B. in
betreff der Verteilung der Bevölkerung nach Geschlecht und Alter, Konfession
und Sprache, Infirmität und Kriminalität u. a., vor allem nach ihrer Bewegung
durch Geburten und Todesfälle, Ein- und Auswanderungen, wie in wirtschaft-
licher Hinsicht, z. B. nach Urproduktion und Konsum, Viehstand und Ackerbau,
Steuererträgnissen und Schulden wesen, Handel und Verkehr u. s. w. u. s. w. Alle
diese Erhebungen werden offiziell für das Staatsgebiet im ganzen zusammengefaßt,
wohl auch hinsichtlich der großem Verwaltungsbezirke — in Rußland also
z. B. der Gouvernements — veröffentlicht. In gleicher Weise beziehen sich die
entsprechenden statistischen Angaben Portugals auf die Azoren und Madeira
mit, diejenigen Spaniens gleichzeitig auf die Kanarischen Inseln, welche voll-
berechtigte Provinzen der genannten Staaten, nicht etwa Außenbesitzungen
sind. Will man also diese Angaben für ganz Europa zusanunenfassen —
so argumentiert v. Juraschek — , so muß man diesen Begriff in die Staats-
grenzen einschließen. Im andern Falle müßte z. B. Rußland veranlaßt wer-
den, bei jeder Kategorie von Erhebungen stets gleichzeitig die östlichen
Gouvernements nach ihren Anteilen am diesseitigen oder jenseitigen Abhang
des Ural bezw. die längs des Kaukasus zu teilen. Dazu würde es sich wahr-
scheinlich ebenso wenig verstehen, als Spanien und Portugal in betreff der
zugehörigen Inselgruppen.
Es war eine seltsame Erscheinung, daß diese so einfach erscheinenden
Darlegungen manchem der anwesenden Statistiker nicht in den Sinn wollten,
und sie sich geographischer als die Geographen erwiesen, indem sie für die
Abgrenzung Europas durchaus eine feste, durch die Natur vorbezeichnete
Linie, wie eben die Strelbitzkysche Grenze, verlangten. Denn, hieß es, man
kann die Feststellung dieses Begriffes von Europa doch nicht ganz in die
Willkür einer einzelnen Regierung legen. Was wird, wenn Rußland heute
698 Hermann Wagner:
z. B. ganz Sibirien, oder wenigstens Westsibirien „zu Europa schlägt"?
Sollen wir dann mit unserem Kontinent bis an den Jenissei oder noch
weiter wandern? Der Fehlschluß in solcher Argumentation dürfte ziemlich
klar am Tage liegen. Es kommen bei diesen Fragen der politischen Geo-
graphie doch immer nur die eigentlichen Grenzprovinzen in Betracht. Die
Größe eines Verwaltungsbezirkes erster Ordnung hat seine natürlichen Grenzen.
Solche erstrecken sich in großräumigen Staaten wie Rußland über größere Flächen
als in Westeuropa. In Österreich (in den Kronländem) und Preußen 20 —
30 000 qkm umfassend, erreichen sie im Hauptgebiete des europäischen Buß-
lands 50 — 60 000 qkm, und schwellen nur im N. und 0. zum Vierfachen
dieses Betrages an, während die Bevölkerungsdichte schwindet Es wäre daher
denkbar, daß Rußland bei dichterer Besiedelung Westsibiriens einzelne Distrikte
derjenigen östlichen Gouvernements, die jetzt von der Zentrale aus unmittel-
bar verwaltet werden, zum Generalgouvernement von Westsibirien schlüge,
aber unwahrscheinlich ist es, daß große Territorien jenseits des Ural in
Zukunft noch an das europäische Rußland angeschweißt werden, eben
weil sie zu entfernt von Petersburg liegen. Die Größe der Räume des
russischen Reiches an sich zwingt zur Errichtung mehrerer Zentralsitze in
Asien neben der Hauptstadt des Reiches. Mit andern Worten, eine starke
Verschiebimg der östlichen Grenze dessen, was^ man heute unter dem Begriffe
der 60 europäischen Gouvernements zusammenzufassen pflegt, ist un-
wahrscheinlich.
Weit schwieriger aber wäre es gewesen, für den Fall, daß man auf
dem Kongreß die sog. politische Grenze Europas ganz verwerfen sollte, eine
Übereinstimmung über die Wahl der richtigen Naturgrenze zu erzielen. Der
Kamm des Kaukasus schien den meisten der Herren Statistiker als solche
durchaus einleuchtend zu sein, wogegen v. Juraschek mit Recht seinen
Freimd Sueß ins Treffen fahrte, um zu beweisen, daß der Kaukasus eine
geographische Einheit und in zweiter Linie ein Glied in der Kette asiatischer,
nicht europäischer Gebirge sei, wie umgekehrt es berechtigt wäre, den Ural
im ganzen zu Europa zu rechnen. Die Kürze der Zeit verbot, vor einem
Publikum, dem alle diese neueren erdkundlichen Anschauungen fem lagen, den
näheren Nachweis über die Zugehörigkeit des Ural zu Europa zu führen und
darzulegen, warum Tiefenlinien bei Abgrenzung derartiger geographischer
Räume den Höhenlinien (Wasserscheiden, Kammlinien) zimieist vorzuziehen sind.
So schloß man schließlich einen vernünftigen Kompromiß, wonach es
alles beim alten bleibt:
„Das Internationale Institut erkennt zwei Arten die Oberfläche Europas
zu berechnen an und empfiehlt sie beide als nützlich je nach verschiedenen
Fällen, nämlich einmal die Oberfläche im Sinne der physischen Geographie,
d. h. nach den natürlichen Grenzen Europas, welche die Geographen gegen
Südosten und Osten festzulegen haben, sodann die Oberfläche im Sinne der
politischen Geographie, umfassend alle innerhalb oder außerhalb des physi-
schen Europa gelegenen Territorien, welche als europäische Provinzen ver-
waltet werden."
Wenn ich mich an den Verhandlungen über den oben geschilderten
Punkt nicht beteiligte — die obigen Argumentationen erfolgten mehr in
Privatgesprächen — , so geschah es, weil ich die Beratung von vornherein
für unfruchtbar hielt. Über Begriffe kann man nicht per majora ab-
stimmen und doch ist sowohl Europa als politischer wie als physischer Raum
ein wissenschaftlicher Begriff; einen solchen kann der einzelne Forscher
IX. Tagung des Internationalen Statistischen Institutes zu Berlin. 699
unter Anfübrung bestimmter Gi-Ünde in dieser oder anderer Weise definieren,
er kann dabei vielleicht auf viele überzeugend wirken, aber zu einem ab-
soluten Begriffe kann er seine Anschauungsweise nicht erheben. Es erinner-
ten mich die Verhandlungen jenes Septembertages an den Dresdener Geo-
graphentag 1886, wo uns allen Ernstes vorgeschlagen wurde, eine feste
Definition für den Begriff der Steppe zu „beschließen". Wir haben dies
damals aber energisch zurückgewiesen. Ein praktisches Ergebnis in dem
Sinn, daß irgend einer der fraglichen Staaten — auch die europäische Türkei
käme in Betracht, da das Vilajet Konstantin opel noch ein Stück der vorge-
streckten Halbinsel Kleinasiens von rund 2800 qkm mit umfaßt — sich den
schönen Augen der Geographie zu liebe bewogen finden sollte, seine inneren
administrativen Grenzen abzuändern, wird diese Debatte mit Sicherheit nicht
haben. Was man allein erstreben kann, ist, jene Staaten von der Zweck-
mäßigkeit der Veröffentlichung von Einzelangaben in betreff solcher zwar
der inneren Verwaltung unterstellten, aber außerhalb der natürlichen Grenzen
des Staatsgebietes gelegenen Territorien zu überzeugen. Der politische Be-
griff von Europa ist das Primäre, wenigstens zuerst Festzustellende. Daneben
muß uns womöglich die offizielle Statistik selbst die Handhaben bieten, um
daraus durch möglichst genaue Ab- und Zurechnungen den Begriff Europas
in seinen physischen Grenzen festzustellen.
2. Diejenigen Vorschläge, welche der Referent nach Verabredung mit
Juraschek zu begründen übernommen hatte, betreffen eine Quelle der Diver-
genzen in den offiziellen Arealangaben, welche zu beseitigen bei gutem
Willen nicht schwer sein dürfte. Ich meine die Inkonsequenz, welche bei
Einbeziehung von Grenzgewässern in die Daten für die dem Staate
zugehörige Fläche besteht. Die Gelegenheit nach der Seite der Areal-
statistik einige seit Jahrzehnten gehegte und vertretene Wünsche vor dem
Forum der offiziellen Statistik Europas darzulegen, schien mir zu günstig,
um sie unbenutzt vorübergehen zu lassen, auch wenn ich mir bewußt war,
die positiven Vorschläge auf ein Minimum des Erreichbaren beschränken zu
müssen. Doch ich will, um Wiederholungen zu vermeiden, den Leser auf
den Wortlaut meines kurzen Vortrages in diesem Heft verweisen und hier
nur hervorheben, daß ich den Eindruck gewonnen habe, eine Reihe von Sta-
tistikern nicht nur von der Notwendigkeit, sondern auch der Möglichkeit
der Durchflihrung der Vorschläge überzeugt zu haben. Wie weit dies nach-
haltig wirkt, muß die Zukunft lehren.
3. Im Bereich der Debatten über die Ausdehnung der Statistik der
Wanderungen war es von Interesse, zu beobachten, wie auch auf diesem
Gebiet der Drang, die Tatsachen zu lokalisieren, sich Geltung zu verschaffen
sucht. Begnügte man sich bisher mit Ursprungsland und neuem Heimats-
land des Auswandernden, so wünschte v. Mayr unter vielseitiger Zustim-
mung in die Aus- und Einwanderungsstatistik genauere Angaben über die
territoriale Provenienz, also kurz gesagt die Heimatsbezirke, und andererseits
die einzelnen Niederlassungsbezirke der sich bewegenden Massen aufgenommen
zu sehen. Neben durchgreifender Unterscheidung zmschen dauernder und
temporärer Auswanderung, soll womöglich die neue Erscheinung der jahres-
zeitlichen Wanderzüge von Arbeitern mit sog. Saisonbeschäftigung besser als
bisher erfaßt werden, Wanderungen, die bisher meist innerhalb der einzelnen
Großstaaten vor sich gingen, jetzt aber bereits stark über die Staatsgrenzen
übergreifen.
4. Demographische Erforschungen in Ländern, in denen noch
700 Wagner: IX. Tagung des Internation. Statist. Institutes zu Berlin.
keine Volkszählungen bestehen, sind bereits 1899 auf der Vll. Session
des Instituts zu Kristiania von A. N. Kiaer angeregt worden. Nach
mehrfachen Verhandlungen im Schöße kleiner Kommissionen hatte Mar-
cus Rubin, bisher Chef der Statistik in Kopenhagen, übernommen, bestimmte
Vorschläge fdr die Berliner Tagung zu formulieren. Das Vorgehen ist in
der Weise gedacht, daß man von Seiten des Institutes sich mit genau aus-
gearbeiteten Fragebogen und kurzen Instruktionen an alle gelehrten Gesell-
schaften wendet, von denen man voraussetzen kann, daß sie an den demo-
graphischen Erhebungen innerhalb ihres geographischen Wirkungsbereichs
überhaupt Anteil nehmen. Diese Gesellschaften sollen es alsdann Übernehmen,
die Fragebogen und Instruktionen an die geeigneten Privatpersonen, die sich
in den zu erforschenden Ländern befinden, also besonders an Reisende, Katif-
leute, Missionare zur Verteilung zu bringen, die ausgefüllten Listen zu sam-
meln imd diese dem Institut zur weitem Verarbeitung zuzustellen. Man
hat jüngst mit der Verteilung solchen Druckmaterials an ca. 150 Gesell-
schaften begonnen.
Diese Fragebogen hier vollständig abzudrucken würde vielleicht zu weit
fahren, wiewohl damit ein ausdrücklicher Wimsch der Antragsteller er-
füllt werden würde ^). Denn namentlich von Seiten Kiaers ward in der
Debatte betont, wie sehr man bei Durchführung der vorgeschlagenen Maß-
regel auf die Mitwirkimg gerade der Geographen aller Länder angewiesen
sei. Den Besuchern des internationalen Geographenkongresses zu Berlin
1899 wird erinnerlich sein, daß dort in Folge einer Anregung von Scott
Keltie die nämliche Frage zur Erörterung stand'). Im Anschluß daran
wird jetzt der Wunsch geäußert, daß dies Thema fortan ständig auf die
Tagesordnung der geographischen Kongresse, wie der Sessionen des Inter-
nationalen Statistischen Instituts gebracht werde, imd daß der Versuch ge-
macht würde, für die Zwischenzeiten die permanente Kommission des erstem
mit dem Vorstand des Instituts bezw. der die Frage behandelnden Konmdssion
in Korrespondenz zu bringen. Vor der Hand würde es also darauf ankom-
men, dafar zn sorgen, daß der Geographenkongreß von Washington 1904
der Angelegenheit und zwar den bereits in feste Form gebrachten Maß-
regeln seine Aufmerksamkeit schenkt.
Der Raum reicht nicht, die Sache an dieser Stelle eingehender zu er-
örtern. Ich möchte glauben, daß die Fragebogen mit ihren 35 Fragen
(Formular l) noch immer ein wenig zu kompliziert sind. Fast könnte z. B.
die Aufforderung: Constater autant que possible le caractere geographique
des districts en question (cotes, iles et ilots, plaines situees au bord des
ri viferes ou a Tinterieur, regions humides, marecages, prairies; steppes, deserts,
forets, regions bocageres, plateaux et montagnes), die Korrespondenten glau-
ben machen, daß zu große Ansprüche an sie gemacht würden in betreff
der geographischen Beschreibung ihres Distrikts, die man wohl auch ander-
weitigen Quellen entnehmen könnte. Sie sollen sich weiter informieren über
die Ausdehnung des Distrikts, über den sie berichten, über sein Verhältnis
zur Gesamtfläche des Landes; soweit es dicht oder weniger dicht bevölkert
ist. Mehr in die praktische Aufgabe demographischer Erforschung zielt die
Aufforderung, Häuser, Familien oder Haushalte, mittlere Zahl der Haus-
1) Petermanns Geogr. Mitteilungen werden in Kürze den Wortlaut der Frage-
bogen bringen. (1903, Heft 12.)
2) Verhandlungen des VU. Internat. Geographen - KongreBses. Berlin 1899.
n. S. öl 1—576. Keltie: The Population of üncii^ilised Countries.
Geographisclie Neuigkeiten.
701
haltsgenossen zu zählen. Aber nicht rein statistische Erhebungen sind ge-
plant Auch auf die Lebensweise, die Art der Ernährung, die sozialen Ver-
hältnisse erstrecken sich die Fragebogen. Weitere Vorschriften gelten für
halbzivilisierte Länder, in denen es dem Einfluß einzelner Europäer gelingen
könnte, eine Gesamtaufnahme des Bevölkerungsstandes in die Wege zu leiten.
Warnungen behufs vorsichtigen Vorgehens bei einer mißtrauischen Bevölke-
rung fehlen nicht. Die Zeit muß lehren, wie weit man auf diesem Wege
kommt. Daß der Versuch sehr beachtenswert ist imd jegliche Unterstützung
von Seiten der Geographen verdient, scheint mir außer Zweifel.
Beiläufig mag erwähnt werden, daß M. Baines, ehemaliger Zensus-
direktor von Lidien, 1900 die Zahl der „nichtgezählten Bevölkerung" der
Erde auf 742 Millionen oder, bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 1580 Millio-
nen, zu fast 48 Prozent sehätzte*). Dieser Prozentsatz, der die Zahl der
gezählten Bewohner auf 52 Prozent herabdrückt, erscheint uns jedoch ein
wenig zu hoch. Abgesehen davon, daß dabei die Schätzung fCbr China, für
welche Baines 400 Millionen Seelen annimmt, gegenüber 360 Millionen,
die ich mit andern für wahrscheinlicher halte (Supan nahm 1901 nur 330
an), ins Gewicht fällt, wird man Bumänien, Japan und wohl auch Java
zu den Ländern mit etwas genauerer Bevölkerungsaufhahme rechnen dürfen.
Ich berechnete daher die letztere schon 1891 insgesamt zu 57 — 58 Prozent
der Gesamtbevölkerung der Erde*).
Geograpliisclie Neuigkeiten.
Zusammengestellt von Dr. August Fitzau.
Allgemeines.
♦ Im weiteren Verlauf einer litera-
rischen Sammelreise (G. Z. 1902. S. 705)
hat Dr. Walter Rüge aus Leipzig (nach
Michow in den ,,Mitt. d. Geogr. Ges. in
Hamburg^* S. 241) in der ehemaligen Uni-
versitätsstadt Helmstedt auch die Welt-
karte und die Europa-Karte Caspar
Vopells in Abdrücken scheinbar von den
Originalplatten gefunden; sie datieren
aus Antwerpen von 1570 und 1572.
F. Th.
Asien.
* Über die Eisdicke auf ostsibi-
rischen Flüssen referiert Woeikof in
der Meteorologischen Zeitschrift (S. 456)
nach einer Studie von Schostakowicz.
Im großen und ganzen ist die Eisdicke
mäßig, nur in der Tundra im äußersten
Norden ist das Eis sehr dick, in Russkoje
Ustje auf der Indigirka, 71 • n. Br., 235,
230, 225 cm, in Bnlun auf der Lena,
70»// n. Er., 205, 216 cm. In den Ge-
genden mit kältesten Wintern: JanaWer-
ehojansk, 67y,<*n. Br., 180 cm, Kolyma,
66y/ n. Br., 125, 180 cm Auf dem obe-
ren Amur imd seinen Zuflüssen Schilka,
Ingoda, Argun ist wegen der Schnee-
armut die Eisdicke groß, jedoch wech-
selnd von Winter zu Winter und in dem-
selben Winter von Ort zu Ort, so am
oberen Amur an drei Orten zwischen
51 y,® und 58 V,® in zwei Wintern bez.
105, 140; 105, 180; 160, 140 cm und auf
der Schilka in demselben Winter in
Stretensk: 100 cm, zwei Orten je 140 cm,
zwei je 180 cm; im nächsten Winter in
Stretensk 235 cm. Der JenesseT hatte
ziemlich gleichmäßige Eisdicke in dem-
selben Winter, so 1896/97 ungeHÜir 90 cm,
1900/01 ungefähr 70 cm. Die wechselnde
Eisdicke am oberen Amur und seinen
Zuflüssen erklärt Schostakowicz zutreffend
durch die wechselnde Schneetiete, die
1) Bulletin de Tlnst. int. de Statist. XIII. 1. 1903. S. 297 ff,
2) Bevölkerung der Erde. VIII. 1891. Vorwort S. VI.
702
Geographische Neuigkeiten.
sehr große durch fehlenden Schnee. Die
Beobachter bemerkten häufig: „Eis dünn
wegen großer Schneetiefe'* oder ,.EiB sehr
dick, weil wenig Schnee'*. Seichte Flüsse
und Seen gefrieren bis zum Grunde und
da dies zu einem Aussterben der Fische
führt, so haben die Jakuten sich zu
helfen gewußt: Um zu großer Eisdicke
vorzubeugen, werden bald nach dem
Grefrieren des Wassers Tannenzweige an-
gehäuft, der Wind weht große Schnee-
mengen an, als schlechter Wärmeleiter
schützt der Schnee vor Abkühlung, das
Eis wird nicht dick.
Afrika.
* Von Lenfants Expedition zur
Erforschung einer Wasserverbindung zwi-
schen Niger-Benue und Tschadsee (S. 535)
sind Nachrichten in Paris eingetroffen (La
Geographie 1908, Nr. 4), denen zufolge
die Expedition dank dem Entgegenkommen
der Niger-Gesellschaft 25 Tage nach ihrer
Abreise von Bordeaux bereits in Lokodja
am Zusammenfluß von Niger und Benue
angekommen war. Von dort aus fuhr
man auf einem englibchen Dampfer den
Benue aufwärts nach Garua, von wo aus
am 25. August die letzte Nachricht nach
Frankreich gesandt wurde. Lenfant so-
wohl wie auch der englische Gouverneur
Wallace, der wie alle englischen Behörden
dieser Expedition mit ungewöhnlicher Höf-
lichkeit und Hilfsbereitschaft entgegen-
kam, sind von dem Vorhandensein eines
Wasserweges zwischen Benue und Tschad-
see fest überzeugt, während die deutscheu
Mitglieder der deutsch-englischen Kame-
run-Grenzexpedition, die Lenfant in Yola
antraf, das Vorhandensein einer Bergkette
zwischen Benue und Logone behaupten.
Von Garua aus wollte Lenfant am nächsten
Tage Benue aufwärts weiterfahren bis
nach Bifara, und von dort aus hoffte er
in wenigen Tagen den Logone erreichen
zu können.
♦ Über das östliche Scharibecken,
besonders über die Gegend südwest-
lich von Dar für berichtet der fran-
zösische Reisende Chevalier im August-
heft der „Geographie". Die Gegend ist
besonders in hydrographischer Hinsicht
sehr interessant. Das zwischen Schari
Kongo und Nil sich bis zu einer Höhe
von 2000 bis 2800 Fuß erhebende Sand-
steinplatoau fallt nach Norden zu einer
ungefähr 400 Fuß niedrigeren Ebene ab,
die mit einförmiger Vegetation bedeckt
ißt und strichweise jährlich durch Über-
schwemmung in Sumpf verwandelt wird.
Dies ist die Ebene Mamun, durch welche
die auf dem südlichen Plateau entspringen-
den Flüsse in vielfach verzweigtem Laufe
fließen. Alle diese Wasserläufe vereinigen
sich schließlich in dem Auk, wie schon
Nachtigal diesen Arm des Schari benannt
hat. Der Hauptarm soll der Bungul sein,
der bei günstigem Wasserstande über
12 Fuß tief und 300—500 Yards breit ist.
Nach Chevaliers Skizze hat aber der nörd-
lichste Arm, der Miiya, einen noch länge-
ren Lauf, durch den das Scharibecken
ostwärts bis 23^ östl. Gr. ausgedehnt wird.
Den Auk hält Chevalier für schiffbar
während des Winters. Während der
Regenzeit wird die ganze Gegend in einen
mit Sumpfvegetation bedeckten See ver-
wandelt, aus dem die höher gelegenen
Stellen als bewaldete Inseln hervorragen.
Die ganze Gegend wimmelt von großen
Säugetieren und von Wasservögeln; die
Vegetation ist die für den Sudan charak-
teridtische mit Arten von Diospyros, Ter-
minalia, Combretum u. a. Trotzdem ist
das Land arm und würde von seinen Be-
wohnern längst verlassen sein, wenn seine
Sümpfe und Überschwemmungen nicht so
guten Schutz gegen die Raubzüge der Be-
wohner von Wadai und Daifur darböten.
Im ganzen besitzt also das Land südlich
und östlich von Wadai nur einen geringen
Wert.
» Die schon seit einigen Jahren ein-
getretene Austrocknung des Schirwa-
Sees scheint nach einer Mitteilung der
Missionszeitschrift: „Life and Work in
British Central Afrioa" nun vollständig
geworden zu sein. Alles was vom See
von der früheren Insel Mchisi aus noch
zu erblicken ist, ist ein Sumpf an dem
ehemaligen westlichen Seeufer und einige
seichte Lachen an den Flußmündungen.
Die Kanus, mit welchen die Eingeborenen
seit undenklichen Zeiten den See be-
fuhren, liegen auf dem ausgetrockneten
Schlamme, indessen man zu Fuß nach
Tongwe, der kleinen bewohnten Insel, ge-
langt. Der Schlamm ist stellenweise noch
weich, aber an der Oberfläche ist er ganx
hart, mit welkem Gras bedeckt, das oft
in Flammen aufgeht. Ein kleiner Brunnen
in der Nähe der Missionsschule auf der
Geographische Neuigkeiten.
703
Insel versorgt die Eingeborenen in der
Umgebung mit gutem Wasser, obgleich
das Seewasser brackig ist oder war. Wegen
anhaltender Dürre wächst auf der Insel
nur spärliches Futter, weshalb viele Be-
wohner nach dem Zomba- Distrikt aus-
wandern. (Geogr. Journal 1908 S. 469.)
Nord- und Mittel-Amerika»
* In der an Überraschungen und im-
vorhergesehenen Wendungen so reichen
Geschichte des interozeanischen Ka-
nals in Mittelamerika ist wiederum
ein Ereignis eingetreten, das wohl nie-
mand geahnt hat, durch welches aber das
letzte dem Bau des Kanals entgegen-
stehende Hindernis beseitigt sein dürfte.
In einer früheren Notiz (S. 172) waren
die Bedingungen des Vertrages mitgeteilt
worden, der zwischen den Vereinigten
Staaten und Kolumbien wegen des Kanal-
baus abgeschlossen werden sollte, und zu-
gleich wurde die Zuversicht ausgesprochen,
daß der Vertrag bald von beiden Seiten
angenommen werden würde. Das letztere
ist nun nicht eingetreten, weil die Re-
gierung von Kolumbien die im Vertrage
geforderte Landabtretung an die Ver-
einigten Staaten mit den patriotischen
Gefühlen ihres Volkes nicht für vereinbar
hielt und deshalb den ganzen Vertrag
ablehnte. Vielleicht hat auch die Furcht
vor der unmittelbaren Nachbarschaft der
die Monroe-Doktrin so laut verkündenden
Nordamerikaner oder die Agitation der
die Konkurrenz des Kanals furchtenden
Pacific-Eisenbahnen das ihre zu dem ab-
lehnenden Votum beigetragen. Kurz, der
Vertrag kam nicht zu Stande und der
Kanal bau schien abermals in weite Ferne
gerückt zu sein. Da trennte sich Anfang
November die Provinz Panama, für die
der Kanal natürlich von unendlicher
Wichtigkeit ist und die in der Ankunft
der Nordamerikaner das einzige Mittel
für die Ausführung des Kanalbaus sieht,
von der kolumbischen Republik los und
konstituierte sich als selbständige Re-
publik Panama, die sofort in ein freund-
schaftliches Verhältnis zu den Vereinigten
Staaten trat. Ein schwacher Versuch
Kolumbiens, die verlorene Provinz wieder
unter seine Botmäßigkeit zu bringen,
scheiterte kläglich, dagegen entsandte die
neue Republik sofort einen Vertreter nach
Washington, um die Verhandlungon über
den Bau des Kanals einzuleiten. Die
neue Republik hat sich bereit erklärt, iu
alle Verträge, die Kolumbien abgeschlossen
hat, einzutreten, und so werden wohl nun
die Vereinigten Staaten bald in den Be-
sitz des zum Bau des Kanals nötigen
Landstreifens kommen.
Polargegen den.
♦ Wohlbehalten ist am 24. Nov. die
deutsche Südpolarexpedition auf
dem Expeditionsschiff „Gauß" wieder auf
der Elbe angekommen, von wo aus die
Fahrt nach Kiel durch den Kaiser Wil-
helm-Kanal angetreten wurde. Aber schon
Anfang November ist der Bericht über
die wissenschaftlichen Arbeiten der
Expedition als 5. Heft der „Veröffent-
lichungen des Instituts für Meereskunde'^
zu Berlin erschienen. Der Bericht bezieht
sich auf die Zeit von der Abfahrt von Ker-
guelen bis zur Rückkehr nach Kapstadt
(31. Jan. 1902 bis 9. Juni 1903) und auf die
Tätigkeit auf der Kerguelen- Station vom
1. April 1902 bis 1. April 1903 und zer-
fällt in drei Teile, die die Einzelberichte
der Gelehrten und Offiziere über ihre spe-
zielle Tätigkeit enthalten. Der erste Teil
berichtet über den äußeren Verlauf und
enthält : Allgemeinen Bericht von E. v. D r y -
galski, Bericht über die Rekognoszie-
rungs-Schlittenreise nach dem Rand des
Inlandeises von R. Vahsel; Gesundheits-
bericht von H. Gazert und allgemeinen
Bericht über die Tätigkeit der Kerguelen-
Station von K. L u y k e n. Im zweiten Teile
folgen Berichte über die wissenschaftliche
Tätigkeit und zwar: Über die geogra-
phischen Arbeiten von E. V. Dry galski;
über die erdmagnetischen Arbeiten von
F. Bidlingmaier; meteorologischer Be-
richt von H. Gazert; geologischer und
chemischer Bericht von E. Philippi;
biologischer Bericht von E. Vanhöffen
und bakteriologischer Bericht von H. Ga-
zert. Der dritte Teil umfaßt technische
Berichte über Schiff, Seefahrt und Ballon-
aufstiege und zwar berichtet H. Ruser
über Seefahrt und Schiffsarbeiten und
A. St ehr über die Ballonaufstiege. Zu-
nächst ergibt sich aus dem Bericht mit
Bestimmtheit, daß die Expedition auf das
Sorgfältigste vorbereitet worden war und
daß bei der Ausarbeitung des Expeditions-
planes und der Ausrüstung alle Eventuali-
täten in Betracht gezogen worden waren;
704
GeograpliiBclie Neuigkeiten.
außerdem geht aus allen Einzelberichten
zur Evidenz hervor, daß alle Ezpeditions-
mitglieder sich ihrer Aufgabe gewachsen
zeigten und während der ganzen Ex-
pedition mit großer Pflichttreue ihren
wissenschaftlichen Arbeiten obgelegen
haben. Wenn es trotzdem der Expedition
nicht gelungen ist, einen großen äußeren
Erfolg zu erringen, so ist der Grund hier-
zu ebenfalls nur in äußeren Umständen zu
suchen, besonders darin, daß, im Gegen-
satz zur englischen Südpolarexpedition,
welche als Operationsbasis das schon öfter
besuchte und leidlich gut erforschte Vik-
torialand benutzen konnte, die deutsche
Expedition noch völlig unbekannte Gegen-
den der Antarktis aufgesucht hat, die sich
iils besonders arm an Inseln oder Festland
erwiesen und in denen die Expedition
alle Unbilden des antarktischen Ozeans
und Klimas ausgiebig zu kosten bekam.
Der in späterer Zeit zu erwartende aus-
führliche Bericht über die wissenschaft-
lichen Untersuchungen in der Antarktis
wird beweisen, daß die Expedition ihre
mühsame Fahrt nicht vergebens für die
Wissenschaft unternommen hat.
:4t Als die wichtigste geographische
Entdeckung, welche auf der deutschen
Südpolarexpedition gemacht worden ist,
ist vorläufig die Auffindung des Gauß-
berges als Teil eines bisher noch un-
bekannten antarktischen Festlandes an-
zusehen. Wie bereits früher (S. 471) mit-
geteilt wurde, wurde das Expeditionsschiff
„Gauß" in der Nähe einer bisher un-
bekannten Küste vom Scholleneise ein-
geschlossen und fast ein Jahr lang von
ihm festgehalten. Das neuentdeckte,
Kaiser Wilhelm II-Küste benannte Fest-
land lag 85 km südlich vom Schiff und
war derart unter Gletschern begraben, daß
von ihm nur eine eisfreie Bergkuppe, der
„Gaußberg" sichtbar war. Der Berg, der
unter 6öM8' s. Br. und 89^30' östl. L.
liegt und .366 m hoch ist, hat die Form
eines in der Nord-Südlinie etwas lang-
gezogenen Kegels und erhebt sich auf der
Grenze zwischen Meer und Inlandeis, auf
seiner Nordseite unmittelbar aus dem
Meere aufsteigend, während ein großer
Teil der Süd- und besonders der West-
seite von Schnee und Eis bedeckt ist,
welches in ununterbrochenem Zusammen-
hange' mit dem Inlandeis steht. So er-
scheint der Gaußberg ungefähr zu zwei
Dritteln in das Inlandeis eingebettet, von
dem er einstmals ganz überströmt war,
wie die erratischen Granii- und Gneis-
blöcke beweisen, die sieh an allen seinen
Abhängen und auf dem Gipfel selbst finden.
Der Berg baut sich lediglich aus einem
Gestein jungvulkanischen Ursprungs, einer
schwarzbraunen, körnigen, zuweilen gla-
sigen Basaltlava, auf; Auswürflinge oder
Tuffe fehlen ganz. Sein Dasein verdankt
der Gaußberg aller Wahrscheinlichkeit
nach einem einmaligen Ausbruch streng-
flüssiger, rasch erkaltender Lava, in Folge
dessen sich eine Quellkuppe bildete. Die
ursprüngliche Oberfläche dieser Kuppe ist
aber nirgends mehr erhalten, da frühere
glaziale Erosion und gegenwärtig eine
sehr lebhafte mechanische Verwitterung
in Folge der hohen Temperaturdifferenzen
zwischen Tag und Nacht überall zerstörend
gewirkt haben. Weitaus den größten Teil
der Oberfläche des Berges bedecken Schutt-
halden von über 80 cm Tiefe, die eine Be-
steigung des Berges beschwerlich machen ;
anstehendes Gestein, das einzige, welches
die Expeditjon innerhalb des antarktischen
Gebietes fand, spielt nur auf der nörd-
lichen Seite des Berges eine bedeutende
Rolle, findet sich aber in isolierten Massen
auch auf den anderen Flanken des Berges;
überall zeigte es sich angewittert und
äußerst brüchig. Von Vegetation wurden
auf dem Berge nur einige niedere Moose
und Flechten gefunden. Südlich vom
Gaußberg steigt die Oberfläche des Inland-
eises weiter und weiter an; einige Meilen
vom Berg war eine bedeutende, an der
Oberfläche stark gespaltene Erhöhung des
Inlandeises bemerkbar, die auf eine darunter
liegende Bodenerhöhung schließen läßt;
aber eisfreies Land war weder vom Gipfel
des Gaußberges noch von dem zu 500 m
Höhe angestiegenen Ballon aus sichtbar.
♦ Das von der argentinischen Regie-
rung ausgesandte Kanonenboot „Uruguay^'
(S. 414) hat nach dem Bericht seines
Kommandeurs am S.November auf derSey-
mons-Insel zwei Teilnehmer der schwedi-
schen Südpolarexpedition aufgefun-
den, die sich in der Hoffnung auf Rettung
von den übrigen getrennt hatten. Norden-
skjöld selbst mit einigen Mitgliedern
der Expedition traf man auf Snowbill.
Die übrigen Teilnehmer waren auf der
Paulet-Insel geblieben, wo die gesanit«
Mannschaft der Expedition überwinterte,
Bücherbesprechungen.
705
nachdem die „Antarctic" im Erebus- und
Terror-Golf vom Eise zermabnt war. Die
„Uruguay" fuhr daher bis zur Paulet-
Insel weiter, brachte von dort den Rest
der Expedition zurück und beförderte sie
nach Santa Cruz. Vom Beginn der Reise
an hatte die „Antarctic" im Eis zahllose
Schwierigkeiten zu überwinden. Im De-
zember 1902 traf die Expedition am
Bramsfieldberg in Louis Philippe -Land
ein. Nordens kjöld verließ hier das
Schiff mit einer kleinen Schar, um nach
Snowhill zu wandern. Inzwischen fuhr
die „Antarctic" nach der Erebus- und
Terror-Bucht weiter, wo sie unterging.
Kapitän Tarsen und die übrigen Teil-
nehmer an der Expedition erreichten nach
einer 16tägigen gefährlichen Seefahrt in
offenen Booten die Paalet-Insel und tra-
fen erst bei Snowhill wieder mit Nor-
den skjöld zusammen. Dieser erreichte
auf einer Schlittenreise über König Oskar-
Land den 66.^ s. Br. und machte viele
wertvolle wissenschaftliche Beobachtun-
gen. Die niedrigste Temperatur, die er
verzeichnete, waren — 42®. In Buenos
Aires ist die „Uruguay" mit der schwe-
dischen Expedition an Bord am 2. De-
zember angekommen. F. Th.
Persdnliohes.
♦ Dem Privatdozenten der Geographie
an der Universität Berlin Dr. Konrad
Kretschmer, der zugleich als Lehrer an
der Kriegsakademie tätig ist, ist das
Prädikat Professor beigelegt worden.
Bttcherbesprecliangen.
Weltall und Menschheit. Geschichte
der Erforschung der Natur und der
Verwertung der Naturkräfte im Dienste
der Völker. Hrsg. in Verbindung
mit andern von Hans Kraemer.
n. Bd. H. Klaatsch: Entstehung
und Entwicklung des Menschen-
geschlechtes. — H. Potoni^: Ent-
wicklung der Pflanzenwelt. — L.
Beushausen: Entwicklung der Tier-
welt. Xin u. 518 S. Viele Beil. u.
Textabb. Berlin, Deutsches Verlags-
haus Bong & Co. JC 16. — .
Dieser zweite, wieder mit vorzüglichen
Illustrationen fast überreich ausgestattete
Band des großen Sammelwerks enthält
drei sich nahe berührende Darstellungen,
die, obwohl auf streng wissenschaftlicher
Grundlage ruhend, durchaus gemeinver-
ständlich gehalten sind: Entstehung* und
Entwicklung des Menschengeschlechtes
(von H. Klaatsch), Entwicklung der
Pflanzenwelt (von H. Potonid), Entwick-
lung der Tierwelt (von L. Beushausen).
Nur die mehr als % des Bandes ein-
nehmende Abhandlung von Prof Klaatsch
greift mehrfach in erdkundliche Probleme
ein, die beiden anderen sind rein palä-
ontologisch. In ganz ausführlicher Er-
Ürterung wird in jener der Entwicklungs-
weg des Menschen aus tierischen Vorwesen
beleuchtet. Zwar leugnet der Verf. keines-
wegs die nahe Verwandtschaft unseres
Geschlechts mit den afrikanischen und
asiatischen Anthropoiden, führt jedoch
gründlich aus, daß der Mensch, der ge-
wisse körperliche Merkmale mit jeder der
heute noch fortlebenden Anthropoiden -
formen teilt, eben darum schon von keiner
derselben unmittelbar abstammen kann.
Stammesgeschichtlich interessant ist die
Tatsache, daß die Langarmaffen oder
Gibbons (in deren nahe Verwandtschaft
auch der berühmte, von Dubois 1891 auf
Java in einigen Fossilresten entdeckte
Piihecanihropus erectus gehört) im em-
bryonalen Zustand eine ganz besondere
Menschenähnlichkeit verraten. Das Lippen-
rot ist das einzige somatische Sondergut,
das der Mensch vor den Anthropoiden
voraus hat. Die großen Abweichungen
im Skelett-, besonders im Schädelbau
gegenüber den Menschenaffen erklären
sich durch den Erwerb des aufrechten
Ganges, der den Arm zum Kampf frei
machte, imd die überlegene Ausbildung
des Gehirns. Für die Enthaarung möchte
der Verf. den Übergang zur Fleischkost
kausativ verwerten. Sollte aber die Ein-
schränkung des Witterungskreises als
natürliche Wirkung geringerer Hautaus-
dünstung zu Folge der Lichtung der Be-
haarung nicht eher in Betracht kommen,
da er Herabsetzung der Gefahr vor dem
Geographisohe Zeitschrift. 9. Jahrgang. inoS. 12. Hof t.
47
106
Bücherbesprechungen.
Überfall von Raubtieren bei einem doch
gewiß ursprünglich im Waldesdickicht
lebenden Wesen bedingte? Freilich denkt
der Verf. an das raubtierlose Australien
ala Urheimat der Menschheit; indessen
die hierfür angeführten Gründe erscheinen
nicht stichhaltig. Dagegen dünken die
Beweise unwiderleglich, mit denen der
Verf. für die Einheit des Menschen-
geschlechts und für dessen Entstehung be-
reits im Tertiäralter eintritt. K i r c h h o f f .
Nippoldty A. jun. Erdmagnetismus,
Erdstrom und Polarlicht. (Samm-
lung Göschen.) 16 ^ 186 S. 3 Taf.
14 Fig. Leipzig, Göschen 1908.
JL —.80.
Das vorliegende Büchlein der bekannten
„Sammlung Göschen" bringt auf dem ihm
zugewiesenen engen Raum die wichtig-
sten Lehren dieser Gebiete in übersicht-
licher, leicht faßlicher Darstellung. Nach-
dem die notwendigen Definitionen gegeben
sind, wird der permanente Magnetismus
der Erde behandelt, wobei insbesondere
die räumliche Verteilung der magneti-
schen Elemente und die Theorie in Frage
kommt. Der folgende Abschnitt erörtert
die Variationen und die Perioden der
Bewegungen der Magnetnadel, nebst den
Beziehungen zu anderen meteorologischen
und kosmischen Vorgängen. Die beiden
letzten Abschnitte behandeln den Erd-
strom und das Polarlicht und deren Zu-
sammenhang mit dem Erdmagnetismus.
Li allen Kapiteln ist auf den neuesten
Stand des Wissens Bezug genommen.
Eine Übersicht der wichtigsten Literatur
und ein ausführliches Inhaltsverzeichnis
vervollständigen das Ganze.
Messerschmitt.
Schütz, E. H. Die Lehre von dem
Wesen und denWanderungender
magnetischen Pole der Erde.
Ein Beitrag zur Geschichte der Geo-
physik. XVI u. 70 S. 4 Taf. u. 5 K.
Berlin, Dietr. Reimer 1902. JL 10.—.
Die Wissenschaft vom Erdmagnetismus
wird sicherlich einmal dahin gelangen,
die magnetischen Verhältnisse an der Erd-
oberfläche in früheren Zeiten mit größe-
rer Genauigkeit rückwärts zu berechnen,
als sie seinei*zeit beobachtet werden
konnten. Noch sind wir indessen nicht
so weit, und noch immer haben daher
die spärlichen und nach heutigen Be-
griffen rohen Messungen, die uns aus
jenen Zeiten überliefert sind, nicht nur
geschichtlichen Wert: sie liefern uns viel-
mehr Daten, die für unsere Forschung
sachlichen Wert besitzen und die ims dar-
zu verhelfen, dem zu Anfang bezeichne-
ten Ziele näher zu kommen.
Auch dem vorliegenden »^^i^'i^ zur
Geschichte der Geophjsik^^ der schon als
solcher das rege Interesse aller Geogra-
phen verdient, kommt die angedeutete,
erweiterte Bedeutung zu. Dies umso-
mehr, als der Verfasser seiner Aufgabe
in jeder Beziehung in mustergültiger Weise
gerecht wird.
Nach einer knappen und klaren Er-
örterung über die Bedeutung der magne-
tischen Erdpole, woran sich einige be-
achtenswerte methodische Bemerkungen
schließen, betrachtet der Verfasser die
Mittel zur Bestimmung dieser Punkte, in-
dem er besonders bei der Schilderung
der Expeditionen verweilt, die zu ihrer
unmittelbaren Aufsuchung bestimmt waren.
Sehr dankenswert ist es, daß der Verf.
in einem Anhange den ersten Bericht
von James Clark Roß über seine Ent-
deckung des magnetischen Nordpols nebet
einigen ergänzenden Stellen aus dem
späteren ausführlichen Werke über die
große Expedition von Sir John Roß in
deutscher Übersetzung abdruckt. Die Be-
trachtungen dieses ersten Kapitels führen
den Verfasser zu dem Schlüsse, daß sich
über eine Bewegung der magneti-
schen Pole der Erde zur Zeit nichts
„Bestimmtest^ aussagen läßt.
Das zweite Kapitel liefert eine kurz-
gefaßte geschichtliche Darstellung der
Anschauungen, die über den Sitz der erd-
magnetischen Kraft überhaupt entwickelt
worden sind, seitdem man ihre Äuße-
rungen kennen gelernt hatte. Dann
wendet sich die Betrachtung in den näch-
sten Kapiteln wieder ausschließlich dem
speziellen Problem der Pole zu, schildert
die Entwicklung des schärfer bestinmiten
Begriffs dieser Punkte besonders bei Hal-
ley und Euler und dann in ausführ-
licher kritischer Darstellung die Theorien
über ihre Wanderung, wie sie außer von
den Genannten von Hansteen, Weyer,
Fritsche und van Bemmelen ent-
wickelt worden sind.
An einen zusammenfassenden Rück-
Bücherbesprechungen.
707
blick schließt eich endlich noch ein Aus-
blick auf das, was in der Frage zu tun
bleibt. Dabei wird auch die etwa zwi-
schen dem Polorte und dem Endpunkte
der magnetischen Erdachse bestehende
Beziehung in Betracht gezogen. In den
zutreffenden Erörterungen über das, was
für die Erforschung der yergangenen Zu-
stände durch weitere Ausbildung der
Theorie zu erstreben und zu erwarten ist,
h&tte ich nur eine stärkere Betonung der
grundlegenden Arbeit Carlheim -Gyl-
lenskölds gegenüber anderen, die in
theoretischer wie methodischer Hinsicht
weit dahinter zurückstehen, gewünscht.
Den Hauptnachdruck legt der Verfasser
mit Recht auf die Forderung nach neuen
systematischen Beobachtungen. Man wird
ihm zustimmen können, wenn er meint,
daß etwa 2 oder 3 direkte Bestimmungen
des Ortes jedes der beiden Pole im Jahr-
hundert hinreichend, aber auch erforder-
lich sein dürften.
Das den Ausführungen des Textes zu
Grunde liegende Tatsachenmaterial ist in
5 kartographischen Darstellungen nieder-
gelegt. Schmidt (Potsdam).
Driesmans, Hch. Rasse und Milieu.
(Eulturprobleme der Gegenwart. Bd.
IV.) X u. 236 S. Berlin, Rade 1902.
JC 2.50.
Das Buch enthält manchen anregen-
den Gedanken, ist jedoch stärker im Be-
haupten als im Beweisen, zumal es sich,
auf einen weiteren Leserkreis berechnet,
der Anführung von Belegstellen fast ganz
enthält.
unter „Milieu" versteht der Verf. nicht
bloß die tellurische Umgebung, in der
sich eine Volksentwicklung vollzieht, son-
dern auch die geistige Atmosphäre, wie
sie durch staatliche, religiöse und andere
Kulturelemente bestimmten Zeitaltem oder
Länderräumen ihr Gepräge verleiht. So-
mit untersucht der Verf. den Werdegang
der Völker in weitestem Umfang auf die
Frage hin, was dabei Rassenerbe, was
Umgebungseinfluß erwirkt habe. Aller-
diugs tut er das nur in allgemeinen Um-
rissen und beschränkt sich dabei wesent-
lich auf die europäischen Völker; nur
gelegentlich streift er die Chinesen oder
die alten Kulturvölker Mexikos.
Es fällt auf, daß der Verf., der die
großen Vereisungen in ursächlichen Zu-
sammenhang bringt mit dem Aufsteigen
des Urmenschen zu einem Eulturwesen,
nirgends den Namen Moritz Wagners
nennt, der diesen Ideen so geistvoll unter
uns Bahn brach. Die große zweite Eis-
zeit des Diluvialalters denkt sich der
Verf. als Züchtungsperiode der arischen
Rasse, deren elastischere, h-ohgemutere
Natur unter erschwerteren, aber das
Lebensgefühl im höchsten Grade heraus-
fordernden und steigernden Bedingungen
in einem solchen Milieu gewonnen sei.
Die Mongolenrasse soll sich unterdessen,
von dieser größten Vereisung unberührt,
in Sibirien entfaltet haben. Die dritte
Eiszeit könnte dann wohl den hamito-
semitischen Zweig von den Ariern abge-
trennt haben (zum Glück wird gleich
dazugefügt: „Eine reine Hypothese, für
welche nicht der geringste erweisliche
Tatbestand vorliegt").
Kühn wird behauptet, „alle Anthro-
pologen" seien sich darüber einig, daß
der Grundstock der europäischen Be-
völkerung durch ein „mongolisches Ele-
ment" gelegt worden sei. Ihm werden
völlig beweislos Etrusker, Ligurer, Basken
zugerechnet, mit denen „gleichzeitig**
Lappen und Finnen in Europa erschienen
seien. Mesopotamien soll nach „neueren
Forschungen" vor der Besiedelung durch
die „Hamiten" (!) eine dürre Öde gewesen
sein wie heute wieder (Babylonier und
Assyrer waren nach S. 110 Hamiten!).
Eine große Rolle spielen die Langschädel
als „Herrenmenschen" gegenüber den
Kurzschädeln als „Herdenmenschen" (wo-
bei die Neger - Schmalschädel nicht viel
genieren). Ein solches Herrenvolk waren
z. B. die Skandinavier, „zu denen wir
außer Goten und Normannen auch die
Langobarden und Franken rechnen". Was
werden die Germanisten dazu sagen!
Noch verblüffender ist die Offenbarung,
daß die Italiker (Sabiner, Osker u. s. w.)
Kelten waren und Rom, „eine etruskisch-
tyrrhenische" Kolonie, erst nachmals „sa-
binisiert" wurde. Und weshalb über-
flügeln die Deutschen jetzt allmählich die
Engländer? Auf S. 102 wird es uns ver-
raten: Weil den Engländern nur kelto-
germanisches Blut in den Adern rollt,
wir dagegen auch slavisch gemischt sind.
Kirchhoff.
Helmolt^ HanH. Weltgeschichte.
j II. Bd. Ostasien und Ozeanien. Der
47*
708
BüdierbeBprechungen.
Indische Ozean. XVI u. 301 S. 10 K.,
6 färb. u. 16 schwarze Taf. Leipzig,
Bibl. Inst. 1902. JL 8.—,
In diesem Band der Helm olt sehen
Weltgeschichte findet gerade der Geograph
ausgezeichnet für seinen Bedarf gesorgt.
Handelt es sich doch durchweg um Län-
der- und Seegebiete, deren Geschichte in
den weltgeschichtlichen Werken, die bis-
her diesen stolzen Namen durch ihren
geographisch so eng begrenzten Inhalt
wenig verdienten, entweder gar nicht oder
nur ganz nebensächlich berücksichtigt zu
werden pflegten. In naturgemäßem Fort-
schritt von einem zum andeten Nachbar-
raum liefert Max v. Brandt die Ge-
schichte der untereinander mehrfach in
wirkungsreiche Beziehungen getretenen
ostasiatischen iteiche Japan, China und
Korea, Heinrich Schurtz die von Hoch-
asien und Sibirien; eine neue Reihe der
Darstellung beginnt sodann Karl Weule
mit Australien und den Inseln der Süd-
see, ihm reihen sich die beiden indischen
Halbinseln an (bearbeitet von Emil
Schmidt), der ostindische Archipel (von
Heinrich Schurtz) und die Betrachtung
der geschichtlichen Bedeutung des Indi-
schen Ozeans in seiner von den Monsunen
getragenen verbindenden Kraft der indi-
schen, arabischen und ostafrikanischen
Welt (von Karl Weule).
Mit vollem Recht betont es der Her-
ausgeber im Vorwort, daß auch dieser
Band des großen Werkes beweise, wie
es nicht aus einem Haufwerk getrennter
Monographien einzelnerVölker oder Völker-
kreise bestehe, sondern die „Brücken-
schlagung^^ in den Kulturbewegungen von
einem zum anderen Erdraum stets fest im
Auge behalten werde, innerhalb jedes der
Räume aber, nach denen das Ganze viel
mehr geographisch als ethnographisch sich
gliedert, die „Abfolge der Zeit" streng
eingehalten sei, wie sie das Gesamtwerk
gemäß seinem nicht chronologischen ober-
sten Einteilungsprinzip selbstverständlich
vermissen lassen muß. Wie schön hat es
der bis zu seinem vorzeitigen Tode so rast-
los tätige Heinrich Schurtz z. B. hier
verstanden, die verwickelte Geschichte
Inner- und Nordasiens zu klären und das
Chaos untereinandergeschobenerMongolen-
und Türkenvölker dadurch verständlich zu
machen, daß er den Entwicklungsfaden
fortspann von den ältesten Zeiten bis zur
frischen Gegenwart! Nur den Schlag-
i n t w e i t sehen Ausdruck „Hochasien^^
hätte man meiden sollen; gemeint ist doch
Inner- oder Zentralasien, für dessen Süden
nur der Name Hoohasien recht paßt.
Kirchhoff.
Das überseeische Deutschland. Die
deutschen Kolonien in Wort und Bild.
Nach dem neuesten Stand der Kennt-
nis bearbeitet von Hptm. a. D. Hu t te r ,
Dr.R. Büttner, Prof. Dr. Karl Dove,
Direktor A. Seidel, Direktor C.
V. Beck, H. Seidel, Dr. Reinecke,
Kapitänleutnant Deimling. VHI u.
u. 679 S. 6 färb. K., 21 Taf. u. 287
Textabb. Stuttgart, Union, Deutsche
Verlagsanstalt o. J. (1902 — 08).
JC 8.—.
Den schon (G. Z. 1908, S. 177) be-
sprochenen 12 ersten Lieferungen des
Werkes sind die letzten 8 rasch gefolgt.
Das Zusammenwirken so vieler Kolonial-
freunde erhöht sicher die Frische des
Eindrucks der einzelnen Teile, und der
für den strengen Methodiker damit un-
vermeidlich gepaarte Nachteil einer Un-
gleichheit der Darstellungen der weit
getrennten Stücke des überseeischen Be-
sitzes wiegt deshalb nicht schwer, weil
vorläufig die Kenntnis der verschiedenen
Gebiete noch in so weitem Abstand sich
unterscheidet, daß sich eine ungleich-
mäßige Behandlung von selbst aufdrängt.
Während der Redakteur der Deutschen
Kolonialzeitung bei der Darstellung des
ostafrikanischen Gebietes, dessen Sprach-
forschung er in besondere Pflege genom-
men, zu einer überaus knappen, zu großem
Inhaltreichtum verdichteten Darstellung
(S. 823 — 482) greifen muß, um nur die
wesentlichsten Ergebnisse der vielseitigen
Durchforschung zusammenzufassen, behält
der Direktor der Neu-Guinea-Kompagnie
in der Charakteristik seines schwer zu-
gänglichen tropischen Waldlandes (S. 483
bis 666) Raum nicht nur für die nähere
Übersicht der wichtigen Forschungen Dr.
Lauterbachs, sondern auch für eine
ausführliche Erzählung der nur unvoll-
kommen aufgehellten Vorgänge auf der
verhängnisvollen Durchquerungsexpedi-
tion von Ehlers. Besondere lebhafte
Empfindungen führen dem Samoaforscher
Dr. Rein ecke die Feder, Erbitterung
über den durch eine alte Torheit und die
lange verzögerte Wehrhaftigkeit zur See
Bücherbesprechuiigen.
709
besonders domenToIl gewordenen Gang
der Erwerbung dieses Archipels und
andrerseits Entzücken über die herrliche
Natur und das trotz aller Einwirkungen
der Fremden noch heute von dem Zauber
einer kräftigen Eigenart umwobene Völk-
chen (S. 608—666). Die Fortschritte der
Entwicklung von Kiautschou überblickt
sachkundig ein Offizier der Marine (S. 659
bis 679), während einem Lehrtalent die
Vereinigung der kleineren Inselbesitzungen
des großen Ozeans zu einem wohlgeord-
neten Gesamtbild (S. 570—600) überlassen
bleibt. Bei dem raschen Gang der Arbeit
unserer Zeit kann keinen Mitarbeiter
eines solchen Eolonialwerkes die Vor-
stellung überkommen, an einem Geistes-
werk von unvergänglichem Werte Anteil
zu haben. Desto dankbarer muß der
Leser es anerkennen, wenn, um seiner
Zeit genug zu tun, ein Kreis berufener
Berichterstatter ein treues Augenblicks-
bild entwirft. J. Part seh.
KntlUy Bodo. Historische Geogra-
phie Deutschlands im Mittel-
alter. Vm u. 240 S. Breslau, Hirt
1903. JL 4.—.
Bei dem zweischneidigen Drängen un-
serer Fachmänner auf schärfere Trennung
von Geschichte und Erdkunde im Unter-
richt der höheren Schulen verdient jeder
Versuch, den Historikern die Beachtung
des Bodens, auf dem die Weltereignisse
spielen, näher zu rücken, beifällige Auf-
nahme. Diese Grundstimmung wird auch
herrschend bleiben müssen, selbst wenn
dem ersten Anlauf manche Unvollkom-
menheiten anhaften. Sie treffen in die-
sem Falle hauptsächlich das erste Ka-
pitel, die Darstellung der natürlichen
Veränderungen unserer Küsten und un-
serer Binnengewässer. Überall, wo der
Verf. geologische Fragen streift, sollte er
der Selbstkritik den festen Halt eines
sackkundigen Freundes gönnen. Der
Leser darf nicht gleich an der Schwelle
der Bücher stolpern und stutzen wie hier
über den zweiten Satz. Dem Historiker
wird immer der Wunsch nach annähern-
der Datierung auch der Naturereignisse
aufsteigen. Bei geologischen Erscheinun-
gen, die vor jeder Überlieferung liegen,
würde ein Andeuten der Kriterien der
Altersbestimmung nicht überflüssig sein,
bei dem Zweifel an der Chronologie der
jüngsten rheinischen Vulkanausbrüche
ebenso wie bei der Schätzung des Zeit-
alters der Trennung Britanniens vom
Festlande. Nähert sich in diesen Fällen
des Verf. Urteil dem richtigen, so verrät
sich S. 17 falsches Augenmaß und irrige
Auffassung der ganzen Sachlage, wenn
die Bildung des Rheinfalls in nachrömi-
sche Zeit verlegt wird. Bei der künftigen
Neubearbeitung dieses Abschnitts wird
die Beachtung einzelner übersehener Hilfs-
mittel, so von F. W. Paul Lehmanns
Studien über die Küsten Vor- und Hinter-
pommems, der großen amtlichen Strom-
beschreibungen, die auch versteckte kleine
Literatur (z. B. beim Memeldelta) schon
verwerten, leicht eine Bereicherung er-
möglichen; aber wichtiger wäre eine
scharfe, kritische Darstellung, wie sie
K. Kretschmer (Verh. d. Gtes. f. Erdkunde
1901) für ein Stück Nordseeküste ge-
boten hat.
Offenbar betritt der Verf. erst bei
dem Kapitel 'Wechsel der Bewohner', in
dessen Literaturnachweisen K. Müllen-
hof f nachzutragen ist, recht vertrauten
Boden. In der Darstellung des großen
Zuges der ostdeutschen Kolonisation und
der dadurch hervorgerufenen Umgestal-
tung der Physiognomie des Landes liegt
der Kern des Buches. Ein unmittelbares
Schöpfen aus dem Wortlaut der Quellen
vermeidet der Verf. grundsätzlich; viel-
leicht versagt er seiner Darstellung aber
damit grade etwas von der Frische, die
nur aus der ürsprünglichkeit der im-
mittelbaren Beobachtung und Auffassung
herausweht. Jedenfalls verdient das fleißige
Buch, das seine Entstehung selbst auf die
anregende Kraft von Wimmers fein-
sinniger Historischer Landschaftskunde
(1885) zurückführt, Beachtung und stei-
gende Fortentwicklung in künftigen Auf-
lagen. J. Bartsch.
Rechts und links der Eisenbahn.
Neue Führer auf den Hauptbahnen
im Deutschen Reiche. Hrsg. von P.
Langhans. Hch. Fischer: Heft la.
Frankfurt a. M.— Berlin. Ib. Berlin —
Frankfurt a. M. 31 S. 2 K. Gotha,
Justus Perthes 1903. JL —.50.
Mit der Herausgabe dieser Führer-
sammlung kommt die Verlagshandlung
von J. Perthes entschieden einem Bedürfnis
entgegen. Ich muß wenigstens gesteheu,
710
Bücherbesprechungen.
daß ich mich schon oft auf der Reise
nach einem solchen Begleiter gesehnt habe,
der über das» was man vom Wagenfenster
aus sieht, ausführliche und sachliche Be-
lehrung böte, nicht etwa Gefühlsergüsse!
Die vorliegenden beiden Hefte aus der
Feder H. Fischers bieten im wesent-
lichen durchaus das, was man unter diesen
Gesichtspunkten von einem solchen Führer
erwartet. Vor den Darstellungen der
Reisehandbücher haben sie außer der weit
eingehenderen und das Geographische mehr
betonenden Darstellung auch den Vorzug^
daß die Kartenbeilagen dem Bedürfnis
auf der Eisenbahnfahrt viel mehr ent-
sprechen (der Streifen entlang der Bahn
als Ausschnitt aus den betreffenden Blät-
tern von Vogels Karte des Deutschen
Reichs, dazu ein Übersichstskärtchen von
Deutschland).
Für eine Neuauflage möchte ich fol-
gende Pjjnkte der Berücksichtigung em-
pfehlen :
Die Tal enge der Kinzig zwischen Geln-
hausen und Wirtheim hat in der Kriegs-
geschichte vor der Schlacht bei Hanau
eine bedeutungsvolle Rolle gespielt.
Von einer Stelle zwischen Fulda und
Hünfeld hat man ein vorzügliches Pano-
rama der Rhön; besonders der flache
Scheitel der Wasserkuppe und die sarg-
ähnliche Milseburg (Phonolith mit noch
schrofferen Formen als der Basalt) treten
klar hervor.
Die großartige Ruine der Abteikirche
von Hersfeld ist vom Zug aus gut zu sehen.
Bei Station Wutha überblickt man
die mächtige Überschiebung am Hörsel-
berg (vgl. die Abbildung bei F. Regel,
Thüringen I, S. 260).
Der Seeberg bei Gotha trägt eine
Scholle von Rhät-Sandstein, die ebenso-
sehr geologisch interessant wie technisch
wichtig ist.
Bei Suiza kreuzt die Bahn eine wichtige
Störungslinie. Dicht am Bahnhof durch-
fährt man einen Einschnitt, dessen Muschel-
kalkwände die gewaltigsten Knickungen
und Verwerfungen zeigen. Eins der in-
teressantesten Profile im deutschen Mit-
telgebirge!
Schloß Goseck war einst keine Grenz-
burg, sondern ein Kloster.
Die Ungamschlacht von 933 war wohl
sicher nicht bei Keuschberg.
L. Henkel.
Meyers Reisebücher. Der Harz.
Gr. Ausg. 17. Aufl. XII u. 267 S.
21 K. u. Pläne u. 1 Brockenpanorama.
Leipzig, Bibl. Inst. 1903. JC 2.60.
Von Meyers Führer durch den Harz
liegt nun bereits die 17. Auflage vor, Be-
weis genug für seine Brauchbarkeit. Im
vergangenen Sommer hat der Referent das
Buch selbst bei verschiedenen Wande-
rungen prüfen können und es überall
durchaus zuverlässig und ausreichend ge-
funden. Bei den kleinen Karten stört
etwas das Fehlen jeglicher Terrainangabe.
Die Orientierung wird dadurch wesentlich
erschwert, noch dazu da auf den Karten
nicht alle Wege eingezeichnet und ein-
zelne, vielleicht in Folge einer gewissen
Generalisierung, in ihrer Richtung nicht
ganz zutreffend wiedergegeben sind.
Vom geographischen Standpunkt aus
wäre eine ausführlichere allgemeine Dar-
stellung des Harzes als Einleitung zu
wünschen. Auch sollten die gelegentlichen
geologischen Bemerkungen einmal von
fachmännischer Seite berichtigt werden,
sie sind zuweilen geradezu unsinnig,
z. B. „Achtermannshöhe, Homfelskegel
(während die Umgebung Granit ist) in
vulkanischer Form". Ule.
Mathias Burgklehners Tirolische
Landtafeln 1608, 1611, 1620.
Hrsg. mit einem Begleittexte von
Eduard Richter. 15 Taf., groß
Folio in Mappe u. 86 S. Text in 4*.
Wien, Holzhausen 1902. Kr. 40.—.
Die Wiedergabe alter Kartenwerke
ist gegenwärtig in erfreulicher Zunahme
begriffen. Neben wertvollen photomecha-
nischen Vervielfdltigrungen hand'schrifl-
licher Karten, unter denen die Portulan-
karten obenan stehen, finden wir auch Re-
produktionen seltener Drucke, wie Aven-
tins und Apians Karten von Bayern,
Tschudis Schweizer Karte, Gretters
Karte der Gegend um BoU u. a. Zu den
prächtigsten Stücken alter Kartographie ge-
hört zweifellos die große Karte Tirols von
Mathias Burgklehner, welche 1611 in
12 Blättern größten Folioformats er-
schienen ist und hier in einem neuen
Abdruck von den Originalholzstöcken in
den kunsthistorischen Sammlungen des
Kaiserhauses vorliegt. Zugleich mit dieser
ist auch die Übersichtskarte von 1608 in
einem Blatt und die sogenannte Adler-
Bücherbesprechungen.
711
karte, eine in die Fläche eines heraldischen
Adlers gezwungene Darstellung Tirols
von 1620 in 4 Blättern, nach den Original-
kupferplatten neu gedruckt worden. Hat
die Adlerkarte nur als eine dem heutigen
Geschmacke wenig entsprechende karto-
graphische Spielerei Interesse, so bietet
auch die Übersichtskarte in ihrer Be-
schränkung auf das Fluß- und Ortsnetz
wenig Bemerkenswertes, wie z. B. die
auffällige, durch den Ausbruch des Ver-
nagtfemers im J. 1600 veranlaßte Be^
Zeichnung des ötzthaler Gletschergebietes
(„der groß femer"). Um so wertvoller ist
die große Tiroler Karte, welche bis auf
Anich und Hueber wohl den meisten
Darstellungen Tirols zu Grunde gelegen
hat, obwohl die etwas ältere und kleinere
Karte von Warmund Ygl (1604) sich in
mancher Beziehung als richtiger erweist;
leider sind deren Platten verloren ge-
gangen, und findet man die Original-
drucke nur sehr selten, so in der Hof-
bibliothek in Wien und im Museum in
Innsbruck. Dagegen kennt man von
Burgklehners großer Karte noch eine
zweite Ausgabe in Kupferstich von 1629,
deren technische Ausführung aber der
Holzschnittkarte erheblich nachsteht. Es
ist bemerkenswert, daß auch Apians
„Bayerische Landtafeln** von 1666 zu-
nächst in Holz geschnitten wurden (Neu-
druck nach den Originalholzstöcken im
Münchener Nationalmuseum , Augsburg
1886), dann 1579 in Kupferstich von
Petrus Wein er US erschienen, nach des-
sen Kupferplatten kürzlich vom k. bayr.
Topogr. Bureau ein neuer Abdruck her-
gestellt wurde (München 1902); der Unter-
schied beider Ausgaben, die sich in man-
cher Beziehung ganz ähnlich verhalten
wie die geschnittene und die gestochene
Ausgabe Burgklehners, ist schon von
Lutz (Jahresber. d. Geogr. Ges. München
1886, S. 91) hervorgehoben und neuer-
dings auf meine Veranlassung von M.
Gasser (Mitt. d. Geogr. Ges. München,
I, S. 27) untersucht worden.
Der Text Richters, ebenso wie das
Tafelwerk in Papier und Druck vornehm
ausgestattet, bespricht klar und übersicht-
lich Burgklehners Leben und Werke,
darunter auch den nur handschriftlich
erhaltenen „Tiroler Adler", eine sehr um-
fangreiche, geschichtliche und geogra-
phisch-statistische Beschreibung von Tirol.
Die Idee der „Adlerkarte" hängt offen-
bar mit dem Titel dieses Werkes zu-
sammen, während die große Karte dazu
dienen sollte, die zahlreichen Einzelheiten
des „Tiroler Adlers" zu erläutern, ähnlich
wie Aventin seine Karte von Bayern als
Ergänzung zu seinem Geschichtswerk ge-
dacht hat; umgekehrt ist Apians, erst
1880 vom Histor. Ver. v. Oberbayem her-
ausgegebene „Topographie von Bayern"
durch seine Karte veranlaßt worden und
als Kommentar zu dieser zu beurteilen.
Was über die Herstellung von Burgk-
lehners Kartenwerken zu ermitteln war,
hat Richter sorgfältig gesammelt und
deren technische Ausführung geprüft.
Ihre wissenschaftliche Grundlage läßt
vieles zu wünschen übrig. Schon der
Maßstab der großen Karte gibt ein ganz
anderes Verhältnis in der Richtung W-0
(1:110000) als in der Richtung N-S
(1:161000) und damit eine Verzerrung
des Kartenbildes in die Breite. Ein großes
Mißverständnis enthält das Gradnetz, in-
dem die annähernd richtige Bezeichnung
des Abstandes der Längen- und Breiten-
minuten durch eine falsche Bezifferung
verwirrt ist. Auch sonst finden sich Ir-
tümer, welche zeigen, daß der Autor der
mathematischen Seite seiner Aufgabe nicht
gewachsen war. Steht Burgklehner
also in dieser Beziehung auch hinter
Apian, seinem Vorbilde, zurück, so bleibt
seine Karte doch durch ihren Reichtum
an Einzelheiten und ihre künstlerische
Ausführung ein hervorragendes Denkmal
der Kartographie des 17. Jahrhunderts.
Mit kulturhistorischem Interesse betrach-
ten wir darin die Bildchen von Städten,
Burgen, Brücken und anderen Menschen-
werken und freuen uns über die deutschen
Namen in Südtirol wie Reiff für Riva,
Arch, Garttsee, Vilgreit (Folgaria), die wir
seither leider für die italienischen preis-
gegeben haben. Möchten derartige Zeugen
der Denkart unserer Altvordern uns eine
Mahnung sein, den Rest deutscher Namen
an der Grenze deutschen Sprachgebietes
festzuhalten gegen welsche, magyarische
und slavische Bedrohung!
E. Oberhummer.
Fitzner, B« Anatolien, Wirtschafts-
geographie. 120 S. Berlin, Protei
1902. .IC 2,40.
Der Verfasser, der schon in seinen
Streifzügen und Studien in der Regent-
712
Bücherbesprechun^en.
Bchaft Tunis (Berlin, Allg. Ver. f. d. Lit.
1897) sich als einen gründlichen Kenner
des arabischen, afrikanischen Islams ge-
zeigt hatte, verwandte in der Folgezeit
seine wertvolle Kraft auf die Erkundung
der wirtschaftlichen Verhältnisse des
türkischen Asiens. Seine Erdbebenbe-
obachtungen, sowie seine Studie über den
gegenwärtigen Stand der Meteorologie
in Kleinasien, seine Forschungen auf der
bithynischen Halbinsel, sein in zweiter
Lieferung erschienenes Sammelwerk „Aus
Kleinasien und Syrien'' stellen ihn in den
Vordergrund der besten Kenner Anatoliens
und seine obengenannte Schrift würdig an
die Seite von J. Grunzeis „Untersuchun-
gen über die wirtschaftlichen Verhält-
nisse Kleinasiens" (Wien 1897) imd Kan-
nenbergs „Naturschätze Kleinasiens"
(Berlin 1897). In kurzen, knappen Zügen
schildert Fitzner das Land nach Lage,
Bodenbau und Gewässer, Klima, Pflanzen-
welt und Tierleben, die Bewohner nach
Ortschaften und Volksdichte, das Wirt-
schaftsleben nach Viehzucht, Ackerbau,
Kolonisation, Waldwirtschaft, Bergbau,
Jagd und Fischfang, Industrie und Ge-
werbe, den Verkehr als Land- und Trans-
portverkehr, Transporttiere, Verkehrswege,
Eisenbahnen, Seeverkehr, Häfen, Post
und Telegraph, die Verwaltung nach ihrer
Organisation, Pronnzeinteilung, Konsular-
vertretung und Rechtspflege. Der Ver-
fasser stützt sich dabei auf die besten
ihm zugänglichen Quellen und bietet
einen großen Fortschritt gegenüber den
veralteten Schriften von Tschihatscheff
über Kleinasien. Vielfach berühren sich
seine Erkundungen mit den Abhandlun-
gen der Zeitschrift „Asien". An der
Hand der Handels- und Produkten
karte Kleinasiens von W. Rüge und
E. Friedrichs (Halle 1898) wie be-
sonders der eben erscheinenden großen
Spezialkarte R. Kieperts von Klein-
asien in 24 Blatt in 1:400000 (Berlin,
D. Reimer) kann die fleißige Arbeit jedem
Forscher und Reisenden die ersprießlich-
sten Dienste leisten. Ein ausführliches
Sachregister erleichtert die Auffindung
des umfangreichen Stoifes bedeutend imd
dankenswert. Zimmerer.
Rohrbachy Paul. Vom Kaukasus zum
Mittelmeer, eine Hochzeits- und
Studienreise durch Armenien. 224 S.
42 Textabb. Leipzig u. Berlin, Teub-
ner 1903. JL 6.—.
Diese Tagebuchblätter stellen zum
größeren Teil die Schilderung einer Reise
dar, die der Verf. in den Monaten Juli
bis Oktober 1898 mit seiner Frau durch
Armenien und einige seiner Nachbar-
landschaften unternommen hat. Diesen
Schilderungen fügte dann der Verf. noch
ein Schlußkapitel über seine späteren Er-
fahrungen im Winter 1900 und 1901 in
Südarmenien jenseits des Taurus hinzu.
Die Fortsetzung seiner „Hochzeitsreise",
die am Mittelmeer, am Südrande der
armenischen Landschaften, noch nicht
ihr Ende gefunden hatte, sondern weiter
nach Syrien und Palästina gegangen
war, hat der Verf. in dem Buche „Im
Lande Jehovahs und Jesu" zusammen-
gefaßt. Das Buch will an seinem Teil
etwas zu dem Zwecke beitragen, zu dem
die Reise unternommen war, mit zum
Verständnis und zur Würdigung des
armenischen Volkes und der armenischen
Frage unter vorurteilsfreien, zugleich
sittlich und verständig empfindenden
Menschen dienstlich zu sein. Die Erzäh-
lung beginnt mit dem Kapitel jenseits
des Kaukasus, im Lande Ararat und
Schirak, vom Berge Massis (= Ararat)
bis zum „Meer" von Wan, das vierte
Kapitel von Dschelal-ed-din dem Henker
entwirft ein grauenvolles Bild armeni-
scher Gemetzel. Von Taron geht die
Reise zwischen Enphrat und Haljs über
den Taurus, endlich nach Südarmenien,
ürfa und Diarbekir Zimmerer.
Grothe^ Hugo» Die Bagdadbahn und
das schwäbische Bauernele-
ment in Transkaukasien und
Palästina, Gedanken zur Kolo-
nisation Mesopotamiens. Mün-
chen, Lehmann 1902. 66 S. JL 1.20.
Der bekannte Orientreisende, der uns
erst vor kurzem mit seinen Reisebildem
und Studien „Auf türkischer Erde" (Berlin
1903) beschenkt hat, betritt mit der hier
vorliegenden Schrift, wenn uns recht
dünkt, einen gefUhrlichen Pfad. Ich habe
schon an anderer Stelle (Beilage zurMünch.
Allg. Ztg.) darauf hingewiesen, wie miß-
lich es ist, die Kolonisationslrage für
die Türkei im allgemeinen und für die
immer noch nicht in Angriff genommene
Bagdadbahn insonderheit aufzuwerfen. Ich
Büclierbesprechungen.
713
wiederhole hier meine Bedenken, unter
dem Hinweis, mit welcher Entschiedenheit
einst der verewigte G. v. Siemens in der
Kolonialgesellschaft Berlin die Vorschläge
meines hochverehrten Freundes Major
^ohlagintweit zurückgewiesen hat, die
dieser auch in seinem (München 1899) ge-
druckten Vortrage über „deutsche Koloni-
sation in Kleinasien*^ des weiteren aus-
geführt und begründet hat. Schlagint-
weit hat damals nach dem Vorgange E.
Oehlmanns in Hannover 1894 vor allem
auf die schwäbischen Templerkolonien in
Palästina hingewiesen, Grothe zieht seine
Schlüsse vornehmlich aus dem Wirken des
schwäbischen Bauemelements in Transkau-
kasien. Allein wer das Mißtrauen der hohen
Pforte gegen alle europäischen Einwan-
derer in der Türkei tmd die Wühlarbeit
unserer gehässigen Neider am Bosporus
kennt, weiB, daß in den maßgebenden
Kreisen der deutschen Kolonie in Pera
nichts mehr gefürchtet wird, als eine
Befürwortung einer deutschen Ansiedelung
in Kleinasien, Syrien oder Mesopotamien.
Mit Recht beklagt dagegen Grothe, der
die genannten Länder aus eigener An-
schauung kennt, daß Deutschland im ge-
samten Kleinasien nur drei Konsulate,
einen Berufskonsul in Smyma, je einen
Wahlkonsul in Mersina und Amasia be-
sitzt. Die ganze wichtige anatolische
Nordküste mit ihren Hafenplätzen Ine-
boli, Sinope, Samsun, Kerasund, Trape-
ztmt, in denen unsere Flagge infolge
eines seit 1898 bestehenden regelmäßigen
Dienstes der Hamburger „deutschen Le-
vantelinie" sich bereits häufig zeigt, blieb
außer Beachtung. Unbegreiflich muß es
erscheinen, wenn an keinem der so be-
deutenden Marktorte der Bahntrace, weder
in dem stark aufblühenden Eskischehr,
noch in dem wohlbevölkerten Konia und
Angora das Deutsche Reich bisher einen
Vertreter seiner Literessen bestellt hai
Das was uns Grothe über die Ge-
schichte und Leidenszeit der schwäbischen
Ansiedelungen in Transkaukasien aus
eigener Anschauung mitteilt, wirkt auch
keineswegs ermutigend, das unter russi-
schem Szepter nur teilweise gelungene
Experiment imter dem Halbmond zu
wiederholen. Wir sind vielmehr noch
der Ansicht, die Walther Judeich und
noch früher Ludwig Roß (1850) ausge-
sprochen haben, es sei zwar ein alter
Traum, daß wir Deutschen uns in dem
reichen kleinasiatischen Lande nieder-
lassen möchten, und wahrlich, unter der
Hand des deutschen Bauers, unter sorg-
fältiger umfassender Bestellung würde das
Land wieder der große Gottesgarten werden
können, der es im Altertum gewesen ist.
Aber der schöne Traum Grothes wird sich
wohl nie verwirklichen können, wenn er
sagt: Möge das neue Jahrhundert nicht
ablaufen, ehe die Frage der gesicherten
Volksansiedelung gelöst ist, ehe in Meso-
potamien nicht auch im Umkreis deutscher
Dörfer deutscher Pflug und deutscher
Spaten walten, ehe nicht in den Flächen
zu Seiten des Euphrat und Tigris im
Lande zwischen Aleppo, ürfa, Mardin
und Nissibin durch deutsche Hand Ge-
treidefelder wie in Südrußland gedeihen,
in den Mulden der zahlreichen aus den
Taurusbergen herabrinnenden Flüsse
deutsche Weingärten, wie in Palästina
und Kaukasien prangen zum Nutzen und
zum wirtschaftlichen Hochgang der Türkei
und zu unseres Volkes wachsender Wohl-
fahrt. Demgegenüber ist zu beachten,
daß, von den g^roßen politischen Kon-
stellationen abgesehen, das türkische
Volkselement noch zu zäh und stark ist,
als daß man es ohne weiteres aus der
Welt schafl^en könnte, und da, wo es in
Kleinasien schwächer wird, an den Küsten,
ist sein sicherer und natürlicher Erbe
das griechische Volk. H. Zimmerer.
Werther, C. W. östliche Streif-
lichter. Kritische Beobachtungen
und Reiseskizzen. 163 S. Abb. auf
Taf. Berün, Paetel 1903. JL 3.—.
Der von seinem Reisewerk über die von
ihm geführte Antisklaverei-Expedition in
Deutsch - Ostafrika geographischen Krei-
sen bekannte Waldemar Werther unter-
nahm als Leiter der vom Deutschen Flotten-
verein nach China entsandten Nachrich-
ten- und Telegraphenexpedition im Sommer
1900 eine Reise nach Nordchina ins Ok-
kupationsgebiet von Tschili; nachdem jene
Sendung wegen Mangels an den nötigen
Geldmitteln ein baldiges Ende erreicht
hatte, schloß er an seine nordchinesischen
Streifzüge solche in Mittelchina an, wo er den
Jangtse bis zu den berühmten Stromschnel-
len oberhalb Itschang befuhr, besuchte auch
noch Japan und auf der Heimfahrt Macao,
Labuan nebst Brunei und Nordindien.
714
BücherbeBprechungen.
Indem er seine Beurteilong des enropä-
iscb-japaniscb-nordamerikaniBchen China-
feldzngs auf eine spätere Zeit verschiebt,
schildert er im vorliegenden Händchen,
das er mit einigen hübschen Illastrationen
(größtenteils nach eigenen photographi-
schen Aufnahmen) versehen hat, die auf
der Reise gewonnenen Eindrücke. Nicht
aber in der faden Globetrotterweise be-
lästigt er den Leser mit langatmigen Be-
schreibungen des schon tausendmal Be-
schriebenen, sondern er führt uns in
kurzen , scharf ausgezogenen Skizzen-
strichen eine bunte Reihe von Charakter-
bildern vor, in denen sich wichtige Züge
des Volks- und Kulturlebens Ost- wie
Südasiens aus jüngster Vergangenheit ab-
spiegeln. Mit gutem Humor und unter
Umständen mit rücksichtslosem Sarkas-
mus werden Zustände und Personen kri-
tisiert. Die hohe Bedeutung der Lage
von Hankou im Schnittpunkt der wich-
tigsten Nordsüd- mit der wichtigsten
Ustweststraße des innerchinesischen Ver-
kehrs wird ebenso klar dargelegt wie
der große FortschHtt, den der deutsche
Handel, besonders aber die deutsche
Schiffahrt gegenüber dem englischen
Mitbewerb neuerdings aufzuweisen hat.
Ein eigenes Kapitel gilt der Geschichte
des ostasiatischen Küstenverkehrs in sei-
ner neuesten Phase. Wir lernen den
großen chinesischen Patrioten Tschau-
tschi-tung kennen, wohl den ausgezeich-
netsten Chinesen der Gegenwart, diesen
mächtigen Vizekönig am Jangtse, der
arm geblieben ist, weil er sein eigenes
Vermögen zum Wohl seiner Untertanen
verwandte im grellen Gegensatz zu Li-
hung- tschang, der im Sold von Rußland
stand. Pessimistischer Nörgler aus Prin-
zip ist der Verf. gar nicht, wie seine warm-
herzige Anerkennung der Tüchtigkeit un-
seres Konsularkorps in Ostasien zeigt.
Indessen, wo es gilt, schwache Seiten im
Verhalten unseres auswärtigen Amtes,
insbesondere unserer Kolonialverwaltung
aufzudecken, nimmt er kein Blatt vor
den Mund, geleitet von der sehr gerecht-
fertigten Überzeugung, daß in solchen
Dingen offen Wahrheit bekennen dem
Vaterland mehr fruchtet als vertuschen
oder beschönigen. Kirchhoff.
Daum, H. Kunene-Sambesi-Expe-
dition. Im Auftr. d Kol.-Wirtflchaftl.
Komitees hrsg. von 0. Warburg.
XI u. Ö93 S. 1 Buntdruck, 12 Taf.,
1 K., 108 Textabb. Berlin, Verl. d.
Kol.-Wirtschaftl. Komitees (E. 8. Mitt-
ler) 1903. JC 20.—.
Die Kunene- Sambesi -Expedition ver-
dankt ihr Zustandekommen demZusammen-
wirken des rührigen Kolonial- Wirtschaft-
lichen Komitees mit der Companhia de
Mossamedes und der South West- Afrika
Company. Feststellung des Wirtschaft
liehen Wertes von Süd-Angola war die
zu lösende Hauptaufgabe, welche ja auch
für die angrenzenden Teile von Deutsch-
Südwest -Afrika erhebliche Bedeutung
besaß.
Der eigentliche Reisebericht ist von
H. Baum erstattet und konnte die vom
ExpeditionsführerPietervanderKellen
an die Companhia de Mossamedes gelie-
ferten Mitteilungen berücksichtigen. Von
Mossamedes aus führte der Weg nach
Überwindung des Shella- Randgebirges
über Ediva nach Humbe am Kunene.
Flußaufwärts folgte die Expedition sodann
dem Laufe des Chitanda bis Kassinga.
Hier nach Osten abbiegend wurde die
ca. 1420 m hohe Wasserscheide zwischen
dem Kunene und Kubango überschritten.
Am Kubango abwärts bis 18* s. Br. ge-
langte die flxpedition an die Südgrenze
der Mossamedes Companhia, bog wiederum
östlich aus und kreuzte den Longa und
Kuito. Die Wagen blieben hier zurück;
zu Fuß wurde der zum Stromgebiet des
Sambesi gehörende Kuando erreicht und
sodann der Rückweg angetreten. Kurze
Angaben über meteorologische Beobach-
tungen und Höhenlagen sind angefügt
imd zum Schluß wird die wirtschaftliche
Bedeutung von Süd- Angola besprochen.
Außerordentlich reiche Sammlungen
zoologischen und besonders botanischen
Materials hatte die Expedition mitgebracht,
und ihre Bearbeitung durch eine große
Zahl von Fachleuten bildet den Schwer-
punkt der Veröffentlichung. In der Auf-
zählung der gesammelten Pflanzen finden
die in stattlicher Anzahl (276) vertretenen
neuen Formen ausführliche Diagnosen.
Die Ergebnisse für die Pflanzengeographie
werden von Warburg zusammengefaßt.
Er gelangt zu dem Schlüsse, daß die
außergewöhnlich eigenartige Hochlandflora
und ihr Reichtum an endemischen For-
men die Zusammenfassung eines Kunene-
Bücherbesprechungen.
716
Kubango-Gebietes „als besondere Unter-
provinz der Süd- und ostafrikanischen
Steppenprovinz" rechtfertige
Hervorgehoben zu werden verdienen
die genaueren Angaben über Welmtschia
mirabilis, die auf dem Titelbilde eine
charakteristische farbige Wiedergabe er-
hält; sie bleibt auf die Küstenzone be-
schränkt. Das Hochland ist zum größten
Teil mit einem stark xerophilen Walde
bedeckt, der einen dichteren üferwald von
lichterem Hügel- und Ebenenwald unter-
scheiden läßt. An den Abhängen des
Shella-Gebirges steigt die Waldformation
den Tälern folgend hinab, von einer xero-
philen Felswüsten -Vegetation der expo-
nierteren Hänge durchsetzt. Charakter-
pflanzen der dichteren Galeriewälder sind
^coeta- Arten, deren eine, A. Kirkii, treff-
lichen Gummi liefert, Diospyros wespHi-
fonnis und Phoenix nclinata. Im Ebenen-
walde wird zwischen dem Mopanewald,
aus Copaifera Mopane neben einigen
Akazien, Terminalien und Adansonia zu-
sammengesetzt, und dem Houtbosch,
wesentlich von Berlinia Baumii gebildet,
unterschieden, welche einander aus-
schließen, dieser an sandigen, jener an
mehr lehmig-tonigen Boden gebunden.
In gemischten Wäldern weniger scharf
ausgeprägten Charakters tritt u. a. die
zweite beobachtete Palme Hyphaene ven-
tricosa auf. Park- und Graslandschaften
vielfach in einander übergehend treten
ihrer Ausdehnung nach hinter dem Walde
zurück ; jene durch stattliche Parinarium-
Bäume und den beschatteten Boden
deckende Sansecieia-Arien ausgezeichnet,
diese unbekannter Zusammensetzung, je-
doch mit vereinzelten Protea melliodora'
Sträuchern und einer bis 8 m hohen ^to^'
palmiformis. Die wichtigste Nutzpflanze
findet sich jedoch auf den freien mit dis-
kontinuierlicher Busch- und Kraut- Vegeta-
tion bestandenen Sandflächen in der
Wurzelkautschukpflanze, Carpodinus chy-
lorrhiza, vom Kubango bis Kuando, in
weiten Gebieten leider bereits durch riick-
sichtslosen Raubbau ausgerottet. Bota-
nisch von hohem Interesse ist endlich die
Vegetation der Sümpfe, Moore und Wasser-
flächen durch äußerst eigenartige Formen
und ungewöhnlich reiche Entwicklung.
Eine besondere Zusammenstellung der
Nutzpflanzen des Gebietes ist dankens-
wert.
Die zoologischen Ergebnisse beschrän-
ken sich auf einen Bericht über 14 Anti-
lopen-Arten auf Grund der mitgebrachten
Gehörne erstattet, einige Kriechtiere, eine
größere Lepidopteren-Sammlung und ei-
nige neue Ameisen-Arten, jeder Teil von
einem Fachmanne bearbeitet. 3 Register
für Reisebericht, botanischen und zoo-
logischen Teil vervollständigen das Werk.
12 Tafeln sind wichtigeren und eigen-
artigen neuen Pflanzen gewidmet, eine
Karte gibt eine genauere Darstellung der
Reiseroute.
Die Resultate der Expedition in geo-
graphischer, wirtschaftlicher und bota-
nischer Hinsicht sind außerordentlich be-
achtenswert und man muß dem Kolonial-
Wirtschaftlichen Komitee dankbar sein,
daß es verstanden hat, Mittel und Wege
zu finden, welche die Erreichung und
zweckmäßige Veröffentlichung derartiger
Ergebnisse möglich machten.
G. Karsten.
Deeken, R« Rauschende Palmen.
Bunte Erzählungen und Novellen aus
der Südsee. 204 S. Abb. Olden-
burg, Stalling 1902. JC 3.-.
Allerlei Geplauder von eigenen Erleb-
nissen und Eindrücken auf einer Südsee-
fahrt von Sydney aus durch die Mar-
shalls-Inseln und Karolinen nach Hawaii,
sowie von novellistisch eingeflochtenen
Erlebnissen anderer unter den Kokos-
palmen der „vielen Inseln**. Ganz hübsch
wird mitunter in wenigen Strichen die
Landschaft skizziert, und recht anschau-
lich hört man erzählen von den gegen-
wärtigen Zuständen unserer mikronesi-
schen Schutzgebiete und Samoas. Mit
gutem Humor malt uns der Verfasser die
Ablösung der spanischen Regierung auf
den Karolinen mit ihrem törichten, die
Eingeborenen verhetzenden Säbelgerassel
durch die vernünftig friedfertige deutsche.
Nebenbei erfährt man, wenn man sich
Zeit nimmt, dem unterhaltsamen Plaude-
rer zuzuhören, mancherlei Neues: wie es
zur Zeit auf Ebon im Jaluit- Atoll, in Yap,
Kusaie, Ponape und aufRuk aussieht, daß
auf Nauru wertvolle Phosphoritlager aus-
gebeutet werden, auf den Palau-Inseln und
den deutschen Marianen noch immer der
japanische Handel überwiegt, 90 7o der
Marshall-Insulaner syphilitisch verseucht
sind, Bodaß auf vielen der Inseln der
716
Buch erb esprechungen.
Kinderseegen beinahe erlischt und unser
Regierungsarzt, der dort so sehr viel
Gutes stiftet, doch seine Hoffnung, das
Inselvölkchen vor gänzlichem Untergang
zu bewahren, nur auf eine gesundere
nachwachsende Generation setzt.
Ein ganze Anzahl hübscher Zinko-
typien schmückt das Buch, teils Küsten-
ansichten oder Häfen darstellend, meisten-
teils aber Völkertypen, besonders solche
von den Karolinen und den Marshall-
Inseln. Eine so unbestimmte Unterschrift
wie bei dem zu S. 96 eingefügten Bild
„Eingeborenes Mädchen'* läßt freilich die
Volkszugehörigkeit kaum erraten. Die
„Farreninsel^^ Kusaie, die nie etwas mit
jungen Stieren zu tun gehabt, wird der
Leser, auch ohne die Liste der neusten
Orthographie anzugehen, schonend in
„Faminsel'' umändern. Kirch hoff.
Deutche Seewarte. Atlantischer
Ozean. Ein Atlas von 39 Karten,
die physikalischen Verhältnisse und
die Verkehrsstraßen darstellend, mit
einer erläuternden Einleitung. 2. Aufl.
Gr. - Fol. 9 S. 39 Taf. Hamburg,
Friederichsen & Co. 1902. JL 22.60.
Die im Jahre 1882 ausgegebene erste
Auflage des Atlas vom Atlantischen Ozean
genügte schon seit längerer Zeit nicht
mehr modernen wissenschaftlichen An-
sprüchen, eine große Zahl von Karten
war vollständig veraltet, da zur Zeit ihrer
Anfertigung die Verwendung eines um-
fangreichen, kritisch bearbeiteten Materials
nur in beschränktem Maße möglich war.
In den seitdem verflossenen beiden Jahr-
zehnten hat die ozeanographische und
maritim-meteorologische Forschung be-
sonders im Gebiet des Atlantischen Ozeans
solche Fortschritte gemacht, daß die Neu-
auflage des Atlas im Anschluß an die
2. Auflage des Segelhandbuchs für diesen
Ozean als eine Verpflichtung der geo-
graphischen Wissenschaft und der Schiff-
fahrtskunde gegenüber gelten mußte.
Wenn das nun vorliegende Werk in seiner
neuen Gestalt den vielseitigsten An-
sprüchen gerecht wird und Einzelheiten
enthält, die, wie die Monatskarten des
Luftdrucks, der Temperatur, der Bewöl-
kung, der Regen-Dauer und -Häufigkeit,
der Sturm- und Nebelhäufigkeit und vie-
les andere, zum erstenmal zur Darstel-
lung kommen, so erkennen wir darin
dankbar den freigebigen wissenschaft-
lichen Geist, der die Arbeiten der See-
warte unter der Leitung ihres ersten Di-
rektors V. Neumayer durchdrungen hat
und ihnen hoffentlich auch fernerhin er-
halten bleibt. Der Entwurf der einzelnen
Karten des Atlas hat in den Händen der
besten Sachkenner gelegen: Schott und
Krümmel habendie vorwiegend ozeano-
graphischen Karten (Meerestiefen, Strö-
mungen, Salzgehalts- und Temperatur-
verteilung), Koppen, van Bebber,
Knipping u. a. die meteorologischen
Karten redigiert. Bei Benutzung der
Luftdmckkarten ist zu beachten, daß an
die Lufbdruckwerte die Korrektion auf
45® Breite noch nicht angebracht ist.
Die erdmagnetischen Karten wurden für
die Epoche 1902 gezeichnet. Für Tier-
geographen wird die von H. Bolau ent-
worfene Karte der Verbreitung und der
Hauptfangplätze der wichtigsten Wal-
Arten von Interesse sein. Die Aus-
stattung des Atlas macht der Verlags-
firma alle Ehre. W. Meinardus.
Albert I., Fürst Ton Monaeo. Eine
Seemanns - Laufbahn. Autoris.
Übersetzung aus dem Franz, von A.
H. Fried. 367 S. Berlin, Boll u.
Pickardt o. J. (1903). JL 6.—.
Der Titel läßt vermuten, daß das Buch
keine Bereicherung unseres geographischen
Tatsachenmateriales, auch keine Erörte-
rung wissenschaftlicher Probleme der
Meereskunde bringt oder zu bringen be-
absichtigt; und diese Vermutung trifft in
der Tat zu. Gleichwohl darf das Buch
als die überaus eigenartige Schöpfung
eines scharf beobachtenden, hochgebilde-
ten und mit einer gradezu bewunderns-
werten Schilderungsgabe ausgerüsteten
Naturforschers allen denen zur Lektüre
dringend empfohlen werden, die natur-
getreue Stinunungsbilder vom Meere und
dessen Wundem der verschiedenen Breiten
suchen. Das Buch ist nicht etwa eine
vollständige Beschreibung des Lebens des
Fürsten. Es sind vielmehr acht in künstle-
rischer, wirksamer Weise ausgewählte
Abschnitte aus seinem Leben in zum Teil
epischer Breite behandelt; hierdurch wird
aber eine Tiefe der Einzeldarstellung,
eine Naturwahrheit der Schilderung der
immer mit dem Verstand und Herzen zu-
gleich erlebten Vorgänge erreicht, welcher
Nene Bächer und Karten.
717
man wirklich sehr selten begegnet. Wir
Deutschen müssen uns allerdings zuerst
an die etwas überschwengliche Betrach-
tungsweise und Bedeweise in französi-
scher Manier gewöhnen. Als charakte-
ristisches Gegenstück deutscher Schreib-
weise möchte ich die ebenfalls ungemein
naturgetreuen, aber in einfachem und an-
spruchslosem Stil gehaltenen Schilderun-
gen des Meeres nennen , welche wir der
Frau Kapt. Rosenberger („Auf großer
Fahrt**, Berlin, Reimer; 2. Aufl. 1900) ver-
danken.
^ach einem einleitenden Kapitel, wel-
ches die „Seemanns-Seele*' überschrieben
ist, schildert A. von Monaco zuerst sei-
nen Aufenthalt in den westindischen Ge-
wässern, wo er als Fähnrich der spani-
schen Marine weilte, besonders das Leben
auf den Zuckerplantagen Cubas. 1868,
mit seinem Austritt aus dieser Marine,
begann er sich der Ozeanographie zu wid-
men, , Jener neuen Wissenschaft, die in
das Geheimnis der Meeresliefen eindringt**.
Das vierte Kapitel bringt eine spannende
Schilderung eines Wirbelsturmes, der am
23. August 1887 im nordatlantischen Ozean
überstanden wurde, das fünfte — ein Ka-
binetstück meisterhafter Detailmalerei —
die Erlebnisse einer Jagd auf wilde Zie-
gen auf Dezerta Grande bei Madeira. Im
sechsten Kapitel wird die letzte wissen-
schafbliche Reise seiner ersten Yacht, der
„Hirondelle** (1888), beschrieben und auch
auf die physikalischen und biologischen
Arbeitsmethoden und Arbeitsergebnisse
da und dort etwas eingegangen. Auf eine
im 7. Kapitel enthaltene, nicht gerade
ästhetische Schilderung des Todes und
der Ausschlachtung eines Potwales folgt
als letztes und vielleicht ansprechendstes
Bild die Skizzierung der Ereignisse und
Eindrücke während der Reise nach Spitz-
bergen 1898.
Überall offenbart sich der Verfasser
als ein leidenschaftlicher Freund der freien,
einsamen Natur, als ein Verehrer der ein-
fachen, aber erhabenen Genüsse, die sie
gewährt, und an mehr als an einer Stelle
wendet er sich in auffallender Schärfe
gegen „das dreiste Schauspiel, welches
unnütze Gesellschafbsmenschen , Lebe-
männer und Genußmenschen durch ihre
sinnlosen und unlauteren Vergnügungen,
durch das Vergeuden ihrer Tage und
Nächte in den Klubs u. s. w. bieten**. Von
den Reizen des nördlichen Eismeeres
spricht er (S. 293) wie folgt: ,Jch liebe
den Kampf gegen die Gewalten eines
Meeres, welches der vom Schnee ge-
reinigte Wind peitscht, denn stolzer und
edler geht die Seele aus solchem Kampfe
hervor; ich liebe den Norden, weil dort
der Tod mit der Würde der Stille einher-
schreitet und die durch die Lügen der
Welt gequälten Wesen in das Krystall
der Eisfelder sanft einhüllt.**
Zum Verständnis des Buches sei noch
hinzugefügt, daß der Fürst, als voll aus-
gebildeter Seemann von Beruf, seine Yacht
selbst kommandiert. Die deutsche Aus-
gabe dieser „Seemanns - Laufbahn** ist
Kaiser Wilhelm U. gewidmet
Schott.
Nene Bfliclier and Karten.
AUgemelnet.
Meyers historisch-geographischer
Kalender 1904. Leipzig, Bibl. Inst.
1908. JL 1.76.
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sana, Chacana, Sincholagua, Quilindana.
Cotopaxi, Runiüahui und Pasochon. Ein
Beispiel für die Äußerung eruptiver
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unter deutlichen Anzeichen ihrer Ab-
Bchwächung und ihres Ersterbens inner-
halb begrenzter Zeiträume. Mit einem
Beglcitwort. 12 S. (Veröff. d. vulka-
nolog. Abt. d. Grassi-Mus. in Leipzig.)
Leipzig, Weg 1903. JC 2.—.
Goll, Fr. Die Erdbeben Chiles. Ein Ver-
zeichnis der Erdbeben und Vulkanaus-
brüche in Chile bis zum Ende des Jahres
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Geogr. Studien. XIV. Stück). V u. 137 S,
Zeitschriftenschau.
719
1 Taf. München , Ackermaon 1904. \
JC 8.20. j
Katzer, Fr. Grandzüge der Geologie I
des unteren Amazonasgebieted (des
Staates Parä in Brasilien). 296 S. 1 K.
4 Bildnisse u. 261 Textabb. Leipzig,
Weg 1903. .€ 14.—.
Condreau, 0. Voyage au Rio Cuma
20. XT. 1900—7.111.1901. 114 S. 34 Abb.
u. 1 K. Paris, Lahnre 1908.
Ders. Voyage a la Mapuera 21. IV.
1901—24. XII. 1901. 166 S. 36 Abb.
u. 1 K. Paris, Lahure 1908.
Ders. Voyage an Maycnrü 6. VI. 1902 —
12. I. 1903. 57 Abb. u. 1 K. Paris,
Labure 1903.
Heere.
Conseil permanent international
pour Texploration de la mer.
Bulletin des r^sultats acquis pendant I
les courses p^riodiques publ. par lel
bureau du conseil avec Tassistance de .
M. Knudsen. Annee 1902— 1903. No. 4.
Mai 1903. S. 172—309. 2 Taf. (Nr. 7
u. 8). Kopenhagen, H0st u. Söhne 1903.
Geogrftphificher Unterricht.
Becker, A. u. J. Mayer. Lembuch der
Erdkunde. II. Teil. Mit reichhaltigem
Lehrstoff. VI u. 881 S. 16 Textfig.
4 Tab. u. 1 Diagramm im Anh. Wien,
Deuticke 1908. Kr. 4.80.
Rusch ^ G. Erdkunde f. österr. Mädchen-
lyzeen. HI. Teil. Für die III. bis
V. Klasse. IIu. 268S. 77 Fig. Kr. 3.60.
K 0 r s c h , H. Methodik des geographischen
Unterrichts in der Volksschule. Ein
Hilfsbuch für Lehrer und Seminaristen.
VII u. 139 S. 22 Abb. Braunschweig
u. Leipzig, Wollermann 1903. JC 2.40.
Herbertson, F. D. u. A. J. Herbert-
son. Australia and Oceania. XXVI u.
221 S. Viele Abb. London, Black 1903.
S. 2. d. 6.
Zeitschriftenschau.
Petermanns Mitteilungen. 1908. 10. Heft.
Phillipow: Polarreisen des russischen
Malers Borissow. — Enderli: Zwei Jahre
bei den Tschuktschen und Koijaken. —
Zondervan: Die geschichtliche Entwick-
lung der offiziellen Kartenkunde in den
Niederlanden. — Lehmann: Armenien,
nach Lynch. — Woeikof: Erforschung
des Teletzky.See3. — Fitzner: Eidbeben-
beobachtungen in Kleinasien.
GlobiM. 84. Bd. Nr. 16. Singer:
Tharschisch und Ophir. — Hans Meyers
Forschungsreise in die Anden Ecuadors.
— Meerwarth: Aus dem Mündungs-
gebiet des Amazonas. — Hochtouren im
Karakorumgebirge.
Dass. Nr. 17. v. Lieb er t: Die Be-
siedlung Deutsch-Ostafrikas. — Singer:
Die Lage in Nordkamerun. — Gentz:
Die Verbindungsstraßen durch die nörd-
liche Kalahari. — Fies: Der Yamsbau in
Deutsch-Togo. — Lieber: Die Eisenbahn
Dachibuti-Adis Harar.
I)(i88, Nr. 18. Rzehak: Das Karst-
])hrinomen im mährischen Devonkalk. —
Sinf^er: Marokko. — Schmidt: Ein an-
geblicher Beweis des tertiären Alters des
Menschen m Australien. — Andree:
I Die präkolumbi sehen Forschungen von
! Dr. Fewkes in Westindien. — Das ethno-
I graphische Reichsmuseum in Leiden.
I Deutsche Bundschau für Geographie
\ und Statistik. 26. Jhrg. 2. Hefk. Müller:
I Die Ätherfrage in ihren Beziehungen zu
den Bewegungen der Erde im Sonnen-
' und Weltenraum. — Wagner: Madagas-
kars Bevölkerung. — Meinhard: Nach
; Mazedonien. — Nusser-Asport: Von
Puerto Columbia nach Bogota.
Meteorologische Zeitschrift. 1908. 10. Heft.
Hann: Über die tägliche Drehung der
mittleren Windrichtung auf Berggipfeln
von 2 — 4 km SeehÖhe. — Sassen fei d:
Die Bewölkung der Schneekoppe. —
Woeikof: Referate über russische For-
schungen auf dem Gebiete der Meteoro-
logie.
Zeitschrift für Getoässerkunde. 0. Bd.
2. Hoft. Halb faß: Stehende Seespiegel-
schwankungen im Madüsee. — Hempel:
Die Hochwassergefahren und ihre Be-
kilmpfnng. — (iravelius: Das Quell-
gebiet der Wolga und seine Seen.
ZiiUichrift für Schulgeographie. 1903.
1. H^'ft. V. Filek: Aus den Vulkan -
gebieten Unteritalieus. — Rein hold;
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