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Full text of "Geographische Zeitschrift"

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GEOGRAPHISCHE  ZEITSCHRIFT. 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


Db.  ALFRED  HETTNER, 

A.  O.  PROFESSOR  DRR  OEOGRAPHIE  AN  DER  UNIVERSITÄT  HEIDBLRBRG. 


NEUNTER  JAHRGANG. 


MIT  U  TAFELN. 


LEIPZIG, 
DRUCK   UND  VERLAG  VON  B.  G.  TEUBNER. 

1903. 


ALLE   RECHTE,  EINSCHLIESSLICH   DES   GbERSETZUNGSRECHTS,   VORBEHALTEN. 


Inhalt. 


6«gohiohte  und  Methodik     »«i^ 
der  Geographie. 

Die  Geographie  in  den  Vereinigten 
Staaten.  I.  Die  wissenschaftliche 
Geographie.  Von  Frau  Dr.  Mar- 
tha Krng-Genthe  in  Hart- 
ford, Co .  626 

Die  Kartensammlung  der  königl. 
Bibliothek  zu  Dresden.  Von  Dr. 
Viktor  Hantzsch  in  Dresden  165 

Neuigkeiten. 
Vopells  Welt-  und  Europa-Karte  . .  701 
Schreibweise  der  geographischen  Na- 
men   681 

Bücherbes  prechungen. 

Bretzl,  H.  Botanische  Forschungen 
des  Alexanderzuges.  Von  J.Part  seh  478 

Crivellari,  Gius.  Alcuni  cimeli 
della  cartografia  medievale  csistenti 
a  Verona.    Von  V.  Hantzsch  . . .  473 

Auge,  S.  ColumbuB.  Von  K.Kretsch- 
mer 416 

H  u  g  u  e  8 ,  L.  Cronologia  deUo  scoperte 
e  delle  esplorazione  geografiche 
dall'  anno  1492  a  tutto  il  secolo  XIX. 
Von  V.  Hantzsch 176 

Buge,  S.  Topographische  Studien 
zu  den  portugiesischen  Entdeckun- 
gen an  den  Küsten  Afrikas.  Von 
dems 686 

Schulze,  Franz.  Balthasar  Sprin- 
gers Indienfahrt  1606—1606.  Von 
dems 53 

Testa,  0.  L'av venire  della  geografia. 
Von  S.  Günther 416 

Weule,  K.  Völkerkunde  und  Urge- 
schichte im  20.  Jahrhundert.  Von 
A.  Kirchhoff 860 

Ratzel,  Fr.  Die  Erde  und  das  Leben. 
Bd.  n.    Von  Th.  Fischer 476 

Kraemer,  Hans.  Weltall u. Mensch- 
heit.   Bd.  I.    Von  A.  Hettner...  176 

Dass.    Bd.  n.   Von  A.  Kirchhoff.  706 

Schoedlers  Buch  der  Natur.  Von 
R.  Langenbeck 280 

Meyers  Großes  Konversations-Lexi- 
kon.   Von  A.  Hettner 116.  473 


Soite 

HaackfH.  Geographenkalender.  Von 
dems 474 

Geographisches  Jahrbuch.  Von 
dems 538 

Mathematische  Geographie  und 
Kartographie. 

Zur  Bestimmung  der  Oberflächenent- 
wicklung. Von  Prof.  Dr.  Jakob 
Früh  in  Zürich 167 

Bücherbesprechungen. 

Günther,  Siegmund.  Astronomische 
Geographie.    Von  W.  Wislicenus  110 

Albrecht,  Th.  Resultate  des  inter- 
nationalen Breitendienstes.  Von  J.  B. 
Messerschmitt 351 

Mazel,  A.  Künstlerische  Gebirgs- 
photographie.  Von  M.  Friede- 
richsen 476 

Stielers  Handatlas.  Lief  1 — 10.  Von 
A.  Penck 292 

Allgemeine  phygische  Geographie. 

GrundbegriflFe  und  Grundsätze  der 
physischen  Geographie.  Von  Al- 
fred Hettner 21.  121.  193 

Die  Felsbildungen  der  sächsischen 
Schweiz.     Von  dems 608 

Das  Karrenproblem.  Von  Prof  Dr. 
Jakob  Früh  in  Zürich 223 

Agassiz'  neueste  Uotersuchungen 
über  Korallenriffe.  Von  Prof. 
Dr.  Robert  v.  Lendenfeld  in 
Prag 627 

C.  Schmidts' geologische  Wand- 
tafeln. Von  Prof.  Dr.  Alfred 
Philippson  in  Bonn 678 

Neuigkeiten. 
ErdmagnetischeVermessung  eines  gan- 
zen Farallelkreises 469 

Erdbebenliste  für  das  Jahr  1902 169 

IL  internationale  seismologische  Kon- 
ferenz   408.  631 

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'  4  "1 


IV 


Inhalt 


Seite  ! 

Kommission    für    die    subozeanische         { 

Nomenklatur 847 

Terminologie  der  wichtigsten  unter- 
seeischen Bodenformen 532 

Internationale  Meeresforschung 581 

Messung   der   Größe  und  Bewegung 

der  Meereswellen 681 

Wärmeverteilung  in  Binnenseen 285 

Staubfall  in  Mitteleuropa 284 

Bücherbesprechungen. 

H  e  c  k  e  r ,  0 .  Bestimmung  der  Schwer- 
kraft auf  dem  Atlantischen  Ozean 
sowie  in  Rio  de  Janeiro,  Lissabon 
und  Madrid.  Von  J.  B.  Messer- 
schmitt   478 

Nippoldt,  A.  Erdmagnetismus, Erd- 
strom und  Polarlicht.     Von  dems.  706 

Schütz,  E.  H.  Die  Lehre  von  dem 
Wesen  und  den  Wanderungen  der 
manietischen  Pole  der  Erde.  Von 
A.  Schmidt 706 

BrunheSfJ.  Le  travail  des  eaux  cou- 
rantes:  la  tactique  des  tourbillons. 
Von  A.  Philippson 176 

Macha^ek,  Fr.  Gletscherkunde.  Von 
W.  Ule 177 

Böhm  Edler  v.  Böhmersheim,  A. 
Geschichte  der  Moränenkunde.  Von 
K.  Keilhack 293 

Karsten,  G.,  und  H.  Schenck. 
Vegetationsbilder.  Heft  I  u.  U.  Von 
0.  Warburg 479 

Allgemeine  Geographie  des  Menschen. 

Züge  und  Ergebnisse  einer  histo- 
rischen Geogi'aphie.  Von  Prof. 
Dr.  Wilhelm  Götz  in  Mün- 
chen   361.  486 

Die  geographischen  Bedingungen 
und  Gesetze  des  Verkehrs  und 
der  Seestrategik.  Von  Friedrich 
Ratzel 489 

Neuigkeiten. 

Landweg  zwischen  Europa  und  Ost- 
Asien  640 

Kabelverbindung  zwischen  Deutsch- 
land und   den  Vereinigten  Staaten  409 

Zweites  pazifisches  Kabel 469 

Bücherbesprechungen. 

Driesmans,  Hch.  Kasse  und  Milieu. 
Von  A.  Kirchhoff 707 

Martin,  K.  Wandtafeln  für  den 
Unterricht  in  Anthropologie,  Ethno- 
mphie  und  Geographie.  Taf.  6. 
Von  F.  Thorbecke 119 

Helmolt,  H.  Weli^eschichte.  ü.  Bd. 
Ostasien  tmd  Ozeanien.  Der  Indi- 
sche Ozean.    Von  A.  Kirchhoff.  707 


Seite 

S  c  h  ä  f  e  r ,  D.  Kolonialgeschichte.  Von 
J.  Partsch 479 

Brunhes,  J.  L'Irrigation,  ses  condi- 
tions  g4^ographique8,  ses  modes  et 
son  Organisation  dans  la  peninsule 
Ib^rique  et  dans  TAfrique  du  Nord. 
Von  Th.  Fischer 53 

Scobel,  A.  Handelsatlas  zur  Ver- 
kehrs- und  Wirtschaftsgeographie. 
Von  A.  Hettner 294 

Frey  tag,  G.  Export-Atlas  für  Welt- 
handel und  Industrie.  Von  E.Fried- 
rich       55 

Größere  Erdräume. 

Bücherbesprechungen. 

Das  überseeische  Deutschland.  Von 
J.  Partsch 177.  708 

Dove,  K.  Wirtschaftliche  Landes- 
kunde der  deutschen  Schutzgebiete. 
Von  dems 231 

Stielers  Handatlas.  Lief.  1 — 10.  Von 
A.  Penck 292 

Deutschland  und  Nachbarländer. 

Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter 
und  neuer  Zeit.  Von  Dr.  H. 
Toepfer,  Direktor  der  Real- 
schule in  Sondershausen 305 

Zum  Gebirgsbau  in  Schlesien.  Von 
Landesgeolog  Dr.  E.  Dathe  in 
Berlin  und  von  Prof.  Dr.  F. 
Frech  in  Breslau 461 

Neue  Alpenkarten.  Von  Albrecht 
Penck.  7.  Die  französischen 
Karten 263 

8.  Übersichtskarten  über  das  ganze 
Gebiet 382 

9.  Schlußbemerkungen ,  nament- 
lich über  Geländedarstellung  des 
Hochgebirges 336.  371 

Neuigkeiten. 

Ausstellung  von  Karten  zur  histo- 
rischen Geographie  Deutschlands  .  286 

Wirtschaftliche  Bedeutung  des  Kaiser 
Wilhelm-Kanals 640 

Regulierung  der  Weichsel 409 

Bücherbesprechungen. 

Knüll,  P.  Historische  Geographie 
Deutschlands  im  Mittelalter.  Von 
J.  Partsch 709 

Handbuch  der  Wirtschaftskunde 
Deutschlands.    Von  F.  Hahn 296 

Gruber,  Chr.  Deutsches  Wirtschafts- 
leben.    Von  dems 296 

Rechts  und  links  der  Eisenbahn. 
Heft  L    Von  L.  Henkel 709 


Inhalt. 


Seite 

Stokvis,  A.  Führer  durch  Oßtfries- 
land,  die  Nordsee-Bäder,  Jever  und 
Umgebung.    Von  F.  Hahn 416 

Ambrosius,  E.  Die  Volksdichte  am 
deutschen  Niederrhein.  Von  H.Kerp  416 

Gade,  H.  Historisch -geographisch- 
statistische Beschreibung  der  Graf- 
schaften Hoya  und  Diepholz.  Von 
F.  Hahn 117 

Nedderich,  W.  Wirtschaftsgeogra- 
phische Verhältnisse,  Ansiedlungen 
und  Bevölkerungsverteilung  im  ost- 
fälischen  Hüg^-  und  Tieflande. 
Von  O.  Schlüter 2^7 

Drude,  0.  Der  hercynische  Floren- 
bezirk.    Von  G.  Karsten 232 

Meyers  Reisebücher:  Der  Harz.  Von 
W.  üle 710 

Hellmann,  G.  Regenkarte  der  Pro- 
vinz Sachsen  und  der  Thüring. 
Staaten.    Von  dems 55 

Ademeit,  W.  Beiträge  zur  Siede- 
lungsgeographie  des  unteren  Mosel- 
gebietea.    Von  0.  Schlüter 480 

Walther,  J.  Geologische  Heimat- 
kunde von  Thüringen.  Von  Fr. 
Regel 351 

Franz,  A.  R.  Die  Sudeten.  Von 
J.  Partsch 352 

Boy«^,  P.  Les  Hautes-Chaumes  des 
Vosges.    Von  R.  Langenbeck  . .  353 

Rothpletz,  A.  Geologischer  Führer 
durch  die  Alpen.  Bd.  I.  Von  F. 
Frech 417 

Meyers  Reisebücher:  Deutsche  Al- 
pen.    Von  R.  Sieger 417.  480 

Wähn  er,  F.  Das  Sonnwendgebirge 
im  Unterinntal,  ein  Typus  alpinen 
Gebirgßbaus.  Bd.  I.    Von  F.  Frech  646 

Burgklehners  Tirolisclie  Landtafeln 
1608,  1611,  1620.  Begleitt^xt  von 
E.  Richter.  Von  E.  Oberhum- 
mer   710 

Baedeker,  K.  Österreich  -  Ungarn. 
Reisehandbuch.    Von  R.  Sieger..  480 

Meyers  Reisebücher :  Österreich- 
Ungarn.    Von  dems 480 

Übriges  Enropa« 

Betrachtungen  über  das  Relief  von 
Norwegen.  Von  Dr.  Hans 
Ren  seh,  Direktor  der  norwegi- 
schen geologischen  Landesanstalt 
in  Christiania.  Mit  16  Abbil- 
dungen auf  3  Doppeltafoln 
Nr.  8  bis   10 425 

Das  Seengebiet  des  nordwestlichen 
Rußlands.  Von  Fachlehrer  S. 
Tschulok  in  Zürich 266 


Seite 

Neuere  Foi*schungen  in  der  west- 
lichen Balkanhalbinsel.  Von 
Prof.  Dr.  Alfred  Philippson 
in  Bonn 149 

Neuigkeiten. 

Einweihung  der  Ofotenbahn 469 

Naturwissenschaftliche     Station     im 

nördlichsten  Schweden 641 

Neue  Eisenbahnen  in  Finnland 169 

Regulierung  der  Weichsel 409 

Vergletscherung  im  französischen  Jura  286 
Triangulationsanschluß  Sardiniens  an 

den  Kontinent 409 

Durchstich  der  Sulina-Mündung  ....  112 

Bücherbesprechungen. 

Baumgartner.  Island  und  die  Fä- 
röer.    Von  E.  Mogk 647 

Kjell^n,  R.  Inledning  tili  Sveriges 
geografi.    Von  R.  Sieger 481 

Baedeker,  K.  Schweden  und  Nor- 
wegen. Reisehandbuch.  Von  dems.  482 

Meyers  Reisebücher:  Y.  Nielsen. 
Norwegen,  Schweden  und  Däne- 
mark.    Von  dems 482 

Christ ensen,  C,  u.  Vahl,  M.  Dan- 
marksLand  ogFolk.  Von  F.  Hahn  686 

Berchon,  Ch.  En  Danemark.  Von 
dems 649 

Neuse,  R.  Landeskunde  der  briti- 
schen Inseln.     Von  A.  Hettner  ..  648 

Popescu,  St.  Wirtschaftliche  Stu- 
dien über  Großbritannien.  Von 
F.  Hahn :..  648 

Brunhes,  J.  L'Irrigation  .  .  .  dans 
la  peninsule  Ib^rique  . . .  Von  Th. 
Fischer , 53 

Fischer,  T.  La  Penisola  Italiana. 
Von  J.  Partsch 363 

Nissen,  Hch.  Italische  Landeskunde. 
Bd.  n.    Von  Th.  Fischer  ....66.  418 

Baedeker,  K.  Mittel  -  Italien  und 
Rom.    Von  W  Deecke 538 

Bickli,  M.  Botanische  Reisestudien 
auf  meiner  Frühlingsfahrt  durch 
Korsika.    Von  Th.  Fischer 233 

Baedeker,  K.  Österreich -Ungarn. 
Reisehandbuch .    Von  R.Sieger..  480 

Meyers  Reisebücher:  Österreich- 
Ungarn.     Von  dems 480 

Popescu,  St.  Beiträge  zur  Ent- 
stehungsgeschichte des  oberen  Olt- 
tals.     Von  F.  W.  Paul  Lehmann  649 

Neufeld-München,  C.  A.  Illu- 
strierter Führer  durch  Bosnien  und 
die  Hercegovina.    Von  K.  Hassert  418 

Philippson,  A.  Beiträge  zur  Kennt- 
nis der  griechischen  Inselwelt.  Von 
R.  Leonhard 419 

de  Mar  tonne,  E.  La  Valachie. 
Von  F.  W.  Paul  Lehmann 234 


VI 


Inhalt. 


Seite 
Meyers  Reisebücher:  Türkei,  Rumä- 
nien u.  s.  w.     Von  A.  Philippson    66 
Grothe,   H.    Auf   türkischer  Erde. 

Von  W.  Goetz 649 

Oberhummer,  £.  Konstantinopel 
unter  Sultan  Suleiman  dem  Großen. 
Von  W.  Rüge 864 

Asien. 

Land  und  Leute  des  Generalgou- 
vernements Turkestan.  Von 
Privatdozent  Dr.  Max  Friede - 
richsen  in  Göttingen.  Mit  6 
Abbildungen  auf  1  Tafel  Nr.  11  601 

Die  Bedeutung  der  Kolonie  Kiaut- 
schou.  Von  Dr.  Georg  Wegener 
in  Berlin 186 

Die  Weltstellung  Yemens.  Von  Dr. 
Eduard  Hahn  in  Berlin  ....  657 

Neuigkeiten. 

Bahnbauten  im  Ural 48 

Wif^haftliche  Erschließung  Sibiriens  582 

Bau  der  transsibirischen  Bahn 169 

Die  Eisdicke  auf  sibirischen  Flüssen  701 
Stand  der  sibirischen  Binnenschiffahrt  112 
Wegeverbindung    zwischen    Jakutsk 

und  dem  Ochotskischen  Meere 287 

Verfall  von  Kiachta 118 

Elbrusbesteigung 286 

Über  den  Karaboghaz-Meerbusen  . . .  225 

Erforschung  des  Aralsees 170 

Erdbeben  und  Zerstörung  von  Andi- 

schan 113 

Tates  Beobachtungen  in  Seistan  . . .  583 
Verbindungslinien   zwischen  Vorder- 
indien und  Afghanistan 49 

Neue  Handelsstraße  zwischen  Indien 

und  Persien 641 

Zybikows   Reise    nach   Tibet   und 

Aufenthalt  in  Lhasa 533 

Einverleibung    der    Mandschurei    in 

Rußland 682 

Sarasins  Durchquerung  von  Celebes  170 
Besitzergreifung  ostasiatischer  Inseln 

durch  die  Vereinigten  Staaten 583 

Bücherbesprechungen. 

Krahmer.  Rußland  in  Asien.  Bd.  V : 
Das  nordöstliche  Küstengebiet.  Von 
Fr.  Immanuel 56 

Labb^,  P.  Un  bagne  russe  (Sakha- 
line).    Von  dems 586 

Hedin,  S.  Meine  letzte  Reise  durch 
Inner -Asien.  Von  M.  Friede- 
richsen 639 

Futterer,  K.  Geographische  Skizze 
der  Wüste  Gobi  zwischen  Hami 
und  Su-Tschöu.     Von  dems 482 

Fitzner,  R.     Forschungen  auf  der 


Seit« 
bithynischen   Halbinsel.    Von  Th. 
Fischer 641 

Ders.  Anatolien,  Wirtschaftsgeogra- 
phie.   Von  H.  Zimmerer 711 

Rohrbach,  P.  Vom  Kaukasus  zum 
Mittelmeer.    Von  dems 712 

Grothe,  H.  Die  Bagdadbahn  und 
das  schwäbische  Bauemelement  in 
Transkaukasien  und  Palft^tina.  Von 
ä^s.i 712 

Oberhummer,  E.  Die  Insel  Cypem. 
Von  A.  Philippson 297 

K  r  a  h  m  ejc.  Rußland  in  Asien.  Bd .  VI : 
Die;  Beziehungen  Rußlands  zu  Per- 
sit'n.    Von  Fr.  Immanuel 420 

Kontzen,  L.  Goa  im  Wandel  der 
Jahrhunderte.    Von  V.  Hantzsch    67 

B  o  e  c  k ,  K.  Durch  Indien  ins  verschlos- 
sene Land  Nepal.  Von  E.  Schmidt  178 

Weber,  M.  Der  indo- australische 
Archipel  und  die  Geschichte  seiner 
Tierwelt.    Von  W.  Küken thal  ..  236 

Werther,  W.  östliche  Streiflichter. 
Von  A.  Kirchhoff 713 

Afrika. 

Marokko.  Eine  länderkundliche 
Skizze.  Von  Theobald  Fischer    65 

Franki'eichs  äthiopische  Eisenbahn. 
Von  Oberstleutnant  von  Kleist 
in  Steglitz 466 

Deutsch-Ostafrika.  Eine  klimato- 
logische  Studie  von  Dr.  Hans 
Maurer  in  Hamburg.  Mit  drei 
Abbildungen  im  Text  und  drei 
Tafeln  Nr.  1,  2  und  3.  1.  80.  140.  213 
Neuigkeiten. 

Gradmessung  durch  Afrika 634 

Neue  Eisenbahnbauten  in  Afrika  ...    49 

Geologische  Vergangenheit  der  Sa- 
hara   534 

Das  Muidir- Plateau  in  der  West- 
Sahara  226 

Erforschung  des  Tuareg- Plateaus  . . .  287 

Unterwerfung  der  Sultanate  in  der 
Süd-Sahara 642 

Der  Tschadsee,  seine  Küste  und  seine 
Inselwelt 470 

Wasserverbindung  zwischen  Tschad- 
see und  dem  Meere 635.  702 

Das  östliche  Scharibecken  und  die 
Gegend  südwestlich  von  Darfur. . .  702 

Grenzregulierung  zwischen  Eryihräa, 
Abessmien  und  dem  ägyptischen 
Sudan 113.  226 

Eröffnung  des  Sudans  vom  Roten 
Meere  aus 410 

Neue  Kart«  der  Nilprovinz 171 

Lage  der  Nilquellen 50 


Inhalt. 


vn 


Seite 

Verbesserung    der  Stromverhältnisse 

des  Nils 410 

Erforschung  des  Blauen  Nils  . . .  287.  684 

Nilstaudamm  bei  Assuan 60 

Eisenbahn  nach  Eumassi 642 

Erforschung    und    Erschließung    des 

Kamerun-Schutzgebietes 288 

Niger — Benu& — Tschadsee-Expedition  642 
Eisenbahnbau    in   Deutsch -Südwest- 

afrika 347 

Vollendung  der  Hafenmole  in  Swakop- 

mund 226 

Die  Austrocknung  des  Schirwasees . .  702 
Wirtschaftliche      Entwicklung      dei* 

Burenrepubliken 411 

Bücherbesprechungen. 

Brunhes,  J.  L'Irrigation  .  .  .  dans 
TAfrique  du  Nord.  Von  Th.  Fi- 
scher. .    53 

Mohr,  P.    Marokko.    Von  dems.  . .    68 

Schönfeld,  D.  Aus  den  Staaten 
der  Barbaresken.    Von  dems 866 

de  Mathuisieulz,  M.  A  travers  la 
Tripolitaine.     Von  dems 639 

Ricchieri,  G.  La  Tripolitania  e 
ritalia.    Von  dems 118 

Heni^e,  H.  Der  NU,  seine  Hydro- 
graphie und  wirtschaftliche  Bedeu- 
tung.   Von  dems 687 

V.  Oppenheim,  M.  Rabeh  und  das 
Tschadseegebiet.    Von  F.  Hutter  299 

Meyer,  H.  Die  Eisenbahnen  im  tro- 
pischen Afrika.    Von  A.  Schenck    68 

Baum,H.  Kunene — Sambesi-Expedi- 
tion.   Von  G.  Karsten 714 

Strecker,  C.  Auf  den  Diamanten- 
und  Goldfeldern  Süd-Afrikas.  Von 
A.  Schenck 687 

Peters,  K.  Im  Goldland  des  Alter- 
tums.   Von  dems 660 

Australien  und  augtralische  Inseln. 

Der  landschaftliche  Charakter  Neu- 
seelands. Von  Prof.  Dr.  Robert 
V.  Lendenfeld  in  Prag.  Mit 
4  Tafeln  Nr.  4  bis  7 241 

Neuigkeiten. 

Maurices  Durchquerung  des  austra- 
lischen Kontinents 227 

Bau  einer  transkontinentalen  Eisen- 
bahn      60 

Hauptstadt  des  australischen  Staaten- 
bundes   643 

Hills  B^ise  in  West-Australien 171 

Wasserleitung  von  Perth  nach  Cool- 
gardie 227 

Vmkanischer  Ausbruch  auf  Savaii  . .  114 

Zerstörung  der  Paumotu-Inseln 171 


Bücherbesprechungen.  seit« 
Hassert,  K.    Die  neuen  deutschen 

Erwerbungen  in  der  Südsee.     Von 

J.  Partsch 484 

Krämer,  A.   Die  Samoa-Inseln.   Von 

A.  Kirchhoff 300 

Semon,  R.   Im  australischen  Busch. 

Von  Fr.  Ratzel 662 

Deeken,    R.    Rauschende    Palmen. 

Von  A.  Kirchhoff 716 

Nord-  und  Mittel-Amerika. 

Der  Chinook.  Von  Frau  Dr.  Martha 

Krug-Genthe  in  Hartford,  Co.  676 
Am  Mont  Pele  im  März  1903.  Von 
Dr.  Georg  Wegen  er  in  Berlin  646 
Neuigkeiten. 
Fortschritt  der  Alaska-Forschung  . . .  412 
Bau  einer  zweiten  kanadischen  Pazifik- 
bahn        61 

Entscheidimg  des  amerikanisch-kana-    . 

dischen  Grenzstreites 643 

Neue  Erwerbungen    der  Vereinigten 

Staaten 682 

Umfang  der  Binnenschiffahrt  in  den 

Veremigten  Staaten 644 

NeuYermessimg  des  Grand  Canon  . . .  347 

Wiederaufbau  von  Galveston 411 

Bau  des  Panamakanals 172.  703 

Besteigung  des  Mont  Pele 288 

Bücherbesprechungen. 
Leverett,  F.  Glacial  formations  and 

drainage  features  of  the  Erie  and 

Ohio  basins.    Von  A.  Klautzsch  366 
Schieß,   W.     Quer    durch    Mexiko 

vom  atlantischen  zum  stillen  Ozean. 

Von  H.  Lenk 483 

Sfid-Amerika« 

Die  Regelung  des  argentinisch- 
chilenischen Grenzstreites.  Von 
Oberlehrer  Dr.  P.  Stange  in 
Erfurt.     Mit  1  Textkarte 160 

Neuigkeiten. 
Wissenschaftliche    Erforschung    von 

Bolivien 644 

Ende    des    chilenisch -argentinischen 

Grenzstreites 61 

Entdeckung    einer   Wasserstraße    in 

Südwest-ratagonien 61 

Bücherbesprechungen. 
G al  1 0  i  s ,  L.  Les  Andes  de  Patagonie. 
Von  P.  Stange 178 

Meere. 

Die  wichtigsten  geographischen  Er- 
gebnisse der   deutschen  Tiefsee- 


vrn 


Inhalt. 


Seite 

Expedition.       Von    Dr.    J.    B. 
Messerschmitt  in  München.  .    40 

Neuigkeiten. 

Internationale  Meeresforschung 681 

Kursus  für  Meeresforschung 472 

Terminologie  der  wichtigsten  unter- 
seeischen Bodenformen 532 

Messung   der  Größe  und   Bewegung 

der  Meereswellen 581 

Dampferverkehr  auf  dem  stillen  Ozean  114 
Schwedische  Expedition  in  den  großen 
Ozean 684 

Bücherbesprechungen. 
Deutsche  Seewarte.    Atlantischer 

Ozean.     Von  W.  Meinardus 716 

Albert  I.,    Fürst    von    Monaco. 

Eine  Seemanns-Laufbahn.    Von  G. 

Schott 716 

Nord-Polargegenden. 

Die  geologischen  Ergebnisse  der 
Sverdrupschen  Polarexpedition. 
Von  Prof.  Dr.  Eobert  v.  Len- 
denfeld in  Prag 638 

Neuigkeiten. 
Forschungstätigkeit  in  der  Arktis  1903  288 
Eisverhältnisse  in  der  Arktis  i.  J.  1902  635 
Pearys  Plan   einer   Nordpol arexpe- 

dition 583 

Norwegische  Nordpolarexpedition  un- 
ter Amundsen 348 

Z  i  e  g  1  e  r  s  zweite  Nordpolarexpedition  412 

V.  Tolls  Polarexpedition 228 

Dänische  Grönlandexpedition 470 

Expeditionen  nach  der  Ost-  und  West- 
küste Grönlands 52 

Wissenschaftliche  Ergebnisse  der 
Gradmessungsarbeiten  auf  Spitz- 
bergen   228 

Buch  erbe  sprechungen. 

Hassert,  K.  Die  Polarforschung. 
Von  M.  Lindeman 59 

Ludwig  Amadeus  von  Savoyen, 
Herzog  der  Abruzzen.  Die  Stella 
Polare  im  Eismeer.     Von  dems. ..  356 

Osservazioni  Scientifiche  eseguite  du- 
rante  La  Spedizione  Polare  di 
S.  A.  R.  Luigi  Amedeo  Di  Savoja 
Duca  Degli  Abruzzi  1899  —  1900. 
Von  dems 367 

Sttd-Polargegenden. 

Neuigkeiten. 
Eisverhältnisse  südlich  vom  Kap  Hoorn  172 
Deutsche  Südpolarexpedition  348.  412.  471 
Deutsche   Expedition    auf    der   Ker- 
guelen-Insel 289 


Seite 

Hilfsexpedition  für  die  deutsche  Süd- 
polarexpedition   173.  348 

Heimkehr  und  Ergebnisse  der  deut- 
schen Südpolarexpedition 703 

Der  Gaußberg  auf  dem  antarktischen 
Festland 704 

Englische  Südpolarexpedition  289. 349. 413 

Englische  antarktische  Hilfsexpedi- 
tion  52.  473.  583 

Schottische  Südpolarexpedition 290 

Wissenschaftliche  Arbeiten  der  schwe- 
dischen Südpolarexpedition 173 

Hilfsexpeditionen  für  die  schwedische 
Südpolarexpedition 348.  414.  636 

Auffindung  aer  schwedischen  Süd- 
polarexpedition   704 

Dr.  Charcots  Südpolarexpedition  228.  349 

Bücherbesprechungen. 

Hassert,  K.  Die  Polarforschung. 
Von  M.  Lindeman 69 

F.vonBellinghausens  Forschungs- 
fahrten im  südlichen  Eismeer  1819 — 
1821.    Von  dems 179 

Geographischer  Unterricht. 

Ziel  und  Methode  des  geographi- 
schen Unterrichts.  Von  Prof.  Dr. 
R.  Langen b eck  in  Straßburg  90 
Die  Atlanten  an  den  preußischen 
höheren  Schulen.  Von  Ober- 
lehrer   Heinrich    Fischer    in 

Berlin 613.  5G0 

Die  Geographie  in  den  Vereinigten 
Staaten.  ET.  Die  Schulgeographie. 
Von  Frau  Dr.  Martha  Krug- 
Gen  the  in  Hartford,  Co 666 

Neuigkeiten. 
Geographische  Vorlesungen  im  Som- 
mersemester 1903 229.  291.  350 

Geographische  Vorlesungen  imWinter- 

semester  1903/04 636.  684 

Kursus  für  Meeresforschung 472 

Prof.  Dr.  Sievers   Ernennung    zum 

ordentlichen  Professor 473 

Prof  Dr.  Greims  Ernennung 62 

Prof.  Dr.  Kretschmers  Ernennung.  705 

Prof.  Dr.  Siegers  Ernennung 115 

Prof.  Dr.  V.  Böhms  Ernennung 52 

Habilitation  von  Dr.  Eckert  in  Kiel  350 
Habilitation  von  Dr.  M.  Friedrich- 

sen  in  Göttingen 473 

Habilitation   von   Dr.  Passarge   in 

Berlin 646 

Geographie  in  der  neuen  badischen 
Prüfungsordnung 290 

Buch  erbe  sprechungen. 
Schöne,  Emil.     Die  geschichtliche 
Entwicklung    des    geographischen 


Inhalt. 


IX 


Seite 

Unterrichts  in  der  sächsischen  Volks- 
schule bis  zur  Gegenwart.  Von 
Chr.  Gruber 69 

Lehrbücher. 

E.  V.  Seydlitzsche  Geographie.  Von 
Höh.  Fischer 237 

Langenbeck,  R.  Leitfaden  der  Geo- 
graphie für  höhere  Lehranstalten. 
Von  dems 180 

Geistbeok,  M.  und  A.  Geistbeck. 
Leitfaden  der  Geographie  fClr  Mittel- 
schulen.   Von  0.  Clauß 301 

Rusch,  G.  Lehrbuch  der  Geogra- 
phie fOr  österreichiHche  Lehrer-  und 
Lehrerinnenbildungsanstalten.  Von 
A.  Kraus 482 

Becker,  A.,  und  Mayer,  J.  Lem- 
buch  der  Erdkunde.  Teill.  Von  Heb. 
Fischer 60 

H  a  r  m  s ,  H.  Vaterländische  Erdkunde. 
Von  P.  Wagner 61 

Geistbeck,  M.  Leitfaden  der  mathe- 
matischen und  physikalischen  Geo- 
graphie für  Mittelschulen  und 
Lehrerbildungsanstalten.  Von  R. 
LangenbecK 420 

Deckert,  E.  Gnmdzüge  der  Han- 
dels- imd  Verkehrsgeographie.  Von 
A.  Kraus 367 

Tromnau,  A.  Landeskunde  der  Pro- 
vinz Posen.  Von  Heb.  Fischer. . .  237 

Walser,  H.  Die  Schweiz.  Von  E. 
Zollinger 689 

Hotz,  R.  Leitfaden  für  den  Unter- 
richt in  der  Geographie  der  Schweiz. 
Von  dems 61 

Herbertson,  F.  D.,  und  A.  J.  Her- 
bertson.  Africa.  VonR.  Langen- 
beck 483 

Dies.  Central  and  South  America 
witii  the  West  Indies.   Von  dems.  286 

Spillmann,  J.  Über  die  Südsee. 
Australien  und  Ozeanien.  Von 
dems 237 

Toeppen,  K.  Ali,  der  ostafrika- 
nische  Seeräuber.  Von  P.  Wagner  288 

Atlanten,  Hand-  und  Wandkarten. 
Anschauungsmittel. 

H  a  a  c  k ,  H.  Kleiner  deutscher  Schüler- 
Atlas.  —  Kleiner  deutscher  Lem- 
atlas.    Von  Heb.  Fischer 60 

Schunke,H.  Geologische  Übersichts- 
karte des  Köaigreichs  Sachsen.  Von 
P.  Wagner 181 

Kümmerly,  H.  Schulkarte  der 
Schweiz.    Von  E.  Zollinger .  589 

Richter,  G.  Wandkarte  von  Schles- 
wig-Holstein.   Von  Heb.  Fischer    61 

Kellerer,  M.  Schul wandkarte  von 
Südbavem.     Von  Chr.  Grub  er  ..  .540 


Seite 

Schulwandkarte  der  Schweiz.  Von 
E.  Zollinger 688 

Martin,  R.  Wandtafeln  für  den 
Unterricht  in  Anthropologie,  Ethno- 
graphie und  Geographie.  Taf.  6. 
Von  F.  Thorbecke 119 

Vereine  und  Versammlnngen. 
Zeitschriften. 

Der  XrV.  deutsche  Geographentag 
in  Köln.  Von  F.  Thorbecke 
in    Heidelberg 387.  447.  689 

Neuigkeiten. 
76 jähriges  Bestehen  der  Gesellschaft 

für  Erdkunde  zu  Berlin 856 

Der  XIV.  deutsche  Geographentag. . .  173 
7ö.  Versammlung    deutscher   Natur- 
forscher und  Ärzte 230.  473.  646 

IX.  internationaler  Geologenkongreß  230        • 
Vlli.  internationaler  Geographenkon- 
greß  472.  684 

Redaktions  Wechsel  beim  „Globus'*  . .  176 

„Archiv  des  Erdmagnetismus" 646 

„Aus  fernen  Landen'* 176 

„Wandern  und  Reisen*' 115 

Persönliches. 

Neuigkeiten. 
Kapt.  z.  S.  Hertz'   Ernennung  zum 

Direktor  der  Seewarte 473 

Dr.  Schotts  Ernennung  zum  Abtei- 

lungsvorsteher  an  der  Seewarte...  116 
Prof.    Fischers   und   Prof.    Kirch- 
hof fs  Ernennung  zu  Geh.  Regie- 
rungsräten   686 

Prof.  Gerlands  70.  Geburtstag 115 

Dr.  Lindemans  80.  Geburtstag 280 

Prof.  v.Richthofens  70.  Geburtstag  291 

du  Chaillu  f 360 

Chavanne  f l^^ 

Glaisher  f 292 

Hartl  t 291 

de  la  No6  f 174 

Radde  f 291 

V.  Scherzer  f 174 

Schneider  f ö86 

Schurtz  t 350 

V.  Schwarz  f    174 

Nene  Bücher  und  Karten. 

Neue  Bücher  und  Karten  62.  118.  182 
238.  302.  368.  421.  4H5.  542.  590.  663.  717 

Zeitscliriftenschan. 

Petermanns      Geographische       Mit- 
teilungen ..63.  119.  183.  239.  302.  359 
422.  486.  548.  591.  654.  719 
GlobuR..63.   119.  1H3.  239    303.  359.  423 
4H6.  543.  591.   654    719 
b 


Inhalt. 


Seite 

Deutsche  Rundschau  für  Geographie 

und  Statistik  ...63.  119.  188.  239.  303 

369.  423.  487.  643.  691.  654.  719 

Geographischer  Anzeiger. .  .487.  543.  691 

Zeitschrift  für  Schulgeographie  .119.  183 

239.  303.  360.  487.  643.  655.  719 

Meteorologische  Zeitschrift.. 63.  183.  239 

303.  859.  423.  487.  643.  591.  666.  719 

Zeitschrift  für  Gewässerkunde  119.  808. 423 

591.  655.  719 
Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erd- 
kunde zu  Berlin. 68.  188.  239.  303.  360 

643 

Veröffentlichungen  des  Instituts  für 
Meereskunde  und  des  Geographi- 
schen Instituts  an  der  Univ.  Berlin  720 

Deutsche  Geographische  Blätter  487.  643 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Erdkunde 
zu  Halle 591 

Mitteilungen  der  Geogr.  Gesellschaft 
in  Hamburg 183.  720 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Erd- 
kunde zu  Leipzig 543 

,^8ien" 63.  119.  303.  360.  487 

Beiträge  zur  Eolonialpolitik  und  Ko- 
lonialwirtschaft 63.  119.  183.  239.   803 
360.  428.  487.  543.  591.  655.  720 

Deutsche  Erde  . . . , 428.  487.  692 

Mitteilungen  d.  Geogr.  Gesellschaft  in 
Wien 64.  239.  303.  425.  543.  720 

Abhandlungen  d.  Geogr.  Gesellschaft 
in  Wien 239 

Jahrbücher  d.  k.  k.  Zentralanstalt  für 
Meteorologie  und  Erdmagnetismus  183 

Mitteilungen  des  k  k.  militärgeogra- 
phischen Instituts 487 

XI.  Jahresbericht  des  Sonnblick- Ver- 
eins 1902 423 

The  Geographical  Journal  ..64.  120.  183 
240.   303.   360.  423.   487.  644.  592.  655 

720 

The  Scottish  Geographical  Magazine.  64 
120.  183.  240.  304.   360.   423.   488.   544 

592.  655.  720 
Ymer 184.  360.  592 


Seite 

Annales  de  Geographie 64.  184.  304 

423.  644.  655 

La  Geographie  64.  120.  184.  240.  304.  860 
423.  487.  544.  592.  656.  720 

Bulletin  de  la  Sociäte  Neuchateloise 
de  Geographie 230 

Rivista  geografica  Italiana  .  120.  804.  424 

Mitteilungen  (Issvestiija)  der  Kais.  Russ. 
Geogr.  Gesellschaft 184.  240 

Veröffentlichungen  der  geographi- 
schen Abteilung  der  K.  R.  Gesell- 
schaft für  Naturwissenschaften  u. 
Völkerkunde  zu  Moskau  (Semlew- 
jedjenie) 240 

Meddelanden  af  Geografiska  Före- 
ningen  i  Finland 240 

Publications  du  conseil  permanent 
international  pour  exploration  de 
la  mer 592.  666 

The  National  Geographie  Magazine  64 
120.   240.   304.   360    424.  488.  544.  592 

The  Journal  of  Geography  64.  120.  184 
304.  360.  424.  488.  655 

Annual  Report   of  the  ü.  S.  Geolo- 

S'cal  Survey 655 
etin    of    the    ü.    S.    Geological 

Survey 184.  6^5 

Monographs  of  the  U.  S.  Geological 

Survey 656 

Professional  Papers  of  the  ü.  S.  Geo- 
logical Survey 656 

Maryland  Geological  Survey 544 

Aus  verschiedenen  Zeitschriften ..  64.  120 
184.   240.   304.   360.   424.  488.  544.  592 

656.  720 

Terzeichnis  der  Tafeln. 

Tafeil— 3.  Landschaftsbilder  aus  Deutsch- 
Ostafrika. 

Tafel  4 — 7.  Landschaftsbilder  aus  Neu- 
seeland. 

Tafel  8 — 10.  Landschaftsbilder  und  Skizzen 
zur  Morphologie  von  Norwegen. 

Tafel  11.  Land  und  Leute  der  russischen 
Kolonisationsgebiete  in  Turkestan. 


Berichtigungen. 

S.  237,  Spalte  1,  Zeile  1  lies:  „herausgegeben"  statt  „hergegeben". 

S.  541,  Zeüe  23  lies:  „Sakariasenke*'  statt  „Sakaniasenke". 

S.  577  lies  Zeile  12:  „Walla  Walla,  Wash."  statt  „Walla,  Wash."; 

Zeile  15:  Miles  City  Moni:  „— 6'>"; 

Zeile  17:  Bismarck,  N.  D.:  „— 22«". 


Deutsch -Ostafrika. 

Eine  klimatologische  Studie 

von   Dr.  Hans  Maurer  in  Hamburg. 

I.  Die  Kfiste. 

Deutsch-Ostaftika  erstreckt  sich  südlich  vom  Äquator  vom  ersten  bis 
fast  zum  12.  Grad,  während  seine  Küste  am  indischen  Ozean  von  4^40'  bis 
zu  10^40',  rund  in  einer  Länge  von  700  Kilometern  verläuft  Bei  der 
Klimaschilderung  eines  so  äquatorial  gelegenen  afrikanischen  Landes  erwartet 
man  wohl  von  enorm  hohen  Wärmegraden  und  der  sprichwörtlichen  afri- 
kanischen Hitze  zu  hören.  Die  Vorstellungen,  die  man  sich  aber  vielfach 
von  dieser  macht,  treffen,  wenigstens  für  Deutsch-Ostafrika,  nicht  zu.  Die 
höchsten  Temperaturen  im  Schatten,  die  in  Deutsch-Ostafrika  beobachtet  worden 
sind,  überschreiten  38®  C  nicht.  Vergleichen  wir  damit  die  Verhältnisse  in 
der  nordamerikanischen  Union,  die  ja  ganz  außerhalb  der  Tropen  gelegen 
ist,  so  müssen  wir  sagen;  Amerika,  du  kannst  es  besser.  Von  dort  sind 
Maximaltemperaturen  von  über  50®  C  bekannt  geworden;  und  selbst  in  Europa 
vermag  der  stolze  Spanier  in  seinem  Lande  Extreme  von  45®  aufzuweisen. 
In  Hamburg  ist  die  höchste  Temperatur  der  letzten  25  Jahre  32®  C  gewesen, 
und  über  30®  kam  die  Temperatur  in  derselben  Zeit  17  mal.  Aber  auch, 
wenn  wir  von  diesen  Extremwerten  absehen,  zeigt  die  mittlere  Jahres- 
temperatur in  Deutsch -Ostafrika  nicht  so  hohe  Beträge,  wie  man  nach 
der  Nähe  des  Äquators  anzunehmen  versucht  ist.  Sucht  man  nämlich  auf 
jedem  Meridian  den  Ort,  der  die  höchste  mittlere  Jahrestemperatur  hat,  und 
verbindet  alle  diese  Punkte  höchster  Temperatur  durch  eine  Linie,  so  erhält 
man  den  thermischen  Äquator.  Dieser  weicht  gerade  in  diesen  Teilen  der 
Erde  unter  der  Einwirkung  der  starken  Landanhäufung  in  Nordafrika  und 
Asien  fast  15®  nach  Norden  vom  geographischen  Äquator  ab.  Von  dem 
heißesten  Teile  der  Erde,  wo  in  der  Sahara,  im  Sudan  und  in  Arabien  die 
mittlere  Jahrestemperatur  30®  C  überschreitet,  sind  wir  also  in  Deutsch-Ost- 
afrika räumlich  ebenso  weit  entfernt  wie  in  Griechenland.  Die  mittlere 
Jahrestemperatur  erreicht  an  der  Küste  25® — 26®  C.  Von  dieser  Mittel- 
temperatur des  Jahres  entfernen  sich  auch  der  heißeste  und  kühlste  Monat 
nur  sehr  wenig.  Der  heißeste  ist  nur  2 — 3®  wärmer,  der  kälteste  eben- 
soviel kühler.  Dies  wird  durch  die  äquatoriale  Lage  veranlaßt.  Am  Äqua- 
tor ist  bekanntlich  jeder  Tag  genau  12  Stunden  lang,  und  in  Deutsch-Ost- 
afrika währt  der  längste  12  Stunden  40  Minuten,  der  kürzeste  11  Stunden 
20  Minuten.    In  Hamburg  dagegen  sind  die  entsprechenden  Zahlen  IC  Stunden 

GeographUoli« Keitacbrift.  9. Jahrgang.  1903.  I.Heft.  1 


2  Hans  Maurer: 

50  Minuten  und  7  Stunden  10  Minuten.  Dazu  kommt  noch,  daß  sich  am 
kürzesten  Tage  die  Sonne  bei  uns  nur  bis  zu  13**  über  den  Horizont  er- 
hebt, am  längsten  aber  bis  60**,  also  in  der  Höhe  um  47**  schwankt,  wäh- 
rend dort  diese  Mittags-Sonnenhöhen  nur  zwischen  60**  imd  90**  schwanken. 
Und  imi  die  Ausgleichung  dieser  Unterschiede  ganz  auf  die  Spitze  zu  treiben, 
ist  dort  auch  nicht  einmal  der  längste  Tag  zugleich  der,  der  die  Sonne  am 
Himmel  am  höchsten  führt.  Die  Wärmemenge,  die  die  Sonne  dort  an  einem 
Sommertag  herabstrahlt,  imterscheidet  sich  also  nur  wenig  von  der,  die  sie 
an  einem  Wintertag  spendet. 

Zur  Verkleinerung  der  jahreszeitlichen  Temperatiirunterschiede  wirkt  aber 
an  der  Küste  noch  stark  die  Nähe  des  Meeres  mit.  Wasser  braucht  ja 
wegen  seiner  hohen  spezifischen  Wärme  zu  seiner  Erwärmung  sehr  große 
Wärmemengen,  die  es  wieder  abgeben  muß,  um  kühl  zu  werden.  Eine  große 
Wassermenge  tritt  also  allen  Temperaturschwankungen  hinderlich  entgegen. 
Und  kühlt  sich  auch  die  Oberfläche  des  Meeres  ab,  so  sinken  die  gekühlten 
imd  dadurch  schwerer  gewordenen  Schichten  hinab,  und  neue,  die  noch  ab- 
zukühlen sind,  treten  an  ihre  Stelle,  wodurch  eine  rasche  Abkühlung  noch 
mehr  erschwert  wird.  Aber  auch  starke  Erwärmungen  können  hier  nicht 
zu  stände  kommen,  und  dazu  trägt  besonders  bei,  daß  wir  es  hier  mit  einem 
Monsunklima  zu  tun  haben.  In  einem  solchen  wehen  die  vorherrschenden 
Winde  nach  den  Jahreszeiten  verschieden  vom  Meer  zum  Land  oder  vom 
Land  zum  Meer,  immer  aber  so,  daß  sie  von  dem  kälteren  Gebiet  nach  dem 
wärmeren  blasen.  Da  sich  nämlich  das  Wasser  langsamer  erwärmt  als  das 
Land,  so  wird  im  Sommer  auch  die  Luft  über  dem  Lande  wärmer  als  über 
dem  Meer.  Sie  dehnt  sich  durch  die  Erwärmung  nach  oben  hin  aus  und 
fließt  in  den  oberen  Schichten  seitlich  nach  den  kühleren  Gebieten  ab.  Über 
dem  kühleren  Meer  erhöht  sich  so  der  Druck  der  Luft,  während  er  über 
dem  wärmeren  Lande  abnimmt,  und  die  kühle  Luft  höheren  Druckes  strömt 
im  Sommer  als  Monsunwind  vom  Meer  nach  dem  Land.  Ln  Winter  bleibt 
umgekehrt  das  Meer  wärmer  als  das  sich  rascher  abkühlende  Land,  und  es 
tritt  umgekehrt  ein  vorwiegendes  Strömen  der  Luft  von  dem  kalten  Land 
nach  dem  warmen  Meer  ein.  Zu  allen  Jahreszeiten  also  blasen  die  Monsim- 
winde  aus  der  kühleren  Gegend  nach  der  wärmeren.  Diesen  Winden 
folgen  im  indischen  Ozean  die  Meeresströmungen,  und  so  befördern  beide 
jahraus  jahrein  nach  den  Stellen,  die  in  Gefahr  sind,  stark  erhitzt  zu  werden, 
kühlere  Luft  imd  kühleres  Wasser.  Alle  diese  Umstände  drücken  den  Tem- 
peraturunterschied zwischen  den  Jahreszeiten  stark  herab  und  erzeugen  ein 
so  gleichmäßiges  Klima,  daß  es  uns  verständlich  wird,  wie  den  Leuten  dort 
aller  Sinn  für  die  Zeitrechnung  abgeht.  Auf  die  Frage:  „Wie  alt  bist  du?" 
antwortet  selbst  der  kulturbeleckte  Küstenneger  mit  einem  gewissen  Stolz: 
„Die  Wasuaheli  zählen  die  Jahre  nicht",  und  in  Gerichtsverhandlungen  habe 
ich  auf  die  Frage  nach  dem  Alter  der  Zeugen  als  Antwort  sowohl  1  Jahr 
als  100  Jahre  gehört. 

Die  Tabelle  I  zeigt  die  Mitteltemperaturen  und  durchschnittlichen  täg- 
lichen Schwankungen  der  extremen  Monate  und  des  Jahres  für  drei  Stationen 
an  unserer  Küste:  Tanga  im  Norden,  Daressalam  in  der  Mitte  und  Lindi  im  Süden. 


Dentsch-Ostafrika. 


Tabelle  I.    Temperaturen. 


Tanga 


Daressalam 


Lindi 


Wärmster  Monat 


Mittel  .     . 
Schwankung 

Kältester  Monat  jSInlcung 

1  Mittel    .     . 
i  Schwankung 


Jahr 


Absolutes  Maximum 
Absolutes  Minimum 


n  27,8 
L,6_ 

vn  23,1 

6,5 


I  27,9 
6,1 


25,7 

35,1 
17,6 


VIT  23,1 

8,8 


25,6 
7,7 


35,0 
17,1 


XI  27,1 

11,1_ 

Vm  23,4 
12a_ 

26,7 
10,9 


36,0 
15,2 


Sie  läßt  zugleich  erkennen,  daß  die  größte  Hitze  im  Süden  viel  früher 
als  im  Norden  eintritt.  In  Daressalam  ist  der  heißeste  Monat  der  Januar, 
der  ja  auch  auf  der  südlichen  Halbkugel  dieselbe  Rolle  spielt  wie  der  Juli 
bei  uns.  Dies  würde  also  dem  entsprechen,  was  wir  nach  unseren  Er- 
fahrungen hier  erwarten  sollten.  Im  Norden  der  Küste  tritt  eine  Ver- 
spätung des  Wärmemaximums  ein,  im  Süden  eine  starke  Verfrühung.  Es 
stoßen  hier  zwei  ganz  verschiedene  Klimatjpen  zusanmien,  wie  ein  Vergleich 
des  Verlaufs  der  Jahreszeiten  im  Norden  und  Süden  der  Küste  zeigt. 

Im  Winter  der  Südhalbkugel,  in  den  Monaten  Juni  bis  August,  liegt 
die  Zone  größter  Erwärmung  über  der  Sahara  imd  Arabien.  Die  vorherr- 
schenden Winde  unseres  Gebietes  kommen  somit  nach  der  Lage  dieses  an- 
saugenden Auflockerungsgebietes  aus  südlichen  bis  südöstlichen  Richtungen. 
Sie  stammen  von  dem  um  diese  Zeit  kühlen  indischen  Ozean  und  noch  dazu 
aus  höheren  geographischen  Breiten.  Die  Strömung  ist  bei  Tage,  durch  die 
höhere  Erwärmung  des  Landes  verstärkt,  sehr  kräftig;  es  bietet  sich  wenig 
Gelegenheit  zur  Kondensation  von  Wasser  und  zur  Bildung  von  Nieder- 
schlägen, da  die  Winde  aus  kühleren  Gegenden  in  wärmere  kommen  und 
durch  die  Erwärmung,  die  sie  selbst  erleiden,  fähiger  werden,  Wasserdampf 
zu  tragen,  ohne  ihn  ausscheiden  zu  müssen;  denn  warme  Luft  kann  mehr 
Wasserdampf  aufnehmen  als  kalte.  Es  ist  dies  die  kühle  und  trockene  Zeit 
des  Südostwindes.  Im  Norden  biegt  dieser  Wind  mehr  in  südliche  Richtung^ 
imi  und  geht  schließlich  in  den  Südwestmonsun  über,  der  von  dem  kühleren 
indischen  Ozean  nach  dem  sonmierlich  heißen  Asien  weht.  Im  Süden  der 
deutsch-ostafrikanischen  Küste  aber  bläst  der  Wind  aus  südöstlicher  bis  öst- 
licher Richtung  und  bildet  hier  einen  Teil  des  Südostpassat-Gürtels,  der  in 
diesen  geographischen  Breiten  die  ganze  Erde  umgibi  Die  maximalen 
Temperaturen  in  dieser  kühlen  Zeit  liegen  imgeföhr  bei  29**,  die  Durch- 
schnittstemperaturen bei  23^.  Mit  dem  Nachlassen  der  Sonnenstrahlung  am 
Nachmittag  sinkt  die  Temperatur  auf  dem  Lande  beträchtlich.  Der  Wind 
von  der  See  läßt  nach  und  schon  zwischen  9  und  10  Uhr  Abends  wird  das  Mini- 
mum der  Windgeschwindigkeit  erreicht.  Von  da  ab  entwickelt  sich  ein  süd- 
westlicher, ebenfalls  kühler  Landwind,  der  die  Temperatur  stark  weiter  sinken 
läßt.  So  konunen  Morgentemperaturen  bis  zu  17**  C  zu  stände.  Es  ist  inter- 
essant, zu  konstatieren,  wie  schnell  der  menschliche  Körper  durch  die  Gleich- 
mäßigkeit   der  Witterungsverhältnisse    verwöhnt   wird.     Man   empfindet  eine 


4  Hans  Maurer: 

solche  Temperatur  von  17^,  bei  der  wir  hier  ganz  gemütlich  im  Freien  sitzen 
würden,  dort  sehr  unbehaglich,  und  die  Neger  frieren  geradezu.  Allerdings 
ist  auch  die  gewöhnliche  Kleidung  des  Europäers  dort  leichter  als  unsere 
Sommeranztige.  Fast  jeden  Morgen  konamt  es  in  dieser  Zeit  zur  Taubildung 
und  im  Norden  der  Küste  mitunter  auch  zum  Regnen.  Es  ist  dies  die  so- 
genannte dritte  Regenzeit,  die  sich  im  Norden  der  Küste  zeigt,  während  sie 
im  Süden  völlig  fehlt.  Wahrend  in  Tanga  von  Juni  bis  August  im  Durch- 
schnitt mehrerer  Jahre  235  nmi  Regen  fielen,  erhielt  Lindi  in  dieser  Zeit 
nur  17  nmi,  so  daß  hier  fast  völlige  Regenlosigkeit  herrscht  Die  tägliche 
Temperaturschwankung,  d.  h.  der  mittlere  Unterschied  zwischen  der  höchsten 
Temperatur  am  Tage  und  der  tiefsten  bei  Nacht,  ist  besonders  im  Süden 
und  der  Mitte  der  Küste  in  dieser  Zeit  sehr  groß.  In  Daressalam  betrug 
sie  an  einzelnen  Tagen  12^,  in  Lindi  gar  17**.  In  Tanga  fallen  die  größten, 
mittleren  täglichen  Schwankungen  nicht  in  diese  Jahreszeit,  weil  die  zu- 
nehmende Bewölkung  in  der  dritten  Regenzeit  die  Größe  der  Temperatur- 
schwankung herabdrückt.  Zugleich  mit  der  Temperatur  ist  die  Luftfeuchtig- 
keit starken  Schwankungen  unterworfen;  während  früh  die  Atmosphäre  fast 
völlig  mit  Wasserdampf  gesättigt  ist,  und  Tau,  Dunst,  selbst  Nebel  häufig 
sind,  sinkt  der  Wasserdampfgehalt  Nachmittags  oft  unter  50  ^o?  i^  ^^^  sehr 
trockenen  Jahr  1898  kam  er  sogar  selbst  am  Meeresufer  unter  40  7o' 

Rückt  in  den  folgenden  Monaten  die  Sonne  und  mit  ihr  das  Auf- 
lockerungsgebiet in  Afrika  weiter  nach  Süden,  so  dreht  sich  die  vorherrschende 
Windrichtung  weiter  nach  Osten.  Die  Temperaturen  an  der  Ausgangsgegend 
und  am  Ziel  der  Winde  sind  nicht  mehr  sehr  verschieden,  imd  die  Stärke 
der  Strömung  läßt  nach.  Zugleich  tritt  eine  größere  Zersplitterung  in  den 
Windrichtungen  auf.  Solange  bei  Tage  der  mehr  und  mehr  in  Nordost  über- 
gehende Seewind  weht,  kommen  keine  starken  Temperaturänderungen  zu 
stände.  Kühlt  sich  aber  das  Land  in  der  Nacht  hinreichend  ab,  so  daß  der 
Landwind  aufkommt,  so  tritt  von  diesem  Augenblick  an  eine  starke  weitere 
Temperaturabnahme  ein.  Die  Übergangszeit,  in  der  sich  die  verschiedenen 
Luftströmungen  bei  geringer  Intensität  mischen,  gibt  zu  Niederschlägen 
reichlich  Veranlassung,  und  es  entsteht  eine  Regenzeit,  die  im  Norden  der 
Küste  schon  Ende  Oktober,  im  Süden  im  Dezember  einsetzt.  Die  tägliche 
Temperaturschwankung  wird  mit  der  Zunahme  der  Bewölkung  klein. 

Die  Regenzeit  hat  man  sich  nicht  so  vorzustellen,  daß  es  während  dieser 
Zeit  etwa  Tag  und  Nacht  ununterbrochen  gießt.  Es  sind  vielmehr  in  dieser 
Zeit  nur  Tage  selten,  an  denen  es  nicht  wenigstens  etwas  regnet,  und  an 
manchen  fallen  große  Regenmengen.  Die  Tageszeit  dieser  Regengüsse  ist 
vorwiegend  der  Mittag.  In  Daressalam  z.  B.  sind  Regenmonate  vorgekommen, 
in  denen  infolge  der  mittäglichen  Regengüsse  die  Durchschnittstemperatur 
um  12  Uhr  niedriger  als  um  11  und  imi  1  Uhr  war.  Auch  in  den  übrigen 
Teilen  des  Jahres  ist  eine  Zunahme  der  Bewölkung  um  Mittag  zu  erkennen, 
und  der  Sonnenscheinautograph,  ein  Instrument,  das  die  Dauer  des  Sonnen- 
scheins für  jede  Stunde  anzeigt,  hat  im  Durchschnitt  des  Jahres  um  Mittag 
weniger  Sonnenschein  als  am  Vormittag  und  am  Nachmittag  angegeben. 
(S.  das  Diagramm  der  Sonnenscheiudauer  S.  18.)    Welche  Wassermassen  aber 


(jtH)o;raphische  Zeitschrift.  Jahroanc^^  IX. 


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Geographische  Zeitschrift.  Jahrgang  IX. 


Tafel  1. 


Der  Wentzelsee,  ein  natürlicher  Regenmesser  im  Nyassagebiet. 


Steppe  im  südlichen  Deutschostafrika. 


t— •    r\    r»^: .  /o    \//>kcMi\  «>rerhpinMiHpn  WprlrP  vnn   Dr     Ffillehorn !    ..Die  deut 


Deutsch-Ostafrika.  5 

diese  Regenzeiten  auf  das  Land  hemiedergießen  können,  mag  die  Angabe 
beweisen,  daß,  während  Hamburg,  ein  gewiß  nicht  allzu  regenloser  Ort, 
durchschnittlich  im  Jahre  726  nmi  Regen  erhält,  in  Tanga  in  dem  einzigen 
Monat  November  1896  796  mm  gefallen  sind,  davon  200  an  einem  Tag, 
also  mehr  als  der  vierte  Teil  von  der  Menge,  die  in  Hamburg  in  einem 
ganzen  Jahr  herabkommt. 

Während  im  Süden  die  Regenzeit  erst  im  Dezember  einsetzt,  hört  sie 
dann  in  Tanga  schon  wieder  auf.  Der  Nordostwind,  welcher  nunmehr,  an 
den  asiatischen  Nordmonsun  angeschlossen,  den  ganzen  Tag  über  kräftig 
weht,  dauert  nun  im  Norden  der  Küste  auch  die  ganze  Nacht  hindurch  an, 
und  diese  gleichmäßige,  kräftige  Strömung  gibt  geradeso  wenig  Veranlassung 
zu  Niedei*schlägen  wie  im  Winter  der  Südostpassat  im  Süden.  Ja  die  Regen- 
losigkeit  der  Monate  Dezember  bis  Februar  ist  in  Tanga  viel  ausgesprochener 
als  die  der  Wintermonate  Juni  bis  September  (vergl.  das  Regendiagramm  auf 
Seite  6).  Im  Süden  aber  fällt  gerade  in  diesen  drei  Monaten  Dezember  bis 
Februar  mehr  als  die  Hälfte  der  Regenmenge  des  Jahres.  Der  Abkühlung,  welche 
so  mitten  im  Sommer  durch  die  Regen  eintritt,  ist  es  zu  danken,  daß  im 
Süden  die  dem  Regen  unmittelbar  vorangehende  Zeit  Ende  November  bis  Anfang 
Dezember  die  heißeste  des  Jahres  ist.  Ganz  analoge  Verhältnisse  finden  wir 
auf  der  nördlichen  Halbkugel  in  Indien,  wo  unmittelbar  vor  Beginn  der 
sommerlichen  Regen  der  Mai  der  wärmste  Monat  des  Jahres  ist.  Dieser 
Klimatypus  wird  deshalb  der  indische  genannt^). 

Im  Norden  der  deutsch-ostafrikanischen  Küste  dagegen  nimmt  in  der 
dort  regenlosen  Zeit  mitten  im  Sommer  die  Temperatur  immer  weiter  zu, 
so  daß  Ende  Februar  oder  Anfang  März  'die  heißeste  Zeit  des  Jahres  wird.  Die 
kräftige  Nordostmonsun-Strömimg  im  Norden  vertreibt  die  Wolken  und  bringt 
sehr  lange  Sonnenscheindauem  und  sehr  hohe  Temperaturen  der  Sonnen- 
strahlung zu  Stande.  In  Daressalam  betrug  vom  30.  November  bis  zum 
24.  Dezember  1898,  also  fast  vier  Wochen  lang,  die  durchschnittliche  täg- 
liche Sonnenscheindauer  10  Stunden  50  Minuten,  während  sie  kaum  eine 
Stunde  mehr  hätte  betragen  können,  wenn  die  Sonne  in  der  ganzen  Zeit 
keinen  Augenblick  von  Wolken  verhüllt  gewesen  wäre.  Das  berußte  Strahlungs- 
thermometer zeigte  im  Sonnenschein  in  dieser  Zeit  bis  66®  C  an.  Der  Sand- 
boden erhitzt  sich  mitunter  dabei  so  sehr,  daß  ihn  selbst  der  Neger  mit 
seiner  abgehärteten  Fußsohle  in  beschleunigtem  Tempo  passiert.  Gewimdert 
habe  ich  mich  über  einen  europäischen  Hund,  der  sich  behaglich  in  den  so 
geheizten  Sand  zu  strecken  pflegte.  Wenn  trotzdem  in  dieser  Zeit  die  Luft- 
temperatur bei  Tage  im  Schatten  nur  selten  bis  zu  35**  steigt,  so  liegt  dies 
an  dem  Monsun,  der  fortwährend  verhältnismäßig  kühle  Luft  dem  Lande  zu- 
führt, die  letzten  Endes  dem  ima  diese  Zeit  winterlich  kalten  Asien  ent- 
stammt. Während  so  die  von  der  See  herstreichende  gleichmäßig  tempe- 
rierte Monsun-Strömung  eine  zu  hohe  Erwärmung  bei  Tage  verhindert,  so 
vereitelt  sie  andererseits  aber  auch  die  Abkühlung  bei  Nacht.     Unter  ihrem 

1)  Vergl.  Koppen,  Versuch  einer  Klassifikation  der  Klimate.  G.  Z.  Bd.  6. 
1900.  S.  698  flF.  und  657  ff. 


Hans  Maurer: 


Einfluß  sinkt  die  tiefste  Temperatur  der  Nacht  selten  unter  25®,  oft  nicht 
unter  27^  C.  In  den  27  aufeinanderfolgenden  Nächten  vom  3. — 30.  De- 
zember 1897  ging  in  Daressalam  die  Temperatur  keinen  Augenblick  unter 
26,3®  C.  Diese  heißen  Monsunnächte  sind  es,  die  das  Allgemeinbefinden  des 
Europäers  durch  Schlaflosigkeit  leicht  so  sehr  herunterbringen  und  ihn  den 
Malariaanfällen  weniger  Widerstand  entgegensetzen  lassen.  Und  gerade  um 
dieselbe  Zeit  wächst  diese  Gefahr  schon  so  wie  so,  wo  die  Sonne  die  Tümpel 
und  Überschwemmungsflächen  der  Regenzeit  auszudörren  beginnt.  Das 
Schlinamste  an  der  afrikanischen  Hitze  sind  also  an  dieser  Küste  nicht  die 
Tage  sondern  die  Nächte. 

Bis  zum  Süden  der  Küste  reicht  diese  unumschränkte  Herrschaft  des 
asiatischen  Nordostmonsunes  nicht;  dort  bringt  er  es  nur  zu  einem  Kampfe 
mit  anderen  Windrichtungen,  und  aus  diesem  Kampf  geht  die  Regenzeit  des 
Südens  hervor,  die  vom  Dezember  bis  in  den  April  währt.  Im  Norden  da- 
gegen ergibt  sich  erst  wieder  von 
neuem  Gelegenheit  zu  reichlichen  Nieder- 
schlägen, wenn  mit  der  nordwärts  wan- 
dernden Sonne  der  Südostpassat  wieder 
gegen  Norden  vordringt,  und  im  Rin- 
gen beider  Windsysteme  sich  die  große 
Regenzeit  vom  März  bis  Mai  entwickelt. 
Die  Temperatur  geht  wieder  herab 
und  die  Luftfeuchtigkeit  nimmt  stark 
zu.  Für  die  Regenmengen  dieser 
zweiten  Regenperiode  mögen  als  ex- 
treme Werte  die  von  1897  gelten,  wo 
in  Tanga  in  der  Zeit  vom  9.  IV. 
bis  zum  24.  V.,  also  in  l^/g  Monaten 
979  mm  Regen  fielen.  Der  Anfang 
der  großen  Regenzeit  ist  durch  böige 
Winde  und  Gewitter  ausgezeichnet.  Von  der  berüchtigten  Gewalt  der  Tropen- 
gewitter habe  ich  aber  an  unserer  Küste  wenig  bemerkt;  bei  weitem  die 
meisten  Blitze  gingen  von  Wolke  zu  Wolke;  und  während  Wetterleuchten 
fast  jeden  Abend  zu  sehen  war,  waren  Nahgewitter  in  Daressalam  sehr 
selten.  Mit  dem  weiteren  Vordringen  des  Südostpassates  hören  die  Regen 
auf;  und  es  tritt  aufs  neue  die  verhältnismäßig  trockene  und  kühle  Zeit  ein. 
Einen  Überblick  über  die  verschiedenartige  Regenverteilimg  in  Nord  und  Süd 
gibt  das  Diagramm,  auf  dem  in  7^^  der  natürlichen  Größe  die  durchschnitt- 
liche Regenhöhe  der  einzelnen  Monate  angegeben  ist.  Die  jährliche  Regen- 
menge nimmt  von  Nord  nach  Süd  ab.     Siehe  Regendiagramm. 

Dies  die  durchschnittlichen  Verhältnisse;  es  muß  aber  bemerkt  werden,  daß 
die  Unterschiede  hauptsächlich  in  der  Regenmenge  und  auch  in  der  Regen  Verteilung 
in  den  einzelnen  Jahren  ganz  enorm  gewesen  sind.  So  betrugen  die  jährlichen 
Regenmengen  in  Tanga  in  dem  Jahr:  September  1896 — August  1897  2597  mm, 
in  dem  Jahr:  September  1897 — August  1898  aber  577  mm,  also  2000  mm 
weniger.     In  der  Zeit  von  Mitte  1897  bis  Anfang   1899  sind  3  Regenzeiten 


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Regendiagramm. 


Deutsch-Ostafrika.  7 

im  Norden  der  Küste  fast  ganz  ausgeblieben.  Der  feuchteste  Monat  in  dieser 
Zeit  war  für  Daressalam  der  März  1898,  und  auch  er  brachte  nur  138  mm 
Regen.  In  der  ti'ockenen,  heißen  Zeit  entwickelten  sich  zugleich  die  Heu- 
schrecken sehr  ungestört  und  die  schwere  Hungersnot,  die  damals  gleichzeitig 
mit  der  großen  indischen  Hungersnot  im  Norden  der  Kolonie  herrschte,  wird 
wohl  noch  aus  den  Zeitungsberichten  in  Erinnerung  sein.  Diese  Variabilität 
der  Regenverhältnisse  macht  es  so  schwer,  ein  definitives  Urteil  über  den 
landwirtschaftlichen  Wert  des  Gebietes  zu  fällen. 

Wie  sieht  nun  die  Vegetation  in  diesem  Klima  aus? 

Am  Meeresufer  und  soweit  mit  der  Flut,  die  hier  die  Höhe  des  Meeres- 
spiegels etwa  um  4  m  schwanken  läßt,  das  Salzwasser  eindringt,  ist  die 
Mangrove  die  Charakterpflanze.  Sie  ist  dem  Leben  im  Flutintervall,  bald 
innerhalb  bald  außerhalb  des  Meerwassers,  aufs  beste  angepaßt.  Zahlreiche 
Seitenstützen  halten  die  Pflanze  in  der  Brandungswelle  aufrecht,  aus  der  Erde 
hervorstehende  Luftwurzeln  ermöglichen  ihr  die  Atmung  in  dem  feuchten 
Küstenboden;  und  schon  am  Baume  treibt  die  Frucht  einen  Trieb  aus,  der 
ihr  nach  dem  Abfallen  einen  festeren  Halt  im  Schlammboden  gibt.  Im 
Delta  des  Rufiyi  bilden  diese  Mangroven  Waldbestände  von  ca.  40  000  ha, 
die  neuerdings  rationeller  ausgebeutet  werden.  Die  Hölzer  liefern  gerbstoff- 
reiche Rinden  und  zeigen  neben  großer  Festigkeit  die  wertvolle  Eigenschaft, 
daß  sie  von  den  Ameisen  nicht  angegriffen  werden. 

Hinter  dem  Mangrovengürtel  beginnt  Buschsavanne  und  Buschwald,  der 
z.  B.  im  Sachsenwald  bei  Daressalam  neben  einigen  neuen  Nutzhölzern 
sogar  Lianen  in  seinem  Zweiggewirre  aufweist.  In  dem  niedem  Gestrüpp 
erscheint  vielfach  eine  kleine  Dumpalme  (Hyphaene),  während  einzelne 
größere  Exemplare  dieser  oft  verzweigten  Palme  hie  und  da  im  Gebiet 
emporragen.  Auch  die  sonderbaren  an  Kaktus  erinnernden  Euphorbien,  nahe 
Verwandte  unserer  Wolfsmilch,  treten  vielfach  als  kandelaberförmige  Bäume 
auf.  Ihre  fleischigen,  reichlich  Milchsaft  führenden  Stengel  befähigen  sie 
starke  Trockenheit  auszuhalten.  Die  charakteristische  Pflanze  aber  für  die 
Steppengebiete  im  Innern,  die  hier  bis  zum  Meeresstrande  vordringt,  ist  der 
riesige  Affenbrotbaum  oder  Baobab  (Ädansonia),  dessen  plumpe  unförmige 
KnoDenstämme  ihn  vor  dem  Austrocknen  durch  die  sengende  Sonne  schützen. 
Von  der  Decken  hat  Exemplare  von  50  m  Stammumfang  gesehen.  Hier 
trifft  dieser  Vertreter  der  Steppe  zusammen  mit  der  Kokospalme,  die  ihrer- 
seits das  trockene  Innere  meidet.  Sie  will,  wie  der  Araber  sagt,  die  Füße 
im  Wasser  und  das  Haupt  im  Feuer  haben.  Sie  liebt  die  Seeluft  und  ist 
wenige  Tagereisen  landein  bis  auf  ganz  vereinzelte  Punkte,  wo  arabischer 
Fleiß  sie  mit  Hilfe  reichlicher  Salzdüngung  erhalten  hat,  verschwunden.  Bei 
Daressalam  z.  B.  finden  sich  ausgedehnte  Kokospflanzungen  aus  der  ara- 
bischen Zeit,  die  früher  Eigentum  des  Sultans  von  Sansibar  waren,  und 
neuerdings  hat  besonders  die  Deutsch-ostafrikanische  Gesellschaft  ausgedehnte 
Kokosplantagen  im  Norden  der  Küste  angelegt. 

Die  Gefahren,  die  der  Kokos,  besonders  im  jugendlichen  Alter,  drohen, 
sind  starke  Dürre,  wie  es  im  Jahr  1898  der  Fall  war,  und  eventuell  Heu- 
schrecken und  Käfer.     Unter  diesen   wurde  besonders  ein  Nashornkäfer  eine 


8  Hans  Maurer: 

schwere  Plage  der  Planta-gen.  So  zahlte  die  PlantÄge  Muoa  in  dem  einen 
Monat  Oktober  1899  Prämien  fttr  140  000  abgelieferte  Nashornkäfer.  In 
Daressalam  habe  ich  auch  große  Eokosbäume  gesehen,  an  denen  infolge 
Heuschreckenfraßes  buchstäblich  nichts  Grünes  mehr  zu  sehen  war.  Trotz- 
dem wurde  die  Kokosemte  von  1899  im  Bezirk  Daressalam  wieder  als  eine 
mittlere  bezeichnet.  Eine  lohnende  Kultur  scheint  femer  an  der  Küste  die 
der  Fasern  liefernden  Agaven  (Fourcroya)  zu  sein.  Auch  in  der  extrem 
dürren  Zeit  sind  diese  Pflanzen  gut  gediehen  und  haben  Blätter  von  über 
2  m  Länge  mit  guten  Easem  geliefert,  die  hauptsächlich  zu  Tauen  und 
gröberen  Geweben  verwendet  werden.  Die  Agavenplantage  des  Gouverne- 
ments lieferte  1899  als  Erstlingsemte  59  000  Pfd.  Fasern.  In  Kiomoni  bei 
Tanga  standen  1899   170  000  Mauritiusagaven  im  Feld. 

Eine  weitere  Kultur,  die  schon  seit  mehreren  Jahren  gute  Erfolge  ge- 
zeitigt hat,  ist  die  der  Vanille.  Auch  ihr  kann  Dürre  großen  Schaden  tun, 
da  die  Pflanzen  viel  Feuchtigkeit  verlangen.  Es  ist  deshalb  notwendig,  ihre 
Kultur  mehr  als  Gartenkultur  zu  betreiben,  zumal  da  auch  das  Insekt,  das 
in  Südamerika  die  Befruchtung  der  Vanilleblüten  besorgt,  in  Ostafrika  fehlt, 
so  daß  die  Befruchtxmg  von  Menschenhand  ausgeführt  werden  muß.  Die 
Qualität  der  Vanille,  wie  sie  auf  den  Hansing-Plantagen  und  denen  der 
katholischen  Mission  bei  Bagamoyo  erhalten  worden  ist,  ist  vielfach  vorzüg- 
lich gewesen. 

Alte  Kulturen,  die  bereits  von  den  Eingeborenen  und  den  Arabern  be- 
trieben und  nun  auch  von  den  Europäern  begonnen  worden  sind,  sind  die 
des  Tabaks  und  des  Zuckers.  Die  Erfolge  mit  Tabak  sind  bis  jetzt  nicht 
ermutigend.  Die  Tabakplantage  des  Gouvernements  im  Rufljidelta  mußte 
verlegt  werden,  weil  der  Boden  nicht  günstig  war  und  die  Tabaksfelder  im 
einen  Jahr  ganz  unter  Wasser  gerieten,  im  andern  fast  ganz  verdorrten. 

Besser  wird  es  jedenfalls  mit  der  Zuckerrohr-Industrie  gehen,  die  im 
Panganital  schon  lange  zahlreiche  arabische  Zuckermühlen  beschäftigt  und 
nunmehr  im  Großen  von  einer  deutschen  Fabrik  betrieben  werden  soll. 

Auch  unseren  europäischen  Gartenkulturen  ist  das  Klima  vielfach  günstig. 
Neben  den  tropischen  Gartengewächsen:  Ananas,  Bananen,  Papayen,  Mango- 
bäumen, Limonen  gedeihen  gut  Salat,  Kohl,  Tomaten,  Bettige  und  Radies- 
chen. Ihre  Entwicklung  geht  sehr  viel  schneller  vor  sich  als  bei  uns.  An 
Bohnen  z.  B.,  die  ich  in  meinem  Garten  in  Daressalam  zog,  habe  ich  in 
24  Stimden  ein  Wachstum  lun  16  cm  beobachtet,  obwohl  sie  in  imgedüng- 
tem  schlechtem  Sandboden  standen.  Kartoffeln  und  deutsches  Obst  geraten 
an  der  Küste  nicht. 

Noch  ein  paar  Worte  über  das  Tierleben.  Der  König  der  Tiere,  der 
im  allgemeinen  in  der  Steppe  lebt,  ist  nur  zeitweise  an  der  Küste  unangenehm 
aufgetreten.  So  ist  dies  augenblicklich  der  Fall,  und  so  war  es  auch  im 
Jahre  1896,  wo  die  Löwen  in  Mikindani,  unserer  südlichsten  Küstenstadt, 
bei  hellem  Tage  die  Negerweiber  aus  Feld  imd  Garten  holten.  In  dem 
Negerdorf  bei  einer  dortigen  Kokospflanzung  erschien  ein  Löwe  Nachts  und 
schlug  sich  durch  die  schwache  Lehmwand  einer  Hütte  ein  Loch.  Als  er 
aber  mit  dem   Kopfe   durch   dieses   Loch   eindringen  wollte,    verteidigte    das 


Deutsch-Ostafrika.  9 

Negerweib  im  Innern  sich  und  die  Seinen  mit  einem  Feuerbrand,  mit  dem 
sie  immer  wieder  dem  Löwen  nach  der  Schnauze  fuhr.  Dies  und  mehr  noch 
ihr  Geschrei,  in  das  ihre  Nachbarn  einstimmten,  vertrieb  den  Löwen.  Als 
er  in  der  nächsten  Nacht  wieder  erschien,  erlegte  ihn  der  Plantagenleiter, 
der  noch  in  derselben  Woche  zwei  weitere  Löwen  schoß.  Daß  auch  der 
kleinere  Bruder  des  Löwen,  der  Leopard,  mitunter  so  keck  ist,  bis  in  die 
Städte  zu  kommen,  erfuhi*en  wir  z.  B.  in  Daressalam,  wo  einer  in  dem  mit 
Drahtgeflecht  eingezäunten  Hühnerhof  hinter  meinem  Hause  in  einer  Nacht 
etwa  20  Stück  Federvieh  hinmordete.  Er  tat  uns  auch  den  Gefallen,  in 
der  nächsten  Nacht  wieder  zu  kommen  und  mit  dem  geraubten  Lockhuhn 
auf  die  große  verankerte  Falle  zu  springen^  machte  dies  aber  so  gewandt, 
daß  wir  am  andern  Morgen  außer  dem  Huhn  nur  ein  paar  Haare  des  Leo- 
parden gleichsam  als  seine  Visitenkarte  in  der  Falle  fanden.  Von  kleinerem 
jagdbarem  Wild  seien  Antilopen  aus  der  Steppe  und  wilde  Schweine  an  den 
Creeks  erwähnt.  Die  Flüsse  beleben  Nilpferde,  Krokodile  und  zahlreiche 
Vögel:  Strandläufer,  Reiher,  Enten  u.  a.  Das  Meer  liefert  Schildkröten 
und  Fische,  darunter  die  Lieblingsspeise  der  Neger,  den  Haifisch,  dessen  ent- 
setzlicher Geruch  ihre  Märkte  weithin  anzeigt.  An  Haustieren  werden 
Hühner,  Ziegen,  Schafe,  Esel  imd  Rinder,  neuerdings  auch  Schweine  gehalten. 
Das  Pferd  ist  selten,  da  es  das  Klima  schlecht  verträgt.  Von  Kamelen  sieht 
man  nur  ganz  vereinzelte  Exemplare.  Die  Rinder  leiden  unter  dem  durch 
Zecken  hervorgerufenen  Texasfieber,  das  auf  einem  glücklicherweise  nur 
schmalen  Küstenstreifen  endemisch  ist,  imd  an  der  Surrahkrankheit,  die  durch 
den  Stich  der  Tsetsefliege  entsteht.  Man  hielt  sie  bisher  für  unabwendbar 
tödlich.  Neuerdings  aber  hat  Robert  Koch  durch  Überimpfen  des  Tsetse- 
blutes  auf  eine  Ratte,  von  da  auf  einen  Hund  und  von  da  auf  ein  Rind 
zurück  dieses  so  immun  gemacht,  daß  es  6  weitere  Impfungen  mit  frischem 
Tsetseblut,  ohne  krank  zu  werden,  ertrug.  Die  Rinderpest  ist  von  der 
Kolonie  bis  jetzt  femgehalten  worden. 

Kleine  Tiere  machten  mir  in  meiner  meteorologischen  Tätigkeit  das 
Leben  oft  sauer.  So  mußte  ich  kleine  Affen  auf  dem  Dach  des  Hauses  er- 
legen, deren  wissenschaftliche  Forschungen  an  meinem  Windrädchen  mit  den 
meinigen  allzusehr  kollidierten.  Ebenso  gingen  sie  mir  an  meine  im  Erd- 
boden steckenden  Thermometer;  und  als  ich  sie  durch  einen  übergestülpten 
schweren  Kasten  vor  den  Affen  schützte,  erkor  sich  diesen  eine  Sandschlange 
(Psammophis)  zum  Wohnsitz.  Die  Instrumente  in  der  Wetterhütte  waren 
durch  Di-ahtgeflecht  gegen  Affen  geschützt,  dafür  tummelten  sich  auf  ihnen, 
die  Eidechsen,  imd  im  Thermographenkasten  suchten  sich  wiederholt  Ameisen 
und  Wespen  anzusiedeln,  während  im  magnetischen  Haus  der  Skorpion  sein 
lichtscheues  Leben  führte.  Die  Hauptplage  an  der  Küste  sind  die  Moskitos, 
in  denen  wir  nach  den  neueren  Forschungen  die  Überträger  der  Malaria  zu 
sehen  haben.  Hoffentlich  bringt  uns  die  fortschreitende  Erkenntnis  auch  die 
ffittel,  diesen  Hauptfeind  imserer  Kolonie  erfolgreich  zu  bekämpfen.  Mit  der 
Hitze  allein  würden  wir  schon  fertig  werden.  Es  ist  bezeichnend,  wie  ver- 
schieden die  Methoden  des  Schutzes  gegen  die  Hitze  bei  den  Arabern  und 
den  Europäern   sind.     Der  Neger  braucht  gegen  die  Sonnenstrahlimg  keinen 


10  Hans  Maurer: 

Schutz;  er  arbeitet  ohne  Schaden  zu  nehmen  mit  rasiertem  unbedecktem 
Schädel  im  Sonnenschein  bei  66®  C  Strahlungstemperatur.  Der  Araber 
wickelt  sich  ein  ca.  2  m  langes  Tuch  als  Turban  dicht  um  den  Kopf  und 
schließt  mit  der  Sonne  die  Luft  aus«  während  der  Europäer  von  etwa  7  Uhr  früh  bis 
5  Uhr  nachm.  den  mit  Ventilationseinrichtung  versehenen  Tropenhut  trägt,  der 
durch  den  fortwährenden  Zutritt  frischer  Luft  eine  zu  starke  Erhitzung  verhindert. 
Derselbe  Unterschied  zeigt  sich  im  Bau  der  Häuser  und  der  Städte.  In  Sansi- 
bar, der  Araberstadt,  umgeben  dickwandige  hohe  Häuser  enge  und  winklige 
Gassen.  Kein  Sonnenstrahl  dringt  in  Haus  und  Gasse,  aber  auch  keine 
frische  Luft.  Daressalam  dagegen  zeigt  sehr  breite  Straßen  mit  schattigen 
Alleen  und  Häuser,  die,  ringsum  mit  weitausladenden  luftigen  Veranden  um- 
geben, die  Zufuhr  frischer  Luft  nach  Möglichkeit  erleichtem. 

An  andauernde  körperliche  Arbeit  des  Europäers  ist  an  der  Küste  nicht 
zu  denken.  Die  Dienststunden  der  Gouvemementsbeamten  in  Daressalam 
lagen  von  7 — 12  und  von  3 — 5  Uhr.  Der  Europäer  hat  hier  genug  damit 
zu  tun,  den  Neger  zur  Arbeit  anzuhalten,  nach  der  dieser  ein  sehr  geringes 
Bedürfiiis  hat  Das  Land  liefert  ihm  mühelos,  was  seinen  geringen  Lebens- 
bedürfnissen entspricht,  und  eine  fatalistische  Weltanschauung  läßt  ihn  selbst 
der  Hungersnot  untätig  gegenübertreten. 

II.  Usambara. 

Das  Bergland  Usambara  ist  die  erste  Gebirgsgegend  unserer  großen  ost- 
afrikanischen Kolonie,  die  von  den  Europäern  in  Bewirtschaftung  genommen 
worden  ist,  und  steht  nach  den  dort  engagierten  Kapitalien  im  Vordergrund 
des  Literesses,  wenn  man  von  Deutsch- Ostafrika  überhaupt  spricht.  Das  Land 
verdankt  dies  seiner  ktLstennahen  Lage,  aus  der  es  nicht  nur  den  Vorteil 
kurzer  Verbindungslinien  mit  dem  Weltmeer,  sondern  auch  den  einer  sehr 
reichlichen  Bewässerung  durch  die  Seewinde  zieht.  Der  Ostfuß  des  Gebirges, 
das  in  etwa  trapezförmigem  Umriß  einen  Flächenraum  von  rund  4000  qkm 
bedeckt,  ist  nur  etwa  40  km  von  der  Küste  des  indischen  Ozeans  entfernt, 
während  der  äußerste  Westrand  ca.  130  km  landein  liegt.  Die  Usambara- 
Eisenbahn,  die  von  der  Küstenstation  Tanga  ausgehend  bis  nach  Korogwe  am 
Panganifluß  geführt  werden  soll,  reicht  jetzt  bis  in  das  Lu(?ngeratal,  das 
in  einer  Breite  von  etwa  10  km  das  Gebirge  in  einen  kleineren  und 
niedrigeren  östlichen  und  einen  größeren  und  höheren  westlichen  Teil  scheidet. 
Das  Lu^ngeratal  selbst  liegt  3 — 400  m  über  dem  Meere;  die  Berge  im 
westlichen  Teil  überschreiten  1200  m  Meereshöhe  nur  selten,  während  das 
westliche  Gebirge  in  seinem  nördlichen  Teil  bis  etwa  2000  m  Seehöhe  auf- 
ragt. Die  Urgesteine  Gneiß  und  Granit,  die  den  Grundstock  des  Gebirges 
bilden,  steigen  steil  und  massig  auf  aus  dem  umgebenden  Küstenvorland, 
dem  Lu^ngeraeinschnitt  und  den  Steppengebieten  des  Mbaramu-  und  Umba- 
flusses  im  Norden,  des  Pangani  und  Mkomasi  im  Westen  und  Süden.  Die 
steilen  Hänge  haben  den  Bau  der  Zugangsstraßen  aus  dem  Gebirge  in  die 
Ebene  sehr  erschwert. 

Wie  steil  diese  Abstürze  des  Gebirges  nach  der  Steppe  sind,  mag  die 
Tatsache    erläutern,   daß   wir,    als    wir    auf  der  Bückkehr    von    der  Kilima- 


Deutsch-Ostafrika.  11 

ndjaro-Expedition  des  Gouverneurs  v.  Liebert  die  Nordwestecke  des  Gebirges 
erklommen,  nach  meinem  Routenbucb  560  m  in  70  Minuten  stiegen;  und 
dabei  sucht  sich  der  Karawanenpfad  natürlich  nicht  die  steilsten,  sondern  die 
zugänglichsten  Stellen  aus.  Erstaunlich  ist  hierbei  die  Leistungsfähigkeit  der 
Neger.  Mit  einer  50 — 60  Pfd.  schweren  Last  auf  dem  Kopf,  die  nicht 
immer  bequeme  Formen  hat,  erklimmen  sie  die  steilen  Gebirgswände  etwa 
in  derselben  Zeit  wie  der  frei  und  ungehindert  sich  bewegende  Europäer. 
Damals  stiegen  sie  also  pro  Minute  8  m  aufwärts  und  das  mit  ihrer  Last 
70  Minuten  lang.  Zu  statten  kommen  ihnen  dabei  die  nackten  Füße,  mit 
deren  geübten  Zehen  sie  sich  an  den  steinigen  mit  geringer  Vegetation  be- 
deckten Wänden  festhalten  können. 

Da  das  Gebiet  in  der  Höhe  Schichten  von  300  bis  zu  2000  m  Meeres- 
höhe durchläuft,  so  darf  man  von  der  Klimaschilderung  erwarten,  daß  sie 
recht  verschiedene  Klimate  übereinander  angeordnet  zur  Anschauung  bringen 
wird.  Am  Fuß  der  Berge  finden  wir  Steppenformation,  Gebiete,  die  in  der 
Regenzeit  weithin  imter  Wasser  stehen,  sonst  heiß  und  trocken  liegen  und 
eine  Gras-  und  Buschvegetation  von  sehr  variabeler  Dichtigkeit  aufweisen. 
Weiter  nach  oben  wächst  die  Feuchtigkeit  und  wird  die  Flora  üppiger;  wir 
gelangen  durch  eine  Übergangszone  in  den  feuchten  Gebirgstropenwald  mit 
50 — 60  m  hohen  Bäumen,  viel  Famen,  Orchideen  imd  Lianen.  Am  üppigsten 
ist  hier  die  Vegetation  in  Bachschluchten,  die  bei  reicher  Wasserversorgung 
schon  in  geringer  Höhe  bei  noch  hohen  Temperaturen  durch  günstige  Lage 
vor  dem  Eindringen  austrocknender  Steppenwinde  geschützt  sind.  Baum- 
fame,  Bananen  und  Bambus  säumen  solche  Bachschluchten  ein.  In  seinen 
oberen  Teilen  wird  der  Wald,  dem  Winde  und  einer  niedrigeren  Temperatur 
freier  ausgesetzt,  knorriger  und  reicher  an  Baumsträuchem,  während  einzelne 
hohe  Bäume  die  Lichtungen  zieren.  Aber  auch  hier  durchflechten  Lianen 
und  Kletterpflanzen  das  Strauchwerk.  In  den  oberen  Teilen  wasserreicher, 
windgeschützter  Täler  bleibt  auch  hier  die  Vegetation  tropisch,  und  die 
Msalapalme  soll  an  ganz  bevorzugten  Punkten  bis  in  1900  m  Meereshöhe 
steigen.  In  derselben  Höhe  etwa  liegt  die  untere  Grenze  der  Kumulus- 
Wolkenbänke,  die  die  Gipfel  Mittags  bedecken.  In  dieser  immer  feuchten 
nebligen  Region  entwickelt  sich  ein  Hochwald  vorwiegend  aus  Nadelhölzern, 
die  vielfach  dicht  mit  Bartflechten  behangen  sind.  Wo  aber  die  Berge  nicht  so 
hoch  ansteigen,  daß  dieser  Höhenwald  oder  Wolkenwald  sich  bildet,  und 
auch  zwischen  ihm  und  dem  Tropenwald,  da  erscheint  oberhalb  von  diesem 
ein  grasreiches  Wiesen-  und  Weideland,  das  zuletzt  öden  steinigen  Kuppen 
mit  geringer  Vegetation  Platz  macht. 

Höhengrenzen  für  diese  verschiedenen  Zonen  sind  deshalb  nicht  an- 
gegeben, weil  sie  in  dem  Gebiete  keineswegs  in  den  gleichen  Höhen  liegen, 
wir  vielmehr  von  Südost  nach  Nordwest  fortschreitend  sehr  starke  Unter- 
schiede, die  denen  in  der  Befeuchtung  entsprechen,  vorfinden.  Die  Ent- 
fernung von  der  Küste  und  hauptsächlich  die  Orientierung  der  einzelnen 
Teile  des  Gebirges  nach  den  Himmelsrichtimgen  bewirkt  diese  Unterschiede. 
Die  südöstlichste  Station,  von  der  Messungen  vorliegen,  die  Prinz-Albrecht-Plan- 
tage  Kwamkoro,  hat  im  Jahre  von  August  1896 — Juli  1897  eine  Regenmenge 


12  Hans  Maurer: 

von  3685  mm  gemessen,  d.  i.  über  fünfmal  soviel,  wie  ein  Jahr  in  Hamburg 
bringt,  während  im  äußersten  Nordwesten  anf  der  Missionsstation  Neu-Bethel 
bei  Mtai  im  Jahr  1899  etwa  430  mm  gefallen  sind,  also  nicht  viel  mehr 
als  halb  so  viel  wie  in  Hamburg  und  kaum  y^  jener  Menge  von  Kwamkoro. 
Wie  erklären  sich  diese  enormen  Unterschiede?  Ein  Teil  kommt  natürlich 
auf  die  Differenz  der  beiden  Jahre  überhaupt.  Daß  dies  aber  nicht  der 
Hauptgrund  ist,  mag  die  Tatsache  beweisen,  daß  in  denselben  11  Monaten 
November  1896  — September  1897,  wo  in  Kwamkoro  3460  mm  Regen  fielen, 
man  in  Kwai  (in  West-Usambara),  das  immer  noch  regenreicher  als  Neu-Bethel 
ist,  nur  1124  mm,  also  weniger  als  den  dritten  Teil  der  in  Kwamkoro  ge- 
fallenen Menge,  erhalten  hat. 

Die  Lösung  dieses  Problems  liegt  vielmehr  darin,  daß  die  von  der  See 
kommenden  Winde  bei  dem  steilen  Aufstieg  in  das  Gebirge  sich  abkühlen^ 
dabei  ihren  Wasservorrat  in  energischen  Regengüssen  an  den  östlichen  Rand- 
gebieten abgeben  und  dann  als  verhältnismäßig  trockene  Winde  den  Rest 
des  Gebietes  durchwehen.  Der  jahreszeitliche  Wechsel  der  vorherrschenden 
Winde  in  Usambara  entspricht  dem  Verhalten,  wie  wir  es  für  den  Norden 
der  Küste  fanden.  Im  Winter,  von  Juni — September  wehen  Südostwinde, 
die  dem  um  diese  Zeit  imgestört  die  Erde  umspannenden  Südostpassatgürtel 
dieser  geographischen  Breiten  angehören.  Während  im  Süden  der  Küste  diese 
Zeit  fast  ganz  regenlos  ist,  tritt  im  Norden,  z.  B.  in  Tanga,  dann  mitunter 
eine  schwache  Regenzeit,  die  dritte  nach  dem  Range,  ein.  In  den  südöst- 
lichen Teilen  des  Usambaragebirges  dagegen  bringt  sie  sehr  ergiebige 
Steigungsregen.  Während  die  vom  indischen  Ozean  einströmende  Luft  die 
steilen  Hänge  hinaufdringt,  gerät  sie  unter  geringeren  Druck,  sie  dehnt  sich 
aus  imd  kühlt  sich  dadurch  ab.  Kühlere  Luft  aber  vermag  nur  geringere 
Mengen  von  Wasserdampf  zu  tragen;  was  sie  zu  viel  geladen  hat,  gibt  sie 
in  Nebel  und  Regen  ab.  So  sind  im  Osten  und  Süden  des  Gebirges 
Passatmonate  mit  über  300  mm  Regen  vorgekonunen,  d.  i.  nahezu  halb 
soviel  als  in  Hamburg  in  einem  Jahr  fällt.  Zugleich  ist  der  Westen  und 
besonders  der  Nordwesten  des  Gebietes  fast  völlig  regenlos.  (Vergl.  die 
Regentabelle  S.  14.)  Während  in  der  folgenden  Jahreszeit  der  Südost- 
passat zu  Gunsten  des  von  Asien  vordringenden  Nordostmonsuns  an 
Stärke  und  Häufigkeit  nachläßt,  entwickelt  sich  im  Kampf  dieser  Strömungen, 
der  das  Aufkommen  rein  vertikaler  Luftbewegungen  begünstigt,  an  der  Küste 
die  kleine  Regenzeit,  etwa  im  November,  an  der  auch  Usambara  teilnimmt. 
Im  November  1896,  der  an  der  Küste  in  Tanga  796  mm  Regen  lieferte,  er- 
gossen sich  über  Kwamkoro  900  mm  Regen,  und  selbst  das  sonst  ziemlich 
regenarme  Kwai  in  West-Usambara  brachte  es  in  diesem  Monat  auf  321  mm 
Regen,  die  größte  monatliche  Regenmenge,  die  Kwai  in  den  ^^^  Beo^" 
achtungsjahren  aufzuweisen  hatte. 

Die  Temperatur  steigt  währenddessen,  nachdem  die  Sonne  im  Oktober 
bereits  senkrecht  auf  das  Gebiet  herabgestrahlt  hat.  Je  vollständiger  der 
Nordost  wind  zur  Herrschaft  gelangt,  desto  schwächer  werden  an  der  nörd- 
lichen Küste  die  Regen,  so  daß  von  Dezember  bis  Februar  die  intensivste 
Trockenheit  des  Jahres   eintritt.     Auch  in  Usambara  ist  dieser  Rückgang  in 


Geographische  Zeitschrift.     Jahrgang  IX. 


Tafel  2. 


Partie  aus  Daressalam  1897.     Mangobaum,  darunter  Ananas.     Cocos,  von 
Heuschrecken  angefressen.     Rechts  junge  Allee  von  Terminalia  CkUappa. 


Ein  Wasserriß  im  südlichen  Deutschostafrika. 

Aus  dem  bei  D.  Beimer  (E.  Vohsen)  erscheinenden  Werke  von  Dr.  Fülleborn 
„Die  deutschen  Nyaaaagebiete ,  Land  und  Leute". 


Deutsch -Ostafrika. 


13 


den  Begenmengen  wohl  bemerkbar,  immerhin  aber  verhütet  die  hohe  Lage 
das  vollständige  Aufhören  der  Regen  auch  in  dieser  Zeit,  in  der  Ende 
Februar  die  höchsten  Temperaturen  des  Jahres  auftreten. 

Tabelle  ü.     Temperaturen  in  üsambara. 


Station 

Lage 

Seehöhe  in  Metern    .     .     . 

Mazinde 
West 
570 

Buloa 
Ost 
920 

Ambangulu 

Südwest 

1260 

Kwai 
West 
1610 

wärmster  Mittel  .... 
Monat    \  Schwankung     . 

n  25,7 
15,1 

11  23,1 
10,8 

n  20,9 
8.5 

n  18,8 
12,3 

Kältester /Mittel  .... 
Monat     i  Schwankung     . 

VU  20,2 
10,9 

Vm  18,2 

7,7 

20,9 
8,9 

Vn  14,3 
2,7 

17,8 
5,9 

vn  18,4 
5,7 

T„,    r  Mittel  .... 
•^*^'^i  Schwankung     . 

ca.  23* 
ca.  12<> 

16,8 
9,6 

Absolutes  Maximum  .     .     . 
Absolutes  Minimum    .     .     . 

37,7 
13,5 

31,6 
9,7 

27,5 
10,9 

30,6 
5,5 

Der  heißeste  Monat  ist  überall  der  Februar,  der  in  Mazinde,  das  noch 
fast  in  der  Steppe  liegt,  nahezu  26^  Mitteltemperatur  erreicht,  während  das 
hochgelegene  Kwai  auch  in  diesem  heißesten  Monat  unter  19®  bleibt.  Der 
kühlste  Monat  Juli  ist  überall  5 — 7**  kühler.  In  der  heißen  Zeit  ist  durch- 
weg die  tägliche  Temperaturschwankung  größer  als  in  der  kalten,  gerade 
entgegengesetzt,  wie  wir  es  in  Daressalam  an  der  Küste  kennen  gelernt 
haben.  Der  Grund  hiervon  liegt  darin,  daß  die  in  der  heißen  Zeit  wehen- 
den NE-Winde  das  Gebirge  herabkommen,  deshalb  trocken  sind  und  die 
Wolken  verscheuchen;  sie  bringen  klaren  Himmel  und  damit  starke  tägliche 
Sonneneinstrahlung  und  starke  nächtliche  Ausstrahlimg;  die  Südostwinde  aber, 
die  in  der  kühlen  Zeit  das  Gebirge  hinauf  steigen,  bringen  Wolken  und  ver- 
hindern so  durch  die  Wolkendecke  die  tägliche  Ein-  und  Ausstrahlung,  so 
daß  nun  die  tägliche  Temperaturschwankung  sinkt.  Besonders  deutlich  sind 
diese  Verhältnisse  auf  der  Versuchsstation  Kwai  zu  Tage  getreten,  wo  ein 
Thermograph  seit  Januar  1897  in  Tätigkeit  ist.  Es  wird  darauf  später 
zurückgekonmien  werden  (S.  18).  Vergleichen  wir  die  Größen  der  täglichen  Tem- 
peraturschwankung der  einzelnen  Stationen  mit  einander,  so  st«ht  obenan  die 
Steppe.  Höher  hinauf  nimmt  im  Waldgebiet,  in  dem  Buloa  und  Ambangulu 
liegen,  die  tägliche  Temperaturschwankung  mit  der  zunehmenden  Höhe  ab. 
In  der  freien  Wiesen-  und  Weidezone  aber,  in  der  Kwai  gelegen  ist,  sind 
die  Unterschiede  zwischen  Tag  und  Nacht  wieder  sehr  groß,  wenn  sie  auch 
durchschnittlich  nicht  ganz  den  Betrag  in  der  Steppe  erreichen. 

Läßt  nach  der  heißen  Jahreszeit  der  Monsun  wieder  nach,  so  tritt  in 
der  nun  folgenden  Zeit  schwacher  Luftbewegung  aus  wechselnden  Richtungen 
von  neuem  Veranlassung  zur  Bildung  kräftiger  Niederschläge  ein;  die  große 
Regenzeit  ist  gekonmien,  die  im  April  und  Mai  mitunter  ganz  enorme  Wasser- 
massen auf  das  Land  hemiedergießt.  Eine  Zusammenstellung  der  Regen- 
verhältnisse gibt  die  folgende  Tabelle  HI  S.  14.  Die  feuchteste  Zeit  in  der 
ganzen  Beobachtungsperiode    war  die    große  Regenzeit  1897.     Im  April  und 


14 


Hans  Maurer: 


Mai  1897  fielen  in  Kwamkoro  1562  mm  Regen,  d.  i.  in  2  Monaten  mehr 
als  Hamburg  in  2  Jahren  erhält  Und  auch  in  Sakarre  im  Süden  von 
West-Üsambara  maß  man  in  denselben  beiden  Monaten  1079  mm.  Tanga  an 
der  Küste  empfing  in  derselben  Zeit  995  mm,  und  ein  enormes  Gebiet  stand 
damals  unter  Wasser.  Ich  hatte  Gelegenheit,  die  Verwüstungen,  die  diese 
Güsse  angerichtet  hatten,  aus  eigenem  Augenschein  kennen  zu  lernen,  da  ich 
am  25.  Mai  eine  Reise  ins  Usambaragebirge  antrat.  Ich  brach  von  Tanga 
mit  einer  Karawane  von  etwa  20  Negern  auf.  Der  beste,  oder  richtiger  der 
einzige  Weg,  der  wenigstens  noch  teilweise  existierte,  war  der  Eisenbahn- 
damm, auf  dem  ich  nicht  geradezu  mit  der  Erlaubnis  einer  hohen  Eisen- 
bahnbehörde marschierte.  Das  Betreten  des  Dammes  war  nicht  etwa  deshalb 
verboten,  weil  ein  heranbrausender  Zug  das  Leben  des  Wanderers  hätte  ge- 
fährden können  —  es  konnte  damals  kein  Zug  auf  diesem  Damm  fahren  — , 
sondern  man  fürchtete,  der  Wanderer  könne  den  geschwächten  Danun  völlig 
niedertrampeln.  In  der  Tat  hingen  an  mehreren  Stellen  die  Schienen 
frei  über  dem  Wasser,  das  den  Damm  darunter  weggespült  hatte.  Der 
Luöngerafluß,  den  ich  nach  der  langen  regenarmen  Periode  im  März  1898 
als  einen  schmalen  armseligen  Wasserlauf  ¥dedersah,  hatte  damals  sein  Tal 
in  einer  solchen  Breite  überschwemmt,  daß  ich  beim  Überschreiten  einen 
halben  Tag  fast  ganz  auf  den  Schultern  eines  baumstarken  Negers  zugebracht 
habe,  der  durch  das  Wasser  dahinwatete. 

So  stark  sind  die  Regenzeiten  aber  nicht  inuner;  die  einzelnen  Jahre 
zeigen  darin  sehr  erhebliche  Unterschiede,  wie  aus  der  Regentabelle  ersicht- 
lich ist.  Vom  Jahr  1901  stand  kürzlich  eine  Notiz  in  den  Blättern,  daß 
sich  die  bekannten  ältesten  Leute  keiner  stärkeren  Regenzeit  im  Lu^ngera- 
gebiet  erinnern  als  der  von  1901.  Zahlen  darüber  fehlen  aber  zur  Zeit  noch, 
und  das  Gedächtnis  der  ältesten  Leute  ist  auch  in  Afrika  nicht  inmier  ganz 

zuverlässig. 

Tabelle  III.    Regen  in  Usambara  in  mm. 


Station 

Lage 
Seehöhe 

Kwamkoro 

und  Buloa 

Südost  U.Ost 

980  u.  920 

Südwest             West               West 
1250                  570                  1610 

Mtai 

Nordwest 
1630 

feuchtes  Jahr 
trocknes  Jahr 
Mitteljahr 

3700 
1100 
1700 

'  2000 

800 

1660 

ca.  1000 

1100 
460 
700 

450 

Dec.  -  Febr. 
März— Mai 
Juni— Okt. 
November 

200 
900 
500 
100 

200 

900 

500 

50 

? 

700 
100 

? 

130 

400 

100 

70 

100 

250 

60 

60 

feuchtest.  Mo- 
nat d.  ganzen 
Beobachtgs.-  | 
periode           J 

IV  97  :  920 
V  99  :  607 

V  97  :  653 

V  95  :  849 

XI  96  :  321 
V  99  :  191 

V  99  :  100 

feuchtester 
Passat-  Mon. 
der    ganzen 
Beobachtgs.- 
periode 

VII  97  :  340 
Vn  97  :  268 

vn  99  :  326 
vn  97  :  245 

IX  95  ;  50 

Vn97  :  119 

VII 99  :  89 

Deutsch-Ostafrika.  15 

Beginnt  mit  dem  Nachlassen  der  Regen  die  Sonne  die  überschwenmiten 
Teile  ¥deder  auszudörren,  so  kommt  die  für  den  Menschen  gefährlichste  Zeit, 
in  der  sich  die  Fieberfälle  mehren.  Auch  von  den  wenigen  Europäern,  die 
bei  der  Landvermessung  im  Luengeratal  tätig  waren,  liegen  zwei  darin  be- 
graben. In  der  heißen  Zeit  herrschen  hier  sehr  hohe  Temperaturen  und 
große  Trockenheit;  im  März  1898  maß  ich  dort  über  33**  im  Schatten  bei 
63**  Strahlungstemperatur  imd  39  7o  Luftfeuchtigkeit;  und  es  stellen  diese 
Zahlen  keine  Extreme,  sondern,  wie  ich  durchkam,  zuföUige  Werte  dar.  Die 
einzige  Beobachtungsstation  in  geringer  SeehÖhe  ist  Mazinde,  das  am  West- 
rand von  üsambara  gegen  die  Mkomasi-  und  Panganisteppe  570  m  über 
dem  Meere  liegt,  zu  niedrig,  um  an  dem  Regen  der  höheren  Schichten  teil- 
zunehmen. Die  jährliche  Regenmenge  wird  hier  etwa  1000  mm  betragen, 
von  denen  der  größte  Teil  in  der  Zeit  von  März  bis  Mai  fällt.  Der  heißeste 
Monat  Februar  zeigt  nahezu  26**  mittlere  Temperatur.  Maximaltemperaturen 
von  38**  im  Sommer  stehen  Minimaltemperaturen  von  13**  im  Winter  gegen- 
über, und  der  Unterschied  in  der  Temperatur  bei  Tage  und  bei  Nacht  steigt 
an  einzelnen  Tagen  bis  zu  18**.  Es  herrscht  Steppenklima,  und  ihm  ent- 
spricht auch  die  Vegetation.  Teils  ist  es  Grassteppe,  die  je  nach  Untergrund 
und  Feuchtigkeit  alle  Zwischenstufen  durchläuft  zwischen  der  Öden  Fläche 
mit  einzelnen  getrennt  stehenden  Büscheln  versengten  kurzen  Grases  und  dem 
dichten  schwer  passierbaren  mannshohen  Grasbusch  am  Rande  des  Luengera- 
tales.  Oder  sie  besteht  aus  einzelstehenden  Büschen  und  Bäumchen,  haupt- 
sächlich domigen  Akazien  und  Mimosen,  die  in  ihrer  lichten  Verteilung  über 
die  Fläche  an  einen  Obstgarten  erinnern.  Oder  endlich  herrschen  die  saft- 
reichen,  der  Dürre  widerstehenden  Sansevieren  oder  die  bizaren  Euphorbien 
vor,  während  vereinzelte  plumpe  Baobabs  und  stellenweise  Leberwurstbäume 
{Kigelia)  die  einzigen  höheren  Bäume  der  Landschaft  darstellen.  Die  grotes- 
kesten  Formen,  die  dies  trockne  Klima  hervorbringt,  zeigt  wohl  die  l^rena- 
vaniha  malvifolia  mit  ihren  sackförmigen  KnoUenstänmien. 

Am  trockenen  Westabhang,  und  besonders  auch  im  Nordwesten  steigt 
die  Buschsteppenformation  hoch  hinauf  und  geht  vielfach,  ohne  daß  sich  ein 
Waldgürtel  dazwischenschiebt,  in  das  Gebiet  der  Hochweiden  über. 

Ganz  anders  sieht  die  Vegetation  im  Osten  imd  Süden  aus.  Unter  der 
reichlichen  Feuchtigkeit,  die  die  Seevdnde  hierhin  bringen,  entwickelt  sich 
schon  in  tieferen  Lagen  der  Tropenwald,  der  in  etwa  850 — 1300  m  Höhe 
große  Bestände  bildet.  Wenn  dieser  Urwald  an  Üppigkeit  der  Vegetation 
auch  nicht  mit  dem  dichten  Geschlinge  des  Kongo-Urwaldes  oder  dem  der 
südamerikanischen  Urwälder  zu  vergleichen  ist,  so  hat  doch  Stuhlmann  in 
Indien  keinen  hochstänunigen  Wald  gefunden,  der  sich  mit  dem  Usambara- 
wald  messen  kann. 

Für  die  Fruchtbarkeit  dieses  Bodens  ist  die  Methode  kennzeichnend,  in 
der  die  Washambaa  ihn  bebauen.  Sie  brennen  ein  Stück  des  Waldes  nieder 
und  pflanzen  dann  ziemlich  dicht  auf  der  abgebrannten  Fläche  Bananen. 
Wenn  diese  hochgekommen  sind,  wird  zwischen  sie  Mais  gepflanzt,  imd  wenn 
der  hoch  geworden  ist,  noch  dazu  Zuckerrohr.  Ist  alles  abgeerntet,  so  wird 
das  Stück  von  neuem  abgebrannt  und  sich  selbst  überlassen,  um  von  neuem 


16  Hans  Maarer: 

Wald  zu  werden.  Diese  Kulturen  der  Washambaa  sind  nicht  nur  sehr  arten- 
reich —  Warburg  zählt  weit  mehr  als  30  Kulturpflanzen  dieses  Volkes  auf 
— ,  sondern  sie  stehen  auch  in  den  Bewässerungsanlagen  auf  hoher  Stufe. 
Es  werden  geradezu  Wasserstauanlagen  durchgefahrt,  und  Bewässerungsgräben 
von  der  Länge  einer  halben  Meile  sind  keine  Seltenheit.  Reis  und  Mais 
werden  dreimal  im  Jahre  geemtet.  Man  säet  unmittelbar  vor  der  kleinen, 
vor  dei'  großen  Regenzeit  und  vor  den  Passatregen  und  erntet  je  3  bis 
4  Wochen  später. 

Am  üppigsten  ist  der  untere  Tropenwald  im  Tal  des  Sigi  und  seiner 
Zuflüsse  entwickelt.  Sehr  hohe  Bäume,  Epiphyten  und  Orchideen,  Lianen 
und  Baumfame  rechtfertigen  hier  die  Bezeichnung:  Tropischer  Urwald.  In 
den  Bachschluchten  ist  die  Flora  am  kräftigsten;  Bambus  und  wilde  Bananen 
streiten  sich  hier  mit  den  hohen  Famen  um  den  Raum. 

Höher  hinauf  treffen  wir  den  trockeneren  oberen  Gebirgstropenwald, 
schon  reichlicher  von  Lichtungen  und  Wald  wiesen  imterbrochen,  den  Quellen- 
wald, an  dessen  Rändern  auch  prachtvolle  Blumen  das  Auge  erfi*euen.  Von 
den  auch  bei  uns  bekannteren  Namen  seien  erwähnt:  Begonien,  Ljsimachien 
und  Balsaminen.  Eine  der  letzteren  mit  großen  weißen  Blüten  habe  ich 
dort  4 — 5  m  hoch  in  die  Bäume  hinaufranken  sehen. 

An  Tierleben  ist  der  Wald,  wie  üsambara  überhaupt,  sehr  arm.  Höhere 
Tiere  sieht  man  kaum.  Selten  verläuft  sich  einmal  eine  Antilope  in  die 
Berge,  in  denen  ihren  Wohnsitz  kaum  einige  Nager  und  kleine  Raubtiere 
haben.  Und  nur  vereinzelt  helfen  die  Vögel  am  sonnigen  Waldrand  den  be- 
weglichen Eidechsen  in  ihrer  Vertilgung  der  Insekten,  die  in  einzelnen 
Gegenden  des  Landes  eine  etwas  reichere  Fauna  bilden. 

Dieser  Wald  ist  das  Gebiet  der  Kaffeeplantagen.  Mit  Feuer  und  Axt 
geht  der  Pflanzer  gegen  den  Urwald  vor,  um  in  den  gerodeten  Parzellen  den 
Humusboden  für  seine  Plantagen  auszunutzen.  Ein  wehmütiges  Gefühl  be- 
schleicht einen,  wenn  man  diese  prachtvolle  Vegetation,  darunter  Bäume  von 
70  m  Höhe,  dem  Feuer  preisgegeben  sieht,  und  man  ist  versucht,  den  Pflanzer 
mit  dem  teuflischen  Begleiter  Fausts  zu  vergleichen,   der  da  sagt: 

Dem  Warmen,  Feuchten,  Kalten 
Entwinden  tausend  Keime  sich; 
Hätt'  ich  mir  nicht  die  Flamme  vorbehalten, 
Ich  hätte  nichts  Aparts  für  mich. 

Die  Eile  in  der  Anlage  der  Kaffeeplantagen  hat  nicht  einmal  eine  Sägerei 
aufkommen  lassen.  Ihre  schon  in  Europa  konstruierten  Häuser,  meist  aus 
norwegischem  Holz,  haben  die  Pflanzer  dort  aufgestellt,  während  die  Pracht- 
stämme ringsum  verbrannt  wurden,  um  möglichst  schnell  Raum  für  Saatbeete 
und  Kaffeefelder  zu  schaffen.  Heute  stehen  in  diesem  afrikanischen  Urwald 
über  4  Millionen  deutsche  Kaffeebäume,  und  wir  wollen  hoffen,  daß  zu  den 
guten  Ernten,  die  sie  schon  geliefert  haben,  noch  reichere  hinzukommen 
mögen.  Eine  weitere  räumliche  Ausdehnung  dieser  Kaffeeplantagen  wäre  da- 
gegen nicht  zu  wünschen.  Die  großen  Wald  Verwüstungen  werden  auf  das 
Klima  sicher  ungünstig  einwirken,  uud  es  ist  die  Frage,  ob  die  Regierung 
noch    in    hinreichend   großen   Flächen    den   Hochwald  schützen  kann,   da  man 


Deutach-Ostafrika.  17 

vor  der  Vermessung  des  Waldgebietes  es  bei  seiner  Weglosigkeit  größer  ge- 
schätzt hatte,  als  es  war.  Da  es  ja  aber  auch  im  Interesse  der  Plantagen 
selbst  ist,  sich  ein  gutes  Eaffeeklima  zu  erhalten,  wird  sachgemäßer  Wald- 
schutz auch  bei  ihnen  auf  keine  unlösbaren  Schwierigkeiten  stoßen.  Der 
Boden  wird  nicht  für  so  reich  und  tiefgründig  gehalten,  daüs  man  auf  die 
Dauer  ohne  Düngung  auskommen  könnte.  Die  Plantagen  haben  zum  Teil 
deshalb  auch  schon  mit  Viehzucht  begonnen  und  auch  mineralischen  Dünger 
aus  Deutschland  eingeführt.  Nebenbei  mag  hier  erwähnt  werden,  daß  man 
in  Deutsch-Ostafrika  selbst  wertvollen  Fledermausdünger  in  gewaltigen  Höhlen 
nahe  bei  Tanga  gefunden  hat.  Dem  glücklichen  Entdecker  der  prächtigen 
Höhlen  gestattete  der  Kaiser,  sie  Kaiser- Wilhelm-Höhlen  zu.  taufen,  wie  er- 
zählt wird,  aber  unter  der  ausdrücklichen  Bemerkung,  daß  der  Guano  nicht 
nach  Seiner  Majestät  genannt  werden  dürfe.  Von  Krankheiten  sind  auf 
den  Kaflfeepflanzen  bis  jetzt  die  Hemileia  vastatrix  und  ein  Rüsselkäfer 
aufgetreten,  doch  haben  sich  die  Pflanzer  mit  gutem  Erfolg  ihrer  er- 
wehren können.  Große  Sorgfalt  muß  beim  Umpflanzen  der  jungen  Bäum- 
chen, die  8 — 14  Blätter  getrieben  haben,  aus  den  Saatbeeten  in  die  Kaffee- 
felder verwendet  werden.  Kennzeichnend  für  den  fast  abergläubischen  Respekt, 
den  der  Neger  vor  den  Fähigkeiten  des  Weißen  hat,  ist  die  Art  und  Weise, 
wie  der  Leiter  einer  solchen  Plantage  im  Süden  von  West-Usambara  seinen 
eingeborenen  Arbeitern  die  nötige  Sorgfalt  beim  Umpflanzen  beigebracht  hat. 
Er  sah  am  Tage  nach  dem  ersten  Umpflanzen  ein  Bäumchen  in  sehr  trauriger 
Verfassung.  Kühn  behauptete  er,  er  habe  am  Nachmittag  vorher  von  seinem 
Wohnhause  aus,  das  etwa  600  m  von  der  Stelle  ablag,  gesehen,  daß  der 
umpflanzende  Neger  die  Würzelchen  im  Boden  nach  oben  umgebogen  habe, 
statt  sie  in  ihrer  natürlichen  Stellung  einzusetzen.  Vorsichtig  wurde  die 
Pflanze  ausgegraben,  und  der  Leiter  hatte  das  Glück,  daß  nicht  etwa  ein 
Schädling  an  die  Pflanze  gekommen  war,  sondern  daß  sie  wirklich  schlecht 
eingepflanzt  war.  Seitdem  brauchte  er  sich  nur  vor  seinem  Haus  aufzustellen 
und  die  Augen  zu  rollen,  so  konnte  er  sicher  sein,  daß,  soweit  er  gesehen 
werden  konnte,  tadellos  gearbeitet  wurde.  Neben  Kaffee  sind  in  diesem  Ge- 
biet Kakao,  Tee  und  Kardamom  mit  gutem  Erfolg  angebaut  worden.  Nach 
den  klimatischen  Bedingungen  dürften  auch  die  Kolanuß,  Kakao,  Pfeffer, 
Zimmt,  Chinarinde,  Vanille,  Ingwer,  Kautschuk,  Ramie  und  viele  tropische 
Obstarten  dort  gedeihen.  Mit  einzelnen  dieser  Pflanzen  haben  die  Plantagen 
auch  schon  Versuche  begonnen. 

Oberhalb  des  geschilderten  Tropenwaldes  und  oberhalb  der  Steppenfor- 
mationen, aber  unterhalb  der  eigentlichen  Hochwälder,  die  in  der  täglichen 
Wolkenschicht  liegen,  finden  sich  Busphbestände,  Adlerfamregionen  und 
Wiesen-  und  Weideland.  Hier  sieht  man  auf  den  saftigen  Wiesen  die 
schönen  Viehherden  der  Wambugu  und  Wapare,  die,  dem  Ackerbau  abhold, 
ein  unstetes  Hirtenleben  in  den  Bergen  führen.  Sie  stehen  auf  einer  merk- 
lich niedereren  Kulturstufe  als  die  ackerbautreibenden  Washambaa,  von  denen 
sie   sich  sogar  unter  Zahlung  von  Vieh  ihre  eigenen  Hütten  erbauen  lassen. 

In  diesem  Gebiet  liegt  die  landwirtschaftliche  Versuchsstation  des 
Gouvernements,   Kwai,    in    einer  Höhe    von    1600  m    über  dem  Meer.     Die 

Qeograpbiacbe  Zeitschrift.  9.  Jahrgang.  190S.  1.  Heft.  2 


18 


Hans  Maurer: 


mittlerere  Jahrestemperatur  betrftgt  hier  nur  noch  16®  C,  sie  schwankt 
zwischen  5®  und  30®,  der  kftlteste  Monat  zeigt  13,6®,  der  wärmste  18,8® 
Mitteltemperatur.  Die  jährliche  Regenmenge  ist  etwa  so  groß  wie  in 
Deutschland,  während  die  Begenverteilung  im  Jahr  auch  hier  zwei  Regen- 
zeiten und  zwei  trockne  Zeiten  erkennen  läßt.  Neben  vielen  tropischen 
Kulturen,  die  hier  mit  Erfolg  versucht  worden  sind  (es  ist  sogar  Kaffee  in 
dieser  großen  Reehöhe  noch  ziemlich  gut  gewachsen),  ist  es  in  diesem  Ge- 
biet möglich,  deutsche  Landwirtschaft  zu  treiben.  Was  zu  Haus  wächst, 
wächst  auch  in  Kwai.  Man  hat  2  Ernten  im  Jahr,  eine  im  März- April, 
die  andere  im  September-Oktober.  Kwai- Weizen,  besonders  gut  behandelt, 
gab  pro  Morgen  127^  Ctr.  Ernte,  die  pro  Tonne  9  Mark  höher  bewertet 
wurde,  als  der  beste  europäische.  Eine  Futterrübe,  die  8  Monate  alt  war, 
wog  33  Pfund.  Europäisches  Obst  war  schwer  gegen  Ungeziefer  zu  ver- 
teidigen;   alles    Gemüse    und   Kartoffeln  kamen   ausgezeichnet.      Prof.    Koch 

hält  das  Gebiet  für  malariafrei  und 
zur  Ansiedlung  für  Europäer  geeignet, 
wenn  es  möglich  sein  wird,  die  Leute 
rasch  und  ungefährdet  durch  die 
tieferen  Malariagebiete  zu  befördern. 
Dies  wird  möglich  sein,  wenn  die 
üsambarabahn  bis  zur  Station  Mombo 
durchgeführt  sein  wird.  Die  Idee,  die 
an  der  Küste  erkrankten  und  be- 
sonders die  durch  das  Klima  ge- 
schwächten Europäer  zur  Erholung  in 
das  Gebirge  zu  schicken,  hat  in  Ost- 
TJsambara  eine  etwa  900  m  hoch- 
gelegene derartige  Erholungsstation  in 
Amani  entstehen  lassen.  Es  scheint  aber 
dort  schon  etwas  rauh  zu  sein,  und  vor 
allem  soll  es  bis  jetzt  noch  nicht  möglich  gewesen  zu  sein,  dort  die  Bequem- 
lichkeiten, die  man  schon  zum  Teil  an  der  Küste  haben  kann,  hinreichend  durch- 
zuführen. Auf  einer  Lisel  bei  Tanga  (auf  ülenge)  hat  man  eine  andere  Er- 
holungsstation angelegt,  deren  Prinzip  auf  der  Keimfreiheit  der  Seeluft  be- 
ruht. Erwähnt  sei  hier  nebenbei,  daß  auch  schon  warme  Schwefelquellen 
in  der  Nähe  von  Tanga  (bei  Amboni)  der  leidenden  Menschheit  zugänglich 
gemacht  worden  sind.  Ein  deutscher  Ansiedler  lebt  schon  seit  mehr  als 
Jahresfrist  in  der  Kwai-Gegend,  der  mit  seiner  Gesundheit  und  seinen  vieh- 
und  landwirtschaftlichen  Erfolgen  zufrieden  ist;  leider  fehlt  es  nur  an  guten 
Verbindungen,  an  Wegen  und  Eisenbahnen,  um  die  Produkte  auf  den  Markt 
bringen  zu  können.  Die  Ernte  ist  in  mancher  Hinsicht  bequemer  als  bei 
uns.  Ein  Tag  Sonne  trocknet  wie  fönf  sonnige  Tage  zu  Haus.  Ganz 
sonnige  Tage  sind  allerdings  selten.  Während  im  Jahresdurchschnitt  in  Dar- 
essalam  die  Sonne  S^^  Stunden  täglich  un verhüllt  scheint,  strahlt  sie  in 
Kwai  nur  4^4  Stunden  und  zur  Zeit  der  Südostwinde,  April — August,  nur 
27^  Stunden,  und  der  Nachmittag  ist  das  ganze  Jahr  durch  sonnenscheinarm. 


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Stündliche  Sonnenscheindauer  in 
Minuten. 


Deutsch-Ostafrika. 


19 


Eine  Darstellung  dieser  Verhältnisse  zeigt  das  Sonnenscheindauer-Diagramm 
(S.  18),  auf  dem  die  Höhe  der  Kurven  über  der  Grundlinie  für  jede  Stunde 
des  Tages  die  durchschnittliche  Sonnenscheindauer  in  Minuten  angibt. 

Das  Sonnenstrahlungsthermometer  hat  an  besonders  klaren  und  heißen 
Tagen  bis  zu  59,5®  Strahlungstemperatur  ergeben;  so  ist  verstandlich,  daß 
auch  hier,  1600  m  über  dem  Meer,  der  Europäer  noch  den  Tropenhut  trögt. 
Dagegen  sind  die  Nächte  sehr  kühl  und  die  eingeborenen  Arbeiter,  die  viel- 
fach aus  tieferen  Gegenden  in  das  menschenarme  Bergland  kommen,  leiden 
viel  an  Erkältungen.  (Baumann  schätzt  die  Volksdichte  üsambaras  auf 
nicht  ganz  4  Seelen  auf  den  qkm.)  Hier  sind  die  bereits  früher  erwähnten 
eigentümlichen  Verhältnisse  der  täglichen  Temperaturschwankungen  am  deut- 
lichsten zu  Tage  getreten.  Solange  nordöstliche  Winde  vorwiegen,  ist  die  Be- 
wölkung gering,  und  durch  die  un- 
gehinderte Einstrahlung  bei  Tage  kom- 
men Temperaturen  bis  zu  30**  zu- 
stande, während  in  der  klaren  Nacht 
das  Thermometer  in  extremen  Fällen 
bis  auf  6®  sinkt. 

Sobald  aber  der  Wind  nach  Süd- 
osten umschlägt,  nimmt  die  Bewölkung 
und  die  tägliche  Temperaturschwankung 
ab,  und  dies  prägt  sich  so  stark  aus, 
daß  im  April,  wo  dieser  Windimischlag 
von  Nordost  zu  Südost  eintritt,  in  der 
zweiten  Hälfte  nicht  nur  die  durch- 
schnittliche tägliche  Maximaltemperatur 
um  ein  paar  Grad  sinkt,  sondern 
gleichzeitig  das  Minimum  der  Nacht 
um  ein  paar  Grade  steigt,  obwohl  wir 
der  kälteren  Zeit  entgegengehen.  Ein 
Bild  dieser  eigentümlichen  Verhältnisse 
gibt  das  nebenstehende  Diagramm,  auf 

dem  die  Höhe  der  Kurven  über  der  Grundlinie  die  Mitteltemperaturen  für 
die  einzelnen  Stunden  des  Tages  in  den  beiden  Hälften  des  April  1898,  die 
sich  in  der  vorherrschenden  Windrichtung  unterscheiden,  angibt.  Zugleich  mit 
dem  Windwechsel  sinkt  das  Maximum  um  4®  imd  steigt  das  Minimum  um 
fast  3®. 

Die  kältesten  Nächte  treten  so  nicht  im  kältesten  Monat  Juli  auf, 
sondern  erst  im  Monat  Oktober,  der  der  erste  warme  Monat  mit  nördlichen 
Winden  ist.  Und  eben  durch  diese  hat  er  die  ersten  klaren  Nächte,  in 
denen  durch  die  starke  Ausstrahlung  die  niedersten  Temperaturen  erreicht 
werden.  Obwohl  so  die  Durchschnittstemperatur  des  Oktober  (16,2®)  fast 
3®  über  der  des  Juli  (13,4^)  liegt,  ist  das  durchschnittliche  Minimum  der 
Nacht  im  Oktober  10,0^  das  des  Juli  11,3^ 

Von  den  gefürchteten  kalten  Nächten  einzelner  Bergtäler  westlich  von 
Kwai  erlebte  ich  eine  ia^  März,  der  fast  der  wärmste  Monat  des  Jahres  ist, 

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Temperaturdiagramm. 


20  Hans  Maurer:  Deutsch-Ostafrika. 

wo  die  Temperatur  in  1650  m  Seehöhe  auf  4,8®  sank.  (In  Hamburg  be- 
trug das  durchschnittliche  Temperatur-Minimum  in  den  Tagen  vom  1.  bis 
10.  Januar  1902  4,8®.)  In  der  darauffolgenden  Nacht  sank  in  ganz  der- 
selben Seehöhe  in  einem   unten   offenen  Tal   die  Temperatur  nur  auf  14®  C. 

Oberhalb  dieser  Wiesen-  und  Weideregion  tritt  in  einzelnen  Teilen  von 
West-Üsambara,  wo  die  Erhebung  des  Gebirges  dazu  noch  hinreicht,  jener 
Hochwald  auf,  der  seine  Existenz  der  immerwährenden  Feuchtigkeit  der  in 
die  Wolkenbänke  hineinragenden  Gipfel  dankt.  Ein  eigenartiges  Bild  dieser 
Wolkenbedeckung  der  Gipfel  verdanken  wir  Hans  Meyer,  der  den  Lutindi, 
der  sich  ziemlich  einsam  im  Norden  des  Luengeratales  erhebt,  mit  einem 
doppelten  Wolkenhut  gekrönt,  photographiert  hat.  Der  Wolkenwald  ist  vor- 
wiegend Nadelwald,  in  deäi  sich  neben  dem  bis  80  m  hohen  tropischen 
Podorarpus  ausgedehnte  Bestände  eines  Baumes  finden,  von  dem  auch  der 
deutsche  Wald  eine  Spezies  aufweist,  nämlich  des  Wachholders,  Juniperus \ 
30 — 50  m  hohe  senkrechte  Stämme  von  Durchmessern  bis  zu  2y,  m  kommen 
hier  vor.  Neben  allerhand  anderen  Schmarotzern  hängen  von  den  feuchten 
Ästen  dieser  Bäume  meterlange  graue  Bartflechten  herab,  die  dem  Wald  ein 
phantastisches  Aussehen  geben.  Als  ich  das  Gebiet  bereiste,  habe  ich  einen 
solchen  Baum  von  ca.  %  m  Stammdurchmesser  von  meinen  Trägem  fällen 
lassen,  die  sich  dazu  möglichst  ungeschickt  anstellten,  und  einen  Querschnitt 
als  Holzprobe  mit  zur  Küste  gebracht.  Das  wohlriechende  rötliche  Holz 
eignet  sich   zu   feinen  Holzarbeiten,   wohl   besonders   zur   Bleistiftfabrikation. 

Über  diesem  Wald  endlich  oder  auch,  wo  die  Höhe  zu  seiner  Entwick- 
lung nicht  ausreicht,  über  dem  Weideland  treffen  wir  unwirtliche,  vegetations- 
arme Gipfel.  Niedriges  Buschwerk,  mitunter  etwas  Heide  und  spärliches 
Gras  deckt  hier  kaum  das  felsige  Gestein,  wo  uns  einzelne  Strohblümchen 
(Gnaphalium)  an  die  deutsche  Heimat  erinnern.  Ich  hatte  einmal  Gelegen- 
heit, eine  Nacht  auf  dem  höchsten  dieser  öden  Gipfel,  dem  Mlima  in  den 
Magambabergen  westlich  von  Kwai,  zu  verbringen.  Es  war  nach  der  mehr 
erwähnten  starken  Regenzeit  im  Juni  1897.  Auch  damals  gab  es  auf  dem 
einsamen  Gipfel  kein  Wasser;  ich  mußte  mir  aus  dem  Mkusuflüßchen  einen 
Eimer  voll  ein  paar  hundert  Meter  hinauf  auf  die  rund  2000  m  hohe  Kuppe 
tragen  lassen.  Die  Temperatur  fiel  hier  des  Abends,  während  rasch  vorbei- 
stürmende Wolkenfetzen  einen  wunderbar  phantastischen  Sonnenuntergang  zu- 
stande brachten,  rasch,  und  am  anderen  Morgen  waren  es  7®.  Das  war  nicht 
so  kalt,  als  man  in  einer  Wintemacht  in  dieser  Höhe  zu  erwarten  versucht 
ist.  Es  stimmt  mit  der  vorhin  erwähnten  Tatsache,  daß  wir  dort  die 
kältesten  Nächte  eben  nicht  im  Winter,  sondern  im  Beginn  der  warmen 
Jahreszeit  zu  erwarten  haben.  Immerhin  war  es  kälter  als  manche  Winter- 
nacht in  Hamburg,  z.  B.  als  die  Sylvestemacht  1901/1902,  deren  Temperatur- 
minimum 7,7®  betrug.  (Fortsetzung  folgt.) 


A.  Hettner:  Grundbegriffe  u.  Grundsätze  d.  physischen  Geographie.  21 

Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie^). 

Von  Alfred  Hettner. 

Die  methodischen  Auseinandersetzungen  über  den  eigentlichen  Gegenstand 
der  Geographie  sind  zu  einem  gewissen  Stillstand  gekommen,  es  scheint  im 
großen  und  ganzen  eine  Klärung  und  Übereinstimmung  der  Ansichten  erreicht 
worden  zu  sein,  und  die  Geographie  kann  sich  jetzt,  auch  von  den  Nachbar- 
wissenschaften immer  mehr  anerkannt,  ruhig  der  wissenschaftlichen  Forschimg 
hingeben. 

Damit  ist  aber  nicht  gesagt,  daß  nun  alle  methodischen  Erörte- 
rungen überflüssig  seien.  Die  Methoden  der  geographischen  Forschung 
und  Darstellung  sind  theoretisch  noch  keineswegs  genügend  klar  gelegt  — 
die  Logiker,  die  schon  den  sogenannten  beschreibenden  Naturwissenschaften 
selten  gerecht  werden,  lassen  uns  dabei  ganz  im  Stich  — ,  und  noch  mehr  fehlt 
es  an  einer  methodischen  Durcharbeitung  des  eigentlichen  Inhaltes  der  Geo- 
graphie. Die  Hauptsache  ist  natürlich  die  Einzelerforschung  der  Tatsachen 
und  ihrer  ursächlichen  Zusammenhänge;  aber  die  Einzelforschung  kommt  leicht 
auf  Abwege  und  läßt  die  Schärfe  vermissen,  wenn  nicht  Bemühungen  einer 
schärferen  begrifiFlichen  Formulierung  daneben  einhergehen.  Gerade  in  der 
Geographie,  deren  Objekte  so  mannigfaltig  sind  und  überhaupt  nur  durch 
eine  bestinmite  Art  der  Auffassung  geographisch  werden,  deren  Arbeiter  von 
ganz  verschiedenen  Seiten  herkommen,  ist  das  noch  mehr  als  in  anderen 
Wissenschaften  nötig.  In  manchen  anderen  Wissenschafben,  wie  namentlich  der 
Nationalökonomie  oder  gar  erst  der  sogenannten  Soziologie,  haben  die  begrifiF- 
lichen Erörterungen,  lange  Zeit  wenigstens,  zu  sehr  im  Vordergrunde  gestanden 
und  haben  an  Stelle  der  wirklichen  Tatsachen  zu  sehr  den  Inhalt  der 
Wissenschaft  ausgemacht;  aber  in  der  Geographie  scheint  mir  in  dieser 
Richtung  noch  zu  wenig  geschehen  zu  sein.  Ritter  war  mit  großartiger, 
wenn  auch  etwas  verschwonamener  Auffassung  an  diese  großen  Probleme 
herangetreten  und  hatte  das  Wesen  der  Erdoberfläche  zu  begreifen  gesucht; 
aber  nicht  nur  unsere  positiven  Kenntnisse  haben  sich  seitdem  so  vermehrt, 
sondern  auch  unsere  ganze  Weltanschauung  hat  sich  so  gewandelt,  daß  wir 
uns  heute  in  seine  Auffassung  nicht  mehr  hineinversetzen  können.  Zu  einer 
entsprechenden  Auffassung  des  Wesens  der  Erdoberfläche  vom  Standpunkt 
unserer  heutigen  Weltanschauung  und  auf  Grund  der  seitdem  erworbenen  Kennt- 
nisse ist  aber  noch  wenig  geschehen;  selbst  die  systematischen  Darstellungen 
der  Geographie  haben,  wie  mir  scheint,  die  begriffliche  Durcharbeitimg  meist 
etwas  leicht  genonmien.  Darunter  leidet  das  Verständnis  und  schließlich 
auch  der  Fortschritt  der  Forschung.  Ich  persönlich  habe  wenigstens  die  Un- 
klarheit der  geographischen  Begrifife  imd  die  Unbestimmtheit  ihrer  Bezeich- 
nung immer  als  störend  empfunden,  und  ich  hoffe  deshalb,  daß  diese  aus 
langjährigen  Überlegungen  erwachsenen  Studien  über  die  Grundbegriffe  und 
Grundsätze  der  Geographie  auch   anderen  Geographen   willkommen   sein  und 

1)  Dieser  Aufsatz  war  niedergeschrieben,  ehe  der  erste,  gedruckt,  ehe  der 
zweite  Band  von  Ratz  eis  Werk:  Die  Erde  und  das  Leben  erschien. 


22  Alfred  Hettner: 

vielleicht  auch  den  Philosophen  die  Grundlage  einer  eingehenderen  Berück- 
sichtigung geographischer  Dinge  bieten  werden. 

Wir  müssen  dabei  natürlich  von  einer  bestimmten  Auffassung  des  Gegen- 
standes der  Geographie  ausgehen  und  können  das  auch  um  so  eher  tun, 
als  sich  im  Laufe  der  Jahre  mehr  und  mehr  eine  Übereinstimmung  darüber 
herausgestellt  hat  und  die  Meinungsunterschiede  eigentlich  mehr  im  Ausdruck 
als  in  der  Handhabung  der  Wissenschaft  liegen.  Der  Grundgedanke  der  Geo- 
graphie ist  zu  allen  Zeiten  derselbe  gewesen,  so  viele  Wandlungen  er  auch  im 
einzelnen  erlitten  hat  und  so  große  Abweichungen  die  Ansichten  solcher  Metho- 
diker zeigen,  die  nicht  von  der  geschichtlich  entstandenen  Arbeitsteilung,  sondern 
von  begrifflichen  Konstruktionen  ausgegangen  sind*).  Die  Geographie  ist  zu 
allen  Zeiten  Länderkunde,  Kenntnis  der  verschiedenen  Erdräume,  der  Heimat 
sowohl  wie  fremder  Länder,  gewesen,  und  nur  die  Gesichtspunkte,  unter  denen 
sie  die  Erdräume  betrachtet,  haben  im  Laufe  der  Zeit  mit  dem  Stande  des 
Wissens  und  auch  mit  den  Neigungen  der  einzelnen  Forscher  gewechselt. 
Während  die  Geographie  früherer  Perioden,  namentlich  die  des  klassischen 
Altertums,  zum  größeren  Teile  einerseits  in  rein  mathematischer  Betrachtung 
und  andererseits  in  Beschreibung  menschlicher  Dinge  aufging,  hat  sich  die 
Geographie  der  Gegenwart  zu  einer  allseitigen,  Natur  und  Menschen  um- 
fassenden Betrachtung  der  Länder  der  Erde  imd  der  Erde  als  eines  Länder- 
komplexes entwickelt,  und  wir  können  daher  als  den  Inhalt  der  Geographie 
und  damit  als  den  Gegenstand  unserer  Untersuchung  die  Sunune  der  Tat- 
sachen, welche  das  Wesen  der  Länder  und  Landschaften  ausmachen,  oder, 
anders  ausgedrückt,  die  von  Ort  zu  Ort  wechselnden  Zustände  und  Vorgänge 
der  Erdoberfläche  in  ihrem  ursächlichen  Zusammenhange  bezeichnen. 

Die  erste  Aufgabe  unserer  Untersuchung  ist  die  genauere  Bestimmung 
dieser  Tatsachen,  also  die  elementare  oder  deskriptive  Analyse  des  Inhaltes 
der  Geographie,  bei  der  wir  alle  ursächlichen  Beziehungen  noch  ganz  außer 
acht  lassen  und  uns  nur  an  die  durch  die  Anschauung  gewonnene  Auffassung 
der  geographischen  Tatsachen  halten.  Wir  müssen  den  Begriff  der  Erd- 
oberfläche schärfer  bestimmen,  sie  in  ihre  Bestandteile  zerlegen,  das  Wesen 
der  geographischen  Zustände  und  Vorgänge  feststellen. 

Die  zweite  Aufgabe  ist  die  Untersuchung  der  ursächlichen  Zusammen- 
hänge zwischen  den  Erscheinungen  der  Erdoberfläche,  also  die  kausale  Analyse, 
an  die  sich  der  Versuch  eines  synthetischen  Aufbaus  anschließt.  Welche 
ursprünglichen  Kräfte  liegen  aljen  Zuständen  und  Vorgängen  der  Erdober- 
fläche zu  Grunde,  in  welcher  verschiedenen  Weise  äußern  sie  sich  und  wie 
verbinden  sie  sich  mit  einander? 

Bei  der  Beantwortung  dieser  Frage  befinden  wir  uns  aber  noch  nicht 
auf  dem  besonderen  Boden  der  Geographie,  sondern  auf  einem  Boden,  der 
ihr  mit  anderen  Wissenschaften  gemeinsam  ist.  Auch  die  Geophysik  und 
Geochemie  und  die  geobiologischen  Disziplinen  untersuchen  Vorgänge  und 
Zustände  der  Erdoberfläche,  sie  haben  aber  mit  der  kausalen  Untersuchung 
und  der  Auffindung  der  allgemeinen  Gesetze  ihre  Aufgabe  erfüllt.     Auch  die 


1)  Die  Entwicklung  der  Geographie  im  19.  Jahrhundert.    G.  Z.  Bd.  IV.  S.  306  ff. 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.       23 

Geologie  hat  es  mit  den  Vorgängen  und  Zuständen  der  Erdoberfläche  zu 
tun,  fisißt  sie  aber  unter  dem  besonderen  Gesichtspunkte  der  zeitlichen  Ent- 
wicklung auf.  Das  eigentlich  geographische  Moment  liegt  in  der  räum- 
lichen Anordnung  und  Verteilung;  wir  haben  alle  Erscheinungen  als  Bestand- 
teile oder  Merkmale  der  Erdoberfläche  aufzufassen.  Während  die  methodische 
Grundfrage  der  Geologie  die  Frage  nach  dem  Sinn  der  Erdgeschichte  ist, 
ist  die  methodische  Grundfrage  der  Geographie  die  Frage  nach  dem  Wesen 
der  räimilichen  Verschiedenheiten  und  Beziehungen.  Das  dritte  Kapitel  imserer 
Untersuchungen  bildet  darum  die  Untersuchung  der  Regionen  und  der  räum- 
lichen Systeme  der  verschiedenen  Erscheinungen  der  Erdoberfläche. 

!•  Die  Bestandteile  der  Erdoberflftelie« 

Der  Begriff  der  Erdoberfläche  ist  nicht  ganz  leicht  zu  fassen.  Er  ist 
keineswegs  allein  in  der  Gestalt  der  festen  Erdoberfläche  oder  überhaupt  in 
irgend  einer  einzelnen  Tatsachenreihe  gegeben,  sondern  umfaßt  alle  Natur- 
reiche: den  Erdboden,  das  Wasser,  die  Luft,  die  Pflanzen-  und  Tierwelt,  den 
Menschen  und  seine  Werke,  und  spricht  sich  in  jedem  Naturreiche  wieder  in 
den  allerverschiedensten  Beziehungen  aus.  Wir  müssen  ihm  alle  Erscheinungen 
der  Erdoberfläche  zurechnen,  welche  im  äußeren  Bilde  der  Landschaft  zum 
Ausdruck  kommen  oder  sich  durch  den  Einfluß,  den  sie  auf  andere  Er- 
scheinungen dieser  Erdstelle  ausüben,  als  wesentliche  Eigenschaften  derselben 
erweisen.  Wenn  wir  den  Gegenstand  der  Geographie  schärfer  definieren 
wollen,  können  wir  also  sagen:  den  Gegenstand  der  Geographie  bildet  die 
Erdoberfläche  oder,  da  wir  es  genau  genommen  nicht  mit  einer  Fläche,  sondern 
mit  einer  körperlichen  Figur  von  beträchtlicher  Dicke  zu  tun  haben,  die 
aus  festen,  flüssigen  und  gasförmigen  Teilen  zusammengesetzte  imd  das  Leben 
beherbergende  Erdhülle  nach  ihren  örtlichen  Verschiedenheiten,  soweit  diese 
für  die  einzelnen  Erdstellen  wesentlich  sind,  d.  h.  in  ihrem  Aussehen  oder 
in  ihrem  Einfluß  auf  andere  Dinge  zur  Geltung  kommen,  soweit  sie,  wenn 
wir  einmal  den  teleologischen  Ausdruck  Ritters  gebrauchen  wollen,  wirkungs- 
voll sind. 

Die  Geographie  hat  es  also  mit  allen  mögKchen  Objekten  der  an- 
organischen wie  der  organischen  Natur  wie  des  menschlichen  Lebens  zu 
tun;  sie  hat  es  aber  mit  ihnen  nicht  an  sich  zu  tun,  sondern  nur  insofern 
sie  wesentliche  Bestandteile  der  einzelnen  Erdstellen  sind.  Ihren  Gegenstand 
bilden  nicht  die  einzelnen  Dinge  oder  Vorgänge  als  solche^);  sie  fragt  auch 
nicht  nach  der  geographischen  Verbreitung  der  Objekte,  was  vielmehr  die 
Betrachtungsweise  von  Disziplinen  der  betreffenden  Wissenschaften,  z.  B.  der 
geographischen   Botanik,   der   geographischen   Zoologie   u.  s.  w.   ist,   sondern 


1)  So  oft  diese  Auffassung  ausgesprochen  worden  ist,  so  wenig  wird  doch  meist 
Ernst  mit  ihr  gemacht.  Namentlich  gilt  daß  von  den  geophysikalischen  Vorgängen. 
Die  Scheidung  der  Geophysik  von  der  Geographie  hat  sich  noch  viel  zu  wenig  voll- 
zogen. In  der  Gletscher-,  Fluß-,  Seen-  und  Meereskunde,  der  Betrachtung  der  Erdbeben 
und  Vulkane,  der  Erosion  und  verwandter  Vorgänge  u.  s.  w.  überladen  sich  die 
meisten  geographischen  Darstellungen  mit  rein  geophysikalischen  Betrachtungen  und 
vernachlässigen  fast  geflissentlich  die  wirklich  geographischen  Tatsachen. 


24  Alfred  Hettner: 

untersucht  die  verschiedenen  Erdräume  und  Erdstellen  nach  der  Ausbildungs- 
weise der  drei  Reiche  der  anorganischen  Natur  und  ihrer  Ausstattung  mit 
Pflanzen,  Tieren,  Menschen  und  menschlichen  Werken.  Man  hat  sie  des- 
halb passend,  wenn  auch  nicht  gerade  geschmackvoll,  die  Wissenschaft  von 
den  Räumen  der  Erdoberfläche  nach  ihrer  dinglichen  Erfüllung  genannt.  Die 
geographischen  Tatsachen  sind  zunächst  Verhältnisse  des  Baimies,  ebenso 
wie  die  geschichtlichen  Tatsachen  Verhältnisse  der  Zeit  sind.  Solange  sie 
aber  nichts  als  Verhältnisse  des  Raumes  sind,  sind  sie  rein  formale  Verhält- 
nisse; eine  selbständige  Bedeutung  bekommen  sie  erst  durch  ihre  dingliche 
Erfüllung,  d.  h.  dadurch,  daß  wir  sie  als  den  Sitz  von  Stoffen  und  Kräften 
oder  als  die  Heimat  von  Lebewesen  ansehen. 

Die  räumlichen  Verhältnisse  der  E'rdoberfläche. 

Die  erste  und  in  gewisser  Weise  grundlegende,  aber  doch  andererseits 
keine  selbständige  Erkenntnis  vermittelnde,  sondern  nur  Hilfsdienste  leistende 
Auffassung  der  geographischen  Objekte  besteht  denmach  in  der  Anpassung 
ihrer  räumlichen  Verhältnisse  oder,  anders  ausgedrückt,  in  der  rein  geo- 
metrischen Auffassung  der  Erdoberfläche  ohne  Rücksicht  auf  den  Inhalt. 
Man  wird  für  die  Disziplin,  die  sich  mit  dieser  Aufgabe  beschäftigt,  vielleicht 
am  besten  den  alten  Namen  mathematische  Geographie  gebrauchen, 
muß  sich  aber  bewußt  bleiben,  daß  sie  manches  ausschließt,  was  man 
gewöhnlich  zur  mathematischen  Geographie  rechnet,  was  man  aber  besser 
von  ihr  unterscheidet,  namentlich  die  Lehre  von  den  Bewegungen  der  Erde*). 
Die  mathematische  Geographie  in  diesem  Sinne  ist  eine  notwendige  Voraus- 
setzung der  Geographie,  aber  sie  ist  doch  nur  eine  Hilfswissenschaft,  in  der- 
selben Weise  eine  Hilfswissenschaft  schlechthin,  wie  die  Chronologie  eine 
Hilfswissenschaft  der  Geschichte  oder  auch  der  historischen  Geologie  ist 
Ihre  wissenschaftliche  Bearbeitung  liegt  auch  nicht  in  den  Händen  der  Geo- 
graphen, ebensowenig  wie  die  Bearbeitung  der  Chronologie  in  den  Händen 
der  Historiker  liegt,  sondern  bildet  den  Gegenstand  einer  besonderen  Dis- 
ziplin, der  Geodäsie,  oder  ftLllt  teilweise  auch  in  das  Arbeitsbereich  der 
Astronomie.  Die  Geographie  muß  sich,  abgesehen  von  der  gelegentlichen 
Lösung  einfacher  Aufgaben,  mit  der  Übernahme  der  Ergebnisse  begnügen. 

Das  erste  Erfordernis  ist  die  genauere  Bestimmung  des  Begriffes  Erd- 
oberfläche als  der  Fläche,  auf  welche  alle  räumlichen  Verhältnisse  zu  beziehen 
sind.  Man  kann  drei  verschiedene  Begriffe  der  wirklichen  Erdober- 
fläche unterscheiden.  Die  eigentliche  Erdoberfläche,  d.  h.  die  obere  Grenze 
der  Atmosphäre,  hat  nur  für  sehr  wenige  geographische  Erscheinungen  Be- 
deutung und  läßt  sich  wegen  ihrer  Unbestimmtheit  auch  für  Raimabestim- 
mungen  nicht  verwenden.  Die  zweite  Oberfläche,  welche  uns  am  augen- 
fälligsten entgegentritt,  ist  die  Grenze  hier  der  festen  Erdrinde,  dort  der 
Wasserhülle  gegen   die  Lufthülle;   sie  ist  der  Sitz  des  menschlichen  und   des 

1)  Es  erscheint  mir  als  eine  Begriffsspielerei,  wenn  Günther  der  mathematischen 
Geographie  die  Aufgabe  stellt,  die  Lage  der  Objekte  nicht  auf  der  Erdoberfläche, 
sondern  im  absoluten  Raum  zu  bestimmen,  und  ihr  darum  auch  die  Lehre  von  den 
Bewegungen  der  Erde  zuweist. 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.       25 

größten  Teiles  des  pflanzlichen  und  tierischen  Lebens  und  dient  auch  den 
gewöhnlichen  Angaben,  wie  hoch  über  oder  wie  tief  unter  der  Erdoberfläche 
ein  Gegenstand  sich  befindet.  Die  dritte  Oberfläche  ist  die  Grenze  der  festen 
Erdrinde  teils  gegen  die  Wasser-,  teils  gegen  die  Lufthülle;  sie  stellt  die 
eigentliche  feste  Erdoberfläche  dar  und  hat  als  solche  große  wissenschaftliche 
Bedeutung,  tritt  aber  für  die  einfache  Anschauung  so  weit  zurück,  daß  sie 
lange  ganz  vernachlässigt  worden  ist  und  von  manchen  Topographen  auch 
heute  noch  in  naiver  Weise  ganz  außer  acht  gelassen  wird. 

Die  komplizierte  Gestalt  der  festen  Erdoberfläche  hat  schon  früh  dazu 
geführt,  sich  die  Oberfläche  des  Meeres  unter  dem  festen  Lande  fortgesetzt  zu 
denken  imd  damit  die  Oberfläche  der  teils  wirklichen,  teils  gedachten  Wasser- 
hülle unter  dem  Namen  der  mathematischen  Erdoberfläche  allen  geo- 
graphischen Lagen-  und  überhaupt  Raumbestinunungen  zu  Grunde  zu  legen.  Die 
Vereinfachung  aller  Messungen  und  auch  die  tatsächliche  Bedeutung,  welche 
diese  mathematische  Erdoberfläche  für  Druck-  und  Bewegungserscheinungen 
der  Atmosphäre  hat,  machen  es  auch  heute  und  wohl  für  immer  notwendig, 
diese  mathematische  Erdoberfläche  beizubehalten.  Man  muß  sich  aber  dabei 
bewußt  bleiben,  daß  sie  gegenüber  den  Erscheinungen  der  festen  Erdrinde 
einen  willkürlichen  Nullpunkt  darstellt,  ganz  ähnlich  wie  der  Nullpunkt 
unserer  christlichen  Zeitrechnung  etwa  gegenüber  den  Zeitrechnungen  der 
römischen  Geschichte;  daß  also  Höhen  und  Tiefen  keinen  Gegensatz  bedeuten. 
Und  man  muß  femer  beachten,  daß  die  mathematische  Erdoberfläche  nicht, 
wie  man  früher  geglaubt  hat,  eine  mathematische  Figur,  ein  Sphäroid,  ist, 
wie  sie  aus  der  Erstarrung  eines  rotierenden  homogenen  Körpers  hervorgehen 
würde,  sondern  daß  sie,  wie  die  neueren  üntersuchimgen  gelehrt  haben,  unter 
dem  Einfluß  der  Dislokationen  der  festen  Erdrinde  eine  ganz  unregelmäßige 
Figur,  das  Geoid,  angenommen  hat,  die  man  im  einzelnen  überhaupt  noch 
nicht  hat  feststellen  können. 

Auf  diese  mathematische  Erdoberfläche  beziehen  sich  die  Koordinaten, 
mittels  deren  man  die  geographische  Lage  oder,  genauer  ausgedrückt,  die 
absolute  geographische  Lage  jedes  auf  oder  nahe  der  Erdoberfläche  be- 
findlichen Punktes  bezeichnen  kann.  Das  Wort  absolut  ist  dabei  in  ähn- 
lichem Sinne  wie  bei  den  absoluten  physikalischen  Maßen  gebraucht  und 
soll  den  Gegensatz  gegen  relative  Lagenbezeichnungen  ausdrücken.  Die  geo- 
graphische Breite  und  die  geographische  Länge  geben  die  Lage  des  Punktes 
oder  seines  Fußpunktes  auf  der  mathematischen  Erdoberfläche,  die  Höhe  oder 
Tiefe  den  senkrechten  Abstand  von  dieser  an.  Die  geographische  Ortsbestim- 
mung, mag  sie  nun  auf  astronomischem  oder  geodätischem  Wege  erfolgen, 
imd  die  Höhen-  und  Tiefenmessungen  bilden  die  unerläßliche  Voraussetzung 
aller  weiteren  geographischen  Erkenntnis;  aber  doch  eben  nur  eine  Voraus- 
setzung, keine  Erkenntnis  selbst,  imd  es  muß  deshalb,  nebenbei  gesagt,  als 
ein  Fehler  bezeichnet  werden,  wenn  der  Beisende  über  dieser  geometrischen. 
Hilfsoperation  die  Untersuchung  der  konkreten  Baumausfüllung  vernachlässigt, 
oder  wenn  man,  wie  es  z.  B.  Peschel  einmal  getan  hat,  die  wissenschaftliche 
Bedeutung  der  Eeisenden  nach  der  Genauigkeit  ihrer  Ortsbestimmimgen  be- 
mißt.     Die  Genauigkeit  der  Ortsbestinunung  hat  überhaupt  nur  dann  einen 


26  Alfred  Hettner: 

Wert,  wenn  sie  zur  Fülle  und  Tiefe  der  sachlichen  Erkenntnis  in  einem 
gewissen  Vwhältnis  steht 

In  vielen  Fällen  wendet  man  auch  relative  Lagenbezeichnungen 
an.  Rein  geometrisch  geschieht  das  durch  die  Angabe  der  Längen-  und 
Breitendifferenz  oder  durch  die  Angabe  des  astronomischen  oder  magnetischen 
Azimutes  und  des  Abstandes.  Solche  relativen  Angaben  sind  oft  ein  Not- 
behelf. .  Triangulation  und  Routenaufnahme  ergeben  zunächst  nur  relative 
Lagen  Verhältnisse,  und  es  müssen  astronomische  Ortsbestimmungen,  wenigstens 
eines  Punktes,  hinzukommen,  um  zur  Kenntnis  der  absoluten  Lage  zu  führen. 
Auch  die  meisten  Bestinunungen  der  geographischen  Länge  sind  nur  relativ 
und  dabei  von  geringer  Genauigkeit,  so  daß  die  Kartenau&iahmen  außer- 
europäischer Länder  vielfach  —  viel  mehr,  als  unsere  Karten  es  ahnen  lassen  — 
gleichsam  in  der  Luft  schweben,  d.  h.  nur  in  sich  richtig,  in  Bezug  auf  die 
absolute  Länge  aber  zweifelhaft  sind.  Li  anderen  Fällen  wendet  man  jedoch, 
auch  wo  man  die  absoluten  Lagen  kennt,  relative  Lagenbestimmungen  an, 
um  bestimmte  Beziehungen  verschiedener  Orte  zu  einander  zum  Ausdruck 
zu  bringen.  Von  besonderer  Bedeutung  ist  dabei  die  gleichzeitige  Angabe 
des  Abstandes  und  des  Höhenunterschiedes,  weil  sich  daraus  das  Gefälle 
ergibt;  femer  sind  die  Angaben  des  Ajdmutes  imd  des  Abstandes  zweier 
Punkte  wichtig,  wenn  zwischen  ihnen  eine  Bewegung  besteht  In  unbe- 
stinmiterer  Weise  werden  relative  Lagenangaben  überall  da  angewendet,  wo 
verschiedene  Zustände  an  einander  grenzen;  man  bezieht  sie  dann  auf  die 
sichtbare  oder  vorgestellte  Grenzlinie.  Gerade  diese  rohesten  geographischen 
Lagenbestinunungen  werden  nicht  nur  im  täglichen  Leben  so  häufig  an- 
gewendet, weil  sie  am  bequemsten  sind,  sondern  sind  auch  für  die  geo- 
graphische Erkenntnis  und  den  geographischen  Unterricht  besonders  wertvoll, 
weil  sie  sofort  auf  bestimmte  ursächliche  Beziehungen  hinweisen.  Die  Um- 
risse der  Länder,  der  Lauf  der  Flüsse,  die  Lage  der  wichtigeren  Städte  bilden 
gleichsam  ein  zweites  Gradnetz  oder  Koordinatensystem,  das  wir  im  Gegen- 
satz zum  mathematischen  Gradnetz  das  topographische  Gradnetz  nennen 
können.  Darum  wird  eine  gute  Kenntnis  der  Topographie,  obwohl  sie  nur 
Gedächtnissache  ohne  selbständigen  Bildungswert  ist,  alle  geographischen 
Studien  sehr  erleichtem. 

Die  meisten  geographischen  Zustände  und  Vorgänge  treten  nicht  als 
Punkte  auf,  sondern  sind  auf  größere  Erstreckung  gleichartig  oder  in  anderer 
Weise  verwandt,  sodaß  die  Unterschiede  vernachlässigt  und  sie  als  zusammen- 
gehörige Ganze  aufgefaßt  werden  können.  Sie  haben  darum  nicht  nur  eine 
Lage,  sondern  auch  eine  Form^  bilden  geographische  Figuren.  Manche 
dieser  Figuren,  wie  namentlich  diejenigen,  die  aus  der  Berührung  des  Festen 
und  Flüssigen  hervorgehen^  sind  unmittelbar  sinnlich  wahrnehmbar  und  darum 
jedermann  bekannt  und  werden  in  der  Greographie  längst  berücksichtigt, 
.  während  andere  sinnlich  nicht  wahrnehmbar  sind  oder  überhaupt  nur  auf 
einer  Abstraktion  beruhen  und  darum  erst  im  Fortgang  der  Wissenschaft 
erfaßt  worden  sind.  Diese  Figuren  bilden  einen  wichtigen  Gegenstand  der 
Untersuchung,  wenngleich  es  sich  nicht  leugnen  läßt,  daß  ihre  Auffassung 
leicht  in  Spielerei  ausartet  und  zu  vielen  unfruchtbaren   geometrischen  Kon- 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.       27 

struktionen  Anlaß  gegeben  hat.  Streng  genommen  sind  alle  geographischen 
Figuren  dreidimensional,  also  körperliche,  stereometrische  Figuren;  aber 
praktisch  kann  man  sich  in  vielen,  wohl  in  den  meisten  Fällen  die  Kugelober- 
fläche ausgeebnet  und  femer  die  über  oder  unter  dem  Meeresspiegel  liegenden 
Zustände  auf  diesen  projizirt  denken,  sodaß  die  körperlichen  Figuren  in  Figuren 
der  Ebene  übergehen,  die  planimetrische  Betrachtung  an  Stelle  der  stereo- 
metrischen tritt.  In  anderen  Fällen  wird  man  umgekehrt  auf  eine  der  beiden 
horizontalen  Dimensionen  verzichten  und  die  Figui*  auf  einen  «enkrechten 
Querschnitt  projizieren  und  damit  auch  wieder  in  eine  planimetrische  Figur 
verwandeln.  Bei  sehr  geringer  Ausdehnung  können  die  geographischen 
Figuren  häufig  als  Punkte,  bei  der  überwiegenden  Ausbildung  der  einen 
Dimension  als  Linien  aufgefaßt  werden.  Sowohl  die  Linien  wie  die  Flächen 
und  Körper  sind  in  den  meisten  Fällen  höchst  unregelmäßig  gestaltet  und 
darum  der  wissenschaftlichen  Behandlung  schwer  zugänglich.  Man  wird  sie 
zum  Zwecke  mancher  Untersuchungen  auf  einfache  mathematische  Figuren 
zurückführen  können,  wie  es  z.  B.  Kohl  bei  seinen  deduktiven  Unter- 
suchimgen  über  den  Einfluß  der  Bodengestalt  auf  den  Verkehr  und  die  An- 
siedlungen  der  Menschen  getan  hat;  aber  man  muß  dabei  sorgfältig  darauf 
achten,  daß  man  nicht  gerade  wesentliche  Merkmale  der  geographischen 
Figuren  vernachlässige. 

Bei  der  Betrachtung  von  Flächen  oder  von  körperlichen  Figuren,  die 
man  auf  die  Fläche  reduziert,  faßt  man  oft  besonders  die  Grenzen  ins 
Auge,  weil  die  Berührung  der  verschiedenartigen  Zustände  meist  charakteristische 
Folgeerscheinungen  (Brandung,  Ausgleichserscheinungen  verschiedener  Art) 
bewirkt  Ratzel  hat  besonderen  Nachdruck  darauf  gelegt,  daß  die  Grenzen 
meist  nicht  scharf  sind,  sondern  daß  ein  allmählicher  Übergang  statt- 
findet, daß  wir  daher  meist  nicht  von  einer  Grenzlinie,  sondern  nur  von 
einem  Grenzsaum  sprechen  können.  So  richtig  das  ist,  so  wird  man  doch 
fOr  alle  Maßangaben,  sowohl  fOr  die  oben  erwähnten  Bestimmungen  der 
relativen  Lage,  d.  h.  des  Abstandes  von  der  Grenzlinie  (Punkte  und  Linien 
gleichen  Grenzabstandes),  wie  für  die  Messung  der  Länge  und  die  sogenannte 
Entwickelung  der  Grenzen,  wie  für  Flächen-  und  Raumbestimmungen  an  der 
Vorstellung  einer  Grenzlinie  festhalten  müssen. 

Es  ist  ein  berechtigtes  Streben  der  geographischen  Wissenschaft,  die 
räumlichen  Verhältnisse  ihrer  Objekte  möglichst  scharf  quantitativ  auf- 
zufassen, die  Längen  und  Höhen,  Flächen  und  Rauminhalte  möglichst  genau 
zu  messen  und  zu  berechnen.  Aus  diesem  Bestreben  heraus  hat  sich  bei- 
nahe eine  eigene  Disziplin  entwickelt,  die  man,  weil  die  meisten  dieser 
Messungen  nicht  direkt  in  der  Natur,  sondern  auf  der  Karte  ausgeführt  werden, 
Kartometrie  genannt  hat.  Es  läßt  sich  aber  nicht  verkennen,  daß  man 
bei  diesen  Bestrebungen  oft  den  Boden  unter  den  Füßen  verloren  hat. 
Ganz  abgesehen  davon,  daß  man,  was  besonders  Hammer  des  öfteren  ge- 
geißelt hat,  die  Ergebnisse  der  Messung  vielfach  in  einer  Genauigkeit  angibt, 
die  zu  den  darin  enthaltenen  Fehlem  in  keinem  Verhältnis  steht,  ist  man 
sich  namentlich  bei  den  Längenmessungen  oft  viel  zu  wenig  bewußt  gewesen, 
daß    die    Längen    gekrümmter   Linien,    wie    es    die    meisten    geographischen 


28  Alfred  Hettner: 

Linien  sind,  je  nach  dem  Maßstab  der  Karte  und  der  davon  abhängigen 
Generalisation  ganz  verschieden  ausfallen  müssen,  und  daß  ein  Vergleich  von 
Längen,  die  auf  Karten  verschiedenen  Maßstabes  und  verschiedener  Genauig- 
keit gemessen  sind,  ein  Unding  ist.  Das  ist  von  verständigen  Leuten  schon 
des  öfteren  gesagt  worden;  aber  immer  von  neuem  werden  ohne  jene  Vor- 
sichtsmaßregeln Fluß-,  Küsten-  und  Grenzlängen  ausgemessen,  die  infolge- 
dessen gar  keinen  Wert  haben. 

Einen  besonderen  Eifer  hat  man  eine  Zeit  lang  der  Bestimmung  räum- 
licher Mittelwerte,  namentlich  mittlerer  Höhen,  mittlerer  Neigungswinkel 
u.  dergl.  zugewendet.  Soweit  diese  Mittelwerte  dazu  dienen,  den  Rauminhalt 
einer  geographischen  Figur,  z.  B.  eines  Gebirges,  oder  die  Größe  der  wahren 
Oberfläche  (im  Gegensatz  zu  der  auf  die  mathematische  Erdoberfläche  redu- 
zierten) zu  berechnen,  läßt  sich  gegen  diese  Bestimmungen  nichts  einwenden, 
außer  vielleicht,  daß  die  darauf  verwendete  Mühe  oft  zur  Bedeutung  des  Er- 
gebnisses in  keinem  angemessenen  Verhältnis  steht.  Insofern  aber  diese 
Mittelwerte  eine  selbständige  Bedeutung  beanspruchen,  muß  ihr  Sinn  erst 
noch  nachgewiesen  werden.  Die  räumlichen  Mittelwerte  sind  offenbar  den 
zeitlichen  Mittelwerten  nachgebildet,  wie  sie  besonders  in  der  Klimatologie 
eine  so  große  Bolle  spielen.  Die  Berechtigung  dieser  zeitlichen  Mittelwerte 
beruht  darauf,  daß  sie  einen  bestimmten  Einfluß  frei  von  den  durch  andere 
Einflüsse  bewirkten  periodischen  und  unperiodischen  Störungen  zum  Aus- 
druck bringen,  daß  sie  also  einen  Wert  angeben,  der  ohne  das  Vorhanden- 
sein jener  Störungen  wirklich  vorhanden  sein  würde.  Auch  den  räumlichen 
Mittelwerten  wird  eine  Bedeutung  nur  dann  zuerkannt  werden  können,  wenn 
sie  die  genannte  Forderung  erfüllen.  Wir  können  hier  diese  Frage  nicht  weiter 
erörtern,  weil  uns  die  Erörterung  in  die  speziellen  Probleme  der  Morphologie 
der  Erdoberfläche  hineinführen  würde,  aber  bisher  scheint  mir  der  Nachweis 
einer  wirklichen  Bedeutung  der  orometrischen  Werte  nicht  erbracht  worden 
zu  sein.  Sie  werden  immer  von  neuem  berechnet  und  von  einem  Buche  ins 
andere  übernommen;  aber  ich  habe  noch  nie  gefunden,  daß  man  von  ihnen, 
außer  der  Berechnung  des  Rauminhaltes  und  damit  der  Masse,  für  die  Be- 
antwortung irgend  einer  Frage,  sei  es  nach  der  Ursache,  sei  es  nach  der 
Wirkung  der  Formen,  Gebrauch  gemacht  hätte.  Sie  sind  meist  nichts  als 
eine  Dekoration  —  oder  ein  Ballast,  je  nachdem  man  es  auffaßt. 

Insofern  es  die  geographische  Betrachtung  mit  isolierten  Objekten  zu 
tun  hat,  wie  es  besonders  bei  den  Pflanzen  und  Tieren,  den  Menschen  und 
ihren  Werken  der  Fall  ist,  kommt  es  neben  Figur  und  Größe  der  einzelnen 
Objekte,  die  vielfach  ganz  vernachlässigt  werden  können,  auf  ihre  Zahl  und 
Häufigkeit  an.  Von  qualitativen  Unterschieden  absehend,  fragen  wir:  mit 
wie  vielen  Objekten  ist  eine  gegebene  Fläche  besetzt,  eine  wie  große  Fläche 
steht  den  einzelnen  Objekten  zur  Verfügung,  wie  groß  ist  der  Abstand 
zwischen  benachbarten  Objekten?  Eigentlich  wären  diese  Fragen  für  jedes 
einzelne  Objekt  zu  stellen,  aber  bei  der  großen  Zahl  der  Objekte  und  der 
darin  begründeten  Unmöglichkeit,  jedes  einzelne  nach  seinen  räumlichen  Ver- 
hältnissen zu  studieren,  kommt  man  gerade  hier  rasch  zu  einer  generali- 
sierenden Betrachtung,   welche  nach  der  durchschnittlichen  Zahl   der  Objekte 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.       29 

auf  der  Flächeneinheit  (der  sogenannten  Dichte)  oder  nach  dem  durchschnitt- 
lich den  Objekten  zur  Verfögung  stehenden  Flächenraum  oder  nach  ihrem 
durchschnittlichen  Abstand  fragt.  Die  Dichte  stellt  sich  arithmetisch  als 
das  Verhältnis  der  Zahl  der  Objekte  zur  Zahl  der  Flächeneinheiten  dar;  aber 
man  sollte  doch  nicht  vergessen,  wie  man  es  in  einer  gewissen  Denkfaulheit 
so  oft  tut,  daß  dieser  arithmetische  Quotient  zweier  so  verschiedenartiger 
Begriffe  kein  sachliches  Verhältnis  sein  kann,  sondern  eben  nur  einen  Durch- 
schnittswert darstellt;  die  Darstellungen  der  Bevölkerungsdichte  wären  dann 
vor  mancher  Unkl^heit  bewahrt  geblieben^). 

Der  zeitliche  Ablauf  der  geographischen  Erscheinungen. 

Die  Geographie  ist  ihrer  Begriffsbestimmung  nach  streng  genonmaen  auf 
die  Betrachtung  der  Gegenwart  beschränkt  und  überläßt  die  Betrachtung 
des  zeitlichen  Ablaufs  anderen  Wissenschaften,  nämlich  der  historischen 
Geologie,  der  Urgeschichte,  der  Geschichte  und  deren  Zweigwissenschaften. 
Aber  ganz  abgesehen  davon,  daß  die  ursächliche  Erklärung  ein  Zurückgehen 
auf  die  Entwickelung  nötig  macht,  was  uns  ja  hier,  wo  wir  nur  die  Tat- 
sachen als  solche  ins  Auge  fassen,  noch  nichts  angeht,  vollziehen  sich  viele 
Veränderungen  so  schnell,  daß  die  Betrachtung  der  Gegenwart  im  strengeren 
Sinne  des  Wortes  nur  ein  Augenblicksbild  ergibt,  dessen  Auffassung  uns 
nicht  genügt,  und  daß  eine  wirkliche  Kenntnis  der  Tatsachen  nur  durch 
die  Betrachtung  eines  etwas  längeren  Zeitraumes  erreicht  werden  kann. 

Man  muß  zwei  Klassen  von  zeitlichen  Veränderungen  der  geographischen 
Erscheinungen  unterscheiden. 

Die  einen  sind  die  periodischen  oder  unperiodischen  Veränderungen, 
welche  sich  um  einen  Nullpunkt  herum  vollziehen,  welche  man  d#her  als 
Schwankungen  bezeichnen  kann.  Hierher  gehören  vor  allem  die  Gezeiten- 
bewegungen und  die  unmittelbar  oder  mittelbar  von  der  Sonnenstrahlung 
abhängigen  Erscheinungen,  also  die  Erscheinungen  der  Witterung,  die 
Temperaturschwankungen  des  Wassers  und  des  Bodens,  die  Bildung  oder  das 
Verschwinden  von  Schnee  und  Eis,  die  phänologischen  Vorgänge  der  Pflanzen- 
und  Tierwelt.  Man  hat  längst  erkannt,  daß  für  die  Geographie  vor  allem 
das  Bleibende  in  diesem  Wechsel  Wert  hat;  darum  hat  man  auf  die  Be- 
rechnung zeitlicher  Mittelwerte  besonderen  Nachdruck  gelegt,  ja  hat  wohl 
die  geographische  Betrachtung  ganz  auf  diese  zeitlichen  Mittelwerte  beschränken 
wollen;  aber  man  hat  allmählich  eingesehen,  daß  für  jede  örtlichkeit  nicht 
nur  die  Mittelwerte,  sondern  ebensogut  auch  die  Grenzwerte  (Extreme)  und 
Schwellenwerte  imd  die  Art  und  Weise,  in  welcher  sich  die  Veränderungen  voll- 
ziehen, charakteristisch  sind.  Der  Gegensatz  der  geographischen  Auffassung 
gegenüber  der  physikalischen  oder  naturgeschichtlichen  Auffassung  besteht  darin, 
daß  für  diese  der  einzelne  augenblickliche  Zustand  als  solcher  den  Gegenstand 

1)  In  meinem  AufSsatz  über  Untersuchung  und  Darstellung  der  Bevölkerungs- 
dichte habe  ich  leider  diese  Bedeutung  des  Begriffs  der  Bevölkerungsdichte,  die 
ich  gleich  anfangs  mehr  nebenbei  richtig  angegeben  hatte,  nachher  als  selbst- 
verständlich vorausgesetzt;  ich  bin  erst  nachtrS^lich  darauf  aufmerksam  geworden, 
daß  über  den  Begriff  Verwirrung  herrscht. 


30  Alfred  Ilettner: 

des  Studiums  bildet,  jene  dagegen  die  Veränderungen,  wie  sie  sich  durch- 
schnittlich oder  gewöhnlich  vollziehen,  —  wir  können  sagen:  die  Veränder- 
lichkeit —  als  Eigenschaft;  der  örtlichkeit  auffaßt.  Wie  weit  sie  dabei  nur 
die  in  kürzeren  Zeiträumen  sich  vollziehenden  oder  auch  die  säkularen  Ände- 
rungen berücksichtigen  soll,  bleibt  bis  zu  einem  gewissen  Grade  willkürlich, 
da  eine  scharfe  Definition  des  Begriffes  Gegenwart  unmöglich  ist. 

Die  andere  Klasse  zeitlicher  Veränderungen  sind  die  fortschreitenden 
Veränderungen,  bei  welchen  keine  Bückkehr  zu  einem  vergangenen  Zu- 
stand und  damit  auch  kein  Schwanken  um  einen  Nullpunkt  herum  stattfindet 
Insoweit  es  sich  dabei  um  physikalische  Vorgänge  handelt,  also  besonders 
bei  klimatischen  Verhältnissen,  haben  sie  eine  große  Ähnlichkeit  mit  solchen 
Schwankungen,  deren  Periode  sehr  groß  ist,  und  können  von  ihnen  bei 
mangelhafter  Kenntnis  häufig  nicht  unterschieden  werden;  sie  sind  darum  von 
der  Geographie  ähnlich  wie  diese  zu  behandeln.  Dagegen  tritt  bei  den 
meisten  Erscheinungen  der  festen  Erdrinde  und  der  organischen  Natur  der 
dauernde  Charakter  der  Veränderungen  sofort  hervor,  und  andererseits  gehen 
diese  Veränderungen  nur  langsam  vor  sich ,  so  daß  wir  tatsächlich  von  einer 
Gegenwart  mit  fest  gegebenen  Zuständen  sprechen  und  die  Aufgabe  der  Geo- 
graphie, soweit  es  sich  um  die  einfache  Feststellung  der  Tatsachen  handelt, 
auf  diese  beschränken,  die  Auffassung  und  Darstellung  vergangener  Zustände 
dagegen  der  Geologie,  Prähistorie  und  Geschichte  bez.  der  prähistorischen  und 
historischen  Geographie  überlassen  können.  Nur  gewisse  Erscheinungen,  wie 
etwa  vulkanische  Ausbrüche,  Erdbeben,  Bergstürze  und  dergleichen,  sind  von 
kurzer  Dauer,  aber  unterliegen  häufiger  Wiederkehr  und  sind  deshalb  von 
der  Geographie  ähnlich  wie  die  Veränderungen  der  Witterung  aufzufassen. 

Es  ist  immöglich,  bestimmte  Regeln  dafür  anzugeben,  inwieweit  die 
zeitlichen  Veränderungen  zum  Inhalt  der  Geographie  gehören.  Man  wird 
allgemein  nur  sagen  können,  daß  der  Geograph  ihre  Berücksichtigung  mehr 
als  ein  notwendiges  Übel  ansehen  muß,  und  daß  durch  die  selbständige  Be- 
trachtung des  zeitlichen  Ablaufs  weder  die  physische  Geographie  in  historische 
Geologie  noch  die  Geographie  des  Menschen  in  Urgeschichte  und  Geschichte 
ausarten  darf,  obgleich  die  Erkenntnis,  daß  die  Gegenwart  nur  aus  der  Ver- 
gangenheit erklärt  werden  kann,  die  Versuchung  dazu  manchmal  nahe  legt 
Selbstverständlich  läßt  sich  die  geographische  Betrachtungsweise  auch  auf 
jede  beliebige  Periode  der  historischen  oder  geologischen  Vergangenheit 
anwenden;  aber  diese  historische  oder  prähistorische  oder  geologische  Geo- 
graphie hat  dann  für  die  Behandlung  der  Zeit  doch  wieder  dieselben  Regeln 
wie  die  eigentliche  Geographie  zu  beachten.  Diese  aber  muß  sich  immer 
bewußt  bleiben,  daß  sie  die  Wissenschaft  von  den  räumlichen  Verhältnissen 
der  Erdoberfläche  in  der  Gegenwart  ist 

Der  sachliche  Inhalt  der  Geographie. 

Der  Charakter  der  Geographie  als  der  Wissenschaft  von  den  räumlichen 
Verhältnissen  der  Erdoberfläche,  also,  wenn  man  will,  als  einer  geometrischen 
Wissenschaft  tritt  uns  deutlich  darin  entgegen,  daß  die  Betrachtung  der 
reinen   Form   der  festen    Erdoberfläche,    bei   der    also    nur   der    einfach    auf- 


Grundbegriffe  und  GrundsHtze  der  physischen  Geographie.       31 

zufassende  Gegensatz  des  Pesten  gegen  die  Wasser-  nnd  Lufthülle  in  Be- 
tracht konunt,  immer  im  Vordergründe  der  geographischen  Betrachtung,  außer 
wo  sie  ganz  unwissenschaftlich  in  Völker-  und  Staatenkunde  aufging, 
gestanden  hat  und  vielfach  noch  steht.  Die  Betrachtung  der  Form  der 
festen  Erdoberfläche  ist  ja,  wie  F.  v.  ßichthofen  hervorgehoben  hat,  das 
einzige  Gebiet,  in  dem  der  Geograph,  soweit  er  nicht  die  Hilfe  der  Geodäsie 
in  Anspruch  nehmen  muß,  ganz  imd  allein  Herr  ist,  während  er  sich  in  die 
Betrachtung  aller  anderen  Gegenstände  mit  anderen  Wissenschaften  teilen  muß. 
Obgleich  kein  Geograph  in  der  Form  der  Erdoberfläche  den  einzigen  Inhalt 
der  Geographie  sehen  wird*),  so  sehen  doch  noch  viele,  namentlich  ältere, 
Geographen  sie  als  die  Grundlage  der  Geographie  in  dem  Sinne  an,  daß  der 
Geograph  von  ihr  als  von  einer  gegebenen  Tatsache  ausgehen  und  ihre  Er- 
klärung der  Geologie  überlassen  dürfe. 

Wir  können  die  Herrschaft  des  räumlichen  Gesichtspunktes  in  der  Geogra- 
phie femer  daran  erkennen,  daß  sie  sich  anderer  Tatsachenreihen  wissenschaftlich 
um  so  leichter  bemächtigt  hat,  je  deutlicher,  und  im  allgemeinen  kann  man 
wohl  auch  sagen,  je  sinnfälliger  -der  räumliche  Gesichtspunkt  in  ihnen  hervor- 
tritt, imd  je  besser  sie  sich  dadurch  zur  kartographischen  Darstellung  eignen. 
Die  größten  methodischen  Fortschritte  der  Geographie  haben  darin  bestanden, 
daß  sie  nach  und  nach  in  immer  mehr  Gebieten  den  Gesichtspimkt  der 
räumlichen  Anordnung  scharf  aufgefaßt  und  diese  Gebiete  damit  der  geo- 
graphischen Untersuchung  und  kartographischen  Darstellung  zugänglich  gemacht 
hat  Wohl  haben  wir  auch  heute  in  manchen  Gebieten  namentlich  der 
Geographie  des  Menschen  den  Weg  der  geographischen  Auffassung  noch 
nicht  ganz  gefunden;  aber  im  allgemeinen  erkennen  Mrir  doch  die  Richtungen 
der  geographischen  Betrachtung  und  haben  damit  einen  Überblick  über  den 
sachlichen  Inhalt  der  Geographie  gewonnen. 

Wir  können  den  gesamten  sachlichen  Inhalt  der  Geographie  als  Tat- 
sachen der  geographischen  Beschaffenheit  oder  als  geographische  Eigen- 
schaften bezeichnen  und  den  Verhältnissen  des  Raumes  und  der  Zeit 
entgegensetzen;  aber  der  Gegensatz  ist  natürlich  nur  ein  logischer,  nicht, 
wozu, er  merkwürdigerweise  oft  gemacht  worden  ist,  ein  tatsächlicher.  Es 
sind  nur  verschiedene  Auffassungsweisen  derselben  Sache:  geographische  Lage, 
Form,  Größe  und  Zahl  sowie  zeitlicher  Verlauf  sind  an  sich  reine  Denk- 
und  Begriffsformen,  die  des  Inhaltes  entbehren;  allen  geographischen  Eigen- 
schaften aber  kommt  notwendigerweise  eine  bestimmte  Lage,  Form,  Größe 
sowie,  was  jedoch  die  Geographie  weniger  angeht,  ein  bestimmtes  zeitliches 
Verhalten  zu,  und  sie  werden,  wie  wir  gesehen  haben,  erst  durch  die  ge- 
nannten Verhältnisse  zu  Tatsachen  der  Geographie.  Sachliche  Eigenschaften 
und  räumliche  Verhältnisse  dürfen  daher  in  geographischen  Darstellungen 
nicht  getrennt  behandelt  werden,  außer  wenn  man  jene  mehr  einleitungsweise, 
als  Vorkenntnis,  bespricht,  sondern  müssen  mit  einander  verbunden  werden*). 

1)  Die  Biologen  sollten  darum  aufhören,  die  Verteilung  von  Land  und  Meer 
und  die  Bodengestaltung  als  geographische  Verhältnisse  den  klimatischen  u. s. w. 
g^egenüberzustellen. 

2)  Die  Abschnitte   über   „Lage   und  Weltstellung**,   welche    länderkundlichen 


32  Alfred  Hettner: 

Tatsachen  und  Vorgänge,  welche  keine  örtliche  Verschiedenheit  des  Auftretens 
zeigen  oder  deren  räumliche  Verhältnisse  unwesentlich  und  gleichgiltig  sind, 
können  überhaupt  keinen  Gegenstand  geographischer  Betrachtung  bilden. 

Die  Bedeutung  einer  Tatsachenreihe  für  die  Geographie  hängt  aber  auch 
von  der  Größe  des  Einflusses  ab,  den  sie  auf  andere  Tatsachenreihen  ausübt. 
Der  Geographie  ist  es  immer  um  die  Auffassung  des  Gesamtcharakters  der 
Örtlichkeiten,  Landschaften,  Länder  zu  tun.  Sie  faßt  also  nur  solche  Tat- 
sachen ins  Auge,  welche  darin  unmittelbar  oder  mittelbar  zum  Ausdruck 
kommen,  und  wendet  ihnen  um  so  größere  Aufmerksamkeit  zu,  je  mehr  das 
der  Fall  ist.  Sie  kann  den  Erdmagnetismus,  wenigstens  bei  dem  gegen- 
wärtigen Stand  unserer  Erkenntnis,  ebenso  gut  beiseite  lassen  wie  das 
Ordenswesen  der  verschiedenen  Staaten,  und  es  ist  eine  durchaus  richtige 
Anwendimg  des  für  die  geographische  Stoffauswahl  maßgebenden  Grundsatzes, 
wenn  sie  von  den  Mineralien  eines  Gebietes  nur  oder  doch  ganz  vorzugs- 
weise die  für  den  Menschen  nutzbaren  berücksichtigt,  auf  denen  Bergbau  und 
Steinbrachsbetrieb  beruhen,  die  oft  Lockmittel  des  Verkehrs  und  der  Ansiede- 
lung gewesen  sind  und  oft  eine  vollkommene  Veränderung  des  Landschafts- 
bildes hervorgerufen  haben. 

Die  Tatsachen  der  Geographie,  mögen  es  Zustände  oder  Vorgänge  sein, 
zerfallen  ihrer  Beschaffenheit  nach  zunächst  in  die  beiden  Hauptgruppen 
der  unorganischen  Natur  und  des  organischen  Lebens.  Die  unorganische 
Natur  ist  das  Primäre,  sie  bestimmt  das  eigentliche  Wesen  der  Erdoberfläche. 
Das  Leben  ist  sekundär:  wir  könnten  es  uns  wegdenken,  es  hat  wahr- 
scheinlich eine  Zeit  ohne  Leben  gegeben,  das  Leben  ist  möglicherweise, 
wenngleich  diese  Auffassung  nicht  wahrscheinlich  ist,  von  außen  her  auf 
die  Erde  gebracht  worden  und  hat  hier  zufällig  eine  Wohnstätte  gefunden. 
Gegenüber  diesem  Gegensatz  zwischen  unorganischer  Natur  und  Leben  tritt 
fiir  die  geographische  Betrachtung  der  Gegensatz  zwischen  Natur  imd  Mensch 
oder  Natur  und  Geist  in  den  Hintergnmd:  der  Mensch  ist  uns  im  Verhältnis 
zur  Erdnatur  zunächst  ein  Teil  des  Lebens,  und  eine  Zweiteilung  der  Geo- 
graphie in  physische  Geographie  und  Geographie  des  Menschen  ist  nur  aus 
äußeren,  nicht  aus  inneren  Gründen  berechtigt. 

Ursprünglich  mag  die  Erdoberfläche  gleichartig  gewesen  sein,  aber  schon 
bei  der  ersten  Abkühlung  imd  Erstarrung  der  Erde  hat  sie  sich  in  drei 
Naturreiche  mit  verschiedenen  Aggregatzuständen  differenziert,  die,  im  großen 
und  ganzen  betrachtet,  über  einander  liegende  Hüllen  oder  Sphären  bilden: 
die  feste  Erdrinde  oder  Erdkruste  (Lithosphäre),  die  deren  Vertiefungen  ein- 
nehmende Wasserhülle  (Hydrosphäre)  imd  die  über  beiden  sich  ausbreitende, 
nach  außen  sich  allmählich  verdünnende  und  in  den  Weltraimi  übergehende 
Lufthülle  (Atmosphäre).  Die  Scheidung  ist  aber  nicht  scharf,  Li  der  Luft 
schwebt  fast  immer  Staub  und  häufig  auch  Sand,  aber  noch  wesentlicher  ist 
der  Gehalt  an  Wasser  in  flüssigem  oder  festem  Zustande.  Auch  die  Wasser- 
Darstellungen  oft  Yorausgeschickt  werden,  behandeln  meist  nur  den  Einfluß  der 
allgemeinen  Lage  des  Landes  auf  den  Menschen;  sie  sind  also  ein  Rest  anthropo- 
zentrischer Auffassung  der  Geographie  und  sollten  lieber  mit  den  anthropogeogra- 
phischen  Kapiteln  verbunden  werden. 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.       33 

hülle  enthält  fast  überall  feste  Bestandteile  und  geht,  wenn  es  friert,  in 
festen  Zustand  über,  so  daß  sie  in  der  Form  von  8chnee  und  Eis  zeitweise 
oder  dauernd  zu  einem  Bestandteil  der  festen  £rdrinde  wird.  Die  feste  Erd- 
rinde schließt  in  allen  Hohlräumen  Wasser  und  Luft  ein,  und  in  den  Süm- 
pfen und  Mooren  findet  eine  formliche  Durchdringung  des  Festen  und 
Flüssigen  statt,  so  daß  sie  eine  Zwischenstellung  zwischen  dem  Festen  und 
Flüssigen  einnehmen.  Wir  können  daher  nur  sagen,  daß  in  jeder  der  drei 
Sphären  der  ihr  eigentümliche  Aggregatzustand  vorherrscht,  und  wir  gestehen 
damit  ein,  daß  die  Zurechnung  einer  Erscheinung  zu  der  einen  oder  anderen 
Sphäre  in  manchen  Fällen  willkürlich  ist. 

Die  feste  Erdrinde. 

Es  erscheint  am  natürlichsten,  mit  der  Betrachtung  der  festen  Erdrinde 
zu  beginnen.  Sie  ist  ein  großes  zusammenhängendes  Ganzes.  Wenn  man 
allerdings,  wie  es  früher  üblich  war  und  bei  manchen  der  alten  Schule  an- 
gehörigen  Geographen  noch  üblich  ist,  ausschließlich  die  mathematische  Erd- 
oberfläche, d.  h.  die  Erdoberfläche  im  Niveau  des  Meerespiegels,  ins  Auge  faßt, 
also  nur  den  subagrischen  Teil  der  festen  Erdrinde,  das  Festland,  berück- 
sichtigt, so  ist  die  feste  Erdoberfläche  natürlich  in  noch  höherem  Grade  als 
die  Wasserhülle  zerteilt  und  zerstückelt.  Aber  eine  solche  Betrachtungsweise 
entspricht  einer  tieferen  wissenschaftlichen  Auffassimg  nicht;  diese  muß  die 
feste  Erdrinde  vielmehr  als  ein  zusanunenhängendes  Ganzes  mit  stark  geglie- 
derter und  infolge  dessen  in  den  tieferen  Teilen  mit  Wasser  überdeckter, 
subaquatischer,  Oberfläche  auffassen. 

Die  feste  Erdrinde  hat  eine  mannigfaltige  stoffliche  Zusammen- 
setzung. Allerdings  hat  die  Geographie  deren  Studium  lange  Zeit  ganz 
vernachlässigt,  und  noch  heute  nehmen  viele  geographische  Darstellungen 
kaum  darauf  Rücksicht;  aber  je  tiefer  das  Studium  dringt,  um  so  mehr  zeigt 
sich  die  Abhängigkeit  der  Bewässerungsverhältnisse,  des  Pflanzenwuchses,  der 
menschlichen  Wirtschaft  von  der  stofflichen  Zusammensetzung  der  Erdkruste, 
um  so  mehr  erweist  es  sich  also  als  eine  Notwendigkeit,  sie  ebenso  wie  die 
Form  der  festen  Erdoberfläche  in  den  Kreis  der  geographischen  Betrachtung 
einzubeziehen,  und  es  muß  als  ein  großes  methodisches  Verdienst  v.  Bicht- 
hofens  angesehen  werden,  daß  er  energisch  darauf  hingewiesen  und  die 
Wege  der  Betrachtung  gezeigt  hat.  Die  stoffliche  Zusammensetzung  ist  in 
verschiedenen  Tiefen  ganz  verschiedenartig  und  erfordert  daher  verschiedene 
Betrachtungsweisen.  In  größerer  Tiefe  dürfen  wir  ein  gestaltloses,  in  den 
flüssigen  Aggregatzustand  allmählich  übergehendes  Magma  vermuten,  das  nur 
chemische  Unterschiede  der  Zusammensetzimg  zeigt;  aber  dieses  Magma  ge- 
hört nicht  mehr  zur  Erdoberfläche  und  hat  für  diese  nur  durch  seine 
mechanischen,  physikalischen  und  chemischen  Vorgänge  Bedeutung.  In  ge- 
ringerer Tiefe  besteht  die  Erdrinde  aus  deutlich  unterschiedenen  Mineralien, 
die  in  der  verschiedensten  Weise  Gesteine  zusammensetzen,  und  die  Be- 
trachtung muß  daher  durchaus  auf  mineralogisch-petrographischer  Grundlage 
ruhen.  Unmittelbar  unter  der  Erdoberfläche  ändert  sich  aber  die  Beschaffen- 
heit meistens  wieder,  indem  die  deutliche   petrographische  Struktur  in   einen 

Oeogrsphiiohe  Zeittohrift.  9.  Jahrgang.  1908.  1.  Heft.  3 


34  Alfred  Hettner: 

strukturlosen  Erdboden  übergeht,  der  von  der  Bodenkunde  weniger  nach 
mineralogischen  als  nach  chemisch -physikalischen  Methoden  untersucht  wird. 
An  Masse  weit  hinter  dem  unterliegenden  Gestein  zurückstehend,  hat  der 
Boden  doch  für  die  Vegetation  und  infolgedessen  für  die  Landwirtschaft  die 
allergrößte  Bedeutung  und  ist  mit  Recht  zu  einem  Gegenstand  des  geogra- 
phischen Studiums  gemacht  worden. 

Man  kann  die  Bestandmassen  der  festen  Erdrinde  auch  unter  dem  Ge- 
sichtspunkte des  Alters  ihrer  Bildung  betrachten.  Das  ist  der  Gesichtspunkt, 
der  für  die  Geologie  der  wichtigste  ist,  weil  ihr  Augenmerk  ja  hauptsächlich 
auf  die  Geschichte  der  Erde  gerichtet  ist  imd  sie  in  der  Beschaffenheit  und 
YersteinerungsfÜhrung  der  Schichten  Zeugnisse  fEbr  die  Zustände  vergangener 
Perioden  erblickt.  Als  geologische  Betrachtungsweisen  sich  in  der  Geographie 
einbürgerten,  hat  auch  diese  oft  dem  Bildungsalter  der  Gesteine  große  Be- 
deutung zugemessen.  Das  ist  insofern  berechtigt,  als  die  Beurteilung  der 
Altersverh&ltnisse  zur  Beurteilung  der  Lagerungsverhältnisse,  also  der  Auf- 
fassimg  des  inneren  Baus  dient,  und  insofern  die  geschichtliche  Ent- 
wickelung  das  Verständnis  der  Gegenwart  erläutert;  aber  eine  direkte  geo- 
graphische Bedeutung  kommt  dem  Alter  der  Gesteine  nicht  zu,  und  bei  geo- 
graphischen Darstellungen  sollte  man  sich  daher  immer  erst  überlegen,  ob 
Angaben  über  das  geologische  Alter  der  Gesteine  das  geographische  Ver- 
ständnis wirklich  fördern. 

Eine  unmittelbare  Folge  des  festen  Aggregatzustandes  ist  die  Bedeutung 
der  Form  Verhältnisse,  d.  h.  die  Anordnung  der  Bestandmassen  im  Zustande 
der  Ruhe.  Man  muß  jedoch  auch  hier  wieder  eine  ähnliche  Unterscheidung 
machen  wie  in  Bezug  auf  die  stoffliche  Zusammensetzung  zwischen  Gestein  und 
Erdboden,  nämlich  die  Unterscheidung  zwischen  der  inneren  Anordnung  der 
einzelnen  Bestandmassen,  die  im  Verein  mit  der  Gesteinzusammensetzung  den 
inneren  Bau  ausmacht,  und  der  oberen  Grenzfläche  der  festen  Erdrinde  gegen 
die  Wasser-  und  Lufthülle,  also  der  äußeren  Form.  Diese  ist  von  der 
Geographie  mit  Unrecht  lange  allein  berücksichtigt  worden.  Wie  der  Boden 
nicht  dasselbe  ist  wie  das  Gestein,  sondern  aus  einer  Umwandlung  des  Ge- 
steins hervorgeht,  ist  die  äußere  Form  keine  unmittelbare  Folge  der  inneren 
Anordnung,  sondern  steht  in  einem  gewissen  Widerspruch  zu  der  Form  der 
Oberfläche,  wie  sie  sich  aus  dem  inneren  Bau  allein  ergeben  würde,  also  zu 
der  tektonischen  Oberfläche,  und  die  Geomorphologie,  d.  h.  die  Wissenschaft 
von  der  äußeren  Gestalt  der  Erdoberfläche,  ist  darum  von  der  Geotektonik,  der 
Wissenschaft  von  dem  inneren  Bau,  verschieden.  Streng  genommen  wäre  die 
Gestalt  der  Erdoberfläche  als  ein  Ganzes  aufzufassen;  aber  um  überhaupt  einen 
Überblick  über  das  Ganze  gewinnen  zu  können,  muß  man  sie  sich  in  selbständig 
neben  einander  liegende  Formen  zerlegt  denken,  bei  deren  Abgrenzung  man  auf 
möglichste  Einheitlichkeit  und  Einfachheit  der  daraus  entstehenden  Formen 
bedacht  ist  Man  kann  dabei  verschiedene  Größenklassen  unterscheiden,  die 
teilweise  selbständig  neben  einander  stehen,  teilweise  nur  als  Umbildungen 
oder  Teilbildungen  anderer  größerer  Formen  denkbar  sind,  so  daß  man  zwischen 
selbständigen  und  unselbständigen  Formen  unterscheiden  kann.  Ein  wichtiger 
Unterschied  der  Formen  beruht  darauf,   ob  sie  nach  oben  an  die  Luft-  pder 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.        35 

an  die  Wasserbülle  anstoßen ,  ob  sie  also  subaSrisch  oder  subaqüatisch  sind; 
die  Unterscheidung  fällt  meistens  mit  der  Unterscheidung  von  Festlands-  und 
sulmiarinen  Formen  zusammen,  aber  zu  den  subaquatischen  Formen  gehören 
natürlich  auch  die  Becken  und  Betten  der  Seen,  Flüsse  und  Gletscher.  Eine 
besondere  Klasse  von  Formen  ergibt  sich  an  den  Küsten  der  Meere  und 
Seen  sowie  an  den  Flußufem,  wo  Wasser  und  festes  Land  im  selben  Niveau 
neben  einander  treten.  Man  pflegt  diese  Formen  als  Formen  der  wagrechten 
den  Formen  der  senkrechten  Gliederung  gegenüber  zu  stellen;  aber  die  Be- 
zeichnung ist  nicht  sehr  glücklich,  da  auch  bei  der  Küstengliederung  die 
senkrechte  Gliederung  in  Betracht  kommt  und  bei  den  Formen  des  Festlandes 
und  Meeresbodens  unmöglich  von  ihrer  horizontalen  Ausdehnung  abgesehen 
werden  kann. 

In  engstem  Zusammenhang  mit  dem  Bau  der  festen  Erdrinde  steht  ihre 
Mechanik;  es  ist  eigentlich  dieselbe  Sache,  nur  aus  anderem  Gesichtspimkte 
betrachtet.  Die  Anordnung  der  Bestandmassen  stellt  zugleich  deren  Statik 
dar,  während  die  Bewegungen  der  Bestandmassen  deren  Kinematik  ausmachen. 
Auch  hier  kann  man  wieder  zwischen  Bewegungen  im  Inneren  der  Erdkruste 
und  Bewegungen  der  eigentlichen  Erdoberfläche  unterscheiden;  man  hat  jene, 
eine  von  Humboldt  geschaffene  Ausdrucksweise  etwas  erweiternd,  als  endogene, 
diese  als  exogene  Bewegungen  bezeichnet.  Zu  jenen  gehören  die  vulkanischen 
Ausbrüche  und  Eindringungen  (Intrusionen),  die  Faltungen  und  Verwerfungen, 
die  Erdbeben;  diese  können  durch  die  Schwere  allein  hervorgerufen  werden, 
werden  aber  meistens  durch  Bewegungen  des  Wassers  oder  der  Luft  ver- 
mittelt, sodaß  die  beweglichen  Bestandteile  der  festen  Erdrinde  2eitweise  der 
Wasser-  oder  Lufthülle  einverleibt  werden  und  die  Bewegungen  sich  in  der 
festen  Erdrinde  selbst  vornehmlich  als  Tatsachen  der  Abtragung  oder  Ab- 
lagerung äußern. 

Die  physikalischen  Erscheinungen  im  engeren  Sinne  haben  bei  der 
festen  Erdrinde  nur  nebensächliche  Bedeutung,  wenn  sie  Auch  vielfach  zu  sehr 
vernachlässigt  oder  an  ganz  anderer  Stelle  nebenbei  behandelt  werden.  Die 
Bodentemperatur,  die  man  gewöhnlich  zusammen  mit  der  inneren  Erdwärme 
als  Eigenschaft  der  ganzen  Erde  behandelt,  ist  tatsächlich  eine  Eigenschaft 
der  festen  Erdrinde,  genau  so  gut  wie  die  Wassertemperatur  eine  Eigenschaft 
des  Wassers  oder  die  Lufttemperatur  eine  Eigenschaft  der  Atmosphäre  ist. 
Fast  ganz  vernachlässigt  ist  bisher  die  systematische  Darstellung  der  Farbe 
des  Erdbodens,  obgleich  sie  ein  charakteristisches  Merkmal  der  Landschaft 
bildet.  Unwichtig  sind  die  Erscheinungen  des  Schalles,  und  ob  man  den 
Erdmagnetismus  als  eine  Eigenschaft  der  Erdrinde  auffassen  und  ihm 
überhaupt  geographische  Bedeutung  zuerkennen  soll,  muß  noch  dahin  ge- 
stellt bleiben. 

Die  Wasserhülle  (Hydrosphäre). 

^  •  Das  Wasser  der  Erde  hat  ursprünglich  wohl  eine  zusammenhängende 
Hülle  über  der  Gesteinshülle  gebildet;  durch  die  Dislokationen  der  Erdkruste 
ist  aber  ein  Teil  der  Erdoberfläche  seinem  Bereich  entzogen  worden,  und 
das  Wasser,  das  infolge  des  von  der  Sonnenstrahlung  eingeleiteten  Kreislattf^ 


36  Alfred  Hettner: 

aus  der  Atmosphäre  niederfällt,  fällt  nun  zum  Teil  auf  das  Festland  und 
nimmt  hier  die  verschiedensten  Formen  an.  Teils  liegt  es  in  festem  Zustande 
als  Schnee  oder  Eis  auf  der  festen  Erdoberfläche  auf,  in  manchen  Beziehungen 
einen  Bestandteil  von  ihr  bildend,  aber  doch  nach  der  Mehrheit  seiner  Eigen- 
schaften dem  Reiche  des  Wassers  angehörig;  teils  dringt  es  in  die  feste  Erd- 
rinde ein,  um  in  zahllosen  einzelnen  Fäden  oder  auch  in  größeren  Strömen 
in  dieser  zu  zirkulieren;  teils  fließt  es  in  der  Form  von  Bächen  und  Flüssen 
oberflächlich  ab;  teils  sammelt  es  sich  in  Einsenkungen  des  Bodens  zu 
Teichen  und  Seen.  Schnee  und  Eis,  Grundwasser,  Flüsse,  Seen  bilden  also 
neben  dem  Meere  besondere  Wasseransammlungen,  welche  jede  der  Betrach- 
tung etwas  verschiedene  Gesichtspunkte  darbieten,  aber  doch  zusammen- 
gehörige Erscheinungen  sind  und  in  der  Darstellung  nicht  so  auseinander- 
gerissen werden  sollten,  wie  es  namentlich  in  deutschen  geographischen 
Werken  üblich  ist 

Das  Wasser  als  solches  kann  infolge  der  leichten  Verschiebbarkeit  seiner 
Teile  keine  besondere  /Form  haben,  sondern  füllt  einfach  die  Hohlformen  der 
festen  Erdrinde,  die  es  sich  allerdings  teilweise  selbst  erst  gegraben  hat,  bis 
zu  einer  gewissen,  durch  die  Wassermasse  bedingten  Höhe  aus,  um  nach  oben 
mit  horizontaler  oder  doch  nur  unwesentlich  davon  abweichender  Oberfläche 
abzuschließen.  Auch  von  einer  festen  und  bleibenden  inneren  Anordnung 
der  Wassermassen  kann  nicht  die  Rede  sein;  dem  Wasser  kommen  vielmehr 
nur  vergängliche,  an  den  Grenzen  verschwimmende,  sinnlich  wenig  wahr- 
nehmbare Figuren  zu,  die  sich  aus  den  Unterschieden  der  stofflichen  Zu- 
sammensetzung, der  Bewegung,  der  physikalischen  Verhältnisse  ergeben.  Eine 
Ausnahme  bilden  selbstverständlich  die  Gletscher,  die  infolge  ihres  festen 
Aggregatzustandes  eine  selbständige,  unregelmäßig  gestaltete  Oberfläche  und 
ausgesprochene  innere  Struktur  haben. 

Den  ersten  Gesichtspunkt  der  Betrachtung  des  Wassers  bildet  die 
Quantität  der  an  jeder  Stelle  vorhandenen  Wassermasse,  die  sich  im  ge- 
gebenen Augenblick  aus  ihrer  Flächenausdehnung  und  ihrer  Tiefe  ergibt. 
Daran  schließt  sich  zweitens  die  Frage  nach  der  stofflichen  Zusammen- 
setzung, die  aber  von  verhältnismäßig  geringer  Bedeutung  ist,  da  ja 
Wasser  die  einzige  in  größeren  Massen  auftretende  Flüssigkeit  der  Erdober- 
fläche ist  und  es  sich  nur  um  Unterschiede  in  der  Menge  der  gelösten  und 
schwebenden  Bestandteile  handelt.  Dagegen  ist  ^e  Mechanik  des  Wassers 
von  der  größten  Bedeutung.  Die  Bewegungserscheinungen  sind  von  ganz 
verschiedener  Art  beim  fließenden  Wasser  (auch  dem  unterirdischen  Wasser 
und  Gletschereis),  wo  sie  eine  unmittelbare  Wirkung  der  Erdschwere  sind, 
und  in  stehenden  Gewässern,  besonders  im  Meere,  wo  die  unmittelbare 
Schwere  der  Erde  nicht  in  Betracht  kommt,  dagegen  die  Attraktion  des 
Mondes  und  der  Sonne,  Erdbeben  und  vulkanische  Ausbrüche,  der  Wind 
und  auch  Dichteunterschiede  Bewegungen  verschiedener  Art  hervorrufen. 
Von  den  physikalischen  Verhältnissen  im  engeren  Sinne  sind  auch  bei 
dem  Wasser  die  Wärmeverhältnisse  am  wichtigsten;  demnächst  Farbe  und 
Durchsichtigkeit,  während  Schall  und  Elektrizität  nur  untergeordnete  Be- 
deutung haben. 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.       37 

Aber  in  allen  diesen  Beziehungen  bilden  nicht  die  Tatsachen  und  Ge- 
setze als  solche,  sondern  nur  in  ihrer  räumlichen  Anordnung  und  Verteilung 
einen  Gegenstand  der  Geographie. 

Die  Lufthülle  (Atmosphäre). 
Die  Betrachtung  der  Lufthülle  oder  Atmosphäre,  deren  geographisch 
wichtige  Zustände  und  Vorgänge  wir  als  Klima  bezeichnen,  zeigt  die  ein- 
fachsten Verhältnisse.  Von  einer  Form  können  wir  bei  einer  Gasmasse  eigent- 
lich überhaupt  nicht  reden;  eine  Form  kommt  ihr  wie  der  Wasserhülle  nur 
passiv  an  ihrem  Boden  zu,  der  durch  die  Oberfläche  des  Wassers  und  der 
festen  Erdrinde  gebildet  wird.  Auch  von  einer  inneren  Anordnung  der 
Bestandmassen  kann  nur  in  demselben  Sinne,  wie  bei  dem  Wasser  die  Rede 
sein.  Die  stoffliche  Zusammensetzung  zeigt  verhältnismäßig  geringe 
Unterschiede:  die  beiden  Gase,  welche  die  Atmosphäre  der  Hauptsache  nach 
zusammensetzen,  Sauerstoff  und  Stickstoff,  zeigen  nur  geringe  und,  so  weit  wir 
bisher  beurteilen  können,  unwichtige  Schwankungen  ihrer  Zusammensetzung; 
größere  Schwankungen  zeigen  nur  die  Ausbildung  des  Sauerstoffes  als  Ozon,* 
der  Gehalt  der  Luft  an  Kohlensäure  und  Wasserdampf  und  die  Menge  der 
in  der  Luft  schwebenden  festen  und  flüssigen  Teilchen.  Die  wichtigste 
dieser  Schwankungen  der  stofflichen  Zusammensetzung,  nämlich  das  Auf- 
treten von  Wasser  in  seinen  drei  Aggregatzuständen,  kann  aber  auch  als  eine 
thermische  ErscheinmCig  aufgefaßt  werden.  Bei  der  Lufthülle  handelt  es  sich 
also  vorzugsweise  um  mechanische  und  physikalische  Tatsachen.  Die  Statik 
und  Mechanik  der  Atmosphäre  begreifen  die  Erscheinungen  des  Luftdruckes 
und  der  Luftbewegung  (Richtung  und  Stärke).  Von  den  eigentlichen  physi- 
kalischen Erscheinungen  sind  die  der  Wärme  am  wichtigsten,  zumal 
wenn  wir  dazu  auch  ihre  Folgeerscheinung,  den  Wassergehalt  der  Atmo- 
sphäre, rechnen.  Weniger  wichtig,  aber  von  der  wissenschaftlichen  Geographie 
doch  zu  sehr  vernachlässigt  sind  die  Erscheinungen  des  Lichtes  und  der 
Farbe,  von  denen  ja  die  Stimmung  der  Landschaft  in  so  hohem  Maße  ab- 
hängt. Den  Schallerscheinimgen  dagegen  und  auch  den  elektrischen  Ent- 
ladungen kommt  nur  untergeordnete  Bedeutung  zu. 

So  sehen  wir,  daß  die  Bedeutung  der  verschiedenen  Kategorien  von 
Eigenschaften  in  den  drei  Reichen  oder  Sphären  der  anorganischen  Natur 
infolge  der  Verschiedenheit  des  Aggregatzustandes  verschieden  ist.  Die 
Eigenschaften  der  Form,  die  bei  der  festen  Erdrinde  am  wichtigsten  sind, 
fehlen  in  der  Wasser-  und  Lufthülle  ganz  oder  haben  wenigstens  keine 
selbständige  Bedeutung.  Auch  den  Verschiedenheiten  der  stofflichen  Zu- 
sammensetzung kommt  nur  in  der  festen  Erdrinde  größere  Bedeutung  zu, 
dagegen  sind  in  der  Wasser-  und  Lufthülle  die  Bewegungsvorgänge  und  in 
der  Lufthülle  auch  die  Druckverhältnisse  sowie  die  eigentlich  physikalischen, 
namentlich  die  thermischen  Verhältnisse  von  viel  größerer  Wichtigkeit  als  in 
der  festen  Erdrinde.  Aber  bei  aller  Verschiedenheit  der  Wichtigkeit  sind 
doch  die  Kategorien  der  Eigenschaften  und  damit  auch  die  Gesichtspunkte 
der  Betrachtung  in  der  ganzen  anorganischen  Natur  der  Erde  dieselben, 
während  sie  in  der  organischen  Natur  andere  werden. 


38  Alfred  Hettner: 

Das  Leben. 

Es  kommt  uns  nicht  darauf  an,  das  grundsätzliche  Verhältnis  des 
Organischen  zum  Unorganischen  aufzufassen.  Für  die  geographische  Auf- 
fassung der  Organismen  ist  es,  wie  mir  scheint,  gleichgültig,  ob  sich  das 
Leben  ganz  auf  physikalische  und  chemische  Kräfte  zurückführen  läßt,  oder 
ob  es  eine  besondere  Lebenskraft  gibt.  Auch  die  Frage,  ob  das  Leben  auf 
der  Erde  entstanden  ist  und  ganz  ihr  angehört,  oder  ob  es  von  außen  her 
auf  die  Erde  verpflanzt  worden  ist,  ist  für  die  geographische  Stellung  der 
Organismen  ohne  Bedeutung.  Die  für  die  geographische  Betrachtung  Aus- 
schlag gebende  Tatsache  ist,  daß  die  Organismen,  zu  denen  wir  in  dieser 
Beziehung  auch  die  Erzeugnisse  menschlichen  Schaffens  zu  rechnen  haben, 
außer  wo  sie  eine  Arbeit  an  der  anorganischen  Erdoberfläche  darstellen, 
keine  zusammenhängende  Masse,  sondern  zahlreiche  einzelne  individuelle 
Wesen  sind,  die  von  einer  Stelle  zur  anderen  sich  bewegen  oder  versetzt 
werden  können,  ohfae  dabei  ihre  Eigenart  zu  verlieren.  Erst  wenn  die 
Organismen  absterben  und  damit  in  die  unorganische  Natur  übergehen,  ver- 
lieren sie  diese  Versetzbarkeit  und  werden  zu  wirklichen  Bestandteilen  der 
Erdstelle,  wie  es  bei  der  Humusbildung,  in  den  Torfmooren  und  in  den 
Korallenriffen  der  Fall  ist.  Man  hat  wohl,  nach  Analogie  der  Atmosphäre, 
Hydrosphäre  und  Lithosphäre,  auch  von  einer  Biosphäre  gesprochen;  aber  die 
Analogie  ist  nicht  richtig,  die  Bezeichnung  ist  ungenau  und  irreführend  und 
sollte  deshalb  lieber  vermieden  werden.  Man  kann  daher  auch  der  orga- 
nischen Natur  als  Ganzem  weder  Eigenschaften  der  stofflichen  Zusammen- 
setzung und  Form  noch  mechanische  noch  physikalische  noch  chemische  Kräfte 
beimessen,  sondern  muß  die  einzelnen  organischen  Individuen  und  Genossen- 
schaften als  solche  auffassen  und  in  ihren  Beziehungen  zur  Erdoberfläche  be- 
trachten. Der  geographischen  Auffassung  kommt  es  dabei  nicht  auf  die  Orga- 
nismen als  solche,  sondern  lediglich  als  Bestandteile  der  Erdoberfläche  an. 
Ihr  ist  es  daher  nicht  um  die  Verbreitung  bestimmter  Klassen  von  Organis- 
men, was  vielmehr  der  Gesichtspunkt  der  Botanik,  der  Zoologie  und  der 
Wissenschaften  vom  Menschen  ist,  sondern  um  die  Erdstellen  und  Erdräume 
als  Sitze  der  Organismen  oder,  wenn  man  lieber  so  sagen  will,  um  die  Aus- 
stattung der  verschiedenen  Stellen  der  Erdoberfläche  mit  Organismen  ver- 
schiedener Art  und  Menge  zu  tun.  Sie  erkennt  dabei  den  verschiedenen 
Klassen  der  Organismen  je  nach  der  Rolle,  die  sie  im  Haushalte  der  Natur 
spielen,  verschiedene  Bedeutung  zu.  Die  geogiaphische  Charakteristik  der 
Organismen  stützt  sich  selbstverständlich  nicht  auf  die  Eigenschaften  und 
Vorgänge  anorganischer  Natur,  sondern  auf  die  Eigenschaften  und  Vorgänge 
des  Lebens,  wie  sie  von  den  biologischen  Wissenschaften  festgestellt  wor- 
den sind. 

Die  Botanik  hat  die  Pflanzen,  wenn  wir  von  den  Einteilungen  nach 
ihrem  Nutzen  für  den  Menschen  absehen,  zuerst  nach  ihrem  Wuchs  eingeteilt; 
sie  ging  aber  bald  darüber  hinaus  und  begründete  die  Unterscheidung  haupt- 
sächlich auf  die  Ausbildung  der  Foi-tpflanzungsorgano  (Blüten  und  Früchte). 
Dieses  Prinzip  war  ebensowohl  für  das  künstliche  System  Linnes,    welches 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.       39 

nur  eine  orientierende  Übersicht  über  die  Pflanzenwelt  anstrebte,  wie  fttr 
die  verschiedenen  natürlichen  Pflanzensysteme  maßgebend,  welche  die  natür- 
liche Verwandtschaft  und  die  Abstammungsverhältnisse  der  Pflanzen  zum 
Ausdruck  zu  bringen  suchen.  Aber  es  zeigte  sich,  daß  diese  auf  die  Ab- 
stammung zielenden  Systeme  den  Lebens-  und  Wuchsverhältnissen  nicht  ge- 
recht werden,  weil  die  Ausbildung  der  vegetativen  Organe  nicht  von  der 
Abstammung,  sondern  von  den  äußeren  Lebensbedingungen  abhängt,  eine 
Anpassung  der  Organismen  an  diese  darstellt.  Schon  Alexander  von 
Humboldt  stellte  mit  genialer  Intuition  neben  dem  genetischen  Pflanzen- 
system ein  System  der  Vegetationsformen  auf,  das  er  allerdings  zunächst  nur 
auf  die  Physiognomie  der  Pflanzen  begründete  und  noch  zu  sehr  mit  dem 
gewöhnlichen  genealogischen  Systeme  verquickte.  Die  neuere  Wissenschaft  hat 
angefangen,  diesem  System,  selbstverständlich  mit  vielen  Umbildungen  im 
einzelnen,  eine  sichere  physiologische  Begründung  zu  geben.  So  stehen  heute 
zwei  Einteilungen  der  Pflanzenwelt  neben  einander,  die  nur  in  den  untersten 
Gliedern,  den  Arten  und  Abarten,  zusammenfallen,  in  den  oberen  Abteilungen  aber 
ganz  verschieden  sind:  das  sogenannte  natürliche  Pflanzensystem,  welches  auf  die 
Fortpflanzungsorgane  begründet  ist  und  die  Abstammungsverhältnisse  darstellen 
soll,  und  die  physiologisch-physiognomischen  Einteilungen,  welche  auf  die  Aus- 
bildung der  vegetativen  Organe  begründet  sind  und  die  Gleichheit  oder  Ver- 
schiedenheit der  Lebensbedingungen  und  Lebensweise  zum  Ausdruck  bringen. 
Man  hat  für  diese  beiden  Auffassungsweisen  einen  kurzen  Ausdruck  ge- 
wonnen, indem  man  die  Pflanzenwelt  unter  dem  Gesichtspunkt  der  Abstam- 
mungsverwandtschaft als  Flora,  unter  dem  Gesichtspunkt  der  Lebensweise  als 
Vegetation  bezeichnet.  Damit  sind  auch  der  Pflanzengeographie  die  beiden 
Gesichtspunkte  der  Betrachtung  gewiesen.  Sie  hat  erstens  zu  fragen  nach 
der  Flora  eines  Gebietes,  d.  h.  nach  dem  Auftreten  oder  Fehlen  der  syste- 
matischen Pflanzengruppen:  der  Klassen,  Ordnungen,  Familien,  Gattungen, 
Arten  und  Unterarten.  Sie  entwirft  Florenverzeichnisse  und  kann  darauf 
natürlich  auch,  wenn  ihr  das  wissenschaftlich  wertvoll  erscheint,  eine  Floren- 
statistik begründen.  Sie  stellt  durch  die  Vergleichung  verschiedener  örtlich- 
keiten die  Eigenart,  die  Endemismen  jeder  einzelnen  und  die  Verwandt- 
schaft mit  anderen  örtlichkeiten  fest.  Sie  untersucht  auch,  indem  sie  von 
statischer  zu  dynamischer  Betrachtung  übergeht,  die  Wanderungen  der  ein- 
zelnen Pflanzenarten  und  die  Veränderungen  innerhalb  der  Floren.  Sie  fragt 
zweitens  nach  der  Vegetation.  Sie  stellt  fest,  daß  jedem  Gebiete  besondere 
Vegetationsformen  mit  eigentümlicher  Lebensweise  und  Ausbildung  der  vege- 
tativen Organe,  hauptsächlich  der  Stengel,  Blätter  und  Wurzeln,  zukommen. 
Sie  erkennt  dabei,  daß  Gewächse  von  gleichartigen  Lebensverhältnissen  oder 
auch  verschiedenartige  Gewächse,  die  aber  durch  ihre  Lebensweise  auf  einander 
angewiesen  sind,  zu  Beständen,  den  sogenannten  Vegetationsformationen,  ver- 
einigt sind,  die  sich  schon  auf  den  ersten  Blick  als  wesentliche  Bestandteile 
der  Landschaft  zu  erkennen  geben,  und  sie  wendet  ihre  Aufmerksamkeit  darum 
mit  Vorliebe  diesen  Vegetationsformationen  zu.  Sowohl  die  Vegetation  wie  die 
Floi*a  zeigen  infolge  der  Bodenständigkeit  der  Pflanzen  feste  räumliche  Verhält- 
nisse, welche  sie   für  die  geographische  Auffassung   leicht  geeignet  machen. 


40   A.  Hettner:  Grundbegriffe  u.  Grundsätze  d.  physischen  Geographie. 

Ganz  entsprechende  Unterscheidungen  wie  in  der  Pflanzenwelt  treten  uns  in 
der  Tierwelt  entgegen,  nur  daß  hier  die  Abstammungs Verwandtschaft  mehr 
im  Vordergrund  steht,  die  Lebensverhältnisse  für  jede  Gattung  und  Art  ver- 
schieden sind,  und  nur  in  der  Lebensweise  und  in  mehr  untergeordneten,  wenn- 
gleich von  der  wissenschaftlichen  Tiergeographie  allzu  sehr  vernachlässigten 
Eigenschaften  des  Körpers,  z.  B.  in  dem  Bau  der  Bewegungs-  und  Sinnes- 
organe und  der  Farbe  des  Pelzes,  zwischen  femstehenden  Gattungen  und  Arten 
Übereinstimmungen  bestehen,  die  eine  besondere  Auffassung  erheischen.  Infolge 
der  Bodenvagheit  der  meisten  Tiere  zeigen  sie  keine  bleibende  räumliche  Anord- 
nung, und  wir  können  für  sie  geographische  Figuren  nur  in  demselben  Sinn 
wie  füi*  die  Vorgänge  der  Hydro-  und  Atmosphäre  konstruieren. 

Beim  Menschengeschlecht,  das,  zoologisch  betrachtet,  nur  eine 
Gattung  und  Art  bildet,  dessen  auf  der  Abstanmiung  beruhende  Unterabtei - 
limgen  durch  vielfache  Übergänge  und  Kreuzungen  mit  einander  verbunden 
sind,  treten  die  Verschiedenheiten  der  Lebensweise  wieder  sehr  in  den  Vorder- 
grund und  erweisen  sich  vielfach  auch  für  die  Trennung  der  Stämme  be- 
deutsam. Die  Geographie  des  Menschen  muß  sich  darüber  klare  Rechenschaft 
geben,  wenn  sie  auf  befriedigende  Ergebnisse  ihrer  Untersuchungen  hofl'en 
will;  aber  die  Verhältnisse  sind  hier  so  mannigfaltig  und  verwickelt  und 
dabei  noch  so  wenig  geklärt,  daß  es  mir  zweckmäßiger  erscheint,  in  diesem 
Aufsatz  vom  Menschen  ganz  abzusehen  und  mich  auf  die  Tatsachen  der 
physischen  Geographie  zu  beschränken.  (Fortsetzung  folgt.) 


Die  wiehtigsten  geographischen  Ergebnisse  der  deutschen 
Tiefeee- Expedition. 

Von  Dr.  J.  B.  MesBersohmitt  in  München. 

Der  Beginn  der  Tiefseeforschungen  liegt  kaum  ein  halbes  Jahrhundert 
zurück.  Erst  in  den  fünfziger  Jahren  des  letzten  Jahrhunderts  trat  durch 
die  Legung  der  Telegraphenkabel  das  zunächst  rein  praktische  Bedürfnis 
hervor,  genauere  Angaben  über  das  Bodem*elief  und  die  Tiefen  Verhältnisse 
der  Meere  zu  erhalten.  Bei  dieser  Gelegenheit  wurde  auch  die  Entdeckung 
gemacht,  daß  in  Tiefen  von  3000  und  mehr  Metern  noch  ein  reiches  Tier- 
leben herrscht  und  so  der  geographischen  Verbreitung  der  Tierwelt  durch 
die  Tiefsee  kein  Hindernis  gesetzt  ist.  Durch  diese  und  andere  Funde  an- 
geregt, wurde  dann  zuerst  die  Expedition  des  „Challenger"  von  England 
ausgerüstet,  welches  Schiff  in  fast  allen  Ozeanen  während  fünf  Jahren  von 
1872  bis  77  ozeanographische  und  zoologische  Forschungen  ausführte.  Diesem 
Beispiele  folgten  bald  andere  Nationen.  So  haben  die  Nord- Amerikaner  nicht 
nur  die  Meere  in  der  Nähe  ihrer  Küsten  eingehend  untersucht,  sondern  auch 
besonders  den  Stillen  Ozean  in  den  Bereich  ihrer  Tätigkeit  gezogen.  (Expedition 
mit  dem  Dampfer  „Tuscarora"  1876  bis  77  u.  a.)  Die  Holländer  erforschten  wieder 
mehr  die  Tiefseeverhältnisse  ihrer  Kolonien  in  Ost -Indien.  Die  Franzosen 
verfolgten  die  ozeanographischen  Eigenschaften  des  Atlantischen  Ozeans  und 


MesserBchmitt:  Die  wicht,  geogr.  Ergebnisse  d.  d.  Tiefsee-Expedition.  41 

des  Mittelländischen  Meeres.  Dieses  wurde  außerdem  von  den  Italienern  und 
Österreichern  bearbeitet,  wobei  letztere  noch  das  angrenzende  rote  Meer  in 
besonders  eingehender  Weise  studierten.  Die  Norweger  und  Dlinen  wiederum 
bereisten  die  nördlichen  Teile  des  Atlantischen  Ozeans,  während  die  Deutschen 
sich  mehr  auf  die  Gewässer  der  deutschen  Küstengebiete  beschränkten*). 
Doch  ist  schon  eine  größere  Forschungsreise  des  deutschen  Kriegsschiffes 
„Gazelle"  zu  erwähnen,  welches  von  1874  bis  76  im  Atlantischen,  Indischen 
und  Stillen  Ozean  Beobachtungen  und  Messungen  ausführte. 

Durch  alle  diese  Untersuchungen  wurden  unsere  Kenntnisse  über  die 
Meere  und  das  in  ihn  herrschende  Leben  rasch  erweitert,  aber  zugleich 
auch  neue  Probleme  aufgeworfen.  Es  ist  daher  begreiflich,  daß  allmählich 
in  den  wissenschaftlichen  Kreisen  Deutschlands  der  Wunsch  zum  Durchbruch 
kam,  sich  auch  in  reicherem  Maße  an  diesen  Forschungen  zu  beteiligen. 
Dieser  Plan  warde  rasch  in  Wirklichkeit  umgesetzt,  und  so  kam  es,  daß  nach 
Verlauf  von  kaum  einem  Jahre,  seitdem  der  endgültige  Beschluß  über  diese 
Expedition  gefaßt  war,  die  erste  deutsche  Tiefsee-Expedition  am  31.  Juli  1898 
wohlausgerüstet  mit  dem  Dampfer  „Valdivia"  ihre  Reise  antrat  und  am  1.  Mai 
1899  nach  neunmonatlicher,  gelungener  Fahrt  in  den  Heimatshafen  Hamburg 
zurückkehrte. 

Schon  die  ersten  amtlichen  Berichte*)  über  den  Verlauf  der  Reise  und 
die  ausgeführten  wissenschaftlichen  Arbeiten,  sowie  das  vom  Leiter  der 
Expedition  herausgegebene  allgemein  verständliche  und  für  weitere  Kreise 
bestimmte  Werk^  haben  gezeigt,  ein  wie  reiches  Material  gewonnen  worden 
war.  Man  darf  daher  auf  seine  Bearbeitung,  die  der  Natur  der  Sache  nach 
längere  Zeit  in  Anspruch  nimmt,  mit  Recht  gespannt  sein.  Immerhin  mag 
es  schon  jetzt  am  Platze  sein,  wenn  zunächst  an  Hand  des  fesselnd  geschriebenen 
Buches  von  Chun,  das  auch  wegen  seiner  vielen  vorzüglichen  Abbildungen 
und  Karten  besondere  Erwähnung  verdient,  ein  kurzer  Überblick  über  die 
Ziele,  Fahrten  und  vorläufigen  Ergebnisse  der  Tiefsee -Expedition  gegeben 
wird,  an  die  sich  noch  eine  etwas  eingehendere  Behandlung  der  bereits  ver- 
arbeiteten ozeanographischen  Resultate  anschließen  soll. 

Der  Zweck  der  Expedition  war  ein  mehrfacher.  Es  sollten  die  Existenz- 
bedingungen der  tierischen  Organismen  in  der  Tiefe  der  Ozeane  möglichst 
aufgehellt  und  die  geographische  Verbreitung  der  Tiefsee-Fauna  untersucht 
werden,  um  erkennen  zu  können,  wie  weit  die  polaren  Arten  und  Gattungen 
der  sich  auf  dem  Meeresgrunde  aufhaltenden  Organismen  gegen  den  Äquator 
vordringen.  Daraus  ergibt  sich  unmittelbar,  wie  weit  die  arktischen  und 
antarktischen  Formen  mit  einander  übereinstimmen.  Zu  allen  diesen  zoologischen 
Arbeiten  waren  natürlich  eine  Anzahl  anderer  Fragen  als  Nebenbedingungen 

1)  Kommission  zur  wissenschaftlichen  Untersuchung  der  Deutschen  Meere. 
Kiel.     Seit  1871  fortlaufende  Veröffentlichungen. 

2)  Die  deutsche  Tiefsee-Expedition  1898—99.  Reisebericht  an  das  Reichsamt 
des  Innern  und  das  Reichs-Marine-Amt.    Berlin  1899. 

3)  Chun,  Carl.  Aus  den  Tiefen  des  Weltmeere^.  Schilderungen  von  der 
deutschen.  Tief see- Expedition.  2.  Aufl.  VII  u.  649  S.  6  Chromolithographien, 
8  Heliogravüren,  32  als  Taf.  gedruckte  Vollbilder,  2  K.  u.  390  Abb.  im  Text.  Jena, 
Gustav  Fischer  1900.    In  12  Lieferungen  zu  je  X  1.50.     1902.    X  18.—. 


42  J-  B.  Messerschmitt: 

zu  beantworten  nötig,  wozu  die  Tiefen  der  Meere  und  die  Temperaturver- 
teilung in  ihnen  in  erster  Linie  zu  rechnen  sind,  weshalb  auf  die  ozeano- 
graphische  Ausrüstung  ebensoviel  Wert  gelegt  wurde,  wie  auf  die  der 
anderen  Wissensgebiete. 

Die  Reise  ging  von  Hamburg  zunächst  nach  Edinburg  und  von  dort 
nördlich  nach  den  Shettlands-Inseln,  wo  der  erste  Dretschzug  veranstaltet 
wurde.  Dann  ward  bis  ziir  Faröer-Insel  gefahren,  worauf  der  Kurs  südlich 
gesetzt  und  mit  den  regelmäßigen  zoologischen  und  ozeanographischen  Arbeiten 
begonnen  wurde.  Hierbei  wurde  den  Kanarischen  Inseln  ein  Besuch  abge- 
stattet, die  Kapverden  berührt  und  das  Passat-  und  Südwest-Monsun-Gebiet 
durchfahren.  Hier  konnten  die  beabsichtigten  Messungen  im  Guinea-  und 
Südäquatorial-Strom  ausgeführt  werden.  Dann  ging  der  Weg  über  Kamerun, 
die  Kongomtindung,  die  große  Fischbai  und  im  großen  Bogen  nach  Kapstadt, 
in  dessen  Nähe  der  Agulhas -Strom  noch  eingehend  untersucht  wurde.  Nach 
kurzem  Aufenthalt  in  Kapstadt  ging  die  Reise  weiter  nach  dem  Süden. 
In  dieser  ersten  Periode  der  Fahrt  waren  relativ  bekannte  Gebiete  durchfahren 
worden,  jetzt  sollte  es  nach  dein  weniger  bekannten  antarktischen  und 
Indischen  Ozean  gehen,  deren  biologische  und  ozeanographische  Erforschung 
von  vornherein  als  der  Hauptteil  der  Expedition  in  Aussicht  genommen  war. 

Während  die  früheren  Expeditionen,  insbesonders  der  „Challenger"  und  die 
„Gazelle",  von  Kapstadt  aus  eine  mehr  südöstliche  Richtung  genommen  hatten 
und  über  die  Marianen-  und  Crozet-Inseln  nach  Kerguelen  gefahren  waren, 
wurde  von  der  „Valdivia"  der  Versuch  gemacht,  zuerst  in  südsüdwestlicher 
Richtung  nach  der  Bouvet-Insel  vorzudringen  und  dann  längs  der  Packeis- 
grenze östlich  zu  fahren.  Dieser  Versuch  gelang  vollständig,  und  es  konnte 
sogar  infolge  der  günstigen  Witterungs-  und  Eisverhältnisse  bis  in  die  Nähe 
von  Enderby-Land  gefahren  werden,  von  wo  wegen  des  zunehmenden  Eises 
umgekehrt  und  nach  den  Kerguelen  gesteuert  wurde.  Nach  einem  kurzen 
Aufenthalt  auf  diesen  einsamen  Inseln  fuhr  dann  die  Expedition  über  St.  Paul, 
Neu-Amsterdam  imd  die  Cocos-Inseln  nach  Padang  auf  Sumatra.  An  der 
Westküste  dieser  Insel  bis  zu  den  Nicobaren  wurden  eingehende  Studien  an- 
gestellt und  dann  nach  Colombo  auf  Ceylon  gefahren,  von  wo  es  über  die 
Malediven-,  Chagos-  und  Seychellen-Inseln  nach  Deutsch-Ostafrika  ging.  Die 
Rückreise  erfolgte  über  Aden  direkt  durch  das  Rote  imd  Mittelländische 
Meer  nach  Hamburg. 

Die  Wiederauffindung  der  Bouvet-Insel  am  25.  November  1898. 
Die  grofsartigen  geographischen  Entdeckungen,  welche  seit  dem  15.  Jahrhundert 
von  den  seefahrenden  Nationen  in  allen  Teilen  der  Erde  gemacht  wurden, 
erstreckten  sich  auch  auf  diese  südlichsten  und  schwer  zugänglichen  Meeres- 
gebiete. Die  französischen  Kapitäne  Bouvet  und  Hay  sichteten  am  1.  Januar 
1739  ein  Land,  das  sie  wegen  der  damaligen  ungünstigen  Eisverhältnisse 
nicht  für  eine  Insel,  sondern  für  das  Vorgebirge  eines  Festlandes  hielten. 
Sie  schätzten  die  Ausdehnung  in  ONO — WSW-Richtung  auf  24  bis  30  See- 
meilen und  in  N — S-Richtung  auf  18  bis  21  Seemeilen,  konnten  aber  nicht 
landen.  J.  Cook  sucht  1775  das  Land  vergeblich  und  glaubte  daher,  Bouvet 
habe  sich  durch  die  Eismassen   täuschen  lassen.     Allein  Kapt.  Lindsay  fand 


Die  wicht,  geograph.  Ergebnisse  d.  deutschen  Tiefsee-Expedition.   43 


Bouvet 

1739 

54«     0' 

4P  30' 

Hay 

1739 

54      6 

4    15 

Cook 

1775 

— 

— 

Lindsaj 

1808 

54     16 

6     14 

Norris 

1825 

54     15 

5      0 

Norris 

1826 

53    56 

5    30 

Rofs 

1843 

— 

— 

Moore 

1843 

— 

— 

Krech 

1898 

54    26 

3    24 

1808  in  der  gleichen  Gegend  eine  kleine  Insel  (Lindsay-Insel),  auf  welcher 
er  indessen  wegen  der  vorgelagerten  Eismassen  auch  nicht  landen  konnte. 
Die  Ausdehnung  der  Insel  gibt  er  in  0 — W-Richtung  auf  etwa  5  Seemeilen 
an,  während  er  in  der  Beschreibung  der  Gestalt  mit  Bouvet  darin  überein- 
stimmt, daß  die  N-  und  W-Küste  sehr  steil,  das  Ostende  aber  flacher  sei. 

17  Jahre  später,  am  10.  Dezember  1825,   wurde    die  Insel    von  Kapt. 
Norris  gesichtet  und  ein  Vierteljahr  später  eine    zweite  Insel,    auf  welcher 
er  auch  an  der  SW-Seite   landen    konnte.     Die  Positionen  dieser  Inseln  sind 
nach  den  Beobachtungen  der  verschiedenen  Kapitäne: 
Kapitän  Jahr         Südbreite     Ostlänge  von  Gr.  Name 

Kap  Circoncision 

nichts  gesehen 
Lindsay-Insel 
Liverpool-Insel 
Thomson-Insel 
nichts  gesehen 

Bouvet-Insel. 

1843  hatten  Boß  und  Moore  die  Insel  nicht  gefunden,  weshalb  man 
glaubte,  daß  sie  womöglich  einem  vulkanischen  Ausbruche  zum  Opfer  ge- 
fallen sei. 

Da  die  deutsche  Tiefsee -Expedition  in  dem  Schiffe  „Valdivia"  einen 
modernen  Dampfer  zur  Verfügung  hatte,  dessen  Bewegungen  von  Wind  und 
Wetter  unabhängiger  als  die  eines  Segelschiffes  sind,  konnte  bei  dem  Vordringen 
nach  dem  südlichen  Eismeer  von  Kapstadt  aus  direkt  nach  dem  Orte  der 
vermuteten  Inseln  gesteuert  werden.  Es  wurde  auf  sämtlichen  Positionen 
der  früheren  Sichtungen  vergeblich  nach  Land  gesucht,  auch  die  Lotungen 
ergaben  überall  ein  tiefes  Meer.  Dagegen  wurde  am  25.  November  etwas 
westlicher  eine  kleine  Insel  gefunden,  die  sozusagen  aus  einem  einzigen 
vulkanischen,  schneebedeckten  Berge  besteht.  Für  die  vulkanische  Natur  der 
Insel  sprechen  neben  dem  steilen  Abfall  ins  Meer  auch  die  Gesteinsproben, 
welche  in  der  Nähe  in  457  m  Tiefe  gefunden  wurden,  die  aus  Tuff  und 
feinkörnigem  Basalt  bestanden.  Die  Insel  scheint  ganz  unzugänglich  zu  sein 
und  läßt  keine  Spur  von  Vegetation  erkennen.  Nur  einige  Seevögel  bevölkern 
sie.  Die  Aufnahme  ergab  für  die  Mitte  der  Insel  die  oben  gegebenen  Positionen. 
Die  höchste  Erhebung,  der  Kaiser  Wilhelm  Peak,  ist  935  m  hoch.  Die  Aus- 
dehnung der  Insel  in  N — S-Richtung  beträgt  4,3  Seemeilen,  in  0 — W-Richtung 
5,1   Seemeilen. 

Die  Insel  erhebt  sich,  wie  sich  auch  aus  den  vortrefflichen  Abbildungen 
bei  Chun  (Seite  168 — 176)  und  der  daselbst  gegebenen  Übersichtskarte  ergibt, 
sehr  steil  aus  dem  Meere,  es  wurden  in  SO  der  Insel  in  2  Sm.  Abstand 
457  m  und  in  5,5  Sm.  Entfernung  439  m  Tiefe  gelotet.  In  etwas  größerer 
Entfernung  war  die  Tiefe  bereits  wieder  über  1000  m. 

Es  ist  damit  die  Existenz  der  Bouvet-Insel  erwiesen  und  deren  genaue 
Position  festgelegt.     Ob  noch  eine  zweite  Insel  in  jener  Gegend  existiert,  ist 


44  J-  B.  MeBserschmitt: 

zwar  nicht  ganz  ausgeschlossen,  aber  auch  nicht  sehr  wahrscheinlich.  Sie 
müßte  sich  wenigstens  in  größerer  Entfernung,  mindestens  50  Sm.  davon 
und  vielleicht  noch  mehr  östlich  befinden. 

Die  Fahrt  im  antarktischen  Gebiet  bezeichnet  Chun  selbst  als  den  weitaus 
erfolgreichsten  Abschnitt  der  ganzen  Expedition.  In  der  Tat  haben  die 
Arbeiten  auf  der  „Valdivia"  auf  dem  Weg  längs  der  Eiskante  nicht  nur  fast 
keine  Unterbrechung  erlitten,  was  von  dem  für  antarktische  Verhältnisse  un- 
gewöhnlich günstigen  Wetter  zeugt,  sondern  sie  haben  auch  zu  neuen 
und  nicht  erwarteten  Resultaten  geführt,  insbesondere  ozeanographischer 
Natur,  auf  die  weiter  unten  noch  zurückgekommen  werden  soll.  Ferner 
konnten  neben  den  eigentlichen  Aufgaben  der  Expedition  hier  auch  eingehende 
Studien  über  das  Treibeis  und  die  Eisberge  angestellt  werden.  Die  Eisberge 
stammen  von  der  gewaltigen  Eismauer,  welche  um  den  Südpol  lagert  Sie 
verbreiten  sich  von  da  allmählich  über  ein  weites  Gebiet  und  dringen  dabei 
häufig  noch  in  solche  Breiten  vor,  wo  sie  selbst  die  Schiffahrt  nach  Australien 
beeinträchtigen  können. 

Die  Gestalt  der  antai*k tischen  Eisberge  ist  an  ihrer  Geburtsstelle  tafelförmig 
von  einförmigem  Aussehen.  Sie  sind  oft  von  gewaltigen  Dimensionen^  indem 
solche  bis  600  m  Länge  und  60  m  Höhe  gemessen  wurden.  Auffällig  sind 
dabei  die  häufig  wahrgenommenen  Streifen,  welche  dem  Plateau  parallel 
laufen,  die  durch  regelmäßige  Abwechslung  von  blauen  und  weifsen  Lagen 
des  Gletschereises  hervorgerufen  werden.  Die  scheinbare  Färbung  des  Eises 
hängt  hauptsächlich  von  der  verschiedenen  Menge  der  eingeschlossenen  Luft 
ab.  Je  mehr  Luft  dem  Eise  beigemengt  ist,  desto  weißer  erscheint  es;  ist 
die  Luft  bei  dem  Gletscherprozeß  möglichst  herausgepreßt,  so  erscheint  das 
Eis  blau,  wie  man  dies  auch  bei  unseren  Gletschern  im  Gebirge  sehen  kann. 
Je  weiter  die  Eisberge  von  ihrem  ürsprungsorte  entfernt  sind,  desto  ver- 
änderter ist  ihr  Aussehen.  Die  mechanische  Wirkung  des  Meeres,  verbunden 
mit  dem  Einfluß  der  Wärme  von  Luft  und  Wasser,  zersetzt  die  Eisberge 
in  mannigfaltiger  Weise  und  bringt  dann  die  merkwürdigsten  Formen  hervor. 
Eine  Reihe  prachtvoller  Abbildungen,  welche  dem  Chunschen  Buche  bei- 
gegeben sind,  können  einen  Begriff  von  der  mannigfaltigen  Gestaltung  dieser 
Eisberge  geben. 

Beim  Verlassen  der  Antarktis  machte  die  „Valdivia"  noch  einen  kurzen 
Aufenthalt  auf  den  Kerguelen,  von  welchen  Chun  eine  lebhafte  Beschreibung 
gibt.  Die  zahlreichen  Bilder  der  besuchten  Küsten,  nebst  den  sie  bewohnenden 
Tieren,  geben  einen  charakteristischen  Einblick  in  diese  einsame  Inselwelt. 
In  ähnlicher  Weise  erhalten  wir  Schilderungen  von  den  anderen  besuchten 
Orten,  von  welchen  namentlich  die  Inseln  St.  Paul  und  Neu-Amsterdam  im 
südlichen  Indischen  Ozean,  Diego  Garcia,  Chagos- Archipel  und  Mähe  (Seychellen) 
besonders  angeführt  werden  mögen. 

Im  Schlußkapitel  behandelt  Chun  hauptsächlich  die  Tiefseefauna;  man 
kann  sich  da  einen  Begriff  von  dem  reichen  hier  herrschenden  Leben 
machen.  Die  Bearbeitung  dieses  Materials  wird  in  erster  Linie  der  Zoo- 
logie zu  gute  kommen,  aber  auch  für  die  Tiergeographie  manches  wichtige  Re- 
sultat liefern. 


Die  wicht,  geograph.  Ergebnisse  d.  deutschen  Tiefsee-Expedition.   45 

Das  Bodenrelief  des  Atlantischen  und  Indischen  Ozeans.  Der 
erste  Band  ^)  der  wissenschaftlichen  Ergebnisse  der  deutschen  Tiefsee-Fxpediton, 
der  nunmehr  bereits  vorliegt,  enthält  die  Ozeanographie  und  maritime  Meteo- 
rologie. Er  bietet,  abgesehen  von  den  besonderen  Kenntnissen,  welche  die 
Tiefsee-Expedition  auf  diesem  Gebiete  gebracht  hat,  noch  das  weitere  Interesse 
dadurch,  daß  der  Verfasser  das  gesamte  hiergehörige  ozeanographische  Material, 
soweit  es  den  Atlantischen  und  Indischen  Ozean  betrifft,  geographisch  ver- 
arbeitet und  bildlich  dargestellt  hat. 

Was  zuefst  die  Tiefseeverhältnisse  dieser  Meere  und  damit  zusammen- 
hängend die  Bodenform  anbelangt,  so  haben  die  „Valdivia"-Messungen,  namentlich 
im  südlichen  Teile  des  Atlantischen  Ozeans  einige  wichtige  Ergänzungen  zu 
den  bisherigen  Messungen  geliefert;  weiterhin  sind  im  antarktischen  Meere 
noch  ganz  unbekannte  Strecken  zum  erstenmal  durchforscht  und  endlich 
im  Indischen  Ozean  eine  Beihe  Tiefen  gelotet  worden,  die  geeignet  sind, 
das  Bodenrelief  dieses  verhältnismäßig  noch  wenig  bekannten  Meeres  mehr 
aufzuhellen.  Im  ganzen  wurden  186  Lotungen  erhalten,  davon  34  im  nord- 
atlantischen, 21  im  Süd-atlantischen  Ozean,  40  im  antarktischen  Meere  und 
der  Rest  im  Indischen  Ozean.  Aus  dem  gesamten  bekannten,  veröffentlichten 
Material,  wozu  Schott  noch  eine  Anzahl  unpublizierter  Tiefenmessungen  von 
Kabeldampfem  für  den  nord-atlantischen  Ozean  verwenden  konnte,  zeichnete 
er  eine  Übersichtskarte  der  beiden  Ozeane  (Atlas,  Tafel  HI).  Sie  ist  in  flächen- 
treuer Projektion  entworfen;  der  Mittelpunktsmaßstab  beträgt  1:30000000. 
Es  sind  neben  den  Lotungen  der  „Yaldivia'^  noch  möglichst  viele  andere 
Tiefenlotungen,  auf  hundert  Meter  abgerundet,  eingetragen,  soweit  dies  der 
Maßstab  erlaubt.  Dadurch  ist  der  Leser  stets  im  stände,  nicht  nur  die  mehr 
oder  weniger  große  Berechtigung  der  gegebenen  Auffassung  des  Bodenreliefs 
selbst  zu  prüfen,  sondern  auch  später  Lotungszahlen  nachzutragen  und  dadurch 
allfällige  nötig  werdende  Korrekturen  vorzunehmen'). 

Im  nord-atlantischen  Ozean  sind  die  Lotungen  bereits  so  dichtgedrängt, 
daß  eingehende  Detailstudien  möglich  sind.  Im  süd-atlantisohen  Ozean  dagegen 
sind  noch  größere  Lücken  vorhanden,  ja  ein  großes  Meeresgebiet  daselbst, 
zwischen  40*^  und  60®  s.  Br.  (zwischen  Süd-Georgien  und  der  Bouvet-Insel) 
weist  nicht  eine  Tiefenzahl  auf.  Im  Indischen  Ozean  vollends  sind,  mit  ge- 
ringen Ausnahmen  im  Norden,  nur  die  allgemeinsten  Grundzüge  der  Boden- 
gestalt bekannt.  Man  darf  diesen  Umstand  nie  bei  Yergleichungen  außer 
acht  lassen. 

Der  Atlantische  Ozean  ist  im  Norden  durch  den  Grönland-Island-Bücken, 
dessen  Tiefe  noch  nicht  1000  m  erreicht,  fast  ganz  vom  nördlichen  Eismeer 
abgetrennt;  im  Süden  dagegen  geht  er  unvermittelt  in  das   südliche  Eismeer 

1)  Wissenschaftliche  Ergebnisse  der  deutschen  Tiefsee  -  Expedition  auf  dem 
Dampfer  „Valdivia"  1898—1899,  herausgeg.  von  C.  Chun;  1.  Bd.  Ozeanographie 
und  Maritime  Meteorologie,  bearb.  von  G.  Schott.  4^  403  S.  26  Taf.  36  Fig. 
im  Text,  nebst  einem  Atlas  mit  XXXX  Taf.    Jena,  Gust.  Fischer  1902. 

2)  Die  von  der  deutschen  Südpolar-Expedition  erhaltenen  Lotungen  im  Atlan- 
tischen Ozean  (Veröffentlichungen  des  Instituts  für  Meereskunde  imd  des  Geogra- 
phischen Instituts  an  der  Universität  Berlin.  1.  Heft.  1902)  bestätigen  die  von 
Schott  gegebene  Tiefenverteilung. 


46  J-  B.  Messerschmitt; 

über.  Ein  S-förmiger  submariner  von  Nord  nach  Süd  streichender  Höhenzug 
von  etwa  3000  m  Tiefe,  der  faat  genau  die  Mitte  zwischen  den  beiden  Kon- 
tinentahnassen einnimmt,  durchzieht  ihn  in  seiner  ganzen  Länge.  Eine,  wenn 
auch  weniger  ausgeprägte  Bodenerhebung  erstreckt  sich  in  der  Nähe  des 
Äquators  von  Nord-Ost  (Afrika)  nach  Süd-West  (Südamerika).  Auf  diese 
Weise  entstehen  gewissermaßen  vier  gesonderte  Teile,  deren  tiefste  Stellen  als 
nord-amerikanisches  Becken,  Kap  Verden-Mulde,  brasilianisches  Becken  und 
west-afrikanische  Mulde*)  bezeichnet  sind.  Davon  abgetrennt  tritt  südlich  im 
westlichen  Teile  noch  das  kleine,  wenn  auch  tiefe,  argentinische  Becken  und 
im  Osten  die  süd-afrikanische  Mulde  hinzu.  Die  Zerlegung  der  afrikanischen 
Mulde  in  zwei  Teile  ist  eins  der  Hauptergebnisse  der  „Valdivia"-Messungen, 
welche  durch  die  Entdeckung  der  Valdivia-Bank  (900  m  Tiefe  in  25,4®  südl.  Br. 
und  6,2®  östl.  L.)  das  Vorhandensein  des  sog.  Walfisch-Rückens  bestätigten  und 
die  Ausdehnung  großer  Tiefen  südlich  davon  bis  weit  nach  dem  antarktischen 
Meere  feststellten.  Weiterhin  ergaben  aber  auch  die  Lotungen,  daß  der  Meeres- 
boden auch  in  diesen  Gebieten  eine  ähnliche  Mannigfaltigkeit  aufweist,  wie 
wir  sie  im  nord-atlantischen  Ozean  bereits  kennen. 

Während  man  früher  im  Süden  von  Afrika  ein  verhältnismäßig  seichtes 
Meer  annahm,  wurde  hier  ein  tiefes  (5500  m)  indisch-antarktisches  Becken 
gefunden,  das  sich  nach  Osten  bis  in  die  Nähe  der  Kerguelen  und  im  Süden 
bis  nahe  an  die  Eisgrenze  erstreckt. 

Der  Indische  Ozean  ist  bis  jetzt  noch  weniger  bekannt,  weshalb  die  Karte 
noch  einfache  Formen  zeigt.  Der  tiefste  Teil  liegt  im  Osten  (austral-indisches 
Becken)  zwischen  Sumatra  und  Australien.  Der  zentrale  Teil  des  Indischen 
Ozeans  ist  so  gut  wie  unbekannt.  Im  Norden  dagegen  sind  zahlreiche  Lotungen 
vorhanden,  so  fallen  namentlich  die  gleichmäßigen  Tiefen  Verhältnisse  an  der 
asiatischen  Küste  insbesonders  im  bengalischen  Meerbusen  auf.  Größere  und 
reichere  Details  dagegen  bietet  das  Meer  bei  den  Inseln,  wie  ja  auch  die 
„Valdivia"  an  der  Westseite  von  Sumatra  zwischen  der  Hauptinsel  und  den 
vorliegenden  Inseln  ein  vollständig  abgeschlossenes  gegen  2000  m  tiefes  Becken 
(Mentawei-Becken)  und  östlich  von  diesen  Inseln  einen  über  5000  m  tiefen 
Mentawei-Graben  nachzuweisen  vermochte.  Auch  im  nordwestlichen  Teile  des 
Indischen  Ozeans  konnte  durch  die  Auffindung  des  Chagos-Rücken  und  durch 
die  Feststellung  der  nördlichen  Grenze  des  Maskarenen-Rückens  eine  wertvolle 
Ergänzung  zu  früheren  Lotungen  gegeben  werden. 

Aus  diesen  kiuTsen  Andeutungen  geht  zur  Genüge  hervor,  einen  wie  reichen 
Zuwachs  durch  die  „Valdivia"-Expedition  die  Kenntnisse  des  Bodenreliefs  im 
Atlantischen  und  Indischen  Ozean  bis  zum  südlichen  Eismeer  erhalten  haben, 
anderseits  aber  auch,  wie  große  Lücken  noch  auf  diesem  Gebiete  auszufüllen 
sind.  Je  dichter  die  Lotungsstellen  werden,  desto  mehr  nimmt  fast  immer 
die  anscheinende  Gleichförmigkeit  und  Eintönigkeit  des  Meeresgrundes  ab,  und 
ein  ziemlich  mannigfaltiges  Bild  kommt  zum  Vorschein,  wodurch  sich  dessen 


1)  Es  ist  sehr  zu  bedauern^  daß  die  Bezeichnungsweise  bisher  noch  nicht  gleich- 
mäßig ist.  Hier  sind  die  von  Schott  und  der  Seewarte  gebrauchten  Namen  gewählt 
worden. 


Die  wicht,  geograph.  Ergebnisse  d.  deutschen  Tiefsee-Expedition.   47 

Aussehen  mehr  dem  der  Landoberfläche,  abgesehen  von  den  durch  Erosion 
und  Abrasion  hervorgerufenen  Einzelheiten,  nähert. 

Die  Wärmeverteilung  im  Meere.  Die  Wärme  des  Meerwassers  spielt 
bekanntlich  eine  große  Bolle  in  allen  klimatischen  Faktoren;  um  aber  Schlüsse 
ziehen  zu  können,  ist  ein  großes  Material  nötig  und  genügen  die  Beobach- 
tungen einer  Reise  in  keiner  Weise,  abgesehen  davon,  daß  die  Temperaturen 
noch  von  den  Jahreszeiten,  von  Witterungs-  und  ozeanographischen  Änderungen 
abhängen.  Um  daher  einen  vollständigen  Überblick  über  die  Wäimever- 
teilung  auf  dem  Meere  liefern  zu  können,  mußte  Schott  weiter  ausgreifen 
und  nicht  nur  auf  die  verschiedenen  vorhandenen  Publikationen,  sondern  auch 
vielfach  direkt  auf  die  in  den  Schiffsjournalen  der  Seewarte  vorhandenen 
Originalbeobachtungen  von  Handels-  und  Kriegsschiffen  zurückgehen.  Als 
Resultat  dieser  Untersuchung  entstand  Tafel  IX  (Atlas),  welche  die  Jahres- 
temperaturen der  Meeresoberfläche  des  Atlantischen  und  Indischen  Ozeans 
enthält.  Als  wichtige  Ergänzung  dieser  Gesamtdarstellung  sind  auf  Tafel  VIII 
die  Oberflächentemperaturen  der  sog.  Auftriebszone  an  der  Westküste  von  Afrika 
für  die  Monate  Februar,  Mai,  August  und  November  gegeben,  welche  ein 
charakteristisches  Bild  über  den  jahreszeitlichen  Verlauf  dieser  geographisch 
wichtigen  Erscheinung  liefern.  „Damach  hat  im  nordhemisphärischen  Winter 
das  Kaltwassergebiet  der  nordwestafrikanischen  Zone  sowohl  seine  südlichste 
Lage  als  auch  seine  geringste  Ausdehnung.  Zum  Frühjahr  hin  breitet  es  sich 
stark  nordwärts  aus,  verliert  aber  etwas  im  Süden;  es  verlagert  sich  immer 
mehr  nach  Norden,  um  im  August  mindestens  19  Breitengrade  einzunehmen 
und  damit  den  Höhepunkt  der  Entwicklung  zu  erreichen.  Kap  Blanco,  im 
Winter  polare  Grenze,  ist  jetzt  zur  äquatorialen  Grenze  geworden.  Im  Herbst 
beginnt  der  Rückzug  südwärts,  der  zum  Februarzustand  den  Übergang  her- 
stellt. Die  Größe  der  Temperaturdifferenzen  zwischen  der  Küste  und  der  See 
verläuft  dieser  jährlichen  Zu-  und  Abnahme  der  räumlichen  Ausdehnung  einiger- 
maßen proportional;  es  entspricht  —  im  Durchschnitt  wenigstens  —  das 
sommerliche  Maximum  der  Temperaturdifferenz  dem  in  dieselbe  Zeit  fallenden 
Maximum  der  Ausdehnung.^ 

Das  Südwest-afrikanische  Auftriebsgebiet  hat  zu  allen  Zeiten  seine  polare 
Grenze  in  der  Nähe  des  Kaps  der  guten  Hoffiiung,  nur  die  äquatoriale  Grenze 
verschiebt  sich  mit  den  Jahreszeiten  und  zwar  von  seiner  südlichsten  Lage 
im  November  auf  dem  Wendekreis  bis  zu  seiner  nördlichsten  Lage  unter  9® 
bis  10®  s.  Br.  im  August. 

Im  jährlichen  Gang  sind  zwischen  beiden  Auftriebsgebieten  die  Unter- 
schiede vorhanden,  als  auf  Nordbreite  das  Maximum  der  Ausdehnung  in  den 
nördlichen  Sommer  fällt,  auf  Südbreite  in  den  südlichen  Winter;  endlich 
scheinen  im  großen  Durchschnitt  die  Temperaturdifferenzen  zwischen  Küste 
und  Hochsee  auf  südlicher  Breite  vergleichsweise  größer  zu  sein  als  auf 
nördlicher. 

Die  allgemeinen  Ursachen  dieser  Vorgänge  sind  in  der  Circulation  des 
Meeres  zu  suchen,  die  jahreszeitlichen  Änderungen  dagegen  können  auf  die 
Windverhältnisse  an  der  betreffenden  Küste  zurückgeführt  werden. 

Südlich  von  Kapstadt  durchschnitt   die   „Valdivia"   das  Meeresgebiet,  in 


48  Messerschmitt:  Die  wicht,  geogr.  Ergebnisse  d.  d.  Tiefsee-Expedition. 

welchem  das  indisch-tropische  mit  dem  südpolaren  Wasser  zusammentrifft,  fttr 
welches  Schott  die  Bezeichnung  Mischwassergebiet  anwendet.  Dieses  erstreckt 
sich  im  Westen  unter  14®  ö.  L.  beginnend  von  etwa  37®  s.  Br.  bis  42®  s.  Br., 
nach  Osten  bis  unter  die  Meridiane  von  Kerguelen  und  St.  Paul,  hat  also 
eine  Längenausdehnung  von  mindestens  5000  km  bei  einer  Breite  von  430 
bis  750  km. 

Die  Temperatur  der  Meerestiefen,  für  welche  die  Expedition  selbst  ein 
großes  Material  geliefert  hat,  wird  von  Schott  eingehend  behs^ndelt.  Es  sind 
im  Text  selbst  26  Temperatur-Diagramme  (Originalbeobachtungen  der  „Valdivia") 
gegeben,  während  im  Atlas  die  Tafeln  X  bis  XXII  die  Temperaturen  im 
Atlantischen  und  Indischen  Ozean  in  50,  100,  150,  200,  400,  600,  800, 
1000,  1500,  2000,  3000  und  4000  m  Meerestiefe  und  die  Bodentemperaturen 
unter  1000  m  Tiefe  enthalten.  Auf  den  Tafeln  XXIII  bis  XXVII  wird  der 
Versuch  gemacht,  die  TemperatuiTerteilung  durch  die  Tiefenlage  in  Metern 
der  Isothermobathen  von  20®,  15®,  10®,  5®  und  3®  C  anschaulich  zumachen. 
Sehr  belehrend  sind  ferner  die  9  Temperaturprofile  auf  Tafel  XXVIII  bis 
XXXII,  welche  die  vertikale  Temperaturverteilung  im  Meere  geben.  Es  sind 
hierfür  3  Schnitte  in  meridionaler  Richtung  und  6  Schnitte  in  nahe  ost- 
westlicher Richtung  gegeben. 

Auf  drei  Karten  ist  die  Verteilung  des  Salzgehaltes  an  der  Meeresober- 
fläche und  am  Meeresgrund  gegeben.  Tafel  XXXVI  gibt  die  Verteilung  der 
Wasserfarbe,  nebst  Angaben  über  die  Durchsichtigkeit  des  Meerwassers.  Auch 
ist  eine  Karte  der  Strömungen  der  Meeresoberfläche  im  Nordwinter  mit  An- 
gaben über  die  Eisverhältnisse  im  südlichen  Eismeere  beigefügt. 

Es  würde  zu  weit  gehen,  auf  alle  diese  Verhältnisse  hier  näher  einzu- 
gehen. Es  genügen  die  mitgöteilten  Resultate,  um  anzudeuten,  wie  erfolgreich 
die  „Valdivia"-Expedition  auch  auf  dem  Gebiete  der  Ozeanographie  und  mari- 
timen Meteorologie  gewesen  ist. 


Geographische  Neuigkeiten. 


Asien. 

*  Bahnbauten  im  Ural.  Nach  den 
Mitteilungen  ruasischer  Zeitschriften  hat 
die  Regierung  den  Bau  d£r  sogenannten 
Tawda- Eisenbahn  bestätigt,  die  in 
erster  Linie  dazu  bestimmt  ist,  die  Eisen- 
hütten des  Ural  mit  Holzkohlen  aus  den 
bisher  unberührten  Wäldern  des  Fluß- 
gebietes der  Tawda  zu  versorgen.  Die 
Tawda -Eisenbahn  wird  bei  der  Station 
Newjansk  von  der  Uralbahn  Perm — Je- 
katerinenburg  nach  Osten  abzweigen,  über 
Tirbit  in  nordöstlicher  Richtung  bis  nach 
Tabarinskaja  an  der  Tawda,  einem  Neben- 
flufs  des  Tobol,  geführt  werden  und  in 
dieser  Richtung  etwa  363  km  Länge  um- 
fassen.   Die  Tawda  ist  größtenteils  schiff- 


bar und  empfängt  aus  dem  Ural  zahl- 
reiche, teils  schiffbare,  teils  flößbare 
Nebenflüsse.  Das  ganze  Flußbecken  ist 
mit  ausgedehnten  und  bisher  unberührten 
Wäldern  bedeckt^  die  auf  unabsehbare 
Zeiten  die  üraler  Hüttenwerke  mit  Holz- 
kohlen versorgen  können.  Dieser  Um- 
stand ist  für  die  gesamte  Industrie  des 
Ural  von  großer  Bedeutung. 

Nach  den  Mitteilungen  der  St.  Peters- 
burger Zeitung  ist  von  dem  Regierungs- 
ausschuß zur  Entlast&ng  des  Knotenpunk- 
tes beiTscheljabinsk  und  zur  vollständigen 
Umgehung  der  Jekaterinenburg — Tjume- 
ner  Eisenbahn  die  Richtung  Tschepzy — 
Krassnotimsk  —  Jekaterinenburg  —  Scha- 
drinsk — Eurgan    vorgeschlagen    worden. 


Qeographische  Neuigkeiten. 


49 


Nach  Fertigstellung  dieser  Linien  und  der 
Tawda-Eisenbahn  würden  den  sibirischen 
Erzeugnissen,  die  entweder  mit  der  Bahn 
in  Knrgan  oder  Tscheljabinsk  oder  auf  dem 
Wasserwege  in  Tabarinskaja  (a.  d.  Tawda), 
Tjumen  (an  der  Tura,  einem  Nebenfluß  des 
Tobol)  und  Kurgan  (am  Tobol)  anlangen, 
drei  verschiedene  Wege  über  den  Ural 
zur  Verfügung  stehen,  die  den  Durch- 
gangsverkehr auf  den  Hauptlinien  ent- 
lasten konnten.  A.  R. 

♦  England  ist  im  Begriff,  seinen  zwei 
bisher  bestehenden  Verbindungslinien 
zwischen  Vorderindien  und  Afgha- 
nistan, der  beschwerlichen  und  leicht 
zu  sperrenden  Handelsstraße  Peschawar— 
Eaibarpaß  — Kabul  und  der  Eisenbahn 
Quetta — Chaman,  eine  dritte  hinzuzufügen, 
durch  die  Kabul,  das  politische  Zentrum 
Afghanistans,  an  das  indische  Eisenbahn- 
netz angeschlossen  werden  soll.  In  Rawal- 
pindi zweigt  von  der  Hauptlinie  Labore — 
Peschawar  eine  Linie  nach  Südwesten  ab, 
die  bisher  auf  dem  linken  Ufer  des  Indus 
ia  Kuschalgar  endete.  In  den  letzten 
Monaten  ist  nun  diese  Linie  nach  dem 
rechten  Ufer  des  Indus  über  Kohat  nach 
Thal  im  Kuramtal  weitergeführt  worden. 
Thal  liegt  am  Ausgangspunkte  einer  guten 
Straße  durch  das  obere  Kuramtal  nach 
dem  Passe  Paiwar,  der  sich  schon  auf 
afghanischem  Gebiet  befindet.  Dicht  hinter 
dem  Passe  teilen  sich  die  Straßen :  rechts 
nach  Kabul,  links  nach  Ghasni — Kandahar. 
Da  die  Entfernung  Thal— Paiwar— Kabul 
kaum  200  km  beträgt,  so  leuchtet  die 
Wichtigkeit  der  neugeschaffenen  Linie  für 
England  ein.  Bei  Kuschalgar  wird  die 
alte  Schiffbrücke  über  den  Indus  durch 
eine  große,  auf  Steinpfeilern  ruhende 
Eisenbahnbrücke  ersetzt.  Der  Ausbau 
der  Strecke  Kohat— Paiwar  ist  für  1903  4 
in  Aussicht  genommen.  Er  bedeutet  eine 
wesentliche  Stärkung  der  englischen  Stel- 
lung in  den  schwer  zugänglichen  Grenz- 
gebieten.   (Globus.  82.  Bd.  S.  362.) 

AMka. 

♦  Neue  Eisenbahnbauten  in 
Afrika.  Im  Auftrage  des  kolonialwirt- 
schaftlichen Comit^s  wird  die  Eisenbahn 
Lome— Palime  in  Togo  gebaut.  Als 
Hauptstationen  für  die  Eisenbahnlinie 
einigte  sich  der  ausführende  Ingenieur 
mit  den  Interessenten  auf  folgende  Orte : 
Noeppe,  Badja,  Asahun,   Towe,   Kuman, 


Towe-Djigbd  und  Palime. — Die  Konzession 
zum  Bau  einer  Eisenbahn,  welche  die 
portugiesische  Kolonie  Angola  von 
Benguella  am  Atlantischen  Ozean  bis 
an  ihre  östliche  Grenze  durchschnei- 
den soll,  ist  Ende  November  von  der 
portugiesischen  Regierung  dem  Engländer 
Williams  verliehen  worden.  Die  Bahn 
soll  an  der  kleinen  Lobitobucht  (27  km 
nördlich  von  Benguella)  beginnen  und 
quer  durch  Angola  führen;  von  der  Ost-., 
grenze  Angolas  wird  die  1400  km  lange 
Bahn  dann  nach  den  Erzbezirken  des 
südlichen  Kongostaates  und  Rhodesiens 
weitergeführt  und  eine  Verbindung  mit 
der  Kap-Kairo- Bahn  hergestellt  werden. 
Nach  den  Bedingungen  der  Konzession 
behält  der  portugiesische  Staat  einen 
ausschlaggebenden  Einfluß  auf  das  Unter- 
nehmen; der  Unternehmer  erhält  als  Ent- 
gelt das  Ausbeutungsrecht  für  alle  Mine- 
ralien, die  sich  in  einer  Entfernung  von 
120  km  zu  beiden  Seiten  der  Bahn  vor- 
finden werden;  der  Bau  der  Bahn  wird 
möglichst  beschleunigt  werden.  —  Zur 
Ausführung  der  Vorarbeiten  zum  Bau  der 
Katanga-Bahn  hat  sich  am  24.  Okt. 
1902  eine  belgische  Expedition  in  Ant- 
werpen eingeschifft.  Diese  Eisenbahn 
soll  von  Vue  am  Tanganjikasee  ausgehen, 
nach  dem  Moerosee  und  an  dessen  west- 
lichem Ufer  entlang  nach  dem  linken 
Ufer  des  Luapula  bis  zur  Südgrenze  des 
Kongostaates  führen  und  die  dortigen 
Erzdistrikte  erschließen.  Wie  englische 
Blätter  berichten,  soll  diese  Bahn  das 
Glied  der  Rhodes'schen  Kap-Kairo-Bahn 
ersetzen,  das  nach  den  früheren  Ab- 
machungen eigentlich  durch  Deutsch -Ost- 
afrika fähren  sollte.  Die  Chartered-Com- 
pagnie  läßt  gegenwärtig  die  Kap -Kairo - 
Bahn  über  Buluwajo  hinaus  weiter- 
bauen bis  zu  den  großen  Viktoria-Fällen 
im  oberen  Sambesi,  was  ebenfalls  eine  be- 
deutende Abweichung  von  der  ursprüng- 
lich geplanten  Strecke  nach  Westen 
bedeutet.  Der  Bau  einer  großen  Stahl - 
brücke  über  den  Sambesi  bei  den  Viktoria- 
Fällen  macht  -die  Fortführung  der  Bahn 
in  dieser  Richtung  wahrscheinlich,  so  daß 
hier  in  Südafrika  ein  aus  der  Benguella-, 
der  Katanga-  und  der  Kap-Kairo-Bahn 
bestehendes  Eisenbahnnetz  in  der  Bildung 
begriffen  ist,  welches  sowohl  Deutsch- 
Südwestafrika  wie  Deutsch-Ostafrika  ge- 
flissentlich umgeht. 


a«ogr»phltche  Zeitichrift.  9.  Jahrgang.  190S.  1.  Heft. 


50 


Geographische  Neuigkeiten. 


*  Der  gro&e  Nilstaadamm  bei 
Afisuan  ist  nach  seiner  Fertigstellung 
am  10.  Dezember  in  feierlicher  Weise  der 
Benutzung  übergeben  worden.  In  An- 
wesenheit des  Ghedive  und  des  Herzogs 
von  Connaught,  der  am  12.  Febr.  1899 
den  Grundstein  zu  dem  Riesenbauwerk 
gelegt  hatte  (V.  Jhrg.  1899  S.  299),  wurde 
von  der  Herzogin  von  Connaught  der  letzte 
Stein  in  den  Damm  eingefügt,  vorauf 
der  Ghedive  die  Maschinen  in  Bewegung 
setzte  und  die  fünf  Schleusen  öf&iete, 
durch  die  sich  das  Wasser  mit  gewalti- 
gem Rauschen  ergoß.  Alsdann  fuhren 
die  Festteilnehmer  an  Bord  von  Dampfern 
als  erste  durch  die  Dampferschleuse  des 
großen  Dammes  nach  Assuan  zurück.  Durch 
den  2  km  langen  Damm  wird  der  Nil 
zu  einem  167  km  langen  See  aufgestaut, 
dessen  Oberflache  ungefähr  der  des  Genfer 
Sees  gleichkommt,  und  dessen  durch  zahl- 
reiche Kanäle  und  Gräben  über  das  Land 
verteilte  Wasser  genügen  wird,  viele 
Tausend  Morgen  bisher  unfruchtbaren 
Landes  kulturfähig  zu  machen.  Gegen- 
wärtig wird  nun  das  Wasser  des  Nils 
an  drei  Stellen  durch  große  Stauwerke 
angestaut  und  zur  Bewässerung  und  Be- 
frachtung des  Niltales  verwandt:  Durch 
den  soeben  vollendeten  Staudamm  bei 
As^an,  durch  den  Nildamm  bei  Assiut, 
durch  den  das  zur  Bewässerung  des  Fajum 
nötige  und  durch  den  Bahr  Yussuf  dort- 
hin geleitete  Wasser  angestaut  wird,  und 
durch  das  große  Stauwerk  an  der  süd- 
lichsten Spitze  des  Deltas,  durch  welches 
das  ganze  zur  Bewässerung  des  Deltas 
nötige  Wasser  erhalten  wird.  Der  durch 
diese  Kulturarbeiten  bewirkte  Fortschritt 
in  der  Entwicklung  Ägyptens  bekundet 
sich  deutlich  in  der  Tatsache,  daß  sich 
die  Bevölkerung  Ägyptens  in  den  letzten 
siebzig  Jahren  von  2  auf  10  Millionen 
vermehrt  hat. 

♦  Oljer  die  Lage  der  Nilquellen 
machte  Dr.  Kandt  auf  Grund  seiner 
mehrjährigen  Forschungsreise  westlich 
vom  Viktoriasee  in  der  Berliner  Ges.  f. 
Erdkunde  eingehende  Mitteilungen,  nach 
denen  die  von  Oskar  Baumann  entdeckte 
Nilquelle  nicht  die  Quelle  des  Hauptquell- 
flusses, sondern  die  eines  untergeordneten 
Zuflusses  desselben  ist.  Beide  Forscher 
sehen  übereinstimmend  den  Kagera  als 
den  größten  Zufluß  des  Viktoriasees  für 
den  Quellfluß  des  Nil  an.    Während  aber 


Baumann  den  Ruwuwu,  den  von  Süden 
kommenden  Quellfluß  des  Kagera,  fflr 
dessen  Hauptquellfluß  und  infolgedessen 
seine  Quelle  für  die  eigentliche  Nilquelle 
hält,  ist  Kandt  mit  Graf  Götzen,  v.  Trotha, 
Ramsay  und  anderen  Forschungsreisenden 
der  Ansicht,  daß  der  von  Norden  kom- 
mende Quellfluß  des  Kagera,  der  Njawa- 
rongo,  wasserreicher  und  deshalb  der 
Hauptquellfluß  des  Kagera  ist.  Nach  den 
Forschungen  Kandts  ist  weiterhin  der 
Rukarura  als  der  Quellfluß  des  Njawa- 
rongo  anzusehen,  so  daß  die  Quelle  des 
Rukarura,  die  Kandt  in  einem  Felskessel 
fand,  wo  sich  da»  Wasser  tropfenweise 
sammelte,  die  wahre  Nilquelle  wäre. 

Australien. 

#  Der  Bau  einer  transkontinenta- 
len australischen  Eisenbahn  (Jahrg. 
1902  S.  542),  welche  den  Kontinent  in  nord- 
südlicher Richtung  durchschneiden  soll,  ist 
seiner  Verwirklichung  dadurch  bedeutend 
näher  gerückt,  daß  die  Regierung  von  Süd- 
Australien  zu  Angeboten  für  den  Bau  der 
transkontinentalen  Eisenbahn  gegen  Über- 
lassung von  Ländereien  aufgefordert  hat. 
Die  Notwendigkeit  für  die  Ausführung 
des  Baus  der  Bahn  ergab  sich  aus  ver- 
schiedenen Gründen:  Süd- Australien  hat 
unter  Aufbringung  bedeutender  Geldopfer 
Nord-Australien  zum  Staatswesen  organi- 
siert; aber  trotz  des  großen  Mineral- 
reichtums und  der  ausgedehnten  Gras- 
ebenen ist  Nord-Australien  bisher  unpro- 
duktiv geblieben,  die  Schuldenlast  des 
dünnbevölkerten  Landes  beträgt  42  MilU 
Mark,  wozu  noch  16  Mill.  Mark  Barvor- 
schüsse seitens  der  Kolonie  Süd- Australien 
kommen.  Durch  den  Bau  der  Eisenbahn 
gedenkt  Süd- Australien  den  Norden  zu  er- 
schließen und  seine  natürlichen  Reich- 
tümer nutzbar  zu  machen,  um  dadurch 
wieder  zu  seinem  Gelde  zu  kommen. 
•Außerdem  gilt  es,  dem  Bau  einer  andern 
nordsüdlichen  Linie  von  Melbourne  aus 
zuvorzukommen,  und  endlich  hofft  man 
in  Süd-Australien  auf  einen  starken  Ver- 
kehr auf  der  neuen  Überlandbahn,  die 
den  Überlandverkehr  der  transsibirischen 
Bahn  aufnehmen  soll  und  dann  ein  Glied 
in  der  kürzesten  Verbindung  zwischen 
Europa  und  Südost- Australien  bilden  wird. 
Der  selbst  tiefverschuldete  Staat  Süd- 
Australien,  der  bei  nur  860  000  Einwohnern 
eine  Schuldenlast  von  540  Mill.  Mark  zu 


Geographische  Neuigkeiten. 


51 


verzinsen  hat,  konnte  unter  diesen  Um- 
ständen den  Bau  der  Bahn  nicht  selbst 
in  die  Hand  nehmen,  weshalb  er  sich 
entschloß,  den  Bau  durch  eine  Privat- 
gesellschaft ausführen  zu  lassen  und  da- 
für dieser  Gesellschaft  ausgedehnt«  Län- 
dereien zu  beiden  Seiten  der  Bahn  zu 
überlassen.  Wenn  auch  der  Boden  im 
Innern  Australiens  fast  wertlos  ist,  so  ist 
doch  der  Mineral  reich  tum  des  Nordens 
so  bedeutend,  daß  sich  sicher  Unternehmer 
für  die  Ausführung  des  Baus  finden  wer- 
den. Von  der  Bahn  ist  sowohl  im  Süden 
wie  im  Norden  bereits  eine  Teilstrecke 
im  Betriebe,  im  Süden  die  1088  km  lange 
Strecke  bis  Oodnatta  und  im  Norden  die 
320  km  lange  Strecke  bis  Pine  Creek, 
die  bis  jetzt  als  tote  Linien  die  Betriebs- 
kosten nicht  deckei^.  Die  zwischen  bei- 
den Endpunkten  zu  erbauende  Verbin- 
dungsbahn wird  eine  Länge  von  ungefähr 
2000  km  haben;  sie  soll  sich  an  die 
Oberland  telegraphenlinie  anschließen,  ihre 
Spurweite  muß  1,067  m  betragen;  der 
Bau  wird  an  beiden  Enden  begonnen 
und  binnen  8  Jahren  vollendet  sein. 

Nord-Amerika. 

♦  Den  Bau  einer  zweiten  kana- 
dischen Pacificbahn,  die  eine  nörd- 
lichere Richtung  als  die  erste  einhalten 
soll,  hat  die  kanadische  Grand-Trunk- 
Eisenbahngesellschaft  ins  Auge  gefaßt. 
Der  Ausgangspunkt  der  neuen  Bahn  soll 
entweder  North  Bay  (am  Nipissing-See) 
oder  Cravenhurst,  beide  in  der  Provinz 
Ontario,  an  der  Grand-Trunk- Linie,  wer- 
den; von  da  soll  sie  durch  den  Norden 
Manitobas,  Saskatchewan,  Assiniboia  und 
Alberta,  dann  über  den  Peacefluß  oder 
den  Pine  Riverpaß  nach  Britisch-Kolum- 
bien  hineingef^ührt  werden,  wo  sie  wahr- 
scheinlich in  Port  Simpson  ausmünden 
wird.  Letzterer  Hafen  gilt  als  der  beste 
nördlich  von  San  Francisco;  er  liegt  an 
der  Dixonbucht,  zwischen  der  Prinz  von 
Wales-  und  der  Königin  Charlotte-Insel. 
Die  Strecke  würde  ziemlich  gerade  und 
etwa  4150  km  lang  sein;  die  Entfernung 
von  der  Pacificbahn  würde  durchschnitt- 
lich 460  km  betragen.  Von  dem  ^ipis- 
singsee  würde  die  vorhandene  Linie  der 
Grand  Trunk-Gesellschaft  nach  Osten  zu 
die  Verbindung  nach  Quebec  abgeben. 
Die  Kosten  dieser  neuen  Strecke  werden 
auf  96  Mill.  Doli,   oder  rund   400  Mill. 


Mark  angeschlagen.  Bei  dem  Bau  soll 
dafür  gesorgt  werden,  daß  die  neuesten 
Errungenschaften  der  Technik  verwendet 
werden.  Die  Bahn  soll  1907  vollendet 
sein.  In  Kanada  betrachtet  man  das  ganze 
Unternehmen  als  eine  Konkurrenz  gegen 
die  sibirische  Eisenbahn  Die  Entfernung 
von  Quebec  nach  Yokohama  über  Port 
Simpson  soll  um  1160  km  kürzer  sein  als 
über  Vancouver,  den  Endpunkt  der  Kana- 
dischen Pacificbahn  am  Pacifischen  Ozean, 
und  Großbritannien  könnte  infolgedessen 
seine  Truppen  schneller  nach  der  Mand- 
schurei befördern,  als  dies  Rußland  von 
Moskau  aus  über  Wladiwostok  zu  tun 
vermöge.  An  der  Prosperität  der  neuen 
Linie  wird  bei  dem  mächtigen  Empor- 
blühen des  kanadischen  Westens  nicht 
gezweifelt;  infolgedessen  sind  auch  keine 
Regierungszuschüsse  oder  sonstige  staat- 
liche Unterstützungen  zum  Bau  gefordert 
worden. 

8ttd-Auierika. 

*  Der  chilenisch-argentinische 
Grenzstreit  ist  durch  den  am  25.  No- 
vember erfolgten  Schiedsspruch  des  Königs 
Eduard  von  England  nun  definitiv  ent- 
schieden. Nach  Anhörung  der  von  beiden 
Parteien  nach  London  entsandten  Sach- 
verständigen hat  König  Eduard  keiner 
von  beiden  Parteien  das  ganze  streitige 
Grenzgebiet  zusprechen  können.  Er  hat 
vielmehr  das  94000  qkm  große  Grenz- 
gebiet zwischen  beiden  Parteien  derart 
geteilt,  daß  Chile  64000  qkm  und  Argen- 
tinien 40000  qkm  erhält.  Damit  ist  ein 
Streit  beendet,  der  seit  fast  20  Jahren  die 
Gemüter  der  beteiligten  Nationen  oft  in 
derartige  Erregung  versetzte,  daß  ein 
Krieg  unvermeidlich  schien,  und  daher 
Unsummen  Geldes  verschlungen  hat. 

*  Durch  die  Entdeckung  einer 
Wasserstraße  erhält  das  Kartenbild 
von  der  Fjordküste  Südwest -Patago- 
niens  ein  etwas  verändertes  Aussehen. 
Im  Juni  1902  gelang  dem  chilenischen 
Leutnant  Gajardo  die  Auffindung  der 
Wasserstraße,  die  dem  Meerbusen  Obway 
Waters  und  seiner  sich  landeinwärts  an- 
schließenden Fortsetzung  Skyring  Waters 
nach  den  westlichen  Fjorden  einen  Aus- 
weg schafil.  Es  ist  ein  schmaler  Meeres- 
arm, welcher  vom  Südwestende  der  Sky- 
ring Waters  (Bahia  del  Despejo)  nach  dem 
Golf  von  Xaultegua  (Beaufort  Bay)  führt; 


52 


Geographische  Neuigkeiten. 


derselbe  ist  etwa  140  km  lang,  von  denen 
die  ersten  76  km  mit  dem  Dampfer,  die 
letzten  66  km  nur  im  Boot  befahren  wer- 
den konnten.  Der  Kanal  ist  durchschnitt- 
lich 460  m,  an  seiner  schmälsten  Stelle 
nur  100  m  breit.  König  William  IV.-Land 
ist  also  nicht  eine  Halbinsel,  wie  bisher 
angenommen  wurde,  sondern  eine  Insel. 
Nach  den  vorläufigen  Angaben  liegt  der 
Kanal  unter  62«  41'  s.  Br.  und  72*40'  w.  L. 
Da  der  Kanal  für  größere  Fahrzeuge  nicht 
schiffbar  zu  sein  scheint,  so  hat  er  selbst 
für  die  Umgebung  der  Skyring  Waters, 
welche  zur  Ansiedlung  geeignet  sein  soll, 
noch  keine  Bedeutung;  gelingt  es  später, 
die  Hindemisse  fOr  die  Befahrung  zu  be- 
seitigen, so  wird  er  allerdings  die  Fahrt 
von  Skyring  Waters  nach  der  Westküste 
und  den  chilenischen  Häfen  abkürzen. 
(Pet.  Mitt.  1902.  S.  267.) 

Polarlftnder. 
♦  Nach  der  Ost-  und  Westküste 
Grönlands  waren  von  der  dänischen 
Grönland-Kommission  mit  Unterstützung 
des  Carlsberg-Fonds  je  eine  Expedition 
gesandt  worden,  die  jetzt  wieder  glück- 
lich nach  Kopenhagen  zurückgekehrt  sind. 
Die  ostgrönlÄndische  Expedition  bestand 
aus  Mag.  scient.  C.  Kruuse  und  seiner 
Gattin;  ihre  Hauptaufgabe  bestand  in 
botanischen  Untersuchungen.  Am  16.  Aug. 
1901  brach  die  Expedition  mit  dem  Post- 
dampfer „Godthäb^^  von  Kopenhagen  auf 
und  traf,  nachdem  sie  10  Tage  durch  Eis  in 
der  Dänemark-Straße  aufgehalten  war,  am 
6.  September  in  Angmagsalik,  der  ein- 
zigen Regierungsstation  an  der  Ostküste, 
ein,  Der  Winter  war  lang  und  streng, 
aber  ruhig;  von  Mitte  Dezember  bis  Mitte 
Juni  lag  das  Eis  längs  der  Küste  fest. 
Vom  16.  Juni  bis  8.  August  wurden  die 
beiden  großen  Fjorde  Angmagsalik  und 
Sermilik  mittels  Motorboots  befahren.  Die 
Flora  dieses  Gebietes  besteht  aus  110—116 
Arten  Phanerogamen  und  Gefäß-Krypto- 
gamen  außer  niederen  Pflanzen;  zoolo- 
gische Sammlungen  wxurden  angelegt  und 
biologische  und  ökologische  Untersuchun- 
gen ausgeführt.  Die  Lieder,  religiösen 
Vorstellungen  etc.  des  hier  wohnenden, 
isolierten  Eskimostammes  wurden  gesam- 
melt, und  dadurch  die  von  Kapt.  Holm 
1884  zusammengebrachte  Sammlung  ver- 
vollständigt. Am  2.  September  1902  er- 
folgte die  Abreise  über  Julianehäb  am 
südlichen  Teil  der  Westküste;  ohne  Eis 


angetroffen  zu  haben,  kam  das  Schiff  be- 
reits am  28.  September  in  Kopenhagen  an. 
Die  Expedition  nach  Westgrönland 
(Jakobshavn — Jsfjord  und  den  etwas  süd- 
licher liegenden  Gegenden)  bestand  aus 
dem  Privatdozenten  Dr.  Enge  11  und  dem 
Oberleutn.  Schjörring.  Nach  einer 
sieben  Wochen  dauernden  Reise  kam  sie 
am  19.  Juni  in  Jakobshavn  an,  ging  von 
dort  aus  mit  Boot  nach  dem  Tasiusak- 
Fjord,  um  zu  triangulieren  und  zu  photo- 
graphieren,  und  machte  eine  photo- 
grammetrische  Aufoahme.  Femer  unter- 
suchte Dr.  Engeil  die  Gletscher  und 
die  Gletscherbewegung  und  die  Einwande- 
mng  von  Pflanzen  in  einem  neuerdings 
trockengelegten  Gebiet,  aus  dem  das 
Wasser  verschwunden  war,  nachdem  der 
Gletscher  sich  zurückgezvgen  hatte.  End- 
lich vermaß  er  die  noch  unbekannten, 
weiter  südlich  liegenden  Gegenden.  Die 
Expedition  kehrte  am  22.  Oktober  nach 
einer  6*/,  Wochen  dauemden  Reise  nach 
Kopenhagen  zurück.  (Pet.  Mitt.  1902.  S.  267.) 

♦  Die  englische  antarktische 
Hilfsexpedition  auf  der  „Moming** 
ist  nach  einer  ungewöhnlich  langen  Fahrt 
von  vier  Monaten,  während  der  das  Schiff 
nur  einmal  kurz  vor  Kapstadt  von  einem 
anderen  Schiffe  angesprochen  wurde,  am 
16.  November  wohlbehalten  in  Lyttelton 
auf  Neu-Seeland  angekommen.  Das  Schiff 
hat  sich  während  der  stürmischen  Reise 
als  überaus  seetüchtig  bewiesen,  so  daß 
die  Expeditionsmitglieder  mit  Vertrauen 
in  die  Zukunft  blicken.  Nach  beendeter 
Ergänzung  der  Vorräte  und  der  Aufnahme 
von  Kohlen  gedachte  die  Expedition  am 
2.  Dezember  wieder  in  See  zu  gehen  und 
südwärts  zu  steuern. 

Persdnliehes. 

♦  Der  Leiter  der  Deutschen  Seewarte 
in  Hamburg,  Wirkl.  Geh.  Admiralitätsrat 
Dr.  G.  V.  Neumayer,  gedenkt  am  1.  April 
in  den  Ruhestand  zu  treten  und  hat  bereits 
einen  mehrmonatigen  Urlaub  angetreten. 

♦  Dem  Privatdozenten  der  Geographie 
an  der  Technischen  Hochschule  in  Darm- 
stadt Dr.  G.  Greim  wurde  der  Titel 
Professor  verliehen. 

♦  Dem  Privatdozenten  der  Geographie 
au  der  Technischen  Hochschule  in  Wien 
und  Assistenten  am  k.  k.  naturhistorischen 
Hofmuseum,  Dr.  August  Böhm  Edlem 
vonBöhmersheim  wurde  der  Titel  eines 
außerordentlichen  Professors  verliehen. 


BücherbeBprechungen. 


53 


Baeherbesprechiingen. 


Schulze^  Franz.  Balthasar  Springers 
Indienfahrt  1605—1606.  (Drucke 
und  Holzschnitte  des  16.  und  16.  Jahr- 
hunderts in  getreuer  Nachbildung. 
Vm.  Bd.)  VI  u.  100  S.  Straßburg, 
Heitz  1902.  JL  16.—. 
Bereits  im  Jahre  1897,  als  man  sich  in 
Portugal  auch  literarisch  auf  das  Indien- 
Jubiläum  rüstete,  tauchte  in  Deutschland 
der  Gedanke  auf,  die  hinterlassenen  Be- 
richte unserer  beiden  ersten  Indienfahrer 
Hans  Mayr  und  Balthasar  Springer  oder 
Sprenger,  die  den  Admiral  Almeida  1606 
nach  Calicut  begleitet  hatten,  in  einer 
würdigen  Ausgabe  zu  veröffentlichen.  Leider 
gelang  es  damals  nicht,  einen  Verleger 
für  das  Unternehmen  zu  interessieren,  und 
so  mußte  es  zunächst  unterbleiben.  Seit- 
dem haben  sich  glücklicherweise  die 
Verhältnisse  geändert,  und  so  ist  es  dank 
einer  Unterstützung  des  Vereins  für  Erd- 
kunde zu  Leipzig  möglich  geworden,  we- 
nigstens Springers  „Merfart  vnd  erfarung 
nüwer  Schiffung^^  nach  der  Ausgabe  von 
1609  in  Faksimiledruck  zu  reproduzieren. 
Auf  Anregung  Friedrich  Ratzeis  unter- 
nahm es  einer  seiner  Schüler,  einen  Kom- 
mentar zu  diesem  Werke  zu  verfassen. 
Diese  Arbeit  liegt  hier  vor,  und  sie  darf 
als  gründlich,  gewissenhaft  und  wohlge- 
lungen bezeichnet  werden,  wenn  man  auch 
die  Bemerkung  nicht  unterdrücken  kann, 
daß  die  ausländische  Literatur,  insbe- 
sondere die  portugiesische,  noch  etwas  aus- 
giebiger hätte  herangezogen  werden  kön- 
nen. Schulze  unternimmt  es  zunächst,  auf 
Grund  archivalischer  Studien  das  wenige 
zusammenzustellen,  was  über  die  Lebens- 
umstände Springers  zu  ermitteln  war.  Dann 
bespricht  er  eingehend  die  verschiedenen 
Ausgaben  des  Springerschen  Reisewerkes, 
die  einzige  lateinische  Handschrift  in 
Gießen  und  ihren  Abdruck  durch  die  ge- 
lehrten Mauriner  Martine  und  Durand  von 
1724,  die  beiden  deutschen  Ausgaben,  eine 
größere  von  1609  und  eine  kleinere  ohne 
Jahr,  beide  mit  Holzschnitten,  endlich  eine 
flämische  Bearbeitung  aus  dem  Jahre  1608. 
Hierauf  vergleicht  er  Springers  Erzählung 
mit  den  übrigen  gleichzeitigen  Berichten 
über  dieselbe  Fahrt  und  weist  ihre  nicht 
unbeträchtliche  wissenschaftliche  Bedeu- 


tung  namentlich   in  geographischer  und 
ethnographischer  Hinsicht  nach. 

Viktor  Hantzsch. 

BranheSy  Jean.  L'Irrigation,  ses 
conditions  g^ographiques,  ses 
modes  et  son  Organisation  dans 
la  päninsule  Ib^rique  et  dans 
TAfrique  du  Nord.  679  S.  Paris, 
Naud  1902. 

Die  Frage  der  künstlichen  Berieselung 
einmal  auf  einer  breiteren  Grundlage  und 
unter  gründlicher  Untersuchung  einiger 
wichtigerer  Schauplätze  zu  behandeln,  so 
daß  es  möglich  war,  die  Vielseitigkeit 
der  Bedingungen,  Beziehungen,  Ein- 
wirkungen u.  s.  w.  klar  heraus  zu  schälen, 
muß  als  ein  sehr  glücklicher  Griff  be- 
zeichnet werden.  Man  wird  heute,  wo  die 
Erde  der  sich  mehrenden  Menschenzahl 
überall  zu  eng  wird,  sofort  daran  denken, 
daß  es  sich  dem  Verf.  in  erster  Linie 
um  Untersuchung  der  Möglichkeit  handle, 
durch  Verwertung  des  Wassers  bisher 
höchstens  für  Nomaden  bewohnbare 
trockene  Erdgegenden  dichter  Besiedelung 
zu  erschließen.  Doch  deutet  er  davon 
nichts  an,  obwohl  sofort  hervorgehoben 
werden  muß,  daß  seine  Untersuchungen 
auch  in  dieser  Richtung  von  der  größten 
Bedeutung  sind,  der  Praktiker,  der  Tech- 
niker, der  Kolonialpolitiker  viel  aus  dem 
Werke  lernen  kann.  Es  hätte  auch  nahe 
gelegen,  vielleicht  einleitend  den  ganzen 
trockenen  Erdg^ürtel  der  alten  Welt  ins 
Auge  zu  fassen,  von  Zentral-Asien  und 
Indien,  ja  vielleicht  von  China  bis  Marokko, 
wo  seit  den  ältesten  Zeiten  künstliche 
Berieselung  geübt  worden  ist  und  örtlich 
zu  einer  ungeheuren  Verdichtung  der  Be- 
völkerung und  zur  Entwicklung  von  Brenn- 
punkten höchster  menschlicher  Gesittung 
geführt  hat.  Weil  derartige  Untersuchun- 
gen in  Turkestan,  Iran,  Südwest- Arabien 
und  Mesopotamien  außerordentlich  schwie- 
rig sind,  weil  Indien  femer  liegt,  be- 
schränkte sich  der  Verf.  vorläufig  auf  die 
näher  liegenden  Gebiete  der  Iberischen 
Halbinsel  und  Nord -Afrikas.  Vielleicht 
hat  er  diese  weiteren  Ziele  schon  im 
Auge,  ja  auch  das,  was  die  modernste 
Menschheit  auf  diesem  Gebiete  geleistet 


54 


Bücherbesprechungen. 


hat  —  eine  Studie  von  ihm  über  Kali- 
fornien liegt  schon  vor.  Wir  dürfen  viel- 
leicht hoffen,  daß  er  nunmehr  diese 
femer  liegenden  und  wohl  auch  größeren 
Aufgaben  in  Angriff  nimmt,  denn  nie- 
mand ist  80  gut  vorbereitet  wie  er  und 
wenige  werden  im  stände  sein,  so  scharf- 
sinnig wie  er  die  ursächlichen  Wechsel- 
beziehungen zwischen  dem  geographi- 
schen Faktor  des  Wassers  in  trockenen 
Erdgegenden  und  dem  Menschen  heraus- 
zufinden und  klar  zu  legen.  Denn  es 
kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß 
Zentral  -  Asien ,  Turkestan  u.  s.  w.  noch 
manche  neue  Seite  dieser  Frage  enthüllen 
werden.  Auch  dürfte  da  ein  Eingehen 
auf  das  Geschichtliche,  das  der  Verf. 
bisher  kaum  gestreift  hat,  förderlich  sein. 

Brunhes  bezeichnet  sein  Werk  als  eine 
antbropogeographische  Studie  und  stellt 
daher  in  der  Einleitung  methodische  Be- 
trachtungen über  Einordnung  und  Be- 
deutung derartiger  Untersuchungen  an. 
Es  trägt  durchaus  streng  wissenschaft- 
lichen Charakter  und  zwar,  was  besonders 
betont  werden  soll,  streng  geographischen 
Charakter,  der  Verlockung,  darüber  hinaus 
zu  gehen,  ist  der  Verf.  nirgends  gefolgt. 
Er  erscheint  in  ihm  als  ein  vorzüglich 
geographisch  und  philosophisch  geschulter, 
als  ein  geographisch  scharfsinniger  Kopf. 
Seine  Doppeleigenschaft  als  Professor  der 
Geographie  in  Freiburg  in  der  Schweiz 
und  am  College  libre  des  Sciences  sociales 
in  Paris  prägt  sich  in  dem  Werke  aus. 

Der  Verf.  beschäftigt  sich  seit  vielen 
Jahren  mit  derartigen  Fragen,  wie  eine 
lange  Reihe  kleinerer  Veröffentlichungen 
zeigt,  und  ging  wohl  vorbereitet  daran,  an 
Ort  und  Stelle,  auf  lange  ausgedehnten 
Reisen  durch  Spanien,  Algerien,  Tunesien 
und  Ägypten  durch  Selbstsehen,  durch 
Besprechungen  mit  den  besten  Kennern 
der  Verhältnisse,  durch  Benutzung  ge- 
d  ruckter  und  ungedruckter  Aufzeichnungen 
die  Fülle  von  Stoff  zusammenzubringen, 
dessen  wohlgeordneten  Extrakt  er  uns 
hier  in  knapper,  klarer,  formgewandter 
Darstellung  vorlegt.  Ich  stehe  nicht  an, 
sein  Werk  als  eine  der  hervorragendsten 
Erscheinungen  auf  geographischem,  auf 
anthropogeographischem  Gebiete  im  letzten 
Jahrzehnte  zu  bezeichnen.  Zur  Kennzeich- 
nung des  Inhalts,  auf  den  näher  einzu- 
gehen hier  der  Raum  fehlt,  möge  be- 
merkt werden,   daß  das  Werk  durch  die 


Schilderung  des  tatsächlichen  Bestandes 
der  künstlichen  Berieselungen  auf  der 
Iberischen  Halbinsel,  in  den  Atlasländem 
und  in  Ägypten  nicht  nur  ein  wichtiger 
Beitrag  zur  Landeskunde  dieser  Länder 
ist,  sondern  vor  allem,  und  das  lag  dem 
Verf.  am  meisten  am  Herzen  und  darin 
liegt  der  allgemeine  Wert  seines  Werkes, 
nach  allen  Seiten  hin  die  ursächlichen 
Wechselbeziehungen  zwischen  dem  Wasser, 
insofern  es  zur  Berieselung  trockener  Erd- 
gegenden verwendet  wird,  und  dem 
Menschen,  die  Beeinflussung  des  Landes 
und  der  Landesnatur  durch  den  Menschen 
mit  Hilfe  des  Wassers  klar  legt.  Ganz 
anders  gestalten  sich  die  Berieselungs- 
Systeme,  die  wasserrechtlichen  Verhält- 
nisse u.  s.  w.,  je  nachdem  die  Wasser- 
zufuhr besonders  in  der  Zeit,  wo  es  am 
nötigsten  ist,  reichlich  und  annähernd 
gleichmäßig  ist,  wie  in  der  Umgebung 
großer  natürlicher  Wasserbehälter,  wie  in 
der  Sierra  Nevada,  der  Djurdjura  oder 
Aures  —  ich  möchte  noch  hinzufügen  im 
Hohen  Atlas  über  der  subatlantischen 
Hochebene  von  Marokko;  anders  wo  man 
mit  dem  Wasser  sorgsam  haushalten  muß, 
wie  in  der  Küstenebene  von  Valencia,  im 
trockensten  Südosten  Spaniens,  im  Ebro- 
becken,  in  West-Algerien  u.  s.  w.,  die  alle 
untereinander  wieder  Unterschiede  der 
geographischen  Bedingungen  aufweisen ; 
anders  in  Ägypten,  wo  ein  großer  Strom 
das  Wasser  femer  Erdgegenden  der 
Wüste  zuführt.  Die  gproßen,  teils  schon 
früher,  teils  wohl  in  diesem  Augenblicke 
vollendeten  Arbeiten  der  Engländer  in 
Ägypten  und  ihre  Folgewirkungen  werden 
besonders  eingehend  besprochen.  Die 
zusammenfassen  den  Schlu  ß  betrach  timgen 
S.  426  —  40  über  die  Bewässerung  in 
trockenen  Ländern,  über  reale  Beziehungen 
zwischen  der  Natur  und  dem  Menschen, 
über  natürliche  hemmende  und  natürliche 
beeinflussende  Bedingungen,  über  die 
kritische  Tragweite  der  Anthropogeo- 
graphie  sollten  von  jedem  Geographen 
gelesen  werden,  müssen  aber  auch  der  be- 
sonderen Beachtung  des  Philosophen  und 
Geschichtsphilosophen  empfohlen  werden. 
Das  Werk  macht  überall  den  Eindruck 
gründlicher  Studien,  großer  Zuverlässig- 
keit und  Sorgfalt  bis  ins  kleinste.  Es 
enthält  nicht  nur  zahlreiche  Literatur- 
nachweise unter  dem  Text,  sondern  auch 
eine   bibliographische   Zusammenstellung 


Buch  erb  esprechungen. 


55 


der  wichtigsten   Literatur   (S.  619  —  67).  I 
Eine  Inhaltsübersicht  und  ein  Namenver-  ; 
zeichnis  erleichtem  die  Benutzung.    Die ' 
Ausstattung    ist    vornehm;    eine    Reihe , 
von  Karten,   alle   im  gleichen  Maßstabe 
von  1 :  7600000,  und  zahlreiche,  ganz  vor- 
trefflich   den    Text    veranschaulichende 
Bilder,  die  fast  ausnahmslos  auf  Aufnahmen 
des  Verf.   beruhen,    kommen   dem   Ver- 
ständnis entgegen.    Ein  Anhang  (S.  441 
bis  618)  enthält  Anmerkungen  und  Beleg- 
stücke ,    wasserrechtliche    Verordnungen, 
Verträge,   Satzungen   von  Bewässerungs- 
gesellschaften u.  dgl.       Th.  Fischer. 

Freytag,  6.   Export- Atlas  für  Welt- 
handel und  Industrie.   Querfolio, 
27  Taf.  u.  K.    Wien,  G.  Freytag  & 
Bemdt.    geb.  JL  17.—. 
Der   Atlas   ist  wesentlich  statistisch. 
Der  Hauptinhalt  besteht  in  Diagrammen, 
die  Ein-   und  Auefuhrwerte   der   Haupt- 
artikel des  Handels  (für  1898)  darstellen. 
Der  Mitte  der  einzelnen  Tafeln  sind  Über- 
sichtskärtchen    der    betreffenden   Länder 
eingefügt,  und  im  Anhange  ist  eine  Karte 
der  „Verkehrswege  für  den  Weltexport" 
im  Maßstab  1 :  45  Mill.  beigegeben. 

E.  Friedrich. 

HeUmamiy  G.  Regenkarte  der  Pro- 
vinz Sachsen  und  der  Thüring. 
Staaten.  Mit  erläuterndem  Text  u. 
Tabellen.  31  S.  Berlin,  Dietr.  Reimer 
1902.  .«:  1.20. 
Die  in  amtlichem  Auftrage  von  Hell- 
mann bearbeiteten  Regenkarten  der  preu- 
ßischen Provinzen  erscheinen  in  rascher 
Folge.  Durch  die  vorliegende  Karte  der 
Provinz  Sachsen  findet  der  östliche  Teil 
Preußens  seinen  Abschluß.  Der  neuen 
Karte  liegen  die  Beobachtungen  von  286 
Orten  für  den  Zeitraum  1891—1900  zu 
Grunde.  Der  mittlere  jährliche  Nieder- 
schlag mit  698  mm  liegt  höher  als  der 
der  Provinzen  Posen  (613),  Westpreußen 
(641)  und  Brandenburg  (6 56),  aber  niedriger 
als  der  der  Provinzen  Pommern  (699),  Ost- 
preußen (600)  und  Schlesien  (680).  Das 
mehr  ebene  Gebiet  der  Provinz  Sachsen 
kommt  jedoch  mit  663  mm  der  Provinz 
Brandenburg  annähernd  gleich.  Wieder 
erscheint  die  Regenkarte  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  als  ein  Spiegelbild  der 
Höhenschichtenkarte.  In  den  Niederungen 
sinkt  die  Regenhöhe  unter  600  mm.  In 
den  Flaßtälem  der  Elbe,  Saale,  ünstrut 


und  Helme  lagert  ein  Trockengebiet,  ver- 
ursacht durch  die  westlich  vorgelagerten 
Gebirge.  Auf  diesen  steigt  die  Nieder- 
schlagshöhe auf  mehr  als  1000  mm,  auf 
dem  Brocken  sogar  auf  1700  mm.  Von 
Jahr  zu  Jahr  beobachten  wir  sehr  große 
Schwankungen;  in  Torgau  beträgt  das 
Maximum  768  mm,  das  Minimum  310  mm. 
Innerhalb  des  Jahres  ist  fast  durchweg 
der  Juli  der  regenreichste  Monat.  Nur 
auf  den  Gebirgen  tritt  zuweilen  im  De- 
zember das  Maximum  ein.  Aus  den  Be- 
trachtungen über  die  größten  Nieder- 
schlagsmengen in  kurzer  Zeit  entnehmen 
wir  noch,  daß  bis  zu  168  mm  an  einem 
Tag  beobachtet  sind.  Die  Zahl  der  Nieder- 
schlagstage im  Jahr  beläuft  sich  auf  den 
Gebirgen  auf  200  bis  260,  in  der  Ebene 
auf  160  bis  180.  Die  Karte  ist  in 
1 :  1300000  gezeichnet.  Ule. 

Nissen,  Heinrich.  Italische  Landes- 
kunde. 2.  Bd.  Die  Städte.  1.  Hälfte. 
480  S.  Berlin, Weidmann  1902.  Jtl.—, 

Nach  19  Jahren  erscheint  nun  endlich 
die  erste  Hälfte  des  zweiten  Bandes  von 
Nissens  Landeskunde  des  alten  Italiens! 
Eine  langsam,  aber  sorgsam  und  gründ- 
lich gereifte,  köstliche  Frucht!  Es  ist  eine 
historische  Landeskunde  des  römischen 
Italiens,  aus  der  aber  auch  der  Geograph 
reiche  Belehrung  zu  schöpfen  vermag,  die 
das  Verständnis  des  heutigen  Italiens 
(Großgrundbesitz,  städtische  Nichtstuerei, 
Verachtung  der  ehrlichen  Arbeit  des  Bauern 
u.  dgl.  m.)  vielfach  zu  vertiefen  erlaubt. 
Der  Verf.  will  in  diesem  Bande  die  11 
Regionen  Italiens  nach  der  Einteilung  des 
Augudtus  schildern.  Es  liegt  bisher  der 
Norden  und  die  Mitte  bis  Picenum  und 
dem  Marsergebiet  vor. 

Einleitend  wird  auf  99  Seiten  eine 
Gesamtübersicht  über  Alt-Italien  gegeben, 
in  welcher  neben  den  für  den  Geographen 
besonders  wichtigen  siedelungskundlichen 
Betrachtungen  solche  über  Verkehrs-  und 
wirtschaftliche  Verhältnisse  im  Vorder» 
gründe  stehen.  Den  Landstraßen  ist  ein 
besonders  lehrreiches  Kapitel  gewidmet. 
Der  Einfluß,  welchen  die  Scharen  von 
römischen  Bürgern,  die  sich  zu  Erwerbs- 
zwecken, gefördert  durch  die  bevorrechtete 
Stellung,  die  sie  als  solche  genossen,  über 
die  Provinzen  ergossen,  neben  Beamten 
und  Soldaten  auf  die  Romanisierung  der- 
selben  ausübten,    wird    hell   beleuchtet. 


56 


Bücherbesprechungen. 


Wer  wird  beim  Lesen  des  Satees  (S.  90) : 
„Die  meisten  auswärtigen  Kriege,  die  Zer- 
störung Karthagos  wie  die  Eroberung  Gal- 
liens sind  ohne  triftige  Gründe  und  weni- 
ger aus  Ehrgeiz  als  aus  Gewinnsucht 
unternommen  worden^^  nicht  an  die  Gegen- 
wart erinnert?  Die  Volksdichte  Italiens 
stand  in  gewissen  Gegenden  Alt-Italiens 
nur  um  20—  26  7^  hinter  der  Gegenwart  zu- 
rück. Für  das  festländische  Italien  kommt 
Nissen  zurzeit  des  Augustus  auf  min- 
destens 10  Millionen  Freie,  im  ganzen  auf 
16  Millionen  Einwohner.  Um  200  n.  Chr. 
beträgt  die  Bevölkerung  von  Rom  nicht 
mehr  die  Hälfte,  um  400  nur  noch  y,, 
der  zur  Zeit  des  Augustus. 

Der  größte  Teil  des  Werks  ist  der 
Schilderung  der  einzelnen  Regionen,  ihrer 
Grenzen  und  Größe,  ihrer  Landesnatur, 
ihrem  Landschaftscharakter  und  ihren 
Erzeugnissen,  die  meist  völlig  verschieden 
von  den  heutigen  sind,  und  in  erster  Linie 
der  Topographie  der  Städte  gewidmet. 
Mit  Ligurien  wird  begonnen;  wie  ganz 
anders  erscheint  die  heutige  Gartenland- 
schaft von  Ligurien  im  Altertum!  Ähn- 
lich das  Po  •Land.  Auf  die  Entwicklung 
von  Mailand  fallen  anziehende,  neue  Schlag- 
lichter. Zum  Verständnis  der  G^eschichte, 
besonders  der  Kriegsgeschichte,  werden 
hie  imd  da  eingehende  Schilderungen  des 
Geländes  eingefügt,  die  nicht  selten 
Selbstsehen  erkennen  lassen,  überall  aber 
auf  sorgfältiger  Benützung  der  topogra- 
phischen Karte  beruhen. 

In  diesem  Werke  ist  eine  sichere  Unter- 
lage für  das  Studium  der  Geschichte  Alt- 
Italiens  gegeben.  Th.  Fischer. 

Meyers  Reisebücher.     Türkei,  Rumä- 
nien,   Serbien,    Bulgarien.     6.   Aufl. 
384  S.    10  K.,  30  Pläne,  1  Panorama, 
2  Abb.     Leipzig  u.  Wien,  Bibl.  Inst. 
1902. 
Der  vortreffliche  und  einzige  vorhan- 
dene deutsche  Reiseführer  in  den  euro- 
päischen Orient,  über  den  wir  in  dieser 
Zeitschrift  1898,  S.  237,  berichtet  haben, 
ist  wiederum  in  neuer  Auflage  erschienen. 
Sie  ist  nicht  nur  sorgfältig  durchgearbeitet 
und  auf  dem  Laufenden  erhalten,  sondern 
auch    wesentlich    vermehrt   worden.     So 
sind    neu   hinzugefügt  Pläne  von  Nisch, 
Philippopel,  Adrianopel,  Timova,  gut  aus- 
geführte  Karten   der  Bahnlinie  Nisch  — 
Philippopel,  des  Isker-Durchbniches,  des 


Eisernen  Tors;  auch  eine  Tafel  mit  Ab- 
bildungen der  türkischen  Münzen  ist 
außerordentlich  nützlich  für  den  Neuling 
in  dem  so  beispiellos  verwirrten  türkischen 
Münzwesen.  Im  Text  finden  wir  neu  den 
Ausflug  zum  Rilakloster  sowie  die  Bahn- 
linien Sofia — Schumla — Vama  und  Afiun- 
karahissar — Alaschehr.      Philippson. 

Krahmer.   Das  nordöstlicheKüsten- 
gebiet.  Rußland  in  Asien  V.   Gr.  8*. 
VII  u.   296  S.     2  kol.  K.     Leipzig, 
Zuckschwerdt  &  Co.   1902.     J(.  8.—. 
Wir   verdanken   dem  Verfasser,   dem 
besten  deutschen  Kenner  der  russischen 
Kulturarbeit  in  Asien,  bereits  drei  Bände 
des  großen  Werkes  „Rußland  in  Asien". 
Wenn  er  uns  bisher  mit  Turkestan,  mit 
der  sibirischen  Eisenbahn,  mit  der  Mand- 
schurei bekannt  gemacht  hat,   so  führt 
uns  der  vorliegende   stattliche  Band   in 
unbekannte  Femen,   an   verlassene,   fast 
könnte  man  sagen  an  vergessene  Küsten, 
in  ein  Land  am  stürmischen,  kalten  Meere 
unter    polarischem   Klima,    welches   Be- 
siedelung  und  Kultur  für  alle  Zeit  aus- 
zuschließen scheint. 

Die  Russen  kamen  schon  sehr  früh 
(1581)  an  die  Küste  Nordost- Asiens.  Die 
Jagd  auf  kostbare  Pelztiere,  die  Gier 
nach  Gold,  schließlich  auch  Herrschsucht 
der  Kosakenführer,  welche  aus  den  armen 
Volksstämmen  der  Ureinwohner  die  Kopf- 
steuer pressen  wollten,  haben  dazu  ge- 
führt, daß  bereits  im  XVIII.  Jahrhundert 
das  Küstenland  bis  zur  Beringsstraße 
wenigstens  dem  Namen  nach  dem  russi- 
schen Reiche  unterworfen  war.  Die  groß 
angelegte  Politik  Katharinas  II.  wollte 
von  den  Küstenplätzen  des  Ochotskischen 
Meeres  und  der  Halbinsel  Kamtschatka 
aus  den  Handel  mit  China  und  Japan 
beleben,  allein  die  Entfernungen  auf  dem 
Landwege  nach  dem  europäischen  Ruß- 
land erwiesen  sich  als  zu  groß,  um  wirk- 
lichen Nutzen  zu  ziehen.  Je  weiter  die 
Eroberungszüge  der  Russen  nach  Süden 
gingen,  desto  mehr  wurde  der  öde,  ge- 
fürchtete Nordosten  vernachlässigt.  In 
den  letzten  Jahrzehnten  hatte  das  nord- 
östliche Küstengebiet  bald  tüchtige,  bald 
gleichgültige  Gouverneure  und  ist  offen- 
kundig in  Verfall  geraten.  Hungersnot, 
europäische  Krankheiten,  Branntwein  und 
Auswucherung  haben  die  schwache  Ur- 
bevölkerung an  den  Rand  des  Erlöschens 


Bücherbesprechungen. 


57 


gebracht,  während  die  wenigen  ruBsischen 
Besiedler,  welche  entweder  der  Zwang 
oder  die  Habsucht  hierher  geführt  hatte, 
im  Laufe  der  Zeit  unter  dem  harten  Klima 
und  unter  den  schwierigen  Lebensbedin- 
gungen zu  entarten  drohten.  Erst  in  den 
letzten  Jahren  haben  bedeutende  russische 
Forscher,  namentlich  Sljunin  und  01s- 
sufjew,  mit  rücksichtsloser  Hand  die 
groben  Vernachlässigungen  und  die  schwe- 
ren Fehler  der  Regierung  gezeigt  und  mit 
sicherem  Blick  die  Wege  zur  Besserung 
erkannt.  Die  ewigreiche  Natur  hat  mit 
ihren  Gaben  selbst  im  äußersten  Norden 
der  bewohnbaren  Erde  nicht  gegeizt. 
Kamtschatka  ist  ein  Wunderland,  aller- 
dings in  eigenartigem  Sinne.  Gewaltige 
Vulkane  erheben  sich  über  Hochgebirge 
mit  ewigem  Schnee  fast  aus  dem  Meere 
empor,  und  wenn  die  Küste  auch  unter 
vulkanischen  Einflüssen  leidet,  so  haben 
die  Uferstriche  doch  ein  hinreichend  mildes 
Klima,  um  die  dauernde  Besiedelung  zur 
Ausbeutung  der  reichen  Bodenschätze  zu 
ermöglichen.  Kamtschatka  ist  in  dieser 
Hinsicht  ein  Land  der  Zukunft,  geordnete 
Zustände  und  Arbeit  einer  hohen  Kapital- 
kraft vorausgesetzt.  Das  Land  längs  des 
Ochotskischen  Meerbusens  von  der  Uda 
bis  zum  Anadjr  ist  eines  der  gewaltig- 
sten Waldgebiete  der  Erde,  und  es 
bleibt  auch  hier  nur  der  Verwaltung  an- 
heimgestellt, durch  Anlage  von  Straßen, 
FlÖßbarmachung  von  Flüssen,  Bau  von 
Häfen  die  Holzausfuhr  zu  heben.  Japan 
und  China  werden  die  Märkte  sein.  Selbst 
der  allerfemste  Nordosten,  die  verwahr- 
loste Tschuktschen-Halbinsel,  hat  in  ihren 
Renntierherden  und  ebenfalls  in  ihren 
Mineralschätzen  große  Reichtümer.  Die 
ganze  Küste  ist  aber  von  einem  Meere 
umspült,  welches  an  Waltieren,  Seehunden, 
Fischen  unerschöpflich  zu  sein  scheint, 
wenngleich  den  Staatsverträgen  zum  Trotz 
fast  drei  Jahrzehnte  lang  auf  das  Er- 
barmungsloseste Raubfang  getrieben  wird. 
Nur  eine  sehr  kräftige  Hand  könnte 
hier  Besserung  schaffen. 

Das  Buch  schildert  alle  diese  Zustände 
mit  packender  Anschaulichkeit  und  ver- 
steht es,  den  Leser  für  den  Stoff  zu  ge- 
winnen, so  daß  das  treffliche  Werk  nicht 
nur  dem  Geographen,  sondern  auch  dem 
Gebildeten  überhau^it  eine  Fundgrube  der 
Anregung  wird.  Auf  Grund  der  russi- 
schen Fachurteile  wird  zur  Hebung  des 


Landes  vorgeschlagen,  daß  man  die  hoff- 
nungslosen Versuche  des  Ackerbaues  auf- 
geben und  dafür  staatliche  Lebensmittel- 
magazine anlegen  soll.  Regelmäßige 
Küstenschiffahrt,  Besteuerung  der  Ein- 
geborenen mit  Geld,  nicht  mit  Natural- 
abgaben, geregelte,  streng  rechtliche  Ver- 
waltung, Belebung  eines  kapitalkräftigen 
Unternehmungsgeistes:  das  sind  die  Wege, 
auf  denen  Rußland  seinen  fernen,  so  lange 
mißachteten  Besitz  zu  gedeihlicher  Ent- 
wicklung bringen  kann.  Amerika  hat 
in  Alaska  das  Vorbild  gegeben. 

Immanuel. 

Kontzen,  Leopold.  Goa  im  Wandel 
der  Jahrhunderte.  89  S.  Berlin, 
Schwetschke  u.  Sohn  1902. 
Die  vorliegende  kleine  Schrift  enthält 
einen  wertvollen  Beitrag  zur  Geschichte 
des  portugiesischen  Kolonialreiches  in  In- 
dien, indem  sie  die  Schicksale  von  Goa,  der 
ehemaligen  Hauptstadt  dieses  Reiches,  bis 
auf  die  Gegenwart  schildert.  In  der  Ein- 
leitung gibt  der  Verfasser  zunächst  einen 
Überblick  über  die  gedruckten  Quellen 
der  Stadtgeschichte.  Dabei  begnügt  er 
sich  nicht  mit  einer  trockenen  Aufzählung 
der  in  Frage  kommenden  Chroniken  und 
Reisebeschreibungen,  sondern  er  bemüht 
sich,  die  historische  und  literarische  Be- 
deutung dieser  Werke  und  die  Eigenart 
ihrer  Verfasser  kurz  aber  treffend  zu 
charakterisieren.  Dann  berichtet  er  die 
Schicksale  der  Stadt  vor  der  Ankunft  der 
Portugiesen  und  ihre  Erstürmung  durch 
Albuquerque,  der  mit  sicherm  Blick  ihre 
für  die  Verteidigung  und  den  Handel 
gleich  vorteilhafte  Lage  erkannte  und  sie 
deshalb  zum  Mittelpunkt  des  portugie- 
sischen Kolonialreiches,  zum  Sitz  der 
weltlichen  und  geistlichen  Behörden  und 
zur  Hauptstation  der  Kriegsflotte  erhob. 
Um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  stand 
sie  in  höchster  Blüte.  Dann  begann 
namentlich  seit  der  Vereinigung  Portu- 
gals mit  Spanien  und  infolge  der  kühnen 
Raubzüge  holländischer  und  englischer 
Seefahrer  ein  allmählich  immer  rascher 
fortschreitender  Verfall,  der  die  Stadt  bis 
zu  völliger  Bedeutungslosigkeit  herab- 
sinken ließ.  Was  die  Ungunst  der  poli- 
tischen Verhältnisse  nicht  vernichtete,  das 
zerstörte  vollends  die  durch  wahllose 
Mischung  mit  den  Eingeborenen  beschleu- 
nigte Indolenz  und  sittliche  Verwilderung 


58 


Bücher  besprechungeil. 


u 


der  Bewohner,  die  Habsucht  und  Kor- 
ruption der  Beamten,  die  Obermacht  der 
Geistlichkeit,  vor  allem  die  Schreckens- 
herrschaft der  Inquisition.  Es  ist  ein 
ddsteres,  aber  lehrreiches  Bild,  das  dem 
Leser  hier  vorgeführt  wird.  —  Auch 
Deutsche  haben  sich  schon  im  16.  Jahr- 
hundert in  Goa  niedergelassen,  doch  geht 
der  Verfasser  leider  nicht  näher  auf  sie 
ein  Über  den  Augsburger  Großkaufmann 
Konrad  Roth,  der  in  Goa  eine  Handels- 
agentur unterhielt,  hätten  die  gründlichen 
Untersuchungen  von  Johannes  Falke  und 
Konrad  Häbler  herangezogen  werden 
sollen.  Viktor  Hantzsch. 

Mohr 9  P*  Marokko.  Eine  politisch- 
wirtschaftliche Studie.  IV  u.  62  S. 
Berlin,  Siemenroth  1902.  JC  1.40. 
Der  geographische  Fachmann  wird 
der  vorliegenden  Schrift  nur  gerecht  wer- 
den und  den  mancherlei  Bedenken,  die 
ihm  aufstoßen  müssen,  kein  übergroßes 
Gewicht  beimessen,  wenn  er  sich  genau 
an  den  Titel  hält.  Es  handelt  sich  um 
die  Schrift  eines  jungen  Kolonialpolitikers, 
der  die  große  Bedeutung,  welche  Marokko 
in  politischer  und  wirtschaftlicher  Hin- 
sicht inne  wohnt,  klar  erkannt  hat, 
diese  weiteren  Kreisen  unseres  Volks  in 
großen  Zügen  schildert  und  unseren  Staats- 
männern das  Gewissen  schärfen  will,  daß 
unbedingt  keine  Entscheidung  über  die 
Geschicke  dieses  Landes  erfolgen  dürfe, 
die  als  eine  Benachteiligung  deutscher  In- 
teressen angesehen  werden  müßte.  Inso- 
fern muß  man  derselben  volle  Anerkenn- 
ung zollen.  Den  Satz,  daß  die  Zukunft 
im  Handel  mit  Marokko  den  Deutschen 
gehört,  wenn  demselben  von  Seiten  des 
Reichs  n|lr  die  nötige  Pflege  zu  Teil 
wird,  möchteich  unbedingt  unterschreiben. 
Th.  Fischer. 

Meyer^  Hans.    Die  Eisenbahnen  im 
tropischen  Afrika.    Eine  kolonial- 
wirtschaftliche   Studie.      Mit    einer 
Eisenbahnkarte    von    Afrika.     X   u. 
186  S.    Leipzig,  Duncker  &  Humblot 
1902.     JC  4.80. 
Wir   sind  dem  Verfasser   zu  großem 
Dank   verpflichtet,   daß   er   das  überaus 
zerstreute  und  nicht  immer  leicht  zugäng- 
liche   Material    über    die    afrikanischen 
Eisenbahnen  gesammelt  und  in  dem  vor- 
liegenden   Buche    verarbeitet    hat.      Es 
werden  zunächst  die  Eisenbahnen  in  den 


französischen,  englischen  und  deutschen 
Kolonien  Oberguineas  und  des  Niger- 
gebietes, dann  die  des  Kongobeckens, 
des  portugiesischen  und  deutschen  Süd- 
westafrika, die  Bahnen  in  Rhodesia,  zum 
Nyassa  und  Tangaigika,  zum  Viktoria- 
eee,  im  mittleren  Nilgebiet  und  in  Abes- 
sinien,  sowie  endlich  diejenigen  der  ost- 
afrikanischen  Inseln  ausführlich  be- 
sprochen. Dabei  beschränkt  sich  der 
Verfasser  nicht  darauf,  das  tatsächliche 
Material  aneinander  zu  reihen,  sondern 
geht  überall  ein  auf  die  natürlichen  Be- 
dingungen und  auf  die  wirtschaftlichen 
Verhältnisse,  welche  der  Entwicklung 
des  afrikanischen  Eisenbahnnetzes  zu 
Grunde  liegen.  Er  behandelt  auch  nicht 
nur  die  bereits  gebauten  und  im  Bau  be- 
findlichen Bahnen,  sondern  erwähnt  und 
kritisiert  die  Projekte,  die  in  den  ver- 
schiedenen Kolonien  aufgestellt  wurden. 
In  einem  Schlußkapitel  gibt  er  einen  ver- 
gleichenden Überblick  und  erörtert  die 
Fragen,  wo  in  Afrika  Eisenbahnen  gebaut 
werden  sollen,  wie  gebaut  werden,  wer 
den  Bahnbau  unternehmen  und  wie  die 
Arbeit  organisiert  werden  soll.  Es  wird 
darauf  hingewiesen,  daß  der  größte  Teil 
der  afrikanischen  Eisenbahnen  Stichbahnen 
seien,  kurze  Schienenwege,  die  bis  höch- 
stens 400  km  ins  Innere  reichen,  so  daß 
auf  ihnen  selbst  geringwertige  Massen- 
güter noch  verfrachtet  werden  können. 
Diese  Bahnen  dienen  zur  Erschließung 
der  betreffenden  Länder;  durch  sie  sollen 
die  noch  schlummernden  Krilfte  der  letz- 
teren geweckt  werden.  Eine  zweite  Gruppe 
von  Bahnen  bezweckt  die  Umgehung  der 
Kataraktenregion  eines  Flusses  (Kongo- 
bahn, prgjektierte  Schirebahn  u.  s.  w.) 
oder  die  Verbindung  zweier  schiffbarer 
Flüsse  mit  einander  (Senegal-Nigerbahn). 
Von  der  Kongobahn,  der  einzigen  afrika- 
nischen Eisenbahn,  die  sich  bis  jetzt  ren- 
tiert, weist  der  Verfasser  nach,  daß  ihre 
Erfolge  auf  einem  staatlich  organisierten 
Ausbeutungs-  und  Ausplünderungssystem 
beruhen,  das  später  einmal  zu  einem  Zu- 
sammenbruch führen  muß.  Eisenbahnen 
von  mehr  als  400  km  Länge  gibt  es  nur 
wenige  in  Afrika.  Sie  kommen  nur  dort 
in  Betracht,  wo  entweder  etwas  im  Lande 
Wertvolles  bereits  vorhanden  ist,  oder 
wo  auf  einen  erheblichen  Transitverkehr 
gerechnet  werden  kann  (projektierte 
Njassabahn),   oder   wo   außer  den  wirt- 


Bücherbesprechungen. 


59 


schaftlidhen  VerhältnisBeii  politische  und 
militärische  Interessen  mitspielen  (Uganda- 
bahn, Bahn  Wadi  Halfa-Chartum).  Er- 
wähnt sei  noch,  daß  der  Verfasser  sich 
gegen  den  Bau  einer  ostafrikanischen 
Zentralbahn  ausspricht  (sein  Standpunkt 
in  dieser  Frage  ist  ja  bereits  bekannt), 
daß  er  aber  für  den  Bau  einer  Stichbahn 
Dar  es  Salaam-Mrogoro  eintritt  und  statt 
der  Zentralbahn  eine  ostafrikanische  Süd- 
bahn von  Eilwa  zum  Nyassa  befürwortet, 
welche  die  kürzeste  Verbindung  des  ver- 
kehrsreichen Nyassagebietes  und  auch  des 
Tanganjika  mit  der  Küste  herstellen 
vTÜrde.  A.  Schenck. 

Hassert,  Kurt.    Die  Polarforschung. 
Geschichte  der  Entdeckungsreisen  zum 
Nord-  und  Südpol  von  den  ältesten 
Zeiten    bis    zur   Gegenwart.     166  S. 
6  K.  u.  2  Taf.   „Aus  Natur  u.  Geistes- 
welt",    Bd.    38.      Leipzig,    Teubner 
1902.     .IC  1.25. 
Auf  diese  kleine  in  allen  Hauptsachen 
gut  orientierende  Schrift  sei  hiermit  auf- 
merksam gemacht ;  sie  erscheint  zu  rech- 
ter Zeit,  denn  durch  die  Rückkehr  der 
Expeditionen  von  Sverdrup,   Peary    und 
Baldwin,  sowie  durch  ihre  Berichte  über 
die    erzielten    positiven    und    negativen 
Ergebnisse     ist     die     allgemeine     Auf- 
merksamkeit    wieder     auJF    die     Polar- 
regionen gerichtet.    Zunächst  werden  die 
mancherlei  Ziele  und  Aufgaben  der  ark- 
tischen und    antarktischen  Forschung  in 
gemeinverständlicherweise  dargelegt,  und 
sodann  folgt  eine  gedrängte  Darstellung 
der  Geschichte  der  Polarfahrten  von  der 
ältesten  Zeit    —    für   uns  Deutsche   die 
um  das  Jahr  1040  unternommene  Fahrt 
friesischer  Edelleute  in  das   Eismeer  — 
bis  auf  die  Gegenwart  in  folgenden  Ab- 
schnitten:   1.  Die  Polarfahrten  im  Alter- 
tum und  Mittelalter.    2.  Die   Nordwest- 
und   Nordostfahrten    bis   zum    19.    Jahr- 
hundert. 3.  Die  nordwestliche  Durchfahrt. 

4.  Franklin     und     die     Franklinsucher. 

5.  Grönland  und  das  Vordringen  durch 
den  Smithsund.  7.  Das  europäische  Eis- 
meer und  seine  Inseln.  8.  Das  sibirische 
Eismeer  und  die  nordöstliche  Durchfahrt. 
9.  Die  neuesten  Vorstöße  (bis  Herbst 
1901),  endlich  10.  Die  Südpolarfahrten. 
Die  am  Schluß  eingefügten  Kärtchen  helfen 
die  Orientierung  erleichtern. 

M.  Lindeman. 


Sch5|ie9  Emil.  Die  geschichtliche 
Entwicklung  des  geogra- 
phischen Unterrichts  in  der 
sächsischen  Volksschule  bis 
zur  Gegenwart.  100  S.  Dresden, 
Köhler. 
Auf  Grund  eines  sorgsam  ausgewählten 
und  benützten  Quellenmaterials  betrach- 
tet der  Verfasser  die  geschichtliche  Ent- 
wicklung des  geographischen  Unterrichts 
in  der  Volksschule  Sachsens  unter  Be- 
zugnahme 1.  auf  den  jeweiligen  Stand 
der  geographischen  Wissenschaft;  2.  auf 
die  einschlägigen  pädagogischen  Zeit- 
strömungen; 8.  auf  die  sächsische  Lehrer- 
bildung. Zuerst  zeichnet  er  ein  Bild  von 
den  kärglichen  Ansätzen  des  Unterrichts 
in  der  Erdkunde  vor  dem  Erlaß  der 
Schulordnung  von  1773.  Es  ist  nicht  das 
Schlimmste,  daß  für  ihn  in  jenen  weit- 
entlegenen Zeiträumen  eine  ausgesprochene 
Methodenlosigkeit  charakteristisch  war. 
Aber  es  ist  für  die  Meinung  von  dem 
bildenden  Werte  dieses  Lehrzweigs  in 
früheren  Tagen  kennzeichnend,  daß  er 
vielfach  in  ammenhafter  Art  geradezu 
dem  Amüsement  der  Schüler  zu  dienen 
hatte.  (S.  Endesfelders  „kurzgefafste 
Kindergeographie**.  Breslau  1769.)  —  Zwi- 
schen 1778  und  1836  fand  zwar  der 
geographische  Lehrstoff  äußerlich  Auf- 
nahme in  sämtlichen  sächsischen  Elemen- 
tarschulen. Als  selbständiger  Unterrichts- 
gegenstand existierte  jedoch  die  Erdkunde 
bis  1836  nur  in  den  gehobeneren  Schul- 
anstalten. Und  auch  hier  glich  die 
geographische  Belehrung  im  allgemeinen 
noch  einem  aus  lose  aneinandergereihten 
Steinchen  zusammengesetzten  Mosaikbild. 
Dazu  glaubte  man,  daß  ihr  formaler 
Bildungswert  wesentlich  auf  der  Ge- 
dächtnisbildung beruhe.  —  In  einer 
3.  Abhandlung  erweist  Schöne  mit  Ge- 
schick, wie  sich  der  erdkundliche  Unter- 
richt in  sämtlichen  Volksschulen  Sachsens 
von  1836 — 1873  zu  einer  selbständigen 
Disziplin  bei  innerer  Vertiefung  auf 
Ritterscher  Grundlage  durchrang.  —  Seine 
abschließende  Betrachtung  aber  widmet 
der  Verfasser  der  Lage  des  Greographie- 
unterrichts  in  der  sächsischen  Volksschule 
seit  dem  Erlaß  des  Schulgesetzes  im 
Jahre  1878.  Er  streift  dabei  alle  bedeut- 
sameren, die  Schulgeographie  in  der 
Gegenwart  bewegenden  Fragen  und  zeigt 
anschaulich,  wie  regsam  man  gerade  in 


60 


Bücherbesprechungen. 


Sachsen  auf  diesem  Unterrichtsgebiete 
vorgeht.  Eben  ihrer  letzten  Abschnitte 
wegen  verdient  die  Schrift  auch  außer- 
halb der  sächsischen  Grenzpfähle  Beach- 
tung. Christian  Gruber. 

Becker,  Anton  u.  Mayer,  Jnling.  L  e  r  n  - 
buch  der  Erdkunde.  I.Teil.  IV u. 
92  S.  6  Textfig.,  4  Abb.  u.  6  K.  im 
Anhange.  Wien,  Deuticke  1902. 
Geh.  K.  1.40,  geb.  K.  1.80. 
Der  Titel  könnte  noch  genauer  sein, 
wenn  er  den  Zusatz  ,,für  niederöster- 
reichische Schulen*'  trüge;  denn  auf  deren 
Schüler  ist  das  Buch  zugeschnitten.  Es 
wird  damit  sofort  einer  Grundforderung 
modernen  erdkundlichen  Unterrichts  ge- 
recht, die  sonst  Erdkunde -Lehrbücher 
zu  erfüllen  meist  nicht  in  die  Lage  kom- 
men, nämlich  wirklich  auf  dem  in  der 
Heimat,  der  angeschauten  und  durch- 
wanderbaren Umgebung,  zu  fußen.  Auch 
im  weiteren  Verlauf  macht  das  Buch  einen 
sehr  Vertrauen  erweckenden  Eindruck. 
Kleine  Ungenauigkeiten  werden  bei  Erst- 
auflagen nie  zu  vermeiden  sein,  ich  notiere 
z.  B.  gleich  auf  S.  3  die  Bemerkung,  daß 
die  Sonne  um  9*»a.  im  SO  und  um  8*»p. 
im  SW  stände,  eine  Unrichtigkeit,  die  bei 
aller  gebotenen  Verallgemeinerung  doch 
wohl  zu  weit  geht.  Ich  sehe  aber  davon 
ab,  um  zur  Hauptsache  zu  kommen:  das 
Buch  rührt  von  Fachleuten  her,  d.  h.  es 
ist  von  Männern  verfaßt,  die  nicht  nur 
in  ihrer  Wissenschaft  genügend  heimisch 
waren  und  an  Schulen  hie  und  da  einige 
versprengte  Unterrichtsstunden  gegeben 
haben,  sondern  die  sich  aus  breiter  Unter- 
richtspraxis heraus,  wie  wir  sie  im  Reiche 
leider  gar  nicht  kennen  lernen  können, 
ein  für  ihren  Lehrgegenstand  passendes 
Unterrichtsmittel  geschaffen  haben.  Damit 
berühre  ich  aber  den  Kern  der  Lehrbücher- 
frage überhaupt,  wie  ich  sie  verstehe,  und 
ich  möchte  das  hier  tun  im  Hinblick 
auf  des  zweit  genannten  Verfassers  Äuße- 
rungen zu  dieser  Angelegenheit  (Zeitschrift 
f.  Schulgeographie.  XXHT.  S.  299).  Aus 
dem  Fachlehrertum  der  österreichischen 
Anstalten  hat  sich  ganz  natürlich  und  be- 
rechtigt erst  die  Lehrbuchfrage  (vergl. 
A.  Beckers  Diskussion  hierüber)  und  dann 
u.  a.  eine  so  vortreffliche  Lösung  dieser 
Frage  wie  das  vorliegende  Werkchen  ent- 
wickelt. Wir  im  Eeich  haben  wohl  auch 
die  Lehrbuchfrage,  aber  ihr  weit  voran 


steht  die  Lehr  er  frage.  Ich  unterschreibe 
unter  keiner  Bedingung  den  Mayerschen 
Satz:  „Ist  der  Lehrer  methodisch  unge- 
nügend gebildet,  dann  ist  es  um  so  nötiger, 
daß  ihm  der  Leitfaden  die  Methodik  in 
jeder  Zeile  gleichsam  greifbar  mache*\ 
sondern  bin  der  Meinung,  daß  methodisch 
ungenügend  gebildete  Lehrer  nicht  in 
eine  höhere  Schule  gehören,  wenn  diese 
den  Anspruch,  eine  solche  zu  sein,  be- 
halten will.  Auch  das  vollkommenste 
Werkzeug  in  ungeschickter  Hand  taugt 
nichts,  der  Fachmann  aber  wird  auch 
mit  unvollkommeneren  Mitteln  schon  aus- 
kommen. Daß  er  sich  besseres  zu  ver- 
schaffen suchen  wird,  ist  klar;  der  öster- 
reichische Schulgeograph  hat  das  mit  Er- 
folg gethan  und  ich  ergreife  mit  Freuden 
die  Gelegenheit,  darauf  hinzuweisen,  wie 
groß  die  Verdienste  A.  Beckers  nach 
dieser  Richtung  hin  für  den  geographi- 
schen Unterricht  an  österreichischen 
Schulen  auch  schon  vor  Erscheinen  seines 
„Lembuchs"  gewesen  sind.  Das  aber  an 
der  von  Mayer  gewünschten  Stelle  zu 
tun,  lag  für  mich  keine  Veranlassung 
vor,  denn  ich  sprach  von  den  Bedürfnissen 
der  preußischen  höheren  Schule  und 
mußte  die  nächsten  voranstellen  und  stark 
betonen.  —  Indem  ich  mich  aber  zu 
Becker  -  Mayers  Lembuch  zurückwende, 
möchte  ich  zum  Schluß  das  Buch  dringend 
allen  für  Geographieunterricht  Interessier- 
ten empfehlen,  ich  glaube,  ein  jeder  von 
uns  kann  noch  eine  Fülle  von  Anregung 
aus  seiner  Lektüre  mit  heimnehmen. 
Hch.  Fischer. 

Uaack^H.    Kleiner  deutscher  Schü- 
ler-Atlas.    27  Karten  zum   Unter- 
richt   und    zur    Anregung.     Gotha, 
Justus  Perthes.  JL  0.60,  geb.  ^H.\.—. 
Derselbe.   Kleiner  deutscher  Lern- 
atlas.    28  stumme  Karten  zur  Wie- 
derholung.  Ebenda.    Preis:  derselbe. 
Die  beiden  kleinen  Atlanten  stimmen 
in  ihren  Karten  überein,  nur  daß  1.  Him- 
mel  und  Erde,    26.  Völker,    Religionen, 
26.  und  27.  zur  deutschen  und  zur  bibli- 
schen Geschichte  in  dem  „stummen"  Atlas 
fehlen.  Die  Karten  sind  klar  und  schön,  vom 
Charakter  etwa  des  bekannten  Lüddecke- 
Haack,  trotz  des  kleinen  Formats,  das  mit 
ca.  20  cm :  20  cm  des  Deckels  noch  nicht 
die  Maße  eines  Quartheftes  erreicht.   Ich 
gönne   dem   kleinen    deutschen   Schüler- 


Buch  erb  esprechüngen. 


61 


Atlas,  vorausgesetzt,  daß  er  nicht  einen 
größeren,  inhaltreicheren  Atlas  verdrängt, 
weiteste  Verbreitung;  besonders  möchte 
ich  ihn  als  billiges  Geschenkobjekt  drin- 
gend empfehlen.  Kleine  Ungenauigkeiten 
einer  ersten  Auflage  stören  wenig;  doch 
seien  einige  zwecks  Beseitigung  genannt. 
No.  26  Westpreußen  1672  statt  1772, 
No.  7  Breslau  als  Festung,  No.  9  Utrecht 
nicht  als  Festung,  dagegen  No.  15  richtig 
als  solche,  No.  10  auf  deutschem  Gebiet 
Niemen  statt  Memel,  Roeskilde  darf  nicht 
ö  geschrieben  werden,  wie  Korsör,  sondern 
mit  oe.  Die  kleinen  Schlachtenkarten 
vertragen  auch  eine  Nachbesserung,  z.  B. 
müßten  die  blauen  Pfeile  auf  der  Karte 
von  Wörth  z.  T.  von  Norden  kommen 
(n.  bayr.  Korps  ^  Jäger-  und  Sauerthal). 
Doch  das  sind  alles  Kleinigkeiten,  die 
sich  leicht  ändern  lassen ;  die  Hauptsache 
bleiben  die  Karten  selbst.  Der  „stumme 
Atlas*^  zeigt  nun  zunächst  wieder  einmal, 
wie  sehr  das  Kartenbild  durch  die  No- 
menklatur leidet;  die  Blätter  wirken,  be- 
sonders hinsichtlich  Flußnetz  und  Oro- 
plastik,  außerordentlich  viel  eindringlicher 
und  harmonischer,  so  daß  der  Wunsch, 
man  bedürfte  der  Namen  nicht,  nur  zu 
rege  wird.  Jedenfalls  wünschte  ich,  man 
gewöhnte  sich  und  Schüler,  soweit  letz- 
teres geht,  recht  an  die  Betrachtung  sol- 
cher reinen  Karten.  Ich  fasse  daher 
den  Titel  „Lematlas*^  ein  wenig  anders 
auf,  als  vielleicht  der  Verfasser.  Ich 
wünschte,  daß  die  Betrachter  infolge  des 
Fehlens  der  Namen  die  wahre  Gestaltung 
der  Erdoberfläche  deutlicher  kennen  ler- 
nen, und  lege  auf  den  Vorteil  des  sich 
Überhörenkönnens  geographischer  Voka- 
beln weniger  Gewicht,  wenn  ich  ihn  auch 
nicht  als  überflüssig  bezeichnen  will. 
Die  kleinen  Atlanten  haben  in  jeder 
Schulmappe  Platz,  vieUeicht  findet  sie  die 
Zukunft  in  recht  vielen. 

Heinr.  Fischer. 

Harms,  H.     Vaterländische  Brd- 
kunde.   6.  Aufl.    104  Abb.  u.  4  färb. 
Kärtchen.       Braunschweig ,    Woller- 
mann 1902.    JL  5.—. 
Ein  recht  anregendes  Buch,  das  sich 
durch    Selbständigkeit    in    methodischer 
Beziehung    und    reichen    Inhalt    vorteil- 
haft vor  vielen  andern  Vaterlandskunden 
auszeichnet.      Ausführliche     Behandlung 
Deutschlands  auf  Kosten  der  übrigen  Erd- 


räume, Benutzung  der  Vaterlandskunde 
zur  Gewinnung  allgemeiner  geographischer 
Gesetze:  das  ist  die  Hauptforderung,  die 
Harms  in  seinem  Buche  zu  erfüllen  sucht. 
Als  Eigenartiges  in  letzterem  möchten 
wir  hervorheben:  Aufnahme  geologischer 
Betrachtungen,  Gliederung  in  natürliche 
Gebiete  und  ihre  allseitige  Behandlung, 
eingehende  Berücksichtigung  der  Kultur- 
geographie, Zusammenarbeiten  mit  der 
Karte  und  dem  Lehmannscheu  Bilderwerke, 
einfache  Schülerskizzen.  Die  neue  Auflage 
enthält  im  Anhange  noch  eine  Besprechung 
unsrer  Kolonien.  Die  Lektüre  des  Buches 
sei  dem  Geographielehrer  angelegentlich 
empfohlen.  P.  Wagner. 

Richter,  Gustav.  Wandkarte  von 
Schleswig-Holstein.  1 :  160000. 
Essen,  Baedeker.  Unaufgez.  JL  12.—, 
aufgez.  JL  18. — . 
Die  Karte  ist  in  6  Höhenstufen  (grün 
über  weiß  zu  brauner  Schummerung): 
0  —  20  —  40  —  60  —  80  m  angelegt;  die 
Marsch  ist  dazu  dunkel  wagerecht  ge- 
strichelt, für  das  Diluvium  durch  feine 
Punktierung  der  Geschiebe  s  a  n  d  gebiete 
und  reine  Flachenfarbe  für  die  östlichen 
Geschiebelehm  gebiete  eine  Einteilung 
versucht,  die  in  der  volkswirtschaftlichen 
Bedeutung  dieser  beiden  Landschaften  ihre 
Berechtigung  findet.  Doch  entbehrt  diese 
Trennung  der  Fernwirkung.  Wasser  ist 
blau,  Situation,  mit  Ausnahme  der  größeren 
Städte  schwarz,  Eisenbahnnetz  rot,  ebenso 
die  alten  Landschaftsgrenzen,  politisches 
mit  Farbenrändem;  dazu  kommen  viele 
kleine  Zeichen,  für  Ruinen,  Leuchtfeuer, 
Dampferlinien  etc.  Die  Karte  ist  also 
außerordentlich  reichhaltig.  Störend  wirkt 
dies  nur  gegen  Lübeck  zu,  da  im  übrigen 
die  politischen  Grenzen  keine  Rolle  spielen 
und  die  Kreisgrenzen  (schwache  hellgelbe 
Bänder)  für  die  Femwirkung  ausscheiden. 
Die  Karte  wird  gute  Dienste  leisten  können 
und  kann  unbedenklich  empfohlen  werden. 
Heinr.  Fischer. 

HotZ)   Rudolf.     Leitfaden    für    den 

Unterricht   in   der   Geographie 

der  Schweiz.  72S.  Basel, Reich  1902. 

In  der  herkömmlichen  Weise  behandelt 

dieses   sauber   gedruckte,   mit   26  guten 

Illustrationen     versehene     Büchlein     die 

Schweiz,   indem   es    im   ersten    Teil    die 

Natur  >  nach    dem    allgemeinen    Schema, 


62 


Neue  Bücher  und  Karten. 


im  zweiten  Teil  die  Kantone  beschreibt. 
Bei  der  Betrachtung  der  orographiscben 
Verhältnisse  werden  oft  ,, Ausblicke  in 
geologische  Vorgänge"  gemacht,  die  je- 
doch nicht  immer  unanfechtbar  sind, 
z.  B.  S.  7:  „Die  Mulden  zwischen  den 
Falten  wurden  zu  Tälern";  S.  10:  „In  den 
Nordalpen  treten  .  .  .  Kalk  und  Kreide 
auP;  S.  16:  „alpines  Gestein"  —  alpin 
ist  kein  petrographischer  Begriff.  Weitere 
Versehen  sind:  S.  61:  „Thomas  Platter, 
Rektor    des    Gymnasiums   in   Basel"    — 


I  der  Genannte   stand  von   1544—1578  der 

I  Schule  „Auf  Burg**  vor;   das  Gymnasium 

I  wurde  erst  am  24.  Oktober  1589  eröffnet; 

S.  52 :   „Am  Südabhang  des  Simplon  wird 

;  etwas  Gold  gewonnen"  — -  das  Goldberg- 

I  werk   in  Gondo  ist  eingegangen ;   S.  58 : 

„Regensberg  am  Puße  der  ?**  —  gemeint 

ist  die  Lägern;  das  alte  Städtehen  Regens- 

j  berg   liegt   aber   auf  der  Lagern.     Gut 

I  gelungen  ist   die   Schilderung  der   wirt- 

I  schaftlichen  Verhältnisse  der  Schweiz. 

I  E.  Zollinger. 


Neue  Bücher  and  Karten. 


AllgemelBe  phjrtttehe  GH^graphle. 

Schütz,  E.  H.  Die  Lehre  von  dem  Wesen 
und  den  Wanderungen  der  magneti- 
schen Pole  der  Erde.  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  der  Geophysik.  XII  u.  76  S. 
4  Tabellen  u.  5  kartograph.  Darstel- 
lungen. Berlin,  D.  Reimer  1902.  ^IC 10.—. 

Machaiek,  Fr.  Gletscherkunde.  126  S. 
6  Textabb.  u.  11  Taf.  Leipzig,  Gö- 
schen 1902.     JC  —.80. 

AllgeMetae  Geographie  des  MeatcheB. 

Lampert,  Kurt.  Die  Völker  der  Erde. 
Lief.  19—21. 

Frobenius,  Leo.  Völkerkunde  in  Cha- 
rakterbildern des  Lebens,  Treibens  und 
Denkens  der  Wilden  und  der  reiferen 
Menschheit.  L  Band:  Aus  den  Flegel- 
jahren der  Menschheit.  XII  u.  416  S. 
II.  Band :  Die  reifere  Menschheit.  IV  u. 
464  S.  700  Abb.  im  Text  u.  auf  Taf. 
Hannover,  Jänecke  1902.    .^  16.—. 

DeotschUBd  oad  Naehbarliader. 

Boy^,  P.  Les  Hautes  Chaumes  des  Vos- 
ges.  Etüde  de  Geographie  et  d'Eco- 
nomie  historiques.  434  S.  3  Taf.  Paris, 
Berger-Levrault  1903.    Fr.  6.—. 

Wähner,  Franz.  Das  Sonnwendgebirge 
im  Unterinntal.  Ein  Typus  alpinen 
Gebirgsbaues.  I.  Teil.  >II  u.  356  S. 
96  Abb.,  19  Taf.  u.  1  geol.  K.  Leipzig 
u.  Wien,  Deuticke  1903.     JC  35.—. 

Tester,  Ch.  Schlappina.  Bilder  vom  Hoch- 
gebirge. 2.  Aufl.  128  S.  Zürich,  Schrö- 
ter 1903.     X  1.—. 

f  briget  Eorop». 

Ibissen,  Hch.  Italische  Landeskunde, 
n.  Bd.  Die  Städte.  2.  Hälfte.  IV  u. 
623  S.  Berlin,  Weidmann  1902.  JC  8.—. 


Oberhummer,  Eugen.  Konstantinopel 
unter  Sultan  Soleiman  dem  Großen,  auf- 
genommen 1550  durch  Melchior  Lorichs 
aus  Flensburg.  Querfolio.  24  S.  17  Text- 
bilder und  22  Taf.  In  Mappe  JC  30.—. 
Attea. 

Rohrbach,  Paul.  Vom  Kaukasus  zum 
Mittelmeer.  Eine  Hochzeits-  u.  Studien- 
reise durch  Armenien.  VI  u.  224  S. 
42  Abb.  Leipzig  u.  Berlin,  B.  G.  Teubner 
1903.     JC  5.  — . 

Weber,  M    Der  indo-australische  Archi- 
pel und  die  Geschichte  seiner  Tierwelt. 
46  S.    1  K.  Jena,  Fischer  1902.    JC  1.—. 
AfHkA. 

Toeppen,  K.  Ali  der  ostafrikam'sche 
Seeräuber.  Erzählungen  aus  dem  See- 
räuberleben der  Lamuleute  Ende  der 
achtziger  Jahre.  V  u.  288  S.  10  Voll- 
bilder u.  zahlreiche  Textabb.  Berlin, 
D.  Reimer  1908.  JC  5.—. 
AottnilieB  oad  aiBtralltehe  latelwelf. 

Decken,  R.  Die  Aussichten  der  Kakao- 
kultur auf  Samoa.  Vortrag.  16  S. 
Oldenburg,  Stalling  1902.     JC  —.80. 

Decken,  R.  Rauschende  Palmen.  Bunte 
Erzählungen  und  Novellen  aus  der  Süd- 
see. 204  S.  Abb.  Oldenburg,  Stalling 
1902.     JC  3.—. 

Nord-  QBd  MittelAMerlka. 

Schieß,  W.     Quer  durch  Mexiko.    Vom 
atlantischen  zum  stillen  Ozean.     XIH  u. 
234  S.     55  lUustr.  u.   16  Taf.     Berlin, 
D.  Reimer  1902.     .K  8.—. 
Meere. 

Atlantischer  Ozean.  Ein  Atlas  von 
39  Karten,  die  physikalischen  Verhält- 
nisse u.  die  Verkehrsstraßen  darstellend. 


Zeitschriftenscbaa. 


63 


Herausgegeben  von  der  Direktion  der 
Deutschen  Seewarte.  2.  Aufl.  Ham- 
burg, Friederichsen  1902.     JC  22.50. 

Chun,  Carl.  Aus  den  Tiefen  des  Welt- 
meeres. 2.  Aufl.,  Lief.  10—12  (Schluß). 
Qeof  raphltclier  ÜBt^rrlelit. 

Pütz,  W.  Leitfaden  der  vergleichenden 
Erdbeschreibung.  26.  Aufl.,  bearb.  v. 
F.  Behr.  XVI  u.  288  S.  Freiburg  i.  B., 
Herder  1902.     JC  1.60. 

Geistbeck,  M.  Leitfaden  der  mathema- 
tischen und  physikalischen  Geographie 


für  Mittelschulen  und  Lehrerbildungs- 
anstalten. 22.  u.  23.  Aufl.  Vm  u. 
168  S.  Viele  Abb.  Freiburg  i.  B.,  Herder 

1902.  M,  1.40. 

Mayer,  J.,  Becker,  A.,  Rusch,  A. 
Geographische  Grundbegriffe,  erläutert 
an  Wien  und  Umgebung.  Ein  metho- 
disches Hilfsbuch  mit  Benützung  des 
1.  Teiles  von  „Becker  u.  Mayer,  Lem- 
buch  der  Erdkunde".  64  S.  12  Textfig. 
u.  3  Abb.  im  Anhange.    Wien,  Deuticke 

1903.  Kr.  1.20. 


Zeitschriftenscbaa. 


Petermanns  Mitteilungen.  1902.  11.  Heft. 
Yamasaki:  Morphologische  Beti*achtung 
des  japanischen  Binnenmeeres  Setouchi.  — 
Stavenhagen:  Rußlands Eartenwesen in 
Vergangenheit  und  Gegenwart.  —  Woei- 
kof:  Über  den  Aralsee.  —  Futterer: 
V.  Richthofens  geomorphologische  Studien 
aus  Ostasien.  —  Reinhard:  Die  deutsche 
Gesellschaft  für  Natur-  und  Völkerkunde 
Ostasiens.  —  Hammer:  Die  Höhe  des 
Piks  von  Tenerife. 

Globus.  Bd.LXXXn.  Nr.  19.  Graeb- 
ner:  Holztrommeln  des  Ramu-Distriktes 
auf  Neu-Guinea.  —  Andree:  Franz  Boas. 

—  Das  vorkolumbische  Portoriko. 
Dass,  Nr.  20.  Kaßner:  Klapper- 
bretter und  anderes  aus  Bulgarien.  — 
V.  Bülow:  Das  Fischereirecht  der  Ein- 
geborenen von  Deutsch  -  Samoa.  — 
Rhammi:  Der  Verkehr  der  ^Geschlechter 
unter  den  Slaven.  —  Neger:  Die  Be- 
wässerung auf  der  iberischen  Halbinsel 
und  in  Nordafrika. 

Dass.  Nr.  21.  Stoll:  Zur  Ent- 
deckungsgeschichte der  Kokospalme.  — 
Ritchie:  Unterirdische  Wohnungen  und 
bienenkorbförmige  Häuser  auf  den  briti- 
schen Inseln.  —  Foy:  Verstärkter  Bogen 
von  Babber.  —  Kaindl:  Neue  anthropo- 
logische und  volkskundliche  Arbeiten  über 
Galizien,  Russisch-Polen  und  die  Ukraine. 

—  Ziemann:  Zur  Tätowierung  der  Donga 
in  Kamerun.  —  Mehlis:  Moderne  Stein- 
werkzeuge. 

Dass.  Nr.  22.  Schmidt:  Reise- 
skizzen aus  Mato  Grosso.  —  De  THarpes 
Reise  durch  das  Aur^s-Gebirge  und  die 
Sufoasen.  —  Kaindl:  Neue  anthropo- 
logische und  volkskundliche  Arbeiten.  — 


Koch:  Guido  Boggiani,  ein  neues  Opfer 
des  Gran  Chaco. 

Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik,  XXV.  Jhrg.  3.  Heft.  Ma- 
cha6ek:  Die  Geographie  auf  dem  Karls- 
bader Naturforschertag.  —  Kellen: 
Durch  die  Wälder  der  Ardennen.  — 
Bencke:  Belutschistan,  Land  und  Leute. 

—  Andresen:  Juan  Femandez,  die 
Robinson-Insel. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1902. 11  .Heft. 
Nils  Eckholm:  Über  Emission  und  Ab- 
sorption der  Wärme  und  deren  Bedeu- 
tung für  die  Temperatur  der  Erdober- 
fläche. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erd- 
kunde tu  Berlin,  1902.  Nr.  9.  Blan- 
ken hörn:  Die  Geschichte  des  Nilstromes 
in  der  Tertiär-  und  Quartärperiode.  — - 
Meinardus:  Die  ozeanologischen  Ergeb- 
nisse der  „Valdi?ia"- Expedition.  — 
Di  eis:  Reisen  in  Westaustralien. 

Beiträge  zur  Kolonialpolitik  und  Kolo- 
nialwirtschaft. IV.  Jhrg.  5.  u.  6.  Heft. 
Bayer:  Die  Organisation  von  Eritrea.— 
Reinecke:  Die  wirtschaftliche  Entwick- 
lung Samoas.  —  Schroeder:  Auf  der 
Reise  nach  Saypan.  —  Hesse:  Gibt  es 
eine  unmittelbare  Reichsangehörigkeit?  — 
V.  Helldorf:  Die  Besiedlung  Deutsch- 
Ostafrikas.  —  Wiese:  Beiti^ge  zur 
Arbeiterfrage. 

Asien.  1902.  Nr.  2.  Gaedertz: 
Schantungs  wirtschaftliche  Bedeutung.  — 
Kran n sei:   Der   chinesische   Teehandel. 

—  Grießbauer:  Die  Entwicklung  der 
anatolischen  Eisenbahn.  —  v.  Kleist: 
Indochina.  —  Der  Vertrag  zwischen 
Frankreich  und  Slam  1902. 


64 


Zeitschriftenschau. 


Mitteilungen  der  K.  K,  Geographischin 
Gesellschaft  in  Wien.  1902.  Nr.  9  u.  10, 
Schönberger:  Die  Umrandung  des 
Marchbeckens.  —  Pudor:   Island  -  Fahrt. 

—  Diener:  Die  Stellung  der  kroatisch- 
slavonischen  Inselgebirge  zu  den  Alpen. 

The  Geographica!  Journal  1902.  Nr.  6. 
The  President^s  Opening  Address  Session 
1902/3.  —  Stein:  A  Joumey  of  Geogra- 
phica! and  Archaeological  Exploration  in 
Chinese  Turkestan.  —  Eliot:  Notes  of  a 
Joumey  through  Uganda,  down  the  Nile 
to  Gondokoro  1902.  —  Forder:  To  the 
Jof  and  Back.  —  Survey  of  India  lüüO/1. 
Amundsen:  Expedition  the  North  Mag- 
netic  Pole.  —  Herbertson:  Geological 
Reports  from  South  Africa.  —  The  Re- 
cent  Volcanic  Eruptions.  —  Beazley: 
On  a  hitherto  unexamined  Manuscript  of 
John  de  Piano  Carpini. 

The  Scottish  Geographical  Magazine. 
1902.  Nr.  12.  Sykes:  The  Geography  of 
Southern  Persia  as  affecting  its  History. 

—  Ten  Thousand  Miles  in  Persia.  — 
Macalister:  The  Aro-Country.  —  The 
Irrigation  of  Egypt.  —  Mason:  Some 
Notes  on  the  Bonin  Islands. 

Ännales  de  Geographie.  1902.  No- 
vembre.  Nr.  60.  Zimmermann:  Terres, 
Climats  et  Glaciers  antarctiques.  — 
Douxami:  La  valMe  moyenne  du  Rhone. 

—  Bernard  et  Ficheur:  Les  rdgions 
naturelles  de  TAlgerie.  —  Idoux:  Notes 
sur  le  Nefzaoua.  —  Gallois:  La  lettre 
de  Toscanelli  k  Christophe  Colomb.  — 
de  Lapparen t:  Les  grands  traits  du 
continent  asiatique,  d'aprfes  Sueß.  — 
Vidal  de  la  Blache:  L'irrigation, 
d^apr^s  Brunhes.  —  Schirmer:  Mada- 
gascar,  d'apres  Gautier.  —  Le  g^näral 
G.  de  La  Noö  f- 

La  Geographie.  1902.  Nr.  11.  Gal- 
lien i:  Les  travaux  g^ographiques  a 
Madagascar.  —  Deh^rain:  Voyage  du 
landdrost  Starrenburg  au  nord  du  cap  de 
Bonne-Esp^rance  en  1705.  —  Paquier: 
£tude  sur  la  formation  du  relief  dans  le 


Diois  et  les  Baronnies  orientales.  — 
Hardy:  La  Vegetation  des  pays  illyriens. 
Weinreb:    Les  grandes  cit^s  du  monde. 

The  National  Geographie  Magazine. 
1902.  Nr.  11.  J.  W.  Powell  f.  —  Day: 
The  Course  of  the  Retail  Coal  Trade.  — 
Mosely:  Submerged  Valleys  in  Sandusky 
Bay.  —  Place  Names  in  the  United  Sta- 
tes. —  Among  the  great  Himalayan 
Glaciers. 

Dass.  Nr.  12.  Russell:  Volcanic 
Eruptions  on  Martinique  and  St.  Vincent. 
—  Miller:  The  Copyright  of  a  Map  or 
Chart.  —  Hovey:  The  Eruptions  of  La 
Soufrii^re,  St.  Vincent,  in  May  1902.  — 
Sverdrups  Work  in  the  Arctics.  —  Vol- 
canic Disturbances  in  Guatemala.  —  Ex- 
plorations  around  Mt.  Mc  Kinley. 

The  Journal  of  Geography.  1902.  Nr.  8. 
Brown:  Gaspee  Point.  —  Adams:  Post- 
Glacial  Origin  and  Migrations  of  Life.  — 
Lee:  Canyons  of  Southeastern  Colorado. 
~  The  Mississippi  River. 

Aus  Terschiedenen  ZeitschrifteD. 

Brunhes:  Le  travail  des  eaux  courantes: 
La  tactique  des  tourbillons.  I.  Ilots 
granitiques  de  la  premiäre  cataracte 
du  Nil.  II.  Gorges  du  versant  Nord 
des  Alpes  suisses.  Mitteü.  d.  Natur- 
forsch.  Ges.  in  Freiburg  (Schweiz).  II, 
1902.     Heft  4. 

Geinitz:  Die  Einheitlichkeit  der  quar- 
tären  Eiszeit.  (22  Textfig.  u.  1  K.) 
Neues  Jahrbuch  für  Mineralogie,  Geo- 
logie u.  Paläontologie.  1902.  Beilage - 
Bd.  XVI. 

Hill :  The  Beaumont  Oil  Field,  with  Notes 
on  Other  Oil  Fields  of  the  Texas  Re- 
gion. Journal  of  the  Franklin  Institute. 
1902.     Aug.-Okt. 

Lugeon:  Analogie  entre  les  Carpathes 
et  les  Alpes.     T.  B.  Paris. 

Marbut:  The  evolution  of  the  northem 
part  of  the  Lowlands  of  South -Eastem 
Missouri.  (7  Taf.).  The  university  of 
Missouri  Studies.    Vol.  I.  Nr.  8. 


Verantwortlicher  Hentutgeber:  Prof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  lleidelberg. 


Marokko. 

Eine    länderkundliche    Skizze 
von  Theobald  Fisoher. 

Auch  bei  uns  in  Deutschland  verbindet  der  allgemein  Gebildete  mit  dem 
Worte  Marokko  einen  ganz  vagen  Begriff  eines  Staatengebildes  an  der  Nord- 
westecke Afrikas.  Aber  selbst  unter  Fachgenossen  dürfte  keine  volle  Klar- 
heit darüber  herrschen,  daß  wir  unter  dem  Namen  Marokko  eine  ganze 
Gruppe  von  Ländern  und  Landschaften  zusammenfassen,  die  nur  durch  reli- 
giöse Beziehungen  ganz  lose  geeint  sind,  von  denen  aber  nur  ein  Bruchteil 
und  in  unablässig  wechselnden  Grenzen  eine  Art  staatlichen  Verbandes,  dank 
dem  Vorhandensein  einer  beherrschenden  Landschaft,  dem  Atlas-Vorlande,  bilden. 
Darin  kommt  schon  imsere  geringe  Kenntnis  dieses  Teils  von  Afrika  zum 
Ausdruck.  Staatsgewalt  und  Völker  sind,  wenn  auch  aus  verschiedenen 
Gründen,  in  der  möglichsten  Femhaltung  der  Europäer  von  jeher  einig 
gewesen. 

Erst  in  den  letzten  zwei  Jahrzehnten  ist  es  gelungen,  auch  diesen  letzten 
Teil  des  dunkeln  Erdteils  wenigstens  in  den  großen  Zügen  aufzuhellen,  wo- 
bei politische  Bestrebungen  eine  große  Rolle  gespielt  haben.  Dem  entspricht 
es,  daß  französische  Forscher,  fast  ausnahmslos  aktive  oder  inaktive  Ofßziere, 
in  dieser  Hinsicht  das  größte  Verdienst  haben.  Was  der  Vicomte  de  Fou- 
cauld  und,  scheint  es,  da  das  Werk  selbst  noch  nicht  vorliegt,  der  Marquis 
de  Segonzac  hier  geleistet  haben,  gehört  zu  den  höchsten  Forscherleistungen 
auf  afrikanischem  Boden.  Viel  wertvolles,  namentlich  kartographisches  Ma- 
terial, das  französische  Offiziere,  besonders  der  Mission  militaire,  auf  ihren 
Reisen  durch  das  Land  gesammelt  haben,  dürfte  noch  in  den  Mappen  des 
französischen  Kriegsministeriums  schlummern.  Von  anderen  mögen  nur  die 
Engländer  Hooker,  Maw,  Ball,  Harris,  die  Deutschen  v.  Fritsch  und 
Rein  genannt  werden.  Ich  selbst  schenke  Marokko  seit  Jahrzehnten  besondere 
Aufmerksamkeit  und  habe  das  Land  1888,  1899  und  1901  zu  Forschungs- 
zwecken bereist. 

Eine  irgendwie  wissenschaftlich-geographischen  Anforderungen  genügende 
Darstellung  ist  nicht  vorhanden.  Die  beste  Karte  ist  die  von  R.  de  Flotte 
Roquevaire  in  1:1000  000,  der  eine  sichere  Unterlage  in  dem  mit  un- 
gewöhnlichem Fleiße  imd  Scharfsinn  geschaffenen  Werke  von  P.  Schnell*) 
und  der  von  ihm  entworfenen  Karte  in  1  :  1  750  000  gegeben  war. 


1)   Da8   marokkanische   Atlas^ebirge.     Ergänzungsheft  ^r.   103    zu   Pet.  Mitt. 
Gotha,  J.  Perthes  1892. 

Oeoffnphitche  Zeittohrift.  9.  Jahrgang.  1903.  2.  Heft.  5 


66  Theobald  Fischer: 

Die  Grenzen  von  „Marokko^^  sind  nach  Südosten  ganz  unbestimmt,  dem 
entsprechend  auch  die  Größe.  Nach  einer  rohen  Schätzung  schreibe  ich 
dieser  L&ndergruppe  einen  Flächeninhalt  von  600  000  qkm  zu.  Tuat  schließe 
ich  dabei  natürlich  aus,  Tafilalet,  das  ganze  Draa-Gebiet,  die  Landschaft 
Tekna  und  die  Gebiete  südwärts  bis  zur  Sakiet-el-Hamra  dagegen  ein.  Denn 
tatsächlich  übt  der  Sultan  heute  einen  gewissen  Einfluß  bis  südlich  vom  Kap 
Jubj  aus,  seit  er  die  dort  gegründete  englische  Handelsniederlassung  für 
schweres  Geld  angekauft,  mit  einer  Besatzung  von  etwa  60  Mann  belegt 
und  den  wirklichen  Herrn  des  Landes,  den  Scheik  El  Malejnin,  durch  all- 
jährlich sich  erneuernde  Geschenke  veranlaßt  hat,  sich  äußerlich  seiner  Ober- 
hoheit zu  unterstellen.  Bezüglich  der  Bevölkerung  begnüge  ich  mich  zunächst 
mit  der  Bemerkung,  daß  dieselbe  etwa  8  Millionen  betragen  mag. 

Wir  sehen  also  hier  ein  Ländergebiet  vor  uns,  dem  schon  nach  Größe 
und  Bevölkerung  eine  große  Wichtigkeit  innewohnt.  Gesteigert  wird  dieselbe 
aber  noch  durch  Lage  und  Weltstellung,  wie  durch  die  außerordentlichen 
inneren  Hilfsquellen.  Marokko  ist  das  bei  weitem  wichtigste  der  drei  Atlas- 
länder. Durch  seine  Ecklage  vermag  es  sowohl  zum  Mittelmeere  wie  zum 
Ozeane  Beziehungen  zu  unterhalten  und  vor  allem  an  der  Beherrschung  der 
Straße  von  Gibraltar,  der  wichtigsten  Straße  des  Weltverkehrs,  teilzunehmen. 
Seine  ohne  große  Kosten  zu  vortrefflichen  Häfen  auszubauenden  Seeplätze  am 
Ozean  können  zu  Stützpunkten  des  Weltverkehrs  nach  West- Afrika  wie  nach 
Süd-  und  Mittel-Amerika,  ja  selbst  ins  Mittelmeer  werden.  Larasch  liegt  zur 
Straße  von  Gibraltar  genau  so  günstig  wie  Cadiz.  Andererseits  ermöglichen  Oasen 
und  Brunnen  so  lebhaften  Verkehr  durch  die  große  Wüste  mit  dem  Niger- 
gebiet, daß  stets,  bis  auf  die  allemeuste  Zeit,  wo  die  Franzosen  diese  Wege 
unterbunden  haben,  Erzeugnisse  des  Sudan  in  Menge  nach  Marokko  und  über 
Marokko  abgeflossen  sind,  Neger  einen  bedeutenden  Prozentsatz  der  Bevölke- 
rung von  Marokko  ausmachen  und  Timbuktu  ein  Jahrhundert  hindurch  dem 
Sultan  von  Marokko  gehorchte.  Erklärten  doch  noch  1887  die  Bewohner 
von  Timbuktu,  freilich  nur  um  sich  der  Franzosen  zu  erwehren,  dem  Schiffs- 
leutnant Caron,  daß  sie  von  Marokko  abhängig  seien.  Seine  innem  Hilfs- 
quellen nach  Klima,  Boden  und  Erzvorkommen  können  nicht  leicht  über- 
schätzt werden.  Die  Küstenprovinzen  am  Ozean  gehören  dank  ihrer  Schwarz- 
erdedecke zu  den  reichsten  Ackerbaugebieten  der  Erde. 

Die  großen  Züge  der  wagrechten  und  senkrechten  Gliederung,  die  Be- 
dingungen, die  hier  eine  Ländergruppe  von  einer  gewissen,  wenn  auch  losen 
Zusanmiengehörigkeit  geschaffen  haben,  entwicklungsgeschichtlich  herzuleiten, 
ist  jetzt  noch  nicht  möglich.  Immerhin  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  wir 
ein  Stück  des  großen  eurasischen  Paltensystems  vor  uns  haben,  dessen  eines 
südwestlich  streichendes  Faltenbündel,  der  marokkanische  Atlas,  am  Kap  Ghir 
an  einem  Querbruche  endigt,  während  das  andere,  das  Rifgebirge,  als  Fort- 
setzung des  Teil-Atlas  von  Algerien  nach  Norden  umbiegend  ebenfalls  an 
einem  Querbruche  endigt,  bezw.  vom  andalusischen  Faltensjsteme  getrennt 
wird,  der  durch  noch  heute  fortschreitende  Meereserosion  zur  Straße  von 
Gibraltar  ausgearbeitet  worden  ist.  Das  Rifgebirge  ist  ein  ganz  junges 
altengebirge  und  wesentlich  wie  der  Teil- Atlas  Algeriens  in  der  Eocän-  und 


Marokko.  67 

Miocänzeit,  ja,  nach  dem  andalosischen  Faltensjstem  zu  schließen,  bis  in  die 
Pliocänzeit  emporgefaltet  und  vermutlich  vorwiegend  aus  Jura  und  £[reide, 
gegen  die  Meerenge  hin  aus  älteren  Schichten  aufgebaut.  In  mehreren 
Parallelketten  steil  vom  Mittelmeere,  der  Abbruchsseite,  mit  Gipfeln  von  mehr 
als  2000  m  Höhe  aufsteigend,  bildet  das  Rifgebirge  mit  seinen  engen  Durch- 
bruchstälern ein  abgeschlossenes,  schwer  zugängliches  Gebirgsland,  das  zu 
allen  Zeiten  seinen  berberischen  Bewohnern  es  ermöglicht  hat,  sich  vom  Joche 
fremder  Eroberer  frei  zu  halten.  Marquis  de  Segonzac  ist  überhaupt  der 
erste  Forscher  gewesen,  der  es  zu  durchqueren  vermocht  hat  und  dessen 
Werk  uns  demnächst  eine  bessere  Kenntnis  vermitteln  wird.  Eine  echte 
Längs-  und  Abschließungsküste  hat  die  an  kleinen  meist  halbkreisförmigen 
Buchten,  kleinen  felsigen  Inseln  und  Schlupfwinkeln  reiche  Bifküste  bei  ihrer 
Lage  an  der  größten  Welthandelsstraße  bis  in  die  Gegenwart  die  Bolle  einer 
Seeräuberküste  gespielt,  den  spanischen  Presidios  zum  Hohn.  Diese  aus  einer 
besseren  Vergangenheit  noch  festgehaltenen  Festungen  liegen  teils  auf  Insel- 
felsen dicht  an  der  Küste  (Peilon  de  Velez  de  la  Gomera,  Pefion  de  Alhuce- 
mas.  Las  Zafarinas)  oder  auf  felsigen,  natürlich  festen  Vorgebirgen  (Ceuta 
und  Melilla).  Die  spanischen  Besatzimgen  werden  aber  von  den  Eingeborenen 
hinter  ihren  Mauern  und  Blockhäusern  dauernd  in  Belagerungszustand  ge- 
halten und  müssen  nicht  nur  mit  Lebensmitteln,  sondern  selbst  mit  Trink- 
wasser von  Spanien  aus  versehen  werden.  Nach  innen  ist  die  Grenze  des 
Bifgebiets  gegen  den  Atlas  in  einer  hydrographisch  gut  ausgeprägten  Hohl- 
form gegeben,  welcher  von  dem  neuerdings  soviel  genannten,  strategisch 
äußerst  wichtigen  Thasa  nach  Westen  hin  der  Innauen,  ein  rechter  Neben- 
fluß des  Sebu,  des  Hauptflusses  von  Nord-Marokko,  nach  Osten  zur  Muluja 
der  kleinere  Messun  folgt,  dann  die  windungsreiche  Muluja  selbst  und  ihr 
rechter  Nebenfluß  Wed-el-Kseb  bis  nahe  an  die  Grenzstadt  üdjda.  Diese  auf 
der  Wasserscheide  zwischen  Ozean  \md  Mittelmeer  wohl  noch  nicht  1000  m 
Meereshöhe  erreichende  Tiefen-  und  geologische  Grenzlinie  ist  als  ur- 
alter Verkehrsweg  von  größter  Bedeutung.  Er  knüpft  die  atlantische 
Abdachung  der  Atlasländer,  Maghreb-el-Aksa,  den  äußersten  Westen  der 
Eingeborenen,  an  das  mediterrane  Gebiet  und  hält  noch  heute  das  Muluja- 
Gebiet,  für  Marokko  eine  ausgeprägte  Sonderlandschaft,  ein  Stück  des 
Steppengürtels  von  Algerien  bezw.  Oran,  bei  Marokko  fest.  Seit  langem 
ist  es  das  Streben  der  Franzosen,  durch  eine  Eisenbahn,  deren  Verlauf 
in  dieser  Tiefenlinie  vorgezeichnet  ist,  Fäs,  die  nördliche  Haupt- 
stadt von  Mai-okko ,  mit  Tlemcen  imd  damit  Marokko  wie  mit  einer 
eisernen  Klammer  mit  Algerien  zu  verbinden.  Wenn  es  erlaubt  ist.  Kleines 
mit  Ghroßem  zu  vergleichen,  so  erinnert  diese  Tiefenlinie  an  die  Arlberglinie, 
durch  welche  das  schwäbische  Vorarlberg  an  Tirol  und  Österreich  geknüpft 
wurde.  Westlich  von  Fäs  öfifhet  sich  diese  Tiefenlinie  zur  Tieflandsbucht  des 
unteren  Sebu.  Larasch  am  Nord-  oder  Babat-Sla  am  Südrande  dieser  Bucht 
würde  so  das  ozeanische  Ende  der  großen  von  der  Natur  scharf  vorgezeich- 
neten inneratlantischen  Verkehrslinie  sein,  deren  mediterranes  Ende  Tunis  ist. 
Die  Tief  landsbucht  des  Sebu  ist  das  Gegenstück  der  Guadalquivirbucht.  Längs 
dieser  Tiefenlinie,  bald  näher  an  Thasa,  bald  näher  an  Fäs  bewegt  sich  bis 


68  Theobald  Fischer: 

jetzt  der  Aufstand,  dessen  Träger  die  nördlich  anwohnenden  Berberstämme 
der  Hiaina  und  Bhiata  zu  sein  scheinen. 

Nach  Westen  hin  ist  die  ganze  Landschaft  Andjera,  nördlich  von  der 
Tieflandsbucht  des  Sebu,  die  nördlichste  von  Marokko,  deren  Hauptort  die 
Meerengenstadt  Tanger  ist,  das  Aus-  und  Eingangstor  von  Marokko  von 
Europa  aus,  vom  Rifgebirge  erftUlt,  das  hier  seine  Austönungsseite  in  flach 
gelagerten,  kleine,  von  Abdachungsflüssen  ausgesonderte  Hochflächen  bil- 
denden Tertiärschichten  dem  Ozean  zukehrt 

Über  die  Geschichte  des  marokkanischen  Atlas  und  seine  Beziehungen 
zum  algerischen  Sahara-Atlas  sind  V7ir  noch  wenig  aufgeklärt.  Von  letzterem 
iwissen  wir,  daß  seine  Richtung  SW — NO  ist,  daß  seine  Hauptfaltung  in  die 
Eocän-  und  Miocänzeit  fällt,  daß  er  im  wesentlichen  aus  drei  auch  orogra- 
phisch  gut  gesonderten  großen  Faltenbündeln  besteht,  deren  einzelne  meist 
nur  schwach  gefaltete  Falten  mehr  meridionale  Richtung  haben,  so  daß,  da 
namentlich  auch  seit  Eintritt  einer  trockenen  Zeit  die  imgeheuren  Schutt- 
massen nicht  von  rinnendem  Wasser  davongeführt  werden  konnten,  der  Ge- 
birgscharakter  meist  nur  wenig  ausgeprägt  ist.  Aufgebaut  ist  er  vorwiegend 
aus  Kalksteinen,  Sandsteinen,  hier  und  da  auch  Mergeln  der  Jura-  und  Kreide- 
formation, unter  denen  allerdings  je  weiter  nach  Südwesten,  gegen  den 
marokkanischen  Atlas  hin,  im  Gebiet  des  Wed  Ghir  und  Susfana,  Devon  und 
Carbon  hervortritt.  Dem  gegenüber  zeigt  der  marokkanische  Atlas,  abgesehen 
von  der  gleichen  Richtung,  wesentlich  verschiedene  Züge.  Namentlich  nehmen 
an  seinem  Aufbau  im  Sahara -Atlas  von  Algerien  anscheinend  durchaus 
fehlende  ältere  Eruptivgesteine,  Porphyre,  Diorite  und  Granite  hervorragen- 
den Anteil,  wie  das  im  Gebirge  selbst  bezeugt  ist  und  man  auch  aus  der 
Zusammensetzung  der  gewaltigen  Schuttkegel  am  Ausgange  der  Täler  schließen 
kann.  Das  erinnert  also  an  das  alte  abgetragene  Faltengebirge  der  iberischen 
Meseta.  Auch  scheinen  die  faltenden  Bewegungen  hier  früher  begonnen  und 
früher  geendigt  zu  haben,  als  im  übrigen  atlantischen  Faltenlande,  nämlich 
mit  Abschluß  der  Kreidezeit.  Nach  J.  Thomson  nehmen  dieselben  Kreide- 
schichten, die  im  Vorlande  ungestört  lagern,  steil  emporgefaltet  wesentlichen 
Anteil  am  Aufbau  des  marokkanischen  Atlas.  Derselbe  wäre  also  als  Ge- 
birge älter  als  das  Rifgebirge,  der  Teil-  und  der  Sahara-Atlas  Algeriens. 
Auch  dürften  paläozoische  Gesteine  großen  Anteil  an  seinem  Aufbau  haben. 
Die  Faltung  ist  weit  intensiver  gewesen,  so  daß  noch  heute  weit  be- 
deutendere Kamm-  (3000 — 4000  m)  und  Gipfelhöhen  (4000—5000  m)  hier 
auftreten  als  in  den  jüngeren  Faltengürteln.  Auch  die  Breite  des  zahlreiche 
Einzelfalten  in  drei  parallelen  Gürteln,  dem  hohen  Atlas,  dem  Anti- Atlas 
und  dem  mittleren  Atlas,  aufweisenden  Gebirges  (etwa  200  km)  ist  weit  be- 
deutender. Die  Kammhöhe  ist  überall  ansehnlich,  tiefere  Einschartungen  fehlen. 
Südlich  von  Marrakesch  liegen  die  Pässe  in  3 — 4000  m  Höhe,  von  da  nach 
NO  in  2500  m,  nach  SW,  gegen  den  Ozean  in  1000 — 2000  m.  Das  Ge- 
birge bildet  also  einen  hohen,  schwer  zu  übersteigenden  Wall  von  etwa 
1000  km  Länge,  welcher  das  Vorland  gegen  den  Ozean  von  der  Wüste  trennt. 
Obwohl  im  allgemeinen  und  nicht  bloß  an  der  saharischen  Abdachung,  der 
geographischen   Breite   und   der  Lage   in   einem   trocknen  Erdgürtel    entspre- 


Marokko.  69 

chend,  im  ganzen  Gebirge  die  Spuren  verhältnismäßiger  Trockenheit  hervor- 
treten, empfängt  es  doch  so  reichliche,  vorwiegend  winterliche  Niederschläge, 
daß  seine  Höhen  bis  in  den  Spätsommer  schneebedeckt  auf  die  von  Sonnen- 
glut und  Dürre  verzehrte  Ebene  herableuchten  und  die  Flüsse  im  Frühling 
und  Frühsommer  durch  die  Schneeschmelze  anschwellen  und  eine  Fülle  von 
Wasser  zu  Berieselungszwecken  darbieten. 

Die  herrschende  Trockenheit,  die  dm'ch  eine  fast  bis  zur  Vernichtung 
gesteigerte  Waldverwüstung  noch  erhöht  worden  ist,  die  winterliche  Kälte 
imd  Schneebedeckung,  die  Seltenheit  weiter  Talebenen,  die  auch  nur  unter 
künstlicher  Berieselung  im  Sommer  Anbau  ermöglichen,  machen  den  marokka- 
nischen Atlas  zur  Bewohnung  weniger  geeignet,  als  man  erwarten  sollte^ 
Die  Bevölkerung  ist  auf  die  Haupttäler  bis  zu  geringer  Höhe  hinauf  bA 
schränkt.  Auch  für  Viehzucht  und  Almwirtschaft  sind  die  Bedingungen  nicht 
gegeben.  Lockmittel  für  Eroberer  fehlen.  So  hat  sich  die  berberische  Ge- 
birgsbevölkerung,  deren  Unterwerfung  schwierig  war,  zu  allen  Zeiten  unab- 
hängig erhalten,  kaum  daß  die  Herren  des  Vorlands  sich  einige  Querver- 
bindungen zu  sichern  vermocht  haben.  Sie  zogen  es  vor  die  Talausgänge 
durch  Kastelle  zu  sperren  und  da  auch  die  Berbemdörfer  meist  auf  steilen 
Höhen  liegen  und  die  echt  berberische,  vom  tunesischen  Südlande,  südlich  der 
kleinen  Sjrte,  bis  an  den  Ozean  herrschende  Sitte,  die  Vorräte  und  sonstige 
kostbare  Habe  in  von  einer  Dorfschaft  oder  einem  Stamme  gemeinsam  auf 
sicheren  Höhen  errichteten  Kastellen,  hier  Tirremt  genannt,  unterzubringen, 
in  gewissen  Gegenden  auffallend  hervortritt,  so  bietet  der  Gebirgsrand  hie 
und  da  mit  seinen  zahlreichen  Burgen  und  Burgentrümmem  einen  eigen- 
artigen Anblick. 

Wir  dürfen,  streng  genommen,  wie  J.  Thomson  nachgewiesen  hat,  das 
Faltengebirge  des  hohen  Atlas  nicht  bis  an  den  Ozean  ausdehnen,  sondern 
nur  bis  an  die  Asif  Ig  Schlucht,  einige  50  km  von  der  Küste.  Was  west- 
lich von  ihr  liegt,  ist  Tafelland,  die  Landschaften  Mtuga  und  Haha.  Süd- 
lich davon,  zwischen  dem  hohen  und  dem  Anti- Atlas,  sich  weit  zum  Ozean 
öffnend,  liegt  eine  der  ausgeprägtesten,  zugleich  eine  der  nach  ihrer  natür- 
lichen Ausstattung  reichsten,  Sonderlandschaften  von  Marokko,  nach  dem  sie 
bewässernden  Längsflusse  des  Atlas,  dem  Wed  Sus,  benannt.  Reich  an  Erz- 
vorkommen, reich  an  Wasser  und  fruchtbarem  Boden  könnte  das  Sus,  das 
schon  heute  vorwiegend  den  Handel  von  Mogador  belebt,  unter  guter  Ver- 
waltung eine  reiche  Kulturlandschaft,  die  Oasenstadt  Tarudant  ein  Brenn- 
punkt des  Verkehrs  mit  dem  Süden,  Agadir,  der  beste  Hafen  an  der  ganzen 
Ozeanküste,  aber  dem  Fremdhandel  verschlossen,  eine  blühende  Seestadt 
werden. 

In  dem  durch  die  Divergenz  des  Bifgebirges  und  des  marokkanischen 
Atlas  gebildeten  Dreiecke  liegt  nun  die  größte  und  wichtigste  marokkanische 
Landschaft,  zu  allen  Zeiten  das  Herzland  dieser  Ländergruppe,  der  Kern  der 
Staatenbildung,  das  marokkanische  Atlas-Vorland.  Einen  Einblick  in  ihre 
Geschichte  erlangte  ich  auf  meinen  beiden  letzten  Reisen.  Danach  läßt 
sich  die  geschichtliche  Entwicklung  der  heutigen  Oberflächenformen  etwa 
in  nachfolgender  Weise  erklären.     Es   erhob  sich  hier  ein  vermutlich  gegen 


70  Theobald  Fischer: 

Ende  der  paläozoischen  Zeit  steil  emporgefaltetes  Gebirge,  vorwiegend  auf- 
gebaut aus  paläozoischen  Schiefem,  Grauwacken,  Quarziten,  Tonsandsteinen, 
von  granitischen;  porphyrischen  und  ähnlichen  alten  Eruptivgesteinen  durch- 
setzt. Wo  die  Richtung  der  Falten  noch  zu  erkennen  ist,  war  diese  dem 
marokkanischen  Atlas  annähernd  parallel.  Dies  Gebirge  wurde  gegen  Ende 
des  mesozoischen  Zeitalters  von  dem  übergreifenden  Meere  abgetragen. 
WiB  mit  dem  Rasiermesser  durchschnitten  bilden  die  fast  saigeren  Schief er- 
schichten  hie  und  da  fast  wagrechte  Ebenen,  aus  denen  aber  festere  Grau- 
wackenschichten  zimi  Beleg  der  noch  fortschreitenden  äolischen  Denudation 
mauerartig  aufragen  oder  Quarzite,  gelegentlich,  wie  im  Dj.  Ghilis  bei  Man-a- 
kesch,  auch  kompakte  Kalksteine,  wahre  Klippenzüge  bilden.  Ja  im  Djebilet, 
0nem  kahlen,  felsigen  Gebirge,  das  den  nördlichen  Horizont  von  Marrakesch 
begrenzt,  im  Dj.  Achd&r,  Dj.  Karra  und  ähnlichen  kleinen  Bergzügen  haben 
wir  Erscheinungen  vor  uns,  die  an  den  Taunus  oder  die  Sierra  de  Alcudia 
und  ähnliche  der  iberischen  Meseta  erinnern.  Die  Ähnlichkeit  dieses  alten 
Gnmdgebirges  mit  letzterer  ist  überhaupt  sehr  groß.  Namentlich  auch  in- 
sofei*n,  als  durch  das  übergreifende  Meer,  allerdings  in  viel  größerer  Ausdehnung 
als  dort,  das  alte  Grundgebirge  durch  ein  jüngeres  Deckgebirge  noch  heute 
völlig  wagrechter  und  ungestörter,  nur  gehobener  Schichten  yerhüllt  wurde. 
Nur  wo  widerstandsfähigere  Felsarten  des  Grundgebirges  Aufragungen  bedingten 
oder  das  Deckgebirge  der  in  der  Pluvialzeit  energischen  Erosion  und  Denudation 
des  rinnenden  Wassers,  seit  dem  der  heute  fast  allein  wirksamen  äolischen 
Denudation  erlegen  ist,  tritt  jenes  zu  Tage.  Namentlich  ist  die  Bildung  von 
Tafelbergen,  die  besonders  in  dem  mittleren  Steppengürtel  häufig  sind  und 
oft  in  Gruppen  bei  einander  stehen,  auf  äolische  Denudation  zurückzuführen. 
Die  Mächtigkeit  dieses  Deckgebirges  ist  gering.  Soweit  meine  Beobach- 
tungen reichen,  dürfte  sie  jetzt  100  m  nirgends  überschreiten.  Über  seine 
Formationszugehörigkeit  fehlt  es  noch  an  hinreichenden  paläontologischen 
Belegen.  Fossilien,  die  ich  von  der  letzten  Reise  aus  Schedma  mit- 
brachte, also  aus  dem  äußersten  Südwesten,  wo  mit  der  Emporfaltung  des 
Atlas  zusammenhängende  Störungen  noch  eine  große  Rolle  spielen,  schrieb 
E.  Ficheur,  wohl  der  beste  Kenner  des  geologischen  Aufbaus  von  Algerien, 
cretaceisches  Alter  zu.  Und  ich  nehme  danach  an,  daß  das  von  mir  1899 
fast  von  der  Mündung  bis  auf  die  subatlantische  Hochebene  bei  Marrakesch 
verfolgte  windungsreiche  Tal  des  Tensift  in  diese  Schichten  eingeschnitten 
ist.  Nach  den  bisher  nur  durch  eine  vorläufige  Veröffentlichung  bekannt  ge- 
wordenen Forschungen  des  algerischen  Landesgeologen  A.  Brives,  der,  als 
erster  Geologe,  einen  Teil  des  Atlas- Vorlands  im  Winter  1901/2  bereist  hat, 
hätten  wir  das  Deckgebirge  zwischen  Tensift  und  Um-er-Rbia  und  nördlich 
von  dieser  bei  weitem  überwiegend  dem  Miocän  zuzurechnen. 

Demnach  trägt  das  Atlas- Vorland  vorwiegend  den  Charakter  des  Schich- 
tungstafellandes, die  Form  der  Ebene  herrscht  vor  und  zwar  der  Hochebene. 
So  weit  unsere  Kenntnis  heute  reicht,  ist  man  berechtigt  zwei  Perioden 
der  Hebung  anzunehmen,  eine  miocäne  und  eine  ganz  junge,  wohl  quartäre. 
Dadurch  entstehen  zwei  Stufen,  eine  Küstenebene,  deren  Verhältnisse  ich  auf 
der  letzten  Reise  (1901)  klarlegen  konnte,  und  eine  innere,  den  bei  weitem 


Marokko.  71 

größten  Teil  des  Atlas- Vorlands  umfassende  Hochebene.  Jene  beginnt  am 
Kap  Hadid  20  km  nördlich  von  Mogador  in  schmalem  Zipfel,  erreicht  in 
Dukkala  bis  zum  Fuße  des  Dj.  Achdar,  der  ganz  Mittel-Marokko  beherrschen- 
den Landmarke,  bei  Sidi  Behal,  wo  die  vielbegangene  Earawanenstraße  von 
Mazagan  nach  Marrakesch  im  Tale  von  Mtal  auf  die  obere  Stufe  emporsteigt, 
eine  größte  Breite  von  80  km,  die  sich  weiter  noi^dwftrts  an  der  üm-er-Bbia 
auf  70,  in  Schauia  auf  60  km  verringert  Schließlich  verschwindet  sie  bei 
Rabat  fast  völlig,  um  in  der  Tiefebene  des  unteren  Sebu  bis  zur  Schlucht 
von  Sidi  Kassem,  in  welcher  der  Bdem  sich  von  der  oberen  Stufe  herabstürzt, 
noch  einmal  eine  Breite  von  70  km  zu  erreichen.  Nördlich  von  dieser  Tief- 
landsbucht verschmälert  sie  sich  rasch  wieder,  man  wird  sie  aber  wohl  bis 
an  die  Meerenge  bei  Tanger  verfolgen  können.  Bei  Arzila  fand  ich  sie 
noch  deutlich  ausgeprägt,  wenn  auch  nur  etwa  10  km  breit,  dem  Fuße  des 
Rifgebirges  vorgelagert. 

Diese  unterste  Stufe  dehnt  sich  also  in  einer  Länge  von  650  km  längs 
dem  Meere  aus,  von  dem  sie  aber  meist  steil,  im  Süden  bis  zu  100  m,  auf- 
steigt Die  Ozeanküste  von  Marokko  ist  also  vorwiegend  als  eine  neutrale 
Schollenküste  aufzufassen,  deren  felsiger  Charakter  örtlich  noch  dadurch  er- 
höht wird,  daß  das  alte  Grundgebirge  ansteht.  Die  Erdbeben,  die  schon 
wiederholt  die  Eüstenstädte  heimgesucht  haben,  lassen  vielleicht  auf  einen 
Bruch  schließen.  Die  Küste  entbehrt  daher  der  Gliederung  fast  ganz,  nur 
ausnahmsweise  bietet  eine  flache  Bucht,  wie  bei  Mazagan,  oder  eine  kleine 
Erosionsinsel,  wie  Mogador  etwas  Schutz,  oder  es  ist  ein  kleines  Flußtal  oder 
ein  System  weicherer  Schichten  von  Brandung  und  Gezeiten  zu  einer  wenig 
sicheren  Bucht  ausgearbeitet  wie  bei  Safß  und  Casablanca.  Wirkliche  Häfen 
bieten  nur  die  Flußmündungen,  der  Um-er-Rbia:  Azemur,  des  Bu  Regreg: 
Rabat,  des  Sebu:  Mehediya,  des  Lukkos:  Larasch.  Leider  aber  sind  alle  diese 
Flußmündungen  bei  der  an  der  ganzen  Küste  fast  jahraus  jahrein  herrschenden 
starken  Dünung  durch  Barren  geschlossen,  die  in  der  Regel  nur  kleine  Schiffe 
überwinden  können  und  die  nur  selten  durch  Hochwasser  vorübergehend  weg- 
gefegt werden.  Auch  hier  wie  vor  allen  marokkonischen  Seestädten  müssen 
daher  die  Dampfer  auf  offener  Reede  Anker  werfen,  stets  unter  Dampf  und 
jeden  Augenblick  bereit  das  offene  Meer  zu  gewinnen.  Azemur  und  Mehediya, 
obwol  an  den  Mündungen  der  größten  Ströme  gelegen,  die  beide  eine  Strecke 
weit  schiffbar  sind,  sind  außerdem  dem  Fremdhandel  geschlossen  und  daher 
ganz  bedeutungslos.  Auch  da,  wo  jüngere  Anlagerungen,  wie  vor  der  Tief  lands- 
bucht  des  Sebu  und  in  Dukkala  südlich  von  Mazagan,  einen  Saum  von  Dünen 
und  Haffen,  also  Flachküste  geschaffen  haben,  sind  dadurch  keine  verkehrsgeogra- 
phisch günstigeren  Verhältnisse  entstanden.  Doch  scheint  es,  als  könnte  das 
Haff  von  Walidiya,  nördlich  von  dem  als  Landmarke  und  Wetterscheide  be- 
kannten Kap  Kantin,  leicht  zu  einem  ausgezeichneten  Hafen  ausgestaltet 
werden. 

Von  diesem  Steilrande,  mit  dem  sie  zum  Meere  abbricht,  erhebt  sich 
diese  Küstenebene,  der  ich  eine  mittlere  Höhe  von  150  m  zuschreiben 
möchte,  ganz  unmerklich  landeinwärts  auf  etwa  250  m  bis  zum  Fuße  der 
zweiten  Stufe,  die  auch  ihrerseits  mit  etwa  100  m  hohem  Steilanstiege,  viel- 


72  Theobald  Fischer: 

leicht    das    ehemalige    Meeresufer,    abbricht.      Diese    Kilstenebene    trägt   i««t 
überall  den  Charakter  der  Ebene,  ja  in  großer  Ausdehnung  erscheint  sie  als 
tischgleiche  Ebene.     Die  für  weite  Flächen  in  Marokko  charakteristische  und 
verhängnisvolle  Kalkkruste,   die  im  wesentlichen  als  klimatische  Erscheinung 
zu  erklären  ist,  und  die  Denudation  bedingen  nur  hie  und  da  Hügel  und  flache 
Bodenwellen.    Nur  in  Schauia  tritt  das  Grundgebirge,  vereinzelte  Klippenzüge 
bildend,  auf  dieser  Stufe  zu  Tage.     Rinnendes  Wasser  fehlt  ganz,  abgesehen 
von  den  aus  dem  Innern  kommenden  gi'oßen  Strömen.     Kleinere  Flüsse  und 
Bäche,  die  von    der  oberen  Stufe   herabkommen,   versiegen   meist  sehr  bald, 
haben  aber  in  ihren  Tälern  bequeme  Aufstiege  auf  jene  geschaffen,     Nur  der 
dem    Ozean    zugekehrte    Steilrand   in    der   Breite    von    10 — 20  km   und   ein 
schmaler  Gürtel   zu   beiden    Seiten    der   Um-er-Rbia   ist    durch  das   rinnende 
Wasser  etwas   gegliedert.     Quellen   sind  daher  auf  dieser  Landstufe  äußerst 
selten,  sie  dürften  überhaupt  wohl  nur  in  Schauia,  durch  das  undurchlässige 
Grundgebirge  bedingt,  und  in  dem  Gürtel  längs  der  Um-er-Rbia  vorkommen. 
Im  größten  Teile  dieser  Küstenlandschaften,  abseits   der  großen  Ströme,   die 
zwar  fast  immer  trübes,   aber  doch   gutes  Trinkwasser  bieten,  sind  also  die 
Bewohner   auf  künstliche   Wasserbeschaffung    angewiesen.      Zunächst  wurden 
sie  wohl  durch  natürliche  Wasseransammlungen  auf  der  Kalkkruste,  oder  in 
flachen  Becken  dazu  geführt,  künstliche  Sammelteiche  für  Regenwasser  anzu- 
legen.    Solche  linden  sich  in  dem  ganzen  Gebiete  in  großer  Zahl,  namentlich 
in  Dukkala  sind  viele  Hunderte  von  Kreisform  mit  niederen  Ringwällen,  nicht 
selten  mit  einem  kleinen  Hügel  in  der  Mitte,  vorhanden,  an  kleine  Maare  er^ 
innernd.   Man  hat  ihnen  auch  vulkanischen  Ursprung  zuschreiben  wollen.    Sie 
sind  aber  sicher  Erzeugnisse  menschlicher  Arbeit.   Ich  habe  ganz  neu  angelegte 
gesehen.     Weiter  schuf  man  Cistemen,  namentlich  am  Rande  der  Kalkkruste, 
die  das  Wasser  nicht  in  den  Boden  dringen  ließ.     Wo  diese  Mittel  nicht  ge- 
nügten, um  namentlich  in  der  8 — 9  Monate  mnfassenden  Trockenzeit  Wasser 
zu  beschaffen,  bohrte   man  Brunnen,   eine    sehr  schwierige  Arbeit,    da  diese 
in  große  Tiefe,  ich  vermute  bis  auf  das  undurchlässige  Grundgebii^e,  hinab- 
geführt werden  mußten  und  Steine  zum  Ausmauern  meist  fehlten.     Ich  habe 
Brunnen  von    60  m  Tiefe   gemessen.     Ihr  Wasser   ist  warm    und  häufig  mit 
Salzen   derartig   angereichert,    daß    selbst  die  Tiere  es  zunächst  nicht  saufen 
wollten   und  damit  bereiteter  Tee  ungenießbar  war.     Und   doch   ist  mancher 
dieser  Brunnen,    die  dann   stets  innerhalb   der  Kasbas   der  Kaids,    als  Mittel 
die   Bevölkerung   in   Untertänigkeit  zu   erhalten,    angelegt  sind,    die    einzige 
Wasserquelle  für  eine  ganze  Landschaft.     Ein  Zugtier,  Kamel,  Pferd,  Maul- 
tier ist  daher  den  ganzen  Tag  beschäftigt  Wasser  in  einem  großen  Schlauche 
an  die  Oberfläche  zu  befördern.    Nicht  selten  sieht  man  Frauen  eingespannt! 
Hier  wären  Windmotorep,  denen  es  fast  nie  an  Triebkraft  fehlen  würde,  recht 
am  Platze. 

Der  hohe  Grad  der  seßhaften  Bewohnbarkeit,  der  diesen  Landschaften 
heute  eignet,  ist  daher  als  ein  Erzeugnis  der  Kultur,  langwieriger  mensch- 
licher Arbeit  zu  bezeichnen. 

Er  ist  aber,  ebenso  wie  die  Form  der  Ebene,  auch  durch  die  erstaun- 
liche  Fruchtbarkeit    des   Bodens    bedingt.     Diese    unterste    Stufe    des    Atlas- 


Marokko.  73 

Vorlands  vorzugsweise  besitzt  nämlich  in  großer  Ausdehnung  eine  Decke  von 
Schwarzerde  oder  Tirs,  wie  sie  im  Lande  selbst  genannt  wird,  deren  Vorhanden- 
sein ich  zuerst  1899  nachweisen,  1901  weiter  verfolgen  und  begründen  könnte. 
Von  zuständigsten  Fachmännern  durchgeführte  chemische  und  mineralogische 
Analysen  von  beiden  Reisen  mitgebrachter  Proben  haben  einerseits  die  außer- 
ordentliche Fruchtbarkeit  dieser  Bodenart  erklärt,  andrerseits  meine  Theorie 
ihrer  Entstehung  im  wesentlichen  aus  Staubablagerungen  aus  dem  Innern 
bestärkt.  Die  Mächtigkeit  der  Schwarzerdedecke  ist  meist  gering.  Ihre  Ver- 
breitung ist  lückenhaft,  die  gi'ößten  Flächen  einer  geschlossenen  Schwarzerde- 
decke dürften  in  Abda  vorkommen.  Doch  gilt  Dukkala  als  die  fiiichtbarste 
der  Küstenlandschaften,  Ich  selbst  habe  Schwarzerde  auch  auf  der  oberen 
Stufe  von  Schauia,  aber  nahe  dem  Rande,  und  im  Gebiet  des  oberen  Wed 
Rdem  in  El  Gharb  beobachtet  und  ihr  Vorkommen  in  Tedla,  der  innersten 
Bucht  des  Atlas- Vorlandes^  dem  marokkonischen  Ferghana,  wie  ich  es  nennen 
möchte,  durch  Erkundungen  festgestellt. 

Dieser  Schwarzerdegürtel  kennzeichnet  also  vorzugsweise  die  Küsten- 
ebene, wo  die  reichlicheren  winterlichen  Niederschläge  und  eine  üppigere 
Pflanzendecke  in  Verbindung  mit  der  spülendes  Wasser  ausschließenden  Eben- 
flächigkeit  die  aus  den  inneren  Steppen  herkommenden  Staubfalle  festhielt 
In  jenem  gegliederten  Landsaume  längs  der  Küste  und  längs  der  üm-er-Rbia 
fehlt  daher  Schwarzerde  durchaus.  Die  durch  die  Analyse  erwiesene  außer- 
ordentliche Wasserkapazität  ermöglicht  das  Festhalten  der  winterlichen  FeuchtigT 
keit,  die  bis  zu  einem  gewissen  Grade  immer  wieder  dui'ch  die  diesem  Küsten- 
gebiet eigenen  reichlichen  Taufälle  ergänzt  wird.  So  gedeihen  hier  nicht  nur 
eigentliche  Winterfrüchte,  sondern  Frühlingsfrüchte,  wie  Mais,  dem  nach  An- 
sicht der  Bauern  Regen  geradezu  schädlich  ist  und  der  mit  der  winterlichen 
Bodenfeuchtigkeit  und  Tau  (Minsla)  gut  auskommt.  Es  wird  eine  nur  drei 
MoBftte  erfordernde  Spielart  gegen  den  1.  April,  also  nach  dem  Ende  der 
Winterregen,  gesäet  und  gegen  Ende  Juni  geerntet. 

So  ist  diese  unterste  Landstufe .  des  Atlas- Vorlands  die  Komkanmier  von 
Marokko,  die  in  ihr  gelegenen  Landschaften  Abda,  Dukkala,  Schauia  und 
Gharb  die  reichsten  und  dichtest  besiedelten  von  Marokko.  Dies  erklärt  das 
Vorhandensein  und  die  Bedeuiung  der  oben  genannten  Küstenstädte.  Staunen- 
den Auges  sieht  man  von  der  höheren  Stufe  und  aus  dem  Steppenlande  herab- 
steigend unabsehbar  die  tischgleiche  Ebene  von  Abda  zu  seinen  Füßen  aus- 
gebreitet, dunkelgrün  von  wogenden  Feldern  von  Weizen,  Gerste,  Saubohnen, 
Kichererbsen,  Mais,  Kanariensamen,  Koriander,  Linsen,  Erbsen  und  dergleichen, 
hie  und  da,  aber  erst  seit  den  letzten  Jahren,  von  den  Europäern  eingeführt, 
blaue  Teppiche  blühenden  Flachses  dazwischen  gespannt,  das  Ganze  übersäet 
mit  weithin  leuchtenden  weißen  Kubbas  und  zahlreichen  kleinen  aus  Tabia 
erbauten  Duars,  aber  keinen  Baum,  keinen  Strauch!  Holzgewächse  sind  der 
Schwarzerde  fremd,  kaum  daß  man  hie  und  da  einige  künunerliche  Feigen- 
bäume oder  eine  Dattelpalme  angepflanzt  sieht. 

Der  bei  weitem  größte  Teil  des  Atlas- Vorlands  gehört  so  der  oberen 
Stufe  an,  die  auch  ihrerseits  sanft  gegen  den  Fuß  des  den  ganzen  Horizont 
beherrschenden  Gebirges,  von  etwa  400  m  auf  600 — 700  m  ansteigt.     Auch 


74  Theobald  Fischer: 

hier  herrscht  die  Form  ^er  Ebene  vor,  aber  nicht  in  dem  Maße  wie  auf  der 
unteren  Stufe.  Die  ganze  kleine  Gebirge,  wie  der  Djebilet  oder  der  Dj. 
Achdar,  bildenden  Aufragungen  des  Grundgebirges,  die  Tafelberge  mildem 
die  Einförmigkeit,  und  die  großen  das  ganze  Vorland  querenden  Sammel- 
ströme, besonders  der  Tensift  und  die  üm-er-Bbia  haben  mit  ihrem  bedeuten- 
den Gefäll,  in  starker  Strömung,  ja  selbst  häufig  Stromschnellen  bildend,  tiefe, 
vielgewundene,  oft  canonartige'  Täler  in  das  Hochland  eingeschnitten,  die, 
selbst  ungangbar,  ja  auch  als  Tränkstellen  nur  an  einzelnen  Punkten  zugäng- 
lich, schwere  Hindemisse  des  Verkehrs  bilden.  In  großartiger,  wilder  Land- 
schaft, auf  dem  Isthmus  einer  Flußschlinge  der  Um-er-Rbia,  ähnlich  der 
Marienburg  an  der  Mosel,  liegt  so  an  der  Grenze  beider  Stufen  und  somit 
zugleich  des  Steppen-  und  des  Kulturlands  das  mächtige  Kastell  Bu-el-Awan, 
das,  fast  sagenhaft,  bisher,  wie  mir  auch  die  Eingeborenen  versicherten,  von 
keinem  Europäer  erreicht  worden  war. 

Diese  ganze  obere  Stufe  empfangt,  schon  meerfemer,  nur  geringe  Nieder- 
schläge, es  fehlt  ihr  die  Schwarzerdedecke;  das  durchlässige  Deckgebirge, 
wie  das  einer  Verwitterungsdecke  entbehrende  Grundgebirge  bedingen  große 
Trockenheit,  daher  haben  wir  hier  Steppenland  vor  uns,  das  allerdings  Anbau 
von  Gerste,  hie  und  da  auch  Weizen  in  regenreichen  Wintern  und  auf 
besserem,  feuchterem  Boden  nicht  ganz  ausschließt.  Nach  wichtigen  geogra- 
phischen Zügen,  namentlich  nach  Bodenplastik,  Bewässerung  und  ^'ibaufähig- 
keit  läßt  sich  aber  dies  Steppengebiet  in  zwei  wesentlich  verschiedene  Gürtel 
zerlegen:  den  eigentlichen  Steppengürtel  und  den  Gürtel  der  sub atlan- 
tischen Berieselungsoasen.  Ersterer  in  einer  Breite  von  80' — 100  km 
enthält  zwar  einige  kleine  Oasen,  namentlich  in  einem  Gürtel  längs  der  üm- 
er-Rbia,  auf  Quellen  begründet,  ist  aber  im  wesentlichen  Weideland,  von  No- 
maden und  Halbnomaden  bewohnt.  Immerhin  ist  der  Bestand  an  Herden 
von  Rindem,  Schafen,  Kamelen  bedeutend,  zumal  im  Sonuner,  wenn  die 
Vegetation  der  St-eppe,  die  im  Spätwinter  und  Frühling  einem  herrlichen 
Blumenteppich  gleicht,  von  der  Sonne  verbrannt  ist,  die  Herden,  sei  es  im 
Gebirge,  sei  es  im  Kulturlande  der  Küstenebene  Nahrung  finden. 

Der  innerste  Gürtel  fällt  mit  dem  zusammen,  was  ich  bodenplastisch 
subatlantische  Hochebene  genannt  habe.  Diese  dehnt  sich  in  einer 
Länge  von  etwa  330  km  und  einer  Breite  von  30 — 40  km  längs  dem  Ge- 
birgsfuße  aus.  Alle  aus  dem  Gebirge  heraustretenden  Flüsse  queren  sie,  um 
sich,  wohl  im  wesentlichen  durch  das  alte  Gnmdgebirge  des  Vorlands,  nament- 
lich den  Djebilet  beeinflußt,  in  den  zwei  großen  Sammelrinnen  des  Tensift, 
einem  typischen  Saumflusse,  und  der  Um-er-Rbia  zu  vereinigen,  deren  Wasser- 
scheide auf  der  subatlantischen  Hochebene  selbst,  nur  durch  Schuttkegel  ge- 
bildet, kaum  erkennbar  ist  und  wohl  in  der  Pluvialzeit  wesentliche  Ver- 
schiebungen erfahren  hat  Die  Schuttkegel  der  Atlasflüsse,  wohl  vorzugsweise 
in  der  Pluvialzeit  aufgeschüttet,  aber  noch  heute  in  Weiterentwickelung  be- 
griffen, bilden  überwiegend  den  Boden  dieses  Gürtels,  der  insofem  etwas  an 
die  Poebene,  namentlich  in  Piemont,  erinnert.  Alle  diese  Flüsse  bieten  un- 
geheure Wasservorräte  zu  Berieselungszwecken,  die  schon  heute,  wenn  auch 
nur  zu  einem  Bruchteil   des  Möglichen,  verwertet  werden.     Sie  werden  noch 


Marokko.  75 

Yermehrt  durch  die  Wasserscbätze  des  Untergrunds,  die  durch  die  sog.  Cfaat- 
taras,  unterirdische  Sammelkanäle  ähnlich  den  Kanat  und  Kariz  von  Iran, 
den  Sahrig  von  Jemen,  den  Feggagir  (sing.  Foggara)  einzelner  Sahara-Oasen, 
gesanunillt  und  an  die  Oberfläche  geführt  werden.  So  ist  hier  die  gelbe 
Steppe^  längs  der  Flüsse  und  namentlich  am  unteren  Saume  der  Hochebene 
mit  d^  dunkeln  Flecken  der  Oasen  übersäet,  in  deren  größter  die  Haupt- 
stadü*  Marrakesch  als  wahre  Oasenstadt  in  einem  Haine  von  -Dattelpalmen 
liegt,  deren  Früchte  hier  in  einer  Meereshöhe  von  500  m  noch  reifen.  Frucht- 
bäume sind  es,  neben  der  Dattelpalme  der  Ölbaum,  der  Feigenbaum,  der 
Granatbaum,  Apfelsinen  und  Limonen,  Aprikosen  und  Pfirsiche,  Mandelbäume 
und  dergleichen  mehr,  die  diesen  Oasen  ihren  Charakter  geben  und  diesen 
Landgürtel  zum  wenigst  baumarmen  des  ganzen  baumarmen  Landes  machen. 
Im  Schutze  der  Fruchtbäume  und  in  der  Umgebung  der  Fruchthaine,  wo 
nur  während  des  Winters  bewässert  werden  kann,  wird  auch  Getreide,  Gemüse 
und  dergleichen  gebaut.  So  könnte  dieser  Landgüri;el  in  großer  Ausdehnung 
in  Kulturland  verwandelt  werden.  Wasserkräfte  für  elektrische  Kraftüber- 
tragung sind  reichlich  vorhanden.  In  glücklicher  Weise  vermöchten  sich  alle 
drei  Gürtel  des  Atlas-Vorlands  zu  ergänzen:  der  eine  liefert  Brotstoffe  in 
Fülle,  der  zweite  Vieh,  der  dritte  vorzugsweise  Baumfrüchte.  Die  Gebirgs- 
bewohner sind  so  für  ihre  Ernährung,  ähnlich  wie  in  Algerien  die  Bewohner 
der  Wüste  auf  das  Teil,  auf  das  Vorland  angewiesen  imd  so  haben  sich  hier, 
wo  Seßhaftigkeit  von  der  Natur  geboten  ist,  am  Ausgange  der  Atlastäler 
kleine  Randstädte  wie  Demnat,  Sidi  Behal,  Amsmis  u.  a.  m.  entwickelt.  Die 
namengebende  Hauptstadt  Marrakesch,  der  Hauptort  des  Tensiftgebiets,  wenn 
auch  nicht  unmittelbar  am  Tensift  gelegen,  ist  dagegen  eine  Oasenstadt  in 
der  freien  Hochebene,  zunächst  wohl  zur  Entwickelung  gekommen  durch  den 
Wasserreichtum,  dann  aber  durch  die  günstige  Verkehrslage.  Wie  in  Mai- 
land, das  ähnlich  vor  dem  Alpenwalle  liegt,  radienfÖrmig  die  Alpenstraßen 
zusanmienlaufen,  so  die  Atlaswege  und  die  nach  dem  Sus  und  dem  Gebiet  des 
Wed  Draa,  in  Marrakesch,  um  auf  der  anderen  Seite  ebenfalls  nach  den 
nächsten  Küstenplätzen  Mogador,  Saffi,  Mazagan,  Casablanca  und  Rabat  aus- 
einander zu  streben.  So  ist  Marrakesch  die  natürliche  Hauptstadt  von  ganz 
Süd-Marokko. 

Für  Nord-Marokko  spielt  die  gleiche  Rolle  Fas,  der  Hauptort  des  Sebu- 
gebiets,  das  auch  seinerseits,  wenn  auch  nur  in  etwa  300  m  Meereshöhe,  auf 
der  oberen  Stufe  Hegt,  die  ireilich  hier  näher  dem  Gebirge  und  zwischen  dem 
Rifgebirge  und  dem  Atlas  teilweise  in  Hügelland  gegliedert  ist  Aber  auch 
Fäs  verdankt  seine  Entwickelung  dem  Wasserreichtum,  der  die  Stadt  mit 
einem  Saume  üppiger  Gärten  geschmückt  hat,  und  der  Eigenschaft  als  Knoten 
naturbedingter  Verkehrswege.  Es  vermittelt  den  Verkehr  zwischen  dem  Ge- 
birge und  den  Oasen  jenseits  von  ihm,  namentlich  Tafilalet  auf  der  einen,  der 
Tieflandsbucht  des  Gharb  und  dem  Meere  auf  der  anderen  Seite;  ja,  dank 
der  schon  hervorgehobenen  Tiefenlinie  zwischen  Atlas  und  Rifgebirge  ist  es 
der  Brennpunkt  des  Verkehrs  des  ganzen  Maghreb  el  Aksa  mit  den  übrigen 
Atlasländem,  in  strategischer  Hinsicht  der  Schlüssel  wenigstens  des  nördlichen 
Marokko. 


76  Theobald  Fischer: 

Selbst  das  Atlas-Vorland» zerfällt  somit  bodenplastisch  und  veJVköhrsgeogra- 
phisch,  demnach  auch  politisch  in  zwei  Teile,  die  auch  die  Einwlll^ner  streng 
unterscheiden  und  nur  afls  in  der  Person  des  Sultans  geeinigt  anseHtnc  Nord- 
Marokko,  el  Gharb,  vorwiegend  Berg-  und  Hügelland,  reicher  beilltzt  und 
fast  tiberall  anbaufähig,  und  Süd-Marokko,  el  Haus,  vorwiegend  Hdtb^bene 
und  bis  zur  Steppenbildung  niederschlagsarm.  Gelegentlich  stellt  iiAn  es 
Sus,  den  Süden,  als  dritten  gleichwertigen  Teil  auf.  Die  Grenzsclfeide 
zwischen  den  Sultanaten  van  Fäs  und  Marrakesch  gehört  heute  noch  zu  den 
wenigst  bekannten  Gegenden  des  Landes,  weil  die  sie  bewohnenden  auch  meist 
noch  Tamazirt  sprechenden  Berberstämme  der  Zeiimiur,  Zair,  Zaian,  Beni 
Mgild  und  Beni  Mtir  unbedingt  jeden  Forschungsreisenden  fern  halten  wie 
sie  auch  den  Sultansheeren  und  allen  Eroberem  das  Eindringen  oder  wenigstens 
das  Festsetzen  zu  verwehren  vermocht  haben.  Auch  die  Römerherrschaft 
reichte  niu*  bis  zu  dieser  Grenzscheide.  Diese  wird  zwar  durch  die  nördlichen 
und  nordwestlichen  Vorlagen  des  mittleren  Atlas,  die  sich  wie  ein  Keil  gegen 
den  Ozean  vorschieben,  das  Sammelgebiet  des  Bu  Regreg  und  des  zum  Sebu 
gehenden  Wed  Bebt,  aber  nicht  durch  hohe  Gebirge  gebildet.  Es  handelt 
sich  vielmehr,  so  weit  ich  habe  feststellen  können,  auch  hier  um  Stufenland, 
mit  vereinzelten  Höhen  von  wenig  über  1000  m,  deren  Keni  das  alte  Grund- 
gebirge bildet,  das  in  großer  Ausdehnung  durch  Abtragung  des  Deckgebirges 
bloßgelegt  ist.  Die  steilen  Terrassenanstiege,  das  wild  zerrissene,  felsige, 
durchschluchtete,  vielfach  mit  dichtem  Gestrüpp,  im  höheren  Gebirge  noch 
von  Urwäldern  zum  Teil  gewaltiger  Cedem  bedeckte  Gelände  ist  es,  welches 
das  Eindringen  so  erschwert,  während  die  Bewohner  von  der  Landesnatur  zu 
Halbnomaden  gemacht  in  der  Lage  sind,  sich  und  ihre  Herden  im  Notfälle 
durch  Zurückweichen  in  die  höheren  Gebirge,  die  sie  ohnehin  im  Sommer 
meist  aufsuchen,  in  Sicherheit  zu  bringen. 

Durch  dieses  imgangbare  Gebiet  wird  aller  Verkehr  von  Nord-  und  Süd- 
Marokko  auf  den  einen  Weg  am  Ufer  des  Ozeans  entlang  gedrängt  und  muß 
selbst  der  Sultan  an  der  Spitze  seines  Heeres,  wenn  er  seinen  Sitz  von  der 
südlichen  Hauptstadt  Marrakesch  nach  der  nördlichen  Fas  verlegt,  diesen  Weg 
einschlagen.  Darauf  in  erster  Linie  beruht  die  große  strategische  und  ver- 
kehrsgeographische Bedeutung  von  R«bat.  Rabat  ist  das  Bindeglied  zwischen 
Nord  und  Süd,  eine  große  Festung,  in  marokkanischem  Sinne,  ja  fast  eine  um- 
mauerte Landschaft,  die  aber  fast  beständig  durch  Zemmur  und  Zair  in  la- 
tentem Belagerungszustande  gehalten  wird.  Ein  äußerer  Feind,  der  Rabat 
besetzt,  trennt  den  Norden  vom  Süden.  Aus  diesen  Erwägungen  heraus  bezw. 
entsprechenden  Ratschlägen  folgend  hat  der  Vater  des  jetzigen  Sultans  durch 
einen  ehemaligen  preußischen  Genie-Offizier  ein  die  Reede  von  Rabat  mit 
seinen  gewaltigen  Kruppschen  Geschützen   beherrschendes  Fort  bauen  lassen. 

Die  klimatischen  Verhältnisse,  zu  deren  Erforschung  jetzt  vier 
deutsche  meteorologische  Stationen,  zwei  ältere  von  der  deutschen  Seewarte 
eingerichtete  in  Mogador  und  Saffi,  zwei  neuere  von  mir  eingerichtete  in 
Casablanca  und  Marrakesch  beitragen,  nicht  nur  des  Atlas- Vorlands,  sondern 
der  ganzen  Ländergruppe  sind  als  günstig  zu  bezeichnen.  Namentlich  spielt 
Malaria,  diese  Pest  der  übrigen  Atlasländer,  eine  geringe  Rolle.     Nur  jenseits 


Marokko.  77 

des  Atlas   tritt   die   Form   der  Wüst«   auf  und   ist  aller  Anbau   auf  einige 
wenige  Oasen  und  Oasengruppen   beschränkt,   die,   wie    das   Stammland  der 
Djmastie,  Tafilalet,   von  den  Atlasflüssen  genährt  werden.     In  dem  KtLsten- 
gebiet  am  Ozean   bis   zum  Kap  Juby   fallen   die  winterlichen   Niederschläge 
noch  so  reichlich,  daß  in  großer  Ausdehnung  gutes  Weideland  vorhanden  ist, 
ja  außerhalb  der  Berieselongsoasen  in  regenreichen  Wintern  noch  Gerste  ge- 
baut werden  kann.     Mag   doch   am  Kap  Juby  die  mittlere   Regenhöhe  noch 
200  mm  betragen.    Schon  in  Mogador  und  vermutlich  weit  südlich  davon  ist 
sie  auf  400  mm  gestiegen,  ein  Betrag,  bei  welchem  nach  den  Beobachtungen 
in  Tunesien' Ackerbau   möglich  ist,   um  so  mehr  als   nach '  meinen  Beobach- 
tungen  imllPanzen  Küstengebiet   auf  die   ablandigen  Winde   und   das  kühle 
Auftriebwasser   zurückzuführende    reichliche   Taufälle   vorkommen.     In   Casa-  . 
blanca   übersteigt   die  Niederschlagshöhe  400  mm,  am   Kap   Spartel   sind  es 
nahe    an   800  mm,   in    Tanger   über  800  mm.     Dem    entsprechend   ist    das 
ganze  Küstengebiet   und   ganz  Nord-Marokko  anbau^hig,  ja  es  bedecken  im 
Hinterlande   von  Mogador,  in  den  Landschaften  Schedma,  Haha  und  Mtuga 
lichte  immergrüne  Wälder,   namentlich   von  Arganbäumen,  freilich  oft;  mehr 
Busch wald,  weite  Flächen  bis  etwa  70  km  landeinwärts,  wo  die  Steppe  be- 
beginni     Daß    aber   auch   im  Steppengürtel,   wo    die  Niederschlagshöhe    be- 
trächtlich unter  400  mm  bleiben  dürfte,  Anbau  nicht  ganz  ausgeschlossen  ist, 
sahen  wir  bereits.     Am  Fuße  des  Atlas  sah  ich  wieder  Weizen-  und  Gersten- 
felder auf  unbewässertem  Boden  als  Beweis  wieder  gesteigerter  Niederschläge. 
Die  Bevölkerung  von  Marokko  ist  ethnisch   noch  nicht  genügend  er- 
forscht.    Ich  habe  mir  die  Anschauung  gebildet,  daß  das  berberische  Element 
weit  mehr  verbreitet  ist,  als  man  gewöhnlich  annimmt,  und  sich  selbst  in  den 
Ebenen   und   offenen  Landschaften   gegenüber   dem   arabischen  zu   behaupten 
vermocht  hat,   wenn  es  auch  vielfach    äußerlich  arabisiert   ist  und  arabische 
Sprache   angenommen   hat.     Aber  selbst   auf  der  Hochebene    fand  ich  einen 
Tagemarsch  östlich  von  Marrakesch  Berbern,  die  ihre  Sprache  bewahrt  haben. 
In  ganz  Nord-Marokko,   selbst   in   der  Umgebung   von  Tanger   wohnen  reine 
Berbern,  Amazirghen,   ebenso  im   Südwesten  des  Atlas- Vorlands   Schluh,   in 
Schedma,   Haha   und   Mtuga    und   im    ganzen   marokkanischen   Atlas.      Das 
arabische  Element  ist  überwiegend  nomadisch  und  vorzugsweise  auf  die  Ebenen 
von  Mittel-Marokko  beschränkt,  doeh  ist  der  unter  Berbern  sitzende  arabische 
Stamm  der  Howara  im  Sus  auch  seßhaft.     Sofort  beim  Eintritt  in  bewegtes 
Gelände  erkennt  man,   daß  man   sich  inmitten   berberischer  Bevölkerung  be- 
findet.    Die    Städtebevölkerung    ist   gemischt,    aber    auch    wohl   überwiegend 
berberisch.     Auch  in  Marokko  sind  die  Berbern  seßhaft,  Acker-  und  Garten- 
bauer, Banmzüchter,  eifrig  auf  Erwerb  bedacht,  an  der  Scholle  häqgend.     Im 
Gebirge  haben  sie  sorgsame  Terrassenkultur  und  künstliche  Bewässerung  ein- 
geführt.    Selbst  die  rein  berberischen  Stämme  der  oben  geschilderten  Grenz- 
scheide zwischen  el  Gharb  und  el  Haus  haben  im  Gebirge   feste  Dörfer,  die 
sie  allerdings  nur  im  Sommer  bewohnen.     Auch  die  völlig  ai-abisierten  Beni 
Ahsen  der  Tiefebene  des  Sebu  sind  seßhaft,  wenn  auch  in  kreisförmigen  Zelt- 
dörfem.     Im    Zeltringe   werden   allnächtlich   die   Herden   untergebracht.     Die 
Zahl  der  Neger,   die   ursprünglich   als   Sklaven   aus   dem   Sudan  gekommen 


78  Theobald  Fischer: 

sind,  ist  sehr  groß  in  Marokko,  je  weiter  nach  Süden,  um  so  gi'ößer.  Doch 
dürfte  sich  dieses  Bevölkerungselement  jetzt  bald  verwischen,  nachdem  die 
Zufuhr  mit  der  Besetzung  des  Sudan   durch  die  Franzosen  unterbunden  ist. 

Juden  sind  über  ganz  Marokko  verbreitet,  tief  im  Inneren,  in  den 
Dörfern  des  Atlas,  überall  findet  man  einzelne  Familien  und  Gruppen  solcher. 
Ahnlich  dem  polnischen  Edelmann  früherer  Zeiten  scheint  kein  Kaid  ohne 
einen  HoQuden  auskommen  zu  können.  Am  zahlreichsten  sind  sie  in  den 
Städten,  namentlich  an  der  Küste,  wo  sie  am  meisten  Schutz  genießen. 
Dorthin  wandern  sie  jetzt  auch  vielfach  aus  dem  Inneren.  Im  Handel,  aber 
auch  im  Handwerk  spielen  sie  eine  große  Rolle. 

Marokko  ist  lediglich  ein  Land  des  Ackerbaus  und  der  Viehzucht.  Bergbau 
ist  heute  unbekannt,  die  einst  blühende  Gewerbtätigkeit  in  tiefem  Ver- 
falle. Sie  erzeugt  kaum  noch  die  unentbehrlichsten  Gebrauchsgegenstände. 
Mehr  und  mehr  werden  selbst  Bekleidungsstoflfe,  Metallwaren  und  dergl.  aus 
Europa  eingeführt.  Da  aber  die  breitesten  Schichten  der  Bevölkerung  infolge 
der  unglaublichen  Miß  Verwaltung  verarmt  sind,  der  Unternehmungsgeist  er- 
tötet, der  Erwerbssinn  geschwächt,  die  Ausfuhr  vom  Getreide,  Vieh,  Pferden 
und  anderen  wichtigen  Gegenständen  verboten,  Wege-  und  Brückenbau  un- 
bekannt ist,  so  ist  auch  die  Handelsbewegung  eine  geringe.  Man  kann 
den  Wert  der  Aus-  und  Einfuhr,  freilich  auf  sehr  imsicherer  Unterlage,  auf 
etwa  55  Millionen  Mark  jährlich  schätzen.  In  ersterer  spielen  Deutsche,  von 
denen  die  ersten  vor  kaum  zwei  Jahrzehnten  nach  Marokko  gekonunen  sind, 
eine  große  Bolle,  in  letzterer  treten  sie  neben  Engländern  und  Franzosen 
zurück.  Doch  dürfte  der  deutsche  Handel  sich  in  Marokko  heute  bereits  die 
zweite  Stelle,  nach  den  Engländern,  erobert  haben. 

Infolge  der  Mißregierung,  welche  Hungersnöte,  bei  Dürre  und  Heu- 
schreckenplage, trotz  aller  Ausfuhrbote  nicht  hintanzuhalten  vermag,  aber  so 
häufige  Aufistände,  bei  denen  ganze  Landschaften  systematisch  ausgemordet 
und  verwüstet  werden,  hervorruft,  daß  man  sagen  kann  irgendwo  sei  jeder- 
zeit ein  Aufstand,  ist  die  Volksdichte  auch  in  den  reichst  gesegneten  Land- 
schaften gering.  Ich  glaube,  selbst  in  dem  verhältnismäßig  dicht  bevölkerten 
Abda,  wo  man  alle  Viertelstunden  auf  einen  allerdings  meist  kleinen  Duar 
stößt,  dürften  nicht  mehr  als  50  Köpfe  auf  1  qkm  kommen.  Ich  glaube, 
daß  diejenige  Schätzung,  welche  der  ganzen  Ländergnippe  etwa  acht  Mil- 
lionen Bewohner  zuschreibt,  der  Wahrheit  ziemlich  nahe  kommen  dürfte. 
Sicher  ist  das  aber  eine  Höchstzahl.  Davon  ist  aber  nur  ein  Teil  staatlich 
geeinigt  und  dem  Sultan  unterworfen.  Von  den  etwa  600  000  qkm,  die  ich 
dieser  Ländergruppe  zuschreibe,  gehört  der  bei  weitem  größte  Teil  zu  dem 
im  Lande  selbst  so  genannten  Beled-es-Ssiba,  dem  unabhängigen  Gebiet,  auf 
das  der  Sultan  höchstens  als  religiöses  Oberhaupt  einen  gewissen  Einfluß 
ausübt,  nur  etwa  180000  qkm  zum  Beled-el-Makhzen,  dem  Land  der  Kanzlei, 
den  wirklich  dem  Sultan  gehorchenden  Landschaften.  Den  Kern  dieser 
letzteren  bildet  das  Atlas-Vorland  mit  etwa  85000  qkm  und  3  Mill.  Ein- 
wohnern. 

In  den  Händen  einer  europäischen  Macht,  die  die  reichen  und  mannig- 
faltigen Hilfsquellen  des  heute  noch  in  mittelalterlichen  Zuständen  verharren- 


Marokko.  79 

den  Landes  za  entwickeln,  Lage  und  Weltstellung  zur  Geltung  zu  bringen 
vermag,  kann  Marokko  zu  einem  Machtfaktor  ersten  Banges  werden,  der  im 
Stande  wäre,  geradezu  eine  Verschiebung  der  Machtverhältnisse  der  europäischen 
Staaten  hervorzurufen.  Allerdings  ist  nicht  außer  acht  zu  iassen,  daß  eine 
Eroberung  des  Landes  eine  schwierige  und  langwierige  Aufgabe  wäre,  weniger 
die  des  Atlas-Vorlands,  durchweg  offenen  vom  Ozean  aus  leicht  zugänglichen 
Landes,  um  so  mehr  die  des  ziemlich  dicht  besiedelten  Rifgebieis  und  des 
Gebirgslandes  des  Atlas.  Die  Zerspitterung  der  Gebirgsvölker  in  viele  kleine 
sich  meist  demokratisch  selbst  regierende,  unter  einander  in  Fehde  und  Blut- 
rache liegende  Stämme  würde  bei  ihrer  unbändigen  Freiheitsliebe  und  den 
Geländeschwierigkeiten  nur  wenig  Erleichterung  bieten.  Namentlich  der  natür- 
liche Weg,  durch  welchen  Frankreich  Marokko  an  sich  ketten  könnte,  die 
oben  besprochene  Tiefenlinie,  auf  der  sich  in  diesem  Augenblicke  die  Kriegs- 
Operationen  bewegen,  wird  erst  sicher  sein,  wenn  die  Gebirgsvölker  im  Norden 
und  im  Süden  davon,  die  mächtigen  Stämme  der  Rhiata,  Hiaina  u.  a.  völlig 
besiegt  sein  werden.  Und  gerade  diese  nord-marokkanischen  Berbern  sind 
jetzt  mit  den  besten  europäischen  Hinterladern  bewaffnet,  die  ihnen  der 
Schmuggel  von  Spanien  und  Gibraltar,  vielleicht  neuerdings  auch  von  Algerien 
her  zugeführt  hat.  Es  will  scheinen,  als  wollten  die  europäischen  Mächte 
in  klaren  Bewußtsein  der  furchtbaren  Grefahr,  die  die  Aufrollung  der  marokka- 
nischen Frage  für  den  Weltfrieden  in  sich  birgt,  auch  jetzt  unbedingt  dieses 
europäischer  Gesittung  hohnsprechende  Staatswesen  aufrecht  erhalten.  Viel- 
leicht handelte  es  sich  für  Frankreich  nur  darum,  den  übergroß  gewordenen 
englischen  Einfluß  am  Hofe  zu  brechen.  Merkwürdig  mutet  es  dabei  an, 
daß,  nach  den  Äußerungen  in  der  Presse  zu  urteilen,  für  das  Deutsche  Beich 
in  Marokko  überhaupt  keine  politischen  Interessen  vorhanden  zu  sein  scheinen, 
während  an  der  Meerengenfrage  alle  Handelsvölker  beteiligt  sind  und  wir 
doch  in  Bezug  auf  die  wirtschaftlichen  Interessen  dort  in  zweiter  Stelle  stehen. 
Diese  wären  dem  Untergänge  geweiht,  unsere  Stellung  als  Welt-  und 
Welthandelsmacht  wäre  aufs  äußerste  gefährdet,  wenn  Marokko  in  irgend  einer 
Form  in  die  Hände  einer  Macht,  etwa  Frankreichs,  fiele.  Wird  einmal 
eine  Veränderung  der  politischen  Karte  dieses  Teils  von  Afrika  unvermeid- 
lich, so  muß  das  Deutsche  Reich  sein  Teil  erhalten:  el  Haus  und  Sus.  Unser 
Interesse  an  der  Meerenge  ist  ziu:  Not  gewahrt,  wenn  sich  dort  zwei  Mächte, 
Spanien  selbstverständlich  nicht  als  Macht  gerechnet,  die  Wage  halten.  Jeden- 
falls sind  die  geographischen  Verhältnisse  der  von  jeher  latent  vorhanden  ge- 
wesenen politischen  Zerteilung  dieser  Ländergruppe  günstig. 


HO  Hans  Maurer: 

Dentsch-Ostafrika. 

Eine  klimatologiscbe  Studie 
von  Dr.  Hans  Maurer  in  Hamburg. 
Mit  drei  Tafebi  (Nr.  1,  2  [1.  Heft]  und  3). 
(Fortsetzung.) 
III.  Der  Küinian4Jaro. 
Im  Mai  1848  durchzogen  die  deutschen  Missionare  Krapf  und  Bebmann 
die  heiße  Massaisteppe.  Unter  der  sengenden  Äquatorsonne  herrscht  hier 
kaum  700  m  über  dem  Meer  eine  Temperatur,  die  um  Mittag  30®  beträcht- 
lich zu  überschreiten  pflegt.  £s  mochte  ihnen  wohl  bang  um  ihre  erhitzten 
Gehirne  werden,  oder  sie  mochten  glauben,  die  Fee  Morgana  treibe  ihr  Spiel 
mit  ihnen,  als  sie  aus  der  Steppe  zum  Himmel  aufragend  einen  einzelnen 
Berg  mit  schneegekröntem  Haupte  zu  sehen  vermeinten.  Auch  die  wissen- 
schaftliche Welt  stand  diesen  Berichten  vom  Schneeberg  Kilimandjaro,  der  nur 
3®  vom  Äquator  liegen  sollte,  anfangs  zweifelnd  gegenüber.  Wohl  waren  ja 
Schneeberge  in  so  geringer  Entfernung  vom  Äquator  bekannt,  aber  die  lagen 
in  dem  mächtigen  Gebirge  der  südamerikanischen  Anden.  Wie  unwahr- 
scheinlich aber  war  es,  daß  mitten  in  der  ebenen  Steppe,  die  nur  700  m  über 
dem  Meer  liegt,  ein  einzelner  Berg  bis  zu  einer  solchen  Höhe  aufstiege,  die 
ihm  ein  Recht  zum  Tragen  der  ewigen  Schneekrone  gäbe!  Dazu  waren 
5000  m  Seehöhe  erforderlich.  Und  doch  war  es  Tatsache,  was  die  Missionare 
berichteten,  und  heute  ist  der  über  6000  m  hohe  einsame  Schneeberg  der 
afrikanischen  Steppe  ein  Objekt  intensiver  wissenschaftlicher  Forschung  ge- 
worden. Speziell  diwch  die  Expeditionen  des  bekannten  Leipziger  Forschungs- 
reisenden Dr.  Hans  Meyer,  der  den  Gipfel  des  Berges  dreimal  besucht  hat, 
kennen  wir  diesen  Gletscherberg  genauer  als  manchen  seiner  Kollegen  in  Europa. 
Er  ist  ein  erloschener  Vulkan.  Dies  macht  schon  wahrscheinlich  seine  kegel- 
förmige Gestalt  und  seine  einsame  Lage  in  der  Nähe  einer  großen  Bruchlinie 
der  Erde,  des  ostafrikanischen  Grabens  nämlich,  der  in  der  Verlängerung  einer 
vom  Boten  Meer  abzweigenden  Senke,  durch  den  Rudolfsee  und  die  salzhaltigen 
Seen  im  Westen  des  Kilimandjaro  südwestlich  bis  zum  Njassasee  sich  fortsetzt. 
Heute  kennen  wir  Gesteinsproben  von  allen  Teilen  des  Berges,  Tuffe  und  Laven, 
die  seine  vulkanische  Natur  außer  allen  Zweifel  setzen;  und  Hans  Meyer  hat 
den  riesigen  schneeerfüllten  Krater  des  Berges  in  mehreren  Bildern  uns  an- 
schaulich dargestellt.  Auch  ein  vulkanischer  See,  ein  Maar,  ist  in  der  Um- 
gegend des  Berges  vorhanden;  es  ist  dies  der  Djalasee,  dessen  Innenwände 
fast  senkrecht  von  dem  aus  der  Steppe  aufsteigenden  Ringwall  abfallen.  Vor 
dem  einzigen  Zugang  zum  See  an  der  Nordseite  haben  die  Eingeborenen 
ganze  Reihen  von  Nashornfallgruben  angelegt,  die  so  geschickt  mit  Rohr 
und  Büschen  verdeckt  sind,  daß  man  kein  allzu  großes  Rhinozeros  zu  sein 
braucht,  um  da  hinein  zu  fallen. 

Die  große  domförmige  Öchneefläche  des  Berges  sendet  hauptsächlich 
nach  Süden  und  Westen  lange  Gletscher  herab,  deren  unterste  Zungen  bis 
gegen    4800    m    Meereshöhe    herunter    reichen.      Auf    seiner    letzten    Reise 


Deutach-Ostafrika.  81 

hat  Hans  Meyer  festgestellt,  daß  in  einer  früheren  Erdperiode  die  Gletscher 
noch  fast  1000  m  tiefer  als  jetzt  gegangen  sind,  und  daß  nehen  den  Eis- 
zeiten der  gemäßigten  Zonen  auch  solche  in  der  heißen  Zone  existiert 
haben  müssen.  Nach  Meyers  Ansicht  handelt  es  sich  dabei  wesentlich  nicht 
sowohl  um  kältere,  als  vielmehr  um  feuchtere  Klimaperioden,  in  denen  bei 
der  höheren  Feuchtigkeit  die  Eisströme  sich  tiefer  herabstrecken  konnten. 
Jedenfalls  ist  aber  das  Schnee-  und  Eisgebiet,  das  wir  heute  mit  staunen- 
dem Auge  in  der  afrikanischen  Steppe  bewundem,  früher  noch  ausgedehnter 
gewesen  als  jetzt. 

Von  einem  Kiliman^arogebirge  kann  man  eigentlich  nicht  sprechen,  da 
wir  es  hier,  von  ein  paar  Vorhügeln  abgesehen,  nur  mit  einem  einzigen, 
zweigipfeligen  Berge  zu  tun  haben,  der  allerdings  ein  Areal  so  groß  wie 
der  ganze  Harz  bedeckt,  und  dessen  Sattel  zwischen  den  beiden  Gipfeln 
schon  auf  4700  m  Seehöhe  sich  erhebt.  Die  beiden  Gipfel  sind  voneinander 
sehr  verschieden.  Wahrend  der  westliche,  6100  m  hohe  Kibo  eine  im- 
ponierende Domkuppel  mit  breiten  Schneefeldem  und  langen  Gletschern  dar- 
stellt, sein  selbst  gewiß  in  Sonnenschein  und  Klarheit,  bietet  der.  5360  m 
hohe  östliche  Gipfel,  Mawensi,  das  Bild  einer  vielzinkigen,  zerklüfteten  alten 
Steinruine,  auf  der  nur  geringe  Mengen  von  Schnee,  mitunter  sogar  gar 
keiner,  zu  sehen  sind.  An  seben  schroffen  Wänden  haftet  der  Schnee  nicht, 
sie  entbehren  den  weißen  Mantel,  der  sie  am  Tage  gegen  die  starke  Ein- 
strahlung der  tropischen  Sonne,  in  der  Nacht  gegen  die  starke  Abkühlung 
in  der  dünnen  klaren  Luft  schützen  könnte.  Unter  der  Einwirkung  dieser 
starken  Temperaturschwankungen,  denen  das  Gestein  Tag  für  Tag  ausgesetzt 
ist,  verwittern  und  zerbröckeln  die  Felsen,  und  so  wird  immer  mehr  das 
ruinenhafte  Aussehen  des  Mawensi  verstärkt 

Von  der  heißen  Massaisteppe,  die  durch  ihre  Trockenheit  der  Ausbil- 
dung des  organischen  Lebens  gewisse  Schranken  zieht,  bis  hinauf  in  die  Re- 
gionen, in  denen  das  Leben  im  ewigen  Schnee  erstirbt,  sind  sehr  verschiedene 
Vegetations-  und  Klimatypen  am  Berge  zonenf  örmig  übereinander  angeordnet. 
Aus  der  umgebenden  Steppe  selbst  liegen  aus  begreiflichen  Gründen  längere 
Reihen  meteorologischer  Beobachtungen  nicht  vor.  Wir  sind  da  auf  die 
mehr  zufälligen  Beobachtungen  Durchreisender  angewiesen  und  auf  verglei- 
chende Schlüsse  aus  nicht  allzufem  liegenden  Stationen.  Charakteristisch 
für  die  Steppe  ist  die  Größe,  zu  der  die  tägliche  Schwankung  der  Tempe- 
ratur und  mit  ihr  diejenige  der  Luftfeuchtigkeit  ansteigt.  So  betrug  auf 
der  englischen  Station  Kibwezi,  die  nordöstlich  vom  Kilimandjaro  liegt,  im 
September  1896  der  durchschnittliche  Temperaturunterschied  zwischen  Tag 
und  Nacht  19,2^0.  In  Taveta  maß  ich  im  März  1898  noch  Nachmittags  um 
4,^*  33^  Lufttemperatur  und  nur  227o  Luftfeuchtigkeit,  5  Stunden  später 
aber  nur  24®,  dagegen  74^0  Feuchtigkeit.  In  der  Nacht  ist  Tau  in  der 
Steppe  nicht  selten,  und  er  ersetzt  in  der  regenlosen  Zeit  den  Gewächsen 
den  Regen.  Klein  aber  ist,  der  Nähe  des  Äquators  entsprechend,  der  Unter- 
schied in  den  Mitteltemperaturen  des  wärmsten  und  des  kältesten  Monats,  er 
beträgt  nur  4 — 6®  C.  Nach  den  Beobachtungen  zweier  englischer  Stationen 
in  diesem  Steppengebiet  dürfen  wir  die  jährliche  Regenmenge  dort  auf  etwa 

Geographische  Zeitoohrift.  9.  Jahrgang.  1908.  2.  Heft.  6 


82  Hans  Maurer: 

500 — 700  mm  schätzen.  Das  ist  eine  ähnliche  Menge,  wie  sie  im  Jahre 
in  Deutschland  fällt.  Für  ein  tropisches  Oehiet  aber,  in  dem  die  Tempera- 
turen am  Tag  weit  über  30®  zu  steigen  pflegen  und  trockene  Winde  den 
größten  Teil  des  Jahres  wehen,  bedeutet  dies  sehr  wenig.  Dazu  konunt 
noch,  daß  dieser  Begen  in  zwei  Regenzeiten  konzentriert  fllUt,  nämlich  fast 
%  der  guizen  Menge  im  November  und  Dezember  und  der  Rest  in  der 
Zeit  Tom  März  bis  Mai,  während  die  übrigen  sieben  Monate  fast  völlig 
regenlos  sind.  So  ist  es  verständlich,  daß  die  Vegetation,  die  diesen  Lebens- 
bedingungen gewachsen  sein  soll,  von  der  Natur  vorzüglich  auf  Widerstand 
gegen  das  Vertrocknen  eingerichtet  sein  muß.  Die  Pflanzen  erreichen  dies 
dadurch,  daß  die  Ausbildung  dünner  blattförmiger  Gebilde  von  großer  Ober- 
fläche im  Verhältnis  zu  ihrer  Masse  möglichst  unterdrückt  wird.  Die  vor- 
kommenden Blätter  sind  klein  und  besitzen  vielfach  die  Fähigkeit,  sich  in 
der  Sonne  zusanunenzufalten  und  in  der  Nachtkühle  sich  wieder  zu  öffiien. 
Dabei  schützen  die  Pflanzen  ihr  zartes  Laub  gegen  die  zahlreichen  weiden- 
den Herdentiere  der  Steppe,  indem  sie  bald  durch  Domen  und  Stacheln, 
bald  durch  starkriechende  öle  und  dergleichen  den  Tieren  den  Genuß  ver- 
leiden. Die  Stengel  zeigen  oft  plumpe,  knollige  Formen  und  führen  viel- 
fach zähen  Milchsaft  im  Linem,  wie  die  Euphorbien,  die  östlich  vom  Kili- 
man^'aro  in  Taita  geradezu  waldbildend  auftreten.  Es  wäre  falsch,  wollte 
man  sich  die  Steppe  bei  den  schweren  Existenzbedingungen  arm  an  orga- 
nischem Leben  denken.  Zwar  sind  auf  der  besonders  trockenen  Nordseite  des 
Kilimandjaro  Steppenteile  vorhanden,  wo  auf  dem  überall  zu  Tage  tretenden 
vulkanischen  Gestein  nur  kurze  harte  Gräser  in  weit  voneinander  ab- 
stehenden Büscheln  fast  die  einzige  Vegetation  bilden;  der  größere  Teil  der 
den  Berg  umgebenden  Steppe  aber  trägt  reichlich  Gras,  viele  Domsträucher 
und  Akazien,  Dickichte  von  Euphorbien  und  vereinzelt  ragt,  das  Nilpferd 
der  Pflanzenwelt,  der  plumpe  Baobab  empor. 

An  seinen  Zweigen  findet  man  hin  und  wieder  ausgehöhlte  Baumstamm- 
stücke  aufgehängt;  das  sind  Honigkanonen.  Die  Wasuaheli  gebrauchen  für 
diese  Form  von  Bienenstöcken  und  für  unsere  Kanonen  dasselbe  Wort.  Im 
deutschenglischen  Grenzgebiet  zwischen  Moshi  und  Taveta  waren  ein  paar 
solche  Kanonen  weit  und  breit  das  einzige  Wertobjekt  in  der  öden  Steppe, 
so  daß  uns  der  Eifer  des  Vertreters  ihrer  britannischen  Majestät,  mit  dem  er 
bei  der  Grenzfestlegung  auch  die  paar  Baobabs  in  das  englische  Gebiet  ein- 
zubeziehen  versuchte,  nur  Bewunderung  einflößen  konnte. 

Für  den  Wildreichtum  der  Steppe  möge  die  Angabe  kennzeichnend 
sein,  daß  in  einem  Treiben,  das  die  dortige  Straußenzuchtgesellschaft  ver- 
anstaltete, während  ich  mit  dem  Gouverneur  v.  Liebert  den  Berg  besuchte, 
über  100  Zebra,  gegen  30  Strauße  und  viele  verschiedenartige  Antilopen 
vorbeigejagt  wurden.  Außer  diesen  Tieren  sind  Giraffen  und  Nashörner  Be- 
wohner dieser  Steppen,  in  denen  auch  der  Elefant  erscheint.  Von  Vögeln 
mögen  noch  die  großen  Trappen  erwähnt  sein.  In  der  Nähe  des  Wassers 
verdichtet  und  erhöht  sich  der  Steppenbusch  zum  Wald  und  speziell  bei 
Taveta  wird  dieser  Wald  so  dicht  und  ausgedehnt,  daß  er  ohne  ein- 
heimische Führer  unmöglich  zu  passieren  ist 


Geographische  Zeitschrift.     Jahrgang  IX. 


Tafel  3. 


Bambus  an  der  Westseite  des  Livingstonegebirges.       *    ! 

Ana  dem  bei  D.  Reimer  (E.  Vohsen)  erscheinenden  Werke  von  Dr.  Füllebor^:  * 
„Die  deutschen  Nyassagebiete ,  Land  und  Leute" 


Deutsch-Ostafrika.  83 

Die  zahlreichen  Bäche,  die  auf  der  Südseite  des  Berges  aus  dessen 
höheren  Begionen  das  kalte  Wasser  rasch  in  die  Ehene  führen,  vermögen 
eben  wegen  ihres  steilen  Gefälles  und  der  niederen  Temperatur  ihres  Wassers 
der  austrocknenden  Gewalt  der  Sonne  und  des  Windes  Widerstand  zu  leisten 
und  so  den  wasserreichsten  Fluß  der  nördlichen  Küstenabdachung,  den 
Pangani  zu  bilden,  dessen  Haupt-Quellfluß  allerdings  aus  einem  ausgedehnten 
Papyrussumpf  am  Fuße  des  Eilimandjaro  stammt.  An  den  üfei*n  seiner  Zu- 
flüsse sind  dichte  Wälder  vorhanden. 

Steigen  wir  aus  dem  Steppengebiete  etwa  400  m  in  die  Höhe,  so  ge- 
langen wir  an  den  unteren  Rand  der  Eulturzone  des  Eilimandjaro,  die  sich 
von  etwa  1100 — 1700  m  Meereshöhe,  im  Osten  der  Südabdachung  fast  300  m 
höher  als  im  Südwesten,  erstreckt  Hier  liegen  die  Militäi-stationen  des  Gouver- 
nements, die  zahlreichen  Missionsstationen  und  die  Ansiedlungen  der  Neger, 
der  Wadjagga.  An  der  unteren  Grenze  dieser  Zone  erinnert  uns  das  Elima 
noch  in  vielen  Zügen  an  die  Steppe,  wie  die  mehrjährigen  Beobachtungen  der 
Station  Moshi  in  1160  m  Seehöhe  beweisen.  Starke  tägliche  Schwankungen 
der  Temperatur  und  der  Luftfeuchtigkeit  sind  hier  wie  in  der  Steppe  die  Regel. 
Die  tägliche  Schwankung  der  Temperatur  beträgt  im  Jahresmittel  11,4®  gegen 
6 — 8®  an  der  Eüste.  Die  relative  Feuchtigkeit  betrug  im  Oktober  1890  um 
2  Uhr  Vormittags  81%,  um  7  Uhr  Nachmittags  37%-,  und  im  Februar  1899 
ist  einmal  Nachmittags  ein  Feuchtigkeitsgehalt  von  nur  15^0  konstatiert  worden. 

Aber  schon  hat  sich  die  Regentendenz  entsprechend  der  Erhebung  am 
Berg  gesteigert  Wenn  auch  noch  oft  der  meteorologische  Beobachter 
drohende  Wolken  verzeichnet,  die  nachher  den  erhofften  Regen  doch  nicht 
bringen,  so  ist  die  durchschnittliche  Jahresmenge  des  Regens  doch  schon 
etwa  auf  das  Doppelte  des  Betrages  in  der  Steppe  gestiegen.  Nach  der 
Lage  am  Südabhang  bringen  die  Südostwinde,  die  in  den  in  der  Steppe  fast 
ganz  regenlosen  Monaten  Juni — Oktober  vorherrschen,  mitunter  hier  schon 
nennenswerte  Regenmengen,  der  Juli  1899  z.  B.  155  mm.  Der  Nordabhang 
des  Berges  dagegen,  der  gegen  diese  Winde  völlig  geschützt  ist,  ist  äußerst 
trocken;  und  er  gerade  zeigt  jene  allerdürftigste  Vegetation,  von  der  bereits 
die  Rede  war.  Die  Hauptregenzeiten  sind  aber  auch  in  Moshi  die  Über- 
gangszeiten zwischen  dem  asiatischen  Nordostmonsun,  der  von  Dezember  bis 
MSrz,  und  dem  Südostpassat,  der  etwa  von  Ende  Mai  bis  in  den  September 
weht.  So  fallen  die  größten  Regenmengen  in  der  großen  Regenzeit  März — 
Mai,  und  in  der  kleinen  im  November.  Große  Lufttrockenheit  bis  unter 
207o  ^^  möglichen  Wasserdampfgehaltes  tritt  zur  Zeit  der  stärksten  Ent- 
wicklung des  NE-Monsuns  in  der  heißesten  Zeit,  die  etwa  in  den  Februar 
fallt,  auf.  Dieser  Wind,  der  den  hohen  Berg  überstiegen  hat,  kommt  dann 
warm  und  trocken  mit  föhnartigem  Charakter  in  den  tieferen  Regionen  an; 
und  so  sind  hier  fast  1200  m  über  dem  Meer  noch  Maximaltemperaturen 
von  31®  vorgekommen.  Über  das  System  jahreszeitlich  wechselnder  Winde 
lagert  sich  hier  wie  in  anderen  Berggegenden  ein  täglicher  Wind  Wechsel,  der 
bei  Tage  aufisteigende  südöstliche,  in  der  Nacht  absteigende  nördlichere 
Winde  bevorzugt,  so  daß  im  Durchschnitt  des  Jahres  um  2  Uhr  Nachmittags 
E  bis  SE,  um  9  Uhr  Abends  NE-Wind  überwiegt. 

6* 


84  Hans  Maurer: 

lin  oberen  Teil  der  Kulturzone  1550  m  über  dem  Meer  liegt  die  evan- 
geliscbe  Missionsstation  Mamba,  auf  der  seit  einigen  Jahren  beobachtet  wird. 
Hier  beträgt  die  jährliche  Regenmenge  schon  1500  mm,  und  die  Steigungs- 
regen  zur  Zeit  des  SE-Passates  liefern  schon  namhafte  Beträge.  Im  Juli  und 
August  1899  sind  dort  413  nun  Regen  gefallen,  während  die  große  Regen- 
zeit desselben  Jahres  Yon  März  bis  Mai  674  mm  Regen  gebracht  hat.  Die 
Nachttemperaturen  der  kühlsten  Monate  sinken  schon  unter  10®  (S^5^  beob- 
achtet), aber  bei  Tage  kommen  wir  dort  in  der  heißen  Zeit  immer  noch 
über  28®.  Auch  die  Schwankungen  der  Luftfeuchtigkeit  sind  sehr  beträcht- 
lich; es  sind  Minima  von  nur  22  7o  Feuchtigkeitsgehalt  in  der  Luft  beob- 
achtet worden. 

Welcherlei  Kulturen  birgt  nun  diese  Kulturzone?  Zwei  Kulturpflanzen 
sind  es,  die  hier  fttr  den  Neger  von  besonderer  Wichtigkeit  sind.  Das  ist 
erstens  die  Banane,  die  in  ausgedehnten  dichten  Hainen  die  Dörfer  umgibt. 
Den  AMkaforscher  v.  d.  Decken,  der  in  den  60er  Jahren  des  vorigen  Jahr- 
hunderts dieses  Bananenland  besuchte,  begeisterte  sie  zu  folgender  Schilderung: 
„Wohl  nirgends  gibt  es  Bananen  von  so  mächtigem  Wüchse  und  so  vor- 
züglicher Güte  wie  im  Djaggaland.  Kaum  eine  andere  Nutzpflanze  verlangt 
weniger  Arbeit,  und  keine  überschüttet  den  Menschen  reichlicher  mit  Segen. 
Auf  gleich  großer  Bodenfläche  bringt  sie  40  mal  mehr  Kahrungswert  hervor 
als  die  Kartoffel  und  20  mal  mehr  als  der  Weizen.  Alles  an  ihr  ist  nutz- 
bar. Der  saftige  Schaft  dient  als  wochenlang  sich  haltendes  Yiehfutter. 
Trockene  Blätter  zum  Dachdecken  und  zur  Feuerung,  frische,  an  der  Rippe 
zusammengeklappte,  als  Lendenschurz.  Nichts  Zierlicheres  kann  man  sich 
denken,  als  eines  der  jungen  schön  gewachsenen  Djaggamädchen,  welches  den 
bronzefarbenen  Leib  mit  einem  saftgrünen  Bananenblatt  verschämt  hat;  un- 
willkürlich denkt  man  dabei  an  die  Feigenblätter  des  Paradieses  —  führt 
doch  jetzt  noch  die  Banane  den  Namen  Paradiesfeige.  Das  Beste  an  dem 
Baume  aber  ist  seine  Frucht.  Ln  reifen  Zustand  stellt  ihr  Fleisch  einen 
süßen,  würzhaften  und  erfrischenden  halbfesten  Brei  vor;  in  ihrer  eigenen 
Schale  gebraten  oder  in  einer  Pfanne  mit  etwas  Butter  über  dem  Feuer  zer» 
rührt  gibt  sie  ein  unübertrefflich  feines  Kompot.  Die  unreife  Frucht,  in 
der  Asche  gebacken,  läßt  sich  zu  nahrhaftem  Mehl  verarbeiten,  oder  wie 
Brot  und  Kartoffeln  ohne  weiteres,  sowie  in  verschiedenartiger  Zubereitung, 
verwenden.  —  Also  Brot,  Kartoffeln  und  Obst  ersetzt  die  Banane,  abgesehen 
von  dem  Wein,  den  sie  liefert,  sie  kleidet,  nährt  und  ergötzt  den  Menschen. 
Wo  immer  auch  unsere  Stanmieltem  ihre  ersten  Tage  verlebt  haben  mögen, 
wir  können  uns  nicht  vorstellen,  daß  es  an  einem  Orte  gewesen  sei,  welcher 
keine  Bananen  hervorbringt."  Die  andere  Kulturpflanze  der  Neger  ist  eine 
Getreideart,  Eleusine,  aus  der  sie  ein  leichtes  Bier,  Pombe  genannt,  brauen, 
das  vielleicht  in  noch  höherem  Grade  als  die  Banane  die  Volksnahrung  vor- 
stellt. Die  Getreidekömer  bleiben  nämlich  in  dem  Bier  und  werden  mit- 
gegessen. Ist  auch  dies  Bier  sehr  leicht,  so  ist  doch  der  wohlhabendere 
Dschagga,  speziell  der  Sultan,  des  Abends  normalerweise  in  etwas  gehobener 
Stimmung.  Gerade  durch  die  drei  Sultane  machte  die  „Kultur"  dieser  „Kultur- 
me"   auf  uns,  die  wir  1898  mit  dem  Gouverneur  v.  Liebert  den  Berg  be- 


Deutsch-Ostafrika.  85 

sachten,  einen  sehr  eigentümlichen  Eindruck.  Eine  dem  deutschen  Kaiser 
durch  den  Weltreisenden  Ehlers  vorgeführte  Gesandtschaft  der  Wadjagga 
hatte  vom  Kaiser  ffir  die  drei  Sultane  zum  Greschenk  drei  Husarenanzüge  er- 
halten, einen  General,  einen  Major  und  einen  Einjährig- Freiwilligen.  Diese 
Anzüge  gefielen  den  Herrschern  sehr.  Als  aher  die  heiden  andern  die  präch- 
tigeren Achselstücke  des  Generals  hemerkten,  haten  sie  den  Stationschef  in 
Moshi,  er  solle  ihnen  doch  auch  so  dicke  Brettchen  ftlr  die  Schultern  schenken, 
was  auch  geschah.  Am  wunderbarsten  von  diesen  drei  dunkeln  Würdenträgem 
trat  uns  der  Sultan  Mareale  von  Marangu  entgegen.  Er  trug  eine  rote 
Husarenjacke  mit  Generalsachselstücken,  pralle  Hosen  und  hohe  Stiefel.  Auf 
dem  Kopf  aber  prangte  ein  Cylinder,  in  den  er  Schlitze  geschnitten  hatte; 
und  in  diese  wieder  waren  drei  große  Straußenfedern  gesteckt  worden.  Die 
Ohrläppchen  waren  nach  Massai-Art  stark  aufgeweitet  und  trugen  Draht- 
spiralen, die  fast  bis  auf  die  Schultern  herunterbaumelten,  während  in  den 
oberen  Ohrzipfeln  steckend  spannenlange  weiße  Holzstäbchen  rechts  und  links 
unter  dem  Cylinder  hervorragten.  Dazu  gehörte  als  Attribut  seiner  Tätig- 
keit ein  kleiner  Kürbis  an  perlengeschmückter  Stange,  aus  dem  der  Sultan 
sein  Bier  trank.  Er  ist  der  einzige  von  den  dreien,  der  noch  lebt;  die  beiden 
anderen  wurden  nach  einem  Rebellionsversuoh  1900  gehängt. 

Die  Wadjagga  treiben  auch  Viehzucht,  und  zwar  halten  sie  Hühner, 
Ziegen,  Schafe  und  Rinder.  Sie  haben  Stallfütierung,  wohl  durch  die  Be- 
drohung der  viehraubenden  Massai  veranlaßt,  eingeführt.  Wir  wunderten 
uns,  wie  prächtig  z.  B.  die  Binder  des  Sultans  Meli  von  Moshi  aussehen,  die 
in  den  rauchigen  dunklen,  kegelförmigen  Hütten  zusammen  mit  den  zahl- 
reichen Frauen  des  Herrschers  wohnen  und  nie  ins  Freie  kommen. 

Die  wissenschaftliche  Kilimandjarostation,  die  bis  1895  am  Berge  tätig 
war,  und  die  Missionen  haben  vielfache  Versuche  mit  europäischen  Garten- 
kulturen und  teilweise  auch  Feldkulturen  gemacht.  Alle  europäischen  Ge- 
müse Kohl,  Buben,  Zwiebeln,  Kartoffeln,  Bettige,  auch  Erdbeeren 
kommen  ausgezeichnet.  Von  Kartoffeln  hat  man  2  Ernten  im  Jahfe,  und 
eine  gesteckte  Kartoffel  liefert  nach  einem  halben  Jahr  20 — 30  neue. 

Die  katholische  Mission  in  Kibosho  hat  sogar  Weintrauben  und  Kaffee 
geemtet. 

Von  hier  aus  stieg  ich  am  28.  Februar  1898  den  Berg  hinauf;  und  ich 
darf  den  Leser  auffordern,  mit  mir  meine  Wanderung  nochmals  zurück- 
zulegen; wir  werden  dabei  Gelegenheit  haben,  das  klimatische  und  landschaft- 
liche Bild  der  höheren  Gegenden  kennen  zu  lernen.  Von  der  1400  m  hohen 
Missionsstation  brach  ich  mit  einer  Karawane  von  .10  Trägem  auf.  Nach 
kurzer  östlicher  Wanderung  durch  das  Kulturgebiet  von  Kibosho,  das  haupt- 
sächlich mit  Bananen  bestanden  war,  kamen  wir  auf  etwa  1550  m  Seehöhe 
in  die  Famzone,  die  zunächst  oberhalb  der  Kulturzone  den  Berg  in  einem 
in  Höhe  kaum  100  m  breiten  Band  umzieht.  Es  sind  dies  Adlerfame,  in 
deren  Bestände  in  den  oberen  Teilen  sich  mählich  lichter  Wald  einmischt, 
der  dann  in  den  geschlossenen  Urwald  übergeht.  Hier  lag  die  untere  Grenze 
des  Urwaldes  schon  bei  1600  m  Seehöhe,  während  wir  sie  im  Südosten  ober- 
halb Marangu  erst  auf  1800  m  angetroffen  hatten.     In  breitem  Bande  um- 


S6  Hans  Maarer: 

gibt  dieser  Gürtel wald,  in  der  Höhe  der  täglichen  Wolkenbänke  gelegen,  die 
Südseite  des  Berges.  Seine  obere  Grenze  geht  nahe  an  3000  m  Seehöhe 
heran, 

Im  Urwald  Klimatologie  treiben,  ist  schwer.  Immerhin  ließ  ich  einen 
Thermographen  in  den  unteren  Urwaldrand  stellen,  und  der  eifrige  Pater 
Rohmer  von  Kibosho  hat  ihn  fast  ein  Jahr  ohne  große  Störungen  —  ab- 
gesehen vom  Monat  Dezember,  in  den  die  vorerwähnte  Rebellion  zweier  Sul- 
tane fiel  —  im  Gang  erhalten.  Dieser  Thermograph  war  durch  einen  Schutz- 
kasten aus  starkem  Blech  geschützt,  der  mit  Läden  versehen  war.  Draht- 
netze von  verschiedener  Maschenweite  und  Stärke  verteidigten  das  Instrument 
gegen  Affen,  unter  denen  der  langhaarige  schwarzweiße  Colobusaffe  im  Wald 
häufig  ist,  gegen  Eidechsen  und  Insekten,  und  damit  auch  der  Elefant  es 
nicht  versehentlich  zertrampeln  konnte,  war  es  hoch  genug  an  einem  Baum- 
ast befestigt.  Die  Temperatur  schwankt  hier,  je  nachdem  die  Sonne  scheint 
oder  nicht  und  die  Winde  bergauf  oder  bergab  wehen,  sehr  stark.  Es  sind 
hier  in  1630  m  Seehöhe  Minima  von  7^  und  Maxima  von  30^  vorgekonunen. 
Die  Nacht  aber  ist  im  allgemeinen  immer  kühl;  das  mittlere  Monatsminimum 
hat  im  Laufe  des  Jahres  nur  von  10,0® — 15,6®  geschwankt,  während  das 
mittlere  Monatsmarimum  von  15,5® — 27,5®  geschwankt  hat  Der  Unterschied 
des  Sommers  vom  Winter  zeigt  sich  also  hauptsächlich  darin,  daß  die  Tage 
heißer  sind;  die  Nacht  bleibt  gleichmäßig  kühl.  Die  großen  täglichen 
Schwankungen  der  Temperatur  finden  wir  also  auch  hier,  wie  in  Usambara, 
in  der  warmen  Zeit  der  nordöstlichen  Winde,  die  kleinen  im  Winter  mit 
vorherrschend  südöstlicher  Luftströmung.  Der  dort  zur  Erklärung  angegebene 
Grund,  daß  das  Gebirge  von  Nord  nach  Süden  abfällt,  gilt  hier  auf  der 
Südseite  des  kolossalen  Berges  noch  in  erhöhtem  Maße.  Der  kühlste  Monat 
Juli  (12,3®)  war  nur  1®  kühler  als  der  regenreichste,  der  Mai.  Der  heißeste 
war  auch  hier  der  Februar  mit  21,1®. 

Höher  hinauf  wird  der  Wald  feuchter  und  hochstämmiger  mit  üppigerer 
Vegetation  und  dichterem  BlätterdacL  Ein  schmaler  Pfad  führt  uns  auf- 
wärts. Steile  Bachschluchten  müssen  gekreuzt  werden,  an  denen  prachtvolle 
Baumfame  sich  entfalten.  Dicht  bemoostes  Gestein  in  großen  Blöcken,  ge- 
stürzte feuchtglatte  Stämme,  aus  deren  faulendem  Holze  epiphy tische  Farne 
und  Moos  hervorsprießen,  werden  überklettert.  Es  ist  erstaunlich,  wie  ge- 
wandt die  Träger  mit  ihren  unhandlichen  Lasten  diese  Hindemisse  nehmen. 
An  blühenden  Blumen  fallen  hauptsächlich  weiße,  rote,  gelbe  und  oft  schön 
gesprenkelte  Balsaminen  und  Orchideen  auf.  Den  Waldboden  bedeckt  statt 
des  Mooses  in  dichten  Polstern  eine  zierliche  Selaginelle.  Die  zahlreichen  Bäche, 
die  den  feuchten  Wald  durcheilen,  nutzen  die  Bewohner  zu  verzweigten  Wasser- 
leitiingen  aus,  um  in  den  tieferen  Regionen  der  aus  der  Steppe  heraufdringenden 
Trockenheit  zu  begegnen.  Es  ist  eine  wichtige  Arbeit  der  Soldaten  in  Moshi,  wenn 
das  Wasser  im  Stationsbach  ausbleibt,  den  Schaden  aufzufinden  und  zu  reparieren; 
da  hat  sich  denn  oberhalb  irgend  ein  kluger  Anwohner  eine  ergiebige  Ab- 
leitung angelegt,  pder  ein  Elefant  hat  aus  Versehen  auf  die  Wasserleitung 
getreten.  Diese  gewaltigen  Tiere  klettern  durch  den  ganzen  Waldgürtel  am 
Berg  auf  und  nieder.     Man  findet  ihre  Losung  in  der  700  m  hohen  Steppe 


Deutsch-Ostafrika.  87 

und  ebenso  oberhalb  des  Urwaldes  3000  m  über  dem  Meer.  Auch  mir  war 
es  vergönnt,  ihnen  in  ihrem  Walde  zu  begegnen.  Lautes  Krachen  zur  Linken, 
als  ob  dort  Holz  geschlagen  würde,  yerkündete  ihr  Nahen.  Und  kaum  hatte 
mir  mein  DjaggafQhrer  den  Grund  dieses  Krachens  erklärt,  so  brachen  sich 
schon  drei  Elefanten  ihren  Weg  nach  meinem  Pfad  etwa  20  Meter  vor  mir. 
Der  nächste,  ein  großer  Kerl  mit  schönen  Zähnen,  schien  uns  entgegen  tal- 
ab  wandeln  zu  wollen,  so  daß  meine  mutigen  Boys  sofort  den  Berg  hinab- 
liefen, und  ihnen  folgten  die  vordersten  Träger  unter  Zurücklassung  ihrer 
Lasten.  Ich  blieb  im  Weg  stehen,  während  der  Führer  sich  seitlich  hinter 
einen  Busch  duckte  und  auf  einem  Pfeifchen  ein  paar  Pfiffe  ertönen  ließ. 
Möglich,  daß  dieser  Ton  dem  Tiere  unangenehm  war,  jedenfalls  zog  es  un- 
mittelbar darauf  zur  Rechten  in  den  Wald  weiter,  wohin  auch  die  beiden 
andern  sich  wandten.  Ob  der  Pfiff  ihn  abgeschreckt  hat,  kann  ich  nicht 
sagen.  Nach  ihrer  behaglich  wiegenden  Fortbewegung,  mit  der  sie  ihren 
Wald  durchwanderten,  hätte  man  eher  denken  sollen,  daß  sie  von  uns  über- 
haupt nicht  Notiz  genommen  hatten.  So  gewandt  sie  allzu  dicke  Stämme 
umgingen,  so  wenig  störte  das  fortwährende  Splittern  und  Krachen  nach 
ihrer  Auffassung  kleiner  Äste  das  sanfte  Hin-  und  Herpendeln  der  sie  zer- 
trümmernden Denkerstimen. 

Je  höher  wir  kamen,  desto  stärker  wurde  die  Feuchtigkeit  und  desto 
üppiger  die  Moose  und  Flechten,  die  die  Bäume  umkleideten.  Über  1900  m 
trat  häufig  der  Podocarpus,  die  tropische  Konifere,  die  wir  bereits  aus  XJsam- 
bara  kennen,  auf;  und  von  2200  m  an  zeigten  sich  unter  den  übrigen  die 
Heidekrautbäume,  die  den  obersten  Teil  des  Waldes  bilden.  Mit  langen  und 
dichten  Bartflechten  sind  diese  Bäume  phantastisch  behangen;  man  sieht  den 
Hauch,  und  leichtes  Nebelrieseln  umgibt  uns.  Der  Wald  lichtet  sich  und 
weicht  hier  etwa  bei  2600  m  Seehöhe  einer  mit  niedrigeren  Heidebüschen 
und  ziemlich  hohem  Gras  bestandenen  Zone.  Die  eigentümlichen  Senecio- 
bäume,  die  nächsten  Verwandten  unseres  kleinen  Kräutchens,  des  Greiskrautes, 
treten  auf,  und  nach  kurzer  Wanderung  sind  wir  um  ly,  ühr  an  der 
Nyumba  ja  Mbassa,  einer  kleinen  Felshöhle,  oberhalb  des  Urwaldes,  3050  m 
über  der  See.  Eine  kräftige  Vegetation  von  Heidekraut,  Strohblumen  und 
den  grotesken  Formen  der  Senecio  und  Lobelia  bedeckt  hier  den  Boden  in 
derselben  Meereshöhe,  wo  in  den  Alpen  ein  vereinzelter  Steinbrech  oder 
Enzian,  der  ein  schneefreies  Fleckchen  gefunden  hat,  die  Flora  dieser  Höhen- 
lage vertritt  Große  Temperaturschwankungen  unter  Abhängigkeit  von  der 
Bewölkung  und  Windrichtung  sind  auch  hier  die  Regel.  Ich  beobachtete  um 
1"  Nachm.  16,6®,  2"  11,6®,  3*^  wieder  15,9®,  von  wo  die  Temperatur  bis 
zum  folgenden  Morgen  auf  3,9®  fiel. 

Am  nächsten  Morgen  ging  es  weiter  aufwärts.  Die  Vegetation  nimmt 
mehr  und  mehr  ab.  Zwischen  den  Polstern  von  Immortellen  tritt  der  steinige 
aus  Felsgeröll  und  Schutt  bestehende  Boden  mehr  und  mehr  zu  Tage.  In 
3200  m  Seehöhe  fanden  wir  das  erste  Bis  im  Boden,  Büschel  von  feinen 
ca.  2  cm  langen  Säulchen,  die  stockwerkartig  übereinander  angeordnet  waren, 
wie  man  es  auch  im  deutschen  Wald  findet.  Gewaltige  Felsrippen,  die  die 
einzelnen  Täler  voneinander  trennen,  laufen  hier  meridional  vom  Kibo  herab. 


88  Hant)  Maurer: 

an  denen  meine  die  Träger  anfeuernde  Stimme  zu  deren  maßlosem  Erstaunen 
ein  siebenfaches  Echo  weckte. 

Auf  3700  m  Höhe  schlug  ich  wieder  mein  kleines  Zelt  auf  und  schickte 
die  Leute  bis  auf  zwei  Wadjagga,  die  bei  mir  bleiben  sollten,  nach  dem 
wärmeren  Waldrand  zurück.  Hier  maß  ich  gegen  Mittag  10®  Lufttemperatur, 
während  zugleich  das  Sonnenstrahlungsthermometer  in  der  dünnen  klaren 
Luft  über  45®  anzeigte. 

Noch  viel  kolossalere  Unterschiede  zwischen  der  Lufttemperatur  und  der 
Sonnenstrahlungstemperatur  hat  Dr.  Hans  Meyer  gemessen,  der  in  4360  m 
Seehöhe  an  seinem  Strahlungsthermometer  73®  Maximum  ablas,  während  die 
Lufttemperatur  6®  betrug.  Statt  bis  zum  nächsten  Morgen  an  dieser  Stelle 
zu  warten,  fing  ich  noch  am  Mittag  eine,  wie  ich  anfangs  annahm,  orien- 
tierende Kletterei  nach  oben  an,  die  aber  meine  definitive  werden  sollte. 
Man  täuscht  sich  an  dem  gewaltigen  Berge  in  der  klaren  Luft  sehr  stark. 
Den  nächsten  Band,  den  ich  über  mir  sah  und  bis  zu  dem  ich  etwa  in 
20  Minuten  zu  konunen  dachte,  erreichte  ich  erst  in  etwa  einer  Stunde.  Nach 
dem  Übersteigen  einer  mit  hohem  Steindamm  gekrönten  Bippe  ging  es  in 
nordwestlicher  Richtung  diwch  die  Nachbarmulde  schräg  aufwärts  weiter. 
Vorzügliche  Bilder  von  diesen  steinigen  Mulden  hat  uns  H.  Meyer  in  seinem 
neuen  herrlichen  Buch:  „Der  Kiliman^aro"  geliefert  Alles  ist  hier  bedeckt 
mit  Moränentrümmem,  größeren  und  kleineren  Blöcken  in  bröckeligem  Ge- 
schiebe. Ich  erstieg  die  folgende  Rippe,  von  Hans  Meyer  die  rote  Mauer 
genannt,  da  der  ganze,  wohl  mehrere  Kilometer  lange  Steindamm  mit  einer 
roten  Flechte  besetzt  ist  Das  letzte  phanerogame  Pflänzchen,  das  ich  sah, 
stand  auf  rund  4000  m  Seehöhe  und  war  bezeichnenderweise  ein  Hunger- 
blümchen. Hans  Meyer  hat  noch  rund  600  m  höher  an  anderen  Teilen  des 
Berges  eine  Senecio  gefunden. 

Der  Hang  selbst  war  ein  bis  auf  die  roten  Flechten  an  seinen  oberen 
Teilen  vegetationsloses  Gebilde  aus  zerfallenden  Steinchen,  die  in  der  dünnen 
Luft  hell  wie  Glasscherben  ertönten  und,  fortwährend  unter  den  Ftlßen 
rutschend,  den  Aufstieg  sehr  erschwerten.  Immerhin  kam  ich  trotz  meiner 
ungenagelten  Schuhe  —  die  genagelten  hatte  der  gestrige  feuchte  ürwald- 
marsch  gänzlich  ruiniert  —  und  obwohl  meine  Schuhsohlen  schließlich  so  glatt 
geschliffen  waren,  daß  sie  spiegelten,  ziemlich  gut  vorwärts  und  befand  mich 
etwa  um  2  Uhr  auf  einer  Zacke  der  roten  Mauer  4700  m  über  dem  Meer. 
Die  Temperatur  betrug  hier  um  2  Uhr  Nachmittags  noch  6,9®;  Schnee  lag 
vielfach  in  den  Senkungen  des  Bodens.  Tier-  und  Pflanzenleben  hatten  bis 
auf  die  rote  Flechte  und  einige  Vögel,  die  ich  von  weitem  kreisen  sah,  auf- 
gehört. Ihr  Flug  war  in  der  dünnen  Luft,  deren  Druck  nur  noch  440  mm 
betrug,  weithin  zu  vernehmen*  Einmal  auch  klangen  in  dieser  Einöde  Töne 
an  mein  Ohr,  die  ich  zuerst  versucht  war,  für  menschliche  Klagelaute  zu 
halten.  Am  wahrscheinlichsten  ist  es,  daß  es  das  Geräusch  femer  Stein- 
stürze war,  das  in  der  dünnen  Luft  so  sonderbar  klang.  Der  Mawensi  zeigt, 
weil  ihm  die  schützende  Schneedecke  fehlt,  sehr  stark  diese  energische  Ge- 
steinszertrümmerung, eine  Folge  des  schroffen  Wechsels  hoher  Erwärmung 
und  starker  Abkühlung.     Jetzt  lag  er  klar   vor  mir  mit  seinem  vielzackigen 


Dentsch-OBtafrika.  89 

Profil,  während  seinen  Gipfel  in  der  Frähe  der  gelvohnte  Wolkenhut  bedeckt 
hatte.  Vom  Kibo  dagegen  und  seinen  Gletschern  konnte  ich  nur  durch 
Nebelspalten  hie  und  da  einzelne  Partien  erhaschen.  Vom  Tal  heraufeilende 
und  oben  sich  verdichtende  Wolken  verdeckten  ihn  bald  gänzlich.  Auch 
mich  umfing  rings  rieselnder  Nebel  und  bei  der  Gefahr,  in  die  ich  so  geriet^ 
mein  einsames  Zeltchen  nicht  wieder  finden  zu  können,  mußte  ich  mich  zum 
Rückweg  bequemen.  Ich  verirrte  mich  nur  wenig  und  erreichte  in  einem 
heftigen  Hagelschauer  bald  nach  4  Uhr  mein  kleines  Zelt,  wo  ich  in  einem 
Schlafsack  vom  Felle  des  Klippschiefers,  eines  Bewohners  dieser  Höhen,  ver- 
geblich gegen  das  Kopfweh  ankämpfte,  das  durch  die  große  Anstrengung  in 
der  dünnen  Luft  entstanden  war;  hatte  ich  doch  in  den  letzten  33  Stunden 
3300  m  aufwärts  durch  Urwald  und  über  Steinhalden  und  wieder  1000  m 
abwärts  zurückgelegt.  Die  Nacht  war  bitter  kalt.  Das  Wasser  in  meinem 
Eimer  zeigte  eine  Eisschicht  von  Y^  cm  Dicke.  Dabei  war  dies  in  der 
heißesten  Zeit  des  Jahres.  Im  Juli  1887  hat  H.  Meyer  nur  700  m  höher 
Nachts  —  14®  gemessen.  Merkwürdig  abgehärtet  gegen  die  Kälte  zeigten  sich 
die  beiden  Wadjagga.  Als  ich  am  Abend,  wo  die  Temperatur  nur  sehr  wenig 
über  0®  lag,  einen  rief,  erschien  er  ohne  Zeichen  von  Frösteln  splitternackt 
Die  Beiden  hatten  nämlich  ihre  spärlichen  Gewänder  in  ein  kleines  Zelt  um- 
gewandelt, das  sie  gegen  den  Tau  und  Reif  der  Nacht  schützen  sollte.  In 
dieser  Nacht  hatte  ich  Gelegenheit,  die  Wahrheit  einer  Bergsage  am  eigenen 
Leib  zu  erfahren.  Es  soll  oft  vorkommen,  daß  einer,  der  in  den  höheren 
Teilen  des  Kilimandjaro  an  der  einen  Seite  eines  Baumes  einschläft,  am 
andern  Morgen  auf  der  andern  Seite  des  Baumes  aufwacht.  Bei  mir  kam 
es  so,  daß  ich  in  meinem  Zelt  einschlief,  und  als  ich  aufwachte,  draußen 
lag.  Das  Wunder  erklärte  sich  so,  daß  ich  mit  meinem  Schlafsack  auf  dem 
abschüssigen  Boden  ein  Stück  talab  gerutscht  war;  und  ich  kann  mir  vor- 
stellen, daß  jemand,  der  etwas  unruhig  schläft,  hier  in  einer  Nacht  eine 
ganze  Reihe  von  Bäumen  schlafend  passieren  kann.  Am  folgenden  Morgen 
machte  ich  einige  interessante  Luftfeuchtigkeitsbestimmungen.  Ich  fand  früh 
um  6  Uhr  bei  1,8®  nur  49%  Wasserdampfgehalt  in  der  Luft  und  dieser  nahm, 
solange  der  zu  Tal  wehende  Wind  noch  anhielt,  weiter  ab,  so  daß  ich  um 
7^*  bei  5,6®  Temperatur  nur  37^0  Feuchtigkeit  maß.  Dann  kam  mit  der 
Sonne  der  Steigungswind  auf,  der  die  Feuchtigkeit  rasch  wachsen  ließ,  so 
daß  sie  um  7**  schon  wieder  47  7o  und  um  9^^  73  7o  betrug.  Die  Wolken- 
decke, mit  der  dieser  Steigungswind  bald  den  Kibo  einhüllte,  ließ  mich  auf 
einen  nochmaligen  Aufstieg  verzichten;  ich  marschierte  diesen  Tag  ostwärts 
oberhalb  des  Urwaldes  weiter  und  ging  am  darauffolgenden  Tag  durch  den 
Urwald  nach  der  Kulturzone  zurück.  Von  der  Gletscherwelt  des  Kibo,  die 
ich  so  aus  nächster  Nähe  nicht  mehr  kennen  gelernt  habe,  hat  uns  H.  Meyer 
klassische  Schilderungen  und  ausgezeichnete  Bilder  in  dem  genannten  Buche 
geliefert.  Die  längsten  Gletscher  hat  er  auf  der  Westseite  des  Berges  ge- 
funden, wo  der  Drygalskigletscher  bis  auf  4870  m  Meereshöhe  seine  Zunge 
herabstreckt.  Gerade  in  den  unteren  Teilen  stellt  dieser  Gletscher  ein 
färchterliches  Konglomerat  von  Eisblöcken  dar,  das  Hans  Meyer,  der  dahin 
nur  von  einem  Neger  begleitet  kam  (sein  europäischer  Begleiter  war  erkrankt). 


90  Hans  Maurer:  Deutsch-Ostafrika. 

nur  ganz  am  Rande  betreten  konnte.  Die  starke  tropische  Sonne  erzeugt 
hier  im  Eise  sonderbare  Schmelzformen,  die  vielfach  an  die  sogenannte  Nieve 
penitente,  den  Büßerschnee  der  südamerikanischen  Anden,  erinnern. 

Welche  Welt  von  Eis  und  Schnee  liegt  nun  noch  oberhalb  dieser  Zone, 
wo  wir  uns  noch  nicht  5000  m  über  dem  Meer  befinden,  bis  zur  Kaiser- 
Wilhelm-Spitze,  dem  über  6000  m  hohen  äußersten  Punkte  des  Kraterrandes! 
An  diesem  selbst  hat  H.  Meyer  eine  Eismauer  vorgefunden,  deren  Schichten- 
dicke 60  m  erreicht  Also  selbst  mitten  im  tropischen  Afrika  finden  wir 
Eismauern,  die  an  Höhe  mit  denen,  die  in  der  Südpolarwelt  Roß  entdeckt 
und  Borchgrevingk  bestiegen  hat,  wetteifern  können.  Man  muß  nur  hoch 
genug  hinaufsteigen.  (Fortsetzung  folgt.) 


Ziel  nnd  Methode  des  geo^aphisehen  Unterrichts. 

Von  Professor  Dr.  Langenbeok  in  Straßburg. 

Auf  dem  letzten  Geographentage  in  Breslau  war  der  Schulgeographie 
reichlichere  Zeit  fttr  ihi-e  Verhandlungen  zugemessen,  als  bisher  üblich,  und 
gerade  methodische  Fragen  sind  dort  in  einer  langen  Nachmittagssitzung 
sehr  eingehend  erörtert  worden.  Es  könnte  daher  wohl  überflüssig  erscheinen, 
daß  ich  zu  diesen  Fragen  jetzt  nach  wenig  mehr  als  Jahresfrist  von  neuem 
das  Wort  ergreife.  Aber  gerade  in  Breslau  zeigte  es  sich,  daß  über  die 
Methodik  des  geographischen  Unterrichts  die  Anschauungen  der  Lehrer  der 
Erdkunde  an  unseren  höheren  Schulen  noch  außerordentlich  weit  auseinander 
gehen,  daß  sich  die  neuere,  von  Alfred  Kirchhoff  begründete  Unterrichts- 
methode noch  durchaus  nicht  überall  Anerkennung  verschafft  hat,  und  daß 
selbst  über  die  Ziele,  welche  sich  der  geographische  Unterricht  zu  stecken 
hat,  noch  keineswegs  die  volle  Klarheit  und  Übereinstimmung  herrscht.  Ich 
bin  daher  gern  der  Aufforderung  des  Herausgebers  dieser  Zeitschrift  nach- 
gekommen, meine  Ansichten  über  Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unter- 
richts hier  in  Kürze  darzulegen. 

Daß  sich  auf  dem  Gebiete  des  geographischen  Unterrichts  eine  einheit- 
liche Methodik  noch  nicht  herausgebildet  hat,  daß  über  die  Bedeutung  der 
einzelnen  Zweige  der  Erdkunde  für  den  Unterricht  und  über  den  Umfang, 
in  welchem  sie  auf  unseren  höheren  Schulen  betrieben  werden  sollen,  die 
Ansichten  noch  so  geteilt  sind,  ist  ja  eigentlich  nicht  gerade  verwunderlich. 
Ist  doch  die  Erdkunde  an  unseren  höheren  Schulen  so  lange  das  Stiefkind 
gewesen  und  beginnt  sich  erst  ganz  allmählich  die  ihr  gebührende  Stellung 
innerhalb  der  anderen  Unterrichtsgegenstände  zu  erringen  I  Trotz  mancher 
dankenswerten  Fortschritte  wird  auch  gegenwärtig  dem  geographischen  Unter- 
richte noch  keineswegs  von  allen  Seiten  die  rechte  Würdigung  zu  teil.  Das 
zeigt  sich  wieder  einmal  so  recht  deutlich  in  dem  zur  Zeit  in  Baden  aller- 
dings vergeblich  gemachten  Versuch,  die  Geographie  als  selbständiges  Prü- 
fungsfach bei  der  Prüfung  der  Kandidaten  des  höheren  Lehramts  zu  beseitigen. 
Gerade  wegen  des  in  weiten  Kreisen  noch  inuner  so  geringen  Verständnisses 


Langenbeck:  Ziel  und  Methode  de»  geographischen  Unterrichts.  91 

üär  den  Wert  des  geographischen  Unterrichts  halte  ich  es  für  notwendig, 
zunächst  noch  einmal  in  Kürze  darzulegen,  welche  Bedeutung  ihm  innerhalb 
der  anderen  SchulflU^her  auf  imseren  höheren  Schulen  zukonmit,  welche  Auf- 
gaben er  hier  zu  erfüllen  hat,  trotzdem  ich  mir  bewußt  bin,  hier  nichts 
Neues  sagen  zu  können.  Die  leitenden  Gesichtspunkte  für  den  geographischen 
Unterricht  sind  von  Männern  wie  H.  Wagner,  A.  Kirchhoff,  B.  Lehmann 
so  klar  dargelegt,  seine  Bedeutung  für  den  Gesamtunterricht  ist  von  ihnen 
so  oft  und  eingehend  erörtert  worden,  daß  ich  ihren  Ausführungen  in  der 
Tat  nichts  Wesentliches  hinzuzufügen  vermag. 

Es  liegt  zunächst  auf  der  Hand,  daß  die  Erdkunde  ein  ganz  hervor- 
ragend praktischer  Lehrgegenstand  ist,  und  daß  der  Geographielehrer  die 
praktischen  Gesichtspunkte  niemals  außer  acht  lassen  darf,  wenn  er  seinen 
Unterricht  wirklich  nutzbringend  gestalten  will.  Gerade  in  der  gegenwärtigen 
Zeit,  in  der  sich  Handel  und  Verkehr  in  so  ungeahnter  Weise  entwickelt  haben, 
in  der  wirtschaftliche  Fragen  das  Leben  der  Völker  in  erster  Linie  beherrschen, 
ist  die  Erwerbung  gründlicher  geographischer  Kenntnisse  nicht  nur  für  den 
Kaufmann  und  Industriellen,  sondern  für  jeden  Gebildeten  ein  unabweisbares 
Erfordernis.  Wenn  es  früher,  als  wir  noch  in  kleinen  und  beschränkten  Ver- 
hältnissen lebten,  vielleicht  genügte,  das  eigene  Vaterland  und  die  nächsten 
Nachbarländer  gründlich  kennen  zu  lernen,  so  ist  es  heute,  wo  der  deutsche 
Handel  die  gesamte  Erde  umfaßt,  wo  Deutschland  seit  zwei  Jahrzehnten  in 
die  Reihe  der  großen  Kolonialmächte  eingetreten  ist  und  angefangen  hat,  in 
großem  Maßstabe  Weltpolitik  zu  treiben,  durchaus  notwendig,  unseren  Blick 
zu  erweitem  über  das  ganze  Erdenrund.  Es  muß  jetzt  von  jedem  Gebildeten 
verlangt  werden,  daß  er  einigermaßen  orientiert  ist  über  die  Lage  der  großen 
Handels-  und  Lidustriezentren,  über  die  Richtung  der  Hauptverkehrswege, 
über  die  gegenseitigen  Beziehungen  der  Haupt-Länder  und  -Völker  der  Erde 
zueinander.  Nicht  minder  wichtig  ist  es,  klare  Vorstellungen  zu  gewinnen 
über  die  Bevölkerungsdichte  der  einzelnen  Länder,  ihre  Hauptprodukte  und 
Industrieerzeugnisse,  soweit  sie  wenigstens  für  den  Welthandel  Bedeutung 
haben,  endlich  über  die  klimatischen  und  sonstigen  Verhältnisse,  die  für 
die  Besiedelungs-  und  Bebauungsfähigkeit  der  verschiedenen  Gegenden  maß- 
gebend sind.  Alle  diese  Kenntnisse  hat  daher  die  Schule  ihren  Zöglingen 
im  geographischen  Unterricht  zu  übermitteln.  Einen  wie  großen  praktischen 
Wert  gerade  für  Kaufleute,  Industrielle  und  Politiker  man  auch  in  England 
einem  gründlichen  geographischen  Schulunterricht  zuzuerkennen  beginnt,  kann 
man  aus  einem  auch  sonst  sehr  lesenswerten  Aufsatz  von  James  Brjce^) 
ersehen.  Auch  in  dem  neuen  preußischen  Regulativ  ist  der  praktische  Nutzen 
des  geographischen  Unterrichts  ganz  besonders  betont,  vielleicht  sogar  zu  sehr. 
Ich  teile  in  dieser  Hinsicht  durchaus  die  Bedenken,  welche  Auler^)  auf 
dem  Geographentage  in  Breslau  äußerte.  Unsere  höheren  Schulen  sollen 
ja  gewiß  die  praktischen   Gesichtspunkte  nicht  außer  acht  lassen,   aber  ihre 


1)  The  Importance  of  Geography  in  Education.    Geogr.  Joum.  Vol.  XIX.  1902, 
p.  801-  «18. 

2)  Verh.  des  13.  Deutschen  Geographentages  in  Breslau  1901.    S.  86. 


92  Langenbeck: 

erste  uod  vornehmste  Aufgabe  ist  doch,  Geist  und  Gemüt  der  Schüler  zu 
bilden.  Der  Wert  des  einzelnen  Unterrichtsfaches  im  Gesamtorganismus  der 
Schule  wird  daher  auch  nicht  in  erster  Linie  nach  dem  praktischen  Nutzen, 
den  es  gewährt,  zu  beurteilen  sein,  sondern  danach,  was  es  für  die  Geistes- 
und Gemütsbildung  der  Schüler  zu  leisten  vermag. 

Die  eigentliche  Bedeutung  des  geographischen  für  den  Gesamtunterricht 
liegt  in  dem  eigentümlich  assoziierenden  Charakter  der  geographischen  Wissen- 
schaft. Das  hat  schon  zu  einer  Zeit,  in  der  der  geographische  Unterricht 
bei  uns  noch  tief  daniederlag,  mit  voller  Klarheit  Her  hart  erkannt  und 
ausgesprochen,  darauf  haben  die  neueren  Methodiker  der  Erdkunde,  wie 
H.Wagner,  A.  Kirchhoff,  R.  Lehmann,  H.  Matzat,  Chr.  Gruber  immer 
von  neuem  hingewiesen.  Die  Geographie  wurzelt  auf  der  einen  Seite  in  den 
Naturwissenschaften,  sie  hat  auf  der  anderen  Seite  die  innigsten  Beziehungen 
zur  Geschichte  und  Völkerkunde.  Sie  allein  kann  daher  zwischen  diesen 
beiden  sonst  getrennten  Wissenszweigen  die  Brücke  schlagen,  sie  allein  die 
Beziehungen  zwischen  Natur  und  Völkerleben  aufhellen.  Die  Geographie 
lehrt  uns  nicht  nur  die  Erde  als  den  Schauplatz  der  geschichtlichen  Ereig- 
nisse kennen,  sie  gibt  uns  auch  wichtige  Fingerzeige  dafür,  weshalb  sich  die 
Völkerzüge  in  dieser  oder  jener  Richtung  bewegten,  weshalb  gewisse  Gregenden 
zu  den  verschiedensten  Zeiten  die  bevorzugten  Schauplätze  kriegerischer  Er- 
eignisse gewesen  sind.  Sie  zeigt,  auf  welchen  natürlichen  Grundlagen  die 
Verschiebungen  in  den  Machtstellungen  der  verschiedenen  Staaten  oder  der 
Provinzen  des  einzelnen  Staates,  die  Entwickelung  großer  Handels-  und  In- 
dustriezentren ,  die  Bevorzugung  gewisser  Verkehrsstraßen  beruhen.  Vor  allem 
aber  gibt  sie  uns  Aufschluß  über  den  Einfluß  des  gesamten  Milieus  auf  die 
Entwickelung  des  Völkerlebens,  auf  die  eigenartige  Ausbildung  d^  einzelnen 
Kulturen,  vielfach  auch  auf  die  Gestaltung  der  politischen  Verhältnisse. 
Auf  der  anderen  Seite  aber  lehrt  uns  die  Geographie  auch  erkennen,  wie 
durch  die  Kulturarbeit  des  Menschen  die  natürlichen  Verhältnisse  der  Erd- 
oberfläche umgestaltet  sind,  wie  die  Wegsamkeit  der  einzelnen  Gegenden  sich 
erhöht  hat,  welche  durchgreifenden  Veränderungen  die  Pflanzen-  und  Tierwelt 
und  selbst  das  Klima  imter  dem  Einfluß  der  menschlichen  Tätigkeit  erlitten 
haben,  wie  durch  den  Gang  der  geschichtlichen  Ereignisse  der  Wert  der  Lage 
vieler  Orte  und  Landschaften  sich  vollständig  verschoben  hat,  wie  gewisse 
Verkehrsstraßen .  ihre  frühere  Bedeutung  verloren,  andere  eine  ungeahnte  Be- 
deutung gewonnen  haben. 

Aber  nicht  nur  zwischen  Geschichte  und  Naturwissenschaften  bildet  die 
Geographie  das  Bindeglied,  sondern  auch  zwischen  den  einzelnen  naturwissen- 
schaftlichen Disziplinen  untereinander,  hierin  am  nächsten  der  Geologie 
verwandt,  die  uns  lehrt,  wie  der  Aufbau  der  festen  Ei'drinde  zu  stände  ge- 
kommen ist  durch  das  Zusammenwirken  der  verschiedensten  chemischen  und 
physikalischen  Vorgänge  sowie  der  Entwickelung  des  Pflanzen-  und  Tier- 
lebens. Li  ähnlicher  Weise  hat  die  physische  Erdkunde  die  Aufgabe,  zu 
zeigen,  wie  die  Natur  eines  Landes  das  Produkt  seines  geologischen  Auf- 
baues, seines  Klimas,  seiner  Pflanzen-  und  Tierwelt  ist,  und  die  Abhängigkeit 
darzulegen,  in   welcher  diese  einzelnen  Faktoren   zueinander  stehen.      Nicht 


Ziel  und  Me'lhode  des  geographischen  Unterrichts.  93 

unpassend  vergleicht  sie  daher  Bryce*)  mit  einer  großen  Vorhalle,  von  der 
aus  zahlreiche  Türen  zu  den  einzelnen  naturwissenschaftlichen  Fächern 
hinführen. 

Als  Bildungsmittel  hat  aber  die  Erdkunde  auf  der  Schule  auch  deshalb 
eine  so  hohe  Bedeutung,  weil  sie  derjenige  Lehrgegenstand  ist,  welcher  am 
frühesten  in  der  Lage  ist,  von  der  einfachen  Schilderung  des  Tatsächlichen  zur 
Erklärung  der  Tatsachen  fortzuschreiten  und  dadurch  schon  frühzeitig  in  den 
Schülern  das  Gefühl  für  die  in  der  Welt  der  Erscheinungen  lierrschende 
Gesetzmäßigkeit  zu  wecken.  Auf  diesen  Punkt  hat  mit  ganz  besonderen 
Nachdruck  B.  Lehmann^  hingewiesen  und  an  zahlreichen  Beispielen  gezeigt, 
daß  es  schon  auf  der  ersten  Unterrichtsstufe,  in  Sexta,  möglich  ist,  die  Ur- 
sachen für  viele  geographische  Erscheinungen  den  Schülern  verständlich  zu 
machen.  Daß  endlich  bei  einem  richtig  gehandhabten  geographischen  Unter- 
richt auch  Gemüt  und  Phantasie  der  Schüler  nicht  zu  kurz  kommt,  daran 
will  ich  hier  nur  eben  erinnern. 

Meine  weiteren  Ausführungen  möchte  ich  anknüpfen  an  die  drei  letzten 
preußischen  Regulative.  Als  allgemeines  Lehrziel  für  den  geographischen 
Unterricht  wird  in  diesen  angegeben: 

1882:  „Grundlehren  der  mathematischen  Geographie.  Kenntnis  der 
wichtigsten  topischen  Verhältnisse  der  Erdoberfläche  und  der  gegenwärtigen 
politischen  Einteilung;  eingehendere  Kenntnis  von  Mitteleuropa  in  beiden 
Beziehungen.  Für  Realgymnasien  außerdem  Übersicht  über  die  Haupt- 
verkehrswege in  und  zwischen  den  Ländern  der  wichtigsten  Kulturvölker  der 
Gegenwart." 

1892:  „Verständnisvolles  Anschauen  der  umgebenden  Natur  imd  der 
Kartenbilder,  Kenntnis  der  physischen  Beschaffenheit  der  Erdoberfläche  und 
ihrer  politischen  Einteilung,  sowie  der  Grundzüge  der  mathematischen  Erd- 
kunde." 

1901:  „Verständnisvolles  Anschauen  der  umgebenden  Natur  und  der 
Kartenbilder,  Kenntnis  der  physischen  Beschaffenheit  der  Erdoberfläche  imd 
der  räumlichen  Verteilung  der  Menschen  auf  ihr,  sowie  Kenntnis  der  Grund- 
züge der  mathematischen  Erdkunde." 

Man  sieht  auf  den  ersten  Blick,  welch'  durchgreifende  Änderung  in  der 
Auffassung  des  geographischen  Unterrichtes  sich  bei  der  preußischen  Unter- 
richtsverwaltung in  den  letzten  20  Jahren  vollzogen  hat,  wie  außerordentlich 
seine  Aufgaben  erweitert  und  vor  allen  Dingen  vertieft  sind.  Geblieben 
ist  in  den  drei  Fassungen  des  Lehrziels  lediglich  die  „Kenntnis  der  Grund- 
züge der  mathematischen  Erdkunde".  Dieser  Zweig  der  Geographie  ist  in 
der  Tat  stets  der  am  wenigsten  umstrittene  gewesen.  Daß  elementare 
Kenntnisse  in  der  mathematischen  Geographie  notwendig  zur  allgemeinen 
Bildung  gehören  und  daher  auf  den  höheren  Schulen  erlernt  werden  müssen, 
ist  wohl  immer  anerkannt  worden,  wenn  es  auch  mit  der  Durchftlhrung  der 
letzteren  Forderung  zuweilen  recht  übel  bestellt  gewesen  ist.     Auch  darüber 

1)  a.  a.  0.  S.  803. 

2)  Der  Bildungswert  der  Erdkunde.  Verh.  des  11.  Deutschen  Geographen tages 
in  Bremen  1896.    S.  191—219. 


^4  Langenbeck: 

hat  nie  Zweifel  bestanden,  daß  die  mathematische  Erdkunde  nicht  einer 
einzelnen  Klasse  zuzuweisen  sei,  sondern  daß  ihre  Lehren  den  Schülern 
nach  und  nach,  ihrer  wachsenden  Auffassungsfähigkeit  für  diese  doch  ziem- 
lich abstrakten  Dinge  entsprechend,  vorgeführt  werden  müssen.  Ein  paar 
methodische  Bemerkungen  scheinen  mir  aber  doch  auch  hier  am  Platze. 

Jeder  Lehrer  der  Erdkunde  wird  ans  eigener  Erfahrung  wissen,  wie 
schwer  es  den  meisten  Schülern  wird,  von  den  Lehren  der  mathematischen 
Erdkunde  klare  Vorstellungen  zu  gewinnen,  und  wie  rasch  die  Kenntnisse 
auf  diesem  Gebiete  wieder  verloren  gehen.  Man  frage  nur  einmal  die  Primaner 
bei  Beginn  des  letzten  Kursus  der  mathematischen  Geographie,  was  sie  unter 
geographischer  Länge  und  Breite  verstehen,  oder  wie  sie  sich  den  Wechsel 
der  Jahreszeiten  erklären.  Man  wird  von  der  Mehrzahl  gar  keine  oder  ganz 
verkehrte  Antworten  erhalten.  Deshalb  scheint  es  mir  durchaus  erforderlich, 
daß  auf  allen  Klassen,  in  denen  überhaupt  selbständiger  geographischer  Unter- 
richt erteilt  wird,  einige  Stunden  der  mathematischen  Erdkunde  gewidmet 
werden.  Nur  durch  inuner  neue  Wiederholung  und  ganz  allmähliche  Er- 
weiterung und  Vertiefung  des  Stoffes  ist  es  zu  erreichen,  daß  ihre  so  wichtigen 
Grundlehren  den  Schülern  allmählich  in  Fleisch  und  Blut  übergehen.  Dazu 
müssen  sich  auf  jeder  ünterrichtsstufe  einige  wenige  Stunden  erübrigen  lassen. 

Einige  weitere  Bemerkungen  möchte  ich  mir  über  den  Unterricht  in 
der  mathematischen  Erdkunde  auf  der  obersten  Stufe,  der  Prima,  erlauben. 
Dieser  Unterricht  ist  in  Preußen  und,  soweit  mir  bekannt,  auch  in  allen 
übrigen  deutschen  Staaten  von  dem  eigentlichen  geographischen  Unterricht 
getrennt  und  der  Mathematik  oder  Physik  zugewiesen.  Gegen  die  Zweck- 
mäßigkeit dieses  Verfahrens  sind  verschiedentlich  von  selten  der  Geographen 
Bedenken  geäußert  worden.  So  sagt  R.  Lehmann^):  „Bei  jener  Anknüpfung 
an  den  mathematischen  bez.  physikalischen  Unterricht  erwächst  für  die 
mathematische  Erdkunde,  wenn  sie  dabei  überhaupt  genügend  zur  Geltung 
kommt,  doch  sehr  die  Gefahr,  daß  dabei  zu  sehr  das  rein  Mathematische 
und  Mathematisch -Physikalische  in  den  Vordergrund  tritt  und  die  speziell 
geographischen  Gesichtspunkte  und  Anwendungen  zu  sehr  zurückgedrängt 
werden!"  Ganz  ähnliche  Befürchtungen  hat  neuerdings  auch  H.  Wagner  in 
seiner  Denkschrift*)  ausgesprochen.  Auch  mir  scheinen  diese  Bedenken  nicht 
ganz  unberechtigt,  ich  bin  aber  trotzdem  der  Ansicht,  daß  der  Unterricht  in 
der  mathematischen  Erdkunde  in  Prima  nicht  gut  von  dem  mathematischen 
und  physikalischen  getrennt  werden  kann,  nicht  nur,  weil  ihre  Lehren  sich 
sämtlich  als  solche  der  angewandten  Mathematik  erweisen,  sondern  vor  allem, 
weil  sie  sich  dem  Primaner  nur  dann  gründlich  einprägen,  wenn  er  auch 
zahlreiche  Aufgaben  aus  dem  Gebiete  vollständig  durchrechnet.  Es  muß 
daher  die  mathematische  Geographie  in  Prima  mit  der  sphärischen  Trigono- 
metrie und  der  Lehre  von  den  Kegelschnitten  Hand  in  Hand  gehen,  und  es 
kann  daher  der  Unterricht  in  ihr  mit  wirklichem  Erfolg  meiner  Überzeugung 
nach  nur  von  dem  Mathematiker  erteilt  werden.     Dabei  ist  es  freilich,  wie 

1)  a.  a.  0.  S.  202. 

2)  Die  Lage  des  geographischen  Unterrichts  an  den  höheren  Schulen  Preußens 
um  die  Jahrhundertwende.    1900.   S.  55. 


Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unterrichts.  95 

aach  H.  Wagner  hervorhefbt,    in  hohem  Grradc  wünschenswert,   dafs  dieser 
auch    über   einen    guten    Fond    wirklich    geographischer   Kenntnisse    verfügt. 
Man  sollte  darauf  hinzuwirken  suchen,   daß  die  Lehrer  der  Mathematik  und 
Physik  in  Prima  eine   facultas   docendi  auch  in   Geographie  wenigstens  füi* 
die  mittleren  Klassen  erworben  hätten.     Die  Geographie  liegt  ihren  Haupt- 
fächern ja  so  wie  so  näher,  als  Botanik  und  Zoologie,  die  so  häufig  von  den 
Mathematikern    als   Nebenfach    gewählt   werden.      Immer   wird   sich    das   ja 
freilich  nicht  erreichen  lassen;  dem  Zukurzkommen  der  geographischen  Ge- 
sichtspunkte bei  dem  Unterricht  in  der  mathematischen  Erdkunde  in  Prima 
würde  man   aber  auch  dadurch  wirksam  entgegentreten  können,   daB   diesem 
Unterricht  ein  von  einem  geographischen  Fachmann  verfaßter  Leitfaden  dieses 
Unterrichtszweiges  zu  Grunde  gelegt  würde   statt  der  Anhänge  über  mathe- 
matische Geographie,  die  sich  in  den  meisten  der  jetzt  gebräuchlichen  Schul- 
lehrbücher über  Physik  finden.     In  ihnen  treten  in    der  Tat  kosmologische 
und  astronomische  Probleme  meist  sehr  in  den  Vordergrund,  die  geographischen 
Gesichtspunkte    zurück.     Das  gilt  vor  allem  für  die  Kartenprojektionslehre, 
die  entweder  gar  nicht  oder  in  ganz  dürftiger  und  unzureichender  Weise  be- 
handelt wird.     So  werden  selbst  in  dem  sonst  so  vortrefflichen  Lehrbuch  der 
Physik  von  Jochmann-Spies  nur  die  orthographische,  stereographische  und 
Merkator-Projektion  besprochen,  von  denen  die  erstere  doch  gegenwärtig  nur 
noch    für  Mondkarten  benutzt  wird,   die   zweite  auch  nur  sehr  beschränkte 
Anwendung    findet.      Die    unsere    Atlanten    beherrschenden    Projektionsarten 
dagegen,   die  Flamsteedsche,  Bonnesche,  Mollweidesche   und  die  Lam- 
bertschen  Projektionen  bleiben  unerwähnt.    Ja  es  findet  sich  sogar  der  Satz: 
„Die  meiste  Anwendung  findet  im  übrigen  (d.  h.  neben  der  Merkator-Projektion) 
die   stereographische  Projektion",  der  so  recht  zeigt,   wie  gering  unter  Um- 
ständen die  geographischen  Kenntnisse  selbst  eines  tüchtigen  Physiklehrers  sind. 
Der  Wert  der  Kartenprojektionslehre  für  den  Unterricht  wird  überhaupt 
bisher  viel  zu  wenig  gewürdigt.     In  den  iheisten  unserer  höheren  Lehranstalten 
kommt   sie    zur  Zeit   wohl    ganz  zu  kurz  und   doch  verdiente  sie  durchaus 
eine   eingehende  Behandlung.     Verständnisvolles  Anschauen  der  Kartenbilder 
wird   in  dem  preußischen  Regulativ  mit  Recht  ausdrücklich  unter  den  Lehr- 
zielen des  geographischen  Unterrichts  gefordert.     Dazu  gehört  aber  doch  vor 
allen  Dingen,  daß  der,  welcher  eine  Karte  studiert,  sich  darüber  Rechenschaft 
zu  geben  im  stände  ist,  was  denn  die  Projektionsart,  in  der  die  Karte  ent- 
worfen ist,   leisten  kann,  was  nicht;   welche  Verhältnisse   der  Erdoberfläche 
sie   getreu  wiedergibt,   welche  Verzerrungen   bei   den   anderen    eintreten.     So 
weit    sollten    wir    die   Schüler  in   die   Kartenprojektionen   einführen,    um   sie 
dazu   zu  befähigen.     Die  grundlegenden  Begriffe,   wie  Flächentreue,  Winkel- 
treue, Mittabstandtreue,  sollten  ihnen  durchaus  geläufig  werden.     Eines  näheren 
Eingehens  auf  diesen   Gegenstand  entheben  mich  die  so  vortrefflichen  Aus- 
führungen von  Bludau^)  auf  dem  Breslauer  Geographentage,  denen  ich  voll 
und    ganz    zustimme.     Ich   möchte   nur  auch  hier  wieder  neben  einer  ganz 


1)  Was  gehört  aus  der  Projektionslehre  auf  die  Schule?   Verb,  des  13.  Deutschen 
Geographentages  in  Breslau  1901.    S.  124—130. 


96  Langenbeck: 

elementaren  Behandlung  der  Projektionslehre  auf  Untersekunda  einer  etwas 
eingehenderen  und  vertiefteren  auf  Oberprima  das  Wort  reden.  Dem  Mathe- 
matiker, der  ja  auch  weiterhin  wohl  diesen  Unterricht  zu  erteilen  haben  wird, 
bietet  sie  ja  auch  von  seinem  speziellen  Standpunkte  aus  interessante  Pro- 
bleme genug. 

Wenn  wir  von  der  mathematischen  Geographie  absehen,  die  unter  allen 
Umständen  eine  gründliche  Behandlung  erfahren  muB,  so  liegt  im  übrigen 
ohne  Zweifel  der  Schwerpunkt  des  geographischen  Unterrichts  in  der  Länder- 
kunde. Die  allgemeine  Erdkunde  muß  ihr  gegenüber  ganz  zurücktreten. 
Denn  die  Länderkunde  ist  es  doch,  die  uns  alle  die  für  das  praktische  Leben 
notwendigen  Kenntnisse  yon  der  Erdoberfläche,  deren  Bewohnern,  ihren  Siede- 
lungen und  ihren  gegenseitigen  Beziehungen  vermittelt,  in  ihr  kommt  aber 
auch  allein  der  dualistische  und  assoziierende  Charakter  der  Erdkunde  klar 
zum  Ausdruck,  während  in  der  allgemeinen  Erdkunde  die  einzelnen  Zweige 
sich  zu  mehr  oder  weniger  selbständigen  Teilwissenschaften  entwickeln.  Die 
Länderkunde  wird  daher  nicht  nur  den  praktischen  Aufgaben  des  geogra- 
phischen Unterrichts  gerecht,  sondern  sie  ist  auch  in  erster  Linie  dazu  be- 
rufen, dessen  Hauptzweck,  die  verschiedenen  Zweige  der  Naturwissenschafken 
und  diese  als  Ganzes  wieder  mit  den  Geisteswissenschaften  in  Verbindung 
zu  bringen,  gerecht  zu  werden.  Dazu  kommt,  daß  die  allgemeine  Erdkunde, 
die  aus  den  Einzelerscheinungen  die  allgemeinen  Gresetze  abzuleiten  sucht, 
doch  mit  Erfolg  erst  dann  betrieben  werden  kann,  wenn  sich  die  Schüler  in 
der  Länderkunde  gründliche  und  umfassende  Kenntnisse  erworben  haben, 
und  daß  sie  außerdem  so  mannigfache  naturwissenschaftliche,  namentlich 
physikalische  und  mineralogische  Kenntnisse  voraussetzt,  daß  ihre  Lehren  auf 
den  unteren  und  mittleren  Klassen  den  Schülern  nicht  wohl  zum  vollen  Ver- 
ständnis gebracht  werden  können.  Ganz  mit  Recht  verweist  daher  das  neue 
Regulativ  die  allgemeine  Erdkunde  auf  die  oberen  Klassen,  wenn  sie  dabei 
freilich  auch  auf  den  Gymnasien,  für  welche  auf  den  oberen  Klassen  ja  nur 
einige  Repetitionsstunden  vorgesehen  sind,  etwas  zu  kurz  kommen  wird. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  der  Länderkunde  zu,  so  finden  wir  ihre  Auf- 
gaben in  den  drei  preußischen  Regulativen  sehr  verschieden  gefaßt.  In  dem 
Regulativ  von  1882  tritt  die  physikalische  Geographie  noch  sehr  zurück, 
denn  neben  der  politischen  Einteilung  wird  dort  nur  Kenntnis  der  wichtigsten 
topischen  Verhältnisse  der  Erdoberfläche  verlangt,  während  in  den  beiden 
neueren  Regulativen  „verständnisvolles  Anschauen  der  umgebenden  Natur 
und  der  Kartenbilder  und  Kenntnis  der  physischen  Beschaffenheit  der  Erd- 
oberfläche'^ bei  den  Schülern  angestrebt  wird.  Die  politische  Geographie 
dagegen,  die  1882  entschieden  noch  im  Vordergrunde  stand,  ist  in  der  Fassung 
des  allgemeinen  Lehrziels  im  Regulativ  von  1901  gar  nicht  ausdrücklich 
genannt,  an  ihre  Stelle  ist  „Kenntnis  der  räumlichen  Verteilung  der  Menschen 
auf  der  Erdoberfläche"  getreten.  Alle  Vertreter  der  neueren  Methodik  im 
erdkundlichen  Unterricht  werden  diese  Veränderungen  in  der  Fassung  des 
allgemeinen  Lehrziels  ebenso  wie  die  1901  ausdrücklich  ausgesprochene  An- 
erkennung der  Geographie  als  naturwissenschaftliche  Disziplin  als  einen  ent- 
schiedenen Fortschritt  begrüßen,  während  die  Anhänger  der  älteren  Richtung 


Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unterrichts.  97 

wohl  manche  Bedenken  dagegen  haben  werden.  In  der  Tat  drehen  sich 
alle  methodischen  Erörterungen  über  Schulgeographie  während  der  letzten 
Jahrzehnte  wesentlich  um  die  drei  Fragen:  1.  In  welchem  Umfange  sind  die 
physische  und  politische  Geographie  im  Schulunterricht  zu  behandeln,  welchen 
von  beiden  ist  der  Vorrang  zuzugestehen?  2.  Ist  bei  der  Behandlung  der 
physischen  Erdkunde  mehr  Gewicht  auf  die  Einprägung  der  Topik  oder  auf 
die  Erkenntnis  der  physischen  Verhältnisse  der  Erdoberfläche  zu  legen? 
3.  Sind  physische  und  politische  Verhältnisse  bei  der  Landeskunde  getrennt 
oder  im  innigen  Zusammenhang  miteinander  durchzunehmen?  Mit  diesen 
drei  Fragen  werden  wir  uns  daher  auch  hier  näher  zu  befassen  haben. 

Unsere  älteren  Geographielehrer,  die  eine  ausschließlich  historisch-philo- 
logische Vorbildung  genossen  hatten,  betrachteten  die  Erdkunde  nur  als  eine 
Hilfswissenschaft  der  Geschichte,  den  erdkundlichen  Unterricht  nur  als  ein 
Anhängsel  des  historischen.  Sie  legten  dementsprechend  seinen  eigentlichen 
Schwerpunkt  in  die  politische  Geographie.  Die  physischen  Verhältnisse 
der  Erdoberfläche  waren  flir  sie  nur  mehr  das  äußere  Gerüst  für  diese. 
Die  physische  Landeskunde  wurde  daher  mehr  oder  weniger  kursorisch  be- 
handelt, bei  der  politischen  dagegen  länger  verweilt,  der  Verlauf  der  Staat«- 
und  Provinzgrenzen,  die  staatlichen  Einrichtungen  und  politischen  Macht- 
faktoren, die  Lage  der  wichtigeren  Städte,  die  Verteilung  der  Bevölkerung 
nach  ihrer  Dichte,  ihrer  Nationalität  und  Konfession  wurden  eingehender  be- 
handelt Auf  der  anderen  Seite  hat  es,  nachdem  die  Geographie  sich  zu 
einer  wesentlich  naturwissenschaftlichen  Disziplin  entwickelt  hatte,  auch  nicht 
an  solchen  Geographielehrem  gefehlt,  welche  in  das  entgegengesetzte  Extrem 
verfielen,  die  auch  in  der  Behandlung  der  Landeskunde  auf  der  Schule  die 
physischen  Gesichtspunkte  ganz  in  den  Vordergrund  schoben,  die  politische 
Geographie  eigentlich  nur  als  ein  notwendiges  Übel  betrachteten,  die  nun 
einmal  in  keinem  anderen  Unterrichtsfache,  als  dem  erdkundlichen  behandelt 
werden  könne,  aber  eigentlich  gar  nicht  zur  Geographie  gehöre  und  daher 
so  rasch  als  möglich  zu  erledigen  sei,  um  den  Hauptteil  der  Zeit  der  phy- 
sischen Erdlmnde  widmen  zu  können.  Ich  muß  gestehen,  daß  ich  selbst  in 
den  ersten  Jahren,  als  ich  mich  eingehender  mit  der  Erdkunde  zu  beschäftigen 
begann,  ähnlichen  Ideen  gehuldigt  habe  und  wie  mir,  wird  es  wohl  manchen 
von  denen,  die  von  mathematischen  oder  naturwissenschaftlichen  Studien  aus 
zur  Erdkunde  geführt  wurden,  ergangen  sein.  Beide  Richtungen  sind  der 
Entwicklung  eines  gedeihlichen  geographischen  Unterrichts  auf  unseren  höheren 
Schulen  in  hohem  Grade  hinderlich  gewesen.  Dem  vorzugsweise  auf  die 
politische  Geographie  hin  gerichteten  Unterricht  fehlte  der  eigentliche  geistige 
Gehalt,  er  war  mehr  formal  und  äußerlich,  vermochte  die  Schüler  nicht  an- 
zuregen, ihnen  kein  lebhafteres  Interesse  für  den  Gegenstand  abzugewinnen. 
Daher  blieben  auch  seine  Ergebnisse  so  außerordentlich  dürftig.  Bei  dem 
die  physischen  Verhältnisse  ausschließlich  bevorzugenden  kamen  nicht  nur 
viele  der  praktischen  Aufgaben  der  Geographie,  sondern  auch  die  so  wichtigen 
Beziehungen  zur  Geschichte  und  Völkerkunde  zu  kurz.  Vor  allem  aber  er- 
zeugte diese  Behandlungsweise  bei  vielen  Leitern  unserer  höheren  Schulen 
ein    leider   auch  jetzt  noch   nicht  ganz   überwundenes  Mißtrauen,   wesentlich 

Oeogrftphisohe  Zeitsohrift.  9.  Jahrgang.  1903.  2.  Heft.  7 


98  Langenbeck: 

naturwissenschaftlich  vorgebildeten  Lehrern  und  selbst  speziellen  Fachgeographen 
den  Unterricht  in  der  Erdkonde  anzuvertrauen.  Ich  glaube,  daß  die  beiden 
extremen  Richtungen  jetzt  so  ziemlich  überwunden  sind.  Der  geographische 
Unterricht  geht  jetzt  mehr  und  mehr  in  die  Hände  von  Fachlehrern  über, 
und  auch  die  reinen  Historiker  und  Philologen,  die  denselben  ja  noch  vielfach 
erteilen,  pflegen  der  physischen  Landeskunde  doch  jetzt  meist  mehr  Zeit  zu 
widmen,  als  ehedem.  Dazu  werden  sie  schon  durch  die  Lehrbücher  gezwungen, 
von  denen  auch  die,  welche  noch  nicht  ganz  auf  der  Höhe  modemer  Methodik 
stehen,  doch  der  physischen  Landeskunde  einen  breiten  Raum  zugestehen. 
Die  Fachgeographen  aber  haben  unter  dem  Einfluß  bedeutender  Hochschul- 
lehrer, wie  vor  allem  Kirchhoff  und  Ratzel,  gelernt,  daß  die  Erdkunde, 
unbeschadet  ihres  naturwissenschafblichen  Grundcharakters,  doch  in  ihrem 
speziellen  Teil,  in  der  Länderkunde,  die  menschlichen  und  historischen  Elemente 
nicht  entbehren  kann,  daß  die  eine  Zeit  lang  etwas  in  Verruf  gekommene 
politische  Geographie  einer  wirklich  wissenschaftlichen  Behandlung  fähig  ist 
und  einen  integrierenden  Bestandteil  der  Länderkunde  bildet. 

An  die  Stelle  der  Staatenkunde,  wie  sie  früher  gelehrt  wurde,  ist  jetzt 
an  unseren  höheren  Schulen  inuner  mehr  wirkliche  Länderkunde  getreten, 
deren  Aufgabe  es  ist,  die  einzelnen  Landschaften  als  geographische  Individuen 
und  in  ihrem  Zusammenhang  mit  den  höheren  geographischen  Einheiten,  denen 
sie  angehören,  verstehen  zu  lernen,  die  Wechselbeziehungen  zwischen  den 
physischen  Erscheinungen  einerseits,  der  Entwicklung  des  Völkerlebens,  der 
menschlichen  Siedlungen  und  staatlichen  Einrichtungen  andererseits,  darzulegen, 
aus  den  einzelnen  physischen  und  anthropogeographischen  Zügen,  die  sich 
in  einer  Landschaft  ausprägen,  ein  GesamtbDd  derselben  zu  entwerfen.  Aus 
diesen  Aufgaben  der  Länderkunde  ergeben  sich  nun  ohne  weiteres  das  Ver- 
hältnis des  physischen  zu  dem  politischen  Anteil  und  der  Umfang,  in 
welchem  beide  Teile  im  Unterricht  zu  behandeln  sind.  Die  physischen  Ver- 
hältnisse, so  mannigfach  auch  der  Mensch  auf  sie  umgestaltend  einwirkt, 
bleiben  doch  in  ihren  wesentlichen  Zügen  durch  sehr  lange  Zeiträume  un- 
verändert, sie  sind  das  durch  alle  Wechsel  Dauernde  in  dem  geographischen 
Bilde.  Aus  Wüsten  werden  nie  fruchtbare  Ackerbaulandschaften,  aus  Steppen- 
gegenden keine  Waldgebiete,  aus  Gebirgen  keine  Ebenen,  außer  in  Zeiträumen, 
die  weit  länger  sind,  als  die  ganze  Geschichte  der  Menschheit.  Die  Bevölke- 
rungs-  und  Siedelungsverhältnisse  dagegen,  die  Verkehrswege,  die  politischen 
Grenzen  und  staatlichen  Gebilde  sind  oft  sehr  raschen  und  tiefgreifenden 
Veränderungen  unterworfen.  Dabei  wird  jedes  neue  Bevölkerungselement, 
das  in  ein  Gebiet  eindringt,  sich  dessen  physischen  Verhältnissen  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  anbequemen  müssen,  seine  Sitten  und  Gewohnheiten, 
seine  Wirtschafts-  und  Siedelungsverhältnisse  werden  mannigfache  Verände- 
rungen erleiden.  Wo  es  aber  auch  einem  Volke  gelingt,  einer  Landschaft 
seine  Eigenart  ganz  aufzuprägen  und  durchgreifende  Veränderungen  in  ihr 
hervorzubringen ,  wie  es  bei  der  Urbarmachung  großer  Waldgebiete ,  der 
künstlichen  Bewässerung  trockener,  der  Entwässerung  von  Sumpf-  und  Moor- 
gebieten der  Fall  ist,  so  treten  diese  Veränderungen  uns  doch  vielfach 
•n    erster  Linie    eben   in  der  Umgestaltung  der  physischen   Landschaftszüge 


Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unterrichts.  99 

entgegen.  In  anderen  Fällen  ist  es  allerdings  die  Veränderung  der  wirt- 
schaftlichen und  Siedellingsverhältnisse,  welche  dem  Bilde  einer  Landschaft 
ein  ganz  neues  Gepräge  gibt.  Wie  anders  ist  das  Bild  von  Oberschlesien 
jetzt  und  vor  etwa  6  Jahrzehnten.  Damals  ein  dünnbevölkertes  Land  mit 
wenigen  kleinen  Landstädten  und  ärmlichen  Dörfern;  jetzt  dicht  beieinander 
gedrängt  volkreiche  Ortschaften  mit  großartigen  industriellen  Anlagen,  reiches 
geschäftiges  Leben  überall.  Aber  daß  diese  Umgestaltimg  des  Landes  dem 
Menschen  möglich  war,  beruht  doch  nur  auf  dem  Vorhandensein  der  reichen 
Steinkohlen-,  Eisen-  imd  Zinklager,  also  wieder  auf  den  natürlichen  Verhält- 
nissen. Diese  treten  überall  als  das  in  erster  Linie  Bestinmiende  im  Cha- 
rakter der  Landschaft  hervor.  Daher  wird  auch  im  Unterrichte,  wenigstens 
auf  den  mittleren  und  oberen  Klassen,  wo  die  Wechselbeziehungen  zwischen 
Erde  und  Mensch  den  Schülern  klargelegt  werden  können  und  müssen,  die 
Behandlung  der  physischen  Verhältnisse  im  Vordergrunde  zu  stehen  haben, 
gegen  die  das  Politische  mehr  zurücktritt.  Auf  diesen  Unterrichtsstufen 
müssen  die  physischen  Verhältnisse  wirklich  gründlich  behandelt  werden.  Es 
genügt  hier  nicht  mehr,  die  Oro-  und  Hydrographie  eines  Landes  vorzuführen, 
auch  der  geologische  Aufbau  des  Landes,  das  Klima,  die  Pflanzen-  und  Tier- 
welt, ohne  deren  Kenntnis  ja  die  Landschaftsformen,  vor  allem  aber  das 
ganze  wirtschaftliche  Leben  unverständlich  bleiben,  sind  eingehend  zu  er- 
örtern, ohne  daß  es  dabei  nötig  ist,  auf  Einzelheiten,  mögen  sie  an  sich 
noch  so  interessant  sein,  einzugehen.  Ich  halte  es  z.  B.  nicht  für  nötig,  etwa 
die  geologischen  Formationen,  die  bei  dem  Aufbau  eines  Landes  beteiligt  sind, 
durchzimehmen,  höchstens  wird  man  der  Kohlenformation  Erwähnung  tun, 
aber  erfahren  müssen  die  Schüler,  ob  ein  Land  aus  festem  Gestein  oder 
lockerem  Schwemmland  aufgebaut  ist,  welchen  Anteil  plutonische  und  vul- 
kanische Gesteine,  krystallinische  Schiefer,  Grauwacken,  Sand-  und  Kalk- 
gesteine an  seiner  Zusammensetzung  haben.  Und  damit  solche  Namen  nicht 
für  die  Schüler  leerer  Schall  bleiben,  wird  man  ihnen  die  Gesteine  auch 
stets  vorzuzeigen  haben.  Eine  Sammlung  der  wichtigsten  Gesteinsarten, 
namentlich  der  in  Deutschland  und  den  Alpen  auftretenden,  halte  ich  für 
jede  unserer  höheren  Schulen  für  unentbehrlich. 

Dem  politischen  TeU  der  Länderkimde  fallen  nun  aber  auch  noch  eine 
Reihe  wichtiger  Aufgaben  zu.  Der  Verlauf  der  politischen  Grenzen,  die  Lage 
der  wichtigsten  Städte  nebst  ihrer  Staatszugehörigkeit  sind  jedenfalls  fest 
einzuprägen,  die  Verteilimg  der  Bevölkerung  nach  Nationalität  und  Konfession, 
die  wirtschaftlichen  und  kulturellen  Verhältnisse  eines  Landes  sind  jedenfalls 
in  ihren  Hauptzügen  zu  besprechen.  Auch  die  Entwicklung  der  territorialen 
Verhältnisse  darf  nicht  unberücksichtigt  bleiben,  denn  sie  macht  in  vielen 
Fällen  allein  verständlich,  weshalb  verschiedene  Gebiete,  die  jetzt  politisch 
verbunden  sind,  doch  so  große  Verschiedenheiten  in  Bezug  auf  wirtschaft- 
liche, kulturelle,  konfessionelle  und  Bevölkerungsverhältnisse  aufweisen.  Ebenso 
ist  im  geographischen  Unterricht  auszuführen,  aus  welchen  Elementen  sich 
die  gegenwärtigen  Nationalitäten  zusammensetzen.  Das  ist  kein  Übergriff 
der  Geographie  in  die  Geschichte.  Diese  lehrt  ja  natürlich,  daß  z.  B.  die 
Kelten  Galliens   nach   der  Eroberung  durch  Cäsar  romanisiert  sind,  daß  die 


100  Langenbeck: 

späteren  germanischen  Eroberer  ihre  Sprache  und  Eigenart  dort  nicht  zu 
behaupten  vermochten;  daß  wir  es  aber  in  den  gegenwärtigen  Franzosen  in 
der  Tat  mit  einem  wesentlich  keltischen  Volke  mit  romanischer  Sprache 
und  einigen  germanischen  Beimischungen  zu  tun  haben,  wird  den  Schülern 
im  geschichtlichen  Unterricht  kaum  zur  vollen  Klarheit  kommen,  da  hat  die 
Geographie  einzugreifen. 

Endlich  ist  auch  die  Staatsform  geographisch  nicht  gleichgültig.  Ob 
ein  Staat  eine  streng  geschlossene  Einheit  oder  nur  ein  lockeres  Konglomerat 
politischer  Einzelgebilde  darstellt,  ob  er  despotisch,  autokratisch,  theokratisch 
oder  konstitutionell  regiert  wird,  oder  eine  republikanische  Verfassung  an- 
genonunen  hat,  das  wird  auch  in  den  kulturellen  und  wirtschaftlichen  Ver- 
hältnissen vielfach  zum  Ausdruck  kommen  und  muß  daher  im  geographischen 
Unterricht  erwähnt  werden.  Jedes  weitere  Eingehen  auf  Einzelheiten  der 
Staatsverfassung  und  der  staatsrechtlichen  Beziehungen  dagegen  hat  zu  unter- 
bleiben, denn  diese  haben  mit  der  Geographie  nichts  zu  tun.  Ebenso  ist 
das  Einstreuen  aller  möglichen  historischen  Notizen,  von  denen  sich  manche 
einbilden,  daß  sie  den  Unterricht  belebten,  völlig  zu  unterlassen.  Daß 
die  Buchdruckerkunst  in  Straßburg  erfunden,  daß  in  Marbach  Schiller  ge- 
boren, daß  in  Braunschweig  Lessing  ein  Denkmal  errichtet  ist,  ist  doch  für 
die  Geographie  völlig  gleichgültig.  Die  Erwähnung  solcher  Tatsachen  im 
geographischen  Unterricht  kann  nur  dazu  führen,  die  Aufmerksamkeit  der 
Schüler  von  der  Hauptsache  abzulenken.  Diese  wenigen  Bemerkungen  über 
die  politische  Geographie  werden  genügen,  um  zu  zeigen,  daß  ich  in  der 
Auffassung  derselben  für  den  Unterricht  mich  in  vollster  Übereinstimmung 
mit  A.  Kirchhoff  befinde,  auf  dessen  klare  und  treffende  Ausführungen  ich 
daher  für  alle  weiteren  Einzelheiten  verweisen  kann^).  Nur  bei  zwei  Punkten 
möchte  ich  noch  einen  Augenblick  verweilen,  nämlich  bei  den  Fragen,  was 
von  der  politischen  Einteilung  der  einzelnen  Staaten  zu  besprechen  ist  und 
inwieweit  Schlachtfelder  und  sonstige  Stätten  wichtiger  historischer  Ereig- 
nisse im  geographischen  Unterricht  zu  erwähnen  sind.  In  beiden  Punkten 
scheinen  mir  viele  Geographielehrer  und  Methodiker  der  Erdkunde  entschieden 
zu  weit  zu  gehen. 

In  vielen  Fällen  ist  ja  wenigstens  die  oberste  politische  Einteilung  eines 
Staates  aus  dessen  territorialer  Entwicklung  hervorgegangen,  und  die  größeren 
politischen  Bezirke  werden  dann  vielfach  in  ihren  ethnischen  und  konfessio- 
nellen, unter  Umständen  auch  in  ihren  wirtschaftlichen  und  kulturellen  Ver- 
hältnissen jene  territoriale  Entwicklung  widerspiegeln.  Seltener  wird  sich 
die  politische  Einteilung  an  natürliche  Verhältnisse  anschließen.  Jedenfalls 
bilden  aber  in  diesen  Fällen  die  größeren  politischen  Bezirke  geographische 
Einheiten,  wenn  auch  niederer  Ordnung,  imd  haben  daher  im  geographischen 
Unterricht  ihren  berechtigten  Platz.  So  werden  selbstverständlich  die  einzelnen 
Kronländer  Österreichs  den  Schülern  einzuprägen  sein,  ebenso  wenigstens  die 

1)  Siehe  A.  Kirch  hoff  „Die  Geographie"  in  Baumeisters  Handbuch  der  Er- 
ziehungs-  und  Unterrich talehre  für  höhere  Schulen,  Bd.  4,  und  „Sinn  und  Behand- 
lungaweise  der  politischen  Geographie  im  Schulunterricht",  Geogr.  Zeitschr.  Jahrg. 
1896,  S.  90—100.  • 


Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unterrichts.  101 

größeren  von  den  Vereinigten  Staaten  Nordamerikas.  Auch  die  preußischen 
Provinzen  und  die  bayrischen  Regierungsbezirke  sind  etwas  historisch  Ge- 
wordenes und  weisen  zum  Teil  sehr  charakteristische  Einzelzüge  auf.  Meist 
aber  ist  die  politische  Einteilung  ganz  willkürlich  nach  irgend  welchen  Ver- 
waltungsgrundsätzen erfolgt,  die  politischen  Bezirke  —  für  die  Unterabteilungen 
wird  das  wohl  immer  gelten  —  stehen  dann  weder  mit  den  physischen  Ver- 
hältnissen noch  mit  der  historischen  Entwicklung  im  Zusammenhang,  sind 
also  etwas  völlig  Ungeographisches,  wie  die  Departements  von  Frankreich, 
die  Provinzen  von  Italien,  die  Kreishauptmannschaften  Sachsens.  Wenn  wir 
daher  trotzdem  die  größeren  derselben  im  geographischen  Unterricht  erwähnen 
werden,  so  geschieht  das  nur,  weil  sie  an  sich  wissenswert  sind,  der  Geo- 
graphie-Unterricht aber  der  einzige  ist,  der  Gelegenheit  dazu  bietet,  sie  den 
Schülern  einzuprägen.  Jedenfalls  aber  werden  wir  uns  hier  auf  das  äußerste 
zu  beschränken  haben.  Mir  erscheint  es  z.  B.  schon  sehr  zweifelhaft,  ob  es 
notwendig  ist,  einen  süddeutschen  Schüler  die  Regierungsbezirke  Preußens 
lernen  zu  lassen.  Bei  Frankreich,  Spanien,  Italien  würde  ich  nur  die  wich- 
tigsten der  historischen  Landschaftsnamen  merken  lassen,  von  der  gegen- 
wärtigen politischen  Einteilung  ganz  absehen.  Bei  dem  Heimatlande  oder 
der  Heimatprovinz  wird  man  dagegen  aus  praktischen  Gründen  etwas  mehr 
auf  die  politische  Einteilung  eingehen  müssen. 

Als  eine  unnütze  Belastung  des  geographischen  Unterrichts  muß  ich  es 
femer  bezeichnen,  wenn  verlangt  wird,  daß  der  Lehrer  der  Erdkunde  bei  der 
Behandlung  der  topischen  Verhältnisse  auch  diejenigen  Schauplätze  berück- 
sichtige, welche  durch  historische,  dem  Schüler  schon  bekannte  Vorgänge 
wichtig  geworden  sind,  wie  dies  z.  B.  von  BöttcherM  geschieht.  Daß  die 
Leipziger  Bucht  und  der  Nordrand  Thüringens,  das  nordöstliche  Böhmen,  die 
lombardische  Ebene,  die  Umgebung  von  Poitiers  und  von  Benevent  oft  der 
Schauplatz  kriegerischer  Ereignisse  und  nicl^^  selten  entscheidender  Schlachten 
gewesen  sind,  ist  in  geographischen  Verhältnissen  begründet,  und  es  muß  daher 
im  geographischen  Unterricht  davon  die  Rede  sein.  Aber  Orte,  wie  Eylau 
oder  Tannenberg,  Hubertusburg  oder  Villafranca,  nur  deshalb  zu  erwähnen, 
weil  hier  eine  bedeutende  Schlacht  oder  ein  wichtiger  Friedensschluß  statt- 
gefunden hat,  halte  ich  nicht  für  richtig,  ebensowenig  bei  Orten,  die  an  und 
für  sich  im  geographischen  Unterricht  besprochen  werden  müssen,  alle  wich- 
tigen historischen  Ereignisse  aufzuzählen,  die  sich  an  ihnen  zugetragen 
haben,  sofern  diese  nicht  durch  die  Lage  des  Ortes  wesentlich  bedingt  sind. 
Denn  von  der  der  Erdkunde  so  knapp  zugemessenen  Zeit  können  wir 
keinen,  wenn  auch  noch  so  kleinen  Teil  gewissermaßen  auf  historische 
Repetitionen  verwenden,  wie  Böttcher  es  verlangt.  Der  erdkimdliche 
Unterricht  soll  dem  geschichtlichen  nur  insofern  in  die  Hände  arbeiten, 
als  er  die  geographische  Bedingtheit  gewisser  geschichtlicher  Ereignisse 
den  Schülern  klarlegt.  Nun  wird  man  mir  dagegen  vielleicht  einwenden, 
daß  die  Orte,   an   welchen  bedeutendere  Schlachten  stattgefunden   haben,   in 

1)  Verh.  der  11.  Direktoren -Versammlung  in  den  Provinzen  Ost-  und  West- 
preußen.   1886.    S.  310  f. 


102  Langenbeck: 

den  meisten  Fällen  durch  bestimmte  geographische  Züge  ausgezeichnet  sein 
werden,  wie  Lage  an  wichtigen  Verkehrsstraßen,  Flußüberg&ngen  oder  Fassen, 
durch  orographische  Verhältnisse,  die  sich  besonders  zu  Verteidigungsstellungen 
eignen,  und  ähnliches.  Meist  werden  das  aber  solche  Einzelzüge  der  Land- 
schaft sein,  daß  sie  im  geographischen  Unterricht  an  sich  gar  keine  Er- 
wähnung finden  können,  und  daß  daher  die  Abhängigkeit  der  Lage  des  be- 
treffenden Schlachtfeldes  von  geographischen  Verhältnissen  nicht  erweisbar 
ist.  Ohne  den  Nachweis  eines  solchen  Zusanmienhanges  aber  hat  die  Er- 
wähnung eines  Schlachtortes  im  geographischen  Unterricht  keinen  Wert  und 
keine  Berechtigung.  Bei  dem  Heimatlande,  wo  man  mehr  in  die  geographischen 
Einzelheiten  einzugehen  in  der  Lage  ist,  wird  man  natürlich  auch  in  der 
Erwähnung  von  Schlachtfeldern  und  sonstigen  Stätten  historischer  Ereignisse 
etwas  weiter  gehen  können. 

Auf  die  Behandlung  des  Zahlenmaterials  in  der  Länderkunde  möchte 
ich  hier  nicht  eingehen.  Es  würde  das  wohl  etwas  zu  weit  führen.  Auch 
wird  ja  der  diesjährige  Geographentag  in  Köln  voraussichtlich  Gelegenheit 
geben,  diesen  so  wichtigen  Gegenstand  eingehend  zu  erörtern.  Ich  wende 
mich  daher  zu  der  zweiten  Frage,  ob  auf  die  Einprägung  der  Topik  oder 
die  Erkenntnis  der  physischen  Verhältnisse  der  Erdoberfläche  mehr  Gewicht 
zu  legen  sei. 

Bei  der  Lektüre  mancher  methodischer  Schriften  über  erdkundlichen 
Unterricht  könnte  man  fast  den  Eindruck  erhalten,  als  wenn  das  Gewinnen 
sicherer  Kenntnisse  in  der  Topographie  und  das  Eindringen  in  das  Verständnis 
der  physischen  Verhältnisse  der  Erdoberfläche  gegensätzliche  Dinge  seien,  die 
sich  gegenseitig  nahezu  ausschlössen.  Man  lese  nur  die  Ausführungen 
Matzats^),  in  denen  er  sich  mit  einer  gewissen  Heftigkeit  gegen  die  wendet, 
„die  da  meinen,  daß  es  das  Hauptgeschäft  der  Geographie  sei,  von  allen 
Städten,  Flüssen,  Bergen  zu  lehren,  wo  sie  liegen",  und  die  Entgegnung 
Böttchers*)  darauf,  die  in  den  Behauptungen  gipfelt,  daß  die  Schule  in 
den  geographischen  Lehrstunden  hauptsächlich  einen  einzigen  Zweig  der 
Erdkunde,  die  Kenntnis  der  Karte,  zu  pflegen  habe,  und  daß  die  Einprägung 
der  Topographie  als  die  eigentliche  Aufgabe  der  Schule  im  geographischen 
Unterricht  zu  betrachten  sei.  Hier  stehen  sich  in  der  Tat  zwei  extreme 
Auffassungen  gegenüber,  oder,  richtiger  gesagt,  die  beiden  einander  entgegen- 
stehenden Anschauungen  sind  hier  in  sehr  scharfer  Form  ausgesprochen.  Denn 
wenn  man  die  weiteren  Ausführungen  der  beiden  obigen  Autoren  verfolgt, 
so  zeigt  sich,  daß  sie  gar  keine  so  extreme  Ansichten  vertreten,  wie  es  nach 
ihren  eben  angeführten  Äußerungen  den  Anschein  hat.  Matzat  schiebt  die 
Topik  keineswegs  ganz  bei  Seite,  und  ebensowenig  verzichtet  Böttcher 
darauf,  die  physischen  Verhältnisse  der  Erdoberfläche  und  ihre  wechselseitigen 
Beziehungen  innerhalb  gewisser  Grenzen  den  Schülern  zum  Verständnis  zu 
bringen.  Indessen  finden  auch  jene  extremen  Auffassungen  unter  den  Geo- 
graphielehrem  Vertreter,   und   man  wird  daher  mit  ihnen  zu  rechnen  haben. 

1)  Methodik  der  Erdkunde.     S.  147  f. 

2)  Verh.  der  11.  Direktorenkonferenz  der  Provinzen  Ost-  und  Westpreußen. 
S.  507  ff.  und  518  f. 


Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unterrichts.  103 

Da  ist  nun  zunächst  zu  betonen,  daß  der  bloßen  Einprägung  der  Topo- 
graphie ein  wirklich  bildender  Wert  so  gut  wie  gar  nicht  zukommt.  Ein 
Lehrer,  der  auf  sie  allein  Wert  legt,  sie  allein  pflegt,  wird  zwar  den  Schülern 
eine  Anzahl  praktisch  wertvoller  und  nützlicher  Kenntnisse  beibringen,  geistige 
Anregung  gibt  er  ihnen  nicht  und  wird  den  Hauptaufgaben  des  geographischen 
Unterrichtes  daher  nicht  gerecht.  Ja  man  kann  wohl  sagen,  daß  eine  der- 
artige Unterrichtsmethode  das  Interesse  der  Schüler  an  der  Geographie 
geradezu  ertöten  muß  und  daher  völlig  erfolglos  sein  wird.  Die  Haupt- 
aufgabe des  erdkundlichen  Unterrichts  ist  ohne  Zweifel,  die  Schüler  zum 
Verständnis  der  Erscheinungen  der  Erdoberfläche  zu  führen.  Diesem  Ziel 
hat  sich  alles  andere  unterzuordnen;  aber  trotzdem  wäre  es  verfehlt,  wenn 
man  die  Einprägung  der  Topographie  ganz  vernachlässigen  wollte.  Nicht 
bloß,  weil  in  diesem  Falle  die  praktischen  Aufgaben  des  geographischen 
Unterrichts  nicht  recht  zur  Geltung  kommen  würden.  Es  ist  auch  ein  Ver- 
ständnis der  physischen  Verhältnisse  der  Erdoberfläche ,  wie  der  poli- 
tischen, Verkehrs-  und  Siedelungsverhältnisse  gar  nicht  zu  gewinnen  ohne 
eine  klare  Vorstellimg  von  der  gegenseitigen  Lage  der  einzelnen  geogi-aphischen 
Objekte.  Darauf  hat  noch  neuerdings  Ratzel^)  mit  großem  Nachdruck 
hingewiesen.  Daß  das  Quellgebiet  des  Nils  unter  dem  Äquator  liegt,  also 
in  eine  Begion  fällt,  in  der  eine  Trocken-  und  eine  Regenzeit  miteinander 
wechseln,  ist  das  allerwich tigste,  was  wir  uns  von  diesem  Fluß  zu  merken 
haben.  Für  den  Wüstencharakter  der  Sahara  ist  es  maßgebend,  daß  sie  zu 
beiden  Seiten  des  nördlichen  Wendekreises  liegt  und  daher  während  des 
ganzen  Jahres  der  Wirkung  des  Nordost -Passates  ausgesetzt  ist.  Der  ge- 
waltige Unterschied  in  den  klimatischen  Verhältnissen  der  Westseite  Europas 
und  der  Ostseite  Nordamerikas  wird  nur  dann  zur  klaren  Erkenntnis  kommen, 
wenn  man  sich  einprägt,  daß  etwa  Washington  und  Lissabon,  Labrador  und 
Großbritannien  unter  gleicher  Breite  liegen.  Daß  man  femer  die  politische 
und  wirtschaftliche  Stellimg  eines  Staates  nur  richtig  würdigen  kann,  wenn 
man  über  seine  Lage  zu  den  Meeren,  zum  Verlauf  der  Gebirge  und  Flüsse, 
sowie  zu  anderen  Staaten  und  über  den  Verlauf  seiner  politischen  Grenzen 
genügend  klare  Vorstellungen  gewonnen  hat,  ist  wohl  ohne  weiteres  ein- 
leuchtend. Auch  darauf  möchte  ich  hinweisen,  daß,  wie  schon  Batzel 
hervorgehoben  hat,  die  allgemeine  Lage  eines  Landes  von  allen  geogra- 
phischen Beziehungen  am  dauerndsten  ist  und  daher  schon  aus  diesem  Grunde 
im  geographischen  Unterricht  alle  Beachtung  verdient.  Besonders  wichtig 
aber  scheint  es  mir  zu  sein,  daß  sich  die  Schüler  die  Lage  der  bedeutendsten 
Städte  genau  einprägen,  nicht  die  absolute  natürlich,  die  durch  die  geogra- 
phische Länge  und  Breite  angegeben  wird,  sondern  die  relative  zu  Gebirgen 
und  Flüssen,  Paßübergängen  und  sonstigen  natürlichen  Verkehrswegen,  sowie 
zu  anderen  Städten.  Denn  diese  relative  Lage  ist  für  Städte  gerade  geo- 
graphisch am  bedeutsamsten.  Ist  sie  doch  für  deren  Entwicklung  meist  in 
erster  Linie  bestimmend. 


1)  Die  Lage  im  Mittelpunkt  des  geographischen  Unterrichts.   Geogr.  Zeitschr. 
Jahrg.  6.    1900.    S.  20—27. 


104  Langenbeck: 

Man  80II  aber  auch  andererseits  nicht  zu  weit  in  der  Einprägung  der 
Topik  gehen,  nicht  die  gegenseitige  Lage  zu  zahlreichen  örtlichkeiten  fest 
fixieren  wollen.  Denn  abgesehen  davon,  daß  diese  Einzelheiten  des  Bildes 
dem  Gedächtnis  der  Schüler  doch  bald  wieder  entschwinden,  verliert  man 
auch  durch  zu  eingehendes  Verweilen  bei  der  Topographie  viel  kostbare  Zeit 
für  Wichtigeres.  Es  ist  doch  für  den  Schüler  vollkommen  gleichgültig  zu 
wissen,  ob  das  Matterhom  westlich  oder  östlich  vom  Monte  Bosa,  ob  Aachen 
etwas  südlicher  oder  nördlicher  als  Köln  liegt,  wenn  er  sich  nur  einprägt, 
daß  jene  beiden  Berge  in  den  Walliser  Alpen  zu  suchen  sind,  Aachen  nahe 
der  Mitte  der  Westgrenze  der  Bheinprovinz  gelegen  ist.  Ebensowenig  wird 
man  verlangen  können,  daß  die  Schüler  eine  genaue  Anschauung  gewinnen 
von  der  gegenseitigen  Lage  der  einzelnen  Territorien  des  thüringischen  Staaten- 
gewirrs.    Nur  die  Hauptzüge  mögen  sie  sich  hier  einprägen. 

Vernachlässigen  wollen  wir  die  Topographie  auch  in  Zukunft  keineswegs, 
imd  deshalb  möchte  ich  auch  nicht  auf  ein  so  wichtiges  Hilfsmittel  zur  Ein- 
prägen derselben,  wie  es  das  Zeichnen  im  geographischen  Unterricht  ist,  ver- 
zichten, so  mancherlei  Schwierigkeiten  ihm  auch  entgegenstehen.  Auch  die 
preußischen  Lehrpläne  verlangen  ja  das  Anfertigen  von  Kartenskizzen  aus- 
drücklich. Über  die  beste  Methode  des  Kartenzeichnens  im  Unterricht  ist 
allerdings  trotz  der  so  außerordentlich  reichen  Literatur^)  über  diesen 
Gegenstand  eine  Einigung  bisher  nicht  erzielt,  und  das  wohl  hauptsächlich 
deshalb,  weil  die,  wenigstens  nach  meiner  Überzeugung,  besten  Methoden 
auch  die  zeitraubendsten  sind  und  daher  bei  der  Knappheit  der  Zeit  nur  in 
sehr  mäßigem  Umfang  zur  Anwendung  gebracht  werden  können. 

Was  nun  die  Behandlungsweise  auf  den  einzelnen  Klassen  betrifft,  so 
wird  dem  Unterricht  auf  der  Unterstufe  die  Einprägung  der  Topik  in  erster 
Linie  zufallen.  Für  die  Auffassung  der  physischen  Verhältnisse  fehlt  den 
Schülern  dieser  Stufe  doch  im  allgemeinen  noch  das  nötige  Verständnis.  Vom 
geologischen  Bau  wird  man  hier  noch  ganz  absehen  müssen,  von  den 
klimatischen  Verhältnissen  und  der  Verbreitung  der  Organismen  nur  sehr 
weniges  geben  können.  Ist  dann  aber  auf  den  unteren  Klassen  eine  sichere 
topographische  Grundlage  gelegt,  so  wird  man  auf  den  mittleren  und  oberen 
ohne  Bedenken  das  Hauptgewicht  darauf  legen  können,  die  physischen  Ver- 
hältnisse der  einzelnen  Länder  und  ihre  Wechselbeziehungen  zu  den  ethnischen, 
politischen  und   wirtschaftlichen   den   Schülern   zum   Verständnis   zu  bringen. 

Der  dritte  Hauptpunkt,  die  Frage,  ob  die  physische  und  politische 
Länderkunde  im  Schulunterricht  getrennt  oder  in  engster  Verbindung  mit- 
einander zu  behandeln  sind,  ist  einer  der  Hauptgegenstände  der  schulgeogra- 
phischen Verhandlungen  auf  dem  Breslauer  Geographentage  gewesen.  Ich 
kann  mich  daher  hier  im  wesentlichen  darauf  beschränken,  die  Hauptgesichts- 
punkte noch  einmal  hervorzuheben.  Allerdings  muß  ich  dann  noch  auf 
einige  Einwände  erwidern,    welche    gegen    die    von  Professor  A.  Kirchhoff 


1)  Diese  findet  man  am  besten  zusammengestellt  bei  Hassert:  ,,Das  Karten- 
zeichnen im  geographischen  Unterricht".  Korrespondenzblatt  für  die  Gelehrten- 
und  Realschulen  Württembergs  1901. 


Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unterrichts.  105 

und  mir  vertretenen  Auffassungen  erhoben  wurden,  da  es  in  Breslau  an  der 
Zeit  gebrach,  sie  eingehender  zu  erörtern. 

Wenn  wir  bei  der  Betrachtung  eines  größeren  Ländergebietes,  etwa  des 
Deutschen  B^iches  oder  der  Alpenländer,  die  physischen  und  politisch -ethni- 
schen Verhältnisse  getrennt  behandeln  und  dann  gar  noch,  wie  es  in  diesem 
Falle  nur  zu  leicht  geschieht,  die  beiden  Hauptzweige  der  Länderkunde  noch 
weiter  gliedern,  die  Oro-  und  Hydrographie,  das  Klima,  die  Pflanzen-  und 
Tierwelt,  die  ethnographischen,  die  wirtschaftlichen  und  Verkehrsverhältnisse, 
endlich  die  politische  Einteilung  und  die  Siedelungen  den  Schülern  jedes  für 
sich  nach  einander  vorführen,  so  berauben  wir  uns  der  Möglichkeit,  denselben 
wirklich  einheitliche  Landschaftsbilder  zu  bieten.  Wir  zerfasern  die  Land- 
schaften, die  uns  in  Wirklichkeit  doch  jede  als  ein  organisches  Ganzes  ent- 
gegentreten, künstlich  in  ihre  einzelnen  Bestandteile.  Das  ist  für  wissen- 
schaftliche Einzeluntersuchungen  vielfach  vorteilhaft,  ja  sogar  notwendig,  für 
den  Schulunterricht  dagegen  ist  es  nicht  richtig  und  zweckdienlich.  Ein 
nach  dieser  Zerfaserungsmethode  unterrichteter  Schüler  wird  niemals  wirk- 
lich geographische  Vorstellungen  gewinnen.  Er  wird  gewiß  eine  Reihe  an 
sich  und  namentlich  auch  für  die  praktischen  Bedürfnisse  des  Lebens  wert- 
voller Einzelkenntnisse  über  Gebirgsbau,  Flußsysteme,  politische  Grenzen,  Lage 
von  Städten  u.  dergl.  sich  aneignen;  aber  einheitliche  Landschaftsbilder 
werden  vor  seinen  Augen  nicht  erstehen.  Den  organischen  Zusammenhang 
der  Einzelerscheinungen,  die  so  mannigfachen  Wechselbeziehungen  zwischen 
ihnen,  die  Abhängigkeit  des  einen  von  dem  anderen  wird  er  nicht  oder 
jedenfalls  nur  sehr  unvoUkonunen  erfassen.  Wenn  man  nun  bedenkt,  daß 
die  Darstellung  der  Beziehungen  zwischen  Erde  und  Mensch,  wie  doch  wohl 
gegenwärtig  allgemein  anerkannt  wird,  eine  der  allerwichtigsten  Aufgaben 
des  geographischen  Unterrichts  bildet,  ja  daß  die  richtige  Liangriffhahme  dieser 
Aufgabe  eigentlich  allein  der  Erdkunde  eine  wirklich  bedeutimgsvolle  Stellung 
innerhalb  der  übrigen  Unterrichtsfächer  sichert,  so  wird  man  zugeben  müssen, 
daß  eine  Lehrmethode,  welche  die  Lösung  dieser  Aufgabe  in  äußerstem  Grade 
erschwert  und  nahezu  auf  eine  solche  verzichtet,  als  veraltet  und  rückständig 
bezeichnet  werden  muß.  Man  wende  dagegen  nicht  ein,  daß  doch  auch  bei 
einer  getrennten  Behandlung  der  physischen  und  politischen  Länderkunde  an 
vielen  Stellen  Gelegenheit  sei,  auf  jene  Wechselbeziehungen  hinzuweisen! 
Gewiß  wird  der  Lehrer  bei  der  Besprechung  des  Klimas  bereits  des  Einflusses 
gedenken  können,  den  es  auf  die  Verbreitung  der  Organismen  und  die 
Kulturföhigkeit  der  einzelnen  Gegenden  hat,  er  wird  bei  der  Siedelungskunde 
an  vorher  in  der  physischen  Länderkimde  Gelerntes  erinnern,  die  Bedeutung 
einzelner  StÄdte  durch  ihre  Lage  zu  wichtigen  natürlichen  Verkehrstraßen 
würdigen  können  und  so  fort.  Ich  glaube,  daß  eine  derartige  Behandlungs- 
weise  der  Länderkunde  zur  Zeit  am  meisten  üblich  ist.  Aber  was  be- 
deutet sie  denn  anderes,  als  daß  unsere  jetzigen  Geographielehrer,  in  der 
richtigen  Erkenntnis,  daß  die  Darlegung  jener  Wechselbeziehungen  das  eigent- 
lich belebende  Moment  für  den  erdkundlichen  Unterricht  bildet,  die  Starrheit 
des  alten  Schemas  durchbrochen  und  sich  mehr  oder  weniger  der  neueren 
Methode  genähert  haben?    Warum  dann  aber  auf  halbem  Wege  stehen  bleiben? 


106  Latfgenbeck: 

Erreichen  läßt  sich  das  als  richtig  erkannte  Ziel  durch  solche  mehr  gelegent- 
liche Hinweise  doch  nur  sehr  unvollkonunen,  denn  zu  einheitlichen  Landschafts- 
bildem  wird  man  durch  sie  nie  gelangen.  Ich  habe  auch  in  Breslau  den 
Eindruck  gewonnen,  daß  die  Mehrzahl  imserer  Geographielehrer  in  der  Tat 
die  Kirchhoffsche  Methode  im  Grunde  genommen  für  die  richtige  hält,  und 
daß  deren  allgemeiner  Durchführung  zur  Zeit  nur  noch  gewisse  Vorurteile, 
auf  die  wir  weiter  unten  noch  einzugehen  haben,  und  das  dem  Alther- 
gebrachten nun  einmal  stets  anhaftende  Beharrungsvermögen  entgegenstehen. 
Als  einziger  wirklich  prinzipieller  Gegner  trat  auch  in  Breslau  nur  Oehl- 
mann  auf. 

Oehlmann  verglich  die  Behandlung  eines  Landes  mit  der  eines 
lebenden  Organismus,  etwa  des  menschlichen  Körpers.  Bei  dieser  werde  der 
Lehrer  das  Knochengerüst,  das  Muskel-  und  Nervensystem,  die  Emährungs- 
und  Sinnesorgane  nach  einander  und  nicht  in  Verbindung  miteinander  behan- 
deln. Ebenso  müsse  es  im  erdkundlichen  Unterricht  geschehen.  Nur  durch 
eine  getrennte  Behandlung  der  einzelnen  Elemente,  aus  welchen  sich  das  Bild 
eines  Landes  zusammensetze,  könnten  dieselben  den  Schülern  zur  vollsten 
Klarheit  gebracht  werden. 

Ich  kann  den  angeführten  Vergleich  als  beweiskräftig  für  die  Oehlmann- 
schen  Anschauungen  nicht  anerkennen.  Gewiß  wird  der  Lehrer  bei  Behand- 
lung des  menschlichen  Körpers  die  einzelnen  Elemente,  aus  denen  er  sich 
aufbaut,  zunächst  getrennt  behandeln,  das  würde  den  allgemeinen  Übersichten 
über  größere  Ländergebiete  im  erdkundlichen  Unterricht  entsprechen.  Soll 
aber  der  Schüler  den  menschlichen  Körper  als  einen  lebendigen  Organismus, 
dessen  Teile  in  wundervoller  Weise  ineinander  greifen,  erkennen  lernen,  so 
müssen  bei  der  Einzelbeschreibung  die  einzelnen  Elemente  vielfach  in  inniger 
Verbindung  mit  einander  besprochen  werden.  Die  Muskeln  der  Gliedmaßen 
können  in  ihrer  Wirkung  doch  nur  verstanden  werden,  wenn  man  sie  mit 
den  Knochen,  welche  sie  bewegen  und  an  denen  sie  befestigt  sind,  in  Zu- 
sammenhang bringt.  Ebenso  werden  die  Herzmuskeln,  die  Augenmuskeln  erst 
bei  der  Behandlung  des  Herzens  und  Auges,  die  einzelnen  Teile  des  sym- 
pathischen Nervensystems  erst  bei  den  Organen,  deren  Tätigkeit  sie  regeln, 
besprochen  werden  können.  Daß  sich  eine  solche  Behandlungsweise  beim 
menschlichen  Körper  nicht  überall  durchfuhren  läßt,  wie  in  der  Länderkunde, 
liegt  in  der  ganz  anders  gearteten  Natur  des  Unterrichtsgegenstandes.  Der 
Vergleich  hinkt  eben  auch,  wie  jeder  Vergleich. 

Daß  man  aber  im  länderkundlichen  Unterricht  auch  bei  Anwendung  der 
Kirchhoffschen  Methode  die  einzelnen  Elemente  in  ihrem  Zusammenhang  unter 
sich  genügend  hervortreten  lassen  kann,  glaube  ich  schon  in  meinem  Kor- 
referat über  diesen  Gegenstand  auf  dem  Breslauer  Geographentage  gezeigt  zu 
haben.  Man  muß  nur  nicht  von  einem  Extrem  ins  andere  verfallen  wollen, 
sondern  stufenweise  fortschreiten.  Für  die  unteren  Klassen,  wo  den  Schülern 
noch  vielfach  das  Verständnis  für  das  Erfassen  des  ursächlichen  Zusammen- 
hanges der  Dinge  und  das  Interesse  für  das  Aufsuchen  wechselseitiger  Be- 
ziehungen fehlt,  möchte  ich  auch  weiterhin  einer  im  wesentlichen  getrennten 
Behandlung    der    physischen    und  politischen  Länderkunde   das   Wort   reden. 


Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unterrichts.  ]07 

Man  wird  sich  auf  dieser  Stufe  darauf  beschränken  können,  einige  besonders 
wichtige  und  leicht  verständliche  Beziehungen,  diese  aber  um  so  schärfer, 
hervorzuheben.  Der  Bildung  wirklich  geographischer  Vorstellungen  wird 
man  aber  dadurch  bereits  vorarbeiten  können,  daß  man  auch  hier  schon 
die  politischen  Gebilde  möglichst  zu  natürlichen  Gruppen  vereinigt  und  nicht 
aus  ihrem  natürlichen  Zusanmienhange  herausreißt.  Bei  seinem  Eintritt  in 
die  mittleren  Klassen,  wo  die  innige  Verknüpfung  der  physischen  mit  der  po- 
litischen Länderkunde  zu  beginnen  hat,  wird  dann  der  Schüler  im  allgemeinen 
genügend  klare  Vorstellungen  über  den  Verlauf  der  Einzelerscheinungen  mit- 
bringen. Daß  ihm  diese  nicht  verloren  gehen,  dafür  haben  die  durchaus 
notwendigen  Übersichten   über   die   größeren   natürlichen    Gebiete   zu  sorgen. 

Die  übrigen  Herren,  die  sich  in  Breslau  gegen  die  Kirchhoffsche  Methode 
aussprachen,  waren  keineswegs  prinzipielle  Gegner  derselben,  einer  erkannte 
sie  sogar  ausdrücklich  als  die  ideale  Methode  an,  sie  sprachen  nur  die  Be- 
fürchtung aus,  daß  sie  zu  schwer  wäre,  und  daß  es  zu  ihrer  Durchführung, 
namentlich  an  Gymnasien,  bei  der  so  geringen  Zahl  der  geographischen  Unter- 
richtstunden, an  der  nötigen  Zeit  fehle.  Daß  es  für  den  Lehrer  leichi^r 
und  bequemer  ist,  nach  dem  alten  Schema  zu  unterrichten,  daß  er  die 
neuere  Methode  mit  Erfolg  nur  dann  in  Anwendung  bringen  kann,  wenn 
er  den  Stoff  wirklich  gründlich  beherrscht,  das  kann  ja  ohne  weiteres  zuge- 
geben werden.  Aber  das  kann  doch  unmöglich  ein  Grund  sein,  auf  diese 
Methode  selbst  zu  verzichten,  imasoweniger,  als  doch  gegenwärtig  die  begrün- 
dete Hoffnung  besteht,  daß  der  geographische  Unterricht  allmählich  immer 
mehr  in  die  Hände  von  wirklichen  Fachlehrern  kommen  wird.  Daß  für  die 
Auffassungsgabe  der  Schüler  die  Kirchhoffsche  Methode  zu  hoch  sei,  kann 
ich  femer  nicht  zugeben.  Nach  den  Erfahrungen,  die  ich  in  einer  Reihe  von 
Jahren,  in  denen  ich  nach  dieser  Methode  unterrichtet,  gemacht  habe,  bringt 
die  überwiegende  Mehrheit  der  Schüler  schon  auf  den  mittleren  Klassen  der 
Darlegung  des  inneren  Zusammenhanges  der  geographischen  Erscheinungen 
volles  Verständnis  und  rege  Teilnahme  entgegen.  Mehr  vertiefen  müssen 
sie  sich  freilich  in  den  Gegenstand  als  früher.  Aber  ich  meine,  das  könnte 
man  nur  als  einen  großen  Vorzug  der  neuen  Methode  mit  Freuden  begrüßen. 
Denn  mit  der  größeren  Vertiefung  wächst  auch  das  Interesse  an  dem  Gegen- 
stand. Ich  bin  überzeugt,  daß  viele  von  denen,  welchen  in  der  Schule  im 
erdkundlichen  Unterricht  mehr  als  bloße  nackte  Tatsachen  geboten  wird, 
die  zu  einem  wirklichen  Verständnis  der  geographischen  Erscheinungen  ange- 
leitet sind,  auch  später  gern  einmal  zum  Atlas  und  Lehrbuch  greifen  werden, 
um  ihre  geographischen  Kenntnisse  aufzufiischen,  und  daß  sie  geographischen 
Fragen  auch  weiterhin  Interesse  und  Verständnis  entgegenbringen  werden. 
Das  ist  aber  das  beste,  was  wir  auf  der  Schule  erreichen  können,  daß  wir 
hier  Samen  ausstreuen,  die  sich  später  weiter  entwickeln  und  Früchte  tragen. 

Der  zweite  Einwand,  daß  es  zur  Durchführung  der  Kirchhoffschen  Me- 
thode, wenigstens  an  Gynmasien,  an  der  nötigen  Zeit  fehle,  kann  leider  gegen- 
wärtig noch  nicht  als  ganz  unberechtigt  angesehen  werden.  Denn  mehr  Zeit 
kostet  sie  allerdings,  als  die  alte  schematische  Behandlungsweise.  Solange 
wir  auf  den  Gymnasien  nur  eine  so  geringe  Stimdenzahl  für  den  geographi- 


108  Langenbeck: 

sehen  Unterricht  zur  Verfügung  haben,  werden  wir,  wenn  auch  mehr  der  Not 
und  nicht  dem  eigenen  Triebe  gehorchend,  eine  ganze  Beihe  von  Gebieten 
sehr  kursorisch  und  mehr  schematisch  behandeln  mtlssen  und  nur  die  ftlr 
uns  wichtigsten  Länder  eingehend  und  mit  strenger  Anwendung  der  Kirch- 
hoffschen  Methode  durchnehmen  dürfen.  Soweit  stimme  ich  den  Vorschlägen 
von  Moritz  durchaus  bei,  nur  möchte  ich  die  letztere  Behandlungs weise  nicht, 
wie  er  will,  auf  Mitteleuropa  beschränkt  wissen.  Auch  eine  Anzahl  anderer 
Länder  muß  den  Schülern  zu  wirklichem  Verständnis  gebracht  werden,  in 
Europa  mindestens  Großbritannien,  Frankreich  und  Italien,  außerhalb  Europas 
jedenfalls  die  Vereinigten  Staaten  und  die  deutschen  Kolonien.  Dazu  reicht 
auch  jetzt  schon  bei  weiser  Beschränkung  des  übrigen  Stoffes  die  Zeit  aus. 
Es  ist  vorhin  die  Bede  gewesen  von  den  allgemeinen  Übersichten  größerer 
Länderräume,  die  nach  meiner  in  Breslau  geäußerten  Ansicht  der  eingehenden 
Besprechung  der  einzelnen  Landschaften  vorausgehen  sollen.  Dagegen  erhob 
sich  einiger  Widerspruch.  Namentlich  trat  J.  Mayer  aus  Freistadt  für  eine  um- 
gekehrte Beihenfolge  ein.  Er  will  mit  den  Einzellandschaften  beginnen  und 
mit^  einer  allgemeinen  Übersicht  den  Unterricht  über  ein  bestimmtes  Gebiet 
abschließen.  Diese  Methode,  die  Mayer  als  „heuristische"  bezeichnete  —  ich 
möchte  sie  lieber  „synthetische"  nennen  — ,  ist  auch  sonst  schon  wiederholt 
empfohlen  worden.  Am  konsequentesten  hat  sie  wohl  Matzat  in  seiner  „Me- 
thodik der  Erdkunde"  durchgeführt.  Er  geht  von  ganz  kleinen  natürlichen 
Länderabschnitten  aus,  um  dann  allmählich  zur  Behandlung  immer  größerer 
geographischer  Einheiten  fortzuschreiten.  Ich  kann  diesen  Weg,  trotzdem  er 
von  einer  so  anerkannten  Autorität  auf  schulgeographischem  Gebiete  befür- 
wortet wird,  nicht  für  richtig  halten.  Mir  scheint,  daß  wesentlich  eine 
nicht  ganz  richtige  Analogie  aus  dem  naturwissenschaftlichen  Unterricht  dazu 
verleitet  hat,  ihn  einzuschlagen.  Der  Lehrer  der  beschreibenden  Naturwissen- 
schaften wird  jetzt  wohl  nirgends  mehr,  wie  es  früher  üblich  war,  streng 
systematisch  verfahren.  Er  wird  vielmehr  von  der  einzelnen  Pflanze,  dem 
einzelnen  Tier  ausgehen,  um  dann  durch  Vergleichung  verwandter  Arten  fort- 
schreitend zum  Begriff  der  Gattung,  Familie,  Ordnung,  Klasse  zu  gelangen. 
Ganz  ähnlich  sollen  auch  bei  der  „heuristischen"  Methode  in  der  Länder- 
kunde durch  eine  successive  Behandlung  kleinerer  Gebiete  und  ihre  Ver- 
gleichung die  Schüler  zum  Verständnis  der  höheren  geographischen  Ein- 
heiten geführt  werden.  Diese  Analogie  ist  aber  eben  nicht  zutreffend,  weil 
ein  größeres  Ländergebiet  zu  den  einzelnen  Landschaften,  aus  denen  es  sich 
zusanunensetzt,  in  einem  wesentlich  anderen  Verhältnis  steht,  wie  etwa  eine 
Pflanzengattung  zu  den  Arten,  welche  sie  umfaßt.  Die  Gattungen,  Fami- 
lien u.  s.  w.  sind  etwas  künstlich  von  den  Menschen  Geschaffenes;  wir  fassen 
unter  ihnen  eine  Reihe  von  Arten  zusammen,  die  in  einer  Anzahl  von  Merk- 
malen übereinstimmen,  imd  deshalb  eben  sind  wir  im  Stande,  durch  Ver- 
gleichung verwandter  Arten  zu  jenen  Begriffen  zu  gelangen.  Die  einzelne 
Pflanzen-  oder  Tierform  aber  bleibt  in  ihrer  Eigenart  verständlich,  auch  ohne 
daß  wir  wissen,  welcher  Gattung  oder  Familie  sie  zuzurechnen  ist.  Die 
Einzellandschaften  eines  großen  Ländergebietes  können  dagegen  unter  sich 
außerordentlich   verschieden  sein  und  kaum  irgend  welche  gemeinsamen  Züge 


Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unterrichts.  109 

aufweisen,  aber  daß  sie  miteinander  verbunden  sind,  ist  etwas  sehr  Wesent- 
liches, viele  Landschaftszüge  Bestimmendes;  wir  können  sie  daher  nur 
im  Zusammenhang  mit  dem  größeren  Ganzen  völlig  verstehen.  Wollen  wir 
überhaupt  eine  Analogie  aus  den  beschreibenden  Naturwissenschaften  heran- 
ziehen, so  können  wir  ein  größeres  Ländergebiet  nur  mit  einem  einzelnen 
Organismus,  die  Einzellandschaften  mit  dessen  Gliedern  und  Organen  ver- 
gleichen. Keinem  Lehrer  aber  wird  es  einfallen,  bei  der  Beschreibimg  eines 
Tieres  mit  Einzelheiten  zu  beginnen.  Er  wird  zunächst  die  Hauptzüge  seines 
Baues  schildern,  um  dann  auf  die  einzelnen  Teile  einzugehen. 

Lassen  wir  aber  einmal  diese  Vergleiche,  die  für  die  Beurteilung  einer 
oder  der  anderen  Behandlungsmethode  eines  Gegenstandes  nie  entscheidend 
sein  können,  ganz  beiseite.  Der  Unterricht  in  der  Erdkunde  soll  sich  doch 
in  erster  Linie  auf  die  Karte  stützen,  von  der  Betrachtung  der  Karte  aus- 
gehen. Was  aber  tritt  dem  Schüler  bei  Betrachtung  des  Kartenbildes  zuerst 
entgegen?  Doch  nicht  die  Einzelheiten,  sondern  die  großen  allgemeinen 
Züge  des  Gebietes,  das  die  Karte  darstellt,  etwa  eines  Erdteils,  seine  Um- 
risse, die  horizontale  Gliederung,  die  Verteilung  von  Hoch-  und  Tiefland, 
der  Verlauf  der  großen  Gebirgssysteme,  die  allgemeine  Gestaltung  der  hydro- 
graphischen Verhältnisse.  Da  wäre  es  doch  pädagogisch  falsch,  die  Blicke 
der  Schüler  abzulenken  von  dem,  was  sich  ihnen  unmittelbar  durch  die  An- 
schauung darbietet,  imd  sie  zunächst  auf  die  Einzelheiten  hinzuführen.  Dazu 
kommt,  daß  wir  zu  dem  Begriff  der  kleineren  geographischen  Einheiten  doch 
naturgemäß  nur  gelangen,  indem  wir  ein  größeres  Gebiet  nach  den  in  ihm 
auftretenden  Unterschieden  in  Bezug  auf  Bodenbau,  Bewässerung,  Klima,  Be- 
völkerungsverhältnisse und  politische  Zugehörigkeit  in  einzelne  Abschnitte 
zerlegen,  und  daß  die  Einzellandschaften  in  den  meisten  Fällen  in  ihrer 
Eigenart  doch  nur  als  Bestandteile  eines  größeren  Ganzen  ganz  erfaßt 
werden  können.  Aus  all'  diesen  Gründen  scheint  es  mir  methodisch  das 
allein  Richtige  zu  sein,  die  allgemeinen  Übersichten  der  Behandlung  der 
Einzellandschaften  vorauszuschicken.  Daß  es  natürlich  von  Vorteil  ist,  wenn 
man  zum  Schluß  noch  einmal  zu  dem  Gesamtbilde  zurückkehren  kann,  ver- 
steht sich  von  selbst.  Aber  dazu  wird  es  gegenwärtig  wohl  meist  an  der 
nötigen  Zeit  fehlen.  Wir  werden  uns  augenblicklich  wohl  nach  Durchnahme 
eines  größeren  Gebietes  auf  eine  kurze  Bepetition  etwa  in  Form  eines  Ex- 
temporale beschränken  müssen. 

Für  die  Begrenzung  der  einzelnen  geographischen  Einheiten  können  je 
nach  den  Verhältnissen  sehr  verschiedene  Gesichtspunkte  maßgebend  sein. 
Hier  schematisieren  zu  wollen,  wäre  sehr  unangebracht.  Man  wird  sich  stets  zu 
fragen  haben,  welches  der  geographischen  Momente  als  das  beherrschende,  die 
Züge  des  Landes  in  erster  Linie  bestimmende  auftritt.  Die  Sahara  ist  eine 
geographische  Einheit  durch  die  Einheitlichkeit  des  Klimas,  das  die  Bewässe- 
rung, die  Pflanzen-  imd  Tierwelt,  die  wirtschaftlichen  und  selbst  politischen 
Verhältnisse  fast  ausschließlich  bestimmt,  sodaß  selbst  die  Unterschiede  in 
den  orographischen  Zügen  dagegen  ganz  zurücktreten.  Zentral-Asien  dagegen 
ist  eine  orographische  Einheit,  denn  der  Verlauf  der  großen  Gebirgszüge  be- 
dingt hier  die  hydrographischen  Eigentümlichkeiten  wie  das  Klima  und  wirkt 


110  Langenbeck: 

dadurch  bestimmend  auch  auf  das  organische  wie  auf  das  Völkerleben  und 
die  staatlichen  Bildungen  ein.  Dem  eigentlichen  China  hat  das  chinesische 
Volk  durch  seine  Eigenart,  seine  politische  und  wirtschaftliche  Organisation 
einen  so  typischen  Charakter  eingeprägt,  daß  wir  es  trotz  der  großen  Ver- 
schiedenheiten in  der  Bodengestaltung  und  dem  Klima,  die  innerhalb  seiner 
Grenzen  auftreten,  als  eine  geographische  Einheit  betrachten  müssen.  Mittel- 
europa wird  als  eine  solche  bestimmt  durch  seine  geographische  Lage  und 
dadurch,  daß  es  ein  wesentlich  germanisches  Land  ist.  Selbst  politische 
Grenzen  können  als  naturgemäße  Grenzlinien  sogar  für  geographische  Einheiten 
ziemlich  hoher  Ordnung  auftreten.  Niemand  wird  es  einfallen,  das  nord- 
deutsche Tiefland  von  den  deutschen  Mittelgebirgen  zu  trennen  und  es  im 
Zusammenhang  mit  dem  osteuropäischen  Tiefland,  von  dem  es  doch  weder 
orographisch  noch  klimatisch  durch  eine  scharfe  Grenzlinie  getrennt  ist,  zu 
behandeln.  Denn  die  russisch -deutsche  Grenze  gibt  den  Landschaften  zu 
ihren  beiden  Seiten  durch  die  Verschiedenheit  der  ethnographischen,  politischen 
und  wirtschaftlichen  Verhältnisse  ein  so  anderes  Gepräge,  daß  wir  wohl  das 
Recht  haben,  sie  auch  im  geographischen  Unterricht  als  eine  naturgemäße 
Grenzlinie  höherer  Ordnung  anzusehen. 

Zum  Schluß  ist  noch  der  allgemeinen  Erdkunde  mit  einigen  Worten  zu 
gedenken.  Es  hat  nicht  an  Stinmien  gefehlt,  welche  diese  aus  dem  geo- 
graphischen Unterricht  auf  unseren  höheren  Schulen  ganz  ausgeschieden  wissen 
wollen.  Am  schärfsten  hat  sich  in  dem  Sinne  wohl  Böttcher  ausgesprochen, 
der  auf  der  11.  Direktoren -Konferenz  der  Provinzen  Ost-  und  Westpreußen 
die  These  aufstellte:  „Die  Ergebnisse  der  allgemeinen  Erdkunde  sind  gelegent- 
lich im  Anschluß  an  die  Besprechung  geographischer  Objekte  zu  erwähnen. 
Zusammenhängende  Vorträge  über  Kapitel  aus  der  allgemeinen  Erdkunde  ge- 
hören in  den  naturwissenschaftlichen  Fachunterricht."^)  Ich  kann  dieser 
These  durchaus  nicht  beipflichten.  Wenn  die  allgemeine  Erdkunde  auch 
aus  Gründen,  die  ich  bereits  oben  dargelegt  habe,  gegen  die  Länderkunde 
durchaus  zurücktreten  muß  und  mit  Erfolg  nur  auf  den  oberen  Klassen  be- 
trieben werden  kann,  so  sollte  sie  doch  hier  unbedingt  eine  Stätte  finden. 
Denn  sie  vermittelt  den  Schülern  nicht  nur  eine  Reihe  sehr  wertvoller  und 
für  eine  allgemeine  Bildung  notwendiger  Kenntnisse,  sie  gibt  ihnen  auch 
große  allgemeine  Gesichtspunkte  für  das  Verständnis  des  Naturlebens  und 
lehrt  sie  die  Gesamtentwicklung  der  Erde  und  ihrer  Bewohner  kennen.  Der 
naturwissenschaftliche   Unterricht  aber  ist  nicht  im  stände,   sie   zu   ersetzen. 

Am  ersten  befindet  sich  wohl  noch  der  botanisch-zoologische  Unterricht 
in  der  Lage,  die  Schüler  mit  den  Hauptzweigen  der  Pflanzen-  und  Tier- 
geographie, allenfalls  auch  der  Anthropologie  und  Ethnographie  bekannt  zu 
machen.  Die  meisten  Lehrpläne  sehen  ja  auch  für  den  letzten  botanisch- 
zoologischen Kurs  derartiges  vor.  Indessen  schließt  der  Unterricht  in  den 
beschreibenden  Naturwissenschaften  auf  unseren  höheren  Schulen  bereits  auf 
Unter-  oder  Ober -Tertia  ab.  Auf  diesen  Klassen  wird  man  aber  kaum 
mehr  bieten  können,  als  einiges  TatsächKche  über  die  Verbreitung  der  wich- 


1)  a.  a.  0.  S.  315. 


Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unterrichts.  Hl 

tigsten  Pflanzen-  und  Tierformen ;  für  das  Verständnis  der  allgemeinen  Gesetze, 
die  sich  anch  in  ihr  ausprägen,  sind  die  Schüler  auf  dieser  Stufe  noch 
kaum  reif.  Der  Unterricht  in  der  Anthropologie,  der  sich  an  die  Behandlung 
des  Baues  des  menschlichen  Körpers  anzuschließen  hätte,  wird  sich  wohl  auch 
meist  darauf  beschränken,  die  köperlichen  Unterschiede  der  Hauptmenschen- 
rassen darzulegen;  auf  die  Verbreitung  dieser  Rassen  über  die  Erde,  die  ver- 
schiedenen Kulturstufen,  in  denen  sie  uns  entgegentreten,  und  ähnliches  ein- 
zugehen, liegt  dem  naturwissenschaftlichen  Lehrer,  wenn  er  nicht  gleichzeitig 
Geograph  ist,  fem,  ganz  abgesehen  davon,  daß  es  dazu  wohl  auch  in  den 
meisten  Fällen  an  der  nötigen  Zeit  fehlen  würde. 

Im  physikalischen  Unterricht  werden  die  Meteorologie  und  Klimato- 
logie  sowie  die  Lehre  von  den  Gezeiten  wohl  meist  behandelt  werden,  doch 
werden  auch  hier  die  geographischen  Gesichtspunkte  gegenüber  den  rein 
physikalischen  in  der  Regel  stark  zurücktreten.  Die  Verteilung  der  Tem- 
peraturen in  den  Meeren  und  Seen  und  die  Meeresströmungen  pflegen  im 
physikalischen  Unterricht  überhaupt  nicht  besprochen  zu  werden.  Von  der 
allgemeinen  Morphologie  der  Erdoberfläche  und  von  Geologie,  den  ihrem  all- 
gemeinen Bildungswerte  nach  entschieden  wichtigsten  Teilen  der  allgemeinen 
Erdkunde,  werden  die  Schüler,  wenigstens  auf  den  Gymnasien,  im  naturwissen- 
schaftliehen Unterricht  nie  etwas  erfahren.  Die  Chemie  kann  doch  höchstens 
das  ^chtigte  aus  der  Gesteinslehre  bringen.  Auf  Vulkanismus,  Erdbeben, 
Gebirgsbildung,  auf  die  ganze  Entwicklungsgeschichte  der  Erde  imd  damit 
auch  auf  die  der  Organismen  einzugehen,  bietet  der  naturwissenschaftliche 
Unterricht  nirgends  Gelegenheit. 

Es  ist  mit  Freuden  zu  begrüßen,  daß  nach  dem  neuen  preußischen 
regulativ  wenigstens  für  die  Oberrealschulen  eine  hinreichende  Stundenzahl 
der  allgemeinen  Erdkunde  zugewiesen  ist.  Für  die  Gymnasien  bleibt  dagegen 
eine  gründliche  Behandlung  derselben  vorläufig  ein  frommer  Wunsch.  Denn 
wenn  auch  von  den  fär  die  oberen  Klassen  der  Gynmasien  vorgesehenen 
12  jährlichen  Repetitionsstunden  einige  dazu  verwandt  werden  sollen,  imi  das 
wichtigste  ans  der  allgemeinen  Erdkunde  mitzuteilen,  so  kann  in  diesen  we- 
nigen Stunden  doch  nur  dürftiges  Stückwerk  geboten  werden.  Anch  sind 
diese  Repetitionsstunden  in  die  Hände  des  Historikers  gelegt,  von  dem  man 
eine  Vertrautheit  namentlich  mit  den  geologischen  Verhältnissen  kaum  voraus- 
setzen kann. 

Daß  an  den  Oberrealschulen  ein  besonderer  Kursus  für  Verkehrsgeo- 
graphie eingeführt  ist,  halte  ich  ebenfalls  für  sehr  wertvoll.  Zwar  vermittelt 
dieser  wesentlich  nur  praktische  Kenntnisse,  aber  doch  solche,  die  gerade  in 
der  gegenwärtigen  Zeit  nicht  nur  für  den  Kaufmann  und  Industriellen,  son- 
dern für  jeden  Gebildeten  von  außerordentlich  hohem  Wert  sind.  Wenn  sich 
femer  der  Lehrer  nicht  darauf  beschränkt,  die  gegenwärtigen  Verkehrswege 
zu  besprechen,  sondern  —  wie  es  ja  auch  die  preußischen  Lehrpläne  vor- 
schreiben —  auch  die  historische  Entwicklung  der  Verkehrs  Verhältnisse  in 
den  Kreis  seiner  Betrachtungen  zieht  und  dadurch  den  Schülern  Einblicke 
in  die  wirtschaftliche  Entwicklung  der  Völker  bietet,  so  unterstützt  er  damit 
auch  sehr  wesentlich  den  geschichtlichen  Unterricht,  der  auf  die  Wirtschafts- 


112  Langenbeck:  Ziel  und  Methode  des  geographischen  Unterrichts. 

Verhältnisse  näher  einzugehen  verhältnismäßig  selten  in  der  Lage  ist.  Dieser 
Kursus  in  Verkehrsgeographie  sollte  aber  auch  den  Gymnasien  auf  die  Dauer 
nicht  vorenthalten  bleiben.  Die  Kenntnisse,  die  er  vermittelt,  die  neuen  Ge- 
sichtspunkte, die  er  den  Schülern  gibt,  sind  für  den  Gymnasiasten  sicher 
ebenso  wertvoll  wie  für  den  Realschüler.  Das  ist  aber  nur  denkbar,  wenn 
auch  an  den  Gymnasien  in  den  oberen  Klassen  selbständiger  geographischer 
Untemcht  eingeführt  wird.  Ohne  eine  Fortführung  des  geographischen 
Unterrichts  bis  auf  die  oberste  Stufe  ist  überhaupt  eine  gedeihliche  Weiter- 
entwicklung desselben  an  den  Gjrmnasien  nicht  möglich.  An  dieser  Forde- 
rung müssen  wir  Geographen  daher  auch  fernerhin  unbedingt  festhalten;  und 
ich  habe  die  Überzeugung,  daß  sich  die  deutschen  Unterrichtsverwaltungen 
ihrer  Erfüllung  auf  die  Dauer  nicht  werden  entziehen  können. 


Geographische  Neuigkeiten. 


Europa* 

♦  Derletzte  Durchstich  am  Sulina- 
Kanal  wurde  am  19.  Oktober  1902  er- 
öffnet. Der  neue  Sulina- Kanal  umgeht 
nunmehr  27  Windungen,  wodurch  der 
ursprünglich  226  km  lange  Wasserweg 
auf  142  km  reduziert  und  die  Schiffbar- 
keit der  Donaumündung  wesentlich  ver- 
bessert wird.  Nicht  nur  die  vielen  Krüm- 
mungen des  Stromes,  sondern  namentlich 
auch  die  große  Breite  fährten  früher  zu 
erheblichen  Mißständen  für  die  Schiffahrt; 
denn  aus  letzterem  Grunde  und  bei  dem 
kaum  meßbaren  Gefalle  war  bei  kleinem 
Wasser  der  Wasserstand  stellenweise  so 
niedrig,  daß  der  Schiffsverkehr  nahezu 
aufgehoben  wurde.  Im  Winter  war  dann 
die  Behinderung  durch  die  Eisverhält- 
nisse ebenfalls  außerordentlich.  Die  plan- 
mäßige Regulierung  durch  die  europäische 
Donaukommission  hat  nun  das  Ergebnis, 
daß  gegenwärtig  der  Sulina -Arm  auch 
far  Hochseefahrzeuge  bis  zu  16  Fuß  Tief- 
gang fahrbar  ist.  So  ist  es  möglich  ge- 
worden, Seefrachten  auf  dem  Flußwege 
bis  nach  Galatz,  bis  in  das  Herz  Rumä- 
niens zu  verschiffen.  Ebenso  wird  auch 
der  Exporthandel  von  diesen  Verbesse- 
rungen Vorteil  haben  und  die  Verbesse- 
rung der  Schiffahrtsverhältnisse  an  der 
unteren  Donau  wird  für  den  Verkehr  des 
ganzen  südöstlichen  Europas  von  Bedeu- 
tung werden.  (Zeitschr.  f.  Gewk.  1902. 
S.  185.) 


Asien« 

*  Der  Stand  der  sibirischen 
Binnenschi f  f a h r t  kennzeichnet  einiger- 
maßen den  Fortschritt  russischer  Kultur- 
arbeit im  nördlichen  Asien.  Nach  den 
I  Ausweisen  des  Kommunikations-Ministe- 
1  riums  waren  Ende  1900  auf  dem  Ob, 
Amudarja,  Jenissei,  der  Lena  imd  dem 
Amur  1372  Schiffe  mit  486 180  Tonnen 
Tragfähigkeit  und  15  700  Mann  Besatzung, 
darunter  839  Dampfer  mit  21 895  HP 
und  6554  Manu  Besatzung  vorhanden. 
Auf  dem  Ob  laufen  132  Dampfer  mit 
8100  HP  tmd  1843  Mann,  meist  eiserne 
Raddampfer;  die  anderen  Frachtschiffe 
des  Ob  sind  der  Mehrzahl  nach  aus  Holz 
gebaut  und  haben  von  890  bis  370  Ton- 
nen Ladefähigkeit.  A^f  dem  Amur  gibt 
es  163  Dampfer  mit  10  930  HP  und  2700 
Mann  Besatzung;  von  den  Dampfern  sind 
106  aus  Eisen  und  57  aus  Holz  gebaut. 
Außerdem  fahren  auf  dem  Flusse  noch 
196  Fahrzeuge  mit  einer  Tragföhigkeit 
von  65  600  t  und  1050  Mann.  Der  Je- 
nissei hat  25  Dampfer  von  zusammen 
1841  HP  und  1597  t  mit  638  Mann  Be- 
satzung. Sie  dienen  vorwiegend  als 
Schlepper  für  die  191  eigentlichen  Fracht- 
fahrzeuge, deren  Tragfähigkeit  26  850  t 
und  deren  Besatzung  2178  Köpfe  beträgt. 
Die  Lena  weist  15  eiserne  Dampfer 
(632  HP,  351  Mann)  und  103  Fracht- 
schiffe von  250  t  im  Mittel  auf.  Auf  dem 
Amudarja  fahren  4  dem  Kriegsministe- 


Geographische  Neuigkeiten. 


113 


rium  gehörige  kleine  Dampfer.  Für  den  i 
Naphthatransport  dienen  Eajoken  von 
74  t  und  außerdem  fahren  noch  Barschen 
von  110  t.  (Zeitschr.  f.  Gewk.  1902.  S.  183.) 
*  Ein  Erdbeben  von  besonderer 
Heftigkeit  zerstörte  am  3.  Dez.  1902  die 
Kreisstadt  Andischan  in  Ferghana 
von  Grund  aus,  wobei  schätzungsweise 
7000  Menschen  ums  Leben  kamen.  Am 
2.  Dezember  zeigte  das  Barometer  den 
auBerordentlich  tiefen  Stand  von  690  bis 
700  mm,  der  Sturm  erwarten  ließ;  am 
Abend  dieses  Tages  wurde  ein  leichtes 
Beben  der  Erde  in  Andischan  verspürt, 
was  aber  keinerlei  Beunruhigung  hervor- 
rief. Am  nächsten  Morgen  ging  ein  hef- 
tiger Sturm  von  nur  kurzer  Dauer  über 
die  Stadt  hinweg  und  unmittelbar  darauf 
erfolgte  die  erste  heftige  Erderschütterung, 
die  wellenförmig  war.  Bald  folgten  starke 
Stöße  und  Schwankungen;  Knarren  und 
Krachen  der  Gebäude  und  ein  Dröhnen 
wie  Kanonendonner  aus  nächster  Nähe 
schallten  durcheinander.  Auf  der  Straße 
wurden  einzelne  Menschen  vom  Trottoir 
drei  Schritt  weit  auf  die  Straße  geschleu- 
dert, andere  hielten  sich  auf  dem  schwan- 
kenden Boden  nur  mit  Mühe  auf  den 
Beinen.  Nach  ungefähr  fünf  Minuten 
trat  eine  Pause  in  der  Erdbewegung  ein, 
die  eine  halbe  Stunde  anhielt.  Dann  er- 
folgte ein  furchtbarer  Stoß  von  noch 
größerer  Heftigkeit  als  die  vorhergehenden, 
der  das  Vemichtungswerk  vollendete. 
Sechs  Werst  südlich  von  Andischan  scheint 
das  Epizentrum  des  Erdbebens  gelegen 
zu  haben;  dort  bildeten  sich  große  Erd- 
spalten, aus  denen  Wasser,  Schlamm  und 
Sand  6 — 8  m  hoch  hinausgeschleudert 
wurden;  schloß  sich  eine  Spalte,  so  bil- 
dete sich  alsbald  eine  neue,  aus  der  wie- 
derum Wasser  und  Schlamm  emporschoß. 
Verschiedene  Anzeichen  deuten  darauf 
hin,  daß  das  Erdbeben  eine  nordsüdliche 
Richtung  hatte.  Das  Schüttergebiet  war 
verhältnismäßig  klein  und  umfaßte  nur 
einen  Flächenraum  von  15  000  Quadrat- 
werst, in  der  nächsten  Nähe  dieses  Ge- 
bietes waren  die  Zerstörungserscheinungen 
nur  sehr  unbedeutend.  Die  Zahl  der  ver- 
nichteten Häuser  wird  auf  15  000  ge- 
schätzt; davon  entfallen  auf  den  Andi- 
schaner  Kreis  12  000,  auf  den  Margelaner 
2000  und  auf  den  Oscher  Kreis  1000. 
Andischan  hatte  vor  dem  Erdbeben  46680 
Bewohner,  unter  ihnen  631  Bussen.    Der 


Andischaner  Kreis*  gehört  zu  den  reich- 
sten Gegenden  des  Ferghana -Gebiets; 
hier  befinden  sich  die  besten  Baumwoll- 
plantagen, welche  die  wichtigste  Erwerbs- 
quelle der  eingeborenen  Bevölkerung 
bilden. 

*  Die  einst  durch  ihren  Teehandel 
und  den  sibirisch- chinesischen  Grenz- 
verkehr berühmte  und  blühende  Stadt 
Kiachta  ist  durch  die  gänzlich  ver- 
änderten Verkehrsverhältnisse  in  den 
tiefsten  Verfall  geraten  und  bietet  in 
unserer  Zeit  ein  ähnliches  Beispiel,  wie 
nach  der  Entdeckung  Amerikas,  als  viele 
Städte  dadurch  zurückgingen  ^  daß  der 
Handel  atlantische  Bahnen  einschlug. 
Die  Zölle  auf  Tee  haben  eine  Erhöhung 
erfahren  und  der  Transportweg  über 
Kiachta  hat  für  immer  seine  Bedeutung 
verloren,  weil  der  Teehandel  andere,  vor- 
teilhaftere Wege  nimmt.  Die  10  000  Be- 
wohner vonTroizkossawsk  und  Ust-Kiachta 
sind,  ohne  Aussichten  auf  eine  bessere 
Zukunft,  zu  einem  bedauernswerten  Da- 
sein verurteilt;  für  Ackerbau  geeignete 
Ländereien  befinden  sich  in  der  Nähe 
nicht,  die  Viehweiden  sind  nicht  groß, 
und  weder  die  Lederfabriken  noch  die 
sonstigen  wenigen  gewerblichen  Unter- 
nehmungen vermögen  auch  nur  dem  zehnten 
Teil  der  Arbeitsuchenden  Verdienst  zu 
gewähren.  Wahrscheinlich  wird  der  größte 
Teil  der  Bevölkerung  die  Stadt  ganz  ver- 
lassen, und  von  Kiachta,  der  einst  be- 
rühmten Handelsstadt,  wird  nichts  als 
die  Erinnerung  bleiben.  (Globus  82.  Bd. 
S.  394.) 

Afrika. 

♦  Die  Grenzen  zwischen  Ery- 
thräa,  Abessinien  und  dem  ägyp- 
tischen Sudan  sind  durch  einen  jetzt 
erst  bekannt  werdenden  Vertrag  vom 
15.  Mai  1902  neu  festgestellt  worden.  Die 
neugeschaffene  Grenze  schließt  Italien 
gänzlich  vom  Atbara  aus,  da  Italien  das 
an  der  Südwestecke  Eiythräas  zum  Atbara 
vorspringende  Parallelogramm  gegen  das 
Land  der  Cunama  eingetauscht  hat;  die 
italienischen  Absichten,  dem  Handel  des 
südöstlichen  Sudans  von  Tomat  her  einen 
direkten  Weg  nach  Massaua  zu  eröffiien, 
sind  dadurch  vereitelt  worden.  Die  Grenze 
selbst  läuft  zwischen  Erythräa  und  dem 
ägyptischen  Sudan  von  Sabderat  (21  km 
östlich  von  Kassala)  nach  dem  Berge  Abu 


OAOgTftpbitohe  Zeitachrift.  9.  Jahrgang.  1903.  3.  Heft 


114 


Geographische  Neuigkeiten. 


Gamel  (40  km  südlicB  von  Eassala)  und 
von  hier  in  gerader  Linie  nach  Ombrega 
am  Setit  (Takazza).  Dieser  Fluß  bildet 
dann  ostwärts  die  neue  Grenze  zu  Abessi- 
nien  bis  zum  Einfluß  des  Maiteb  (von 
rechts);  dann  begleitet  sie  diesen  Fluß  in 
nordöstlicher  Richtung  und  trifft,  den 
Berg  Ala  Takura  bei  Italien  lassend,  den 
Mareb  am  Einfluß  des  Ambessas  (etwa 
40  km  südöstlich  vom  Mai  Daro).  Dann 
geht  sie  östlich  weiter  wie  früher  (Mareb- 
Blesa-Muna-Linie).  Die  Ostliche  Grenz- 
linie zwischen  Setit  und  Mareb  soll  noch 
von  einem  italienisch -abessinischen  Aus- 
schuß begangen  werden,  der  so  zu  ent- 
scheiden hat,  daß  das  Volk  der  Cunama 
ganz  bei  Italien  bleibt.  Das  neugewonnene 
Gebiet  ist  reichlich  2*/,  mal  so  groß,  als 
der  an  „den  Sudan"  überantwortete  Land- 
streifen, und  der  Gouverneur  Martini,  der 
es  bereist  hat,  preist  es  als  fruchtbar 
und  vielversprechend  an  Kautschuk.  Seit 
einigen  Monaten  befindet  sich  der  Haupt- 
mann AdemoUo  dort,  um  das  Land  auf- 
zunehmen, und  einige  Kompagnien  As- 
kari  bauen  neue  Straßen,  die  vorzugsweise 
dem  Handel  dienen  sollen.  Italien  läßt 
sich  die  Nutzbarmachung  des  neuen  Ge- 
bietes also  angelegen  sein.  Aber  selbst 
unter  der  Annahme,  daß  es  gelingen  wird, 
den  Handelsverkehr  des  östlichen  Nord- 
und  Mittel-Abessiniens  durch  das  Land 
der  Cunama  zu  ziehen,  und  unter  der 
weitem  Annahme,  daß  die  von  Menelik 
an  italienische  Gesellschaften  verliehene 
Konzession  zur  wirtschaftlichen  Ausbeu- 
tung des  Gebietes  um  den  Tsana-See  gute 
Erfolge  zeitigen  wird,  erscheint  es  doch 
sehr  fraglich,  ob  Italien  bei  dem  Tausch 
ein  gutes  Geschäft  gemacht  hat. 

Australien  und  Polynesien. 

:4t  Ein  vulkanischer  Ausbruch  hat 
am  30.  Okt.  1902  auf  der  bisher  nicht 
vulkanischen  Insel  Savaii  der  Samoa- 
Gruppe  stattgefunden.  Zwar  finden  sich 
auf  der  Insel  ausgedehnte  Lavafelder  sehr 
jungen  geologischen  Alters,  aber  in  histo- 
rischer Zeit  ist  nachweislich  eine  vulka- 
nische Tätigkeit  nicht  beobachtet  worden. 
Deshalb  waren  die  Eingeborenen  auf  das 
höchste  überrascht,  als  am  30.  Okt.  Abends, 
nachdem  man  an  diesem  und  dem  vor- 
hergehenden Tage  einige  Erderschütte- 
rungen verspürt  hatte,  in  der  Mitte  der 
Insel  Rauch  aufstieg,   der  in  der  Nacht 


einen  feuerroten  Widerschein  aufwies. 
Die  Ausbruchsstelle  liegt  in  der  Nähe 
des  Mangaasi  (Feuerberg),  eines  noch  gut 
erhaltenen  Auswurfskegels  im  Zentrum 
der  Insel.  Der  Astronom,  Dr.  Teten s, 
der  im  Auftrag  der  Göttinger  Gesell  schalt 
der  Wissenschaften  auf  üpolu  weilt,  um 
in  Verbindung  mit  der  deutschen  Süd- 
polarexpedition erdmagnetische  und  an- 
dere Beobachtungen  daselbst  anzustellen, 
hat  am  8.  November  den  neuen  Vulkan 
näher  untersucht;  er  sah,  daß  aus  einem 
etwa  100  m  im  Durchmesser  haltenden 
Krater  bald  stärkerer,  bald  schwächerer 
Rauch  emporstieg,  in  kurzen  Pausen  wur- 
den rotglühende  Körper  emporgeschleudert, 
die  teils  über  den  Kraterrand  hinweg- 
flogen, teils  in  den  Schlund  zurückfielen. 
Die  ganzen  vulkanischen  Erscheinungen 
auf  Savaii  sind  zur  Zeit  als  unbedeutend 
zu  bezeichnen;  bei  der  Lage  des  Erup- 
tionsherdes mitten  in  der  bergigen  Insel, 
weit  entfernt  von  den  Siedelungen,  die 
fast  ausnahmslos  an  der  Küste  liegen, 
liegt  bisher  kein  Anlaß  zur  Beunruhigung 
vor.  Allem  Anschein  nach  haben  die 
unterirdischen  Kräfte  bei  der  Ausstoßung 
von  flüssigem  Magma  und  von  Dämpfen 
keinen  großen  Widerstand  zu  überwinden 
gehabt,  so  daß  sich  die  gegenwärtige 
Eruption  in  Ruhe  abspielen  wird  und 
nicht  durch  verheerende  Erderschütterun- 
gen und  die  in  ihrem  Gefolge  auftreten- 
den Flutwellen  der  fruchtbaren  Insel  ver- 
derbenbringend sein  wird. 

Meere. 

♦  Der  Dampferverkehr  auf  dem 
Stillen  Ozean  zwischen  Nordamerika 
und  Ostasien  hat  seit  der  Festsetzung  der 
Vereinigten  Staaten  auf  den  Philippinen 
einen  gewaltigen  Aufschwung  genommen. 
Im  Jahre  1899  gab  es  zwei  britische  Linien 
in  San  Franzisko  und  zwei  in  Vancouver, 
je  eine  japanische  in  San  Franzisko  und 
Seattle,  zwei  amerikanische  in  San  Fran- 
zisko und  eine  amerikanische  in  Tacoma. 
Von  diesen  neun  Linien  verkehrten  drei 
mit  Australien,  die  anderen  mit  Japan 
und  China,  bis  auf  eine,  welche  nur  bis 
Honolulu,  jetzt  auch  nach  Tahiti  fuhr. 
Seit  dieser  Zeit  sind  durch  die  verschie- 
denen Pacificbahnen  noch  folgende  Linien 
gegründet  worden:  Durch  die  Santa -F^- 
Bahn  eine  Linie  von  San  Franzisko  aus ;  die 
Great-Northem-Bahn  eine  Linie  von  Ta- 


Geographische  Neuigkeiten. 


115 


coma  and  SeatÜe,  den  Endpunkten  dieser 
Bahn  am  Pugei-Sund,  aas;  ebenfalls  von 
diesen  Städten  aus  gründete  die  Boston- 
DampfschifPsgesellschaft  eine  transpaci- 
fische  Linie;  die  vereinigten  SoaÜiem 
und  Union  Pacific-Bahnen  eine  Linie  von 
ihrem  Endpunkte  Portland  in  Oregon  und 
eine  New  Yorker  Firma  gründete  die 
Amerika- Hawaii  -  Dampfschiffsgesellschafb. 
Im  ganzen  waren  im  Jahre  1900  36  Dampfer 
mit  136000  t  im  transpacifischen  Dienst, 
darunter  18  britische  mit  66  000 1,  1 1  ame- 
rikanische mit  35  000  t,  6  japanische  mit 
30  000  t  und  1  norwegischer  mit  8800  t; 
sobald  die  im  Bau  befindlichen  Dampfer 
der  neuerrichteten  nordamerikanischen 
Linien  vollendet  sein  werden,  werden  die 
amerikanischen  Dampfer  110  000  t  haben. 
Die  schnellste  Fahrt  über  den  Stillen 
Ozean  hat  im  Oktober  1902  der  Dampfer 
„  Korea  ^^  der  vereinigten  Southern  und 
Union-Pacific-Bahnen  zurückgelegt,  indem 
er  die  4700  Seemeilen  lange  Strecke  von 
Yokohama  bis  San  Franzisko  in  10  gegen 
bis  dahin  14  Tagen  durchfuhr.  Der  Haupt- 
ausgangspunkt des  pacifischen  Verkehrs 
in  Nordamerika  ist  gegenwärtig  noch  San- 
Franzisko;  aber  die  beiden  Städte  am 
Puget  Sund,  Seattle  und  Tacoma,  nehmen 
einen  rapiden  Aufschwimg  und  drohen 
San  Franzisko  den  Transportverkehr  mit 
den  Philippinen  wegzuschnappen.  Die 
Einwohnerzahl  von  Seattle  hat  sich  im 
Jahrzehnt  1890/1900  von  43  000  auf  81 000 
vermehrt  und  Seattle  ist  auf  dem  besten 
Wege,  San  Franzisko  zu  überflügeln. 

Tereine  und  Tersammliuigeii. 

Zum  XIY.  deutschen  Geographen- 
tag in  Köln  sind  bis  jetzt  etwa  20  Vor- 
träge über  Meereskunde,  Wirtschaftsgeo- 
graphie, Landeskunde  von  Rheinland, 
Ergebnisse  neuester  Forschungen  ( E  n  z  e  n  - 
Hpergers  Südpolarbericht,  Sappers 
Reisen  in  Mittel-Amerika)  und  Schulgeo- 
graphie angemeldet;  das  Kölner  Lokal- 
komitee, an  dessen  Spitze  Prof.  Dr.  K. 
Hassert  steht,  hofft  außerdem  eine  geo- 
graphische Festschrifk  imd  eine  geogra- 
phische Ausstellimg  nach  denselben  Ge- 
sichtspunkten wie  die  Breslauer  bieten  zu 
können.  Da  die  Tagung  erst  zu  Pfing- 
sten, nicht  schon,  wie  ursprünglich  be- 
absichtigt, zu  Ostern  stattfindet,  sind  fol- 
gende Ausflüge  geplant:  Dampferfahrt 
zum   Siebengebirge;   Besuch    des   Linzer 


Basaltgebiets,  des  Brohltals  und  des  Laacher 
Sees;  Ausflug  ins  ^a^ener  Becken;  viel-  ^  ^ 
leicht  noch  ein  Nachmittagsausflug  ins 
Kölner  Braunkohlenrevier  im  Vorgebirge. 
Außer  dem  üblichen  Festmahl  wird  ein 
von  der  Stadt  Köln  gegebener  Empfangs- 
abend im  Gürzenich-Saale  stattfinden. 

F.  Th. 
Persönliches. 
^  Der  bisherige  Privatdozent  der  Geo- 
graphie an  der  Universität  Wien,  Dr.  Ro- 
bert Sieger,  ist  zum  etatmäßigen  außer- 
ordentlichen Professor  ernannt  worden, 
so  daß  die  Geographie  an  der  Wiener 
Universität  jetzt  durch  zwei  Ordinariate 
und  ein  Extraordinariat  vertreten  ist. 

♦  Dr.  Gerhard  Schott  von  der  deut- 
schen Seewarte  in  Hamburg  wurde  zum 
Abteilungsvorsteher  bei  diesem  Institut 
ernannt;  damit  ft,Ut  ihm  die  Vertretung 
und  Leitung  der  hydrographischen  und 
mariÜm- meteorologischen  Arbeiten  der 
Seewarte  zu. 

♦  Am  29.  Jan.  hat  Prof  Dr.  Georg 
Gerland  in  Straßburg  seinen  70.  Geburts- 
tag gefeiert.  Eine  Abordnimg  überreichte 
ihm  eine  Adresse  mit  den  Glückwünschen 
der  Fachgenossen  und  Schüler. 

^^  In  Buenos  Aires  starb  kürzlich  der 
frühere  A&ikareisende  Dr.  Josef  Cha- 
vanne  im  Alter  von  56  Jahren.  Auf 
seinen  ausgedehnten  Reisen  am  Nil  und 
im  Kongobecken  anfangs  der  achtziger 
Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts  sammelte 
Chavanne  viel  wertvolles  Material  zur 
Klimatologie  und  physikalischen  Geogra- 
phie Afrikas,  welches  er  in  mehreren 
Büchern  und  Karten  verarbeitete.  Später 
wandte  sich  Chavanne,  dem  das  Glück 
wenig  günstig  war,  nach  Argentinien,  wo 
er,  um  sich  und  seine  Familie  erhalten 
zu  können,  Angestellter  beim  hydrographi- 
schen Amt  wurde.  Nebenbei  beschäftigte  er 
sich  aber  bis  an  sein  Lebensende  mit  der 
physikalischen  Geographie  seiner  neuen 
Heimat  und  mit  der  Abfassung  geogra- 
phischer Lehrbücher  für  die  dortigen 
Schulen. 

Zeitschriften. 

♦  Der  Verlag  von  L.  Schwann  in 
Düsseldorf  gibt  mit  dem  neuen  Jahr  eine 
illustrierte  Zeitschrift  für  Touristik,  Lan- 
des- und  Volkskunde,  Kunst  und  Sport 
unter  dem  Titel  „Wandern  und  Reisen'' 
heraus.  Monatlich  sollen  zwei  Hefte  zum 
Preis  von  je  60  Pfg.  erscheinen. 

8* 


116 


Bücherbesprechungen. 


Bftcherbesprechangen. 


Meyers  großes  Konversationslexi- 
kon. Ein  Nachschlagewerk  des  allge- 
meinen Wissens.  6.  Aufl.  l.Bd.  903  S. 
Mit  vielen  Tafeln  und  Abbildungen. 
Leipzig,  Bibliographisches  Institut 
1902. 
Die  beiden  großen  Konversationslexika 
sind  erwünschte  Nachschlagewerke,  in 
denen  wir  uns  gern  über  einzelne  Länder, 
Landschaften,  Orte  oder  auch  über  die 
vielen  naturhistorischen,  wirtschaftlichen, 
historischen  Dinge,  mit  denen  die  (Geo- 
graphie in  Berührung  kommt,  rasch  Be- 
lehrung holen;  sie  müssen  uns  den  Mangel 
eines  brauchbaren  geographischen  Lexi- 
kons ersetzen.  Im  ganzen  kann  man  wohl 
sagen,  daß  der  erste  Band  der  neuen  Auflage 
des  Meyer  diese  Anforderung  gut  erfüllt; 
aber  da  eine  wissenschaftliche  Besprechung 
nicht  die  Aufgabe  hat,  bedingungslos  zu 
loben,  sondern  kritisch  zu  urteilen,  so 
möchte  ich  auch  einige  Bedenken  imd 
Wünsche  aussprechen,  die  mir  aufgestoßen 
sind.  Ein  Lexikon  soll  ja  nur  Tatsachen 
geben,  und  man  kann  keine  eindringenderen 
Erörterungen  verlangen ;  aber  vielfach  geht 
die  Darstellung  der  Hauptsachen  zu  sehr 
in  der  Fülle  der  Einzelheiten  unter.  Bei 
den  Städten,  namentlich  des  Deutschen 
Reichs,  wird  gewissenhaft  jede  öffentliche 
Anstalt,  jede  Spezialität  der  Industrie  an- 
geführt; aber  wie  die  Städte  eigentlich 
liegen,  wie  sie  aussehen,  wird  selten  gesagt. 
Auch  bei  manchen  größeren  Artikeln  über- 
wiegt der  Stoff  zu  sehr  (vergl.  z.  B.  die 
Einteilung  der  Alpen),  und  es  ist  hier 
auch  nicht  immer  genügend  vermieden, 
allgemeine  Begriffe  einzuführen,  die  nicht 
erklärt  werden;  was  kann  sich  der  Laie 
z.  B.  bei  den  tiergeographischen  Regionen 
denken?  Die  verschiedenen  Abschnitte 
(über  Bodengestalt,  Klima,  Pflanzenwelt, 
Tierwelt  u.  s.  w.),  die  wohl  von  verschie- 
denen Bearbeitern  stanmien,  sind  meist 
auch  nur  äußerlich  neben  einander  gestellt, 
nicht  innerlich  zusammengearbeitet,  so 
daß  der  ursächliche  Zusammenhang  zwi- 
schen den  verschiedenen  Erscheinungs- 
gruppen dem  Leser  nicht  zum  Bewußtsein 
kommt.  Ich  weiß  wohl,  daß  in  der  Ver- 
einigung der  von  verschiedenen  Mit- 
arbeitern gelieferten  Ausarbeitungen  eine 
Hauptschwierigkeit  der  Redaktion  liegt; 


wahrscheinlich  wäre  es  besser,  bei  diesen 
geographischen  Artikeln  den  Geologen, 
Botaniker,  Zoologen  u.  s.  w.  überhaupt 
nicht  zuzuziehen,  sondern  sie  ganz  dem 
Geographen  zu  überlassen.  Die  Literatur- 
angaben sind  meist  sehr  zahlreich;  viel- 
leicht wäre  eine  kritische  Auswahl  zweck- 
mäßiger, denn  sie  sind  doch  nicht  für  den 
Fachmann,  sondern  für  den  Laien  be- 
stinmit.  Die  Ausstattung  mit  Abbildungen 
ist  sehr  reichhaltig;  den  Geographen  wer- 
den im  vorliegenden  Bande  besonders  die 
schönen  Tafeln  der  Völkertypen  und  ethno- 
graphischen Gegenstände,  sowie  der  Alpen- 
pflanzen interessieren;  statt  der  topogra- 
phischen Karten  oder  neben  ihnen  würde 
eine  größere  Zahl  von  Kärtchen  der  phy- 
sischen, ethnischen,  wirtschaftlichen  u.s.w. 
Verhältnisse  gute  Dienste  leisten.  —  So  habe 
ich  einige  Ausstellungen  und  Wünsche 
nicht  unterdrücken  können;  aber  ich 
brauche  kaum  besonders  zu  sagen,  daß 
das  Werk  im  ganzen  auch  uns  Geographen 
sehr  gute  Dienste  leistet;  wo  ich  verglichen 
habe  —  in  allen  größeren  und  vielen 
kleinen  Artikeln  —  habe  ich  zuverlässige 
Auskunft  gefunden.  A.  Hettner. 

Gfintber,  Siegmnnd.  Astronomische 
Geographie.  12^  170  S.  Leipzig, 
Göschen  1902.  JL  —.80. 
Das  Werkchen  bildet  den  92.  Band 
der  bekannten  Sammlung  Göschen.  Der 
weitaus  interessanteste  Abschnitt  ist  der 
erste  über  „Wesen  und  Entwickelungs- 
gang  der  astronomischen  Geographie". 
Verf.  trennt  die  „mathematische"  von  der 
„astronomischen"  Geographie,  während 
sonst  beide  Bezeichnimgen  als  synonym 
angesehen  werden.  Er  stellt  als  Endziel 
der  mathematischen  Geographie  die 
Forderung  hin,  „einen  beliebigen,  mit  der 
Erde  fest  verbundenen  Ort  sowohl  relativ 
auf  der  Erde  selbst,  als  auch,  da  letztere 
selbst  wieder  Bewegung  besitzt,  absolut 
gegen  den  Sternenhimmel  zu  fixieren", 
während  er  das  Programm  der  astrono- 
mischen Geographie  so  definiert:  „Er- 
mittelt soll  werden  die  Gestalt  und  Größe 
!  des  Erdkörpers,  dessen  Bewegungsverhält- 
!  nisse  im  Räume  imd  die  Methoden  der 
geographischen  Ortsbestimmung;  letztere 
im    ausdrücklichen    Zusammenhang    mit 


Bücherbesprechangen. 


117 


der  Frage,  ob  das  Koordinatensystem, 
auf  welches  man  sich  zn  beziehen  pflegt, 
als  ein  vollkommen  stabiles  oder  als  ein 
selbst  in  seiner  Lage  veränderliches  an- 
zuerkennen sei/*  Dieser  Unterschied 
scheint  mir  künstlich  errichtet  und  im 
Grunde  imhaltbar  zu  sein.  Was  heißt 
denn  das  ,,einen  mit  der  Erde  fest  ver- 
bundenen Ort  absolut  gegen  den  Sternen- 
himmel zu  fixieren"?  Die  Astronomen 
beziehen  zwar  bei  ihren  Untersuchungen 
die  örter  der  Gestirne  auf  ein  fixes  Ko- 
ordinatensystem, welches  an  sich  willkür- 
lich gewählt  wurde,  aber  die  Koordinaten 
der  Erdorte  etwa  auf  dieses  oder  ein  an- 
deres im  Räume  fixes  Koordinatensystem 
zu  beziehen,  hat  doch  für  die  Geographie 
gar  keinen  Zweck  und  geschieht  auch 
nicht,  und  etwas  anderes  kann  ich  mir 
unter  dem  Ausdruck  „absolut  gegen  den 
Sternenhimmel  fixieren"  nicht  denken. 

Wenn  ich  also  dem  Verf.  in  dieser 
Errichtung  eines  Unterschiedes  zwischen 
mathematischer  und  astronomischer  Geo- 
graphie nicht  zustimmen  kann,  so  bin 
ich  andererseits  durchaus  mit  ihm  ein- 
verstanden, wenn  er  Kartenprojektions- 
lehre, Kalendariographie  und  Gezeiten 
als  nicht  zur  astronomischen  Geographie 
gehörig  aus  seinem  Buche  fortläßt.  Verf. 
gibt  dabei  selbst  zu,  daß  man  für  Schul- 
zwecke den  Begriff  der  mathematischen 
Erdkunde  aus  Zweckmäßigkeitsgründen 
etwas  weiter  fassen  und  nicht  nur  die 
erwähnten  Betrachtxmgen  mit  hineinziehen 
muß,  sondern  auch  einzelne  in  dem  vor- 
liegenden Werk  nur  kurz  gestreifte  Ma- 
terien —  wie  z.  B.  die  Finsternisse  — 
breiter  behandeln  wird.  Ich  glaube  übri- ! 
gens  nicht,  daß  Verf.  durch  Beobachtung 
dieser  weisen  Beschränkung  sein  Buch 
der  Benutzung  in  der  Schule  entziehen 
woUte,  ich  wenigstens  möchte  es  zum 
Gebrauch  in  der  Schule  recht  warm  em- 
pfehlen. Für  den  letzteren  Zweck  ist  es 
auch  deshalb  besonders  geeignet,  weil 
Verf.  bei  der  Gruppierung  des  Stoffes  den 
geschichtlichen  Werdegang  der  Disziplin 
selbst  zum  Führer  genommen  hat.  Es 
folgt  daraus  ja  schon  fast  von  selbst,  daß 
auch  der  Geschichte  der  einzelnen  Zweige 
ein  großer  Raum  zugestanden  ist,  aber 
ich  möchte  das  hier  doch  noch  mal  als 
einen  besonderen  Vorzug  hervorheben. 

Von   Einzelheiten   möchte    ich   zwei 
Sachen  hervorheben,   die   ich  anders  ge- 


wünscht hätte.  Die  photogrammetrische 
Art  der  Breitenbestimmung  gehört  meines 
Erachtens  nicht  unter  die  Methoden  der 
Breitenbestimmung,  denn  durch  die  Ein- 
führung der  Photographie  sind  keine 
neuen  Methoden  der  Breitenbestimmung 
entstanden,  sondern  die  vom  Verf.  er- 
wähnten Versuche  von  Marcuse  und 
Schnauder  sind  instrumentelle  Neue- 
rungen, aber  keine  methodischen.  Da- 
her hätte  die  Photogrammetrie  im  Ab- 
schnitt VI  bei  den  Beobachtungsinstru- 
menten und  nicht  im  Abschnitt  IX  bei 
den  Methoden  besprochen  werden  sollen. 
Der  zweite  Punkt  betrifft  eine  historische 
Notiz  auf  Seite  120.  Nach  den  neue- 
sten Untersuchungen  von  H.  Staigmüller 
wäre  Heraklides  Ponticus  wohl  'richtiger 
neben  Aristarch  von  Samos  zu  nennen, 
und  nicht  bloß  als  Vertreter  der  ein- 
fachen Erdrotation  neben  Hiketas  und 
Seleukus  zu  stellen. 

Mit  Vergnügen  möchte  ich  schließlich 
noch  konstatieren,  daß  Druck  und  Papier- 
sorte bei  diesem  neuen  Bändchen  der 
Sammlung  Göschen  besser  sind  als  bei 
den  früheren.    Walter  F.  Wislicenus. 

Gade^  H«   Historisch-geographisch- 
statistische Beschreibung   der 
Grafschaften  Hoya    und   Diep- 
holz   mit    den    Ansichten    der 
sämtlichen    Kirchen    und    Ka- 
pellen beider  Grafschaften.    8®, 
2  Bde.,  XII  +  600  und  660  S.     Han- 
nover, M.  &  H.  Schaper,  1901. 
Es  ist  recht  schade,  daß  der  Verfasser 
dieses  unendlich  fleißigen  und  mühevollen 
Werkes   keine   Gelegenheit    gehabt   hat, 
sich  mit  den  Anschauungen  der  neueren 
Geographie  bekannt   zu  machen.     Sonst 
würde  er  gewiß  vermieden  haben,   Fuß, 
Meilen  undR^aumurgrade  anzuwenden  und 
Lehren  über  die  erratischen  Blöcke  vor- 
zutragen, die  heute  gänzlich  veraltet  sind. 
Die  klimatologischen  Abschnitte  nehmen 
sich  in  ihrer  Kürze  und  Unbestimmtheit 
seltsam  aus.    Hat  man  aber  diese  Vor- 
behalte gemacht,  so  darf  man  bereitwillig 
den  Riesenfleiß  des  Verfassers,  der  wohl 
fast  ein  ganzes  Leben  an  dieses  Buch  ge- 
wendet hat,  bewxmdem  und  die  Fülle  der 
Notizen,  die  hier  über  jeden,   auch   den 
kleinsten  Ort  (es  sind  883  Orte  besprochen) 
zusammengetragen  sind,  entgegennehmen 
und  ausbeuten.  Bieten  diese  Notizein  doch 


118 


Nene  Bücher  und  Karten 


in  ihrer  (Gesamtheit  ein  immerhin  lebens- 
vollef  Bild  von  Land  and  Volk  (mehr  von 
letsterem  als  ersterem)  der  ziemlich  ab- 
gelegenen und  selten  besuchten  Graf- 
schaften. Es  ist  keine  den  heutigen  geo- 
graphischen Ansprüchen  genügende  Lan- 
deskunde, aber  es  sind  unschätzbare  und 
lehrreiche  Materialien  zu  einer  solchen. 
Die  gewaltige  Arbeit  des  Verfassers  wird 
sicher  nicht  verloren  sein.  Die  Kirchen- 
bilder zeigen  aufs  neue,  daß  beide  Graf- 
schaften viele  zwar  einfache  aber  kunst- 
geschichtlich wichtige  und  teilweise  recht 
malerische  Dorfkirchen  enthalten.  Die 
Hoya-Diepholzsche  Landschaft  und  die 
Kreisverwaltungen  haben  zu  den  Kosten 
des  Buches  beigetragen:  daß  sich  die 
Beigabe  einiger  Karten  nicht  ermöglichen 
ließ,  wird  mancher  bedauern.     F.  Hahn. 

Blc^hieriy  6.  La  Tripolitania  e  Tlta- 
lia.    62    S.     Milano,    Hoepli    1902.' 
L.  0.76. 
Diese  kleine  Schrift  des  stets  zur  Be-  | 


sonnenheit  und  Vorsicht  in  dem  Streben 
Italiens  nach  kolonialer  und  weltwirt- 
schaftlicher Ausdehnung  mahnenden  Geo- 
graphen von  Messina  ist  ein  Wiederabdruck 
von  Zeitungsartikeln,  die,  lediglich  auf 
Verarbeitung  fremder  Beobachtungen  be- 
ruhend, den  Zweck  haben,  dem  italie- 
nischen Volke,  das  sich  neuerdings  so 
eifrig  mit  Tripolitanien  beschäftigt  hat, 
in  flüchtigen  Umrissen,  aber  sehr  geschickt 
ein  richtiges  Bild  des  Landes  und  seiner 
Hilfsquellen  als  Ziel  italienischer  Aus- 
wanderung zu  entwerfen.  Der  Verfasser 
schätzt  die  von  etwa  1  Million  Menschen 
bewohnte  ertragsfähige  Fläche  Tripolita- 
niens  etwa  gleich  dem  Flächeninhalt  der 
von  3'/,  Millionen  bewohnten  Insel  Sizi- 
lien. Er  schätzt  die  strategische  Bedeu- 
tung Tripolitaniens  sehr  gering  ein,  warnt 
vor  gewaltsamer  Besitzergreifung  und  em- 
pfiehlt friedliche  wirtschaftliche  Erobe- 
rung nach  dem  Muster  der  Deutschen  in 
Kleinasien.  Möge  seine  Stimme  in  Italien 
gehört  werden!  Th.  Fischer. 


Nene  Bttcher  nnd  Karten. 


AllyeneiBei. 

Ratzel,  Friedr.  Die  Erde  und  das 
Leben.  H.  Bd.  XH  u.  702  S.  228  Abb. 
u.  K.  im  Text,  12  K.  u.  28  Taf.  Leip- 
zig, Bibl.  Inst.  1902.     .4C  17.—. 

Weltall  und  Menschheit.  Hrsg.  von 
Hans  Kraemer.  Bd.H:  H.  Klaatsch: 
Entstehung  und  Entwicklimg  des  Men- 
schengeschlechtes. —  H.  Potoniä : 
Entwicklung  d9r  Pflanzenwelt.  — 
L.Beushausen:  Entwicklung  der  Tier- 
welt. XUI  u.  618  S.  Viele  Beilagen 
u.  Testbilder.  Berlin  u.  s.  w.,  Deutsches 
Verlagshaus  Bong  &  Co.    JC  16.—. 

Lampert,  K.  Die  Völker  der  Erde. 
Lief.  28—27. 

Lenschau,  Th.    Das  Weltkabelnetz.    X 
u.    74    S.    K,    u.    4    Fig.     Halle   a.  S., 
Gebauer-Schwetschke.    JC  1.50. 
Bnropa. 

Martonne,  E.  de.  La  Valachie.  Essai 
de  monographie  gäographique.  XV  n. 
387  S.  6  K.,  12  Taf.  u.  48  Textfig. 
Paris,  Colin  1902.    Frcs.  12.—. 

(Jrothe,  Hugo.  Die  Bagdadbahn  und 
das  schwäbische  Bauemelement  in 
Transkaukasien    und    Palästina.     Ge- 


danken zur  Kolonisation  Mesopotamiens. 
68  S.    München,  Lehmann  1902. 

Oberhummer,  E.  Die  Insel  Cypem. 
Eine  Landeskunde  auf  historischer 
Grundlage.  Gekrönte  Preisschrift.  I.  Tl. 
Quellenkunde  u.  Naturbeschreibung. 
XVI  u.  488  S.  8  K.  u.  1  geolog.  Profil, 
8  K.  im  Text.  München  ^  Ackermann 
1903. 

Kitchener,  H.  H.  Karte  der  Insel  Cj- 
pem  in  1  :  600  000,  auf  Grund  der 
trigonometrischen  Au&ahme.  Hrsg.  v. 
E.  Oberhummer.  Mit  einer  Übersicht 
der   Zählungsergebnisse   vom    1.   April 

1901.  München,  Ackermann  1908. 
Sievers,  W.,u.  Küken  thal,W.  Austra- 
lien, Ozeanien  und  Polarländer.  2.  Aufl. 
XU  u.  640  S.     198  Textabb.,   14  K.  u. 
24  Taf    Leipzig   u.  Wien,   Bibl.  Inst. 

1902.  X  16.-. 

Pah  de,  A.  Erdkunde  für  höhere  Lehr> 
anstalten.  IV.  Tl.  Mittelstufe,  drittes 
Stück.  IV  u.  148  S.  1  Titelbild  u. 
3  Abb.  im  Text.  Glogau,  Flemming 
1902.     .H.  2.—. 

Diercke.  Atlas  für  Berliner  Schulen. 
Bearb.  u.  herausgeg.  unter  Mitwirkung 


Zeitschriftenschau. 


110 


des  Berliner  Lehrer-Vereins.  4S.  58Taf. 
Braunschweig^Westermann  1902.  JL 1.—. 

Martin,  Rud.  Wandtafeln  für  den  Unter- 
richt in  Anthropologie,  Ethnographie 
und  Geogpraphie.    88  :  62  cm. 

Kleine  Ausgabe:  8  Taf.  in  Mappe  mit 
kurzem  erläuternden  Text.  Subskriptions- 
preis  M.  28.—.  (Frcs.  86.—.) 

Große   Ausgabe:    24  Taf.    Subskriptions- 
preis   JL  64.—.    (Frcs.  80.—.)    Zürich, 
Art   Inst.  Orell  Füßli. 
Die  uns  vorliegende  Taf  6:  Dakota  — 

stellt   nach   einer .  Vorlage   des    kürzlich 


verstorbenen  J.  W.  PoweU  das  Brustbild 
eines  Dakota-H&uptlings  en  Face  in  Über- 
lebensgröße in  auch  in  die  Feme  gut 
wirkender  Photochrom -Ausführung  dar. 
Beigegeben  ist  eine  kurze  Monographie 
des  abgebildeten  Typus  aus  der  Feder 
des  Herausgebers  mit  den  wichtigsten 
Literaturnachweisen.  Das  Werk  verspricht 
bei  den  guten  dem  Verlag  zur  Verfügung 
gestellten    Originalaufhahmen    ein    gutes 

i  Anschauungsmittel  für  den  anthropologi- 
schen und  geographischen  Unterricht  zu 

:  werden.  F.  Th. 


Zeitschriftenschan. 


Petermanns  Mitteilungen.  1902.  Nr.  12. 
Isachsen:  Übersicht  über  die  Arbeiten 
der  n.  norwegischen  Polarfahrt  („Fram", 
Eapt.  0.  Sverdrup).  —  Seh  äff  er:  Zur 
Geotektonik  des  südöstlichen  Anatoliens. 

—  Stavenhagen:  Rußlands  Karten- 
wesen in  Vergangenheit  und  Gegenwart. 

—  Dann  eil:  Zwei  wenig  bekannte  Inseln 
im  Bismarck- Archipel.  —  Supan:  Der 
neue  Eruptionstypus  der  Antillen.  — 
Himly:  Sven  Hedins  Ausgrabungen  am 
alten  Lop-nur. 

Globus.  Bd.  LXXXU.  Nr.  28.  Die  Ab- 
stammung  der  ältesten  Haustiere.  — 
Winter:  Lettische  Totenklagen.  —  Hoff - 
mann:  Neue  norwegische  Bahnen  und 
ihre  Bedeutung. 

Dass,  Nr.  24.  Foy:  Ethnographische 
Beziehungen  zwischen  Britisch-  u.  Deutsch- 
Neu-Guinea.  —  Kollmann:  Die  tempo- 
i^e  Persistenz  der  Menschenrassen.  — 
Singer:  Die  Polarforschung  im  J.  1902. 

Dass.  Bd.  LXXXin.  Nr.  1.  Wey- 
gold:  Das  indianische  Lederzelt  im  Mu- 
seum für  Völkerkunde  in  Berlin.  —  Hör- 
mann: Der  Schellenbogen  der  Herden- 
tiere und  ähnliche  Holzgeräte.  —  Zon- 
d  er  van:  Die  Erweiterung  unserer  Kennt- 
nis von  Niederländisch  Neu-Guinea.  — 
Adachi:  Geruch  der  Europäer. 

Dass,  Nr.  2.  Halbfaß:  Beiträge  zur 
Kenntnis  der  Seen  der  Lechthaler  Alpen. — 
Blind:  Skizzen  aus  elsaß-lothringischen 
OsBuarien.  —  Karutz:  Engano-Popolo. 
Malaiische  Einflüsse  im  Bismarck- Archipel. 

—  Hörmann:  Die  Schellen  der  Herden- 
tiere. 


Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XXV.  Jhrg.  Nr.  4.  Grooß: 
Zur  Theorie  des  Vulkanismus.  —  Braun: 
Landschaftsbilder  aus  Kleinasien.  — 
Kellen:  Durch  die  Wälder  der  Ardennen 

—  Schiller-Tietz:  Die  Hungerbrunnen 
und  Hungerquellen. 

Zeitschrift  für  Gewässerkunde.  1902. 
3.  Heft.  Hempel:  Die  Wasserkräfte  des 
Harzes.  -  Gravelius:  Neuere  Häufig- 
keitsuntersuchungen in  Baden.  —  Über 
den  Donau-Main-Kanal.  —  Gravelius: 
Die  Flußdichte  in  Bayern. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie.  1903. 
3.  Heft.  Zahler:  Über  Lawinen  in  der 
Schweiz.  —  Stübler:  Die  verschiedenen 
Methoden  im  geogpraphischen  Unterricht. 

—  Zondervan:  Eine  internationale  Aus- 
stellung von  geographischen  Lehrmitteln 
in  Amsterdam. 

Dass.  4.  Heft.  Trampler:  Eine 
Schulgeographie  aus  der  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts. —  Wangemann:  überSamoa. 

Beiträge  zur  Kolonialpolitik  und 
Kolonialwirtschaft.  IV.  Jhrg.  7.  Heft. 
Singer:  Kartographische  Arbeiten  über 
die  deutschen  Schutzgebiete.  —  Schroe- 
der:  Auf  der  Reise  nach  Saypan.  — 
Kannen gießer:  Übersicht  über  die  be- 
deutendsten Forschungsreisen  in  Nordost- 
afrika. 

Asien.  1902.  Nr.  3.  Grothe:  Deutsche 
Besiedelungsarbeit  in  Transkaukasien.  — 
Gaedertz:  Schau  tungs  wirtschaftliche 
Bedeutung.  —  Kränsel:  Der  chinesische 
Teehandel.  —  v.  Kleist:  Indochina.  — 
Die  Straße  durch  das  Rote  Meer. 


120 


Zeitschriftenschaa. 


La  Geographie,  1902.  No.  6.  Lap- 
paren t:  La  genese  da  continent  asiatique 
d'apräs  M.  E.  Sueß.  —  Charcot:  Une 
excursion  ä  Jan  Mayen.  —  Bruyant: 
Le  Mont-Dore  et  les  lacs  d'Auvergne.  — 
Paquier:  Etudes  aar  la  fonnation  du 
relief  dans  le  Diois  et  les  Baronnies. 

The  GeographicalJowrnal.  1908.  Nr.  1. 
Mi  Ine:  Seismological  Observations  and 
Earth  Physika.  —  Beringer:  Notes  on 
the  Country  between  Lake  Nyaaa  and 
Victoria  Nyanza.  —  Dickaon:  Theeaatem 
Borderlands  of  Kikuyu.  —  The  Voyage  of 
the  „Gauß"  from  Cape  Town  to  Kerguelen. 
Raxton:  Yola.  —  The  Chile-Argentine- 
Arbitration.  —  Praeger:  Geographica! 
Distribution  of  Plant  Groups  in  Ireland. 

Bivista  Geogr.  Ital.  August  1902. 
Uzielli:  Antonio  di  Tuccio  Manetti, 
Paolo  Toscanelli  e  la  limghezza  delle 
miglia  nel  Secolo  delle  Scoperte.  —  Lo- 
re nzi:  Intomo  ad  alcune  salse  del  Mo- 
denese  (cont.).  —  Rajna:  Annibale  Fer- 
rero.  —  Alfani:  Osservatorio  Ximeniano 
di  Firenze.  —  Hugues:  Cristoforo  Co- 
lombo  ed  Amerigo  Vespucci  nella  Storia 
della  Geografia  del  Prof.  P.  Donazzalo.  — 
De  Magistris:  Contributi  geologici  e 
geografici  forniti  dalla  Direzione  dei 
lavori  della  Societa  italiana  per  le  Strade 
ferrate  meridionali. 

Dass.  November  1902.  Loperfrido: 
Notizie  sulla  triangolazione  delF  Eritrea. 
—  Lorenz i:  Intomo  ad  alcune  salse  del 
Modenese  —  Marinelli:  Un  trattato 
di  Cartografia.  —  G.  D.:  D  XXI.  Congresso 
Geologico  Italiano. 

Dass.  Dezember  1902.  Campigli: 
Note  biografiche  sul  Vice  -  Ammiraglio 
Magnaghi.  —  Bertolini:  Ancora  della 
linea  delle  sorgive  in  relazione  alle  laghune 
e  al  territorio  veneto.  —  Aldo:  La  spe- 
dizione  scientifica  inglese  dell'  Uganda  e 
une  lettera  dell  Dott.  Aldo  Castellani.  — 
Almagia:  ü  globo  terrestre  come  orga- 
nismo.  —  Errera:  ün  particolare  note- 
vole  in  una  Carta  nautica  del  secolo  XV. 
Bibliografia  geogr.  della  Regione  italiana, 
Anno  I  1901.  —  Rassegna  di  L.  F.  de 
Magistris. 


Tfie  ScoUish  Geographical  Magazine, 
1908.  No.  1.  Sven  Hedin.  —  Dingei- 
st e  d  t :  The  Mussulman  Subjects  of  Russia. 

—  Hardy:  Humus  as  a  geographical 
Agency.  —  Mac  Bean:  Ancient  Fife: 
Seen  through  its  Place-Names. 

The  Journal  of  Geography.  1902.  No.  9. 
Emerson:  Training  Teachers  for  the 
Study  of  Home  Geography.  —  Jef fer- 
sen: The  Influence  of  Ponds  and  Rivers 
on  Athmospheric  Temperatures.  —  Jef- 
ferson:  Flood  Studies  on  Matfield  River. 

—  Hollister:  Irrigation  Methods.  — 
Smith:  Geography  in  Germany. 

27t«  National  Geographie  Magazine. 
1903.  No.  1.  Tittmann:  The  U.  S.  Coast 
and  Geodetic  Survey.    —    Easter:  Jade. 

—  Some  Notes  on  Venezuela.  —  An  Intro- 
duction  to  Physical  Geography.  —  Peary 
on  the  North  Pole.  —  Brooks  and  Rea- 
burn:  Plan  for  Climbing  Mt.  Mc  Kinley. 

Ans  yerschiedenen  Zeitselirlfteii. 

Berg:  Zur  Morphologie  der  Ufer  des 
Aral-Meeres.  (6  Taf.)  Annuaire  gio- 
logique  et  miniralogique  de  la  Russie. 
V.  6—7.  1902. 

Die  „Fram"-Expedition  Sverdrups.  (1  K ) 
Himmel  und  Erde.  XV.  3.  1902.  Dez. 

Heinrich  Fischer:  Der  Geographie- 
lehrer und  die  höhere  Schule.  Geo- 
graphischer Anzeiger.  III.  1902.  Okt. 
u.  Nov. 

Hauthal:  Zum  argentinisch-chilenischen 
Grenzstreit.  Argentinisches  Tageblatt. 
Okt.  1902. 

Klengel:  Die  Vollendung  der  transsibi- 
rischen Pacificbahn.  Wiss.  Beil.  d. 
Leipziger  Zeitu/ng.  1903.  I.  Jan.  3. 

Moldenhauer:  Auswanderung  in  fremde 
Staaten  und  Einwanderung  in  unsere 
Kolonien.  Afrika- Post.  XVI.  2.  1908. 
2.  Jan. -Ausg.  ^ 

Porena:  Flavio  Gina.  Inventore  della 
Bussola  Modema.  Nuova  Antologia. 
1.  Nov.  1902. 

Schorn:  Die  Erdbeben  von  Tirol  und 
Vorarlberg.  Zeitschrift  des  Ferdinan- 
deums.  HI.  F.  46.  Heft. 


Y«rMitwortlich«r  Heraoageber:  Prof.  Dr.  Alfred  U«ttner  in  Ueidolberg. 


Omndbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie. 

Von  Alfred  Hettner. 

II.    Die  Ursaehen  der  geographischen  Erscheimmgeii. 

In  dem  ersten  Kapitel  dieser  Studie  habe  ich  mich  mit  voller  Absicht 
streng  auf  die  elementare  oder  deskriptive  Analyse  des  geographischen  Tat- 
sachenschatzes beschränkt;  denn  so  sehr  die  Untersuchung  der  ursächlichen 
Zusammenhänge  zum  Wesen  der  modernen  Wissenschaft  gehört,  so  sehr  wir 
uns  freuen,  daß  endlich  auch  die  Geographie  diesen  Geist  der  modernen 
Wissenschaft  in  sich  aufgenommen  hat  und  daß  nur  noch  wenige  Vertreter 
der  älteren  Richtung  sich  ihm  zu  entziehen  suchen,  so  falsch  ist  es  doch, 
die  einfache  Betrachtung  der  Tatsachen,  wie  sie  sich  uns  aus  der  Anschauung 
ergibt,  von  vom  herein  mit  der  Auffassung  des  ursächlichen  Zusammen- 
hanges zu  vermengen,  wie  es  leider  oft  genug  geschieht,  meist  ohne  daß 
man  sich  dessen  klar  bewußt  ist.  Eine  gewisse  Konfusion  der  Anschauung 
und  des  Denkens  ist  die  notwendige  Folge  davon;  sowohl  die  Beschreibung 
wie  die  kausale  Untersuchung  werden  durch  die  vorzeitige  Vermengung  der 
Tatsachen  und  der  ursächlichen  Zusammenhänge  in  ihrer  Keinheit  und  Klar- 
heit getrübt.  Erst  nachdem  wir  die  Kategorien  der  geographischen  Tatsachen, 
wie  sie  sich  der  Anschauung  darbieten,  festgesetzt  haben,  dürfen  wir  in 
die  Analyse  ihres  ursächlichen  Zusammenhanges  eintreten. 

Das  Klima. 

Es  ist  am  zweckmäßigsten,  mit  der  Betrachtung  des  Klimas  zu  beginnen, 
weil  hier  die  Verhältnisse  am  einfachsten  liegen.  Man  hat  seit  langem  er- 
kannt, daß  die  klimatischen  Verhältnisse  in  letzter  Linie  fast  ganz  auf  der 
Bestrahlung  der  Erde  durch  die  Sonne  beruhen;  mechanische  Ursachen,  wie 
Störungen  des  Gleichgewichts  durch  vulkanische  Ausbrüche  oder  Erdbeben  oder 
wie  Gezeitenbewegungen  in  Folge  der  Attraktion  des  Mondes  und  der  Sonne,  und 
auch  andere  thermische  Ursachen,  wie  die  Strahlung  des  Mondes  und  der 
Sterne  oder  der  Einfluß  der  inneren  Erdwärme,  spielen  für  die  geographische 
Verteilung  der  Zustände  und  Vorgänge  der  Atmosphäre  nur  eine  ganz  unter- 
geordnete Bolle.  Im  griechischen  Altertum  hat  man  geglaubt,  alle  Verschieden- 
heiten des  Klimas  ausschließlich  auf  Verschiedenheiten  der  Sonnenstrahlung 
zurückführen  zu  können,  und  darauf  die  mathematischen  Klimazonen  begründet: 
aber  im  Fortschritt  der  Erkenntnis  haben  wir  zunächst  gelernt,  daß  die  Strah- 
lung je  nach  der  Beschaffenheit  des  Untergrundes,  insbesondere  auf  Festland 
und  Wasser,  aber  auch  je  nach  der  Beschaffenheit  des  Festlandes  und  seiner 

Geographische  Zeitschrift.  9.  Jahrgang.  190S.  S.  Heft.  9 


122  Alfred  Hettner: 

Pflanzenbekleidung  wie  nach  den  physikalischen  Verhältnissen  des  Wassers 
verschieden  wirkt,  und  daß  daher  das  solare  Klima,  wie  wir  das  aus  der 
Wirkung  der  Sonnenstrahlung  auf  die  mrkliche  Erdoberfläche  hervorgehende 
Klima  bezeichnen  können,  von  dem  mathematischen  Klima  verschieden  ist. 
Wir  haben  femer  gelernt,  daß  durch  die  Unterschiede  der  Erwärmung  das 
Gleichgewicht  der  Atmosphäre  gestört  wird  und  sowohl  in  vertikaler  wie  in 
horizontaler  Richtung  Luftströmungen  heiTorgerufen  werden,  daß  diese 
Strömungen  durch  die  Erdrotation  beeinflußt  werden,  und  daß  es  sich  dabei 
nicht  um  einfache  Ablenkungen  handelt,  sondern  daß  große  eigenartige  Zir- 
kulationssysteme entstehen,  und  daß  auch  die  Richtung  und  Stärke  dieser 
Luffcströme  wieder  in  Folge  der  Reibung  von  der  Beschaffenheit  des  Unter- 
grundes abhängig  ist.  Wir  haben  aber  auch  weiter  erkannt,  daß  sowohl  die 
horizontalen  wie  auch,  und  wohl  in  noch  höherem  Grade,  die  vertikalen  Luft- 
strömungen von  dem  allergrößten  Einfluß  auf  Temperatur  und  Feuchtigkeits- 
verhältnisse sind.  Wir  haben  also  einerseits  die  Mechanik  der  Atmosphäre 
als  Folgeerscheinung  der  Sonnenstrahlung,  aber  auch  andererseits  die  Physik 
der  Atmosphäre  als  eine  Folgeerscheinung  ihrer  Mechanik  aufzufassen  gelernt, 
und  wenn  es  früher  möglich  gewesen  ist  und  die  meisten  Lehrbücher  aus  der 
Macht  der  Gewohnheit  auch  dabei  bleiben,  den  Einfluß  der  Luftströmungen 
auf  Temperatur  und  Feuchtigkeit  als  sekimdäre  Störungserscheinungen  dar- 
zustellen, so  ist  doch  diese  Auffassungs weise  bei  einer  tieferen  wissenschaft- 
lichen Betrachtung  nicht  mehr  möglich.  Einer  solchen  ergibt  sich  vielmehr 
das  folgende  System  von  Ursachen  und  Wirkungen: 

1.  Die  Sonnenstrahlung,  nicht  nur  in  ihrer  astronomisch  bedingten  Ver- 
teilung (mathematisches  Klima),  sondern  zugleich  auch  in  ihrer  verschiedenen 
Wirkung  auf  die  Erdoberfläche  (solares  Klima). 

2.  Die  Statik  und  Mechanik  der  Atmosphäre,  d.  h.  die  Verteilung  des 
Luftdruckes  und  der  Luftströmungen,  anders  ausgedrückt  das  System  der 
atmosphärischen  Zirkulation. 

3 ff.  Die  verschiedenen  Folgeerscheinungen  der  atmosphärischen  Zirkulation, 
die  nicht  aus  einander  folgen,  sondern  neben  einander  hergehen  und  sich  gegen- 
seitig beeinflussen,  nämlich: 

3.  Die  Verfrachtimg  des  Staubes  mit  der  Luftbewegung. 

4.  Die  Aufnahme  von  Wasserdampf  in  die  Atmosphäre  (Feuchtigkeit), 
seine  Bewegung  in  horizontaler  und  vertikaler  Richtung,  seine  Kondensation 
zu  Nebel,  Wolken,  Tau  und  Reif,  und  imter  dem  Einfluß  der  Schwere  die 
Bildung  von  Niederschlägen;  elektrische  Entladungen  als  Folge  hiervon. 

5.  Die  Modifikation  der  Ein-  und  Ausstrahlung  der  Wärme  durch  Feuchtig- 
keit und  Bewölkung;  Verhältnisse   des  Lichtes  und   der   strahlenden  Wärme. 

6.  Die  Temperatur  als  Folge  der  unter  5  betrachteten  tatsächlichen 
Strahlung  und  der  Wärmeübertragung  durch  Strömungen  (wobei  jedoch  die 
Modifikationen  bei  vertikalen  Strömungen  zu  beachten  sind). 

Die  Gewässer. 

Beträchtlich  verwickelter  liegen  die  Verhältnisse  in  der  Hydrosphäre. 
Das  Wasser  der  Erdoberfläche  bildet  einen  großen  Kreislauf,  bei  dem  es,  wie 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     123 

wir  eben  gesehen  haben,  durch  die  Verdunstung  in  die  Atmosphäre  kommt, 
dieser  zunächst  in  gasförmigem,  dann  in  flüssigem  oder  festem  Zustande  an- 
gehört, imi  dann  in  flüssigem  oder  festem  Zustande  an  die  Erdoberfläche 
zurückzukehren.  Soweit  es  auf  die  feste  Erdoberfläche  fUllt,  steht  es  zu- 
nächst unter  dem  beherrschenden  Einfluß  der  Schwere,  welche  es  im  allge- 
meinen —  wir  können  von  der  komplizierton  Hydrodynamik  des  unter- 
irdisch zirkulierenden  Wassers  hier  absehen  —  von  den  höheren  den  tieferen 
Stellen  der  Erdoberfläche  zutreibt,  bis  es  in  Seebecken  oder  im  Meere 
vorübergehend  oder  dauernd  zur  Ruhe  kommi  Die  Menge  und  Form  des 
an  jeder  Stelle  fallenden  Niederschlages  ist  eine  Funktion'  des  Klimas,  und 
auch  die  Quantität  des  Wassers,  das  durch  Verdunstung  in  die  Atmosphäre 
zurückkehrt  und  dadurch  der  Erdoberfläche  entzogen  wird,  ist  wenigstens 
teilweise  vom  Klima,  daneben  aber  von  der  Beschaffenheit  des  Bodens  und 
der  Pflanzendecke  abhängig.  Daraus  ergibt  sich,  daß  die  Wassermenge  der 
Gletscher,  Flüsse  und  Seen  sowohl  nach  ihrem  durchschnittlichen  Betrage  wie 
namentlich  nach  ihren  zeitlichen  Schwankungen  in  erster  Linie  eine  Funktion 
des  Klimas  ist,  aber  auch  durch  die  Verhältnisse  des  Bodens  beeinflußt  wird. 
Die  Richtung  der  Bewegung  und  das  Gefälle  werden  in  jedem  Augenblick 
durch  die  gegebene  Form  der  festen  Erdoberfläche  bestinmit.  Aus  Wasser- 
menge und  Gefälle  ergibt  sich  die  Schnelligkeit  und  Art  der  Bewegung  und 
auch  die  Befähigung  zum  Transport  fester  Bestandteile. 

Von  anderen  Ursachen  sind  die  Bewegungen  abhängig,  welche  in  den 
stehenden  Gewässern,  besonders  im  Meere,  stattfinden.  Die  Gezeitenbe- 
wegungen sind  eine  Wirkung  der  Attraktion  des  Mondes  und  der  Sonne; 
gewisse  episodisch  auftretende  Wellenbewegungen  sind  auf  vulkanische  Aus- 
brüche oder  auf  Erdbeben  zurückzufahren;  die  gewöhnlichen  Wellen  werden 
vom  Winde  erregt,  und  auf  die  Einwirkung  des  Windes  sind  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  auch  die  sogenannten  Küstenströme  oder  Küstenversetzungen 
und  die  meisten  eigentlichen  Meeresströmungen  zurückzuführen,  während  die 
Strömungen  in  engen  Meeresstraßen  und  auch  die  allgemeine  Zirkulation  des 
Wassers  auf  Dichteunterschieden  des  Wassers  und  in  letzter  Linie  auf  den 
physikalischen  Verhältnissen  der  Atmosphäre  beruhen.  Die  Bewegungen  der 
stehenden  Gewässer  sind  also,  mit  Ausnahme  der  Gezeiten  und  der  Erdbeben- 
fluten, in  verschiedener  Weise  Wirkungen  atmosphärischer  Vorgänge,  aber  in 
ihrer  Ausbildungsweise  durch  die  Gestalt  des  festen  Untergrundes  bedingt. 

Die  physikalischen  Verhältnisse  der  Gewässer  stehen,  wie  die  der 
Atmosphäre,  der  Hauptsache  nach  unter  dem  Einfluß  der  Sonnenstrahlung, 
die  jedoch  natürlich  nicht  in  ihrer  abstrakten  mathematischen,  sondern  in 
ihrer  wirklichen,  durch  die  Vorgänge  der  Atmosphäre  modifizierten  Verteilung 
zur  Geltung  kommt,  so  daß  eine  Abhängigkeit  der  physikalischen  Verhältnisse 
des  Wassers  von  denen  der  Luft  ebenso  wie  umgekehrt  stattfindet.  Die 
Sonnenstrahlung  regelt  zunächst  die  Temperatur  der  Wasseroberfläche  und 
bestimmt  dadurch,  zusammen  mit  der  vorhandenen  Feuchtigkeit  der  Atmosphäre, 
den  Betrag  der  Verdunstung.  Von  Verdunstung,  Niederschlag  und  Wasser- 
zufahr  vom  Lande  her  hängt  im  Meere  der  Salzgehalt  und  dadurch  die 
Dichte  des  Meereswassers  ab,   deren  Unterschiede  wir  schon  als  Ursache  ge- 

9* 


124  Alfred  Hettner: 

wisser   Strömungen   erkannt  haben.     Wärme   und  Salzgehalt  bedingen  wahr- 
scheinlich auch  die  Farbe  des  Wassers. 

Die  feste  Erdrinde. 

Abermals  viel  verwickeitere  Verhältnisse  bietet  uns  die  feste  Erdrinde  dar. 
Lange  Zeit  hat  die  Wissenschaft  auch  ihr  gegenüber  versucht,  mit  einem  einheit- 
lichen Erklärungsprinzip  auszukommen,  und  über  die  Natur  dieses  Prinzips  ist 
ein  heftiger  Streit  geftthrt  worden,  der  als  der  Streit  der  Neptunisten  und  der 
Vulkanisten  bekannt  ist.  Während  die  einen  alle  Abweichungen  der  wirk- 
lichen Erdoberfläche  von  einer  regelmäßigen  mathematischen  Figur  auf  große 
Fluten  und  überhaupt  die  Kräfte  des  Wassers  zurückführen  wollten,  schrieben 
die  anderen  dem  Wasser  nur  eine  untergeordnete  Rolle  bei  der  Ausgestaltung 
der  Erdoberfläche  zu  und  führten  diese  der  Hauptsache  nach  auf  vulkanische 
Ausbrüche  und  Auftreibungen  zurück.  Keine  dieser  beiden  Auffassungen  hat 
sich  in  ihrer  Einseitigkeit  aufrecht  erhalten  lassen.  Die  Vorstellung  von 
großen  Fluten  ist  von  der  Wissenschaft  ganz  über  Bord  geworfen  worden; 
dagegen  wissen  wir,  daß  die  Flüsse  und  die  Brandung  des  Meeres  in  im- 
scheinbarer,  aber  durch  Jahrmillionen  fortgesetzter  Arbeit  die  Wirkungen 
vollbringen,  die  man  früher  jenen  zuschrieb,  und  daß  neben  dem  Wasser  auch 
Gletscher  und  Wind  beständig  an  der  Umbildung  der  Erdoberfläche  arbeiten. 
Der  Begriff  der  neptunischen  Kräfte  hat  daher  zum  Begriff  der  äußeren  oder 
exogenen,  d.  h.  der  Erdoberfläche  angehörigen  Kräfte  erweitert  werden  müssen 
(vergl.  S.  35).  Ebenso  ist  an  die  Stelle  der  vulkanischen  Kräfte  der  um- 
fassendere Begriff  der  inneren  oder  endogenen  Kräfte  getreten,  da  sich  neben 
den  Ausbrüchen  und  Eindringungen  vulkanischen  Magmas  große  Disloka- 
tionen der  Erdkruste  vollziehen,  die  von  jenen  vollkommen  unabhängig  und 
dabei  für  das  Bild  der  Erdoberfläche  von  viel  größerer  Wichtigkeit  sind. 
Neptunische  und  vulkanische  oder,  wie  wir  jetzt  allgemeiner  sagen,  exogene 
oder  äußere  und  endogene  oder  innere  Kräfte  schließen  sich  auch  nicht  aus, 
sondern  verbinden  sich  mit  einander,  um  die  Erdoberfläche  umzugestalten  und 
stofflich  umzubilden,  wie  wir  gleich  weiter  verfolgen  werden. 

Zuvor  aber  müssen  wir  nach  dem  letzten  Ursprung  der  beiden  Klassen 
von  Kräften  fragen.  Die  exogenen  Kräfte  sind,  abgesehen  von  der  allgegen- 
wärtigen Schwere,  teils  die  physikalischen  und  chemischen  Verhältnisse  der 
Atmosphäre  und  des  in  ihr  enthaltenen  Wassers,  teils  die  Bewegungen 
der  Atmo-  und  Hydrosphäre,  die  ihrerseits,  wie  wir  gesehen  haben,  teils 
wieder  von  der  Schwere,  teils  von  der  Attraktion  des  Mondes  und  der 
Sonne,  vornehmlich  aber  von  der  Sonnenstrahlung  und  nur  untergeordnet 
von  Vorgängen  des  Erdinnem  bewirkt  werden.  Die  Ursachen  der  endogenen 
Kräfte  liegen  noch  nicht  klar;  die  meisten  Forscher  sehen  sie  der  Haupt- 
sache nach  als  die  Wirkung  einer  Wärmeabgabe  der  Erde  an  den  Weltenraum 
und  der  damit  verbundenen  Kontraktion  des  Erdinnem  an,  während  andere 
sie  auf  chemische  Umsetzungsvorgänge  im  Erdinnem  zurückführen  und  wieder 
andere  sie  als  eine  Folgeerscheinung  der  oberflächlichen  Massenversetzungen 
deuten.  In  diesem  Falle  würden  also  die  endogenen  Vorgänge  auf  die 
TOgeoen    und    damit    in    letzter    Linie,    von    der    Schwere    abgesehen,    auf 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     125 

kosmische  Kräfte  zurückzuführen  sein;  die  größere  Wahrscheinlichkeit  spricht 
aber  dafür,  daß  sie  unabhängig  von  jenen  und  viehnehr  in  der  Konstitution 
und  Beschaflfenheit  des  Erdinnem  begründet,  daß  sie  also  tellurischen  Ur- 
sprunges sind. 

Die  inneren  und  die  äußeren  Kräfte  verbinden  sich  im  Laufe  der  Ent- 
wickelung  einer  Erdstelle  in  der  mannigfaltigsten  Weise.  An  jeder  Boden- 
erhebung, die  durch  innere  Kräfte  irgend  welcher  Art  entstanden  ist,  arbeiten 
die  Kräfte  der  Verwitterung,  nehmen  Wasser,  Wind,  Eis  einen  Teil  des  Ge- 
steinsmaterials weg,  transportieren  es  zum  Meere  und  lagern  es  in  diesem 
ab.  Diese  Materialien  werden  nun  aber  von  einer  Faltung  oder  auch  Ver- 
werfung oder  Verbiegung  ergriffen  und  anders  angeordnet.  Die  innere  An- 
ordnung oder  Tektonik  der  durch  äußere  Kräfte  gebildeten  Schichten  und 
damit  zugleich  die  tektonische  Oberfläche,  d.  h.  die  Oberfläche,  wie  sie  aus- 
sehen würde,  wenn  keine  äußeren  Kräfte  sie  umgestalteten,  ist  also  die 
Wirkung  innerer  Kräfte.  Diese  tektonische  Oberfläche  wird  nun  aber  wieder 
durch  äußere  Kräfte  ausgestaltet  und  stofflich  umgebildet,  daran  schließen 
sich  neue  innere  Vorgänge  an  u.  s.  w.  So  hat  es  die  erdgeschichtliche  Be- 
trachtung der  Geologie  mit  einem  beständigen  Ineinandergreifen  innerer  und 
äußerer  Kräfte  zu  tun.  Aber  die  Geographie,  der  es  nur  auf  daa  Ver- 
ständnis der  Gegenwart  ankommt,  kann  sich  die  Betrachtung  einfacher 
gestalten  und  muß  das  tun,  wenn  sie  nicht  zu  historischer  Geologie  werden 
will.  Sie  geht  in  der  kausalen  Analyse  der  Erscheinungen  nur  bis  auf  den 
inneren  Bau  zurück,  wie  er  heute  ist,  betrachtet  sowohl  die  Gesteinszusammen- 
setzung wie  die  Lagerungsverhältnisse  als  gegebene  Tatsachen,  deren  Ent- 
stehung sie  der  historischen  Untersuchung  der  Geologie  überläßt,  und  fragt 
nur,  ob  die  Verteilung  der  stofflichen  und  Lagerungsverhältnisse  im  Verhält- 
nis zu  anderen  Tatsachen  der  heutigen  Erdoberfläche  irgend  welche  Gesetz- 
mäßigkeiten erkennen  läßi  Die  eigentliche  kausale  Betrachtungsweise  der 
Geographie  setzt  erst  mit  der  Umbildung  des  inneren  Baues  durch  äußere 
Kräfte  ein,  welche  an  einer  Stelle  wegnehmend  imd  ausgestaltend,  an  der 
anderen  ablagernd  und  den  inneren  Bau  verhtlllend  wirken.  Allerdings  ist 
es  im  einzelnen  oft  schwer  zu  entscheiden,  ob  wir  ein  Gebilde  dem 
inneren  Bau  zurechnen  oder  als  eine  äußere  Umbildung  auffassen  sollen. 
Weder  die  Beschaffenheit  als  Gestein  oder  als  lockere  Masse,  die  ja  im  all- 
gemeinen unterscheidet,  noch  die  Bildungsweise  noch  das  Bildungsalter  geben 
bestimmte  Kriterien  ab;  man  wird  ein  Gebilde  dem  inneren  Bau  zurechnen, 
wenn  in  Folge  des  Alters  und  später  Umlagerung  die  ursprüngliche  Bildungs- 
form so  weit  vernichtet  worden  ist,  daß  sie  fttrs  Aussehen  der  Oberfläche 
nicht  mehr  maßgebend  ist,  dagegen  jüngere  Meeres-  oder  Flußablagerungen 
oder  Moränen,  bei  denen  dies  noch  der  Fall  ist,  als  äußere  Umbildungen 
auffassen. 

Auch  die  kausale  Analyse  der  der  Erdoberfläche  angehörigen  Umbildungs- 
vorgänge hat  es  mit  dem  Faktor  Zeit  zu  tun;  denn  alle  Erscheinungen  der 
festen  Erdrinde,  sowohl  die  des  inneren  Baues  wie  die  der  äußeren  Um- 
bildung mit  Ausnahme  der  einfachsten  physikalischen  Vorgänge,  sind  von  den 
Erscheinungen   der  Wasser-   und  Lufthülle   durch  ihre  Dauer   unterschieden. 


126  Alfred  Hettner: 

Während  diese  zeitlich  mehr  oder  weniger  an  ihre  Ursachen  gebunden  sind, 
d.  h.  nur  bestehen,  solange  diese  bestehen,  und  vergehen,  bald  nachdem 
diese  vergangen  sind,  so  daß  vergangene  Ursachen  für  die  Gegenwart  keine 
Bedeutung  haben  und  eine  Summierung  der  Wirkimgen  nur  innerhalb  kurzer, 
der  Gegenwart  angehöriger  Zeiträume  stattfindet,  überdauern  die  Erscheinungen 
der  festen  Erdrinde  ihre  Ursachen  nicht  nur  um  eine  gewisse  Zeit,  sondern 
bleiben  überhaupt  bestehen,  bis  sie  etwa  durch  andere  Kräfte  wieder  ver- 
nichtet werden;  und  wenn  auch  die  Wirkung  des  einzelnen  Augenblickes  oft 
viel  unscheinbarer  ist  als  im  Wasser  oder  in  der  Luft,  so  summieren  sich 
doch,  falls  nur  die  Ursachen  lange  genug  bestehen  bleiben,  die  Wirkungen, 
und  wenn  sich  die  Ursachen  ändern,  so  kombinieren  sich  die  Wirkungen  der 
früheren  und  späteren  Ursachen.  Während  daher  in  der  Wasser-  und  Luft- 
hülle ein  Wechsel  der  Erscheinungen  stattfindet,  jede  einzelne  Erscheinung 
aber  neu  und  jung  ist  wie  die  Eintagsfliege,  fehlt  in  der  festen  Erdrinde  ein 
solcher  Wechsel,  und  es  findet  dafür,  ähnlich  wie  bei  den  langlebigen 
Organismen,  eine  Entwickelung  statt.  Den  Formen  und  stofi'lichen  Gebilden 
kommt  ein  bestimmtes  Alter  zu,  mit  dem  sie  sich  oft  vollständig  ändern, 
und  das  daher  bei  ihrer  Beurteilung  neben  der  Bildungsweise  berücksichtigt 
werden  muß.  Je  älter  ein  tektonisches  Gebilde  ist,  desto  länger  arbeiten 
schon  die  äußeren  Kräfte  an  seiner  Zerstörung,  und  desto  weiter  wird  die 
Zerstörung  im  allgemeinen  vorgeschritten  sein.  Darum  wird  sich  die  Wirkung 
des  Alters  in  den  Denudationsreihen  erkennen  lassen,  welche  man  z.  B.  für 
die  Vulkane  aufgestellt  hat  Neuere  amerikanische  Forscher  haben  für  diese 
bekannten  Begriffe  den  Ausdruck  Cyklus  eingeführt,  aber  da  von  einem 
eigentlichen  Kreislauf  der  Erscheinungen  nicht  die  Rede  ist,  kann  ich  darin 
keine  glückliche  Bereicherung  unserer  Terminologie  erkennen.  Das  geo- 
logische Alter  kommt  außer  in  der  Dauer  der  zerstörenden  Einwirkungen  auch 
darin  zur  Geltung,  daß  an  der  Umbildung  andere  Kräfte  teilgenonunen  haben 
können,  als  sie  heute  an  der  betreffenden  Erdstelle  wirksam  sind.  Es  ist  be- 
kannt, einen  wie  mächtigen  Einfluß  die  Eiszeit  auf  die  Länder  der  gemäßigten 
Zone  ausgeübt  hat,  an  anderen  Stellen  scheint  ein  Steppenklima  zum  Aus- 
druck zu  kommen,  manche  Oberflächenformen  unserer  Hochgebirge  lassen  sich 
wohl  nur  aus  dem  milderen  Klima  der  Tertiärzeit  erklären.  Li  der  Auf- 
fassung der  jüngeren  erdgeschichtlichen  Vergangenheit,  welche  für  die  Auf- 
fassung der  heutigen  Oberflächengebilde  maßgebend  ist,  greifen  also  Geologie 
und  Geographie  in  einander  über;  aber  die  Geographie  wird  doch  im  Gegen- 
satz zur  Geologie  auch  hier  nicht  das  Werden  als  solches  untersuchen,  d.  h. 
wird  keine  geschichtliche  Darstellung  geben,  sondern  wird  sich  begnügen 
müssen,  die  heutige  Oberfläche  als  etwas  Gewordenes  zu  erfassen. 

Für  die  geographische  Auffassung  der  festen  Erdrinde  ergibt  sich 
daraus  das  folgende  Bild.  Das  Primäre  sind  die  Tatsachen  des  inneren 
Baus,  d.  h.  der  Gesteinszusammensetzung  und  der  Anordnung  der  Bestand- 
massen; die  Gesteinszusanmiensetzung  und  auch  die  Lagerungsverhältnisse 
sind  ja  großenteils  wieder  durch  Vorgänge  der  äußeren  Umbildung  bedingt, 
aber  die  Geographie  muß  sie  einfach  als  gegeben  hinnehmen.  Durch  den 
inneren  Bau  sind  auch   die   größten  Formen  der  Erdoberfläche  gegeben;   im 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  phy&ischen  Geographie.     127 

einzelnen  aber  findet  beständig  eine  Umbildung  des  Felsgerüstes  und  der 
tektonischen  Oberfläche  durch  äußere  Kräfte  statt,  die  hier  modellieren  und 
abtragen,  dort  der  tektonischen  Oberfläche  neue  Formen  und  neue  stoffliche 
Gebilde  aufsetzen.  Die  Formen  der  Erdoberfläche  im  einzelnen  und  die 
Bodenbeschaffenheit  können  nur  als  die  kombinierte  Wirkung  des  inneren 
Baus  und  der  äußeren  Umbildung  verstanden  werden.  Je  nachdem  die 
Oberfläche  den  Boden  des  Meeres  oder  eines  Landsees  oder  das  Bett  eines 
fließenden  Wassers  oder  eines  Gletschers  bildet  oder  an  der  Luft  liegt, 
und  je  nach  den  physikalischen  und  auch  chemischen  Verhältnissen  des 
Wassers  an  der  betreffenden  Stelle  werden  natürlich  die  Umbildungsvorgänge 
und  ihre  Wirkungen  verschieden  sein.  In  den  Wirlningen  kommen  aber  nicht 
bloß  die  Bedingungen  der  Gegenwart,  sondern  auch  der  Vergangenheit  zur 
Geltung;  Oberflächenformen  und  Bodenbeschaffenheit  können  daher  nur  auf 
historisch-geologischer  Grundlage  verstanden  werden. 

Die  Pflanzen-  und  Tierwelt. 

Die  kausale  Auffassung  der  pflanzen-  und  tiergeographischen  Ver- 
hältnisse ist  insofern  der  der  festen  Erdrinde  ähnlich,  als  es  sich  auch  hier 
um  eine  Entwickelung  handelt,  die  Ursachen  der  Gegenwart  also  zum  Teil 
in  der  Vergangenheit  liegen.  Im  übrigen  machen  sich  natürlich  die  be- 
sonderen Verhältnisse  des  Lebens  auch  in  der  Art  des  ursächlichen  Zusammen- 
hanges der  Erscheinungen  geltend.  Von  unserem  geographischen  Standpunkte 
aus  besteht  dieser  Unterschied,  wie  wir  gesehen  haben,  darin,  daß  die  Er- 
scheinungen der  anorganischen  Natur  ihrem  ganzen  Wesen  nach  an  der  Erd- 
stelle wurzeln,  untrennbar  mit  ihr  zusanunenhängen,  die  Organismen  dagegen 
selbständige  Wesen  sind,  die  von  einer  Erdstelle  an  die  andere  versetzt  werden 
können  und  dabei  nur  gewisse  mehr  äußerliche  Umbildungen  erleiden,  daß  daher 
nicht  das  Wesen  der  Organismen,  sondern  nur  ihr  Auftreten  oder  Fehlen 
und  gewisse  für  ihr  Aussehen  oft  bestimmende,  aber  ihnen  doch  mehr  äußer- 
lich anhaftende  Eigenschaften  ein  Merkmal  oder  einen  Charakterzug  der  Erd- 
stelle bilden.  Das  Wesen  der  Pflanzen  und  Tiere  ist  in  ihrer  Abstammung 
gegeben;  die  äußerlichen  Umbildungen  beziehen  sich  auf  die  Lebensweise 
und  die  Ausbildung  der  vegetativen  Organe.  Daraus  folgt,  daß  die  Tat- 
sachenreihen der  Pflanzenwelt,  die  wir  als  Flora  und  Vegetation  einander 
gegenüber  gestellt  haben,  und  die  entsprechenden  Tatsachenreihen  der  Tier- 
welt auch  bei  der  kausalen  Betrachtung  aus  einander  gehalten  werden 
müssen. 

So  lange  man  glauben  konnte,  daß  die  Veränderungen  der  Erdober- 
fläche durch  Katastrophen  erfolgten,  die  älteren  Schöpfungen  vernichtet 
würden  und  neue  an  ihre  Stelle  träten,  mußte  man  annehmen,  daß  jede 
Pflanzen-  und  Tierart  so  erschaffen  worden  sei,  wie  es  den  geographischen 
Verhältnissen  ihres  heutigen  Wohngebietes  entspräche;  was  überhaupt  von 
ursächlichen  Beziehungen  zwischen  dem  Organismus  und  dem  Wohngebiet 
vorhanden  ist,  mußte  in  der  Gegenwart  liegen.  Diese  Auffassung  mußte 
sich  ändern,  als  die  Annahme  einer  allmählichen  Entwickelung  der  Erdober- 
fläche und  ihrer  Lebewelt  an  die  Stelle  der  Katastrophen  trat.     Die  Änderung 


128  Alfred  Hettner: 

der  Auffassung  vollzog  sich  in  zwei  Absätzen.  Zunächst  erkannte  man  bei 
der  Untersuchung  der  Pflanzen  und  Tiere  der  britischen  Inseln,  daß  sie 
großenteils  noch  vor  der  Entstehung  des  Kanals  eingewandert  sein  müssen, 
daß  also  die  Verbreitung  der  heutigen  Pflanzen-  und  Tierarten  teilweise 
älter  ist  als  die  Entstehung  der  heutigen  Formen  der  Erdoberfläche,  im 
besonderen  als  gewisse  Züge  in  der  Verteilung  von  Land  und  Meer,  daß  sie 
darum  aus  den  Oberflächenverhältnissen  der  Vergangenheit  erklärt  werden 
muß.  Dann  wandte  Darwin  seine  Theorie  von  der  allmählichen  Umbil- 
dung der  Pflanzen  und  Tiere  auch  auf  deren  geographische  Verteilung  an, 
indem  er  zeigte,  daß  in  getrennten  Gebieten  oder  auch  in  Gebieten  von  ver- 
schiedener Naturbeschaffenheit  die  Umbildung  in  verschiedener  Weise  er- 
folgt, daß  also  die  allmählich  vor  sich  gehende  Differenzierung  der  Erd- 
oberfläche von  einer  Differenzierung  der  Organismen  begleitet  wird.  Damit 
waren  sowohl  die  Ausbildimg  der  Sippen  wie  ihre  Ausbreitung  zu  Tat- 
sachen einer  Entwickelung  geworden,  die  mit  der  Entwicklung  der  an- 
organischen Erdoberfläche  in  der  jüngeren  geologischen  Vergangenheit  im 
engsten  Zusanmienhang  steht  und  darum  im  Prinzip  einen  Gegenstand  der 
historisch-geologischen  Betrachtung  bilden  muß  und  bei  den  Tieren  im  ganzen 
auch  bildet,  während  die  Geologie  den  pflanzengeographischen  Tatsachen  in 
Folge  der  Spärlichkeit  fossiler  Pflanzenreste  teilweise  ziemlich  hilflos  gegen- 
übersteht. Die  geographische  Betrachtung  muß  sich  ähnlich  wie  bei  der 
festen  Erdoberfläche  gestalten;  sie  kann,  wenn  sie  nicht  auf  ursächliche 
Erklärung  überhaupt  Verzicht  leisten  will,  nicht  bei  der  Gegenwart  stehen 
bleiben  und  mag  sich  doch  auch  nicht  auf  das  ihr  fremde  Gebiet  historisch- 
geologischer Auffassung  begeben;  sie  betrachtet  die  Flora  und  Fauna  als 
etwas  Gewordenes.  Sie  vergleicht  also  die  Flora  und  Fauna  eines  Gebietes 
mit  der  Flora  und  Fauna  anderer  Gebiete  und  zerlegt  sie  danach  in  Elemente 
von  verschiedener  Verwandtschaft  und  demnach  auch  verschiedener  Entstehung 
oder  Einwanderung;  zur  Erklärung  dieser  verschiedenen  Entstehung  oder 
Einwanderung  zieht  sie  die  Bedingungen  der  geologischen  Vergangenheit 
heran. 

Die  Entstehung  neuer  Sippen  ist  in  vielen  Fällen  die  Folge  einer  An- 
passung an  andere  Lebensbedingungen,  sei  es  daß  die  Lebensbedingungen 
der  alten  Heimat  sich  im  Laufe  der  Zeit  ändern,  sei  es  daß  die  Sippe  in 
ein  anderes  Gebiet  einwandert,  wo  sie  nur  mit  gewissen  Umbildungen  zu 
bestehen  vermag.  Die  Entstehung  der  neuen  Sippen  ist  daher  in  diesen 
Fällen  auch  mit  einer  Umbildung  der  vegetativen  Organe  verbunden  und 
ist  daher  nicht  nur  eine  Tatsache  der  systematischen  Zugehörigkeit,  sondern 
auch  der  physiologischen  Ausbildung,  in  der  Pflanzenwelt  also  nicht  nur  der 
Flora,  sondern  auch  der  Vegetation.  Auch  die  Ausbildung  der  vegetativen 
Organe  erfolgt  nicht  nach  einfachen  mechanischen,  physikalischen  oder 
chemischen  Gesetzen,  sondern  erfolgt  aus  der  bestehenden,  von  uns  nicht 
weiter  zu  analysierenden  Eigenart  der  organischen  Sippen  heraus,  stellt  eine 
Reaktion,  fast  möchte  man  sagen,  einen  Willensakt  der  einzelnen  Organismen 
dar,  steht  aber  nichtsdestoweniger  in  strenger  Abhängigkeit  von  den  Ver- 
hältnissen   der    äußeren  Umgebung  und    den    von    ihr   ausgehenden    Reizen, 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     129 

ist  eine  Anpassung  an  diese*).  Was  heute  an  einer  gegebenen  Stelle  leben 
will,  muß  den  an  dieser  Stelle  gegebenen  Lebensbedingungen  angepaßt 
sein;  oder  es  muß  untergehen.  Insofern  lassen  sich  die  Erscheinungen  der 
Vegetation  und  die  entsprechenden  Erscheinungen  der  Tierwelt  als  eine 
Funktion  der  heutigen  geographischen  Verhaltnisse,  besonders  der  heutigen 
klimatischen  Verhältnisse,  auffassen.  Es  ist  die  größte  Errungenschaft  der 
neueren  Pflanzengeographie,  daß  sie  diese  Abhängigkeit,  die  man  bisher  nur 
aus  dem  Zusammenfallen  der  Verbreitung  gewisser  Vegetationsverhältnisse 
und  gewisser  Zustände  der  anorganischen  Erdnatur  erschlossen  hatte,  physio- 
logisch plausibel  gemacht  hat.  In  manchen  Fällen  zeigt  bloß  eine  einzelne 
Art,  in  anderen  eine  Gattung,  wieder  in  anderen  eine  ganze  Familie,  wie 
die  Kakteen,  in  allen  ihren  Gattungen  eine  bestimmte  vegetative  Ausbildungs- 
weise; in  jenen  Fällen  ist  die  der  vegetativen  Ausbildung  zu  Grunde  liegende 
Anpassung  wahrscheinlich  erst  spät  und  in  räumlich  beschränkten  Gebieten 
erfolgt,  während  in  diesem  Falle  die  ganze  Familie  seit  langer  Zeit  imter 
denselben  äußeren  Bedingungen  gelebt  haben  muß.  Von  einer  entsprechenden 
Auffassung  der  Tierwelt  sind  leider  erst  dürftige  Anfänge  vorhanden,  mehr 
in  der  halbpopulären  als  in  der  speziell  wissenschaftlichen  Literatur.  Es  liegt 
hier  ein  wichtiges  Forschungsgebiet  brach,  durch  dessen  Beackerung  die  Zoo- 
logen die  Tiergeographie  mehr  fördern  könnten  als  durch  die  oft  ziemlich 
haltlosen  geologischen  Spekulationen. 

Die  Geographie  hat  also  die  kausale  Betrachtung  der  Pflanzen-  und 
Tierwelt  unter  zwei  verschiedenen  Gesichtspunkten  vorzunehmen: 

1.  unter  dem  Gesichtspunkte  der  Abstanmiung;  in  diesem  Falle  kann 
die  Erklärung  nur  genetisch  erfolgen,  da  die  Verbreitung  der  Pflanzen-  und 
Tiersippen  in  die  geologische  Vergangenheit  zurückreicht  und  daher  sowohl 
die  Kenntnis  des  Stammbaums  wie  die  geologischen  Veränderungen  der  festen 
Erdoberfläche  und  des  Klimas  voraussetzt. 

2.  unter  dem  Gesichtspunkt  der  Lebensweise  und  der  damit  in  Zu- 
sanunenhang  stehenden  Ausbildung  der  vegetativen  Organe;  hier  kommt  es 
nur  auf  die  Abhängigkeit  und  Anpassung  an  die  Lebensbedingungen  der 
Gegenwart  an,  die  Erklärung  hat  nur  das  E^lima  und  den  Boden  sowie  die 
übrigen  Organismen  der  Gegenwart  in  die  Rechnung  zu  setzen. 

Das  Wesen  der  geographischen  Kausalität. 

Es  fehlt  uns  noch  viel  an  der  vollen  Erkenntnis  des  ursächlichen  Zu- 
sammenhangs der  geographischen  Erscheinungen,  aber  wir  kennen  heute 
wenigstens,  wie  die  vorhergehenden  Erörterungen  gezeigt  haben,  fast  in  allen 
Teilen  die  Art  und  Weise  dieses  Zusammenhangs.  Während  man  noch 
vor  einem  Jahrhundert  die  Erscheinungen  der  Erdnatur  als  die  Entfaltungen 
eines  Lebewesens  ansehen  konnte,  wissen  wir  heute,  daß  die  anorganische  Erd- 
natur nur  durch  Gesetze  der  Mechanik,  Physik  und  Chemie  beherrscht  wird, 
und  daß  Betrachtungen  über  das  Leben   und  die  Seele  der  Erde  der  meta- 

1)  Die  verschiedenen,  durch  die  Namen  Lamarck,  Darwin,  Nägeli,  Weis- 
mann,  M.  Wagner  u.  a.  gekennzeichneten  Auffassungen  des  Wesens  dieser  E 
Wickelung  und  Anpassung  können  hier  nicht  besprochen  werden. 


130  Alfred  Hettner: 

physischen  Spekulation  überlassen  bleiben  müssen.  Allerdings  zeigt  die  Erd- 
natur, wie  wir  noch  weiter  sehen  werden,  gewisse  Ähnlichkeiten  mit  einem 
Organismus  und  Verschiedenheiten  von  gewöhnlichen  Mechanismen,  aber  diese 
Verschiedenheiten  sind  nur  die  Wirkungen  eines  verwickeiteren  Baues,  als 
der  Mensch  seinen  Maschinen  zu  geben  vermag,  nicht  die  Folge  einer 
besonderen  Lebenskraft  der  Erde.  Ich  lasse  es  dahingestellt  sein,  ob  es 
zweckmäßig  ist,  diesen  Unterschied  von  gewöhnlichen  Mechanismen  durch  das 
Wort  Organismus  zu  kennzeichnen;  jedenfalls  muß  man  sich  dabei  bewußt 
bleiben,  daß  man  damit  nicht  der  Erde  eine  neue  Eigenschaft  beilegt,  viel- 
mehr andeutet,  daß  auch  die  pflanzlichen  und  tierischen  Organismen,  ähnlich 
der  Erde,  schließlich  nur  verwickelfcere  Mechanismen  sein  dürften. 

Unsere  Analyse  der  Erscheinungen  hat  ims  auf  eine  Anzahl  verschiedener 
Energiequellen  geführt.  Wenn  wir  sie  überblicken,  so  erkennen  wir,  daß  sie 
teils  der  Erde  selbst  eigentümlich  sind,  ihr  seit  ihrer  Entstehung,  d.  h.  also,  nach 
der  gewöhnlichen  Annahme,  seit  ihrer  Abtrennung  von  der  Sonne  angehören, 
teils  aber  den  anderen  Weltkörpem,  der  Sonne,  dem  Mond,  den  Planeten 
inne  wohnen  und  mechanische  oder  physikalische  Einwirkungen  dieser  auf 
die  Erde  darstellen.  Wir  können  danach  tellurische  und  kosmische  Energien 
unterscheiden,  die  wir  mit  den  ererbten  Eigenschaften  des  Menschen  oder 
überhaupt  des  organischen  Individuums  auf  der  einen,  den  Einwirkungen 
der  Erziehung  oder  überhaupt  der  Umgebung  (des  Milieus)  auf  der  anderen 
Seite  vergleichen  können,  wobei  wir  uns  jedoch  hüten  müssen,  durch  diesen 
Vergleich  in  anthropomorphische  Vorstellungen  zurückzufallen. 

Bei  weiterer  Unterscheidung  ergeben  sich  uns  die  folgenden  Energien^): 

I.   Tellurische  Energien. 

1.  Die  Energie  der  fortschreitenden  Bewegung  der  Erde 
kommt  für  die  Verschiedenheiten  an  der  Erdoberfläche  kaum  in  Betracht; 
dagegen  wirkt  die  der  Erde  als  rotierendem  Körper  innewohnende  Be- 
wegungsenergie an  der  Erdoberfläche  als  Zentrifugalkraft  und  ruft  da- 
durch nicht  nur  Ablenkungen,  Azimutalveränderungen,  der  einzelnen  an  der 
Erdoberfläche  stattfindenden  Bewegungen,  besonders  der  Luft  und  des 
Wassers,  sondern  auch  neue  Bewegungssysteme  hervor.  Inwieweit  es  sich 
dabei  um  eine  Vermehrung  oder  nur  um  eine  Umwandlung  der  Energie 
handelt,  mag  dahingestellt  bleiben.  Die  Größe  der  Zentrifugalkraft  ändert 
sich  mit  der  geographischen  Breite,  worin  die  Verschiedenheit  der  Luft- 
bewegungen in  den  niederen  und  höheren  Breiten  hauptsächlich  ihre  Ur- 
sache hat. 

2.  Die  Schwere  der  Erde,  die  eine  Funktion  ihrer  Masse  ist,  wohnt 
allen  Körpern  der  Erdoberfläche  teils  als  potentielle  Energie  inne,  teils  be- 
wirkt sie  als  kinetische  Energie  die  Erscheinungen  des  Fallens,  Rollens  und 
Gleitens.  Ihr  Betrag  wechselt  zwar  mit  der  geographischen  Breite  und  der 
Meereshöhe,  aber  so  unbedeutend,  daß  dieser  Unterschied  an  sich  keine 
geographische    Bedeutung    haben    würde.     Die    Schwere    wird    eine    Ursache 

1)  Vergl.  hierzu  Supan,  Physische  Erdkunde,  2.  Aufl.,  S.  14  0".,  wo  aber  merk- 
würdigerweise die  Schwere  nicht  unter  den  Energiequellen  aufgezählt  wird. 


Grundbegriffe  nnd  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     131 

geographischer  Verschiedenheiten  nur  durch  die  Verschiedenheiten  der  Be- 
dingungen, welche  die  Erdoberfläche  den  genannten  Bewegungen  darbietet. 
Die  Umwandlung  der  Schwere  aus  potentieller  in  kinetische  Energie  wird 
nur  durch  die  vorhergehende  Wirksamkeit  anderer,  namentlich  thermischer 
Kräfte  möglich  (Verdunstung  und  Hebung  des  Wassers  in  der  Atmosphäre, 
Lockemng  des  Gesteins  durch  Verwitterung,  Bildung  unterii'discher  Hohlräume 
in  Folge  der  Kontraktion). 

3.  Auf  der  Erdwärme  oder  der  thermischen  EneVgie  des  Erd- 
innern  und  den  damit  verbundenen  Vorgängen  der  Ausdehnung  und  Zu- 
sammenziehung sowie  chemischen  Umsetzung  beruhen  das  Andringen  und 
Ausbrechen  glutflüssigen  Magmas  sowie  wahrscheinlich,  unter  Mitwirkung 
der  Schwere,  die  große  Mehrzahl  der  Dislokationsvorgänge  der  Erdrinde, 
wodurch  nicht  nur  die  Form  und  die  stoffliche  Zusammensetzung  der  Erd- 
rinde, sondern  auch  ihre  potentielle  Schwereenergie  geändert  wird.  Ihre 
thermische  Einwirkung  auf  die  Erdoberfläche  scheint,  von  örtlichen  und 
zeitlichen  Ausnahmen  abgesehen,  an  allen  Stellen  der  Erdoberfläche  die  gleiche 
zu  sein,  so  daß  sie  in  dieser  Beziehung  keinen  großen  Einfluß  hat. 

4.  Ob  dem  Erdinnem  elektrische  und  magnetische  Energie 
zukommt,  wissen  wir  noch  nicht;  dagegen  müssen  wir  mit  einer  chemischen 
Energie  des  Erdinnem  rechnen,  deren  Wirkungen  wir  aber  noch  nicht 
von  denen  der  theimischen  Energie  unterscheiden  können,  und  die  mit 
dieser   wohl   auch   tatsächlich   großenteils   zusammenfällt. 

n.  Kosmische  Energien. 

1.  Eine  stoffliche  Einwirkung  des  Weltalls  findet  durch  den  Fall  von 
Meteoriten  statt,  ist  aber  im  ganzen  unbedeutend. 

2.  Die  Gravitation  oder  Attraktion  der  Sonne,  zusammen  mit  der 
des  Mondes  und  der  Planeten,  hält  die  Erde  in  ihrer  Bahn  und  wird  damit 
zur  Bedingung  aller  davon  abhängigen  Erscheinungen.  Als  geographische 
Ursache  wirkt  sie  aber  nur  insofern,  als  ihr  Betrag  an  verschiedenen  Stellen 
der  Erdoberfläche  beträchtliche  Verschiedenheiten  zeigt.  Die  wichtigste  hier- 
her gehörige  Erscheinung  ist  die  Gezeitenbewegung,  die  jedoch  nach  dem 
gegenwärtigen  Stand  der  Forschung  nur  in  der  Hydrosphäre  geographische 
Bedeutung  hat. 

3.  Die  Sonnenstrahlung,  und  nebensächlich  auch  die  Strahlung  des 
Mondes  und  der  Sterne,  gewinnt,  soviel  wir  beurteilen  können,  in  viererlei 
Weise  Bedeutung:  1.  als  Licht,  aus  dessen  Einwirkung  auf  die  irdischen 
Substanzen  auch  die  Farbenerscheinungen  hervorgehen;  2.  als  strahlende  Wärme, 
die  sich  an  der  Erdoberfläche  in  Temperatur  umsetzt;  3.  als  chemisch  wirk- 
same Strahlung;  4.  als  elektrische  Strahlung,  auf  deren  Vorhandensein  die 
Beziehungen  zu  den  Sonnenflecken  schließen  lassen,  von  der  wir  aber  sonst 
noch  wenig  wissen. 

Eine  naturwissenschaftliche  Auffassung  wird  sich  schwer  damit  be- 
freunden können,  Leben  und  Geist  als  besondere  Energiequellen  anzusehen, 
wenn  das  auch  keine  Erfahrungstatsache,  sondern  nur  ein  wissenschaftliches 
Postulat  ist. 

Es  ist  die  Aufgabe  der  ganzen  physischen  Geographie^  zu  verfolgen,  in 


132  Alfred  Hettner: 

welcher  Weise  die  genannten  Energien  in  den  geographischen  Erscheinungen 
der  verschiedenen  Naturreiche  oder  Erdsphären  zur  Geltung  kommen.  Hier 
können  nur  die  allgemeinen  Gesichtspunkte  angegehen  werden.  Diese  sind 
keineswegs  einfach.  Durch  die  Umbildung  der  ursprünglichen  Energie  in 
andere  Energieformen,  z.  B.  der  Wärme  der  Sonnenstrahlen  in  Bewegungs- 
erscheinungen, sowie  durch  die  Verbindung  verschiedener  Energien  zu  gemein- 
samer Wirkung  wird  eine  unendliche  Mannigfaltigkeit  von  Vorgängen  erzeugt, 
die  auch  nicht  je  auf  eine  Sphäre  beschränkt  sind,  sondern  in  der  verschie- 
densten Weise  aus  der  einen  in  die  andere  übergreifen.  Der  Prozeß  läßt 
sich  bei  dem  heutigen  Stand  unserer  Kenntnisse  nur  qualitativ,  noch  nicht 
quantitativ  unter  dem  Gesichtspunkte  des  Gesetzes  von  der  Erhaltimg  der 
Energie  auffassen,  und  wir  können  auch  nicht  sagen,  ob  dabei  die  gesamte 
Energie  der  Erde  konstant  bleibt  oder  sich  durch  Aufnahme  von  Energie 
aus  dem  Weltraum  vermehrt  oder  durch  Abgabe  von  Energie  an  den  Welt- 
raima  vermindert. 

Wenn  man  den  ursächlichen  Zusammenhang  der  Erscheinungen  an  der 
Erdoberfläche  und  die  damit  verbundene  Umwandlung  der  Energie  scharf 
auffassen  will,  darf  man  sich  vor  allen  Dingen  nicht  mit  den  allgemeinen 
Begriffen:  Einfluß,  Einwirkung,  Abhängigkeit  begnügen,  sondern  muß  zwischen 
wirkenden  Ursachen,  die  selbst,  indem  sie  wirken,  eine  Änderung  erleiden 
und  dadurch  dem  Prinzip  der  Erhaltung  der  Energie  unterliegen,  und  bloßen 
Bedingungen  unterscheiden,  die  nur  die  Richtung  oder  die  Äußerungsweise 
des  einmal  eingeleiteten  Vorgangs  bestimmen  und  für  die  Auffassimg  der 
Energie  nur  in  Betracht  kommen,  insofern  sie  durch  Reibimg  einen  Teil  der 
Energie  aufzehren.  Nur  bei  jenen  kann  man  von  einer  Wirkung,  bei  diesen 
dagegen  nur  von  einem  Einfluß  sprechen.  Jene  stellen  die  Triebkraft  dar, 
diese  sind  mit  dem  Gerüst  der  Maschine  zu  vergleichen.  Alle  Erscheinimgen 
der  Atmosphäre,  von  den  früher  genannten  unbedeutenden  Ausnahmen  ab- 
gesehen, sind  eine  Wirkung  der  Sonnenstrahlung,  der  Schwere  und  der 
Zentrifugalkraft,  diese  sind  ihre  Ursachen,  während  als  Bedingungen  sowohl 
der  Bewegungen  wie  der  Art  der  Erwärmung  auch  die  Gestalt  und  Be- 
schaff'enheit  des  festen  und  flüssigen  Untergrundes  in  Betracht  kommen.  Das 
Fließen  des  Wassers  hat  seine  Ursache  in  der  Schwere,  aber  die  Bahnen 
des  Wassers  werden  zugleich  durch  die  Gestalt  und  Beschaffenheit  (Durch- 
lässigkeit) der  Erdoberfläche  bedingt. 

Sehr  häufig  ist  ein  Übergang  von  einem  in  das  andere  Naturreich.  Die 
Sonnenstrahlung  erwärmt  zunächst  hauptsächlich  die  feste  Erdrinde  und  das 
Wasser.  Von  ihnen  wird  dann  die  Wärme  durch  Rückstrahlung,  Leitung 
und  Strömung  der  Atmosphäre  mitgeteilt,  in  dieser  erzeugt  sie  Druckdiffe- 
renzen, senkrechte  und  wagrechte  Luftströmungen,  die  dann  mechanisch  auf 
das  Wasser  (Wellenbewegungen  und  Strömimgen)  und  auf  die  feste  Erdober- 
fläche wirken.  Die  Wärme  bewirkt  auf  dem  Wasser  auch  Verdunstung,  also 
einen  stofflichen  Übergang  von  Wasser  aus  der  Hydrosphäre  oder  aus  der 
Pflanzenwelt  in  die  Atmosphäre.  Hier  bewirkt  sie  durch  die  Ausdehnung 
der  Luft  Hebung  des  Wasserdampfes  und  Kondensation  in  der  Höhe.  Durch 
die  Hebung  wird  die  potentielle  Schwereenergie   vermehrt,    die    früher    oder 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     133 

später  den  Fall  des  Wassertropfens  auf  die  Erdoberfläche  und  auf  dieser  ein  all- 
mähliches Abwärtsgleiten  bis  in  das  Niveau  des  Meeresspiegels  bewirkt  Bei 
dieser  gleitenden  und  rollenden  Bewegung  des  Wassers  wird  ein  Teil  der 
Bewegungsenergie  dazu  verwendet,  Stücke  des  festen  Untergrundes  loszureißen 
und  in  Bewegung  zu  versetzen. 

Bei  einem  solchen  Übergang  der  Energie  von  einer  in  die  andere  Sphäre 
oder  auch  von  einer  in  die  andere  Erscheinungsweise  derselben  Sphäre  kommt 
es  öfters  vor,  daß  eine  Erscheinung  in  dem  einen  Augenblick  die  Ursache 
ist,  im  nächsten  aber  von  der  anderen  Erscheinung  abhängig  ist.  Der  Bach 
gräbt  sich  durch  Wegnahme  von  Gesteinsteilchen  selbst  seine  Rinne,  nun 
aber  weist  die  Rinne  dem  Bach  die  Bahn  an.  Regelmäßige  Niederschläge 
ermöglichen  das  Aufkommen  des  Waldes,  das  Vorhandensein  des  Waldes 
trägt  aber  durch  die  reichlichere  Verdunstung  un4  die  Mäßigung  der  aus- 
strahlenden Wärme  dazu  bei,  Niederschläge  hervorzurufen.  Allerdings  scheint 
dabei  die  Erscheinung,  welche  zunächst  die  Wirkung  ist,  nie  zur  Ursache, 
sondern  nur  zur  Bedingung  der  andern  Erscheinungen  zu  werden,  und  der 
Ausdruck  Wechselwirkung,  den  man  dafür  gebraucht,  ist  daher  streng 
genommen  ungenau;  man  dürfte  eigentlich  wohl  nur  von  ursächlichen 
Wechselbeziehungen  sprechen.  Sie  tragen  viel  dazu  bei,  den  Einblick 
in  den  ursächlichen  Zusammenhang  der  Erscheinungen  zu  erschweren. 

Eine  sehr  wichtige  Tatsache  ist  die  zeitliche  Veränderung  der 
tellurischen  und  kosmischen  Energiequellen  und  damit  auch  ihrer  Wirkungen. 
Wir  haben  bei  der  elementaren  Analyse  des  zeitlichen  Ablaufes  der  Erschei- 
nungen erörtert,  daß  die  geographische  Betrachtung  es  unmittelbar  nur  mit 
den  in  kurzen  Zeiträumen  sich  vollziehenden,  in  weiterem  Sinn  der  Gegen- 
wart angehörigen  zeitlichen  Schwankungen  und  fortschreitenden  Veränderungen 
zu  tun  hat,  und  wenn  die  Erdoberfläche  überall  flüssigen  und  gasförmigen 
Aggregatzustand  hätte,  würden  uns  die  zeitlich  weiter  zurückliegenden  Energie- 
quellen überhaupt  nichts  angehen.  Die  Erscheinungen  der  festen  Erdrinde 
sowie  der  Pflanzen-  und  Tierwelt  sind  aber  nicht  so  vergänglich  wie  die  der 
Hydrosphäre;  vielmehr  überdauern,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Wirkungen 
ihre  Ursachen,  und  da  die  heutigen  Verhältnisse  der  festen  Erdrinde  die  Be- 
dingung der  Erscheinungen  der  Hydrosphäre  und  Atmosphäre  sind,  sind  auch 
diese  indirekt  von  Ursachen  der  Vergangenheit  abhängig. 

Man  kann  in  diesem  Einfluß  der  Vergangenheit  wieder  eine  Ähnlich- 
keit mit  einem  Organismus  erkennen,  denn  während  die  Einwirkimgen,  die 
auf  eine  Maschine  erfolgen,  immer  nur  als  Triebkraft  wirken  imd  das  Räder- 
und Hebelwerk  der  Maschine  selbst,  von  einer  gewissen  Abnutzimg  abgesehen, 
nicht  verändern,  erleidet  das  ganze  Werk  der  Erde,  ähnlich  wie  der  Orga- 
nismus unter  dem  Einfluß  der  Nahrungsaufnahme,  eine  beständige  Umwand- 
lung, so  daß  es  sich  auch  den  von  außen  kommenden  Einwirkungen  gegen- 
über in  jedem  folgenden  Augenblick  anders  verhält  als  im  vorhergehenden. 
Nur  die  eigentlich  geschichtliche  Betrachtung  der  historischen  Geologie,  welche 
jeden  Zeitabschnitt  aus  dem  vorhergehenden  ableitet,  kann  die  Tatsachen 
der  Entwickelung  in  vollem  Umfang  erfassen;  die  Geographie  muß  sich  be- 
gnügen,   die   wichtigsten  Tatsachen   der  Entwickelung  heranzuziehen,  um  sie 


134  Alfred  Hettner: 

für  das  Verständnis  der  Gegenwart  zu  verwerten.  Sie  wird  dabei  natürlich 
bemüht  sein,  nicht  nur  jede  einzelne  Entwickelungstatsache  für  sich  aufzu- 
fassen, sondern  mit  Hilfe  der  Geologie  die  Gesetze  der  Entwickelimg  zu  er- 
kennen und  daraufhin  regelmäßig  wiederkehrende  Entwickelungsreihen  auf- 
zustellen. Ob  dabei  ein  Vergleich  dieser  Entwickelungsreihen  mit  den  Alters- 
stufen und  der  Generationsfolge  der  Pflanzen  und  Tiere,  wie  er  neuerdings 
Mode  geworden  ist,  wissenschaftlich  förderlich  ist,  will  mir  zweifelhaft  er- 
scheinen. 

Schließlich  wird  die  Mannigfaltigkeit  der  geographischen  Erscheinungen 
noch  dadurch  vermehrt,  daß  eine  Einwirkung  verschiedener  Punkte 
der  Erdoberfläche  auf  einander  stattfindet  und  daß  sich  dadurch  die 
Wirkung  von  Kräften,  die  zunächst  nur  auf  einen  Punkt  einwirken,  indirekt 
auch  auf  andere  Punkte  erstrecken  kann.  Solche  Einwirkungen  bestehen  in 
der  Übertragung  oder  Verpflanzung  von  Stoffen,  Kräften  oder  Organismen 
durch  die  Bewegungen  der  Luft  oder  des  Wassers  oder  auch  durch  die 
eigene  Bewegung  der  Organismen.  Wenn  am  Fuße  der  Gebirge  der  Schutt 
des  Gebirges  abgelagert  wird  und  gelegentlich  auch  Gebirgspflanzen  sich  an- 
siedeln, wenn  das  ozeanische  Klima  mit  seiner  Feuchtigkeit  und  seiner  gleich- 
mäßigen Temperatur  nicht  auf  die  Oberfläche  der  Ozeane  beschränkt  ist, 
sondern  auf  die  Kontinente  hinübergreift,  wenn  Inseln  vom  Kontinent  her 
belebt  und  bevölkert  werden,  so  sind  das  hierher  gehörige  Erscheinungen. 
Der  große  Gegensatz  der  Gebiete  der  Abtragung  und  Ablagerung  sowie  die 
Bedeutung  der  Wasser-  und  Windscheiden  steht  hiermit  in  Zusanunenhang. 
In  manchen  Fällen,  z.  B.  bei  der  Fortpflanzung  der  Wellenbewegungen,  ist 
die  Übertragung  mit  einer  Summierung  der  Wirkungen  verbunden;  daher 
kommt  es,  daß  Gezeiten  und  Windwellen  nur  in  großen  Gewässern  stattliche 
Größe  erreichen  können,  damit  hängt  auch  die  Bedeutung  der  Größe  der 
Lebensräume  zusammen.  Geht  die  Erscheinung  bei  ihrer  Bewegung  oder 
Fortpflanzung  auf  ein  anderes  Medium  über,  so  entstehen  beim  Übergang  oft 
besondere  Grenzerscheinungen,  die  bei  mechanischen  Bewegungen  einfach 
auf  einer  vergrößerten  Reibung  oder  Stauung  beruhen  —  hierher  gehört 
namentlich  die  Brandung  des  Meeres  an  der  Küste  —  und  auch  im  organischen 
Leben,  besonders  im  Völkerleben,  meist  in  übertragenem  Sinn  als  Stauungen 
aufgefaßt  werden  können.  Es  ist  nicht  nötig,  diese  Erscheinungen  hier  näher 
zu  verfolgen,  da  wir  sie  bei  der  Betrachtung  der  Lagenbeziehungen  von 
neuem  ins  Auge  fassen  müssen.  Ich  möchte  nur  noch  darauf  hinweisen, 
daß  man  in  den  gleichzeitig  erfolgenden  und  in  ursächlichem  Zusammenhang 
mit  einander  stehenden  Veränderungen  verschiedener  Erdstellen  eine  Analogie 
zur  Korrelation  der  Teile  in  den  organischen  Körpern  erblicken  kann. 

Synthetische  Betrachtung. 

Es  ist  ein  überaus  verwickelter  Mechanismus  oder,  wenn  man  lieber  will, 
Organismus,  den  uns  unsere  analytische  Betrachtung  der  Erdoberfläche  kennen 
gelehrt  hat,  imd  wenn  uns  auch  einzelne  Teile  dieses  Mechanismus  oder 
Organismus  wenigstens  in  ihren  Grundzügen  klar  sind,  so  bleibt  in  anderen 
Teilen  unser  Verständnis   noch  ziemlich   an   der  Oberfläche    haften,    ohne   in 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     135 

das  innere  Triebwerk  eindringen  zu  können.  Darum  kann  die  Wissenschaft, 
deren  letzte  und  höchste  Aufgabe  es  ja  immer  sein  muß,  ihren  Gegenstand, 
nachdem  sie  ihn  analytisch  zergliedert  hat,  in  synthetischer  Darstellung 
wieder  aufzubauen,  diese  Aufgabe  erst  imvollständig  erfttllen.  Gerade  das 
Fundament  des  geographischen  Lehrgebäudes,  d.  h.  den  inneren  Bau  der 
festen  Erdrinde,  kennen  wir  erst  sehr  mangelhaft;  wir  müssen  es  einfach 
stehen  lassen,  wie  es  ist,  und  unsere  Nachbildungen  darüber  errichten.  Die 
höheren  Stockwerke,  d.  h.  die  Disziplinen  von  der  äußeren  Umbildung  der 
festen  Erdoberfläche,  von  den  Gewässern,  von  der  Lufthülle  imd  teilweise 
auch  die  Geographie  der  Pflanzen  und  Tiere,  vermögen  wir  wenigstens  in 
den  allgemeinsten  Umrissen  der  Wirklichkeit  entsprechend  aufzubauen.  Aber 
die  Konstruktion  des  Daches,  d.  h.  die  Geographie  des  Menschen,  will  uns 
wieder  noch  nicht  recht  gelingen. 

Selbstverständlich  kann  es  die  Aufgabe  dieser  Studie  nicht  sein,  den 
Bau  aufzuführen;  sie  kann  nur  eine  flüchtige  Umrißskizze  davon  vorlegen. 
Aber  auch  hierbei  werden  wir  gut  tun,  uns  an  einfacheren  Aufgaben  zu 
üben,  nämlich  die  Erdoberfläche  zunächst  unter  vereinfachten  Bedingungen 
aufzubauen.  Wir  haben  gesehen,  daß  die  Verschiedenheiten  der  Erdoberfläche, 
wenn  wir  von  einigen  untergeordneten  Erscheinungen  absehen,  teils  auf  der 
Verschiedenheit  der  Sonnenstrahlung,  teils  auf  der  verschiedenen  Einwirkung 
des  Erdinnem  beruhen,  und  wir  werden  deshalb  gut  tun,  zunächst  einmal 
jede  dieser  beiden  Einwirkungen  für  sich  allein  ins  Auge  zu  fassen  und  uns 
in  zwei  auf  einander  folgenden  Betrachtungen  klar  zu  machen,  wie  die  Erd- 
oberfläche aussehen  würde,  wenn  nur  die  eine  der  beiden  genannten  Energie- 
quellen vorhanden  wäre,  die  andere  dagegen  fehlte,  in  Bezug  auf  sie  also 
die  verschiedenen  Teile  der  Erdoberfläche  keine  Unterschiede  zeigten.  Li 
beiden  Fällen  betrachten  wir  die  Erde  als  einen  rotierenden  Körper  von  ge- 
gebener mathematischer  Form  und  gegebener  Masse. 

Sehen  wir  zuerst  von  der  Energie  des  Erdinnem  und  der  Wirkung 
endogener  Kräfte  ganz  ab,  so  würde  die  feste  Erdrinde  aller  Unebenheiten 
entbehren  und  von  der  mathematischen  Erdfigur,  dem  Sphäroid,  nicht  ab- 
weichen. Darüber  würde  sich  eine  zusammenhängende  Wasserhülle  mit  gleich- 
falls sphäroidaler  Oberfläche  und  über  ihr  die  Lufthülle,  ähnlich  wie  jetzt, 
aber  mit  gleichmäßigem  Untergrund  ausbreiten.  Die  Erde  wäre  also  eine 
homogene  Wasserkugel.  Verschiedenheiten  auf  der  Erdoberfläche  würden  dann 
nur  durch  die  verschiedene  Bestrahlung  durch  die  Sonne  und  nebenbei  durch 
die  verschiedene  Attraktion  des  Mondes  und  der  Sonne  hervorgerufen.  Es 
wären  dann  nur  zwischen  verschiedenen  Breiten  Verschiedenheiten  möglich. 
Diese  würden  zunächst  in  den  Verschiedenheiten  der  Tageslänge  und  des 
Einfallswinkels  der  Sonnenstrahlen  bestehen.  Die  Folge  davon  würde  eine 
Abstufung  der  Wärme  und  die  bekannte  jahreszeitliche  Verschiebung  der 
Wärmegttrtel  sein.  Dadurch  würden  Verschiedenheiten  des  Luftdruckes  in 
den  verschiedenen  Breiten  \md  Ausgleichsbewegungen  erzeugt.  In  Folge  des 
Einflusses  der  durch  die  Rotation  bedingten  Zentrifugalkraft  würden  daraus 
große  atmosphärische  Wirbel  entstehen,  von  ähnlicher  Ausbildung,  wie  wir 
sie   heute  auf  den  großen  Ozeanen  finden,  aber  die  ganze  Erde  gürtelförmig 


136  Alfred  flettner: 

umgebend.  Diese  Lnftbewegungen  würden  in  den  verschiedenen  Jahreszeiten 
verschiedene  Intensität  haben  und  würden  sich  auch  räumlich  verschieben,  so 
daß  gewisse  Übergangsgebiete  besonders  in  der  Subtropenzone  bald  dem 
einen,  bald  dem  anderen  Gürtel  angehörten.  In  den  verschiedenen  Gürteln 
würden  die  Niederschläge  verschiedene  jährliche  Periode  und  verschiedene 
Stärke  haben.  Daraus  würden  sich  für  die  Meeresoberfläche  Zonen  eines  ver- 
schiedenen Verhältnisses  der  Verdunstung  und  der  Wasserzufuhr  durch  Regen 
und  damit  verschiedenen  Salzgehaltes  ergeben,  woraus  langsame  Ausgleichs- 
bewegungen folgen  würden,  während  die  Winde  andere  drifbartige  Meeres- 
strömungen hei*vorriefen,  die  sich  natürlich  gleichmäßig  und  zusammenhängend 
rings  um  die  ganze  Erde  erstreckten.  Nehmen  wir  nun  einmal  einen  Augen- 
blick an,  daß  die  Erdoberfläche  keine  Wasserfläche  wäre,  sondern  ganz  aus 
Festland  bestände,  ohne  doch  der  Feuchtigkeit  zu  entbehren,  so  würden  mit 
der  Temperatur  und  den  Niederschlägen  auch  die  Wasserführung  der  Flüsse, 
die  Art  und  der  Grad  der  Verwitterung  wie  der  Zerstörung  und  Abtragung 
durch  Wasser,  Eis  und  Wind  und  damit  die  ganze  Bodengestaltung  und 
Bodenbeschaffenheit  bestinunt  sein,  und  zwar  müßten  sie  eine  Anordnung 
nach  Zonen  der  geographischen  Breite  zeigen.  Auch  die  Vegetation  müßte 
sich  dann  nach  Breitenzonen  gliedern,  da  deren  verschiedene  Wärme  und 
Feuchtigkeit  verschiedene  Anpassungseinrichtungen  erforderten.  Unter  der 
Annahme,  daß  diese  klimatischen  Gegensätze  schon  seit  langer  Zeit  beständen, 
müßten  die  systematischen  Verschiedenheiten  der  Pflanzenwelt  mit  den  physio- 
logischen zusammenfallen,  die  Vegetationszonen  also  zugleich  Florenzonen  sein, 
da  sich  jede  in  einer  Breitenzone  entstandene  Art  bei  dem  Fehlen  irgend 
welcher  Unterschiede  oder  Verbreiterungsschranken  sofort  über  die  ganze 
Breitenzone  hätte  ausbreiten  können  und  müssen.  Dem  entsprechend  würde 
sich  auch  die  Tierwelt  nur  mit  der  geographischen  Breite  ändern,  und  auch 
die  menschlichen  Verhältnisse  könnten  auf  die  Dauer  keine  anderen  Gegen- 
sätze zeigen;  die  Rassen  ebenso  wie  die  Kulturformen  würden  mit  den  Breiten- 
zonen zusammenfallen,  ein  wirtschaftlicher  Austausch  würde  sich  nur  zwischen 
verschiedenen  Breiten  lohnen. 

Ganz  anders  würde  die  Erdoberfläche  aussehen,  wenn  umgekehrt  die 
Verschiedenheiten  der  Bestrahlung  ganz  wegfielen,  wenn  z.  B.  die  Erde  ihre 
Wärme  nicht  von  der  Sonne,  sondern  ganz  gleichmäßig  aus  dem  Weltraum 
empfinge,  und  auch  keine  Gezeiten  durch  die  Attraktion  kosmischer  Körper 
hervorgerufen  würden,  wenn  vielmehr  nur  die  verschiedene  Reaktion  des  Erd- 
innem  auf  die  Erdoberfläche  wirkte.  Es  ist  schwerer,  diese  Abstraktion 
durchzuführen  als  die  vorige,  weil  wir  die  Wirkung  der  tellurischen  Kräfte 
noch  nicht  von  allen  Beimischungen  kosmischer  Kräfte  zu  trennen  vermögen. 
Wir  müssen  der  Einfachheit  halber  allen  endogenen  Kräften  tellurischen  Ur- 
sprung zusprechen  und  uns  den  innem  Bau  der  Erdrinde  ganz  auf  tellurische 
Kräfte  begründet  denken,  was  ja  streng  genommen  nicht  richtig  ist.  Wir 
nehmen  also  einfach  den  heute  tatsächlich  vorhandenen  inneren  Bau  der 
Erdrinde  als  gegeben  an.  Damit  würden  auch  die  Hauptzüge  der  Verteilung 
von  Land  und  Meer  und  der  Bodenplastik  so,. wie  sie  sind,  gegeben  sein,  da 
die  äußeren  (exogenen)  Kräfte  mehr  im  einzelnen  umwandelnd  wirken.     Auch 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     137 

die  Mußsysteme  würden  im  großen  imd  ganzen  wohl  den  heutigen  gleichen, 
in  vielen  Einzelheiten  aber  anders  aussehen,  da  der  Kampf  um  die  Wasser- 
scheide, den  die  Flüsse  mit  einander  führen,  bei  anderen  klimatischen  Ver- 
hältnissen anders  ausfallen  würde.  Die  klimatischen  Verhältnisse  wären  von 
den  heutigen  vollkommen  verschieden,  denn  der  Unterschied  der  geographi- 
schen Breite  wäre  bedeutungslos,  nur  die  Verteilung  von  Land  und  Meer  und 
die  Bodenplastik  hätten  gewisse  Unterschiede  der  Erwärmung  und  damit  auch 
ungleiche  Bewegungen  und  Niederschläge  zur  Folge.  Die  klimatischen  Ver- 
hältnisse würden  daher  keine  zonale  Anordnung,  sondern  einen  bunten,  ledig- 
lich von  der  Verteilung  von  Land  und  Meer  abhängigen  Wechsel  zeigen,  und 
dabei  würden  die  Unterschiede  und  Gegensätze,  besonders  der  Temperatur, 
gering  sein.  Das  Gleiche  würde  auch  von  den  Verhältnissen  der  Bewässerung, 
der  Bodenbildung  und  der  Vegetation  gelten.  Auch  die  größten  Gegensätze 
der  Flora  und  Fauna,  die  ja  auf  der  Trennung  der  beiden  gemäßigten  Zonen 
durch  die  Tropen  beruhen,  würden  wegfallen,  die  Verschiedenheiten  der  Flora 
würden  damit  überhaupt  geringer  sein  und  wären  ganz  vorwiegend  auf  die 
Absonderung  der  Kontinente  und  Inseln  durch  das  Meer  zurückzuführen. 
Auch  bei  den  Tieren  und  Menschen  würden  die  großen  klimatischen  Gegen- 
sätze der  Lebensweise  fehlen,  dagegen  die  in  der  Bodengestaltung  und  Boden- 
beschaffenheit und  der  Absonderung  durch  Meere  und  Gebirge  beruhenden 
Gregensätze  viel  mehr  zur  Geltung  kommen. 

Lassen  wir  jetzt  diese  Abstraktionen  bei  Seite  und  betrachten  das  wahre 
Bild  der  Erdoberfläche  als  das  Ergebnis  des  Zusammenwirkens  der  kosmischen 
und  der  tellurischen  Kräfte!  Wir  erkennen  dann,  daß  das  Bild,  wie  wir  es  von 
einer  homogenen,  nur  unter  dem  Einfluß  der  Sonnenstrahltmg  und  nebenbei 
auch  der  Eosmischen  Attraktion  stehenden  Erdkugel  entworfen  haben,  nur  in 
den  höchsten  Schichten  der  Atmosphäre,  auf  die  die  Verschiedenheiten  der 
Erdoberfläche  keinen  Einfluß  mehr  ausüben,  eine  gewisse  Wirklichkeit  hat, 
für  die  Erdoberfläche  selbst  dagegen  eine  reine  Abstraktion  ist.  Dagegen 
erkennen  wir,  daß  die  Tatsachen  des  inneren  Baues,  die  wir  als  die  primäre 
Wirkung  der  tellurischen  Kräfte  aufgefaßt  haben,  keine  bloße  Abstraktion, 
sondern  etwas  Wirkliches  sind  und  nun  weiter  eine  Bedingung  aller  übrigen 
Verschiedenheiten  bilden.  Diese  ergeben  sich  je  nach  der  Art  des  Wirkens 
der  verschiedenen  Kräfte  in  verschiedener  Weise,  und  so  können  wir  die 
Tatsachen  der  Erdoberfläche,  welche  den  Gegenstand  der  geographischen 
Betrachtung  bilden,  in  eine  Anzahl  von  Tatsachenreihen  gruppieren,  die 
jede  in  sich  im  allgemeinen  die  gleiche  Kausalität  haben,  von  einander  aber 
sich  durch  verschiedene  Kausalität  unterscheiden.  Eine  solche  Tatsachen- 
reihe braucht  nicht  auf  ein  Naturreich  oder  gar  auf  eine  Kategorie  von  Er- 
scheinungen beschränkt  zu  sein,  sondern  kann  Erscheimmgen  verschiedener 
Naturreiche  und  Kategorien  umfassen. 

Die  erste  dieser  Beihen  umfaßt  die  Tatsachen  des  innem  Baus  der 
festen  Erdrinde,  und  wir  können  sie  deshalb  als  die  Reihe  der  Tatsachen 
tektonischer,  oder  auch,  um  zugleich  den  Ursprung  aus  dem  Erdinnem  und 
die  allmähliche  Entwicklung  auszudrücken,  als  Tatsachen  endogenetischer 
Kausalität  bezeichnen.     Allerdings  haben  wir  gesehen,  daß  in  den  inneren 

Oeographitche  Zeiiachrift.  9.  Jahrgang.  1903.  8.  Heft.  10 


138  Alfred  Hettner: 

Ban  auch  exogene,  also  in  letzter  Linie  von  kosmischen  Kräften  abhängige 
Vorgänge  hineinspielen;  aber  wir  haben  auch  gesehen,  daß  die  geographische 
Betrachtung  die  Gesteinsmassen  als  etwas  Gegebenes  hinnehmen  und  den 
inneren  Bau  nur  unter  dem  Gesichtspunkt  der  durch  die  inneren  Kräfte  be- 
wirkten Anordnung  dieser  Gesteinsmassen  auifassen  muß.  In  diesem  Sinn 
können  wir  den  inneren  Bau  in  der  Tat  als  das  Ergebnis  tellurischer  oder 
wenigstens  endogener  Kräfte  ansehen,  falls  wir  es  noch  dahin  gestellt  sein 
lassen  wollen,  ob  diese  in  letzter  Linie  tellurischen  oder  kosmischen  Ursprungs 
sind.  Mit  dem  inneren  Bau  sind  auch  die  größten  Tatsachen  der  Form 
der  festen  Erdoberfläche,  namentlich  die  Verteilung  und  große  Gliederung 
der  Kontinente  und  Ozeane  und  die  Anordnung  und  rohe  Form  der  Ge- 
birge u.  s.  w.  gegeben.  Hierher  gehören  im  großen  und  ganzen  auch  die 
Flußsjsteme,  obwohl  hierbei  auch  schon  klimatische  Einflüsse  stark  mit- 
sprechen. 

An  die  Tatsachen  des  inneren  Baues  schließen  sich  als  eine  zweite 
Tatsachenreihe  solche  Tatsachen  der  äußeren  Umbildung  an,  welche  ans 
der  Vergangenheit  stammen,  aber  in  der  Einwirkung  von  Kräften  der  Erd- 
oberfläche ihren  Grund  haben.  Insofern  diese  Einwirlnmgen  der  Vergangen- 
heit denen  der  Gegenwart  gleichen,  erfordern  sie  keine  besondere  Betrach- 
tung. Aber  in  mancher  Beziehung  sind  doch  die  Unterschiede,  obwohl  sie 
in  letzter  Linie  vielleicht  nur  auf  unbedeutende  Gradunterschiede  zurück- 
führen, so  eingreifend,  daß  die  Einwirkungen  der  Vergangenheit  fdr  sich 
aufgefaßt  werden  müssen.  Hierher  gehören  namentlich  die  Tatsachen  der 
Eiszeit  und  überhaupt  anderer  klimatischer  Verhältnisse  der  jüngeren  geo- 
logischen Vergangenheit  Je  mehr  sich  die  Forschung  in  die  Züge  der  Erd- 
oberfläche versenkt  hat,  um  so  mehr  sind  ihr  darin  die  Einwirkungen  der 
Eiszeit,  einer  vergangenen  Steppenzeit,  auch  eines  warmfeuchten  Klimas  der 
Tertiärzeit  entgegen  getreten;  sind  doch  die  Oberflächenformen  und  der  Boden 
ganzer  Landschaften  fast  unversehrte  Gebilde  der  Eiszeit  I  Wir  können  diese 
Tatsachen  wohl  als  exogenetische  bezeichnen.  Ihre  letzten  Ursachen  sind 
ganz  andere  als  die  der  endogenetischen,  aber  sie  stellen  sich  der  Geographie 
insofern  unter  ähnlichem  Gesichtspunkt  dar,  als  diese  die  Wirkungen  hin- 
nehmen und  ihre  ursächliche  Erklärung  der  Hauptsache  nach  der  Geologie 
überlassen  muß. 

Dagegen  gehört  die  dritte  Tatsachenreihe  der  Gegenwart  und  damit 
ganz  der  Geographie  an.  Sie  umfaßt  die  Tatsachen,  als  deren  wirkende 
Ursache  die  kosmischen  Einwirkungen  und  im  besonderen  die  Bestrahlung  der 
Erde  durch  die  Sonne  anzusehen  ist.  Sie  begreift  also  in  erster  Linie  die 
Tatsachen  des  Klimas,  aber  nicht  in  seiner  idealen  Ausbildung  auf  der 
homogenen  Erdoberfläche,  sondern  in  der  wirklichen  Ausbildung,  die  natürlich 
zunächst  von  der  Sonnenstrahlung  als  von  ihrer  wirkenden  Ursache,  zugleich 
aber  von  dem  Bau  der  festen  Erdrinde  als  von  ihrer  wichtigsten  Bedingung, 
abhängig  ist,  so  daß  sich  die  Gegensätze  der  wagrechten  und  senkrechten 
Gliederung  mit  denen  der  geographischen  Breite  kombinieren.  Insofern 
können  wir  diese  Tatsachenreihe  als  die  klimatische  Tatsachenreihe 
•ezeichnen.     Ihnen  können  wir  die  Tatsachen   anreihen,  die   der  Hauptsache 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.      139 

nach  Tom  Klima,  daneben  aber  auch  in  größerem  oder  geringerem  Maße 
von  der  Gestalt  und  Beschaffenheit  der  festen  Erdoberfläche  abhängig  sind. 
Das  sind  zmiächst  die  Tatsachen  der  Bewässerung,  femer  die  meisten  Be- 
wegungen (mit  Ausnahme  der  Gezeiten)  und  physikalischen  Verhältnisse  der 
stehenden  Gewässer,  femer  die  Kräfte  der  Verwitterung,  Abtragung  und  Ab- 
lagerung, wie  sie  in  der  Gegenwart  wirken  oder  auch  früher  schon  unter 
gleichen  Bedingungen  gewirkt  haben,  schließlich  die  physiologische  Abhängig- 
keit der  Pflanzen  und  Tiere  von  den  Lebensbedingungen,  da  unter  diesen 
die  klimatischen  Bedingungen  unbedingt  am  wichtigsten  sind.  Insofern  können 
wir  die  ganze  Tatsaohenreihe  auch  als  die  klimatisch-physiologische 
bezeichnen.  Die  verschiedenen  Unterreihen,  außer  der  eigentlich  klimatischen, 
sind  einander  koordiniert,  d.  h.  keine  kann  vorzugsweise  als  Ursache  der 
anderen  betrachtet  werden,  sondem  sie  sind  in  erster  Linie  von  der  klima- 
tischen abhängig,  und  zwischen  ihnen  findet  Wechselwirkung  statt 

Die  vierte  Tatsachenreihe  ist  auf  die  Tatsachen  des  Lebens  beschränkt 
und  umfaßt  diejenigen  Erscheinungen  des  Lebens,  welche  sich  nicht,  wie  die 
Lebensweise,  allein  aus  den  Bedingungen  der  Gegenwart  erkennen  lassen, 
sondem  die  in  der  Vergangenheit  ihren  Grund  haben.  Das  gilt,  wie  wir  uns 
überzeugt  haben,  von  den  Tatsachen  der  Flora  und  Fauna,  d.  h.  von  der 
Verteilung  der  systematischen  Sippen  der  Pflanzen  und  Tiere  oder  auch,  in 
etwas  anderer  Weise,  des  Menschen,  und  wir  können  daher  die  darauf  bezüg- 
lichen Tatsachen  als  biogenetische  Tatsachen  bezeichnen.  Die  Ent- 
stehung und  räumliche  Ausbreitung  der  Floren  und  Faunen  hat  schon  in 
älterer  Zeit  begonnen  und  ist  mit  der  Entstehung  der  heutigen  Formen  der 
Erdoberfläche  und  der  Ausbildung  der  heutigen  Klimate  Hand  in  Hand  ge- 
gangen. Als  wirkende  Ursache  hat  man  den  im  Wesen  des  Lebens  begrün- 
deten Differenzierungstrieb  der  organischen  Natur  anzusehen,  über  dessen 
eigentliches  Wesen  ja  die  Meinungen  der  Biologen  inmier  noch  auseinander- 
gehen; die  Bedingungen  sowohl  der  Differenzierung  selbst  wie  der  Ausbrei- 
tung der  durch  die  Differenzierung  entstandenen  Sippen  sind  teils  in  endo- 
genetischen,  teils  in  exogenetischen,  teils  in  klimatisch-physiologischen  Tat- 
sachen zu  suchen. 

An  die  biogenetischen  Tatsachen  schließen  sich  grundsätzlich  auch  die 
Tatsachen  der  Entwickelung  des  menschlichen  Lebens  an;  die  Unterschiede 
bestehen  darin,  daß  als  wirkende  Ursachen  neben  und  vor  den  rein  bio- 
logischen Ursachen  psychische  Ursachen  in  Betracht  kommen,  und  daß  die 
Entwickelung  sich  vorzugsweise  in  der  Gegenwart  und  jüngeren  Vergangen- 
heit vollzieht,  so  daß  den  von  der  Gregenwart  abweichenden  Naturbedingungen 
der  Vergangenheit  verhältnismäßig  geringe  Bedeutung  zukonmii 

(Schluß  folgt.) 


10* 


140  Hans  Maurer: 


Deutsch -Ostafrika. 

Eine  klimatologische  Studie 

von  Dr.  Hans  Maurer  in  Hamburg. 

Mit  drei  Tafeln. 

IT.  Das  nördliche  Innere. 

Die  Trennung  des  inneren  Deutsch-OstaMkas  in  eine  Nord-  und  eine 
Südhälfte  ist  nicht  ganz  willkürlich,  sondern  diese  beiden  Teile  zeigen  auch 
in  der  Tat  tiefer  gehende  unterschiede,  wie  sie  uns  ja  schon  an  der  Küste 
entgegen  getreten  sind.  Während  wir  im  Norden  zwei  durch  eine  intensive 
Trockenheit  im  Sonmier  getrennte  Regenzeiten  zu  Anfang  und  Ende  des 
Sommers  fanden,  war  im  Süden  nur  eine  Regenzeit  zu  bemerken,  die  später 
begann  als  die  kleine  des  Nordens  und  früher  endigte  als  die  große  und 
ihre  größten  Regenmengen  dann  lieferte,  wann  im  Norden  die  stärkste 
Trockenheit  herrschte.  Dem  entsprechend  fiel  die  heißeste  Jahreszeit  im 
Norden  der  Küste  auf  Ende  Februar,  im  Süden  dagegen  in  den  November. 

Diese  beiden  Klimatypen  verbreiten  sich  von  der  Küste  aus  auch  in  das 
Innere,  nur  verläuft  die  Grenzschicht  zwischen  beiden  nicht  ostwestlich,  son- 
dern von  Südosten  nach  Nordwesten,  so  daß  nur  die  Nordostecke  unserer 
Kolonie  denselben  Klimatypus  wie  Tanga  zeigt,  wie  er  uns  in  der  Tat  auch 
in  Usambara  und  am  Kilimandjaro  entgegengetreten  ist,  während  der  indische 
Klimatypus,  den  wir  im  Süden  der  Küste  vorfanden,  im  Innern  den  größtea 
Teil  des  Gebietes  beherrscht.  Erst  im  Nordwesten  der  Kolonie  tritt  ein  dritter 
Klimatypus  auf,  der  äquatoriale,  der  später  zu  besprechen  sein  wird. 

Während  so  der  Nordosten  und  der  Nordwesten  klimatisch  zum  übrigen 
Gebiet  in  Gegensätze  treten,  zeigt  auch  der  zentrale  Teil  im  Norden  seine  Be- 
sonderheit, die  ihn  von  dem  Süden  unterscheidet.  Sie  läßt  sich  am  ein- 
fachsten nach  der  Bodengestaltung  kennzeichnen.  Schon  in  einer  Entfernung 
von  wenig  mehr  als  100  km  von  der  Küste  erreichen  wir  hier  im  Norden 
die  Grenze  eines  ausgedehnten  abflußlosen  Gebietes,  etwa  halb  so  groß  wie 
das  Königreich  Preußen,  das  dem  Indischen  Ozean  nicht  mehr  tributär  ist 
und  das  Salzseen  und  Salzsteppen  enthält. 

Ganz  anders  im  Süden  der  Kolonie,  in  dem  die  langen  Ströme  Rufiyi 
imd  Rovuma  noch  aus  Entfernungen  von  über  500  km  Luftlinie  vom  Meer 
das  Wasser  zum  Indischen  Ozean  leiten,  und  wo  an  Stelle  der  ebenen 
Terrassen  des  Nordens  einzelne  Bergländer  und  ein  reicheres  Relief  des 
Bodens  treten.  Als  Grenze  zwischen  Süd  und  Nord  möge  der  Rufiyi  mit 
dem  Ruaha  und  dem  Kisigo  galten. 

An  den  Grenzen  des  nqäräli^en  abflußlosen  Gebietes  nach  Osten  und 
Südosten  finden  wir  eine  Reihe  >Ton  Bergländem,  von  denen  uns  das  küsten- 
nächste, Usambara,  bereits  näher  bekannt  geworden  ist.  Nordwestlich  schließt 
sich  das  Paregebirge  an,  das  nach  der  größeren  Entfernung  von  der  Küste 
und  der  Lage  im  Windschutze  uSambaras  gegen  die  feuchteren  Südost- 
winde  bereits  merklich  trockener  als  jenes  Gebirge  ist.     Im  Südwesten  von 


Deutsch-Ostafrika.  141 

Usambara  folgt,  von  diesem  durch  eine  ca.  80  km  breite  Lücke  getrennt, 
durch  die  das  verbreiterte  Küstenvorland  mit  der  wasserarmen  Massaisteppe 
in  Verbindung  steht,  das  Ngurugebirge.  Auch  dieses  zeigt  unter  dem  Einfluß 
der  Seewinde  eine  feuchte  Ostseite,  an  der  wohl  kaum  ein  wirklicher  Trocken- 
monat zu  stände  konmii  Selbst  in  der  sonst  äußerst  trockenen  Zeit  im 
Januar  und  Februar  1898,  wo  ich  das  Gebirge  von  Süden  nach  Norden 
durchreiste,  hatten  wir  nicht  selten  Regen,  und  auch  manche  kleinere  Bäche 
waren  damals  nicht  trocken.  An  ihnen  entwickelt  sich,  allerdings  nicht  in 
derselben  Üppigkeit  wie  in  Usambara,  Wald,  der  die  Bach-  und  Flußufer  bis 
in  die  Steppe  hinab  begleitet.  Die  Eingeborenen  bauen  Bananen,  Zuckerrohr, 
Mais  und  Tabak;  und  von  dem  Gedeihen  europäischer  Gemüse  konnten  wir 
uns  im  Garten  der  Mission  Mhonda  überzeugen. 

Weiter  südlich,  von  Ngum  durch  die  wildreiche  Mkattaebene  getrennt, 
finden  wir  das  Ulugurugebirge,  das  sich  im  Lukwanguleplateau  bis  zu  2420  m 
über  das  Meer  erhebt.  Unter  ähnlichen  klimatischen  Verhältnissen,  wie  wir 
sie  in  Usambara  kennen  lernten,  zeigt  sich  hier  in  5 — 600  m  Seehöhe  die 
Flora  der  Vorhügel  aus  Gehölz  von  fiederblättrigen  Leguminosen  und  Baum- 
sträuchem.  Hie  und  da  finden  wir  Raphiapalmen  und  in  den  Galeriewäldern 
an  den  Wasserläufen  Lianen  und  Epiphyten.  In  600 — 1000  m  Seehöhe  folgt 
die  entwaldete  Kulturzone  mit  Gestrüpp,  Gras  und  Baumgruppen  bewachsen, 
wo  die  geschützten  Täler  bereits  eine  üppige  Vegetation  zeigen.  Darüber 
tritt  ein  Mischwald  aus  Steppenwald  und  Regen wald  auf,  der  in  1400  bis 
2000  m  Seehöhe  in  einer  Zone  andauernden  Nebels  und  Regens  in  Hoch- 
wald mit  bis  zu  50  m  hohen  Bäumen,  reichlichem  Unterholz  und  vielen 
Epiphyten  übergeht  Hier  entspringen  die  wasserreichen  Bäche,  die  in 
schönen  Wasserfällen  die  Hänge  hinabstürzen.  In  der  höchsten  Höhe  des 
Gebirges  finden  wir  Wolkenwald  mit  dürren  Bäumen,  die  reichlich  mit 
Flechten  behangen  sind,  oder  die  oflFene  Vegetation  der  Hochweiden  und  auf 
wasserdichterem  Boden  der  Hochmoore.  Man  wird  auch  in  diesem  Gebirge 
mit  Erfolg  tropische  Plantagen  anlegen  können,  wenn  erst  die  geplante  ost- 
afrikanische  Zentralbahn  bis  zum  Nordfuß  der  Berge  nach  Mrogoro  gebaut 
sein  wird,  wo  auf  der  katholischen  Mission  schon  jetzt  Kaffee  mit  gutem  Er- 
folg gezogen  wird. 

Ehe  wir  diese  Bergländer  verlassen,  um  ims  zur  Betrachtung  der  ebenen 
Terrassen  im  Innern  zu  wenden,  bleibt  uns  noch  das  am  weitesten  in  das 
Innere  vorgeschobene  Bergland  übrig,  das  von  Uluguru  aus  nordwestlich  jen- 
seits des  Mkattaflusses  sich  ausdehnt,  Ussagara.  Seiner  größeren  Entfernung 
von  der  Küste  entsprechend  ist  der  Wasserreichtum  dieses  Gebietes  erheblich 
geringer  als  in  jenen  küstennahen  Gebirgen.  Die  Station  Kilossa,  am 
vorderen  Rande  des  Berglandes  in  nur  500  m  Seehöhe  gelegen,  zeigt  eine 
jährliche  Regenmenge  von  kaum  700  mm,  wovon  das  meiste  in  der  Mitte 
des  Sommers  fällt,  während  der  Winter  fast  ganz  regenlos  ist.  In  der  Zeit  von 
j^ini — September  sind  im  Durchschnitt  mehrerer  Jahre  nur  50  mm  Regen  gefallen. 
Der  heißeste  Monat  mit  ca.  27®  Mitteltemperatur  ist  schon  der  November 
unmittelbar  vor  Beginn  der  sommerlichen  Regen,  dem  indischen  Klimatypus 
entsprechend.    Der  kälteste  ist  der  Mai  mit  etwa  20®  Mitteltemperatur.     Die 


142  Hans  Maurer: 

täglichen  Schwankungen  der  Temperatur  sind  groß,  sie  betragen  im  Jahres- 
durchschnitt 13®,  und  es  sind  im  Winter  Tage  mit  23®  Unterschied  in  der 
Tages-  und  Nachttemperatur  vorgekommen.  Die  absolut  höchste  Temperatur 
im  Jahr  1898  betrug  37,9®,  die  niedrigste  8,7®. 

Die  tieferen  Lagen  bringen  Reis,  Mais  und  Negerhirse  und  an  den 
Wasserläufen  Zuckerrohr,  ölpalmen  und  Maulbeerbäume  hat  die  Station 
mit  gutem  Erfolg  eingeftthrt.  Eui-opäische  Kartoffeln  dagegen  mißrieten 
im  Jahr  1899/1900  wegen  zu  großer  Feuchtigkeit,  für  sie  ist  die  eine 
Hälfte  des  Jahres  zu  trocken,  die  andere  zu  feucht  An  den  östlichen 
Hängen  des  Berglandes  findet  sich  an  den  Zuflüssen  des  Mkatta  hie  und  da 
tropischer  Urwald  mit  Baumfamen  und  Bananen.  Die  höheren  Teile  des 
Landes  aber,  die  in  der  Gegend  von  Mpuapua  etwa  1000  m  über  der  See  ge- 
legen sind,  sind  trocken  und  zeigen  nur  hie  und  da  Buschwald,  meist  aber 
Buschsteppe.  Trotz  der  großen  Meereshöhe  sind  hier  Maximaltemperaturen 
von  über  34®  beobachtet  worden,  und  der  heißeste  Monat  November  kam 
auf  24,3®  Mitteltemperatur.    Die  Luftfeuchtigkeit  sank  im  Winter  bis  auf  32®/^. 

Westlich  von  hier  verlassen  wir  die  Bergländer  und  treten  in  die  ab- 
flußlosen Steppengebiete  ein,  von  deren  trauriger  Beschaffenheit  uns  die  un- 
mittelbar hinter  Mpuapua  beginnende  Marenga  makali,  die  Bitterwassersteppe, 
nach  dem  Natrongehalt  ihres  Bodens  so  genannt,  einen  Eindruck  geben  kann. 
Das  spärliche  Wasser  muß  hier  in  der  trockenen  Zeit  in  den  ausgetrock- 
neten sandigen  Flußbetten  in  Löchern  gegraben  werdei^,und  bildet  da  eine 
trübe  bittersalzige  Brühe,  die  der  verdurstende  Reisende  mit  Überwindung  an 
die  Lippen  bringt  und  nach  einem  kurzen  Schluck  mit  Ekel  von  sich  weist. 
Schon  an  der  Grenze  dieses  Gebietes  in  Tchunyo  heißt  das  Flüßchen  Mala 
Matako  d.  i.  „das  Gesäß  tut  weh",  weil  man  nämlich,  nach  der  Erklärung 
der  Eingeborenen,  so  lange  neben  dem  gegrabenen  Wasserloch  hockend  warten 
muß,  bis  es  von  dem  langsam  hineinsickemden  Wasser  gefällt  ist  (Kannenberg). 
Die  Wolkenbrüche  der  Regenzeit  dagegen  setzen  die  Wege  im  umsehen  unter 
Wasser  und  machen  sie  durch  das  Einreißen  steiler  und  tiefer  Wasserrisse 
auch  für  Fußgänger  fast  unpassierbar.  Dabei  sind  diese  tiefen  Wasserrisse 
mitunter  kaum  100  m  lang.  Die  Bodenbedeckung  besteht  vielfach  aus  Dom- 
büschen, den  IY2 — 2  m  hohen  Ndulandusi  mit  feingefiederten  Blättchen  und 
3 — 4  cm  langen  Domen,  die  in  ihrer  überwiegenden  Mehrheit  durch  den 
Stich  einer  winzigen  Atneisenart  am  Grunde  zu  einer  stark  erbsengroßen  An- 
schwellung verdickt  sind.  Die  Ameisen  sind  die  eigentlichen  Bewohner  der 
Steppe.  Wieviel  Tausende  und  Abertausende  solcher  Domsträucher  bedecken 
die  viele  Quadratkilometer  große  Steppe,  wo  jeder  Strauch  Hunderte  von 
Dornen  zeigt  und  jeder  Dom  die  Wohnung  von  gegen  50  dieser  Tierchen 
ist!  Andere  imponierende  Massenleistungen  der  Ameisen  in  der  Steppe  sind 
die  Termitenhaufen,  feste  Erdschanzen  manchmal  bis  zu  3  m  hoch  und  so 
solide  gebaut,  daß  mitunter  Bäume  von  mehreren  Metern  Höhe  auf  ihrer 
Spitze  festen  Halt  zu  fassen  vermögen. 

Sieben  Monate,  von  Mai  bis  November,  liegt  Ugogo,  das  Land,  das  die 
Marenga  makali  umfaßt,  trocken  imd  dürr,  der  rote  staubige  Boden  wird 
vielfach  von  nackten  Gneisblöcken  und  Bergen  durchbrochen.     Kein  immer- 


Deutsch-Ostafrika.  143 

fließender  Bach  ist  im  Lande  vorhanden;  die  Vegetation  auch  in  den  vor- 
handenen Steppenwäldem  ist  dürr  nnd  laublos.  Die  tägliche  Temperatur- 
schwankung ist  sehr  groß.  Stuhlmann  hat  hier  Nachttemperaturen  von  4,5^ 
gemessen.  Mit  den  ersten  Regen  Ende  November  aber  bedecken  sich  die 
steinigen  Halden  mit  Grün  und  Blumen  und  der  Steppenbusch  und  Wald 
treibt  Blätter  und  rote  und  weiße  Blüten. 

In  Ugogo  endigt  ein  Abschnitt  der  großen  ostafrikanischen  Grabensenke, 
die  westlich  vom  Kenia  und  Kilimandjaro  vorbeistreichend  durch  die  Salzseen 
der  Massaisteppe  bis  hierher  sich  ausdehnt.  Hier  in  ügogo  verliert  sich  ein 
über  200  km  langer  Fluß,  der  Bubu,  der  einen  großen  Teil  dieses  Grabens 
durchfließt,  trostlos  in  der  Steppe.  Nur  in  abnorm  starken  Regenzeiten  soll 
er  in  eine  lose  Wasserverbindung  mit  dem  Flußsjstem  des  Rufiyi  treten. 
Folgen  wir  diesem  gewaltigen  Graben  nordwärts,  so  führt  er  uns  an  den 
Westrand  der  weitausgedehnten  Massaisteppe,  die  den  Raum  zwischen  den 
vorher  genannten  Bergländem  des  Kilimandjaro,  von  Pare,  Usambara,  Nguru 
und  Ussagara  im  Osten  und  Süden  bis  zu  dem  steileren  Westrand  des  ost- 
afrikanischen  Grabens  ausfüllt.  Die  Seehöhe  dieses  Gebietes  schwankt  von 
600  bis  gegen  1200  m.  Große  Trockenheit  und  große  tägliche  Temperatur- 
schwankungen sind  das  Kennzeichen  dieses  Gebietes  für  den  größten  Teil 
des  Jahres.  Es  fehlt  der  Einfluß  des  Meeres,  dessen  Nähe  an  der  Küste  die 
durchschnittliche  Tagesschwankung  auf  6 — 8®  herabdrückt,  während  sie  hier 
etwa  doppelt  so  groß  ist  und  Tage  mit  mehr  als  25^  unterschied  in  der 
Tag-  und  Nachttemperatur  vorkommen.  Dadurch  ist  bei  der  starken  Ab- 
kühlung der  Nacht  trotz  dur  geringen  absoluten  Feuchtigkeit  Taubildung 
nicht  selten,  und  schon  2000  m  über  dem  Meer  haben  Peters,  Tiede- 
mann  und  Schöller  sogar  Reif  und  Eis  beobachtet.  Als  Beispiele  für  die 
Temperaturverhältnisse  der  Massaisteppe  mögen  die  folgenden  Daten  aus  dem 
SchöUerschen  Reisewerk  dienen: 

Am  19.  IX.  1896  11  ühr  vorm.  südwestlich  vom  Meruberg  1360  m  hoch  33,5* 

„      1.    X.  1896    4"  ühr  nachm.  östlich  vom  Doenyo-Ngai  800  „      „      35,0* 

«^     V    ^oo^  u  XI-  1.            TT-ux    •                 6  Uhr  vorm.  1860  „       „        7,0*1 

„    29.    X.  1896  östhch  vom  Viktonasee        j^.o  n^r  vorm.  1980  „      l     82>) 

Jedes  einzelne  Wasserloch,  das  in  dieser  trockenen  Gegend  bekannt  ge- 
worden ist,  findet  man  auf  den  Karten  verzeichnet  mit  einer  Notiz,  ob  man 
dort  das  ganze  Jahr  hindurch  oder  meist  nur  kurz  nach  der  Regenzeit 
Wasser  erhoffen  darf.  Dabei  ist  auch  hier  dies  Wasser  in  der  Regel  eine 
sehr  zweifelhafte  Erfrischung,  da  es  meist  salzig  ist.  Im  ostafrikanischen 
Graben  selbst  finden  wir  dicht  an  seinem  ziemlich  steilen  Westrand  dies 
salzige  Wasser  in  einigen  Seen  gesammelt.  Da  ist  im  äußersten  Norden  des 
deutschen  Gebietes  der  Guasso-Nyiro,  der  Natronsee,  etwa  600  m  hoch  ge- 
legen, mit  rotgelbem  Wasser  von  etwa  50®  C  Temperatur,  dessen  Ufer  mit 
einer  dicken  Salzkruäte,  meist  Natrium  bicarbonicum,  bedeckt  sind.  Trotzdem 
wimmelt  der  See  von  Flamingos  und  Pelikanen.  Der  Afrikareisende  Schöller 
erlegte  hier  auf  einen  Doppelschuß  aus  einer  zweiläufigen  Büchse  20  Flamingo. 
Am  Westrand  des  Sees  finden  sich  zahlreiche  warme  Quellen,  Zeugen  der 
vulkanischen  Tätigkeit  in  der  Grabenbruchzone.    Im  Süden  des  Sees  liegt  der 


144  Hans  Maurer: 

noch  tätige  2100  m  hohe  Vulkan  Doenyo-NgaL  Bei  seinen  Eruptionen 
wirft  er  fast  nor  Salzwasser  aus,  das  dem  Natronsee  entstammt,  and  die 
dichte,  weiße  Kruste,  die  seinen  Kraterrand  umgibt,  hat  frühere  Durch- 
reisende dazu  verleitet,  ihn  für  einen  hohen  Schneeberg  zu  halten.  Südlich 
schließt  sich  der  Manyarasee  wieder  mit  salzigem  Wasser  an.  Er  liegt 
1000  m  über  der  See. 

Noch  weiter  südlich  bildet  der  Graben  das  Flußbett  des  erwähnten  Bubu, 
der  das  ganze  Jahr  Wasser  führt,  aber  von  sehr  veränderlicher  Länge  ist. 
Im  allgemeinen  erscheint  er  in  eine  Reihe  von  Tümpeln  aufgelöst,  wie  hier 
überhaupt  die  Wasserzusammenhänge  außerordentlich  variieren.  Unmittelbar 
nach  der  Regenzeit  stehen  kolossale  Flächen  der  Steppe  unter  Wasser.  Dann 
gewinnt  auch  hier  die  Steppe  ein  üppiges  Aussehen.  Überall  sproßt  Grün 
hervor,  das  sich  aber  nur  kurze  Zeit  gegen  die  versengende  Gewalt  der  Sonne 
halten  kann.  Das  Grün  verdorrt,  das  Wasser  verdunstet  und  nur  verbranntes 
Gras,  laubarme  Akazien  und  Domsträucher  und  hie  und  da  ein  schlammiger 
Tümpel  zeugen  von  der  schnell  verschwundenen  Pracht. 

Nicht  selten  glaubt  der  Wanderer  mitten  in  der  heißen  Steppe  Wasser- 
flächen zu  sehen,  die  aber  mit  der  größeren  Annäherung  dem  Auge  ver- 
schwinden. Die  vom  Himmel  herabkommenden  Lichtstrahlen  werden  dann 
in  der  heißen  dünnen  Luftschicht  über  dem  stark  erhitzten  Boden  so  sehr 
umgebogen  und  schließlich  total  reflektiert,  daß  sie  vom  Boden  her  zu  dem 
Beobachter  kommen,  der  die  bläulich  weißen  und  grauen  Flächen,  die  er  so 
in  der  Landschaft  sieht,  natürlich  för  Wasser  hält.  Ln  Suezkanal  konnte 
ich  diese  Erscheinung  sehr  deutlich  beobachten,  wo  wir  vor  uns  Seen  zu 
sehen  vermeinten,  während  bei  größerer  Annäherung  zugleich  mit  den  schein- 
baren Wasserflächen  der  Boden  sichtbar  wurde,  so  daß  man  an  eine  sumpfige 
schwach  überschwemmte  Fläche  zu  glauben  begann;  und  als  wir  dicht  dabei 
waren,  sahen  wir  an  derselben  Stelle  Wüstensand  und  nichts  als  Wüstensand. 

Was  die  Flora  dieser  Steppengebiete  anlangt,  so  ist  ihr  gewaltigster 
Vertreter,  der  in  dick  wulstigen  Stämmen  von  weichem  Holz  sich  breite 
Wasserreservoire  schafft,  der  Baobab.  Er  tritt  vereinzelt  auf,  ist  aber  bei- 
nahe in  der  ganzen  Kolonie  zu  finden.  Stuhlmann  gibt  seine  Nordgrenze 
im  Innern  auf  Sy,®  s.  Br.  an,  wonach  er  den  Viktoriasee  nicht  mehr  erreicht 
Fleischige,  Milchsaft  führende  Stengel  zeigen  die  Euphorbien,  deren  einzeln 
stehende  Kandelaberbäume  auch  hier  angetroffen  werden.  Fiederblättrige 
Pflanzen,  wie  die  Akazien  und  Mimosen,  schützen  sich  vielfach  dadurch  vor 
der  Austrocknung,  daß  sie  in  der  Sonne  die  Blättchen  zusammenlegen  und 
erst  in  der  Nacht  und  zur  Zeit  des  morgendlichen  Taues  wieder  auf- 
spannen. Einen  eigenartigen  Anblick  bietet  die  Schirmakaziensteppe.  Li  Ab- 
ständen wie  die  Bäume  im  Obstgarten  erheben  die  sonderbar  pilzförmigeD 
Akazien  ihre  Laubkronen  bis  in  eine  bestinmite  Höhe  und  bedecken  so  viele 
Quadratkilometer  große  Flächen.  Es  macht  den  Eindruck,  als  versuchten  sie 
ihr  Laub  möglichst  weit  von  dem  Erdboden,  der  die  sengende  Glut  zurück- 
strahlt, zu  entfernen,  während  der  Saft  in  ihren  Adern  niu-  bis  zu  einer  be- 
stimmten Höhe  zu  steigen  vermöchte,  in  der  sich  die  ganze  Krone  ausbreitet. 
Die  Entfernungen  der  Sträucher  in  der  Buschsteppe  voneinander  lassen  einen 


Deutsch-Ostafrika.  145 

Schluß  auf  die  Beschaffenheit  des  Bodens,  speziell  wohl  auch  auf  die  Grund- 
wasserverhältnisse zu.  Vielfach  fehlen  höhere  Strauch  er  fast  vollständig  und 
nur  niedere  Grasbüschel  in  großen  Abständen  bilden  die  traurigen  Reste  einer 
Vegetationsform,  die  der  Wüste  am  nächsten  steht.  Femer  finden  sich  weite 
Flächen  sehr  dicht  mit  ganz  kurzem  Gras  bewachsen.  Mit  höherem  Wasser- 
gehalt des  Bodens  aber  wird  die  Be wachsung  höher  und  reicher,  der  Busch 
dichter,  \md  höhere  Bäume  gesellen  sich  hinzu.  Die  Dumpalme  {Hyjphaene) 
strebt  höher  empor,  und  an  die  Grassteppe  schließt  sich  der  Steppenwald. 
Solche  Übergänge  aus  der  Grassteppe  in  die  Busch-  und  Baumsteppe  und  in 
den  Steppenwald  finden  wir  in  vielen  afrikanischen  Reisewerken  dargestellt, 
ist  doch  ein  solcher  Wechsel  in  der  Vegetationsform  oft  das  einzige,  was  in 
dem  viele  Tage  langen  Einerlei  der  Steppe  ein  besonderes  Interesse  bieten 
kann.  An  den  Flußufem  verdichtet  sich  der  Wald  zum  Galeriewald  mit 
hohen  und  dichten  Beständen,  die,  von  reichlichem  Unterholz  und  Schling- 
pflanzen durchwachsen,  vom  Wasser  aus  den  Eindruck  einer  üppigen  Vege- 
tation erwecken.  Aber  nur  auf  kleine  Entfernungen  vom  Fluß  reichen  diese 
Bestände  und  hinter  der  schmalen  Coulisse  erscheint  bald  die  trockene,  ein- 
förmige Steppe.  Trotzdem  vermag  die  Steppe  ein  reiches  Tierleben  zu  er- 
halten. Das  Nashorn  und  selbst  den  Elefanten,  der  doch  gewiß  nicht 
wenig  zum  Leben  braucht,  triflPt  man  mitten  in  der  Steppe. 

Besonders  aber  sind  die  schnellfüßigen  Tiere  vertreten,  denen  es  nicht 
darauf  ankommt,  wieviel  Meilen  sie  zur  Tränke  zu  laufen  haben:  Zebra, 
Giraffen,  Antilopen,  Gazellen  und  Strauße;  und  ihnen  folgen  der  Löwe  und 
die  Hyäne. 

Der  Westrand  des  großen  Grabens,  der  sich  steiler  und  höher  als  der 
östliche  erhebt,  bietet  von  neuem  den  vorherrschenden  östlichen  Winden  Ver- 
anlassung zur  Wasserabgabe;  und  so  entsteht  an  ihm  ein  feuchteres  Klima 
mit  üppigerer  Vegetation.  Hoher  Urwald  begleitet  auf  lange  Strecken  den 
Grabenrand.  Hier  ist  in  einer  Höhe  von  1400 — 1800  m  die  Luft  kühl  und 
besonders,  wenn  Mittags  die  Sonnenstrahlen  den  feuchtkalten  Morgennebel 
durchbrechen,  sehr  angenehm.  Auch  die  höheren  Teile  des  Ostrandes  zeigen 
ein  fruchtbares  Klima,  wie  z.  B.  die  Militärstation  Kondoa  (1400  m  hoch), 
von  der  nach  ihrem  letzten  Jahresbericht  reiche  Ernten  an  Bananen,  Reis, 
Weizen  und  Zwiebeln  gemeldet  werden. 

Westwärts  vom  großen  Graben  zweigt  sich  zwischen  dem  Natron-  und 
dem  Manyarasee  der  1000 — 1100m  über  die  See  erhobene  Wembaeregraben 
ab,  der  den  salzreichen  Ejassisee  und  die  Salzsteppe  Nyarasa  einschließt. 
Er  scheint  in  einer  früheren  Periode  mit  dem  Viktoriasee,  dessen  Spiegel 
etwa  1200  m  über  dem  Meere  liegt,  in  Wasserverbindung  gestanden  zu 
haben;  und  noch  heute  würde  es  wohl  für  unsere  jetzige  Wasserbautechnik 
keine  unauflösbare  Aufgabe  sein,  eine  solche  Verbindung  wiederherzustellen. 
Für  unsere  Kolonie  wäre  dies  sicher  ein  großer  Vorteil,  am  Nil  freilich 
würde  man  der  Sache  weniger  sympathisch  gegenüberstehen. 

Auf  dem  Plateau  zwischen  der  Wembaeresteppe  und  dem  Viktoriasee 
wechselt  lichter  hochstänmiiger  Akazienwald  mit  Ödem  verbranntem  Grasland 
und  Strauchgestrüpp.     Das  Gebiet  im   Süden   und  Osten  des   Sees   zeigt  im 


146  Hans  Maurer: 

allgemeinen  den  Charakter  einer  dürftigen,  grasreichen  Steppe,  aus  der  sich 
einzelne  fruchtbarere  Plateaus  erheben,  die  yermöge  ihrer  größeren  Erhebung 
als  Regensammler  auftreten. 

Westlich  von  der  Wembaeresenke  und  südlich  vom  Viktoria  Njanza  liegen 
die  Lander  ükonongo  und  ünyamwesi,  das  Dach  Afrikas,  etwas  über  1200  m 
über  dem  Meer,  von  dessen  Bändern  Wasserläufe  im  Norden  durch  den  Vik- 
toriasee und  den  Nil  zum  Mittelländischen  Meer,  im  Westen  durch  den  Tan- 
ganjikasee  und  den  Kongo  zum  Atlantischen  Ozean  und  im  Südosten  durch 
den  Rufiyi  zum  Indischen  Weltmeer  abfließen. 

Hier  sind  von  dem  großen  Karawanenhandelsplatz  Tabora  genauere 
klimatische  Angaben  bekannt  geworden.  Der  Klimatjpus  dieser  (regend 
nähert  sich  am  meisten  dem  indischen. 

Der  heißeste  Monat  ist  der  Oktober  gleich  im  Beginn  der  warmen 
Jahreszeit;  er  zeigt  25,1®  Mitteltemperatur,  obwohl  wir  uns  hier  ebenso 
hoch  über  dem  Meer  befinden,  wie  auf  dem  Gipfel  des  Brockens  (1240  m). 
Die  Mitte  des  Sommers  ist  von  der  einzigen  Regenzeit  des  Jahres  ansgefüllt, 
die  etwa  700  mm  Regen  bringt,  während  die  Zeit  von  Mai — Oktober  fast 
ganz  regenlos  ist  Die  6  Monate  bringen  zusammen  nicht  50  mm  Regen. 
Diese  winterliche  Zeit  mit  vorwiegend  südöstlichen  Winden  zeigt  sehr  große 
tägliche  Temperaturschwankungen  und  erzeugt  bei  Tage  starke  Lufttrockenheit. 
Es  sind  tägliche  Temperaturschwankimgen  von  mehr  als  20®  beobachtet 
worden,  und  selbst  im  Durchschnitt  des  Jahres  beträgt  diese  Schwankimg  13,5®. 
Unter  35  Beobachtungsmonaten  sind  9  gewesen,  in  denen  Mittags  die  Luft- 
feuchtigkeit auch  im  Monatsdiurchschnitt  unter  ^0%  gesunken  ist.  Der  käl- 
teste Monat  ist  der  Juli  mit  20®  Durchschnittstemperatur,  und  absolut  hat 
die  Temperatur  zwischen  9,2®  und  35,3®  geschwankt.  Die  vorherrschende 
Windrichtung  im  Jahresdurchschnitt  ist  Ost,  und  zwar  kommen  darunter 
Ostwinde  von  großer  Heftigkeit  vor.  Von  allen  beobachteten  Windrichtungen 
im  Jahr  fielen,  die  Windstillen  mitgerechnet,  um  7  Uhr  vorm.  73®/^,  um 
2  Uhr  vorm.  48®/o  und  um  9  Uhr  nachm.  80®/^  auf  die  rein  östliche  Richtung. 

Seinen  eigenen  klimatischen  Typus  zeigt  der  Viktoriasee.  Die  gewaltige 
Wasserfläche  von  75  000  qkm  (zum  Vergleich  sei  angegeben ,  daß  der  Boden- 
see 540  qkm  faßt)  vertritt  hier  die  Rolle  des  Weltmeeres;  sie  fördert  bei 
Tage  einen  Wind  vom  See  zum  Land,  bei  Nacht  einen  solchen  vom  Land 
zum  See,  und  so  sind  die  vorherrschenden  Windrichtungen  im  Osten  und 
Westen,  die  im  Norden  und  Süden  des  Sees  einander  fast  entgegengesetzt 
Der  vorherrschende  Wind  bei  Tage  ist  so  das  ganze  Jahr  hindurch  in  Ru- 
baga  im  Norden  S  und  SE,  in  Bukoba  am  Westufer  SE  und  E. 

Der  Südostpassat,  welcher  in  den  übrigen  Teilen  der  Kolonie  eine  so 
große  Rolle  spielt,  hat  hier  nur  noch  den  Einfluß,  daß  er  die  vom  See 
hervorgebrachten  Tagwinde  am  Nord-  und  Westufer  stärkt,  am  Süd-  und 
Ostufer  schwächt.  Im  Süden,  auf  der  Station  Muanza  bringt  er  es  sogar  zu 
Wege,  daß  im  Juni  imd  Juli  auch  nachmittags  Landwinde  häufiger  als  See- 
winde sind.  Dadurch  wird  der  Juli  in  Muanza  ein  trockener  Monat,  da  die 
Südostwinde,  die  bis  dahin  über  die  heißen  Steppenterrassen  gestrichen  sind, 
als    trockene  Winde    auftreten.     Anders    im  Westen  (Bukoba)    und   Norden 


DeutBch-Ostafrika.  147 

(Bubaga).  Hier  herrschen  das  ganze  Jahr  bei  Tag  Seewinde  vor,  die  von 
der  gewaltigen  Wasserfläche  reichliche  Feuchtigkeit  ins  Land  tragen,  und  so 
finden  wir  dort  keinen  trockenen  Monat  mehr  im  Jahr  und  dementsprechend 
eine  sehr  üppige  Vegetation,  die  gegen  den  steppenförmigen  Süd-  und  be- 
sonders den  Ostrand  des  Sees  gewaltig  absticht  Die  jährliche  Regenmenge 
in  Bukoba  überschreitet  2000  mm,  während  sie  in  Muanza  nur  etwa  1300 
betragen  mag.  Die  Hauptregenmengen  fallen  in  der  Zeit  von  Oktober  bis 
Mai,  während  in  der  Mitte  dieser  Periode  im  Januar  sich  eine  Regenabnahme 
zeigt.  Der  sehr  geringen  Entfernung  vom  Äquator  entsprechend  zeigt  der 
jährliche  Temperaturverlauf  hier  nur  äußerst  geringe  Unterschiede  zwischen 
dem  kältesten  und  wärmsten  Monat  Sie  unterscheiden  sich  in  Bukoba  wie 
in  Muanza  nur  um  1,5^.  Bei  diesem  geringen  Unterschied  ist  es  schon 
mehr  dem  Zufall  anheimgegeben,  welcher  Monat  gerade  am  kühlsten  und 
welcher  am  wärmsten  ist.  Mitunter  zeigt  der  regenreichste  die  niedrigste 
Durchschnittstemperatur;  im  großen  und  ganzen  aber  zeigt  das  Jahr  zwei 
wärmere  Perioden  etwa  zur  Zeit  der  Tag-  und  Nachtgleichen,  wenn  die 
Sonne  senkrecht  über  dem  Äquator  steht  und  beide  Erdhalbkugeln  Frühling 
und  Herbst  haben,  während  die  kühlen  Monate  die  sind,  in  denen  die  beiden 
Halbkugeln  Sommer  oder  Winter  haben.  Die  durchschnittliche  Jahrestemperatur 
beträgt  in  Bukoba  20,2^  in  Muanza  21,8^ 

Auch  am  Südrand  des  Sees  nehmen  die  Feuchtigkeit  und  die  Üppigkeit 
der  Vegetation  zu,  wenn  wir  weiter  nach  Westen  vorgehen.  Usincya  im 
Südwesten  ist  bereits  mit  dichterem  Steppenwald  bedeckt,  während  die  Dörfer 
in  dichten  Bananenhainen  liegen.  Sonstige  Erzeugnisse  des  Landes  sind  Maniok, 
Bohnen,  Erdnüsse,  Eleusine,  Bataten,  Sorghum  und  Kürbisse.  Es  folgt  Usui, 
ein  regenreiches  bergiges  Land,  und  Ihangiro,  für  das  Stuhlmann  als  nor- 
malen Wetterverlauf  angibt:  früh  klar;  zwischen  9 — 10  vormittags  ziehen 
dicke  Wolken  vom  See  her,  die  am  Mittag  starke  Regengüsse  bringen,  wäh- 
rend es  abends  wieder  klar  wird. 

Weit  nach  Westen  aber  reicht  der  befeuchtende  Einfluß  des  Viktoria- 
Njanza  nicht.  Schon  in  Karagwe  kommen  wir  wieder  in  ein  trockeneres 
Gebiet,  bis  zu  dem  die  feuchten  Seewinde  nicht  vordringen  können,  und  wo 
einer  Regenzeit  von  Januar  bis  April  eine  trockene  Zeit  im  übrigen  Jahr 
gegenübersteht  Wir  befinden  uns  hier  etwa  1500  m  über  dem  Meer  in 
einem  grasreichen  Weideland,  auf  dem  das  großhömige  Sangarind  und  das 
Fettschwanzschaf  in  reichen  Herden  gehalten  werden.  Um  die  Ansiedlungen 
gedeihen  aber  auch  hier  Mangobäume,  Limonen,  Papayen,  Granatäpfel;  auch 
Reis,  Weizen,  Tomaten  und  Eierfrüchte  werden  mit  gutem  Erfolge  gebaut. 
Erst  noch  weiter  westlich  treten  wieder  Waldparzellen  auf,  die  aber  schon 
das  Gepräge  des  Kongo-Urwaldes  tragen.  Wir  befinden  uns  hier  auf  der  tier- 
geographischen Grenze  zwischen  Ost-  und  Westafrika.  In  diesen  Wäldern 
treten  die  westafrikanischen  Formen,  der  graue  Papagei,  weißnasige  Affen 
und  Schimpansen  auf,  während  im  Gebiete  die  Ostafrikaner,  Giraffe,  Zebra, 
Strauß  und  Löwe  verschwinden.  Der  geschlossene  Gürtel  des  Kongo-Urwaldes, 
durch  den  der  Afrikareisende  monatelang  marschiert,  reicht  aber  nicht  bis  in 
unsere  Kolonie. 


148  Hans  Maurer:  Deutsch-Ostafrika. 

Die  Länder  üha,  ürundi  und  Ruanda,  die  uns  vom  Viktoriagebiet  in 
das  des  Tanganyika  hinübei-fEQiren,  sind  größtenteils  waldarm,  aber  sehr  reich 
bevölkert  und  gut  angebaut.  Bananenhaine  sind  häufig;  Ackerbau  und  Vieh- 
zucht stehen  in  großer  Bltlte.  Nur  in  Ruanda  ist  Wald  in  den  Höhen  reich- 
licher vorhanden.  Der  Afrikareisende  Kandt  ist  entzückt  von  dem  landschaft- 
lichen Reiz  der  dortigen  Hochtäler,  als  deren  Charakter  er  angibt: 
„Wasserreiche  Wiesengründe,  aus  denen  Tausende  von  bienenumschwärmten 
Königskerzen  aufragen,  durchflössen  von  krystallreinen  Bächen,  die  Mimosen 
oder  Ebereschen  ähnliche  Bäume  begleiten;  zu  beiden  Seiten  sanft  geneigte 
Hügel,  auf  deren  Kamm  der  dunkle  Urwald  beginnt,  sich  scharf  von  dem 
hellen  Grün  der  Hänge  abhebend."  Hier  hat  Kandt  im  Juli  1898  endgültig 
die  wirkliche  Quelle  des  Nils  entdeckt  und  damit  eine  Aufgabe  gelöst,  das 
„Caput  Nili  quaerere",  die  seit  dem  Altertum  als  ein  sprichwörtliches  Beispiel 
für  ein  undurchführbares  Unternehmen  galt. 

Nicht  weit  von  der  Nilquelle  hat  er  in  einem  solchen  Hochtal  nur 
2100  m  über  dem  Meer  Frost  erlebt. 

Im  Westen  von  Ruanda  erreichen  wir  den  gewaltigen  zentralafrikanischen 
Grabenbruch,  in  dem  der  Albert-  und  Albert-Edward-,  der  Kivu-  und  Tan- 
ganyikasee  gelegen  sind.  Nördlich  vom  Kivu  steigen  Vulkane  in  dem  Graben 
empor,  von  denen  einen,  den  Kirunga,  Graf  Götzen,  der  jetzige  Gou- 
verneur von  Deutsch -Ostafrika,  noch  tätig  gesehen  hat.  Kivu  und  Tan- 
ganyika, durch  den  Rusissifluß  verbunden,  gehören  bereits  zum  Stromgebiet 
des  Kongo,  zu  dem  der  Tanganyikasee  seinen  Abfluß,  den  Lukuga,  entsendet. 
Flora  und  Fauna  zeigen  reichlich  westafrikanische  Formen.  Die  Fauna  des 
Tanganyikasees  selbst  nähert  sich  vielfach  marinen  Formen,  mehr  als  man 
in  einem  Binnenmeer  erwarten  sollte,  und  hat  so  der  Zoologie  und  der  Ent- 
stehungsgeschichte dieses  Sees  neue  Probleme  geliefert.  Meteorologische  Be- 
obachtungen am  Tanganyika  sind  noch  nicht  zahlreich.  Daß  wir  uns  hier 
noch  im  Gebiet  voi'wiegend  östlicher  Winde  befinden,  scheint  daraus  hervor- 
zugehen, daß  das  Ostufer  merklich  regenärmer  als  das  Westufer  ist,  analog 
wie  am  Viktoriasee.  Die  jährliche  Regenmenge  in  Udjidji  am  Ostufer  beträgt 
7 — 800  mm,  an  der  Westseite  auf  der  Insel  Kawala  aber  doppelt  so  viel. 
Von  Mai  bis  August  bläst  der  SE-Wind  so  heftig,  daß  der  See  für  die 
Boote  der  Eingeborenen  in  dieser  Zeit  unbefahrbar  ist.  Die  Zeit  von  Mai 
bis  Oktober  ist  trocken,  die  vom  November  bis  April  regenreich.  Die  wärmsten 
Monate  sind  Oktober  und  Februar,  die  kühlsten  Juli  und  November.  Schon 
diese  sonderbare  Auswahl  der  extremen  Monate  läßt  darauf  schließen,  daß 
wir  uns  hier  noch  im  Gebiete  des  äquatorialen  Klimatypus  befinden,  und 
in  der  Tat  beträgt  die  jährliche  Temperaturschwankung  nur  2^8^  Die 
mittlere  Jahrestemperatur  mag  hier,  wo  wir  uns  ca.  820  m  über  dem 
Meere  befinden,  ca.  24^  C.  betragen.  Die  Luftdruckschwankungen  sind 
hier,  wie  im  ganzen  Gebiet,  nur  sehr  gering  gewesen.  Der  höchste 
Druck  herrschte  im  Juni,  wo  ein  absolutes  Maximum  von  695,6  mm  erreicht 
wurde,  während  der  November  ein  nur  6,5  mm  niedrigeres  absolutes  Mini- 
mum brachte.  In  Hamburg  dagegen  zeigte  der  Januar  1902  folgende  Luft- 
druckextreme : 


A.  Philippson:  Neuere  Forschungen  in  der  westl.  Balkanhalbinsel.  149 


Datum : 


2. 

I. 

16. 

I. 

25. 

L- 

31. 

I. 

Tageszeit 


Barometerstand 


2  p.  m.  736,9  mm 

7  a.  m.  776,0    „ 

2  p.  m.  786,7     „ 

2  p.  m.  781,9     „ 

Daß  es  gelungen  war,  auf  dem  Haupte  eines  Negers  ein  Quecksilber- 
barometer unversehrt  von  Daressalam  nach  üdjidji  zu  schaffen,  kann  als  ein 
entschiedener  Erfolg  betrachtet  werden,  denn  hier  in  üdjidji  sind  wir,  in 
Luftlinie  gemessen,  1000  km  von  der  Küste  des  Indischen  Ozeans  entfernt, 
aber  unaufhaltsam  dringt  die  europäische  Kultur  in  den  gewaltigen  Kontinent 
ein.  Schon  schwimmt  auf  dem  Tanganyikasee  der  deutsche  Dampfer  „Hedwig 
von  Wissmann"  und  bis  zum  Ostufer  des  Sees  ist  von  Kapstadt  aus  der 
Überlandtelegraph  vorgeschoben,  der  Vorläufer  jener  Eisenbahn,  die  Afrika 
vom  Kap  bis  zmn  Mittelmeer  durchqueren  soll.  (Schluß  folgt.) 


Neuere  Forsehungeii  in  der  westlichen  Balkanhalbinsel. 

Von  Alfred  Philippson. 

Noch  vor  wenigen  Jahren  konnte  man  die  unter  türkischer  Herrschaft 
stehenden  Teile  der  westlichen  Balkanhalbinsel,  die  Landschaften  Albanien  und 
Makedonien,  als  eine  wissenschaftliche  terra  incognita,  als  das  „dunkelste 
Europa"  bezeichnen.  Seit  den  dreißiger  Jahren  des  19.  Jahrhunderts,  seit 
den  Reisen  des  berühmten  Botanikers  Grisebach,  der  Geologen  Bou6  und 
Viquesnel  —  deren  Ergebnisse  naturgemäß  den  heutigen  Ansprüchen  der 
Wissenschaft  keineswegs  genügen  —  hatte  die  Forschung,  besonders  auf 
geologischem  und  morphologischem  Gebiet,  hier  fast  vollständig  geruht.  Nur 
die  in  die  sechziger  Jahre  fallenden  Reisen  Barths  und  v.  Hahns  brach- 
ten noch  eine  Erweiterung  der  Kenntnisse.  Es  war  wohl  weniger  die  natür- 
liche ünzugängüchkeit  des  Landes,  als  die  Unsicherheit,  die  ewigen  Fehden 
und  Unruhen  der  kriegerischen  und  fanatischen  Stämme,  das  Mißtrauen  der 
türkischen  Behörden,  die  von  dem  Eindringen  in  diese  doch  so  hoch  inter- 
essanten Landschaften  abschreckten. 

Besser  stand  es,  wie  leicht  erklärlich,  mit  der  Kenntnis  der  nordwest- 
lichen Teile  der  Halbinsel.  In  dem  österreichischen  Küstenland  und 
Dalmatien  haben  die  Arbeiten  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt,  besonders 
die  Untersuchimgen  Staches,  in  Bosnien  und  Herzegowina  bald  nach  der 
österreichischen  Besetzung  die  Aufnahmen  v.  Mojsisovics  und  Bittners, 
in  Serbien  einheimische  Forscher,  vor  allem  Zujovi6,  den  geologischen  Bau 
in  seinen  Gnmdzügen  enthüllt,  und  auch  das  benachbarte  Montenegro  war 
durch  Tietze  geologisch  erforscht  worden.  Dieses  Fürstentum  war  dann 
der  Schauplatz  der  verdienstvollen,  vielseitigen  Untersuchungen  Hasserts, 
über  die  in  dieser  Zeitschrift  schon  berichtet  worden  ist^). 


1)  G.  Z.  L  1896.  S.  684. 


160  Alfred  Philippson: 

Im  letzten  Jahrzehnt  hat  dann  aber  auch  für  die  so  lange  verschlossenen 
südlicheren  Landschaften  eine  neue  Epoche  der  Forschung  eingesetzt,  und 
schon  jetzt  liegen  uns,  trotz  der  dem  Reisenden  dort  noch  heute,  oder  viel- 
mehr gerade  heute  drohenden  ernstlichen  Gefahren,  die  geographischen  Grund- 
züge Albaniens  und  Makedoniens  in  überraschender  Beleuchtung  vor 
Augen.  Das  verdanken  wir  in  erster  Linie  dem  unermüdlichen  Jovan 
Cviji6,  Professor  der  Geographie  an  der  Belgrader  Hochschule,  der  sich 
seit  dem  Jahre  1888  bis  1901  alljährlich  im  Sonuner  auf  Forschungsreisen 
begab.  So  hat  er  allmählich  die  ganze  westliche  Balkanhalbinsel:  Serbien 
und  das  österreichische  Occupationsgebiet ,  Montenegro  und  Albanien,  Make- 
donien imd  das  westliche  Bulgarien  bis  zum  Bila-Gebirge  in  der  Bhodope 
durchzogen^).  In  einer  größeren  Zahl  von  Veröflfentlichungen,  die  allerdings 
zum  Teil  erst  vorläufige,  zusammenfassende  Mitteilungen  sind,  und  die  wir 
weiterhin  noch  anführen  werden,  hat  Cvijiö  bereits  seine  wichtigeren  Ergeb- 
nisse, die  in  erster  Linie  im  geologisch-tektonischen  und  morphologischen 
Gebiet  liegen,  bekannt  gemacht;  doch  läßt  sich  schon  erkennen,  daß  auch  in 
anderen  Zweigen  der  Geographie,  wie  in  Vegetation,  Kultur-  und  Siedelungs- 
kunde,  reichhaltige  Beobachtungen  gesammelt  sind,  die  noch  der  Verarbeitung 
harren. 

Während  Cv^i6  noch  seine  Reisen  ausführte,  hat  sich  auch  ein  junger 
deutscher  Geograph,  Dr.  K.  Oestreich,  zum  Teil  ohne  von  den  Plänen 
Gviji6s  Kenntnis  zu  haben,  der  Erforschung  Makedoniens  und  Altserbiens 
gewidmet.  In  zweimaligen  Reisen,  1898  und  1899,  hat  er  die  nordalbanisch- 
altserbischen  Beckenlandschaften  und  die  Gebirge  zu  beiden  Seiten  des  Vardar 
und  westlich  bis  zu  den  Dessaretischen  Seen  besucht'),  und  dabei  südlich  von 
Skoplje  (Üsküb)  ein  noch  unbekanntes  Hochgebirge,  die  Salakova  (2530  m) 
entdeckt,  während  durch  wiederholte  Messungen  verschiedener  Reisenden  der 
Ljubotn  im  Schar  Dag  sich  als  weit  niedriger  (2510  m)  herausgestellt  hat, 
als  man  glaubte.  Räumlich  beschränkter  als  diejenigen  Cv\ji6s,  haben  doch 
die  Reisen  Oestreichs  eine  Fülle  augenscheinlich  sehr  sorgfältiger  und  viel- 
seitiger Beobachtungen  geliefert.  Es  ist  keineswegs  zu  bedauern,  wenn  zwei 
Forscher  unabhängig  von  einander  dasselbe  Gebiet  untersuchen;  dadurch  ist 
es  dem  Dritten  erlaubt,  leichter  das  Feststehende  von  dem  noch  Zweifelhaften 
zu  unterscheiden,  als  es  bei  einem,  noch  so  trefflichen  Beobachter  möglich 
ist  Die  Oestreichschen  Veröffentlichungen  haben  den  Vorzug,  daß  sie  die 
Einzelbeobachtungen  selbst  bringen,  während  man  bei  einem  Teil  der  Cvijiö- 
schen  Berichte,  imd  zwar  den  tektonischen,  nur  die  großen  Ergebnisse  erfährt, 
deren  nähere  Begründung  man  also  noch  abwarten  muß.  Dagegen  vermißt 
man  wieder  bei  Oestreich  vielfach  eine  präzise  Zusanmienfassimg;  auch  die 
graphischen  Beilagen  hätten  noch  reichlicher  sein  können,  so  daß  es  zuweilen 
nicht  leicht  ist,  seiner  Darstellung  zu  folgen. 


1)  Aufzählung   seiner  Reisen  in  Z.  d.  Ges.  f.  Erdk.  zu  Berlin.  1902.  S.  196  ff. 

2)  Reiseeindrücke  aus  dem  Vilajet  Kosoyo.  Abb.  d.  geogr.  Ges.  in  Wien.  I. 
1899.  (M.  K.)  —  Vorläufige  Mitteilungen  über  eine  zweite  Reise  in  die  europ. 
Türkei.  Mitt.  d.  geogr.  (Jes.  in  Wien.  1900.  —  Beiträge  zur  Geomorphologie  Make- 
doniens.   Abh.  ders.  Ges.  IV.  1902.     (M.  geol.  K.) 


Neuere  Forschungen  in  der  westliclien  Balkanhalbinsel.        151 

Auch  Hassert  hat  1897  eine  gefahrvolle  Reise  in  die  schlimmsten 
Teile  Albaniens,  das  Hinterland  von  Skutari  bis  Prizren,  unternommen,  wobei 
fireilich  die  Beobachtungen  durch  die  notgedrungene  Eile  und  Vorsicht  beein- 
trächtigt wurden^). 

Edm.  Naumann  schilderte  die  Eisenbahn  Salonik-Monastir  und  ihre 
Umgebung  und  wirtschaftliche  Bedeutung  mit  hohem  geographischem  Ver- 
ständnis^). 

Wenn  auch  einer  Nachbarwissenschaft  dienend,  so  dürfen  doch  hier  die 
zahlreichen  Reisen  des  Botanikers  Antonio  Baldacci  nicht  unerwähnt  bleiben, 
der  alle  adriatischen  Landschaften  der  Halbinsel  auf  zahlreichen  Routen  durch- 
zogen hat.  Dem  Berichterstatter  liegen  nicht  weniger  als  fünfzehn  Ver- 
öffentlichungen des  emsigen  Gelehrten  vor,  die  meisten  rein  floristischer 
Natur'),  aber  manche  auch  allgemeine,  sowie  politische  imd  ethnographische 
Schilderungen^).  Hoffen  wir,  daß  ims  Baldacci  auch  eine  zusammenfassende 
pflanzengeographische  Darstellung  seines  Arbeitsfeldes  beschert! 

Die  so  viel  umstrittenen  ethnographischen  Verhältnisse  des  heutigen 
südwestlichen  Makedonien  sind  durch  die  Forschungen  6.  Weigands  klar 
gestellt  worden,  der  speziell  zur  Untersuchung  der  dortigen  wlachischen 
Volksstänune  das  Land  1889  imd  1890  bereiste  imd  die  einzige  zuverlässige 
ethnographische  Karte  herstellte^).   — 

Wir  wollen  nach  dieser  Übersicht  der  neueren  Reisen  nun  in  Kürze 
vorzufahren  versuchen,  wie  sich  besonders  nach  Cvijiös  Untersuchungen  der 
Bau  und  die  Oberflächengestalt  der  westlichen  Balkanhalbinsel 
darstellt. 

Die  bemerkenswerteste  aller  neuen  Tatsachen  ist  die  „dinarisch- 
albanesische  Scharung^^^).  Die  dinarischen  Faltenzüge,  die  den 
Nordwesten  der  Halbinsel  (Bosnien-Herzegowina,  Dalmatien,  österreichisches 
Küstenland,  Montenegro)  mit  südöstlicher  Streichrichtung  erfallen,  setzen  sich 
nicht  nach  Albanien  hinein  fort,  sondern  biegen  nach  Osten  und  Nordosten 
um!  Schon  im  nördlichen  Teile  des  dinarischen  Systems,  in  West-Serbien, 
macht  sich  die  Neigung  zu  dieser  Umbeugung  geltend,  und  weiter  nach 
Süden  schwenkt  eine  der  dinarischen  Ketten  nach  der  anderen  kulissen- 
förmig  nach  Osten,  bis  endlich  östlich  vom  Skutari-See,  in  den  „nord-alba- 
nischen  Alpen^*  oder  der  Prokletije,  das  gesamte  dinarische  Faltenbündel 
—  bis  auf  einen  kleinen,  gleich  zu  erwähnenden  Rest  —  die  Richtung  nach 
ONO  einschlägt     Und  zwar  beherrscht  diese  Umbeugung  nicht  allein   sämt- 

1)  Verh.  d.  Ges.  f.  Erdk.  zu  Berlin.  24.  1897.  S.  629—644.  —  Mitt.  d.  geogr. 
Ges.  in  Wien.  1898.    S.  861—379.    (M.  K.) 

2)  Makedonien  und  seine  neue  Eisenbahn.    München  und  Leipzig,  1894. 

8)  Im  Nuovo  Giomale  Botanico  Italiano  1898,  1894,  1897,  1898;  in  der 
„Malpighia^^  1893,  1894,  und  anderen  botanischen  Zeitschriften. 

4)  Im  Bolletino  See.  Geogr.  Ital.  1898,  1900;  Memorie  derselben  1896—97, 
und  mehrere  Kongreßvorträge.  Femer  „Cmagora",  Bologna  1897.  —  Pet.  Mitt. 
1897,  S.  168,  179. 

6)  Die  Aromunen  I.    Leipzig,  1896. 

6)  Crijid,  Sitzungsber.  d.  k.  Akad.  d.  Wiss.  Math.-nat.  Kl.  CX,  1.  1901.  S.  1. 
M.  tekton.  K.  —  Zeitachr.  d.  Gea.  f  Erdkde.    Berlin  1902,  S.  210. 


152  Alfred  Philippson: 

liclie  gefaltete  Formationen,  sondern  auch  die  Brüche  und  Üherschiehungen. 
Mit  dieser  Neigung  zur  Umbeugung  in  die  Ostwestrichtung,  bringt  Cv\ji6 
auch  die  Abschwenkung  der  dalmatinischen  Ketten  nach  Westen,  in  die 
Adria  hinein,  in  Verbindung.  —  Ganz  entsprechend  wenden  sich  die  alba- 
nischen Faltenzüge,  die  mit  regelmäßiger  Nord-  oder  Nordnordwest- 
richtung heranstreichen,  gegenüber  der  Umbeugung  der  dinarischen  Züge 
ebenfalls  um,  indem  sie  am  Quertal  des  Drin  nordöstliche,  weiterhin,  so 
auch  im  Schar-Gebirge,  ostnordöstliche  Richtung  einschlagen.  So  „scharen" 
sich  die  beiden  Gebirge  am  Drin,  und  auf  der  Achse  der  Scharung  ist  eine 
Reihe  von  Becken  eingebrochen:  die  Metoja,  das  Becken  von  Skutari,  und 
die  Tiefe  von  Medua  im  Adriatischen  Meer.  Die  umgebogenen  Falten  beider 
Gebirge  stoßen  rechtwinklig  auf  den  Rand  der  alten  krystallinen  Masse 
von  Serbien.  Zwischen  den  Faltenenden  und  der  alten  Masse  sind  viel- 
fach junge  Eruptivgesteine  hervorgebrochen.  Die  Falten  erhalten  durch  die 
Stauung  am  alten  Rand  einen  gewundenen  Verlauf.  Cviji6  stellt  diese  „ge- 
wundenen Falten"  als  einen  neuen  Typus  auf.  Es  ist  dies  wohl  nur  die- 
selbe Erscheinung,  die  der  Referent  als  Zerknitterung  in  den  Schiefem  in 
der  Nähe  der  Grenze  des  sedimentären  und  krystallinen  Gebirges  in  Griechen- 
land beschrieben  hat,  z.  B.  im  Othrys-Gebirge.  Überhaupt  zeigt  das  süd- 
liche Thessalien  in  ganz  ähnlicher  Weise  ein  rechtwinkliges  Auflaufen  der 
jüngeren  Falten  gegen  die  Grenze  des  krystallinen  Gebirges. 

Aus  dieser  Einbiegung  der  Falten  von  Nordwesten  wie  von  Süden  her 
in  die  östliche  Richtung  folgert  Cvijiö,  daß  die  einen  Falten  nicht  die  Fort- 
setzimg der  anderen  seien,  daß  das  dinarische  und  das  albanisch-griechische 
Gebirge  daher  nicht,  wie  man  es  bisher  getan,  zu  einem  Gebirgssystem 
zu  vereinigen,  sondern  beide  als  selbständige  Gebirgsbögen  aufzufassen  seien. 
Er  führt  dafür  weiter  an,  daß  das  dinarische  Gebirge  symmetrisch,  mit 
einer  älteren  Achse  in  der  Mitte,  das  albanisch -griechische  Gebirge  dagegen 
asymmetrisch  gebaut  sei;  femer,  daß  die  mächtigen  mesozoischen  Kalk- 
massen, wie  sie  für  das  dinarische  Gebirge  charakteristisch  sind,  im  alba- 
nisch-griechischen Gebirge  nicht  in  der  Weise  vorhanden  seien,  sondern  zum 
Teil  durch  reichlich  zwischengelagerte  klastische  Sedimente  ersetzt  werden. 
Demgegenüber  möchte  der  Referent  bemerken,  daß  dies  letztere  zwar  im 
westlichen  Teil  des  albanischen  Gebirges  und  in  der  Pindos-Zone  Griechen- 
lands der  Fall  ist,  daß  dagegen  sowohl  in  der  jonischen  Zone  Griechenlands 
als  besonders  in  den  ost-griechischen  Gebirgen  doch  so  gewaltige  Kalkmassen 
auftreten,  daß  der  Unterschied  gegen  die  dinarischen  wohl  nicht  sehr  bedeu- 
tend ist.  Freilich  ist  die  Zerstückelung  durch  spätere  Brüche  in  Griechen- 
land viel  größer,  daher  auch  die  horizontale  Ausdehnung  der  verkarsteten 
Kalkmassen  geringer. 

Was  dann  den  Unterschied  des  symmetrischen  und  asymmetrischen 
Baues  angeht,  so  möchte  ich  ihn  vorläufig  nicht  allzu  hoch  anschlagen.  Die- 
selben Überschiebungen  gegen  die  Westfront  hin  zeigt  das  dinarische  wie 
das  griechische  Gebirge,  tmd  man  muß  an  die  Möglichkeit  denken,  daß  die 
inneren  Zonen  des  dinarischen  Gebirges  sich  in  den  krystallinen  Schiefem 
und  Phylliten  Makedoniens  und  Nord-Griechenlands  wiederfinden,  worauf  wir 


Neuere  Forschungen  in  der  westlichen  Balkanhalbinsel.        153 

gleich  noch  eingehen  werden.  Die  Fljsch-  und  Plattenkalkzonen  des  Pindos 
und  Albaniens  setzen  sich  allerdings  nicht  in  den  inneren  Zonen  Bosniens, 
sondern  höchstens  in  den  Falten  der  dalmatinischen  Küste  fort,  wenn  sie  dort 
nicht  etwa  ganz  und  gar  unter  der  Adria  versinken. 

Daß  also  in  Oriechenland  andere  Faltenzonen  auftreten,  als  in  Bosnien, 
unterliegt  keinem  Zweifel.  Ob  sie  aber  darum  nicht  zu  einem  System  zu- 
sammenzufassen seien,  erscheint  mir  im  Hinblick  auf  so  viel  Übereinstinmiendes 
noch  nicht  bewiesen.  Oerade  das  umschwenken  nach  Osten  zeigt  sich  ja  in 
Griechenland  in  ganz  hervorragender  Weise.  Vollends  sehen  wir  vor  der 
großen  Einbeugung  oder  Scharung  am  Skutari-See,  an  der  Küste  entlang, 
eine  Zahl  nicht  umgebeugter  Falten  vom  dinarischen  zum  albanischen 
Gebirge  ziehen  und  beide  mit  einander  verkitten I  Es  sind  die  „resistenten 
dinarischen  Ketten"  Cvijiös. 

Doch  —  ob  man  die  Gebirge  der  westlichen  Balkanhalbinsel  in  zwei 
Systeme  einteilen  oder  in  eine  höhere  Einheit  zusanmienfassen  will,  das  ist, 
wie  in  so  vielen  ähnlichen  Fällen,  dem  subjektiven  Ermessen  anheim  gegeben. 
Hat  doch  noch  niemand  eine  befriedigende  Definition  davon  gegeben,  was 
man  unter  einem  „Gebirgssystem"  oder  einem  „Faltensystem"  versteht,  be- 
züglich nach  welchen  Gesichtspunkten  man  die  Gebirge  in  Systeme  ein- 
teilen soll! 

Wie  man  darüber  denken  mag,  die  Bedeutung  der,  zwar  schon  früher 
geahnten,  aber  von  Cviji6  zuerst  klar  gestellten  ümbeugung  und  Scharung 
der  Faltenzüge  am  Drin  wird  dadurch  nicht  beeinträchtigt. 

Auch  der  Zusammenhang  zwischen  Balkan  und  transsylvanischen  Alpen 
wird  von  Cvijiö  bestritten.  Der  West-Balkan  wendet  sich  nicht,  wie  man 
bisher  glaubte,  in  Ost-Serbien  nach  N,  sondern  stößt  mit  westlichem  Streichen 
gegen  die  alte  krystalline  Masse  Mittel-Serbiens  ab,  genau  so,  wie  von  Westen 
her  die  dinarischen  Falten.  Die  transsylvanischen  Alpen  dagegen,  durch 
einen  geringen  Grad  von  Faltung  ausgezeichnet,  schlagen  in  Ostserbien,  vor 
dem  Balkan,  eine  östliche  Richtung  ein  und  tönen  allmählich  gegen  die 
bulgarische  Tafel  aus. 

Danach  hätten  wir  in  der  Balkanhalbinsel  nicht  mehr  zwei,  sondern 
vier  Faltengebirge  zu  unterscheiden.  Zwischen  ihnen  liegt  die  große  krystalline 
thrakische  Masse  oder  die  Rhodope-Masse,  wie  Cviji6  sagt*).  Greht  man 
von  der  Westküste  Albaniens  ins  Innere,  so  kreuzt  man  zunächst  eine  An- 
zahl SSO  streichender  Ketten,  die  meist  aus  Flysch  bestehen;  dann  gelangt 
man  in  eine  Zone  von  Kreide-  und  Nunmiulitenkalken  mit  Serpentinen 
(Mokranjska  Planina),  die  Cvijiö  als  Fortsetzung  der  epirotischen  Ketten  an- 
sieht. Nach  seiner  tektonischen  Karte  erscheint  sie  eher  der  Pindos-Zone 
zu  entsprechen;  es  streichen  ja  auch  die  epirotischen  Ketten,  worauf  07yi6 
selbst  hinweist,  eine  „Virgation"  bildend,  am  akrokeraunischen  Vorgebirge 
nach  Nordwest  ins  adriatische  Meer  hinaus.  Weiter  nach  Osten  folgt  nun 
eine   Zone    von    Grabenbrüchen,   dem    Schichtstreichen   parallel:    die    Becken 


1)  Die  tektonischen  Vorg^ge  in  der  Rhodope-Masse.     Sitzungsber.  d.  k.  Ak. 
d.  Wiss.   Wien.    CX,  1.    1901.   S.  409  ff.    (M.  tekton.  K.) 

Oeograpbiiohe  Zeit«chr(fl.  9.  Jahrgang.  1903.  S.Heft.  11 


154  Alfred  Philippson: 

von  Debar,  Ocluid  (mit  dem  gleichnamigen  See)  und  Kortscha;  Schwefel- 
thermen bezeichnen  die  Bruchlinien.  Jenseits  erhebt  sich  die  Kette  der 
Galicica  und  Petrinjska,  die  sich  nach  Norden  bis  zum  Schar  fortsetzt:  über 
(paläozoischen?")  Phylliten  liegen  triadische  Sandsteine,  darüber  mesozoische 
Kalke;  sie  tauchen  nach  Süden  unter  die  kretacischen  Kalke  und  Serpentine 
der  Suha  Gora  hinab.  Und  nim  folgt  abermals  eine  Qrabenzone  mit  den 
Becken  des  Prespa-Sees,  des  Devol  und  von  Kastoria.  Dann  erst  gelangen 
wir  endlich  im  Peristeri-Gebirge  an  den  Rand  des  krystallinen  Gebirges,  der 
Rhodope-Masse  im  Sinne  von  Cvijiö.  Dieser  Rand  läßt  sich  in  SSO-Richtung 
vom  Becken  von  Tetovo  bis  zur  oberen  Vistritsa  verfolgen. 

Das  alte  Gebirge  selbst  zeigt  aber  recht  verwickelte  Verhältnisse.  Zu- 
nächst dem  Westrande  liegt  eine  Zone  von  krystallinen  Schiefem  mit  Granit- 
stöcken, die  sich  von  Tetovo  nach  SSO  erstreckt,  das  Becken  von  Monastir 
umgibt  imd  wahrscheinlich  in  den  Gebirgen  des  nördlichen  Thessalien  ihre 
Fortsetzung  findet.  Sie  heißt  die  west-makedonische  Zone.  Dann  aber  folgt 
ein  breiter  Streifen  von  Phylliten,  grünen  Schiefem  und  Kalken,  mit  größeren 
Massen  jüngerer  Eruptivgesteine.  Die  vielleicht  paläozoischen  Phyllite  sind 
diskordant  überlagert  von  mesozoischen  und  alttertiären  Schichten,  die  alle, 
bis  zum  Oligocän  ausschließlich,  gefaltet  sind.  Erst  am  Vardar  beginnt 
dann  wieder  zusammenhängendes  krystallines  Gebirge,  das  sich  nun  durch 
Thrakien  weit  nach  Osten  erstreckt,  andererseits  nach  Norden  in  Serbien 
hinein  fortsetzt.  Die  Falten  der  krystallinen  Schiefer  wechseln.  In  Süd- 
Serbien  und  Nord-Makedonien  herrscht  S-  und  SSO-Richtung;  in  der  Mitte 
zwischen  Monastir  und  Skoplje  (Üsküb)  ist  das  Streichen  unregelmäßig,  öst- 
liche und  nordöstliche  Richtungen  scheinen  vorzuherrschen.  In  Süd-Make- 
donien endlich  liegt,  nach  Cvijiös  Auffassung,  ein  nach  Süden  konkaver 
Bogen,  der  die  Ebene  von  Salonik  umzieht.  Alle  Sedimente  aber 
streichen  regelmäßig  SSO  oder  SO,  also  in  der  albanischen  Rich- 
tung, bis  zur  großen  Scharung  im  Norden. 

Die  west-makedonische  Zone  mitsamt  der  Phyllitregion  bildet  also  ein 
Übergangsglied  zwischen  dem  albanischen  Faltengebirge  und  der  eigentlichen 
alten  Rhodope-Masse  östlich  des  Vardar.  Während  Sueß  sie  als  Glieder 
seines  großen  dinarischen  Systems  auffaßt,  rechnet  sie  Cvijiö  als  Randzone 
zur  alt^n  Rhodope-Masse  hinzu.  Er  sagt  daher,  daß  die  Rhodope-Masse  zwei- 
mal gefaltet  sei;  die  eine  Faltung  betraf  nur  die  altkry stallinen  Gesteine; 
die  zweite,  die  Hauptfaltung,  vollzog  sich  zu  Beginn  des  Oligocän  und  betraf 
alle  Formationen,  die  dieser  Zeit  vorhergingen.  Das  scheint  mir  doch  — 
soweit  man  nach  den  kurzen  Mitteilungen  Cvijiös  urteilen  kann  —  nicht 
ganz  begründet.  Die  oligocäne  Faltung  ist  doch  identisch  mit  der  Haupt- 
faltung des  albanisch -griechischen  Gebirges  (der  Dinariden  Sueß'),  sowohl 
dem  Alter  als  der  Richtung  nach;  und  sie  hat  nur  die  west-makedonische 
krystalline  und  Phyllitzone,  also  den  „Westrand  der  alten  Masse"  (nach 
Cviji6)  ergriffen,  wogegen  sie  in  der  eigentlichen  Rhodope-Masse,  wo  —  nach 
Cvijiö  —  Sedimente  gar  nicht  vorkommen,  nicht  zu  konstatieren  ist;  im 
östlichen  Thrakien  liegt  ja  das  Eocän  flach  über  den  alten  krystallinen 
Gesteinen!     Es   scheint   mir    also    aus    den  Darstellungen   von    Cvijiö    eher 


Neuere  Forschungen  in  der  westlichen  Balkanhalbinsel.        155 

hervorzugehen  —  was  Sueß  angenommen  und  auch  ich  bereits  früher  ver- 
mutet hatte  ^)  —  daß  wir  tatsächlich  in  der  west-makedonischen  krystallinen 
und  Phyllit-Zone,  westlich  des  Vardar,  und  dann  wohl  auch  in  dem  kry- 
stallinen Bogen  Thessalien -Chalkidike  nur  die  inneren  Zonen  des  albanisch- 
griechischen jungen  Faltengebirges  vor  ims  haben,  dessen  bogenförmige  üm- 
schwenkung  in  Griechenland  sie  hier  im  Inneren,  mit  kleinerem  Eadius, 
mitmachen.  Die  eigentliche  alte  passive  Masse  der  Rhodope  würde  dann 
erst  östlich  des  Vardar,  ja  vielleicht  erst  östlich  der  Struma  beginnen.  Im 
ganzen  sagt  auch  Gvijiö,  daß  man  von  Ost  nach  West  in  immer  jüngere 
Faltenzonen  hineinkommt.  „Es  scheint,  als  ob  sich  die  Faltimg,  von  der 
alten  Masse  ausgehend,  immer  weiter  nach  West  fortgepflanzt  hätte .^*  Das 
ist  genau  die  Auffassung,  wie  ich  sie  für  Griechenland  entwickelt  habe. 

Wir  sind  bisher  ausschließlich  der  Darstellimg  von  Cvijic  gefolgt.  Wie 
schwierig  aber  gerade  die  Verhältnisse  in  West-Makedonien  sind,  geht  aus 
einem  Vergleich  mit  der  Oestreichschen  Arbeit  —  besonders  mit  dessen 
geologischer  Karte  —  hervor.  Auch  Oestreich  unterscheidet  krystalline 
Schiefer  (Gneise  und  Glimmerschiefer),  Phyllite  und  ürtonschiefex  (beson- 
ders rote  und  grüne  Schiefer).  Letztere  hält  er  für  paläozoisch.  Zu  den 
krystallinen  wie  zu  den  sedimentären  Schiefem  gehören  Kalke.  Er  bezeichnet 
aber  das  ganze  Gebiet  östlich  vom  oberen  Drin  bis  zur  Linie  Skoplje-Mo- 
nastir,  also  auch  den  größten  Teil  von  Cviji6s  west-makedonischer  kry- 
stalliner  Zone,  als  paläozoisch,  während  er  umgekehrt  das  Sedimentgebirge 
Cvijiös  auf  der  Westseite  des  Vardar  mit  der  Farbe  der  krystallinen  Schiefer 
belegt;  östlich  des  Vardar  aber,  wo  wieder  das  KrystalUnische  von  Cviji6 
beginnt,  zeichnet  er  wieder  in  weitem  Umfange  Paläozoikum!  Wer  Recht 
hat,  kann  man  natürlich  aus  der  Studierstube  heraus  nicht  beurteilen,  beson- 
ders, so  lange  Cviji6s  Einzelbeobachtungen  nicht  veröffentlicht  sind.  Jeden- 
falls würden  Oestreichs  Angaben  eine  ganz  andere  tektonische  Auffassimg 
dieses  Gebietes  zur  Folge  haben  müssen.  Eingehend  beschreibt  Oestreich  die 
Gebirge  im  Süden  von  Skoplje,  bis  gegen  Monastir;  das  Peristeri-Gebirge ; 
dann  das  Gebirge  zwischen  Monastir  und  dem  Vardar,  das  er  Cma-Moglenica- 
Gebirge  nennt.  Es  ist  eine  NO  streichende  Synklinale,  wovon  jedoch  nur 
die  beiden  Enden,  der  Kaimakealan  und  das  Moglena-Gebirge,  stehen  geblieben 
sind,  während  in  der  Mitte  das  Senkungsfeld  von  Murichovo  mit  seinen 
mächtigen  vulkanischen  Ergüssen  eingebrochen  ist.  — 

Erfreulich  ist  die  Übereinstimmung  beider  Forscher  hinsichtlich  der 
zahli-eichen  Becken  dieses  Gebietes.  Sie  werden  von  beiden  als  Einbrüche 
nachgewiesen. 

Besonders  interessant  ist  Oestreichs  Entdeckung  eines  alten  Flußsystems, 
200 — 250  m  über  den  dessaretischen  Seen,  das  von  den  Beckeneinbrüchen 
abgeschnitten  worden  ist,  sowie  der  Nachweis  der  Zerstückelung  des  Tales 
von  Ostrovo-Vodena  durch  das  Senkungsfeld  von  Salonik.  Die  meisten  Ein- 
brüche enthielten  in  der  Neogenzeit  Seen.     Die  heutigen  dessaretischen  Seen, 

1)  La  Tectonique  de  TEg^ide.  Annales  de  Geographie  1898,  p.  118.  —  Der 
Qebirgsbau  der  Ägae\*8.  Verh.  d.  VU.  Internat.  Geographen-Kongresses  in  Berlin  1899. 
S.  188. 

11* 


156  Alfred  Philippson: 

von  zahlreichen  Dreißensien  bevölkert,  sind  als  Relikte  der  größeren  jung- 
tertiären Seen  anzusehen.  Die  meisten  Becken  enthalten  noch  die  mächtigen 
Ablagerungen  der  neogenen  Seen;  diese  Schichten  sind  vielfach  an  den  Rän- 
dern der  Becken  aufgerichtet,  aber  nicht  gefaltet;  sie  sind  von  den  Flüssen  zer- 
schnitten, die  zwischen  den  Neogenhügeln  breite  Talauen  bilden,  die  vielfach 
auch  diluviale  Schotterterrassen  enthalten.  Andere  Becken  aber  bestehen  nur 
aus  einer  horizontalen  Schwenunlandsebene,  zu  der  die  Qebirge  unmittelbar 
abfallen^).  Letztere  Becken  sind  augenscheinlich  postneogener  Entstehung. 
(Auch  in  Griechenland  sind  beide  Typen  vorhanden.)  Ein  dritter  Typus  ist 
das  eingesunkene  Bergland  ohne  verhtQlende  Decke,  wie  es  Oestreich  zwischen 
Gevgeli  und  Doiran  beschreibt. 

Die  jüngere  nach  Abschluß  der  Faltung  erfolgte  Zerstückelung  an 
Brüchen  ist  maßgebend  für  die  heutige  Oberflächengestalt  und  hat  glei- 
cherweise das  junge  Faltengebirge  wie  die  alte  krystalline  Masse  betroffen.  Man 
sieht,  daß  die  Zertrünunerung  der  Balkanhalbinsel  nur  graduell  verschieden 
ist  von  dem  Einbruch  der  ÄgaeYs.  Die  Zei*stückelung  hat  sich  von  dem 
ägaetschen  Meer,  wo  sie  ihr  Maximum  erreicht,  nach  allen  Seiten  mit  ab- 
nehmender Stärke  ausgebreitet,  nach  Makedonien  und  Thrakien,  wie  nach 
Griechenland  \md  Kleinasien. 

Cvijiö  scheint  an  einen  indirekten  Zusanmienhang  der  Brüche  mit  der 
früher  abgeschlossenen  Faltung  zu  denken;  wir  haben  schon  erwähnt,  daß 
er  die  Beckenreihe  Metoja-Medua  mit  der  Scharungsachse  in  Beziehung  bringt; 
die  Brüche  der  dessaretischen  Gräben  laufen  dem  Streichen  der  Falten 
parallel;  sie  betreffen  den  Rand  des  jimgen  und  alten  Gebirges  und  werden 
in  dieser  Hinsicht  mit  den  Einbrüchen  zwischen  dem  Balkan  und  der  Rho- 
dope  verglichen,  östlich  des  Vardar  herrschen  östlich  streichende  Brüche 
vor,  die  sich  in  der  Nähe  des  Flusses  nach  NW  imiwenden.  Oestreich 
dagegen  spricht  von  einem  großen  Bruch,  der  dem  Vardar  östlich  parallel 
von  NW  nach  SO  verläuft.  Ihm  folgt  ein  alter  Talzug,  aus  dem  der  Fluß 
nach  W  verschoben  ist,  so  daß  der  Vardar  nun  ein  „Doppeltal"  besitzt. 

Nicht  nur  die  Oberflächengestalt,  sondern  auch  die  Umrisse  der  Halb- 
insel, und  damit  auch  ihre  kulturellen  Beziehungen,  werden  durch  die  Ein- 
brüche bedingt,  wie  Cviji6  in  einer  besonderen  kleinen  Schrift  darstellt^. 
Nachdrücklich  weist  er  auf  den  Unterschied  der  dinarischen  und  der  alba- 
nischen Küste  hin,  die  an  der  Scharungsstelle  der  beiden  Gebirge  zusammen- 
stoßen; die  eine  verdankt  ihre  Formen  positiver,  die  andere  negativer 
Verschiebung.  (Letztere  ist  aber  nicht  nachgewiesen;  es  ist  eine  durch  die 
Anschwemmungen  der  mächtigen  Flüsse  ausgeglichene  Ingressionsküste, 
wobei  eine  negative  Verschiebung  nicht  nötig  ist.)  — 

Die  Seen  Albaniens  und  Makedoniens  hat  Cvijic  eingehend  untersucht')  und 
einen  großen  Atlas  derselben,  mit  Umgebungs-  und  Tiefenkarten,  veröffentlicht*). 


1)  Oestreich,  Geomorphologie.  S.  125  ff. 

2)  La  Forme  de  la  P^ninsule   des  Balkans.    ,,Le  Globe*'.  89.    Gen^ve,  1900. 
8)  Die  macedonischen  Seen.    Mitt.  d.  ungar.  geogr.  Ges.  XXVni.  1900.  —  Lee 

cryptod^pressions  de  rEm-ope.    La  Geographie.  V.  1902.  S.  247  ff. 
4)  Jezera  Makedonije,  Stare  Srbije  i  Epira.    Belgrad,  1902. 


Neuere  Forschungen  in  der  westlichen  Balkanhalbinsel.        157 

Sehr  interessant  sind  die  unterseeischen  Karstschlote,  die  er  am  Rande  des 
sonst  flachen  (7  m)  Skutari-Sees  fand,  und  von  denen  einer  44  m  tief  ist. 
Es  geht  daraus  hervor,  daß  der  See  eine  überschwemmte  Karstpolje  ist;  ein 
neuer  Beweis  für  eine  junge,  positive  Niveauverschiebung  I 

Hieran  knüpft  Cvijiö  eine  Übersicht  über  die  unter  den  Meeresspiegel 
reichenden  Seeböden  Europas.  Er  findet  sie .  in  zwei  Gruppen  entwickelt. 
Die  eine  umzieht  das  adriatische  Meer  und  ist  durch  positive  Niveau- 
verschiebimg aus  Festlandsformen  entstanden;  hierzu  rechnet  er  auch  die 
italienischen  Alpenseen.  Die  zweite  besteht  aus  Seen  nordischer  Vereisung 
und  ist  durch  Glacialerosion  ausgetieft. 

Ausführlich  behandelt  auch  Oesti*eich  den  Ochrid-  und  den  Prespa-See, 
deren  unterschiede  er  trefflich  charakterisiert.  Der  Ochrid-See  ist  ein  tiefes 
Becken  (größte  Tiefe  nach  Cv\ji6  285,7  m)  und  zeigt  das  Phänomen  der 
„Seiches".  Der  Prespa-See  reicht  nur  an  zwei  engbegrenzten  Stellen  unter 
25  m  (bis  54  m)  hinab.  Sein  Wasser  entweicht  unterirdisch  sowohl  zum  Devol 
wie  zum  Drin.  Von  dem  „kleinen  Prespa-See",  der  neben  dem  großen  liegt, 
führt  auch  ein  oberirdischer,  meist  aber  trockener  Ausfluß  zum  Devol.  Der 
Ostrovo  ist  61  m  tief.  Der  Prespa  hat,  weil  unterirdisch  entwässert,  starke 
Schwankungen  des  Wasserstandes,  wie  aus  Hochwassermarken  hervorgeht.  — 

Bis  vor  kurzem  war  man  der  Meinung,  daß  die  Hochgebirge  der 
Balkanhalbinsel  keine  Spuren  ehemaliger  Vergletscherung  aufwiesen. 
Cviji6  hat  das  große  Verdienst,  Glacialspuren  auch  hier  nachgewiesen  zu 
haben  ^).  Zuerst  entdeckte  er  sie  im  Rila-Gebirge  (2923  m),  der  höchsten 
Erhebung  der  Bhodope-Masse  imd  der  Balkanhalbinsel  überhaupt  Hier  fand 
er  32  Kare,  zimi  Teil  mit  Seen,  von  denen  25  gegen  Nord,  7  gegen  Ost 
gewendet  sind,  und  deren  Boden  im  Mittel  2280  m  ü.  d.  M.  liegt,  und  im 
Zusammenhang  damit  Moränen,  die  freilich  nur  kleinen  Gletschern  (nicht 
mehr  als  2  km  lang)  entstammen.  Die  Schneegrenze  lag  in  2100  m.  Dann 
fand  man  sie  auch  im  albanischen  Gebirge,  auf  dem  Peristeri  (3  Kare, 
auch  von  Oestreich  beschrieben,  eiszeitliche  Schneegrenze  2150  m).  Im 
Schar  sind  die  Glacialformen  zweifelhaft.  Weit  bedeutender  war  aber  die 
Entwicklung  der  Gletscher  in  den  dinarischen  Gebirgen.  Hier  sind  auf  fast 
allen  höheren  Kämmen  in  Bosnien  imd  Herzegowina  von  Cvijiö  und  Penck, 
auf  dem  Durmitor  in  Montenegro  von  Cvijiö,  im  übrigen  Montenegro  neuer- 
dings von  Hassert^)  ansehnliche  Kare  und  zum  Teil  auch  größere  Moränen 
nachgewiesen  worden,  und  zwar  sinkt  die  eiszeitliche  Schneegrenze  gegen 
die  Westküste  tiefer  hinab  (z.  B.  Durmitor  1800  m,  Orjen  an  der  Küste 
1400  m).  An  letzterem  Berg  waren  nach  Penck  80  qkm  vergletschert,  imd 
die  Gletscher  reichten  bis  800  m  ü.  M.  hinab.  Im  Inneren  erreicht  die 
Länge  der  Gletscher  nur  ausnahmsweise  5  km,  die  meisten  sind  nur  kleine 
Kargletscher.      Die    stärkere    Entwicklung    der    Vereisung   nach  Westen    zu 


1)  Das  Rila-Gebirge  und  seine  ehemalige  Vergletscherung.  Zeitschr.  d.  Ges.  f. 
Erdkde.  zu  Berlin.  XXIII.  1898,  S.  201  ff.  (M.  Karten.)  —  L'Epoque  glaciaire  dans 
la  P^ninsule  des  Balkans.  Annales  de  Geographie.  IX  1900.  S.  369  ff.  —  (Vgl. 
auch  Penck,  Die  Eiszeit  auf  der  Balkanhalbinsel.    Globus.   78.    1900.    S.  133  ff.) 

2)  Verh.  d.  XEI.  Deutsch.  Geogr.-Tages  1901. 


158  Alfred  Philippson: 

entspricht  der  heutigen  Verteilung  der  Niederschlüge  und  der  Schneeflecke 
im  Gehirge.  Dagegen  liegen  die  Kare  im  einzelnen  ganz  üherwiegend  auf 
der  Nord-  und  Nordostseite  der  Känmie. 

Sehr  eingehend  beschreibt  Cvyi6  die  Einwirkungen  nicht  nur  der 
Gletscher  selbst,  sondern  auch  des  eiszeitlichen  Klimas  auf  die  Formen  der 
dinarischen  Gebirge^).  Bis  auf  Vegetation  und  Siedelungen  verfolgt  er  die 
glacialen  Wirkungen.  Wir  können  hier  auf  die  Fülle  der  Einzelbeobach- 
tungen nicht  eingehen.  Es  sei  nur  hervorgehoben,  daß  die  Karstformen 
älter  sind  als  die  Glacialformen.  Die  Kare  sind  vielfach  ursprüngliche 
Karstmulden,  die  durch  Schneeerosion  umgearbeitet  sind;  dann  erst  haben 
sich  kleine  Gletscher  darin  angesetzt.  Seen  bilden  sich  darin,  indem  die 
Kalkmulde  den  unter  dem  Kalk  anstehenden  undurchlässigen  Sandstein 
erreicht.  Um  die  kühn  geformten,  von  Karwänden  umgebenen  Hochgebirge 
breiten  sich  weite  verkarstete  Hochflächen  aus,  und  diese  sind  von  gewaltigen 
Cafions  durchschnitten.  Letztere  sind  nur  von  solchen  Wasserläufen  aus- 
gearbeitet, die  von  ehemals  vergletscherten  Hochgebirgen  kommen;  die  Ur- 
sache der  Cafionbildung  ist  der  Wasserreichtum  des  Quellgebietes,  bei  geringer 
Abspülung  der  Wände  im  Karstgebiet  selbst.  Manche  Cafions  enthalten 
diluviale  Schottermassen.  Nach  der  Eiszeit  gewann  der  Karstprozeß  wieder 
die  Überhand  über  die  Talerosion,  und  manche  Cafions  sind  von  Schutt 
wieder  versperrt  worden. 

Schon  in  einer  früheren  Arbeit  hat  Cviji6  „das  Karstphänomen" 
zusammenfassend  behandelt').  In  dem  zweiten  Teil  der  „morphologischen 
und  glazialen  Studien  ans  Bosnien  u.  s.  w."')  betrachtet  er  des  Nähern  die 
dortigen  „Karstpoljen".  Es  sind  dies  „ausgedehnte,  geschlossene  Karst- 
mulden mit  ebenem  Boden;  ihre  Querachse  wird  wenigstens  2 — 3  Mal  von 
der  Längsachse  an  Größe  übertroffen,  und  in  der  Regel  läuft  letztere  mit 
dem  Schichtstreichen  parallel.  Sie  treten  nur  in  dislozierten  Kalkgebieten 
jüngerer  Gebirgssjsteme  auf.  Hydrographisch  zeichnen  sie  sich  dadurch  aus, 
daß  ihr  Boden  regelmäßig  in  mehrere  Abflußgebiete  zerfällt,  und  daß  sie 
vorherrschend   periodisch,    zuweilen   auch    beständig    inundiert    werden,    sehr 

selten  trocken  sind Ihre  besten  Formen  befinden  sich  in  West-Bosnien 

und  der  Herzegowina". 

Cviji6  beschreibt  eine  große  Anzahl  solcher  Poljen  im  einzelnen  und 
gibt  dann  eine  Erklärung  der  Erscheinungen.  Das  Problem  liegt  darin,  daß 
die  Längsachse  der  Mulde  parallel  dem  Schichtstreichen  gerichtet  ist;  dann  in 
der  beträchtlichen  Breite  der  ebenen  Bodenfläche;  und  endlich  in  dem  Vor- 
handensein mehrerer  Abflußgebiete  in  einer  Polje.  Cv\ji6  findet,  daß  sich 
die  Polje  aus  der  Doline  entwickele  —  die  ja  durch  chemische  Erosion  des 
Kalksteins  entsteht  —  und  zwar  bezeichnet  er  als  Mittelform  zwischen 
Doline  und  Polje  die  Karstmulde  oder  Uvala. 


1)  Morphologische  und  glaciale  Studien  aus  Bosnien,  der  Herzegowina  und 
Montenegro.  I.  Das  Hochgebirge  und  die  Canontäler.  Abb.  d.  k.  k.  Geogr.  Ges. 
Wien.  n.  1900.  Nr.  6.    (M.  Karten.) 

2)  Geogr.  Abb.,  herausgeg.  v.  Penck.  V,  3.    Wien,  1893. 

3)  Abh.  d.  k.  k.  geogr.  Ges.  in  Wien.    lU.    1901.    2. 


Neuere  Forschungen  in  der  westlichen  Balkanhalbinsel.        159 

„Oft  haben  im  Karste  Reihen  oder  Gruppen  von  Dolinen  eine  gemein- 
same Umrahmung,  indem  sie  eine  größere  Earstmulde  darstellen,  deren 
Boden  von  kleinen  Dolinen  bedeckt  ist.  Karstmulden  oder  üvalas  sind 
also  größere,  breitsohlige  Karstsenken,  von  unruhiger  Bodengestaltung,  be- 
sitzen also  keine  Ebene  an  der  Sohle.  Sie  treten  stellenweise  so  zahl- 
reich auf  und  sind  von  solch  einer  großen  Bedeutung,  daß  sie  die  hori- 
zontale parallele  Struktur,  den  Parallelismus  der  Grate  auf  den  Karstrücken 
bewirken.  Die  Karstmulden  stellen  die  Übergangsformen  von  Dolinen  zu  Poljen 
dar.  Ihre  Verwandtschaft  mit  den  Dolinen  ist  augenscheinlich,  mit  den 
Poljen  haben  sie  diese  Haupteigenschaft  gemein:  ihre  Längsachse  stimmt  mit 
dem  Schichtstreichen  überein;  sie  unterscheiden  sich  von  den  Poljen  dadurch, 
daß  ihr  Boden  nicht  eben  ist,  und  daß  sie  in  der  Regel  jene  besonderen 
hydrographischen  Verhältnisse  entbehren." 

Aus  den  Karstmulden  entsteht  die  Polje:  „Sobald  sich  der  Boden  der 
Karstmulde  bis  zum  Niveau  des  Grundwassers  im  Karste  vertieft,  verschwin- 
det stellenweise   die   unruhige  Bodengestaltung,    es    entwickeln    sich  Ebenen, 

imd   die   bekannten   hydrographischen   Verhältnisse  treten   auf. Wenn 

zwei  bis  drei  oder  auch  mehrere  solcher  Karstmulden  mit  einander  ver- 
wachsen, so  entstehen  zusammengesetzte  Poljen  (z.  B.  das  Kupresko,  Glamocko, 
Livanjsko  u.  s.  w.),  die  oft  aus  zahlreichen  selbständigen  hydrographischen 
Becken  bestehen,  zwischen  denen  niedrige,  noch  nicht  denudierte  Querriegel 
liegen."  Die  Karstformen  und  auch  die  Poljen  senken  sich  in  weite  Verebnungs- 
flächen  ein,  die  Karstplateaus,  ,fpen^lains"  im  Sinne  von  Davis ^).  Die 
Schichtfugen  weisen  dem  eindringenden  Wasser  die  Wege,  daher  die  Anord- 
nung der  Karstformen  längs  dem  Schichtstreichen. 

Bei  starkem  Zufluß  bilden  sich  in  den  Poljen  Seen  aus.  Das  war  im 
Neogen  und  in  der  Eiszeit  der  Fall;  man  findet  die  Seeablagerungen  und 
Terrassen  aus  beiden  Perioden  in  den  Poljen,  auch  alte  Abflüsse  der  Seen 
lassen  sich  oben  auf  den  Plateaus  nachweisen.  Aber  das  Neogen  ist  gestört, 
sogar  meist  durch  das  Randgebirge  der  Polje  überschoben  und  zwar  immer 
von  der  Nordostseite  her;  nach  Südwest  sind  die  Terrassen  und  der  Boden 
der  Polje  geneigt!  Also  haben  in  postneogener  Zeit  tektonische  Zusammen- 
schiebungen im  Gebirge  in  südwestlicher  Richtung  stattgefunden.  Durch  das 
Trockenwerden  des  Klimas  zu  Ende  der  Eiszeit  sind  die  Seen  verschwunden, 
und  auch  die  Poljen  werden  allmählich  durch  tiefere  Erosion  verschwinden. — 

Auch  sonst  ist  die  Erforschung  der  in  österreichisch-ungarischem  Besitz 
befindlichen  Teile  der  Balkanhalbinsel  in  gutem  Fortschreiten  begriffen.  Die 
geologische  Spezialaufnahme  ist  sowohl  in  Dalmatien  —  hier  arbeitet  beson- 
ders V.  Bukowski  —  als  auch  im  Occupationsgebiete  unter  Leitung  von 
K  atz  er  im  Gange.  Die  „wissenschaftlichen  Mitteilungen  aus  Bosnien  und 
der  Herzegowina"  bringen  eine  Fülle  von  Wissenswertem.  So  sei  ein  Ver- 
such einer  systematischen  Einteilung  des  bosnisch -herzegowinischen  Gebirgs- 
landes  mit  Berücksichtigung  der  Geologie,  Urographie  und  Morphologie  von 

1)  Mit  der  Entstehung  und  den  Formen  der  großen  Verebnungsflächen  des 
Karstes  hat  sich  Penck  in  seinen  ,,geomorphologi8chen  Studien  aus  der  Herzego- 
wina" (Z.  d.  d.  u.  ö.  Alpenver.  XXXI.  1900.  S.  26  ff.)  näher  beschäftigt. 


160  A.  Philippson:  Neuere  Forschungen  in  der  westl.  Balkanhalbinsel. 

G.  A.  Lukas  erwähnt^),  mit  eingehender  Charakterisierung  der  einzelnen 
Gebirgsgnippen.  Über  das  alte  Tertiär  der  westlichen  Balkanhalbinsel  handeln 
einige  Arbeiten  von  Paul  Oppenheim^)  und  von  Dainelli^).  Die  Vege- 
tation der  niyrischen  Länder  hat  in  dem  großen  Werke  von  Beck  von 
Mannagetta^)  eine  ausgezeichnete  Parstellung  erfahren.  Groß  ist  die  Zahl 
der  Beisebeschreibungen,  Reiseführer  und  sonstigen  allgemeinen  Darstellungen 
von  Land  und  Leuten,  die  über  Bostiien  und  Herzegowina  erschienen  sind; 
so  Hörnes'  „dinarische  Wanderungen",  Preindlsberger-Mrasovic  „bos- 
nisches Skizzenbuch"  und  das  beispiellos  billige,  reich  illustrierte  Werk 
Renners:  „Durch  Bosnien  und  Herzegowina". 

So  ist  das  österreichisch-ungarische  Occupationsgebiet  auf  dem  Wege, 
eines  der  vielseitigst  und  gründlichst  erforschten  Länder  Europas  zu  werden. 
Und  daß  es  mm  auch  in  den  so  lange  der  Wissenschaft  verschlossenen 
Landschafben  zwischen  Drin  und  Vardar  zu  tagen  beginnt,  haben  wir  gesehen. 
Es  sei  mir  gestattet,  hier  auch  meiner  ganz  persönlichen  Freude  darüber 
Ausdruck  zu  geben,  daß  meine  Arbeiten  in  Griechenland  in  dem  Nachbar- 
gebiet ihre  Fortsetzung  gefunden  haben,  und  daß  sich  die  in  beiden  Ländern 
gewonnenen  Ergebnisse  im  ganzen  so  harmonisch  zusammenschließen,  wie  es 
der  Fall  ist. 


Die  Regelung  des  argentinisch-chilenischeii  Grenzstreites. 

Von  Oberlehrer  Dr.  P.  Stange  in  Erfurt. 

Die  schon  mehrere  Jahre  dauernden  Streitigkeiten  zwischen  Argentinien 
und  Chile*)  sind  durch  den  Schiedspruch  Englands  beendigt.  Ehe  ich  im 
folgenden  das  Urteil  des  englischen  Schiedsgerichtes  mitteile,  will  ich  noch 
einmal  an  die  Grundsätze  anknüpfen,  auf  die  ein  jeder  der  streitenden  Staaten 
seine  Ansicht  basierte  und  vertrat  Während  Argentinien  an  dem  Begriffe 
des  „Encadenamiento  principal  de  los  Andes",  d.  h.  an  der  Grenzlinie  fest- 
hält, die  über  die  höchsten  Andengipfel  zu  ziehen  ist,  basiert  Chile  seine 
Forderungen  auf  dem  „Divortium  aquarum",  d.  h.  auf  einer  Linie,  die  mit 
der  interozeanischen  Wasserscheide  zusammenfällt. 


1)  Orographie  von  Bosnien  und  der  Herzegowina.  Wies.  Mitt.  aus  Bosn.  u. 
Herz.   Vm.    Wien,  1901.     (M.  K.) 

2)  Über  einige  alttertiäre  Faunen  der  österreich.-ung.  Monarchie.  Beitr.  z. 
Paläontologie  Öst.-Ung.  XUI.  Wien,  1901.  Femer  N.  Jahrb.  f.  Mineralogie  etc.  1899, 
II.    S.  106  ff.  —  Zentralblatt  f.  Min.  etc.  1902.    S.  266  ff. 

3)  In:  Canavari  Memorie  di  Paleontologia.  YU.  Pisa,  1901;  und  Boll.  Soc. 
Geol.  Ital.   XXI.   1902.   S.  176. 

4)  Die  Vegetationsverhältnisse  der  Illyrischen  Länder.  (Engler  u.  Drude,  Vege- 
tation der  Erde.  IV.)    Leipzig,  Engelmann  1901. 

6)  Vergl.  Hans  Steffen:  Chile  und  Argentinien  in  der  patagonischen  Kor- 
dillere.  G.  Z.L  1896.  S.  486  ff.  621ff.  —  Ders.:  Ein  neues  Aktenstück  zur  chilenisch- 
argentinischen Grenzfrage.  G.  Z.  H.  1896.  S.  468 ff.  —  H.  Polakowgky:  Morenos 
neueste  Reise  durch  West- Patagonien.  G.  Z.  IV.  1898.  S.  860 ff.  —  P.  Stange: 
West-Patagonien  im  Lichte  der  neuesten  Forschungsresultate.  G.  Z.  VIU.  1902. 
S.  140  ff. 


P.  Stange:  DieRegelnng  d.  argentinisch-chilenischen  Grenzstreites.  161 


Dem  Englischen  Schieds- 
gericht blieben  nun  fol- 
gende Wege  offen:  Ent- 
weder nahm  es  eine  der 
vorgeschlagenen  Grenz- 
linien als  richtig  an,  oder 
es  zog  eine  neue,  vermit- 
telnde Grenze.  In  ihrem 
Bericht,  den  die  englische 
Kommission  am  19.  No- 
vember 1902  dem  Könige 
vorlegte,  betonte  sie,  daß 
beide  Grenzlinien  unver- 
einbar seien,  und  daß  es 
auf  Grundlage  der  der 
Kommission  vorliegenden 
Dokumente  notwendig  sei, 
eine  neue  Linie  festzusetzen, 
welche  jene  Grundlagen 
besser  rechtfertigt. 

Sehen  wir  uns  einmal 
den  Bau  der  Kordillere  in 
Westpatagonien  genauer 
an!  Die  patagonische  Kor- 
dillere kann  in  zwei  scharf 
gegliederte  Teile  zerlegt 
werden,  in  die  eigentliche 
Hochkordillere  am  Saume 
des  pacifischen  Ozeans  und 
in  die  weiter  östlich  ge- 
legene ,  niedrige  Vorkor- 
dillere,  die  wir  natürlich 
mit  der  ersteren  zusammen 
als  „andine  Eegion"  be- 
zeichnen im  Gegensatz  zu 
der  dann  im  Osten  folgen- 
den „Pamparegion  der 
Hochebenen",  welch  letz- 
tere sich  zwischen  der  an- 
dinen  Region  und  der  Küste 
des  Atlantischen  Ozeans 
ersta-eckt.  Wir  wissen  heute, 
daß  diese  pampine  Region 
von  überwiegend  tertiären 
Schichtgesteinen  gebildet 
wird,  die  nur  an  wenigen 


\i^    Vou  ArHentitiica  üe 


Durch  iJ<?ii  Sohidiliipmeh  fi**i- 

niL'litti  tirenye 
bfluiipntchls  Grenze  , 


162  P.  Stange: 

Stellen  lokalen  Störungen  unterworfen  sind  und  fast  überall  in  nahezu  hori- 
zontaler Lagerung  sich  befinden.  An  manchen  Orten  sind  diese  Schichten 
von  mächtigen  vulkanischen  Basalt -Gesteinsdecken  durchbrochen.  Daher  er- 
reicht der  westliche  Eand  dieser  Hochebenen  an  einzelnen  Orten  eine  ganz 
bedeutende  Höhe,  wie  z.  B.  südlich  vom  Lago  Buenos  Aires  mit  2600  m  und 
in  der  Meseta  Belgrano  östlich  vom  Cerro  S.  Lorenzo  mit  2300  m  Höhe. 
Obgleich  diese  Hochebenen,  „mesetas",  so  hoch  sind,  unterscheiden  sie  sich 
doch  von  der  Vorkordillere  durch  ihre  Gesteinszusammensetzung  wie  durch 
tektonische  Verhältnisse,  wie  der  argentinische  Landesgeologe  E.  Hauthal  nach- 
gewiesen hat.  Am  Fuße  des  steilen  Westrandes  der  Mesetas  verlaufen  sich 
aneinanderreihende  Längsdepressionen,  die  durch  tektonische  Dislokationen 
bedingt  sind.  Betrachten  wir  diese  Grenzlinie  näher,  so  verläuft  diese  vom 
Ostende  des  Nahuelhuapisees  (41®  s.  Br.)  bis  zum  Meerbusen  Ultima  Esperanza 
(52*^  s.  Br.)  in  folgender  Weise:  Vom  Ostende  eben  genannten  Sees  zieht  sie 
direkt  südlich  bis  zum  Lago  Buenos  Aires  (4672®  s.  Br.);  dann  folgt  sie  dem 
Westfuß  der  Meseta  Belgrano  (71®  52'  w.  L.)  bis  zum  Lago  S.  Martin  (49® 
s.  Br.);  von  hier  bis  zum  Seno  Ultima  Esperanza  beinahe  gänzlich  in  der 
Richtung  von  72®  30'  w.  L. 

Die  Vorkordillere  besteht  aus  vorwiegend  cretaceischen  Sedimenten  (wie 
zahlreiche  Gesteinsproben  erwiesen,  die  ich  dem  jüngst  verstorbenen  chile- 
nischen Staatsgeologen  R.  Pöhlmann  zur  Untersuchung  mitbrachte);  diese  be- 
finden sich  zum  Teil  metamorphisch  in  stark  dislozierter  Lagerung.  Jedoch 
nehmen  auch  eruptive  Gesteine  (wie  ich  sie  im  Valle  Cholila  fand),  Granite, 
Diorite  u.  a.  am  Aufbau  der  Vorkordillere  teil.  Hauthal  fand  sie  in  der 
interessanten  Form  von  Laccolithen  z.  B.  am  Cerro  Payne,  am  Cerro  Fitz  Roy. 

Nun  folgen  nach  Westen  große,  meist  tektonische  Längsdepressionen,  an 
die  sich  die  Hauptkordillere  anlehnt.  Diese  Längsdepressionen  sind  triften- 
reiche Täler  und  der  Hauptstreitgegenstand  beider  Länder  gewesen.  Sie  ziehen 
vom  Nahuelhuapi  über  das  Valle  Nuevo  (im  obem  Puelogebiet),  Pampa 
Epuyen,  Cholila  (Quellgebiet  des  Yelcho-Futaleufü),  obere  Palenagebiet  (Kolonie 
16.  Oktober,  Valle  Frio,  Carrileufu);  dann  verläuft  die  Grenze  weiter  südlich 
nach  dem  Westende  des  Lago  Cochrane  (L.  Puejrredon  der  argentinischen 
Karten),  über  das  Längstal  des  Lago  Vulkan,  nach  den  Lagos  Azara,  Nansen, 
dem  Rio  Mayer.  Von  hier  etwas  nach  Westen  abweichend  zum  Ostfuß  des 
Cerro  Fitz  Roy  (der  kein  Vulkan  sondern  ein  granitischer  Laccolith  ist),  und 
dann,  die  Seen  Viedma,  Argentino,  Dickson,  Hauthal  östlich  lassend,  zum 
Westende  des  Seno  Ultima  Esperanza. 

Die  eigentliche  Hauptkordillere,  die  den  Rand  des  pacifischen  Meeres 
begleitet,  besteht  vorwiegend  aus  alten  Eruptivgesteinen,  meist  Graniten  wie 
die  Proben  ergaben;  untergeordnet  treten  auch  metamorphe  Gesteine  auf. 
Diese  Hochkordillere  weist  allerdings  eine  deutliche  Hochkette  auf,  die  ja 
durch  viele  große  Quertäler  in  einzelne  Massive  gesondert  erscheint.  Es  sind 
gewaltige  Schneemassive  mit  Ansätzen  zur  Gletscherbildung. 

Dicht  an  der  Küste  ziehen  dann  vom  S©»o  Reloncavi  an  (unter  41 V,® 
s.  Br.)  eine  Reihe  Vulkane.  Unvergeßlich  bleibt  mir  der  Eindruck,  den  ich 
bei  klarem  Wetter  von  der  Höhe  der  Insel  Tenglo  im  Hafen  von  Puerto  Montt 


Die  Regelung  des  argentinisch-chileniBchen  Grenzstreites.      163 

aus  hatte,  als  sich  ein  Teil  dieser  Vulkane  (vom  Yanteles  bis  Melimoyu),  wie 
an  einer  Schnur  aufgereiht,  dem  entzückten  Auge  darbot. 

Ein  näheres  Studium  der  großen  patagonischen  Andenseen  verdeutlicht 
noch  mehr  die  oben  erläuterte  Gliederung  Westpatagoniens.  Betrachten  wir 
z.  B.,  sagt  Hauthal,  den  Lago  Buenos  Aires  oder  den  Lago  Argentino.  Ihr 
östlicher,  in  der  Region  der  Mesetas  gelegener  Teil  ist  breit,  gerundet  und 
nicht  von  großer  Tiefe,  im  Gegenteil,  sehr  flach  auslaufend.  Der  in  der  Vor- 
kordillere  gelegene  Teil  verschmälert  und  vertieft  sich,  während  die  in  die 
eigentliche  Kordülere  noch  eindringenden  Arme  vollständig  den  Charakter 
schmaler  tiefer  Fjorde  annehmen;  dieser  charakteristische  Wechsel  der  Gestalt 
ist  vorwiegend  bedingt  durch  das  verschiedene  Gesteinsmaterial.  Ich  habe  an 
den  nördlicher  gelegenen,  von  mir  besuchten  Seen  gleiche  Erfahrungen  gemacht. 

An  dieser  Stelle  möchte  ich  eine  Erwiderung  an  die  von  Hauthal  auch 
gegen  mich  gerichtete  Polemik  anbringen.  Er  hält  das  Zusammenwerfen  der 
Begriffe  „Encadenamiento  principal  de  los  Andes"  und  „Divortium  aquarum" 
ftlr  eine  geographische  Ungeheuerlichkeit.  Im  Spanischen  sind,  wie  mir  zahl- 
reiche in  ihrer  Muttersprache  wissenschaftlich  bewanderte  Zeugen  erklärt 
haben,  beide  Begriffe  synonym,  und  von  dieser  Voraussetzung  aus,  habe  ich 
diese  Begriffe  auch  verwendet;  mag  man  zwischen  Vor-  und  Hauptkordillere 
unterscheiden  oder  nicht,  oder  mag  man  dafür  einfach  „andine  Region^'  setzen 
(was  ja  auch  die  Argentiner  tun),  so  bleibt  die  chilenische  Grenzlinie,  die 
oben  angegeben  ist,  inuner  innerhalb  der  Kordillere  als  solcher.  Erst  jenseits 
derselben  nach  Osten  zu  beginnen  die  pampinen  Mesetas,  die  Chile  nie  für 
sich  beansprucht  hat.  Außerdem  habe  ich  in  der  Rezension  von  Serrano^) 
nur  dessen  Meinung  wiedergegeben  und  nicht  die  meinige. 

Was  hat  nun  das  englische  Schiedsgericht  entschieden,  das  nicht  nur 
die  Streitigkeiten  vom  40.®  bis  zum  52.®  s.  Br.  zum  Austrag  gebracht  hat, 
sondern  das  auch  die  alte  Streitfrage  über  den  Paso  San  Francisco  in  Nord- 
Chile  (etwa  unter  2672  s.  Br.  am  SW.  Ende  der  Puna)  regelte? 

Nach  Artikel  1  des  Schiedsspruches  wird  die  Grenzlinie  zwischen  Chile 
imd  Argentinien  in  der  Region  des  Paso  San  Francisco  durch  die  interozea- 
nische Wasserscheide  gebildet,  die  sich  vom  bereits  aufgestellten  Grenzstein 
(„hito")  bis  zum  Monte  Tres  Cruces  erstreckt. 

Dem  2.  Artikel  zufolge  wird  die  Senke  des  Lacarsees  (östlich  von 
Valdivia)  den  Argentiniern  zuerkannt. 

Gemäß  Artikel  3  verläuft  sie  vom  Perez  Rosales-Paß  an  (nahe  dem 
Nordende  des  Nahuelhuapi)  bis  zum  Lago  Viedma  über  den  Tronador,  durch- 
schneidet die  Flußsysteme  des  Manso,  Puelo,  Futaleufu-Yelcho,  Palena,  indem 
der  Oberlauf  dreier  Ströme  an  Argentinien,  ihr  Unterlauf  an  Chile  fällt.  Da- 
mit kommen,  resp.  verbleiben  bei  Argentinien  die  Täler  Villegas,  Nuevo, 
Cholila,  Colonia  16  de  Oetobre,  Frio,  Huemules  y  Corcovado  oder  Carri- 
leufii  (d.  h.  oberer  Palena).  Die  Linie  verläuft  weiter  über  den  Lago  General 
Paz  (Quellsee  des  Carrileufu),   kreuzt  den  Rio  Pico   und  geht  zur  interozea- 


1)  Limites  con  la  Repüblica  Argentina  per  R.  M.  Serrano.    Pet.  Mitt.  1900. 
Lit  Nr.  466. 


164  P.  Stange:  DieRegelung  d.  argentitiisch-chilenischen  Grenzstreites. 

nischen  Wasserscheide  auf  der  „loma  Baguales";  sie  verfolgt  diese  bis  zur 
„cumbre  Galera".  Hier  verläßt  sie  wieder  die  interozeanische  Scheide,  durch- 
quert die  Lagos  Buenos- Aires,  Cochrane  und  San  Martin,  indem  sie  über  den 
Monte  Cochrane  oder  S.  Lorenzo  zum  Cerro  Fitz  Roy  verläuft.  Vom  Cerro  Fitz 
Roy  bis  zum  Monte  Stokes  fällt  sie  wieder  mit  der  Wasserscheide  zusammen. 

Der  4.  Artikel  bestimmt  die  Grenze  zwischen  dem  Monte  Stokes  und 
dem  schon  früher  endgültig  als  Grenze  festgelegten  52.  Breitengrad.  Sie 
verläuft  anfangs  üj)er  die  „  Sien-a  Baguales'*,  verläßt  diese  sodann  und  zieht  über 
den  Rio  Viscachas  zum  Monte  Cazador,  an  dessen  Südostende  der  Rio  Ouillermo 
gekreuzt  wird;  im  Osten  des  Mont«  Solitario  vereinigt  sie  sich  wieder  mit 
der  Wasserscheide;  somit  verbleibt  der  Seno  Ultima  Esperanza  Chile,  wenn 
auch  die  argentinische  Grenze  sich  ihm  auf  8  —  25  Meilen  nähert.  Es  ist 
dies  überhaupt  der  Punkt,  wo  auf  der  ganzen  Linie  Argentinien  fast  den 
pacifischen  Ozean  erreicht. 

Welche  Vor-  oder  Nachteile  hat  nun  diese  englische  Grenzlinie  gebracht? 
Schon  der  erste  Blick  zeigt  uns,  daß,  mit  Ausnahme  der  Region  am  Monte 
S.  Valentin  und  Lago  Buenos  Aires,  die  chilenischen  Ansprüche  aufs  stärkste 
beschnitten  worden  sind.  Die  fruchtbaren  Längstäler,  östlich  der  höchsten 
Ketten,  sind  ganz  in  argentinischen  Händen;  überall  wo  ein  argentinischer 
Kolonist  sitzt,  ist  das  betreffende  Land  an  Argentinien  gefallen,  wie  z.  B. 
Koßlowsky  am  obem  Aisen,  Contreras  an  der  Ultima  Esperanza  u.  s.  w. 
Lacar  und  das  obere  Mansotal,  Valdivia  und  Puerto  Montt  so  nahe  liegend, 
sind  geradezu  herausfordernd  für  Chile.  Argentinien  besitzt  mit  Ausnahme 
des  kleinen  Tales  des  Rio  Cisne  die  Hälfte  aller  pacifischen  Täler.  Da  seine 
Grenzlinie  an  den  Strömen  dahin  fällt,  wo  die  „Angosturas"  liegen,  die  ja 
vorläufig  noch  schwer  passierbare  Engpässe  sind,  so  wird  in  kommender  Zeit 
mit  sich  entwickelndem  Handel,  bei  Eröffnung  von  den  Stromlauf  folgenden 
Wegen,  Argentinien  schnell  und  leicht  am  pacifischen  Ozean  sein.  Bald  nach 
Passieren  dieser  Angosturas  beginnt  die  ruhige  Stromfahrt  auf  den  ruhigen 
und  tiefen  Fjorden,  in  die  die  14  größten  westpatagonischen  Ströme  sich  er- 
gießen. Praktisch  also  ist  Argentinien  durch  die  so  weit  nach  Westen  vor- 
geschobene Linie  Besitzerin  der  pacifischen  Küste;  das,  was  an  Land  hier  für 
Chile  bleibt,  sind  wüste  gebirgserfüUte  Striche,  die  höchstens  dem  Holzfäller, 
nur  in  sehr  beschränktem  Maße  dem  Viehhirten  Raum  zur  Betätigung  übrig 
lassen.  Noch  ehe  der  englische  Schiedsspruch  fiel,  hatte  Fr.  Fonck,  vor 
Jahren  schon  in  seinem  schönen  Werke ^)  über  die  Reisen  des  Padre  Menendez, 
und  letzthin  in  seinem  „Examen  Critico  de  la  Obra  del  Senor  Argentino 
Fr.  P.  Moreno"  (Valparaiso  1902)  auf  diese  von  mir  angeführte  Gefahr  der 
argentinischen  Prätensioneu  mit  voller  Klarheit  hingewiesen.  Leider  sind 
seine  klaren  und  auf  tiefer  wissenschaftlicher  Einsicht  gegründeten  Worte  im 
Winde  verhallt.  Kurz,  die  Weisheit  des  englischen  Schiedsspruches  ist  sehr 
gering;  statt  den  Knoten  zu  lösen,  durchhaut  er  ihn.  Das  chilenische  Volk, 
wie  seine  Regierung,  die  jederzeit  vor  gesetzlichen  Abmachungen  hohe  Achtung 
zeigten,  werden  sich  auch  in  diesen  Ausgang  der  Angelegenheit  zu  finden  wissen. 


1)  Libro  de  los  Dianes  de  Fray  Francisco  Menendez.   Valparaiso,  1900. 


V.  HantzBch:  D  ie  Karten  Sammlung  der  königl.  Bibliothek  zu  Dresden.  165 


Die  Kartensammlung  der  kfinigl.  Bibliothek  zu  Dresden. 

Bekanntlich  hat  das  Studium  der  Geschichte  der  Kartographie  in  den 
letzten  Jahren  große  Fortschritte  gemacht.  Man  hat  sich  nicht  nur  ein- 
gehend mit  den  Werken  einzelner  Kartenzeichner  beschäftigt,  sondern  auch 
die  Entwicklung  der  kartographischen  Darstellung  einzelner  Länder  von  den 
Anfängen  bis  auf  die  Gegenwart  verfolgt.  Trotz  dieser  zahlreichen  und  wert- 
vollen Spezialuntersuchungen  ist  auf  dem  Gebiete  der  Geschichte  des  Karten- 
wesens noch  sehr  viel  zu  tun.  Daß  in  Deutschland  bisher  nicht  mehr  ge- 
leistet wurde,  lag  hauptsächlich  daran,  daß  es  bei  uns  nur  wenige  große 
und  wohlgeordnete  Landkartensammlungen  gibt.  Eine  der  umfangreichsten 
dürfte  die  der  königl.  Bibliothek  in  Dresden  sein,  deren  Ordnung  nach  mehr- 
jähriger Arbeit  kürzlich  vollendet  wurde.  Sie  zerfällt  in  vier  Abteilungen. 
Die  erste,  in  einem  besonderen  Baume  untergebracht,  umfaßt  in  mehr  als 
600  Bänden  eine  große  Anzahl  von  Atlanten  über  alle  Teile  der  Erde.  Wir 
bemerken  unter  ihnen  die  meisten  seit  dem  15.  Jahrhundert  gedruckten  Aus- 
gaben der  Geographie  des  Ptolemäus,  dann  das  Theatrum  orbis  terrarum  des 
Abraham  Ortelius  in  10  und  den  Atlas  des  Gerhard  Mercator  in  14  Ausgaben, 
femer  noch  aus  dem  16.  Jahrhundert  15  Ausgaben  von  Sebastian  Münsters 
Kosmographie,  Christoph  Froschowers  Landtafeln,  das  Speculum  orbis  ter- 
rarum des  Gerard  de  Jode  und  die  Kartenwerke  des  Matthias  Quad,  aus 
dem  17.  die  teilweise  vielbändigen,  meist  illuminierten  Atlanten  der  großen 
holländischen  Kartenverleger  Hondius,  Blaeu,  Jansson,  Visscher  und  de  Wit, 
der  beiden  Franzosen  Sanson  und  des  Italieners  Coronelli,  aus  dem  18.  die 
von  Schenk,  de  Fer,  Nolin,  Homann  imd  den  Homännischen  Erben,  Schreiber 
und  Reilly.  An  historischen  Atlanten  finden  wir  die  von  Jansson,  Chätelain 
und  Gueudeville,  Köhler,  d^  Anville  und  Bonne,  von  Seeatlanten  die  von 
Waghenaer,  Blaeu,  Dudley,  Goos,  van  Keulen,  Doncker  ubd  Renard,  den 
Neptune  fran9ois  und  den  Neptune  oriental,  sowie  die  Liselbücher  von  Bor- 
done,  Porcacchi  und  Coronelli,  von  neueren  Sammlungen  älterer  Karten  die 
von  Lelewel,  Jomard,  Nordenskiöld  und  Kretschmer.  Außerdem  sind  als 
besonders  merkwürdig  zu  erwähnen  der  berühmte  Atlas  royal,  ein  Prachtwerk 
in  19  Bänden  größten  Folioformats,  das  August  der  Starke  in  den  Jahren 
1707 — 1710  zu  Amsterdam  von  den  geschicktesten  Zeichnern,  Malern  und 
Kupferstechern  mit  einem  Kostenaufwande  von  19  000  Talern  anfertigen  ließ, 
und  der  gleichfalls  sehr  reichhaltige  Atlas  electoral  in  25  Bänden,  der  1793 
für  den  Privatgebrauch  des  Kurfürsten  Friedrich  August  des  Gerechten  zu- 
sammengestellt wurde.  —  Die  zweite  Abteilimg  umfaßt  die  sehr  zahlreichen 
Atlanten  und  Karten  einzelner  Länder,  soweit  sie  in  Buchform  gebunden 
oder  in  buchförmigen  Kapseln  verschiedensten  Formats  untergebracht  sind. 
Diese  werden  nicht  zusammen  in  einem  besonderen  Räume  der  Bibliothek 
aufbewahrt,  sondern  stehen  vereinzelt  unter  den  gedruckten  Büchern  ver- 
wandten Inhalts.  —  Die  dritte  Abteilung  bUden  die  gebundenen  oder  ein- 
gerahmten handschriftlichen  Karten.  Unter  ihnen  befinden  sich  wertvolle 
und  in  der  Literatur  wiederholt  gewürdigte  Seltenheiten,  so  zwei  portugiesische 
Seekarten  auf  Pergament  von  Pero  Femandez  aus  Oporto,  die  eine  von 
1528,  die  andere  undatiert,  zwei  sehr  sorgfältig  ausgeführte  Atlanten  von 
der  Hand  des  fleißigen  italienischen  Kartenmalers  Battista  Agnese  aus  den 
Jahren  1536  und  1544,  eine  für  die  Entdeckungsgeschichte  wichtige  Welt- 


166  Y.HantzBch:  DieEartensammlungderkönigl.BibliothekzaDreBden. 

karte  des  Nicolas  Desliens  aus  Dieppe  von  1541,  eine  katalonische  Pergament- 
karte des  Mittelmeeres  von  Banet  Panades  aus  Mallorka  von  1557,  ein 
prachtvoll  illuminierter  Seeatlas,  gefertigt  1568  von  dem  portugiesischen 
Kartographen  Diego  Homem,  16  kleine  Landtafeln  einzelner  Gegenden  Kur- 
sachsens nach  Vermessungen  des  Kurfürsten  Vater  August,  zwei  Karten  der 
sächsischen  Lande  von  Hiob  Magdeburg,  die  größere,  leider  nicht  völlig  wohl 
erhaltene,  von  1566,  die  kleinere,  in  herzförmiger  Gestalt,  von  1584,  sowie 
eine  auf  Glas  gemalte  Karte  Mitteleuropas  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts.  —  Die  vierte  Abteilung  der  Sammlung  ist  die  umfang- 
reichste. Sie  umfaßt  gegen  30000  meist  gedruckte,  zum  Teil  aber  auch 
gezeichnete,  in  Mappen  aufbewahrte  Einzelblattkarten,  darunter  4000  auf 
Sachsen  bezügliche.  Sie  sind  zunächst  systematisch  nach  Ländern  und  inner- 
halb dieser  Gruppen  wieder  chronologisch  oder  nach  ihrer  genetischen  Zu- 
samimengehörigkeit  geordnet.  Will  sich  also  jemand  über  die  allmähliche 
Entwicklung  der  kartographischen  Darstellung  eines  Gebietes  unterrichten,  so 
braucht  er  sich  nur  die  betreffenden  Mappen  vorlegen  zu  lassen.  Für  die 
Zeit  bis  1800  ist  eine  schöne,  wenn  natürlich  auch  bei  weitem  nicht  absolute 
Vollständigkeit  erreicht.  Dagegen  sind  für  das  19.  Jahrhundert  noch  sehr 
beträchtliche  Lücken  auszufüllen.  Als  hervorragende  Seltenheiten  dieser  Ab- 
teilung mögen  genannt  werden  Georg  Glockendons  Straßenkarte  des  heiligen 
römischen  Reiches  aus  den  ersten  Jahren  des  16.  Jahrhunderts,  Hiob  Magde- 
burgs Holzschnittkärte  des  Meißnerlandes  von  1562,  Philipp  Apians  Bayrische 
Landtafeln  von  1568,  eine  anonyme  Chorographie  von  Meißen  und  Thüringen 
aus  der  Zeit  um  1570,  die  ich  dem  Matthäus  Nefe  zuschreiben  möchte,  so- 
wie eine  größere  Anzahl  alter  handschriftlicher  Karten  einzelner  Teile  der  kur- 
sächsischen Länder,  darunter  Blätter  von  Matthias  öder  und  Adam  Friedrich 
Zümer.  Neben  den  Landkarten  sind  auch  mehrere  tausend  zum  Teil  aus 
geschichtlichen  und  geographischen  Bilderwerken  herausgeschnittene  Pläne 
und  Ansichten  von  Ortschaften  und  berühmten  Gebäuden  vorhanden. 

um  die  Benutzung  der  Kartensammlung  zu  erleichtem,  ist  in  den  letzten 
Jahren  ein  Zettelkatalog  angefertigt  worden,  der  gegen  30000  Titelkopien 
umfaßt  und  allen  denen,  welche  zu  wissenschaftlichen  Zwecken  irgend  eine 
Abteilung  durchzusehen  wünschen,  zimächst  zur  Kenntnisnahme  vorgelegt 
wird.  Mit  seiner  Hilfe  kann  sich  jeder,  der  Karten  eines  bestimmten  Gebietes, 
Pläne  oder  Ansichten  irgend  eines  Ortes  sucht,  in  wenig  Minuten  unter- 
richten, ob  er  Studienmaterial  für  seine  Zwecke  vorfindet.  Für  diejenigen 
Benutzer,  welche  ein  bestimmtes  Werk  oder  alle  vorhandenen  Arbeiten  eines 
einzelnen  Kartographen  kennen  zu  lernen  wünschen,  ist  ein  alphabetisch  ge- 
ordnetes Autorenregister  von  gegen  40000  Zetteln  vorhanden,  das  seiner 
Vollendung  entgegengeht  und  die  Namen  und  Werke  aller  in  der  Sammlung 
vertretenen  Zeichner,  Stecher,  Herausgeber  und  Verleger  von  Karten  ver- 
zeichnet. Eine  Drucklegung  beider  Kataloge  ist  nicht  geplant.  Nur  die  auf 
Sachsen  bezüglichen  Titelkopien  sollen  der  zur  Zeit  in  Bearbeitung  begriffenen 
„Bibliographie  der  sächsischen  Geschichte"  einverleibt  werden.  Einige  der 
wichtigsten  handschriftlichen  Schätze,  darunter  Homems  Atlas  und  Desliens' 
Weltkarte,  sollen  demnächst  in  photographischer  Reproduktion  erscheinen. 
Auch  eine  ausführliche  Geschichte  imd  Beschreibung  der  Sanmilung  dürfte  in 
einiger  Zeit  veröffentlicht  werden. 

Dresden.  Viktor  Hantzsch. 


J.  Früh:  Zur  Bestimmung  der  Oberflächenentwicklung.  167 


Znr  Bestimmnng  der  Oberflächenentwicklung. 

Nach  dem  Vorgange  von  J.  Bruch  1887  und  den  vereinfachten  Me- 
thoden von  Finsterwalder,  Penck  und  Peucker  wird  das  wahre  Areal 
auf  Grund  von  Isohypsenkarten  mittelst  des  mittleren  Böschungswinkels  be- 
rechnet. Die  Vergrößerung  des  in  der  Karte  dargestellten  Areals  wurde 
beispielsweise  für  den  Böhmerwald  zu  1,0  7o  bestinamt,  für  den  Kaiserstuhl 
in  Baden  zu  1,62 7o»  <iön  Vesuv,  Chasseral  (Schweizer  Jura)  zu  47oi  die 
Ennsthaler  Alpen  zu  10%  und  die  Jungfraugruppe  zu  24,0%.  Mit  Recht 
nennt  Peucker  die  für  die  Alpen  gewonnenen  Daten  Minimalwerte,  weil  — 
fügen  wir  hinzu  —  das  Kartenbild  in  der  Felsregion  für  kurvimetrische 
Arbeiten  selbst  bei  großen  Maßstäben  nicht  die  wünschenswerte  Genauigkeit 
♦  darbietet. 

Reliefkarten  im  Sinne  von  Modellen  sind  unter  Umständen  geeigneter. 
Handelt  es  sich  bloß  darum,  den  Unterschied  zwischen  der  Horizontal- 
projektion imd  der  wahren  Oberfläche  zu  demonstrieren,  um  überhaupt  auf  die 
Beziehung  aufmerksam  zu  machen,  so  genügen  durch  Prägung  hergestellte 
Reliefkarten  von  Gebirgen  aus  Papier  mache,  wie  sie  für  Blinde  (Kimz  in 
nizach)  oder  für  den  Unterricht  überhaupt  durch  die  Firmen  C.  Deichmann 
in  Kassel,  E.  Bertraux  in  Paris  u.  a.  hergestellt  worden  sind.  Solche 
Karten  sind  zerrissen  bis  durchlöchert!  Vergleicht  man  die  geologische  Karte 
der  Schweiz  in  1:500000  von  A.  Heim  und  C.  Schmidt  mit  dem  nach 
gleicher  aufgedruckter  Farbenskala  und  in  gleichem  Maßstabe  erstellten  geo- 
logischen Relief  der  Schweiz  von  F.  Brüngger,  so  erscheinen  beispielsweise 
auf  letzterem  die  roten  Töne  der  kiystallinen  Hochgebirge  heller,  weil  sie 
auf  größere  Flächen  verteilt  sind  als  auf  der  Karte. 

In  einem  Fall  gelang  es,  die  Oberflächenentwicklung  zu  bestinunen.  Seit 
langem  ist  Prof.  Heim  beschäftigt,  ein  Relief  des  Säntisgebirges  in  1 :  5000 
zu  erstellen,  welches  an  Genauigkeit  und  wissenschaftlicher  Au^ssung  alle 
bisherigen  Darstellungen  weit  übertriflFt.  Das  Gebirge  wurde  unter  Wahrung 
sämtlicher  eingemessener  Punkte  eigentlich  erst  recht  durch  geologische  und 
photographische  Aufnahmen  aufgebaut.  Zum  erstenmal  sieht  man  den  wunder- 
vollen Formenreichtum.  Selbst  3  m  dicke  Schichten  sind  noch  ausgedrückt, 
und  das  Kartenbild  in  1 :  25  000,  welches  als  solches  mit  anderen  Hoch- 
gebirgsblättem  konkurrieren  darf,  erscheint  in  den  Felspartien  fast  nur  als 
Schatten  im  Vergleich  zu  dem  Modell.  Nach  dem  durch  Abwart  Dreyer 
meisterhaft  ausgeführten  Abguß  einer  Sektion  und  dem  Umguß  der  Gelatine- 
matrize in  Platten  von  nahezu  gleicher  Dicke  wie  die  Matrize  fand  Dreyer, 
daß  letztere  eine  fast  doppelt  so  große  Fläche  einnehmen  dürfte  als  die 
Grundfläche  des  Reliefs.  Dies  sollte  bei  einer  zweiten  Sektion,  welche  bei- 
nahe vollständig  in  Blatt  Nr.  240  (Säntis)  des  Topogr.  Atlas  der  Schweiz  ent- 
halten ist,  möglichst  genau  festgestellt  werden.  Sie  reicht  im  NW  westlich 
der  „Türme*'  in  1390m,  im  NE  zur  Alp  Maus  1530  m,  im  SW  ans  West- 
ende des  Gulmen  in  1570  m  und  sinkt  im  SE  in  der  Richtung  gegen  das 
Dorf  Garns  im  Rheintal  auf  690  m  herab.  Das  Areal  beträgt  31,05  qkm 
und  umschließt  den  schönsten  Teil  der  Faltung  mit  vier  bis  fünf  orogra- 
phisch  ausgesprochenen  Zügen:  Türme- Altenalp  (2052  m),  Roßmad-Meglisalp, 
Altmann -Hundstein  (2438  m  und  2159  m),  Kraialp-Roslen  (1992  m  und 
2154  m)    und    Gulmen -Kreuzberge   (2004    und    2058  m).     Zwischen   ihnen 


168         J-  Früh:  Zur  Bestimmung  der  Oberflächenentwicklung. 

liegen  topographisch  sechs  Muldentäler  einschließlich  des  1,139  qkm  großen 
Seealpsees  und  des  einsamen  1,1  km  langen,  100—125  m  breiten  Fählensees 
mit  1,448  qkm  Nur  gegen  die  SE-Ecke  ist  ein  4,7  qkm  großes  Dreieck 
zwischen  1300  bis  690  m,  dessen  Böschung  durchschnittlich  kaum  15^  be- 
tragen dürfte. 

Auf  der  Karte  ist  das  Areal  ein  Bechteck  von  184  auf  270  mm,  im 
Relief  1:5000  von  entsprechend  92  auf  135  cm,  mithin  von  12  420cm^ 
Nach  einem  nicht  näher  zu  beschreibenden  Verfahren  betrug  die  Dicke  der 
überall  nach  einer  „Lehre"  sorgfältig  aufgetragenen  (gegossenen!)  Matrize 
11  mm.  Sie  konnte  tadellos  als  Ganzes  abgehoben  und  in  einem  als  Kegel- 
stumpf geformten  Geschirr  zur  Volumenbestimmung  umgeschmolzen  werden. 
Das  Volumen  der  die  ursprüngliche  Konsistenz  erhaltenen  Gelatine  berechnete 
sich  auf  25  958  cm^,  mithin  die  Oberfläche  der  Matrize  oder  des  Reliefs  zu 
23  598  cm^  woraus  sich  eine  Zunahme  des  Areals  von  23  598:12420  =  1,9 
oder  90%  ergibt.  Die  wirkliche  Oberfläche  dieses  eng  gefalteten  Gebirgs- 
teiles  bebrägt  mithin  58,99  qkm  gegen  31,05  der  Horizontalprojektion. 
Hierbei  durfte  die  Erhebung  des  Areals  der  Karte  auf  das  Niveau  des 
tiefsten  Punktes  (etwa  690  m)  vernachlässigt  werden,  da  dieselbe  höchstens 
eine  Vergrößerung  um  etwa  %  Hektar  ergeben  würde.  Das  Resultat  muß 
überraschen  gegenüber  den  24%  <i^r  Jungfraugruppe  und  den  59,49%, 
welche  J.  Bruch  fttr  ein  57,64  qkm  großes  Kartenareal  im  Rätikon  nach 
Isohypsen  von  20  zu  20  m,  höher  oben  von  100  zu  100  m  berechnet  hat. 
Auf  den  ersten  Blick  zeigen  sich  aber  in  diesen  beiden  Gebieten  zahlreiche 
flache  Böschungen,  nicht  bloß  auf  den  Firnen  des  Berner  Oberlands,  sondern 
auch  zwischen  Dorf  Brand,  der  Scesaplana  2962  m  und  dem  Schweizertor 
2 1 50  m  in  Vorarlberg.  Hier  dagegen  eine  die  Schneelinie  kaum  erreichende, 
durchlässige  Faltenscharung  mit  steilen  Schenkeln  von  Schrattenkalk,  welche 
gelegentlich  gleich  den  „Dolomiten"  100 — 300  m  über  die  Umgebung  ragen 
und  verlockende  Ziele  der  Klubisten  bilden.  Nach  den  am  Relief  bergmän- 
nisch genommenen  Winkeln  gibt  es  zahlreiche  Wände,  ganze  Züge,  mit 
Böschungen  über  45^.  Es  zeigen  Roßmad  45^,  Südseite  der  Teselalp  52^, 
Südseite  des  Altmann  71®,  Nordgehänge  des  Fählenseetales  60®,  Wildsee- 
türme 70—80®,  Gloggeren  70 — 80®,  Kreuzberge  bis  90®.  Nicht  nur  sind 
diese  auf  der  Karte  maximal  verkürzten  und  eng  gedrängten  Flächenelemente 
auf  der  Matrize  vollständig  erhalten,  sondern  das  Relief  bietet  noch  eine  Un- 
zahl kantiger,  ein-  und  ausspringender  Detailformen,  welche  beispielsweise  für 
die  Bestrahlungsvorgänge  sehr  ins  Gewicht  fallen,  aber  selbst  in  Karten 
großen  Maßstabes  kaum  ausgedrückt  und  daher  nicht  in  Rechnung  gezogen 
werden  könnten.  Ob  sich  die  kleinen  und  bei  diesem  Verfahren  nicht  ganz 
zu  vermeidenden  negativen  und  positiven  Fehler  gegenseitig  aufheben,  war 
nicht  zu  kontrollieren.  Selbst  dann,  wenn  das  Ergebnis  um  5®/^  zu  groß  ist, 
wofür  kein  zwingender  Grund  vorliegt,  ist  es  noch  überraschend. 

J.  Früh. 


Geographische  Neuigkeiten. 


169 


Geographische  Neuigkeiten. 


Allgemeines. 

*  Eine  Erdbebenliste  für  das 
Jahr  1902  stellt  die  Wochenschrift  „Eng- 
lish  Mechanic^^  zusammen.  Das  letzt- 
vergangene  Jahr  nimmt  wegen  der  Häu- 
figkeit und  Heftigkeit  seiner  Erdbeben 
eine  besondere  Stellung  ein,  nament- 
lich im  Zusammenhang  mit  den  Yulkan- 
ausbrüchen.  Zeitlich  den  ersten  Platz 
nimmt  das  große  Erdbeben  von  Schemacha 
in  Transkaukasien  am  14.  Februar  ein. 
Die  Opfer  dieser  gewaltigen  Erderschütte- 
rung zählten  nach  Tausenden,  und  über 
20  000  Menschen  wurden  ihres  Obdachs 
beraubt.  Im  April  kamen  Nachrichten 
von  schweren  Erdbeben  aus  Guatemala; 
das  ganze  Land  war  während  48  Stunden 
heftigen  Stößen  ausgesetzt  gewesen,  zwei 
Städte  wurden  völlig  zerstört  und  ent- 
setzliche Grewitter  begleiteten  die  Beben. 
Im  Mai  begannen  die  starken  Vulkan- 
ausbrüche in  Westindien,  und  ihnen  ging 
am  30.  April  ein  Erdbeben  voraus,  das 
sich  in  Südengland  heftig  fühlbar  machte. 
Die  Katastrophe  auf  Martinique  und 
St.  Vincent  kostete  im  ganzen  gegen 
22  000  Menschen  das  Leben.  Am  6.  Juli 
ereignete  sich  ein  heftiger  Erdstoß  auf 
der  Halbinsel  Saloniki,  der  ebenfalls  Ver- 
luste an  Menschenleben,  eine  große  Panik 
und  viele  Schäden  an  den  Häusern  ver- 
ursachte. Das  1000  Kilometer  entfernte 
Observatorium  in  Laibach  konnte  den 
Verlauf  dieser  Erdbewegung  genau  ver- 
folgen. Gegen  Ende  August  wurde  Nica- 
ragua der  Schauplatz  von  Erderschütte- 
rungen, und  die  anschließende  Eruption 
des  Vulkans  von  Masaja  versetzte  die 
Umgebung  in  großen  Schrecken.  Am 
22.  August  kam  die  Kunde  von  einem 
entsetzlichen  Erdbeben  in  Innerasien  mit 
dem  Zentrum  in  Kaschgar.  Am  27.  Sep- 
tember fegte  ein  gewaltiges  Unwetter  über 
Sicilien  unter  gleichzeitiger  Erregung  der 
dortigen  Vulkane.  In  Schottland  traten 
am  14.  Oktober  Erdbeben  auf,  am  24.  Ok- 
tober wurde  ein  scharfer  Stoß  in  Rom 
verspürt,  in  den  letzten  Tagen  des  Oktober 
hatte  wieder  Guatemala  schwer  zu  leiden. 
Endlich  brachte  der  Schluß  des  Jahres 
noch  die  Kunde  von  der  völligen  Zer- 
störung der  Stadt  Andischan  durch  ein 
Erdbeben. 


Europa. 

*  NeueEisenbahnen  inFinnland. 
Am  1.  November  1902  wurden  im  Groß- 
fürstentume  Finnland  im  nördlichsten  und 
südlichsten  Teile  des  Landes  zwei  wich- 
tige Linien  dem  Verkehre  übergeben.  Die 
eine  Bahn  führt  von  Uleaborg  nach  Kemi 
und  bildet  eine  Teilstrecke  der  Linie 
Uleaborg — Tomea,  der  nördlichsten  Eisen- 
bahn Finnlands.  Die  Gesamtlänge  der  Ulea- 
borg— Tomea -Eisenbahn  bis  zur  schwe- 
dischen Grenze  wird  rund  340  km  um- 
fassen, die  Teilstrecke  Uleaborg— Kemi 
ist  etwa  110  km  lang.  Diese  Linie  ist 
gleichzeitig  die  brückenreichste  Bahn  Finn- 
lands, denn  sie  besitzt  nicht  weniger  als 
42  Brücken.  Die  Eröffnung  des  Betriebes 
auf  der  Strecke  Kemi — Tomea  kann  erst 
in  diesem  Jahre  stattfinden.  Die  andere  ist 
als  Küstenbahn  des  finnischen  Meerbusens 
von  der  Station  Karis  der  Hyvinkäa — 
Hangö  -  Eisenbahn  nach  Helsingfors  ge- 
führt und  bildet  die  Fortsetzung  der  Linie 
Abo— Karis.  Sie  durchschneidet  ein  dicht 
bewohntes  und  reiches  Gebiet  und  bildet 
die  kürzeste  Verbindung  zwischen  der 
Hauptstadt  und  dem  wichtigen  Hafenplatz 
Abo,  der  früheren  Hauptstadt  Finnlands, 
und  Hangö,  dessen  Hafen  selbst  im  Winter 
nur  auf  kurze  Zeit  zufriert.  A.  R. 

Asien. 

y^  Der  Ausfühmng  des  ursprünglichen 
Planes  der  großen  sibirischen  Eisen- 
bahn stellten  sich  am  Baikal -See  und 
östlich  davon  derartige  Schwierigkeiten 
in  den  Weg,  daß  man  zum  größten  Teil 
davon  Abstand  nehmen  und  neue  Pläne 
ausarbeiten  mußte.  Da  an  der  südlichen 
Hälfte  des  Baikal -Sees  die  Gebirge  so 
nahe  an  den  See  herantreten,  daß  dort 
eine  Eisenbahn  nur  mit  großen  Opfern 
an  Zeit  und  Geld  hätte  gebaut  werden 
können,  so  hatte  man  sich  entschlossen, 
die  Bahn  vorläufig  nicht  um  den  See, 
sondern  quer  über  den  See  derart  weiter- 
zuführen, daß  die  Eisenbahnzüge  auf 
großen  Trajektdampfem  über  den  See 
befördert  werden  sollten.  Die  Eisverhält- 
nisse auf  dem  See  erwiesen  sich  aber  so 
ungünstig,  daß  eine  regelmäßige  Beförde- 
rung der  Eisenbahnzüge  nicht  durch- 
geführt werden  konnte,  so  daß  man  sich 


QeogTftphiiche  Zeitschrift.  9.  Jahrgang.  1908.  3.  Heft. 


12 


170 


Geographische  Neuigkeiten. 


zur  sofortigen  Ausföhmng  der  ümgehungs- 
bahn  des  Baikal-Sees  entschließen  mußte. 
Die  geringeren  Schwierigkeiten  bietet  das 
Ostufer,  auf  dem  der  Bau  der  Strecke 
von  Kultuk  am  Südende  des  Sees  nach 
MjBOvaja  bald  zu  Ende  geführt  sein 
wird;  ungleich  größer  sind  sie  auf 
dem  Westufer  auf  der  Strecke  zwischen 
Listwenitschnaja  und  Kultuk,  wo  zwar 
der  Bau  auch  eifrig  betrieben,  aber 
vor  1905  nicht  beendet  sein  wird.  Erst 
dann  wird  eine  ununterbrochene  Schienen- 
verbindung mit  Ostasien  hergestellt  sein. 
Eine  weitere  Änderung  erfuhr  der  Plan 
der  transsibirischen  Eisenbahn  dadurch, 
daß  man  den  ursprünglichen  Plan,  die 
Bahn  längs  der  Schilka  und  des  Amur 
bis  Chabarowsk  zu  führen  uud  sie  dort 
an  die  Üssuri-Bahn  anzuschließen,  fallen 
ließ  und  die  Bahn  nur  bis  Strjetensk 
an  der  Schilka  baute,  während  man  die 
Hauptlinie  südostwärbs  durch  die  Man- 
dschurei nach  Port  Arthur  leitete. 
Die  ca.  2000  km  lange  eisenbahnlose 
Strecke  zwischen  Stijetensk  und  Chaba- 
rowsk wurde  bisher  auf  Dampfern  zurück- 
gelegt, die  auf  der  Schilka  und  dem  Amur 
fuhren.  Da  aber  ein  derartiger  Verkehr 
im  Winter  durch  Zufrieren  der  Flüsse 
unterbrochen  wurde  und  auch  im  Sommer 
wegen  der  Untiefen  und  Sandbänke  nur 
schwer  aufrecht  zu  erhalten  war,  hat  sich 
die  russische  Regierung  entschlossen,  von 
Strjetensk  nach  Chabarowsk  eine  Kunst- 
straße zu  bauen,  deren  Kosten  auf  9,3  Mill. 
Rubel  veranschlagt  worden  sind.  Die  süd- 
östwärts  gerichtete  Hauptlinie,  die  trans- 
mandschurische Bahn,  zweigt  120  km  hinter 
Tschita  von  der  transsibirischen  Haupt- 
bahn ab,  erreicht  nach  300  km  die  chi- 
nesische Grenze  und  führt  dann  ostwärts 
zum  Nordende  des  Dalai-Nor.  Von  hier 
folgt  die  Bahn  dem  Tal  des  Chailar,  über- 
schreitet das  Chin-gan-Gebirge  und  tritt 
zuerst  in  das  Tal  des  Jal,  später  in  das 
desl^onniunddesSungariein.  In  Charbin 
teilt  sich  die  Bahn  abermals:  Ein  Zweig 
führt  ostwärts  nach  Wladiwostok;  die 
Hauptlinie  geht  südwärts  über  Kwang- 
tsching-tsu  und  Mukden  nach  Port  Arthur 
mit  Zweigbahnen  nach  Niutschwang  (russ. 
Inkor)  und  Dalny,  dem  neugegründeten 
russischen  Handelszentrum  und  Freihafen 
an  der  Bucht  von  TaliSnwan. 

*  Im  Sommer  1900  hat  L.  Berg  im 
Auftrag  der  k.  r.  geogr.  Ges.  den  Aral- 


see eingehend  erforscht*).  Vor  allem 
sollten  die  alten  Aufnahmen  von  Buta- 
kow  und  Pospjelow  (1847/48)  geprüft  wer- 
den, um  die  vielumstrittene  Frage  zu 
entscheiden,  ob  der  See  wirklich  im 
Schwinden  begriffen  ist.  Die  neueste  Ver- 
messung ergab  eine  Wasserfläche  von 
67  962  qkm.  Der  See  liegt  74  m  über 
dem  Kaspischen  Meere,  also  48  m  ü.  d.  M. 
Im  Verhältnis  zu  seiner  gewaltigen  Aus- 
dehnung ist  die  Tiefe  sehr  gering,  da  nur 
3%  der  Fläche  mehr  als  30  m  tief  sind; 
die  größte  Tiefe  ist  68,  die  mittlere  15  m. 
Die  Ufer  sind  im  Osten  und  Süden  sehr 
flach,  im  Norden  und  Westen  steil,  zum 
Teil  felsig,  bis  30  m  hoch.  Die  Frage, 
ob  der  See  tatsächlich  im  Rückgang  be- 
griffen ist,  d.  h.  ob  der  Wasserzufluß  des 
Amu-Darja  und  Syr-Darja  die  Verdun- 
stung des  Seewassers  nicht  zu  ersetzen 
vermag,  verneint  Berg  auf  Grund  einer 
Vergleichung  des  alten  Nivellements  mit 
dem  Wasserstand  vom  Sommer  1900.  In 
geschichtlicher  Zeit  ist  eine  Verminderung 
des  Sees  nicht  wahrnehmbar,  im  Gegen- 
teil läßt  sich  gegen  die  Beobachtungen 
von  1847/48  und  1874  ein  Steigen  um 
rund  60  cm  beobachten.  Die  Schwan- 
kungen erklären  sich  aus  einem  perio- 
dischen Wechsel  des  Zuflusses,  der  in  ganz 
ähnlicher  Weise  auch  beim  Kaspischen 
Meere  beobachtet  worden  ist.  Diese  Er- 
scheinung wird  für  den  Aralsee  aus  dem 
Wechsel  erklärt,  dem  die  Schneemassen 
auf  den  zentralasiatischen  Hochgebirgs- 
ländem  unterliegen.  Folgende  Liste  ver- 
anschaulicht diese  Schwankungen: 
Min.:  1800  1835  1861  1885 
Max.:  1820  1850  1880  1900/01. 
Immanuel, 
t  Eine  zweite  Durchquerung  von 
Celebes  an  seiner  breitesten  Stelle  von 
Norden  nach  Süden  haben  vom  3.  Juli 
bis  3.  Oktober  vorigen  Jahres  die  For- 
schungsreisenden Paul  und  Fritz  Sara- 
sin  glücklich  durchgeführt.  Die  Reise, 
welche  von  Palu  an  der  gleichnamigen 
Bucht  im  Nordwesten  der  Insel  aus  quer 
durch  die  Insel  nach  Paloppo  im  inner- 
sten Golf  von  Boni  führte,  drohte  im  Be- 
ginn an  der  Feindseligkeit  einiger  Küsten - 
stänune  zu  scheitern,  weshalb  ein  Auf- 
gebot von  Regierungstruppen  anfangs  die 


1)  Beiträge  zur  Hydrologie  des  Aral- 
sees. 62  S.  IK.  Taschkent,  1902.  (Russisch.) 


Geographische  Neuigkeiten. 


171 


Expedition  begleitete;  weiter  aber  ver- 
lief die  Reise  ohne  StÖrong  Die  wissen- 
schaftlichen Ergebnisse  waren  recht  za- 
friedenstellend.  Man  entdeckte  ein  großes 
Floßsystem,  den  Koro,  von  dem  man  bis- 
her nur  die  MQndung  bei  Lariang  kannte, 
während  der  Fluß  noch  selbst  ganz  un- 
bekannt war,  und  ein  hohes  Gebirge, 
Korouwe,  das  nach  Schätzung  der  Reisen- 
den bis  8600  in  emporragt.  Die  während 
der  Reise  angelegten  ethnographischen, 
zoologischen,  botanischen  und  geologischen 
Sammlungen,  von  denen  ein  Teil  der  zoo- 
logischen an  das  Museum  in  Dresden  ab- 
gegeben worden  ist,  enthalten  vieles  Inter- 
essante; die  Lage  einer  großen  Zahl  von 
Orten  wurde  astronomisch  bestimmt  und 
ihre  Höhe  mit  dem  Siedethermometer  ge- 
messen, wodurch  das  bis  jetzt  nur  fiktive 
Kartenbild  vom  westlichen  Zentral-Celebes 
ansehnlich  abgeändert  werden  wird.  (Glo- 
bus 83.  Bd.  S.  46.) 

Afrika. 

*  Von  der  Nilprovinz,  in  der  Emin 
Pascha  einst  regierte  und  die  gegenwärtig 
einen  Teil  des  englischen  Uganda-Protek- 
torates bildet,  gab  es  bisher  keine  zu- 
verlässige Karte,  so  daß  die  Verwaltung 
der  Provinz,  in  der  noch  eine  Anzahl 
meuternder  sudanesischer  Soldaten  ihr 
Wesen  trieb,  der  englischen  Regierung 
nicht  geringe  Schwierigkeiten  machte. 
Der  gegenwärtige  Militär-  und  zugleich 
auch  Civilgouvemeur  der  Nilprovinz,  Major 
Radcliffe,  hat  nun  auf  zahlreichen  Reisen 
die  Provinz  systematisch  aufgenommen 
und  die  Ergebnisse  in  einer  Karte  ver- 
verzeichnet, die  im  Geogr.  Joum.  Vol.  XXI 
S.  162  von  Johnston,  dem  Gouverneur  des 
Uganda-Protektorates,  veröffentlicht  wor- 
den ist.  Neben  einer  Anzahl  bisher  wenig 
oder  gar  nicht  bekannter  Flüsse  verzeichnet 
die  Karte  die  erste  genaue  Aufnahme  des 
weißen  Nils  von  seinem  Austritt  aus  dem 
Albert-See  bis  Dufile,  die  den  seenartigen 
Charakter  des  Flusses  auch  auf  dieser 
Strecke  deutlich  erkennen  läßt.  Besondere 
Sorgfalt  hat  Major  Radcliffe  auf  seiner 
Karte  auf  die  korrekte  Schreibweise  der 
Namen  von  Dörfern,  Bergen  und  Flüssen 
verwandt,  welche  durch  die  eingewanderten 
Bantus  oft  merkwürdige  Veränderungen 
erfahren  hatte.  Die  jetzige  von  Radcliffe  be- 
gründete Regierungsstation  der  Nilprovinz 
heißtNimule  und  liegt  etwas  oberhalbDufile. 


Angtralien  und  aastralisehe  Inseln. 

'♦  Im  „Adelaide  Observer"  vom  4.  Okt. 
finden  sich  einige  Einzelheiten  über  eine 
Reise,  die  H.  W.  Hill  i.  J.  1900  im  Auf- 
trage eines  Syndikates  in  die  Eastem  Di- 
vision West-Australiens  unternommen 
hatte.  Hauptzweck  war,  in  der  Gegend 
der  Gebirgsketten,  die  ungeMir  unter  26*^ 
8.  Br.  die  große  australische  Wüste  unter- 
brechen, nach  Erzen  zu  schürfen.  Die 
Route  führte  vom  Wellsee  in  ostnordöst- 
licher Richtung  über  dab  Von -Treue- 
Plateau  und  die  Waburton-Barrow-  und 
Rawlinson- Kette  über  die  Grenze  von 
Süd- Australien  nach  der  Petermann-Kette. 
Wie  Maurice,  der  dasselbe  Gebiet  von 
Süden  her  erreicht  hat,  ist  auch  Hill  der 
festen  Überzeugung,  daß  ein  Teil  des  er- 
forschten Landes  Gold  führt.  Er  meint 
auch,  daß  in  der  Gegend  artesisches  und 
.subartesisches  Wasser  vorhanden  isl,  so 
daß  nicht  nur  die  Einrichtung  einer  Ver- 
bindungsstraße zwischen  West-  und  Süd- 
australien etwa  unter  26  ^  s.  Br.  möglich 
wäre,  sondern  auch  der  Bau  der  trans- 
australischen Bahn.  Daß  periodischer 
Regen,  der  manchmal  sogar  den  Charakter 
von  Güssen  annimmt,  in  der  Nachbar- 
schaft der  erwähnten  Gebirge  fällt,  wird 
nach  Hill  durch  die  große  Zahl  von  Creeks 
bewiesen,  die  strahlenfdrmig  von  ihnen 
ausgehen;  allerdings  scheint  dann  das 
Wasser  nach  wenigen  Kilometern  unter 
dem  Sande  zu  verschwinden  und  seinen 
Weg  südwärts  zum  Meere  in  unterirdischen 
Kanälen  zu  suchen.  Inmitten  der  mit 
Sand  und  Spinifexgras  bedeckten  Wüste 
fand  Hill  Wasser  in  reichlicher  Menge, 
nachdem  er  durch  das  unter  dem  Sande 
liegende  zersetzte  gneisähnliche  Gestein 
ein  Loch  von  6—6  m  gegraben  hatte. 
(Globus  88.  Bd.  S.  68.) 

•  *  Von  einem  eigenartigen  Unglück 
wurden  die  Paumotu-  oder  niedrigen 
Inseln,  die  östlichste  Gruppe  der  poly- 
nesischen  Inseln,  heimgesucht.  Am  13.  Ja- 
nuar trieb  eine  Reihe  von  Flutwellen 
über  die  nur  20  Fuß  über  den  Meeres- 
spiegel emporragenden  Koralleninseln  hin- 
weg, wodurch  die  meisten  Bewohner  der 
Inseln,  jedenfalls  einige  Tausend,  ins  Meer 
geschleudert  und  getötet  wurden.  Nach 
den  Aussagen  von  überlebenden,  die  von 
dem  Dampfer  Excelsior  nach  San  Fran- 
cisco gebracht  wurden,  nahm  der  Himmel 
am  11.  Januar  eine  eigentümliche  Färbung 

12* 


172 


Geographische  Neuigkeiten. 


an,  die  Luft  wurde  sehr  drückend  und  es 
setzte  ein  Sturm  ein,  dessen  Stärke  am 
14.  und  16.  ihren  Höhepunkt  erreichte. 
Am  13.  jagten  eine  Anzahl  von  Flutwellen 
über  die  Inseln  hinweg,  von  denen  jede 
folgende  die  vorhergehende  an  Höhe  und 
Gewalt  des  Wassers  übertraf,  bis  schließ- 
lich eine  12  m  hohe  Wassermauer  über 
die  Inseln  dahinstrich,  alles  Lebendige 
unter  sich  begrabend  und  alles  Beweg- 
liche mit  sich  fortreißend.  Die  Einwohner 
hatten  sich  zum  größten  Teil  auf  die 
Kokospalmen  gerettet;  da  aber  nur  die 
stärksten  Bäume  der  Gewalt  des  Wassers 
widerstanden,  fanden  die  meisten  ihren 
Tod  in  den  Fluten.  Die  Mehrzahl  der 
Inseln  verloren  ihre  gesamte  Bewohner- 
schaft. Die  Ursache  der  Springfluten  mag 
entweder  in  dem  mehrere  Tage  wehenden 
Orkan,  oder  in  Seebeben,  die  vielleicht 
mit  den  mittelamerikanischen  Erdbeben 
in  ursächlichem  Zusammenhange  stehen, 
zu  suchen  sein. 

Nord-  and  Mittel-Amerika. 

*  In  der  Greschichte  des  Baus  eines 
interozeanischen  Kanals  in  Mittel- 
Amerika  ist  kürzlich  ein  Ereignis  ein- 
getreten, welches  wahrscheinlich  den 
Schlußakt  in  diesem  verwickelten  Hergang 
einleitet.  Nach  dem  Abschluß  des  Haj- 
Pauncefote -Vertrages  1902  (Jhrg.  1902 
S.  106)  war  es  sehr  wahrscheinlich,  daß 
die  Vereinigten  Staaten  den  Nikaragua- 
Kanal  fertig  bauen  würden,  da  das  Ee- 
präsentantenhaus  das  hierauf  bezügliche 
Gesetz  angenommen  hatte  und  auch  die 
Annahme  seitens  des  Senats  als  ganz 
sicher  angesehen  werden  konnte;  die  Be- 
mühungen der  Vertreter  der  Panama- 
kanal-Baugesellschaft, die  sämtlichen 
Rechte  der  Gesellschaft  und  die  bereits 
von  ihr  ausgeführten  Arbeiten  am  Kanal 
den  Vereinigten  Staaten  zu  verkaufen, 
waren  bis  dahin  an  der  Höhe  der  fran- 
zösischen Forderung  und  an  der  Unsicher- 
heit der  Rechtstitel  der  neuen  Panama- 
Gesellschaft  gegenüber  den  Vereinigten 
Staaten  von  Kolumbien  gescheitert.  Als 
diese  Forderung  aber  nach  Annahme  der 
Nikaragua -Bill  im  Repräsentantenhause 
auf  40  Mill.  Doli,  ermäßigt  wurde,  er- 
mächtigte der  Kongreß  der  Ver.  Staaten 
am  29.  Juni  1902  den  Präsidenten  Roose- 
velt  nach  vorheriger  Prüfung  der  Rechts- 
titel  gegenüber   Kolumbien    alle   Rechte 


und  das  Eigentum  der  neuen  Panama- 
kanal-Gesellschaft für  höchstens  40  Mill. 
Doli,  anzukaufen  und  mit  Kolumbien  einen 
Vertrag  abzuschließen,  der  den  Ver. 
Staaten  den  ausschließlichen  und  dauern- 
den Einfluß  über  einen  Landstreifen  von 
mindestens  6  Meilen  Breite  zu  beiden 
Seiten  des  Kanals  und  das  Schutzrecht 
über  denselben  sichert.  Obgleich  die 
Prüfung  der  Rechtstitel  günstig  ausfiel, 
verzögerte  sich  der  Abschluß  des  Ver- 
trages mit  Kolumbien,  das  sich  scheute, 
seine  Besitzrechte  auf  den  Kanal  an  einen 
fremden  Staat  abzutreten  und  dadurch 
seine  staatliche  Selbständigkeit  zu  ge- 
fährden, bis  zum  Januar  1903,  wo  die 
Unterzeichnung  erfolgte.  Dieser  Vertrag 
sieht  eine  einmalige  Zahlung  von  10  Mill. 
Gold -Dollar  durch  die  Unionstaaten  an 
Kolumbien  und  eine  jährliche  Zahlung 
von  260000  Dollar  vor.  Dafür  tritt  Ko- 
lumbien einen  10  km  breiten  Land- 
streifen an  die  Vereinigten  Staaten  ab, 
welche  die  Jurisdiktion  über  den  Kanal 
und  die  Berechtigung  erhalten ,  zum 
Schutze  des  abgetretenen  Gebietes  Trup- 
pen zu  entsenden,  falls  Kolumbien  dazu 
nicht  in  der  Lage  ist.  Das  Gebiet  am 
Kanal  soll  neutral  bleiben  und  die 
Vereinigten  Staaten  garantieren  die  Ober- 
hoheit Kolumbiens.  Weiter  verpflichtet 
sich  Kolumbien,  keiner  Macht  inner- 
halb des  neutralen  Gebietes  Grund  und 
Boden  für  Kohlenstationen  weder  ab- 
zutreten noch  zu  verpachten  oder  über- 
haupt etwas  gegen  die  Sicherheit  oder 
den  freien  Gebrauch  des  Kanals  zu  tun. 
Panama  und  Colon  werden  zu  freien  Häfen 
für  die  den  Kanal  durchfahrenden  Kauf- 
fahrteischiffe erklärt  werden.  Die  Ver. 
Staaten  erhalten  die  Gerichtsbarkeit  über 
die  durch  den  Kanal  verbundenen  Ge- 
wässer und  alle  Hafenabgaben  von  den 
durch  den  Kanal  fahrenden  Schifi^en. 
14  Jahre  nach  dem  Austausch  der  Rati- 
fikationen soll  der  Kanal  dem  Handel  ge- 
öffnet werden.  Wenn  auch  der  definitive 
Abschluß  des  Vertrages  noch  der  Ge- 
nehmigung der  gesetzgebenden  Körper- 
schaften beider  Staaten  bedarf  und 
diese  durch  Parteikämpfe  vielleicht  noch 
längere  Zeit  verzögert  wird,  so  ist 
doch  an  seiner  endgültigen  Annahme 
kaum  noch  zu  zweifeln  und  der 
Bau  des  Panamakanals  al8  gesichert  an- 
zusehen. 


Geographische  Neuigkeiten. 


173 


Polargegenden. 

*  Eisverhältnisse  im  Süden  von 
Kap  Hoorn  1902.  Nach  einer  Mitteilung 
der  ,,Annalen  der  Hydrographie''  (1903, 
Heft  1)  ist  im  Oktober  1902  im  Süden 
von  Kap  Hoorn  ganz  außergewöhnlich  un- 
günstiges Wetter  angetroffen  worden.  Auch 
wurde  in  58»  bis  59"  s.  Br.  und  64«  bis 
67"  w.  L.  mehrfach  Eis  gesichtet.  Bis 
jetzt  läßt  sich  allerdings  noch  nicht  er- 
kennen, ob  dies  nur  ein  vereinzeltes  Vor- 
kommen ist  oder  ob  ein  allgemeines  Vor- 
rücken der  Treibeisgrenze  stattgefunden 
hat.  Nähere  Nachrichten  können  erst  im 
Frühjahre,  nach  der  Rückkehr  der  Kap 
Hoom-Fahrer,  erwartet  werden.  Immerhin 
beanspruchen  diese  Meldungen  ein  weiteres 
Interesse,  da  die  Eisverhältnisse  im  Süden 
für  die  gegenwärtig  in  der  Antarktis  be- 
findlichen Südpolar-Expeditionen  von  größ- 
tem Einfluß  sind.  M. 

*  Dem  Plane  einer  Hilfsexpedition 
für  die  Deutsche  Südpolar-Expe- 
dition  ist  man  an  maßgebender  Stelle 
bereits  näher  getreten,  obgleich  sich  bis 
auf  die  etwas  verspätete  Abfahrt  von 
Kerguelen  -  Insel  in  das  antarktische  Ge- 
biet im  Januar  1902  nichts  Unvorher- 
gesehenes ereignet  hat,  wovon  wir  Kenntnis 
bekommen  hätten.  Man  hat  sich  jedoch 
in  Anbetracht  der  schwierigen  Schiffahrts- 
verhältnisse in  der  Antarktis  entschlossen, 
mit  der  Entsendung  einer  Hilfsexpedition 
nicht  erst  bis  zum  Jahre  1904  zu  warten, 
wie  es  in  Aussicht  genommen  war  für  den 
Fall,  daß  die  Expedition  i.  J.  1903  nicht 
zurückkehrte  imd  wir  über  den  Verlauf 
der  Expedition  im  Jahre  1903  auch  keine 
Nachricht  erhielten,  sondern  die  Hilfs- 
expedition bereits  i.  J.  1903  auszuschicken, 
falls  bis  zum  1.  Juni  1903  keine  näheren 
Nachrichten  von  der  Expedition  einge- 
troffen sind.  Infolgedessen  sind  in  den 
diesjährigen  Etat  für  das  Deutsche  Reich 
485000  uü  zur  Ausrüstung  einer  Hilfs- 
expedition eingestellt  worden. 

*  Über  die  wissenschaftlichen  Ar- 
beiten der  schwedischen  Südpolar- 
expeditionauf denFalkland-Inseln 
und  in  Feuerland  berichtet  der  Ex- 
peditionsgeolog Andersson  im  Geogr.  Jour- 
nal 21.  Bd.  S.  169:  Nach  der  Rückkehr 
der  „Antarktik"  von  Südgeorgien  nach 
Port  Stanley  (8.  Bd.  S.  599)  unternahmen 
die  Expeditionsmitglieder  die  verschieden- 
sten Untersuchungen   auf  den  Falkland- 


Inseln.  Der  Botaniker  sammelte  Meeres- 
algen und  Landpflanzen,  in  den  seichten 
Meeresbuchten  ¥nirden  17  Schleppnetzzüge 
gemacht,  die  eine  reiche  Ausbeute  lieferten ; 
ebenso  konnten  auf  dem  Lande  und  im 
Süßwasser  viele  Insekten,  Mollusken  und 
Krusten tiere  gesanmielt  werden.  Bei  den 
geologischen  Untersuchungen  ergaben  sich 
viele  Funde  mariner  Fossilien  im  Devon- 
Sandstein,  aus  dem  die  Inseln  hauptsäch- 
lich aufgebaut  sind;  als  das  Liegende 
des  Devons  konnte  bei  Kap  Meredith 
Gneis  und  Granit  beobachtet  werden. 
Spezielle  Aufmerksamkeit  wurde  den  für 
die  Falkland  -  Inseln  charakteristischen 
„Steinflüssen"  gewidmet,  deren  Ursprung 
der  Verf.  inSchneeschmelzwässem  zu  sehen 
glaubt,  welche  zeitweise  einen  umfassen- 
den Gesteinstrümmertransport  talwärts 
bewirken.  Aus  Beobachtungen  an  den 
Küsten  ergab  sich  eine  doppelte  Strand- 
linienbewegung:  die  engen  Flußtäler, 
deren  untere  Teile  unter  das  Niveau  des 
Meeres  gesunken  und  mit  Wasser  an- 
gefüllt waren,  ließen  erkennen,  daß  die 
Inseln  vor  der  Eiszeit  zwischen  30  und 
50  Fuß  höher  aus  dem  Meere  emporragten, 
während  andererseits  Strandterrassen  da- 
rauf hindeuteten,  daß  die  Inseln  in  einer 
postglacialen  Periode  mindestens  210  Fuß 
tiefer  in  das  Meer  tauchten  als  gegen- 
wärtig. —  Auf  der  Rückfahrt  von  den 
Falkland-Inseln  nach  Feuerland  vom  11.  bis 
16.  Sept.  wurden  weitere  Schleppnetzzüge 
gemacht,  die  wertvolles  Material  für  die 
Kenntnis  der  noch  wenig  bekannten  Fauna 
jener  Meere  lieferten,  und  in  Feuerland 
wurden  die  im  März  desselben  Jahres  be- 
gonnenen Untersuchungen  des  Beagle- 
Kanals  fortgesetzt.  Im  November  gedachte 
dann  die  Expedition  nach  den  Shetland- 
Inseln  zu  gehen  und  hier  kartographische, 
biologische  und  geologische  Untersuchun- 
gen anzustellen,  und  gegen  den  10.  De- 
zember sollt«  die  „Antarktik"  wieder  bei 
der  Hauptexpedition  in  Süd- Georgien  sein. 

Vereine  und  Versamminngen. 

♦  Zum  XIV.  deutschen  Geogra- 
phentag haben  der  ständige  Zentral- 
ausschuß und  der  Kölner  Ortsausschuß 
eine  Einladung  auf  den  2.,  3.  und  4.  Juni 
d.  J.  erlassen.  Vorsitzender  des  Ortsaus- 
schusses ist  Prof.  Dr.  H.  Schumacher, 
der  Studiendirektor  der  Kölner  Handels- 
Hochschule,  Generalsekretär  Prof.  Dr.  K. 


174 


GeographiBche  Neuigkeiten. 


HatiBert,  an  den  auch  die  Anmeldungen 
zum  Besuch  der  Tagung  erbeten  werden. 
Dies  zur  Berichtigung  unserer  Notiz  im 
n.  Heft,  in  der  es  (S.  115  o.)  natörlich 
statt ,, Badener*'  Aachener  Becken  heißen 
muß. 

Persönliches» 

♦  Am  20.  Februar  starb  in  Görz,  wo 
er  im  Buhestand  lebte,  der  frühere  öster- 
reichisch-ungarische Generalkonsul  Karl 
Ritter  von  Scherzer.  Scherzer  war 
zuerst  Schriftsetzer  bei  Brockhaus,  bildete 
sich  dann  weiter  fort,  studierte  und  trat 
in  österreichische  Staatsdienste.  Er  be- 
reiste 1862— 186Ö  mit  dem  Naturforscher 
Moritz  Wagner  Nord-  und  Mittelamerika 
und  nahm  1857  in  leitender  Stellung  an 
der  Novara-Expedition  teil.  Außer  reichen 
Sammlungen  brachte  er  von  dieser  Reise 
ein  vollständiges  Tagebuch  in  die  Heimat, 
das  die  Grundlage  zum  „Beschreibenden 
Teil"  der  „Reise  der  österreichischen 
Fregatte  xNovara«  um  die  Erde  in  den 
Jahren  1867-1859"  bildete.  Nach  seiner 
Rückkehr  in  den  erblichen  Ritterstand 
erhoben,  wurde  Scherzer  1866  als  Mini- 
sterialrat in  das  österreichische  Handels- 
ministerium berufen,  wo  er  die  Abteilung 
für  Handelsstatistik  und  volkswirtschaft- 
liche Publizistik  organisierte.  Als  erster 
Beamter  und  Leiter  des  handelspolitischen 
und  wissenschaftlichen  Dienstes  der  ost- 
asiatischen Expedition  trat  er  1869  seine 
dritte  Weltreise  an.  Seit  1872  wirkte 
Scherzer  als  Generalkonsul  in  Smyma, 
seit  1875  in  London;  1878  wurde  er  zum 
österreichisch-ungarischen  Geschäftsträger 
für  die  thüringischen  Staaten  und  zum 
Generalkonsul  für  das  Königreich  Sachsen 
mit  dem  Sitz  in  Leipzig,  im  September 
1884  zum  Greneralkonsul  in  Genua,  1894 
zum  Generalkonsul  1.  Klasse  ernannt; 
1896  trat  er  in  den  Ruhestand.  Im  Auf- 
trage der  österreichischen  Regierung  gab 
er  die  „Fachmännischen  Berichte  über  die 
österreichisch-ungarische  Expedition  nach 
Siam,  China  und  Japan"  heraus.  Außer- 
dem veröflTentlichte  er:  „Reisen  in  Nord- 
amerika", „Die  Republik  Costa -Rica", 
„Wanderungen  durch  die  mittelamerika^ 
nischen  Freistaaten  Nicaragua,  Honduras 
und  San  Salvador",  ,vA.us  dem  Natur- 
und  Völkerleben  im  tropischen  Amerika", 
den  „Statistisch-kommerziellen  Teil"  der 
Novara  -  Expedition,  „Statistisch  -  kommer- 


zielle Ergebnisse  einer  Reise  um  die 
Erde  etc.",  „Smyma",  „Las  historias 
del  origen  de  los  Indios  de  la  pro- 
vincia  de  Guatemala",  „Weltindustrien. 
Studien  während  einer  Fürstenreise  durch 
die  britischen  Fabrikdistrikte",  „Das 
wirtschaftliche  Leben  der  Völker". 
(Leipziger  Tgbl.) 

*  F.  von  Schwarz  f-  Am  8.  Dez. 
1847  in  Bämstein  bei  Grafenau  im  baye- 
rischen Wald  geboren,  begab  er  sich 
nach  Vollendung  seiner  mathematischen 
und  astronomischen  Studien  in  München 
1871  nach  Rußland  und  wurde  1874  bis 
1878  bei  der  topographischen  Abteilung 
des  Generalstabs  in  Turkestan  und  den 
angrenzenden  Gebieten  von  Afghanistan 
mit  astronomischen,  geodätischen  und 
erdmagnetischen  Aufnahmen  beschäftigt. 
Dann  übernahm  er  den  meteorologischen 
und  erdmagnetischen  Dienst  an  der 
Sternwarte  in  Taschkent.  1889  verließ 
er  Rußland  und  lebte  seitdem  in  Mün- 
chen, wo  er  1896  an  das  dortige  neu 
zu  errichtende  erdmagnetische  Observa- 
torium berufen  wurde.  1902  trat  er 
wegen  eines  schweren  Herzleidens  in  den 
Ruhestand,  das  ihn  auch  veranlaßte,  zu- 
letzt Hand  an  sich  selbst  zu  legen. 

Seine  „Astronomischen,  magnetischen 
und  hypsometrischen  Beobachtungen,  aus- 
geführt im  Jahre  1886  in  Buchara,  Darwas, 
Karategin,  Fergana  und  im  Syr-daija- 
und  Sarawschan- Bezirk"  sind  1889  im 
3.  Bd.  der  Annalen  der  Sternwarte  zu 
Taschkent  und  dem  Archiv  der  deutschen 
Seewarte  Bd.  XV  in  Hamburg  veröffent- 
licht. Außerdem  schrieb  er:  „Die  Züge 
Alexander  des  Großen",  „Die  Sintflut" 
und  „Turkestan,  die  Wiege  der  indoger- 
manischen Völker*'. 

Seine  Verdienste  um  die  geographische 
Erforschung  von  Turkestan  wurden  1882 
durch  die  russische  Geographische  Gesell- 
schaft mit  der  goldenen  Medaille  belohnt. 
Auch  hat  ihm  die  russische  Regierung 
den  persönlichen  Adel  verliehen.       M. 

♦  Am  1.  Sept.  V.  J.  starb  zu  Paris 
General  G.  de  La  No6,  der  durch  seine 
topographisch  -  geographischen  Arbeiten 
bekannte  Chef  des  „Service  Gäographique 
de  TArmt^e".  1836  geboren,  wurde  er 
schon  als  junger  G^nie-Kapitän  von  Napo- 
leon HI.  der  „Commission  de  la  Topo- 
graphie des  Gaules"  zugeteilt,  der  er  bis 
zu  seinem  Tode  als  eifriges  Mitglied  wie 


Bücherbesprechungen. 


175 


als  Präsident  der  Sektion  fOr  Geographie 
angehörte.  In  dieser  Eigenschaft  veran- 
laßte  er  1889  eingehende  Umfragen  über 
die  BevölkerongsverhäHnisse  Frankreichs 
und  die  Zerstörungen  des  Meeres  an  der 
französischen  Küste.  Vor  allem  aber  ist 
sein  Name  eng  verknüpft  mit  den  topo- 
graphischen und  kartographischen  Ar- 
beiten des  französischen  Generalstabs; 
die  Neuherausgabe  der  Generalstabskarten 
1889,  die  Anleitungen  zur  Aufnahme  von 
Algier  und  Timis,  die  Neuauflage  der 
Karte  von  Frankreich  in  1  :  200  000, 
die  lebhafte  Unterstützung  des  Planes 
einer  Erdkarte  im  einheitlichen  Maß- 
stab 1:1000000  gehen  auf  ihn  zurück. 
In  der  wissenschaftlichen  Geographie 
hat  er  sich  durch  die  gemeinsam  mit 
E.  de  Margerie  1888  herausgegebenen 
„Formes  du  terrain"  einen  guten  Namen 
gemacht. 


Zeitsehriften« 

♦  Die  Redaktion  des  „Globus** 
übernimmt  zu  Ostern  d.  J.  an  Stelle  von 
Prof.  Dr.  Richard  Andree,  der  sich 
nach  einähriger  Redaktionstätigkeit  von 
den  Geschäften  zurückzieht,  Dr.  H.  Singer. 

*  Unter  dem  Titel  „Aus  fernen 
Landen"  erscheint  seit  Anfang  dieses 
Jahres  im  Verlage  von  W.  Süsserott,  Ber- 
lin, eine  illustrierte  Monatsschrift,  die 
nach  dem  Titel  geographische  und  ge- 
schichtliche Unterhaltungsblätter  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  der  Kolonien 
und  Nachrichten  aus  der  Deutschen  Ko- 
lonialschule „Wilhelmshof^'  in  Witzen- 
hausen  enthalten  soll.  Redigiert  wird  die 
Zeitschrift  von  A.  Seidel ,  dem  Redakteur 
der  „Deutschen  Kolonialzeitung**,  unter 
Mitwirkung  von  Direktor  Fabarius  in 
Witzenhausen,  Oberlehrer  H.  Fischer  in 
Berlin  und  W.  Schmidt. 


Bficherbespreehnngen. 


Weltall  und  Menschheit.    Geschichte 
der  Erforschung  der  Natur  und  der 
Verwertung  der  Naturkräfte  im  Dienste 
der  Völker.  Herausgegeben  von  Hans 
Kraemer.   Erster  Band.    4^    XII  u. 
492  S.    Viele  Taf.   u.  Abb.    Berlin, 
Deutsches   Verlagshaus   Bong  &  Co. 
geb.  JL  16  —. 
Ein  groß  angelegtes  Werk,  das  zwar 
nicht  direkt  geographisch  ist,  dessen  In- 
halt sich  aber  in  vielen  Teilen  mit  der 
Geographie  berührt  und  das  deshalb  auch 
an  dieser  Stelle  besprochen  werden  muß. 
Ganz  klar  ist  mir  freilich  der  Plan   des 
Werkes    auch   nach    der  Einleitung   des 
Herausgebers   nicht   geworden,   und   ich 
beschränke  mich  darum  vorläufig  auf  den 
Inhalt  des  ersten  Bandes.    In  diesem  sind 
die  Beziehungen  zur  Geographie  besonders 
eng,    denn    im    ersten    Teil    behandelt 
K.  Sapper   die   Erforschung   der   festen 
Erdrinde,  im   zweiten  derselbe   die  Be- 
ziehungen zwischen  Erdrinde  und  Mensch- 
heit, im  dritten  A.Marcusedie Erdphysik. 
Sapper  hat  die  Geschichte  der  Erforschung 
der    Erdrinde    nach    Gegenständen    ge- 
gliedert, indem  er  nach  einander  die  Ent- 
stehung   und    Beschafifenheit    der    Erde, 
Vulkanismus   und   Gebirgsbildung,    Ver- 
steinerungen und  Erdgeschichte,  die  geo- 


logische Tätigkeit  des  Wassers  und  Windes 
bespricht.  Er  hajb  mit  der  Erforschungs- 
geschichte in  sehr  geschickter  Weise  die 
Darstellung  der  Tatsachen  selbst  verbun- 
den und  gibt  auf  diese  Weise  eine  sehr 
angenehm  zu  lesende  Darstellung  der 
physikalischen  Geographie  und  dynami- 
schen Geologie.  Auch  der  zweite  Teil 
hält  sich  nicht  ganz  an  das  eigentliche 
Thema;  denn  während  die  direkten  Be- 
ziehungen zwischen  Erdrinde  und  Men- 
schen eigentlich  etwas  kurz  abgetan  wer- 
den, wird  wegen  der  indirekten  Bedeutung 
'  far  den  Menschen  auch  der  Einfluß  der 
I  festen  Erdrinde  auf  Klima  und  Pflanzen- 
decke behandelt.  Ich  halte  das  nicht  für 
ganz  glücklich,  denn  der  Einfluß  der  festen 
Erdrinde  auf  Klima  und  E^anzendecke  ist 
doch  nur  sekundär,  und  der  unerfahrene 
Leser  kann  darüber  den  primären  Einfluß 
der  Breitenlage  leicht  zu  gering  ein- 
schätzen. Aber  gerade  in  diesen  Ab- 
schnitten finden  sich  auch  die  schönsten 
Partien  des  Buches ;  die  Erörterungen  über 
die  Bodenbildung  wird  auch  der  Fach- 
mann mit  Gewinn  lesen.  In  der  Dar- 
stellung der  Erdphysik  von  A.  Marcuse 
scheint  mir  der  leitende  Gesichtspunkt 
des  Werkes,  die  Beziehung  auf  den  Men- 
schen, ziemlich  verloren    zu   gehen.    Es 


176 


Bücherbesprechungen. 


ist  eine  Darstellung  des  Erdmagnetismus, 
der  Ebbe  und  Flut,  der  Meteorologie, 
ähnlich  wie  in  anderen  Büchern. 

Die  Ausstattung  in  Abbildungen,  Druck, 
Einband  ist  von  einer  Pracht  und  sucht 
dabei  mit  dem  Lehrreichen  künstlerischen 
Wert  in  einer  Weise  zu  verbinden,  wie 
man  es  in  solchen  Werken  bisher  kaum 
gekannt  hat;  daraus  zusammen  mit  dem 
verhältnismäßig  niedrigen  Preise  erklärt 
sich  auch  der  ungeheure  buchhändlerische 
Erfolg.  Manche  Abbildungen  wollen  mir 
freilich  fast  als  Spielereien  erscheinen; 
aber  die  große  Mehrzahl  sind  sehr  ge- 
lungen, und  an  solchen  Farbentafeln, 
wie  den  Landschafts-  und  Wolkenbildem 
bei  Föhn,  Bora  und  andern  Winden  (nach 
F.  V.  Kemer)  muß  man  seine  Freude 
haben.  A.  Hettner. 

Hngnes^  Lnigi*  Cronologia  delle  sco- 
perte  e  delle  esplorazioni  geo- 
grafiche  dair  anno  1492  a  tutto 
il  secolo  XrX.  Vm  u.  487  S.  Milano, 
Ulrico  Hoepli  1902.  Lire  4.60. 
Der  Verf.,  der  auf  dem  Gebiete  der 
Entdeckungsgeschichte  bereits  mit  einer 
großen  Zahl  von  Einzeluntersuchungen 
hervorgetreten  ist,  gibt  in  dem  vorliegen- 
den nützlichen  und  außerordentlich  preis- 
werten Werke  eine  chronologisch  geord- 
nete Übersicht  über  die  wichtigsten  Reisen 
und  Entdeckungen  sowie  über  die  (be- 
schichte der  Kartographie  und  der  wissen- 
schaftlichen Erdkunde  von  1492  an  bis  auf 
die  Gegenwart.  Er  hat  mit  bewunderungs- 
würdigem Fleiße  die  ungemein  reiche  und 
zerstreute  Literatur  über  diese  Wissens- 
gebiete durchforscht  und  die  wesentlichen 
Ergebnisse  hier  zusammengestellt.  Daß 
eine  derartige  vorzugsweise  kompilato- 
rische  Arbeit  nicht  alle  Wünsche  gleich- 
mäßig befriedigen  kann,  daß  sie  insbeson- 
dere zahlreiche  Versehen  und  Irrtümer  ent- 
halten muß,  liegt  auf  der  Hand.  Manche 
Leser  werden  sich  daran  stoßen,  daß  die 
Zeit  vor  1492  ausgeschlossen  ist.  Andere 
werden  den  Mangel  literarischer  Nach- 
weise beklagen,  den  der  Verfasser  durch 
die  Knappheit  des  Raumes  zu  entschul- 
digen sucht.  Noch  andere  werden  finden, 
daß  das  19.  Jahrhundert  ungebührlich 
bevorzugt  ist,  da  es  von  462  Teztseiten 
nicht  weniger  als  300  umfaßt.  Vom 
deutschen  Standpunkt  aus  ist  zu  bedauern, 
daß  von  unsem  vaterländischen  Reisenden 


und  Forschem  namentlich  viele  ältere 
übersehen  sind.  Namen  wie  Samuel  Braun, 
Augerius  Busbek,  Samuel  Fritz,  Siegmund 
von  Herberstein,  Georg  Marggraf,  Leon- 
hard  Rauwolf,  Ulrich  Schmidel,  Balthasar 
Springer,  Hans  Staden  und  andere  dürften 
nicht  fehlen.  Auch  die  geographischen 
Verdienste  der  Jesuiten  und  der  evan- 
gelischen Missionare  hätten  ausgiebiger 
gewürdigt  werden  müssen.  Diese  Mängel 
vermögen  aber  nicht  den  Wert  und  die 
Brauchbarkeit  des  Buches  wesentlich  zu 
vermindern.  Es  ist  vielmehr  trotzdem  als 
ein  nützliches  und  dankenswertes  Unter- 
nehmen zu  bezeichnen,  und  es  wäre  sehr 
zu  wünschen,  daß  sich  ein  in  der  umfang- 
reichen modernen  Literatur  der  Geschichte 
der  Erdkunde  wohlbewanderter  deutscher 
Bearbeiter  fände,  da  Peschel-Ruges  Ge- 
schichte der  Erdkunde  und  Embachers 
Lexikon  der  Reisen  von  Jahr  zu  Jahr 
mehr  veralten  und  bereits  jetzt  in  sehr 
vielen  Fällen  völlig  versagen. 

Viktor  HantzBch. 

Brnnhes,  J*  Le  travail  des  eaux 
courantes:  la  tactique  des  tour- 
billons.  (Mdmoires  de  la  Soci^tä 
Fribourgeoise  des  sciences  naturelles. 
Geologie  et  Geographie  ü,  4.)  71  S. 
Abb.  Freiburg  (Schweiz),  1902. 
Der  bekannte  Professor  der  Geographie 
an  der  Universität  in  Freiburg  (Schweiz) 
hat  sich  in  sehr  dankenswerter  Weise  der 
so  oft  genannten  und  doch  nur  ungenügend 
untersuchten  Riesen-  oder  Strudeltöpfe 
(marmites)  angenommen.  Nachdem  er  in 
der  Nähe  seines  Wohnortes  Gelegenheit 
gehabt  hatte,  die  schnelle  Bildung  solcher 
Löcher  innerhalb  weniger  Jahre  zu  be- 
obachten, hat  er  die  zahllosen  derartigen 
Hohlformen  im  ersten  Nilkatarakt,  dann 
in  den  Alpentälem  studiert.  Er  kommt 
dabei  zu  recht  wichtigen  Ergebnissen. 
Nach  der  Form  des  Bodens  unterscheidet 
er  zwei  Typen;  der  eine,  mit  konkavem 
Boden,  umfaßt  die  vollendeten,  der  andere, 
mit  einer  kegelförmigen  Erhöhung  auf 
dem  Boden,  die  unvollendeten  Strudel- 
töpfe; letztere  walten  am  Nilkatarakt, 
erstere  an  den  Wänden  der  alpinen 
Schluchten  vor.  Die  Ausarbeitung  der 
Töpfe,  die  nur  in  festem,  nicht  in  locke- 
rem oder  zerspaltenem  Gestein  vorkommen, 
geschieht  durch  das  wirbelnde,  rotierende 
Wasser    mit  Hilfe   von   Sand,   wogegen 


Bücherbesprechungen. 


177 


einzelne  größere  Steine  oder  gar  Geröll- 
massen nur  eine  hindernde  Last  bilden 
und  in  größerer  Menge  die  weitere  Aus- 
kolkung verhindern.  Das  zeigt  sich  über- 
zeugend am  Nil,  wo  nur  Sand  vorhanden 
ist.  So  ist  die  bisherige  Vorstellung  irrig, 
die  im  Gletschergarten  von  Luzem  zum 
Ausdruck  kommt,  wo  man  in  jeden  Topf 
einen  „Mühlstein"  als  Urheber  der  „Glet- 
schermühle" hineingelegt,  bezw.  darin 
gelassen  habe.  Indem  die  StrudeUöcher 
wachsen,  vereinigen  sie  sich  schließlich 
vielfach  und  verwandeln  den  härtesten 
Fels  in  eine  Ruine.  So  bilden  sie  das 
wichtigste  Hilfsmittel  des  Wassers  bei 
Durchsägung  von  Felsriegeln  und  beim 
Einschneiden  von  Schluchten  in  harten 
Fels.  In  der  Tat  zeigen  sich  die  Wände 
alpiner  Klammen,  sofern  die  Erhaltungs- 
bedingungen günstig  sind,  wie  in  der 
Aare-,  Tamina- Schlucht  u.  a.,  fast  ganz 
mit  Teilen  alter  Strudellöcher  bedeckt. 

Es  ist  ein  großes  Verdienst  des  Ver- 
fassers, diese  hohe  morphologische  Be- 
deutung der  Strudeltöpfe  ins  rechte  Licht 
gesetzt  zu  haben.  Treffliche  Photogra- 
phien begleiten  den  lehrreichen  Text. 
Philippson. 

Maehacek ,  Fr.  Gletscherkunde. 
(Samml.  Göschen.  164.)  126  S.  6Text- 
abb.  u.  11  Taf.  Leipzig,  Göschen  1902. 
.K  —.80. 

Die  bekannte  Göschensche  Sammlung 
ist  wieder  um  ein  neues  gutes  Bändchen 
vermehrt  worden.  Dieses  belehrt  in  ge- 
meinverständlicher Sprache  über  alle 
wichtigen  Erscheinungen  der  Gletscher. 
Außer  Heims  vortrefflichem  Handbuch 
der  Gletscherkunde  dürfte  das  vorliegende 
gegenwärtig  das  einzige  Buch  sein,  das 
uns  im  ganzen  Umfange  den  heutigen 
Stand  der  Gletscherkunde  veranschau- 
licht. Der  Verfasser  behandelt  der  Reihe 
nach  Schneeregion  und  Schneegrenze,  Er- 
nährung, Ablation  und  Abschmelzung  des 
Gletschers  am  Boden,  Material  des  Glet- 
schers und  Struktur,  Bewegung,  Be- 
ziehung zur  Umrahmung  und  zum  Unter- 
grund ,  geographische  Verbreitung  und 
Schwankungen  der  Gletscher.  Den  Schluß 
bildet  ein  kurzer  Abschnitt  über  die 
Eiszeit. 

Der  Text  steht  durchaus  auf  der  Höhe 
der  Zeit,  die  neuesten  Arbeiten,  nament- 
lich die  von  Drygalski  und  Finsterwalder, 


sind  eingehend  berücksichtigt.  Die  theo- 
retischen Darstellungen  sind  im  all- 
gemeinen sachlich  und  objektiv,  nur  die 
Ausführungen  über  Wirkungen  des  Glet- 
schers auf  den  Untergrund  verraten  etwas 
zu  sehr  den  Anhänger  einer  starken 
Glacialerosion.  Ob  die  Lehre  von  der 
glacialen  Übertiefong  der  Täler  bereits 
in  ein  für  Laien  bestimmtes  Buch  Auf- 
nahme finden  darf,  ohne  daß  sie  auch 
genügend  als  Hypothese  gekennzeichnet 
wird,  scheint  uns  zum  mindesten  fraglich. 
Solche  Bedenken  sind  uns  beim  Lesen 
mehrfach  ,  gekommen ,  so  bei  der  Be- 
merkung über  die  Drumlins,  die  ohne 
weiteres  als  subglaciale  Bildungen  dar- 
gestellt werden,  und  über  die  Zahl  der 
Eiszeiten  auf  S.  121.  Gleichwohl  em- 
pfehlen wir  das  gut  ausgestattete  Buch 
dem  Geographen  aufs  wärmste.      Ule. 

Das  überseeische  Deutschland.    Die 
deutschen  Kolonien  in  Wort  und  Bild. 
Lieferung  1—12,    S.   1  —  384.     Viele 
Abb.  Stuttgart  u.  s.  w.,  Union,  Deutsche 
Verlagsgesellschafb    1902.      Gesamt- 
preis (20  Lief.)  JC  8.—. 
Für    den    Unternehmungsgeist    eines 
leistungsfähigen  Verlages  ist  auch   nach 
den  vorliegenden  zusammenfassenden  Wer- 
ken eine  Gesamtdarstellimg  der  deutschen 
Schutzgebiete  eine  lockende  Aufgabe,  für 
deren   Lösung   vortreffliche   Kenner    der 
einzelnen  Gebiete  unschwer  zu  gewinnen 
sind.     Daß  ihr  Zusammenwirken  uud  die 
eifrige  Verwertung  des  vorhandenen  wirk- 
lich   guten     Illustrationsmateriales    eine 
Reihe  verdienstlicher  Einzeldarstellungen 
sicherte,   war  von  vornherein  unzweifel- 
haft und  hat  sich  tatsächlich  bereits  er- 
geben.    Aber   für   das   nicht   gering   zu 
Bchätzende  Ziel,  trotz  der  Verschiedenheit 
der   Mitarbeiter    die   Einheitlichkeit   des 
Ganzen  möglichst  zu  sichern,   wäre  eine 
wirksame  Zentralleitung,   die  mindestens 
die  Grundzüge  des  Arbeitsplanes  festlegen 
konnte,  wünschenswert  gewesen.     Daran 
hat    es    augenscheinlich    gefehlt.     Jeder 
Autor   hat   sich  seine  Aufgabe   begrenzt 
und  gegliedert,  wie  es  ihm  gut  schien. 

Nach  einem  bisweilen  etwas  dithy- 
rambisch sich  aufschwingenden  Vorwort, 
in  dem  bedenkliche  Sätze  nicht  fehlen, 
nimmt  Hauptmann  Hutter,  Zintgraffs 
Gefährte  im  Balilande, •  das  Wort  zur 
Schilderung  Kameruns  (S.   7—168).     Wo 


178 


Bücherbe  Bprechungen. 


er  nicht  aus  eigener  Anschauung  spricht, 
gewinnt  seine  Darstellung  frisches  Leben 
durch  geschickte  Entlehnungen  aus  den 
verläßlichsten  Reisewerken  anderer  For- 
scher. Ein  munterer  Zug  geistiger  Reg- 
samkeit geht  durch  die  ganze  Arbeit. 
Stofifreich  und  durch  eigene  Erfahrung 
belebt  ist  auch  R.  Büttners  Darstellung 
des  Togolandes  (169—266).  Prof.  K.  Dove 
hat  den  für  ihn  verfügbaren  Raum  (S.  267 
bis  Ö22)  unter  Verzicht  auf  die  von  den 
anderen  Mitarbeitern  einbezogene  Er- 
forschungs-Geschichte zu  einer  ganz  eigen- 
artig erwogenen,  in  sich  methodisch  an- 
gelegten und  ebenmäßig  ausgebauten  Dar- 
stellung von  Land  und  Leuten  der  Haupt- 
teile Südwestafrikas  verwertet,  die  mehr 
auf  die  lebendige  Charakteristik  von  Natur 
und  Menschen  als  auf  Genauigkeit  des 
topographischen  Bildes  ausgeht.  A.  S  ei  d  e  1 
bewährt  in  Deutsch- Ostafrika  seine  gründ- 
liche Kenntnis  der  hier  schon  zu  großen 
wissenschaftlichen  Monographien  fortge- 
schrittenen Literatur.  J.  Part  seh. 

Boeck,  Knrt.  Durch  Indien  ins  ver- 
schlossene Land  Nepal.  319  S. 
30  Separatbilder,  1  Panorama,  240 
Textabb.  u.  1  K.  Leipzig,  F.  Hirt  & 
Sohn  1902.  JC  10.—. 
Der  Verfasser  hat  zu  verschiedenen 
Malen  das  Wunderland  Indien  bereist, 
zuerst  1890  zu  alpinistischen  Zwecken  im 
Himalaja,  dann,  als  bei  ihm  das  Interesse 
an  den  fesselnden  und  reichen  Erschei- 
nungen des  Völkerlebens  und  der  tro- 
pischen Natur  geweckt  war,  noch  drei- 
mal in  den  Jahren  1893,  1896  und  1898. 
Was  er  auf  diesen  wiederholten  Reisen 
mit  liebevoller  Vertiefung  in  die  tropische 
Natur  und  in  die  so  eigenartige  drawidisch- 
hinduisch-muhammedanische  Kultur  ge- 
schaut, schildert  er  in  lebendig  geschrie- 
benen Skizzen.  Er  führt  uns  aus  der 
paradiesischen  Üppigkeit  Südwest-Ceylons, 
dem  der  Theeanbau  sein  besonderes  wirt- 
schaftliches Gepräge  gibt,  nach  einem 
Abstecher  zu  den  Pagoden  der  Haupt- 
stadt Burmas  in  das  sonnverbrannte  Land 
der  Tamilen  zu  den  großartigen  Tempeln 
von  Madura,  Trichinopoli  (Seringham), 
Kondschewaram  und  den  aus  dem  Ur- 
geateinsfels  herausgehauenen  Pagoden  von 
Mawilipuram  bei  Madras.  Haiderabad 
hat  er  zur  Zeit  des  fanatisch  aufgeregten 
Moharramfestes  aufgesucht;  mit  Bewunde- 


rung spricht  er  von  der  indischen  Kunst 
in  den  Hauptstädten  der  Radschputen 
(Dschodpur,  Amber),  der  Moguls  (Ahme- 
dabad,  Delhi,  Agra,  Futtipur  Sikri)  und 
der  Hindus  (Allahabad  und  Benares),  mit 
Abscheu  von  den  Greueln  des  Sipoi-Auf- 
standes  in  Kahnpur,  Delhi  und  Laknau. 
In  Kalkutta  gewann  er  durch  freund- 
schaftliche Beziehungen  einen  genaueren 
Einblick  in  das  Innere  des  Hindu-Hauses, 
als  es  den  meisten  Europäern  vergönnt 
ist,  urteilt  daher  weniger  hart,  als  es 
gewöhnlich  geschieht,  über  die  soziale 
Stellung  der  Hindufrau.  Von  besonderem 
Interesse  ist  des  Verfassers  Abstecher 
nach  Nepal,  für  dessen  einmonatlichen 
Besuch  ihm  ganz  ausnahmsweise  ein  Er- 
laubnisschein der  einheimischen  Regierung 
ausgestellt  worden  war.  Leider  verhin- 
derte ängstliche  Überwachung  seiner  Be- 
wegungen jede  umfangreiche  und  tiefer 
eindringende  Beobachtung,  so  daß  wir 
von  der  Hauptstadt  und  einigen  benach- 
barten Plätzen  nur  kurze  Notizen  er- 
halten. Für  den  Alpinisten  war  es  eine 
besondere  Genugtuung,  die  höchsten 
Bergriesen  der  Welt,  die  er  auf  seiner 
ersten  Indienfahrt  von  Osten  her  geschaut, 
jetzt  von  Westen  aus,  aus  dem  fast  her- 
metisch verschlossenen  Land  Nepal,  sich 
gegenüber  zu  sehen.  Verfasser  bean- 
sprucht weder  auf  naturwissenschaft- 
lichem, noch  auf  ethnographischem  Ge- 
biet Fachmann  zu  sein,  aber  was  er  von 
seinen  Beobachtungen  mitteilt,  hat  den 
Reiz 'des  persönlich  mit  gesundem,  nicht 
durch  Voreingenommenheit  getrübtem 
Blick  Geschauten.  Eine  Zierde  des 
Buches  bilden  die  zahlreichen  Abbildun- 
gen nach  Originalen  des  Verfassers,  eines 
Meisters  der  photographischen  Kunst. 
Emil  Schmidt. 

Gallois^  L«    Les  Andes  de  Patagonie. 

(Extrait  des  Annales  de  Gdogp*aphie. 

X.    Nr.  51.)   28  S.    Viele  Abb.  u.  1  K. 

Paris,  Armand  Colin. 
Im  ersten  Teile  seiner  Arbeit  erwähnt 
der  Verf.,  daß  West-Patagonien  erst  in 
Folge  der  zwischen  Chile  und  Argentinien 
entstandenen  Grenzstreitigkeiten  einer  ge- 
nauen Erforschung  unterzogen  wurde,  die, 
wenn  sie  auch  noch  nicht  alle  geo- 
graphischen Probleme  daselbst  endgültig 
gelöst  hat,  uns  doch  schon  ein  zuver- 
lässiges   Bild    über    die    orographischen 


Bücherbesprechungen. 


179 


und  hydrographischen  Verhältnisse  da- 
selbst zu  geben  im  stände  ist.  Zunächst 
verbreitet  sich  der  Verf.  über  die  ge- 
schichtliche Entwicklung  dieses  Grenz- 
streites und  läßt  sich  mit  sehr  zutreffen- 
den Bemerkungen  auf  die  Bedeutung  des 
Begriffs  der  interozeanischen  Wasser- 
scheide für  die  Abgp*enzung  von  Gebieten 
ein.  Für  die  richtige  Beurteilimg  dieses 
west-patagonischen  Gebietes  unterzieht  er 
zum  erstenmal  die  Tätigkeit  des  fließen- 
den Wassers,  deren  Gesetze  ja  erst  eine 
Errungenschaft  der  neuesten  Zeit  sind, 
einer  sachgemäßen  Untersuchung  (pag  286 
u.  237)  und  sagt  mit  Recht,  daß  all 
die  zahllosen  Streitigkeiten  zwischen 
beiden  Nachbarrepubliken  unterblieben 
wären,  wenn  man  sich  vor  Abschluß  der 
Verträge  über  die  wahre  Landesnatur 
West-Patagoniens  Aufklärung  verschafft 
hätte.  Da  die  Auffassungen  beider  Län- 
der nicht  auf  der  modernen  Anschauung 
der  Tätigkeit  des  fließenden  Wassers 
basiert  sind,  so  war  das  englische  Schieds- 
gericht in  eine  schwierige  Lage  versetzt 
und  konnte  nach  Lage  der  Dinge  sich 
für  keine  der  voiliegenden  Auffassungen 
entscheiden.  Der  nun  vorliegende  Urteils- 
spruch, über  den  ich  mich  in  einem  be- 
sonderen Bericht  in  der  G.  Z.  S.  160  ff.  ver- 
breitet habe,  hat  diese  Annahme  bestätigt. 
Eine  recht  gute  Übersicht  über  die 
Landesnatur  Patagoniens  gibt  uns  der 
Verf.  im  zweiten  Teile  seiner  Abhand- 
lung. Er  betont  mit  Recht,  daß  man  ein 
Gebiet  nur  dann  recht  begreift,  wenn 
man  die  Geschichte  seiner  Bildung  er- 
kannt hat.  Wenn  wir  auch  noch  keine 
vollständig  fertige  geologische  Karte 
Patagoniens  entwerfen  können,  so  sind 
die  diesbezüglichen  neueren  Forschungen 
doch  mit  Zuhilfenahme  der  altem  seit 
Darwin  angestellten  Untersuchungen  so 
weit  geklärt ,  daß  wir  geologisch  genau 
die  Pampa- Region  von  der  andinen,  und 
in  letzterer  wieder  zwei  Gruppen,  die  der 
Haupt-  von  der  östlichen  Vor-Kordillere, 
unterscheiden  müssen.  Der  Verf.  beginnt 
in  seiner  Schilderung  mit  der  steilen 
Küste  Patagoniens  am  Atlantischen  Ozean, 
bespricht  die  inneren  Hochebenen ,  die 
subandinen  achtbaren  Längsdepres- 
sionen, die  vor  allem  das  strittige  Gebiet 
ausmachen,  und  geht  dann  zur  Schilde- 
nmg  der  Anden  und  ihres  pacitischen 
West-Saumes  über.    Entgegen  der  Ansicht 


von  Ed.  Sueß,  ist  auch  er  der  Meinung, 
daß  eine  Hebung  Patagoniens  vor  sich 
gegangen  ist;  zahlreiche  neuere  Unter- 
suchungen bestätigen  diese  Auffassung. 
Nur  eins  läßt  sich  gegen  diese  Ansicht 
aufführen:  die  überschwemmten,  unter- 
getauchten Wälder,  die  sich  hie  und  da 
an  der  West-Küste  finden ;  doch  hat  dies 
nach  Steffen  wohl  nur  lokale  Bedeutung. 

Eine  in  großen  Zügen  gehaltene 
Schilderung  der  oro-  und  hydrographischen 
Verhältnisse  der  chilenischen  Kordillere 
von  der  Puna  de  Atacama  bis  zu  den 
wogenimirauschten  Magellan-Ländem  füllt 
den  dritten  Teil  der  Arbeit  aus.  Sie  fußt 
auf  Morenos  „Notes  prel.  sobre  una  ex- 
cursion  a  los  territorios  de  Neuquen"  etc., 
verwertet  aber  auch  in  geschickter  Form 
andere  neueste  Ergebnisse  der  patago- 
nischen  Forschungen.  Der  Verf.  bekämpft 
zum  Schlüsse  die  von  Hatcher  (er  ent- 
deckte den  in  den  Lago  San  Martin 
fließenden  Rio  Mayer)  aufgestellte  Theorie 
der  untergetauchten  Täler;  diese  sollen 
nach  ihm  den  Urtypus  der  patagonischen 
Täler  bilden.  Mit  Steffen  glaubt  Gallois, 
daß  die  Abwässerung  der  westlich  der 
interozeanischen  Wasserscheide  gelegenen 
Täler  erst  durch  Anzapfung  in  Folge  rück- 
wärtsschreitender Erosion  von  Westen  her 
in  einer  jungen  geologischen  Periode  er- 
folgt ist. 

Bilder   und   eine  Karte  im  Maßstabe 
von    1  :  1 500  000    sind    zur   Erläuterung 
der  vortrefflichen  Arbeit  beigegeben. 
P.  Stange« 

F.  von  Bell  in  gsh aus ens  Forsch  ungs- 
fahrten  im  südlichen  Eismeer 
in  den  Jahren  1819  —  1821.  Auf 
Grund  des  russischen  Originalwerks 
herausgegeben  vom  Verein  für  Erd- 
kunde zu  Dresden.  200  S.  Leipzig, 
Hirzel  1902. 

Der  Verein  für  Erdkunde  zu  Dresden 
hat  in  seiner  Bibliothek  das  schon  seit 
längerer  Zeit  im  Buchhandel  vergriffene 
lunfangreiche  russische  Reisewerk  F.  von 
BelUngshausens  über  die  Forschungsfahr- 
ten, welche  dieser  ausgezeichnete  Seemann 
in  den  Jahren  1819-1821  im  Südpolar- 
meer ausgeführt  hat.  Unsere  deutsehe  geo- 
graphische Literatur  besitzt  schon  lange 
einen  kurzen  Auszug  aus  diesem  Werk, 
der  im  Jahre  1842  in  Emians  Archiv  zur 
wissenschaftlichen    Kunde    von    Rußland 


180 


Bücherbesprechungen. 


erschien.  Gerade  jetzt,  wo  die  Südpolar- 
forschung  wieder  aufgenommen  worden 
war,  schien  es  höchst  wünschenswert,  die 
in  der  Geschichte  der  Südpolarreisen  vor- 
handene Lücke  auszufüllen  durch  eine 
sachkundige  Bearbeitung  des  großen 
Werks.  Professor  Dr.  Gravelius  in  Dres- 
den übernahm  in  uneigennütziger  Weise 
die  in  mehrfacher  Beziehung  nicht  leichte 
Bearbeitung  des  Werks,  die  bekannte 
Verlagsbuchhandlung  von  S.  Hirzel  in 
Leipzig  fand  sich  bereit,  das  Werk  unter 
liberalen  Bedingungen  zu  verlegen.  Auf 
ihren  Wunsch  wurden  wiederholt  in  der 
Bearbeitung  Kürzungen  vorgenommen. 
Durch  dieses  Zusammenziehen  des  für 
den  geograj^hischen  Leser  weniger  Wich- 
tigen hat  die  Veröffentlichung  an  Wert 
und  Interesse  nur  gewonnen.  Die  Kür- 
zungen erstreckten  sich  hauptsächlich  auf 
die  Partien,  in  denen  das  subjektive  Mo- 
ment mehr  hervortrat.  Die  deskriptiven 
Elemente  von  Bellingshausens  Darstellung 
wie  die  physisch -geographischen  Ergeb- 
nisse sind  in  absolutem  Anschluß  an  den 
Autor  wiedergegeben  worden.  Seine  zahl- 
reichen Ortsbestimmungen  sind  bis  zui- 
Rückkehr  nach  Rio  de  Janeiro  alle  mit- 
geteilt, so  daß  der  Leser  den  Weg  der 
Schiffe  in  den  Einzelheiten  verfolgen  kann; 
ebenno  die  Messungen  der  magnetischen 
Deklination,  wie  die  Beobachtungen  me- 
teorologischer und  physikalischer  Art.  — 
Hier  sei  noch  kurz  der  Verlauf  der  Ex- 
l>edition  gegeben.  Sie  war  auf  Alexan- 
ders L  Befehl  ausgerüstet  und  bestand 
aus  zwei  Segelschiffen  leichter  Bauart, 
den  Korvetten  „Wostok"  imd  „Mirnyj". 
Außer  dem  seemännischen  Personal  nah- 
men noch  ein  russischer  Astronom  und 
ein  Maler  teil.  Am  4.  Juli  ging  sie  von 
Kronstadt  in  See.  Die  Expedition  verweilte 
dann  noch  kurze  Zeit  in  England  und 
traf  Anfang  November  in  Rio  de  Janeiro 
ein.  Von  hier  aus  wurde  der  erste  Vor- 
stoß in  das  südliche  Eismeer  unternommen, 
über  Süd-Georgien.  Schwere  Stürme  ver- 
anlaßten  die  Trennung  der  beiden  Schiffe, 
die  sich  erst  im  März  1820  in  Sydney 
wieder  zusammenfanden.  Diesem  ersten 
Teil  der  Reise,  bei  welcher  die  Schiffe 
unter  außerordentlichen  Beschwerden  fast 
bis  70®  8.  Br.  vordrangen,  folgte  die 
Kreuzfahrt  im  Sommer  1820  durch  einen 
Teil  der  polynesischen  Inselwelt,  wobei 
die  geographische  Lage  einer  großen  An- 


zahl Eilande  genau  bestimmt  wurde.  Sehr 
interessant  ist  namentlich  die  Schilderung 
des  Aufenthalts  auf  Tahiti.  Nachdem  die 
Schiffe  sich  für  die  zweite  Fahrt  aufs 
Neue  in  Sydney  ausgerüstet  hatten,  wurde 
sie  im  Oktober  angetreten  und  den  ant- 
arktischen Sommer  hindurch  fortgesetzt. 
Dieser  zweiten  unter  den  schwierigsten 
Witterungsverhältnissen  durchgeführten 
Fahrt  verdanken  wir  u.  a.,  wie  bekannt, 
die  Entdeckung  der  nach  Peter  dem  Großen 
genannten  Insel  und  des  Alexander  I.- 
Landes. Auf  beiden  Reisen  zusammen 
hat  Bellingshausen  die  Südpolarregion 
vollständig  umkreist  und  dabei  absichtlich 
den  Kurs  Cooks  vermieden.  Nach  üm- 
fahrung  der  Süd- Shetlands- Inseln  wurde 
das  südliche  Eismeer  verlassen  und  die 
Rückreise  angetreten.  Über  Rio,  wo  die 
nötige  Reparatur  der  Schiffe  vorgenommen 
wurde ,  erreichte  die  Expedition  am 
24.  Juni  1821  wieder  ihren  Heimatshafen 
Kronstadt.  Bellingshausens  Expedition 
war  jedenfalls  eine  ausgezeichnete  see- 
männische Leistung  und  auch  wissen- 
schaftlich wichtig,  während  es  andrerseits 
im  höchsten  Grade  zu  beklagen  bleibt, 
daß  außer  dem  Astronomen  kein  Natur- 
forscher daran  teilnahm. 

Moritz  Lindeman. 

Langenbeck,   Rieh»      Leitfaden    der 
Geographie    für    höhere    Lehr- 
anstalten.    2.  Teil.    8.  Aufl.     Aus- 
gabe für  Realanstalten:   814  S.,   29 
Fig.,   geb.    JC  3. — ,    für  Gymnasien: 
260  S.,  28  Fig.,  geb.  .€  2.60.  Leipzig, 
Engelmann  1902. 
Die  Ausgabe  für  Gymnasien   ist  dort, 
wo    es   dem  Verfasser   angängig   schien, 
gekürzt.    Wie  dies  geschehen,  läßt  sich 
nicht   im   einzelnen   zeigen,    wo    es   ge- 
schehen, deutet  folgende  Übersicht  an: 
Pensum  für:  Realanst.      Gymn. 

Untertertia  (Erdteile)  101  S.  (2  St.)  81  (1  St.) 
0bert«rtia(Deut8chl.^  63  „  (2  St.ji  63  (1  St.) 
Unter8ekunda(Europa)65  „  (2  St.)  66  (1  St.) 
Obere  Klassen  (Allg. 

Erdkde.)    .     .     .     .  96  „  vac.*)  66  vac. 
Der   Verfasser,    den    wir    als    einen 
unserer  berufensten  Vertreter  der  Schul- 
geographie kennen,  hat  es  also  nicht  ver- 

1)  Mit  Ausnahme  der  1.  Stunde  an  den 
preußischen  Oberrealschulen  und  der  sog. 
math.  Geographie  der  Mathematiker. 


Bücherbesprechungen.      i 


181 


mocht,  wenn  er  überhaupt  etwas  Brauch- 
bares schreiben  wollte,  in  den  beiden 
mittleren  Kursen  (O.-Tert.  u.  U.-Sek.) 
irgend  etwas  für  die  Gymnasien  als  über- 
flüssig zu  streichen,  trotzdem  dort  nur  die 
halbe  Zeit  zur  Verfügung  steht,  und  er- 
fahrungsmäßig schon  an  den  Realanstalten 
die  Zeit  nicht  ausreicht,  den  in  unseren 
Lehrbüchern  gegebenen  Stoff  zu  bewäl- 
tigen. Bei  einer  ernsthaft  gemeinten  Be- 
sprechung eines  modernen  Geographie- 
lehrbuches ist  es  ganz  unmöglich,  dieses 
Dilemma  zu  verschweigen.  So  lange  Erd- 
kundelehrbücher von  wissenschaftlichen 
Männern  und  Kennern  ihres  Faches  ge- 
schrieben werden,  ist  es  unumgänglich 
notwendig,  daß  diese  Bücher  in  einem 
starken  Kontrast  zu  dem  stehen,  was 
naturgemäß  an  den  Schulen  geleistet  wer- 
den kann.  Ich  bin  daher  auch  dieser  neuen 
Auflage  gegenüber  in  der  üblen  Lage, 
sagen  zu  müssen,  daß  es  sich  im  Geo- 
graphieunterricht bei  seiner  augenblick- 
lichen Lage  nur  schwer  verwenden  läßt, 
daß  ich  aber  ebenso  wie  gegenüber  Pahd^ 
u.  a.  auch  nicht  angeben  kann,  wie  es 
vor  der  zukünftigen  Besserstellung  des 
Erdkundeunterrichts  im  höheren  Unter- 
richt anders  imd  besser  zu  machen  wäre. 
Ich  wünsche  aber  solche  Bücher  trotzdem 
an  unseren  höheren  Schulen,  schon  als  Fer- 
ment, dann  aber,  weil  sie  eben  von  dem 
Geiste  unserer  Wissenschaft  getragen  wer- 
den und  es  für  die  geistige  Höhe  tmseres 
Gymnasialunterrichts  von  fundamentaler 
Bedeutung  ist,  daß  wir  uns  in  keinem 
Fache  zu  seichter  Mittelmäßigkeit  herab- 
drücken lassen.  Daß  Langenbecks  Bücher 
vortreffliche  Leistungen  sind,  habe  ich  im 
übrigen  schon  betont;  ich  hoffe  auch, 
daß  so  mancher  Knabe  nebenher  sich  in 
ihre  Lektüre  vertiefen  mag.  —  Soll  ich 
kleine  Ausstände  machen,  so  würde  ich 
in  der  Ausgabe  für  Bealanstalten  grie- 
chische Worte  lateinisch  drucken  (§  176), 
und  würde  versuchen,  ein  wenig  spar- 
samer mit  wissenschaftlichen  Fremd- 
wörtern zu  sein:  „heterocerkale  Ga- 
noiden"  fließt  uns  leicht  aus  der  Feder, 
Knaben,  außer  dem  Klang,  schwer  in  den 
Kopf.  Der  Abschnitt  über  Projektionen 
gelallt  mir  hier  ebenso  wenig,  wie  in 
anderen  Schulbüchern,  z.  B.  bei  Kirch- 
hoff. Er  scheint  mir  zu  wenig  geogra- 
phisch. Vielleicht  könnte  der  Versuch 
gemacht  werden,  unter  Verzicht  auf  Kon- 


struktionsanleitungen, die  doch  meist  sehr 
kurz  bleiben  müssen,  eine  für  das  Ver- 
meiden zu  grober  Meßfehler  ausreichende 
Beschreibung  der  Eigenschaften  der  Pro- 
jektionen zu  geben.  Dann  wird  der  Lehrer 
unter  den  Projektionen  besser  wählen, 
sie  zweckmäßiger  benutzen  lernen,  wäh- 
rend jetzt  die  auf  modernen  Karten 
immer  mehr  zur  Herrschaft  gelangenden, 
wie  die  flächentreue  Azimutalprojektion, 
in  den  Lehrbüchern  zu  kurz  kommen. 
Heinrich  Fischer. 

Schnnke,  H,  Geologische  Über- 
sichtskarte des  Königreichs 
Sachsen  für  den  Schulgebrauch. 
12  S.  mit  Karte.  Dresden,  Huhle 
1902.  JC  -.50. 
Das  Kärtchen  (in  1:687500)  ist  für 
Schüler  höherer  Lehranstalten  bestimmt 
und  daher  so  sehr  als  möglich  schemati- 
siert. Zur  leichteren  Lesbarkeit  ist  das 
Diluvium  abgedeckt  und  nur  durch  die 
südliche  Grenzlinie  der  nordischen  Ge- 
schiebe vertreten.  Die  in  Wirklichkeit 
stark  zerfetzte  Tertiärdecke  ist  so  nament- 
lich im  NW  in  größeren  Zusammenhang  ge- 
bracht. Auch  bei  den  Eruptivmassen  sind 
kleinere  Flecke,  deren  unterirdischer  Zu- 
sammenhang wahrscheinlich  ist,  zusam- 
mengezogen worden.  Die  Schwierigkeiten, 
die  eine  übersichtliche  Darstellung  des 
Vogtlandes  bietet,  sind  dadurch  umgangen 
worden,  daß  das  ganze  ältere  Paläozoicum 
dieselbe  Farbe  trägt.  Dabei  wurde  zu- 
gleich das  Hainichener  Zwischengebirge 
klarer  zum  Ausdruck  gebracht.  Kontakt- 
höfe sind  aus  methodischen  Gründen  nicht 
gezeichnet,  wohl  aber  in  der  Erläuterung 
erwähnt.  So  ist  ein  Bild  entstanden,  das 
durch  seine  großen  Züge  und  die  leb- 
haften Farbenkontraste  recht  eindringlich 
wirkt. 

Die  wissenschaftliche  Genauigkeit  der 
Karte  reicht  mit  wenigen  Ausnahmen  so 
weit,  als  es  der  mäßige  Schwarzdruck 
(der  Friedemannschen  Karte)  und  der  kleine 
Maßstab  zulassen.  Bei  Planitz  fehlt  die 
wichtige  Steinkohlenformation ;  südlich 
von  Werdau  ist  lUlschUch  Granit  einge- 
zeichnet; die  Tuffe  bei  Chemnitz  bedecken 
ein  größeres  Gebiet;  bei  Würzen  könnte 
mehr  Tertiär  angegeben  werden.  Gröbere 
Fehler  weist  die  Glacialgrenze  auf,  die 
ebenso  wie  die  —  jedenfalls  hier  ver- 
wertete —  Linie  auf  der  Carte  geol.  inter- 


182 


»   Neue  Bücher  und  Karten. 


nationale  viel  zu  südlich  verläuft.  Gänz- 
lich verzeichnet  ist  auch  der  Faltenwurf 
im  Profil. 

Der  beigegebene  Text  hat  verschiedene 
Ungenauigkeiten  in  der  historischen  Folge 
der  geschilderten  Vorg^lnge;  so  gehören 
die  west-erzgebirgischen  Granite  ins  jung- 
carbonische  Zeitalter  (Dalmer),  die  Lau- 


sitzer Hauptverwerfung  ins  ältere  Tertiär 
(vor-oligocän  bis  miocän  nach  Petraschek). 
Der  rote  und  graue  Gneis  haben  ihre 
Namen  nicht  nach  dem  Glimmer,  son- 
dern nach  dem  Feldspat.  Der  Ausdruck 
^Massiv*'  sollte  für  Grebiete  mit  Eruptiv- 
gesteinen reserviert  bleiben. 

P.  Wagner. 


Nene  Bficlier  und  Karten. 


AllfeMeiae  phytinelie  Geo^rsplil«. 

Schoedlers  Buch  der  Natur.  II.  Teil, 
2.  Abt.;  Mineralogie  und  Geologie  von 
B.  Schwalbe  ti  E.  Schwalbe  u. 
H.  Böttger.  XVÜ,  Vm  u.  766  S.  418 
Abb.  u.  9  Taf.  Braunschweig,  Vieweg 
u.  Sohn  1903.  Geb.  JC  18.50. 
Geoyrspliie  des  HenseheB. 

Weule,  K.  Völkerkunde  und  Urge- 
schichte im  20.  Jahrhundert.  43  S. 
Eisenach  u.  Leipzig,  Thüring.  Verlags- 
anstalt  1902.     JC  1.—. 

Lampert,  Kurt.  Die  Völker  der  Erde. 
Lief.  28—30. 

Eiropft. 

Christensen,  C.  C,  u.  M.  Vahl.  Dan- 
marks Land  og  Folk.  Til  brug  ved 
Geografiundervisningen  i  Folkephoskoler 
Seminarier  og  andre  videregaaende  Sko- 
1er.  99  S.  Viele  Abb.  u.  1  K.  Kopen- 
hagen, Nordiske  Forlag  1903. 
AflieB. 

Fitzner,  R.  Der  gegenwärtige  Stand 
der  Meteorologie  in  Kleinasien.  14  S. 
Rostock,  Volkmann  1903. 

Derselbe.  Niederschlag  und  Bewölkung 
in  Kleinasien.  (Ergänzungsheft  Nr.  140 
zu  „Petermanns  Mitteilungen".)  90  S. 
1  K.  u.  1  Taf.     Gotha,  Justus  Perthes 

1902.  JC  6.—. 

Bretzl,  H.  Botanische  Forschungen  des 
Alexanderzuges.  XII  u.  412  S.  11  Abb. 
u.  4  Kartenskizzen.    Leipzig,  Teubner 

1903.  JC  12.—. 

ABBirmllen  ■■<!  satirftllBclie  1bb«1w«U. 
Hassert,  K.    Die  neuen  deutschen  Er- 
werbungen in  der  Südsee:   Die  Karo- 
linen,   Marianen     und    Samoa- Inseln. 
Nachtrag    zu    Deutschlands    Kolonien. 
111  S.    Leipzig,  Seele  u.  Co.  1908. 
Nord-Amerlkft. 
Leverrett,  Frank.    Glacial  Formations 
and  Drainage  Features  of  the  Erie  and 


Ohio  Basins.  802  S.  26  Taf. ,  8  Fig. 
(U.  S.  Geological  Survey,  Monographs. 
Vol.  XLI.)  Washington,  Govem.  Prin- 
ting  Office  1902. 

8fid-  BBd  Hlttel-AaierlkB. 

Sievers,  W.  Süd-  und  Mittelamerika. 
Eine  allgemeine  Länderkunde.  2.  Aufl. 
14  Lieferungen  zn  je  1  JC  mit  146  Abb. 
im  Text,  10  K.  u.  20  Taf.  Leipzig, 
Bibl.  Inst.  1908.    Lief.  1.  JC  1. 

Sievers,  W.    Venezuela  und  die  deut- 
schen   Interessen.     (Angewandte    Geo- 
graphie.  I.  Serie.  3.  Heft.)    Halle  a/S., 
Gebauer-Schwetschke  1903. 
PoUrfefeadeB. 

Ludwig  Amadeus  von  Savoyen,  Her- 
zog der  Abruzzen.  Die  „Stella  Polare'' 
im  Eismeer.  Erste  italienische  Nord- 
polexpedition 1899—1900.  Mit  Bei- 
trägen von  Kapitänleutnant  Cagni  u. 
Oberstabsarzt  CavalliMolinelli.  XTV 
u.  566  S.  166  Textabb.,  28  Taf.,  2  Panor. 
u.  2  K.  Leipzig,  Brockhaus  1903. 
geh.  JC  9.—,  geb.  JC  10.—. 

OeogrBpliUelier  ÜBterrlcht. 

E.  V.  Seydlitzsche  Geographie.  Aus- 
gabe D  in  6  Schülerheften  u.  1.  Lehrer- 
heft herausgeg.  v.  E  Oehlmann, 
A.  Rohrmann  u.  F.  M.  Schrceter. 
Heft  1:  Länderkunde  Mitteleuropas, 
insbesondere  des  Deutschen  Reiches 
(Unterstufe.  Lehrstoffder  Quinta.)  7.  Aufl. 
62  S.  86  Abb.  JC  —.60.  Heft  2: 
Europa  ohne  das  Deutsche  Reich,  (Lehr- 
stoff der  Quarta.)  7.  Aufl.  64  S.  18  Abb. 
JC  —.60.  Heft  3:  Die  außereuropä- 
ischen flrdteile.  —  Die  deutschen  Ko- 
lonien. (Lehrstoff  der  Untertertia.) 
6.  AufL  112  S.  JC  —.80.  Heft  4: 
Landeskunde  des  Deutschen  Reichs. 
(Lehrsto-ff  der  Obertertia.)  6.  Aufl.  128  S. 
83  Abb.  JC  1.—.  Breslau,  F.  Hirt  1902. 


ZeitBcbriftenschau. 


183 


Heilmann,  E.  Das  heilige  Land.  Der 
Israeliten  religiöses  und  bürgerliches 
Leben   sowie   die  geographischen  Ver- 


hältnisse des  Landes.  Dargestellt  zum 
Schulgebrauch.  2.  Aufl.  44  S.  22  Abb. 
u.  6  K.  Königsberg,  Bon  1902.  Jt,  — .80. 


ZeitschriftenscIiaQ. 


Petermanns  MiUeüungen  1908.  Heft  1. 
Reinecke:  Savaii.  —  Reger:  Regen- 
karte von  Europa.  —  Steffen:  Der 
Schiedsspruch  im  chilenisch  -  argenti- 
nischen Grenzstreit.  —  Stange:  Der 
Vuriloche-Paß.  —  Thieß:  Das  sibirische 
Küstengebiet.  —  Saad:  Deutsche  Kolo- 
nisation in  Palästina. 

Globus.  83.  Bd.  Nr.  8.  Götze:  Eine 
neue  steinzeitliche  Station  in  Serbien.  — 
Hansen:  Veränderungen  auf  der  Karte 
von  Jütland.  —  Vigström:  Geister-  und 
Gespensteraberglaube  aus'Västra,  Gröinge 
und  Skäne  (Schweden).  —  Weitere  Reisen 
der  Herren  Sarasin  in  Celebes.  —  Ste- 
vens: Die  Schöpfungssage  der  Drang 
Temia  auf  der  Halbinsel  Maläka. 

Dass.  Nr.  4.  Sapper:  Mittelameri- 
kanische Waffen  im  modernen  Gebrauche. 

—  Kobelt:  Aus  den  Abhandlungen  des 
Deutschen  Seefischereivereins. 

Dass.  Nr.  6.  Schott:  Beobachtungen 
und  Studien  in  den  Revolutionsgebieten 
von  Domingo,  Haiti  und  Venezuela  1902. 

—  Sievers:  Das  Gebiet  zwischen  dem 
Ucayali  und  dem  Pachitea-Pichis.  —  Das 
Nilstauwerk  von  Assuan. 

Dass.  Nr.  6.  Schott:  Beobachtungen 
und  Studien.  —  Wilser:  Anthropologia 
suecica.  —  Förstemann:  Zwei  Maja- 
hieroglyphen. 

Deutsche  Hundschau  für  Geographie 
wnd  Statistik.  XXV.  Jhrg.  6.  Heft.  Bersch: 
Die  Moorgebiete  Österreichs.  —  Erb- 
st ein:  Die  neue  Bewässerung  des  Nil- 
tals. —  Kellen:  Durch  die  Wälder  der 
Ardennen.  —  Die  Thugs. 

Meteorologische  Zeitschrift  1902. 12.Heft.. 
Liznar:  Änderungen  des  Grundwasser- 
standes in  Brunn.  —  Maurer:  Klima 
von  Deutsch -Ostafrika.  —  Stolberg: 
Verhalten  der  Rheintemperaturen  1895 
bis  1900.  —  Draenert:  Klima  des 
Staates  Cearä,  Brasilien. 

Dass.  1903.  1.  Heft.  Hann:  Die 
meteorologischen  Verhältnisse  auf  der 
Bjelasnica  in  Bosnien.  —  Hann:  Arthur 
Schuster  über  Methoden  der  Forschung 
in  der  Meteorologie. 


Zeitschrift  für  Schulgeographie.  1903. 
6.  Heft.  Hanncke:  Das  vorderasiatische 
Hochland. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erd- 
kunde zu  Berlin.  1902.  Nr.  10.  Schlü- 
ter: Die  Siedelungen  im  nordöstlichen 
Thüringen.  —  Amundsen:  Plan  einer 
neuen  Nordpolar-Expedition.  —  Schjer- 
ning:  Die  norddeutschen  Ströme 

Beiträge  zur  Kolonialpolitik  und  Kolo- 
nicdtoirtschaft.  IV.  Jhrg.  8.  Heft.  v.  Fischer: 
Viehzucht  in  Paraguay.  —  Zur  Tabak- 
ft-age.  —  Kannengießer:  Übersicht 
über  die  bedeutendsten  Forschungsreisen 
in  Nordosta&ika.  H. 

Dass.  IV.  Jhrg.  9.  Heft.  Licht- 
ward t:  Über  die  Tsetse.  —  v.  Rauch: 
Chinas  Hof  und  Staat.  —  Meinhold: 
Bäuerliches  Leben  in  Säo  Laurenzo. 

Mitteilungen  der  Geogr.  Ges.  in  Ham- 
burg. Bd.  XVm.  Th.  Fischer:  Meine 
dritte  Forschungsreise  im  Atlas- Vorlande 
von  Marokko  im  Jahre  1901.  (17.  Abb.  u. 
1  K.)  —  M.  Friederichsen:  Reisebriefe 
aus  Russisch  Zentral-Asien.  —  Ders.: 
Sitzungsberichte  vom  l.L  1901—5.  VI.  1902. 

JdhrbOcher  der  k,  k.  Zentral- Anstalt 
f.  Meteorologie  u.  Erdmagnetismus.  1902. 
N.  F.  XXXIX.  Anhang,  v.  Obermayer: 
Zur  Geschichte  der  Schutzmittel  wider 
Hagelschlag.  —  Suschnig:  Technik  und 
Praktik  des  Wetterschießens.  —  Trabejt: 
Kriterien  für  die  Wirksamkeit  des  Wetter- 
schießens. —  Verlauf  der  intemation.  Ex- 
pertenkonferenz für  Wetterschießen  in  Graz. 

The  Geographical  Journal  1903.  Nr.  2. 
Ryder:    Exploration  in  Western  China, 

—  Lumholtz:   Explorations  in  Mexico. 

—  Conway:  How  Spitsbergen  was  dis- 
covered.  —  Mill:  Bellingshausens  Ant- 
arctic  Voyage.  —  Andersson:  The 
Scientific  Work  of  the  Shwedish  Antaretic 
Expedition.  —  Johns  ton:  Radcliffes 
Map  of  the  Nile  Province.  —  Bartholo- 
mews  Survey  Atlas  of  England.  —  Vol- 
canic  Eruptions  and  Earthquakes.  —  Capt. 
Ferrandis  Joumey  from  Lugh  to  Brava. 

!        Uie  Scottish   Geographical  Magazine. 
1903.    Nr.  2.    White:   Ascent  of  an  An- 


184 


Zeitschriftenschau. 


dean  Volcano  in  Eruption.  —  Thomson: 
The  Physical  Geography  and  Geology  of 
Australia.  —  Some  Great  Bailway  Enter- 
prises. — A  Naturalists  Society  and  itsWork. 

—  Somaliland.  —  Notes  on  Venezuela. 
Annales  de  Geographie,    1903.  Nr.  61. 

Caullery:  Le  Plankton.  —  d'Almeida: 
Deux  nouvelles  cartes  mensuelles  de  TAt- 
lantique  du  Nord.  —  Vallaux:  Sur  les 
oscillations  des  cötes  occidentales  de  la  Bre- 
tagne. —  Legras:  LeTransmantchourien. 

—  Gallois:  La  fronti^re  argentino-chi- 
lienne.  —  Le  Cointe:  Le  Bas  Amazone. 

La  Giographie.  1903.  Nr.  1.  B^nard: 
Les  courants  de  TAtlantique  Nord  et  du 
Golfe  de  Gascogne.  —  Barot:  L'Afrique 
occidentale  fran9ai8e  et  ses  conditions 
d'habitabilitä.  —  Flotte  Roquevaire: 
Yoyage  au  Maroc  du  Marquis  de  Segonzac. 

—  Grandidier:  La  Situation  ^conomique 
de  Madagascar  pendant  Tann^e  1901. 

Ymer.  1902.  4.  He^  Nordenskjöld: 
Voyage  dans  les  r^gions  fronti^res  de  la 
Bolive  et  de  TArgentine.  —  Lönborg: 
Les  districts  finnois  de  la  Scandinavie 
centrale.  —  Wilser:  Y  a-t-il  eu  des 
immigrations  successives  dans  la  p^nin- 
sule  Scandinave?  —  Andersson:  Tra- 
vaux  de  Texp^dition  de  r„Antarctic"  aux 
lies  Falkland  en  1902.  —  Nathorst: 
Expedition  polaire  du  capitaine  Sverdrup 
1898/1902. 

Mitteilungen  (Iswestija)  d.  Kais.  Buss. 
Geogr.  Ges,  Bd.  XXXVUI.  1902.  Heft  ü. 
(Russisch.)  Sarudnyi:  Vorläufiger  Be- 
richt über  die  Reise  durch  Persien  1900 
bis  1901.  —  Ignatow:  Erforschung  des 
Telez-Sees  im  Altai  (Sommer  1901).  (2  K.) 

—  Kusnezow:  Botanische  und  geogra- 
phische Forschungen  im  Kaukasus.  (1  K.) 

—  Drischenko:  Hydrographische  Er- 
forschung des  Baikalsees.    (1  K.) 

The  Journal  of  Geography.  1902. 
Nr.  10.    Reclamation  of  the  Zuider-Zee. 

—  Jefferson:   Winter  Aridity  Lidoors. 

—  Smith:  Geography  in  Germany.  — 
Destruction  of  Hailstorms  with  Cannon. 

—  Jones:  The  Importance  of  a  Con- 
sideration  of  Grades  and  Qualities  of  Goods. 

Bulletin  of  the  United  States  Geological 
Survey.  177.  War  man:  Catalogue  and 
Index  of  the  publications  of  the  U.  S. 
Geol.  Survey.  —  178.  Weed:  The  El  Paso 
tin  deposits.  —  180.  Pratt:  The  occur- 
rence  and  distribution  of  Corundum  in 
the  ü.  S.  —  181.  Wilson,  Renshawe,! 


Douglas  and  Goode:  Results  of  pri- 
mary  Triangulation  and  primary  Traverse, 
fiscal  year  1900—01.  —  182.  Ransome: 
A  report  on  the  Economic  Geology  of 
the  Silventon  Quadrangle,  Colorado.  — 
183.  Gannett:  A  Gazetteer  of  Porto  Rico. 

—  184.  Adams:  Oil  and  Gas  fields  of 
the  Western  Interior  and  Northern  Texas 
Goal  meastres,  and  of  the  Upper  Creta- 
ceous  and  Tertiary  of  the  Western  Gulf 
Coast.  —  186.  Wilson,  Renshawe, 
Douglas  and  Goode:  Results  of  spirit 
Levelings,  fiscal  year  1900  —  Ol.  — 
187.  Baker:  Geographie  Dictionary  of 
Alaska.  —  188.  Weeks:  Bibliography  of 
North  American  Geology,  Paleontology, 
Petrology  and  Mineralogy  for  1892—1900, 
incl.  —  189.  Weeks:  Index  to  North 
American  Geology,  Paleontology,  Petro- 
logy and  Mineralogy  for  1892—1900,  incl. 

—  190.  Gannett:  A  Gazetteer  of  Texas. 

—  192.  Gannett:   A  Gazetteer  of  Cuba. 

—  193.  Eemp:  Geological  Relations  and 
Distributions  of  Platinum  and  associated 
Metalls.  —  194.  Baker:  Nordwest  Boun- 
dary  of  Texas. 

Aus  Terschiedeneii  Zeitschriften» 

Detmer:  Reisebilder  aua  Algerien,  Tune- 
sien und  der  Sahara.  (7  Abb.)  Himmel 
und  Erde.  XV.  5.  Febr.  1903. 

Fischer:  Reise-Eindrücke  aus  Shantung. 
Verh.  d.  Abt.  Berlin- Charlottenburg  d. 
Deutscheti  Köl.-Ges.    Bd.  VE.    Heft  U 

Hausrath:  Welche  Aufschlüsse  geben 
uns  die  Ortsnamen  Badens  über  die 
früheren  Bewaldungsverhältnisse?  AU- 
gemeine  Forst-  u.  Jagd-Zeitung.  Febr.- 
Heft  1903. 

Häyrdn:  Studier  öfver  Vegetationen  p» 
Tillandningsomrädena.  i  Ekenäs  Skär- 
gärd.  (4  K.)  Acta  Sodetatis  pro  Fauna 
et  Flora  Fennica.  23.  Nr.  6. 

0  s  t  h  o  f  f :  Was  bedeutet  der  Name  Neckar  ? 
Frankf  Ztg.  1903.  Febr.  24. 

Rabot:  Essai  de  Chronologie  des  va- 
riations  glaciaires.  BuU.  de  geographie 
historique  et  descriptive.  Nr.  2.    1902. 

V.  Richthofen,  F.:  Geomorphologische 
Studien  aus  Ostasien.  HI.  Die  morpho- 
logische Stellung  von  Formosa  und 
den  Riukiu-Inseln.  (1  Taf.)  Sitzungsher. 
d.  Ak.  d.    Wiss.  zu  Berlin  1902.    XL. 

Wagner,  Paul:  Die  mineralogisch -geo- 
logische Durchforschung  Sachsens  in 
ihrer  geschieh tl.  Entwicklung.  Abh>  d. 
naturtciss.Ges.Isis  inDresden,  1902.  Heft2. 


Yenuitwortlicher  Her»aigeber:  Prof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  Beidolberg. 


Die  Bedentnng  der  Kolonie  KiautsdiOQ^. 

Von  Dr.  G^org  Wegener. 

Die  erste  Blüte  unserer  europäiscben  Kultur,  die  beut  die  mäcbtigste 
auf  dem  Erdball  geworden  ist,  entfaltete  sieb  rings  um  das  Mittelländiscbe 
Meer.  Später  nahm  sie  beide  Ufer  des  Atlantiseben  Meeres  in  Besitz,  so 
daß  scbon  gegenwärtig  dieser  Ozean  als  das  Mittelmeer  der  jetzt  europäisch- 
amerikaniscb  zu  nennenden  Weltcivilisation  bezeichnet  werden  kann.  Zuletzt 
und  vor  unseren  Augen  wird  endlich  auch  das  größte  und  europafemste 
aller  Weltmeere,  der  Große  Ozean,  in  ihren  Bereich  einbezogen;  an  den 
westlichen  Küsten  Nord-  und  Südamerikas  und  an  den  östlichen  Asiens  und 
Australiens  breitet  sich  diese  Oivilisation  siegreich  aus  und  überspinnt  auch 
die  Inselwelt  jenes  Meeres  selbst.  Mit  Biesenschritten  geht  diese  Entwick- 
lung vorwärts.  Einer  solcher  Schritte  —  um  nur  einige  der  jüngsten  tind 
am  meisten  ins  Auge  fallenden  zu  nennen  —  ist  beispielsweise  die  Vollendung 
der  ersten  Eisenbahn,  die  von  Europa  bis  zur  Ostküste  Asiens  führt;  ein 
zweiter  das  politische  Großmachtsbündnis  zwischen  England  und  Japan;  eia 
dritter  die  soeben  vollzogene  Legung  des  ersten  transpacifischen  Kabels  vom 
englischen  Nordamerika  nach  Australien  —  womit  nun  das  Telegraphennetz 
rund  um  die  Erde  herum  geschlossen  ist;  ein  vierter  endlich  steht  in  der 
heut  wohl  als  gesichert  anzusehenden  Durchstechung  der  mittelamerikanischen 
Landenge  bevor. 

Die  beiden  deutschen  Kolonialgebiete,  die  der  Welt  des  Großen  Ozeans 
angehören  und  uns  somit  einen  unmittelbaren  Anteil  an  der  bedeutsamen,  im 
Fluß  befindlichen  Entwicklung  dieses  Erdraums  sichern,  sind  Kiautschou 
und  die  deutschen  Südsee-Inseln.  Hierin  liegt  ihr  wesentlichster  Wert  für 
uns.  Eine  innere  Beziehung  zueinander  haben  sie  freilich  vorläufig  noch  so 
gut  wie  gar  nicht  und  können  deshalb  gesondert  behandelt  werden. 

Im  Beginn  des  Jahres  1898,  also  vor  nunmehr  bald  fünf  Jahren,  nahm 
Deutschland  die  Ermordung  einiger  Missionare  einerseits  und  die  Dienste, 
die  es  China  in  dem  vorhergehenden  japanischen  Kriege  geleistet  hatte, 
andererseits  zum  Anlaß,  die  an  der  Wurzel  der  Provinz  Schantung  gelegene 
Bucht,  die  nach  der  nahe  an  ihrem  Nordrande  gelegenen  chinesischen  Pro- 
vinzialmittelstadt  Kiautschou  genannt  wird,  vom  chinesischen  Reich  auf  99 
Jahre  zu  pachten.  Innerhalb  dieses  Gebiets  begab  sich  die  chinesische  Regie- 
rung   aller  Hoheitsrechte.     Seine   Grenze  folgt  genau  den   üfem  der  Bucht 

1)  AuB  einem  Vortrag  über  die  pacifischen  Kolonialgebiete  Deutschlands,  ge- 
balten im  Kaiserhof  zu  Berlin  am  26.  November  1902  vor  dem  Verein  Berliner 
Kaufleute  und  Industrieller. 

Geographische  Zeitschrift.  9  Jahrgang.  1903.  4.  Heft  13 


186  Georg  Wegener: 

und  umschließt  nur  zu  beiden  Seiten  des  Eingangs  noch  je  eine  Halbinsel; 
westlich  eine  kleinere,  östlich  eine  größere.  Insgesamt  umfaßt  der  Bereich 
des  deutschen  Schutzgebiets  hier  rund  500  qkm.  Dazu  wurde  noch  eine 
neutrale  Zone  von  50  km  Breite  rings  um  die  Bucht  vereinbart,  welche  unter 
chinesischer  Verwaltung  blieb;  China  verpflichtete  sich  aber,  wichtige  Maß- 
nahmen innerhalb  dieser  Zone  nur  mit  Zustinmiung  Deutschlands  vorzunehmen, 
öffentlichen  Arbeiten  im  Interesse  des  Landes,  insbesondere  der  Regulierung 
der  Wasserläufe  durch  Deutsche,  keinen  Widerstand  entgegenzusetzen  und  den 
Diu*chzug  deutscher  Truppen  jederzeit  zu  gestatten. 

Man  sieht  auf  den  ersten  Blick,  wie  winzig  an  sich  das  Pachtgebiet  ist, 
das  ja  kaum  achtmal  den  Flächenraum  Berlins  (64  qkm)  umschließt  Es 
muß  sich  also  hier  um  eine  Kolonie  ganz  anderer  Art,  als  die  vorher  er- 
worbenen, handeln,  um  eine  solche,  deren  Hauptwert  nicht  im  Lande  selbst, 
sondern  in  dessen  Beziehungen  zur  Umgebung  liegt.  Die  Bedeutung  des 
Schutzgebiets  von  Kiautschou  ergibt  sich  durch  die  Beantwortung  der  beiden 
Fragen:  Was  wollen  wir  an  dieser  Stelle?  Welche  Gewähr  bietet  uns  die 
Kolonie,  daß  wir  unsere  Absichten  erreichen? 

Um  die  erste  Frage  zu  beantworten:  Was  wollen  wir  an  der  Kiautschou- 
Bucht?  muß  ich  hier  etwas  weltgeschichtliche  Fraktur  reden.  Ich  spreche 
zu  Vertretern  unseres  Handels  und  unserer  Industrie,  die  ja  mehr  als  viele 
andere  Bevölkerungsklassen  daran  gewöhnt  sind,  mit  großen  Zukunftskombi- 
nationen zu  arbeiten;  sie  werden  mit  Leichtigkeit  verstehen,  daß  es  sich  bei 
dem  Erwerb  von  Kiautschou  um  eine  Spekulation  großen  Stils  handelt,  nicht 
auf  Jahre  hinaus,  sondern  auf  viele  Jahrzehnte,  ja  vielleicht  —  wir  hoffen 
es  —  auf  Jahrhunderte. 

Soweit  Menschen  überhaupt  weltgeschichtliche  Entwicklungen  voraus- 
sagen können,  ist  eins  unbedingt  gewiß,  nämlich,  daß  die  Millionenmassen 
von  China  nicht  mehr  wie  bisher  in  kultureller  Abgeschlossenheit  fortleben 
können,  sondern  sich  dem  durch  das  Expansionsbedürfiiis  der  Großmächte 
Europas  und  Amerikas  und  die  Macht  der  modernen  Verkehrsmittel  mehr 
und  mehr  heraufgeführten  Gesamtleben  der  Völker  anschließen  werden.  Ob 
dieser  Vorgang  in  China  noch  vorübergehende  rückläufige  Bewegungen  hat 
oder  nicht,  ist  ganz  gleichgültig,  konmien  wird  er  sicher. 

Und  ebenso  sicher  ist,  daß  dieses  Eingreifen  der  mehr  als  vierhundert 
Millionen  Menschen  Chinas  mit  ihrer  beispiellosen  Arbeitsfähigkeit,  ihrem 
erstaunlichen  Geschäftstalent,  ihrer  in  Europa  meist  weit  unterschätzten  Intel- 
ligenz in  die  Weltwirtschaft,  daß  die  damit  verbundene  Erschließung  der  außer- 
ordentlichen natürlichen  Hilfskräfte  des  Landes  einen  Hauptanteil  an  der 
weltgeschichtlichen  Entwicklung  der  nächsten  Jahrhunderte  nehmen  muß,  die 
ja  wahrscheinlich  sehr  viel  mehr  durch  wirtschaftliche,  als  durch  militärische 
Kämpfe  bestimmt  werden  wird.  Und  Ströme  von  Leben  werden  an  den 
Stellen  entstehen,  wo  diese  beiden  bedeutendsten  Kulturwelten,  die  es  heut 
nebeneinander  gibt,  die  europäisch-amerikanische  und  die  ostasiatische,  sich 
elektrischen  Polen  gleich  berühren. 

Um  aus  dieser  Entwicklung  den  richtigen  Vorteil  ziehen  zu  können, 
müssen  wir  einen  eigenen  sicheren  Stützpunkt  in  den  ostasiatischen  Gewässern 


Die  Bedeutung  der  Kolonie  Kiautschou.  187 

haben.  Wir  müssen  einen  Hafen  besitzen,  den  uns  keine  feindselige  Macht 
verschließen  kann,  wo  unsere  Schiffe  jederzeit  militärischen  Schutz,  wo  sie 
KohlenyorHlte  und  eigene  Docks  zur  Reparatur  finden. 

Schon  des  Prestiges  der  Deutschen  in  Ostasien  halber  ist  ein  solcher  Be- 
sitz notwendig.  England,  Rußland,  Frankreich  haben  derartige  Häfen,  folglich 
müssen  auch  wir,  die  wir  in  den  Augen  der  Asiaten  mit  diesen  gleichstehen 
wollen,  einen  solchen  Stützpunkt  haben.  Das  Prestige  eines  Staates  ist  auch 
für  den  Kaufmann  von  größtem  Wert;  es  erhöht  sein  eigenes  Ansehen,  seinen 
Kredit,  es  tritt  besonders  in  Erscheinung  bei  Erteilung  von  Konzessionen,  für 
Unternehmungen  im  Auslande,  um  die  ja  gegenwärtig  gerade  in  China  ein 
besonderes  Wettrennen  stattfindet.  Ferner  müssen  wir  eigene  Kohlenvorräte 
haben,  sonst  ist  eines  schönen  Tages  einmal,  z.  B.  wenn  uns  England  und 
Japan  gleichzeitig  den  Kohlenbezug  wehren,  die  Mehrzahl  unserer  Schiffe 
dort  draußen  lahm  gelegt,  wie  Vögel,  denen  man  die  Flügel  beschnitten 
hat.  Endlich  brauchen  wir  eigene  Docks.  Es  ist  für  jeden,  der  in  den 
letzten  Jahren  draußen  war,  eine  beschämende  Erinnerung,  daß  wir  zur 
selben  Zeit,  wo  hier  in  Deutschland  unausgesetzt  so  patriotisch  über  das 
perfide  Albion  geschmäht  wurde,  für  unsere  Handels-,  ja  unsere  Kriegsschiffe 
die  Gastfreundschaft  englischer  Docks  in  Anspruch  nehmen  mußten  und 
auch  bereitwilligst  erhielten.  Bei  einem  Konflikt  mit  England  würde  das 
natürlich  sofort  aufhören. 

Außer  den  zur  Erfüllung  dieser  Forderungen  nötigen  Eigenschafken  muß 
der  Platz  aber  auch  eine  möglichst  gute  Handelslage  besitzen,  schon  deshalb, 
damit  er  die  Kosten  der  unumgänglichen  Anlagen  wieder  herausbringt 

Ist  nun  die  Kiautschoubucht  in  all  diesen  Punkten  eine  günstige  Wahl 
gewesen  oder  nicht? 

Was  zunächst  die  militärische  Sicherheit  betrifft,  so  wäre  ja  wohl  eine 
Insel  wie  Hongkong  für  eine  Ansiedelung  noch  besser  gewesen.  Allein  auch 
die  Halbinsel  im  Osten  des  Eingangstors  zur  Bucht,  auf  der  wir  unsere  Nieder- 
lassung Tsingtau  angelegt  haben,  läßt  sich  durch  Benutzung  der  an  ihrer 
Wurzel  gelegenen  Höhen  genügend  befestigen  und  ist  es  z.  Z.  schon. 

Der  Hafen  genügt  an  sich  nicht  allen  Ansprüchen;  die  Bucht  ist  gar 
zu  groß,  so  daß  bei  Nordweststürmen,  wie  sie  im  Winter  häufig  sind,  der 
Seegang  auf  ihr  den  Schiffen  gefährlich  werden  kann.  Eine  Mole  wird  dieser 
einen  Schwierigkeit  indes  abhelfen.  Ist  sie  fertiggestellt,  dann  werden  die 
Schiffe  hier  mit  vollkommener  Sicherheit  Kohlen  einnehmen  oder  nach  Ein- 
richtung von  Docks  Reparaturen  vornehmen  können. 

Wie  steht  es  aber  mit  der  großen  Frage  nach  der  Handelslage? 

Zu  ihrer  Beantwortung  werfen  wir  einen  Blick  auf  die  Landkarte. 

Drei  große  Ströme  münden  an  der  Küste  von  China.  Im  Süden  der 
Sikiang;  dieser  erschließt  einen  großen  Teil  des  südlichen  China.  An  seiner 
Mündung  haben  die  Engländer  die  Insel  Hongkong  besetzt  und  auf  ihr  eine 
ihrer  glänzendsten  Kolonialschöpfungen  entwickelt.  Hier  wäre  eine  Konkurrenz- 
gründung nicht  mehr  möglich. 

Der  zweite  große  Strom  ist  der  Jangtsekiang,  einer  der  Riesenströme 
des    Erdballs    und   eine   seiner  besten  Wasserstraßen.     Er    erschließt    in    ge- 

13* 


188  Georg  Wegener: 

waltigem  Umfang  das  mittiere  China  und  verknüpft  dessen  Verkehr  mit  dem 
Meere^  Aber  auch  an  der  Mündung  des  Jangtse  besteht  bereits  eine  Handels- 
ansiedelung  eui*opäischer  Art,  Schanghai,  jene  internationale  Stadt,  die  man 
bereits  heute  das  künftige  London  des  Ostens  zu  nennen  pflegt.  Sie  beherrscht 
den  Handel  auf  dem  Jangtse  so  yollkommen,  daß  auch  an  der  Mündimg 
dieses  Stroms  eine  deutsche  Nebengründung  nicht  mehr  ausführbar  wäre. 

Die  dazwischen  liegende  Eüstenstrecke  besitzt  eine  Menge  ausgezeichneter 
Hafenbuchten,  die  ja  auch  dicht  an  der  hier  vorüberziehenden  großen  Welt- 
handelsstraße der  China-See  liegen.  Allein  sie  sind  alle  für  den  Großverkehr 
mit  dem  Hinterlande  wenig  geeignet,  da  sie  davon  Gebirge  trennen.  So  kann 
also  die  ganze  Südhälfte  der  chinesischen  Küste  für  uns  nicht  mehr  in 
Betracht  kommen. 

Ganz  anders  ist  die  Eüstenhälfte  nördlich  vom  Jangtsekiang  gestaltet. 
Sie  ist  —  mit  einer  einzigen,  gleich  zu  erwähnenden  Ausnahmestrecke  — 
ganz  flach,  eine  der  sogenannten  „eisernen^'  Küsten,  die  gegen  das  Meer 
streng  abgeschlossen  ist.  Zwar  mündet  innerhalb  ihres  Bereiches  der  dritte 
der  großen  Ströme  Chinas,  der  Hwangho,  allein  er  ist  ein  so  wilder  Ge- 
selle und  seine  Mündung  ist  überdies  so  ungünstig  gestaltet,  daß  er  für  den 
Handelsverkehr  ganz  ohne  Bedeutung  ist  So  ist  es  gekommen,  daß  der 
unbedeutende  und  ebenfalls  an  der  Mündung  arg  versandete  Peiho  das  Ein- 
gangstor zum  nördlichen  China  geworden  ist.  An  ihm  hat  sich  die  dritte 
wichtige  Fremdenansiedelung,  das  internationale  Tientsin,  gebildet. 

Hier  ist  nun  eine  Konkurrenz  sehr  wohl  möglich.  Der  Peiho  bietet 
nur  kleinen  SeeschiflFen  Zutritt;  sein  Eingang  ist  kein  geschützter  Hafen,  son- 
dern eine  sehr  flache,  offene  und  gefährliche  Reede,  und  er  mündet  überdies 
in  die  innerste  Bucht  des  Gelben  Meeres,  die  alljährlich  mehrere  Monate 
zufriert. 

Eine  solche  Konkurrenz  kann  anknüpfen  an  die  felsige  Halbinsel  Schan- 
tung,  die  eine  Ausnahmestrecke,  welche  die  gleichmäßige  flache  Küstenlinie 
Nordchinas  mit  einer  reichgegliederten  Steilküste  unterbricht.  Hier  gibt  es 
mehrere  gute  Hafenbuchten.  Die  geräumigste  unter  ihnen  und  für  den 
Weltverkehr  bestgelegene  ist  die  Bucht  von  Kiautschou.  Sie  ist  in  ihren 
südlichen  Teilen  sehr  tief,  friert  niemals  zu  und  gewährt  zugleich  einen 
vortrefflichen  Zugang  zum  Hinterlande,  da  nördlich  von  ihr  eine  breite  Tief- 
landsgasse das  Gebirge  der  Halbinsel  Schantung  quer  durchsetzt  und  eine 
bequeme  Verbindung  mit  der  großen  Ebene  von  Nordchina  schafft. 

Unfraglich  ist  somit  die  Bucht  von  Kiautschou  der  beste  Hafen  Chinas 
nördlich  von  Jangtsekiang.  Allerdings  nicht  ohne  weiteres.  Ihre  trefflichen 
Eigenschaften  sind  gleichsam  latent,  sie  müssen  erst  von  einer  starken  und 
kundigen  Macht  zielbewußt  entwickelt  werden.  Darin  liegt  ja  auch  der 
Grund,  weshalb  diese  Stelle  bisher  noch  keine  Rolle  gespielt  hat.  Daß  die 
Größe  der  Bucht  noch  zuvor  einen  Molenbau  gegen  den  Nordwest  erforder- 
lich macht,  erwähnten  wir  bereits.  Ferner  muß  der  Verkehr  mit  dem  Hinter- 
lande erst  entwickelt  werden  durch  die  Schaffung  einer  Bahn.  Beides  ist 
gleich  nach  der  Besetzung  energisch  in  Angriff  genommen  worden. 

Ich  habe  die  Kolonie  Kiautschou   vor  etwa  zwei  Jahren,  im  November 


Die  Bedeutung  der  Kolonie  Eiautschou.  189 

1900  besucht,  und  hatte  zuvor  schon  viele  englische  Kolonien  gesehen,  die 
mich  mit  Bewunderung  erfttllt  hatten:  Britisch-Indien ,  Ceylon,  Singapore, 
Hongkong,  Australien,  Neuseeland.  Hier  fand  ich  zum  erstenmal  auf  deut- 
schem Auslandsboden  ganz  denselben  großzügigen,  kraftvollen  Wagemut,  mit 
dem  der  Engländer  ans  Werk  zu  gehen  pflegt,  und  der  schon  eine  unerläßliche 
Vorbedingung  für  den  Erfolg  ist;  denn  ohne  Einsatz  gibt  es  keinen  Gewinn. 

Es  war  schon  damals  erstaunlich,  was  an  Stelle  des  unbedeutenden 
Chinesenortes  Tsingtau,  der  auf  der  Halbinsel  gestanden  hatte,  geschaffen 
worden  war.  Noch  mehr  heute.  Weite,  wohlgebaute  Straßenzüge  überziehen 
heut  das  wellige  Felsterrain,  stattliche,  villenartige  Wohn-  und  Geschäfts- 
häuser sind  allenthalben  an  ihnen  emporgeschossen,  schöne,  gesunde  Kasernen 
sind  für  die  Truppen  fertiggestelt,  ein  großer  Leuchtturm  am  Eingang  der 
Bucht  hatte  schon  zur  Zeit  meiner  Anwesenheit  begonnen,  auch  Nachts  den 
Schiffen  den  Weg  in  die  Bucht  zu  weisen.  Die  Kolonie  steht  unter  der  Ver- 
waltung des  Reichsmarineamts,  und  dies  hat  es  verstanden,  große  Mittel 
dafür  in  Bewegung  zu  setzen;  Mittel  übrigens,  die  zum  größten  Teil  dem 
deutschen  Volke  wieder  zu  gute  kommen,  denn  ausschließlich  aus  Deutschland 
werden  alle  Lieferungen  bezogen.  Zwei  Häfen  sind  gebaut  worden.  Der 
eine,  der  sogenannte  kleine,  für  Schiffe  bis  zu  5  m  Tiefgang,  ist  bereits 
fertig  und  dem  Verkehr  übergeben.  Der  große,  für  die  größten  Ozeanriesen 
gedacht,  nähert  sich  der  Vollendung.  Seine  Mole^  die  5  m  über  Hochwasser 
ragen  und  oben  5  m  breit  sein  soll,  wird  4}/^  km  lang  werden;  auch  ein 
Schwimmdock,  für  die  größten  an  der  ostasiatischen  Küste  verkehrenden 
Dampfer  ausreichend,  ist  im  Bau  und  soll  1904  fertig  werden. 

Die  Ghinesenbevölkerung  ist  in  besondere  Viertel  konzentriert  und  dort 
mit  gesunden  Häusern  versehen  worden.  Man  vermeidet  dadurch  den  nament- 
lich sanitär  so  unangenehmen  Fehler  der  Vermischung  der  europäischen 
Ansiedler  mit  den  Langzöpfen,  der  in  Hongkong  z.  B.  heut  nicht  mehr  rück- 
gängig zu  machen  ist.  Die  Wasserleitung  ist  nach  mehreren  mißlungenen 
Versuchen  hergestellt.  Diese  beiden  Maßnahmen  haben  die  Hauptgründe  der 
ehemaligen  Ungesundheit  Tsingtaus  und  damit  diese  selbst  energisch  be- 
kämpft Es  läßt  sich  schon  heute  absehen,  daß  in  kurzer  Zeit  von  einer 
besonderen  ungesundheit  dieses  Platzes  nicht  mehr  die  Rede  sein  kann. 

Das  Hauptgewicht  ist  aber  auf  den  Bau  der  Schantung-Eisenbahn  zu 
legen.  Wenn  aus  Tsingtau  etwas  werden  soll,  so  konmit  alles  darauf  an, 
die  Beziehung  zum  Hinterlande  energisch  zu  fördern,  und  das  ist  Aufgabe 
der  Eisenbahn. 

Dies  „Hinterland"  Tsingtaus  ist  im  engeren  Sinne  die  Provinz  Schantung, 
im  weiteren  Nordchina  überhaupt 

Wie  sieht  nun  diese  Provinz  Schantung  aus? 

Die  chinesischen  Provinzen  lassen  sich  weniger  mit  dem  vergleichen, 
was  wir  bei  uns  „Provinz",  als  was  wir  „Reich"  nennen.  Schantung  ist  mehr 
als  doppelt  so  groß  wie  das  Königreich  Bayern  und  hat  38  Millionen  Ein- 
wohner, d.  h.  4  Millionen  mehr  als  das  ganze  Königreich  Preußen.  Das 
ergibt  eine  Bevölkerungsdichte,  wie  wir  sie  bei  uns  in  Europa  nur  ganz  ver- 
einzelt auf  engen  Industriegebieten  kennen. 


190  Georg  Wegener: 

Und  diese  winimelnde  Bevölkerungsmenge  ist  von  der  höchsten  Betrieb- 
samkeit. Jeder  Beisende  gibt  von  neuem  seinem  Erstaunen  Ausdruck  über 
die  unerhörte  Sorgfalt,  mit  welcher  die  Chinesen  hier  ihre  Äcker  bauen; 
wie  sie  jedes  Fleckchen  fruchtbaren  Bodens  auszunützen  wissen,  wie  sie  die 
Qehänge  der  Berge  selbst  sorgfältig  terrassieren,  durch  künstliche  Bewässe- 
rung die  natürliche  Fruchtbarkeit  des  Bodens  vermehren.  Gebaut  werden 
hauptsächlich  verschiedene  Getreidearten,  Kohl,  Hülsenfrüchte,  Ölfrüchte  und 
Obst.  Hierzu  treten  verschiedene  Industrieerzeugnisse,  besonders  Seide,  femer 
Strohgeflechte,  die  schon  heut  einen  wichtigen  Ausfuhrartikel  bilden,  Töpfe- 
reien. Endlich  kommen  Bodenschätze  des  Landes  in  Betracht,  von  anderen 
Mineralien  abgesehen  vor  allem  die  Kohlen.  Wir  kennen  fünf  größere 
Steinkohlen -Fundgebiete,  wo  die  Kohle  z.  B.  schon  seit  alter  Zeit  von  den 
Chinesen  abgebaut  wird:  bei  Weihsiön,  Poschan,  Tschangkiu  am  Nordrande 
des  Gebirgslandes  von  Schantung;  femer  bei  IhsiSn  und  bei  Itschoufu  am 
Südrande.  Namentlich  die  Kohle  von  Poschan  gilt  als  ganz  vortrefflich,  der 
besten  englischen  Kohle  wenig  nachstehend.  Daß  diese  Schätze  des  Bodens 
und  der  menschlichen  Betriebsamkeit  bis  jetzt  noch  wenig  nutzbar  gemacht 
worden  sind,  liegt  an  den  unentwickelten  Verkehrsmitteln  in  Schantung. 
Schiffbare  Wasserwege  von  Bedeutung  gibt  es  in  Schantung  gar  nicht.  Nur 
im  äußersten  Westen  durchschneidet  der  Kaiserkanal  das  Land,  er  mündet  aber 
erst  weit  außerhalb  der  Provinz,  am  Jangtse  und  am  Peiho,  in  den  Welt- 
verkehr. Sonst  findet  man  nur  Landstraßen,  die  ganz  erbärmlich  sind.  In 
der  Regenzeit  oft  unergründliche  Sümpfe,  in  der  Trockenzeit  so  holprig,  daß 
unsere  europäischen  Wagen  darauf  binnen  kurzem  in  Stücke  gehen  würden. 
Seit  uralter  Zeit  bewegen  sich  deshalb  auf  ihnen  nur  äußerst  .urtümliche 
Verkehrsmittel:  einrädrige  Schubkarren,  kleine,  zweirädrige  Wagen  oder  Trag- 
tiere. Mit  diesen  unbehüflichen  Mitteln  findet  ein  sehr  intensiver  Lokal- 
verkehr statt,  die  Landstraßen  sind  voll  von  Verkehr.  Aber  es  ist  klar, 
daß  der  schwerfällige  Transport  die  Ware  sehr  rasch  verteuert;  sie  kann  nie- 
mals weit  von  ihrem  Erzeugnisort  verfrachtet  werden. 

Gerade  diese  Ungunst  der  bisherigen  Verkehrsverhältnisse  ist  aber  die 
beste  Anwartschaft  für  ein  Blühen  der  Eisenbahn.  Sie  hat  somit  keinerlei 
ernsthafte  Konkurrenz  zu  überwinden.  Bei  ihrer  sehr  viel  größeren  Billigkeit 
wird  sie  den  Verkehr  in  den  von  ihr  durchschnittenen  Gegenden  rasch  an 
sich  ziehen.  Ja  nach  alten  eisenbahnökonomischen  Erfahrungen  wird  sie 
diesen  Verkehr  erst  recht  entwickeln  und  Gegenden  in  Verbindung  mit  anderen 
und  mit  der  Küste  setzen,  die  bisher  nie  an  so  etwas  gedacht  haben. 

Durch  die  bessere  Verwendung  der  Erzeugnisse,  die  die  Eisenbahn 
diesen  Gegenden  gewährt,  wird  sie  sie  andererseits  wohlhabender  und  dadurch 
aufnahmefähiger  für  die  von  der  See  her  eingeführten  Auslandsgüter  machen. 

In  richtiger  Erkenntnis  dieser  Möglichkeiten  wurde  gleich  nach  Sicherung 
der  deutschen  Herrschaft  von  der  mit  einem  Kapital  von  54  Millionen  Mark 
gegründeten  deutschen  Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft  der  Bau  dieser  Eisen- 
bahn, als  vorläufig  eingeleisige  Vollbahn,  begonnen.  Die  Trace  der  Bahn 
läuft  von  Tsingtau  aus  um  den  Ostrand  der  Bucht  und  durchzieht  dann 
die   Flachlandsenke,  welche  das  Gebirge  der  Halbinsel  in  zwei  Teile  trennt 


Die  Bedeutung  der  Kolonie  Eiautschou.  191 

Hierbei  berührt  sie  die  yielgenannteii  Städte  Eiautschou  und  Eaumi  und  er- 
reicht dann  die  große  Ereisstadt  Weihsii^n  am  Nordrand  des  Gebirges  und 
damit  einen  der  bedeutendsten  alten  Verkehrswege  der  Provinz,  der  am  Fuß 
dieses  Gebirges  entlang  zieht.  Dem  Gebirge  folgend  biegt  sie  von  hier  nach 
Westen  um,  durchschneidet  immer  dichter  bevölkerte  Gebiete,  berührt  die 
großen  Seidendistrikte,  erschließt  die  drei  genannten  hier  gelegenen  Eohlen- 
gebiete  und  erreicht  endlich  die  große  Landeshauptstadt  Tsinanfu  am  Hwangho 
und  damit  den  ganz  ebenen  Ostteil  der  Provinz,  welcher  der  sogenannten 
„großen  Ebene",  jenem  völkerwimmelnden  Hauptkulturgebiet  Nord-Chinas,  an- 
gehört Mehrere  Städte  von  50000,  100000,  ja  200000  Einwohnern  wird 
sie  auf  dieser  etwa  der  Entfernung  von  Berlin  nach  Danzig  gleichkommenden 
Strecke  zwischen  Tsingtau  und  Tsinanfu  berühren.  Die  Hauptstadt  wird  auf 
3 — 400000  Einwohner  geschätzt. 

Von  hier  aus  soll  sie  dann  nach  Südwesten  gefCÜui;  werden,  z.  T.  längs 
des  Eaiserkanals,  um  dessen  Verkehr  aufzunehmen,  und  weiterhin  im  Süden 
des  Berglandes  über  die  Eohlenfelder  von  Ihsi^n  und  Itschoufu  nach  Tsingtau 
wieder  zurück. 

Trotz  der  Boxerunruhen  des  Jahres  1900  sind  die  vereinbarten  Fristen 
für  den  Bau  innegehalten  worden.  Am  1.  Juni  dieses  Jahres  wurde  der 
regelmäßige  Betrieb  schon  bis  zu  der  vorhergenannten  wichtigen  Stadt  Weih- 
sien, dem  Sitz  der  großen  Seidenhändler  des  Gebiets,  eröffnet;  täglich  läuft 
je  ein  Zug  hin  und  her  zwischen  Weihsien  und  Tsingtau. 

Überraschend  schnell  haben  sich  die  Chinesen  an  den  Bahnbau  ge- 
wöhnt, dem  sie  entsprechend  ihrer  konservativen  Natur  anfangs  feindlich 
gegenüberstanden.  Ihr  sicherer  Geschäftssinn  hat  sie  schneller  seine  Vorteile 
für  das  Land  kennen  gelehrt,  als  es  seinerzeit  bei  den  ersten  Bahnbauten  in 
Europa  mit  unserer  eigenen  Bevölkerung  der  Fall  war.  Die  Vorstände  der- 
selben Dörfer,  die  sich  1900  an  den  Unruhen  beteiligt  hatten,  haben  später 
freiwillig  die  Bahnhöfe  bei  der  Eröffnung  des  Betriebes  ausgeschmückt  und 
erklärt,  es  wäre  sehr  töricht  gewesen,  daß  sie  sich  einer  so  nützlichen  Ein- 
richtung widersetzen  konnten.  Schon  heute  wird  die  Eisenbahn  in  reichem 
Maße  von  den  Chinesen  selbst  benützt. 

Ein  sehr  erfreuliches  Anzeichen  für  das  Vertrauen,  das  die  geschäfts- 
kundigen Chinesen  unserer  Gründung  selbst  entgegenbringen,  ist  darin  zu 
sehen,  daß  chinesische  Firmen  in  steigendem  Maße  in  Tsingtau  Grundbesitz 
erwerben  und  sich  einheimische  Banken  für  den  Geldverkehr  mit  dem  Hinter- 
lande dort  auftun.  Diese  Anteilnahme  des  chinesischen  Großkaufoianns  ist 
eine  wesentliche  Vorbedingung  für  die  Entwicklung  Tsingtaus  als  Handelsplatz. 

Ganz  besonders  wichtig  wird  aber  die  Eohle  sein.  Die  Schantung- 
Eisenbahn- Gesellschaft,  die  zugleich  die  Bergwerkskonzession  besitzt,  hat 
gleichzeitig  auch  die  modern  bergmännische  Förderung  der  Eohlen,  zunächst 
im  Revier  am  Weihsiön,  in  Angriff  genonmien.  Letzten  Herbst  hat  sie 
damit  nach  Herstellung  eines  großen  Schachtes  begonnen,  und  bereits  sind 
Eohlenzüge  an  die  Eüste  gekommen. 

Soviel  über  die  Provinz  Schantung  selbst,  zu  deren  natürlichem  Seetor 
die  Bahn  Tsingtau  machen  wird. 


192        Georg  Wegener:  Die  Bedeutung  der  Eolouie  Kiautschou. 

Weiterhin  soll  aber  die  Kiautschoubucht  die  Haupteingangspforte  für 
ganz  Nord-China  werden. 

Ein  wichtiger  Schritt  dazu  wird  der  Weiterbau  der  Bahn  von  Tsinanfu 
nach  Tientsin  sein.  Hierdurch  wird  Tsingtau  der  Hafen  für  die  rascheste, 
im  Winter,  wo  der  Golf  von  Petschili  zugefroren  ist,  sogar  für  die  einzige 
Verbindung  mit  der  Reichshauptstadt  Peking  werden. 

Eine  weitere  Linie  wird  von  Tsinanfu  nach  dem  Westen  gehen  müssen. 
Diese  wird  die  fruchtbare  „große  Ebene^^  quer  durchziehen  und  dann  den 
Anschluß  an  die  schon  im  Bau  befindliche  große  Nordsüd-Bahn  Chinas  Peking- 
Hankau-Canton  gewinnen  und  endlich  die  Kohlenfelder  von  Schansi  erreichen, 
die  bekanntlich  zu  den  reichsten  der  Welt  gehören.  Für  diese  Kohle,  die 
bestimmt  ist,  in  der  Wirtschaft  der  Zukimfb  eine  große  Rolle  zu  spielen, 
wird  dadurch  der  nächste  Ausgang  zu  Meere  unser  Tsingtau  werden. 

Wollen  wir  endlich  die  Blicke  noch  weiter  in  die  Zukunft  richten,  so 
dürfen  wir  daran  denken,  daß  dereinst  einmal  die  große  asiatische  Zentral- 
bahn gebaut  werden  wird,  deren  natürliche  Trace  durch  die  Senken  der 
Mongolei  und  Dsungarei  schon  F.  v.  Richthofen  vorgezeichnet  hat.  Es 
zeigt  sich  schon  jetzt,  daß  die  sibirische  Bahn  nur  ein  Vorläufer  des  trans- 
kontinentalen Verkehrs  durch  Asien  sein  kann,  denn  sie  mündet  nicht  in  die 
eigentlich  wertvollen  Gebiete  des  Ostens.  Wahrscheinlich  wird  Rußland  selbst 
diese  Bahn  bauen,  sobald  es  sich  der  betreffenden  Gebiete  Innerasiens  be- 
mächtigt haben  wird  —  ein  Vorgang,  den  der  noch  etwas  geheinmisvolle 
Tibet -Vertrag  anzubahnen  scheint.  Diese  künftige  Zentralbahn  wird  von 
Westen  her  nach  der  großen  alten  Kaiserstadt  Singanfu  in  Nordwest-China 
führen,  von  hier  längs  des  Hwangho  die  Gebirge  zwischen  Schansi  und 
Honan  durchschneiden  und  sich  dann  jedenfalls  bei  Kaifongfu  in  der  „großen 
Ebene^'  gabeln.  Ein  Ast  wird  das  Meer  bei  Schanghai  erreichen  imd  diesen 
Ast  zum  Endpunkt  des  großen  Durchgangsverkehrs  machen,  ein  zweiter  — 
der  kürzere  —  bei  Tsingtau. 

Es  ist  Zukunftsmusik,  die  hier  gemacht  wird.  Allein  das  soll  kein  ent- 
schuldigendes Eingeständnis,  das  soll  ein  Lob  sein.  Wir  wollen  und  sollen 
in  Tsingtau  gerade  Zukunftsmusik  großen '  Stils  machen. 

Ich  will  nicht  übertreiben  und  erkenne  die  Grenzen  des  Möglichen  sehr 
wohl.  Gewiß  können  wir  in  Tsingtau  niemals  das  erreichen,  was  Hongkong 
und  Schanghai  dank  ihrer  Wasserstraßen  ins  Innere  dereinst  sein  werden; 
allein  etwas  weniger  kann  auch  schon  sehr  viel  bedeuten  und  des  Schweißes 
der  Edlen  wohl  wert  sein. 

Eins  ist  freilich  die  notwendige  Voraussetzung  für  das  Gelingen  all  dieser 
Pläne:  Deutschland  muß  so  mächtig  bleiben  wie  bisher,  daheim  und  draußen. 
Denn  nur  so  lange  werden  uns  die  Chinesen  an  dieser  Stelle  dulden,  wie 
sie  müssen,  und  nur  so  lange  werden  die  um  die  Vorteile  der  Erschließung 
Chinas  wetteifernden  Fremdmächte  unsere  Anwartschaften  achten,  wie  sie 
uns  fürchten! 


A.  Hettner:  Grundbegriffe  u.  Grundsätze  d.  physischen  Geographie«  193 

Onindbe^iffe  und  flmndsätze  der  pbysiselieii  fleo^apbie. 

Von  Alfired  Hettner. 

m.  Klassen  und  Komplexe  der  geographischen  Erscheinungen. 

Aus  dem  bunten  Spiel  der  Kräfte,  wie  wir  es  im  vorigen  Kapitel 
kemien  gelernt  haben,  geht  die  unendliche  Mannigfaltigkeit  der  Erdoberfläche 
hervor,  die  sich  vor  unseren  leiblichen  und  geistigen  Blicken  ausbreitet  und 
deren  Erkenntnis  den  eigentlichen  Gegenstand  der  Geographie  bildet.  Es  ist 
die  Aufgabe  dieses  Kapitels,  die  allgemeinen  Verhältnisse  dieser  irdischen 
Mannigfaltigkeit  für  die  einzelnen  Erscheinimgskreise  der  Erdoberfläche  dar- 
zulegen. 

Klassifikation,  Gliederung,  Einteilung. 

Um  uns  die  Betrachtung  zu  erleichtern,  wollen  wir  einmal  die  An- 
nahme machen,  daß  alle  Beziehungen  der  Erdräume  zu  einander  lediglich 
auf  einer  Differenzierung,  auf  einer  Unterscheidung,  wenn  das  Wort  nicht  zu 
barbarisch  wäre,  möchte  ich  sagen,  auf  einer  Verungleichung  der  Erdober- 
fläche beruhten,  wir  es  also  nur  mit  einer  größeren  oder  geringeren  Gleich- 
heit (Ähnlichkeit)  oder  Verschiedenheit  zu  tun  hätten.  Diese  Ajmahme  ist 
nicht  richtig,  aber  nichts  hindert  uns,  jede  Erscheinungsgruppe  (Kategorie) 
der  Erdoberfläche  zunächst  einmal  ausschließlich  unter  diesem  Gesichtspunkt 
zu  betrachten,  —  solange  wir  uns  eben  nur  bewußt  bleiben,  daß  diese  Be- 
trachtung nicht  die  Wirklichkeit  erschöpft,  sondern  eine  Abstraktion  ist, 
und  daß  die  Gebiete  gleicher  Ausbildung  durchaus  keinen  räumlichen  Zu- 
sammenhang zu  haben  brauchen.  Darum  können  wir  auch  die  gewöhnlichen 
Kegeln  der  Klassifikation  auf  die  Erscheinungen  der  Erdoberfläche  anwenden, 
sie  Gattungsbegriffen  unterordnen,  ein  System  der  Erscheinungen  jeder  Kategorie 
entwerfen.  Nur  müssen  wir  uns  dabei  klar  sein,  daß  die  Klassifikation  nur 
eine  logische  Möglichkeit  darstellt,  aber  nicht  der  wirklichen  Entstehung 
entspricht  oder  wenigstens  nicht  zu  entsprechen  braucht. 

Selbstverständlich  haben  die  Begriffe  Gleichheit  und  Verschiedenheit,  auf 
Erscheinungen  der  Erdoberfläche  angewandt,  nur  relative  Bedeutung,  und 
was  uns  bei  generalisierender  Betrachtung,  gleichsam  bei  einem  Blick  aus 
der  FemC;  als  ähnlich  erscheint,  löst  sich  bei  spezialisierender  Betrachtung, 
in  der  Nähe,  in  Verschiedenheiten  auf.  In  großem  Abstand  von  der  Erde 
bemerken  wir  z.  B.  nur  den  Gegensatz  von  Pestland  und  Ozean  oder,  wenn 
wir  uns  die  Wasserhülle  entfernt  denken  und  nur  die  feste  Erdrinde 
berücksichtigen,  den  Gegensatz  der  kontinentalen  Aufragungen  und  der 
ozeanischen  Einsenkungen.  Kommen  wir  näher,  so  sehen  wir  auf  dem  Fest- 
land Gebirge,  Hochland  und  Tiefland.  Wieder  in  größerer  Nähe  können 
wir  auch  die  größeren  Züge  der  Gebirgsgliederung,  die  Gegensätze  von 
Känunen  und  Tälern  und  schließlich  auch  die  feineren  Formen  der  Gliederung 
erkennen.  Wir  können  einen  in  sich  gleichen,  aber  von  der  Umgebung  ver- 
schiedenen Raum  als  ein  Individuum  auffassen;  aber  aus  der  relativen  Be- 
deutung des  Begriffes  Gleichheit  ergibt  sich,  daß  auch  der  Begriff  Indi- 
viduum  relativ   ist:    Räume,    die    uns    zimächst   als    individuell    erscheinen^ 


194  .  .  Alfred  Hettner: 

bestehen  bei  näherer  Betrachtung  aus  einer  Aneinanderreihung  von  Individuen, 
und  Individualität  im  strengsten  Sinne  des  Wortes  kommt  nur  der  einzelnen 
Erdstelle  zu. 

Die  unterschiede,  die  innerhalb  einer  Kategorie  von  Erscheinungen 
bestehen,  können  rein  quantitativ  sein,  d.  h.  die  Größe  oder  Intensität  der 
Erscheinungen  betreffen.  Dahin  gehören  die  Höhe  der  Berge  und  Gebirge, 
der  Grad  der  Temperatur,  die  Stärke  des  Luftdrucks,  die  Regenmenge  und 
vieles  andere;  bei  Erscheinungen,  die  einer  zeitlichen  Veränderung  unter- 
liegen, wie  die  Wettervorgänge,  kann  sich  der  Unterschied  ebensowohl  auf 
die  zeitlichen  Mittelwerte  wie  auf  die  Veränderlichkeit  beziehen.  Verschiedene 
Intensitäten  grenzen  gewöhnlich  nicht  scharf  an  einander,  so  daß  der  Über- 
gang sprungartig  ist,  sondern  pflegen  allmählich  in  einander  überzugehen. 
Es  sind  auch  meist  alle  Werte  der  Skala  irgendwo  in  der  Wirklichkeit  vor- 
handen; darum  ist  jeder  Abschnitt  willkürlich,  und  wenn  man  auch,  nament- 
lich bei  der  kartographischen  Darstellung  durch  Höhenlinien,  Temperatiur- 
linien  u.  s.  w.,  solche  Abschnitte  nicht  vermeiden  kann,  so  ist  doch  die 
Aufstellung  und  starke  Betonung  von  Größenklassen,  die  in  der  Literatur 
eine  ziemlich  große  B^Ue  spielen,  nicht  zu  empfehlen,  da  abgerundete 
Zahlenangaben,  besonders  wenn  man  sie  in  Reihen  ordnet,  denselben  Zweck 
erfüllen  und  den  falschen  Eindruck  scharfer  Gegensätze  vermeiden. 

In  anderen  Kategorien  sind  die  Unterschiede  qualitativ,  indem  sie  sich 
auf  die  verschiedene  stoffliche  Zusammensetzung  oder  die  verschiedenen 
Formen  oder  die  verschiedene  Natur  des  Vorgangs  beziehen.  Diesen  Unter- 
schieden gegenüber  tritt  die  Aufstellimg  von  Klassen  in  ihr  Recht  ein,  denn 
wenngleich  auch  hier  die  Übergänge  manchmal  allmählich  sind,  so  daß  die 
Klassen  nicht  scharf  von  einander  getrennt  sind,  sondern  in  einander  über- 
gehen, so  kann  doch  die  Gleichartigkeit  oder  die  Ungleichartigkeit  der  Er- 
scheinungen überhaupt  nicht  auf  andere  Weise  aufgefaßt  werden. 

Sowohl  die  auf  Quantitätsunterschiede  begründeten  Reihen  wie  die  auf 
Qualitätsunterschiede  begründeten  Klassen  beziehen  sich  zunächst  immer  nur 
auf  eine  bestimmte  Eigenschaft  und  müssen  deshalb  mit  den  künstlichen 
Systemen  der  Botanik  und  Zoologie  verglichen  werden.  Sie  gewähren  eine 
klare  Übersicht  und  sind  darum  der  ersten  Auffassung  förderlich,  erschöpfen 
aber  den  Gegenstand  nicht.  Denn  die  verschiedenen  Eigenschaften  sind  nicht 
in  ganz  beliebiger  Weise  mit  einander  verbunden,  sondern  stehen  in  ursäch- 
lichem Zusanunenhang.  Ebensowenig  wie  eine  beliebige  Form  des  Tier- 
kopfes mit  beliebigen  Gliedmaßen  verbunden  sein  kann,  kann  auf  der  Erd- 
oberfläche eine  beliebige  stoffliche  Zusammensetzung  mit  beliebigen  Formen 
und  beliebigen  physikalischen  Verhältnissen  verbunden  sein,  sondern  mit  einer 
Eigenschaft  ändern  sich  auch  die  andern.  Ebenso  wie  die  natürlichen 
Systeme  der  Pflanzen  imd  Tiere  auf  die  Gesamtheit  der  Eigenschaften 
begründet  sind,  kann  darum  auch  eine  Klassifikation  der  Erscheinungen  der 
Erdoberfläche  nur  dann  als  eine  natürliche  Klassifikation  angesehen  werden, 
wenn  sie  der  Gesamtheit  der  mit  einander  verbundenen  Eigenschaften  Rech- 
nung trägt.  Um  ein  Beispiel  zu  nennen,  so  hat  man  früher  die  Küsten  nach 
einander  nach  ihrem  Grundriß  und  ihrem  Aufriß  und  ihrer  Gesteinsbeschaffen- 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physiAchan  Geographie.     195 

holt  eingeteilt  und  hat  dabei  die  Eigenschaften  der  Küsten  noch  kaum 
erschöpft;  im  Fortgang  der  Forschung  hat  man  erkannt,  daß  ein  bestinmiter 
Grundriß  mit  einem  bestimmten  Aufriß  und  einer  bestimmten  stofflichen 
Zusammensetzung  verbunden  zu  sein  pflegt,  und  hat  darauf  zuerst  an  einzelnen 
besonders  auffallenden  Beispielen  (wie  den  Fjorden),  dann  in  umfassenderer  Weise 
die  natürlichen  Eüstentjpen  begründet,  die  mit  einem  Worte  den  ganzen 
Charakter  der  Küsten  ausdrücken. 

Die  regelmäßige  Vereinigung  verschiedener  Merkmale  beruht  darauf, 
daß  diese  verschiedenen  Merkmale  von  einander  oder  von  einer  gemeinsamen 
Ursache  abhftngig  sind.  Die  auf  eine  solche  Vereinigung  begründeten  Ver- 
hältnisse oder  Typen  haben  also  zugleich  kausale  oder  genetische  Bedeutung, 
d.  h.  drücken  die  gleich^  oder  vei*schiedene  Entstehungsweise  aus,  und  sind 
darum  als  natürliche  Klassen  oder  Typen  zu  bezeichnen. 

Die  Art  und  Weise,  wie  man  zur  Aufstellung  dieser  natürlichen  Klassen 
und  Typen  kommt,  ist  verschieden.  In  der  Regel  wird  man  nach  induktiver 
Methode  von  der  vergleichenden  Betrachtung  der  Tatsachen  ausgehen;  aber 
die  auf  diesem  Wege  gewonnene  Klassifikation  kann  als  innerlich  begründet 
erst  angesehen  werden,  wenn  es  gelungen  ist,  auch  die  Gleichheit  der  Ent- 
stehungsweise nachzuweisen.  Manchmal  wird  man  umgekehrt  —  und  nachdem 
durch  die  Induktion  eine  solide  Basis  gewonnen  ist,  sollte  man  jedenfalls 
auch  diesen  umgekehrten  Weg  gehen  —  aus  den  bekannten  Ursachen  die 
verschiedenen  möglichen  Entstehungsweisen  und  damit  auch  die  verschiedenen 
möglichen  Eigenschaften  abzuleiten  suchen. 

Bei  der  Kompliziertheit  aller  Vorgänge  der  Erdoberfläche  werden  die 
verschiedenen  Merkmale  allerdings  nur  in  Ausnahmefällen  genau  dieselbe 
Verbreitung  zeigen:  die  natürliche  Klassifikation  wird  daher  nie  scharf  und 
frei  von  Willkür  sein.  Aus  diesem  Grunde  hat  man  meist  auf  eine  scharfe 
Klassifikation  verzichtet  und  sich  mit  der  Aufstellung  von  Typen  begnügt, 
welche  in  empirischer  Weise  eine  Anzahl  von  Eigenschaften  zusammenfassen. 
Aber  diese  Enthaltsamkeit  scheint  mir  nur  für  einen  gewissen  Stand  der 
Kenntnis,  nicht  im  Grundsatz  richtig  zu  sein.  Denn  obgleich  die  Typen 
genetisch  begründet  werden  können,  so  gehen  sie  doch  aus  keiner  voll- 
ständigen kausalen  Analyse  hervor,  sie  stehen  unvermittelt  neben  einander, 
sie  lassen  nicht  erkennen,  ob  die  vorhandenen  Möglichkeiten  der  Entstehung 
erschöpft  sind;  die  Aufstellung  von  Typen  muß  darum  zu  einer  wirklichen 
genetischen  Klassifikation  überleiten,  zu  deren  Wesen  ja  keineswegs  eine  Ein- 
schachtelung  der  Erscheinungen  gehört,  wie  sie  bei  künstlicher  Klassifikation 
beliebt  ist,  die  vielmehr  die  Übergänge  erkennen  lassen  kann. 

Wenn  die  Entstehungsweise  eines  geographischen  Typus  oder  einer 
Klasse  geographischer  Eigenschaften  bekannt  ist,  wenn  wir  sie  also  deduktiv 
abgeleitet  haben  oder  wenigstens  deduktiv  ableiten  können,  wie  es  z.  B.  bei 
den  klimatischen  Verhältnissen  heute  im  großen  und  ganzen  der  Fall  ist,  so 
sind  mit  den  Eigenschaften  zugleich  auch  die  räumlichen  Verhältnisse,  Lage 
und  Ausdehnung,  bekannt  und  gegeben.  Wenn  wir  dagegen  den  Typus 
befi(chreibend  gewonnen  und  noch  nicht  auf  seine  letzten  Ursachen  zurück- 
geführt haben,  so  treten  Lage  und  Ausdehnung  als  neue,  von  den  Eigen- 


196  Alfred  Hettner: 

Bch&ffcen  scheinbar  unabhängige  Merkmale  hinza;  so  verhält  es  sich  z.  B» 
hente  im  ganzen  noch  mit  den  Typen  des  inneren  Gebirgsbaus.  Aber  das 
liegt  eben  nur  am  Stand  imserer  Kenntnis;  tatsächlich  sind  mit  den  Eigen- 
schaften auch  hier  sofort  die  räumlichen  Verhältnisse  gegeben. 

Mustern  wir  die  allgemeinen  räumlichen  Verhältnisse  der  geographi- 
schen Klassen  und  Typen,  so  tritt  uns  mit  besonderer  Wichtigkeit  der 
Umstand  entgegen,  daß  sie  in  den  meisten  Fällen  nicht  zusammenhängende, 
sondern  zerstückelte  Ausbreitung  zeigen,  teils  weil  die  ursprünglich  bestehenden 
Zusammenhänge  nachträglich  aufgehoben  worden  sind,  teils  weil  die  Gleich- 
artigkeit von  vornherein  nur  auf  einer  Analogie  der  Ausbildung  in  getrennten 
Erdräumen  beruhte. 

Die  Grenzen  verschiedener  Klassen  und  Typ.en  können  scharf  oder 
bandartig  sein;  aber  eine  besondere  Bedeutung  kommt  diesen  Grenzen  über- 
haupt nur  mittelbar  zu,  insofern  die  verschiedene  Ausbildungsweise  Lagen- 
beziehungen hervorruft.  Auch  die  Figur  und  Größe  der  Gebiete  geographisch 
gleichartiger  Ausbildimg  sind  direkt  nur  insofern  bedeutsam,  als  sie  die  Aus- 
dehnung der  Erscheinung  und  der  wirkenden  Ursache  anzeigen,  werden  aber 
nicht  selbst  zur  Ursache,  wie  es  bei  den  Bewegungserscheinungen  der  Fall 
ist.  Solange  wir  nur  die  Gleichartigkeit  oder  Ungleichartigkeit  der  Er- 
scheinimgen  ins  Auge  fassen,  können  wir  daher  nicht  eigentlich  von  einer 
Gliederung,  die  immer  Wechselbeziehung  der  Teile  voraussetzt,  sondern  nur 
von  einer  Anordnung  der  Erscheinungen  sprechen. 

Neben  den  Beziehungen  der  Gleichheit  und  Verschiedenheit  findet  aber 
zwischen  den  Erdstellen  und  Erdräimien  auch  eine  direkte  Einwirkung  statt; 
neben  den  Eigenschaften  im  engeren  Sinne  des  Wortes  haben  wir  daher  auch 
die  Lagenbeziehungen  zu  beachten.  Sie  können  verschiedenen  Ursprungs 
sein:  namentlich  für  die  Geographie  des  Menschen  sind  die  durch  Licht- 
strahlen vermittelten  Eeiz  Wirkungen  von  großer  Bedeutung;  aber  die  Lagen - 
beziehungen  innerhalb  der  unorganischen  Natur  und  auch  der  Pflanzen-  und 
Tierwelt  beruhen  zum  größten  Teil  auf  Bewegungserscheinungen,  seien 
es  reale  Bewegungen  und  damit  Übertragung  von  Stoffen  und  auch  von 
Kräften  und  Zuständen,  seien  es  Fortpflanzungen  von  Wellenbewegungen. 

Solche  Bewegungen  oder  andere  Lagenbeziehungen  können  vorübergehend 
und  nebensächlich  sein  und  werden  dann  bloß  als  Störungserscheinungen 
empfanden;  sie  können  aber  auch  dauernd  und  wesentlich  sein  und  gewinnen 
dann  große  geographische  Bedeutung.  Ein  wichtiger  Unterschied  entspringt 
auch  aus  dem  Verhältnis  ihrer  Dauer  zur  Dauer  der  Wirkungen.  Wo  die 
Bewegungen  andauern,  werden  wir  die  Beziehungen  der  verschiedenen  Teile 
des  Bewegungssystems  verhältnismäßig  leicht  wahrnehmen,  wo  sie  dagegen 
vorübergehende  Erscheinungen  sind  und  nur  ihre  Wirkungen  andauern,  wie 
es  bei  den  Erscheinungen  der  festen  Erdrinde  und  im  ganzen  auch  der 
organischen  Natur  der  Fall  ist,  werden  wir  die  verschiedenen  Stücke  der 
Bewegung  und  ihre  Lagenbeziehungen  zunächst  nur  als  neben  einander 
liegende  Zustände  von  verschiedener  Beschaffenheit  auffassen  und  erst  bei 
eindringenderer  Betrachtung  eben  als  Teile  von  Bewegungssystemen  erkennen 
und    gleichsam    als  Wachstumserscheinungen    ansprechen.      Jedem    Teile    des 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     197 

Systems  kommen  bestimmte  Eigenschaften  zu;  z.  B.  sind  bei  Bewegungen 
meist  die  Region  des  Ursprungs,  ein  Mittelstück  und  die  Begion  des  Endes 
der  Bewegung  von  einander  verschieden.  Zwischen  den  verschiedenen  Teilen 
eines  Bewegungssystems  bestehen  bestimmte  Beziehungen,  die  wir  als  eine 
Korrelation  ihrer  Eigenschaften  auffassen  können,  d.  h.  jede  Veränderung 
eines  Teiles  wird  notwendig  von  einer  bestimmten  Veränderung  des  anderen 
Teiles  begleitet.  Dadurch  kommen  zu  den  ursprünglichen  Eigenschaften  der 
einzelnen  Teile  neue  dem  Bewegungssystem  als  solchem  zugehörige  Eigen- 
schaften hinzu,  die  besonders  auffällig  an  den  Stellen  hervortreten,  wo  ver- 
schiedene Teile  an  einander  grenzen  (Brandimgserscheinungen  u.  s.  w.).  Wegen 
dieser  ursächlichen  Beziehung  lassen  sich  die  Teile  eines  Bewegungssystems 
oder  überhaupt  Erdstellen,  zwischen  denen  Lagenbeziehungen  vorhanden  sind, 
mit  den  Organen  der  organischen  Individuen  vergleichen;  die  Systeme  im 
ganzen  können  wir  wohl  mit  einem  gelegentlich  von  Bitter  gebrauchten  Aus- 
druck als  physiologische  Individuen  bezeichnen  und  die  Ausbildung  der 
verschiedenen  Teile  als  eine  Gliederung  auffassen. 

Im  logischen  Sinne  sind  die  Systeme,  worauf  Hözel  hingewiesen  hat, 
individuelle  Komplexbegriffe,  denn  während  sie  auf  der  einen  Seite  eine 
Summe  von  geographischen  Individuen  umfassen,  sind  sie  andrerseits  selbst 
Individuen,  da  jedes  System  als  solches,  wie  wir  gesehen  haben,  bestimmte, 
auf  einer  Beziehung  der  Teile  zu  einander  beruhende  Eigenschaften  hat.  Er- 
fordert die  Komplexnatur  eine  besondere  Betrachtungsweise,  so  läßt  die 
individuelle  Natur  daneben  die  ganze  Betrachtungsweise  gewöhnlicher  geo- 
graphischer Individuen  auf  sie  anwenden.  Insofern  gelten  für  sie  auch  die 
allgemeinen  Begeln  der  geographischen  Klassifikation;  über  die  Aufstellung 
von  Größenreihen  und  andere  künstliche  Klassifikationen  hinaus  müssen  wir 
auch  hier  zu  einer  natürlichen  Klassifikation  auf  Grund  der  Gesamtheit  der 
Merkmale  und  der  darin  zum  Ausdruck  kommenden  Entstehung  zu  gelangen 
suchen.  Darum  können  auch  Komplexe  oder  Systeme  unter  einander  wieder 
Lagenbeziehungen  haben;  größere  Systeme  können  sich  in  Teilsysteme  gliedern, 
kleinere  zu  größeren  zusammenfügen. 

So  sehen  wir,  daß  wir  auf  der  Erdoberfläche  zweierlei  Beziehungen 
unterscheiden  müssen:  l)  Beziehimgen  der  Gleichheit  und  Verschiedenheit; 
2)  Lagenbeziehungen  oder  Beziehungen  gegenseitiger  Einwirkung.  Aus  jenen 
ergeben  sich  die  Klassen  oder  Typen,  aus  diesen  die  Systeme  und  Kom- 
plexe der  geographischen  Erscheinungen.  Jene  zeigen  uns  eine  sta- 
tische Anordnung,  diese,  eine  dynamische,  ja  man  kann  sagen  organische 
Gliederung. 

Es  erheben  sich  nun  zwei  Fragen:  l)  In  welchem  ursächlichen  Zu- 
sammenhang stehen  die  beiden  Reihen  von  Beziehungen  zu  einander?  2)  In 
welcher  Weise  verbinden  sie  sieh  mit  einander  zu  einer  die  Gesamtheit  der 
Erscheinungen  zunächst  innerhalb  jeder  einzelnen  Kategorie  von  Erscheinungen 
umfassenden  Gruppierung  der  Erdräume  oder,  anders  gewendet,  Einteilung 
der  Erdoberfläche?  Es  ist  klar,  daß  die  Antwort  auf  diese  Fragen  unsere 
gesamten  Kenntnisse  in  jedem  Zweige  der  Geographie  zusammenfassen  muß. 
Wir  können   sie   deshalb   nur   auf  Grund   einer  Untersuchung    der    einzelnen 


198  Alfred  Hettner: 

Erscheinungskreise  zu  geben  versuchen,  müssen  aber  vorher  noch  die  formalen 
Anforderungen  an  geographische  Einteilungen  bestimmen. 

Eine  Einteilung  ist  ihrem  Begriff  nach  eine  fortschreitende  Zerlegung 
des  Ganzen,  eine  geographische  Einteilung  also  eine  fortschreitende  Zerlegung 
der  Erdoberfläche  in  ihre  Teile.  Die  Teile  müssen  notwendigerweise  räum- 
lichen Zusammenhang  haben  und  unterscheiden  sich  dadurch  von  den  Klassen 
oder  Typen,  die  des  räumlichen  Zusammenhangs  entbehren  können.  Der 
Einteilungsgrund  ist  willkürlich;  ebenso  wie  zwischen  quantitativer  und  quali- 
tativer, künstlicher  und  natürlicher  Klassifikation  können  wir  auch  zwischen 
Einteilungen  auf  Orund  quantitativer  Abstufung  oder  qualitativer  Verschieden- 
heit, auf  Orund  einer  Eigenschaft  oder  der  Gesamtheit  der  Eigenschaften 
unterscheiden;  und  ebenso  gut  wie  auf  Gleichheit  oder  Verschiedenheit  der 
Eigenschaften  kann  die  Einteilung  auch  auf  Lagenbeziehungen  begründet 
werden,  so  daß  wir  etwa  die  verschiedenen  Bewegungssysteme  als  Abteilungen 
auffassen.  Man  kann  weiter  sagen:  eine  Einteilung,  die  entweder  nur  auf 
Gleichheit  der  Eigenschafben  oder  nur  auf  Lagenbeziehungen  begründet  ist, 
ist  einseitig  und  künstlich,  eine  natürliche  Einteilung  wird  beides  berück- 
sichtigen müssen. 

Leider  fehlt  es  noch  an  einer  allgemein  angenommenen  Bezeichnung  für 
die  räumlichen  Verhältnisse  der  Klassifikation,  Gliederung  und  Einteilung; 
besonders  in  den  verschiedenen  Disziplinen  der  Geog^raphie  ist  der  Sprach- 
gebrauch ganz  verschieden.  Der  Mißbrauch  des  Wortes  Zone  ist  heute  wohl 
seltener  geworden,  und  man  beschränkt  es  richtig  auf  Erscheinungen,  die 
sich  wirklich  gürtelförmig  um  den  Erdball  schlingen.  In  der  einschränkenden 
Form:  Höhenzone  oder  Höhengürtel  ist  es  für  die  Bezeichnung  der  senk- 
rechten Anordnung  geeignet,  da  ja  die  senkrechten  Verbreitungen  meistens 
Gürtel  bilden,  welche  um  den  Berg  oder  das  Gebirge  herumlaufen.  Der 
bei  den  Pflanzengeographen  beliebte  Gebrauch  des  Wortes  Region  speziell 
für  die  Höhenanordnung  ist,  wie  Wagner  richtig  bemerkt,  weder  sprachlich 
gerechtfertigt  noch  sachlich  zweckmäßig;  das  Wort  wird  vielmehr  am  besten 
fdr  die  Bezeichnung  einer  bestimmten  Größe  geographischer  Gebiete  gebraucht 
werden.  Hierfür  stehen  außerdem  die  Worte  Reich,  Gebiet,  Bezirk,  Provinz 
und  andere  zur  Verfügung;  es  wäre  gut,  wenn  im  Laufe  der  Zeit  eine  Über- 
einstimmung über  den  Gebrauch  dieser  Worte  erzielt  würde. 

Die  feste  Erdrinde. 

Bei  der  Betrachtung  der  festen  Erdrinde  müssen  wir  wieder  zwischen 
dem  inneren  Bau,  den  oberflächlich  umbildenden  Kräften  und  der  aus  dem 
Zusammenwirken  beider  hervorgehenden  äußeren  Form  und  oberflächlichen 
Beschaffenheit  des  Bodens  unterscheiden. 

A.  Der  innere  Bau  der  festen  Erdrinde  ist  eine  Tatsache  von 
komplizierter  Entstehung;  aber  wir  haben  uns  überzeugt,  daß  wir  vom  geo- 
graphischen Standpunkt  aus  die  Gesteinszusammensetzung  als  eine  gegebene 
Tatsache  hinnehmen  und  den  inneren  Bau  als  die  Wii'kung  der  inneren 
Bewegungsvorgänge  auffassen  müssen.  Darum  werden  wir  auch  die  tektonische 
Klassifikation,  Gliederung,  Einteilung  der  Erdoberfläche,  wo  es  sich  um   die 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     199 

großen  Gegensätze  handelt,  auf  die  inneren  Bewegungsvorgänge  und  die 
daraus  sich  ergebenden  Lagerongsverhältnisse  begründen  müssen,  während  bei 
den  kleineren  Gegensätzen  mehr  und  mehr  die  Gesteinszusammensetzung  zu 
ihrem  Rechte  kommt.  Die  tektonischen  Einteilungen  müssen  aber  bisher  danmter 
leiden,  daß  wir  die  Bewegungsvorgänge  und  damit  die  letzten  Ursachen  der 
Tektonik  zu  wenig  kennen.  Auch  wenn  wir  uns  auf  den  Boden  der  Hypothese 
stellen,  daß  alle  endogenen  Vorgänge  Wirkungen  der  Kontraktion  des  Erdinnem 
seien,  so  können  wir  doch  durchaus  noch  nicht  sagen,  auf  welchen  Ursachen 
die  ursprünglichen  Verschiedenheiten  in  der  Erstarrung  der  Erdrinde  beruhen, 
und  auch  nicht,  nach  welchen  Gesetzen  an  der  einen  Stelle  ein  Bruch,  an 
der  anderen  ein  Zusammenschub  erfolgt.  Wir  müssen  den  innem  Bau  vor- 
läufig noch  rein  empirisch  aufzufassen  versuchen.  Wir  können  nur  ganz 
allgemein  aussagen,  daß  zunächst  irgend  welche  Verschiedenheiten  vorhanden 
gewesen  sein  müssen,  und  daß  sie  dann  Bewegungen  in  der  festen  Erdrinde 
eingeleitet  haben,  durch  welche  ganze  Stücke  der  Erdrinde  in  andere  Lage 
gebracht  und  wobei  auch  Stücke  von  verschiedener  Beschaffenheit  zusanmien 
geschweißt  und  in  einander  gearbeitet,  andere  bisher  gleichartige  Stücke 
dagegen  differenziert  oder  räimilich  von  einander  getrennt  worden  sind.  Wir 
können  dabei  etwa  folgende  Vorgänge  von  einander  unterscheiden: 

1)  Die  Entstehung  tektonischer  Einheiten,  d.  h.  gleichartiger 
und  zusanmienhängender,  aber  von  der  Umgebung  verschiedener  Gebilde  durch 
einheitliche  Bildungsvorgänge.  Der  Begriff  der  Einheitlichkeit  und  Gleich- 
artigkeit ist  natürlich  relativ;  schon  verhältnismäßig  einfache  Gebirge  zeigen 
in  ihren  verschiedenen  Teilen  verschiedene  Gesteinszusanunensetzung  und  ver- 
schiedene Lagerungsformen,  also  Verschiedenheiten  im  einzelnen  innerhalb 
der  Gleichheit  im  allgemeinen.  Ein  Faltengebirge,  wie  der  Schweizer  Jura, 
zerfällt  nicht  erst  in  Folge  der  Erosion,  sondern  schon  in  Folge  der  Faltimg 
selbst  in  eine  Anzahl  von  Ketten,  die  räumlich  nur  locker  zusanmienhängen. 
West-  und  Ostalpen  zeigen  große  Gegensätze,  wahrscheinlich  wegen  ihrer 
verschiedenen  Vorgeschichte;  und  entweder  gleichfalls  auf  Verschiedenheit  der 
Vorgeschichte  oder  auf  Asymmetrie  der  Faltung  sind  die  bei  den  meisten  Falten- 
gebirgen vorhandenen  Unterschiede  einer  Vorder-  und  einer  Rückseite  ziu^ck- 
zufOhren.  Sind  in  diesen  Fällen  die  Gleichheit  und  Einheitlichkeit  noch 
deutlich  ausgesprochen,  so  daß  man  solche  Gebirge  als  Individuen  auffaßt, 
so  wird  der  Zusanmienhang  in  anderen  Fällen  so  locker  oder  die  Verschieden- 
heit der  verschiedenen  Stücke  so  auffallend,  daß  man  das  Ganze  nicht  mehr 
als  ein  individuelles  Gebirge,  sondern  nur  als  ein  Gebirgssystem  oder  einen 
Gebirgskomplex  bezeichnet. 

2)  Die  Zerlegung  oder  Zerstückelung  tektonisch  einheitlicher 
Gebilde  durch  Einbrüche  oder  auch  Einbiegungen  des  dazvdschen  liegenden 
Stückes  oder  auch  umgekehrt  durch  eigene  Hebung,  so  daß  die  ursprünglich 
zusammenhängenden  gleichartigen  Stücke  nun  von  einander  getrennt  sind. 
Die  Trennung  ist  in  vielen  Fällen  nur  unvollständig,  so  daß  der  Zusammen- 
hang an  einer  oder  auch  an  mehreren  Stellen  gewahrt  bleibt;  in  anderen 
Fällen  ist  die  Zerreißung  vollständig,  so  daß  wir  etwa  ein  Gewölbe  mit  ein- 
gebrochenem Mittelstück  oder  ein  zerbrochenes  Tafelland  oder  ein  zerbrochenes 


200  Alfred  Hettner: 

Faltengebirge  vor  uns  sehen.  Besonders  auffallend  und  auch  besonders 
bedeutsam  wird  die  Zerreißung,  wenn  die  eingebrochenen  Stücke  unter  dem 
Meeresspiegel  liegen,  die  erhalten  gebliebenen,  tektonisch  zusammengehörigen 
Gebilde  also  durch  das  Meer  von  einander  getrennt  werden.  Aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  sind  ganze  frühere  Kontinente  auf  diese  Weise  zerstückelt 
worden;  beispielsweise  haben  wir  ja  die  vorderindische  Halbinsel  imd  Süd- 
afrika als  die  Bruchstücke  eines  alten  Kontinents  anzusehen. 

3)  Gleichartige  tektonische  Bildung  in  getrennten  Bäumen, 
also  tektonische  Gleichartigkeit  ohne  tektonischen  Zusammenhang.  Es  ist  oft 
schwer  zu  unterscheiden,  ob  eine  nachträgliche  Unterbrechung  des  Zusammen- 
hangs oder  eben  nur  eine  Analogie  der  Bildung  vorliegt,  aber  die  Beantwortung 
der  Frage  ist  nicht  nur  von  großem  historisch -geologischem,  sondern  auch 
von  biogeographischem  Interesse.  Vulkanische  Ausbrüche  und  auch  Ver- 
werfungen erfolgen  in  getrennten  Räumen  in  ganz  gleicher  Weise,  dagegen 
scheinen  alle  jüngeren  Faltengebirge  der  Erde  einem  großen  zusanunenhän- 
genden  Gürtel  anzugehören. 

4)  Nachträgliches  Anwachsen  neuer  Stücke  und  Verbindung 
ursprünglich  getrennter  tektonischer  Gebilde  zu  tektonischen  Kom- 
plexen. Eine  solche  Verbindung  kann  durch  Sedimentbildung  geschehen, 
besonders  wenn  darauf  eine  Hebung  des  Landes  erfolgt;  am  häufigsten  aber 
und  in  den  großartigsten  Fällen  wird  sie  durch  Faltungsvorgänge  bewirkt. 
Ein  interessantes  Beispiel  dafür  ist  der  Mont  Ventoux,  der  ein  erhaltenes 
Bruchstück  des  alten  ursprünglich  wohl  mit  den  Pyrenäen  zusammenhängenden 
proven9alischen  Gebirges  ist,  an  den  aber  die  Faltenzüge  der  Alpen  so  dicht 
angeschoben  sind,  daß  ihn  die  morphologische  Betrachtung  kaum  von  diesen 
trennen  kann.  Wohl  alle  Faltengebirge  sind  an  die  Kontinente,  zu  denen 
sie  gehören,  angewachsen,  und  in  manchen  Fällen  sind  dadurch  andere  Land- 
massen angeschlossen  worden,  z.  B.  die  vorderindische  Halbinsel  an  den 
asiatischen  Kontinent.  Alle  angegliederten  Halbinseln  im  Gegensatz  zu  den 
abgegliederten  gehören  hierher.  In  der  großen  Faltungszone  sind  vielfach 
Angliederungen  imd  Abgliedenmgen  auf  einander  gefolgt. 

Das  Ergebnis  dieser  Betrachtungen  ist,  daß  tektonische  Gleichartigkeit 
und  tektonischer  Zusammenhang  nicht  mit  einander  Hand  in  Hand  gehen, 
sondern  daß  gleichartige  tektonische  Gebilde,  teils  in  Folge  nachträglicher 
Zerreißung,  teils  in  Folge  ursprünglich  analoger  Bildung  in  getrennten  Erd- 
räumen wiederkehren,  und  daß  die  zusammenhängenden  tektonischen  Gebilde 
mitunter  aus  sehr  verschiedenartigen  Stücken  zusammengesetzt  sind.  Eine 
geotektonische  Klassifikation,  welche  ihre  Klassen  oder  Tjpen  auf  die  Gleich- 
artigkeit des  inneren  Baus  begründet,  ist  also  nicht  zugleich  auch  eine 
tektonische  Einteilung  der  Erde,  die  ja  vom  räumlichen  Zusammenhang  der 
Erscheinungen  ausgehen  muß.  So  zufällig  viele  tektonische  Komplexe, 
namentlich  die  größten,  die  Kontinente,  im  Lichte  der  Erdgeschichte  erscheinen, 
so  heterogenen  Ursprungs  sie  sind,  so  wenig  wir  die  Bildungsgesetze  kennen, 
die  sie  zusammengefügt,  so  muß  sich  eine  geotektonische  Einteilung  doch  in 
erster  Linie  an  sie  halten  und  kann  erst  in  zweiter  Linie  die  tektonischen 
Individuen,    d.  h.   die   Stücke   gleicher   Geschichte   und  gleichen  Baues,    aus 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     201 

denen  sie  zosammengesetzt  sind,  zur  Darstellung  bringen.  Bei  der  weiteren 
Einteilung  der  tektonischen  Individuen,  z.  S.  der  Gebirge,  wird  man  sich, 
je  nachdem,  mehr  von  der  Rücksicht  auf  den  Bewegungsvorgang  imd  die 
Lagerungsformen  oder  auf  die  Gesteinszusammensetzung  leiten  lassen  können. 

B.  Die  Umbildung  der  festen  Erdrinde  durch  äußere  Kräfte 
läßt  verschiedene  Einteilungsgründe  zu.  Zunächst  ist  zu  beachten,  daß  diese 
Kräfte  und  demzufolge  auch  ihre  Wirkungen  in  verschiedenen  Erdräumen 
verschieden  sind.  Die  Verwitterung,  d.  h.  die  Umbildung  an  Ort  und  Stelle, 
ist  bald  mehr  ein  durch  Insolation  oder  Prost  bewirkter  mechanischer  Zerfall, 
bald  mehr  eine  chemische  Zersetzung;  an  der  Abtragung  und  Ablagerung 
nehmen  neben  dem  fließenden  und  spülenden  Wasser,  deren  Verhältnis  auch 
sehr  verschieden  ist,  vielfach  Gletscher  oder  der  Wind  Teil  oder  haben 
wenigstens  in  vergangenen  Perioden  Teil  genonmien.  Man  hat  deshalb  die 
Erdräume  nach  der  Art  der  umbildenden  Vorgänge  klassifizieren  können. 
Da  die  Art  der  Umbildung  in  erster  Linie  von  den  Klimaten  der  Gegenwart 
und  Vergangenheit,  in  zweiter  Linie  von  der  Gesteinsbeschaffenheit  abhängt, 
stuumen  die  darauf  begründeten  Typen  und  Klassen  in  ihrer  Verteilung  in 
erster  Linie  mit  der  Verteilung  der  Klimate  teils  der  Gegenwart,  teils  der 
Vergangenheit,  in  zweiter  Linie  mit  der  Velrteilung  der  Gesteinsarten  überein. 
Sie  werden  also  keine  räumlich  zusammenhängenden  Verbreitungsgebiete 
haben,  sondern  in  getrennten  Gebieten  analog  wiederkehren  müssen;  ihre  An- 
ordnung stellt  also  auch  keine  Einteilung  im  strengen  Sinne  des  Wortes  dar. 

Durch  die  transportierenden  Kräfte,  welche  an  der  einen  Stelle  Material 
wegnehmen  und  es  an  einer  anderen,  oft  weit  entfernten  Stelle  wieder  ab- 
lagern, wird  eine  Unterscheidung  zwischen  Gebieten  der  Abtragung  und  der 
Ablagenmg  hervorgerufen,  die  mit  einander  in  Korrelation  stehen  und  dem- 
zufolge physiologische  Komplexe  bilden.  Die  geographische  Verteilung  dieser 
Gebiete  ist  bei  den  verschiedenen  Bewegungsvorgängen  von  verschiedenen  Ur- 
sachen abhängig;  neben  dem  inneren  Bau  konunen  auch  die  klimatischen  Ver- 
hältnisse in  Betracht. 

Wir  können  den  Gegensatz  und  die  Beziehungen  der  Teilstücke  bei 
jedem  Bache  verfolgen,  und  in  größerem  Maßslabe  sind  die  Ausgestaltung 
der  Gebirge  und  die  Auffüllung  der  an  ihrem  Fuße  gelegenen  Einsenkungen 
darauf  zurückzuführen.  Die  skandinavische  Halbinsel  oder  die  Alpen  sind 
Gebiete  vorherrschend  glacialer  Abtragung,  die  oberdeutsche  Hochebene  und 
die  norddeutsche  Tiefebene  Gebiete  der  glacialen  Ablagerung,  so  daß  Penck 
die  oberdeutsche  Hochebene  daraufhin  geradezu  als  Alpenvorland  bezeichnet 
hat.  Die  Fels  wüsten  sind  Gebiete  der  Wegnahme  alles  lockeren  Materials, 
in  den  Sandwüsten  wird  der  Sand,  in  den  Steppen  der  Staub  wieder  abge- 
lagert; die  drei  Gebiete  müssen  darum  räumlich  immer  mit  einander  verbunden 
auftreten.  Die  Wirkung  des  Küstenstromes  bewirkt  den  Gegensatz  und  das 
Nebeneinanderliegen  von  Abräumungs-  und  Anschwemmungsküsten.  An  die 
primäre  Verschiedenheit  der  umbildenden  und  besonders  der  transportierenden 
Kräfte,  auf  die  wir  eine  Klassifikation  der  oberflächlichen  Umbildung  der 
festen  Erdrinde  begründen  können,  schließt  sich  also  eine  Gliederung  an, 
welche  jedes  Gebiet   gleichartiger  und    einheitlicher  Bewegung   in   zwei   oder 

Geographische  Zeitschrift.  9.  Jahrgang.  1903.  4.  Heft.  14 


202  Alfred  Hettner: 

auch  mehrere  nach  der  Stelle  im  Bewegongssjstem  verschiedene  Abteilungen 
oder  Glieder  zerlegt;  eine  Einteilung  nach  der  äußeren  Umbildung  der  festen 
Erdrinde  wird  auf  beides  zugleich  Bücksicht  nehmen  müssen. 

Die  Kräfte  der  Abtragung  haben  in  ihren  verschiedenen  zeitlichen 
Stadien  verschiedene  Wirkungen.  Ihr  schließliches  Ergebnis  ist  eine  allge- 
meine Einebnung,  aber  zunächst  bewirken  sie,  da  sie  meist  nicht  gleichmäßig 
über  die  Fläche  verteilt  sind,  sondern  großenteils  —  besonders  gilt  das  von 
dem  fließenden  Wasser,  das  ja  die  anderen  Eräffce  des  Festlandes  an  Wirk- 
samkeit weit  übertrifft  —  in  mehr  oder  weniger  schmalen  Bändern  arbeiten, 
eine  Modellierung  und  Zerteilung  des  Bodens.  Da  die  Verteilung  der  Wasser- 
läufe der  Hauptsache  nach  von  der  tektonischen  Entstehung  abhängig  ist,  so 
kann  auch  die  Anordnung  der  Erosionsfurchen  der  Hauptsache  nach  als  eine 
Funktion  der  Tektonik  aufgefaßt  werden,  so  daß  jedem  tektonischen  Typus 
eine  bestimmte  normale  Anordnung  der  Erosionsfurchen  und  damit  eine  be- 
stimmte erosive  oder,  mit  einer  allgemeineren  Bezeichnung,  exogene  oder 
oberflächliche  Gliederung  zukonmit,  die  man  eben  wegen  dieser  Abhängigkeit 
auch  als  sekundäre  oder  unselbständige  Gliedenmg  bezeichnen  kann.  Die 
morphologische  Bedeutung  der  Erosionsfurchen,  das  Wort  im  weitesten  Sinne 
gebraucht,  ist  ähnlich  wie  die  der  langgestreckten  Grabeneinbrüche,  mit 
denen  sie  ja  auch  oft  verwechselt  worden  sind;  nur  handelt  es  sich  im  all- 
gemeinen um  viel  kleinere  Gebilde.  Sie  bewirken  einerseits  eine  Unter- 
scheidung zwischen  Tälern  und  Bücken,  andererseits  eine  allerdings  nur 
unvollständige  Trennung  vorher  zusammenhängender  Stücke,  d.  h.  der  Bücken 
durch  die  Täler  und  der  Täler  durch  die  Bücken. 

Auch  in  den  Gebieten  der  Ablagerung  kann  eine  gewisse  Gliederung 
durch  die  Ablagerung  selbst,  z.  B.  durch  Dünen-  oder  Moränenbildung,  statt- 
finden; im  allgemeinen  wird  jedoch  dadurch  eher  die  vorhandene  Gliederung 
verwischt 

Die  oberflächliche  Gliederung  kann  innerhalb  einer  tektonischen  Einheit 
die  inneren  tektonischen  Unterschiede  und  auch  die  Unterschiede  in  der  Art 
der  oberflächlichen  Umbildung  an  Wichtigkeit  weit  übertreffen  und  ist  darum 
für  die  natürliche  Einteilung  solcher  Gebiete  von  großer  Bedeutung.  Aber 
ihre  Bedeutung  erstreckt  sich  doch  nicht  über  das  einzelne  tektonische 
Gebiet  hinaus,  und  man  kann  nicht  etwa  von  einer  allgemeinen  äußeren 
(exogenen)  Gliederung  der  festen  Erdrinde  sprechen. 

C.  Die  Formen  der  Erdoberfläche  sind  früher  i'ein  künstlich,  nach 
Meereshöhe,  Umriß  und  dergl.,  klassifiziert  worden.  Manche  Geographen 
halten  auch  heute  noch  grundsätzlieh  an  solchen  künstlichen  Klassifikationen 
fest.  Aber  die  wissenschaftliche  Auffassung  muß  auch  hier  von  der  Ent- 
stehung ausgehen.  Sie  muß  sich  bewußt  bleiben,  daß  die  Formen  der  Erd- 
oberfläche aus  dem  Zusammenwirken  der  inneren  und  äußeren  Kräfte  entstehen; 
jene  schaffen  die  großen  Formen,  diese  gestalten  sie  aus  und  erzeugen  die 
kleineren  Formen;  jene  bewirken  die  primäre  oder  selbständige,  diese  die 
sekundäre  oder  unselbständige  Gliederung  der  festen  Erdoberfläche. 

Sowohl  die  Gliederung  wie  die  Klassifikation  der  Formen  müssen  diesen 
doppelten  Ursprung  erkennen  lassen.     Die  große  oder  selbständige  horizontale 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  phjBischen  Geographie.     203 

und  vertikale  Gliederung  der  festen  Erdoberfläche  ist  tektonischen  Ursprungs. 
Die  Form  und  Anordnung  der  Kontinente,  der  Verlauf  der  Küsten  im  großen 
und  ganzen,  die  Anordnung  und  Bichtung  der  Gebirge  und  der  ihnen  an 
Größe  entsprechenden  Formgebilde  sind  der  Hauptsache  nach  tektonisch  be- 
wirkt, und  es  gilt  daher  für  sie  alles,  was  von  der  tektonischen  Gliederung 
gesagt  worden  ist.  Der  tektonische  Einfluß  erstreckt  sich  auch  noch  weiter 
in  die  Einzelheiten,  und  besonders  in  vulkanischen  Gebieten  sind  auch  ganz 
untergeordnet«  Formen  endogenen  oder  tektonischen  Ursprungs;  aber  im 
ganzen  ist  die  sekundäre  oder  Einzelgliedenmg  nicht  mehr  ein  Werk  der 
inneren  (endogenen),  sondern  der  äußeren  (exogenen)  Kräfte,  und  die  innere 
Gliederung  ist  für  sie  nur  insofern  bedeutsam,  als  sie  die  Eichtung  der  aus- 
gestaltenden Kräfte  bestimmt.  Je  mehr  wir  daher  auf  die  einzelnen  Züge 
der  Gliederung  eingehen,  um  so  mehr  kommt  die  oberflächliche  Gliederung 
zur  Geltung.  In  vielen  Fällen  werden  tektonische  und  oberflächliche  Gliederung 
einander  durchkreuzen,  und  die  morphologische  Einteilung  kann  daher  sowohl 
der  einen  wie  der  anderen  folgen.  Bei  dem  Streit,  der  zwischen  Diener 
und  Böhm  über  die  Einteilung  der  Alpen  geführt  worden  ist,  hat  es  sich 
daher  eigentlich  auch  nicht  um  die  Richtigkeit,  sondern  nur  um  die  Zweck- 
mäßigkeit gehandelt;  es  liegt  kein  Grund  vor,  die  Berücksichtigung  der 
tektonischen  Anlage  für  wissenschaftlicher  zu  halten  als  die  der  äußeren 
Umbildung. 

Die  auf  die  Auffassung  von  Gleichheit  oder  Ungleichheit  gerichtete 
Klassifikation  im  engeren  Sinne  kann  sich  natürlich  inmier  nur  auf  bestimjnte 
Gliederungsformen,  z.  B.  Inseln,  Gebirge,  Täler,  Höhlen,  oder  wenn  je 
mehrere  Gattungen  von  Gliederungsformen  von  denselben  Ursachen  abhängig 
sind,  auf  Gruppen  von  Gliederungsformen  beziehen.  Frühere  künstliche 
Klassifikationen  haben  sich  an  einzelne  Formmerkmale  gehalten;  eine  natürliche 
Klassifikation  muß  sich  aber  auf  die  Gesamtheit  der  Merkmaie  gründen  und 
dadurch  zugleich  die  Enstehung  auffassen.  Da  die  großen  selbständigen 
Formen  der  festen  Erdoberfläche  hauptsächlich  tektonischer  Entstehung,  die 
kleinen  unselbständigen  Formen  hauptsächlich  oberflächlicher  Entstehung  sind, 
hat  sich  im  wesentlichen  die  E^assifikation  jener  an  die  tektonische  Klassi- 
fikation, die  Klassifikation  dieser  an  die  Klassifikation  der  Umbildungsvorgänge 
anzuschließen.  Beispielsweise  sind  die  Gebirge  als  Ganzes  nach  ihrer  Tektonik 
anfzufassen,  bei  den  großen  Tälern  kommen  ihre  Anordnung  in  Bezug  auf 
das  Gebirgsganze  und  ihre  durch  die  oberflächlichen  Kräfte  bedingte  Form 
neben  einander  in  Betracht,  die  Form  der  Talhänge  und  die  damit  zu- 
sanmienhängenden  Einzelformen  spiegeln  in  erster  Linie  die  Art  der  sie  er- 
zeugenden oberflächlichen  Kräfte  und  erst  in  zweiter  Linie  die  vom  inneren 
Bau  abhängige  Zusammensetzung  und  Lagerungsweise  des  Gesteins  wider. 
Die  Ausgestaltung  eines  Gebirges  ist  von  ganz  andersartigen  Ejräften  als 
seine  Entstehung  abhängig,  und  wenn  wir  seine  ganze  Erscheinung  zum  Aus- 
druck bringen  wollen,  so  werden  wir  es  durch  eine  doppelte  Bezeichnung  tun 
müssen,  die  sich  einerseits  auf  den  inneren  Bau,  andererseits  auf  die  Art  der 
äußeren  Umbildung  bezieht.  Als  drittes  Chai'akteristikum  könnte  man  das 
tektonische  Alter  und  die  dadurch  bewirkte  Dauer  der  äußeren  Einwirkungen 


204  Alfred  Hettner: 

IdnzafÜgen,  aber  soweit  es  sich  um  die  eigentlich  geographische  Betrachtung 
handelt,  glaube  ich,  daß  dieser  umstand  gegenüber  den  beiden  anderen 
zurücktritt. 

D.  In  Bezug  auf  die  stoffliche  Zusammensetzung  des  Bodens 
durchkreuzen  sich  dieselben  beiden  Ursachenreihen,  aber  die  Art  der  äußeren 
Umbildung  ist  hier,  wie  wir  gesehen  haben,  von  verhältnismäßig  viel  größerer 
Bedeutung  als  die  Gesteinszusammensetzung  des  Untergrundes.  Darum  trägt 
auch  eine  natürliche  d.  h.  genetische  Klassifikation  der  Bodenarten,  wie  sie 
in  geographisch  befriedigender  Weise  zuerst  v.  Richthof en  aufgestellt  hat, 
in  erster  Linie  den  exogenen  Ursachen:  der  Verwitterung,  Ablagerung  und 
Abtragung,  und  erst  in  zweiter  Linie  der  Gesteinsbeschaffenheit  Rechnung. 
Auch  die  geographische  Verteilung  der  Böden  nach  ihrer  Beschaffenheit  zeigt 
die  großen  Regionen  entsprechend  der  Verteilung  der  äußerlich  umbildenden 
Kräfte,  während  das  Gestein  nur  mehr  lokale  Modifikationen  oder  Facies, 
nach  dem  geologischen  Sprachgebrauch,  hervonuft. 

Die  Gewässer. 

Das  Wasser  ist  von  der  festen  Erdrinde  vornehmlich  durch  seine  Be- 
weglichkeit unterschieden;  während  wir  es  bei  dieser  hauptsächlich  mit  Dauer- 
zuständen zu  tun  gehabt  haben,  die  wir  nur  indirekt  und  mangelhaft  auf 
Bewegungen  zurückfähren  konnten,  müssen  beim  Wasser  die  Bewegungen  selbst 
in  den  Vordergrund  der  Betrachtung  treten. 

Die  erste  Bewegung  ist  die  durch  die  Schwere  bewirkte  Bewegung  des 
fließenden  Wassers.  Überall  wo  es  auf  die  feste  Erdoberfläche  auftrifft, 
nimmt  es  seinen  Lauf  gemäß  der  Böschung  des  festen  Untergrundes,  und  die 
Scheidelinien  entgegengesetzter  Böschungen,  wie  sie  teils  im  inneren  Bau  be- 
gründet, teils  durch  äußere  Umbildung  geschaffen  worden  sind,  werden  daher 
zugleich  Wasserscheiden.  Das  von  der  Scheide  abrinnende  Wasser  vereinigt 
sich  dann  aber  mit  den  Wassertropfen,  die  es  auf  seinem  Laufe  antrifft,  und 
so  ensteht  durch  eine  erste  Verbindung  und  Sammlung  der  Bach-  oder 
Flußlauf.  Durch  die  Vereinigung  verschiedener  Bäche  und  Flüsse  ergeben 
sich  als  größere  hydrographische  Komplexe  die  Flußsysteme,  deren  topo- 
graphische Anordnung  und  Ausdehnung  wir  als  Flußnetze  und  Fluß- 
gebiete zu  bezeichnen  pflegen.  Die  Flüsse  und  Flußsysteme  sind  aus- 
gezeichnete physiologische  Individuen,  da  das  Wasser  in  ihnen  zirkuliert  wie 
das  Blut  im  tierischen  Körper,  imd  alle  Teile  des  Flußlaufes  in  Bezug  auf 
Menge,  Bewegung,  stoffliche  Zusammensetzung,  physikalische  Eigenschaften 
des  Wassers  in  Abhängigkeit  von  einander  stehen.  Nicht  selbständig,  sondern 
nur  als  Modifikation  der  von  oben  mitgebrachten  Eigenschaften  kommen  die 
an  Ort  und  Stelle  stattfindenden  Einflüsse  zur  Geltung,  aber  diese  Geltung 
erstreckt  sich  dann  auch  in  vieler  Beziehung  flußaufwärts,  so  daß  es  ebenso 
unmöglich  ist,  die  oberen  Stücke  eines  Flußlaufes  für  sich  ohne  Rücksicht 
auf  das  untere  Stück  zu  verstehen  wie  lungekehrt.  In  weiterem  Sinne  bilden 
auch  noch  die  verschiedenen  Systeme  der  in  ein  Meer  einmündenden  Flüsse 
mit  diesem  einen  hydrographischen  Komplex,  der  schon  allein  durch  die 
Tatsache    der    zusammenhängenden  Wassermasse    für    die   Wanderungen   der 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     205 

Organismen  und  den  Verkehr  der  Menschen  von  Bedeutung  ist,  aber  auch, 
namentlich  bei  kleineren  abgeschlossenen  Meeren,  wie  der  Ostsee  oder  dem 
Schwarzen  Meere,  in  Wasserführung  und  physikalischen  Eigenschaften  des 
Wassers  zur  Geltung  kommt 

Während  die  verschiedenen  Teile  eines  und  desselben  Flu£laufes  oder 
die  verschiedenen  Flüsse  eines  und  desselben  Flu£systemes  ungleiche  Aus- 
bildung zeigen  können,  die  sie  in  Bezug  auf  ihre  Eigenschaften  verschiedenen 
Klassen  zuweist,  können  verschiedene  Flüsse  und  Flußsysteme  und  bestimmte 
ätücke  verschiedener  Flußläufe  in  Bezug  auf  ihre  Form,  ihre  Wasserführung, 
ihre  Geschwindigkeit,  ihre  Beimengungen,  ihre  physikalischen  Verhältnisse 
mit  einander  übereinstimmen,  imd  auf  Grund  der  dabei  entdeckten  Analogien 
kann  eine  gattungsmäßige  Klassifikation  vorgenommen  werden.  Die  Klassen 
oder  Gattungen  werden,  wie  sich  aus  den  früheren  Erörterungen  leicht  ent- 
nehmen läßt,  in  ihrer  Verbreitung  teils  mehr  Abhängigkeit  von  tektonischen, 
teils  mehr  von  klimatischen  Ursachen  zeigen.  Eine  allgemeine  hydrogra- 
phische Einteilung  der  Erdoberfläche  wird  in  erster  Linie,  wie  es  ja  üblich  ist, 
auf  die  Flußsysteme  begründet  werden  müssen,  daneben  aber  auch  die  ver- 
schiedenartige Ausbildung  der  einzelnen  Flüsse  und  Flußstücke  nach  klima- 
tischen und  tektonischen  Begionen  zur  Darstellung  bringen  können. 

Die  Meere  und  bei  spezieller  Betrachtung  auch  die  Binnenseen  verlangen 
eine  besondere  Einteilung  nach  ihren  hydrogi*aphi8chen  Verhältnissen.  Hierbei 
sind  die  innerhalb  der  stehenden  Gewässer,  hauptsächlich  der  Meere,  vor- 
handenen Bewegungen  des  Wassers  viel  mehr  in  den  Vordergrund  zu  stellen, 
als  es  gewöhnlich  geschieht,  denn  ihre  physikalischen  und  chemischen  Eigen- 
schaften können  nur  auf  Grund  der  Bewegimgen  wirklich  verstanden  werden. 
Krümmel  hat  die  Meere  mit  Hecht  als  physiologische  Individuen  bezeichnet 
und  ihre  Einteilung  darauf  begründet.  Die  Analogien  verschiedener  Meere 
beziehen  sich  zunächst  auf  die  Art  der  Bewegungen,  man  könnte  sagen  auf 
ihre  Physiologie,  und  auch  eine  hydrographische  Klassifikation  der  Meere  und 
Meeresteile  wird  daher  zuerst  den  Bewegungen  Eechnung  tragen  müssen. 

Die  Klimate. 

Fast  noch  mehr  tritt  die  Bedeutung  der  Bewegungssysteme  in  der 
AtmospMre  in  den  Vordergrund,  aber  es  ist  lehrreich  zu  beachten,  wie  man 
erst  ganz  allmählich  zu  deren  Würdigung  gelangt  ist.  Die  griechische  Geo- 
graphie hat  einen  genialen  Versuch  zu  einer  natürlichen  klimatischen  Ein- 
teilung der  Erde  gemacht.  Dieser  Versuch  war  deduktiv,  er  ging  davon 
aus,  daß  das  Klima  eine  Funktion  der  Bestrahlung  der  Erde  durch  die 
Sonne  ist,  imd  leitete  demgemäß  die  Verschiedenheiten  des  Klimas  aus  den 
durch  die  Breitenlage  bedingten  Verschiedenheiten  der  Sonnenstrahlung  ab. 
Aber  dieser  Versuch  mußte  scheitern,  weil  er  die  große  Verschiedenheit  der 
Erwärmimg  je  nach  der  Beschaffenheit  des  Untergrundes  übersah  imd  der 
Bedeutung  der  Dynamik  der  Atmosphäre  keine  Rechnung  trug.  Die  mathe- 
matischen Klimazonen  haben  weder  für  die  Temperatur  noch  für  die  Ver- 
hältnisse der  Licht-  und  Wärmestrahlung  eine  reale  Bedeutung,  denn  auch 
diese  wird  in  hohem  Maße   von  der  Bewölkung   beeinflußt.     Die  wirklichen 


206  Alfred  Hettner: 

Elimate  der  Erdoberfläche  sind  von  so  vielen  umständen  abhängig,  da£  eine 
rein  deduktive  Auffassung  überhaupt  nicht  gelingen  konnte,  sondern  daß 
eine  natürliche  Einteilung  der  Klimate  erst  auf  Grund  eines  reichen  Be- 
obachtungsmaterials möglich  wurde.  Es  ist  leicht  erklärlich,  daß  man  zuerst 
die  einzelnen  klimatischen  Elemente  fOr  sich  behandelt  und  sich  auf  die 
Auffassung  der  quantitativen  unterschiede,  besonders  der  zeitlichen  Mittel- 
werte, beschränkt  hat,  aber  es  war  doch  eine  merkwürdige  Täuschung,  daß 
man  auf  solche  Mittelwerte,  wie  z.  B.  die  Jahres-  und  Monatstemperaturen, 
eine  natürliche  klimatische  Einteilung  der  Erde  begründen  zu  können  glaubte. 
Viel  bedeutsamer  in  dieser  Richtung  war  die  Unterscheidung  einzelner  be- 
sonders charakteristischer  Klimatjpen,  wie  des  See-  und  Landklimas,  des 
Höhen-  und  Tieflandklimas,  des  Monsunklimas  oder  des  tropischen  Klimas 
überhaupt  im  Gegensatz  zimi  Klima  der  gemäßigten  Zone.  Aber  es  waren 
doch  nur  einzelne  empirische  Ansätze.  Eine  schärfere  und  umfassendere  Be- 
handlung der  Aufgabe  wurde  erst  möglich,  als  die  Meteorologie  den  ursäch- 
lichen Zusammenhang  der  verschiedenen  Faktoren  der  Witterung  kennen  ge- 
lehrt hatte,  zuerst  durch  die  Windrosen,  die  die  Abhängigkeit  der  Temperatur, 
Niederschläge  u.  s.  w.  von  der  Windrichtung  zeigten,  dann  in  viel  vollkommener 
Weise  durch  die  aus  dem  Studium  der  Wirbelstürme  hervorgegangene  Lehre 
von  der  Dynamik  der  Atmosphäre,  welche  Luftdruck  und  Winde  jedes  Ortes  als 
Bestandteile  eines  großen  Systemes  der  atmosphärischen  Zirkulation  kennen 
lehrte  und  zugleich  die  Abhängigkeit  aller  Witterungserscheinungen  von  den 
Bewegungen  der  Luft,  noch  mehr  von  den  vertikalen  als  von  den  horizontalen 
Bewegungen,  zeigte.  Eine  Art  Vorstufe  zu  einer  natürlichen,  den  ganzen 
Charakter  des  Klimas  berücksichtigenden  klimatischen  Einteilung  der  Erde 
bilden  die  besonders  von  Wojeikof  und  Koppen  unternommenen  Versuche 
einer  üntei-scheidung  der  Begengebiete  nach  dem  jahreszeitlichen  Verlaufe  der 
Niederschläge;  denn  dieser  steht  im  engsten  Zusammenhang  mit  dem  ganzen 
Charakter  des  Klimas  und  läßt  auch  nicht,  wie  die  Temperatur,  eine  starre 
quantitative  Einteilung  zu.  Später  folgten  dann  Versuche  einer  gleichzeitigen 
Berücksichtigung  aller  klimatischen  Faktoren.  Sie  waren  zunächst  wesentlich 
empirisch  und  gingen  mehr  auf  das  Verständnis  der  Wirkungen  als  der 
Ursachen  des  Klimas  aus,  aber  sie  bahnten  doch  auch  das  genetische  Ver- 
ständnis an.  Wenn  auch  im  einzelnen  noch  viele  Zweifel  bestehen,  so 
können  wir  heute  doch  im  großen  und  ganzen  die  Verteilung  der  Klimate 
auf  der  Erdoberfläche  verstehen^),  ja  es  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
schon  möglich,  sie  aus  ihren  Ursachen  abzuleiten. 

Die  Hauptsache  ist  eine  Einsicht,  die  leider  noch  viel  zu  wenig  all- 
gemein durchgedrungen  ist  und  namentlich  in  den  Übersichtsdarstellungen 
der  Klimatologie  viel  zu  wenig  zur  Geltung  kommt,  die  Einsicht  nämlich, 
daß  die  senkrechten  und  wagrechten  Bewegungen  der  Luft  nicht, nur  unter- 
geordnete Störungen  verursachen,  sondern  alle  Verhältnisse  der  Atmosphäre 
beherrschen,   daß  also  die  Einteilung  der  Klimate  nur  als  eine  Funktion  der 

1)  Vergl.  W.  Koppen,  Versuch  einer  Klassifikation  der  Klimate.  G.  Z.  VI. 
t900.  S.  698  ff.  u.  667  ff. 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     207 

atmosphärischen  Zirkulation  verstanden  werden  kann.  Aus  dieser  Einsieht 
folgt  die  Überzeugung,  dafs  klimatische  Differenzierung  und  Bewegungs- 
erscheinungen mit  ihren  Wirkungen  in  komplizierter  Weise  in  einander  greifen, 
und  daß  daher  eine  natürliche  Einteilung  beiden  zugleich  gerecht  werden 
kann  und  muB.  Die  erste  Tatsache  ist  die  primäre  Ungleichheit  in  Folge 
der  Verschiedenheit  der  Wärmestrahlung  in  verschiedenen  geographischen 
Breiten,  also  die  Ausbildung  der  mathematischen  Klimazonen;  daran  schließt 
sich  aber  sofort  eine  primäre  Bewegung,  nämlich  die  Entstehung  großer 
Luftwirbel,  welche  die  Erdoberfläche,  wenn  sie  homogene  Beschaffenheit  hätte, 
umkreisen  würden  und  in  den  höheren  Schichten  der  Atmosphäre,  wie  es 
scheint,  tatsächlich  umkreisen.  Es  ist  hierdurch  eine  primäre  oder  all- 
gemeine (universale),  d.  h.  die  ganze  Erde  umfassende  Gliederung  nach  der 
geographischen  Breite  gegeben.  Die  Regelmäßigkeit  dieser  Verhältnisse  wird 
durch  die  verschiedene  Erwärmung  der  Ozeane  und  Kontinente,  die  ver- 
schiedene Hemmung  der  Luftbewegung  auf  ihnen  und  durch  die  dadurch  be- 
wirkten Ablenkungen  der  Luftströmungen  (Monsune  u.  s.  w.)  oft  gestört;  wäh- 
rend auf  den  Ozeanen  die  allgemeine  Zirkulation  mit  den  ihr  eigentümlichen 
Witterungsverhältnissen  bestehen  bleibt  und  demgemäß  die  primäre  Gliederung 
Gültigkeit  behält,  stellen  sich  auf  den  Kontinenten  Uhd  in  ihrer  Nachbar- 
schaft besondere  Systeme  der  Luftbewegung  und  damit  besondere  Verhält- 
nisse der  Temperatur  und  der  Niederschläge  ein,  die  wir  im  Gegensatz  zu 
jenen  als  die  kontinentalen  bezeichnen  können.  Die  Klimate  der  Kontinente 
sind  nicht  bloß  von  der  Breitenlage,  sondern  auch  von  der  Lage  zum 
Ozean  abhängig.  Die  Ausbildung  ist  auf  jedem  Kontinent  je  nach  seiner 
Form  und  Größe  verschieden;  aber  es  findet  doch  eine  ausgesprochene 
Analogie  der  Ausbildung  statt.  Die  ozeanische  Ausbildung  wird  nun  weiter 
durch  größere  Inseln,  die  kontinentale  durch  die  horizontale  und  vertikale 
Gliederung  in  mannigfacher  Weise  geändert,  und  zwar  findet  auch  diese 
Änderung  wieder  hauptsächlich  in  der  Weise  statt,  daß  die  Bewegungen 
durch  den  mechanischen  Widerstand  und  die  verschiedene  Erwärmung  des 
Untergrundes  gehemmt  und  abgelenkt  werden,  und  daß  sich  in  Folge  davon 
auch  Abänderungen  der  Temperatur  und  der  Niederschläge  einstellen.  Man 
kann  diese  Abänderungen  als  regional  bezeichnen.  Ihnen  schließen  sich 
die  lokalen  Verschiedenheiten  an,  die  durch  die  Küstengliederung  im  engeren 
Sinn,  die  Gliederung  der  einzelnen  Gebirge  u.  s.  w.  hervorgerufen  werden. 
Es  ist  klar,  daß  auch  bei  diesen  regionalen  und  lokalen  Abänderungen  in 
den  verschiedenen  Erdräumen  zahlreiche  analoge  Wiederholiuigen  stattfinden, 
die  als  solche  aufgefaßt  und  berücksichtigt  werden  müssen. 

Auch  in  Bezug  auf  das  Klima  können  wir  denmach  zunächst  die  Tatsachen 
der  Gleichartigkeit  (Analogie)  für  sich  auffassen.  Auf  den  beiden  Halbkugeln, 
auf  den  einander  entsprechenden  Seiten  der  verschiedenen  Kontinente,  Halb- 
inseln, Inseln,  Gebirge  u.  s.  w.  finden  wir  gleichartige  oder  ähnliche  Klimate, 
wenn  auch  in  verschiedener  räumlicher  Ausdehnung  und  von  verschiedener 
Intensität  der  Ausbildung  (klimatische  Analogien).  Wir  müssen  sie  in  ihrer 
Gleichartigkeit  auffassen  und  nach  den  logischen  Regeln  der  Klassifikation 
behandeln;  es  ist  ein  großer  Mangel  einer  natürlichen  Einteilung  der  Klimate, 


208  Alfred  Hettner: 

wenn  sie  diese  Analogien  nicht  zur  Geltung  bringt.  Aber  die  Auffassung 
der  Klimate  unter  dem  Gesichtspunkt  der  Gleichartigkeit  ist  ungenügend, 
denn  andererseits  stehen  die  verschiedenen  Klimatjpen  innerhalb  jeder  Halb- 
kugel oder  jeden  Kontinents  oder  jeder  Insel  oder  jedes  Gebirges  in  räum- 
lichem Zusammenhang,  sie  bilden  Teile  oder  Glieder  von  Bewegungssjstemen 
und  stehen  damit  in  Beziehungen  der  Korrelation:  die  Ausbildung  des  einen 
hängt  von  der  Ausbildung  des  anderen  ab.  Eine  natürliche  Einteilung  muß 
die  Anordnung  der  klimatischen  Analogien  als  eine  Folge  der  Gliederung 
auffassen.  Über  der  Klassifikation  der  Klimate  darf  die  Auffassung  der 
klimatischen  Gliederung  nicht  vergessen  werden. 

Die  Pflanzen-  und  Tierwelt. 

Wir  haben  gesehen,  daß  die  Pflanzen-  und  Tierwelt  unter  zwei  ver- 
schiedenen Gesichtspunkten,  nämlich  unter  dem  der  Abstanunung  und  unter 
dem  der  Lebensweise  und  damit  der  Anpassung  an  die  Lebensbedingungen 
des  Ortes,  aufzufassen  ist  (s.  S.  129).  Daraus  ergeben  sich  zwei  verschiedene 
Arten  der  geographischen  Verteilung,  die  wir  als  die  biogenetische  und  die 
biophysiologische  bezeichnen  können. 

Unter  den  Lebensbedingimgen  der  Pflanzen  steht  das  Klima  oben  an, 
darauf  folgt  die  Bodenbeschaffenheit.  Darum  schließen  sich  die  Gebiete 
gleicher  Lebensverhältnisse  und  demzufolge  auch  entsprechender  Ausbildung 
der  vegetativen  Organe,  also  die  Vegetationsgebiete,  im  großen  an  die 
Klimagebiete,  im  kleinen  an  die  Gebiete  gleicher  Bodenbeschaffenheit  an. 
Diese  Übereinstimmung  geht  so  weit,  daß  Koppen  die  Benennung  und  teil- 
weise auch  die  Abgrenzung  seiner  Klimagebiete  nach  pflanzengeographischen 
Merkmalen  vornehmen  konnte,  und  daß  seine  Karte  in  den  wesentlichsten 
Zügen  mit  einer  von  mir  entworfenen  Karte  der  Vegetationsgebiete  über- 
einstimmte. Auch  die  Vegetationsgebiete  zeigen  demnach  eine  ausgesprochene 
Analogie  in  den  entsprechenden  Teilen  der  verschiedenen  Kontinente;  auf 
jedem  einzelnen  Kontinente  aber  treten  verschiedene  Vegetationsgebiete  in  be- 
stimmter Weise  zusanmien  und  bewirken  eine  bestimmte  Gliederung  seiner 
Vegetation. 

Wenn  man  einmal,  was  meines  Wissens  leider  noch  nicht  geschehen  ist, 
den  Versuch  machen  wollte,  zoobiologische  Karten,  d.  h.  Karten  der  Lebensweise 
der  Tiere  und  der  dadurch  bevrirkten  Ausbildung  ihrer  Organe,  zu  zeichnen, 
so  würden  diese  Karten  wahrscheinlich  mit  den  Vegetations-  und  damit  auch 
mit  den  Klimakarten  große  Ähnlichkeit  zeigen,  da  die  Lebensweise  der 
Tiere  hauptsächlich  von  der  Vegetation  abhängig  ist. 

Viel  verwickelter  ist  die  Verteilung  der  Pflanzen  imd  Tiere  unter  dem 
Gesichtspunkt  ihrer  Abstammung.  Man  hat  die  Floren-  und  Faun  engebiete 
früher  hauptsächlich  durch  eine  Statistik  der  Arten,  Gattungen  und  überhaupt 
Sippen  zu  charakterisieren  versucht,  richtet  aber  heute  sein  Hauptaugenmerk 
darauf,  bestimmte  Genossenschaften  herauszufinden,  die  zusammen  aufzutreten 
pflegen.  Es  ist  a  priori  nicht  unmöglich,  daß  dieselben  Arten  zu  wieder- 
holten Malen  an  verschiedenen  Stellen  entstehen;  aber  wenn  diese  Auslassung 
3chon    für  die  einzelnen  Arten    unwahrscheinlich   ist,   so    läßt   sie    sich    auf 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  physischen  Geographie.     209 

ganze  Genossenschaften  nicht  mehr  anwenden.  Floristische  und  faonistische 
Übereinstimmung  weist  also  auf  Abstammungs Verwandtschaft  hin,  und  eine 
bloße  Analogie  der  Entstehung  kommt  nur  in  gewissen  mehr  formalen  Eigen- 
schaften, z.  B.  den  allgemeinen  Eigenschaften  der  Inselfloren  und  -faunen, 
zur  Geltung. 

Eine  Differenzienmg  der  Floren  und  Faunen  scheint  immer  dann  ein- 
getreten zu  sein,  wenn  entweder  die  Lebensbedingungen  in  den  verschiedenen 
Teilen  eines  vorher  gleichen  Gebietes  verschieden  wurden,  oder  wenn  zwei 
Stücke  mit  gleichen  Lebensbedingungen  durch  ein  dazwischen  liegendes  Stück 
mit  anderen  Lebensbedingungen  von  einander  getrennt  worden.  Eine  Aus- 
bildung neuer  Arten  mag  zwar  auch  ohne  eine  solche  rftumliche  Differenzierung 
stattfinden,  aber  die  neuen  Arten  werden  sich  bei  Gleichheit  der  Lebens- 
bedingungen über  das  ganze  Gebiet  verbreiten  können,  also  keine  Differenzierung 
der  Flora  oder  Fauna  zur  Folge  haben.  Die  Verschiedenheit  der  Lebens- 
bedingungen kann  natürlich  mehr  oder  weniger  groß  sein;  je  nachdem  wird 
eine  kleinere  oder  größere  Zahl  von  Arten  im  Stande  sein,  sich  den  Lebens- 
bedingungen beider  Gebiete  anzupassen.  Auch  die  Absonderung  kann  mehr 
oder  weniger  groß  sein;  je  nachdem  werden  weniger  oder  mehr  Arten  in 
Folge  ihrer  verschiedenen  Wanderungs-  und  Ausbreitungsföhigkeit  im  Stande 
sein,  das  Hindernis  zu  überspringen.  Die  Ausbildung  der  Verschiedenheit 
oder  die  Absonderung  kann  auch  mehr  oder  weniger  alt  sein.  Je  älter  sie 
ist,  um  so  größer  wird  die  Differenzierung  der  Flora  und  Fauna  werden, 
vorausgesetzt  natürlich,  daß  sich  inzwischen  keine  neuen  Verbreitungswege 
darbieten.  Wo  die  Differenzierung  jungen  Ursprungs  ist,  wird  sie  nur  die 
Arten,  vielleicht  auch  die  Gattungen,  wo  sie  alt  ist,  auch  die  Familien  be- 
treffen. Wo  umgekehrt  eine  Verbindung  der  Länder  bezw.  Meere  oder  eine 
Ausgleichung  der  klimatischen  oder  anderen  natürlichen  Lebensbedingungen 
eintrat,  konnte  auch  eine  Ausgleichung  und  Kreuzung  der  Floren  und  Faunen 
stattfinden,  die  wir  in  manchen  Fällen  noch  in  der  Entwicklung  begriffen, 
in  anderen  Fällen  schon  so  zum  Abschluß  gekommen  sehen,  daß  wir  die 
ursprüngliche  Verschiedenheit  gar  nicht  mehr  oder  nur  in  Einzelheiten 
bemerken. 

Lisofem  stimmen  alle  Gruppen  des  Pflanzen-  und  Tierreiches  in  Bezug 
auf  die  Gesetze  ihrer  Verbreitung  überein;  aber  die  tatsächliche  Verbreitimg 
wird  für  jede  Gruppe  je  nach  ihrem  geologischen  Alter  und  nach  ihrer  An- 
passungs-  und  Ausbreitungsfähigkeit  verschieden  sein,  und  die  geographischen 
Einteilungen,  die  auf  verschiedene  Klassen  begründet  werden,  müssen  not- 
wendigerweise im  einzelnen  von  einander  abweichen.  Wenn  man,  was  aus 
praktischen  Gründen  zweckmäßig  ist,  eine  einheitliche  biogenetische  oder 
wenigstens  eine  einheitliche  floristische  und  eine  einheitliche  faunistische  Ein- 
teilung der  Erdoberfläche  anstrebt,  so  wird  man  sie  entweder  auf  gewisse 
besonders  wichtige  Gruppen  unter  Vernachlässigung  der  übrigen  begründen 
oder  einen  Mittelweg  einschlagen  müssen.  Es  ist  hier  natürlich  nicht  der 
Ort,  die  verschiedenen  Versuche  im  einzelnen  zu  besprechen  oder  gar  einen 
neuen  Versuch  der  Einteilung  zu  machen.  Es  sollen  vielmehr  nur  die  geo- 
graphischen Grundtatsachen  dargelegt  werden. 


210  Alfred  Hettner: 

Die  erste  und  wichtigste  Differenziening  ist  natürlich  die  zwischen  den 
Organismen  des  Wassers  und  des  Landes;  wir  müssen  es  dahingestellt  sein 
lassen,  oh  diese  Differenzierung  nur  einmal  für  immer  stattgefunden  oder  sich 
immer  von  neuem  wiederholt  hat.  Lassen  wir  im  weiteren  die  Organismen 
des  Wassers  bei  Seite,  so  ergibt  sich  für  die  Pflanzen  und  Tiere  des  Fest- 
landes eine  primäre  Differenzierung  nach  den  drei  Klimazonen,  d.  h.  zwischen 
den  Tropen  und  der  nördlichen  und  der  südlichen  gemäßigten  Zone  mit  den 
dazu  gehörigen  Polarzonen.  Erst  darauf  folgt,  die  Differenzierung  zwischen 
den  Kontinenten  der  östlichen  und  der  westlichen  Halbkugel,  die  in  den 
Tropen  und  auf  der  südlichen  Halbkugel  viel  ausgeprägter  als  in  der  nörd- 
lichen gemäßigten  Zone  ist.  Daß  diese  Differenzierung  an  Bedeutung  hinter 
der  klimatischen  zurücksteht,  erklärt  sich  daraus,  daß  die  heutigen  Konti- 
nente erst  verhältnismäßig  jungen  Ursprungs  und  in  hohen  Breiten  ziemlich 
eng  mit  einander  verwachsen  sind.  Drittens  und  viertens  folgen  ungefähr 
gleichwertig  die  weiteren  geomorphologischen  und  klimatischen  Differenzie- 
rungen, namentlich  die  Absonderung  der  Liseln  und  die  Trennung  durch  Ge- 
birge einerseits,  die  Ausbildung  der  kühleren  Höhen  und  der  Trockengebiete 
andererseits.  Dadurch,  daß  diese  Differenzierungen  sowohl  eine  direkte  Diffe- 
renzierung der  von  ihnen  betroffenen  Lebewelten  wie  eine  Absonderung  der 
auf  ihren  beiden  Seiten  liegenden  Gebiete  oder  auch  umgekehrt  die  Ent- 
stehung von  Verbreitimgsbrücken  bewirken,  rufen  sie  eine  große  Mannig- 
faltigkeit der  Erscheinungen  hervor.  In  den  letzten  Ausläufern  führen  sie 
natürlich  auf  die  heutigen  Lebensbedingungen  hin,  und  die  unteren  Flora-  und 
Faunaprovinzen  werden  daher  mit  den  pflanzen-  und  tierbiologischen  Begionen 
übereinstinunen. 

Zusammenfassung. 

Fassen  wir  die  Ergebnisse  unserer  Betrachtungen  über  die  Verhältnisse 
der  Gleichheit  und  Verschiedenheit  und  die  Lagenbeziehungen  und  Bewegimgs- 
systeme  in  den  einzelnen  Naturreichen  und  die  daraus  sich  ergebenden  Mög- 
lichkeiten der  Klassifikation,  Gliederung,  Einteilung  kurz  zusammen! 

Wir  haben  es  auf  der  Erdoberfläche  nirgends  mit  einer  einfachen  Diffe- 
renzierung oder  Entstehung  von  Ungleichheiten  zu  tun,  sondern  überall 
treten  Lagenbeziehungen  hinzu.  Auch  solche  Erscheinungen,  wie  z.  B. 
die  Verschiedenheiten  der  Vegetation,  die  zunächst  rein  statisch  von  ihren 
Bedingungen  abhängen  und  insofern  einfach  neben  einander  liegende  Ver- 
schiedenheiten darstellen,  sind  doch,  da  diese  Bedingungen  die  Wirkungen 
einer  Gliederung  sind,  indirekt  auch  als  Gliederungserscheinungen  aufzufassen. 
Andererseits  gibt  es  auch  keine  Tatsachen  der  Gliederung  für  sich  allein, 
sie  sind  viehnehr  immer  sofort  mit  verschiedener  Ausbildung  der  Teile  ver- 
buDden.  Das  Verhältnis  ist  im  allgemeinen  so,  daß  zunächst  durch  die  nach 
Erdräumen  verschiedene  Einwirkung  einer  tellurischen  oder  kosmischen  Ur- 
sache Verschiedenheiten  entstehen,  daß  diese  aber  immer  sogleich  Bewegungen 
und  damit  Gliederungserscheinungen  im  Gefolge  haben,  und  daß  dadurch  die 
ursprüngliche  Verschiedenheit  fast  ganz  verloren  geht.  In  manchen  Fällen 
köDDen  wir  verfolgen,  wie  dann  in  regelmäßiger  Abstufung  sekundäre  Ver- 
üüedenheiten    und    sekundäre    Bewegungen,    tertiäre  Verschiedenheiten    und 

i 


Grundbegriffe  und  Grundsätze  der  pliysisclien  Geographie.     211 

tertiäre  Bewegangen  u.  s.  w.  entstehen.  Dieselbe  Differenzierung  kann  sich 
an  verschiedenen  Stellen  analog  wiederholen;  dem  entsprechend  werden  anch 
die  Bewegnngssjsteme  und  ihre  Teile  an  verschiedenen  Stellen  analog  aus- 
gebildet sein.  Damm  fallen  Klassifikation,  die  nur  die  Gleichheit  oder  Ver- 
schiedenheit im  Auge  hat,  und  Einteilung,  die  auf  den  räumlichen  Zusanunen- 
hang  achten  muß,  in  den  meisten  Erscheinungskreisen  aus  einander;  die  Ein- 
teilung muß  sich  zunächst  meistens  an  die  Gliederung  anschließen  und  führt 
erst  weiterhin  zu  Gebieten  von  gleichartiger  Ausbildung,  wie  sie  die  E^lassi- 
fikation  auffaßt. 

Die  räumlichen  Verhältnisse  der  verschiedenen  Erscheinungskreise  stehen 
in  mannigfaltiger  Weise  mit  einander  in  Zusanunenhang.  Die  Art  dieses  ur- 
sächlichen Zusammenhanges  haben  wir  schon  im  vorigen  Kapitel  kennen  ge- 
lernt; es  fragt  sich  hier  nur,  wie  sich  dieser  Zusammenhang  räumlich  äußert, 
wie  er  in  der  Klassifikation,  Gliederung,  Einteilung  der  Erdoberfläche  zur  Gel- 
tung konunt.  Das  Vorhandensein  von  Verschiedenheiten  im  einen  Erscheinungs- 
kreise kann  auch  im  anderen  zunächst  nur  ein  Auftreten  von  Verschieden- 
heiten bewirken,  aber  diese  Verschiedenheiten  können  nun  Bewegungen  ein- 
leiten, welche  die  Verschiedenheiten  selbst  an  Bedeutung  weit  übertreffen,  so 
daß  tatsächlich  Verschiedenheiten  im  einen  Erscheinungskreise  Bewegungen 
im  anderen  hervorrufen,  wie  z.  B.  der  Gegensatz  von  Hoch  und  Tief  die  Be- 
wegung des  fließenden  Wassers,  der  Gegensatz  von  Land  und  Meer  Strö- 
mungen der  Atmosphäre  und  damit  die  sekundäre  klimatische  Gliederung. 
In  diesem  Verhältnis  liegt  die  Wichtigkeit  dessen ,  was  man  gewöhnlich  als 
die  geographische  Lage  im  Gegensatz  zu  den  direkten  geographischen  Eigen- 
schaften bezeichnet.  Die  so  oft  betonte  ozeanische  Lage,  d.  h.  Lage  am 
Ozean,  ist  deshalb  und  nur  dann  klimatisch  bedeutsam,  weil  und  wenn  der 
Wind  die  klimatischen  Eigenschaften  des  Ozeans  auf  das  Festland  hinüber- 
tiügt.  Am  wichtigsten  ist  die  „Lage^^  in  der  Geographie  des  Menschen,  im 
Hinblick  auf  die  man  sie  ja  auch  vorzugsweise  betrachtet,  teils  wegen  der- 
leichten  Beweglichkeit  des  Menschen,  teils  weil  der  Gegensatz  hier  auch  schon 
als  B«iz  wirkt. 

Dadurch  wird  das  ursächliche  Verhältnis  zwischen  Klassifikation,  Gliede- 
rung und  Einteilung  der  verschiedenen  Erscheinungskreise  sehr  kompliziert, 
und  wenn  schon  den  am  Schlüsse  des  vorigen  Kapitels  aufgestellten  vier 
Beihen  ursächlicher  Verknüpfungen  nur  ganz  im  allgemeinen  Gültigkeit  zu- 
konunt,  so  gilt  das  noch  viel  mehr  von  den  Gruppen  natürlicher  Klassifika- 
tionen, Gliederungen  und  Einteilungen,  in  die  wir  die  Ergebnisse  der  vorher- 
gehenden Betrachtimgen  zusammenfassen  wollen. 

Wir  haben  gesehen,  daß  eine  Reihe  von  Erscheinungen  der  Hauptsache 
nach  vom  inneren  Bau  der  Erdrinde  abhängig  sind;  demzufolge  müssen  sich 
auch  ihre  Einteilungen  an  die  tektonische  Einteilung  der  Erde  anschließen. 
Diese  kann  sich  in  der  obersten  Abteilung  nur  auf  die  großen  tektonischen 
Komplexe  beziehen,  welche  wir  in  ihrer  äußeren  Form  als  Kontinente  auf- 
fassen, und  wird  auch  in  weiteren  Abteilungen  manchmal  am  besten  den  Er- 
scheinungen der  tektonischen  und  damit  auch  der  morphologischen  Gliederung 
Rechnung  tragen.     Hier  konunt  aber  auch  die  auf  gleicher   oder   analoger 


212  A.  Hettner:  Grundbegriffe  u.  Grundsätze  d.  physischen  Geographie. 

Entstehung  beruhende  tektonische  und  morphologische  Gleichartigkeit  zur 
Geltung  und  verdient  sehr  hervorgehoben  zu  werden,  weil  sie  von  gleich- 
artiger Ausbildung  der  Entwässerung,  gleichartiger  Modifikation  der  klima- 
tischen und  der  davon  abhängigen  Verhältnisse  begleitet  wird.  In  den 
unteren  Abteilungen  verliert  aber  die  Einteilung  nach  der  Tektonik  immer 
mehr  an  Bedeutung  und  wird  zweckmäßig  meist  durch  eine  Einteilung  nach 
der  oberflächlichen  Gliederung  ersetzt,  die  ja  überhaupt  keine  selbständige  Be- 
deutung hat,  sondern  sich  nur  auf  die  einzelnen  tektonischen  Individuen  be- 
zieht, und  die  deshalb  hier  angeschlossen  werden  kann. 

Aus  der  Tektonik  gehen  auch  die  Flußsysteme  hervor,  in  der  Weise, 
daß  die  Scheitellinien  der  tektonischen  YoUformen  Wasserscheiden  bilden. 
Aber  es  findet  doch  keine  einfache  Abhängigkeit  von  der  heutigen  Tektonik 
statt,  sondern  es  kommt  dafär  die  Entwickelungsgeschichte  der  Tektonik  in 
komplizierter  Weise  in  Betracht,  so  daß  die  Flußsysteme  ganz  selbständige 
Gebiete  bilden.  Sie  haben  Bedeutung  für  die  ümlagerung  von  Materialien 
der  festen  Erdrinde  wie  für  die  Wanderungen  der  Pflanzen  und  Tiere  und 
für  den  menschlichen  Verkehr,  aber  ihre  Bedeutung  ist  im  ganzen  viel  ge- 
ringer, als  man  sie  früher  angeschlagen  hat. 

Eine  weitere  Tatsachenreihe  ist  von  den  Tatsachen  der  äußeren  Um- 
bildung der  Erdoberfläche  abhängig,  ihre  Einteilung  schließt  sich  daher  an 
deren  Einteilung  an.  Sie  fällt  teilweise  mit  der  klimatischen  Einteilung  der 
Erde  zusammen,  aber  doch  nur  teilweise,  weil  in  ihr  die  umbildenden  Faktoren 
der  Vergangenheit  ebenso  zum  Ausdruck  gebracht  werden  müssen  wie  die  der 
Gegenwart.  Der  allgemeine  Charakter  der  unselbständigen  Formen  der  festen 
Erdoberfläche  imd  die  regionale  Verteilung   der  Bodenarten  gehören  hierher. 

Von  hier  führt  uns  ein  Schritt  zur  klimatischen  Einteilung  der  Erd- 
oberfläche, die  nicht  nur  für'  das  Klima  selbst,  sondern  auch  für  die  Wasser- 
fuhrung,  die  heutige  Art  der  oberflächlichen  Umbildung  der  Erdoberfläche, 
*die  Vegetation,  die  Lebensverhältnisse  der  Tiere  und  auch  viele  Erscheinungen 
des  Menschenlebens  maßgebend  ist.  Sie  ist,  wie  wir  gesehen  haben,  von 
dem  inneren  Bau  der  Erdrinde  mit  abhängig,  aber  in  einer  so  komplizierten 
Weise,  daß  sie  ein  ganz  anderes  Bild  als  die  tektonische  Einteilung  zeigt. 
Ihre  obersten  Abteilungen  sind  die  Zonen  der  geographischen  Breite,  erst  in 
den  folgenden  Abteilungen  ergeben  sich  die  durch  den  Gegensatz  der  Kon- 
tinente und  Ozeane  und  dann  durch  die  kontinentale  und  kleinere  Gliederung 
bedingten  Windsysteme  und  Klimagebiete.  Da  die  Gebirge  und  überhaupt 
die  morphologischen  Vollformen  hier  vielfach  als  Grenzen  wirken,  zeigen  die 
Klimagebiete  mitimter  eine  gewisse  Übereinstinunung  mit  den  Flußgebieten. 

Wieder  verschieden  sind  schließlich  die  biogenetischen  d.  h.  die  flori- 
stischen und  faunistischen  Einteilungen.  Sie  sind  auf  die  allmähliche  Ent- 
wicklung sowohl  der  Gestalt  der  Erdoberfläche  wie  des  Klimas  begründet 
und  beruhen  teilweise  auf  der  Anpassung  an  verschiedene  Lebensbedingimgen, 
teilweise  aber  auch  auf  der  Trennung  durch  Gebiete  anderer  Lebensverhält- 
nisse. Sie  arbeiten  daher  gleichsam  mit  dem  Material  der  tektonischen  und 
klimatischen  Einteilung,  stellen  es  aber  in  anderer  Weise  zusammen  und 
treten  ihnen  daher  selbständig  gegenüber. 


Hans  Maurer:  Dentsch-Ostafrika.  213 

Eine  noch  weitergehende  Vereinigung  der  Einteilungen  zu  einer  all- 
gemeinen, allen  Naturreichen  gleichmäßig  gerecht  werdenden  Einteilung  der 
Erdoberfläche  ist  unmöglich.  Eine  allgemeine  natürliche  Einteilung  der  Erd- 
oberfläche, deren  die  wissenschaftliche  Länderkunde  unumgänglich  bedarf, 
kann  nur  dadurch  erhalten  werden,  da£  sie  jeweils  eine  Auswahl  zwischen 
den  Einteilungsgründen  trifPt  und  die  übrigen  darüber  vernachlässigt.  Sie 
muB  dabei  aber  die  geographischen  Erscheinungen  des  Menschen  ebenso  be- 
rücksichtigen wie  die  Tatsachen  der  physischen  Geographie;  ihre  Erörterung 
muß  darum  einer  besonderen  Studie  vorbehalten  bleiben. 


Deatseh-Ostafrika. 

Eine  klimatologische  Studie 

yon  Dr.  Hans  Maurer  in  Hamburg. 

Mit  drei  Tafehi. 

y.  Das  Bftdliche  Innere. 

Im  wesentlichen  smd  es  die  Stromgebiete  der  zwei  größten  Flüsse 
Deutsch-Ostafrikas,  des  Rufiji  und  des  Bovuma,  die  den  Süden  unserer 
Kolonie  zusammensetzen.  Nur  kleine  Teile  des  Gebietes  sind  keinem  von 
diesen  beiden  Flüssen  tributär.  Es  sind  dies  ein  Zwischengebiet  zwischen 
den  beiden  Flüssen  an  der  Küste,  in  dem  wir  kleinere  Küstenflüsse  vorfinden, 
der  steile  Grabeneinbruch  des  Nyassasees,  dessen  Abfluß  Shire  dem  Zambesi 
zufließt,  und  die  Rukwasenke,  das  einzige  größere  abflußlose  Gebiet,  das  wir 
im  südlichen  Teile  des  Schutzgebietes  vorfinden.  Der  Rovumafluß  bildet  im 
größten  Teil  seines  Laufes  die  Grenze  zwischen  Deutsch-  und  Portugiesisch- 
Ostafrika  und  erhält  nur  kleine  Zuflüsse  aus  dem  deutschen  Gebiet,  während 
das  Stromgebiet  des  Rufiyi  mit  seinen  beiden  Quellflüssen  ülanga  und  Luvegu 
und  seinem  großen,  nördlichen  Zuflüsse,  dem  Ruaha,  das  Innere  des  süd- 
lichen Teiles  der  Kolonie  ausfüllt.  Oberhalb  des  Rufijideltas,  dessen  Man- 
grovenbestände  bereits  geschildert  wurden,  zeigt  der  Fluß  an  seinen  üfem 
fruchtbares  Alluvialland,  in  dem  hauptsächlich  Reis  angebaut  wird,  während 
man  Zuckerrohr  in  geringerer  Menge  pflanzt.  Außerdem  werden  Sesam, 
Mais,  Bohnen  und  Tabak  gebaut.  Eine  üppigere  Bewachsiing  finden  wir, 
von  diesem  Flußlauf  abgesehen,  im  Küstenvorland  nur  auf  einzelnen 
Plateaus,  die  größere  Waldbestände  aufweisen.  So  ist  dies  der  Fall  in  der 
Landschaft  Donde  und  nahe  der  Küste  auf  den  Plateaus  von  Mwera,  Mpatila 
und  Makonde.  Aus  diesen  Wäldern  stammen  die  größten  Mengen  des 
Kautschuks,  der  aus  Deutsch-Ostafrika  in  den  Handel  gebracht  wird.  Speziell 
in  Donde  sind  neuerdings  auch  Versuche  mit  der  Anlage  von  Kautschuk- 
plantagen von  ManHiot  Glaziovii  gemacht  worden.  Ein  anderes  wichtiges 
Produkt  vorwiegend  des  Südens  der  Kolonie  ist  der  Kopal,  das  Harz  einer 
Leguminose  Trachylohium  ^  das  teils  von  den  Bäumen  selbst  als  Baumkopal, 
in  viel  wertvollerer  Qualität  aber  fossil  gewonnen  wird. 


214  Hans  Maurer: 

Weitaus  der  größte  Teil  des  südlichen  Küstenvorlandes  ist  Steppe,  und 
zwar  baumreiche  Grassteppe,  die  sich  von  derjenigen  im  Norden  von  Deutsch- 
Ostafrika  durch  das  fast  vollständige  Fehlen  der  dort  so  häufigen  Mimosen 
und  Akazien  unterscheidet.  Es  sind  hier  dafär  kleine  Laubbäume  von  meist 
etwa  10 — 20  cm  Stammdurchmesser,  die  meist  in  der  lichten  Vegetations- 
form der  Obstgartensteppe  auftreten.  Auch  in  diesen  südlichen  Steppen- 
gebieten fehlt  der  für  das  Steppenklima  charakteristische  Baobab  nicht.  An 
wertvollen  Hölzern  findet  man  in  dem  Gebiete  das  ebenholzähnliche  Grena- 
dillholz,  das  schon  seit  längerer  Zeit  einen  Ausfuhrartikel  europäischer 
Firmen  bildet.  Ausgezeichnet  ist  dies  südliche  Gebiet  durch  das  Auftreten 
ausgedehnter  dichter  Bambusbestände,  durch  die  der  Eeisende  sich  oft  viele 
Kilometer  lang  mühsam  seinen  Weg  bahnen  muß,  während  solche  Bestände 
im  Norden  der  Kolonie  fast  gänzlich  fehlen.  Die  durchschnittliche  Seehöhe 
dieses  Küstenvorlandes  beträgt  340 — 420  m.  Überall  in  dem  Gebiet  finden 
sich  aufgesetzt  einzelne  Inselberge  von  Gneis  von  einer  relativen  Erhebung 
bis  zu  600  m.  Diese  gewaltigen  Gneisblöcke  sind  durch  Abrasion  sehr 
stark  bloßgelegt  und  eine  groteske  Vegetation  von  Büschelgras  gibt  den 
Kuppen  ein  wunderliches  Aussehen. 

Die  einzige  meteorologische  Station  aus  diesem  Gebiet  ist  die  katho- 
lische Mission  Lukuledi  am  gleichnamigen  Flüßchen,  das  bei  Lindi  ins  Meer 
geht.  Einer  mehr  als  halbjährigen  intensiven  Trockenzeit  von  Mai — November 
steht  hier  eine  Regenzeit  von  Dezember — April  gegenüber,  die  ihre 
Hauptgüsse  in  der  Mitte  des  Sommers  bringt,  ganz  wie  wir  es  für  den 
Süden  der  Küste  und  den  größten  Teil  des  nördlichen  Innern  kennen  lernten. 
Der  heißeste  Monat  ist  so  der  November  vor  Beginn  der  sommerlichen  Regen- 
zeit mit  einer  Mitteltemperatur  von  26,9^,  der  kälteste  der  Juni  mit  19,9®. 
Die  absoluten  Extreme  im  Jahr  betrugen  12®  und  35,5®.  Während  in  der 
Regenzeit  große  Überschwemmungen  ausgedehnte  Gebiete  unter  Wasser 
setzen,  muß  die  Mission  in  der  Trockenzeit  das  Wasser  weither  holen.  Es 
leidet  hier  der  Boden  abwechselnd  unter  stagnierender  Nässe  und  unter  Ver- 
härtung, immer  aber  unter  dem  Mangel  an  Durchlüftung.  Auch  auf  den 
Bergen  um  Lukuledi  und  um  die  Nachbarmission  Masassi,  die  durch  ihre 
Erhebung  etwas  feuchter  sind,  ist  der  Baumwuchs  noch  spärlich;  indessen 
sind  die  quellenreichen  Masassiberge  gut  angebaut.  Man  verkauft  dort  viel 
Salz,  das  vegetabilischen  Ursprungs  ist.  Die  Lauge  der  in  der  Trockenzeit 
verbrannten  Gräser  und  Büsche  sammelt  sich  nämlich  in  der  Regenzeit  in 
abflußlosen  Mulden,  in  denen  dann  beim  Austrocknen  das  Salz  ausblüht.  Es 
enthält  mehr  Pottasche  als  Kochsalz. 

Masassi  ist  der  letzte  vorgeschobene  Posten  gegen  die  trostlose  Wakua- 
steppe.  Von  dieser  besitzen  wir  eine  erschütternde  Schilderung  des  Leut- 
nants V.  ßehr,  der  mit  20  Negern  im  Oktober  1891,  also  unklugerweise  in 
der  allertrockensten  Jahreszeit  einen  Ausflug  in  diese  Steppe  wagte  und  nur 
zufällig  dem  Tode  des  Verschmachtens  entging.  An  einem  der  vereinzelten 
Wasserlöcher  nördlich  von  den  Mayeyebergen  waren  ihm  seine  Wakuaföhrer 
unter  Mitnahme  eines  geschossenen  Wildschweins  weggelaufen.  Den  Rück- 
weg in  der  gleichförmigen  Obstgartensteppe  und  das  vereinzelte  Dörfchen  an 


Deutflch-Ostafrika.  215 

den  Bergen  traute  v.  Behr  sich  nicht  wiederfinden  zu  können,  und  er 
zog  deshalh  nordwärts,  wo  er  den  UmhekurufluB  treffen  mußte.  Aber  dieser 
ca.  300  km  lange  FluB  lag  hier  am  Ende  der  Trockenzeit  wohl  etwa 
60  km  von  seiner  Quelle  entfernt  so  trocken,  daß  auch  durch  Graben  in 
seinem  Bett  kein  Wasser  erhalten  werden  konnte.  Nun  versuchten  sie  doch 
die  Mayejeberge,  von  denen  sie  drei  starke  Tagemärsche  entfernt  waren,  zu 
erreichen,  und  marschierten  bis  tief  in  die  Nacht  einem  Elefantenpfade  nach 
in  der  Hoffiiung,  daß  dieser  sie  an  Wasser  führen  würde.  Um  3  Uhr 
morgens  aber  endete  dieser  Pfad  in  einem  völlig  ausgetrockneten  Sumpf.  Am 
dritten  Tag,  den  sie  ohne  Wasser  und  nun  auch  ohne  Essen  verbrachten,  da 
die  Leute  nichts  mehr  tragen  konnten,  versuchten  sie  den  gallertigen  Saft 
einer  Liane  zu  genießen,  der  aber  bei  Behr  solche  Übelkeit  erzeugte,  daß  er 
alle  Hoffnung  aufgab  und  sich  verzweifelnd  unter  einem  Baume  niederwarf. 
Nun  verloren  die  Neger  vollends  den  Kopf  und  waren  im  Begiiff,  tätlich 
gegeneinander  vorzugehen.  Das  Mitleid  mit  den  armen  Menschen  gab  dem 
Europäer  seine  Energie  wieder;  er  führte  sie  weiter.  Am  vierten  Tage  aber 
vermochte  er  nur  noch  mit  der  Pistole  die  Leute  zum  Beieinanderbleiben 
und  Einhalten  der  richtigen  Wegrichtung  zu  zwingen,  bis  ein  verfrühter  Ge- 
witterregen um  Mittag  ihnen  eine  kleine  Hilfe  brachte;  doch  konnten  sie 
nur  die  Blätter  ablecken,  und  die  Haupterfrischung  bestand  in  der  Durch- 
nässung ihrer  Haut.  Schon  eine  halbe  Stunde  nach  dem  B^gen  war  aber 
jeder  Tropfen  Feuchtigkeit  wieder  verflüchtigt.  Neue  Mutlosigkeit  bemäch- 
tigte sich  aller,  und  der  Zusammenhalt  der  Karawane  ging  völlig  verloren. 
Von  der  folgenden  Nacht,  in  der  v.  Behr  allein  war,  hat  er  nur  ganz  un- 
klare Vorstellungen.  An  Schlaf  war  vor  Durstschmerzen  nicht  zu  denken; 
lange  Ohnmächten  traten  an  seine  Stelle.  Aus  einer  solchen  wurde  v.  Behr 
dadiu-ch  aufgeschreckt,  daß  er  den  Atem  und  das  Bellen  einer  Hyäne  dicht 
vor  seinem  Gesicht  wahrzunehmen  glaubte.  Er  sprang  auf  und  lief  eine 
Strecke,  bis  er  von  neuem  bewußtlos  zusammenbrach.  Die  Sonne  des 
nächsten  Morgens  gab  ihm  wieder  soviel  Energie,  daß  er  noch  zwei  weitere 
qualvolle  Stunden  des  Suchens  nach  Wasser  aushalten  konnte,  das  er  dann 
endlich  in  einem  Loche  fand.  Dorthin  gelangte  wenig  später  auch  sein 
Diener.  Sie  kamen  zu  ein  paar  Negerhütten  am  Berg,  wo  man  ihnen  für 
ein  Schächtelchen  Streichhölzer  Essen  gab,  mit  dem  sie  Masassi  erreichten. 
Dahin  kamen  schließlich  auch  die  Träger,  bis  auf  zwei,  die  in  der  baum- 
reichen Einöde  verschmachtet  waren. 

Eine  ebenso  starke  Variabilität  in  der  Wasserführung,  wie  sie  hier 
im  Umbekurufluß  dieser  Expedition  so  verhängnisvoll  geworden  ist,  finden 
wir  in  den  nördlichen  Zuflüssen  des  Rovimia,  von  denen  z.  B.  der  Mohessi 
in  der  Regenzeit  250  m  breit  imd  bis  zu  5  m  tief,  in  der  Trockenzeit  da- 
gegen ca.  50  m  breit  und  bis  %  m  tief  ist.  Der  Bovuma  selbst  ist  flach, 
inselreich  und  steinig  und  deshalb  trotz  seiner  700  km  betragenden  Strom- 
länge (so  lang  wie  die  Weser)  nirgends  schiffbar.  An  seinen  Ufern  finden 
wir  viel  Bambus-  und  dichteren  Laubwald,  der  aber  schon  in  geringer  Ent- 
fernung vom  Fluß  in  die  Laubsavanne  übergeht. 

Ähnliche  Verhältnisse  zeigt  der  östliche  Quellfluß  des  Rufiji,  der  Luvegu; 


216  Hans  Maurer: 

auch  seine  Ufer  säumen  Bambusdickichte  und  lichter  Wald  ein.  Von  ihm 
bis  zur  Küste  erstreckt  sich  die  Laubsteppe,  die  einem  dichteren  Wald  nur 
in  Mhitu  and  Barikiwa  in  der  Landschaft  Donde  Platz  macht. 

Erst  mit  der  größeren  Bodenerhebung  ändern  sich  die  Verhältnisse. 
Das  nördlichste  dieser  Bergländer  ist  übe  he,  im  Norden  und  Westen  be- 
grenzt vom  Ruahafiuß,  der  es  von  den  bewaldeten  Rubehobergen  Ussagaras 
trennt  Im  Osten  und  Südosten  fällt  das  Qebirge  steil  gegen  den  Ulanga- 
fiuB  ab.  Die  Ulanganiederung,  Mahenge,  zeigt  fruchtbaren  Alluvialboden,  auf 
dem  die  Eingeborenen  in  gut  gehaltenen  Feldern  Reis,  Mais  und  Negerhirse 
bauen.  Der  ülanga  führt  das  ganze  Jahr  reichlich  Wasser;  eine  sehr  üppige 
Vegetation  im  Fluß  selbst  yerhindert  sowohl  die  starke  Verdunstung  als 
auch  den  raschen  Abfluß  der  gewaltigen  Wassermassen  der  Regenzeit,  so 
daß  in  dieser  ein  weites  Gebiet  unter  Wasser  tritt  und  erst  in  der  trockenen 
Zeit  das  Reservoir  sich  mählich  entleert.  Gesund  ist  dieses  Gebiet  natürlich 
durchaus  nicht,  aber  sehr  fruchtbar.  Eine  sehr  reiche  Tierwelt  belebt  den 
Fluß:  Flußpferde,  Krokodile,  sehr  viel  Fische  und  zahllose  Vögel:  Enten, 
Gänse,  Schlangenhalsvögel,  Strandläufer,  Reiher  und  Adler.  Von  einer  meteo- 
rologischen Station  in  diesem  ungesunden  Gebiet,  der  Ulangastation,  230  m 
über  dem  Meer,  sind  immerhin  %  Jsihre  Beobachtungen  vorhanden.  Wir 
unterscheiden  auch  hier  eine  Regenzeit  im  Sommer  mit  kurzer  Regenpause 
im  Februar  und  eine  lange  intensive  Trockenzeit  im  Winter.  Die  jährliche 
Regenmenge  mag  bis  zu  1400  mm  betragen.  Im  Januar  1895  fielen 
529  mm.  Gewitter  im  Sommer  sind  häufig.  Der  jahreszeitliche  Wechsel 
zwischen  NO-Monsun  und  SO-Passat  war  deutlich  zu  erkennen.  Dem  Vor- 
dringen jenes  Klimatyps,  den  wir  an  der  nördlichen  Küste  fanden,  bis  hier- 
her entspricht  es,  daß  wir  hier  zwei  Regenzeiten  im  Sommer  haben  und  der 
trockene  Sommermonat  Februar  in  seiner  Mitteltemperatur  nicht  hinter  dem 
November  zurücksteht.  Beide  zeigen  etwa  26^  Der  kälteste  Monat,  der 
Juli,  hatte  22^  Mitteltemperatur.  Die  absoluten  Extreme  des  Jahres  waren 
14^  und  34^,  während  die  tägliche  Temperaturschwankung  im  Winter  bis  zu 
15^  im  Maximum  kam.  Die  höheren  Lagen  in  Mahenge  und  der  südlicheren 
Landschaft  üpogoro  zeichnen  sich  durch  starke  Morgennebel  aus,  die  aus 
den  Flußtälem  aufsteigen  und  mittags  in  den  Bergen  sich  zu  Regen  ver- 
dichten. So  ist  dort  das  ganze  Jahr  so  feucht,  daß  man  jeden  Monat 
frischen  Mais  ernten  kann.  Auch  Kartoffeln  sind  in  Mahenge  gut  ge- 
kommen; femer  werden  dort  Maniok,  Bataten,  Gurken,  Kürbis,  Sesam,  Erd- 
nüsse, Bohnen  und  Zucker  geerntet. 

Das  eigentliche  hochgelegene  ühehe  ist  ein  grasreiches  Bergland  mit 
wenig  Baumwuchs.  In  1700  m  Seehöhe  beträgt  hier  auf  der  Missionsstation 
Tosamaganga  bei  Iringa  nach  den  Aufzeichnungen  eines  Thermographen  die 
mittlere  Jahrestemperatur  17,5**  C.  Der  November  ist  hier  der  wärmste 
Monat  mit  20,2^,  der  Juni  der  kälteste  mit  14,3^  Mitteltemperatui*.  Die  ab- 
soluten Extreme  waren  30,6^  und  6,2^,  während  die  Tagesschwankung  im 
Mittel  10,7**,  im  absoluten  Maximum  18,0**  ergab.  Die  kühle  Zeit  von  Mai 
bis  Oktober  ist  regenlos.  Die  15  Monate  Juni  bis  Oktober  in  den  Jahren 
1897,  1898  und  1899  brachten  alle  zusammen  nur  14,4  mm  Regen,  wovon  10,2 


Deutsch-Ostafrika.  217 

im  Oktober  1899  fielen.  In  den  Sommermonaten  regnet  es,  am  meisten  im 
Januar  und  Februar.  Die  tieferen  Teile  am  kleinen  Rnaha  in  der  N&be  von 
Iringa  steben  dann  unter  Wasser,  nach  dessen  Ablaafen  die  Steppe  sich  mit 
Grün  bedeckt  und  nun  von  großen  Herden  von  Antilopen  und  Zebra  be- 
völkert wird.  Die  Gesamtregenmenge  des  Jahres  überschreitet  kaum  500  mm. 
Südostwind  herrscht  das  ganze  Jahr  vor.  Nördliche  Winde  überwiegen 
mittags  fast  in  keinem  Monat,  früh  und  Abends  in  keinem.  Besonders  ge- 
eignet erscheint  dies  Gebiet  für  Yiehwirtschaft;  doch  ist  auch  europftiscbes 
Getreide  hier  mit  gutem  Erfolg  gebaut  worden. 

Mit  der  BesiedlungsfEhigkeit  Uhehes  durch  deutsche  Landwirte  dürfte 
es  ähnlich  wie  in  Hoch-Üsambara  liegen.  Nur  wird  es  bei  der  größeren  Ent- 
fernung von  der  Küste  noch  schwerer  sein,  die  Menschen  nach  den  gesunden 
Höhen  von  Malariakeimen  nicht  infiziert  zu  bringen,  da  gerade  die  Fluß- 
täler des  ülanga  und  Rufiyi,  die  sich  als  Wege  bieten,  sehr  ungesund  sind, 
und  bei  ihrer  Flachheit  und  durch  die  breiten  großen  Stromschnellen  des 
Bufiji  die  Schiffsverbindung  sehr  erschweren.  Ebendadurch  wird  auch  der 
Absatz  der  landwirtschaftlichen  Produkte  stark  erschwert,  so  daß  der  An- 
siedler dort  zwar  gesund  bleiben  und,  was  er  zum  Leben  braucht,  bauen 
kann,  aber,  wenn  er  nebenbei  noch  verdienen  will,  neben  seiner  Viehzucht 
und  Landwirtschaft  mancherlei  anderes  treiben  muß,  wie  z.  B.  Handel  mit 
Tierfellen  und  Gehörnen,  die  ihm  das  wildreiche  Land  liefern  kann.  Auch 
an  Elefanten  scheint  ühehe  noch  ziemlich  reich  zu  sein. 

Auch  im  Westen  von  Uhehe  finden  wir  am  großen  Buaha  ein  fi*ucht- 
bares  Getreideland,  übena.  Es  ist  gut  angebaut  und  reich  bewässert,  so  daß 
dort  Überschwemmungsgefahren  näher  liegen  als  solche  der  Dürre.  Im 
Januar  treten  dort  fast  täglich  von  heftigen  Güssen  begleitete  Gewitter  auf. 
In  größerer  Entfernung  vom  Fluß  weiter  westwärts  in  der  Landschaft 
Ussangu  aber  finden  wir  aufs  neue  Gras  und  Baumsteppe  vor.  Südlich  von 
Uhehe  gelangen  wir  in  das  Gebiet  Songeas,  das  hochgelegene  Quellgebiet  des 
Luvegu  und  des  Bovuma,  deren  Quellen  kaum  25  km  von  einander  entfernt 
sind.  An  den  Abhängen  dieser  ca.  1500  m  hohen  Berge  finden  wir  vielfach 
Wald,  sonst  meist  Baumsavannen  und  an  den  Flußläufen  dichten  Busch  und 
gewaltige  Bambusbestände,  während  die  höchsten  Erhebungen  baumlose 
Weideflächen  tragen.  In  etwa  1300  m  Seehöhe  sind  hier  die  Missions- 
stationen Peramiho  und  Ngomba  gelegen,  von  denen  für  ein  Jahr  meteoro- 
logische Beobachtungen  vorhanden  ist.  Die  Regenmenge  eines  Jahres  be- 
trägt hier  etwa  1000  mm,  die  ohne  merkliche  sommerliche  Regenpause  in 
den  Monaten  Dezember  bis  April  fallen,  während  der  Winter  fast  ganz 
regenlos  ist.  Die  mittlere  Jahrestemperatur  beträgt  hier  20^.  Der  heißeste 
Monat  ist  der  November  mit  24,1®,  der  kühlste  der  Juni  mit  16,3®  Mittel- 
temperatur. Die  jährliche  Wärmeschwankung  ist  also  ziemlich  groß.  Neger- 
hirse und  Mais  werden  viel  gebaut  und  bringen  auch  in  trockenen  Jahren 
gute  Ernten.     Hungersnot  soll  dort  ganz  unbekannt  sein. 

Westlich  von  hier  erreichen  wir  in  allmählichem  Anstieg  das  Living- 
stone-Gebirge,  das  dicht  am  Nyassasee  hinziehend  die  Wasserscheide  zwischen 
diesem    und    dem    Rovuma-    und  Rufiyigebiet    bildet.      Nur    an    einer    Stelle 

Geognphitobe  ZelUchrifl.  9.  Jahrgang.  1903.  4.  Heft.  15 


218  Hang  Maurer: 

werden  die  steilen  Wände,  in  denen  das  Gebirge  fast  senkrecht  zum  See  ab- 
stürzt, durchbrochen,  um  dem  Ruhuhufluß  einen  engen  Durchpaß  zu  ge- 
statten. Auf  dem  Gebirge  selbst,  das  sich  über  2000  m  Seehöhe  erhebt, 
finden  wir  sehr  spärliche,  lichte  Be wachsung  mit  einer  Flora,  die  der  der 
Alpenmatten  nahe  steht,  und  ausgedehnte  Hochweiden.  Oben  auf  den  Bergen 
ist  es  empfindlich  kalt.  Die  Wakinga  haben  das  ganze  Jahr  hindurch  Feuer 
in  ihren  Hütten.  Dagegen  wird  an  den  Hängen  und  in  den  Gründen  viel 
Ackerbau  in  kleinen  Bubatten  betrieben.  Überhaupt  finden  wir  hier  all- 
gemein die  Erscheinung,  daß  die  kahlen  Höhen  äußerst  kalt  sind,  während 
in  den  geschützten  Schluchten  sich  vielfach  dichter  Wald  breit  macht.  In 
diesen  Wäldern  leben  die  schwarz-weißen  ColobusafTen  und  Wildschweine, 
während  im  offenen  Gelände  hie  und  da  der  Büffel  erscheint. 

Besonders  nördlich  von  der  Ruhuhumündung  fällt  das  Gebirge  dicht  am 
See  äußerst  steil  zu  diesem  herab,  dessen  Spiegel  nur  500  m  über  dem 
Meere  gelegen  ist,  während  sein  Boden  beträchtlich  unter  das  Meeresniveau 
herabgeht,  da  neuere  Lotungen  Tiefen  bis  zu  790  m  ergeben  haben.  Von 
den  steilen  Hängen  sausen  in  den  Schluchten  vielfach  kalte  Fallwinde  herab, 
die  die  Schiffahrt  auf  dem  Njassasee  gefährden.  Auch  Wasserhosen  bei 
Gewitterluft  sind  auf  dem  See  nicht  selten.  Eine  andere  Merkwürdigkeit 
auf  dem  See  sind  Gebilde,  die  einer  Wasserhose  ähneln  und  ebenfalls  mit 
dem  Winde,  meist  von  Ost  nach  West,  über  den  See  hinziehen.  Es  sind 
dichte  braune  Wolken,  bestehend  aus  Milliarden  kleiner  Fliegen.  Der  See 
selbst  ist  nach  Wissmanns  Angabe  nicht  allzureich  an  Fischen,  Krokodilen 
und  Flußpferden;  dagegen  entfaltet  sich  an  seinen  Ufern  ein  reiches  Vogel- 
leben: Perlhühner,  Riesenreiher,  Kormorane,  Möwen,  Schlangenhalsvögel  und 
Adler.  Meteorologische  Beobachtungen  besitzen  wir  am  deutschen  Seeufer 
von  der  Missionsstation  Ikombe  im  Norden  des  Sees. 

Wir  befinden  uns  auch  hier  im  Gebiet  des  indischen  Klimatjpus,  in- 
sofern der  November  mit  26,2^  Mitteltemperatur  der  heißeste  Monat  ist. 
Der  kälteste  ist  der  Juni  mit  20,5**.  Wind  und  Regen  sind  aber  hier  durch 
die  lokalen  Verhältnisse  allein  geregelt  und  von  denen  der  übrigen  Kolonie 
fast  ganz  unabhängig.  Das  hohe  Livingstonegebirge  bildet  eine  scharfe 
Wetterscheide,  und  ganz  entgegengesetzt  der  Erfahrung  im  übrigen  Schutz- 
gebiet finden  wir  seine  Ostseite  trocken  und  schlecht  bewachsen,  seine  West- 
seite, die  dem  Nyassa  zugewendet  ist,  feucht  und  vielfach  waldig.  Eine 
enorme  Üppigkeit  zeigen  z.  B.  die  Bambusbestände  an  den  Nordwesthängen 
des  Gebirges.  Die  Windverhältnisse  regeln  sich  in  folgender  Weise:  So- 
wohl der  Unterschied  zwischen  Land  und  Wasser  wie  der  zwischen  Tal 
und  Gebirgskamm  verlangen  beide  bei  Tage  Winde,  die  vom  See  aus  die 
Hänge  hinaufströmen,  in  der  Nacht  umgekehrt  gerichtete,  und  so  wehen  denn 
in  der  Tat  in  Ikombe  das  ganze  Jahr  hindurch  Nachmittags  2  Uhr  süd- 
liche, um  9  Uhr  Abends  nördliche  Winde.  Die  Winde  vom  See  bringen  sehr 
reichliche  Regengüsse,  und  wir  finden  hier  eine  jährliche  Regenmenge  von 
1800  mm,  2%  mal  so  viel  wie  in  Hamburg  und  doppelt  so  viel  wie  in  der 
gleichen  Breite  am  Indischen  Ozean;  als  eigentlich  trockene  Monate  sind 
höchstens  September  und  Oktober   zu   bezeichnen.     Die   Hauptmengen   fallen 


Deutsch-Ostafrika.  219 

allerdings  in  der  Zeit  von  Januar  bis  Juni;  am  regenreichsten  sind  April 
und  Februar.  Ikombe  hat  im  Eegenmaximum  in  24  Stimden  bis  jetzt  den 
Rekord  in  Deutsch-Ostafrika  erreicht;  es  'fielen  in  den  48  Stunden  vom  16. 
bis  18.  Juni  1898  473  mm,  davon  in  24  Stunden  315  mm,  d.  i.  in  einem 
Tag  nahezu  so  viel  wie  in  Hamburg  in  Yg  Jahr. 

Im  Norden  des  Sees  liegt  das  Kondeland,  einer  der  gesegnetsten  Land- 
striche unserer  Kolonie.  Die  tieferen  Regionen  nahe  am  See  enthalten  sehr 
fruchtbaren  Alluvialboden,  der  wohl  früher  Seeboden  gewesen  ist.  Er  ist 
reich  mit  Bananen  und  Getreide  angebaut.  Außerdem  wird  Maniok,  Mais, 
Negerhirse  und  hauptsächlich  eine  einheimische  Bohne  gebaut.  Die  Bakonde 
sind  treffliche  Ackerbauer.  Zuerst  wird  die  Erde  mit  Hacken  bearbeitet, 
dann  in  langer  Linie  zu  hohen  Beeten  angehäuft,  auf  die  dann  die  Saat  ge- 
streut wird.  Es  wird  gedüngt  und  mit  verschiedenartiger  Pruchtfolge  im 
Feldbau  abgewechselt.  An  Vieh  werden  hauptsächlich  Rinder  gehalten,  die 
vorwiegend  mit  Bananenblättem  gefüttert  werden,  außerdem  aber  auch  Fett- 
schwanzschafe, Ziegen  und  Hühner.  Da  es  in  den  nördlichen,  gebirgigen 
Teilen  von  Kondeland  auch  im  Winter  noch  tüchtig  regnet,  führen  die  Flüsse 
das  ganze  Jahr  hindurch  Wasser.  In  diesen  höheren  Teilen  finden  wir  reidi- 
lich  Laubwald  und  Bambuswald.  Die  Pioniere  unserer  Kultur  sind  hier  die 
Missionare,  die  seit  Beginn  der  90  er  Jahre  sich  ein  reiches  Arbeitsgebiet  er- 
schlossen haben.  Von  3  dieser  Missionsstationen,  Wangemannshöh  in  900, 
Rutenganio  in  1300  und  Manow  in  1600  m  Seehöhe,  liegen  meteorologische 
Beobachtungen  vor.  Danach  ist  auch  hier  der  November  der  wärmste  Monat, 
aber  auch  er  erreicht  in  Manow  kaum  mehr  20®  Mitteltemperatur,  während 
der  Juli  dort  schon  unter  14®  Mitteltemperatur  sinkt.  Die  jährlichen  Regen- 
mengen sind  noch  größer  als  direkt  am  See;  sie  übersteigen  in  Rutenganio 
und  Manow  2000  mm  beträchtlich  und  kommen  mitunter  an  3000  mm  heran. 
Im  April  1893  fielen  in  Manow  979  nmi,  davon  203  mm  an  einem  Tag. 
Von  einer  Regenpause  im  Sommer  ist  hier  keine  Rede;  aber  auch  die  ver- 
hältnismäßig trockenen  Wintermonate  Juni  bis  Oktober  bringen  hier  immer 
noch  300  mm.  Einen  von  der  Natur  angelegten  großen  Regenmesser  be- 
sitzen wir  in  diesem  Gebiet;  es  ist  das  der  kleine  ab-  und  zuflußlose  Wentzel- 
see,  der  an  seinen  steilen  Wänden  die  Marken  der  Wasserstände  früherer 
Jahre  deutlich  erkennen  läßt.  Wir  sehen  daraus,  daß  wir  ims  gegenwärtig 
in  einer  trockenen  KHmaperiode  befinden,  da  die  früheren  Wasserstände  be- 
trächtlich über  dem  heutigen  liegen.  Die  Wassermenge,  die  jährlich  hier 
verdnnstet,  überschreitet  die  Mengen,  die  der  Himmel  nachfüllt.  Allerdings 
wäre  es  verfehlt,  aus  einem  derartigen  Beispiel  auf  eine  trockene  Klima- 
periode zu  schließen.  Da  wir  aber  analoge  Erfahrungen  an  vielen  anderen 
Stellen  des  Schutzgebietes  machen,  wovon  nachher  noch  zu  reden  sein  wird, 
sind  wir  zu  jenem  Schlüsse  berechtigt. 

Kondeland  ist  zur  Anlage  tropischer  Plantagen  außerordentlich  geeignet; 
der  Geologe  Lieder  stellt  es  in  seinem  Werte  noch  über  Usambara.  Die 
Regenmengen  und  die  Regenverteilung  sind  hier  ja  ähnlich  günstig  wie  in 
Usambara,  dabei  ist  aber  der  Boden,  aus  den  Verwittenmgsprodukten  vul- 
kanischer Gesteine  bestehend,  fruchtbarer  als  der  Usambaras.    Zugleich  haben 

15* 


220  Hans  Maurer: 

wir  in  Konde  das  einzige  Land  Dentsch-Ostafrikas  vor  uns,  in  dem  bis  jetzt 
abbaufähige  Steinkohlen  gefunden  worden  sind,  während  der  nördliche  Teil 
des  Landes  reichlich  Eisen  enthält. 

Die  beste  Verbindung  des  Gebietes  mit  dem  Meere  geht  über  den 
Njassasee,  den  der  deutsche  Dampfer  „Hermann  v.  Wissmann^'  befährt,  durch 
den  Shirefluß  und  den  Zambesi  durch  englisches  imd  portugiesisches  Gebiet. 
Daß  eine  Eisenbahn,  die  direkt  durch  den  Süden  unserer  Kolonie  den  Njassa 
mit  der  Küste  verbinden  würde,  ein  Projekt,  dem  einzelne  Kenner  den  Vor- 
zug vor  dem  der  ostafrikanischen  Zentralbahn  geben,  schon  bald  gebaut 
werden  würde,  ist  kaum  zu  erwarten. 

Die  Berge  des  Kondelandes  sind  vulkanischer  Natur  und  steigen  z.  B. 
im  Bungwe  so  hoch  an,  daß  auf  seinem  Gipfel  Schnee  und  Eis  im  August 
beobachtet  worden  sind.  Es  darf  angenommen  werden,  daß  diese  gewaltigen 
Vulkanberge  der  ostafrikanischen  Grabensenke  ihre  Existenz  verdanken,  als 
deren  südlichster  Teil  der  Nyassasee  selbst  aufzufassen  ist,  während  hier  im 
Norden  des  Sees  die  Grabenform  durch  diese  Vulkanbildungen  selbst  völlig 
verwischt  erscheint.  Weitere  Zeugen  vulkanischer  Tätigkeit  finden  wir  in 
dem  Gebiet  in  der  Form  von  heißen  Salzquellen  mit  Sinterterrassen,  wie  sie 
z.  B.  bei  Utengule  gefunden  worden  sind. 

Westlich  von  Konde  schließt  sich  Bundali  an,  ein  schon  merklich 
trockeneres,  aber  fruchtbares  und  gesundes  Grasland,  das  großen  Viehherden 
Nahrung  gibt.  In  Unyika  finden  wir  noch  vielfach  dichten  Steppenwald, 
aber  je  weiter  wir  dann  nach  Westnordwesten  gegen  den  Tanganyikasee  vor- 
schreiten, desto  trockener  und  öder  wird  das  Land.  Nordwestlich  von  dem 
hohen  Bejagebirge,  das  Kondeland  im  Norden  abschließt,  gelangen  wir  in 
die  Bukwasenke,  das  einzige  größere  abflußlose  Gebiet,  das  wir  im  südlichen 
Teile  von  Deutsch-Ostafrika  finden.  Ein  flacher  brackiger  See,  der  Bukuga, 
dessen  Wasser  wie  Chokolade  mit  Milch  aussieht,  füllt  den  äußersten  Süd- 
osten dieser  Senke  aus.  Seine  Ufer  umgeben  Dombüsche  und  trockene 
sandige  Strecken.  Früher,  und  zwar  noch  vor  wenigen  Jahren,  war  der  See 
sehr  viel  ausgedehnter  als  jetzt.  An  seinem  Nordufer  in  Kia  starb  1882 
der  deutsche  Beisende  Kaiser,  dessen  Grab  noch  heute  dort  wohl  erhalten  ist. 
Aber  es  liegt  jetzt  nicht  mehr  am  Seeufer,  sondern  über  100  km  von  diesem 
entfernt.  So  weit  ist  der  See  in  der  gegenwärtigen  trockenen  Klimaperiode 
zurückgewichen.  Etwa  17  km  von  Kaisers  Grab  mitten  im  ehemaligen  See 
liegt  heute  die  Missionsstation  St.  Peter  Claver  von  Bukwa.  Der  See  bedeckte 
1882  noch  etwa  2300  qkm,  heute  aber  ist  er  kaum  700  qkm  groß,  und 
ein  Landgebiet  fünfrnal  so  groß  wie  das  Fürstentum  Beuß  ä.  L.  ist  dort 
gewonnen  worden.  Freilich  ist  es  ein  trauriges  ödes  Steppenland,  und  selbst 
das  schlechte  brackige  Wasser  wäre  dort  wertvoller  als  dieser  Zuwachs  an 
Steppe.  Wie  groß  der  Wassermangel  schon  in  der  allernächsten  Umgebung 
des  Sees  ist,  bezeugt  die  Tatsache,  daß  ein  evangelischer  Missionar,  der 
etwa  vor  einem  Jahr  die  Gegend  bereiste,  nur  ein  paar  Kilometer  vom  See 
als  Gastgeschenk  des  Häuplings  eine  kleine  Menge  schmutzigen  Wassers  er- 
hielt. Bezeichnend  ist  auch,  daß  das  Flüßchen,  das  von  Norden  dem  Buku- 
gasee  zustrebt,   Kavu   heißt,   auf  Deutsch  ,,Trocken",  gewiß  die  sonderbarste 


Deutsch-Ostafrika.  221 

Bezeichnung  für  einen  Fluß.  Trocken  und  sandig  liegt  hier  weithin  die 
Gegend,  und  an  Stelle  der  Wasserhosen  des  Nyassa  sehen  wir  hier  Staub- 
und Sandhosen  die  trockene  Ebene  durchziehen. 

Eine  ähnliche  Erfahrung  über  den  starken  Bückgang  eines  Sees  in 
jüngster  Zeit  konnte  ich  in  kleinerem  Maßstab  in  einem  ganz  anderen  Teile 
OstaMkas,  nämlich  am  Jipesee  südöstlich  vom  Kilimandjaro  machen.  Im 
deutsch-englischen  Grenzvertrag  findet  sich  hier  als  ein  wichtiger  Grenzpunkt 
derjenige  angegeben,  in  dem  der  Breitegrad  3^40'  das  Ostufer  des  Sees  trifft. 
Als  ich  damals  diesen  Punkt  im  Gelände  zu  bestimmen  suchte,  fand  ich, 
daß  der  Breitegrad  den  See  überhaupt  nicht  trifft;  der  See  war  mittlerweile 
so  weit  nach  Norden  zurückgewichen;  und  dadurch  war  der  Grenzpunkt,  wie 
die  Mathematiker  es  nennen,  imaginär  geworden,  eine  Tatsache,  die  an  der 
Grenze  gegen  britisches  Gebiet  ihr  Bedenkliches  hat 

Westlich  von  der  Bukwasenke  gelangen  wir  zum  Tanganyikasee  und 
haben  damit  unseren  Bimdgang  durch  die  deutsche  Kolonie  beendigt. 

VI.  Schluß. 

Zum  Schlüsse  sei  es  gestattet,  unsere  Besultate  noch  einmal  kurz  zu- 
sammenzufassen : 

Nach  der  jährlichen  Wärmeverteilimg  haben  wir  in  der  Kolonie  drei 
Klimatypen  zu  unterscheiden,  von  denen  der  indische  weitaus  den  größten  Teil 
des  Gebietes  beherrscht.  Nur  der  Nordosten  und  der  Nordwesten  gehören  nicht  zu 
seinem  Gebiet.  Er  zeigt  die  höchste  Temperatur  unmittelbar  vor  Beginn  der 
sommerlichen  Begenzeit  etwa  im  November.  Die  ihm  vorausgehende  kühlere 
Zeit  ist  trocken,  vielfach  fast  völlig  regenlos,  und  in  ihr  führt  der  Südost- 
passat die  Herrschaft.  Am  regenreichsten  sind  die  Monate  Dezember  bis 
Februar,  in  denen  wir  im  Nordosten  der  Kolonie  den  asiatischen  Nordost- 
monsun am  stärksten  entwickelt  finden.  Im  zentralen  Teil  des  Landes  und 
im  Süden  der  Küste  dagegen  bringt  es  der  Monsun  auch'  in  dieser  Zeit  nicht 
zur  völligen  Herrschaft,  es  entsteht  dann  nur  ein  Nachlassen  des  Südost- 
passates und  so  eine  Zeit  schwächerer  Winde*  aus  wechselnden  Bichtungen, 
die  die  Veranlassung  zu  der  einzigen  Begenzeit  des  Jahres  sind. 

Im  Nordosten  an  der  Küste,  in  Usambara  und  am  Kilimandjaro  dagegen 
wird  der  Nordostmonsun  in  der  Mitte  des  Sommers  so  kräftig,  daß  die 
Monate  Dezember  bis  Februar  wiederum  eine  Begenpause  darstellen,  und  zwar 
die  trockenste  Zeit  des  Jahres,  womit  der  Februar  der  heißeste  Monat  wird, 
umgekehrt  ist  dort  die  Trockenzeit  des  winterlichen  Südostpassates  lange 
nicht  so  ausgesprochen,  läßt  vielmehr  sogar  eine  schwächer  entwickelte 
Begenzeit,  die  dritte  nach  dem  Bange,  aufkommen,  die  in  den  Gebirgen  kräf- 
tige Steigungsregen  veranlaßt.  Die  beiden  Hauptregenzeiten  aber  im  Norden 
fallen  in  die  Übergänge  vom  Passat  zum  Monsun  und  umgekehrt  zu  Anfang 
und  zu  Ende  des  Sommers. 

Der  dritte  Klimatypus  endlich  trat  im  Nordwesten  der  Kolonie  auf;  es 
war  dies  der  äquatoriale.  Die  Unterschiede  zwischen  dem  wärmsten  und  dem 
kältesten  Monat  waren  hier  sehr  klein,  und  statt  einer  wärmeren  und  einer 
kälteren  Periode  im  Jahr  fanden  wir  hier  je  zwei,  die  beiden  Sommer  dann, 


222  Hans  Maurer:  Deutscb-Ostafrika. 

wann  die  beiden  Erdhalbkugeln  Frübling  und  Herbst  haben;  die  beiden  Winter 
4ann,  wann  die  beiden  Halbkugeln  Sommer  und  Winter  haben.  In  diesem 
Gebiet  zeigten  West-  imd  Nordseite  des  Viktoriasees  sehr  große  Feuchtigkeit 
mit  aus  lokalen  Gründen.  Ebenso  fanden  wir  große  Begenmengen  nördlich 
des  Njassasees  und  an  den  Bandgebirgen  des  abflußlosen  Gebietes  im  zen- 
tralen Teile  des  Nordens.  Die  tägliche  Wärmeschwankung  nahm  mit  der 
größeren  Entfemimg  von  der  Küste  landein  zu,  sie  erreichte  in  den  trockenen, 
vielfach  salzigen  Steppen  ihre  höchsten  Beträge. 

Fassen  wir  nun  noch  die  Kulturfähigkeit  der  einzelnen  Gebiete  ins  Auge, 
so  haben  wir  das  Wissmannsche  Wort  bewahrheitet  gefunden:  ^jq  des  Ge- 
bietes sind  Steppe.  Daß  auch  diese  nicht  völlig  wertlos  ist,  ist  bekannt;  sie 
liefert  manche  Nutzhölzer  wie  das  eisenharte  Kamballaholz,  das  Grenadill- 
holz,  Kautschuk-,  Gerbstoff-  imd  Faserpflanzen  und  besitzt  einen  in  seinem  Wert 
nicht  zu  unterschätzenden  Wildreichtum.  Andere  Erzeugnisse  der  Steppe  sind 
Wachs,  Kopal  und  Salz.  An  der  Küste  fanden  wir  die  Mangrovenbestände, 
die  Nutzhölzer  und  Gerbstoffe  vorwiegend  im  Bufiyidelta  liefern. 

Von  tropischen  Plantagen  haben  sich  an  der  Küste  als  zweifellos  nutz- 
bringend die  von  Kokos,  Faserpflanzen,  Vanille  und  Zucker  erwiesen,  während 
in  den  waldigen  Gebirgen  in  üsambara,  Uluguru  imd  im  Kondeland  Kaffee, 
Kakao  und  Tee  gebaut  werden  können.  Fruchtbare  Alluvialgebiete,  die  für 
Beis,  Mais,  Getreide,  Zucker  und  vielleicht  für  Tabakbau  geeignet  sind,  fanden 
wir  vorwiegend  am  Bufiyi,  Ulanga,  Pangani  und  im  südlichen  Kondeland. 
Für  europäische  Land-  und  Viehwirtschafk  werden  sich  Hoch-Üsambara,  ühehe, 
Hochkonde  und  vielleicht  später  einmal  auch  Ssongeas  Gebiet  und  Buanda 
eignen. 

Der  unlängst  verstorbene  Dr.  Oskar  Bau  mann  rechnet  ein  Gebiet  von 
rund  150  000  qkm  aus,  das  bei  einer  Meereshöhe  von  meist  über  1500  m 
für  europäische  Besiedlung  eventuell  in  Betracht  kommen  könnte.  Das  wäre 
etwa  doppelt  so  viel  Fläche  wie  das  Königreich  Bayern  umfaßt.  Wenn  auch 
an  die  Ausnutzung  großer  Teile  dieses  Gebietes  erst  nach  einer  vollkommenen 
Änderung  der  heutigen  Verkehrsverhältnisse  gedacht  werden  kann,  so  erscheint 
doch  schon  heute  die  wirtschaftliche  Erschließimg  von  Zentralafrika  nur  noch 
eine  Frage  der  Zeit,  wenn  erst  einmal  die  Schienenstränge  von  Kapstadt  und 
vom  Nil  her,  vom  Kongo  und  vom  Mombassa  her  sich  am  Viktoriasee  treffen 
werden. 

Auch  der  Besiedlimg  von  Deutsch-Ostafrika  durch  Europäer  steht  man 
heute  nicht  mehr  ganz  so  abweisend  gegenüber  wie  damals,  als  Baumann 
jene  Aufstellungen  machte.  Die  höheren  Gebirgsländer  sind  vermutlich 
malariafrei,  und  wenn  es  auch  dem  Ansiedler  nicht  möglich  sein  wird,  die 
Malariagegenden  völlig  zu  vermeiden,  so  ist  doch  auch  unsere  Kenntnis  und 
damit  die  Möglichkeit  einer  rationellen  Bekämpfung  dieses  Hauptfeindes  der 
Kolonie  in  der  letzten  Zeit  gewachsen.  Daß  in  großen  Teilen  der  Kolonie  aber 
Vieh-  imd  Landwirtschaft  auf  gute  Erträge  rechnen  können,  ist  erwiesen. 
Die  Frage,  um  die  es  sich  heute  hier  allein  noch  dreht,  ist  die,  ob  es  mög- 
lich sein  wird,  ausreichende  Absatzgebiete  für  diese  Erzeugnisse  zu  schaffen. 
Deren  Beantwortung  gehört  aber  vor  ein  anderes  Forum  als  das  des  Klimato- 


J.  Früh:  Das  Karrenproblem.  223 

logen.  Hoffen  aber  wollen  wir,  daß  es  der  Mitarbeit  des  deutschen  Volke», 
dessen  Energie  und  Intelligenz  im  Herzen  des  wohlgegliedertsten  Erdteiles, 
Europas,  sich  entwickelt  hat,  gelingen  möge,  auch  in  den  plumpen  Landklotz 
Afiika  hinein  der  Kultur  und  wirtschaftlichen  Entwicklung  die  Wege  zu 
bahnen. 

Ausgezeichnete  Vegetationsbilder  aus  Deutsch -Ostafrika  findet  man  außer 
in  dem  Werke  von  Dr.  Fülleborn,  aus  dem  hier  mit  freundlicher  Genehmigung 
des  Verfassers  einige  Aufnahmen  wiedergegeben  sind,  hauptsächlich  in  folgenden 
Werken:  Hans  Meyer,  „Der  Kilimandjaro",  Berlin  1900;  Carl  Chun,  „Aus  den 
Tiefen  des  Weltmeers'',  Jena  1900;  „Vegetationsansichten  aus  Deutsch-Ostafrika 
nach  64  photographischen  Aufnahmen  von  Walter  Goetze,  zusammengestellt  und 
besprochen  von  A.  Engler'',  Leipzig  1902;  Franz  Stuhlmann,  „Mit  Emin 
Pascha  ins  Herz  von  Afrika",  Berlin  1894;  Graf  von  Götzen,  „Durch  Afrika  von 
Ost  nach  West",  Berlin  1896. 


Das  Karrenproblem. 

M.  Eckert,  seit  1893  mit  dem  Karrenproblem  beschäftigt,  gliedert  in 
einem  wissenschaftl.  Ergänzungsheffc  der  Zeitschrift  des  Deutschen  und  öster- 
reichischen Alpenvereins  für  das  Jahr  1902^)  seine  trefflichen,  die  ganze 
Frage  berührenden  Untersuchungen  in  fünf  Abschnitte:  1)  Das  Gottesacker- 
plateau, ein  Karrenfeld.  2)  Verbreitung  der  Karren  und  karrenähnlicher  Ge- 
bilde. 3)  Ansichten  über  die  Entstehung  der  Karren.  4)  Karrenkarte  des 
Gottesackerplateau  und  Karrenbild.  5)  Entstehung  der  Karren  auf  dem 
Gottesackerplateau. 

Die  Karren  der  Ostschweizer  (vgl.  Kar=Geftlß)  od.  Schratten  der  Mittel- 
schweizer (vgl.  Scharte),  Lapiaz  der  Westschweizer  sind  Oberflächen  formen, 
welche  stets  vergesellschaftet  auftreten  als  „Karrenfeld"  oder  „Karrenland- 
schaft" (Eckert  1897).     Man  kann  sie  in  Haupt-  und  Nebenformen  einteilen. 

Zu  den  Haupt  formen  gehören  die  charakteristischen  Zacken,  Schneiden 
und  Gräte,  welche  im  allgemeinen  gleich  Wellenkämmen  parallel  angeordnet 
sind  und,  wie  Duparc  und  E.  Chaix  (1895)  zuerst  erkannt  haben,  auf 
primär  und  tektonisch  angelegte  Spalten  zurückzuführen  sind. 
Es  gibt  auf  weite  Strecken  nachweisbare  Haupt-  oder  Grundspalten,  welche 
im  Gottesackerplateau  OSO — WNW  d.  h.  im  allgemeinen  quer  zum  Streichen 
der  Kalktafeln  verlaufen,  1  mm  —  3  m  breit  und  0,5  —  20  m  tief  sind.  Sie 
werden  von  sekundären  bis  tertiären  Spaltensystemen  geschnitten,  bald  unter 
fast  rechten,  häufiger  unter  schiefen  Winkeln.  Durch  Erweiterung  solcher 
Spalten  entstehen  in  Abstufungen  seichte  elliptische  Karschüsseln,  Karröhren 
oder  in  größerem  Maßstabe  die  cistemenartigen  Karbrunnen  und  großen  Kar- 
trichter oder  eine  Kalktafel  wird  in  Steinwaben  aufgelöst.  So  eiinnert  sich 
der  Referent  der  schachbrettartigen  Entwicklung  von  „Siebes"  im  Waatländer 
Jura,  gewissermassen  ein  Analogon  zu  gewissen  arktischen  Rautenfeldern. 
Die  entstandenen  Karren  zeigen  örtlich  Schattierungen  von  den  messerscharfen 
Firsten    und     lamellaren    Karrenplatten     mit    keilförmig     sich     vertiefenden 

1)  Eckert,  M.  Das  Gottesackerplateau,  ein  Karrenfeld  im  Allgäu. 
Wissenschaftl.  Ergänzungshefte  zur  Z.  d.  D.  u.  ö.  Alpenvereins,  gr.  8®.  lOS  S. 
20  Taf.,  64  Textill.  u.  1  K.  in  1 :  7500.     Innsbruck,  1902. 


224  J.  Früh:  Das  Karrenproblem. 

Zwischenräumen  zu  abgerundeten  niederen  Wülsten  mit  runden  Böden,  letztere 
hauptsächlich  bei  reicher  Anwesenheit  von  Humus.  Hier  hätte  noch  schärfer 
auf  den  an  die  Windungen  des  Großhirns  von  Mammalia  erinnernden  Ver- 
lauf solcher  stumpfer  Firste  hingewiesen  werden  können  (vgl.  Ebel,  Simony, 
Cranmier,  Cvijiö  u.  a.),  die  mehr  tiefere  und  schwach  geneigte  Teile  der 
Landschaft  beherrschen.  Die  Nebenformen  umfassen  die  ,,Karrensteine"  oder 
isolierten,  launenhaft  begrenzten  Trünuner,  die  isolierten,  durch  Zerfall  der 
Kalkmassen  gebildeten  „Karrenblöcke"  und  vor  allem  die  Riefenbildung.  Der 
Verfasser  hätte  einschalten  können,  daß  die  ersteren  streng  genommen  sich 
nicht  auf  Karrenfelder  in  situ  beschränken,  sondern  überall  angetroffen 
werden,  wo  Trümmer  von  reinem  Kalk  in  humusreichem  Boden  begraben  werden, 
z.  B.  innerhalb  Laubmassen  der  Wälder,  im  Humus-  und  Ackerboden.  Die 
Erratica  im  schweizerischen  Mittellande  und  die  Felstrümmer  im  Juragebirge 
liefern  hiefür  zahlreiche  Beispiele.  Unstreitig  ist  die  Riefelung  ein  charakte- 
ristisches Merkmal  der  Karrenphänomene,  jedoch  nur  bei  geneigten  Flächen. 
Bald  erscheinen  die  Karrenrinnen  5  —  50  mm  breit,  10 — 20  tief,  gleich 
der  Kannelierung  dorischer  Säulen  durch  Schneiden  getrennt  und  parallel  von 
den  Firsten  in  der  Richtung  der  Schwerewirkimg  verlaufend,  bald  nach  joni- 
schem Typus  5 — 40  cm  tief,  1 — 8  m  lang  und  durch  flache  Stege  getrennt, 
in  dieser  Form  nur  an  Steilwänden  nicht  unter  50^  Seltener  sind  von 
einer  Kegelspitze  aus  radial  verlaufende  Rillen. 

Fimflecken,  Quellenlosigkeit  sind  begleitende  Erscheinungen.  Innerhalb 
der  2,5  qkm  großen  kartierten  Fläche  zählte  Eckert  im  August  1898 
zwischen  1720  und  2070  m  ca  90  Fimflecken  zu  10 — 160  qm. 

Nachdem  Flora  (zu  wenig  ökologisch),  Fauna  und  wirtschaftliche  Ver- 
hältnisse besprochen,  gibt  der  Verfasser  eine  Übersicht  über  die  Verbreitung 
der  Karren  und  karrenähnlichen  Erscheinungen  (s.  Seite  99).  Die  Abtrennung 
der  letzteren  ist  hiefür  sehr  wichtig.  Karrenartige  Regenrinnen  hat  bekannt- 
lich selbst  der  Granit  der  Tropen  (s.  Ratzel,  Die  Erde,  Bd.  I,  S.  543)  und 
als  karrige  Oberflächen  sind  dem  Referenten  die  Kalke  auf  dem  rechten  Ufer 
des  Rummel  bei  Constantine  (in  Algerien)  in  Erinnerung  im  Gegensatz  zu  der 
splittrigen  Form  der  übrigen  Kalkplateaus.  Lehrreich  ist  die  vergleichende 
Zusammenstellung  der  Ansichten  über  die  Entstehung  der  Karren:  Nur 
chemisch  (Heim,  E.  Richter),  durch  Gletscher  (Agassiz,  Charpentier,  Desor, 
A.  Favre,  E.  Renevier,  Simony  ursprünglich),  durch  Regen  und  Fehlen  einer 
Pflanzendecke  (Penck,  Brückner)  und  von  Humus  (Christ,  Crammer,  Gremblich, 
Waltenberger,  Eckert  1895),  ganz  bis  teilweise.  In  Details  einzutreten, 
müssen  wir  uns  hier  versagen.  Das  fünfte  Kapitel  hat  mehr  allgemeine  Be- 
deutung. Die  Karrenlandschaft  entsteht  nach  Eckert  durch  Abtragimg,  durch 
Erosion,  worunter  die  molekulare  und  die  durch  die  Schwere  bedingte  mecha- 
nische verstanden  sind.  Darauf  deutet  schon  das  dominierende  Vorkommen 
von  alpinen  Karren  überhaupt  in  1700 — 2200  m  hin,  d.  h.  innerhalb  der 
Zone  maximaler  Niederschläge.  Die  ganze  Erscheinung  kann  niemals  auf 
einen  Faktor  allein  zurückgeführt  werden,  sondern  ist  die  Resultierende 
von  vielerlei  Faktoren.  Sie  ist  abhängig  von  dem  Material  und  den  äußeren 
Agentien.  Die  Karren  treten  orographisch  hauptsächlich  in  schwach  ge- 
neigten Kalklandschaften  auf,  femer  in  tektonisch  innerlich  von  Spalten 
durchsetzten  Gesteinen,  endlich  nur  in  reinen  Kalken;  haben  doch  die 
schweizerischen  Naturforscher  den  „Schrattenkalk^'  des  Urgon  schon  lange 
nach  den  Oberflächenformen  von  anderen  Kalken  unterschieden.  Die  chemische 
\nalyse    von    Gesteinen    von    6    verschiedenen    Lokalitäten .  zeigt    eine  über- 


Geographische  Neuigkeiten. 


225 


raschende  Übereinstimmung  und  Reinheit  Wichtig  ist  dann  noch  die  In- 
homogenität des  Gesteins  oder  das  ungleichförmige,  Angriffspunkte  bietende 
innere  Geföge,  obschon  vielleicht  nach  unserer  Ansicht  örtlich  Diaklasen- 
reichtum  ebenso  bestimmend  sein  kann.  Jedenfalls  ist  die  Annahme  leichter 
Bildung  von  Karrenlöchem  an  Stelle  zapfenartiger  Entwicklung  einer  Korallen- 
facies  mit  dem  Verfasser  mehr  als  hypothetisch.  Nach  Erfahrung  des  Ref. 
zeigt  gerade  diese  Facies  massige,  homogene  Gesteine. 

Für  die  Kannellierung  wird  der  Regen  und  die  Wetterseite  in  erster 
Linie  angefahrt  (Wasser  und  Kohlensäure),  dann  die  ftolische  Kraft  von 
Regen,  Schnee,  Hagel;  die  splitternde,  benetzende  Wirkung  von  Frost,  Reif, 
Tau  kommen  allgemein  in  Betracht.  Die  Schneedecke  liefert  Wasser  und 
Kohlensäure,  hat  im  übrigen  „lange  nicht  einen  solchen  Einfluß,  wie  man 
ihr  beizulegen  gewohnt  ist".  Von  unterstützendem  Einfluß  sind  wieder 
höhere  Pflanzen  in  chemischer  und  physikalischer  Hinsicht  (vgl.  auch  für 
Korrosionsfiguren  die  ,JKleesteine"  der  schwäb.  Alb  und  anderer  kalkhaltiger 
Landschaften)  und  nicht  zuletzt  der  Humus.  Dies  muß  für  gewisse  Stadien 
nach  unserer  Anschauung  sehr  betont  werden. 

Was  wir  uns  schon  lange  selbst  als  Aufgabe  gestellt,  finden  wir  auch 
hier  nicht  ausgeführt,  d.  i.  eine  Untersuchung  des  Inhaltes  der  Karrentöpfe, 
eine  Schlemmanalyse,  Prüfung  der  Auslaugungsrückstände,  die  wieder  Schlüsse 
auf  den  Charakter  des  zerstörten  Gesteins  gestatten  würden,  Menge  der 
organischen  Substanz  u.  s.  w.  Sicher  ist,  daß  das  Karren-  und  Karstphänomen 
nicht  streng  zu  trennen  ist,  daß  vielmehr  ersteres  durch  seine  Tiefenwirkung 
mehr  und  mehr  eine  karstartige  Landschaft  erzeugt  (Cvijic).  Die  Karte,  welche 
sich  auf  die  offiziellen  Aufnahmen,  dann  auf  84  Aneroidpunkte  imd  43  Photo- 
graphien stützt  und  von  der  in  Ratzeis  „Erde"  ein  Ausschnitt  verkleinert 
ist,  krönt  mit  den  das  Karrenbild  betreffenden  Erläuterungen  die  ganze 
Abhandlung.  J.  Früh. 


6leo^apliisehe  Neuigkeiten. 


Agien. 

*  Über  den  Karaboghaz- Meer- 
busen, den  bisher  noch  unerforschten 
Ostlichen  Busen  des  Easpi-Sees,  macht 
Woeikof  (Met.  Ztschr.  190S.  S.  64)  auf 
Grund  der  Veröffentlichungen  der  russi- 
schen Earaboghaz  -  Expedition  v.  J.  1807 
bemerkenswerte  Mitteilungen.  Der  Meer- 
busen steht  nur  durch  eine  enge  und 
seichte  Straße  mit  dem  Hauptkörper  des 
Sees  in  Verbindung;  fast  beständig,  außer 
bei  starken  Ostwinden,  fließt  das  Wasser 
vom  EjMpi  in  den  Earaboghaz,  wo  es 
verdunstet.  Eine  Rückströmung  schweren 
salzhaltigen  Wassers,  wie  im  Bosporus, 
den  Dardanellen,  der  Straße  von  Gibral- 
tar und  der  von  Bab-el-Mandeb,  ist  wegen 
der  Seichtigkeit  der  Straße  unmöglich. 
Nach   sorgfältigen  Messxmgen   der  Tiefe 


und  der  Stromstärke  in  der  Straße  ergibt 
sich,  daß  im  Laufe  eines  Jahres  17930  km' 
Wasser  vom  Kaspi  in  den  Earaboghaz 
fließen,  was  bei  der  Oberfläche  des  Bu- 
sens von  18  346  km'  eine  Wasserschicht 
von  0,98  m  oder  rund  1  m  pro  Jahr  gibt. 
Da  das  Wassemiveau  des  Busens  kon- 
stant bleibt,  so  muß  ebensoviel  Wasser 
im  Laufe  des  Jahres  verdunsten,  was  die- 
selbe Verdunstungsmenge  wie  die  für  den 
Easpi  berechnete  ergeben  würde.  Auf 
diese  Weise  nimmt  der  Earaboghaz  eine 
Menge  Salze  aus  dem  Easpi  auf  und  er- 
niedrigt den  Salzgehalt  des  Easpi  jähr- 
lich um  0,00039%  oder  um  1%  in 
2564  Jahren.  Die  Wassermasse  des  Ea- 
raboghaz beträgt  183  465  000  000  m'  und 
sie  enthält  bei  einem  Salzgehalt  von  ca. 
16%  ungefähr  34  178  000000  Metertonnen 


226 


Geographische  Neuigkeiten. 


Salze.  Ans  dem  Kaspi  fließen  jährlich 
ein  33  257  Mill.  m»,  welche  428  Mill. 
Metertonnen  Salze  enthalten;  sie  vermehr- 
ten also  den  Salzgehalt  des  Karaboghaz 
um  l,257o  jährlich  und  lOO^'/o  in  80  Jah- 
ren, falls  nicht  fortwährend  Salze  ausge- 
schieden würden.  Diese  ausgeschiedenen, 
sich  als  Bodensatz  findenden  Salze  sind 
Gyps  und  Glaubersalz,  aber  nicht  Koch- 
salz, wie  man  &üher  glaubte,  da  das 
Wasser  des  Kaspi  ärmer  an  Kochsalz  ist 
als  Wasser  des  Ozeans.  Erst  nach  200 
Jahren  wird,  wenn  die  Verhältnisse  so 
bleiben  wie  jetzt,  die  Konzentration  des 
Wassers  im  Karaboghaz  so  zugenommen  ha- 
ben, daß  eine  Ausscheidung  von  Kochsalz 
und  später  auch  von  Chlorkalium  begin- 
nen kann,  also  ein  russisches  Staßfurt 
entstehen  wird.  Im  großen  und  ganzen 
wirkt  der  Karaboghaz  günstig  auf  den  Kaspi 
ein.  Schon  jetzt  nimmt  das  organische 
Leben  nach  der  Tiefe  ab;  würde  keine 
Ablagerung  der  Salze  nach  dem  Kara- 
boghaz stattfinden,  so  würde  die  vertikale 
Zirkulation  der  Gewässer  noch  schwächer 
werden  als  jetzt,  die  Menge  Sauerstoff 
abnehmen,  die  schon  jetzt  vorhandenen 
Bakterien  würden  die  schwefelsauren 
Salze  zersetzen  und  Schwefelwasserstoff 
bilden,  welcher  sich  bei  Mangel  an  Sauer- 
stoff ansammelt  und  das  Leben  schon  in 
einer  kleinen  Tiefe  unmöglich  macht,  wie 
es  schon  jetzt  im  Schwarzen  Meere  bei 
188  m  der  Fall  ist. 

Afrika. 

*  Über  das  Muidir-Plateau  in  der 
westlichen  Sahara,  welches  die  Tidi- 
kelt-Oasen  von  dem  großen  Tuareg-Massiv 
scheidet,  war  bisher  nur  sehr  wenig  be- 
kannt geworden;  in  jüngster  Zeit  ist  das 
Plateau  von  französischen  Truppen  in 
ihren  Kämpfen  gegen  die  Hoggar-Tuareg 
einigemal  gekreuzt  worden,  und  Leut. 
Bequin  gibt  über  seine  dabei  gemach- 
ten Beobachtungen  in  dem  Bull,  de 
TAfrique  Fran9aise  einige  interessante 
Mitteilungen,  denen  Leut.  Rousseau 
eine  Karte  beigegeben  hat.  Eine  allge- 
meine Charakteristik  der  physischen  Geo- 
graphie der  wildzerklüfteten  Gegend  läßt 
sich  sehr  schwer  geben.  Im  Norden  wird 
das  Plateau  durch  ein  verwickeltes  Sy- 
stem von  Bergrücken  und  im  Westen 
durch  eine  senkrechte  Böschung  von  fast 
gleichbleibender  Höhe  begrenzt,  das  In- 


nere bildet  ein  wirkliches  Chaos.  Cha- 
rakteristisch sind  einmal  die  zahlreichen 
tiefen  Klüfte  zwischen  600  bis  1000  Fuß 
hohen  Wänden  und  dann  die  Felsrücken 
und  Grate,  die  über  das  Plateau  hinziehen 
und  bisweilen  zu  mächtigen  Trümmer- 
haufen zerfallen  sind,  die  das  Aussehen 
von  Mauerresten  haben.  Auf  der  Tal- 
sohle der  tiefen  Klüfbe  ziehen  Wadis  hin, 
welche  mit  Vegetation  bedeckt  sind  und 
guten  Weidegrund  gewähren.  Das  Mui- 
dir-Plateau wird  vor  den  Tidikelt  -  Oasen 
von  der  Natur  durch  einen  regelmäßigen 
Niederschlag  und  durch  einen  Reichtum 
an  Gehölz  bevorzugt.  Es  war  früher  be- 
wohnt, jedoch  scheinen  die  Bewohner 
durch  die  französische .  Besatzung  der 
Tidikelt  -  Oasen  jetzt  verscheucht  worden 
zu  sein.    (Geogr.  Joum.  Vol.  XXI.  S.  322.) 

♦  Die  durch  den  Vertrag  vom  16.  Mai 
1902  (s.  S.  113)  zwischen  Abessinien 
und  dem  ägyptischen  Sudan  fest- 
gesetzte Grenze  verläuft  von  Ombrega 
am  Setit,  der  Südwestecke  Erythräas,  fast 
südlich  über  Gallabat  nach  Bumbod^  am 
Blauen  Nil,  läßt  das  Land  der  Beni 
Changul  und  die  Stadt  Kirin  bei  Äthio- 
pien und  erreicht  den  Baro  etwas  ober- 
halb seiner  Einmündung  in  den  Sobat; 
bis  dahin  bildet  der  Baro  die  Grenze. 
Diese  folgt  dann  dem  Pibor  und  später 
dem  Juba  aufwärts  bis  M^lil^ ,  von 
wo  sie  gradlinig  bis  zum  Schnittpunkt 
des  6.<»  n.  Br.  und  85.<»  ö.  L.  verläuft. 
Gleichzeitig  verpflichtet  sich  der  Negus 
von  Abessinien  in  diesem  Grenzvertrage: 
1)  weder  im  Blauen  Nil,  noch  im  Tanasee 
oder  im  Sobat  Baulichkeiten  auszuführen 
und  von  anderen  ausführen  zu  lassen, 
durch  welche  der  Wasserzufluß  zum  Wei- 
ßen Nil  gehemmt  werden  könnte;  2)  durch 
abessinisches  Gebiet  von  der  englischen 
Regierung  eine  Eisenbahn  bauen  zu  lassen, 
welche  den  Sudan  mit  Uganda  verbindet; 
8)  der  Regierung  des  Sudan  bei  Itang 
am  Baro  ein  Gebiet  von  2  km  Uferlänge 
und  400  Hektar  Oberfläche  zur  Anlegung 
einer  englischen  Handelsstation  unter  eng- 
lischer Oberhoheit  zu  verpachten. 

♦  Durch  die  am  13.  Febr.  erfolgte 
Vollendung  der  Hafenmole  von 
Swakopmund  hat  Deutsch  -  Südwest- 
afrika den  längst  ersehnten  Hafen  erhal- 
ten, der  in  Verbindung  mit  der  Eisenbahn 
Swakopmund — Windhoek  die  wirtschaft- 
liche Entwicklung   dieses  Schutzgebietes 


Geographische  Neuigkeiten. 


227 


hoffentlich  beechlennigen  wird.  Sobald 
man  erkannt  hatte,  daß  die  englisch  ge- 
bliebene Walfischbai  wegen  fortschreiten- 
der Versandang  kein  günstiger  Hanpt- 
eingangshafen  für  Deutsch-Südwestafrika 
wäre,  und  durch  eingehende  Untersuchun- 
gen festgestellt  worden  war,  daß  an  der 
ganzen  Küste  keine  einzige  geeignete 
Landungsstelle  zu  finden  sei,  wurde  der 
Bau  eines  Hafens  bei  Swakopmund,  wo 
wegen  des  Fehlens  der  Dünen  der  Zu- 
gang nach  dem  Innern  sehr  bequem  war 
und  sich  auch  Wasser  fand,  durch  Auf- 
führung einer  Mole  beschlossen.  Am 
2.  September  1899  wurde  der  Grundstein 
zur  Mole  gelegt,  ein  Jahr  später  war  sie 
schon  150  m  lang,  und  am  1.  Mai  1901 
wurde  bereits  die  Landung  der  Post  und 
der  Passagiere  an  der  Mole  gestattet. 
Die  Vollendung  der  Mole  war  schon  für 
Mitte  1902  yorausgesehen ,  aber  eine 
Sturmflut  vernichtete  ein  Stück  derselben, 
so  daß  man  von  neuem  bauen  mußte.  Die 
Kosten  des  Baues  belaufen  sich  auf  ins- 
gesamt 2123000  Mark. 

Australien« 

*  Eine  Durchquernng  des  austra- 
lischen Kontinentes  von  Süd  nach 
Nord  unternahm  i.  J.  1902  der  Reisende 
R.  T.  Maurice,  nachdem  er  schon  im 
vorhergehenden  Jahre  eine  sich  weit  in 
das  Linere  des  Kontinents  erstreckende 
Reise  unternommen  hatte.  Die  Expedi- 
tion, der  14  Kamele  zur  Verfügung 
standen,  brach  im  April  1902  von  Fow- 
lers  Bai  an  der  inneren  Großen  Austra- 
lischen Bucht  nordwärts  auf  und  brauchte 
sieben  Monate,  um  die  Nordküste  bei 
Wyndham  am  Cambridge  Golf  zu  er- 
reichen. Man  entdeckte  verschiedene 
Wasservorkommen,  welche,  da  das  Jahr 
ausnahmsweise  trocken  war,  zweifelsohne 
das  ganze  Jahr  hindurch  Wasser  halten. 
Über  Oolarinna  gelangte  der  Reisende  zur 
Everard  -  Range ,  wo  trotz  kurz  vorher 
gefallenen  Regens  nur  schwer  Wasser  zu 
finden  war.  Die  Gegend  bei  Musgrave 
Range  erwies  sich  trostloser,  als  man 
bisher  geglaubt  hat;  von  den  Scharen 
von  Kaninchen,  welche  sich  einst  hier 
tummelten,  waren  nur  noch  wenige  Exem- 
plare sichtbar.  Jenseits  der  Musgrave 
Range  mußte  eine  steile,  zerklüftete  Berg- 
kette passiert  werden,  und  dann  erreichte 
die  Expedition  Opparina,  wo  das  im  vo- 


rigen Jahre  gefundene  fließende  Wasser 
immer  noch  floß.  Hier  fand  man  in 
einem  Baume  nach  Entfernung  der  unte- 
ren Zweige  eine  Inschrift  „J.  Lamb",  die 
von  einem  unbekannten  Besucher  dieser 
entfernten  Gegend  herrührt.  Auf  dem 
Weitermarsche  nach  dem  Amadeus-See 
fand  man  etwas  südlich  von  demselben 
ein  Wasservorkommen  und  in  dessen  Nähe  • 
Spuren  eines  alten  Lagerplatzes.  Da  man 
den  Amadeus-See  wegen  der  Weichheit 
des  Bodens  nicht  durchkreuzen  konnte, 
mußte  man  ihn  in  westlicher  Richtung 
umgehen  und  fand  dann  bei  Giles*  Creek 
ein  großes  Wasserloch  mit  einem  Inhalt 
von  ungeföhr  1  Mill.  Gallonen  klaren 
Wassers.  Bei  Eva  Springs  an  Warbur- 
tons Route  fand  man  noch  Reste  von 
dem  Lagerplatz  dieses  Reisenden  v.  J. 
1873  und  entdeckte  in  der  Nähe  zwei 
herrliche  Quellen.  Jenseit  des  Mt.  Sing- 
leton wurde  eine  ungewöhnlich  große 
Höhle  entdeckt  und  nach  einem  Marsche 
durch  die  trostloseste  Wüste  Dr.  David- 
sons Route  erreicht.  Da  hier  ein  Teil 
der  Kamele  durch  giftiges  Futter  zu 
Grunde  ging,  suchte  man  sobald  als 
möglich  bewohntes  Land  zu  erreichen 
und  gelangte  Sturts  Creek  entlang  auf 
vielbegangenen  Wegen  nach  Wyndham 
am  Cambridge,  wo  die  Reise  ihr  Ende 
erreichte.  (Geogr.  Joum.  Vol.  XXI.  S.  823.) 
♦  In  Coolgardie  auf  den  westaustra- 
lischen Goldfeldern  fand  dieser  Tage  in 
Gegenwart  der  Vertreter  sämtlicher  austra- 
lischer Staaten  die  feierliche  Eröffnung  der 
525  Kilometer  langen  Wasserleitung 
statt.  Coolgardie,  eine  Stadt  von  nahezu 
40  000  Einwohnern,  liegt  in  öder  Wüste 
und  bezog  sein  Wasser  bisher  aus  12 
Sammelteichen,  die  durch  Regenwasser 
gespeist  wurden  und  in  günstigen  Jahren 
für  einige  Monate  Vorräte  aufspeicherten. 
Das  rasche  Wachstufu  der  Stadt  und  der 
umstand,  daß  die  Goldproduktion  oft  eine 
monatelange  Unterbrechung  erlitt,  wenn 
wenig  Regen  fiel,  brachte  die  Regierung 
auf  den  kühnen  Gedanken,  das  Wasser 
aus  dem  Helena fluß  unweit  Perth  in 
einer  eisernen  Röhrenleitung  auf  die  Gold- 
felder zu  führen.  Im  Jahre  1898  begann 
der  Bau,  dessen  Kosten  auf  50  Mill.  Mark, 
also  600  Mark  auf  den  Kopf  der  Bevölke- 
rung, veranschlagt  waren.  Am  Helena- 
fluß jenseits  der  Darlingsberge  legte  man 
ungeheure  Brunnen  an,  hob  das  Wasser, 


228 


Geographische  Neuigkeiten. 


um  den  nötigen  Druck  zu  haben,  780  Meter 
in  die  Höhe  und  führte  nun  die  Leitung, 
indem  man  die  gußeisernen  Röhren  ein- 
fach auf  die  Erde  legte,  über  Berg  und 
Tal,  durch  Wald  und  Wüste  ihrem  Be- 
stimmungsorte zu.  Nach  genau  fünQäh- 
riger  Arbeit  ist  das  Werk  vollendet,  die 
Anschlagskosten  wurden  nicht  überschrit- 
ten, und  täglich  entströmen  jetzt  22  Mill. 
Liter  klares,  reines  Wasser  der  Leitung. 
Die  Leitung  wird  bis  Ealgoorlie,  dem 
zweiten  Zentralpunkte  der  Goldfelder, 
weitergeführt  werden;  ihre  Gesamtlänge 
beträgt  dann  640  Kilometer  und  das  An- 
lagekapital 60  Mill.  Mark.  Es  ist  natürlich, 
daß  die  Fertigstellung  dieses  Biesen werks 
einen  bedeutenden  Einfluß  auf  die  Gold- 
gewinnung haben  kann  —  man  berechnet 
den  Ertrag  für  das  Jahr  1902/08  auf 
200  Mill.  Mark.  (Köln.  Z.) 

Polargegenden. 

*  Das  wissenschaftliche  Ergeb- 
nis der  vierjährigen  Gradmessungs- 
arbeiten auf  Spitzbergen  besteht  in 
der  Messung  eines  Meridianbogens  von 
4^11'  zwischen  dem  Keilhaus  -  Berg  im 
Süden  und  der  Kleinen  Tafel  -  Insd  im 
Norden.  Die  russische  Abteilung  vermaß 
den  südlichen  Teil  zwischen  76^88'  und 
79®4'  n.  Br.,  die  schwedische  den  nörd- 
lichen bis  80<^49'  n.  Br.  Die  von  den 
Schweden  vermessene  Basis  war  10  960 
Yards,  die  der  Bussen  6799  Yards  lang. 
Breitenbestimmungen  wurden  außer  an 
allen  Punkten,  an  denen  Winkelmessun- 
gen nötig  waren,  noch  an  sechs  Punkten 
vorgenommen,  wodurch  im  ganzen  29 
Breiten  oder  eine  auf  je  9  Minuten  des 
Bogens  gemessen  wurden.  Schweremessun- 
gen mittelst  des  Pendels  wurden  au  ver- 
schiedenen Punkten  vorgenonmien.  Außer 
der  Vermessung  wurde  auch  den  meteo- 
rologischen, geologisdien  und  botanischen 
Beobachtungen  g^oße  Aufinerksamkeit  ge- 
schenkt. Alle  Beobachtungen  sollen  ein- 
gehend veröffentlicht  werden;  jede  der 
beiden  Kommissionen  soll  ihre  Vermes- 
sungsetgebnisse  selbständig  berechnen, 
das  Endresultat  aber  gemeinsam  festge- 
stellt werden.  Von  der  vermessenen  Ge- 
gend soll  eine  Karte  im  Maßstabe  von 
1 :  200  000  und  von  den  einzelnen  Trian- 
gulationspunkten Spezialkarten  in  größe- 
rem Maßstabe  veröffentlicht  werden.  Die 
Forschungsergebnisse  werden  binnen  Jah- 


resfrist in  französischer  Sprache  gedruckt 
werden,  zuerst  die  geodätischen  und  astro- 
nomischen und  die  Schwerebestimmungen, 
später  die  meteorologischen,  magnetischen 
u.  a.  Beobachtungen. 

«  Aus  Irkutsk  kam  am  18.  März  die 
Nachricht,  daß  der  Zoolog  von  der 
Polarezpedition  des  Baron  v.  Toll, 
Bjalinitzki-Birula,  von  den  Neusibirischen 
Inseln  wohlbehalten  dort  angekommen 
sei.  Wie  bereits  früher  (1902,  S.  708) 
mitgeteilt  wurde,  hatte  sich  Birula  vom 
Winterhafen  auf  Kotelnoi,  wo  die  gesamte 
Expedition  überwintert  hatte,  am  1.  Mai 
nach  der  Insel  Neusibirien  aufgemacht, 
um  den  Sommer  über  dort  zoologischen 
Studien  obzuliegen,  während  Baron  v. 
Toll  am  28.  Mai  mit  dem  Astronomen 
Seeberg  und  zwei  Jakuten  nach  der  Ben- 
nett-Insel  aufbrach.  Beide  Parteien  konn- 
ten am  Schluß  des  Sommers  wegen  der 
ungünstigen  Schiffahrtsverhältnisse  von 
dem  Expeditionsschiff  „Sarja^*  nicht  ab- 
geholt werden  und  mußten  deshalb  auf 
den  Inseln  überwintern.  Birula  ist  nun 
glücklich  heimgekehrt,  während  vom  Ba- 
ron V.  Toll  noch  keine  Nachricht  wieder 
eingetroffen  ist.  Man  hat  daher  bereits 
im  Februar  den  Ingenieur  Brußnjeff  mit 
einer  Hilfsexpedition  nach  den  Neusibiri- 
schen Inseln  abgesandt  und  nach  Eintreffen 
der  Nachricht  von  der  Bückkehr  Birulas 
ist  der  Leutnant  Koltschak,  ein  ehemali- 
ges Mitglied  der  „Sarja^'- Expedition,  im 
Auftrag  der  Petersburger  Akademie  der 
Wissenschafben  mit  einem  Teil  der  Be- 
satzung der  „Saija*^  von  Irkutsk  nach 
Norden  aufgebrochen,  um  über  üsijjansk 
und  Kasatschje  nach  Neusibirien  und  von 
da  nach  der  Bennett-Insel  vorzudringen 
und  dem  Baron  v.  Toll  Hilfe  zu  bringen. 

*  Eine  französische  Nordpolar- 
expedition rüstet  gegenwärtig  Dr. 
Charcot  mit  Unterstützung  verschiedener 
wissenschaftlicher  Gesellschaften  Frank- 
reichs aus.  Das  Expeditionsschiff  mißt 
82  m  Länge  und  7  y,  m  Breite,  hat  einen 
Gehalt  von  400  Tonnen  und  ist  sowohl 
Dampf-  als  Segelschiff.  Für  die  in  Aus- 
sicht genommenen  geologischen,  zoologi- 
schen, bakteriologischen,  meteorologischen, 
hydrographischen  u.  a.  Forschungen  sind 
genügende  Arbeitsräume  im  Schiffe  vor- 
gesehen. Auf  der  sechzehn  Monate  lan- 
gen Reise  soll  die  Expedition  Jan  Mayen, 
Spitzbergen,  Nowaja  Semlja  und  Franz- 


Geographische  Neuigkeiten. 


229 


Josef-Land  besuchen.  An  der  Expedition 
nehmen  außer  Charcot,  der  als  Arzt  und 
Bakteriologe  tätig  sein  wird,  der  belgi- 
sche Südpolfahrer  de  Gerlache  als  Kapitän 
und  noch  sechs  andere  Gelehrte  teil.  Die 
Reise  soll  im  Mai  von  Le  Havre  aus  an- 
getreten werden.  Seit  Dtunont  d'ürvilles 
Polarexpedition  i.  J.  1888  ist  dies  wieder 
die  erste  französische  Polarexpedition. 

(j^eographiseher  Unterrieht. 
Oeographisohe  Vorlesungen 

an  den  deutschsprachigen  UnivereitÄten  und  tech- 
nischen Hochschalen  im  Sommersemester  1903 1. 
Deutsches  Reich. 
Berlin:   o.  Prof.  v.  Richthofen:  Die 
Inselländer  Ost-Asiens  und  Ozeaniens,  48t. 

—  Kartographische  Übungen.  —  Kollo- 
quium, 2 st.  —  o.  Prof.  Sieglin:  Erklä- 
rung von  Skylax*  Periplus  Maris  intemi 
(Geographie  der  Mittelmeerländer),  28t.  — 
Im  Seminar  für  historische  Geographie: 
Gtoogpraphie  Italiens  und  der  wichtigsten 
Provinzen  des  römischen  Reiches,  2  st.  — 
Pd.  Meinardus:  Die  Methoden  der 
neueren  Meeresforschung,  Ist.  —  Die 
Probleme  der  modernen  Polarforschung, 
Ist.  —  Pd.  Kretschmer:  Geographie 
Deutschlands,  2  st.  —  Pd.  Streck:  Übun- 
gen des  Seminars  ftlr  historische  Geogra- 
phie: Einführung  in  das  Studium  der 
arabischen  Geographen,  2  st. 

Bonn:  o.  Prof.  Rein:  Geographie  Eu- 
ropas mit  Ausnahme  Deutschlands,   4  st. 

—  Übungen,  2st.  —  Pd.  Prof.  Philipp- 
son:  Mathematische  Geographie  und 
Kartenlehre,  mit  Übungen,  2  st.  —  Grund- 
züge der  Festlandskunde,  2  st. 

Breslau:  o.  Prof.  Part  seh:  Geogra- 
phie von  Europa,  4  st.  —  Gletscherkunde, 
2 st.  —  Übungen  des  Seminars,  2 st.  — 
Pd.  Leonhard:  Geographie  von  Vorder- 
Asien,  28t. 

Erlangen:  a.  o.  Prof.  PechuSl- 
Loesche:  Australien  und  Ozeanien,  4 st. 

—  Übungen,  2  st. 

Freiburg  i*  Br.:  o.  Hon.-Prof.  Neu- 
mann:  Mitteleuropa,  4  st.  —  Methode  und 
Hilfsmittel  des  geographischen  Unterrichts, 
1  st.  —  Kartenentwurfslehre,  1  st.  —  Kollo- 
quium. 

Gießen:  a.  o.  Prof.  Sievers:  Klima- 
kunde, 2  st.  —  Geographie  von  Deutsch- 
land, 4  st.  —  Kartenkunde,  2  st.  —  Karto- 
graphische Übungen,  2  st.  —  Exkursionen. 

GKSttingen:  o.  Prof.  Wagner:  Mathe- 


matische Geographie,  4 st.  —  Kartogra- 
phischer Kurs  für  Anfänger,  U.  Teil: 
Karteninhalt,  28t.  —  Übungen  für  Fort- 
geschrittenere, lV,st. 

Oreifswald:  o.  Prof.  Credner:  Grund- 
züge der  Klimatologie,  2  st.  —  Geographie 
des  außermediterranen  Europas,  Sst.  — 
Übungen  mit  Exkursionen. 

Halle:  o.Prof.Kirchhoff:Ausge^;v^hlte 
Abschnitte  aus  der  Anthropogeographie, 
Ist.  —  Asien,  4 st.  —  Südliches  Mittel- 
europa, Ist.  —  Palästinakunde,  Ist.  — 
Übungen  im  Seminar,  Ist.  —  Pd.  Prof. 
Ule:  Allgemeine  Erdkunde,  I.  Teil,  48t. 

—  Topographische  und  geogpraphische  Auf- 
nahmen  mit  praktischen  Übungen,   2  st. 

—  Pd.  Prof.  Schenck:  Physische  Geo- 
graphie und  Geologie  des  norddeutschen 
Flachlandes.  —  Kolloquium,  2st. 

Heidelberg:  a.  o.  Prof.  Hettner: 
Die  außereuropäischen  Erdteile,  mit  Rück- 
sicht auf  Weltwirtschaft  und  Politik,  4  st. 

—  Einführung  in  das  geographische  Ver- 
ständnis deutscher  Landschaft  und  Kultur, 
Ist.  —  Übungen  im  Seminar,  28t. 

Jena:  a.  o.  Prof.  Dove:  Geographie 
von  Asien,  3  st. 

Kiel:  o.  Prof  Krümm el:  Geschichte 
der  Geographie  im  19.  Jahrhundert,   Ist. 

—  Das  Deutsche  Reich,  4 st.  —  iSrakti- 
kum,  2  st. 

Königsberg:  o.  Prof  Hahn:  Über  die 
neuesten  Polarreisen,  mit  kurzer  Über- 
sicht der  Polargebiete,  1  st.  —  Geographie 
von  Afrika,  3  st.  —  Übungen,  iy,8t. 

Leipzig:  o.  Prof  Ratzel:  Der  Atlan- 
tische Ozean  und  die  atlantischen  Mächte, 
politisch-  und  verkehrsgeographisch,  3  st. 

—  Die  wissenschaftliche  Auffassung  und 
Darstellung  der  Landschaft,  1  st.  —  Übun- 
gen über  ausgewählte  Fragen  der  Mor- 
phologie, Ist.  —  a.  o.  Prof.  Berger:  Die 
Geogpraphie  zur  Zeit  der  Eroberungen  in 
Amerika  und  Südasien,  2  st.  —  Im  histo- 
risch-geographischen Institut:  Die  Nach- 
richten von  der  Kugelgestalt  der  Erde 
bei  den  Griechen,  iy,st.  —  Pd.  Fried- 
rich: Uandelsgeographie,  2  st.  —  Im  geo- 
graphischen Seminar  im  Auftrag  des  Di- 
rektors: Besprechungen  aus  dem  Gebiete 
der  Pflanzen-,  Tier-  und  Menschengeo- 
graphie, Ist.  —  Kartenskizzen  an  der 
Wandtafel,  Ist. 

Marburg:  o.  Prof  Fischer:  Geogra- 
phie von  Deutschland,  4  st.  —  Kartenkund- 
liche Übungen,  2  st. 


230 


Geographische  Neuigkeiten. 


München: 

Münster:  o.  Prof.  Lehmann:  Allge- 
meine physische  Erdkunde,  I.  Teil,  3 st. 

—  Geographie  von  Süddeutschland  und 
den  Alpenländem  Mitteleuropas,  3 st.  — 
Die  geographischen  Grundlagen  des  Wirt- 
schaftslebens im  mittleren  und  östlichen 
Teil  von  Norddeutschland,  Ist.  —  Über 
die  afrikanischen  Schutzgebiete  des  Deut- 
schen Reiches,  Ist.  —  Übungen,  28t.  — 
Exkursionen. 

Itostook:  0.  Prof.  Geinitz:  Quartär 
Europas  und  sein  Einfluß  auf  die  Ober- 
flächengestaltung, 2 st.  —  Pd.  Fitzner: 
Geographie  von  Deutschland,  2 st.  — 
Einführung  in  das  geographische  Studium 
und  die  Methodik  des  geographischen 
Unterrichts,  1  st.  ~  Übungen,  2  st.  —  An- 
leitung zu  geogr.  Beobachtungen  und  Ar- 
beiten auf  Exkursionen. 

Straßbnrg:  o.  Prof.  Gerland:  Geo- 
physik, I.  Teil,  4 st.  —  Die  Sintflut,  Ist. 

—  Seminar,  2 st.  —  Pd.  Prof.  Rudolph: 
Geogpraphie  von  Italien  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  Altertums,  2 st.  — 
Geographie  von  Frankreich,  28t. 

Tübingen:  a.  o.  Prof.  Sapper:  Landes- 
kunde von  Württemberg,  2  st;  —  Ethno- 
graphie der  mittel-amerikanischen  India- 
nerstämme, 1  st.  —  Kartographisches  Prak- 
tikum mit  Übungen  im  Feld,  2  8t. 

Würzburg:  a.  o.  Prof.  Regel:  Das 
Deutsche  Reich,  ist.  —  Das  Deutschtum 
an  unseren  Sprachgrenzen,  Ist.  —  Übun- 
gen (Morphologie  der  Erdoberfläche),  2  st. 

Vereine  und  Yergammlangeii« 

♦  Der  Vorstand  der  Abteilung  für 
Geographie,  Hydrographie  und 
Kartographie  der  76.  Versammlung 


deutscher  Naturforscher  und  Ärzte 
in  Cassel  (15.— 26.  Sept.  1903)  lädt  die 
Fachgenossen  zu  dieser  Tagung  ein  und 
bittet,  Vorträge  und  Demonstrationen  wenn 
möglich  bis  zum  15.  Mai  d.  J.  bei  dem 
Einführenden  dieser  Gruppe,  Oberlehrer 
P.  Gally  (Cassel,  Schlangenvreg  15)  an- 
zumelden. 

4  Die  Sitzungen  des  IX.  internatio- 
nalen Geologen-Kongresses  in  Wien 
(vgl.  G.  Z.  1902.  S.  652)  dauern  (nach 
einem  n.  Rundschreiben)  vom  20.  bis 
27.  Aug.  d.  J.  Der  Mitgliederbeitrag 
(20  Kr.  s=sz  IS  JC)  ist  an  den  Schatzmeister 
des  Kongresses,  Berg^at  Max  von  Gut- 
mann (Wien,  L,  Kantgasse  6)  zu  richten, 
ebenso  20  Kr.  für  jede  Exkursion,  an  der 
man  teilzunehmen  v^ünscht.  Der  „livret- 
guid&*  wird  den  Mitgliedern  auf  Wunsch 
zum  Preis  von  10  Kronen  zugestellt. 
Hauptberatung^gegenstände  werden  sein: 
1)  Der  gegenwärtige  Stand  unserer  Kennt- 
nis von  den  krystallinen  Schiefem ;  2)  Das 
Problem  der  Überschiebungen  und  der 
Klippen;  3)  Geologie  der  Balkan-Halbinsel 
und  des  Orients. 

Persönliches. 

üf-  Dr.  Moritz  Lindeman,  der  sich 
durch  seine  Arbeiten  über  Seefischerei 
und  Polarreisen  in  der  geographischen 
Welt  bekannt  gemacht  hat  und  auch 
dieser  Zeitschr.  seit  ihrem  Bestehen  durch 
rege  Mitarbeit  ein  lebhaftes  Interesse  ent- 
gegenbringt —  es  sei  hier  nur  an  seine 
Aufsatzreihe  über  die  Nordpolar-Beisen 
der  letzten  Jahre  im  vorigen  Jahrgang 
erinnert  —  hat  am  27.  März  in  Dresden 
seinen  80.  Geburtstag  gefeiert. 

F.  Th. 


Bficherbesprechangen. 


Schoedlers  Buch  der  Natur.    23.  Aufl. 
2.  Teil.    2  Abteilungen:  Mineralogie 
und  Geologie.    Von  B.  Schwalbe f, 
E.  Schwalbe  und  H.  Böttger.    VI 
u.  776  S.    418  Abb.  u.  9  Taf.    Braun- 
schweig, Vieweg  &  Sohn  1908.  JC  12.—. 
Schoedlers  Buch  der  Natur  erfreut  sich 
eines  so  ausgezeichneten  Rufes,   daß  es 
l^aum   nötig   erscheint,    zu   seinem  Lobe 


hier  etwas  Besonderes  zu  sagen.  Der 
leitende  Gesichtspunkt,  die  einzelnen  natur- 
wissenschaftlichen LehrgegeuBtände  unter 
sich  und  mit  verwandten  Unterrichts- 
fächern möglichst  eng  zu  verknüpfen,  ist 
auch  in  der  neuen  Bearbeitung  streng 
festgehalten  worden.  In  diesem,  der  Mi- 
neralogie und  Geologie  gewidmeten  Teile 
sind  demgemäß  die  chemischen  und  phy- 


Buch  erb  esprechungen. 


231 


aikalisclien  Prozesse,  welche  bei  der  Ent- 
wickelungsgeschichte  der  Erde  und  bei 
der  Bildung  der  Mineralien  und  Gesteine 
eine  Rolle  spielen,  eingehend  erörtert 
und  ist  die  Entwickelung  des  organischen 
Lebens  in  ihren  Hauptzügen  zur  Dar- 
stellung gebracht.  Ebenso  sind  die  geo- 
gpraphischen  Gesichtspunkte  und  die  Be- 
ziehungen zu  dem  Menschen  überall  klar 
hervorgehoben.  Die  Darstellung  ist  ein- 
fach und  klar,  die  Anordnung  des  Stoffes 
sehr  übersichtlich.  Die  Ausstattung  durch 
Illustrationen  ist  geradezu  mustergültig. 
Die  dynamische  Geologie,  welche 
etwa  die  Hälfte  des  Bandes  einnimmt,  ist 
mit  besonderer  Liebe  und  Verständnis 
behandelt.  Die  ihr  gewidmeten  Abschnitte 
stehen  durchaus  auf  wissenschaftlicher 
Höhe  und  haben  auch  die  neueste  Lite- 
ratur gewissenhaft  berücksichtigt.  Weni- 
ger geglückt  sind  die  Abschnitte  über 
Petrographie  und  Formationslehre.  Auch 
finden  sich  in  ihnen  manche  auffallende 
Fehler  und  Versehen,  welche  in  einer 
neuen  Auflage  ausgemerzt  werden  müß- 
ten. Ich  will  hier  nur  einiges  wenige  an- 
führen. Eigentümliche  Versehen  sind  es 
jedenfalls,  wenn  (S.  196)  gesagt  wird,  daß 
Kohlen-  und  Permformation  unter  dem 
Namen  Djas  zusammengefaßt  würden, 
wenn  (S.  199  ff)  der  Name  „Laurentische 
Formation"  als  gleichbedeutend  mit  azoi- 
scher Formationsgruppe  gebraucht,  die 
„Huronische  Formation"  Nordamerikas 
dagegen  als  Äquivalent  des  älteren  Pa- 
läozoikums bezeichnet  wird,  während  an 
anderen  Stellen  die  Namen  Dyas,  Lau- 
rentische, Huronische  Formation  durch- 
aus in  dem  gebräuchlichen  Sinne  ange- 
wandt werden.  Die  Beschränkung  der 
Bezeichnung  „Lava"  auf  die  glasigen  Mo- 
difikationen der  vulkanischen  Gesteine 
(S.  176)  ist  mindestens  ungebräuchlich, 
die  Angabe,  daß  die  Porphyre  keinen 
eigentlich  vulkanischen  Charakter  haben 
(S.  220),  geradezu  falsch.  Der  Unterschied 
zwischen  plutonischen  oder  Tiefengestei- 
nen und  vulkanischen  oder  Ergußgestei- 
nen ist  überhaupt  nirgends  recht  klar 
hervorgehoben.  Daß  unter  den  Beweisen, 
daß  in  der  azoischen  Periode  bereits  or- 
ganisches Leben  bestanden  habe,  auch 
die  Tatsache  angeführt  wird,  daß  in  den 
krystallinischen  Schiefem  der  Alpen  Spu- 
ren von  Belemniten  gefunden  seien  (S.  199), 
wirkt  auch  recht  befremdend.    Denn  die 


betreffenden  krystallinischen  Schiefer  bind 
doch  nichts  anderes  als  metamorphisierte 
Lias-Schichten.  Daß  die  Dyas  arm  an 
Versteinerungen  sei  (S.  206),  ist  auch  nicht 
allgemein  richtig,  sondern  nur  für  ihr 
eines  Glied,  das  Rotliegeude,  gültig,  nicht 
aber  für  den  Zechstein  und  die  Tiefsee- 
facies  der  Dyas.  Die  Angabe,  daß  sich 
bei  nfeld  am  Harz  und  bei  Halle  Stein- 
kohlenlager finden  (S.  204),  beruht  offen- 
bar auf  einer  Verwechslung  mit  Braun- 
kohlenlagem.  Leopold  v.  Buch  als  An- 
hänger der  Descendenz  -  Theorie  zu  be- 
zeichnen (S.  232),  ist  doch  auch  kaum 
angängig.  R.  Langenbeck. 

Dove^  Karl«  Wirtschaftliche  Landes- 
kunde der  deutschen  Schutz- 
gebiete. (Dr.  L.  Hubertis  Moderne 
kaufmännische  Bibliothek.)  Vlil  u. 
113  S.  Leipzig,  Huberti  1902.  AL  2.76. 
Der  Verf.,  dessen  Bildnis,  Vertrauen 
zum  Klima  der  Schutzgebiete  weckend, 
statt  der  sonst  gewählten  Figuren  im 
Jugendstil  die  Vignette  am  Kopf  des 
Vorworts  ziert,  will  keine  wissenschaft- 
liche Geographie  der  deutschen  Kolonien 
schreiben,  sondern  nur  die  für  deren  wirt- 
schaftliche Verwertung  wichtigen  Tat- 
sachen zu  einem  Bilde  der  Einzelland- 
schafteu  verarbeiten.  Das  ist  eine  inter- 
essante Aufgabe,  deren  Lösung  jeder  Leser 
mit  Aufmerksamkeit  verfolgen  wird.  Im 
Vordergrund  stehen  Lage  und  Aufbau  der 
Länder  als  Bedingungen  der  Verkehrs- 
entwicklung,  das  Klima  als  Daseins- 
bedingung alles  organischen  Lebens,  wäh- 
rend Beschaffenheit  und  Wert  der  nur 
kurz  erwähnten  Erzeugnisse  als  bekannt 
vorausgesetzt  werden.  Geographische  Ein- 
zelheiten treten  zurück,  um  Baum  für 
wirtschaftliche  Angaben  (Mittel,  Kosten, 
Geschwindigkeit  des  Verkehrs)  zu  ge- 
winnen. Über  das  Ergebnis  dieser  Stoff- 
auswahl werden  die  Anschauungen  viel- 
leicht etwas  auseinandergehen.  Daß  eine 
wirtschaftliche  Landeskunde  unserer  Ko- 
lonien es  geradezu  vermeidet,  die  Eng- 
länder als  Nachbarn  Togos,  ihre  Uganda- 
Bahn,  ihre  Telegraphenlinie  vom  Kap  zum 
Tanganika -See,  ihre  privilegierten  Er- 
werbsgesellschaften auf  dem  Boden  Süd- 
west-Afrikas zu  erwähnen,  wird  manchen 
überraschen.  Aber  innerhalb  des  Planes, 
den  er  selbst  entworfen  und  folgerichtig 
festhält,    erweist   sich    der   Verf.    selbst- 


232 


Bücherbesprechungen. 


verständlich    als    überaus    sachkundiger 
Führer  der  Leser,  an  die  er  sich  wendet. 
J.  Partsch. 

Drade,  0.  Der  hercynische  Floren- 
bezirk. Grundzüge  der  Pflanzen- 
Verbreitung  im  mitteldeutschen  Berg- 
und  Hügellande  vom  Harz  bis  zur 
Rhön,  bis  zur  Lausitz  und  dem  Böh- 
mer-Walde. (Vegetation  der  Erde.  VI.) 
671  S.  6  Vollbilder,  16  Textfig.,  1  K. 
Leipzig,  Engelmann  1902.  Subskr.- 
Preis  JL  20.—,  Einzelpreis  M.  80.—. 
Der  Inhalt  des  Werkes  gliedert  sich 
in  folgender  Weise: 

I.  Geschichte  und  Literatur  der  bota- 
nischen Forschungen  im  hercynischen 
Berg-  und  Hügellande.  11.  Geographischer, 
klimatologischer  und  floristischer  Über- 
blick, IQ.  Die  hercynischen  Vegetations- 
formationen in  ihrer  Ausprägung  und 
Gliederung.  IV.  Die  Verbreitung  der  For- 
mationen und  ihre  Charakterarten  in  den 
hercynischen  Landschafben.  V.  Die  hercy- 
nischen Fiorenelemente  und  Vegetations- 
linien. 

Besonderes  Interesse  beanspruchen  Ab- 
schnitt III  und  rV.  Ersterer  bietet  eine 
Übersicht  über  die  vom  Verf.  unterschie- 
denen Formationen,  deren  Zahl  32  be- 
trägt. Die  Art  der  Behandlung  mag  an 
dem  Beispiel  der  „hercynischen  Wald- 
formation" veranschaulicht  werden. 

Eine  Liste  der  hercynischen  Wald- 
bäume, nach  ihrer  systematischen  Stellung 
in  die  Hauptgruppen  der  Coniferen,  Amen- 
taceen  und  Angehörigen  anderer  Verwandt- 
schaft gegliedert  und  mit  Bezeichnung 
ihrer  Verbreitungsareale  versehen,  bildet 
die  Einführung.  Notizen  über  die  ur- 
sprüngliche Verbreitung  dieser  Bäume 
reihen  sich  daran;  insbesondere  findet  die 
Edeltanne  eingehendere  Behandlung  und, 
ebenso  wie  die  Fichte,  kartographische 
Darstellung  ihrer  Nordgrenze.  Angaben 
über  das  höchste  Vorkommen  reiner  Be- 
stände wie  einzelner  Exemplare  der  ver- 
schiedenen Baumarten  sind  von  Interesse. 
Es  folgen  Listen  der  Waldsträucher 
und  der  wesentlich  charakteristischen 
Stauden  und  Kräuter,  jedesmal  mit  mehr 
oder  minder  ausführlichen  Bemerkungen 
über  das  Verbreitungs- Areal  versehen. 
Nachdem  so  das  Pflanzen-Material  gekenn- 
zeichnet worden  ist,  werden  die  unter- 
schiedenen 11  Waldformationen  mit  ihren 


Leit-  und  Charakterpflanzen  aufgeführt; 
z.  B. :  „Formation  4.  Kiefern-  und  Birken- 
wald (mit  Sarothamnus  und  zwei  Vacci- 
nien).  Hauptverbreitung  von  Luzula  ne- 
morosa  im  Hügellande;  häufig  Calamctgro- 
stis  epigeios.  An  Lichtungen  Senecio 
silvaticus;  Gnaphalium  silvaticum  (setzt 
sich  im  Gebirge  in  F.  9  fort),  Selinum 
carvifolia.  Niederste  Waldstandorte  von 
Amica  montana  im  Hügellande.  Forma- 
tion für  die  nach  Westen  in  Zunahme  be- 
griffenen Standorte  von  Iimcus  tenuis 
(Lausitz!;.  Von  Pirolaceen  am  häufigsten 
P:  secunda,  in  der  montanen  Facies  dieser 
Formation  (400—600  m  Vogtland)  P.  chlo- 
raniha,  als  Seltenheit  Chimaphila  umbel- 
lata;  im  Schatten  Manotropa  Hypopitys 
gemein.*^  Listen  der  Gefäßkryptogamen 
und  der  Moose  schließen  die  Betrachtung 
der  Waldformationen. 

In  ähnlicher  Weise  werden  im  gleichen 
Abschnitte  „Die  Sandfluren  und  Heiden*', 
„Die  trocknen  Hügelformationen'*,  „Die 
Wiesen,  Moore,  Bergheiden  und  Borstgras- 
matten", „Die  Formationen  der  Wasser- 
pflanzen", „Die  Ruderalpflanzen  und  Feld- 
unkräuter" behandelt. 

Der  etwa  die  Hälfte  des  Gesamt- 
umfanges  einnehmende  vierte  Abschnitt 
bringt  nun  die  räumlich  -  geographische 
Verteilung  dieser  Formationen  in  den 
einzelnen  „floristischen  Landschaften"  des 
Gebietes,  wie  sie  sich  im  zweiten  Abschnitt 
unter  „Gliederung  der  Hercynia"  ergeben 
hatten,  nämlich:  Das  Weser-Bergland,  das 
Braunschweiger  Hügelland,  das  Hügel- 
land der  Werra  und  Fulda  mit  der  Rhön, 
das  Thüringer  Becken,  das  Hügelland  der 
imteren  Saale,  das  Land  der  Weißen 
Elster,  das  Muldenland,  das  Hügelland 
der  mittleren  Elbe,  das  Lausitzer  Hügel- 
land, das  Lausitzer  Bergland  und  Elb- 
sandstein-Gebirge,  der  Harz,  der  Thüringer 
Wald,  das  Vogtländische  Bergland,  Fran- 
kenwald und  Fichtelgebirge,  das  Erz- 
gebirge, endlich  der  Kaiserwald,  Ober- 
pfälzer, Böhmer-  und  Bayerische  Wald. 
Stets  wird  der  orographisch-geognostische 
Charakter  der  Landschaft,  Gestaltung  der 
Formationen  und  ihre  Charakterpflanzen 
vorweg  behandelt  und  eine  Reihe  topo- 
graphischer Florenbilder  gleichsam  als 
Illustration  dazu  angefügt. 

Das  Kapitel  „Das  Thüringer  Becken" 
z.  B.  bringt  an  der  Hand  einer  geolo- 
gischen Skizze  die  Charakterisierung  der 


Bücberbesprechungen. 


233 


Landschaft  als  eines  im  Norden  und  Süden 
von  schmalen  Bändern  der  Zechstein- 
formation  umrandeten  Trias-Beckens,  aus 
dem  der  Eyffhäuser  durch  abweichenden 
Aufbau  sich  heraushebt.  Dann  wird  ge- 
zeigt, wie  trotz  der  geognostischen  Ähn- 
lichkeit mit  dem  Werra- Hügellande  die 
abweichende  Flora  des  Beckens  seine  Be- 
handlung als  besonderer  floristischen  Land- 
schaft rechtfertigt.  Endlich  werden  Nieder- 
schlagsvernältnisse  und  Oberflächengestal- 
tung eingehender  berücksichtigt.  Li  dem 
folgenden  Absatz  wird  der  allgemeine 
Charakter  der  Flora  als  den  trocknen 
Hügelformationen  angehörig  bezeichnet 
und  durch  Aufführung  der  Charakter- 
pflanzen näher  begründet.  Eine  Liste 
anderer  in  abweichende,  ebenfalls  im  Ge- 
biet vertretene  Formationen  gehöriger 
Pflanzen  '  schließt  diese  Ausführungen. 
Von  topographischen  Florenbildem  sind 
»für  diese  Landschaft  drei  gegeben,  welche 
verschiedenartige    Gegenden     schildern : 

a)  Die  drei  Gleichen  und  die  Seeberge, 

b)  der  Kyffhäuser,  die  Hainleite,  Schmücke 
und  Schrecke,  und  c)  der  Mittellauf  der 
Saale  bis  Naumburg  (südlicher  Abschnitt, 
Leutrathai  und  Jena,  nördlicher  Abschnitt 
mit  Domburg,  Freyburg,  Naumburg). 

Solche  Bilder  werden  für  jede  der  ge- 
nannten Landschaften  gegeben,  sie  sind 
durchweg  sehr  gut  geschrieben,  so  daß 
man  fast  eine  plastische  Darstellung  von 
Gegend  und  Flora  zu  sehen  meint.  Sie 
zeugen  von  einer  außerordentlich  sorg- 
fältigen Sammlunf  und  Durcharbeitung 
des  ganzen  Materials,  auf  die,  wie  Verf. 
in  der  Vorrede  sagt,  drei  Jahrzehnte  ver- 
wendet worden  sind,  und  erwecken  den 
Eindruck,  daß  die  Bearbeitung  dieses 
Florenbezirkes  nicht  in  besser  geeignete 
Hände  hätte  gelangen  können. 

Endlich  wird  im  fünften  Abschnitt  die 
Frage  erörtert:  „welches  Band  denn  nun 
eigentlich  den  hercynischen  Bezirk  zu- 
sammenhält?**, eine  Frage,  die  bei  den 
großen  Verschiedenheiten  zwischen  Hügel- 
region und  Bergregion,  wie  sie  im  Laufe 
der  Darstellung  hervortraten,  nicht  un- 
berechtigt genannt  werden  kann.  Die 
Antwort  des  Verf.  lautet:  „Trotz  der  Ver- 
schiedenheit zwischen  Hügelregion  und 
Bergregion  im  hercynischen  Bezirk  sind 
doch  gewisse  Gemeinsamkeiten  in  seiner 
geographischen  Lage  begründet;  westliche 
Arten  dringen  im  Hügellande  rings   um 


den  Harz  vor  und  ebenso  . . .  treten  andere 
von  Westen  her  in  das  Gtebirge;  östliche 
Arten  herrschen  im  Elbhügellande ,  aber 
auch  das  Erzgebirge  oder  die  Lausitz . . . 
verhält  sich  viel  »Östlicher<  als  der  Harz 
oder  die  Rhön.  Das  geographisch  Ein- 
heitliche muß,  auch  über  die  durch  ver- 
schiedene Höhenstufen  bewirkten  Ver- 
schiedenheiten hinweg,  einer  einheitlichen 
Darstellung  unterworfen  werden."  — 

Zum  Schluß  mag  hinzugefügt  sein, 
daß  die  Ausstattung  des  Buches  in  ge- 
wohnter Weise  einwandsfrei  ist.  Die  Text- 
abbildungen und  Vollbilder  —  teils  Karten- 
skizzen, teils  photog^aphische  Wieder- 
gaben von  Landschaften  —  sind  instruktiv; 
die  Schlußkarte  ermöglicht  eine  leichte 
Orientierung  besonders  auch  über  die 
Grenzen  von  Hügelregionen  und  Bergland. 
G.  Karsten. 

Biekli^  M.  Botanische  Reisestudien 
auf      meiner       Frühlingsfahrt 
durch  Korsika,  gr.  8«.  XHIu.liOS. 
29  Landschafts-  u.  Vegetationsbilder. 
Zürich,  Füsi  &  Beer  1908.     JL  4.60. 
Ein  allerliebstes  Buch,  dessen  Lesung 
mir   reichen  Genuß   und   Belehrung   ge- 
bracht hat.   Es  wird  durch  seine  wunder- 
vollen Landschafts-  und  Vegetations-Schil- 
derungen   und   Bilder,    die   überall   das 
geübte,    die    ursächlichen    Beziehungen 
herausfindende  Auge  des  Naturforschers 
erkennen  lassen,  nicht  nur  Korsika  neue 
Besucher  zuführen,  sondern  vor  allem  dem 
Pflanzengeographen  und  dem  Geographen 
das  Verständnis  für  die  Pflanzenwelt  der 
Mittelmeerländer  und  ihre  Eigenart  ver- 
tiefen.   Ganz  besonders  gilt  dies  von  den 
Macchien,  denen  sich  der  Verf.  mit  sicht- 
licher Vorliebe  gewidmet  hat,   die  man 
allerdings    in    solcher   Ausdehnung    und 
Formenfülle   nur  noch    in   Spanien   und 
den  Atlasländem  wiederfindet. 

Gut  mit  Empfehlungen  versehen,  hat 
der  Verf.  in  7  Wochen,  April  und  Mai 
1899,  erstaunlich  viel  zu  erreichen  ver- 
mocht. Nur  für  die  alpine  Region,  von 
1800  m  aufwärts,  war  es  noch  zu  früh. 
Diese  schildert  und  gliedert  der  Verf. 
mehr  nach  der  Literatur. 

Der  einleitende,  vorwiegend  geogra- 
phisch gehaltene  Abschnitt  enthält  manche 
länderkundlich  wertvolle  Beobachtung. 
Daß  die  den  toskanischen  Archipel  mit 
Korsika  verbindende  unterseeischeSch  welle 


Oeograpbitohe  Zeitschrift.  9.  Jahri^ang.  1903.  4.  Hoft. 


16 


234 


Bücherbesprechungen. 


kaum  200  m  unter  dem  Meeresspiegel 
verl&uft,  ist  ein  freilich  längst  berichtig- 
ter Irrtum. 

Das  Schwergewicht  des  Buches  ist 
natürlich  im  Botanischen  zu  suchen.  Verf. 
schätzt  die  Gesamtzahl  der  Gefäßpflanzen 
Korsikas  auf  1800—2000  Arten,  erstaun- 
lich viel  für  die  kleine  Fläche.  Zahlreiche 
Lokalfloren  lassen  sich  unterscheiden,  viele 
Arten  sind  so  kurzlebig,  daß  man  im 
Frühling  dieselbe  Fläche  alle  14  Tage 
anders  gefärbt  finden  kann,  also  ganz 
wie  dies  der  Berichterstatter  vor  26  Jah- 
ren schon  von  Sizilien  (Beiträge  S.  106) 
geschildert  hat.  Mit  Recht  betont  der 
Verf.,  wie  dies  schon  Grisebach  getan, 
daß  mehr  die  ausgesprochene  Trocken- 
periode als  die  vermehrte  Wärmemenge 
den  eigenartigen  Charakter  der  Mittel- 
meerflora bedingt.  Er  kennzeichnet  die 
Pflanzenwelt  der  Mittelmeerländer  da- 
her nach  der  Art  der  Anpassung  an  die- 
sen klimatischen  Charakterzug  von  zehn 
Gesichtspunkten  aus.  Die  einen  bilden 
mächtige  Pfahlwurzeln  oder  lange  unter- 
irdische Eriechtriebe,  andre  Knollen  und 
Zwiebeln  oder  sind  succulent  oder  bilden 
Kugelbüsche,  zeigen  Sclerophyllie  oder 
Trichophyllie,  scheiden  ätherische  öle  aus, 
haben  besondere  Blattstellungen,  kurze 
Vegetationszeit  und  Kurzlebigkeit  oder 
besitzen  Einrichtungen  zur  Sicherung  der 
Keimimg. 

Der  Verf.  unterscheidet  drei  Regionen : 
1)  die  Kulturregion,  bis  900  m,  echt  me- 
diterran, Region  der  Macchien;  2)  die 
montane  Region,  900 -—1800  m,  Region 
der  Gebirgswaldungen;  3)  die  alpine  Re- 
gion. Von  den  Macchien  werden  die  25 
bis  80  wichtigsten  Formen  aufgezählt. 
Neben  den  Macchien  unterscheidet  er  die 
Felsenheide,  wobei  aber  nicht  ersichtlich 
ist,  warum  er  Grisebachs  Bezeichnung 
Matten,  mit  denen  diese  völlig  überein- 
stimmt, nicht  beibehalten  hat.  S.  83  spricht 
er  von  Matten  =  Blumenwiesen.  Auch 
die  Strandformation,  die  184  Arten,  also 
ca.  10%  der  Gesamtflora  enthält,  wird 
eingehend  geschildert.  Wenn  der  Verf. 
S.  91  und  100  darauf  hinweist,  daß  zwar 
Lärchen  vereinzelt  vorkommen,  aber  ver- 
mutlich angepflanzt,  niemals  Bestand  bil- 
dend, wie  ich  angenonmien  hatte,  so  bin 
ich  jetzt  durchaus  überzeugt,  daß  das  ein 
Irrtum  war,  wenn  ich  auch  nicht  fest- 
stellen  kann,  wo   ich  ihn  der  Literatur 


entnommen  habe,  denn  selbst  gesehen 
habe  ich  auch  nur  einzelne  Lärchen.  Pi- 
ntis  Pinaster  Solander  xmd  P.  Laricio  Poir. 
sind  die  Hauptbestandteile  des  vorzugs- 
weise die  Höhe  von  800  -^  1200  m  ein- 
nehmenden aus  mediterran^  Nadelbäumen 
gebildeten  Nadelwaldgürtels,  darüber  bis 
zu  1800  m  der  Buchen  Waldgürtel. 

Th.  Fischer. 

de  Martonne^  E.  La  Valachie.  Essai 
de  monographie  g^ographique. 
XV  u.  887  S.  5  K.  u.  60  Abb,  Paris, 
Armand  Colin  1902.     Fr.  12.—. 

Dieser  „Versuch  einer  geographischen 
Monographie"  ist  eine  gute  Landes-  und 
Volkskunde  der  Walachei.  Der  Verfasser 
ist  geschulter  Geograph  von  vielseitiger 
Bildung,  er  besitzt  Gestaltungskraft  und 
schreibt  einen  gewandten  Stil,  de  Mar- 
tonne  kennt  einen  großen  Teil  des  Lan- 
des aus  eigener  Anschauung  und  steht  mit 
vielen  tüchtigen  Vertretern  der  Wissen- 
schaft in  Bukarest  in  naher  Beziehung, 
er  verwertet  neben  den  eigenen  For- 
schungen und  Anschauungen  die  beson- 
ders im  letzten  Jahrzehnt  zu  Tage  ge- 
tretenen Resultate  der  Landesaufnahme, 
der  geologischen  und  meteorologischen 
Beobachtungen  und  der  sich  allmählich 
mit  energischer  Anspannung  aus  den  de- 
fekten Windeln  herausarbeitenden  Stati- 
stik. Neben  der  rumänischen  Literatur 
ist  de  Martonne  mit  der  deutschen  ver- 
traut. Kein  größeres  deutsches  Werk, 
kein  Aufsatz  in  unsei-n  größeren  Zeit- 
schriften entgeht  seiner  Aufmerksamkeit. 

Das  Buch  behandelt  in  21  Kapiteln: 
die  Bodengestalt  im  Vergleich  zur  CFm- 
gebung,  das  Klima  und  die  dadurch  be- 
dingten Lebenserscheinungen,  die  Gliede- 
rung des  Landes ,  das  Relief  und  die 
Tektonik  der  Karpathen,  die  Talbildungen 
unter  der  Einwirkung  von  Wasser  und 
Gletschereis,  das  Klima  der  Karpathen, 
das  Pflanzen-  und  Tierleben  der  Gebirgs- 
welt,  das  Hirtenleben,  die  spezielle  Gliede- 
rung der  Karpathen,  die  Ott^nie  oder  die 
kleine  Walachei,  das  Hügelland  und  die 
Ebene  der  Muntenia  oder  großen  Walachei, 
das  Donautal,  das  Stromgebiet  und  die 
Lebewelt  der  Donau,  die  Ethnographie, 
die  Dörfer,  die  Bauern,  den  Ackerbau,  die 
Industrie  und  die  Städte. 

Wenn  de  Martonne  betont,  es  gäbe 
keine    alleinseligmachende    Methode    in 


Bücherbesprechungen. 


235 


einer  wissenschaftlichen  Landeskunde,  es 
gäbe  für  jede  landeskundliche  Darstellung 
neben  den  wissenschaftlichen  Forderungen 
eine  künstlerische,  so  bin  ich  der  letzte, 
der  mit  ihm  rechten  wird.  Ich  nehme 
ihm  gar  nicht  übel,  wenn  er  dem  Namen 
Südkarpathen  die  Bezeichnung  „transsyl- 
vanischeAlpen^^  vorzieht  und  wenn  er  ihnen 
andere  Grenzen  setzt,  als  ich's  mal  in  der 
Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde 
getan  habe.  Ich  fing  im  Westen  mit  dem 
Retjezat  an,  weil  ich  darüber  hinaus  nichts 
wußte,  und  schloß  im  Osten  mit  dem 
Königstein,  weil  ich  über  das  Übergangs- 
gebiet des  Burzenlandes  und  den  But- 
schetsch  (rum.:  Busiegin,  ungar.:  Buesecs) 
in  einem  Vortrage  (Verh.  d.  Ges.  für  Erd- 
kimde)  und  in  einem  Aufsatz  (Globus)  das 
meinige  gesagt  hatte.  „  ;>yater  unser« 
ein  schön  Gebet,  so  jemand  »unser  Vater« 
spricht,  in  Gottes  Namen  laß  ihn  beten!*' 

Beigegeben  sind  dem  Buche  5  Karten 
und  60  Abbildungen  verschiedener  Art, 
die  fast  alle  die  Darstellung  in  dankens- 
werter Weise  ergänzen  und  erläutern. 
Die  6  Karten  veranschaulichen  die  Boden- 
plastik, die  geologischen  Verhältnisse,  die 
Niederschläge,  die  Wälder  und  die  Volks- 
dichte unter  geschickter  Benutzung  des 
bis  jetzt  erschienenen  amtlichen  Quellen- 
materials. Die  Volksdichte  ist  nicht  für 
die  Distrikte,  sondern  för  möglichst  kleine 
physische  Einheiten  berechnet;  daß  in 
Deutschland  manche  ähnliche  Versuche 
der  Art  gemacht  sind,  scheint  dem  Ver- 
fasser nicht  bekannt  zu  sein. 

Auf  Bemängelung  von  kleinen  Einzel- 
heiten wird  verzichtet.  Daß  ich  mein 
Urteil  über  einzelne  Fragen  mit  der  freu- 
digen Anerkennung  der  Gesamtleistung 
nicht  gefangen  gebe,  bedarf  wohl  kaum 
der  Versicherung. 

F.  W.  Paul  Lehmann. 

Weber^  Max.    Der  indo-australische 
Archipel    und    die    Geschichte 
seiner    Tierwelt.      46    S.      Jena, 
Fischer  1902.    JL  1.—. 
Der  verdienstvolle  Leiter  der  Siboga- 
expedition  hat  seinen  auf  der  Karlsbader 
N  aturforscherversammlung  gehaltenen  Vor- 
trag über  die  erdgeschichtliche  Entwick- 
lung des  indo-australischen  Archipels  auf 
Grund  tiergeographischer  Forschungen  in 
erweiterter    Form    herausgegeben.      Der 
kleine  Aufsatz  enthält  vieles  höchst  Be- 


achtenswerte. Zunächst  schildert  der  Verf. 
die  Aufgaben  des  Tiergeographen  und  die 
Verknüpfung  der  Tiergeographie  mit  der 
Erdgeschichte,  und  wendet  sich  gegen  die 
Methode,  bei  Vergleichung  von  Faunen 
einzig  eine  empirische  Statistik  der  glei- 
chen und  der  verschiedenen  Arten  anzu- 
wenden, indem  er  mit  Recht  darauf  hin- 
weist, daß  vor  allem  die  stammesgeschicht- 
liche Qualität,  nicht  nur  die  Quantität 
der  Arten,  ins  Auge  zu  fassen  ist.  In 
der  Praxis  wird  das  freilich  in  vielen 
Fällen  sehr  schwierig  sein.  Indem  sich 
dann  der  Verf.  der  Geologie  des  indo- 
australischen Archipels  zuwendet,  weist 
er  darauf  hin,  daß  zur  Jurazeit  ein  tiefes 
Meer  von  ozeanischer  Ausdehnung  an 
Stelle  des  jetzigen  Landes  existiert  haben 
müsse.  Darauf  weisen  die  aus  Radiolarien- 
skeletten  bestehenden  Lagen  von  Jaspis 
und  Hornstein,  wie  sie  in  Zentral-Bomeo 
(Molengraaff) ,  in  Celebes  (Sarasins)  und 
Ceram  (Martin)  aufgefunden  worden  sind. 
Zur  Kreidezeit  erscheinen  ausgedehnte 
Landmassen.  Es  hob  sich  ein  Teil  von 
Zentral-Bomeo  als  Bergland  über  die 
Fluten.  Im  Eocän  veränderte  sich  ein  Teil 
des  Archipels  in  ein  seichtes  Korallenmeer, 
und  in  die  tertiäre  Zeit  fallen  auch  die 
Einstürze  in  tiefe  Meeresbecken,  welche 
wir  genauer  durch  die  Sibogaexpedition 
kennen  gelernt  haben.  Im  mittleren  und 
späteren  Tertiär  treten  neue  Trocken- 
legungen auf,  die  bis  zum  Quartär  an- 
halten. Auch  junge  Vulkane,  sowie  die 
Tätigkeit  der  Korallen  helfen  am  Aufbau 
der  Inseln  mit.  Weitere  Fingerzeige  lie- 
fert die  Ozeanographie,  die  uns  lehrt,  daß 
Sumatra,  Bomeo,  Java  und  Bali  auf  einem 
submarinen  Plateau  von  unter  100  m  Tiefe 
liegen.  Die  von  Wallace  behauptete  Tiefe 
der  Straße  zwischen  Bali  und  Lombok  ist 
nur  eine  Fiktion,  da  die  Sibogaexpedition 
nachwies,  daß  diese  Straße  ein  untiefer 
Rücken  ist,  der  noch  dazu  8  Inseln  trägt. 
Die  ehemalige  Verbindung  von  Celebes 
mit  Java  und  den  kleinen  Sundainseln, 
wie  sie  von  den  Sarasins  behauptet  wor- 
den ist,  erhält  durch  die  Lotungen  der 
Sibogaexpedition  eine  ozeanographische 
Stütze.  Die  heutige  Verbreitung  der  Tier- 
welt liefert  weitere  bedeutungsvolle  Auf- 
schlüsse zur  Erdgeschichte  des  Archipels. 
Die  scharfe  Grenzlinie  zwischen  orienta- 
lischer und  australischer  Region  ist  auf- 
zugeben, vielmehr  verbindet   ein  breites 

16* 


236 


Bücherbesprechungen. 


Band  von  Inseln:  Celebes,  die  kleinen  j 
Sundainseln  und  die  Molukken,  den  Ost- 
lichen und  westlichen  Teil  des  Archipels. 
Die  weiteren  Ausführungen  lassen  sich 
in  folgendem,  natürlich  noch  sehr  hypo- 
thetischen Schlußbild  zusammenfassen : 
Asien  und  Australien  waren  zur  Kreide- 
zeit verbunden,  und  von  eurasiatischen 
Tierformen  bewohnt.  Im  Eocän  trennte 
sich  davon  ein  südöstliches  Stück:  das 
heutige  Australien  und  Neuguinea,  in 
welchem  sich  Monotremen,  Beuteltiere 
und  alte  Formen  anderer  Tierklassen  er- 
hielten. Im  Miocän  traten  bedeutende 
Niveauveränderungen  ein,  indem  durch 
Einbrüche  die  jetzigen  tiefen  Meeresbecken 
entstanden,  andererseits  Länder  wie  Celebes 
emporwuchsen  und  im  Wasser  Landver- 
bindungen entstanden,  welche  die  Ein- 
wanderung asiatischer  Tiere  ermöglichten. 
Weitere  Niveauverilnderungen  führten  den 
Archipel  seiner  heutigen  Konfiguration 
zu.  Die  Einwanderung  asiatischer  Formen 
hielt  am  längsten  an  für  die  großen 
Sundainseln,  von  denen  sich  Java  zuerst 
loslöste.  Daher  schließt  sich  die  Fauna 
der  großen  Sundainseln  aufs  engste  an 
die  asiatische  an,  während  ostwärts  davon 
eine  Mischfauna  beginnt,  die  nach  Osten 
zu  an  asiatischen  Formen  ärmer,  an 
australischen  reicher  wird.  Die  einzelnen 
Bestandteile  dieses  Gebietes  sind  aller- 
dings imgleichartig,  indem  sich  Celebes 
ältere  asiatische  Formen  wahrte,  die  ihm 
vielleicht  über  die  Philippinen  zugingen, 
während  es  jüngeren  Zuzug  von  ebendort, 
von  Java  und  den  kleineu  Sundainseln 
her,  aber  nicht  direkt  von  Bomeo  empfing, 
von  dem  es  durch  die  alte  Makassarstraße 
geschieden  ist.  Außerdem  empfing  Celebes 
australische  Bestandteile  von  den  Moluk- 
ken,  wo  sie  teils  Relikten,  teils  Ein- 
wanderer vom  australischen  Gebiet  waren. 
Auch  die  kleinen  Sundainseln  mögen  spär- 
liche Zuzüge  von  ebendaher  erhalten  haben. 
Es  ist  erA*eulich,  daß  sich  Webers 
hier  wiedergegebene  Auffassung  in  vielen 
und  wesentlichen  Puinkten  mit  den  An- 
sichten deckt,  welche  die  beiden  Sarasins 
in  ihrem  klassischen  Werke  über  die  geo- 
logische Geschichte  der  Insel  Celebes  auf 
Grund  der  Tierverbreitung  (Wiesbaden 
1901)  vorgetragen  haben ,  und  wenn  auch 
viele  Fragen  noch  nicht  geklärt  sind, 
so  können  wir  doch  in  diesen  Arbeiten 
der  letzten  Jahre  einen  ganz  erheblichen 


Fortschritt   auf  dem  Wege   der   Lösung 
des  hochinteressanten  Problems  begrüßen. 
Kükenthal. 

Herbertson,  F.  D.  und  A.  J«  Herbertson« 

Central     and     South    America 

with  the  West  Indies.    XXXIII  u. 

239  S.    24  Textabb.    London,  Black 

1902.  JC  2.60. 
Das  vorliegende  Buch  bildet  den  ersten 
Teil  einer  größeren  Sammlung,  die  unter 
dem  Titel  „Descriptive  Geographies  from 
Original  Sources"  erscheinen  soll.  Sie 
soll  eine  Schilderung  der  einzelnen  Länder 
unmittelbar  nach  den  Onginalquellen  bie- 
ten. Die  Veranstalter  der  Sammlung  be- 
schränken sich  daher  darauf,  selbst  nur 
in  einer  20  Seiten  langen  Einleitung  eine 
knappe  Übersicht  über  das  Gesamtgebiet 
zu  geben,  und  lassen  im  übrigen  die  ein- 
zelnen Autoren  selbst  reden.  Das  Buch 
setzt  sich  daher  im  wesentlichen  aus 
einer  Anzahl  einzelner,  unter  sich  nicht 
unmittelbar  im  Zusammenhang  stehender 
Artikel  zusammen,  die  teils  wörtlich  den 
Werken  und  Aufsätzen  von  Reisenden  in 
den  betreffenden  Gegenden  entnonmien, 
teils  verkürzte  Auszüge  aus  solchen  sind. 
Im  allgemeinen  haben  die  Herausgeber 
bei  der  Auswahl  der  Artikel  großes  Ge- 
schick gezeigt.  Landschaftliche  Schilde- 
rungen und  Städtebilder  wechseln  mit  Ar- 
tikeln über  Geologie,  Klima,  Pflanzenwelt, 
Tierwelt  und  wirtschaftliche  Verhältnisse 
ab;  nur  die  Ethnographie  ist  gar  nicht 
berücksichtigt.  Auch  ist  die  Mehrzahl 
der  Artikel  wirklich  guten  Autoren  ent- 
nommen, so  finden  sich  solche  aus  den 
Werken  von  AI.  v.  Humboldt,  Schomburgk, 
Wallace,  Charles  Darwin,  Markham, 
Whymper,  Fitz  Gerald,  0.  Nordenskjöld 
u.  a.,  daneben  freilich  auch  manche  recht 
minderwertige.  Aber  die  Idee,  welche 
dem  ganzen  Buche  zu  Grunde  liegt,  ein 
möglichst  anschauliches  Bild  eines  Landes 
zu  geben,  dadurch,  daß  man  unmittel- 
bar Männer  reden  läßt,  die  es  selbst 
kennen  gelernt  haben,  muß  doch  als 
durchaus  verfehlt  bezeichnet  werden. 
Ein  klares  und  einheitliches  Bild  eines 
Landes  können  solche  zusammenhanglose 
Einzelschilderungen  doch  niemals  geben, 
imi  so  weniger,  als  viele  der  Artikel  so 
kurz  und  abgerissen  sind,  daß  sie  beim 
Lesen  nicht  einmal  einen  ästhetischen 
Genuß  gewähren.       R.  L  an  gen  b  eck. 


E,  T.  Seydlitzsche  Geographie,  hei^ 
gegeben  von  E.  Oehlmann.  Aus- 
gabe C:  Großes  Lehrbuch  der  Geo- 
graphie. 28.  Bearb.  XVI  u.  684  S., 
284  K.  u.  Abb.  in  Schwarzdmck,  4  K. 
u.  9  Taf.  in  Farbendruck.  Breslau, 
Ferd.  Hirt,  1902.  .€  6.26. 
Gegen  die  22.  Bearb.  bedeutet  die 
neueste  eine  wesentliche  Vermehrung;  dort 
waren  es  608  S.,  227  Karten  etc.  in  schwarz, 
6  Karten  u.  8  Tafeln  in  bunt.  Daß  das 
Buch  in  3  Jahren  schon  wieder  eine  neue 
Auflage  erlebt  hat,  weist  auf  große  Beliebt- 
heit hin.  Von  den  Gründen  möchte  ich  den 
am  meisten  anerkennen,  der  in  ihm  ein 
„bewahrtes  Hand-  und  Nachschlagebuch** 
sieht;  dagegen  scheint  es  mir  für  „Spezial- 
schulen wie  Lehrerbildungsanstalten  und 
Handelsschulen**,  direkt  als  Schulbuch 
gedacht,  weniger  geeignet.  Besser  wäre 
es,  man  empföhle  es  dem  abgehenden 
Seminaristen  etc.,  als  daß  der  Unterricht 
im  Seminar  sich  auf  ihm  aufbaute;  die 
Gefahr,  im  Stoff  zu  ersticken,  ist  zu  groß. 
—  Auf  die  Änderung  im  einzelnen  ein- 
zugehen, ist  nicht  möglich;  es  genüge, 
auf  die  Sorgfalt  hinzuweisen,  mit  der  das 
glänze  Buch  durchgesehen  und  auf  dem 
laufenden  erhalten  wird.  Aus  der  „all- 
gemeinen Erdkunde**  sind  im  übrigen 
die  alten  Abschnitte  H — VI  ausgeschieden 
und  als  „astronomische  Geographie**  in 
die  Nähe  des  Schlusses  gebracht.  Zu 
einem  Mangel  des  Buches  könnten  sich 
mit  der  Zeit  die  Abbildungen  auswachsen, 
der  ehemalige  Stolz  des  Verlags.  Es 
muß  offen  ausgesprochen  werden,  daß 
der  sonst  so  rührige  Verlag  hier  in  Ge- 
fahr steht,  den  Anschluß  zu  versäumen. 
Wenn  die  Abbildungen  einst  dem  Stande  der 
Holzschnitt-Technik  und  dem  noch  wenig 
regen  Verständnis  für  die  wirklichen  For- 
men der  Erdoberfläche  entsprochen  haben, 
so  stehen  sie  jetzt  weit  hinter  dem 
zurück,  was  man  von  einem  inhaltlich  so 
reichen  Buche  verlangen  kann.  Hier  tut 
ein  entschlossener  Bruch  mit  der  Ver- 
gangenheit dringend  not.  Mit  den  Kosten, 
die  durch  die  Einfügung  der  doch  nur  zum 
Teil  gelungenen  Buntdrucke  verursacht 
worden  sind,  hätte  der  Übelstand  schon 
stark  gemildert  werden  können;  so  aber 
hat  man  es  leider  vorgezogen,  diese  Bil- 
der noch  um  ein  wenig  schönes  S.  180  zu 
vermehren. 

Hch.  Fischer. 


Bücherbesprechungen.  237 

Tromnao,  Adolf.  Landeskunde  der 
Provinz  Posen.  2.  Aufl.  64  S. 
Breslau,  Ferd.  Hirt  1902.  JC  0.76. 
Eine  sorgfältige,  recht  inhaltsreiche 
kleine  Heimatkunde  der  Provinz.  Auf- 
fällig ist  die  Anordnung  der  „Boden- 
kunde**, „Klimakunde**  und  hinten  der 
„besonderen  Landeskunde**.  Der  Abschnitt 
„Bevölkerung**  ist  besonders  hübsch.  Von 
den  Abbildungen  ist  nur  eine,  die 
„Weichsellandschafb**,  instruktiv.  Die  klei- 
nen Karten  von  Posen  und  Bromberg  sind 
in  den  seltsamen  Maßstäben  1 :  127  300  und 
1 :  91 800  gezeichnet  und  auf  einer  Seite 
vereinigt;  das  ist  nicht  gut.  Daß  Ab- 
schnitte wie  „staatliche  Verwaltung** 
nicht  geographisch  sind,  bedarf  kaum  der 
Erwähnung,  anderseits  lassen  sie  sich 
anderen  Lehrgegenständen  fast  noch 
schwerer  aufhängen;  so  müssen  wir  sie 
schon  vorläufig  mitschleppen  und  nur 
gelegentlich  auf  solch  fremdes  Gepäck 
hinweisen.  Hch.  Fischer. 


Spillmaiui,  J.  S.  J.  Über  die  Süd- 
see. Australien  und  Ozeanien. 
Ein  Buch  für  die  Jugend.  2.  Aufl. 
XI  u.  378  S.  1  K.  u.  viele  Textabb. 
Freiburg  i.  B.,  Herder  1902.  .4C  7.60. 
Das  Buch  ist,  wie  schon  der  Titel 
besagt,  dazu  bestimmt,  der  reiferen  Jugend 
Belehrung  und  Unterhaltung  zu  gewähren, 
und  trifft  im  allgemeinen  hierfür  durch- 
aus den  richtigen  Ton.  Auch  sind  die 
sehr  zahlreichen  Abbildungen  meist  gut 
ausgewählt,  wenn  auch  nicht  gerade 
hervorragend  ausgeführt.  Trotzdem  kann 
das  Buch  für  unsere  Jugend  nicht  em- 
pfohlen werden  wegen  der  einseitigen 
und  tendenziösen  Art  der  Darstellung. 
Die  Schilderungen  der  einzelnen  Länder 
und  Völker  sind  fast  ausschließlich  den 
Berichten  katholischer  Missionare  ent- 
nommen, von  anderen  Reisewerken  sind, 
wie  in  der  Einleitung  ausdrücklich  gesagt, 
nur  sehr  wenige  und  auch  diese  nur  aus- 
hilfsweise benutzt.  Der  Schilderung  der 
katholischen  Missionstätigkeit  ist  denn 
auch  ein  übertrieben  breiter  Raum  ge- 
währt, während  die  evangelische,  die  doch 
in  vielen  Teilen  Australiens  und  Ozeaniens 
weit  bedeutender  ist,  als  jene,  selten  er- 
wähnt wird,  und  auch  dann  meist  nur,  um 
sie  herabzuwürdigen.  Eine  Unbefangen- 
heit in  konfessionellen  Fragen  kann  man 
ja   freilich    auch   heutzutage  von   einem 


238 


Neue  Bücher  und  Karten. 


Jünger  der  Gesellschafb  Jesu  leider  nicht 
erwarten!  B.  Langenbeck. 

Toeppen,  Kurt.    Ali,  der  ostafrika- 
nische    Seeräuber.      Erzählungen 
aus  dem  Seeräuberleben  der  Lamu- 
Leute    Ende    der    achtziger    Jahre. 
288  S.  Berlin,  D.  Reimer  1908.  UK8.— . 
Toeppen  sucht  seine  achtzehnjährigen 
Erfahrungen    aus    Ostafrika    dem   Volke 
und  der  Jugend  näher  zu  bringen,  indem 
er    sie    in    das   Gewand    einer    Räuber- 
geschichte  kleidet.     Ali    ist   einer  jener 
„ehrlichen  Spitzbuben**,  die  ihre  Schand- 
taten  mit   dem  Nimbus   der  Tapferkeit, 
Schlauheit  und  Kameradschaft  umgeben, 
ein  Tjpus,  der  bei  der  männlichen  Jugend 
immer  eifrige  Bewunderer  finden  wird  — 
trotz    des    Kopfschütteins    sittenstrenger 
Erzieher.     Als  guter  Kenner  des  Volks- 


lebens legt  der  Verfasser  das  Haupt- 
gewicht auf  eine  Charakterschilderung 
der  Wasuaheli  und  Araber,  ihre  Be- 
ziehungen zu  den  Europäern,  ihren 
Sklavenhandel.  Rein  geographische  Be- 
lehrungen sind  dünn  gesät.  Wir  werden 
in  die  Mangrowedickichte  mit  ihren 
Schlupfwinkeln,  auf  die  Strandebenen  ge- 
führt, erfahren  von  den  Meeresströmungen 
und  Monsun  winden.  Die  Handlungen 
spielen  sich  meist  auf  hoher  See  oder  an 
der  Küste  ab,  so  daß  wir  leider  auf  andere 
Landschafbsschilderungen ,  Vegetations- 
bilder u.  s.  w.  verzichten  müssen.  Bei 
der  Darstellimg  der  Gespräche  mischt  sich 
bisweilen  in  den  Negerstil  etwas  unmoti- 
viertes Berlinertum  oder  eine  Redensart 
mit  Fremdwörtern,  die  dem  geistigen 
Niveau  der  Handelnden  wenig  ange- 
messen ist.  P.  Wagner. 


Nene  Bftcher  and  Karten. 


Allgemeines. 

Meyers  großes  Konversations- 
Lexikon.  6.  Aufl.  II.  Bd.  Astilbe— 
Bismarck.  914  S.  Leipzig,  Bibl.  Inst. 
1908.     JL  10.—. 

Pauly-Wissowa.  Real  -  Encyklopädie 
der  klassischen  Altertumswissenschaft. 
Suppl.-Heft  I.  874  S.  1  K.  Stuttgart, 
Metzler  1903. 

MAthemAtUche  Oeographie. 

Güßfeldt,  Paul.  Grundzüge  der  astro- 
nomisch -  geographischen  Ortsbestim- 
mung auf  Forschungsreisen  und  die 
Entwicklung  der  hierfür  maßgebenden 
mathem.-geometr.  Begriffe.  XIX  u. 
878  S.  96  Textabb.  Braunschweig, 
Vieweg  &  Sohn  1903.  JL  10.—. 
Allgemeine  physifehe  Geograplüe. 

Heck  er,  0.  Bestinmiung  der  Schwer- 
kraft auf  dem  Atlantischen  Ozean  sowie 
in  Rio  de  Janeiro,  Lissabon  und  Madrid. 
Veröff.  d.  k.  preuß.  geodät.  Inst.  N.  F. 
Nr.  11.  187  S.  9  Taf.  Berlin,  Stan- 
kiewicz  1908. 

Karsten,  G.,  u.  Schenck,  H.  Vegeta- 
tionsbilder. Hefb  1.  Schenck:  Süd- 
brasilien. Taf.  1—6.  Heft  2.  Karsten: 
Malayischer  Archipel.  Taf.  7—12.  Jena, 
Fischer  1908.  Das  Heft  JL  2.60. 
Allfemelne  Geographie  des  MenscheB. 

Lefävre,  A.  Germains  et  Slaves,  ori- 
gines  et  croyances.  247  S.  15  Textfig. 
u.  32  K.  Paris,  Reinwald  1908.  Fr.  3.60. 


DeaUchlMd  «ad  IfAehterlliider. 

Walt  her,  J.  Geologische  Heimatskunde 
von  Thüringen.  2.  Aufl.  X  u.  245  S. 
142  Fig.  u.  16  Profile  im  Text.  Jena, 
Fischer  1908.     .^  8.—. 

Ademeit,  W.  Beiträge  zur  Siedlungs- 
geographie des  unteren  Moselgebietes. 
Forschgn.  z.  deutschen  Landes-  u.  Volks- 
kunde. Bd.  XrV.  Heft  4.  104  S.  Stutt- 
gart, Engelhom  1908.  JL  8.90. 
Evropi. 

Wachsmuth,  E.  Athen.  S.-A.  aus 
P  a  u  1  y  -Wi  s  s  o  w  a  s  Realencyklopädie  d. 
klass.  Altertumswissenschaft.  Suppl.- 
Heft  I.  62  S.  u.  1  K.  Stuttgart,  Metz- 
ler 1908. 

Asien. 

Herbertson,  F.  D.,  und  A.  J.  Herbert- 
son.  Asia.  XXXVI  u.  298  S.  London, 
Black  1903. 

Wim m er,  J.  Palästinas  Boden  mit  sei- 
ner Pflanzen-  und  Tierwelt  vom  Beginn 
der  biblischen  Zeiten  bis  zur  Gegen- 
wart. Historisch  -  geograph.  Skizzen. 
128  S.    Köhi,  Bachem  1902.     JL  1.80. 

Nord-Amerika. 

Bauer,  L.  A.  United  States  Magnetic 
Declination.  Tables  and  Isogonic  Charts 
for  1902  and  principal  Facts  relating 
to  the  Earths  Magnetism.  405  S. 
29  Abb.  u.  3  Taf.  Washington,  Govem. 
Print.  OfBce  1902. 


Zeitschriftenschau. 


239 


PoUrllnder. 

di  Savoia,  Luigi  Amedeo,  Ducadegli 
AbbruzzL  Osservazioni  scientifiche  ese- 
gnite  dorante  la  spedizione  polare 
1899—1900.  723  S.  Mailand,  Hoepli  1903. 


GeogrAphifeber  DBtorrieht. 

Schwarz,  S.  Unsere  Schülerreisen. 
Progr.-Beil.  der  Realschule  zu  Blan- 
kenese.  24  S.  6  Taf.  Blankenese. 
Kroger  1908. 


Zeitschriftenschau. 


Petermanns  Mitteilungen  1903.  Heft  2. 
Geinitz:  Die  geographischen  Verände- 
rungen des  südwestlichen  Ostseegebietes 
seit  der  quartären  Abschmelzperiode.  — 
Kahler:  Die  Gewinnung  von  Feingummi 
nnd  Kautschuk  in  Brasilien.  —  Anders- 
so n:  Die  wissenschaftlichen  Arbeiten  der 
schwedischen  Südpolarexpedition  auf  den 
Falkland-Inseln  und  im  Feuerland.  — 
Heß:  Der  Schuttinhalt  von  Innenmoränen. 
—  Hammer,  M.:  Oberbirma  und  die 
Schanstaaten.  —  Dannenberg:  Die 
Äquatorfrage  in  der  Geologie.  —  Ham- 
mer, £.:  Beiträge  zur  russischen  Militär- 
kartographie. 

Globus.  83.  Bd.  Nr.  7.  Blind:  Skiz- 
zen aus  elsaß-lothringischen  Ossuarien.  — 
Die  Forschungsreise  der  schwedischen 
Südpolarexpedition  nach  Südgeorgien.  — 
V.  Bülow:  Der  vulkanische  Ausbruch  auf 
Savaii.  —  Krause:  Kann  Skandinavien 
das  Stammland  der  Blonden  und  Indo- 
germanen  sein ?  —  Behrens:  Die  Weser. 

Dass.  Nr.  8.  Koch:  Der  Paradies- 
garten als  Schnitzmotiv  der  Payagua- 
Indianer.  —  Behrens:  Die  Weser.  — 
Bugiel:  Polnische  Sagen  aus  der  Pro- 
vinz Posen.  —  Der  13.  Internationale 
Amerikanistenkongreß  in  Neu  York. 

Dass.  Nr.  9.  Reich  und  Stegel- 
mann:  Bei  den  Indianern  des  Urubamba 
und  des  Envira.  —  Eskimomusik.  — 
Hoernes:  Das  Campignien.  —  Wolle- 
mann: Das  Ende  der  Nephritfrage.  — 
G  r  e  i  m :  Die  Wetterschießkonferenz  in  Graz. 

Dass.  Nr.  10.  Kaap:  Reisen  auf  der 
Insel  Nias  bei  Sumatra.  —  Höfer:  Die 
indogermanische  Frage  durch  die  Archäo- 
logie beantwortet.  —  Pech:  Die  epische 
Volkspoesie  an  der  Petschora.  —  Jäger: 
Innsbruck,  eine  erdgeschichtliche  Betrach- 
tung. —  Fenn  er:  Mulla  Ali  Mahdibajew 
über  die  Krankheiten  der  Kirgisen. 

Deutsche  JRwndschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XXV.  Jhrg.  6.  Heft.  Struck: 
Der  makedonische  Erdbebenschwarm  im 
J.  1902.  —  Dinter:  Wanderung  in  Groß- 
namaland.  —  Hübner:  Forschungsreisen 


amRioBranco.  —  Meinhard:  Hochzeits- 
bräuche im  südwestlichen  Europa. 

MeUorologische  Zeitschrift  1908.  Nr.  2. 
Wo  e  i  k  0  f :  Probleme  desWärmehaushaltes 
des  Erdballs.  —  Woeikof:  Die  Resultate 
der  Karaboghaz-Expedition.  —  Woeikof: 
Die  Isothermen  im  westlichen  tropischen 
Südamerika.  —  Hegyfoky:  Die  Früh- 
lingsankunft der  Wandervögel  und  die 
Witterung  in  Ungarn.  —  Grimaldi: 
Der  Wolkenbruch  vom  September  1902  in 
Sizilien. 

Zeitschrift  fil^r  Schulgeogi-aphie.  1903. 
6.  Heft.  Ottsen:  Die  Lektüre  im  geo- 
graphischen Unterricht  des  preußischen 
Lehrerseminars.  —  Imendörffer:  Die 
häusliche  Vorbereitung  der  Schüler  für 
den  geograph.Unterricht.  —  Oppermann: 
22  Schulgeographen  des  19.  Jahrhunderts. 

Beiträge  zur  KolonicUpolitik  und  Kolo- 
nialwirtschafl.  IV.  Jhrg.  10.  Heft.  v.  B  ü  1  o  w : 
Die  deutsche  Sprache  in  Deutsch-Samoa. 
—  Ried  er:  Ist  der  Nyong  schiffbar?  — 
Reise  des  Forstreferendars  Wiedeburg  nach 
Südwestafrika. 

Zeitschrift  d.  Ges.  f.  Erdkde.  zu  Ber- 
lin. 1903.  Nr.  1.  Passarge:  Reisen  im 
venezolanischen  Guayana.  —  v.  d.  Stei- 
nen: Der  Xin.  internationale  Amerika- 
nistenkongreß. —  über  den  Ausbruch  des 
Santa  Maria. 

Dass.  Nr.  2.  Friedrichsen:  For- 
schungsreise im  zentralen  Tien-schan  und 
dsungarischen  Alatau,  1902.  —  Bren- 
necke: Ergebnisse  der  Höhenmessungen 
Philippsons  im  westlichen  Kleinasien,  1901. 

Mitteilungen  der  K.  K.  Geographischen 
Gesellschaft  in  Wien.  1902.  Nr.  11  u.  12. 
Schaff  er:  Die  alten  Flußterrassen  im 
Gemeindegebiete  der  Stadt  Wien.  — 
Koch:  Reise  in  Matto  Grosso. 

Äbhatidlungen  der  K,  K,  Geographischen 
Gesellschaft  in  Wien.  1902.  Nr.  ö  u.  6. 
Fischer:  Meer-  und  Binnengewässer  in 
Wechselwirkung.  —  Ule:  Die  Aufgabe 
geographischer  Forschung  an  Seen. 

Bulletin  de  la  Society  Neuchateloise  de 
Geograj)hie,    Tome  XIV.  1902—08.    Hu- 


240 


Zeitscbriftenschau. 


guenin:  Racatea  la  sacr^e  (viele  Abb.  im 
Textu.  auf  Taf.).  —  Garnier:  Vocabulaire 
des  indig^nefl   de  TAustralie  occidentale. 

ITie  GeographicalJoumal  1908.  Nr.  3. 
Hedin:  Tbree  Years'  Exploration  in 
Centaral  Asia.  —  Macartney:  Notices  on 
the  Ancient  Kingdom  of  Lau-lan  or  Sben- 
Shen.  —  Anderson:  Kecent  Volcanic 
Eruptions  in  tbe  West  Indies.  —  Jack: 
Two  Trips  to  tbe  North  of  Cheng-tu.  — 
TheTanganyika-Problem.  —  Freshfield: 
Tbe  bigbest  Mountain  in  tbe  World.  — 
Tbe  Circulation  of  tbe  Atmospbere  in  tbe 
Tropical  and  Equatorial  Regions. 

The  Scottish  Geographical  Magazine. 
1903.  Nr.  8.  Hedin:  Tbree  Years'  Ex- 
ploration in  Central  Asia.  —  Öeddes: 
A  Naturalists*  Society  and  its  Work.  — 
Peking  under  tbe  Allies. 

La  Geographie.  1908.  Nr.  2.  Aitoff: 
L'oeuvre  de  M.  Pavie  ä  Tlndocbine 
(1879—95).  —  Bourg de Bozas:  D'Addis- 
Abbaba  au  Nil.  —  Dumoulin:  Le  com- 
mandant  Lamy. 

Meddelanden  afGeografiska  Föreningen 
i  Fitüand.  (Scbwedisch  mit  deutseben  od. 
engl.  Refer.)  VI.  1901—1903.  Hirn:  Tbe 
art  life  of  tbe  Pueblo  Indians  (2  Taf.)  — 
Rosberg r  Pbys.-geogr.  Bescbreibung  des 
Kircbspiels  „Kyrkslätf*  in  Finland  (1  K.). 

—  K.  R.  M.:  Die  Fortscbritte  der  Boden- 
kultur in  Finland  1618—1864.  —  Bobn- 
bof:  Die  Mandschurei  und  die  Ussuru- 
Provinzen.  Reiseskizzen.  —  Forsman: 
Geograph.  Beobachtungen  betrefiFend  den 
„Ganmielstadsvik"  (1  K.)  —  Häyr^n: 
Die  Delta  des  Kumo-elf.  —  Brotberus: 
Yegetationsskizzen   aus  Zentral-Asien.  — 

—  Boldt:  Heimatsforschung  in  Finland. 

—  Einige  Bemerkungen  über  die  Wasser- 
scheide westlich  vom  Flusse  Kyrö.  — 
Blomqvist:  Wallins  Reisen.  —  Ders.: 
M.  A.  Castr^ns  Reisen.  —  Alfthan:  The 
topography  of  tbe  sea-otter  and  the  fur- 
seal  (1  Taf.). 

Mitteilungen  (Isxcestija)  d.  Kais.  Russ. 
Geogr.  Ges.  Bd.  XXXVHI.  1902.  Heft  lU. 
(Russisch.)  Fedschenko:  Pamir  und 
Schugnan.  —  Warneck:  Die  Verteilung 
des  Eises  und  die  Möglichkeit  der  Schif- 
fahrt auf  dem  Seewege  nach  Sibirien 
(3  K.).  —  Kolomeizow:  Die  russische 
Polarexpedition  des  Barons  Toll. 

Dass.  Heft  IV.  Ladygin:  Einige 
Angaben  über  den  Handelsverkehr  in 
Kansu,  in  Tibet  und  in  der  Mongolei  auf 


Grund  der  Ergebnisse  1899—1902.  — 
Swjetschnikow:  Die  Viehzucht  in  der 
nordöstlichen  Mongolei  u.  deren  Bedeutung 
für  den  Grenz  verkehr  mit  Transbaikalien. 
Erdkunde  ( Semlew jedjenie).  V er  äff.  d. 
geogr.  Abteü.  d.  K.  Russ.  Ges.  f.  Natur' 
wiss.  u.  Volkerkde.  zu  Moskau.  1902. 
Heft  IV.  (RuBsisch.)  Ule:  Der  gegen- 
wärtige Stand  der  Seenforschung  in 
Deutschland  (2  Skizzen).  Übersetzung  aus 
dem  Deutschen.  —  Anutschin:  Der  Bai- 
kalsee. —  Korotnew:  Die  Erforschung 
des  Tierlebens  im  Baikalsee  (1  K.  u.  9 
Fig.)  —  Anutschin:  P.  G.  Ignatow 
(1  Porträt).  —  Berg:  Über  die  ehemalige 
Einmündung  des  Amu-Darja  in  das  Kas- 
pische  Meer.  —  Beilage:  Günther:  Ge- 
schichte der  geographischen  Entdeckungen 
und  der  Ergebnisse  der  wissenschaftlichen 
Erdkunde  im  19.  Jahrhundert.  Über- 
setzung aus  dem  Deutschen  durch  L.  D. 
Sindizki  unter  der  Redaktion  von . 
Anutschin. 

The  National  Geographie  Magazine. 
1903.  Nr.  2.  Curtis:  The  Great  Turk 
and  bis  lost  Provinces.  —  Soutberland: 
Tbe  Work  of  tbe  ü.  S.  Hydrographie 
Office.  —  Why  Great  Salt  Lake  bas  fallen. 

Aus  Terschiedenen  Zeitschriften« 
Codrington:   La  Magie  cbez  les  Insu- 
laires   Melanesiens.     Trad.   par   Cam- 
maerts.     Vublication  Nr.  8  de  Vlnst. 
Geogr.  de  Bruxelles.  1903. 
Crammer:   Das   Alter,   die   Entstehung 
und  Zerstörung  der  Salzburger  Nagel- 
fluh.     Neues    Jahrbuch    für    Mineral. y 
Geol.  u.  Paläontol.  Beil.-Bd.  XVI. 
Etzold:   Die  von  Wiecherts  astatischem 
Pendelseismometer    in    der    Zeit    vom 
15.  Juli  bis  31.  Dezember  1902  in  Leip- 
zig gelieferten  Seismogramme  von  Fem- 
beben.     (1    Taf.)     Ber.   d.   math.-phys. 
Kl.  d.  k.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Leipzig. 
2.  Febr.  1903. 
G  r  e  i  m :  Studien  aus  dem  Paznaun.  (4  Taf.) 
Beiträge  zur  Geophysik.    Bd.  V.     1903. 
Heft  4. 
Müller,   Wilb.:    Die   Photographie    im 
Dienste  der  Kartographie  und  ihre  An- 
wendung im  k.  u.  k.  militärgeograpbi- 
schen  Institut  in  Wien.    Lechners  Mit- 
teilungenphotographischenlnhaUs^r.  1 1 G. 
Januar  1903. 
Reclus:   L'enseignement  de  la  Geogra- 
phie.   Bull,  de  la  Soc.  Beige  d* Astro- 
nomie. 1903.  I. 


VonmtwortUobor  Herausgeber:  Prof.  Dr.  Alfred  Ueltnor  in  Heidelberg. 


Der  landschaftliche  Charakter  Neuseelands. 

Von  Bobert  von  Iiendenfeld  in  Prag. 
Mit  vier  Tafeln  (Nr.  4  bis  7). 

In  seinei'  Gestalt,  Lage  und  Qröße  ähnelt  Neuseeland  Italien,  dem  es 
nahezu  antipodal  gegenüberliegt.  Wie  dieses  ist  es  in  polar-westlich-äquatorial- 
östlicher  Richtung  langgestreckt  und  hat  die  Form  eines  hohen  Stiefels.  Es 
ragt  aber  nicht  wie  Italien  als  Halbinsel  in  eine  fast  ganz  abgeschlossene 
Binnensee  hinein,  sondern  liegt  frei,  mitten  im  Weltmeere.  Die  schmale 
Cookstraße  teilt  Neuseeland  in  zwei  annähernd  gleichgroße  Inseln,  die  nord- 
östliche „Nord"-  und  die  südwestliche  „Süd"-In8el.  Von  den  kleinen,  diese 
beiden  Hauptinseln  umgebenden  Nebeneilanden  ist  die  Stewartinsel  im  Süden 
die  bedeutendste.  Das  eigentliche  Bückgrat  Neuseelands  bildet  ein  in  an- 
nähernd derselben  Bichtung,  in  der  die  beiden  Hauptinseln  sich  in  die  Länge 
dehnen,  Südwest-nordöstlich  streichendes,  aus  hoch  empor  gefalteten  Sediment- 
gesteinen aufgebautes  Kettengebirge.  Dieser  Gebirgszug  erstreckt  sich  von 
der,  als  Absatz  des  neuseeländischen  Stiefels  erscheinenden,  stark  vorragenden 
Nordostecke  der  Nordinsel  bis  über  die  Mitte  der  Südinsel  hinaus.  Sein 
nördlicher,  in  der  Nordinsel  gelegener  Teil  folgt  der  Südostküste,  während 
der  südliche,  in  der  Mitte  der  Südinsel  liegende  Teil  dicht  an  die  Nordwest- 
küste herantritt.  Der  Nordwesten  der  Nordinsel  und  das  Südwestende  der 
Südinsel  werden  von  Gesteinsfaltenzügen  eingenommen,  welche  senkrecht  zur 
Streichungsrichtung  jenes  Hauptgebirges,  in  nordwest-südöstlicher  Bichtung 
verlaufen.  Im  mittleren  Teile  der  Nordinsel  herrschen  vulkanische  Bildungen 
vor  und  auch  anderwärts,  im  Nordwesten  der  Nord-  und  an  der  Südostküste 
der  Südinsel,  werden  solche  angetroffen.  Im  Osten  des  südlichen  Teiles  der 
Hauptkette  breitet  sich  eine  große  Ebene  aus,  welche  den  südöstlichen  Teil 
der  Mitte  der  Südinsel  einnimmt.  Diese  Verschiedenheiten  des  geologischen 
Aufbaues  der  einzelnen  Teile  des  Landes  bringen  es  mit  sich,  daß  die  Ober- 
fiächengestalt  in  den  verschiedenen  Distrikten  eine  sehr  verschiedene  ist.  Da- 
zu kommt,  daß  sich  Neuseeland  über  13  Breitegrade,  vom  34.  bis  zum 
47.  Grad  s.  Br.  erstreckt,  so  daß  die  klimatischen  Verhältnisse  der  einzelnen 
Landesteile  wesentlich  voneinander  abweichen:  während  es  im  Süden  recht 
kühl  ist,  herrscht  im  Norden  ein  völlig  subtropisches  Klima.  Jene  geo- 
logischen und  diese  klimatischen  Unterschiede  haben  zur  Folge,  daß  der  land- 
schaftliche Charakter  der  verschiedenen  Teile  Neuseelands  sehr  verschieden  ist. 

Die  ioteressantesten  und  wichtigsten  Landschafkstypen,  die  in  Neuseeland 
angetroffen  werden,  sind  das  Vulkangebiet  der  Nordinsel,  die  große  Ebene  im 
Südosten  der  Mitte  der  Südinsel,  der  höchste,  südliche,  durch  eine  großartige 

(}eogr»pbitohe  Zeittchrift.  9.  Jahrgang-  190S.  6.  Heft  17 


242  Robert  von  Lendenfeld: 

Vergletscherung  ausgezeichnete  Teil  der  Hauptgebirgskette  und  der  an  Fjorden 
und  Alpenseen  reiche  Südwesten  der  Südinsel.  Im  folgenden  sollen  diese  vier 
Landschaftstypen  geschildert  werden. 

Das  Vulkangebiet  der  Nordinsel  erstreckt  sich  im  Norden  und  Westen 
bis  an  die  Küste,  im  Osten  und  Nordwesten  wird  es  von  Faltengebirgen  ein- 
gefaßt. Seinen  südwestlichen  Eckpfeiler  bildet  der  einem  weit  vortretenden 
Kap  entragende  Taranaki  (Mount  Egmont),  ein  alter,  jetzt  erloschener  Vulkan 
von  recht  regelmäßig  kegelförmiger  Gestalt  und  einer  Höhe  von  2522  Metern. 
Dichter  Wald  imd  Kulturen  breiten  sich  an  seinem  Fuße  aus;  in  8 — 900  Meter 
Höhe  ändert  sich  der  Charakter  der  Vegetation,  die  Bäume  werden  niedriger, 
und  ihre  Stämme  und  Äste  gewinnen  ein  knorriges  Aussehen.  300  Meter 
höher  hat  sich  der  Hochwald  bereits  ganz  in  niedriges  Krummholz  ver- 
wandelt. Auf  das  Krummholz  folgt  ein  etwa  300  Meter  breiter  Gürtel  von 
Gras,  Alpenkräutem  und  Moos;  weiterhin  ist  alles  Fels  und  Geröll  bis  hinauf 
zum  Gipfelkrater.  Vom  Kraterwalle  sind  gegenwärtig  nur  mehr  drei  ge- 
trennte Klippen  übrig.  Der  Krater  selbst  wird  von  einem  kleinen  Fimfelde 
eingenommen.  Der  Berg  ist  von  allen  Seiten  leicht  zu  ersteigen.  Im  Osten 
geht  die  Eisenbahn  vorüber:  von  der  höchstgelegenen  Station,  Stratford,  ist 
der  Gipfel  kaum  20  Kilometer  entfernt.  Von  dem  genannten  Orte  reitet  man 
auf  gutem,  sanft  ansteigendem  Wege  durch  Föhren-  und  Batawald  gegen 
Westen.  Nach  einer  Stunde  kommt  man  an  einige  steilere  Terrainstufen, 
die  Bäume  werden  niedriger,  Flechten  hängen  an  den  Ästen  und  wie  in 
einem  Zauberwald  fühlt  sich  der  von  den  eigentümlichen  und  ungewöhnlichen 
Vegetationsformen  dieser  subalpinen  Region  umgebene  Wanderer.  In  etwa 
1100  Meter  Höhe  kommt  man  aus  dem  Wald  heraus  und  gewinnt,  niedriges 
Buschwerk  durchreitend,  einen  freien  Ausblick  nach  Osten,  über  die  Wälder 
hinaus  nach  den  stattlichen  Vulkanbergen  des  Innern.  Bald  sind  nun  die 
von  Holzpüanzen  freien  Abhänge  erreicht;  hier  wachsen  starke  Grasbüschel: 
an  solche  binden  wir  die  Pferde  und  setzen  zu  Fuß  den  Marsch  fort.  Zu- 
nächst folgt  man  einem  Bücken,  steigt  dann  in  die  ihn  im  Norden  begrenzende 
Manganuischlucht  hinab  und  klettert  an  ihrer  jenseitigen  Wand  empor.  Feste 
Felsmassen  und  loses  Gerolle  bilden  diesen  Abhang.  Das  letztere  sorgfältig 
vermeidend,  kommen  wir  ganz  gut  hinauf.  Plötzlich  sehen  wir  die  kleine 
Fimkappe  vor  uns.  .  Ist  das  Eis  hart,  so  müssen  hier  einige  Stufen  geschlagen 
werden.  Von  den  drei  Felsköpfen,  welche  diesen,  die  Kratermulde  erfüllen- 
den Firn  umstehen,  ist  die  westliche  die  höchste,  sie  ragt  ungefähr  25  Meter 
aus  dem  Eise  hervor;  bald  ist  ihr  Gipfel  gewonnen.  Auf  drei  Seiten,  im 
Süden,  Westen  und  Norden  bespült  das  Meer  den  Fuß  des  Berges.  Greifbar 
nahe  erscheint  die  Strandlinie,  wie  kleine  Spielzeuge  sehen  die  Hafenbauten 
von  Neuplymouth  an  der  Westküste  aus;  weithin  dehnen  sich  die  Wälder, 
aber  überall  blicken  zwischen  ihnen  freundliche  Siedlungen  zu  uns  herauf.  Die 
zum  Teil  über  100  Meter  hohen  Strandgebirge  sind  kaum  zu  entdecken: 
winzigen  Zwergen  gleich  umstehen  sie  den  Riesen,  auf  dessen  Scheitel  wir 
lagern.  Im  fernen  Osten  ragen  die  schneebedeckten  Gipfel  der  großen  Vul- 
kane des  Inneren,   der  Ruapehu,   Ngauruhoe   und  Tongariro   auf,   im  Süd«n 


Geographische   Zeitschrift.     Jahrgang  IX. 


Tafel  4. 


2 
EL 


3 

o 


o 


Zu:  Robert  Ton  Lendenfeld.   Der  landschaftliche  Charakter  Neuseelands J 


Der  landschaftliche  Charakter  Neuseelands.  243 

sehen  wir,  jenseits  des  Meeres,  die  Berge  des  nördlichen  Teiles  der  SüdinseL 
Beim  Abstiege  suchen  wir  die  losen  Geröllstreifen,  die  wir  beim  Aufstiege 
so  sorgsam  vermieden  haben,  auf;  Staubwolken  aufwirbelnd  und  ganze  Geröll- 
lawinen in  Bewegung  setzend,  geht  es  in  sausender  Eile  über  sie  hinab. 

Im  Mittelpunkte  des  Vulkangebietes  der  Nordinsel  breitet  sich  der  626 
Quadratkilometer  große  Tauposee  aus,  dessen  Spiegel  400  Meter  über  dem 
Meere  liegt.  Er  ist  weitaus  der  größte  See  Neuseelands.  Seine  Ufer  be- 
stehen aus  vulkanischen  Schlacken  und  Bimsstein.  Die  größte  Tiefe  beträgt 
163.  Meter.  Vermutlich  ist  das  Tauposeebecken  durch  Einsturz  entstanden. 
Das  westliche  Ufer  ist  hoch  und  felsig,  das  östliche  sandig  und  flach.  Zahl- 
reiche Gewässer  ergießen  sich  in  den  südlichen  Teil  des  Sees,  aus  seinem 
Nordende  geht  der  Waikatofluß  hervor.  In  der  Umgebung  des  Tauposees 
sowie  auch  weiter  nördlich,  zwischen  ihm  und  der  Nordküste,  ist  allenthalben 
die  Tätigkeit  vulkanischer  Kräfte  zu  verspüren.  Es  finden  sich  da,  von  den 
ab  und  zu  heftig  ausbrechenden,  eigentlichen  Vulkanen  abgesehen,  zahllose 
heiße  Quellen,  Gejsir  und  ähnliche  Erscheinungen,  welche  diesem  Gebiete 
einen  ganz  eigenartigen  Charakter  verleben.  Die  interessantesten  Phänomene 
dieser  Art  werden  in  der  Umgebung  von  Botorua  angetroffen,  das  ziemlich 
weit  vom  Tauposee  entfernt  im  Norden  liegt. 

Von  der  Hafenstadt  Auckland  führt  eine  Eisenbahn  nach  Botorua.  Auf 
diesem  Wege  wollen  wir  dahin  reisen,  uns  vorher  aber  in  Auckland  selbst 
etwas  umsehen.  Die  Nordinsel  von  Neuseeland  bildet  einen  nach  Nordwesten 
weit  vorragenden  Fortsatz:  das  ist  der  Vorderteil  des  neuseeländischen  Stiefels. 
Von  beiden  Seiten  her  dringen  mehrere  tiefe  Buchten  ziemlich  weit  in  diesen 
Landvorsprung  ein,  so  daß  er  stellenweise  ganz  schmal  wird.  Besonders  gilt 
das  fOr  jene  Landbrücke,  welche  zwischen  der  von  Nordosten  her  eindringenden 
Hauraki-  und  der  von  Südwesten  her  eindringenden  Manukaubucht  liegt. 
Dieser  Isthmus  ist  nur  10  Kilometer  breit  und  wird  dadurch,  daß  schmale 
Wasserarme  noch  weiter  in  ihn  einschneiden,  an  zwei  Stellen  bis  auf  eine 
Breite  von  ly^  bis  2  Kilometer  eingeengt.  Zwischen  diesen  beiden  Ein- 
schnürungen, über  welche  seit  jeher  der  Verkehr  der  Nordost-  mit  der  Süd- 
westküste geht,  liegt  die  Stadt  Auckland.  Sie  ist  die  größte  Stadt  Neusee* 
lands  und  hat  samt  den  Vororten  über  60000  Einwohner.  Die  Waitemaha- 
bai  der  Haurakibucht,  an  deren  Südufer  sie  liegt,  ist  den  größten  Ozean- 
dampfern zugänglich.  Früher  war  Auckland  Sitz  des  Statthalters,  jetzt  ist 
Wellington,  an  der  Südküste  der  Nordinsel,  die  Hauptstadt  von  Neuseeland. 
Es  gibt  in  Auckland  viele  schöne  Bauten^  Kirchen,  Ämter,  Banken,  den  alten 
Palast  des  Statthalters  und  ein  Museum.  Auch  des  Besitzes  einer  Univer- 
sität erfreut  sich  die  Stadt;  diese  ist  aber  lange  nicht  so  bedeutend  wie  die 
anderen  neuseeländischen  Hochschulen  in  Dunedin  und  Christchurch.  In  der 
nächsten  Umgebung  von  Auckland  erheben  sich  zahlreiche  kleine,  jetzt  erloschene 
Vulkankegel.  In  vielen  ihrer  Krater  werden  runde  Miniatur-Seen  angetroffen. 
Ersteigt  man  eine  dieser  Höhen,  so  gewinnt  man  eine  sehr  hübsche  Aussicht 
über  die  freundliche  Stadt  mit  ihren  parkumschlossenen  Villen  und  stattlichen 
öffentlichen  Bauten,  die  überaus  reich  gegliederte  Küste  imd  die  zahlreichen 
Inseln  der  Haurakibucht,  die  sich  im  Norden  ausbreitet.    Im  fernen  Südwesten 


244  Robert  von  Lendenfeld: 

erheben  sich  waldige  Bergketten,  während  in  der  Nähe  und  im  Süden  das 
Land  kahl  ist. 

Auf  diesem,  jetzt  baumlosen  Lande  stand  einstens  ein  Kauriwald.  Die 
Kauribäume  (Damara  australis)  erzeugen  viel  Harz,  welches  zum  Teil  in 
den  Boden  gelangte  und  hier  im  Laufe  der  Jahrhunderte  zu  einer,  dem  Bern- 
stein ähnlichen  Masse  versteinerte.  Der  Wald  ist  vermutlich  in  Folge  von 
Änderungen  der  klimatischen  Verhältnisse  verschwunden,  das  Kauriharz  im 
Boden  aber  ist  geblieben.  Man  gewinnt  es,  indem  man  entweder  mit  einem 
spitzen  Eisenstab  den  weichen  Boden  sondiert  und  die  dabei  bemerkten  Harz- 
stflcke  dann  ausgräbt  oder  besonders  reiche  Strecken  bis  zu  einer  Tiefe  von 
einem  Meter  und  darüber  ganz  umgräbt.  Die  Harzstücke  sind  nuß-  bis 
kopfgroß,  meist  dimkel  und  opak,  seltener  heller,  durchscheinend  oder  durch- 
sichtig. Die  ersteren  werden  zur  Lackfabrikation  verwendet,  die  letzteren  zu 
Zigarrenspitzen  und  dergleichen  verarbeitet  Die  Ausbeute  ist  beträchtlich, 
zwischen  7  und  9000  Tonnen  im  Werte  von  8  bis  10  Millionen  Mark  im 
Jahre.  Qegen  10000  Leute  beschäftigen  sich  in  dieser  Gegend  mit  der 
Kauriharzgewinnung. 

Die  Reise  auf  der  Bahn  von  Auckland  nach  Rotorua  bietet  nicht  viel 
Literessantes  und  nimmt  8  bis  10  Stunden  in  Anspruch.  Zunächst  föhrt  man 
durch  ziemlich  fruchtbares,  gut  kultiviertes  Hügelland  in  südöstlicher  Richtimg 
bis  zum  Waikatoflusse,  folgt  diesem  wasserreichen  Strome  eine  Strecke  weit, 
setzt  über  ihn  und  kommt  dann  auf  eine  recht  Öde,  zumeist  mit  niederen 
Farnkräutern  bestandene,  großenteils  ebene  Fläche  hinaus.  Endlich  beginnt 
die  Bahn  anzusteigen,  die  Vegetation  wird  üppiger;  durch  einen  schönen,  an 
großen  Fambäumen  reichen  Wald  erreichen  wir  die  wasserscheidende  Höhe 
und  bald  darauf  den  jenseits  nur  wenig  tiefer,  378  Meter  ü,  d.  M.,  gelegenen 
Rotoruasee,  an  dessen  südlichem  Ufer  die  gleichnamige  Ortschaft  liegt. 

Das  Klima  ist  angenehm;  den  verschiedenen  heißen  Quellen,  welche  dort 
aus  der  Erde  hervorkonmien,  wird  eine  große  Heilkraft  zugeschrieben.  Des- 
halb hat  die  Regierung  in  Rotorua  ein  Sanatorium  errichtet,  auch  gibt  es 
daselbst  viele  Badeanstalten  und  Gasthöfe.  Nicht  weit  von  der  modernen 
Ortschaft  liegt  das  immer  noch  ziemlich  volkreiche  Maoridorf  Chine-mutu, 
welches  wohl  eines  Besuches  wert  ist.  In  diesem  Dorfe,  sowie  allenthalben 
in  der  Umgebung,  gibt  es  zahllose  heiße  Quellen,  größere  und  kleinere 
Geysir,  Fumarolen  und  dergleichen.  In  Chine-mutu,  wie  in  Whaka-rewarewa, 
einem  anderen  benachbarten  Maoridorfe,  benützen  die  Eingeborenen  zum 
Kochen  kein  anderes  Heizmaterial  als  die  dem  Boden  entströmenden  Dämpfe, 
welche  zum  Teil  eine  den  Siedepunkt  erreichende  oder  ihn  sogar  übersteigende 
Temperatur  haben. 

Der  nordwestlich  von  Rotorua  sich  erhebende,  bis  zu  einer  Höhe  von 
670  Meter  ansteigende'  Ngongo -taha- Berg  bietet  eine  sehr  schöne  Aussicht 
über  die  Umgebung;  der  durch  den  „Urbusch"  —  Urwald  kann  man  diese 
niedrige  Holzvegetation  wohl  kaum  nennen  —  hinauffahrende  Weg  ist 
sehr  hübsch.  Interessanter  als  dieser  Berg  ist  der  etwas  weiter  entfernt  im 
Osten  liegende  Vulkan  Tarawera,  der  nach  längerer  Ruhepause  im  Jahre 
1886   plötzlich    eine    gewaltige    Tätigkeit   entfaltete.     Um    ihn    zu   besuchen, 


Geographische  Zeitschrift.     Jahrgang  IX. 


Tafel  5. 


Mount  Elle  de  Beaumont  vom  westlichen  Vorgipfel  des  Höchste tter  Dom.    (Aorangigruppe.) 


Taamangletscher,  Aorangi  und  Mount  Tasman  vom  obersten  Tasmanfirn.     (Aorangigrupjl^,) 


Der  landsqhaftliche  Charakter  Nenseelands.  245 

reitet  man  nach  dem  etwa  15  Kilometer  entfernten  Dorfe  Wairoa,  welches 
am  Fufie  des  Berges  liegt  rmd  bei  jenem  Ausbruche  arg  mitgenommen  wurde. 
Nicht  weit  von  Eotorua  beginnen  kahle  Flächen  von  vulkanischen  Auswurf- 
massen an  Stelle  der  Vegetation  zu  treten.  Immer  ärmlicher  wird  das  Busch- 
werk, bis  es  endlich  ganz  aufhört.  Von  den  bei  jedem  Regen  entstehenden 
Wässern  sind  allenthalben  kleinere  imd  größere  Schluchten  in  diesp  Öde 
Fläche  eingerissen  worden.  Am  Tikitapusee  vorbeireitend  kommen  ^fir  an 
den  Botokakahisee,  der  in  einem  Boote  überquert  wird.  Aus  den  mächtigen 
Auswurfmassen  in  der  Umgebung  des  Sees  blicken  die  Giebel  der  Dächer  der 
bei  der  Eruption  von  1886  verschütteten  Hütten  hervor.  Jetzt  wohnt  kein 
Mensch  mehr  dort,  aber  manche  von  den  Obstbäumen,  die  seiner  Zeit  in  der 
Nähe  gepflanzt  wurden,  haben  den  Ausbruch  überlebt  und  schmücken  die 
trostlose  Gegend.  Endlich  ist  der  314  Meter  über  dem  Meere  liegende  Ta- 
rawerasee  erreicht.  In  einem  Boote  fahren  wir  zu  dem  jenseitigen  Ufer  hin- 
über und  beginnen  dann  über  den  Abhang  des  Berges  emporzusteigen.  Wegen 
des  weichen  und  locker  gefügten  vulkanischen  Auswurfmaterials,  aus  dem  diese 
Abhänge  bestehen,  ist  der  Aufstieg  sehr  mühsam.  Der  Berg  hat  drei  Gipfel, 
der  mittlere,  Buawahia  genannt,  ist  am  höchsten  und  liegt  1150  Meter  ü.  d«  M. 
Der  mehrfach  erwähnte  Ausbruch  dieses  Vulkans  am  10.  Juni  1886  dauerte 
von  2  bis  6  Uhr  früh.  Zuerst  begann  der  nördlichste  der  drei  Gipfel  Feuer 
zu  speien,  dann  folgte  der  mittlere  und  endlich  der  südliche.  Der  durch  die 
herrlichen  Sinterterrassen  an  seinen  Ufern  berühmte  Rotomahanasee  an  der 
Ostseite  des  Berges  verschwand  in  einer  gähnenden  Spalte  und  die  vulka- 
nische Asche  wurde  bis  zu  einer  Höhe  von  nahezu  7000  Metern  empor- 
geschleudert Man  schätzt  die  während  dieses  Ausbruches  emporgeworfenen 
vulkanischen  Massen  auf  anderthalb  Kubikkilometer. 

Am  interessantesten  in  der  Rotoruagegend  dürfte  wohl  die  Höllenpforte 
von  Tikitere  sein.  Eine  Strecke  östlich  vom  Rotoruasee  liegt  ein  Tal,  dessen 
flacher  Boden  ganz  außerordentlich  reich  an  heißen  Wasserbecken,  kochenden 
Schlammtümpeln  und  Fumarolen  ist.  Eine  schmale  Landbrücke  trennt  zwei 
von  den  größten  dieser  Seen.  Der  allenthalben  von  den  Wasserflächen  empor- 
steigende und  dem  Boden  entweichende  Dampf  hüllt  den  Wanderer,  der  über 
diese  Brücke  dahinschreitet,  ein;  die  Luft  ist  erfiült  von  Schwefelwasserstoff 
und  anderen  giftigen,  den  kochenden  Schlammassen  entströmenden  Gasen, 
und  der  Erdboden  zittert  unter  der  Gewalt  der  vulkanischen  Kiiifte,  die  sich 
hier  so  mächtig  betätigen. 

Es  ist  oben  erwähnt  worden,  daß  auch  an  der  Ostseite  der  Südinsel 
Vulkanberge  vorkommen;  diese  sind  aber  seit  sehr  langer  Zeit  schon  erloschen; 
so  daß  die  atmosphärischen  Einflüsse  seit  der  Vollendung  ihres  Aufbaues  Zeit 
gehabt  haben,  in  ziemlich  ausgedehntem  Maße  umgestaltend  auf  sie  einzu- 
wirken. Die  bedeutendste  von  diesen  vulkanischen  Massen  erhebt  sich  ganz 
isoliert  im  Südosten  jenes  Faltengebirges,  welches  das  Rückgrat  Neuseelands 
bildet,  ungefähr  160  Kilometer  vom  wasserscheidenden  Hauptarme  des  letzteren 
entfernt  Der  Gebirgsstock  besteht  aus  einer  Gruppe  nahe  beieinander  liegen- 
der und  ineinander  übergreifender  Vulkankegel,  er  hat  einen  Umfang,  welcher 


246  Robert  von  Lendenfeld: 

annähernd  jenem  des  Ätna  gleichkommt.  Diese  vulkanische  Gebirgsmasse 
entstand  mitten  im  Meere  und  bildete  eine  Insel,  die  sich  in  Folge  der  häufig 
wiederholten  Eruptionen  und  der  Anhäufung  der  dabei  ausgestoßenen  Staub- 
und Lavamassen  immer  höher  über  den  Spiegel  des  Meeres  erhob.  Von 
diesen  dicht  zusammengedrängten  Vulkanen  schwemmten  dann  die  atmo- 
sphärischen Wässer  die  weicheren,  oberflächlichen  Schichten  ab,  wobei  es  zur 
Bildung  von  Schluchten  kam,  die  sich  immer  tiefer  in  die  Bergwände  hinein- 
senkten, bis  sie  schließlich  die  Eraterränder  der  einzelnen  Vulkane  durch- 
brachen und  den  Wässern,  die  sich  im  ihrem  Inneren  sammelten,  einen  Ab- 
fluß nach  außen  ermöglichten.  Immer  tiefer  einschneidend,  bildeten  diese 
Schluchten  schließlich  schmale,  weit  in  die  Bergmasse  eingreifende  Talfurchen, 
in  deren  Böden  das  Meer  eindrang,  so  daß  sie  jetzt  als  Qordähnliche  Buchten 
erscheinen. 

Das  Material,  welches  die  vom  Südostabhang  des  großen  Faltengebirges 
herabkommenden  Bergströme  mitbrachten,  wurde  natürlich  vor  den  Mündungen 
dieser  Flüsse  im  Meer  abgelagert,  und  so  allmählich  eine  Ebene  aufgebaut, 
die  sich  an  den  Südostfnß  des  Gebirges  anschmiegte  und  —  infolge  der  fort- 
dauernden Materialablagerung  —  immer  größer  wurde  und  immer  weiter  nach 
Südosten  vorrückte.  Auch  von  der  vulkanischen  Insel,  welche  jener  wachsen- 
den Ebene  vorgelagert  war,  wurde  viel  Material  herabgewaschen  und  natür- 
lich im  anstoßenden  Meer  abgelagert.  Die  also  gebildeten  Ablagerungen 
füllten  allmählich  das  zwischen  Gebirg  und  Insel  liegende  Meer  aus:  es  ent- 
stand eine  große,  am  Südostfuß  des  Gebirges  sich  ausbreitende  Ebene,  welche 
sich  bis  zu  jener  Gruppe  von  Vulkanbergen  erstreckte,  und  die  letztere  er- 
schien nun  als  ein  hohes  Vorgebirge,  welches  über  den  Rand  der  Ebene 
meerwärts  beträchtlich  weit  vorragte.  Jene  Ebene  ist  die  Canterbury-Ebene, 
dieses  Vorgebirge  die  Bankshalbinsel. 

Die  Canterbiuy-Ebene  erstreckt  sich  180  Kilometer  in  die  Länge  und 
ist  50—60  Kilometer  breit.  Abgesehen  von  der  Stelle,  wo  die  Banksvulkane 
sich  erheben,  grenzt  diese  Ebene  im  Südosten  an  den  Ozean  und  steigt  von 
hier  aus  sehr  allmählich  gegen  das  große  Faltengebirge  im  Nordwesten  an. 
Hinter  dem  Banksgebirgsstock  liegt  sie  nur  6  Meter  über  dem  Meere. 
Mehrere  Flüsse,  von  denen  der  Waimakariri,  der  Rakaia  und  der  Rangitata 
die  bedeutendsten  sind,  strömen  durch  die  Ebene  von  Nordwesten  nach  Süd- 
osten zum  Meere  hinab.  Im  Frühling,  zur  Zeit  der  Schneeschmelze  in  den 
Bergen  breiten  sich  diese  sehr  weit  aus,  um  dann  im  Herbst  zu  kleinen  Flüßchen 
zusammenzuschrumpfen,  welche  mäandrischen  Laufes  ihre  geröllerfüllten, 
stellenweise  über  3  Kilometer  breiten  Inundationsgebiete  durchziehen.  Fort- 
während lagern  sie  frisches,  von  dem  Gebirge  herabgebrachtes  Material  in 
ihren  Betten  ab  und  erhöhen  sie  dadurch  so,  daß  sie  sie  immer  wieder  ver- 
lassen und  neue  Laufirichtungen  einschlagen  müssen.  Lange,  hölzerne  Eisen- 
bahnbrücken überspannen  diese  Flußbetten. 

Die  Ebene  selbst  ist  teils   steinig  und  unfruchtbar,  teils  erdig  und  für 

den   Feldbau   geeignet.     Da   die   regenbringenden  Winde   zumeist  von  Nord- 

•»-esten  kommen  und  den  größten  Teil   der  Feuchtigkeit,   die  sie  mitbringen, 

'm  Überwehen  des  Gebirges  fallen  lassen,  ist  die  Canterbury-Ebene  recht 


I'atel  ti 


ßöberl  Ton  Ltndcjireltl»  Her  lana^cliaftlithc'  Cbttrakter  Neiiseelaads 


Der  landschaftliche  Charakter  Neuseelands.  247 

trocken  und  niederschlagsarm.  Von  Natur  aus  ist  sie  deshalb  vollkommen 
baom-  imd  strauchlos  und  mit  sparrigem  Steppengrase  bedeckt. 

Die  Qordartigen,  aus  Wildbachschluchten  hervorgegangenen  Buchten  der 
Bankshalbinsel  bilden  ausgezeichnete  Häfen;  eine  der  größten  von  ihnen,  die 
Bucht  von  Lyttelton  im  Norden,  ist  einer  der  wichtigsten  Handelshäfen  Neu- 
seelands: in  ihrem  Hintergrunde  steht  die  Hafenstadt  Lyttelton.  Da  die  Ab- 
hänge, welche  diese  Bucht  einfassen,  sehr  steil  sind,  konnte  sich  diese  Stadt 
jedoch  nicht  ausbreiten;  man  gründete  daher  jenseits  des  Berges,  auf  dem  an 
die  Banksbergmasse  anstoßenden  Teil  der  Canterbury- Ebene  die  Hauptstadt 
jenes  Teiles  von  Neuseeland  und  verband  sie  durch  einen  Tunnel  mit  dem 
Hafen  von  Lyttelton.  Dieser  Tunnel  durchsetzt  den  Kraterwall  in  seiner 
ganzen  Dicke  und  bietet  sehr  interessante  geologische  Aufschlüsse.  Jene 
Hauptstadt  —  man  hat  ihr  den  Namen  Christchui-ch  gegeben  —  hat  samt 
den  Vororten  jetzt  schon  weit  über  50000  Einwohner  und  erfreut  sich  eines 
sehr  angenehmen  und  gesunden  Klimas. 

Von  dem  kulturellen  Mittelpunkte  aus,  den  diese  Stadt  bildet,  ist  die 
ganze  Ganterbury- Ebene  besiedelt  und  dem  Menschen  dienstbar  gemacht 
worden.  Eisenbahnen  und  zahlreiche  vortreffliche  Straßen  durchziehen  sie, 
und  überall  gibt  es  Gehöfte  und  Ortschaften.  In  der  Nähe  dieser  Siedelungen 
sind  viele  Bäume  gepflanzt  worden,  die  —  das  gilt  namentlich  von  den 
australischen  Eukalypten  —  sehr  gut  gedeihen.  Auf  den  fruchtbaren  Strecken 
werden  Weizen  und  andere  Feldfrüchte  kultiviert,  das  übrige  wird  als  Weide- 
land benutzt.  Durch  häufiges  Abbrennen  des  einheimischen  Steppengrases  und 
durch  Aussaat  anderer,  eingeführter  Grasarten  ist  die  Ertragsfähigkeit  dieser 
Weiden  bedeutend  erhöht  worden.  Wenn  auch  die  Niederschlagsmenge  im 
Gebiete  der  Ganterbury -Ebene  etwas  unzureichend  ist,  so  leidet  man  doch 
dort  nirgends  an  Wassermangel,  denn  es  fließt  nur  ein  Teil  der  von  den 
Bergen  im  Nordwesten  herabkommenden  Gewässer  oberirdisch  dahin:  ein  be- 
trächtlicher Teil  sucht  unterirdisch  seinen  Weg  und  erfüllt  den  ganzen  Unter- 
grund der  Ebene  mit  ausgezeichnetem  Trinkwasser,  welches  überall  leicht  er- 
bohrt werden  kann  und  an  mehreren  Orten,  so  auch  in  der  Hauptstadt 
Christchurch,  aus  den  Bohrlöchern  von  selbst  als  artesisches  Wasser  her- 
vorsprudelt. 

Besteigt  man  einen  der  Gipfel  der  Banksgruppe  —  der  bedeutendste  von 
ihnen  ist  ungefähr  1000  Meter  hoch  ' — ,  so  gewinnt  man  einen  herrlichen 
Ausblick.  Man  sieht  die  von  vertikalen  vulkanischen  Gängen  durchsetzten 
Lava-  und  Aschenlagen,  aus  denen  die  ganze  Bergmasse  der  Halbinsel  auf- 
gebaut ist.  Sanft  dachen  diese  nach  außen  hin,  gegen  das  Meer  sowohl,  wie 
gegen  die  Ebene  ab,  während  sie  nach  innen,  gegen  die  durch  Erosions- 
schluchten mit  dem  Meere  in  Verbindung  gesetzten  alten  Krater  quer  ab- 
gebrochen, mit  steilen,  in  den  oberen  Teilen  vielerorts  senkrechten  Felswänden 
abstürzen.  Im  Westen  blicken  wir  hinaus  über  die  weite  Ganterbury-Ebene 
mit  ihren  Straßenlinien  und  Siedelungen  zu  den  gipfelreiphen  Kämmen  der 
großen  Bergkette.  Im  Osten  dehnt  sich  endlos  das  Meer.  Zu  unseren  Füßen 
aber  sehen  wir  auf  der  einen  Seite  das  ruhige  Wasser  des  Hafens,  auf  dem 
große  Ozeandampfer   von   ihrer   letzten  Weltreise  ausruhen,   auf  der  anderen 


248  Robert  von  Lendenfeld: 

die  freundliche  Stadt  mit  ihren  schönen  Bauten  und  von  baumreichen  Park- 
anlagen  eingefiaBten  Villen. 

Der  böchste  und  interessanteste  Teil  der  großen  neuseeländischen  Falten- 
gebirgskette  ist  ihr  südwestliches  Endstück,  die  Aorangigruppe  (Tafeln  4  und  5). 
Hier  erhebt  sich  der  Aorangi,  der  höchste  Berg  Neuseelands,  3768  Meter  über 
das  Meer,  und  bier  stehen  noch  viele  andere  hoch  über  die  Schneegrenze  empor- 
ragende Berggipfel.  Infolge  der  Gleichmäßigkeit  der  Temperatur  des  streng 
ozeanischen  Klimas  und  der  bedeutenden,  in  den  Höhen  als  Schnee  herabfallenden 
Niederschläge,  welche  von  den  Nordwestwinden  beim  Überwehen  des  Oebirges 
fallen  gelassen  werden,  ist  die  Vergletscherung  dieses  Gebirges  ganz  kolossal.  Die 
Aorangigruppe  läßt  sich  am  besten  mit  der  Glocknergruppe  in  den  europäischen 
Ostalpen  vergleichen,  deren  höchster  Gipfel,  der  Großglockner,  3798  Meter  U.d.M. 
liegt,  also  ungef^r  ebenso  hoch  wie  der  Kulminationspunkt  der  Aorangigruppe 
der,  wie  eben  erwähnt,  3768  Meter  hohe  Aorangi  oder  Mount  Cook  ist  Wie 
in  dieser  schließen  auch  in  der  Aorangigruppe  die  höchsten  Erhebungen  ein 
in  südlicher  Bichtung  herabziehendes  Hochtal  ein,  welches  von  dem  Haupt- 
gletscher der  ganzen  Gruppe  —  am  Glockner  die  Pasterze,  am  Aorangi  der  Tasman- 
gletscher  —  ausgefüllt  wird;  wie  in  dieser  liegt  auch  in  der  Aorangigruppe 
der  höchste  Gipfel  nicht  in  der  Hauptwasserscheide  am  oberen  Ende,  sondern 
ziemlich  weit  unten,  am  rechten  Ufer  des  Eisstromes  in  einem  ganz  kurzen 
Nebenkamme;  wie  in  der  Glocknergruppe  bildet  auch  in  dieser  neuseeländischen 
Bergmasse  ein  im  Süden  ziemlich  abgerundeter  und  ganz  überfimter,  nach 
Norden  aber  mit  steilen  Felswänden  abstürzender  Berg  (Johannisberg,  Hoch- 
stetter  Dom)  den  Schluß  des  großen  Tales,  durch  welches  der  Hauptgletscher 
herabzieht;  und  wie  der  Großglockner  ist  auch  der  Aorangi  ein  scharfer  und 
schmaler,  steil  aufragender  Gipfel.  Wesentlich  imterscheidet  sich  aber  die 
Aorangi-  von  der  Glocknergruppe  dadurch,  daß  die  erstere  zwischen  43  und 
44  Grad  s.  Br.,  die  letztere  unter  47  n.  Br.  also  mehr  denn  3  Grad  vom 
Äquator  weiter  entfernt  ist,  und  daß  das  Fundament,  von  dem  sich  die  Berge 
der  ersteren  erheben,  die  Sohlen  der  zwischen  ihnen  eingesenkten  Täler  in 
der  ersteren  weit  tiefer  als  in  der  letzteren  liegen.  Aus  diesen  beiden  Unter- 
schieden sollte  man  schließen,  daß  die  Vergletscherung  in  der  Glocknergruppe 
viel  bedeutender  sein  müßte  als  in  der  Aorangigruppe.  Dem  ist  jedoch  nicht 
so:  gerade  das  Gegenteil  wird  beobachtet.  Während  die  Pasterze,  der  Haupt- 
gletscher der  Glocknergruppe,  nur  wenig  über  9  Kilometer  lang  ist  und  in 
einer  Höhe  von  ungefähr  1950  Meter  endet,  ist  der  Tasmangletscher  in  der 
Aorangigruppe  bei  28  Kilometer  lang  und  reicht  bis  zu  einer  Höhe  von 
718  Metern  herab.  Der  Aorangigipfel  liegt  also  3050  Meter  über  dem 
unteren  Ende  dieses  Gletschers.  In  Bezug  auf  diese  relative  Höhe  wäre  die 
Aorangigruppe  viel  eher  den  höchsten  Erhebungen  der  Westalpen  als  dei: 
Glocknergruppe  zu  vergleichen,  denn  es  beträgt  in  dieser  jene  Höhendifferenz 
(Pasterzenende-Glocknergipfel)  bloß  1848  Meter,  während  die  entsprechenden 
Höhendifferenzen  in  der  Montblancgruppe  (Mer  de  Glace-Ende  —  Montblancgipfel) 
3660,  in  der  Finsteraargruppe  (Aletßchgletscherende  —  Jung&augipfel)  2829 
"  inderMonteroßagruppe(Gomergletscherende  —  Monterosagipfel)  2 7 98  Meter 


Geographische  Zeitschrift.     Jahrgang  IX. 


Tafel  7. 


Zu:   Robert  Ton  Lendenfeld,  Der  landscliaftliclie  Charakter  Neuseelands. 


Der  landschaftliche  Charakter  Nenseelands.  249 

betragen.  Da  nun  der  (xrad  der  Bedeckung  der  verschiedenen  Berggruppen 
mit  Firn  und  Gletscher  den  allergrößten  Einfloß  auf  ihren  landschaftlichen 
Charakter  ausübt,  so  ähnelt  die  Aorangigruppe  trotz  ihrer  yiel  geringeren 
Höhe  den  letztgenannten  europäisch -westalpinen  Berggruppen  viel  mehr  als 
der,  in  Bezug  auf  die  absolute  Höhe  ihr  gleich  konmienden  Glocknergruppe. 

Auch  der  umstand,  daß  in  der  Aorangigruppe  die  relativen  Höhen  der 
Gipfel  über  die  zwischen  ihnen  liegenden  Täler  viel  bedeutender  als  in  der 
Glocknergruppe  sind  und  den  an  den  höchsten  Erhebungen  der  Westalpen 
beobachteten  Verhältnissen  nahe  konmien,  verringert  die  Ähnlichkeit  der 
Aorangigruppe  mit  der  Glocknergruppe  und  erhöht  ihre  Ähnlichkeit  mit  der 
Montblanc-,  Monterosa-  und  Finsteraargruppe:  wie  diese  hat  auch  sie  einen 
hochalpinen,  ungemein  großartigen  Charakter. 

Wenn  sich  aber  auch  die  Aorangigruppe  mit  den  genannten  Westalpen- 
gruppen ganz  gut  vergleichen  läßt,  so  gibt  es  doch  auch  beträchtliche  Unter- 
schiede zwischen  ihnen,  welche  teils  auf  der  Gestaltung  des  Terrains,  teils 
auf  dem  Charakter  der  Eisströme  beruhen.  In  Bezug  auf  ersteres  ist  zu  be- 
merken, daß  in  der  Aorangigruppe  das  Belief  im  allgemeinen  und  ganz  besonders 
die  Talformen  viel  einfacher  und  weniger  abwechslungsreich  sind  als  in  den 
genannten,  europäischen  Gebirgen.  Das  Tasmantal  (Tafel  6),  dessen  oberer  Teil 
von  dem  großen,  gleichnamigen  Gletscher  eingenommen  vmrd,  erstreckt  sich, 
ohne  irgendwelche  bedeutendere  Erünmaungen  zu  bilden  und  durchaus  die 
Gestalt  eber  tiefen  und  mehrere  Kilometer  breiten  Furche  mit  flacher  Sohle 
beibehaltend,  vom  Hochstetterdom  am  Talschluß  bis  zum  unteren  Ende  des 
Pukakisees  über  80  Kilometer  in  der  Länge.  Das  Gefälle  des  Talbodens  ist 
gering  und  nimmt  sehr  gleichmäßig  nach  unten  hin  ab:  in  dem  unteren, 
gletscherfreien  Teile  konmien  tiirgends  steilere  Stufen  vor  und  auch  oben,  wo 
der  Eisstrom  das  Tal  ausfüllt,  scheint  es  keine  solchen  zu  geben.  In  welchem 
Gegensatze  stehen  diese  einförmigen  Verhältnisse  zu  der  reichen  Abwechslung, 
der  wir  in  den  großen  Hochtälern  unserer  europäischen  Alpen,  wie  etwa  im 
Visper  Tale  begegnen,  wo  freundliche  Weitungen  und  sdimale  Steilschluchten, 
durch  die  der  Talbach  rauschend  hinabstürzt,  miteinander  abwechseln,  imd 
wo  sich  an  jeder  der  vielen  Krümmungen  des  Tales  ein  neues  Bild  vor  den 
Augen  des  Wanderers  auftut. 

Was  die  Gletscher  anlangt,  so  scheinen  sich  jene  der  Ostabdachung  der 
Aorangigruppe,  zu  denen  ja  auch  der  Tasman  gehört,  durch  die  Langsamkeit 
der  Bewegung  vor  den  großen  Hauptgletschem  der  europäischen  Alpen  aus- 
zuzeichnen. Dieser  Unterschied  kommt  darin  zum  Ausdrucke,  daß  die  Gletscher- 
zunge von  den  Seiten  her  schneller  abgeschmolzen  wird,  als  das  fast  stationäre 
Eis  sich  seitlich  auszubreiten  vermag,  daß  auf  der  Oberfläche  des  Eisstromes 
große  dolinenartige  Einsenkungen  zur  Ausbildung  kommen,  und  daß  die  Mo- 
ränen, welche  die  Gletscherzunge  bedecken,  ganz  ungeheuere  Dimensionen  an- 
nehmen. Durch  das  Überwiegen  der  seitlichen  Abschmelzung,  der  seitlichen 
Ausbreitung  gegenüber,  werden  große  Längstäler  gebildet,  welche  den  Gletscher 
zu  beiden  Seiten  einfassen  xmd  ihn  von  den  Talwänden  trennen.  Diese 
Seitentäler  lassen  sich  vom  unteren  Gletscherende  bis  zur  Gletschermitte 
wenigstens  14  Kilometer  weit  verfolgen.     Wo  Nebengletscher  in  den  Haupt- 


250  Robert  von  Lendenfeld: 

gletscher  einmünden,  vertiefen  sich  diese  Seitentäler  stellenweise  zu  gähnen- 
den Schlünden.  Die  dolinenartigen,  trichterförmigen  Einsenkungen  der  Gletscher- 
oberfläche gehen  vrahrscheinlioh  durch  lang  fortgesetztes  Abschmelzen  des 
Eises  aus  Gletsohermühlen  hervor.  Das  merkwürdigste  an  diesen  Gletschern, 
besonders  am  Tasmangletscher,  sind  aber  die  ungeheueren  Moränen.  Die 
Moränen  unserer  europäischen  Alpengletscher  erscheinen  als  verhältnismäßig 
schmale  Streifen  von  Gesteinstrümmem,  welche  — ^  nach  unten  hin  im  allge- 
meinen immer  breiter  werdend  —  von  da:  Schneegrenze,  wo  sie  beginnen, 
zur  Gletscherstime  hinabziehen.  Stets  findet  man  solche  Gesteinstrftmmer- 
streifen  an  den  Seiten  (Seitenmoränen),  zuweilen  auch  in  der  Mitte  (Mittel- 
moränen) des  Gletschers.  Am  unteren  Gletscherende  gehen  sie  in  eine  kleinere 
oder  größere  Endmoräne  über,  welche  die  Gletscherstime  zu  bedecken  pflegt 
Am  Tasmangletscher  sind  die  Seiten-  und  Mittelmoränen  so  bedeutend,  daß 
sie  selbst  in  seiner  halben  Länge,  14  Kilometer  oberhalb  der  Gletscherstime, 
mehr  als  die  Hälfte  der  ganzen  Breite  des  Eisstromes  einnehmen.  Die  unter- 
sten 7  Kilometer  sind  fast  ganz  von  Moränen  bedeckt  und  in  der  Nähe  des 
unteren  Gletscherendes  ist  nirgends  moränenfreies  Eis  zu  sehen. 

Neuerlich  sind  Hütten  und  ein  Gasthaus  erbaut  und  die  Wege  etwas 
verbessert  worden,  so  daß  ds  jetzt  nicht  schwer  ist,  von  den  östlichen  Städten 
aus  die  Aorangigmppe  zu  besuchen.  53  Kilometer  unterhalb  des  Endes  des 
Tasmangletsch^rs  füllt  eine,  während  der  Eiszeit  aufgebaute,  riesige  alte  Mo^ 
räne  das  Tasmantal  aus.  Diese  bildet  einen  Damm,  hinter  welchem  der 
Tasmanfluß  sich  zu  einem  See,  den  Pukakisee,  aufgestaut  hat.  Den  aus  dem 
Südende  des  Pukakisees  wieder  hervortretenden  Fluß  überspannt  eine  Fähre. 
Es  ist  das  die  einzige  Stelle,  an  welcher  man  ohne  Schwierigkeit  von  dem 
linken  nach  dem  rechten  Ufer  des  Tasmanflusses  gelangen  kann.  Diese  Pu- 
kakifähre  ist  durch  eine  fahrbare  Straße  mit  dem  östlichen  Eisenbahnnetz 
(die  nächste  Station  ist  Fairly  Creek)  verbunden.  Will  man  die  Aorangi- 
gruppe  besuchen,  so  tut  man  am  besten,  vom  Osten  auszugehen,  über  Fairly 
Creek  und  die  erwähnte  Sü-aße  nach  der  PukakifUhre  zu  fahren ,  hier  über 
den  Fluß  zu  setzen  und  dann  seinem  rechten  Ufer  entlang  durch  das  breite 
Tasmantal  in  nördlicher  Richtung  weiterzureisen.  Ziemlich  weit  oben  mündet 
von  links  her  das  Hookertal  in  das  Tasmantal  ein.  An  der  Einmündungs- 
stelle  steht  das  Gasthaus  „Hermitage",  in  welcjiem  man  gute  ühterkunft  findet 
Bis  hier  herauf  geht  die  Fahrstraße,  deren  Fahrbarkeit  allerdings  etwas 
problematischer  Natur  ist  Weiter  kann  man  dann  reiten.  Der  Saumpfad 
führt  am  rechten  Ufer  des  Tasmanflusses,  weiterhin  des  Tasmangletschers 
durch  das  Seitental  nach  Norden  bis  zur  Ballhütte  —  es  werden  dort  nicht 
etwa  Bälle  gegeben,  sondern  sie  wurde  nach  dem  englischen  Alpenforscher 
Ball  so  genannt  — ,  welche  imgeföhr  8  Kilometer  oberhalb  des  Gletscherendes 
liegt  und  den  besten  Ausgangspunkt  für  Bergbesteigungen  in  der  Aorangi- 
gruppe  bildet. 

Die  Steppenflora  der  Canterbury- Ebene  erstreckt  sich  über  die  Vorberge 
und  durch  die  breiten  Täler  weit  nach  Westen  bis  zum  eigentlichen  Hodi- 
gebirge.  Braungrünes  Büschelgras  bekleidet  die  alten  Moränen  der  Eiszeit 
unterhalb  des  Pukakisees,  die  flache  Sohle  des  Ta^mantales  und  die  ziemlich 


Der  landschaftliche  Charakter  Neuseelands.  251 

i 
steilen  Abhänge,  welche  das  Thal  einfassen.  Der  wasserreiche  Fluß  durch- 
zieht, in  ein  Netz  ewig  wechselnder  Torrouten  aufgelöst,  den  breiten,  fast 
ebenen  Boden  und  allenthalben  unterbrechen  ausgedehnte  Geröll-  und  Sand- 
ablagerungen die  Rasenvegetation  des  Talgrundes.  Talein,  dem  Gletscher  zu, 
ändert  sich  der  Charakter  der  Vegetation.  In  den  kleinen,  die  TalwÄnde 
durchfurchenden  Schluchten  treten  ziemlich  niedrige,  aber  außerordentlich 
dichte,  domige  Gebüsche  auf,  die  sich  nach  oben  hin  immer  weiter  ausbreiten 
und  in  der  Umgebung  des  Gletschers  selbst  einen  großen  Teil  der  Hänge  be- 
kleiden. In  noch  höheren  Regionen  tritt  zun8ch.st  niedriger  Wacholder  und 
weiterhin  Alpenmattenflora  an  Stelle  dieses  fast  undurchdringlichen  Dom- 
gestrüppes. 

Geht  man  von  der  Ballhütte  eine  Strecke  weit  über  den  Gletscher  hin- 
auf, so  gewinnt  man  einen  herrlichen  Ausblick  auf  die  Bergmassen,  welche 
ihn  einschließen,  namentlich  den  Aorangi  selbst  imd  den  Hochstettergletscher, 
welcher  über  seinen  Ostabhang  herabzieht,  um  sich  in  den  Tasman  zu  er- 
gießen. Der  höchste,  in  seinem  nördlichen  Teile  der  Hauptwasserscheide  an- 
gehörige  Gebirgskamm  der  neuseeländischen  Alpen  schließt  im  Westen  das 
Becken  ein,  in  dem  die  den  Hochstettergletscher  speisenden  Fimmassen  sich 
ansammeln.  Überaus  steile  Pimhänge,  Felsrippen  und  Schneerimien  ziehen 
von  jener  schön  gegliederten,  2000  bis  2500  Meter  über  unserm  Standpunkte 
aufragenden  Kanunlinie  zu  jenem  Fimbecken  hinab.  Der  Abhang  selbst  wird 
in  halber  Höhe  von  einer  sehr  deutlich  ausgesprochenen  Stufe  durchzogen. 
Der  Rand  dieser  Stufe  hat  eine  etwas  über  einen  Kilometer  breite  Ein- 
kerbung, zu  deren  Seiten  er  zwei  vorspringende  Felsbastionen  bildet,  welche 
mächtigen  Pfeilern  gleich  die  von  jener  Einkerbung  gebildete  Pforte  ein- 
fassen. Durch  diese  Pforte  finden  die  Fimmassen  des  Hochstettergletschers 
ihren  Abfluß.  Hier  treten  sie  über  den  Rand  der  Stufe,  deren  Scheitel  sie 
bedecken,  hinaus,  um  dann  über  den  bei  800  Metern  hohen  Steilhang  hinab- 
zufließen ins  Haupttal.  Wegen  der  bedeutenden  Steilheit  tmd  der  Unregel- 
mäßigkeit dieses  Abhanges  werden  die  über  ihn  herabkonmienden  Fimmassen 
nach  allen  Richtungen  hin  zerbrochen  und  zerklüftet:  in  eine  Masse  von 
Türmen,  Zürnen  und  Blöcken  zerrissen  zieht  der  Eisstrom  zu  Tal.  Die  laut- 
lose Stille  der  Hochregion  ruht  auf  diesem  herrlichen  Bilde  und  die  in 
ihren  kühnen  Gestalten  wilde  Kraft  und  stürmische  Bewegung  darstellenden 
Eismassen  scheinen  sich  gar  nicht  zu  regen,  wie  ein  Heer  zu  Marmor  er- 
starrter, himmelstürmender  Titanen  stehen  sie  da.  Plötzlich  fällt  eine  der 
kirchturmgroßen  Eisnadeln  über  die  Felswand  herab,  die  links  unter  der  Mitte 
aus  dem  Eishange  hervorschaut.  In  kleine  Stücke  zersplittemd  schlägt  das 
Eis  auf  den  Felsen  auf,  um  dann  einem  Wasserfalle  gleich  von  Stufe  zu 
Stufe  bergab  zu  fließen  und  tief  unten  erst,  auf  dem  Hauptgletscher,  zur  Ruhe 
zu  kommen.  Weit  hinaus  springen  einzelne  Trümmer,  die  in  rasender  Eile 
wirbelnd  sich  drehend  blitzartig  in  der  Sonne  funkeln,  während  Wolken  von 
Eis-  und  Schneestaub  über  die  herabstürzenden  Massen  emporsteigen.  Und 
jetzt  erreicht  das  dumpfe  Krachen  des  Eissturzes  unser  Ohr.  Das  Klirren 
der   zersplitternden    Stücke   mischt   sich    mit  -  dem    donnernden  Krachen  der 


252  R-  ▼•  Lendenfeld:  Der  landschaftliche  Charakter  Neuseelands. 

schweren  aufschlagenden  Trümmer  und  dem  Rauschen  der  weiter  rollenden 
Eislawine.  An  den  Bergen  hin  tönt  grollend  der  Widerhall  dieses  herrlichen 
Orgeltones,  um  in  der  Feme  allmählich  zu  verklingen.  Wie  bezaubert 
von  dem  mächtigen  Eindrucke,  den  der  Eissturz  auf  uns  gemacht,  stehen 
wir  regungslos  da  —  er  hat  uns  gezeigt,  daß  die  Buhe  jener  Masse  von 
wilden  Eisgestalten  nur  scheinbar  ist,  und  daß  sie  in  Wirklichkeit  alle  nach  ab- 
wärts wandern;  langsam  freilich  und  für  das  Auge  nicht  sichtbar,  aber  stetig 
und  unaufhaltsam  bis  die  eine  oder  andere  Masse  an  eine  steilere  Stelle 
herankommt,  ihr  Gleichgewicht  verliert  und  unter  Bildung  einer  Eislawine 
zusammenbricht  und  herabstürzt. 

Die  ersten  Versuche,  einen  der  Gipfel  der  Aorangigruppe  zu  ersteigen, 
wurden  im  Jahre  1882  von  Green  mit  zwei  Schweizer  Führern  untemonmien. 
Er  machte  sich  an  den  Hauptgipfel,  den  Aorangi  selbst,  und  es  gelang  ihm, 
bis  nahe  an  den  höchsten  Punkt  heranzukommen,  wirklich  erstiegen  hat  er  aber 
weder  diesen  noch  einen  anderen  Gipfel  der  Gruppe.  Im  darauffolgenden 
Jahre  gelang  es  dann  mir,  eine  andere  Spitze,  den  den  Talschluß  des  Tasman- 
tales  bildenden  Hochstetterdom  zu  ersteigen.  Erst  11  Jahre  später,  im 
Jahre  1894,  wurden  weitere  Gipfelbesteigungen  in  der  Aorangigruppe  aus- 
geführt und  auch  der  Aorangi  selbst  von  dem  Neuseeländer  Fyfe  mit  zwei 
Genossen  erklettert. 

Der  südwestliche  Teil  der  Südinsel  von  Neuseeland  hat  einen  ähnlichen 
landschaftlichen  Charakter  wie  Norwegen.  Es  ist  ein  1500  bis  1700  Meter 
hohes,  aus  Granit  und  krystallinischen  Schiefem  aufgebautes  Plateau,  dem 
zahlreiche  zum  Teil  sehr  scharf  und  kühn  gestaltete  Berggipfel  entragen 
und  in  das  viele,  reich  gegliederte  Schluchten  eingesenkt  sind.  Diese 
Schluchten  sind  sehr  tief,  bis  2000  Meter  imd  darüber,  und  werden  von  un- 
gemein steilen  Wänden  eingefaßt.  Das  Gefälle  der  Sohlen  dieser  Schluchten 
ist  nicht  gleichsinnig:  sie  sind  in  der  Nähe  der  wasserscheidenden  Kämme, 
von  denen  sie  herabziehen,  beträchtlith  tiefer  als  weiter  draußen.  In  die 
nach  Nordwesten  herabziehenden  dringt  das  Meer  ein,  so  daß  diöse  als 
Fjorde  erscheinen,  während  die  nach  Südosten  herabziehenden,  etwas  höher 
gelegenen  Täler  sind,  deren  Senkungen  in  der  Nähe  der  Hauptkämme  von 
Seen  eingenommen  werden:  den  tief  ins  Land  einschneidenden  nordwestlichen 
Fjorden  stehen  im  Südosten  herrliche  Alpenseen  gegenüber. 

An  der  Nordwestküste  dieses  Plateaus  finden  sich  nicht  weniger  als 
dreizehn  Fjorde,  von  denen  einige  durch  Querarme  miteinander  in  Verbin- 
dung stehen.  Der  schönste  und  großartigste  von  diefien  Fjorden  ist  der  am 
weitesten  nördlich  gelegene  von  ihnen,  der  Milfordfjord  (Tafel  7).  Dieser  i^ord 
ist  gegen  17  Kilometer  lang  und  am  Eingang  zweieiphalb  Kilometer  breit. 
Der  ihn  einnehmende  Meeresabschnitt  hat  eine  23  Quadratkilometer  große 
Oberfläche.  Vor  dem  Eingang  ist  das  Meer  nur  77  Meter  tief,  im  Eingange 
selbst  beträgt  die  Tiefe  130  Meter,  während  drinnen,  zehn  Kilometer  vom 
Eingange  entfernt,  eine  Tiefe  von  360  Metern  gelotet  worden  ist.  Die  Ab- 
hänge, welche  diesen  Fjord  einfassen,  sind  sehr  hoch  und  überaus  steil,  nur 
in  seinem  Hitergrunde,  wo  der  Gleddau  und  Poseidonfluß  in  ihn  einmündeli, 


Albrecht  Penck:  Neue  Alpenkarten.  253f 

breitet  sich  eine  kleine  Ebene  aus.  Die  durchschnittlich  etwa  1000  Meter 
hohen  Wände  des  Fjords  bestehen  aus  dunklen  Granitfelsen,  doch  haben  sich 
überall,  wo  Bänder  und  Stufen  die  Wandflucht  unterbrechen,  immergrüne 
Bäume  und  Sträucher  angesiedelt,  welche  mit  ihrem  dunklen  Grün  die 
düsteren  Felsen  beleben.  Weißglänzenden  Silberbändem  gleich  stürzen  Wasser- 
falle über  die  Abhänge  herab,  und  fimgepanzemte  Berggipfel  ragen  über 
ihnen  empor.  Der  schönste  von  diesen  Bergen  ist  die  im  Süden  sich  er- 
hebende nadelscharfe  Bischofsmütze. 

Ein  beschwerlicher  Weg  führt  vom  Hintergrunde  des  MilfordQordes  über 
das  Gebirge  hinüber  zu  den  östlichen  Seen.  Dichter,  fast  undurchdring- 
licher, immergrüner  Urwald  bedeckt  die  unteren  Teile  der  Abhänge.  Darüber 
folgen  sumpfige  Mooswiesen,  dann  Felsen  und  Firn. 

Die  größten  von  den  süd-neuseeländischen  Alpenseen  sind  der  Wakatipu, 
der  Te  Anau  und  der  Manipori.  Der  erstere  liegt  weiter  östlich  im  Gebiete 
der  paläozoischen  tmd  phyllitischen  Schiefer,  die  beiden  letzgenannten  sind  Reste 
eines  einst  viel  ausgedehnteren  Wasserbeckens,  dessen  östlicher  Teil  von  plio- 
cänen  und  jüngeren  Ablagerungen  ausgefällt  worden  ist,  und  von  dem  nur  mehr 
die  Qordartig  in  die  westliche  Granitmasse  eindringenden  Teile  als  Seen 
erhalten  sind.  Diesen  Verhältnissen  entsprechend  sind  die  Ostufer  dieser 
Seen  flach  imd  wenig  gegliedert,  während  die  westliche  Strandlinie  eine  reiche 
Gliederung  aufweist  und  von  hohen,  steil  abfallenden  Bergmassen  eingefaßt 
wird.  Der  größte  von  den  Seen  dieses  Gebietes  ist  der  342  Quadratkilo- 
meter große  Te  Anau,  dessen  Spiegel  200  Meter  ü.  d.  M.  liegt.  Die  tief  in 
das  granitische  Hochplateau  eindringenden  Westarme  dieses  Sees,  sowie  sein 
nach  Westen  sich  umbiegendes  Nordende  gehören  zu  den  schönsten  und 
großartigsten  Landschaften  Neuseelands.  Kühn  gestaltete  Berggipfel  von 
mannigfacher  Gestalt  erheben  sich  bis  zu  2000  Meter  über  den  Seespiegel. 
Schneefelder  imd  Gletscher  schmücken  ihre  Flanken,  während  ihr  Fuß  mit 
dichten  Urwäldern  bekleidet  ist,  die  zur  Blütezeit  des  Ratabaumes  in  tiefem 
Scharlachrot  prangen. 


Nene  Alpenkarten. 

Von  Albreoht  Penck  in  Wien. 
7.  Die  französischen  Karten^). 

Das  große  Spezialkartenwerk  Frankreichs,  die  Carte  de  France  1 :  80000 
ist  erst  im  Jahre  1880  vollendet  worden.  Seine  zuletzt,  seit  1870  er- 
schienenen Blätter  betreffen  teils  die  Insel  Corsica,  teils  die  Alpen  und  zwar 
hier  sowohl  die  1859  zu  Frankreich  gekommenen  Gebiete  yon  Savoien  und 
Nizza,  als  auch  größere  Teile  der  Departements  Hautes  Alpes  und  Basses 
Alpes.  Wir  haben  daher  bei  unserer  Betrachtung  der  neueren,  in  den  letzten 
25 — 30  Jahren  erschienenen  Alpenkarten  auch  ein  Werk  zu  würdigen,  dessen 

1)  Catalogue  des  cartes,  plana  et  autres  ouvrages  publica  par  le  aervice  geo- 
graphique  de  Tarm^e.     Paria,  Baudoin  1895. 


254  ALbrecht  Penck: 

Planlegiing  in  den  Beginn  des  nunmehr  zu  Ende  gegangenen  Jahrhunderts 
zurückreicht,  und  das  in  vieler  Hinsicht  vorbildlich  gewesen  ist  für  die 
neuere  Kartographie.  Über  seine  Entstehung  und  Ausftihrung  gewährt  uns 
das  kürzlich  erschienene  monumentale  Werk  des  Chefs  der  kartographischen 
Abteilung  des  Service  geographique  de  Tarm^e  fran^aise,  des  Obersten  Bert- 
haut, betitelt:  La  Carte  de  France^),  eine  Fülle  wertvoller  Aufschlüsse. 
Es  teilt  uns,  begleitet  von  ausgezeichneten  Kommentaren,  das  Wesentliche 
aus  den  Protokollen  der  zahlreichen  Kommissionen,  die  über  die  Karte  be-> 
raten  haben,  und  die  Vorschriften  mit,  nach  denen  sie  ausgeführt  wurde; 
es  schildert  uns  die  bei  ihrer  Aufnahme  verwendeten  Instrumente  und  macht 
uns  mit  der  Art  ihrer  Herstellung  bekannt  Nicht  bloß  das,  was  früher 
aus  einzelnen  Abhandlungen^)  mühsam  zusammengelesen  werden  mußte,  haben 
wir  nunmehr  in  übersichtlicher  Weise  zusammengefaßt  vor  uns,  sondern  es 
werden  uns  vor  allem  auch  zahlreiche  bisher  unveröffentlicht  gebliebene  Akten 
zugänglich  gemacht,  und  neben  Ausschnitten  der  veröffentlichten  Karten  wer- 
den uns  solche  von  Originalzeichnungen  wiedergegeben,  so  daß  Verständnis 
und  Würdigimg  der  Karte  nunmehr  wesentlich  erleichtert  sind. 

Ihre  Planlegung  reicht  in  die  Zeit  des  ersten  Napoleon  zurück,  die  aller- 
dings für  die  Kartographie  der  an  Frankreich  angrenzenden  Länder,  wie 
Schwabens,  Bayerns  und  der  Bheinlande,  fruchtbarer  gewesen  ist  als  für  Frank- 
reich selbst.  Aber  eine  1802  zusammengetretene  Kommission  hat  bereits  den 
großen  Gedanken  einer  Karte  von  Frankreich  1:50000  gefaßt,  welcher 
während  der  Zeit  der  Restauration  wieder  aufgegriffen  wurde.  1817  wurden 
drei  Kommissionen  eingesetzt;  eine  Commission  royale  de  la  carte  de  France, 
in  welcher  die  verschiedenen  Zweige  der  Verwaltung  und  das  Institut  ver- 
treten waren,  eine  Commission  du  Depot  de  la  Guerre,  sowie  endlich  ein 
Comit^  du  D^ot  de  la  Guerre.  Die  Commission  royale  erstrebte  unter  dem 
Vorsitze  von  Laplace  eine  topographische  Karte,  welche  für  alle  öffentlichen 
Zwecke  geeignet  ist,  und  im  Verein  mit  der  Katasterau&iahme  ausgeführt 
werden  solle;  sie  kam  auf  den  Maßstab  1:50000  zurück;  im  Comiti  du 
Dipot  de  la  guerre  vrurde  der  Plan  eine  Militärkarte,  die  im  Maßstabe 
1 :  80000  veröffentlicht  werden  sollte,  gefaßt.  Er  ist  es,  der  zur  Ausführung 
gelangt  ist,  imd  zwar  in  der  Weise,  daß  man  vom  ursprünglich  geplanten 
Maßstabe  der  Originalaufnahmen  IrlOOOO  zunächst  auf  1:20000,  dann 
1 :  40000  zurückgegangen  ist.  Die  geplante  Einbeziehung  der  Katasterauf- 
nahme in  die  Kartenau&ahme  erwies  sich  als  undurchführbar,  man  mußte 
sich  beschränken,  die  Katasterkarten,  die  keineswegs  immer  richtig  orientiert 
und  im  gleichen  Maßstabe  gehalten  sind,  einzupassen  in  das  Netz  der  großen 
trigonometrischen  Operationen.  Nur  diese  letzteren  sind  ganz  in  dem  Um- 
fang ausgeführt  worden,  wie  es  Laplace  als  nötig  bezeichnet  hat.  Die  Carte 
de  France  beruht  auf  einer  vorzüglichen  geodätischen  Grundlage  und  ist  durch 


1)  2  Bde.  4^  XVm,  Sil  u.  68Ö  8.  Paris  1898.  Vergl.  Bigourdan.  La  Carte 
de  France.    Annales  de  g^ographie.    VIII.     1899.     S.  427—437. 

^)  B.  Dali  et.  Construetion  d'une  carte.  Annales  de  geographie.  II.  1892/93. 
p.  11.  P.  Moos  aar  d.  La  Topographie.  Paris,  o.  J  (Encyclop^die  scientifique  des 
aide-memoires). 


Nene  Alpenkarten.  255 

dieselbe  ausgezeichnet  vor  einigen  anderen  Werken,  welche  gleich  ihr  als 
Militärkarten  zu  gelten  haben,  und  als  solche  mehr  eine  ausdrucksvolle  als 
unbedingt  im  einzelnen  verläßliche  Darstellung  erstreben. 

Eine  solche  konnte  die  Carte  de  France  schon  deiswegen  nicht  erreichen, 
weil  sie  im  einzelnen  auf  den  Arbeiten  des  Katasters  fußte,  die  nicht  an 
das  große  trigonometrische  Netz  angeschlossen  waren,  dann  aber  auch,  weil 
den  einzelnen  Mappeuren  eine  zu  große  Arbeit  ziigewiesen  war.  Nachdem 
man  zu  den  Originalaufnahmen  (Minutes)  im  Maßstabe  1  :  40000  über- 
gegangen war,  sollten  sie  im  gewöhnlichen  Gelände  im  Jahre  Y^  eines  der 
großen  Blätter  der  Karte  von  2560  qkm,  also  über  420  qkm  au&ehmen,  im 
Mittelgebirge  320  qkm,  im  Hochgebirge  256  qkm.  Dabei  war  die  Ausrüstung 
der  Topographen  mit  einem  Boussoleninstrument  durchaus  nicht  hinreichend, 
und  auch  die  Vorschriften  über  die  Greländeaufnahmö  gewannen  erst  all- 
mählich ein  festeres  Gepräge.  Aber  man  war  sich  von  vornherein  kljar  über 
die  bedeutungsvollen  Linien  des  Geländes. 

Bereits  die  Kommission  des  Jahres  1802  stand  auf  dem  Boden  der 
Anschauung,  daß  die  Linien  des  größten  Gefälles  ungemein  wichtig  zur 
Charakteri^ik  der  Bodengestalt  waren,  und  empfahl  sie  zu  deren  Wiedergabe. 
Man  trug  femer  bereits  der  Theorie  von  Dupuis  de  Torcy  und  Brisson 
Rechnung,  derzufolge  diese  G^fällslinien  senkrecht  auf  den  Schichtlinien  ver- 
laufen, konnte  sich  aber  nicht  entschließen,  die  letzteren  gleichfalls  in  die 
Karte  aufzunehmen.  Es  geschah  jedoch  später,  als  diese  in  Angriff  ge- 
nommen .  wurde.  Die  Minutes  1:10  000  wurden  schraffiert,  aber  die  Schraffen 
brechen  jeweils  an  den  im  Abstände  von  5  m  gezogen  gewesenen  Schicht- 
linien ab,  so  daß  man  diese  durch  die  Karte  leicht  hindurch  verfolgen 
kann;  ein  Teil  der  Minutes  1 :  20  000,  nämlich  alle  1828—1831  ausgeführten, 
liegen  nur  mit  Isohypsen  von  5  zu  5  m  vor  und  bei  den  anderen  sind 
letztere  durch  die  Enden  der  Schraffen  deutlich  gekennzeichnet.  Endlich  sind 
von  den  Aufiiahmsblättem  1 :  40  000,  die  in  Beinzeichnung  letdiglich  schraffiert 
sind.  Pausen  mit  den  Schichtlinien  von  10  zu  10  m  angefertigt  Die  Karte 
von  Frankreich  1, :  80  000  beruht  somit  allenthalben  auf  hypsometrischen 
Aufiiahmen,  und  ihre  Geländedarstellung  steht  in  inniger  Abhängigkeit  von 
den  Schichtlinien.  Aber  die  Schichtlinien  in  den  Originalaufiiahmen  sind  in 
ihr  nicht  wiedergegeben.  Sie  ist  lediglich  Schraffenkarte.  Doch  existiert  für 
geringe  Böschungen  eine  enge  Beziehung  zwischen  den  Kurven  und  Schraffen: 
Man  zeichnete  nämlich  letztere  nur  zwischen  den  ihrer  Konstruktion  zu 
Grunde  liegenden  Schichtlinien  voq  20  m  V^rtikalabstand ,  sparte  letztere 
also  aus,  und  machte  den  Abstand  der  Schraffen  gleich  ein  Viertel  ihrer  da- 
durch bestimmten  Länge;  man  könnte  daher  aus  der  Dichte  der  Schraffen  auf 
die  Steilheit  des  Geländes  schließen,  falls  die  in  Kupfer  gestochenen  Blätter 
1 :  80  000  dieses  einfache  System  der  Geländedarstellung  konsequent  hätten 
durchführen  können. 

Bereits  beim  Entwürfe  der  Minutes  zeigte  es  sich^  daß  die  erhaltenen 
Kartenbilder  der  Plastik  entbehrten,  und  1828  beschloß  die  topographische 
Kommission,  welche  die  Ausfßhrung  der  Karte  zu  überwachen  hatte,  eine 
wesentliche  Ergänzung  des  Gesetzes  über  den  Schraffenabstand  (loi  d'un  quart). 


256  Albrecht  Penck: 

Sobald  der  Horizontalabstand  zweier  aufeinanderfolgender  Schichtlinien  unter 
2  mm  werde,  sollte  an  Stelle  jenes  Gesetzes  das  der  Schraffenverstärkung 
treten,  und  zwar  sollte  letztere  proportional  der  Steilheit  des  Oefölles  zu- 
nehmen (Berthaut  I,  311).  Nach  dieser  Skala  nahm  die  Schattierung  mit  dem 
Quadrate  der  Böschung  zu,  darnach  ward  sie  fOr  das  Flachland  zu  gering, 
fElr  das  Hochgebirge  zu  stark;  Bonne  entwarf  daher  neue  Skalen,  in  einer 
ersten  ließ  er  die  Schattierung  mit  dem  ganzen  Sinus,  in  der  zweiten  mit  y^ 
des  Sinus  des  Neigungswinkels  zunehmen.  Beide  Skalen  ließen  die  Plastik  des 
Flachlandes  nicht  hervortreten,  sie  wurden  1853  ersetzt  durch  eine  neue  des 
Kommandanten  Hossard.  Nach  ihm  ist  die  Schattierung  proportional  dem 
anderthalbfachen  Betrage  des  Gefälles  (a  =  1.5  tg  a).  Der  Abstand  der 
Schraffen  voneinander  (a),  welcher  früher  gleich  Y^  der  Horizontalentfemung 
(e)  der  Isohypsen  gesetzt  worden  war,  wurde  von  ihm  nunmehr  proportional  der 

Quadratwurzel  aus  demselben  angenonunen  (^  "=   g  +  0.16  mm).     So  änderte 

sich  denn  während  der  Aufiiahme  der  Karte  die  angewandte  Schraffenskala 
mehrfach,  und  eine  Instruktion  vom  15,  März  1851  empfahl  den  OfiGizieren, 
im  Hochgebirge  um  einen  Grad  in  allen  Abteilungen  der  Schraffenskala 
herabzugehen.  Dazu  kam,  daß  man  den  Vorlagen  fOr  den  Stecher  vielfach 
mit  dem  Pinsel  einen  gleichmäßigen  Ton  zu  geben  suchte,  „wodurch  mehr 
Effekt  erreicht  wird,  allerdings  auf  Kosten  der  Genauigkeit^^). 

Der  Grund  fOr  alle  diese  Maßnahmen  liegt  in  erster  Linie  darin,  daß 
man  sich  bei  Planlegung  der  Karte  nicht  über  die  zu  wählende  Art  der  Ge- 
ländeveranschaulichung  hatte  einigen  können.  Die  Kommission  von  1802 
hatte  sich  für  Schattierung  nach  schräger  Beleuchtung  ausgesprochen,  jedoch 
unter  Weglassung  aller  Schlagschatten.  Dies  System  wurde  vom  Depot  de 
la  guerre,  der  polytechnischen  Schule  und  der  Schule  von  St.  Cyr  angenommen, 
wogegen  die  Artillerie-  und  Genieschule  in  Metz  für  die  senkrechte  Beleuchtung 
eintrat  (Berthaut,  I,  144).  Sie  brachte  1817  ihren  Standpunkt  gegenüber  der 
königlichen  Kommission  für  die  Karte  energisch  zur  Geltung,  imd  in  der  durch 
sie  angwegten  Diskussion  sind  durch  ihren  Kommandanten,  Baron  Berge,  so- 
wie durch  Bonne  die  Momente,  welche  für  die  senkrechte  Beleuchtung  spre- 
chen, eingehend  dargelegt  worden,  während  der  Ingenieur-Geograph  Puissant 
für  die  Vorteile  der  schrägen  eintrat.  Diese  Diskussion  föhrte  nicht  zu  einer 
Einigung  der  gegnerischen  Parteien,  obwohl  sie  eine  Menge  wichtiger  Gesichts^ 
punkte  zu  Tage  förderte;  namentlich  trifft  eine  Denkschrift;  Bonnes  das  Wesen 
der  Sache,  indem  er  ausföhrt,  daß  dort,  wo  Schichtlinien  das  Gelände  geo- 
metrisch festlegen,  die  Wahl  der  Beleuchtung  eine  einigermaßen  gleichgültige 
Sache  wird,  während  sonst  die  senkrechte  Beleuchtung  mehr  den  kleinen,  die 
schräge  mehr  den  großen  Formen  gerecht  wird.  Die  erstere  Erwägung  ist  für  die 
Aufnahmsblätter  der  französischen  Karte  maßgebend  geworden.  Man  wollte 
in  ihnen  eine  streng  geometrische  Wiedergabe  des  Geländes  erzielen,  und  sah 
von  vornherein  davon  ab,  sie  durch  eine  Schattierung  zu  unterstützen.     Für 


1)  Brief  von  Huc,  citiert  in  „Die  Schweizerische  Landeavermessung  1832—1864". 
1896.     a  142. 


Neue  Alpenkarten.  257 

Karten  eines  Maßstabes  von  mehr  als  1  :  10  000  hielt  man  die  Schichtlinien 
für  hinreichend  zur  Chankkteristik  der  Formen,  bei  kleineren  Maßstäben  bis 
zu  1 :  100  000  glaubte  man  mit  einer  Verstärkung  der  Wirkung  der  Kurven 
auskonmien  zu  können,  und  ersetzte  sie  durch  viermal  enger  stehende  Schraffen, 
wodurch  dieselbe  Abtönung,  jedoch  in  versi^ktem  Maße  erzielt  wurde.  Aber 
dies  Prinzip  war  nicht  praktisch  durchführbar;  unwillkürlich  zeichneten  die 
Topographen  die  Schraffen  auf  steilem  Gelände  stärker  als  auf  sanffcem  und 
führten  so  tatsächlich  die  senkrechte  Beleuchtung  in  das  Eartenbild  ein. 

Man  erkennt,  wie  verschieden  von  der  deutschen,  durch  Lehmann  be- 
gründeten sich  die  französische  Geländedarstellung  entwickelt  hat.  Lehmann 
legte  gleich  den  Franzosen  Gewicht  auf  die  Wiedergabe  der  Linien  größten 
Gefälles,  und  erzielte  seine  plastischen  Kartenbilder,  indem  er  diese  Linien 
gesetzmäßig  entsprechend  der  Böschung  verstärkte.  Seine  Darstellung  ist 
im  wesentlichen  eine  klinometrische.  Die  Franzosen  aber  brauchten  die 
Linien  größten  Gefälles  lediglich  zur  Ausfüllung  der  zwischen  den  Schicht- 
linien gelegenen  Flächen.  Je  mehr  sie  von  den  ursprünglichen  großen  Plänen 
abgingen  und  auf  den  weit  bescheideneren  einer  bloßen  Militärkarte  kleineren 
Maßstabes  sich  beschränkten,  desto  mehr  schalteten  sie  die  Isohypsen  aus 
der  Karte  aus  und  kamen  zur  Annahme  von  Schraffenskalen,  die  nicht,  wie 
bei  Lehmann,  von  vornherein  nach  bestimmten  Grundsätzen  aufgebaut  waren, 
sondern  sich  sozusagen  exprimentell  ergaben.  Lidem  sie  aber  dabei  streng 
daran  festhielten,  die  Schraffen  jeweils  an  den  Isohypsen  enden  zu  lassen,  be- 
wahrten sie  die  Möglichkeit,  Höhenunterschiede  direkt,  und  damit  indirekt 
auch  die  Böschungen  aus  der  Karte  zu  entnehmen.  Ihre  Darstellung  ist  im 
wesentlichen  eine  hypsometrische.  Beide  Methoden  der  Geländeschraffierung 
haben  sich,  wie  es  scheint,  völlig  unabhängig  voneinander  entwickelt.  In 
den  verschiedenen  Protokollen  und  Denkschriffcen ,  welche  Berthaut  mitteilt 
oder  abdruckt,  findet  sich  nicht  der  leiseste  Hinweis  auf  die  Lehmannsche 
Skala;  und  wenn  bei  den  Beratungen  der  ersten  Kommission  des  Jahres  1802, 
also  drei  Jahre  nach  dem  Erscheinen  von  Lehmanns  anonymer  Schrifb,  schon 
erwähnt  wird,  daß  man  die  Steilheit  des  Geländes  durch  die  Stärke  der 
Schraffen  ausdrücken  könnte,  so  muß  man  daraus  nicht  schließen,  daß  man 
die  von  Lehmann  ausgesprochenen  Prinzipien  schon  in  Frankreich  kannte. 
Es  waren  die  Gefällslinien  hier  bereits  von  den  Topographen  (ebenso  wie 
die  Schichtlinien  von  den  Genieoffizieren)  in  Anwendung  gebracht  worden, 
weswegen  nicht  unwahrscheinlich  ist,  daß  sich  hier  die  Lehmann  sehen  Ge- 
sicl^tspunkte  von  selbst  aufgedrängt  haben,  wie  umgekehrt  die  Ideen,  welche 
in  Deutschland  1820  Carl  Louis  ^)  selbständig  entwickelte,  nämlich  die  Länge 
der  Schraffen  jeweils  gleich  der  Entfernung  zweier  Isohypsen  zu  machen,  be- 
reits 1818  von  der  Commission  du  D^pot  de  la  Guerre  als  die  an  der 
Schule  der  Ingenieur-Geographen  gelehrte  Methode  für  die  Geländedarstellung 
der  französischen  Aufnahme  in  Vorschlag  gebracht  worden  war. 

In  der  Umgebung  von  Paris  begonnen,  hat  die  Carte  de  France  1 :  80  000 
zunächst  nur  Flachland  wiederzugeben  gehabt,  und  dieses  ist  von  unverkenn- 


1)  Anleitung  zur  Situations-Bergzeichnung,    0.  J.  u.  5.  0.  (München  1820). 

0*ogr»phitche  Z«itMhrift.  9.  J»hrg»nfr.  1903.  6.  Heft.  18 


258  Albrecht  Penck: 

barem  Einfluß  auf  das  gewählte  System  der  Geländedarstellung  gewesen. 
Für  das  Hochgebirge  der  Alpen  liefert  es  ebenso,  wie  das  der  Karte  des 
Deutschen  Reiches,  zu  dunkle  Bilder,  und  diese  beschränken  sich  lediglich  auf 
das  französische  Gebiet.  In  Bezug  auf  plastische  Wirkung  stehen  die  zuletzt 
erschienenen  Karten  den  älteren  erheblich  voran.  Man  nehme  das  1844  er- 
schienene Blatt  Chamb^ry  und  das  angrenzende,  1875  dazu  gekommene 
Albertville,  man  vergleiche  das  ältere  Blatt  Grenoble  (1852)  mit  dem  an- 
stoßenden neueren  St.  Jean  de  Maurienne  (1876),  und  man  wird  gewahr 
werden,  wie  eine  steife  Geländedarstellung  durch  eine  viel  schmiegsamere 
ersetzt  ist,  welche  dem  mannigfaltigen  Charakter  des  Gebirges  weit  mehr 
gerecht  wird;  aber  auch  sie  bringt  ihn  nicht  vollauf  zur  Geltung.  Das  Ge- 
ländebild wirkt  auch  auf  den  neuesten  Blättern  unruhig.  Teilweise  flÜirt 
sich  dies  darauf  zurück,  daß  in  der  Gipfelregion  weiße  Streifen  für  die 
Grate  des  Hochgebirges,  daß  auf  den  Gehängen  weiße  Flächen  für  die  Bück- 
fallkuppen ausgespart  sind,  welche  sich  grell  aus  den  dimkel  schraffierten  Flächen 
hervorheben,  daß  femer  die  Mittelgebirgskämme  zu  sehr  wie  Baupen  ge- 
zeichnet sind.  Fast  mehr  noch  aber  als  diese  durch  die  gewählte  Methode 
bedingten  Züge  stören  die  inneren  Ungleichheiten  die  Harmonie  des  Karten- 
bildes. Die  einzelnen  Aufnalmisgebiete  sind  vielfach  nicht  einheitlich  be- 
handelt und  heben  sich  im  Rahmen  eines  Kartenblattes  deutlich  voneinander 
ab.  So  erscheinen  mitten  im  Blatte  Albertville  (169  bis)  zwischen  Beaufort 
und  Moustiers  zahllose  Runsen,  während  man  sie  ringsimi  nicht  angegeben 
findet;  sie  beschränken  sich  auf  das  Aufnahmsgebiet  des  Hauptmannes 
Ghalangui.  Eine  ähnliche  ins  Einzelne  gehende  Darstellung  finden  wir  auf 
dem  Blatte  Brian^on  in  der  Gegend  von  Guillestre,  während  sonst  auf  dem 
Blatte  die  Berghänge  in  großen  Zügen  wiedergegeben  sind.  Auf  dem  Blatte 
Nizza  ist  ein  Viereck  um  Grasse  viel  eingehender  und  plastischer  dargestellt, 
als  die  Gegend  ringsum,  es  kennzeichnet  sich  als  das  Aufnahmsgebiet  des 
Konmiandanten  Tesson. 

Diese  Ungleichheit  in  der  Behandlung  erstreckt  sich  auch  auf  das  Ge- 
wässernetz. Seine  Darstellung  bietet  in  den  französischen  Alpen  wegen  des 
torrentartigen  Charakters  ihrer  Flüsse  größere  Schwierigkeit  als  gewöhnlich: 
man  hat  in  vielen  Tälern  breite  Schotterflächen,  in  welchen  die  Gerinne 
ihren  Lauf  häufig  ändern.  Ihre  genaue  Aufnahme  hat  daher  nur  temporäre 
Bedeutung  und  mag,  da  in  der  Regel  ein  Jahrzehnt  zwischen  Aufnahme 
und  Veröffentlichimg  eines  Blattes  verstrich,  als  unwichtig  angesehen  worden 
sein.  Aber  es  ist  gewiß  unrichtig,  und  widerspricht  auch  den  Vorschriften 
für  die  Aufnahme  der  Karte,  wenn  die  ganze  breite  Schotterfläche  als  Fluß 
dargestellt  wird.  Auf  den  Blättern  Vizille,  Le  Buis,  Digne  und  Castellane 
werden  Drac,  Eygues  und  Bleone  als  Wasserspiegel  von  einigen  hundert  Meter 
Breite  verzeichnet,  während  andere  Flüsse  von  ganz  gleichem  Charakter, 
wie  der  Buech  und  die  Durance  oberhalb  Sisteron,  wie  der  Var  ob  Nizza 
richtig  als  verwildert    mit   ihren    einzelnen    Armen    wiedergegeben   werden*). 


1)  Möglicherweise  haben  sich  die  Topographen  an  die  Katasteraufnahme  ge- 
halten,  welche    die  Flösse  gewöhnlich    zu    breit  macht,  weil  sie  die  unbebauten 


Nene  Alpenkarten. 

Wie  sehr  jene  Darstellimg  der  Schotterflächen  irreleitet,  lehren  unsere 
Atlanten.  Vogels  vorzügliche  4  Blatt -Karte  von  Frankreich  in  Stielers 
Handatlas  zeigt,  verleitet  durch  Blatt  Eorcalquier  der  französischen  Karte, 
die  Durance  zwischen  den  Mündungen  der  Bl^one  und  Asse  als  ehenso  breiten 
Strom  wie  die  Bhone  unterhalb  Arles,  während  sie  tatsächlich  hier  nur 
ebenso  verwildert  ist,  wie  weiter  unterhalb  und  oberhalb  von  Vogel  nach 
anderen  Blättern  der  französischen  Karte  richtig  wiedergegeben  wird.  Die 
Karte  der  westlichen  Alpenländer  in  Debes',  die  von- Ostfrankreich  in  Andrees 
Handatlas  haben  im  Tale  des  Drac  oberhalb  Grenoble  einen  langgedehnten 
See,  denn  wie  ein  solcher  ist  genannter  Fluß  auf  Blatt  ViziUe,  aber  nicht 
darüber  hinaus,  angegeben. 

Die  Felszeichnung  auf  der  Carte  de  France  ist  schematisch.  Teils  ist 
sie  nach  senkrechter  Beleuchtung  durchgeführt,  teils  nach  schräger,  z.  B.  Blatt 
Gap  SW.  In  der  Pelvouigruppe  (Blatt  Brian9on)  ringt  sie  nach  Ausdruck 
und  hebt  den  Umfang  des  kristallinischen  Gebirges  glücklich,  wenn  auch 
in  einzelnen  hart  und  manieriert,  hervor.  Die  Karsthochfläche  des  Desert 
de  Plate,  welche  seither  durch  E.  Ghaix^)  im  Maßstabe  1  :  5000  auf- 
genommen worden  ist,  ist  hingegen  auf  Blatt  Annecj  als  solche  durchaus 
nicht  zu  erkennen.  Sehr  häufig  wechselt  die  Felsdarstellung  an  den  Grenzen 
der  Aufiiahmegebiete  zweier  Mappeure.  Was  der  eine  noch  als  Böschung 
schraffierte,  charakterisierte  der  andere  als  felsig.  Man  kann  daher  nicht  sicher 
sein,  auf  einem  noch  als  gangbar  dargestellten  Gelände  der  Carte  de  France 
steile  Wände  anzutreffen.  Ich  wurde  dessen  zuerst  in  den  Pyrenäen  gewahr. 
Fand  ich  doch  am  Abfalle  des  Pic  d'Antenac  unfern  Bagneres  de  Luchon 
eine  Beihe  von  Karen  ^),  welche  auf  Blatt  Bagneres  nicht  einmal  angedeutet 
waren.  Bietet  das  Wandern  im  Hochgebirge  bloß  an  der  Hand  der  Carte 
de  France  nicht  nur  manche  Schwierigkeiten,  sondern  ist  auch  vielfach  kaimi 
möglich,  so  gewährt  sie  in  den  Tälern  allenthalben  gute  und  sichere 
Orientierung.  Längs  der  Durance  fand  ich  1894  das  Wegnetz  durchweg  gut 
evident  erhalten.  Hierauf  wird  namentlich  neuerlich  großes  Gewicht  gelegt. 
Berthaut  bringt  darüber  viele  lehiTeiche  Tatsachen,  die  wie  gewöhnlich 
durch  einige  Tafeln  erläutert  werden.  Wir  erfahren  von  ihm,  daß  durch 
die  topographischen  Bureaus  der  Armeekorps  fünf  der  Alpenblätter  (Vizille, 
Brian^on,  Aiguilles,  Gap  und  Lärche)  1873 — 1890  vier,  alle  übrigen  drei 
Revisionen  auf  dem  Gelände  erfahren  haben,  und  daß  sie  alle  seither  neuer- 
lich zwischen  1894  und  1898  durch  den  Service  g^ographique  revidiert  wor- 
den sind.  Dagegen  hege  ich  Zweifel  an  der  Richtigkeit  so  mancher  Höhen- 
zahl; die  Rekonstruktion  von  Schotterterrassen  an  den  Flüssen  ist  nach  der 
Karte  nur  schwer  möglich. 

Die    Carte    de    France    ist   nach    Bonnescher   Projektion  in  einer  Ebene 


Kiesb&nke  zum  Flusse  stellt.    Die  Instruktion  vom  15.  März  1851  lenkt  die  Auf- 
merksamkeit besonders  auf  diesen  Punkt  (Berthaut  I,  325). 

1)  Contribution    k   T^tude   de  lapi^s.     La   Topographie  du   desert   de   Plate 
(Haute  Savoie).    Le  Giobe  34.     1895. 

2)  Vergl.  Die  Eiszeit  in  den  Pyrenäen.     Mitt.  d.  Ver.  f.  Erdk.     Leipzig,  1883. 
S.  163  (214). 

18' 


260  Albrecht  Penck: 

entworfen;  das  bringt  mit  sich,  daß  die  Meridiane  und  Parallele  nicht  parallel 
den  Blattgrenzen  laufen.  Speziell  in  den  Alpen  bilden  sie  mit  denselben 
einen  Winkel  Ton  3 — 4^,  was  man  bei  der  Orientierung  im  Felde  stets  be- 
achten muß. 

Das  Format  der  Blätter  ist  dasselbe,  welches  fOr  die  geplante  Karte 
1  :  50  000  ins  Auge  gefaßt  war  und  auch  fdr  den  bayerischen  topographischen 
Atlas  gleichen  Maßstabes  angenommen  ist,  nämlich  50 :  80  cm,  so  daß  jedes 
Blatt  im  Maßstabe  1  :  50  000  1000  qkm  haben  würde.  Ursprünglich  kamen 
die  direkten  Abdrücke  yon  den  Platten  in  den  Handel,  später  solche  yon 
Umdrucken  auf  Zink,  die  vielfach  nicht  recht  sauber  ausgefallen  waren. 
Seit  1889  hat  man  anf  galvanoplastischem  Wege  neue  Kiq>ferplatten  her- 
gestellt, welche  nach  eingehenden  Revisionen,  namentlich  in  Bezug  auf  das 
Wegenetz,  korrigiert  worden  sind.  Sie  umfassen  nur  je  ein  Viertel  der  alten 
Platten,  liefern  also  weit  handlichere  Blätter,  die  auch  im  Überdrucke  von 
Zink  ein  freundliches  Aussehen  haben.  Das  ist  der  Tjpus  1889  der  Karte, 
welcher  gegenwärtig  ausschließlich  in  den  Handel  kommt,  zu  sehr  mäßigem 
Preise  (35  Ctms.  das  Viertel)  und  daher  sehr  viel  gebraucht  wird.  Der 
durchschnittliche  Absatz  der  Alpenblätter  ist  gegenwärtig  etwa  1000  Abzüge 
von  einem  jeden  im  Jahre. 

Von  den  fr*anzösischen  Alpen  haben  wir  neben  der  einfarbigen,  schraffierten 
Karte  1  :  80  000  auch  eine  zweite  Karte  desselben  Maßstabes  mit  Schicht- 
linien, welche  über  die  Grenzen  Frankreichs  hinüber,  beinahe  bis  an  die  Po- 
ebene  reicht,  also  fast  die  ganzen  Alpen  südlich  vom  Großen  St.  Bernhard 
umfaßt.  Es  ist  dies*  die  Carte  de  la  fronti^  des  Alpes.  Sie  wurde  1872 
vom  Oberst  Saget  begonnen,  um,  wie  Berthaut  berichtet,  der  öffentlichen 
Meinung  entgegenzukommen,  welche  farbige  Karten  wünschte,  und  um  ge- 
wissen kritischen  Bemerkungen  Rechnung  zu  tragen,  welche  über  einige  zu 
dunkel  ausgefallene  Hochgebirgsblätter  der  Carte  de  France  gemacht  worden 
waren.  Die  Karte  umfaßt  58  Blatt  (14  weitere  des  Übersichtsblattes  sind 
unausgeführt  geblieben),  welche  den  Vierteln  der  Carte  de  France  entsprechen. 
Nach  letzterer  sind  Situation  und  Schrift  durch  Übertragen  von  Pausen  ge- 
wonnen, die  Schichtlinien  im  senkrechten  Abstände  von  20  m  sind  jenen 
Vorlagen  entnommen,  welche  flbr  den  Kupferstecher  angefertigt  worden  waren, 
damit  dieser  auf  der  Carte  de  France  die  Schraffen  streng  gesetzmäßig  nach 
den  Schichtlinien  ausführte.  Diese  Vorlagen  wiederum  beruhen  direkt  auf 
den  Minutes. 

Die  Ausführung  der  Karte  ist  eine  mehrfarbige.  Die  Gewässer  sind 
blau,  und  da  sie  nach  der  Carte  de  France  gepaust  sind,  so  macht  sich  die 
oben  erwähnte  Darstellung  breiter  Schotterflächen  als  Flüsse  besonders  auf- 
fällig geltend.  Da  sieht  man,  wie  in  den  wasserarmen  Bergen  der  Gegend 
von  Digne  60 — 80  m  breite  Flüsse  nahe  an  den  Wasserscheiden  entspringen. 
Das  Wegnetz  ist  schwarz,  und  zwar  ursprünglich  sehr  kräftig;  die  als  dicke 
schwarze  Linien  wiedergegebenen  Wege  untergeordneter  Bedeutung  sind  viel 
augenfälliger,  als  die  Hauptstraßen,  welche  in  üblicher  Weise  durch  zwei 
parallele  Linien  verzeichnet  sind.  Seit  1896  hat  man  es  feiner  ausgeführt 
und  damit    das  Gelände    mehr   zur  Geltung  gebracht.     Es  wird  durch  graue 


Nene  Alpenkarten.  261 

oder  graubraune  SchichÜmien  dargestellt,  die  im  Bereiche  der  manieriert  be- 
handelten Felsen  aussetzen.  Die  von  80  zu  80  m  sind  leise  verstärkt,  was 
die  Übersicht  erleichtert;  fClr  das  Auszählen  der  Isohypsen  wäre  aber  eine 
Verstärkung  der  100  m  Linien  mehr  am  Platze  gewesen.  In  Italien  sind 
sie  nur,  wie  ausdrücklich  angegeben,  Gefühlslinien  (fictives),  in  Frankreich 
genau  (reguüeres).  Auf  den  Minutes  beruhend,  geben  sie  uns  eine  Vor- 
stellung Ton  der  Isohypsenziehung  gelegentlich  der  Aufnahme  der  Carte  de 
France. 

Oegen  ihre  Exaktheit  im  einzelnen  haben  sich  jüngst  in  Frankreich  selbst 
mehrere  Stimmen,  namentlich  die  von  Martel^)  und  Guebhard^  erhoben. 
Ich  kann  die  von  ihnen  gemachten  Einwände  nicht  kontrollieren,  muß  aber 
gestehen,  daß  sie  mich  nicht  überraschen,  denn  auch  mir  flößen  die  Iso- 
hypsen der  Carte  de  la  fronti^re  des  Alpes  im  großen  und  ganzen  kein  Ver- 
trauen ein.  Ihr  Verlauf  ist  zum  mindesten  manieriert  An  den  Talgehängen 
sieht  man  regelmäßig  gekrümmte  Bogen  zwischen  den  Wasserrissen,  wirkliche 
Höhenkurven;  Ecken,  die  doch  in  der  Wiedergabe  eines  scharfgratigen  Gebirges 
eine  große  Bolle  spielen  sollten,  fehlen  fast  allenthalben.  Selbst  unten 
nahe  den  Talsohlen,  wo  die  Wildwässer  auf  Schuttkegeln  fließen,  krünmien 
sich  die  Schichtlinien  nach  ihrem  Laufe  einwärts,  anstatt  sich  auswärts  zu 
biegen.  Vor  allem  aber  fallt  auf,  daß  sie  an  den  Firsten  des  Gebirges 
manchmal  weit  auseinandertreten,  um  jene  ebene  Scheitelfläche  zwischen  sich 
zu  lassen,  welche  die  Carte  de  France  zwischen  den  SchrafTen  des  Berg- 
abfalles systematisch  einschaltet.  Alles  dies  erweckt  den  Eindruck,  daß  wir 
es  nicht  mit  genau  aufgenonmienen  Höhenlinien,  sondern  mehr  mit  einer  an- 
nähernden Darstellung  von  solchen  zu  tun  haben;  nach  dem,  was  Berthaut 
mitteilt,  kann  in  der  Tat  auch  nichts  anderes  erwartet  werden.  In  der 
Instruktion  vom  15.  März  1851  wird  empfohlen,  die  Schichtlinien  dermaßen 
zu  konstruieren,  daß  man  zwischen  Wasserscheiden  und  Talwegen  die 
Schnitte  der  Hauptschichten  nach  benachbarten  Höhenzahlen  mittels  der  auf- 
genommenen SchrafTen  einschätzen  solle.  Zwischen  so  erhaltenen  Haupt- 
schichtenlinien von  40  zu  40  oder  80  zu  80  m  könne  man  die  anderen 
dann  leicht  verfolgen  (Berthaut  I,  328).  In  einer  Instruktion  vom  1.  April 
1864  heißt  es  dann  femer,  daß  in  jenen  Hochgebirgspartien,  für  welche 
keine  Katasterau&ahmen  vorliegen,  man  die  Firste  und  Talsohlen  festlegen 
solle,  um  dann  die  Oberflächengestalt  im  ganzen  und  einzelnen  (les  formes 
g^n^rales  du  terrain  et  les  accidents  secondaires)  mehr  oder  weniger  a  la  vue 
einzuzeichnen  (Berthaut  II,  S.  61).  Dabei  wird  aber  besonders  eingeschärft, 
den  Verlauf  der  Grenzen  Frankreichs  genau  festzulegen,  damit  ßin  voll- 
ständiger Anschluß  an  die  Karte  des  Nachbarstaates  erreicht  werde.  Diese 
Aufgabe  ist  nicht  vollständig  gelöst  worden;  der  Verlauf  der  französisch- 
italienischen  Grenze  zeigt  im  Gebiete  südlich  vom  Mont  Blanc  auf  den 
Karten  beider  Staaten  nicht  unbeträchtliche  Abweichungen,  und  konunen  die 
Mecreshöhen  der  trigonometrischen  Hauptpunkte  einander  auf  1 — 3  m  nahe, 

1)  Le  Trayas.     Ann.  club  alpin  firan9ai8.    XXIV.     1897.     8.  204. 

2)  Vergl.  Die  französische  Generalstabskarte  und  ihre  Irrtümer.  Allgem. 
Militärzeitung.    LXXTÜ.     1898.     Nr.  97,  S.  772. 


262  Albrecht  Penck: 

80   weichen    die    anderer  Spitzen  um  +  10  m,    die    einiger  Sattelpunkte   um 
+  20  m  voneinander  ab. 

Wie  in  den  meisten  Staaten  ist  man  auch  in  Frankreich  nach  Voll- 
endung des  großen  Spezialkartenwerkes  an  die  Herausgabe  der  Original- 
aufhahmen  gegangen.  1881  verfügte  General  Farre  die  Herstellung  einer 
neuen  Karte  1  :  50  000  mit  Schichtlinien  nach  den  alten,  durch  Revisions- 
arbeiten ergänzten  Minutes.  Es  sind  lediglich  75  Blätter  vom  Nordosten  Frank- 
reichs erschienen,  dann  wurde  die  Fortsetzung  dieser  „Garte  d'essai^^  eingestellt, 
nachdem  sich  gezeigt  hatte,  daß,  wie  Berthaut  berichtet,  die  Schichtlinien 
der  Minutes  vielfach  nur  annähernd  aufgenommen,  manchmal  aber  lediglich 
nach  den  Schraffen  gezogen  seien.  Die  Alpen  werden  von  jener  Karte  nicht 
erreicht.  Wir  haben  von  ihnen  nur  zwei  Karten,  die  direkt  auf  den  Mi- 
nutes beruhen.  Die  1865  erschienene  Karte  des  „Massif  du  Mont  Blanc" 
1  :  40  000  bezeichnet  sich  als  einen  Auszug  aus  den  Minutes  und  die  „Carte 
topographique  du  massif  du  Mont  Pelvoux,  esquisse  mise  en  relief  par 
M.  Prüden t  1:40  000  (Annuaire  club  alpin  fran9ais  1874)  verwertet  sie 
direkt.  Das  Gelände  ist  auf  ihr  durch  braune,  auf  Gletschern  blaue  Schicht- 
linien von  40  zu  40  m  (auf  dem  Titel  steht  irrtümlich  10  zu  10  m)  wieder- 
gegeben; die  Linien  von  160  zu  160  m  sind  verstärkt.  Darüber  ist  eine 
rotbraune,  im  Bereiche  der  Gletscher  blaue  Schunmierung  nach  schräger 
Beleuchtung  (von  Nordwesten  her)  gebreitet.  Das  Felsgelände  ist  schematisch 
gezeichnet.  Die  Täler  haben  giünliches  Kolorit;  die  Wege  rot.  Die  Ge- 
samtwirkung ist  eine  derbe,  sie  vermittelt  weder  den  Eindruck  von  der 
Schärfe  der  Grate  des  Gebirges,  noch  den  von  Einzelheiten  seiner  Talscenerie. 
Die  rundlich  verlaufenden  Isohypsen  sehen  aus,  als  ob  sie  im  Zimmer  nach 
ungenügender  Geländedarstellung  gezeichnet  worden  wären. 

Das  Schwergewicht  der  neueren  of6ziellen  Kartographie  in  Frankreich 
liegt  in  der  Verwertung  der  Carte  de  France  1  :  80  000  für  andere  Karten- 
werke kleineren  und  selbst  auch  größeren  Maßstabes.  Zwei  sind  in  früherer 
Zeit  begonnen  und  stehen  hinsichtlich  ihrer  Ausführung  auf  gleichem  Boden 
wie  ihr  großes  Vorbild.  Bereits  1838  regte  der  General  Pelet  die  Heraus- 
gabe einer  strategischen  Karte  an,  es  ist  die  Carte  de  France  1  :  320000, 
welche  1852 — 1886  erschien.  Jedes  ihrer  33  Blätter  hat  die  Größe  eines 
solchen  der  achtzigtausend  teiligen  Karte  und  imifaßt  das  Gebiet  von  deren  16. 
Die  Darstellung  des  Geländes  geschieht  durch  Schraffen,  doch  sind  diese 
noch  weniger  nach  einer  bestimmten  Skala  gehalten.  Die  Alpenblätter  sind 
recht  dunkel.  Auch  die  sechsblättrige  Carte  de  France  1  :  6Ö0  000  wurzelt 
in  älterer  Zeit,  sie  stellt  die  Fortsetzung  einer  bereits  1837  bearbeiteten 
Karte  von  Nordostfrankreich  dar,  welche  in  den  sieb2%er  Jahren  auf  den 
Osten,  in  den  achtziger  Jahren  auf  den  Westen  Frankreichs  ausgedehnt 
wurde.  Auch  sie  gibt  das  Gelände  durch  schwarze  Schraflfen  wieder,  die 
aber  nur  im  Flachlande  und  Mittelgebirge  nach  senkrechter  Beleuchtung  aus- 
geführt sind;  im  Hochgebirge  bringen  sie  auch  Schatten  nach  schräger  Be- 
leuchtung zum  Ausdrucke.  Die  Blätter  Lyon  (V)  und  Marseille  (VI)  um- 
fassen die  Westalpen  bis  zur  Furka,  sie  suchen  die  einzelnen  Gruppen  des 
Gebirges  zu  individualisieren  imd  die  Pässe  gut  hervortreten  zu  lassen,  dabei 


Neue  Alpenkarten.  263 

geht  der  Zusammenhang  der  Erhebimgen  verloren.  Beide  Blätter  sind  recht 
dunkel.  Seit  1890  ist  die  Karte  in  mehrfarbiger  Ausführung  um  eine 
Kolumne  weiter  nach  Osten  ausgedehnt  worden.  Die  neuen  Blätter  sind 
geschummert,  als  Vorlage  ihrer  Geländedarstellung  diente  die  Wiener  Karte 
1 :  750  000,  also  eine  solche  kleineren  Maßstabes. 

Alle  anderen  offiziellen  Karten  sind  in  den  letzten  30  Jahren  geschaffen 
imd  zwar  durchweg  in  mehrfarbiger  Ausfährung;  Schrift  und  in  der  Regel 
das  Wegnetz  schwarz,  letzteres  manchmal  aber  auch  rot,  Gewässer  blau, 
Wald  grün,  Gelände  braun  oder  graublau,  in  tnannigfaltigster  Ausflihrang  in 
Schraffen,  Schichten  oder  bloßer  Schunamerung.  Durchweg  sind  Höhenangaben 
vorhanden,  auf  Gipfeln  reichlicher  als  auf  Pässen.  Wir  nennen  folgende 
Werke,  welche  insgesamt  für  die  Alpen  vollendet  sind: 

La  Carte  de  France  1  :  100  000.  Sie  wurde  für  den  Service  vicinal 
auf  Befehl  des  Ministers  des  Innern  hergestellt.  Auf  der  Karte  1  :  80  000 
beruhend,  unterscheidet  sie  sich  von  derselben  wesentlich  durch  Hinzufügung 
statistischer  Daten  und  eine  andere  Darstellung  der  Wege,  die  nach  ihrer 
administrativen  Klassifikation  und  nicht  nach  ihrer  Wegsamkeit  durch  rote 
Linien  gezeichnet  sind.  Das  Gelände  ist  nach  schräger  Beleuchtung  ge- 
schummert. Einige  Blätter  gewähren  ziemlich  plastische  Wirkung,  andere 
sind  verschwommen.  Für  eine  strenge  Wiedergabe  der  Formen  reicht  das 
Verfahren  nicht  aus. 

La  Carte  de  France  1  :  200  000  du  Ministere  des  Travaux  publics  ist 
gleichfalls  im  wesentlichen  eine  Administrativkarte,  welche  zahlreiche  wirt- 
schaftlich wichtige  Daten  enthält,  das  Gelände  aber  nur  in  groben  Umrissen 
durch  Höhenschichten  von  100  m  und  eine  lichte  Schunamerung  darstellt. 

La  Carte  de  France  1  :  200000  du  Service  geographique  de  Tarm^  ist 
als  Seitenstück  zur  Carte  d'essai  1  :  50  000  vom  General  Farre  angeordnet 
und  in  ihrer  ersten  Ausgabe  schon  1888  vollendet  worden.  In  Maßstab  und 
Zweck  entspricht  sie  sowohl  der  Generalkarte  des  Wiener  militärgeographi- 
schen Instituts  als  auch  der  Reymannschen  Spezialkarte  und  ergänzt  beide 
räumlich.  Sie  greift  über  die  Grenzen  Frankreichs  hinaus  und  umfaßt  die 
ganzen  Alpen  südlich  vom  Großen  St.  Bernhard.  Im  Prinzipe  Schichten- 
karte hat  sie  zart  ausgeführte  Isohypsen  im  senkrechten  Abstände  von  anfäng- 
lich 20  m,  dazu  gesellt  sich  eine  geschickt  ausgeführte  graublaue  oder  braune 
Schummerung,  die  im  Mittelgebirge  senkrechter,  im  Hochgebirge  schräger 
Beleuchtung  entsprechend,  der  Karte  zu  guter  plastischer  Wirkung  verhilft, 
die  aber  namentlich  in  ihren  braunen  Tönen  auf  den  Blättern  Grand 
St.  Bernhard,  Tignes,  Lärche,  Nice  die  feinen  Höhenlinien  völlig  schlägt,  so 
daß  das  feste  Gerippe  der  Geländedarstellung  verloren  geht.  Dies  hat  1896 
dazu  geführt,  daß  man  als  Nofmalabstand  der  Isohypsen  40  m  festsetzte, 
nach  Erfordernis  werden  punktierte  Zwischenlinien  im  Abstände  von  20  m 
eingeschaltet;  alle  200  m  werden  die  Kurven  verstärkt,  so  daß  sie  besser 
hervortreten.  In  den  großen  Seen  —  mit  Ausnahme  des  Thuner  —  sind 
teils  nach  Delebecques  Atlas  des  lacs  fran9ais,  teils  nach  dem  Schweizer 
Siegfriedatlas  Tiefenlinien  gezogen.  Wegnetze  und  Ortschaften  sind  rot, 
Flußnetz  blau,  die  Gletscher  sind  weiß  gelassen,  der  Wald  grün.     Die  Karte 


264  Albrecht  Penck: 

ist  als  Übersiebt  der  Südwestalpen  auch  dem  Geographen  recht  nützlich,  ihr 
Wert  würde  aber  noch  größer  sein,  wenn  sie  namentlich  auf  Pässen  reich- 
licher mit  Höhenzahlen  ausgestattet  wäre.  Fehlen  doch  solche  auf  dem  Col 
de  Lärche,  dem  Col  de  Sestri^res,  dem  Col  de  la  Seigne  und  selbst  auf  dem 
Kleinen  St.  Bernhard. 

La  Carte  de  la  Fronti^re  des  Alpes  1  :  320  000,  die  ganzen  Südwest- 
alpen umfassend,  ist  eine  Reduktion  der  gleichnamigen  Karte  1  :  80000  in 
gleicher  Darstellimgsweise.  Auch  in  ihr  macht  sich  wenigstens  in  den 
älteren  Blättern  das  Wegnetz  zu  schwer  geltend,  neuerlich  ist  es  zarter  dar- 
gestellt worden.     Die  Isohypsenzeichnung  ist  unnatürlich. 

La  Carte  de  France  1  :  600  000  wurde  mitten  im  Krieg  von  1870/71 
geplant  und  1871  im  Depot  des  Fortifications  begonnen;  dann  wurde  sie 
1886  vom  Service  geographique  de  Tarmee  übernommen  und  1893  vollendet. 
Im  Osten  reicht  sie  bis  zum  St.  Gotthard,  und  liefert  deswegen  fast  von  den 
gesamten  Westalpen  eine  Darstellung,  welche  recht  einheitlich  ausgefallen  ist. 
Es  sind  drei  Ausgaben  zu  unterscheiden:  1)  mit  braunen  Schraffen  nach  ein- 
seitiger Beleuchtung,  2)  mit  braunen  Schichtlinien  von  100  zu  100  m,  die 
von  500  zu  500  m  verstärkt  sind,  endlich  3)  eine  kombinierte  Schichten-  und 
Schraffenkarte.  Die  schraffierte  Karte  gibt  ein  gefälliges  und  richtiges  Bild 
des  Geländes;  die  Isohypsendarstellung  ist  zu  stark  generalisiert,  und  wird 
der  SchroflFheit  des  Hochgebirges  nicht  gerecht.  Die  braunen  Kurven  sind 
über  die  Gletscher  hinweggeführt,  die  nicht  als  solche  gekennzeichnet  sind. 
Finsteraarhommassiv  und  penninische  Alpen  ei*scheinen  als  wenig  gegliederte 
Erhebungen  von  Mittelgebirgsart.  Kombinierte  Schichten-  und  Schraffen- 
karten  sind  mir  für  die  Alpen  nicht  vorgelegen.  Wichtig  ist  die  Eintragung 
der  Isobathen  an  den  Küsten,  sie  zeigen  an  der  Biviera  das  Untertauchen 
eines  stark  zertalten  Gebirges.  Die  Beschreibung  mit  Höhenzahlen  ist 
durchweg  umsichtig  und  enthält  auch  die  nötigen  Daten  für  die  Pässe.  Die 
Wiedergabe  des  Gewässernetzes  (blau)  ist  zart  und  vermeidet  die  übertrieben 
breiten  Flußbetten  der  Carte  de  France  1  :  80  000,  welche  sowohl  in  die 
Karten  1  :  320  000  und  1  :  600  000  wie  auch  namentlich  die  militärische 
1  :  200  000  übergegangen  sind.  Letztere  läßt  z.  B.  an  der  Westseite  des 
Devoluy  Flüsse  von  200 — 300  m  Breite  entspringen,  während  auf  der  Ost- 
seite nur  unbedeutende  Gerinne  eingezeichnet  sind.  Die  Schrift  der  Karte 
1  :  500  000  ist  klar,  das  Wegnetz  schwarz  angemessen,  nicht  zu  aufdringlich. 
Nur  passen  die  Farben  gelegentlich  nicht  recht.  Vom  geographischen  Stand- 
punkte aus  ist  imsere  Karte,  vielfach  auch  die  Prudentsche  genannt,  ent- 
schieden die  beste  von  den  verschiedenen  neueren  Übersichtskarten  Frankreichs; 
bis  Madrid  ausgedehnt,  liefert  sie  nicht  bloß  die  größte  einheitliche  Darstel- 
lung der  Pyrenäen,  sondern  auch  ein  vielfach  neues  Bild  von  Nordostspanien. 

Es  hat  in  Frankreich  in  den  letzten  30  Jahren  seitens  der  verschiedenen 
Staatsanstalten  eine  ungemein  rührige  Tätigkeit  auf  kartographischem  Ge- 
biete geherrscht.  Wir  haben  für  das  weite  Land  eine  wahre  Fülle  von 
Übersichtskarten  für  die  verschiedensten  Zwecke  und  in  den  verschiedensten 
Darstellungsweisen  erhalten,  welche  fortwährende  Verbesserungen  erfahren 
haben,  so  daß  es  schwer  hält  —  mir  ist  es  bei  verschiedenen  Ankäufen  nie 


Nene  Alpenkarten.  265 

gelungen  —  von  ein  und  demselben  Kartenwerke  Blätter  in  derselben  Aus- 
fOlinmg  zu  bekommen.  In  jener  Schaffenslust  spiegelt  sich  der  Wunsch,  das 
Beste  zu  leisten,  aber  er  hat  sich  bisher  nur  auf  einem  Boden  betätigt, 
nämlich  der  Verwertung  des  reichen  Inhaltes  der  Carte  de  France  1:80000. 
In  neuester  Zeit  werden  sogar  ihre  zart  gestochenen  Blätter  auf  1 :  50  000 
vergrößert,  um  so  dem  Bedürfoisse  nach  leicht  lesbaren  Karten  großen 
Maßstabes  entgegenzukommen,  und  Berthaut  berichtet,  daß  geplant  ist,  nach 
und  nach  diese  Vergrößerungen  verschiedenfarbig  herausstellen,  was  den 
Vorteil  leichter  Evidenthaltung  bietet.  Einen  Ausschnitt  aus  einem  solchen 
farbigen  Blatte,  ein  Stück  aus  der  Umgebung  von  Grenoble  darstellend,  teilt 
er  mit;  es  wirkt  durch  sein  rotes  Wegnetz,  sein  blaues  Gewässer,  seinen 
grünen  Wald  und  seine  grauen,  durch  einen  Ton  um  einen  Schatten  nach 
schräger  Beleuchtung  verstärkten  Schraffen  recht  nett,  aber  es  heißt  doch 
wohl  von  der  alten  Karte  1 :  80  000  zu  viel  erwarten,  wenn  man  sie  mit 
allen  ihren  Mängeln  vergrößert,  und  man  könnte  wohl  nach  solchen  Unter- 
nehmungen betreffs  Weiterentwickelung  der  französischen  Topographie  besorgt 
sein,  wenn  man  nicht  erführe,  daß  man  im  Service  geographique  de  Tarm^e 
den  Plan  einer  neuen  auf  neuen  Aufnahmen  beruhenden  Karte  Frankreichs 
ernstlich  erwägt.  Eine  solche  ist  unbedingt  nötig.  Indem  an  Stelle  der  ge- 
planten großen  Karte  Frankreichs  1:50  000  eine  Militärkarte  1:80000  ge-. 
schaffen  worden  ist,  ist  an  Stelle  eines  allen  Bedürfnissen  entsprechenden 
Werkes  ein  solches  mit  speziellem,  kaum  definierbarem  Interesse  getreten,  das 
nicht  jenen  Grad  von  Verläßlichkeit  besitzt,  den  man  vom  wissenschaftlichen 
Standpunkte  aus  verlangen  muß.  Es  gibt  ein  schönes  Zeugnis  für  den 
wissenschaftlichen  Ernst,  mit  welchem  man  im  Service  g^graphique  de  l'arm^e 
arbeitet,  daß  man  dort  den  groß  angelegten  Plan  einer  Carte  de  France 
1  :  50  000  nach  Aufnahmen  1  :  10  000  wieder  in  Beratung  zieht  Berthaut 
teilt  eine  Reihe  einschlägiger  Vorarbeiten  mit,  und  es  scheint  nur  eine  Geld- 
frage zu  sein,  das  Werk  zu  schaffen.  Möchte  der  Plan  bei  den  maßgebenden 
Faktoren  in  Frankreich  volle  Würdigung  finden,  und  das  Land  im  20.  Jahr- 
hundert die  Karte  erhalten,  die  am  Beginn  des  19.  mit  weitem  Blicke  er- 
strebt wurde. 

Die  Schaffensfreudigkeit  auf  kartographischem  Gebiete  erstreckt  sich 
betreffs  der  französischen  Alpen  nicht  auch  auf  weitere  Kreise.  Einer  ähn- 
lichen Pfiege  der  Kartographie^  wie  sie  der  Schweizer  Aipenklub  und  der 
deutsche  und  österreichische  Alpenverein  ausüben,  begegnen  wir  in  Frankreich 
nicht.  Zwar  hat  der  Club  alpin  fran9ais  mit  der  oben  besprochenen  Karte 
der  Pelvoux-Gmppe  einen  einschlägigen  Anlauf  genommen,  aber  es  sind 
keine  weiteren  Schritte  erfolgt  Man  hat  sich  später  begnügt,  Ausschnitte 
aus  der  Carte  de  France  zu  bringen,  oder  bloße  Orientierungskärtchen  über 
den  Kammverlauf  (Kärtchen  der  Grandes  Bousses  und  der  Vanoise  Annuaire  II, 
1875,  La  Chaine  des  Ecrins  IX,  1882,  La  Meije  XII,  1885),  oder  kleine 
Übersichtskärtchen,  wie  Marius  Chesneaus  Carte  du  massif  du  Mont  Blanc 
(Ann.  XVin,  1891,  S.  128).  Erst  in  jünster  Zeit  begegnen  wir  einem  Ver- 
suche selbständiger  Aufnahmen,  wie  sie  uns  G.  A.  Martel  in  seinem  Aufsatze 
über  Le   Trayas   bietet    (Ann.  XXIV,   1897,  S.  204).     Auch   die  Zahl    der 


266  Albrecht  Penck:  Neue  Alpenkarten. 

sonstigen  Touristen-  mid  Wanderkarten  ist  gering.  Die  Karte  „Sallanches 
a  Chamounix  1  :  80  000"  des  Service  geographique  ist  aus  der  Carte  de 
France  hervorgegangen,  indem  Situation  und  Schrift  schwarz,  Gewässer  blau 
und  Schraffen  braun  wiedergegeben  wurden.  Eine  zweite  Ausgabe  stellt  das 
Gelände  durch  braune  Schichtenlinien  dar.  Guillemin  und  Läderich,  Carte 
du  Haut  Dauphin^  1  :  50  000  war  mir  nicht  zugänglich.  Die  Karte  der 
Provence,  welche  Marcel  Bertrands  Studie  über  die  Niedere  Provence  be- 
gleitet (Annales  de  geographie.  1898.  VIL  pl.  l),  ist  eine  ziemlich  bunte 
Höhenschichtenkarte,  welclue  so  koloriert  ist,  daß  die  Grenze  zwischen  Alpen 
imd  Provence  recht  augenfällig  wird. 

Die  verdienstliche  Carte  de  France  1  :  500  000  hat  sichtlich  die  schöne 
große  6  blättrige  Karte  von  Frankreich  1:100  000  in  Vivien  de  Si  Martinas 
Atlas  üniversel  beeinflußt.  Sie  ist  ungemein  zart  und  fein  in  Kupfer  ge- 
stochen, das  Gebirge  ist  ausdrucksvoll  nach  schräger  Beleuchtung  schraffiert, 
und  trotz  reichlicher  Beschreibung  ist  die  Karte  nicht  überladen.  Sie  ent- 
hält viele,  verhältnismäßig  groß  gestochene  Höhenangaben,  die  sich  auf 
Gipfel,  Pässe  und  Täler  entsprechend  verteilen.  Blatt  4  reicht  bis  zum 
Gotthard  nach  Osten  und  südwärts  bis  zum  Pelvoux,  Blatt  6  von  dort  bis 
zum  Meere.  Die  neue  6  blättrige  Karte  von  Frankreich  gleichen  Maßstabes 
in  Andrees  Handatlas  (4.  Aufl.)  ist  eine  selbständige  Arbeit.  Sie  stellt  auf 
zwei  Blättern  (S.  79 — 82)  die  gesamten  Westalpen  westlich  vom  Matterhom 
dar.  Die  Geländeschraffur  ist  kräftig  gehalten  nach  einseitiger  Beleuchtung, 
sie  kommt  neben  der  reichlichen  Beschreibung  und  umsichtigen  Ausstattung 
mit  Höhenangaben  gut  zur  Geltung. 


Das  Seengebiet  des  nordwestliehen  Rufiland^). 

Von  8.  Tsohulok  in  Zürich. 
I. 

Neben  dem  großen  Seenreichtum  der  vier  Provinzen  Petersburg, 
Pskow,  Nowgorod  und  Olonetz,  einem  Merkmal,  das  schon  in  der  Be- 
zeichnung des  Gebietes  zum  Ausdruck  gelangt,  ist  ein  sehr  wichtiger  anthropo- 
geographischer  Zug  bei  der  Zusammenfassung  dieser  Provinzen  zu  einer 
höheren  geographischen  Einheit  maßgebend:  die  Lage  an  den  Wasser- 
straßen, die  die  vier  Meeresbecken  des  europäischen  Rußlands  verbinden 
und    dies    Gebiet    zu    einem    Durchgangsland    stempeln.      Doch    lehrt    auch 


1)  Hauptsächlich  nach:  Rußland.  Yollständige  geographische  Beschreibung- 
Redigiert  von  W.  P.  Ssemenow.  Band  HI:  Das  Seengebiet.  Bearbeitet  von 
B.  G.  Karpow.  N.  J.  Jljin.  J.  F.  Stawrowsky.  W.  W.  Moratschewsky. 
A.  M.  Rykatschew.  N.  A.  Sokolow.  A.  N.  üspenskaja.  466  S.,  119  111., 
37  Diagramme,  Kartogramme,  schematische  Profile,  1  gr.  (1:2520000)  u.  8  kl. 
(1 :  10000000)  Übersichtek.     St.  Petersburg,  A.  P.  Devrient  1900. 

Vgl.:  Das  Moskauer  Industriegebiet  und  der  Oberlauf  der  Wolga.  Geogr. 
Zeitschrift.  Vm.   1902.   S.  23  ff. 


S.  Tschulok:  Das  Seengebiet  des  nordwestliclien  Rußland.      267 

hier  schon  ein  flüchtiger  Blick  auf  die  Karte,  wie  wenig  streng  solche  Zu- 
sammenfassungen gelten:  denn  der  äußerste  Nordwesten  schließt  sich  in  seiner 
orographisch-hjdrographischen  Natur,  sowie  in  seiner  Gesteinsunterlage  und 
manchen  anderen  Verhältnissen  eng  an  Finnland  an;  schon  die  nach  NW 
gerichteten  Ausläufer  des  Onegasees,  die  größere  Meereshöhe,  die  sich  im 
Masselga-Zug  (Kreis  Powjenetz,  Gouvem.  Olonetz)  bis  zu  1000  Fuß  steigert 
(Adlersberg),  die  charakteristische  Bundhöckerlandschaft  und  die  riesenhaften 
aus  Urgesteinsblöcken  zusammengewürfelten  Seitenmoränenzüge  oder  „Sselgas^' 
—  das  alles  sind  so  charakteristische  Merkmale  des  finnländischen  Plateaus, 
daß  es  vom  oro-hydrographischen  Standpunkt  aus  wohl  berechtigt  wäre,  die 
Ostgrenze  Finnlands  etwa  dem  62.^  n.  Br.  entlang  um  volle  7  Längengrade 
nach  Osten  zu  verschieben.  Man  ziehe  etwas  südlicher  vom  62.^  n.  Br.  eine 
Linie  von  der  finnländischen  Grenze  dem  Flusse  Schuja  entlang,  dann  quer 
durch  den  Onegasee  und  setze  sie  dann  im  Wodlofluß  bis  zu  seinem  Quell- 
gebiet fort,  dann  liegt  nördlich  von  dieser  Linie  der  ausschließlich  aus  Gneis 
imd  Granit  gebildete  Südosthügel  des  finnischen  Plateaus,  südlich  die  von 
Glacialbildungen  überdeckten  paläozoischen  Ablagerungen  der  „baltischen 
Niederung". 

Dieser  baltischen  Niederung,  die  im  Westen  von  der  Ostsee,  im  Norden 
vom  finnischen  Meerbusen,  im  Osten  und  Süden  vom  zentralrussischen  Plateau 
oder  seinen  Ausläufern  begrenzt  wird,  gehört  auch  der  größt«  Teil  unseres 
Seengebiets  an.  Die  tiefste  Partie  dieser  Niederung  zieht  sich  in  einer 
schmalen  Zone  an  der  Südküste  des  finnischen  Busens  entlang  und  setzt  sich 
dann  im  Newatal  xmd  im  Südufer  des  Ladogasees  fort  —  es  ist  die  Zone 
der  von  weichen  kambrischen  Tonen  unterlagerten  Alluvialbildungen.  Eine 
ziemlich  hohe  und  stellenweise  sehr  scharf  ausgebildete  Terrasse  bildet  den 
Anfang  der  sich  nach  Süden  ausbreitenden  Landschaft  von  abweichendem 
Typus  —  der  paläozoischen  Kalksteinzone.  Diese  Kalksteint-errasse  beginnt 
im  äußersten  Osten  des  Gouvernements  Petersburg,  wo  sie  in  malerischen 
Stromschnellen  von  den  Flüssen  Ssjaß  und  Wolchow  durchschnitten  wird, 
und  zieht  sich  dann  durch  das  ganze  Gouvernement  nach  Westen,  erreicht 
zwischen  Gatschina  und  Jamburg  die  größte  Breite  und  bildet  ein  wasser- 
armes, nach  N  imd  8  abfallendes  Plateau.  Der  Steilabsturz  hat  in  seinem 
ganzen  Verlauf  von  0  nach  W  verschiedene  Namen  erhalten.  Von  Staraja 
Ladoga  am  Wolchowfluß  (genau  unter  60®  n.  Br.)  bis  nach  Schlüsselburg 
wird  die  Erhebung  als  „Putilowsche  Anhöhen"  (140  Fuß)  bezeichnet,  dann 
folgen  die  Anhöhen  von  Zarskoje  Sselo,  die  Pulkowschen  (247  Fuß)  und 
Duderhofschen  (549  Fuß);  weiter  ist  die  Terrasse  zu  verfolgen  durch  die 
Ortschaften  Ropscha,  Koporje  (347  Fuß),  Jamburg  und  Narwa,  an  der  Grenze 
des  Gouvernements  Esthland,  wo  sich  der  Narwawasserfall  vom  Steilabsturz 
hinunterwirft.  Dann  tritt  die  Tenasse  in  das  benachbarte  Gouvernement 
Esthland  ein,  wo  sie  dicht  ans  Meer  herantritt  imd  als  „Glint"  bezeichnet 
wird.  Diese  sich  über  4  Längengrade  hinziehende  „Falaise"  bildet  in  ihrem 
schwach  NO  —  SW- Verlauf  die  Grenze  zwischen  dem  nördlichen  sumpfigen 
und  dem  südlichen  hügeligen  Teil  des  Gouvernements  Petersburg.  Weiter 
südwärts  tauchen  die  Silurkalke  unter  die  jüngeren  Devonkalke  unter. 


268  S.  TBchulok: 

Im  Gouvernement  Nowgorod  finden  sich  die  letzten  Ausläufer  des  zen- 
tralrussischen Plateaus,  die  hier  die  Wasserscheide  zwischen  dem  Ostsee-  und 
Kaspi-Becken  bilden  und  als  Waldaiberge  bezeichnet  werden.  In  der  Nähe, 
im  Gouvernement  Twer,  das  sich  südwärts  anschließt,  erreichen  sie  mit  etwa 
310  m  ihre  größte  Höhe.  Während  das  Waldaiplateau  nach  Nordosten  all- 
mählich in  das  von  den  Ladoga-,  Onega-  und  Bjeloje-Seen  umgrenzte  Flach- 
land übergeht,  bilden  der  westliche  Teil  des  Gouvernements  Nowgorod  sowie 
die  sich  anschließenden  nördlichen  Kreise  des  Gx)uvemements  Pskow  eine 
sehr  flache  sumpfige  Ebene.  Nur  im  südlichen  Teil  von  Pskow  haben  wir 
wieder  eine  hügelige  Landschaft  vor  uns,  die  letzten  nördlichen  Vorposten 
des  sich  südwärts  anschließenden  Newel-Witebskschen  Plateaus.  An  einem 
dieser  Hügel  liegt  das  Swjatogorsche  Kloster,  in  dem  der  große  Dichter 
Puschkin  beigesetzt  wui*de. 

Die  Seen  sind  nicht  gleichmäßig  über  unser  Gebiet  verteilt;  die  meisten 
gehören  dem  Nordwesten  an:  im  Gouvernement  Olonetz  zählt  man  bis  zu 
2000  Seen,  die  im  ganzen  etwa  19%  des  Areals  einnehmen,  darunter  auch 
die  beiden  größten  Süß  Wasserbecken  Europas,  der  Ladoga-  und  der  Onega- 
see. Die  Seen  stellen  bald  unregelmäßig  begrenzte,  gelappte,  weite  und 
flache  Mulden,  bald  schmale  lange  Furchen,  bald  runde  kesselartige  Vertie- 
fungen dar.  Die  Grundzüge  der  Hydrographie  unseres  Gebietes  sind  folgende. 
Der  Norden,  das  oben  angedeutete  Gebiet  der  kristallinischen  Gesteine,  erhält 
durch  die  zahlreichen  Seen,  Flüsse,  Wasserfälle  und  Stromschnellen  ein  ganz 
eigenartiges  Gepräge.  Hier  ist  alles  Wasser:  das  allbeherrschende  flüssige 
Element  drängt  sich  auf  Schritt  und  Tritt  in  seiner  ganzen  Machtftille  dem 
Bewußtsein  der  Bewohner  auf  und  ruft  begreiflicherweise  sehr  bezeichnende 
Vorstellungen  über  das  Wasser  als  den  Ursprung  aller  Dinge  der  Welt 
hervor.  Die  karelische  Sage  läßt  alles  Festland  und  Gebirge  aus  den  durch 
Machtspruch  des  Schöpfers  gebannten  und  erstarrten  Wasserwellen  entstehen. 
In  den  vertieften  Stellen  zwischen  den  Wellenkämmen  sammelten  sich  äie 
Regenwasser  und  bildeten  Seen  und  Flüsse,  Ihre  ursprüngliche  Wellenkamm- 
form  verloren  die  Gebirge  erst  nach  und  nach. 

Mächtige  Felsen  und  kleine  Blöcke  ragen  überall  aus  dem  Wasserspiegel 
der  Seen  heraus.  In  einem  See,  dem  „Kontschesero^S  ^^^^  ^^^  so  viele  ver- 
einzelte Felseninseln  zählen,  als  es  Tage  im  Jahre  gibt;  dabei  liegen  alle 
mit  ihrer  Längsachse  den  Seeufem  parallel,  nur  eine  legt  sich  querüber, 
weshalb  sie  die  „Dunune^*  genannt  wird. 

Unter  allen  diesen  Seen  ist  der  Onega  am  größten.  Bei  9751  qkm 
Oberfläche  erreicht  er  die  größte  Länge  von  220  und  die  größte  Breite  von 
75  Werst.  Seine  mittlere  Tiefe  beträgt  etwa  160  m,  die  maximale  geht  bis 
400  m.  Mit  seiner  südlichen  Hälfte  ragt  er  in  das  Gebiet  des  Devonkalkes 
hinein  und  berührt  ein  Gebiet,  dessen  Hydrographie  einen  ganz  andern 
Charakter  hat. 

Von  Südosten  her  ragen  in  unser  Gebiet  die  von  zahlreichen  Neben- 
flüssen und  Seen  gespeisten  und  ruhig  dahinfließenden  Ober-  und  Mittelläufe 
zweier  Wolganebenflüsse,  der  Scheksna  und  Mologa,  herein.  Der  von  Süd- 
osten   in   den   Onega-See    mündende  Wjtegrafluß    teilt  sein   Quellgebiet  mit 


Das  Seengebiet  des  nordwestlichen  Rußland.  269 

der  Kowscha,  und  hier  wurden  sie  durch  einen  Kanal  verbunden.  Die  Kowscha 
fließt  dann  fast  genau  in  N — S- Richtung  dem  Bjeloosero  (Weißen  See) 
zu,  aus  dem  dann  die  Scheksna  austritt,  um  sich  bei  Rjbinsk,  dieser  wich- 
tigsten  Handelsstadt  des  Wolgaoberlaufs,  in  diesen  mächtigen  Strom  zu  er- 
gießen. Dies  ist  das  „Marienkanal-Sjstem^^,  der  hochwichtige  Verbindungs- 
weg zwischen  dem  Wolga-  und  Kaspisjstem  einerseits  und  dem  Finnischen 
Busen  anderseits.  Denn  aus  dem  Onega  führt  der  Swirfluß  zum  Ladoga 
und  von  da  die  Newa  nach  Petersburg.  Alle  drei  Seen  stehen  aber  nicht 
direkt  im  Dienste  des  Verkehrs,  sondern  werden  auf  großartigen  Kanälen  in 
weiten  Bögen  umfahren. 

Der  Onegasee  wird  im  Süden  von  einer  Gruppe  kleiner  Seen  umkränzt, 
welche  durch  eine  Menge  interessanter,  vom  Volksgeist  höchst  originell  ge- 
deuteter Erscheinungen  die  geologische  Natur  ihrer  Unterlage  verraten.  Bald 
wird  der  eine  bald  der  andere  See  trockengelegt,  um  sich  in  den  Weißen 
oder  in  den  Onegasee  zu  ergießen  durch  einen  imterirdischen  Kanal,  dessen 
Verlauf  durch  eine  Reihe  von  Einsturztrichtem  markiert  wird;  bald  tritt  ein 
sonst  harmloses  Flüßchen,  von  unteridischen  Zuflüssen  gespeist,  mit  ver- 
heerender Kraft  aus  seinem  Bett  heraus.  Von  zwei  dicht  nebeneinander  He- 
genden Seen  ist  der  eine  dem  Weißen,  der  andere  dem  Onegasee  tributär, 
je  nach  dem  Verlauf  seines  unterirdischen  Abflußkanals  (wir  befinden  uns 
hier  auf  der  Wasserscheide  zwischen  dem  Kaspi-  und  dem  Ostseebecken). 
Um  die  Besprechung  der  östlichen  Hälfte  abzuschließen,  mag  noch  kurz  er- 
wähnt werden,  daß  im  äußersten  NO  (Kreis  Kargopol)  der  ziun  Flußsjstem 
des  Weißen  Meeres  gehörende  Onegastrom  in  unserem  Gebiete  seinen  Anfang 
ninmit;  an  seinen  Oberlauf  schließen  sich  südlich  zwei  Seen  an,  der  Latscha- 
und  der  Woschesee,  von  denen  kleinere  Wasseradern  einerseits  zum  Weißen 
anderseits  zum  Kubinskojesee  führen.  Dieser  letztere,  der  Suchona  und 
weiterhin  der  Dwina  und  den  Weißem  Meere  tributär,  ist  seinerseits  mit 
dem  Mittellauf  der  Scheksna  durch  einen  Kanal  (bei  Kirilow)  verbimden. 

Neben  dem  Marienkanal-Sjstem  besteht  noch  eine  zweite  kürzere  Ver- 
bindung zwischen  dem  Wolgabecken  und  dem  Finnischen  Busen,  das  sogen. 
Tichwinsche  Kanalsjstem.  Aus  der  oben  erwähnten  Mologa  gelangen  wir 
in  deren  Nebenfluß,  die  Tschagodoschtscha,  dann  in  die  Ssomina;  diese  ist 
durch  den  Tichwinschen  Kanal  mit  der  Tichwina  verbunden,  welche  durch 
den  Ssjafsfluß  in  den  Ladogasee  mündet. 

Die  Tichwinsche  Wasserstraße  bildet  die  Grenze  zwischen  der  nordöst- 
lichen und  der  südwestlichen  Hälfte  des  Seengebiets.  Während  die  Hydro- 
graphie des  nördlichen  Drittels  des  Gebiets  durch  den  Seenreichtum  und  die 
krystallinische  Unterlage  einen  besonderen  Charakter  gewinnt,  während  die 
zentrale  Partie  durch  die  mehr  verbindende  als  trennende  Wasserscheide 
zwischen  dem  Wolga-  und  dem  Newabecken  beherrscht  wird,  bildet  das  dritte 
südwestliche  Drittel  die  Durchgangspforte  der  Gewässer,  die  vom  zentral- 
russischen  Plateau  herunterkonunen  und  ziun  finnischen  Busen  hin  ihren  Lauf 
nehmen.  Kein  Wunder,  daß  dies  Durchgangsland,  der  große  Nowgorod, 
schon  frühe  seine  Selbständigkeit  aufgeben  imd  sich  dem  allgemach  erstarkten, 
nach  dem  Meer  hin  drängenden  moskowischen  Staatswesen  fügen  mußte.    Bei 


270  S.  Tschulok: 

Betrachtung  einer  Karte  fällt  uns  sofort  der  Umensee  als  der  Sammelpunkt 
aller  vom  zentralrussiscben  Plateau  herabkommenden  Wasseradern  auf.  Msta, 
Pola,  Lowatj,  Polista,  Schelon  —  alle  diese  Gewässer  treten  dann  durch  den 
Wolchowfluß  aus  dem  Ilmensee  aus,  um  sich  nach  einem  Weg  von  etwa 
115  km  in  gerader  Richtung  in  den  Ladogasee  zu  ergießen.  Hier  am  Aus- 
fluß des  Wolchow  liegt  die  einst  so  wichtige  Handelsstadt  Nowgorod,  die  im 
Mittelalter  als  Vermittler  der  Handelsbeziehungen  zwischen  dem  Osten  und 
Westen  eine  so  große  Bf^deutung  erlangt  hatte.  So  groß  war  der  bestim- 
mende Einfluß  der  geographischen  Lage,  daß  sich  hier  eine  ganze  Reihe 
charakteristischer  Züge  in  der  sozialen  Entwicklung  geltend  machten,  die 
in  den  andern  slavischen  Gebieten  durchwegs  fehlten:  die  ständische  Ver- 
fassung, die  weitgehende  Ausbildung  des  Selbstverwaltungsprinzips,  die  Tole- 
ranz gegenüber  fremden  Einflüssen  u.  a.  m.  Die  ökonomische  Abhängigkeit 
von  den  benachbarten  Ssusdal-moskowischen  Provinzen  war  aber  zu  groß, 
als  daß  sich  Nowgorod  als  selbständiges  Staatswesen  zu  behaupten  vermochte. 
Aber  noch  lange  nach  Verlust  der  Selbständigkeit  flackerten  die  alten  Tfa- 
ditionen  der  freiheitsliebenden  Nowgoroder  in  den  Aufständen  und  Empörungen 
auf,  und  noch  lange  mußte  die  Einverleibung  Nowgorods  in  das  moskowische 
Staatswesen  durch  massenhafte  Hinrichtungen  und  zwangsweise  Überführung 
zahlreicher  Bojarenfamilien  in  die  Provinzen  des  Stammlandes  besiegelt  werden. 

An  der  Westgrenze  unseres  Gebietes  liegen  zwei  mit  einander  verbundene 
Seen,  der  Psko wische  See  und  der  Peipus-See.  Der  Wjelikaja-Fluß  (große 
Fluß)  fuhrt  dem  Pskowischen  See  die  vom  Witebsk-Ne welschen  Plateau 
herabkommenden  Gewässer  zu;  entwässert  wird  der  Doppelsee  durch  die  in 
den  finnischen  Meerbusen  mündende  Narowa.  In  ihrer  Nähe  ergießt  sich 
selbständig  ins  Meer  der  Lugafluß,  der  das  ganze  Gouvernement  Petersburg 
in  der  Richtung  SO — NW  durchschneidet 

Ln  Norden  wird  dieses  westliche,  weitaus  wichtigste  Drittel  unseres 
Gebiets  von  mächtigen  Wasserbecken  begrenzt.  Der  Ladogasee,  mit  mehr 
als  18000  qkm  Oberfläche,  das  größte  Süß  Wasserbecken  Europas,  nimmt  im 
Osten  die  vom  Onega  herkommende  Swir,  im  Süden  die  bereits  erwähnten 
Flüsse  Ssjaß  und  Wolchow  auf  und  wird  von  der  nur  75  km  langen,  aber 
außerordentlich  wasserreichen  (über  100000  Kubikfuß  in  der  Sekunde)  Newa 
entwässert.  Er  wird  im  Süden  von  flachen,  aus  Sand,  Lehm  und  Kies  be- 
stehenden, unbewaldeten,  im  Norden  dagegen  von  steilen,  felsigen,  bewaldeten 
üfem  begleitet;  seine  Tiefe  ist  im  Süden  unbedeutend,  nimmt  aber  nach 
Norden  fortwährend  zu,  um  westlich  von  den  Walaamsinseln  265  m  zu  er- 
reichen; die  mittlere  Tiefe  wird  auf  etwa  110  m  geschätzt,  was  ein  Wasser- 
quantum ergibt  24mal  so  groß  wie  das  des  Genfer  Sees.  Die  Wasserstands- 
schwankungen erreichen  den  Betrag  von  7,3  m.  Die  ganze  Wassermasse 
befindet  sich  in  einer  Bewegung:  den  östlichen  üfem  entlang  nach  Norden, 
am  westlichen  nach  Süden. 

Über  die  geologischen  Verhältnisse  unseres  Gebiets  sei  erwähnt,  daß 
das  älteste  Glied  der  sedimentären  Formationsreihe  hier  durch  die  schmale 
Zone  der  kambrischen  Tone  repräsentiert  wird,  die  wir  von  der  Westgrenze 
bei  Narwa  bis  zur  Südostecke  des  Ladogasees  verfolgen  können;    über  dem 


Das  Seengebiet  des  nordwestlichen  Rußland.  271 

Ton  liegt  der  sogen.  Ungnlitensandstein  und  darüber  ein  yersteinerungsarmer 
bituminöser  Schiefer.  Nach  S  tauchen  die  kambrischen  Schichten  unter  die 
oben  beschriebene  süurische  Kalksteinterrasse  unter.  Die  aus  Glaukonitsand 
und  Orthoceratitenkalk  bestehenden  Silurablagerungen  haben  keine  große  Aus- 
dehnung. Bald  ist  ihre  südliche  Grenze  erreicht,  und  sie  tauchen  ihrei*seit.s 
unter  die  Devonablagerungen  unter,  was  besonders  schön  in  den  Gostinopol- 
schen  Stromschnellen  des  Wolchowstroms  zu  beobachten  ist.  Wohl  die  Hälfte 
der  Gesamtoberfläche  unseres  Gebiets  ist  von  Devonablagerungen  bedeckt,  die 
aus  bunten  Sandsteinen,  Mergeln,  Kalksteinen  und  Tonen  bestehen  und  gut 
erhaltene  Reste  mitteldevonischer  Panzerfische  aufweisen.  Das  Karbon  ist 
durch  Ablagerungen  des  Bergkalktypus  vertreten;  der  obere  Bergkalk  bildet 
das  Plateau  im  zentralen  Teil  des  Gouvernements  Olonetz,  der  untere  zieht 
sich  in  breitem  Streifen  und  in  korallogener  Ausbildimg  auf  eine  weite  Strecke 
von  den  Waldaihöhen  im  SW  fast  bis  zum  Onegafluß  im  NO.  An  nutz- 
baren Mineralien  und  Gesteinsarten  sind  neben  den  minderwertigen  Kohlen 
die  zur  Schwefelsäurefabrikation  dienenden  Schwefelkiese  (bei  der  Stadt 
Borowitsch  im  Gouvernement  Nowgorod)  und  die  vielfach  ausgebeuteten  feuer- 
festen Tone  zu  nennen. 

Vom  Ende  des  Carbon  bis  auf  imsere  Tage  blieb  das  Gebiet  Festland. 
In  diesQm  ungeheuren  Zeitraum  wurden  die  Oberflächenformen  definitiv  mo- 
delliert, ausschließlich  durch  die  äußeren  Agentien  —  das  Wasser  in  flüssiger 
und  später,  im  Diluvium,  auch  in  fester  Form.  Es  ist  übrigens  zu  bemerken, 
daß  die  Grundztige  der  Oberfiächengestaltung  schon  lange  vor  Eintritt  der 
Eiszeit  in  ihrer  heutigen  Gestalt  ausgebildet  waren,  so  daß  sie  auch  jetzt 
noch,  unbeschadet  der  von  den  Gletschern  bewirkten  Veränderungen,  klar 
durchschaut  werden.  Das  bis  auf  den  blauen  kambrischen  Ton  eingeschnit- 
tene Newatal  ist  sicher  präglacial,  ebenso  wie  die  oben  erwähnte  Silur- 
Kalksteinterrasse  (der  „Glint")  und  wie  die  Becken  des  Pskower-  und  Peipus- 
Sees,  die  zusammen  mit  dem  Narowabett  einem  alten  Meeresarm  angehörten, 
der  den  finnischen  Busen  mit  dem  Rigaer  verband. 

Als  Bildungen  der  Eiszeit  sind  hauptsächlich  der  Blocklehm  (Grund- 
moräne von  wechselnder  Mächtigkeit),  dann  der  ihm  zuweilen  unterlagemde 
untere  fluvioglaciale  Sand  und  der  obere  Gletschersand  zu  nennen.  Durch 
allmähliche  Veränderung  dieser  Oberflächenschichten  entstehen  die  verschie^ 
denen  Bodenarten,  die  den  drei  Haupttypen:  Rasenboden,  Podsolboden  und 
Sumpfboden  —  angehören. 

Die  Reste  von  abgestorbenen  Pflanzen,  die  sich  bei  ungenügendem  Luft- 
zutritt und  bei  Überschuß  an  Feuchtigkeit  zersetzen,  bilden  organische  Säuren, 
die  auf  den  Mutterboden  einwirken,  indem  sie  ihm  mit  Hilfe  des  kohlen - 
säurehaltigen  Wassers  die  Alkalien  und  das  Eisen  entziehen  und  die  Kiesel- 
erde allein  zurücklassen;  so  nimmt  der  Boden  in  seinen  oberflächlichen  Lagen 
eine  hellgraue  Farbe  an.  Dies  ist  das  Wesen  der  Podsolbildung.  Der  Rasen- 
boden zeichnet  sich  durch  einen  schwächeren  Zersetzungsgrad  der  Boden- 
mineralien aus.  Eine  Begleiterscheinung  stark  ausgelaugter  Böden  ist  der 
Ortstein;  das  an  der  Grenze  zwischen  der  Bodenschicht  und  dem  Mutter- 
gestein abgeschiedene,  unlösliche  Eisenoxyd  umhüllt  den  Sand  und  Lehm  und 


272  S.  Tflchulok: 

bildet  eine  undurchlässige  Schiebt,  die  eine  Versumpfung  der  darüberliegend^i 
Bodenpartien  herbeiführt.  Die  sich  weit  hinziehenden  Sümpfe  bilden  eine 
Quelle  des  vielfach  ausgebeuteten  Sumpfeisenerzes,  das  meist  von  den  Bauern 
gewonnen  und  an  Ort  und  Stelle  zu  Spaten,  Sicheln ^  Nägeln  u.  s.  w.  ver- 
arbeitet wird.  Auch  dem  Torf  steht  angesichts  der  rasch  fortschreitenden 
Entwaldung  eine  große  Zukunft  bevor,  zumal  die  Petersburg-Moskauer  Eisen- 
bahn im  Gouvernement  Nowgorod  fast  durchweg  durch  Torfmoore  geht,  die 
eine  durchschnittliche  Mächtigkeit  von  2  m  erreichen. 

Die  geologischen  Bildungen  der  Gegenwart  vervollständigen  noch  die 
Dünen,  welche  die  flachen  Küsten  des  finnischen  Meerbusens  wie  der  großen 
Süßwasserbecken  begleiten  und  besonders  bei  Ssjestrorjetzk  im  Gouvernement 
Petersburg  recht  bedeutenden  Schaden  anrichten. 

n. 

Für  die  Beurteilung  der  klimatischen  Verhältnisse  des  Seengebiets  ist 
zunächst  des  mildernden  Einflusses  der  Ostsee  und  der  großen  Süßwasser- 
becken zu  gedenken,  die  es  bedingen,  daß  das  Land  relativ  wärmer  ist,  als 
seiner  geographischen  Breite  entspricht. 

Die  vorherrschenden  Luftströmungen  zerlegen  das  Gebiet  in  drei  Teile: 
1.  Im  Nordosten  wehen  während  des  ganzen  Jahres  im  allgemeinen  Süd- 
und  Südostwinde;  nur  im  Sommer  werden  die  Nord-  und  Nordostwinde 
häufiger.  Die  größte  Stärke  erreichen  die  Winde  im  Winter,  vor  allem  die 
Südwinde.  2.  Im  zentralen  Teil  herrschen  während  des  ganzen  Jahres  Süd-, 
Südwest-  und  Westwinde  vor;  am  heftigsten  wehen  hier,  auch  im  Winter, 
die  Westwinde.  3.  Im  südwestlichen  Teil  (im  Gouvernement  Pskow  und  in 
benachbarten  Teilen  des  Gouvernements  Petersburg)  sind  die  Südwestwinde 
am  häufigsten  und  stärksten.  Diese  Verteilung  der  Winde  erklärt  sich  da- 
durch, daß  im  Jahresdurchschnitt,  besonders  aber  im  Winter,  das  baro- 
metrische Minimum  nordwestlich  von  unserm  Gebiet  gelegen  ist  (daher  Vor- 
herrschen des  SW);  nur  im  Sommer,  wo  das  Minimum  über  dem  asiatischen 
Kontinent  liegt,  treten  Nord-  und  Nordwestwinde  auf.  Das  häufige  Auf- 
treten von  Ostwinden  im  südwestlichen  Teil,  namentlich  im  Frühling,  hat 
seinen  Grund  in  dem  häufigen  Erscheinen  barometrischer  Minima  in  Westeuropa. 

Häufig  sind  die  mit  dem  Wandern  der  Cjklone  im  Spätherbst  verbun- 
denen Überschwemmungen  in  der  Newamündimg.  Beim  Fortschreiten  der 
Cyklone  von  W  nach  0  verwandelt  sich  der  Südwind,  der  das  Wasser  zu- 
nächst zum  Eingang  in  den  finnischen  Busen  getrieben  hat,  in  einen  West 
und  Nordwest;  dadurch  entsteht  im  finnischen  Busen  ein  Weststurm,  der  das 
Wasser  nach  Ost  treibt  und  in  der  Newamündung  staut.  Am  meisten  leidet 
unter  diesen  Überschwemmungen  Petersburg,  wo  das  Wasser  zuweilen  8  und 
mehr  Fuß  über  dem  Normalstand  erreicht,  z.  B.  am  27.  VIH  1890;  16.  XI. 
1897;  8.  XII.  1898.  Die  größten  Verheerungen  haben  die  beiden  großen 
Überschwemmungen  vom  21.  IX.  1777  (10  Fuß  6  Zoll)  und  vom  19.  XL 
1824  (13  Fuß  8  Zoll)  angerichtet. 

Die  mittlere  Jahrestemperatur  unseres  Gebiets  schwankt  zwischen  1,4** 
in  Powjenjetz  \md  4,8®  in  Pskow,  indem  sie  von  NO  gegen  SW  eine  stetige 


Das  Seengebiet  des  nordwestlichen  Rußland. 


273 


Zunahme  zeigt.  Die  Jahresschwankung  bewegt  sich  zwischen  30 **  (im  NO: 
Powjenjetz  und  Bjelosrjersk)  und  25**  (im  SW:  Pskow).  Der  mildernde  Ein- 
fluß des  Meeres  und  der  großen  Seen  spricht  sich  darin  aus,  daß  die  Früh- 
lingsmonate kühler  als  die  Herbstmonate  und  die  Wintermonate  hier  wärmer 
sind  als  im  Moskauer  Gebiet.  Der  Januar  ist  in  Petersburg  um  1,7  **  wärmer, 
als  im  4®  südlicher  gelegenen  Moskau. 

Die  Zunahme   der  Temperatur  von  NO   nach  SW  wird  durch   folgende 
4  Zahlenreihen  zur  Genüge  veranschaulicht: 


I 


n 


m 


IV 


VI 


vn  vra 


IX 


X 


XI 


Xn     Jahr 


Powjenjetz  . . . 
Petrosawodsk 
Petersburg . . . 
Pskow 


—  12,4 
10,2 

9,3 

—  6,8 


^11,2 

-  9,9 

-  8,4 

-  7,2 


7,4  0,0 


—  6,6 
-4.7 
-5,1 


0,8 
4.4 


6,4 

6,7 

8,7 

11,4 


13,4 
13,6 
14,8 
15,6 


17,1 
16,7 
17,7 
17,6 


14,4 
14,5 
16,1 
15,3 


8,7 

9,3 

10,8 

11,3 


1,6 
3,1 
4,5 
5,5 


—  3,8 

—  3,3 
-1,6 
-0,1 


—  10,6 

-  8,4 

—  6,6 

-  4,5 


1,4 
2,3 
3,7 

4,8 


Die  relative  Feuchtigkeit  schwankt  im  Jahresdurchschnitt  innerhalb 
ziemlich  enger  Grenzen,  etwa  zwischen  78  und  82 ^/q.  Sie  erreicht  ihr  Mi- 
nimum im  Juni  mit  65 — 69%  ^"^^  i^^  Maximum  im  November  bis  Dezember 
mit  etwa  88 — 91  %.  Auch  die  Bewölkung  hat  ihr  Minimum  im  Juni  mit 
etwa  50  Yo  (für  Petersburg)  und  ihr  Maximum  im  November  mit  etwa  86  7o- 
Der  Jahresdurchschnitt  schwankt  im  ganzen  Gebiet  zwischen  64%  (Wjölikije 
Luki  im  äußersten  Südwesten)  und  72%  (Bjelosjersk  im  Osten). 

Die  jährliche  Niederschlagsmenge  ist  am  größten  um  Petrosawodsk  — 
579  mm,  als  Durchschnitt  21jähriger  Beobachtungen,  am  kleinsten  um  Peters- 
burg —  475  nun,  als  Mittel  aus  66  Beobachtungsjahren.  Von  ersterer  Zahl 
konunen  auf  den  Winter  93,*  Frühling  122,  Sommer  209  und  Herbst  157  mm; 
von  letzterer  sind  die  entsprechenden  Quoten:  73,  90,  186  und  131  mm. 
Nach  der  Menge  der  Niederschläge  ordnen  sich  also  in  beiden  Fällen  die 
Jahreszeiten  wie  folgt:  Sommer,  Herbst,  Frühjahr,  Winter.  Dabei  ist  der 
niederschlagärmste  Monat  fast  durchweg  der  Februar,  die  niederschlagreich- 
sten Juli  und  August  Diese  beiden  letzten  Monate  können  allein  auf  dem 
ganzen  Gebiet  als  schneefrei  gelten,  denn  schon  im  September  fällt  im  Gou- 
vernement Olonetz  Schnee,  wenn  auch  zunächst  nicht  viel.  Im  Oktober  er- 
scheint der  Schnee  im  ganzen  Gebiet,  im  November  ist  er  im  NO  die  vor- 
herrschende Niederschlagsform;  Dezember,  Januar,  Februar,  März  haben  fast 
ausschließlich  Schnee,  im  April  zieht  er  sich  wieder  nach  dem  Gouvernement 
Olonetz  zurück,  wo  er  im  Mai  noch  in  geringen  Mengen  vorkommt.  Nörd- 
lich von  Petrosawodsk  fällt  zuweilen,  wenn  auch  selten,  auch  noch  im  Juni 
etwas  Schnee.  Die  maximale  Mächtigkeit  der  Schneedecke  wird  in  Peters- 
burg im  Februar  mit  25  cm  erreicht.  Die  Zahl  der  Regen-  oder  überhaupt 
Niederschlagstage  im  Monat  schwankt  in  Petersburg  zwischen  11,  im  April 
und  Juni,  und  16,  im  November;  in  Petrosawodsk  sind  die  entsprechenden 
Zahlen  13  und  21.  Die  Amplitude  der  jährlichen  Niederschlagsmenge,  soweit 
sie  durch  66jährige  Beobachtung  (in  Petersburg)  festgestellt  ist,  kommt  der 
des  Moskauer  Gebiets  sehr  nahe:  das  niederschlagreichste  Jahr  dieser  Pe- 
riode war  das  Jahr  1864  mit  744  mm,  das  niederschlagärmste  1853  mit 
308  nun. 

Oeographitoha  Z«itachrifl.  9.  Jahrgang.  1903.  5.  Heft.  19 


274  S.  Tschulok: 

Über  das  Auftauen  und  Gefrieren  der  Flüsse  und  Seen  sei  hier  nur  be- 
merkt, daß  die  Zahl  der  eisfreien  Tage  in  unserm  Gebiet  zwischen  200  und 
233  schwankt,  sich  also  in  denselben  Grenzen  bewegt,  wie  im  Moskauer 
(198 — 234  Tage).  Dabei  ist  zu  beobachten,  daß  sich  im  Frühling  zuerst 
die  großen  Ströme  von  Eis  befreien,  was  wohl  hier  in  ihrer  großen  Strö- 
mungsgeschwindigkeit seine  Erklärung  findet.  Dann  folgen  die  kleineren 
Flüsse,  dann  die  Kanäle,  die  zu  langsam  fließen,  und  endlich  die  Seen.  Im 
Herbst  bedecken  sich  zuerst  die  Kanäle  mit  Eis,  dann  folgen  die  kleinen 
Flüsse,  darauf  die  großen  Ströme  und  endlich  die  Seen.  Diese  Reihenfolge 
zeigt  folgende  Tabelle: 


Es  verspätet  sich  gegenüber  dem  Ober- 

achreiten   oder   dem  Eintritt  von  0®  in 

der  Luft 

bei  den  Seen 

Das  Auftauen 
nm  29  Tage 

n     12      ,. 
«     21      „ 

Das  Zufrieren 

um  25  Tage 
n     22       „ 
,.     17 

„      „    großen  Strömen 

„      „    kleinen  Flüssen 

„      „    Kanälen 

,.     12      „ 

Die  Dauer  der  Schiffbarkeit  nimmt  im  allgemeinen  von  NO  nach  SW 
zu:  191  Tage  am  Onega-Kanal,  225  Tage  im  SW  des  Gouvernements  Peters- 
burg. Ausnahmen  werden  durch  die  Nähe  großer  Süßwasserbecken  oder 
durch  große  Strömungsgeschwindigkeit  bewirkt.  Die  Schwankungen  der  ein- 
zelnen Jahrgänge  sind  ziemlich  beträchtlich;  für  die  Newa  bei  Petersburg, 
wo  die  Beobachtungen  bis  auf  1706  zurückreichen,  war  die  Dauer  der  eis- 
freien Periode  im  Minimum  172  Tage  (1852)  und  im  Maximum  279  (1822). 

m. 

Im  Gegensatz  zum  Moskauer  Gebiet,  das  auch  vor  der  Besiedelung 
natürliche  steppenartige  Waldlichtungen,  sogen.  Poljes,  aufzuweisen  hatte, 
stellte  das  Seengebiet  in  prähistorischer,  und  sogar  weit  in  die  historische 
Zeit  hinein  eine  nur  durch  Flüsse,  Seen  und  Sümpfe  unterbrochene  ürwald- 
fläche  (Taiga)  dar.  Erst  in  relativ  neuerer  Zeit  ist  der  Wald  mehr  und 
mehr  der  vordringenden  Kultur  gewichen,  und  wie  sehr  die  Waldvemichtung 
auch  noch  im  letzten  Jahrhundert  um  sich  gegriffen  hat,  zeigt  die  Tat- 
sache, daß  seit  dem  Generalkataster  der  Waldbestand  in  Petersburg  von  70  % 
auf  45  7o,  in  Olonetz  von  717^  auf  63  7o,  in  Pskow  von  54  7o  auf  32  7o 
und  in  Nowgorod  von  60  7o  auf  49  7o  zurückgegangen  ist.  Die  Waldfläche 
des  ganzen  Gebiets  beträgt  aber  auch  jetzt  noch  an  50  7o  ^^  Gesamtareals. 
Die  Verteilung  des  Waldes  ist,  abgesehen  vom  Gouvernement  Olonetz,  un- 
gleichmäßig: es  gibt  Kreise  (üjesd)  mit  nur  20  7o  Wald  neben  solchen 
mit  84  7o. 

Aber  selbst  dort,  wo  der  Wald  noch  weite  Flächen  einnimmt,  hat  er 
den  Charakter  des  ursprünglichen  Urwaldes  verloren  und  den  der  „gelichteten 
Taiga'^  angenommen.  Durch  das  an  manchen  Orten,  namentlich  in  Pskow 
und  Nowgorod,  auch  jetzt  noch  bestehende  System  der  Neulandwirtschaft 
wurde  hier  eine  besondere  Waldformation  geschaffen,  die  man  hier  zu  Lande 


Das  Seengebiet  des  nordwestlichen  Bußland.  275 

als  „Ljada**  bezeichnet.  Der  Fichtenwald  wird  ausgerodet  oder  ausgebrannt, 
und  die  so  gewonnene  Fläche  dient  während  etwa  5 — 6  Jahren  dem  Getreide- 
oder Leinban.  Darauf  zieht  der  Pächter  davon  und  die  sich  selbst  über- 
lassene  Bodungsfläche  bedeckt  sich  von  neuem  mit  dünnem  Fichten-  oder 
Mischwald,  der  mit  Erlen-,  Weiden-  und  Espengestrüpp  vermischt  ist  Die 
Wiesenpflanzen  werden  nach  und  nach  von  Waldkräutem  verdrängt;  charak- 
teristisch für  diese  Formation  sind  verschiedene  Campanula- Arten.  Eine 
andere  Formation,  als  Produkt  der  Waldbrände  aufzufassen,  ist  das  Callu- 
netum,  das  vorwiegend  im  Kiefernwald  auftritt.  Die  dichten  Rasen  und 
Polster  lassen  keine  nennenswerte  Kiefemvegetation  aufkommen  imd  die 
häufig  wiederkehrenden  Waldbrände  verrichten  wiederholt  ihr  Vemichtungswerk. 

Die  große  Zahl  derartiger  Waldlichtungen  ließ  sogar  die  Vermutung 
aufkommen,  es  handle  sich  um  Stellen,  die  immer  waldlos  gewesen  seien; 
doch  läßt  sie  die  nähere  Untersuchung  des  Callunetums  als  Ergebnis  der 
vom  Menschen  verschuldeten  Entwaldung  erkennen. 

Der  gegenwärtige  Wald  imseres  Gebiets  wird  vorwiegend  aus  Nadel- 
hölzern, und  zwar  in  erster  Linie  aus  Fichten  und,  etwas  weniger  häufig, 
aus  Kiefern  gebildet.  Doch  lassen  die  bei  der  Durchgrabung  des  Sjaß- 
Kanals  gemachten  Beobachtungen  erkennen,  daß  in  vorhistorischer  Zeit  an 
Stelle  des  heutigen  Nadelwaldes  die  Eiche  herrschte,  deren  Grenze  damals 
weiter  nördlich  lag;  später  wurde  sie  von  der  Kiefer  verdrängt,  und  in 
unserer  Zeit  trat  die  Fichte  ihre  Herrschaft  an.  Diese  ist  hier  in  2  Arten, 
Picea  excelsa  und  P.  vulgaris  vertreten,  nur  im  äußersten  Osten  kommt  eine 
dritte  Art,  die  sibirische  Picea  obovata  vor.  Nicht  immer  sind  die  Fichten- 
bestände rein,  sondern  mit  Birke,  Espe,  Linde  und  anderen  Laubhölzem  ge- 
mischt; im  Süden  gesellen  sich  Eiche,  Esche  und  Ahorn,  an  feuchteren  Stand- 
orten Erle,  Weide  und  eine  Birkenart  {Beiula  pubescens)  hinzu. 

Der  Fichtenwald  siedelt  sich  auf  mehr  oder  weniger  fruchtbarem  Boden 
in  Niederungen  an.  Wird  ein  Fichtenwald  ausgerodet  und  dann  sich  selbst 
überlassen,  so  treten  an  seine  Stelle  zunächst  Birke,  Espe  und  Weide  von 
Himbeergestrüpp  begleitet,  nach  30 — 40  Jahren  werden  aber  die  Laub- 
bäume wieder  von  der  Fichte  verdrängt.  Die  Kiefer  dagegen  siedelt  sich 
auf  trockenen  sandigen  Böden  an  und  ist  weniger  stabil  als  die  Fichte;  sie 
regeneriert  sich  nicht  oder  nur  sehr  selten,  nachdem  sie  einmal  ausgerodet 
ist.  Meist  treten  dann,  wie  oben  erwähnt,  die  polster-  und  rasenbildenden 
Pflanzen  auf;  da  sie  aber  viel  Feuchtigkeit  ansanmieln  und  der  Luft  den 
Zutritt  zu  den  unteren  Schichten  verwehren,  so  bilden  sich  Humussäuren,  die 
die  Eisenverbindungen  des  Bodens  lösen.  Diese  Eisenverbindungen  bilden 
aber  das  Zement,  das  den  lockeren  Sandboden  zu  Ortstein  verwandelt.  Das 
Wasser  wird  jetzt  gestaut,  und  es  beginnt  eine  Versumpfung.  Solche  in 
Versumpfung  begriffene  Wälder  bedecken  im  Gouvernement  Petersburg  30  7o 
des  Bodens,  während  auf  die  reinen  Sümpfe  etwa  9  %  entfallen.  Die  schlanke, 
hohe  Kiefer  wird  hier  nach  und  nach  von  der  Zwergkiefer  ersetzt 

Neben  diesen  beiden  Formen  spielen  die  sibirische  Lärche  {Larix  sibirica) 
und  die  sibirische  Weißtanne  {Äbies  »ibirica),  die  nur  im  Nordosten  des 
Gebiets  eine  weitere  Verbreitung  haben  und  bald  ihre  westliche  Grenze  ei^- 

19* 


276  S.  Tschnlok: 

reichen,  nur  eine  untergeordnete  Rolle.  Unter  den  Laubhölzern  sind  zu- 
nächst jene  5  Formen  zu  nennen,  welche  hier  ihre  nördliche  Verbreitungs- 
grenze finden.  Am  weitesten  nach  Norden  ist  die  Grenze  der  Linde  und 
Schwarzerle  vorgeschoben,  die  selbst  noch  zwei  Drittel  des  Gouvernements 
Olonetz  einnehmen.  Dann  folgt  der  Bergahom  (Acer  plaianoides)^  dessen 
Grenze  etwa  zwischen  61®  imd  62®  n.  Br.  liegt.  Noch  weiter  südlich  findet 
Eiche  und  Esche  ihre  boreale  Grenze,  indem  sie  nur  auf  die  südwestliche 
Hälfte  unseres  Gebiets  beschränkt  sind  (die  Grenze  verläuft  etwa  von  Peters- 
burg nach  OSO  gegen  die  Wolga). 

Von  den  anderen  Laubbäumen  haben  nur  noch  Espe  und  Birke  eine 
bedeutendere  Verbreitung,  die  übrigen  dagegen,  wie  Ulmen,  Vogelbeere  u.  a., 
konmien  nur  in  einzelnen  Exemplaren,  nicht  in  zusammenhängenden  Beständen 
vor.  Durch  unser  Gebiet  läuft  femer  die  nördliche  Grenze  des  Obstbaues, 
etwa  in  der  Höhe  des  61.®  n.  Br.  (Insel  Walaam  am  Ladogasee,  Südufer 
des  Onegasees,  Bjelojesee). 

Bei  der  großen  Verbreitung,  welche  die  Moore  in  diesem  Gebiet  haben, 
verlohnt  es  sich,  ihnen  eine  kurze  Betrachtung  zu  widmen.  Da  ist  zunächst 
zu  bemerken,  daß  die  große  Mehrzahl  der  Moore  zum  Typus  der  Sphagnum- 
oder  Hochmoore  gehören,  in  deren  Vegetation  die  Moose  eine  Hauptrolle 
spielen,  und  deren  Tätigkeit  sich  hauptsächlich  in  der  fortschreitenden  Ver- 
landung  zahlreicher  Seen  ausspricht.  Solche  in  den  Wäldern  häufigen  Hoch- 
moore beherbergen  gewöhnlich  im  Zentrum  noch  den  letzten  Rest  des  ehe- 
maligen Sees  in  Form  eines  Wasserbeckens,  das  unmittelbar  von  einer  Zone 
von  Menyanthes  trifoliata  mit  beigemischtem  Carex  und  Eriophorum  umgeben 
ist.  Darauf  folgt  eine  Zone  von  Sphagnum,  dem  Hauptelement  des  Sphagnum- 
moores,  mit  hier  und  da  eingestreuten  Oxycoccus  palustris,  Andromeda  poly- 
folia  und  Droseraarten.  An  den  am  längsten  eroberten  Stellen  wächst  schon 
Polytrichum  und  weiterhin  auch  Zwergkiefer,  und  auf  trockeneren  Stellen  auch 
Heide  (Calluna),  Schachtelhalme  und  Birken.  Südlich  von  der  Newa  im 
Gebiete  der  Silur-  und  Devonkalke  ist  ein  anderer  Typus  —  die  Gras-  oder 
Flachmoore  —  häufig.  Vorherrschend  sind  hier  namentlich  Sauergraser  (Carex- 
Arten),  daneben  auch  einige  Süßgräser,  wie  Ccdamagrostis  u.  a.  m.  Das  kalk- 
reiche Wasser  verhindert  hier  die  Bildung  von  Sphagnum\  wird  nun  das 
kalkreiche  Wasser  nicht  erneuert,  so  kann  es  zur  Bildung  eines  Hochmoores 
auf  dem  darunter  liegenden  Grasmoor  kommen.  Wird  aber  das  Wasser  immer 
wiefler  erneuert,  und  der  Überschuß  etwa  durch  ein  Bächlein  drainiert,  so 
t^iil w R'kelt  sich  bald  auf  dem  humusreichen  Boden  eine  Strauch-  und 
Baun (Vegetation,  bestehend  aus  Himbeere,  Weide,  Birke  und  namentlich 
Scbwarzerle. 

Die  Fauna  des  Seengebiets  beherbergt  fast  gar  keine  Tierformen,  die 
etwa  fttr  es  allein  charakteristisch  wären.  Ziemlich  seltene  Vertreter  der 
Waldfauna  sind  unter  den  Säugetieren  Elch,  Renntier,  Reh  und  Luchs.  Noch 
selteüer  sind  Vielfraß  und  Eisfuchs.  Häufig  dagegen  sind  Dachs,  Baum- 
marder, Fuchs,  Bär  und  Wolf,  sowie  Eichhörnchen  und  Flughömchen.  Süd- 
licher, wo  die  Laubwälder  auftreten,  ist  auch  der  Siebenschläfer  verbreitet. 
Ad  deD  waldigen  Ufern  der  Flüsse  hausen  Nörz  und  Fischotter,  im  südlichen 


*k 


Das  Seengebiet  des  nordwestlichen  Rußland.  277 

Teil  auch  die  Wasserspitzmaus.  Der  den  Ladogasee  bewohnende  Seehund 
{Fhoca  anneUata)  hat  keine  große  wirtschaftliche  Bedeutung.  In  der  Fauna 
des  Feldes  nehmen  die  verschiedenen  Vertreter  der  Familie  der  Mäuse,  dar- 
unter im  Süden  der  Hamster,  den  ersten  Platz  ein.  Sie  haben  unter  den 
Nachstellungen  der  Hunde  und  des  Hermelins  zu  leiden,  welch  letzteres  seines 
Pelzes  wegen  eifi-ig  gejagt  wird.  Wiesel  und  Iltis  sind  häufig,  letzterer  aber 
im  Norden  fast  völlig  unbekannt.  Der  Maulwurf  kommt  nördlich  vom  Onega- 
see nicht  mehr  vor,  der  Igel  erreicht  nicht  einmal  die  Breite  von  Petrosawodsk. 
Von  den  zwei  Hasenspecies  ist  der  Schneehase  überall  gleichmäßig  verbreitet, 
der  Feldhase  dagegen  nur  im  Süden  häufig,  im  Norden  war  er  bis  in  die 
60er  Jahre  des  letzten  Jahrhunderts  fast  völlig  unbekannt. 

In  der  Vogelfauna  herrschen  die  Bewohner  des  Waldes  und  der  Gewässer 
entschieden  vor,  so  daß  nur  ein  Zehntel  aller  Arten  zu  den  Bewohnern  des 
freien  Geländes  gehört  So  war  bis  vor  etwa  50  Jahren  im  Gouvernement 
Olonetz,  dem  waldreichsten  des  Gebiets,  das  Rebhuhn  vollkommen  unbekannt. 
Häufige  und  wirtschaftlich  wichtige  Bewohner  der  Wälder  sind  hier  Auer- 
huhn,  Birkhuhn,  Schneehuhn  und  namentlich  das  Haselhuhn.  Letzteres  bildet 
in  Olonetz  neben  dem  Eichhörnchen  wohl  das  wichtigste  Objekt  der  gewerbs- 
mäßigen Jagd.  Femer  sind  noch  die  Waldschnepfe  und  zwei  wilde  Tauben- 
arten {Cölumba  pcUumbus  und  (7.  oenas)  zu  erwähnen. 

Da  bei  dem  großen  Formenreichtum  der  Raubvögel,  Wattvögel  u.  a.  eine 
eingehende  Besprechung  hier  nicht  angebracht  erscheint,  so  mögen  nur  einige 
wichtigere  tiergeographische  Tatsachen  kurz  erwähnt  werden.  Es  fällt  näm- 
lich in  unser  Gebiet  die  nördliche  Verbreitungsgrenze  mancher  Vögel,  die 
weiter  östlich  nirgends  so  weit  nach  Norden  gehen.  So  der  weiße  Storch, 
der  bis  in  die  Gegend  von  Petersburg  nistet,  der  Wiedehopf,  Eisvogel,  Grün- 
specht, die  alle  im  Gouvernement  Pskow  nisten;  dabei  sind  diese  Gegenden 
von  den  genannten  Formen  relativ  unlängst  erobert  worden,  so  daß  sie  eine 
deutliche  Verlegung  ihrer  Grenze  nach  Norden  aufweisen. 

Von  ähnlichen  Tatsachen,  die  sich  auf  die  sehr  formenarme  Reptilien- 
und  Amphibienfauna  beziehen,  sei  hervorgehoben,  daß  der  grüne  Wasserfrosch 
(Rana  esculenta)  den  59.®  n.  Br.  nicht  überschreitet,  während  die  zwei  anderen 
Arten  {R,  oxyrrhina  und  B,  plodyrrhina)  überall  im  Gebiete  verbreitet  sind. 
Ebenso  findet  die  Knoblauchskröte  schon  im  Süden  des  Gebiets  ihre  Verbrei- 
tungsgrenze, während  die  graue  Kröte  {Bufo  einer  ms)  überall  gemein  ist. 
Ziemlich  selten  ist  von  den  zwei  Eidechsenarten  die  Zaimeidechse  (Lctccrta 
agüis)y  viel  häufiger  die  Lacerta  vivipara.  Die  im  Süden  nicht  seltene  Ringel- 
natter scheint  in  Olonetz  ganz  zu  fehlen. 

Zum  Schluß  noch  einige  Worte  über  die  Vertreter  der  Fischfauna, 
welche  einen  wirtschaftlichen  Wert  haben.  Unter  den  marinen  Formen  sind 
der  Strömling  (Meletta  vulgaris)  und  der  Hering  {Clupea  harengus  oder 
fnembras)  zu  erwähnen,  die  im  Brackwasser  des  finnischen  Busens  häufig 
sind,  und  von  denen  namentlich  der  letztere  in  der  Mündung  des  Narowa- 
flusses  in  großen  Mengen  gefangen  wird.  Unter  den  Süßwasserformen  sind 
einige  Glieder  der  Karpfenfamilie,  wie  etwa  die  Brachsen  (Abramis  brama)j 
und   einige  Lachse,    die    zum  Laichen    in    die   Süß  Wasserbecken    einwandern 


278 


S.  Tschulok: 


{Coregonus  lavaretus,  Baeri,  fera,  cUbula)  oder  beständig  im  Süßwasser  leben 
{Osmerus  eperlanus  var.  spiriuchus\  besonders  erwähnenswert.  Faunistisch 
interessant  ist  es,  daß  die  wirbellose  Fauna  des  Ladoga-  und  Onegasees 
solche  Formen  aufweist,  wie  Idothea  entomon,  Miosis  relicta^  Gammarus  loricatus 
Pontoporeia  affinis  und  AcanihohhcUa  pelecima,  welche  neben  einigen  Fischen 
zur  Vermutung  geführt  haben,  die  genannten  Seen  stellten  Überreste  eines 
sich  vom  nördlichen  Eismeer  nach  S.  erstreckenden  Golfes  dar,  welcher  all- 
mählich seinen  Zusammenhang  mit  dem  Ozean  verloren  hat  und  ausge- 
süßt wurde. 

IV. 

Nachstehend    sind   einige  bevölkerungsstatistische   Angaben    in   tabellari- 
scher Form  mitgeteilt. 


Areal 


:3S 

9 


il 


Zahl  der 
Frauen   auf 
100  Männer 


S2 
2 


9 


«  a 
^  to 

3-" 


M  tu 

1- 


Es  ge- 
hören zu 


ßCo 


Auf  100  Einw. 
kommen 


^1 


9  9 

'S! 


Petersburg  . . 

Pskow 

Nowgorod  . . . 
Olonetz 


53  768  2  107  691 

44  209  1  136  540 

122  .H39  |l  392  933 

148  764!    366  715 


80 

97 

101 

107 


105 
107 
101 
111 


97 
106 
107 
111 


0,50 
0,73 
0,71 

0,81 


2,58  2,15 


4,17 
4,22 


2,82 
3,03 


4,42j3,10 


0,43 
1,35 
1,19 
1,32 


Für  die  Volksdichte  ergibt  sich  bei  einer  Betrachtung  der  einzelnen  Kreise 
das  Resultat,  daß  fast  die  Hälfte  des  Gebiets,  nämlich  das  ganze  Gouverne- 
ment Olonetz  und  die  größere,  östliche  Hälfte  des  Gouvernements  Nowgorod, 
eine  Volksdichte  von  unter  10  pro  Quadratkilometer  aufweist.  Die  übrigen 
Kreise  des  Gouvernements  Nowgorod,  die  meisten  Kreise  von  Petersburg  und 
die  westlichen  waldreichen  Kreise  von  Pskow  haben  eine  Volksdichte  von 
10 — 30  pro  Quadratkilometer.  Nur  die  westliche  Hälfte  von  Pskow  und  die 
der  Hauptstadt  nahegelegenen  Kreise  von  Petersburg  (Peterhof,  Zarskoje  Sselo) 
haben  eine  Volksdichte  zwischen  30  und  70.  Schließt  man  die  Stadt  Peters- 
burg mit  1  267  023  Einw.  aus,  so  weist  das  Gouvernement  Petersburg  bloß 
eine  Volksdichte  von  24  auf.  Seit  dem  Jahre  1724  ist  die  Volksdichte  des 
Seengebiets  auf  das  SYjfache  gestiegen,  während  sie  sich  in  Süd-  und  Süd- 
ostrußland in  derselben  Zeit  verzehnfacht  hat. 

Über  die  ständische  Zugehörigkeit  der  Bevölkerung  ist  zu  bemerken, 
daß  sich  der  für  das  Moskauer  Gebiet  heiTorgehobene  hervorragende  Anteil 
des  Bauernstandes  an  der  Bevölkerung  der  Städte  im  Seengebiet  nur  für  das 
Gouvernement  Petersburg  wiederfindet.  Den  32%  bäuerlicher  Bevölkerung 
stehen  die  66  7o  d^^  Stadteinwohner  gegenüber.  Der  industrielle  Charakter 
der  Provinz  und  Stadt  Petersburg  gibt  sich  darin  zu  erkennen.  In  den 
andern  Provinzen  des  Gebiets  sind  die  Zahlen  der  nichtbäuerlichen  Stände 
und  der  städtischen  Bevölkerung  entweder  im  Gleichgewicht,  oder  es  tritt 
die  gegenteilige  Erscheinung  ein,  daß  die  Angehörigen  der  niohtbäuerlichen 
Stände  auf  dem  Lande  leben.  Daß  dies  besonders  klar  beim  Gouvernement 
Pskow  auftritt  (Nichtbauern  12%,  städtische  Bevölkerung  6%),  deutet  auf 


Das  Seengebiet  des  nordwestlichen  Rußland.  279 

die    Annähemng    an    die    Verhältnisse    des    westlichen    europäischen    Buß- 
land hin. 

IJm  für  die  Beurteilung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  eine  Grundlage 
zu  schaffen,  mag  zunächst  die  Frage  beantwortet  werden:  In  wessen  Händen 
befindet  sich  der  Boden,  der  im  ganzen  etwa  30  Millionen  Dessätinen 
(a  109,25  Ar)  beträgt?  Das  ist  nun  für  die  einzelnen  Gouvernements  ziem- 
lich verschieden:  Während  im  Gouvernement  Olonetz,  das  den  dritten  Teil 
des  Gebiets  ausmacht,  der  Staat  mit  71  %  als  vorherrschender  Grundbesitzer 
erscheint,  sinkt  der  Anteil  des  Staates  am  Grundbesitz  bis  auf  3,6%,  wenn 
wir  das  Gouvernement  Pskow  betreten.  Für  Nowgorod  und  Petersburg  sind 
diese  Zahlen  22  7o  ^öd  16%.  Für  das  ganze  Gebiet  berechnet  sich  der 
Anteil  des  Staates  am  Grundbesitz  mit  39%)  cLer  der  Bauemgemeinden  mit 
28%;  die  Privatgrundbesitzer  nehmen  30%  und  die  Städte,  Klöster  u.  s.  w. 
2%  der  gesamten  Bodenfläche  in  Anspruch.  Lassen  wir  das  Olonetzsche 
Gouvernement  beiseite,  so  läßt  sich  die  Verteilimg  des  Bodens  in  großen 
Zügen  folgendermaßen  charakterisieren:  Die  Hälfte  der  Gesamtbodenfläche 
findet  sich  im  Privatbesitz,  die  andere  Hälfte  verteilt  sich  zwischen  den 
Bauerngemeinden  und  dem  Staat,  wobei  die  Bauemgemeinden  etwas  mehr  als 
der  Staat  besitzen  (28%  in  Nowgorod,  19  7o  ^^  Petersburg  und  volle  41% 
in  Pskow).  Unter  den  Privatgrundbesitzem  nunmt  der  Adel  den  ersten  Platz 
ein;  fast  die  Hälfte  des  in  Privatbesitz  befindlichen  Bodens  nennt  er  sein 
eigen.  Dann  folgt  der  Kaufmannsstand  und  die  Bauern,  die  einzeln  oder  in 
Genossenschaften  den  verschuldeten  Adeligen  ihre  Landgüter  abkaufen.  Es  ist 
aber  hier  im  allgemeinen  dieselbe  Erscheinung  zu  beobachten  wie  in  anderen 
Distrikten  Bußlands:  Trotz  der  vielfachen  Unterstützungen  imd  Vergünsti- 
gungen, die  der  Staat  den  Adeligen  gewährt,  um  dem  Thron  eine  Schar 
treuer  Anhänger  zu  sichern  (bildet  doch  die  Frage  nach  den  Mitteln  zur 
Hebung  des  Adelsstandes  einen  permanenten  Studiengegenstand  zahlreicher 
Konunissionen),  gehen  Tausende  adeliger  Grundbesitzer  ihrem  wirtBchafüichen 
Buin  entgegen  und  gelangen  alljährlich  Hunderte  von  Adelsnestem  zur  zwangs- 
weisen Versteigerung.  Mit  dem  neuen  Besitzer  bemächtigt  sich  der  Gegend 
ein  neuer  Geist.  Bald  ist  mit  der  alten  Herrlichkeit  aufgeräumt;  und  wo  vor 
kaum  40  Jahren  die  idyllische  Buhe  in  Wald  und  Flur  nur  bei  feierlichen 
Anlässen  durch  Jagdhorn  und  Feuerwerk  gestört  wurde,  da  saust  die  Dampf- 
maschine und  raucht  der  Fabrikschomstein.  Ob  dabei  das  Volk  beglückt 
wird,  ist  allerdings  eine  andere  Frage,  denn  die  Schattenseiten  dieser  groß- 
artigen wirtschaftlichen  Umwandlung  lassen  sich  zunächst  viel  intensiver  spüren, 
als  der  beglückende  Einfluß  gehobener  Kultur,  den  sie  herbeizuführen  verspricht. 
Wo  einst  der  Bauer  mit  bewunderungswürdiger  Ausdauer  und  Treue  die 
Bürden  des  Frondienstes  trug,  da  arbeitet  er  jetzt  mit  Frau  und  Kindern  in 
den  engen  unsauberen  Fabrikräumen  unter  den  denkbar  schlimmsten  hygieni- 
schen Bedingungen.  Der  Segen  der  schönen  Fabrikgesetzgebung  steht  nur  auf 
dem  Papier,  die  Fabrikinspektoren  sind  zu  einer  Kreatur  des  Polizeidepartements 
degradiert.  Und  wo  einst  der  unbotmäßige  Leibeigene  auf  dem  Pferdestall 
allergnädigst  ausgepeitscht  und  dann  ins  Militär  gesteckt  wurde,  da  wird  heute 
auf  die  friedlich  demonstrierenden  Scharen  der  Streikenden  gefeuert!  .... 


280 


S.  Tßchulok: 


Dooh  kehren  wir  zu  unseren  Zahlen  zurück.  Im  folgenden  habe  ioh  die 
vorliegenden  Daten  über  die  Verteilung  des  Grundbesitzes,  sowie  über  den 
Anteil  der  einzelnen  Kulturarten  am  Gesamtareal  in  einer  Tabelle  übersicht- 
lich zusammengestellt. 


^2 
55  8) 


SB 


g.2 

So 


Eigentum  des  Staates 

„         der  Banemgemeinden .... 

„  „    Privatgrundbesitzer  . . 

„    Städte,  Klöster  u.  s.  w. 


Jiic, 


3,6 
41,2 
63,5 


22,6 
28,3 
45,8 


16,3 
29,1 
62,8 


71,0 

24,3 

3,9 


39 
28,4 
30,6 
2,1 


Am  PrivatffTundbesitz  beteiligen  sich 

die  Adeligen  mit 

„    Bauern  mit 

„    Kauf  leute  mit 

„    die  übrigen  Stande  mit 

Gegenüber   dem   Besitzstand   des   Jahres 
haben  die  Adeligen  verloren 


1877 


61 7o 

27  „ 
11  „ 


26 


40  7o 


60% 

18  „ 

19  n 


20 


17% 

9  », 

71  n 


66 


46% 
22  „ 
22  „ 
10  „ 


Verteilung  des  Bodens  auf  die  Kulturarten  in 
%)  des  Gesamtareals 

Wald 

Ackerland 

Grrasland 

Unproduktiver  Boden 

Vom  gesamten  Ackerland  besitzen  die  Banem- 
gemeinden   

Vom  gesamten  Grasland  besitzen  die  Bauern- 
gemeinden 


31,7 
26,7 


73% 
66  „ 


66 
11,7 


80% 


46,7 
12,8 


79% 


60,6 
6 


97% 
96  „ 


63% 
11  ,, 
11  „ 
26  „ 

80% 

67  „ 


Die  Bodenpreise  sind  seit  den  60  er  Jahren  ge- 
en  um 


400% 


500  % 


230  7, 


Die  Betrachtung  der  Tabelle  ergibt  neben  anderem,  daß  der  Staat  über 
die  Hauptmasse  der  Waldfläche  verfügt,  namentlich  im  dünnbevölkerten  Gou- 
vernement Olonetz.  Die  im  bäuerlichen  Grundbesitz  am  stärksten  vertretenen 
Kulturböden  sind  dagegen  Acker-  und  Grasland;  daraus  folgt,  daß  die  Land- 
wirtschaft eine  der  wichtigsten  Erwerbsquellen  der  ländlichen  Bevölkerung 
bildet.  Bei  den  Privatgrundbesitzem  bildet  das  Ackerland  nur  6  7©  i^^res 
Grundbesitzes,  bei  den  Bauern  31 7o-  I^i©  Privatgrundbesitzer  haben  dem- 
gegenüber 60  7o  Waldbesitz.  Die  Waldwirtschaft  liegt  also  in  den  Händen 
der  Privatgrundbesitzer,  die  Bauemgemeinden  treiben  mehr  oder  weniger  aus- 
schließlich Ackerbau. 

Eine  Betrachtung  der  Ergebnisse  des  Ackerbaus  in  unserem  Gebiet  ist 
sehr  lehrreich.  Der  durchschnittliche  jährliche  Ertrag  (unter  Zugrundelegung 
der  Jahre  1884—1898)  berechnet  sich  zu  etwa  26  Mill.  Pud  Roggen;  für 
den  Konsum  der  etwa  3  400  000köpfigen  ländlichen  Bevölkerung  sind  41  Mill. 
Pud  erforderlich  (12,1  Pud  pro  Kopf).  Somit  müssen  etwa  15  Mill.  Pud, 
oder  47^  pro  Kopf  angekauft  werden,  was  bei  den  hier  herrschenden  Brot- 
preisen etwa  14  Mill.  Rubel  erfordert.  Diese  Ausgaben  werden  aus  dem 
Ertrag  des  Lein-  und  Haferbaus  bestritten.  Die  etwa  2,2  Mill.  Pud  Leinfaser 
ergeben  einen  Erlös  von  ca.  8  Mill,  (3,70  Rubel  pro  Pud)  und  die  26  Mill. 


Das  Seengebiet  des  nordwestlichen  Rußland. 


281 


Pud  Hafer  einen  solchen  von  18  Mill.  Rubel.  Nach  Abzug  der  14  Mül. 
Rubel,  die  nach  obigem  för  den  mangelnden  Roggen  ausgegeben  werden, 
bleiben  also  bloß  12  Mill.  Rubel  übrig,  die  selbstverständlich  für  sämtliche 
übrigen  Ausgaben  des  Haushalts  nicht  ausreichen  (weniger  als  3  Rubel  pro 
Kopf  jährlich!).  Es  müssen  also  die  landwirtschaftlichen  Nebengewerbe  in 
die  Lücke  treten,  deren  Notwendigkeit  sich  auch  aus  folgender  Betrachtung 
ergiebt:  Eine  Familie  aus  6  Mitgliedern,  darunter  3  erwachsene  arbeitsfähige 
Personen,  kann  unter  den  hier  herrschenden  Kulturverhältnissen  eine  Saat- 
fläche von  7  Dess.  bearbeiten;  die  gesamte  Saatfläche  mit  1725  000  Dess. 
beansprucht  also  die  Arbeit  von  rimd  750  000  Arbeitern.  Nimmt  man  die 
ganze  arbeitsfähige  Bevölkerung  zu  1  700  000  an,  nämlich  die  Hälfte  der  ge- 
samten ländlichen  Bevölkerung,  so  müssen  900  000  Arbeiter  für  ihre  Arbeits- 
kraft eine  andere  Betätigung  suchen. 

Da  konunt  vor  allem  der  gewerbsmäßige  Gemüsebau  in  Betracht,  der 
an  manchen  Orten,  namentlich  in  der  Nähe  der  Residenz  eine  große  Aus- 
dehnung gewinnt;  dann  der  Obstbau,  das  Einsammeln  von  Pilzen  und  Beeren, 
die  Imkerei.  Die  Viehzucht  ist  ziemlich  schwach  entwickelt,  jedoch  im  Steigen 
begriffen.     Die  Zahl  des  Groß-  und  Kleinviehs  beträgt  in: 


Peters- 
burg 

Pskow 

Now- 
gorod 

Olonetz 

auf  100  Einwohner 

26 
14 

■  ■ 
99 
31 

79 
13 

93 

anf  100  Dess.  produktiven  Bodens 

4 

Das  Vieh  ist  im  allgemeinen  klein  und  schwach.  Das  Durchschnitts- 
gewicht eines  Rindes  im  Gouvernement  Pskow  beträgt  nur  200 — 240  kg. 
Im  Gouvernement  Olonetz  hat  die  Viehzucht  noch  sehr  viel  unter  den  Raub- 
tieren zu  leiden,  welche  in  einem  Jahre  bis  zu  4000  Köpfe  töten.  Die 
Milchwirtschaft  beschäftigt  im  Gouvernement  Petersburg  3500  Bauemfamilien ; 
der  Ertrag  einer  Kuh  steigt  bis  zu  75  Rubel  im  Jahr;  in  den  entfernteren 
Distrikten  wird  die  Kälbermast  von  mehreren  Tausenden  Bauernhöfen  be- 
trieben. Die  Schaf-  und  Schweinezucht  sind  kaum  erwähnenswert..  Mit  Pferden 
sind  die  Bauern  dieses  Gebiets  etwas  reichlicher  versehen,  als  etwa  im  Moskauer 
Industriegebiet.  Trotzdem  sind  aber  auch  hier  in  Olonetz  15%,  in  Now- 
gorod und  Pskow  16  7o  ""^  ^^  Petersburg  sogar  23  7o  pferdelose  Bauern- 
höfe verzeichnet  worden. 

Bei  dem  großen  Seenreichtum  spielt  die  Fischerei  die  Rolle  eines  wich- 
tigen Erwerbszweiges.  Es  werden  im  ganzen  jährlich  über  6  Mill.  Pud 
(a  16  kg)  gewonnen,  wobei  die  jährliche  Produktivität  einer  Dessätine  auf 
ca.  2  Pud  geschätzt  wird,  was  etwa  180  Pud  pro  Quadratkilometer  Wasser- 
fläche ausmacht. 

Vor  allem  ist  die  Fischerei  in  Olonetz  von  Bedeutung,  wo  die  Seen  fast 
ein  Siebentel  des  Gesamtareals  einnehmen  —  auf  das  genannte  Gouvernement 
entfallen  60  7o  ^^s  Gesamtertrages.  Nach  Deckimg  des  eigenen  Bedarfes 
werden  von  hier  aus  für  etwa  150  000  Rubel  Fische  in  den  Handel  gebracht. 
Von  den  hier  vorkommenden  Arten  sind  besonders  wichtig:  Flußbarsch  (^Perca 
fluviatiUs)^    Kaulbarsch  (Ädrina  ceruna)^    Quappe  (Loia  vulgaris)^  Brachsen 


282  S.  Techulok: 

(Abramis  brama\  Maräne  (Coregonus  tnaraena)^  Schnäpel  (Coregonus  oxyrhin- 
chus\  Lachs  (Salmo  solar) ^  Hecht  {Esox  lucirn)  und  Stint  {Osmerus  eperlnnus). 
Die  Ausfuhr  befindet  sich  in  den  Händen  der  Zwischenhändler,  die  den 
Fischern  in  Zeiten  der  Not  Geld  vorschießen,  um  dann  den  Ertrag  des 
Fanges  zu  den  denkbar  billigsten  Preisen  für  sich  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Auch  im  Gouvernement  Petersburg  gibt  es  ganze  Dörfer,  die  ausschließlich 
von  der  Fischerei  leben.  Im  Peipussee  zeigt  sich  in  Folge  des  rücksichtslosen 
Fanges  der  laichenden  Fische  eine  merkliche  Abnahme  des  Fischreichtums, 
weshalb  das  Zemstwo  (Landschaftsvertretung)  von  Pskow  und  Petersburg  die 
Initiative  einer  gesetzlichen  Regelung  des  Fischfanges  ergriffen  hat.  Auch 
hat  sich  in  letzter  Zeit  das  Ackerbauministerium  und  die  kais.  russ.  Fischerei- 
Gesellschaft  durch  Vermehrung  der  Fischbrutanstalten  der  notleidenden  Fischerei 
angenommen.  Der  Fang  wird  meist  von  kleineren  Genossenschaften  („Artel") 
betrieben,  wobei  der  Besitzer  der  Netze  die  Hälfte  des  Ertrages  ftlr  sich  in 
Anspruch  nimmt,  während  sich  die  übrigen  15  —  24  Teilnehmer  mit  der 
anderen  Hälfte  begnügen.  An  anderen  Orten  ist  diese  primitive  Organisation 
schon  vor  der  modernen,  rein  kapitalistischen  gewichen. 

Auch  die  gewerbliche  Jägerei  hat  ihre  größte  wirtschaftliche  Bedeutung 
im  waldreichen  Olonetzgebiet,  wo  etwa  70  000  Bauern  damit  beschäftigt  sind. 
Allein  in  Kargopol  werden  jährlich  2  Mill.  Eichhömchenpelze  bearbeitet,  wobei 
Hunderte  von  Bauern töchtem  bei  12  stündiger  Arbeitszeit  mit  10 — 15  Pfennig 
Tageslohn  beschäftigt  werden.  Weitere  Jagdobjekte  sind:  Bär,  Wolf,  Fuchs, 
Marder  und  Hase.  Welche  Rolle  die  Zwischenhändler  auch  hier  spielen,  ist 
aus  dem  Umstände  zu  ersehen,  daß  sie  vom  Volke  direkt  „die  Plünderer" 
genannt  werden. 

Um  die  Übersicht  über  die  Gewinnimg  der  Rohprodukte  abzuschließen, 
mag  noch  erwähnt  werden,  daß  das  in  Rede  stehende  Gebiet  mit  Mineral- 
schätzen verhältnismäßig  reichlich  bedacht  ist.  Namentlich  sind  es  Eisen- 
erze, die  in  der  Form  von  Sumpf-  und  Seeerz  in  Olonetz  eine  weite  Ver- 
breitung haben.  Auch  Magneteisen  und  Eisenglanz  kommen  vielfach  vor. 
Seit  dem  Jahre  1702  war  der  Staat  unermüdlich  um  die  Förderung  der 
Metallgewinnung  besorgt.  Die  Hauptstadt  von  Olonetz,  Petrosawodsk,  nahm 
ihren  Ursprung  von  einer  der  staatlichen  Gießereien.  Doch  ist  auch  heute 
noch  die  Produktion  keineswegs  groß.  Im  Gouvernement  Petersburg  hat 
dagegen  die  Gewinnimg  des  Kalksteins  für  Bauzwecke  einen  großen  Auf- 
schwung genommen  und  wird  in  manchen  Distrikten  auf  kapitalistischer  Basis 
betrieben.  Guter  feuerfester  Ton  wird  im  Gouvernement  Nowgorod  ge- 
wonnen, Torf  in  großen  Mengen  eigentlich  erst  in  neuester  Zeit  unweit  von 
Petersburg,  wo  eine  Fabrik  über  ein  5000  Dessätinen  umfassendes  1 — 2  m 
mächtiges  Torflager  verfügt.  Es  werden  von  der  Dessätine  im  allgemeinen 
bis  zu  1,200  Kubikklafter  gewonnen. 

Der  große  Waldreichtum   und   die   zahlreichen    Flüsse   und  Kanäle,    die 

das  Gebiet  zum  Durchgangsland  stempeln,   bedingen  es,  daß  ein  großer  Teil 

der  ländlichen  Bevölkerung  beim  Export  des  Holzes  und  beim  Schiffsverkehr 

schäftigung   findet.     Der    dadurch    erzielte  Verdienst    ist  aber  sehr  gering 

35 — 40  Rubel    im  Jahr)    und    die  Ausbeutung    der  Arbeiter   durch  die 


Das  Seengebiet  des  nordwestlichen  Rußland.  283 

Werkflihrer  grenzenlos.  Erwähnenswert  ist,  daß  an  der  überaus  schweren 
Arbeit  des  Auf-  und  Abiadens  der  Schiffe  das  weibliche  Geschlecht  mit  40  7o 
der  Gesamtzahl  beteiligt  ist,  sowie  daß  unter  den  2000  Personen,  die  im  Gou- 
vernement Petersburg  beim  Ziehen  der  Lastschiffe  in  den  Kanälen  beschäftigt 
sind,  25  7o  Minderjährige  sind. 

Die  Hausindustrie  hat  im  Seengebiet  keine  so  große  Bedeutung  erlangt, 
wie  etwa  im  Moskauer  Industriegebiet.  Am  meisten  entwickelt  ist  sie  in 
Nowgorod  und  Petersburg,  am  wenigsten  in  Pskow.  Sie  erstreckt  sich  auf 
Holzbearbeitimg,  Textil-,  Metallbearbeitung,  Verarbeitung  von  Mineralstoffen 
und  tierischen  Produkten  und  andere  Branchen.  Die  Lage  des  Hausindustriellen 
ist  überaus  beklagenswert:  Bei  der  Beschaffung  des  Rohmaterials  steht  ihm 
keine  Kreditgenossenschaft  zur  Seite;  keine  Gewerbeschule  sorgt  für  eine 
höhere  Ausbildung  seiner  Fertigkeiten,  weshalb  die  Fabrikate  äußerst  niedrig 
bewertet  werden  und  nur  die  bescheidensten  Ansprüche  zu  befriedigen  ver- 
mögen; nie  vermag  er  mit  dem  Konsumenten  in  direkte  Verbindung  zu  treten: 
das  alles  ist  eine  Folge  der  Ausbeutung  durch  den  Zwischenhändler  und 
macht  einen  weiteren  Fortschritt  immöglich.  Zwar  versuchte  das  Zemstwo 
(Landschafts Vertretung)  Abhilfe  zu  schaffen,  aber  die  Geldmittel  und  die 
Wirkungssphäre  dieses  einzigen  russischen  Selbstverwaltungskörpers  werden  in 
letzter  Zeit  so  sehr  eingeschränkt,  daß  er  auch  nach  dieser  Richtung  kaum 
eine  größere  Wirksamkeit  entfalten  kann. 

Die  Großindustrie  des  Gebiets  ist  eigentlich  auf  das  Gouvernement 
Petersburg  beschränkt.  Von  der  etwa  200  Mill.  betragenden  Gesamtproduktion 
der  Fabriken  entfallen  95%  a^^  <ias  Gouvernement  Petersburg.  Nowgorod 
ist  mit  37j7o»  Pskow  und  Olonetz  mit  je  1%  beteiligt.  An  erster  Stelle 
steht  die  Bearbeitung  der  Baumwolle,  die  etwa  22%  der  Gesamtproduktion 
ausmacht  und  über  20  000  Arbeiter  beschäftigt;  ihr  gegenüber  treten  die 
übrigen  Zweige  der  Textilindustrie  (Wolle,  Leinfaser  u.  a.)  mit  einem  Anteil 
von  8%  und  etwa  9000  Arbeitern  zurück.  Die  zweite  Stelle  nimmt  die  Metall- 
bearbeitung ein,  welche  20  7o  ^^^r  Gesamtproduktion  und  etwa  20  000  Ar- 
beiter aufweist.  An  dritter  Stelle  kommt  die  Industrie  der  Nahrungs-  und 
Genußmittel  (18%  der  Gesamtproduktion  und  15  000  Arbeiter),  dann  folgen: 
Chemische  Industrien  (10  7o  ^^^  8000  Arbeiter),  Papierfabrikation  und  poly- 
graphische Industrien  (8  %  und  10  000  Arbeiter),  Verarbeitung  von  tierischen 
Produkten  (8  7o  ^"^  5000  Arbeiter)  u.  s.  w.  Die  Gesamtzahl  der  Fabrik- 
arbeiter wird  zu  105  000  angegeben,  darunter  27%  Frauen  (in  der  Textil- 
industrie 43 — 48  7o)  ^^^  ®*'Wa  7%  Minderjährige  und  Kinder.    . 

Die  „auswärtigen  Gewerbe"  spielen  in  diesem  Gebiet  keine  so  große 
Rolle  wie  im  Moskauer.  Doch  sind  auch  hier  10  7o  ^^r  Gesamtbevölkerung, 
oder  20%  der  erwachsenen  arbeitsfähigen  Bevölkerung  darauf  angewiesen, 
alljährlich  für  längere  oder  kürzere  Zeit  ihre  Dorfgemeinde  zu  verlassen  und 
in  mehr  oder  weniger  weit  entlegenen  Städten  und  Landgütern,  vor  allem 
aber  in  der  Residenz,  Arbeit  zu  suchen.  Die  Auswanderung  läßt  sich  zeit- 
lich in  zwei  Hauptwellen  auseinanderhalten:  nach  Abschluß  der  Feldarbeit, 
im  August  bis  September  ziehen  diejenigen  aus,  die  im  Winter  in  den  Städten 
irgend  eine  Beschäftigung  zu  finden  hoffen  (als  Hausgesinde,  Fuhrleute,  Hand- 


284      S.  Tschulok:  Das  Seengebiet  des  nordwestlichen  Rußland. 

langer,  Fabrikarbeiter  u.  s.  w.);  im  April  wandern  diejenigen,  die  einerseits  bei 
den  städtischen  Sommerarbeiten  (beim  Bau  und  der  Ausbesserung  der  Häuser 
und  beim  Straßenpflastem),  anderseits  bei  dem  intensiven  Verkehr  auf  den 
Wasserstraßen  und  endlich  bei  den  landwirtschaftlichen  Arbeiten  der  großen 
GutsheiTcn  ihren  Nebenverdienst  suchen.  Daß  es  bei  dieser  völlig  ungeord- 
neten Bewegung  nicht  allen  glückt,  zeigen  die  Schiffbrüchigen,  die  zuweilen 
allein  mit  Hilfe  des  Betteins  ihren  Heimweg  zurückzulegen  vermögen.  Hin 
und  wieder  werden  die  Scharen  der  zu  Fuß  heimkehrenden  Landarbeiter  von 
vorüberrollenden  leeren  Güterzügen  eingeholt:  ein  Platz  wird  ihnen  nicht  ge- 
boten, obwohl  sie  das  Fahrgeld  in  Form  von  „staatlicher  Subvention  an  die 
Eisenbahn"  sicher  bezahlt  haben! 


Geographische  Neuigkeiten. 


Allgemeines. 

♦  Ein  Staub  fall,  ähnlich  dem  vom 
März  1901,  ist  vom  21.  bis  28.  Februar 
1903  in  Mitteleuropa  niedergegangen. 
Soweit  sich  bis  jetzt  hat  feststellen  lassen, 
wurde  der  Staubfall  in  Wales  und  Süd- 
england, Nordfirankreich,  Belgien,  Holland, 
Schweiz,  Österreich,  Deutschland  und 
Dänemark  beobachtet.  Bei  uns  in  Nord- 
deutschland trat  dieser  Staubfall  etwas 
anders  auf  als  im  März  1901;  er  wurde 
nicht  bloß  durch  Niederschläge  herab- 
gebracht, sondern  die  staubführende  Luft- 
schicht, die  meist  als  gelbliche  Nebel- 
wolke geschildert  wird,  senkte  sich  bis 
zum  Erdboden  herab,  machte  die  Luft 
sehr  undurchsichtig  und  brachte  den 
Staub  durch  offene  Fenster  in  die  Wohn- 
räume herein.  An  verschiedenen  Orten 
im  östlichen  Teile  des  Staubfallgebietes 
scheint  zweimal  Staub  gefallen  zu  sein, 
in  der  Nacht  vom  21.  zum  22.  und  in  der 
nächstfolgenden  Nacht  bezw.  am  friihen 
Morgen  des  23.  Februar.  In  ursächlichem 
Zusammenhange  mit  dem  Staubfall  steht 
offenbar  die  plötzliche  Steigerung  der 
Temperatur  und  das  Sinken  der  relativen 
Feuchtigkeit,  das  zum  erstenmal  in  der 
Nacht  vom  21.  zum  22.  und  dann  noch 
stärker  in  den  Tagesstunden  des  23.  ein- 
trat. Die  Temperatur  stieg  rasch  auf  lo 
bis  18  **,  die  Feuchtigkeit  sank  bis  zu  40  7,„ 
und  man  hatte  allgemein  das  Gefühl, 
plötzlich  nach  viel  südlicheren  Regionen 
versetzt  zu  sein.  Am  folgenden  Tage,  am 
24.  Februar,  war  Temperatur  und  Feuch- 
tigkeit auf  die  normalen  Werte  zurück- 


gegangen^ ohne  daß  die  Windrichtung 
sich  wesentlich  geändert  hatte.  Aus  Nord- 
deutschlandstammende Staubproben  sehen 
fast  genau  so  aus  wie  diejenigen  des 
Staubfalles  vom  März  1901,  dessen  afri- 
kanische Herkunft  als  erwiesen  angenom- 
men werden  darf;  auch  eine  sehr  gute 
Staubprobe,  die  Forel  aus  Couvet  im  Jura 
von  dem  daselbst  am  22.  Februar  ge- 
fallenen Staube  erhalten  und  untersucht 
hat,  führt  zu  der  Annahme,  daß  der  ge- 
fallene Staub  afrikanischen  Ursprungs  ist. 
Der  Weg,  den  der  Staub  von  seinem  Ur- 
sprungsorte nach  dem  Niederschlagsgebiete 
genommen  hat,  unterscheidet  sich  aber 
wesentlich  von  dem  geraden  und  ein- 
fachen Weg  von  S.  nach  N.  im  März  1901. 
Da  nämlich  Italien  selbst  vom  Staubfall 
nicht  betroffen  wurde  und  am  Tage  des 
Staubfalles  südlich  vom  Staubfallgebiet 
eine  weite  Zone  hohen  Luftdrucks  lag, 
kann  der  Staub  den  einfachen  südnörd- 
lichen Weg  nicht  genommen  haben,  man 
muß  vielmer  annehmen,  daß  der  Staub 
durch  den  starken  und  breiten  südwest- 
lichen Luftstrom  herangeführt  wurde,  der 
an  jenen  Tagen  ganz  Mitteleuropa  über- 
wehte und  vielfach  stürmisch  auftrat.  Es 
ist  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich,  daß 
der  Staub  auf  einem  großen  Umwege  aus 
Afrika  zu  uns  gelangt  ist,  nämlich  im 
weiten  Bogen  um  das  über  der  Iberischen 
Halbinsel  lagernde,  ungewöhnlich  hohe 
Maximum.  Am  18.  und  19.  Februar  lag 
zwischen  Madeira  und  den  Kanarischen 
Inseln  eine  Depression,  die  nordwärts  zog, 
und    sich   bereits   am  21.  mit   einer  die 


Geographische  Neuigkeiten. 


285 


Azoren  berührenden  Södwestströmung  ver-  | 
einigt  hatte.  Führte  also  jener  von  den 
Kanaren  nordwaxts  ziehende  Lnftwirbel 
Stanb  mit  sich,  dann  konnte  dieser  anch 
in  der  angedeuteten  Weise  nach  Mittel- 
europa transportiert  werden.  Briefliche 
Nachrichten  aus  Orotava  auf  Tenerifa, 
nach  denen  am  19.  Febr.  ein  ungewöhn- 
lich heftiger  Staubsturm  auf  Tenerifa 
herrschte,  bestätigen  diese  Annahme  und 
damit  die  Richtigkeit  der  Hypothese. 
Nach  diesen  vorläufigen  Ergebnissen  kann 
man  schon  als  erwiesen  annehmen,  daß 
Staub,  Wärme  und  Trockenheit  vom  21. 
bis  23.  Februar  1903  in  Mitteleuropa  afri- 
kanischen Ursprungs  waren.  (Met.  Zeitschr. 
1903.  S.  133.) 

♦  Auf  Veranlassung  des  Herrn  Prof. 
Dr.  0.  Fetter ßon  in  Stockholm  sind 
während  des  Jahres  1900  im  Genfer  See, 
Loch  Katrine,  Wetternsee,  Mjösensee, 
Ladogasee  und  Enaresee  in  den  vier 
Jahreszeiten  gleichzeitige  Unter- 
suchungen der  Wärmeverteilung 
vorgenommen  worden,  über  welche  Forel 
in  den  Archives  des  sc.  phys.  et  nat. 
4»ne  p.  t.  XII  und  Petterßon  in  der  k. 
Svenska  Vet.  Akad.  Handlingar  Bd.  28 
(1902)  berichtet  haben.  Die  beiden  be- 
merkenswertesten Resultate  sind,  daß  die 
nördlicher  gelegenen  Seen  im  Laufe  des 
Sommers  mehr  Wärme  erhalten  haben 
als  diejenigen  in  mittlerer  Breite  gelegenen 
und  daß  die  jährlichen  Schwankungen  in 
der  Wärme  des  Wassers  bei  dem  Genfer 
See  schon  zwischen  100 — 150  m  Tiefe 
aufhören,  während  sie  in  den  nördlicheren 
Seen  weit  tiefer  herabgehen  und  zum  Teil 
selbst  auf  dem  Grunde  des  Sees  nicht 
endigen.  Im  Enaresee  erreicht  die  jähr- 
liche Differenz  der  Temperatur  in  einer 
Tiefe  von  nur  80  m  den  enormen  Betrag 
von  8,4  ^  während  sie  beim  Genfer  See 
in  derselben  Tiefe  nur  0,3**  beträgt. 
Diese  unerwarteten  Resultate  werfen  auf 
gewisse  Erscheinungen  der  Elimatologie 
ein  ganz  neues  Licht  und  haben  selbst 
einen  Meteorologen  wie  W  o  e  i  k  o  f  f  (Zeit- 
schrift für  Gewässerkunde  V,  4)  in  großes 
Erstaunen  versetzt.  Die  Resultate  gleich- 
zeitiger thermischer  Untersuchungen  in 
Meeresteilen  sind  weniger  greifbar,  weil 
durch  die  Meeresströmungen  und  den 
Wechsel  der  Salinität  die  Ursachen  der 
Wärmeverteilung  zu  sehr  kompliziert 
werden.  W.  H. 


Deutsetaland  und  Nactabarländer. 

*  Gleichzeitig  mit  der  VII.  Versamm- 
lung deutsch  er  Historiker  zuHeidel- 
berg vom  14.  bis  18.  April  d.  J.  hielten 
die  landschaftlichen  Publikations- 
institute Konferenzen  ab,  unter  Lei- 
tung von  Prof.  Lamprecht,  der  einen 
Überblick  über  das  bisher  Geleistete  gab 
und  vor  allem  die  Erweiterung  vom  Linear- 
Problem  der  Grenze  zum  Flächen-Problem 
forderte  und  als  Ziel  die  Vereinigung 
beider  Probleme  hinstellte.  In  das  bisher 
schon  Erreichte  gewährte  eine  sehr  lehr- 
reiche Ausstellung  historischer 
Kartenwerke  und  ihrer  Erläuterungen 
einen  guten  Einblick,  zeigte  aber  auch, 
daß  die  Probleme  bisher  von  den  ver- 
schiedensten Stellen  in  ganz  verschiedenem 
Sinn  zu  lösen  versucht  wurden.  Die 
Gesellschaft  für  rheinische  Geschichts- 
kunde hatte  historisch-statistische  Grund- 
karten von  Gebieten  der  heutigen  Rhein- 
provinz ausgestellt,  die  in  dem  bunten 
Flächen-  und  Streifenkolorit  die  frühere 
territoriale  Zersplitterung  der  Rheinlande 
deutlich  zur  Anschauung  brachten;  die 
Arbeitsweise  und  die  methodischen  Grund- 
sätze wurden  durch  Referate  von  Prof 
Hansen  aus  Köln,  Dr.  Fabricius  aus 
Darmstadt,  Dr.  Forst  aus  Zürich  erläu- 
tert. Privatdozent  Dr.  Kötzschke  aus 
Leipzig  erklärte  die  für  Teile  der  Provinz 
Sachsen,  besonder«  den  Nord-Thüringgau 
von  der  Stadt  Quedlinburg  herausgegebenen 
Wüstungskarten,  die  das  Terrain  in  Höhen- 
schichten, die  verlassenen  oder  zerstörten 
Siedelungen  jeder  Art  durch  rote  Signa- 
tur geben,  und  bot  dann  einen  sehr  lehr- 
reichen Überblick  über  die  Kartographie 
der  Gebiete  des  ehemaligen  Kurfürsten- 
tums und  heutigen  Königreichs  Sachsen, 
wo  schon  vor  200  Jahren  eine  syste- 
matische Landesaufnahme  stattgefunden 
hatte,  die  für  die  jetzt  vom  historisch- 
geographischen Institut  der  Universität 
Leipzig  unter  Leitung  des  Referenten  in 
Angriff  genommene  Bearbeitung  der  histo- 
rischen Grundkarte  Kursachsens  eine  von 
anderen  deutschen  Landschaften  sehr  ent- 
behrte, allerdings  nur  z.  T.  unbedingt 
zuverlässige  Grundlage  abgibt.  Das  würt- 
tembergische statistische  Landesamt  hatte 
Flurkarten  ausgestellt,  Prof.  Thudichum 
in  Tübingen  rechtsgeschichtliche  Grund- 
karten der  oberen  Main-  und  Neckar- 
gegenden,  Prof.  Lorentzen   in  Heidel- 


286 


Geographische  Neuigkeiten. 


berg  eine  Gan-Earte  der  unteren  Main- 
Neckargegenden  ums  Jahr  1000.  Am  leb- 
haftesten aber  wurde  das  Interesse  des 
Geographen  erregt  durch  die  von  Prof. 
Eduard  Richter  veranstaltete  Ausstel- 
lung, die  zeigen  sollte,  wie  im  Grazer 
geographischen  Institut  am  historischen 
Atlas  der  österreichischen  Alpenländer 
gearbeitet  wird  und  wie  das  Werk  allmäh- 
lich entsteht;  bis  jetzt  liegt  Blatt  Salzburg 
(mit  Erläuterungen  von  Richter)  vollendet 
vor.  Diese  Karten  geben  keine  Abgren- 
zung einzelner  Territorien,  sondern  stellen 
die  alten  Landgerichte  dar,  die  Einheiten 
der  Kriminalgerichts- Verwaltung,  die  auf 
die  alten  Grafschaften  und  damit  wieder 
auf  Zenten  der  alten  Gaue  zurückgehen. 
Die  hier  ausgestellten  vollendeten,  vor 
allem  aber  die  noch  in  Arbeit  befind- 
lichen Blätter  ließen  die  durch  Aufnahme 
der  Geländedarstellung  in  die  hi- 
storischen Karten  gerade  für  ältere 
Zeiten  so  wichtige  Bedeutung  der  Boden- 
beschaffenheit ins  hellste  Licht  treten. 
Prof.  V.  Zwiedineck-Südenhorst  gab 
die  nötigen  Erläuterungen.  Übrigens 
hofft  Richter  auf  dem  Kölner  Geogra- 
phentag über  seinen  Atlas  selbst  sprechen 
zu  können;  dann  werden  auch  die  Geo- 
graphen von  Fach  Einblick  in  dies  schöne 
Werk  nehmen.  F.  Th. 

Übriges  Europa. 

♦  A.DelebecquehatseineForschungen 
über  Spuren  ehemaliger  Vergletsche- 
rung im  französischen  Jura  (vgl. 
Geogr.  Zeitschr.  Bd.  VI.  S.  640)  fortgesetzt 
und  auf  das  Flußgebiet  des  Ain  ausge- 
dehnt. Dasselbe  ist  nach  ihm  der  Schau- 
platz zweier  zeitlich  auseinanderfallender 
glacialer  Erscheinungen  gewesen.  Die  erste 
zeigt  sich  in  Ablagerungen  von  Moränen 
in  den  Tälern  des  Ain  und  seiner  beiden 
Zuflüsse,  der  Bienne  und  des  Oignin, 
welche  sich  bis  60  m  über  dem  Lac  de 
Chalain  erheben,  der  mit  ihnen  gleich- 
zeitig entstanden  zu  sein  scheint.  Diese 
Ablagerungen  bilden  eine  nahezu  kom- 
pakte Masse,  besitzen  aber  weder  End- 
moränen noch  fluvioglaciale  Terrassen.  Die 
zweite  glaciale  Erscheinung  wird  charak- 
terisiert durch  einen  Stillstand  der  Glet- 
scher des  Ain,  des  H^risson,  der  Syr^ne 
und  des  Drouvenant  in  der  Combe  d'Ain, 
welche  die  moränenartigen  Ablagerungen 

^erkstelligen,  die  zur  Bildung  der  Seen 


von  Chamblj,  Val,  Clairvaux  und  Nantua 
führten  und  deren  Spuren  auch  an  einem 
erloschenen  See  im  Tal  der  Seille  deut- 
lich sichtbar  sind.  Es  bleibt  ungewiß, 
ob  diese  Endmoränen  einer  besonderen 
Vergletscherungsperiode  angehören  oder 
nur  Etappen  im  Rückzug  einer  allgemei- 
neren Eiszeit  bedeuten.  W.  H. 

Asien« 

t  Eine  Elbrusbesteigung.  Oberst- 
leutnant Nowizki  hat  nach  einem  in  der 
Kais.  Russ.  Geograph.  Gesellschaft  ge- 
haltenen Vortrag  im  vorigen  Jahre  von 
Kislowodsk  aus  zwei  Touren  zum  Elbrus 
gemacht :  die  erste  zum  Studium  der  End- 
moränen der  Gletscher;  die  zweite  mit 
der  von  Erfolg  gekrönten  Absicht,  den 
Gipfel  des  Berges  zu  erreichen.  Er  traf 
am  20.  August  im  Dorf  Urusbiewo  ein, 
mietete  hier  Führer  und  Träger  —  was 
bei  der  mangelnden  Neigung  der  Gorzen, 
die  Bergriesen  zu  erklettern,  einigermaßen 
schwer  hielt  —  und  trat  am  28.  den  Auf- 
stieg an.  Der  Weg  führte  über  nackten 
Fels  und  Trümmerfelder  bis  zur  unteren 
Schneegrenze  in  einer  Höhe  von  8600  m; 
hier  wurde  genächtigt.  Bei  noch  voll- 
kommener Dunkelheit  wurde  am  andern 
Morgen  aufgebrochen  und  das  ausgedehnte 
Schneegebiet  betreten.  War  auch  bei  der 
geringen  Zahl  ganz  steiler  Flächen  und 
dem  gänzlichen  Fehlen  von  Gletscher- 
spalten der  Aufstieg  nicht  allzu  gefähr- 
lich, so  bereitete  doch  die  Ausdehnung  des 
Schneegebietes  nicht  geringe  Schwierig- 
keiten, weil  das  Steigen  in  dem  lockeren 
und  nach  Sonnenaufgang  an  der  Ober- 
fläche tauenden  Schnee  überaus  ermüdend 
war.  Dazu  erzeugten  die  dünne  Luft  und 
die  sengende  Hitze  der  Sonnenstrahlen 
brennenden  Durst.  Stellenweise  mußten 
die  Bergsteiger  nach  40 — 50,  ja  sogar 
nach  10  Schritten  anhalten.  In  etwa 
4600  m  Höhe  wurde  die  letzte  größere 
Rast  gemacht  und  alsdann  mit  neuen 
Kräften  die  letzte  Strecke  erklettert. 
Nach  genau  zwölfstündigem  Marsch  wurde 
der  eine  Gipfel  des  Elbrus  erreicht.  Beide 
Gipfel,  erloschene  Krater,  sind  knapp 
1  Yj  km  von  einander  entfernt.  Der  Durch- 
messer des  westlichen  Kraters  ist  etwa 
500  m,  der  des  anderen  300  m  groß ;  ersterer 
liegt  etwas  höher.  Der  Blick  vom  Elbrus 
enttäuscht  etwas.  Nur  nach  Osten  ist  die 
Aussicht  gut;  man  hatte  endlose  Schnee- 


Geographische  Neuigkeiten. 


287 


Felder  bis  zum  Kasbek  vor  sich,  im  Westen 
erschien  ein  Streifen  des  Schwarzen  Meeres. 
—  Kurz  nach  3  Uhr  v/urde  der  Abstieg 
angetreten,  wobei  es  sich  als  sehr  schwierig 
erwies,  den  eigenen  Sparen  zu  folgen. 
Erst  mit  einbrechender  Dämmerung  ge- 
langte Nowizki  zur  Stelle  seines  Nacht- 
lagers, am  folgenden  Tage  zum  Ausgangs- 
punkt seiner  Bergfahrt,  ürusbiewo.  („In- 
valid" 48.  03.)  T. 

i¥  Im  Frühjahr  und  Sommer  dieses 
Jahres  sollen  die  Vorarbeiten  für  eine 
Wegeverbindung  zwischen  Jakutsk 
und  dem  Hafen  Ajan  am  Ochotski- 
schen  Meere  ausgeführt  werden.  Sie  sind 
einer  Expedition  unter  dem  Civil  Ingenieur 
Popöff  übertragen,  welcher  dafür  4000 
Rubel  erhält.  Die  Arbeiten  werden  ^ich 
vornehmlich  auf  die  Erkundung  eines 
fahrbaren  Weges  zwischen  Ajan  und 
Nelkan  an  der  Maja  (einem  schiffbaren 
Nebenfluß  des  Aldan,  welcher  etwa  130  km 
unterhalb  Jakutsk  in  die  Lena  mündet) 
zu  erstrecken  haben.  Hier  ist  das 
Jablonowy-Gebirge,  die  auf  760—1300  m 
Kammhöhe  nahe  dem  Meere  verlaufende 
Wasserscheide  zwischen  dem  Ochotski- 
schen  Meere  und  dem  Lenasjstem,  zu 
überschreiten,  während  die  Strecke  von 
Nelkan  ab  auch  zu  Lande  geringere 
Schwierigkeiten  bietet  und  von  Ustj- 
Maiskaja,  der  Mündung  der  Maja,  bereits 
ein  Weg  bis  Jakutsk  vorhanden  ist. 
Eine  direkte  fahrbare  Wegeverbindung 
von  Jakutsk  nach  dem  Meere  und  zwar 
nach  Ajan,  als  dem  besten  Hafen,  ist  von 
der  größten  Wichtigkeit  für  das  von  der 
Natur  so  stiefmütterlich  bedachte  Gouver- 
nement Jakutsk.  Dem  entsprechend  ist 
über  den  des  öfteren  bereits  durch  Expe- 
ditionen studierten  Ajan-Trakt  eine  kleine 
Literatur  entstanden  und  im  Jahre  1894/95 
ein  detailierter  Voranschlag  für  einen  fahr- 
baren Landweg  Nelkan-Ajan  aufgestellt 
worden.  Die  Kosten  dafür  sollten  sich 
auf  reichlich  400000  Rubel  belaufen.  („In- 
valid".) T. 
Afk'ika. 

i<  Die  Erforschung  des  Tuareg- 
Plateaus  in  der  West-Sahara,  welche 
seit  der  Niedermetzelung  der  Expedition 
Flatters  i.  J.  1881  vollständig  geruht  hat, 
hat  in  den  letzten  Jahren  in  Folge  des  be- 
waffneten Vordringens  der  Franzosen  von 
Algerien  in  der  Richtung  auf  Timbuktu 
schnelle  Fortschritte  gemacht.    Nachdem 


erst  auf  Seite  226  über  eine  Erkundung 
des  Muidir-Plateaus  berichtet  worden  ist, 
bringen  jetzt  die  Annales  de  Geographie 
(1903.  S.184)  Mitteilungen  über  eine  Reise 
in  den  zentralsten  Teil  des  Tuareg-Massivs. 
Auf  einer  Strafexpedition  begriffen,  drang 
der  Leutnant  Guillo-Lohan  von  In- 
Salah  südlich  über  Ideles,  Tazerout,  durch 
das  Tal  des  Tin  Tarabin  nach  Taman- 
rasseh  im  Süden  von  Atakor  n'Ahaggar, 
dem  Kulminationspunkt  des  Plateaus,  vor 
und  durchquerte  damit  das  Tuareg-Plateau 
in  nordwest-südöstlicher  Richtung.  Auf 
dem  Rückmarsch  durchschritt  Guillo- 
Lohan  das  Massiv  von  Atakor  n^Ahaggar 
von  Süd  nach  Nord  und  beendete  in  In 
Amguel  die  Expedition  nach  zweieinhalb- 
monatlicher Dauer.  Obschon  genauere 
Nachrichten  über  die  wissenschaftlichen 
Ergebnisse  der  Expedition  noch  nicht  vor- 
liegen, so  läßt  doch  die  große  Zahl  der 
mitgebrachten  Photographien  undQesteins- 
proben  einen  wesentlichen  Fortschritt  un- 
serer Kenntnis  der  Sahara  erwarten.  Die 
Höhe  des  Berges  Häman  in  Atakor  n*Aha- 
ggar,  der  bis  zu  2600  m  erstiegen  wurde, 
schätzt  der  Reisende  auf  mehr  als  3000  m. 
Für  die  Trockenheit  und  den  Wüsten- 
charakter der  durchreisten  Gegend  mag 
als  charakteristisch  erwähnt  werden,  daß 
Guillo-Lohan  in  In  Amguel  infolge  hef- 
tiger Regengüsse  und  plötzlicher  Wasser- 
hervorbrüche in  den  Wadis  zeitweilig  am 
Weitermarsch  verhindert  wurde;  auch  sah 
er  große  Herden  von  Schafen,  Rindvieh 
und  Kamelen. 

♦  Zur  vollständigen  Erforschung 
des  noch  unbekannten  Oberlaufes  des 
Blauen  Nils  hat  sich  im  März  der  Eng- 
länder Mac  Millan  nach  Abessinien  ein- 
geschifft. Es  handelt  sich  hierbei  um  die 
im  abessinischen  Hochlande  gelegene 
Flußstrecke  zwischen  dem  Tana-See  und 
Famaka,  die  zwar  schon  öfters  und  an 
verschiedenen  Stellen  von  Forschungs- 
reisenden überschritten  worden  ist,  deren 
Verlauf  im  einzelnen  und  deren  Fluß- 
charakter aber  noch  in  Dunkel  gehüllt 
ist.  Durch  die  vom  Tana-See  flußabwärts 
bis  zur  Einmündung  in  den  Weißen  Nil 
beabsichtigte  Reise  soll  besonders  fest- 
gestellt werden,  ob  der  Fluß  auf  dieser 
ungefähr  1000  englische  Meilen  langen 
Strecke  schiffbar  ist  und  ob  auf  diesem 
Wege  eine  Verbindung  zwischen  dem 
ägyptischen   Sudan    und    dem   zentralen 


288 


Geographische  Neuigkeiten. 


Abessinien  hergestellt  werden  könnte.  Da 
aber  der  Tana-See  in  1750  m  und  Famaka  i 
in  640  m  Meereshöhe  liegt,  hat  der  Fluß 
innerhalb  des  abessinischen  Hochlandes 
eine  Höhendifferenz  von  1110  m  zu  über- 
winden, muß  also  ein  sehr  starkes  Gefälle 
haben,  das  eine  Flußschiffahrt  hier  kaum 
zulassen  wird.  Mac  Mi  Hau  führt  vier 
Stahlplattenboote  mit  sich,  die  mit  luft- 
dichten Abteilungen  versehen  und  daher 
besonders  schwimmfö.hig  sind;  diese  wer- 
den auf  Maultieren  zum  Tana-See  trans- 
portiert und  von  hier  aus  wird  dann  die 
Fahrt  flußabwärts  nach  Chartura  ange- 
treten werden. 

♦  Die  zur  Erforschung  und  Er- 
schließung des  Kamerun-Schutz- 
gebietes ins  Werk  gesetzten  Unter- 
nehmungen sind  glücklich  zu  Ende  geführt 
worden.  So  hat  die  im  September  v.  J. 
durch  das  Kameruner  Eisenbahn-Syndikat 
nach  Kamerun  entsandte  Forschungs- 
expedition (s.  G.  Z.  1902.  S.  650)  ihre 
Arbeiten  unter  der  Führung  des  Stations- 
leiters Romberg  und  der  Regierungs- 
baumeister Neumann  und  Reichow 
nach  Überwindung  großer  Hindemisse 
glücklich  und  erfolgreich  beendet.  Die 
Expedition  hat  die  ganze  Balistraße  bis 
nach  Tinto-Bafut  sowie  das  Bakossi-  und 
Manengubagebiet  bis  zum  Beginn  des 
Graslandes  im  Nordwesten  der  Kolonie 
untersucht  und  die  Trassierung  einer 
Strecke  von  rund  360  bis  400  km  der  zu 
erbauenden  Eisenbahn  vollendet.  Auf 
ihrem  Marsche  sind  weite  Strecken  bis- 
her ganz  unerforschten  Gebietes  durch- 
quert worden.  Sie  fand  im  Innern  des 
Schutzgebietes  überall  sehr  fruchtbares 
Land  und  eine  zahlreiche  aufgeweckte, 
wohlhabende  Bevölkerung.  Die  Arbeiten 
der  Expedition  haben  ergeben,  daß  in 
dem  unerforschten  Gebiet  alle  Grund- 
lagen für  die  Ertragsfähigkeit  der  zu  er- 
bauenden Eisenbahn  in  reichem  Maße- 
vorhanden sind.  Auch  in  technischer 
Hinsicht  liegen  die  Verhältnisse  recht 
günstig.  Die  {Expedition  hat  auch  be 
deutsame  geographische  Ergebnisse  ge 
liefert.  Sie  befindet  sich  zur  Zeit  zum 
Studium  der  großen  Kongo-Eisenbahn  im 
Kongostaat  und  wird  alsbald  die  Heim- 
reise antreten. 

Die  Expedition  des  deutschen  Niger- 
Benue-Tschadsee-Comitds,  die  sich  mit 
90  TiUgern  Anfang  September  in  Garua 


in  Bewegung  setzte  (s.  G.  Z..  1902.  S.  598), 
hat,  wie  die  Kolonialgesellschafb  femer 
mitteilt,  nun  den  zweiten  Teil  ihrer  Auf- 
gabe, nämlich  die  Bereisung  und  Er- 
forschung der  Gegenden  um  den  oberen 
Benue,  erfüllt.  Mitte  Dezember  traf  die 
Expedition,  ohne  wesentliche  Zwischen- 
fälle gehabt  zu  haben,  in  Garua  wieder 
ein.  Gama  ist  ein  aufstrebender  Ort  von 
2500  Einwohnem,  der  dereinst  berafen 
sein  dürfte,  Yola  den  Rang  abzulaufen, 
das  schon  jetzt  bedeutend  verloren  hat, 
seit  es  seiner  politischen  Bedeutung  für 
Adamaua  entkleidet  worden  ist.  Die  Er- 
folge der  Expedition  liegen  in  der  Haupt- 
sache auf  geographischem  Gebiete.  Es 
wurde  eine  bis  dahin  als  weißer  Fleck 
auf  der  deutschen  Kamerunkarte  gekenn- 
zeichnete unbekannte  Gegend  durchquert, 
ein  neuer,  nicht  unbedeutender  Nebenfluß 
des  Benue,  der  Mao  Shuffl,  entdeckt  und 
festgestellt,  daß  der  Benue  selbst  in 
seinem  Oberlauf  bedeutend  weiter  west- 
lich läuft,  als  auf  den  bisherigen  Karten 
angegeben  war. 

Nord-  and  Mittel-Amerika. 

♦  Am  25.  März  d.  J.  haben  Prof.  Dr. 
Karl  Sapper  aus  Tübingen  und  Dr. 
Georg  Wegener  aus  Berlin  den  Mont 
Pele  auf  Martinique  bestiegen  und  Tags 
darauf  einen  schönen  Ausbrach  des  Vul- 
kans vom  Observatorium  von  Fonds  S. 
Denis  aus  mit  angesehen.  Inzwischen  ist 
Sapper  von  seiner  Forschungsreise  (vgl. 
G.  Z.  1902.  S.  599)  vneder  glücklich  in  der 
Heimat  angelangt. 

Polargegenden. 

♦  DieForschungstätigkeit  in  der 
Arktis  wird  im  Sommer  1908  voraus- 
sichtlich wieder  lebhafter  werden,  als  sie 
es  in  den  letzten  Jahren  gewesen  ist. 
Außer  dem  Franzosen  Charcot  (s.  S.  228) 
plant  Commander  Peary ,  den  sein  voriger 
Mißerfolg  nicht  entmutigt  hat,  eine  neue 
Expedition  zur  Erreichung  des  Nordpols 
von  Nord-Grönland  aus  und  ist  gegen- . 
wärtig  mit  der  Zusammenbringung  der 
nötigen  Geldmittel  beschäftigt.  Ebenso 
ist  der  amerikanische  Mäcen  Ziegler 
durch  das  totale  Mißlingen  der  von  ihm 
vorzüglich  ausgerüsteten  Baldwin- Expe- 
dition nicht  entmutigt,  sondern  will  in 
diesem  Sommer  eine  neue  ebenso  gut 
ausgerüstete  Expedition  gegen  den  Nord- 


Geographische  Neuigkeiten. 


289 


pol  hin  vorschicken,  die  von  Tromsö  ihren 
Ausgang  nehmen  soll;  Führer  der  Expe- 
dition wird  Anthony  Fiala  sein;  wie 
der  Föhrer  so  werden  auch  alle  Teil- 
nehmer an  der  Expedition  einschließlich 
der  Schiffsmannschaft  Amerikaner  sein, 
um  Nationalitätsstreitigkeiten,  die  den 
Erfolg  in  Frage  stellen  könnten,  zu  ver- 
meiden. Das  Expeditionsschiff  „Amerika*^ 
ist  bereits  auf  dem  Wege  nach  Tromsö. 
Im  Frül^ahr  1903  gedenkt  sodann  auch 
Amundsen  seine  Expedition  zur  Be- 
stimmung des  magnetischen  Nordpols  (s.  G. 
Z.  1902.  S.  709)  anzutreten,  und  schließlich 
ist  auch  noch  der  schwedische  Botaniker 
Ekstam  mit  einem  Plane  zur  Erfor- 
schung des  unbekannten  und  anscheinend 
ganz  vereisten  nördlichen  Teiles  von 
Nowaja  Semlja  an  die  Öffentlichkeit  ge- 
treten. Der  Expedition  steht  ein  beson- 
deres Schiff  zur  Verfügung,  für  die  ge- 
planten Schlittenreisen  hofft  man  bei  den 
seit  einigen  Jahren  auf  Nowaja  Semlja 
angesiedelten  Samojeden  die  nötigen 
Hunde  zu  bekommen.  Ob  sich  die  Tätig- 
keit des  auf  der  Bennett-Insel  über- 
winternden Barons  von  Toll  auch  noch 
in  das  Jahr  1903  hinein  fortsetzen  wird, 
dürfte  von  den  Verhältnissen  abhängen, 
unter  denen  die  nicht  ganz  freiwillige 
Überwinterung  des  Forschers  zu  Ende  ge- 
führt werden  wird. 

♦  Die  deutsche  Expedition  auf 
den  Kerguelen  ist  Ende  März  wider 
Erwarten   auf  einem  deutschen  Dampfer 

•  nach  Sydney  zurückgekehrt;  ihr  Leiter, 
Dr.  Joseph  Enzensperger,  ist  am 
2  Februar  d.  J.  an  Beri-Beri  gestorben, 
Dr.  Werth  liegt  in  Sydney  krank,  be- 
findet sich  aber  Zeitungsnachrichten  zu 
Folge  auf  dem  Weg  der  Besserung, 
Dr.  Luyken  ist  gesund  auf  der  Heimreise. 

♦  Von  der  englischen  Südpolar- 
expedition hat  die  ihr  auf  der  „Mor- 
ning^*  nachgesandte  Hilf8expedition,welche 
nach  Erfüllung  ihrer  Aufgabe  am  25.  März 
nach  Lyttleton  zurückgekehrt  ist,  gün- 
stige Nachrichten  zurückgebracht, 
welche  recht  gute  Endergebnisse  der  Ex- 
pedition erwarten  lassen.  Der  Gesund- 
heitszustand der  Expeditionsmitglieder  war 
mit  wenigen  Ausnahmen  gut.  Leutnant 
Shakleton  wurde  während  einer  an- 
strengenden Schlittenreise  invalid  und 
kehrte  auf  der  „Moming**  nach  Hause 
zurück,    und    ein    Mitglied    der    Schiffs- 


bemannung ertrank  während  eines  hef- 
tigen Sturmes.  In  Folge  Verderbens  und 
dadurch  Ungenießbarwerdens  eines  Teils 
der  Konserven  litt  die  Mannschaft  vor 
Ankunft  der  „Moming"  etwas  Mangel; 
durch  die  Hilfsexpedition  konnten  jedoch 
alle  Nahrungsmittel  Vorräte  voll  ergänzt 
werden,  so  daß  die  Expedition  noch  einen 
Winter  in  der  Antarktis  zu  bleiben  be- 
schloß. In  dem  telegjraphischen  Bericht 
über  den  Verlauf  der  ^Ixpedition  ist  noch 
manches  unklar,  weil  durch  das  For- 
schungsgebiet der  180.  Längengrad  hin- 
durchgeht und  in  dem  Bericht  nicht  an- 
gegeben ist,  ob  die  mitgeteilten  Längen- 
angaben östlich  oder  westlich  von  Green- 
wich  gemeint  sind.  Bereits  Anfang  Ja- 
nuar 1902  drang  die  Expedition  bei  67** 
8.  Br.  in  das  Packeis  ein,  besuchte  Kap 
Adare,  Wood-Bay  und  unter  76^  30'  s.  Br. 
einen  vorzüglichen  Hafen  in  Viktoria- 
Land  und  legte  am  22.  Januar  beim  Kap 
Crozier  einen  Reisebericht  nieder.  Dann 
fuhr  die  „Discovery**  wieder  nordwärts 
und  später  der  großen  Eisbarriere  ent- 
lang ostwärts  bis  76**  s.  Br.  und  162*  30' 
ö.  L.  oder  fast  150  Meilen  weiter,  als 
man  bisher  in  dieser  Richtung  gekom- 
men war.  Bei  166**  ö.  L.  bog  die  Eis- 
mauer etwas  nach  Norden  um  und  das 
Wasser  wurde  seicht.  Von  dem  Rande 
der  Eismauer  zogen  sich  Schneefelder  zu 
einem  ausgedehnten,  stark  vergletscherten 
Land  hinauf,  auf  dem  hin  und  wieder 
nackte  und  zerrissene  Felsen  sichtbar  waren. 
Auf  der  Rückfahrt  fuhr  das  Schiff  bei 
174**  L.  in  eine  Öffnung  der  Eismauer  ein, 
und  eine  Schlittenexpedition  erforschte 
hier  das  Land  bis  78'»  60'  s.  Br.  Auf 
einer  Insel  in  der  Nähe  der  Mts.  Erebus 
und  Terror  fand  man  ausgezeichnete 
Winterquartiere  und  erforschte  die  Küste 
von  Viktoria-Land  bis  78**  50'  s.  Br.  Am 
24.  März  war  das  Schiff  eingefroren  und 
trotz  stürmischen  Wetters  verbrachte  die 
Expedition  den  Winter  ganz  leidlich;  das 
Thermometer  sank  bis  62  <*  unter  Null. 
Am  2.  September  begannen  die  Schlitten- 
reisen wieder,  von  denen  die  vom  Com- 
mander Scott,  Dr.  Wilson  und  Leut. 
Shakleton  unternommene  5)4  Meilen  süd- 
wärts bis  80 •  17'  s.  Br.  und  163«  L., 
nach  einer  späteren  Nachricht  sogar  bis 
82**  17'  s.  Br.  vordrang.  Auf  dieser 
Schlittenreise  gingen  alle  mitgenommenen 
Hunde  zu  Grunde,  so  daß  die  drei  Teil- 


Oeographiache  Zeitiohrift.  9.  Jahrgang.  1903.  5.  Heft. 


20 


290 


Geographische  Neuigkeiten. 


nehmer  gezwungen  waren,  die  Schlitten 
selbst  zum  Schiffe  zurückzuziehen^  wobei 
sich  Leut.  Shakleton  eine  ernstliche  Er- 
schütterung seiner  Gesundheit  zuzog.  Man 
fand,  daß  Viktoria- Land*  von  hohen  Ge- 
birgsketten durchzogen  wird,  welche  unter 
82*  s.  Br.  eine  Höhe  von  3—4000  m  er- 
reichen, und  von  einem  erklommenen 
Gletscher  aus  konnte  man  eine  weite 
Hochebene  von  3000  m  Höhe  erblicken. 
Die  Küstenlinie  sah  man  sich  in  ziemlich 
genau  südlicher  Richtung  wenigstens  bis 
83«  20'  s.  Br.  hin  fortsetzen.  Scott  ist 
der  Meinung^  daß  die  große  Eisbarriere 
schwimmt  und  mit  dem  Inlandeis  zu- 
sammenhängt. Außer  den  rein  geogra- 
phischen Ergebnissen  hat  die  Expedition 
auch  wertvolle  biologische,  erdmagnetische, 
ozeanographische,  meteorologische  und 
seismologische  Resultate  ergeben.  (Geogr. 
Joum.  1903.  S.  499.) 

i¥  Die  schottische  Südpolarexpe- 
dition auf  der  „Scotia"  hat  die  Reise 
vom  Cljde  nach  den  Falkland-Inseln  ohne 
jeden  Unfall  in  der  verhältnismäßig  kurzen 
Zeit  von  69  Tagen  zurückgelegt  und  ist 
am  6.  Januar  in  Stanley  Harbour  vor 
Anker  gegangen.  Auf  dieser  ganzen  Fahrt 
wurde  nur  in  Madeira,  St.  Vincent  und 
St.  Pauls  Land  berührt.  Nach  Ergänzung 
der  Proviant-  und  Kohlenvorräte  und  nach 
Vergleichung  und  Einstellung  der  wissen- 
schaftlichen Instrumente  hat  die  Expedi- 
tion am  25.  Januar  Port  Stanley  mit  süd- 
östlichem Kurs  nach  der  Weddell  -  See 
verlassen,  um  nach  Erreichung  von  30" 
w.  L.  einen  rein  südlichen  Kurs  in  das 
unbekannte  Gebiet  zu  nehmen.  Entgegen 
dem  ursprünglichen  Plane  will  die  Ex- 
pedition in  der  Antarktis  überwintern  und 
erst  im  Frühjahr  1903/4  nach  den  Falk- 
land-Inseln  zurückkehren,  da  die  Jahres- 
zeit schon  zu  weit  vorgeschritten  ist,  um 
vor  Winters  Anfang  noch  nach  den  Falk- 
land-Inseln  zurückkehren  zu  können.  Im 
Sommer  1903/4  sollen  dann  die  Arbeiten 
fortgesetzt  werden,  in  der  Hoffnung,  daß 
es  in  der  Heimat  gelungen  ist,  die  Kosten 
für  diese  Verlängerung  der  Expedition 
zusammenzubringen . 

Geographisclier  Unterricht. 

♦  Die  neue  badische  Ordnung 
der  Prüfung  für  das  Lehramt  an 
höheren  Schulen  ist  am  1.  April  in 
Kraft  getreten.     Der  Kandidat  muß  sich 


küni^ig  in  mindestens  drei  Fächern,  und 
zwar  zwei  Hauptfächern  und  einem  Neben- 
fach prüfen  lassen  und  hat  aus  dem  einen 
von  ihm  zu  bezeichnenden  Hauptfach  eine 
wissenschaftliche  Arbeit  anzufertigen.  Die 
Prüfungsfächer  können  nur  in  bestimmter 
Zusammenstellung  gewählt  werden.  Geo- 
graphie kann  in  der  sprachlich-geschicht- 
lichen Abteilung  nur  als  Hauptfach,  und 
zwar  entweder  in  Verbindung  mit  Fran- 
zösisch oder  mit  Englisch  oder  mit  Ge- 
schichte als  anderem  Hauptfach  genom- 
men werden.  In  der  mathematisch-natur- 
wissenschaftlichen Abteilung  ist  die  Geo- 
graphie sowohl  als  Haupt-  wie  als 
Nebenfach,  aber  nur  in  Verbindung  mit 
Mathematik,  Botanik  und  Zoologie  zu- 
lässig. Außerdem  kann  sie  in  beiden 
Abteilungen  in  jeder  Zusammenstellung 
als  weiteres  Haupt-  oder  Nebenfach  ge- 
wählt werden. 

Die  besonderen  Prüfungsbestim- 
mungen  für   Geographie    verlangen: 

A)  als  Nebenfach:  1.  Kenntnis  der 
grundlegenden  Tatsachen  und  Gesetze  der 
mathematischen  und  physischenGeographie 
und  der  Geographie  des  Menschen  nebst 
den  Elementen  der  Völkerkunde.  2.  Geo- 
graphisches Verständnis  der  Umgebung 
des  Wohnortes.  3.  Übersichtliche  Kennt- 
nis der  Länder  Europas  und  der  außer- 
europäischen Erdteile  nach  ihrer  Topik, 
ihrem  Naturcharakter  und  den  geogra- 
phischen Verhältnissen  des  Menschen; 
genauere  Kenntnis  Deutschlands  wie  der- 
jenigen Länder  oder  geographischen  Fak- 
toren, die  mit  den  Hauptfächern  des  Kan- 
didaten in  engeren  Beziehungen  stehen. 
4.  Bekanntschaft  mit  den  wichtigsten 
Hilfsmitteln  des  geographischen  Studiums 
und  Unterrichts,  insbesondere  Vertrautheit 
mit  dem  Gebrauch  des  Globus,  des  Re- 
liefs und  der  Landkarte;  einige  Fertigkeit 
im  Entwerfen  von  Kartenskizzen. 

B.  Als  Hauptfach  überdies:  Ver- 
trautheit mit  den  Lehren  der  mathemati- 
schen Geographie;  Kenntnis  der  physika- 
lischen und  der  wichtigsten  geologischen 
Verhältnisse  der  Erdoberfläche.  Übersicht 
über  die  räumliche  Entwicklung  und  die 
heutige  politische  Geographie  der  Haupt- 
kulturstaaten ;  genauere  Bekanntschaft 
mit  der  Länderkunde  Europas  und  eines 
speziell  gewählten  wichtigeren  außer- 
europäischen Gebietes.  Der  Kandidat  soll 
mit  der  geographischen  Literatur  vertraut 


Geographische  Neuigkeiten. 


291 


sein  und  einige  der  wichtigsten  Reisewerke 
durchgearbeitet  haben. 

Geographische  Vorlesungen 

an  den  deutschsprachigen  Universit&ten  und  tech- 
nischen Hochschulen  im  Sommersemester  1903. 
Schweiz. 

Basel: 

Bern:  o.  Prof.  Brückner;  Astrono- 
mische und  physikalische  Geographie, 
I.  Teil,  38t.  —  Länder-  und  Völkerkunde 
von  Amerika,  3  st.  —  Handelsgeographie, 
Ist.  —  Repetitorium  der  physikalischen 
Geographie,  28t.  —  Kolloquium,  28t.  — 
Anleitung  zu  selbständigen  Arbeiten. 

Zürioh:  o.  Prof.  StoU:  Physikalische 
Geographie,  2 st.  —  Länderkunde  von 
Asien,  3 st.  —  Länderkunde  von  Zentral- 
europa, Ist.  —  Länderkunde  von  Nord- 
westeuropa, 2  st. 

Österreich-  Ungarn. 

Wien:  o.  Prof.  Pen ck:  Geographie  von 
Europa,  6  st.  —  Seminar,  2  st.  —  Übungen 
für  Fortgeschrittenere,  5 st.  —  Prof.  Pd. 
Sieger:  liest  nicht. 

Czemowitz:  o.  Prof.  Löwl:  Mathe- 
matische Geographie,  6 st.  —  Übungen, 
2  st. 

Graz:  o.  Prof.  Richter:  Geographie 
der  Mittelmeerländer,  3  st.  —  Mathema- 
tische Geographie,  28t.  —  Übungen,  28t. 

Innsbruck:  o.  Prof  v.  Wies  er:  All- 
gemeine Erdkunde,  4 st.  —  Übungen,  Ist. 

Frag:  o.  Prof.  Lenz:  Geographie  von 
Afrika,  48t.  —  Geographie  von  Frankreich, 
Ist.  —  Übungen,  2 st. 

Technische    Hochschulen. 

Darmstadt:  a.  o.  Prof.  Greim:  Mathe- 
matische Geographie  in  elementarer  Be- 
handlung. —  Über  Hilfsmittel  und  Me- 
thode des  geographischen  Unterrichts. 

Dresden:  o.  Prof  Rüge:  Die  deut- 
schen Kolonien. 

München:  o.  Prof.  Günther:  Handels- 
und Wirtschaftsgeographie  L  —  Geogra- 
phie von  Amerika  U.  —  Potentialtheorie 
in  ihrer  Anwendung  auf  Geophysik.  — 
Seminar.  —  o.  Hon. -Prof  Götz:  Die  Ge- 
biete der  warmen  Zone.  —  Die  glacial- 
zeitlichen  Wirkungen  auf  den  Boden 
Europas. 

PersöDlioheB. 

♦  Am  5.  Mai  d.  J.  hat  der  o.  Prof.  d. 

Geographie    an    der    Universität    Berlin, 

Geh.  Regierungsrat  Prof.  Dr.  Ferdinand 

Frhr.   v.  Richthofen,   seinen   70.  Ge- 


burtstag gefeiert;  von  ehemaligen  Schü- 
lern und  Verehrern  wurde  dem  Jubilar  als 
Ehrengabe  eine  Ferdinand  von  Richt- 
hof en-Stiftung  überreicht. 

♦  Am  3.  April  d.  J.  starb  in  Wien  der 
o.  ö.  Professor  der  Geodäsie  an  der  dor- 
tigen Universität,  der  k.  k.  Oberst  Dr. 
Heinrich  Hartl  im  64.  Lebensjahre. 

♦  Li  Tiflis  starb  in  der  Nacht  vom  16. 
auf  den  16.  März  d.  J.  im  Alter  von  71 
Jahren  der  Naturforscher  und  Asien- 
reisende Dr.  Gustav  Radde,  der  Di- 
rektor des  von  ihm  1866  begründeten 
kaukasischen  Museums  und  der  öffent- 
lichen Bibliothek  in  Tiflis.  Am  27.  Nov. 
1831  in  Danzig  als  Sohn  eines  Lehrers 
und  Küsters  geboren,  mußte  er  aus  Mangel 
an  Mitteln  auf  höhere  Schulbildung  ver- 
zichten und  als  Lehrling  in  eine  Apo- 
theke eintreten.  Aber  schon  1862  ging 
sein  Herzenswunsch,  die  weite  Welt  ken- 
nen zu  lernen,  in  Erfüllung.  Auf  Kosten 
der  Naturforschenden  Gesellschaft  seiner 
Vaterstadt  konnte  er  seine  erste  Reise 
nach  der  Krim  unternehmen,  wo  er  die 
Berge  und  Wälder  der  Südküste  durch- 
streifte. Dabei  machte  er  die  Bekannt- 
schaft des  Botanikers  Steven ,  dessen 
bildenden  und  anregenden  Einflusses  er 
stets  gern  gedachte.  Ein  zweijähriger 
Aufenthalt  auf  einem  Gute  der  Krim 
gab  Radde  Gelegenheit  zu  gründlicher 
Erforschung  der  dortigen  Flora  und 
Fauna.  Li  St.  Petersburg  ward  man 
bald  auf  den  jungen  Deutschen  aufmerk- 
sam; schon  1856  wurde  er  einer  Expedi- 
tion nach  Sibirien  zugeteilt.  Am  oberen 
Amur,  in  den  wilden  Bergen  des  kleinen 
Chingan  führte  er  fast  zwei  Jahre  ein 
wahres  Robinsonleben.  Nach  6  Jahren 
zurückgekehrt,  wurde  er  1863  vom  da- 
maligen Statthalter  Kaukasiens,  dem  Groß- 
fürsten Michael  Nikolajewitsch,  mit  der 
biologisch-geographischen  Erforschung  des 
Kaukasus  betraut,  worüber  er  in  zahl- 
reichen Aufsätzen  und  selbständigen 
Schriften  berichtete.  Seit  dieser  Zeit  lebte 
Radde  in  Tiflis,  wo  er  den  Mittelpunkt 
des  geistigen  Lebens  bildete,  blieb  jedoch 
während  dessen  stets  in  regem  geistigem 
Verkehr  mit  seinen  deutschen  Fachge- 
nossen, wie  dies  auch  seine  lebhafte  An- 
teilnahme an  den  Verhandlungen  des  in- 
ternationalen Geographenkongresses  in 
Berlin  erkennen  ließ.  („Beil.  z.  Allg.  Ztg." 
1903.  Nr.  76.) 

20* 


292 


Geographische  Neuigkeiten. 


♦  Am  7.  Februar  starb  in  Croydon  bei 
London  der  englische  Meteorolog  James 
Glaisher  im  Alter  von  94  Jahren,  der 
sich  durch  seine  zahlreichen,  zu  wissen- 
schaftlichen Zwecken  unternommenen 
Lufbballonfahrten  einen  Namen  gemacht 
hat.  Am  bemerkenswertesten  ist  seine 
im    Jahre    1862    mit    dem    Luftschiffer 


Coxwell  unternommene  Luftreise,  bei  der 
er  eine  Höhe  von  11  000  m  erreicht  haben 
wollte,  die  aber  in  Wahrheit  nicht  9000  m 
erreicht  haben  wird.  Glaisher  war  von 
1840  bis  1870  Direktor  der  magnetischen 
und  meteorologischen  Abteilung  am  kgl. 
Observatorium  zu  Greenwich  und  Be- 
gründer der  Royal  Meteorological  Society. 


Bficherbesprechnngen. 


Stielerg  Handatlas.  Neue,  IX.  Lieferungs- 
Ausgabe.  100  E.  in  Kupferstich  hrsgeg. 
von  Justus  Perthes'  geographischer  An- 
stalt in  Gotha.  Lief.  1—10.  Gotha 
1902.  60  Liefgn.  JL  30.—.  Jede 
Lief.  JL  —.60. 

Stielers  Handatlas  ist  von  seinem  erst- 
maligen Erscheinen  {1823—1833)  an  das 
unentbehrliche  Rüstzeug  des  Geographen 
gewesen.  Die  ganze  ältere  Generation 
hat  an  ihm  gelernt,  und  die  jüngere  ist 
ihm  auch  lange  noch  treu  geblieben,  als 
sich  bereits  billigere  Werke  den  großen 
Markt  erobert  hatten;  denn  anfänglich 
war  ihr  verwandtschaftliches  Verhältnis 
zum  Stieler  ein  recht  offenkundiges.  Aber 
im  Laufe  der  Zeit  sind  ihm  doch  in  den 
letzten  Auflagen  von  Andrt^es  Handatlas 
und  in  Debes'  neuem  Handatlas  auch  auf 
wissenschaftlichem  Gebiete  Eonkurrenten 
erwachsen,  nachdem  der  erstere  ihm  schon 
in  praktischen  Neuerungen,  z.  B.  dem  Na- 
mensverzeichnis, vorangegangen  war.  Zwar 
bewahrte  der  außerordentlich  schöne 
Eupf erstich  insbesondere  seiner  neueren 
Earten  dem  Stieler  trotz  seines  höheren 
Preises  noch  zahlreiche  Freimde,  aber  so 
mancher  weitsichtig  Gewordene  mußte 
doch  zu  den  mehrfarbig  gedruckten  At- 
lanten mit  größerer  Schrift  übergehen. 

Mit  seiner  neuen,  neunten  Lieferungs- 
Ausgabe  stellt  sich  in  Bezug  auf  Preis 
und  äußerliche  Ausstattung  der  „Stieler" 
auf  den  Boden  seiner  Eonkurrenten  und 
unternimmt  einen  kräftigen  Vorstoß,  den 
allgemeinen  Mcurkt  zu  erobern.  Er  bietet 
100  Earten  in  gegenüber  früher  wenig 
vergrößertem  Formate  für  nur  80  J^;  es 
sind  nicht  mehr  die  bekannten  einfarbig 
schwarz  gedruckten  und  mit  der  Hand  | 
zart  kolorierten  Earten ,  sondern  Far- . 
bendrucke.     Nur    Schrift    und    Situation 


schwarz,  das  Gelände  braun  unter  Her- 
vorhebung besonders  kräftig  schattierter 
Partien  durch  einen  grauen  Schatten, 
Meer  und  Seen  blaues  Flächenkolorit, 
Sümpfe  blau  schraffiert,  Gletscher  weiß 
mit  tiefblauen  Schatten,  Sandwüsten 
orange,  Lavafelder  grau.  Dazu  eine  wahre 
Fülle  verschiedener  politischer  Grenzen. 
So  klar  und  bestimmt  sie  gezogen  sind, 
so  schlagen  sie  doch  nur  selten  die  Ge- 
ländedarstellung. Letztere  tritt  meist  auf 
das  deutlichste  hervor  und  drückt  auch 
der  Mehrzahl  der  Earten  des  neuen 
Stieler  eine  charakteristische  Signatur 
auf.  Die  Schrift  ist  klein  geblieben. 
Nach  wie  vor  beruht  der  Stieler  auf 
Eupferstich;  während  er  aber  früher 
direkt  von  den  Platten  gedruckt  wurde, 
wird  er  nun  mittels  Umdrucks  erstellt. 
Letzterer  liefert  durchaus  tadellose  Ab- 
züge, hat  aber  den  Vorteil  größerer 
Billigkeit.  Indem  femer  Schrift  und  Ge- 
lände verschiedenfarbig  gedruckt  werden, 
stört  keines  mehr  so  wie  häufig  früher 
das  andere,  und  die  Lesbarkeit  beider 
gewinnt  dadurch. 

Neben  solch  tiefgreifenden  Verände- 
rungen in  der  äußeren  Ausstattung  laufen 
kaum  minder  belangvolle  des  Inhaltes. 
Eein  Blatt  gleicht  einem  der  achten 
Lieferungsausgabe.  Zum  mindesten  ist 
die  alte  Platte  in  zwei  neue,  die  eine 
für  Schrift  und  Situation,  die  andere  für 
Gelände  zerlegt  worden.  Aber  dabei  sind 
immer  Verbesserungen  vorgenommen  wor- 
den, und  in  ihnen  offenbart  sich  die- 
selbe Genauigkeit  und  Gewissenhaftigkeit, 
welche  den  wissenschaftlichen  Wert  des 
alten  Stieler  bestimmt  haben.  Unter  den 
Blättern,  die  also  in  neuem  Gewände  er- 
scheinen, befindet  sich  Petermanns  6  Blatt- 
Earte  der  Vereinigten  Staaten  von  Nord- 


Bücherbesprechungen, 


293 


Amerika.  Blatt  I  läßt  in  zahlreichen 
Einzelheiten  die  vorsichtig  nachbessernde 
Hand  von  H.  Habenicht  erkennen  und 
erzielt  auch  mit  braunen  Geländeschraffen 
eine  vorzugliche  plastische  Wirkung.  Zu 
den  alten  Blättern  in  neuem  Gewände 
möchten  wir,  im  Gegensatz  zum  Inhalts- 
verzeichnisse des  Atlas,  das  hier  von 
einer  ganz  neuen  Karte  spricht,  auch  die 
Karte  der  Schweiz  (westliche  Alpenländer) 
stellen;  Vogels  Meisterwerk  kommt  auch 
in  polychromem  Druck  prächtig  zur  Gel- 
tung, die  Geländeschraffierung  hat  nur 
selten  Verstärkung  durch  graue  Schatten 
erheischt. 

Die  große  Mehrzahl  der  Blätter  ist 
ganz  neu,  wenn  sich  auch  einige  von 
ihnen  in  Bezug  auf  Maßstab  und  Um- 
grenzung an  Karten  des  alten  Stieler  an- 
schließen, wie  z.  B.  die  Karte  der  Nieder- 
lande und  von  Belgien  oder  die  von 
Schottland.  Gerade  letztere  Karte  be- 
zeichnet einen  großen  Fortschritt  in  der 
Wiedergabe  des  aufgelösten  Berglandes. 
Auf  Koffmahns  Werk  sind  die  Gebirgs- 
raupen  der  Grampians  verschwunden; 
deutlich  erkennen  wir  die  Isoliertheit  der 
einzelnen  Gruppen,  doch  sind  die  süd- 
lichen Hochlande  im  Vergleich  zu  den 
nördlichen  viel  zu  stark  gehalten. 

Neu  sind  vor  allem  Erdteilkarten. 
Eine  Karte  von  Australien  von  Haack 
lehnt  sich  im  Maßstabe  an  Petermanns 
Karten  von  Südost-  und  Westaustralien 
an  und  bringt  den  ganzen  Erdteil  auf 
4  Blatt  zur  Darstellung.  Die  unbeholfene 
Geländedarstellung  auf  australischen  Kar- 
ten hat  hier  das  Gothaer  Werk  sichtlich 
beeinflußt.  Haack  hat  sich  von  den  Ge- 
birgsraupen  der  Wasserscheiden  nicht  frei 
machen  können.  Hält  die  Karte  von 
Australien  noch  fest  an  einem  Prinzip, 
welches  die  Benutzbarkeit  des  alten 
Stieler,  z.  B.  von  Lüddeckes  Afrika  Bl.  V 
u.  VI,  gelegentlich  sehr  störte,  nämlich, 
daß  Erdteilkarten  immer  zu  einem  Tableau 
zusammengesetzt  werden  konnten,  so  be- 
grüßen wir  nun  die  individuelle  Behand- 
lung der  Einzel  karten  von  Nord- Amerika 
und  Asien.  Nord-Amerika  wird  auf  6  Kar- 
ten wiedergegeben:  West-Canada,  Ost- 
Canada  (neu),  Vereinigte  Staaten,  Über- 
sicht (neu),  Mexiko  (neu)  und  West-Indien. 
Diese  einzelnen  Karten  greü'en  randlich 
aufeinander  über,  jede  hat  aber  ihren 
eigenen  Mittelmeridian  und  bringt  jeweils 


ein  abgeschlossenes  Gebiet  zur  Darstellung, 
vier  haben  denselben  Maßstab  1 :  7600000, 
die  der  Vereinigten  Staaten  (noch  nicht 
erschienen)  1:12500000. 

Das  bedeutendste  Werk  des  Atlas  ist 
jedenfalls  die  Darstellung  fast  des  ganzen 
Erdteiles  Asien  im  Maßstabe  1 :  7500000 
auf  9  Blatt,  wovon  die  Mehrzahl  bereits 
erschienen  ist.  Westsibirieo,  Arabien,  so- 
wie Iran  und  Turan  von  H.  Habenicht, 
femer  Inner-Asien  von  Domann  sind  un- 
gemein plastisch  wirkende  Blätter;  in 
Vorder-Indien  von  Domann  wird  aber 
die  Geländedarstellung  vom  politischen 
Kolorit  stark  beeinträchtigt,  etwas  mono- 
ton wirkt  China  von  Barich,  während 
dessen  Spezialkarten  der  ostindischen 
Inseln  wieder  recht  glücklich  heraus- 
gearbeitetes Gelände  zeigen.  Gleichwohl 
können  wir  uns  mit  letzterer  Karte  nicht 
befreunden.  Es  ist  eine  Sammlung  von 
Karten  der  einzelnen  Eilande,  Welche  an- 
geordnet sind  unter  dem  Gesichtspunkte 
größter  Raumausnutzung  ohne  Rücksicht 
anf  ihre  geographische  Lage.  Es  wäre 
möglich  gewesen,  den  ganzen  Archipel 
von  Mindanao  bis  zur  Mitte  Sumatras 
auf  einem  Blatte  1 :  7500000  darzustellen 
und  in  den  Ecken  West -Sumatra  und 
Luzon  unterzubringen. 

Verschiedene  praktische  Neuerungen 
verzeichnen  wir  mit  Vergnügen.  Der 
Außentitel  der  Karte  wird  begleitet  von 
einer  Übersicht  der  Nachbarkarten.  Die 
Schrift  läuft  femer  in  der  Regel  in  der 
Richtung  der  Parallelen,  man  braucht 
den  Atlas  nicht  zu  drehen  und  zu  wenden, 
um  ihn  lesen  zu  können.  Wir  konunen 
auf  das  bedeutende  Werk  zurück,  wenn 
weitere  Lieferungen    von    ihm   vorliegen. 

Penck. 

Böbm  Edler  r«  Böbmerslieiin,  A,    Ge- 
schichte    der     Moränenkunde. 
334  S.     4  Taf.  u.  2  Textfig.    Abh.  d. 
k.  k.  Geogr.  Ges.  zu  Wien.  1901. 
Die  Absicht,   an  den  Beschlüssen  der 
internationalen  Gletscherkonferenz,  die  im 
August  1899  zu  Gletsch  tagte,  Kritik  zu 
üben,   hat  den  Verfasser   veranlaßt,    die 
historische  Entwicklung  der  Moränenkunde 
eingehend  zu  studieren.    Auf  den  ersten 
217  Seiten   seines  Werkes   gibt   er   eine 
Übersicht   über   alle    Arbeiten,    die   sich 
seit   den   Tagen   Sebastian  Münsters 
(1544)  mit  den  einschlägigen  Verhältnissen 


294 


Bücherbesprechungen. 


beschäftigt  haben,  indem  er  zu  gleicher 
Zeit  auf  die  Wandlungen  der  Anschau- 
ungen und  auf  die  Umdeutungen  hin- 
weist, die  die  einzelnen  Autoren  mit 
den  von  ihnen  vorgefundenen  BegriiFen 
vorgenommen  haben.  In  einem  beson- 
deren Anhang  wird  uns  in  der  gleichen 
Weise  die  Entwicklung  des  Begriffes  der 
Drumlins  vorgeführt.  Damit  hat  der  Ver- 
fasser eine  breite  Grundlage  gewonnen, 
auf  der  er  an  die  von  der  genannten 
Gletscherkonferenz  aufgestellte  Klassifika- 
tion und  Nomenklatur  herantritt.  Seine 
Kritik  richtet  sich  im  wesentlichen  gegen 
das  Haupteinteilungsprinzip  der  Moränen 
in  bewegte  und  abgelagerte  Moränen  und 
gegen  die  unhistorische  Umformung  des 
Begriffes  der  Grundmoränen.  Da  die 
unter  dem  tätigen  Gletscher  entstehende 
Grundmoräne  im  älteren  Sinne  (d.  h.  vor 
Beschluß  der  Gletscherkonferenz)  hier  dem 
Schema  zu  Liebe  und  im  Gegensatz  zur 
Obermoräne  als  üntermoräne  bezeichnet 
und  der  Name  „Grundmoräne*'  auf  die 
zur  Ruhe  gekommenen  Ablagerungen  eis- 
zeitlicher Gletscher  oder  auf  das  Gebiet 
vor  dem  Ende  der  heutigen  Gletscher 
beschränkt  wird,  so  wird  durch  die  Mitte 
einer  einheitlichen  Bildung  insofern  ein 
Schnitt  gelegt,  als  auch  die  unter  einem 
lebenden  Gletscher  vorhandene  Grund- 
moräne in  ihrem  unteren  Teile  als  ab- 
gelagerte, in  ihrem  oberen  Teil  dagegen 
noch  als  bewegte  Moräne  anzusehen  ist, 
und  es  wird  gezeigt,  daß  in  dieser  künst- 
lichen Teilung  eines  durchaus  zusammen- 
gehörigen Gebildes  die  Hauptschwäche 
der  Einteilung  der  Konferenz  liegt.  Böhm 
zeigt  ferner,  daß  man  nach  dem  von  der 
Konferenz  aufgestellten  Schema  für  die 
Ausdrücke  „Grundmoräne"  und  „Unter- 
moräne" vier  verschiedene  Auslegungen 
finden  kann.  Ebenso  ablehnend  steht  er 
den  von  der  Konferenz  aufgestellten  „Wall- 
moränen" gegenüber,  da  es  solche  nur 
unter  den  „abgelagerten  Moränen"  geben 
soll,  während  doch  die  Seiten-  und  Mittel- 
moränen der  lebenden  Gletscher  zweifel- 
los als  „Wallmoränen"  bezeichnet  werden 
müssen.  Um  diese  unhistorische  Umdeu- 
tung  der  Begriffe  zu  vermeiden,  bringt  er 
nun  eine  neue  Gliederung,  in  welcher  er 
die  gesamte  Menge  der  verschiedenen 
Moränen  zunächst  in  Wandermoränen,  in 
Stapel-  oder  Umwallungsmoränen  und  in 
Schwundmoränen      einteilt.       Die     erste 


Gruppe  ist  auf  die  heutigen  Gletscher 
beschränkt,  während  die  zweite  und  dritte 
Gruppe  sowohl  an  heutigen  Gletschern 
als  in  eiszeitlichen  Vergletscherungsgebie- 
ten  vorkommen.  Die  gesamte  Gliederung 
für  heutige  und  eiszeitliche  Gletscher  er- 
gibt sich  aus  der  folgenden  Übersicht: 
Gletscher  ^  g^j^^^^ 

Mittelm. 
Deckm. 
\  Siebm. 

Wanderm.  L  f^?®"° 

Innenm.   <  Emschaarungsm. 

[  Sohlenm. 

Grundm. 


Oberflächenm. 


Eiszeit 
Stapel-  od. 
Umwallungsm. 

Schwundm.  . . . 


Uferm Randm. 

Stimm Endm. 

Haldenm. 

Feldm Schwundm. 

(Gmndm.-Decke) 
Schwundmittelm. 
Drumlins 
Diese  Einteilung  und  diese  Benennungen 
der  Moränen  dürfte  allerdings  der  von  der 
Gletscherkonferenz  vorgeschlagenen  Ein- 
teilung vorzuziehen  sein;  nur  ergibt  sich 
daraus  derObelstand  außerordentlich  lang- 
atmiger Bezeichnungen,  wenn  wir  die  von 
einer  Moräne  erzeugten  Landschaflsformen 
ausdrücken  wollen.  Es  wird  z.  B.  die 
Grundmoränenlandschaft  ehemals  ver- 
gletscherter Gebiete  zu  einer  „Schwund- 
moränendeckenlandschaft**,  ein  Name,  der 
nach  Ansicht  des  Referenten  nur  wenig 
Aussicht  auf  Annahme  hat,  selbst  wenn 
man  ihn  nach  dem  Vorschlage  des  Ver- 
fassers in  „Moränendeckenlandschaft*'  ab- 
kürzt. Keilhack. 

Scobel^    A.    Handelsatlas   zur   Ver- 
kehrs- und  Wirtschaftsgeogra- 
phie. Für  Handelshochschulen  u.  s.  w. 
4^  68  Haupt-  und  73  Nebenk.   Biele- 
feld und  Leipzig,  Velhagen  und  Kla- 
sing  1902.  kart.  .^  5.50,  geb.  M.  6.—. 
Ein    Atlas    der  Wirtschaftsgeographie 
tut  uns  not;  es  ist  daher  verständlich,  daß 
wir  bald  nach  der  zweiten  Auflage  von  Lang- 
hans einen  neuen  Atlas  der  Wirtschafts- 
geographie geschenkt  bekommen,  der  unter 
der  Leitimg  Scobels    von  Dr.  E.  Ambro- 
sius,  R.  Enderich,  Dr.  E.  Friedrich,  Prof. 
E.  Schigert,   K.  Tänzler,  A.  Thomas  und 
E.  Umbreit  bearbeitet  worden  ist.    Er  ist 
ausführlicher  als  jener,  da  er  viel  mehr 
Karten  enthält,  obgleich  er  auf  topogra- 


Bücherbesprechungen. 


295 


phische  Karten  ganz  verzichtet.  Er  will 
den  gewöhnlichen  Atlas  nicht  ersetzen, 
sondern  ergänzen.  Ob  es  nicht  trotzdem 
zweckmäßig  gewesen  wäre,  die  natürlichen 
und  kulturellen  Bedingungen  der  wirt- 
schaftlichen Verhältnisse  eingehender  zur 
Darstellung  zu  bringen  und  neben  der 
Erdkarte  der  Vegetationsformen  und 
Meeresströmungen  und  der  klimatischen 
Krankheiten  auch  Karten  des  Klimas,  der 
Bevölkerungsdichte,  der  Rassen  (zum  Ver- 
ständnis der  Arbeiterverhältnisse)  zu  geben, 
mag  dahingestellt  bleiben. 

Die  Mehrzahl  der  Karten  sind  Ober- 
sichtskarten der  Erde  in  ziemlich  kleinem 
Maßstabe.  Dazu  kommen  je  eine  Karte 
der  außereuropäischen  Erdteile  i.  M.  1  : 
40  Mill.  und  der  Ver.  Staaten  1 :  20  Mill., 
mehrere  Karten  Europas  1 :  20  u.  1 :  30  Mill. 
und  eine  Anzahl  Karten  Mitteleuropas  in 
verschiedenen  Maßstäben.  Dagegen  fehlen 
leider  besondere  Karten  der  übrigen 
europäischen  Länder,  wie  sie  Langhans 
wenigstens  für  die  britischen  Inseln  und 
Frankreich  bietet;  die  Spezialkärtchen 
einiger  wichtiger  Industriegebiete  geben 
dafür  doch  nur  ungenügenden  Ersatz.  Für 
'  das  Studium  der  Wirtschaftsgeographie 
Europas  ist  der  Atlas  gegenwärtig  unge- 
nügend, und  der  Mangel  sollte  daher  bei 
einer  neuen  Auflage  beseitigt  werden. 

Die  Verf.  haben  sich  mit  Erfolg  be- 
müht, die  Klippe  zu  vermeiden,  an  der 
die  meisten  wirtschaftsgeographischen  Dar- 
stellungen scheitern;  statt  der  üblichen 
statbtischen  Kartogramme  bieten  sie 
uns  wirkliche  geographische  Karten.  Da- 
gegen vermisse  ich  in  anderer  Richtung 
noch  die  rechte  wissenschaftliche  Durch- 
dringung des  Stoffes  und  zunächst  schon 
die  scharfe  Fragestellung.  Die  drei  Karten 
auf  Blatt  7  sind  überschrieben:  Mineralien, 
und  ebenso  finden  wir  in  den  Legenden 
der  Spezialkarten  die  Namen  der  Minera- 
lien eingetragen ;  man  erfährt  aber  nicht, 
ob  damit  eigentlich  das  natürliche  Vor- 
kommen der  Mineralien  oder  ihre  Aus- 
beutung dargestellt  werden  soll.  Das  sind 
doch  zwei  verschiedene  Dinge,  die  aus- 
einandergehalten werden  müssen.  Auch 
fehlt  jede  Rücksichtnahme  auf  die  Wich- 
tigkeit des  Vorkommens  oder  der  Aus- 
beutung, und  die  Karten  geben  daher  ein 
ganz  falsches  Bild  von  der  Mineralproduk- 
tion der  Erde;  ich  führe  nur  an,  daß  die 
britischen   und   deutschen  Kohlengebiete 


kaum  größer  als  die  französischen  und 
spanischen  erscheinen,  und  daß  das  größte 
Kohlengebiet  der  Erde  in  den  Steppen 
westlich  vom  Mississippi  gezeichnet  ist. 
Ebenso  verhält  es  sich  mit  den  Karten 
der  Landwirtschaft,  das  Wort  im  weite- 
sten Sinne  genommen;  sowohl  auf  der 
Übersichtskarte  der  Erde  wie  auf  den 
Karten  der  Erdteile  sind  die  einzelnen 
Produkte  eingetragen ,  ohne  daß  die 
drei  dabei  in  Betracht  kommenden  Ge- 
sichtspunkte scharf  unterschieden  wür- 
den: kommen  die  betr.  Pflanzen  oder 
Tiere  überhaupt  vor?  —  kommen  sie  in 
größerer  Masse  vor,  so  daß  sie  eine  Rolle 
in  der  Volkswirtschaft  spielen?  —  werden 
sie  für  den  auswärtigen  Handel  ausge- 
beutet? Der  erste  Gesichtspunkt  hat  nur 
pflanzen-  und  tiergeographisches  Interesse, 
und  die  Verf.  hätten  sich  darum  nicht 
gerade  vorzugsweise  an  ihn  halten  sollen ! 
Die  Wirtschaftsgeographie  hat  es  nur  mit 
den  beiden  anderen  Gesichtspunkten  zu  tun. 
Für  die  Beurteilung  der  landwirtschaft- 
lichen Produktion  kommt  es  auch  nicht 
so  sehr  auf  das  einzelne  Produkt  als  auf 
den  ganzen  Charakter  der  Wirtschaft  an, 
wofür  namentlich  Engel  brecht  und  Sering 
die  Wege  gewiesen  haben;  es  ist  zu  be- 
dauern, daß  die  Verf.  ihnen  nicht  gefolgt 
sind.  Die  einzelnen  Produkte  hätten  nur 
eingezeichnet  werden  sollen ,  soweit  sie 
für  den  Welthandel  Bedeutung  haben. 
Dieser  Gesichtspunkt  kommt  ganz  zu  kurz; 
z.  B.  läßt  sich  aus  dem  Atlas  nicht  er- 
sehen, welches  denn  eigentlich  die  für 
den  Welthandel  in  Betracht  kommenden 
Getreideländer  sind.  Ähnliche  Einwürfe 
sind  auch  gegen  die  Darstellung  der  In- 
dustrie zu  erheben,  aber  dafür  sind  ge- 
eignete Methoden  meines  Wissens  über- 
haupt noch  nicht  angegeben  worden. 
Eine  Industriekarte  der  Erde  fehlt  leider 
ganz.  Auf  den  Handel  beziehen  sich  vier 
Karten  des  deutschen  Außenhandels,  leider 
ohne  jedes  Verständnis  kartographischer 
Methode  entworfen;  die  ganze  Fläche  jedes 
Staates  ist  mit  dem  absoluten  Werte  des 
deutschen  Handels  mit  diesem  Staat  statt 
mit  dem  relativen,  auf  die  Flächeneinheit 
reduzierten  überdeckt!!  Am  wenigsten  ist 
methodisch  gegen  die  Darstellung  der 
Verkehrslinien  zu  erinnern,  die  ja  auch 
wenig  Schwierigkeiten  bietet.  Auf  der 
Verkehrskarte  von  Europa  ist  das  Bild 
von  Westeuropa  verfehlt. 


296 


Bü  ch  erbe  8p  rech  ungen. 


Zu  tadeln  ist  echließlich  auch,  daß 
außer  dem  Hinweia  auf  einige  Karten  des 
statistischen  Amtes  alle  Quellenangaben 
fehlen,  auch  wo  die  Karten  einfache  Re- 
produktionen ohne  selbständige  Zutaten 
sind. 

Es  ist  mir  schwer  geworden,  diesen 
Atlas  in  vieler  Beziehung  absprechend  be- 
urteilen zu  müssen,  weil  ich  das  Bedürf- 
nis nach  einem  guten  wirtschafbsgeogra-  i 
phischen  Atlas  lebhaft  empfinde  und  doch 
den  früher  gehegten  Plan,  einen  solchen 
zu  entwerfen,  aus  Rücksicht  auf  andere 
Arbeiten  habe  aufgeben  müssen.  Aber  es 
schien  mir  nötig,  die  methodischen  Mängel 
scharf  hervorzuheben,  damit  sich  endlich 
die  Überzeugung  Bahn  breche,  daß  der 
Entwurf  solcher  Karten  ohne  eindringende 
wissenschaftliche  Überlegung  nicht  mög- 
lich ist.  A.  Hettner. 

Uandbucb  der  lYtrigobaftskuDde 
Dentscblands.  Hrsgeg.  i.  A.  d.  Deut- 
schen Verbandes  f  d.  Kaufmann, 
ünterrichtswesen.  Bd.  II.  Gr.  8«. 
253  S.  4  K.  u.  2  Taf ,  1  Textk.  Leip- 
zig, Teubner  1902.  ^K.  6.—. 
Der  zweite  Band  dieses  brauchbaren 
Handbuches,  der  dem  ersten  rasch  gefolgt 
ist,  umfaßt  die  Besprechung  der  auf  die 
Gewinnung  der  Nutzpflanzen  und  Nutz- 
tiere bezüglichen  Gewerbe,  einschließlich 
der  Jagd  und  Fischerei  und  der  Bienen- 
zucht. Unter  den  zahlreichen  Mitarbeitern 
begegnet  uns  auch  Prof.  Halbfaß  in  Neu- 
haldensleben,  der  die  Binnenfischerei  be- 
handelt hat.  Die  Vielheit  der  Mitarbeiter 
hat  hin  und  wieder  eine  nicht  ganz  gleich- 
mäßige Behandlung  des  reichen  Stoffes 
zur  Folge  gehabt,  über  den  Obstbau 
spricht  Dr.  Steinbrück  S.  65  f.  und  dann 
nochmals  und  ausführlicher  Dr.  Zürn 
S.  112  ff.  Wenn  es  auffällt,  daß  der  geo- 
graphische Gesichtspunkt  hier  und  da 
zurücktritt,  so  wolle  man  nicht  vergessen, 
daß  die  statistischen  Tabellen,  auf  denen 
sich  die  Ausführungen  der  einzelnen  Ver- 
fasser zumeist  aufbauen  müssen,  immer 
nur  politische  Bezirke  zu  Grunde  legen 
und  legen  können,  Sache  der  Fachgeo- 
graphen wird  es  sein,  mit  der  Zeit  auch 
für  die  Wirtschaftsgeographie  physische 
Provinzen  und  Untergebiete  aufzustellen. 
Mancher  dahin  zielende  Versuch  ist  ja 
z.  B.  in  den  Forschungen  zur  deutschen 
Landes-  und  Volkskunde  bereits  gemacht 


worden.  Immerhin  bieten  die  einzelnen 
Arbeiten  viel  Lehrreiches  und  ihre  Lek- 
türe ist  auch  dem  Geographen  zu  em- 
pfehlen. Scharf  tritt  in  den  verschiedensten 
Beziehungen  der  Gegensatz  zwischen  Ost 
und  West  in  Deutschland  hervor.  Der 
Osten  ist  das  Land  der  Einförmigkeit  und 
des  Großgrundbesitzes,  der  Westen  das 
Gebiet  der  Mannigfaltigkeit  auf  kleinerem 
Räume  und  des  Kleinbesitzes.  Es  sind 
die  preußischen  Regierungsbezirke  Marien- 
werder, Bromberg,  Posen,  Cöslin,  Stettin, 
Stralsund  sowie  die  beiden  Mecklenburg, 
in  denen  der  Großbesitz  am  meisten  über- 
wiegt, während  der  Kleinbesitz  in  einem 
breiten  Streifen  vorherrscht,  der  sich  an 
der  Nordwest-,  West-  und  Südgrenze  des 
Reiches  von  der  Elb-  und  Wesermündung 
bis  zum  Oberrhein  und  zur  Salzach  ver- 
folgen läßt.  Der  Osten  ist  auch  vorwie- 
gend das  Land  des  Nadelwaldes,  der 
Westen  (mit  einzelnen  Ausnahmen)  das 
des  Laubwaldes,  und  zwar  läuft  die  Grenze 
etwa  von  Lübeck  über  Braunschweig  und 
Eisenach  zum  Bodensee.  Die  Karten  (von 
Wagner  u.  Debes)  verdienen  großes  Lob. 
Die  noch  ausstehenden  Bände  sollen  bald 
erscheinen.  F.  Hahn. 

Omber^Cbr.  Deutsches  Wirtschafts- 
leben. (Aus  Natur  und  Geistes  weit. 
42.  Bdchen.)  kl.  8^  VT  u.  187  S. 
4  K.  auf  2  Taf  Leipzig,  Teubner 
1902.  cÄ:  1.26. 
Weit  mehr  als  das  große  Handbuch 
der  Wirtschaftskunde  steht  diese  kleine, 
höchst  ansprechende  Schrift  des  bayrischen 
Geographen  Gruber  auf  geographischem 
Boden.  Es  war  eine  glückliche  Idee,  in 
wenigen,  scharf  umrissenen  und  geschmack- 
voll geschriebenen  Kapiteln  die  geogra- 
phischen Grundlagen  des  deutschen  Wirt- 
schaftslebens aufzubauen.  Manche  Be- 
rührungen ergeben  sich  mit  Ratzeis 
bekanntem  kleinen  Werk  über  Deutsch- 
land, doch  soll  dies  nicht  etwa  ein  Tadel, 
sondern  ein  Lob  sein.  Im  ersten  der  vier 
großen  Kapitel  werden  die  geographischen 
Grundlagen  des  deutschen  Handels  aus- 
reichend und  im  ganzen  völlig  zutreffend 
erörtert.  Man  kann  zweifelhaft  sein,  ob 
das  zweite  „Alpenlandschaft  und  Alpen- 
wirtschaft" überschriebene  Kapitel  ganz 
in  den  Rahmen  des  Buches  hineinpaßt: 
die  Bedeutung  des  bescheidenen  Anteils 
Deutschlands  an  den  Alpen   für  das  Ge- 


Buch  erb  esprechun  gen. 


297 


samtgebiet  ist,  wie  auch  Gmber  selbst 
hervortreten  läßt,  nicht  gar  so  groß; 
die  übrigen  Landschaften,  die  zum  großen 
Teil  gar  nicht  näher  besprochen  sind, 
werden  durch  diese  einseitige  Hervor- 
hebung der  Alpen  etwas  benachteiligt. 
Aber  möchte  deshalb  jemand  das  präch- 
tig geschriebene  und  auch  manches  Neue 
bietende  Kapitel  missen  wollen?  Gruber 
wollte  auch  wohl  nur  eine  besonders 
charakteristische  und  anziehende  Wirt- 
schaftsprovinz, die  ihm  zudem  besonders 
vertraut  ist,  recht  scharf  hervorheben. 
Das  dritte  Kapitel,  in  dem  eine  kleine 
Monographie  der  Holzspiel waren-Industrie 
des  Erzgebirges  auffällt,  befaßt  sich  mit 
den  Gegensätzen  in  Land-  und  Fori^twirt- 
schaft  und  Industrie,  das  vierte,  beson- 
ders anregende  und  mit  Geschick  und 
Begeisterung  geschriebene,  mit  Deutsch- 
lands Stellung  zum  Meer.  Ich  kann  das 
kleine  Werk  bestens  empfehlen. 

F.  Hahn. 

Neddoricb^  W«    Wirtschaftsgeogra- 
phische  Verhältnisse,    Ansied- 
lungen    und    Bevölkerungsver- 
teilung im  ostfälischen  Hügel- 
und   Tieflande.    (Forsch,  z.  deut- 
schen Landes-  u.  Volkskde.   Bd.  XIV. 
Heft  3.)  179  S.  2  K.  Stuttgart,  Engel- 
hom  1902.     .€  9.—. 
Es  steckt  eine  große  Menge  von  Stoff 
in   dieser   Arbeit,    die    auf   eingehender 
Kenntnis  der  z.  T.  schwer  zugänglichen 
und     entlegenen    Literatur,    gründlicher 
Inaugenscheinnahme    des    Gebietes    und 
eifrigen  Erkundigungen  beruht.     Aber  es 
ist  dem  Verfasser  nicht  gelungen,  aus  der 
Menge    des    Einzelnen     Ergebnisse    von 
weitertragender  Bedeutung  abzuleiten  oder 
auch  nur  ein  geordnetes,   sich  dem  Ge- 
dächtnis  einprägendes   Bild    der    darge* 
stellten  Verhältnisse  zu  geben.    Daß  nach 
dieser  Richtung  hin  nicht  mehr  geschehen 
ist,  erscheint  um  so  verwunderlicher,  als 
das  Gebiet,  dessen  Wahl  und  Abgrenzung  be- 
sonders glücklich  genannt  werden  müssen, 
mit  seiner  reichen  geographischen  Mannig- 
faltigkeit viel  Anreiz  zu  tieferdringenden 
Vergleichen  enthält.  Läßt  man  den  eigent- 
lich wissenschaftlichen  Gesichtspunkt  bei 
Seite,  so  kann  allerdings  nicht  in  Abrede 
gestellt   werden,   daß  die   übersichtliche 
Zusammenstellung  eines  so  ausgedehnten 
und  vielseitigen  Tatsachenmaterials  sehr 


verdienstlich  ist  und  etwaigen  späteren 
Untersuchungen  in  wirksamer  Weise  vor- 
arbeitet. Nur  die  wenigen  geschichtlichen 
Notizen,  die  der  Verfasser  gibt,  sind 
nicht  gerade  sehr  glücklich.  Wenn  er 
das  Alter  der  Orte  vielfach  nach  ihrer 
ersten  urkundlichen  Erwähnung  beurteilt, 
so  ist  das  durchaus  irrig;  und  ebenso- 
wenig kann  man  es  gelten  lassen,  wenn 
Orte,  deren  Entstehung  auf  Grund  solcher 
Nachrichten  in  das  9.  oder  10.  Jahrhun- 
dert gesetzt  wird,  als  „sehr  alt"  bezeichnet 
werden.  In  dieser  Zeit  gegründete  Nieder- 
lassungen würden  in  dem  behandelten 
Gebiet  nicht  als  alt,  sondern  als  recht 
jung  zu  betrachten  sein. 

In  den  beigegebenen  Karten  sind  die 
Anregungen  über  die  Behandlung  der  be- 
völkeningsstatistischen  Verhältnisse,  die 
A.  Hettner  in  verschiedenen  Aufsätzen 
gegeben  hat ,  zum  erstenmal  praktisch 
verwertet.  Während  Karte  2  (1 :  600000) 
eine  Übersicht  über  die  Volksdichte  nach 
natürlichen  Gebieten  gibt,  ist  Karte  1 
(1 :  200  000)  als  „bevölkerungsstatistische 
Grundkarte'*  im  Sinne  Hettners  ge- 
zeichnet. Außerdem  ist  noch  der  Prozent- 
satz an  nichtlandwirtschaftlicher  Bevölke- 
rung veranschaulicht  und  eine  Menge  von 
Daten  über  einzelne  industrielle  Erwerbs- 
zweige eingetragen.  Man  kann  in  man- 
chen theoretischen  Fragen  andere  An- 
sichten haben  —  und  die  meinigen  wei- 
chen von  denen  Hettners,  die  sich  der 
Verf.  zu  eigen  macht,  in  recht  wichtigen 
Punkten  ab  — ,  ohne  den  Wert  dieser 
Karten  irgendwie  zu  beanstanden.  Be- 
sonders das  Hauptblatt  ist  sehr  reich- 
haltig und  interessant  und  in  seiner  Weise 
bisher  durchaus  einzigartig. 

0.  Schlüter. 

Oberbammer,  Engren«  D  i  e  In  8  e  1 C  y  p  e  r  n. 

Eine   Landeskunde    auf   historischer 
Grundlage.      Gekrönte     Preisschrift. 
I.   Quellenkunde  und  Naturbeschrei- 
bung. XVI  u.  488  S.  Karten  u.  1  Profil. 
München,  Ackermann  1903.    ^tC  12. — . 
Der  Verf.,   der   Cypem   zweimal    be- 
suchte,   hat   sich    diese  Insel   zu  seinem 
besonderen  Arbeitsfeld  erkoren  und  über 
sie  wiederholt  kleinere  Abhandlungen  ver- 
öffentlicht.     So    erscheint    es    natürlich, 
daß   er   seine   geplante   Darstellung   der 
hellenischen,  nicht  zum  eigentlichen  Grie- 
chenland gehörigen  Inseln,  abgesehen  von 


298 


Bücherbesprechungen. 


einer  kleinen  Arbeit  über  Imbros,  mit 
Cypern  beginnt.  Das  Werk  muß  auf  ganz 
besondere  Beachtung  Anspruch  erheben, 
einmal  wegen  des  hohen  Interesses,  das 
Cypem  durch  seine  Mittelstellung  zwi- 
schen Kleinasien  und  Syrien,  durch  seine 
Vermittlerrolle  zwischen  dem  Orient  und 
den  westlichen  Mittelmeerländem  in  geo- 
graphischer wie  geschichtlicher  und  kul- 
tureller Beziehung  besitzt,  dann  aber  auch, 
weil  der  Verf.  in  diesem  Buche,  wie  er 
im  Vorwort  ausführt,  ein  Musterbeispiel 
der  historischen  Länderkunde  schaffen 
will,  wie  sie  ihm  vorschwebt  und  wie  er 
sie  in  einem  Vortrage  auf  dem  IX.  deut- 
schen Geographentage  1891  formuliert  hat. 
Er  will  darin  „die  Gesamtheit  der  geo- 
graphischen Erscheinungen  nach  ihrer 
ganzen  historischen  Entwickelung^^  be-' 
handeln,  das  „Naturbild  der  Insel  zeich- 
nen, mit  allen  Veränderungen,  die  es  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  mit  oder  ohne 
Zutun  des  Menschen  erfahren  hat".  So 
wird  also  dem  Werk  von  seinem  Verf. 
die  Bedeutung  eines  wissenschaftlichen 
Programmes  beigelegt.  Die  Geographie 
kann  dieses  Unternehmen  nur  mit  Freu- 
den begrüßen.  Der  Referent  teilt  mit 
dem  Verfasser  und  wohl  mit  vielen  Fach- 
genossen  die  Ansicht,  daß  die  wissen- 
schaftliche Geographie  sich  bei  der  Dar- 
stellung des  ursächlichen  Zusammenhangs 
der  menschlichen  Erscheinungen  mit  der 
Natur  ihres  Schauplatzes  keineswegs  auf 
die  Gegenwart  beschränken  soll,  son- 
dern daß  sie  diesen  Zusammenhang  auch 
in  der  historischen  Vergangenheit  klar- 
zustellen hat.  Nicht  die  Zeit  gibt  die 
Grenze  zwischen  geschichtlicher  und  geo- 
graphischer Behandlung  ab,  sondern  die 
Methode.  Die  so  aufgefaßte  historische 
Landeskunde  bildet  einen  notwendigen 
Zweig  der  Geographie  —  im  Gegensatz 
zur  historischen  Topographie,  die,  weil 
nur  durch  historische  Methoden  zu  be- 
arbeiten, lediglich  der  Geschichtswissen- 
schaft zufällt. 

Warum  sind  aber  bisher  so  wenige 
Versuche  in  dieser  Richtung  gemacht 
worden?  Einfach  deswegen,  weil  wissen- 
schaftliche Geographen  so  selten  das  dazu 
nötige  historisch  -  philologische  Rüstzeug 
besitzen,  während  andrerseits  den  meisten 
bisherigen  „historischen  Geographen"  die 
geographische  Methode  zu  wenig  eigen 
ar,  als  daß  sie  mehr  als  alte  Topographie 


hätten  schaffen  können.  Als  Vorbilder 
seiner  Arbeit  nennt  der  Verf.  —  nach  K. 
Ritter  —  Nissen  und  Neumann - 
Partsch,  jedoch  will  er  sich  nicht  wie 
diese  auf  das  Altertum  beschränken,  son- 
dern ganz  besonders  auch  das  Mittelalter 
berücksichtigen.  So  hätte  er  wohl,  als 
bisher  unübertroffenes  Muster  einer  Dar- 
stellung, die  alle  historische  Zeiten  be- 
rücksichtigt und  doch  ganz  und  gar 
modern  geographisch  ist,  Partschs  Mo- 
nographien der  Jonischen  Inseln  anführen 
können. 

Oberhummer  ist  sicherlich  im  Besitz 
der  zu  seinem  Unternehmen  nötigen  Be- 
herrschung der  historischen  und  geogra- 
phischen Methoden.  Aber  es  ist  natür- 
lich, daß  doch  entschieden  das  historische 
Element  bei  ihm  vorwiegt.  Die  Darstel- 
lung der  Natur  der  Insel  ist  fast  durch- 
gängig referierend,  auf  die  Arbeiten  an- 
derer aufgebaut;  ein  Bild  des  Zusammen- 
wirkens der  natürlichen  Faktoren  zu  den 
tatsächlichen  Erscheinungen  der  Natur, 
die  Ableitung  der  Erscheinungen  aus 
ihren  Ursachen,  ist  nur  unvollkommen 
erreicht,  und  originelle  Gesichtspunkte 
bietet  in  dieser  Hinsicht  das  Buch  kaum. 
Dagegen  sind  mit  ungeheurem  Fleiß  und 
eingehender  kritischer  Sorgfalt  die  Nach- 
richten über  die  Insel  aus  der  Vergangen- 
heit gesammelt  und  berücksichtigt.  Eine 
ausführliche  Mitteilung  alter  Nachrichten 
fällt  allerdings  methodisch  aus  dem  Rah- 
men geographischer  Darstellung  heraus 
und  ist  nur  als  Vorarbeit  für  die  histo- 
rische Landeskunde  zu  betrachten.  Je- 
doch ist  ihre  Aufnahme  in  das  Werk 
nicht  zu  verwerfen,  da  sie  die  bisher 
nicht  vorhandene  Gnmdlage  der  histo- 
rischen Landeskunde  Cypems  bildet.  Aus 
demselben  Grunde  hat  z.  B.  der  Refe- 
rent in  seinen  Arbeiten  über  Griechen- 
land die  geologischen  Grundlagen  neu 
schaffen  und  daher  auch  weit  ausführ- 
licher mitteilen  müssen,  als  sie  streng 
methodisch  in  einer  geographischen  Lan- 
deskunde hätten  Platz  finden  dürfen. 

Im  ersten  Abschnitt  wird  zunächst 
zusammengestellt,  was  die  orientalischen 
Literaturen  über  Cypern  aussagen :  ägyp- 
tische und  assyrische  Texte,  Bibel,  phö- 
nizische  und  „epichorische"  Inschriften, 
die  rabbinische,  armenische,  syrische, 
arabische,  persische  und  türkische  Lite- 
ratur, die  russischen  Pilgerschriften.  Aber 


Buch  erbesprechun  gen. 


299 


auch  bei  allen  einzelnen  Gegenständen, 
die  im  folgenden  behandelt  werden,  wird 
angeführt,  was  darüber  die  verschieden- 
artigsten Quellen  von  den  ältesten  bis 
zur  jüngsten  Vergangenheit  melden,  und 
so  etwaige  Veränderungen  festgestellt 
und  zu  verstehen  gesucht.  Allerdings 
muß  die  eigentliche  Zusammenfassung  zu 
einem  lebensvollen,  auf  Ursache  und  Wir- 
kung beruhenden  Bilde  des  Zustandes 
und  der  Bedeutung  der  Insel  in  den  ver- 
schiedenen Zeiten  vom  zweiten  Bande  er- 
wartet werden,  der  den  anthropogeogra- 
phischen  Teil  bringen  wird. 

Wir  können  natürlich  hier  den  Inhalt 
des  Buches  nur  ganz  kurz  anführen,  ohne 
auf  Einzelheiten  einzugehen.  Das  zweite 
Kapitel  behandelt  den  Namen  der  Insel 
und  schließt  mit  einem  non  liquet;  das 
dritte  die  Lage;  ihre  Folgen  für  die  hi- 
storische Rolle  Cypems  in  den  verschie^ 
denen  Zeiten  werden  treflPlich  geschildert. 
Dann  werden  behandelt  Gestalt  und  Größe, 
Meer  und  Küste  (nebst  der  historisch  sehr 
wichtigen  Salzgewinnung,  dem  Fischfang, 
dem  an  der  Küste  vorkommenden  eigen- 
tümlichen Meeresschaum,  der  mit  dem 
Aphrodite-Mythus  in  Verbindung  gebracht 
wird);  Gebirgsbau;  nützliche  Mineralien 
(von  denen  allein  das  Kupfer  eine  große 
Bedeutung,  aber  nur  im  Altertum  besaß); 
Klima  und  Bewässerung  (auch  künstliche 
Bewässerung,  Krankheiten  u.  dergl.\  dann 
das  Pflanzenkleid  (nebst  Fi-uchtbarkeit, 
Geschichte  der  Bodennutzung  und  Kultur- 
pflanzen —  besonders  sind  die  Abschnitte 
über  das  Zuckerrohr  und  die  Baumwolle 
hervorzuheben  —  wohl  das  wertvollste 
Kapitel  des  Buches);  die  Tierwelt  (der 
ein  größerer  Raum  in  der  Landeskunde 
angewiesen  wird,  als  bisher  üblich).  End- 
lich wird  die  Karte  von  Cypep  in  ihrer 
Entwickelung  verfolgt  und  durch  Abbil- 
dungen erläutert,  dabei  viel  für  die  Ge- 
schichte der  Kartographie  Neues  gebracht, 
z.  B.  aus  der  türkischen  Seekarte  des 
Pin  Refs.  Den  Schluß  bilden  Nachträge, 
eine  Zeittafel,  eine  Literaturübersicht  und 
ein  sehr  sorgfältiges  Register.  Eine  Karte 
der  Insel  in  1  :  500  000  ist  beigefügt. 

Abgesehen  von  der  methodischen  Eigen- 
art, die  wir  in  ihren  Vorzügen  und  Schat- 
tenseiten zu  charakterisieren  vemicht 
haben,  ist  das  Buch  ein  so  wertvolles 
und  umfassendes  Quellenwerk,  wie  wir 
es   kaum  von   einem   anderen  Teile   des 


Mittelmeergebietes  besitzen.  Hoffen  wir, 
daß  uns  der  zweite  Band  bald  beschert 
wird!  Philippson. 

Ton Oppenheim,  Max.  Rabeh  und  das 
Tschadseegebiet.  IXu.  199S.  1  K. 
Berlin,  D.  Reimer  1903.  JC  4.—. 
Wer  die  Geschichte  des  afrikanischen 
Sudan  im  letzten  Jahrzehnt  —  und  wenn 
auch  nur  in  der  Tagespresse  —  verfolgt 
hat,  dem  ist  der  Name  Rabeh  begegnet. 
Die  Vorstellungen,  die  er  mit  diesem  Namen 
verknüpft  erhielt,  waren  ziemlich  verworren 
und  ungenau.  Auch  in  unserm  deutschen 
Schutzgebiet  Kamerun,  in  seiner  nordöst- 
lichen Ecke,  am  Ufer  des  Tschad,  hat 
dieser  Name  eine  Rolle  gespielt;  ja  die 
(freilich  kurze)  Zeit  seiner  größten  Macht- 
entfaltung hat  dieses  Gebiet  zum  Schau- 
platz. Einen  zusammenfassenden  Bericht 
nui^  über  diesen  unstreitig  bedeutenden 
Mann  zu  geben,  der  in  seinem  Eroberer- 
zug durch  ganz  Innerafrika  weite  Kreise 
zu  seinen  Lebzeiten  bewegte  und  —  in- 
direkt — ^  vielleicht  noch  weitere  nach 
seinem  Sturze  bewegen  wird,  hat  sich  der 
Verfasser  zur  Aufgabe  gemacht. 

Diese  Aufgabe  muß,  soweit  nicht  die 
Kürze  der  Zeit  seit  den  erst  jüngst  ver- 
flossenen Ereignissen,  die  Unzuverlässig- 
keit  der  Quellen  und  andere  Umstände 
hemmend  und  störend  wirken,  als  ge- 
lungen bezeichnet  werden ;  zum  mindesten 
ist  mit  vorliegendem  Buch  ein  Werk  ge- 
schaffen, das  zum  erstenmal  im  Zu- 
sammenhang über  die  ganze  Lebens- 
geschichte dieses  kühnen  Arabers,  „der  zu 
den  erfolgreichsten  Eroberem  zu  rechnen 
ist,  welche  die  Welt  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten hat  auftreten  sehen",  über  die 
durch  sein  Auftreten  hervorgerufenen  ge- 
waltigen Umwälzungen  im  Sudan  berichtet. 
Der  Verfasser  war  für  diese  seine  Auf- 
gabe, abgesehen  von  seinem  Fleiß  und 
kritischen  Studium  aller  einschlägigen 
Tagesberichte  in  französischen  u.  a.  Publi- 
kationen, ganz  besonders  geeigenschaf- 
tet  durch  seinen  langjährigen  amtlichen 
Aufenthalt  in  Kairo,  „das",  wie  er  selbst 
in  der  Vorrede  betont,  „für  die  Beobach- 
tung aller  Vorgänge  in  der  mohammeda- 
nischen Welt  ein  hervorragend  geeigneter 
,  Punkt  ist",  wo  es  ihm  möglich  war,  einer- 
I  seits  durch  persönlichen  Verkehr  mit  Ra- 
1  behs  einstigem  Führer  Zuber  Pascha, 
I  andererseits  „durch  Angehörige  verschie- 


300 


Bücherbesprechungen. 


denster  innerafrikanischer  Länder  un- 
mittelbare Nachrichten  über  die  frühere 
Entwicklung  der  Macht  Rabehü  und  über 
die  jüngsten  Ereignisse  am  Tschadsee  zu 
sammeln".  Auch  die  persönliche  Rück- 
sprache mit  Gentil,  dem  Oberwinder  Ra- 
behs,  konnte  dem  Buche  nur  zum  Vorteil 
gereichen. 

So  liegt  in  dem  Werke  die  erste  zu- 
sammenfassende Darstellung  der  tief  ein- 
greifenden Vorgänge  im  weitern  und 
engem  Tschadseegebiet  klar  und  über- 
sichtlich vor  uns;  es  hat  gerade  jetzt  für 
uns  Deutsche  ein  um  so  größeres  aktuelles 
Interesse,  als  wir  durch  den  Zug  des 
Kameruner  Schutztruppenkommandeurs 
Oberst  Pavel  nunmehr  selbst  am  Tschad- 
see unsere  Flagge  gezeigt  haben,  auch 
in  die  Ausläufer  der  durch  den  kühnen 
Eroberer  erzeugten  gewaltigen  Bewegung 
hineingeraten  sind  und  —  vielleicht  .mit 
am  Vorabend  neuer  Ereignisse  ungeahnter 
Tragweite  da  drinnen  im  Sudan  stehen. 
Auch  dieser  noch  offenen  Zukunftsfrage, 
80  wichtig  für  unser  Kamerun;  gedenkt 
der  Verfasser. 

Einzelne  kleine  Unrichtigkeiten,  wie 
z.  B.  die  Unterschätzung  des  Einflusses 
der  einstigen  Royal  Niger  Company  auf 
die  Handelsbeziehungen  des  Sudan  (8.  66), 
die  Aufführung  von  Schweinfurth,  Junker 
und  Marchand  unter  den  speziell  um  das 
Tschadseegebiet  verdienten  Forschem 
(S.  159)  beeinträchtigen  den  Wert  des 
Buches  in  keiner  Weise. 

Ich  halte  dasselbe  für  einen  gerade 
jetzt  äußerst  schätzbaren  Beitrag  zur  poli- 
tischen Kenntnis  des  entlegensten  Hinter- 
landes von  Kameran,  das  jedem,  der  da 
drinnen  amtlich  oder  privat  zu  arbeiten 
das  Glück  hat,  geradezu  unentbehrlich 
sein  muß,  das  auch  in  der  Heimat  bei  Be- 
urteilung jener  fernen  Verhältnisse  das 
richtige  Verständnis  erschließt. 

Hutter,  Hauptmann  a.  D. 

Krämer,  A»    Die  Samoa-Inseln.    Ent- 
wurf einer  Monographie  mit  beson- 
derer     Berücksichtigung      Deutsch- 
Samoas.    1.  Bd.:  Verfassung,  Stamm- 
bäume, Überlieferungen.  509  S.  3  Taf., 
4  K.  u.  44  Textfig.  Stuttgart,  Schweizer- 
barth 1902.     .€  12.—. 
Dieser  wuchtige  Quartband  macht  die 
erste  Hälfte  eines  sehr  schätzbaren  Ori- 
ginalwerks aus,  zu  dem  der  kaiserliche 


Marinestabsarzt  Dr.  Augustin  Krämer  den 
Stoff  hauptfiächlich  auf  einer  zweijährigen 
Südseereise  (1897—1899)  gesammelt  hat, 
nachdem  er  bereits  in  den  Jahren  1893 
bis  1895  auf  Samoa  sich  mit  Aufnahmen 
von  Überlieferungen  aus  dem  Mund  der 
Eingebomen  beschäftigt  hatte. 

Das  Werk  enthält  nicht,  wie  der  Titel 
es  vermuten  hißt,  eine  fertige  Monogra- 
phie Samoas,  vielmehr  eine  Fülle  von 
Materialbeiträgen  zur  Landes-,  viel  mehr 
noch  zur  Volkskunde  der  herrlichen  Insel- 
gruppe. 

Einleitungsweise  wird  em  Blick  ge- 
worfen auf  die  Geschichte  Samoas,  die 
sich,  obwohl  bis  zur  Landung  des  nord- 
amerikanischen Missionars  Williams  (Au- 
gust 1830)  bloß  mündlich  fortgepflanzt, 
doch  ziendich  sicher  bis  um  das  Jahr 
1000  n.  Chr.  zurückverfolgen  läßt;  dazu 
gesellen  sich  kürzere  Erörterungen  über 
die  ziemlich  verwickelte  Verfassung  und 
Verwaltung  während  der  Zeit  der  Selbst- 
ständigkeit Samoas  sowie  einiges  über 
Sitten  und  Bräuche  (Kawatrank,  die  eine 
so  große  Rolle  spielenden  feinen  Flecht- 
matten u.  a.),  über  Familie  und  Gesell- 
schaft. 

Den  Hauptinhalt  des  Bandes  bilden 
ganz  ins  einzelne  gehende  Mitteilungen 
über  Savaii,  Upolu,  Tutuila  und  Manua 
(d.  h.  die  Gruppe  der  kleinen  Ostinseln 
Ofu,  Olosenga,  Tau).  In  jeder  dieser  vier 
Abteilungen  wird  abgehandelt:  1)  Siede- 
lungsverteilung  nebst  verfassungsmäßiger 
Landschaftsgliederung;  2)  Genealogie  der 
führenden  Geschlechter  mit  ganz  ausführ- 
licher Angabe  der  Stammbäume;  3)  poe- 
tische und  prosaische  Überlieferungen  in 
samoanischer  Sprache  mit  seitlich  bei- 
gefügter deutscher  Übersetzung. 

An  dieser  Stelle  kommt  vor  allem  der 
jedesmalige  siedelungskundliche  Abschnitt 
in  Betracht.  Er  bedeutet  freilich  keine 
wissenschaftliche  Siedelungslehre,  sondem 
nur  eine  genaue  Aufzählung  und  Lagen- 
angabe der  über  die  Küsten  verteilten 
Siedelungsbezirke,  die  in  eigentümlicher 
Weise  (ähnlich  wie  der  Hauptort  Apia) 
alle  in  mehrere,  gewöhnlich  3 — 4,  „Dorf- 
teile" zerfallen.  Durch  Abwandern  sämt- 
licher Küsten  zu  Fuß  hat  der  Verf.  neben 
genauer  Feststellung  von  Namen  und 
Lage  aller  dieser  Siedelungsgruppen  auch 
sonst  noch  manche  topographische  Einzel- 
heiten richtig   zu   stellen   gefunden.    Zu 


Bücherbesprechungen. 


301 


jeder  seiner  vier  Abteilungen  hat  er  seine 
sorgfältigen  Ortsvermerke  in  eine  Umriß- 
karte der  betr.  Inseln  eingetragen.  Zur 
Upolu-Karte  ist  der  Umriß  der  Karte  von 
Langhans  benutzt  mit  stillschweigender 
Berichtigung  der  Lage  des  schönen  Kra- 
tersees Lanutoo  (n  i  c  h  t  in  östlicherer  Länge 
als  Apia,  sondern  südwestlich  von  diesem). 
Man  wird  übrigens  gut  tun,  die  vielfachen 
Namenberichtigungen  dieser  Karten  stets 
mit  dem  Text  zu  vergleichen,  der  oflTen- 
bar  maßgebender  ist.  So  heißt  z.  B.  die 
Ortschaft  Samamea  in  Ost-Upolu  an  der 
Fangaloa-Bai  auf  der  Karte  versehentlich 
Samameu.  Dagegen  dünkt  das  ng  der 
Karte, bei  Fangaloa,  Berg  Olemanga  u.a. 
der  im  Text  gewählten  Transkription  mit 
g  vorzuziehen,  weil  ng  die  tatsächliche 
Aussprache  wiedergibt.  Nach  jener 
Schreibweise  müßten  wir  auch  Toga  statt 
Tonga  setzen.  Die  Schreibart  Fidji,  die 
der  Verf.  gebraucht,  ist  eine  für  den 
Deutschen  unzulässige  Französierung  des 
englischen  Fiji.  Kirch  ho  ff. 

Geistbeek,  M.  und  A.  Geistbeek.    Leit- 
faden der  Geographie  für  Mittel- 
schulen.   V.  Teil,    a)  Lehrstoff  der 
5.  Klasse  (Obertertia)  der  humanisti- 
schen Gymnasien.  Europa  und  Deutsch- 
land.  58  S.  b)  Abriß  der  Länderkunde 
für  die  6.  (oberste)  Klasse  der  Real- 
schulen.   70  S.  München,  Oldenbourg 
1902.     JL  —.66. 
Beide  Bändchen  sollen  dem  abschließen- 
den wöchentlich  einständigen  geographi- 
schen  Unterricht  einerseits  in  der  Ober- 
tertia der  bayrischen  Gymnasien,  ander- 
seits in  der  letzten  Klasse  der  bayrischen 
Realschulen  eine  Grundlage   geben.    Der 
Inhalt  beider  Bändcheu  unterscheidet  sich 
gemäß    den  Vorschriften   der  bayrischen 
Schulordnung  im  wesentlichen  darin,  daß 
in   dem   für  Gymnasien   bestimmten  nur 
Europa  behandelt  wird,  während  in  dem 
für    Realschulen    bestimmten    Bändchen 
neben  Europa  auch  die  außereuropäischen 
Erdteile  zur  Darstellung  gelangen.    Den 
meisten   Raum   von  je   30   Seiten  bean- 
sprucht in  beiden  Bändchen  das  germa- 
nische Mitteleuropa;  in  dem  Bändchen  für 
Gymnasien  erfahren  außerdem  die  Mittel- 
meerländer   eingehendere     Besprechung. 
Viel  Stoff  wird  geboten.    Wir  werden 
belehrt  über  die  Erwerbsquellen  der  ver- 
schiedenen Länder,  über  deren  Industrie- 


I  Zentren.  Wir  lernen  die  wichtigsten  Ver- 
I  kehrswege  kennen,  die  Lage  einer  ganzen 
Reihe  von  Städten  wird  uns  erklärt.  Wir 
erfahren,  welcheVolksstämme  die  einzelnen 
Landschaften  bewohnen,  welche  hervor- 
ragenden Männer  aus  denselben  hervor- 
gegangen sind,  welche  Rolle  einzelne 
Landschaften  im  Verlaufe  der  Geschichte 
spielten.  —  An  ethnographischem  Stoff 
dürfte  es  des  Guten  zu  viel  sein;  das 
meiste  hiervon  gehört  in  den  geschicht- 
lichen und  literar-historischen  Unterricht. 
—  Die  geographische  Darstellung  ist  teil- 
weise recht  anschaulich;  hervorzuheben 
sind  in  dieser  Beziehung  die  Schilderungen 
der  Bodenfläche  der  norddeutschen  Tief- 
ebene, der  schwäbisch-bayrischen  Hoch- 
fläche, des  ungarischen  Tieflandes.  Doch 
leidet  die  geographische  Darstellung  an 
einer  gewissen  Leere.  Warum  lernen  wir 
bei  Deutschland  nicht  hervorragendeWerke 
der  Baukunst  wie  Kanäle,  Eisenbahn- 
bauten auf  Grund  der  geographischen 
Bedingungen  verstehen,  warum  gewinnen 
wir  nicht  einen  Einblick  wenigstens  in 
die  Anlage  unserer  größten  Hafenstadt 
Hamburg,  warum  gibt  man  uns  nicht 
einen  Einblick  in  die  Erschließung  der 
Kohlenschichten  in  einem  unserer  Kohlen- 
bezirke, warum  erfahren  wir  nichts  Nähe- 
res über  Moorkulturen  usw.  ?  Noch  dürf- 
tiger ist  die  Belehrung  bei  außereuropäi- 
schen Ländern.  Z.  B.  wird  als  vorherr- 
schendes Wirtschaftssystem  der  Mittel- 
meerländer der  Gartenbau  mit  künstlicher 
Bewässerung  angegeben.  Warum  wird  uns 
dieses  Wirtschaftssystem  nicht  gleichzeitig 
mit  den  Kulturpflanzen  für  eine  ganz  be- 
stimmte örtlichkeit  vorgeführt?  Oder  was 
ist  dem  Schüler  damit  gedient,  wenn  er 
hört,  die  Union  stehe  betreffs  der  Eisen-, 
Steinkohlen-,  Gold-,  Silber-,  Kupfer-,  Petro- 
leum- und  Quecksilbererzeugung  an  erster 
Stelle,  ohne  Näheres  über  den  Ursprung 
solcher  Erzeugnisse  zu  erfahren?  Reifere 
Schüler,  für  die  ja  die  Bändchen  bestimmt 
sind,  vertragen  schon  einige  Einzelheiten, 
wenn  solche  in  dem  richtigen  Zusammen- 
hang dargeboten  werden. 

Die  Schüler  sollen  durch  den  geo- 
graphischen Unterricht  sehen  lernen. 
Die  Geistbeckschen  Bändchen  suchen  den 
Schülern  eine  Menge  Wissen  beizubringen ; 
doch  ist  Referent  der  Ansicht,  daß  die 
Schüler  mit  diesem  Wissen  im  Leben  nur 
wenig  werden  anfangen  können.    Olauß. 


302 


Neue  Bücher  und  Karten. 


Nene  Bficher  and  Karten. 


Al1|ir«nelDeN. 

Teata,  Oscar  M.  L'awenire  della  Geo- 
grafia.  IV  u.  84  S.  Neapel,  Pierro 
1903.     Lire  1.50. 

Sohr-Berghaus.    Hand-Atlas.     9.  Aufl. 
Lief.  2  u.  8.     Glogau,  Flemming. 
Oeichlehte  der  Geographie. 

Crivellari,  G.  Alcuni  cimeli  della  Carto- 
grafia    Medievale    esistenti    a    Verona. 
48  S.     Florenz,  Seeber  1908. 
■»thenatlsche  tieoirr»phle. 

Albrecht,  Th.  Resultate  des  internatio- 
nalen Breitendienstes.  Bd.  L  (N.  F.  d. 
Veröif.  d.  Zentralbureaus  d.  intemat. 
Erdmessung.  Nr.  8.)  178  S.  12  Taf. 
Berlin,  Georg  Reimer  1908 

Allgemeine  phjrNlicIie  Geographie. 

Arrhenius,  S.  A.  Lehrbuch  der  kos- 
mischen Physik.  I.  Teil.  VIU  u.  472  S. 
166  Abb.  u.  2  Taf.  U.  Teil.  Vm  u. 
554  S.  188  Abb.  u.  1  Taf.  Leipzig, 
Hirzel  1908.     JC  88.—. 

Allgenelae  Geographie  des  Meaaehen. 

Schaf  er,  D.  Kolonialgeschichte.  (Samm- 
lung Göschen.  Bd.  156.)  154  S.  Leipzig, 
Göschen  1903.     JC  —.80. 

A.  Hartlebens  Statistische  Tabelle  über 
alle  Staaten  der  Erde.  XI.  Jahrg.  1908. 
Wien,  Hartleben  1903.     JC  —.50. 

A.    Hartlebens     Kleines     statistisches 
Taschenbuch  über  alle  Länder  der  Erde. 
X.  Jahrg.  1903.    Bearb.  v.  F.  Umlauft. 
104  S.     Wien,  Hartleben  1903. 
Deatachlaad  and  Naehbarllader. 

Handbuch  der  Wirtschaftskunde 
Deutschlands.  Hrsg.  i.  A.  d.  deut- 
schen Verbandes  f.  d.  kaufmSnn.  Unter- 
richtswesen. Bd.  in.  480  S.  Zahlreiche 
Tab.  im  Text.  Leipzig,  Teubner  1908. 
Lief.  1  u.  2  je  JC  6.—. 

ibrigeH  Earopa. 

Pope8cu,St.I).  Wii-tschaftsgeographische 
Studien  aus  Großbritannien.  VHI  u. 
178  S.   Leipzig,  Schmidt  1903.   JC  3.—. 

Popescu,  St.  D.  Beiträge  zur  Ent- 
stehungsgeschichte des  oberen  Olttales. 


Leipz.  Diss.     94   S.     Leipzig,    Schmidt 
1902. 

de  Martonne,  E.  Recherches  sur  la 
distribution  geographique  de  la  popu- 
lation  en  Valachie.  Avec  une  ^tude 
critique  sur  les  proc^d^s  de  repr^sen- 
tation  de  la  repartition  de  la  Popula- 
tion. 161  S.  Mehrere  statist.  Taf.  u. 
2  K.  Paris,  Colin  1908. 
Asiea. 

K  rahm  er.  Die  Beziehungen  Rußlands 
zu  Persien.  Rußland  in  Asien.  Bd.  VI. 
126  S.  Leipzig,  Zuckschwerdt .  1908. 
.H  8  — . 

Labbä,  P.     Un  Bagne  Russe.     L'lle   de 
Sakhaline.   16^    276  S.    61  Abb.  Paris, 
Hachette  &  Co.  1908.     Fr.  4.—. 
Afrika. 

de  Mathusieulx,  H.  M.  A  travers  la 
Tripolitaine.  16^  VU  u.  802  S.  68  Abb. 
Paris,  Hachette  &  Co.  1908.     Fr.  4.—. 

Henze,  H.  Der  Nil,  seine  Hydrographie 
und  wirtschaftliche  Bedeutung.  An- 
gewandte Geographie.  I.  Serie.  4.  Heft. 
108  S.  2  Abb.  Halle  a/S.,  Gebauer- 
Schwetschke  1908.  JC  2.—. 
Nord-  and  Mittel-Amerika. 

S tu  bei,  A.     Martinique  und  St.  Vincent. 
S.-A.    aus:    Über   die   genetische   Ver- 
schiedenheit vulkanischer  Berge.    36  S. 
6  Text- Abb.     Leipzig,  Weg  1908. 
Sfid-Amerlka. 

Hettner,  A.     Das  Deutschtum   in  SQd- 
brasilien  und  Südchile.    24  S.    Leipzig, 
Teubner  1908.     JC  —.60. 
Polargegeaden. 

Sverdrup,  0.     Neues  Land.    Vier  Jahre 
in  arktischen  Gebieten.     Viele  Abb.  u. 
K.     1.  Lief.     Leipzig,  Brockhaus  1908. 
86  Lief.     Jede  Lief.  JC  —.60. 
Geographischer  Vaterrleht. 

E.  Z ollin ger.  Geographische  Heimats- 
Kunde  der  Stadt  Basel  in  Lesestücken 
und  ausgeführten  Lektionen.  VUI  u. 
139  S.  Abb.  u.  Pläne.  Zürich,  Orell 
Füßli  1903.     Fr.  1.50. 


Zeitschriftenschaa. 

Petermanns  Mitteilungen  1903.  Heft  8.  der  kaukasischen  Grenze  nach  Tabriz  und 
Senfft:  Ethnographische  Beiträge  über  |  Kaswin.  —  Braun:  Der  Schilling-See  im 
die  Karolinen- Insel  Yap.   —   Stahl:  Von  |  Preußischen  Oberlande.  —  Sievers:  Neue 


Zeitschriften  seh  an. 


303 


Literatur  zum  chilenisch -arf^entiniachen 
Grenzstreit. 

Globus.  83.  Bd.  Nr.  11.  Rüge:  Klein- 
asien  als  Wiege  der  wissenschaftlichen 
Erdkunde!  —  Sievers:  Zur  Schreibweise 
der  Orts-  und  Stamraesnaraen  in  Süd- 
amerika. ~  Raap:  Reisen  auf  der  Insel 
Nias.  —  Greim:  Die  Abbildung  der  vor- 
herrschenden Winde  durch  die  Pflanzen- 
welt. 

Dass.  Nr.  12.  Seidel:  Die  deutschen 
Salomo-Inseln  sonst  und  jetzt.  —  Rage: 
Kleinasien  als  Wiege  der  wissenschaft- 
lichen Erdkunde  ü.  —  Katzer:  Das  Po- 
povopolje  in  der  Hercegovina. 

Das8.  Nr.  18.  Singer:  Die  deutsche 
Afrikaforschung.  —  Hauthal:  Die  Ent- 
scheidung im  argentinisch -chilenischen 
ürenzstreit.  —  Rütimeyer:  Die  Nilgala- 
weddas  in  Ceylon  I.  —  Weitere  Ent- 
deckungen zur  Vorgeschichte  Kretas.  — 
Förster:  Vom  Nyassa  zum  Viktoria 
Nyansa. 

Dctss.  Nr.  14.  Struck:  Die  mazedo- 
nischen Seen  IL  —  Die  New  Yorker  Juden. 

—  Rütimeyer:  Die  Nilgalaweddas  in 
Ceylon  11.  —  Krebs:  Studien  an  der  neuen 
Monatskarte  für  den  Atlantischen  Ozean. 

—  Singer:  Zur  Festlegung  der  Grenzen 
Kameruns.  —  Oppert:  über  einen  der 
Begräbnisplätze  der  Asche  Buddhas. 

Boss.  Nr.  16.  Wolkenhauer:  Dr. 
Karl  V.  Scherzer  f.  —  Thom6:  Die  Götzen 
am  Kilimandscharo.  —  Tetzner:  Seelen- 
und  Erdmännchenglauben  bei  Deutschen, 
Slawen  und  Balten.  —  Struck:  Die 
mazedonischen  Seen  II. 

Deutsche  Bundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XXV.Jhrg.  T.Heft.  Neuber: 
Die  systematische  Geographie.  —  Kar- 
stedt:  Ein  Streifzug  durch  Savolaks  und 
Karelien  (Finland).  —  Wagner:  Der 
Schreckenstein.  —  v.  Orlowsky:  Ein 
mächtiges  Gebiet,  welches  durch  Irriga- 
tion kultiviert  werden  soll. 

Meteorologische  Zeitschrift  190?^.  S.Heft. 
Ischirkoff:  Zum  Klima  von  Sofia.  — 
Kassner:  Über  den  täglichen  Gang  der 
Temperatur  von  Sofia.  —  Ebert:  Die 
atmosphärische  Elektrizität  auf  Grund  der 
Elektronentheorie.  —  Martin:  Zum  Klima 
von  Südchile,  Llanquihue  und  Chiloä. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie.  1903. 
7  Heft.  Schwarzleitner:  Zur  Länder- 
kunde Europas  auf  der  Oberstufe.  — 
Braun:  Turan,  eine  morphologische  Studie. 


Zeitschrift  fwr  Gewässerhmde,  1903. 
4.  Heft.  Wojeikow:  Der  jährliche 
Wärmeaustausch  in  den  nordeuropäischen 
Seen.  —  Steuer:  Über  geologische  Vor- 
arbeiten für  die  Trinkwasserversorgung 
in  Rheinhessen.  —  Weigelt:  Die  Be- 
gründung einer  biologischen  und  Ab- 
wasser-Versuchsstation der  deutschen  che- 
mischen Industrie.  —  Crugnola:  Zur 
Dynamik  des  Flußbettes. 

Asieti.  1903.  Nr.  4.  v.  Brandt:  Der 
englisch-chinesische  Vertrag  vom  Septem- 
ber 1902.  —  Schlagintweit:  Deutsche 
Schiffahrt  nach  Ostasien.  —  Kürchhoff: 
Eisenbahnen  und  Eisenbahnbaupläne  in 
China.  —  Tischert:  Verschärfung  des 
russisch-englischen  Gegensatzes  in  Per- 
sien. —  V.  Bruch  hausen:  Die  Quetta- 
Nuschki-Bahn.  —  v.  Kleist:  Die  wirt- 
schaftlichen Verhältnisse  der  Mandschurei. 
—  Telegraphen- Verbindung  in  China. 

Dass.  Nr.  6.  Wirth:  Die  Anfänge 
Japans.  —  Arakelian:  Der  Babismus 
in  Persien.  —  Vosberg:  Arabien.  — 
Kürchhoff:  Eisenbahnen  in  China.  — 
Kr  an  sei:  Der  chinesische  Teehandel.  — 
Klein:  Vize-König  Chang  Chi-Tung  über 
Eisenbahnen. 

Beiträge  zur  Kolonialpolitik  und  Kolo- 
nialwirtschaft.  IV.  Jhrg.  1 1 .  Heft.  Mohr: 
Algerien.  —  Herb:  Die  Aussichten  neuer 
Unternehmungen  in  Südamerika.  —  Fell- 
mer:  Einrichtung  eines  großen  Vieh trans- 
portweges  durch  Südwestafrika. 

Dass.  Sonderheft.  Brose:  Die  deut- 
sche Kolonialliteratur  im  Jahre  1901. 

Zeitschrift  d.  Ges.  f.  Erdkdt.  zu  Ber- 
lin. 1903.  Nr.  8.  Steffen:  Reisenotizen 
aus  Westpatagonien.  —  Wegen  er:  Die 
vulkanischen  Ausbrüche  auf  Sawaii.  — 
Woeikof:  Das  Warmwasser  vor  den 
Straßen  von  Gibraltar  und  Bab-el-Mandeb. 

Mitteilungen  der  K.  K.  Geographischen 
Gesellschaft  in  Wien.  1903.  Nr.  1  u.  2. 
Grab  er:  Geographisch-Geologisches  aus 
dem  oberösterreichischen  Donautale.  — 
Schaffer:  Geologische  Forschungsreise 
im  südöstlichen  Kleinasien. 

The  GeographicalJoumal.  1903.  Nr.  4. 
Buckley:  Colonization  and  Irrigation  in 
the  East  Africa  Protectorate.  —  Smith 
and  Moss:  Geographical  Distrubution  of 
Vegetation  in  Yorkshire.  —  Hamilton: 
From  Quito  to  the  Amazon  via  the  River 
Napo.  ^—  Dickson:  The  Hydrography  of 
the  Faeroe-Shetland  Channel.  —  The  Vol- 


304 


Zeitschriften  schau. 


canic  Eruption  on  Tarishima.  —  Return 
of  the  „Moming'*.  —  Additional  Remarks 
on  New  Discoveries  in  the  Text  of  Ca- 
prini. 

The  Scoiiibh  Geographica!  Magazine. 
1Ü03.  Nr.  4.  The  „Scottia"«  Voyage  to 
the  Falkland  Islands.  —  Hawes:  A  Visit 
to  the  Island  of  Sakhalin.  —  The  Tanga- 
nyika-Problem.  '       - 

La  Geographie.  1903.  Nr.  3.  Recon- 
naissance  g^ographique  de  la  r^gion  du 
Tchad  par  le  lieutenant-colonel  Destenave. 

—  Rabot:  La  Laponie  suädoise.  — 
Doutt^:  Figuig.  Notes  et  impressions. 

Ännales  de  Geographie.  1908.  Nr.  62. 
Caullery:  Le  Plankton.  —  Hitier:  Le 
yillage  picard.  —  Segonzac:  Voyages 
au  Maroc.  —  d'Ollone:  Cöte  d'Ivoire  et 
Liberia.  —  Van  Cassel:  Geographie 
t^conomique  de  la  Haute  Cöte  d'Ivoire 
Occidentale.   —    Haug:    Le  bas  Ogooue. 

—  Girardin:  Sur  un  projet  de  Corpus 
topographique  du  monde  ancien.  — 
B risse:  Le  reseau  ferr^  de  l'Asie  Mi- 
neure. 

Riv.  Geogr.  Ital.  Ann.  X.  1903.  Jan. 
u.  Febr.  Bertelli:  La  leggenda  di  Fla- 
vio  Gioia  inventore  della  Bussola.  — 
Mori:  Origine  e  progressi  della  Carto- 
grafia  ufficiale  negli  Stati  modemi.  — 
Bertolini:  Ancora  della  linea  delle  sor- 
give  in  relazione  alla  laguue  e  al  terri- 
torio  veneto.  —  Crocioni:  Termini  geo- 
grafici  dialettali  de  Velletri  e  distorni.  — 
Melzi:  Osservazioni  dei  Tromometri  foto- 
grafici  al  Collegio  della  Querce.  —  Al- 
fani;  Osservatorio  Ximeniano  di  Firenze. 

—  Marinelli:  Uno  studio  sul  Moritello. 

—  Regalla:  Lmfima  razza  umana.  — 
Castellani:  Una  visita  al  Re  di  Uganda. 

—  La  seconda  riunione  de!  comitato  per- 
manente per  i  congressi  geografiei  italiani. 

Dass.  Milrz.  Bertelli:  La  leggenda 
di  Flavio  Gioia  (cont.).  —  de  Magi- 
stris:  Le  torbide  del  Tevere  —  Mori: 
Cartografia  ufficiale  (cont.)  —  Pagnini: 
L'ipotesi  del  P.  Timoteo  Bertelli  sulla 
distribuzione  della  densita  nelF  intemo 
della  terra.  —  Marinelli:  I  ghiacciai 
nel  regime  dei   fiumi    alpini.    —    Mori: 


Riunione  della  R.  Commissione  Geodetica 
Italiana  Firenze. 

llie  Natuynal  Geographie  Magazine 
1908.  Nr.  3.  Foster:  The  Canadian 
Boundary.  —  Westdahl:  Mountains  of 
Unimak  Islands.  —  Emerson:  Opening 
of  the  Alaecan  Territory.  —  The  Forests 
of  Canada.  —  Work  in  the  far  South.  — 
The  Development  of  Cuba.  —  Theories 
of  Volcanic  Action. 

The  Journal  of  Geography.  1908. 
Nr.  1.  4'*^^®^^-  Phyßical  Conditions 
and  Explorations  as  illustrated  by  Austra- 
lia.  —  Philipps:  How  the  Mangrove 
Tree  adds  New  Land  to  Florida.  — 
Whitbeck:  The  Glacial  Period  and  Mo- 
dern Geography.  —  Carney:  The  Dome- 
stication  of  Ginseng.  —  Travel  and  Traffic 
in  China.  —  The  Danish  West  Indies.  — 
Raymond:  Geographical  Positions  of  the 
Base  Lines  and  Principal  Meridians. 

Aus  Tersehiedenen  Zeitschrifteu« 
van    Baren:     Het    alpine    Gletscherijs ; 
zijne  afzettilgen  en  invloed  op  de  vor- 
men  van  het  Hooggebergte.    Tijdschrift 
van   het   Kon.  Nederlandsk   Äardrijks- 
kundig  Genotschap.     1908. 
D  e  t m  e  r :  Reisebilder  aus  Algerien,  Tune- 
sien und  der  Sahara  (Schluß).    Himmel 
und  Erde.  Bd.  XV.  7.  Heft.  April  1903. 
Gobet:   Les  grandes  villes  de  la  Terre 
situ^es  au-dessus  de  2000  m.    Revue  de 
Frihourg.     1903.    Janv.— Fövr. 
Is  for  holdene  i  de  arktiske  Have  1902. 
The  State  af  the  ice  in  the  arctic  seas 
1902.      (6    K.)     Danske    meteorologiske 
Instituts  nautisk' meteorologiske  Aarbog. 
Maurer:  Meteorologische  Beobachtungen 
aus   Deutsch  -  Ostafrika.     Monats-   und 
Jahresmittel   von   34  Beobachtungssta- 
tionen.   Mitteilungen  aus  den  deutschen 
SchutzgehieUn.     Bd.  XVI.  1908.  Heft  1. 
Richter:     Der     historische     Atlas     der 
österreichischen  Alpenländer.    Deutsche 
Geschichtshlätter.     IV.    Bd.     6./7.    HefL 
März/April  1908. 
Schrameier:   Die  Grundlagen  der  wirt- 
schaftlichen Entwicklung  in  Kiautschou. 
Verh.  d.  Abt.  Berlin- Charlottenburg  d. 
Deutschen  Kol-Ges.  Bd.  VII.  Heft  2. 


Verantwortlicher  Herautgeber:  Prof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  Heidelberg. 


Die  deutsehe  Nordseekfiste  in  alter  und  neuer  Zeit. 

Von  Dr.  H.  Toepfer. 

Vor  der  Geest,  der  schwachen  zum  Diluvium  gehörigen  Erhebung,  die 
sich  an  der  Nordseeküste  hinzieht,  liegt  in  wechselnder  Breite  das  Gebiet  der 
Marschen  und  Watten. 

Es  gehört  durchaus  der  jüngsten  Erdbildungsperiode,  dem  Alluvium,  an, 
wenn  auch  viele  Jahrhunderte  vergangen  sind,  seit  sich  der  erste  Saum  neuen 
Landes  an  dem  Abfall  der  sandigen  Geest  ablagerte,  um  sich  dann  weiter, 
dem  Meere  zu,  auszubreiten. 

Wie  das  geschehen  ist,  woher  insbesondere  das  Bodenmaterial  stanmite, 
das  läßt  sich  wohl  entscheiden,  denn  noch  heute  setzt  sich  der  Bildungs- 
prozeß fort,   unzweifelhaft  genau  so  wie  in  ältester  Zeit. 

Es  ist  bekannt  genug,  daß  die  Flüsse  zu  jeder  Zeit,  insbesondere  aber 
nach  länger  andauernden  Regengüssen,  eine  Menge  gelöster  und  ungelöster 
Stoffe  —  Salze,  Ton-,  Kalk-  und  Sandmassen  — ,  die  aus  ihrem  Einzugs- 
gebiete stammen,  mit  sich  führen,  dem  Meere  zu.  Einen  Teil,  zuerst  die 
schweren  und  massigen  Gesteinstrümmer  und  den  groben  Kies,  setzen  sie 
unterwegs  ab,  entweder  im  Flußbette  oder  bei  Überschwemmungen  auf  dem 
üfergelände,  aber  einen  immer  noch  großen  Teil,  und  von  den  ungelösten 
Stoffen  natürlich  die  feinsten,  tragen  sie  bis  zu  ihrer  Mündung. 

Von  der  Menge  der  schwimmenden  und  gelösten  Stoffe  macht  man  sich 
bald  eine  zu  geringe,  bald  eine  zu  hohe  Vorstellung.  Man  betont  zuweilen, 
daß  die  Fortführung  fester  Massenteilchen  nach  und  nach  eine  Erniedrigung 
aller  Höhen,  ja  schließlich  ein  überall  gleiches  Niveau  erzeugen  müsse.  Nun 
damit  hat  es  gute  Wege.  Vorläufig  ist  noch  für  viele  Tausend,  ja  für  Mil- 
lionen Jahre  gesorgt,  daß  die  Gebirge  Gebirge  bleiben,  und  wir  brauchen 
nicht  zu  fürchten,  daß  das  über  die  Meerfläche  hervorragende  Land  ganz 
und  gar  ins  Meer  geschwemmt  werde  —  wenn  es  auch  Platz  darin  fände  — 
und  sich  über  die  ganze  Erdkugel  eine  zusammenhängende  Wasserhülle 
ausbreiten  werde.  Andererseits  freilich  erscheint  uns  oft  das  Flußwasser  so 
klar,  daß  wir  die  Menge  der  darin  schwebenden  Stoffe  kaum  für  erheblich 
ansehen  möchten.  Es  ist  eben  die  Menge  der  von  einem  Strome  als  Schwemm- 
masse oder  auch  in  gelöstem  Zustande  mitgeführten  festen  Bestandteile  zu 
verschiedenen  Zeiten  sehr  verschieden,  und  es  bedürfte  sorgfältiger  imd  jahre- 
lang fortgesetzter  Beobachtungen,  um  von  der  Gesamtmasse  eine  sichere  Vor- 
stellung zu  gewinnen.  Solche  liegen  aber  von  keinem  einzigen  unserer 
größeren  Flüsse  vor.  Nur  mit  Vorbehalt  führe  ich  ein  paar  Zahlenergeb- 
nisse an. 

Oeographisohtt  Zeitaohrill.  9.  Jahrgang.  1908.  6.  Heft.  21 


306  H.  Toepfer: 

Mit  dem  Rheine  fließen  täglich  im  Durchschnitt  etwas  üher  222  Mil- 
lionen Kuhikmeter  Wasser  aus  Deutschland  ab,  im  Jahre  also  mehr  als 
81  000  Millionen.  Bechnet  man  nun  mit  Bischof,  der  seine  Beobachtungen 
in  Bonn  anstellte,  auf  100000  Gewichtsteile  im  Mittel  25,27  Gewichtsteile 
an  gelösten  und  schwebenden  Stoffen,  so  ergibt  sich  als  Landverlust  im 
Jahre  rund  2072  Millionen  Tonnen,  die  einen  Baum  von  etwa  10  Millionen 
Kubikmeter  einnehmen  würden.  Sollte  diese  Masse  auf  das  ganze  beinahe 
IGOOOOqkm  umfassende  Stromgebiet  gleichmäßig  verteilt  werden,  so  würde 
der  Abtrag  jährlich  nicht  mehr  als  0,063  mm  betragen,  also  verschwindend 
klein  sein.  Und  doch  könnte  die  gesamte  Schwenmiasse  einen  Landstreifen 
von  1000  Hektaren  oder  10  Quadratkilometern  1  Meter  hoch  mit  Schlamm 
bedecken.  Von  anderer  Seite  wird  die  Menge  der  vom  Rhein  mitgeführten 
festen  Bestandteile  wesentlich  höher,  nämlich  zu  Sß^^  Millionen  Kubikmetern, 
angenonmien;  inunerhin  würde  der  hierdurch  bewirkte  auf  das  ganze  Strom- 
gebiet verteilte  Abtrag  erst  in  100  Jahren  23  nun  ausmachen,  allerdings 
aber  eine  Fläche  von  1000  qkm  mit  einer  Schlammschicht  von  3,6  m  Höhe 
überziehen  können. 

Wie  schon  gesagt,  man  braucht  diesen  Zahlen  kein  übermäßiges  Ver- 
trauen entgegenzubringen,  braucht  auch  gar  nicht  anzunehmen,  daß  die 
Schwemmassen  der  Flüsse  nur  bis  zu  ihrer  Mündung  geführt  werden, 
jedenfalls  werden  wir  es  begreiflich  finden,  daß  die  von  einem  größeren 
Strome  dem  Meere  zugeführten  festen  Stoffe,  wenn  sie  irgendwo  niedersinken, 
im  Laufe  von  Jahrhunderten  eine  ganz  gewaltige  Ausdehnung  erreichen 
können.  Und  wir  werden  es  auch  wenigstens  für  möglich  erachten,  daß  die 
vom  Rhein,  der  Ems,  Weser  und  Elbe  aus  dem  Innern  des  Landes  herbei- 
getragenen Massen  genügendes  Material  boten,  aus  dem  sich,  unter  Mit-  und 
Gegenwirkung  des  bewegten  Meeres  und  durch  die  Arbeit  des  Menschen  ge- 
sichert, Holland  und  das  Vorland  der  ganzen  norddeutschen  Küste  bilden 
konnte  ^). 

Wo  den  ausmündenden  Flüssen  die  Bewegung  des  Meeres  in  der  Form 
der  Gezeiten  entgegentritt,  da  erfolgt  bei  Flut  notwendig  eine  Stauung.  Die 
Strömung  hört  zeitweilig  ganz  auf  und  nun  sinken  selbst  die  leichtesten  der 
mitgeführten  Schwemmteile  zu  Boden.  Ja  eine  Stauung  muß  schon  eintreten, 
wo  das  strömende  Flußwasser  in  das  ruhende  Meer   eindringt,   also  auch  da, 


1)  Die  Ausdehnung  des  angeschwemmten  Landes  an  der  norddeutschen  Küste 
ist  nicht  übermäßig  groß,  sie  wird  weit  übertroffen  durch  die  sonst  bekannten 
Delta-  und  Inselbildongen.  Es  hat  z.  B.  der  Nil  ein  Delta  von  400,  der  Ganges 
ein  solches  von  über  800  Geviertmeilen.  Ganz  besonders  groß  muß  die  Menge  der 
Schwemmstoffe  sein,  welche  die  größeren  chinesischen  Ströme  dem  Meere  zuführen: 
durch  den  Peiho  ist  der  Busen  von  Petschili  mit  einer  Menge  von  Untiefen  und 
kleinen  Inseln  erfüllt,  und  seine  mittlere  Tiefe  beträgt  nur  sechs  Faden;  den  vom 
Hoangho  mitgeführten  Massen  feinen  Tons  verdankt  das  weite  Gelbe  Meer  seine 
Farbe;  vor  der  Mündung  hat  der  Jantsekiang  nicht  bloß  ausgedehnte  Sandbänke, 
sondern  auch  die  20  Meilen  lange  und  6—6  Meilen  breite  Insel  Thung-Ming  ab- 
gelagert, die  vor  600  Jahren  noch  nicht  bekannt  war.  Wenn  gerade  der  mäch- 
tigste aller  Ströme,  der  Amazonas,  kein  Delta  gebildet  hat,  so  ist  das  der  Meeres- 
strömung zuzuschreiben,  die  an  der  Küste  Brasiliens  vorüberzieht. 


Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter  und  neuer  Zeit.  307 

wo  eine  Flutbewegimg  nicht  bemerkbar  ist,  wie  z.  B.  im  Mittelmeere.  Gleich- 
zeitig aber  erfolgt  beim  ZusammentreJOfen  des  süßen  und  salzigen  Wassers, 
bei  der  Bildung  des  Brackwassers,  ein  großes  Sterben  mikroskopischer  Tiere, 
die  dem  Flusse  oder  dem  Meere  angehört  haben;  die  einen  können  eben 
nicht  in  dem  salziger  gewordenen,  die  anderen  nicht  in  dem  salzärmeren 
weiter  leben.  Namentlich  sind  es  kieselschalige  Seeinfusorien,  die  sich  in 
ungeheuren  Mengen  dem  niedersinkenden  imd  weitergeführten  Schlick  bei- 
mengen. Pressel  gibt  an,  daß  in  jeder  Ebbezeit  die  im  Emdener  Hafen 
gebildete  obere  Schlickschicht  zu  %q  aus  Infusorienpanzern  bestehe.  Gerade 
dem  Gehalte  an  diesen  tierischen,  also  stickstoffhaltigen  Bestandteilen  wird  — 
um  das  gleich  hier  zu  erwähnen  —  die  außerordentliche  Fruchtbarkeit  des 
aus  Schlickmassen  gebildeten  Marschbodens  zugeschrieben. 

Von  einiger  Bedeutung  ist  vielleicht  auch  die  Einwirkung  der  in  den 
abfließenden  MoorwUssem  enthaltenen  Humussäuren.  Sie  können  mit  der 
Kalk-  und  Talkerde  der  im  Meerwasser  gelösten  Salze  feste  Verbindimgen 
bilden,  die  sich  zugleich  mit  den  angeschwenmiten  Massen  niederschlagen. 
In  dieser  beschränkten  Weise  mag  auch  die  See  zur  Bildung  des  Schlicks 
beitragen,  wirkliche  Schwemmstoffe  aber  kann  sie  nur  in  geringster  Menge 
heranführen,  denn  bis  zum  Meeresboden  reicht  die  Bewegung  des  Wassers 
nicht,  und  was  die  Abnagung  etwa  an  den  Steilküsten  Norwegens  oder 
Schottlands  liefert,  wird  kaum  bis  an  unsere  Küste  gelangen;  das  würden 
schon  die  in  langer  Reihe  vorgelagerten  Düneninseln  verhindern. 

Aber  Schicht  kommt  auf  Schicht,  und  langsam  erhebt  sich  an  bestimmten 
Stellen  eine  der  Flußrichtung  vorlagemde  Bank,  eine  kleine  Insel,  oder  es 
erfolgt  ein  Vorrücken  des  Flußufers,  also  ein  Landansatz,  seitwärts  von  der 
Stromrichtung.  Die  Inselchen  schließen  sich  aneinander,  der  Fluß  gabelt 
sich,  dann  durchbricht  er  wohl  auch  hier  und  da  die  selbstgeschaffenen 
Hindemisse,  es  entsteht  ein  immer  weiter  vorgeschobenes  von  Wasseradern 
durchzogenes  Land,  ein  Delta.  Ein  solches,  dessen  Gestalt  oft  freilich  nicht 
mehr  der  Bezeichnung  entspricht,  wird  sich  vorzugsweise  dann  bilden,  wenn 
die  Flutströmung  der  Flußrichtung  möglichst  senkrecht  entgegentritt. 

Wo  der  ausmündende  Fluß  auf  eine  Nehrung  oder  auf  vorgelagerte 
Inseln  stößt,  da  bedarf  es  schon  gar  nicht  mehr  der  Flutwirkung  des 
Meeres,  um  eine  Stauung  hervorzubringen;  der  Absatz  der  Schwemmstoffe 
kann  in  ausgedehntem  Maße  erfolgen,  und  nach  und  nach  mag  sich  das 
Haff  bis  zur  Inselreihe  vollfüllen.  Kommt  die  Flut  mehr  von  der  Seite,  ent- 
steht ein  Küstenstrom,  so  werden  die  Schlickmassen  oft  weit  fortgeführt  und 
setzen  sich  erst  da,  wo  die  Meeres  wogen  in  ihrem  Laufe  gehemmt  werden, 
an  der  Küste  ab. 

In  unserem  Gebiete  treffen  wir  auf  die  verschiedensten  Bildungen:  auf 
ein  vollständiges  Delta  beim  Rhein,  auf  immer  weiter  foitschreitende  Aus- 
füllung der  durch  vorlagemde  Inseln  gebildeten  Haffe  vor  dem  östlichsten 
Rheinarme,  vor  der  Ems  und  teilweise  vor  der  Weser.  Bei  der  Elbe  da- 
gegen treibt  die  seitwärts  gerichtete  Flutwelle  die  Schlickmassen  gegen  die 
holsteinsche  Küste,  die  gewissermaßen  nur  das  rechte  Ufer  des  Stromes  bildet. 
Es  sind  gewiß  vorzugsweise  von  der  Elbe  stammende  Sinkstoffe,  welche  die 

21* 


308  H.  Toepfer: 

zwischen  die  nordfriesischen  Inseln  und  die  schleswigsche  Küste  eindringende 
Flut  herantreibt,  durch  die  sich  die  Küste  vorschiebt  und  das  Wattenmeer 
immer  seichter  wird;  die  unmittelbar  der  cimbrischen  Halbinsel  angehörenden 
Flüsse  sind  viel  zu  unbedeutend,  als  daß  sie  die  betreflFende  Landbildung 
allein  ermöglichen  könnten. 

Doch  verfolgen  wir  die  allmähliche  Bildung  neuen,  aus  dem  Meere  auf- 
steigenden Landes  weiter.  Als  typisch  greife  ich  dabei  die  Erscheinungen 
an  der  schleswigschen  Küste  heraus.  Wenn  die  Flut,  von  W  oder  NW 
konmiend,  sich  dem  Festlande  nähert,  so  ist  ihre  Kraft  schon  zum  größten 
Teile  durch  die  Bewegung  über  den  langsam  ansteigenden  Meeresboden  und 
durch  den  Widerstand  der  vorlagemden  Inseln  gebrochen.  Bei  der  nach 
6  Stunden  erfolgenden  Rückströmung  ist  sie  wesentlich  der  mitgebrachten 
Schwemmstoffe  entledigt,  in  dünner  Schicht  haben  sich  dieselben  nieder- 
geschlagen. Und  Flut  folgt  auf  Flut.  Eine  jede  trägt  etwas  —  sei  es 
noch  so  wenig  —  zur  Erhöhung  des  Bodens  bei.  Wird  ein  Stück  des 
unteren  Marschbodens  herausgehoben  und  getrocknet,  so  tritt  die  papierdünne 
Schichtung  deutlich  hervor. 

Ist  endlich  der  Boden  so  weit  gewachsen,  daß  er  bei  Ebbe  vollständig 
vom  Wasser  entblößt  ist,  so  erwacht  das  Pflanzenleben.  Über  den  Schlick 
verbreiten  AlgenfUden  einen  grünen  Schinuner;  und  obgleich  die  gewöhnliche 
Flut  noch  fußhoch  über  dem  salzdurchtränkten  Boden  steht,  steigt  aus  ihm 
als  erste  Blütenpflanze  der  Krückfuß  (Salicornia  herbacea)  empor.  Es  ist 
das  ein  den  Binnenländer  ganz  besonders  fremdai-tig  anmutendes  Gewächs; 
fleischig,  blattlos,  erinnert  es  mehr  an  einen  Kaktus  der  trockenen  Tropen- 
region, als  an  eine  Pflanze  der  nassen,  trüben,  gemäßigten  Zone.  Sie  wird 
von  besonderer  Bedeutung  dadurch,  daß  sie  in  ihrem  gegliederten  Stengel 
die  Schlammteilchen  ziu^ckhält  und  so  eine  weitere,  langsam  aber  stetig 
steigende  Erhöhung  des  ganzen  Vorlandes  bewirkt.  Schon  vermögen  nur 
die  höchsten  Fluten  über  dasselbe  hinwegzuziehen.  Da  aber  wird  der  Krück- 
faß durch  eine  sich  besser  den  neuen  Verhältnissen  anpassende  Pflanze  ver- 
drängt, durch  die  Seeaster  {Aster  tripodium),  die  an  der  Jahde  Züddig  ge- 
nannt wird.  Es  ist  ein  eigentümlicher,  nicht  reizloser  Anblick,  zu  Zeiten  die 
blauen  Blütensteme  dicht  gedrängt  aus  dem  Wasser  hervorragen  zu  sehen. 
Und  wenn  die  Aster  das  Ihrige  getan  hat,  wenn  das  Land  nur  noch  von 
Zeit  zu  Zeit  überschwemmt  wird,  so  erscheinen  Gräser  und  Kräuter  in 
größerer  Zahl,  namentlich  das  Süßgras  (Glyceria  maritima)  und  der  See- 
strandswegerich (liantago  maritima)^  Wermut  u.  a.  An  einzelnen  Stellen  mag 
sich  der  ganze  Vorgang  etwas  anders  abspielen,  im  großen  imd  ganzen  ist 
er  aber  an  der  ganzen  Nordseeküste  gleich. 

Und  so  hatte  sich  wohl  an  die  Geest  schon  ein  mehr  oder  minder 
breiter  von  Wasserflächen  durchbrochener  Streifen  Landes  angesetzt,  als 
der  Mensch  erschien,  um  von  ihm  Besitz  zu  ergreifen.  Die  ersten  Be- 
wohner der  Nordseeküste  waren,  wie  aus  neueren  Gräberfunden  geschlossen 
wird,  Angehörige  der  kurzköpfigen  Basse  niedrigen  Wuchses,  die  einst  einen 
großen  Teil  Europas  inne  hatte,  jetzt  aber  nur  noch  durch  das  wenig  zahl- 
^iche   Volk   der  Lappen    im  äußersten    Norden    unseres  Weltteils   vertreten 


Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter  und  neuer  Zeit.  309 

wird.  Wir  wissen  nichts  Bestimmtes  von  den  Kämpfen,  durch  die  sich  ein 
kräftigeres  Volkstum  an  ihre  Stelle  setzt.e,  vielleicht  aber  weisen  die  jetzt 
noch  auf  den  Düneninseln  umgehenden  Sagen  von  einem  Zauberkünste  üben- 
den Zwergenvolke  auf  die  früheren  Bewohner  hin.  Wir  wissen  auch  nicht 
die  Zeit  zu  bestimmen,  in  der  sich  die  Einwanderung  germanischer  Stänune 
vollzog,  denn  solche  sind  es,  die  schon  die  Nordseegestade  besetzt  hielten, 
als  die  Leuchte  der  Geschichte  über  ihnen  aufging. 

Die  ersten  Nachrichten,  die  uns  aus  dem  griechischen  und  römischen 
Altertume  über  die  gesamten  nördlichen  Gebiete  unseres  Erdteils  überliefert 
sind,  erscheinen  recht  dürftig  und  unbestinunt  und  bieten  für  die  ab- 
weichendsten Deutungen  Spielraum. 

Es  ist  bekannt,  daß  die  Griechen  das  für  die  Herstellung  der  Bronze 
nötige  Zinn  zuerst  aus  Massilia  bezogen,  wohin  es  auf  dem  Landwege  aus 
dem  fabelhaften  Norden  gekonmien  war;  wir  wissen  femer,  daß  die  Kar- 
thager von  Zinninseln  erzählten,  die  sie  erreicht  hätten,  nachdem  sie  durch 
die  Säulen  des  Herkules  gefahren  und  weit  nach  Norden  gesteuert  seien. 
Man  glaubt,  daß  unter  den  Kassiteriden  die  Scilly  Bands  zu  verstehen  sind, 
die  jetzt  freilich  kein  Zinn  mehr  liefern. 

Pytheas  von  Massilia  soll  etwa  in  der  Mitte  des  4.  Jahrhunderts  v.  Chr. 
mit  bewundernswerter  Kühnheit  das  stürmische  Nordmeer  befahren  und  das 
Bemsteinland  erreicht  haben.  Man  nahm  früher  allgemein  an,  daß  Pytheas 
bis  in  die  Ostsee  an  die  bemsteinreiche  samländische  Küste  vorgedrungen  sei. 
Von  neueren  Forschem  wird  das  mit  Recht  bestritten.  Auch  an  der  Küste 
der  Nordsee,  namentlich  an  den  friesischen  Liseln,  wird  heute  noch  Bernstein 
gefunden,  die  „Absonderung  des  geronnenen  Meeres^^  wie  sich  Plinius  aus- 
drückt. Früher  fand  sich  vielleicht  das  geschätzte  Harz  reichlicher,  wenn 
es  auch  wohl  eine  Übertreibung  ist,  daß  es  die  Bewohner  der  (fabelhaften) 
Insel  Abalus  zur  Feuerung  benutzt  hätten. 

Es  wird  von  einer  cimbrischen  Flut  erzählt,  die  die  Länder  der  Nord- 
seeküsten im  Süden  und  Osten  weithin  überschwenunt  und  die  Cimbem  imd 
Teutonen  gezwungen  habe,  andere  Wohnsitze  zu  suchen.  Das  Ereignis 
müßte  im  3.  Jahrhundert  v.  Chr.  stattgefunden  haben,  denn  so  weit  zurück 
sind  die  Anfänge  der  cimbrischen  Wanderungen  zu  verlegen.  Nun  brauchen 
wir  an  dem  Auftreten  einer  besonders  hohen  und  verderblichen  Flut,  deren 
Gedächtnis  sich  noch  lange  im  Andenken  der  Menschen  erhalten  habe,  nicht 
zu  zweifeln  —  im  Laufe  der  Zeiten  waren  ja  noch  viele  zu  verzeichnen  — , 
ma^  aber  eine  Flut  noch  so  gewaltig  und  verheerend  gewirkt  haben,  wie 
damit  die  Austreibung  ganzer  Volksstänmie  in  Verbindimg  zu  bringen  sei, 
will  nicht  recht  einleuchten.  So  oft  später  schlimme  Fluten  über  die  nord- 
deutschen Küstenländer  gekommen  sind,  eine  Auswanderung  in  größerem 
Maße  haben  sie  niemals  veranlaßt. 

Wenn  man  die  sogenannte  cimbrische  Flut  als  eine  Folge  des  plötz- 
lichen Durchbruchs  der  Landenge  zwischen  der  englischen  und  der  fran- 
zösischen Küste  angesprochen  hat,  so  ist  das  erst  recht  verfehlt.  Jener 
Durchbruch  hat  in  einer  sehr  frühen  Zeit,  jedenfalls  lange  bevor  die  be- 
treffenden Küstenländer  von  Menschen  bewohnt  waren,  stattgefunden,   sicher- 


310  H.  Toepfer: 

lieh  vor  der  Zeit,  da  die  Wanderungen  der  Cimbem  begannen.  Ich  er- 
wähnte schon,  daß  die  Fahrt  des  Pytheas  in  das  vierte  Jahrhundert  vor 
unserer  Zeitrechnung  fällt,  Pytheas  aber  segelte  durch  den  Ärmelkanal^). 

Eine  wirkliche  Geschichte  der  Nordseeküsten  —  und  zunächst  auch  noch 
mit  vielen  Fabeln  gemischt  —  beginnt  erst  mit  Cäsar.  Auf  seinem  Zuge 
gegen  Ambiorix  und  die  Eburonen  kam  er  bis  an  die  Scheide;  er  sieht  sie 
als  einen  Nebenfluß  der  Maas  an,  genauer  hätte  er  bekanntlich  sagen  sollen, 
daß  sie  mit  einem  Arme  der  Maas  eine  gemeinsame  Mündung  hat*).  Er 
kennt  die  Verbindung  der  Maas  mit  der  Waal.  Vom  Rheine  weiß  er,  daß 
er  sich  in  mehrere  Arme  teile  und  auf  diese  Weise  viele  mächtige  Inseln 
bilde;  diese  Inseln  seien  größtenteils  von  wilden  und  barbarischen  Völkern 
bewohnt,  deren  einige  nur  von  Fischen  und  Vögeln  lebten^).  Das  ist  un- 
gefähr die  ganze  Ausbeute,  die  wir  dem  Bellum  gallicum  für  imseren  Zweck 
entnehmen  können. 

Auch  später  berichten  die  römischen  und  griechischen  Schriftsteller 
immer  nur  Einzelheiten,  aus  denen  sich  erst  mit  Mühe  eine  Vorstellung  von 
Land  und  Leuten  der  nordöstlich  von  Gallien  gelegenen  Gebiete  gewinnen  läßt. 

Als  sicher  können  wir  aber  folgendes  annehmen:  Die  jetzt  vielfach  durch 
einspringende  Meerbusen  gebrochene  Küstenlinie  zog  sich  geschlossen  von  der 
heutigen  Nordspitze  Hollands,  dem  Helder,  bis  zur  Eibmündung;  vor  ihr  lag 
wie  heute  eine  Beihe  langgestreckter,  schmaler  Inseln;  aber  die  Inseln  waren 
zahlreicher  und  die  Durchgänge  zwischen  ihnen  enger*).  Von  den  Inseln 
und  der  niedrigen  Küste  war  ein  seichtes  Meer  eingeschlossen,  aus  dem  zur 
Ebbezeit,  genau  so  wie  in  unseren  Tagen,  weit  ausgedehnte  Landflächen  her- 
vorragten, um  beim  Eintritt  der  Flut  wieder  vom  Salzwasser  bedeckt  zu  werden. 

Was  das  Innere  des  Landes  anlangt,  so  wird  uns  nicht  viel  Anmutiges 
erzählt:  der  unbekannte  Verfasser  des  Panegyricus  auf  Kaiser  Constantius 
sagt  (ich  erlaube  mir  eine  etwas  freie  Übersetzung)*):  „Das  Land,  das  durch 
deine  ruhmvollen  Kriegszüge,  o  Cäsar,  in  Besitz  genommen  und  von  Feinden 
gesäubert  ist,  ich  meine  jenes  Land,  das  von  der  Waal  und  ihren  Abzwei- 
gungen durchflössen  und  zum  Teil  von  dem  Rheine  eingeschlossen  wird,  ist. 


1)  Als  eine  zu  seiner  Zeit  umlaufende  dunkle  Sage  erwähnt  Florus  die  cim- 
brische  Flut.  Er  sagt  (B.  3.  K.  3):  „Die  Cimbern,  Theutonen  und  Tiguriner,  flüch- 
tend aus  den  äußersten  Enden  Galliens,  weil  das  Meer  ihr  Gebiet  überschwemmt 
hatte,  suchten  auf  dem  ganzen  Erdkreis  neue  Wohnsitze."  Aber  schon  100  Jahre 
vor  Florus  berichtet  Strabo  (B.  7.  K.  2),  daß  Ephorus  (also  zur  Zeit  Alexanders 
des  Großen)  von  dieser  Flut  erzählt  habe.  Er  selber  will  nichts  von  ihr  wissen 
und  meint,  daß  eine  übermäßig  große  Flut  gar  nicht  stattfinden  könne.  Wir 
wissen  freilich,  daß  sich  der  alte  Geograph  darin  irrte,  und  Prof  Forchhammer, 
nach  ihm  Fack,  hat  die  Spuren  einer  Flut,  die  immerhin  als  „cimbrische"  be- 
zeichnet werden  könnte,  auf  der  Cimbrischen  Halbinsel  nachgewiesen.  Sie  soll 
60  Fuß  hoch  gestiegen  und  im  Tale  der  Eider  hinauflaufend  durch  zwei  Ein- 
gänge nach  der  Kieler  Bucht  gekommen  sein.    Pet.  Mitt.  1869.  S.  11. 

2)  Caesar.    Bell.  gall.  VI.  38. 

3)  Caesar.    Bell.  gall.  IV.  28.  31. 

4)  Von  Texel  bis  zur  Eider  waren  zur  Römerzeit  23  Inseln  vorhanden,  7  von 
nen  sind  spurlos  verschwunden. 

5)  Sueß  Pas  Antlitz  der  Erde.  Bd.  II.  S.  531)  gibt  den  lateinischen  Text. 


Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter  und*neuer  Zeit.  311 

wenn  ich  so  sagen  darf,  eigentlich  kein  Land.  So  sehr  ist  es  von  Wasser 
durchtrankt,  daß  es  nicht  allein  da,  wo  es  als  reiner  Sumpfboden  erscheint, 
den  Fuß  einsinken  läßt,  sondern  auch  da,  wo  der  Zusammenhalt  ein  wenig 
größer  ist,  beim  Auftreten  schaukelt  und  bis  zu  einer  gewissen  Entfernung 
hin  schwankt." 

Die  Schilderung  trifft  heute  nicht  mehr  für  das  ganze  Holland,  wohl 
aber  für  die  immer  noch  beträchtlichen  Moorstrecken  zu,  die  sich  dort  und 
in  ganz  Norddeutschland  vorfinden^). 

Von  den  großen  Flüssen  des  Nordseegebietes  lernten  die  Römer  außer 
dem  Rheine  yomehmlich  die  Ems  und  die  Weser  kennen.  Da  mußten  ihnen 
zunächst  die  gewissermaßen  unfertigen  Zustände  der  Beuferung  auffallen  und 
die  zu  Zeiten  übermäßige  Ausdehnung  der  Wasserflächen.  Sie  sahen  —  was 
heutzutage  noch  von  den  üi-waldströmen  erzählt  wird  —  losgerissene,  mäch- 
tige Baumstämme,  manchmal  zu  wahren  Inseln  vereinigt,  mit  den  Fluten  in 
die  See  treiben.  Wie  Plinius  erzählt,  geschah  es,  daß  einer  römischen  Flotte 
einmal  nachts  die  aufrecht  heranschwimmenden  Bäume  als  ebenso  viel  Schiffis- 
maste erschienen,  so  daß  man  sich  zum  Seegefecht  vorbereitete. 

Bis  zum  Meere,  ja  fast  in  das  Meer  hinein  reichten  die  Ansiedlungen 
der  nicht  zahlreichen  Bevölkerung,  die  nach  der  Ansicht  der  Römer  ein  wenig 
beneidenswertes  Leben  führte,  von  dem  ungastlichen  Meere,  gegen  das  kein 
Damm  schützte,  ewig  bedroht.  Die  Schilderung,  welche  Plinius  von  dem 
Lande  und  dem  Volke  der  Chauken  entwirft,  entsprach  —  von  einigen  Über- 
treibungen des  an  feinere  Daseinsbedingungen  gewöhnten  Mannes  abgesehen  — 
gewiß  nicht  bloß  den  Zuständen  des  ersten  Jahrhunderts  unserer  Zeitrech- 
nung, sondern  auch  der  nächstfolgenden.  Er  sagt:  „Zweimal  schwillt  in  der 
Zeit  eines  Tages  der  ungeheure  Ozean  an,  und  zweimal  sinkt  er.  Bei  diesem 
ewigen  Kampfe  der  Natur  möchte  man  zweifeln,  ob  es  Land  sei  oder  Meer, 
was  man  sieht.  Hier  und  da  ragen  Hügel  auf,  die  das  Meer  gebildet  hat, 
und  die  von  Menschenhänden  noch  erhöht  wurden.  Auf  diesen  wohnt  das 
ärmliche  Volk  in  Hütten.  Umringt  von  der  Flut,  sind  sie  Schwinunenden 
und,  fällt  das  Wasser,  Schiffbrüchigen  zu  vergleichen.  Sie  haben  kein  Vieh, 
und  Jagdbeute  ist  ihnen  versagt;  ihre  einzige  Nahrung  sind  Fische.  Um 
ihre  Speisen  zu  kochen  imd  ihre  von  Frost  starrenden  Glieder  zu  erwärmen, 
verbrennen  sie  getrocknete  Erde*)." 

Zwischen  den  sich  westwärts  wendenden  Rheinarmen,  also  in  Holland, 
wohnten  die  deutschen  Stämme  der  Bataver  und  Kaninefaten,  die  sich  später 
mit  den  Franken  vereinigten;  nördlich  und  westlich  von  ihnen  bis  zur  Ems 
hin  die  Friesen.  Zwischen  der  Ems  und  der  Elbe  saßen  die  Chauken.  Die 
cimbrische  Halbinsel  nahmen  Angeln  und  Sachsen  ein;  und  wahrscheinlich 
erst,  als  ein  großer  Teil  die  alte  Heimat  verlassen  hatte,  um  von  Britannien 
Besitz  zu  ergreifen,  siedelten  sich  auf  den  vorlagemden  Liseln  und  am 
Küstensaume  Friesen  an. 


1)  Diese  unter  dem  Tritte  bebenden  Moore  sollen  der  zu  dem  holländischen 
Seeland  gehörigen  Insel  Beveland  den  Namen  gegeben  haben  (?). 

2)  Wohl  die  erste  Erwähnung  von   der  Verwendung   des  Torfes   als  Brenn- 
material.   Plinius.  Eist.  nat.  XVI.  1. 


312  *  H.  Toepfer: 

Die  Nachrichten  der  römischen  Schriftsteller  reichen  nur  bis  ins  2.  Jahr- 
hundert. Sie  sind,  wie  ich  schon  betonte,  dürftig,  aber  noch  viel  dürftiger, 
nämlich  gar  nicht  vorhanden,  sind  von  Zeitgenossen  verfaßte  Berichte  aus 
den  nächsten  Jahrhunderten,  mindestens  bis  zu  den  Anfängen  des  fränkischen 
Kaisertums.  Ja  eigentlich  erst  mit  dem  10.  und  11.  Jahrhundert  beginnt 
wieder  eine  beglaubigte  Geschichte  des  Nordsee-Küstenlandes. 

Nun  wissen  freilich  die  Chronikenschreiber  jener  Zeit  Wunders  viel  zu 
erzählen  von  dem,  was  geschehen  in  alten  Tagen,  aber  was  sie  erzählen, 
sind  Fabeln  und  haltlose  Sagen.  Vor  allem  haben  sie  zu  berichten,  daß  die 
ursprüngliche  Ausdehnimg  ihres  Gebietes  viel  größer  gewesen  sei,  als  zu 
ihrer  Zeit,  viel  größer,  als  sie  jemals  gewesen  sein  kann.  Wie  sie  dazu  ge- 
kommen, ist  leicht  erklärlich:  Wenn  sie  Augenzeugen  waren  von  den  Ein- 
griffen des  gewaltigen  Meeres,  wenn  sie  sahen,  wie  ein  Stück  ihres  Landes 
nach  dem  anderen  weggerissen  wurde,  so  nahmen  sie  einfach  an,  daß  solche 
und  noch  viel   größere  Landverluste   auch  früher  vorgekommen  sein  müßten. 

Noch  jetzt  lebt  im  friesischen  Volke  die  Überzeugimg,  daß  die  friesischen 
Inseln,  auch  die  im  Norden,  einst  mit  dem  Lande  in  unmittelbarem  Zusammen- 
hange standen,  ja  daß  das  Friesenland  weit  über  sie  hinaus  reichte  und  selbst 
Helgoland  einschloß.  Wann  das  der  Fall  gewesen  sei,  weiß  freilich  keiner 
zu  sagen.  Übrigens  waren  nicht  bloß  die  alten  Chronikenschreiber  und  ihre 
leicht  überzeugten  Leser,  sondern  auch  Gelehrte  der  letzten  Jahrhunderte 
von  einer  unglaublichen  Naivetät  in  geographischen  Dingen;  ein  ergötzliches 
Beispiel  bieten  die  Beschreibungen  und  die  Karten  des  alten  Helgoland. 

Tacitus^)  hatte  von  einer  im  Nordmeere  gelegenen  Insel  gesprochen,  auf 
der  sich  ein  der  Göttin  Nerthus,  der  Mutter  Erde,  geweihter  heiliger  Hain 
befinde;  alljährlich  halte  die  Göttin  auf  ihren  von  Kühen  gezogenen  Wagen 
einen  Umzug,  und  überall,  wo  sie  einkehre  imd  sich  aufhalte,  herrsche  Glück 
und  Freude;  die  Waffen  ruhten,  bis  die  Göttin  wieder  in  ihr  Heiligtum 
zurückgekehrt  war.  Mit  Gewalt  wollte  man  in  der  Nerthus-Insel  Helgoland 
erkennen;  zu  diesem  Zwecke  wurde  sie  zunächst  mehrere  Male  so  groß  ge- 
macht, als  sie  jetzt  ist.  Namentlich  dehnte  man  sie  weit  nach  Osten  hin 
aus  und  erzählte,  daß  eine  einfache  Fähre  einst  den  Verkehr  Helgolands 
mit  Dithmarschen  und  Eiderstedt  vermittelt  habe;  ja  man  verstieg  sich  zu 
der  Behauptung,  der  Kanal  zwischen  der  Insel  imd  der  schleswigschen  Küste 
sei  so  schmal  gewesen,  daß  ein  darüber  gelegtes  Brett  als  Brücke  diente. 
Diese  Phantasien  spielten  lange  genug  und  erhielten  Nahrung  durch  eine 
von  dem  königl.  dänischen  Mathematikus  Joh  Mayer  hergestellte  Karte,  auf 
der  der  Umfang  und  die  Topographie  der  Insel,  wie  sie  angeblich  in  den 
Jahren  800,  1300  imd  1640  gewesen  war,  genaue  Darstellung  fand.  (Diese 
Karte  fügte  Dr.  Kaspar  Dankwerth  seiner  1694  erschienenen  Beschreibung 
der  Herzogtümer  Schleswig  und  Holstein  bei.)  Nach  ihr  war  im  Jahre  800 
die  Insel  ein  großes  Land  mit  vielen  Häfen,  Flüssen,  Wäldern,  Burgen,  Tem- 
peln und  Ortschaften,  die  alle  genau  benannt  sind.  Im  Jahre  1300  ist  sie  schon 
wesentlich  kleiner  geworden  und  1640  hat  sie  ungefähr  den  heutigen  Umfang. 


1)  Tacitus.    Germania.  40. 


Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter  und  neuer  Zeit.  313 

Nach  gründlicheD  geologischen  Forschungen  ist  eine  ehemals  beträcht- 
liche größere  Ausdehnung  der  Insel  ganz  unmöglich.  Daran  zu  denken,  daß 
die  Jüerthus-Insel  des  Tacitus  Helgoland  gewesen  sein  könnte,  verbietet  also 
schon  der  geringe  Umfang.  Hierzu  kommt  die  völlige  Abwesenheit  von  Über- 
resten firüherer  Wälder  auf  der  Insel  sowohl,  wie  auf  dem  umliegenden  See- 
boden. Ebensowenig  wie  heute  könnt«  bei  den  ewigen  starken  Winden  ge- 
wiß auch  früher  kein  Baomwuchs  aufkommen,  und  in  der  Tat  wird  die 
völlige  Waldlosigkeit  Helgolands  im  Jahre  1072  von  Adam  von  Bremen  be- 
stätigt. In  neuerer  Zeit  meint  man,  die  Nerthus-Insel  sei  eins  der  Elb- 
eilande  gewesen,  vielleicht  mit  mehr  Recht  hat  man  wohl  auch  an  Bügen 
gedacht. 

Die  Landbildung  an  der  norddeutschen  Küste  hatte  zur  Römerzeit  einen 
zwar  nicht  genau  nachweisbaren,  aber  doch  gewiß  erheblichen  Umfang  er- 
reicht. Wäre  sie  nun  in  der  Weise,  die  ich  als  den  natürlichen  Gang  ge- 
schildei-t  habe,  ungestört  weiter  gegangen,  so  würde  sicherlich  der  breite 
Wasserstreifen,  der  sich  immer  noch  zwischen  der  Küste  imd  den  Dünen- 
inseln hinzieht,  schon  vollständig  ausgefüllt  sein  und  jene  Inseln  wären  land- 
fest geworden.     Aber  das  Meer  ist  ein  böser  Nachbar. 

Die  Chroniken  des  Mittelalters  sind  voll  grauenvoller  Berichte  über  das 
durch  die  Einbrüche  des  Ozeans  bewirkte  Unheil.  Mehrere  hundert  Über- 
flutungen, die  Land  zerstört  und  Menschenleben  vernichtet  haben,  werden 
allein  in  den  Niederlanden  aufgezählt,  und  nicht  geringer  an  Zahl  und 
ebenso  grausam  waren  die,  welche  die  heutige  deutsche  Küste  heimgesucht 
haben. 

Ich  will  hier  nur  einige  der  bedeutendsten  dieser  Verwüstungen,  ins- 
besondere solche  anführen,  deren  Wirkungen  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag 
sichtbar  sind.  Wer  eine  ausführliche  Darstellimg  wünscht,  mag  sie  in  den 
Schriften  von  Arends  und  von  HoflF  suchen. 

Als  die  Römer  in  den  nördlichen  Teü  des  heutigen  Holland  vordrangen, 
trafen  sie  da,  wo  sich  jetzt  der  südliche  Zipfel  des  Zuyder-Sees  ausbreitet, 
einen  Landsee,  in  den  sich,  mit  der  Yssel  vereinigt,  der  östliche  Arm  des 
Rheines  ergoß.  Seinen  Abfluß  in  den  Ozean  fand  dieser  Flevus  genannte 
See  wahrscheinlich  zwischen  den  Inseln  Vlieland  und  Terschelling.  Bis  ins 
12.  Jahrhundert  bewahrte  der  Flevus  seinen  Umfang.  Nun  erfolgten  aber 
in  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  vom  Meere  her  eine  Reihe  großer 
Überflutungen,  durch  welche  sich  nach  und  nach  die  völlige  Trennung  der 
heutigen  Provinz  Nord-Holland  von  West-Friesland  vorbereitete;  und  diese  voll- 
zog sich  endgültig  im  Jahre  1282.  Seine  volle  Ausweitung  erhielt  aber  der 
neu  entstandene  Meerbusen  erst  nach  dem  Jahre  1400.  Er  bedeckt  jetzt) 
wenn  man  ihn  bis  zu  den  Inseln  rechnet,  eine  Fläche  von  5500  qkm;  nur 
die  kleinen  Inseln  Urk  und  Schokland  sind  von  dem  versunkenen  Lande  übrig 
geblieben.  Schon  vor  der  Bildung  des  Zuyder-Sees  hatten  ähnliche  Über- 
schwemmungen und  Einbrüche  an  der  deutschen  Küste  stattgefunden.  Die 
erste  bestimmte  Nachricht  haben  wir  von  dem  alten  Reimchronisten  Renner; 
er  erzählt  aus  dem  Jahre  1012:  „Die  Elbe  und  die  Weser  stiegen  drei  Tage 
lang,   sie  wurden  über  die  Maßen  groß  und  liefen   über.      Da  das  Wasser 


314  H.  Toepfer: 

wieder  zurückfloß,  wurden  viele  tote  Leute  gefunden,  davon  kam  eine  große 
Pestilenz."  Nach  dem  Mönch  Godefried  und  dem  friesischen  Geschichtschreiber 
ühbo  Emmius  drang  im  Jahre  1144  eine  Flut  fast  12  Meilen  in  das 
Land  ein. 

Im  Jahre  1016  hatte  schon  die  Bildung  des  Jahdebusens  begonnen, 
1218  kam  sie  zur  Vollendung;  doch  noch  1509  imd  1511  fielen  beträcht- 
liche Stücke  des  Landes  dem  gierigen  Meere  zum  Opfer. 

Bei  der  Flut  von  1164,  die  ganz  Nordfriesland  verwüstete,  kamen  im 
Kirchspiel  Brunsbüttel  fast  alle  Menschen  um;  1216  ertranken  wieder  in 
Nord-Friesland  10  000  Bewohner  und  ebensoviel  bei  der  Marcellusflut  im 
Jahre  1219. 

Li  der  Weihnachtsflut  des  Jahres  1277  entstand  der  Dollart  Li  den 
nächstfolgenden  Jahren  dehnte  sich  der  neue  Meerbusen  weiter  aus;  das 
dauerte  bis  1507,  wo  auch  der  letzte  Rest  des  Landes  in  den  Fluten  ver- 
sank. Ln  ganzen  sollen  hier  50  größere  und  kleinere  Ansiedlungen ,  die 
schönsten  und  reichsten  in  Friesland,  untergegangen  sein;  mehr  als  sechs 
Quadratmeilen  wurden  vom  Wasser  bedeckt.  Die  Ems,  die  zur  Bömerzeit 
sich  in  zwei  oder  drei  Mündungen  unmittelbar  ins  Meer  ergossen  hatte,  ver- 
änderte ihren  Lauf  und  biegt  jetzt  südlich  von  Emden   fast  rechtwinklig  ab. 

Am  16.  Januar  1362  kam  über  die  damals  ausgedehnte  Lisel  Nord- 
strand die  erste  große  Verheerung;  eine  Reihe  urkundlich  nachgewiesener 
Orte  sind  damals  verschwunden.  Noch  schrecklicher  waren  die  Wirkungen 
der  am  11.  und  12.  Oktober  1634  hereinbrechenden  Flut.  Die  Lisel  wurde 
in  drei  Teile  zerrissen,  die  heute  unter  dem  Namen  Nordstrand,  Pellworm 
und  Hoge  bekannt  sind. 

Am  8.  September  1362  sollen  30  Kirchspiele  in  Friesland  mit  ihren 
Bewohnern  zu  Grunde  gegangen  sein;  von  Sylt  und  Föhr  wurden  große 
Stücke  abgerissen.  Das  war  die  große  Mannestränke,  die  noch  heute  im 
Gedächtnis  der  Menschen  lebt. 

Furchtbar  muß  die  am  Allerheiligentage  des  Jahres  1570  herein- 
gebrochene Überschwemmung  gewesen  sein.  Ihre  Verheerungen  reichten  von 
Holland  bis  Jütland,  in  wenigen  Stunden  war  alles  eine  einzige  wilde  Wasser- 
wüste, kein  Damm  widerstand,  kein  Dorf  blieb  verschont,  keine  Wurt  blieb 
trocken;  mehr  als  100000  Menschen  sollen  umgekommen  sein,  so  daß  lange 
Jahre  eine  Menge  Land  unbenutzt  liegen  blieb,  weil  die  Hände  zur  Bebau- 
ung fehlten. 

Im  selben  Jahrhundert  kamen  noch  drei  gi'oße  Überschwemmungen  vor, 
und  im  17.  Jahrhimdert  wurden  13  Sturmfluten  gezählt. 

Aus  dem  vorvorigen  Jahrhundert  ist  nur  eine  allgemeine  Flut  zu  ver- 
zeichnen, aber  eine  der  allerfurchtbarsten.  Von  ihr  entwirft  Arends  eine 
eingehende  Schilderung,  von  der  ich  einen  ganz  kurzen  Auszug  gebe: 

Mehrere   Tage  vor  Weihnachten  des  Jahres  1717   hatte    es    stark    und 

anhaltend   aus  SW   geweht,    und  viel  Wasser  war  durch   den  Kanal   in   die 

Nordsee    getrieben.     Am  heiligen  Abend  ließ  der  Wind   allmählich  nach  und 

'n  Emden  hatte  man  keine  Ahnung  von  einer  kommenden  Überschwemmung. 

\  erhob  sich  Nachts  zwischen  1  und  2  Uhr  der  Sturm   in  unerhörter  Wut 


Die  dentsche  Nordseeküste  in  alter  und  neuer  Zeit.  315 

ans  NW,  die  See  schwoll  rasch  so  hoch  an,  daß  schon  kurz  nach  2  Uhr 
das  Wasser  durch  die  ganze  Stadt  strömte.  Die  Deiche  wurden  mehrere 
Fuß  hoch  überflutet  und  brachen  an  vielen  Stellen,  so  daß  sich  das  wild- 
tobende Wasser  in  die  offene  Stadt  ergoß.  Es  war  ein  böses  Erwachen  aus 
erstem  Schlafe  unter  dem  Heulen  des  rasenden  Sturmes,  dem  Bollen  des 
Donners  und  dem  Getöse  der  einbrechenden  Wogen.  Das  Wasser  stieg  höher 
und  höher;  auf  Böden  und  Balken  das  bloße  Leben  rettend  verbrachten  die 
Bewohner  eine  schreckliche  Nacht.  Und  der  Tag  brachte  keinen  Trost,  er 
zeigte  nur  grauenvolle  Zerstörung.  Keine  Ebbe  folgte  auf  die  Flut,  sondern 
drei  volle  Tage  trieb  der  Orkan  inmier  neue  Wogen  gegen  die  Küste.  So 
lange  mußten  die  armen  Menschen  halbnackt  in  der  Winterkälte,  hungernd 
imd  durstend,  da  aushalten,  wohin  sie  sich  in  dem  ersten  Schrecken  gerettet 
hatten.  Viele  kamen  um.  Und  nicht  Emden  allein  hatte  zu  leiden;  die 
Sturmflut  erstreckte  sich  längs  der  ganzen  südlichen  und  östlichen  Nordsee- 
küste. Am  schwersten  wurden  Groningen,  Ost-Friesland,  Jever  und  Oldenburg 
mitgenommen;  75  Quadratmeilen  Landes  wurden  überströmt,  an  manchen 
Stellen  10 — 14  Fuß  hoch,  und  grauenvoll  war  nach  dem  endlichen  Verlaufen 
des  Wassers  der  Anblick  dieses  Landes.  Fast  überall  lagen  auf  den  Feldern 
Leichen,  zuweilen  in  dichten  Haufen;  die  Deiche  waren  fast  alle  zerrissen, 
niedrige  Gegenden  blieben  fast  monatelang  Seen,  und  an  vielen  Stellen  waren 
tiefe  Kolke  entstanden. 

Die  Flut  von  1717  war  nicht  die  einzige  des  18.  Jahrhunderts,  aber, 
wenn  auch  einzelne  Teile  der  Küste  noch  hart  betroffen  wurden,  es  war  doch 
bis  auf  den  heutigen  Tag  die  letzte  von  größerer  Ausdehnung. 

Die  angefahrten  Berichte  sind  wohl  ausreichend,  um  aus  ihnen  zu  ent- 
nehmen, wie  und  zu  welcher  Zeit  die  tief  eingreifenden  Risse  und  Einschnitte, 
die  Buchten  und  Meerbusen  entstanden  sind,  die,  wie  schon  erwähnt  wurde, 
vor  2000  Jahren  noch  nicht  vorhanden  waren.  Es  sind  die  bleibenden  Denk- 
mäler, die  sich  die  übergewaltige  See  gesetzt  hat.  Viel  weniger  sicher  sind 
die  Angaben  über  die  außerordentlichen  Menschen  Verluste ,  die  das  Volk  der 
Friesen  betroffen  haben  sollen,  und  ich  will  nicht  verschweigen,  daß  berufene 
Forscher,  wie  G.  Marsh  und  Dr.  Hansen,  solche  Angaben,  wenn  sie  von 
Zehntausenden  imd  Hunderttausenden  ertrunkener  Menschen  reden,  für  weit 
übertrieben  halten.  Aber  mag  das  auch  richtig  sein,  so  bleibt  noch  genug 
imsäglichen  Jammers  und  Unglücks  übrig,  und  immer  wieder  ist  die  todes- 
mutige Zähigkeit  zu  be wundem,  mit  der  die  Küstenbewohner  an  dem  ungast- 
lichen Gestade,  an  ihrem  Heimatlande  bis  auf  den  heutigen  Tag  festgehalten 
haben. 

AUmers  widmet  seinen  Stammesgenossen  ein  begeistertes  und  verdientes 
Lob.  Er  sagt:  Die  Geschichte  des  Friesenvolkes  ist  ein  ewiges  Siegen  und 
Erliegen,  ein  grausiges  Bingen  und  Kämpfen  ohne  Ende;  hier  mit  den  Fluten 
lun  den  teueren  Heimatsboden,  um  Leben,  um  Hof  und  Herd,  um  Weib  und 
Kind;  dort  um  seine  Freiheit  und  sein  gutes  R^cht  mit  hochmütigen  Fürsten, 
kriegerischem  Adel  und  habsüchtigen  bremischen  Erzbischöfen.  Die  politischen 
Kämpfe  des  Friesenvolkes  zu  schildern,  ist  hier  nicht  der  Ort,  aber  wie  es 
gegen  das  Meer  gekämpft  hat  und  noch  kämpft,  wie  es  angriffsweise  gegen 


316  H.  Toepfer. 

den  gewaltigen  Feind  vorgegangen  ist  und  sich  endlich  eine  —  nach  mensch- 
lichem Ermessen  —  gesicherte  Heimat  errungen  hat,  das  zu  erörtern  darf 
wohl  besonderes  Interesse  in  Anspruch  nehmen.  Wir  werden  sehen,  wie  das 
stolze  Wort  der  Holländer:  „Deus  mare,  Batavus  litora  fecU"  berechtigt  ist, 
und  wie  es  seine  Anwendung  auch  auf  die  übrigen  Bewohner  der  Nordsee- 
küste findet. 

Die  ersten  Ansiedlungen  lagen  samt  und  sonders  auf  dem  hohen  Geest- 
rande und  der  äußersten  Dünenreihe.  Es  war  zunächst  gewiß  nur  ein  stoß- 
weises und  zaghaftes  Vordringen,  als  man  sich  auf  die  unbeschützten  Schwemm- 
lande wagte.  Lange  Zeit  dienten  diese  Vorlande  nur  zur  Viehweide.  Wenn 
sich  Menschen  nach  und  nach  hier  niederließen,  so  geschah  das  nur,  nachdem 
man  durch  künstliche  Bodenerhöhungen  trockenen  Baum  bei  eintretender  Flut 
gewonnen  hatte.  Diese  einzeln  stehenden  Wurten,  nach  und  nach  in  langer 
Zeile  aneinander  gereiht,  gewährten  endlich  Platz  für  ganze  Ortschaften.  In 
ihrer  Namensendung  verraten  viele  Niederlassungen  an  der  schleswigschen 
Küste  diesen  jetzt  nicht  mehr  deutlich  hervortretenden  Ursprung. 

Die  Errichtung  von  Wurten  war  jedenfalls  die  erste  landschützende 
Tätigkeit  an  der  ganzen  Küste  von  Holland  bis  nach  Jütland.  Es  verstand 
sich  wohl  von  selber,  daß  man  das  vorliegende  Land  nach  und  nach  durch 
kleine  Dämme  gegen  die  gewöhnliche  Flut  zu  schützen  suchte  und  neue 
Wurtenreihen  in  das  Meer  vorschob.  So  finden  sich  zwischen  der  Geest  und 
Marne  allein  fünf  Wurtenreihen  mit  Dörfern,  deren  Namen  auf  ein  hohes 
Alter  deuten^). 

Aber  Seedeiche,  was  wir  heute  als  solche  bezeichnen,  durch  welche  allein 
der  Besitz  des  ange^chwenmiten  Landes  gesichert  werden  konnte,  waren  das 
freilich  noch  nicht.  In  Holland  sollen  zur  KaroUngerzeit  an  einzelnen  Stellen 
höhere  Schutzdänmie  angelegt  sein.  Wie  wir  gesehen  haben,  waren  auch  sie 
gegen  die  Gewalt  der  Sturmfluten  unzureichend,  und  erst  im  12.  Jahrhundert, 
veranlaßt  durch  die  gerade  in  dieser  Zeit  in  erschreckendem  Maße  auf- 
tretenden Seeeinbrüche,  begann  der  eigentliche  Deichbau.  Die  Zeit  des  dul- 
denden Widerstandes  war  vorüber,  wenn  auch  noch  lange  nicht  von  einem 
vollkommenen  Schutze  der  Küste  die  Rede  sein  konnte.  Die  Gründung  der 
Städte  Amsterdam  und  Rotterdam,  deren  Grund  und  Boden  nur  dem  Wasser 
abgewonnen  ist,  fäUt  in  diese  Zeit  Seit  1427  trat  namentlich  die  Stadt 
Groningen  energisch  für  den  Deichschutz  ein,  und  1454  wurde  unter  Leitung 
des  Drosten  von  Groningen  der  starke  Deich  von  Runde  bis  Pinsterwalde 
angelegt  Ganz  besondere  Verdienste  erwarb  sich  der  1573  als  Statthalter 
und  Generalkapitän  von  Groningen  und  Friesland  eingesetzte  spanische  Be- 
fehlshaber Kaspar  de  Robles. 

Auch  an  der  deutschen  Küste  im  Gebiete  der  Ems  und  Weser  sind  im 
frühen  Mittelalter  Deiche  entstanden;  der  Sachsenspiegel  spricht  von  ihnen, 
und  der  Reimchronist  Renner  sagt  in  seinem  Bericht  über  die  große  Sturm- 
flut von  1012: 


1)  Dr.  R.  Hansen.  Die  Entwickelung  der  Marsch  zwischen  Elbe-  und  Eider- 
mündung  (Pet.  Mitt.  1891.  S.  106).  Hansen.  Küstenveränderungen  im  südwestlichen 
Schleswig  (Pet.  Mitt  1898.  S.  177). 


Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter  und  neuer  Zeit.  317 

dorob  is  man  tho  Rade  gähn, 
den  Wasserdiek  to  maken. 

Wir  können  noch  etwas  weiter  zurückgehen.  Vor  1100  Jahren  bestand 
das  Gebiet  zwischen  den  hannoverschen  und  holsteinischen  Höhenzügen  aus 
Schilfinseln,  Sand-  und  Schlammbänken,  zwischen  denen  sich  viele  reißende 
Ströme  und  unergründliche  Sümpfe  ausdehnten.  Nur  allmählich  bildeten  sich 
an  den  höher  gelegenen  Flußrändem  und  auf  Wurten  einzelne  Ansiedlungen. 
Erst  810,  als  sich  Karl  der  Große  Nordalbingien  unterworfen  hatte,  was  in 
der  Erbauung  der  Essesveldoburg  bei  dem  heutigen  Itzehoe  seinen  Ausdruck 
fand,  begann  Besiedelung  in  größerem  Maßstabe;  von  einer  Bedeichung  war 
freilich  noch  nicht  die  Rede.  Im  11.  und  12.  Jahrhundert  führten  die  Erz- 
bischöfe von  Bremen-Hamburg  in  die  durch  Mord  und  Brand  von  den  Nor- 
mannen und  Wenden  verheerten  Niederungen  Holländer  und  Friesen  ein,  die 
in  den  schweren  Sturmfluten  jener  Zeit  Hab  und  Gut  verloren  hatten.  Die 
älteste  dieser  Ansiedlungen  in  der  heutigen  Wesermarsch  erfolgte  1106.  In 
den  Eibmarschen  begann  die  Einwanderung  etwas  später,  nachdem  Adolf  I. 
von  Schaumburg  Ruhe  und  Sicherheit  hergestellt  hatte.  Einige  Oi-te  sind 
schon  im  ersten  Viertel  des  12.  Jahrhunderts  entstanden,  die  Mehrzahl  aber 
erst  nach  1200. 

Die  Sachsen  in  Dithmarschen  und  im  Lande  Hadeln  lernten  den  Deich- 
bau von  Holländern  und  Friesen.  Der  erste  größere  Seedeich  an  der  schles- 
wig-holsteinischen Küste,  der  mit  Sicherheit  nachzuweisen  ist,  wie  Hansen 
sagt,  ging  von  Meldorf  über  Marne  bis  Eddelak-Dinkshom;  er  soll  1150 
(nach  anderen  Nachrichten  sogar  schon  1050)  gebaut  sein.  Um  das  Jahr 
1400  war  die  Eiderstedter  Insel  durch  Eindeichung  vollständig  mit  dem 
Lande  verbunden  und  zur  Halbinsel  geworden. 

Die  alten  Seedeiche  waren,  was  ja  schon  aus  den  vielen  Überflutungen 
weiter  Landstriche  geschlossen  werden  kann,  nicht  sehr  widerstandsfähig,  es 
waren  Notbauten,  die  nur  eine  gewöhnliche  Flut  abhalten  konnten.  Aber 
wenn  sich,  etwa  zur  Zeit  des  Voll-  und  Neumondes,  die  Flutwelle  zu  un- 
gewöhnlicher Höhe  erhob,  wenn  gleichzeitig  ein  Nordweststurm  wütete,  dann 
brachen  eben  die  schwachen  Dämme.  Da  war  die  verzweifelte  Anstrengung 
der  Bewohner  vergebens,  mochten  sie  auch,  wie  es  tatsächlich  geschehen 
ist,  die  klaflTende  Lücke  mit  ihren  Leibern  zu  stopfen  suchen. 

Wenn  sich  aber  die  alten  Deiche  nicht  kräftig  genug  erwiesen  im  Kampfe 
gegen  den  übermächtigen  Feind,  so  haben  die  Friesen  und  die  altsächsischen 
Anwohner  der  Nordseeküste  nach  und  nach  gelernt,  ihm  wirksamer  zu  be- 
gegnen. Ich  bemerkte  schon,  daß  seit  länger  als  100  Jahren  der  verderben- 
bringenden Einbrüche  des  Meeres  weniger  geworden  sind,  und  daß  sie  nicht 
mehr  die  fiühere  Ausdehnung  erreichen.  Wir  haben  das  nur  dem  festeren 
Zusammenschluß  zu  Deichverbänden,  der  fortgeschrittenen  Wasserbaukunst 
und  dem  weit  größerem  Kostenaufwande  zuzuschreiben.  Dabei  ist  nicht  zu 
vergessen,  daß  sich  auch  die  Regierungen  mehr  als  in  früherer  Zeit  an  den 
Schutzbauten  beteiligen. 

Verfolgen  wir  die  Anlage  eines  neuen  Deiches,  wie  sie  sich  im  vorigen 
Jahrhundert  herausbildete.    Wenn  sich  das  Außenland  nach  und  nach,  wesent- 


318  H.  Toepfer: 

lieh  unter  Beihilfe  des  Pflanzenwuchses,  so  weit  erhöht  hat,  daß  eine  Über- 
schwemmung nur  noch  bei  besonders  hohen  Fluten  eintritt,  so  kann  man 
dazu  schreiten,  dies  Kwelderland,  so  heißt  es  in  Holland,  durch  einen  Deich 
dem  Festlande  anzugliedern.  Ein  solch  neues,  in  sich  abgeschlossenes,  in  der 
Regel  halbmondförmiges  Stück  heißt  Polder,  in  Schleswig  Koog.  Die  nun 
nicht  mehr  vom  Meere  bespülten  Deiche  dürfen  übrigens  nicht  abgetragen 
werden,  sie  haben  eine  zweite,  dritte  Schutzwehr  bei  etwaigen  Durchbrächen 
des  Außendeiches  zu  bilden.  So  zieht  sich  der  Küste  entlang  Deich  hinter 
Deich,  ein  zusammenhängendes,  mehr  oder  minder  weitmaschiges  Netz  von 
künstlichen  Bodenerhebungen. 

Das  Material  für  die  Seedeiche  liefert  fast  immer  der  Boden  des  Vor- 
landes; dem  entsprechend  liegen  vor  ihnen,  dem  Meere  zu,  große  flache 
Gruben,  die  sich  erst  nach  iind  nach  vollfüllen.  Nur  undurchlässige  £rd- 
arten:  Lehm,  Ton,  Klei  sind  für  den  Deichbau  zu  verwenden.  Von  beson- 
derer Wichtigkeit  ist  der  Untergrund,  der  Fuß  des  Deiches.  Darum  müssen 
Stellen  mit  Triebsand  oder  Moorerde  abgegraben  oder  umgangen  werden^ 
und  so  konmit  es,  daß  namentlich  die  älteren  Deiche  viele  Krünmiungen 
aufweisen.  Wo  das  Außenland  fehlt,  wie  bei  den  unmittelbar  längs  eines 
Stromes  aufgeführten  Deichen,  da  muß  Holz  vorgesetzt  oder  Steinfüllung  an- 
gewandt werden^). 

Die  Innenseite  der  Dämme  ist  ziemlich  steil,  nach  außen  hin  ist  aber 
ihr  Abfall  ganz  allmählich.  Zum  Schutze  vor  Abbröckelung,  die  durch 
Trockenheit  oder  durch  das  inuner  nagende  Wasser  erfolgen  kann,  werden 
die  Deiche  mit  Rasen  überzogen,  und  die  Böschung  wird  wohl  auch  mit 
Schilf  und  Weidenruten  belegt.  Nicht  überall  reicht  diese  Befestigung  aus, 
und  häuflg  sind  darum  am  Fuße  der  Deiche  starke  Eichenpfähle  und  Balken, 
manchmal  in  doppelten  Reihen,  eingerammt  und  mit  sturkem  Weidengeflecht 
verbunden;  vor  und  zwischen  die  Pfilhle  versenkt  man  dann  noch  große 
Steine. 

Die  Höhe  der  Deiche  ist  verschieden,  durchschnittlich  beträgt  sie  5  bis 
10  Meter.  Daß  sie  breit  sein  müssen,  ist  selbstverständlich,  denn  sie  haben 
gar  manchmal,  wenn  die  Flut  5 — 6  Meter  über  der  Fläche  des  inneren 
Bodens  steht,  gewaltigen  Druck  auszuhalten.  Der  1845  im  innersten  Winkel 
des  Meldorfer  Busens  aufgeführte  Danun  ist  eine  Meile  lang,  erhebt  sich 
5  Meter  über  die  gewöhnliche  Fluthöhe  und  hat  über  2  Meter  obere  Damm- 
breite, seine  Heretellung  erforderte  einen  Aufwand  von  300  000  Mark.  Der 
den  Kronprinzenkoog  einschließende  Deich  kostete  750  000  Mark.  Der 
Friedrichskoog  ist  von  einem  drei  Meilen  langen  Daomi  eingeschlossen,  der 
oben  über  2  Meter,  unten  über  40  Meter  breit  ist  und  eine  Erdbewegung 
von  2y2  Millionen  Kubikmeter  erforderte. 

Da  sich  immer  ein  neuer  Damm  an  einen  älteren  ohne  Lücke  anschließen 
muß,  so  entsteht  eine  einzige  fortlaufende  Deichkette,  die,  nur  durch  die 
ausmündenden  Flüsse  unterbrochen,  längs  der  ganzen  Nordseeküste  und  weit 
hinauf  an  den  Flußufem  hinläuft. 


1)  Wich  mann.  Die  Hamburger  Marschdörfer.    Deutsche  Rundschau,  1885. 


Die  deutsche  Nordaeeküste  in  alter  und  neuer  Zeit.  319 

Die  hannoverschen  Weser-  und  Eibmarschen  sind  durch  einen  Deich  ge- 
schützt, der  von  Osterstade  bis  zum  „alten  Lande^'  laufend  21  geographische 
Meilen  lang  ist.  Er  ist  bloßes  Menschenwerk  mit  alleiniger  Ausnahme  an 
der  äußersten  Nordwestspitze  im  Amte  Kitzebüttel,  wo  die  Geest  unmittel- 
bar ans  Meer  tritt,  und  wo  Dünen  die  Aufgabe  des  Seedeiches  übernehmen. 

Es  ist  klar,  daß  solch  gewaltige  Arbeiten  in  noch  viel  höherem  Maße 
als  schon  früher  den  Zusammenschluß  zu  großen  Deichverbänden  erfordern. 
Solche  Deichverbände  mit  ihren  genau  bestimmten  Satzungen  aus  alter  Zeit, 
die  die  Rechte  und  Pflichten  der  Anwohner  regeln,  strenge  Strafen  für  den 
saumseligen  Arbeiter  oder  den  mutwilligen  Beschädiger  der  Deiche  auflegen, 
Bestimmungen  über  die  Wahl  der  Bichter  bei  entstehenden  Sreitigkeiten 
treffen,  bestehen  heute  überall  an  der  ganzen  Nordseeküste;  die  wahrhaft 
barbarischen  Strafen  früherer  Zeit  sind  allerdings  wesentlich  gemildert.  Bei 
Deichbrüchen  ist  die  ganze  Gemeinde  fOr  die  Herstellung  haftbar,  schadhafte 
Stellen,  die  bei  der  ersten  der  drei  Jahresbesichtigungen  aufgefunden  sind, 
muß  der  Besitzer  der  Deichstrecke  ausbessern.  Noch  heute  gilt:  „Wer  nicht 
will  deichen,  der  muß  weichen." 

Das  durch  die  Deiche  dem  Meere  abgerungene  Land  bildet  die  Marsch. 
Das  Wort  bedeutet  Niederung,  weist  also  darauf  hin,  daß  der  größte  Teil 
dieses  Landes  tief  liegt  —  tiefer  als  der  Meeresspiegel,  wenigstens  bei  Flut- 
zeit ^).  Diese  tiefe  Lage  rührt  aber  vor  allem  davon  her,  daß  der  neue, 
vorher  wasserdiurchtränkte  Boden  bei  dem  Zurückweichen  des  Ghnmdwassers 
einsinkt;  man  rechnet  gewöhnlich  um  4 — 5  Fuß.  Wollte  man  sich  mit  der 
bloßen  Eindeichung  begnügen,  würde  man  also,  in  Folge  der  Ansammlung  der 
Niederschlagswässer  und  weil  die  aus  dem  Binnenlande  kommenden  Bäche 
und  Flüsse  durch  den  Seedeich  gestaut  sind,  nur  einen  bald  mehr,  bald 
weniger  unter  Wasser  stehenden  Morast  gewinnen.  Zunächst  wird  darum 
der  ganze  Boden  der  Marsch  mit  Gräben  durchzogen,  in  denen  sich  all 
das  überflüssige  Wasser  ansammelt;  aus  ihnen  wird  es  in  die  höher  ge- 
legenen Siele  und  Schleusen  gehoben.  Zu  diesem  Emporheben  benutzt  man 
Windmühlen,  in  neuerer  Zeit  auch  Dampfinaschinen.  Die  Windmühlen  wurden 
zu  dem  angegebenen  Zwecke  erst  im  15.  Jahrhundert  in  Holland  angewandt; 
mit  den  Holländern  wanderten  sie  nach  Osten,  und  in  den  Eibmarschen  z.  B. 
finden  sie  sich  in  großer  Menge;  von  einzelnen  Punkten  des  rechtsseitigen  Eib- 
deiches aus  soll  man  gleichzeitig  wohl  100  dieser  Mühlen  in  Tätigkeit  sehen. 

Solange  der  Meeresspiegel  niedrig  steht,  geht  der  Abfluß  durch  die 
Siele  und  mittelst  der  Stollen,  die  an  bestinmiten  Stellen  unter  den  Deichen 
durchgeführt  sind,  leicht  von  Statten.  Kommt  die  Flut,  so  schließen  sich  die 
an  der  Außenseite  der  Deiche  angebrachten  Schleusentore  selbsttätig  und 
verhindern  das  Eindringen  des  Meerwassers.  In  ganz  ähnlicher  Weise,  aber 
in  viel  größerem  Maßstabe,  sind  die  Schleusen  eingerichtet,  welche  die  zur 
Schiffahrt  dienenden  Kanäle  vom  Meere  absperren.  Bewundernswerte  Werke 
dieser  Art,  Triumphe  der  Wasserbaukamst,  sind  überall  an  der  Küste  verbreitet. 

1)  Die  gewöhnliche  Flut  steigt  an  der  friesischen  Küste  nur  1,5  bis  2  m,  er- 
reicht 2,5  m  vor  der  Jahde  und  beinahe  3  m  am  Ausflusse  der  Elbe;  Springflut  und 
Nippflut  unterscheiden  sich  etwa  um  1  m. 


320  H.  Toepfer: 

Sachen  wir  jetzt  eine  Vorstellung  zu  gewinnen  von  der  gesamten  Aus- 
dehnung des  dem  Meere  abgenommenen  und  einzig  durch  die  Deiche  ge- 
schützten Landes.  Wir  beginnen  mit  den  Niederlanden.  Von  dem  Boden 
Hollands  gehört  nur  ein  sehr  kleiner,  nach  Hektaren  zu  berechnender  Teil 
der  tertiären  und  sekundären  Erdbildungsperiode  an,  41%  siad  dem  Dilu- 
vium zuzuweisen,  alles  übrige,  im  ganzen  etwa  18  000  qkm,  ist  neu  an- 
geschwemmtes Land.  Nasse  sagt:  Wollte  man  in  Holland  die  Deiche  sämt- 
lich entfernen,  so  würden  bei  gewöhnlicher  Fluthöhe  der  Nordsee  die  Pro- 
vinzen Zeeland,  Süd-  und  Nord- Holland  (mit  Ausnahme  des  Dünenterrains) 
gänzlich,  ein  kleiner  an  der  unteren  Maas  gelegener  Strich  von  Nord-Brabant^ 
die  westliche  Hälfte  der  Provinz  Utrecht,  kleine  Strecken  von  öelderland  und 
Ober-Ijssel,  endlich  der  größere  Teil  von  Priesland  und  von  Groningen  über- 
schwemmt werden.  Selbst  bei  Ebbe  würde  mehr  als  die  Hälfte  dieser  aus- 
gedehnten Flächen  unter  Wasser  stehen^). 

Die  Eindeichungen  seit  dem  16.  Jahrhundert  berechnet  man  für  Holland 
allein  auf  3697  qkm.  Ihre  Sicherung  verlangt  auch  noch  heute  unausgesetzte 
Aufmerksamkeit  und  Tätigkeit.  Zu  diesen  Arbeiten  an  der  Grenze  kommen 
aber  noch  die  nicht  minder  großartigen  im  Innern.  Sie  stehen  unter  der 
Leitung  des  sogenannten  Waterstaats,  einer  Einrichtung,  die  sich  im  Laufe  der 
letzten  Jahrhunderte,  den  verwickelten  Verhältnissen  angepaßt,  zu  einer  Behörde 
mit  fast  unbeschränkter  Gewalt,  zu  einem  Staate  im  Staate,  herangebildet 
hat.    Großes  haben  die  Holländer  ausgeführt,  noch  Größeres  wird  geplant. 

Nachdem  man  mit  Glück  in  den  Jahren  1839 — 55  den  Harlemer  See 
ausgetrocknet  und  mit  einem  Kostenaufwande  von  gegen  9  Millionen  Gulden 
18  000  ha  fruchtbaren  Bodens  gewonnen  hat^),  geht  man  jetzt  mit  Ernst  an 
das  wahrhaft  großartige  Werk,  den  Zuydersee  trocken  zu  legen. 

Seit  den  90er  Jahren  tauchte  eine  Reihe  von  Vorschlägen  auf,  wie  das 
Unternehmen  am  vorteilhaftesten  auszuführen  sei  und  welche  Ausdehnung  man 
ihm  geben  wolle.  Nach  holländischer,  bedächtiger  Ai-t  wurden  diese  Vor- 
schläge hin  und  her  erwogen,  ihre  Vorteile  und  Nachteile  genau  abgeschätzt 

Jetzt  scheint  die  Sache  der  Entscheidung  wesentlich  näher  geführt  zu 
sein,  wenigstens  hat  die  holländische  Regierung  der  Kanmier  einen  bestimmten 
Plan  unterbreitet.  Danach  soll  der  größere  Teil  des  Zuydersees  vom  Meere 
abgeschlossen  werden  und  unter  dem  Namen  Isselmeer  soll  der  Flevus  der 
Alten  wieder  entstehen.  Zwei  Deiche  werden  projektiert,  zusammen  30  km 
lang,  5,40  m  hoch,  am  Scheitel  2  m  breit  und  am  Boden  massig  genug,  um 
eine  gewönliche  Fahrstraße  und  eine  Eisenbahn  zu  tragen.  Der  Wasser- 
abfluß des  Ijsselmeeres  soll  an  der  Insel  Wieringen  durch  300  m  messende 
Schleusen  erfolgen.  Auf  diese  Weise  würden  3600  qkm  abgeschlossen  werden. 
Man  rechnet  auf  eine  Bauzeit  von  33  Jahren;  die  Kosten  würden  396  Mil- 
lionen Francs  noch  etwas  übersteigen.  —  Unsere  Nachkommen  werden  ja 
wohl  die  Austrocknung  des  Zuydersees  erleben. 

1)  Nasse  (Pet.  Mitt.  1884.  S.  11).  Er  fügt  hinzu,  daß  nach  Ansicht  hollän- 
discher Autoritäten  diese  Wasserbedeckung  vor  oder  zur  Zeit  der  Bataver  wirklich 
stattgefunden  habe. 

2)  Nach  d'Endegast.    Pet.  Mitt.  1886.  S.  326. 


Die  deatsche  Nordseeküste  in  alter  und  neaer  Zeit.  321 

Nicht  so  beträchtlich  wie  an  der  niederländischen  Küste  ist  die  dem 
Wasser  abgerungene  Bodenfläche  an  der  deutschen  Nordseeküste,  aber  immer- 
hin größer  als  mancher  deutsche  Staat  Ich  habe  versucht,  mittels  des 
Planimeters  die  Ausdehnung  der  Marschen,  zu  denen  ich  alles  vor  der  Geest 
liegende  Land  rechne,  zu  bestimmen.  Danach  nehmen  die  zu  Schleswig- 
Holstein  gehörigen  eine  Fläche  ein  von  1698,6  qkm,  die  zwischen  Elbe  imd 
Weser  1333,1  qkm,  die  zwischen  Weser  und  Ems  2053,0  qkm,  die  links  von 
der  Ems  gelegenen  139  qkm. 

Im  ganzen  ergibt  sich  also  für  Deutschland  ein  Märschgelände  von 
5493,7  qkm.  Nach  Kutzen  würden  hiervon  2588  qkm,  wenn  die  Deiche 
weggenommen  würden,  unmittelbar  überschwemmt  werden,  die  übrige  Fläche 
wäre  aber  immer  noch  durch  Sturmfluten  bedroht. 

In  den  letzten  400  Jahren  betrug  der  Landgewinn  durch  die  Eindeichung 
26  Quadratmeilen,  also  etwa  1378  qkm.  Am  DoUart  allein  wurden,  zum 
Teil  auf  niederländischem,  zum  Teil  auf  deutschem  Gebiet,  seit  dem  16.  Jahr- 
hundert 297,5  qkm  wieder  landfest  gemacht^).  Trotzdem  ist  der  durch  die 
Einbrüche   des  Meeres  hervorgebrachte  Landverlust   noch   nicht   ausgeglichen. 

Der  nördliche  Teil  von  Dithmarschen,  das  Kirchspiel  Büsum,  früher  eine 
Insel,  ist  erst  Ende  des  16.  Jahrhunderts  durch  Eindeichung  des  Wardamm- 
koogs landfest  geworden,  die  Insel  Hondt  oder  Waerholm  wurde  1696  als 
Hedwigenkoog  hinzugefügt.  Nach  dem  Durchbruch  der  Deiche  im  Jahre  1717 
rückte  Süd-Dithmarschen  nur  um  die  geringe  Breite  des  Sophienkoogs  vor, 
doch  in  den  Jahren  1785 — 87  wurde  der  Kronprinzenkoog  (beinahe  2  km 
breit  und  fast  15  km  lang)  eingedeicht.  Merkwürdigerweise  war  die  Ver- 
wertung des  schönen,  fruchtbaren  Landes  außerordentlich  schwierig,  und  in 
Folge  dessen  scheute  man  weitere  Ausgaben  zu  ähnlichen  Zwecken.  Erst  1845 
ging  man  an  eine  neue  Eindeichung  im  innersten  Winkel  des  Meldorfer 
Busens;  der  Landgewinn  betrug  625  ha,  die  sich  sehr  wertvoll  erwiesen. 
Hierdurch  wurde  man  wieder  zu  neuen  Arbeiten  ermuntert  und  ging  daran, 
den  Außendeich  Dieksand  fest  an  das  Land  anzugliedern.  So  entstand  der 
Friedrichskoog,  9  km  lang,  im  ganzen  gegen  2000  ha  messend.  Die  im 
18.  Jahrhxmdert  entstandene  Insel  Norddeicher  Queller  wurde  1862  als 
Wesselbumer  Koog  eingedeicht,  ebenso  wurde  1873  die  Insel  Maxqueller  als 
Kaiser  Wilhelms-Land  landfest.  So  schreiten  die  Arbeiten  an  der  schleswig- 
schen  Küste  langsam  aber  stetig  weiter'). 

Welcher  Art  ist  nun  das  Land,  das  der  Mensch  dem  Meere  mit  unend- 
licher Mühe  und  Arbeit  abgewonnen  hat,  das  er  mit  Gut  und  Leben  ver- 
teidigt? 

Die  Fruchtbarkeit  des  Marschbodens  ist  sprichwörtlich  geworden.  Und 
in  der  Tat,  nirgendwo  findet  man  üppigere  Getreidefelder,  reichere  Ernten 
an  Ölfrüchten,  Küchen-  und  Handelsgewächsen.  Wo  der  Boden  wegen 
größeren  Wassergehalts   nicht   zum  Ackerbau  geeignet  erscheint,    ist  er  mit 

1)  Vergl.  Deutsche  Geograph.  Blätter  Bd.  X,  H.  4,  8.  336. 

2)  Seit  dem  Jahre  1868  sind  (wenigstens  bis  1886)  jährlich  im  Durchschnitt 
90  000  JL  für  Landgewinnung  an  der  gchleswig-holsteinischen  Küste  ausgegeben 
worden.    Deutsche  Geograph.  Blätter.  1886    S.  87. 

Oeogntphisohe  Zeitsohrift.  9.  Jahrgang.  1903.  6.  Heft.  22 


322  H.  Toepfer: 

dichtem  massigen  Graswuchs  bedeckt,  der  ausgedehnte  Pferdezucht  ermöglicht 
und  das  Milch-  und  Mastvieh  nährt,  das  den  Stolz  und  Beichtum  der  Marsch- 
bewohner bildet.  Die  dem  Meere  nächsten  mehr  sumpfigen  Teile,  nament- 
lich aber  die  nur  unvollkommen  vor  dem  Meere  geschützten  Vorlande  tragen 
wahre  Wälder  von  Schilfrohr,  das  der  Marschbauer  mit  Vorliebe  zur  Be- 
dachung benutzt.  Übrigens  ist  das  Schilf  gerade  für  die  Vorlande  von  be- 
sonderer Bedeutung,  indem  es  durch  seine  nach  allen  Bichtungen  den  Boden 
durchziehenden  Wurzeln  ganz  wesentlich  zu  seiner  Befestigung  beiträgt  Sonst 
ist  von  einer  besonderen  Flora  der  eigentlichen  Marsch  natürlich  keine  Bede. 
Nur  in  den  Gräben  finden  sich  —  und  manchmal  zu  riesiger  Größe  heran- 
gewachsen —  die  Aster  und  der  Wegerich  des  Meerstrandes. 

Daß  sie  schön  wäre  die  Marsch,  kann  man  nicht  behaupten.  Wie  soll 
eine  fast  vollkommen  ebene  Fläche,  aus  Feldern  und  Wiesen  zusammengesetzt, 
ohne  Bäume,  denn  solche  treten  nur  ausnahmsweise  an  Wegen  und  in  der 
Umgebung  der  Kirchen  und  Gehöfte  hervor,  eine  Ebene,  nur  von  Dänunen 
und  schnurgeraden  Wassergräben  durchzogen,  schön  sein?  Aber  die  üppige 
Fülle  der  Pflanzen-  und  Tierwelt  entschädigt  für  den  Mangel  an  schön  ge- 
schwungenen Linien  in  der  Landschaft,  und  die  zahlreichen  Dörfer  und  statt- 
lichen Einzelgehöfte  tragen  zu  ihrer  Belebung  bei. 

Wenn  der  Anblick  der  Marsch  auch  dem  an  landschaftliche  Schönheit 
gewohnten  Auge  Genuß  gewährt,  so  mag  das  zu  nicht  geringem  Teile  davon 
herrühren,  daß  der  Binnenländer  nur  nach  Durchquerung  der  nichts  weniger 
als  fruchtbaren  Geest  an  die  Küste  gelangen  kann.  Wenn  man  etwa  von 
Hamburg  kommend  sich  der  Eisenbahn  anvertraut,  die  —  mit  sorgsamer 
Vermeidung  aller  Städte  —  mitten  durch  Schleswig-Holstein  führt,  oder  von 
Osten  her  quer  gegen  die  Westküste  vorschreitet,  so  befindet  man  sich  in 
einer  wellenförmigen,  hügeligen  Landschaft.  Hier  und  da  ist  sie  mit  Quellen 
und  Bächen  durchsetzt,  an  einzelnen  Stellen  erblickt  man  Andeutungen 
kümmerlichen  Waldes,  meist  aber  ist  die  weite  Fläche  mit  Heide  bedeckt, 
unter  der  oft  genug  der  sandige  Boden  und  Geröllmassen  hervortreten. 
Mächtige  Steinblöcke  sind  über  das  Gelände  verstreut,  und  nur  Sumpf-  und 
Moorstrecken  bringen  etwas  Abwechselung  in  das  Bild.  Stille  lagert  über 
der  Öde  und  das  Gefahl  der  Einsamkeit  beschleicht  den  Wanderer.  Das 
ganze  Gebiet  erscheint  fast  menschenleer,  wenn  auch  ab  und  zu  der  Weg  an 
der  Hütte  eines  Torfgräbers  vorüberfuhrt,  und  wenn  auch  in  der  Feme  viel- 
leicht die  Spitze  eines  Kirchturms  auftaucht.  Die  Ortschaften  liegen  meilen- 
weit auseinander,  und  nur  in  ihrer  nächsten  Umgebung  zeigt  sich  bebautes 
Land,  das  keineswegs  den  Eindruck  großer  Fruchtbarkeit  macht.  Das  gilt 
auch  von  anderen  Geestgebieten;  so  sind  z.  B.  von  der  Münsterschen  Geest 
(im  Oldenburgischen)  nur  88  611,8  ha  kultiviert,  125  903,3  ha  unbebaut  und 
zum  Teil  Unland^)*).     Sinnige  Gemüter  mögen  ja  auch  in  der  Heide,    das 


1)  Nach  Kollmann:  Die  Heuerleute  im  Oldenburgischen  Münsterlande.  Grenz- 
boten. 1898.  Nr.  46. 

2)  AUmers  entwirft  von  der  G^eest  folgendes  Charakterbild:  „Die  Geest  ist 
durch  und  durch  sanguinisch.  Hier  ist  alles  Wechsel,  bald  ernst,  bald  heiter,  bald 
dürr,  bald  fruchtbar,  bald  Tal,  bald  Hügel;  hier  dämmeriger  Wald,  dort  schatten- 


Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter  und  neuer  Zeit.  323 

ist  im  wesentlichen  die  ganze  Geest^  besondere  Schönheiten  entdecken.  Man 
lese  nur  die  Naturbilder  eines  Storm  und  Jensen.  Oder  man  höre  die  Verse, 
die,  von  Hermann  Allmers  der  Oldenburger  Heide  gewidmet,  recht  wohl  auch 
auf  die  Schleswigsche  anzuwenden  sind: 

Wenn  trüb  das  verlöschende  letzte  Rot 

Herschimmert  über  die  Heide, 

Wenn  sie  liegt  so  still,  so  schwarz  und  tot, 

So  weit  du  nur  schaust,  die  Heide, 

Wenn  der  Mond  steigt  auf  und  mit  bleichem  Schein 

Erhellt  den  granitnen  Hünenstein, 

Und  der  Nachtwind  seufzet  und  flüstert  darein 

Auf  der  Heide,  der  stillen  Heide: 

Das  ist  die  Zeit,  dann  mußt  du  gehn 

Ckmz  einsam  über  die  Heide, 

Mußt  achten  still  auf  des  Nachtwinds  Wehn 

Und  des  Mondes  Licht  auf  der  Heide. 

Was  du  nie  vernahmst  durch  Menschenmund, 

Uraltes  Oeheimnis,  es  wird  dir  kund, 

Es  durchschauert  dich  tief  in  der  Seele  Grund 

Auf  der  Heide,  der  stillen  Heide'). 

Und  aus  der  Heide  treten  wir  in  die  Marsch:  das  Landschaftsbild  ist  mit 
einem  Schlage  verändert.  Dort  der  fast  unberührte,  nicht  sehr  erfreuliche 
Naturzustand,  hier  das  Ergebnis  der  künstlich  gestaltenden  Menschenhand, 
des  willenskräftig  schaffenden  Menschengeistes.  Wenig  poetisch  aber  drastisch 
und  wahr  genug  vergleicht  Klaus  Harms,  weiland  Hauptpastor  zu  St.  Nikolai 
in  Eael,  das  schleswig-holsteinische  Land  einem  fetten  Schwein,  das  zu  beiden 
Seiten  die  fetten  Schwarten,  aber  in  der  Mitte  den  dürren  Rücken  habe. 
Die  alten  Friesen  selber  bezeichneten  die  Marsch  als  den  goldenen  Saum  am 
zottigen  Mantel  der  Geest  oder  wohl  auch  als  den  leckeren  Rand  eines 
mageren  Pfannkuchens. 

Und  wie  das  Land,  so  sind  auch  die  Bewohner  verschieden.  Während 
uns  auf  der  Geest  ein  bewegliches  Volk  sanguinischen  Temperaments  ent- 
gegentritt, ist  der  Marschbauer  eine  schwerlebige  Natur.  Abgeschlossen, 
eifersüchtig  seine  wirklichen  oder  vermeintlichen  Rechte  wahrend,  sich  selbst 

lose  Sandwüste;  hier  grünender  Wiesengrund  und  wallende  Kornfelder,  dort  stei- 
niges, unfruchtbares  Heideland;  hier  rauschende  Mühlenbäche,  dort  stille  rohr- 
umflüsterte  Teiche  —  alles  in  schroffen  Gegensätzen  wie  der  Ausdruck  eines  san- 
guinischen Gemüts." 

1)  Theodor  Storm  singt  von  der  Heide: 

Es  ist  so  still,  die  Heide  liegt 

Im  warmen  Mittagssonnenstrahle, 

Ein  rosenroter  Schimmer  fliegt 

Um  ihre  alten  Gräbermale; 

Die  Kräuter  blüh'n,  der  Heidedufk 

Steigt  in  die  blaue  Sonmierluft. 

Laufkäfer  hasten  durchs  (Gesträuch 

Li  ihren  goldnen  Panzerröckchen; 

Die  Bienen  hängen,  Zweig  um  Zweig, 

Sich  an  der  Edelheide  Glöckchen, 

Die  Vögel  schwirren  aus  dem  Kraut 

Die  Luft  ist  voller  Lerchenlaut. 

22* 


324  H.  Toepfer: 

genug,  bedarf  er  keiner  das  Leben  yerschönemden  Geselligkeit  Wir  mögen 
diese  Charaktereigenschaften  mit  vollem  Rechte  als  das  Erzeugnis  der  Natur 
seiner  Heimat  betrachten.  Wie  soll  sich  geselliger  Sinn  herausbilden,  wenn 
der  Verkehr  von  Ort  zu  Ort,  ja  von  Gehöft  zu  Gehöft  bei  den  grundlosen 
Wegen  im  Spätherbst  und  Winter  oft  wochenlang  abgeschnitten  ist?  Soll 
der  stete  Kampf  gegen  übermächtige  Naturgewalten,  gegen  die  gesundheits- 
schädlichen Einflüsse  des  feuchten  Klimas  nicht  eine  ernste  Gemütsart  er- 
zeugen? Wir  werden  uns  auch  nicht  wundem,  wenn  der  durch  unausgesetzte 
strenge  Arbeit  erworbene  Wohlstand  ein  hochmütiges  Herabsehen  auf  die 
minder  gut  gestellte  Menschenmehrheit  hervorbringt.  Wo  soll  endlich  ein 
weiter  geistiger  Horizont  herkommen  bei  Leuten,  die  den  7 — 22  km  breiten 
Streifen  der  Marsch  fast  niemals  verlassen,  andrer  Menschen  Städte  zu  sehen? 
Indes  die  neuere  Zeit,  die  ein  vollständiges  Abschließen  nicht  mehr  duldet, 
hat  auch  manchen  friesischen  Starrkopf  eines  besseren  belehrt  und  in  seinen 
Anschauungen  Wandel  geschaffen. 

Nachdem  die  Entstehung  der  Küstenlinie  und  des  von  ihr  eingeschlos- 
senen Küstensaums  geschildert  wurde,  bleibt  noch  übrig,  auch  das  zu  be- 
trachten, was  vor  jener  Küstenlinie  liegt  und  ihre  Ergänzung  bildet. 

Wir  haben  die  Marsch  durchschritten  und  besteigen  den  abschließenden 
Deich,  er  ist  ja  hoch  genug,  um  einen  Blick  über  das  sich  vor  ihm  aus- 
breitende Meer  zu  gestatten.  Wenn  gerade  Flut  herrscht,  so  erscheint  das 
vom  Festlande  bis  zu  den  vorlagemden  Inseln  reichende  Wattenmeer  nicht 
viel  anders  als  das  offene  Meer  von  irgend  einem  Küstenpunkte  aus  gesehen; 
allerdings  stiller  und  ruhiger  ist  das  Wasser  und  aus  der  verschiedenen  Fär- 
bung der  Oberfläche  bei  Sonnenschein  können  wir  auf  ungleiche,  aber  immer 
nur  geringe  Tiefe  schließen.  Unmittelbar  vor  dem  Deiche  breitet  sich  an 
manchen  Stellen  ein  mehr  oder  minder  ausgedehntes  Vorland  aus,  das  viel- 
leicht auch  schon  durch  niedere  schwache  Dämme  gegen  die  gewöhnliche 
Flut  geschützt,  im  Sommer  zur  Viehweide  dient.  In  größerer  Entfernung 
erblicken  wir  wohl  auch  einzelne  nur  eben  aus  dem  Wasser  auftauchende 
kleine  Inseln,  die  Halligen. 

Ganz  anders  ist  der  Anblick  zur  Ebbezeit,  bei  der  der  Wasserspiegel 
recht  beträchtlich  gesunken  ist,  man  kann  ja  an  der  ganzen  norddeutschen 
Küste  im  Durchschnitt  auf  ein  Zurückgehen  um  2  m  rechnen.  Sollen  wir 
die  uns  vor  Augen  tretende  Fläche  zum  Lande  oder  zum  Meere  rechnen? 
Da  ziehen  sich  in  geringer  Erhebung  Sand-  und  Muschelbänkc  hin,  daneben 
breitet  sich  feiner  flüssiger  Schlamm,  der  Schlick,  aus,  der  kaum  dem  flüch- 
tigen Vogel  eine  sichere  Ruhestelle  bietet;  feste  zu  Stein  erhärtete  Ton- 
massen ragen  aus  ihm  inselgleich  hervor;  unzählige  kleine  Wasseradern,  viel- 
fach verzweigt,  schlängeln  sich  durch  das  Watt,  das  letzte  Ebbewasser  fließt 
in  ihnen  meerwärts  ab.  Es  fehlt  auch  nicht  ganz  an  breiteren  Rinnen,  die 
wenigstens  zur  Flutzeit  kleinen  Dampfschiffen  genügende  Tiefe  zur  Fahrt 
nach  den  weiter  abliegenden  Inseln  bieten. 

Und  auf  der  oassen  Fläche  ist  jetzt  eine  reiche  Tafel  gedeckt  an  Fischen, 
Austern,  Krebsen,  Gameelen  u.  s.  w.  für  alle  die  Tausende  von  Möven,  Ki- 
bitzen.  Seeschwalben,  Wrackvögeln,   die  herbeieilen,  um  die  gebotenen  Herr- 


Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter  und  neuer  Zeit.  325 

lichkeiten  zu  verzehren.  Auch  der  Mensch  nimmt  teil  an  der  Beute,  selbst 
die  leeren  Muschelschalen,  die  zur  Kalkbereitung  dienen  sollen,  heimst  er  ein. 
Ein  volles,  vielgestaltiges  Leben  entwickelt  sich  auf  der  vor  Stunden  noch  so 
öden  Fläche. 

Zwischen  einzelnen  Inseln  und  dem  Festlande  entsteht  bei  Ebbe  sogar 
eine  fahr-  und  gangbare  Verbindung;  so  kann  man  bekanntlich  nach  Norder- 
ney  in  freier  Wahl  zu  Lande  und  zu  Wasser  gelangen.  Selbst  von  dem 
weiter  abgelegenen  Sylt  sind  1864  auf  der  Flucht  vor  dem  berüchtigten 
Kapitän  Hammer  ein  paar  Männer  zu  Fuß  bis  an  die  Küste  gelangt. 

Im  schleswigschen  Wattenmeere  zwischen  dem  Festlande  und  der  Kette 
der  Düneninseln  treten  kleinere  Inseln  auf,  die  Halligen  oder  Seeaugen,  wie 
sie  der  Friese  in  poetischer  Anwandlung  nennt.  Ein  paar  Worte  mögen 
ihnen  gegönnt  sein.  Man  zählt  14  solcher  Inselchen;  ihre  Größe  schwankt 
zwischen  4  und  500  Hektaren,  die  gesamte  Bewohnerschaft  zählte  1889 
512  Personen.  Die  Halligen  sind  dicht  mit  kurzem  Gras  bestanden,  das  den 
Bindern  und  Schafen,  abgemäht  und  getrocknet  auch  im  Winter,  kräftige 
Nahrung  gewährt.  Natürlich  ist  die  sonstige  Flora  keine  andere  als  die 
der  Außendeiche  und  Watten,  im  ganzen  sehr  arm,  hat  man  doch  bisher 
nur  26  verschiedene  Pflanzenarten  gefunden.  Als  für  den  Menschen  un- 
mittelbar nützlich  könnte  höchstens  der  von  den  Friesen  Sudden  genannte 
Wegerig  (Fiantago  mariUma)  erwähnt  werden,  der  dem  genügsamen  Hallig- 
bewohner, wie  auch  den  Anwohnern  der  Küste  als  geschätztes  Gemüse  dient. 
Von  Ackerbau  ist  keine  Bede.  Es  ist  entbehrungsreiches,  einförmiges  Leben, 
das  der  Halligbewohner  führt,  und  noch  dazu  gefahrvoll.  An  stürmi- 
schen Herbst-  und  Wintertagen  steigt  die  Flut  wohl  6  m  über  den  gewöhn- 
lichen Stand,  sie  überschwemmt  das  flache  Vorland,  und  da  kein  Deich,  kein 
Damm  die  Gewässer  abhält,  so  ragen  kaum  noch  die  auf  Warften  auf- 
geführten Gehöfte  aus  den  Wellen  hervor.  Dann  dringt  wohl  die  Flut  in  die 
Wohnungen  ein  und  die  geängstigten  Menschen  müssen  mit  ihrem  Vieh  Schutz 
auf  dem  Boden  suchen,  der  zur  größeren  Sicherheit  auf  besonderen  Pfählen 
ruht    Gar  manches  Hallighaus  ist  mit  seinen  Bewohnern  in  der  See  versunken. 

Das  launische  Meer,  das  die  Halligen  aufgebaut  hat,  wo  etwa  ein  Stein- 
block oder  eine  Kiesbank  Anhalt  bot,  zerstört  auch  wieder  das  eigene  Werk. 
Sie  werden  immer  kleiner,  bei  Hoge  z.  B.  wird  die  jährliche  Einbuße  auf 
4  ha  geschätzt,  die  Hallig  Habel,  jetzt  noch  35  ha  groß,  hatte  im  Anfang 
des  19.  Jahrhunderts  mehr  als  die  doppelte  Fläche,  und  wenn  die  Ab- 
waschung so  fortgeht,  so  wird  bald  nichts  mehr  als  ein  schmaler  Streifen 
um  die  Warft  in  der  Mitte  übrig  bleiben.  Ein  paar  Halligen  sind  durch 
Erdaufschüttungen  mit  dem  Festlande  verbunden,  damit  ist  aber  nur  ein  An- 
fang zu  besonderem  Schutze  gemacht.  Ein  solcher  ist  aber  dringend  nötig, 
schon  weil  die  Halligen  in  kleinerem  Maßstabe  so  gut  wie  die  größeren 
Düneninseln  Wellenbrecher  sind,  die  die  Kooge  des  Festlandes  schützen  und 
Anhaltspimkte  fllr  weitere  Eindeichungen  bieten. 

Die  größeren,  nördlich  von  der  Eiderstedter  Halbinsel  gelegenen  Inseln 
Nordstrand,  Pelworm,  Langeneß,  Föhr  sind  jetzt,  es  war  aber  hohe  Zeit,  mit 
Deichen  versehen. 


326  H.  Toepfer; 

Ich  komme  nun  za  der  interessanten  Inselreihe,  die  sich  yon  dem  Helder, 
der  äußersten  Spitze  des  holländischen  Festlandes,  längs  der  Küste  bis  hinauf 
gegen  Kap  Skagen  in  Jütland  erstreckt.  Es  mögen  die  Beste  einer  gewal- 
tigen Nehrung  sein;  in  noch  früherer  Zeit,  aber  vor  Menschengedenken,  waren 
sie  vielleicht  mit  dem  Lande  verbunden. 

Im  großen  und  ganzen  sind  diese  Inseln  nur  Sandbildungen  und  ins- 
besondere ist  ihre  dem  Meere  zugewandte  Seite  nichts  anderes  als  ein  aus 
reinem  Sande  gebildeter  Höhenzug,  eine  Reihe  von  Dünen.  Nun  sind  Dünen 
freilich  nicht  auf  die  genannten  Inseln  beschränkt,  sie  treten  zunächst  auch 
auf  der  Westseite  des  holländischen  Festlandes,  an  den  atlantischen  Ufern 
Frankreichs  auf,  sie  erreichen  eine  außerordentliche  Ausdehnung  und  Größe 
auf  der  ganzen  Nordwestküste  Afrikas;  ja  alle  Weltteile  haben  in  mehr  oder 
minder  großer  Erstreckung,  da  wo  sie  ans  Meer  grenzen,  Dünen  aufruweisen. 
Kaum  irgendwo  aber  läßt  sich  ihre  Geschichte,  ihre  geologische  und  wirt- 
schaftliche Bedeutung  so  deutlich  verfolgen  als  gerade  auf  den  friesischen  Inseln. 

Wenn  sich  das  Wasser  der  oflFenen  See  xmter  dem  Drucke  des  Windes 
als  einfache  Woge  oder  in  der  täglich  zweimal  wiederkehrenden  Flutwelle 
auf  das  flachansteigende  Land  der  Inselreihe  zu  bewegt,  so  führt  es  auch 
immer  Teile  des  lockeren,  sandigen  Bodens  dem  Ufer  zu,  wirft  sie  weit  fort 
und  oft  über  die  Grenze  hinaus,  die  es  selber  erreicht.  Freilich  nimmt  die 
zurückkehrende  Welle  einen  Teil  der  vorwärtsgeschleuderten  Sandkörner  wieder 
mit,  eine  gewisse  Menge  bleibt  aber  immer  liegen,  und  es  bildet  sich  ein 
Saum,  der  durch  den  Stoß  des  wiederanbrandenden  Wassers  weiter  vorgerückt 
wird.  Mit  der  eintretenden  Ebbe  folgt  eine  Zeit  der  Ruhe;  der  ausgeworfene 
Sand  wird  trocken  und  die  Winde  treiben  ihr  Spiel  mit  ihm,  sie  wirbeln 
ihn  in  die  Höhe  und  jagen  ihn  weiter,  bis  der  erhöhte  Uferrand  oder  die 
auf  ihm  befindlichen  Kräuter  imd  Sträucher  Halt  gebieten.  Der  Sandwall, 
den  sich  das  Meer  und  der  Wind  selber  bilden,  wird  höher  und  höher  — 
es  entsteht  eine  Düne. 

So  regelmäßig  ist  freilich  die  Bildung  des  Dünenzuges  nur  selten  auf 
größeren  Strecken.  Die  den  Flug  des  Sandes  hemmenden  Hindemisse  sind 
nicht  gleich  am  ganzen  Uferrande,  und  ebenso  sind  die  Luftströmungen  da 
oder  dort  von  verschiedener  Stärke.  So  wird  der  Wall  von  ungleicher  Höhe, 
es  entstehen  Spitzen  und  talartige  Vertiefungen.  Durch  die  Einschnitte 
dringt  der  Wind  mit  größerer  Kraft  und  reißt,  was  sich  schon  abgelagert 
hat,  weiter  dem  Lande  zu.  Ein  Teil  des  Sandes  ist  so  fein,  daß  ihn  auch 
die  geringste  Luftströmung  auf  den  Dünenhöhen  aufwirbeln  kann,  dann  er- 
scheinen ihre  Umrisse  eigentümlich  nebelartig  verwischt  —  die  Dünen 
stiemen,  sagt  der  Friese.  Der  fortgeführte  Sand  fallt  meist  in  kurzer  Ent- 
fernung wieder  nieder,  und  so  entsteht  eine  zweite  Reihe  von  Sandhügeln. 
Der  Vorgang  wiederholt  sich,  bis  sich  unter  Umständen  ein  ganzes  Gebirge, 
ein  Zwerggebirge  allerdings,  gebildet  hat.  Die  Länge  der  Dünenkette  hängt 
natürlich  nur  von  der  Ausdehnung  des  den  Sand  zuerst  aufhaltenden  Ufer- 
saumes ab;  auf  Sylt  ist  sie  der  Länge  der  Insel  entsprechend  30  km  lang, 
an  der  holländischen  Westküste  erstrecken  sich  die  Dünen  mindestens 
150  km  weit. 


Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter  und  neaer  Zeit.  327 

Wo  sich  Dünen  ungestört  bilden  können,  ist  die  dem  herrschenden  Winde 
zugekehrte  Seite  nur  flach,  etwa  7 — 8  Grad  ansteigend,  auf  der  Leeseite  da- 
gegen beträgt  der  Abfall  bis  zu  30  Grad.  Die  Breite  der  Dünen  ist  wech- 
selnd, kann  sich  aber,  wie  z.  B.  in  der  Nähe  von  Haarlem,  auf  eine  Wege- 
stunde ausdehnen,  und  am  nördlichsten  Punkte  von  Sylt  bedecken  Dünen 
die  ganze  Lister  Halbinsel.  Auch  in  der  Höhe  sind  sie  verschieden;  während 
sie  in  Holland  im  Durchschnitt  nur  etwa  15  m  ansteigen,  erheben  sie  sich 
an  einzelnen  Stellen  auch  hier  zu  58  m,  in  Jütland  zu  62  m,  in  Sylt  er- 
reichen sie  etwa  30  m.  Beiläufig  gesagt  sollen  am  Kap  Bojador  an  der 
afrikanischen  Westküste  die  Dünen  120,  ja  sogar  180  m  hoch  sein. 

Wir  dürfen  uns  übrigens  die  Dünen  nicht  als  bloße  Haufen  losen  Sandes 
vorstellen.  Durch  zufällig  mitgefiihrte,  zerriebene  Muschelschalen,  durch  die 
Bildung  von  Eisenrost  erfolgt  häufig  im  Innern  eine  solche  Verkittung  der 
einzelnen  Kömer,  daß  ein  ziemlich  fester  Sandstein  entsteht. 

Manchmal  wirken  die  Dünen  auch  als  natürliche  Filter,  und  wenn  sie 
etwa  auf  undurchlässiger  Schicht  ruhen,  so  können  an  ihrem  Fuße  Quellen 
entspringen.     Eine  solche  Quelle   versorgt  z.  B.  Amsterdam  mit  Trinkwasser. 

Was  nun  den  Eindruck  anlangt,  den  eine  Dünenlandschaft  auf  uns 
Binnenländer  machen  kann,  so  sei  es  mir  gestattet,  aus  einer  kleinen  Arbeit, 
die  ich  vor  längeren  Jahren  über  das  Leben  und  Treiben  auf  Sylt  veröffent- 
lichte, die  bezüglichen  Stellen  hier  anzuführen^): 

„Es  hat  eine  Wanderung  durch  die  Dünen  da,  wo  sie  zu  größerer  Aus- 
dehnung gelangt  sind,  ihren  eigenen  Beiz.  Nachdem  man  die  ersten  Hügel 
und  waUartigen  Erhebungen  überschritten  hat,  befindet  man  sich  mitten  im 
Gebirge,  einem  Gebirge,  dem  weder  die  grünen  Abhänge,  noch  die  dunklen 
Spalten,  weder  Täler  noch  blaue  Seen  fehlen.  Freilich  ist  das  Gebirge  sehr 
niedlich,  seine  Höhenzüge  erheben  sich  kaum  haushoch,  freilich  sind  die 
Täler  und  kesselarügen  Vertiefungen  nicht  breit  und  die  Seen  sind  nicht 
unergründlich  tief  Aber  ist  denn  unsere  Freude  an  dem  Gebirge  allein 
durch  das  Riesenhafte  desselben  bedingt?  Und  sind  denn  nicht  alle  Größen- 
bestimmungen relativ? 

Wenn  man  wochenlang  an  der  Seeküste  verweilt,  so  verschwindet  merk- 
würdig bald  jeder  Maßstab  zur  Höhenvergleichung;  und  wer  kann  es  einem 
Küstenbewohner,  der  vielleicht  als  höchste  Erhebung  nur  eine  niedere  Kirche 
oder  einen  Leuchtturm  kennt,  verdenken,  in  den  Dünenhügeln  Berge  zu 
sehen  ? 

Wechselnde  Formen,  das  wunderbare  Spiel  von  Schatten  und  Licht  und 
Farben  haben  wir  hier  so  gut  wie  in  den  Alpen.  Wenn  ein  leichter  Nebel 
die  Umrisse  verhüllt,  so  könnten  wir  wohl  in  den  rein  weißen  Flächen,  die 
ims  aus  der  Feme  entgegenschimmem,  Schnee  und  Gletscher  zu  erblicken 
glauben.  Volle  Einsamkeit  und  tiefe  Ruhe  umgibt  uns:  nur  das  dimipfe 
Brausen  der  See,  ab  und  zu  der  heisere  Schrei  einer  Möve  läßt  sich  hören; 
lautlos  bewegen  sich  im  Sande  die  wenigen  Kerbtiere,  die  der  kärgliche 
Boden  nährt,    und    lautlos    entweicht   der   scheue  Hase,    den    wir   etwa   aus 


1)  H.  T.    Skizzen  von  Sylt.    Thüringer  Hausfreund  1880. 


328  H.  Toepfer: 

seinem  Lager  aufgeschreckt  haben.  Die  Pflanzenwelt  der  Dünen  ist  arm  an 
Arten,  aber  doch  nicht  reizlos.  Neben  dem  starr  aufstrebenden  bläulich- 
grünen  Sandrohr  wächst  die  lilablütige  Dünenwicke,  der  Meersenf  mit  seinen 
fleischigen  Blättern,  das  stachlige  Eryngium;  an  geschützten  Stellen  zieht  sidi 
die  kriechende  Weide  hin  und  neben  ihr  erscheint  die  schwarzfrüchtige  Moos- 
beere. Inmier  und  immer  wieder  erfreut  uns  die  glockenblütige  Erika,  die 
mit  ihrer  Verwandten,  der  uns  wohlbekannten  Calluna,  weite  Strecken  über- 
zieht." 

Doch  nicht  bloß  freundliche  Bilder  bietet  die  Dünenlandschafb.  Unheim- 
lich wird  die  Öde  der  Sandwüste,  wenn  ein  Sturm  heranbraust.  Dann  er- 
füllt zunächst  (yne  Eutzen  in  seinem  „Deutschen  Land"  ebenso  schön  wie 
wahr  ausfährt)  dichter  Sandstaub  die  Luft,  und  auf  der  vom  Winde  getrof- 
fenen Fläche  bildet  sich  wie  auf  einem  Teiche  ein  Netz  von  feinen  Wellen- 
linien. Dazu  gesellt  sich  das  raschelnde,  sonderbar  flüsternde,  oft  weithin 
wie  der  Akkord  einer  Äolsharfe  verhallende  Zusammenschlagen  der  dürren, 
harten  Halme  des  Dünenrohrs,  das  klirrende  und  klingende  Durcheinander- 
laufen der  Sandkörner;  und  nun  kommt  zu  diesen  seltsamen  Tönen  das 
Brausen  des  Windes,  das  Bauschen  der  Meereswogen.  £s  sind  Eindrücke, 
welche  wohl  geeignet  sind,  wie  die  einer  fremdartigen  Welt  auf  den  un- 
befangenen Wanderer  einzuwirken. 

Der  vom  Winde  beflügelte  Sand  strebt  weiter,  die  Dünen  wandern  ins 
Land  hinein.  Langsam  rücken  sie  vor,  aber  unaufhaltsam,  wenn  ihrem  Vor- 
rücken nicht  Einhalt  geboten  wird.  Und  sie  bringen  Tod  und  Verderben; 
unter  den  immer  neu  entstehenden  Sandhügeln  werden  unbarmherzig  be- 
graben Wiesen  imd  Weiden,  die  vormals  Hunderte  von  Schafen  imd  Rindern 
nährten,  der  fruchtbare  Ackerboden  wird  überschüttet,  so  daß  der  Anbau 
nicht  mehr  lohnt  und  schließlich  ganz  aufgegeben  wird. 

Und  doch  wäre  es  ein  Unrecht,  allein  von  der  verderblichen  Wirkung 
der  Dünen  reden  zu  wollen.  Die  Dünenreihen  sind  es,  welche  eine  Schutz- 
mauer gegen  das  vordringende  Meer  bilden;  und  das  Meer  ist  noch  viel  un- 
barmherziger als  der  tote  Sand.  Die  Düneninseln  bilden  den  ersten  Wall, 
gegen  den  die  Hauptmacht  des  ergrimmten  Ozeans  anstürmt,  an  dem  sie 
sich  bricht.  Nun  freilich  zunächst  scheint  es  ein  aussichtloser  Kampf,  den 
die  dem  Meere  entstiegenen  Sandmassen  gegen  ihren  eigenen  Erzeuger  käm- 
pfen. Oft  sieht  man  eine  Düne,  das  ist  auf  Sylt  z.  B.  bei  dem  roten  Klifl 
der  Fall,  nach  der  Seeseite  stark  abstürzen.  Wie  das  gekonmien  ist,  läßt 
sich  leicht  erklären:  wenn  stärkerer  Wellenschlag  den  Fuß  der  Düne  weg- 
gespült hat,  so  fällt  ein  Stück  des  Überhangs  herab,  das  wieder  von  den  an- 
prallenden imd  zurückflutenden  Wellen  fortgeführt  wird.  Der  Vorgang  kann 
sich  wiederholen:  die  Folgen  sind  klar. 

Im  Laufe  der  Jahrhunderte  ist  die  Küstenlinie  der  friesischen  Inseln 
überall  beträchtlich  zurückgewichen.  Wenn  wir  den  alten  Karten  nicht 
glauben  wollen,  so  kann  uns  ein  eigentümliches  Vorkommnis,  das  auf  Sylt 
beobachtet  wurde,  ausreichend  belehren. 

Dort  erschienen  an  der  dem  Meere  zugekehrten  Seite  der  Dünen  die 
Überreste   der  lange  im   Sande    begrabenen   Kirche    von  Altrantum    ziemlich 


Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter  und  neuer  Zeit.  329 

tief  unter  dem  Meeresspiegel;  jetzt  sind  sie  wieder  vollständig  verschwunden. 
Wie  lange  wird  es  dauern  und  Neurantum,  das  heute  unmittelbar  hinter  den 
Dünen  liegt,  wird  unter  dem  Sande  begraben  werden  und  einst  vielleicht  in 
Resten  an  der  anderen  Seite  im  Meere  erscheinen! 

Wir  können  fragen,  wie  es  kommt,  daß  jene  Reste  von  Gebäuden,  die 
doch  wohl  über  dem  Meeresspiegel  enichtet  wurden,  jetzt  unter  dem  tiefsten 
Wasserstande  auftreten.  Nichts  anderes  als  die  ungeheuere  Last  der  über 
sie  hingeschütteten  Sandmassen  hat  sie  auf  dem  nachgiebigen  Boden,  auf  dem 
sie  errichtet  waren,  unter  den  Meeresspiegel  herabgedrückt.  Die  Erscheinung 
führt  mich  zu  der  Erörterung  einer  Frage  von  viel  größerer  Bedeutung. 
Aus  dem  Vorkommen  unterseeischer  Torfmoore,  die  man  im  Wattenmeer  imd 
vor  den  Düneuinseln  findet,  hat  man  auf  ein  allmähliches  Sinken  der  ganzen 
Nordseeküste  geschlossen,  einen  weiteren  Beweis  für  solche  Senkung  entnahm 
man  der  oft  genug  zu  beobachtenden  Erscheinung,  daß  die  Seedöiche,  nament- 
lich in  Holland,  an  Höhe  abnehmen  und  von  Zeit  zu  Zeit  wieder  mit  Erd- 
massen überschüttet  werden  müssen.  Ganz  einfach  erklärt  sich  auch  hier 
dies  Sinken  aus  dem  gewaltigen  Drucke,  den  die  künstlich  aufgeführten 
Dämme  auf  den  wenig  Widerstand  bietenden  Untergrund  ausüben. 

Sueß,  der  die  fast  zum  Glaubenssatz  gewordene  Annahme  einer  lang- 
samen Erhebung  von  Skandinavien  und  einer  entsprechenden  Senkung  des 
Nordseeküstenlandes  in  neuerer  Zeit  einer  genauen  Untersuchung  unterzogen 
hat,  konmit  nach  sorgfältiger  Einwägung  zu  dem  bestimmten  Schlüsse:  „Von 
Haparanda  bis  in  die  Bretagne  ist  seit  der  Bronzeepoche  keinerlei  Hebung 
oder  Senkung  des  festen  Landes  nachgewiesen  ^)."  Wo  Senkungen  vorgekonmien 
sind  und  noch  vorkonmien,  haben  wir  es  nur  mit  lokalen  Erscheinungen  zu 
tun.  Es  lohnt  sich  wohl,  der  Beweisführung  des  Wiener  Forschers  in  aller 
Kürze  nachzugehen. 

Gegen  die  Annahme  einer  allgemeinen  Senkung  spricht  vor  allem  der 
Umstand,  daß  viele  Punkte  an  den  Ufern  der  Nordsee  die  Höhe  ihrer  Strand- 
linien seit  langer  Zeit  unverändert  bewahrt  haben.  So  wird  an  den  großen 
Schleusen  zu  Amsterdam  seit  200  Jahren  das  Meeresniveau  fortlaufend  be- 
obachtet, und  es  hat  sich  seine  Unveränderlichkeit  für  diesen  Zeitraum  bis 
auf  die  Genauigkeit  von  8  mm  ergeben.  Ebenso  macht  die  Lage  römischer 
Bauwerke  außerhalb  der  Dünen  eine  Schwankung  der  Strandlinie  seit  zwei 
Jahrtausenden  von  der  Scheide  bis  Vlieland  höchst  unwahrscheinlich.  Die 
Untersuchungen  von  Ormond  und  Boyd  Dawkins  deuten  ebenso  bestimmt 
auf  unveränderte  Lage  des  Strandes  der  englischen  Südküste  seit  der  Römer- 
zeit. Forchhammer  erwähnt  auf  der  Insel  Romö  eine  Umwallung,  die  von 
einem  Graben  umgeben  und  durch  eine  flache  Marsch  wiese  vom  Meere  ge- 
trennt ist.  Die  Lage  dieser  Schanzen,  die  jedenfalls  von  den  Vikingern  er- 
richtet wurden,  ist  eine  solche,  daß  keinerlei  Veränderung  der  Strandlinie 
anzunehmen  ist,  obgleich  zwischen  Romö  und  dem  Festlande  ein  Torfmoor 
10  F.  unter  dem  Meeresspiegel  liegt. 

Femer  spricht   die  Lage   der  Torfmoore  mit  den  eingewurzelten  Baum- 


1)  Sueß.  Das  Antlitz  der  Erde.  U.  S.  626. 


330  H.  Toepfer: 

stammen,  die  sich  noch  an  vielen  Stellen  der  Küste  zwischen  den  Dünen- 
inseln und  dem  Festlande  finden,  gegen  eine  allmähliche  Senkung  des  Landes. 
Bei  einer  solchen  würde  die  vordringende  Brandung  den  Torf  zerstört  und 
die  Bäume  entwurzelt  haben. 

Das  Herabsinken  dieser  Moore  unter  den  Meeresspiegel  erklärt  sich  aber, 
wenn  wir  annehmen,  daß  die  ursprünglich  tief  hinter  einer  Nehrung  liegenden 
Torfmassen  bei  einem  plötzlichen  Durchbruch  des  schützenden  Dammes  über- 
schwemmt und  durch  die  überlagernden  Schwemmassen  herabgedrtickt  wur- 
den. Die  tiefe  Lage  der  Torfmoore  vor  und  hinter  den  Dünen  wird  also 
wesentlich  auf  gleiche  Weise  durch  den  Druck  der  auflagernden  Massen 
erklärt. 

Wenn  dem  Wind  und  dem  Wasser  für  alle  Zeit  freier  Spielraum  bliebe, 
so  würden  unfehlbar  alle  Düneninseln  erst  unter  dem  Sande  begraben  und 
dann  vom  Meerwasser  zerstört  werden.  Muß  denn  das  aber  sein?  Soll  der 
Mensch,  die  Hände  in  den  Schoß  legend,  zusehen,  wie  seine  Werke,  sein 
Heim,  sein  Gut  untergehen? 

Es  gilt  die  Dünen  zu  befestigen,  einerseits  ihre  Weiterverbreitung  auf- 
zuhalten und  anderseits  sie  vor  den  Angriffen  des  Meeres  zu  schützen. 

Die  Strauchzäune,  durch  die  man  früher  das  Wandern  der  Dünen  auf- 
zuhalten suchte,  erwiesen  sich  als  nutzlos;  so  kam  man  darauf  —  und  die 
Holländer  waren  auch  hier  die  Vorgänger  — ,  die  lebende  Pflanzenwelt  zu 
Hilfe  zu  rufen,  durch  sie  den  Sand  festzubannen.  Eine  ganze  Anzahl  von 
Pflanzen  sind  auf  reinen  Sandboden  angewiesen:  mit  einer  außerordentlichen 
Lebenskraft  ausgestattet,  überdauern  sie  Kälte  und  sengenden  Sonnenbrand; 
so  kärglich  die  Nahrung  ist,  welche  sie  aus  der  Tiefe  zu  ziehen  vermögen, 
sie  streben  doch  kräftig  in  die  Höhe  und  lassen  sich  nicht  vom  Sande  über- 
schütten. Ja,  ihr  dichtes,  weit  ausgedehntes  Wurzelgeflecht  umspinnt  so  fest 
die  lockeren  Sandkörner,  daß  diese  trotz  Sturm  und  Wind  zur  Buhe  kommen. 
An  der  ganzen  Nordseeküste  sind  es  vorzugsweise  drei  durch  den  Gattungs- 
namen hinlänglich  charakterisierte  Gräser,  die  als  eigentliche  Dünengewächse 
bezeichnet  werden  können,  nämlich  Ammophüa  arenaria,  das  Sandrohr,  Ely- 
mus  arenarius,  der  Sandhafer,  und  Carex  arenaria,  die  Sandsegge.  Mehr  als 
Menschenhände  dazu  fähig  wären,  halten  sie  die  wandernden  Sandhügel  fest; 
durch  vom  Winde  fortgefahrten  Samen  und  durch  Wurzelsprossen  pflanzen 
sie  sich  fort  und  überziehen  oft  auf  weite  Strecken  die  Abhänge.  Die  Anmio- 
phila  namentlich  ist  ganz  unschätzbar.  Wenig  anmutend,  graugrün  von 
Farbe,  erhebt  sie  sich  einen  halben  Meter  über  den  Boden.  Da  sie  auch  im 
Winter  weder  Halm  noch  Blätter  verliert,  kann  sie  selbst  in  der  Zeit  der 
stärksten  Stürme  ihres  Amtes  walten,  und  dabei  gehen  ihre  Wurzeln  bis  zu 
6  m  in  die  Tiefe.  Ist  einmal  eine  Pflanzendecke  geschaffen,  so  vermindert 
sich  die  Austrocknung  der  Oberfläche,  es  bildet  sich  nach  und  nach  eine 
kleine  aber  ausreichende  Humusschicht,  auf  der  dann  Weiden,  Birken,  Kie- 
fern u.  s.  f.  angesiedelt  werden  können. 

Nicht  immer  glückt  die  Befestigung  der  Dünen.  Mühsam  und  in  jahre- 
langer Arbeit  erworbener  Boden  kann  in  kürzester  Frist  wieder  verloren 
gehen. 


Die  deutsche  Nordseeküste  in  alter  und  neuer  Zeit.  331 

Auf  einer  steil  zum  Meere  abfallenden  Dünenseite  ist  die  Ansiedelung 
der  genannten  Pflanzen  weit  schwieriger  und  an  einzelnen  Stellen  vollkommen 
anssichtslos.  Man  muß  also  auf  andere  Mittel  sinnen.  Was  zunächst  wieder 
die  Insel  Sylt  anlangt,  so  war  unter  dänischer  Herrschaft  zu  ihrer  Erhaltung 
rein  gar  nichts  getan,  so  wenig  wie  für  die  übrigen  schleswigschen  Inseln. 
Die  Dänen  wußten,  daß  sie  sich  bei  den  Friesen  doch  nun  einmal  keiner 
besonderen  Sympathien  erfreuten,  wozu  sollten  sie  in  deren  Interesse  gutes 
Geld  hinauswerfen?  Ja  der  bequeme  Grundsatz  des  Gehenlassens  hat  sich 
selbst  unter  der  eingeborenen  Bevölkerung  festgesetzt,  sie  hat  sich  nach 
und  nach  an  den  Gedanken  gewöhnt,  daß  ihr  Heimatland  schließlich  doch 
eine  Beute  der  Fluten  werden  müsse.  Sie  allein  wäre  ja  freilich  auch 
außer  stände,  di^  etwa  zu  besonderen  Bauten  nötigen  Kosten  aufzubringen. 
Hier  war  in  der  Tat  Staatshilfe  notwendig,  und  die  ist  auch 'erfolgt.  Be- 
reits im  Jahre  1879  waren  zwölf  große  Steindämme,  Buhnen  genannt,  ein 
jeder  mit  Aufwand  von  etwa  50  000  Mark,  ins  Meer  hinausgefahrt  und  18 
andere  sollten  noch  gebaut  werden.  Seit  1867  war  übrigens  auch  die 
Dünenbepflanzung  vom  Staate  in  die  Hand  genonmien.  In  der  Tat  kann 
man  jetzt  schon  von  einem  gewissen  Erfolge  sprechen.  Unverkennbar  füllt 
sich  der  Raum  zwischen  den  einzelnen  Buhnen  mit  Sand,  das  Ufer  hat  sich 
erhöht,  und  so  kann  eine  gewöhnliche  Flutströmimg  nicht  mehr  bis  zum 
steileren  Abfall  der  Insel  vordringen,  ihn  nicht  mehr  wie  sonst  unterwaschen. 
Die  Kostspieligkeit  der  Anlagen  wird  freilich  verbieten,  diese  auf  den 
ganzen  30  km  langen  Strand  auszudehnen,  und  wir  können  nur  hoffen  und 
wünschen,  daß  sie  bei  der  notwendigen  Einschränkung  genügen  mögen,  den 
mittleren  Teil,  den  Hauptteil  der  Insel,  zu  erhalten.  Der  südliche,  die  Land- 
zunge Hömum  wird  verschwinden.  Es  wäre  ein  großartiger  Ersatz,  wenn, 
was  vorläufig  freilich  nur  ein  Traum  ist,  die  Insel  durch  meerabschließende 
Dämme  mit  dem  Festlande  verbunden  würde. 

Was  die  übrigen  Düneninseln  anlangt,  so  ist  da  nicht  viel  besonderes 
zu  erwähnen.  Die  bedeutendste  und  am  meisten  genannte  ist  Nordemey, 
eine  einzige  3  Stunden  lange  und  1%  Stunden  breite  Düne  mit  der  gewöhn- 
lichen dürftigen  Dünenvegetation.  Nur  am  Südrande  hat  sich  äußerst  frucht- 
barer Schlick  abgesetzt,  der  einen  Marschstreifen  mit  eigentümlichem,  üppigem 
Pflanzen  wüchse  bildet;  ebenso  ist  im  Südwesten  durch  Eindeichung  schöner 
Wiesenwuchs  gewonnen. 

Außerordentliche  Veränderung  hat  die  Nordseeküste  in  der  kurzen 
Spanne  der  geschichtlichen  Zeit  erlitten.  Schade,  daß  ich  nicht  wie  Chidher, 
der  ewig  junge,  sagen  kann:  „Und  aber  nach  fünfhundert  Jahren  will  ich 
desselben  Weges  fahren."  Denn  sie  wird  sich  noch  weiter  umgestalten  in 
dem  Kampfe  des  Menschen  gegen  die  allgewaltige  See^). 


1)  Außer  den  schon  genannten  Aufsätzen  und  größeren  Werken  wurden  benutzt: 
A.  V.  Hoff,  Geschichte  der  natürlichen  Veränderungen  der  Erdoberfläche.  2  Bde.; 
Arends,  Physische  Geographie;  H.  Allmers,  Marschenbuch;  F.  Buchholz,  Aus 
dem  Oldenburger  Lande;  G.  Marsh,  The  Earth.  as  modified  by  human  action; 
Anton  V.  Halem,  Geschichte  des  Herzogtums  Oldenburg.  8  Bde.;  G.  Schilling, 
Der  Ozean. 


332  Albrecht  Penck: 


Nene  Alpenkarten. 

Von  Albreoht  Fenok  in  Wien. 

8.  Übersichtskarten  ttber  das  giokte  Gebirge^). 

Die  letzten  30  Jahre  bezeichnen  für  die  Kartographie  der  Alpen  eine 
völlige  Erneuerung  des  Originalmateriales.  Frankreich  hat  sein  großes  Kar- 
tenwerk 1:80000  vollendet,  und  damit  Ersatz  für  Eajrmonds  ältere  topo- 
graphische Karte  der  Alpen   1:200  000  vom  Jahre   1820  geschaffen.     Die 

1)  Seitdem  der  erste  Artikel  dieser  Serie  erschienen  ist,  ist  sowohl  die  Lite- 
ratur über  den  Gegenstand  wie  auch  die  Zahl  der  Alpenkarten  angewachsen. 
Eugen  Oberhummer  hat  einen  Aufsatz  über  „die  Entstehung  der  Alpenkarten", 
Zeitschr.  d,  D.  u.  ö.  Alpenvereins  XXXII.  1901.  S.  21  veröfifentlicht ,  welcher  die 
älteren  Karten  behandelt;  ein  Jahr  später  hat  er  eine  Artikelreihe:  Die  Ent- 
wicklung der  Alpenkarten  im  19.  Jahrhundert  mit  dem  ersten  Teil:  Bayern  be- 
gonnen (Ebenda.  XXXm.  1902.  S.  32),  der  durch  Abdrücke  von  Kartenausschnitten 
illustriert  ist. 

General  Karl  Neureuther  hat  eine  kurzgefaßte  Geschichte  des  kgl.  baye- 
rischen topographischen  Bureaus  München  anläßlich  der  Vollendung  des  ersten  Jahr- 
hunderts von  dessen  Bestand  veröffentlicht,  dabei  das  Hauptgewicht  auf  die  Organi- 
sation des  Bureaus  legend  (Das  erste  Jahrhundert  des  topographischen  Bureaus  des 
kgL  bayerischen  Generalstabes  München.  8^.  50  S.  1900.).  Ein  ungemein  wichtiges  und 
nützliches  Werk  hat  A.  Heller  geschaffen  (Die  Herstellung  der  Karten  im  topo- 
graphischen Bureau  des  k.  b.  Generalst^bes.  München  1900).  Er  zeigt  durch  eine 
Reihe  von  Karten,  wie  aus  der  Katasteraufnahme  Positionsblätter,  aus  diesen  die 
Blätter  des  topographischen  Atlas  und  schließlich  solche  der  Karte  des  Deutschen 
Reiches  hervorgehen.  Jeder  Kartentypus  ist  durch  ein  Beispiel  vertreten,  außerdem 
sind  die  Karten  beigelegt,  die  den  Übergang  von  einem  zum  andern  Typus  tech- 
nisch vermitteln.  Das  gewählte  Beispiel,  Gegend  von  Trauchgau  und  Mumau, 
gehört  dem  Abfalle  der  Alpen  an.  Von  der  Karte  des  Deutschen  Reichs  sind  nun- 
mehr die  meisten  Alpenblätter  mit  brauner  Geländeschraffierung  erschienen. 

Zur  Literatur  über  die  Schweizer  Karten  habe  ich  einen  Vortrag  vom 
früheren  Direktor  des  eidgenössischen  topographischen  Bureaus,  Obersten  J.  J.  Loch- 
mann  nachzutragen  (La  cartographie  moderne  en  Suisse.  Le  Globe.  Gen^ve. 
XXXVI.  1897.  Mdmoires.  S.  1),  welcher  namentlich  Material  zur  Würdigung  der 
Reliefkarten  enthält.  Auch  sei  auf  den  1901  erschienenen  Katalog  Nr.  8  der 
Publikationen  des  eidgenössischen  topographischen  Bureaus  verwiesen. 

Über  „Italiens  Karten wesen  in  geschichtlicher  Entwicklung**  hat  W.  Staven- 
hagen  geschrieben  (Zeitschr.  d.  Gesellsch.  f.  Erdkunde.  XXXVI.  1901.  S.  277);  seine 
Darlegungen  beruhen  für  die  ältere  Zeit  sichtlich  nicht  auf  eigenen  Studien,  sie 
enthalten  hier  große  Lücken  und  auffällige  Fehler;  für  die  neuere  Zeit  gehen  sie 
über  einen  Katalog  nicht  wesentlich  hinaus.  Ein  ähnlicher  Aufsatz  W.  Staven- 
hagens:  Die  geschichtliche  Entwicklung  des  österreichisch -ungarischen  Militär- 
kartenwesens (Ebenda.  XXXIV.  1899.  S.  424)  steht  auf  etwas  höherem  Niveau;  er 
wurde  bald  nach  Erscheinen  durch  einen  Nachtrag:  Über  das  neueste  Militär- 
kartenwesen Österreich-Ungarns  (Ebenda.  XXXV.  1900.  S.  286)  ergänzt.  Ludwig 
Szab6  von  Säro:  Die  Militärkarten  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie 
(Budapest  1901),  aus  dem  Ungarischen  mangelhaft  übersetzt,  richtet  sich  an  einen 
geographisch  wenig  geschulten  Leserkreis. 

Die  wichtigen  Erörterungen  zur  Aufnahme  der  österreichisch-ungarischen 
Monarchie  sind  in  den  Mitteilungen  des  k.  u.  k.  militär-geographischen  Institutes 
in  Wien  fortgesetzt  worden.  Wir  nennen:  Chr.  v.  Steeb,  Die  Ausgleichung  mehr- 
fach gemessener  Höhen  bei  der  Militär-Mappierung  (Bd.  XIX.  1899.  S.  41).   A.  Frei- 


Nene  Alpenkarten.  333 

Schweiz  hat  ihrem  Dufour-Atlas  im  Maßstabe.  1  :  100000  den  Siegfried- 
Atlas  1  :  25000  und  1  :  50000  an  die  Seite  gestellt.  Bayern  hat  zu  seinem 
teilweise    erneuerten     topographischen    Atlas    1  :  50000    Positionsblätter    in 

herr  v.  Hübl,  Die  photogrammetrische  Terrain -Aufnahme  (Ebenda.  S.  78).  Chr. 
V.  Steeb,  Die  Kriegskarten  (Bd.  XX.  1900.  S.  122),  ein  ungemein  anregender  Auf- 
satz, welcher  namentlich  den  nötigen  Maßstab  der  Kriegskarten  erörtert.  A.  Freiherr 
V.  Hübl,  Beiträge  zur  Technik  der  Kartenerzeugung.  IV.  Die  Aluminium-Druck- 
platte (Ebenda.  S.  179j.  R.  v.  Stern  eck,  Das  neue  Aufnahmeblatt  der  Militär- 
Mappierung  und  die  Dotierung  derselben  mit  Fixpunkten  und  Katastersektionen 
Bd.  XXI.  1901.  S.  99).  W.  Wiesauer,  Die  Evidentstellung  der  Kartenwerke  des 
k.  u.  k.  militär- geographischen  Institutes  (Ebenda.  S.  114).  A.  Freiherr  v.  Hübl, 
Beiträge  zur  Technik  der  Kartenerzeugnisse.  Y.  Das  Kopieren  bei  elektrischem 
Licht  (Ebenda.  S  130).  Eftie  kurze,  ganz  Yortreff liehe  Orientierung  über  die  Arbeiten 
und  Werke  des  k.  u.  k.  militärgeographischen  Instituts  gewährt  die  reich  illustrierte 
Jubiläumsöchrift:  Das  k.  u.  k.  militärgeographische  Institut  in  Wien  zu  Beginn  des 
XX.  Jahrhunderts.  64  S.  Wien,  Selbstverlag  1908.  Sie  enthält  Ausschnitte  aus  der 
Spezialkarte  1  :  76  000,  der  Generalkarte  1  :  200  000  und  der  Übersichtskarte 
l :  760  000. 

Hauptmann  Levaciö  ist  durch  meine  Bemerkungen  über  die  Transkription 
des  Griechischen  (Geogr.  Zeitschr.  VI.  1900.  S.  333)  zu  einer  längeren  Auseinander- 
setzung „über  die  Umschreibung  des  griechischen  -O",  d  und  x  in  den  geographischen 
Namen  der  Balkanhalbinsel"  (Mitt.  k.  k.  geogr.  Gesellsch.  Wien.  XLIU.  S.  391)  ver- 
anlaßt worden,  welche  seine  irüheren  sehr  kurzen  Darlegungen  etwas  ausführlicher 
bringt,  aber  nicht  bereichert.  Neu  ist  lediglich  ein  Wechsel  in  der  Argumentation, 
die  griechischen  Buchstaben  d  und  ^  nicht  direkt  zur  Transkription  ihrer  Laute 
zu  verwenden.  Früher  geschah  dies,  weil  diese  Buchstaben  „der  Mehrzahl  der 
Kartenbenutzer  unverständlich  wären"  (als  wären  ^  und  ^  verständlich  I),  jetzt  heißt 
es,  weil  dafür  in  den  Schriftarten  der  Karten  neue  Zeichen  zu  machen  seien,  und 
weil  das  ^  dem  d  zu  ähnlich  wäre.  Ein  solcher  Wechsel  in  der  Argumentation 
erschüttert  meine  Bedenken  gegen  Levaci^s  Transkription  des  Neugriechischen 
nicht;  ich  halte  ihre  Änderung  nach  wie  vor  für  geboten.  Um  den  Lesern  kurz 
zu  zeigen,  worum  es  sich  handelt,  entnehme  ich  aus  der  Generalkarte  von  Mittel- 
europa 1:200000  einige  bekannte  griechische  Namen:  Halkiziki  (Chalkidike),  Abos 
(Athos).  Sollte  die  Karte  über  Griechenland  ausgedehnt  werden,  so  werden  wir 
wohl  auch  ein  Blatt  AsinGe  erhalten  und  haben  dabei  nicht  an  Eselinnen  sondern 
an  Athen  zu  denken. 

Unser  Bd.  VI,  1900,  S.  337  geäußerter  Wunsch,  daß  die  Originalaufnahmen 
der  österreichisch  -  ungarischen  Spezialkarte  veröffentlicht  werden  möchten,  ist  in 
Erfüllung  gegangen  Die  YervieltUltigung  der  Neuaufnahmen  erfolgt  durch  photo- 
lithographisch hergestellte  Aluminiumplatten.  Wir  erhielten  einen  Abdruck  des 
Blattes  23,  X,  NW.  Sesana.  Er  unterscheidet  sich  von  den  sonst  käuflichen  photo- 
graphischen Kopien  der  Originalau&ahme  wesentlich  durch  Beigabe  eines  Maß- 
stabes; die  geographischen  Koordinaten  aber  können  lediglich  aus  einem  Tableau 
entnommen  werden,  das  die  Lage  der  Karte  in  dem  zugehörigen  Blatte  der  General- 
karte 1:200000  angibt.  Die  schraffierte  Karte  macht  in  Schwarzdruck  den  Ein- 
druck großer  Genauigkeit.  Von  der  neu  verbesserten  Ausgabe  der  Spezialkarte  ist 
ein  Alpenblatt  (Bludenz)  von  ungewöhnlich  plastischer  Wirkung  erschienen.  Die 
Genendkarte  1:200000  ist  nunmehr  bis  an  die  Splügenlinie  westwärts  vorgerückt. 

Von  Duponts  alpinem  Auskunftsbuch  ist  eine  zweite  Auflage,  München  1901, 
erschienen.  Die  topographischen  Detailkarten  (Wien,  Lechner)  sind  um  Blatt  XIII, 
Die  Zillerthaler  Alpen,  vermehrt  worden,  das  wieder  auf  der  Spezialkarte  beruht 
und  ihre  unvergrößerte  Zeichnung  und  den  Maßstab  1 :  76000  hat.  Der  Deutsche 
und  österreichische  Alpenverein  hat  1902  seinen  Mitgliedern  eine  Übersichtskarte 
der  Dolomiten  1 :  100  000  von  G.  Frey  tag  in  Wien  geboten.  Es  ist  eine  Isohypsen- 
karte mit  lichter  Beschattung  nach  einseitiger  Beleuchtung.    Die  Felsen  sind  kräftig 


334  Albrecht  Penck: 

doppeltem  Maßstabe  gesellt.  Österreich  hat  an  Stelle  der  älteren  Karten 
des  (Jeneralquartiermeister-Stabes  1  :  144000  neue  Spezialkarten  1  :  75000 
treten  lassen  und  den  größeren  Teil  der  Originalaufnahmen  1  :  25000  in 
photographischen  Kopien,  kürzlich  auch  in  Druck  zugänglich  gemacht  Italien 
endlich  hat  die  älteren  Karten  von  der  Lombardei  und  Venetien  1  :  86400 
sowie  von  Piemont  1  :  50000  durch  eine  einheitliche  Karte  1  :  100000  ersetzt 
imd  davon  bis  vor  kurzem  auch  die  Aufnahmen  1  :  25000  und  1  :  50000 
veröffentlicht  Diese  letzte  Errungenschaft  ist  allerdings  wieder  verloren 
gegangen,  da  der  Verkauf  der  Tavolette  und  Quadranti  eingestellt  worden  ist, 
so  daß  wir  nunmehr  lediglich  auf  die  Carta  del  ^Regno  d'Italia  ange- 
wiesen sind. 

Wie  nicht  selten  die  Zeit  rüstigen  Fortschrittes  der  Forschung  für  das 
Zustandekommen  zusanmienfassender  kompilatorischer  Arbeiten  nicht  sonderlich 
förderlich  ist,  so  sind  auch  die  letzten  30  Jahre  für  zusammenfassende  kar- 
tographische Darstellimgen  der  Alpen  nicht  gerade  günstig  gewesen.  So 
viele  Karten  einzelner  Teile  wir  erhalten  haben,  so  wenige  umfeissen  das 
ganze  Gebirge.  Von  offiziellen  konnten  wir  in  letzterer  Hinsicht  nur  die 
italienische  1  :  500000  und  die  österreichische  1  :  750000  nennen,  aber 
gerade  ihre  Geländedarstellimg  wird  den  mannigftdtigen,  vom  Gebirge  ge- 
stellten Aufgaben  nicht  gerecht.  Auch  sonst  fehlt  es  an  Werken,  die  für 
die  Gegenwart  das  bezeichneten,  was  P.  Mayrs  Atlas  der  Alpenländer 
(1858 — 1864)  1:450000  oder  Schedas  die  ganzen  Alpen  auf  sieben 
Blatt  darstellende  Karte  von  Zentral-Europa  1  :  576000  für  die  Zeit  ihres 
Erscheinens  waren.  Die  einheitlichen  Alpenkarten  größeren  Maßstabes  der 
neuesten  Zeit  sind  lediglich  Wandkarten  für  den  Unterricht  Wir  können 
hier  ebensowenig  wie  bei  den  Touristenkarten  alle  einschlägigen  Werke  be- 
sprechen und  müssen  ims  auf  die  Erwähnung  der  markantesten  beschränken. 

Randeggers  Alpenland  mit  den  angrenzenden  Grebieten  von  Zentral- 
europa 1  :  500000  (Zürich  1884)  ist  ein  großes  neunblättriges  Werk,  das 
für  eine  Wandkarte  eine  ziemlich  ins  einzelne  gehende  Darstellung  aufweist 
Die  Flüsse  sind  blau,  das  Gebirge  im  Westen  mit  großem  Verständnis  unter 
Annahme  schräger  Beleuchtung  geschummert  Leider  steht  die  Zeichnung  im 
Osten  nicht  auf  gleicher  flöhe.  Der  Alpenabfall  gegen  das  niederöster- 
reichische Alpenland  konmit  gar  nicht  zur  Geltung;  als  ein  hoher  Gebirgszug 
zweigt  sich  das  flügeUand  östlich  Graz  von  den  Alpen  ab;  Sau-  und  Koralpe 
sind  gezeichnet,  als  lägen  Hochgebirgsgrate  vor. 

V.  V.  Haardts  Wandkarte  der  Alpen  1  :  600000,  bei  Hölzel  in  Wien 
erschienen,  ist  weit  einheitlicher  als  Randeggers  Karte.  Sie  hält  sich  in 
Bezug    auf   die    Geländedarstellung    an    das    Vorbild    der    Dufourkarte:    die 

braunrot  gehalten,  aber  nicht  gerade  charakteristiBch  gezeichnet  L.  Aegerter 
hat  femer  in  seiner  Karte  der  Sellagrappe  1 :  12  600,  herausgegeben  vom  Deutschen 
und  österreichischen  Alpenverein  1903,  ein  Beispiel  ganz  ausgezeichneter  Felsdar- 
Stellung  für  die  Dolomiten  Sfidtirols  geliefert.  G.  Freytag  hat  endlich  von  ein- 
zelnen Gebieten  der  Umgebung  von  Wien  ICarten  für  Touristen  bearbeitet,  die  in 
Bezug  auf  Sauberkeit  der  Isohypsenzeichnung  und  Eleganz  der  Schrift  Schweizer 
Vorbilder  erreichen.  So  die  Karte  des  Semmering  1  :  26  000.  Wien  1902. 
Weitere  neuere  Erscheinungen  werden  wir  in  folgendem  besprechen. 


Neue  Alpenkarten.  335 

Hügellands-  und  Mittelgebirgsformen  sind  nach  senkrechter,  die  Hochgebirgs- 
gebiete  nach  schräger  Beleuchtung  braun  schraffiert.  Das  Tiefland  hat 
durchsichtig  grünen,  das  Hochland  licht  erdfarbenen  Flächendruck,  das  Ge- 
wässernetz blau.  Die  Gesamtwirkung  ist  eine  recht  vorteilhafte.  Es  gibt 
drei  Ausgaben,  eine  detaillierte  mit  reicher  Beschreibung,  eine  Schulausgabe 
mit  weniger  Beschreibung  und  eine  stumme.  Von  der  ersteren  liegt  in 
V.  V.  Haardts  Übersichtskarte  der  Alpenländer  eine  photolithographische 
Reduktion  auf  1  :  1000000  vor,  welche  eine  sehr  billige  (Preis  1  Kr.  20  h) 
und,  abgesehen  von  den  großen  Übersichtskartenwerken  von  Mitteleuropa  und 
Italien,  die  einzige  handliche  Übersichtskarte  des  ganzen  Gebirges  in  nicht 
zu  kleinem  Maßstabe  darstellt 

Wir  dürfen  hier  wohl  auch,  obwohl  sie  nur  einen  Teil  der  Alpen  um- 
faßt, die  Schul  Wandkarte  der  Schweiz  1  :  200000  erwähnen,  die  vom  eid- 
genössischen topographischen  Bureau  bearbeitet,  von  N.  Kümmerlj  in  Bern 
mit  vielfarbiger  Reliefdarstellung  versehen  ist.  Es  ist  ein  Werk,  das  die  Manier 
der  Schweizer  Reliefkarten  auf  eine  Wandkarte  überträgt  und  damit  eine 
Plastik  des  Kartenbildes  erzielt,  wie  sie  von  einer  Wandkarte  bisher  nie  er- 
reicht worden  ist.  Dies  ist  namentlich  mit  der  Farbenwahl  zu  danken:  Das 
niedere  unter  700  m  Höhe  gelegene  Land  ist  in  zwei  Stufen  mattgrüner 
Töne,  das  höhere  Land  in  gelbbraunen  Tönen  dargestellt.  Den  von  Nord- 
westen her  beleuchteten  Gehängen  sind  rötliche  Lichter  aufgesetzt^  die  Gegen- 
seiten in  violette  und  saftgrün«  Schatten  getaucht.  Aus  den  also  hervorge- 
hobenen Känmien  erglänzen  weiß  oder  leicht  beschattet  die  Schneefelder 
und  Gletscher,  auf  den  Schattenseiten  nwt  violetten  Tinten  versehen.  Mit 
dieser  auch  auf  namhafte  Entfernung  plastisch  wirkenden  Yeranschaulichnng 
des  Geländes  paart  sich  eine  ins  einzelne  gehende  Isohypsendarstellung 
(100  m  Linien,  die  500  m  Linien  gestrichelt),  so  daß  bei  näherem  Herantreten 
die  Höhen  der  Berge  vom  Schüler  „ausgezählt^'  werden  können.  Die  Be- 
schreibung ist  auf  Nahwirkung  berechnet,  stört  daher  das  Kartenbild  nicht. 
Dies  wird  trotz  der  konsequent  festgehaltenen  schrägen  Beleuchtung  auch 
den  Plateauformen  des  Hügellandes  gerecht;  Schwarzwald  und  Wasgau  machen 
aber  einen  zu  kuppigen  Eindruck.  Ungern  vermissen  wir  die  Höhenzahl 
für  den  höchsten  Gipfel  der  nördlichen  Kalkalpen,  die  Parsejer  Spitze. 
Auch  stört  uns  etwas,  daß  die  Eisenbahnlinien  nur  bis  zu  den  rot  gehaltenen 
Ortszeichen  hingeführt,  aber  in  ihnen  nicht  verknüpft  sind,  was  durch  zarte 
Linien  geschehen  könnte.  Zweifellos  bezeichnet  die  Schulwandkarte  der 
Schweiz,  die  an  die  Schulen  der  Eidgenossenschaft  unentgeltlich  abgegeben 
wird,  einen  sehr  großen  Fortschritt. 

Während  Übersichtskarten  der  Alpen  längst  in  den  Schulatlanten  ein- 
gebürgert sind,  finden  sie  erst  jetzt  allmählich  Eingang  in  unsere  großen 
Atlanten.  Erst  Debes'  neuer  Handatlas  brachte  in  seiner  ersten  Auflage  1895 
auf  zwei  Blättern  eine  den  Alpen  speziell  gewidmete  Darstellung,  die  jedoch 
südwärts  nur  bis  zur  Maira  reicht,  also  die  Alpen  der  Provence  und  die 
Seealpen  nicht  mit  umfaßt.  Die  beiden  randlich  etwas  übereinander  grei- 
fenden Blätter  sind  ungemein  sauber  gestochen;  das  Gelände  ist  braun,  nach 
schräger  Beleuchtung  schraffiert,  Flüsse  und  Schrift  sind  schwarz,  Eisenbahnen 


336  Albrecht  Penck: 

rot.  Die  Karten  enthalten  so  viel,  wie  ihr  Maßstab  erlaubt,  nnd  sind  selbst 
in  Einzelheiten  verläßlich;  sie  wurden  mit  zwei  anderen  Karten  des  Debes- 
sehen  Atlas  den  Besuchern  des  VII.  internationalen  Geographen-Kongresses 
in  Berlin  1899  dargeboten.  Stielers  Handatlas  bringt  in  seiner  eben  er- 
scheinenden neuesten  neunten  Auflage  zwei  Blätter  Alpenländer.  Das  west- 
liche beruht  auf  C.  Vogels  prächtiger  Karte  von  Südwest-Deutschland  und 
der  Schweiz,  stellt  aber,  wie  in  der  neuen  Auflage  allgemein,  das  (jelände 
durch  braune  Schraffen  dar,  deren  Wirkung  durch  einen  aufgedruckten  grauen 
Ton  verstärkt  wird.  Die  Schraflfen  sind,  abgesehen  von  der  durchgeführten 
Erweiterung  der  Karte  nach  Süden  und  Osten,  identisch  mit  denen  der 
Vogelschen  Karte,  sie  bringen  deren  Vorzüge  auch  in  Braundruck  zur 
Geltung.  Die  Gletschergebiete  sind  teils  weiß  gelassen,  teils  haben  sie  blaue 
Schatten.  Das  ganz  neue  östliche  Blatt  steht  nicht  auf  gleicher  Höhe. 
Seine  Geländedarstellung  legt  zu  viel  Gewicht  auf  die  Herausarbeitung  der 
einzelnen  Gebirgsgruppen  und  zu  wenig  auf  die  im  Maßstabe  1  :  925000 
noch  mögliche  Wiedergabe  der  Kämme  (Hohe  und  niedere  Tauem).  Die 
großen  Längstäler  der  Ostalpen  werden  dadurch  über  Gebühr  auffällig. 
Das  Steirisch-Kärtnerische  Gebirge  mit  seinen  Mittelgebirgsformen  erhält  durch 
die  schräge  Beleuchtung  einen  falschen  Charakter.  Die  Höhen  des  Karstes 
sind  im  Vergleiche  zu  denen  der  niederösterreichischen  Alpen  zu  schwach 
schraffiert.  Der  von  der  Vogelschen  Karte  übernommene  Maßstab  erlaubte 
nicht  die  ganzen  Ostalpen  bis  nach  Wien  darzustellen.  Die  Karte  reicht 
Dur  bis  zum  Semmeringgebiete,  und  das  Blatt  westliche  Alpenländer  schließt 
die  französischen  Alpen,  mit  Ausnahme  der  savoischen,  aus. 

9.  Schlaßbemerkungen,  namentlich  über  Gelftndedarstellnng  des  Hochgebirges. 

Man  ist  heute  bei  Studien  über  die  Geographie  der  Alpen  im  wesent- 
lichen auf  die  Kartenwerke  größeren  Maßstabes,  auf  die  topographischen 
Karten  imd  Spezialkarten  angewiesen.  Diese  aber  zeigen,  wie  wir  gesehen 
haben,  in  Bezug  auf  Anlage  und  Ausflihrung  große  Verschiedenheiten.  Teils 
haben  wir  es  —  im  Deutschen  Reiche,  in  Italien  und  in  Österreich  —  mit 
Gradabteilungskarten  zu  tun,  von  welchen  ein  jedes  Blatt  nach  den  Himmels- 
gegenden orientiert  ist,  teils  mit  den  aus  der  Projektion  eines  größeren 
Landes  auf  eine  Ebene  herausgeschnittenen  Rechtecken,  welche  schräge  zu 
den  Meridianen  gestellt  sind,  was  beim  Gebrauche  der  französischen  Alpen- 
karten als  Übelstand  empfunden  wird.  Wir  haben  es  mit  Maßstäben  von 
1  :  25000,  1  :  50000,  1  :  75000,  1  :  80000  und  1  :  100000  zu  tun,  die 
zwar  mehr  kommensurabel  sind,  als  die  in  früheren  Zeiten  beliebten,  aber 
jeder,  der  nach  Karten  wandernd  von  Bayern  nach  Österreich  übertritt, 
empfindet  es  als  Schwierigkeit,  die  Entfernungen  in  den  Karten  1  :  75000 
ebenso  richtig  zu  taxieren,  wie  in  jenen  von  1  :  50000.  Weit  schwieriger 
ist  es,  von  der  Schweiz  nach  Frankreich  übertretend,  sich  an  den  Maßstab 
1  :  80000  zu  gewöhnen.  Am  schwierigsten  aber  ist,  sich  mit  den  ver- 
schiedenen Arten  der  Geländedarstellung  so  vertraut  zu  machen,  daß  einem 
die  Formen  des  Gebirges  nach  den  verschiedenen  Karten   lebhaft  vor  Augen 


Neue  Alpenkarten.  337 

treten  und  man  in  den  deutschen,  österreichischen,  italienischen  und  fran- 
zösischen Karten  das  Gelände  anstandslos  „liest^^ 

Immerhin  zeigt  aber  die  Entwicklung  der  neueren  Alpen kartographie 
doch  in  sehr  vielen  Stücken  eine  Anbahnung  einer  gewissen  Einheitlichkeit. 
Die  Gradabteilungskarte,  welche  die  bequemste  Orientierung  nach  den  Himmels- 
gegenden ermöglicht,  ist  herrschend  geworden  und  wird  auch  für  die  neu«i 
geplante  Karte  von  Frankreich  1  :  r)0000  vorgeschlagen.  In  den  neueren 
Aufhahmekarten  begegnen  wir  femer  nur  noch  zwei  leicht  miteinander  ver- 
gleichbaren Maßstäben  1  :  25000  und  1  :  50000;  sie  bieten  augenscheinlich 
die  meisten  Vorteile,  und  es  ist  nur  zu  wünschen,  daß  sie  mehr  und  mehr 
zur  Anwendung  kommen. 

Auch  in  Bezug  auf  die  Gelände darstellung  begegnen  wir  einer  ge- 
wissen Annäherung.  An  Stelle  der  älteren  klinometrischen  Aufnahmen  sind 
nun  auch  im  Deutschen  Reiche,  in  Österreich  und  Italien  durchweg  hypso- 
metrische getreten,  die  Schichtlinien  haben  ihren  Einzug  nicht  bloß  in  den 
Originalaufnahmen,  sondern  auch  in  den  Spezialkartenwerken  Österreichs  und 
Italiens  gehalten;  sie  treten  uns  selbst  auf  den  Alpenblättem  der  Karte  des 
Deutschen  Reiches  entgegen,  welche  sie  sonst  absichtlich  vermeidet;  sie 
leuchten  schwach  durch  die  GeländeschrafiPor  der  Carte  de  France  hindurch. 
Während  man  sich  aber  in  den  Originalaufnahmen  der  Schweiz,  Bayerns 
und  Italiens  beschränkt,  die  Geländedarstellung  lediglich  in  Schichtlinien  und 
wenigen  Zutaten  zur  Kennzeichnung  der  Oberflächenbeschaffenheit  zu  geben, 
hat  man  in  den  Spezialkartenwerken  die  Schattierung  durch  Schraffen  zur 
Veranschaulichung  der  Bodenplastik  beibehalten.  Über  die  Art  dieser  Schat- 
tierung gehen  noch  heute  wie  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  die  Meinungen 
auseinander.  In  der  Schweiz  hat  die  schräge  Beleuchtung  nach  wie  vor 
begeisterte  Vertreter;  sie  beherrschen  hier  die  Kartenproduktion  mit  einer 
gewissen.  Ausschließlichkeit.  In  Italien  hingegen  ging  die  offizielle  Landes- 
aufnahme, die  in  der  „Carta  degli  Stati  di  S.  M.  Sarda  in  terra  ferma 
1  :  250000"  ein  Werk  mit  schräger  Beleuchtung  geschaffen,  zur  sogenannten 
senkrechten  über.  Frankreich  wiederum,  das  die  schräge  Beleuchtung,  auch 
französische  Manier  genannt,  in  seinem  Hauptkartenwerke  verlassen,  ist  zu  ihr 
in  neueren  Werken  zurückgekehrt.  Unverändert  ist  nur  der  Standpimkt  der 
offiziellen  Kartographie  im  Deutschen  Reiche  und  in  Österreich  geblieben; 
ausschließlich  wird  die  Beleuchtung  nach  Lehmannschen  Prinzipien,  wenn 
auch  nicht  genau  nach  der  Lehmannschen  Skala,  verwendet.  Aber  die  Karten 
von  Privatanstalten  haben  häufig  auch  hier  die  Geländeveranschaulichung 
durch  schräge  Beleuchtung  zur  Anerkennimg  gebracht.  Man  schwankt  noch 
vielfach  zwischen  der  Auswahl  des  einen  oder  anderen,  und  dieses  Schwanken, 
das  sich  in  den  Werken  ausspricht,  steht  in  auffälligem  Gegensatze  zu  der 
Bestimmtheit,  mit  welcher  die  Vertreter  beider  Systeme  manchmal  zu  argu- 
mentieren pflegen.  Wiener  Anhänger  der  Schattierung  nach  senkrechter  Be- 
leuchtung nannten  die  Darstellung  nach  schräger  „ein  unwissenschaftliches 
Prinzip"^).     Andererseits    haben    Anhänger    der    schrägen    Beleuchtimg    diese 


1)  Peterm.  Mitt.  1887.  S.  118. 

Oeogrmpbitoba  ZeiUohrift.  ».Jahrgang.  1903.  6.  Ueft.  28 


338  Albrecht  Penck:* 

der  senkrechten  als  eine  natürliche  gegenüber  gestellt.  Becker^)  sagt: 
„Punkto  Beleuchtung  dürfen  wir  uns  endgültig  an  die  natürliche  halten"  (er 
meint  damit  die  schräge)  —  und  bemerkt  an  einer  anderen  Stelle*):  ,^ie  so- 
genannte senkrechte  Beleuchtung  ist  *  gar  keine  Beleuchtung,  sondern  eine 
theoretisch  angenommene  Manier/' 

Die  Geländedarstellung^)  auf  Karten  ist  ein  praktisches  Problem, 
das  nicht  nach  Schlagworten  zu  behandeln  ist.  Die  namhafte  Zahl  ausge- 
zeichneter Karten,  die  es  in  verschiedener  Weise  zu  lösen  trachten,  verge- 
wissert uns,  daß  nicht  bloß  ein  einziger  Weg  dazu  offen  steht,  und  ermög- 
licht uns  die  Anwendbarkeit  der  einzelnen  Verfahren  imd  deren  Grenzen  zu 
ermitteln.  Dabei  müssen  wir  ims  vor  allem  vor  Augen  halten,  daß  wir 
unter  dem  Namen  Geländedarstellimg  drei  verschiedene  Aufgaben  zusanMnen- 
zufitösen  pflegen,  die  wir  bei  Betrachtung  eines  Abdruckes  der  Isohypsenplatte 
von  Finsterwalders  Vemagtfemerkarte  auseinander  halten  lernten:  Erstens 
die  genaue  Wiedergabe  der  Erhebungsverhältnisse,  zweitens  die  Kenn- 
zeichnung der  geographisch  wichtigen  Oberflächenbeschaffenheit,  drittens  die 
Veranschaulichung*)  der  Geländegestalt.  Für  die  Lösung  der  ersten  Aufgabe, 
die  im  wesentlichen  geometrischer  Art,  stehen  uns  lediglich  die  Schichtlinien 
zur  Verfügung,  denn  sie  allein  gestatten  uns,  die  Höhen  aller  Punkte  der 
Karte  aus  dieser  selbst  innerhalb  gewisser  Grenzen  zu  entnehmen. 

Die  Kennzeichnung  der  Oberflächenbeschaffenheit  geschieht  durch  konven- 
tionelle Zeichen.  So  scheiden  wir  Wasser  imd  Land,  heben  Flüsse  und  Seen 
hervor,  verzeichnen  Gletscher,  sondern  den  Fels  vom  abgeböschten  Gelände, 
charakterisieren  nicht  selten  Schutt-  und  Sumpf  land.  Derartige  Ausscheidungen 
werden  um  so  reicher,  je  größer  der  Kartenmaßstab  ist,  aber  sie  fehlen  auch, 
wenigstens   in   Gestalt   der  Trennung    von  Wasser    und  Land,   keiner  Karte. 


1)  Neuere  Bestrebungen  auf  dem  Gebiete  der  Kartographie.  Jahrb.  Schweiz. 
Alpenklub.  XXIV.  1889.  S,  320  (327). 

2)  Die  schweizerische  Kartographie.  S.  19.  Im  Texte  heißt  es  hier  „schiefe 
Beleuchtung".    Nach  Sinn  und  Druckfehlerverzeichnis  ist  die  senkrechte  gemeint. 

3)  Das  Hauptergebnis  der  nachfolgenden  Darlegungen  über  die  Verwendung 
verschiedener  Methoden  bei  verschiedenen  Maßstäben  wurde  bereits  1899  von  mir 
auf  der  Naturforscherversammlung  in  München  vorgetragen  (Verhdlgn.  d.  Gresellsch. 
deutsch.  Naturf.  u.  Ärzte  1899.  H.  S.  33).  Unmittelbar  darauf  hat  Eugen  Ober- 
hummer auf  dem  VII.  intemat.  Geographenkongresse  zu  Berlin  (vgl.  dessen  Ver- 
handlungen I,  S.  8ö)  über  denselben  Gegenstand  gesprochen  und  zugleich  die  weit- 
gehende Übereinstimmung  unserer  beider  Anschauungen  erwähnt.  In  Bezug  auf 
die  Leistungsfähigkeit  der  senkrechten  und  schrägen  Beleuchtung  stimmen  meine 
bereits  1898/99  niedergeschriebenen  Bemerkungen  erfreulich  überein  mit  denen 
Peuckers  in  seiner  1898  gedruckten,  aber  erst  1899  versandten  anregenden  Schrift 
über  Schattenplastik  und  Farbenplastik  (Wien,  Artaria  1898),  die  er  in  der  dritten 
seiner  „Drei  Thesen  zum  Ausbau  der  theoretischen  Kartographie"  (G.  Z.  VIII.  1902. 
S.  66.  145.  204)  weiter  ausgebaut  hat.  Angesichts  der  Verschiedenheit  des  Aus- 
gangspunktes unserer  Betrachtung,  der  bei  Peucker  rein  theoretisch  ist,  dürfte  es 
aber  doch  von  Nutzen  sein,  wenn  die  unabhängig  voneinander  erhaltenen  Ergeb- 
nisse von  beiden  Seiten  veröffentlicht  werden. 

4)  In  der  von  vornherein  durchgeführten  scharfen  Sonderung  zwischen  Wieder- 
gabe der  Höhen  und  ihrer  Veranschaulichung  stimmen  wir  durchaus  mit  Peucker 
^'Iberein  (Schattenplastik  Ö.  4). 


Neue  Alpenkarten.  339 

Die  mehr  oder  weniger  ausgiebige  Kennzeichnung  der  Ober- 
flächenbeschaffenheit ist  das  Kriterium  der  geographischen 
Karte,  das  sie  vom  geometrischen  Grundrisse  unterscheidet*); 
die  Veranschaulichung  der  Geländegestalt  erachten  wir  dagegen  nicht  als  ein 
unbedingtes  Erfordernis  geographischer  Karten,  denn  sehr  viele  Karten,  und 
zwar  gerade  die  Originalaufnahmen  verzichten  mehr  oder  weniger  darauf;  sie 
sind  gutenteils  nackte  Schichtlinienkarten  mit  äquidistanten  Isohypsen. 
Erst  bei  den  auf  den  Originalaufnahmen  beruhenden  Spezialkarten  tritt  uns 
die  Gelände  veranschaulichung  in  vollem  Umfange  entgegen,  in  Spezialkarten- 
werken  sich  meist,  entsprechend  dem  Vorschlage  E.  v.  Sydows*),  mit  der 
Darstellung  durch  äquidistante  Isohypsen  den  schattierten  Schichtkarten 
vergesellschaftend,  während  die  bloße  Kartenschattierung  ohne  exakte  Wieder- 
gabe der  Erhebungsverhältnisse  ihre  frühere  Beherrschimg  der  Spezialkarten 
verloren  hat  Wir  begegnen  der  bloß  schattierten  Karte  unter  den  Alpen- 
karten nur  nodi  bei  Werken  kleineren  Maßstabes.  Auf  solche  beschränkt 
sich  im  allgemeinen  auch  die  Veranschaulichung  der  Höhen  in  den  Höhen- 
schichtenkarten, in  denen  die  häufig  nicht  von  äquidistanten  Isohypsen 
begrenzten  Höhenschichten  koloriert  werden.  Deutlich  erkennen  wir  bei 
einem  flüchtigen  Überblicke  über  die  neueren  Alpenkarten,  daß  Verwendung 
und  Art  der  Höhenveranschaulichung  in  Beziehung  zum  Kartenmaßstabe  steht. 
Untersuchen  wir  nun,  inwieweit  dies  im  Wesen  der  Sache  begründet  ist. 
Die  Schichtlinienkarten  verwirklichen  das  Ideal,  die  Meereshöhen 
aller  Punkte  der  Karte  innerhalb  der  Genauigkeitsgrenzen,  welche  durch  die 
Aquidistanz  der  Isohypsen  gezogen  sind,  anzugeben.  Je  kleiner  die  Aqui- 
distanz,  desto  wertvoller  die  Karte.  Aber  der  Vermehrung  der  Schichtlinien  sind 
praktisch  durch  den  Kartenmaßstab  Grenzen  gezogen,  welche  im  Hochgebirge 
viel  enger  sind  als  sonst  und  daher  die  Verwendbarkeit  der  Schichtlinien- 
karten einschränken.  Man  kann  nicht  mehr  als  drei  Schichtlinien  auf  einem 
1  mm  breiten  Streifen  zusammendrängen,  wenn  man  sie  noch  bequem  aus- 
zählen will,  wie  auf  den  bayerischen  Positionsblättern;  zwängt  man  ihrer  4 
auf  1mm  zusammen,  wie  auf  den  französischen  Karten  1:80  000  und 
1 :  200  000,  so  sind  sie  im  einzelnen  nur  noch  mühsam  zu  verfolgen;  zieht 
man  sie  noch  enger,  so  werden  sie  kaum  unterscheidbar.  3 — 4  Schichtlinien 
auf  1  nmi  erscheint  uns  als  das  äußerste  des  Darstellbaren.  Untersuchen 
wir  nun,  wie  viele  Isohypsen  auf  diesem  Baume  zusammentreffen  können. 
Die  höchste  im  Hochgebirge  häufiger  vorkommende  Böschung  (vom  Fels 
sehen  wir  einstweilen  ab)  dürfte  60^  betragen.  Bei  einer  Karte  im  Maß- 
stabe -    ist  1  mm  ==  yI^—  m;    einer   solchen  Entfernung   entspricht  bei  einer 

Böschung  von  60^  ein  Höhenunterschied  von  r^  •  Ys  m.     SoUen  sich  nun 


1)  Wir  halten  hier  fest  an  unserer  Äußerung  in  der  G.  Z.  Bd.  V.  S.  691;  eine 
nur  geodätischen  Anforderungen  genügende  Wiedergabe  der  Unebenheiten  der  Erd- 
oberfläche bietet  noch  keine  Karte.  Wenn  E.  Hammer  hierin  nur  eine  Redensart 
erblickt  (Geogr.  Jahrb.  XXIV.  1901.  S.  46),  so  ist  ihm  offenbar  ganz  entgangen,  in 
welchem  Zusammenhang  jene  Äußerung  gemacht  worden  ist. 

2)  Drei  Kartenklippen.    Geogr.  Jahrb.  I.  1866.  S.  848. 

28* 


340  Albrecht  Penck: 

auf  1  mm  höchstens   3 — 4  Isohypsen    zusammendrängen,    so    dürfen    wir   im 
obigen   Höhenunterschiede    auch    nicht    deren    mehr   an  treffen ,    das   heißt  ihr 

senkrechter  Abstand   darf  nur  -.  -    •  -^m    oder  kleinstens  ^ll^  •  ---  m  sein, 

oder  rund  jJ^^Kq  *  5  m   beziehentlich  •  4  m. 

Nach  letzterem  Ausdrucke   ist  die   minimale  Äquidistanz   der  Isohypsen 
einer  Hochgebirgskarte,    falls    man  Böschungen    von   60^  gerade    noch    dar- 
stellen imd  solche  von  45^  bequem  lesbar  machen  will: 
im  Maßstabe 

1       1^  1  11       1^ 1  1        _  1 1 

10  000    25  OOÖ    6Ö0Ö0    Ib'ÖOÖ    80  000  100  000    200  000    820  000    500  000    1000000 

4  m       10  m       20  m       30  m       32  m  40  m        80  m       128  m      200  m      400  m. 

Verwenden  wir  imsere  Tabelle  zu  einer  Kritik  der  einzelnen  Karten- 
werke, so  sehen  wir,  daß  die  Äquidistanz  der  Isohypsen  des  bayerischen 
Positionsatlas  und  der  Blätter  1:25  000  des  Siegfriedatlas  gerade  noch  zur 
Wiedergabe  steilster  Böschungen  hinreicht,  während  sie  in  den  Blättern  des 
Siegfriedatlas  1:50  000,  der  neueren  italienischen  Meßtischblätter  1:25  000 
und  1:50000,  sowie  der  österreichischen  Originalaufnahmen  1:25000  weiter 
als  nötig  ist.  In  der  Carta  del  Begno  d'  Italia  könnte  sie  nicht  enger  sein, 
wenn  beabsichtigt  ist,  daß  auch  die  Kurven  von  100  zu  100  m  in  der  Karte 
erscheinen;  wohl  aber  könnte  sie  es  in  der  österreichisch-ungarischen  Spezial- 
karte  1  :  75  000  und  der  Karte  des  Deutschen  Reiches.  *Die  neue  Spezialkarte 
des  letzteren  1 :  200  000  wird  in  den  Alpen  nur  die  von  ihr  bereits  stark  ge- 
haltenen 100  m  Linien  bringen  können,  und  muß  hier  vielleicht  mit  Ausnahme 
der  Täler  auf  die  20  m  Kurven  verzichten.  Wenn  die  französische  Karte  der 
Alpengrenze  und  die  erste  Ausgabe  der  Carte  de  France  du  Service  gfogra- 
phique  1 :  200  000  Isohypsen  im  Vertikalabstande  von  20  m  enthalten,  so  ist 
dies  nur  unter  Verzicht  auf  eine  genauere  Wiedergabe  des  Hochgebirges  mög- 
lich, gleiches  gilt  auch  von  der  neueren  Ausgabe  der  letztgenannten  Karte, 
der  Grenzkarte  1 :  320  000  und  der  Carte  de  France  1  :  500  000.  Ihre 
Schichtenhöhe  drängt  zu  manierierter  Darstellung,  wie  wir  eine  solche  auf 
ihnen  kennen  gelernt  haben.  Aber  auch  Leuzingers  verschiedene  Relief- 
karten, wie  z.B.  die  von  Tirol  1:500000,  können  bei  einem  senkrechten 
Abstände  der  Isohypsen  von  100  m  diese  nicht  mehr  genau  verzeichnen.  In 
der  Tat  sehen  wir,  vne  sie  über  die  Talgehänge  schematisch  ausgebreitet 
werden,  was  namentlich  von  den  Trogtälem  der  Zentralalpen  gilt.  Das  aber 
müssen  wir  zur  Voraussetzung  aller  Geländedarstellung  machen,  daß 
sie  grundrißtreu  bleibt. 

Nach  unserer  Tabelle  ist  eine  grundrißtreue  Darstellung  des  Alpen- 
reliefs mittels  Isohypsen  nur  in  großen  Maßstäben  möglich;  denn  die  Wieder- 
gabe des  Gebirges  mit  den  charakteristischen  Zügen  seiner  Gestaltung  setzt 
kleine  Vertikalabstände  der  Schichtlinien  voraus.  Wenn  ein  solcher  von 
30  m  noch  dem  Hochgebirgsgelände  gerecht  wird,  was  nach  dem  Siegfried- 
atlas angenommen  werden  kann,  so  ist  der  Maßstab  von  1 :  75  000  der 
kleinste  einer  einheitlichen  Schichtlinienkarte  der  ganzen  Alpen.  Schon  für 
wenig  kleinere  Maßstäbe  beginnt  die  Hochgebirgsdarstellung  durch  Isohypsen 


Neue  Alpenkarten.  341 

allein  zu  versagen,  notwendig  wird  die  Veranschaulichiing  des  Geländes  durch 
Schatten  oder  Farben.  Für  viel  kleinere  Maßstäbe  aber  sinkt  sie  fast  zur 
Bedeutungslosigkeit  herab.  Eine  Übersichtskarte  der  Alpen  im  Maßstabe 
1:1000  000,  also  von  der  Größe  der  Alpenkarten  in  Debes'  Atlas,  würde 
höchstens  Isohypsen  im  Abstände  von  400  zu  400  m  enthalten  können,  wo- 
mit die  Möglichkeit  einer  entsprechenden  Wiedergabe  des  Gebirges  aufhört, 
und  die  bloße  Veranschaulichung  der  Formen  als  einziges  Mittel  zur  An- 
deutung ihres  Vorhandenseins  überbleibt.  Hiernach  ist  die  Stufenfolge  Schicht- 
linienkarte, schattierte  Schichtkarte  und  schattierte  Karte,  die  wir  bereits 
erwähnt  haben,  in  dem  Unvermögen  begründet,  die  Isohypsen  auf  den  Karten 
über  ein  bestimmtes  Maß  hinaus  zusammendrängen. 

Wir  haben  bisher  inmier  angenommen,  daß  die  steilsten  im  Gebirge 
vorkommenden  Böschungen  60^  betrügen.  Wir  können  außer  acht  lassen, 
daß  in  der  Gipfelregion  des  Hochgebirges  noch  viel  steilere  Abfälle,  Wände 
von  7U — 80^  Neigung,  nahezu  lotrechte  Abstürze  vorkommen,  denn  sie  ge- 
hören fast  ausnahmlos  dem  Felsgelände  an,  das  als  eine  besondere  Kategorie 
der  BodenbeschafPenheit  in  der  Regel  in  eigener  Weise  dargestellt  wird. 
Dies  geschieht  meist  unter  Weglassung  der  Isohypsen  infolge  der  Erwägung, 
daß  sich  auf  so  steilen  Böschungen  die  Schichtlinien  unentwirrbar  zusammen- 
drängen würden.  Allein  gerade  im  Felsgelände,  dessen  kartogi'aphische 
Wiedergabe  gegenwärtig  fast  allenthalben  mehr  nach  dem  Gefühle  als  nach 
bestimmten  Regeln  geschieht,  ist  es  besonders  nötig,  das  feste  Gerippe  der 
Schichtlinien  zu  bewahren,  da  sie  allein  über  Höhe  und  Steilheit  des  Geländes 
Auskunft  geben  können.  Wenn  man  befürchtet,  daß  sie  sich  zu  eng  zu- 
sanmiendrängen,  so  lasse  man  sie  im  Bereiche  der  Felszeichnung  in  bestimmten 
Intervallen  aus,  wie  dies  auf  der  Österreichisch-ungarischen  Originalaufnahme 
geschieht,  welche  die  „Hauptschichtlininien"  durch  den  Felsen  durchzieht, 
während  sie  die  „Zwischenschichtlinien"  ausläßt.  Bei  einfarbigem  Drucke  ist 
es  allerdings  schwierig,  Schichtlinien  und  Felszeichnung  zu  verbinden;  aber 
bei  Farbendruck  ist  es  leicht  möglich.  Auf  den  Karten  des  Siegfriedatlas 
und  den  Positionsblättem  Bayerns  brauchte  man  z.  B.  die  Schichtlinien  in 
Fels  nur  schwarz  und  diesen  darüber  braun  zu  zeichnen,  um  sie  deutlicher 
erkennbar  zu  machen  und  zugleich  zu  zeigen,  daß  sie  in  weiterem  Intervalle 
als  sonst  gezogen  sind. 

Von  einer  Schichtlinienkarte  müssen  wir  strenge  Durch- 
führung des  gewählten  Verfahrens  der  exakten  Geländedarstellung 
verlangen.  Es  ist  gefehlt,  die  Isohypsen  auf  gewisse  Kategorien  der  Boden- 
beschaffenheit, auf  das  normal-geböschte  Gelände  zu  beschränken,  wie  es  bei 
einigen  Schichtschattenkarten  z.  B.  der  österreichisch-ungarischen  Spezialkarte 
und  der  Carta  del  Regno  d'  Italia  geschieht.  Sie  gehören  auf  alle  Partien 
der  festen  Kruste,  daher  sowohl  auf  den  Fels  als  auch  auf  die  Oberflächen 
von  Gletschern  und  den  Boden  von  Seen,  wo  man  sie  häufig  vermißt.  Die 
praktische  Durchführbarkeit  in  letzterer  Hinsicht  wird  durch  die  Karten  des 
Siegfriedatlas  erwiesen,  welche  durch  ihre  Schichtlinien  auf  den  Gletschern 
eine  Reibe  wissenschaftlicher  Untersuchungen  förderten  und  durch  ihre  Iso- 
hypsen  am  Grunde  der  Alpenseen  die  Herausgabe  eines   besonderen  Karten- 


342  Albrecht  Penck: 

Werkes  über  die  Scbweizerseen  überflüssig  machten,  während  für  die  deutschen, 
österreichischen  und  französischen  Seen  besondere  Atlanten  nötig  waren,  und 
für  Italien  noch  zu  gewärtigen  sind. 

Wenn  unsere  Schichtlinienkarten  großen  Maßstabes  in  der  Begel  auf 
eine  besondere  Veranschaulichung  der  Gebirgsgestalt  durch  Schatten  oder 
Farben  verzichten,  so  liegt  der  Grund  darin,  daß  sie  durch  das  Zusammen- 
drängen ihrer  Isohypsen  bereits  eine  Art  Schattierung  erhalten.  Diese 
Schattierung  kann  allerdings  auf  einfarbigen  Karten  nicht  recht  zur  Geltung 
kommen,  weil  sie  hier  durch  Schrift  und  Situation  gestört  wird.  Wenn  aber, 
wie  mehr  und  mehr  geschieht,  die  Isohypsen  braun  gedruckt  werden,  so  ist 
die  durch  sie  bewirkte  Schattierung  unverkennbar.  Peucker  geht  entschieden 
viel  zu  weit,  wenn  er  der  Schichtlinienzeichnung  an  sich  jede  Anschaulichkeit 
abspricht*).  Gerade  die  Karten  des  Hochgebirges,  wie  viele  Blätter  des 
Siegfriedatlas  und  zahlreiche  bayerische  Positionskarten,  insbesondere  die  der 
Umgebung  des  Königssees,  erweisen  das  Gegenteil.  Bei  Hochgebirgs- 
karten  kann  ein  Teil  der  Geländedarstellung,  nämlich  die  be- 
sondere Veranschaulichung  der  Formen,  entfallen. 

Die  Schattierung,  welche  die  Schichtlinienkarten  durch  Isohypsen  er- 
halten, entspricht  der  wirklichen  senkrechten  Beleuchtung  und  ist  bei  den 
Hochgebirgskarten  durchweg  geringer,  als  die  nach  der  Lehmannschen  Skala, 
wie  Peucker  für  den  Siegfriedatlas  1 :  50  000  graphisch  gezeigt  hat').  Doch 
muß  dies  nicht  allgemein  so  sein,  da  die  Schattierung  proportional  der 
Tangente  des  Böschungswinkels  und  der  gewählten  Breite  der  Isohypsen,  aber  . 
umgekehrt  proportional  deren  Äquidistanz  und  dem  Kartenmaßstabe  ist.  Eine 
Karte  1:100  000  mit  10  m  Isohypsen,  eine  solche  1:50000  mit  5  m  Iso- 
hypsen, beide  nur  für  Hügelland  möglich,  würden  ähnlich  stark  wie  durch 
die  Lehmannsche  Schraffierung  schattiert  erscheinen,  welch  letztere  die 
Schattierung  für  geringe  Böschungen  annähernd  proportional  dem  Sinus  und 
sohin  auch,  roh  genommen,  der  Tangente  des  Böschungswinkels  macht'). 
Letzteres  geschieht  bei  der  Carte  de  France,  wie  aus  folgendem  erhellt. 

Die  Schattierung  a,  welche  eine  Anzahl  dichtgedrängter  Isohypsen  einer  Fläche 
verleihen,  ist  abhängig  von   ihrer  Breite  b  und  Horizontalentfemung  (Horizontal- 

abstand  -\-  Breite)  e;  es  kann  gesetzt  werden  <r  =  —  • 

Zwischen   Horizontalentfemung   zweier   Isohypsen   (e)   und   ihrem   senkrechten 

Abstände  {d)  besteht  die  bekannte  Beziehung  «  =  d  cot  a  — ,  wenn  a  der  Böschungs- 

Winkel,  —  der  Kartenmaßstab  ist.    Damach  ergibt  sich  a  =  -^  tga  fi.  (1) 

Auf  der  Carte  de  France  1 :  80  000  wurden  die  Schraffen  ursprünglich  in  einem 

1)  Schattenplastik  und  Farbenplastik.  1898.  S.  6. 

2)  Schattenplastik  und  Farbenplastik.    Fig.  1,  S.  40. 

3)  Die  Carte  topographique  de  la  Belgique  1 :  40  000  mit  ziemlich  kräftigen 
Isohypsen  im  Abstände  von  6  m  erscheint  so  stark  schattiert,  wie  nach  Lehmann, 
worin  man  sich  z.  B.  durch  das  Blatt  Spaa  leicht  überzeugen  kann,  sobald  man  die 
Ausgabe  ohne  farbig  aufgedmcktes  Wegnetz  betrachtet.  Die  belgischen  Blanchettes 
1 :  20  000  mit  Isohypsen  von  1  zu  1  m  sind  durch  letztere  viel  stärker  schattiert, 
als  sie  es  durch  Lehmannsche  Schraffen  sein  würden. 


Nene  Alpenkarten.  343 

Abstände  von  einem  Viertel  der  Horizontalen tfemung  gesetzt;  also  die  erhaltene 

46 
Schattierung  war  a  =  — ,  später  setzte  Hossard  a  =  1.6  tga. 

unsere  Gleichung  (1)  erlaubt  uns  zu  berechuen,  wie  stark  wir  die  Isohypsen 
im  senkrechten  Abstände  von  20  m  machen  müßten,  um  einen  gleichen  Effekt  wie 

Hossards  Skala  hervorzubringen.    Wir  setzen  1.6tga  =  —   tga-SO 000  und  erhal- 

30 

ten  b  =  --—^^—  m  ==  0.376  mm. 
80  000 

Nehmen  wir  0.1  mm  als  die  normale  Breite  einer  Schichtlinie  an,  so  finden 

wir,   daß    Hossards   Skala   die   Schatten   beinahe  viermal  stärker   macht,   als  das 

bloße  Zusammendrängen   zarter  Isohypsen  ergeben  würde.     Sie  ergibt  also  durch 

Verdickung  der  Schraffen  dieselbe  Abtönung  wie  das  ursprüngliche  System  durch 

deren  Anordnung.    Da  aber  bei  0  =  1   voller  Schatten  eintritt,  so  reicht  sie  nur 

bis  zu  Böschungen,  für  welche  tga  =  -—  ist,  und  ist  sohin  für  Winkel  von  mehr 

1.5 

als  36^  bereits  unverwendbar.     Gleichung  (1)  ermöglicht  uns  auch  die  Schattierung 

verschiedener  Karten  zu  vergleichen,  z.B.  der  Blätter  1:26  000  und  1:60  000  des 

Siegfriedatlas.    In  beiden  Fällen  ist  etwa  6  =  o.l  mm,  d  =  10,  bez.  «=  30  m,  daher 

ist  «^16000  =  ^-25  tg«i  «^ 60000  =  0.1671  tga;  die  Karte  1 :  26  000  ist  also  lV,mal  so 

stark  als  die  1 :  60  000  schraffiert. 

Zu  einer  Schatten  Wirkung  kommen  die  Schichtlinien  nur  dort,  wo  sie 
sich  dicht  auf  einer  ausgedehnteren  Fläche  zusammenscharen,  also  wo  ihre 
Äquidistanz  klein,  die  Böschungen  steil  und  groß  sind.  Vom  Hochgebirge, 
wo  sich  die  Steilheit  mit  der  Ausdehnung  der  Böschungen  paart,  liefern  die 
Schichtlinienkarten  erheblich  plastischere  Bilder  als  vom  Mittelgebirge  oder 
gar  von  flacherem  Gelände.  Da  femer,  wie  wir  gesehen,  die  zulässige 
Minimaläquidistanz  der  Isohypsen  umgekehrt  proportional  dem  Kartenmaßstabe 
ist,  so  hängt  ihre  Maximalzahl  bei  gleichen  Böschungen  direkt  von  diesem 
ab.  In  gleicher  Abhängigkeit  vom  Kartenmaßstabe  steht  aber  auch  die  Aus- 
dehnung der  Böschungen,  so  daß  bei  sonst  gleichen  Verhältnissen  die  größte 
Schattenwirkung  der  Isohypsen  mit  dem  Quadrate  des  Kartenmaßstabes 
wächst.  Hieraus  erhellt,  daß  sie  nur  für  Karten  größeren  Maßstabes  praktisch 
in  Betracht  kommt,  und  daß  es  Grenzen  des  letzteren  gibt,  über  welche 
hinaus  sie  unwirksam  ist.  Wir  können  diese  nach  den  vorhandenen  Alpen- 
karten für  das  Hochgebirge  annähernd  bestimmen. 

Wie  erwähnt,  machen  die  Positionsblätter  und  die  Siegfriedkarten  1 :  25  000 
vielfach  einen  recht  plastischen  Eindruck,  gleiches  gilt  von  vielen  Blättern 
des  Siegfriedatlas  1:50  000;  aber  die  allerdings  nur  in  Schwarzdruck  aus- 
geführten Blätter  der  Carta  del  Regno  dltalia  gewähren  mit  ihren  Isohypsen 
von  50  zu  50  m  keine  anschauliche  Vorstellung  des  Reliefs  mehr^).  Glauben 
wir  auch,  daß  braune  Isohypsen  die  Karte  erheblich  plastischer  machen 
würden,  so  möchten  wir  doch  angesichts  ihrer  kaum  annehmen,  daß  sich  mit 
Schichtlinien  allein  für  das  Hochgebirge  noch  für  erheblich  kleinere  Maßstäbe 
als  1 :  100  000,  wo  die  zulässigste  kleinste  Äquidistanz  der  Isohypsen  40  m 
ist,  noch  plastische  Wirkung  erzielen  läßt.     Für  das  Mittelgebirge,  wo  wegen 


1)  Supan  nannte  die  aus  mehreren  von  ihnen  zusammengestoßene  Karte  in 
S.  Marineil is  Guida  della  Camia  (Udine  1898)  ganz  charakterlos.  Peterm.  Mitt. 
1899.  Lit.  Ber.  Nr.  396. 


344  Albrecht  Penck: 

des  Mangels  steiler  Böschungen  die  zulässige  kleinste  Äquidistanz  der  Iso- 
hypsen erheblich  kleiner  ist,  kann  man  auch  noch  in  kleineren  Maßstäben 
plastische  Bilder  erhalten,  wie  die  neue  Karte  des  Deutschen  Reiches  1 :  200  000 
lehrt.  Die  strenge  Äquidistanz  der  Isohypsen  ist  selbstverständlich  eine  Vor- 
aussetzung homogener  plastischer  Wirkung:  Jede  eingeschaltete  Zwischenlinie 
verstärkt  sie,  jede  weggelassene  Linie  schwächt  sie  ab.  Will  man  die  An- 
schaulichkeit der  Karte  nicht  beeinträchtigen,  so  muß  man  also  die  zum 
Verständnisse  besonderer  Geländeformen  unbedingt  nötigen  Hilfslinien  so  zart 
als  möglich  machen,  und  muß  im  Felsgelände,  wo  die  Isohypsen  notwendiger- 
weise in  weiteren  Abständen  gezogen  werden  müssen,  den  dadurch  entfallenden 
Betrag  der  Schattierung  durch  die  Felsdarstellung  ersetzen. 

Es  fehlt  nicht  an  Versuchen,  die  plastische  Wirkung  der  nackten 
Schichtlinienkarten  durch  die  Art  der  Zeichnung  der  Schichtlinien  zu  steigern. 
Das  Verfahren,  welches  Franz  Keil^)  in  seiner  orographisch-physikalischen 
Karte  des  Groß-Glockner  und  seiner  Umgebung  angewendet  hat,  ziemlich  weit 
abstehende  Isohypsen  um  so  dunkler  zu  machen,  je  höher  sie  liegen,  hat  bei 
weitem  nicht  die  plastische  Wirkung  wie  sie  durch  dichte  Drängung  der 
Schichtlinien  erzielbar  ist,  und  hat  nur  in  stummen  Repetitionskarten  Peuckers 
für  Schulen  Nachahmung  gefunden.  Aber  auch  das  Verfahren  von  Lößl 
und  Pauliny,  die  Isohypsen  auf  einer  beleuchteten  Seite  heU,  auf  einer 
beschatteten  Seite  dunkel  darzustellen,  trägt  weniger  zur  Veranschaulichung 
des  wirklichen  Geländes,  als  zu  der  einer  ihm  einbeschriebenen,  einseitig 
beleuchteten  Treppenpyramide  bei.  Will  man  über  dem  Gerippe  der  Schicht- 
linien die  volle  Form  des  Geländes  zur  Darstellung  bringen,  so  muß  man 
unbedingt  zur  Schattierung  greifen,  für  deren  Ausführung  die  beiden 
Methoden  der  senkrechten  und  schrägen  Beleuchtung  zur  Verfügung  stehen. 
Die  Betrachtung  der  neueren  Alpenkarten  hat  uns  Material  geliefert,  die 
Wirkimgsfähigkeit  beider  Methoden  kennen  zu  lernen. 

Die  Schattierung  nach  schräger  Beleuchtung  ist  ein  ausgezeichnetes 
Hilfsmittel  zur  Wiedergabe  der  Hochgebirgsformen,  wenn  diese,  wie  in  der 
Schweiz  fast  die  Regel,  senkrecht  zur  angenonmienen  Beleuchtungsrichtung 
streichen').  Indem  die  eine  Flanke  Licht,  die  andere  Schatten  erhält,  wird 
der  Kamm  durch  die  Beleuchtungsgrenze  scharf  hervorgehoben.  Sobald  aber 
die  Kämme  in  anderer  Richtimg  streichen,  sollte  sich  der  Gegensatz  zwischen 
belichtetem  und  unbelichtetem  Gehänge  abschwächen  und  ganz  verschwinden, 
wenn  die  Kämme  in  der  Richtung  der  Lichtstrahlen  streichen.  Praktisch 
hilft  man  dem  ab,  indem  man  die  Richtung  der  Lichtquelle  etwas  ändert, 
um  den  Kamm  als  Beleuchtungsgrenze  zu  bewahren.  Dies  beeinflußt  den 
Eindruck  der  Karte  nur  sehr  wenig;  man  bemerkt  es  in  der  Regel  erst  bei 
eingehenderem  Studium,  es  bezeichnet  aber  eine  Abweichung  von  streng  geo- 
metrischer Auffassung.  Der  senkrechten  Beleuchtung  bieten  die  Grate  des 
Hochgebirges  unter  aUen  Umständen  Schwierigkeiten^).  Man  muß  die  First- 
linie  hervorheben,   um    sie   kenntlich   zu   machen;   man  schaltet  zwischen  die 

1)  Petermann'ß  Mitteilungen  1860.  Taf.  4. 

2)  Vergl.  Peucker's  dritte  These  A. 

3)  Vergl.  Peutker,  Schattenplastik  S.  41. 


Neue  Alpenkarten.  345 

beiden  dunkel  schattierten  Gehänge  eine  lichte  Firstfläche  ein,  die  in  der 
Natur  nicht  vorhanden  ist  und,  falls  man  ihre  Breite  nicht  auf  ein  Minimum 
beschränkt,  wie  z.  B.  auf  den  Karten  des  Zillertales  und  der  Venediger- 
gruppe  (herausgegeben  vom  Alpenverein),  leicht  einen  wulstigen  Eindruck 
macht,  wie  auf  den  Karten  des  militär-geographischen  Institutes  in  Wien. 
Die  Einschaltung  dieser  Kammflächen  bezeichnet  ein  Abgehen  von  der 
Grundrißtreue,  welche  die  Grundbedingung  jeder  Geländedarstellung  ist.  Es 
greifen  also  beide  Beleuchtungsarten  für  das  Hochgebirge  zu  Willkürlichkeiten, 
die  schräge  aber  nur  zu  Inkonsequenzen  in  der  Art  der  Veranschaulichung, 
die  senkrechte  zu  einer  Fälschung  des  Grundrisses,  die  um  so  größer  wird, 
je  kleiner  der  Kartenmaßstab  ist.  Die  schräge  Beleuchtung  ist  hier  der 
senkrechten  unbedingt  überlegen. 

Anders  bei  Mittelgebirgs-  und  Plateauformen.  Die  scharfe  Grenze  zwischen 
steiler  Gehänge-  und  einer  sanft  geneigten  Hochfläche  verschwindet  bei  streng 
durchgeführter  schräger  Beleuchtung,  wenn  beide  denselben  Winkel  mit  den 
Lichtstrahlen  bilden.  Deshalb  kommt  auf  v.  Pelikans  Karte  des  Salz- 
kammergutes, deren  Schummerung  durch  Photographie  eines  Reliefs  erhalten 
ist,  also  ganz  ungekünstelt  ist,  der  Nordwestabfall  des  Dachsteinplateaus 
nicht  zur  Geltung;  er  ist  ebenso  belichtet,  wie  letzteres  selbst,  da  der  Winkel 
zwischen  beiden  durch  die  Lichtstrahlen  halbiert  wird.  Dementsprechend 
kann  die  streng  durchgeführte  schräge  Beleuchtung  auch  den  Übergang  eines 
beleuchteten  Gfehänges  in  eine  sanft;  gewölbte  Kammfläche  nicht  eindringlich 
wiedergeben.  Wenn  gleichwohl  die  schräge  Beleuchtung  auch  Plateaus  und 
Mittelgebirgsrücken  oft  recht  gut  wiedergibt,  so  liegt  dies  daran,  daß  sie 
nicht  streng  durchgeführt  wird  und  die  Richtung  der  Beleuchtung,  die  bereits 
in  der  Horizontalen  verschoben  worden  ist,  auch  in  der  Vertikalen  bewegt 
wird.  Die  senkrechte  Beleuchtung  liefert  hingegen  für  jene  Formentypen 
inmoer  richtige  Bilder  ohne  Grundrißfalschung*). 

Lenken  wir  den  Blick  auf  die  Hohlformen,  so  sehen  wir  die  Täler  bei 
schräger  Beleuchtung  —  gleich  den  Kämmen  —  je  nach  ihrem  Verlaufe 
ganz  verschieden.  Streichen  sie  senkrecht  zur  Richtimg  der  Lichtstrahlen,  so 
ist  das  eine  Gehänge  in  Licht,  das  andere  in  Schatten  getaucht,  und  im 
Lichte  und  Schatten  verschwinden  ihre  Einzelformen.  Diese  kommen  zur 
Geltung,  wenn  Tal  und  Licht  gleich  gerichtet  sind,  dann  aber  verschwindet 
der  Gegensatz  beider  Gehänge,  und  das  Tal  erscheint  nicht  eingetieft.  Da- 
gegen ti'eten  die  Täler  bei  senkrechter  Beleuchtung  in  allen  Fällen  samt 
den  Kanten,  Leisten  und  Rippen  hervor.  Die  senkrechte  Beleuchtung  ist 
unentbehrlich  zur  Veranschaulichung  der  Tal  formen.  Dagegen  versagt  sie  für 
die  Darstellung  eines  Geländes,  das  neben  isolierten  Erhebungen  leere,  ge- 
schlossene Hohlformen  zeigt,  wie  z.  B.  das  Karstland,  nahezu  völlig;  man 
muß  hier  die  Dolinen  und  andere  Wannen  durch  eingefügte  Minus-Zeichen  als 
solche  kenntlich  machen.  Hier  liefert  die  schräge  Beleuchtung  wieder  ein- 
wandfreie Bilder,  und  so  in  die  Augen  fallend  sind  hier  ihre  Vorteile,  daß 
V.  Steeb^   vorschlägt,    sie    selbst    auf  Kriegskarten    zur    Charakteristik    der 

1)  Vergl.  Peucker,  Schattenplastik  S.  43.    These  UI A. 

2)  Über  Kriegskarten.   Mitt.  k.  u.  k.  miütärgeogr.  Inst.  XX.  1900.    S.  122  (145). 


346  Albrecht  Penck:  Neue  Alpenkarten. 

Karstformen  heranzuziehen:  sie  sollen  unabhängig  von  der  senkrechten  Be- 
leuchtung durch  einen  von  schräger  Beleuchtung  hervorgerufenen  braunen 
Schatten  wiedergegeben  werden.  Damit  weicht  ein  entscbiedener  Vertreter 
der  senkrechten  Beleuchtung  von  ihrer  ausschließlichen  Verwendung  ab. 

Was  endlich  den  Gegensatz  von  Hoch  und  Niedrig  anbelangt,  so  wird 
er  durch  die  senkrechte  Beleuchtung  nicht  im  entferntesten  so  klar  und  an- 
schaulich gemacht,  wie  durch  die  schräge.  Fast  alle  nach  senkrechter  Be- 
leuchtung schattierten  Alpenkarten  machen  einen  flauen  Eindruck;  sehr  viele 
sind  dunkel,  wie  namentlich  die  Karte  des  Deutschen  Reiches,  oder  im  Aus- 
drucke schwach,  wie  manche  der  reambulierten  Spezialkarten  Österreichs  und 
namentlich  die  Carte  de  France.  Die  schräge  Beleuchtung  hebt  dagegen 
die  beleuchteten  Kämme  aus  den  in  Schatten  befindlichen  Tälern  kräftig  her- 
vor, sie  macht  das  Auf-  und  Abwogen  des  Geländes  viel  anschaulicher,  als  es 
je  bei  Anwendung  senkrechter  Beleuchtung  möglich  ist,  und  gibt  bei  guter 
DurchfQhrung  die  Möglichkeit  an  die  Hand,  den  Höhen  Wechsel  relativ  zu 
schätzen.  Sie  läßt  das  Land  reliefartig  erscheinen,  verzichtet  aber  dabei  auf 
eine  eindeutige  Illustrierung  der  Böschungen. 

So  hat  denn  jede  der  beiden  Beleuchtungsarten  bestimmte  Gebiete  ihrer 
vorteilhaftesten  Anwendbarkeit;  für  Hochgebirge  und  Karst  ist  die  eine,  für 
Plateaus,  Mittelgebirge  und  Täler  die  andere  tiberlegen.  Man  wird  daher  mit 
der  einen  wie  mit  der  anderen  eine  passende  Veranschaulichung  des  Geländes 
erreichen  können,  sobald  es  sich  um  bestimmte  Formengruppen  handelt.  Ist 
aber  ins  Auge  gefaßt,  die  Schattierung  für  ein  größeres  Kartenwerk  zu 
suchen,  das  sich  über  ein  wechselvoll  gestaltetes  Land  erstreckt,  so  wird  man 
das  Verfahren  wählen,  das  für  den  vorwaltenden  Charakter  am  meisten  an- 
gemessen ist.  Von  diesem  Gesichtspunkte  erscheint  begreiflich,  daß  in  der 
Schweiz  die  schräge  Beleuchtung  immer  Verfechter  gefunden  hat,  während 
man  im  Deutschen  Reiche  ebenso  wie  in  Österreich  zähe  an  der  senkrechten 
festhält;  denn  für  beide  ist  der  Alpenanteil,  der  in  der  Schweiz  überwiegt, 
ein  mehr  oder  minder  kleiner  Bruchteil  des  Landes.  Will  man  endlich  allge- 
meiner die  Frage  zu  beantworten  trachten,  so  hat  ma\i  mit  der  Tatsache  zu 
rechnen,  daß  die  senkrechte  Beleuchtung  den  Böschungen  gerecht  wird,  die 
schräge  aber  mehr  den  Massen,  wie  bereits  1817  Oberst  Bonne*)  hervor- 
gehoben hat.  Die  Böschungstreue  macht  die  senkrechte  Beleuchtung  zur 
Wiedergabe  der  einzelnen  Formen  geeignet,  wie  wir  an  den  schweizer  Karten 
gelernt  haben  (Bd.  V.  1899.  S.  636),  die  Relieftreue*)  die  schräge  Be- 
leuchtung zur  Veranschaulichung  der  Landschaften  mit  wechselnden  Formen. 
Sie  ist  deswegen  für  kleinere  Maßstäbe  besser  zu  gebrauchen  als  die  böschungs- 
treue senkrechte  Beleuchtung').  (Schluß  folgt.) 

1)  Berthaut.  La  Carte  de  France.    I.    S.  223. 

2)  Der  umstand,  daß  wir  zur  Wiederjifabe  einzelner  Formen  die  Böschungs- 
treue brauchen,  hindert  uns  nach  Peucker  die  Darstellung  mit  schräger  Beleuchtung 
als  „Formenplastik"  zu  bezeichnen  (Schattenplastik,  S.  56).  Statt  von  Böschungs- 
und Formenplastik  reden  wir  von  Böschungs-  und  Relieftreue,  und  gebrauchen 
Böschungstreue  in  demselben  Sinne,  wie  kürzlich  Peucker  in  seiner  dritten  These. 

3)  Ich  habe  dies  außer  in  meinem  Münchener  Vortrage  auch  in  meiner  An- 
zeige   von   Peuckers   Schattenplastik    und    Farbenplastik    ausgesprochen    (G.   Z. 


Geographische  Neuigkeiten. 


347 


Geographisclie  Neuigkeiten. 


Allgemeines. 

*  Auf  dem  siebenten  internationalen 
Geographenkongreß  war  beschlossen  wor- 
den, eine  internationale  Kommission 
für  die  subozeanischeNomenklatur 
einzusetzen,  mit  dem  Auftrag,  spätestens 
bis  zum  Zusammentritt  des  nächsten  Kon- 
gresses die  Bearbeitung  und  Veröffent- 
lichung einer  berichtigten  Tiefseekarte 
des  Weltmeeres  zu  veranlassen.  Am  16. 
und  16.  April  hat  nun  in  Wiesbaden  die 
in  Berlin  gewählte  Kommission  getagt; 
es  nahmen  daran  teil  der  Fürst  Albert 
von  Monaco,  Prof.  Supan  (Gotha),  Prof. 
Krümmel  (Kiel),  Prof.  Pettersson 
(Stockholm),  Dr.  Mill  (London)  und  Prof. 
Thoulet  (Nancy),  während  Sir  John 
Murray,  Prof.  Nansen  und  Admiral 
Makaroff  am  Erscheinen  verhindert 
waren.  Auf  Vorschlag  des  Prof.  Thoulet 
wurde  beschlossen,  die  Tiefenkarten  im 
Maßstab  1 :  10000000  und  gewisse  Teile 
des  Meeresbodens  im  Maßstab  1:1000000 
herzustellen;  in  Bezug  auf  Terminologie 
und  Nomenklatur  der  unterseeischen 
Bodenformen  sollen  dieselben  Prinzipien 
zur  Anwendung  kommen,  wie  auf  S  u  p  a  n  s 
Tiefenkarte  (Pet.  Mittig.  1899,  Tafel  12). 
Die  Kosten  des  ganzen  Werkes,  das  einen 
umfangreichen  Atlas  bilden  wird,  sind 
beträchtlich;  doch  hat  der  Fürst  von  Mo- 
naco in  Aussicht  gestellt,  die  .Arbeit  auf 
seine  Kosten  ausführen  zu  lassen.  Außer 
diesen  Karten  sollen  auf  Vorschlag  des 
Prof.  Pettersson  noch  besondere  Karten 
über  jeden  der  großen  Ozeane  hergestellt 
werden,  auf  denen  die  Konfiguration  des 
Meeresbodens  zur  Darstellung  kommt. 

Afrika. 

^^  Ein  für  die  wirtschaftliche  Ent- 
wicklungDeutsch-Südwestafrikas  be- 
deutungsvoller Eisenbahn  bau  ist  jüngst 
beschlossen  und  finanziell  gesichert  worden. 
Die  Otavi-Minengesellschaft  hat  be- 
schlossen, ihren  im  nördlichen  Teile  der 
Kolonie  gelegenen  aussichtsreichen  Minen- 


besitz durch  eine  Eisenbahn  mit  der  Küste 
zu  verbinden,  die  in  Swakopmund  ihren 
Ausgangspunkt  nehmen  und  auf  dem 
rechten  Ufer  des  Khanflusses  nach  den 
Otavi-Minen  weitergeführt  werden  soll. 
Den  ursprünglichen  Plan,  von  der  Station 
Karibib  der  südwestafrikanischen  Eisen- 
bahn aus  eine  Zweigbahn  nach  dem  Minen- 
distrikt zu  bauen  und  von  Karibib  aus 
bis  zur  Küste  die  bestehende  Linie  zu 
benutzen,  hat  man  wegen  des  für  die 
Erzbeförderung  nicht  genügend  starken 
Oberbaus  dieser  Strecke  und  wegen  des 
Mangels  an  rollendem  Material  auf  der- 
selben fallen  gelassen  und  die  Strecke 
auf  dem  rechten  Ufer  des  Khanflusses  ge- 
wählt, auf  der  auch  große  Steigungen 
vermieden  werden  können  und  stets  ge- 
nügend Wasser  für  den  Eisenbahnbetrieb 
zu  finden  ist.  Die  Otavi-Minengesellschaft, 
die  unter  deutschem  Einfluß  steht,  baut 
die  Bahn  mit  deutschem  Kapital  und  mit 
deutschem  Material  und  wird  den  Bau 
möglichst  bald  in  Angriff  nehmen. 

Nord-Amerika. 

»  Von  dem  Grand  Gafion  des  Co- 
lorado hat  die  Geological  Survey  eine 
Neuaufnahme  gemacht,  deren  Ergebnisse 
als  ein  besonderes  Kartenwerk  veröffent- 
licht werden  sollen.  Die  sich  aus  dieser 
Neuvermessung  ergebenden  Größenverhält- 
nisse des  Grand  Caüon  sind  folgende:  die 
durchschnittliche  Breite  von  üferrand  zu 
Uferrand  beträgt  selbst  in  den  breitesten 
Teilen  nicht  mehr  als  16  km  und  sinkt 
häufig  auf  12,ö  km  herab.  Der  Fluß  fließt 
nicht  in  der  Mitte  der  riesigen  Talmulde, 
sondern  1,5  bis  5  km  von  dem  südlichen 
Ufer  derselben  entfernt.  Alle  die  so 
wimderbar  gestalteten  Felsformen  und 
Mesas  liegen  nördlich  vom  Flusse,  un- 
gefähr 8  bis  11  km  von  den  besuchtesten 
Aussichtspunkten  entfernt.  Die  Tiefe  des 
Grand  Canon  wird  ebenso  häufig  über- 
wie  unterschätzt;  von  dem  südlichen  Ufer- 
rande aus  gemessen  beträgt  die  Tiefe  meist 

VI.  1900.  S.  233),  ohne  allerdings  an  letzterer  Stelle  klar  ersichtlich  zu  machen, 
daß  es  sich  um  eine  Ansicht  von  mir  handelt.  Peucker  hat  seither  mit  Recht 
darauf  hingewiesen,  daß  sie  in  seinem  Werke  nicht  vertreten  werde  (Ebend.  VlU. 
1902.  S.  164).  Die  weiteren  Aussetzungen  Peuckers  an  meinem  Referate,  näm- 
lich, daß  es  nicht  vollständig  ist  und  nicht  alle  seine  Ideengänge  ausführlich  wieder- 
gibt, sind  meines  Erachtens  wegen  meines  besonderen  Hinweises  auf  so  „manche 
Bemerkung,  die  im  Referat  nicht  wieder  gegeben  werden  kann^',  gegenstandslos. 


348 


Geographische  Neuigkeiten. 


nicht  1600  m;  sie  beträgt  beim  Bright 
Angel  Hotel,  welches  selbst  6866  Fnß 
über  dem  Meere  liegt,  4430  Fuß  oder 
1480  m,  und  der  höchste  Punkt  auf  dem 
Südrande  liegt  4900  Fuß  oder  1630  m 
über  dem  Fluß.  Der  Nordrand  des  Canons 
liegt  dagegen  beträchtlich  über  1600  m 
über  dem  Flußniveau  und  erhebt  sich 
sogar  bis  2000  m  darüber.  Im  allgemeinen 
liegt  der  Nordrand  iiOO  bis  400  m  höher 
als  der  Südrand.  (National  Geogr.  Mag. 
1908,  S.  162.) 

Polargegenden. 

♦  Die  norwegische  Polarexpedition 
unter  Führung  von  Roald  Amund- 
sen  zur  genauem  Bestimmung  des  mag- 
netischen Nordpols  (s.  Jahrg.  1902.  S.  709) 
hat  am  11.  Mai  die  Reise  ins  arktische 
Gebiet  angetreten.  Kapt.  Amundsen  hat 
sich  für  seine  Unternehmung  bei  der 
deutschen  Seewarte  in  Hamburg  und  am 
magnetischen  Oberservatorium  in  Potsdam 
vorbereitet,  wo  er  auch  die  nötigen  In- 
strumente beschafft  hat.  Zu  den  Kosten 
steuerten  König  Oskar  und  die  Großkauf- 
leute Anker  und  Stang  je  10  000  Kronen 
bei.  Außer  Amundsen,  der  selbst  die  bel- 
gische Südpolarexpedition  unter  Führung 
von  de  Gerlache  als  erster  Steuermann 
mitgemacht  hat,  nehmen  noch  acht  er- 
probte Polarschiffer  an  der  Reise  teil; 
erster  Offizier  ist  der  dänische  Marine- 
leutnant Hansen,  dem  außer  der  Schiffs- 
führung die  astronomischen  Beobach- 
tungen zufallen.  Ein  Physiker  soll  im 
nächsten  Sommer  nachfolgen;  um  diese 
Zeit  wird  ein  norwegisches  Fangschiff 
einen  Teil  der  Ausrüstung  und  die  In- 
strumente, die  Prof.  Birkelund  bei  seinen 
letztjährigen  luftelektrischen  Untersuchun- 
gen im  nördlichsten  Norwegen  und  den 
benachbarten  Archipelen  benutzt  hat,  zum 
Lancaster-Sund  befördern,  wo  die  „Gjöa" 
vermutlich  den  ersten  Winter  zubringen 
wird.  Die  Dauer  der  Expedition  ist  auf 
fünf  Jahre  berechnet. 

»  Nach  Bewilligung  der  Mittel  für  die 
Ausrüstung  der  Hilfsexpedition  für 
die  deutsche  Südpolarexpedition 
durch  den  Reichstag  haben  sich  schiffs- 
bautechnische Sachverständige  im  Auftrag 
des  Reichsamts  des  Innern  nach  England, 
Norwegen  und  Amerika  begeben,  um  ein 
geeignetes  Schiff  für  die  im  Herbst  ins 
Werk  zu  setzende  Hilfsaktion  auszusuchen 


und  anzukaufen;  es  soll  auch  bereits  die 
„Southern  Groß",  das  bewährte  Expe- 
ditionsschiff Borchgrevinks  auf  seiner  ant- 
arktischen Forschungsexpedition  1898  bis 
1900  (G.  Z.  1900.  S.  466),  für  den  Ankauf 
in  Aussicht  genommen  sein.  Dieses  ener- 
gische Vorgehen  der  deutschen  Behörden 
läßt  daraufschließen,  daß  man  die  Hoff- 
nung, in  diesem  Jahre  jetzt  nach  Rück- 
kehr der  Kerguelen  -  Station  noch  Nach- 
richt von  der  Expedition  zu  erhalten, 
aufgegeben  hat  und  sich  auf  eine  noch- 
malige Überwinterung  der  Expedition  in 
der  Antarktis  gefaßt  macht.  Für  den 
Fall  nur  einmaliger  Überwinterung  hatte 
der  Leiter  der  Expedition  die  Absicht, 
nach  dem  Freiwerden  des  Schiffs  noch 
einige  Wochen  an  den  etwa  neuentdeckten 
Küsten  zu  kreuzen,  sie,  wenn  möglich,  bis 
zum  Viktorialand  hin  aufzunehmen  und 
im  Juni  1903  mit  der  Expedition  heim- 
zukehren. Da  es  aber  ungünstiger  Eis- 
verhältnisse  wegen  wahrscheinlich  nicht 
zur  Ausführung  dieses  Plans  gekommen 
ist,  will  man  bereits  in  diesem  Jahr  die 
Entsatz-Expedition  aussenden ,  entgegen 
dem  ursprünglichen  Plan,  nach  dem  die 
Expedition  erst  dann  Hilfe  erwarten  sollte, 
wenn  sie  bis  zum  April  1904  nicht  heim- 
gekehrt wäre.  Würde  man  nach  diesem 
ursprünglichen  Plan  verfahren,  so  könnte 
das  Entsatzschiff  erst  im  Dezember  1904 
der  Expedition  Hilfe  leisten,  wo  es  ?ielleicht 
schon  zu  spät  sein  würde.  —  Glücklicher- 
weise haben  sich  alle  unsere  Befürchtun- 
gen als  grundlos  erwiesen,  da  am  1.  Juni 
folgendes  Telegramm  in  Berlin  eintraf: 
„Südpolarschiff  »Gauß«  Pfingstsonntag 
Durban  Kapstadt  aufwärts  passiert.'^  Am 
2.  Juni  meldete  eine  andere  Depesche: 
„Expedition,  nach  Kapstadt  fahrend,  Dur- 
ban angelaufen,  alle  wohl.  Berichte  ab- 
gesandt. Adresse  Kapstadt.  Schiff  vor- 
trefflich bewährt.  Drygalski."  Diese  hoch- 
erfreulichen  Meldungen  wurden  von  dem 
in  Köln  versammelten  XIV.  Deutschen  Geo- 
graphentage mit  großem  Jubel  aufgenom- 
men. —  Die  „Gauß**  ist  ein  Jahr  lang  im 
Polareis  festgelegen  unter  60**  30'  s.  Br. ; 
mit  dem  britischen  Expeditionsschiff  ist 
sie  in  Verbindung  gestanden,  mit  dem 
schwedischen  aber  nicht  zusammen- 
gekommen. Weiteren  Nachrichten  ist  mit 
Interesse  entgegenzusehen. 

♦  Auch  für  die  schwedische  Süd- 
polarexpedition wird  eine  Hilfsexpedi- 


Geographisclie  Neuigkeiten. 


349 


tion  unter  Leitung  von  Prof.  Dr.  A.  G. 
Natborst  und  nautischer  Führung  von 
E[apt.  0.  Gylden  geplant. 

♦  Von  der  englischen  Südpolar- 
expedition sind  nachträglich  noch  einige 
Einzelheiten  bekannt  geworden,  die  im 
Geogr.  Joum.  S.  548  mitgeteilt  werden. 
Danach  ist  immer  noch  die  Möglichkeit 
vorhanden,  daß  die  „Discovery"  schon  in 
diesem  Jahre  heimkehrt;  es  hängt  dies 
nur  davon  ab,  wann  das  Eis  dort  auf- 
bricht und  wann  das  Schiff  frei  wird. 
Nur  im  ungünstigen  Falle  sollen  Winter- 
quartiere bezogen  werden,  aber  an  einer 
anderen,  der  freien  Bewegung  der  Expe- 
dition günstigeren  Stelle.  Für  alle  Fälle 
ist  die  Expedition  mit  genügenden  Vor- 
räten für  12  Monate  versehen,  woraus  sich 
allerdings  die  Notwendigkeit  ergibt,  daß, 
wenn  die  „Discovery**  in  diesem  Jahre 
nicht  zurückkehrt,  die  Entsatzexpedition 
auf  der  „Moming**  im  nächsten  Frühjahr 
nochmals  zur  Neuverproviantierung  der 
Expedition  nach  dem  Süden  gehen  muß. 
Irrtümlich  war  gemeldet  worden,  daß 
Kapt.  Skott  und  seine  Begleiter  auf 
ihrer  Schlittenreise  94  Meilen  nach  Süden 
vorgedrungen  seien,  während  es  heißen 
muß,  daß  sie  94  Tage  auf  derselben  unter- 
wegs waren  und  dabei  82**  17'  s.  Br.  er- 
reichten. Eine  andere  bisher  noch  nicht 
erwähnte  Schlittenreise  unter  Leut.  Ar- 
mitage  nach  Westen  dauerte  62  Tage 
lang;  man  erreichte  während  derselben 
eine  Höhe  von  8000  m,  bei  der  Rückfahrt 
fiel  Armi tage  in  eine  Eisspalte,  blieb  in 
10  m  Tiefe  hängen  und  konnte  nur  mit 
Seilen  aus  seiner  gefährlichen  Lage  be- 
freit werden.  Diese  Reise  muß  besonders 
ergebnisreich  gewesen  sein,  da  sie  direkt 
in  das  Innere  von  Viktoria-Land  geführt 
hat.  Anzeichen  von  Skorbut,  die  sich 
während  dieser  Expedition  zeigten,  ver- 
schwanden nach  der  Rückkehr  zum  Schiffe 
wieder.  Bis  auf  den  Leut.  Shakleton, 
der  auf  Anraten  des  Arztes  zurückkehrte 
und  durch  Leut.  Mulock  von  der  „Mor- 
ning**  ersetzt  wurde,  waren  alle  Expedi- 
tionsteilnehmer gesund  und  gern  bereit, 
noch  ein  weiteres  Jahr  in  der  Antarktis 
zu  bleiben. 

♦  Dr.  Charcot,  der  ursprünglich  eine 
Nordpolfahrt  geplant  hatte  (S.  228),  hat 
seinen  Plan  geändert  und  will  sich  nun 
nach  dem  Südpol  wenden,  der  von  Ale- 
xander-Land aus  angegriffen  werden  soll. 


Die  Expedition  soll  18  oder  20  Monate 
unterwegs  bleiben  und  nur  einen  Monat 
lang  Winterquartiere  beziehen.  Das  eigens 
für  die  Expedition  gebaute  Schiff  ist  fast 
fertig;  es  soll  „Pourquoi  pas"  (Warum 
nicht?)  heißen  und  eine  Mannschaft  von 
11  Mann  mitnehmen,  die  sämtlich  schon 
Fahrten  Dach  den  Eismeeren  mitgemacht 
haben.  Der  wissenschaftliche  Stab  der 
Expedition  besteht  aus:  Jean  Charcot, 
Kommandant  der  Expedition;  de  Gerlache, 
dem  Leiter  der  belgischen  Südpolar- 
expedition; J.  Bounier,  Laboratoriums- 
chef an  der  Sorbonne,  Zoologe;  Ch.  Perez, 
Professor  der  Zoologie  in  Bordeaux;  Zim- 
mermann, Professor  der  Geographie  in 
Lyon;  Koineau,  Ingenieur.  Das  Expe- 
ditions-Schiff ist  nach  dem  Vorbilde  von 
Nansens  „Fram"  gebaut  worden,  aber 
mit  bedeutenden  Verbesserungen.  Vor 
allem  wurde  darauf  geachtet,  daß  alle 
hygienischen  Anforderungen  genau  be- 
obachtet werden.  Man  weiß  bis  jetzt 
noch  nicht  geuau.  wann  die  Fahrt  be- 
ginnen kann.  Auf  dem  Schiffe,  das  außer 
zahlreichen  Instrumenten  und  Kleidungs- 
stücken 400  Tonnen  Lebensmittel  mit- 
führen soll  (abgesehen  von  den  frischen 
Lebensmitteln  für  die  Zeit  der  Überfahrt), 
ist  ein  sehr  großes  Laboratorium  ein- 
gerichtet worden,  das  die  modernsten 
Apparate  enthalten  wird.  Die  Regierung 
überläßt  der  Expedition  alle  Präzisions- 
Instrumente,  die  sich  an  Bord  der  „Bel- 
gica^^  befanden  und  von  der  französischen 
Marine  für  wissenschaftliche  Forschun- 
gen angekauft  wurden.  Unter  den  Ar- 
beiten der  Expedition  sollen  die  astro- 
nomischen den  ersten  Platz  einnehmen. 
Nach  der  Heimkehr  sollen,  außer  dem 
Schiffstagebuch,  alle  wissenschaftlichen 
Beobachtungen  veröffentlicht  werden.  Die 
Kosten  der  Expedition  sind  auf  800  000 
bis  3Ö0  000  Fr.  veranschlagt  worden.  Den 
größten  Teil  des  Geldes  steuert  Charcot 
selbst  bei;  die  noch  fehlenden  160000  Fr. 
hofft  man  rasch  aufbringen  zu  können. 
Da  die  Expedition  so  reiche  Gönner  bat 
wie  den  Fürsten  von  Monaco,  dürfte  das 
Geld  in  der  Tat  leicht  zu  beschaffen  sein. 
Der  Zweck  der  Expedition  ist,  so  weit  als 
möglich  zum  Pol  vorzudringen  und  den 
Versuch  zu  machen,  mit  einer  der  anderen 
Südpolarexpeditionen,  der  schottischen, 
englischen,  deutschen  oder  schwedischen, 
Fühlung  zu  erlangen. 


350 


Geographische  Neuigkeiten. 


Geographischer  Unterricht. 

♦  Im  Verzeichnis  geographischer  Vor- 
lesungen (Heft  V.  S.  291j  sind  für  Wien 
noch  folgende  Vorlesungen  und  Übungen 
nachzutragen:  a.  o.  Prof.  Sieger:  Poli- 
tische Geographie,  2 st.  —  o.  Prof.  Ober- 
hummer:  Geographie  der  antiken  Welt, 
Ost.  —  Seminar,  28t. 

Persönliches. 

♦  In  Kiel  hat  sich  Dr.  Max  Eckert 
aus  Leipzig  als  Privatdozent  der  Geo- 
graphie habilitiert.  Er  hält  in  diesem 
Sommersemester  eine  Vorlesung  über: 
„allgemeine  Wirtschafts-  und  Verkehrs- 
geographie** und  hält  ein  „geographisches 
Praktikum"  ab. 

♦  Am  2.  Mai  starb  zu  Bremen  im  Alter 
von  41  Jahren  Dr.  Heinrich  Schurtz, 
Direktorialassistent  am  dortigen  Museum 
für  Völkerkunde,  der  bedeutendste  unter 
den  jüngeren  deutschen  Ethnologen  und 
Prähistorikern,  der  sich  besonders  um  die 
Völkerkunde  Afrikas  große  Verdienste  er- 
worben hat. 

♦  Am  29.  April  starb  zu  Petersburg 
im  Alter  von  68  Jahren  der  verdienstvolle, 
aber  fast  vergessene  Afrikaforscher  Paul 
du  Chaillu.  Aufgewachsen  in  der  neu- 
gegründeten französischen  Niederlassung 
am  Gabun,  wo  sein  Vater  Konsularbeamter 


war,  unternahm  er  schon  im  Alter  von 
20  Jahren  eine  vierjährige  Reise  in  West- 
afrika, von  der  er  reiche  naturwissen- 
schaftliche Sammlungen  mitbrachte,  über 
welche  er  1861  ein  größeres  Werk  ver- 
öffentlichte. 1868  trat  er  vom  Ogowefluß 
eine  neue  Reise  nach  dem  Innern  an,  die 
nach  zwei  Jahren  wegen  der  Feindselig- 
keit der  Eingeborenen  ein  ziemlich  er- 
gebnisloses Ende  erreichte.  Später  be- 
suchte du  Chaillu  die  Vereinigten 
Staaten,  Schweden,  Norwegen,  Finnland 
und  Rußland,  wo  er  Vorträge  hielt  und 
naturwissenschaftlichen  Forschungen  ob- 
lag. Er  starb  in  Petersburg  kurz  nach 
Beendigung  einer  zwölfmonatigen  Studien- 
reise durch  Rußland. 

Vereine  und  Versammlungen. 
*  Die  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu 
Berlin  feierte  am  5.  Mai  ihr  75  jähriges 
Bestehen  durch  eine  Festsitzung;  der  der- 
zeitige Vorsitzende  Prof.  Dr.  Hellmann 
gab  den  Geschäftsbericht,  Dr.  Sven  Hedin 
sprach  über  die  Seen  in  Tibet,  Prof.  Dr. 
Sapper  über  seine  letzte  Reise  im  Vulkan- 
gebiet Mittel-Amerikas  und  der  Antillen. 
Darauf  erfolgte  die  Preisverteilung  und 
(die  schon  im  letzten  Heft  erwähnte) 
Übergabe  der  Richthofen-Stiftung  im  Be- 
trag von  26  000  .K 


Weule,  K.  Völkerkunde  und  Ur- 
geschichte im  20.  Jahrhundert. 
48  S.  Eisenach  imd  Leipzig,  Thü- 
ring.  Verlags-Anstalt  1902.     JC  1.— . 

Diese  Broschüre  enthält  in  etwas  er- 
weiterter Form  die  Antrittsrede,  die  der 
Verf.  am  31.  Mai  1902  gelegentlich  der 
Übernahme  der  Professur  für  Ethnographie 
und  Urgeschichte  an  der  Leipziger  Uni- 
versität gehalten  hat. 

Sie  kennzeichnet  in  klarer  Weise  die 
Ziele  und  nächsten  Aufgaben,  die  der 
Anthropologie ,  Ethnologie  und  Urge- 
schichte, diesen  drei  nahe  verwandten, 
im  wesentlichen  erst  seit  1830  zu  selbst- 
ständigen Disziplinen  erwachsenen  Wis- 
senszweigen nach  ihrem  großen  Aufschwung 
während  der  Schlußjahrzehnte  des  19.  Jahr- 
hunderts für  das  neue  Jahrhundert  ge- 
stellt sind,  und  beleuchtet  ihre  Methoden. 

Mit  Recht  wird  betont,  daß  die  soma- 
tische Anthropologie,  nachdem  sie  allzu 


BttcherbesprechHngen. 

lange  einseitig  bei  der  Ermittelung  von 
vorwiegend  kraniologischen  Mittelwerten 
verweilt  hatte,  nunmehr  in  eine  erfolg- 
reichere Gesamtbetrachtung  des  mensch- 
lichen Körpers  nach  der  Vielgestaltigkeit 
der  Rassen  und  Völker  eingelenkt  sei.  Als 
Endziel  wird  das  entwicklungsgeschicht- 
liche bezeichnet.  „Aus  den  Rassenmerk- 
malen sucht  man  zu  Entwicklungsreihen 
zu  gelangen  und  damit  endlich  zur  Be- 
antwortung der  Frage  nach  der  Herkunft 
des  Menschen  selbst.'^ 

Bei  der  Haupterörterung  über  Völker- 
kunde (die  man  kaum  nötig  hat  in  Ethno- 
graphie und  Ethnologie  zu  scheiden,  so 
wenig  wie  man  Erdbeschreibung  und 
wissenschaftlich  eErdkunde  trennen  könnte) 
werden  zu  näherer  Erläuterung  der  Me- 
thodik in  hübsch  übersichtlicher  Skizzie- 
rung konkrete  Beispiele  vorgeführt:  die 
Zwergstämme  Afrikas  und  Südost-Asiens, 
Bogen  und  Pfeil  in  Afrika,  Asien,  Mela- 


Bficherbesprechungen. 


351 


nesien,  das  Augenomament  nebst  ge- 
wissen Mythen  und  Sittenzügen  in  ihrer 
Ausdehnung  durch  die  westliche  Südsee 
bis  ins  nordwestliche  Nord-Amerika. 

Der  Abschnitt  über  die  Urgeschichte 
weist  darauf  hin,  wie  die  jüngsten  Aus- 
grabiingsfunde  in  Ägypten  xmd  Babylo- 
nien  uns  beträ<)htlich  gefördert  haben  in 
der  Zeitbestimmung  auch  unserer  euro- 
päischen vorgeschichtlichen  Funde;  kaum 
in  die  Hallstattperiode  reichte  früher  für 
letztere  die  Möglichkeit  genauerer  chrono- 
logischer Ansetzung,  jetzt  aber  läßt  sich 
selbst  unsere  Kupfer-  und  Bronzezeit  nach 
Jahrhundertmaß  annäherungsweise  fest- 
setzen und  schon  für  jene  Urzeit  Handels- 
bewegung aus  dem  fernen  Morgenland 
bis  nach  Nordwest-Europa  erweisen. 

Man  wird  dem  Verf.  wohl  beipflichten 
dürfen,  wenn  er  das  Geschlecht  der  Men- 
schen schon  „tief  im  Tertiäralter"  begin- 
nen läßt.  Dann  hat  er  also  auch  recht, 
für  urzeitliche  Kassenaus  breitung  wie 
Kassenisolieruug  ganz  andere  Länder- 
umrisse als  die  heutigen  anzunehmen. 
Nur  behauptet  er  zu  viel,  wenn  er  das 
Herüberziehen  der  ersten  Menschen  aus 
Nordost-Asien  ins  benachbarte  Amerika  be- 
streitet, weil  (was  ja  feststeht)  der  Mensch 
schon  im  Düuvialalter  Amerika  bewohnte, 
der  äußerste  Nordwesten  Amerikas  jedoch 
„erst  nach  der  Eiszeit  dem  Meere  ent- 
stiegen" sei.  Hiergegen  spricht  eine  er- 
drückende Fülle  pflanzen-  und  tiergeo- 
graphischer  Tatsachen.        Kirchhoff. 

Albrecht)  Th*    Resultate  des  inter- 
nationalen   Breitendienstes. 
(Zentralbureau     der     internationalen 
Erdmessung.     N.  F.     No.  8.)     173  S. 
12  Taf.     Berlin,  1U03.    .fC  10.—. 
Das   Studium   des  Verlaufes   der  Be- 
wegungen  des   geographischen  Poles  ist 
seit   einer  Reihe   von  Jahren   durch   die 
„Internationale    Erdmessung"    gefördert 
worden  und  führte  schließlich  zu  einem 
besonderen  Breitendienst,  der  zehn  Jahre 
bestehen   soll.    Um   die    möglich   größte 
Sicherheit    der    Resultate    zu    erreichen, 
wurden   6   gleich   ausgerüstete  Beobach- 
tungs- Stationen,    nämlich    Mizusawa    in 
Japan,  Tschardjui  in  Zentral- Asien,  Carlo- 
forte  in  Italien,  Gaithersburg,  Cincinnati 
und  Ukiah  in  Nord- Amerika  auf  dem  genau 
gleichen  Parallel  {+  89*^  8')  ausgewählt. 
Die    vorliegende   Publikation   enthält  in 


aller  Ausführlichkeit  die  Ergebnisse  der 
beiden  ersten  Jahre  lUOO  und  1901.  Da- 
nach bewegte  sich  der  Pol  im  ersten 
Jahre  im  Abstände  von  U",05  um  eine 
mittlere  Lage;  seit  dieser  Zeit  ist  der 
Abstand  allmählich  grrößer  geworden  und 
übersteigt  0",1.  Die  gefundene  mittlere 
Lage  des  Poles  konnte  durch  Vergleichung 
mit  Beobachtungen  an  5  anderen  Stern- 
warten als  identisch  mit  derjenigen  nach- 
gewiesen werden,  welche  den  früheren 
Ableitungen  der  Polbewegung  seit  1890 
zu  Grunde  gelegt  war.  Ob  diese  Mittellage 
aber  konstant  ist,  oder  ob  säkulare  Ände- 
rungen vorhanden  sind,  kann  erst  im  Laufe 
eines  längeren  Zeitraumes  erwiesen  werden. 
Messerschmitt. 

Walther,    Johannes«      Geologische 

Heimatkunde    von    Thüringen. 

245  S.     120  Leitfossilien  in  142  Fig. 

u.  18  Profilen  im  Text.   11.  Aufl.   Jena, 

Fischer  1903.  .IC  3.—. 
Die  Voraussage  einer  baldigen  zweiten 
Auflage  dieses  ansprechenden  Buches  in 
meiner  Besprechung  der  ersten  im  letzten 
Jahrgang  dieser  Zeitschrift  (Vlll,  S.  479 
u.  480)  ist  rasch  zur  Tatsache  geworden. 
Es  liegt  nunmehr  eine  in  vieler  Beziehung 
erweiterte  und  wesentlich  vervollkomm- 
nete Neubearbeitung  vor,  die  trotz  der 
ganz  bedeutenden  Bereicherung  an  Ab- 
bildungen, Profilen,  Gliederungstabellen 
und  mehreren  neuen  Abschnitten  im  Preis 
nur  wenig  gestiegen  ist,  was  der  weiteren 
Verbreitung  des  Büchleins  ja  nur  nützen 
kann.  So  stieg  der  Umfang  von  176  auf 
245  Seiten;  die  meist  nach  Originalstücken 
gezeichneten  schönen  Abbildungen  sind 
fast  verdreifacht  (120  Leitfossilien  in  142 
Figuren  statt  43  Figuren)  und  zwei  Pro- 
file hinzugefügt  worden  sowie  wertvolle 
Gliederungstabellen  des  Silur,  des  Devon, 
des  für  Thüringen  besonders  wichtigen 
Rotliegenden  mit  seinen  5  Abteilungen 
(Gehrener,  Manebacher,  Goldlauterer,  Ober- 
böfer  und  Tambacher  Schichten),  femer 
des  Zechstein,  des  Hauptbuntsandsteins, 
des  Röt,  des  Muschelkalks,  der  drei  Keuper- 
Abteüungen  und  des  Lias  nach  zum  Teil 
noch  nicht  veröffentlichten  Aufzeichnungen 
E.  Zimmermanns  und  R.  Scheibes, 
endlich  wird  eine  dankenswerte  vorläufige 
Zusammenstellung  der  vorhandenen  geo- 
logischen Sammlungen  mitgeteilt.  Dem 
speziellen  Teile,  Geologische  Wanderungen, 


352 


Bücherbesprechnngen. 


ist  jetzt  eine  gut  auf  dieselben  vorberei- 
tende Anleitung  zur  Benutzung  von  geo- 
logischen Karten,  insbesondere  den  Spezial- 
karten  der  geologischen  Landesaufnahme, 
vorausgeschickt  und  am  Schluß  derselben 
in  einem  Kapitel  die  zweckmäßige  An- 
ordnung einer  größeren  geologischen  Ex- 
kursion durch  das  thüringische  Grebiet 
hinzugef&gft  sowie  Bemerkungen  über  die 
beste  geologische  Ausnutzung  einer  Renn- 
stiegwanderung. Auch  sonst  ist  vielfach 
die  verbessernde  Hand  des  Verfassers  wie 
zahlreicher  Spezialforscher  zu  bemerken, 
auch  die  vom  Ref.  beanstandete  zu  knappe 
Fassung  mancher  der  Erläuterungen  im 
„Wörterbuch  der  Fachausdrücke**  wurde 
geändert  sowie  die  Literaturnachweise 
ergänzt  und  auf  den  neuesten  Stand  ge- 
bracht. So  ist  diese  Heimatkunde  ihrem 
Ziele,  auch  in  den  breiteren  Schichten  der 
Lehrer  und  der  Gebildeten  unseres  Volkes 
ein  tieferes  Verständnis  der  Entwickelung 
des  thüringischen  Bodens  zu  übermitteln, 
bedeutend  näher  gekommen  uud  vermag 
dieser  schönen  Aufgabe  immer  besser  und 
vollkommen  zu  dienen.  Fr.  RegeL 

Franz,  A.  R«  Die  Sudeten.  Bau  und 
Gliederung  des  Gebirges,  eine  Skizze. 
S.-A.  aus  dem  2.  u.  3.  Jahresber.  der 
deutschen  Landes-Oberrealschule  in 
Leipnik.  1901.  1902.  82  u.  26  S.  1  K. 
in  1  :  600  000. 

Ein  Schüler  Pencks  versucht  in 
dieser  sorgfältigen  Arbeit  eine  selbständige 
Orientierung  über  die  so  oft,  nach  Sydow 
am  eingehendsten  von  Dathe  behandelte 
Urographie  der  Sudeten  von  der  Mährischen 
Pforte,  auf  deren  Scheitel  Penck  und 
seine  Schüler  auf  der  Wanderung  zum 
Breslauer  Geographentage  die  von  C  amer- 
1  a  n  d  e  r  übersehenen  Reste  alpinen  Miocäns, 
die  Beweise  der  miocänen  Meeresverbin- 
dung des  galizischen  und  österreichischen 
Tertiärgebietes  auffanden,  bis  an  die 
Lausitzer  Bucht.  Er  trennt  Ost-  und  West- 
Sudeten  durch  das  Neißetal  und  gliedert 
die  letzteren  derartig  in  zwei  Züge,  daß 
Eulengebirge,  Waldenburger  Kohlenge- 
birge und  Niederschlesisches  Schiefer- 
gebirge als  nordöstlicher  Gürtel  dem 
Adler-  und  Habelschwerdter  Gebirge,  der 
bühmiflch-schlesisclien  Kreidemulde  samt 
ihrem  Randgebirge  und  dem  Riesen-  und 
Isergebirge  gegenübertreten.  Der  Druck 
in  einer  minder  leistungsfähigen  Werk- 


statt entschuldigt  die  ziemlich  zahl- 
reichen Fehler.  Aber  manche,  die  sehr 
hartnäckig  wiederkehren,  wie  Freiberg 
(statt  Freiburg),  Ethymologie  (mit  h)  oder 
ein  so  bösartiger  wie  Augitgneis  (statt 
Augengneis;  sind  doch  etwas  störend. 
Breslau.  J.  Parts  eh. 

Boy^,  Pierre.  Les  Hautes-Ohaumes 
des  Vosges.  £tude  de  Geographie 
et  d'^lconomie  historiques.  482  S. 
8  Taf.  Paris,  Berger-Levrault  1903. 
Ff.  6.—. 

Das  vorliegende  Werk  ist  ein  sehr 
wertvoller,  auf  gründlichen  Quellenstudien 
beruhender  Beitrag  zur  Siedelungs-  und 
Wirtschaftsgeschichte  der  Vogesen.  Hau- 
tes-Ohaumes nennen  die  Franzosen  die 
waldlosen,  als  Weide  dienenden  Rucken 
der  Hoch  vogesen.  Mit  der  etwas  dunkeln 
Etymologie  des  Wortes  beschäftigt  sich 
der  Verf.  sehr  eingehend  im  1.  Kapitel, 
doch  kommt  auch  er  zu  keinem  ganz 
sicheren  Endergebnis.  Im  2.  Kap.  sucht 
er  nachzuweisen,  daß  die  Vogesen  ur- 
sprünglich bis  zu  ihren  höchsten  Gipfeln 
hinauf  bewaldet  waren  uud  daß  die  wei- 
ten Rasenflächen,  welche  gegenwärtig  die 
meisten  Hochkämme  einnehmen,  das  Werk 
des  Menschen  sind.  Für  diese  AuffiEissung, 
die  auch  unter  den  Botanikern  Vertreter 
hat,  bringt  er  eine  Anzahl  neuer  Beweis- 
momente vor.  Im  8.  Kapitel  sind  sorg- 
fältig alle  Nachrichten  über  die  Hautes- 
Chaumes  bis  zimi  13.  Jahrhundert  zu- 
sammengestellt. Daraus  geht  mit  ziemlicher 
Sicherheit  hervor,  daß  keinesfalls  vor  dem 
7.  Jahrhundert  in  den  Vogesen  Sennwirt- 
schafb  getrieben  ist,  die  meisten  der 
Hochflächen  wahrscheinlich  wohl  erst  weit 
später  urbar  gemacht  sind.  Die  folgen- 
den Kapitel  behandeln  die  Hautes-Ohau- 
mes vom  13.— 16.  Jahrhundert  Die  recht- 
lichen und  Besitzverhältnisse  und  die 
wirtschaftlichen  Zustände  werden  ein- 
gehend geschildert.  Das  10.  Kapitel  legt 
die  vollkommene  Verödung  der  Hoch- 
vogesen  in  Folge  des  80jährigen  Krieges 
und  der  ihm  folgenden  Wirren  dar.  Im 
11.  Kapitel  werden  die  älteren  touristi- 
schen und  botanischen  Beschreibungen  der 
Hautes-Ohaumes  besprochen.  Das  letzte 
Kapitel  schildert  die  Wiederbesiedelung 
der  im  17.  Jahrhundert  vollkommen  ver- 
lassenen Gebiete  in  der  ersten  Hältle  des 
IB.   Jahrhunderts.    Diese    kurze  Inhalts- 


Bücherbe  sprechungen. 


353 


angäbe   mag   eine  Yorstellang  von   dem 
reichen  Inhalt  des  Buches  geben. 

R.  Langenbeck. 

Flfteher^  Teobaldo.    La  Penisola  Ita- 
liana,     saggio     di     corografia 
scientifica.    Prima  traduzione  ita- 
liana    sopra    un    testo    intieramente 
rifuBO  ed  ampliato  dall'  Autore,  arri- 
chita    di   Note   ed  Aggiunte  a  cura 
dell'  Ing.  V.  Novareae,  DoU.  F.  M. 
Pasanisi  e  Prof.  F.  Rodizza.    XVI 
u.    498  S.     60   Textabb.   u.    29  Taf. 
Turin   u.  s.  w.,    Unione   Tipografico- 
Editrice  1902. 
Fünfundzwanzig  Juhre  nach  dem  Be- 
ginn seiner  achtbaren  schriftstellerischen 
Tätigkeit  über  Italiens  Natur-  und  Eultur- 
bild,  ein  Jahrzehnt  nach  dem  Abschluß 
seiner    großen   Gesamtdarstellung    dieses 
Landes  im  Rahmen  von  A.  Kirchhof fs 
Länderkunde  von  Europa  (11,  2  S.  283  bis 
616)   schließt  Th.  Fischer  seine  Arbeit 
für   dies  Land   ab   mit  einer  ganz  nach 
seinen    methodischen    Grundsätzen    aus- 
gebauten    Neubearbeitung     des     großen 
deutschen  Werkes,  die  auf  Anregung  und 
unter  Mitwirkung  italienischer  Gelehrten 
in    deren   Sprache   an   die  Öffentlichkeit 
tritt.    Es  ist  eine  Ehre,  deren  die  deutsche 
Wissenschaft  mit  Stolz  sich  freuen  kann, 
daß  für  ein  Land,  das  als  reichster  Schau- 
platz  der  Erdgeschichte   und  der  Welt- 
ereignisse, als  bevorzugtes  Reiseziel  aller 
Gebildeten,  als  Tummelplatz  der  bedeu- 
tendsten  Natur-    und   Geschichtsforscher 
aller    Völker    eine    seltene    Vereinigung 
geistiger  Interessen   auf  sich  lenkt,   die 
auf  dem  Boden  deutschen  Geisteslebens 
erwachsene  Darstellung  einzelnen  führen- 
den Köpfen  des  geistig  überaus  regsamen 
italienischen  Volkes  selbst  so  wertvoll  und 
begehrenswert  erschien,   daß   sie  daraus 
ein  Gemeingut  der  gebildeten  Bevölkerung 
ihfer  Heimat  zu  machen  wünschten.    Die 
drei  im  Titel  genannten  italienischen  Ge- 
lehrten haben  die  Übersetzung  des  Werkes 
unternommen  und  zu  seiner  Vervollkomm- 
nung nach  Kräften  mitgevdrkt.    Nament- 
lich steuerte  der  Geologe  Novarese  in 
eigenem   Entwurf  eine   auf  seinen   For- 
schungen    beruhende     Darstellung     der 
Piemontesischen  Alpen  (p.  146—179),  einen 
Abschnitt  über  Bergwerke  und  Steinbrüche 
(p.  402 — 414),  eine  Übersicht  der  neuesten 
Eilgebnisse  der  Malaria-Forschung  (p.  857 


bis  869)  oei  und  wirkte  an  der  erweitern- 
den Neugestaltung  der  Darstellung  des 
tjrrhenischen  Apenninenvorlandes  ebenso 
mit,  wie  Zaccagna,  der  geologische  Er- 
forscher der  Apuanischen  Alpen,  an  der 
zeitgemäßen  Schilderung  dieses  Gebietes 
und  der  Pisaner  Berge. 

Aber  auch  der  Verf.  selbst  hat  sein 
Werk  vollendeter  wiedererstehen  lassen. 
Der  schon  vor  10  Jahren  reiflich  durch- 
dachte Plan  des  Ganzen  ist  allerdings  im 
großen  unverändert  geblieben,  nur  er- 
gänzt worden  durch  einen  den  10  Kapiteln 
vorausgeschickten  Überblick  der  Quellen 
von  Polybius  und  Strabo  bis  auf  die 
bewundernswerten  topographischen,  hy- 
drographischen, geologischen  und  statisti- 
schen Aufnahmen  des  ganzen  Königreichs. 
Aber  die  einzelnen  Abschnitte  haben  nicht 
nur  durch  sorgfältige  Berichtigungen  und 
sachliche  Zutaten  gewonnen,  sondern 
auch  durch  eine  freiere  Entfaltung  der 
Darstellung  und  eine  Erweiterung  ihres 
Horizontes,  die  ihr  früher  aus  Rücksicht 
auf  das  Ganze,  dem  sie  sich  einfügen 
mußte,  versagt  blieben.  Wie  die  Ent- 
stehungsgeschichte des  Landes  überall 
voller  aus  den  reichen  Ergebnissen  der 
geologischen  Einzelforschung  schöpft,  so 
gönnt  die  Küstenbeschreibung  sich  einen 
methodischen  Anlauf  und  freieren  Aus- 
blick über  die  Becken  der  umfangenden 
Meere,  über  die  Kräfte,  die  einzelne  Ufer 
gestalten,  über  die  Anziehungskraft,  die 
diese  auf  die  Siedelungen  geübt  haben. 
Sehr  tiefgreifend  sind  die  morphologischen 
Teile  imigestaltet;  die  Alpen  mußten 
schon  mit  Rücksicht  auf  Novareses 
Mitwirkung  völlig  neu  geschrieben  werden 
ohne  ängstliche  Scheu  vor  einer  Über- 
schreitung der  Schweizer  und  der  Tiroler 
Grenze,  die  aber  keineswegs  als  eine  Nach- 
giebigkeit gegen  die  uferlosen  Wünsche 
begehrlicher  Politiker  erscheint.  Auch 
die  Gebirge  der  Halbinsel  sind  ausfuhr- 
licher und  genauer  in  Wort,  Bild  und 
Durchschnitten  gezeichnet,  nicht  minder 
die  Inselwelt,  die  der  Titel  keineswegs 
ausschließen  will.  Bei  Klima,  Pflanzen- 
und  Tierwelt  ist  die  Beigabe  einer  ge- 
naueren Malaria  -  Karte  hervorzuheben. 
Die  Völkerkunde  ist  durch  Berücksichti- 
gung der  antiken  Volkselemente  und  die 
auch  im  Kartenbilde  veranschaulichten 
anthropologischen  Studien  Li  vis  er- 
weitert.   Der  Name  Anthropogeographie 


Oeogimphiwhe  Zeitachrift  9.  Jahrgang.  1903.  6.  Heft. 


24 


354 


BflcherVe  Sprech  ungen. 


für  die  noch  folgenden  Teile  ist,  wohl 
dem  Widerstreben  der  Italiener  zuliebe, 
gefallen,  erweist  sich  auch  nicht  als  un- 
entbehrlich. Denn  die  Kapitelüberschriften 
„Land  und  Leute  in  ihrer  Wechsel- 
wirkung** und  „Volksdichte  und  Siede- 
lungskunde"  reichen  aus.  Ersterer  Ab- 
schnitt hat  namentlich  die  Wirtschafts- 
geographie nach  allen  Richtungen  ver- 
tiefend, erweiternd  und  verschärfend  ver- 
vollkomnmet ;  der  letztere  die  Geschichte  der 
Volksvermehrung  nach  den  neuesten  Unter- 
suchungen eingefügt,  den  Baucharakter 
italischer  Städte  in  einer  allgemeinen  Be- 
leuchtung der  dafür  entscheidenden  Stoffe 
und  Kräfte  zur  Geltung  gebracht,  nament- 
lich aber  die  spezielle  Übersicht  der 
Siedellingen  in  strengerer  räumlicher  An- 
ordnung geboten.  Dabei  kommen  die 
früher  an  die  Spitze  gestellten  fein  aus- 
gearbeiteten Charakterbilder  der  großen 
Hauptstädte  auch  nicht  zu  kurz;  auch 
sie  erfahren  manche  Bereicherung.  Man 
vergleiche  z.  B.  bei  Venedig  den  Bück 
auf  das  Wasser-  und  Schienennetz  seines 
heutigen  Binnenverkehrs  und  die  Wasser- 
versorgung durch  eine  g^roße  Leitung. 
So  gewinnt  die  sorgsame  Prüfung  überall 
den  Eindruck,  daß  auf  der  alten,  wohl 
gewählten  und  sorglich  geebneten  Bahn 
der  Verfasser  nur  etwas  weiter  fort- 
geschritten ist  zu  einem  noch  höheren, 
sein  ernstes  Streben  noch  vollständiger 
befriedigenden  Ziele.  Heute  wurde  gegen- 
über den  Werken  von  Theob.  Fischer 
und  Nissen  wohl  niemand  mehr  Karl 
Ritters  Wort  zu  wiederholen  wagen, 
daß  kein  Darsteller  Italiens  Strabos 
Leistung  übertroffen  habe.  Das  Jahr,  das 
uns  den  Abschluß  dieser  beiden  Werke 
bescherte,  wird  ein  denkwürdiges  in  den 
Annalen  italischer  Landeskunde  bleiben. 
Der  Methodenlehre  geographischer  Arbeit 
werden  diese  beiden  Bücher  in  dem, 
was  sie  gemein  haben,  wie  in  dem,  was 
sie  trennt,  Musterbilder  der  historischen 
Länderkunde  und  der  Länderkunde  ohne 
geschichtliche  Beschränkung  bieten.  Ins- 
besondere darf  der  Ref.  über  das  vor- 
liegende Werk  mit  vollem  Recht  das  Ur- 
teil wiederholen,  das  er  anderwärts  (D. 
L.-Ztg.  1896.  Nr.  1)  für  die  deutsche 
Originalarbeit  näher  begründete,  „daß 
dies  stattliche  Buch  durch  die  Auffassung 
von  der  Aufgabe  der  Länderkunde,  die 
es  vertritt,  durch  den  Reichtum  der  eige- 


nen vieljährigen  Beobachtungen  des  Verfs., 
durch  die  Vielseitigkeit  und  Gründlich- 
keit eines  zu  vollster  Stoffbeherrschung 
gediehenen  literarischen  Studiums,  durch 
die  Selbständigkeit  der  geistigen  Durch- 
dringung des  Materiales,  durch  die  liebe- 
volle Sorgfalt  einer  gefälligen,  des  Inhalts 
würdigen  Darstellungsform  als  eine  der 
bedeutendsten  Schöpfungen  deutscher 
Länderkunde  sich  darstellt,  als  ein  dauernd 
wertvolles  Denkmal  des  heutigen  Zustan- 
des  der  geographischen  Wissenschaft*'. 
Breslau.  J.  Part  seh. 

Konstantinopel  unter  Sultan  Sulei- 
mann  dem  Großen,  aufgenommen 
im  Jahre  1559  durch  Melchior 
Lorichs  aus  Flensburg.  Heraus- 
gegeben von  Eugen  Oberhummer. 
München,  Oldenbourg  1902.  22  Taf. 
JC  30.—. 

In  dem  Artikel  „Cgnstantinopolis*^, 
den  Oberhummer  in  Pauly-Wissowas  Real- 
encyklopädie,  IV,  968—1013  geschrieben 
hat,  ist  S.  1018  ein  Panorama  von  Kon- 
stantinopel erwähnt,  das  Lorichs  1557 
bis  1559  gezeichnet  hat,  das  sich  aber 
noch  unveröffentlicht  und  kaum  bekannt 
in  Leiden  befand.  Diese  Zeichnung 
legt  Oberhummer  jetzt  in  einer  außer- 
ordentlich schönen  und  vornehm  aus- 
gestatteten Ausgabe  vor.  Das  Original 
ist  im  halben  Maßstab  auf  21  Tafeln  re- 
produziert, die  von  der  Firma  J.  B.  Ober- 
netter hergestellt  worden  sind.  In  zier- 
licher Zeichnung  ist  Konstantinopel  von 
der  Serailspitze  und  dem  asiatischen  Ufer 
bis  über  Ejub  am  inneren  Winkel  des 
goldenen  Horns  dargestellt,  jedes  Haus, 
jedes  Dach,  jeder  Turm  und  Mauervor- 
sprung ist  sorgfältig  ausgeführt.  Ober 
der  Zeichnung  imd  teilweise  noch  darin 
stehen  Legenden,  die  fast  alle  topogra- 
phischen Inhalts  sind;  sie  sind  aber  nicht, 
wie  man  zuerst  annehmen  möchte,  durch- 
aus selbständige  Zutaten  des  Zeichners, 
sondern  hier  hat  sichLorichs  manchmal, 
wie  Oberhummer  zeigt,  an  italienische 
Stadtpläne  angeschlossen.  Dadurch  sinkt 
natürlich  ihr  Wert.  In  dem  begleitenden 
Text  hat  sich  der  Herausgeber  in  be- 
wußter Absicht  darauf  beschränkt,  nach 
einigen  kurzen  Angaben  über  das  Leben 
imd  die  Werke  von  Lorichs  den  Inhalt 
eines  jeden  Blattes  anzugeben  und  die 
Legenden,  die  stellenweise  recht  schwer 


Bücherbesprechungen. 


355 


lesbar  sind,  abzudrucken.  Nur  an  einer 
Stelle  glaube  ich  etwas  anderes  lesen  zu 
können :  auf  Tafel  VIII  links  am  Rand  im 
Meer  steht  nach  Oberhummer  „ein  schwer 
leserliches  Wort  piruhe,  wohl  =  pirogue". 
So  viel  ich  sehe,  ist  der  erste  Teil  als 
„Fischer**  zu  lesen,  den  Rest  kann  man 
vielleicht  als  „Tor"  deuten.  Allerdings 
steht  schon  auf  dem  6.  Blatt  an  der  Mauer 
„Fischerporten",  und  dadurch  wird  die 
Lesung  des  zweiten  Teiles  unsicher,  aber 
die  erste  ist  klar  und  paßt  auch  gut  in 
die  Gegend;  denn  weiter  rechts  kommen 
„Fischer  Häuser**. 

Für  Spezialimtersuchungen  ist  mit 
der  Publikation  eine  neue,  wertvolle  Quelle 
allgemein  zugänglich  gemacht  worden; 
dafür  verdient  der  Herausgeber  aufrich- 
tigen Dank.  Walter  Rüge. 

Schönfeld^  Dagobert«  Aus  den  Staa- 
ten der  Barbaresken.  267  S. 
Berlin,  D.  Reimer  1902.     JC  8.—. 

Reiseschilderungen  eines  allgemein  Ge- 
bildeten, der  keinerlei  fachliche  Neigung 
(Geschichte?)  und  Vorbildung  zu  erkennen 
gibt,  auf  breit  ausgetretenen  Pfaden  — 
Ostseite  von  Tunesien,  Tripolis  und  Um- 
gebung —  gewandelt  ist  und  Dinge  schil- 
dert, die  schon  so  und  so  oft  in  den  vier 
Kultursprachen  geschildert  worden  sind. 
Um  die  Literatur  hat  er  sich  so  gut  wie 
gar  nicht  gekümmert,  selbst  die  topogra- 
phische Karte  und  Reiseführer  von  Tu- 
nesien kennt  er  nicht.  Wie  ihm  so  alles 
neu  war,  so  nimmt  er  das  auch  von  an- 
dern an.  Auf  der  Höhe  von  Utika  ste- 
hend, spricht  er  von  der  „Hafenfläche^ 
welche  6  —  6  Quadratmeilen  umschloß, 
aber  heute  durch  Erdablagerungen  des 
Medjerda  völlig  ausgefüllt  worden  ist**. 
„Dieses  an  Ort  und  Stelle  untersucht  zu 
haben,  ist  von  höchstem  Interesse.**  Daß 
über  diese  Versandung  der  Bucht  von 
Utika  gründliche  Untersuchungen  vor- 
liegen, ist  ihm  natürlich  auch  unbekannt 
geblieben. 

Immerhin  glaube  ich,  daß  seine  Schil- 
derungen, die  sich  fast  ausschließlich  auf 
Städte  imd  Menschen  beziehen,  keinen 
Schaden  anrichten  werden,  da  sie,  so 
wenig  Neues  sie  bringen,  doch  naturwahr 
und  zuverlässig  sind.  Daß  die  vorzügliche 
militärische  Organisation  der  Türken  in 
Tripolis  noch  einmal  klar  vor  Augen  ge- 
führt wird,  kann  nicht  schaden.    Ebenso 


wird  über  kurz  oder  lang  politisch  in 
die  Wagschale  fallen,  daß  die  Franzosen, 
wie  der  Verf.  überzeugend  darlegt,  es 
verstanden  haben,  die  Sympathie,  mit 
welcher  ihnen  die  Masse  der  Bevölkerung 
Tunesiens  nach  der  Besitzergreifung  ent- 
gegen kam,  trotz  der  unleugbaren  Wohl- 
taten, die  sie  dem  Lande  erwiesen  haben, 
in  Haß  zu  verkehren.       Th.  Fischer. 

Leverett,  Frank«  Glacial  formations 
and  drainage  features  of  the 
Erie  and  Ohio  basins.  ü.  S.  geo- 
logical  survey,  monographs  vol.  XLI. 
802S.26Taf.u.8Textfig.  Washington, 
1902. 

Das  behandelte  Gebiet  erstreckt  sich 
von  Geneseetal  im  Staate  Neu- York  nach 
Westen  durch  das  nordwestliche  Pennsyl- 
vanien  und  Ohio  bis  nach  Mittel-  und 
Süd-Indiana  und  reicht  von  den  Ufern 
des  Ontario-  und  Erie-Sees  bis  zum  Alle- 
ghany  und  Ohio.  Die  Höhenunterschiede 
dieses  weiten  Distriktes  schwanken  im 
weitesten  Maß:  sie  variieren  von  260  Fuß 
und,  zieht  man  den  Ontariosee  noch  mit 
in  Betracht,  von  unter  Meeresniveau  bis 
zu  fast  2600  Fuß.  Das  Land  südlich  des 
Ontariosees  erscheint  als  ein  System  von 
Ebenen,  die  durch  steil  geböschte,  zug- 
artig angeordnete  Höhenzüge  von  einander 
geschieden  sind;  noch  weiter  nach  Süden 
hin  folgt  ein  stark  zerschnittenes  ebenes 
Gebiet.  In  diesem  liegen  nach  Westen 
hin  die  Senken  des  Grand-  und  Scioto- 
River  und  noch  weiter  westlich  die  Tief- 
ebene des  zentralen  Mississippibeckens, 
dessen  Ostrand  bis  zum  westlichen  Ohio 
reicht.  Man  erkennt  in  dem  Aufbau 
dieses  Gebietes  die  typischen  Gebilde  der 
einstigen  Inlandeisbedeckung.  Es  um- 
schließt Produkte  verschiedener  Glacial- 
zeiten  von  wechselnder  Ausdehnung. 
Bildungen  der  ältesten  hier  bekannten 
Vereisung  (Kansan  oder  Pre-Kansan)  finden 
sich  hauptsächlich  nur  im  nordwestlichen 
Pennsylvanien,  spärlich  im  südwestlichen 
Teil  des  Staates  Neu- York  und  im  öst- 
lichen Ohio.  Die  Grenze  der  nächst 
jüngeren  Eiszeit  (ülinoian)  verläuft  von 
dem  einspringenden  Winkel  der  Glacial- 
gprenze  im  südlichen  Indiana  östlich  bis 
nach  Mittel-Ohio,  wo  sie  von  den  Ab- 
lagerungen einer  jüngeren  Vereisung  (Wis- 
consin) verdeckt  wird.  Bildungen  der 
nächst   jüngeren    Glacialperiode   (Jowan) 

24* 


356 


Bücherbesprechungen. 


fehlen,    an    ihre   Stelle   treten   lößartige 
Bildungen  und  umgelagerte  Sedimente  der 
als  Sangamon  und  Peorian  bezeichneten 
Interglacialzeiten.    Ablagerungen  der  äl- 
teren Wisconsinperiode  sind  nur  östlich 
des  sogenannten  Miamilobus  in  dem  Ge- 
biete ungefähr  zwischen  Indianopolis  und 
Dajton,  Ohio,  bekannte;  die  größte  räum- 
liche   Ausbreitung    besitzt    dagegen    die 
jüngere   Wisconsinperiode.     Ihre    haupt- 
sächlichsten ,     südwärts     geschwungenen 
Loben  bezeidinet  Verfasser  von  West  nach 
Ost  als  die  des  Miami,  des  Sdoto  und  des 
Grand  River.    Hinter   den   Endmoränen- 
zügen dieser  Bogenstücke  liegt  eine  stark 
bewegte     Grundmoränenlandschafb,     mit 
eingesenkten  Becken-  und  Seenbildimgen, 
Drumlins  und  Eskers,  bis  zu  den  Ufern 
der  großen  Seen,  mehrfach  von  schwächeren 
jüngeren  Endmoränenzügen  unterbrochen. 
In   der   weiteren  Umgebung  dieser  Seen 
erkennt   man   an   deutlich    ausgeprägten 
Terrassen  die  Bildung  größerer  Stausee- 
becken,  deren  Niveaus  und  Ausbreitimg 
ein  fortlaufendes   Stadium   der   Senkung 
dartun.     Die  weiteste  Ausdehnung  hatte 
der  sogenannte  Lake  Maumee.    Er  hatte 
den  höchsten  Stand  und  ward  im  Norden 
und  Osten  von  dem  Inlandeisrand  begrenzt. 
Seine  Entwässerung  erfolgte  durch  zwei 
Auslässe,  bei  Fort  Wayne  in  Indiana  und 
bei  Imlay  in  Michigan.     Bei  ersterem  Ort 
strömten  seine  Wasser  durch  den  Wabach- 
River  zum  Ohio,  bei  letzterem  durch  den 
Grand  River  westwärts  zum  Michigansee. 
Sein  Niveau  reichte  bis  zu  182  Fuß  über 
den  Spiegel  des  heutigen  Eriesees.    Un- 
gefähr  um   30  Fuß  tiefer  lag  die  Ober- 
fläche  des   nächst   jüngeren    Glacialsees, 
des  Lake  Whittlesey.    Der  Ausfluß  zum 
Wabach  wurde  gesperrt:  es  bildete  sich 
hier  im  Südwesten  des  Eriesees  die  weite 
Bucht  von  Belmore.    Der  einzige  Abfluß 
lag  im  Nordwesten  bei  Ubly  westlich  des 
Huronsees  und  erfolgte  durch  den  soge- 
nannten  Lake   Saginaw  und  den  Grand 
River  gleichfalls  nach  Westen  zum  Michi- 
gansee.   Im  Gebiete  des  heutigen  Huron- 
und  Eriesees  entwickelte  sich  sodann  bei 
weiterer  Senkung  der  glaciale  Lake  Warren, 
dessen  Niveau  40—76  Fuß  unter  dem  des 
Lake   Whittlesey    lag.      Zu    dieser    Zeit 
standen  Ontario-,  Erie-  und  Huronsee  in 
Verbindung  und  auch   der  einstige  Lake 
Saginaw  verschmolz  mit  diesem  gewaltigen 
Becken.  Südlich  des  Ontariosees  erstreckte 


sich  eine  weite  Bucht  durch  den  west- 
lichen Teil  des  Staates  Neu -York  aus 
der  Gegend  von  BufPalo  durch  Gtonesee- 
County  bis  in  die  westliche  Umgebung 
von  Syracuse.  Der  Abfluß  dieser  weiten 
Wassermasse  erfolgte  gleichfalls  durch 
den  Grand  River  nach  Westen.  Bis  zur 
Entwicklung  der  heutigen  Seenbecken 
lassen  sich  noch  mehrere  Stillstands- 
Perioden  erkennen,  doch  sind  diese  we- 
niger markant.  Fairshild  und  Spencer 
unterscheiden  hier  noch  den  Lake  Dana 
und  den  Lake  Iroquois.  Letzterer  be- 
schränkte sich  allein  auf  das  Gebiet  des 
Ontariosees  und  entwässerte  nach  Osten 
bei  Rome  zum  Mohawktal.  A.Klautzsch. 

Ludwig  Amadeas  Ton  Saroyen,  Henog 
der  Abnizzen«  Die  Stella  Polare 
im  Eismeer.  Erste  italienische 
Nordpolexpedition  1899  —  1900.  Mit 
Beiträgen  von  Kapitänleutnant  C  a gn  i 
und  Oberstabsarzt  Cavalli  Moli- 
nelli.  166  Abb.  im  Text,  28  Separat- 
bilder, 2  Panoramen  u.  2  K.  Leipzig, 
Brockhaus  1903. 

Diese  gut  ausgestattete  deutsche  Aus- 
gabe des  italienischen  Polarreisewerks 
enthält  zunächst  in  sechszehn  Kapiteln 
einen  allgemeinen  Bericht  über  den  Ver- 
lauf der  ganzen  Reise.  Darauf  folgt  eine 
sehr  eingehende  Schilderung  der  unter 
Leitung  des  Kommandanten  Cagni  in  der 
Zeit  vom  81.  März  bis  23.  Juni  1900  aus- 
geführten großen  Schlittenreise  von  der 
Teplitz-Bai  auf  Kronprinz  Rudolf -Land 
nordwärts,  wobei  man  bekanntlich  eine 
etwas  höhere  Breite  erreichte  als  Nansen. 
Dieser  ungefähr  200  Seiten  umfassende 
Bericht  darf  als  einer  der  denkwürdig- 
sten Abschnitte  der  Geschichte  der  mo- 
dernen Polarreisen  bezeichnet  werden. 
Die  sorgfältigsten  Vorbereitungen,  um 
einen  vollen  Erfolg  zu  sichern,  waren  für 
diese  Expedition  getroffen  worden.  Mit 
einer  Hingebung  sondergleichen  unterzog 
sich  die  kleine  Schar  mutiger  Männer  der 
schweren  Aufgabe.  Aus  dem  ausführlich 
mitgeteilten  Tagebuche  des  Kapitäns  Cagni 
ersehen  wir  die  stets  neu  sich  auftürmen- 
den Schwierigkeiten  durch  das  Klima, 
das  Terrain  und  viele  andere  große  und 
kleine  Hemmnisse.  Leider  ging,  wie  wir 
wissen,  die  erste  Gruppe  der  drei  Partien, 
aus  welchen  die  Expedition  bestand,  auf 
der  Rückfahrt  zum  Schiffe  verloren,  und 


Bücherbesprechungen. 


857 


es  war  nur  einem  Qlückszufall  zu  danken, 
daß  Kommandant  Cagni  selbst,  anf  der 
Rückkehr  südwärts  vertrieben,  doch  noch 
wohlbehalten  die  Übennnterongsstation 
der  Expedition  an  der  Teplitzbai  erreichte. 
Jedenfalls  hat  diese  Schlittenfahrt  Cagnis 
in  den  Versuchen,  von  Franz  Josephs-Land 
den  Nordpol  zu  erreichen,  einen  gewissen 
Abschluß  in  negativem  Sinne  gebracht. 
Sehr  lehrreich  nach  mannigfachen  Rich- 
tungen hin  ist  der  Bericht  des  Oberstabs- 
arztes Achille  Cavalli-Molinelli  über  die 
sanitären  Verhältnisse  der  Expedition,  die 
durchweg  als  sehr  gut  bezeichnet  wer- 
den konnten.  Unter  strenger  Einhaltung 
aller  erforderlichen  Vorsichtsmaßregeln^ 
namentlich  bei  der  geeigneten  Diät,  hat 
der  Skorbut  seine  frühere  Furchtbarkeit 
nahezu  völlig  verloren;  dies  hat  sich  auch 
auf  dieser  Expedition  gezeigt.  Es  ist  in 
dieser  Zeitechriffc  (Bd.  Vm,  1902,  S.  686  ff.) 
die  ganze  Unternehmung  nach  dem  damals 
vorliegenden  Material  kurz  beleuchtet  wor- 
den, deshalb  und  da  der  Raum  für  diese  Be- 
sprechung ein  beschrankter  ist,  möchten 
wir  aus  der  Fülle  neuer  Details,  welche 
das  vorliegende  Werk  enthält,  nur  noch 
einige  wenige  Daten  hervorheben,  welche 
für  die  Geschichte  der  Polarreisen  über- 
haupt besonders  bedeutsam  erscheinen. 
Außerordentlich  verschieden  waren  die 
auf  der  Fahrt  nach  Norden ,  je  nach  der 
Gunst  oder  Ungunst  des  Terrains,  des 
Gesundheitszustandes,  der  größeren  oder 
geringeren  Ermüdimg  der  Mannschaften 
und  Hunde,  täglich  zurückgelegten  Ent- 
fernungen; sie  schwankten  zwischen  15 
und  36  km!  Als  geeigneste  Kleidung  be- 
währten sich  die  Wollstoffe  gegenüber 
den  Pelzkleidem.  — 

Der  am  26.  April  1900  unter  86<»  31' 
n.  Br.  und  68**  ö.  L.  erreichte  höchste 
Punkt  war  eine  weite  Fläche  neugebilde- 
ten Eises,  das  stark  zerklüftet  und  von 
zahlreichen  Kanälen  durchschnitten  war. 
Lufttemperatur  —  86®  C.  „Die  Luft*S  so 
sagt  das  Tagebuch  Cagnis,  „ist  vollkom- 
men rein;  zwischen  Nordosten  und  Nord- 
westen treten  klar  die  unzähligen,  oft 
seltsam  gestalteten,  schwarzen,  blauen 
und  weißen  Spitzen,  Zacken  oder  Kuppen 
der  riesigen  Eisblöcke  hervor,  welche 
durch  die  Pressungen  in  die  Höhe  ge- 
hoben worden  sind.  Weiterhin  am  strah- 
lenden Horizonte  zieht  sich  im  Halbkreise 
von  Osten  nach  Westen  eine  riesige  bläu- 


liche Mauer  hin,  die  aus  dieser  Entfernung 
gesehen  unübersteiglich  erscheint.  ^^ 

M.  Lindeman. 

Osservazioni  Scientifiche  eseguite 
durante  La  Spedizione  Polare 
di  S.  A.  R.  Luigi  Amedeo  Di  Sa- 
voia  Duca  Degli  Abruzzi  1899 
—  1900.  728  S.  Mailand,  Hoepli 
1903.  L.  26.—. 
Den  Hauptteil  des  Inhalts  dieses  Wer- 
kes bildet  der  600  Seiten  starke  Bericht 
des  Fregattenkapitäns  der  Kais.  Kriegs- 
marine Umberto  Cagni  über  die  nach 
verschiedenen  Richtungen  während  des 
Verlaufs  der  Expedition  und  besonders  in 
der  Überwinterungsstation  an  der  Teplitz- 
Bai,  Westküste  des  Kronprinz  Rudolph- 
Landes  ,  angestellten  astronomischen, 
hydrographischen,  physikalischen  und 
magnetischen  Beobachtungen  und  die 
daraus  durch  weitere  Bearbeitung  gezoge- 
nen Ergebnisse.  An  der  Ausarbeitung  dieser 
letzteren  wirkten  die  Professoren  Aimo- 
retti  und  Palazzo  von  der  Universität 
Turin  mit.  Besonders  wichtig  sind  femer 
die  während  der  Schlittenreise  nach  dem 
höchsten  Norden  angestellten  Beobach- 
tungen. Nicht  minder  beachtenswert  für 
die  Polargeographie  sind  die  Mitteilungen 
über  das  Tier-  und  Pflanzenleben  und 
den  geologischen  Aufbau  von  Kronprinz 
Rudolph-Land,  zumal  sie  ein  bisher  so  gut 
wie  unbekanntes  Gebiet  betreffen.  Wir 
verdanken  sie  in  erster  Linie  dem  Arzte 
der  Expedition  dem  Dr.  Cavalli-Moli- 
nelli. An  der  Bearbeitung  dieses  wissen- 
schaftlichen Materials  beteiligten  sich  die 
Professoren  bezw.  Doktoren  L.  Came- 
rano,  Salvadori,  Pollonera,  Giglio- 
Tos,  Nobili,  Parona,  Mattirolo, 
Belli,  Spezia,  Piolti  und  Colomba. 
Dieser  zweite  Teil  ist  eine  willkommene 
Ergänzung  unserer  bisher  mehr  auf  den 
westlichen  Teil  von  Franz  Joseph-Land, 
dank  der  englischen  Expedition  von  Jack- 
son, sich  beziehenden  naturwissenschaft- 
lichen Kenntnis  des  Archipels. 

M.  Lindeman. 

Deckert,    Emil.     Grundzüge    der 
Handels-  und  Verkehrsgeogra- 
phie.     8.    Aufl.      888    S.     Leipzig, 
Poeschel  1902.     JC  4.20. 
Wir  besitzen  dank  der  längst  vermiß- 
ten Neuauflage  des  in  Fachkreisen  wohl 


358 


Bücherbesprechungen. 


bekannten  Lehrbuches  einen  neuen  brauch- 
baren Leitfaden  für  den  Unterricht  in 
der  angewandten  Geographie,  und  zwar 
von  einem  Autor,  dessen  wissenschaftliche 
SteUungund  reiche  Erfahrungen  die  vollste 
Sachkenntnis  verbürgen.  So  möge  denn 
hier  nur  einigen  methodischen  Bemerkun- 
gen Raum  gegeben  werden. 

Wir  begrüßen  in  dem  ersten  Abschnitt 
einen  Ansatz  zu  einer  ganz  kurzen  schul- 
gemäßen „allgemeinen  Handelsgeogra- 
phie". Er  behandelt:  die  Atmosphäre 
(S.  1—2),  das  Meer  (S.  2—3),  die  einzel- 
nen Ozeane  mit  ihren  wichtigsten  Rand- 
und  Binnenmeeren  in  ihrer  durch  die 
Einwirkung  geographischer  und  histori- 
scher Tatsachen  herbeigeführten  wirt- 
schaftlichen Bedeutung  (S.  4 — 31),  das  feste 
Land  nach  seiner  Natur,  seiner  Bevölke- 
rung, seinen  Produktions-  und  Bevölke- 
rungsverhältnissen (S.  31 — 56).  —  Die  ge- 
sonderte Schilderung  der  Luftströmungen 
über  den  einzelnen  Ozeanen  und  hernach 
der  Klimagürtel  des  Festlandes  wird  je- 
doch schwerlich  ein  genügendes  Verständ- 
nis für  den  innigen  Zusammenhang  dieser 
Erscheinungen  und  der  von  ihnen  ab- 
hängigen Vorgänge  erwecken.  Im  Unter- 
richt wird  unbedingt  noch  eine  ergänzende 
Erläuterung  der  allgemeinen  klimatischen 
Gesetze,  natürlich  auch  ihrer  Einwirkung 
auf  das  Wirtschaftsleben  hinzutreten 
müssen. 

Die  Schilderung  der  einzelnen  Wirt- 
schaftsgebiete wird  mit  einer  treffenden 
und  anregend  geschriebenen  allgemeinen 
Charakteristik  der  betreffenden  Kontinente 
eingeleitet.  Manche  hier  aufgenommene 
Betrachtungen  fänden  wohl  besser  ihren 


I  Platz  in  einem  die  Summe  der  wirtschaft- 
lichen Leistungen   der   einzelnen  Räume 
I  zusammenfassenden  „Rückblick".  —  Die 
Behandlung  dieser,  namentlich   der  grö- 
I  ßeren,   erfolgt  nach  dem  Schema:    Größe 
I  und  Bevölkerungsziffer,  Lageverhältnisse, 
I  Grenz-  und  Küstengestaltung,  orographi- 
sche  Gliederung,  Klima  und  Abflußverhält- 
nisse ,    Kulturzustand    der    Bevölkerung. 
Produktion,  Handel  und  Verkehr.  Die  po- 
litische Gliederung  und  ein  reichhaltiges 
Städteverzeichnis  bilden  den  Beschluß.  — 
j  Der     wirtschaftlichen     Schilderung     der 
I  mitteleuropäischen  Staaten  (im  weiteren 
I  Sinne)  geht  eine  längere  Skizze  des  Boden- 
.  Charakters  und  des  Stronmetzes  des  ge- 
samten Gebietes  voran.  —  Referent  vermag 
,  sich  mit  dem  Schema  im  allgemeinen  und 
I  insbesondere  mit  dem  bei  der  Darstellung 
:  Mitteleuropas  geübten  Vorgang  nicht  zu 
I  befreunden.   Er  ist  vielmehr  der  Ansicht, 
daß    für    die    Schilderung    der   wichtig- 
sten Gebiete  Raum  genug  vorhanden  sei 
zunächst   zu   einer   kurzen,    allgemeinen 
Skizze   ihres   geographischen   Charakters 
und  damit  ihrer  wirtschaftlichen  Eignung. 
An  diese  schlösse   sich    eine   mehr  oder 
minder  eingehende  physische  und  kultu- 
relle Schilderung  der  natürlichen  Land- 
schaften, so  daß  eine  aus  diesen  Grund- 
lagen   hervorgehende    zusammenfassende 
Darstellung    der    einzelnen    Wirtschafts- 
zweige,  das   Wirtschaftbild    des   Staate- 
ganzen,  den  Abschluß  böte.  — 

Das  Lehrbuch  muß  trotz  der  vorge- 
brachten methodischen  Bedenken  als  der 
brauchbarste,  weil  zuverlässigste  Leitfaden 
der  Handelsgeographie  bezeichnet  wer- 
den. Alois  Kraus. 


Nene  Bttclier  nnd  Karten. 


lUgemeiiie  phyiische  Geographie. 

Schott,  G.  Physische  Meereskunde. 
162  S.  28  Textabb.  u.  8  Taf.  Leipzig, 
Göschen  1908.     JC  —.80. 

Karsten,  G.u. H. Schenck.  Vegetations- 
bilder. Hefts.   H.  Schenck:  Tropische 
Nutzpflanzen.  Taf.  13—18.  Jena,  Fischer 
1903.     Die  Lief.  JC  2.60. 
Allgemeine  Geographie  dei  Henichen. 

Michelis,  E.  de.  L'origine  degli  Indo- 
Europaei.  VUI  u.  699  S  Torino,  Bocca 
1903.    Lire  16.—. 


Kaindl,  R.  F.  Die  Volkskunde.  Ihre 
Bedeutung,  ihre  Ziele  und  ihre  Methode. 
Mit  besonderer  Berücksichtigung  ihres 
Verhältnisses  zu  den  historischen  Wissen- 
schaften. Ein  Leitfaden  zur  Einführung 
in  die  Volksforschung.  XI  u.  149  S. 
69  Textabb.  Wien,  Deuticke  1903. 
JC  6. — . 

Nagl,  J.  W.  Geographische  Namen- 
kunde. Methodische  Anwendung  der 
namenkundlichen  Grundsätze  auf  das 
allgemeiner  zugängliche  topographische 


Neue  Bücher  und  Karten. 


359 


Namenmaterial.    VIII  u.  186  S.  18  Text- 
abb.    Wien,  Deuticke  1903.    JL  6.—. 
Destsehland  und  Nachbarländer. 

Meyers  Reisebücher.  Deutsche 
Alpen,  n.  Teil:  Salzburg  -  Berchtes- 
gaden,  Salzkammergut,  Giselabahn, 
Hohe  Tauem,  Unterinntal,  Zillertal, 
Brennerbahn,  Pustertal  und  Dolomiten, 
Bozen.  7.  Aufl.  VI  u  378  S.  27  K., 
5  Pläne  u.  8  Panoramen.  Leipzig,  Bibl. 
Inst.  1903.     JL  5.—. 

Müllner,  J.  Die  Vereisung  der  öster- 
reichischen Alpenseen  in  den  Wintern 
1894/5  bis  1900/1.  61  S.  4  Textabb.  u. 
2  Doppeltaf.  (Geogr.  Abhandl.  Bd.  VU. 
Heft  2.)   Leipzig,  Teubner  1908.  JL  2.40. 

Meyers  Reisebücher.  Dresden,  Säch- 
sische Schweiz  und  Lausitzer  Gebirge. 
VL  Aufl.  VI  u.  268  S.  12  K.,  9  Pläne 
u.  4  Panoramen.  Leipzig,  Bibl.  Inst. 
1908. 

tbriges  Earopa. 

Halb  faß,  W.  Eine  Wanderung  durch 
die  deutschen  Sprachinseln  in  Piemont. 
(Wiss.  Abhandl.  z.  XXVIH.  Jahresber. 
d.  Gymnas.  z.  Neuhaldensleben.)  24  S. 
Neuhaldensleben,  Pflanz  1903. 

Vidal   de   la  Blache,  P.    Tableau  de 
la  geographie  de  la  France.    (Hiütoire  ] 
de  France  depuis  les  origines  jusqu'  a 
la  Revolution.   I.  1.    Publik  par  £.  La- 1 


visse.)    394  S.     64  K.  u.  Fig.      Paris, 
Hachette  &  Co.  1908. 
Berchon,    Ch.     En    Danemark.     260  S. 
62  Abb.     Paris,   Hachette  &  Co.  1908. 
Fr,  4.—. 

Asien, 

Werther,  C.  W.  ÖstHche  Streiflichter. 
Kritische  Beobachtungen  und  Reise- 
skizzen. 168  S.  Abb.  auf  Taf.  Berlin, 
Paetel  1903.     JL  3.—. 

Afrika. 

Baum,  H.  Eimene-Sambesi-Ezpedition. 
1908.  Hrsgeg.  i.  A.  d.  Kol.-Wirt- 
schaftl.  Komitees  von  0.  Warburg. 
XI  u.  693  S.  1  Buntdruck,  12  Taf.,  1  K. 
u.  108  Text- Abb.  Berlin,  Kol.-Wirt- 
schaftl.  Komitee  (E.  S.  Mittler)  1908. 
JL  20.—. 

Geographischer  Unterricht. 

Lungwitz,  O.u. F.M.Schröter.  Landes- 
kunde des  Königreichs  Sachsen.  VI.  Aufl. 
16  S.  9  Prof.  u.  K.  im  Text.  Bilder- 
anhang. JL  — .60.  Schwartz,  P.  Hei- 
matkunde der  Provinz  Brandenburg  und 
der  Stadt  BerHn.  V.  Aufl.  66  S.  BUder- 
u.  Kartenanhang.  JL  — .76.  Worm- 
stall,  J.  Landeskunde  der  Provinz  West- 
falen und  der  Fürstentümer  Lippe, 
Schaumburg-Lippe  u.  Waldeck.  UI.Aufl. 
86  S.  Bilderanhang.  JL  —.60.  Leip- 
zig, Hirt  1908. 


Zeitschriftenschau. 


Petermcmns  Mitteilungen.  1908.  4.  Heft. 
Heß:  Der  Taltrog.  —  Geinitz:  Die  geo- 
graphischen Veränderungen  des  südwest- 
lichen Ostseegebietes  seit  der  quartären 
Abschmelzperiode  (Schluß).  —  Senfft: 
Ethnographische  Beiträge  über  die  Karo- 
lineninsel Yap.  —  Philippson:  Eisbildung 
auf  der  Bucht  von  Salonik  im  letzten 
Winter. 

Globus.  Bd.  LXXXIU.  Nr.  16.  An- 
dree:  Asiatisch -amerikanische  Folklore- 
Beziehiingen  an  der  Beringsstraße.  — 
Tschulok:  Einige  Ergebnisse  der  Mur- 
manexpedition.  —  Sapper:  Eine  Reise 
über  den  Isthmus  von  Panama.  —  Preuß: 
Die  Sünde  in  der  mexikanischen  Religion. 
—  Die  Briten  in  Nigeria. 

Dass.  Nr.  17.  Rütimeyer:  Die  Nil- 
galaweddas.  —  Die  ersten  Erfolge  der 
englischen  Südpolarexpedition.  —  Ark- 
tisches Museum  in  Stockholm.  —  Preuß: 


Die  Sünde  in  der  mexikanischen  Religion. 
—  Lehmann:  Isländische  Futterkräuter. 

Dass.  Nr.  18.  P.  u.  F.Sarasin:  Über 
die  Toäla  von  Süd-Celebes.  —  Förste- 
mann:  Zusammenhang  zweier  Inschriften 
von  Palenque.  —  v.  Schkopp:  Zwerg- 
völker in  Kamerun.  ^-  Schmidt: 
H.  filaatschs  Theorie  über  die  Stammes- 
geschichte  der  Menschen.  —  Halb  faß: 
Zwei  Seen  in  der  Moränenlandschaft  des 
Bodensees. 

Deutsche  Bundschau  für  Geographie 
und  Statistik,  XXV.  Jhig.  8.  Heft.  Sosta- 
ric:  Durch  Albanien  und  Macedonien.  — 
Fehlinger:  Die  Igorroten  von  Nord- 
Luzon.  —  Nishimura:  Der  Ausbruch 
des  Torishima  in  Japan.  —  Hübner: 
Forschungsreisen  am  Rio  Branco.  — 
Krebs:  Asiens  Gebirgsbau. 

Meteorologische  Zeitschrift,  1908.  4.  Heft. 
Rosenthal:   Die   Szintillation   der  Fix- 


360 


ZeitBchriftenschau. 


Sterne  vom  Standpunkte  der  synoptiflchen 
Meteorologie.  —  Draenert:  Zum  Klima 
des  Staates  Cear4,  Brasilien.  —  Grund- 
mann: Über  die  Ausmessung  meteorolo- 
gischer Photogramme. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie.  1908. 
8.  Heft.  Mayer:  Die  Geographie  am 
VIII.  deutsch-österreichischen  Mittelschul- 
tag. —  Glotz:  Die  Entstehung  von  Land- 
karten und  deren  Reproduktion.  —  Gorge: 
Zur  Konzentration  der  Geschichte  und 
Geographie  Deutschlands. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erd- 
kunde tu  Berlin.  1908.  Nr.  4.  Engler: 
Über  die  Vegetationsformen  Ostasiens.  — 
Ule:  Die  Beziehungen  zwischen  Nieder- 
schlag und  Abfluß  in  Mitteleuropa. 

Beiträge  zur  Kölonialpolitik  und  Kolo- 
nialwirUchaft  IV.  Jhrg.  12.  Heft.  Oloff: 
Die  Arbeiterfrage  in  Kamerun.  —  Schrei- 
ber: Die  Besiedelung  unserer  Kolonien 
und  die  Wehrverfassung.  —  Fellmer: 
Aufforstungsprämien  für  Südwestafrika. 
—  Schröder:  Die  Besiedelungsfrage  in 
Deutsch-Südwestafrika.  —  Boether:  Sin- 
gapore  als  Handelsplatz.  —  Der  Streit 
um  die  Grenze  Alaskas. 

Dass.  18.  Heft.  Hartmann:  Meine 
Expedition  1900  ins  nördliche  Kaokofeld 
und  1901  durchs  Amboland. 

Dass.  14.  Heft.  Meinhold:  Betrach- 
tungen über  die  deutsche  Kolonisation 
von  Südbrasilien.  —  Schröder:  Die  Ein- 
geborenenfrage in  Deutsch-SüdwestaMka 
und  ihre  Lösung.  —  Seidel:  Die  Zukunft 
Deutsch-Ostafrikas.  —  Dieter:  Automobil- 
betrieb in  Deutsch-Ostafrika.  —  W aech- 
ter: Die  Tanganyka- Dampferexpedition 
1898—1901. 

Asien.  1908.  Nr.  ö.  Toepfer:  Ruß- 
land auf  dem  Wege  zur  Vorherrschaft  in 
Asien.  —  Etienne:  Die  landwirtschaft- 
liche Konkurrenz  Sibiriens.  —  Maercker: 
Die  Entwickelung  des  Kiautschougebietes. 
-—  V.  Kleist:  Indo-China  1901/02. 

Dass.  Nr.  7.  Vosberg-Rekow:  Auf- 
gaben der  deutschen  Asien -Politik.  — 
Grothe:  Zur  Nationalitätenfrage  in  Ma- 
cedonien.  —  Seh  lagint  weit:  Die  Häfen 
der  syrischen  Küste  imd  die  Deutsche 
Levante-Linie.  —  Wirth:  Epochen  asia- 
tischer Geschichte.  —  v.  Zeppelin:  Zur 
Erforschung  Mittelasiens. 

Ymer.  1908.  I.Heft.  Hedin:  Voyage 
k  travers  TAsie  centrale.  —  Andersson: 
Geographie    des    r^gions    du   Mälfur.    — 


Arne:  D^couvertes  nouvelles  concemant 
Tart  de  Tepoque  pal^lithique.  —  Dr.  A. 
Stuxberg  f- 

The  GeographiculJoumal.  1908.  Nr.  5. 
Collie:  Further  Exploration  in  the  Ca- 
nadian  Rocky  Mountains.  —  Golem  an: 
The  Brazean  Ice-Pield.  —  v.  Norden- 
skjöld:  Travels  on  the  Boundaries  of  Bo- 
livia  and  Argentina.  —  Mi  11:  Antarctica. 

—  Peucker:  The  Lakes  of  the  Balkan 
Peniusula. 

The  Scottibh  GtographicaX  Magazine. 
1908.  Nr.  5.  Cadeil:  The  Development 
of  the  Nile  Valley,  Past  and  Future.  — 
The  British  Antarctic  Expedition.  —  The 
New  Zoogeography. 

La  Geographie.  1908.  Nr.  4.  Fla- 
hault:   L'^conomie  agricole  en  Portugal. 

—  Gallieni:  Di^go-Suarez.  La  route  de 
la  Montagne  d'Ambre.  —  van  Ertborn: 
Le  bassin  houiller  de  la  Campine. 

The  National  Geographie  Magazine. 
1908.  Nr.  4.  Grosvenor:  Reindeer  in 
Alaska.  —  Raleigh  Rock.  —  Thompson: 
Henequen,  the  Tukatan  Fiber.  —  The 
Eruption  of  the  Soufrifere  of  St.  Vincent, 
1812. 

Dass.  Nr.  5.  Adams:  The  United 
States  —  Land  and  Waters.  —  The  Con- 
quest  of  Bubonic  Plague  in  the  Philippines. 

—  Improvements  In  the  City  of  Manila.  — 
American  Development  of  the  Philippines. 

—  The  British  South  Polar  Expedition. 
The    Journal    of   Geography.      1903. 

Nr.  2.  Lee:  The  Canyons  of  Mexico.  — 
The  Course  of  Study  in  Geography  and 
Nature  History  at  the  Speyer  School,  Co- 
lumbia University.  —  Büffet:  Some  gla- 
cial  Conditions  and  recent  Changes  on 
Long  Island. 

Aug  rersehiedeneii  Zeltschfifteu. 
Brunhes:     Erosion    tourbillonaire    eo- 
lienne.     Contribution   ä   T^tude   de    la 
morphologie  däsertique.    Memorie  della 
Pontificia  Academia  Romana  dei  Nuovi 
Lifwei.    Vol.  XXL  1908. 
Ihne:    Zur   Verzögerung   des    Frühlings- 
eintritts mit  wachsender  geographischer 
Breite.    Abh.  d.  Naturhist.  Ges.  Nürn- 
berg.   Bd.  XV. 
Schöne:  Der  moderne  Landschaftsbegriff 
in  seinen  Forderungen  an  den  erdkund- 
lichen Unterricht.    Pädagogische  Blätter. 
Bd.  XXXIL 
Ssolowjew:  Unter  den  Kirgisai.  (9  Fig.) 
Himmel  und  Erde.    XV.  8.   Mai  1908. 


Verantwortlicher  Herausgeber:  Prof.  Dr.  Alfred  Hettner  In  Heidelberg. 


Zflge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie. 

Von  Prof.  Dr.  Wilhelm  Oöta  in  München. 

Ohne  Zweifel  hat  die  Geographie  den  gegenwärtigen  Tatbestand  der 
Erdoberfläche  im  Zusammenhang  mit  dem  Menschen  zu  erkennen  und  dar- 
zustellen. Sie  kann  dies  aber  nicht  mittels  einer  Tätigkeit,  welche  jener 
des  Momentphotographen  ähnlich  wäre,  da  solcher  nicht  nur  das  kausale 
Erkennen,  sondern  vor  allem  der  Gegenstand  selbst  wehrt.  Denn  die  aktiven 
tellurischen  Kräfte,  deren  jeweilige  Wirkung  das  Aussehen  und  die  Aus- 
stattung der  Erdoberflächenteile  zu  sein  pflegt,  betätigen  sich  in  unuater- 
brochenem  Ändern  der  Erscheinungen,  besonders  im  Neubilden  vnd  Auf- 
lösen der  organischen  Gebilde.  Jene  Wirkungen  auf  das  Aussehen  unserer 
Wohn-  und  Nutzgebiete  zu  beobachten,  wird  daher  notwendig  zu  einem 
wesentlichen  Bestandteil  der  erdkundlichen  Erkenntnis.  Wenn  hienach  zu- 
nächst nicht  der  ändernde  Naturprozeß  selbst  seiner  Zusammensetzung  und  der 
Beschaffenheit  seiner  Kräfte  nach  Arbeitsaufgabe  des  Geographen  ist,  so 
wird  er  die  Fortentwicklung  der  Erdbeschaffenheit,  ihre  Wirkungen,  ihre 
Erfolge  sich  dadurch  zur  Anschauung  bringen,  daß  er  dieselben  nach  ein- 
zelnen Stadien,  daß  er  eine  Aufeinanderfolge  von  erreichten  Zuständen  über- 
blickt und  vergleicht.  Diese  Erkenntnistätigkeit  zu  pflegen,  ist  Sache  der 
historischen  Geographie.  Gewiß  hat  sie  „zu  zeigen,  wie  ein  gegebenes 
Stück  Erdoberfläche,  groß  oder  klein,  „zu  einem  bestimmten  Zeitpunkte  der 
Vergangenheit  wirklich  aussah"  (S.  Günther.  Beil.z.  Allg.  Ztg.  1901.  Nr.  227); 
aber  hiermit  wäre  ihre  Aufgabe  nicht  erschöpft,  selbst  wenn  der  menschliche 
Faktor  in  diese  Definition  einbezogen  erscheint  und  wir  ihre  Anwendung 
auf  die  gesamte  Ökumene  voraussetzen  wollen.  Zugleich  werden  die  äußeren 
Ursachen  des  Aussehens  und  die  Folgerungen,  zu  welchen  es  führt,  mit  und 
ohne  Bücksicht  auf  die  Bewohnerschaft,  in  dem  „Zeigen"  wohl  auch  nach 
Günther  enthalten  sein.  Aber  es  bedarf  sodann  nicht  nur  das  Aussehen, 
sondern  namentlich  auch  die  je  geänderte  Bedeutung  der  Gebiete  einer  be- 
sonderen Feststellung,  freilich  in  ihrer  Beziehung  auf  den  Menschen,  da  doch 
nur  aus  dieser  die  wandelbare  Wichtigkeit  oder  Bedeutungslosigkeit  der 
Länder  —  beides  nur  relative  Begriffe,  relativ  zum  Menschen  —  erwachsen 
kann.  Merklich  anders,  ireilich  auch  um  10  Jahre  früher  (was  doch  bei 
der  so  jungen  wissenschaftlichen  Geographie  sehr  viel  ausmacht),  hat  sich 
E.  Oberhummer  über  die  Stellung  der  Menschen  in  der  historischen  Geographie 
ausgesprochen.     Als   erster  hat  er  beim  Wiener  Geographentag  die  Aufgabe 

Oeognphisobe  Zeittohrifl.  9.  Jahrgang.  1908.  7.  Heft.  26 


362  Wilhelm  Götz: 

dieses  Sonderfaches  zu  formulieren  untemommen.  Hiemach  wäre  dessen 
Hauptarbeit  „das  Studium  des  Menschen  in  seiner  räumlichen  Verbreitung 
auf  der  Erdoberfläche  nach  Völkern,  Staaten,  Verkehrswegen  und  Ansiedlungen 
im  vollen  umfange  der  geschichtlichen  Entwicklung".  Doch  würde  wohl, 
wie  wir  vermuten,  eine  neu  unternommene  Darlegung  von  Seiten  dieses 
Autors  der  tellurischen  Seite  eine  stärkere  Position  in  dem  Sonderfache 
geben.  Jedenfalls  erschiene  es  als  unabsehbar  und  für  mächtig  große  Zeit- 
und  Ortsräume  ganz  ausgeschlossen,  daß  wir  „eine  nur  mit  allen  Mitteln 
historisch-philologischer  Forschung  arbeitende  Wissenschaft"  hier  betreiben. 
Dadurch  wurde  die  historische  Geographie  ihren  Platz  außerhalb  des  Ge- 
bäudes der  Erdkunde  erhalten  und  wäre  überhaupt  kein  Zweig  dieses  Ganzen. 

Ist  aber  unser  Arbeitsobjekt  der  Werdegang  der  Erdoberfläche  in  ihrem 
Zusammenhang  mit  dem  Menschen,  diesem  einflußreichsten  Faktor  für  die 
Änderungen  im  Aussehen  der  Erdräume,  so  liegt  es  nahe,  daß  die  histo- 
rische Geographie  die  Haltpunkte  ihrer  Überschau  nicht  je  der  ganzen 
bekannten  Erde  gelten  läßt,  sondern  die  einzelnen  Länder  und  Gebiete  ge- 
sondert betrachtet,  da  die  Menschheitsteile,  die  Völker,  örtlich  und  zeitlich 
überaus  verschieden  auf  dieselben  einwirkten.  Demgemäß  hält  man  sich  aus 
dieser  empirischen  Rücksicht  zunächst  an  das  Vorgehen  der  Länderkunde, 
ohne  die  Methode  der  physikalischen  Geographie  grundsätzlich  abzuweisen. 
Wohl  können  fär  einzelne,  an  verlässigen  Zeugnissen  reiche  Gebiete  alle 
Gesichtspunkte  der  Länderkunde  in  Anwendung  gebracht  werden;  jedoch 
würde  hierbei  die  Vermeidung  ermüdender,  teilweise  müßiger  Wiederholungen 
im  Verfolgen  der  einzelnen  Epochen  bei  jedem  Lande  sehr  schwer  werden. 
Dagegen  verlangt  es  der  Zusammenhang  der  Änderungen  der  Länder  mit 
ihrer  Bewohnerschaft  und  ihre  sich  nur  durch  die  Beziehung  zum  Menschen 
ergebende  verschiedene  Bedeutung,  daß  namentlich  die  jeweils  gewordene 
Stellung  oder  anthropogeographische  Lage  regelmäßig  eine  besondei-e 
Würdigung  erhalte. 

Die  Darlegung  der  geogi-aphischen  Wandlungen  in  der  Länderbeschaffen- 
heit wird  daher  nach  vorgenommener  Unterscheidung  der  Zeiträume,  um 
welche  es  sich  ja  für  das  einzelne  Gebiet  handelt,  unter  drei  Haup%esichts- 
punkten  sich  vollziehen.  Solche  sind:  1.  Die  Änderungen  durch  das  Wirken 
der  Naturkräfte  an  sich  (endogener  und  exogener  Art);  2.  die  Einwir- 
kung der  Bevölkerung  auf  das  Aussehen  und  die  Zustände  der  Gebiete; 
3.  die  durch  beides  bestimmte  anthropogeographische  Stellung  oder 
Lage  derselben. 

Natur,  Kultur,  Lage  könnten  hierbei  etwa  als  Stichworte  dienen. 
Daß  namentlich  bei  Ziffer  2  fast  die  ganze  länderkundliche  Behandlung  f(ir 
die  von  Kulturvölkern  bewohnten  Gebiete  anwendbar  wäre,  insbesondere 
quantitative  und  statistische  Nachweise  zu  einer  gründlicheren  Vergleichung 
der  Zeiträume  begehrenswert  seien,  liegt  nahe.  Jedenfalls  aber  kann  hier 
nur  durch  eine  beispielsartige  Skizze  oder  Vorführung  des  Werdeganges 
einzelner  Erdgebiete  unsere  Auffassung  zweifelsfrei  veranschaulicht  werden. 
Wir  wählen  als  reichlich  von  einander  verschiedene  Länder  das  deutsche 
Mitteleuropa    (=  Deutschland    im   geographischen   Sinne)    und   Italien. 


Züge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie.  363 

I.  Dentschland. 

Hier  soll  vor  allem  markiert  werden,  wie  sich  ungefähr  und  im  all- 
gemeinen die  Betrachtung  gestaltet;  daher  seien  nur  ganz  wenige  Zeit- 
abschnitte bestinunt,  so  daß  also  auch  eine  Zusammenziehung  zweier  un- 
schwer zu  trennender  Perioden  in  eine  vorgenommen  erscheint.  —  Es  wird 
dadurch  möglich  —  obwohl  wir  an  die  postglaciale  oder  die  diluviale  End- 
zeit anschließen  —  die  ganze  recente  Ära  unseres  Landes  in  drei  Perioden 
zu  teilen. 

1.  Periode.  Vom  Beginne  der  recenten  Zeit  bis  etwa  120  v.  Chr.  — 
Die  Zeit  des  feuchtkühlen  Naturlandes,  und  zwar  bis  zum  Eintreten  der 
meisten  deutschen  Stämme  in  die  Seßhaftigkeit  oder  bis  zur  allgemeinen 
Heraufführung  der  Eisenzeit. 

2.  Periode.  Bis  etwa  um  1650  n.  Chr.  —  Die  Zeit  der  Kulturarbeit 
am  verteilten  Boden,  auf  welchem  sich  bodenfreie  Arbeitsmittelpunkte  ent- 
wickeln. 

3.  Periode.  Bis  zum  Ende  des  19.  Jahrh.  —  Zeit  der  bereicherten 
Bodenproduktion  und  steigender  Unabhängigkeit  der  Gesamtgütererzeugung 
vom  Boden. 

Wenigstens  schätzungsweise  ein  Alter  der  ersten  Periode  (bis  120  v.  Chr.) 
anzugeben,  über  welches  wir  nicht  hinauf  gehen  wollen,  erscheint  naturgemäß. 
Wann  endigte  etwa  jene  niederschlagsreiche  Phase  des  postglacialen  Diluviiuns, 
die  große  Regenzeit,  welche  durch  ihre  Erosions-  und  Schwemmtätigkeit  so 
ausgiebig  in  der  gemäßigten  Zone  bezeugt  wird?  Ob  längeres  Walten  eines 
trockenen  Klimas  mit  Steppenverbreitung  sich  noch  anschließe,  erscheint  nicht 
sicher,  bleibt  daher  hier  außer  Betracht.  Jene  morphologisch  unbestreitbare 
Wirksamkeit  starker  Niederschläge  mußte  sich  über  die  Mittelmeerländer  über- 
haupt erstrecken,  da  sie  auch  in  der  Balkanhalbinsel  und  an  den  Pontus- 
gestaden  sich  geltend  machte;  sie  mußte  wenigstens  in  den  vom  Mittelmeer- 
klima beherrschten  südöstlichen  Gebieten  noch  kräftig  fahlbar  sein.  Jeden- 
falls zeigt  sich  kein  Grund,  die  damaligen  Luftdruckverhältnisse  der  ganzen 
Klimaprovinz  uns  anders  zu  denken,  als  sie  sich  heute  äußern.  Wenn  dem 
so  ist,  so  gehört  auch  Unterägypten  und  das  Euphratland  hierher.  In  diesen 
Ländern  reicht  aber  die  von  allen  Sintfluttatsachen  ungestörte  Kulturentwick- 
lung nach  den  neuesten  Aufdeckungen  bis  mindestens  6500  v.  Chr.  zurück. 
Wenn  fQr  das  ozeannahe  und  beträchtlich  nördlichere  Germanien  auch  ein 
viel  längeres  Nachwirken  der  Niederschlagshäufung  angesetzt  wird,  so  ist  doch 
wohl  die  Zeit  um  5500  oder  spätestens  5000  v.  Chr.  als  die  der  beginnenden 
freundlicheren  Klimaperiode  anzuerkennen.  Würde  das  Ende  der  diluvialen 
Begen-  und  Schmelzwasserwogen  bedeutend  später  eingetreten  sein,  so  wären 
doch  wohl  auch  etwas  deutlichere  Spuren  der  Flutsage  von  den  Vorgängern  der 
eingewanderten  indogermanischen  Stämme  den  letzteren  übermittelt  worden. 
Oder  man  fände  nicht  die  erforderlichen  Zeiträume  für  ein  naturgemäßes  Nach- 
einander der  neolithischen,   der  bronze-  und  der  eisenzeitlichen  Entwicklung. 

Welcher  Wandel  nun  vollzog  sich  von  damals  an  in  unserer  ersten  Periode? 
Jedenfalls  lag  zunächst  eine  sehr  reiche  Bodendurchfeuchtung  vor,  und 
zahlreiche   ruhende  Wasser  erglänzten  neben    nahrungsarmen  Schotterboden- 

26* 


364  Wilhelm  Götz: 

und  Schwemmsandstrichen;  eine  ungleich  größere  Zahl  von  Bächen  und 
Flftßchen  durchzog  das  Gelände.  Die  Unebenheiten,  welche  die  subglacialen 
und  die  offenen  Schmelzwasser  den  Moränenschuttmassen  und  Schottern  ge- 
geben, waren  durch  die  ÜberstrOmungen  von  selten  der  Niederschläge  vielen- 
orts  verwaschen  worden;  nur  brachten  letztere  auch  wiederum  neue  und  aus- 
gezogenere Tiefenlinien  auch  in  die  flachen  Landesteile.  Der  höhere  Stand 
und  die  größere  Menge  des  Grundwassers  sorgte  fär  zahlreichere  Quellen 
und  bewirkte  viele  Sumpf bildung,  dann  Vermoorung.  Schwächere  Wieder- 
holungen jener  Regenzeit  kamen,  wenigstens  im  Norden,  zur  Geltung,  wovon 
im  Elbegebiet  oder  ihm  nahe  mehrere  durch  tonigsandige  Lagen  getrennte 
Vertorfungen  über  einander  Zeugnis  geben,  die  freilich  auch  in  die  end- 
glacialen  Bückzugsstadien  Pencks  versetzt  werden  könnten. 

Daß  vermehrte  Luftfeuchtigkeit  und  niedrigere  Temperatur,  auch  im 
Winter,  aus  diesen  Tatsachen  folgte,  bedarf  keines  Nachweises.  Dieses  trübere, 
minder  sonnige  Klima  wird  uns  fär  die  älteste  Zeit  in  seinem  Einflüsse  aaf 
die  Bewaldung  noch  durch  die  für  Schlesvdg-Holstein  und  Dänemark  erwiesene 
Herrschaft  der  Fichte  bestätigt,  jenes  Baumes,  welcher  durch  seinen  geringen 
Lichtbedarf  den  Laubhölzem  und  der  Föhre  gegenüber  in  solchen  Verhält- 
nissen überlegen  zur  Geltung  kommt*).  Jedenfalls  sorgten  diese  Luft-  und 
Bodenzustände  dafär,  daß  die  wasserfreie  Oberfläche  eine  baldige  Besiedlung 
und  Überdeckung  mit  Gras-,  Kraut-  und  Baumwuchs  erhielt,  so  daß  die 
Bewohnbarkeit  des  Landes  durch  Tier  und  Mensch  gegeben  war.  Doch  hatte 
der  letztere  so  sehr  sich  an  die  Wasser-  und  SumpfQäohen  und  ihre  Nutz- 
barkeit gewöhnt,  daß  er  in  ausgedehntem  Maß  seine  Behausimg  in  sie  setzte: 
der  Pfahlbauer  lebte  ja  noch  lange  von  der  Urproduktion  (Fische,  Wild, 
wildwachsende  Fruchtträger).  Auch  in  der  Ebene  auf  schwachen  Erhebungen 
baute  man  sich  ähnlich  an  und  (in  West-Ungarn  erweislich)  errichtete  über  den 
Boden  gehobene  Holzhütten.  Daneben  war  in  Höhengebieten  entweder  die 
Höhle  ein  gesuchtes  Heim,  oder  man  stellte  auf  Vorsprüngen  und  niedrigeren 
Flachgipfeln  Wohngruben  mit  Überdachung  her.  Von  der  jüngeren  Steinzeit 
bis  in  die  mittlere  Eisenzeit  herauf  werden  diese  verschiedenen  Wohnörtlich- 
keiten  durch  Waffen-,  Schmuck-  und  Gerätefunde  bezeugt. 

Doch  allmählich  ward  das  Landesaussehen  freundlicher:  die  Bodenfeuchte 
nahm  ab,  weil  die  Flüsse  durch  ihre  Erosion  tiefer  gelegt  wurden,  größten- 
teils auch  noch  in  der  Tieflandzone;  der  Grundwasserspiegel  mußte  merklich 
sinken.  Darauf  hin  ergänzte  sich  die  Urproduktion  des  Pfahlbauem  durch 
die  Nutzung  von  Haustieren;  Schaf,  Rind,  Hausschwein  und  Hund  finden 
sich  in  den  Wohnresten  dieses  Zeitabschnittes.  Dazu  tritt  Bodenanbau  neben 
die  Ernte  von  Strauch-  und  Baumfrüchten:  mehrere  Getreidearten,  Erbsen, 
Eicheln,  Bucheckern,  Haselnüsse,  Kernobst,  Beeren  und  Lein  (für  Speise  und 
Gespinste)  zeigen  sich  in  Verwendung.  Jedenfalls  bestimmte  die  Vermehrung 
der  Bevölkerung,  wohl  auch  Zuwanderung  durch  die  Westwärtsbewegung  der 
indogermanischen   Völker    oder    nur    der    letzteren    Bedür&is    imd   Lebens- 

1)  Wir  unterlassen  es  in  diesem  Aufsätze,  die  Belege  und  Autoritäten  für 
solche  Angaben  beizusetzen,  da  wir  sie  in  einer  größeren  Arbeit  binnen  weniger 
Monate  ohnedies  anzufahren  haben  und  hier  der  Raum  gebricht. 


Züge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie.  365 

gewohnheit,  einiges  um  die  Wohnorte  her  zu  roden,  nachdem  die  natürliche 
Einschränkung  der  überfeuchten  Boden:flächen  solches  erleichterte.  Gewiß 
haben  die  bereits  mit  geförderten  Kulturmitteln  versehenen  Eeltenstämme 
den  Bodenanbau  über  die  ersten  tastenden  und  engbegrenzten  Versuche  hinaus 
kräftig  ausgedehnt,  wenn  sie  auch  noch  selbst  mit  Stein-  und  Holzgeräten 
lange  Zeit  gearbeitet  haben,  und  wenn  es  zutreffen  sollte,  daß  sie  erst  von 
Südosten  und  Südwesten  her  mit  Metall  wäre  bekannt  wurden.  Im  Norden 
des  Tieflandes  freilich  wurde  der  nutzbare  Boden  zugleich  wieder  eingeschränkt, 
wo  die  Flüsse  in  Folge  des  träge  gewordenen  Laufes  bei  beträchtlicherer  Zu- 
führung von  Transportmaterial  ihre  Sohle  aufschütteten,  starke  Inundationen 
veranlaßten  und  das  Grundwasser  da  und  dort  sich  etwas  erhöhte.  Yer- 
moorungen  und  Überdeckung  Ton  vorher  sumpfartigen  Strichen  durch  auf- 
geschwenmite  Schichten  zeugen  hiervon  da  und  dort  in  Talniederungen. 
Die  auch  in  morastigem  und  anmoorigem  Boden  gedeihende  Eiche  erlangte 
die  Vorherrschaft,  später  erst  die  Buche,  was  der  Versorgung  der  Bevölkerung 
dienlicher  war  als  Eoniferenwald.  Das  landschaftliche  Aussehen  aber  ge* 
wann  besonders  zwischen  Weser  und  Rhein  durch  die  Anlegung  von  Ort- 
schaften der  Kelten,  deren  Seßhaftigkeit  auch  der  Einbürgerung  des  Pferdes 
und  neuer  Getreidearten  (Hafer,  Einkorn)  diente.  Einigen  Nachteil  erfuhr 
ohne  Zweifel  das  kulturelle  Aussehen  des  Landes  durch  die  Verdrängung 
der  Kelten  von  Seiten  der  Germanen,  welche  zwar  mit  dem  Ackerbau  bereits 
notdürftig  bekannt  waren,  aber  lieber  durch  Viehzucht  und  Jagd  ihren  Unter- 
halt beschafften.  Die  erstere  jedoch  stand  von  selbst  einer  Begünstigung 
der  Bewaldung  bei  jeder  Art  des  Weidens  entgegen.  Dieses  Westwandem 
der  Germanen  fand  etwa  um  400  statt;  wir  erachten  nicht  nur  die  Aus- 
wanderung der  Kelten  nach  Ober-Italien  als  eine  Wirkung  davon,  sondern 
auch  Pjtheas  fand  in  der  zweiten  Hälfte  des  vierten  Jahrhunderts,  daß  an 
der  von  ihm  besuchten  Nordküste  die  Bevölkenmg  östlich  der  Rheinmündungen 
eine  andere  war  als  bis  zu  diesen  von  Südwesten  her.  Zwischen  Weser  und 
Rhein  schlössen  sich  aber  immerhin  die  Ankömmlinge  an  die  Wohnweise  der 
Kelten  an  (Müllenhoff,  Meitzen).  So  zeigt  denn  Mittel-Europa  gegen  Ende 
unserer  Periode  eine  beträchtliche  Abwechslung  von  Laubwaldfiächen  mit 
kleinen  Agrikulturgemarkungen  in  den  südlichen,  keltisch  gebliebenen  Regionen, 
während  auch  Nord-Germanien  kräftige  Ansätze  zu  ähnlichem  Charakter  weit- 
hin aufwies.  Die  immerhin  noch  beträchtlich  feuchten  Boden-  und  Luft- 
verhältnisse  ftlhrten  ohne  Zweifel  in  niederschlagsreiohen  Jahrgängen  manche 
lokale  Überströmungen  und  für  kleinere  Flüsse  Verlegung  oder  Stauung  ihres 
Laufes  auch  in  Süd-Deutschland  herbei,  so  daß  neue  Vermoorungen  da  und 
dort  erfolgten  und  Waldreviere  ertränkten.  Aber  an  dem  Gresamtzustande 
ändert  dies  wenig.  Selbst  die  ohne  Deichbauten  belassenen  Nordseeküsten- 
striche  haben  durch  hereindrängende  Sturmfluten  nicht  mehr  gelitten  als 
noch  etwa  1000  Jahre  nach  dem  Ende  dieser  Periode.  Auch  der  Umstand, 
daß  die  Germanen  von  Anfang  an  im  Besitze  des  Eisens  gewesen  sein  werden 
oder  es  sofort  durch  die  Kelten  kennen  und  gebrauchen  lernten,  änderte  in 
Bezug  auf  die  häusliche  und  hinsichtlich  der  landwirtschaftlichen  Kultur  lange 
Zeit  hindurch  wenig.    Die  vorherrschende  Bewaldung  hinderte  zudem  das  engere 


366  Wilhelm  Götz: 

Zusammenschließen  der  Stämme,  welche  sozusagen  als  Ganstämme  ein  kräf- 
tigeres kulturelles  Zusammenwirken  vermissen  lassen,  weil  sich  ein  bewußtes 
Volkstum  noch  nicht  entwickelte. 

Diese  Zustände  bestimmen  wesentlich  die  anthropogeographische  Lage 
des  Ganzen.  Letzteres  erschiene  als  ein  Durchgangsland,  wenn  nicht 
Wald  und  Sumpf  diesen  Charakter  beträchtlich  ändern  würden.  Jedenfalls 
war  ihm  durch  diese  Landesbeschaffenheit  die  von  Ratzel  so  bezeichnete 
„Schwellen-"  und  ebenso  die  „Übergangslage"  mit  all  ihren  Nachteilen  und 
Gefahren  für  die  Anbahnung  einer  selbständigen  politischen  Bedeutung  er- 
spart, während  der  Beruf  der  Vermittlung  infolge  des  noch  mehr  rückständigen 
Kulturstandes  der  östlichen  Nachbarschaft  überhaupt  nicht  in  Betracht  kommen 
konnte.  Da  infolge  der  höheren  Kulturstellung  der  Völker  im  Westen  und  im 
transalpinen  Süden  die  Geschichtsseite  unseres  Gebietes  nach  diesen  Richtungen 
hin  gegeben  war  und  von  dort  her  die  meisten  menschlichen  Anregungen  zu 
weiterer  Änderung  des  Landesaussehens  kommen  mußten,  so  besaß  am  Ende 
dieser  Periode  das  meist  germanische  Mitteleuropa  in  seinen  Beziehungen  zur 
Kulturwelt  erst  die  Stellung  eines  Vorlandes,  noch  nicht  eine  anthropo- 
geographische „Randlage". 

Eine  wesentliche  Änderung  hierin  trat  ein  durch  die  Entwicklung  in 
der  zweiten  Periode  bis  1550  n.  Chr.  Eine  Trennung  dieses  Zeitraums 
durch  eine  Überschau  um  das  Jahr  1000  n.  Chr.  wäre  mit  der  umfassenden 
Kultivation,  welche  um  diese  Zeit  beginnt,  wohl  zu  begründen. 

Den  anscheinend  frühen  Anfang  dieser  oben  (S.  363)  gekennzeichneten 
Periode  rechtfertigt  wohl  die  Tatsache,  daß  damals  bereits  der  vorhandene  Land- 
raum einem  größeren  Teile  der  germanischen  Stämme  unzureichend  erschien: 
sie  wollten  großenteils  bei  vermehrter  Kopfzahl  die  Aufgabe  der  Rodung  and 
kulturellen  Mehrarbeit  nicht  auf  sich  nehmen,  nicht  einer  entsprechenden 
Bodenständigkeit  sich  hingeben.  Ln  nunmehrigen  Besitze  von  Eisenwaffen 
schritten  sie  zu  kampfbereiten  Umsiedlungen  und  Wanderungen,  welche  den 
Cimbemsturm,  das  Südwestwärtsdrängen  der  Sueben  und  die  Vertreibung  der 
Kelten  aus  Boierheim  mit  sich  brachten.  Zugleich  beginnen  statt  der  Gau- 
stämme infolge  der  Minderung  trennender  Markwälder  Volksstämme  auf- 
zutreten; die  in  ihren  Wohnsitzen  Verbleibenden  aber  bezeugen  eben  hierdurch 
zugleich  ihren  Entschluß,  die  festgehaltenen  Wohngaue  als  befriedigende  Heim- 
stätten nach  Bedarf  auch  durchgreifender  als  bisher  zu  kultivieren.  Diesen 
Bedarf  brachte  die  natürliche  Bevölkerungsmehrung  und  die  nun  eingeleitete 
nähere  Bekanntschaft  mit  begehrenswerten  Genußgütern  des  fortgeschrittenen 
Gallien  und  des  italischen  Außenhandels  rasch  genug.  Sowohl  die  Zusammen- 
fassung des  Volkes  in  die  Gemeinschaften  der  fünf  großen  Stämme  als  auch 
die  tätige  Bekanntschaft  zweier  derselben  (dazu  wie  vorher  auch  der  Friesen) 
mit  der  Seeschiffahrt  mußte  in  gleicher  Weise  anregend  wirken.  Das  Aus- 
wandern jener  Stämme  aber,  welche  das  Römerreich  stückweise  besetzten, 
führte  lediglich  für  den  Nordosten  zu  einer  Änderung,  indem  hier  für  die 
nachrückenden  Slaven  Raum  frei  wurde.  Sie  haben,  soweit  aus  mittel- 
deutschen Beispielen  ersichtlich,  durch  die  Dichte  ihrer  Dorfsiedlungen  keines- 
wegs den  Rodungsprozeß  zum  Stillstand  gebracht.     Wenn   derselbe  samt  der 


Züge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie.  367 

dann  beschlossenen  Kultivation  auch  etwa  im  Gebiete  der  Sachsen  sich  ver- 
langsamte und  im  obersten  Saale-  und  Muldegebiet  bis  um  nahezu  1200 
n.  Chr.  überhaupt  noch  nicht  in  Angriff  genonunen  wurde:  die  kulturelle  Zu- 
sammenfassung der  deutschen  Lande  durch  die  Frankenkönige  und  Karl  den 
Großen  und  namentlich  die  in  allen  Gauen  und  Hundertschaften  ansässig 
werdende  Kirche  brachte  eine  durchgreifende  Wandlung  in  der  Ausdehnung 
und  Bewertung  des  Kulturbodens.  Es  entstanden  immer  zahlreichere  Acker- 
gemarkungen entweder  als  Inseln  in  den  Forsten,  oder  sie  lösten  deren  Zu- 
sanmienhang  und  zogen  ihnen  wesentlich  engere  Grenzen.  Ungezählte  Dörfer, 
Weiler  und  Gehöfte  wurden  durch  Kapellen  und  Kirchen  sowie  durch  welt- 
liche Lehensherren  ins  Dasein  gerufen,  imd  damit  ihre  Feldmarkungen.  Da- 
durch, insbesondere  durch  die  erfolgenden  Entsumpfungen,  mußte  das  Klima 
in  Bezug  auf  Jahreswärme  gewinnen.  Zugleich  erhielt  das  Pflanzenkleid  Deutsch- 
lands viele  Bereicherung  durch  die  romanisch-christliche  Welt.  Die  Garten- 
kultur, der  Weinbau,  die  Einbürgerung  von  Zierpflanzen  in  den  Gärten  der 
Bitterschlösser  brachten  neue  Erscheinungen  über  das  ganze  Land.  Von 
Osten  war  im  fünften  Jahrhundert  der  Hanf  gekonunen,  später  der  Hopfen. 
An  Stelle  der  primitiveren  Ackerwirtschaft,  welche  die  Felder  im  einen  Jahre 
besäte,  im  andern  brach  liegen  ließ,  trat  wahrscheinlich  im  11.  Jahrhundert 
die  Dreifelderwirtschaft,  zumal  der  steigende  Luxus  des  Adels  und  die  aus- 
giebige Bossehaltimg  aller  Berufsklassen  und  die  Einführung  der  Natural- 
abgaben der  Grundholden  vor  allem  dem  Körnerbau  eine  mächtige  Entwick- 
lung brachte.     Dies  alles  nahm  zu  bis  an  das  Ende  unserer  Periode. 

Dazu  konmit  die  bedeutende  Änderung  im  Landesaussehen,  welche  man 
den  werdenden  Städten  verdankt:  Waren  sie  auch  bis  etwa  1500  zumeist 
nur  von  2 — 12  000  Seelen  bewohnt,  so  sind  sie,  abgesehen  von  den  Bhein- 
und  Donauufem,  doch  fast  überall  eine  ganz  neue  Erscheinung  seit  dem 
Ende  der  Karolingerzeit,  und  es  verstärkten  sich  in  ihnen  zunächst  alle 
Faktoren,  durch  welche  die  Landeskultivierung  gefördert  wird.  Welch  neue 
landschaftliche  Erscheinung  brachte  schon  allein  das  jeweilige  Ortsbild  I  Eine 
eminente  Bereicherung  im  Aussehen  Deutschlands  neben  den  tausenden  von 
Burgen  und  den  allerdings  erst  im  15.  Jahrhundert  zu  ihrer  Vollzahl  ge- 
langenden Klöstern! 

Im  Vergleich  zu  dieser  vom  Menschen  herbeigeführten  Wandlung  der 
geographischen  Landesbeschaffenheit  erscheinen  freilich  diejenigen,  welche 
die  Natur  von  selbst  brachte,  sparsam  und  vereinzelt,  wenigstens  soweit  sie 
berichtet  werden  und  unzweifelhaft  sind.  Im  wesentlichen  sind  es  ja  fast 
nur  die  Gewässer,  welche  hier  in  Frage  kommen.  Die  großen  Flüsse  wie  so 
manche  kleinere  verlegten  in  diesem  bedeutenden  Zeitraum  einzelne  Strecken, 
änderten  ihre  Mündungen  und  erweiterten  in  Abschnitten  schwächeren  Gefälles 
die  Breite  ihres  Hochwasserbereiches.  Mußte  doch  die  so  ausgiebige  Ab- 
holzung  aller  gehobenen  Waldstriche  die  Größe  der  Hochwasser  vermehren, 
so  daß  z.  B.  unzweifelhaft  der  Oberrhein  seine  Schotter  und  Geschiebe  beider- 
seits des  normalen  Strombettes  breiter  ablagerte  als  Mher.  Darum  ist  im 
Mittelalter  kein  einziges  Städtchen  am  Rheine  selbst  von  Basel  bis  Germers- 
heim   entstanden,    und   noch   heute    finden  wir    außer  Straßburg    auch    alle 


368  Wilhelm  Götz: 

kleinen  Städte  mehrere  Kilometer  vom  Ufer  dieser  Strecke  abgelegen.  Verlegungen 
des  Rheines  kamen  damals  in  der  nördlichen  Bheinprovinz  and  im  Delta  vor,  wie 
auch  zweifelsohne  schon  in  dieser  Periode  bei  der  Elbe  nahe  Magdeburg,  der 
Weichsel  bei  Pordon.     Die  Entstehung  der  drei  Buchten   Südersee,  Dollart 
und  Jade  vom  13. — 16.  Jahrhundert  ist  bekannt.     Merkwürdig  erscheint  es, 
daß  höchst  wahrscheinlich  noch  wfthrend  der  Karolingerzeit  die  Nordseeküste 
den  Sturmfluten  schutzlos  preisgegeben  war,  und  daß  man   auch  dann  nur 
niedrige  Deiche  anlegte,  was  ja   eben  vor  allem  die  Dollartkatastrophen  so 
leicht   eintreten  ließ.     Wohl   der  gleiche  Quietismus   wird   für   die   schweren 
Verluste  an  den  Inseln  der  Westküste  Schleswigs  die  Schuld  tragen,  weniger 
die  lockere  Beschaffenheit  ihres  Materials.     Der   Beichtum    an   Teichen    und 
Seen  im  Binnengebiete  ging  zwar  nur  mäßig  zurück,  zumal  die  Geistlichkeit 
nicht  wenige  neue  Fischweiher  von  Belang  entstehen  ließ;  aber  die  beträcht- 
lichen Marktpreise,  deren  z.  B.  der  Heringsimport  sich   erfreute,   deuten  uns 
doch  an,   daß  die  natürlichen  Fischbassins  aufhörten,  der  Nachfrage  zu  ge- 
nügen, gewiß  auch  deshalb,  weil  sie  an  Zahl  und  umfang  immerhin  abnehmen 
mußten.     Allerdings  war  ja  derlei  Nachfrage  in  der  trotz  furchtbarster  epi- 
demischer Krankheiten  (bis  Ende  des  14.  Jahrhunderts)   sehr  gehobenen  Be- 
wohnerzahl und  dem  mit  ihr  schritthaltenden  Wohlstand  der  Städte  begründet. 
War   doch   das  Volk  der  Deutschen   samt  etlichen  nichtdeutschen  Nacbbar- 
völkem    zu  einem   Reiche  verbunden   worden,  in   welchem   sowohl  durch  die 
geistlichen  und  fürstlichen  Höfe  als  durch  das  Städtebürgertum  Gewerbe  und 
Kunstgewerbe  und  der  auswärtige  Handel  auf  die  vorderste  Stufe  in  Europa 
gehoben  wurden.     Dies  und  bedeutende  politische  und  kulturelle  Wandlungen 
in  der  Nachbarschaft  fOhrten  die  wesentlich  neue  Lage  des  mittel-europäischen 
Staatsganzen  herbei. 

Diese  Lage  war  nun  anthropogeographisch  zentral  geworden.  Die 
Zusammenfassung  zu  einem  Gesamtvolke  und  Staate  mit  fester  Einwurzelung 
aller  Teile  in  den  Boden  hatte  eine  starke  Vervielfältigung  der  produktiven 
und  militärischen  Kraft  zur  Folge.  Das  Reich  der  Deutschen  gliederte  sich 
abhängige  Länder  an  und  erreichte  die  vorhin  bezeichnete  wirtschaftliche 
Aktivität.  Von  hier  aus  fand  der  bedeutendste  Ausfuhrhandel  statt;  hier 
erblühten  die  zahlreichsten  größeren  Städtegemeinwesen.  Besonders  nach  Osten, 
Norden  und  Westen  dehnte  sich  das  Marktgebiet  dieser  mitteleuropäischen 
Arbeitsleistungen  aus.  Die  mittels  der  christlichen  Kultur  emporgehobene 
Gesittung  der  Ostländer  und  des  Nordens,  lange  Zeit  auch  von  der  deutschen 
Kirche  abhängig,  machte  dieselben  kaufkräftig,  jedoch  zugleich  zu  politisch- 
militärischen Nachbarn  von  Bedeutung.  Aber  jedenfalls  war  man  weder  in 
England  noch  im  slavischen  und  magyarischen  Osten  auf  die  gleiche  Stufe 
der  Bodennutzung  und  der  städtisch-gewerblichen  Produktion  gelangt.  Ins- 
besondere hatte  das  Volk  Deutschlands  auch  eine  wirksame  Meereslage 
erlangt  und  damit  alle  die  Vorteile  für  die  geistige  Spannkraft,  die  Schulung 
des  Blickes,  die  Exportproduktion  u.  dgl.,  wie  dies  der  Seeverkehr  eines 
Mittelmeeres  und  eines  Randmeeres,  nämlich  der  Ost-  und  der  Nordsee, 
bringen  mußte.  Die  volle  ünbekanntschaft  der  nichtfriesischen  Stämme  mit 
T  Schiffahrt   sehen  wir  am  Anfange;    aber  durch  die   Seeraubfahrten  der 


Züge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie.  369 

Sazen  und  Franken  hindurch  gelangt  die  Entwicklung  allmählich  bis  zur 
Hansa  mit  ihrer  Ausbreitung  deutscher  Handelskolonien  von  Londons  Stahl- 
hof bis  zum  Quartiere  von  Nowgorod.  Die  Willigkeit  zur  Anteilnahme  an 
neuen,  größeren  Schiffahrtskursen,  wie  sie  Columbus  und  Vasco  da  6ama 
brachten,  war  jetzt  auch  in  weiteren  Kreisen  des  deutschen  Handelsstandes 
bis  nach  Ulm  und  Augsburg  wohl  vorbereitet. 

Die  dritte  Periode  von  1550—1900  (S.  363)  erscheint  allerdings 
gegenüber  der  zweiten  kurz  bemessen;  allein  die  Länge  der  letzteren  ist  ja 
nur  eine  Folge  der  Zusammenfügung  von  zweien.  Jedenfalls  aber  ist  seit 
dem  16.  Jahrhundert  genug  im  Aussehen  unseres  Landes  verändert  worden, 
um  die  Selbständigkeit  dieser  neuzeitlichen  Periode  begründet  zu  machen. 

Im  Norden  wurde  die  Küstenzone  infolge  der  entwickelten  Meeres- 
kenntnis und  Tätigkeit  zur  See  von  den  Territorialgewalten  der  neuzeitlichen 
Ordnung  ernstlich  gegen  die  Fluten  gesichert.  Die  Marschen  erhielten  des- 
halb jetzt  als  weit  wertvollerer  Boden  landwirtschaftliche  Kultur,  und  im 
19.  Jahrhundert  beginnt  die  erfolgreiche  Wiedereroberung  verlorenen  Gebietes 
an  der  Westküste  beiderseits  der  Eider,  wie  in  Holland  die  große  Bucht 
,yHarlemer  Meer"  zu  Festland  verwandelt  wurde  und  die  Südersee  es  größten- 
teils bald  sein  wird.  Freilich  brachte  man  erst  im  letzten  Jahrzehnte  die 
Verschiebung  der  ostpreußischen  Nehrungen,  dieser  Dünenzüge,  zum  Auf- 
hören. —  Ln  norddeutschen  Flachlande  erfuhren  die  noch  immer  sehr  ver- 
breiteten Moore  eine  ausgiebiege  Umänderung.  Es  hängt,  der  natürliche 
Faktor  dieses  Vorganges  ursächlich  mit  der  forstlichen  Wandlung  zusammen. 
Hier  geschah  zweierlei:  die  Laubwälder  wurden  großenteils  abgeschwendet 
und  die  rascher  wachsenden  Koniferen  an  ihrer  Stelle  verbreitet,  zum  teil 
auch  wegen  der  besonders  gesuchten  Harzgewinnung;  aber  so  manche  Bücken 
und  Berge  blieben  nach  dem  Kahlhiebe  oben  dauernd  kahl,  wie  die  vordem 
buchenbedeckte  Bhön,  der  Vogelsberg  und  das  Hohe  Venu.  Andrerseits  wurde, 
abgesehen  von  der  allerdings  sehr  fühlbaren  Gegenbewegung  infolge  des  Ver- 
schwindens  vieler  Dörfer  im  30jährigen  Krieg,  sowohl  vorher  als  nachher  in 
der  Verwandlung  des  Waldbodens  zu  Ackerland  kräftig  fortgefahren,  da  sich 
die  Ansaat  mit  Handels-,  Genuß-  und  Nahrungspflanzen  immer  lohnender 
gestaltete.  Dies  zuerst  bis  in  die  ersten  Jahre  des  30jährigen  Kriegs;  dann 
förderte  hierin  seit  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  besondei*s  die  beginnende 
Volkswirtschaft  der  landesfürstlichen  Begierungen.  Die  Verbreitung  von 
Ackerland  und  die  Beseitigung  von  Wald  diente  zweifach  dem  Einflüsse  des 
Windes.  Weit  mehr  als  vorher  vermochte  er  nämlich  nun  Staub  und  kleine 
andere  Partikel  des  Bodens  zu  erfassen  und  über  das  Flachland  auszustreuen. 
Vor  allem  auf  nassem  Boden  wurde  dies  wichtig,  von  wo  keine  nachstoßende 
Windwelle  das  Deponierte  bald  Mrieder  weitertransportieren  kann.  Die  Ver- 
wandlung von  Sümpfen  in  Moore  und  die  von  Mooren  in  anmoorigen  Boden 
war  die  notwendige  Folge,  letzteres  in  allen  seichteren  Moorlagen.  Dazu 
kam  des  Menschen  Arbeit  in  so  manchen  Niederungen,  teils  von  Staats  wegen, 
wie  die  Oderbruchregulierung  des  18.  Jahrhunderts,  die  des  Donaumooses,  die 
am  Pregel,  teils  infolge  der  Strebsamkeit  des  einzelnen,  wie  die  große  Um- 
gestaltung in  den  Niederlanden,  in  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 


370  Wilh.  Götz:  Züge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie. 

aber  in  Norddeutschland  eine  wachsende  Zahl  freundlicher  Dörfer,  welche  in 
kultiviertem  Ackerland  an  Stelle  bisheriger  Moore  neben  unbesiedelteren  kulti- 
vierten Neulandstrichen  sich  erheben. 

Eine  andere  Belebung  und  nützliche  Bereicherung  erfuhr  die  Nutzung 
des  Kulturbodens  durch  Gewächse,  welche  die  neuentdeckte  West-Welt  zufQhrte. 
Der  Anbau  von  Tabak,  die  Ausbreitung  der  Kartoffel,  ohne  welche  ja  die 
heutige  Volksdichte  Deutschlands  nicht  denkbar  wäre,  von  Kolbenhirse,  Mais, 
Topinambur  zeugen  vom  Einfluß  Amerikas  auf  unsere  Ackerpflanzungen.  Auch 
das  Vordringen  der  Türken  führte  wichtige  neue  Crewächse  zu.  Wohl  schwand 
die  Ausdehnung  der  Weinkultur  sehr  bedeutend  und  fast  allenthalben,  selbst 
noch  in  der  zweiten  Hälffce  des  19.  Jahrhunderts  (z.  B.  am  unteren  Main); 
aber  die  erfolgreichste  Bedeckung  einzelner  Striche  mit  Hopfen,  besonders  in 
Franken,  brachte  Ersatz.  —  Mit  der  Vergrößerung  der  Territorialherrschaften 
und  der  Verminderung  ihrer  Zahl  mehrte  sich  die  schützende  und  fürsorgende 
Anregung  des  Bodenanbaues  und  damit  dessen  Mannigfaltigkeit.  Hiermit 
hängt  aber  wesentlich  auch  die  Bekämpfung  der  Flußverwilderung  und  ihrer 
üferlandzerstörung  zusammen,  wie  solche  am  Oberrhein  schüchtern  noch  im 
18.  Jahrhundert  begonnen  wurde,  weiterhin  an  der  Ems  und  im  zweiten  Teil 
des  19.  Jahrhunderts  an  allen  großen  Flüssen.  Die  Vergrößerung  der  nutz- 
baren Bodenfläche  ist  nur  eine  der  nächsten  Wirkungen  hiervon.  Aber  auch 
die  schwächere  Wasserführung  und  der  Verlust  oberer  Laufstrecken  vieler 
Nebengewässer  steht  außer  Zweifel.  Bei  der  größeren  Plumpheit  der  Last- 
kähne jener  Zeiten  war  ein  entsprechender  Tiefgang  von  selbst  gegeben.  Es 
ist  z.  B.  unmöglich,  die  heutige  Wasserführung  der  Vils  nächst  Amberg  als 
genügend  fär  einen  Lasibooteverkehr  zu  Berg  anzusehen,  während  sie  doch 
im  17.  Jahrhundert  zureichte,  ganz  ähnlich  wie  die  der  Naab  bis  in  die 
Waldnaab  aufwärts.  Letzteres  Beispiel  führt  noch  zu  einem  solchen  in  anderer 
Richtung.  Denn  die  Naab  hat,  wie  ohne  Zweifel  andere  sammelnde  Flüsse, 
durch  das  Aufhören  der  Zufuhr  von  Quellbächen  dauernd  verloren.  Der  im 
Fichtelgebirge  östlich  des  Ochsenkopfes  noch  im  17.  Jahrhundert  vorhandene 
Fichtelsee  nämlich  hörte  auf  zu  existieren,  wodurch  die  Fichtelnaab  einen 
Zubringer  verlor;  jener  See  eratarb,  da  die  seitlich  ihm  vorher  zufließenden 
Sickerwasser  ausblieben.  Daß  auch  in  anderen  Gegenden  Bäche  heute  unter- 
halb ihrer  obersten  Binnsalfurche  beginnen,  und  daß  dies  zum  Teil  erst  seit 
wenig  Jahrhunderten  der  Fall  sei,  sagen  außer  mündlichen  und  deshalb  doch 
auch  großenteils  verlässigen  Berichten  der  Ortsbewohner  namentl^  so  manche 
Positionsblätter  der  topographischen  Landesaufnahmen  deutlich  genug. 

Eine  besondere  Belebung  ihres  mannigfaltigen  Eindrucks  erhielten  die 
deutschen  Landschaften  durch  das  Aufkommen  fester  Landstraßenkörper, 
welche  gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  von  den  modernen  Staatsverwal- 
tungen zu  bauen  begonnen  wurden.  Welch  mannigfaltige  Änderungen  des 
Aussehens  der  Gegenden,  sowohl  hinsichtlich  der  Ansiedlungen  als  durch  ein- 
zelne Bauleistungen  für  den  Schienenweg,  die  Eisenbahnen  bewirkten,  dies 
genauer  zu  zeigen,  vermöchte  nur  eine  größere  Sonderarbeit.  Ganz  wesentlich 
aber  hat  die  moderne  Lidustrie  imd  die  von  ihr  unmittelbar  und  mittelbar 
e wirkte  machtvolle  Entwicklung  des  Städtebaues  und  der  Neuschöpfung  von 


Albrecht  Penck:  Neue  Ali)enkarten.  371 

kleineren  St&dten,  Märkten  und  anderen  Orten  eine  Wandlang  in  den  sicht- 
baren Znstand  der  nächstbeteiligten  Grebiete  gebracht.  Die  durch  beide  große 
Errungenschaften  veranlaßten  Flußlaufänderungen,  Steinbruchanlagen,  Berg- 
werksaufschüttungen, Talüberquerungen  u.  s.  w.  erscheinen  nur  im  einzelnen 
als  geringfügig,  bilden  aber  durch  ihre  Zahl  und  Verbreitung  eine  Vorgangs- 
summe von  Bedeutung  für  die  geographische  Landesgeschichte.  Dagegen  hat 
das  19.  Jahrhundert  nur  eine  geringe  Zunahme  der  Abforstung  erlaubt; 
denn  dasselbe  staatliche  Walten,  welches  durch  seine  Beeinflussung  des  indu- 
striellen Erwerbslebens  dessen  moderne  Anlagen  und  dessen  Änderungen  so 
begünstigte,  befleißigte  sich  namentlich  von  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts an,  die  noch  vorhandene  Walddecke  gegen  Einschränkungen  zu 
schützen,  da  diese  in  zunehmend  schlimmen  Folgen  sich  äußern  müßten. 

Freilich  vermochte  bis  zuletzt  die  fürsörgende  Tätigkeit  des  Staates  die 
Verluste,  welche  unser  Gesamtgebiet  in  Bezug  auf  seine  Lage  erlitt,  nicht 
gut  zu  machen. 

Noch  im  16.  Jahrhundert  traten  die  weitgreif endsten  Verluste  in  der 
Meereslage  ein.  Denn  die  Niederlande,  welche  mit  den  unentdeckten  Ländern 
jenseits  des  Ozeans  in  regen  Beziehungen  standen,  wurden  von  dem  Zusanmien- 
wirken  des  deutschen  Staatsganzen  losgelöst,  so  daß  letzterem  die  Vorteile  jener 
Aufschließung  einer  neuen  Produktionswelt  vorenthalten  wurden.  Und  doch 
hätte  Deutschland  seine  bisherige  Vorzugsstellung  auch  mit  Hinzunahme  der 
Niederlande  nur  mit  Mühe  behaupten  können.  Aber  die  vernichtende  Flutwelle 
des  30jährigen  Krieges  vertausendfachte  den  Schaden,  welchen  die  Amputation 
des  Bhein-  und  Scheldeästuariums  gebracht  hatte.  Erst  das  letzte  Dritteil  des 
19.  Jahrhunderts  führte  zu  einer  beträchtlichen  Besserung,  ohne  daß  jedoch 
die  beiden  mittel-europäischen  Großstaaten  in  Bezug  auf  ihre  Produktionsmittel 
den  Vorsprung  der  ungestörter  fortgeschrittenen  einholten.  Erstere,  vor  allem 
das  Deutsche  Reich,  befindet  sich  daher  jetzt  nur  in  einer  Zwischenlage. 
Es  schließt  sich  nämlich  im  Osten  der  wesentlich  in  Naturproduktion  tätige 
Nachbar  wie  politisch  so  auch  wirtschaftlich  fremd  ab;  der  westliche  An- 
grenzer  steht  uns  industriell  gleich  und  hat  reichere  Geldmittel  zu  Unter- 
nehmungen und  zur  Gewaltanwendung;  überlegen  der  Nachbar  jenseits  der 
Nordsee.  Dadurch  wurde  die  centrale  Stellung  aufgehoben,  welche  das  Land 
in  der  vorigen  Periode  einnahm,  und  nur  eine  durch  schwierigen  Wettbewerb 
gekennzeichnete  Zwischenlage  innerhalb  der  uns  unschwer  beengenden  Gebiete 
erscheint  auf  lange  Zeit  als  gegeben.  (Schluß  folgt.) 


Neae  Alpenkarten. 

Von  Albreoht  Fenck  in  Wien. 

9.  Über  Geländedarstellnng  des  Hochgebirges  (Sohloß). 

Wenden  wir  uns  nach  den  Darlegungen  über  die  praktische  Verwend- 
barkeit der  senkrechten  und  der  schrägen  Beleuchtung  einer  Erörterung  der 
theoretischen  Richtigkeit  der  nach  ihnen  durchgeführten  Schattierung  zu. 
Wir  können  dabei  vom  bekannten   Lambertschen  Gesetze  ausgehen,   wonach 


372  Albreoht  Penck: 

die  Beleuchtungsstärke  eines  Flächenelementes  hei  unendlich  großer  Entfernung 
der  Beleuchtungsquelle  proportional  dem  Cosinus  des  Einfallswinkels  zwischen 
Lichtstrahl  und  Flächennormalen  ist,  welches  Gesetz  nach  Christian  Wiener^) 
der  Wahrheit  am  nächsten  kommt,  sobald  es  sich  um  vollkommen  matte 
Oberflächen  handelt.  Eine  solche  hat  zwar  die  Erdoberfläche  nicht,  sie  hat 
nicht  das  Aussehen  von  Gips  oder  mattem  Silber;  aber  wir  müssen,  wenn 
wir  nicht  das  Problem  komplizieren  wollen,  von  der  Voraussetzung  der  voll- 
kommen matten  Oberfläche  ausgehen,  welche  keine  Glanzpunkte  besitzt,  in 
denen  sich  das  Licht  spiegelt.  Da  nun  nach  Wiener  (a.  a.  0.  S.  399)  die 
Helligkeit  eines  Flächenelementes,  sobald  wir  von  der  Lufbperspektive  ab- 
sehen, unabhängig  vom  Austrittswinkel  der  Lichtstrahlen  ist,  so  können  wir 
die  Helligkeit  einer  topographischen  Oberfläche  gleich  ihrer  Beleuchtungs- 
stärke setzen.  Hieraus  folgt,  daß  die  Helligkeit  eines  senkrecht  beleuchteten 
Stückes  der  Erdoberfläche  proportional  dem  Cosinus  des  Böschungswinkels 
seiner  einzelnen  Flächenelemente  ist;  bei  schräger  Beleuchtung  ist  die  Hellig- 
keit der  Oberflächenelemente  hingegen  abhängig  von  ihrer  Böschung  und  ihrem 
Streichen,  sowie  vom  Einfallswinkel  der  Lichtstrahlen,  wie  von  W.  Wiechel*) 
ausführlich  dargelegt  worden  ist. 

Keine  der  nach  schräger  Beleuchtung  entworfenen  Karten  befolgt  strenge 
die  sich  heraus  ergebende  Helligkeitsskala.  Es  wird  in  der  Kegel  darauf 
verzichtet,  die  senkrecht  zu  den  Lichtstrahlen  gestellten  Böschungen,  also, 
bei  der  üblichen  Beleuchtungsweise,  die  unter  45*^  nordwestlich  fallenden  ganz 
hell,  und  die  unter  gleichem  oder  steilerem  Winkel  entgegengesetzt  fallenden 
ganz  dunkel  zu  machen;  auch  werden  die  Ebenen  nicht,  wie  es  geschehen 
sollte,  schattiert.  Wird  dazu  der  übliche  Wechsel  in  der  Richtung  der  Be- 
leuchtung genommen  und  erwogen,  daß  man  mit  wenigen  Ausnahmen  nur 
den  Eigenschatten,  nicht  auch  den  Schlagschatten  der  Formen  zur  Darstel- 
lung bringt,  so  erkennt  man,  daß  die  gewöhnliche  Geländeschattierung  nach 
schräger  Beleuchtung  sich  sehr  weit  von  den  Regeln  der  darstellenden  Geo- 
metrie entfernt.  Aber  noch  viel  mehr  geschieht  dies  in  den  nach  senkrechter 
Beleuchtung  schattierten  Karten:  in  den  meisten  Werken,  die  auf  Lehmann- 
schen  Prinzipien  beruhen,  wird  die  Schattierung  nicht  zum  Sinus  des 
Neigungswinkels,  sondern  zu  diesem  selbst  in  Beziehung  gebracht  Die 
sanfteren  Böschungen  werden  unverhältnismäßig  stark  schattiert,  und  an  Stelle 
einer  gesetzmäßigen  Abnahme  der  Beleuchtung  mit  zunehmender  Böschung 
tritt  ein  rein  willkürliches  Schema.  Dadurch  kann  man  wohl  erzielen,  daß 
dieselben  Böschungen  auf  der  nämlichen  Karte  stets  mit  gleichem  Schatten 
erscheinen;  aber  je  nach  der  Wahl  dieses  Schemas  —  jedes  größere  Karten- 
werk hat  seine  eigene  Schattenskala  —  fallen  die  Kartenbilder  verschieden 
anschaulich  aus;  es  geht  die  optische  Vergleichbarkeit  der  einzelnen  Karten- 
werke verloren,  was  für  den  Gebrauch  von  größter  Bedeutung  ist 

Daß  ein  solch'  willkürliches  Schema  allenthalben  an  Stelle  eines  streng 
geometrisch  durchführbaren  Verfahrens  getreten  ist,  liegt  in  dem  Unvermögen 

1)  Lehrbuch  der  darstellenden  Geometrie  I.    Leipzig.    1884.    S.  397, 

2)  Theorie  und  Darstellung  der  Beleuchtung  von  nicht  gesetzmäßig  gebildeten 
Flächen  mit  Rücksicht  auf  die  Bergzeichnimg.    Civilingenieiur  XXIV.    1878.    8.  S35. 


Neue  Alpenkarten.  373 

der  senkrechten  Beleuchtung,  die  für  den  Menschen  wichtigen  Formen  der 
Erdoherfläche  überhaupt  zur  Darstellung  zu  bringen.  Jeder  Bergsteiger  weiß, 
daß  eine  Landschaft  bei  hohem  Sonnenstande  von  oben  gesehen  kein  „Belief  ^ 
mehr  zeigt.  Gleiches  ist  der  Eindruck  von  Ballonfahrern;  Photographien  der 
Erdoberfläche  bei  hohem  Sonnenstande  vom  Ballon  aus  aufgenonmien  lassen 
nicht  mehr  die  einzelnen  Böschungen  erkennen,  sondern  zeigen  die  natürlichen 
Farben  des  Geländes.  Das  kann  nicht  anders  sein,  sobald  man  berücksich- 
tigt, daß  der  cos  25^  =  0.9  ist,  d.  h.  eine  nahezu  unter  dem  natürlichen 
Böschungswinkel  ansteigende  Fläche  (steiler  geneigte  sind  auf  der  Erdober- 
fläche immer  nur  Ausnahmen,  da  sie  sich  in  einem  labilen  Zustande  befinden) 
ist  noch  schwächer  beschattet,  als  nach  der  Lehmannschen  Skala  eine  unter  5^ 
ansteigende,  nämlich  die  des  schwächst  beschatteten  Grades.  Das  gänzliche 
Unvermögen  der  nach  strengen  Regeln  durchgeführten  senkrechten  Beleuchtung 
erhellt  am  schlagendsten  durch  Betrachtung  eines  senkrecht  beleuchteten 
Reliefs^);  es  wird  niemandem  in  den  Sinn  konunen,  die  Photographie  eines 
solchen  als  Geländedarstellung  anzunehmen,  während  die  Photographien  von 
schräge  beleuchteten  Reliefs  recht  anschauliche  Karten  liefern.  Es  sei  in 
dieser  Beziehung  namentlich  auf  eine  „C^rte  phototypique  (muette)  de  la 
Suisse^  hingewiesen,  welche  das  Comptoir  min^ralogique  et  g^logique  suisse 
in  Genf  nach  dem  großen  Perronschen  Relief  (l :  100  000)  der  Schweiz  im 
Maßstabe  1 :  250000  (2  Blatt  16.50  frcs.)  und  1 :  500000  (1  Blatt  3.50  frcs.) 
in  den  Handel  gebracht  hat.  Sie  wirkt  ungemein  plastisch;  allerdings  ist 
auch  die  Gestaltung  der  Schweiz  für  Nordwestbeleuchtung  ungemein  günstig. 
Aber  auch  ein  neuestes  Werk,  G.  von  Pelikans  „Reliefkarte  der  Gr.  Glockner- 
gruppe 1:75000"  (Salzburg  1902),  nach  einem  Originalrelief  bearbeitet, 
wirkt  recht  anschaulich  und  auf  den  ersten  Blick  verständlich.  Das  wäre 
die  Photographie  eines  senkrecht  beleuchteten  Reliefs  nie.  Als  v.  Steeb 
auf  den  wechselnden  Eindruck  eines  Geländes  bei  verschieden  gerichteter 
schräger  Beleuchtung  durch  Photographien  eines  aus  verschiedenen  Richtungen 
schräge  beleuchteten  Reliefs  aufinerksam  machte,  um  damit  auf  gewisse  Nach- 
teile der  schrägen  im  Vergleiche  zur  senkrechten  Beleuchtung  hinzuweisen,  stellte 
er  den  schräge  beleuchteten  Reliefs  kein  senkrecht  beleuchtetes,  sondern  einen 
Ausschnitt  aus  der  Spezialkarte  mit  manierierter  Geländedarstellung  gegenüber. 
Die  strenge  durchgeführte  senkrechte  Beleuchtung  ist  aus- 
geschlossen für  eine  praktische  Geländedarstellung,  weil  sie  die 
geographisch  wichtigen  Abstufungen  des  sanfter  geböschten  Landes 
nicht  zum  Ausdrucke  zu  bringen  vermag.  Dafür  ist  kein  Ersatz,  daß 
sie  die  des  steileren  Gebirges  sehr  ersichtlich  macht  und  die  Böschungen 
von  über  60^  ebenso  abstuft  wie  die  unter  60^;  denn  die  steilen  Böschungen 
sind  doch  immer  nur  die  Ausnahmen  auf  der  Erdoberfläche. 


1)  Ich  pflege  dies  in  meinen  Yorlesungen  durch  ein  Relief  des  Trentino  zu 
demonstrieren,  das  im  Hörsaale  gegenüber  den  Fenstern  beweglich  angebracht  ist. 
Solange  es  senkrecht  beleuchtet  ist,  macht  es  gar  keinen  plastischen  Eindruck;  es 
wirkt  nur  durch  seine  Farben.  Wird  es  aber  so  gedreht,  daß  die  Lichtstrahlen 
schräge  auffallen,  so  wirkt  es  ungemein  kräftig  plastisch.  Bei  künstlicher  Be- 
leuchtung wird  dies  durch  deren  Wechsel  leicht  zur  Darstellung  gebracht 


374  Albrecht  Penck: 

Wenn  also  auch  die  senkrechte  Beleuchtung  uns  fOr  die  Oel&nde- 
darstellung  ausgeschlossen  erscheint,  so  möchten  wir  darum  doch  die  Leh- 
mannsche  Art  der  Kartenschattierung  ebenso  wenig  verwerfen,  wie  wir  die 
Dufours  nicht  aufgeben  wollen.  Liefert  sie  doch  praktisch  verwertbare  Er- 
gebnisse, liefert  sie  uns  doch  die  ftlr  viele  Zwecke  wichtige  Böschungstreue. 
Man  könnte  sich  über  ihre  theoretische  Unzulänglichkeit  vielleicht  dadurch 
hinwegsetzen,  dafi  man  sie  als  eine  konventionelle  Manier  bezeichnet,  welche 
das  geographisch  Wesentliche  in  dem  objektiven  Geländebilde  nach  dem  ganzen 
Gewichte  seiner  Wesentlichkeit  mit  dem  ganzen  Aufgebote  ihrer  optischen 
Ausdrucksfähigkeit  zur  Anschauung  bringt  und  damit  die  Geländeveran- 
schaulichung  in  gleiches  Niveau  rückt  wie  die  Verdickung  der  Flußläufe, 
die  auf  Übersichtskarten  notwendig  wird,  wie  die  Übertreibung  der  Straßen- 
breiten auf  Militärkarten.  Man  kann  sich  aber  auch  fragen,  ob  nicht  viel- 
leicht die  Lehmannsche  Schattierung  anders  als  bisher  theoretisch  begründet 
werden  kann. 

Es  schien  mir  einen  Augenblick,  als  ob  die  übliche  Lehmannsche  Schat- 
tierung verstanden  werden  könnte  unter  Annahme  diffuser  Beleuchtung,  näm- 
lich daß  das  ganze  Hinmielsgewölbe  die  Erdoberfläche  beleuchte.  Mein  ver- 
ehrter Freund  S.  Finsterwalder,  dem  ich  diese  Erwägung  mitteilte,  machte 
mich  aber  sofort  darauf  aufmerksam,  daß  die  Helligkeit  eines  Flächenelementes, 
das  von  einer  unendlich  fernen  Kugelfläche  beleuchtet  wird,  proportional  der 
Projektion  des  leuchtenden  Teiles  der  Kugel  auf  die  Ebene  des  Flächen- 
elementes ist.  Ist  das  Flächenteilchen  isoliert,  so  ist  seine  Helligkeit  daher 
nur  von  seinem  Böschungswinkel  a  abhängig  und  proportional  1  -f-  cos  o. 
Mit  anderen  Worten,  die  Helligkeitsabstufungen  sind  fOr  flachere  Böschungen 
noch  geringer  als  bei  der  wirklichen  senkrechten  Beleuchtung!  Das  lehrt 
folgende  Tabelle: 

Helligkeit  beleuchteter  Flächenelemente. 
Böschungen  0<>     10«      20«      SO*      40<>      60«      60«      70«      80«      90<» 

Beleuchtung  senkrecht        1     0.98     0.94     0.87     0.77     0.64    0.50     0.84    0.17     0.00 

„  diffus  l     0.99     0.97     0.98     0.88     0.82     0.76     0.67     0.69     0.6 

Dazu  kommt,  daß  in  einem  aus  verschiedenen  Flächenteilchen  zusammen- 
gesetzten Gelände  das  eine  dem  andern  difiuses  Himmelslicht  durch  Beschränken 
des  Horizontes  wegnehmen  wird,  was  namentlich  in  Tälern  der  Fall  ist. 
Eine  Geländedarstellung  mit  diffuser  Beleuchtung  würde  daher  nicht  bloß  noch 
schwächere  Abstufungen  zeigen,  als  die  nach  senkrechter  Beleuchtung,  sondern 
auch  auf  Böschungstreue  verzichten;  tief  eingesenkte  Böschungen  würden 
weniger  beleuchtet  sein  als  gleich  steile  exponierte.  Das  Kartenbild  würde 
durch  ktztei-es  allerdings  eine  Art  der  Plastik  gewinnen,  die,  weit  verschieden 
von  der  Lehmannschen  oder  der  schrägen  Beleuchtung,  möglicherweise  an- 
schaulich wirkt,  aber  praktisch  ungemein  langwierig  herzustellen  ist. 

Eine   andere  Überlegung   führt   zum   Ziele.     So   wenig   sich   sanfte  Bö- 
schungen bei    hohem   Sonnenstande   durch   den  Grad   ihrer  Beleuchtung   von 
einander  abheben,  während  sich  die  steilen  gerade  dann  von  einander  sondern, 
so  ist  es  bei  niedrigem  Sonnenstande  umgekehrt.     Kurz  vor  Sonnenuntergang 
eht    man  die    Felswände   des   Rosengartens  bei  Bozen  fast  gleichmäßig  hell 


Neue  Alpenkarten.  376 

leuchten,  obwohl  sie  in  den  oberen  Partien  erheblich  steiler  sind,  als  in  den 
tieferen;  dafCbr  heben  sich  die  verschieden  geneigten  sanfteren  Böschungen  des 
Porphyrplateaus  durch  ihre  verschiedene  Lichtstärke  recht  kräftig  von  ein- 
ander ab.  Dies  ist  ohne  weiteres  klar.  Befindet  sich  eine  Lichtquelle  genau 
im  Horizont«  einer  senkrecht  zur  Richtung  ihrer  Strahlen  streichenden  Er- 
hebung, so  werden  deren  Flächenelemente  nach  dem  Lambertschen  Gesetze 
proportional  dem  Sinus  ihres  Böschungswinkels  beleuchtet  sein.  Es  werden 
sich  die  Helligkeitsgrade  wie  folgt  gestalten: 

Böschung     0*     10*      20«      30<>      40«      60«      60«      70«      80«      90« 
Helligkeit     0     0.17     0.34     0.60     0.64     0.77     0.87     0.94     0.98     1.00 

Die  Abstufungen  dieser  Helligkeitsgrade  geschehen  für  die  sanfteren 
Böschungen  in  ähnlicher  Weise,  wie  die  Abstufungen  der  Lehmannschen  Schat- 
tierung und  der  nach  ihren  Prinzipien  entworfenen.  Namentlich  ist  die  Über- 
einstimmung mit  den  Abstufungen  der  Schatten  auf  der  bayerischen  topo- 
graphischen Karte  1 :  50  000  bis  zu  Böschungen  von  45®  eine  geradezu  über- 
raschende.    Endlich  ist  auch  die  Übereinstimmung  mit  den  Abstufungen  der 

Schattierung   von    nackten    Schichtlinieukarten,   sobald    bei   diesen  -r  (i  =  1 

wird,  bis  zu  Böschungen  von  20®  praktisch  vorhanden.  Das  alles  zeigt  nach- 
stehende Tabelle: 

Böschungen 0«      6«         10«        16«  20«        26«  SO«        46«  60« 

Helligkeit  bei  der  erwähnten 

Horiz.-Beleuchtung 0    0.087     0.174     0.269  0.342     0.428  0.600     0.707  0.866 

Schatten  nach  Lehmann  . .   0    0.111     0.222     0.338  0.444     0.666  0.666..  1.000  — 

Schatten  der  bayer  Karten  0   0.083.  .0.167.  .0.260  0.838.. 0.416  0.500    0.760  1.000 

Schattierung  der  Isohypsen  0   0.087    0.176     0.268  0.864    0.466  0.677     1.000  1.732 

Würde  man  eine  Karte  dermaßen  schattieren,  daß  man  sich  jedes 
Flächenteilchen  für  sich  durch  eine  Lichtquelle  beleuchtet  denkt,  die  in  der 
Ebene  seines  Horizontes  und  zwar  senkrecht  zu  seiner  Streichungsrichtung 
steht,  so  würde  man  ein  Geländebild  erhalten,  das  die  einzelnen,  praktisch 
bedeutsamen  flacheren  Böschungen  ähnlich  scharf  von  einander  hielte,  wie  es 
auf  den  topographischen  Karten  Bayerns  geschieht,  nur  daß  die  flacheren 
Böschungen  dunkel,  die  steileren  hell  wai*en.  Ein  gleiches  Geländebild  würde 
man  erhalten,  wenn  allseitig  aus  dem  unendlich  fem  gedachten  Horizonte  des 
Geländes,  also  zentripetal  Lichtstrahlen  auf  dieses  zustreben  würden,  wenn 
zugleich  angenommen  wird,  daß  kein  Flächen teilchen  das  andere  beschattet 
—  was  man  ja  auch  bei  der  schrägen  Beleuchtung  gewöhnlich  nicht  zuläßt  — 
und  ihm  die  ihm  zukonmienden  Strahlen  entzieht,  während  das  Flächenteilchen 
selbst  für  die  letzteren  undurchlässig  ist. 

Eine  nach  diesem  Gesichtspunkte  bearbeitete  Geländeschattierung  würde 
in  der  Hauptsache  einen  ähnlichen  Eindruck  machen,  wie  eine  solche  nach 
der  üblichen  senkrechten  Beleuchtung.  Aber  da  das  ebene  Land  schwarz  er- 
scheinen würde,  wäre  keine  Möglichkeit  vorhanden,  hier,  wo  es  am  nötigsten 
ist,  das  Kartenbild  zu  beschreiben,  solange  man  bei  dem  üblichen  Druckver- 
fahren bleibt  und  Schwarz  auf  Weiß  druckt  und  nicht,  wie  es  ja  auch* 
manchmal  geschieht,  Zeichnung  und  Schrift  im  Schwarzen  ausspart.  Wollte 
man  der  dargelegten  Art  der  Beleuchtung  Eingang  verschaffen,  so  müßte  man 


376  Albrecht  Penck: 

sich  gewöhnen,  die  gemeinhin  zur  Kennzeichnung  der  Beschattung  auf 
Karten  dienenden  Striche  oder  P^nkte  als  Symbole  der  Beleuchtung  zu 
nehmen,  was  unschwer  dann  möglich  ist,  wenn  man  sie  in  einer  in  die  Augen 
springenden,  rötlichen  Farbe  wiedergibt.  Hat  man  sich  daran  gewöhnt,  daß 
die  Geländeveranschaulichung  eine  Beleuchtung  darstellt,  so  wird  man  endlich 
in  einer  Kennzeichnung  der  Beleuchtung  durch  schwarze  Schatten  und  Punkte 
ebenso  wenig  Bedenken  finden,  wie  man  daran  Anstoß  nimmt,  auf  der  schwarzen 
Tafel  einen  Berg  mit  weißen  Kreidestrichen  zu  schattieren  und  in  den  am 
dunkelsten  gehaltenen  Partien  die  am  hellsten  beleuchteten  zu  erblicken.  Die 
nach  solchem  Gesichtspunkte  gezeichneten  Karten  nun  würden  im  großen  und 
ganzen  das  Aussehen  der  nach  der  Lehmannschen  Manier  schattierten  haben 
und  bis  ins  Hochgebirge  hinein  in  Bezug  auf  Oeländedarstellung  den  Blftttem 
des  bayerischen  topographischen  Atlas  gleichen.  Man  hätte  also  bloß  einen 
Wechsel  im  Kartenlesen  eintreten  zu  lassen,  um  in  den  meisten,  nach  Leh- 
mannscher Manier  schattierten  Karten  Darstellungen  zu  erblicken,  welche 
durchaus  nicht  in  dem  Umfange,  wie  es  zunächst  scheint,  der  geometrischen 
Begründung  entbehren.  Man  hätte  lediglich  zu  sagen:  in  dem  oder  jenem 
Maße  „beleuchtet'^  anstatt  „schattiert". 

Man  kann  also  die  Lehmannsche  Schattierung  für  die  praktisch  wichtigen 
Geländestufen  zurückführen  auf  eine  zentripetale  Seitenbeleuchtung,  welche 
uns  das  vor  uns  liegende  Gelände  etwa  so  zeigt,  wie  es  sich  ausnehmen 
würde,  wenn  die  Lichtstrahlen  von  unsem  Augen  ausgehen  würden,  und  so, 
wie  wir  es  tatsächlich  bei  Sonnenuntergang  sehen,  wenn  wir  den  Blick  auf 
die  senkrecht  zu  den  Strahlen  streichenden  Partien  beschiHnken.  Sie  zeigt 
uns  das  Gelände  vom  menschlichen  Standpunkte  aus,  und  darin  liegt  unseres 
Erachtens  der  Grund  für  die  allgemeine  Anwendbarkeit  der  Lehmannschen 
Schraffenskala,  daß  sie  uns  das  Gelände  von  solchem  Standpunkte  aus  yer- 
anschaulichi 

Bei  steileren  Böschungen  geht  aber  die  Übereinstimmung  zwischen  den 
Abstufungen  der  Lehmannschen  Skala  und  der  Sinusskala  der  zentripetalen 
Seitenbeleuchtung  verloren.  Während  nach  Lehmann  und  Nachfolgern  durch- 
weg gleichen  Helligkeitsabstufungen  gleiche  Winkel  entsprechen,  werden  letztere 
bei  der  Sinusskala  größer  und  größer.     Wir  zeigen  dies  gleichfalls  in  einer 

Tabelle. 

Lichtstärke: 
0     0.1        0.2         0.3         0.4         0.6         0.6         0.7         0.8         0.9         1.0 

Böschungswinkel: 
0*  6<>44'  11082'  17<>27'  28^86'  30«0'     86<>Ö2'  44<>2ö'  63<>8'     64*9'     90^ 
Winkelunterschiede  für  eine  Lichtstärke  0.1: 
ö<>44'     6<>48'    6*66'     6*8'       6*26'     6*62'     7*88'     8*48'  11*1'     26*61' 
Abgerundet: 
6*         6*  6*  6*  6*  7*  7*  9*        11*         26* 

Diese  Differenz  macht  sich  aber  erst  in  den  Böschungen  von  über  30® 
leicht  und  in  denen  von  über  44^25'  stärker  geltend,  um  dann  in  den  steilsten 
Böschungen  von  über  64^9'  sehr  stark  zu  werden.  Gerade  aber  für  steilere 
Böschungen  versagt  die  Lehmannsche  Skala  und  bedingt  zu  dunkle  Bilder. 
Hier  würde  ihr  die  der  zentripetalen  Seitenbeleuchtung  weit  überlegen  sein. 


Neue  Ali^enkarten.  377 

Daß  dabei  gleiche  Abstufnngen  in  der  Helligkeit  scUießlich  immer  größer 
werdenden  Differenzen  der  Böschungswinkel  entsprechen,  kann  nicht  schaden. 
Es  hat  keinen  praktischen  Wert,  das  schwer  oder  gar  nicht  gangbare  Gelände 
ebenso  fein  nuanciert  zur  Yeranschaulichung  zu  bringen,  wie  das  fahrbare 
und  leicht  gangbare. 

Man  könnte  vielleicht  gegen  die  Oeländeveranschaulichung  durch  zentri- 
petale Seitenbeleuchtung  einwenden,  daß  sie  die  Schattierung  des  Geländes  zur 
Charakteristik  von  seiner  Beleuchtung  verwende,  während  diese  sonst,  z.  B. 
bei  der  schrägen  Beleuchtung,  als  Symbol  von  seiner  Beschattung  gebraucht 
wird;  daß  also  dasselbe  Mittel  der  Darstellung  im  einem  Falle  als  Symbol 
des  Lichtes  gilt,  das  im  andern  eines  des  Schattens  ist.  Nichts  hindert 
uns  aber,  im  Sinne  unserer  obigen  Überlegung  auch  bei  der  Darstellung  nach 
schräger  Beleuchtung  die  Schattierung,  sobald  sie  einfarbig  ausgeführt  ist,  als 
Wiedergabe  verschiedener  Mengen  auffallenden  Lichtes  anzusehen,  so  wie  wir 
umgekehrt  beim  Zeichnen  auf  der  schwarzen  Tafel  die  Schattierung  mit 
weißen  Kreidestrichen  ohne  weiteres  als  Schattengebung  betrachten.  Sobald 
wir  uns  in  diese  von  der  herrschenden  abweichende  Vorstellung  eingelebt  haben, 
werden  uns  die  in  üblicherweise  gezeichneten  Karten  nicht  erscheinen  als  schattiert 
infolge  des  schrägen  Einfalls  von  Strahlen,  die  aus  Nordwesten  kommen, 
sondern  wir  werden  in  ihnen  die  Darstellung  verschieden  starker  Beleuchtung 
in  Folge  schräg  einfallenden,  aus  Südosten  kommenden  Lichteinfalles  er- 
blicken. Eine  solche  Auffassung  würde  auch  einen  Einwurf  beseitigen,  welcher 
oft  gegen  die  Natürlichkeit  der  schrägen  Beleuchtung  erhöben  worden  ist, 
indem  man  darauf  hinwies,  daß  sie  eine  in  der  Natur  unmögliche  Lage  der 
Lichtquelle  annehme:  Sobald  wir  die  Schattierung  als  ein  Symbol  für  Lichte 
quantitäten  nehmen,  erzielen  wir  die  höchste  plastische  Wirkung  unter  Vor- 
aussetzung einer  in  einer  natürlichen  Lage,  nämlich  im  Südosten  befindlichen 
'    Lichtquelle. 

Wir  beseitigen  eine  ganze  Beihe  von  Schwierigkeiten,  welche  der  theore- 
tischen Interpretierung  der  bisher  üblichen  Beleuchtungsmethoden  nach  Lehmann 
und  der  Dufour-Schule  erstanden,  sobald  wir  übereinkommen,  die  Schattierung 
nicht  als  Symbol  des  Lichtmangels,  sondern  direkt  der  Belichtung 
zu  nehmen.  Für  das  Kartenlesen  und  Kartenzeichnen  ist  ohne  weiteren 
Belang,  wenn  wir  von  einer  Lichtplastik  statt  einer  Schattenplastik  sprechen. 
Man  wird  fortfahren  können,  ähnlich  wie  bisher  einfarbig  zu  schummern  und 
zu  schraffieren,  nur  bei  steilen  Böschungen  werden  sich  gegenüber  der  Leh- 
mannschen  Manier  praktischen  Bedürfnissen  entsprechende  Änderungen  ergeben; 
denn  bei  der  schrägen  Beleuchtung  hat  man  ja  immer  davon  abgesehen,  die 
dunklen  Schatten  ausgiebig,  z.  B.  für  die  im  Eigenschatten  liegenden  Partien 
zu  verwenden.  Es  wird  auch  theoretisch  zulässig  sein,  schräge  Beleuchtung 
mit  der  zentripetalen  Seitenbeleuchtung  zu  kombinieren,  so  wie  es  der  Oberst 
Goulier^)  für  sie  und  die  senkrechte  vorgeschlagen  hat.  Auch  die  mehrfarbig 
schattierten  Karten,  wie  die  Schweizer  Reliefkarten,  können  als  lichtplastische 
gelten,    nur  halten   sie   an  der  herkömmlichen  Beleuchtung  von  Nordwesten 


1)  Berthaut,  La  Garte  de  France  U.   S.  226. 

Qeographitoh«  Z«itsohria  9.  Jahrgang.  1908.  7.  Heft  26 


378  Albrecht  Penck: 

her  fest,  mit  Ansnahme  der  neuesten  Karte  von  F.  Becker:  Die  oberitalie- 
nischen Seen  und  ihr  Exkursionsgebiet  1:150000  (Winterthur).  Becker 
beleuchtet  hier  das  Gelände  von  Süden  und  Osten  her,  er  gibt  den  nach 
diesen  Himmelsgegenden  gerichteten  Abdachungen  lichtere  Farben  als  den 
anderen  und  setzt  ihnen  von  etwa  1500  m  Höhe  an  ziemlich  grelle  Orange- 
töne auf,  denen  tiefer  herabreichende  blaue  Schatten  auf  den  andern  Seiten 
entsprechen.  Ist  das  erzielte  Bild  deswegen  auch  recht  grell,  so  vergewissert 
es  doch,  daß  auch  eine  von  Süden  konunende  Beleuchtung  bei  farbiger  Aus- 
führung plastische  Wirkung  zu  erzielen  vermag.  Bei  Karten  femer,  die  der 
Gel&ndeveranschaulichung  nur  einen  besonderen  Farbenton  widmen,  würde  es 
sich  empfehlen,  ihn  nicht  mehr  wie  bisher,  um  die  Schatten  anzudeuten,  grau 
oder  braun,  sondern  rötlich  zu  wählen.  Das  Aussehen  der  Kärtchen  in  Bae- 
dekers Reisehandbüchern  gibt  uns  die  Überzeugung,  daß  ein  solcher  Ton  für 
die  Geländedarstellung  recht  geeignet  ist. 

In  optischer  Hinsicht  sind  die  beiden  üblichen  Verfahren  der  Gelände- 
darstellung durch  Schummerung  und  Schraffierung  gleichwertig,  solange 
es  möglich  ist,  bei  entsprechender  Sorgfalt  durch  beide  genau  die  ge- 
wünschten Lichtabstufungen  zu  erzielen.  In  der  Originalzeichnung  ist  dies 
bei  entsprechender  Sorgfalt  der  Ausführung  möglich;  in  der  technischen  Re- 
produktion geht  aber  viel  verloren,  nicht  bloß  von  der  Zartheit  der  Schumme- 
rung, sondern  auch,  wie  Baron  v.  Hübl  gezeigt  hat,  von  der  Genauigkeit 
der  Schraffierung.  Im  Sinne  der  darstellenden  Geometrie  ist  aber  die 
Schraffierung  der  Schummerung  überlegen,  denn  sie  enthält  ein  wichtiges 
Element  zur  Charakteristik  des  Geländes,  nämlich  die  Gefällslinie.  Man 
kann  auf  dieselbe  verzichten,  wenn  die  Isohypsen  hinreichend  dicht  geschart 
verlaufen,  um  über  die  Richtung  der  Gefällslinien  keinen  Zweifel  zu  lassen. 
In  solchen  Fällen  beeinträchtigen  sogar  die  Schraffen,  wie  die  Original- Auf- 
nahmen der  Österreich-ungarischen  Spezialkarte  zeigen,  die  leichte  Lesbarkeit 
des  Kartenbildes.  Die  Schummerung  erscheint  uns  daher  als  die  richtige 
Schattierung  für  die  topographischen  Karten  großen  Maßstabes,  1:25000  bis 
1:50000.  Welche  Art  der  Schummerung,  ob  nach  Lehmannscher  oder  nach 
schräger  Beleuchtung,  vorzuziehen  ist,  sollte  von  Fall  zu  Fall  nach  den 
oben  dargelegten  Erwägungen  entscheiden  werden.  Erhalten  die  Karten  durch 
ihre  Isohypsenzeichnung  bereits  eine  merkliche  Böschungsplastik,  die,  wie  wir 
gesehen  haben,  in  ihrer  Wirkung  der  der  Lehmannschen  Beleuchtung  nahe 
kommt,  so  ist  es  oft  weniger  geboten,  sie  noch  durch  jene  Beleuchtung  zu 
verstärken,  als  das  Relief  durch  schräge  Beleuchtung  hervorzuheben,  zumaJ  da 
diese  bei  geschickter  Behandlung  auch  dem  Plateaucharakter  des  Geländes  ge- 
recht zu  werden  vermag.  Die  Charakteristik  des  Bozener  Porphyrplateaus  auf 
der  Simonseben  Rosengartengruppe,  herausgegeben  vom  deutschen  und  öster- 
reichischen Alpen  verein,  ist  mit  wenigen  Schatten  vorzüglich  gelungen;  die 
Karte  hat  sich  bei  meinen  Wanderungen  als  Orientierungsmittel  ganz  außer- 
ordentlich der  entsprechenden  Originalaufnahme  des  militärgeographischen 
Institutes  überlegen  gezeigt.  Die  von  H.  Petters  gestochene  Reliefkarte  der 
braunschweigischen  Landesaufnahme  1:25000  (Harzburg -Brocken)  ist  ein 
ausgezeichnetes   Beispiel   für  die   gelungene   Schattierung   von  Mittdlgebirgs- 


Nene  Alpenkarten.  379 

und  Plateauformen  durch  eine  frei  behandelte  schräge  Beleuchtung.  Ihre 
freie  Behandlung  stört  so  lange  nicht,  als  das  geometrische  Eartenbild 
deutlich  sichtbar  bleibt  und  über  die  Steilheit  der  Böschungen  nach  der 
Isohjpsenzeichnung  kein  Zweifel  ist.  Es  mufi  daher  die  Schaffierung  zart 
und  durchsichtig  bleiben.  Dies  geht  bei  mehrfarbiger  Schattierung  verloren; 
die  bunten  Schweizer  Reliefkarten  sind  mir  als  Wanderkarten  bei  weitem  nicht 
so  nützlich  gewesen,  wie  die  zart  geschummerte  Bosengartenkarte;  ja  ich  habe 
ihnen  wiederholt  die  Blätter  des  Siegfriedatlas  vorgezogen. 

Wesentlich  anders  wird  die  Rolle  der  Kartenschattierung,  wenn  der 
Eartenmaßstab  den  Isohypsen  nicht  mehr  die  Scharung  erlaubt,  die  zu  einer 
genauen  Wiedergabe  des  Gelände  nötig  ist.  Hier  muß  und  kann  die  Schraf- 
fierung einen  Teil  der  Funktionen  übernehmen,  welche  die  Schichtlinien  nicht 
mehr  auszuüben  vermögen.  Die  Schraffierung  hat  für  solche  Maßstäbe  eine 
ganz  hervorragende  Bedeutung;  sie  wird  für  sie,  wie  alle  Spezialkarten  lehren, 
auch  benutzt,  und  zwar  indem  man  durch  sie  meist  eine  Lehmannsche,  in 
der  Dufourkarte,  indem  man  durch  sie  eine  schräge  Beleuchtung  zum  Ausdrucke 
bringt.  Die  vorwiegende  Anwendung  der  Lehmannschen  Beleuchtung  ist 
durch  ihre  Böschungstreue  hinreichend  begründet  und  wird  bei  Wande- 
rungen als  großer  Vorteil  empfunden,  denn  sie  orientiert  über  die  zu  ge- 
wärtigende Steilheit  der  Gehänge,  was  die  schräge  Beleuchtung  nicht  tut. 
Begreiflich  ist  daher,  daß  die  Militärmächte  mit  Zähigkeit  an  der  meist  nur 
wenig  modifizierten  Lehmannschen  Manier  festhalten;  begreiflich  aber  auch, 
daß  in  der  neutralen  Schweiz  die  schräge  Beleuchtung,  welche  ihr  Relief  so 
vorzüglich  zum  Ausdrucke  bringt,  zur  Geltung  kommen  mußte.  Es  ist  aber 
nicht  zu  leugnen,  daß  das  Wandern  im  Hochgebirge  an  der  Hand  der  Dufour- 
karte weit  schwieriger  ist,  als  mit  einer  lehmannisch  beleuchteten  öster- 
reichischen oder  deutschen  Karte,  wie  sehr  die  letzteren  auch  an  plastischer 
Wirkung  hinter  der  Dufourkarte  zurückstehen.  Bei  einer  solchen  Sachlage 
halten  -  wir  die  Schraf&eruog  nach  Lehmann  und  nach  zentripetaler  Seiten- 
beleuchtung für  die  richtige  Geländedarstellung  auf  Spezialkarten,  die  zur 
Orientierung  im  Gelände  und  nicht  bloß  zur  Orientierung  über  das  Ge- 
lände dienen  sollen. 

Nur  darf  man  von  dieser  Schraffierung  nicht  mehr  verlangen,  als 
sie  bieten  kann.  Es  ist  nicht  möglich,  sie  fein  abzustufen.  10  Abstufungen 
von  weiß  bis  schwarz  erscheinen  uns  im  Kupferstiche  als  das  äußerste  des 
Möglichen  —  haben  wir  doch  bereits  lichte  und  dunkle  Blätter  der  Karte 
des  Deutschen  Reiches  — ,  die  15  Abstufungen  der  österreichisch-ungarischen 
Spezialkarte  gehen,  falls  sie  richtig  gezeichnet  gewesen  sein  sollten,  beim 
Drucke  verloren;  es  ist  mir  nie  möglich  gewesen,  sie  auf  den  Karten  zu 
unterscheiden.  Die  Lehmannsche  Schraffenmanier  ist  nur  in  rohem 
Umfange  böschungstreu.  Diese  Tatsache  macht  verständlich,  daß  Dufour^) 
an  einer  mathematischen  Präzision  der  Schraffen  überhaupt  zweifelte;  sie  macht 
aber  auch  begreiflich,  daß  in  der  Praxis  sehr  häufig  die  Böschungstreue  der 


1)  Notice  sur  la  carte  de  la  Suisse.    Jahrb.  Schweiz.  Alpenklub.    YII.    1872. 
881  (348). 

26* 


380  Albrecht  Penck: 

Schraffen  aufgegeben  wird,  wenn  es  sich  darum  handelt,  das  Eartenbild  zu 
beleben.  Nachmessungen  auf  den  österreichischen  Karten  haben  mich  über- 
zeugt, daß  im  Hochgebirge  nicht  gar  selten  die  enge  Beziehung  zwischen  Ab- 
stand der  Isohypsen  und  Starke  der  Schraffen  nicht  erkennbar  ist;  und  dies 
in  den  neueren,  plastischer  wirkenden  Karten  viel  öfter,  als  in  den  alteren^). 
Gleiches  gilt  von  den  italienischen  Karten.  Eine  weitere  Freiheit  in  der  Be- 
handlung der  Schattierung  wird  häufig  diktiert  durch  die  Nötigung,  kleinere 
Fonnen,  wie  Abstürze,  hervorzuheben,  was  nur  durch  eben  solche  Übertreibung 
möglich  ist,  wie  wir  sie  bei  der  Darstellimg  von  Straßen,  Einzelsied- 
lungen u.  s.  w.  anwenden. 

Wir  möchten  solche  Freiheiten  nicht  als  Systemlosigkeiten  rügen,  solange 
sie  dazu  dienen,  das  Verständnis  des  Kartenbildes  zu  erleichtem,  wenn  sie 
Böschungsunterschiede  klar  hervortreten  lassen  und  sich  nicht  zu  weit  aus 
den  ziemlich  weiten  Grenzen  entfernen,  innerhalb  welcher  die  Lehmannsche 
Schraffierung  böscbungstreu  gedruckt  werden  kann.  Für  genauere  Bestim- 
mung der  Böschung  wird  man  immer  auf  die  Berücksichtigung  der  Abstände 
der  Isohypsen  angewiesen  bleiben  und  aus  diesen  allein  Höhenunterschiede  be- 
stimmen können.  Dazu  reicht  die  Lehmannsche  Schraffierung  nie  aus.  Man 
denke  nur  an  einen  Hang  von  1  km  Länge;  seine  Böschung  sei  durch  die 
Schraffierung  genau  zu  35®  festgelegt,  d.  h.  sie  kann  in  Wirklichkeit  zwischen 
30®  und  35®  schwanken,  also  entweder  um  577  oder  um  beinahe  700  m 
ansteigen!  Bei  solcher  Sachlage  kann  nicht  dankbar  genug  begrüßt  werden, 
daß  die  neueren  Spezialkarten  durchweg  mit  dem  alten  System  gebrochen 
haben  imd  nicht  mehr  bloße  Schraffenkarten  sind,  sondern  auch  Isohypsen 
enthalten.  Ohne  solche  ist  die  Geländedarstellung  auch  der  besten  Schraffen- 
karte  ein  Körper  ohne  Skelett,  gleichgültig  ob  sie  nach  sogenannter  senk- 
rechter Beleuchtung  schattiert  ist,  wie  die  Carte  de  France,  oder  nach  schräger, 
wie  die  Dufourkarte. 

Für  Spezialkarten  geschaffen  hat  die  Lehmannsche  Schraffierung  ziemlich 
enge  Grenzen  ihrer  Anwendbarkeit.  Sobald  der  Kartenmaßstab  nicht  mehr 
die  Wiedergabe  einzelner  Böschungen  erlaubt  und  bloß  noch  die  Darstellung 
eines  ausgedehnten  Hanges  zuläßt,  ist  sie  nicht  mehr  streng  durchführbar 
und  muß  zu  Generalisierungen  greifen.  Wenn  aber  damit  die  Böschungstreue 
tatsächlich  aufgegeben  wird,  erscheint  es  nicht  mehr  nötig,  auf  letztere  Ge- 
wicht zu  legen,  und  es  rückt  in  den  Vordergrund  die  Aufgabe:  das  Relief 
des  Geländes  soweit  als  möglich  zur  Darstellung  zu  bringen.  Dafür  ist,  wie 
wir  gesehen  haben,  die  Geländedarstellung  nach  schräger  Beleuchtung  be- 
sonders geeignet,  solange  es  sich  um  die  Firstformen  des  Hochgebirges 
handelt,  während  die  Lehmannsche  Manier  die  Mittelgebirge  und  Plateau- 
formen auch  in  kleinen  Maßstäben  noch  vorzüglich  wiedergibt.  Bei  dieser 
Sachlage  ist  naturgemäß  zu  einer  variablen  Beleuchtung  zu  greifen,   um  die 

1)  y.  Steeb  schreibt:  Der  Soldat  muß  sehr  rasch  die  Terrainformen  erfassen 
können,  braucht  also  eine  sinnlich  packende  Zeichnung,  mit  kräftigen  Gegensätzen. 
Was  steil,  was  flach  und  was  mittelmäßig  geböscht,  soll  leicht  zu  erkenen  sein. 
Mehr  Unterschiede  wird  kein  Soldat  suchen  und  kein  Zeichner  darstellen  können. 
(Die  Kriegflkarten.     Mitfc.  k.  u.  k.  militärgeogr.  Inst.  XX.  S.  145.) 


Neae  Alpenkarten.  381 

einzelnen  Formentypen,  die  auf  der  Karte  noch  auseinander  gehalten  werden 
können,  hinreichend  zu  charakterisieren. 

Diesen  Ausweg  hat  zielbewußt  Dufour^)  betreten  und  mit  ihm  die 
großen  reliefplastischen  Wirkungen  der  beiden  großen  Schweizer  Karten 
1 :  100000  und  1:250000  erreicht  Wir  wollen  daher  das  angewandte  Ver- 
fahren, die  einzelnen  Formentypen  je  in  das  rechte  Licht  zu  stellen,  Dufo ur- 
Beleuchtung nennen.  Sie  wurde  von  C.  Vogel  in  einer  Beihe  von  Karten 
in  Stielers  Handatlas  und  namentlich  in  seiner  Karte  des  Deutschen  Eeiches 
1:500000  verwendet;  sie  verleiht  den  Karten  der  Alpenländer  1:1000000 
in  De  b  es'  Handatlas  die  plastische  Wirkung  ebenso  wie  der  großen  Haar  dt  sehen 
Alpenkarte  aus  Hölzeis  Institut.  Wir  vermögen  in  dem  Wechsel  der  Be- 
leuchtung keine  Inkonsequenz  zu  erkennen,  da  er  systematisch  ausgenutzt 
wird;  wohl  aber  glauben  wir,  daß  die  Dufour- Beleuchtung,  solange  nicht 
die  Geländeschattierung  an  einem  dichten  Isohypsennetze  aufgehängt  werden 
kann,  ihre  Vorteile  hauptsächlich  in  Karten  kleineren  Maßstabes  zur  Geltung 
bringt  In  Maßstäben  1:100000  und  1:250000  ist,  wie  die  Karte  des 
Deutschen  Reiches  und  die  bayerische  Übersichtskarte  von  Südwest-Deutsch- 
land lehren,  eine  böschungstreue  Darstellimg  des  Hochgebirges  noch  durchaus 
möglich;  wir  möchten  daher  fOr  diese  Maßstäbe,  solange  es  sich  um  Karten 
zum  Feldgebrauche  handelt,  die  Lehmannsche  Manier,  bez.  die  zentripetale  Seiten- 
beleuchtung nicht  aufgeben;  andererseits  zeigt  uns  die  Übersichtskarte  von 
Zentral-£uropa  des  Wiener  militärgeographischen  Instituts,  daß  die  Lehmannsche 
Manier  för  den  Maßstab  1:750000  versagt:  Um  die  Hochgebirgsformen 
hervortreten  zu  lassen,  mußte  sie  allenthalben  zur  Einschaltung  eines  weißen 
Streifens  an  den  Firstlinien  greifen,  der  die  Schraffen  der  beiderseitigen 
Flanken  trennt  Wie  schmal  dieser  Streifen  auch  ist,  so  deckt  er  doch  auf 
einem  Kartenblatte  (Innsbruck)  Hunderte  von  Quadratkilometem,  die  sohin 
nicht  mehr  grundrißtreu  dargestellt  sind.  Unseres  Erachtens  hat  Vogel  mit 
der  Anwendung  der  Dufour-Beleuchtung  ftir  seine  Karte  des  Deutschen  Reiches 
1 :  500  000  bereits  das  Richtige  getroffen. 

Die  Dufour-Beleuchtung  ist  noch  für  erheblich  kleinere  Kartenmaßstäbe 
benutzbar  als  der  von  1 : 1 000  000,  bis  zu  welchem  herab  wir  die  vorliegen- 
den neueren  Alpenkarten  betrachtet  haben.  C.  Vogel  hat  sie  mit  großem  Er- 
folge noch  fOr  seine  Karten  der  europäischen  Staaten  1 : 1 500  000  angewendet, 
und  selbst  auf  seinen  Übersichtskarten  1 : 3  700  000  des  Deutschen  Reiches, 
von  Österreich  und  Frankreich  damit  eine  recht  treffliche  Darstellung  der 
Alpen  erzielt  Aber  je  kleiner  die  Maßstäbe  werden,  desto  mehr  entschwindet 
die  Möglichkeit,  das  Relief  plastisch  zu  veranschaulichen.  Wenn  unsere  At- 
lanten auch  in  Maßstäben  von  1:5000000  und  darunter  die  Karten  schraf- 
fieren, so  hat  hier  die  Schraffe  eine  ganz  andere  Bedeutung  als  bei  der 
Lehmannschen  oder  Dufourschen  Geländedarstellung.  Sie  gibt  weder  die 
Steilheit   der  Böschungen   noch   den  Charakter   der  Formen  wieder,   sondern 


1)  Notice  8ur  la  carte  de  la  Suisse.  Jahrb.  Schweiz.  Alpenklub.  VII.  1S71/72. 
S.  881;  vgl.  auch:  E.  Imhof  Die  topographischen  Karten  der  Schweiz.  Ebenda. 
VIII.  S.  806  (314). 


382  Albrecht  Penck: 

wird  unwillkürlich  zum  Augdmoke  für  vorhandene  Höhenunterschiede^).  Man 
wird  sich  dessen  recht  inne  bei  Betrachtung  der  Übersichtskarten  von  Nord- 
amerika. Selbst  unsere  besten  Karten  schraffieren  den  Abfall  der  Sierra  Nevada 
zur  kalifornischen  Senke  ungemein  dunkel  und  machen  den  zum  Great  Basin 
licht,  obwohl  genanntes  Gebirge  nach  Westen  sanft,  gegen  Osten  steil  abfällt'), 
also  sowohl  nach  Lehmannscher  wie  auch  nach  Dufourscher  Manier  auf  dieser 
Seite  am  stärksten  schraffiert  sein  sollte.  Man  überschreitet  unseres  Erachtens 
die  Grenzen,  welche  der  Anwendbarkeit  der  Schraffen  überhaupt  gesetzt  sind, 
wenn  man  sie  für  Übersichtskarten  kleinen  Maßstabes  auf  einmal  zur  Cha- 
rakteristik der  Höhenplastik  verwendet.  Dafür  gibt  es  bessere  Hilfsmittel, 
nämlich  die  Darstellung  der  Höhenschichtenkarte. 

Unsere  Betrachtimg  der  Alpenkarten  hat  ims  gezeigt,  daß  die  Höhen- 
schichtendarstellung  mit  ganz  wenigen  Ausnahmen  auf  kleinere  Maßstäbe 
beschränkt  bleibt.  Sehen  wir  ab  von  der  Karte  von  Schneeberg  und  Bax 
1:75  000,  so  sind  Ravensteins  Karten  der  Ostalpen  und  der  Schweiz  die 
größten  Maßstäbe,  für  welche  eine  Höhenschichtendarstellung  in  größerem  Um- 
fange ausgeführt  worden  ist,  aber  nicht  in  ganz  konsequenter  Weise:  Baven- 
stein  kommt  einem  praktischen  Bedürfnis  entgegen,  indem  er  die  Ebenen 
aus  der  Höhenschichtendarstellung  ausschaltet  und  gleichmäßig  grün  koloriert: 
Dadurch  wird  ermöglicht,  den  Fuß  der  Gehänge  zu  erkennen,  und  die  Karte 
erreicht  damit  ihren  Wert  als  Wanderkarte.  Gleichzeitig  aber  steigert  sie 
auch  ihre  plastische  Wirkung,  wie  ein  Vergleich  mit  der  Ravensteinschen 
Höhenschichtenkarte  der  Ostalpen  1 :  500  000  lehrt.  Gleiches  gilt  von  der 
österreichischen  Karte  1 :  900  000.  Diese  Tatsache  ist  uns  ein  wichtiger 
Fingerzeig  für  Bestimmung  der  Grenzen,  die  der  praktischen  Anwendbarkeit 
der  streng  durchgeführten  Höhenschichtenkarten  gesetzt  sind.  Wir  müssen 
die  Höhen  der  farbig  kolorierten  Höhenschichten  ziemlich  groß  nehmen,  wenn 
wir  den  hypsometrischen  Wert  der  einzelnen  Farbe  sofort  erkennen  wollen, 
denn  unsere  Augen  unterscheiden  faktisch  weit  weniger  Farbenabstufungen, 
als  wir  durch  moderne  Druckverfahren  praktisch  erzielen  können.  Dies  hat 
zur  Folge,  daß  die  strenge  Höhenschichtendarstellung  des  Gebirges  auf  jene 
Maßstäbe  eingeschränkt  ist,  bei  welchen  es  nicht  mehr  Interesse  hat,  die 
einzelnen  Landschaftstypen  streng  voneinander  zu  sondern.  Sie  tritt  dann 
in  den  Vordergrund,  wenn  die  Dufour- Beleuchtung  zu  versagen  beginnt. 
Dabei  schließt  sie  sich  aber  mit  letzterer  keineswegs  aus,  was  sie  in  einem 
gewissen  Grade  mit  der  Lehmannschen  Manier  tut,  deren  Böschungstreue 
leidet,  wenn  wir  zur  Schattierung  noch  Farben  gesellen,  die  selbst  wie  Schatten 
wirken.  Mit  Becht  kombinieren  daher  die  Karten  kleineren  Maßstabes  unserer 
Schulatlanten  Dufour-Schrafßerung  mit  Höhenschichtendarstellung. 


1)  Dies  ist  besonders  von  C.  Vogel  hervorgehoben  worden  (Die  Terraindar- 
stellung auf  Landkarten  mittels  Schraffierung.  Peterm.  Mitt.  1893.  S.  148).  Wir 
glauben  auf  diesen  Punkt  besonders  zurückkommen  zu  sollen,  da  er  von  Schul- 
männern nicht  immer  beherzigt  wird.  Wir  finden  in  einer  Reihe  von  Atlanten  Er- 
läuterungen zur  Geländedarstellung  nach  Lehmannscher  Manier,  ohne  daß  diese 
letztere  im  Atlas  selbst  zur  Anwendung  käme. 

2)  Drake.   The  Topography  of  Califomia.   Joum.  of  Geology.  V  1897.  S.  66«. 


Neue  Alpenkarten.  383 

Bei  den  neueren  Höhenscliichtenkarten  der  Alpen  kommt  mehr  und  mehr 
die   Absicht    zum   Ausdrucke,    durch    bestimmte    Tonabstufongen    das    Bild 
einheitlich  zu  machen.     Vereinzelt   steht  die   bayerische  Höhenschichenkarte 
1:250000   mit   regellos    bunter   Farbenwahl;    sonst    hat    sich    die    fi aus- 
lab sehe  Skala    eingebürgert,    deren  Grundsatz   bekanntlich   ist^):    Je   höher 
desto   dunkler.     Doch   vermag  kaum   ein   Kartenwerk   hieran   streng   festzu- 
halten; fOr  die  größeren  Höhen  wählt  man  in  der  Begel  neue  Farben,  blaue 
Töne  (Ravenstein,   italienische  Karte  1:500000)  oder   wieder   lichte  (öster- 
reichische Karten).     Dadurch   wird   der  Eindruck   regelmäßiger  Abstufungen 
der  Höhen,  welchen  die  Karte  erzielen  kann,  mindestens  sehr  beeinträchtigt, 
in  der  Begel  sogar  stark  gestört.     Wir  glauben,  daß  Karl  Peucker^)  den 
richtigen  Weg  für  eine  normale  Farbenskala  von  Höhenschichtenkarten  an- 
gegeben hat,  wenn  er  vorschlägt,  um  so  intensivere,  leuchtendere  Farben  zu 
wählen,  je   höher  die  Höhenschichten   liegen,   und,   anknüpfend   an   optisch- 
physiologische Untersuchungen,   als   natürliche   Farbenreihe   für   eine  Höhen- 
schichtenkarte  in    aufsteigender   Ordnung    empfiehlt:    blaugrün,    grün,   gelb, 
lichtbraun,  rötlichbraun.     Es  wäre  interessant,  einmal  diese  Skala  für  Alpen- 
karten größeren  Maßstabes  als  1 : 1 500000  verwendet  zu  sehen,  den  die  Karten 
der  Schweiz  und  der  österreichischen  Alpenländer  in  dem  von  Peucker  nach 
seinen  Prinzipien  bearbeiteten  treflflichen   Atlas  für  Handelsschulen  (2.  Aufl. 
Wien  1899)  haben.     Der  Versuch   wird  auch  erst  zu   entscheiden  gestatten, 
inwieweit  die  Peuckersche  höhenplastische  Skala  nicht  bloß  für  Karten  kleineren 
Maßstabes,  sondern  auch  für  solche  größeren  Maßstabes  Vorteile  liefert.    Der 
Versuch  wird  endlich  erst  klarlegen  können,   inwieweit  die  Vereinigung   von 
schattenplastischer  Darstellung    mit    einer   farbenplastischen    der  Höhen,    die 
Peucker  als  die  voUkonunen  abgeschlossene  dreidimensionale  raumtreue  Gelände- 
zeichnung hinstellt^),  imd  die  auch,  allerdings  auf  weniger  streng  theoretisch  be- 
gründeter Basis,  Bavesi  und  Fritzsche*)  erstrebten,  ihrem  Zwecke  entspricht. 
Man  kann  sich  vorstellen,  daß  durch  eine  solche  Vereinigung,  falls  sehr  zahlreiche 
und  an  sich  imbedeutende  Farbenabstufungen  gewählt  werden   (ein   strenges 
Auseinanderhalten  durch  das  Auge  ist  in  großen  Maßstäben  nicht  mehr  nötig, 
da  die  Isohypsendarstellung  über  die  Erhebung  der  einzelnen  Höhenschichten 
genau  orientiert),    ähnlich  plastisch   wirkende  Kartenbilder  gewonnen  werden 
können,  wie  sie  die  schweizerischen  Beliefkarten  sind,  und  daß  dabei  zugleich 
die  Geländeveranschaulichung   auf  strengere  Grundlage   gestellt   wird.     Aber 
es  muß  sich  auch  fragen,   wie  weit  sich  Farbe   und  Schattierung  vertragen, 
ob  nicht  die   eine  die  andere  wenigstens   teilweise  um  ihre  Wirkung  bringt, 
wie  dies   auf  den  Karten  der  Schweiz  und   der  österreichischen  Alpenländer 
in  Peuckers  Atlas  für  Handelsschulen    der   Fall   ist.     Beide   Karten  geben 

1)  Über  die  graphischen  Ausfuhrungsmethoden  von  Höhenschichtenkarten. 
Mitt.  k.  k.  geogr.  Ges.  Wien.  1864.    S.  80. 

2)  Schattenplastik  und  Farbenplastik.   Wien  1898.    S.  96. 

8)  Zur  kartographischen  Darstellung  der  dritten  Dimension.  G.  Z.  VII.  1901. 
S.  22  (41).  Drei  Thesen  zum  Ausbau  der  theoretischen  Kartographie.  Ebenda. 
Vm.  1902.    S.  221. 

4)  La  rappresentazione  orografica  a  luce  doppia  nella  cartografia  modema. 
Primo  congresso  geografico  italiano.   Roma.   Istituto  cartografioo  italiano  1892. 


384  Albrecht  Penck: 

kein  anscbauliches  Bild  der  Alpen;  die  Grenze  des  grünen  und  gelben  Farben- 
tones, der  Höbenscbichten  von  200 — 560  m  und  500-1500  m  erlangt  fftr 
das  Kartenbild  eine  viel  maßgebendere  Bedeutung  als  die  Schummerung,  so 
daß  der  Gebirgsfuß,  wenn  er  in  diese  Farbentöne  fallt,  gar  nicht  zur  Geltung 
kommt  Dabei  ist  aber  die  Schummerung  so  wenig  grundrißtreu  behandelt, 
daß  sie  die  Kämme  der  Zillertaler  Alpen  und  Graubündens  plateauartig  darstellt. 

Mit  Spannung  imd  Interesse  praktischen  Versuchen  im  Sinne  der 
Peuck  er  sehen  Vorschläge  entgegensehend^),  können  wir  eine  Erwägung  nicht 
unterdrücken:  Der  Apparat  an.  Farben  imd  Schatten,  den  eine  raumtreue 
Karte  Peuckers  im  großen  Maßstabe  erheischt,  ist  nicht  geringer,  als  der 
der  Schweizer  Reliefkarten.  Sie  wird  daher  notwendigerweise  viel  kostspieliger 
werden,  als  die  farbenschlichte  Spezialkarte,  die  sie  nur  durch  die  Anschaulich- 
keit ihres  Inhaltes,  nicht  durch  diesen  selbst  übertreffen  wird.  Sie  wird  da- 
her dem  Fachmanne,  welcher  das  Kartenlesen  versteht,  nicht  besouders  nötig 
sein.  Ihre  Anschaulichkeit  wird  die  Bedeutung  der  lichtvollen,  populären 
Darstellung  eines  wisseuschaftlichen  Beobachtungsergebnisses  haben;  als  solches 
wird  sie  namentlich  für  ünterrichtszwecke  an  ihrem  Platze  sein. 

Es  darf  überhaupt  ausgesprochen  werden,  daß  die  vielfarbige  Her- 
stellung namentlich  eine  Popularisierung  der  Karten  erstrebt  hat.  Klar  hat 
dies  Becker  ausgesprochen^;  er  hoffte  mit  den  farbigen  Reliefkarten  einen 
wahren  Volksatlas  zu  schaffen.  Er  hat  bald  die  Vielfarbigkeit  der  Karten 
fallen  gelassen;  er  hat  geäußert^),  daß  wir  schließlich  doch  zur  einfarbigen 
Tonkarte  zurückkommen  werden,  und  sich  in  seiner  Silvretta-Karte  mit  einem 
Minirnnm  von  Farben  begnügt;  aus  der  Reliefkarte  hat  sich  aber  in  der 
Schweiz  die  Neigung  zu  DarsteUimgen  aus  der  Vogelschau  entwickelt,  die 
nicht  bloß  in  Imfeids  Karte  des  Vierwaldstättersees  entgegentritt,  sondern 
auch  einen  ganzen  Atlas  der  Schweiz  „Magginis  Volksatlas^  (Zürich,  Orell 
Füßli)  beherrscht.  Viel  wichtiger  für  eine  wahre  Popularisierung  als  die 
notwendigerweise  mit  hohem  Preise  verbundene  große  Anschaulichkeit  der 
Karte  erscheint  uns  deren  Verbilligung.  Seitdem  sie  billig  geworden  sind, 
haben  die  österreichischen  Spezialkarten  eine  ungemeine  Steigerung  ihres  Ab- 
satzes erfahren  (300 — 400000  Exemplare  im  Jahre  gegen  6000  bei  der 
Dufourkarte).  Tausende  von  Wanderern  bedienen  sich  ihrer  in  den  östlichen 
Alpen  und  sind  durch  ihren  Gebrauch  im  Felde  im  Kartenlesen  und  Karten- 
verständnis geübt  worden.  Beides  lernt  man  leicht  und  rasch,  wenn  man 
Natur  und  Karte  vergleicht 

Wir  sind  nunmehr  an  den  Schluß  unserer  Erörterungen  über  alpine 
Geländedarstellung  gelangt.     Keine  theoretische  Voreingenommenheit  hat  uns 

l)Artaria8  Karte  des  Otschergebietes  in  Niederösterreich  1:50  000  von 
Peuck  er  nach  seinem  System  farbenplastisch  koloriert  (Ausstellung  neuerer  Lehr- 
mittel Ostern  1903  in  Wien)  machte  die  isolierte  Erhebung  des  ötscher  recht  an- 
schaulich, gab  aber  dessen  Form  durchaus  nicht  plastisch  wieder:  Der  Farbenplastik 
wohnt  keine  Relieftreue  inne.    (Anmerk.  während  der  Korrektur) 

2)  Neuere  Bestrebungen  auf  dem  Gebiete  der  Kartographie.  Jahrb.  d.  Schweiz. 
Alpenklubs.   XXIV.  1888/89.    S.  820.    Die  Schweizerische  Kartographie.    1890. 

8)  Nekrolog  auf  Wild.    Schweizerische  Bauzeitung.   XXIV.    1894.    S.  69. 


Nene  Alpenkarten.  385 

dabei  geleitet;  kein  Wunsch,  zu  etwas  Neuem  zu  gelangen,  dabei  beseelt 
Wir  beschränkten  uns  absichtlich  darauf,  gestützt  auf  unsere  eigenen  Beob- 
achtungen beim  Gebrauche  der  verschiedenen  Alpenkarten,  durch  das  Studium 
des  vorhandenen  Materials  Erfahrungssätze  über  die  Anwendbarkeit  der  ein- 
zelnen eingeschlagenen  Verfahren  zu  gewinnen.  Dabei  hatten  wir  selbstver- 
ständlich den  Standpunkt  so  weit  und  allgemein  als  möglich  zu  wählen,  weil 
wir  es  mit  Werken  von  sehr  verschiedener  Art  und  sehr  verschiedenen  Zwecken 
zu  tun  haben.  Es  freut  uns,  daß  E.  Hammer^)  diesen  weiteren  Gesichts- 
punkt anerkannt  hat,  wenn  er  auch  beinahe  tadelt,  daß  viele  Sätze  unserer 
früheren  Abschnitte  „zu  vielerlei  Interessen  zu  dienen  suchen*^ 

Daß  ein  solches  eklektisches  Verfahren  gelegentlich  auch  zur  Beseitigung 
theoretischer  Schwierigkeiten  führen  kann,  dürfte  unsere  Untersuchung  über 
die  Lehmannsche  Beleuchtung  lehren.  Wir  hätten  letztere  unbedingt  ver- 
werfen müssen,  wenn  wir  sie  als  „senkrechte"  Beleuchtung  in  mathematischer 
Strenge  auf  ihre  Richtigkeit  ebenso  geprüft  hätten,  wie  es  ihre  ausschließ- 
lichen Anhänger  gern  mit  der  schrägen  Beleuchtung  tun;  denn  als  senk- 
rechte Beleuchtung  ist  sie  vom  Standpunkte  der  darstellenden  Geometrie,  der 
doch  allein  in  Betracht  kommen  kann,  absolut  nicht  haltbar.  Ihre  unver- 
kennbaren Vorzüge  haben  uns  dazu  geführt,  zu  untersuchen,  unter  welchen 
Gesichtspunkten  sie  exakt  interpretiert  werden  könne,  und  dabei  haben  wir 
gesehen,  daß  dies  möglich  wird  in  dem  Momente,  wo  wir  mit  der  üblichen 
Vorstellung  brechen,  daß  ihre  Schraflfen  Schatten  darstellen,  und  diese  als 
Symbole  der  Intensität  einer  eigenartigen  seitlichen  Beleuchtung  nehmen. 
Wir  konnten  im  Anschluß  daran  zeigen,  daß  auch  Einwände  gegen  die  Natür- 
lichkeit der  schrägen  Beleuchtung  fallen,  sobald  wir  die  Geländeschattierung 
als  Symbol  der  Beleuchtimg  nehmen;  konsequenterweise  wurden  wir  dazu 
geführt,  den  Ausdruck  Schattenplastik  durch  Lichtplastik  zu  ersetzen.  Daß 
femer  ein  solch  eklektisches  Verfahren  gerade  gegenüber  Kartenwerken  am 
Platze  ist,  wird  jeder  zugestehen,  der  da  berücksichtigt,  daß  unsere  Karten 
gewöhnlich  ohne  Motivenbericht  an  die  Öffentlichkeit  treten.  Es  wäre  weit 
gefehlt,  wollte  man  deswegen  annehmen,  daß  sie  die  Werke  einer  momentanen 
Inspiration  seien.  Sie  beruhen  in  der  Begel  auch  hinsichtlich  ihrer  Geländedar- 
stellung auf  sorgfältigsten  Überlegungen  und  lunfassendsten  Voruntersuchungen. 
Es  sei  nur  daran  erinnert,  daß  Berthauts  Werk  über  die  Carte  de  France 
Gutachten  aus  dem  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  wieder  zu  Tage  gefördert 
hat,  welche,  wie  die  des  Obersten  Bonne,  Gesichtspunkte  vertreten,  die  viel 
später  erst  zur  allgemeinen  Diskussion  gelangt  sind.  Nicht  genug  kann  des- 
halb dafür  gedankt  werden,  daß  man  in  Bern  und  Paris  damit  begonnen  hat, 
die  Akten  zur  Geschichte  der  großen  Kartenwerke  zu  veröffentlichen,  und  daß 
man  in  Wien  die  Erwägungen  für  die  weitere  Ausgestaltung  der  österreich- 
ungarischen Karten  an  die  Öffentlichkeit  bringt.  Dadurch  kann  nur  das 
Ansehen  der  Karten  erhöht  und  die  Eichtigkeit  ihrer  Beurteilung  gesteigert 
werden,  welche  vielfach  daran  gelitten  hat,  daß  man  nicht  erkannte,  was 
bei  Herstellung  des  betreffenden  Werkes  maßgebend  war. 

Bei  solcher  Sachlage  dürften  die  Gesichtspunkte,  di«  sich  bei  Würdigung 

1)  GeographiBches  Jahrbuch.   XXIV.    1901.    S.  45, 


386  Albrecht  Penck:  Neue  Alpenkarten. 

einer  großen  Anzahl  von  Kartenwerken  herausgestellt  haben,  nicht  schlechthin 
als  subjektive  Eindrücke  zu  gelten  haben,  sondern  bis  zu  einem  gewissen  um- 
fange als  Leitmotive  der  modernen  Geländedarstellung  Überhaupi  Letztere 
hat  nicht  bloß,  ähnlich  wie  die  Projektionslehre,  mit  der  Aufgabe  der  Dar- 
stellung räumlicher  Verhältnisse  auf  einer  Ebene  zu  tun,  sondern  überdies 
mit  der  Darstellung  von  Objekten  verschiedener  Größenordnung,  deren  Wieder- 
gabe abhängig  ist  von  der  Größe  des  Kartenmaßstabes.  Wir  haben  diese 
Objekte  an  anderer  Stelle  in  einzelne  Größenkategorien  zu  sondern  gesucht^) 
und  unterschieden:  Formenelemente,  nämlich  Abdachungsstücke,  die  zu 
Einzel  formen,  wie  Berg  imd  Tal,  zusammentreten.  Diese  vergesell- 
schaften sich  zu  Landschaften,  die  ihrerseits  zu  Bäumen  zusanmientreten. 
Die  Wiedergabe  dieser  verschiedenen  Größenkategorien  ist  in  anschaulicher 
Weise  nicht  in  demselben  Maßstabe  möglich.  Will  man  die  kleinen  Formen- 
elemente exakt  darstellen,  so  braucht  man  große  Maßstäbe,  in  denen  man 
nicht  zugleich  auch  Räume  anschaulich  machen  kann,  dazu  wären  Karten- 
flächen von  einer  Weite  nötig,  die  man  nicht  überblicken  könnte.  Will  man 
die  Bäume  wiedergeben,  so  muß  man  zu  kleinen  Maßstäben  greifen,  die  nicht 
mehr  die  Darstellung  von  Formenelementen  und  Einzelformen  zulassen.  Es 
ändern  sich  die  Aufgaben  der  Geländedarstellung  mit  dem  Wechsel 
des  Kartenmaßstabes.  Damit  muß  sich  auch  gleichzeitig  ein  Wechsel 
in  den  anzuwendenden  Methoden  der  Geländedarstellung  voll- 
ziehen. Daß  dies  von  der  Mehrzahl  der  Kartenwerke  tatsächlich  geschieht, 
ist  das  Ergebnis  unserer  Untersuchungen.  Wir  sehen,  daß  die  nackte  Iso- 
hypsendarstellung sich  auf  „topographische"  Karten  größeren  Maßstabes 
(1:25000,  1:50000)  beschränkt,  welche  allein  die  Formenelemente  des 
Hochgebirges  genügend  zur  Anschauung  bringen  kann.  Unsere  Spezialkarten 
(1:100000,  1:200000),  welche  die  Einzelformen  des  Gebirges  mit  ihren 
Teilen  exakt  wiedergeben  wollen,  greifen  zur  „böschungstreuen"  Lehmannschen 
Beleuchtung;  die  Übersichtskarten  (1:500000,  1:1000000),  die  nur  die 
Landschaften  mit  ihren  einzelnen  Formen  charakterisieren  können,  wählen  die 
relieftreue  Dufour-Beleuchtung,  bei  Übersichtskarten  noch  kleineren  Maßstabes, 
welche  die  verschieden  hoch  gelegenen  Bäume  veranschaulichen  wollen,  drängt 
sich  die  farbige  höhenplastische  Darstellung  mehr  imd  mehr  in  den  Vorder- 
grund. Diese  Begeln  sind  durch  die  Grenzen  des  Darstelliingsvermögens  der 
einzelnen  Arten  der  Geländedarstellung  bestimmt  Sie  sind  keine  Gesetze, 
die  ausnahmslos  gelten.  Es  fehlt  nicht  an  Versuchen  reliefplastischer  Dar- 
stellung für  Einzelformen  und  böschimgsplastischer  und  höhenplastischer  für 
Landschaften.  Gerade  solch  abweichende  Versuche  haben  uns  die  Grenzen 
der  vorteilhaften  Anwendbarkeit  der  einzelnen  Verfahren  zu  bestinunen  er- 
möglicht. Wir  halten  jene  darum  nicht  fftr  feste  Demai^ationen;  es  bleibt 
immer  ein  Spielraum  für  den  Gebrauch  der  einzelnen  Methoden  der  Gelände- 
darstellung, je  nach  ihrem  Objekt  und  ihrem  Zweck.  Objekt  und  Zweck 
sollen  überhaupt  unseres  Erachtens  in  der  Kartographie  immer  in  erster  Linie 
entscheiden  über  die  Wahl  der  anzuwendenden  Mittel,  nachdem  diese  in  ihrer 
theoretischen  und  praktischen  Anwendbarkeit  geprüft  worden  sind. 
1)  Morphologie  der  Erdoberfläche.    I.    S.  88. 


F.  Thorbecke:  Der  XIV.  dentsohe  Geographentag  in  Köln.       387 

Der  XIV.  deatscbe  Geographentag  in  KSlnO. 

Von  F.  Thorbeoke  in  Heidelberg. 

In  der  Pfingstwoche,  vom  2.  bis  7.  Juni  d.  J.,  tagten  im  gastlichen  Köln 
die  deutschen  Geographen.  Nach  einem  zwanglosen  Zusanmiensein  am  Vor- 
abend wurden  am  Vormittag  des  ersten  Versammlungstags,  der  dem  Bericht 
über  Forschungsreisen  gewidmet  war,  die  Sitzungen  in  dem  prächtigen  großen 
Saale  des  Oürzenich  durch  den  ständigen  Präsidenten  der  Centralkommission, 
Geh.  Admiralitätsrat  von  Neumayer  eröffnet;  Prof.  Hassert  begrüßte  im 
Namen  des  Kölner  Ortsausschusses  an  Stelle  von  dessen  leider  erkranktem  Vor- 
sitzenden, dem  um  die  Vorbereitungen  hochverdienten  Studiendirektor  der 
Handelshochschule  Prof.  Dr.  Schumacher,  die  Versammlung;  er  wies  hin 
auf  die  von  der  Handelshochschule  in  Gemeinschaft  mit  andern  Kölner  Ge- 
lehrten dargebotene  Festschrift,  die  Beiträge  zxu-  Wirtschaftsgeschichte  und  Wirt- 
schaftsgeographie der  Stadt  Köln  und  des  Kheinlandes  enthält,  sowie  auf  die 
das  Breslauer  Beispiel  befolgende  geographische  Ausstellung,  die  die  Entwick- 
lung der  Kartographie  des  Rheinlands  zeigt  und  dabei  auch  die  Werke  der 
beiden  größten  Kölner  Kartographen,  Gerhard  Mercators  und  Kaspar 
Vopells,  in  sonst  seltener  Vollständigkeit  bringt.  Vertreter  der  Staats-  und 
Provinzialregierung,  der  Stadt  Köln  und  der  Handelshochschule  folgten;  manch 
treffliches  Wort  der  Anerkennung  durften  die  Geographen  aus  nicht-geogra- 
phischem Munde  hören;  der  stellvertretende  Studiendirektor,  Prof.  Eckert, 
wies  als  Nationalökonom  auf  den  engen  Zusammenhang  der  modernen  National- 
ökonomie mit  geographischem  Forschen  und  geographischer  Methode  auf  den 
Grenzgebieten  der  Wirtschaftskunde  und  Wirtschaftsgeographie  hin. 

Exzell.  von  Neumayer  dankte  und  gedachte  der  Männer,  die  die  Geo- 
graphentage, dieses  nützlichste  Institut  für  die  Förderung  geographischer  For- 
schung, ins  Leben  gerufen,  vor  allen  andern  Nachtigalls.  Viele  Aufgaben 
habe  sich  diese  Versammlung  neben  den  Berichten  über  Forschungsreisen  ge- 
stellt; der  geographische  Schulunterricht  sei  von  jeher  auf  ihrem  Programm 
gestanden,  sein  HauptfÖrderer,  Hermann  Wagner,  sei  leider  heute  nicht 
anwesend,  Krankheit  halte  ihn  zum  ersten  Mal  einer  Tagung  fem.  Auch 
andere  sonst  regelmäßige  Besucher  würden  heute  schmerzlich  vermißt,  wie 
Ferdinand  v.  Richthofen,  Günther,  Partsch  und  Penck. 

Bericht  über  Forschungsreisen. 

Mitten  in  den  Bericht  über  Forschungsreisen  hinein  führte  die  Mit- 
teilung des  Präsidenten,  das  Schiff  der  deutschen  Südpolarexpedition  „Gauß" 
habe  auf  der  Fahrt  nach  Kapstadt  die  Küste  von  Natal  bei  Durban  passiert 
Diese  von  vielen  sehnsüchtig  erwartete  erste  Nachricht  über  die  deutsche 
Expedition  weckte  allgemeine  Begeisterung  und  gab  der  Kölner  Tagung  erst 
so  recht  die  Weihe. 

Herzlich  begrüßt,  erstattete  sodann  das  Mitglied  der  deutschen  Süd- 
polarexpedition, Dr.  K.  Luyken,  Bericht  über  die  Tätigkeit  der  Ker- 
guelenstation.  Der  Verlauf  dieser  Zweigexpedition  vom  9.  Nov.  1901, 
dem  Tage  der  Ankunft  des  Leiters  der  Expedition,    des  leider  zu  früh   von 

1)  Zur  Abfassung  dieses  Berichts  wurden  neben  eigenen  Notizen  von  den 
Vortragenden  liebenswürdigst  zur  Verfügung  gestellte  Manuskripte  oder  Auszüge 
daraus  benutzt,  teilweise  auch  die  Referate  der  „Köln.  Ztg."  und  der  „Weserztg.** 


388  F.  Thorbecke: 

tückischer  Krankheit  dahingerafften  Meteorologen  J.  J.  Enzensperger,  und 
des  Erdmagnetikers  Dr.  Luyken  mit  dem  Dampfer  „Tanglin^^,  bis  Ende  März 
1903  wurde  hier  zum  ersten  Mal  aas  berufenstem  Mimde  geschildert. 

Die  Ereignisse  bis  Ende  Januar  1902,  bis  zur  Abfahrt  der  nach  langem 
Warten  endlich  eingetroffenen  „Oaufi",  sind  noch  in  aller  Gedächtnis^).  Mit 
der  „Gauß"  war  noch  Dr.  Werth,  Biolog  der  Expedition,  mit  dem  Matrosen 
ürbanskj  eingetroffen,  so  daß  die  Station,  den  mit  Enzensperger  gekom- 
menen Matrosen  Wiencke  eingerechnet,  aus  fünf  Personen  bestand.  Enzen- 
sperger hatte  den  ursprünglich  in  Aussicht  genommenen  Bojal-Sund  für 
ungeeignet  befanden  —  steile  Hügel  aus  grauem  Basalt  begrenzten  rings  die 
Aussicht  —  und  war  daher  nach  Hinterlegimg  einer  Flaschenpost  für  die 
„Gauß"  sofort  nach  der  Observatory-Bay  übergesiedelt.  Hier  wurden  zum 
Teil  auf  den  Trümmern  des  Beobachtungshauses  der  englischen  Venusdurch- 
gangsexpedition  vom  Jahre  1874  das  Wohnhaus  and  das  Yariationshaus  bis 
zum  24.  Dez.,  dem  Tag  der  Abfahrt  der  „Tanglin",  fast  fertiggestellt  Die 
Arbeit  war  langwierig  und  sehr  beschwerlich;  an  den  chinesischen  Matrosen 
hatte  man  keine  Hilfe,  unter  ihnen  wütete  die  heimtückische  Beri-Beri,  die 
auch  den  zurückbleibenden  Europäern  noch  furchtbar  werden  sollte.  Zehn 
Tage  später  kam  die  „Gauß";  an  Bord  war  alles  wohl.  Während  ihres  Auf- 
enthalts wurde  das  Haus  für  absolute  magnetische  Beobachtungen  aufgebaut. 
Am  31.  Jan.  1902  fuhr  die  Hauptexpedition  ab;  am  folgenden  Tag,  dem 
1.  Febr.  1902,  begann  das  internationale  Polarjahr. 

Die  Kerguelenstation  war  als  meteorologische  Station  I.  Ordnung  ein- 
gerichtet: Die  meteorologischen  Elemente  (Luftdruck,  Temperatur,  Feuchtig- 
keit, Wind-Richtung  und  -Geschwindigkeit),  sowie  die  Temperatur  des  Erd- 
bodens bis  zu  2  m  Tiefe  wurden  von  Enzensperger  beobachtet;  dazu  kamen 
photometrische  Messungen  und  solche  der  Loftelektrizität.  Auf  einem  160  m 
hohen,  in  der  Kähe  gelegenen  Felsgipfel  wurde  eine  meteorologische  Höhen- 
station für  achttägige  Ablesungen  eingerichtet.  Luyken  selbst  beobachtete 
die  magnetischen  Elemente,  Deklination,  Inklination  und  Horizontalintensität 
im  Variationshaus  und  prüfte  sie  im  „absoluten'*  Haus.  Werth  stellte  bio- 
logische Untersuchungen  an  und  begründete  auch  eine  kleine  biologische  und 
geologische  Sammlung;  Temperaturmessungen  des  Meeres,  sowie  Plankton- 
untersuchungen wurden,  auch  in  kleinen  Süßwasserseen,  nach  Möglichkeit  vor- 
genommen. Aber  eine  Exlnirsion  ins  Innere,  dessen  geographische  Erfor- 
schung ja  auch  zu  den  Aufgaben  der  Station  gehörte,  war  erst  nach  Ankunft 
des  Dampfers  „Essen''  möglich.  Als  dieser  am  2.  April  yorigen  Jahres  kam 
und  am  Tag  darauf  wieder  ging,  war  der  Gesundheitszustand  der  Expedi- 
tion vorzüglich  und  die  Mitglieder  voller  Hoflaang  auf  Erfüllung  aller  ge- 
stellten Aufgaben  und  auf  glückliche  Heimkehr!  Diese  Hoffnung  sollte  nicht 
erfüllt  werden! 

Noch  Mitte  April  hatten  Werth  und  Enzensperger  mit  dem  Matrosen 
ürbansky  eine  fünftägige  Exkursion  ins  Innere  unternommen,  auf  der  der 
Gazelle-Hafen,  ein  Fimfeld  im  Westen  und  der  "West-Fjord  besucht  wurden. 
Wider  Erwarten  sollte  das  die  erste  und  einzige  Exkursion  sein! 

Bald  setzte  schlechtes  Wetter  ein:  der  süd-hemisphärische  Winter  meldete 
sich    mit    Schneeregen    und  Böen    aus  "W  und  NW,    gegen   die   die  Station 

1)  Die  Berichte  von  Enzensperger,  Fxpf.  v.  Drygalski  und  Dr.  Werth 
über  die  Errichtung  der  Eergnelenstation  und  ihre  Arbeiten  bis  zum  2.  April  1902 
sind  in  Heft  1  und  2  der  Veröff.  d.  Inst.  f.  Meereakde.  u.  d.  Geogr.  Inst.  a.  d.  üni- 
vers.  Berlin  im  März  und  Aug.  1902  mitgeteilt. 


Der  XrV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  389 

allerdiiigs  ihre  Lage  am  Ostabhang  des  Berges  schützte.  Gefährlicher  wurden 
O-Stürme;  doch  blieben  beide  Häuser  unversehrt.  Die  Temperaturen  waren 
für  die  hohe  südliche  Breite  (etwa  49®)  recht  hoch  und  gleichmäßig  unter 
dem  mildernden  Einfluß  des  Ozeans;  —  8®  C.  im  Juni  war  das  Minimum, 
-j-  8®  C.  das  Maximum. 

Eigenartig  ist  die  Natur  der  Insel.  Baum  und  Strauch  fehlen  ganz; 
nur  der  sogenannte  Kerguelenkohl  bedeckt  weite  Flächen;  aber  die  1874 
ausgesetzten  Kaninchen,  die  sich  ungeheuer  vermehrt  hatten,  hatten  bereits 
starke  Verwüstungen  unter  ihm  angerichtet.  Sonst  besteht  die  Flora  noch 
in  der  Kähe  der  Statioli  aus  etwa  20  Phanerogamen   und  einigen  Flechten. 

Die  Fauna  ist  sehr  artenarm.  Die  wenigen  Insekten  haben  gar  keine 
oder  nur  rudimentäre  Flügel;  doch  kamen  mitunter  Mücken  sogar  in  Schwärmen 
vor.  Pinguine  und  Bobben,  auf  die  man  sehr  gehofft  hatte,  fehlten  anfangs 
fast  ganz;  erst  später  stellten  sich  einige  offenbar  verirrte  Exemplare  ein. 
So  waren  die  Forscher  in  ihrem  Küchenzettel  fast  ganz  auf  Kaninchenfleisch 
angewiesen;  eine  willkommene  Abwechslung  bot  das  Fleisch  von  vier  Robben, 
mehr  konnten  nicht  erlegt  werden.  12  Pinguine  wurden  gefangen;  darunter 
waren  Königes-,  Esels-  und  Schopfpinguine.  Aber  sie  waren  nicht  lebend  zu 
erhalten;  sie  verweigerten  jede  Nahnmgsaufiiahrae  und  mußten  förmlich  ge- 
nudelt werden;  trotzdem  gingen  sie  bald,  nach  1 — 2  Monaten,  ein.  Sonst 
befanden  sich  in  der  Yoli&re  noch  Scheidenschnäbel  und  Kormorane,  die  aber 
später  auf  dem  Schiff  ebenfalls  eingingen,  Möven  und  Sturmvögel,  die  auch 
das  Leben  in  der  Gefangenschaft  nicht  lange  ertrugen.  Allein  die  Sturm- 
möven  gediehen  und  wurden  später,  beim  Verlassen  der  Insel,  frei  gelassen. 

Im  August  zwangen  heftige  Schneestürme  zum  Schluß  der  vierten  bis- 
her offen  gelassenen  Seite  des  Hauses;  doch  war  die  Schneedecke  nur  gering, 
und  nur  einmal  zeigte  sich  Eis! 

In  dieser  Zeit  wurde  Werth  krank;  Anfang  August  zeigten  sich  Wasser- 
anschwellungen in  den  unteren  Extremitäten;  auch  die  Lunge  schien  an- 
gegriffen; er  konnte  das  Bett  nicht  mehr  verlassen.  Während  des  ganzen 
Aufenthalts  ist  er  nicht  mehr  völlig  zu  Kräften  gekommen.  Anfang  September 
begann  auch  Enzensperger  unter  ähnlichen  Erscheinungen  zu  kränkeln; 
im  November  hatte  Luyken  die  Gewißheit,  daß  bei  beiden  Beri-Beri  aus- 
gebrochen sei.  Das  einzige,  einigermaßen  sichere  Mittel,  Digitalis,  fehlte; 
wer  hätte  auch  bei  einer  antarktischen  Expedition  daran  gedacht!  Es  war 
ein  seltsam- tragisches  Verhängnis,  daß  in  diese  reine  antarktische  Luft  die 
Keime  einer  Tropenkrankheit  verschleppt  waren!  Am  15.  Dezember  begann 
die  schwerste  Leidenszeit;  die  Schwellungen  nahmen  bei  Enzensperger 
immer  mehr  zu,  er  fand  keinen  Schlaf  mehr;  am  2.  Februar  erlag  er  ohne 
Todeskampf  seinen  Leiden.  Werth,  der  wieder  einigermaßen  hergestellt 
war,  bekam  einen  schweren  Rückfall,  an  dem  er  noch  jetzt  in  Sydney  im 
Hospital  krank  liegt.  In  einem  einfachen  Holzsarg,  mit  der  Reichsdienst- 
flagge bedeckt,  ward  Enzensperger  von  seinen  gesunden  Gefährten  zu  Grabe 
getragen.  Mit  bewunderungswürdigem,  unerschütterlichem  Pflichtgeftlhl  hatte 
er  seine  meteorologischen  Beobachtungen  angestellt,  solange  er  sich  noch  be- 
wegen konnte.  Die  Wissenschaft  verliert  in  ihm,  der  sich  schon  durch  seine 
Winterbeobachtungen  auf  dem  Zugspitz-Observatorium  einen  guten  Namen 
gemacht  hatte,  einen  ihrer  begeistertsten  Jünger;  am  meisten  aber  traf  sein 
Hinscheiden  den  kleinen  Kreis  von  Menschen  auf  der  einsamen  Kerguelen- 
station.  Tiefempfundene  Worte  treuen  Gedenkens  rief  der  Vortragende  dem 
auf  so  tragische  Weise  entrissenen  Freunde  nach. 


390  F.  Thorbecke: 

Am  30.  März  lief  die  „Staßfurt"  von  der  Hamburg-Australischen  Dampf- 
schiffahrtsgesellschaft Obsenratory-Bay  an;  zwei  Tage  darauf  wurde  die  deutsche 
Station  auf  den  Kerguelen  aufgelöst  und  kehrte  nach  Sydney  zurück. 

Haben  auch  die  wissenschaftlichen  Erfolge  durch  die  Krankheiten  der 
Teilnehmer  sehr  gelitten,  haben  diese  auch  vor  allem  eine  geographische  Er- 
forschung der  Insel  selbst  verhindert,  so  konnten  doch  die  meteorologischen 
und  erdmagnetischen  Terminbeobachtungen  vollkommen  durchgeführt  und 
biologische  und  geologische  Sammlungen  angelegt  werden.  Trotz  des  Un- 
sterns, der  von  Anfang  an  über  der  Expedition  waltete,  hat  sie  ihre  wichtigste 
Aufgabe  vollauf  erfüllt! 

Reicher  Beifall  der  Versammlung  bewies  dem  Vortragenden  den  Dank 
und  das  Interesse,  mit  dem  man  seinen  Ausführungen  über  das  Leben  auf 
der  einsamen  Insel  an  der  Orenze  der  Antarktis  folgte. 

Als  zweiter  Redner  sprach  Prof.  Dr.  Karl  Sapper  aus  Tübingen  über 
die  Ergebnisse  seiner  im  Herbst  1902  unternommenen  Reise  zur  Unter- 
suchung der  vulkanischen  Ereignisse  in  Mittel-Amerika  und  auf 
den  Antillen.  Seit  kurzer  Zeit  befindet  sich  dort  die  Erdrinde  in  einem  Zu- 
stand außergewöhnlicher  Erregung.  Selbst  wenn  man  von  den  vielen  falschen 
Nachrichten  sensationslustiger  oder  auch  irregeführter  Reporter  absieht,  ist  doch 
die  Summe  der  wirklich  stattgehabten  seismischen  und  vulkanischen  Ereignisse 
in  Central-Amerika  und  auf  den  Antillen  so  unverhältmäßig  groß,  daß  die  Aufmerk- 
samkeit der  Menschheit  auf  sie  gelenkt  werden  mußte.  Vor  allem  riefen  die  furcht- 
baren Katastrophen  des  Ausbruchs  der  Soufriere  auf  St.  Vincent  vom  7.  und  der 
Montagne  Pelee  auf  Martinique  vom  8.  Mai  1902  das  allgemeine  Interesse  wach. 

Da  in  West-Indien  bei  Sappers  Ankunft  Regenzeit  war,  fuhr  er  weiter 
nach  Guatemala,  dessen  Hochland  am  18.  April  von  einem  großen  Erdbeben 
heimgesucht  war.  Die  eigentümliche  Verbreitung  und  manche  Einzelerscheinimg 
dieses  Bebens  ließen  vermuten,  daß  es  kein  einheitliches  Ereignis  war,  daß 
das  tektonische  Beben  von  Ocos  ein  noch  schwereres  unmittelbar  darauf  ein- 
setzendes vulkanisches  Beben  ausgelöst  hatte.  Denn  während  in  Oc<Ss  und 
Umgebung  nur  einerlei  Schwingungsrichtung  bemerkt  wurde,  war  in 
Quezaltenango  und  andern  heimgesuchten  Gebieten  des  Hochlands  von 
Guatemala  nur  beim  ersten  Stoß  dieselbe  süd-südwestliche  Bewegungsrichtung 
beobachtet  wie  in  Oc6s;  die  späteren  Stöße  kamen  aus  ganz  verschiedenen 
Richtungen;  sie  waren  eigentlich  erst  verderbenbringend.  Die  Gebiete 
größten  Schadens  bilden  zwei  völlig  getrennte  Zonen,  eine  im  Osten,  eine 
zweite  längs  der  guatemaltekischen  Vulkanreihe.  Seit  der  großen  Erschütterung 
vom  18.  April  1902  nahm  die  Zahl  der  Beben  in  selbst  für  das  erdbeben- 
reiche Guatemala  ungeahnter  Weise  zu.  Vor  dem  18.  April  fanden  (nach  den 
Aufzeichnungen  der  deutschen  Kaffeeplantage  Las  Mercedes)  etwa  zehn  Beben 
statt,  nachher  waren  es  im  April  115,  im  Mai  50,  im  Juni  30,  im  Juli  47, 
im  August  29,  im  September  49,  wobei  die  kleinen  Nachbeben  nach  der 
schweren  Erderschütterung  vom  23.  April  nicht  eingerechnet  sind. 

Die  Stoßrichtung  kam  immer  deutlich  aus  der  Vulkangegend  her  und 
erweckte  daher  bei  den  Guatemalteken  Furcht  vor  Vulkanausbrüchen.  Nach 
der  schweren  Erderschütterung  vom  24.  Oktober  in  Guatemala-Stadt  erzählte  ein 
unbefangener  Beobachter,  daß  sich  die  stärksten  Bewegungen  im  S.  Maria, 
Zunil  und  Cerro  Quemado  konzentrierten^  dort  sei  auch  irgendwo  der  Herd 
der  Beunruhigung  zu  suchen.  Er  sollte  Recht  haben:  noch  am  gleichen 
Abend  fand  am  Südabhang  des  S.  Maria  ein  schwerer  Ausbruch  statt,  der, 
geologisch  betrachtet,  alle  Ausbrüche  des  Mont  Pelie  und  der  Soufriere  weit 


Der  XrV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  391 

übertraf.  Auf  Grund  all  dieser  Tatsachen  dürfen  wir  annehmen:  Mechanische 
Erschütterungen  des  tektonischen  Bebens  haben  den  labilen  Gleichgewichts- 
zustand des  S.  Maria  gestört  und  so  zum  Ausbruch  vom  24.  Okt.  geführt. 
Auch  der  Izalko  in  S.  Salvador,  der  am  10.  Mai  nach  15  monatlicher  Pause 
seine  kleinen  gewohnten  Erschütterungen  wieder  aufgenommen,  hatte  am 
5.  September  einen  stilrkeren  Ausbruch,  ausgezeichnet  durch  mäßigen  Aschen- 
regen, durch  das  Entsenden  eines  ansehnlichen  Lavastroms  und  die  Verlegung 
der  Eruptionsö&ung.  Ebenso  hatten  der  Masaya  in  Nicaragua  im  August 
1902  imd  am  10.  Januar  1903  leichte  Aschenauswürfe. 

Ein  Vergleich  der  Zeitpunkte  der  wichtigeren  seismischen  und  vulkani- 
schen Ereignisse  in  Central- Amerika  und  West-Indien^)  ergibt  manch  auf- 
fllllige  zeitliche  Annäherung:  trotz  der  großen  räumlichen  Entfernung  (von 
fast  3000  km)  beider  Vulkangebiete  ist  man  geneigt,  an  einen  Zusanmien- 
hang,  an  ein  „Belaisverhältnis^,  zu  denken. 

Die  guatemaltekisdien  Vulkanaasbrüche  zeigten  nur  bekannte  Typen: 
Der  Izalko  entsandte  einen  Lavastrom;  bei  ihm,  beim  S.  Maria  und  Masaya 
und  den  meisten  Ausbrüchen  der  Soufriere  wurden  nur  die  gewohnten  auf- 
steigenden Dampf-  imd  Aschenwolken  beobachtet;  sekundäre  Bewegungen  er- 
zeugten bisweilen  Wirbelbewegungen  der  Aschenwolken:  einmal  hat  Sapper 
beim  S.  Maria  die  herrliche  Pilzgestalt  einer  Streitschen  Wolke  in  glänzend- 
ster Weise  beobachtet,  die  aber  bald  wieder  hinter  vorschießenden  Dampf- 
wolken verschwand.  Dagegen  zeigten  die  Soufriere  am  7.  Mai  und  der  Mont 
Pel^  bei  allen  größeren  Ausbrüchen  einen  vorher  ganz  unbekannten  Typus 
absteigender  Eruptionswolken,  die  bergsturzartig  das  geneigte  Gelände  herab- 
eilten und  dabei  mit  Orkangewalt  alles  vernichteten,  was  sie  auf  ihrer  Bahn 
anti'afen;  sie  blähen  sich  ähnlich  den  aufsteigenden  in  steten  Wirbeln  zu 
blumenkohlförmigen  Gestalten  auf,  verlieren  aber  bei  dem  allmählich  lang- 
samer werdenden  Hinabrollen  nie  die  Fühlung  mit  dem  Erdboden.  Sie  be- 
stehen nicht  bloß  aus  leichten  Lapilli,  sondern  neben  Wasserdampf  und 
Aschen  vor  allem  aus  dem  groben  Gesteinsmaterial  des  Andesits,  aus  dem 
das  Gebirge  aufgebaut.  Dies  wurde  schon  im  Anfang  der  Abwärtsbewegung 
abgesetzt.  Die  Temperatur  dieser  Wolken  war  sehr  hoch,  doch  je  nach  der 
Intensität  der  Ausbrüche  stark  schwankend,  stets  aber  hoch  genug,  um  den 
Tod  der  Opfer  von  St  Pierre  aus  dem  Einatmen  der  heißen  Dämpfe  völlig 
zu  erklären;  bei  kleineren  Ausbrüchen  des  Mt.  Pelee  hat  La  Croix  Tempe- 
raturen unter  200®  C.  beobachtet,  bei  einem  wurde  nicht  einmal  die  Tempe- 
ratur des  schmelzenden  Zinns  erreicht.  Doch  war  einmal  die  Asche  3  Tage 
nach  einem  Ausbruch  noch  115®  C.  heiß.  Maximaltemperaturen  konnten 
wegen  der  mangelnden  Schmelzspuren  nur  unsicher  bestimmt  werden.  Ob 
schwere   Gase   (wie  Kohlensäure)    in    den  Wolken    waren,    ist   sehr   fraglich, 


1)  18.  IV.  1902.  Guatemala.  Erdbeben.  28.  IV.  Martinique.    Leichte  Beben. 

10.  V.  Izalko  erwacht.  ^  ^'  Katastrophe  von  {  |**  y^^^^^ 

6. IX.  Ausbruch  des  Masaya.  f  j™*  ^^l'^^Ä ^""f p^i^""^  A^'^'^a 

*#.  x^.  r^uou  uvii  i^cc  ^(»«jr».  g  j^   Ausbruch  dcs  Mout  Pcl^c  uud  gToßcr 

Ausbruch  der  Soufriere. 
23.  IX.  Erdbeben  in  Guatemala.  21.  IX.  Ausbruch  der  Soufriere. 

24. /2ö.  X.  Großer  Ausbruch  des  S.  Maria.    15./16.  X.  Großer  Ausbruch  der  Soufriöre. 

25. 1. 1908.  Mäßiger  Ausbruch  des  M  t.  Pelee. 

22. 1.  Soufri^re-Tätigkeit  erwacht  wieder. 

26.  m.  Mäßiger  Ausbruch  des  Mt.  Pel^e. 

21/30.  m.  Großer  Ausbruch  der  Soufriäre. 


392  F.  Thorbecke: 

wenn  auch  ihre  Anwesenheit  das  Abwftrtsrollen  der  Wolken  erklärlicher 
macht 

In  bilderreicher,  anschaulicher  Sprache  schilderte  der  Vortragende  die  nach 
der  Art  und  Weise  des  Ausbruchs  natürlich  sehr  verschiedenen  Wirkungen. 
Die  absteigenden  Wolken  vernichteten  jählings  alles  Leben  und  alle  Menschen- 
werke in  ihrem  Bereiche  vollständig;  die  von  den  aufsteigenden  Wolken  aus- 
gehenden Aschen-  und  Bimssteinregen  braditen  allmählich  durch  das  Gewicht 
ihrer  Absätze  Schaden,  schließlich  aber  auch  völlige  Vernichtung.  Auf  Mar- 
tinique verloren  etwa  32  000  Menschen  das  Leben,  auf  St.  Vincent  etwa 
1600;  in  Guatemala  werden  kaum  über  500  Opfer  des  Vulkanausbruchs  an- 
zunelunen  sein,  zumeist  durch  Hauseinstürze  in  Folge  Aschendrucks.  Nennens- 
werter Schaden  trat  in  Mittel-Amerika  erst  bei  einer  Mächtigkeit  der 
Aschendecke  von  20  cm  und  darüber  ein,  allerdings  auf  einem  Gebiet  von 
etwa  5000  qkm  gegenüber  nicht  ganz  200  qkm  auf  den  beiden  Antilleninseln. 
Die  verschiedene  Wirkungsart  der  ab-  oder  aufsteigenden  Eruptionswolken 
hat  auf  Martinique  und  St.  Vincent  die  Hauptmasse  der  Auswürflinge  in  den 
Talsohlen  und  den  sonstigen  Vertiefungen  des  Geländes  abgesetzt,  in  Guate- 
mala mehr  gleichförmig  über  das  ganze  Gelände  verteilt.  Der  Zutritt  von 
Wassermassen  erzeugte  bei  den  hohen  Temperaturen  hier  wie  dort  gejsir- 
artige  Explosionen.  Die  Abtragung  der  Auswürflinge  durch  spülendes  und 
fließendes  Wasser  war  auf  den  Antillen  viel  leichter  als  in  Guatemala,  einmal 
weil  dort  die  absteigende  Wolke  ihre  Absätze  haupi*iächlich  in  den  stärker  geneigten 
Talsohlen  konzentrierte,  dann  wegen  der  Inselnatur.  Die  topographischen  Ände- 
rungen wai'en  an  der  Meeresküste  nur  gering,  stark  verändert  sind  aber  die 
Krater  selbst,  besonders  am  Mont  Pel4e,  wo  aus  dem  neu  entstandenen  cen- 
tralen Schutikegel  durch  Herauspressen  von  unten  her  ein  gewaltiger  Fels- 
zacken emporgewachsen  ist  Große  Senkungen  des  Meeresbodens  haben  sich 
nicht  nachweisen  lassen. 

Von  viel  größerer  Bedeutung  sind  die  wirtschaftlichen  und  sozialen 
Folgen  der  Ausbrüche.  Auf  den  Antillen  sind  Wälder  und  Städte  völlig 
zerstört.  Auf  Martinique  mußte  der  verwüstete  Bezirk  abgesperrt  werden, 
um  Raub  und  Plünderung  zu  verhindern,  auf  St.  Vincent  waren  solche  Ge- 
waltmaßregeln bei  der  besseren  Bevölkerung  nicht  erforderlich.  Hier  machte 
die  englische  Regierung  Versuche  mit  Anpflanzungen  auf  den  von  den  neuen 
Eruptionsprodukten  gebildeten  Erdarten.  Auf  Martinique  sind  von  den  Fran- 
zosen zur  wissenschafklichen  Beobachtung  der  vulkanischen  Ereignisse  zwei 
Observatorien  errichtet  worden.  Die  aus  den  verwüsteten  Bezirken  geflohene 
Bevölkerung  ist  von  den  Kolonialregierungen  in  neu  errichteten  Dörfern 
untergebracht  und  mit  Ländereien  versehen  worden,  so  daß  ihre  Zukunft 
gesichert  erscheint;  trotzdem  herrscht  in  den  Kreisen  der  Notleidenden  viel 
Unzufriedenheit,  und  die  Gegensätze  zwischen  Schwarzen  und  Weißen  haben 
sich  auf  Martinique  neuerdings  noch  verschärft.  In  den  nicht  betroffenen 
Teilen  dieser  Insel  geht  das  wirtschaftliche  Leben  gerade  so  weiter  wie 
früher,  es  ist  sogar  noch  etwas  intensiver  geworden;  Fort-de-France  hat  als 
Handelsplatz  gewaltig  gewonnen.  Ganz  anders  liegen  die  Verhältnisse  in 
Guatemala.  Die  Regierung  hatte  nach  dem  Erdbeben  vom  18.  April  1902 
große  Energie  entfaltet,  griff  aber  nach  dem  großen  Ausbruch  des  S.  Maria 
nicht  wesentlich  helfend  ein.  Die  auf  den  Kaffeepflanzungen  arbeitenden 
Indianer  entflohen,  kehrten  aber  in  den  minder  heimgesuchten  Distrikten 
später  wieder  zur  Arbeit  zurück;  die  stark  verwüsteten  Plantagen  mußten 
dagegen  völlig  verlassen  werden.     Die  Verluste  in  Folge   des  Emteausfalls 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  393 

und  des  gänzlichen  Eingehens  vieler  Pflanzungen  sind  außerordentiich  groß. 
Leider  ist  deutsches  Kapital  dabei  herrorragend  beteiligt;  man  spricht  von 
etwa  50  MilL  Mark,  die  in  dem  betroffenen  Gebiet  angelegt  sind;  man 
darf  wohl  sagen:  mindestens  die  Hälfte  aller  Kaffeeplantagen  ist  hier  in  deut- 
schem Besitz  gewesen  oder  von  deutschem  Kredit  abhängig.  So  wirft  das 
central-amerikanische  Ereignis  seine  Schatten  auch  auf  uns  herüber,  und  in 
dem  Sinn  steht  uns  der  Ausbruch  des  S.  Maria  näher  als  die  erschütternden 
Katastrophen  von  St.  Vincent  und  Martinique. 

Dr.  Max  Friederichsen  aus  Hamburg  gab  an  der  Hand  ausgezeichneter 
Lichtbilder  Beiträge  zur  Morphologie  des  centralen  Tien-schan.  Ein- 
leitend sprach  er  kurz  über  die  Vorgeschichte  und  äußere  Organisation  der 
im  Sommer  1902  von  der  Universität  Tomsk  in  West-Sibirien  imter  Leitung 
des  Botanikers  Professor  W.W.  Saposchnikow  in  den  centralen  Tien-schan 
entsandten  Expedition^),  an  der  er  als  Geograph  und  Geolog  teilgenommen 
hatte.  Dann  wurden  die  morphologischen  Grundzüge  des  im  zweiten  Drittel 
jener  Heise  besuchten  Sary-dschas- Entwässerungsgebiets  im  Westen  des 
Khan -Tengri- Massivs  erläutert  an  morphologisch  äußerst  charakteristischen 
Landschaftsbildem  und  zwei  Karten;  eine  Diapositiv-Reproduktion  der  vom 
Vortragenden  entworfenen  und  von  seinem  Vater,  Dr.  L.  Friederichsen, 
gezeichneten  Karte  des  „Entwässerungsgebietes  des  Sary-dschas*'  in  1 :  300000*), 
sei  hier  besonders  erwähnt. 

Zuerst  gab  Friederichsen  eine  Übersicht  über  die  oro- hydrographi- 
schen Grundzüge  des  Sary-dschas -Entwässerungsgebiets.  Wie  in  unsem 
Alpen  das  Auftreten  sehr  hoher  Gipfel  weniger  von  der  Widerstandsfähig- 
keit des  Gesteins  abhängt  als  vielmehr  von  der  Anordnung  des  Talnetzes 
und  der  Breite  eines  durch  Erosion  wenig  zerfurchten  Sockels,  so  bestätigt 
diese  Erfahrung  auch  die  Lage  der  höchsten  Gipfel  des  Gebiets,  des  mit 
Firnsclmee  und  Gletschereis  bedeckten,  bis  6890  m  aufragenden  Khan- 
Tengri-Massivs  im  Osten  und  des  sicher  5000  m  überschreitenden  Akschir- 
jak-Berglands  im  Westen.  Ihnen  entströmt  alles  Wasser,  das  sich  in  der 
Mitte  des  Gebiets  zum  Sary-dschas  vereinigt  und  in  engem  Quertal  alle 
Ketten  durchbricht,  die  vom  Khan-Tengri  aus  in  NO  -  SW- Biehtung  (gen 
Westen)  ziehen.  Von  rechts  und  links  strömen  diesem  engen  Durchbruchstal, 
auffallend  regelmäßig  angeordnet,  eine  Reihe  von  Nebenflüssen  zu,  darunter 
der  Külu,  L^sch,  Inyltschek  und  Kalndjf,  alle  einander  ähnlich  in  der  im 
schroffsten  Gegensatz  zum  engen  Sary-dschas-Tal  stehenden  Ausbildung  von 
breiten  Längstälem  oder  Hochflächen,  die  in  ONO-WSW-  bis  NO-SW- Richtung 
durchströmt  und  von  einer  Reihe  gleich  gerichteter  Ketten  begleitet  werden. 
Die  drei  mittleren  Ketten  vereinigen  sich  im  Westen  von  neuem  zum  Ak-schir- 
jak-Bergland,  die  nördlichste  und  südlichste,  der  Terskei  Ala-tau  und  der 
Kok-schal-tau,  ziehen  beide  gen  Westen  weiter,  aber  in  ganz  verschiedener 
Ausbildung  im  östlichen,  dem  Khan-Tengri  benachbarten  Teil.  Der  Kok- 
schal-tau  bildet,  soweit  wir  wissen,  bald  westlich  vom  Khan-Tengri  eine  hohe, 
gipfelreiche,  schneegekrönte  Kette;  aber  an  Stelle  des  hohen  schneebedeckten 
Kamms  des  Terskei  Ala-tau,  wie  er  Friederichsen  noch  im  Turgin-Aksii- 
Quellgebiet  mit  Höhen  bis  über  5000  m  entgegengetreten  war,  trat  mit  An- 
näherung an   den  Khan-Tengri  eine  Anzahl  von  höchst  merkwürdigen,    aus 


1)  Vgl.  G.  Z.  1902.  S.  290.  641.  596.  650. 

2)  Diese  Karte  wird  im  Jahrgang  1904  der  Mitt.  d.  Hamburger  Geogr.  Ges. 
erscheinen. 

Qeographltohe  Zeitschrift.  9. Jahrgang.  1908.  T.Heft  27 


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dislocierten  und  später  anscheinend  denudierten  Schiefem  und  Carbon-Ealken 
aufgebauten  Hochflächen,  völlig  gipfellos  und  obwohl  höher  als  3800  m  fast 
völlig  schneefrei.  Bei  den  Kirgisen  heißen  hier,  wie  im  ganzen  Sary-dschas- 
Quellgebiet,  solche  Hochflächen  „Syrt". 

Nach  des  Redners  eigenen  Beobachtungen  über  die  Geologie  und  Tek- 
tonik seines  Reisegebiets  und  den  Ergebnissen  der  1886  hier  unter  dem 
Bergingenieur  Ignatjew  tätigen  Expedition  besteht  eine  enge  Abhängigkeit 
der  heutigen  Oberfläche  vom  inneren  Aufbau,  besonders  in  den  alten  kry- 
stallinen  Schiefem,  die  als  Gneise,  Glimmer-,  Chlorit-  und  Tonschiefer,  stellen- 
weise von  Eruptivgesteinen  durchbrochen,  die  Granit-Syenitachsen  der  Haupt- 
ketten vorwiegend  in  derselben  ONO- WSW-  bis  NO-SW-Richtung,  wie  die 
Ketten  des  Sary-dschas-Gebiets,  begleiten.  Alle  diese  alten  Schiefer  lassen 
deutliche  Spuren  starken  Druckes  erkennen,  wie  sie  Gresteinen  im  Herzen  alt- 
krystalliner  Kettengebirge  eignen.  Lagerung  und  petrographische  Beschaffen- 
heit des  Kalkes  zeigen  hier  auch  die  einzigen  bisher  in  diesem  Gebiet  ge- 
fundenen paläozoischen  Sedimente  aus  dem  Unter-Carbon,  die,  durch  Fossilien 
belegt,  als  sicher  am  Kakpak-Paß  und  dem  Sary-dschas-Nebenfluß  Itsch- 
keletasch  H,  als  wahi-scheinlich  am  Ischigart-Paß  nachgewiesen  sind.  Älteres 
wie  jüngeres  Paläozoicum  ist  dagegen  bisher  noch  nicht  nachgewiesen,  wenn 
auch  an  seinem  Vorhandensein  nicht  gezweifelt  werden  kann,  so  wenig  wie 
an  der  auf  Carbon-  und  Permo-Carbon,  im  Sary-dschas,  wie  überhaupt  im 
ganzen  centralen  und  östlichen  TiSn-schan  folgenden  ununterbrochenen  Kon- 
tinentalperiode. Damit  ist  der  Schlüssel  ftlr  das  richtige  Verständnis  der 
Entstehung  jener  eigenartigen  Konglomerat-  und  Sandsteinschichten  gegeben, 
der  bis  auf  weiteres  einzigen  Vertreter  jugendlicherer  Ablagerungen,  die  der 
Vortragende,  aber  in  viel  größerer  Mächtigkeit,  auch  in  anderen  Teilen  des 
Gebirgs,  wie  am  Südabfall  des  Dsungarischen  Ala-tau  und  am  Nordabhang 
des  Terskei  Ala-tau^)  anstehend  gefunden  hat.  Früher  hielt  man  eine  Zeit 
lang  diese  Vorkommen  junger  Konglomerate  und  Sandsteinbildungen  des  Tien- 
schan und  seiner  Umgebung  (in  Kaschgarien,  der  Mongolei,  im  Hoangho- 
Quellgebiet)  für  marin.  Bald  aber  hat  man  diese  irrige,  durch  keinen  einzigen 
Fossilfund  gestützte  Ansicht  aufgegeben,  heute  denkt  man  an  die  Bildung 
dieser  Ablagerungen  in  abgeschlossenen  Binnenseen.  Aber  auch  das  gilt  nicht 
allgemein:  bei  den  Vorkommen  im  Sary-dschas-Entwässerungsgebiet,  wie  am 
Südabhang  des  Dsungarischen  Ala-tau  scheint  es  sich  nach  Friederichsens 
Beobachtungen  an  Ort  und  Stelle  mehr  um  die  Ablagenmg  kontinentalen 
Schutts  in  einem  trockenen  central-asiatischen  Klima  zu  handeln,  wie  sie 
Johannes  Walther  am  Wüstenschutt  beobachtet  hat.  Zum  Zustande konunen 
solch  mächtiger  Schuttbildungen  am  Südfuß  des  Dsungarischen  Ala-tau  bot 
die  lange  .Kontinentalperiode  reichlich  Zeit. 

Am  jugendlichsten  aber  sind  die  glacialen  und  fluvioglacialen  Bil- 
dungen: alte  Endmoränen  unmittelbar  am  heute  abschmelzenden  Gletscher- 
ende oder  weit  von  ihm  entfernte  alte  Wälle  oder  das  Tal  auffüllende 
Schutthügel,  vor  ihnen  in  tieferen  Teilen  der  heutigen  Täler  große  Schotter- 
massen, durch  die  Schmelzwasser  der  einstigen  Gletscher  abgelagert  und  dann 
vom  heutigen  Fluß  in  deutlich  horizontal  geschichteten  Terrassenstufen  zersägt, 
wie  im  unteren  Külii-  und  Irtisch-Tal. 

Diese  geologischen  Betrachtungen  gipfeln  in  den  drei  Tatsachen:  Inten- 


1)  M.  Friederichsen.  „Vorläufiger  Bericht."    Z.  d.  Ges.  f.  Erdkde.  zu  Berlin. 
908.    Heft  2.    S.  109  ff. 


Der  XrV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  395 

sive  Faltung  der  alten  Gesteinsarten  von  ONO- WSW  nach  NO-SW;  lange 
Kontinentalperiode  nach  dem  Carbon;  einstmalige  größere  Gletscherentwicklung. 
Alle  drei  sind  aber  auch  nötig  zum  causalen  Verständnis  der  Morphologie 
des  heutigen  Oberflächenbildes  des  Sary-dschas-Entwässenmgsgebiets. 

Ein  Vergleich  mit  unseren  europäischen  Alpen  ergibt  lehrreiche  Unter- 
schiede. In  jedem  alpinen  Kettengebirge  in  gemäßigtem  Klima  werden  theoretisch 
drei  gut  unterscheidbare  Höhenzonen  ausgebildet^):  eine  mit  Vegetation  bedeckte 
Fußzone  mit  runden  Mittelgebirgsformen,  eine  Fels-  oder  Schuttregion  mit 
beginnenden  Hochgebirgsformen  und  eine  Fimregion  mit  echten  und  scharf 
ausgeprägten  Hochgebirgsformen,  mit  Karen,  Fimnischen,  Fimhömem,  Fels- 
graten u.  s.  w.  In  den  meisten  Teilen  der  Alpen  fehlen  aber  diese  drei 
theoretischen  Stufen;  fast  völlig  fehlt,  darauf  weist  Richter  mit  besonderem 
Nachdruck  hin,  die  zweite  Zone:  immittelbar  von  der  Waldregion  aufwärts 
beginnen  in  unsem  Alpen  schon  Hochgebirgsformen.  Das  verdanken  die 
Alpen  der  Eiszeit.  Für  das  morphologische  Verständnis  der  heutigen  Alpen- 
scenerie  haben  die  jüngsten  Eiszeitforschungen  von  Penck,  Brückner  und 
Bichter  nachgewiesen,  daß  sich  die  ganze  mittlere,  nach  der  Theorie 
zu  erwartende  Schuttregion  imserer  Alpen  in  dem  „erborgten  Schmuck 
von  Formen  einer  verflossenen  Periode",  eben  der  Eiszeit,  präsentiert.  Ganz 
anders  im  Tien-schan!  Hier  ist  diese  zweite  Fels-  und  Schuttregion  in 
einem  trockenen  central-asiatischen  Klima  und  ohne  eine  so  intensiv  morpho- 
logisch umgestaltende  Eiszeit,  wie  in  unseren  Alpen,  ungemein  mächtig  und 
charakteristisch  entwickelt.  Hier  im  Tien-schan  ist  die  den  Boden  schützende 
geschlossene  Vegetationsdecke  (in  etwa  2800 — 3000  m  Höhe)  von  der 
gleichfalls  den  Fels  konservierenden  Fimregion  (zwischen  3600  und  4000  m) 
imi  viele  100  m  getrennt  durch  die  dazwischen  liegende  Schuttzone,  die  den 
Einflüssen  des  extremen  central-asiatischen  Klimas^)  schutzlos  preisgegeben  ist 
und  im  Winter,  bei  der  tiefen  Lage  der  an  den  nördlichen  Randketten  fest- 
gehaltenen Schneewolken  schneefrei,  den  Wirkungen  des  Spaltenfrostes  allein 
unterliegt. 

Die  Szenerie  des  Tien-schan  ähnelt  so  am  ersten  in  der  Fußzone  und 
der  Fimregion  der  unserer  Alpen. 

Den  Nordabhang  des  Terskei  Ala-tau,  der  Wasserscheide  des  Sary-dschas- 
EntwässeruDgsgebiets  und  des  Einzugsgebiets  des  Issyk-kul  und  Balkasch- 
Sees,  zieren  dagegen  dieselben  schön  bewaldeten,  von  rauschenden  Bergflüssen 
durchbrausten  Talschluchten,  die  gleichen  saftig  grünen  Matten,  dieselben  sanft 
geschlungenen  Bergformen,  wie  unser  Alpenland. 

Auch  die  Hochregion  des  Sary-dschas-Entwässerungsgebiets  gleicht  der 
unserer  Alpen.  Der  ragende,  kegelförmige  Schneegipfel  des  Khan-Tengri, 
emporgetürmt  auf  einem  wahrhaft  gigantischen,  mit  Firn  und  Eis  bedeckten 
Sockel,  kann  sich  mit  jedem  Alpenhochgipfel  messen;  nicht  minder  die  zur 
Seite  des  Sary-dschas-Durchbruchtals  gewaltig  aufstrebende  Pyramide  des 
Eduard-Piks  von  Almasys  oder  die  scharfzackigen  Grate  und  Spitzen  im  Sary- 
dschasyn-tau  mit  ihren  Anklängen  an  die  Matterhorn-Form  der  Alpen  oder 
die  Gestalt  des  Ushba  im  Kaukasus  oder  die  das  Terekty-Tal  3000  m  über- 
ragende bis  zu  5200  m  aufsteigende  Saposchnikow-Spitze. 


1)  Ed.  Richter.    Geomorphologische  Beobachtungen  in  den  Hochalpen.    Pet. 
Mitt.  Ergbd.  132.    S.  74. 

2)  Fiiederichsen  gibt  hierüber  Näheres   in   seiner  „Morphologie  des  Tien- 
schan'* in  der  Z.  d.  Ges.  f.  Erdkde.  zu  Berlin.    Bd.  34.     1899.    S.  248  ff. 

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Ganz  anders  ist  das  morphologische  Charakterbild  der  Schuttregion. 
Auch  die  Alpen  bieten  zwischen  Baum-  und  Schneegrenze  Bilder,  wie  etwa 
das  mittlere  Turyen-Aksu-Tal  mit  seinen  von  tiefgründig  verwittertem  Granit- 
schutt überladenen  Talflanken;  aber  zu  dem  vom  Kara-kyr-Paß  überschrittenen 
Bergrücken  wird  man  in  den  Alpen  vergebens  ein  Ajialogon  suchen.  Bis 
ins  innerste  Mark  ist  der  hier  anstehende  Tonschiefer  verwittert.  Nur  an 
wenigen  Stellen  durchdringt  er  den  dichten  Schuttmantel.  Regen-  und  Schnee- 
schmelzwässer bilden  streckenweise  einen  zähflüssigen  tonigen  Brei,  der  wie 
die  Tonschiefertrümmer  der  Schwere  folgend  zu  Tal  gleitet  und  schwer 
begehbare,  ungeheuer  steile  Gehänge  von  über  30®  bildet,  die  sonst  nur  die 
steilsten  Vulkankegel  der  Erde  aufweisen. 

In  dieser  Schuttzone  liegen  die  weitbodigen  hochgelegenen  Längstäler, 
das  Külii-  und  Irtisch-Tal  und  „Syrte"  des  Sary-dschas-Quellgebiets.  Ihre 
vegetationslosen  Felswände  sind  ebenso  massenhaft  mit  Yerwitterungsschutt 
bedeckt,  wie  die  Eammrücken  am  Kara-kyr-Paß;  allen  gemein  aber  ist  die 
erstaunliche  Breite  ihrer  weiten  Talböden:  im  Sary-dschas-Quellgebiet  erreicht 
sie  einen  derartigen  Grad,  treten  die  es  beiderseits  begleitenden  Bergketten 
so  weit  auseinander,  ^daß  aus  dem  Hochtal  eine  weite  Hochfläche,  die  „Syrt^^ 
der  Kirgisen  wird.  Sie  ist  wie  der  Untergrund  des  weiten  Irtasch-Tales  aus 
stark  gefalteten  und  steil  aufgerichteten,  heute  aber  völlig  eben  abgeschnittenen 
krystallinen  Schiefer-  und  Carbonkalkschichten  zusammengesetzt.  Wie  sind 
diese  Flächen  hier  im  Gebirgs-Innem  in  unmittelbarster  Nähe  der  Bergriesen 
des  heutigen  Tiön-schan  entstanden?  Gegen  Meereswirkung  sprechen  alle  geo- 
logischen Tatsachen.  Am  ehesten  könnte  man  an  suba^rische  Denudation, 
vielleicht  in  Verbindung  mit  seitlicher  Flußerosion  denken,  an  eine  „Peneplain"- 
Bildung  im  Sinne  Davis'.  Die  hierfür  nötigen  langen  Kontinentalperioden 
stehen  ziemlich  sicher.  Doch  dürften  sich  diese  Denudationsflächen  kaum  in 
ihrer  heutigen  Höhe  von  etwa  3000  m  gebildet  haben,  auch  nicht  air  ihre 
Teile  im  gleichen  Niveau,  so  wenig  wie  sie  von  späteren  tektonischen  Ein- 
flüssen unberührt  blieben;  man  muß  vielmehr  ziun  Verständnis  der  tatsäch- 
lichen Verhältnisse  eine  spätere  Hebung  im  Zusammenhang  mit  gleichzeitiger 
Zerstückelung  einzelner  Teüe,  wie  bei  den  bruchi-and artigen  Kohlenkalkböschungen 
im  Norden  der  Sary-dschas- Syrte,  oder  mit  intensiver  Neufaltung  anderer 
Gebiete  annehmen.  Doch  sollen  all  diese  Erklärungsversuche  bei  der  lücken- 
haften Kenntnis  der  Tektonik  des  Gebiets  nur  zu  späterer  Lösung  der  Probleme 
auf  Grund  genauerer  Forschungen  anregen! 

Hier  in  der  mittleren  Schuttregion  findet  man  auch  besonders  deutliche 
Eiszeitspuren  und  Ablagerungen  aus  dieser  Periode.  Die  Kare  und  Gletscher- 
schliffe  am  Nordabhang  des  Terskei  Ala-tau  im  heutigen  Gebiet  der  Baum- 
vegetation bei  etwa  2600  m  oder  die  alten  Moränen  und  fluvioglacialen 
Schotterablagerungen  im  Irtasch-  und  Külu-Tal  sind  deutlich  erkennbar;  aber 
auch  das  Sary-dschas-Quellgebiet  zeigt  deutlich  Spuren  ehemaliger  Vergletsche- 
rung in  seinen  heutigen  an  die  eisverlassene  norwegische  Fjeldlandschaft  ge- 
mahnenden Formen.  Sicher  waren  die  weiten  Denudationshochflächen  der  Syrt 
einst  tief  im  Eis  begraben.  Alle  etwaigen  Zweifel  schwinden  aber  beim  An- 
blick der  typischen  glacialen  Trogtäler,  die  diese  Hochflächen  heute  in  ebenso 
viele  Tafelberge  zerlegen.  Die  Trogtäler  münden  in  Stufen  in  das  vom 
Gletscher  übertiefte  Sary-dschas-Haupttal  und  zeigen  an  den  Flanken  ihrer 
U-förmigen  Talprofile  als  Marken  des  einstigen  Eisstandes  deutlich  Gletscher- 
schliffe; ebenso  wenig  fehlen  echte  Karbildungen  an  den  Talleisten,  den  Resten 
Iter  Talböden,  und  die  für  Glacialgebiete    typische  Rundhöcker-Landschaft. 


Der  XIY.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  397 

Trotz  dieser  leicht  nachweisbaren  Einwirkungen  einer  einst  weiten  Verglet- 
schening  der  Saiy-dschas-Hochregion  kann  doch  von  einer  Eiszeit  in  der 
Ausdehnung  wie  in  unsem  Alpen  keine  Bede  sein;  nur  die  Talgletscher  waren 
sehr  viel  ausgedehnter  wie  auch  die  in  den  Hochgebirgsregionen  in  nächster 
Nachbarschaft  der  noch  heute  völlig  verfimten  Massive.  „In  diesen  Grenzen," 
so  schloß  der  Redner  seine  frisch  und  lebhaft  vorgetragenen  AusfiQirungen, 
„hat  unsere  Expedition  vielleicht  dazu  beigetragen,  die  morphologische  Bedeu- 
tung dieser  Vorgänge  auf  die  Ausgestaltung  des  heutigen  Gebirgsbildes  deut- 
licher und  nachdrQcklicher  zu  erweisen,  als  alle  bisher  im  Tien-schan  tätig 
gewesenen." 

Meereskunde. 

In  der  Nachmittagssitzung  gab  Prof.  Dr.  6.  Gerland  aus  Straßburg  einen 
Überblick  über  den  Stand  der  Erdbebenforschung  im  Deutschen  Reich,  über 
den  an  anderer  Stelle  in  diesem  Heft  (S.  408)  berichtet  wird.  Prof.  Supan, 
der  den  Vorsitz  führte,  betonte,  daß  das  Hauptverdienst  an  der  Förderung 
dieser  Forschungen  Gerlands  Tätigkeit  und  Initiative  zu  danken  sei,  womit 
sich  die  Versammlung  durch  lebhaften  Beifall  einverstanden  erklärte. 

Prof.  Adolf  Schmidt,  Vorstand  der  erdmagnetischen  Abteilung  des 
preußischen  meteorologischen  Instituts  in  Potsdam,  sprach  über  die  Er- 
forschung der  Meeresströmungen.  Die  deutsche  Wissenschaft  sei  schon 
lang  auf  dem  Gebiet  der  Meeresforschung  tätig  gewesen  und  habe  dabei  auch 
nicht  der  Würdigung  und  Unterstützung  durch  das  Reich  entbehrt.  Zum 
weitem  Ausbau  der  Forschung  scheine  es  geboten,  den  bisher  behandelten 
Aufgaben  noch  eine  neue  hinzuzufügen,  die  direkte  Messung  der  Meeres- 
strömungen in  einer  gewissen  Tiefe,  etwa  von  500  m  ab.  Die  große  Gleich- 
förmigkeit der  Zustände  und  Vorgänge  in  großen  Tiefen  läßt  durch  solche 
Messungen  eine  große  Vereinfachung  imd  Verbesserung  der  theoretischen  Unter- 
suchung erwarten;  praktisch  werde  damit  eine  Grundlage  zur  genaueren 
Feststellung  der  wechselnden  Strömungsvorgänge  an  der  Meeresoberfläche  ge- 
wonnen. Zur  Durchführung  der  vorgeschlagenen  Messungen  könnte  man  in 
der  Tiefe  Bojen  (mit  gewissen  automatischen  Reguliervorrichtungen)  schwimmen 
lassen  und  ihrem  Lauf  mit  dem  Schiff,  dessen  Ort  wiederholt  durch  astrono- 
mische Messungen  bestimmt  wird,  folgen.  Dabei  könnten  auch  die  in  die 
Tiefe  gerichteten  vertikalen  Strömungen  gemessen  werden.  Die  Ausführung 
des  Planes  erfordere  allerdings  ein  eigenes  Schiff,  das  dauernd  dafür  ver- 
wendet würde.  Auch  andere  wissenschaftliche  Aufgaben  drängten  zur  Forde- 
rung nach  einem  nur  für  Meeresforschung  benutzten  „schwimmenden  Ob- 
servatorium", vor  allem  die  einwandfreie  magnetische  Vermessung  der  Ozeane. 
So  würde  man  mehreren  Zwecken  gleichzeitig  dienen.  Die  an  der  Meeres- 
forschung beteiligten  Gelehrten  könnten  dann  auch  mehr  als  bisher  in  die 
praktische  Beobachtung  auf  längeren  Reisen  eingeführt  werden,  was  bis  jetzt 
nur  wenigen  vergönnt  war. 

Der  Vortrag  fand  lebhaften  Beifall;  Geh.  Rat  von  Neumayer  befür- 
wortete die  Bestrebungen  des  Vortragenden.  Dr.  G.  Schott  von  der  See- 
warte in  Hamburg  wies  darauf  hin,  daß  man  in  der  „Poseidon"  schon  ein  ge- 
eignetes Beobachtungsschiff  besitze. 

Dann  verbreitete  sich  Schott  über  die  Stromversetzungen  auf  den 
internationalen  Dampferwegen  zwischen  dem  Englischen  Kanal 
und  Neu-York,  die  sehr  wichtiges  praktisches  Interesse  haben.  Er  erläuterte 
seine  Ausführungen  durch  übersichtliche  graphische  Darstellungen  und  Karter 


398  F.  Thorbecket 

und  faßte  ihre  Ergebnisse  in  folgende  Sätze  zusammen:  1.  Die  Größe  der  Ver- 
setzungen von  Dampfern  steht  im  umgekehrten  Verhältnis  zur  Schiffegröße, 
scheint  dagegen  kaum  von  der  Schnelligkeit  und  Maschinenkraft  von  Schiffen 
abzuhängen.  2.  Ausnahmsweise  große  Versetzungen,  die  meist  durch  be- 
sondere Naturereignisse,  schwere  Stürme,  gewaltige  Strömungen  u.  dergl. 
hervorgerufen  werden,  kommen  bei  Schiffen  jeder  Größe  fast  im  gleichen 
Maße  vor.  3.  Alle  Schiffe  werden  am  häufigsten  nach  Lee  oder  nach  dem 
Quadranten  rechts  von  Lee  versetzt.  4.  Die  Versetzungen  im  Sinne  der 
herrschenden  Stromrichtung  pflegen  am  größten  zu  sein.  5.  Die  Versetzungen 
sind  im  Durchschnitt  auf  der  westlichen  Hälfte  der  Dampferwege  wesentlich 
größer  als  auf  der  östlichen;  die  Grenze  der  schwachen  und  starken  Ver- 
setzungen liegt  im  Mittel  bei  40®  w.  L.  für  die  südlichen,  bei  30®  w.  L.  für 
die  nördlichen  Wege.  6.  Auf  der  östlichen  Hälffce  beider  Wege  sind  die 
Versetzungen  nach  allen  Kompaßrichtungen  ziemlich  gleichmäßig  verteilt. 
7.  Auf  der  westlichen  Hälfte  der  südlichen  Wege  überwiegen  überall  Ver- 
setzungen nach  Norden  und  Osten.  8.  Auf  der  westlichen  Hälfte  der  nördlichen 
Wege  von  30®  w.  L.  bis  Land  wechseln  die  vorwiegenden  Versetzungen  zweimal. 
Damit  schlössen  die  Nachmittagsvorträge.  Das  vom  Vorsitzenden  unter 
allgemeiner  Spannung  der  Versammlung  verlesene  Telegranma  über  die  „Gauß", 
demzufolge  „an  Bord  alles  wohl"  sei,  gab  dem  Tag  einen  schönen  Abschluß. 
Der  Vortrag  von  Prof.  v.  Halle  über  das  Meer  in  wirtschaftsgeogra- 
phischer Hinsicht  war  in  letzter  Stunde  abgesagt. 

Wirtschaftsgeographie. 

Die  dritte  Sitzung  am  Mittwoch  Vormittag  war  der  Wirtschafts- 
geographie gewidmet. 

Prof  Dr.  Robert  Sieger  aus  Wien  erörterte  die  Forschungsmethoden 
in  der  Wirtschaftsgeographie.  Bisher  sei  in  den  methodischen  Erörte- 
rungen immer  nur  von  der  Darstellung,  nie  von  der  Forschung  die  Rede  ge- 
wesen. Es  sei  aber  principiell  wichtig,  sich  die  Frage  vorzulegen,  ob  es 
überhaupt  wirtschaftsgeographische  Forschung  gebe  und  welche  Methoden 
ihi-  zukämen.  Die  Antwort  auf  diese  Frage  müsse  zur  Lösung  des  Grund- 
problems nach  der  Stellung  der  Wirtschaftsgeographie  unter  den  geographi- 
schen und  anderen  Wissenszweigen  beitragen.  Die  Versuche,  das  Gebiet  der 
Wirtschaftsgeographie  zu  umgrenzen,  haben  Übereinstimmung  über  ein  Kem- 
gebiet  dieser  Disciplin  ergeben,  über  die  Geographie  der  Produktion,  des 
Konsums  und  der  Güterübertragung  oder  des  Handels.  Die  Außenprovinzen 
seien  dagegen  vielfach  strittig.  Der  Vortragende  untersucht  die  Methoden, 
die  auf  diesem  sichern  Kemgebiet  zur  Anwendung  kommen.  Zwei  sich  be- 
fehdende Richtungen  lassen  sich  durch  die  Worte:  wirtschaftliche  Geographie 
imd  geographische  Wirtschaftskunde  kennzeichnen.  Sie  bestehen  in  der  An- 
wendung geographischer  Gesichtspunkte  auf  wirtschaftliche  Daten  (geogra- 
phische Verbreitung  von  Produktion,  Konsum,  Handel  imd  anderen  damit 
zusammenhängenden  wirtschaftlichen  Faktoren)  und  in  der  Anwendung  wirt- 
schaftlicher Gesichtspunkte  auf  geographische  Daten  (wirtschaftliche  Bewer- 
tung der  geographischen  Momente,  Verfolgung  ihrer  wirtschaftlichen  Effekte). 
Nach  Sieger  führen  beide  Wege  dahin,  das  ursächliche  geographische  Ver- 
ständnis der  wirtschaftlichen  Faktoren  und  Zustände  zu  gewinnen,  nur  muß 
der  eine  den  anderen  ergänzen  und  kontrollieren.  Das  weiteste  Ziel  sieht  er 
freilich  auf  rein  anthropogeographischem  Boden,  indem  die  gesamten  wirt- 
schaftsgeographischen Kenntnisse   ausgenützt  werden  sollen  zur   besseren  Er- 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  399 

kenntnis  der  Menschheitsverteilung  über  die  Erde.  —  Auf  den  besprochenen 
Wegen  der  Forschung  ordnet  der  Geograph  nicht  nur  Daten,  die  ihm  wirt- 
schaftliche Bisciplinen  liefern,  nach  geographischen  Gresichtspunkten  und  um- 
gekehrt, er  muß  auch  das  ihm  vorliegende  Material  durch  Feststellung  neuer 
Tatbestände  ergänzen.  Das  geschieht,  wie  der  Vortrag  weiter  ausführte, 
nicht  nur  durch  Quellenkritik,  sondern  auch  durch  eigene  Beobachtungen. 
Die  Wirtschaftsgeographie  ist  also  nicht  eine  bloß  „angewandte^^  Disciplin, 
sondern  ein  Teil  des  geographischen  Wissens-  und  Forschungsgebiets. 

Siegers  Ausführungen  beleuchtete  geschichtlich  Dr.  Alois  Kraus  aus 
Frankfurt  a.  M.  in  seinem  Vortrag  über  die  Geschichte  der  Handels-  und 
Wirtschaftsgeographie.  Er  versuchte,  ausgehend  von  einem  Kasseler 
ßchulprogramm  von  A.  M.  Janson  vom  Jahr  1855,  zum  ersten  Mal  eine 
kritische  Entwicklung  der  Handels-  und  Wirtschaftsgeographie  im  Zusammen- 
hang mit  dem  Werdegang  der  allgemeinen  Geographie  und  der  National- 
ökonomie zu  geben.  Die  Ablösung  und  Verselbständigung  des  geographischen 
Stoffe,  der  dem  Interessenkreis  des  Kaufmanns  entsprach,  dürfte  schwerlich  in 
der  geographischen  als  vielmehr  allmählich  in  der  handelskundlichen  Literatur 
erfolgt  sein,  die  sich  seit  dem  14.  Jahrhundert  zimächst  in  dem  wichtigsten 
Wirtschaftsgebiet  Europas,  in  Italien,  entwickelt  hat  Ihre  Ausgestaltung  er- 
hielt die  Handelsgeographie  im  Zeitalter  des  Merkantilismus,  als  das  Interesse 
an  der  Erforschung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des  eigenen  Staats  und 
fremder  etwa  rivalisierender  Länder  erwachte.  Sie  tritt  uns  ungefilhr  seit 
der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  zunächst  als  ein  unentbehrlicher  Teil  der 
großen  systematischen  handelskundlichen  Werke  entgegen,  dann  als  ein  selb- 
ständiges Glied  der  politischen  Geographie  und  schließlich  auch  der  ihr  ver- 
wandten, von  Achenwall  systematisierten  Statistik  oder  Staatenkunde.  Sie 
findet  als  Lehrgegenstand  ihre  Pflege  an  den  neuen  Bildungsanstalten  der 
Merkantilzeit,  nicht  nur  an  den  Realschulen  und  Handelsakademien,  auch  an 
den  Ritterschulen,  so  an  der  hohen  Karlschide  in  Stuttgart.  Es  ist  leicht  be- 
greiflich, daß  die  aus  dem  Kreise  der  Statistiker  hervorgehenden  handels- 
geographischen Darstellungen  über  die  bloße  Hervorhebung  der  Handelsprodukte 
und  Verkehrswege  hinaus  auch  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  aller  anderen 
Erwerbsstände  im  Auge  behielten.  Die  bei  ihnen  übliche  Voranstellung  von 
aUgemeinen  Erwägungen  über  den  Zusammenhang  geographischer  und  wirt- 
schaftlicher Tatsachen  muß  als  methodischer  Fortschritt,  als  ein  allerdings 
sehr  dürftiger  Ansatz  zu  einer  allgemeinen  Wirtschaftsgeographie  bezeichnet 
werden. 

Eine  wissenschaftliche  Ausgestaltung,  die  Fähigkeit  der  Darstellung  ur- 
sächlicher Zusanunenhänge  erhält  die  angewandte  Geographie  durch  Humboldt, 
bei  dem  sich  ja  in  seltener  Weise  ein  hohes  Maß  naturwissenschaftlicher 
Erkenntnis  mit  kameralistischen  Erfahnmgen  vereinte.  Wenn  auch  sein  Haupt- 
werk „Essai  politique  sur  le  royaume  de  la  Nouvelle  Espagne"  1811  die 
Grenzen  der  Wirtschaftsgeographie  überschreitet,  so  ist  doch  seine  Gliederung 
im  Streben  nach  ursächlicher  Verknüpfung  des  Stoffs  und  in  der  kritischen 
Sichtung  und  Veranschaulichung  des  statistischen  Materials  vorbildlich. 

Der  zweite  Schöpfer  der  modernen  Geographie,  Ritter,  hat  wohl  seine 
Erdkunde  als  reine  der  angewandten  gegenübergestellt,  aber  schon  durch 
seinen  Aufsatz  „der  tellurische  Zusammenhang  der  Natur  und  Geschichte  in 
den  Produktionen  der  drei  Naturreiche"  der  Handelsgeographie  mit  seiner 
Forderung  nach  einer  die  natürlichen,  wirtschaftlichen  und  geistigen  Zu- 
sammenhänge   berücksichtigenden    geographischen  Produktenkunde  eine    ho^ 


400  F-  Thorbecke: 

Aufgabe  zugewiesen.  Die  Periode  nach  Bitter  mit  ihrer  Abkehr  von  den 
Naturwissenschaften  bedeutet  im  allgemeinen  einen  Verfall  der  Geographie, 
besonders  der  angewandten  Erdkunde.  Wie  weit  die  Smithsche  Richtung  in 
der  Nationalökonomie  Inhalt  und  Methode  der  handelsgeographischen  Darbie- 
tungen dieser  Zeit  beeinflußt  hat,  will  der  Vortragende  einer  weiteren  Unter- 
suchung vorbehalten. 

Mit  der  neuen  Strömung  innerhalb  der  geographischen  Wissenschaft  in 
den  70er  Jahren  des  19.  Jahrhunderts,  die  ihr  die  Ergebnisse  und  Methoden 
naturwissenschaftlicher  Forschung  zuführte,  beginnt  auch  für  die  Handels-  und 
Wirtschaftsgeographie  eine  neue  Epoche.  In  die  lebhafte  methodische  Dis- 
kussion der  80er  Jahre  fallen  auch  die  Ausfahrungen  von  Götz  „über  Wesen 
und  Aufgabe  der  Wirtschaftsgeographie"^);  aber  die  von  ihm  gegebenen  Be- 
griffsbestimmungen sind  einerseits  zu  weit,  andrerseits  zu  eng.  Die  doch  un- 
umgänglich notwendige  Einbeziehung  sozialer  und  psychischer  Faktoren  zur 
Erklärung  wirtschaftsgeographischer  Entwicklungen  ist  durch  sie  ausgeschlossen. 
Kraus  stellt  ihr  eine  andere  gegenüber;  nach  ihr  hat  die  Wirtschafts- 
geographie die  ¥rirtschaftlichen  Erdoberflftchenerscheinungen  darzustellen,  ihre 
räumliche  Anordnung,  ursächliche  Erklärung  und  wirtschaftliche  Würdigung 
zu  geben,  so  wie  sie  durch  die  natürliche  Ausstattung  der  Erdräume  und 
die  Wechselwirkimg  von  Natur  und  Mensch  hervorgerufen  sind.  Durch  diese 
Formulierung  glaubt  der  Vortragende  nicht  nur  das  Forschungsobjekt  der 
Disciplin,  sondern  auch  ihr  Verhältnis  zu  allen  andern  Disciplinen  dahin 
klargestellt  zu  haben,  daß  sie  alle  zur  Erklärung  wirtschaftlicher  Erdober- 
flächenerscheinungen heranzuziehen  sind,  mögen  sie  den  Natur-  oder  Geistes- 
wissenschaften angehören.  Mit  dieser  Begriffsbestimmung  wendet  er  sich  gegen 
eine  Verquickung  der  Wirtschaftsgeographie  mit  der  Wirtschaftskimde ,  die 
allerdings  der  ersteren  überaus  wertvolles  Material  zu  bieten  vermag. 

Die  Wirtschaftsgeographie  bedarf  keiner  Erweiterung  ihres  Stoffgebiets, 
wohl  aber  seiner  systematischen  Bearbeitung,  seiner  Vergeistigung  durch  eine 
vergleichende  Betrachtung  ihrer  Erscheinungen  über  das  Erdganze  hin  unter 
dem  Gesichtspunkt  der  Entwicklung,  kurz  einer  ähnlichen,  wenn  auch  metho- 
disch anders  gearteten  Behandlung,  wie  sie  Ratze  1  der  politischen  Geographie 
hat  zu  teil  werden  lassen. 

Privatdozent  Dr.  Ernst  Friedrich  aus  Leipzig  sprach  über  einige 
kartographische  Aufgaben  in  der  Wirtschaftsgeographie.  Die 
Karte  soll  die  Verbreitung  einzelner  Wirtschaftsobjekte  darstellen,  wie  auch 
ein  Gesamtbild  der  Wirtschaft  geben.  Diese  letzte  Aufgabe  bietet  große 
Schwierigkeiten:  eine  ungeheure  Fülle  von  Objekten  soll  gleichzeitig  auf  der 
Karte  veranschaulicht  werden.  Eine  Karte,  die  das  leistet,  verdient  dem  ge- 
schriebenen Wort  vorgezogen  zu  werden,  das  die  räumlichen  Verhältnisse  nur 
mangelhaft  zur  Darstellung  bringt,  wie  auch  der  Tabelle,  die  zur  Darstel- 
lung quantitativer  und  qualitativer  Unterschiede  nur  einen  kläglichen  Not- 
behelf bildet. 

Die  wirtschaftsgeographische  Karte  hat  drei  wichtige  Aufgaben  zu  er- 
füllen: Sie  soll  das  einzelne  Objekt  der  Wirtschaft  (Tee,  Kaffee,  Wolle,  Kohle 
u.  a.)  darstellen  in  seiner  örtlichen  Verbreitung  nach  Menge  und  Qualität, 
sein  Vorkommen  erklären  aus  dem  Subjekt  der  Wirtschaft  und  den  örtlichen 
Naturverhältnissen,  es  als  Teil  der  Gesamtproduktion  würdigen  in  seinen  Be- 
ziehungen zu  Siedlung  und  Verkehr.    Die  Wichtigkeit  der  Qualitätskarte  auch 


1)  Z.  d.  Ges.  f.  Erdkde.  zu  Berlin.  1882. 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  401 

für  die  Praxis,  für  die  Eenntnis  des  Materials  und  der  Marktpreise,  wurde  am 
Elfenbein  gezeigt.  Die  zweite  Aufgabe  besteht  in  der  Darstellung  des  wirt- 
schaftsgeographischen Gesamtbilds  größerer  Erdräume,  in  der  Einfügung  jedes 
Einzelobjekts  in  den  Rahmen  der  Gesamtdarstellung.  Die  äußere  Schwierig- 
keit der  Darstellung  einer  großen  Fülle  von  Objekten  auf  einer  Karte  ist 
nicht  unüberwindlich,  wie  Scobel  und  Langhans  gezeigt  haben. 

Die  dritte  und  letzte  Aufgabe,  die  noch  nicht  in  Angriff  genommen,  ist 
die  kartographische  Darstellung  der  Wirtschaftsstufen,  die  ein 
Abbild  der  geschichtlichen  Entwicklung  der  Wirtschaft  geben  sollen. 
Aus  solchen  Karten  glaubt  der  Vortragende  die  allgemeine  Tendenz  des  wirt- 
schaftlichen Fortschritts  und  die  Wirtschaftshöhe  nach  der  Art  der  Wirt- 
schaftsführung, nach  dem  modus  rerum  geren darum  beurteilen  zu  können. 
Von  national-ökonomischer  Seite,  von  Hildebrand  und  Bücher  sind  Wirt- 
schaftsstufen aufgestellt,  die  aber,  weil  zu  einseitig,  den  Geographen  wenig 
fördern. 

Überall  strebt  die  Entwicklung  nach  oben  und  sucht  der  Naturschranken 
Herr  zu  werden,  die  in  der  Lage,  im  Luftdruck  und  in  den  Winden,  im  Boden- 
umriß und  in  der  Bodenform  und  vielem  andern  liegen.  Der  Grad  der 
Wirtschaftsstufe  hängt  ab  vom  Grad  der  Befreiung  vom  Naturzwang.  Auf 
Grund  dieser  allgemeinen  Untersuchungen  stellt  Friedrich  folgende  vier 
Wirtschaftsstufen  auf,  die  er  an  dem  Beispiel  der  Viehzucht  erläutert:  die 
Wirtschaftsstufe  der  tierischen  Wirtschaft,  die  der  Naturgebundenheit  oder 
des  Instinkts,  die  der  Überliefenmg  oder  Tradition,  des  langsamen,  aber  ste- 
tigen Fortschritts,  und  endlich  die  der  Wissenschaft,  die  zuerst  Zielbewußt- 
sein und  methodische  Befreiung  vom  Naturzwang  zeigt.  Durch  alle  vier  Stufen 
läßt  sich  die  allmähliche  Befreiung  der  Bedürfnisbefriedigung  vom  Naturzwang 
des  Orts,  der  Zeit,  der  Menge  oder  Quantität  und  der  Qualität  verfolgen. 

Zahlreiche  Einzelbeispiele  und  eine  Karte  der  Viehzucht  illustrierten 
diese  allgemeinen  Ausführungen  über  diese  schon  von  Vierkandt  aufgestellten 
vier  Kulturstufen,  die  darin  gipfelten,  daß  das  Maß  der  äußerlichen  Befrei- 
ung des  Menschen  vom  Naturzwang  ein  Abbild  der  innem  geistigen  Befrei- 
ung sei,  eine  Projektion  seines  Lmenlebens  in  die  Außenwelt. 

Li  der  sehr  lebhaften  Diskussion  über  diese  drei  Vorträge  begrüßt  es 
Dr.  Lehmann  aus  Aachen  als  ein  wertvolles  Ergebnis,  wenn  die  Geographen 
vom  Fach  zu  klarer  Nomenklatur  und  Begriffsbestimmung  kämen,  und  betont 
auf  eine  Bemerkung  eines  der  Redner  hin,  daß  die  von  ihm  mitheraus- 
gegebene, eben  bei  Teubner  erscheinende  Wirtschaftskunde  Deutschlands  keine 
Wirtschaftsgeographie,  sondern  nur  eine  Tatsachensanmilung  als  Grundlage  für 
weitere  Forschung  abgeben  solle;  sie  sei  zunächst  nur  als  wirtschaftliche 
Propädeutik  gedacht.  Die  Wirtschaftsgeographie,  die  durchaus  selbständig 
sei,  soll  dadurch  angeregt  werden,  nicht  allein  im  Rahmen  Deutschlands, 
sondern  auch  fürs  Ausland.  Dr.  Wiedenfeld  aus  Berlin  will  die  tierische 
Wirtschaftsstufe  Friedrichs  lieber  die  Stufe  der  Wirtschaftlsosigkeit  nennen; 
nirgends  sei  in  ihr  der  Zweck  auf  irgend  eine  Wirtschaft  erkenntlich:  ein- 
mal frißt  der  Wilde  sich  voll,  das  andere  Mal  leidet  er  Hunger!  Die  dritte 
und  vierte  Stufe  sei  von  Sombart  in  ihrer  historischen  Aufeinanderfolge 
schon  als  die  des  Handwerks  und  des  Großkapitals  der  modernen  Zeit  unter- 
schieden worden,  auch  heute  beständen  sie  noch  nebeneinander.  Die  enorme 
praktische  Bedeutung  der  Qualitätskarten  betonte  auch  Wiedenfeld,  z.  B.  für 
Weizen,  Baumwolle,  Kohlen  und  Erze. 

Pro£  Hettner  meint  im  Gegensatz  zu  Lehmann,  daß  die  Wirtschafts- 


402  F.  Thorbecke: 

geographie  nicht  zu  einer  allgemeinen  Wirtscbaftskunde  werden  dürfe,  son- 
dern daß  der  Geograph  sowohl  in  der  länderkundlichen  wie  in  der  allgemeinen 
geographischen  Behandlung  immer  die  methodischen  Gesichtspunkte  seiner 
Wissenschaft  im  Auge  behalten  müsse.  Zu  Friedrichs  Ausführungen  bemerkt 
er,  daß  man  nicht  nur  zwischen  dem  botanisch  möglichen  Vorkommen  einer  Pflanze 
und  ihrem  Anbau,  wie  der  Vortragende  getan,  sondern  auch  zwischen  dem  Anbau 
nur  für  den  lokalen  Konsum  und  dem  als  Stapelartikel  für  den  Handel  unter- 
scheiden müsse.  Eine  der  wichtigsten  Aufgaben  wirtschafksgeographischer 
Karten  sei  die  Darstellung  des  ganzen  Charakters  der  Wirtschaft  imd  zunächst 
der  Landwirtschaft,  wie  sie  unter  andern  Sehring,  Engelbrecht,  Ratzel 
und  Deckert  gegeben  hätten.  Nicht  richtig  gewürdigt  seien  vom  Vortragenden 
die  Wirtschaftsformen  Eduard  Hahns,  die  schon  den  ganzen  Charakter  der 
Wirtschaft  eines  Landes  gäben  und  den  älteren  Wirtschaftsstufen  gegenüber 
einen  Fortschritt  bedeuteten,  da  sie  neben  der  Höhe  der  erreichten  Kultur 
auch  ihrer  verschiedenen  Ausbildung  unter  den  verschiedenen  Naturbedingungen 
Ausdruck  verliehen.  Die  Kulturformen  Vierkandts,  die  den  Ausgangspunkt 
der  Friedrichschen  Betrachtung  bildeten,  stimmten  trotz  der  Verschiedenheit 
des  Gesichtspunktes  tatsächlich  in  vieler  Beziehung  mit  der  Darstellung  der 
Wirtschaftsformen  bei  Hahn  überein. 

Friedrich  erwidert,  daß  er  sich  nicht  die  Darstellung  der  Wirtschafts- 
formen, d.  h.  der  Art  der  Befürfnisbefriedigung,  sondern  der  Wirtschafts- 
stufen, d.  h.  der  Höhe  der  Bedürfnisbefriedigung  zum  Thema  gewählt  habe; 
Ed.  Hahns  Arbeiten  schätze  auch  er  außerordentlich. 

Prof.  Eckert,  der  der  wirtschaftsgeographischen  Sitzung  präsidierte, 
konstatiert  beim  Schluß  der  Debatte  mit  Freuden,  obwohl  die  Wirtschafts- 
geographie ein  Grenzgebiet  zwischen  Geographie  und  Nationalökonomie  und 
daher  ein  Kampfgebiet,  seien  doch  wenig  methodologische  Streitfragen  auf- 
getreten, sie  sei  daher  ein  Arbeitsgebiet  für  beide. 

Die  beiden  folgenden  Vorträge  waren  der  Wirtschaftsgeographie  Nord- 
und  Mittel-Amerikas  gewidmet. 

Dr.  Emil  Deckert  aus  Steglitz  sprach  an  der  Hand  voraüglicher  Licht- 
bilder und  Diagranune  nach  eigenen  Aufnahmen  über  die  Ströme  im 
Wirtschaftsleben  der  Vereinigten  Staaten  von  Nord-Amerika.  In 
der  Besiedlungsgeschichte  dieses  Erdteils  haben  die  Ströme  eine  hervorragende 
Bolle  gespielt.  Für  die  angelsächsischen  und  deutschen  Ackerbaukolonisten 
waren  Delaware,  Susquehanna,  Potomac  und  Roanoke  die  großen  Aufmarsch- 
straßen empor  zum  Kamm  des  „Alleghany  Mountain",  und  jenseits  des  (Je- 
birgs  lag  ihre  Haupteinfallspforte  in  das  westliche  Land  geraume  Zeit  an 
der  Vereinigung  des  Monongahela  und  Alleghany,  wo  sie  an  Stelle  des  zer- 
störten Forts  Duquesne  ihr  Pittsburg  aufbauten.  Der  Ohio  ünig  sie  dann  auf 
ihrem  Siegeszug  talwärts,  und  nicht  minder  auf  roh  zusanmiengezimmerten 
Flachboten  den  Überschuß  ihrer  Ernte-  und  Viehzuchterträge.  Ein  gewaltiges 
Verkehrsleben  erwachte  auf  den  Strömen,  als  1807  die  Erfindung  Robert 
Fultons  ihre  Probe  bestanden  hatte,  und  1853  zählten  Scherzer  und  Wagner 
an  den  Kais  von  St.  Louis  nicht  weniger  als  93  Dampfer,  die  sich  zu  ihren 
Fahrten  nach  Neu-Orleans,  Minneapolis,  Florence,  Nashville,  Little  Rock, 
Cincinnati,  Pittsburg,  Kansas  City  und  Fort  Ben  ton  rüsteten.  Ganz  wesentlich 
durch  ihren  Stromverkehr  blühten  St.  Louis,  Cincinnati  und  andere  Städte  in 
jener  Zeit  zu  großen  Handelsmetropolen  auf. 

Im  gegenwärtigen  Wirtschaftsleben  liegen  die  Verhältnisse  wesentlich 
anders.     Da    bietet    zwar  die  Hudsonmündung,    an  der  der  Europäer  seine 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  403 

erste  Bekanntschaft  mit  den  nord-amerikanischen  Strömen  zu  machen  pflegt, 
noch  ein  wahrhaft  blendendes  Wasserverkehrsbild  mit  seinen  stattlichen 
Salonfähren,  seinen  großartigen  Exkursionsdampfem  und  seinen  in  den  See- 
verkehr  hinein  spielenden  Lastbootkarawanen  vom  Eriekanal  her.  Stolz 
aber  blickt  die  East-Biver-Brücke  auf  das  Wassertreiben  herab  mit  ihrem 
Zwanzig-Sekunden-Verkehr  elektrischer  Bahnen:  man  darf  sie  füglich  als  einen 
Sieg  der  Schienenstraßen  über  die  Wasserstraßen  deuten.  Sind  doch  zur  Zeit 
zwei  andere  East-River-Brücken  im  Bau  begriffen,  Tunnelunterftthrungen  des 
North-River  aber  beschlossen.  Die  überaus  lebendigen  Wasserverkehrsbilder 
im  Cuyahogaflusse  bei  Cleveland  oder  am  Buffalo  Creek  bei  Buffalo  sind  kaum 
wirkliche  Stromverkehrsbilder,  denn  die  großen  Lorenz -Seen  haben  verkehrs- 
geographisch verschiedene  Eigenschafben,  die  sie  zur  Kategorie  von  Binnen- 
meeren erheben;  und  einen  großen  Teil  seines  Lastverkehrs  hat  der  Hudson 
auch  nur,  weil  er  durch  den  Eriekanal  eine  künstliche  Ausgangspforte  der 
großen  Seen  geworden  ist.  Von  einem  Stromverkehr  darf  man  aber  bei 
Pittsburg  reden,  das  besonders  durch  die  Kanalisierung  des  Monongahela  im 
westpennsylvanisch-westvirginischen  Kohlenfeld  einen  gewaltigen  Wasserfracht- 
verkehr aufweist  mit  8,8  Mill.  Tonnen  im  Jahr  1899.  Viel  ruhiger  geht  es 
bei  Cincinnati  zu,  das  kaimi  noch  die  Hälfte  des  Dampferverkehrs  der  sech- 
ziger Jahre  zeigt  und  1899  nur  2,1  Mill.  Tonnen  Wasserfrachtverkehr 
hatte.  Gegen  Cairo  hin  macht  der  große  Strom  einfach  den  Eindruck  starker 
Verödung.  Seine  Regulierung  unterhalb  der  Davis-Schleuse,  7  km  unterhalb 
Pittsburg,  unterblieb  besonders  mit  Rücksicht  auf  die  ungeheuren  Hochwasser, 
die  bei  Cincinnati  bis  21,7  m  steigen,  während  im  Spätsommer  und  Herbst 
oberhalb  Marietta  das  Fahrwasser  bisweilen  nur  45  cm,  öfters  aber  nur 
60  cm  tief  ist.  Selbst  bei  St.  Louis  ist  heute  der  Eisenbahnverkehr  über  die 
beiden  Mississippi-Brücken  und  die  Stromfähren  ungleich  gewaltiger  als  der 
eigentliche  Strom  verkehr  (29  Mill  gegen  670000  Tonnen).  Auf  dem  oberen 
Mississippi,  wo  die  Naturverhältnisse  für  die  Regulierung  am  günstigsten  liegen, 
und  wo  bis  St.  Paul  das  Fahrwasser  jederzeit  1  m  tief  ist,  verkehren  im 
ganzen  2,9  Älill.  Tonnen,  auf  dem  unteren  Mississippi  2,2  Mill.,  und  in  Neu- 
Orleans  gehen  noch  1  Mill.  Tonnen  durch  die  Stromschiffahrt  ein.  Die  Win- 
dungen, mehr  aber  noch  die  beständigen  Lauf-  und  Fahrwasseränderungen 
bereiten  hier  dem  Wasserverkehr  vielfach  Verlegenheiten,  Überschwemmungen 
aber  stiften  furchtbaren  Schaden.  Vollständig  erdrückt  ist  der  Stromverkehr 
auf  dem  Missouri,  der  den  Anforderungen  an  eine  brauchbare  Schiffahrts- 
straße in  keiner  Weise  genügt,  und  auf  dem  selbst  •  zwischen  St.  Louis  und 
Kansas  City  keine  Dampfer  verkehren.  Das  vereinsstaatliche  Ingenieur-Corps 
sucht  hier  nur  noch  die  großen  Brücken  sowie  die  Brückenstädte  vor  dem 
gelegentlichen  Fortgerissenwerden  durch  den  wilden  Strom  zu  bewahren. 

Aus  ähnlichen  Gründen  wie  beim  Ohio  haben  bei  den  süd-appalachischen 
Strömen  die  Eisenbahnen  das  Wasserverkehrsleben  leicht  lahm  legen  können. 
Die  schiffbare  Strecke  bricht  auch  bei  allen  diesen  Strömen  an  der  so- 
genannten Fallinie  ab,  und  in  ihrem  Oberlaufe  bieten  sie  nur  der  Industrie 
stark  wechselnde  und  schwer  zu  zügelnde  Wasserkräfte. 

Auf  die  neuengländischen  Ströme  sowie  auf  die  von  Michigan,  Wiskonsin 
und  Kanada  hat  die  Eiszeit  ihre  Wirkungen  geltend  gemacht:  durch  ihren 
Schnellen reichtum  können  sie  nur  streckenweise  der  Schiffahrt  dienen.  Da- 
gegen bieten  sie  verhältnismäßig  wohl  regulierte  Wasserkräfte,  und  die 
Industrie  der  Gegend  ist  durch  sie  hervorragend  gefördert  worden.  Den 
Kanufahrten  bieten    die   Schnellen    meist    kerne   unüberwindlichen   Schwierig- 


404  F.  Thorbecke: 

keiten,  der  Dampfschiffahrt  wenigstens  im  Lorenzstrom  nicht.  Dieser  ist 
durch  Seitenkanäle  zu  der  besten  nord-amerikanischen  Schiffahrtsstraße  aus- 
gestaltet worden,  ihr  Hauptübelstand  liegt  indes  in  der  5  Monate  andauernden 
Eisbedeckung.  Hervorragende  kanadische  Wasserbautechniker  hegen  die  Hoff- 
nung, daß  die  winterliche  Stromsperre  in  Zukunft  durch  starke  Eisbrecher 
wesentlich  abgekürzt  werden  kann. 

Die  Kordillerenströme  dienen  im  allgemeinen  nur  der  künstlichen  Be- 
wässerung und  großen  Kraftanlagen;  zu  ersterem  Zweck  hat  man  den  Ar- 
kansas, den  Bio  Grande  del  Norte  u.  a.  in  Colorado  so  gut  wie  vollkommen 
ausgeschöpft.  Nicht  selten  fordern  die  wilden  Ströme  aber  für  ihre  Kultur- 
dienste schweren  Tribut,  und  es  mag  hier  besonders  auf  das  Bersten  des 
Hassayampa-Danmis  in  Arizona  (1890)  und  des  Austin-Dammes  in  Texas 
(1900)  hingewiesen  werden.  Für  Kraftanlagen  mit  elektrischer  Transmission 
erweisen  sich  am  günstigsten  die  ehemals  vergletscherten  Gegenden  im  Norden 
und  in  den  westlichen  Hochgebirgen,  vor  allem  in  der  Sierra  Nevada. 

Dr.  Georg  Weg  euer  aus  Berlin  sprach  auf  Grund  einer  in  diesem 
Frübjahr  unternommenen  Reise  über  den  Panamakanal ^).  Wegen  der  schon 
weit  vorgerückten  Zeit  beschränkte  er  sich  auf  einen  Überblick  über  die  ge- 
schichtliche Entwicklung  des  Gedankens  der  Verbindung  der  beiden  Welt- 
meere, der  schon  in  den  Köpfen  spanischer  Conquistadoren  spukte,  bis  auf 
die  neuere  und  neueste  Zeit  der  französischen  Kanal-Projekte  und  -Arbeiten, 
die  nach  des  Redners  Meinung  das  Werk  doch  weiter  gefördert  haben,  als 
gemeiniglich  vor  allem  bei  uns  angenommen  wird,  und  zeigte  dann  die  großen 
Vorteile  des  alten  französischen  gegenüber  dem  neueren  nord-amerikanischen 
Konkurrenzplan  der  Durchstechung  der  Landenge  von  Nicaragua,  der  ja  auch 
tatsächlich  bereits  längst  fallen  gelassen  ist,  mit  dem  es  den  Vereinigten 
Staaten  auch  wahrscheinlich  nie  recht  ernst  war.  Die  Weltpolitik,  die  die 
Union  seit  dem  spanisch-amerikanischen  Krieg  treibt,  verlangte  gebieterisch 
die  Abkürzung  der  Seeverbindung  zwischen  dem  atlantischen  und  großen 
Ozean;  die  Regierung  sollte  das  verkrachte  und  dann  formell  wieder  auf- 
gerichtete französche  Panamauntemehmen  aufkaufen.  An  den  hohen  Forde- 
rungen der  französischen  Gesellschaft  schien  der  geplante  Ankauf  bereits  zu 
scheitern;  da  wurden  im  vorigen  Jahre  statt  der  ursprünglichen  109  nur 
40  Millionen  Dollai*s  gefordert,  ein  Gesetz  ermächtigte  den  Präsidenten 
Roosevelt  zum  Ankauf. 

Anfangs  dieses  Jahres  mußte  die  kolumbianische  Regierung  in  einem 
Vertrag  mit  den  Vereinigten  Staaten  diesen  gegen  eine  einmalige  Zah- 
lung von  10  Millionen  und  eine  jährliche  Abgabe  von  Y^  Millionen  Dollars 
das  Kanalgebiet  för  100  Jahre  verpachten.  Die  Oberhoheit  Kolumbiens  ist 
zwar  formell  gewahrt,  tatsächlich  aber  herrscht  die  Union  politisch  und 
militärisch  über  den  Kanal.  Die  Nord- Amerikaner  haben  den  Vertrag  schon 
im  März  ratifiziert,  die  kolumbianische  Volksvertretung  berät  ihn  eben.  Wie 
die  endgültige  Entscheidung  ausfällt,  ist  zweifelhaft.  Wird  der  Vertrag  auch 
in  Bogota  genehmigt,  werden  die  Amerikaner  bei  ihrer  bekannten  Tatkraft 
den  Kanal  wohl  in  zehn  Jahren  vollenden.  Bei  einer  Ablehnung  wird  man 
in  den  Vereinigten  Staaten  auf  das  Nicaragua-Projekt  zurückgreifen  trotz  der 
größeren  Kostspieligkeit  dieses   Schleusenkanals  gegenüber  dem  Niveaukanal 

1)  Wir  geben  die  Ausführungen  Wegen  er  b  nur  ganz  kurz  wieder,  da  er 
über  den  Panamakanal  in  einem  der  nächsten  Hefte  der  G.  Z.  einen  Aufsatz  ver- 
öffentlichen wird,  der  vor  allem  die  verkehrsgeographische  Bedeutung  des  neuen 
^eewegs  beleuchten  soll. 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  405 

von  Panama.  Mit  einer  Warnung  vor  einer  Überschätzung  dieses  rein  nord- 
amerikanischen und  allein  den  Vereinigten  Staaten  zu  gute  kommenden 
Kanalprojekts  bei  uns  in  Deutschland  schloß  der  Redner  seine  kurzen  aber 
inhaltsreichen  Ausfühiomgen,  die  durch  ein  schönes  Material  an  Karten  und 
Plänen  erläutert  wurden. 

Prof.  Dr.  Wilhelm  Halb  faß  aus  Neuhaldensleben ,  der  eifrige  Vor- 
kämpfer der  Seenforschung  in  Norddeutschland,  schilderte  die  Bedeutung 
der  Binnenseen  für  den  Verkehr.  Seine  (wegen  des  überreichen  Pro- 
granoms  der  wirtschaftgeographischen  Sitzung  auf  die  letzte  Nachmittags- 
versanmilung  verschobenen)  Ausführungen  gaben  einen  Überblick  über  die 
verschiedenen  Arten  des  Verkehrs  auf  den  Seen  und  den  heutigen  Stand  der 
Binnenseeschiffahrt;  sie  decken  sich  der  Hauptsache  nach  mit  den  entsprechen- 
den Abschnitten  der  (in  der  6.  Z.  1902  S.  266  £f.  erschienenen)  Abhandlung 
„die  Binnenseen  und  der  Mensch",  auf  die  daher  hier  verwiesen  sei*). 

Die  wirtschaftsgeographische  Sitzung  wurde  mit  einem  Vortrag  über  die 
Seehäfen  der  Rheinmündungen  und  ihr  Hinterland  von  dem  Privat- 
dozent der  Nationalökonomie  Dr.  K.  Wiedenfeld  aus  Berlin  beschlossen. 
Die  geographischen  Bedingungen  der  Weltstellung  eines  Seehafens  haben 
im  letzten  Menschenalter  in  ihrer  Wertung  eine  vollkommene  Wandlung  er- 
fahren. Solange  der  Umschlag  der  zur  See  einkommenden  und  auf  ihr 
wieder  ausgehenden  Güter  den  Hauptanteil  am  Gesamtverkehr  hatte,  war 
die  Lage  zu  den  großen  Meeresstraßen  das  entscheidende  geographische  Moment, 
so  bei  Karthago,  Byzanz,  Amsterdam,  London.  Jetzt  sind  durch  die  all- 
gemeine Errichtung  direkter  Dampferlinien  die  Beziehungen  zum  Hinterland 
so  ausschlaggebend  geworden,  daß  die  Seelage  ganz  in  den  Schatten  ge- 
stellt ist.  Diese  Hinterlandsbeziehungen  sind  durch  die  Verdichtung  der 
Eisenbahnnetze  vollständig  umgewälzt  worden;  früher  beherrschte  jeder  See- 
hafen monopolistisch  den  ihm  durch  die  natürlichen  Verbindungen  angeglie- 
derten Landkomplex;  heute  lassen  die  sich  vielfach  kreuzenden  Schienenwege 
ein  Monopol  nicht  mehr  aufkommen,  an  seine  Stelle  ist  ein  allgemeiner  Wett- 
bewerb der  überhaupt  erreichbaren  Seestädte  getreten.  In  diesem  Kampf  um 
das  Hinterland  sind  die  drei  Bheinmündungsplätze  durch  die  Natur  denkbar 
günstig  gestellt;  der  Rhein  übertrifft  jetzt  an  Leistungsfähigkeit  und  Billig- 
keit alle  andern  Straßen  Europas:  er  trägt  auf  560  km  Schiffe  von 
1500  Tonnen  Tragfähigkeit  und  auf  weitere  140  km  noch  Schiffe  von 
800  Tonnen,  während  auf  der  Elbe  nur  auf  650  km  Schiffe  von  nur 
800  Tonnen  verkehren.  Außei-dem  sind  Maas  und  Scheide  kanalisiert  uud 
führen  den  Einfluß  von  Rotterdam  und  Antwerpen  noch  nach  Frankreich 
hinein,  wo  ihnen  allerdings,  ebenfalls  auf  abgabenfreie  Kanäle  gestützt,  Dün- 
kirchen bald  entgegentritt.  Die  Flußverbindung  ist  die  Grundlage  für  den  Massen- 
güterverkehr: Getreide,  Petroleum  werden  von  der  Rheinmündung  bis  in  die 
Schweiz  und  ins  Donaugebiet  tief  nach  Bayern  hinein  eingeführt;  umgekehrt 
versendet  Bayern  sein  Holz,  soweit  es  überhaupt  zur  Küste  bestimmt  ist, 
auf  dem  Rhein.  Diese  Wirkung  greift  mn  so  weiter  über  das  unmittelbare 
Flußgebiet  hinaus,  je  größer  die  Entfernung  von  der  Küste  ist;  im  Norden 
liegen  schon  Dortmund  \md  Aachen  etwa  an  der  Grenze  vom  Einflußbereich 
der  drei  Rheinhäfen.  Für  wertvollere  Güter,  bei  denen  Zeitverlust  imd 
Transportversicherung  ins  Gewicht  fallen,  schiebt  sich  der  Schienenweg  in  den 

1)  Über  den  Vortrag  von  Dr.  Friedrich  Wickert  aua  Wiesbaden  über  den 
Verkehr  auf  dem  Rhein  und  seinen  Nebenflüssen  werden  wir  im  Anschluß 
an  die  landeskundliche  Sitzung  berichten. 


406  F.  Thorbecke: 

Vordergrund,  hier  wird  die  Tarifpolitik,  die  sich  vielfach  von  den  Entfer- 
nungen unabhängig  gestellt  hat,  maßgebend,  und  darin  stehen  die  holländisch- 
belgischen Plätze  hinter  Hamburg  und  Bremen  zurück.  Denn  der  Einfluß 
der  holländischen  und  belgischen  Bahnen  reicht  nicht  weit  genug,  um  wirk- 
sam den  Kampf  mit  den  deutschen,  insbesondere  den  preußischen  Bahnen 
aufzunehmen.  Die  Bheinhäfen  können  von  Glück  sagen,  daß  sich  die  Rück- 
sicht auf  die  Produktion  des  Rheingebiets  von  vornherein  einem  etwaigen 
Versuch,  sie  von  diesem  Hinterland  durch  Maßnahmen  der  Eisenbahntarif- 
politik abzuschneiden,  entgegenstellt;  nur  ganz  wenige  Ausnahmetarife  der 
deutschen  Bahnen  sind  ausschließlich  auf  den  Verkehr  mit  den  deutschen 
Häfen  beschränkt.  Dies  Bestreben,  Hamburgs  und  Bremens  Einfluß  hierher 
zu  tragen,  bedeutet  aber  eine  starke  Verschärfung  des  Wettbewerbs,  die  der 
rheinischen  Produktion  und  Konsumtion  zu  gute  kommt;  die  Forderung  der 
Rheinschiffahrtsinteressenten,  von  dieser  Tari^olitik  abzugehen,  ist  ebenso  ein- 
seitig wie  das  Verlangen  der  Eisenbahnfanatiker,  nur  zur  Erleichterung  des 
eisenbahnlichen  Wettbewerbs  die  Ströme  mit  Abgaben  zu  belegen:  weder 
Schiffahrt  noch  Eisenbahnen  sind  Selbstzweck.  Im  Gegenteil  beweist  diese 
Gegnerschaft  nur,  daß  hier  einmal  umgekehrt  wie  wohl  sonst  die  Eisen- 
bahnen die  Transportkosten  nach  unten  drängen  —  naturgemäß,  da  es  ja 
der  Rhein  an  Schnelligkeit  und  Sicherheit  mit  den  Schienenwegen  aufninunt, 
diesen  also  nur  das  Moment  der  Billigkeit  bleibt.  Das  Hinterland  hat  den 
Vorteil  von  diesen  Reibungen;  die  Seehäfen  aber  sind  benachteiligt,  da  ihnen 
namentlich  von  der  Ausfuhr  der  Eisenfabrikate  und  der  Einfuhr  der  Kolonial- 
waren ein  großer  Teil  genommen  wird.  Das  trifft  am  empfindlichsten  Amsterdam, 
dessen  ganzer  Verkehr  sich  auf  den  Handel  mit  Produkten  der  holländischen 
Kolonien  aufbaut;  aber  auch  Rotterdam,  das  so  am  Ausbau  eines  weit- 
verzweigten Netzes  von  regelmäßigen  Seeschiffahrtslinien  verhindert  wird;  am 
wenigsten  Antwerpen,  das  in  Belgien  unmittelbar  vor  den  Toren  eines  sehr 
verkehrbedürftigen  Hinterlandes  liegt,  dies  sein  eigen  nennt  und  sich  deshalb 
freier  bewegen  kann.  Im  allgemeinen  versorgt  Amsterdam  das  Rheingebiet 
selbst  mit  Kolonialwaren,  zieht  von  der  Ausfuhr  aber  nur  wenig  an  sich 
und  geht  auch  über  das  Flußtal  kaum  hinaus,  da  ihm  Hamburg  in  denselben 
Artikeln  entgegenarbeitet;  Rotterdam  ist  Speditionsplatz  für  den  Massengüter- 
verkehr in  Getreide,  Erz,  Petroleum  und  beschränkt  sich  daher  ebenfalls  auf 
das  unmittelbar  vom  Rhein  abhängige  Gebiet;  Antwerpen  dagegen  ist  haupt- 
sächlich Ausfuhrhafen  für  die  industriellen  Fabrikate  des  ganzen  Gebiets, 
doch  ist  in  den  Spezialartikeln  seines  Eigenhandels,  in  argentinischem  Ge- 
treide, Baumwolle  und  Wolle,  auch  seine  Einfuhr  immerhin  bedeutend. 
Hamburg  und  Bremen,  ganz  im  Süden  auch  Havre  dringen  mit  ihren 
Spezialartikeln,  insbesondere  Kaffee  imd  Baumwolle,  bis  ins  Rheintal  selbst 
ein;  in  Massengütern  müssen  sie  sich  aber  auf  die  Peripherie  des  Gebiets 
beschränken.  Wenn  trotz  alledem,  obwohl  das  Rheingebiet  an  Produktions- 
und Konsumtionski-aft  unzweifelhaft  die  Elbegegenden  Übertrifft,  doch  Ham- 
burg den  Seeverkehr  der  Rheinmündungshäfen  beträchtlich  hinter  sich  zurück* 
läßt,  so  liegt  dies  daran,  daß  der  Elbehafen  dank  der  historischen  Entwicklung, 
die  auch  Altona  und  Harburg  nicht  aufkommen  läßt,  die  einzige  Öffnung 
für  das  ganze  Elbegebiet  ist;  in  den  Rheinverkehr  teilen  sich  drei  Seehäfen, 
und  es  spricht  eine  deutliche  Sprache,  daß  alle  drei  zu  den  Brennpunkten 
des  Weltverkehrs,  zu  den  Welthäfen  gezählt  werden  müssen. 

In  der  Diskussion  betonte  der  Bonner  Nationalökonom  Prof.  Dr.  Gothein, 
daß   sich  schon   vor  der  Zeit    der  Eisenbahnen    ähnliche   Konkurrenzen    ab- 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  407 

gespielt  hätten;  die  Suprematie  von  Rotterdam  und  Amsterdam  sei  nur 
möglich  gewesen  durch  die  Scheldespemmg  nach  dem  westfälischen  Frieden. 
Seine  weiteren  Ausführungen  wesentlich  wirtschaftsgeschichtlichen  Charakters 
bezogen  sich  vor  allem  auf  die  den  Großhandel  beherrschende  Stellung  von 
Frankfurt  a.  M.  und  seiner  Messe  bis  ins  XIX.  Jahrhundert  hinein  im  Kampf 
der  Land-  mit  den  Wasserstraßen. 

Prof.  Eckert  schloß  sich  im  wesentlichen  seinen  Ausführungen  an. 
Wiedenfeld  dagegen  sieht  den  wesentlichen  Unterschied  zwischen  einst  und 
jetzt  darin,  daß  früher  Alttraditionelles,  heute  der  Wettbewerb  den  Verkehr 
beherrscht,  was  er  am  Beispiel  des  Elsaß  näher  ausfährt.  Das  wesentliche  am 
Wettbewerb  liegt  für  ihn  darin,  daß  jeder  Teil  mit  vollkommener  Initiative 
eingreift 

Dr.  Niermeyer  aus  Rotterdam  führte  aus,  als  Rotterdamer  habe  er 
mit  Interesse  von  Wiedenfelds  AnsfÜhnmgen  Kenntnis  genommen.  Rotterdam 
habe  in  Amsterdam  immer  seinen  größten  Konkurrenten  gefürchtet.  Amster- 
dam bleibe  aber  die  große  reiche  Stadt,  weil  hier  das  Kapital  sitzt  Jetzt 
fürchte  Rotterdam  ein  Übergewicht  Emdens,  das  den  rechtsrheinischen  Ver- 
kehr an  sich  zu  reißen  drohe;  er  bitte  die  deutschen  Geographen  in  Köln 
um  ihre  Meinung  darüber.  Dr.  Wiedenfeld  kann  keine  feste  Antwort  geben, 
sie  hänge  ab  von  der  Fortsetzung  des  Dortmund -Ems -Kanals  zum  Rhein. 
Dann  müsse  man  allerdings  der  Meinung  sein,  daß  den  Rotterdamer  Reedern 
der  Löwenanteil  an  diesem  Verkehr  zufallen  werde.  Man  brauche  nur  das 
Schmunzeln  jedes  Rotterdamer  Reeders  zu  sehen,  wenn  man  auf  den  Kanal 
zu  sprechen  komme.  In  seinem  Schlußwort  hob  Prof.  Eckert  hervor,  daß 
auch  in  der  Erörterung  über  die  Verkehrswege  und  Hafenplätze  nur  Nuancen 
in  der  Auffassung  der  Geographen  und  Nationalökonomen  zu  Tage  getreten 
seien,  und  teilte  dann  noch  mit,  daß  in  wenig  Wochen  von  Prof.  Gothein  ein 
Werk  über  die  Geschichte  der  Rheinschiffahrt  erscheinen  werde. 

Schulgeographie. 

Am  Mittwoch  Nachmittag  fand  die  Sitzung  der  schulgeographischen 
Sektion  statt  unter  zahlreicher  Beteiligung  auch  von  Nicht- Schulmännern ; 
Vertreter  der  Oberschulbehörden  aber  fehlten  ganzi  Prof.  Kirchhoff  aus 
Halle  a.  S.  präsidierte.  Direktor  Dr.  Au  1er  aus  Dortmund  erstattete  den 
Bericht  über  die  Tätigkeit  der  auf  der  letzten  Tagung  in  Breslau  eingesetzten 
Kommission  für  erdkundlichen  Schulunterricht.  An  den  Bericht 
schloß  sich  eine  lebhafte  Diskussion  an,  in  der  die  Geister  oft  heftig  auf- 
einander platzten;  viele  Wünsche  wurden  vorgebracht,  alte,  die  auf  jedem 
Geographentag  wiederkehren,  und  neue,  alle  aber  waren  einig  in  dem  Haupt- 
ziel, der  Geographie  eine  ihrer  wissenschaftlichen  Stellung  ent- 
sprechende würdige  Vertretung  auch  im  Lehrplan  der  Oberstufen 
unser  höheren  Schulen  langsam  aber  stetig  zu  erwerben!  Prof.  Hettner  be- 
richtete über  die  Stellimg  der  Geographie  in  der  neuen  badischen  Prüfungs- 
ordnung, die  ja  unsem  Lesern  bereits  bekannt  ist.  In  die  oben  genannte 
Kommission,  die  wohl  in  Folge  ihrer  Vielköpfigkeit  (sie  bestand  aus  18  Mit- 
gliedern!) bis  jetzt  erst  eine  geringe  Wirksamkeit  entfalten  konnte,  wurden 
auf  Vorschlag  nur  sieben  Vertreter  der  Schulgeographie  gewählt,  darunter 
Dir.  Dr.  Auler,  Oberlehrer  Heinrich  Fischer  in  Berlin  als  einstweiliger  Vor- 
sitzender, Dr.  Christ.  Gruber  in  München,  Oberlehrer  Dr.  Felix  Lampe  in 
Berlin,  Prof.  Dr.  Wolkenhauer  in  Bremen  und  Oberlehrer  Dr.  Zemmrich  in 
Plauen  i.  V. 


408       F.  Thorbecke:  Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln. 

Dann  berichtete  Direktor  Dr.  Steinecke  aus  Essen  über  die  Reform- 
schulen und  den  geographischen  Unterricht  mit  besonderer  Bücksicht 
aufs  Reform-Realgymnasium.  Die  Frankfurter  Lehrpläne  dieser  neuen  Schul- 
gattung, nach  Ansicht  des  Vorsitzenden  der  Schule  der  Zukunft,  zeigten  in 
der  Stellung  der  Geographie  einen  bedenklichen  Rückschritt:  Zwar  waren  ihr 
in  Quarta  drei  Stunden  zugewiesen,  dafOr  aber  in  U  III  und  ü  II  nur  eine 
gelassen,  auf  der  Oberstufe  fehlt  der  geographische  Unterricht  völlig  1  Es  ist 
das  Verdienst  Steineckes,  hier  eine  gründliche  Reform  geschaffen  zu  haben: 
nach  dem  neuen  auf  der  Gasseier  Reformschultagung  im  vorigen  Jahre  be- 
schlossenen und  vom  Vertreter  des  preußischen  Kultusministeriums  warm 
befürworteten  Lehrplan  wird  die  Geographie  künftig  in  U  in  und  0  ÜI  mit 
2  Stunden  vertreten  sein;  die  3  Stunden  in  IV  sind  geblieben  und  sollen 
einer  Vertiefung  des  an  sich  viel  zu  umfangreichen  Pensums  dienen.  Die 
Behandlung  der  Geographie  der  außerdeutschen  Länder  Europas  soll,  soweit 
das  auf  dieser  Stufe  möglich  ist,  ozeanographische  und  wirtschaftliche  Ver- 
hältnisse in  den  Kreis  ihrer  Betrachtung  ziehen.  Den  Vorschlägen  Steineckes 
haben  sich  bis  jetzt  angeschlossen  die  Reform-Realgymnasien  in  Essen,  Rem- 
scheid, Elberfeld,  Lüdenscheid,  Erfurt  und  Naumburg  Der  Geographentag 
wünscht,  daß  auch  an  die  andern  diese  Lehrpläne  gesandt  werden. 

Reallehrer  Dr.  Steinel  aus  Kaiserslautem  sprach  über  die  Herstellung 
von  Ueimatskarten  für  das  Deutsche  Reich  nach  einheitlichen  Gesichts- 
punkten. Die  nationale  Bedeutung  solcher  Karten  wurde  schon  von  Kirch- 
hof f  betont.  Das  vorzügliche  Kartenmaterial  des  Generalstabs  und  der  Landes- 
aufnahmen könne  durch  solche  Heimatskarten  auch  breiteren  Volksschichten 
zugänglich  gemacht  werden.  Doch  sind  die  Kosten  sehr  hoch,  ohne  staatliche 
Beihilfe  sei  an  eine  Verwirklichung  dieses  auch  vom  Geographentag  sympatMsch 
begrüßten  Planes  nicht  zu  denken.  Bis  zur  nächsten  Tagung  soll  das  nötige 
Material  vorbereitet  werden.  Dr.  Haack  von  Perthes'  geographischer  Anstalt 
aus  Gotha  unterstützte  in  seinem  Korreferat  als  Kartograph  die  AusfELhrungen 
Steineis  aufs  wärmste.  (Schluß  folgt.) 


Oeographisehe  Neuigkeiten. 


Allgemeines. 

♦  Über  die  zweite  internationale 
BeiBmologische  Konferenz  der 
Staaten  -  ABBOciation ,  welche  in  der  Zeit 
vom  24.  bis  28.  Jali  1903  in  Straßburg 
zuBammen treten  wird,  machte  Prof  Ger- 
land, der  Direktor  der  seismologischen 
Centralstation  zu  Straßburg,  auf  dem 
XrV.  deutschen  Geographentage  ausführ- 
liche Mitteilimgen.  Danach  sind  der 
internationalen  Staaten -Association  bis 
jetzt  22  Staaten,  darunter  fast  alle  euro- 
päischen, die  Vereinigten  Staaten  von 
Nord- Amerika,  Mexiko  und  Japan,  bei- 
getreten und  haben  die  Entsendung  von 
einem  oder  mehreren  Delegierten  zur 
Konferenz  zugesagt.  Zunächst  soll  auf 
der '  Konferenz    die    Konstituierung    der 


internationalen  Staaten -Association,  die 
Beratung  des  Statutenentwurfs,  die  Wahl 
des  Centralbureaus  und  die  Konstituierung 
der  permanenten  Kommission  vorgenom- 
men werden.  An  zweiter  Stelle  will  man 
in  eine  Besprechung  der  wissenschaftlichen 
Verhandlungen  und  Beobachtungen  der 
Association  eintreten  und  den  umfang 
und  die  Art  und  Einrichtung  der  Be- 
obachtungen feststellen.  In  den  Kreis  der 
Beobachtungen  sollen  einbezogen  werden: 

a)  Bewegungen,  welche  nicht  durch  Erd- 
bebenstöße veranlaßt  sind,  Gesamtbewe- 
gungen von  Flächenteilen  der  Erdrinde, 
langsame     Bewegungen     solcher     Teile; 

b)  Bewegungen,  welche  durch  Erdbeben- 
stöße veranlaßt  werden;  c)  seismische 
Störungen  der  magnetischen  Instrumente; 


Geographische  Neuigkeiten. 


409 


d)  Nutzen  und  Anwendung  der  Seismologie 
für  praktische  Fragen.  Die  Verhandlungen 
über  Art  und  Einrichtung  der  Beobach- 
tungen sollen  umfassen :  a)  Die  Aufstellung 
einer    allgemeingültigen    Intensitätsskala 
für  makro-  und  mikroseismische  Beobach- 
tungen; b)  Bestimmung  der  Zeitrechnung 
für   die   internationalen   seismischen  Be- 
obachtungen; c)  die  Errichtung  und  Ver- 
teilung   der    seismischen    Beobachtungs- 
stationen    in     den    einzelnen    Ländern; 
d)  Sammlung,  Bearbeitung  und  Zentrali- 
sierung   der   Erdbebenberichte    der  ver- 
schiedenen   Länder;    e)    die    Wahl    der 
Beobachtungsinstrumente   der   Stationen; 
f)     Einigung    über    ein    internationales 
seismologisches    Frageschema,    über    die 
Verteilung  und  Beantwortung  desselben. 
Die  Durchführung  dieses  auf  breiter  Grund- 
lage   ruhenden    wissenschaftlichen    Pro- 
gramms wird  in  kurzer  Zeit  eine  Fülle 
wertvollen      Beobachtungsmaterials      zu- 
sanunenbringen  und  die  lange  Zeit  ver- 
nachlässigte Seismologie  kräftig  fördern. 
*    Die     Intensität     der     Beziehungen 
zwischen  Deutschland  und  den  Ver- 
einigten Staaten  ist  in  stetem  Wachsen 
begriffen  und  macht  bereits  die  Legung 
eines  zweiten  Kabels  zwischen  beiden 
Ländern   nötig,   nachdem  erst  im  Jahre 
1900    das    erste    deutsch  -  amerikanische 
Kabel  Emden-Azoren-Neu-York  dem  Ver- 
kehr übergeben  worden  ist.    Am  10.  Mai 
hat  man  in  Borkum  mit  dem  Legen  des 
zweiten   deutsch  -  amerikanischen   Kabels 
begonnen,  womit  man  bis  zum  1.  Januar 
1906  fertig  zu  werden  hofft.    Das  neue 
Kabel   wird   in   derselben  Richtung  und 
mit  denselben  Stationen  ausgeführt  werden, 
wie  das  erste;  es  wird  jedoch  etwas  länger 
werden  als  dieses,  da  es  in  einigem  Ab- 
stand von  demselben,  das  in  der  günstigsten 
graden  Linie  zwischen  den  Endpunkten 
Hegt,  geführt  werden   muß.     Die  Zahl 
der  gebrauchsfähigen  Kabel  nach 
Amerika  wird  durch  das  neue  auf  fünf- 
zehn erhöht,  die  sechs  verschiedenen  Ge- 
sellschaften gehören.    Nur  für  die  deut- 
schen Kabel,  das  bereits  liegende  und  das 
jetzt  zu  legende,  bildet  Neu-Tork  selbst 
den  Endpunkt;  die  anderen  Kabel  landen 
an   anderen  Stellen   der  amerikanischen 
Küste  und  erhalten  entweder  durch  be- 
sondem  Anschlußkabel  oder  durch  Land- 
verbindung Anschluß  an  Neu- York.  (Nach 
Globus.  88.  Bd.  S.  364.) 


Deutschland  und  Nachbarländer. 

♦  Diejetzige  Bedeutung  der  Weich- 
sel als  Schiffahrtsstraße  entspricht 
keineswegs  der  Wassermenge  und  der 
Länge  dieses  gewaltigen  Stromes,  da  seine 
Schiffahrtsverhältnisse  auf  russischem  Ge- 
biete mangels  jeder  Flußregulierung  noch 
wenig  entwickelt  sind  und  deshalb  das 
ausgedehnte  Hinterland  für  den  auf  deut- 
schem Gebiete  liegenden  Unterlauf  des 
Flusses  nur  von  geringer  Bedeutung  ist. 
Zur  Beseitigung  dieses  Übelstandes  führt 
die  deutsche  Regierung  gegenwärtig  diplo- 
matische Verhandlungen  wegen  der  Weich- 
selregulierung auf  russischem  Gebiete.  Sie 
verlangt  nicht  nur  die  Eröffnung  einer 
internationalen  Handelsverbindung  auf  der 
Weichsel,  sondern  betont  auch  die  Not- 
wendigkeit der  Eröfinung  eines  Weges 
für  ausländische  Dampfer  und  Kähne  im 
ganzen  Weichselgebiet,  d.  h.  auf  dem 
Narew,  dem  Bug,  der  Warthe  und  den 
übrigen  schiffbaren  Nebenflüssen.  Gegen- 
wärtig werden  Dampfer  unter  der  rus- 
sischen Flagge  nicht  zum  Befahren  der 
Weichsel  auf  deutschem  Gebiete  zugelassen, 
um  dadurch  das  russische  Verkehrs- 
ministerium zu  schnellerer  Regulierung 
dieses  Flusses  auf  russischem  Gebiete  zu 
veranlassen.  Nach  Ausführung  der  Weich- 
selregulierung von  Nieszawa  bis  Zawichost 
wird  die  deutsche  Regierung  Dampfer 
unter  russischer  Flagge  zum  freien  Ver- 
kehr auf  ihrem  Teile  der  Weichsel  zu- 
lassen, worüber  ein  besonderes  Abkommen 
geschlossen  werden  soll.  Mit  der  Regu- 
lierung der  Weichsel  auf  russischem  Boden 
wird  dann  auch  eine  Beschleunigung  der 
Dnjester-Regulierung  behufs  Verbindung 
des  Baltischen  mit  dem  Schwarzen  Meere 
verbunden  sein. 

Cbriges  Europa« 

♦  Der  Anschluß  des  Triangu- 
lationsnetzes von  Sardinien  an 
dasjenige  des  europäischen  Kon- 
tinents, der  von  der  Internationalen 
Geodätischen  Association  im  Jahre  1900 
wegen  wichtiger  Pendelbeobachtungen  im 
Mittelländischen  Meere  als  besonders 
wünschenswert  bezeichnet  wurde,  ist  im 
Laufe  des  Jahres  1902  durch  das  italienische 
militärgeographische  Institut  durchge- 
führt worden.  Zwischen  den  beiden  Trian- 
gulationsnetzen von  Sardinien  und  Corsika 
bestand  keine  Verbindung,  obschon  Cor- 


Ooographitohe  Z«itocbrift.  9.  J»hrgaog.  190S.  7.  Heft 


28 


410 


Oeograpiiisclie  Neuigkeiten. 


flika,  allerdings  durch  ältere,  nicht  zu- 
verlässige Messungen,  an  das  europäische 
Kontinentalnetz  angeschlossen  ist.  Eine 
direkte  Verbindung  der  1878  durch  das 
italienische  militärgeographische  Institut 
ausgeführten  Triangulation  Sardiniens  mit 
dem  Festland  hielt  man  bisher  wegen  der 
großen  Entfernung  zwischen  beiden  und 
wegen  der  geringen  Höhe  der  sich  gegen- 
überliegenden Küsten  für  undurchführbar. 
Erat  der  1890  vollendete  Anschluß  des 
geodätischen  Netzes  von  Malta  an  das 
von  Sicilien  zeigte  die  Möglichkeit  der 
Verbindung,  die  mit  Benutzung  der  tos- 
kanischen  Inseln  Giglio,  Monte  Christo 
und  Elba  ausgeführt  wurde.  Die  größte 
Visierlinie  zwischen  dem  Mte.  Capanne 
auf  Elba  und  dem  Mte.  Nieddu  auf  Sar- 
dinien hatte  eine  Länge  von  232  km, 
jedoch  war  es  ein  leichtes,  des  Nachts 
bei  günstigen  atmosphärischen  Verhält- 
nissen mittels  Acetylenlichts  eine  auch 
dem  bloßen  Auge  sichtbare  optische  Ver- 
bindung zwischen  beiden  Punkten  herzu- 
stellen. Wenn  es  die  Umstände  erlauben, 
will  man  auch  das  corsische  Netz  über 
Sardinien  an  Italien  anschließen,  um  die 
auf  dieser  Insel  durchgeführten  geo- 
dätischen Arbeiten  der  modernen  Wissen- 
schaft dienstbar  zu  machen.  (Annales  de 
Geogr.  1903.  S.  272.) 

Afrika. 

♦  Die  Bemühungen,  die  Strom  Ver- 
hältnisse des  Nils  auf  seinem 
ganzen  Laufe  zum  Zwecke  einer  ge- 
regelten und  vermehrten  Wasserzufuhr 
nach  Ägypten  und  dem  Nil -Delta  zu 
verbessern,  werden  seitens  der  englisch- 
ägyptischen Regierung  mit  großem  Eifer 
fortgesetzt.  So  ist  im  Mai  1903  der 
Unterstaatssekretär  im  ägyptischen  Mini- 
sterium, Gastin,  von  einer  Forschungs- 
reise zurückgekehrt,  die  er  zu  dem  Zweck 
unternommen  hatte,  die  Entstehimgsorte 
der  Nilschwelle  zu  untersuchen  und  an 
Ort  und  Stelle  über  die  verschiedenen, 
nach  ihrer  Vereinigung  den  weißen  Nil 
bildenden  Flüsse  ein  Urteil  zu  gewinnen. 
Gastin  besuchte  zunächst  den  Viktoria- 
Nyansa  und  die  Niponfälle,  erreichte  dann 
den  Albert-Edward-See  und  folgte  dessen 
Nordküste  bis  zum  Semliki,  den  er  dann 
später  nochmals  nördlich  vom  Ruwenzori 
berührte.  Schließlich  untersuchte  er  den 
Albert-Nyansa  und  den  Viktoria-Nil  und 


folgte  dann  dem  Bahr-el-Dschebel  über 
Wadelai,  Dufil^  und  Gondokoro,  von  wo 
ein  Dampfboot  der  Sudanregierung  ihn 
nach  Chartum  zurückbrachte.  Das  Haupt- 
ergebnis der  Reise  ist  wohl  die  nunmehr 
erlangt  Gewißheit,  daß  über  die  Hälfte 
des  Lado  erreichenden  Nilwassers  auf  der 
Strecke  zwischen  diesem  Ort  und  dem 
No-See  in  den  Ufersümpfen  verloren  geht. 
Die  Beseitigung  dieses  Ubelstandes  durch 
Reinigung  des  Flußbettes  von  schwinunen- 
den  Pflanzenmassen  und  die  Aufführung 
ausgedehnter  Uferbauten  wird  nun  nach 
Vollendung  der  Stauwerke  bei  Assuan  in 
Angriff  genommen  werden,  zumal  man 
auf  die  ebenso  wichtige  Aufstauung  des 
den  blauen  Nil  speisenden  Tsana-Sees 
aus  Rücksicht  auf  die  Empfindlichkeit 
Meneliks  verzichten  zu  wollen  scheint. 

*  Die  Eröffnung  des  Sudans  vom 
Roten  Meere  aus  durch  den  Bau  einer 
Eisenbahn  von  Suakin  nach  Berber 
bildet  gegenwärtig  eine  der  wichtigsten 
Aufgaben  der  englisch-ägyptischen  Ver- 
waltimg. Für  die  Vermessung  der  Linie 
sind  bereits  200  000  JC  ausgeworfen, 
während  für  die  Verbesserung  der  Hafen- 
verhältnisse in  Suakin  620000  JC  bestimmt 
sind.  Nach  der  Ansicht  Lord  Cromers, 
des  Chefs  dieser  Verwaltung,  ist  wegen 
der  großen  Entfernungen  das  Niltal  bis 
zum  Verschiffungshafen  Alexandrien  nicht 
der  natürliche  Ausweg  für  den  Sudan, 
höchstens  für  Waren,  die  eine  hohe  Fracht 
vertragen,  wie  Elfenbein  und  Gummi 
arabicum,  während  die  Gewinnung  von 
Stapelwaren  wie  Baumwolle  nur  dann 
lohnen  kann,  wenn  der  kürzere  Zugang 
zur  See  offen  ist.  Auf  der  anderen  Seite 
müssen  dem  Sudan  manche  Waren  auf 
einem  billigeren  Wege  als  dem  bisherigen 
zugeführt  werden,  so  z.  B.  Steinkohle,  die 
in  Khartum  noch  80  JC  die  Tonne  kostet. 
Für  Ägypten  würde  allerdings  die  neue 
Eisenbahn  von  Nachteil  sein,  da  es  nach 
ihrer  Vollendung  den  Durchgangshandel 
nach  dem  Sudan  verlieren  würde;  jedoch 
würden  sich  die  schon  jetzt  bedeutenden 
Handelsverbindungen  zwischen  Indien  und 
dem  Sudan  noch  inniger  gestalten  und 
zu  einem  indischen  Monopol  des  Sudan- 
handels fuhren. 

Mit  ebenso  großem  Eifer  setzen  anderer- 
seits Italien  und  Frankreich  ihre 
Bemühungen  fort,  von  ihren  Besitzungen 
am  Roten  Meere  aus  Verkehrslinien  zu- 


Geographische  Neuigkeiten. 


411 


nächst  nach  Abessinien  and  von  dort 
ans  später  nach  dem  Sudan  zu  schaffen 
und  Handelsbeziehungen  daselbst  anzu- 
knüpfen. So  meldete  am  2ö.  Mai  ein 
Teleg^mm  aus  Dschibuti,  daß  die  Tele- 
graphenlinie von  Dschibuti  nach 
Addis  Abeba  fertiggestellt  und  damit 
die  Hauptstadt  Abessiniens  an  das  Welt- 
telegraphennetz angeschlossen  worden  sei. 
Über  den  Anschluß  von  Addis  Abeba  an 
das  Welttransportverkehrsnetz  gibt  Auf- 
schluß ein  im  nächsten  Heft  erscheinender 
kleiner  Aufsatz  von  V.  E 1  e  i  s  t  über  F  r  a  n  k - 
reiohs  äthiopische  Eisenbahn. 

Die  Bemühungen  Italiens  sind  vor- 
läufig darauf  gerichtet,  durch  den  Bau 
einer  Handelsstraße  von  Massauah  nach 
der  Westgrenze  Erythräas  einen  Teil  des 
Handels  des  westlichen  Abessiniens  und 
des  östlichen  Sudans  von  dem  Wege  über 
Eassala-Suakin  ab-  und  nach  Massauah 
hinzulenken,  ursprünglich  sollte  diese 
neue  Handelstraße  bis  zum  Atbara  führen ; 
da  aber  Italien  durch  den  italienisch- 
englisch-abessinischen  Vertrag  vom  16.  Mai 
1902  vom  Atbara  ausgeschlossen  wurde, 
entschloß  man  sich  zum  Bau  einer  Han- 
delsstraße, welche  die  Flüsse  Gasch  und 
Setit  verbinden  und  etwa  60  km  lang 
werden  wird;  10  km  davon  sind  schon 
ausgebaut.  Die  Straße  geht  von  der 
Einmündung  des  Sitlona  in  den  Setit 
ans,  folgt  dem  Flüßchen  aufwärts  bis 
Tanacu,  durchschneidet  die  Berge  von 
Kogiga  und  trifft  den  Gasch  bei  Docam- 
bini;  dann  begleitet  sie  diesen  aufwärts 
bis  nach  Mai  Dato  und  wendet  sich  hier 
nordwärts  nach  Agordat  zu,  von  wo  auä 
später  eine  Eisenbahn  über  Keren  nach 
Asmara  gebaut  werden  wird.  Offenbar 
hat  diese  Handelsstraße  eine  große  Zu- 
kunft, da  das  Nordufer  des  Tsana-Sees, 
wo  Menelik  den  Italienern  wertvolle  Kon- 
zessionen verliehen  hat,  von  Ombrega  am 
Setit  nur  260  km  entfernt  ist.  Nach 
Ombrega  führen  auch  alte  Handelswege 
von  Suk-Abusin  imd  Metemmeh,  den  etwa 
170  km  entfernten  Hauptorten  der  suda- 
nischen Provinzen  G^edaref  und  Gralabat, 
und  von  hier  aus  ist  der  Weg  nach  Mas- 
sauah um  ein  Drittel  kürzer  als  über 
Eassala  nach  Suakin. 

*  Die  wirtschaftliche  Entwick- 
lung und  Angliederung  der  einver- 
leibten Burenrepubliken  Oranje- 
Freistaat  und  Transvaal  seitens  der 


älteren  britischen  Kolonien  in  Südafrika 
macht  stetige  Fortschritte.  So  versucht 
jetzt  die  Regierung  von  Natal  einen  Hafen 
für  Transvaal  zu  schaffen  und  hat  zu 
diesem  Zwecke  die  Küste  des  Sululandes 
untersuchen  lassen.  Es  handelt  sich  da- 
rum, auf  dem  kürzesten  Wege  und  mit 
einer  noch  zu  erbauenden  Bahn,  die  aus- 
schließlich durch  britisches  Gebiet  führt, 
die  Produkte  des  Randgebietes  ans  Meer 
zu  bringen.  Die  bisherige  Verbindung 
zvnschen  Transvaal  und  dem  Meere  wurde 
durch  die  in  portugiesischem  Besitz  be- 
findliche und  in  dem  portugiesischen  Hafen 
Beira  endende  Eisenbahn  hergestellt.  Für 
den  zu  erbauenden  Hafen  kamen  die  Bai 
von  St.  Lucia  und  die  Lagune  ümhlatusila 
in  erster  Linie  in  Betracht.  Da  aber  die 
erstere  örtlichkeit  neben  vielen  andern 
Fehlem  eine  ungesunde  Umgebung  hat, 
so  empfiehlt  man  jetzt  nur  die  Lagune 
Ümhlatusila  zum  Ausbau,  deren  Aus- 
mündung 68  km  südlich  vom  St.  Lucia- 
fiuß  und  70  km  nördlich  vom  Tugela  liegt. 
Soweit  die  Tiefe  nicht  ausreicht,  kann  sie 
leicht  durch  Baggern  vergrößert  werden, 
auch  ist  die  Lage  gesund  und  Süßwasser 
in  der  Nähe  vorhanden.  Die  Kosten  des 
Hafenbaus  werden  auf  etwas  über  20  Mill. 
Mark  geschätzt.  Durch  die  im  Anschluß 
an  den  neuen  Hafen  zu  erbauende  Eisen- 
bahn würde  nicht  nur  Transvaal  sondern 
auch  Sululand  eröffnet  werden;  sie  vnirde 
die  Hauptlinie  etwa  bei  Volksrust  er- 
reichen und  die  kürzeste  und  beste  Linie 
nach  dem  Randgebiet  darstellen.  Deshalb 
würde  sie  auch  einen  großen  Teil  des 
Verkehrs  der  Delagoabai  und  der  portu- 
giesischen Eisenbahn  Beira-Transvaal  an 
sich  ziehen  und  das  angelegte  Kapital 
gut  verzinsen.  (Nach  Globus  Bd.  83  S.  866.) 

Nord- Amerika. 

t  Der  Wiederaufbau  der  Stadt 
Galveston,  die  im  September  1900  durch 
eine  Sturmflut  fast  gänzlich  zerstört  wurde, 
legt  ein  bedeutsames  Zeugnis  ab  för  die 
Tatkraft  des  amerikanischen  Volkes.  In 
Gemeinschaft  mit  der  Southern  Pacific 
Railroad  Company,  deren  Eisenbahn- 
anlagen  ebenfalls  vernichtet  worden  waren, 
wurde  nach  Anhörung  einer  Sachverstän- 
digen-Kommission ein  17  600  Fuß  langer 
imd  16  Fuß  hoher  Damm  gegen  das  Meer 
hin  errichtet  und  mit  dem  Wiederaufbau 
der  Stadt  begonnen.  Man  hofft,  daß  dieser 

28* 


412 


Geographische  Neuigkeiten. 


Damm  eine  Wiederholung  der  Sturmflut 
vom  Jahre  1900  verhindern  wird.  Außer- 
dem wurde  der  Grund  und  Boden,  auf 
dem  die  neue  Stadt  aufgebaut  ist,  um 
10  Fuß  erhöht;  zu  den  dem  Staate  Texas 
hieraus  entstehenden  Kosten  im  Betrage 
von  8  000  000  Doli,  soll  die  Stadt  17  Jahre 
lang  anstatt  der  Steuern  jährlich  den 
Steuerbetrag  an  den  Staat  abfahren.  Die 
Kosten  für  den  Dammbau  belaufen  sich 
auf  1  800  000  Dollars. 

*  Die  Alaska-Forschung  seitens 
der  U.  S.  G«ological  Survey  wird  im 
Sommer  1908  mit  demselben  Eifer 
früherer  Jahre  fortgesetzt  werden  und 
sich  hauptsächlich  auf  Kartierung  und 
geologische  Aufnahme  erstrecken.  In 
erster  Linie  ist  die  Vollendung  der  Er- 
forschung der  Seward- Halbinsel,  auf 
welcher  sich  die  wichtigsten  Qoldvor- 
kommen  des  ganzen  Territoriums  finden, 
ins  Auge  gefaßt';  man  hofft  durch  diese 
eingehende  Untersuchung  weitere  Kennt- 
nis über  die  Art  des  Gold  Vorkommens  in 
Alaska  überhaupt  zu  erhalten.  Zur 
Erforschung  des  Yukon  -  Golddistriktes 
werden  zwei  Expeditionen  ausgerüstet; 
die  eine  unter  Gerdine  wird  eine  topo- 
graphische Aufnahme  des  Fortymile- 
Distrikts  westwärts  bis  zum  Tananafluß 
und  wenn  möglich  der  Goldfelder  am 
unteren  Tanana  ausführen,  die  andere 
wird  eine  geologische  Untersuchung  und 
Prüfung  der  Erzvorkommen  im  Fortymile- 
und  Birch-Creek  und  am  unteren  Tanana 
anstellen.  Die  stratigraphischen  Verhält- 
nisse am  oberen  und  unteren  Yukon,  be- 
sonders in  Bücksicht  auf  die  Lagerung 
der  kohlefiihrenden  Schichten,  wird  Dr. 
H  oll  ick  weiter  untersuchen,  während 
C.  Schrader  zuerst  die  Petroleum-  und 
Kohlenfelder  auf  der  Kayak-Insel  und  an 
der  ControUer-Baj  und  später  diejenigen 
am  Cook-Inlet  auf  ihre  Ausdehnung  und 
Ausbeutefähigkeit  untersuchen  soll.  Im 
südöstlichen  Alaska  wird  Dr.  Spencer 
auf  Grund  einer  im  vorigen  Jahre  her- 
gestellten Karte  den  Juneau-Minendistrikt 
eingehend  studieren. 

Die  kürzlich  erfolgte  Entdeckung 
neuer  reicher  Goldvorkommen  an  einigen 
Nebenflüssen  des  Tanana  im  Gircle-City- 
Distrikt  erfolgte  in  einem  Gebiete,  wo 
einige  Jahre  vorher  amerikanische  Gold- 
gräber trotz  eingehendsten  Suchens  GU>ld 
nicht  zu  finden  vermochten.    Die  neuen 


Minen  sollen  von  außergewöhnlichem 
Reichtum  an  Gold  sein  und  haben  einen 
gewaltigen  Zuzug  von  Goldgräbern  aus 
Dawson  City  und  anderen  Distrikten  ver- 
ursacht. 

Polargegenden« 

*  Die  diesjährige,  zweite  Nord- 
polarexpedition, welche  der  Ameri- 
kaner William  Ziegler  auf  seine  Kosten 
ausrüstet  und  entsendet,  hat  Ende  Juni 
Trondjem  auf  der  Dampfyacht  „Amerika" 
verlassen.  Nach  dem  Expeditionsplane 
soll  das  Schiff  in  diesem  Sommer  soweit 
wie  möglich  nach  Norden  vordringen,  im 
Herbst  nach  Franz  Josef-Land  zurück- 
kehren und  dort  überwintern.  Möglichst 
früh  im  Jahre  1904  soll  dann  der  Vor- 
marsch nach  dem  Pole  beginnen,  wobei 
die  „Amerika'^  die  Expedition  begleiten 
wird.  Im  Juni  1904  soll  eine  Hilfsexpe- 
dition unter  dem  Befehle  von  S.  Chamy 
der  Expedition  neue  Lebensmittel  zuführen 
und  sie  dann  nach  Haus  geleiten.  Leiter 
der  Expedition  ist  der  88 jährige  Ameri- 
kaner Anthony  Fiala,  der  die  vor- 
jährige, von  Ziegler  ausgesandte  Nord- 
polarexpedition als  zweiter  Offizier  mit- 
gemacht hat ;  zweiter  Offizier  ist  W  i  1 1  i  a  m 
J.  Peters  von  der  U.  S.  Geological Survey, 
der  schon  ausgedehnte  Schlittenreisen  in 
Alaska  gemacht  hat.  Außer  200  Schlitten- 
hunden hat  die  Expedition  80  sibirische 
Ponies  mitgenommen,  die  sich  auf  der  vor- 
jährigen Expedition  verwendbarer  als  die 
Hunde  erwiesen  haben.  Die  übrigen  Teil- 
nehmer der  Expedition  einschließlich  der 
Bemannung  sind  Amerikaner.  (Nat.  Geogr. 
Mag.  1903.  S.  261.) 

♦  Durch  die  glückliche  Rückkehr 
der  deutschen  Südpolarexpedition 
nach  Südafrika  (S.  848)  ist  nicht  nur  von  den 
deutschen  Geographen,  die  die  erfreuliche 
Nachricht  bei  Eröffnung  des  Kölner  G^eo- 
graphentages  mit  lautem  Jubel  begrüßten, 
sondern  von  allen  Deutschen  eine  drückende 
Last  genommen  worden.  War  doch  der 
1.  Juni,  der  äußerste  von  Prof.  v.  Drygalski 
bezeichnete  Termin  für  das  Eintreffen  einer 
Nachricht  von  der  Expedition  oder  für 
die  Rückkehr  derselben,  herangekommen, 
ohne  daß  wir  die  geringste  Kunde  von 
der  Expedition  erhalten  hätten,  so  daß 
Befürchtungen  wegen  des  Schicksals  der 
Expedition  einigermaßen  berechtigt  waren 
und  die  Aussendung  einer  Hilfisexpedition 


Geographische  Neuigkeiten. 


413 


beschlossen  wurde.  Die  am  1.  Jnni  aus 
Laurenzo  Marquez  und  am  2.  aus  Durban 
eingetroffenen  Telegramme  über  die  Rück- 
kehr der  „Gauß"  haben  aber  noch  recht- 
zeitig alle  Befürchtungen  zerstreut  und 
uns  das  Wohlbefinden  der  gesamten  Ex- 
peditionsmitglieder gemeldet.  Nähere 
Nachrichten  über  den  Verlauf  und  die  Er- 
gebnisse der  Expedition  liegen  zur  Zeit 
noch  nicht  vor,  werden  aber  hoffentlich 
alsbald  nach  Eintreffen  der  sofort  ab- 
gesandten Berichte  in  authentischer  Form 
veröffentlicht  werden,  ohne  sie  wie  die 
bisherigen  Expeditionsberichte  für  die 
^^Veröffentlichungen  des  .Instituts  für 
Meereskunde**  zu  reservieren.  In  großen 
Zügen  ist  der  Verlauf  der  Expedition  fol- 
gender gewesen:  Nach  der  Abreise  der 
Expedition  von  den  Eergueleninseln  wurde 
bereits  am  14.  Februar  Treibeis  angetroffen; 
am  22.  Februar  auf  66^  2'  südl.  Br.  und 
89<>  48'  östl.  L.  war  das  Schiff  vom  Eise 
eingeschlossen  und  man  entschloß  sich  in 
der  unmittelbaren  Nähe  einer  neuentdeck- 
ten Insel,  welcher  man  den  Namen  Kaiser- 
Wilhelm  n.-Land  gab,  zur  Oberwinterung. 
Das  neu  entdeckte  Land  war  mit  Aus- 
nahme eines  erloschenen  Vulkans  mit  Eis 
bedeckt;  hier  lag  die  Expedition  fast  ein 
Jahr  lang  im  Eise  fest.  Die  Mannschaft 
bezog  die  Winterquartiere,  die  wissen- 
schaftlichen Arbeiten  und  Beobachtungen 
nahmen  ihren  ungestörten  Fortgang.  Als 
nach  Jahresfrist  die  Winterquartiere 
schließlich  geräumt  werden  konnten,  war 
die  Jahreszeit  schon  sehr  fortgeschritten; 
furchtbare  Schneestürme  und  Nebel  mach- 
ten die  Weiterfahrt  äußerst  gefährlich  und 
ließen  den  ursprünglichen  Plan,  den  Bück- 
weg durch  das  Wedell-Meer  zu  nehmen, 
als  zu  gewagt  erscheinen;  deshalb  ent- 
schloß man  sich  zur  Rückkehr.  Das  Schiff 
ging  nordwärts  und  verließ  die  Eisregion 
am  8.  April  1903;  auf  der  Weiterreise 
wurde  St.  Paul  und  Neu-Amsterdam  an- 
gelaufen, und  am  12.  Mai  traf  die  „Gauß'* 
südlich  von  Mauritius  die  norwegische 
Bark  „Garcia",  der  sie  die  ersten  Mit- 
teilungen über  den  glücklichen  Verlauf 
der  Expedition  übergab.  Die  Mitglieder 
der  Expedition  erfreuten  sich  einer  guten 
Gesundheit,  es  ereignete  sich  kein  Krank- 
heits-  oder  Unglücksfall.  Das  Schiff  zeigt 
außen  Spuren  vom  Festsitzen  im  Eise,  hat 
sich  aber  sowohl  auf  hoher  See  wie  im 
Eise  vortrefflich  bewährt.    Proviant  war 


noch  für  zwei  weitere  Jahre  genügend  vor- 
handen; es  wurde  eine  Nahrungsmittel- 
station errichtet  und  Stangen  als  Weg- 
weiser für  spätere  Expeditionen  wurden 
an  sichtbaren  Stellen  aufgepflanzt.  Als 
Hauptergebnis  der  Expedition  mögen  die 
Entdeckung  eines  neuen  Landes  und  die 
über  ein  Jahr  lang  exakt  durchgeführten 
wissenschaftlichen  Beobachtungen  der  ver- 
schiedensten Art  anzusehen  sein.  Die 
während  der  Expedition  gemachten  Samm- 
luiigen  sind  bereits  auf  dem  Wege  nach 
Berlin. 

*  Die  im  Laufe  des  Monats  Mai  ein- 
getroffenen brieflichen  Mitteilungen 
seitens  der  Teilnehmer  der  englischen 
Südpolarexpedition  bestätigen  vollauf 
die  telegraphischen  Berichte  über  den 
günstigen  und  erfolgreichen  bisherigen 
Verlauf  dieser  Expedition  und  schaffen 
auch  Klarheit  über  die  bisher  noch  be- 
stehenden Zweideutigkeiten  in  den  ge- 
meldeten Ortsangaben.  Als  die  wichtigste 
geographische  Entdeckimg  ist  wohl  die 
festgestellte  Tatsache  anzusehen,  daß  die 
Vulkane  Erebus  und  Terror  auf  einer 
verhältnismäßig  kleinen  Insel  liegen,  daß 
die  sogenannte  Mc  Murdo-Bai  in  Wirk- 
lichkeit eine  Meeresstraße  ist  und  daß 
an  der  Westküste  der  Mc  Murdo-Straße 
mächtige  Binneneismassen  bis  zu  9000  Fuß 
Höhe  ansteigen  Diese  Eismauer  erstiegen 
Armitage  und  Shakleton  auf  ihrer 
beschwerlichen  Schlittenreise.  Kapitän 
Skott  entdeckte  auf  einer  nach  Süden 
gerichteten  Schlittenreise  ein  ausgedehntes 
Festland,  welches  von  Gebirgszügen  bis 
zu  14  000  Fuß  Höhe  durchzogen  wird. 
Das  am  östlichen  Ende  der  großen  Eis- 
mauer entdeckte  Land  scheint  mit  Viktoria- 
Land  nicht  zusammenzuhängen  und  wurde 
von  Kapitän  Skott  König  Eduard  VH- 
Land  benannt.  Das  Entsatzschiff  „Moming"' 
entdeckte  auf  seiner  Fahrt  nach  Viktoria- 
Land  unter  dem  Polarkreise  zwei  neue 
Inseln.  Wegen  schwieriger  Eisverhält- 
nisse vermochte  die  „Moming"  nur  bis 
auf  8  km  an  die  eingefrorene  „Discovery" 
heranzukommen,  die  Verbindung  zwischen 
beiden  Schiffen  wurde  durch  Schlitten 
hergestellt.  Das  Wetter  war  während 
des  letzten  Jahres  besonders  schlecht  ge- 
wesen und  wurde  auch  kurz  vor  der  Ab- 
fahrt der  „Moming"  schon  wieder  kälter 
und  stürmischer.  Skott  bedauerte  das 
Festsitzen   der  „Discovery"   im  Eise  be- 


414 


Geographische  Neuigkeiten. 


sonders  deshalb,  weil  er,  anstatt  znm 
zweitenmal  zu  überwintern,  lieber  nach 
Neu -Seeland  zurückgefahren  und  nach 
dem  antarktischen  Winter  wieder  nach 
Viktorialand  zum  dritten  Sommer  zurück- 
gekehrt wäre.  Die  wissenschaftlichen 
Beobachtungen  wurden  während  des  zwölf- 
monatigen Festsitzens  im  Eise  auf  der 
„Discovery"  mit  der  peinlichsten  Sorgfalt 
ausgeführt  und  damit  wurde  der  Haupt- 
zweck der  Expedition,  eine  12  Monate 
umfassende  Beobachtungsreihe  aus  der 
Antarktis  zu  erhalten,  ebenso  wie  von 
der  deutschen  Südpolarezpedition  voll- 
kommen erreicht. 

*  Da  seit  dem  Herbste  1902  von  der 
schwedischen  Südpolarexpedition 
(S.  178)  keinerlei  Nachrichten  wieder  nach 
Europa  gelangt  sind,  hegt  man  über  ihr 
Schicksal  die  schwersten  Besorgnisse  und 
hat  sich  deshalb  zur  Aussendung  einer 
Hilfsexpedition  entschlossen  (S.348).  Von  der 
schwedischen  Regierung  sind  zu  diesem 
Zwecke  200  000  Kronen  bewilligt  und 
außerdem  sind  von  privater  Seite  noch 
über  50  000  Kronen  gesammelt,  so  daß 
die  Aussendung  der  Hilfsexpedition  für 
Ende  Sommer  1908  gesichert  ist  Der 
Führer  der  Expedition,  die  für  drei  Jahre 
ausgerüstet  werden  wird,  wird  der  schwe- 
dische Kapitän  Gylden  sein,  der,  gegen- 
wärtig 36  Jahre  alt,  im  Jahre  1901  das 
Schiff  „Antarktik"  auf  der  Gradmessungs- 
expedition nach  Spitzbergen  geführt  hat. 
Da  der  Hauptzweck  der  Expedition  die 
Aufsuchung  Nordenskjölds  auf  der 
„Antarktik"  sein  soll,  so  wird  der  Schwer- 
punkt hierauf  und  nicht  auf  wissenschaft- 
liche Forschungen  gelegt  werden  und  des- 
halb wird  wahrscheinlich  außer  dem  Zoo- 
logen Frhr.  Klinkowström  kein  Ge- 
lehrter die  Reise  mitmachen.  Die  schlimm- 
sten Befürchtungen  hegt  man  wegen  der 
Seetüchtigkeit  der  „Antarktik",  da  das 
alte  Schiff  kaum  noch  den  schwierigen 
Eisverhältnissen  des  Südpolarmeeres  ge- 
wachsen sein  dürfte  und  man  deshalb  ein 
der  Expedition  verhängnisvoll  gewordenes 
Schiffsunglück  fürchtet.  Nach  der  Mei- 
nung des  Prof  Nathorst,  welcher  der 
schwedischen  Regierung  als  Sachverstän- 


diger zur  Seite  steht,  muß  die  beabsich- 
sichtigte  Hilfsexpedition  Ende  August 
oder  Anfang  September  von  Schweden  ab> 
gehen,  um  Ende  November  im  Forschungs- 
gebiete eintreffen  zu  können.  Die  Nach- 
forschungen sollen  dann  zunächst  dem 
Dr.  Bodman  gelten,  der  mit  einem  Manne 
der  Besatzung  bei  Snow-HiU  zurück- 
geblieben ist,  als  Nordenskjöld  dem 
Plane  gemäß  die  Reise  nach  König  Oskar- 
Land  antrat,  von  der  er  noch  nicht 
zurückgekehrt  ist. 

Nach  einer  Mitteilung  von  Prof  Hau- 
thal  aus  La  Plata  erwartete  man  in  Ar- 
gentinien für  Ende  April  von  der  schwe- 
dischen Südpolarexpedition  Nachrichten 
über  den  Verlauf  der  Sommerkampagne 
sowie  über  den  Zustand  der  Expedition. 
Diese  Nachrichten,  die  der  Leiter  der  Ex- 
pedition, Dr.  Otto  Nordenskjöld,  selber 
mit  Bestimmtheit  für  spätestens  Ende  April 
zugesagt,  sind  ausgeblieben ;  die  hierdurch 
hervorgerufene  Beunruhigung  ist  groß  und 
im  Wachsen  begriffen.  Da  hat  der  Direktor 
des  La  Plata-Museums,  Dr.  F.  T.  Moreno, 
früher  Sachverständiger  im  argentinisch - 
chilenischen  Grenzstreit,  die  Initiative  er- 
griffen und  die  argentinische  Regierung  auf 
die  dringende  Notwendigkeit  hingewiesen, 
so  bald  wie  möglich  eine  Hilfsexpedition 
auszusenden,  um  die  „Antarktik"  aufzu- 
suchen. Die  argentinische  Regierung  hat 
nun  am  7.  Mai  beschlossen,  eine  solche 
Expedition  auszurüsten,  es  herrscht  nur 
darüber  noch  Zweifel,  ob  ein  für  die 
antarktischen  Gewässer  taugliches  Schiff 
im  Auslande  erworben  werden  oder  ob 
ein  geeignetes  Schiff  der  argentinischen 
Flotte  genommen  werden  soll.  Der  Marine- 
minister ist  der  Ansicht,  daß  das  argen- 
tinische Kanonenboot  „Uruguay"  sehr 
wohl  geeignet  sein  dürfte.  Dasselbe  ist 
in  seinen  Verhältnissen  der  „Antarktika* 
sehr  ähnlich,  hat  eine  Geschwindigkeit 
von  8  Knoten,  einen  Gehalt  von  290  Ton- 
nen, ist  148  Fuß  lang,  26  Fuß  breit  und 
hat  einen  Tiefgang  von  17*/,  Fuß.  Diese 
Hilfsexpedition  würde  aber  nicht  vor  dem 
Beginne  des  antarktischen  Frühjahres, 
also  wohl  erst  im  September,  abgesandt 
werden  können. 


Bücherbesprechungen. 


415 


BQcherbespreehaBgen. 


Bnge^  S«  Columbus.  2.  Anfl.  V  a. 
214  S.  3.  Abb.  u.  2.  K.  „Geistes- 
helden  (Führende  Geister)".  6.  Bd. 
Berlin,  E.Hoftnann&Co.  1902.  JL  2.40. 
Nach  etwa  zehnjährigem  Zwischen- 
ramn  erscheint  hier  in  neuer  Auflage  die 
lebensvolle  Darstellung  einer  der  meist 
genannten  Persönlichkeiten  der  Welt- 
geschichte. Der  Verfasser  entwirft  ein 
trefflich  abgerundetes  Bild  seines  Helden, 
den  er  freilich  nicht  bedingungslos  jenen 
wahren  „Geisteshelden"  anreihen  mag, 
welche  sonst  die  Sammlung  bietet.  Denn 
Columbus  war  noch  ganz  im  Doktrinaris- 
mus des  Mittelalters  befangen  und  ver- 
mochte die  weittragende  Bedeutung  seiner 
Tat  nicht  im  entferntesten  zu  ermessen, 
am  allerwenigsten  aber  als  fahrender 
Geist  sich  aufzuspielen.  Auf  Grund  seiner 
umfassenden  Quellen-  und  Literaturkennt- 
nisse liefert  der  Verfasser  dem  weiteren 
Leserkreise  eine  ansprechende  Lektüre, 
dem  Fachmann  ein  willkonmienes  Orien- 
tierungsmittel über  den  gegenwärtigen 
Stand  vieler  Einzelfragen  der  wissen- 
schaftlichen Forschung.  Den  Schluß  des 
Buches  bildet  ein  Literaturverzeichnis. 
K.  Kretschmar. 

Testa,  Oscar  M.  L'avvenire  della 
geografia.  IVu.  84S.  Napoli,  Pierro 
e  Figlio  1903. 
Dieses  Schriftchen  des  Verfassers,  der 
Professor  am  technischen  Institute  zu 
Neapel  ist,  knüpft  an  an  dasjenige,  wel- 
ches derselbe  früher  erscheinen  ließ  (La 
geografia  modema  nei  suoi  rapporti  con 
la  scienza,  Napoli  1888),  und  welches 
durch  das  gerade  von  Gerland  ausgegebene 
Programm,  mit  dem  er  die  „Beiträge  zur 
Geophysik"  eröffnete,  veranlaßt  war.  Da 
Italien  gerade  gegenwärtig  an  allen  me- 
thodologischen und  didaktischen  Bestre- 
bungen lebhaftesten  Anteil  nimmt,  wie 
am  besten  die  „Atti'^  des  Mailänder  geo- 
graphischen Kongresses  (1901)  beweisen, 
so  darf  jede  von  dort  zu  uns  heruber- 
klingende  Stimme  auf  Beachtung  rechnen. 
Es  bekümmert  den  Verf.,  daß  die  Erd- 
kunde, soviel  auch  ex-  und  intensiv  für 
sie  in  den  letzten  Jahren  geschehen  sei, 
gleichwohl  sich  „in  einer  mißlichen  Lage** 
befinde,  weil  sie,  gut  deutsch  herausge- 


sagt, nicht  recht  wisse,  was  sie  wolle. 
Mancher,  so  der  Unterzeichnete,  wird 
denken,  daß  das  Unglück  nicht  so  groß 
sei,  weil  eine  junge,  nach  Selbständigkeit 
und  Freiheit  ringende  Wissenschaft  nicht 
gewillt  ist,  sich  gleich  wieder  auf  einem 
formalistischen  Streckbette  die  Glieder 
zurecht  richten  zu  lassen.  Von  allen  mög- 
lichen Disciplinen  müsse  sie  sich  unter- 
stützen lassen;  gewiß,  das  beweist  eben, 
daß  ihr  eine  centrale  Stellung  im  wissen- 
schaftlichen Gesamtorganismus  zukonmit. 
Darum  kann  Referent  auch  nicht  bei- 
stimmen, wenn  an  einer  Reihe  deutscher 
und  anderer  Werke  der  Mangel  methodi- 
scher Korrektheit  gerügt  wird,  und  er 
fürchtet,  daß  das  Streben  nach  solcher 
die  Forschungstätigkeit  geradezu  gefähr- 
den könnte.  Im  zweiten  Kapitel  wird 
an  der  Hand  der  geschichtlichen  Entwick- 
lung zu  zeigen  gesucht,  wie  sich  die  An- 
sichten über  das  Wesen  der  Geographie 
im  Laufe  der  Zeiten  wandelten;  so  recht 
habe  das  doch  eigentlich  nur  ein  einziger 
verstanden ;  nicht  etwa  Peschel,  der  einige 
Schuld  daran  trage,  daß  die  Geographie 
sich  vom  rechten  Wege  verloren,  sondern 
filisäe  R^clus,  „addirittura  geniale".  Da- 
mit ist  für  die  summarische  Betrachtung 
des  dritten  Kapitels  und  der  folgenden 
Abschnitte  der  Fingerzeig  gegeben:  Geo- 
graphie ist  Länderkunde  im  Reclusschen 
Sinne,  und  sowohl  Ratzeis  „Anthropo- 
geographie",  die  an  einem  sie  beeinträch- 
tigenden „inneren  Fehler"  leidet,  wie 
auch  Gerlands  Betonung  der  Geophysik 
verlieren  damit  die  Berechtigung,  der  Erd- 
kunde als  solcher  anzugehören;  es  sind 
sozusagen  Outsiderwissenszweige.  Die  Geo- 
graphie ist  ihrer  Natur  nach  eine  synthe- 
tische Wissenschaft;  ihre  Synthese  ist  — 
das  läßt  sich  nicht  gut  übersetzen  — 
„spaziale  e  localizzatrice".  Neidlos  läßt 
sie  der  Geologie,  der  Ozeanographie,  der 
Meteorologie,  was  diesen  Nachbargebieten 
angehört,  und  nach  der  historisch-sozio- 
logischen Seite  verhält  sie  sich  ebenso. 
Dann  wird  das  ,, Chaos"  geklärt,  das 
methodologische  Problem  endgültig  ge- 
löst sein. 

Der  Berichterstatter  verkennt  in  keiner 
Weise,  daß  der  Autor  folgerichtig  denkt 
imd  scharfe  Schlüsse  zu  ziehen  weiß,  so 


416 


Bücherbesprechungen. 


daß  anch  Bein  Schloßergebnis,  wenn  man 
ihm  die  Prämisse  zugibt,  unangreifbar 
dasteht.  Deswegen  wird  die  kleine  Schrift 
auch  in  Deutschland,  wo  man  vielfach 
ähnliche  Anschauungen  hegt,  gewiß  Bei- 
fall finden.  Wir  selbst  allerdings  stehen 
von  vornherein  auf  einem  anderen  Stand- 
punkte, halten  das  Aufsuchen  und  Ab- 
zirkeln von  Grenzlinien  für  nicht  unbe- 
denklich und  treten,  wenn  wir  uns  eines 
in  der  Politik  jetzt  gebräuchlich  gewor- 
denen Ausdrucks  bedienen  dürfen,  ent- 
schieden für  die  „Greater  Geographj"  ein. 
S.  Günther. 

AmbrosiaS)  E«  Die  Volksdichte  am 
deutschen  Niederrhein.  (For- 
schungen zur  deutschen  Landes-  und 
Volkskunde.  Bd.  Xm.  Heft  3.)  116  S. 
2  K.  u.  3  Textill.  Stuttgart,  Engel- 
hom  1901.  .*:  9.60. 
Nach  einer  Einleitung,  durch  die  wir 
mit  der  einschlägigen  Literatur  bekannt 
gemacht  werden,  behandelt  der  Verfasser 
im  I.  Abschnitte  die  verschiedenen  Me- 
thoden zur  Darstellung  der  Volksdichte. 
Auf  die  nach  der  relativen  Methode  auf 
Grundlage  der  Gemeindegemarkung  ge- 
zeichnete Volksdichtekarte,  welche  10 
Dichtestufen  in  verschiedenen  Farben  aus- 
prägt, hat  Ambrosius  femer  alle  Siede- 
lungen in  topographischem  Sinne,  d.  h. 
nur  ihrer  Lage  bezw.  Form  nach,  aber 
ohne  Rücksicht  auf  die  absolute  Zahl  der 
Bewohner  eingetragen,  um  dadurch  zu- 
gleich einen  Überblick  über  die  Besied- 
lungsverhältnisse zu  geben.  Hierbei  wurden 
Einzelsiedlungen  durch  Punkte,  Häuser- 
gruppen aber  durch  kleine  offene  Ringe 
bezeichnet.  Diese  Darstellungsweise  konnte 
in  einem  Gebiet,  wo  die  zerstreute  Sied- 
lungsweise vorherrscht,  genügen,  während 
in  Gebieten,  in  denen  die  Haufensiedlung 
vorwieget,  das  Interesse,  außer  von  der  all- 
gemeinen Volksdichte  auch  von  der  Größe 
der  Ortschal'ten  und  der  Häufung  der  Be- 
wohner ein  klares  Bild  zu  erhalten,  um 
die  (lunst  oder  Ungunst  einer  Ortlichkeit 
für  menschliches  Wohnen  möglichst  deut- 
lich zu  erkennen,  wohl  eine  Zuhilfenahme 
der  absoluten  Methode  verlangt. 

Es  folgt  ei^ie  recht  klare  geographische 
Beschreibung  des  zur  Darstellimg  ge- 
wählten Gebietes,  wobei  6  Naturgebiete: 

1)  das  Gebiet  der  östlichen  Randhöhen, 

2)  das  Rheintal,   3)  die  linksrheinischen 


Hügelgmppen,  4)  das  Nierstal  und  6)  das 
Gebiet  der  westlichen  Grenz-Höhen  und 
-Moore  unterschieden  werden. 

An  dritter  Stelle  werden  die  Ursachen 
der  Volksdichte  untersucht.  Diese  Arbeit, 
die  man  als  eine  gründliche  volkswirt- 
schaftliche Studie  bezeichnen  kann,  war 
für  den  Verfasser  insofern  recht  inter- 
essant, als  das  Gebiet  nicht  bloß  aus  den 
oben  angegebenen  5  Naturgebieten  be- 
steht, sondern  im  S  und  SO  auch  in  den 
rheinischen  Industriebezirk  hinübergreift, 
wo  neben  Ackerbau  und  Viehzucht,  den 
beiden  Haupterwerbsquellen  im  größten 
Teile  des  Gebiets,  plötzlich  Industrie, 
Handel,  Verkehr  und  zum  Teil  auch  Berg- 
bau als  wichtigste  Nährquellen  einer  dort 
viel  dichteren  Bevölkerung  auftreten.  Die 
verkehrsreichen  Rheinhäfen  Ruhrort  und 
Duisburg  fallen  noch  mit  in  den  Rahmen 
der  Arbeit,  und  auf  der  linken  Rheinseite 
schneidet  das  Gebiet  unmittelbar  an  der 
Stadtgrenze  von  Ejrefeld  ab.  So  ergab  sich 
eine  Fülle  von  Ursachen  der  Volksdichte,  die 
vom  Verfasser  überall  geschickt  hervorge- 
hoben und  nebeneinander  gestellt  wurden. 
16  Seiten  Tabellen  vervollständigen 
die  Schrift  und  illustrieren  die  vorher- 
gehenden Hauptabschnitte.  Für  den,  der 
sich  mehr  in  die  Schrift  vertiefen  will, 
bieten  sie  viel  Interessantes. 

Die  beiden  Karten  hätten  an  Über- 
sichtlichkeit bedeutend  gewonnen,  wenn 
nicht  die  Namen  der  Flüsse  und  auf  der 
Höhenschichtenkarte  auch  die  der  Ort- 
schaften fortgeblieben  wären,  da  das  Auf- 
suchen von  örtlichkeiten,  entgegen  der  An- 
sicht des  Verfassers,  zuweilen  mit  Schwie- 
rigkeiten verbunden  war.  Kerp. 

StokTiSy  A«    Führer  durch  Ostfries- 
land, die  Nordsee-Bäder,  Jever 
und    Umgebung,      kl.    8«.    XVI 
u.  192  S.     63  Bilder,  6  K.     Emden, 
Schwalbe,  o.  J.  (1902). 
Das   kleine   Buch    gehört   zur  Klasse 
der  besseren  Lokalführer.    Geht  der  Ver- 
fasser auch  nirgends  tiefer  auf  geogra- 
phische   Fragen    ein,    zu   denen    gerade 
Natur  und  Siedelungen   Ostfrieslands  so 
oft  Anlaß  geben  würden,  so  sucht  er  doch 
nicht  bloß  dem  Touristen,   sondern  auch 
dem  Einheimischen   ein  möglichst  reich- 
haltiges,vorwiegend  allerdings  historisches, 
Material   zu   bieten.     Die  geographische 
Einleitung  möchte  man  aber  viel  ausfuhr- 


Buch  erb  esprechungen. 


417 


lieber  wünschen,  sie  läßt  manchen  wich- 
tigen Punkt  ganz  nnberührt.  Die  zahl- 
reichen ninstrationen ,  unter  denen  sich 
auch  einzelne  Landscbaftstjpen  befinden, 
stellen  vorzugsweise  seltener  abgebildete 
(Gebäude  u.  a.  dar.  Die  Karten  mögen 
ausreichen;  för  die  Übersichtskarte,  welche 
Marsch,  Geest  und  Moor  zu  unterscheiden 
sucht,  wäre  aber  eine  andere  Wahl  der 
Farben  gewiß  zweckmäßiger  gewesen. 

F.  Hahn. 

Mejers  Reisebflelier«  Deutsche  Alpen 
2.  Teil.    7.  Aufl.    12«.    Xu  u.  878  S. 
27  K.,  5  Pläne,  8  Panoramen.  Leipzig, 
Bibl.  Inst.    JL  4.50. 
Von  Heinrich  Kucharz  sachkundig 
bearbeitet,  ist  das  Reisehandbuch  bis  auf 
den  neuesten  Stand  gebracht  —  bei  dem 
raschen  Aufeinanderfolgen  der  Auflagen 
keine  leichte  Arbeit.    Auch  diese  7.  Auf- 
lage hat  alle    die   bekannten,    in   dieser 
Zeitschrift   schon   besprochenen    Vorzüge 
ihrer  Yorgängerinnen.  Sieger. 

Rothpletz^  A.    Geologischer  Führer 
durch   die  Alpen.     I.  (Jebiet  der 
zwei    großen    rhätischen    Überschie- 
bungen zwischen  Bodensee  und  dem 
Engadin.     (Sammlung     geologischer 
Führer.      Bd.   X.)       XIV   u.    256   S. 
81  Textfig.    Berlin,  Gebr.  Bomtiäger 
1902.     JL  4.—. 
In  der  Einleitung  wird  die  geologische 
Propädeutik  —  Unterscheidung  sedimen- 
tärer, krjstalliner  und  eruptiver  Gesteine, 
Grundlagen    der    Tektonik     sowie    eine 
Schichtentafel     des     Exkursionsgebietes 
knapp  und  klar  behandelt.   Ein  Verzeich- 
nis der  vorhandenen  topographischen  und 
geologischen  Karten  sowie  der  wichtigsten 
Literatur  ist  in  aller  Kürze  im  Vorwort 
gegeben.    Die  Einleitung  enthält  endlich 
auf  wenigen  Seiten  eine  kurze  theoretische 
Auseinandersetzung  über  „Bau  und  Alter 
der  Alpen*',  d.  h.  die  anderwärts  ausföhr- 
licher  dargestellten  Ansichten  des  Verf., 
die  besonders  in  der  kühoen  und  kaum 
zu  haltenden  Hypothese  von  zwei  enormen 
von  Ost  nach  West  bewegten  Überschie- 
bungen gipfeln.  Das  heutige  Alpengebirge 
entstand   durch  Faltungen   in  der  Mitte 
der  Tertiärzeit  und  zwar  in  zwei  Etappen 
(mittleres  Oligocän  und  jüngeres  Miocän). 
Die   Unterscheidung   dieser    beiden   Fal- 
tungsphasen wird  für  das  Engadin  vom 
Verf.  so  gedeutet,  daß  während  des  Oli- 


gocän eine  G«birgsbildung  in  der  Rich- 
tung von  SO  nach  NW  erfolgt  sei. 
Später  bewegte  sich  dann  eine  zweite 
„rhätische  Faltung**  in  der  Richtung  von 
0  nach  W.  Den  schon  in  anderem  Sinne 
stärker  gefalteten  Schichten  konnte  eine 
weitere  Zusammenpressuug  nicht  mehr 
zugemutet  werden,  und  so  erfolgten  dann 
—  auf  den  zwei  flachen  Schubflächen  — 
zwei  große  Zerreißungen.  Auf  diesen  flach 
gegen  W  ansteigenden  Flächen  wurden 
die  hangenden  über  die  liegenden  Ge- 
birgsmassen  viele  (mehr  als  70)  Kilometer 
weit  fortgeschoben. 

Von  den  zwei  Hauptschubmassen 
wurde  1)  die  westliche  über  das  stehen 
gebliebene  basale  Gebirge  der  Westalpen, 
2)  die  Östliche  in  ähnlicher  Weise  über 
den  westlichen  Überschiebungskuchen  hin- 
wegbewegt. Die  östliche  Schubmasse, 
also  die  obere  der  beiden,  wird  als  obere 
rhätische  Überschiebung,  die  west- 
liche Masse,  also  die  tiefer  liegende,  als 
die  untere  rhätische  Überschiebung 
bezeichnet.  Das  Ausmaß  des  Horizontal- 
schubes soll  nach  dem  Verf.  bei  der  west- 
lichen (unteren)  „mindestens  40  km",  bei 
der  östlichen  80  km  betrageu. 

Erst  nach  diesen  mannigfachen  Be- 
wegungen ist  die  zweite  allgemeine  jung- 
miocäne  Hebung  erfolgt,  bei  der  das 
Gefüge  des  Gebirges  nur  noch  schwache 
Verbiegungen,  aber  vielfach  Zerreißungen 
und  Verwerfungen  erfuhr.  Die  Ansichten 
des  Verf.  sind  nicht  als  das  Ergebnis 
ausgedehnter  Kartierungen  anzusehen, 
sondern  beruhen  meist  auf  einzelnen  Ex- 
kursionen, wie  sie  in  den  18  folgenden 
Kapiteln  (Allgäu,  Vorarlberg,  Rheintal, 
Graubünden-Glarus)  geschildert  werden  *). 
So  wenig  man  in  den  Alpen  und  in  dem 
vorliegenden  Exkursionsgebiet  das  Vor- 
handensein von  Überschiebungen  an  sich 
bestreiten   wird*),   so   erscheint  es   doch 


1)  Nur  über  das  geotektonische  Pro- 
blem der  Glamer  Alpen  hat  Verf.  eine 
Karte  nebst  ausführlicher  Darstellung  ver- 
öffentlicht. 

2)  Es  sei  nur  daran  erinnert,  daß  das 
in  dem  Buch  behandelte  Gebiet  auch  die 
Glamer  Doppelfalte  oder  die  Glamer 
Überschiebung  umfaßt,  über  deren  innere 
Lagerung  das  Urteil  aller  urteilsfähigen 
Geologen  durchaus  feststeht;  nur  darüber 
ist  ein  Zweifel  möglich,  ob  eine  Doppel- 


418 


Bücherbe  Sprech  ungen. 


geboten,  gegenüber  dem  70 -Kilometer- 
Schübe  und  dem  Wechsel  der  Richtung 
bei  den  Falten  und  Schubmassen  das  Er- 
gebnis der  £inzelaufnahme  abzuwarten. 
So  fragt  z.  B.  Steinmann  auf  Grund  des 
Nachweises  f  daß  in  dem  leicht  zugäng- 
lichen und  gut  zu  übersehenden  Jura- 
gebirge eine  anfänglich  von  allen  Seiten 
angenommene  Überschiebung  lediglich 
einen  einfachen  Einbruch  darstellt,  mit 
Rücksicht  auf  die  rhätischen  Schubmassen : 
„Wie  werden  die  nach  den  neuesten 
Theorien  massenhaft  übereinander  ge- 
schichteten Überschiebungskuchen  im 
Alpengebirge  den  Detailuntersuchungen 
gegenüber  standhalten?^' 

Die  Schwierigkeiten,  die  der  Alpen- 
geologe zu  überwinden  hat,  beruhen  vor 
allem  in  der  Versteinerungsarmut  oder 
Leere  großer  Gesteinsmassen.  Je  nach- 
dem man  z.  B.  den  fossilleeren  Röthi- 
Dolomit  der  Dyas  (Verf.  und  Heim)  oder 
der  Trias  (Tobler,  E.  Philippi,  Ref.) 
zurechnet,  wird  die  Entscheidung  über 
das  Vorhandensein  normaler  oder  ver- 
kehrter Lagerung  anders  ausfallen. 

Bei  der  Beschreibung  der  einzelnen 
Exkursionen  des  Führers  treten  diese 
Überschiebungshypothesen  jedoch  gegen- 
über den  durch  Profile  und  Landschafts- 
skizzen erläuterten  Tatsachen  in  den 
Hintergrund.  Frech. 

Nissen^  Heinrieh.  Italische  Landes- 
kunde. 2.  Bd.  2.  Hälfte.  522  S. 
Berlin,  Weidmann  1902.  Jt  8.—. 
Mit  der  zweiten  Hälfte  des  zweiten 
Bandes,  die  der  ersten  erfreulich  rasch 
gefolgt  ist,  liegt  nun  Kissens  grund- 
legendes Werk  zur  altitalischen  Landes- 
kunde vollendet  vor,  um  gewiß  für  lange 
Zeit  einen  zuverlässigen  Führer  zum  Ver- 
ständnis der  Geschichte  Alt  -  Italiens, 
namentlich  der  Begründung  der  Macht 
Roms  zu  bilden.  Im  unmittelbaren  An- 
schluß an  die  erste  Hälfte  und  ganz  in 
gleicher  Weise  behandelt  diese  Rom,  die 
Städte  von  Latium,  Campanien  und  der 
übrigen  Landschaften  Süd-Italiens  bis  zur 
Meerenge.  Geschichtlich  besonders  wich- 
tige Gegenden  werden  besonders  genau 
nach  ihrer  Topographie  geschildert, 
namentlich   auch    in  Bezug   auf  etwaige 


falte    oder   eine   einfache   nordwärts  ge- 
richtete Überschiebung  vorliegt. 


seit  dem  Altertum  eingetretene  Ver- 
änderungen im  Gelände.  Einzelne  Siede- 
lungen werden  sorgsam  durch  die  Jahr- 
hunderte nach  ihrer  geschichtlichen  Ent- 
wickelung  verfolgt  mit  steter  Rücksicht 
auf  die  einwirkenden  geographischen  Be- 
dingungen. Zu  den  anziehendsten  Kapiteln 
gehört  das  Apulien  gewidmete,  wo  wir 
freilich  gern  die  Frage  etwas  näher  unter- 
sucht gesehen  hätten,  ob  die  heute 
menschenleeren  weiten  Räume  zwischen 
den  großen  Siedelungen  nicht  doch  im 
Altertume  teilweise  von  kleinen  Siede- 
lungen bedeckt  waren,  wofür  manches 
spricht.  Die  hier  in  dem  trockenen,  alles 
wohl  erhaltenden  Boden  so  lohnende 
Gräberforschung  wird  vielleicht  auch  für 
diese  Frage  mehr  Licht  bringen.  Die 
Geschichte  der  Weidewirtschaft  und  ihrer 
Begleiterscheinungen  ist  uns  ^besonders 
anziehend  erschienen.  Daß  neuere  geo- 
graphische Forschungen  anscheinend 
grundsätzlich  unverwertet  geblieben  sind, 
muß  auffallen.  Vielleicht  wurde  es  doch 
möglich  gewesen  sein,  hier  und  da  die 
geographischen  Faktoren  schärfer  hervor- 
zuheben. Th.  Fischer. 

Nenfeld-Mttnchen^  C.  A«  Illustrierter 
Führer  durch  Bosnien  und  die 
Hercegovina.  (A.  Hartlebens  Dl. 
Führer  Nr.  66.)  92  S.  31  Abb.,  1  K. 
Wien  u.  s.  w.,  Hartleben  1908. 
Seitdem  Bosnien  und  die  Hercegovina 
als  österreichisches  Occupationsgebiet  der 
gebildeten  Welt  erheblich  näher  gerückt 
worden  sind  als  zur  Türkenzeit,  kommen 
sie  wegen  ihrer  landschaftlichen  Schön- 
heiten und  wegen  der  Eigenart  ihrer  Be- 
wohner als  Touristenziel  immer  mehr  in 
Aufnahme  und  werden  nicht  mit  Unrecht 
das  Reisegebiet  der  Zukunft  genannt. 
Die  musterhafte  Verwaltung  des  Landes 
läßt  es  an  Fürsorge  für  die  Reisenden 
nicht  fehlen  xmd  hat  für  ein  weitver- 
zweigtes Netz  trefflicher  Straßen,  för 
Eisenbahnen,  Unterkunft  (auch  in  den 
abgelegeneren  Gegenden)  und  vor  allem 
für  vollkommene  Sicherheit  Sorge  ge- 
tragen. Eine  Durchwanderung  des  Occu- 
pationsgebietes  ist  deshalb  ein  in  jeder 
Beziehung  lohnendes  Unternehmen  und 
findet  einen  sehr  brauchbaren  Ratgeber 
in  dem  vorliegenden  Führer,  der  den 
illustrierten  „Führer  durch  Dalmatien^' 
desselben   Verlages   (G.  Z.   1902.   S.  602) 


Bücherbesprechungen. 


419 


unmittelbar  fortsetzt.  Trotz  seines  gerin- 
gen Umfanges  von  92  Seiten  entspricht 
er  allen  Anforderungen,  die  man  bei 
einem  der  Touristik  noch  zu  erschließen- 
den Lande  an  ein  solches  Handbuch  stel- 
len kann. 

Auf  eine  kurze  Zusammenstellung  der 
wichtigsten  Wörter  in  deutscher  und 
serbischer  Sprache  folgt  ein  sehr  knapper 
geographischer  und  geschichtlicher  Abriß. 
Daran  reihen  sich  praktische  Winke  über 
Reisezeit  und  Beiseprogramm,  Ausrüstung, 
Verkehrsmittel  (die  Bedürfnisse  der  Rad- 
fahrer finden  ebenfalls  Berücksichtigung) 
u.  s.  w.  Hierauf  werden  in  sieben,  im 
wesentlichen  den  Eisenbahnen  und  Post- 
straßen folgenden  Routen  die  hauptsäch- 
lichsten Wanderungen  beschrieben  und 
nach  Art  der  gebräuchlichen  Reiseführer 
die  geographischen,  geschichtlichen,  kul- 
turlichen und  sonstigen  Merkwürdigkeiten 
der  einzelnen  Gegenden  und  Ortschaften 
angegeben.  Der  Verf.  hat  sein  Reise- 
gebiet durch  eigene  Anschauung  genau 
kennen  gelernt  —  nur  die  Angaben  über 
den  Ausflug  zum  Durmitor  (nicht  Dor- 
mitor,  S.  71)  sind  etwas  unklar  —  und 
beschränkt  sich  zum  Unterschied  von  den 
„Reiserouten  in  Bosnien  und  der  Herce- 
govina^^  desselben  Verlages  nicht  auf 
die  bequem  zu  bereisenden  Heerstraßen, 
sondern  behandelt  auch  die  weniger  be- 
kannten, darum  aber  nicht  minder  inter- 
essanten Grenzgebiete  z.  B.  die  hercego- 
vinisch-montenegrinischen  Alpen,  die  von 
Osterreich  besetzten  Teile  des  türkischen 
Sandiaks  Novipazar  und  die  Floßfahrt 
auf  der  Drina.  Soweit  des  Referenten 
Erfahrungen  reichen,  ist  das  gut  aus- 
gestattete und  wie  alle  Hartlebenschen 
Führer  reich  illustrierte  Buch  ein  zuver- 
lässiger Führer.  Nur  die  beigegebene 
Übersichtskarte  ist  wegen  ihres  kleinen 
Maßstabes  (1  :  760000)  nicht  genügend, 
und  unter  den  wenigen  zur  Orientierung 
empfohlenen  Werken  (S.  18)  durften  die 
ausgezeichneten  Bücher  von  G.  Capus, 
A  travers  la  Bosnie  et  THerz^govine  (Paris 
1896)  und  Milena  Preindlsberger- 
M  r  a  z  o  V  i  c  (aus  Sarajevo),  Bosnisches 
Skizzenbuch  (Leipzig  und  Dresden  1900) 
auf  keinen  Fall  fehlen.      K.  Hassert. 

PldlippBon,  Alfred.  Beiträge  zur 
Kenntnis  der  griechischen  In- 
selwelt. 4^.  172  S.  4E.  (Eizänzungs- 


heft  Nr.  134  zu  „Petermanns  Mit- 
teilungen*^)  Gotha,  Justus  Perthes. 
JC  10.—. 
Nach  Abschluß  seiner  grundlegenden 
Arbeiten  auf  dem  griechischen  Festlande 
hat  sich  Philippson  demjenigen  Gebiete 
Griechenlands  zugewendet,  dessen  Kennt- 
nis bisher  am  dürftigsten  geblieben  war, 
der  Inselflur  des  Ägäischen  Meeres.  Nur 
wenige  der  zum  Königreiche  Griechen- 
land gehörenden  Kjkladen  und  Sporaden 
waren  vorher  eingehender  erforscht  wor- 
den, wie  Thera  (Santorin)  und  Melos;  für 
manche  fehlte  seit  dem  Erscheinen  der 
„Inselreisen"  von  L.  Roß  jegliche  landes- 
kundliche Arbeit.  Die  Grundzüge  einer 
Darstellung  der  ägäischen  Inselflur  — 
soweit  sie  zum  Königreiche  gehört  —  ver- 
danken wir  nunmehr  Philippson,  welcher 
die  Ergebnisse  seiner  Bereisung  der  Aegaeis 
im  Sommer  1896  in  dem  vorliegenden 
stattlichen  Hefte  niedergelegt  hat. 

Trotz  der  Kürze  der  ihm  zur  Ver- 
fügung stehenden  Zeit  hat  es  der  energi- 
sche Forscher  ermöglicht  21  Inseln  zu 
besuchen,  unter  denen  mehrere  durch  ihn 
die  erste  Darstellung  in  geologischer  Hin- 
sicht erfahren  haben.  Wiederum  hat 
Philippson  seine  Fähigkeit  bewährt,  in 
kürzester  Zeit  eine  Fülle  trefflicher  Einzel- 
beobachtungen zu  machen  und  sie  unter 
einheitlichen  Gesichtspunkten  zu  einem 
Gesamtbilde  zu  vereinigen.  Dies  gilt 
insbesondere  für  die  Erkundung  des  geo- 
logischen Baues,  nicht  minder  aber  für 
die  Darstellung  der  Oberflächengestal- 
tung. Die  Kartographie  der  Inseln  wurde 
im  Rahmen  der  Küstenumrisse,  welche 
die  britische  Admiralitätskarte  bot,  we- 
sentlich gefördert  und  vor  allem  das  Ter- 
rain auf  Grund  eigener  Anschauung  und 
Aneroidbestimmungen  durch  Isohypsen  von 
je  100  m  Vertikalabstand  in  sehr  aus- 
drucksvoller Weise  dargestellt.  Dieselben 
beiden  Blätter  in  1 :  300  000  liegen  der 
geologischen  Karte  zu  Grunde,  welche  natur- 
gemäß genau  bekannte  und  skizzenhaft 
angelegte  Partien  vereinigt.  Der  erste 
Teil  der  Abhandlung  teilt  die  Beobach- 
tungen des  Verfassers  für  jede  einzelne 
Insel  mit,  berücksichtigt  jedoch  auch  die 
ältere  Literatur.  Der  zweite  Teil  gibt  die 
Zusammenfassung.  Der  Abschnitt  über 
Stratigraphie  weist  auf  die  Probleme  hin, 
welche  trotz  der  Fortschritte  der  Erkennt- 
nis durch  Neumayr,  Teller,  Bittner,  Lep- 


420 


Bücherbeeprechangen. 


Sias,  Philippson  n.  a.  noch  vorliegen.  Zu 
dem  Kapitel  Bau  und  Oberflächengestalt 
vermiBse  ich  die  schöne  Karte  des  Ver- 
fassers aus  den  Annales  de  Geographie 
1898,  welche  die  Leitlinien  der  Faltungen 
und  die  Bruchlinien  zur  Darstellung  bringt. 
Das  Kapitel  über  Klima,  Vegetation  und 
Kultur  schöpft  im  wesentlichen  aus  der 
Literatur. 

Vor  allem  in  physischer  Hinsicht  hat 
Philippson  für  die  ägäischen  Inseln  eine 
Grundlage  geschaffen,  auf  welcher  nun- 
mehr —  wenn  auch  eine  eingehendere  Er- 
forschung der  einzelnen  Inseln  sich  nicht 
erübrigt  —  ein  besseres  Verständnis  dieser 
Inselflur  sich  aufbaut.  Leonhard. 

Krahmer,  Rußland  in  Asien.  Bd.  VI. 
Die  Beziehungen  Rußlands  zu 
Persien.  gr.  8.  126  S.  Leipzig, 
Zuckschwerdt  &  Co.  1903.  JC  8.—. 
Der  als  ausgezeichneter  Kenner  der 
russischen  Kolonialarbeit  in  Asien  be- 
währte Verf.  führt  uns  in  der  yorliegenden 
Schrift  auf  ein  Gebiet,  welches  volle  Auf- 
merksamkeit verdient.  Der  lebhafte  Wett- 
bewerb Rußlands  und  Englands  um  die 
endgültige  Erringung  des  entscheidenden 
Einflusses  auf  Penden  in  politischer  wie 
in  wirtschaftlicher  Hinsicht  ist  eine  der 
wesentlichsten  Fragen  unserer  Zeit.  Es 
wird  zunächst  gezeigt^  wie  Rußland  schon 
im  15.  Jahrhundert  zu  Persien  in  Handels- 
beziehungen trat,  die  aber  erst  durch  die 
Eroberungen  Peters  des  Großen  am 
Schwarzen  und  am  Kaspischen  Meere  für 
Rußland  Wert  und  Bedeutung  gewannen. 
Peters  Nachfolger  kämpften  mit  wechseln- 
dem Glück  um  die  Landschaften  im  Süden 
des  Kaukasus  und  vermochten  eigentlich 
erst  nach  Bezwingimg  der  Kaukasusvölker 
eine  folgerichtige  Ausdehnungspolitik 
gegen  Persien  einzuleiten;  ja  man  kann 
sagen,  daß  Rußland  an  keiner  Stelle 
Asiens  so  langsam,  so  zögernd  vorgegangen 
ist  als  gerade  gegen  Persien  hin,  das 
doch  so  offen  vor  Rußland  liegt.  Der 
Grund  mag  darin  zu  suchen  sein,  daß 
Persien  ein  altes,  in  sich  abgeschlossenes 
Kulturland  ist,  welches  zwar  nur  noch 
als  ein  Schatten  seiner  einstigen  Blüte 
erscheint,  aber  trotzdem  dem  russischen 
Andrängen  einen  kompakteren  Wider- 
stand entgegensetzt  als  die  menschen- 
leeren und  herrenlosen  Länder  Ostasiens,  j 
Seit  den  letzten  20  Jahren  ist  Rußland  | 


mit  ganz  außerordentlichem  Erfolg  in 
Persien  tätig  gewesen  und  hat  durch 
Handelsverträge,  Anleihen,  Konzessionen 
fOr  Straßen-,  Eisenbahn-  und  Bergbau 
einen  ganz  gewaltigen  Vorsprung  ge- 
wonnen. An  der  Hand  eines  sehr  reich- 
haltigen, amtlichen  Materials  weist  der 
Verf.  nach,  daß  Persien  in  wirtschaft- 
licher Beziehung  durch  seine  großen 
natürlichen  Schätze  und  durch  die  Ent- 
wicklungsfähigkeit seiner  Hilfsquellen  ein 
fast  noch  unbeackertes,  aber  sehr  aus- 
sichtsreiches G^ebiet  ist.  Wie  aber  Ruß- 
land im  Norden  Persiens  mit  Hilfe  seiner 
Eisenbahnen  in  Kaukasien  und  Trans- 
kaspien  sowie  der  Dampfschiffahrt  auf 
dem  Kaspischen  Meere  seinen  wirtschaft- 
lichen Einfluß  mehr  und  mehr  zur  Geltung 
brachte,  so  hat  sich  England  aufs  nach- 
drücklichste bemüht,  vom  persischen  Golf 
her  Süd -Persien  wirtschaftlich  zu  be- 
herrschen. Obwohl  auch  Rußland  keine 
Kosten  imd  Mühen  scheut,  ebenfalls  am 
persischen  Golf  festen  Fuß  zu  fassen,  so 
steht  England  hier  doch  noch  im  Vorder- 
grunde, was  der  Verf.  zahlenmäßig  treffend 
nachweist.  In  neuester  Zeit  haben  die 
Engländer  fOr  einen  Handelsweg  aus 
Indien  durch  Belutschistan  und  Kirman 
nach  Meschhed  gesorgt,  um  auch  hier  die 
Fortschritte  Rußlands  zu  bekämpfen.  Wir 
können  uns  dem  Gedanken  nicht  ver- 
schließen, daß  Rußlands  Aussichten  in 
dem  vorliegenden  Buche  doch  wohl  etwas 
optimistisch  beurteilt  werden.  Gewiß  hat 
Rußland  auch  in  Persien  große  Eisenbahn- 
pläne und  hofft  auf  gewaltiges  Empor- 
blühen seines  Handels.  Wird  es  aber 
möglich  sein,  daß  Rußland  gleichzeitig 
an  zwei  Stellen  —  in  Persien  und  in  Osi- 
asien  —  eine  so  hochfliegende  Politik 
treibt?  Der  Verf.  zollt  den  Russen  vollen 
Beifall  und  beweist  dies  mit  schlagenden 
Gründen  aus  Rußlands  bisheriger  Politik. 
Wenn  wir  an  dem  unbesiegbaren  Fort- 
schreiten Rußlands  in  mancher  Hinsicht 
zweifeln,  so  kann  dies  trotzdem  die  Hoch- 
schätzung des  trefflichen  Buches  nicht 
herabmindern,  dessen  klare  und  geistvolle 
Darstellung  den  Leser  bis  zum  Schlüsse 
fesseln  wird.  Das  Werk  sei  bestens  em- 
pfohlen! ImmanueL 

Geistbeok,  MichaeL  Leitfaden  der 
mathematischen  und  physika- 
lischen Geographie  für  Mittel- 


Neue  Bücher  und  Karten. 


421 


schulen  und  Lehrerbildungs- 
anstalten. 22.  u.  23.  Aufl.  168  S. 
Viele  m.  Preiburg  i.  B.,  Herder  1902. 
JL  1,40. 

Die  neue  Auflage  des  vortrefflichen 
Leitfadens  verdient  durchaus  das  Lob, 
das  einer  früheren  in  dieser  Zeitschrift 
gespendet  werden  konnte.  Der  Verfasser 
hat  bei  Bearbeitung  derselben  die  neuere 
einschlägige  Fachliteratur  gewissenhaft 
verwertet.  Die  Anordnung  des  Stoffes  ist 
unvei^ndert  geblieben.  In  den  Abschnit- 
ten über  mathematische  Geographie  sind 


naturgemäß  nur  wenige  Zusätze  hinzu- 
gekommen (z.  B.  die  Erwähnung  des  Pla- 
neten Eros).  Etwas  umfangreicher  sind 
die  Veränderungen  in  dem  2.  Teil,  der 
physikalischen  (besser  hieße  es  wohl 
physischen)  Erdkunde.  So  ist  z.  B.  der 
Abschnitt  über  C^birgsbildung  umgearbei- 
tet und  durch  einige  neue  Abbildungen, 
schematische  Darstellungen  der  Haupt- 
gebirgsformen  bereichert.  Wir  können 
das  Buch  auch  in  dieser  neuen  Bearbei- 
tung auf  das  wärmste  empfehlen. 

R.  Langenbeck. 


Neue  Bttcher  und  Karten. 


AllgeMelaee. 

Baschin,  0.  Bibliotheca  Geographica. 
Hrsg.  V.  d.  Ges.  f.  Erdkde.  zu  Berlin. 
Bd.  Vm.  Jahrg.  1899.  XVI  u.  511  S. 
BerHn,  Kühl  1902.     Jt  8.—. 

Pitzner,  R.  Deutsches  Eolonial-Hand- 
buch.  Nach  amtlichen  Quellen  bear- 
beitet. Ergänzungsband  1908.  IV  u. 
242  S.    Berlin,  Paetel  1908.    JL  8.—. 

Meyers  GroßesKonversations-Lexi- 
kon.  6.  Aufl.  3.  Bd.  Bismarck- Archipel 
bis  Chemnitz.  922  S.  Leipzig,  Bibl. 
Inst.  1908.     JL  10.—. 

■mtheniAtieche  Geo^aphle. 

Schmidt,  W.  Astronomische  Erdkunde. 
Vm  u.  281  S.  Tettabb.  u.  8  Taf.  Wien, 
Deuticke  1908.    JL  7.—. 

Vital,  A.  Die  Kartenentwurfslehre.  VIII 
u.  96  8.  19  Textabb.  u.  4  Taf.  Wien, 
Deuticke  1908.     JL  6.—. 

AllgfMelae  phynlsche  Geographie. 

Bulletin  des  r^sultats  acquis  pen- 
dant  les  courses  p^riodiques 
publik  par  le  bureau  du  conseil  per- 
manent international  pour  Tex- 
ploration  de  la  mer  avec  Tassistance 
de  M.  Knudsen.  Ann^  1902—1903. 
No.  1.  Aoüt  1902:  S.  1—46.  2  K. 
No.  2.  Nov.  1902.  S.  47—112.  2  K. 
Kopenhagen,  H0st  u.  Söhne. 

Mazel,  A.  Künstlerische  Gebirgsphoto- 
graphie.  Aus  dem  Französ.  übersetzt 
von  G.  He  gg.  174  S.  12  Taf.  Berlin, 
Gust.  Schmidt  1908.     JL  4.—. 

Sieger,  R.  6  Vorträge  aus  der  allgemei- 
nen physischen  Geographie.  Begleit- 
worte zu  einer  Diapositiv -Sammlung. 
Wien,  Lechner  1903. 


Verzeichnis     von     Glas-Photogra- 
phien  (Diapositiven).      Hrsg.    von   R. 
Lechner  (Wilh.  Lechner).     Wien. 
JülgeMelae  tieographle  dee  Heatehea. 

Ratzel,  Fr.  Politische  Geographie  oder 
Geographie  der  Staaten,  des  Verkehrs 
und  des  Krieges.  2.  Aufl.  XVHI  u. 
888  S.  40  Kartenskizzen.  München, 
Oldenbourg  1908.     JL  18.—. 

De«t«ehlABd  «ad  Kachterliader. 

K  n  ü  1 1 ,  B.  Historische  Geographie  Deutsch- 
lands im  Mittelalter.  Vm  u.  240  S. 
Breslau,  Hirt  1903.     JL  4.—. 

Ule,  W.  Niederschlag  und  Abfluß  in 
Mitteleuropa.  (Forsch,  z.  deutsch.  Landes- 
u.  Volkskde.  Bd.  XIV.  Heft  6.)  80  S. 
12  Fig.  Stuttgart,  Engelhom  1908.  JL  4.80. 

Partsch,  J.  Schlesien.  Eine  Landes- 
kunde für  das  deutsche  Volk.  H.  Teil. 
Landschaften  und  Siedelungen.  1.  Heft: 
Oberschlesien.  186  S.  1  schwarze  u. 
1  färb.  K.,  12  Textabb.  Breslau,  Hirt 
1908.     JL  6.—. 

Gempeler-Schletti,  David.  Heimat- 
kunde des  Simmentais.  90  Abb.  u.  8  K. 
in  1  :  200  000.  6  Lief,  zu  Ft.  1.—  = 
JL  —.80.    Lief.  1.    Bern,  Francke  1903. 

Beschreibung  des  Oberamts  Heil- 
bronn. Hrsg.  V.  d.  K.  Statist.  Landes- 
amt. VI  u.  681  S.  Viele  Textabb. 
Stuttgart,  Kohlhammer  1903. 

Penck  und  Brückner.  Die  Alpen  im 
Eiszeitalter.  Lief.  6.  Leipzig,  Chr. 
Herm.  Tauchnitz  1908. 

AoAerdevtichet  E«rop». 

Brachelli,  H.  F.  Die  Staaten  Europas. 
Statistische  Darstellung.    6.  Aufl.   Hrsg. 


422 


Neue  Bücher  und  Karten.* 


von  F.  T.  Juraschek.  8 — 10  Lief,  zu 
K.  2.40  —  JC  2.—.  Lief.  1.  Brunn,  Irr- 
gang  1903. 

Neuse,  R.  Landeskunde  der  Britischen 
Liseln.  YIII  u.  163  S.  8  Separatbilder 
u.l3Textabb.  Breslau, Hirt  1903.  UK4.— . 

Kj eilen,  B.  Inledning  tili  Sveriges  Geo- 
grafi.  (Populärt  vetenskapliga  fbreläs- 
ningar  vid  Göteborgs  HOgskola.  XITT.) 
179  S.  Göteborg,  Wettergren  u.  Kerber 
1900.    Kr.  2.—. 

Meyers  Beisebücher.  Nielsen,  Y. 
Norwegen,  Schweden  und  Dänemark. 
8.  Aufl.  24  K.  u.  14  Pläne.  Leipzig, 
Bibl.  Inst.  1908.     JC  6.60. 

Baedeker,  K.  Mittel-Italien  und  Rom. 
Handbuch  für  Reisende.  13.  Aufl.  LXXX 
u.  484  S.  1  Panorama  von  Rom,  1  An- 
sicht des  Forum  Romanum,  1  Wappen- 
taf.  d.  Päpste  V.  1447  an,  14  K.  u.  49 
Pläne  u.  Grundrisse.  Leipzig,  Baedeker 
1903.     .H,  7.60. 

Chalikiopoulos,  L.  Sitia,  die  Osthalb- 
insel  Kretas.  Eine  geographische  Stu- 
die. (V«pöff.  d.  Inst.  f.  Meereskde.  u.  d. 
geogr.  Inst.  a.  d.  Univers.  Berlin.  Heft  4.) 
Vm  u.  138  S.  3  Taf.  u.  8  Abb.  Berlin, 
Mittler  1903.     JC  6.—. 

Ardouin-Dumazet.  Vojage  en  France. 
27.  S^rie:  Bourbonnais  et  Haute-Marche. 
348  S.  27  K.  Paris,  Berger-Levrault 
&  Co.  1903.     Fr.  8.60. 

Das 8.  28.  Särie:  Limousin.  338  S.  26  K. 
Paris,  ebda.  1903.    Fr.  3.60. 

Dass.  29.  Serie:  Bordelais  et  Perigord. 
407  S.  31  K.  Paris,  ebda.  1908.  Fr.  3.60. 
▲tlen. 

Schaffer,  Franz  X.  Cilicia.  (Ergän- 
zungsheft Nr.  141  zu  Petermanns  Mit- 
teilungen.) 110  S.  3  K.  auf  2  Taf. 
Gotha,  Justus  Perthes  1903.     JC  6. — . 

v.  Brandt,  M.  Die  Zukunft  O&tasiens. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  und  zum 
Verständnis  der  ostasiatischen  Frage. 
3.  Aufl.  IV  u.  118  S.  Stuttgart, 
Strecker  &  Schröder  1903.     .IC  2.60. 

Hedin,  Sven.  Meine  letzte  Reise  durch 
Inner-Asien.  (Angewandte  Geographie. 
I.  Serie.  6.  Heft.)    XIV  u.  60  S.     1  K., 


I  Abb.  Halle  a.  S.,  Gebauer-Schwetschke 
1903.     JC  1.60. 

Weber,  E.  Vom  Ganges  zum  Amazonen- 
strom. Reiseskizzen.  178  S.  21  IlL, 
3  Übersichtsk.  Berlin,  D.  Reimer  1903. 
JC  6.—. 

Sfid-Amerika. 

Sievers,  W.  Süd-  und  Mittel-Amerika. 
2.  Aufl.     VI  u.   666  S.     144   Textabb., 

II  K.  u.  20  Taf.    Leipzig,   Bibl.   Inst. 
1903.     JC  14.—. 

Oeoimphtucher  Uaterrlcht. 

Bamberg,  K.  Wandkarte  von  Deutsch- 
land für  Mittel-  und  Oberklassen.  Physi- 
kalische Ausgabe.  20  Blätter.  Berlin, 
Chun  1903.     JC  16.—. 

Fischer,  Hch.  Bericht  über  einen  im 
Auftrage  des  Berliner  Magistrats  unter- 
nommenen Studienausflug  zum  Be- 
such der  „Internationalen  Aus- 
stellung geographischer  Lehr- 
mittel^*   in    Amsterdam.      Sonuner 

1902.  Wiss.  Beil.   z.  Jahresber.  d.  So- 
phien-Gymnasiums   zu   Berlin.    Ostern 

1903.  28  S.     Berlin,  Weidmann  1903. 
Vereine  nnd  YemAmMUBgen. 

Festschrift  zur  Begrüßung  des 
14.  Deutschen  Geographentages. 
Beiträge  zur  Wirtschafts-Geographie 
und  Wirtschafts-Geschichte  der  Stadt 
Köln  und  des  Rheinlandes.  K 1  e  i  n ,  H.  J. : 
Materialien  zu  einer  Klimatologie  von 
Köhi.  —  Steller,  P.:  Die  Köbier  In- 
dustrie. —  Bauer,  W.:  Der  Hafen  zu 
Köln.  —  WirminghauB,  A.:  Das  Ver- 
kehrswesen im  Gebiete  der  Stadt  Köln. 
—  Schott,  C:  Das  niederrheinische 
Braunkohlenvorkommen  und  seine  Be- 
deutung für  den  Kölner  Bezirk.  — 
Morgenroth,  W.:  Das  Wirtschafts- 
gebiet der  rheinisch-westfälischen  Groß- 
industrie. IV  u.  186  S.  1  K.  u.  4  Abb. 
auf  Taf.  Köln,  Dumont-Schauberg  1903 

Katalog  der  Ausstellung  des  14. 
Deutschen  Geographentages  zu 
Köln.  Den  Mitgliedern  und  Teilneh- 
mern der  Versammlung  überreicht  vom 
Ortsausschuß.  38  S.  Köln,  Dumont- 
Schauberg  1908. 


Zeltschriftenschaa. 

Fetermanns Mitteilungen.  1903.  6. Heft.  1  und  Argentinien.  —  Eichhorn:  Entwurf 
Hauthal:    Die   Vulkangebiete   in    Chile  |  einer  Sonnenscheindauer-Karte  für  Deutsch* 


Zeitsohriftenschau. 


423 


land.  —  Hann:  Die  Temperatur  von  Cal- 
lao.  —  Blumentritt:  Neuere  Arbeiten 
der  Jesuiten  über  die  Philippinen. 

Globus.  Bd.  LXXXm.  Nr.  19.  Stenz: 
General  Tschan-t'chien,  ein  chinesischer 
Forschungsreisender  des  U.  Jahrhunderts. 

—  Togo  im  Jahre  1902.  —  Gentz:  Einige 
Beiträge  zur  Kenntnis  der  südwestafrika- 
nischen Völkerschaften.  —  Goldziher: 
Der  Seelenvogel  im  islamitischen  Volks- 
glauben. —  Prähistorisches  aus  Persien. 

Dass.  Nr.  20.  Klose:  Das  Bassari- 
Yolk.  —  Französische  Forschungen  im 
Schari-  und  Tschadseegebiet.  —  Weißen - 
berg:  Kinderfreud  und  -leid  bei  den  süd- 
russischen Juden.  —  Deutsch-Südwest- 
afrika im  J.  1902. 

Dass.  Nr.  21.  Schurtz:  Die  Her- 
kunit  des  Moriori.  —  Krebs:  Die  täg- 
lichen Wetterberichte  der  deutschen  See- 
warte. —  Mann:  Archäologisches  aus 
Persien.  —  v.  Schkopp:  Religiöse  An- 
schauungen der  Bakoko.  —  Wilser:  Das 
Verbreitungszentrum  der  nordeuropäischen 
Basse.  —  Zimmerer:  Konstantinopel 
unter  Sultan  Soliman  dem  Großen. 

DcLSS.  Nr.  22.  Klose:  Das  Bassari- 
Tolk.  —  Ranke:  Ballistisches  über  Bog^n 
und  Pfeil.  —  Appenzeller  Volkslieder.  — 
Reise  der  Herren  Dr.  P.  und  F.  Sarasin 
inCelebes.  —  Förster:  Deutsch-Ostalrika 
1900—1902. 

Deutsche  Bundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  XXV.Jhrg.  O.Heft.  Struck: 
Montenegro  und  sein  Eisenbahnprojekt.  — 
Mucha:  Geographische  Sonderbarkeiten. 

—  Dürr:  David  Livingstone.  —  Schnur- 
pfeil: In  den  Steppengebieten  Deutsch- 
Ostafrikas. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1908.  5.  Heft. 
Margules:  Über  Temperaturschwankun- 
gen auf  hohen  Bergen. 

Zeitschrift  für  Gewässerkunde.  1908. 
5.  Heft  Braun:  Die  Aufgaben  geogra- 
phischer Forschungen  an  Seen.  —  Wang: 
Die  Ursachen  der  Wasserverheerungen. 

Beiträge  zur  Kolonialpolitik  und  Kolo- 
nialmrtschaft.  15.  Heft.  v.  K  e  1 1  e  r :  Wehr- 
pflicht in  den  Kolonien.  —  Wa  echt  er: 
Die  Tanganyka-Dampferexpedition  1898 
bis  1901.  —  Hoefer:  Die  evangelischen 
Missionen  in  den  deutschen  Schutzgebie- 
ten. —  V.  Schkopp:  Sitten  und  Gebräuche 
der  Bakoko  in  Kamerun. 

Deutsche  Erde.  Beiträge  zur  Kenntnis 
deutschen  Volkstums  cdlerorten  und  aUer- 


Zeiten.  Zemmrich:  Deutsche  und  Slaven 
in   den   österreichischen   Sudetenländem. 

—  Gerstenbauer:  Entstehung  des  nie- 
derdeutschen Volksstammes  in  Südafrika. 

—  Langhans:  Die  Urheimat  der  Buren. 

—  Wilser:  Wanderwege  der  Wandalen. 

—  Prayon-v.  Zuylen:  Die  vorgeschla- 
gene Umwälzung  der  niederländischen 
Sprachlehre.  —  Doebner:  Der  Einfluß 
der  deutschen  Kultur  auf  die  Letten.  — 
Philippi:  Zur  Gründungsgeschichte  der 
ersten  deutschen  Kolonien  in  Chile. 

Mitteilungen  der  K.  K.  Geographischen 
Gesellschaft  in  Wien.  1908.  Nr.  8  u.  4. 
S  c  h  a  f f e  r :  Geologische  Forschungsreise 
in  dem  südöstlichen  £[leinasien.  —  Ders.: 
Entwaldung  und  Entwässerung  desErgene- 
beckens  in  der  europäischen  Türkei. 

XI.  Jahresbericht  des  Sonnblick -Vereins 
für  das  Jahr  1902.  v.  Obermayer:  Die 
Errichtung  der  höchsten  meteorologischen 
Beobachtungsstation  der  Erde  auf  dem 
Vulkan  El  Misti  in  Peru.  Aus:  AnnaU 
of  the  Astronomical  Observatory  of  Har- 
vard College.  Bd.  XXXIX.  (2  Taf.,  1  Abb). 

—  Ders.:  Die  Temperatur  auf  dem  Hohen 
Sonnblick.  (2  Taf ,  4  Abb.) 

The  Geographicai  Journal.  1908.  Nr.  6. 
Commemoration  of  the  Reign  of  Queen 
Elizabeth.  —  Watts:  Chamwood  Forest, 
a  bumed  Triassic  Landscape.  —  Con- 
way:  The  Cartography  of  Spitsbergen.  — 
Crawshay:  Basutoland  and  the  Basuto. 

—  The  Antarctic  Expedition. 

Tfi€  Scottish  Geographicai  Magazine. 
1908.  Nr.  6.  Richardson:  Primitive 
Man,  as  revealed  by  recent  Researches  in 
the  Caves  near  Mentone.  —  Unknown 
Mexico.  —  The  Islands  of  St.  Pierre  and 
Miquelon.  —  Plant-Distribution  in  Europe 
in  its  Relation  to  the  Glacial  Period.  -- 
Henderson:  The  Nyaea  Goal  Bed.  — 
The  National  Antarctic  Expedition. 

Annales  de  Geographie.  1908.  Nr.  63. 
Hau 8 er:  La  localisation  des  Industries 
aux  Etats-Unis.  —  Gallois:  Tableau  de 
la  Geographie  de  la  France.  —  Auer- 
bach: Le  regime  de  la  Vistule.  —  Gau- 
tier:  Sahara  oranais.  —  d'Ollone:  Cdte 
dlvoire  et  Liberia.  —  Lacroix:  Les  der- 
niers  ^ruptions  de  St.  Vincent,  mars  1908. 

La  Geographie.  1908.  Nr.  6.  Martel: 
XIV  et  XV  campagnes  souterraines.  — 
Chevalier:  Mission  scientifique  au  Chari 
et  au  Tchad.  —  Bons  d'Anty:  L'oeuvre 
g^graphique    de   la  mission  Hourst   sur 


424 


ZeitBchriftenschan. 


le  haut  Yang-tsen.  —  Duhamel:  Les 
ing^nieurB-g^ographes,  d*apr^8  le  g^neral 
Berthaut.  —  Rabot:  Le  tableau  g^gra- 
phique  de  la  France. 

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Malfatti:  Sulla  necessitä.  di  una  Geografia 
dell*  Italia  medievale.  —  de  Magistris: 
Le  torbide  del  Teyere  e  il  valore  medio 
annuo  della  denudazione  nel  bacino  tibe- 
rino  a  monte  di  Roma  (cont.).  —  Mari- 
nelli:  I  resultati  scientifici  della  spedi- 
zione  polare  del  Duca  degli  Abruzzi.  — 
Dainelli:  Le  osservazioni  fisiche  in  Tos- 
cana  di  Pier  Antonio  Micheli.  —  Bia- 
Bulti:  Problemi  vecchi  e  idee  nuove:  le 
origini  degli  AviL  —  Bellio  e  Ric- 
chieri:  La  geografia  nella  scuola  di 
magistero  delle  UniverBita. 

Baas.  Ann.  X.  1908.  Maggio.  Mari- 
neil i:  I  resultati  scientifici  della  spedi- 
zioni  x>olare  del  Duca  degli  Abruzzi  (fine). 

—  Mori:  Origini  e  progressi  della  Carto- 
grafia  ufficiale  negli  Stati  modemi  (fine). 

—  de  Magistris:  Le  torbide  del  Tevere 
e  il  valore  medio  annuo  della  denudazione 
nel  bacino  tiberino  a  monte  di  Roma 
(cont.).  —  La  geografia  nel  congresso 
intemazionale  di  Scienze  Storiche,  Roma 
2.-9.  Aprile  1908.  —  Alfani:  Oflser- 
vatorio  Ximeniano  di  Firenze.  —  Mari- 
nelli:  La  geografia  politica  di  Federico 
Ratzel.  —  Ducci:  Notizie  etnografiche 
sui  Toba  del  Qran  Chaco  Argentino. 

The  NatiofUil  Geographie  Magazine 
1903.  Nr.  6.  Bell:  The  Tetrahedral  Prin- 
cipe in  Kite  Structure.  —  Appendix  of 
70  niustrations  of  Kites  and  Structures. 
Bell:  Notes  on  the  Preceding  lllustra- 
tions.  —  Mr.  Ziegler  and  the  National 
Geographie  Society.  —  Explorations  in 
Alaska  1908.  —  Gold  Discoveries  in 
Alaska. 

The  JourruH  of  Geography.  1903. 
Nr.  8.  Carney:  A  Type  Gase  in  Diver- 
sion of  Drainage.  —  Burrows:  The  Chi- 
nook  Winds.  —  Riemer:  The  educational 
Value  of  Geographical  Exhibition.  — 
Jefferson:  The  Geography  of  Lake  En- 
ron at  Kincardine.  —  Hollister:  A  Gu- 
rions Salt  Pond  in  Kansas. 

Dass.    Nr.  4.    Emerson:  A  Glimpse 


of  Steel  Manufaoture.  —  Brown:  Clima- 
tic  Factors  in  Railroad  Gonstruction  and 
Operation.  —  Kittredge:  The  Utiliza- 
tion  of  Wastes  and  By-products. 

Aas  Tergcbiedenen  ZeltsehrlfteH. 

van  Baren:  Sumatra.   Encyclopaedie  von 

Niederländ.  Indien 
Davis:   The   Stream  Gontest  along  the 

Blue  Ridge.  (4  Taf.)  Buü.  of  the  Geogr. 

Soc.   of  Philadelphia.  Vol.  lU.   No.  6. 

April  1908. 
Goeldi:  Maravillas  da  natureza  na  Hha 

de  Marajö.   Boletino  do  museu  Paraenae 

de  historia  natural  eüwiograpihia.    Vol. 

m.  No.  8  u.  4.  Dez.  1902. 
Hub  er:   Gontribui9ao  &  geographia  phy- 

sica  dos  fiiros  de  Breves   e   da  parte 

Occidental  de  Marajö.    Ebda. 
Kirchhoff:   The  Sea  in  the  Life  of  the 

Nations.     Translated  from  G.  Z.  1901. 

Smiihsonian  Beport  for  1901. 
Kjeilän:     Meddelanden    om    jordstOtar 

i  Sverige  f5re  1846.    (Bidrag  tili  Sve- 

rig^s    endogena    geografi    IV.)     Geol. 

Foren.    Förhandl.    Nr.    220.    Bd.    26. 

Heft  8. 
Kien  gel:   Der  gegenwärtige  Stand   der 

Hagelforschung.  Beil.  e,  Ällg.  Ztg.  1908. 

Nr.  99.  4.  Mai. 
Lampe:   Ferdinand  Freiherr  von  Rieht- 

hofen.  Naturw.  Wochenschr.  N.  F.  E.  Bd. 

Nr.  81.  8.  Mai  1908. 
Leonhard:  Geologische  Skizze  des  gala- 
tischen   Andesitgebietes    nördlich    von 

Angora.    (1  Taf.)    Neues  Jahrb.  f  Mi- 
neral, Geöl  u.  Paläontol.  Beil.-Bd.  XVI. 
Leonhard:    Paphlagonische    Denkmäler 

(Tumuli,  Felsengräber,  Befestigungen). 

Ergebnisse   einer  Reise.    (1  Taf.  u.  12 

Textfig.)    80.  Jahresber.  d.  Schles.  Ges. 

f.  Vaterland.  Kultur  1908. 
Nissen:  Die  Erdmessung  des  Eratosthe- 

nes.    Bheinisches  Museum  für  Philologie 

N.  F.  Bd.  LV.  m. 
St  am  per:   Ferdinand  Freiherr  v.  Richt- 

hofen.     Beil.  z.  Ällg.  Ztg.  1908.  Nr.  99. 

4.  Mai. 
Stavenhagen:     Über    Japans    Karten- 

vreaen.   Das  Weltaü.  Jahrg.  m.  Heft  17. 

1.  Juni  1908. 


Verftntworilioher  H«rautgeb«r:  Prof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  Heidelberg. 


Betrachtimgen  ttber  das  Relief  von  Norwegen. 

Von  Dr.  Hans  Beusoh« 

(Mit  16  LandscbafUbildern  und  Skizzen  auf  3  Doppeltafeln,  Nr.  8  bis  10.) 

Einleitung. 

Die  skandinavischen  Hochgebirge  werden  zuweilen  als  Plateaugebirge 
beschrieben.  Dies  ist  jedoch,  was  den  inneren  Bau  betrifTt,  insofeiii  unzu- 
treffend, als  wir  in  einer  breiten  Zone  der  Westküste  entlang  von  dem  Süd- 
ende Norwegens  bis  zum  Nordkap  ein  ausgesprochenes  Faltengebirge  haben, 
ebenso  gut  wie  in  den  Alpen,  nur  daß  die  Faltung  schon  vor  der  Kohlen- 
periode abgeschlossen  war.  Die  jüngsten  gefalteten  Gesteine  sind  fossilfreie 
Sandsteine  (nördlich  von  Bergen),  in  denen  man  devonische  Ablagerungen 
zu  vermuten  hat.  Östlich  vom  großen  Faltenzug,  z.  B.  im  mittleren 
Schweden,  liegen  die  Silurschichten  horizontal,  sind  aber  durch  vertikale  Ver- 
werfungen in  verschiedene  Höhe  gebracht.  Die  Erdkruste  ist  in  dem  west- 
skandinavischen Gebirgszug  nicht  nur  in  Falten  zusammengeschoben,  auch 
große  Überschiebungen  haben  stattgefunden.  Es  scheinen  sogar  gewisse  Teile 
der  Erdkruste  durch  beinahe  horizontale  Spalten  von  ihrer  Unterlage  ab- 
gelöst und  danach  durch  Schub  in  horizontaler  Richtung  viele  Kilometer 
weit  bewegt  worden  zu  sein.  Archäische  Gesteine  sind  dadurch  über  weite 
Strecken  auf  silurische  gekommen. 

Einige  Forscher,  namentlich  Kjerulf,  haben  versucht,  das  Relief  in 
Übereinstimmung  mit  dem  geologischen  Bau  zu  bringen  durch  die  Annahme 
einer  wirklichen  Hebung  der  höheren  Teile  des  Landes,  wodurch  der  Silur 
in  den  Hochgebirgsgegenden  durchgehends  in  eine  größere  Höhe  als  an  den 
Küsten  imd  in  den  niedrigen  Teilen  des  Landes  gebracht  wurde.  Diese 
Regel  hat  aber  gar  keine  Gültigkeit.  Ln  Herzen  des  Landes,  an  den  inneren 
Verzweigungen  des  SogneQords  liegen  silurische  Phyllite  in  Meereshöhe, 
während  archäische  Formationsglieder  nicht  weit  davon  sehr  hoch  liegen. 
Große  vertikale  Verwerfungen  sind  nachgewiesen  (z.  B.  längs  der  Ostseite 
des  ChristianiaQords)  ohne  irgend  einen  Einfluß  auf  die  äußere  Gestalt  des 
Landes. 

Die  Gebirge  Norwegens  sind  Rumpfgebirge.  Durch  ungezählte  Jahr- 
tausende sind  ungeheure  Massen  von  der  Erdkruste  abgeschält,  so  daß  uns 
die  gegenwärtige  Oberfläche  nur  Gesteine  zeigt,  die  einst  tief  begraben  lagen. 

Die  Vorstellung  von  Cyklen  der  Erosion  ist,  wie  bekannt,  sehr  frucht- 
bar gewesen  fttr  eine  richtige  Auffassung  der  Reliefformen.  Das  Endziel 
der  Erosion  ist  die  Peneplain  (Fast-Ebene),  das  schwachwellige,  von  trägen 
Flüssen  durchströmte  und  von  bedeutenden  Verwitterungsmassen   eingehüllte 

Oeographitchfl  ZelUchrift.  9  Jahrgang.  1903.  8  Heft.  29 


426  Hans  ReuBch: 

Land.  Wenn  die  Peneplain  gehoben  wird,  wird  die  ausgrabende  Wirksam- 
keit des  fließenden  Wassers  neu  belebt;  die  Peneplain  wird  in  ein  Gebirgs- 
land  ausskulptiert,  um  wieder,  wenn  der  neue  Erosionscyklus  vollendet  ist, 
als  Peneplain  zu  endigen. 

Paläische  Oberfläche  und  neue  Täler. 

Es  wäre  einladend,  ganz  Norwegen  mit  Schweden  und  Finnland,  also 
die  ganze  „Fennoskandia",  als  eine  in  einem  und  demselben  Cyklus  gebildete 
Peneplain  zu  betrachten,  die  nur  von  später  hinzugekommenen  Tälern  und 
Fjorden  gefurcht  wurde.  Wenn  man  aber  der  Sache  näher  tritt,  findet  man, 
daß  diese  Betrachtungsweise  viel  zu  summarisch  ist.  Die  Oberfläche  Skandi- 
naviens bietet  eine  Fülle  von  genetischen  Problemen,  deren  Erforschung  gegen- 
wärtig eben  erst  begonnen  ist. 

Ich  für  meinen  Teil  kenne  am  besten  den  Abschnitt  von  den  westlichen 
Gegenden,  der  auf  dem  Übersichtskärtchen  (Taf.  8.  Fig.  l)  dargestellt  ist; 
mit  ihm  werden  wir  uns  am  meisten  beschäftigen.  Hat  man  auch  nicht 
eine  einzige  alte  Peneplain  und  ein  dann  eingegrabenes  Talsystem,  so  ist 
es  doch  möglich,  ein  altes  Land  (weiß  auf  der  Kartenskizze)  und  neue  For- 
men von  Tälern,  die  sich  als  Fjorde  bis  zum  offenen  Meer  fortsetzen 
(schwarz  auf  der  Karte),  zu  unterscheiden.  Die  alte  Oberfläche  habe  ich 
als  die  paläische  Oberfläche  des  Landes  bezeichnet. 

Wenn  man  die  großen  west-norwegischen  Fjorde  bis  in  ihre  innersten 
Verzweigungen  und  dann  in  irgend  eins  von  den  weiterausstrahlenden  Tälern 
verfolgt,  kommt  man  zuletzt  zu  einem  steilen  Aufstieg,  wo  der  Fluß  als 
Wasserfall  oder  jedenfalls  in  steilen  Stromschnellen  mit  kleineren  Wasser- 
fällen abwechselnd  herniederstürzt.  Wenn  man  da  hinaufsteigt,  befindet  man 
sich  plötzlich  in  einem  Tal  von  ganz  anderem  Aussehen,  weit  und  flach; 
man  ist  eben  auf  die  paläische  Oberfläche  des  Landes  hinaufgestiegen.  Wenn 
man  sich  nun  umkehrt  und  auf  einem  nicht  zu  niedrigen  Standpunkt  steht, 
sieht  man  das  eben  verlassene  Tal  wie  ein  Canon  in  alte  Landformen  ein- 
gegraben. Betrachten  wir  z.  B.  die  Gegend  bei  dem  Vöringfos  (Fos  heißt 
Wasserfäll),  einer  von  Touristen  allgemein  besuchten  Stelle.  Wenn  man  sich 
dort  gegen  den  Fjord  (im  Bild  auf  Fig.  2  nicht  sichtbar)  wendet,  hat  man 
die  hier  d,^gestellte  Aussicht.  Die  anstehenden  Gesteine  sind  wie  in  den  fol- 
genden Beispielen  aus  West-Norwegen  granitische  und  gneisartige  Felsarten. 
Wo  das  Gestein  von  Spalten  diurchzogen  ist,  haben  sich  die  dargestellten 
Ausbuchtungen  im  Talrande  gebildet.  Der  Wasserfall  geht  in  den  ersten 
Klüften  in  dem  Vordergrund  links  nieder.  Das  Ende  des  neuen  Tales,  in  der 
Richtung  von  außen  nach  innen  gesehen,  ist  auf  der  folgenden  Zeichnung 
(Fig.  3-4)  dargestellt  Der  Wasserfall  liegt  so  im  innersten  Winkel  (in  der 
Mitte  des  Budes)  versteckt,  daß  man  ihn  auch  hier  nicht  sieht.  Erst  auf 
dem  nächsten  Bild  (Fig.  SB),  das  schematisch  aus  der  Vogelperspektive  ge- 
zeichnet ist,  tritt  der  Wasserfall  hervor.  Eine  schematische  Darstellung  des 
Endes  eines  nahe  liegenden  Tales  ist  in  der  nächsten  Figur  (4)  gegeben. 
Dieser  Wasserfall  heißt  Rembesdalsfos.  Im  Hintergrunde  geht  ein  Glet- 
scher   vom   großen   Fimfeld   des   Hardangerjökut  zur   See.     Dieser   Gletscher 


seh. 


Tafel  8. 


Fig.  6.  Schematische  Darstellung  der 
Vereinigung  eines  Haupt-  und  Neben- 
flusses. Durch  das  Wasser  des  Haupt- 
flusses sieht  man  bei  x,  daß  das  Bett 
des  Nebenflusses  zu  dem  des  Haupt- 
flusses hängend  ist. 


Fig.  6. 


Betrachtungen  über  das  Relief  von  Norwegen.  427 

sperrt  nebenbei  gesagt  den  norwegischen  „Märjelensee^^,  den  Danuneyand  in 
eineoä  Seitental  ein.  Auf  Stellen,  wie  den  hier  beschriebenen,  erhalten  wir 
einen  bestimmten  Eindruck  davon,  wie  ausgesprochen  der  Gegensatz  zwischen 
der  neuen,  noch  gegenwärtig  durch  die  Arbeit  des  Wasserfalles  rückwärts 
weichenden  Erosion  und  dem  früher  dagewesenen  Land  ist. 

Ein  Beispiel  von  rückschreitender  Erosion. 

Es  läßt  sich  eine  Fülle  von  Beispielen  angeben,  wo  Wasserfälle  den 
Endpunkt  der  zurückweichenden  Erosion  bezeichnen.  Diese  Art  von  Wasser- 
fällen sind  überhaupt  eine  zahlreiche  und  recht  charakteristische  Gruppe  der 
nordischen  Kaskaden.  Andere  Arten  sind  dadurch  gebildet,  daß  die  Flüsse, 
in  den  quatemären  Ablagerungen  grabend,  nicht  den  früheren  Talweg  wieder- 
gefunden, sondern  eine  stark  geneigte  Fläche  des  Gebirges  bloßgelegt  haben 
und  nun  da  hinunterschäumen.  Ich  möchte  gern  eine  solche  Stelle  in  ein 
paar  Zeichnungen  (Taf.  9.  Fig.  7,  8,  9)  vor  Augen  führen,  um  so  mehr,  als 
und  dadurch  zugleich  ein  vorzügliches  Beispiel  von  rasch  rückwärts  schreitender 
Erosion  geboten  wird. 

Die  erste  Zeichnung  (in  Fig.  7)  stellt  die  Umgebung  des  Härfos  dar. 
Der  Härfos  wird  vom  Verdalsfluß,  der  in  den  TrondhjemsQord  mündet,  ge- 
bildet. Vor  dem  12.  September  1893  floß  der  Fluß  langsam  über  marinen 
Ton,  in  welchem  er  ein  kleines  aber  verhältnismäßig  weites  Tälchen  gebildet 
hatte.  Bei  Punkt  1  stieß  er  auf  festen  Fels  und  ging  darüber  in  einem 
schrägen  Wasserfall*  Bei  2  machte  er  eine  Biegung.  Die  Strecke  zwischen 
2  und  der  oberen  Biegung  bei  3  bestand  ausschließlich  aus  Ton,  und  der  Fluß 
grub  jährlich  etwas  vom  Abhang  oberhalb  2  weg.  Der  kleine  Rücken  bei  3  wurde 
dadurch  immer  schwächer.  Die  Bauern  der  Umgebung  waren  auf  diese  Ge- 
fahr aufmerksam  geworden,  konnten  sich  aber  nicht  mit  den  öffentlichen 
Behörden  darüber  einigen,  wie  eine  Ausbesserung  des  schwachen  Punktes 
ausgeführt  werden  sollte.  Unterdessen  verging  die  Zeit.  Dazu  war  im 
September  jenes  Jahres  der  Wasserstand  ungewöhnlich  hoch.  Eine  kleine 
Wasserader,  die  anfangs  sehr  unschuldig  zu  sein  schien,  rieselte  am  12.  über 
den  kleinen  Bücken  bei  3.  Sie  machte  aber  sein  Bett  tiefer,  je  mehr  Wasser 
zuströmen  konnte,  und  im  Lauf  einer  Stunde  hatte  sich  ein  großer  reißender 
lehmgef^rbter  Fluß  gebildet,  der  mit  donnerndem  Geräusch  aus  einer  weiten 
Bresche  hervorströmte.  Dies  ist  auf  der  zweiten  Zeichnung  dargestellt.  Das 
alte  Bett  des  Wasserfalles  bei  1  ist  mm  trocken  geworden;  man  kann  es 
begehen  und  die  vielen  Riesentöpfe,  die  sich  im  Laufe  der  Zeit  gebildet 
haben,  betrachten.  Die  Erosion  im  festen  Gebirge  des  alten  Wasserfalles 
war  überaus  langsam.  Anders  in  der  neuen  Stromschnelle  zwischen  8  und 
2,  wo  das  Wasser  nur  den  losen  Ton  zu  bewältigen  hatte.  Der  Anfangs- 
punkt des  Grabens,  also  der  Punkt,  wo  der  Fluß,  nachdem  er  ruhig  geflossen 
war,  mit  Eile  zu  strömen  begann  und  damit  die  grabende  Wirksamkeit 
anfing,  dieser  Punkt  rückte  von  Tag  zu  Tag  rückwärts  im  Tale.  Dieses 
Zurückweichen  dauerte,  bis  die  Erosion  4  km  in  gerader  Linie  aufwärts  vom 
verlassenen  Härfos  wieder  auf  festen  Fels  stieß.  Von  den  zwei  nach  Photo- 
graphien wiedergegebenen  Abbildungen  (Fig.  8  u.  9)  zeigt  die  erste  die  Stelle, 

29* 


428  Hans  Reusch: 

wo  die  Erosion  ihren  Anfang  nahm  bei  meinem  Besuche  im  Sommer  nach  der 
Katastrophe.  Das  Ende  der  neuen  Talbildung  war  mit  einem  Wasserfalle 
markiert.  Drei  Jahre  nachher  sah  dieselbe  Lokalität  wie  auf  der  nächsten 
von  Herrn  A.  Holmsen  mitgeteilten  Photographie  (Fig.  9)  aus.  Um  die  Verbin- 
dung zwischen  den  beiden  Seiten  zu  erhalten,  hatte  man  eine  Taubrücke  ein* 
gerichtet,  wo  die  Personen  in  einer  Art  Käfig  stehend  sich  selbst  hinüber- 
ziehen konnten.  Eine  Person  ist  eben  auf  der  Zeichnung  dabei  den  Fluß  zu 
passieren.  In  demselben  Tal,  Verdal,  kamen  etwas  früher  in  demselben  Jahre 
bei  einem  großen  Erdfall  am  Fluß  111  Menschen  um.  Die  norwegisch  ge- 
schriebene Literatur  über  dieses  Begebnis  und  die  Katastrophe  beim  Härfos 
von  Amtz,  Björlykke,  Brögger,  Friis,  Heiland,  Münster,  Reusch,  Schmidt- 
Nielsen,  Steen,  Sätren  findet  sich  im  Jahrbuche  der  geologischen  Landes- 
untersuohung  Norwegens  1894  —  95.  (Kristiania  1896)  S.  139  citiert.  Siehe 
auch  Jahrbuch  für  1900.  Heiland  hat  speziell  über  den  Härfos  geschrieben. 
Diese  Abschweifung  zeigte  uns  die  moderne  Bildung  eines  Erosionstales. 
Wir  sahen  hier,  wie  bei  einem  Modell  in  Miniatur,  den  gewöhnlichen  Pro- 
zeß, der  auch  wirksam  war  bei  der  Formung  der  Hauptzüge  der  norwegi- 
schen Täler  und  Fjorde. 

Die  Arbeit  der  Gletscher. 

Es  ist  aber  nicht  nur  dieser  eine  Prozeß,  die  Erosion  durch  fließendes 
Wasser,  der  zur  Ausbildung  unserer  Täler  geführt  hat,  auch  die  Gletscher 
der  Eiszeiten  haben  eine  wichtige  Rolle  gespielt.  Ein  Gletscher  ist  wie  be- 
kannt eigentlich  nur  ein  ungeheuer  großer  und  außerordentlich  langsamer 
Fluß  im  fester  Form.  Steht  man  in  einem  von  einem  Fluß  ausgegrabenen 
Tal  und  der  Fluß  ist  verschwunden,  sieht  man  vor  sich  ein  Flußbett  von 
ü-förmigem  Querschnitt  und  zu  beiden  Seiten  die  schrägen  Talwände,  so  daß 
das  Profil  des  Tales,  im  großen  gesehen,  die  Form  eines  Y  hat.  Kommt 
man  dagegen  in  ein  Tal,  wo  ein  weggeschmolzener  Gletscher  gearbeitet 
hat,  findet  man  „ein  Bett  für  das  feste  Wasser^^  das  ganz  andere  Dimen- 
sionen hat;  dieses  Bett  des  Gletschers  hat  aber,  wenn  der  Gletscher  lange 
noch  gewirkt  hat,  auch  ein  U- förmiges  Profil.  Ein  solches  Bett  eines 
Gletschers  ist  so  groß,  daß  man  es  ein  Tal  nennt,  und  man  drückt  sich 
gern  so  aus,  daß  imter  dem  Einfluß  des  fließenden  Wassers  Y- förmige  und 
unter  dem  der  Gletscher  ü- förmige  Täler  entstehen.  Im  ersten  Fall  denkt 
man  bei  den  Seiten  des  Tales  an  die  Abhänge  oberhalb  des  Bettes  des 
Wassers,  im  zweiten  Falle  aber  an  das  Bett  des  Wassers  selbst.  In  dem 
Boden  eines  ausgetrockneten  Flusses  kommen  viele  Unebenheiten  vor,  darunter 
beckenartige  Yertiefungen.  Ebenso  finden  sich  auch  hervorragende  Partien 
und  auch  rund  umschlossene  Einsenkungen  in  alten  Gletscherbetten. 

Eine  Eigentümlichkeit  der  U-förmigen  Täler  ist,  daß  die  Seitentäler  sehr 
oft  „hängend"  sind,  das  heißt,  die  Seitentäler  endigen  mehr  oder  weniger 
hoch  oben  auf  der  Seite  des  Haupttales  und  nicht,  wie  Seitentäler  sonst 
pflegen,  am  Boden  des  Haupttales.  Die  Ursache  dafür,  daß  ein  Seitental 
hängend  geworden  ist,  liegt  darin  ^  daß  der  große  Gletscher  des  Haupt* 
tales   ein    tieferes   Bett    hat    als    der    schwächere    Seitengletscher.     Hängende 


1 8.     Anfang  der  Erosion  oberhalb  dem  Härfos  1894. 


Fig.  9.     Dieselbe  Stelle  drei  Jahre  nachher. 


429 

dem    ganz 

sicherlich 
)ette  ober- 
He  auf  ge- 
t  hängend, 
ein  Seiten- 
keren  Fall 
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428 

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Betrachtungen  über  das  Relief  von  Norwegen.  429 

Tftler  sind  in  Norwegen  wie  in  anderen  stark  vereisten  Ländern  ganz 
gewöhnlich. 

In  trocken  gelegten  Betten  des  fließenden  Wassers  hat  man  sicherlich 
oft  Gelegenheit  wahrzunehmen,  daß  die  Seitenbetten  znm  Hauptbette  ober- 
halb seines  Bodens  stoßen,  also  hängend  sind  (Taf.  8.  Fig.  5).  Die  auf  ge- 
wöhnliche Weise  von  Flüssen  gebildeten  Seitentäler  sind  dagegen  nicht  hängend. 
Es  ist  freilich  ein  gewöhnlicher  Fall,  daß  ein  Hauptfluß  kräftiger  als  ein  Seiten- 
fluß gräbt,  aber  eben  dadurch  bekommt  der  Seitenfluß  einen  stärkeren  Fall 
gegen  den  Punkt,  wo  er  sich  mit  dem  Hauptfluß  vereinigt,  und  folglich  erodiert 
er  mit  größerem  EJBfekt.  Die  Oberfläche  des  Wassers  steht  in  den  ausschließ- 
lich durch  Wasserwirkung  gebildeten  Tälern  natürlich  auf  der  Vereinigungs- 
stelle immer  im  selben  Niveau,  wenn  auch  das  eigentliche  Bett,  wie  gesagt, 
zum  Grund  des  Hauptflusses  hai^gend  ist. 

An  den  Tälern  Norwegens  hat  sowohl  fließendes  Wasser  wie  Eis  ge- 
arbeitet. Über  die  Formen,  die  das  Eis  allein  hervorbringen  kann,  herrscht 
noch  ziemliche  Unsicherheit,  z.  B.  darüber,  was  das  Eis  in  einer  Million 
Jahren  auf  einer  gehobenen  Pfeneplain  erreichen  könnte.  Es  würde  wohl 
Aushöhlungen  von  außerordentlicher  Weite  zu  stände  bringen.  Unsere  Täler 
zeigen,  daß  das  Wasser  zur  Tertiärzeit  und  in  den  milden  interglacialen 
Zeiten  gearbeitet  hat;  zuletzt  nach  der  letzten  Eiszeit  hat  das  Wasser 
wieder  eine  letzte  Periode  seiner  Wirksamkeit  angefangen.  Wir  wollen 
etwas  näher  betrachten,  wie  ein  von  einem  Flusse  gebildetes  Tal  umgeformt 
wird,  wenn  das  Land  eine  Eiszeit  durchmacht.  Figur  10a  (Taf.  9)  zeigt 
uns  ein  Flußtal  und  ein  daran  anstoßendes  Nebental.  Auf  der  folgenden 
Zeichnung  (lOb)  sind  Gletscher  hinzugekommen,  die  doch  nicht  völlig  bis  zum 
obersten  Rand  der  Täler  reichen.  Zuletzt  (lOc)  ist  das  Eis  weggeschmolzen, 
nachdem  es  ein  U- förmiges  Tal,  dessen  Seiten  zu  oberst  nicht  gescheuerte 
Formen  zeigen,  hervorgebracht  hat.  Die  Gletscher  können  wegen  ihrer  Größe 
und  Schwere  den  Boden  ihrer  Betten  nicht  nur  wie  die  Flüsse  bis  zur  (oder  un- 
bedeutend unter  die)  Meeresoberfläche  aushöhlen,  sondern  sie  können  tiefer 
wirken.  Auf  der  Figur  10  c  ist  in  Folge  dessen  der  untere  Teil  des  Tales  so 
tief  gezeichnet,  daß  die  See  ein  Stück  weit  wie  ein  Fjord  hineindringt.  Die 
inneren  Teile  der  Gletschertäler  sind  gewöhnlich  in  einer  Weise,  die  noch 
nicht  völlig  aufgeklärt  ist,  in  Cirken  umgebildet.  An  dem  kleinen  Nebental, 
das  auch  die  U-Form  erhielt,  ist  der  imtere  Teil  abgeschnitten  und  ein 
hängendes  Tal  geworden. 

Das  betrachtete  Tal  war  gradlinig;  die  durch  Flüsse  gebildeten  Tälei 
sind  aber  gewöhnlich  gekrümmt,  indem  die  eine  Talseite  eine  Einbuchtung 
hat,  wo  die  andere  mit  einem  Vorsprung  hervorragt,  wie  auf  Fig.  10 d  dar- 
gestellt ist.  Ein  Gletscher  ist  ein  viel  steiferer  Körper  als  ein  Fluß  und 
hat  deswegen,  wenn  er  sich  hervorschlängeln  soll,  eine  Neigung,  den  Tal- 
vorsprung anzugreifen  in  den  äußeren  Partien  und  auf  den  Seiten,  die  nach 
oben  gegen  die  Bewegungsrichtung  gekehrt  sind.  Das  Eis  sucht  folglich 
Stücke  von  den  Vorsprüngen  abzuschneiden,  wie  die  punktierten  Linien  auf 
der  Figur  d  andeuten,  und  der  Prozeß  kann  wahrscheinlich  damit  endigen,  daß 
die   Gletscher   völlig    die    hervorragenden  Partien    zerstören.     Zuweilen    ver- 


430  Hadb  ReuBch: 

bleiben  einige  Klippen,  wo  das  Gestein  ungewöhnlich  hart  oder  sparsam  von 
Rissen  und  Spalten  durchzogen  war,  wie  mit  xx  ia  der  Figur  10 e  ange- 
deutet. 

Wie  schon  angedeutet,  muß  man  sich  die  Bildung  der  norwegischen 
Täler  nicht  so  einfach  denken,  daß  es  nur  eine  Periode  der  Wasserwirkung 
und  eine  Periode  der  Eiserosion  war.  Die  Geschichte  der  Talbildung  ist 
augenscheinlich  viel  verwickelter,  und  nur  wenige  Einzelheiten  sind  bisher 
studiert. 

Figur  11  (Taf.  10)  führt  uns  das  Lärdal  vor  Augen,  das  Tal,  das  von  der 
innersten  Verzweigung  des  großen  SogneQords  heraufsteigt.  Im  Vordergrund 
sehen  wir  den  Fjord  (F),  dann  folgt  der  unten  mit  marinem  Sande  und 
Grande  bedeckte  Talboden  bis  L.  Von  hier  beginnt  ein  engerer  Teil  des 
Tales,  wo  man  die  drei  niedrigen  Vorsprünge  1,  2  und  3  hat.  Die  Ober- 
seiten dieser  Vorsprünge  müssen  als  Reste  eines  früheren  höheren  Talbodens 
gedeutet  werden.  Der  Lärdalfluß  konnte  einmal  nicht  so  tief  wie  später 
graben,  dann  kam  eine  Hebung  des  Landes,  und  das  Tal  wurde  bis  zu  der 
gegenwärtigen  Tiefe  ausgegraben.  Schon  als*l,  2,  3  den  Talboden  bildeten, 
hatte  das  Tal  wahrscheinlich  U-Form  und  war  so  durch  Einwirkung  von 
Eis  geworden.  Nachdem  das  Tal  in  einem  neuen  interglacialen  Zeitraum 
vertieft  war,  wurde  es  einer  neuen  Eisscheuerung  ausgesetzt  Es  ist  indessen 
zu  bemerken,  daß  die  Eisscheuerung  im  Lärdal  nicht  die  eingreifende  Wir- 
kung wie  in  vielen  anderen  norwegischen  Tälern,  wo  die  Talvorsprünge 
ganz  oder  beinahe  völlig  zerstört  wurden,  ausgeübt  hat.  Die  Buchtungen 
des  Tales  sind  ja  wohl  erhalten,  imd  das  Profil  ist  zuweilen  noch  ziemlich 
V-förmig.  Es  scheint  überhaupt,  als  ob  die  Täler,  die  wie  das  Lärdal  bis 
in  die  Nähe  der  Hauptwasserscheide  des  Landes  reichen,  viel  weniger  von 
Gletschern  umgebildet  wurden,  als  die  in  den  äußeren  Partien  des  Landes. 
Wahrscheinlich  waren  während  der  größten  Vereisung  die  inneren  Teile  des 
Landes  mehr  als  Fimgebiete,  von  welchen  die  Gletscher  gespeist  wurden, 
denn  als  eigentliche  Gletscher  zu  betrachten;  deshalb  war  auch  die  Eiserosion 
dfLselbst  nicht  besonders  kräftig. 

Auch  an  dem  zweitgrößten  Fjord  Norwegens,  dem  Hardanger^ord,  ist 
die  Bildung  in  verschiedenen  Perioden  sehr  deutlich  zu  beobachten.  Nament- 
lich hat  man  hier  den  Fjord  entlang  und  ein  wenig  darüber  gehobene  Reste 
eines  früheren  Talbodens,  in  den  der  eigentliche  wassergefftllte  Fjord  hinein- 
gesenkt wurde. 

Was  die  Windungen  des  Lärdals  betrifft,  muß  im  Vorbeigehen  bemerkt 
werden,  daß  sie  vom  Gebirgsbau  nicht  abhängig  zu  sein  scheinen.  Sie 
rühren  wahrscheinlich  aus  einer  Zeit  vor  der  eigentlichen  Talbildung  her, 
als  sich  der  Fluß  noch  auf  dem  ursprünglichen  Peneplain  in  langsamen 
Biegungen  hin  und  her  schlängelte.  Als  dann  der  Fluß  nach  Hebung  des 
Landes  das  neue  Tal  ausgrub,  wurde  der  alte  imstete  Weg  beibehalten. 

Wie  bekannt,  gibt  es  Forscher,  die  dem  Eis  beinahe  alles  zumuten, 
wenn  es  Fjordbildungen  gilt.  Es  ist  mir  lieb,  daß  ich  ein  paar  Facta  vor- 
legen kann,  die  zeigen,  daß  das  Eis  der  letzten  Eiszeit,  wiewohl  es  eine 
nicht  unbedeutende  Arbeit  zu  Stande  gebracht  hat,  doch  nicht  eigentlich  tal- 


Geographisclj  Keusch. 


Tafel  10. 


den  8«iti9ti  de»  Aurkndutjordes. 


mdm  ge»*?iieR.    Uazu  Fig.  0  ü-iil'  Täf  n, 


Betrachtungen  ilber  das  Relief  von  Norwegen.  431 

bildend  gewirkt  hat.  Wenn  man  auf  dem  Dampfer  an  den  steilen  Fels« 
wänden  des  Aarlandsfjords  (eines  Seitenarms  des  Sognefjords)  vorbififfthrt, 
verdienen  die  kleinen  steil  aufsteigenden  Seitentäler  eine  genauere  Beachtung, 
unsere  Figur  (12)  zeigt  einige  Ton  diesen  kleinen  Tälern  und  dazu  ein 
skizziertes  Profil  des  Tales  III  (IV). 

Diese  Täler  bestehen  aus  einem  oberen  trichterförmigen  Teil,  von  dem 
ein  Wasserfall  hemiederfällt,  der  sich  nur  unbedeutend  in  die  eisgeschrammte 
ebene  Talseite  eingegraben  hat.  Der  Aurdal-Gletscher  hat  diese  vom  fließen- 
den Wasser  gebildeten  Täler  hängend  gemacht;  er  hat  sie  aber  nicht  ganz 
zu  zerstören  vermocht.  Es  hat  vor  der  letzten  Eiszeit  ein  Haupttal  gegeben, 
da,  wo  heute  der  Fjord  ist.  Der  Gletscher  hat  das  früher  existierende  Haupt- 
tal erweitert  und  vertieft  und  einige  Teile  der  kleinen  Seitentäler  zerstört, 
nichts  weiter.  Auch  andere  Beispiele  von  demselben  Phänomen  könnten  dar^ 
gelegt  werden.  Die  Frage,  wieviel  die  Eis  Wirkung  ausgerichtet  hat,  wäre 
durch  Studium  der  hängenden  Täler  genauer  zu  verfolgen. 

Die  aufgezwungenen  Täler  der  Kristianiagegend. 

Bei  den  Terrainformen,  die  wir  betrachtet  haben,  spielen  Gegensätze 
zwischen  weichem  und  hartem  Gestein  keine  Bolle.  Die  Gesteine  waren 
überall  Granite  und  andere  von  bedeutender  Härte.  In  der  Kristianiagegend 
sind  die  Verhältnisse  anders.  Hier  gibt  es  weiche  cambrisch- silurische 
Schichten  und  hai'tes  Gestein,  zum  Teil  archäische,  zum  Teil  nachsilurische 
Granite,  Syenite,  Porphyre  u.  a.  Die  Gegend  ist  hier  (Fig.  16)  abgebildet  in 
Vogelperspektive.  Im  Vordergrund  rechts  hat  man  den  innersten  Teil  von  dem 
KristianiaQord;  K  deutet  die  Stelle  an,  wo  Kristiania  liegt.  Im  Norden  sieht 
man  den  Binnensee  Ransfjord.  Von  dort  streckt  sich  ein  Tal  mit  cambrisch- 
silm-ischem  Gesteine  (kleine  Kreuze  in  der  Zeichnung)  nach  SW.  über  den  Tyri- 
Qord  nach  Hedenstad  {He).  Nordwestlich  von  dieser  Talbildung  ist  Archaicum, 
südöstlich  herrschen  postsilurische  Eruptivgesteine.  Wenn  die  Täler  einfach 
durch  Erosion  des  Landes,  wie  es  heute  geschieht,  gebildet  wären,  müßten  sie 
viel  mehr,  als  sie  es  tun,  dem  weichen  Gestein  folgen.  Der  Fluß,  der  von 
Nummedal  kommt  (der  südlichste  im  Bilde),  durchquert  einfach  die  weicha 
Silurzone  und  tritt  hinein  ins  Granitgebiet,  als  ob  sich  eine  Pforte  flöir  ihn 
geöffnet  hätte.  Täler,  wie  dieses,  das  nicht  zu  der  Beschaffenheit  des  Landes 
paßt^  kann  man  als  aufgezwungene  (englisch  superimposed)  bezeichnen.  Das 
Zustandekommen  dieser  Täler  hat  man  sich  etwa  so  zu  denken:  Das  Land 
wurde  zuerst  durch  die  zerstörenden  Kräfte  zu  einer  Peneplain  oder  beinahe 
zu  einem  solchen  erodiert  Die  Täler  folgten  dann  hauptsächlich  den  weichen 
Gesteinen  {A  in  Fig.  6  auf  Taf.  8,  wo  die  weichen  Gesteine  gestrichelt 
und  die  harten  punktiert  sind).  Dann  sank  das  Land  unter  das  Meer,  und 
eine  jüngere  Formation  lagerte  sich  darauf.  Als  diese  Formation  später  im 
Laufe  der  Zeiten  durch  Hebung  in  trockenes  Land  verwandelt  wurde, 
richteten  sich  die  Flüsse  nach  der  Beschaffenheit  des  gehobenen  Landes, 
hatten  folglich  nichts  zu  tun  mit  den  Gesteinen,  die  tief  unten  begraben 
lagen  {B  in  Fig.  6).  Wie  nun  die  Zeit  dahinfloß,  wurde  die  jüngere 
Formation  durchgegraben  und  die  Flüsse  fingen  an,  die  alten  Formen  anzu- 


432  Haos  Reusch: 

greifen  dort,  wo  sie  zuerst  angetroffen  wurden.  Dies  war  besonders  in  den 
aufragenden  Rücken  des  härteren  Gesteins  der  Fall  (0  in  Fig.  6).  Die 
Arbeit  endigte  im  Laufe  der  Zeit  damit,  daß  die  jüngere  Formation  ganz 
wegerodiert  wurde,  aber  als  eine  Erinnerung  an  die  vergangene  Zeit  haben 
die  Flüsse  ihren  Lauf  quer  ,über  die  Rücken  der  harten  Gesteine  vorgezeichnet 
erhalten.  Auf  die  Frage:  Welche  junge  Formation  hat  einst  die  Kristiania- 
gegend bedeckt?  —  ist  die  Antwort  nicht  leicht.  Der  Verfasser  denkt  am 
ersten  an  jüngere  Kreide,  die  von  jüngeren  Formationen  in  größter  Nähe 
ansteht,  und  meint,  daß  die  Feuersteine  (z.  T.  mit  Kreideresten),  die  im 
Moränenmaterial,  obwohl  nicht  häufig,  an  der  Südküste  Norwegens  gefunden 
wurden,  möglicherweise  aus  der  Kristianiagegend  herrühren. 

Die  aufgezwimgenen  Täler  haben  sich  nachher  teilweise  der  Gesteins- 
beschaffenheit des  Untergrundes  angepaßt  Es  bleibt  aber  noch  etwas  übrig. 
Man  beachte  z.  B.  den  kleinen  Nebenfluß  Deleren  (De  auf  Fig.  16  links 
vorne).  Der  Fluß  arbeitet  sich  gegenwärtig  in  dem  weichen  Gestein  rasch 
rückwärts.  Eines  guten  Tages  wird  er  den  Fluß,  der  durch  das  Nummedal 
geht,  erreichen  und  den  oberen  Teil  dieses  Flusses  zum  Kristianiafjord  bei 
Drammen  {Br)  ableiten.  Etwa  dasselbe  Ereignis,  das  hier  bevorsteht,  hat 
wahrscheinlich  schon  einmal  im  nördlichen  Teil  unseres  Gebietes  stattgefun- 
den. Der  nördliche  Teil  vom  Ransfjord  hatte  Abfluß  nach  Südosten  durchs 
Haketal.  Ein  Fluß,  der  seine  Wasserscheide  zurücktrieb  dem  weichen  Ge- 
stein entlang,  wo  heute  das  Wasser  des  südlichen  Teils  des  RansQords  den 
Talbodcn  bedeckt,  hat  einmal  das  Haketalwassersystem  „enthauptet^^,  und  süd- 
östlich vom  Ransfjord  hat  sich  nun  eine  neue  Wasserscheide  im  harten  Ge- 
stein ausgebildet,  und  von  da  fließt  das  Wasser  teils  nordwestlich  zum  Rans- 
Qord,  teils  wie  früher  südöstlich.  Weitere  Betrachtungen  über  Verschiebungen 
der  Wasserscheiden  könnten  sowohl  hier  wie  anderswo  in  Norwegen,  wo 
man  ähnliche  Verhältnisse  hat,  angestellt  werden,  es  muß  nur  noch  bemerkt 
werden,  daß,  obwohl  die  gewöhnliche  Flußerosion  die  großen  Züge  der  Tal- 
sjsteme  bestimmt  hat,  das  Eis  viel  zur  Ausformung  der  Oberfläche,  zur  Seen- 
bildung meiner  Meinung  nach  gewirkt  hat. 

Übersicht  über  die  Talsysteme  Norwegens. 

Bevor  wir  einen  kurzen  Blick  auf  die  paläische  Oberfläche  des  Landes 
werfen,  sollen  ein  paar  Bemerkungen  über  die  Anordnung  der  Talsysteme 
Norwegens  in  großen  Zügen  eingefügt  werden.  Alle  die  großen  Täler  des 
südöstlichen  Norwegens  konvergieren  zum  innersten  Teil  des  Skageraks  und 
Kristianiafjords;  dadurch  hat  die  Hauptstadt  Norwegens  ihren  von  der  Natur 
bestinunten  Platz  so  weit  im  Binnenland,  wie  die  Seefahrt  reicht,  erhalten. 
Im  südlichsten  Teil  des  Landes  haben  die  Täler  und  die  Fjorde  bis  zum 
HardangerQord  einschließlich  eine  ausstrahlende  Richtung.  Dies  Gebiet  ist  des- 
wegen mit  einer  Reihe  von  kleinen  Städten  der  Küste  entlang  versehen.  Nur 
die  größte  von  diesen  Städten,  Stavanger,  liegt  an  einer  Stelle,  wo  ein  Kom- 
plex von  kleinen  Fjorden  und  Tälern  seinen  Mittelpunkt  hat.  Bergen  hat 
nur  ein  ganz  kleines  Gebiet,  das  geologisch  und  geographisch  sein  eigenes 
ist    Es  liegt  ungewöhnlich  isoliert  und  ist  mit  seinen  70  000  Einwohnern  eine 


Betrachtungen  über  das  Relief  von  Norwegen.  433 

der  sehr  wenigen  bedeutenden  St&dte  der  civilisierten  Welt,  die  nicht  mit  einem 
Eisenbahnnetz  in  Verbindung  stehen.  Daß  diese  Stadt  bis  ins  19.  Jahrhundert 
hinein  die  größte  Stadt  Norwegens  war  und  noch  die  zweitgrößte  Stadt  ist, 
hat  geschichtliche  Ursachen.  Die  Stadt  besaß  große  Privilegien  für  den 
Fischhandel;  Handelstüchtigkeit  und  die  angesammelten  Kapitalien  sind  die 
Mittel,  wodurch  die  Stadt  sich  als  die  erste  auf  der  Westküste  Norwegens 
später  erhalten  hat. 

Der  große  SogneQord  mit  seinen  SeitenQords  und  Seitentälern  kann 
im  ganzen  als  ein  Produkt  von  einem  großen  Flußsystem  (das  ein  abwech- 
selungsvolles Schicksal  gehabt  hat)  betrachtet  werden.  Etwa  die  innere 
Hälfte  ät  auf  %  in  einem  Zirkel  von  den  bedeutendsten  Hochgebirgen  Nor- 
wegens umgeben,  den  „Großgebirgen  Norwegens".  Von  diesen  Großgebirgen 
strahlen  viele  kleinere  Täler  aus  und  auf  ihrer  Innenseite  konvergieren  eine 
Anzahl  Täler  und  Fjorde  nach  dem  inneren  Teü  des  großen  HauptQordes. 
Nördlich  von  dem  SogneQord  der  Küste  entlang  ist  bis  weit  nach  Norden 
ein  System  von  Einsenkungen  senkrecht  zur  Küste  und  ein  anderes  System 
mehr  oder  weniger  ihr  parallel  wohl  zu  unterscheiden.  Die  innere  Partie 
vom  DrontheimQord  mit  einer  Anzahl  von  Tälern  konvergiert  ganz  aus- 
gesprochen zur  Drontheimgegend.  Diese  alte  Königsstadt  ist  dadurch  im 
Mittelalter  das  Zentrum  eines  wohl  markirten  Distrikts  geworden,  ein  kleines 
Pendant  zum  Kristianiagebiet.  Es  ist  sicher  nicht  ohne  Bedeutung  für  die 
Ausbildung  dieser  beiden  Becken  gewesen,  daß  verhältnismäßig  weiche  silu- 
rische  Gesteine  auftreten  sowohl  im  Drontheimgebiet  wie  in  der  Umgebung 
von  Kristiania.  Das  westskandinavische  Gebirgssystem  endigt  in  der  Um- 
gebung vom  Nordkap.  Das  nicht  so  hohe  und  weniger  unebene  Gebiet  im 
äußersten  Nordosten  von  Norwegen  ist,  wie  früher  in  dieser  Zeitschrift  (1900. 
S.  391)  erwähnt,  als  dem  timanschen  Gebirgssystem  zugehörig  gedeutet 

Unebenheiten  der  paläischen  Oberfläche. 

Wir  haben  uns  bisher  mit  den  relativ  neuen  Formen,  den  in  der  palä- 
ischen Oberfläche  des  Landes  eingegrabenen  Tälern,  beschäftigt.  Diese  palä- 
ische  Oberfläche  kann,  wie  schon  gesagt,  nicht  ohne  weiteres  als  eine  einzige 
Peneplain  betrachtet  werden.  Das  Jötungebirge,  das  höchste  Gebirge  Nor- 
wegens, das  „Alpenformen"  mit  spitzen  Hörnern  und  Kämmen  zeigt,  liegt 
nordöstlich  von  dem  inneren  Teil  des  SogneiQords  und  gehört  auch  zur  palä- 
ischen Oberfläche.  Ein  schematisches  Profil  (Fig.  13),  von  dort  nach  Süden  dem 
Landesrücken  parallel  gezogen,  kann  so  dargestellt  werden.  Man  bemerkt  die 
ausgesprochene  Tafelform  des  Hallingskarv.  Dieses  Gebirge  steht  nicht  allein 
da,  sondern  es  gibt  eine  Anzahl  hoch  aufragender  Plateaus  (deren  mutmaß- 
liche Ausdehnung  auf  der  Karte  [Fig.  1  auf  Taf.  8j  mit  kreuzweiser  Schraf- 
fierung angegeben),  die  als  Reste  einer  sehr  alten  Peneplain  (l)  gedeutet  werden 
können.  Als  diese  Peneplain  einst  im  Meeresniveau  ausgebildet  wurde, 
waren  die  Jötungebirge  höher  als  jetzt.  Das  Land  hat  sich  darauf  etwas 
gehoben  und  eine  zweite  Peneplain  (2)  ausgeformt.  Die  Jötungebirge  wurden 
imterdessen  weiter  erodiert.  Auf  der  neuen  unteren  Peneplain  ragen  einige 
Beste  des  höheren  Landes  als    „Monadnocks"  (die  Bezeichnung  von  Davis) 


434  Hans  Reusch: 

auf  (m  in  Fig.  13).  Auf  diesen  niedrigen  Plateaus  findet  das  Vieh 
der  Bauern  ein  paar  Sommermonate  hindurch  seine  Nahrung,  während  die 
höheren  Plateaus  nackt  oder  immer  schneebedeckt  sind.  Eine  neue  Hebung 
hat  ein  System  offener,  nicht  tiefer  Täler  hervorgebracht  {xx)\  wo  die  Alm- 
hütten meist  gebaut  sind.  Die  feste  Ansiedelung  der  Bevölkerung  beginnt 
erst,  wo  die  früher  behandelten  neuen  Täler  anfangen.  Auch  bei  diesen 
paläischen  Formen  des  Landes  dürfen  wir  nicht  vergessen,  daß  die  Gletscher 
der  Eiszeit  eine  lungestaltende  Einwirkung  ausgeübt  haben,  obwohl  die  Nähr- 
gebiete der  alten  Gletscher  wahrscheinlich  am  wenigsten  durch  Eis  um- 
gestaltet sind. 

Unsere  nächste  Zeichnung  (Fig.  14)  führt  uns  zwei  Plateaugebirge  vor 
Augen,  die  Reste  der  ersten  Peneplain,  dann  die  zweite  Peneplain  und  ein 
darin  ausgegrabenes  weites  Tal  mit  ein  paar  Seen.  Obwohl  die  Hochflächen  Nor- 
wegens, wie  wir  nun  gesehen  haben,  keine  einfachen  Bildungen  sind,  kann 
man  doch,  wenn  man  nur  die  allergrößten  Züge  betrachtet,  von  einer  großen 
„Peneplaination"  der  „Fennoskandia"  sprechen.  Vorläufig  kann  man  sich  nur 
eine  sehr  unvollständige  Idee  davon  bilden,  in  welcher  geologischen  Zeit- 
periode die  skandinavische  Halbinsel  so  viel  niedriger  lag  und  ihren  Charakter 
einer  wellenförmigen  weitgedehnten  Ebene  erhielt,  den  sie  abgesehen  von  den 
neu  hinzugekommenen  Tälern  hat.  Von  anderen  Ländern  erfahren  wir,  daß 
die  Denudation  im  Tertiär  eine  gewaltige  Aibeit  vollbrachte,  und  man  kann 
wohl  innerhalb  dieser  Periode  Platz  für  unsere  große  „Peneplaination"  finden. 

Die  Strandebene. 

Zuletzt  müssen  wir  auch  auf  die  marine  Denudation  ein  paar  Worte 
verwenden.  Das  Land  hat  durch  lange  Zeiten  am  Ende  des  Tertiärs  und  in 
der  Diluvialzeit  um  ein  Niveau,  das  nicht  sehr  vom  gegenwärtigen  abweicht, 
oszilliert;  dadurch  ist  eine  wohl  ausgebildete  kontinentale  Plattform  entstanden. 
Die  höheren  Teile  der  kontinentalen  Plattform  ragen  aus  dem  gegenwärtigen 
Meere  hinaus  und  bilden  die  Strandebene,  den  Wohnplatz  für  einen  bedeu- 
tenden Teil  der  norwegischen  Bevölkerung.  Die  kontinentale  Plattform  ist 
von  unterseeischen  Tälern  gefurcht,  die  gebildet  wurden  in  Zeiträumen,  wo 
die  Plattform  höher  lag  als  jetzt.  Wie  bekannt,  sind  die  Fjorde  auffällig 
tief.  Ich  bin  geneigt  anzunehmen,  daß  sich  die  Fjorde  mehr  oder  weniger 
tief  bis  zu  dem  Abfall  der  Plattform  fortsetzen  und  daß  die  äußeren  Partien, 
zum  großen  Teil  von  loserem  Material,  vornehmlich  von  Moränenraassen,  zu- 
geschüttet wurden.  Während  der  Boden  der  Fjorde  in  seinem  äußeren  Teüe, 
wie  die  Linie  b — a  (auf  Fig.  15)  andeutet,  gegenwärtig  hinaufsteigt,  war  es 
ursprünglich  etwa  so,  wie  die  Linie  b — c  zeigt.  Die  große  Tiefe  der  Fjorde 
ist  zum  Teil  dim5h  die  ausräumende  Tätigkeit  der  Gletscher  hervorgebracht, 
zimi  Teil  aber  haben  auch  die  Gletscher  zu  Zeiteh,  wo  die  Gletscherzungen 
nicht  aus  den  Fjordgegenden  herausreichten,  den  Felsgrund  beckenartig  aus- 
gegraben. Die  Möglichkeit  darf  auch  nicht  ausgeschlossen  werden,  daß  die 
Tiefe  der  Fjorde  dadurch  gesteigert  werden  konnte,  daß  die  letzte  Phase  der 
Krustenbewegung  ein  größeres  Einsinken  des  Landes  im  Innern  wie  an  der 
Küste  hervorgebracht  haben  kann. 


Betrachtungen  über  das  Belief  von  Norwegen.  435 

Zum  Schluß  noch  das  Bekenntnis:  Die  Fragen,  wie  das  Eelief  Nor- 
wegens ausgebildet  worden  sein  kann,  sind  noch  recht  dunkel.  Es  müssen  viel 
mehr  Fakta  gesammelt  werden.  Mehr  Arbeiten  auf  geographischem  Feld 
wäre  deswegen  sehr  erwünscht.  Wir  sind  eigentlich  nur  beim  ersten  Beginn 
unserer  Studien;  auch  was  oben  gegeben  wurde,  ist  nur  eine  Skizze,  in  wel- 
cher das  meiste  verbessert  werden  muß. 

Literatur.  Der  erste  Versuch,  das  Relief  von  Norwegen  genetisch  zu  deuten, 
wurde  von  Professor  Balthasar  Keilhau  gemacht  in  der  Einleitung  zu:  Schwei- 
gaard,  Norges  Statistik  (1840).    (Norwegisch.) 

Eine  bedeutende  Arbeit,  noch  recht  wert,  gelesen  zu  werden,  ist:  P.  A.  Munch, 
Übersicht  der  Urographie  Norwegens.  {Gaa  Norvegica.  Hersg.  von  Keilhau.  1850. 
8.  Heft.)  Der  Verf.  behandelt  besonders  den  Gegensatz  zwischen  Hochgebirgsebene 
und  Tälern. 

Professor  Theodor  Kjerulf  verteidigte  in  einer  Weise,  die  wir  gegenwärtig 
nicht  mehr  billigen  kennen,  die  Ansicht,  daß  die  Verteilung  von  Höhen  und  Tiefen 
vom  inneren  geologischen  Bau  abhängig  ist  und  die  Täler  Spalten  folgen  (Ein  Stück 
Geographie  in  Norwegen.  Z.  d.  Ges.  f.  Erdkde.  in  Berlin.  XIV.  S.  129—49.  „See- 
imd  Talbilduug".  Übers,  von  Rieh.  Lehmann  in  Mitt.  d.  Ver.  f.  Erdkde.  zu 
Halle  a/S.  1881.  S.  1—22). 

Professor  Amund  Heiland  hatte  etwas  früher  den  Gletschern  der  Eiszeit 
eine  große  Rolle  als  Fjord-  und  Talbildner  zugeschrieben,  wobei  ihm  später 
Dr,  Andr.  M.  Hansen  und  P.  A.  Oeyen  gefolgt  sind.  (Heiland.  Die  glaciale 
Bildung  der  Fjords  und  Alpenseen  in  Norwegen.  Fogg.  Ann.  XXV.  1872.  S.  480 — 86.) 
On  the  IceQords  of  North  Greenland  and  on  Formation  of  Fjords,  Lakes  and  Cir- 
ques  in  Norway  and  Greenland.  {Quart.  Journ.  Geol.  Soc.  1877.  S.  142—76.)  Seine 
Ideen  über  Gircusbildungen  stützen  sich  auf  Beobachtungen  von  C.  L orange.  In 
einer  späteren  Abhandlung  (Norwegisch  geschrieben.  Turistforeningens  Äarbog  1880) 
untersucht  er  die  großen  Züge  des  Reliefs  durch  die  Lage  der  höchsten  Auf- 
ragungen der  Berge.  Professor  J.  H.  L.  Vogt  hat  ähnliche  Studien  gemacht 
(Söndre  Helgelands  Morphologie  [Resumö  deutsch].  Norges  geölogiske  undersögelse. 
Nr.  29.  Praktisk-geologiske  nndersögelser  af  Nordlands  amt.  IH.  Ohristiania  1900). 
Professor  W.  C.  Brögger  hat  nachgewiesen,  wie  wichtig  Verwerfungsspalten  sind 
für  den  Felsbau  in  der  Umgebung  des  Kristianiafjords;  die  Hohlform  des  Fjords 
schreibt  er  der  Arbeit  des  Eises  im  verhältnismäßig  losen  Gestein  zu. 

Auch  von  einigen  Nichtnorwegern  sind  wertvolle  Beiträge  gekommen,  so 
von:  E.  Sueß  (Antlitz  der  Erde.  U.  1888.  Zweiter  Abschnitt),  E.  Richter  (Geo- 
morphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  Sitzungsber.  d.  A*.  Äk.  d.  Wiss.  in 
Wien.  Mathem.-naturw.  Klasse.  Bd.  101.  Abt.  L  Wien  1896.  S.  147—189),  R.  L.  Bar- 
rett (The  Sundal  drainage  System  in  Central  Norway.  Bull,  of  American  Geogi'aph. 
Soc.  Nr.  3.  1900.  21  S.),  W.  M.  Davis  (Glacial  erosion  in  France,  Switzerland  and 
Norway.  Proc.  of  the  Boston  Soc.  of  Nat.  History.  Vol.  29.  Nr.  14.  Boston  1900. 
S.  278—322). 

Der  Verf.  des  vorliegenden  Aufsatzes  hat  die  norwegische  Strandebene  be- 
schrieben (The  Norwegian  coast  piain.  Journ.  of  Geology.  11.  Chicago  1894.  S.  347 
bis  849.  Vergleiche  dazu:  Richter,  Die  norwegische  Strandebene.  Globus.  Bd.  69. 
Nr.  20)  und  einige  Beiträge,  gegeben  zum  „Verständnis  dafür,  wie  die  Täler  und 
Berge  Norwegens  gebildet  wurden".  (Norwegisch  mit  englischem  Resumä  im  Norges 
geölogiske  undersögelses  aarbog  for  1900.  Christiania  1901.) 


436  Wilhelm  Götz; 


Ziige  und  Ergebnisse  einer  liistorischen  GeograpMe. 

Von  Prof.  Dr.  Wilhelm  Göta  in  München. 

(Schluß.) 

n.  Italien. 

Ein  Land  ohne  eine  topographische  Mittellage  und  in  klimatisch  anderer 

Zone  ist  das  südlich   der  deutschen   Gebiete    sich  hinziehende  Italien,    aber 

ebenso  dem  Wandel  seines  Aussehens  und  seiner  Lage  unterstellt. 

Hier  macht  sich  das  Bedürfnis,  die  Gesamtüberschau  in  vier  Perioden 
abzuteilen,  besonders  geltend. 

1.  Periode.  Bis  650  v.  Chr.  —  Die  kühlere  Zeit  mit  einfacher  Boden- 
kultur; bis  zur  vollen  Wirksamkeit  der  griechischen  Kolonisation. 

2.  Periode.  Bis  400  n.  Chr.  —  Die  Zeit  der  Einbürgerung  von  Nutz- 
pflanzen der  Mittelmeerländer  bei  Ausbildung  des  Latifundienbetriebs;  bis 
zum  Verlust  der  Hauptstadtstellung  Roms. 

3.  Periode.  Bis  1550  n.  Chr.  —  Die  Zeit  neuer  Städteentwicklung 
neben  großen  bodenwirtschaftlichen  Gegensätzen;  bis  zur  Wirkung  der  großen 
Entdeckungen. 

4.  Periode.  Bis  1870.  —  Minderung  der  Landeserträgnisse  bei  ver- 
stärkten örtlichen  Änderungen  im  Aussehen  Italiens. 

Die  klimatisch  und  völkergeschichtlich  so  beträchtlichen  Unterschiede 
Ober-Italiens  von  Sicilien  und  dem  Südwesten  Unter-Italiens  machen  es  wieder- 
holt sehr  schwierig,  das  Land  als  Ganzes  durch  bestimmte  Aussagen  zu  kenn- 
zeichnen. Gleichwohl  tritt  dieser  Umstand  im  Fortgang  der  Jahrhunderte 
noch  hinreichend  zurück. 

1.  Periode.  Bis  550  v.  Chr. 
Ober-  und  Mittel-Italien  wurden  von  der  diluvialen  Vergletscherung  unmittel- 
bar beeinflußt;  denn  nicht  nur  die  Alpen,  sondern  auch  der  centrale  Apennin 
sandten  Moränen  an  so  manchen  Berghängen  zu  Tal.  Feuchtkühle  Witte- 
rung und  die  Überdeckung  vieler  dem  Gebirgsbereiche  angehöriger  Striche 
mit  dem  losen  Material  der  Eis-  und  Schmelzwassertransporte  waren  daher 
von  Einfluß  auf  die  Zustände  des  Landes  in  den  ältesten  recenten  Jahr- 
tausenden. Es  ergibt  sich  aus  beidem  die  erleichterte  Möglichkeit,  daß  sich 
Koniferen-  und  Laubwälder  bald  über  die  untere  und  mittlere,  dann  auch 
die  obere  Zone  des  Höhen-  und  Berglandes  ausbreiteten.  Deshalb  erscheint 
es  nicht  nur  als  eine  Annahme  römischer  Autoren  (wie  Columella),  daß  hier 
einst  ein  kälteres  Klima  waltete,  oder  als  eine  Angabe  pars  pro  toto  von 
Seiten  hellenischer  Berichte,  daß  Italien  eine  von  dunklen  Wäldern  bedeckte 
Halbinsel  war.  Insbesondere  spricht  auch  die  Verbreitung  von  Pfahlbauten 
an  jetzigen  oder  einstigen  Vorlandseen  des  Pogebietes,  desgleichen  jener  um- 
festigten großen  Orte  mit  ihren  auf  Pfahlrost  stehenden  Hütten,  terramare 
genannt  (deren  man  etwa  90  in  der  Lombardei  und  Emilia  auffand),  von 
weit  größerer  Wassermenge  des  Bodens  und  von  Eichen-  und  Buchenwäldern 
im  Tieflande.  Der  Bevölkerung  jener  neolithischen  und  Bronze-,  sowie  be- 
ginnenden Eisenzeit  dienten  denn  auch  Früchte,  wie  sie  rauherer  Landesnatur 


Züge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie.  437 

entsprechen:  Eicheln,  Bucheckern,  Gerste,  Eoggen,  Hirse,  Haselnüsse,  allerdings 
auch  Weizen,  Bohnen,  Mohn,  Zwetschgen,  Kirschen,  wilde  Bebe  u.  a.  zur 
Nahrung.  Ließen  die  Ansiedlungen  der  terramare  durch  ihre  aus  Reisig  und 
Stroh  großenteils  hergestellten  Hütten  zunächst  nur  eine  dürftige  Bevölkerung 
wahrnehmen,  so  waren  doch  mindestens  die  Führer  im  Besitz  von  Schmuck, 
Waffen  und  Werkzeugen,  welche  eine  hochentwickelte  Bronzebearbeitung  auf- 
zeigen, somit  auch  teilweisen  Wohlstand  und  geförderte  Technik  bekunden,  da 
die  betreffenden  Gegenstände  auf  keine  auswärtige  Zufuhr  hinleiten.  Dieser 
Wohlstand  erklärt  sich  aus  der  vorhandenen  Pflege  von  Ackerbau  und  von 
Viehzucht,  letztere  durch  Funde  von  Knochen  unserer  mitteleuropäischen 
Nutztiere  erwiesen,  während  solche  von  Hirsch  und  Reh  über  Waldreviere 
berichten.  Waren  die  Menschen  jener  Jahrtausende  Vorgänger  der  Etrusker 
und  Ligurer?  oder  bildeten  sie  nur  die  früheren  Generationen  dieser  Völker? 
Oder  wurden  viele  spätere  Geschlechter  der  Pfahlbauem  von  den  indo- 
germanischen Einwanderern  gestellt?  Für  das  Landesaussehen  wäre  die  Ant- 
wort, wenn  sie  bestimmt  erteilt  werden  könnte,  nur  insofern  von  Belang,  als 
die  Etrusker  jedenfalls  eine  gewisse  Bürgschaft  böten,  daß  in  stetiger  Ent- 
wicklung die  Bodenkultur  und  gewerbliche  Fertigkeit  vorwärts  geführt  wurde. 
Denn  ihre  so  frühzeitig  wenigstens  in  Mittel-Italien  errichteten  Städte  mit 
mächtigen  Cyklopenmauem  tun  uns  dar,  daß  eine  ausgiebige  Pflege  der 
Bodenkultur  vorherging,  weil  diese  für  das  Werden  von  Städten  im  Binnen- 
lande die  Voraussetzung  ist.  Ihre  Kunst  der  Metallwarenproduktion  und  der 
Keramik  bildete  sich  allerdings  erst  unter  dem  Einfluß  der  Griechen  aus, 
wenn  sie  auch  zuerst  wohl  durch  die  Berührung  mit  den  Puniem  angeregt 
war  und  durch  die  heimischen  Erze  unterhalten  wurde.  Küstenorte  und 
Hafenplätze  waren  jedenfalls,  wenn  auch  in  sehr  geringer  Zahl,  eine  Folge 
dieser  Beziehungen  und  sind  bei  der  historischen  etruskischen  Seetätigkeit 
spätestens  für  das  siebente  Jahrhundert  vorauszusetzen.  Freilich  wird  die  volle 
Blüte  der  etruskischen  Kultur  wohl  erst  in  die  Zeit  der  Wende  unserer  beiden 
ersten  Perioden  zu  setzen  sein. 

Mittel-Italien  und  der  größere  Teil  des  Südens  wurden  wohl  am  Beginne 
des  letzten  Jahrtausends  v.  Chr.,  wahrscheinlicher  schon  beträchtlich  früher  von 
den  indogermanischen  Stämmen  besetzt,  als  deren  bedeutendste  Vertreter  wir 
die  lateinischen  und  sabellischen  Völkerschaften  kennen.  Sie  waren  ohne  Zweifel 
mit  dem  Ackerbau  bereits  bekannt,  zumal  sie  durch  ihre  Wanderung  in 
bergigen  oder  waldreichen  Ländern  ohnedies  veranlaßt  waren,  nicht  von  der 
Herde  und  von  Jagdtieren  allein  ihren  Lebensunterhalt  zu  erwarten.  Rodungen 
und  teilweises  Pflügen  grasiger  Niederungen  mußten  deshalb  schon  damals 
imser  Gebiet  mit  Bodenkulturstreifen  und  -inseln  immer  mehr  durchsetzen. 
Als  eine  andere  landschaftliche  Bereicherung  lernte  man  von  den  Etruskem 
die  Herstellung  von  Städten,  und  zwar  auch  in  Flachregionen  (z.  B.  Suessa 
Pometia  in  Latiums  Küstenzone).  —  Weniger  gelehrig  erwiesen  sich  die 
südlichen  Stämme  gegenüber  dem  Beispiele  der  Griechen.  Letztere  fanden  das 
Land  sehr  wenig  für  Bodenkultur  in  Anspruch  genommen  vor;  daher  fühlt« 
sich  die  offenbar  spärlich  verteilte  Bewohnerschaft  durch  die  besitzergreifenden 
Fremdlinge  und  durch  deren  rasch  gestiegene  Stadtbevölkeningen  sehr  wenig 


438  Wilhelm  Götz: 

beengt  oder  zu  gewaltsamer  Abwehr  veranlaßt.  Doch  mußte  schon  zur  Erzielong 
der  Lebensmittel  für  diese  sowie  zur  Erwerbung  der  von  ihnen  angebotenen 
Industrieerzeugnisse,  desgleichen  für  den  vielen  Schiffebedarf  jener  Zeiten  von  den 
großgriechischen  Gestaden  aus  durch  Rodung  und  Bodenbearbeitung  die  Außen- 
zone der  Halbinsel  notwendig  geändert  werden.  —  Auf  Sicilien  hatten  ver- 
schiedene Stämme  bereits  vor  der  Griechen  Ankunft  sich  unter  Erbauung  von 
Städten  kulturell  beträchtlich  entwickelt  (Sikeler,  Elymäer):  sie  besaßen  Städte 
und  daher  ohne  Zweifel  auch  fortgebildeteren  Ackerbau.  Die  punischen 
Faktoreien  in  Ost  und  West  wirkten  in  dieser  Beziehung  mindestens  schon 
seit  dem  13.  Jahrhundert  anregend,  und  die  nicht  wohl  zu  bezweifelnde 
Kriegsfahrt  von  Siciliem  und  Sardinien!  gegen  den  Pharao  im  12.  Jahr^ 
hundert  zeugt  genügend  von  dem  Dasein  von  Seestädten  und  einer  über- 
schüssigen Bevölkerung,  letzteres  freilich  nur  in  Folge  einer  zu  rudimentären 
und  räumlich  beschränkten  Bodennutzung. 

Überall  jedoch  in  Italien  war  auch  von  Seiten  des  Menschen  in  der 
langen  Periode  vieles  geschehen,  um  der  Herrschaft  feuchtkühler  Klima- 
zustände dauernden  Abbruch  zu  tun  und  anspruchsvolleren  Pflanzen  oder 
Bäumen  eine  neue  Heimat  zu  bereiten,  nachdem  sie  von  den  Hellenen  her- 
beigebracht worden, 

Die  Vorteile  der  natürlichen  Lage  des  Landes  freilich  waren  noch 
keineswegs  zur  Geltung  gekonmien:  Italien  war  nur  im  Süden  über  eine 
einflußlose  Einzellage  in  anthropogeographischer  Hinsicht  hinausgelangt;  die 
großgriechisch  -  sicilischen  Gebiete  besaßen  vom  siebenten  Jahrhundert  an 
eine  Außenlage  für  die  hellenische  Welt;  West-Sicilien  war  ein  Vorland  des 
karthagischen  Staates  geworden,  gleichsam  ein  Brückenkopf  höheren  Stiles 
(nicht  „Schwellenlage"  im  Sinne  Ratz  eis). 

An  sich  wird  für  Italien  Bedeutungslosigkeit  durch  seine  Mittellage  unter 
den  Halbinseln  Süd-Europas,  durch  die  allgemeinen  Vorzüge  der  Halbinselnatur 
und  durch  seine  natürliche  Ausstattung  nahezu  von  vornherein  verhütet  Aber 
das  Land  hatte,  abgesehen  vom  Süden,  keinen  weitergehenden  Einfluß  auf 
die  umgebenden  Meere;  seine  Bevölkerung  war  noch  in  keiner  Weise  sich 
dessen  bewußt,  daß  sie  ein  gemeinsames  Ganzes  als  Wohnraum  benutze;  die 
klimatische  Beschaffenheit  gestattete  noch  nicht  die  volle  Ausnutzung  der 
vorhandenen  Südlage,  da  Wald  und  Verdunstungskälte  die  Sonneneinwirkung 
abschwächten;  weder  zu  den  Halbinseln  in  Ost  und  West  bestand  eine  wirk- 
same Beziehung  noch  weniger  zum  eignen  oder  zum  südlich  nahen  Kontinent; 
zu  ersterem  schon  deshalb  nicht,  weil  der  größere  Teil  der  Halbinselbevölke- 
rung sein  Dasein  ebenso  abseits  vom  Pogebiet,  diesem  Anschluß  an  Europa, 
führte  als  etwa  von  Ulyrien  und  Süd-Gallien.  Das  Land  war  als  Völker- 
wohnraimi  isoliert  und  hing  lediglich  physisch  zusammen;  außer  Etrurien 
war  nur  der  griechisch  kolonisierte  Küstensaum  über  die  Bedeutung  halb- 
barbarischer Binnengaue  hinausgelangt. 

2.  Periode.     550  v.  Chr.  bis  400  n.  Chr. 

Diese  Zeit  brachte  die  in  den  letzten  150  Jahren  der  vorigen  Periode 
anhebenden  Änderungen  durch  politische  Mächte  zur  vollen  Entwicklung  und 
gestaltete  das  gesamte  Aussehen  Italiens  wesentlich  um,   bewirkte  aber  auch 


Züge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie.  439 

die  dauernden  Ursachen  zu  nachteiligen  Wandlungen  seiner  Leistungsfähig- 
keit. Zunächst  trat  der  Einfluß  der  griechischen  Kolonisation  in  volle  Wirk- 
samkeit, und  in  Mittel-Italien  erhob  sich  langsam  der  Stadtstaat  Rom  als  eine 
eminent  landwirtschaftliche  Macht 

Die  griechischen  Städte,  in  welchen  die  ganze  reiche  Kultur  und  das 
Genußleben  des  Mutterlandes  sich  entfaltete,  erzielten  nicht  nur  die  aus- 
giebigste Rodung  in  ihrer  unmittelbaren  Umgebung,  desgleichen  vermehrte 
Agrikultur  bei  den  Nachbarstämmen,  sondern  beeinflußten  (wie  kunstgewerb- 
lich ganz  Etrurien)  in  der  Bodenbenutzung  auch  das  seeverknüpfte  schmale 
Niederland  des  ganzen  West-Italiens.  Das  landschaftliche  Aussehen  erhielt  einen 
neuen  Zug  durch  die  Olivenpflanzungen,  durch  Feigenbäume  und  Weingärten. 
Sicilien  ward  zugleich  auch  durch  die  punischen  Altmeister  der  Fruchtbaum- 
nutznng  gehoben.  Die  besitzende  Klasse  der  erobernden  Roma  aber  ließ  es 
sich  besonders  angelegen  sein,  mittels  Ausstattung  ihrer  großen  Landgüter 
mit  Zierbäumen  und  fruchtbringenden  Bäumen  aus  den  unterworfenen  oder 
einstweilen  besiegten  Ländern  des  Ostens  Italien  diese  dauernde  botanische 
Bereicherung  zu  bringen.  Heerführer,  Statthalter  imd  andere  Vertreter  des 
Staates  wetteiferten,  von  ihren  Missionen  in  jene  Gebiete  neue  Gewächse  für 
ihre  Parke  und  Pflanzgärten  nach  Hause  überzuführen.  In  der  Endzeit  der 
Republik  und  unter  den  früheren  Kaisern  kam  die  Mehrzahl  der  vorhandenen 
Obstvarietäten  herzu  sowie  der  charakteristische  Zug,  welchen  die  Cypresse 
in  die  Landschaft  bringt. 

Aber  jenes  Interesse  am  Grundbesitz  imd  der  höheren  Bodenkultur  hatte 
als  Kehrseite  die  zunehmende  Verdrängung  des  Bauern  imd  die  Schöpfung 
von  Latifundien.  Sie  beseitigte  zahllose  Gehöfte,  viele  Dörfer  und  verrin- 
gerte trotz  Betonung  seines  Wertes  den  Umfang  des  Getreidebaus.  Italien 
erhielt  für  die  arbeitsame,  rührige  Bauernbevölkerung  durch  die  Bestreuung 
d«r  gut  gelegenen  Flächen  des  Großgrundbesitzes  mit  Meiereien  und  Pächter- 
häuschen (eine  Zeit  lang  auch  Sklavenställen)  keinen  gleichwertigen  Ersatz, 
um  wirtschaftlich  gesunde  und  intensive  Bodennutzung  zu  sichern,  wenngleich 
auch  die  Gartengewächse  durch  Mannigfaltigkeit  und  Güte  die  Ausbildung 
dieses  Bodenkulturzweiges  bezeugten  (Safran,  Spargel,  Zuckermelone,  Pistazien). 
Die  im  flachen  Lande  besitzlos  gewordenen  Kleinbauern  wanderten  teilweise 
in  das  noch  weniger  in  Privateigentum  übergegangene  Bergwaldgebiet  und 
verschafiPten  sich  hier  durch  Brandrodung  Weideland,  wie  ja  die  Begüterten 
noch  zu  Plinius'  Zeit  gleichfalls  fortfuhren,  mittels  Feuers  zu  entwalden.  Gab 
es  auch  immerhin  noch  stattliche  Waldreviere  im  flacheren  Latium  und 
Etrurien  (Hinweise  von  Livius,  Vergil  und  Plinius),  besonders  von  Eichen,  aber 
auch  Bachen,  Ahorn,  so  war  doch  das  Gebirge  vor  allem  noch  reich  beforstet, 
besonders  Etrurien  und  der  unteritalische  Apennin  (von  den  Vorhöhen  bei 
Benevent  an):  die  Tanne  oberhalb  der  Buche  und  der  Eiche  bildete  die 
Bestände;  Bären  und  Gemsen  belebten  dieses  Bereich,  in  welches  die  Hirten 
mit  ihrem  Kleinvieh  vordrangen.  Neben  ihnen  war  freilich  vor  allem  die 
Nachfrage  nach  Holz  von  selten  der  Städte  ein  Hauptgrund  ausgedehnter 
Abforstung.  Die  Häuser  Roms  waren  noch  nach  Christi  Zeit  fust  durchweg 
aus  Holz  und  hochstöckig  (Stockwerke);  die  allerorten  verbreiteten,  täglichen 


440  Wilhelm  GOtz: 

massenhaften  Warmbäder  heischten  die  größten  Mengen  desselben  und  hiefien 
in  Holzkohlen  verarbeiten,  was  man  nur  auf  den  Höhen  zu  fällen  vermochte. 
£in  keineswegs  zureichender  £rsatz  erwuchs  in  den  aofkonmaenden  Kastanien- 
hainen der  Mittelzone  und  den  Fruchtbftnmen  der  verschiedenen  Höhenlagen. 
Daher  wird  denn  auch  schon  für  Plinius  das  Entstehen  von  Fiumaren  wahr- 
nehmbar, und  man  schafft  Schiffbauholz  aus  den  Alpen  nach  Mittel-Italien  (in 
der  Zeit  des  Tiberius).  Jedenfalls  gelangte  Italien  an  die  Grenze  unserer  Periode 
mit  einer  weitgehenden  Minderung  seiner  Bewaldung.  Hiermit  aber  war  ein 
gesteigertes  Auftreten  von  Hochwassem  und  starkei'  Gegensatz  des  Wasser- 
standes der  Flüsse  in  der  niederschlagsarmen  Sonunerzeit  gegeben:  es  begann 
zu  Ende  dieser  Zeit  da  und  dort  das  Entarten  der  Floßläufe  und  besonders 
ihrer  Mündungsstrecken  in  Mittel-  und  Ünter-Italien. 

Jedoch  wuchsen  die  Aufschüttungen  der  großen  Flüsse  an  ihrer  Mündung 
noch  immerhin  langsam.  Es  war  ja  namentlich  Ober-Italien  noch  weit  besser 
bewahrt  vor  Waldabschwendung.  Schon  der  Zustand  Liguriens,  gänzlich 
verschieden  von  jenem  der  späteren  Zeit,  zeugt  hiervon.  Wie  der  Po  trotz 
seines  damals  nach  Südost  gerichteten  Hauptmündimgsarmes  keineswegs  die 
dortige  große  Lagune  zuschüttete,  so  war  auch  das  erstehende  Aquileja  auf 
Jahrhundei'te  durch  einen  damaligen  Nebenfluß  des  Isonzo  mit  dem  Meere  in 
Verbindung.  Eine  größere  Anzahl  oder  größere  Flächen  von  Seen  erglänzten 
am  Fuße  der  Alpen  oder  doch  im  nördlichen  Polande. 

Im  Süden  Italiens  hatte  man  dagegen  gewaltsamere  Natorvorgänge  zu 
verzeichnen  als  später:  die  Eruptivberge  waren  zahlreicher  tätig  (Monte  Al- 
bano,  Ischia)  und  einzelne  Ausbrüche  des  Ätna  und  des  Vesuv  mächtiger  als 
jemals  später;  man  befand  sich  immerhin  den  endpliocänen  Senkungsvorgängen 
und  dem  Entstehen  begleitender  Bruchlinien  um  eine  beachtenswerte  Zeit- 
spanne näher.  Weniger  heftig  scheinen  dagegen  die  Erdbeben  fühlbar  ge- 
worden zu  sein,  oder  man  war  vielleicht  zu  sehr  an  die  seismische  Bewegung 
gewöhnt,  als  daß  man  über  sie  berichtete.  Jedenfalls  aber  erfuhr  das  Land 
eine  durchgreifendere  nachteilige  Einwirkung  auf  sein  Aussehen  erst  vom 
Ende  unserer  Periode  an,  dadurch  daß  Rom  durch  Constantin  und  dann 
durch  die  Reichsteilung  dekapitalisiert  wurde:  es  versiegte  ein  Strom  von 
Geld  und  Gut,  welcher  bisher  der  Hauptstadt  und  durch  sie  zugleich  Italien 
jahraus  und  -ein  zugeflossen  war.  Hiermit  schwand  auch  der  Vorzug  der 
errungenen  Lage  mehr  und  mehr  dahin. 

Die  Lage  Italiens  war  die  denkbar  günstigste  geworden.  Die  Mittel- 
meerländer waren  abgesehen  von  Ost-Asien  und  Nord-Indien  der  civilisierte 
orbis  terrarum,  Italien  aber  das  beherrschende  und  empfangende  Central- 
land  geworden,  zusammengefaßt  zu  einem  wirtschaftlich  und  politisch  be- 
vorzugten Innengebiet.  Vom  Meere  umgrenzt,  konnte  es  alle  Vorteile  der 
spendenden  Provinzen  in  beliebigem  Ausmaße  allein  genießen  und  in  seiner 
topischen  Mittellage  nach  allen  Seiten  hin  sich  Vorteile  neu  zuwenden  oder 
sichern.  Die  Nachbarländer  über  dem  Wasser  und  an  der  Kontinentseite  Ita- 
liens waren  das  Umland  des  letzteren,  für  welche  die  Zufuhr  von  materiellen 
Mitteln  und  geistigen  Anregungen  nach  Rom  und  Italien  eine  Hauptaufgabe 
ihres  Lebens  bildete.     Dadurch  konnte  dann  auch  das  herrschende  Land  seine 


Züge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie.  441 

einzigartige  Kultur  so  durchgreifend  und  nachhaltig  diesen  weiten  Territorien 
zum  Gremeingut  werden  lassen. 

3.  Periode.     400—1650  n.  Ohr. 

Daß  die  Küstenlinien  Italiens  nach  dem  Orient  zeigen,  erwies  sich  auch 
in  dieser  Periode,  welche  so  viele  Faktoren  des  Niedergangs  und  der  land- 
schaftlichen Verarmung  in  sich  schließt,  als  mehrfach  segensreich.  Dorthin 
entwickelte  sich  Seekandel,  dadurch  Unternehmungsgeist,  und  durch  diesen 
erhielt  das  zurückgegangene  Städteleben  und  die  Gewerbtätigkeit  nach  wenig 
Jahrhunderten  neue  weitgreifende  Impulse.  Allerdings  ist  es  auch  die  eigene 
Geistesbeschaffenheit  der  longobardisch-keltisch-lateinischen  Bevölkerung  Ober- 
Italiens  gewesen,  welche  aus  sich  selbst  das  so  tatkräftig  vorwärtsstrebende, 
in  Wohlstand  blühende  Städtewesen  der  Tiefebene  hervorbrachte.  Die  Um- 
änderung weiter  Gebiete  der  letzteren,  in  ertragreichstes  Gras-  und  Ackerland 
durch  die  zugleich  für  den  Gewerbebetrieb  hergestellten  zahlreichen  Kanäle 
kam  jetzt  zu  wege,  wenn  sie  auch  noch  weitere  Steigerung  besonders  im 
19.  Jahrhundert  erfahr.  Im  8.  und  9.  Jahrhundert  wanderte  die  Seiden- 
raupenzucht und  die  Verbreitung  des  Maulbeerbaimis  ein;  freilich  erlitt  nun 
auch  das  Bereich  der  Südalpen  den  Verlust  seiner  Bewaldung  für  die  Städte, 
zwischen  Como  und  Brescia  noch  besonders  durch  die  hier  schon  seit  Karl  dem 
Großen  als  bedeutend  bekannte  Eisen-  und  Stahlverarbeitong.  Der  Seeverkehr 
mit  seinem  Schiffsbedarf  diente  dem  gleichen  negativen  Zweck  im  ganzen 
Westen  der  Halbinsel.  So  kam  es  in  dieser  Zeit  zur  Ausbildung  der  Macchien 
in  den  Niederungen  nahe  der  See  und  auf  den  Unterzonen  der  Bergzüge. 
Insbesondere  entstanden  mehr  und  mehr  die  Fiumaren,  diese  Stellvertreter 
der  Wadis  der  Wüstenländer;  nur  daß  der  ersteren  GeröUe,  welche  nach 
Regentagen  durch  die  stürmischen  Wasser  in  engem,  tiefem  Taleinschnitt  aus 
den  Berghöhen  herausgeführt  werden,  weit  schädlicher  sind  durch  ihre  Über- 
deckung und  ihr  Hegen  von  Krankheitserregern.  —  Im  Süden  freilich  war 
auch  die  ursprünglich  von  Osten,  dann  vom  nahen  Afrika  herüberkonmiende 
ethnographische  Bewegung  überaus  wichtig:  die  Araber  brachten  nach  Sicilien 
im  neunten  Jahrhundert  ihre  hochausgebildete  Bewässerungstechnik,  um  hier 
Orangen-  und  Zitronenpfianzimgen  pflegen  zu  können,  Beis,  Zuckerrohr  und 
Baumwolle  anzusiedeln,  auch  die  Korkeiche  zu  verbreiten.  Welche  Bedeutung 
dies  für  das  Aussehen  von  ganz  Ost-Sicilien  und  unteritaliseher  Landschaften 
hatte,  ist  klar.  Jedoch  einerseits  der  Araber  und  ihrer  Glaubensgenossen 
lange  Ausübung  von  Menschenraub,  andrerseits  die  Tyrannei  der  reichen  ita- 
lischen Geschlechter  führten  zum  Aufgeben  der  Ansiedlungen  an  der  Küste 
des  südlichen  Unter-Italien,  deren  Verödung  und  physische  Verwilderung  die 
Folge  war. 

Mannigfaltige  Änderungen  in  der  Bodengestalt,  an  den  Küsten  und  in 
Flußläufen  kamen  in  diesen  Jahrhunderten  zunehmender  Beseitigung  der  Wald- 
und  sonstigen  Pflanzendecke  der  Berggebiete  zu  Stande.  Sehr  beträchtlich 
änderte  die  Natur  und  das  methodische  Eingreifen  der  Staatsgewalt  die 
Mündungsverhältnisse  der  ober-italischen  Flüsse  (Isonzo,  Piave,  Brenta  und 
Po).  Seen  trockneten  in  Ober-  und  Mittel-Italien  aus  oder  erfuhren  weit- 
gehende Abschnürungen    (wie   jener  von  Como);    Bergschlipfe  imd  ErdfäD 

Oeo^rapbitche  Zeltiolurift.  0. Jahrgang.  190.*).  S.Heft  30 


442  Wilhelm  Götz: 

(Dolinenbildnng)  traten  in  der  Außenzone  der  Alpen  ein.  Auch  in  Mittel- 
Italien  wurde  die  negative  oder  kontinentale  Strandverschiebung  meist  durch 
Aufschüttungen  ausgiebig,  besonders  von  Spezzia  an  bis  zum  (}olf  von  Salemo 
an  zahlreichen  Strecken,  wenn  auch  am  Golf  von  Neapel  ein  Sinken  des 
Landes  erfolgte.  Die  Schiffbarkeit  der  Flüsse,  welche  am  Ende  der  vorigen 
Periode  wiederholt  gepriesen  wurde,  hörte  auf,  während  in  Städten  imd  auf 
Straßen  eine  erfolgreiche  Auflagerungsarbeit  der  Atmosphärilien  mit  den 
Staubmassen  des  weithin  trockenen  Landes  vorgenommen  wurde.  Aber  der 
Reichtum  der  Industriestädte  des  Polandes  und  jener  der  Seehandelsplätze 
oder  von  Florenz  sorgte  doch  noch  ausgiebig  für  Entlohnung  einer  rührigen 
Bepflanzung  des  Niederlandes  und  der  unteren  Höhenstufen,  auf  denen  Wein 
und  Olive  ertragsreich  blieben,  wenn  auch  die  Armseligkeit  der  Hütten  und 
Dörfer  der  Pächter  einen  immer  stärkeren  Gegensatz  zu  dem  Beichtum  der 
Renaissance  in  den  Städten  und  Adelssitzen  darstellte. 

Die  Lage  blieb  gleichwohl  eine  bevorzugte.  Die  physisch  gesicherten 
Vorteile  der  Mittelmeerlage  konnten  um  so  weniger  entschwinden,  weil  kein 
anderes  (rebiet  an  diesem  Innenmeere  einen  Vorsprung  in  seiner  Ausstattung 
und  in  anthropogeographischer  Hinsicht  überhaupt  während  dieser  Periode  er- 
langte, auch  nicht  Spanien  trotz  seiner  Städte,  maurischen  Kultur  und  seines 
intoleranten  Königtums,  welches  letztere  zerstörte.  Es  behielt  aber  Italien, 
namentlich  auch  in  Folge  des  wirkungsvollen  Ersatzes  für  frühere  Verluste, 
wie  sie  die  Entwicklung  des  Papsttums  brachte,  die  Lage  des  Vermittlungs- 
landes, wenn  ae  auch  gegen  Süden  sich  abschwächte,  wo  die  feindselige 
Macht  des  Islam  immer  höhere  Schranken  zog,  nachdem  die  Kreuzzüge  dies 
keineswegs,  etwa  als  Gegendruck,  bewirkt  hatten. 

4.  Periode.     1550—1870. 

Die  Selbstausschließung  von  den  großen  Entdeckungen  und  dem  neuen 
Weltverkehr  brachte  für  Italien  zwar  langsam,  aber  doch  im  ganzen  einen 
sehr  fühlbaren  Rückgang  hinsichtlich  seines  Pfianzenkleides  und  damit  Düiftig- 
keit  gegenüber  der  Aufgabe,  Schäden  der  jetzigen  Landesnatur  zum  Besseren 
zu  wenden.  Allerdings  konnte  es  bei  der  Verbreitung  neuer  Produkte  in 
Europa  dank  seinem  Klima  nicht  leer  ausgehen.  Aber  abgesehen  von  der 
Goldorange,  der  Tomate,  der  Agave  und  dem  Tabak  war  es  nur  der  Mais, 
welchen  man  bald  einbürgerte  und  sehr  ausgiebig  anbaute.  Die  Ausbildung 
der  Kanalisation  im  Norden  und  die  Erhöhung  der  Flußsohle  des  Po  ver- 
anlaßte  zu  ausgedehnterer  Reisproduktion.  Das  Bedürfnis  nach  Mehrung  des 
Exportes  ließ  auch  zahlreichere  und  ausgedehntere  Obsthaine  entstehen,  be- 
sonders an  Küstenstrichen.  Aber  die  Entwaldung  setzte  man  fort:  die  Ge- 
nügsamkeit der  Hirtenbevölkerung  und  der  erhöhte  Geldbedarf  der  ver- 
pachtenden Großgrundbesitzer  ließ  für  jene  großenteils  das  Weiden  von  Kleinvieh 
noch  als  das  lohnendste  oder  doch  für  sie  zureichende  Gewerbe  erscheinen, 
daneben  die  Herstellung  von  Holzkohlen,  um  einiges  Bargeld  zu  gewinnen. 
So  mußten  denn  in  vermehrtem  Maße  die  schon  in  der  Zeit  der  vorigen 
Periode  wiederholt  verzeichneten  Folgen  eintreten,  welche  der  Mangel  schützen-, 
der  Walddecke  auf  den  mergeligen  Und  sonst  tonreichen,  wenig  harten  Boden- 
schichten  venu-sacht.     Unzählige   verderbliche  Bergschüpfe   und   Rutschungen 


Züge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie.  443 

erfolgen,  durch  welche  wohlangebaate  sanfte  Gehänge,  so  und  so  yiele  Tal- 
flächen zerstört,  Ortschaften  zertrümmert  und  die  Bewohner  entmutigt  werden. 
Allerorten  im  Apenninengebiet  und  noch  westlich  desselben  erscheinen  diese 
Miniaturkatastrophen,  eine  schwer  zu  beseitigende  Wirkung  der  vorausgehenden 
Waldsünden.  Die  immer  stärkere  Abfuhr  von  Geröll  und  Geschiebe  aus  den 
Erhebungsgegenden  schließt  sich  dem  an,  und  dadurch  zeigen  sich  die  vielen 
Veränderungen  an  den  Küsten  Italiens  in  dieser  Periode  notwendig  noch  aus- 
giebiger, als  sie  es  schon  vorher  getan.  Denn  dies  bedarf  einer  besonderen 
Hervorkehrung,  daß  kein  Land  in  Europa  in  gleich  großem  Ausmaße  oder  in 
ebenso  raschem  Erfolge  seine  Meeresgrenze  abändert.  Die  Deltas,  die  Neuland- 
bildungen durch  Anschwenmiung,  die  Nehrungs-  und  Strandseenherstellung 
und  deren  Zuschüttung  ergeben  eine  lange  Beihe  von  Konstatierungen.  Frei- 
lich eine  Wiederaufforstung  des  Apennin  bis  zu  dem  früheren  Stande  zur 
Zeit  der  altrömischen  Bürgerschaft  würde  auch  dann  nicht  vor  sich  gehen, 
wenn  Italien  die  ünsunmien  und  die  Autorität  hätte,  dies  durchzuführen; 
denn  die  Bodenfeuchte  der  Vorzeit  kehrt,  auf  den  Bergen  nicht  mehr  wieder. 
Die  Lage  Italiens  aber  wurde  mehr  und  mehr  bis  zum  vierten  Jahr- 
zehnt des  vergangenen  Jahrhimderts  eine  peripherische.  Dies  vor  allem 
deshalb,  weil  die  europäische  Kulturgemeinschaft  im  Süden  und  nunmehr 
auch  im  Osten  der  Halbinsel  durch  den  Islam  in  abweisender  Schärfe  eine 
Grenze  gezogen  erhielt,  eine  Einengung,  welche  bei  dem  vorhandenen  Mangel 
italienischer  Politik  und  Handelspolitik  (trotz  der  fortbestehenden  kleinen 
Handelsstaaten  und  Venedigs)  nicht  beseitigt  werden  konnte. 

Erdkandliche  Urgachen  and  Folgerungen. 

Die  beiden,  so  verschieden  von  der  Natur  ausgestatteten  Länder  bezeugen 
zunächst,  daß  solche  Gebiete  der  gemäßigten  Zone  mit  kulturell  fortschreitender 
Bevölkerung  einen  beharrlichen  Vorgang  in  der  fortdauernden  Änderung  ihres 
Aussehens  aufweisen:  die  Minderung  des  in  den  obersten  Boden-  oder  Gesteins- 
schichten verfügbaren  und  offen  sichtbaren  Wassers.  Sehr  beachtenswerte 
Stimmen  sprechen  sich  zwar  dahin  aus,  daß  in  Mittel-Europa  der  Beweis  für 
eine  daraus  folgende  Erscheinung,  nämlich  für  die  Abnahme  des  Wasser- 
standes der  Flüsse  nicht  erbracht  sei.  Allein  die  Beobachtungen  sind  zunächst 
nur  auf  Einzelheiten  der  letzten  Jahrhunderte  gestützt,  welche  keine  einwand- 
freie Behauptung  gestatten  (wie  z.  B.  das  Flußniveau  an  alten  Steinbrücken, 
wo  doch  die  genaue  Kenntnis  des  Querprofils  und  der  Tiefe  des  Flusses 
für  die  Zeit  vor  2 — 3  Jahrhunderten  ganz  fehlt;  das  gleiche  gilt  von  Strom- 
schnellen wie  bei  Orsova  und  bei  Schandau).  Sodann  ist  es  ausgeschlossen, 
diesen  Versuch,  die  Abminderung  der  jährlichen  Flußwassermenge  zu  bestreiten, 
auch  auf  die  kleinen  Flüsse  zu  übertragen.  Denn  man  wird  kaum  einen 
Verwaltungsbezirk  in  Mittel-Europa  durchwandern  können,  ohne  durch  Augen- 
schein, Chronik,  Rechtsüberlieferungen  und  sonstige  historische  Tatsachen 
ausgiebig  die  Nachweise  zu  empfangen,  daß  das  fließende  Wasser  von  heute 
jenem  vor  tausend  Jahren  an  Menge  nachsteht.  Man  vergleiche  die  heutige 
schwäbische  Rezat  und  den  Gedanken  eines  Karl  des  Großen,  mit  ihr  seinen 
groß  in  Angriff  genommenen  Kanal  zu  speisen!     Ist  doch  notwendig  auch  in 

30* 


444  Wilhelm  GOtz: 

Folge  der  vielen  tausend  qkm  von  trocken  gelegten  Teichen,  Seen  und  Süm- 
pfen die  Menge  von  Ablanfwasser  geringer  geworden,  welches  nicht  etwa 
durch  direkt  den  Bächen  zurinnendes  Regenwasser  quantitativ  ersetzt  wird. 
Diese  Trockenlegungen  sind  aber  nicht  nur  ein  Ergebnis  menschlichen  Ein- 
greifens, sondern  zum  Teil  auch  von  zwei  anderen  Vorgängen. 

Das  Grundwasser  dringt  teilweise  allmählich  in  tiefere  Hori- 
zonte, eine  Tatsache,  welche  auch  ohne  vorgenommene  Messung  und  Erd- 
schichtanalyse nicht  abzulehnen  sein  wird.  Das  Grundwasser  in  seiner  unteren, 
dem  undurchlässigen  Fundamente  angehörigen  Strömungsmenge  befindet  sich 
bekanntlich  zumeist  in  einer  Gesteins-  oder  Erd-Schicht  von  großer  Wasser- 
kapazität So  groß  auch  letztere  sei,  so  wird  diese  Schicht  (gerade  auch  in 
Folge  der  Vorwärtsbewegung  des  Wassers)  nach  einem  größeren  Zeitraum  bis 
über  die  Grenze  ihrer  Auüiahmefähigkeit  mit  Wasser  getränkt;  dessen  stärkere 
Quantitäten  in  niederschlagsreichen  Zeiten  bewirken  notwendig  eine  Abschwä- 
chung  der  Kohäsion  und  der  gegen  unten  abschließenden  Dichte  der  Mineral- 
teile der  Grundwassersoble:  Wasser  vermag  in  die  nach  unten  folgende 
Schicht,  wenn  auch  noch  so  langsam,  abwärts  zu  dringen.  So  verteilt  sich 
dann  das  einsickernde  Niederschlagswasser  in  einem  größeren  Volumen  der 
Erdrindenlagen,  und  es  erfolgt  damit  ein  Zweifaches:  es  wird  mehr  Wasser 
innerhalb  der  beteiligten  Erdschichten  sich  bewegen  als  früher,  und  es  wer- 
den die  Austritte  von  Wasser  an  das  Tageslicht  weniger  als  früher  versorgt. 

Dies  erhält  eine  Unterstützung  dadurch,  daß  die  fortschreitende  Ver- 
witterung imnaer  mehr  Wasser  bindet.  Bekanntlich  wird  die  Verwitte- 
rung durch  die  Einwirkung  des  Wassers  und  des  Temperaturwechsels  herbei- 
geführt. Die  Zersetzung  in  Folge  bodenchemischer  Vorgänge  unter  Mitwirkung 
der  Elemente  der  Luft  tritt  als  vorangehende,  begleitende  und  Weiterführende 
Auflösungsaktion  noch  hinzu.  Die  Verwitterung  hat  natumotwendig  zunächst 
unter  der  Oberfläche  des  Festbodens  und  besonders  des  festen  Gesteins  immer 
durchgreifenderen  Erfolg  von  Jahihundert  zu  Jahrhundert.  In  Folge  dessen  muß 
sie  immer  fortschreitend  in  den  nächsttieferen  Schichten  ein  verwandtes  Ge- 
schick £^lbahnen  oder  vorbereiten.  Da  das  Wasser  und  der  Temperaturwechsel 
die  Träger  der  Verwitterung  sind,  so  wird  letztere  ihren  vorbereitenden  Ein- 
fluß so  tief  vordringen  lassen  können,  als  sich  die  Temperatur  der  Jahres- 
zeiten bemerkbar  macht,  d.  i.  in  unserem  Klima  zur  Zeit  28 — 30  m  imter 
der  Erdoberfläche.  Wenn  auch  Wald  und  Pflanzendecke  gegenüber  den  Wärme- 
gegensätzen im  Boden  abschwächend  wirken,  so  ist  doch  das  Grundwasser 
unter  dem  Wald  nahezu  in  völlig  gleichem  Niveau,  wie  im  freien  Felde  un- 
weit davon.  Daher  verhält  sich  dies  ganz  anders,  als  z.  B.  neuerdings 
Ototzky  es  lehrte.  Alle  verwitterten  Lagen  beherbergen  weit  mehr  Wasser 
als  die  festeren;  insbesondere  bindet  ja  vor  allem  Ton,  dieses  bleibende  Mineral 
verwitterten,  ja  auch  zersetzten  Gesteines,  beträchtlich  viel  Wasser.  Wenn 
also  die  Verwitterung  imd  damit  die  Menge  von  lockerem  Material  und  Ton- 
erde zunimmt,  so  wird  auch  immer  mehr  einsickerndes  Wasser  absorbiert, 
wird  von  der  Oberfläche  her  aufgenommen,  aber  nicht  wieder  an  diese  abgegeben. 

Durch  die  Verwitterung  und  das  Durchdringen  durch  die  Grund wasser- 
soblen  werden  daher  die  Quellen  schwächer  oder  an  Zahl  geringer,  wenn  auch 


Züge  and  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie.  445 

sehr  langsam ;  die  Durchtrftnkung  der  obersten  Bodenschicht  mit  Wasser  mindert 
sich.  Die  Wasseraustritte  erfolgen  a>lso  in  tieferem  Horizont.  Bäche  haben 
heute  vielenorts  ihren  Anfang  weiter  abwärts  im  Tale  als  vor  wenig  tausend 
Jahren;  die  Seespiegel  sinken,  wie  in  allen  Erdteilen  kräftig  bezeugt;  eine 
Aralsee -Ausnahme  ist  in  ihrer  Vereinzelung  kein  Gegenzeugnis  I  Die  seit- 
lichen Moorzuflüsse  aus  Quellen  ihres  Randes  werden  schwächer;  im  Hoch- 
und  in  Mittelgebirgen  ist  die  Waldgrenze  seit  wenig  Jahrhunderten  dauernd 
gesunken;  die  „Verwüstung^',  z.  B.  in  Asien,  und  die  Preisgebung  trockenen 
Bodenmaterials  an  den  Windtransport  nimmt  ebenso  erwiesenermaßen  zu 
(in  Inner-  und  Vorder- Asien,  der  arabischen  Wüste,  in  Ägypten  und  anderswo). 

Die  Behauptung,  daß  diese  Symptome  nur  zeitweiser  Art  seien,  oder 
das  Anzweifeln  einzelner  derselben,  ebenso  das  Verlangen  nach  zahlenmäßiger 
Zeitangabe  für  das  Eintreten  dieser  und  jener  angedeuteten  konkreten  Tat- 
sache: dergleichen  würde  nur  dann  nicht  bedeutungslos  erscheinen,  wenn  die 
Naturnotwendigkeit  der  beiden  wasserentziehenden  Prozasse  mit  Erfolg  be- 
stritten werden  könnte. 

Immerhin  kann  man  versuchen,  dieselben  auf  anderem  Wege  als  un- 
wirksam zu  bezeichnen.  Es  käme  als  Einwand  in  Betracht:  der  Hinweis  auf 
den  Ersatz  durch  Tiefenwasser  und  jener  auf  Kondensations-  und  Boden- 
wasser, sowie  auch  auf  die  Beeinflussung  der  Verdunstung  und  auf  die  der 
Speisung  des  Meeres  durch  die  Flüsse. 

Zunächst  ist  es  Tatsache,  daß  sehr  tief  unter  den  oberen  festen  Gesteins- 
schichten große  Wassermassen  da  und  dort  verteilt  sind.  Die  seitlichen 
Wasserausbrüche  bei  vulkanischen  Eruptionen,  die  kraftvollen  Thermen,  ge- 
fährdende Wasserfluten  in  so  und  so  großer  Kilometertiefe  bei  Tunnelbohrungen 
u.  dergl.  sprechen  zu  Gunsten  derer,  für  welche  auch  nach  Anerkennung  von 
mehreren  Grundwasserhorizonten  unter  einander  noch  besondere  Ansammlungen 
von  Wasser  in  bedeutenderer  Tiefe  existieren.  Allein  wenn  auch  große  Mengen 
aus  ihnen  auf  die  Oberfläche  gebracht  werden,  so  kommen  sie  von  vorn- 
herein nur  an  einigen  wenigen  Punkten  in  Betracht,  werden  aber  für  unsere 
Hauptfrage  dadurch  belanglos,  daß  sie  in  früheren  Äonen  naturgemäß  ebenso 
emportraten,  ja  höchstwahrscheinlich  bedeutend  mehr,  da  der  Festigungs- 
vorgang der  Erdrinde  doch  fortschreitet. 

Diese  Tiefenwasser  sind  aber  wohl  großenteils  örtliche  Ausammlungen 
des  Kondensationswassers,  welches  aus  Horizonten  stammt,  die  dem  Erd- 
centrum noch  etwas  näher  liegen.  Gewiß  besteht  eine  Art  Notwendigkeit, 
daß  Wasserdampf  in  Folge  seiner  Spannung  aus  tieferen,  heißeren  Kugelschalen 
der  Erde  nach  oben  drängt,  und  daß  in  Folge  der  hier  abnehmenden  Hitze  bei 
gesättigtem  Zustande  Wasserausscheidungen  vor  sich  gehen.  Allein  die  Spannung 
des  wasserhaltenden  Gases  ist  von  vornherein  schwächer  als  jene  anderer 
Gase;  sodann  wird  beim  Fortschreiten  nach  oben  in  geminderter  Wärme  der 
Spannungs-  und  der  Sättigungszustand  immer  fraglicher,  weshalb  die  Mög- 
lichkeit, daß  derartig  entstehendes  Bodenwasser  der  Erdoberfläche  nahe  komme, 
schon  theoretisch  nahezu  ausgeschlossen  erscheint.  Die  Beobachtung  und 
Messung  aber  hat  ja  diesbezüglich  erwiesen,  daß  die  wechselnde  Stärke  und 
Zahl  unserer  Quellen  mit  wenig  Ausnahmen  von  der  Größe  und  Dauer  der 


446  Wilh.  Götz:  Züge  und  Ergebnisse  einer  historischen  Geographie. 

Niederschläge  abhängt,  also  durch  eine  permanente  Verstärkung  von  unten 
her  nicht  bestimmt  wird.  Wie  wenig  letzteres  überhaupt  wirken  könnte, 
deuten  wohl  auch  andere  Umstände  an.  Weder  in  tiefen  Bergwerksschachten 
vermag  man  die  sogenannte  „Bergfeuchtigkeit"  auf  etwas  anderes  als  auf 
die  Durchdringbarkeit  des  Gesteins  von  oben  her  zurückzuführen,  noch  hat 
die  lange  recente  Erdzeit  dafür  ausgereicht,  daß  z.  B.  die  mächtige  Eisboden- 
schicht Sibiriens  (ganz  abgesehen  von  der  bekannten  Bohrung  zu  Jakutsk 
jedenfalls  auf  80  m  Mächtigkeit  angenommen)  von  unterirdischem  warmem 
Kondensationswasser  noch  immer  keineswegs  beseitigt  zu  werden  vermag.  Die 
Feuchte  aber,  welche  wir  in  den  Dünenwällen  und  -tälem  der  Sahara  bald 
unter  der  obersten  Schicht  treffen,  ist  eine  Erscheinungsform  des  sogenannten 
Bodenwassers,  welches  als  Kondensationsprodukt  namentlich  der  nächtlichen 
Tenotperaturgegensätze  ebenso  bei  uns  in  jeder  Sandanhäufung  während  warmer 
Witterung  vorgefunden  wird. 

Endlich  vermögen  wir  auch  in  dem  Hinweis  darauf,  daß  bei  vermehrter 
Wasserbindung  weniger  verdunsten  müsse,  und  daß  die  Flüsse  das  Meer  in 
schwächerem  Maße  versorgen  würden,  sowie  sogar  auch  die  Niederschläge 
sich  abmindern  müßten,  ene  widerlegende  Kraft  nicht  zu  finden.  Daß  die 
Niederschläge  notwendig  geringer  werden  mußten,  wenn  so  viele  Wasser- 
flächen aufhörten  und  das  Grundwasser  merklich  sank,  erscheint  allei*dings 
als  natürliche  Folge  jener  beiden  permanenten  Vorgänge.  Jedoch  könnte 
immerhin  die  wirksamere  Intensität  der  Bestrahlung  in  der  weniger  feucht  ge- 
wordenen Atmosphäre  die  Entstehung  von  Regen  und  freilich  auch  die  Ver- 
dunstung trotz  allem  im  früheren  Ausmaße  erhalten  haben.  Daß  aber  das 
Meer  von  Seiten  der  Flußmündungen  heute  nicht  mehr  die  gleiche  Masse  von 
Süßwasser  erhalte  als  vor  etlichen  Jahrtausenden,  kann  schwerlich  bezweifelt 
werden.  Wenn  wir  keine  ausgedehnte  kontinentale  Strandverschiebung  wahr- 
nehmen, so  erscheint  dies  völlig  angemessen.  Denn  die  Notwendigkeit  einer 
marinen  oder  positiven  Strandverschiebung  läge  vor  in  Folge  der  massenhaften 
Sedimentierung,  welche  gerade  auf  dem  Kontinentalblock  oder  in  der  Nach- 
barzone der  Küste  beträchtlich  sein  müßte.  In  letzterer  kann  man  schwerlich 
die  Hypothese  von  ausgleichender  Senkung  des  Meeresgrundes  hier  zu  Hilfe 
nehmen;  dies  möge  den  abyssischen  Regionen  zunächst  vorbehalten  bleiben! 
Aber  weil  das  Meer  weniger  Wasser  vom  Festboden  her  aufzunehmen  hat 
als  früher,  darum  kann  sich  am  Meeresgrunde  in  der  Kontinentalblockzone 
viel  zugeführtes  Material  der  Flüsse  sedimentieren,  ohne  daß  der  Wasser- 
spiegel steigt 

Nach  dem  allen  wird  also  der  Mensch  nur  im  Stande  sein,  die  Ver- 
armung in  Bezug  auf  fließendes  Wasser  und  das  Sinken  der  Grundwasserhöhe 
durch  Pflege  der  schützenden  Pflanzendecke  zu  verlangsamen;  allein  er  ver- 
mag diesen  Naturprozeß  nicht  hintanzuhalten.  Eine  Wiederkehr  eiszeitlichen 
oder  verwandten  Klimas  in  unseren  Breiten  würde  gleichfalls  nur  eine  Hem- 
mung großen  Stiles  für  denselben  bringen,  vor  allem  in  vereisten  Landflächen, 
wo  der  Boden  gefroren  bliebe. 

Jedoch  konnte  auch  die  Bevölkerung  der  besprochenen  und  geographisch 
verwandter  Länder  mit  all  ihrer  bezüglichen  Tätigkeit  den  steten  Selbstvoll- 


F.  Thorbecke:  Der  XTV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.       447 

zug  des  in  Rede  stehenden  Vorganges  nur  in  geringem  Maße  beschleunigen: 
Bei  der  atmosphärischen  Beschaffenheit  unserer  geographischen  Breite  (ihre 
Dauer  vorausgesetzt)  bewegt  man  sich  auch  wohl  schon  jenseits  der  Grenze 
bloßer  Hypothesen,  indem  man  eine  Reihe  von  Jahrtausenden  für  nötig  er- 
klärt, um  jene  Wasserbindungen  zu  einer  bedrängenden  Verarmung  an  ver- 
fügbarem Wasser  in  Mittel-Europa  werden  zu  lassen.  Dies  auch  deshalb,^ 
weil  die  Mehrung  der  vom  Boden  gebundenen  Wassermenge  doch  auf  be- 
trächtlche  Zeit  Gewächsen  mit  tiefgreifenden  Wurzeln  günstig  ist.  Deshalb 
wird  es  wohl  eine  Perspektive  von  der  eben  erwähnten  Längsachse  späteren 
Zeiten  gestatten,  noch  eine  Anzahl  von  Perioden  historischer  Geographie  den 
hier  skizzierten  anzuschließen. 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  KSln. 

Von  P,  Thorbeoke  in  Heidelberg. 
(Schluß.) 

Landeskunde  des  Rheinlands. 

Die  fünfte  Sitzung  unter  dem  Vorsitz  von  Geh.-Rat  Rein  aus  Bonn 
am  Vormittag  des  4.  Juni  war  der  Landeskunde  des  Rheinlands  ge- 
widmet; ihre  Vorträge  sollten  zugleich  auf  die  „morphologischen"  Exkursionen 
vorbereiten. 

Zuerst  sprach  Prof.  Dr.  A.  Philippson  aus  Bonn  über  die  Morpho- 
logie des  rheinischen  Schiefergebirges.  Es  ist  ein  im  Laufe  der 
Jahrtausende  allmählich  zum  Rumpfgebirge  abgeschliffenes  altes  Faltengebirge, 
aufgebaut  aus  stark  gefalteten  paläozoischen  Tonschiefern  und  Grauwacken 
des  Unter-Devons.  Ob  wir  hier  die  ungeheuren  Wirkungen  der  zerstörenden 
Kräfte  des  fließenden  und  spülenden  Wassers  zu  erblicken  haben,  oder  ob  die 
Meeresbrandung  des  Trias-Meeres  zur  Ausgestaltung  dieses  Horstes  beigetragen 
hat,  will  der  Redner  nicht  untersuchen;  er  hält  aber  das  letztere  für  wahr- 
scheinlicher. Die  Buntsandsteindecke ,  die  die  eingeebneten  Faltenzüge  teil- 
weise überdeckt,  ist  aus  den  Zerstörungsprodukten  des  alten  Devongebirges 
zusanunengesetzt.  Jedenfalls  ist  auch  nach  der  Buntsandsteinbildung  die  Ein- 
ebnung des  Gebirgs  noch  weiter  fortgeschritten.  Seen,  Lagunen  und  Sumpf- 
bildungen aus  dem  mittleren  Tertiär  treten  in  der  Kölner  Bucht,  in  der 
Ville,  im  Neuwieder  Becken  und  an  andern  Orten  auf.  Nachher  müssen  sehr 
bedeutende  Hebungen  und  Senkungen  im  ganzen  Gebiet  stattgefunden  haben. 
Diese  zahlreichen  jungem  vertikalen  Verschiebungen  sind  auch  auf  die  Fluß- 
läufe nicht  ohne  Einfluß  geblieben.  Der  Rhein  durchbricht  das  Schiefer- 
gebirge an  seiner  schmälsten  Stelle,  die  Mosel  folgt  der  Trierer  Bucht.  Die 
Durchbruchstäler  im  Schiefergebirge  sind  das  Werk  der  Flüsse  selbst.  Diese 
Erosionstäler  sind  aber  keineswegs  in  die  Höhe  der  Einbrüche  eingetragen, 
sie  gehen  bis  höchstens  300  m,  sie  sind  Tröge,  auf  deren  Boden  die  Flüsse 
fließen.  Denmach  sind  folgende  Formelemente  zu  unterscheiden:  die  Erosions- 
täler der  Flüsse,  die  beiden  Trogflächen  dieser  Flüsse,  die  abseits  liegenden 
hohen  Teile  des  Rumpfgebirges,  die  horizontal  gelagerten  Tertiärschichten, 
die  Einbruchsbecken  und  die  vulkanischen  Formen.  Diese  einzelnen  Form- 
elemente kennzeichnete  der  Voriragende  dann  näher  an  Beispielen  aus  den 
Gegenden,   die  von  den  Geographen  besucht  werden  sollten,   und  kam  dabei 


448  y-  Thorbecke: 

zu  dem  Sdüusse,  daß  das  im  ganzen  als  einförmig  yerschrieene  Schiefer- 
gebirge  doch  eine  Fülle  von  morphologischen  Problemen  biete,  die  zum  Teil 
erst  angeschnitten  seien.  Ihre  genauere  Kenntnis  verdanke  man  den  Arbeiten 
des  Bezirksgeologen  Dr.  Kaiser^)  aus  Berlin,  der  zuerst  in  die  Meßtisch- 
blätter Höhenschichten  eingezeichnet  habe.  Es  sei  freudig  zu  begrüßen,  daß 
die  preußische  geologische  Landesanstalt  die  Spezialaufaahme  des  Schiefer- 
gebirges  energisch  in  die  Hand  genommen  habe;  man  dürfe  hoffen,  daß  diese 
Aufnahme  zu  ganz  neuen  morphologischen  Gesichtspunkten  führen  werde. 

Dann^  sprach  Dr.  Kaiser  selbst  an  der  Hand  einer  Höhenschichtenkarte 
in  1  :  25  000  über  die  Ausbildung  des  Rheintals  zwischen  dem  Neu- 
wieder Becken  und  der  Köln-Bonner  Bucht.  Als  niederrheinische 
Bucht  bezeichnet  man  die  weite  Niederung,  die,  mit  jüngeren  Bildungen  aus- 
gefüllt, sich  vom  Siebengebirge  weit  nach  Nordwesten  erstreckt.  Der  Teil, 
in  dem  der  Rhein  heute  in  einer  Höhe  von  55  bis  40  m  fließt,  wird  als 
Bonn-Kölner  Bucht  bezeichnet.  Sie  ist  ebenso  wie  das  Neuwieder  Becken 
durch  tektonische  Einbrüche  in  verhältnismäßig  junger  Zeit  entstanden«  Das 
Rheintal  selbst  hat  höchstens  seine  erste  Anlage  tektonischen  Vorgängen  zu 
verdanken.  Zu  seinem  größten  Teil  ist  es  ein  Erosionstal,  das  sich  stufen- 
förmig in  das  ältere  Gebirge,  in  die  Schichten  des  Devons  und  Tertiärs  so- 
wie in  tertiäre  vulkanische  Gesteine  eingeschnitten  hat.  Einzelne  Terrassen 
lassen  sich  auf  weite  Strecken  am  heutigen  Rheine  verfolgen.  Auf  ihnen 
liegen  Schotterablagerungen,  die  der  Rhein  in  den  Ruhepausen  zwischen  dem 
Einschneiden  absetzte.  Ihr  Material,  das  verschiedenen  ürsprungsgebieten 
entstammt,  läßt  die  Altersunterschiede  der  einzelnen  Terrassen  klar  erkennen. 
Die  älteste  Terrasse  liegt  an  der  Ahrmündung  etwa  210  bis  240  m  über 
dem  Meer,  sinkt  aber  nach  Norden  beträchtlich.  Ihr  Material  deutet  nament- 
lich auf  größere  Mengen  zerstörter  Kreide.  An  der  Oberfläche  ist  sie  nicht 
scharf  getrennt  von  der  nächst  jungem  Terrasse,  der  Hauptterrasse,  die  sich 
am  besten  zu  beiden  Seiten  des  Rheins  vom  Neuwieder  Becken  (bei  Linz  in 
einer  Höhe  von  180  bis  200  m)  bis  in  die  Kölner  Gegend  (zum  Vorgebirge 
bei  Königsdorf-Horrem,  in  120  bis  130  m)  verfolgen  läßt.  Tiefere  Terrassen 
treten  mannigfach  auf,  sind  aber  meist  nicht  durch  das  ganze  Gebiet  ver- 
folgbar. Die  Gegend  von  Linz  und  Remagen  bietet  gute  Beispiele:  besonders 
eine  Terrasse,  die  bei  Remagen  in  einer  Höhe  von  70  m  gut  aufgeschlossen 
ist,  nach  Norden  hin  an  Höhe  abnimmt,  bei  Köln  nur  noch  55  bis  60  m 
hoch  liegt  und  hier  die  ausgezeichnete  ebene  Terrassenfläche  bildet,  an  deren 
Rand  Müngersdorf  liegt,  die  von  der  Eisenbahn  zwischen  Müngersdorf  und 
Königsdorf  westlich  von  Köln  überschritten  wird. 

Nachdem  sich  der  Rhein  bis  in  dieses  Niveau  eingeschnitten  hatte, 
wurden  die  Gehänge  mit  Löß  überdeckt,  der  auch  im  Rheintal  viele  der 
Gesetzmäßigkeiten  wieder  erkennen  läßt,  die  schon  aus  andern  Lößgebieten 
bekannt  sind.  Bei  noch  tieferm  Einschneiden  entstand  die  heutige  Talfläche, 
in  der  noch  eine  Terrasse,  die  Niederterrasse,  vom  Überschwenunungsgebiet 
zu  unterscheiden  ist.  Alte  verlassene  Flußrinnen  lassen  sich  in  der  Nieder- 
terrasse namentlich  auf  der  linken  Rheinseite  von  Bonn  nach  Köln  ver- 
folgen. Die  Tiefe,  bis  zu  der  sich  der  Rhein  eingeschnitten  hatte,  liegt  bei 
Honnef  88  m  über  dem  Meere,  bei  Bonn  36  m,  bei  Widdig  35  m,  bei  Weiß 
unter  18  m,  bei  Köln  unter  7  m  über  dem  Meeresspiegel,  so  daß  die  Auf- 


1)  Dr.  Kaiser  ist  jetzt  mit  der  im  letzten  Jahr  begonnenen  geologischen  Be- 
beitung  der  Blätter  Ahrweiler  und  Linz  beschäftigt. 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  449 

sobüttongen  in  der  Form  Ton  lockern  Sanden  und  Geschieben  sowie  Lehm 
bei  Honnef  20  m,  bei  Bonn  17y,m,  beiWiddig  21  m,  bei  Weiß  34  m,  bei  Köln 
37  m  mächtig  sind.  Im  südlichen  Teile  des  Gebiets  nehmen  noch  Erzeugnisse 
jüngerer  Vulkane  an  der  Ausbildung  des  Reintales  teil.  Ein  großer  Teil 
namentlich  der  lockern  Answurfsprodokte  ist  jedoch  schon  wieder  durch  die 
Erosion  fortgeführt.  Die  genaue  Altersstellung  der  einzelnen  Vulkanaus- 
brüche, namentlich  im  Laacher  See-Gebiet,  gegenüber  den  verschiedenen 
Phasen  in  der  Entstehung  des  Rheintals  ist  bisher  nicht  erforscht  worden. 
In  der  Ausbildung  des  Rheintals  zwischen  dem  Neuwieder  Becken  und  der 
Bonn-Kölner  Bucht  zeigen  sich  Analogien  zu  andern  Gebieten,  wie  namentlich 
zur  oberrheinischen  Tiefebene  und  zum  Mainzer  Becken,  doch  sind  die  bis- 
herigen Untersuchungen  nicht  weit  genug  vorgeschritten,  um  genauere  Ver- 
gleiche zu  ermöglichen. 

Prof.  Dr.  Voigt  aus  Bonn  sprach  über  Überreste  der  Eiszeitfauna 
in  mittelrheinischen  Gebirgsbächen,  über  Fische  und  Strudelwürmer 
als  Rückstände  der  Eiszeit  im  Lande.  Von  Fischen  sind  bei  den  Gadiden, 
die  im  Tertiftr  von  Norden  her  einwanderten,  Lota  vulgaris  als  „Winter- 
laioher*'  hervorzuheben.  Das  Laichen  im  Winter  habe  die  Bedeutung,  daß 
zwar  das  erwachsene  Tier  den  veränderten  Lebensbedingungen  genügend  an- 
gepaßt sei,  um  sie  zu  ertragen,  daß  aber  für  die  zarten  Embryonen  die  Jahres- 
zeit beibehalten  werden  müsse,  die  den  früheren  klimatischen  Verhältnissen 
entspreche.  Bei  den  Salmoniden  könne  man  aus  der  zerstreuten  Verbreitung 
schließen,  daß  sie  von  Norden  her  zu  uns  zurückgedrängt  wurden  und  sich 
hier  nur  in  einzelnen  kälteren  Wässern  erhielten.  Die  Forelle  ist  ein  Winter- 
laicher.  Alle  anderen  mittelrheinischen  Fische  sind  Sommerlaicher,  der  Karpfen 
verlangt  z.  B.  19^  Wassertemperatur,  um  sich  fortzupflanzen,  er  ist  prä- 
glacial  und  starb  zur  Eiszeit  aus,  wurde  aber  später  wieder  eingeführt  — 
Von  Strudelwürmern  ist  Planaria  cUpina  ein  Relikt;  ihre  Vermehrung  erfolgt 
meist  im  Winter.  Fölygdis  comuta  vermehrt  sich  bei  niederen  Temperaturen 
geschlechtlich,  bei  höheren  ungeschlechtlich;  ähnlich  nimmt  Plancuria  gono- 
cephcUa  ein  niedriges  Temperatur-Optimum  in  Anspruch.  Die  Verbreitung 
dieser  Tiere  in  den  Bächen  hängt  von  der  Temperatur  ab.  Zum  Schluß  be- 
sprach der  Vortragende  das  staffelweise  Vorrücken  der  Strudelwürmer  in  den 
Bächen  von  der  Mündung  bis  zur  Quelle. 

Dr.  Fischer,  Privatdozent  der  Botanik  in  Bonn,  behandelte  Pflanzen- 
geographisches  aus  der  Rheinprovinz.  Einleitend  wies  er  auf  den 
engen  Zusammenhang  von  Pflanzengeographie  und  Erdbeschreibung  hin:  der 
Standort  schaffe  neue  Arten,  also  erzeuge  auch  die  weitere  Verbreitung  von 
Pflanzen  neue  Arten,  was  wirtschaftlich  von  Wert  sein  könne.  Von  den 
etwa  2223  echten  Bürgern  der  deutschen  Flora  enthält  die  Rheinprovinz  1333 
oder  60  Prozent;  sie  verdankt  diesen  Artenreichtum  ihrer  großen  meridio- 
nalen  Erstreckung  über  drei  Breitengrade  und  ihrer  Öffnung  nach  Süden  und 
Norden,  die  nach  der  Eiszeit  den  Kindern  Floras  leichten  Eingang  aus  beiden 
Richtungen  bot.  Ziemlich  groß  ist  die  Zahl  der  Pflanzen  des  Westens,  unter 
denen  das  aschgraue  Heidekraut,  Erica  cinerea^  in  der  Umgebung  von  Bonn 
als  einzigem  deutschen  Standort  vorkommt.  Die  subalpine,  die  Salz-  und 
Sandflora  ist  in  der  Rheinprovinz  nur  mit  wenigen  Arten  vertreten,  die 
erste  in  engem  Tälern  oder  auf  sonnigen  Felsgehängen,  die  zweite  nur  bei 
Kreuznach  und  Saarbrücken,  die  Sandflora  im  Norden  und  äußersten  Süden; 
eine  typische  Hochmoor-Flora  finden  wir  im  hohen  Venu.  Die  verschieden 
sten  Bodenarten,  so  der  rote  Galmeiboden  des  Aachener  Beckens,  haben  stark 


450  F.  Thorbecke: 

ändernd  auf  die  Einwanderer  eingewirkt.  Die  rasch  erwärmten,  aber  nur 
langsam  abkühlenden  Kalk-,  Schiefer-  und  Basaltböden  wurden  bald  die 
Heimat  südlicher  Arten,  so  fast  aller  deutschen  Orchideen- Arten,  die  durch 
die  langen  Täler  vordringen  konnten  und  heute  in  verschiedenen  Breiten,  bis 
zum  Siebengebirge  hin,  allmählich  ihre  Nordgrenze  erreichen.  Die  Kultur 
der  Römer  hat  auch  mittelmeerische  Arten  hierher  gebracht,  so  neben  andern 
an  die  Mosel  den  Buxbaum.  In  der  Nordhälfte  der  Provinz  ist  die  Sumpf- 
flora charakteristisch  entwickelt.  Die  Grenze  beider  Gebiete  liegt  ziemlich 
scharf  etwa  im  Parallel  von  Bonn,  am  augenfälligsten  offenbart  sie  sich  am 
Aufhören  des  Weinbaus. 

Der  Kölner  Archivdirektor  Prof.  Dr.  Hansen  sprach  im  Anschluß  an 
die  historisch-geographische  Abteilimg  der  Ausstellung  über  geschichtliche 
Karten  des  Rheinlands.  Die  Gesellschaft  für  rheinische  Greschichtskunde 
gibt  im  Auftrag  des  rheinischen  Provinzialverbands  einen  geschichtlichen 
Atlas  der  Rheinprovinz  heraus,  von  dem  bis  zu  diesem  Frühjahr  15  Karten 
und  vier  Erläuterungsbände  vorlagen;  an  ihnen  schilderte  der  Vortragende 
die  Arbeitsweise,  die  bei  der  Herstellung  dieses  ersten  bisher  erschienenen 
historischen  Kartenwerks  in  größerem  Maßstab  (von  1 :  500000  bis  1 :  160000) 
befolgt  wird.  Ähnliche  Arbeiten  sind  zum  Teil  bereits  fertiggestellt,  zum 
größeren  Teil  aber  erst  geplant  und  in  Angriff  genommen  von  andern 
deutschen  landschaftlichen  Publikationsinstituten  ^);  am  weitesten  ist  bisher  der 
im  Grazer  geographischen  Institut  auf  Veranlassung  der  Wiener  Akademie 
unter  Eduard  Richters  Leitung  bearbeitete  Atlas  der  österreichischen 
Alpenländer  voran  geschritten;  ein  Blatt  mit  Erläuterungen  ist  bereits  er- 
schienen. Leider  konnte  Richter  seinen  Plan,  dem  Kölner  Tag  sein  Werk 
vorzulegen,  nicht  verwirklichen. 

Das  österreichische  Unternehmen  stand  vor  einer  verhältnismäßig  ein- 
fachen Aufgabe,  deren  Lösung  auch  hochgespannten  geographischen  Ansprüchen 
gerecht  wird.  Anders  in  den  Rheinlanden.  Hier  lagen  aus  dem  Mittelalter 
überhaupt  keine  brauchbaren  Karten  als  Quellenmaterial  vor;  die  in  den 
Handschriften  der  Archive  vergrabenen  zerstreuten  Notizen  müssen  mühsam 
zusanmiengesucht,  die  alten  Flur-  und  Ortsnamen  zu  Hilfe  geholt  werden. 
Die  Arbeit  ist  rückläufig:  sie  fängt  nicht  mit  1450  an,  um  welche  Zeit  etwa 
die  ersten  einigermaßen  exakten  Vermessungen  und  Aufnahmen  einzelner 
Landesteile  begannen,  sie  muß,  da  auch  bis  1800  kein  brauchbares  Material 
vorliegt,  ausgehen  von  der  ersten  Katastrierung  in  den  Jahren  1800 — 1832. 
Durch  Anlehnung  an  die  aus  jüngerer  Zeit  bekannten  Grenzen  soll  so  all- 
mählich ein  Netz  von  Linien  als  Grundlage  für  die  historische  Arbeitskarte 
gewonnen  werden,  sind  die  Grenzen  für  die  ältere  Zeit  zu  rekonstruieren. 
Die  bisher  erschienenen  Karten  stellen  zunächst  die  Rheinprovinz  in  der 
französischen  Zeit  um  1813  und  bei  Beginn  der  preußischen  Verwaltung  im 
Jahre  1818  dar  in  einer  Karte  der  ganzen  Rheinprovinz  in  einem  Blatt;  die 
Kantons-  oder  Kreisgrenzen  der  damaligen  Zeit  finden  sich  im  zugehörigen 
Erläuterungsband;  beide  rühren  von  Konstantin  Schulteis  her.  W.Fabricius 
hat  die  große  Karte  der  im  Gebiet  der  Rheinprovinz  gelegenen  Territorien 
des  alten  Reichs  im  Jahre  1789  (in  sieben  Blättern  und  zwei  Übersichts- 
karten nebst  zugehörigem  Erläuterungsband),  die  Karte   der  kirchlichen  Ein- 

1)  Über  den  augenblicklichen  Stand  dieser  Arbeiten  und  über  die  an  ihnen 
beteiligten  historischen  Gesellschaften  und  Institute  gibt  die  kurze  Notiz  im  V.  Heft 
der  G.  Z.  (S.  285)  über  die  mit  der  VII.  Versammlunff  deutscher  Historiker  zu 
Heidelberg  im  April  d.  J.  verknüpfte  Ausstellung  Aufscmuß. 


Der  XrV.  deutsche  Geographentag  in  Köln:  451 

teilnng  im  Jahre  1610  in  vier  Blättern  und  eine  Spezialuntersnchung  über 
das  Hochgericht  Rhaunen  auf  dem  Hunsrück  bearbeitet  Von  H.  Forst 
rührt  eine  Spezialuntersuchung  über  das  Fürstentum  Prüm  in  der  Eifel  her. 
In  die  Karten  von  1789  und  1610  ist  das  Terrain  nicht  aufgenonunen;  sie 
zeigen  nur  das  Flußnetz.  Hansen  ist  aber  grundsätzlich  für  Aufnahme 
des  Terrains,  wie  die  Karte  von  1813  zeigt,  zu  der  eine  eigene  Terrain- 
karte gezeichnet  wurde;  auch  Eduard  Richter  hat  sich  im  Gebirgsland  für 
die  Terrainkarte  entschieden.  Ein  prinzipieller  Unterschied  in  der  Auffassung 
des  österreichischen  und  rheinischen  Publikationsinstituts  besteht  also  nicht. 
Nur  ist  die  Durchführung  des  Grundprinzips  in  den  österreichischen  Alpen- 
ländera,  wo  die  großen  Bezirke  der  Landgerichte  abgegrenzt  werden  sollen, 
einfacher  als  in  der  Rheinprovinz,  wo  oft  auf  sehr  .kleinem  Gebiet  überaus 
viele  Grenzlinien  gleichzeitig  eingetragen  werden  müssen.  Dieselbe  Art  der 
Darstellung  sei  eben  nicht  überall  anwendbar. 

Der  ganze  Streit  über  die  Grundkarten  störe  nur  das  ruhige  Weiter- 
schaflfen!  Die  bisherigen  praktischen  Arbeiten  (besonders  von  Fabricius  und 
Forst)  auf  dem  Gebiet  der  historischen  Geographie  des  Rheinlands  haben 
die  außerordentliche  Stabilität  der  Grenzen,  vor  allem  der  kleinsten,  der 
Gemarkungsgrenzen  ergeben;  sie  sei  begründet  in  der  Siedelungsweise.  Aber 
die  Schwierigkeiten  des  groß  angelegten  Unternehmens,  das  für  andere  in 
ähnlichen  Verhältnissen  vorbildlich  werden  dürfte,  vor  allem  das  Fehlen 
topographischer  Karten  mit  Flurnamen,  würden  inmier  wieder  von  neuem 
empfunden,  je  weiter  die  Arbeit  fortschreite.  Damit  diese  Gemarkungsgrenzen 
keine  Phantasiegebilde  würden,  sei  ein  Ortsverzeichnis  mit  Berücksichtigung 
der  Flurnamen  geplant,  zunächst  flir  einzelne  Territorien,  dann  für  die  ganze 
Provinz.  Erst  wenn  dies  fertiggestellt  sei,  könne  an  die  Herstellung  topo- 
graphischer Karten  mit  Flurnamen  gegangen  werden. 

Geh.  Reg.-Rat  Prof.  Dr.  G.  Hellmann  vom  kgl.  preuß.  meteorologischen 
Institut  in  Berlin,  der  Begründer  des  großen,  ganz  Preußen  umfassenden 
Netzes  der  Regenstationen,  sprach  über  die  Regenverhältnisse  von  Nord- 
Deutschland  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Rheinlands. 
Im  Jahr  1892  wurde  die  Rheinprovinz  organisiert,  1893  waren  alle  Provinzen 
dem  Beobachtungsnetz  angegliedert.  Heute  sind  in  Norddeutschland  2400  Regen- 
stationen vorhanden;  ihre  Resultate  liegen  in  der  Reihe  der  Regenkarten  vor, 
die  1899  mit  Schlesien  begonnen  hat.  Der  heutigen  Versammlung  überreichte 
der  Redner  die  letzte,  die  der  Rheinlande,  und  legte  eine  von  ihm  ent^ 
worfene,  die  Isohyeten  von  100  zu  100  mm  zeigende  Regenkarte  von  Nord- 
Deutschland  im  Manuskript  vor.  Die  Karte  hat  den  Fehler,  daß  sie  sich 
nicht  auf  dieselbe  Periode  bezieht.  Die  Abweichungen  innerhalb  einer  Pro- 
vinz sind  durchaus  nicht  homogen.  Die  allgemeinen  Charakterzüge  der  Regen- 
karte spiegeln  in  gewissem  Sinne  die  Höhenschichtenkarte  wieder;  am  deut- 
lichsten wird  der  Einfluß  der  Höhen  da,  wo  sie  von  regenbringenden  Winden 
getroffen  werden.  Aber  eine  Zusammenstellung  aller  Regenhöhen  nach  abso- 
luten Höhen  hat  gar  keinen  Sinn.  Immer  nur  kommt  es  auf  die  relative 
Höhe  an.  Die  Küste  ist  relativ  regenarm;  es  regnet  wohl  viel  an  ihr,  aber 
die  starken  Gewitter  mit  viel  Regen  kommen  dort  viel  weniger  häufig  vor 
als  im  Binnenland.  Die  Regenhäufigkeit  ist  also  hier  größer,  die  Dauer  des 
Regentags  aber  kürzer  als  im  Binnenland,  vier  bis  fünf  Stunden.  Der  Grund 
liegt  in  der  größeren  Windgeschwindigkeit  an  der  Küste. 

Die  mittlere  jährliche  Regenmenge  ist  nach  Meinardus'  Methode  zur 
Seetief enbestinunung,  der  sogen.   Stichprobenmethode,  bis   auf  Yj  Tntp   genau 


452  F.  Thorbecke: 

bestimmt,  sie  beträgt  637  mm.  Im  Vergleich  zu  diesem  Normalmittel  ist 
die  Bheinprovinz  meist  zu  trocken.  Sechs  Provinzen  (Posen,  Westpreußen, 
Brandenburg,  Sachsen  mit  Thüringen,  Pommern,  Ostpreußen)  sind  trocken  und 
6  (Schlesien,  Hannover,  Hessen-Nassau,  Schleswig-Holstein,  Bheinprovinz  und 
Westfalen)  feucht.  Ana  regenreichsten  ist  der  Harz,  auf  dem  Brocken  hat 
man  im  Mittel  1700  mm  (zwischen  1600 — 1800)  gemessen.  Der  trockenste 
Punkt  liegt  im  Osten,  im  Gebiet  der  Weichsel  und  Warthe,  im  dortigen 
Kreise  Strasburg  gibt  es  Orte  von  nur  440  mm  Regenmenge.  Auch  Rhein- 
hessen ist  sehr  trocken,  dort  ist  das  niedrigste  Mittel  476  mm.  In  der 
Provinz  Sachsen  berühren  sich  die  Extreme.  Steigt  man  vom  Brocken  in 
die  Halberstftdter  Ebene,  so  kommt  man  von  1700  in  470  mm,  im  Maus- 
felder  Seekreis  sind  sogar  in  manchen  Orten  nur  420  nun  Regenhöhe  ge- 
messen! Das  sind  die  niedrigsten  in  Norddeutschland  beobachteten.  Ähnlich 
ist  es  im  hohen  Venu,  wo  man  von  1350  mm  zu  600  m  ins  Rörtal  nieder- 
steigt bei  einem  Höhenunterschied  von  noch  nicht  200  ml  Im  allgemeinen 
kann  man  ein  Ansteigen  der  Isohyetenflächen  von  West  nach  Ost  beobachten; 
doch  steigen  sie  im  Rheinland  viel  rascher  an,  wie  z.  B.  im  Riesengebirge, 
wo  Regenhöhen  von  1000  mm,  die  im  rheinisch-westfälischen  Industriebezirk 
gemessen  wurden,  erst  in  1200m  U.d.M.  angetroffen  werden.  In  den  öst- 
lichen Gebirgen,  im  Riesen-  und  Isergebirge,  vor  allem  auf  der  Schneekoppe 
erschweren  schwierige  Schneemessungen  die  Feststellung  der  Niederschlags- 
höhen.    Im  großen  imd  ganzen  ist  so  der  Westen  vor  dem  Osten  bevorzugt. 

Privatdozent  Dr.  P.  Polis,  Direktor  des  meteorologischen  Observatoriums 
in  Aachen,  das  unter  seiner  Leitung  eine  Art  Centrale  fElrs  Rheinland  ge- 
worden ist,  sprach  über  die  klimatischen  Verhältnisse  des  Rheinlands, 
insbesondere  des  Yenns,  der  Eifel  und  des  Rheintals. 

Das  Gebiet  steht  noch  ganz  unter  ozeanischem  Einfluß:  West-  und  Süd- 
west-Winde herrschen  vor,  was  sich  auch  in  der  Pflanzenwelt  sehr  deutlich 
ausprägt.  Die  Luft  ist  stärker  bewegt  und  die  Temperaturschwankungen  sind 
geringer  als  weiter  im  Binnenland.  Aber  von  Nord  nach  Süd  nimmt  dieser 
Einfluß  immer  mehr  ab.  Am  meisten  zu  Tage  tritt  der  ozeanische  Einfluß 
und  damit  auch  die  westliche  Luftströmung  in  den  Sommer-  und  Winter- 
monaten, wenn  sich  die  im  Norden  vorüberziehenden  Luftdruckminima  häufen; 
im  Winter  weht  vorwiegend  SW,  im  Sommer  mehr  NW.  Die  Windstärke 
ist  in  der  niederrheinischen  Tiefebene  größer  als  im  Rheintal;  nach  den 
Messungen  am  Aachener  Observatorium  beträgt  sie  durchschnittlich  4,65  m 
in  der  Sekunde,  steigt  mit  zunehmender  Erhebung  über  den  Meeresspiegel, 
ist  z.  B.  im  hohen  Venu  größer  als  in  der  Ebene.  Die  herrschende  Wind- 
richtung ist  in  der  Pflanzenwelt  nirgends  so  deutlich  abgebildet  wie  im 
Venu  und  in  der  Eifel,  wo  alle  Bäume  und  Sträucher  nach  NO  bis  0  geneigt  sind. 

Die  Temperaturbeobachtungen  von  30  Stationen  in  den  Jahren  1881  bis 
1900  haben  ergeben,  daß  im  Jahresdurchschnitt  das  gesamte  Rheintal,  das 
Moseltal  und  die  Tiefebene  zwischen  Maas  und  Rhein  nördlich  vom  hohen 
Venu  am  wärmsten  sind,  wo  die  mittlere  Jahrestemperatur  fast  10^  erreicht. 
Der  ganze  übrige  Teil  weist  eine  mittlere  Jahrestemperatur  von  weniger  als 
9®  auf,  die  anfangs  langsam,  mit  zunehmender  Erhebung  über  den  Meeres- 
spiegel aber  schneller  sinkt.  Der  Einfluß  der  Höhen  bringt  daher  einen 
starken  Wechsel  der  Temperaturverhältnisse  in  dem  reich  gegliederten  Ge- 
lände des  Schiefergebirgs  hervor.  Weniger  als  7®  haben  Taunus,  Hunsrück, 
die  höher  gelegenen  Punkte  des  Westerwaldes,  sowie  die  höheren  Lagen  des 
Sauerlands.     Eifel    und  Venu    liegen   völlig  innerhalb   der   7 ^-Isotherme,    in 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  453 

ihren  höchsten  Erhehongen  beträgt  die  mittlere  Jahrestemperatur  noch  keine 
6^.  Die  vom  Vortragenden  entworfenen  Karten  der  einzelnen  Jahreszeiten 
zeigen  diese  Verschiebungen  sehr  deutlich:  im  Winter  und  Herbst  liegen  die 
wärmsten  Gebiete  auf  der  nördlichen  Abdachung  des  hohen  Venns  im  Ge- 
lände zwischen  Maas  und  Rhein,  im  Sommer  und  Frühjahr  im  oberen  Bhein- 
tal  bei  Geisenheim.  Die  jährliche  Wärmeschwankung  nimmt  von  N  mit  dem 
Zurücktreten  des  ozeanischen  Einflusses  nach  S  in  der  Ebene  um  beinahe  3^ 
zu,  in  Kleve  beträgt  sie  16,3®,  in  Fi-ankfurt  a.  M.  bereits  18,7®. 

Besonders  interessant  ist  das  Vorkommen  abnormer  Wärmeverhältnisse; 
die  Temperaturumkehr  mit  der  Höhe  weist  ähnliche  Verhältnisse  auf  wie  das 
Hochgebirge;  zwei  krasse  Fälle  zeigten,  wie  im  Aachener  und  Neuwieder 
Becken  vielfach  die  Temperaturen  bei  Anwesenheit  von  Nebel  mehrere  Grad 
unter  dem  Gefrierpunkt  lagen  —  sie  betrugen  2®  und  weniger  — ,  während 
gleichzeitig  auf  den  höchsten  Erhebungen  des  Venns  und  der  Eifel  bei  Sonnen- 
schein  bis  zu  +  12®  gemessen  wurden.  Diese  Temperaturumkehr  ist  verursacht 
durch  stagnierende  kalte  Luftmassen  in  den  Tälern,  während  die  Höhen  durch 
dynamisch  absteigende  Luftströme  erwärmt  werden.  Auch  der  Föhn,  der  zuerst  in 
den  Alpen  studierte,  aber  nicht  auf  sie  beschränkte  Wind,  ist  im  Aachener 
Becken,  am  Nordwestabhang  des  Venns,  sowie  im  Neuwieder  Becken  an  sei- 
nem Südostabhang  beobachtet  worden;  in  Aachen  fallen  die  südlichen  bis 
südöstlichen  Winde  vom  Gebirge  herunter  und  bewirken  Temperatursteige- 
rungen bis  zu  8®  und  eine  Verminderung  der  relativen  Feuchtigkeit  bis  auf 
20 — 3O®/0,  im  Neuwieder  Becken  die  nordwestlichen;  die  hohen  Winter- 
temperaturen dieses  Beckens  werden  dadurch  erklärlich. 

Niederschläge  wurden  von  1886  an  gemessen;  seit  1893  besteht  ein  dichtes 
Netz  von  250  Regenstationen  in  der  Rheinprovinz.  Es  gibt  wohl  kein  Gebiet 
in  Nord-Deutschland,  welches  auf  geringe  Entfernimgen  so  krasse  Gegensätze 
in  der  Regenverteilung  aufweist  wie  die  Rheinprovinz:  regenreiche  und  trockene 
Gebiete  liegen  z.  B.  beim  hohen  Venu  in  der  Luftlinie  kaum  50  km  von  ein- 
ander entfernt,  auf  dieser  Strecke  sinken  die  Niederschlagshöhen  von  1500 
auf  600  mml  Die  mittlere  jährliche  Niederschlagshöhe  der  Rheinprovinz  be- 
trägt 717  mm,  woraus  sich  annähernd  eine  Gesamtmenge  von  19  345  377  000 
Cubikmetem  ergibt.  Im  Jahr  steigt  die  Niederschlagshöhe  an  zwei  Stellen 
über  1000  mm  an,  im  hohen  Venu  und  auf  den  bergisohen  Höhen;  die  Gebiete 
größter  Trockenheit  umfassen  den  unteren  Lauf  der  Mosel  und  der  Nethe, 
sowie  das  Rheintal  von  Lorch  bis  oberhalb  Geisenheim  einschließlich  des 
Nahetals  bis  Sobemheim.  Die  vom  Vortragenden  gezeichnete  Karte  der  jähr- 
lichen Niederschläge  enthält  zehn  verschiedene  Regenzonen ;  innerhalb  des  Gebiets 
schwankt  die  jährliche  Regenhöhe  um  898  mm,  sie  liegt  zwischen  1321  nmi  zu 
Monte  Rigi  im  hohen  Venu  und  423  mm  zu  Münstermaifeld  an  der  östlichen 
Abdaohimg  der  Eifel.  Die  Ebenen  und  die  beiden  Hauptflußtäler  haben  den 
meisten  Regen  im  Sommerhalbjahr  (vom  April  bis  September),  die  Gebirge 
im  Winterhalbjahr  (vom  Oktober  bis  März).  Der  Übergang  vom  Sommer  zum 
Winter  macht  sich  in  den  niedrigen  Gebirgslagen  und  den  Ausläufern  des  Gebirgs 
bemerkbar.  Von  den  Jahreszeiten  ist  der  Sommer  am  reichsten,  der  Frühling 
am  wenigsten  mit  Niederschlägen  bedacht.  Der  Herbst  wird  im  Gebirge  durch 
größere  Regenfülle  ausgezeichnet  als  im  Flachland.  Auch  die  Verteilung 
der  Gewitterhäufigkeit  ist  sehr  verschieden;  die  Hochfläche  des  Venns  mit 
etwa  10  Gewittern  jährlich  ist  nahezu  gewitterarm,  die  Luvseite  hat  sogar 
nur  8  Gewitter  im  Jahresdurchschnitt;  die  östliche  und  nördliche  Abdachung, 
die  Leeseite,    sowie  das  Rhein-  und  Moseltal  mit  24  bis  30  Gewittern  sind 


454  F.  Thorbecke: 

gewitterreicb.  Schneehöhen  von  60  cm  sind  der  Durchschnitt.  Die  meisten 
Schneetage,  nämlich  60,  besitzen  die  Eifel  und  das  hohe  Venn;  doch  über- 
steigen nach  den  Beobachtungen  von  Monte  Bigi  und  Schneifelforsthaus  selbst 
in  schneereichen  Wintern  die  Schneehöhen  nicht  120  cm.  Den  geringen 
Niederschlägen  und  den  höheren  Temperaturen  entspricht  im  Trockengebiet 
am  Rheinknie  bei  Geisenheim  auch  die  Sonnenscheindauer;  sie  ist  größer  als 
in  der  nördlichen  Rheinprovinz,  nach  vierjährigem  Durchschnitt  zu  Geisen- 
heim 1655,  zu  Aachen   1531   Stunden. 

Die  großen  klimatischen  Gegensätze  der  Rheinprovinz,  Regenreichtum  — 
Regenarmut,  hohe  Jahrestemperaturen  —  heiße  Sommer  (im  Rhein-  imd 
Moseltal)  —  kalte  Winter  (auf  dem  hohen  Venn)  —  milde  Winter  (an  seiner 
Nordabdachung)  zeitigen  in  der  Bebauung  des  Bodens  und  in  der  Beschäf- 
tigungsart der  Bewohner  große  Unterschiede.  Im  nördlichen  Teil  begünstigen 
die  reichen  und  üppigen  Wiesen,  eine  Folge  des  Regenreichtums,  namentlich 
die  Viehzucht,  wie  im  „Butterland"  an  der  preußisch-belgischen  Grenze.  Auf 
der  östlichen  Abdachung  stehen  Acker-  und  Obstbau  im  Vordergrund;  in 
den  beiden  Hauptflußtälem  wiegt  der  Weinbau  vor,  in  den  eigentlichen 
Trockengebieten  gelangen  die  besten  Trauben  zur  Reife.  Andererseits  be- 
günstigen die  großen  Niederschläge  im  Sauerland  und  auf  dem  hohen  Venn 
die  Industrie;  Talsperren,  wie  die  eben  im  Bau  begriffene  von  Gemünd  in 
der  Eifel,  sammeln  die  großen  Wassermassen  und  ermöglichen  so  durch  Aus- 
nutzung der  Wasserkräfte  die  Umsetzung  der  schlummernden  Energie  in 
elektrische  Kraft. 

Dr.  Fr.  Wickert  aus  Wiesbaden  sprach  über  den  Verkehr  auf  dem 
Rhein  und  seinen  Nebenflüssen  mit  Berücksichtigung  der  Ab- 
hängigkeit von  den  natürlichen  Verhältnissen. 

Von  allen  deutschen  Flußgebieten  hat  das  des  Rheins  den  stärksten 
Wasserstraßenverkehr;  er  spielt  sich  fast  nur  auf  natürlichen  Wasseradern 
ab,  das  Eanalnetz  des  deutschen  Rheingebiets  ist  noch  wenig  entwickelt. 

Die  Eleinschiffahrt  hat  fast  nur  lokale  Bedeutung  und  ist  auf  den 
meisten  Nebenflüssen  heute  schon  im  Wettbewerb  mit  der  Eisenbahn  unter- 
legen. Auch  die  Flößerei  hat  gegenüber  der  rascheren  und  bequemeren  Be- 
förderung durch  die  Eisenbahn  immer  mehr  Boden  verloren  und  ist  heute 
auf  den  oberen  Neckar,  auf  die  Nagold  und  andere  Schwarzwaldflüsse  be- 
schränkt. Meist  dient  die  Strömung  zur  Fortbewegung,  auf  dem  Rhein  und 
dem  kanalisierten  Main  werden  Flöße  auch  von  kleinen  Schraubenbooten  ge- 
schleppt Der  übrige  Schleppverkehr  zeigt  vier  Arten:  1.  Die  Seiltauerei,  die 
sich  aber  einzig  auf  der  Strecke  Bingen -Oberkassel  gehalten  hat.  2.  Die 
Kettenschleppschiffahrt,  auf  dem  Neckar  bis  Laufen  und  dem  Main  von  Offen- 
bach bis  Kitzingen.  3.  Das  Schleppen  mit  dem  Raddampfer,  wo  wegen 
starken  Gefälles  die  Schleppzüge  nicht  zu  lang  sein  dürfen,  wie  auf  dem 
Rhein  oberhalb  von  St.  Goar.  4.  Die  Schleppschiffahrt  mit  Schrauben- 
dampf em,  heute  auf  dem  ganzen  Rhein  von  Straßburg  abwärts,  die  sich 
besonders  im  ruhigen  Wasser  des  Niederrheins  und  im  Hafendienst  bewährt. 
Den  Eil-  und  Stückgüterdienst  besorgen  besondere  Güterdampfer  zwischen 
den  meisten   Stationen   des  Rheins,    auf  dem  Main  bis  Frankfurt -Offenbach. 

Der  Wettbewerb  der  Eisenbahnen  hat  manche  Wasserstraße  veröden 
lassen,  besonders  der  Personenverkehr  ist  fast  überall  gleich  Null,  abgesehen 
von  Strecken,  die  durch  landschaftliche  Schönheit  ausgezeichnet  sind  und 
daher  in  guter  Jahreszeit  einen  oft  riesigen  Vergnügimgsverkehr  aufweisen, 
wie  der  Rhein  von  Mainz  bis  Köln,  in  geringerem  Maße  auch  die  Mosel  und 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  455 

fler  Neckar.  Der  Güterverkehr  aber  ist  im  ganzen  Stromgebiet  sehr  be- 
deutend, auf  dem  HauptfluB  natürlich  vielmal  größer  als  auf  irgend  einem 
Nebenfluß.  Eine  sehr  lehrreiche,  vom  Vortragenden  gezeichnete  Karte  der 
„Güterströme"  und  Diagramme  des  Verkehrs  auf  dem  Rhein  und  seinen 
größeren  Nebenflüssen  in  seiner  Abhängigkeit  vom  Hoch-  und  Niederwasser 
und  vom  Eisgang  gaben  ein  anschauliches  Bild  des  Güterverkehrs  und  seiner 
jahreszeitlichen  Schwankungen  auf  diesem  wichtigsten,  weil  die  günstigsten 
Stromverhältnisse  darbietenden  Wasserweg  Mittel- Europas.  Der  Vortragende 
belegte  seine  Ausführungen  durch  eine  Menge  von  Zahlenangaben,  vor  allem 
über  die  Abhängigkeit  des  Verkehrs  von  den  Wasserständen^).  Er  schloß 
mit  dem  Wunsch,  durch  den  Ausbau  der  Nebenflüsse,  vor  allem  des  Mains 
und  Neckars,  zu  Großschififahrtswegen  und  durch  eine  den  heutigen  Verkehrs- 
ansprüchen genügende  Ausdehnung  des  Bheinverkehrs  auf  die  Donauwasser- 
straße möchten  die  Wasseradern  des  ßheingebiets  so  nutzbar  gemacht  werden, 
wie  es  bei  den  günstigen  Wasser-  und  Tiefenverhältnissen  gegeben  ist,  möchte 
die  heutige  glänzende  Stellung  der  Rheinschiffahrt  zum  Nutz  und  Wohl  der 
Anwohner  so  gestärkt  werden,  wie  es  dem  so  weit  ins  Innere  Europas  füh- 
renden xmd  viel  verzweigten  Stromsystem  entspräche. 


In  der  Nachmittagssitzung  am  Dienstag,  den  2.  Juni,  wurden  nach 
geschäftlichen  Mitteilungen  des  Geschäftsführers  des  Centralausschusses ,  des 
Hauptmann  Georg  Kollm  aus  Berlin,  als  Ort  der  nächsten  Tagung  (1905) 
Danzig,  Greifs wald  und  Königsberg  vorgeschlagen,  als  Zeit  wieder  Pfingsten 
wegen  der  nordöstlichen  Lage  der  vorgeschlagenen  Städte;  in  der  letzten  Ver- 
sammlung wurde  dann  Danzig  und  Pfingsten  1905  gewählt. 

Auf  Antrag  der  Centralkonunission  wurden  die  Beitrage  der  Mitglieder 
und  Teilnehmer  auf  10  und  6  Mark  erhöht,  um  ein  Deficit  zu  vermeiden, 
was  bei  dem  stetig  wachsenden  Umfang  der  gedruckten  Verhandlungen  und 
der  Darbietungen  der  Tagung  durchaus  berechtigt  erscheint. 

Prof.  Kirchhoff  machte  in  seinem  Bericht  über  die  Tätigkeit  der 
Centralkommission  für  deutsche  Landes-  imd  Volkskunde  die  erfreuliche  Mit- 
teilung, daß  die  Fortführung  der  Berichte  über  die  neuere  Literatur  zur 
deutschen  Landeskunde  durch  das  überaus  liberale  Entgegenkommen  des  Leip- 
ziger Verlegers  Arnold  Hirt  gesichert  sei. 

Dann  schloß  Geh.  Rat  vonNeumajer  die  Sitzungen  mit  einem  Schluß- 
wort des  Dankes  an  Köln  imd  dem  Wunsch  auf  frohes  Wiedersehen  in  Danzig. 

Wir  blicken  auf  eine  sehr  gelungene  Tagung  zurück.  Der  Kölner  Orts- 
ausschuß hatte  seine  Vorbereitungen  musterhaft  getroffen,  aufs  liebenswürdigste 
dabei  unterstützt  von  der  Stadtverwaltung  und  der  Bürgerschaft;  ihnen  sind 
vor  allem  auch  die  großartig  verlaufenen  Festabende  zu  danken:  der  glänzende 
Empfang  durch  die  städtischen  Behörden  im  Volksgarten,  auf  dem  echt 
rheinische  Fröhlichkeit  ihr  Szepter  schwang,  das  Festessen  im  Gürzenich,  die 
genuß-  und  lehrreichen  Gänge  durch  Stadt,  Dom  und  Hafen. 

Aber  eines  muß  doch  hier  ausgesprochen  werden:  die  Fülle  des  Gebotenen 
war  fast  zu  groß!  Eine  Beschränkung  der  Zahl  der  Vorträge,  die  alle  an- 
zuhören physisch  unmöglich  war,  hätte  wohl  manchmal  zu  größerer  Ver- 
tiefung gefOhrt,  hätte  vor  allem  auch  die  Diskussionen  fruchtbarer  gestaltet. 
Auch   der  Besuch  der   vom  Versanmalungsort  recht  weit  entfernten    geogra- 

1)  Näheres  darüber  soll  seine  demnächst  in  den  „Forschungen^*  erscheinende 
Arbeit  über  den  Verkehr  auf  dem  Rhein  bringen,  samt  den  Karten,  Tabellen  und 
Diagrammen. 


456  F.  Thorbecke: 

phischen  Ausstellung    und    die  Teilnähme    an    den  Führungen    in  der  Stadt 
hatte  darunter  zu  leiden. 

Doch  das  sind  kleine  Ausstellungen,  die  verschwinden  gegenüber  unserm 
Dank  für  die  schönen  Pfingsttage  im  gastlichen  Köln. 

Die  Ausflüge^). 

Am  Freitag,  den  5.  Juni,  fuhren  die  Geographen  in  stattlicher  Zahl  mit 
Damen  auf  einem  Sonderdampfer  frühmorgens  von  Köln  zum  Besuch  des 
Siebengebirges  nach  Königs winter.  Vom  Fluß  aus  bot  sich  noch  einmal 
ein  herrlicher  Blick  auf  die  „Stadt  mit  dem  ewigen  Dom*^,  auf  das  Meer  der 
Häuser  imd  Türme,  auf  das  Leben  und  Treiben  im  Hafen  und  an  den  Kai- 
anlagen der  niederrheinischen  Handelsmetropole.  Weiter  stromauf  wurde  die 
Gegend  bald  einförmig:  niedrige  Ufer  umsäumten  den  Fluß,  weithin  dehnte 
sich  die  Tiefebene  aus,  nur  hie  und  da  unterbrach  ein  freundliches  Dorf, 
eine  schöne  Baumgruppe  das  Einerlei  der  Landschaft.  An  Bord  hatte  sich 
bald  ein  lebhaftes  Treiben  entwickelt:  die  wissenschaftlichen  und  festlichen 
Leistungen  der  Sitzungstage  wurden  beim  Frühstück  besprochen  und  kritisiert, 
alte  Bekanntschaften  erneuert,  neue  angeknüpft  Abwechslungsreicher  wurde  das 
Landschaftsbild  erst,  als  die  Türme  Bonns  und  die  Höhen  des  Siebengebirges 
am  Horizont  auftauchten.  Der  Dampfer  legte  in  Bonn  kurz  an,  um  einige 
Nachzügler  und  vor  allem  die  Führer  des  heutigen  Tages,  Geh.  Rat  Bein, 
Prof.  Philippson,  Prof.  Rauff  und  Dr.  Kaiser  an  Bord  zu  nehmen.  Gegen 
12  Uhr  wurde  in  Königswinter  gelandet. 

Beim  Gang  'durch  die  Stadt  zum  Bahnhof  der  Zahnradbahn  auf  den 
Petersberg  konnte  man  die  ungeheuren  Verwüstungen  beobachten,  die  das 
ein  paar  Tage  zuvor  niedergegangene  Unwetter  in  der  ganzen  G«gend  an- 
gerichtet hatte;  viele  Weinberge  waren  zerstört,  Wege  aufgerissen,  überall 
bedeckten  Trümmer  den  Boden.  Nach  einigem  Warten  ging's  mit  der  Zahn- 
radbahn auf  den  Petersberg.  Hier  gaben  Geh.  Rat  Rein  und  Prof.  Philippson 
einen  Überblick  über  die  Entstehungsgeschichte  des  Siebengebirges  und  die 
spätere  Ausgestaltung  der  heutigen  Oberflächenformen  durch  die  Erosion. 
Die  sanft  geschwungenen  Profillinien  der  alten  Vulkane  dieses  Kleingebirges 
mit  ihren  herrlichen  Waldungen  gaben  in  der  Frühjahrssonne  ein  unvergleich- 
lich schönes  Landschaftsbild. 

Nach  einem  im  Petersberg-Hotel  eingenommenen,  durch  Reden  gewürzten 
Mittagessen  begannen  die  „Fußgänger  mit  geologischen  Interessen'^  (es  waren 
deren  sehr  viele!)  unter  Führung  der  Bonner  Herren  die  Wanderung  durch 
das  Siebengebirge.  Zunächst  ging's  vom  Petersberg  hinab  zur  Klosterruine 
Heisterbach,  deren  leider  nur  noch  sehr  spärliche  Trümmer  alte  Herrlichkeit 
ahnen  ließen.  Von  da  wurde  der  Steinbruch  auf  der  großen  Weilburg  be- 
stiegen, der  im  Krater  eines  alten  Vulkans  der  Tertiärzeit  betrieben  wird. 
In  einer  ersten  Ausbruchsperiode  durchschlugen  Trachyttuflfe  die  Abrasions- 
fläche des  Schiefergebirges  und  bildeten  einen  großen  Schichtvulkan,  dessen 
Gipfel  die  des  übrigen  Siebengebirges  an  Höhe  wahrscheinlich  übertraf,  aber 
von  der  Erosion  bald  abgetragen  wurde;  diesen  Trachyttuff  kann  man  noch 
heute  im  Nachtigallental  bei  Helle  beobachten.  Das  in  einer  zweiten  vul- 
kanischen Periode  emporsteigende  Magma  bildete  auf  dem  Hauptkegel  para- 
sitische   Krater   aus   typischem    Drachenfelstrachyt.      Eine    dritte    Auswurfs- 

1)  Die  Berichte  über  die  Ausflüge  der  beiden  letzten  Tage  verdanken  wir 
der  Liebenswürdigkeit  der  Herren  Privatdocent  Dr.  K.  Oestreich  in  Marburg  und 
Prof.  Dr.  K.  Hassert  in  Köln. 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  457 

periode  beförderte  in  Explosionskratem  Andesite,  eine  vierte  ebenso  Basalte 
in  die  Höhe,  die  aber  beide  nicht  durch  die  älteren  vulkanischen  Schichten 
hindurchdrangen.  So  entstand,  einem  Maar  vergleichbar,  der  heute  im  Innern 
des  Vulkans  abgebaute  säulenförmige  feste  Basalt,  um  den  sich  rings  herum 
an  seinen  Grenzflächen  basaltische  Grenztuffe  gelagert  haben,  ein  Beweis 
dafür,  daß  das  innere  Material  diese  Tuffe  geschaffen  hat  Durch  das 
Nachtigallen-  und  Wintermühlental  mit  Aufschlüssen  im  Löß,  in  tertiären 
Süßwasserquarziten  und  Trachjttuffen  kehrten  die  meisten  Ausflügler  nach 
Königswinter  zurück,  die  Bosenau,  deren  Besuch  ursprünglich  geplant  war, 
links  liegen  lassend. 

Eine  kleine  Schar  zog  unter  der  liebenswürdigen  Führung  von  Dr.  Kaiser 
zur  Bosenau,  von  da  über  den  Andesitgang  des  „Wasserfalls^'  zum  malerisch 
gelegenen  Sophien-  und  Margaretenhof.  Entlang  dem  Abhang  des  Lohrbergs, 
des  größten  Massivs  im  Siebengebirge,  dessen  Trachjt  dem  des  Drachenfels 
ähnelt,  aber  viel  größere  Sanidinkrystalle  aufweist,  führte  der  Weg  über  die 
Trachjikuppe  des  Schleerkopfs  mit  einem  homblendereichen  Basaltgang  am 
„Zinkhöckerknippchen^^  ebenfalls  zum  Drachenfels  hinauf,  dessen  Sanidin- 
trachyt  an  schönen  Aufschlüssen  beobachtet  wurde.  Dr.  Kaiser  wies  auf 
diesem  Marsch  besonders  hin  auf  die  verschiedene  Ausbildung  der  Berghänge, 
auf  die  mit  dem  wechselnden  vulkanischen  Gestein  in  engem  Zusammenhang 
stehende  wechselnde  Neigung  der  Profillinien.  Von  der  Höhe  des  Drachenfels 
aus  wurde  ein  (bei  dem  dunstigen  Wetter  allerdings  etwas  beschränkter) 
Überblick  über  das  Bheintal  und  seine  Terrassen,  sowie  auf  den  gegenüber- 
liegenden Krater  des  Bodderbergs  gewonnen.  Die  Bahn  braclite  alle  Teil- 
nehmer nach  Königswinter  hinunter;  um  8  Uhr  entföhrte  sie  der  Dampfer 
aus  dem  schönen  Siebengebirge  gen  Köln,  wo  man  um  10  Uhr  ankam. 

Der  zweite  geographisch-geomorphologische  Tagesausflug,  vom 
6.  Juni,  fahrte  die  Teilnehmer  nach  Linz,  von  da  unter  Führung  von  Prof. 
Philippson  zu  Wagen  nach  dem  großen  Basaltbruch  von  Dattenberg.  Die 
Oberkante  dieses  Bruches  entspricht  der  in  180  m  gelegenen  Hauptterrasse 
Philippsons.  Der  Basalt  erscheint  geradezu  abgehobelt  und  mit  einer  mehrere 
Meter  mächtigen  Ablagerung  von  Bhein-GeröUen  und  -Sauden  bedeckt.  Der 
Fluß,  der  diese  herbrachte,  hatte  bereits  Nahe  und  Lahn,  wie  aus  den  Por- 
phyr- und  Kieselschiefergeröllen  ersichtlich,  als  Ursprungsarme,  stand  jedoch 
noch  nicht  mit  dem  Mainzer  Becken  in  Verbindung.  Erst  eine  niedere  Terrasse, 
die  110 — 120  m  hoch  von  Neuwied  bis  Honnef  zieht,  enthält  Gerolle  aus 
dem  Mainzer  Tertiärgebiet.  Von  der  Höhe  über  dem  Basaltbruch  überblickte 
man  bei  in  Folge  des  dunstigen  Wetters  leider  äußerst  beschränkter  Fem- 
sicht die  besonders  stromabwärts  entwickelte  große  Hauptterrasse  in  180 — 200  m 
Meereshöhe,  die  im  Basaltfels  der  Erpeler  Lei  so  schroff  zum  Rhein  abfällt 
Auch  eine  tiefere  Terrasse,  die  das  Dorf  Ockenfels  trägt,  in  120  m,  ist 
wenig  oberhalb  der  Lei  zu  sehen.  Ein  Stück  jener  von  Dr.  Kaiser  neu 
festgestellten  älteren  Lokalterrasse,  einer  älteren  Stufe  der  Hauptterrasse,  die 
hier  noch  über  der  normalen  Hauptterrasse  liegt,  sich  aber  nach  abwärts 
schnell  unter  diese  senkt,  war  nur  ganz  undeutlich  im  Hintergrunde  des 
Ahrtaleinschnitts  zu  sehen. 

Nach  der  Rückfahrt  nach  Linz  und  Mittagessen  daselbst  fuhr  man,  mit 
Wagen  und  darauf  Förderbahn,  zu  den  Basaltbrüchen  des  Minderbergs.  Von 
diesem  (in  424  m)  ergab  sich  ein  sehr  lehrreicher  Überblick  über  die  breite, 
in  über  300  m  gelegene  „Trogfläche",  das  älteste  und  höchste  Rheintal,  und 

Qeo^phiioheZeltadirin.  ».Jahrgang.  1003.  8.  Heft.  81 


458  F.  Thorbecke: 

die  ,^auptterras86^S  Erstere  durchbrochen  nnd  überragt  von  Basaltkuppen, 
wie  Minderberg  selbst,  Eenneberg  und  Hummelsberg. 

Von  Linz  wurde  mit  dem  Dampfer  Rolandseck  erreicht  und  von  hier  zum 
Krater  des  Rodderbergs  aufgestiegen.  Nachdem  bisher  nur  Lava- Ausfüllungen 
vulkanischer  Schlote  und  Trichter  gesehen  worden  waren,  wurde  hier  zum 
ersten  Male  ein  vorzüglich  erhaltener  Aschenkegel  mit  Krater  gezeigt,  wobei 
den  Bomben  und  andern  Auswürflingen,  einem  aus  tertiärem  Konglomerat 
bestehenden  Stück  unverletzt  erhaltenen  alten  Kraterrandes  und  einem  tonigen 
Zersetzungsprodukt  aus  der  Tiefe  mit  heraufgerissenen  Devongesteinsfragments 
besondere  Aufmerksamkeit  zugewandt  wurde.  Von  Mehlem  aus  wurde  die 
Rückfahrt  angetreten. 

Der  7.  Juni  führte  zunächst  ins  Brohltal.  Während  der  Fußwanderung 
von  Schweppenburg  bis  Burgbrohl  wurden  (unter  der  Leitung  von  Professor 
Rauff,  der  an  diesem  Tag  gemeinsam  mit  Geh.  Rat  Rein  und  Professor 
Philippson  führte)  die  Traßbrüche  angesehen,  also  die  Massen  zerriebenen 
Bimsteins,  die  in  Gestalt  eines  vulkanischen  Schlanunstroms  das  Brohltal 
erfüllten.  Einige  Eigentümlichkeiten  in  der  Zusammensetzung  und  Struktur 
des  Trasses  wurden  gezeigt,  so,  daß  er  bald  schichtungslos,  bald  geschichtet 
ist,  femer  die  sog.  „Sandköpfe",  von  den  Gehängen  vorspringende  Riffe  von 
Traßmasse  von  etwas  anderer  Zusammensetzung,  deren  Entstehung  rätselhaft 
ist,  die  aber  von  dem  normalen  Traß  sicher  zu  unterscheiden  sind  und  weil 
von  minderer  Qualität  nicht  abgebaut  werden.  Es  dient  der  Traß  nämlich, 
mit  Kalk  und  Sand  gemischt,  zur  Zementbereitung.  Eine  andere,  auf  den 
ersten  Blick  ganz  rätselhafte  Erscheinung  ist  das  Vorkommen  unregelmäßig 
großer  Kugeln:  Kerne  von  Traß,  die  von  einer  Schale  feiner  Konglomerat- 
massen umgeben  sind.  Sie  sind  an  den  dem  Abbau  dienenden  Wand- 
anschnitten schön  zu  sehen.  Sie  müssen  einer  innerhalb  des  fließenden  Schlanun- 
stromes  entstandenen  rotierenden  Bewegung,  also  Ballung  von  lehmigen 
Traßbestandteilen  ihr  Dasein  verdanken. 

In  Burgbrohl  wurde  ein  Kohlensäurewerk  besichtigt,  sodann  das  Früh- 
stück eingenommen. 

Auf  dem  Wege  zum  Laacher  See  besuchte  man  zunächst  den  das 
Brohltal  auf  der  Südseite  überragenden  Krater  des  „Lummerfelds".  Er  ist 
gegen  N  geöffnet,  und  hier  ergoß  sich  eine  Lava,  die  als  erster  vulkanischer 
Erguß  das  Brohltal  erfüllte.  So  kann  man  in  der  Geschichte  des  Brohltals 
folgende  Reihenfolge  erkennen:  1.  Erosion  des  Brohltals;  2.  Erguß  der  Lava- 
massen des  Lummerfelds;  3.  erneute  Erosion  der  Brohl;  4.  Ausfüllung  durch 
die  Traßmassen;  5.  erneute  Erosion  der  Brohl. 

Der  Niederblick  zum  Land  nördlich  der  Brohl  zeigte  die  beiden  bisher 
als  „Hauptterrasse"  zusammengefaßten  Terrassenstufen  (in  230  und  260  m 
absoluter  Höhe,  Brohltal  etwa  176  m)  in  modellartiger  Deutlichkeit,  über- 
ragt von  der  Lava  des  Herchenbergs.  Die  höchste  Erhebung  des  Lummerfeld- 
Kraterrandes  sind  die  Kunksköpfe,  die  jedoch  nach  einer  anderen  Auffassung 
einen  auf  dem  Rande  des  Lummerfeldkraters  aufsitzenden  Schmarotzerkegel 
darstellen.  So  erfuhren  die  schön  aufgeschlossenen  aus  Laven  und  Tuffen 
bestehenden  Profile  von  Seiten  der  einzelnen  Exkursionsleiter  verschiedene 
Deutung,  Professor  Rauff  machte  besonders  auf  den  —  seiner  Meinung 
nach  —  an  der  Innenseite  des  großen  Kraterrandes  angeklebten  Löß  auf- 
merksam, der,  wenn  er  sich  auch  auf  sekundärer  Lagerstätte  befinden  sollte, 
doch  in  dieser  Lage  ein  sicherlich  äolisches  Produkt  ist.  Denn  es  sei  nicht 
abzusehen,  wie  er  an  dieser  Stelle  als  Wassertrübe  habe  abgelagert  werden  können. 


Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln.  459 

Kurz  hinter  Wassenach  kam  man  in  den  Bereich  der  Aschen  des  großen 
iüngsten  Laacher  Vulkans. 

Der  Laacher  See,  der  von  dem  auf  dem  Kraterrande  hefindlichen  Lydia- 
turm zuerst  erblickt  und  dessen  Entstehung  und  morphologische  Verhältnisse 
uns  erklärt  wurden,  ist  ein  Maar,  eingebettet  in  Devon  und  Tertiär;  er  stellt 
das  jüngste  vulkanische  Gebilde  der  Gegend  dar  und  hat  mit  den  älteren 
und  höheren  Vulkanbergen  seiner  „scheinbaren"  Umrandung:  den  Veitskopf, 
Laacher  Kopf,  Roter  Berg,  nichts  zu  tun. 

Vom  Lydiaturm,  wo  wir  durch  eine  ebenso  liebenswürdige  wie  reich- 
liche Bewirtung  vom  Direktor  der  Linzer  Basaltgesellschaft  und  seiner  Frau 
Gemahlin  überrascht  wurden,  wandei*te  man  längs  des  Westufers  des  licht 
blaugrünen,  von  Wald  eingefaßten  Sees,  wobei  man  an  einigen  Stellen  Auf- 
schlüsse des  Krateruntergrunds,  Devon  und  Tertiär,  sah.  Das  meiste  ist 
natürlich  mit  Aschen  bedeckt.  Der  Weg  führt  im  Anfang  unmittelbar  am 
Seeufer  hin,  auf  einer  seit  dem  12.  Jahrhundert  trocken  gelegten  (oder 
gewordenen?)  Terrasse.  Heute  hat  man  dem  See  einen  Abfluß  gegeben,  durch 
das  südliche  offene  Gelände.  Hier  wurden  in  einem  Bruche  die  Bimsteine 
angesehen,  und  dann  das  Kloster  oder  das  Hotel  aufgesucht,  wo  gegen 
5  Uhr  das  Mittagessen  genommen  wurde.  Um  6  Uhr  brachten  Wagen  die 
Exkursionsteilnehmer  von  Maria  Laach  zur  Brauerei  der  Brüdergemeinde  in 
Niedermendig.  Dort  wurde  der  große  Lavastrom  und  der  Lavakeller  besich- 
tigt. Dann  fuhr  man  um  Y^8  in  Wagen  zum  Bahnhof  Niedermendig  und 
von  da  um  8  Uhr  mit  der  Eisenbahn  nach  Köln. 

Die  wirtschaftsgeographischen  Ausflüge  ins  Aachener  Becken 
und  ins  Urfttal  hatten  den  Zweck,  einen  Begriff  von  der  Größe  der  rhei- 
nischen Industrie,  insbesondere  der  Eisen-  und  Stahlgewinnung,  zu  geben  und 
eine  der  großartigsten  technischen  Anlagen  Deutschlands,  die  im  Bau  be- 
griffene Talsperre  bei  Gemünd  (in  der  Eifel)  kennen  zu  lernen. 

Die  am  6.  Juni  um  9'^  V.  in  Eschweiler  ankommenden  Teilnehmer  — 
50  an  der  Zahl  unter  Führung  von  Prof.  Dr.  Hassert  —  wurden  von  Inge- 
nieur Welcke  sofort  zur  nahen  Hauptaulage  des  Hochofenbetriebes  Kon- 
kordiahütte geführt,  wo  unter  der  fachkundigen  Leitung  von  Bergrat  Oth- 
berg,  Direktor  des  Eschweiler  Bergwerksvereins,  Ingenieur  Welcke  und 
Hüttenverwalter  Peetz  zunächst  als  jüngster  Fabrikationszweig  die  Her- 
stellung von  Bausteinen  besichtigt  wurde,  die,  aus  Schlackensand  und  Kalk 
verfertigt,  einen  dem  Zement  an  Härte  und  Güte  gleichkommenden  Werk- 
stein liefern.  Dann  wurden  die  Elektricitätswerke,  der  Kalkofen  und  die 
Lagerräume  für  die  meist  aus  Luxemburg  stammenden  Eisenerze,  sowie  die 
Koksofen-  und  die  eigentlichen  Hochofenanlagen  in  Augenschein  genommen. 
Hierauf  fand  eine  Füllung  des  Hochofens  mit  den  verschiedenen  Erzgesteinen 
und  Zuschlagsmitteln  statt,  und  später  wurde  das  Ausfließen  der  glühend- 
flüssigen Schlacken  und  das  Abstechen  des  weiß-  und  rotglühenden  geschmol- 
zenen Eisens  vorgeführt.  Nach  Schluß  der  Besichtigung  wurde  den  Teil- 
nehmern unter  freundlichen  Begrüßungsworten  ein  kühler  Trunk  dargeboten. 
Der  Ausflugsleiter  sprach  hierauf  und  bei  dem  im  Hotel  Stürtz  sich  an- 
schließenden Mittagessen  unter  Hinweis  auf  die  hohe  Entwicklung  der  rhei- 
nischen Eisenindustrie  den  Dank  der  Teilnehmer  aus. 

Gegen  2  Uhr  brachte  ein  Sonderzug  der  elektrischen  Kleinbahn  die  Teil- 
nehmer durch  das  von  Fabrikanlagen  der  verschiedensten  Art  erfüllte  In- 
dustriegebiet von  Stolberg  in  einstündiger  Fahrt  nach  Rote  Erde  bei  Aachen, 

81  • 


460       F.  Thorbecke:  Der  XIV.  deutsche  Geographentag  in  Köln. 

wo  sie  sofort  von  Direktor  KinzU  und  einer  Anzahl  von  Ingenieuren 
des  Hüttenaktienvereins  „Bote  Erde^^  in  die  Eisen-  und  Stahlwerke  geleitet 
worden.  Die  großartigen,  aus  bescheidenen  Anfängen  hervorgegangenen  An- 
lagen, die  heute  gegen  5000  Arbeiter  beschäftigen,  bestehen  aus  einem 
Bessemer  Stahlwerk,  einem  Siemens  Martin-Stahlwerk,  einem  Walzwerk^  einer 
Eisengießerei,  einer  Walzendreherei,  einer  Schlackenmühle  zur  Erzeugung  von 
Thomas-Phosphatmehl  und  einer  ganzen  Beihe  anderer  Anlagen  und  Werk- 
stätten. In  ihnen  sind  insgesamt  130  Dampfmaschinen  mit  rund  22  000  Pferde- 
kräften,  5  Dampf hänuner  und  170  verschiedene  Hilfismaschinen  tätig,  während 
71  Dampfkessel  den  zum  Betrieb  erforderlichen  Dampf  liefern.  Eingehende 
Betrachtung  fanden  die  hochinteressanten  Prozesse  der  Eisenverarbeitung  und 
Stahlerzeugung,  insbesondere  das  Thomasverfahren  und  das  Siemens  Martin- 
Verfahren  zur  Erzeugung  von  Thomas-  und  Martinstahl,  der  dann  gewalzt 
und  zu  verschiedenen  Arten  von  Trägem,  Eisenbahnschienen,  Stahlplatten, 
Stahltauen  u.  s.  w.  verarbeitet  wird,  während  aus  den  aus  riesigen  Birnen 
ausgeworfenen  Schlacken  das  Thomasphosphatmehl  gewonnen  wird.  An  die 
lehrreiche,  aber  heiße  und  durch  das  Dröhnen  der  nie  rastenden,  gewaltigen 
Maschinen  unterbrochene  Besichtigung  schloß  sich  auch  hier  ein  in  gast- 
lichster Weise  dargebotener  Trunk  und  Imbiß.  Prof.  Dr.  Oothein  dankte 
namens  der  Teilnehmer  Direktor  Kinzle  für  seine  warmen  Begrüßungsworte. 

Dann  ging  es  in  Equipagen,  die  Aachener  Hen*schaften  und  die  Gast- 
freundschaft des  Hüttenaktienvereins  bereit  gestellt  hatten,  nach  Aachen. 
Dort  besuchte  ein  Teil  der  Mitglieder  unter  Führung  der  Assistenten  Sie- 
berg und  Müllermeister  das  sehenswerte  meteorologische  Observatorium, 
die  Centralstation  für  den  meteorologischen  Dienst  im  ganzen  Rheinland.  Der 
andere  Teil  genoß  vom  Lousberg  den  lehrreichen  Blick  ins  Aachener  Becken 
und  besichtigte  eines  der  Schwefelbäder.  Der  Abend  vereinte  die  Teilnehmer 
mit  Mitgliedern  der  Technischen  Hochschule  und  des  Zweigvereins  Aachen 
der  Deutschen  Meteorologischen  Gesellschaft  im  Elisenbrunnen,  wo  zu  Ehren 
der  Mitglieder  des   Geographentages   Illumination  und  Kurkonzert  stattfand. 

Am  7.  Juni  trafen  die  von  Aachen  aus  weiterfahrenden  und  die  von 
Köln  aus  neu  hinzukommenden  Teilnehmer,  insgesamt  54,  am  Bahnhof  Call 
zusammen  und  wurden  von  einem  Sonderzug  unverzüglich  nach  Gemünd  ge- 
bracht, von  wo  sie  nach  kurzer  Frühstückspause  im  Hotel  Bergemann  ein 
Extrazug  der  Mat«rialbahn,  den  die  Bauleitung,  Firma  Holzmann  &  Co.  in 
Frankfurt  a.  M.,  in  entgegenkommendster  Weise  umsonst  zur  Verfügung  ge- 
stellt hatte,  zur  Talsperre  weiter  beförderte.  Nach  einstündiger  Fahrt  durch 
das  enge,  vielgewundene,  landschaftlich  reizvolle  Erosionstal,  das  die  Rur  in 
die  alten  unter-devonischen  Schiefer  imd-  Grauwacken  gegraben  hat,  war  um 
12  Uhr  die  Talsperre  erreicht,  wo  deren  Erbauer,  Geh.  Reg.-Rat  Prof.  Dr.  ing. 
Intze  im  Verein  mit  Wasserbau-Inspektor  Frentzen  die  mehrstündige  Füh- 
rung übernahm  und  einen  lichtvollen,  durch  Karten,  Diagramme  und  einen 
gedruckten  Führer  unterstützten  Überblick  über  den  Talsperrenbau  mit  seinen 
Vorstudien,  den  technischen  Schwierigkeiten  und  den  zu  beobachtenden  Vor- 
sichtsmaßregeln gab. 

Die  Talsperre,  die  im  Jahre  1904  dem  Betrieb  übergeben  werden  soll 
und  nach  ihrer  Vollendung  die  größte  Anlage  dieser  Art  in  Deutschland 
sein  wird,  besteht  aus  einer  228  m  langen  und  58  m  hohen  Mauer  mit 
55  m  Sohlen-  und  5,5  m  Kronenbreite  und  soll,  unterstützt  durch  einen 
gerade  hier  das  Tal  stark  einengenden  Felsriegel,  einen  52  m  hohen  Au£stau 
des   Wassers   bewirken.     Die   gestaute   Wassermenge   beträgt  45 Y^  Mill.  cbm 


E.  Dathe:  Zum  Gcbirgsbaa  in  Schlesien.  461 

und  besitzt  bei  vollem  Becken  eine  Oberfläche  von  2l6  ha,  die  einen  etwa 
12  km  langen,  bald  unterhalb  Gemünd  beginnenden  See  bilden  wird.  Die 
Zuflußmenge  des  aus  einem  375  qkm  großen  Niederschlagsgebiet  zusammen- 
strömenden Wassers  beträgt  im  Jahr  zwischen  150  bis  180  Mill.  cbm,  so 
daß  sie  das  abgesperrte  Seebecken  viermal  im  Jahre  füllen  kann. 

Die  Sperre,  deren  Baukosten  ohne  Eraftcentrale  gegen  4  Mill.  Mark  be- 
tragen, soll  einmal  den  Überschwemmungen  der  Rur  und  den  dadurch  hervor- 
gerufenen schweren  Schädigungen  vorbeugen  —  jetzt  fließen  20 — 30  Mill.  cbm 
Hochwasser  bei  größerer  Hochflut  schon  in  wenigen  Tagen  ungenutzt  und 
schadenbringend  ab  —  und  dann  für  den  wasserarmen  Sommer  genügende 
Wassermengen  zu  Industriezwecken  aufspeichern.  Femer  soll  das  aufgestaute 
Wasser  -neue  billige  Betriebskräfte  vornehmlich  für  die  äußerst  lebhafte 
Fabriktätigkeit  in  Aachen,  Düren  und  im  Landkreis  Aachen  schaffen.  Zu 
diesem  Zweck  ist  bald  oberhalb  der  Sperrmauer  ein  2,7  km  langer  Stollen 
durch  den  waldigen  Rücken  des  Kermeter  ins  Rurtal  bei  Heimbach  getrieben. 
Das  bis  zum  Rurtal  mit  110  m  GefUU  bei  gefülltem  Becken  den  Stollen 
durchfließende  Wasser  wird  8  Turbinen  von  zusammen  16  000  Pferdekräften 
Maximalleistung  in  Bewegung  setzen  und  von  der  elektrischen  Centrale  bei 
Heimbach  aus  elektrisches  Licht  und  elektrische  Kraft  nach  Düren  und 
Aachen  leiten. 

Nach  eingehender  Besichtigung  der  Sperrmauer  und  des  Stollens,  die 
durch  eine  kurze  Rast  in  der  eine  vorzügliche  Verpflegung  bietenden  Kantine 
unterbrochen  ward,  brachte  die  Materialbahn  die  Ausflugsteilnehmer  nach 
Gemünd  zurück.  Beim  Abendessen  im  Hotel  Bergemann  brachte  Prof. 
Dr.  Hassert  den  Dank  der  Mitglieder  zum  Ausdruck  und  betonte  die  un- 
geteilte Bewunderung,  welche  die  Talsperre  als  ein  Meisterwerk  deutscher 
Technik,  Wissenschaft  und  Gründlichkeit  bei  allen  Teilnehmern  gefunden 
hatte. 

Der  von  Gemünd  um  5*®  N.  abfahrende  Abendzug  brachte  die  Teil- 
nehmer wieder  nach  Köln  und  Aachen  zurück. 


Zum  Gebirgsbau  in  Schlesien. 

In  dieser  Zeitschrift  1902  Heft  X  S.  553— 570  hat  der  Professor  der 
Geologie  an  der  Universität  Breslau  Dr.  F.  Frech  eine  tektonisehe  Skizze: 
„Über  den  Bau  der  schlesischen  Gebirge"  veröffentlicht.  Letztere,  welche 
mir  spät  zu  Gesicht  gekommen  ist,  enthält  so  zahlreiche  Unrichtigkeiten  und 
unerwiesene  Behauptungen,  daß  eine  ausführliche  Widerlegung  derselben,  so- 
weit sie  sich  namentlich  auf  Niederschlesien  beziehen,  an  dieser  Stelle  unter 
bleiben  muß.  Ich  greife  nur  einige  Punkte  heraus,  die  ich  größtenteils  in 
Form  von  Stichworten  hier  nur  andeuten  will;  sie  werden  später  in  einer 
geologischen  Zeitschrift  ausführlicher  ihre  gebiüirende  Beleuchtung  und  Ab 
fertigung  durch  mich  finden. 

Zuerst  eine  geographische  Frage,  die  durch  Frech  entstellt  worden  ist 
Bei  der  Einteilung  der  Sudeten  in  Ost-  und  West-Sudeten  nach  J.  Partsch, 
welcher  zu  ersteren  das  mährische  Gesenke,  das  Altvatergebirge,  das  Glatzer 
Schneegebirge  und  das  Reichensteiner  Gebirge  rechnet,  schreibt  Frech 
(S.  554):  „Die  Umbiegungs-  oder  besser  Umknickungsgebiete  entsprechen  dem 
Glatzer  Schneeberg  (muß  Glatzer  Schneegebirge  heißen  £.  D.),  dem  gegen- 


462  £•  Dathe:  Zum  Gebirgsbau  in  Schlesien. 

überliegenden  böhmischen  Kamm  und  dem  Reichensteiner  Gebirge  (E.  Dathe 
möchte  sie  „Mittelsudeten"  nennen)."  —  In  meiner  Einteilung  der  Sudeten 
unterscheide  ich:  a)  die  südlichen  Sudeten  oder  die  Altvatergruppe,  b)  die 
mittleren  Sudeten  oder  die  Eulengebirgsgruppe  und  die  nördlichen  Sudeten 
oder  die  Riesengebirgsgruppe.  Zu  den  ersteren  habe  ich  das  mährische  Ge- 
senke, das  Altvatergebirge,  das  Glatzer  Schneegebirge,  das  Reichensteiner 
Gebirge,  das  Habelschwerdter  Gebirge  und  das  Adler-  oder  Erlitzgebirge  ge- 
stellt; letzteres  wird  zuweilen  auch  als  böhmischer  Kamm  bezeichnet.  Zu  den 
mittleren  Sudeten  zähle  ich  das  Eulengebirge,  das  Warthaer  Gebirge,  das 
Waldenburger  Gebirge  und  das  Heuscheuergebirge.  Der  Leser  sieht  hieraus, 
daß  Frech  mir  eine  ganz  imgerechtfertigte  Unterstellung  macht;  und  daß, 
wie  er  beliebt  weiter  zu  schreiben,  „die  neueren  Untersuchungen  Lepplas 
eine  Sonderstellung  „dieser  Mittelsudeten"  (nämlich  des  Glatzer  Schneegebirges, 
des  Reichensteiner  Gebirges  und  des  Adlergebirges),  als  ganz  undenkbar  er- 
scheinen lassen",  eine  ganz  unbegründete  und  unvorsichtige  Bemerkung  von 
Frech  enthält. 

Nun  soll  die  Aufzählung  der  anderen  hauptsächlichsten  Irrtümer  kurz 
folgen.  1.  Daß  zwischen  den  alten  Gebirgen  der  südlichen  Grafschaft  und  der 
Eule  (soll  wohl  Eulengebirge  heißen  E.  D.)  ein  altcarbonisches  Meeresbecken 
sich  befunden  habe  (S.  561),  wie  er  schreibt,  ist  von  mir  nirgends  behauptet 
worden.  Die  Faltung  der  Gneisformation  ist  nicht  carbonisch,  sondern  älter, 
wahrscheinlich  silurisch,  da  doch  schon  im  Eulengebirge  auf  dem  gefalteten 
und  in  große  Einzelschollen  zerfallenen  Eulengebirge  Unterculm  ungleichförmig 
auflagert. 

2.  Silur-,  Devon-  und  Untercarboirschichten  von  Silberberg -Neurode 
(S.  565)  ist  unrichtig;  Neurode  liegt  im  Gebiete  von  Obercarbon  und  Rot- 
liegendem; es  kann  nur  Silberberg- Wartha-Glatz  heißen. 

3.  Das  niederschlesisch-böhmische  Steinkohlenbecken  bezeichnet  Frech 
zuerst  irrtümlich  als  Waldenburg-Schatzlarer  Mulde  (S.  557),  dann  als  Walden- 
burger Mulde  (S.  557  und  563),  aber  S.  559  als  Waldenburger  Kohle nmulde. 

4.  W.  Volz  und  R.  Leonhard  sollen  in  der  wissenschaftlichen  Deutimg 
des  1895er  Schollen-  und  Schaukelbebens  erwiesen  haben,  daß  ein  System 
von  Brüchen  die  Vorberge  durchzieht  (S.  565).  Davon  steht  nichts  in  deren 
Abhandlung;  sie  sprechen  zwar  von  einer  Begrenzung  ihrer  Nimptscher 
Scholle  durch  Brüche,  diese  existieren  aber  nicht,  somit  auch  ihre  Scholle 
nicht.  Man  vergleiche  dagegen  meine  Darstellung  des  Spaltensystems  in 
meiner  Abhandlung:  Das  schlesisch-sudetische  Erdbeben  vom  11.  Juni  1895 
und  diese  Zeitschrift  1898.  S.  287—289. 

5.  Die  Trebnitzer  Berge  oder  das  Katzengebirge  soll  der  äußerste  und 
niedrigste  Parallelzug  der  Sudeten  sein  S.  565;  das  ist  zwar  neu,  aber  un- 
richtig. 

6.  „Die  Granitintrusion  im  Riesengebirge,  Striegau,  Strehlen  u.  s.  w." 
soll  in  der  Mitte  des  Carbons  erfolgt  sein  (S.  556).  Nach  Beyrichs  und 
meinen  Untersuchungen  ist  der  Riesengebirgsgranit  mindestens  von  devonischem 
Alter;  von  den  übrigen  Granitstöcken  ist  das  Alter  nicht  sicher  zu  bestimmen, 
aber  jedenfalls  ist  kein  Beweis  für  carbonisches  Alter  zu  erbringen.  Für  das 
devonische  Alter  des  Riesengebirgsgranits  sprechen  die  von  mir  aufgefundenen 
GranitgeröUe  im  Culm  und  in  den  Weißst«iner  Schichten  des  unteren  Ober- 
carbon. 

7.  Der  nordostsudetische  große  Randbruch  zwischen  Goldberg  und  Jauemig 
''S.  559)  soll  den  oligocänen  Bruchlinien  angehören.     Diese  Bruchlinie,  soweit 


F.  Frech:  Zum  Gebirgsbau  in  Schlesien.  463 

überhaupt  vorhanden,  ist  von  verhältnismäßig  geringem  vertikalen  Betrage; 
sie  geht  den  zahlreichen  im  Eulengebirgo  vorhandenen  Gängen  von  paläo- 
zoischen Eruptivgesteinen  parallel  und  ist  von  gleichem  Alter  wie  diese, 
nämlich  jung  paläozoisch.  Der  große  sudetische  Randbruch  liegt  am  Ost- 
ende der  großen  archäischen  Eulengebirgsscholle,  wozu  in  den  Yorbergen  die 
Beichenbacher,  Nimptscher  und  Strehlener  Berge  zählen;  er  liegt  also  ost- 
wärts der  letzteren  und  besitzt  einen  SO-NW-Verlauf. 

8.  Das  Alter  der  ganzen  Schotterterrasse  bei  Halbendorf  bei  Glatz  soll 
ich  für  pliocän  angesprochen  haben,  trotzdem  ich  in  der  mittleren  Schotter- 
zone zahlreiche  nordische  Geschiebe  nachgewiesen  hätte.  Diese  Behauptung 
Frechs  ist  unrichtig,  denn  ich  habe  nur  die  unter  der  mittleren  Schotter- 
zone (die  wie,  gesagt,  nordische  Geschiebe  führt)  auftretende  unterste  Zone 
der  betreffenden  Schotterterrasse  möglichenfalls  für  pliocän  erklärt. 

Zum  Schluß  sehe  ich  mich  genötigt,  den  Vorwurf  Frechs,  ich  hätte 
mir  fremdes  geistiges  Eigentum  unrechtmäßig  angeeignet,  mit  Entrüstung 
zurückzuweisen.  Er  betrifft  den  ersten  Nachweis  der  Verbreitung  des  nor- 
dischen Diluviums  in  der  Grafschaft  Glatz.  A.  Leppla  hatte  in  seiner 
1900  erschienenen  geologisch-hydrologischen  Beschreibung  des  Niederschlags- 
gebietes der  Glatzer  Neiße  diese  Entdeckung  durch  ein  Mißverständnis 
für  sich  in  Anspruch  genommen.  Ich  hatte  bereits  im  Jahre  1883  in  der 
Grafschaft  nordisches  Diluvium  in  großen  Flächen  beobachtet  und  teilweise 
kartiert,  sodann  aber  in  vier  Publikationen  in  den  Jahren  1894  — 1899 
die  große  Verbreitung  der  nordischen  Diluvialbildungen  im  Glatzer  Kessel 
beschrieben.  Im  1.  Heft  der  Zeitschrift  der  deutschen  geologischen  Gesell- 
schaft 1902,  das  im  Juli  desselben  Jahres  ausgegeben  wurde,  in  dem  Frech 
den  gleichen  Vorwurf  gegen  mich  erhob,  habe  ich  die  Behauptung  Lepplas 
richtig  gestellt.  Trotz  dieser  Richtigstellung  macht  mir  Frech  in  dem  am 
18.  Oktober  1902  abgeschlossenen  Hefte  dieser  Zeitschrift  nochmals  diese 
ganz  unbegründete  Unterstellung,  daß  ich  mir  fremdes  geistiges  Eigentum 
unrechtmäßigerweise  angeeignet  hätte.  Dies  zu  tun,  überlasse  ich  Frech; 
man  vergleiche  Zeitschrift  der  deutsch,  geologischen  Gesellschaft  1902,  S.  491. 

Dr.  £.  Dathe,  Landesgeologe  in  Berlin. 

Erwiderung. 

Zu  1.  Es  handelt  sich  um  die  Frage,  ob  man  mit  Parts  oh  Ost-  und 
West-Sudeten  unterscheidet  oder  noch  eine  dritte  Gruppe:  „mittlere  Sudeten" 
(mit  Dathe)  zwischen  beide  einschiebt.  Ein  Blick  auf  die  geologischen  Karten 
zeigt,  daß  fOr  den  Geologen  die  Ausscheidung  einer  mittleren  Gruppe  in 
irgend  welcher  Abgrenzung^)  unmöglich  ist.  Daß  ein  Geograph  Dathes  Mei- 
nung folgt,  ist  ohnehin  nicht  anzunehmen. 

2  und  besonders  3  betreffen  philologische  Fragen  ohne  sachliche  Bedeutung. 

Zu  4.  Von  dem  „System  von  Brüchen",  welches  die  „schlesischen  Vor- 
berge durchzieht",  soll  in  der  Abhandlung  von  Leonhard  und  Volz  „nichts 
stehen".  Von  diesen  Brüchen  handeln  aber  zwei  volle  Seiten  (S.  8 — 10) 
in  der  Abhandlung  „über  das  mittelschlesische  Erdbeben  vom  11.  Juni  1895 
und  die  schlesischen  Erdbeben"  in  der  Z.  d.  Ges.  f.  Erdkde.  zu  Berlin, 
Bd.  31,  1896.  Diese  Abhandlung  scheint  Dathe  nicht  zu  kennen.  Es 
sei  nur  einer  der  wichtigsten  Sätze  erwähnt:    „Wie    das   Eulengebirge,    von 


1)   Was   Dathe   eine   „ungerechtfertigte   Unterstellung*^    nennt,    ist   ein    un- 
genaues Citat. 


464  F-  Frech:  Zum  Gebirgsbau  in  Schlesien. 

welchem  Dathe  gezeigt  hat,  daß  es  durch  Bruchlinien  verschiedener  Bich- 
tungen  begrenzt  und  allseitig  durchsetzt  ist,  werden  auch  die  Gneisgebiete 
des  mittelschlesischen  Vorlandes  durch  zahllose  Brüche  verschiedener 
Systeme  (hier  gesp.)  in  eine  große  Anzahl  von  Einzelschollen  (hier 
gesp.)  zerlegt'^  u.  s.  w.  Kartographisch  nachweisbar  sind  allerdings  wegen  des 
deckenden  Diluviums  diese  Brüche  selten.  Über  die  Da  theschen  „Brüche^ 
(=  Schütterlinien  des  Erdbebens  von  1895)  urteilen  dieselben  Verfasser^) 
zutreffend:  „Auf  kartographisch  nachgewiesenen  Brüchen  verläuft  kaum  eine 
Schütterlinie.  Allen  Schütterlinien  (sc.  Dathes)  haftet  als  Zeugnis  ihrer  Ent- 
stehung ein  gemeinsamer  Zug  an:  sie  vermeiden  das  anstehende  Gestein  nach 
Möglichkeit  und  verlaufen  möglichst  im  deckenden  Diluvium;  in  Folge  von 
Dathes  allzu  enger  Anlehnung  an  das  Nachrichtenmaterial  sind  sie  als  Ver- 
bindungslinien von  Wohnplätzen  großenteils  ident  mit  Chausseen"  (hier 
gesp.).     Ich  habe  dem  nichts  hinzuzufügen. 

Zu  6.  Für  das  mittelcarbonische  (oder  iutracarbonische)  Alter  des 
Riesengebirgsgianits  und  der  übrigen  schlesischen  Granitlinsen  spricht  ihre 
Lage  in  der  Centralzone  der  carbonischen  Hochgebirge  (siehe  die  auf  Taf.  11 
in  der  G.  Z.  1899  veröffentlichte  Karte).  Nur  für  die  außerhalb  dieser  Zone 
gelegenen  Granitvorkommen  —  so  die  des  bayrisch-böhmischen  Waldes  — 
ist  ein  höheres  Alter  wahrscheinlich.  Dathe  beschreibt  die  von  ihm  im 
unteren  Waldenburger  Obercarbon  aufgefundenen  „GranitgeröUe"*)  als  bis 
„über  erbsengroße  Feldspatfragmente",  „rötlichbraun  bis  fleischrot"  gefärbt, 
die  beim  Zerschlagen  deutliche  Spaltflächen  zeigen.  Die  obige  Angabe,  daß 
diese  Feldspate  (aus  denen  inzwischen  „GranitgeröUe"  geworden  sind)  aus  dem 
Granitstein  des  Biesengebirges  stammen,  ist  um  so  auffallender,  als  (S.  63) 
in  derselben  Arbeit  „rotbraune  Granite"  auf  ein  verschwundenes  Gebirge 
zurückgeführt  werden.  Diese  untercarbonischen  GranitgeröUe  sind  eben  nach 
Dathe  von  dem  Biesengebirgsgranit  vollkommen  verschieden.  Erst  im  4.  Heft 
der  Z.  d.  deutschen  geol.  Ges.  1902  erschien  von  Dathe  eine  Angabe,  daß 
sich  Riesengebirgsgranite  als  Gerolle  im  unteren  Carbon  vorfinden.  Auf  diese 
Ende  1902  erschienene  Angabe  konnte  ich  Anfang  1902  keine  Bücksicht  nehmen. 

Beyrichs  Ansicht  über  das  Alter  eines  Teiles  des  schlesischen  Granits 
ist  in  den  Erläuterungen  J.  Boths')  kurz  zusammengefaßt  Nach  Beyrich 
erlaubt  die  Erscheinungsweise  des  Granits  des  böhmisch-glatzischen 
Gebirgssystems  ebenso  wie  die  der  Beichensteiner  Gegend  (hier  gesp.) 
die  Annahme,  daß  diese  Granite  gleich  denen  des  Harzes  und  in  Devon- 
shire  in  der  Zeit  der  devonischen  oder  der  älteren  Steinkohlen- 
formation (hier  gesp.)  hervorgetreten  sind.  Ganz  abgesehen  von  der  ün- 
genauigkeit,  mit  der  Dathe  hier  Beyrichs  Angaben  wiedergibt,  entkräftet 
er  durch  das  Heranziehen  dieser  Autorität  seine  eigene  Behauptung.  Die 
Granite    im  Harz*)    und    von  Devonshire   gelten    allgemein   nicht   mehr   als 


1)  Schles.  Ges.    76.  Jahresber.  (1898).   Naturwiss.  Sekt.  S.  42. 

2)  Über  die  ^^devonischen  Granite**  Schlesiens,  besser  über  das  „devonische 
Alter**  schlesischen  Granitvorkommens  sagt  Dathe  in  seiner  geol.  Beschreibung 
Salzbrunns  (1892)  S.  63:  In  diesen  (untercarbonische)  Konglomeraten  ist  ein  merk- 
würdiges Gestein  zwar  sparsam  aber  ziemlich  allgemein  verbreitet.  Es  ist  ein  rot- 
brauner Granit,  wie  er  in  Schlesien,  Böhmen  und  Sachsen  nirgends  bekannt 
ist;  er  gleicht  gewissen  schwedischen  Graniten  . . .  Nach  meinem  Dafürhalten  liecren 
in  diesen  Geröflen  die  letzten  Überreste  eines  verschwundenen  alten  schle- 
sischen Gebirges  (hier  gesp.)  vor. 

3)  Erl.  z.  der  geognost.  K.  vom  Niederschles.  Gebirge.    Berlin  1867.  S.  390. 

4)  Der  Harzgranit  metamorphosiert  devonische  und  untercarbonische  Schichten 


von  Kleist:  Frankreichs  äthiopische  Eisenbahn.  465 

deTonisch-antercarboniscb,  sondern  als  mittelcarbonisch  (oder  auch  als  jünger^) 
und  dasselbe  würde  somit  auch  für  den  Granit  des  böhmisch -glatzischen 
Gebirges  gtlten. 

Zu  7.  Der  nordostsadetische  Bandbmch  soll  von  verhältnismäßig  ge- 
ringem vertikalen  Betrage  sein  und  jung -paläozoisches  Alter  besitzen,  weil 
er  zahlreichen  Gängen  des  Eulengebirges  parallel  läuft.  Der  Randbruch 
trennt  Gebiete  von  gleicher  Zusammensetzung  des  Grundgebirges  aber  sehr 
Terschiedener  Höhenlage  und  beherrscht  das  Antlitz  der  Landschaft  in  Schle- 
sien. Das  nennt  Dathe  einen  „geringen  vertikalen  Betrag*'.  Für  die  Alters- 
bestinmiung  genügt  ihm  die  Tatsache  der  Parallelität  mit  den  paläozoischen 
Emptivgesteinen  des  Eulengebirges.  Dathe  steht  also  noch  ganz  auf  dem 
Standpunkte  Elie  de  Beaumonts,  der  aus  der  Parallelität  der  Dislokationen 
auf  gleiches  Alter  schloß. 

Zu  der  „Richtigstellung"  betr.  des  Glatzer  Diluviums  sei  bemerkt,  daß 
mir  gleichzeitig  mit  dem  Erscheinen  der  betr.  Arbeit  Dathe s  (Heft  1  d. 
Z.  d.  deutschen  geol.  Ges.  Juli  1902)  spontane  Mitteilungen  zweier  Vorstands- 
mitglieder zugingen,  wonach  die  betr.  Polemik  eine  Inkorrektheit  enthalte,  der 
sich  Dathe  schuldig  gemacht  habe.  Gleichzeitig  wurde  mir  eine  Erklärung 
des  Vorstandes  in  Aussicht  gestellt,  die  dann  auf  8.  79  desselben  Jahrganges 
(Mai  1903)  erschienen  ist 

Von  den  „Kritischen  Bemerkxmgen"  habe  ich  erst  jetzt  nach  dem  Er- 
scheinen der  Erklärung  (Mai  1903)  Kenntnis  genommen,  da  ihr  Inhalt  für 
mich  erst  hierdurch  in  das  rechte  Licht  gerückt  wurde. 

Seit  Dathe  im  schlesischen  Gebirge  kartiert,  hält  er  sich  —  wie  es 
scheint  —  für  verpflichtet,  jede  die  Sudeten  und  das  Flachland  Schlesiens 
behandelnde  Arbeit,  die  von  einem  Mitglied  der  Breslauer  Universität  ver- 
faßt ist,  streng  zu  kritisieren:  weder  Mineralogen  (Traube)  noch  Petro- 
graphen  (Milch*)  und  Geographen  (Leonhard  und  Partsch),  am  wenigsten 
natürlich  Geologen  •)*  finden  Gnade  vor  ihm.  Dathe  berichtigt  mit  Vorliebe 
Namen:  nicht  Waidenburg- Schatzlarer  sondern  „niederschlesisch-böhmisches" 
Becken,  nicht  mittelschlesisches  sondern  „schlesisch  •  sudetisches  Erdbeben^^  ist 
die  von  dem  Schulmeister  korrigierte  Form.  Auch  Druckfehler  oder  ungenaue 
Citate  (Mittelsudeten)  werden  mit  scharfem  Blicke  erkannt,  zuweilen  (Treb- 
nitzer  Berge)  gibt  Dathe  lediglich  seiner  subjektiven  Anschauung  —  ohne 
Angabe  irgendwelcher  Gründe  —  Ausdruck.  Eine  Diskussion  ist  dann  aus- 
geschlossen. —  Wie  weit  Dathe  sachlich  Recht  behält,  sei  dem  Urteil  der 
Leser  überlassen.  F.  Frech. 


Frankreichs  äthiopische  Eisenbahn. 

Ost- Afrika  und  Abessinien  sind  seit  ungefähr  50  Jahren,  seit  der  Er- 
Ö&ung  des  Suezkanals,  aus  Jahrhunderte  langer  Vergessenheit  immer  mehr 
hervorgetreten.     Nachdem  England  seine  Hand   auf  Egjpten  und  damit  auf 


and  ist  also  postdevonisch,   was  Dathe   in  den  Handbüchern  der  Geologie  finden 
dürfte.    (Credner.  Elemente.  IX.  Aufl.  S.  460,  487  u.  e.  w.) 

1)  Der   Dartmoor-Granit   (Devonshire)   ist   nach  W.  U.  Wog  dm  an   (G^ol.    of 
England  p.  562)  djadisch  (postcarbonisch). 

2)  Hier   nur   in   Bezug   auf  Grflnschiefer   des  Taunus   bei  Beschreibung   der 
Bdilesischen  Strahlsteinschiefer. 

S)  Abgesehen  von  dem  Unterzeichneten:  Volz,  Gürich. 


466  von  Kleist: 

den  Suezkanal  gelegt,  besetzte  es  die  Aden  gegenüberliegende  Somaliküste 
mit  Zeila  und  Berbera,  um  den  IJandel  Ost-Afrikas  seiner  Suez-Indien-Linie  an- 
zuschließen, während  Italien  die  Westküste  des  Roten  Meeres  vo«  Massauah 
bis  über  Assab  hinaus  in  Besitz  nahm.  Es  blieb  nur  noch  die  Küste  der 
Tadjurabai  am  Golf  von  Aden  herrenlos,  hier  aber  schob  sich  Frankreich 
zwischen  den  englischen  und  italienischen  Besitz  ein,  besetzte  Obok  und 
machte  Djibuti  zum  Hauptort  und  Hafen  für  sein  Protektorat  im  Gebiete 
der  Somalis. 

Ein  Blick  auf  die  Karte  ergibt  das  Verständnis  für  seine  günstige  Lage: 
hart  an  der  Welthandelsstraße  nach  Indien  und  Ost- Asien,  halbwegs  zwischen 
dem  Mutterlande  und  seinen  Kolonien  Indo-China,  Madagaskar,  innerhalb  des 
Aktionsradius  der  großen  Panzer  auf  der  Fahrt  nach  dem  Orient  entspricht 
es  in  hohem  Maße  den  Anforderungen  an  einen  Handelsplatz  und  eine  Kohlen- 
station, bei  vortrefflichem  Hafen  mit  gutem  Ankergrund  und  genügender 
Wassertiefe;  dabei  ist  das  Klima  gesund,  wenn  auch  sehr  heiß.  Djibuti  ent- 
wickelte sich  so  seit  seiner  Entstehung  (1888)  zu  einer  vielbesuchten  Hafen- 
stadt von  jetzt  18  000  Einwohnern  mit  reichlichen  Kohlenvorräten  und  Provi- 
sionen, mit  Schiflfewerkstätten,  die  auch  große  Reparaturen  ausfahren.  War 
es  bisher  immer  nur  eine  Zwischenstation  und  ein  Stützpunkt  fär  franzö- 
sische Interessen,  so  wird  es  jetzt  der  Ausgangspunkt  und  das  Tor  für  den 
Eisenbahnverkehr  in  das  von  der  Küste  abgeschlossene  Abessinien. 

Der  Herrscher  dieses  Landes,  der  Negus  Menelik,  gab  dem  bisher  in 
einzelne  Lehnstaaten  geteilten  Gebiete  staatliche  Einheit,  behauptete  durch 
den  Kampf  bei  Adua  seine  Selbständigkeit  gegen  Italien  und  ebenso  gegen- 
über Egypten;  er  stützt  sich  auf  ein  mit  neuesten  Waffen  ausgerüstetes  Heer 
von  200000  Mann,  erkennt  aber  die  Notwendigkeit  eines  Verkehrs  mit  der 
europäischen  Civilisation  an,  um  die  Produkte  seines  Landes  zu  verwerten 
und  Erzeugnisse  europäischer  Industrie  einzuführen.  Aber  von  der  Küste 
und  der  großen  Verkehrsader  Ost- Afrikas,  dem  Nil,  war  sein  Land  abgeschlossen 
durch  fremden  Besitz;  mit  wem  unter  den  lüsternen  Nachbarn  sollte  er  sich 
in  Verbindung  setzen,  um  durch  den  Bau  einer  Eisenbahn  mit  der  Welt  in 
Verkehr  zu  treten?  Auf  Anraten  seines  Ministers,  des  Schweizers  II g,  wählte 
er  hierzu  Frankreich  und  genehmigte  unter  Vermittlung  des  französischen 
Generalkonsuls  Chefneuf  einen  Vertrag  mit  der  französischen  Compagnie  des 
chemins  de  fer  ethiopiens  zum  Bau  und  Betrieb  einer  Eisenbahn  von  Djibuti 
nach  der  neuen  Hauptstadt  Abessiniens  Addis  Abeba  mit  einer  Abzweigung 
nach  Harar  unter  Ausschluß  der  Genehmigung  zu  irgend  einer  anderen  Kon- 
kurrenzbahn auf  die  Dauer  von  99  Jahren. 

Djibuti,  Addis  Abeba  und  Faschoda  am  weißen  Nil  liegen  annähernd 
unter  10^  nördlicher  Breite,  Harar  südöstlich  des  ersten  Drittels  ihrer  Entfer- 
nung von  der  Küste  her.  Die  damals  projektierte  Bahn  sollte  den  Süden  des 
Hochlandes  von  Abessinien  durchziehen  und  dieses  mit  dem  Meere  verbinden ; 
ein  Anschluß  an  die  englische  afrikanische  Nilbahn  konnte  nicht  ins  Auge 
gefaßt  werden,  weil  dann  aller  Verkehr  von  Djibuti  ab  in  die  englisch- 
egjptische  Interessensphäre  geleitet  wäre.  Deshalb  ist  die  Hauptstadt  Addis 
Abeba  Endstation;  ihre  Entfernung  von  Djibuti  beträgt  annähernd  700  km. 
200  km  von  dieser  Hafenstation  liegt  die  Abzweigung  nach  Harar;  hier  ist 
das  Hochland  von  der  Bahn  schon  erstiegen,  die  vom  Meere  bis  dahin  die 
allmählich  nach  Westen  zu  von  der  Küste  her  ansteigende  Wüstenebene  durch- 
zieht. Die  Höhenunterschiede  werden  am  klarsten  durch  Angabe  der  Horizontal- 
entfernung und   der  absoluten   Höhe   der  wichtigsten   Punkte:    Djibuti  +  0, 


Frankreichs  äthiopische  Eisenbahn.  467 

Addis  Harar,  der  Zweigpiinkt  nach  Harar,  205  km  —  1800  in,  Asba  400  km  — 
1145  m  und  Addis  Abeba  700  km  —  2750  m. 

Obgleich  die  äthiopische  Bahn  politisch  und  kommerziell  recht  günstige 
Aussichten  bot,  ihre  Erstellung  keine  übergroßen  imd  kostspieligen  Kunst- 
bauten zu  erfordern  schien,  hatte  die  Gesellschaft  von  Anfang  an  mit  großen 
finanziellen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  auch  scheint  der  Kostenanschlag  zu 
niedrig  gewesen  und  die  Durchquerung  der  200  km  langen  Küstenwüste  unter- 
schätzt worden  zu  sein.  Bei  der  Emission  hielt  sich  das  französische  Kapital 
fem,  von  25  Mill.  Francs  kamen  nur  8  Mill.  auf,  und  hiermit  wurde  1897 
der  Bau  der  ersten  Teilstrecke  von  Djibuti  bis  Daunle  begonnen.  Jetzt 
machten  sich  der  Wüstencharakter,  der  Wassermangel,  die  Menschenleere  im 
Mangel  jeden  Hilfsmittels  empfindlich  geltend,  alles,  nicht  nur  das  Baumaterial, 
jeder  Bedarfsartikel,  dessen  Verwendung  dem  Europäer  den  Aufenthalt  und 
die  Arbeit  in  dem  sonnendurchglühten  Gebiete  erst  möglich  machte,  mußte 
aus  Frankreich  bezogen  werden:  dies  alles  verzögerte  und  verteuerte  den  Bau 
ungemein.  Trotz  der  bösen  Erfahrungen,  die  Frankreich  beim  Suezkanal  mit 
der  Beteiligung  englischen  Kapitals  gemacht  hatte,  sah  sich  die  Gesellschaft 
genötigt,  an  diese  Quelle  zu  gehen,  um,  wenn  auch  unter  ungünstigen  Bedin- 
gungen, die  Mittel  zu  erhalten  und  so  im  Dezember  1901  Addis  Harar,  den 
Knotenpunkt  nach  dem  noch  90  km  entfernten  Harar,  zu  erreichen.  Damit 
aber  waren  die  Geldmittel  der  Gesellschaft  vollkommen  erschöpft,  und  es  lag 
die  Gefahr  vor,  den  Besitz  in  fremde,  in  englische  Hände  übergehen  zu  sehen, 
wollte  man  den  Bahnbau  nach  Addis  Abeba  und  Harar  fortsetzen. 

In  dieser  Notlage  trat  die  französische  Regierung  helfend  ein;  am 
22.  März  1902  legte  sie  der  Kammer  und  bald  darauf  dem  Senate  einen 
Vertrag  des  französischen  Protektorates  der  Somaliküste  mit  der  Compagnie 
des  chemins  de  fer  Ethiopiens  vor  und  erlangte  die  fast  einstimmige  Ge- 
nehmigung zur  Hergabe  von  je  500  000  Francs  auf  50  Jahre  zur  Fertigstellung 
der  ganzen  Linie.  Zugleich  wurde  der  Bau  der  Zweiglinie  nach  Harar  selbst 
wegen  der  großen  Schwierigkeiten  und  Kosten  vor  der  Hand  zurückgestellt; 
damit  erlangte  die  Gesellschaft  ihre  Selbständigkeit  und  die  Möglichkeit  zur 
Durchführung  des  Projektes  wieder.  Harar  (1850  m)  bildet  eine  Oase  in 
dei:  Wüstengegend,  es  war  schon  immer  der  Stapelplatz  der  reichen  Produkte 
aus  Selwa  und  den  Gallasländem  an  Kaffee,  Wachs,  Häuten,  Baumwolle, 
Harzen  u.  a.,  für  welche  Lebensmittel  und  Manufakturwaren,  Waffen  und 
Munition  eingetauscht  wurden.  Der  Verkehr  Harars  mit  der  Küste  erfolgte 
bisher  durch  Karawanen,  welche  unter  Mühsal  und  Entbehrung  bei  voller 
Ladimg  20  bis  25  Tage,  bei  halber  Last  12 — 13  Tage  brauchten,  dabei 
stellte  sich  der  Transport  von  1  Tonne  auf  300  Francs. 

Nun  wird  nicht  Harar  selbst,  sondern  Addis  Harar  der  Stapelplatz,  den 
Transport  übeminunt  die  Bahn  bis  Djibuti,  in  24  Stunden  ist  der  wenig 
mehr  als  200  km  lange  Weg  bequem  zurückgelegt,  die  Fracht  einer  Tonne 
stellt  sich  auf  den  zehnten  Teil,  auf  30  Francs,  dabei  fällt  die  Teilung  der 
Güter  in  Kamel-  oder  Maultierlasten,  die  kostspielige  Verpackung  fort,  und  wenn 
der  Gesamtverkehr  Harars  mit  der  Küste  1897  sich  schon  auf  20  Millionen 
Francs  belaufen  haben  soll,  so  läßt  sich  bei  gutem  Eisenbahnbetrieb  auf  eine 
ansehnliche  Steigerung  des  Güterverkehrs  mit  Recht  hoffen. 

Die  Entfernung  von  Djibuti  nach  Addis  Harar  beträgt  205  km;  sie  bot 
baulich  keine  nennenswerten  Schwierigkeiten:  keine  übergroßen  Schüttungen, 
nur  zwei  größere  Viadukte  von  20  m  Höhe  und  156  m  Länge,  bezüglich  von 
28  m  und  136  m  waren  erforderlich,  die  Spurweite  ist  1  m,  bei  Kurven  ge- 


468  von  Kleist:  Frankreichs  äthiopische  Eisenbahn. 

nügte  ein  Radius  von  150m,  die  Steigung  überschreitet  nicht  +  ^  °i  *^^ 
1  km;  zur  Speisung  der  Maschinen  ergaben  Bohrungen  das  erforderliche  Wasser, 
und  da  sein  Vorhandensein  die  Vorbedingung  für  das  Leben  der  spärlichen 
Bevölkerung  ist,  fand  sich  diese  bald  an  den  Bohrstellen  ein  und  begann  sich 
dort  häuslich  niederzulassen.  Vier  Jahre  gebrauchte  die  Gesellschaft,  um 
die  200  km  Bahnlinie  durch  die  Wüste  zu  bauen.  Welche  unberechenbaren 
Hindemisse  diese  Gegend  aber  dem  Verkehr  zu  bereiten  im  Stande  ist,  zeigt 
ein  Bericht  des  afrikanisch-französischen  Blattes  „le  Djibouti*^,  den  eine  der 
letzten  Nummern  der  Zeitschrift  „Mouvement  geographique"  bringt;  es  ist 
dies  eine  sehr  lebhafte  Beschreibung  eines  Kampfes,  man  kann  es  wohl  so 
nennen,  der  Lokomotive  mit  Heuschreckensch wärmen.  Ein  Zug,  der  Djibuti 
verlassen,  traf  von  km  12  bis  km  90  auf  Heuschreckenschwärme ,  welche  in 
Wolken  die  Luft  erfüllten  oder  in  dicker  Decke  auf  dem  Boden  lagerten. 
Hinter  der  Brücke  Hot  Holl  beginnt  die  Steigung.  Die  vierachsige  gekup- 
pelte Lokomotive  fand  in  dem  Brei  der  zerquetschten  Tiere  keine  Reibung, 
sie  kam  nicht  von  der  Stelle,  ihre,  sowie  die  Räder  der  Waggons  waren  wie 
eingeteigt.  Man  versuchte  durch  Aufschütten  von  Sand  und  Kies  auf  die 
klargemachten  Schienen  die  Bewegungsfähigkeit  der  Maschine  zu  erzielen, 
mühsam  legte  auf  diese  Weise  der  Zug  etwa  10  m  in  der  Minute  zurück; 
als  die  Maschine  aber  noch  nicht  die  Höhe  der  Steigung  erreicht,  bewirkte 
die  Schlüpfrigkeit  der  Schienen  und  die  Schwere  des  Zuges  ein  immer  schneller 
werdendes  Zurückgleiten  desselben  auf  der  eben  mühsam  zurückgelegten  Strecke, 
kein  Bremsen  half,  bis  man  wieder  die  horizontale  Richtung  der  Strecke  er- 
reicht hatte.  Ich  führe  diesen  etwas  phantastischen  Bericht  im  Auszuge  nur 
deshalb  an,  um  die  Erschwernisse  für  den  Betrieb  im  schwarzen  Erdteile 
durch  ein  Beispiel  zu  kennzeichnen. 

Ist  nun  auch  die  französische  Gesellschaft  nach  der  Unterstützung  durch 
die  Regierung  voller  Zuversicht  auf  die  ungehindei-te  Vollendung  des  für 
Frankreich  und  Abessinien  so  wichtigen  Unternehmens,  so  scheinen  sich  doch 
Schwankungen  in  der  Auffassung  des  Negus  Menelik  gegenüber  Frankreich 
fühlbar  zu  machen,  und  es  ist  wohl  erklärlich,  daß  sich  gegensätzliche  eng- 
lische Einflüsse  geltend  machen,  wo  die  Aussicht  für  sie  geschwunden  er- 
scheint, daß  das  französische  Unternehmen  als  reife  Frucht  in  ihren  Schoß 
falle.  Die  französischen  Blätter  wollen  von  einer  Sinnesänderung  Meneliks 
nichts  wissen,  empfinden  vielmehr  eine  wohltuende  Genugtuung  in  dem  Ge- 
lingen des  Unternehmens  im  Hinblick  auf  den  so  schmerzlich  empfundenen 
Fehlschlag  von  Faschoda. 

Sicherlich  erhöht  der  Bau  und  Betrieb  der  äthiopischen  Bahn  Frank- 
reichs Einfluß  im  Ost-Sudan,  er  legt  den  Handel  dieses  an  Produkten  des 
Ackerbaues  und  der  Viehzucht  sowie  an  Naturschätzen  so  reichen  Landes  in 
französische  Hände,  wählt  zu  seinem  Ausgangspunkt  einen  französichen 
Hafen  und  entzieht  die  Vorteile  engster  Handelsbeziehungen  mit  Abessinien 
England  und  Italien.  Die  französische  Regierung  wäre  sicherlich  der  Gesell- 
schaft der  äthiopischen  Bahnen  nicht  rettend  beigesprungen,  wenn  nicht  durch 
einen  Zusammenbruch  des  Unternehmens  das  französische  Ansehen  in  jenen 
Gegenden  aufs  empfindlichste  geschädigt  worden  wäre.  von  Kleist. 


Geographische  Neuigkeiten. 


469 


Geographische  Neuigkeiten. 


Allgemeines. 

üß  Zur  Begründung  eines  ,, Vorschlags 
zur  erdmagnetischen  Vermessung 
eines  ganzen  Parallelkreises  behufs 
Prüfung  der  Grundlagen  der  Gkbußschen 
Theorie  des  Erdmagnetismus*^  haben  Prof. 
V.  Bezold  und  Prof.  Adolf  Schmidt 
in  Potsdam  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Berlin  eine  Abhandlung  ein- 
gereicht. Die  Gaußsche  Theorie  des  Erd- 
magnetismus beruht  auf  der  Voraussetzung, 
daß  das  magnetische  Feld  der  Erde  ein 
Potential  besitze.  Diese  Voraussetzung 
läßt  sich  prüfen  durch  die  magnetische 
Vermessung  einer  ganz  in  der  Erdober- 
fläche verlaufenden,  geschlossenen  Kurve. 
Die  beiden  Gelehrten  schlagen  in  ihrer 
Schrift  für  eine  solche  Vermessung  den 
50.  Parallelkreis  vor. 

*  Ein  zweites  pazifisches  Kabel, 
welches  die  Vereinigten  Staaten  über  Hono- 
lulu und  Guam  mit  den  Philippinen  ver- 
bindet, ist  am  4  Juli  eröffnet  worden.  Der 
Vorsitzende  der  Kabelgesellschaft,  M  a  k  ay , 
der  sich  wie  der  Präsident  Roosevelt  in 
Oyster-Bai  im  Staate  Neuyork  befand, 
sandte  ein  Telegramm  um  die  Welt  an 
den  Präsidenten,  welches  ihn  nach  zehn 
Minuten  erreichte.  Nachdem  erst  vor 
wenigen  Monaten  ein  englisches  Kabel 
zwischen  Britisch-Kolumbien  und  Austra- 
lien einen  Kabelring  um  die  Erde  ge- 
schlossen hatte,  der  ausschließlich  in  eng- 
lischem Besitz  war  und  nur  auf  eng- 
lischem Grund  und  Boden  landete,  wird 
durch  das  zweite  pazifische  Kabel,  das 
sich  im  Besitz  der  Vereinigten  Staaten 
befindet  und  nur  auf  ihrem  Besitz  landet, 
das  englische  zirkumterrestrische  Tele- 
graphenmonopol schon  wieder  durch- 
brochen. Angesichts  der  Entwicklung 
der  Dinge  in  Ostasien  ist  es  für  die  dort 
interessierten  europäischen  Mächte  von 
der  größten  Bedeutung,  beim  Verkehr  mit 
ihren  Vertretern  in  Ostabien  nicht  einzig 
und  allein  auf  ein  englisches  Kabel  an- 
gewiesen zu  sein,  und  besonders  Deutsch- 
land kann  mit  Hilfe  seines  deutsch-ame- 
rikanischen Kabels  unter  Benutzung  des 
nordamerikanisch-pazifischen  Kabels  und 
des  russisch  -  sibirischen  Überlandtele- 
graphen   eine  Verbindung   rund   um  die 


Erde  herstellen,  ohne  ein  englisches  Kabel 
benutzen  zu  müssen. 

Enropa. 

4c  Die  feierliche  Einweihung  der 
Ofotenbahn  hat  am  14.  Juli  stattgefun- 
den, nachdem  bereits  am  19.  Juni  die 
Bahn  dem  allgemeinen  Verkehr  übergeben 
worden  war.  Die  weit  gegen  Norden  bis 
hoch  über  den  Polarkreis  bis  68«  77' 
n.  Br.  vorgeschobene  Lage  der  Eisenbahn 
und  die  Einführung  eines  an  die  euro- 
päischen Luxuszüge  anschließenden  Lapp- 
land-Expreßzuges auf  derselben  werden 
voraussichtlich  einen  starken  Touristen- 
verkehr nach  dieser  Gegend  hervorrufen 
und  die  bisher  noch  fast  gar  nicht  be- 
kannten Gebiete  der  Allgemeinheit  zu- 
gänglich machen.  Die  Hauptbedeutung 
der  Bahn  liegt  jedoch  in  der  Erschließung 
der  gewaltigen  Erzreichtflmer ,  die  im 
nördlichsten  Schweden  der  Ausbeutung 
harren.  Die  wichtigsten  Fundstellen  bil- 
den das  weltbekannte  Gebiet  von  Gelli- 
vara  und  die  106  km  nördlich  davon  lie- 
genden Erzfelder  Kirunavara  und  Luassa- 
vara.  Seit  den  80  er  Jahren  führte  von 
Gellivara  eine  Eisenbahn  nach  Lulea,  von 
wo  aus  jährlich  große  Mengen  Erz  ins 
Ausland,  hauptsächlich  in  die  rheinisch- 
westfälischen Industriegebiete  ausgeführt 
werden.  Da  aber  der  Hafen  von  Lulea  über 
die  Hälfte  des  Jahres  durch  Eis  ver- 
schlossen bt,  entschlossen  sich  die  Regie- 
rungen von  Schweden  und  Norwegen  zum 
Bau  einer  Bahn  von  Gellivara  nach  dem 
OfotenQord  an  der  eisfreien  norwegischen 
Küste,  durch  welche  auch  die  Ausbeutung 
der  nördlich  von  Gellivara  liegenden  Erz- 
distrikte möglich  wurde.  Der  Endpunkt 
der  Eisenbahn  an  der  Küste  ist  die  neu- 
gegründete Stadt  Narwik,  die  trotz 
ihres  jugendlichen  Alters  schon  einige 
tausend  Einwohner  zählt.  Sie  hat  nicht 
nur  als  Verschiffungshafen  für  das  nord- 
schwedische Erzgebiet  Bedeutung,  sondern 
verspricht  auch  ein  wichtiger  Handels- 
platz für  das  ganze  nördliche  Norwegen 
zu  werden,  wobei  ihr  auch  ihre  Lage  in 
der  nächsten  Nähe  der  Lofoten,  des  größ- 
ten Fischereigebietes  Norwegens,  zustatten 
kommt.    Eine  zweite  Stadt  entstand  bei 


470 


G^eographische  Neuigkeiten. 


dem  Erzberge  Kirunavara,  der  zunächst 
in  Angriff  genommen  wurde  und  auch 
etliche  Hundert  Jahre  vorhalten  dürfte; 
inmitten  der  einstigen  Einöde  entstand 
hier  mit  amerikanischer  Geschwindigkeit 
die  Stadt  Kiruna,  die  „künftige"  Haupt- 
stadt von  Lappland,  die  schon  mehrere 
Tausend  Einwohner  zählt  und  es  bald 
auf  10  000  Einwohner  bringen  dürfte. 
Außer  Kiruna  gibt  es  an  der  278  km 
langen  Ofotenbahn  nur  noch  an  der  schwe- 
dischrnorwegischen  Grenze  eine  Zwigchen- 
station,  deren  Errichtung  sich  wegen  der 
erforderlichen  Zollabfertigung  nötig 
machte;  sonst  sind  die  von  der  Bahn 
durchschnittenen  Gebiete  vollständig  men- 
schenleer und  für  die  Besiedlung  un- 
geeignet. 

AtriktL. 
♦  Über  den  Tschadsee,  seine  Küste 
und  seine  Inselwelt,  soweit  sie  im 
französischen  Besitze  sind,  berichtete 
Destenave,  der  Konmiandant  des  Mili- 
tärbezirks am  Tschadsee,  auf  Grund  der 
Forschungen  französischer  Offiziere  in  den 
Jahren  1901  und  1902  in  La  Geographie, 
1903,  S.  421.  Der  Tschadsee  hat  die  Ge- 
stalt eines  Dreiecks,  dessen  Grundlinie 
ungeftlhr  170  km  und  dessen  Höhe  180  km 
beträgt,  und  bedeckt  eine  Fläche  von  an- 
nähernd 20  000  qkm.  Der  See  ist  in  einer 
Wanderung  nach  Westen  begriffen,  des- 
halb ist  der  seichten  Ostküste  von  Kanem 
ein  dichter  Inselkranz  vorgelagert  und  die 
Tiefe  des  Sees  überschreitet  in  seiner  öst- 
lichen Hälfte  nicht  6—6  m,  beträgt .  viel- 
mehr meistens  nur  1 — 1,5  m;  die  west- 
liche Hälfte  ist  10—12  m  tief,  an  der  West- 
küste, der  von  Bomu,  gibt  es  nur  einige 
flache  und  sumpfige  Inseln.  An  der  Süd- 
ostküste bei  Hadjer-el-Hamis  hat  sich  der 
See  in  den  letzten  10  Jahren  um  ungefähr 
1  km  vom  Ufer  zurückgezogen.  Wegen 
der  fortschreitenden  Verlandung  und  der 
damit  eintretenden  Verödung  ist  das 
Küstenland  Kanem  fast  ganz  von  seinen 
Bewohnern  verlassen,  die  mit  ihren  zahl- 
reichen Rinderherden  auf  den  sich  vor 
der  Küste  bildenden  Inselgürtel  über- 
gegangen sind.  Von  den  Inseln  sind  nur 
die  höheren,  15—20  m  aus  dem  Wasser 
hervorragenden,  bewohnt;  auf  ungefähr 
80  solcher  Inseln  wohnen  50  000  Menschen 
mit  70—80  000  Rindern ,  welche  sie  auf 
den  niedrigeren  Inseln  weiden  lassen;  die 
niedrigsten  Inseln  ragen  kaum  über  den 


Wasserspiegel  empor  und  werden  von  den 
Inselbewohnern  nicht  benutzt.  Die  Be- 
wohner der  höheren  südlichen  Inseln  sind 
seßhaft,  sie  beschäftigen  sich  außer  mit 
Viehzucht  mit  Hirse-  und  Baumwollbau, 
deren  Produkte  sie  nach  Kanem  verkaufen. 
Die  Bewohner  der  niedrigeren  nördlichen 
Inseln  sind  nomadisierende  Viehzüchter, 
die  mit  ihren  Herden  schwimmend  von 
Insel  zu  Insel  ziehen.  Je  nach  der  Wasser- 
menge,  die  der  Schari  dem  See  zuführt, 
verändert  sich  sein  Niveau;  im  Dezember 
erreicht  der  See  seinen  höchsten  Stand, 
der  das  gewöhnliche  Niveau  bis  120  cm 
übersteigt;  dann  füllen  sich  die  Strand- 
seen mit  Wasser,  das  zur  Sommerszeit 
verdunstet  und  eine  Salzkruste  zurückläßt, 
die  von  den  Eingeborenen  gesammelt 
wird.  Der  See  ist  ziemlich  fischreich,  die 
Inselbewohner  liegen  jedoch  nur  vereinzelt 
dem  Fischfang  ob. 

PoUrgegenden. 

♦  Von  der  Dänischen  Grönland- 
Expedition,  an  derMylius-Erichsen 
als  Leiter,  der  Maler  Graf  Harald  M  o  1 1  k  e , 
Dr.  Bertelsen  und  stud.  Rasmussen 
teilnehmen,  sind  jetzt  nähere  Nachrichten 
in  Kopenhagen  eingetroffen.  Im  vorigen 
Sommer  unternahmen  die  Reisenden  eine 
Bootsfahrt  längs  der  Westküste  Grönlands 
von  Godthavn  bis  Jakobshavn,  wo  die 
Überwinterung  stattfand.  Im  Februar 
brach  die  Expedition  auf  Hundeschlitten 
nach  üpemivik,  der  nördlichsten  dänischen 
Niederlassung  in  Westgrönland,  auf,  die 
im  März  erreicht  wurde.  Am  24.  März 
waren  die  Vorbereitungen  zum  weiteren 
Vormarsch  nach  Norden  vollendet;  Erich- 
sen  und  Rasmussen  marschierten  in  Be- 
gleitung von  Grönländern  und  einem  Dol- 
metscher längs  der  Küste  weiter  nach 
Norden,  um  an  der  Melville-Bay  entlang 
Kap  York  zu  erreichen,  wo  einige  heid- 
nische, nur  wenige  Hundert  Köpfe  zäh- 
lende Eskimostämme  nomadisieren,  die 
man  studieren  wollte.  Dieser  Teil  der 
Expedition  hoffte  im  Juli  wieder  nach 
Upernivik  zurückgekehrt  zu  sein.  Dr.  Ber- 
telsen ging  nach  Süden  durch  die  däni- 
schen Bezirke  Umanak,  Godthavn  und 
Egedesminde,  um  Stoff  für  sein  Buch  über 
die  Krankheiten  der  Grönländer  zu  sam- 
meln; auch  er  gedachte  sich  noch  im 
Laufe  dieses  Sommers  wieder  mit  der 
Nordexpedition  zu  vereinigen.    Zur  Siehe- 


Geographische  Neuigkeiteo. 


471 


rung  des  ganzen  Unternehmens  wurde 
bereits  im  vorigen  Sommer  ein  auf  meh- 
rere Monate  berechnetes  Proviantdepot 
für  sechs  Mann  und  ein  einmonatliches  für 
sechs  Hundegespanne  bei  dem  nördlichsten 
Punkte  der  dänischen  Eüstenmessung 
niedergelegt.  Die  Mitglieder  der  Expe- 
dition befanden  sich  in  gutem  Gesund- 
heitszustande. 

♦  Der  vorläufige  Bericht  des 
Leiters  der  Deutschen  Südpolar- 
expedition  über  den  Verlauf  der  Ex- 
pedition ist  mit  dankenswerter  Schnellig- 
keit am  10.  Juli  im  Deutschen  Beichs- 
anzeiger  veröffentlicht  worden.  Klar  und 
anschaulich  schildert  der  Bericht  den 
Verlauf  der  Reise  von  den  Eerguelen 
ü  ber  Heard-Island  in  der  Macdonald-Gruppe 
in  der  Richtung  auf  die  Termination-Insel, 
von  der  aber  die  Expedition  ebenso  wie 
die  Challenger-Expedition  trotz  längeren 
Ereuzens  an  der  von  ihrem  Entdecker 
Wilkes  angegebenen  Position  keine  Spur 
entdecken  konnte.  Vom  14.  bis  22.  Fe- 
bruar kreuzte  die  „Gauß"  im  Scholleneis, 
ohne  bei  ihren  Versuchen  nach  Süden 
vorzustoßen  einen  nennenswerten  Erfolg 
zu  haben,  bis  das  Schiff  bei  dem  letzten 
dieser  Versuche  am  22.  Februar  in  der 
Nähe  einer  bisher  noch  unbekannten 
Küste  vom  Eise  eingeschlossen  und  fast 
ein  volles  Jahr  bis  zu  seiner  Befreiung 
am  8.  Februar  1908  von  ihm  festgehalten 
wurde.  Sodann  schildert  Prof.  v.  Dry- 
galski  die  ersten  Tage  im  Winterlager 
und  die  Winterstation,  deren  Lage  im 
Scholleneis  und  nicht  am  Land  in  Folge 
günstiger  Zusammenschiebung  von  Eis- 
bergen und  Eisfeldern  im  weiten  Um- 
kreise eine  nach  allen  Richtungen  über- 
aus günstige  war.  Die  neuentdeckte  Küste 
des  antarktischen  Landes  wurde  „Kaiser- 
Wilhelm  n.-Kü8te"  und  die  große  Bucht, 
in  der  die  „Gauß"  lag,  .,Posadowsky- 
Bucht"  benannt,  während  eine  eisfreie 
vulkanische  Kuppe,  die  an  ihrem  süd- 
lichen Rande  in  366  m  Höhe  gefunden 
wurde,  den  Namen  „Gaußberg*'  erhielt. 
Weiter  enthält  dann  der  Bericht  eine 
Schilderung  von  der  Einrichtung  der 
Station  und  von  der  Arbeitsverteilung. 
Trotz  der  wütendsten  Schneestürme,  von 
denen  sich  nur  der  eine  Vorstellung 
machen  kann,  der  sie  erlebt  hat,  wurden 
die  Arbeiten  im  Innern  des  Schiffes  nie 
gestört,  da  bei  der  festen  Lage  des  Eises 


in  der  Umgebung  des  Schiffes  dasselbe 
keinen  Pressungen  ausgesetzt  war  und 
sich  auch  unter  Winddruck  und  Schnee- 
last nur  wenig  überlegte.  Am  29.  März 
1902  fanden  bei  schönem  stillem  Wetter 
vom  Eise  aus  drei  Aufstiege  des  Fessel- 
ballons zu  photographischen  Zwecken  statt, 
an  denen  der  Leiter  der  Expedition,  der 
Kapitän  und  Dt.  Philippi  teilnahmen. 
Sie  ergaben  aus  einer  Höhe  von  500  m 
eine  sehr  wertvolle  Umschau  über  die 
Umgebung  und  die  Lage  der  „Gauß",  die 
für  die  folgenden  Unternehmungen  viel- 
fach bestimmend  gewesen  ist.  Die  Zeit 
während  des  Festsitzens  im  Eise  teilt  der 
Bericht  in  verschiedene  Perioden:  Die 
beiden  ersten  Monate  wurden  zu  Schlitten- 
reisen und  zu  kleineren  Ausflügen  zu  Re- 
kognoszierungs-,  Studien-  und  Sammel- 
zwecken benutzt.  Die  zweite  Periode  von 
Anfang  Mai  bis  Anfang  September  war 
die  Periode  der  Winterstürme  und  deshalb 
der  inneren  Beschäftigimg;  während  der- 
selben hatte  man  im  Innern  des  Schiffes 
nicht  unter  der  starken  Kälte  zu  leiden, 
da  sich  die  Wärme  innerhalb  des  Schiffes 
ausgezeichnet  hielt  und  die  Zentral- 
heizungsanlage überhaupt  nicht  benutzt 
zu  werden  brauchte.  Während  der  dritten 
Periode  von  Anfang  September  bis  An- 
fang Dezember  wurden  wieder  größere 
Schlittenreisen  gemacht,  während  in  der 
letzten  Periode  von  Anfang  Dezember  1902 
bis  8.  Februar  1908  der  lockere  Zustand 
des  Eises  in  Folge  der  starken  Zersetzung 
der  Eisoberfläche  eine  weitere  Entfernung 
vom  Schiffe  nicht  mehr  gestattete.  Die 
Stationsarbeiten  gingen  bis  zum  30.  Januar 
ihren  ungestörten  Gang  und  wurden  erst 
eingestellt,  als  an  diesem  Tage  die  Eis- 
berge in  der  nächsten  Umgebung  in  Be- 
wegung gerieten.  Ende  Januar  wurde  mit 
der  direkten  Ausgrabung  der  „Gauß"  be- 
gonnen, wobei  von  der  gesamten  Mann- 
schaft und  den  Offizieren  in  angestreng- 
ter, schwerer  Arbeit  vom  26.  Januar  bis 
7.  Februar  eine  Eismasse  von  über  350  cbm 
fortbewegt  wurde.  Diese  aussichtslose 
Arbeit  erreichte  am  8.  Februar  mit  dem 
Loskommen  der  „Gauß'^  ein  willkonmienes 
Ende;  die  Maschine  war  klar  und  unter 
Dampf  wurde  versucht,  die  Fahrt  west- 
wärts fortzusetzen.  Hierbei  geriet  das 
Schiff  noch  einigemal  im  Eise  fest  und 
als  ein  Sturm  am  8.  April  das  Schiff  auf 
einen  Eisberg  mit  gewaltiger  Brandung 


472 


Geographische  Neuigkeiten. 


zatrieb,  entschloß  sich  Drygalski  unter 
66058'  s.  Br.  und  79<'8S'  östl.  Länge  zum 
Verlassen  der  Eisreg^on  und  zur  Rück- 
kehr nach  Südafrika.  Schon  am  9.  April 
kam  die  ,,Gauß^^  aus  dem  Eise  heraus,  am 
13.  April  wurde  unter  69^54'  s.  Br.  der 
letzte  Eisberg  passiert  und  nach  einem 
Besuche  der  Inseln  St.  Paul  und  Neu- 
Amsterdam  wurde  am  81.  Mai  Port  Natal 
und  am  9.  Juni  1901  Simonstown  in  der 
Falsebai  glücklich  erreicht. 

*  Da  die  englische  Südpolar- 
expedition bis  zum  Beginn  des  antark- 
tischen Winters  nicht  zurückgekehrt  ist, 
mußte  die  abermalige  Aussendung  einer 
Hilfsexpedition  ins  Werk  gesetzt  werden ; 
denn  als  die  erste  Hilfsexpedition  auf  der 
,,Moming^'  die  im  Eise  festsitzende  „Dis- 
covery" am  2.  März  d.  J.  verließ,  hatte 
diese  nur  noch  Kohlen  genug,  um  bis 
zum  Januar  heizen  zu  können,  weshalb 
schnelle  Hilfe  unbedingt  erforderlich  ist. 
Ursprünglich  hatte  die  Londoner  Geo- 
graphische Gesellschaft  die  Entsendung 
der  Hilfsexpedition  wieder  selbst  in  die 
Hand  nehmen  wollen  und  hatte  zu  diesem 
Zwecke  die  englische  B.egierung  um  finan- 
zielle Unterstützung  gebeten.  Da  jedoch 
die  Regierung  mit  den  „Maßnahmen  der 
beiden  für  die  Expedition  verantwort- 
lichen wissenschaftlichen  Gesellschaften 
mit  Bezug  auf  die  Vfrwendung  der  von 
der  Regierung  bewilligten  Gelder"  bei  der 
Aussendung  der  Expedition  nicht  ein- 
verstanden war,  hat  sie  sich  entschlossen, 
auf  eigene  Kosten  eine  Hilfsexpedition 
für  die  „Discovery**  auszusenden.  Eine 
mit  den  Vorarbeiten  beauftragte  Kommis- 
sion von  Seeoffizieren  hat  bereits  den 
Walfischfänger  „Terra  Nova**  aus  Dundee 
gechartert,  der  am  10.  Juli  von  Neufund- 
land abgefahren  ist  und  auf  dem  Firth 
of  Tay  erwartet  wird.  Die  Ausrüstung 
des  Schiffes  wird  drei  Monate  in  An- 
spruch nehmen,  so  daß  es  noch  rechtzeitig 
zur  Stelle  sein  kann,  um  die  Expedition 
unterstützen  oder  befreien  zu  können. 
Ob  sich  die  gegenwärtig  in  Lyttleton  vor 
Anker  liegende  „Moming**  an  den  Be- 
freiungsversuchen beteiligen  wird,  ist  noch 
unbestimmt. 

Geographischer  Unterricbt« 

t  EinKursus  für  Meeresforschung 
soll  in  Bergen  während  der  Zeit  vom 
1.  September  bis  1.  November  d.  J.  ab- 


gehalten werden,  sofern  sich  eine  ge- 
nügende Anzahl  von  Teilnehmern  meldet. 
Der  Unterricht  und  die  Übungen,  die  beide 
gratis  sind,  werden  in  Vorlesungen,  prak- 
tischen Übungskursen  und  Anleitung  zu 
Arbeiten  im  Laboratorium,  sowie  in  der 
Anwendung  von  Geräten  und  Instrumen- 
ten bei  Gelegenheit  von  Exkursionen  be- 
stehen. Mikroskope  und  Lupen  müssen 
jedoch  mitgebracht  werden.  Die  Km^se 
werden  nach  folgendem  Plane  erfolgen: 
Dr.  Johann  Hjort:  Übersicht  über  die 
Biologie  der  wichtigsten  Fischarten  des 
Nordmeeres;  die  wichtigsten  Fischereien 
der  Nordsee  und  des  norwegischen  Nord- 
meeres. B.  Heiland- Hansen:  Unter- 
richt mit  Laboratoriums-Übungen  in  den 
Methoden  der  ozeanographischen  Unter- 
suchungen; Übersicht  über  die  bisherigen 
ozeanographischen  Untersuchungen  in  den 
nordeuropäischen  Meeren;  Vorlesungen 
über  theoretische  Hydrographie.  Dr.  H. 
H.  Gran:  Das  Plankton:  Diatomeen  und 
Peridineen  der  Nordsee  und  des  Nord- 
atlantischen Meeres;  Allgemeine  Metho- 
den für  Kultur  und  Untersuchung  der 
Meeresbakterien.  Dr.  A.  Appelloff: 
Systematische  Durchnahme  der  repräsen- 
tativen Formen  der  Fische  und  Everte- 
braten  der  norwegischen  Fjorde,  der  Nord- 
see und  des  norwegischen  Nordmeeres 
nebst  Demonstrationen;  Übersicht  über 
die  Verteilung  der  Fauna  dieses  Gebietes 
auf  dem  Meeresboden  und  deren  Abhängig- 
keit von  der  Konfiguration  desselben,  so- 
wie von  den  physikalischen  Verhältnissen; 
Exkursionen  zum  Zwecke  des  Studiums 
der  Evertebraten. 

Anmeldungen  zur  Teilnahme  am  Kur- 
sus müßten  bis  zum  15.  August  d.  J.  an 
Dr.  Johann  Hjort  „Norges  Fiskerist^relse 
videnskabelige  Afdeling**  Bergen,  Nor- 
wegen, geschickt  werden,  wobei  Mitteilung 
über  die  Ausdehnung,  wie  weit  man  an 
den  Kursen  teilzunehmen  wünscht,  beizu- 
fügen ist.  Die  Kurse  werden  in  deutscher 
oder  englischer  Sprache  abgehalten  werden. 

Vereine  und  Yersainnilaiigen. 

♦  Der  Vni.  Internationale  Geo- 
graphenkongreß wird  nach  dem  Be- 
schlüsse einer  Versammlung  von  Ver- 
tretern der  verschiedenen  Geographischen 
Gesellschafben  der  Vereinigten  Staaten  im 
September  1904  in  Washington  abgehalten 
werden.     Zum    Präsidenten   des  Organi- 


Bacherb  esprechun  gen. 


473 


sationscomit^s  wurde  Prof.  McGee  von 
der  National  Geographie  Society  in 
Washington  und  zum  Generalsekretär 
Dr.  J.  H.  MeCormick  gewählt.  Im  An- 
schluß an  die  Sitzungen  in  Washington 
soll  der  Kongreß  auch  noch  in  anderen 
Städten  Sitzungen  und  Versammlungen  ab- 
halten und  schließlich  nach  St.  Louis 
übersiedeln,  um  hier  zusammen  mit  dem 
Internationalen  Kongreß  für  Kunst  und 
Wissenschaft  zu  tagen.  Nach  Schluß  der 
Sitzungen  in  St.  Louis  sind  Reisen  nach 
der  Stadt  Mexiko,  dem  Grand  Canon, 
dem  Yosemite-Tal,  dem  Tellowstone-Park 
und  anderen  sehenswerten  Punkten  für 
die  Kongreßteilnehmer  geplant. 

♦  Dem  Programm  der  75.  Versamm- 
lung Deutscher  Naturforspher  und 
Ärzte  in  Cassel  vom  20.  bis  26.  Sept. 
d.  J.  entnehmen  wir  folgende  Vorträge 
und  Demonstrationen  geographischen  oder 
verwandten  Inhalts:  A.  Penck  (Wien): 
Die  geologische  Zeit  (1.  allgem.  Versamm- 
lung). —  6.  Abt.  f.  Geophysik,  Meteorol. 
u.  Erdmagnetismus :  Krebs  (Münster  i/E.) : 
Ungewöhnliche  Niederschläge  im  verflos- 
senen Jahr  und  damit  zusammenhängende 
Erscheinungen;  Beziehungen  des  Meeres 
zum  Vulkanismus;  Einheitsmaß  für  Be- 
wegungsgeschwindigkeiten .  M  e  n  8  i  n  g : 
Erforschung  der  Ebbe  und  Flut  auf  hohem 


Meer.  Nippolt  (Potsdam):  Innere  Natur 
der  erdmagnet.  Variationen.  Polis 
(Aachen) :  Heutiger  Wettemachrichten- 
dienst; tägl.  Periode  des  Niederschlags. 
—  7.  Abt.  f.  Geogr.,  Hydrogr.,  Kartogr.: 
Berg  (Friedrichsdorf  i/T.):  Geogr.  Mu- 
seen u.  Sammlungen.  Keller  (Berlin): 
Hochwasser  in  deutschen  Strömen.  Wol- 
kenhauer (Göttingen):  Zur  Kartogr.  des 
1 6 .  Jahrh.  D  e  c  k  e  r  t  ( Steglitz) :  Die  west- 
ind.  Vul kanausbrüche  (Lichtbilder) .  H  a u  - 
tal  (LaPlata):  Seenstudien  in  Patagonien. 
Lang  (Hannover):  Ringsattelkrater,  event. 
Ausflug  nach  Gudensberg.  Rosen thal 
(Cassel):  Reisebilder  aus  Südamerika. 

Persönliches. 

♦  Der  bisherige  außerordentliche  Pro- 
fessor der  Geographie  an  der  Universität 
Gießen,  Dr.  Wilhelm  Sievers,  ist  zum 
ordentlichen  Professor  an  derselben  Uni- 
versität ernannt  worden. 

♦  Am  1.  August  hat  sich  Dr.  Max 
Friederichsen  aus  Hamburg  als  Privat- 
docent  der  Geographie  an  der  Universität 
Göttingen  habilitiert. 

♦  Zum  Direktor  der  Deutschen  See- 
warte in  Hamburg  ist  an  Stelle  des  in 
den  Ruhestand  getretenen  Prof.  Dr.  v.  Neu- 
mayer  der  Kapitän  zur  See  Hertz  er- 
nannt worden. 


Bficherbesprechungen. 


Bretzl,  H.  Botanische  Forschungen 
des  Alexanderzv  ges.  XH  u.  412  S. 
11  Abb.,  4  Kartenskizzen.  Leipzig, 
Teubner  1903.  JC  12.—. 
Seit  Victor  Hehns  „Kulturpflanzen 
und  Haustiere"  dürfte  kein  Werk  er- 
schienen sein,  das  durch  die  seltene  Ver- 
einigung botanischer  Durchbildung  und 
philologischer  Arbeit  der  Naturforschung 
und  der  Altertumskunde  gleichzeitig  eine 
so  reiche  Ernte  zugeführt  hätte,  wie 
dieses  gehaltvolle  und  doch  so  Msch  ge- 
schriebene Buch.  Mit  der  Erweiterung 
des  Horizonts  durch  das  Zeitalter  der 
Entdeckungen  kann  nur  die  Wirkung  des 
Siegeszuges  Alexanders  d.  Gr.  verglichen 
werden.  Die  Blüte  der  Erdkunde  in  den 
Reichen  des  Hellenismus  ward  nur  da- 
durch möglich.  Aber  von  der  speziellen 
Wirkungsweise  der  Eroberung  Vorder- 
asiens und  des  Vordringens  bis  über  den 


Indus  auf  irgend  eine  Seite  des  Natur- 
erkennens  hatte  man  sich  noch  nie  in 
eingehender  Prüfung  Rechenschaft  ge- 
geben. Da  der  erste  Eindruck  fremder 
Erdenräume  in  erster  Linie  vom  Pflanzen- 
kleide abhängt,  waren  die  Fortschritte 
botanischer  Kenntnis  und  pflanzengeo- 
graphischer  Einsicht  besonders  sorg- 
samer Analyse  wert,  umsomehr  da  in 
Theophrasts  Werken  manche  neuen 
Beobachtungen  in  klarerer,  wissenschaft- 
lich schärfer  erfaßter  Form  vorliegen  als 
bei  den  Historikern  des  Alexanderzuges. 
Ob  diese  Tatsache  mit  dem  Verf.  zu  er- 
klären ist  aus  der  Vollkommenheit  offi- 
zieller, im  Reic)isarchiv  zu  Babylon 
verwahrter  Berichte  aus  sachkundiger 
I  Feder,  oder  ob  man ,  bei  der  Beschrän- 
kung dieser  besten  Kunde  auf  wenige 
I  Landstriche,  lieber  Einzelwerke,  wie  die 
I  des  Nearch  und  des  Androsthenes,  als 


Q^o^phStche  Zelttchrift.  9. Jahrgang.  1908.  S.Heft. 


32 


474 


Bücherbesprechnngen. 


Quelle  annehmen  soll,  mag  dahingestellt 
bleiben.  Die  Hauptsache  iet,  daß  Theo- 
phrast  die  botanischen  Ergebnisse  des 
Zuges  am  reinsten  widerspiegelt  und  für 
pflanzengeographische  Darstellung  so  fein- 
sinnig verweiset,  daß  sein  Werk  den  Höhe- 
punkt der  antiken  Pflanzenkunde  über- 
haupt bezeichnet. 

Ein  einleitender  Abschnitt  über  Blatt- 
formen führt  in  das  Verständnis  der 
wissenschaftlichen  Sprache  Theophrasts 
ein,  die  beim  Mangel  Ton  Abbildungen 
die  Anschaulichkeit  der  Pflanzenbeschrei- 
bung nicht  durch  Vergleiche  mit  anorga- 
nischen Gebilden  oder  Objekten  aus  der 
Tierwelt  erstrebt,  sondern  durch  Ver- 
gleiche mit  bekannten  heimischen  Formen 
von  Blättern  und  Früchten  oder  ganzen 
Baumgestalten.  Dies  Darstellungsmittel 
gelangt  schon  zu  ausgiebiger  Verwendung 
bei  der  Mangroye- Vegetation  des  Indus- 
Deltas,  des  persischen  Golfs  und  des 
roten  Meeres.  Die  antiken  Lorbeer-  und 
Olbaumhaine  der  Ichthyophagen -Küste 
Ägyptens  und  Äthiopiens  bis  zum  Ost- 
hom  Afrikas  sind  nichts  anderes  als  Be- 
stände der  Schora  {Ävicennia  officinalisX 
welche  den  hervorstechendsten  Charakter- 
baum der  dortigen  Mangrove  bildet  und 
physiognomisch  für  den  Griechen  am 
besten  charakterisiert  wurde  durch  den 
Vergleich  des  Blattes  mit  dem  der  Olive, 
des  ganzen  Habitus  mit  dem  Lorbeer. 
Die  sorgfältige  Verzeichnung  der  mit 
Schora  bedeckten  Eüstensäume  bewährt 
sich  sogleich  als  ein  Hilfsmittel  der  an- 
tiken Topographie,  in  der  an  diesem 
Ufer  Daphne  und  Elaea  (aber  immer  nur 
in  dieser  ungewöhnlichen  Bedeutung!) 
eine  erhebliche  Rolle  spielen.  Wie  hier 
gelingt  dem  Verfasser  auch  bei  Theo- 
phrasts vortrefflichen  Schilderungen  der 
Flutwaldungen  der  Insel  Tylos,  Earma- 
niens  und  des  Indus-Deltas  die  zum  ersten 
Male  von  Stocks  an  Aristobuls  un- 
vollkommeneren Berichten  über  die  Man- 
grove Gedrosiens  scharfsinnig  versuchte 
Trennung  der  Hauptcharakterpflanzen : 
neben  Ämcennia  offieinalis  noch  Rhizo- 
phora  mucronata  und  Aegiceras  majus. 
Mit  Überraschung  sieht  man,  wie  das, 
was  die  Griechen  als  auffallend  und  be- 
zeichnend an  diesen  Bäumen  hervorheben, 
wieder  betont  wird  in  späteren  Berichten 
der  Araber,  der  Portugiesen,  der  Hollän- 
der, und  wie  die  schöne  Schilderung  des 


alten  Meisters  der  Pflanzenkunde  Leben 
gewinnt  durch  den  oft  schlagenden  Ver- 
gleich mit  den  neuesten  Beobachtungen 
eines  Karsten  oder  Schimper.  Wie 
erstaunlich  steht  schließlich  vor  uns  die 
unmittelbar  nach  dem  Alexanderzug  mit 
sicherer  Hand  auf  dem  Südrand  des  Welt- 
bilds eingetragene  Zone  eines  tropischen 
und  subtropischen  Holzwuchses,  den  die 
Flutwelle  täglich  durchspült. 

Es  folgt  des  Androsthenes  vortreff- 
licher Bericht  über  die  Insel  Tylos,  ihre 
starken  Quellen,  die  hier  zuerst  entdeckten 
nyktitropischen  Bewegungen  der  Fieder- 
blättchen einer  Tamarinde ,  die  Nachts 
wie  Augenlider  zum  Schlaf  sich  schließen, 
die  Nutzhölzer  und  Baumwollpflanzungen 
der  Insel,  die  im  Winter  824/3  auf  einer 
nach  Arabien  zielenden  Entdeckungsfahrt 
erforscht  ward. 

Bot  sich  schon  hier  Gelegenheit,  mit 
Theophrasts  streng  wissenschaftlichem 
Bericht  die  im  einzelnen  hie  und  da 
etwas  reicheren  aber  im  ganzen  durch 
Änderungen,  Kürzungen,  Flüchtigkeiten 
ungünstig  abweichenden  Darstellungen 
des  Plinius,  die  wesentlich  aus  dieser 
selben  Grundlage  hervorgegangen  sind, 
zu  vergleichen  und  die  Arbeitsweise  die- 
ses Kompilators  kritisch  zu  verfolgen,  so 
fällt  diese  Abwägung  griechischer  und 
römischer  Wissenschatl  besonders  ungleich 
aus  beim  indischen  Feigenbaum  (Ficus 
bengalensis)^  dessen  von  den  Ästen  zur 
Erde  niedergesandte  Luftwurzeln  Theo- 
phrast  überaus  treffend  schildert,  ohne 
trotz  der  riesigen  Ausdehnung  der  ganzen 
Säulenhalle  von  Stützwurzeln  an  der  Ein- 
heit des  mächtigen  Baumindividuums  irre 
zu  werden.  Nur  ein  irriges  Element  ist 
in  seine  Darstellung  eingedrungen:  es 
werden  fälschlich  diesem  Baume  die 
Riesenblätter  der  Musa  sapientum,  der 
„indischen  Feige"  der  Portugiesen,  zu- 
geschrieben. 

Wie  im  allgemeinen  biologische  und 
pflanzengeographische  Momente  allgemei- 
nerer Bedeutung  es  sind,  welche  die  Aus- 
wahl der  von  Theophrast  geschilderten 
Pflanzenarten  leiten,  so  ist  die  Aufnahme 
von  Cärus  medica  in  seinen  Horizont 
wichtig  geworden  für  die  Erkenntnis 
der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  der 
Pflanzen. 

Ein  für  die  Geschichte  der  Erdkunde 
besonders  bemerkenswertes  Kapitel,  daa 


Bflcherbesprechnngen. 


475 


schon  als  Dissertation  des  Verf.  erschien, 
behandelt  den  Versuch  einer  Scheidung 
Europas  und  Asiens  durch  die  Yerbrei- 
tungsgrenze  der  Tanne.  Die  Tannen- 
wälder Armeniens  als  eine  einzelne  Aus- 
nahme von  dieser  Regel  zu  betrachten, 
wurde  unmöglich,  seit  man  beim  Flotten- 
bau der  Tannenwälder  des  nordwestlichen 
Himalaya  sich  freute.  In  ihnen  trat  der 
Begriff  der  Höhenregionen  den  Griechen 
zuerst  unabweisbar  entgegen,  wenn  sie  die 
Verwandten  ihrer  Mittelmeerflora  (nament- 
lich Oka  cuspidata,  Rebe,  Efeu,  Buchs- 
baum) in  beträchtlicher  Höhe  am  Hange 
des  indischen  Hochgebirges  wiederfanden. 
Den  Schluß  macht  der  botanische 
Ertrag  des  wahnwitzigen  gedrosischen 
Wüstenmarsches.  Die  den  makedonischen 
Saumtieren  verhängisvoUen  Giftpflanzen 
Callotropis  procera  und  Nerium  Oleander 
(bei  den  Griechen  Daphne  agria^  Oeno- 
theras)  werden  eingehend  auf  Grund  rei- 
chen Stoffs  besprochen,  auch  Balsamo- 
dendran  Mukul,  Scorodosma  foetidum  und 
Etiphorbia  anHquorum. 

Der  Rahmen  der  kurzen  Besprechung 
reicht  nicht  aus,  den  vollen  Ertrag  zu 
werten,  den  Pflanzengeographie,  Kultur- 
geschichte, Textkritik  aus  diesem  vor- 
trefflichen Buche  gewinnen,  zu  dessen 
vielseitigem  gelehrten  Inhalt  aufler  den 
fahrenden  Lehrern,  dem  Botaniker  Gra- 
fen zuSolms-Laubach,  den  Philologen 
Schwartz  und  Keil,  auch  eine  Reihe 
anderer  Lehrer  der  Straßburger  Hoch- 
schule in  schönster  Betätigung  des  Zu- 
sanunenhangs  der  Universitas  litterarum 
beigetragen  haben.  Das  Buch  ist  wirk- 
lich so  vieler  Freunde  würdig  ausgefallen. 
J.  Partsch. 

Crirellari^  Oiaseppe.    Alcuni  cimeli 
della     cartografia     medievale 
esistenti  a  Verona.  48  S.  Firenze, 
Seeber  1908.    L,  1.60. 
Die    kartographischen    Schätze    aus 
Veroneser  Bibliotheken,  die  der  Verfasser 
in   der   vorliegenden  kleinen  Schrift  be- 
schreibt,  gehören   nicht  eigentlich,   wie 
der  Titel  vermuten  läßt,  dem  Mittelalter, 
sondern  dem  16.  und  16.  Jahrhundert  an. 
Es  handelt  sich  um  eine  auch  in  farbiger 
lithographischer    Reproduktion    beigege- 
bene kleine  Planisphäre  des  Venezianers 
Giovanni  Leardo  vom  Jahre  1442   in 
der  Kommunalbibliothek,  das  älteste  bis- 


her bekannte  Werk  dieses  Kartographen, 
auf  dessen  übrige  Arbeiten,  wenigstens 
soweit  sie  bei  Santarem,  Ongania  und 
Nordenskiöld  reproduziert  worden  sind, 
hätte  vergleichend  hingewiesen  werden 
sollen;  femer  um  eine  sehr  große,  leider 
stark  beschädigte  anonyme  Planisphäre 
des  16.  Jahrhunderts,  um  einen  Portolan 
von  Jaume  Olives  aus  Majorca  von 
1668,  gleichfalls,  wie  es  scheint,  dessen 
älteste  bisher  beschriebene  Arbeit;  end- 
lich um  einen  Pergamentatlas,  gezeichnet 
1692  von  Giacomo'  Scotto  und  be- 
stehend aus  9  Karten,  von  denen  die 
Weltkarte  in  chromolithographischer  Re- 
produktion beigefügt  ist.  <vDiese  vier  kar- 
tographischen Werke  werden  eingehend 
beschrieben*,  jedoch  hat  es  der  Verfasser 
leider  unterlassen,  die  übrigen  vorhandenen 
Arbeiten  der  genannten  Zeichner  ausgiebig 
zu  Vergleichen  heranzuziehen. 

Viktor  Hantzsch. 

Meyers  Großes  Konversations- 
Lexikon.  6.  Aufl.  Bd.  II  (Astilbe— 
Bismarck.  914  S.)  u.  III  (Bismarck- 
archipel — Chemnitz.  924  S.).  Leipzig, 
Bibl.  Inst.  1903.  Je  JC  10.—. 
Was  über  den  ersten  Band  gesagt 
worden  ist  (S.  116),  gilt  auch  für  den 
zweiten  und  dritten,  denn  Plan  und  Cha- 
rakter der  Darstellung  sind  natürlich  in 
allen  Bänden  die  gleichen.  Auch  in 
diesen  Bänden  finden  wir  reiche  stoffliche 
Belehrung,  so  daß  wir  sie  gern  zum 
Nachschlagen  in  die  Hand  nehmen  wer- 
den, sowie  eine  Anzahl  zugleich  lehrrei- 
cher und  schöner  bildlicher  Darstellungen, 
unter  denen  ich  namentlich  die  Faunen- 
und  Völkertafeln  hervorhebe.  Aber  auch 
in  diesen  Bänden  kann  ich  die  Fassung 
der  meisten  geographischen  Artikel  nicht 
für  glücklich  halten.  Der  Zweck  dieser 
Artikel  ist  doch  wohl,  Nichtfachmännern, 
namentlich  etwa  Journalisten,  Kauf  leuten 
u.  8.  w.,  die  sich  rasch  über  ein  Land 
oder  ein  anderes  geographisches  Objekt 
orientieren  wollen,  eine  klare  anschau- 
liche Vorstellung  davon  zu  geben.  Ich 
glaube  nicht,  daß  dieser  Zweck  erreicht 
wird  Es  ist  zu  viel  Stoff  zusammen- 
getragen und  zu  wenig  verdaut.  Was 
soll  der  Nichtfachmann  mit  allen  diesen 
stratigraphischen,  floristischen ,  faunisti- 
schen  u.  s.  w.  Einzelheiten,  deren  Ver- 
ständnis überdies  durch  die  übertriebene 

32* 


47G 


Bücherbesprechungen. 


Anwendung  technischer  Ausdrücke  er- 
schwert wird?  Dagegen  fehlt  es  fast 
ganz  an  einer  innerlichen  Verknüpfung 
der  verdchiedenen  Seiten  der  Landes- 
natur. Ich  habe  mir  z.  B.  bei  der  Lek- 
türe der  Artikel  über  Bolivien  und  Brasi- 
lien, die  übrigens  auch  von  sachlichen 
Irrtümern  nicht  &ei  sind,  sagen  müssen, 
daß  ich  mir  daraus  kein  Bild  machen 
könnte;  wie  soll  es  der,  dem  die  eigene 
Anschauung  und  überhaupt  die  geogra- 
phische Bildung  fehlt?  Auch  die  poli- 
tischen und  volkswirtschaftlichen  Ver- 
hältnisse lassen  sich  ohne  Beziehung  auf 
die  Landesnatur  nicht  verstehen;  wie 
leicht  wäre  es  z.  B.,  die  landwirtschaft- 
lichen Verhältnisse  Boliviens  aus  dem 
Klima  und  der  Verkehrslage  zu  erklären ! 
Das  Mey ersehe  Konversations-Lexikon  hat 
der  neueren  Entwicklung  der  Geographie 
insofern  Rechnung  getragen,  als  es  die 
verschiedenen  Seiten  der  Natur  der  Län- 
der eingehend  berücksichtigt;  aber  es 
läßt  die  eigentliche  geographische  Ver- 
arbeitung des  Stoffes  noch  zu  sehr  ver- 
missen. Seine  Artikel  geben  viele  ein- 
zelne geographische  Kenntnisse,  sind 
aber  mit  wenigen  Ausnahmen  kaum  ge- 
eignet, geographisches  Verständnis  zu 
vermitteln.  A.  Hettner. 

Geographenkalender,  hrsg.  von  H. 
Haack.  1.  Jahrgang.  1903/1904. 
kl.  8^  XV  u,  320  u.  124  S.  Gotha, 
Justus  Perthes  1903.  JL  3.~. 
Die  Herausgabe  dieses  Geographen- 
kalenders, der  übrigens  erst  sehr  ver- 
spätet zur  Besprechung  verschickt  worden 
ist,  war  ein  glücklicher  Gedanke,  und 
dieser  Gedanke  ist  auch  geschickt  und 
glücklich  ausgeführt  worden.  In  gefäl- 
liger Ausstattung,  mit  einem  gelungenen 
Bildnis  F.  v.  Richthofens  geschmückt, 
auch  von  einer  Anzahl  kleiner  Kärtchen 
begleitet,  enthält  der  Geographenkalender 
eine  Fülle  nützlicher  Angaben.  Den  An- 
fang macht  ein  Kalendarium,  von  Paul 
Lehmann  bearbeitet;  es  gehört  nun  ein- 
mal zu  einem  Kalender  und  entspricht  dem 
astronomischen  Interesse  vieler  Geogra- 
phen. Als  Anhang  dazu  hat  der  Heraus- 
geber einige  geographische  Tabellen  (Erd- 
dimensionen, Kartenmaßstäbe,  Thermo- 
meterskalen u.  s.  w.)  zusammengestellt; 
ich  glaube,  daß  diese  Tabellen  in  den 
folgenden  Jahrgängen  noch  viel  weiter  aus- 


gestaltet und  vermehrt  werden  sollten,  da 
eine  brauchbare  Zusammenstellung  geo- 
graphischer Tabellen  bisher  nicht  existiert. 
In  der  zweiten  Abteilung  bespricht  Paul 
Langhans  die  Weltbegebenheiten  des 
Jahres  1902 ;  hier  könnten  wohl  die  poli- 
tisch und  wirtschaftsgeographischen  Ver- 
änderungen noch  etwas  ausführlicher  ge- 
geben werden.  Drittens  gibt  H.  Wich- 
mann  einen  Überblick  über  die  geogra- 
phischen Forschungsreisen,  die  er  ja  so 
aufmerksam  wie  wenige  andere  verfolgt. 
Recht  hübsch  und  brauchbar  sind  auch 
die  im  vierten  und  fünften  Abschnitt  von 
W.  Blankenburg  und  vom  Heraus- 
geber gebotenen  Überblicke  über  die 
geographische  Literatur  und  über  die  Er- 
scheinungen und  Strebungen  der  Schul- 
geographie sowie  die  vom  Herausgeber 
bearbeitete  Totenschau  im  sechsten  Ab- 
schnitt. Ob  die  an  siebenter  Stelle  vom 
Herausgeber  gegebenen  statistischen  Mit- 
teilungen über  die  einzelnen  Staaten  der 
Erde  neben  dem  Gothaischen  Hof  kalender 
und  neben  den  bekannten  Hübnerschen 
und  Hartlebenschen  Tabellen  einen  Zweck 
haben,  erscheint  mir  zweifelhaft.  Dazu 
müßten  sie  wenigstens  geographischer 
gehalten  sein;  in  der  jetzigen  Form  er- 
scheinen sie  zu  sehr  aJs  eine  Anbeque- 
mung an  die  alte  Verquickung  von  Geo- 
graphie und  Statistik.  Sehr  willkommen 
dagegen  ist  das  reichhaltige,  mit  kurzen 
orientierenden  Bemerkungen  versehene 
Adreßbuch,  das  auch  eine  sehr  große 
Zahl  ausländischer  Forscher  umfaßt  und 
neben  den  eigentlichen  Geographen  auch 
die  in  den  Nachbarwissenschaften  tätigen 
berücksichtigt,  ^eilich  auch  manche,  die 
mit  der  Geographie  gar  nichts  mehr  zu 
tun  haben,  während  nach  der  historischen 
Seite  die  Fäden  zu  wenig  ausgestreckt 
sind  imd  selbst  ein  Name  wie  Nissen  fehlt. 
Für  eine  Übersicht  der  Zeitschriften,  Lehr- 
stühle und  wissenschaftlichen  Anstalten 
wird  auf  den  nächsten  Jahrgang  verwiesen. 
A.  Hettner. 

Mazel;  A«  Künstlerische  Gebirgs- 
Photographie.  Autorisierte  deutsche 
Übersetzung  von  E.  He  gg.  174  S. 
12  Taf.  nach  Original-Aufoahmen  des 
Verfassers.  Berlin,  G.  Schmidt  (vorm. 
Robert  Oppenheim)  1903.  JL  4.—. 
Ein  Buch,  welches  auch  dem  Geo- 
graphen, welcher  in  heutiger  Zeit  weit 


Bücherbesprechangen. 


477 


mehr  als  früher  den  modern  vervoUkomm 
neten  Photographen  -  Apparat  als  eines 
seiner  wichtigsten  wissenschaftlichen  In- 
strumente kennen  und  beherrschen  muß, 
vortreffliche  Dienste  zu  leisten  vermag. 
Wenn  sich  auch  die  Ausführungen  des 
französischen  Autors  (das  Werk  liegt  in 
einer  deutschen  Übersetzung  vor)  nur  auf 
die  kultivierten  Zustände  unserer  euro- 
päischen Alpen  beziehen  und  das  An- 
wachsen der  äußeren  Schwierigkeiten, 
welche  dem  Geographen  bei  seinen  Reisen 
in  den  unzugänglichen  Hochgebirgen  frem- 
der Länder  in  so  reichem  Maße  die  Wege 
verbauen,  außer  acht  gelassen  ist,  so 
werden  doch  die  überall  gleichen  eigen- 
artigen Schwierigkeiten  der  Licht-  und 
Beleuchtungseffekte  des  Hochgebirges  in 
klarer  und  sachkundiger  Weise  erörtert. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  enthalten 
besonders  die  Kapitel  V,  VI,  VII,  VHI 
und  IX  mit  Ausführungen  über  die  Be- 
leuchtung des  Motivs,  Effekte  des  Wassers, 
Himmel  und  Feme,  sowie  die  Gelbscheibe 
und  Blenden  treffliche,  für  die  Praxis 
gut  verwertbare  Winke,  überall  zeigt 
fcich  der  Verfasser  als  ein  gewiegter  Prak- 
tiker, welcher  auch  die  großen  Fort- 
schritte der  modernen  Plattentechnik  ge- 
bührend hervorhebt  und  mit  Recht  gegen- 
über der  Bequemlichkeit  und  der  Indolenz 
der  Amateure  der  Verwendung  der  ortho- 
chromatischen Platte  in  der  Gebirgs- 
Photographie  das  Wort  redet.  Vielleicht 
wäre  es  ervninscht  gewesen,  in  diesem 
Zusammenhange  noch  mehr  als  bereits 
vom  Autor  geschehen  auf  den  Nutzen 
der  modernen  sogenannten  lichthoffreien 
Platten  mit  einem  den  Reflex  in  dem 
Glas  der  Platte  verhindernden  roten  Farb- 
stoffhinterguß zu  verweisen.  Ich  halte 
diese  moderne  Errungenschaft  namentlich 
in  den  Hochgebirgen  sonnigerer  Länder, 
z.  B.  Central -Asiens,  für  noch  weit  be- 
deutungsvoller als  in  unseren  Alpen. 
Sehr  lehrreich  für  den  photographierenden 
Geographen,  welcher  in  den  meisten  Fällen 
aus  Rücksicht  auf  das  übrige  Expeditions- 
gepäck die  Plattenformate  i)  x  12  cm  und 
13  X  18  cm  nicht  überschreiten  wird,  sind 
die  in  Kap.  XII  gegebenen  Winke  über 
Vergrößerungen,  besonders  über  Herstel- 
lung vergrößerter  Papiernegative. 

Da  das  Werkchen  an  sich  für  den 
Eunstphotographen ,  nicht  für  den  auf 
die  Photographie  wissenschaftlich   inter- 


essierender Aufnahmen  ausziehenden  Geo- 
graphen geschrieben  ist,  so  ist  der  Er- 
örterung über  die  „dominierende  Linie", 
über  „starke  und  schwache  Punkte",  den 
Vordergrund,  die  Staffage  u.  a.  ein  breiter 
Raum  gegönnt.  Wenn  auch  die  Beaoh- 
tung  dieser  Dinge  und  das  Suchen  nach 
künstlerisch  wirkenden  Motiven  in  der 
Gebirgswelt  nicht  Zweck  des  reisenden 
Geographen  sein  kann,  so  wird  es  liie- 
mals  schaden,  wenn  er  nach  Möglichkeit 
auch  diesen  Dingen  gerecht  zu  werden 
sucht  und  seinen  geographischen  Cha- 
rakterlandschaften möglichst  die  Eigen- 
schaften eines  ästhetisch  wohltuend  wir- 
kenden, wenn  möglich  künstlerisch  empfun- 
denen Bildes  aufprägt.  Das  Auge  ist  ja 
das  wichtigste  Instrument  des  Geographen, 
wie  des  Künstlerphotographen,  und  in  der 
Schulung  und  Übung  desselben  sollte  der 
eine  dem  anderen  um  nichts  nachstehen. 
Im  Grunde  dürfte  also  der  das  Charakte- 
ristische einer  Landschaft  auf  Basis  seiner 
wissenschaftlichen  Studien  erfassende  Geo- 
graph bei  einiger  persönlicher  Begabung 
das  beste  Zeug  zum  künstlerischen  Land- 
schaftsphotographen in  sich  tragen.  Wie 
er  dieses  Ideal  am  besten  erreiche,  dazu 
wird  ihm  zweifellos  durch  wertvolle  Winke 
das  vorliegende  Buch  verhelfen  können. 
Max  Friederichsen. 

Ratzel^  Friedrich«  Die  Erde  und  das 
Leben.  Eine  vergleichende  Erdkunde. 
2.  Bd.  gr.  8*.  702  S.  Leipzig,  Bibl.  Inst. 
1902.  Geb.  JL  17.—. 
Dem  ersten  in  dieser  Zeitschrift  be- 
sprochenen Bande  ist  sehr  rasch  der  zweite 
gefolgt,  so  daß  das  Werk  nunmehr  als 
abgeschlossenes  Ganzes  vorliegt.  Charak- 
ter, Darstellung,  Ausstattung  stimmt  durch- 
aus mit  dem  ersten  überein,  die  Eigenart 
des  ganzen  Werkes  tritt  hier  vielleicht 
noch  mehr  hervor,  da  dieser  zweite  Band 
nach  einer  kurzen,  die  organische  Auf- 
fassung des  Erdganzen  (Geosphäre,  Hydro- 
sphäre, Atmosphäre)  behandelnden  Ein- 
leitung die  Wasserhülle  und  die  Lufthülle 
der  Erde  und  das  Leben  der  Erde  dar- 
stellt. Wie  in  der  Einleitung,  so  tritt 
namentlich  im  letzten  Abschnitte  die 
kennzeichnende  Auffassung  Ratzeis  hervor. 
Auch  der  die  Wasserhülle  der  Erde  dar- 
stellende Abschnitt,  namentlich  die  Ka- 
pitel über  Schnee,  Firn  und  Eis,  über  die 
Fimgrenze,  die  Wirkungen  der  Schnee- 


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Bücherbesprechungen. 


decke  knüpfen  an  bekannte  Original- 
stadien Ratzeis  an.  Ebenso  Abschnitte 
wie  das  Meer  in  der  Geschichte  u.  a.  m. 
Selbstverständlich  gehen  daneben  größere 
Abschnitte,  namentlich  in  der  Klimato- 
logie,  einher,  die  mehr  die  ,,gemeine  Les- 
art** wiedergeben,  aber  nicht  im  trockenen 
Tone  des  Lehrbuchs,  sondern  immer  in 
der  frischen,  anziehenden  Darstellungs- 
weise  Ratzeis,  in  oft  bilderreicher  Sprache. 
Längst  bekannte  Tatsachen  werden  oft 
in  neuer  Form,  von  neuen  anziehenden 
Gesichtspunkten  aus  vorgetragen. 

Auch  dieser  Band  will  im  großen  be- 
urteilt werden,  nicht  unter  Nörgeln  an 
Kleinigkeiten.  Überall  betrachtet  der 
Verf.  die  Erde  von  hohen  Gesichtspunkten 
aus.  Er  hat  viel  gesehen  und  scharf  be- 
obachtet, im  Hochgebirge,  wie  in  der  Ebene, 
in  den  Tropen,  wie  in  den  gemäßigten 
Breiten.  Die  Bedeutung  und  Aufgabe  des 
Wassers  auf  der  Erde  haben  wir  noch  nie 
80  klar  erfaßt  gefunden,  wie  gleich  auf 
der  ersten  Seite:  „ob  flüssig  oder  starr 
auftretend,  immer  behält  das  Wasser  die 
Neigung  Lücken  auszufüllen.**  Das  Ka- 
pitel Firn  und  Gletscher  ist  mit  großer 
Liebe  geschrieben.  Der  Schnee  wird  also 
nicht  in  der  Klimatologie  und  bei  den 
Niederschlägen  behandelt,  sondern  als  Teil 
der  Wasserhülle  der  Erde.  Die  Firngrenze 
wird  als  Ufer  eines  gewaltigen  Meeres 
von  festem  Wasser  bezeichnet.  In  der 
Klimatologie  möchten  wir  auf  die  hüb- 
schen Kärtchen  des  Meteorologen  Kaßner 
aufeiierksam  machen,  welche  die  Wärme 
und  Luftdruckverteilung  in  Europa  ver- 
anschaulichen. Die  Frage,  daß  nicht  das 
Klima  unseres  Planeten  einst  hauptsäch- 
lich durch  die  größere  Eigen-  oder  Innen- 
wärme der  Erde  wärmer  gewesen  sei,  son- 
dern daß  in  der  Erdgeschichte  warme 
und  kalte  Perioden  auf  einander  gefolgt 
sind,  sieht  der  Verf.  als  entschieden  an. 
Das  Kap.  über  Änderungen  und  Schwan- 
kungen der  Klimate  möchten  wir  als 
eine  scharfsinnige  Zusammenfassung  alles 
dessen  bezeichnen,  was  über  diese  schwie- 
rige und  viel  erörterte  Frage  gesagt  wor- 
den ist.  Wenn  sich  der  Verf.  (S.  öOO)  für 
die  Wahrscheinlichkeit  der  zuerut  vom 
Unterzeichneten  aufgestellten  Hypothese 
einer  größeren  Feuchtigkeit  der  südlichen 
Mittelraeerländer  in  geschichtlicher  Zeit 
ausspricht,  so  verbietet  leider  der  Raum- 
mangel, an  dieser  Stelle  auf  diese  von  uns 


seit  30  Jahren   sorgsam   verfolgte   Frage 
einzugehen. 

Am  meisten  kennzeichnend  ist  wohl 
der  8.  Abschnitt,  das  Leben  der  Erde,  wo 
wir  die  Grundzüge  der  bislang  von  den 
Geographen  wenig  gepflegten  Biogeo- 
graphie entwickelt  sehen  und  scharf  be- 
tont wird,  „daß  alles  Leben  auf  der  Erde 
im  tiefsten  Grunde  als  eines  lebt,  ob  es 
nun  Pflanze  oder  Tier  heißt,  und  daß  der 
Mensch  in  allem,  was  an  ihm  körperlich 
ist,  ganz  und  gar  zu  diesem  Leben  ge- 
hört**. Th.  Fischer. 

Hecker^  0«  Bestimmung  der  Schwer- 
kraft    auf    dem     atlantischen 
Ozean  sowie  in  Rio  de  Janeiro, 
Lissabon    und   Madrid.     (Veröff. 
d.  K.  Preuß.  Geodät.  Inst.  N.  F.  Nr  11.) 
VIu.  187  S.  9  Taf.  Berlin,  1908.  JL 10.—. 
Die  Intensität  der  Schwerkraft  konnte 
mit  den  bisher  gebräuchlichen  Apparaten 
nur  auf  dem  festen  Land  bestimmt  wer- 
den.   Es  bestand  daher  schon  lange  der 
Wunsch  nach  Instrumenten,  welche  brauch- 
bare  Resultate   auf  dem   offenen  Meere 
liefern.    In  der  vorliegenden  Abhandlung 
ist   der  erste   gelungene  Versuch    dieser 
Art  mitgeteilt. 

Nachdem  Mohn  zuerst  gezeigt  hatte, 
daß  die  Schwerkraft  aus  der  Vergleichung 
von  Quecksilberbarometem  mit  Siede- 
thermometem  auf  dem  Lande  mit  genü- 
gender Genauigkeit  für  den  meteorologi- 
schen Gebrauch  ermittelt  werden  konnte, 
durfte  man  hoffen,  durch  geeignete  Ver- 
besserungen diese  Methode  zu  Beobach- 
tungen auf  dem  offenen  Meere  zu  ge- 
brauchen. Dies  führte  den  Verf.  auch  zu 
einer  Modifikation  der  Marinebarometer 
und  zur  Konstruktion  eines  photographisch- 
registrierenden  Barometers,  um  auch  auf 
stärker  bewegtem  Schiffe  beobachten  zu 
können.  Die  Versuche  wurden  auf  einem 
Dampfer  nach  Südamerika  und  wieder 
zurück  ausgeführt. 

Aus  den  bisher  am  Lande  erhaltenen 
Schweremessungen  wurde  im  allgemeinen 
die  Schwere  auf  den  Kontinenten  zu  klein 
und  auf  den  von  den  Kontinenten  ent- 
fernten Inseln  zu  groß  gefunden.  Die 
vorliegenden  Messungen  ergaben  die  In- 
tensität der  Schwerkraft  auf  dem  offenen 
Ozean,  speziell  auf  den  Tiefen  des  atlan- 
tischen Ozeans  zwischen  Lissabon  und 
Bahia,  nahezu  normal.    Sie  entspricht  der 


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von  Prof.  Hehnert  aufgestellten  Formel 
Ton  1001.  Es  ist  damit  die  von  Pratt 
zuerst  aufgestellte,  dann  von  Faje  eben- 
falls angenommene  und  von  Helmert  ein- 
gehender begründete  Hypothese  vom  iso- 
statischen Gleichgewicht  der  Lagerung 
der  Masse  in  der  Erdkruste  für  diesen 
Teil  des  atlantischen  Ozeans  bestätigt. 
Da  ein  gleiches  Resultat  im  nördlichen 
Eismeere  mit  einem  Pendelapparat  durch 
Scott  Hansen  auf  der  Nansenschen  Polar- 
ezpedition  auf  festgefrorenem  Schiffe  er- 
halten wurde,  darf  man  auf  eine  allgemeine 
Gültigkeit  dieses  Gesetzes  schließen.  Es 
muß  somit,  wie  die  äußeren  Kontinental- 
massen annähernd  durch  Massendefekte, 
Verminderung  der  Dichtigkeit,  unter  den 
Festländern  kompensiert  sind,  auf  der 
Tiefsee  eine  Kompensation  durch  größere 
Dichte  des  Meeresbodens  eintreten. 

Messerschmitt. 

Vegetationsbilder;  hrsg.  von  G.  Kar- 
sten und  H.  Schenck.  4<».  Heft  1 
u.  2.  Jena,  Fischer  1903.  Das  Heft 
von  6  Taf.  JC  2.50,  einzelne  Hefte 
JC  4.—. 
Es  ist  als  eine  recht  glückliche  Idee 
zu  bezeichnen,  die  vielfach  von  den  Ge- 
iehrten  in  den  Tropen  aufgenommenen 
Yegetationsansichten  einem  größeren  Pu- 
blikum in  der  anschaulichen  Form  mäßig 
vergrößerter  Lichtdrucke  zugänglich  zu 
machen,  und  man  kann  nach  den  vor- 
liegenden beiden  Hefken  nur  sagen,  daß 
die  von  der  Yerlagsanstalt  F.  Bruckmann 
A.-G.  in  München  hergestellten  Repro- 
duktionen den  Ansprüchen,  die  man  an 
solche  Vergrößerungen  stellen  darf,  voll- 
auf genügen.  Das  ursprüngliche  Format 
von  9  zu  12  oder  12  zu  18  cm  wird  auf 
16  zu  2lV,  oder  16  zu  24  cm  vergrößert, 
und  diese  Größe  ist  gerade  sehr  handlich, 
um  bei  Vorlesungen  vor  einem  kleineren 
Kreise  von  Zuhörern  herumgereicht  zu 
werden;  auch  ist  das  Kartonpapier  an- 
scheinend fest  genug,  um  nicht  zu  leicht 
zu  brechen,  was  diese  Abbildungen  vor 
den  vom  Kolonialmuseum  zu  Haarlem 
veranstalteten  ähnlichen  Reproduktionen 
vorteilhaft  auszeichnet. 

In  den  vorliegenden  ersten  beiden 
Heften  werden  Vegetationsbilder  aus  Süd- 
Brasilien  von  H.  Schenck,  und  aus  dem 
Malajischen  Archipel  von  G.  Karsten  ge- 
bracht.  Erstere  beziehen  sich  hauptsäch- 


lich auf  die  Waldvegetation  von  S.  Ca- 
tharina;  zwei  Tafeln  sind  dem  tropischen 
Regenwald,  eine  der  Epiphytenvegetation 
gewidmet,  die  übrigen  stellen  die  schöne 
Cocos  Eomanzoffiana,  die  als  Ameisen- 
bäume interessanten  Cecropien  und  einen 
Araucarienwald  des  Hochlandes  von  Pa- 
rana  dar,  bis  auf  letztere  Abbildung 
sämtlich  nach  Photographien  des  Ver- 
fassers. Die  Vegetationsbilder  aus  dem 
Malajischen  Archipel  behandeln  den 
Regen  wald  von  West -Java,  einen  ver- 
breiteten Baumfam  desselben,  die  KÜsten- 
formation  der  Nipapalme,  den  Regenwald 
von  Amboina  mit  Arengapalmen,  sowie 
zwei  Bilder  aus  den  Dorfwaldungen  (Nutz- 
pflanzungen) von  Amboina  und  Temate 
mit  Sagopalmen,  Durian,  Mangostan,  Bam- 
bus, Bananen,  Maniok  u.  s.  w. 

Der  Text  beider  Lieferungen  ist  ge- 
meinverständlich gehalten,  macht  aber 
doch,  unter  Hinweis  auf  Literatur,  mit 
den  neuesten  Ergebnissen  der  botanischen 
biologischen  Forschimg  bekannt. 

0.  Warburg. 

Schifer ,  Dietrich.  Kolonialge- 
schichte. (Sammlung  Göschen  156.) 
154 S.  Leipzig, Göschen  1908.  JC— .SO. 

So  viel  Schönes  diese  Sammlung  hand- 
licher Bändchen  schon  gebracht  hat,  wird 
doch  kaum  eine  der  in  sie  aufgenom- 
menen Schriften  in  knapper,  kräftiger 
Sprache  so  reiche  Belehrung  als  Frucht 
vieljähriger  Studien  bieten,  wie  diese 
prächtige  Kolonialgeschichte,  die  mit 
weitestem  zeitlichen  Horizont  und  tief- 
gehender sachlicher  Kenntnis  ihren  Gegen- 
stand im  Zusammenhange  mit  den  Ver- 
änderungen der  räumlichen  Grenzen  der 
Weltkenntnis  und  den  Strömungen  von 
Waren,  Menschen  und  Ideen  zu  erfassen 
weiß  und  der  Geschichte  Lehren  politischer 
Weisheit  abgewinnt,  die  man  unserem 
Geschlechte  nicht  eindringlich  genug  pre- 
digen kann.  „Ein  Volk,  das  darauf  ver- 
zichtet, den  eigenen  Geist  und  die  eigene 
Art  zur  Geltung  zu  bringen  in  dem  viel- 
farbigen Bilde  menschlicher  Kultur,  ver- 
säumt seine  Pflicht  nicht  nur  gegen  sich 
selbst,  sondern  auch  gegen  die  Mensch- 
heit und  verdient  nichts  anderes,  als  daß 
die  Geschichte  hinwegschreitet  über  seinen 
Bestand." 

Zusammen  mit  D.  Schäfers  glänzen- 
der Broschüre  „Deutschland  zur  See",  von 


4?0 


Bücherbesprechungen. 


deren  Geist  sich  eine  ganze  Flut  minder- 
wertiger Literatur  genährt  hat,  wird  dies 
Büchlein  ein  Denkstein  bleiben  für  den 
frischen  gesunden  Sinn  eines  deutschen 
Gelehrten,  wie  wir  wenige,  eines  deutschen 
Patrioten,  wie  wir  keinen  besseren  haben. 
Auch  dem  Geographen  ist  das  Buch  eine 
anregende  und  gewinnreiche  Lektüre. 
J.  Partsch. 

Ademeity   W«     Beiträge   zur   Siede- 
lungsgeographie     des    unteren 
Moselgebietes.    (Forsch,   z.    deut- 
schen Landes-,  u.  Volkskde.   Bd.  XIV. 
Heft  4.)  104  S.   Stuttgart,  Engelhom 
1903.     JL  8.90. 
Das    behandelte   Gebiet    umfaßt    das 
Moseltal  von  Trier  bis  ungefähr  zu  der 
merkwürdigen  Flußschlinge  bei  der  Ma- 
rienburg, die  Mulde  von  Wittlich  und  die 
zwischen  beiden  liegenden  „Moselberge^S 
Die  Wittlicher  Mulde  dient  dem  Verkehr 
als  Ersatz  für  das  zu  stark   gewundene 
und   vielfach    zu    steilwandige   Moseltal, 
dessen  Bevölkerung  sich  fast  ausschließ- 
lich durch  den  Weinbau  ernährt.    Aber 
auch  in  ihr  ist  kein   starker  Einfluß  der 
Verkehrslinien,    unter   denen   die  Mosel- 
bahn die  erste  Stelle  einnimmt,   zu  ver- 
spüren;   die    wirtschaftliche    Grundlage 
bleibt  hier  noch  immer  ganz  und  gar  der 
Ackerbau.    Selbst  in  der  einzigen  größe- 
ren  Stadt   des    Gebietes,    in   Trier,    sind 
Industrie  und  Handel  nur  schwach   ver- 
treten. 

Der  Verf.  tritt  als  Historiker  an  die 
Siedelungsverhältnisse  heran.  Die  wirt- 
schaftliche Seite  des  Themas  wird  nicht 
im  Zusammenhang  behandelt,  doch  kommt 
sie  in  den  Einzelheiten  der  Darstellung 
vielfach  zur  Geltung.  Der  Verfasser  ver- 
fügt auch  über  eine  gute  Kenntnis  des 
Bodens  und  über  das  nötige  Verständnis 
für  die  physisch-geographischen  Verhält- 
nisse, so  daß  im  ganzen  die  Bedingungen 
für  eine  sachgemäße  Besprechung  der 
siedelungsgeographischen  Tatsachen  ge- 
geben sind.  Nur  leidet  die  Arbeit  daran, 
daß  sie  oft  zu  sehr  ins  Einzelne  geht, 
oder  besser  gesagt,  da  auch  das  Einzelne 
seinen  Wert  besitzt,  daran,  daß  zwischen 
Wesentlichem  und  Unwesentlichem  nicht 
genug  unterschieden  ist.  Sowohl  von  den 
physisch-geographischen  Abschnitten  als 
auch  von  den  Ausführungen  über  die 
Lage  und  Entwickelung  der  Siedelungen, 


die  fast  jeden  Ort  besonders  vornehmen, 
muß  das  gesagt  werden.  Dazu  kommt, 
daß  das  Äußere  der  Arbeit  mit  ihren  viel 
zu  langen  Absätzen,  dem  ängstlichen 
Vermeiden  jeglichen  Sperrdruckes  und 
dem  Fehlen  einer  Karte  den  Überblick 
nicht  erleichtert.  0.  Schlüter. 

Baedeker, K«  Österreich-Ungarn 
(nebst    Bosnien    und    Herzegowina). 
Handbuch    für    Reisende.    26.   Aufl. 
12^    XVni  u.  646  S.    31  K.  u.  44  PI. 
Leipzig,  Baedeker  1903.    JL  6.—. 
Meyers    Reisebücher.     Österreich- 
Ungarn,    Bosnien    und    Herze- 
gowina.   7.  Aufl.    12<».    Xn  u.  372  S. 
25  K.,  27  PI.  u.  6  Pan.  Leipzig,  Bibl. 
Inst.  1903.     JL  6.—. 
Meyers    Reisebücher.      Deutsche 
Alpen.    I.  Teil   (Bayerisches  Hoch- 
land, Algäu,  Vorarlberg,  westliches 
und    mittleres   Tirol).     8.  Aufl.     12^ 
xn  u.  400  S.    27  K.,  5  PI.  u.  14  Pan. 
Ebda.  1903.     .€  5.—. 
Es  ist  wohl  überflüssig,  hervorzuheben, 
welchen  Wert  die  modernen   trefflichen 
Reiseführer  für  den  Geographen  auch  als 
Nachschlagebücher  haben  —  und  ebenso 
bedarf  es  kaum  mehr  einer  Hervorhebung, 
daß  sowohl  Baedekers  als  Meyers  Hand- 
bücher stets  mit  größter  Sorgfalt  in  Evi- 
denz gehalten  werden,  ja  daß  sie  selbst 
über  projektierte  Verkehrseinrichtungen, 
Schutzhütten  u.  dergl.  —  darunter  auch 
solche,   die  wohl  noch  einige  Zeit  ihrer 
Herstellung  harren  werden,  wie  die  Ada- 
mekhütte  in  der  Gosau  [D.  Alpen,  2.  Bd.] 
oder  die  Verbindung  der  Wiener  Stadt- 
bahn   (Wientallinie)    mit    der    Südbahn 
[Plan  bei  Meyer]  —  als  Projekte  Auskunft 
geben.     Auch   die   hier   genannten   drei 
Werke  können  bestens  empfohlen  werden. 
Ein  Wunsch  ist  mir  aber  bei  der  Lek- 
türe sehr  lebhaft  entgegengetreten.  Lon- 
don, Paris,  Berlin  haben  ihren  eigenen 
„Baedeker",  Wien  muß  sich  mit  einem 
geringen  Raum,  insbesondere  bei  Meyer, 
begnügen.    Ein  Wiener  Spezialführer  ent- 
spräche wol  einem  Bedürfnisse.   Bei  seiner 
Ausführung  müßte  aber  einheimischer  Rat 
mehr    eingeholt    werden,    als    dies    bei 
Meyers  Österreich-Ungarn   geschehen   zu 
sein  scheint.    Es  liegt  ja  wenig  an  dem 
Lächeln,   mit  dem  der  Wiener  erfahren 
mag,  daß  er  kein  „Sperrsechserl",  sondern 
einen  „Sperrgroschen"  zahlt  und  daß  er 


Bücherbesprechnngen. 


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die  Backpflaumen  „Zwetschkenröster" 
nennt  (eine  ganz  bestimmte  Zubereitongs- 
form  der  Pflaume),  aber  es  ist  für  den 
Fremden  nicht  gleichgültig,  wenn  ihn  sein 
Reisehandbuch  verleitet,  in  einem  nor- 
malen Wiener  Restaurant  fast  doppelt  so 
viel  Trinkgeld  zu  geben,  als  der  Ein- 
heimische gewohnt  ist.  Ein  Wiener 
SpezialfÜhrer  würde  solche  Versehen  nicht 
enthalten;  in  einem  Werke,  das  nicht  für 
längeren  Aufenthalt  in  Wien,  sondern  nur 
für  kurze  Anwesenheit  in  einem  Hotel  als 
Ratgeber  dienen  soll,  sind  sie  nicht  ver- 
wunderlich und  leicht  entschuldbar. 

Sieger. 

Ejell^n,  Rudolf.  Inledning  tili  Sve- 
riges  geografi.  (Populärt  vetens- 
kapliga  fdreläsningar  vid  Göteborgs 
högskola.  Nr.  XHI.)  kl.  8^  ü  u. 
180  S.  Göteborg,  1900.  2  Kr. 
Das  klare,  angenehm  lesbare  Buch  hat 
trotz  der  populären  Form  wissenschaft- 
lichen Wert  als  ein  überaus  anregender 
Beitrag  zur  politischen  Geographie.  Eine 
Übersicht  der  Entwicklung,  welche  die 
wissenschaftliche  Geographie  überhaupt 
und  die  geographische  Forschung  in 
Schweden  speziell  genommen  hat,  führt 
den  Verf.  dazu,  einen  Plan  für  eine  wissen- 
schaftlich -  geographische  Landeskunde 
Schwedens  zu  entwerfen.  Dabei  weist  er 
der  Anthropogeographie  und  politischen 
Geographie  (im  Sinne  Ratzeis)  eine  eigen- 
tümliche Stellung  an.  Die  Bedeutung  des 
Menschen  für  die  Erde  sei  ein  Objekt  geo- 
graphischer Betrachtung,  die  Bedeutung^ 
der  Erde  für  den  Menschen  aber  gehöre' 
zu  den  Wissenschaften  vom  Menschen. 
Somit  bilde  Ratzeis  politische  Geographie 
und  der  Hauptteil'der  Anthropogeographie 
eine  eigene,  zur  Politik  gehörende  Wissen- 
schaft. Diese  Disziplin  bezeichnet  Kjell^n 
als  „Geopolitik*',  ein  Ausdruck,  der  mir 
ebenso  unglücklich  scheint,  wie  die  Auf- 
fassung des  Autors  über  ihre  Stellung  im 
System  der  Wissenschaften.  Sie  ist  ihm 
nicht  Greographie,  wohl  aber  kann  sie 
den  Rahmen  für  länderkundliche  Betrach- 
tung, eine  „Einleitung  in  die  Geographie" 
darstellen.  In  diesem  Sinne  ist  der  Titel 
des  Buches  zu  rerstehen. 

Das  Problem,  dessen  Lösung  die  „Ein- 
leitung in  die  Geographie  Schwedens" 
anstrebt,  ist  die  Frage:  ob  Schweden  ein 
einheitliches  geographisches  Gebiet  dar- 


stelle und  natürliche  Grenzen  besitze.  Nach 
eingehender  Erörterung  der  allgemeinen 
geographischen  Charakterzüge,  insbeson- 
dere aber  nach  einer  genauen  Analyse  der 
Grenzlinie  als  rechtliches  und  geographi- 
sches Gebilde  meint  Ejellän  beide  Fragen 
verneinen  zu  müssen;  erst  „Fennoscandia" 
ist  ihm  ein  natürliches  Gebiet,  mit  dem 
Eindringen  der  Russen  in  dieses  eröffnet 
sich  daher  eine  bedenkliche  Perspektive 
für  die  Zukunft  Skandinaviens.  Dem  steht 
die  norwegische  Auffassung  gegenüber, 
die  Schweden  und  Norwegen  durch  eine 
„AnÖkumene"  natürlich  getrennt  sieht. 
Daß  Kjell^n  den  Tatsachen  näher  kommt, 
ist  zweifellos;  aber  er  unterschätzt  sicher 
auch  die  Bedeutung  des  bottnischen 
Meeres  als  Grenze  und  sein  Ergebnis 
sollte  lauten:  Das  heutige  Schweden  ent- 
spricht einer  natürlichen  Provinz  zweiten 
oder  dritten  Ranges,  die  mit  den  Nachbar- 
gebieten eine  höhere  geographische  Ein- 
heit bildet  (ich  pflege  sie  „Nordeuropa" 
zu  nennen). 

Wertvoll  ist  die  Arbeit,  der  eine  wissen- 
schaftliche Analyse  der  Grenzen  Schwe- 
dens im  „Ymer*'  1899  vorausging,  als  Detail- 
studie über  politische  Grenzen,  deren  wir 
erst  wenige  besitzen.  Ich  bedaure,  daß 
ich  diese  beiden  Studien  nicht  benutzen 
konnte,  als  ich  der  Morphologie  der  poli- 
tischen Grenze  an  dem  Beispiel  Nieder- 
österreichs nähertrat  (Jahrb.  des  Ver.  für 
Landeskunde  von  Niederösterreich  1. 1902), 
freue  mich  aber  um  so  mehr  mancher 
übereinstimmenden  Ergebnisse,  die  für  so 
verschiedene  Gebiete  und  auf  so  verschie- 
denen Wegen  gewonnen  wurden.  Die 
Punkte,  in  welchen  ich  mit  Kjellän  über- 
einstimme oder  mit  ihm  nicht  einverstan- 
den sein  kann,  im  einzelnen  zu  erörtern, 
dazu  ist  hier  nicht  Raum.  Seine  Auffas- 
sung guter  und  schlechter  Grenzen  scheint 
mir  unter  einem  prinzipiellen  Mißgriff  zu 
leiden.  Wo  es  galt,  verschiedene  Erschei- 
nungsformen objektiv  festzustellen,  sieht  er 
nur  aufeinanderfolgende  Entwicklungs- 
stufen. Wir  sind  vom  Grenzsaum  zur 
Grenzlinie  vorgeschritten;  es  ist  daher 
nach  Kjellän  nur  die  Qualität  der  letzteren 
zu  prüfen.  Daher  übersieht  seine  Darstel- 
lung alle  die  typischen  Fälle,  in  welchen 
noch  heute  bloß  der  Grenzsaum  geogra- 
phische Bedeutung  hat  und  der  Grenzlinie 
innerhalb  desselben  nur  formaler  Wert  zu- 
kommt,   wie    in   den   FjäUplateaus   und 


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Bücherbesprechungen. 


Hochwäldern;  dort  läuft  innerhalb  eines 
guten  Grenzzugs  im  Detail  oft  eine  un> 
zweckmäßige  Grenzlinie,  alle  wesentlichen 
Funktionen  der  Grenze  aber  werden  treff- 
lich erfüllt.  Das  Übersehen  solcher  Ver- 
hältnisse bewirkt  es  auch,  daß  Kjell^n 
nur  eine  Art  von  „natürlicher*^  Land- 
grenze, jene  durch  Wasserscheiden,  kennt. 
Dagegen  sondert  er  die  yerschiedenen 
Arten  von  Meeresgrenzen  scharfsinnig  und 
glücklich  und  wird  auch  den  Verschieden- 
heiten der  Flußgrenzen  gerecht. 

Eine  derartige  Studie  kann  bei  dem 
heutigen  Stande  der  Wissenschaft  von 
Konstruiertem  nicht  ganz  frei  sein;  Verf. 
läßt  aber  des  Bestreben  allenthalben  ge- 
wahren, Beobachtungen  als  Grundpfeiler 
seines  Systems  zu  gewinnen.     Sieger. 

Baedeker,  K,  Schweden  und  Nor- 
wegen nebst  den  wichtigsten  Reise- 
routen durch  Dänemark.  Handbuch 
für  Reisende.  9.  Aufl.  12^  LXVI  u. 
489  S.  u.  40  S.  Anhang  (Sprachführer). 
37  K.,  22  PI.,  mehrere  Pan.  u.  Grund- 
risse. Leipzig, Baedeker  1903.  JCl.bO. 
Auch  dieses  vorzügliche  Reisehand- 
buch ist  in  trefflicher  Weise  auf  dem 
Laufenden  erhalten  und  hat  seine  charak- 
teristischen Eigenschaften,  auch  jene,  die 
es  gegenüber  Meyers  Handbuch  kenn- 
zeichnen, bewahrt.  Ed  ist  also  in  allen 
drei  nordischen  Reichen  ein  ausgezeich- 
neter Führer.  Spitzbergen  ist  knapper 
behandelt.  Ein  Vorzug  des  Buches  ist 
auch,  daß  es  durch  geographische  und  ge- 
schichtliche Einleitungen  und  durch 
mancherlei  Hinweise  den  Leser  mit  Land 
und  Leuten  vertrauter  macht.  Je  gleich- 
förmiger die  internationale  Reise  weise,  je 
geringer  dieBerührung  des  eiligen  Touristen 
mit  bodenständigen  Verhältnissen  wird, 
desto  mehr  muß  man  dankbar  sein,  wenn 
einen  ein  Handbuch  —  nicht  durch  die 
üblichen  naturgemäß  wenig  erschöpfen- 
den „Charakteristiken'',  sondern  durch 
Mitteilungen  von  Tatsächlichem  —  dem 
Geiste  der  Bevölkerung  näher  bringt. 
Im  Zusammenhang  damit  mag  mir  eine 
—  an  sich  nebensächliche  —  Bemerkung 
erlaubt  sein.  Ich  hatte  vor  längerem 
meine  Verwunderung  ausgesprochen,  daß 
Djekneberget  bei  Westeräs  in  keinem 
Handbuch  erwähnt  sei.  Baedeker  bringt 
es  nunmehr,  erwähnt  aber  gerade  das 
Charakteristische,  die  schwedische  „Frei- 


luft- Walhalle",  wie  man  wohl  sagen  darf, 
nicht,  die  doch  in  ihrer  Art  einzig  da- 
steht. Bei  der  Sorgfalt,  mit  welcher  das 
Buch  redigiert  wird,  ist  aber  zu  erwarten, 
daß  dergleichen  kleinen  Mängeln  bald 
abgeholfen  wird.  Sieger. 

Meyers  Reisebücher.  Norwegen, 
Schweden  und  Dänemark  von 
Yngvar  Nielsen.  8.  Aufl.  12*. 
XIV  u.  393  S.  Leipzig,  Bibl.  Inst. 
1903.  JC  6.50. 
Die  neue  Auflage  ist  gegenüber  der 
an  dieser  Stelle  besprochenen  von  1899 
um  acht  Seiten  stärker  geworden.  Neu 
berücksichtigt  sind  die  Ofoten-,  Nord-, 
Valdres-  und  die  im  Bau  begriffene  Bergen- 
Bahn,  neu  eingefügt  wurde  eine  „Fjord- 
route**, neu  hinzugekommen  oder  wesent- 
lich verändert  sind  die  Karten  von  mehre- 
ren norwegischen  Fjord-  und  Fjeldland- 
schaften,  von  Bomholm,  die  Pläne  von 
Stockholm,  Wisby,  Trondhjem.  Im  ein- 
leitenden Teil  sind  Bemerkungen  für  Rad- 
fahrer, Wintertouristen,  Photographen  neu. 
Stichproben  ergeben  viele  Verbesserungen 
und  Erweiterungen,  nur  selten  Mängel 
(S.  180  fehlt  Djekneberget  bei  Westeras 
noch  immer,  Engelbrecht  heißt  hier  der 
„Befreier  des  Vaterlandes**,  ist  aber  im 
historischen  Abschnitt  nicht  genannt). 
Eine  wichtige  Änderung  ergibt  sich  för 
Spitzbergen,  das  der  Verf.  selbst  be- 
sucht hat.  Das  Hotel  und  damit  die 
häufigen  Fahrten  der  Vesteraalen-Damp- 
skibselskab  sind  1899  eingegangen,  wie 
wir  schon  aus  Nathorsts  Reisebericht 
wissen.  Möge  man  Nathorsts  söhr  zu- 
treffende Erwägungen  berücksichtigen,  auf 
daß  dies  eigenartige  arktische  Touristen- 
heim  bald  wieder  ersteHe!  —  Der  Führer 
kann  nach  wie  vor  als  ein  vortrefflicher 
Reisebegleiter  insbesondere  in  Norwegen 
empfohlen  werden.  Sieger. 

Futterer,  K«  Geographische  Skizze 
der  Wüste  Gobi   zwischen   Hami 
und  Su-Tschöu.    (P.  M.  Ergbd.  Nr. 
139.)  35  S.  1  K.  in  1 : 1  000  000.  Gotha, 
Justus  Perthes  1902.  ^K  3.20. 
Seitdem    1889—90    Grum  -  Grshimailo 
nach   Entdeckung    der   Minus-Depression 
um  Tnrfan  (im  Süden  des  östlichen  Tien- 
schan)  südlich    dieser  Grabensenke  eine 
von    ost- westlich    gerichteten,    felsigen 
Höhenrücken  durchzogene,  hochgelegene 


Bücherbesprechnngen. 


483 


Felsen  wüste  anffand,  und  nachdem  vor 
allem  Obrutschew  nach  seiner  Dnrch- 
quemng  der  centralen  Gobi  zwischen  Hami 
und  Su-Tschöu  im  Jahre  1894  und  Be- 
reisung weiter  Teile  Innerasiens  eine  zu- 
sammenfassende musterhafte  Skizze  der 
„Urographie  Gentral-Asiens  und  seiner  süd- 
westlichen Umrandung^*  (Jswj.  d.  Kais.  Buss. 
Geogr.  Ges.  1806.  S.  253—344  und  G.  Z.  I. 
18i)5.  S.  257—286)  gegeben  hat,  sind  wir  in 
großen  Zügen  über  das  Aussehen  der 
Wüstengebiete  zwischen  den  östlichsten 
Ausläufern  des  Ti^n-schan  und  den  Fort- 
setzungen des  Gobi-Altai  im  Norden  und 
den  Hochketten  des  Nan-schan  im  Süden 
orientiert.  Wir  wissen,  daß  sich  hier  im 
mittleren  Teile  der  centralen  Mongolei 
ein  als  „Pe-schan'*  zusammenfassend  be- 
zeichneter massiger  Gebirgssockel  erhebt, 
über  welchem  mit  relativ  nur  geringen 
Erbebungen  abgetragene,  mehr  oder  we- 
niger unter  einander  parallele  Gebirgs- 
züge mit  der  Streichrichtung  ONO— WS  W 
aufragen.  Vom  Nan-schan  im  Süden,  wie 
vom  östlichen  Ti6n-schan  im  Norden  wird 
dieser  massige  Sockel  durch  zwei  zu  ein- 
ander parallel  und  analog  liegende  wan- 
nenförmige  Vertiefungen  getrennt. 

Durch  die  centralen  Teile  dieses  Ge- 
bietes nun  hat  auf  der  Strecke  Hami- 
Su-tschöu  die  Expedition  Holderer-Futte- 
rer  vom  6.  Mai  bis  4.  Juni  1898  eine  neue 
Route  gelegt,  welche  von  Professor  Futte- 
rer sorgsamst  kartiert  die  Unterlage  zu 
der  durch  Dr.  Br.  Hassenstein  (f)  im  vor- 
liegenden Hefte  in  1 : 1  000  000  konstruier- 
ten inhaltreichen  Karte  bildet.  Da  F^utte- 
rers  Reiseweg  weder  mit  der  westlicher 
gelegenen,  gut  bekannten  und  viel  be- 
gangenen Karawanenstraße  zwischen  den 
genannten  Orten,  noch  mit  den  weiter 
östlich  ziehenden  Routen  Grum-Grshimai- 
los  (1880-90)  und  Obrutuchews  (1894) 
zusammenfällt,  vielmehr  das  dazwischen 
liegende,  bisher  absolut  unbekannte  Wü- 
stengebiet durchquert,  so  ergänzen  Fut- 
terers Beobachtungen  diejenigen  seiner 
Vorgänger  aufs  Beste  und  gestatten  es, 
sich  ein  bereits  sehr  genaues  und  vom 
physisch-geographischen  Standpunkt  aus 
höchst  lehrreiches  Bild  jener  Gegenden  zu 
machen.  Besondere  Sorgfalt  ist  bei  diesem 
Kartenbild  auf  die  in  diesem  merkwür- 
digen Wüstengebiet  besonders  interessan- 
ten Boden-  und  Vegetationsverhältnisse 
gelegt,   so  daß   wir  durch  die  Futterer- 


schen  Aufiiahmen  für  diesen  centralen 
Teil  des  Pe-schan  nunmehr  über  eine 
treffliche  Detaildarstellung  verfügen. 

Der  beigegebene  Text  dient  vorwiegend 
zu  einer  Erläuterung  des  Kartenblattes, 
indem  er  nach  einigen  einleitenden  Be- 
merkungen eine  detaillierte  geographische 
Schilderung  des  Reiseweges  von  Hami 
bis  Su-Tschöu  gibt,  sodann  die  meteoro- 
logischen Beobachtungen  diskutiert  und 
endlich  die  allgemeinen  geologisch-morpho- 
logischen Ergebnisse  rekapituliert.  Auf 
eine  Zusammenfassung  letzterer  Resultate 
darf  wohl  an  dieser  Stelle  mit  dem  Hin- 
weis auf  die  interessante  im  Jahrgang 
1902  dieser  Zeitschrift  enthaltene  Arbeit 
Futterer»  über  den  „Pe-schan,  als  Typus 
der  Felsenwdste*^  verzichtet  werden. 

Max  Friederichsen. 

Herbertson,  F.  D«  u.  A.  J«  Herbertson. 

Afrika.     XL    u.   264    S.     29    Abb. 

London,  Black  1902. 
Der  zweite  Teil  der  „Descriptive  Geo- 
graphies  firom  Original  Sources"  ist  durch- 
aus nach  der  gleichen  Methode  wie  der 
hier  (S.  236)  schon  besprochene  erste  be- 
arbeitet. Die  gegen  diese  Methode  ge- 
äußerten Bedenken  gelten  also  auch  für 
ihn.  In  der  Auswahl  der  Artikel  sind 
die  Verfasser  hier  entschieden  weniger 
glücklich  als  beim  ersten  Teil  gewesen 
und  haben  namentlich  sehr  einseitig  ver- 
fahren. Mit  Ausnahme  eines  einzigen 
kleinen  Artikels  über  die  Tuareg,  der 
dem  Reisewerk  von  H.  Barth  entnommen 
ist,  kommen  nur  englische  Reisende  zum 
Wort.  Auch  in  dem  zum  Schluß  gegebe- 
nen Literaturverzeichnisse  sind  fast  nur 
englische  Werke  aufgeführt.  Selbst  Män- 
ner wie  Nachtigal,  Rohlfs,  v.  d.  Decken, 
Wissmann,  Duveyrier,  De  Brazza,  Serpa 
Pinto  sind  nicht  erwähnt. 

R.  Langenbeck. 

Schieß^  W«  Quer  durch  Mexiko  vom 

atlantischen  zum  stillen  Ozean. 

XIII  u.  234  S.    65  Textill.  u.  16  Licht- 

drucktaf.     Berlin,    Dietrich    Reimer 

1902.     JL  8.—. 

Das  Buch,  welches  den  Verlauf  einer 

modernen  Schnellreise  durch  Mexiko  und 

die  Vereinigten  Staaten  schildert,  gehört 

zu  jenen  Reisebeschreibungen,  von  denen 

man  mit  Recht  sagen  kann,  daß  weder 

der  Autor  noch  der  Verleger  noch  auch 


484 


Büchcrbesprechungen. 


der  Leser  einen  Schaden  gehabt  hätte, 
wenn  sie  nicht  gedruckt  worden  wären.  — 
Verf.  berichtet  mit  einer  rührenden,  wohl 
durch  den  Mangel  jeglicher  ernsteren  Vor- 
bereitung auf  die  Reise  erklärlichen  Nai- 
vetät  von  seinen  im  allgemeinen  ober- 
flächlichen Eindrücken  von  Land  und 
Leuten,  er  schildert  mit  größter  Gewissen- 
haftigkeit seine  meist  recht  uninteressan- 
ten Erlebnisse  einschließlich  des  (anschei- 
nend ziemlich  monotonen)  Küchenzettels 
und  verrät  dabei  einen  für  einen  Arzt 
auffallenden  Mangel  allgemeiner  natur- 
wissenschaftlicher Vorbildung  und  Be- 
obachtungsgabe. Mit  der  topographischen 
Orientierung  findet  er  sich  augenschein- 
lich sehr  leicht  ab.  S.  121  z.  B.  möchten 
wir  unbedingt  eher  den  Mexikanern  Glau- 
ben schenken,  wenn  sie  die  dort  geschil- 
derte Raucherscheinung  durch  eine  bren- 
nende Magneypflanzung  erklären,  als  Herrn 
Dr.  Schieß,  welcher  in  dem  imposanten 
Berg  kurzer  Hand  den  —  Vulkan  Eolima 
erblickt,  offenbar  ohne  zu  bedenken,  daß 
dieser  von  der  Route  des  Reisenden  da- 
mals mindestens  200  km  entfernt  war 
und  auch  aus  anderen  Gründen  gar  nicht 
sichtbar  sein  konnte!  — 

In  gfrellem  Kontrast  zum  Wert  des 
Textes  steht  die  noble  Ausstattung,  welche 
der  rührige  Verlag  dem  opus  zu  teil  wer- 
den ließ.  H.  Lenk. 

Hassert,  Knrt.   Die  neuen  deutschen 
Erwerbungen    in    der    Südsee: 
Die  Karolinen,  Marianen  und  Samoa- 
Inseln      Nachtrag    zu    Deutschlands 
Kolonien.     IV    u.    111    S.     Leipzig, 
Dr.  Seele  &  Co.  1908. 
Zur  Ergänzung  seines  kolonialen  Wer- 
kes   (vgl.  G.  Z.   1899.  S.  416  —  418)    hat 
der  Verf.  mit  leichter  Hand  die  Schilde- 
rung der  drei  Inselgruppen  hingeworfen, 
ihr   eine  Skizze   der  Geschichte  der  Er- 
werbung vorangeschickt,  eine  Würdigung 
ihres   Wertes    ihr    folgen    lassen.     Eine 
Literaturübersicht  macht  den  Schluß. 
J.  Partsch. 

Bosch,  Onstar«  Lehrbuch  der  Geo- 
graphie für  österreichische 
Lehrer  und  Lehrerinnenbil- 
dungsanstalten. IL  Teil  (in.  Jahr- 
gang). Die  österreichisch-ungarische 
Monarchie.  197  S.  41  Abb.  Wien, 
Pichlers  Ww.  u.  Sohn  1901.  2  Kr. 
60  H. 


An  die  im  ersten  Bande  enthaltene 
länderkundliche  Darstellung  aller  Teile 
der  Erde  (vgl.  G.  Z.  VU.  S.  688)  reiht 
Rusch  einen  zweiten  Band,  welcher  der 
österreichischen  Vaterlandskunde  gewid- 
met ist.  In  dem  einleitenden  Abschnitt 
S.  1—6  wird  zunächst  ein  methodisch 
wohl  erwogener  vergleichender  Überblick 
der  Lagenverhältnisse,  der  Gestalt,  Grenzen 
und  Größe  der  Doppelmonarchie  gegeben, 
ihrer  politischen  und  natürlichen  Glie- 
derung. Die  letztere  tritt  als  Grundlage 
aller  anderen  geographischen  Erschei- 
nungen in  den  Vordergrund.  Von  jedem 
einzelnen  Naturraum  (Alpen,  Karst,  innerem 
und  äußerem  Karpathengebiet)  werden  der 
physische  Charakter  und  die  allgemeinen 
Bevölkerungsverhältnisse  besprochen  und 
dann  sofort  die  in  ihm  zur  Ausbildung 
gelangten  historisch -politischen  Land- 
schaften. Diese  selbst  werden  nach  Größe 
und  Bevölkerungsziffer,  nach  ihrem  Anteil 
an  den  natürlichen  Landschaften,  nach 
Nationalitäten,  Wirtschafts-  und  Verkehrs- 
verhältnissen erörtert.  Die  Ansiedlungen 
werden,  abgesehen  von  den  Hauptstädten, 
in  der  Regel  nicht  nach  ihren  Lagenver- 
hältnissen geordnet,  sondern  zumeist  bei 
der  Vorführung  der  einzelnen  Wirtschafts- 
zweige als  Produktionsstätten,  dann  als 
Knotenpunkte  des  Verkehrs  genannt.  Es 
folgt  überdies  eine  Zusanmienstellung  der 
historisch  wichtigsten  Punkte  und  schließ- 
lich auch  noch  eine  Städtetafel  mit  ab- 
gerundeten Angaben  der  Bevölkerungs- 
ziffer. —  Die  allgemeine  „Übersicht" 
S.  180 — 197  gewährt  einen  vergleichenden 
Rückblick  über  Bodengestaltung,  Be- 
wässerung, Klima,  „Erzeugnisse**  (auch 
Handel  und  Verkehr  ist  hierin  einbezogen^, 
sowie  Bevölkerung  und  das  „Staatswesen". 
In  didaktischer  Beziehung  möchte  ich  fest- 
stellen, daß  der  Verfasser  offenbar  grund- 
sätzlich den  Zusammenhang  der  Dar- 
stellung durch  eingestreute  Fragen  nicht 
unterbricht,  wohl  aber  macht  er  in  der 
allgemeinen  Übersicht  von  der  Frage- 
stellung häufigen  Gebrauch. 

Im  ganzen,  trotz  einzelner  in  der  In- 
haltsangabe angedeuteter  Mängel,  trotz 
der  überflüssigen  Breite  in  Folge  Wieder- 
holungen derselben  Tatsachen  im  phy- 
sischen und  politisch-geographischen  Teil, 
längerer  Aufzählungen  und  Beschreibungen 
statt  kurzer  Verweise  auf  die  Karte  den- 
noch   ein    brauchbares,    bequemes,    für 


Nene  Bücher  und  Karten. 


485 


Lehrer  nnd  Schüler  leider  nnr  allzu  be- 
quemes Lehrbuch. 

Von  demselben  Verfasser  ist  (1902)  im 
gleichen  Verlag  und  in  ähnlicher  Aus- 
tattung  ein  Lehrbuch  der  Erdkunde 
für  österreichische  Mädchenlyceen 
in  2  Teilen  erschienen.  Der  erste  Teil 
enthält  die  Elemente  der  mathematischen 
und  physischen  Geographie  (8.  1 — 20), 
sodann    (S.    20—63)    die    Erdteile    nach 


ihrer  natürlichen  Beschaffenheit  und 
natürlichen  Gliederung,  also  wohl  vor- 
wiegend den  geographischen  Memorier- 
stoff für  diese  Stufe,  welcher  durch  den 
Lehrer  seine  Belebung  finden  muß.  Der 
zweite  Teil  (126  Seiten)  enthält  einen 
kürzeren  Auszug  der  oben  besprochenen 
Darstellung  der  österreichisch-ungarischen 
Monarchie. 

Alois  Kraus. 


Nene  Melier  und  Karten. 


AllyeMelnet. 

Geographen-Kalender.  In  Verbindung 
mitW.  Blankenburg,  P.  Langhans, 
P.  Lehmann  und  H.  Wichmann  hrsg. 
von  H.  Haack.  1.  Jahrg.  1908/4.  XV, 
820  u.  124  S.  Bildnis  von  H.  v.  Richt- 
hofen.  16  K.  Gotha,  Justus  Perthes 
1908.    JL  8.—. 

Geographisches  Jahrbuch.  XXV.  Bd. 
1902.  Hrsg  V.  H.  Wagner.  IV  u. 
488  S.  Gotha,  J.  Perthes  1903.  JL  15.—. 

Sohr-Berghaus  Hand-Atlas.  IX.Aufl. 
hrsg.  von  A.  Bludau.    Lief.  4. 
Allgeveliie  pbytiiiche  Geofraphle. 

Barr^,  0.  L'architecture  du  sol  de  la 
France.  Essai  de  Geographie  tectoni- 
que.  m  u.  898  S.  189  Fig.  im  Text 
u.  auf  Taf.  Paris,  Armand  Colin  1908. 
Fr,  12.—. 

Girard,  J.  L'^volution  comparöe  des 
sables.  L'Erosion  —  L* Abrasion  m^t^o- 
rique  —  Les  Dunes  —  La  transforma- 
tion  des  Rivages.  124  S.  12  Taf.,  40 
Textfig.  Paris,  Librairiescientifique  1903. 

Albert  I.,  Fürst  von  Monaco.  Eine 
Seemanns  -  Laufbahn.  Autoris.  Über- 
setzung von  H.  A.  Fried.  863  S.  Ber- 
lin, BoU  &  Pickardt  1903.    JL  6.—. 

Müllner,  J.  Einige  Erfahrungen  und 
Wünsche  auf  dem  Gebiete  der  Seen- 
forschung. 81  S.  Wien,  Selbstverlag 
1903. 

Karsten,  G.,  und  H.  Schenck.  Vegeta- 
tionsbilder. Heft  4.  Taf.  19—24.  G. 
Karsten:  Mexikanischer  Wald  der  Tro- 
pen und  Subtropen.  Jena,  Fischer  1903. 
In  Lief.  JL  2.60;  einzeln  JL  4.~. 

Müller,  R.  Die  geographische  Verbrei- 
tung der  Wirtschaftstiere  mit  beson- 
derer   Berücksichtigung    der    Tropen- 


länder. Vra  u.  296  S.  81  Tierbilder 
auf  Taf.  Leipzig,  Heinsius  1903.  .ÄIS.— . 
DratiehUiid  MBd  NftchbArlinder. 

Statistisches  Jahrbuch  für  das 
Deutsche  Reich.  Hrsg.  vom  Kais. 
Statist  Amt.  24.  Jahrg.  1903.  VIÜ  u. 
274  S.  4  Taf.  Berlin,  Puttkamer  & 
Mühlbrecht  1903.     JL  2.—. 

Geinitz,  E.  Das  Land  Mecklenburg  vor 
8000  Jahren.  Rektoratsprogramm.  23  S. 
1  K.     Rostock,  1908. 

Braun,  G.  Ostpreußens  Seen.  Geogra- 
phische Studien.  Diss.  93  S.  1  K. 
Königsberg  i/Pr.,  1908. 

Meyers  Reisebücher.  Der  Harz.  Große 
Ausgabe.  17.  Aufl.  XII  u.  267  S. 
21  K.  u.  Pläne  u.  1  Brocken-Panorama. 
Leipzig,  Bibl.  Inst.  1908.     JL  2.60. 

Meyers  Reisebücher.  Deutsche  Alpen. 
I.  Teil:  Bayrisches  Hochland,  Algäu, 
Vorarlberg;  Tirol:  Brennerbahn,  Ötz- 
taler-,  Stubaier-  und  Ortler-Gruppe, 
Bozen,  Schiern  und  Rosengarten,  Meran, 
Brenner-  und  Adamello-Gmppe;  Berga- 
masker  Alpen,  Gardasee.  8.  Aufl.  XII 
u.  400  S.  27  K,  5  Pläne  u.  14  Pano- 
ramen. Leipzig,  Bibl.  Inst.  1903.  JC  5. — . 
Sonttlyet  Enrop». 

Baedeker,  K.  Österreich-Ungarn.  Hand- 
buch für  Reisende.  26.  Aufl.  XVm  u. 
546  S.  31  K.  u.  44  Pläne.  Leipzig, 
Baedeker  1903.    JL  6.—. 

Meyers  Reisebücher.  Österreich-Un- 
garn, Bosnien  und  Herzegowina.  7.  Aufl. 
Xn  u.  372  S.  26  K.,  27  Pläne  u.  6 
Panoramen.  Leipzig,  Bibl.  Inst  1903. 
JL  6.—. 

Lukas,  Georg  A.  Studien  über  die 
geographische  Lage  des  österreichisch- 
ungarischen   Okkupationsgebietes    und 


486 


Nene  Bücher  und  Karten. 


seiner  wichtigeren  Siedelungen.     72  S. 
Linz,  Verl.  d.  Staats-Oberrealschule  1908. 

Baedeker,  K.  Schweden  und  Norwegen 
nebst  den  wichtigsten  Reiserouten  durch 
Dänemark.  Handbuch  für  Beisende. 
1).  Aufl.  LXVI  u.  488  S.  37  K.,  2  Plane 
u.  mehrere  kleine  Panoramen  u.  Grund- 
risse.  Leipzig,  Baedeker  1903.   JL  7.50. 

de  Martonne,  E.  Recherches  sur  la 
distribution  g^ographique  de  la  popu- 
lation  en  Yalachie.  Avec  une  ötude 
critique  sur  les  proc^d^s  de  reprösen- 
tation  de  la  r^partition  de  la  popula- 
tion.     161  S.    Bukarest  u.  Paris,  1903. 

Qrothe,  Hugo.  Auf  türkischer  Erde. 
BeiMbilder  und  Studien.  (Yeröff.  d. 
Allgem.  Ter.  f.  Deutsche  Literatur. 
XXIX.  Abt.  1.  Bi)  466  S.  Viele  Abb. 
auf  Taf.  Berlin,  Alig.  Ver.  f.  Deutsche 
Lit.  (Paetel)  1903.  JL  7.60. 
Allen. 

Fitzner,  Bud.  Forschungen  auf  der 
Bithynischen  Halbinsel.  183  S.  10  Abb., 
3  geol.  Profile,  1  K.  Rostock,  Volk- 
mann 1903.    JL  6.—. 

Preyer,  A.  Indo-Malayische  Streifzüge. 
Beobachtungen  und  Bilder  aus  Natur- 
und  Wirtschaftsleben  im  tropischen 
Süd-Asien.  VH  u.  284  S.  60  Abb. 
Leipzig,  Grieben  1903.    JL  6.60. 


Afrika. 

Guide-Annuaire  de  Madagascar  ot 
d^pendances.  Ann^e  1903.  X  u. 
846  S.  Viele  Abb.  u.  K.  auf  Taf.  Tana- 
narive,  Imprimerie  Officielle  1903. 

GeOfTAphttcher  IlBterrickt. 

Ho  ff  mann,  A.  Mathematische  Geogra- 
phie. Ein  Leitfaden  für  die  oberen 
Klassen  höherer  Lehranstalten.  6.  Aufl. 
von  J.  Plaßmann.  VI  u.  172  8.  60 
Textfig.  u.  1  Stemk.  Paderborn,  Schö- 
ningh  1903. 

Rusch,  G.  Lehrbuch  der  Erdkunde  für 
österreichische  Mädchenljceen.  IIL  Teil 
(3.-6.  Klasse).  263  S.  78  Abb.  Wien, 
Pichlers  W^«.  1903.     K,  3.60. 

Herbertson,  F.  D.  u.  A.  J.  Herbert- 
son.  Europe.  XTV  u.  299  S.  Viele 
Abb.    London,  Black  1903. 

Diercke,  C.  Schulatlas  für  die  unteren 
Klassen  höherer  Lehranstalten  (Sexta 
und  Quinta).  2.  Aufl.  84  Taf.  Mit  1 
Heimatsk.  Bmunschweig,  Westermann 
1903.     JL  1.80. 

Der 8.  Schulatlas  für  die  mittleren  Unter- 
richtsstufen. 14.  Aufl.  42  Haupt-  u. 
92  Nebenk.  auf  64  Kartenseiten  nebst 
1  K.  zur  Heimatskunde.  Braunschweig, 
Westermann  1903.    JL  3.80. 


Zeitschriftenschan. 


Petermanns  Mitteilungen.  1903.  6.  Heft. 
Engell:  Über  die  Schwankungen  des 
Jakobshavns-Gletschers.  —  Friedel:  Bei- 
trage zur  Kenntnis  der  Wirtschaftsformen 
der  Ozeanier.  —  Friederichsen:  Der 
Aral-See  nach  L.  Bergs  Forschungen.  — 
Supan:  Der  XIV.  deutsche  Geographen- 
tag. —  Fitzner:  Erdbebenbeobachtungen 
in  Kleinasien.  —  Friederichsen:  Bei- 
träge zur  Morphologie  des  centralen  Tien- 
schan. —  Blumentritt:  Neue  Literatur 
über  die  Philippinen.  —  Merzbacher: 
C.  V.  Hahns  Kaukasus-Studien.  —  Greim: 
Der  meteorologische  Beobachtungsdienst 
im  Großherzogtum  Hessen. 

Globus.  83.  Bd.  Nr.  23.  Schmidt: 
Ein  neuer  ^  diluTialer  Schädeltypus?  — 
Schöner:  Aland.  —  Gramatzka:  Sagen 
der   Khamta   und  Singpho.   —    Ranke: 


Ballistisches  über  Bogen  und  Pfeil.  — 
Förster:  Britisch-Ostafrika  und  der  Vik- 
toria-Nyansa. 

Dass.  Nr.  24.  v.  Bülow:  Die  Ver- 
waltung der  Landgemeinden  in  Deutsch- 
Samoa.  —  Die  Kunene-Sambesi-Ezpedi- 
tion  des  Kolonialwirtschaftlichen  Komitees 
1899/1900.  —  Wilser:  Beitrag  zur  Ur- 
geschichte des  Menschen.  —  v.  Kleist: 
Die  Eisenbahnbauten  in  China. 

Dass.  84.  Bd.  Nr.  1.  Markowitz: 
Der  Völkergedanke  bei  Alexander  y.  Hum- 
boldt. —  Mielke:  Die  Ausbreitung  des 
sächsischen  Bauernhauses  in  der  Mark 
Brandenburg. —Die  Südpolarexpeditionen. 
Meyer:  Tschufnt-Kaläh.  —  Niehus: 
Indische  Rosen  und  ihre  Verwertung.  — 
ten  Kate:  Nachtrag  zur  „Psychologie  der 
Japaner^*. 


Zeitschriftenschau. 


487 


Boss.  Nr.  2.  Fitzner:  Die  Bevölke- 
rung der  denUchen  Südseekolonien.  — 
AuBgrabnng  alter  Grabhügel  bei  Tim- 
buktu.  —  Gentz:  Die  Geschichte  des 
südwestafrikanischen  Bastardvolkes.  — 
Förster:  Zur  Klimatologie  Deutsch-Ost- 
afrikas. —  Richel:  Lippenschmuck. 

Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik,  25.Jhrg.  10.  Heft.  Lemcke: 
Eine  Besteigung  des  Vulkans  Popocate- 
petl.  —  Jüttner:  Fortschritte  der  geo- 
graphischen Forschnngen  und  Reisen  in 
Asien  1902.  —  Reiner:  Die  Sorben  in 
Deutschland.  —  Hübner:  Forschungs- 
reisen am  Rio  Branco. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie.  1903. 
9.  Heft.  Hödl:  Die  Geographie  in  der 
AuBsteUung  neuerer  Unterrichtsmittel  in 
Wien.  —  Zahler:  Die  Bevölkerung  der 
Schweiz.  —  Habenicht:  Das  malerische 
Element  in  der  Kartographie. 

Meteorologische  Zeitschriß,  1908.  G.HefL 
Bill  willer:  Über  den  Vorschlag  Wilds 
zur  Einschränkung  des  Begriffs  „Föhn*^ 
—  Bericht  über  die  Wetterschießen-Kon- 
ferenz in  Graz.  —  Hegyfoky:  Die 
Schwankung  der  Aufblühezeit  und  die 
Temperatur  in  Ungarn. 

Asien.  1908.  Nr.  8.  Saal:  Java- 
nische Literatur  und  Sprache.  —  Krah- 
mer:  Neue  Pläne  für  den  Bau  von  Eisen- 
bahnen in  Russisch-Asien.  —  v.  Zepe- 
lin:  Aus  Centralasien.  . —  Schlagint- 
weit:  Die  Häfen  der  syrischen  Küste 
und  die  deutsche  Levante-Linie. 

D<MS.  Nr.  9.  Kürchhoff:  Handels- 
und Verkehrsverhältnisse  in  Japan.  — 
V.  Stauffenberg:  Handelsnotizen  von 
der  sibirisch -chinesischen  Grenze.  — 
E  t  i  e  n  n  e :  Der  Widerstreit  der  kom- 
merziellen und  fiskalischen  Interessen 
in  China. 

Beiträge  zur  Kolonialpolitik  und  Kolo- 
nialwirtschaft. 4.  Jhrg.  16.  Heft.  Rauter: 
Die  Mucury-Kolonien.  —  Hoefer:  Die 
evangelischen  Missionen  in  den  deutschen 
Schutzgebieten.  —  Hesse:  Die  Rechts- 
verhältnisse der  Schutzgenossen.  — 
V.  Schkopp:  Sitten  und  Gebräuche  der 
Bakoko  in  Kamerun.  —  Sander:  Er- 
forschung der  Tsetsefliege. 

Dass.  17.  Heft.  v.  Schkopp:  Sitten 
und  Gebräuche  der  Bakoko.  —  Sander: 
Erforschung  der  Tsetsefliege.  —  Hesse: 
Die  ostafrikanische  Bahnfirage.  I. 

Dass.    18.  Heft.    v.  Schkopp:  Sitten 


und  Gebräuche  der  Bakoko.  —  Sander: 
Erforschung  der  Tsetsefliege.  —  Hesse: 
Die  ostafrikanische  Bahnfrage.  U. 

Deutsche  Geographische  Blätter.  26.  Bd. 
1908.  Heft  1.  Henning:  Der  Handel 
an  der  Guineaküste  im  17.  Jahrhundert. 

—  Stavenhagen:  Aus  der  Welt  der 
Vereinigten  Staaten.  —  Deutsche  Kolo- 
nien in  Südbrasilien. 

Deutsehe  Erde.  H.  Jhrg.  1908.  2.  Heft. 
V.  Borries:  Die  spimcfaKehen  Verhält- 
nisse  im  Bezirk  Lothringen  (1  K.)  — 
Samassa:  Deutsche  und  Windische  in 
Südösterreich.  (1  K.)  —  Buchholz:  Eine 
neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Einflusses 
der  deutschen  Kultur  auf  Ungarn.  — 
Götz:  Karl  v.  Scherzer  f.  —  Lebzelter: 
Der  Anteil  der  Deutschen  an  den  wissen- 
schaftlichen Erfolgen  der  österreichischen 
Novara  -  Expedition  1867  —  1859.  — 
V.  Barsevisch:  Das  deutsche  Gepräge 
südbrasilianischer  Kolonial-Landschaft  u. 
-Bevölkerung. 

Geographischer  Anzeiger.  IV.  Jahrg. 
Juli  1908.  Greim:  Bömsteins  Schul- 
wetterkarten —  Steinel:  Die  Erde  und 
das  Leben. 

Mitteilungen  des  K  u.  K.  Militär- 
Geografhischen  InstituUs.  XXH.  Bd.  1002. 
Leistungen  des  Institutes  im  Jahre  1902. 
(5  Taf.)  —  Weixler:  Direktiven  zur  Aus- 
gleichimg  trigonometrischer  Messungen 
auf  analytisch-geometrischer  Grundlage. 
(1  Taf.)  —  Die  Fortsetzung  des  Präzisions- 
Nivellements ,  ausgeführt  im  Jahre  1902. 

—  V.  Sterneck:  Der  neue  Flutmesser  in 
Ragusa.  —  v.  Hübl:  Die  Stereophoto- 
grammetrie.  —  v.  Haardt:  Die  Karto- 
graphie der  Balkan-Halbinsel  im  19.  Jahr- 
hundert (Schluß). 

The  GeographicalJoumal.  1908.  Nr.  1. 
Markham:  Address  to  the  R.  G.  Society, 
1908.  —  Markham:  The  First  Year's 
Work  of  the  National  Antarctic  Expedi- 
tion. —  Report  of  the  Commander  of  the 
National  Antarctic  Expedition.  —  Sver- 
drup:  The  II.  Norwegian  Polar  Expedi- 
tion in  the  „Fram"  1898—1902.  —  Seh  ei: 
Summary  of  Geological  Results.  —  Ad- 
miralty  Surveys. 

La  Geographie.  1908.  Nr.  6.  Lappa- 
rent:  Sur  une  formation  marine  d'äge 
tertiaire  au  Soudan  fran9ai8.  —  Deste- 
nave:  Exploration  des  iles  du  Tschad.  — 
Paquier:  Distribution  geographique  des 
forces  hydrauliques  dans  le  däpartement 


488 


Zeitschriftenschau. 


de  rOrne.  —  Sauerwein:  R^union  de 
la  Commission  de  nomenclature  sub- 
oc^anique  ä  Wiesbaden.  —  Giraud: 
Terrasses  fluviales  de  la  Nouvelle  Angle- 
terre. 

The  Scottüth  Geographical  Magazine, 
1908.  Nr.  7.  Sverdrup:  The  EL.  Nor- 
wegian  Polar  Expedition  in  the  „Fram^* 
1898/1902.  —  Brown:  Climatic  Factors 
in  B^ilroad  Gonstruction  and  Operation 
—  An  Ivory  Trader  in  North  Kenia.  — 
The  Antarctic  Expeditions. 

The  National  Geographie  Magazine. 
1908.  Nr.  7.  Wiley:  The  United  States, 
its  Soils  and  their  Products.  —  Holder: 
Big  Things  of  the  West.  —  Paul  du 
Chaillu.  —  Frankenfield:  TheWeather 
Bureau  and  the  Becent  Floods.  —  A  Sug- 
gested  Field  for  Exploration.  —  Inter- 
national Geographie  Congress. 

The  Journal  of  Geography.  1903. 
Nr.  6.  Summer  Courses  in  Geography.  — 
Erug-Genthe:  Geographical  Textbooks 
and  Geographical  Teaching. 

Da88,  Nr.  6.  Dodge:  Approaching 
Boston.  —  Bar  ton:  The  General  Geo- 
graphical Features  of  Boston  and  Yici- 
nitj.  —  King:  Excursions  in  and  around 
Boston.  —  Shurtleff:  The  Boston  Park 
System.  —  Boston,  a  Center  of  Industry. 
—The  Geographical  Development  of  Boston. 

Aus  Terschiedenen  Zeitschriften. 

Herzog:   Ein  türkisches  Werk  über  das 
ägäische  Meer  aus  dem  Jahre  1620  (1 K.). 


Mitt.  d.  Kais,  deutschen  Ardiäolog.  Inst, 
in  Athen.  Bd.  XXVH.  1902.  4. 

Krebs:  Das  Zeichnen  in  seinen  Beziehun- 
gen zum  naturwissenschaftlichen  und 
zum  erdkundlichen  Unterricht.  Unter- 
Hchtshimter  f.  Math.  u.  Natunc.  1903. 
Nr.  2  u.  3. 

Regelmann:  Gebilde  der  Eiszeit  in  Süd- 
westdeutschland. Mit  einem  Anhang 
über  Wasserbehälter  und  Stauweiher  im 
Schwarzwald  und  in  den  Yogesen. 
Württemberg.  Jahrbücher  f.  Statistik  u. 
Landeskde.  1908. 

Ricchieri:  La  „Stella  Polare^*  nel  mare 
artico.  Atti  della  B.  Aeademia  Peüori- 
tana.  XVH.  190». 

Ders.:  Quali  insegnamenti  si  possono 
trarre  dai  disastri  di  Mbdica.  Bivista 
r%miversita  popolare  MatUova.  1903. 

Sapper:  Ein  Besuch  auf  Martinique 
(8  Fig.).  Centralbl.  f.  Mineral,  Geol. 
u.  Paläontol,  1903. 

Ders.:   Ein  Besuch  der  Inseln  Dominica, 

.  EustatiuSf  Saba  und  Guadeloupe  in 
Westindien  (8  Fig.)    Ebda. 

Stavenhagen:  Der  Kriegshafen  Dover. 
Nord  und  Süd.  Heft  316. 

Ders.:  Die  Heimatskarte  und  ihre  ein- 
heitliche Behandlung.  Rheinisch- West- 
fälische Ztg.  17.  Juni  1903. 

Würzburger:  Die  sprachlichen  Ver- 
hältnisse der  Bevölkerung  des  König- 
reichs Sachsen  (2  K.).  Z.  d.  K.  Sädw. 
Statist.  Bureaus.  48.  Jahrg.  1902.  Heft 
3  u.  4. 


VeTantwortliobar  Hermusgober:  Prof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  Heidelborg. 


Die  geographischen  Bedingungen  nnd  Gesetze  des  Verkehrs  nnd  der 

Seestrategik. 

Von  Friedlich  Batzel. 
Die  geographischen  Bedingungen  und  Gesetze  des  Verkehrs. 

Der  Verkehr  von  Menschen  und  Gütern  von  einer  Stelle  der  Erde  zur 
anderen  ist  eine  geographische  Tatsache,  insofern  er  die  natürlichen  Unter- 
schiede in  der  Ausstattung  der  Länder,  der  Meere  und  der  Menschen  selbst 
ausgleichen  will  und  zu  diesem  Zweck  Wege  an  der  Erdoberfläche  zurück- 
legt. Weiter  ist  er  aber  auch  geographisch,  weil  er  den  Baum  und  die 
Hindemisse  bewältigen  muß,  die  in  der  Erdoberfläche  liegen;  Verkehr  ist 
Kampf  mit  dem  Raum,  dem  Boden  und  den  Elementen.  Und  endlich  ge- 
hören seine  Wege  der  Erdoberfläche,  und  zwar  auch  dann,  wenn  sie  nicht, 
wie  Straßen  und  Eisenbahnen,  wesentliche  Teile  derselben  bilden. 

Auf  diesen  drei  Gruppen  von  geographischen  Bedingungen  des  Verkehres 
ruht  die  Verkehrsgeographie.  Man  kann  also  die  Natur  des  Verkehrs  nicht 
verstehen,  wenn  man  nicht  die  Erde  kennt,  deren  Bewohner  seine  Träger  sind, 
deren  Güter  er  austauscht,  und  auf  deren  Oberfläche  seine  Wege  ziehen. 

Der  Urheber  des  Verkehrs,  das  ist  allerdings  der  Mensch  selbst,  in  dessen 
Wesen,  weil  er  lebt,  die  Bewegung  liegt.  Nicht  in  der  Erde,  sondern  im 
Menschen  selbst  liegt  der  verkehrschaffende  Antrieb.  Es  sind  innere  Kräfte 
und  Triebe,  die  den  Menschen  veranlassen,  stellenweise  sogar  zwingen,  über 
einen  Punkt  hinauszugehen,  wo  er  Halt  gemacht  hatte.  Dem  Trieb  nach 
Vergesellschaftung,  der  Eltern,  Kinder,  Blutsverwandte  zusammenhält,  wirkt 
ein  Streben  nach  Vereinzelung  entgegen,  das  den  einzelnen  oder  ganze 
Gruppen  aus  dem  alten  Zusammenhange  löst.  Die  ältesten  Urkunden  des 
Menschengeschlechtes  berichten,  wie  die  Kinder  Vater  und  Mutter  verlassen, 
um  das  Gebot  Gottes  an  die  ersten  Menschen  zu  erfüllen:  seid  fruchtbar  und 
mehret  euch,  erfüllet  die  Erde  und  macht  sie  euch  Untertan ;  wir  hören  den 
Fluch  des  bösen  Gewissens:  Unstät  und  flüchtig  sollst  du  sein  auf  Erden; 
und  wir  sehen  Abraham  und  Lot  auf  das  Geheiß  des  Herrn  aus  einem  Land 
in  ein  anderes  ziehen:  Gehe  aus  deinem  Vaterlande  und  von  deiner  Freund- 
schaft  und  aus  deines  Vaters  Hause   in   ein  Land,   das   ich   dir  zeigen  will. 

So  bewegt  es  sich  vor  unseren  Augen,  und  Einzelne  oder  Gruppen 
tauschen  Land  um  Land.  Das  ist  die  Bewegung  in  der  Geschichte.  Und 
wenn  wir  die  Anftlnge  der  Griechen  betrachten,  was  sind  die  Überlieferungen 
von  Anderen,  die  vorher  da  waren,  von  ^, Vorhellenen",  anderes  als  Erinnerungen 
an  Bewegungen,  die  die  einen  fort-  und  die  anderen  herführten?  Urgeschichte 

Geographische  ZeiUchrifl.  9.  Jahrgang.  1903.  9.  Heft.  33 


490  F.  Ratzel: 

ist  Wandergeschichte.  Und  so  gewiß  wie  der  einzelne  Mensch  mit  seinen 
Augen  über  den  engen  Bezirk,  in  dem  er  wohnt  und  schafft,  hinaussieht,  so 
gewiß  fliegen  seine  Gedanken  bis  an  die  äußersten  Grenzen  seines  Gesichts- 
kreises, und  eines  Tages  folgt  er  ihnen  nach:  dem  Zug  seiner  Gedanken  folgt 
sein  eigenes  Ziehen,  sein  Wandern.  • 

Im  Vergleich  mit  diesen  inneren  Bewegungskräften  ist  alles  Geographische 
im  Verkehr  nur  äußere  Anregung,  Leitung,  Lenkung;  es  regt  an,  es 
setzt  die  Ziele,  weist  die  Wege,  hemmt  und  fördei-t.  Ist  aber  auch  diese 
Bedingtheit  des  Verkehres  nur  eine  äußere,  so  bleibt  sie  doch  keine  äußer- 
liche. Der  Verkehr  ist  an  die  Erde*  gebunden,  keine  Entwicklung  löst  ihn 
von  derselben  los,  jede  bleibt  ein  notwendiger  Teil  derselben.  Die  Erde  bietet 
den  Boden  des  Verkehres;  im  fließenden  Wasser  und  in  der  bewegten  Luft 
stellt  sie  Bewegungskräfte  zur  Verfügung,  und  was  der  Verkehr  bewegt,  ist 
Erzeugnis  der  Erde.  Je  nachdem  nun  der  Boden  der  Erde  von  Natur  ge- 
artet ist,  muß  der  Verkehr  an  einer  Stelle  stark  und  an  einer  anderen 
schwach,  hier  rasch  und  dort  langsam,  hier  Land-  und  dort  Wasserverkehr 
sein,  hier  die  eine  und  dort  eine  andere  Richtung  einschlagen.  Wie  ein 
großes  Gesetzbuch,  das  eine  ganze  Anzahl  von  einzelnen  Bestimmungen,  jede  ein 
Gesetz  für  sich  umschließt,  regelt  allen  Verkehr  die  geographische  Be- 
dingtheit; sie,  ein  Grundgesetz  alles  Lebens,  ist  in  der  Tat  auch  das  geo- 
graphische Grundgesetz  der  Lebenserscheinungen,  die  wir  Verkehr  nennen. 

Ich  unterscheide  hier  zwischen  geographischen  Bedingungen,  die 
der  Bau  der  Erde  allen  Bewegungen  auf  der  Erdoberfläche  von  außen  vor- 
schreibt, und  geographischen  Gesetzen,  die  in  diese  Bewegungen  selbst 
hineinwirken,  sie  umgestalten.  Bei  den  geographischen  Bedingungen  handelt 
es  sich  nur  um  ein  äußerliches  Leiten  und  Richtunggeben,  bei  den  geo- 
graphischen Gesetzen  um  ein  inneres  Entwickeln  in  Wachstum  oder  Rück- 
gang. Mit  diesem  Entwickeln  verwachsen  die  geographischen  Bedingungen, 
werden  fortwirkende  Teile  davon.  Ein  Beispiel:  Landverkehr  und  Seeverkehr 
sind  immer  unter  dem  Einfluß  der  Grundtatsache  stehen  geblieben,  daß  der 
feste  Boden  den  Verkehr  zerteilt,  zersplittert,  ihn  über  ein  Netz  von  immer 
dichteren  Maschen  ausbreitet,  während  der  Seeverkehr  konzentriert,  verdichtet, 
große  Schiffe,  große  Seestädte,  immer  dichtere  Schifluhrtswege  schafft:  also 
zwei  weit  auseinandergehende  Entwicklungen,  auf  deren  Grunde  die  Eigen- 
schaften des  Landes  und  des  Wassers  liegen. 

So  wie  ein  wirkliches  Gesetz  von  Dauer  ist,  ändern  sich  auch  die  geogra- 
phischen Bedingungen  des  Verkehres  nur  mit  der  Erde  selbst.  Keine  innere 
Entwicklung  fahrt  den  Verkehr  aus  ihrem  Bann  heraus.  Welche  Portschritte 
die  Technik  des  Schiffs-  und  Maschinenbaues,  des  Dampfes  und  der  Elektrizi- 
tät auch  machen  und  welche  größeren  ihr  noch  vorbehalten  sein  mögen,  Land 
und  Meer,  Gebirge  und  Flüsse,  Strömungen  und  Winde  bleiben  im  ganzen 
und  großen  dieselben.  Ihrer  Lage,  ihrer  Richtung  muß  der  Verkehr  sich 
anschließen.  Heute  quert  man  den  Atlantischen  Ozean  im  dritten  Teile  der 
Zeit,  die  man  vor  50  Jahren  brauchte,  aber  das  bleibt  immer  der  Atlantische 
Ozean  mit  seinen  Stürmen  und  Strömungen,  der  insellose  Raum  zwischen 
60  Meridianen.    Heute  braucht  man  im  Stillen  Ozean  7  Tage  von  San  Fran- 


Die  geogr.  Bedingungen  u.  Gesetze  d.  Verkehrs  u.  d.  Seestrategik.    491 

cisco  nach  Hawaii,  und  10  Tage  weiter  nach  Yokohama,  dem  großen  Hafen 
des  japanischen  Fremdenverkehres  an  der  Bucht  von  Tokio;  es  wird  wohl  mit 
der  Zeit  möglich  sein,  diese  Querung  des  Stillen  Ozeans  mit  Zwanzigtausend- 
tonnendampfem  in  10  Tagen  zu  vollenden,  aber  das  bleibt  immer  eine  See- 
fahrt unter  denselben  Bedingungen  des  Baumes,  des  Klimas,  der  Meeres- 
strömungen. 

Zu  den  geographischen  Wirkungen,  die  in  das  Wesen  des  Verkehrs  selbst 
übergehen,  wo  sie  dann  an  seiner  inneren  Entwicklung  mitarbeiten,  gehört 
nun  in  erster  Linie  der  Unterschied  zwischen  dem  Landverkehr  und 
dem  Seeverkehr,  der  ebensowohl  ein  Unterschied  des  Substrats  als  der 
Raumverhältnisse  ist.  Beide  Verkehrsgattungen  arbeiten  für  denselben  Zweck 
und  doch  geht  ihre  Entwicklung  immer  weiter  auseinander;  jede  hat  ihr 
eigenes  Gesetz.  Deshalb  gehört  das  Verhältnis  des  Landes  zum  Wasser,  die 
ungleiche  Verteilung  und  Sonderung  beider  in  Weltinseln  und  Meeresteile,  das 
Flächentibergewicht  des  Meeres  zu  den  Grundtatsachen  des  Verkehrs.  Auf 
dem  Wasser  und  auf  dem  Lande  unterliegt  jede  Verkehrsart  dem  Gesetz 
des  räumlichen  Wachstums,  demselben,  das  die  Völker  und  die  Staaten 
zur  Ausbreitung  drängt.  Und  innerhalb  dieses  umfassendsten  Gesetzes  sehen 
wir  den  Verkehr  sich  abwechselnd  in  bestimmten  Richtungen  auseinanderlegen 
und  dann  wieder  sich  auf  einen  bestimmten  Weg  konzentrieren:  Das  Gesetz 
der  Zerteilung  und  Zusammenfassung  oder  Konzentration  des 
Verkehrs. 

Die  Wege  des  Verkehrs  streben,  ein  Netz  zu  bilden,  indem  zwei 
Punkte,  die  durch  einen  Weg  verbunden  sind,  mit  der  Zeit  weitere  Weg- 
verbindungen entwickeln,  und  indem  der  erste  Weg  über  seine  ursprünglichen 
End-  und  Anfangspunkte  hinauswächst.  Daraus  entstehen  die  vielfachen  Aus- 
strahlungen, Parallelwege  und  Querverbindungen  eines  Verkehrsnetzes.  Die 
Maschen  dieses  Netzes  werden  nicht  bloß  immer  kleiner  und  zahlreicher,  ihre 
Gestalt  ändei*t  sich  auch  mit  diesem  Wachstum  ununterbrochen  und  zwar  in 
der  Richtung  auf  längere  Linien  und  kleinere  Winkel.  Die  Verzweigungen 
der  Verkehrswege  verlegen  sich  immer  weiter  rückwärts  nach  dem  Ausgangs- 
punkte zu.  Früher  führte  ein  Weg  so  nahe  wie  möglich  an  die  Punkte  hin, 
nach  denen  die  Zweigwege  bestimmt  waren,  jetzt  beginnt  die  Verzweigung 
möglichst  nahe  bei  dem  Ausgangspunkt. 

Die  verkehrsreichsten  Wege  bilden  die  stärksten  Fäden  dieses  Netzes, 
und  diese  allerdings  haben  noch  im  Laufe  der  letzten  Jahrhunderte  Ver- 
änderungen erfahren,  die  es  erklärlich  machen,  daß  man  von  einer  Achse  des 
Verkehrs  spricht,  die  ihre  Richtung  geändert  habe.  Denn  während  der  Fem- 
handel Roms  wesentlich  Handel  zwischen  Rom,  Ägypten,  Westasien  und  Indien 
war,  also  zwischen  Ländern  verschiedener  Zonen  und  Klimate,  fließen  heute 
die  stärksten  Welthandelsströme  zwischen  Europa  und  Nordamerika,  zwischen 
Westeuropa,  Osteuropa,  Ostasien  und  die  wichtigsten  davon  kreuzen  den  at- 
lantischen Ozean.  Li  fiüheren  Jahrtausenden,  wo  bei  weitem  nicht  alle  Länder 
der  Erde  mit  einander  verkehrten,  mochten  die  Wege  des  Weltverkehrs  gering 
an  Zahl  und  einfach  sein.  Als  in  der  römischen  Kaisenseit  Britannien  das 
äußerste  bekannte  Land  im  Westen  und  China  dasselbe  im  Osten  war,  konnte 

33' 


492      .  F.  Riitzel: 

man  eine  Linie  von  Britannien  nach  China  ziehen  und  sagen:  diese  Linie 
verbindet  die  äußersten  Punkte  des  Weltverkehrs.  An  eine  solche  Linie 
dachten  wohl  die  Historiker,  die  sagten:  Heute  liegt  die  Achse  des  Weltverkehrs 
im  Atlantischen  Ozean;  vor  2000  und  vor  1000  Jahren  lag  sie  im  Mittel- 
ländischen Meer,  im  Indischen  Ozean  und  in  Asien.  Indessen  welchen  Zweck 
hat  es,  hier  von  einer  Achse  zu  sprechen?  Was  dreht  sich  um  diese  Achse?  Es 
ist  ein  schlechtes  Bild,  denn  es  ist  un geographisch.  Das  geographische  Bild 
des  Weltverkehrs  der  Gegenwart  ist  ganz  anders,  das  ist  ein  ungemein  ver- 
zweigtes Netz,  das  alle  bewohnten  Länder  umfaßt  oder  die  äußersten  wenig- 
stens berührt. 

In  jedem  Verkehrssystem  herrscht  ein  Streben  nach  Einheitlich- 
keit der  Leistung,  die  man  auch  als  Harmonie  bezeichnen  kann.  Nicht 
die  vollständige  Gleichheit  des  Tempos  wird  angestrebt,  sondern  eine  Über- 
einstimmung nach  Maßgabe  der  natürlichen  Bedingungen  und  der  vorher  vor- 
handen gewesenen  Geschwindigkeiten.  Der  Suezkanal  kürzt  den  Weg  von 
Europa  nach  Indien  ab,  daher  schließt  sich  an  seinen  Bau  die  Verbesserung 
der  Schiffahrt  im  roten  Meer  und  im  Mittelmeer,  die  Schaffung  oder  Ver- 
besserung der  Alpenbahnen;  ja  sogar  die  Beschleunigung  der  Züge,  die  Ver- 
stärkung des  Unterbaues,  die  Verwendung  größerer  Lokomotiven  auf  den 
nordalpinen  Zufahrtslinien  hängen  mit  jener  Beschleunigung  zusammen,  von 
der  auf  der  anderen  Seite  die  Schaffung  schnellerer  und  größerer  Dampfer 
ausgegangen  ist.  Es  ist  eine  Fortpflanzung  bis  in  die  letzten  Adern  eines 
Netzes,  wie  wir  sie  in  einem  Flußnetze  aufwärts  wandern  sehen,  wenn  irgend- 
wo im  Unterlaufe  eine  Tieferlegung  imd  Beschleunigung  eingetreten  ist. 

Wo  eine  neue  Verkehrsart  von  größerer  Leistungsfähigkeit  eine  ältere 
ersetzt,  geschieht  der  Übergang  von  einer  Verkehrsart  zur  anderen 
um  so  ruhiger,  je  näher  die  beiden  einander  ohnehin  schon  standen.  Die 
Eisenbahnen  haben  in  Europa  mit  der  Zeit  eine  große  Umwälzung  im  Ver- 
kehr hervorgerufen,  da  aber  gute  und  zahlreiche  Straßen  ihnen  vorher- 
gegangen waren,  blieben  die  Straßen  neben  den  Eisenbahnen  belebt,  ge- 
wannen sogar  an  Wichtigkeit,  wo  sie  die  Zufahrt  zu  den  Eisenbahnen  be- 
sorgten. Noch  heute  wächst  ihr  Verkehr  auf  weitaus  den  meisten  Strecken. 
In  Deutschland  beträgt  der  Verkehr  auf  den  Landstraßen  noch  immer  die 
Hälfte  bis  Dreiviertel  des  Eisenbahnverkehrs;  allerdings  stehen  bei  uns 
140  000  km  Landstraßen  52  000  km  Eisenbahnen  gegenüber.  In  Sibirien, 
wo  die  Eisenbahn  sich  fast  unmittelbar  an  ein  Verkehrssystem  anschloß,  das 
nur  an  wenigen  Stellen  eigentliche  Straßen  benutzt,  hat  dieselbe  endlose 
Karawanen  mit  Tee,  Seide  und  anderen  Waren  überflüssig  gemacht,  die  viele 
Tausende  von  Menschen  und  Hundei-ttausende  von  Zugtieren  in  Nahrung 
setzten,  und  damit  eine  große  Umwälzung  bewirkt. 

Aller  Verkehr  will  seine  Wege  in  einer  bestimmten  Zeit  zurücklegen, 
aber  die  Zeitmaße  sind  verschieden  je  nach  den  Stufen  der  Kultur,  und  des- 
halb haben  sie  sich  auch  von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert  geändert.  Von 
den  Zeitmaßen  hängt  nun  auch  das  Gewicht  ab,  das  man  den  geographischen 
Bedingungen  des  Verkehrs  beilegt,  und  zwar  nach  dem  Gesetz:  je  mehr 
Zeit    auf   die    Zurücklegung    eines   Weges    verwendet   wird,    desto 


Die  geogr.  Bedingungen  n.  Gesetze  d.  Verkehrs  u.  d.  Seestrategik.    493 

mehr  Hechnung  trägt  der  Verkehr  den  geographischen  Bedin- 
gungen, desto  sklavischer  folgt  er  Flußwindungen,  umgeht  er  Gebirge  und 
Wälder,  desto  leichter  vertauscht  er  eine  Richtung  mit  einer  anderen.  Wenn 
der  eine  Karawanenweg  von  Tripolis  nach  Mursuk  30  Tage,  der  andere,  der 
menschen-  und  wasserärmer  ist,  nur  einige  20  Tage  braucht,  jener  aber  doch  der 
weitaus  begangenere  und,  trotzdem  er  ein  Umweg,  der  eigentliche  Karawanen- 
weg ist,  so  kann  man  daraus  schließen:  wenn  man  20  bis  30  Tage  zu  einer 
Strecke  von  800  km  braucht,  kommt  es  nicht  darauf  an,  ob  ein  paar  Tage 
mehr  oder  weniger  verbraucht  werden. 

Verkehr  und  Krieg  sind  beides  Bewegungen  von  Menschen  von  einem 
Punkt  der  Erde  auf  einen  andern  Punkt  hin.  Der  Verkehr  besteht  aus  zahl- 
losen kleineren  oder  größeren  Bewegungen,  die  in  der  Regel  rasch  auf  ein- 
ander folgen,  so  daß  sie,  wie  Wellen  in  einem  Fluß  sich  aneinanderreihend, 
dauernde  Strömungen  erzeugen,  den  Krieg  bilden  wenige  heftige  und  stoß- 
weise Bewegungen,  die  sich  in  einer  kurzen  Zeit  rasch  folgen,  um  dann  eine 
lange  Pause  zu  machen.  Beide  unterliegen  derselben  Abhängigkeit  von  den 
geographischen  Bedingungen,  und  deshalb  steht  auch  praktisch  von  allen 
Zweigen  der  Geographie  die  Geographie  des  Verkehres  der*  Geographie  des 
Krieges  am  nächsten.  Der  Krieg  benutzt  nicht  bloß  dieselben  Wege  wie  der 
Verkehr,  sondern  zu  Kriegszwecken  werden  Wege  geschaffen,  die  dann  auch 
der  Verkehr  benutzt,  und  es  gehören  wahrscheinlich  dazu  die  ältesten  Straßen- 
netze, die  wir  in  Vorderasien  und  in  den  alten  amerikanischen  Kulturländern 
kennen.  Im  Seekrieg  kommen  die  Wege  weniger,  wohl  aber  die  Fahr- 
zeuge und  die  Zielpunkte  des  Verkehrs  in  Betracht.  Dasselbe  Schiff,  das 
Kaufleute  und  Waren  trägt,  fahrt  auch  Krieger  und  Waffen,  und  das  Schutz- 
bedürfhis  ist  beim  Seehandel  um  so  größer,  je  weiter  er  sich  von  seinen 
Ausgangspunkten  entfernt.  Die  großen  Seedampfer  sind  direkt  mit  unter  die 
Kricgsmittel  ihres  Staates  zu  rechnen.  Für  keine  Leistung  des  Seekrieges 
ist  der  Dienst  der  großen  überseeischen  Dampfer  von  so  entscheidender  Be- 
deutung wie  für  die  Truppentransporte.  Für  die  Pünktlichkeit,  die  da- 
bei noch  wichtiger  ist  als  beim  Dampferverkehr  in  Friedenszeiten,  für  Ord- 
nung, auch  selbst  für  die  bequeme  Unterbringung  ist  jener  Dienst  die  beste 
Schule. 

Der  Krieg  zu  Lande  steht  zwischen  dem  Verkehr  und  der  Völker- 
wanderung, dieser  näher  als  jenem.  Alle  drei  sind  geschichtliche  Bewegungen, 
deren  Richtung  und  Fortgang  abhängig  ist  von  dem  Boden,  auf  dem  sie 
stattfinden.  Die  Völkerwanderung  breitet  sich  weit  über  diesen  Boden  aus 
und  halt  ihn  fest;  der  Krie^  beschränkt  sich  zwar  auf  Heerstraßen  und  be- 
stimmte Plätze,  sucht  aber  ebenfalls  von  diesen  aus  das  Land  zu  beherrschen; 
der  Verkehr  hat  nur  seine  Zielpunkte  im  Auge,  das  Land  ist  ihm  weiter 
nichts  als  der  Träger  seiner  Wege;  auf  diese  Wege  sich  soviel  wie  möglich 
zu  konzentrieren,  sie  so  rasch  wie  möglich  zurückzulegen,  ist  das  Bestreben 
des  Verkehrs.  Völkerwanderung  und  Landkrieg  haben  also  ein  breiteres  Ver- 
hältnis zu  ihrem  Boden  als  der  Verkehr. 

Ein  allgemeiner  Unterschied  zwischen  der  friedlichen  und  kriegerischen 
Eroberung  zu  Lande  liegt  in  der  Richtung  ihres  Vorgehens.    Der  Krieg  geht 


494  F.  Ratzel: 

von  einein  starken  Lande  aus  und  schließt  ein  Reich  von  eroberten  Gebieten 
um  dasselbe  zusammen,  der  Verkehr  diingt  dagegen  von  der  Peripherie  der 
Länder  in  deren  Inneres  vor,  oft  von  vielen  Punkten  aus,  und  setzt  diese 
peripherischen  Punkte  mit  einem  fernen  Mittelpunkte  in  Verbindung.  Dabei 
reichen  die  Eroberungen  soweit  als  der  Eroberer  fortschreitet,  während  der 
Landverkehr  auch  mittelbare  Verbindungen  schafft;  Byzantiner  kamen  nicht 
an  die  Ostsee  und  nach  Britannien,  aber  diese  Gebiete  waren  in  römischer 
Zeit  fest  mit  Byzanz  durch  den  Verkehr  verbunden.  Auch  darin  sind  nun 
der  Seeverkehr  und  der  Seekrieg  einander  viel  ähnlicher,  daß  sie  beide 
ihre  Eroberungen  von  der  Peripherie  her  machen  und  sich  im  allgemeinen 
mit  der  Besetzung  der  peripherischen  Teile  eines  fremden  Landes  begnügen, 
wozu  natürlich  der  Schutz  der  Seeverbindungen  gehört 

Der  Seekrieg  besteht  aus  unablässigen  Bewegungen.  Auch  Blockaden 
sind  nicht  mit  der  Belagerung  von  Landfestungen  zu  vergleichen;  blockierende 
Schiffe  sind  beständig  in  Bewegung,  um  einen  möglichst  weiten  Raum  in 
ihren  Gesichts-  und  Feuerkreis  zu  ziehen.  Eine  Feldarmee  wohnt  auf  dem 
Boden,  den  sie  erobert,  lebt  sogar  zum  Teil  von  seinen  Erzeugnissen;  die  be- 
festigten Lager  j  in  denen  die  Feldherren  des  siebenjährigen  Krieges  oft 
Monate  unbeweglich  standen,  wurden  immer  mit  Rücksicht  auf  die  Frucht- 
barkeit ihrer  Umgebungen,  Trinkwasser  und  Weideland  gewählt  Derartiges 
kennt  der  Seekrieg  nicht.  Sein  Boden  ist  immer  derselbe,  der  Schauplatz 
einer  Seeschlacht  ist  nach  der  Schlacht  dasselbe  Meer,  lächelnd  oder  stür- 
misch, wie  vor  ihr.  Es  bietet  keine  Deckung,  keine  Nahrung,  keine  Woh- 
nung; es  bleibt  immer  dasselbe  fremde  Element 

Handelsflotte  und  Kriegsflotte  stehen  notwendig  in  einem  Ver- 
hältnis wechselseitiger  Ergänzung.  Man  kann  das  mit  der  notwendigen  Zu- 
sammengehörigkeit der  Heerstraßen  und  der  übrigen  Verkehrswege  oder  mit 
der  entscheidenden  Bedeutung  des  rollenden  Materials  der  Eisenbahnen  für 
militärische  Transporte  vergleichen.  Es  wäre  weitgefehlt,  zu  glauben,  daß 
nur  die  Heranziehimg  eines  seegewohnten  Matrosen  Stammes  auf  der  Handels- 
flotte dies  Verhältnis  schürzte.  Ursprünglich  sind  die  beiden  eins.  Kein 
phönicisches  Handelsschiff  kann  man  sich  unbewaffnet  denken,  kein  Griechen- 
schiff wagte  sich  unbewaffnet  in  den  ungastlichen  Pontus.  So  sind  die  großen 
Handelsexpeditionen  der  Portugiesen  auf  dem  neuen  Seeweg  nach  Indien 
inuner  von  Kriegsschiffen  begleitet  gewesen  und  noch  im  Beginn  unseres  Jahr- 
himderts  fuhr  kein  Fahrzeug  einzeln  und  unbewaffnet  im  Mittelmeer,  das  Bar- 
baresken  unsicher  machten.  In  jedem  Seekrieg  sind  Handelsschiffe  als  Kriegs- 
schiffe ausgerüstet  worden.  So  wie  heute  zur  Seebeherrschung  nicht  nur 
Kriegsschiffe,  sondern  auch  Kabel  gehören,  so  waren  die  raschen  Klipper  im 
Zeitalter  der  Segelschiffahrt  die  unentbehrlichen  Vedetten  der  Kriegsflotten. 
Und  in  den  Kämpfen  der  Niederländer  mit  den  Spaniern  entlasteten  die  Flotten 
der  beiden  großen  überseeischen  Kompagnien  die  heimische  Schlacht  flotte,  in- 
dem sie  den  Krieg  ins  offene  Meer  hin  ausspielten. 

Es  hat  überhaupt  nie  einen  ungeschützten  Handel  gegeben;  einst  waren 
der  Schutz  des  Handels  bewaffnetes  Geleite  des  Landhandels  und  Kanonen, 
die  aus  den  Stückpforten   „friedlicher"  Handelsschiffe   droheten,   die  noch  im 


Die  geogr.  Bedingungen  u.  Gesetze  d.  Verkehrs  n.  d.  Seestrategik.    495 

18.  Jahrhimdert  nur  unter  „Convoy"  in  Meeren  fuhren,  wo  Seeräuber  zu 
fürchten  waren.  Heute  versucht  man  es  zunächst  mit  dem  Schutze  der  Handels- 
verträge. Handelsverträge  sind  aber  in  nicht  wenigen  Fällen  mit  WaflPen- 
gewalt  erzwungen.  Aus  diesem  Gesichtspunkt  erscheint  auch  der  Seeraub 
als  ein  keineswegs  zufälliger  Begleiter  des  Seehandels.  In  dem  Auftreten 
des  Seeraubes  in  Verbindung  mit  den  Anfängen  des  phönicisch-griechischen 
Handels  sieht  nur  eine  kurzsichtige  Geschichtschreibung  den  Vorläufer  des 
Seehandels.  Dem  Se^handel  gerade,  im  Gegensatz  zum  Landhandel,  ist 
vielmehr  aus  natürlichen  Gründen  der  Seeraub  verbunden,  und  zwar  um  so 
enger,  je  weiter  Handels-  und  Raubgebiete  über  den  gewöhnlichen  Horizont 
hinausliegen.  Seehandel,  Seeherrschaft  imd  Seeraub  sind  besonders  in  den 
Kämpfen  der  Niederländer,  Spanier,  Portugiesen  und  Engländer  im  16.  imd 
17.  Jahrhundert  gar  nicht  auseinander  zu  halten,  um  so  weniger  als  der  See- 
krieg damals  wesentlich  aus  Kaperei  bestand. 

Die  Handelsflotte  und  die  Kriegsflotte  sind  nur  zwei  Seiten  einer 
und  derselben  Sache;  sie  gehören  zusammen,  und  die  Stärke  der  einen  muß  in 
normalen  Verhältnissen  der  Stärke  der  anderen  entsprechen.  Auf  die  Dauer 
wird  ein  Land  keine  große  Handelsflotte  haben,  ohne  dieselbe  durch  eine 
starke  Kriegsflotte  zu  schützen,  und  wenn  der  Seehandel  eines  Landes  zurück- 
geht, wird  mit  der  Zeit  auch  seine  Kriegsflotte  sich  vermindern.  Mit  der 
Erweiterung  der  Handelsbeziehungen  wuchs  die  Zahl,  die  Größe  und  die 
Kriegsstärke  der  Schiffe  aller  europäischen  Flotten  im  16.  Jahrhundert,  und 
in  dem  Verhältnis  des  niederländischen  zum  englischen  Seehandel  5  :  1  im 
Jahre  1650  und  2  :  5  im  Jahre  1792  liegt  zugleich  auch  der  Hochstand 
und  Niedergang  niederländischer  Seeherrschaft.  Insofern,  kann  man  sagen, 
bleibt  immer  die  alte  Verbindung  bestehen,  die  in  früheren  Jahrhunderten 
und  Jahrtausenden  aus  jedem  Kauffahrteischiff  ein  Kriegsschiff  machte  und 
Handel,  Krieg  und  Seeraub  eng  verband.  Daraus  folgt  auch,  daß  beim 
Ausbruch  eines  Krieges  die  Schlagfertigkeit  bei  der  Flotte  noch  größer  sein 
muß  als  bei  dem  Landheere,  denn  ein  Teil  von  ihr  muß  mit  dem  Tag  der 
Kriegserklärung  bereit  sein,  die  Handelsflotte  zu  schützen,  die  von  diesem 
Tag  an  viel  mehr  bedroht  ist  als  die  Grenzen  des  Landes.  Präsident  Eoose- 
velt  knüpfte  in  seiner  Botschaft  vom  Dezember  1901  die  Frage  der  Kriegs- 
flotte und  der  Handelsflotte  der  Vereinigten  Staaten  aufs  engste  zusammen: 
Das  amerikanische  Volk  muß  entweder  eine  entsprechende  Flotte  bauen  und 
erhalten,  oder  sich  entschließen,  in  internationalen  Angelegenheiten  zurück- 
zustehen, nicht  bloß  in  politischen,  sondern  auch  in  wirtschaftlichen.  Diese 
Aufgabe  ist  aber  nicht  bloß  durch  die  Verstärkung  der  Kriegsflotte  zu  lösen, 
sondern  erfordert  die  Vermehnmg  der  Handelsflotte. 

Jeder  Fortschritt  in  der  Technik  des  Verkehrs  hat  unmittelbar  auf  den 
Seekrieg  eingewirkt.  Ihn  haben  in  seiner  heutigen  Form  die  Dampfmaschine 
und  die  Schraube,  diese  beiden  großen  Erfindungen  auf  dem  Gebiete  des 
Verkehrswesens,  erst  möglich  gemacht.  Nelsons  Linienschiffe  waren  imbehilf- 
liche Massen,  die  sich  langsam  bewegten,  unbehilflich  manövrierten  und  auf 
Pistolenschußweite  ihre  gewaltigen  Breitseiten  abgaben.  Das  moderne  Linien- 
schiff ist  beweglich,  höchst  manövrierfähig,  erschüttert  seinen  Gegner  aus  der 


496  F.  Hatzeh 

Ferne  oder  rückt  ihm  atrf  den  Leib,  umkreist  oder  verfolgt  ihn.  Wohl  sind 
alle  Dampfer  der  Kohlen  wegen  an  die  Küste  gebunden,  aber  das  neuere 
Kriegsschiff  ist  mit  einem  Kohlcnvorrat  ausgestattet,  der  ihm  erlaubt,  jeden 
Ozean  zu  kreuzen.  Kreuzer  können  sogar  vier  bis  sechs  Wochen  die  hohe 
See  halten.  Ziemlich  allgemein  beschränkt  man  sich  jetzt  auf  eine  Geschwin- 
digkeit von  18  bis  19  Knoten  für  die  Linienschiffe,  um  ihre  Kampfkraft 
nicht  zu  schmälern,  kommt  aber  auf  der  anderen  Seite  vom  Baue  der  schwer- 
sten Linienschiffe  von  mehr  als  15  000  Tonnen  wegen  ihrer  Schwerfölligkeit 
und  ihres  großen  Tiefganges  zurück.  Für  Kreuzer  werden  dagegen  22  Knoten 
überschritten. 

Die  Ökumene  des  Verkehrs. 

Der  Boden  des  Verkehrs  ist  nicht  die  Oberfläche  einer  Kugel,  wie 
der  Boden  des  Luftmeeres,  über  den  Winde  und  Wolken  ihre  Wege 
ziehen,  sondern  es  ist  ein  Gürtel  in  den  heißen  und  gemäßigten  Zonen, 
der  an  wenigen  Stellen  in  die  nördliche  kalte  Zone  hinübergreift,  die 
südliche  aber  gar  nicht  berührt;  mit  anderen  Worten,  der  Verkehr 
bewegt  sich  um  die  Erde  in  einer  Zone  oder  einem  Gürtel,  die  der 
eigentlichen  Ökumene  zu  vergleichen,  aber  noch  viel  schmäler  ist,  denn  die 
äußersten  Randbewohner  im  Norden  und  Süden  haben  keinen  Teil  an  dem 
großen  Verkehr  der  inneren  Völker  der  Ökumene.  In  dieser  Ökumene  des 
Verkehrs  herrscht  nun  der  große  Gegensatz  zwischen  dem  Nord-  und  Süd- 
rand, daß  dieser  vollständig  im  Meere  liegt,  also  dem  Seeverkehr  allseitig 
zugänglich  ist,  während  der  Nordrand,  soweit  er  im  Eismeer  liegt,  dem  See- 
verkehr praktisch  verschlossen  und,  soweit  er  im  Lande  liegt,  auch  dem 
großen  Landverkehr  nicht  zugänglich  ist.  Die  nördlichsten  Eisenbahnpunkte 
liegen  in  Europa  in  68®  und  65®,  in  Asien  in  55®,  die  südlichsten  in  Süd- 
amerika in  42®  und  von  den  erdteil verbindenden  Schiffahrtslinien  liegt  keine 
jenseits  55®  n.  und  s.  Br. 

Das  Eismeer,  das  den  Nordrand  der  Ökumene  umflutet  und  mit  Treib- 
eis und  Eisbergen  bedrängt,  weist  den  Verkehr  zurück;  die  nordwestliche  und 
die  nordöstliche  Durchfahrt  gehören  beide  seit  lange  nicht  mehr  zu  den  prak- 
tischen Aufgaben  der  Verkehrsgeographie.  Nur  an  der  klimatisch  begünstigt- 
sten  Stelle  dringt  der  Verkehr  um  Nordeuropa  herum  aus  dem  atlantischen 
Ozean  in  das  weiße  Meer  und  in  günstigen  Sommern  bis  in  die  Mündungs- 
buchten des  Ob  und  des  Jenissei.  Als  Ganzes  aber  ist  der  Nordrand  der 
Ökumene  für  den  großen  Verkehr  unzugänglich.  Demnach  besteht  für  den  Ver- 
kehr die  Ökimiene  aus  Erdteilen  und  Meeren,  die  das  Gemeinsame  haben,  daß  sie 
auf  der  Nordseite  für  den  Verkehr  geschlossen  sind,  so  daß  man  ihren  Nord- 
rand nur  von  Süden  her  erreichen  kann.  Es  ist  wie  eine  Häuserreihe,  die  im 
Norden  an  einen  Berg  hingebaut  ist:  Häuser  imd  Straßen  haben  ein  Ende, 
wo  der  Berg  anfängt,  die  Straßen  enden  als  Sackgassen,  die  Häuser  sind  nur 
von  der  Süd-,  West-  und  Ostseite  her  zugänglich.  Das  größte  Beispiel  einer 
derartigen  Verbindung  liefert  Rußland,  das  von  Kronstadt  aus  in  60®  n.  Br. 
seine  Schiffe  um  ganz  Eurasien  herum  nach  Wladiwostok  in  43®  n.  Br.  gehen 
läßt;  oder  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  deren  Schiffe  von  Neuyork 
nach    San    Francisco    um    Südamerika    herum    50    bis    60    Tage    brauchen, 


Die  geogr.  Bedingungen  n.  Gesetze  d.  Verkehrs  n.  d.  Seestrategik.    497 

während  die  Eisenbahn  die  Sehne  dieses  gewaltigen  Bogens  in  ö  Tagen  ab- 
schneidet 

Um  also  von  einer  Westseite  zu  einer  Ostseite  zu  kommen  und  umgekehrt, 
muß  man  entweder  um  die  Südseite  herumgehen  oder  Wege  durch  die 
Häuserblöcke  hindurch  machen.  Daher  die  Bedeutung  der  Wege  imi  Süd- 
afrika, um  Südasien,  um  Südamerika,  durch  die  Straßen  von  Gibraltar  und 
von  Florida,  und  die  Bedeutung  transkontinentaler  Eisenbahnen.  Die  Ent- 
deckung des  Seeweges  nach  Indien  1498,  der  Magalhaesstraße  1520,  des  Süd- 
ostendes Australiens  1642,  die  Panamaeisenbahn  1855,  die  erste  nordameri- 
kanische Pacifikbahn  1869,  der  Suezkanal  1869,  die  Sibirische  Pacifikbahn 
1900  sind  alles  Fortschritte  in  der  gleichen  Richtung.  Das  alles  bedeutet 
eine  Steigerung  des  Seeverkehrs  in  den  mittleren  und  südlichen  Teilen  der 
Ökumene  um  ebensoviel,  als  die  Nordseite  den  Seeverkehr  zurückweist,  den 
Landverkehr  begünstigt.  Deshalb  gehörte  z.  B.  Südafrika  schon  seit  dem 
17.  Jahrhundert  zu  den  begehrtesten  überseeischen  Stellungen,  wo  nachein- 
ander Portugal,  Holland  und  England,  die  drei  großen  Beherrscher  des 
Indienhandels,  Fuß  gefaßt  haben. 

Während  also  die  mächtigsten  und  reichsten  Staaten,  die  größten  Volks- 
massen und  die  verkehrsreichsten  Städte  im  Norden  liegen,  müssen  wir  ihre 
wichtigsten  Seeverbindungen  von  Meer  zu  Meer  im  Süden  suchen:  um  Süd- 
afrika in  35^,  um  Südamerika  in  52**  s.  Br.,  um  Asien  unter  den  Äquator, 
durch  den  Suezkanal  in  30^,  durch  den  dereinstigen  Panamakanal  in  9®  n.  Br., 
während  die  wichtigsten  Ziel-  und  Ausgangspunkte  des  Verkehrs  weit  im 
Norden  zwischen  40®  und  60®  n.  Br.  gelegen  sind,  wo  denn  auch  die  größten 
Wege  und  Mittelpunkte  des  Landverkehrs  ihre  Lage  haben.  Und  so  wirkt 
die  ungeheuere  Bedeutung  der  ersten  Fahrten  um  Afrika  und  um  Südamerika, 
die  den  Indischen  Ozean  und  den  Stillen  Ozean  erschlossen,  noch  heute  nach, 
denn  ohne  diese  Wege  nach  Süden  keine  Beherrschung  des  Meeres,  soweit 
es  dem  Verkehre  zugänglich  ist  Da  aber  Afrika  nur  bis  35®  s.  Br.,  Asien  nur 
bis  gegen  den  Äquator  reicht,  während  die  Magalhaesstraße  in  Südamerika  in 
53®  s.  Br.  liegt,  ist  der  Ostweg  in  den  Stillen  Ozean  der  leichtere,  ktlrzere, 
und  um  so  dringender  ist  das  Bedürfnis  des  Verkehrs  nach  Durchbrechung 
der  mittelamerikanischen  Landschranken  geworden. 

Von  allen  verkehrsgeographischen  Eigenschaften  des  Meeres  ist  die  wich- 
tigste sein  Zusammenhang,  die  Folge  seines  dreifachen  Raumübergewichtes. 
Aber  während  für  die  physische  Geographie  sowohl  der  atlantische  als 
der  Stille  Ozean  im  Norden  imd  im  Süden  offen  stehen,  sind  also  für  die 
Verkehi-sgeographie  alle  Meere  im  Nordeir  geschlossen,  der  Zugang  für 
alle  liegt  im  Süden.  Man  kann  sie  insofern  mit  den  Mittelmeeren  und  mit 
dem  Indischen  Ozean  vergleichen.  Verkehrsgeographisch  gibt  es  nur  ein 
rings  offenes  Meer,  das  ist  das  große  Südmeer,  in  das  südlich  vom  40.®  s.  Br. 
nur  noch  ein  Paar  Halbinseln  und  Inseln,  Ausläufer  der  großen  Landmassen 
des  Nordens  hinausragen:  die  unverstellte  Bahn  der  scharfen  Westwinde  in 
der  Luft,  des  großen  Ringes  der  Westdriftströmung  im  Meer,  und  des  um 
die  Südenden  der  Festländer  herum  die  einzelnen  Meere  verbindenden  Ver- 
kehrs.   Strategisch  ist  dieses  große  freie  Meer,  hinter  dem  nur  noch  die  Eis- 


498  F.  Ratzel: 

wände  der  Südpolarländer  stehen,  das  große  Verbindungs-  und  Bückzugs- 
gebiet,  in  dem  verfolgte  Schiffe  verschwinden,  aus  dem  sie  unerwartet  auf- 
tauchen werden.  Im  kleinen  vergleicht  es  sich  den  Steppen  imd  Wüsten 
Innerasiens,  aus  denen  Nomadenschwärme  über  die  Oasen  und  Ränder  der 
benachbarten  Kulturgebiete  wie  über  Inseln  und  Küsten  herfallen,  in  die  sie 
sich  zurückziehen,  imerreichbar  für  jeden,  der  nicht  ebenso  bewegliche  Truppen 
ihnen  nachzusenden  hat. 

Die  Verteilung  von  •  Land  und  Wasser  schafft  Gebiete  des  Land- 
verkehrs und  Gebiete  des  Seeverkehrs.  Das  Land  ist  in  drei  großen 
Weltinseln  durch  das  Meer  verteilt  und  jede  Weltinsel  ist  ein  besonderes 
Gebiet  des  Landverkehrs,  das  mit  einem  andern  nur  zur  See  verkehren  kann: 
£urasien  mit  Afrika,  dann  Amerika,  Australien.  Australien  hat  eine  Lage  für 
sich  und  ist  auch  der  Größe  nach  mehr  Insel.  Die  beiden  anderen  Land- 
massen aber  bilden  zwei  lange  Streifen  zwischen  Norden  und  Süden  und 
zwischen  ihnen  liegen  die  größten  Meeresteile:  der  Stille  mit  dem  Indischen 
und  der  Atlantische  Ozean.  Also  zwei  Streifen  Land  imd  zwei  Streifen  Meer, 
zwei  Gebiete  des  Landverkehrs  zwischen  zwei  Gebieten  des  Seeverkehrs.  Aus 
dieser  Nebeneinanderlagerung  der  Erdteile  und  Meere  ergeben  sich 
die  großen  Aufgaben  der  Meeresverbindungen  der  Länder  und  der  Land- 
verbindungen der  Meere.  Die  Meeresverbindungen  der  Länder  sind  nun  alt; 
seit  den  Fahrten  der  Malayopolynesier  im  Stillen  und  im  Indischen  Ozean, 
der  Normannen  über  den  Atlantischen  Ozean,  der  großen  Entdecker  Colum- 
bus,  Vasco  da  Gama,  Magalhaes  und  Tasman  sind  alle  Erdteile  durch  alle 
Meere  miteinander  in  Verbindung.  Ihre  Zahl  wird  immer  beschränkt  bleiben. 
Wenn  der  interozeanische  Kanal  gebaut  sein  wird,  dürfte  für  lange  der  letzte 
der  großen  Pläne  verwirklicht  sein,  die  der  Wasserverbindung  der  großen 
Meere  dienen.  Um  so  mehr  wird  dann  die  Aufgabe  des  Landverkehrs  hervor- 
treten, durch  kontinentale  Eisenbahnlinien  die  großen  Meere  zu  verknüpfen. 
Schon  heute  haben  Nordamerika  6  Pacifikbahnen,  Mittelamerika  2,  Asien  1, 
Südamerika  wird  in  nicht  femer  Zeit  folgen. 

So  wie  die  Oberfläche  der  Erde  entweder  Land  oder  Wasser  ist,  muß 
auch  aller  Verkehr  entweder  Verkehr  auf  dem  Lande  oder  auf  dem  Meere 
sein.  Aber  Landverkehr  und  Seeverkehr  sind  dennoch  nicht  von  einander  zu 
trennen,  denn  sie  bedeuten  nur  die  Lösung  der  gleichen  Aufgabe  mit  ver- 
schiedenen Mitteln.  Wer  heute  mit  der  größten  Beschleunigimg  um  die  Erde 
reisen  will,  quert  zwei  Ozeane  und  zwei  Erdteile  in  20tägiger  Land-  und 
25tägiger  Seereise  auf  einer  Ringlinie,  die  die  größten  Hauptstädte  beider 
Erdhälften  verbindet.  Und  wai*  auf  dem  kürzesten  Weg  von  Berlin  nach 
Kalkutta  reist,  fährt  45  Stunden  zu  Land  nach  Brindisi,  40  Stunden  zu  Land 
von  Bombay  nach  Kalkutta,  3^^  Tage  von  Brindisi  nach  Port  Said,  10  Tage 
von  Suez  nach  Bombay,  dazu  noch  die  Kanalfahrt,  zusammen  14  Tage  See- 
und  SYg  Tage  Landfahrt. 

Das  Wesen  des  Seeverkehrs. 

Jeder  Erdteil,  ja  jedes  größere  Land  legt  dem  Verkehre  die  Gesetze 
seiner  Lage,  seiner  Größe  und  seines  inneren  Baues   auf;   seine  Ebenen, 


Die  geogr.  Bedingungen  u.  Qe^etze  d.  Verkehrs  n.  d.  Seestrategik.    499 

seine  Berge,  seine  Flüsse,  selbst  seine  Steppen  oder  Wälder  helfen  seinen 
Verkehr  bestimmen.  Das  Meer  dagegen  wirkt  nur  durch  Eigenschaften 
der  Lage  und  der  Größe  auf  den  Verkehr  ein,  denn  seine  Fläche  ist  überall 
dieselbe,  sein  Wasser  ist  überall  von  gleicher  Zusammensetzung,  nur  in  den 
Eismeeren  tritt  das  Treibeis  als  verkehrshinderndes  Element  hervor.  Daher 
brandet  das  Meer  an  die  tropische  Koralleninsel  und  an  die  polare  Eiswand 
mit  denselben  grünlichen  und  bläulichen  Wellen  an,  und  soweit  die  Küsten 
das  Werk  des  Meeres  sind,  stimmen  sie  in  allen  Breiten  überein.  Gerade 
diese  physiognomischen  Ähnlichkeiten  machen  es  möglich,  daß  der  Seemann 
mit  einem  Gefühl  der  Weltbeheimatung  die  verschiedensten  Himmelsstriche 
durchsegelt  und  an  den  entlegensten  Gestaden  landet. 

So  wie  bei  allen  Unterschieden  der  Meere  doch  immer  die  Grundeigen- 
schaften des  einen  Weltmeeres  die  herrschenden  imd  bestimmenden  bleiben, 
so  haben  auch  die  Aufgaben  der  Schiffahrt  in  allen  Zonen  etwas  Überein- 
stimmendes. Dem  Seeverkehr  wohnt  daher  eine  ausgleichende  Wirkung  inne. 
Als  der  Suezkanal  mit  7  m  Wassertiefe  in  Wirksamkeit  trat,  war  damit  für 
alle  mit  Indien  und  Ostasien  verkehrenden  Häfen  eine  Norm  gegeben,  und 
die  Vertiefung  einer  Masse  von  Flußmündungen,  kleineren  Schiffahrtskanälen 
und  Hafeneingängen  auf  diesen  Betrag,  und  mit  der  Zeit  bis  auf  9  m  folgte 
nach.  Mit  der  Zeit  haben  selbst  zurückgelegene  Plätze  wie  Lübeck  sich 
diesem  Einfluß  nicht  entzogen,  das  jetzt  seine  Trave- Einfahrt  auf  7,5  m 
bringen  läßt.  Seit  den  einfachsten  Verbesserungen  des  Schiffsbaues,  der 
Schiffahrtskunst  und  der  Schiffahrtswege,  seit  der  ersten  Eindeckung  des 
Schiffsbauches,  der  ersten  Anwendung  der  Magnetnadel  und  dem  ersten 
Wellenbrecher  ist  jeder  Fortschritt  auf  diesem  weiten  Gebiet  von  einer  füh- 
renden Macht  getragen  worden,  der  dann  alle  anderen  gefolgt  sind. 

Die  Unteilbarkeit  des  Meeres  ist  nicht  bloß  eine  große  politische  Tat- 
sache, die  die  Zerlegung  des  einen  großen  Meeres  in  Herrschafts-  und  Handels- 
gebiete jederzeit  vereitelt  hat.  Es  ist  auch  eine  große  Tatsache  des  See- 
krieges. Auch  für  diesen  ist  das  Meer  zu  groß,  als  daß  man  einen  Teil 
davon  militärisch  absondern  und  verteidigen  könnte.  Der  ältere  Pitt  sagte: 
Der  Verteidigungskrieg  zur  See  ist  der  Anfang  des  sicheren  Untergangs. 
Noch  nie  hat  eine  Kriegsflotte  die  Defensive  zum  System  erhoben;  sie  kann 
nur  vorübergehend  dazu  gezwungen  werden,  aber  nicht  davon  ausgehen.  Und 
so  liegt  denn  im  allgemeinen  der  expansive  und  zur  Not  aggressive  Charakter 
der  Seemacht  überhaupt  darin,  daß  man  sich  nie  mit  einem  Stückchen  See- 
herrschaft begnügen,  sie  niemals  abgrenzen  kann.  Daß  das  Gesetz  des  räum- 
lichen Wachstums  auf  dem  Meere  in  viel  größerem  Maße  wirksam  ist  als 
auf  dem  Lande,  zeigt  sich  beim  Seekriege  noch  viel  deutlicher  als  beim 
Verkehr. 

Die  Gleichheit  der  Unterlage  und  der  darüberhin  führenden  Wege  macht 
das  Schiff  zum  alleinigen,  allgemeinen  Transportmittel  zur  See.  In  der  damit 
gegebenen  Einheitlichkeit  liegt  die  ganz  einzige  Stellung  des  Seeverkehres, 
die  jeden  Vergleich  mit  einer  anderen  Verkehrsart  ausschließt.  Auf  dem 
Lande  kann  man  zwischen  vielen  Orten  entweder  die  Eisenbahn  oder  die 
Landstraße  oder  den  Fluß  oder  den  Binnensee  benutzen,  auf  dem  Meere  sind 


500  F.  Rattel: 

Boden,  Weg  und  Fahrzeug  dieselben.  Das  Seeschiff  kann  sehr  verschieden 
sein,  aber  seine  lange  Entwicklung  ist  ebenfalls  einheitlich.  Allerdings  ist  sie 
zugleich  auch  einseitig,  denn  hier  gribt  es  keine  mannigfaltigen  Verkehrsmittel 
wie  Wagen,  Schlitten,  Lokomotive,  Automobil,  Floß,  Flußdampfer.  Dem  See- 
verkehr ist  daher  eine  gewisse  Ausschließlichkeit  zu  eigen,  die  ihm  von  Anfang 
an  eine  ausschließliche  und  einseitige  Entwicklung  aufgeprägt  und  ihm  ein  ftühes 
Übergewicht  über  den  Landverkehr  gegeben  hat,  das  noch  heute  fortdauert, 
aber  gerade  wegen  der  Einseitigkeit  der  Entwicklung  auch  wieder  abnehmen 
muß  (s.  u.  S.  511.) 

Das  Meer  teilt  mit  allen  anderen  Wasserstraßen  den  Vorzug,  ein  natür- 
licher Weg  zu  sein,  man  braucht  hier  keine  Wege  zu  bahnen  oder  zu  bauen; 
wenn  ich  die  Wasserfläche  befahren  will,  brauche  ich  zur  Not  nur  ein  Floß. 
Da  nun  das  Meer  überall  der  Hauptsache  nach  dasselbe  ist,  wo  es  nicht 
Eisberge  oder  Treibeis  führt,  hat  der  Seeverkehr  auch  den  Vorteil  der  freien 
Wahl  des  Weges  auf  dem  offenen  Meer.  Er  kann  überall  den  kürzesten  Weg 
einschlagen,  soweit  Schiffe  fahren  können.  Die  große  Bedeutung  des  Weges 
im  Landverkehr  kennt  der  Seeverkehr  überhaupt  nicht.  Seine  Wege  sind 
verwischt,  sobald  die  Kielfurche  sich  geschlossen  hat,  jedes  Schiff  schafft 
seine  Wege  sich  neu.  Soweit  die  notwendige  Wassertiefe  reicht,  kann  das 
Schiff  gehen,  und  stehen  ihm  zur  Not  unzählige  Wege  nach  demselben  Ziele 
hin  offen.  Man  kann  also  von  Seeweg  gar  nicht  in  dem  Sinne  wie  von 
anderen  Wegen  sprechen;  der  Seeweg  ist  im  Grunde  nur  die  Eichtung,  in 
der  ein  Schiff  von  einem  Punkt  zu  einem  anderen  fährt. 

Jeder  Verkehrsweg  auf  dem  Boden  des  Landes  ist  dagegen  etwas  Dauern- 
des und  etwas  Greif-  und  Meßbares.  Er  ist  einmal  für  sich  ein  Streifen 
Land,  und  dann  ist  er  von  Land  lungeben,  das  nicht  von  ihm  getrennt  werden 
kann.  So  ist  der  Suezkanal  an  der  Oberfläche  80  bis  100  m  breit,  zu  dieser 
Breite  kommen  die  Dämme  auf  beiden  Seiten,  der  Boden,  auf  dem  Häuser  der 
Kanalwachen  stehen,  die  Lade-  und  Hafeneinrichtungen,  die  Eisenbahnen  u.  s.  w., 
kurz,  das  Ganze  ist  ein  ganz  betrachtliches  Stück  Land.  Dazu  gehört  aber 
noch  Land  auf  beiden  Seiten,  wo  z.  B.  Schutzvorrichtungen  gegen  Sandver- 
wehung  sich  befinden,  und  ein  noch  viel  breiterer  Streifen,  im  Grund  die 
ganze  Landenge  wird  nötig  sein,  wenn  z.  B.  im  Falle  eines  Krieges  dieser 
Kanal  gegen  Störungen  seitens  einer  feindlichen  Macht  sichergestellt  sein  soll. 
So  ist  jeder  Verkehrsweg  einmal  Land  für  sich,  und  dann  ist  er  von  Land 
umgeben,  das  wenigstens  im  politischen  Sinn  nicht  von  ihm  getrennt 
werden  kann. 

Der  Landverkehr  strebt,  seine  Wege  beiderseits  mit  breiten  Landstreifen 
einzufassen  oder,  was  dasselbe  ist,  sie  durch  das  Innere  des  Landes  zu  ziehen, 
so  daß  sie  auf  beiden  Seiten  geschützt  seien.  Nur  notgedrungen  ist  die 
randliche  Lage  von  wichtigen  Eisenbahnen  und  Straßen  hart  am  Meer,  wie 
in  Italien;  der  Gefahr,  die  in  der  leichten  Zerstörbarkeit  solcher  Verbindungen 
liegt,  sucht  man  dort  neuerdings  durch  innere,  im  Apennin  selbst  verlaufende 
Verbindungen  zwischen  Genua,  Mailand,  Venedig,  Florenz,  Rom,  Neapel  zu  be- 
gegnen. Man  hat  bei  der  Rekonstruierung  alter  Verkehrswege  nicht  genügend 
diesem   Schutzbedürfnis   der  Wege   Rechnung    getragen.      Gegenüber  der  an- 


Die  geogr.  Bedingungen  u.  Gesetze  d.  Verkehrs  u.  d.  Seestrategik.    501 

geblichen  großen  Nordsüd-Handelsstraße  Karls  des  Großen  Barde wiek — ^^Lorch 
an  der  Donau  ist  mit  Recht  geltend  gemacht  worden,  daß  eine  auf  so  große 
Entfernung  der  bedrohten  Ostgrenze  des  Frankenreichs  unmer  entlang  laufende 
Straße,  stets  in  der  Flanke  das  kultumiedrige  feindliche  Volk,  kaum  denkbar  sei. 

Für  die  Strategie  ist  es  ein  großer  Unterschied,  ob  ein  Weg  zerstört 
oder  wenigstens  dauernd  geschlossen  werden  kann  oder  nicht. 
Darin  liegt  der  größte  Unterschied  zwischen  den  natürlichen  und  künstlichen 
Wegen.  Dem  Meere  kann  keine  Macht  die  Eigenschaft  nehmen,  eine  Straße 
des  Verkehrs  zu  sein,  oder  vielmehr  sich  aus  Tausenden  von  Straßen  zu- 
sammenzusetzen. Ein  größerer  Fluß,  ein  Strom  kann  nicht  einmal  abgeleitet 
werden.  FaiTagut  erzwang  sich  den  Eingang  in  den  Mississippi  und  erschien 
mit  seinen  hölzernen  Schiffen  vor  Neu-Orleans  trotz  der  Batterien  und  See- 
minen, womit  die  Südstaatlichen  die  vielgeteilten  Zufahrtsarme  des  Deltas  zu 
verschließen  meinten.  Nur  kleine  Flüsse  und  Bäche  können,  auf  ganz  kleine 
Entfernungen  abgeleitet  werden  und  dies  auch  nur,  wenn  sie  in  ebenem 
Lande  dahinfließen.  Ein  Talweg,  ein  Pfad  über  einen  Gebirgspaß  kann 
blockiert  werden,  das  Tal,  der  Paß  bleiben  wie  die  Natur  sie  gemacht  hat. 
Ganz  anders  ist  es  mit  den  Wegen,  die  der  Mensch  selbst  geschaffen  hat; 
von  ihnen  kann  man  sagen,  daß  sie  um  so  gründlicher  zerstörbar  sind,  je 
mehr  Eimst  auf  sie  verwandt  worden  ist.  Ein  gesprengter  Eisenbahn viadukt, 
eine  aufgerissene  Bahnkreuzung  und  Weichenstellung,  eine  zerstörte  Kanal- 
schleuse sind  nicht  im  Handumdrehen  wiederherzustellen,  sie  bedeuten  Unter- 
brechungen für  lange  Dauer,  in  vielen  Fällen  wohl  für  Kriegsdauer;  die 
Verkehrsmöglichkeit  wird  für  sie  auf  den  Stand  herabgesetzt,  auf  dem  sie 
vor  der  Errichtung  dieser  Werke  gewesen  waren,  d.  h.  an  die  Stelle  des 
Bahnverkehrs  tritt  der  Wagenverkehr,  an  die  Stelle  der  Brücke  die  Fähre, 
an  die  Stelle  der  Landstraße  das  freie  Feld. 

Damit  ist  festgestellt,  daß  der  Seeweg  an  sich  kein  strategisches 
Objekt  ist,  das  angegriffen  oder  verteidigt  werden  kann;  es  sind  im  See- 
krieg entweder  die  Träger  des  Verkehres,  die  zerstört  werden  müssen,  die 
Handelsschiffe,  oder  die  Träger  der  Angriffsmittel,  die  Kriegsschiffe.  Wenn 
wir  also  lesen:  die  Niederländer  unterbanden  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
die  spanisch-portugiesischen  Verbindungen  mit  Amerika,  so  heißt  das  nichts 
anderes,  als  daß  die  niederländischen  Kaper  die  spanischen  und  portugie- 
sischen Amerikafahrer  wegnahmen  —  und  die  spanischen  und  portugiesischen 
Kriegsschiffe,  die  das  hindern  wollten;  mit  anderen  Worten:  sie  beherrschten 
den  Teil  des  Atlantischen  Ozeans,  durch  den  die  Wege  von  Cadiz,  Lissabon 
u.  s.  w.  nach  Amerika  führten.  Dies  zeigt,  daß  die  Sicherung  der  Seewege 
in  der  Seeherrschaft  liegt.  Deswegen  setzt  jede  überseeische  Expedition 
die  Herrschaft  über  das  Meer  voraus,  durch  das  die  Expedition  ihren  Weg 
ZQ  nehmen  hat,  sei  es  die  zugestandene  oder  die  erkämpfte  Herrschaft  Eine 
starke  russische  Flotte  im  Schwarzen  Meere  hätte  den  Krimkrieg  unmöglich 
gemacht,  und  die  erste  Sorge  Englands  im  südafrikanischen  Krieg  war  die 
Offenhaltung  der  Wege  für  seine  Transporte  \).    Solange  die  spanische  Flotte 

1)  Über  die  Größe,  aber  auch  die  Sicherheit  der  Transporte  einer  großen  See- 
macht orientiert  ein  Bericht  der  englischen  Admiralität,  dem  zu  Folge  vom  1.  Juli 


502  F.  Ratzel: 

nach  Kuba  unterwegs  war,  stockten  alle  Landungsversuche  der  Nordameri- 
kaner, sobald  sie  in  San  Jago  eingeschlossen  war,  gingen  die  Amerikaner 
zu  Land  und  zu  Wasser  gegen  sie  vor. 

Die  Größe  des  Meeres. 

Die  zweite  Haupteigenschaft  des  Meeres  ist  seine  überragende  Größe. 
Die  Räume,  die  dem  Seeverkehr  offenstehen,  sind  fast  dreimal  so  groß,  als 
die  Räume,  die  der  Landverkehr  zu  beschreiten  vermag.  Das  Verhältnis  ist 
ungefähr  73  zu  27.  Der  Seeverkehr  macht  also  weitere  Wege,  setzt  sich 
fernere  Ziele,  und  wie  alle  geschichtliche  Bewegung  einfacher  und  umfassen- 
der wird,  sobald  sie  das  Wasser  berührt,  so  ist  es  auch  mit  dem  Verkehr: 
er  kann  von  kleinen  Ländern  ausgehen,  von  Ländern,  die  kaum  mehr  als 
Städte  sind,  und  vermag  eine  halbe  Welt  zu  beherrschen,  sobald  er  einmal 
die  weiten  Räume  des  Meeres  zu  durchdringen  wagt.  Allen  Verkehr  be- 
herrscht das  große  Gesetz  der  wachsenden  Räume,  das  sich  ebenso  gut 
in  der  Staaten-  wie  in  der  Verkehrsgeschichte  bewährt;  aber  der  Seeverkehr 
vermag  ihm  leichter  zu  folgen,  als  der  Landverkehr,  vergrößert  rascher  seine 
Gebiete.  Da»  Wasser  ist  physisch  leicht  zu  durchmessen,  wenn  nur  erst  ein- 
mal die  Furcht  vor  den  weiten,  öden  Wasserwüsten  abgetan  ist.  Hat  ein 
Volk  diesen  Punkt  erreicht,  dann  mag  das  Wachstum  seines  Verkehres  und 
bald  auch  seiner  Macht  und  seiner  Staatengründung  an  überseeischen  Ge- 
staden mit  einer  Schnelligkeit  vor  sich  gehen,  für  die  das  Land  gar  kein 
Beispiel  hat.  Im  Besitze  des  Zuganges  zum  Meere  und  zu  den  Seehandels- 
wegen schreiten  Küstenvölker  über  Binnenvölker  hinaus,  und  Küstenstaaten 
breiten  ihre  Herrschaft  über  fremde  Länder  und  Inseln  aus,  während  hinter 
ihnen  die  Binnenstaaten  um  Raum  streiten.  Der  Gegensatz  der  Phönicier 
und  der  Israeliten,  der  Unterschied  zwischen  Athen  und  Spai-ta  stellt  uns 
den  Typus  des  vom  Einfluß  des  Meeres  durchtränkten  und  des  diesem  Ein- 
fluß abgeschlossenen  Volkes  vor  Augen.  In  einem  und  demselben  Volke  so- 
gar, von  dem  einige  Glieder  dem  Meere  zu-,  andere  dem  Meere  abgewandt 
sind,  hat  die  Verbindung  eines  weiten  Horizontes  mit  engen  Verhältnissen, 
des  Handels  mit  dem  Ackerbau,  z.  B.  im  homerischen  und  hesiodischen 
Griechenland  und  später,  geradezu  etwas  Unorganisches. 

Dieselbe  Weiträumigkeit  der  geschichtlichen  Wirkungen  trägt  auch  der 
friedliche  Seeverkehr  in  das  Land  hinein,  von  dem  er  ausging.  Der 
Verkehr,  der  aus  engen  Räumen  heraus  auf  weitere  Räume  wirkt,  gewinnt 
eben  dadurch  die  Fähigkeit,  mit  einigender  Kraft  auf  seine  Ausgangsgebiete 
wieder  zurückzuwirken.  Weit  zerstreute  Städte  an  der  Ost-  imd  Nordsee 
und  im  norddeutschen  Tiefland,  Teile  eines  in  der  Auflösung  begriffenen 
Reiches,  faßte  die  Geraeinsamkeit  der  Interessen  am  skandinavischen  und 
russischen  Handel  zu  dem  Bunde  der  Hanse  zusammen.  Man  kann  sagen: 
von  dem  kleinen  Wisby  auf  der  fernen  Insel  Gothland  wirkte  dieser  Handel 


1899  bis  1.  März  1900  England  nach  Südafrika  in  351  Reisen,  von  denen  nur  zwei 
fehlgingen,  fast  200000  Mann  und  92000  Pferde  oder  Maultiere  beförderte.  2*/,  Pro- 
zent der  Tiere  gingen  zu  Grunde,  Menschen  starben  in  Folge  des  Transports  keine. 
(Militärwochenblatt.  1900.    S.  1910.) 


Die  geogr.  Bedingungen  u.  Gesetze  d.  Verkehrs  u.  d.  Seestrategik.    503 

einigend,  auch  in  politischer  Beziehung,  auf  einen  großen  Teil  des  nördlichen 
Deutschlands  zurück.  Wenn  uns  die  Handelsgeschichte  auch  Beispiele  yon 
rückwirkender  Zersplitterung  durch  den  Wettbewerb  verwandter  Mächte  auf 
einem  fernen  Gebiet,  z.  B.  Venedigs  und  Genuas  in  der  Levante,  zeigt,  bleibt 
doch  jene  einigende  Wirkung  häufiger  und  größer,  und  auch  in  diesem  Sinne 
kann  man  sagen:  Das  Meer  erzieht  Weltmächte. 

Die  Konzentration  des  Seeverkehres  und  der  Seeherrschaft. 

Der  Landverkehr  verteilt  seine  Lasten  un.d  vervielfältigt  seine  Wege,  um 
seine  Arbeit  zu  erleichtern,  denn  die  Reibung  der  bewegten  Lasten  am  Boden 
ist  größer  als  am  Wasser.  Daher  Verteilung  der  Lasten  auf  viele  Träger, 
die  teils  Menschen,  teils  Tiere  sind,  oder  auf  Schlitten,  Wagen,  Eisenbahnen. 
Selbst  im  Zeitalter  der  Eisenbahnen  ist  die  Massenleistung  noch  immer  auf 
Seiten  des  Wasserverkehrs,  und  wird  es  wohl  immer  bleiben;  denn  der  Ver- 
kehr zu  Schiff  konzentriert  seine  Transporte  und  hält  sie  zusammen.  Das 
große  Schiff  schneidet  die  Wellen  leichter  als  das  kleine,  das  schwere  schwinunt 
unter  Umständen  sicherer  als  das  weniger  beladene.  Ein  Schiff  von  1 6  000  t 
wie  die  „Deutschland"  des  Norddeutschen  Lloyds  transportiert  das  20 — 30  fache 
von  einem  gewöhnlichen  Güterzug.  Im  Seekrieg  hat  das  große  Schiff  den 
Vorzug,  daß  es  mehr  Kohlen  aufnehmen  kann,  daß  es  den  kleineren  Gegner 
niederrennt,  daß  es  schwerere  Panzer  tragen  kann.  Und  nur  die  Vereinigung 
solcher  Schiffe  vermag  die  Seeherrschaft  zu  erzwingen.  Der  Kreuzer-  und 
Kaperkrieg  hat  auf  den  ersten  Blick  etwas  Bestechendes:  eine  Seemacht, 
die  zu  stark  ist,  als  daß  man  sich  ihr  bei  geschlossener  Begegnung  gewachsen 
fühlen  könnte,  an  hundert  verschiedenen  Stellen  fast  gleichzeitig  anzugreifen, 
ihre  Verbindungen  abzuschneiden,  ihre  Häfen  zu  brandschatzen,  ihre  Handels- 
schiffe wegzunehmen,  ihre  Kriegsschiffe  zu  zerstören,  wo  sie  sich  vereinzelt 
treffen  lassen,  das  ist  ja  als  die  einzig  mögliche  Führung  des  Seekrieges 
gegen  England  so  oft  und  eindringlich  von  französischen  Seemännern  ge- 
schildert worden.  Und  doch  ist  diese  Art  von  Seekrieg  eine  Utopie,  denn 
sie  widerspricht  den  elementaren  Bedingungen  der  Seegewalt,  aus  denen  das 
unerschütterliche  Gesetz  des  großen  Krieges  folgt:  Zusammenfassung  aller 
Kräfte  an  richtiger  Stelle  und  zu  richtiger  Zeit  zu  endgültigen  Entscheidungen. 

Je  entscheidender  die  Kämpfe  zur  See  durch  die  Konzentration  ihrer 
Machtmittel  sind,  die  im  Falle  des  Verlustes  schwer  ersetzt  werden  können, 
um  so  weniger  kanI^  eine  fiktive  Seebeherrschung  lange  aufrecht  erhalten 
bleiben.  Landarmeen  können  Entscheidungen  hinhalten,  die  Flotten  müssen 
sie  beschleunigen,  und  eben  deshalb  kommen  in  ihnen  die  wahren  Macht- 
verhältnisse auch  früher  zum  Ausdruck.  Karthago  zeigte  in  den  puniscben 
Kriegen  seine  Schwäche  zur  See  früher  als  zu  Lande,  und  das  Frankreich 
Napoleons  war  zur  See  vierzehn  Jahre  früher  und  zwar  unwiderruflich  nieder- 
geworfen'als  zu  Lande.  Ein  flottenkräftiges  Deutschland  hätte  den  1864  er 
Krieg  auf  Seeland  und  Fünen  in  einem  Bruchteil  der  Zeit  beendigt,  die 
Düppel  und  Jütland  erforderten.  Und  einen  Krieg  rasch  zu  beendigen,  ist 
eine  der  wesentlichsten  Bedingungen  des  Erfolges  im  Kriege,  weil  dadurch 
ein  Umsichgreifen  der  Verwicklungen,  fremde  Eingriffe,  Ermüdung  der  eigenen 


504  P.  Ratzelt 

Kräfte  ausgeschlossen  werden.  Moltke  wußte  sehr  gut,  daB  die  Besetzung 
Jütlands,  des  einzigen  dänischen  Gebietes,  das  die  Armee  erobern  konnte, 
kein  Äquivalent  war  för  die  Besetzung  Kopenhagens,  die  nur  eine  Kriegs- 
flotte ausführen  konnte;  nur  diese  beendigte  einen  Krieg  mit  Dänemark 
endgültig.  Jeder  Krieg  setzt  sich  aus  drei  großen  Akten  zusammen:  in 
dem  ersten  wird  der  Gegner  niedergeworfen,  in  dem  zweiten  muß  ihm  der 
Friede  abgerungen  werden,  der  ihm  nachteilig  ist,  in  dem  dritten  handelt  es 
sich  um  die  Festhaltung  des  Errungenen.  Bei  einer  Macht  nun,  die  mehr 
Land-  als  Seemacht  ist,  kann  die  erste  Aufgabe  von  der  Landarmee  gelöst 
werden,  die  zweite  aber  fordert  die  Mitwirkung  der  Kriegsflotte  zu  voll- 
ständiger Lösung;  der  Gegner  muß  umfaßt,  seine  Lebensadern  müssen  be- 
droht werden.  Und  selbst  wenn  der  Siegespreis  rein  binnenländisch  liegt, 
sind  auch  zu  seiner  Erhaltung  Anstrengungen  zur  See  nötig,  um  den  unter- 
legenen zu  verhindern,  nach  seiner  Wiedererstarkung  seine  ganze  Kraft  auf 
eine  Landaktion  zu  werfen. 

Wer  die  Knotenpunkte  des  Verkehres  beherrscht,  befiehlt  auf  den  Wegen, 
die  von  ihnen  ausstrahlen,  daher  das  Streben  der  Armeen,  solche  Punkte  zu 
gewinnen,  die  inuner  auch  politische  Zentralpunkte  sind,  weswegen  mit  ihrem 
Verlust  nicht  selten  ganze  Kriege  entschieden  sind.  So  werden  einst  auch 
die  entscheidenden  Seeschlachten  dort  geschlagen  werden,  wo  der  Handels- 
verkehr in  den  dichtesten  Strömen  zusammenfließt,  vor  dem  Kanal,  vor  der 
Themse,  der  Elbe,  dem  Hudson,  wie  sie  früher  vor  den  Eingängen  in  den 
Ärmelkanal,  in  den  Sund,  in  die  Adria  geschlagen  worden  sind.  Glieder- 
reiche Meere  kommen  diesem  Streben  nach  konzentrierten  Schlägen  dadurch 
entgegen,  daß  sie  Meeresteile  einengen,  wodurch  Land  und  Meer  einander  ge- 
nähert und  Wege  zusammengedrängt  werden,  das  Zusammenwirken  der  Land- 
armeen und  Flotten  begünstigt  wird. 

Der  Seekrieg  unterscheidet  Küstenmeer  und  offenes  Meer.  Wenn 
aber  für  die  Ozeanographie  die  Grenze  zwischen  beiden  die  Tiefenlinie  von 
200  m  ist,  liegt  für  die  See-Strategik  die  Grenze  ganz  anders.  Es  ist  wesent- 
lich der  Tiefgang  der  Kriegsschiffe,  der  sie  bestimmt.  Wo  Schiffe  von  9  m 
Tiefgang  ungehindert  manövrieren  können,  ist  offenes  Meer.  Dagegen  die 
Schärenküste  von  Schweden  und  von  Finnland  ist  nur  flachgehenden  Booten 
zugänglich,  wie  Schweden  sie  in  seiner  Schärenflotte,  wie  auch  Rußland  sie 
gegen  Schweden  in  der  von  Peter  dem  Großen  geschaffenen  Ruderboot- 
Flottille  verwandte.  Weiter  muß  die  Strategie  aber  auch,  mit  der  Geo- 
graphie, die  Ozeane  von  den  Nebenmeeren  unterscheiden.  Der  größte  Teil 
der  Ostsee  ist  mehr  als  hinlänglich  tief  für  große  Kriegsschiffe,  aber  sie 
ist  kein  freies  Meer  wie  die  Ozeane,  in  deren  Weiten  große  Flotten  spur- 
los verschwinden  können.  So  wie  sie  von  Land  umschlossen  ist,  gehört 
die  Ostsee  mit  dem  Lande  zusammen.  Ihre  geringe  Größe,  die  große  Zahl 
ihrer  Inseln  und  Halbinseln  —  auch  die  deutschen  und  die  russischen 
Ostseeküsten  sind  aus  lauter  Halbinseln  zusanunen gesetzt  — ,  ihre  schmalen 
Sunde,  ihre  tiefen  Buchten  streichen  sie  aus  der  Reihe  der  freien  Meere, 
werden  sie  in  jedem  Kriege  zu  einem  Teile  des  Landkriegsschauplatzes  machen. 
Man    kann    sie    ein    küstenreiches   Liselmeer    nennen.      Im   Winter    sind    die 


Die  geogr.  Bedingungen  u.  Gesetze  d.  Verkehrs  u.  d.  Seestrategik.    505 

Schweden  nach  Rügen  übergegangen,  haben  die  Russen  den  Bottnischen  Meer- 
busen überschritten,  im  hohen  Sommer  haben  die  Preußen  Alsen  eingenom- 
men; man  fährt  in  4  Stunden  von  Saßnitz  nach  Trelleborg.  Es  ist  also  gar  kein 
reiner  Landkrieg  in  den  Ostseeländem  möglich.  Keine  russische  Armee  wird 
ip  Ostpreußen  einmarschieren,  deren  linke  Flanke  nicht  vom  Samland  her  zu 
bedrohen  wäre,  keine  deutsche  wird  in  Jütland  vorgehen,  die  nicht  vom 
Großen  Belt  her  beunruhigt  würde.  Und  dem  kleinen  Schauplatz  entsprechend 
werden  kleine  Seekrftfte  vieles  vermögen.  Gelang  es  doch  schon  1864  der 
damals  noch  kleinen  preußischen  Flotte  (157  Geschütze  im  ganzen  1),  die 
rechte  Flanke  der  preußischen  Armee  zu  decken,  die  Blockade  der  preußischen 
Hilfen  zu  erschweren  und  die  Küste  gegen  Landungen  zu  schützen.  Auch 
1870  mußte  es  sich  die  französische  Ostseeflotte  gefallen  lassen,  in  der  Kjöge- 
bucht  von  preußischen  Schiffen  beunruhigt  zu  werden. 

Die  Mittel meere  sind  größer  als  die  Nebenmeere,  aber  ihre  Dimensionen 
sind  immer  noch  mit  denen  großer  Staaten  zu  vergleichen,  und  da  sie  alle 
reich  an  Halbinseln  und  Inseln  sind,  bieten  sie  kurze  Wege  und  zahlreiche 
Stützpunkte,  und  zerfallen  daher  in  eine  ganze  Anzahl  von  leicht  überschau- 
baren Abschnitten,  deren  Zugänge  immer  wichtige  Stellungen  und  zum  Teil 
in  der  Geschichte  der  Seekriege  von  großer  Berühmtheit  sind.  Trafalgar, 
Actium,  Lissa,  Navarin,  Lepanto  sind  Seekampfplätze,  deren  Namen  histori- 
schen Klang  haben.  Im  amerikanischen  Mittelme^r  bezeichnet  seit  dem  ameri- 
kanisch-spanischen Kriege  San  Jago  de  Cuba  eine  solche  Stelle.  Die  Straßen 
von  Gibraltar,  von  Florida  und  von  Malakka  sind  enge  Zugänge  der  drei 
Mittelmeere,  in  die  sich  ein  gewaltiger  Verkehr  und  entsprechend  große  po- 
litische Interessen  zusammendrängen;  Gibraltar,-  Key  West  und  Singapur  sind 
drei  der  wichtigsten  Seefestungen  zur  Deckung  dieser  Zugänge.  Die  zahl- 
reichen Halbinseln  und  Inseln  geben  reichliche  Gelegenheit  zur  SchaflFung  von 
festen  Stütz-  und  Zwischenpunkten;  solche  sind  Malta  und  neuerdings  Ajaccio 
auf  Korsika;  Korsika  ist  als  Verbindungsglied  zwischen  Toulon  und  Biserta 
gedacht,  ebendeshalb  1901  zu  einem  besonderen  Sous-Arrondissement  maritime 
erhoben  worden,  neben  Ajaccio  imd  Bonifacio  wird  hier  ein  neuer  befestigter 
Hafen  in  Porto  Vecchio  geschaffen.  Es  ist  begreiflich  bei  der  geringen  Ent- 
fernung der  verschiedenen  Küsten  der  Mittelmeere,  daß  die  Mächte  der  einen 
Küste  Niederlassungen  auf  den  anderen  gründen  und  mit  der  Zeit  sich  breit 
auf  denselben  ausdehnen.  Das  römische  Reich  hat  alle  Küsten  des  euro- 
päischen Mittelmeeres  umfaßt,  das  byzantinische  einen  gi'oßen  Teil  derselben, 
Spanien,  Frankreich,  die  Türkei  sind  auf  der  Nord-  und  Südseite  des  Mittel- 
meeres, die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  in  Portoriko  und  —  mit  einer 
Besatzung  und  Kohlenstation  —  in  Kuba  vertreten,  und  ganz  verschiedene 
Mächte  haben  Kolonien  im  amerikanischen  und  australischen  Mittelmeer. 

Daß  alle  Mittelmeere  wichtige  Durchgangsgebiete  sind,  liegt  in  ihrer 
Natur,  denn  sie  liegen  zwischen  den  Norderdteilen  im  Noi*den  imd  den  Süd- 
erdteilen im  Süden,  so  daß  sie  den  Verkehr  zwischen  diesen  zwei  großen 
Erdteilgruppen  vermitteln,  und  zugleich  ist  jedes  einzelne  davon  ein  natür- 
licher Weg  zwischen  zwei  großen  Ozeanen.  Man  kann  sie  also  auch  als 
Durchgangsmeere  bezeichnen,   und  als  solche   sind  sie  strategisch  Meeres- 

Geographitche  Zeittchrift.  9.  Jahrgang.  1903.  9.  Heft.  34 


60ß  P.  Ratzelj 

Straßen  mit  einer  Einfahrt,  einer  Ausfahrt  und  dazwischen  liegenden  Bast- 
ponkten,  und  mit  jener  Konzentration  des  Verkehres  und  der  politischen  und 
militärischen  Interessen,  die  überhaupt  für  Meeresstrafien  charakteristisch  ist. 

Die  geographischen  Merkmale  des  Seekrieges. 

Im  Landkrieg  verschwinden  die  für  den  Frieden  gültigen  Grenzen  mit 
allen  daran  geknüpften  Yerkehrsbeschränkungen  für  die  Kriegführenden  von 
dem  Augenblick  der  Kriegserklärung  an,  ihre  beiderseitigen  Gebiete  ver- 
schmelzen in  eines  und  bilden  einen  Kriegsschauplatz.  Der  Seekrieg 
braucht  keine  Grenzen  wegzuräumen  oder  zu  durchbrechen,  er  spielt  sich  auf 
einem  Boden  ab,  der  allen  gemein  und  allen  offen  ist.  Der  Landkrieg  dringt 
auf  bestimmten  Wegen  in  das  Gebiet  des  Feindes  ein,  wo  die  Grenzfestungen, 
die  Verkehrsmittelpnnkte  und  endlich  die  Hauptstadt  seine  gegebenen  Ziel- 
punkte sind.  Für  den  Seekrieg  gibt  es  keine  bestimmten  Wege  und  keine 
festen  Ziele  dieser  Art,  seine  Entscheidungen  fallen  an  den  entlegensten  und 
unerwartetsten  Punkten,  nämlich  inuner  da,  wo  die  feindliche  Flotte  die 
Schlacht  sucht  oder  dazu  gezwungen  wird. 

Der  Landkrieg  ist  ein  Ringen  um  Geländeabschnitte,  strategische  Linien 
und  Punkte,  er  schreitet  von  einem  Abschnitt  zur  anderen  vor,  bezwingt  eine 
Festung  nach  der  anderen.  Der  Seekrieg  kennt  ein  solches  Vorgehen  nicht, 
ihm  ist  die  Aufgabe  gestellt,  das  Meer  von  den  feindlichen  Schiffen  zu 
säubern,  der  eigenen  Schiffahrt  freie  Bahn  zu  machen.  Daraus  ergibt  sich 
ein  Vorgehen  in  zwei  ganz  verschiedenen  Richtungen :  ein  weites  Gebiet  mufi 
abgesucht  und  bewacht,  und  zugleich  an  einer  einzigen  Stelle  die  feindliche 
Hauptmacht  aufgesucht  und  cerstört  werden:  Expansion  imd  Konzentration. 
Nur  wo  ein  großes  Objekt  des  Krieges:  eine  große  Handelsstadt  oder  die 
Hauptstadt  selbst  zur  See  erreichbar  sind,  kann  auch  der  Seekrieg  sich  Ziele 
setzen,  die  dem  Lande  angehören,  wobei  aber  in  der  Regel  eine  Kooperation 
mit  Landstreitkräften  eintritt.  Die  Flotte  allein  kann  auch  solche  Eroberungen 
nicht  festhalten.  Eine  Landung  an  einer  Küste,  die  von  einer  starken  Flotte 
geschützt  wird,  ist  ein  Seekampf  plus  Landkampf,  wobei  es  vorkommt,  daß 
die  feindliche  Flotte  siegt,  aber  die  Landung  nicht  ausführen  kann. 

Der  Landkrieg  civilisierter  Mächte  strebt  heute  immer  die  Besetzung 
des  feindlichen  Gebietes,  besonders  seiner  Verkehrsmittelpunkte,  seiner  reich- 
sten Provinzen  und  besonders  seiner  Hauptstadt  an.  Das  war  nicht  immer 
so;  erst  mit  der  allgemeinen  Schätzung  des  Bodens  stieg  auch  sein  militärischer 
Wert.  Die  Kriege  tieferstehender  Völker  haben  bei  geringerer  Schätzung  des 
Bodens  die  Ausrottung  des  gegnerischen  Volkes  zum  einzigen  Zweck;  ein 
Teil  davon  wird  getötet,  ein  Teil  in  die  Sklaverei  geführt,  das  Land  bleibt 
wüst  liegen  oder  fällt  dem  Sieger  als  eine  Art  Nebengewinn  zu.  Oder  der 
Krieg  sinkt  zum  Raubkrieg  herab,  wo  der  Zweck  der  Raub  aller  beweglichen 
Güter  des  imterliegenden  Volkes  imd  solcher  Glieder  des  Volkes  ist,  die  ge- 
eignet sind,  in  die  Sklaverei  geführt  zu  werden.  Der  Seekrieg  steht  nun 
diesen  tieferen  Formen  des  Landeskrieges  darin  nahe,  daß  auch  er  keine  un* 
mittelbare  Absicht  auf  den  Boden  des  Gegners  hat,  sondern  nur  seine  Macht- 
mittel zerstören  will,  worauf  dann  wie  z.  B.  bei  der  Eroberung   der  Philip- 


bie  geogr.  Bedingungen  ti.  Gesetze  d.  Verkehrs  u.  d.  Seestrategik.    oOT 

pinen  der  Landkrieg  einsetzt,  der  das  Land  erobert,  dessen  Zugänge  die 
Flotte  aufgesprengt  hat. 

Indem  der  Seekrieg  nicht  Felder  und  Garten  verwüstet,  nicht  Wege  und 
Straßen  zerstört,  nicht  Grenzen  verwischt,  indem  das  Meer  dasselbe  bleibt, 
welche  Kiiegsstürme  auch  über  es  hingegangen  sein  mögen,  so  führt  er  auch 
nicht  jene  Kriegsmüdigkeit  herauf,  die  darin  liegt,  daß  Alles  aufgezehrt,  fort- 
geführt oder  in  anderer  Weise  vernichtet  ist,  was  die  KriegBführung  braucht, 
so  daß  die  Pflanze  Krieg  nicht  weiter  wachsen  kann.  Gerade  dann  liegt 
vielmehr  eine  große  Kraft  der  Seemächte,  daß  sie  Kriege  leichter  ertragen 
und  daher  zäher  und  gründlicher  ausfechten.  Daher  ist  es  immer  wieder 
vorgekommen,  wenn  Land-  und  Seemächte  in  einem  gleichen  Unternehmen 
zusammenstanden,  daß  jene  sich  fi-üher  davon  zurückzogen  als  diese. 

Die  Weiträumigkeit  der  Flottenaktionen  beruht  zum  Teil  in  der  Beweg- 
lichkeit der  Schiffe,  die  nicht  bloß  absolut  lange  Wege  zurücklegen,  son- 
dern auch  rasch  hintereinander  an  den  verschiedensten  Stellen  erscheinen 
können.  Besonders  wo  die  Flotte  in  Verbindung  mit  dem  Landheer  auftritt,  ist 
sie  durch  ihre  Beweglichkeit  bestimmt,  in  einem  weiten  Umkreis  außen 
liegende  Aufgaben  zu  lösen  und  damit  dem  Landheer  eine  um  so  konzentrier- 
tere  Wirksamkeit  in  seinem  Bezirke  zu  ermöglichen.  Bei  der  Chinaexpedition 
der  vereinigten  Mächte  wäre  die  Einengung  des  'Boxerauf Standes  auf  die 
Nordprovinzen  ohne  das  Erscheinen  der  Kriegsschiffe  vor  den  Küstenplätzen 
des  mittleren  und  südlichen  China  und  besonders  auf  dem  Jangtse  nicht 
möglich  gewesen. 

Was  beim  Zusammenwirken  die  Flotte  der  Annee  zu  allemächst  bietet, 
ist  die  Vergrößerung  ihres  Operationsraumes.  Auch  hier  ist  das  Größen- 
verhältnis zwischen  Land  und  Meer  die  Grundtatsache  und  Grundzahl,  und 
man  wird  damit  rechnen  müssen,  daß  die  Kriegsflotten  immer  mehr  gemein- 
same Aufgaben  mit  den  Landheeren  zu  lösen  haben  werden,  je  mehr  die 
politischen  Räume  und  die  Aktionssphären  der  Staaten  wachsen.  Je  größer 
die  räumliche  Aufgabe  des  Landheeres,  um  so  notwendiger  wird  die  Teil- 
nahme der  Flotte.  Wie  anders  würde  der  Einbruch  der  Franzosen  in  Ruß- 
land 1812  verlaufen  sein,  wenn  französische  Geschwader  in  der  Ostsee  koope- 
riert hätten!  Würde  auf  der  anderen  Seite  Rußland  überhaupt  eine  gr^ße 
ostasiatische  Politik  treiben  können,  ohne  daß  sein  ostasiatisches  Geschwader 
die  sibirische  Landarmee  unterstützt? 

Es  gibt  Kriegsschauplätze  von  einer  solchen  Lage  und  Gestalt,  daß  es 
unbedingt  nötig  wird,  Teile  angrenzender  Meere  zu  ihnen  zu  schlagen;  ohne 
das  wären  sie  zu  eng.  Schmale,  lange  Länder  mit  ausgedehnter  Küste,  wie 
Italien,  wie  Chile,  brauchen  eine  Flotte,  die  ihre  hart  an  den  Küsten  laufen- 
den Eisenbahnen  deckt,  und  die  Truppenmassen  von  einem  Ende  des  lang- 
gestreckten Landes  zum  anderen  trägt.  Ostpreußen  könnte  von  einer  russischen 
Armee  besetzt  werden,  aber  solange  eine  deutsche  Flotte  die  östliche  Ostsee 
hält,  wäre  die  rechte  Flanke  dieser  Armee  nicht  sicher,  und  wenn  eine  solche 
Flotte  sich  auf  Königsberg  stützen  könnte,  wäre  ein  weiterer  Vormarsch  der 
feindlichen  Armee  auch  nur  über  den  Weichselabschnitt  unmöglich. 

In   der  Blockade   nimmt  der  Seekrieg  am  meisten   den   Charakter   des 

34* 


508  P.  Ratzel: 

Landkrieges  an.  Die  Schiffe  sind  an  das  Land  gebunden,  die  Seeleute  be- 
obachten das  Land  mehr  als  das  Meer,  je  nach  der  Natur  der  Küste  zei^ 
streuen  sich  die  Schiffe.  Das  Gelingen  dieses  Wachtdienstes  hängt  ganz  von 
der  Beschaffenheit  des  Landes  ab.  Je  größer  die  Küstenlänge  im  Verhältnis 
zur  übrigen  Grenze  ist,  desto  leichter  ist  die  Blockade.  Inseln  kann  die 
Blockade  einschließen,  Halbinseln  kann  sie  zum  größten  Teil  abschließen,  je 
größer  aber  die  Möglichkeiten  des  Landverkehres,  desto  weniger  fruchtet  die 
Blockade.  Ebendeshalb  war  die  Blockade  ein  viel  wirksameres  Mittel  in 
einer  Zeit,  wo  der  Landverkehr  noch  so  wenig  ausgebildet  war,  wie  zur  Zeit 
der  Kontinentalsperre.  Mit  jedem  Jahre  wird  sie  weniger  wirksam  werden  ftLr 
alle  die  Länder,  deren  Verkehr  mit  Nachbarländern  entwickelt  ist.  Je  größer 
und  verkehrsreicher  das  Land  ist,  desto  kleiner  ist  die  Gefahr  erfolgreicher 
Landungen  mit  darauf  folgendem  Eindringen  in  das  Innere.  Die  Pläne  zu 
Landungen  in  England  haben  immer  einen  ersten  Schritt  nach  Wight  oder 
Irland  ins  Auge  gefaßt. 

Landmacht  und  Seemacht. 

Dem  Gegensatz  von  Land  und  Wasser  entspricht  der  Unterschied  von 
Landmacht  und  Seemacht.  Vor  fünfzig  Jahren  war  dieser  Unterschied  selbst 
unter  den  europäischen  Großmächten  noch  so  scharf,  daß  man  England  als 
eine  reine  Seemacht,  Preußen  und  Osterreich  als  reine  Landmächte,  Frank- 
reich und  Rußland  als  Landmächte  mit  mehr  oder  weniger  starken  Flotten 
bezeichnen  konnte.  Das  war  nur  ein  vorübergehender  Zustand,  der  denn  in 
der  Tat  ^Inzlich  der  Vergangenheit  angehört.  Heute  gibt  es  fast  keine  reinen 
Landmächte  mehr,  auch  kleine  Staaten  verfügen  über  beträchtliche  Kriegs- 
flotten, und  England  ist  bestrebt,  ein  starkes  Landheer  fär  den  Fall  einer 
Invasion  seines  Inselreiches  und  besonders  für  Indien  zu  schaffen.  Indessen 
bleibt  noch  immer  groß  der  Unterschied  zwischen  Staaten,  die  hauptsächlich 
stark  zur  See,  und  Staaten,  die  stärker  zu  Land  sind.  Deutschlands  Kriegs- 
flotte ist  mit  allen  Anstrengungen  doch  nur  ein  Viertel  so  stark  wie  die 
Englands,  aber  Deutschlands  Landarmee  in  Europa  zählt  23  Armeekorps,  die 
Englands  nur  5.  Aber  die  Ausgleichung  schreitet  fort,  wie  sie  in  vorigen 
Jahrhunderten  fortgeschritten  ist.  Nachdem  früher  Spanien,  die  Niederlande, 
Frankreich  höchstens  jeweils  zwei  Menschenalter  lang  die  Herrschaft  des  Meeres 
besessen  und  sie  im  Niedergang  miteinander  geteilt  hatten,  war  nach  der  Be- 
endigimg der  napoleonischen  Kriegsperiode  England  die  einzige  große  Seemacht 
der  Welt.  Langsam  wuchs  Frankreich,  derselbe  Gegner,  den  England  zuletzt 
niedergeworfen  hatte,  wieder  zur  Seemacht  empor.  Von  1830,  dem  Jahre  der 
Eroberung  Algiers,  an  bildete  Frankreich  seine  Seestreitkräfte  wieder  folge- 
richtig aus,  und  stand  vor  1870  England  nicht  mehr  weit  nach.  So  lange 
hatte  England  nur  diesen  einen  nennenswerten  Gegner,  Von  den  60er  Jahren 
an  datiert  der  maritime  Aufschwung  Rußlands,  Deutschlands  und  Italiens.  Die 
Annäherung  Frankreichs  und  Rußlands  schuf  in  England  das  sogenannte  Zwei- 
mächte-System, d.  h.  man  hielt  die  Flotte  in  einer  solchen  Höhe,  daß  sie  der 
der  zwei  größten  anderen  Seemächte  gewachsen  war.  Für  jedes  Schiff,  um  das 
die  französische  oder  russische  Flotte  anwuchs,  fügte  England  der  seinen  ein 


Die  geogr.  Bedingungen  u.  Qesetze  d.  Verkehrs  u.  d.  Seestrategik.    509 

weiteres  hinzu  und  sorgte  dafür,  daß  jedes  seiner  Geschwader  der  etwaigen 
Vereinigung  zweier  Geschwader  dieser  Flotten  gewachsen  sei  oder  sie  übertreffe. 
Dabei  hatte  England  fast  nur  Flotten  europäischer  Mächte  im  Auge  zu  be- 
halten. Der  Kanal  und  die  Straße  von  Gibraltar  waren  daher  die  Punkte, 
auf  die  es  seine  Blicke  in  erster  Linie  zu  richten  hatte,  die  Kanalflotte  und  die 
Mittelmeerflotte  seine  großen,  immer  bereiten  Geschwader.  Das  japanische 
Meer  ist  dazu  gekonmien,  seitdem  Japan  eine  selbständige  Seemacht  geschaffen 
und  Rußland  einen  Zweig  seiner  Flotte  in  Ostasien  kräftig  entwickelt  hat. 
England  suchte  sich  dieser  Entwicklung  gegenüber  durch  die  Allianz  mit 
Japan  zu  sichern.  Eine  zweite  außereuropäische  Seemacht  tritt  in  den  Ver- 
einigten Staaten  von  Amerika  hervor,  die  ihre  Geltung  hauptsächlich  auf  der 
Westseite  des  Atlantischen  Ozeans  und  im  amerikanischen  Mittelmeer  zu 
suchen  hat 

Angesichts  einer  so  großen,  weit  verbreiteten  und  andauernden  Erscheinung 
wäre  es  gewiß  eine  sehr  oberflächliche  und  hauptsächlich  eine  ungeographische 
Anschauung,  die  in  der  maritimen  Entwicklung  einer  ans  Meer  grenzenden 
Landmacht  nur  Nachahmung  oder  Luxus  sehen  wollte,  von  Reden  hat  die 
tiefe  Notwendigkeit  der  maritimen  Entwicklung  Rußlands  schon  1853  in  seiner 
Schrift  über  die  Kraftentfaltung  Rußlands  in  den  Satz  gefaßt:  „Die  Erweite- 
rung seiner  Grenzen,  um  mehr  See  und  Wärme  zu  erlangen,  ist  für  Ruß- 
land eine  Vorbedingung  seiner  Entwicklung,  ja  sogar  seiner  Erhaltung." 
Man  kann  diese  Motivierung  weiter  fassen,  indem  man  sie  auf  die  Zu- 
sammensetzung jeder  großen  Macht  aus  Land-  und  Meeresanteilen  gründet: 
auf  einer  Erde,  die  zu  drei  Viertel  mit  Wasser  bedeckt  ist,  muß  jede  große 
Macht  Land-  und  Seemacht  sein.  Nicht  jede  wird  es  aber  in  demselben 
Maße  sein.  Auch  hier  darf  die  Geographie  es  wagen,  auf  Grund  gesetzlicher 
Verhältnisse  zu  sagen,  was  sein  muß  und  was  eines  Tages  kommen  muß. 
Man  hat  früher  zu  viel  von  der  Bedeutung  der  Küstenlinie  für  die  Entwick- 
lung der  Kultur  gesprochen,  die  Bedeutung  der  Küstenlinie  für  die  Seemacht 
ist  viel  klarer,  liegt  viel  näher.  Je  länger  die  Berührungslinie  eines  Landes 
mit  dem  Meere  im  Verhältnis  zu  seiner  Bodenfläche  ist,  um  so  dringender 
ist  es  darauf  angewiesen,  diese  lange  Küste  durch  eine  starke  Flotte  zu 
schützen.  Dänemark  mußte  früh  eine  Seemacht  werden,  und  Italien  hat  von 
dem  ersten  Tage  seiner  Einheit  an  den  Grund  zu  einer  großen  Flotte  gelegt. 
Nicht  bloß  für  den  Schutz  wird  damit  gesorgt,  sondern  der  Wert  der  langen 
Küsten  wird  nun  erst  recht  entwickelt.  Das  zeigen  vor  allem  die  Inseln. 
Ein  flottenloses  Inselland  hat  die  gefährdetste  Lage,  ein  seemächtiges  die 
stärkste;  die  Seemacht  wandelt  äußerste  Schwäche  in  größte  Macht  um;  das 
lehrt  die  Geschichte  Englands,  Dänemarks,  Japans.  Dänemark  war  im 
14.  Jahrhundert  ein  Vasall  der  Hanse  und  im  17.  gab  es  Jahre,  wo  es  sich 
für  eine  der  stärksten  Seemächte  halten  durfte.  Japan  hat  1853  vor  einigen 
Kriegsschiffen  kapituliert  und  ist  heute  die  stärkste  pacifische  Seemacht. 
Ebenso  natumotwendig  werden  Neuseeland  und  der  Inselerdteil  Australien 
starke  Flotten  schaffen,  mit  denen  sie  den  südlichen  stillen  Ozean  beherrschen 
werden.    Und  Chile  ist  auf  diesem  Wege  bereits  ziemlich  weit  fortgeschritten. 

Bisher  hat  jede  Erweiterung  der  geschichtlichen  Räume  die  Stellung  der 


610  F.  Ratzel: 

politischen  Mächte  umgestaltet.  So  hat  vor  allem  die  Entdecknng  des  At- 
lantischen Ozeans  zwei  neue  See-  und  Weltmächte,  Portugal  und  Spanien, 
geschaffen,  und  die  Entdeckung  des  Seewegs  nach  Indien  Venedig  abgesetzt 
und  die  Niederlande  erhoben,  deren  Marine  schon  um  die  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts, also  in  zwei  Menschenaltem,  zur  größten  Europas  herangewachsen 
war.  Aber  so  sind  überhaupt  die  großen  geschichtlichen  Ereignisse,  von 
denen  man  zu  sagen  pflegt,  daß  sie  den  Weltverkehr  in  neue  Bahnen  lenkten, 
Entdeckungen  neuer  Meere  und  Erdteile,  die  neue  Seewege  und  Handelsziele 
öffneten.  Nun  gibt  es  aber  auch  andere  Mittel  zur  Erweiterung  der  politi- 
schen und  Verkehrsräume  als  die  Entdeckung.  Magalhaes  gab  den  Stillen 
Ozean,  als  er  ihn  entdeckte,  zunächst  der  Macht,  die  ihn  zum  Entdecken  aus- 
gesandt hatte:  Spanien.  Heute  heißen  die  pacifischen  Mächte  ganz  anders: 
der  Stille  Ozean  gehört  allen  denen,  die  ihn  zu  nutzen  wissen.  Und  so  ist 
jedes  Meer  und  jedes  Land  dem  Verkehre  des  Volkes  offen,  das  aus  dem 
Willen  dazu  die  Macht  schafft,  daran  teilzunehmen.  Und  dazu  kommen  die 
Fortschritte  in  der  Technik  des  Schiffsbaues  und  des  Seeverkehrs.  Auch 
dieses  sind  Entdeckungen,  die  zu  Neuverteilungen  der  Seemacht  und  des 
überseeischen  Landes  Anstoß  geben. 

Im  Aufeinandertreffen  der  Seemacht  und  der  Landmacht  zeigen  sich 
wiederum  die  geographischen  Bedingungen.  Jedes  Land  hat  einen  Bereich 
ozeanischer  Einwirkungen.  Soweit  die  Seemacht  in  das  Land  hineinwirken 
kann,  wird  sie  immer  darauf  hinarbeiten,  möglichst  viel  Land  dem  Meere 
tributär  zu  machen,  wobei  sie  selbstverständlich  so  lange  Seemacht  bleibt,  als 
es  möglich  ist.  Daher  werden  in  erster  Linie  die  tiefen  Golfe  und  Buchten 
und  die  schiffbaren  Flüsse  von  ihr  aufgesucht  und  soweit  besetzt,  als  sie  vom 
Meere  her  zugänglich  sind.  Nicht  daß  der  Kongo  ein  wundervolles  System 
von  Wasseradern  für  den  Binnenverkehr  bildet,  hat  ihn  für  die  Bildung  des 
von  der  See  her  ins  Land  wachsenden  Kongostaates  so  wichtig  gemacht,  als 
vielmehr  daß  er  dem  Verkehre  einen  Weg  vom  Meer  ins  Innere  bietet.  Er 
mag  durch  Stromschnellen  unterbrochen  sein,  Eisenbahnen  heilen  diesen  Bruch, 
und  immer  bleibt  der  Kongostaat  ein  atlantisches  Wachstum  in  das  Innere 
von  Afrika.  Was  das  Eindringen  vom  Meere  her  ins  Innere  eines  Landes 
begünstigt,  wird  immer  der  Seeverkehr  und  wird  die  Seemacht  auszunützen 
und  womöglich  zu  beherrschen  streben.  Die  untere  Donau,  der  untere  und 
mittlere  Jangtse,  der  Araazonenstrom  vom  Fuße  der  Anden  an  sind  für  den 
Verkehr  wie  Meeresbuchten,  und  wie  im  nordamerikanischen  Bürgerkrieg  auf 
dem  Mississippi  wird  man  in  künftigen  Kriegen  Kanonenboote  diese  Flüsse 
befahren  und  beherrschen  sehen,  als  ob  es  Meeresbuchten  wären. 

Jede  Verbesserung  im  Seewesen,  jede  Ausdehnung  des  Seeverkehrs  auf 
Kosten  des  Landverkehrs  kommen  vor  allem  einer  ausgesprochenen  See- 
macht zu  gute,  jede  Verbesserung  im  Landverkehr  muß  ihr  dagegen  Abbruch 
tun.  Das  zeigt  vor  allem  England,  das  zuerst  den  Suezkanal  bekämpfte, 
weil  es  um  das  Kap  der  Guten  Hof&iung  einen  Weg  nach  Indien  hatte,  der 
leichter  mit  rein  maritimen  Mitteln  zu  beherrschen  war,  dann  aber  auch  vom 
Suezkanal  sehr  bald  den  Vorteil  zog,  den  es  von  jeder  Erweiterung  des  See- 
verkehrs ziehen  wird.     Englische  Kapitalisten   sind  bereit,  für  Kanada  einen 


Die  geogr.  Bedingungen  n.  Qesetze  d.  Verkehrs  u.  d.  Seestrategik.    511 

Schiffahrtsweg  vom  Atiantischen  Ozean  bis  in  die  großen  Seen  zu  bauen, 
weil  es  eine  Erweiterung  der  Sphäre  des  Seeverkehrs  ist,  die  England  in 
erster  Linie  zu  gute  konunt.  umgekehrt  wird  jede  Erweiterung  und  Ver- 
besserung des  Landverkehres  die  reine  Seemacht  schädigen,  weil  sie  dem 
Seeverkehr  Abbruch  tut.  Nach  dem  Bau  der  Gotthardbahn  sank  der  Anteil 
Englands  an  der  Einfuhr  an  Eisen -Trägern  und  -Schienen  nach  Italien  von 
60  auf  22  Prozent,  während  der  Deutschlands  von  2  auf  52  stieg.  Folge- 
richtig wird  England  in  allen  Ländern  den  Seehandel  und  die  den  Seehandel 
dienenden  Häfen  und  zugleich  auch  immer  die  von  der  Küste  ins  Innere 
führenden  Eisenbahnen  begünstigt  sehen  wollen.  In  Kleinasien  werden  ihm 
z.  B.  Smjma  und  die  von  da  ins  Innere  führenden  Wege  wichtiger  sein,  als 
Konstantinopel  und  dessen  Verbindung  mit  den  anatolischen  Eisenbahnen, 
die  wesentlich  Landverbindungen  sind.  Solche  Bestrebungen  müssen  sich 
selbstverständlich  mit  denen  der  Mächte  begegnen,  die  aus  dem  Inneren  her- 
aus die  gleichen  Gebiete  zu  Lande  zu  gewinnen  suchen.  Es  lassen  sich  fdr 
einen  bestimmten  Zustand  des  Verkehrs  genau  die  Punkte  bestimmen,  wo  der 
Landverkehr  und  der  Seeverkehr  auf  einander  treffen  müssen.  Heute  gehen 
z.  B.  russische  Waren  über  Täbris  bis  Ispahan;  was  südlich  davon  liegt,  fällt 
in  die  Zone  des  Seehandels;  aber  jede  Eisenbahnlinie  vom  kaspischen  Ufer 
südwärts  muß  dieselbe  zurückdrängen.  Baß  Österreich  bei  den  ersten  Eisen- 
bahnbauten in  der  europäischen  Türkei  diesen  Punkt  übersah  und  zuließ,  daß 
„Einfallbahnen^^  vom  Ägäischen  Meere  nach  Thracien  imd  Macedonien  früher 
gebaut  wurden  als  Verlängerungen  seiner  eigenen  Linien  in  dieses  Gebiet 
hinein:  auch  dieses  Zuspätkommen  der  Landmacht  ist  keineswegs  zufällig; 
die  Seemacht  bringt  von  vornherein  den  weiteren  Blick,  die  größere  Raum- 
auffassung mit,  und  die  wirtschaftlichen  Interessen  ihres  Landes  sind  ihr  näher. 
In  einem  solchen  Kampfe  hat  die  Seemacht  den  Vorteil  der  Beweglichkeit 
und  Schnelligkeit,  die  Landmacht  den  der  Nachhaltigkeit  und  Dauerhaftigkeit. 
Was  die  Landmacht  erwirbt,  das  ruht  fest  im  Boden,  den  sie  kriegerisch 
erobert  oder  mit  ihren  Verkehrswegen  überzieht;  geht  sie  langsam  vor,  so 
sichert  sie  sich  dafür  Schritt  fftr  Schritt,  und  wenn  sie  endlich  am  Meere 
ankommt,  so  weiß  sie  sich  den  Rücken  breit  gedeckt.  Die  Fußfassungen  der 
Seemacht  an  der  Küste  dagegen  haben  den  Rücken  frei,  denn  das  Meer  ist 
offen.  Es  war  daher  eine  falsche  Spekulation,  wenn  Japan  glaubte,  als  ihm 
die  Besitznahme  von  Liaotung  verweigert  wiurde,  es  könne  nun  für  die  Dauer 
Rußlands  Vordringen  an  die  Küste  von  Korea  hemmen.  Rußland  als  asiatische 
Landmacht  wird  immer  mit  seiner  ganzen  Kraft  in  breiter  zusammenhängender 
Linie  nach  dem  Stillen  Ozean  drängen,  die  pacifischen  Seemächte  aber,  und  in 
erster  Linie  Japan,  werden  immer  nur  einzelne  Punkte  vom  Meere  her  fest- 
zuhalten im  Stande  sein. 

Daß  sich  im  friedlichen  Verkehr  ein  ähnlicher  Ausgleich  vollzogen  hat 
und  noch  immer  fortschreitet,  stellt  die  neue  Verteilung  der  Seemacht  erst 
in  das  rechte  Licht.  In  wegarmer  und  besonders  in  voreisenbahnlicher  Zeit 
hatte  der  Seeverkehr  auf  weite  Strecken  den  Vorteil  der  Schnelligkeit,  Billig- 
keit und,  da  keine  Tenitorialgrenzen  ihn  hinderten,  den  verhältnismäßiger 
Sicherheit     Venedigs  imd  Genuas  Handel,  aus  der  Levante  über  Brügge  und 


512    F.  Ratzel:  Bedingungen  n.  Gesetze  d.  Verkehrs  u.  d.  Seestrateglk. 

Lübeck  nach  Bußland  orientalische  Waaren  tragend,  bezeugt  die  Billigkeit 
des  Wasserweges  in  einer  Zeit,  wo  das  Bedürfnis  nach  regem  Handel  und 
Verkehr  wuchs,  ohne  daß  die  Wege  des  Landverkehres  seit  der  Bömerzeit 
wesentlich  verbessert  worden  wären.  In  dieser  Zeit  traten  überhaupt  die 
Wasserwege  in  den  Vordergrund,  und  damit  hängt  ja  auch  das  rasche  Auf- 
kommen des  Seeweges  nach  Indien  zusanmien. 

Mit  den  Eisenbahnen  ist  nun  der  Landverkehr  in  eine  neue  Entwick- 
lung eingetreten,  durch  die  auch  seine  zwei  anderen  Zweige,  Fluß-  und 
Kanalverkehr,  neu  belebt  wurden.  Für  den  Transport  der  Personen,  der  Post 
und  wertvoller  Waren  ist  die  Eisenbahn  durch  ihre  Geschwindigkeit  dwn  See- 
verkehr überlegen,  während  Flüsse  und  Kanäle  auch  in  Massentransporten  dem 
Seeverkehr  Wettbewerb  bereiten.  Wir  haben  gesehen,  wie  sich  jede  Form  des 
Landverkehrs  ihre  Wege  erst  schaflfen  muß,  und  wundem  uns  also  nicht,  daß 
sie  zeitlich  weit  hinter  dem  Seeverkehr  zurückstehen.  Aber  mit  jeder  neuen 
transkontinentalen  Eisenbahn,  mit  jeder  neuen  Kanalverbindung  großer  Fluß- 
gebiete, wie  z.  B.  des  Rheines  und  der  Donau,  wird  die  Wirksamkeit  des  Land- 
verkehrs vermehrt,  das  Übergewicht  des  Seeverkehrs  vermindert.  In  unserer 
mitteleuropäischen  Lage  sind  die  Fortschritte  des  Landverkehrs  von  besonderer 
Wichtigkeit.  Der  Bau  einer  neuen  Zufahi-tslinie  ziu*  sibirischen  Eisenbahn 
kann  z.  B.  für  unsere  binnenländischen  Ostplätze  verhältnismäßig  ebenso  gün- 
stige Folgen  haben  wie  für  die  Nordseehäfen  die  Eröffnung  einer  neuen 
Dampferlinie  ^). 

Dieses  allmähliche  Einrücken  des  Landverkehrs  in  die  vordere  Linie  des 
Verkehres  überhaupt  erinnert  uns  daran,  daß  doch  im  Seeverkehr  das  Laad 
von  Anfang  an  mehr  bedeutete,  als  die  ungeheuere  Entfaltung  dieses  Verkehres 
besonders  im  neunzehnten  Jahrhundert  glauben  ließ.  Wenn  die  Schiffe  noch 
so  weit  aufs  Meer  hinausfahren,  sie  gehen  vom  Lande  aus  und  kehren  zum 
Lande  zurück,  ihr  Stoff  sogar  stanmit  vom  Lande,  der  Geist,  der  sie  leitet,  gehört 
dem  landgeborenen  Menschen  an.  Der  Seehandel  verfrachtet  Erzeugnisse  des 
Landes,  der  Seekrieg  entscheidet  über  Fragen  der  Macht  und  des  Reichtums 
von  Ländern;  hat  auch  die  Seestrategik  die  Überschätzung  der  befestigten 
Hafenplätze  aufgegeben,  und  die  Entscheidung  wieder  auf  die  schwimmenden 
Stahlfestungen  der  Flotten  gestellt,  sie  bleibt  immer  abhängig  von  Kohlen- 
stationen und  Docks.  So  hat  denn  auch  die  Seemacht  im  ganzen  ihre 
Wurzeln  im  Lande  und  hat  ihre  größte  geschichtliche  Wirksamkeit  dort 
entfaltet,  wo  sie  überseeischen  Landbesitz  dem  heimatlichen  hinzufügte,  cis- 
und  transozeanische  Gebiete  desselben  Landes  zusammenschmiedete  und  zu- 
sammenhielt. Unmittelbar  hinter  diese  Erwägung  möchte  ich  allerdings  die 
Lehre  der  Geschichte  stellen,  daß  die  Seemacht   sich  auf  ihrem  freien  Boden 

1)  Wenn  Busley  in  seiner  Schrift  „Der  Kampf  um  den  ostasiatischen  Handel" 
(1897)  Deutschland  und  die  anderen  europäischen  Kontinentalmächte  ermahnt,  durch 
die  Verbesserung  ihrer  Dampferverbindungen  den  Wettbewerb  mit  der  sibirischen 
Bahn  aufzunehmen,  so  ist  das  an  sich  richtig;  aber  nie  werden  die  Dampfer  allein 
diesen  Wettbewerb  mit  der  Eisenbahn  durchfechten.  Dazu  gehören  Linien  des 
Landverkehres.  Die  unzweifelhaft  notwendige  Verbesserung  der  Seeverbindungen 
muß  durch  die  Abkürzung  der  Wege  zum  Indischen  Ozean  unterstützt  weiden. 


H.  Fischer:  Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schalen.    513 

anabhängiger  von  den  jeweiligen  politischen  Machtverhältnissen  entwickelt  als 
die  Landmacht  und  daß  sie,  vom  großen  Meere  auf  das  kleine  Land  zurück- 
wirkend, jeweils  Staaten  mit  relativ  kleinem  Landbesitz,  ich  erinnere  an 
Venedig  oder  die  Niederlande,  zu  großer  Geltimg  gebracht  hat  Insofern 
liegt  in  ihr  ein  Prinzip  der  Ausgleichimg  der  jeweiligen  Verteilung  der  po- 
litischen Areale,  die  ja  von  tausend  Zu^ligkeiten  abhängt 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  hSheren  Schulen. 

Von  Oberlehrer  Heinrich  Fischer  in  Berlin. 
Ihre   Eigenart 

Ein  Versuch,  den  heutigen  deutschen^)  Schulatlas  in  seiner  Eigenart  und 
seinen  Beziehungen  zum  geographischen  Unterrichte  selbst  zu  zeichnen,  muß 
im  Bahmen  einer  Zeitschrift  selbstverständlich  sehr  kurz  ausfallen  imd  kann 
das  Aufrollen  von  Prinzipienfragen  kaum  zulassen.  Ich  habe  daher  lange  ge- 
schwankt, ob  ich  mich  zu  einer  Darlegung,  wie  die  folgende  nur  werden 
kann,  entschließen  sollte,  und  muß  von  vornherein  das  Skizzenhafte  meiner 
Ausführungen  lebhaft  entschuldigen.  Der  Grund,  der  fär  mich  schließlich 
ausschlaggebend  gewesen  ist,  liegt  in  dem  gar  zu  großen  Gegensatz,  der  sich 
allmählich  zwischen  der  Arbeit  der  wissenschaftlichen  Geographie,  hier  auf 
kartographischem  Gebiet,  imd  den  Kenntnissen  des  durchschnittlichen  Geo- 
graphielehrers ausgebildet  und  immer  mehr  verschärft  hat,  so  daß  eigentliche 
Facharbeiten  in  der  Regel  nur  wenig  gelesen  werden. 

Das  erste,  was  uns  an  einem  Atlas  in  die  Augen  fällt,  ist  sein  Format 
Das  Streben,  die  einzelnen  Karten  deutlicher  und  größer  herstellen  zu  können, 
hat  hier  mit  der  Zeit,  besonders  bei  den  Atlanten  für  höhere  Lehranstalten, 
zu  einer  nicht  unerheblichen  Ausdehnung  des  Formats  geföhrt.  Ich  sehe  dabei 
von  älteren  Zeiten  ab,  die,  wie  wir  hören,  für  die  Schulen  einzelne  Karten- 
blätter kannten,  aber  schon  der  Andree-Putzger  übertraf  seine  Konkurrenten 
gerade  hierin  am  auffälligsten,  der  Sydow- Wagner  ist  bedeutend  größer  als 
der  alte  Sjdow,  der  Diercke-Gaebler  als  der  Liechtenstem  und  Lange,  auch  der 
Lehmann-Putzger  ist  recht  groß;  ebenso  von  neueren  österreichischen  Atlanten 
der  neue  Kozenn  (v.  Haardt  u,  Schmidt)  und  der  Peucker;  nur  der  große 
Debes  und  der  Richter  haben  sich  ein  kleines  Format  bewahrt  Ebenfalls 
kleiner  sind  die  Atlanten  für  einfachere  Schulverhältnisse  und  untere  Klassen 
geblieben,  aber  etwa  mit  dem  alten  Sydow  verglichen  sind  auch  sie,  Lüddecke- 
Haack,  Hummel,  Keil  u.  Eiecke,  Andree-Schllmann,  Lange  u.  s.  w.  immer  noch 
groß  zu  nennet).  Einen  wirklich  kleinen,  an  ein  Quartheft  erinnernden  Atlas 
^aben  wir  jüngst  in  dem  kleinen  Schüleratlas  von  Haack  bekommen. 

Wir  sind  hier  wohl  an  einer  Grenze  angelangt;  bei  Atlanten  wie  dem 
Diercke-Gaebler,  Lehmann-Putzger,   die  sich  keinem  Mappenformat   anpassen, 

1)  Obwohl  die  Verbreitung  der  gebräuchlichen  Schulatlanten  außerhalb 
Preußens  in  mancher  Beziehung  anders  zu  sein  scheint,  wird  hier,  wohl  gewiß  mit 
Recht,  von  dem  Versuche  einer  Trennung  abgesehep. 


614  H.  Fischer: 

läßt  sich  das  Hin-  und  Hertragen  zwischen  Schule  und  Haus  oft  kaum  noch 
erzwingen,  und  eine  Karte  wie  die  von  Berlin  im  Andree-Schillmann-Lehmann 
ist  auf  Schulbänken  fast  nicht  mehr  benutzbar.  Hierbei  möchte  ich  beiläufig 
bemerken,  daß  die  Kartenblätter  von  Großstädten  wegen  ihrer  Unübersichtlich- 
keit und  daneben  wegen  ihrer  geringen  inhaltlichen  Beziehungen  zu  den 
übrigen  Atlantenblättern  das  stärkste  Fragezeichen  an  das  bekannte  Prinzip 
der  modernen  Methode  erdkundlichen  Schulunterrichtes  setzen  ^  daß  mit  der 
Heimat  und  ihrer  kartographischen  Darstellung  zu  beginnen  sei. 

Allen  Karten  ist  femer  gemeinsam  die  mathematische  Grundlage  der 
sog.  Projektionen,  deren  Kenntnis  uns  den  Schlüssel  gibt  zum  Verständnis  der 
Art  und  Weise,  wie  das  fragliche  Stück  Erdoberfläche  verebnet  worden  ist. 
Wenn  ich  sage:  „alle  Karten",  so  sind  natürlich  schematische  Darstellungen, 
wie  die  meisten  Blätter  zur  mathematischen  Erdkunde  sie  zeigen,  nicht  mit- 
gemeint, und  für  so  kleine  Stücke  der  Erdoberfläche,  daß  sie  als  eben  gelten 
können,  gilt  das  Gesagte  natürlich  auch  nur  theoretisch.  Überhaupt  wächst, 
wie  man  sich  leicht  aus  dem  zuletzt  Gesagten  deutlich  machen  kann,  mit  der 
Größe  des  auf  der  Karte  abgebildeten  Teils  der  Erdoberfläche  auch  die  Größe 
der  Fehler,  d.  h.  der  Abweichungen  von  der  wirklichen  Lage  auf  der  Erd- 
oberfläche. Für  Karten  eines  europäischen  Landes,  z.  B.  Deutschlands,  ist 
daher,  besonders  auch  in  der  Schule,  die  Wahl  der  Projektion  noch  nicht  von 
gar  zu  erheblicher  Bedeutung.  Die  Projektionsfehler  können  wohl  noch  über- 
troffen werden  durch  solche,  die  von  den  Zumutungen  des  Drucks  an  Platte 
und  Papier  herrühren.  Ja  selbst  Europa  als  Ganzes  bietet,  in  verschiedenen 
einigermaßen  geeigneten  Projektionen  dargestellt,  noch  wenig  von  einander 
abweichende  Bilder,  wie  Lüddeoke  hübsch  gezeigt  hat^).  Das  gilt  also  von 
einer  Kalotte  über  immerhin  schön  ihre  öO — 60  Grad.  Von  wesentlicher 
Bedeutung  auch  schon  für  den  Schulatlas  wird  die  Wahl  der  Projektion 
erst  bei  der  Darstellung  der  größeren  Erdteile,  der  Halbkugeln  und  der 
ganzen  Erde. 

Ziemlich  unbeschränkt  herrschten  nun  bis  vor  wenigen  Jahrzehnten  in 
der  Schulkartographie  wie  in  den  Handatlanten  die  Bonnesche  Projektion*) 
für  Erdteile  in  mittleren,  die  Sansonsche  für  solche  in  niederen  Breiten; 
die  Planigloben  zeigten  sich  in  stereographischer  Projektion,  Gesamtbilder 
der  Erde,  natürlich  mit  Ausschluß  der  höchsten  Breiten^),  in  der  des  Merka- 
tor.  Die  von  Tissots  Arbeiten  ausgehende  Revolution  auf  dem  Gebiete  des 
Kartenprojektions Wesens  konnte  auf  deutschem  Boden,  im  Lande  der  aus- 
gebildetsten kartographischen  Technik,  vor  allem  Erfolg  haben.  Des  Gebietes 
der  Schulatlanten  bemächtigten  sich  die  neuen  Projektionen  meines  Wissens 
zuerst  in  der  ersten  Auflage  von  Hermann  Wagners  „Methodischem  Schul- 
atlas" (1888).     Andere  Atlanten  folgten:  Lüddecke,  Peucker,  Debes'  Hand- 


1)  Lüddecke.  Taf.  20,  21;  Lüddecke-Haack.  Taf.  28,  29. 

2)  Hier,  wie  im  folgenden  kann  das  Wesen  der  genannten  Projektionen  nicht 
erläutert  werden;  als  Leitfaden  für  die  Kartenprojektionslehre  sei  vor  allem  Zöpp- 
ritz-Bludau  genannt. 

3)  Im  Süden  meist  schon  von  60*^  an  gerechnet;  vgl.  dazu  Verhandl.  d.  XI. 
deutschen  Geogr.-Tags  S.  XV  ff.    Antrag  Rohrbach. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen.  515 

atlas,  Dierckes  Atlas  für  berliner  Schulen  u.  a.  Aber  trotz  unleugbarer 
Vorzüge  der  neuen  Projektionen^)  haben  sie  doch  bisher  die  alten  nicht  ver- 
drängen können,  sondern  finden  sich  mit  ihnen  oft  in  recht  buntem  Gemisch. 
Als  Verdrangerin  sowohl  der  Projektionen  von  Sanson  und  Bonne,  wie  der 
stereographischen  tritt  beherrschend  die  flächentreue  Azimutalprojektion  nach 
Lambert  auf;  und  ihre  Weiterbildung,  die  als  Hammers  flächentreue  Plani- 
Sphäre  bekannt  ist,  versucht  mit  der  Merkatorkarte  zu  konkurrieren.  Sanson 
und  Bonne  geben  auch  flächentreue  Projektion,  der  Vorteil  der  Lambertschen 
Projektion  liegt  aber  darin,  daß  sie  geometrisch  einfach  zu  definieren  ist  und 
der  Grad  ihrer  Verzerrungen  vom  Kartenmittelpunkt  aus  nach  allen  Rich- 
tungen hin  gleichartig  wächst,  während  die  Linien  gleichen  Verzerrungs- 
betrages bei  den  anderen  komplizierte  Kurven  sind.  Der  Vorteil  leuchtet 
ein;  so  steht  zu  vermuten,  daß  die  Zukunft  ganz  zu  Gunsten  der  Lambert- 
schen Projektion  entscheiden  wird.  Immerhin  scheint  aber  der  Vorteil  auch 
hervorragenden  Kartographen  nicht  gar  zu  groß  und  entscheidend.  Jeden- 
falls hat  Wagner  in  seinem  Atlas  für  die  Erdteile  noch  an  den  alten  Pro- 
jektionen festgehalten  und  der  Lambertschen  Projektion  außer  einigen  Über- 
sichtskarten nur  das  erst  später  zugefügte  Blatt  41*  „Mittel-  und  Süd-Afrika" 
gewidmet;  und  Heiderich  scheut  sich  nicht,  auf  seiner  neuen  Wandkarte  von 
Asien  Bonne  und  Lambert  nebeneinander  zu  gebrauchen.  Anders  liegt  die 
Sache  bei  den  Planigloben  und  den  Erdoberflächenkarten.  Die  alte  stereo- 
graphische Karte  war  winkeltreu,  die  neue  ist  flächentreu.  So  wird  beim 
Übergang  ein  alter  Vorteil  aufgegeben,  um  einen  neuen  zu  finden.  Aber 
dieser  Vorteil  wurde  eigentlich  nur  bei  der  Konstruktion  der  Karten  empfun- 
den, und  so  mag  die  stereographische  Projektion  ihre  Bolle  als  Einführungs- 
mittel  in  die  Kartenprojektionslehre  behalten;  im  übrigen  hatte  man  sich 
durch  Übergang  von  ihr  zu  sog.  Globularprojektionen  ja  für  Atlanten  schon 
vorher  oft  ihrer  Vorteile  entschlagen.  Vielleicht  eignen  sich  fttr  Schul- 
atlantenzwecke diese  vermittelnden  Darstellungen  auch  am  besten.  Augen- 
blicklich haben  der  große  Diercke  und  Kozenn  stereographische  Planigloben 
—  Peucker  und  Lüddecke  Lambertsche  —  Sjdow- Wagner,  Lehmann-Petzold, 
der  große  Debes  solche  in  Globularprojektion.  Nicht  erwünscht  ist  die 
stereographische  oder  eine  andere  nicht  flächentreue  Projektion  bei  Karten, 
die  gerade  zu  Flächenvergleichen  dienen  sollen,  so  vor  allem  bei  den  Plani- 
globen der  größten  Land-  und  Wassermasse. 

Anders  liegt  wieder  die  Streitfrage,  ob  und  wie  weit  die  Merkatorkarte 
zu  verdrängen  ist.  Als  bester  Ersatz  konmit  wohl  nur  die  Hammersche 
flächentreue  Planisphäre  in  Betracht*),  gegenüber  Karten  mit  parallelen 
Breitenkreisen').  Die  Merkatorkarte  wird  sich  als  nautische  Karte  immer 
halten,  das  gibt  ihr  von  vornherein  ein  sicheres  Anrecht  auf  mindestens 
einen  Platz  im  Schulatlas.    Dem  gegenüber  hat  eine  Karte,  die  den  Flächen- 


1)  Vgl.  z.  B.  Blndau  (auch  andern  Orts)  Leitfaden  S.  122  a.  147,  148  u.  eonst. 

2)  Z.  B.  bei  Peucker  (II)  auf  Taf  4,  6,  6;  in  Dierckes  Atlas  f.  berl.  Schulen 
auf  44—49. 

8)  In  MoUweides  homolograph.  Proj.,  z.B.  in  Sydow- Wagner  Taf.  9:  Verbrei- 
tung der  Europäer  —  oder  gar  bei  der  Sansons. 


516  H.  Fischer: 

räum  unseres  und  fremden  Kolonialbesitzes  vergleichen  soll,  in  der  Merkator* 
darstellung  wenig  Sinn.  Nun  verbindet  man  aber,  wieder  mit  Recht,  gern 
auf  einem  Blatt  Kolonialbesitz  und  Weltverkehr,  Schiffahrtslinien  gehören 
aber  wohl  auf  eine  Merkatorkarte,  So  behalten  die  Atlanten  im  allgemeinen 
noch  selbst  für  den  Kolonialbesitz  das  ungeheure  Zerrbild  der  Merkatorkarte 
bei,  selbst  Peucker  (U)  auf  Taf.  2  u.  3.  Nur  Diercke  gibt  in  seinem  Schul- 
atlas für  die  unteren  Klassen  (auf  Taf.  26  u.  27)  Lambertsche  Planigloben, 
auf  die  er  nun  auch  die  Verkehrslinien  einzeichnet;  doch  schon  in  seinem 
ein  Jahr  jüngeren  Atlas  für  berliner  Schulen  geht  er  davon  wieder  ab  und 
trennt  beides.  Um  aber  eine  vergleichende  Betrachtung  zu  ermöglichen,  ordnet 
er  die  flächeutreuen  Planigloben  mit  dem  Kolonialbesitz  und  die  Merkator- 
karte mit  dem  Weltverkehr  untereinander  an,  um  dadurch  freilich  von 
1 :  96  Hill,  zu  1 :  144  Mill.  übergehen  zu  müssen.  Debes  (im  großen  Schul- 
atlas) und  Skobel  (im  Handelsatlas)  helfen  sich  mit  graphischen  Darstellungen; 
das  ist  aber  auch  nur  ein  Notbehelf,  Britisch- Nordamerika  und  Indien  er- 
scheinen in  ihren  relativen  Flächenwerten  darum  nicht  richtiger.  Eine  all- 
gemein befriedigende  Lösung  wird  sich  hier  nicht  finden  lassen.  So  steht 
es  in  etwas  abgeschwächtem  Grade  auch  bei  den  andern  Erdbildem  zur  Ver- 
anschaulichung allgemein  geographischer  Erscheinungen.  Vielfach  ist  Flächen- 
treue sehr  erwünscht,  doch  bei  manchen  Karten,  z.  B.  klimatologischen,  sind 
die  Störungen  der  Windrose  kaum  erträglich,  dazu  kommen  wieder  die  engen 
Beziehungen  zwischen  ozeanographischen  Karten  und  klimatologischen.  Kein 
Wunder,  daß  wir  auch  hier  von  Einigkeit  weit  ab  sind;  u.  a.  hält  Lehmann 
(im  Skobel)  an  der  Merkatorkarte  ganz  allgemein  fest,  ist  Diercke  so  gut 
wie  ganz  von  ihr  abgegangen,  bevorzugt  Wagner  die  Merkatorkarte  und  gibt 
daneben  eine  Fülle  anderer  Lösungen  (wohl  mit  didaktischen  Hintergedanken). 
Im  großen  Debes  zeigen  die  klimatologischen  Karten  sehr  zweckmäßig  die 
Polarkalotten,  Kozenn  gibt  bunte  Fälle,  Peucker  bevorzugt  die  Hammersche 
Planisphäre,  Lüddecke  hat  Merkator  und  Mollweide. 

Ist  so  der  um  die  Projektionen  entbrannte  Streit  noch  nicht  entschieden, 
und  steht  einer  Partei  unbedingter  Neuerer  noch  eine  erhebliche  Schar  von 
Anhängern  des  Alten  gegenüber  und  zwischen  beiden  die  Menge  der  Vermitt- 
ler, so  möchte  ich  doch  für  das  Gebiet  der  Schulatlanten  einige  leitende 
Sätze  aufzustellen  versuchen. 

Unbedingt  nötig  ist  für  jedes  Kartenblatt  die  beigedruckte  Bezeichnung 
der  Projektion,  ohne  die  der  Lehrer  nur  mit  Mühe,  ja  wohl  gamicht  die 
Flächen,  Richtungen  und  Strecken  seiner  Karte  richtig  werten  und  sich  so 
vor  falscher  Benutzung  hüten  kann.  Der  Einwmf,  der  wohl  gemacht  wird, 
daß  die  meisten  Lehrer  wegen  mangelhafter  Vorbildung  doch  nichts  mit 
diesen  Bezeichnungen  anfangen  können,  ist  hinfällig,  denn  diese  Lehrer  ge- 
hören nicht  in  den  Geographieunterricht^).  Femer  ist  wieder  nach  größerer 
Einheitlichkeit  in  den  Projektionen  zu  streben,  wenn  ich  auch  die  didaktischen 
Zwecke   von  Sydow- Wagner  (auf  Taf  6,  9  u.  10)  nicht  verkenne   und   man 

1)  Zu  bedauern  ist,  daß  der  neueste  Dierckesche  Atlas  (f  berl.  Schulen)  auch 
diese  Bezeichnungen  nicht  gebracht  hat,  und  wenn  es  richtig  ist,  daß  pädagogische 
Einflüsse  dies  verhindert  haben  sollen,  so  ist  dies  doppelt  bedauerlich. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen.  5lT 

mit  Recht  darauf  hinweisen  kann,  daß  uns  der  Wechsel  in  den  Projektionen 
empfänglicher  für  die  Fehler  der  einzelnen  macht  ^).  Das  wichtigste  aber  ist, 
daß  man  für  geeignete  Anleitungen  zum  elementaren  Verständnis  der  Pro- 
jektionen sorgt.  Hier  treffen  Atlanten  und  Lehrbücher  vielleicht  noch  nicht 
das  richtige.  Das  ist  sicher,  wenn  sie  überhaupt  nichts  bringen.  Es  gilt  aber 
auch  wohl  far  Sydow- Wagner  (Taf.  4),  Lehmann-Petzold  (Taf.  4),  Kozenn 
(Taf.  5),  und  andrerseits  für  die  Lehrbücher  von  Kirchhoff,  Seydlitz  und 
Langenbeck.  Was  die  genannten  Atlanten  bringen,  ist  für  vielleicht  %^j  aller 
Geographielehrer  unverständlich  und  unbenutzbar.  Das  Konstruktive  ist  dem 
Durchschnittslehrer  gleichgültig,  er  will  wissen,  was  er  mit  dem  Fertigen 
anfangen  kann.  Abgesehen  davon,  daß  die  genannten  Lehrbücher  der  oben 
geschilderten  Bewegung  gegenüber  sich  noch  ziemlich  stillschweigend  verhalten*), 
gehen  sie  alle  zu  sehr  auf  das  rein  Konstruktive  ein,  ohne  doch  bei  der  not- 
wendigen Kürze  dem  Neuling  genug  tun  zu  können,  und  beschreiben  nicht 
eingehend  genug  die  tatsächlichen  Verzerrungsverhältnisse;  am  meisten  gilt 
dies  vom  Seydlitz,  am  wenigsten  von  Langenbeck.  Man  möge  bedenken, 
daß  in  absehbarer  Zeit  an  eine  wirkliche  Einführung  in  die  Kartenprojektions- 
lehre auf  den  Schulen  nicht  zu  denken  ist:  der  Mathematiker  hat  anderes  zu 
tun  und  der  Geograph  —  im  allgemeinen  auch,  ganz  abgesehen  davon,  daß 
er  ja  nicht  mit  dazu  genügend  reifen  Schülern  zusammenkommt. 

Femer  stellt  man  sich  die  Unkenntnis  auch  der  elementarsten  Eigen- 
schaften der  wichtigsten  Projektionen  beim  Gros  der  Lehrer  meist  noch  zu 
gering  vor;  sie  hat  zur  Folge,  daß  auch  mit  dem  Maßstab  in  unmög- 
licher Weise  umgegangen  wird.  Kann  man  doch  noch  Messungen  selbst  auf 
Merkatorkarten  erleben^),  und  es  sind  gewiß  nicht  die  untüchtigsten  Lehrer, 
die  überhaupt  messen;  aber  nun  mißt  einer  wohl  auf  einer  Bonnekarte  von 
Asien,  vom  Nordkap  Europas  nach  dem  asiatischen  Ostkap  und  findet 
ca.  6200  km,  ebenso  weit  findet  er  die  Strecke  von  dort  nach  Formosa;  ein 
anderer  mißt  die  erstgenannte  Strecke  auf  einer  Lambertkarte  und  findet 
reichlich  1000  km  weniger,  auf  Formosa  zu  endet  er  schon  im  japanischen 
Binnenmeer.  Die  Jungen  haben  vielleicht  bis  Quarta  den  Lüddecke,  dann 
den  Sydow- Wagner,  natürlich  zwei  verschiedene  Lehrer,  so  paßt  das  Beispiel 
wunderschön*). 

Daß  die  Maßstäbe  auf  allen  Karten  zu  finden  sein  müssen,  ist  eine  fast 
überall  erfüllte  Forderung.  Eine  zweite  verlangt  leichte  Vergleichbarkeit 
der  Maßstäbe.  Sie  ist  ursprünglich  erhoben  worden  gegenüber  einer  bunten 
Fülle  von  Maßstäben  in  den  seltsamsten  Verhältnissen,  die  von  Karte  zu 
Karte  wechselten,  und  deren  Wahl  im  allgemeinen  bestinunt  war  von  dem 
Bestreben,  das  Kartenblatt  nach  Möglichkeit  räumlich  auszunutzen. 

1)  Man  denke  an  die  grotesken  Verzerrungen  der  Merkatorkarte,  die  uns  kaum 
auffallen,  und  den  unangenehmen  ersten  Eindruck,  den  eine  Hammersche  Plani- 
sphäre  macht. 

2)  Nur  Langenbeck  erwähnt  Lambert  kurz  in  einer  Anm.  S.  281  (Gymnas.-Ausg. 
S.  208).  Übrigens  hat  er  sich  in  seinem  Aufsatz  „Ziel  u.  Methode  des  geogr.  Unter- 
richts" S.  96  dieses  Jahrg.  ähnlich  ausgesprochen. 

3)  Natürlich  ohne  Benutzung  des  Redtiktionsmaßstabes. 

4)  Eigentlich  in  umgekehrter  Atlantenfolge. 


518  H.  FiBcherj 

Später  bat  man  das  Prinzip  wohl  gelegentlich  übertrieben,  indem  man 
seine  Wirksamkeit  überschätzt«*)  und  nur  ganz  einfache  Zahlenverhältnisse 
zwischen  allen  Karten  verlangte.  Es  kann  sich  aber  weniger  um  Strecken- 
vergleiche im  allgemeinen  handeln,  schon  die  Unmöglichkeit  streckentreuer 
Karten  wirkt  hier  hinderlich;  so  weit  aber  Streckenmessen  zulässig  ist,  be- 
dingt der  Übergang  über  das  Maß  keine  große  Erschwerung.  Es  sind  meist 
Flächenvergleiche,  bei  denen  es  aber  gewiß  schon  bei  Plächenverhältnissen  in 
den  Flächenmaßstäben  1  :  16  unmöglich  ist,  von  abschätzbaren  Vergleichen 
zu  sprechen;  so  hat  dieser  Wert  der  einfachen  Verhältnisse  bei  1:4  schon 
aufgehört  Man  wird  ungefähr  das  richtige  treffen,  wenn  man  allgemein  ein- 
fache Strecken  Verhältnisse  fordert,  sofern  nicht  wichtigere  Eigenschaften  der 
Karte  darunter  leiden.  Tatsächlich  verfahren  die  besseren  Schulatlanten  auch 
nach  diesem  Prinzip.  Die  europäischen  Länder  in  einem,  unsere  afrika- 
nischen Kolonien  in  dem  doppelten,  Europa,  Vereinigte  Staaten,  Südasien  u.  a. 
in  einem  dritten,  die  übrigen  Erdteile  wieder  in  einem  anderen  Maßstab, 
Teile  Deutschlands  in  größeren,  so  pflegt  die  Einrichtung  zu  sein.  Schließ- 
lich sei  noch  an  die  empfehlenswerten  Eckkärtchen  erinnert,  die  ein  bekanntes 
europäisches  Gebiet  im  Maßstabe  der  Hauptkarte  zeigen.  Mannigfache  son- 
stige Mittel  zur  besseren  Veranschaulichung  sind  außerdem  empfohlen  und 
ausgeführt.  Unter  allen  Umständen  bleibt  hier  aber  das  beste  und  meiste 
dem  Lehrer  und  dem  Schüler  überlassen. 

Gehen  wir  nun  zum  Karteninhalt  über.  Da  ist  zuerst  des  un- 
geheuren Aufschwunges  der  Kartographie  zu  gedenken,  den  sie  in  der 
zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  in  Deutschland  genommen  hat.  Ist 
dieser  einerseits  der  modernen  wissenschaftlichen  Erdkunde  zu  danken,  deren 
Probleme  b^rnchtend  gewirkt  und  zu  den  mannigfaltigsten  kartographischen 
Experimenten  und  Lösungsversuchen  gereizt  haben,  so  bietet  andererseits  die 
moderne  polygraphische  Technik  weit  reichere  Mittel,  wie  zur  Zeit  der  Allein- 
herrschaft des  Kupferdruckes,  wo  die  bequeme  Verwendung  abgestufter  Rächen- 
farben  nicht  wohl  denkbar  war. 

Über  die  Karten  zur  „Einführung  in  das  Kartenverständnis"  und 
die  Karten  zur  mathematischen  Erdkunde  möchte  ich  mich  ganz  kurz 
fassen.  Die  Karten  zur  mathematischen  Erdkunde  verlangen  eine  Besprechung 
für  sich,  die  hier  nicht  geboten  werden  kann,  wenn  wir  die  wesentlicheren 
Teile  eines  Schulatlas  nicht  zu  kurz  kommen  lassen  wollen.  So  vortreffliche 
und  fein  ausgesonnene  Blätter  sich  namentlich  im  Sjdow- Wagner  und  im  Kozenn 
finden,  sie  leiden  doch  darunter,  daß  sie  dem  tatsächlichen  Unterrichtsbetrieb 
im  allgemeinen  recht  fem  stehen.  Der  Mathematiker  könnte  sie  wohl  in 
Prima  benutzen;  da  ja  aber  der  geographische  Unterricht  in  den  oberen 
Klassen  aussetzt,  hat  er  im  allgemeinen  nicht  auf  das  Vorhändensein  aus- 
reichender Atlanten  zu  rechnen,  um  so  weniger,  als  ja  noch  immer  eine  große 
Anzahl  Anstalten  keine  Atlaseinheit  besitzt  und  ein  Mathematiker  an  einen 
geordneten  Unterricht  zu  sehr  gewöhnt  ist,  um  das  Nebeneinander  verschie- 
dener Atlanten    zu    ertragen.     Es    genüge    daher  auch   hier  wieder  auf  die 

1)  Lange,  Atlas  d.  Deutschen  Reiches,  obgleich  1901  zusammengestellt,  zeigt 
"hoch  diesen  Fehler. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen.  519 

gähnende  Kluft  zwischen  dem  in  unsem  Schulatlanten  Gebotenen  und  der 
Wirklichkeit  des  Geographieunterrichts  unserer  hier  nichts  weniger  als 
^öheren^^  Schalen  hinzuweisen.  Die  Karten  zur  Einführung  in  das  Karten- 
verständnis treten  aber  in  den  größeren  Schulatlanten  gegenüber  denen  fllr  den 
Anfangsunterricht  ganz  zurück,  da  man  natürlich  an  diesen  die  Einführung 
als  Yollzogen  annimmt,  auch  sind  sie  nach  Inhalt  und  Ausdehnung  strittig. 
Ich  halte,  um  es  kurz  zu  sagen,  eine  Serie  von  Karten,  die  den  Effekt  der 
Maßstabreduktion  zeigen,  für  sehr  hübsch,  zumal  wenn  diese  reduzierten 
Karten  in  ihren  Maßstäben  mit  Blättern  des  Atlas  selbst  harmonieren^).  Ich 
kann  auch  solche  Karten,  die  die  angewandte  Darstellungsweise  erläutern 
sollen,  verstehen,  wenn  ich  auch  ideale  Karten  selbst  für  diesen  Zweck  prin- 
zipiell verwerfe*).  Nicht  aber  vermag  ich  das  Nebeneinanderstellen  von  Bild 
und  Karte  als  richtig  anzuerkennen.  Es  wurde  ursprünglich  veranlaßt  als 
Versuch,  der  Forderung  gerecht  zu  werden,  durch  Übergang  vom  plastischen 
Bilde,  vom  Relief,  zur  Karte  diese  dem  Kinde  verständlich  zu  machen^). 
Die  AusfQhrung  hat  aber  gezeigt,  daß  man  entweder  perspektivisch  richtige 
Bilder  wählen  muß,  deren  Vergleich  mit  der  Karte  ganz  hübsch  und  auch 
lehrreich  ist,  die  aber  gerade  das  nicht  leisten  können,  was  sie  bieten 
sollen,  das  Überleiten  zur  Karte*),  oder  Zerrbilder  geben,  wie  leider  Leh- 
mann selbst  in  seinem  Atlas  für  die  unteren  Klassen  höherer  Lehranstalten, 
später  mehr  gekürzt  in  seiner  Neuausgabe  des  Andree- Schillmann  ^).  Ich 
habe  mich  gegen  die  von  Lehmann  inaugurierte  Form  der  Einführungen  in 
das  Kartenverständnis  etwas  eingehender,  als  es  hier  geschehen  kann,  an 
anderer  Stelle  ausgesprochen*)  und  beabsichtige  bei  Gelegenheit  ausführlicher 
auf  dies  psychologisch  interessante  Kapitel  zurückzukonunen;  hier  möchte 
ich  nur  noch  bemerken,  daß  ich  Trunks  Einwand  nicht  anerkennen  kann, 
da  ich  ihn  für  keinen  zu  halten  vermag^),  zumal  er  nach  dem  Beferat  Haacks 
(G.  Anz.  1901,  S.  70)  und  nicht  nach  meinem  Voriarag  selbst,  der  die  Be- 
gründung gibt,  zu  citieren  scheint. 

Wir  kommen  nunmehr  zu  den  Karten  zur  Länderkunde,  die  den 
eigentlichen  Leib  des  Atlas  ausmachen,  so  sehr,  daß  wir  einen  Atlas,  der 
wie  Stiel ers  Handatlas  nur  aus  ihnen  besteht,  darum  doch  für  einen  voll- 
ständigen Atlas  halten.  Auf  diesen  Karten  erwarten  wir  eine  physische 
Grundlage,  bestehend  aus  den  Grenzen  von  Land  und  Meer  und  dem  Ge- 
lände   mit    dem  Flußgeäder^),   femer    die    größten    und   wichtigsten  mensch- 

1)  Vgl  z  B.  im  großen  Diercke  auf  Blatt  2  und  3  die  vier  unteren  Darstel- 
lungen. 

2)  Vgl.  im  großen  Diercke  Taf.  1,  im  großen  Debea  Taf.  74,  im  Hummel  Taf.  4. 

3)  Vgl.  die  Ausführung  bei  Lehmann,  Hilfsmitel  etc.  S.  278  ff.,  die  ich,  so  oft 
sie  auch  von  anderer  Seite  aufgenommen  imd  wiederholt  ist,  doch  in  ihrem  Kern 
für  irrtdmlich  halte,  da  ich  glaube,  daß  sie  auf  falscher  psychologischer  Voraus- 
setzung über  das  Entstehen  des  Kartenbegriffes  beim  Kinde  aufgebaut  ist. 

4)  VgL  u.  a.  Kozenn  und  Lüddecke. 
6)  Ähnlich  Keil  u.  Biecke,  Hummel. 

6)  Z.  f.  pädagog.  Psychol.  u.  Pathol.  IH.  S.  27  ff. 

7)  G.  Trunk.  Die  Anschaulichkeit  des  geographischen  Unterrichtes.  S.  140  — 
eine  übrigens  ganz  vortreffliche,  inhaltreiche  und  sachliche  Arbeit. 

8)  Die  eigentliche,  durch  die  Vermessung  (Routenaufnahme,  astax)nomische  Orts- 


520  H.  Piscliei»: 

lieben  Siedeluogen  je  nach  dem  KartenmaBstabe  und  Kartenzweck  ausgewählt, 
die  Grenzen  der  Staaten  und  andere  durch  Menschen  hervorgerufene  Ein- 
griffe in  das  Erdbild,  Kanäle,  Dämme  u.  a.  Hierzu  hat  sich  in  neuerer  Zeit 
die  Darstellung  der  üntergrundverhältnisse  des  Meeres  gesellt.  Sie  war  vor 
wenigen  Jahrzehnten  überhaupt  noch  nicht  möglich  und  mußte  schon  deshalb 
unterbleiben.  Daß  sie  sich  jetzt  verhältnismäßig  schnell  ihre  Stelle  in  den 
Atlanten  erobert  hat,  verdankt  sie  doch  nicht  allein  dem  Umstände,  daß 
sie  die  submarine  Fortsetzung  des  oroplastischen  Bildes  bietet,  gewiß  auch 
nicht  ihrer  Wichtigkeit  für  anthrogogeographische  Dinge,  die  doch  kaum  über 
die  wirtschaftliche  Bedeutung  einiger  Flachseen  hinausgeht,  sondern  dem  Um- 
stand, daß  die  Meeresflächen  leer  und  frei  zur  Benutzung  für  den  Kartogra- 
phen dalagen.  Ähnliches,  nur  in  geringerem  Grade,  läßt  sich  von  den  Wüsten- 
gebieten der  Erde  sagen.  Auch  sie  gestatteten,  im  allgemeinen  von  Siede- 
lungen und  komplizierten  Staatsgrenzen  nicht  erfüllt,  ihre  Eintragung, 
während  auf  denselben  Karten  an  die  Eintragung  von  Steppen,  Wäldern, 
Kulturflächen  u.  a.  nicht  gedacht  werden  konnte  und  daher  auch  nicht  ge- 
dacht ist.  Wenn  so  die  Plastik  des  Meeresuntergrundes  und  die  Ausdehnung 
der  Wüsten  in  den  Karten  zur  Länderkunde  Aufnahme  gefunden  haben,  so 
sollte  man  theoretisch  die  Vertiefung  des  oroplastischen  Bildes  durch  Auf- 
nahme seiner  geologischen  Unterlage,  der  Ausbreitung  der  Wälder,  der  Be- 
völkerungs-  und  Siedelungsdichte,  der  sprachlichen,  kulturellen  und  religiösen 
Verschiedenheiten  u.  a.  m.  in  das  länderkundliche  Kartenbild  fordern').  Mit 
dieser  Erwägung  sind  wir  aber  vielleicht  schon  in  den  Kern  der  Frage  ein- 
gedrungen. Die  länderkundliche  Betrachtungsweise,  deren  Berechtigung  mit 
dem  folgenden  ganz  gewiß  nicht  bestritten  werden  soll,  versucht  das  Neben- 
und  Ineinander  der  örtlich  und  damit  zugleich  auch  ursächlich  mit  einander 
verbundenen  Erscheinungen  zu  erfassen  und  dann  darzustellen  und  wünscht 
dazu  entsprechende  kartographische  Hilfsmittel.  Trotz  aller  Fortschritte 
unserer  Kartographie  kann  sie  solchen  Ansprüchen  nur  in  recht  mäßigem  Um- 
fange entsprechen.  fLuch  die  Zukunft  wird  hierin  wenig  ändern  können,  denn 
gegenüber  der  unvergleichlichen  Fülle  und  Mannigfaltigkeit  der  Natur  selber, 
gegenüber  ihrer  immer  umfassenderen  und  vertiefteren  Erkenntnis  durch  den 
Menschen  steht  die  Karte  reichlich  armselig,  inuner  nur  mit  Fläche,  Strich, 
Schatten  und  Farbe  da^).  Der  Abstand  ist  zu  groß,  wie  obige  kleine  nur 
zu  leicht  zu  vermehrende  Aufzählung  ja   auch  lehren   konnte,   als   daß  man 

bestimmung,  Triangulation)  geschaffene  topographische  Grundlage,  auf  der  der  Karto- 
graph sein  Werk  aufbaut,  ist  gewiß  ein  anderes.  Für  den  Geographen,  dem  die 
Karte  ein  Mittel  zum  Zweck  ist,  muß  aber  die  Oroplastik  den  festen  Untergrund 
abgeben,  mit  dem  er  alle  anderen  länderkundlichen  Momente  in  Beziehung  setzt. 

1)  Vgl.  auch  die  interessante  Studie  von  Grub  er:  Kritische  Betrachtungen 
über  Geographie  u.  s.  w.,  die  ich  leider  nur  aus  einem  Referat  (Geogr.  Anz.  1902,  S.99) 
kenne. 

2)  Dem  gegenüber  scheint  mir  die  von  E.  Friedrich  gegebene  Einteilung  der 
kartographischen  Darstellungsmittel  in  lineare,  flächenhafte  und  Darstellungsmittel 
der  vertikalen  Dimension  nicht  recht  zutreffend,  denn  die  letzteren  sind  notgedrungen 
auch  linear  oder  flächenhaft;  er  wechselt  mit  dem  Einteilungsprinzip,  hier  Zweck, 
dort  Mittel,  das  geht  nicht  wohl  an.  Vgl.  „Die  Anwendung  der  kartographischen 
Darstellungsmittel  auf  wirtschaftsgeographischen  Karten."    Leipzig,  Schönert  1901. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen.  521 

ihn  auch  nur  annfthemd  zu  beseitigen  hoffen  dürfte,  gelbst  wenn  man  das 
oberste  Prinzip  jeder  Karte,  ihre  Lesbarkeit,  außer  Acht  ließe.  Kann  man 
auch  über  das,  was  auf  landeskundlichen  Karten  geboten  werden  soll,  in 
großem  Umfange  schwankend  sein,  so  bleibt  Ton  den  Prinzipien  der  mit 
einer  gewissen  Leere  verbundenen  Deutlichkeit  und  der  Anpassung  an  die 
Bedürfnisse  der  Länderkunde  wegen  der  absoluten  Notwendigkeit  der  Lesbar- 
keit, mit  deren  Wegfall  alle  anderen  erhofften  Zwecke  notwendigerweise 
gleichzeitig  fallen,  das  erste  das  unbedingt  übergeordnete.  Das  ist  auch  der 
innere  Grund,  warum  jene  oben  angeführten  Elemente  in  die  länderkundlichen 
Karten  nicht  mehr  aufgenommen  wurden;  es  ging  eben  nicht.  Jedenfalls 
kann  ich  die  von  Friedrich*)  gegebene  Deduktion,  wie  dort  für  wirtschafts- 
geographische Karten,  so  in  ihrer  daraus  zu  erschließenden  Verallgemeine- 
rung für  Karten  überhaupt  nicht  schlankweg  annehmen  und  sehe  in  seinem 
Beispiel*),  so  viel  ähnliche  Versuche  sich  auch  in  Atlanten  finden,  keinen 
sehr  glücklichen  Weg;  besonders  sind  Karten  wie  im  Hummel  (Taf.  8  No.  2, 
3),  in  Dierckes  Atl.  f.  berl.  Schulen  (Taf.  14  No.  5,  6  und  Taf.  15  No.  3,  4, 
5,  6),  von  Blatt  26  im  Skobel  ganz  abgesehen,  wohl  noch  nicht  auf  dem 
richtigen  Wege.  Man  bietet  zu  vielerlei  auf  einem  Blatt  und  daher  zu  wenig 
übersichtlich.  Doch  von  diesen  wirtschafts-geographischen  Karten  zu  den 
eigentlich  länderkundlichen:  auch  hier  ist  der  richtige  Weg  Sonderung  der 
länderkundlichen  Elemente  nach  Kategorien  und  Vereinigung  einer  nicht 
größeren  Anzahl,  als  es  die  Klarheit  des  Kartenbildes  zuläßt 

Hiemach  verfahren  nun  auch  unsere  Schulatlanten;  wohl  nicht  absicht- 
lich, soweit  es  sich  um  gesonderte  Karten  für  die  geologische  Grundlage 
und  um  Klima,  Pflanzenwuchs  und  die  meisten  anthropogeogn^hischen  Ele- 
mente handelt  (alle  mit  Ausnahme  von  Landesgrenzen,  großen  Siedelungen 
und  der  Kategorie  Kanäle):  denn  für  alle  diese  fOr  die  Länderkunde  so  wesent- 
lichen Faktoren  waren  die  Karten  schon  zu  überfüllt;  wohl  aber  absichtlich, 
soweit  i/vir  wie  im  großen  Debes,  in  Lehmann-Petzold,  Diercke-Gaebler  u.  a. 
dieselben  Länder  mit  verschiedener  Auswahl  der  übrigbleibenden  Elemente 
dargestellt  finden.  Es  kann  ja  auch  kaum  zweifelhaft  sein,  daß  diese,  also 
Grenze  von  Land  und  Wasser,  dritte  Dimension  und  die  genannten  anthropo- 
geogn^hischen  Dinge,  nicht  notwendig  auf  derselben  Karte  vereinigt  werden 
müssen,  wenn  so  wesentliche  andere  ohnehin  fehlen  und  sich  einmal  das 
Gesetz  der  Deutlichkeit  etwa  auch  gegen  ihre  völlige  Vereinigung  entschiede. 

Gehen  wir  nun  die  einzelnen  Elemente  einer  landeskundlichen  Karte  im 
engeren  Sinne  der  Reihe  nach  durch.  Die  Darstellung  der  beiden  horizon- 
talen Dimensionen  findet  Linien  (Punkte)  und  Flächen  als  Mittel  vor.  Linien- 
hafte Gebilde,  z.  B.  Grenzen,   werden  also  auch  durch  Linien  wiederzugeben 


1)  a.  a.  0.  S.  24  ff. 

2)  Wirtschaftogeographische  Karte  von  Südafrika,  a.  a.  0.  S.  28.  —  Neuer- 
dings hat  er  eine  entsprechende  Karte  von  ganz  Afrika  veröffentlicht,  bei  der  ein 
erBtaunliches  Material  verarbeitet  und  eine  große  Geschicklichkeit  in  der  Anordnung 
bewiesen  ist.  Aber  schon  die  Notwendigkeit,  jede  Andeutung  des  Geländes  fort- 
zulassen, zu  der  er  sich  gezwungen  sah,  läßt  mich  seine  kartographische  Auffassung 
nicht  einfach  übernehmen. 

O«ographiicbe  Zeitschrift.  9.  Jahrgang.  1908.  9.  Heft.  35 


522  H.  Fischer: 

sein.  Dicke,  Bestimmtheit  und  geringe  Mannigfaltigkeit  bieten  Schwierig- 
keiten dar,  die  zu  überwinden  sind.  So  müssen  punktierte  oder  gebrochene 
Linien  eindeutig  bleiben,  was  ihre  Anwendung  beschränkt;  letztere  mögen 
z.  6.  unsichere  Kenntnis,  erstere  Flachküsten  andeuten,  wenn  es  sich  um 
Küstenlinien  bei  größerem  Maßstäbe  handelt  Ist  man  in  der  Lage,  an  der 
Grenze  einen  Farben  Wechsel  eintreten  zu  lassen,  so  kann  eine  ausgezogene 
Lihie  oft  gut  wegfallen;  Höhen-  und  Tiefenstufen  wird  dadurch  etwas  von 
ihrer  willkürlichen  Wahl  genonmien.  Wo  statt  schmaler  Grenzsäume,  deren 
Wiedergabe  durch  Linien  auf  der  Karte  schon  eine  Übertreibung  der 
Breitendimension  involviert,  breitere  Übergangsgebiete  oder  tmklare  GrreDz- 
Verhältnisse  vorliegen,  ließe  sich  das  allmähliche  Ausklingen  von  Farben  gut 
anwenden,  wenn  es  neben  technischen  Schwierigkeiten  nicht  das  gegen  sich 
hätte,  daß  es  nur  auf  wenig  beanspruchten  Flächen  wirksam  bleibt  Eine 
große  Erschwerung  für  die  Lesbarkeit  bietet  der  Umstand,  daß  nicht  die 
Grenzsäume  allein  als  linienhafte  Gebilde  auftreten,  sondern  Flüsse,  Kanäle, 
Straßen,  Bahnen,  Telegraphen,  Schiffahrtswege  u.  a.  gleichfalls.  Sie  aus- 
einander zu  halten  wird  durch  verschiedenen  Duktus  (vgl.  z.  B.  den  krausen 
Flußlauf  mit  den  glattgeschwungenen  Bahnlinien),  verschiedene  Stärken,  Auf- 
lösungen, Verdoppelungen,  Farben  u.  s.  w.  zu  erreichen  gesucht.  Aber  die  Les- 
barkeit hört  hier  schon  bald  auf;  tiergeographische  Karten  leiden  z.  B.  ganz 
allgemein  unter  der  Schwierigkeit,  die  sich  schneidenden  verschiedenartigen 
Linien  bequem  auseinanderzuhalten,  ähnlich  steht  es  mit  Schiffahrtslinien  u.  a. 
Außer  Karmin  und  Zinnober  gibt  es  kaum  Farben  von  genügender  Leucht- 
kraft, und  auch  zwischen  diesen  verwirrt  sich  bald  das  Auge. 

Au6h  die  Städte  gehören  für  die  Karte  den  horizontalen  Gebilden  an. 
Die  meisten  Karten  gestatten  statt  der  von  ihnen  in  Wirklichkeit  beanspruch* 
ten  Flächen  nur  Signaturen  von  Punktwert.  Die  Form  dieser  Signaturen  ist 
bekannt  Sie  gestattet  eine  Skala  au&ustellen,  neben  die  sich  als  zweite 
eine  durch  die  Schrift  gegebene  anschließt  So  besteht  ein  ziemlich  großer 
Spielraum,  der  z.  B.  einen  kleinen  Begierungssitz  von  einer  großen  Provinzial- 
stadt  doppelt  zu  unterscheiden  möglich  macht.  Versucht  man,  wie  das 
Harms  in  seinem  Volksschulatlas  tut,  eine  von  dem  sonst  Üblichen  gänzlich 
abweichende  Formenreihe  in  die  Karte  aufzunehmen,  so  ist  das  im  Interesse 
unserer  Schuljugend  abzulehnen.  Der  Grund  liegt  bei  ihm  in  der  Über- 
schätzung eines  einzigen,  noch  dazu  ziemlich  untergeordneten  Elements,  der 
Bevölkerungsziffer.  Solche  Versuche  gehören  nicht  vor  die  Schuljugend,  son- 
dern, natürlich  in  vollkommenerer  Form,  auf  das  Feld  der  kartographischen 
Versuche,  wie  das  z.  B.  die  bevölkerungsstatistischen  Grundkarten  Hettners 
zeigen.  Es  empfiehlt  sich,  die  Stadtzeichen  (und  die  Namen)  mit  dem 
Grad-  und  dem  Flußnetz  auf  einer  Farbentafel,  der  Schwarztafel,  zu  vereinigen 
und  nicht  durch  blaue  Tönung  der  Flüsse  und  die  unvermeidlichen  kleinen 
Verschiebungen  beim  Druck  die  Flußlage  der  Städte  in  ihrer  Richtigkeit  zu 
gefährden,  wie  das  z.  B.  im  Kozenn  geschehen  ist;  in  dem  mir  vorliegenden 
Exemplar  liegt  z.  B.  Frankfurt  keineswegs  an  der  Oder,  Stargard  am  Madü, 
Pest  auf  dem  rechten  Donauufer  und  Helsingborg  halb  im  Wasser. 

Sieht  man  von  der  neuesten  Zeit  ab,  in  der  sich  die  theoretische  Kartor 


Die  Atlanten  an  den:  preußischen  höheren  Schalen.  523 

graphie  fast  mit  Vorliebe  der  Ausgestaltung  anderer  geographischer  Faktoren 
zugewandt  hat^),  so  wird  die  Kartographie  seit  100  Jahren  fast  beherrscht 
Ton  dem  Bestreben,  in  der  Kartenfläche  der  dritten  Dimension  gerecht  zu 
werden.  Hier  nun  von  Dukarla  und  Lehmann  bis  Peucker  die  karto- 
graphische Literatur  durchzugehen,  hieße  uns  in  einem  Labyrinth  yerlieren, 
was  um  so  weniger  unsere  Aufgabe  sein  kann,  als  wir  uns  hier  auf  das 
Bedürfnis  eines  Schullehrmittels  beschränken  wollen.  Wie  wichtig  aber  die 
Frage  nach  der  besten  Darstellung  der  dritten  Dimension  erschien,  mag  man 
daran  erkennen,  daß  jene  oben  (S.  518)  nicht  ganz  gebilligten  „Einführungen^ 
hauptsächlich  dem  Bestreben  ihre  Entstehung  verdanken,  die  Gebirgsbildung 
für  jugendliche  Intellekte  anschaulich  zu  machen;  daneben  zeigen  andere 
Karten  die  yerschiedenen  Darstellungsformen  (Schraffen,  Isohypsen,  schiefe 
Beleuchtung,  farbige  Höhenschichten)  für  Maßstäbe,  die  nachher  im  Atlas 
kaum  Verwendung  jBjiden*).  Man  denke  auch  an  die  oft  erhobene  Forde- 
rung, im  ersten  Geographieunterricht  mit  Belief  und  Sandk^ksten  zu  arbeiten. 
Bin  ich  nun  auch  der  Ansicht,  daß  die  methodologischen  Forderungen  dieser 
Art  im  allgemeinen  über  das  Ziel  hinausgehen  und  besonders  für  nord- 
deutsche Knaben  bei  einem  derartig  auf  die  Behandlung  der  Oberflächen- 
formen zugestutzten  Unterrichte  andere  für  ihn  wesentlichere  Teile  des  Erd- 
kundeunterrichtes zu  kurz  kommen,  so  zeigt  doch  diese  Richtung  den  hohen 
Wert  an,  den  man  der  Verdeutlichung  der  dritten  Dimension  beimißt.  Ich 
mächte  diese  methodologische  Richtung  in  ihrem  Entstehen  als  eine  Art  Beflex- 
wirkung  auffetösen,  die  von  der  unsere  Kartographie  fast  beherrschenden 
Frage  nach  der  Lösung  des  Problems  der  dritten  Dimension  auf  die  Schul- 
geographie ausgeübt  worden  ist,  soweit  nicht  auch  die  Entwicklung  des 
Alpinismus  mitentscheidend  gewesen  ist. 

Begnügen  wir  uns  daher  lieber  mit  dem  tatsächlichen  Befände  in 
unseren  gebräuchlichen  Schulatlanten  und  knüpfen  an  diese  einige  Be- 
merkungen an*). 

Grundlage  der  Darstellung  ist  fast  überall  die  Schraffe,  deren  Verlauf 
die  Richtung  des  fließenden  Wassers  angibt^  und  deren  Verhältnis  von  Stärke 
zu  Zwischenraum  den  Neigungswinkel  andeutet^).  Soll  nach  allen  Himmels- 
richtungen dasselbe  Gesetz  zwischen  Neigungsmittel  und  Schraffenstärke 
herrschen,  so  spricht  man,  wohl  etwas  inkorrekt,  von  „senkrechter  Beleuch- 

1)  So  vor  allem  die  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte  und  der  damit  zu- 
sammenhängenden Erscheinungen.  Die  ersten  Ansätze  gehen  freilich  etwa  ein  halbes 
Jahrhundert  zurück.  Vgl.  Neukirch,  „Studien  über  die  Darstellbarkeit  der  Volks- 
dichte*^,  der  die  beste  geschichtliche  Entwicklung  gibt. 

2)  Vgl.  Lehmann -Petzold  Taf.  6—8.  Sydow- Wagner  Taf.  6.  Diercke- 
Gaebler  Taf  2  u.  8.    Lüddecke-Haack  Taf.  1. 

3)  Wer  sich  tiefer  in  diese  Fragen  einzuarbeiten  wünscht,  sei  u.  a.  auf  das 
Lehrbuch  der  Kartenkunde  von  Zondervan  hingewiesen  und  auf  die  methodo- 
logischen Spezialarbeifen  von  Peucker,  Haack  u.  a. 

4)  Da  ja  meist  das  Flußnetz  Irrtümer  ausschließt,  ja  die  Schraife  selbst  streng 
genommen  erst  durch  dieses  oder  durch  Begionalfarben  und  Höhenzahlen  die  Rich- 
tung des  abfließenden  Wassers  eindeutig  anzeigt,  ist  ihr  technisch  sehr  viel  er- 
sparender Ersatz  durch  Schummerung  versucht.  Vgl.  Peucker,  Atlas  f.  Handels» 
schulen;  Harms  u.  a. 

36* 


524  H.^Pischer: 

tung^.  In  Wahrheit  tritt  nämlich  schon  Dunkelheit  in  der  Lehmannschen 
Skala  bei  45®  Neigung  ein,  und  die  Lichtabnahme  findet  nicht  proportional 
der  des  Cosinus,  sondern  mit  dem  Wachstum  des  Winkels  statt  ^).  Die  Dar- 
stellung ist  also  konventionell.  Nun  zeigt  sich,  daß  diese  starke  Beanspruchung 
der  Fläche  bei  verhältnismäßig  kleinen  Winkeln,  die  zur  Erzielung  von  Wir- 
kungen im  Hügelland  nötig  ist,  für  Gebirge  vom  Charakter  der  Alpen  ver- 
hängnisvoll wird*).  Man  ist  daher  hier  mit  Erfolg  zur  Anwendung  der 
„schiefen  Beleuchtung^*  geschritten.  Diesmal  ist  der  Ausdruck  zutreffend,  denn 
die  Karte  ist  als  Nachbild  einer  plastischen  Darstellung  zu  denken,  der  das  Licht 
von  links  oben  kommt,  in  die  rechte  Hand  des  zeichnenden  Kartographen^). 
Da  es  sich  lediglich  um  ein  Aushilfsmittel  des  zeichnenden  Kartographen 
handelt,  so  ist  es  auch  nicht  zu  verwerfen,  wenn  man  auf  einem  Blatt  je 
nach  dem  Gegenstande  (Alpen  hier  —  Mittelgebirge  dort)  verschiedene  Me- 
thoden der  Darstellung  vereinigt  findet*).  Ja  der  Altmeister  unserer  Schul- 
kartographie, E.  V.  Sjdow,  ist  wenn  auch  nicht  mit  schiefer  und  „senkrechter'* 
Beleuchtung,  so  doch  mit  verschiedenen  Darstellungsfoimen  für  Alpen  und 
Mittelgebirge  vorgegangen^.  Früher  wurde  die  Schraffe  schwarz  gegeben, 
noch  die  vorletzte  Lieferungsausgabe  des  Stielerschen  Handatlas  zeigt  sie  so, 
jetzt  findet  man  sie  ziemlich  allgemein  braun  getönt,  wodurch  der  lockere 
Zusammenhang  zwischen  Lichteinfall  und  Schraffenstärke  noch  deutlicher 
wird.     Denn  nur  schwarz  ist  lichtlos,  nicht  braun. 

Die  Schraffe  (oder  die  Schummerung)  hat  den  Mangel,  daß  sie  nur  ganz 
allgemeine,  gewissermaßen  relative  Höhenverhältnisse  abschätzen  läßt  Auch 
mit  beigedruckten  Zahlen,  die  mit  Recht  inmier  mehr  Aufnahme  finden^),  ist 
doch  nur  lokal  geholfen.  Um  so  besser  vermag  dies  die  Isohypse,  die,  senk- 
recht zur  Schraffenrichtung,  die  Punkte  gleicher  Meereshöhe  miteinander  ver- 
bindet. Doch  entbehrt  sie  fast  ganz  der  plastischen  Wirkung,  sie  gleicht 
einer  „zusammengefallenen  Krinoline**  (Hauslab).  Das  ändert  sich,  wenn  man 
4ie  Zwischenräume,  also  die  Gebiete  einer  durch  die  begrenzenden  Isohypsen 
bestinmiten  Höhenlage  färbt  und  eine  geeignete  Farbenskala  zu  Grunde  legt^). 
Für  den  kleinen  Maßstab  imserer  Schulatlanten  handelt  es  sich  um  nicht 
sehr  zahlreiche  „Begionalfarbeu**,  zwischen  denen  man  die  trennenden  Iso- 
hypsen nicht  besonders  auszieht,  einen  besonderen  Ton  fOr  Depressionen, 
dann    dunkel-    und    hellergrün   für  Tiefland,    gelbliche    bis   weiße  Töne    für 

.  1)  Vgl.  z.  B.  Sydow-Wagner  Taf.  5,  Diercke  Taf.  1. 

2)  Daß  man  übrigens  auch  die  völlige  Dunkelheit  für  einen  höheren  Winkel 
wie  annähernd  90*  angewandt  hat  (Müfling),  sei  nebenbei  erwähnt. 

3)  An  einen  unmöglichen  Sonnenstand  45^  hoch  im  NW  ist  dabei  nicht  zn 
denken,  wie  man  auch  von  unten  (so  zu  sagen  von  S)  beleuchtete  Karten  bisher 
immer  wieder  aufgegeben  hat. 

4)  Vgl.  z.  B.  im  großen  Debes  Taf.  61 :  Mitteleuropa,  Alpen  und  Jura. 
ö)  Vgl.  Sydow  Taf.  20. 

6)  Mit  Recht  hat  Sydow-Wagner  Zahlen  gerade  auch  in  den  Tälern  und  an 
Flußläufen  verlangt  und  gegeben. 

7)  Die  interessantesten  Untersuchungen  über  „Farbenplastik"  und  verwandte 
Fragen  hat  in  den  letzten  Jahren  Peucker  veröffentlicht;  die  wegen  ihrer  Lösung 
des  oroplastischen  Problems  bemerkenswerteste  Karte  ist  augenblicklich  die  von 
dem  Schweizer  topographischen  Institut  in  Bern  herausgegebene  Karte  der  Schweiz. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen.  525 

mittlere,  braune,  dankler  werdende  für  größere  Höhen;  die  höchsten  Erd- 
erhebungen strahlen  dann  schließlich  im  blauweiß  des  Schnees.  Wegen  der 
geringeren  Beanspruchung  der  Fläche,  bei  mindestens  gleicher  Deutlichkeit, 
gefällt  mir  am  besten  weiß  für  mittlere  Höhenlagen  (wie  in  den  Perthesschen 
Atlanten).  Diese  Regionalfarben  werden  als  farbiges  Kleid  über  die  Schraffen- 
karte  geworfen,  gelegentlich  aber  auch  mit  dann  ausgezogenen  Isohypsen  für 
Übersichtsdarstellungen  der  Erhebungsverhältnisse  der  Erde  gebraucht.  Da 
sie  aber  statt  der  kegelmantelartigen  wirklichen  Erhebungsformen  der  Erd- 
oberfläche stufenweise  übereinander  gebaute  Klötze  zeigen,  eignen  sie  sich 
nur  für  solche  Übersichten  und  finden  sich  auch  kaum  mehr  wo  anders^); 
die  Versuche,  ihnen  größeren  Umfang,  ja  Alleinherrschaft  in  den  Atlanten  zu 
verschaffen*),  sind  mit  Recht  nicht  gelungen. 

Es  fragt  sich  nun,  wie  weit  sich  diese  Geländedarstellung  durch  Schraffe 
und  Regionalfarbe  mit  den  andern  oben  erwähnten  Elementen  vereinigen  läßt. 
Mit  Flußnetz,  Städtesignaturen  imd  dem  sonstigen  topographischen  Detail  ge- 
lingt das  ohne  größere  Schwierigkeit,  besonders  seit  die  Schraffe  braun  ge- 
worden ist'),  wenn  ich  nicht  irre,  übrigens  eines  der  vielen  Verdienste 
E.  V.  Sydows  um  die  Schulkartographie;  nicht  so  mit  andern  die  Fläche  be- 
anspruchenden Darstellungen.  Eine  solche  ist  das  politische  Gebilde  des 
Staates.  Es  wird  daher  ein  Verzicht  nach  dieser  oder  jener  Seite  in  Frage 
konmien.  Ehe  die  Schalkarte  die  Regionalfarbe  aufgenommen  und  noch  allein 
mit  der  Schraffe  arbeitete*),  gab  man  auf  schwarzer  Schraffe  farbig  um- 
ränderte Staaten^).  Versucht  man  dies  auf  braaner  Schraffe  und  auf  Regional- 
farben, so  wird  das  kaum  einwand&ei  gelingen.  Die  Regionalfarben  wirken 
so  kräftig,  daß  sie  schmale  bunte  Bänder  nicht  recht  zur  Geltung  kommen 
lassen*).  Eine  gewisse  Ausnahme  macht  auch  hier  die  rote  Farbe,  die  auch 
als  Linie,  nicht  als  Saum,  so  kräftig  wirkt,  daß  sie  sich  bestinmit  heraushebt 
und  deutlich  erkennen  läßt,  was  sie  amschließt.  So  wird  sie  mit  Erfolg  in 
vielen  Atlanten  angewendet  für  Karten  mit  wenigen  einfachen  Grenzlinien 
(für  die  meisten  europäischen  Länder  u.  a.).  Sobald  man  aber  einer  zu 
großen  politischen  Mannigfaltigkeit  gegenübersteht  (wie  in  Teilen  von  Deutsch- 
land, in  den  Vereinigten  Staaten,  in  der  Schweiz  u.  a.),  ist  die  rote  Grenz- 
linie ungeeignet.     Da  sie  nur  einfarbig  ist,  bleibt  die  politische  Verteilimg 


1)  Im  großen  Diercke  Taf  10  u.  11.  —  Im  großen  Debes  Taf.  6  (2).  —  Lüd- 
decke-Haack  Taf  44,  46.  —  Sydow- Wagner  Taf  6.  —  Richter  Taf  9.  —  Lehmann- 
Petzold  Taf.  9  u.  10. 

2)  Vgl.  die  vemnglückten  Versuche  H.  Langes  in  seinem  Volksschulatlas  und 
im  Liechtenatem  u.  Lange  in  den  70  er  u.  80  er  Jahren. 

8)  Vgl  entsprechende  Karten  der  vorletzten  und  der  letzten  Ausgabe  des 
Stielerschen  Handatlas. 

4)  Vgl.  den  alten  Schulatlas  von  Stieler  u.  a. 

5)  Die  ganze  Fläche  farbig  zu  belegen  war  zur  Deutlichkeit  nicht  nötig  und 
ging  bei  dem  Kupferdruckverfahren  und  der  Schablonenhandmalerei  nicht  an. 

6)  Vgl.  z.  B.  Sydow-Wagner  Taf.  21,  Mitteldeutschland.  Die  farbigen  Ränder 
drücken  einerseits  das  oro- hydrographische  Bild  im  Harz,  Thüringer  Wald,  der 
hohen  RhOn  zu  tief  hinab  xmd  gestatten  andererseits  doch  nicht  recht  das  klare 
Erkennen  der  Staatsgebilde  Koburg-Gotha,  Altenburg,  Eisenach. 


526   H.  Fischer:  Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schalen. 

unklar^),  und  da  der  Linien  viele  sind,  entstellt  sie  das  oro-hydrographiscbe 
Bild  bis  zur  Unkenntlichkeit. 

Somit  müssen  wir  auf  Begionalfarben  verzichten,  wenn  wtr  verwickeitere 
politische  Gebilde  klar  darlegen  wollen.  Tun  wir  das,  so  steht  die  Fläche 
für  politisches  Kolorit  frei.  Ob  nun  Flächenfarbe  oder  Farbensaum  gewählt 
wird,  ist  eine  Frage  von  untergeordneter  Zweckmäßigkeit.  Vielfach  wird  beides 
auf  einer  Karte  vereinigt,  Flächenfarbe  für  politische  (jlebilde  eines  gemein- 
samen Verbandes  (deutsche  Staaten,  österreichiscbe  Kronländer  u.  s.  w.),  farbige 
Säimie  für  die  begrenzenden  Staaten.  Hält  der  Fa^bensaum  die  Fläche 
weniger  besetzt,  so  läßt  die  Flächenfarbe  die  Schraffen  der  Gebirge  deutlidier 
in  ihrem  Zusammenhange  erkennen*).  Denn  ein  völliger  Verzicht  auf  jede 
Geländedarstellung,  der  eine  Zeitlang  auf  solchen  Karten  sich  zeigte^),  hat 
fast  ganz  aufgehört*).  Jenen  übereifrigen  Verteidigern  der  Länderkunde  in 
der  Geographie,  die  durchaus  die  Beziehungen  zwischen  Boden  und  politischer 
Grenze  ohne  Aufgabe  der  Regionalfarben  verlangen  und  sich  bei  dem  oben 
gegebenen  Hinweis,  daß  die  allerwesentlichsten  länderkundlichen  Faktoren, 
wie  der  geologische  Aufbau,  Klima  und  Pßanzenkleid,  ja  doch  nicht  mit  zur 
Darstellung  gelangt  sind,  noch  nicht  beruhigen  können,  möge  das  Beispiel 
eines  unserer  Altmeister  auf  dem  Gebiete  der  Länderkunde,  A.  Kirchhoffs, 
entgegengehalten  werden,  der  in  seinem  großen  Debes  durchaus  die  Zweiteilung  io 
„Fluß- und  Gebirgskarte"  und  „politische  Übersicht"  bevorzugt  und  nicht  einmal  an 
dem  im  übrigen  befolgteu  sehr  empfehlenswerten  Prinzip,  beide  Karten  auf  gegen- 
überliegenden Seiten  abdrucken  zu  lassen,  streng  festhält  (z.  B.  bei  Asien). 

An  die  Karten  zur  Länderkunde  im  allgemeinen  schließen  sich  jene  an, 
die  eng  begrenzte  Stellen  der  Erdoberfläche  nicht  zur  Erläuterung 
von  Terraindarstellungen,  sondern  um  dieser  selbst  willen  wiedergeben.  Sie 
bilden  eine  der  auffallendsten  Neuerungen  des  modernen  Schulatlas'.  Der  alte 
Sydow  enthielt  nur  ganz  untergeordnete  Kärtchen  von  Paris  und  London 
(Neapel  S.  1  hatte  einen  anderen  Zweck).  Schon  Wagners  Neuschöpfung 
bringt  ungefähr  20,  wird  aber  weit  vom  großen  Debes  und  noch  weiter  vom 
Diercke-Gaebler  überboten,  während  sich  der  Lehmann-Petzold  ihrer  wieder 
fast  ganz  enthält.  Vielleicht  wird  die  Beliebtheit  des  großen  Debes  und 
des  Diercke-Gaebler  z.  Tl.  aus  dem  Vorhandensein  dieser  Kärtchen  zu  erklären 
sein.  Beim  großen  Debes  ist  eine  bewußte  Auswahl  und  Beschränkung  zu  er- 
kennen; auf  den  letzten  9  Blättern  sind  78  „Typen"  von  Städten  und  Land- 
schaften vereinigt  und  so  gewählt,  daß  eine  gewisse  Vollständigkeit  für 
Deutschland  und  die  Alpen  erstrebt  imd  neben  sie  Typen  der  wesentlichsten 
fremden  Formen,  Fjord,  Wüste,  Atoll  gestellt  sind.  Der  Diercke-Gaebler, 
der  die  Typen  bei  den  zugehörigen  Ländern  bringt,  verfährt  vielleicht  etwas 
zu  stark  nach  dem  Prinzip  „wer  vieles  bringt,  wird  allen  etwas  bringen". 


1)  Lehmann-Petzold  Taf.  47  u.  48 ;  Kozenn  Taf.  80—32  u.  a. 

2)  Neuerdings  gibt  man  wohl  politischen  Karten  auch  statt  der  Schraffen 
einige  geschummerte  Höhenstufen  als  Geländeunterlage,  vgl.  Debes'  Handatlas, 
Peuckers  Handelsatlas. 

3)  Vgl.  sogar  Sydow  Taf.  7,  10  u.  a. 

4)  Doch  8.  z.  B.  noch  im  großen  Debes  Taf.  38. 


R.  v.Lendenfeld:  Agassiz' neaesteUntersuchungenüb. Korallenriffe.  527 

Es  wird  sich  fragen,  ob  diese  Erweiterung  unserer  Atlanten  zweckmäßig 
ist;  und  wenn  diese  Frage  zu  bejahen  ist,  ob  wir  schon  die  beste  Form 
gefunden  haben.  Ich  möchte  das  erste  sofort  zugeben.  Wenn  wir  yon  der 
Heimat  als*  dem  uns  persönlich  vertrauten  Stück  der  Erdoberfläche  ausgehen 
und  sie  so  zur  Grundlage  des  Erdkundeunterrichts  machen,  so  sind  zur  wirk- 
lichen Füllung  unserer  Begriffe  von  fremden  Gegenden  Karten  in  den  Maßen 
unserer  Heimatkarten  nötig.  Erst  wenn  das  berliner  Kind  eine  Karte  im 
Maßstab  von  etwa  1  :  0,2  Mill.  von  der  Umgebung  Berlins  auf  ebenso  groß 
gezeichnete  Alpenlandschaften,  Fjorde  oder  Oasen  legen  kann,  werden  ihm 
deren  Maße  verständlich.  Woran  es  aber  noch  fehlt,  das  sind  geeignete 
heimatkundliche  Karten  in  unseren  Atlanten.  Die  größeren  Schulatlanten 
geben  hier  eigentlich  gar  nichts.  Die  für  den  Anfangsunterricht  sind,  außer 
wenn  sie  auf  den  Unterricht  in  einer  bestimmten  Stadt  zugeschnitten^),  nicht 
ausreichend;  denn  solange  nicht  jeder  Schüler  seine  engere  Heimat  im  im- 
gef&hren  Maßstabe  1  :  0,1 — 0,2  Mill.,  seine  weitere  in  1  :  0,5 — 0,75  MilL 
in  seinem  Atlas  dargestellt  findet,  schwebt  die  wesentliche  Forderung,  daß 
die  Heimatkunde  die  Grundlage  des  Erdkundeunterrichts  sein  soll,  in  der 
Luft*).  Wir  haben  das  Vorbild  des  holländischen  Schulatlas  vor  uns,  das  wir 
bei  der  Größe  unseres  Vaterlandes  freilich  nicht  einfach  übernehmen  können '). 

(ScWuß  folgt.) 


Agassiz'  neueste  Untersachangeii  tt1)er  Korallenriffe  0- 

Von  August  1899  bis  März  1900  hat  Agassiz  in  dem  Dampfer  „Albatroß" 
die  Koralleninselgruppen  des  stillen  Ozeans  bereist  und  in  dem  vorliegenden 
Werke  die  Ergebnisse  dieser  Reise  veröffentlicht.  Besucht  wurden  die  Mar- 
quesas-,  Paumotu-,  Gesellschafts-,  Cook-,  Tonga-,  Fidschi-,  Elice-,  Gilbert-, 
Marshall-,  Karolinen-  und  Ladronen-Inseln.  Weder  Darwin  noch  Dana  noch 
sonst  ein  Korallenforscher  hat  Gelegenheit  gehabt,  so  viele  Koralleninsel- 
gruppen  zu  untersuchen,  und  keinem  von  Agassiz'  Vorgängern  hat  ein  so  gutes 
Seekartenmaterial  vorgelegen,  wie  ihm. 

In  der  Vorrede  bemerkt  Agassiz,  daß  er  seit  dem  Jahre  1877  fünfzehn 
Reisen  zwecks  Erforschung  4er  Korallenbauten  im  atlantischen  (westindische 
Inseln),  indischen  und  stillen  Ozean  unternommen  habe.  Seine  ersten  Korallen- 
arbeiten waren  beschreibender  Natur  und  mehr  objektiv  gehalten.  Erst 
später,  als  er  erkannt  hatte,  daß  seine  Beobachtungen  (in  den  westindischen 
Inseln  und  in  Florida)  mit  der  Darwinischen  Senkungstheorie  nicht  überein- 


1)  Diercke,  Atlas  für  berliner  Schulen.  —  Andree-Schillmann  (Lehmann),  Ber- 
liner Schulatlas. 

2)  Näheres  s.  Deutsche  Erde.  1902.  Nationale  Anforderungen  an  Atlanten  und 
Lehrbücher  der  Erdkunde  (Anfang). 

8)  Vgl.  z.  B.  die  Atlanten  von  P.  R.  Bob,  Kloeke,  Ten  Have,  Beekman  en  Schui- 
ling,  Bruine,  Bakker  u.  Deelstra,  von  denen  nur  die  beiden  letzten  wesentlich  unter 
1 : 0,5  Mill.  für  alle  Teile  des  Landes  bleiben,  die  anderen  1 : 0,4  Mill.  ja  1 : 0,8  MilL 
bevorzugen. 

4)  Agassiz,  A.    The  Coral  Reefs  of  the  Tropical  Pacific.    Mem.  Mus.  Comp 
Zool.  Havard.   Bd.  28.  4^  "y^^ni  u.  410  S.,  236  Taf.  Cambridge  Mass.  1908. 


528  R-  V.  Lendenfeld: 

stimmten,  gewann  die  Sache  für  ihn  auch  ein  subjektives  Interesse,  und  er 
setzte  nun  die  Untersuchungen  mit  Eifer  und  in  der  Absicht  fort,  die  Un- 
haltbarkeit  der  Senkxmgstheorie  Darwins  nachzuweisen  und  die  wahren  Ur- 
sachen der  Entstehung  der  Koralleninseln  zu  ergrCLnden.  Er  selbst  behauptet 
zwar,  daß  seine  Korallenriff- Arbeiten  keine  gegen  Darwin  gerichtete  Spitze 
enthielten,  wer  diese  Arbeiten  aber  liest,  wird  sofort  herausfühlen,  daß 
Agassiz  alle  jene  Beobachtungen  mit  innerer  Befriedigung  und  ausftlhrlich 
beschreibt,  welche  seiner  Meinung  nach  gegen  die  Senkungstheorie  sprechen, 
während  er  alles,  was  für  diese  Theorie  spricht,  mit  einem  gewissen  Un- 
behagen behandelt  und  möglichst  rasch  darüber  hinwegzukommen  sucht. 
Auch  die  vorliegende  Arbeit  ist  in  diesem  Sinne  geschrieben:  sie  ist  ein 
durch  236  Tafeln  illustriertes  Plaidoyer  gegen  die  Senkungstheorie.  Zweifel- 
los ist  Agassiz  der  beste  Korallenriff kenner,  den  es  je  gegeben  hat,  und 
niemand,  am  allerwenigsten  der  Referent,  wird  es  ihm  daher  verargen,  wenn 
er  für  seine  Überzeugung  von  der  Unrichtigkeit  der  Darwinschen  Senkungs- 
theorie solcherart  warm  eintritt. 

Über  die  einzelnen  Koralleninselgruppen  des  stillen  Ozeans,  die  er  besucht 
hat,  sagt  Agassi tz  folgendes:  In  den  Galapagos-  und  Marquesas-Inseln  wer- 
den nur  sehr  unbedeutende  Korallenbauten  angetroffen.  Es  gibt  da  nicht  ein- 
mal Strandriffe,  sondern  nur  einzelne  Korallenbestände  in  den  seichten  Buchten. 
In  den  Sandwich -Inseln  krönt  eine  Reihe  von  Riffen,  darunter  auch  echte 
Atolle,  die  vulkanische  Störungslinie  im  Westen  von  Kauai.  In  Samoa 
kommen  ausgedehnte  Strand-  imd  Wallriffe  auf  Upolu,  sowie  ein  Atoll,  die 
Rosen-Insel  vor.  Im  Paumotu-Archipel  werden  über  70  zum  Teil  sehr  aus- 
gedehnte Atolle  angetroffen.  Alle  Inseln  dieses  Archipels  bestehen  aus 
Korallenkalk,  viele  ragen  beträchtlich  hoch  empor.  Agassiz  ist  der  Ansicht, 
daß  die  niedern  Eilande  dieser  Gruppe  durch  Abtragung  aus  höheren  ent- 
standen seien.  Im  Osten  und  Westen  der  Paumotu-Inseln  liegen  Gruppen 
von  vulkanischen  Inseln,  welche  von  Wallriffen  eingeschlossen  werden;  im 
Osten  Manga  Reva,  im  Westen  die  Gesellschaftsinseln.  Nur  eine  einzige 
von  den  letzteren,  Tetiaroa,  ist  nicht  vulkanischer  Natur.  In  den  Gesell- 
schaftsinseln sind  die  Wallriffe  sowie  auch  die  Strandriffe  sehr  breit  und  die 
Lagunen  hinter  den  ersteren  ziemlich  seicht.  Die  Riffe  im  Nordwesten  und 
Westen  von  Tahiti  erscheinen  als  Übergänge  zwischen  Strand-  und  Wallriffen. 
Agassiz  ist  der  Ansicht,  daß  die  breiten,  mit  Korallen  bedeckten  Untiefen, 
welche  in  den  Freundschaftsinseln  die  einzelnen  vulkanischen  Eilande  um- 
geben, nicht  etwa  dem  Korallenwachstum  ihre  ^  Entstehimg  verdanken  und 
echte  Korallenriffe  im  Sinne  des  Referenten  sind,  sondern  durch  Abrasion  in 
der  Weise  gebildet  wurden,  daß  die  See  die  exponierten  Randteile  der  Inseln 
bis  zu  einer  gewissen  Tiefe  abgetragen  hätte  und  daß  diese  Terrasse  später 
mit  einem  dünnen  Überzug  von  Korallen  bedeckt  worden  sei. 

In  den  Paumotu-,  Ellice-  und  Marshall-Riffen  finden  sich  Kalkfelsrippen, 
die  radial  gegen  den  Strand  (äußeren  Atollrand)  ausstrahlen.  Diese  werden 
als  Reste  einer  —  sonst  überall  abradierten  —  gehobenen  Korallenkalkmasse 
angesehen.  Diese  Felsrippen  der  Paumotus  betrachtet  Agassiz  als  tertiär, 
jene  der  andern  genannten  Inselgruppen  als  weniger  alt.  In  den  Gilbert- 
Inseln  und  auf  Fidschi  sollen  sowohl  ältere  (tertiäre)  als  auch  jüngere  Fels- 
rippen dieser  Art  vorkonunen. 

Die  Breite  des  trockenen  Scheitels  niederer  Riffe  ist  großen  Schwankungen 
unterworfen.  Bei  kleineren  Atollen  wird  dieser  Scheitel  ausschließlich  von 
außen,  von  der  hohen  See  her,  bei  sehr  großen  Atollen  mit  einer  weit  aus- 


Agassiz'  neueste  Untersuchungen  über  Korallenriffe.  529 

gedehnten  Lagune  zum  Teil  auch  yon  innen,  von  der  Lagune  her,  aufgebaut. 
Verändernd  auf  die  Gestaltung  des  trockenen  Biffscheitels  wirken  außer  den 
besonders  hochgehenden  Wellen  auch  die  Winde  ein:  auf  vielen  Atollen 
werden  ftolische  Eorallensanddünnen  angetroffen,  welche  zuweilen  in  die  Lagune 
hinein,  seltener  auf  der  Leeseite  nach  außen,  meerwärts  vordringen. 

Die  Ablagerungen  in  jenen  tiefen  Senkungen,  welche  die  Atollgruppen 
der  PaumotuB   von  einander  trennen,  haben  Hochseecharakter  (roter  Lehm). 

Die  Inseln  der  Cookgruppe  sind  zum  Teil  vulkanische,  von  Korallenriffen 
eingefaßte  Bildungen,  zum  Teil  bestehen  sie  aus  gehobenem  Korallenkalk, 
zum  Teil  sind  sie  niedrige  Atolle;  die  Niue-Lisel  zwischen  den  Cook-  und 
Tonga-Inseln  ist  aus  gehobenem  Korallenkalk  zusammengesetzt.  In  der  Tonga- 
gruppe steht  gehobener  Korallenkalk  zu  Tage,  welcher  im  Süden  (Tongatabu) 
und  im  Norden  (Vavau)  Inseln  von  beträchtlicher  Ausdehnung  mit  Terrassen 
bildet. 

Der  Korallenkalk,  welcher  hier,  sowie  in  anderen  Inselgruppen  des 
tropischen  stillen  Ozeans  zu  Tage  tritt,  besteht  aus  Lagen  von  Korallenskeletten, 
welche  mit  Lagen  von  korallenskelettfreiem  Kalkstein  abwechseln.  Agassi z 
ist  der  Ansicht,  daß  die  letzteren  in  größerer  Tiefe  gebildet  und  nicht 
koralligener  Natur  seien.  Dieser  Kalkstein  soll  in  einer  Periode  positiver 
Strandverschiebung  gebildet  worden  sein.  Die  relative  Senkung  soll  ab- 
wechselnd schneller  und  langsamer  erfolgt  sein,  zuweilen  so  langsam,  daß 
die 'Erhöhung  infolge  von  Foraminiferen-Sedimentanhäufung  größer  als  das 
Hinabsinken  war.  Infolge  dessen  führte  diese  abwechselnd  rascher  und  lang- 
samer erfolgende,  positive  Strandverschiebung  zu  einer  Oszillation  des 
Meeresgrundes.  Kommt  bei  dieser  Oszillation  der  Grund  nahe  an  die  Ober- 
fläche heran,  so  bildet  sich  eine  Korallenbank,  sinkt  er  dann  unter  das 
Niveau  des  Korallen  Wachstums  herab,  so  wird  Foraminiferensediment  ab- 
gelagert. Daher  die  Wechsellagerung.  Tritt  dann  negative  Strandverschiebung 
ein,  so  erhebt  sich  dieser  Korallenkalk  über  die  Meeresoberfläche  und  bildet 
Inseln,  auf  welche  die  Atmosphärilien  und  das  Meer  abradierend  einwirken. 

In  der  Fidschigruppe  nehmen  sowohl  solche  gehobene  Korallenkalke, 
wie  auch  vulkanische  Massen  am  Aufbau  der  Inseln  teil.  Strand-  und  Wall- 
riffe sind,  namentlich  in  der  Umgebung  der  Hauptinseln,  gut  ausgebildet. 
In  einigen  von  diesen  Inseln  (Laugruppe)  steigt  der  Korallenkalk  bis  zu 
einer  Höhe  von  über  300  m  an,  in  anderen  (Argo)  sind  nur  sehr  spärliche 
Beste  desselben  erhalten.  Zahlreiche  Übergänge  verbinden  diese  beiden  Ex- 
treme. Die  Wallriffe  in  Fidschi  haben  kleine,  meist  kahle,  das  Meer  gar 
nicht  oder  nur  wenig  überragende  Scheitel  und  stehen  diesbezüglich  in 
scharfem  Gegensatz  zu  den  am  Scheitel  dicht  bewaldeten  Wallriffen  der 
Gesellschaftinseln.  In  Fidschi  sind  die  inneren  Teile  breiter  Strandriffe  sehr 
morsch.  Dies  soll  nach  Agassiz  die  Bildung  einer  Lagune,  eine  Verwand- 
lung des  Strandriffes  in  ein  Wallriff,  einleiten. 

Die  großen  Korallenblöcke  werden  von  Seeigeln,  Bohrmuscheln,  Würmern 
und  Krebsen  durchbohrt  und  zernagt,  dann  von  den  Wellen  abgerissen,  hin 
und  her  gerollt  und  weiter  zerkleinert.  Algen  und  Bohrschwämme  nisten 
sich  in  den  kleinen  Bollstücken  ein  und  lockern  dieselben  so,  daß  sie  in 
Körnchen  zerfallen,  die  gegeneinander  sich  reibend  immer  kleiner  werden, 
bis  sie  schließlich  vom  Wasser  entführt  werden.  Außer  dieser  mechanischen 
Zerstückelung  spielt  auch  die  chemische  Veränderung  und  Lösimg  des  Korallen- 
kalkes eine  sehr  wichtige  Bolle.  Am  Biffinnenrand  der  Atolle  sieht  man 
allenthalben  Anzeichen  dafOr,  daß  die  Lösung  des  Korallenkalkes  sehr  rasch 


530  R.  v.Lendenfeld:  Aga8Biz*neue8te  Untersuchungen  üb.  Korftllenriffe. 

Yor  sich  geht,  und  Agassi z  meint,  daß  die  Lösung  auf  der  Lagunenseite 
noch  bedeutender  als  draußen  an  der  8eeseite  seL  Daß  an  der  Atollaußen- 
seite die  mechanische  Desintegration  die  Lösung  und  an  der  Atollinnenseite 
die  Lösung  die  mechanische  Desintegration  überwiegt,  ist  wohl  sicher,  imd 
das  wird  zur  Folge  haben,  daß  die  Wirkung  der  Lösung  an  der  Riffinnenseite 
viel  deutlicher  als  an  der  Riffaußenseite  hervortritt;  daß  aber,  wie  Agassiz 
sagt,  die  Lösimg  an  der  (geschützten)  Riffinnenseite  absolut  größer  als  an 
der  (exponierten;  Riffaußenseite  sein  soll,  kann  der  Referent  nicht  glauben. 

Besonders  gut  ausgebildet  und  groß  sind  die  Lagunen  der  Atolle  in 
den  EUice-,  Gilbert  und  Marshall-Inseln.  Die  Gestalt  dieser  Atolle  ist  be- 
deutenden Schwankungen  unterworfen;  zumeist  sind  sie  sehr  unregelmäßig. 
Die  schmälsten  Riffscheitel  werden  in  den  Marshall-Inseln  angetroffen,  und 
innerhalb  der  Lagunen  dieser  Atolle  finden  sich  nirgends  größere,  bewaldete 
Eilande.  Nauru  und  Paanopa  im  Westen  der  Gilbert-Inseln  bestehen  aus 
gehobenem  Korallenkalk  imd  ragen  80  m  hoch  über  das  Meer  empor.  In 
den  Atollen  der  Marshall-Inseln  wurde  beobachtet,  daß  der  Wind  große 
Mengen  von  Korallensand  von  dem  Außenrande  des  Riffes  durch  Senkungen 
des  Riffischeitels  in  die  Lagune  hineinbläst.  Die  Karolinen  sind  z.  T.  hohe 
Tulkanische  oder  aus  gehobenem  Kalkstein  bestehende  Inseln,  welche  von 
Strand-  und  Wallriffen  eingefaßt  werden ,  z.  T.  niedrige  Atolle,  deren  Scheitel 
nur  auf  der  Windseite  von  kleinen,  trockenen  Eilanden  gekrönt  werden.  Das 
Ponape-Riff  zeichnet  sich  durch  seine  außerordentliche  Breite  aus.  Die  nörd- 
lichen Ladronen  sind  vulkanisch  und  haben  keine  Korallenriffe;  aber  auch 
in  den  südlichen  ist  die  Riffentwicklung  gegenwärtig  ziemlich  unbedeutend. 
Älterer  Korallenkalk  kommt  jedoch  in  den  südlichen  Ladronen  vor. 

Die  von  Agassiz  ausgeführten  Lotungen  zeigen,  daß  die  submarine 
Bank,  von  welcher  sich  die  nordwestlichen  Paumotu-Inseln  erheben,  1463  m 
tief  liegt.  Die  östlichen  Paumotus  ruhen  gruppenweise  kleinen  Plateaus  auf, 
welche  durch  sehr  bedeutende  Tiefen  von  einander  getrennt  werden.  Ebenso 
finden  sich  tiefe  Senkungen  zwischen  den  einzelnen  Eilanden  der  Gesellschafts- 
Inseln  und  zwischen  den  Cook-Inseln  einer-  und  Niue  und  Tonga  andrerseits. 
Die  Tonga-Inseln  erheben  sich  von  drei  submarinen  Plateaus,  welche  durch- 
schnittlich bloß  91  m  tief  und  durch  456  m  tiefe  Senkungen  von  einander 
getrennt  sind.  In  der  EUice -Gruppe  liegen  tiefe  Senkungen  zwischen  den 
einzelnen  Inseln.  Das  gleiche  gilt  für  den  größeren  Teil  der  Gilbert-  und 
Marshall-Inseln,  doch  sind  einzelne  von  diesen  —  ebenso  wie  die  östlichen 
Paumotus  —  gruppenweise  submarinen  Plateaus  aufgesetzt.  Die  Karolinen- 
Inseln  werden  gleichfalls  durch  große  Tiefen  von  einander  getrennt  und  zwi- 
schen diesen  und  den  südlichen  Ladronen  (Guam)  wurde  von  dem  ü.'  S.  S. 
„Nero"  die  größte  überhaupt  bekannte  Tiefe,  9636  m,  gelotet.  Agassiz  hat 
eine  größere  Zahl  von  Lotungen  in  den  Paumotus-,  Gilbert-  imd  Marshall- 
Inseln  in  Entfemimgen  von  400  bis  1600  m  vom  äußeren  Rifirande  aus- 
geführt, welche  Tiefen  von  411  bis  731  m  ergaben.  Diese  Angaben  stimmen 
mit  den  genauen,  vom  „Penguin"  am  Funafnti- Atoll  ausgefOhrten  Lotungen 
gut  überein  und  zeigen,  daß  bei  den  Koralleninseln  des  stillen  Ozeans,  die 
obersten  tausend  Meter  der  äußern  Riffböschung  völlig  ausnahmslos  eine  Nei- 
gung von  40 — 45  Grad  haben.  Das  Vorhandensein  steiler,  vielleicht  senk- 
rechter Stufen  von  100  bis  200  m  Höhe  in  den  oberen  Teilen  dieser  sub- 
marinen Abhänge  ist  wahrscheinlich.  In  Bezug  auf  die  Böschungsverhältnisse 
stehen  diese  pacifischen  Koralleninseln  also  in  einem  Gegensatze  zu  den 
atlantischen,  bei  denen  solche  steile  Abhänge  nicht  angetroffen  werden. 


Geographische  Neuigkeiten. 


531 


Diese  neue  Reise  hat  Agassiz  in  der  Anffassnng,  daß  die  Korallen 
stets  nur  ganz  dünne  Überzüge  bilden  und  daß  die  Masse  der  Inseln  aus 
Ttdkanischem  Gestein  oder  ans  „altem  Kalkstein'^  besteht,  bestärkt.  Wie  sich 
Agassiz  die  Entstehung  dieses  „alten**  Kalksteines  vorstellt,  ist  oben  aus- 
geführt worden.  Der  Referent  hat  aus  der  Lektüre  des  Werkes  und  aus 
dem  Studium  der  zahlreichen,  demselben  beigegebenen  Karten,  Durchschnitte 
und  Reproduktionen  yon  Photographien  den  Eindruck  gewonnen,  daß  die 
grundsätzliche  Unterscheidung  zwischen  rezentem  Riff  und  „altem**  Kalkstein, 
auf  welcher  die  Agassizsche  Auffassung  beruht,  keine  Berechtigung  hat,  und 
daß  jener  „alte  Kalkstein**  nichts  anderes  als  der  ältere,  abgestorbene  Teil 
des  wachsenden  Riffes  ist.  In  jenem  „alten**  Korallenkalk  findet  Agassiz 
—  dort  wo  er  empor  gehoben  wurde  und  frei  zu  Tage  steht  — ,  wie  er- 
wähnt, abwechselnde  Lagen  yon  Korallenskeletten  und  korallenlosem  Kalkstein. 
Die  letzteren,  mächtigeren  Lagen  nimmt  er,  wie  erwähnt,  als  gewöhnliches, 
ozeanisches  Kalksediment  in  Anspruch.  Dem  entgegen  ist  der  Referent  der 
Ansicht,  daß  die  korallenskelettlosen  Teile  jenes  Kalksteines  aus  den  inner- 
oder  außerhalb  des  Gürtels  lebhaft  wachsender  Korallen  an  der  äußern  Riff- 
kante angehäuften  Massen  von  Korallensand  bestehen.  Natürlich  werden  — 
fortschreitende  positive  Strandverschiebung  vorausgesetzt  —  solche  Korallen- 
sandmassen  sich  ein  Mal  über  das  wa^^hsende  Riff  ausbreiten,  und  ein  anderes 
Mal  werden  wieder  die  Korallen  auf  dem  Sande  Wurzel  fassen  tind  auf  seiner 
Oberfläche  eine  Korallenbank  bilden,  was  eine  Wechsellagerung  von  Korallen- 
skeletten mit  Lagen  von  Kalkstein,  die  keine  erkennbaren  Aorallenskelette 
enthalten,  zur  Folge  haben  muß.  Auf  Seite  XIX  sagt  Agassiz  bezüglich 
dieses  Kalkes  „The  formation  of  huge  masses  of  limestone  in  which  occur 
at  intervals  lajers  of  coraJs  or  beds  of  reef-building  corals  must  have  taken 
place  in  areas  of  subsidence**.  Obwohl  Agassiz  sich  lebhaft  bemüht,  diesen 
seinen  eigenen  Worten  eine  andere  Bedeutung  beizulegen,  so  erblickt  der 
Referent  in  denselben  doch  ein  gewisses  Zugeständnis  an  die  Anhänger  der 
Senkungstheorie.  Und  da  der  Referent  die  ganze  Masse  jenes  Korallenkalkes, 
auch  den  Teil  desselben,  der  keine  deutlich  erkennbaren  Korallenskelette  ent- 
hält, für  koralligen  hält  und  sie  als  den  älteren  bereits  mehr  oder  weniger 
fossilen  imd  metamorphosierten  Teil  des  rezenten  Riffes  ansieht,  erscheint  ihm 
dieses  Zugeständnis  ganz  besonders  wichtig.        R.  v.  Lendenfeld  (Prag). 


Geographische  Neuigkeiten. 


Allgemeines. 

Die  Verhandlungen  der  11.  Inter- 
nationalen Seismologischen  Kon- 
ferenz zu  Straßburg  (S.  408)  haben  nach 
viertägigen,  äußerst  lebhaften  imd  ein- 
gehenden Erörterungen  zu  einem  be- 
friedigenden Abschluß  gefuhrt.  Nach  Ab- 
lehnung einer  Reihe  von  Abänderungs- 
anträgen  wurde  von  den  Vertretern  der 
26  auf  der  Konferenz  vertretenen  Staaten, 
unter  denen  sich  eigentümlicherweise 
Frankreich  nicht  befand,  einstimmig  ein 
Abkommen  angenommen,  durch  welches 


die  Organisation  und  der  Arbeitsplan 
der  Assoziation  festgestellt  wird.  Organe 
der  Assoziation  sind:  a)  die  Generalver- 
sammlung, die  aus  den  Delegierten  der 
beigetretenen  Staaten  besteht  imd  min- 
destens alle  vier  Jahre  zusammentritt; 
b)  die  permanente  Kommission,  bestehend 
aus  dem  Direktor  des  Zentralbureaus  und 
aus  den  von  jedem  Einzelstaate  hierfür 
ernannten  Mitgliedern;  c)  das  Zentral- 
bureau, das  mit  der  Kaiserl.  deutschen 
Zentralstation  für  Erdbebenforschung  zu 
Straßburg  derart  verbunden  ist,  daß  de^ 


532 


Geographische  Neuigkeiten. 


Direktor  dereelben  zugleich  Direktor  des 
Zentralbureaus  ist  und  daß  die  Kräfte 
und  Mittel  der  Zentralstation  auch  den 
Zwecken  der  Internationalen  Erdbeben- 
forschung dienen.  Das  Zentralbureau 
sammelt  die  Berichte  der  einzelnen 
Länder,  vereinigt  sie  zu  allgemeinen  Über- 
sichten und  veröffentlicht  dieselben.  Jeder 
der  Assoziation  beigetretene  Staat  ver- 
pflichtet sich,  für  die  Zwecke  der  Asso- 
ziation einen  Jahresbeitrag  zu  zahlen. 
Die  Gesamtsumme  der  Jahresbeiträge  be- 
tragt mindestens  20000  JL  Die  Überein- 
kunft ist  zunächst  auf  die  Dauer  von  12 
Jahren,  beginnend  mit  dem  1.  April  1904, 
geschlossen.  Sie  gilt  für  jeden  der  bei- 
getretenen Staaten  auf  je  vier  Jahre  ver- 
längert, wenn  nicht  mindestens  6  Monate 
vor  Ablauf  dieser  Periode  eine  Kflndigung 
erfolgt  Die  Reichsregierung  wird  gemäß 
einer  von  der  Konferenz  gefaßten  Reso- 
lution die  angenommene  Übereinkunft 
auch  den  übrigen  bisher  nicht  beige- 
tretenen Staaten  übermitteln  imd  sie 
zum  Beitritt  einladen. 

#  Folgende  Terminologie  der 
wichtigsten  unterseeischen  Boden- 
formen ist  von  Prof.  Dr.  Supan  im 
Auftrag  der  internationalen  Kommission 
für  unterseeische  Nomenklatur  ausge- 
arbeitet und  von  Dr.  Mi  11  in  London  mit 
englischen  und  von  Prof.  Thoulet  in 
Nancy  mit  französischen  Terminis  ver- 
sehen worden. 

L  Großformen,  d.  h.  Formen  von 
weiter  Erstreckung  und  daher  Bestand- 
teile der  Hauptgliederung: 

1.  Von  dem  Kontinentalrande  gewinnt 
nur  der  Schelf  (engl.  Shelf,  franz.  Socle 
oder  Plateau  continental)  selbständige 
Bedeutung.  Er  ist  jener  Teil  des  Kon- 
tinentalrandes, der  sich  von  der  Grenze 
der  dauernden  Meeresbedeckung  ganz 
allmählich  in  der  Regel  bis  100  Faden 
oder  200  m  Tiefe  senkt  und  dann  plötz- 
lich in  einen  steileren  Abfall  übergeht. 
Beispiele:  der  britische,  der  Sunda-,  der 
Neufundland-Schelf. 

2.  Die  allseitig  von  Erhebungen  einge- 
schlossenen Vertiefungen  sind:  a) Becken, 
(engl.  Basin,  franz.  Bassin)  von  annähernd 
rundlicher  Gestalt,  in  denen  also  beide 
Horizontaldimensionen  nahezu  gleich  sind, 
b)  Mulden  (engL  Trough,  franz.  Vall^e) 
oder  langgestreckte,  breite  Vertiefungen 
mit  sanft  ansteigenden  Rändern.    Durch 


Quererhebungen  können  die  Mulden  in 
Becken  zerfallen,  wie  z.  B.  die  beiden 
atlantischen,  c)  Gräben  (engl.  Trench, 
franz.  Ravin),  auch  langgestreckte,  aber 
verhältnismäßig  schmale  Vertiefungen  mit 
steilen  Rändern,  von  denen  der  eine  (der 
kontinentale)  höher  liegt  als  der  andere 
(der  ozeanische). 

Die  Ausläufer  der  Mulden  und  Becken, 
die  mit  gleichbleibender  oder  allmählich 
abnehmender  Tiefe  in  die  Festlandmassen 
oder  in  unterseeische  Erhebungen  ein- 
dringen, oder  einerseits  von  Land,  ander- 
seits von  unterseeischen  Erhebungen  be- 
grenzt werden,  sind  a)  entweder  breit, 
von  rundlicher  oder  dreieckförmiger  Ge- 
stalt und  heißen  dann  Buchten  (engl. 
Embayment,  franz.  Golfe)  oder  b)  lang- 
gestreckt und  heißen  dann  Rinnen  (engl. 
Gally,  franz.  Chenal). 

8.  Die  Erhebungen  sind  entweder  all- 
seitig von  Vertiefungen  eingeschlossen 
oder  gehen  von  dem  Kontinentalrande 
aus.  a)  Alle  Erhebungen,  die  ganz  all- 
mählich unter  Böschungswinkeln  von 
einigen  Bogenminuten  ansteigen,  heißen 
Schwellen  (engL  Rise,  franz.  Seuil), 
gleichgültig,  ob  sie  langgestreckt  oder 
breit  sind  und  wie  ihre  vertikale  Ent- 
wicklung ist.  b)  Langgestreckte  Erhebun- 
gen, die  sich  durch  ihre  steileren  Böschun- 
gen kräftiger  markieren,  heißen  Rücken 
(engl.  Ridge,  franz.  CrSte).  Sie  sind  da- 
her schmäler  als  die  langgestreckten 
Schwellen;  der  Unterschied  ist  besonders 
dort  deutlich,  wo  eine  Schwelle  strecken- 
weise die  Gestalt  eines  Rückens  annimmt, 
wie  z.  B.  der  atlantische  Äquatorialrücken. 
c)  Plateaus  (engl.Plateau,  franz.  Plateau) 
sind  steilere  Erhebungen  von  größerer 
Ausdehnung,  in  denen  die  Längs-  und 
die  Breitendimension  nicht  erheblich  von- 
einander abweichen.  Sie  können  sich 
sowohl  aus  den  Vertiefungen  des  Meeres- 
bodens erheben,  wie  über  den  Schwellen 
(Azoren-Plateau) . 

4.  Die  tiefsten  Stellen  der  Vertiefungen 
heißen  Tief  (engl.  Deep,  franz.  Fosse); 
Z.B.Nero-Tief;  die  höchsten  der  Schwellen, 
Rücken  und  Plateaus,  soweit  sie  nicht 
dem  Sockel  von  Inseln  angehören  oder 
als  selbständige  Kleinformen  betrachtet 
werden  können.  Höh  (engl.  Height,  franz. 
Haut)  z.  B.  Valdivia-Höh  des  Walfisch- 
Rückens. 

n.  Klein  formen  von  geringerer  Aus- 


Geographische  Neuigkeiten. 


533 


debnung,  aber  sich  stets  durch  steilere 
Böschung  von  der  Umgebung  deutlich 
abhebend. 

1.  Erbebungen:  a)  Erhebungen  Ton 
langgestreckter  Form  und  meist  mit  un- 
ruhiger Oberfläche,  die  sich  im  raschen 
Wechsel  der  Tiefe  kundgibt:  Bücken, 
b)  Einzelerhebungen  oder  unterseeische 
Berge,  und  zwar:  a)  Kuppen  (engl. 
Dome,  franz.  D6me),  von  kleiner  Grund- 
fläche, aber  mit  steilen  Böschungen  in 
Tiefen  von  mehr  als  200  m  (z.  B.  Faradaj- 
Kuppe),  ß)  Bänke  (engl.  Bank,  franz. 
Banc),  die  sich  bis  zu  Tiefen  von  weniger 
als  200,  aber  mehr  als  11  m  erheben 
(z.  B.  Procupine-Bank  westlich  von  Irland.) 
y.  Riffe  oder  Gründe  (engl.  Reef,  od. 
Shoal,  franz.  R^cif  oder  Haut  fond),  die 
sich  wenigstens  bis  zu  11  m  dem  Meeres- 
spiegel nähern  und  dadurch  der  Schiifahrt 
gefährlich  werden  (z.  R.  Paracels-Riffe, 
Adler-Grund). 

2.  Vertiefongen:  a.  Kessel  (engl. 
Chaldron,  franz.  Caldeira)  sind  mehr  oder 
weniger  steile  Einstürze  von  verhältnis- 
mäßig geringer  Ausdehnung,  wie  der 
Monaco-Kessel  auf  dem  Azoren-Plateau, 
b.  Furchen  (engl.  Furrow,  frtmz.  Sillon) 
sind  tal-  oder  kanalartige  Einschnitte  in 
den  Kontinentalrand  und  mehr  oder 
weniger  senkrecht  zu  diesem  gestellt 
(z.  B.  Indus-Furche,  Ganges-Furche). 

Asien. 

♦  Über  die  von  Täte  in  Seistan, 
dem  Sumpfgebiete  an  der  Grenze  von 
Afghanistan,  Beludschistan  und  Persien, 
während  der  Arbeiten  der  Grenzkommission 
gemachten  Beobachtungen  berichtet 
Geogr.  Journal,  22  Bd.  S.  209.  In  Folge 
der  in  Afghanistan  herrschenden  Dürre 
war  der  untere  Hilmend  und  in  Folge 
dessen  auch  der  Hamun-i-Seistan  oder 
der  Hilmend-See  im  Sommer  1902  voll- 
ständig ausgetrocknet,  wodurch  ein  all- 
gemeines Fischsterben  und  der  Untergang 
aller  Wasservögel  und  ganzer  Herden 
von  Wildschweinen  verursacht  wurde.  Die 
Ruinen  der  alten  Stadt  Shahr-i-Sabari, 
die  für  gewöhnlich  von  Wasser  bedeckt 
sind,  waren  sichtbar  und  konnten  genau 
untersucht  werden,  ebenso  wie  der  Boden 
des  Sees,  der  aus  einer  Reihe  von  flachen 
Becken  besteht,  die  dorch  schmale  Kanäle 
untereinander  in  Verbindung  stehen. 
Durch  Messungen  konnte  ein  Ansteigen 


des  Seebodens  nach  Süden  und  Westen 
festgestellt  werden.  Am  1.  März  d.  J. 
begann  der  Hilmend  zu  steigen  und  der 
See  sich  allmählich  mit  Wasser  zu  füllen, 
welches  durch  den  Rud-i-Perian,  den 
Hauptarm  des  Flusses,  in  den  See  ein- 
strömte. Später  strömte  auch  durch  den 
Farah-Rud  von  Norden  und  durch  den 
^ash-Rud  von  Osten  Wasser  in  das  See- 
beoken,  das  Anfang  Mai  vollständig  ge- 
füllt war.  Bei  Tschakansur  an  der  Mün- 
dung des  Kash  Rud  wurden  dadurch 
weite  Gebiete  überschwemmt,  auf  denen 
nach  dem  Sinken  des  Wasserspiegels 
saftige  Viehweiden  entstanden.  Im  Alter- 
tum war  das  Land  durch  ein  sinnreiches 
Irrigationssystem  bewässert  und  zahl- 
reiche Trümmer  von  Städten,  Festungen 
und  Dörfern  zeugen  noch  von  der  hohen 
Kultur  des  Landes  zur  Zeit  der  Parther, 
der  S^then  und  der  Kalifen. 

4t  Über  seine  Reise  nach  Tibet  und 
seinen  Aufenthalt  in  Lhasa,  der  seit 
Huc  und  Gäbet  1846  von  Europäern  nicht 
wieder  betretenen  Hauptstadt  des  Landes, 
machte  G.  Z.  Zjbikow  in  der  allgemeinen 
Sitzung  derK.russ.  Geographischen  Gesell- 
schaft in  St.  Petersburg  die  ersten  aus- 
fohrlichen  Mitteilungen.  Zybikow  ver- 
dankt die  glückliche  Ausfuhrung  seines 
Unternehmens  ausschließlich  dem  Um- 
stand, daß  er  als  geborener  Burgäte  und 
Buddhist  sowohl  die  tibetanische  Sprache 
vollständig  beherrschte,  wie  auch  mit 
den  religiösen  Gebräuchen  eingehend 
vertraut  war;  hätten  die  Tibetaner  in 
Erfahrung  gebracht,  daß  er  als  Burgäte 
eine  europäisch -wissenschaftliche  Aus- 
bildung genossen  hatte,  so  wäre  auch  er 
wie  die  zahlreichen  von  Rußland  imd 
England  begünstigten  Reisenden,  oder 
wie  andere  Forscher,  die  wie  Rockhill, 
Dutreil  de  Rhins,  Rjinhart,  Sven  Hedin 
u.  a.  keine  politischen  Pläne  verfolgten, 
vor  verschlossene  Tore  gekonmien.  Zybi- 
kow hat  Tibet  auf  dem  Wege  erreicht, 
den  Prschewalski  1879  verfolgt  hatte; 
nach  Überschreitung  des  Bumsa-Gebirges, 
wo  der  erfahrene  russische  Reisende  hatte 
umkehren  müssen,  durchzog  die  Karawane 
eine  von  ostwestlichen  Parallelketten 
durchschnittene  Alpenlandschaft.  Erst 
100  km  nördlich  von  Lhasa  findet  sich 
ansässige  Bevölkerung,  welche  Ackerbau 
treibt.  Lhasa  selbst  liegt  in  der  breiten 
Talsenkung  des  Tsangtschu  oder  Sango, 


534 


Geographische  Neuigkeiten. 


welcher  nach  dem  Durchbruch  durch  den 
Himalaja  Brahmaputra  heißt;  der  nörd- 
liche Zufluß,  an  welchem  Lhasa  liegt, 
heißt  Uitechu.  Ganz  Tibet  zahlt  höch- 
stens 8%  Mill.  Einwohner,  von  denen 
etwa  1  Mill.  Centraltibet  bewohnen.  Die 
eingeborene  Bevölkerung  nennt  sich  selbst 
Owo.  Die  Stadt  Lhasa  zählt  höchstens 
10000  ständige  Einwohner,  wozu  aller- 
dings ein  starker  Zustrom  von  Land- 
bewohnern, Pilgern,  Händlern  u.  s.  w. 
hinzukommt.  Der  jetzige  Dalai  Lama 
ist  27  Jahre  alt.  Der  ausführliche  Reise- 
bericht wird  ohne  Zweifel  sowohl  über 
Land  und  Leute  wie  auch  über  die 
staatlichen  Einrichtungen  viele  Irrtümer 
berichtigen,  welche  entstanden  sind  auf 
Grund  von  flüchtigen  Beobach^tungen 
durch  Europäer,  die  nur  kurze  Zeit  im 
Lande  weilen  konnten  und  meistens  die 
Landessprache  nicht  beherrschten,  oder 
von  Aussagen  von  Händlern  und  Pilgern 
der  verschiedensten  Völker,  die  natur- 
gemäß ihr  Augenmerk  hauptsächlich  auf 
andere  Dinge  richteten.  Die  karto- 
graphische Ausbeute  scheint  nach  den 
bisherigen  Andeutungen  nicht  bedeutend 
zu  sein,  doch  liefert  Zybikow  auch  Be- 
richtigungen zu  dem  Stadtplane  von 
Lhasa,  den  wir  den  Aufnahmen  des  Pun- 
diten  A.  K.  verdanken.  (Pet.  Mittl.  1908. 
S.  166.) 

Afk*lka. 

*  Die  von  der  internationalen  Gesell- 
schaft für  Erdmessung  ins  Werk  gesetzte 
Gradmessung  durch  Afrika  von 
Kapstadt  bis  zum  Mittelländischen 
Meer  schreitet  rüstig  vorwärts.  Das  vom 
Leiter  der  Kap -Sternwarte  David  Gill 
im  Jahre  1886  begonnene  Riesenwerk 
der  Gradmessung  durch  Afirika  wurde 
von  diesem  Gelehrten  mit  L^nterstützung 
der  Chartered  Company  bis  zur  Stadt 
Sumbo  am  Sambesi  durchgeführt.  Jetzt 
wird  die  Strecke  vom  Sambesi  bis  zum 
südlichen  Ende  des  Tanganjika  in  An- 
griff genommen,  wozu  eine  englische 
Expedition  bereits  im  März  von  Kapstadt 
abgegangen  ist.  Leiter  der  Expedition 
und  der  vorzunehmenden  Gradmessungs- 
arbeiten ist  der  Schwede  Dr.  Rubin,  der 
den  schwedischen  Teil  der  Gradmessungs- 
arbeiten auf  Spitzbergen  geleitet  hat  und 
deshalb  für  diese  Arbeiten  ausgezeichnet 
vorgebildet  ist.    Man  hofit,  die  Arbeiten  ' 


bis  zum  Tanganjika  in  drei  Jahren  zu 
vollenden.  Später  wollen  dann  die  Eng- 
länder an  der  Nordgrenze  von  Dentsch- 
Ostafrika  die  Messung  fortsetzen,  so  daß 
Deutschland  das  fehlende  Glied  in  Deutsch- 
Ostafrika  auszufüllen  haben  würde.  Wie 
bereits  früher  (V.  Jhrg.  S.  476)  schon  mit- 
geteilt, wird  man  nach  Vollendung  der 
Vermessung  des  sich  über  66  Breiten- 
gradehinziehenden afrikanischenMeridian- 
bogens  den  bereits  vor  70  Jahren  von 
Struwe  vermessenen  russischen  Meridian- 
bogen, der  sehr  nahe  dem  vermessenen 
afrikanischen  Meridian  verläuft,  mit  dem 
afrikanischen  Meridianbogen  in  Verbindung 
bringen,  wodurch  man  die  Länge  eines 
vom  Kap  der  guten  Hoffnung  bis  zum 
Kap  Fnlgenäs  (nahe  dem  Nordkap) 
reichenden  Meridians,  der  sich  über  105 
Breitengrade   erstreckt,   erhalten  würde. 

*  Der  Macmillanschen  Expedition, 
wcdche  den  Blauen  Nil  auf  einer  Fluß- 
fahrt vom  abessinischen  Hochlande  zum 
Tieflande  des  Sudan  vollständig  er- 
forschen wollte  imd  zu  diesem  Zwecke 
in  eisernen  Pontons  am  26.  Juni  vom 
Tanasee  flußabwärts  fuhr,  ist  nach  einer 
Reutermeldung  aus  Aden  vom  22.  Juli  ein 
Unfall  zugestoßen,  der  das  Mißlingen  der 
Expedition  zu  Folge  gehabt  hat.  Zwei  von 
den  Fahrzeugen,  welche  einen  großen 
Teil  der  Vorräte  der  Expedition  ent- 
hielten, gingen  bei  der  Durchfahrung 
von  Stromschnellen  verloren,  wobei  sich 
die  Insassen  durch  Schwimmen  ans  Ufer 
zu  retten  vermochten.  Die  Expedition 
sah  sich  in  Folge  dessen  gezwungen,  nach 
Addis  Abbeba  zurückzukehren,  von  wo 
aus  die  Mitglieder  die  Heimreise  an- 
getreten haben. 

4^  Die  bisherige  Anschauung  von  der 
geologischen  Vergangenheit  der 
Sahara  wurde  vor  zwei  Jahren  durch 
die  Tatsache  arg  erschüttert,  daß  der 
französische  Geolog  deLapparent  einen 
fossilen  Seeigel  aus  der  Oase  Bilma  zu- 
gesandt erhielt,  woraus  dieser  Forscher 
folgerte,  daß  das  Meer  in  cretacischer 
Zeit  die  Gegend  um  den  Tschadsee  herum 
bedeckt  haben  müsse.  Diese  Folgerung 
hat  in  jüngster  Zeit  dadurch  eine  starke 
Stütze  erhalten,  daß  französische  Offiziere, 
welche  auf  Veranlassung  Lapparents  nach 
weiteren  Versteinerungen  in  jenen  Gegen- 
den suchten,  an  einem  Orte  ungefähr 
450  km  westlich  von  Sinder  in  horizontal- 


Geograpliisclie  Neuigkeiten. 


535 


geschichtetem  Kalkstein  Petrefakte  fanden, 
die  sich  bei  genauer  Untersuchung  in 
Paris  als  ein  Nautilus  und  vier  Seeigel 
erwiesen.  Ähnliehe  Fossilien  sollen  sich 
nach  den  Aussagen  der  Offiziere  auch  in 
der  Gegend  zwischen  Sinder  und  der 
Oase  Air  finden.  Aus^  diesen  Funden 
und  aus  der  TÖllig  ebenen  Oberfläche 
jener  Gegenden  um  den  Tschadsee  schließt 
nun  Läpparent,  daß  das  cretacische 
Meer  sich  bi»  zum  Tschadsee,  sogar  bis 
nach  Bilma  ausgedehnt  hat.  Aus  der 
großen  Ähnlichkeit  zvrischen  den  am 
Tschadsee  gefundenen  Seeigeln  und  solchen 
neuerdings  in  der  Umgebung  von  Dakar 
gefundenen  schließt  Lapparent  weiter, 
daß  sich  ein  Meeresarm  vom  atlantischen 
Meere  aus  binnenwärts  bis  zur  östlichen 
Sahara  erstreckt  haben  muß.  Femer  ist 
dieser  Forscher  der  Meinung,  daß  die  bei 
Bilma  gefundenen  Seeigel  einigen  indi- 
schen Arten,  die  bisher  nur  in  Indien 
und  Ägypten  gefunden  wurden,  nahe  ver- 
wandt sind,  daß  auch  zwischen  Indien 
und  der  centralen  Sahara  in  der  creta- 
cischen  Zeit  eine  ununterbrochene  Meeres- 
verbindung bestanden  hat.  Kord-Afrika 
würde  also  zur  Tertiärzeit  nur  aus  zwei 
großen  Inseln  bestanden  haben,  deren 
eine  die  Bergländer  von  Air,  Tassili, 
Ahaggar  und  l\iat  bildeten,  während  die 
andere  das  abessinische  Hochland  um- 
faßte.  (Geogr.  Joum.  22  Bd.,  S.  211.) 

♦  Die  Möglichkeit  einer  Wasserver- 
bindung zwischen  dem  Tschadsee 
und  dem  Golf  von  Guinea,  die  für 
die  Entwicklung  der  französischen  Be- 
sitzungen am  Tschadsee  von  großem 
Nutzen  wäre,  wurde  im  Jahre  1902  vom 
französischen  Kapitän  Lenfant,  der  den 
Niger  auf  seine  Schiffbarkeit  hin  unter- 
sucht hat,  in  einem  Vortrage  erwähnt 
und  daran  der  Wunsch  nach  Aussendung 
einer  Expedition  zur  näheren  Unter- 
suchung des  Problems  geknüpft.  Etwas 
später  berichtete  der  Kapt.  Löfler  über 
eine  Reise  von  Camot  durch  das  Quell- 
gebiet des  Benug  nach  dem  unteren 
ßchari,  auf  der  er  eine  Wasserverbindung 
zwischen  Benu6  und  Logone,  dem  Haupt- 
nebenfluß des  Schari,  feststellte.  Er  teilte 
mit,  daß  eine  große  Senke  zwischen 
beiden  Flüssen  selbst  in  der  Trockenzeit 
mit  einer  Reihe  von  Sümpfen  und  be- 
deutenderen Seen  ausgefüllt  sei,  die  in 
der  Regenzeit  zu  einer  einzigen  Wasser- 


fläche zusammenfließen  und  so  eine  Bifiir- 
kation  zwischen  Benuß  und  Logone  bil- 
deten, auf  der  ein  Bootsverkehr  stattfinde. 
Ende  Juli  1908  hat  nun  Kapt.  Lenfant 
mit  einer  Expedition  die  Ausreise  an- 
getreten, um  neben  einer  allgemeinen 
Erforschung  des  Niger-Benuö-Laufes  eine 
genaue  Untersuchung  des  Bifrirkations- 
problems  durchzuführen.  —  Auf  einer 
früheren  Reise  vom  Okt.1902  bis  Januar  1908 
längs  der  deutsch-französischen  Grenze 
unter  ca.  10^  n.  Br.  hat  aber  Oberleutnant 
Dominik  von  der  Kamerun-Schutztruppe 
dieses  Bifurkationsproblem  bereits  defini- 
tiv gelöst.  Dominik  bestätigt  vollständig 
die  Beobachtungen  Löflers,  doch  mit  der 
einschneidenden  Einschränkung,  daß  das 
Zusammenfließen  der  sog.  Tuburi-Sümpfe 
und  -Seen  zu  einer  Wasserverbindung 
zwischen  Benud  und  Logone  wohl  hin 
und  wieder  einmal  nach  einer  starken 
R^enzeit  stattfinden  kann,  aber  nicht 
zur  Regel  wird.  In  der  Regenzeit  1902, 
während  der  Dominik  die  Gegend  be- 
suchte, fand  jedenfalls  keine  Verbindung 
zwischen  BenuS  und  Logone  statt.  Wenn 
sich  nun  auch  die  Hoffnung  der  Franzosen 
auf  eine  zollfreie,  direkte,  ununter- 
brochene Wasserstraße  vom  Meer  bis 
zum  Tschadsee  nicht  verwirklicht  hat, 
so  wird  doch  dieser  Weg  unter  Ein- 
schiebung  einer  ca.  60  km  langen  Eisen- 
bahn vom  Logone  bis  zum  Anfangspunkt 
der  Schiffbarkeit  des  Mao  Kebbi  nicht 
nur  für  die  Deutschen,  sondern  auch  für 
die  Franzosen  von  großer  Bedeutimg  für 
den  Verkehr  nach  den  Tschadseegebieten 
werden.  Die  Untersuchungen  der  Ex- 
pedition Lenfant  werden  gewiß  die  Ent- 
wicklung dieses  Verkehrssystem  fördern. 
(No.  88   der  Deutschen  Kolonialzeitung.) 

Folargegenden« 

♦  Über  die  Eisverhältnisse  in  den 
Kordpolarregionen  im  Jahre  1902 
ergibt  der  kürzlich  vom  dänischen  mete- 
orologischen Institut  auf  Grund  der  ihm 
von  den  Schiffsführem  zugesandten  Nach- 
richten erstattete  Bericht  in  der  Haupt- 
sache das  Folgende:  Im  Jahre  1902 
brach  das  Wintereis  sehr  spät  auf,  und 
das  Polareis  lag  den  Nordküsten  von 
Europa  und  Asien  erheblich  näher,  als 
in  Normaljahren.  Der  ostgrönländische 
Eisstrom  führte  eine  außerordentlich 
große    Menge    von    Packeis    mit    sich, 


536 


Geographische  Neuigkeiten. 


während  auf  der  anderen  Seite  nur  eine 
ungewöhnlich  kleine  Anzahl  von  Eisbergen 
von  Grönland  herab  in  die  Gewässer  der 
gemäßigten  Zone  trieben.  Die  Erstreckung 
von  Polareis  in  den  nördlichen  Ver- 
zweigungen der  Bafßnsbaj  war  dagegen 
beschränkter  als  in  den  letzten  Jahren. 
Die  Sommerwitterung  war  in  allen  Teilen 
der  Polarregionen  mit  Ausnahme  von 
Westgrönland  rauh  und  unruhig,  in  den 
Meeresteilen  nördlich  vom  atlantischen 
Ozean  herrschten  nördliche  und  östliche 
Winde  vor.  Diese  Tatsachen  stehen  im 
Zusammenhang  mit  der  Eisverteilung, 
wie  sie  sich  im  Jahre  1901  gestaltet 
hatte:  Die  Anhäufung  von  Eis  im  Norden 
von  Spitzbergen,  die  in  Folge  der  vor- 
herrschenden Westwinde  eintreten  mußte, 
konnte  nur  einen  nachteiligen  Einfloß 
auf  die  Verteilung  des  Eises  um  Island 
und  Grönland  herum  im  Jahre  1902  aus- 
üben. Ebenso  waren  die  Verhältnisse  im 
Barents-Meer,  in  den  Gegenden  von 
Franz-Joseph-Land,  um  Spitzbergen,  Ost- 
Grönland  und  Idland  sehr  ungünstig.  Die 
Nordost-,  Ost-  und  Südostküsten  von 
Spitzbergen  waren  den  Sommer  hindurch 
völlig  unzugänglich;  ein  breiter  Gürtel 
von  Packeii  lag  vor  der  Küste  von  Ost- 
Grönland,  so  daß  ei  außerordentlich 
schwierig  war,  den  nördlichen  Teil  der 
Ostküste  von  Grönland  zu  erreichen;  die 
Eisverhältnisse  rund  um  Island  waren 
seit  1892  nicht  so  ungünstig,  wie  im 
vorigen  Jahre. 

Es  ist  im  hohen  Grade  wünschens- 
wert, daß  das  genannte  Institut  durch 
Zusendung  von  Berichten  der  Schiffs- 
führer von  allen  Seiten  in  den  Stand  ge- 
setzt werde,  diese  Jahresberichte  immer 
vollständiger  zu  gestalten.  Dazu  würde 
u.  a.  wesentlich  beitragen,  wenn  es  dem 
genannten  Institut  gelänge,  regelmäßig 
Auszüge  aus  den  Berichten  der  nach 
San  Francisco  heimkehrenden  Walfang- 
dampfer zu  erhalten.  Diese  Dampfer 
dringen  bekanntlich  durch  die  Bering- 
straße  in  das  Polarmeer  vor  und  befahren 
dann  die  arktische  Küste  Amerikas  bis 
zur  Mündung  des  Mackenziestromes  und 
weiter  östlich  selbst  bis  Banksland,  indem 
sie  an  dieser  Küste  zuweilen  sogar  wintern. 
Dr.  M.  Lindeman,  Dresden. 

♦  Die  beiden  Hilfsexpeditionen  zur  Auf- 
suchung der  Nordenskjöldschen  ant- 
arktischen Expedition  (S.  414)  sind  von 


der  Heimat  angebrochen.  Am  17.  August 
ging  das  schwedische  Entsatzschiff  „Frith- 
jof*  von  Stockholm  aus  in  See.  Leiter 
der  Expedition  ist  der  Kapitän  der 
schwedischen  Kriegsmarine  G  j  1  d  e  n , 
an  Bord  befinden  sich  insgesamt  28  Teil- 
nehmer, darunter  6  Gelehrte  xmd  Offiziere. 
Das  Schiff  geht  zunächst  nach  Bremer- 
haven, um  dort  die  Proviantausrüstong 
an  Bord  zu  nehmen.  Die  Weiterreise 
geht  dann  über  Plymouth,  Madeira, 
Buenos  Aires,  Feuerland  südwärts  zum 
Winterquartier  der  „Antarktic".  Die  fran- 
zösische Südpolarexpedition  unter  Führung 
von  Dr.  Charcot,  die  sich  ebenfalls  die 
Unterstützung  und  Aufsuchung  der  schwe- 
dischen Südpolarexpedition  zur  Aufgabe 
gemacht  hat,  ist  am  16.  August  von 
Havre  aus  in  See  gegangen. 

Geographischer  Unterricht. 
Gtoographische  Yorlesimgeii 

an  den  deutschsprachigen  UniTertitAten  uad  tech- 
nischen Hochschulen  im  Wintersemester  1909/4  L 
Deutsches  Beich. 

Berlin:  o.  Prof.  v.  Richthofen:  All- 
gemeine Geographie  II,  Geomorphologie, 
8  st.  —  Kolloquium,  2  st  —  Übungen  für 
Anftlnger.  —  Kartographische  Übungen. 
—  Einführung  in  den  Gebrauch  nautischer 
und  ozeanischer  Instrumente,  im  Institut 
für  Meereskunde.  —  o.  Prof.  Sieglin: 
Erklärung  von  Aviens  Ora  Maritima 
(Geographie  von  Gallien  und  Spanien  im 
Altertum),  2 st.  —  Übungen  des  Seminars: 
Geographie  Italiens  und  der  wichtigsten 
Provinzen  des  römischen  Reiches,  2  st.  — 
Pd.  Kretschmer:  Geographie  des  rus- 
sischen Reiches,  2 st.  —  Pd.  Meinar- 
dus:  Geographie  von  Centralamerika, 
Ist.  —  Pd.  Streck:  Übungen  des  Semi- 
nars für  historische  Geographie:  Geo- 
graphie von  Palästina,  2  st. 

Bonn:  o.  Prof.  Rein:  Ozeanographie 
und  Weltverkehr,  ist.  —  Übungen  über 
Polarländer,  2st.  —  Pd.  Prof.  Philipp- 
son:  Mittelroeerländer  mit  Berücksich- 
tigung des  Altertums,  8 st.  —  Kollo- 
quium, Ist. 

Breslau:  o.  Prof.  Part  seh:  Allgemeine 
physikalische  Geographie  I,  ist.  —  Völ- 
kerkunde von  Europa,  2 st.  —  Übungen, 
2 st.  —  Pd.  Leonhard:  Entdeckungs- 
geschichte und  Geogn^phie  der  Polfu*- 
regionen,  2  st. 

Briangen:     a.     o.    Prof.    Pechu&I- 


Geographische  Neuigkeiten. 


537 


Loesche:  Völkerkunde,  48t.  —  Übun- 
gen, 2  st. 

Freibürg  i.  Br.:  o.  Hon.-Prof.  Neu- 
mann:  Mathematische  Geographie,  Klima- 
tologie  und  Oseanographie,  Ost.  —  Ver- 
gleichende Übersicht  der  Kontinente,  1  st. 

—  Landeskunde  des  Großherzogtums  Ba- 
den, Ist.  —  Übungen,  iy,st.  — -  Kollo- 
quium. 

Gießen:  o.  Prof.  Sievers:  Allgemeine 
Geographie  II,  die  geogr.  Verbreitung  der 
Pflanzen  und  Tiere,  2 st.  —  Geographie 
von  Afrika,  28t.  —  Kartenkunde  der  neue- 
sten Zeit,  Ist.  —  Übungen,  2 st. 

Qöttingen:  o.  Prof.  Wagner:  Geogra- 
phie von  Europa,  3  st.  —  Kartographischer 
Kurs  far  Anfänger  I,  28t.  —  Übungen 
für  Fortgeschrittenere,  28t.  -—  Pd.  Frie- 
derichsen:  Allgemeine  Morphologie  der 
Landoberfläche  (mit  Demonstrationen  an 
Lichtbildern),  2  st. 

areifswald:  o.  Prof.  Credner:  All- 
gemeine Morphologie  der  Erdoberfläche  I, 
8  st.  —  Physische  Geographie  von  Deutsch- 
land, 28t.  —  Übungen,  Ist.  —  Demon- 
strationen, iy,st. 

HaUe:  o.  Prof.  Kirchhoff:  Europa 
(außer  Mitteleuropa),  4  st.  — -  Neuere  Er- 
gebnisse der  Erd-  und  Völkerkunde,  Ist. 

—  Repetitorium  über  Länderkunde,   Ist. 

—  Übungen,  Ist.  —  Pd.  Prof.  üle:  All- 
gemeine Erdkunde  11,  4  st.  —  Karten- 
kunde mit  praktischen  Übungen,  Ist.  — 

—  Pd.  Prof.  Schenck:  Wirtschaftsgeo- 
graphie, 2st.  —  Die  deutschen  Kolo- 
nien, Ist. 

Heidelberg:  a.  o.  Prof.  Hettner: 
Geographie  von  Europa,  4  st.  —  Typische 
Landschaften,  zur  Einführung  in  geogra- 
phisches Verständnis,    Ist.    —    Übungen, 

28t 

Jena:  a.  o.  Prof.  Dove:  Verkehrs-  und 
Handelsgeographie,  28t.  —  Landeskunde 
der  deutschen  Schutzgebiete,  2 st.  — 
Übungen,  Ist 

Kiel:  o.  Prof.  Krümmel:  Allgemeine 
Geophysik,  Ozeanologie,  Meteorologie,  4  st. 

—  KoUoquinm,  Ist.  —  Pd.  Eckert:  Die 
deutschen  Kolonien,  2  st  —  Übungen  über 
wichtigere  Kapitel  der  Wirtschafts-  und 
Verkehrsgeographie,  2  st. 

Königsberg:  o.  Prof.  Hahn:  Das 
Eisenbahnnetz  der  Erde,  seine  Geschichte 
und  gegenwärtige  Bedeutung,  1  st.  —  Topo- 
graphie des  nördlichen  Europa,  3  st.  — 
Übungen,  iy,st 


I  IteipBig:  o.  Prof.  Ratzel:  Die  Boden- 
formen und  ihre  Entstehung,  38t.  —  Der 
Indische  Ozean,  seine  Randländer  und 
Inseln,  politisch  und  wirtschafbsgeogra- 
phisch,  Ist.  —  Verkehrsgeographie,  8 st. 
—  Übungen  für  Fortgeschrittenere  über 
Gebirgs-  und  Talbildung,  2  st  —  Bespre- 
chung selbständiger  Arbeiten.  —  a.  o.  Prof. 
Berger:  Kosmographie  und  Geographie 
des  mythischen  Zeitalters  der  Griechen, 
2  st.  —  Im  historisch-geographischen  Se- 
minar: Erläuterungen  und  Übungen  am 
Globus,  iy,st  —  Pd.  Friedrich:  Wirt- 
schaftsgeographie des  Königreichs  Sachsen, 
2  st  —  Geogr.  Seminar  im  Auftrage  des 
Direktors:  Übungen  im  Lesen  geographi- 
scher Fremdnamen,  Ist 

Marburg:  o,  Prof.  Fischer:  Geogra- 
phie der  Mittelmeerländer,  3  st.  —  Übun- 
gen auf  dem  Gebiete  der  Morphologie  des 
Festlandes  (Talbildung),  2 st  —  Pd.  Ost- 
reich: Länderkunde  von  Amerika,  28t.  — 


Manchen: 

Münster:  o.  Prof.  Lehmann:  Allge- 
meine physische  Erdkunde,  11,  3 st  — 
Geographie  von  West-  und  Nordeuropa, 
3  st.  —  Allgemeine  Einleitung  in  das  Stu- 
dium der  Erdkunde,  Ist  —  Die  deut- 
schen Schutzgebiete  n,  Ist  —  Übungen 
in  Verbindung  mit  Kartenzeichnen. 

Bostock:  Pd.  Fitzner:  Geographie 
der  deutschen  Kolonien  in  Afrika,  28t.  — 
Übersicht  über  die  wichtigsten  neueren 
Forschungsreisen,  Ist.  —  Übungen,  28t. 

Straßburg:  o.  Prof.  Gerland:  Phy- 
sische Erdkunde  II,  Wasser-  und  Luft- 
hülle der  Erde,  48t.  —  Vogesen  und 
Schwarzwald,  Ist.  —  Übungen  für  Fort- 
geschrittenere, 28t.  —  Pd.  Rudolph: 
Geographie  von  Amerika,  4  st.  —  Übungen 
für  Anfänger,  2  st 

Tübingen:  a.  o.  Prof.  Sapper:  Völker- 
kunde, 2  st.  —  Vulkane  und  ihre  geogra- 
phische Verbreitung,  Ist  —  Übungen 
über  ausgewählte  Kapitel  der  physikali- 
schen Geographie. 

Würzburg:  a.  o.  Prof.  Regel:  Länder- 
kunde von  Süd-  und  Nordamerika,  46t. 
—  Übungen  (Anthropogeographie),  2  st. 

Handelshochschulen. 

Köln:    Prof.    Hasse rt:    Landeskunde 

und  Wirtschaftsgeographie  Asiens,  3  st.  — 

Die    deutschen   Schutzgebiete   in   Afrika 

(mit  Lichtbildern),  Ist  —    Kartenkunde, 


Oeographitche  Zeitoohrift.    9.  Jahrgang.  1908.  9.  Heft. 


86 


538 


Geographische  Neuigkeiten. 


mit  Berücksichtigung  der  SSchulkarten  und 
Schul  atlanten  (vorzugsweise  für  Handels- 
und Geographielehrer),  Ist.  —  Geogr. 
Übungen  über  Landeskunde  und  Wirt- 
schaftsgeographie Deutschlands,  2  st.  — 
Prof.  Rein:  Warenkunde  der  Rohstoffe 
und  Halbfabrikate  aus  dem  Mineralreich, 
3  st.  —  Übungen  und  Kolloquium  zur 
Warenkunde  der  organischen  Stoffe',  Ist. 
Schweiz. 

Basel: 

Bern:    o.  Prof.   Brückner:   Physika- 


lische Geographie  U,  8  st.  —  Geographie 
der  Schweiz,  2  st.  —  Einführung  in  die 
Länder-  und  Völkerkunde  von  Europa, 
1  st.  —  Vorträge  über  Probleme  aus  dem 
Gebiete  der  allgemeinen  Geographie,  Ist. 

—  Repetitorium,  2  st.  —  Kolloquium,  2  st. 

—  Anleitung  zu  selbständigen  Arbeiten. 
Zürich:  o.  Prof.  Stell:  Physikalische 

Geographie,  2  st.  —  Länderkunde  von  Ost- 
Europa  und  Russisch-Asien,  3  st.  —  Tier- 
geographie der  Schweiz,  Ist.  —  Länder- 
kunde von  Südeuropa,  2  st 


Bficherbesprechniigeii. 


Geographisches  Jahrbuch,  hrsg.  von 
H.  Wagner.  XXTV.  Bd.  1901  (444 S.) 
u.  XXV.  Bd.  1902  (488  S.  M.  K.) 
Gotha,  Justus  Perthes  1902  u.  1903. 
Je  JC  15.—. 

Das  Geographische  Jahrbuch  hat  auch 
in  den  beiden  vorliegenden  Bänden  selbst^ 
verständlich  seinen  bekannten  Charakter 
bewahrt,  der  sich  nun  durch  viele  Jahre 
im  ganzen  bewährt  hat  (vgl.  die  Be- 
sprechung G.  Z.  Bd.  Vn.  S.  707  ff.). 
Ich  kann  mich  deshalb  mit  einigen  kur- 
zen Andeutungen  begnügen.  Einen  be- 
sonders breiten  Raum  nehmen  die  aus- 
gezeichneten Berichte  ein,  welche  E. 
Hammer  über  die  Fortschritte  der  Karto- 
graphie und  der  geographischen  Land- 
messung, nun  leider  zum  letzten  Male, 
erstattet.  Daß  Hammer  es  sich  nicht 
versagen  kann,  sich  an  uns  Geographen, 
sowohl  denen,  welche  mathematische  Geo- 
graphie mit  Vorliebe  treiben,  wie  denen, 
die  sie  den  Geodäten  überlassen  wollen, 
etwas  zu  reiben,  ist  bekannt.  Dies  Mal 
sind  seine  Bemerkungen  namentlich  gegen 
meine  Auseinandersetzungen  in  dem  Auf- 
satze über  die  Grundbegriffe  und  Grund- 
sätze der  physischen  Geographie  gerichtet, 
und  ich  hatte  doch  so  gehofft,  es  ihm 
recht  gemacht  zu  haben;  leider  kann  ich 
ihm  den  Vorwurf  nicht  ersparen,  daß  er 
meine  Auseinandersetzungen  nicht  auf- 
merksam gelesen  und  in  Folge  kleiner 
Änderungen  nicht  richtig  wiedergegeben 
hat.  Die  Berichterstattung  über  die  Geo- 
physik des  Erdkörpers  ist  von  Her  ge- 
sell an  Langenbeck  übergegangen. 
Der  Bericht  von  Toula  ist  auch  dies  Mal 
wieder  rein  geologisch  und  speziell  strati- 


graphisch;  bei  seiner  Lektüre  würde  man 
nicht  ahnen,  daß  er  sich  nicht  in  einem 
geologischen,  sondern  in  einem  geogra- 
phischen Jahrbuch  befindet.  Die  Morpho- 
logie der  festen  Erdoberfläche  und  die 
geographische  Bodenkunde  bleiben  leider 
im  G.  Jb.  noch  unvertreten.  Über  die 
Tiergeographie  hat  Ortmann  dies  Mal 
einen  ausführlicheren  Bericht  erstattet, 
der  auch  das  Festland  berücksichtigt. 
Ein  Bericht  über  die  Geographie  des 
Menschen,  abgesehen  von  der  Ethnologie, 
steht  aber  leider  noch  aus.  Die  Ge- 
schichte der  Geographie  und  die  Länder- 
kunde von  Europa  fehlen  in  den  beiden 
vorliegenden  Jahrgängen.  Dagegen  sind 
die  außereuropäischen  Erdteile,  mit  Aus- 
nahme des  russischen  Asiens,  wo  der 
Herausgeber  im  Stich  gelassen  wurde, 
vollständig  vertreten;  den  Bericht  über 
Nordamerika  hat  an  Stelle  Weygands 
Deckert  übernommen.      A.  Hettner. 

Baedeker^    K«      Mittel-Italien    und 
Rom.      Handbuch     für     Reisende. 
13.  Aufl.    LXXX  u.  484  S.     1  Pano- 
rama von  Rom,  1  Ansicht  des  Forum 
Romanum,  1  Wappentaf.  d.  Päpste 
von   1417  an,  14  K.  u.  49  Pläne  u. 
Grundrisse.    L^pzig,  Baedeker  1903. 
JC  7.60. 
Dies   bewährte,   treffliche  und  reich- 
haltige    Handbuch     liegt     nunmehr    in 
13.  Auflage  vor.     Wie  natürlich  nimmt 
Rom   die  Hauptmasse   desselben   in  An- 
spruch, aber  daneben  sind  das  südliche 
Toskana,  Umbrien,  die  Marken  und  La- 
tium    behandelt.      Von    geographischem 
Standpunkte  kommen  eigentlich  nur  diese 


Bücherbesprechungen. 


539 


Abschnitte  in  Betracht,  da  Rom  im 
wesentlichen  in  Rücksicht  auf  Archäologie 
und  Kunstgeschichte  besprochen  ist;  und 
diese  angrenzenden  Landesteile  haben  in 
der  neuen  Auflage  um  so  mehr  Bereiche- 
rung erfahren,  als  diese  Gegenden  von 
Jahr  zu  Jahr  zugänglicher  und  damit  dem 
Fremdenbesuche  geöffiiet  werden.  Des- 
halb sind  auch  zahlreiche  kleine  Notizen 
wissenschaftlichen  Inhalts  über  die  Vul- 
kane, den  Gebirgsbau,  die  Flüsse  und  die 
Hauptnaturprodukte  au^nommen,  die, 
ohne  den  Umfang  des  Buches  zu  ver- 
mehren, gewiß  manchem  Reisenden  von 
Wert  sein  werden;  auch  wurde  die  Zahl 
der  Routen  in  Toskana  und  Umbrien, 
sowie  vor  allem  der  Ausflüge  in  das  Al- 
baner und  Sabiner  Gebirge  vermehrt. 
^  Deecke. 

Uedln^  Sven.  Meine  letzte  Reise 
durch  Inner-Asien.  („Angewandte 
Geographie",  Heft  6.)  50  S.  Halle  a.S., 
Gebauer-Schwetschke  1903.    JL  1.50. 

Das  Hefb  bringt  den  wörtlichen  Ab- 
druck jenes  Vortrages,  welchen  Sven 
Hedin  bald  nach  Rückkehr  von  seiner 
letzten  großen  centralasiatischen  Reise 
(1899  — 1902)  vor  zahlreichen  geographi- 
schen Gesellschaften  Deutschlands  und 
des  Auslandes  gehalten  hat,  und  welcher 
bisher  in  extenso  in  keiner  deutschen 
Fachzeitschrift  zum  Abdrucke  gelangt  war. 

Immer  von  neuem  läßt  man  sich  bei 
Lektüre  dieser  Darstellung  fesseln  von  der 
Anspruchslosigkeit  der  Schilderung,  dem 
oft  köstlichen  Humor,  mit  dem  der  schwere 
Ernst  mancher  Situation  glücklich  ver- 
hüllt wird,  von  dem  eigenartigen  Zauber 
der  vor  Hedin  von  keinem  Forscher  mit 
gleicher  Kühnheit  oder  annähernd  großem 
Erfolge  gequerten  Wüstengebiete  des 
Tarimbeckens  und  der  Hochländer  Tibets. 

Wenn  auch  dereinst  nach  Publikation 
des  am  Ende  dieses  Jahres  bei  F.  A.  Brock- 
haus in  Leipzig  erscheinenden  großen 
illustrierten  Reisewerkes  und  des  riesigen, 
nur  durch  die  werktätige  Mithilfe  der 
schwedisch  -  norwegischen  Regierung  zu 
ermöglichenden  wissenschaftlichen  Werkes 
und  Atlas  diese  kleine  Broschüre  in  den 
Hintergrund  gedrängt  werden  wird,  so 
bleibt  ihr  doch  stets  der  Wert,  den  Wort- 
laut jener  ersten  Vorträge  festgehalten 
zu  haben,  mit  welchem  Sven  Hedin 
unmittelbar   nach    seiner   Rückkehr   aus 


dem  Herzen  Asiens  eine  ganze  Welt  zu 
Bewunderung  und  Anerkennung  hinriß. 
Von  diesem  Standpunkte  aus  gebührt 
dem  Redakteur  der  „Angewandten  Geo- 
graphie" noch  ein  besonderer  Dank,  wenn 
er  die  Seiten  seiner  Zeitschrift  Sven 
Hedins  Reiseschilderung  öffnete,  ob- 
gleich wir  mit  ihm  selber  das  Gewagte 
anerkennen  müssen,  was  darin  liegt,  in 
eine  so  ausschließlich  der  Kultur-  und 
Wirtschaftsgeographie  gewidmeten  Zeit- 
schrift eine  reine  Reisebeschreibung  auf- 
zunehmen. Lidessen  wird  auch  dieser 
Fehler  nach  Kräften  dadurch  wieder  gut- 
gemacht, daß  Prof.  Dr.  Dove  den  Schil- 
derungen Sven  Hedins  eine  auf  klimato- 
logischer  Basis  ruhende,  knappe,  aber 
treff'lich  charakterisierende  Skizze  des 
Tarimbeckens  und  des  tibetanischen  Hoch- 
landes voraussendet  und  so  den  Rahmen 
bildet,  in  welchen  sich  Hedins  Detail- 
skizzen einordnen.  Auch  das  ist  schließ- 
lich Wirtschaftsgeographie,  geographisch 
nachzuweisen  und  zu  begründen,  daß  ge- 
wisse Strecken  unseres  Erdballes  der  Be- 
wirtschaftung aus  diesen  und  jenen  Grün- 
den gänzlich  oder  fast  völlig  entzogen 
sind!  Max  Friederichsen. 

de  MathuiBieulX)  M«  A  travers  la 
Tripolitaine.  302  S.  Paris,  Ha- 
chette  &  Cie.  1903.    Fr,  4.—. 

In  diesem  recht  anziehend  geschrie- 
benen, für  einen  weiteren  Leserkreis  be- 
rechneten Bändchen  schildert  der  Verf. 
eine  kleine  im  Frühling  1901  im  Auftrage 
des  französischen  Unterrichtsministeriums 
zu  archäologischen  Forschungen  ausge- 
führte Reise  durch  einen  kleinen  Teil 
von  Tripolitanien :  von  Tripolis  ziemlich 
genau  südwärts  etwa  76  km  zu  dem  wohl 
bekannten  Kasr  Gharian  und  von  da  auf 
dem  hohen  durch  Flußtäler  gegliederten 
Steilrande  der  sich  sanft  nach  Süden 
neigenden  Kreidetafel  ca.  50  km  west- 
wärts bis  zu  der  ähnlich  gelegenen  tür- 
kischen Bergfeste  Kasr  Jeffren  (Yffren), 
dann  durch  die  Djefara-Ebene  in  die 
Küstenoase  Zuara,  längs  der  Küste  über 
Tripolis  nach  Lebda  und  über  die  Hoch- 
fläche von  Tarhuna  nach  Tripolis  zurück. 

Gewiß  hat  der  Verf.  damit  den  besten, 
aber  doch  nur  einen  kleinen  Teil  von 
Tripolitanien  gesehen,  leider  ohne  vor- 
her oder  nachher  die  Literatur  durchge- 
arbeitet zu  haben.    Barth  und  Cowper 

36* 


540 


Bücher  besprechungen. 


scheinen  die  einzigen  Erforscher  des  Lan- 
des zu  sein,  deren  Berichte  er  studiert 
hat.  Darum  erscheint  ihm  das  Land  un- 
bekannter, als  es  wirklich  ist.  Tatsäch- 
lich bringt  er,  etwa  abgesehen  von 
der  eingehenderen  Beschreibung  der  Trüm- 
mer von  Leptis  magna  und  der  in  der 
Tat  sehr  glücklichen  Feststellung,  daß 
die  Sanam  von  Tarhuna  Ölpressen  sind, 
kaum  etwas  wesentlich  Neues  —  wenn 
nicht  ein  fachlich  wissenschaftlicher  Be- 
richt noch  folgen  soll.  Es  scheint  selbst, 
daß  der  Verf.  seinen  Weg,  abgesehen  von 
den  Höhenmessungen,  nicht  sorgsam  auf- 
genommen hat,  so  wünschenswert  das  ge- 
wesen wäre.  Es  trägt  die  Reise  somit 
nicht  viel  zu  einer  besseren  geographi- 
schen Kenntnis  Tripolitaniens  bei,  ja,  es 
werden  selbst  alte  Irrtümer,  wie  der,  daß 
der  gebirgige  Steilrand  der  Kreidetafel 
(S.  28  u.  161)  zum  Atlas  gerechnet  vrird, 
wieder  aufgefrischt!  Auch  die  Theorien 
über  die  Entstehung  der  Sahara  sind 
reichlich  veraltet.  Der  dabei  genannte 
Eischer  (S.  257)  ist  offenbar  Escher 
von  der  Linth. 

Daß  Tripolitanien  ein  nur  dürftig  aus- 
gestattetes   Land   ist,   unterliegt   keinem 
Zweifel,  aber  gewiß  nicht  so  dürftig,  wie 
der  Verf.  nach  seinen  Eindrücken  annimmt. 
Th.  Fischer. 

M.  Kellerers  Schulwandkarte  von 
Südbayern.  Bearbeitet  und  litho- 
graphiert von  Dr.  Wolf  und  Sohn, 
München.  München,  Kellerer  1902. 
JC  17.—. 

Schon,  das  Ausmaß  und  die  Abgrenzung 
der  Karte  zeigen  von  einem  starken  päda- 
gogischen Geschick.  Sie  ist  im  Maß- 
stabe 1 :  260  000  entworfen.  Dieser  läßt 
sowohl  eine  großzügige,  auch  für  ansehn- 
liche Schülermassen  deutlich  erkennbare 
Darstellung  des  Reliefs  im  allgemeinen 
zu,  wie  auch  die  Kennzeichnung  der  not- 
wendigen charakteristischen  Einzelheiten. 
—  Die  Karte  reicht  im  Süden  bis  in  die 
Nähe  des  Brenners,  im  Westen  bis  zum 
Meridian  von  Tübingen,  im  Osten  bis  zu 
jenem  von  Wels,  im  Norden  bis  zur 
Breite  von  Nürnberg  und  Amberg.  Sie 
gibt  also  nicht  bloß  die  deutschen,  son- 
dern auch  ein  beträchtliches  Stück  der 
österreichischen  Alpen  mit  Einschluß  der 
Hohen  Tauern  wieder.  Dadurch  zeigt 
sie    die    Geringfügigkeit    des    deutschen 


Alpenanteils,  sowie  seine  äußere  Ver- 
wandtschaft mit  den  Höhenlandschaften 
südlich  davon  klar  auf.  Im  Westen  und 
Norden  stellt  sie  den  Hauptteil  des  deut- 
schen Juras,  im  Nordosten  den  Kern  des 
böhmisch-bayerischen  Waldgebirges  dar. 
Sie  gibt  sonach  ein  Bild  der  süddeutschen 
Hochebene  im  Rahmen  ihrer  vollen  Be- 
grenzung und  im  engen  Zusammenhange 
mit  dem  österreichischen  Hügellande. 

Der  Hauptvorzug  der  Karte  liegt  in 
der  gewissenhaften,  plastisch  wirkenden 
Zeichnung  der  Bodenformen  sowohl  im 
Gebirge,  wie  in  den  Flachgebicten.  Die 
Höhenskala  ist  für  Tief-  und  Hochland 
gut  abgestuft  (für  100—200,  200  —  360, 
360—400,  400—600,  600—600,  600—700, 
700—800,  800—1000,  über  1000  m  abso- 
lute Erhebung),  die  J^rbengebung  vom 
dunkeln  Grün  zum  tiefsten  Braun  har- 
monisch und  dem  Auge  wohltuend.  Alles 
grell  Bunte  wird  vermieden.  Durch  diese 
Art  der  Höhengliederung  hat  man  ein 
Kartenbild  von  großer  Naturtreue  eraeugt. 
Und  was  pädagogisch  von  besonderer 
Wichtigkeit  ist:  Der  Grundtypus  der 
Berglandschaften  (als  Kamm-,  Gruppen- 
und  Plateaugebirge),  ihre  geographische 
Eigenart  tritt  greifbar  deutlich  entgegen. 
Wie  markant  hebt  sich  z.  B.  der  Jura  als 
Plateau  ab !  Wie  klar  erkennbar  ist  der 
Unterschied  zwischen  Böhmerwald  und 
Alpenketten,  zwischen  dem  Relief  der 
Moränenlandschaft  im  Süden  und  der 
tertiären  Hügellandschaft  im  Norden  der 
Donauhochebene!  Wie  leicht  ersichtlich 
ist  auch  aus  der  Feme  der  Verlauf  der 
größeren  Alpentäler  und  die  wirtschaft- 
lich so  bedeutsame  Paßsenke,  welche  von 
Cham  und  Fürth  nach  Tauß  führt!  Bei 
alledem  aber  erscheint  das  Gesamtbild 
des  dargestellten  Stückes  deutschen  Bo- 
dens überaus  ruhig  und  nichts  weniger 
als  überladen.  Es  ist  mit  liebevollem 
Versenken  in  die  geographischen  Besonder- 
heiten unserer  Heimat  und  mit  technischer 
Vollendung  zugleich  ausgeführt. 

Die  Wiedergabe  des  Reliefs  tritt  auf 
dieser  ^£^arte  schon  um  deswillen  stark 
hervor,  weil  die  Flußläufe  nicht  in  den 
widernatürlich  starken  Linien  angedeutet 
sind,  wie  auf  fast  allen  anderen  Wand- 
karten. Trotzdem  wird  der  aufmerksame 
Lehrer  gerade  von  unserem  Karten  bilde 
manches  hydrographisch  wichtige  Detail 
ablesen  können.    So  fällt  auf  den  ersten 


Bücher  besprechungen. 


541 


Blick  der  Charakter  des  Erdinger  Mooses 
(durch  ein  Versehen  fehlt  die  Andeutung 
der  Moorlandschaft  zwischen  Isar  und 
unterer  Amper)  als  eines  Quellmoores 
wegen  seiner  vielen  selbständigen  Wasser- 
adern auf;  das  Donaumoos  dagegen  er- 
kennt man  am  Fehlen  jener  zahlreichen 
Bäche  schon  äußerlich  als  Staumoor. 

Die  Nomenklatur  auf  der  Karte  ist 
reichlich,  ja  &st  allzu  reichlich.  Sie  genügt 
selbst  den  weitgehendsten  Ansprüchen, 
die  man  nach  dieser  Richtung  an  spe- 
zielle Karten  zur  Heimatkunde  stellt.  Ihr 
Schwarzdruck  drängt  sich  im  allgemeinen 
nicht  lästig  auf. 

So  bedeutet  dieses  Werk  gegenüber 
den  früheren  Darstellungen  Südbayems 
auf  Wandkarten  einen  tüchtigen  Fort- 
schritt, und  man  darf  mit  berechtigter 
Erwartung  seiner  weiteren  Ausdehnung 
über  ganz  Süddeutschland  entgegensehen. 
Es  wird  nicht  bloß  in  jenen  Lehranstalten 
mit  ganz  besonderem  Vorteil  gebraucht 
werden  können,  wo  der  Atlas  von  Lo- 
reck-Winter in  Gebrauch  steht,  sich  also 
Hand-  und  Wandkarte  nahezu  decken, 
sondern  es  wird  auch  für  diejenigen 
Schulen  von  hohem  Nutzen  sein,  wo  die 
Zöglinge  andere  Atlanten  benutzen.  Ja 
gerade  in  Schulen,  wo  die  Schüler  bloß 
die  einfachsten  und  oft  auch  schon  ver- 
altete Karten  in  Händen  haben,  wird 
diese  Wandkarte  viel  Segen  stiften. 

Dr.  Christian  Gruber. 

Fitzner  9  B.     Forschungen   auf  der 
bithynischen  Halbinsel.     183  S. 
10  Abb.,   3  geol.  Prof.,   1  K.  in  1  i 
160  000.    Rostock,   Volkmann    1903. 
JC  6. — , 
Dr.  Fitzner  bietet  uns  hier  als  wei- 
tere Ergebnisse  seiner  so  dankenswerten 
kleinasiatischen    Forschungen    diejenigen 
einer  Anzahl  kleiner  Ausflüge  und  Reisen 
von  Konstantinopel  aus  durch  die  bithy- 
nische  Halbinsel  im  Frühjahr  und  Som- 
mer 1900.    Der  größere  Teil  des  Werk- 
chens enthält  nach  einem  kurzen  Über- 
blick  über   seine   Vorgänger   den   etwas 
trockenen,  durch  recht  viele  geologische 
Einzelbeobachtungen  nicht  schmackhafter 
gemachten  Reisebericht.   Die  wichtigsten 
Ergebnisse  der  Reise  werden  dann  in  zwei 
zusammenfassenden  Abschnitten  vorgelegt, 
deren  einer  die  physische,  der  andere  die 
Kulturgeographie  behandelt.    Hie  und  da 


finden  sich  wertvolle  Literaturzusanmien- 
stellungen. 

Mit  Recht  hält  auch  Fitzner  den 
Bosporus  für  eine  Erosionsrinne  und  eben- 
so das  goldene  Hom  für  einen  Liman. 
Letztere  Erscheinung,  die  kaum  anders 
als  aus  einem  Sinken  des  Landes  erklärt 
werden  kann,  kennzeichnet  aber  die  ganze 
Küste  von  der  treffend  so  benannten 
großen  und  kleinen  Schublade  (Böjük  und 
Kütschük  Tschekmedsche)  am  Marmara- 
meere  und  dem  See  von  Terkos  an  bis 
nach  Burgas  und  weiter  nordwärts. 
Wichtig  ist,  daß  Fitzner  (S.  146)  unter 
dem  Tertiär  der  Halbinsel  von  Stambul 
devonische  Schichten  nachgewiesen  hat. 
Deshalb  können  aber  das  goldene  Hoi*n 
und  die  Flüsse,  welche  dieses  Erosionstal 
gebildet  haben,  doch  an  eine  Verwerfung 
gebunden  sein?  Das  Devon  reicht  auf 
der  bithynischen  Halbinsel  wesentlich 
weiter,  wie  Tschihatscheff  angenommen 
hatte,  nämlich  bis  zur  Saka^asenke,  wenn  ^ 
auch  in  großer  Ausdehnung  von  Kreide- 
schichten, namentlich  am  Nordrande,  be- 
deckt. 

Die  Bevölkerung  besteht  überwiegend 
aus  Mohammedanern ,  sog.  Türken ,  die 
ethnisch  außerordentlich  gemischt  sind, 
Ackerbauer  und  Viehzüchter;  an  der  Küste 
ringsum  Griechen,  im  Innern  tscherkes- 
sische,  armenische,  auch  eine  polnische 
Kolonie.  Im  westlichen  und  centralen 
Teile  wird  die  Volksdichte  auf  80—36 
Köpfe  geschätzt,  im  Osten  auf  weit  frucht- 
barerem Boden  ist  sie  höher.  Schade,  daß 
der  Verf.  die  bithynische  Riviera,  die 
eine  große  Zukxmft  hat,  nicht  eingehender 
geschildert  hat.  Für  mich  hat  diese 
Gegend  ein  besonderes  Interesse,  da  ich 
dort  vor  31  Jahren  meine  Mittelmeer- 
forschungen begonnen  habe.  Daß  neben 
dem  Ölbaume  hier  auch  Agrumen  fort- 
kommen, hätte,  weil  klimatisch  außer- 
ordentlich auffallend,  etwas  nähere  An- 
gabe verdient. 

Die  Karte  stellt  das  Gelände  durch 
Schummerung  und  zahlreiche  Höhenzahlen 
dar.  Dem  wissenschaftlichen  Kartographen 
würde  vielleicht  eine  schärfere  Hervor- 
hebung der  Reisewege  des  Verf.  im 
Kartenbilde  erwünscht  gewesen  sein.  Der 
Maßstab  hätte  wohl  genügt,  um  die  be- 
rühmte Quelle  am  KaYsch-Dagh  und  ähn- 
liche Erscheinungen  einzutragen. 

Th.  Fischer. 


542 


Neue  Bücher  und  Karten. 


Nene  Bflcher  und  Karten. 


Geichlehte  der  Geographie. 

Rüge,  S.  Topographische  Studien  zu 
den  portugiesischen  Entdeckungen  an 
den  Küsten  Afrikas.  (Abh.  d.  phil.- 
histor.  Kl.  d.  k.  sächs.  Ges.  d.  Wiss. 
Bd.  XX.  No.  VI.)  110  S.  1  Taf.  Leip- 
zig, Teubner  1903.    JL  8.60. 

Allgemeine  phyiliehe  Geographie. 

Bulletin  des  Resultats  acquis  pen- 
dant  les  courses  pdriodiques  pub- 
lid  par  le  bnreau  du  conseil  i)erma- 
nent  international  pour  Texplo- 
ration  de  la  mer  avec  Fassistance 
de  M.  Knudsen.  1902—1903.  No.  3. 
Fdvrier  1903.  S.  118—170.  2  K.  Kopen- 
hagen, Host  u.  Söhne. 

Hildebrandsson,  H.  Rapport  sur  les 
observations  internationales  des  nuages 
au  Comitd  International  Möt^orologique. 
I.  Historique.  Circulation  g^neral  de 
Tatmosphöre.  48  S.  22  Taf.  Upsala, 
Wretman  1903. 

DeaUchUnd  «nd  HachbarÜnder. 

Jerosch,  Marie  Gh.  Geschichte  nnd 
Herkunft  der  schweizerischen  Alpen- 
flora. Eine  Übersicht  über  den  gegen- 
wärtigen Stand  der  Frage.  VI  u.  263  S. 
Leipzig,  Engelmann  1903.     JL  8.—. 

Düggeli,  Max.  Pflanzengeographische 
und  wirtschaftliche  Monographie  des 
Sihltales  bei  Einsiedeln,  von  Roblosen 
bis  Studen  (Gebiet  des  projektierten 
Sihlsees).  VIH  u.  222  S.  4  Taf.  Zü- 
rich, Zürcher  &  Furrer  1903. 

Lang,  Hans.  Die  Entwickelung  der 
Bevölkerung  in  Württemberg  und  Würt- 
tembergs Kreisen ,  Oberamtsbezirken 
und  Städten  im  Laufe  des  XIX.  Jahr- 
hunderts. (Beitr.  z.  Gesch.  d.  Bevölke- 
rung in  Deutschland  seit  dem  Anf.  d. 
XIX.  Jahrh.  Bd.  Vü.)  XII  u.  241  S. 
3  Tab.  u.  5  K.    Tübingen,  Lanpp  1903. 

He  11  mann,  G.  Regenkarte  der  Provin- 
zen Hessen-Nassau  nnd  Rheinland  so- 
wie Hohenzollem  und  Oberhessen.   1  K. 


66  S.  Text  u.  Tabellen.    Berlin,  D.  Rei- 
mer 1908.     JL  1.70. 

AMAerdeaUche«  Kirop». 

Piccard,  E.  F.    Beiträge  zor  physischen 
Geographie  des  Finnischen  Meerbusens. 
Diss.   Xn  u.  124  S.    Kiel,  Jansen  1908. 
Nord-Amerlkm. 

Blum,  Rieh.  Die  Entwicklung  der  Ver- 
einigten Staaten  von  Nordamerika. 
(P.  M.  Ergh.  Nr.  142.)  VI  u.  106  S. 
Text  u.  Tab.  10  K.  auf  1  Taf.  Gotha, 
Justus  Perthes  1903.  JC  8.—. 
▲■fltrftllen  «nd  •«■trmlliche  Inielwelt. 

Semon,  R.  Im  australischen  Busch  nnd 
an  den  Küsten  des  Korallenmeeres. 
Reiseerlebnisse  und  Beobachtungen  eines 
Naturforschers  in  Australien,  Neu-Guinea 
und  den  Molukken.  2.  Aufl.  XVI  u. 
566  S.  86  Abb.  n.  4  K.  Leipzig,  Engel- 
mann 1903.     JL  16.—. 

PolargegendeB. 

V.  Drjgalski,  Erich.  Allgemeiner  Be- 
richt über  den  Verlauf  der  deutschen 
Südpolar-Expedition.  Vorbemerk,  von 
F.  V.  Richthofen.  Anhang;  Karl 
Luyken:  Bericht  über  die  Arbeiten 
der  Kerguelen-Station.  VIH  u.  63  S. 
Berlin,  Mittler  &  Sohn  1908. 
Geogrftphlicher  Unterrleht« 

Hasl,  Max.  Zur  Geschichte  des  geo- 
graphischen Schulbuches.  Diss.  103  S. 
Würzburg,  Becker  1903. 

Prüll,  Herm.  Fünf  Hauptfragen  aus 
der  Methodik  der  Geographie.  71  S. 
Leipzig,  Wunderlich  1908.     JL  —.80. 

Royal  Geographical  Society.  SyUa- 
buses  of  Instruction  in  Geography. 
I.  In  elementary  schools.  H.  In  higher 
schools.  London,  The  R.  Geogr.  Soc. 
1903. 

Seyfert,  Rieh.  Die  Landschaftsschilde- 
rung. Ein  fachwissenschaftliches  u. 
psychogenetisches  Problem,  dargestellt 
an  der  heimatkundlichen  Literatur  über 
das  Königreich  Sachsen.  118  S.  Leip- 
zig, Wunderlich  1903.     JL  1.60. 


ZeitschriftenBchau. 


543 


ZeitsehrifteiiscIiaB. 


Petermanns  Mitteilungen.  1903.  Nr.  7. 
Jerrmann:  Diamantino,  an  der  Grenze 
der  Zmlisation.  —  Isachsen:  Die  Wan- 
derungen der  östlichen  Eskimo.  —  Su- 
pan:  Terminologie  der  wichtigsten  unter- 
seeischen Meeresformen.  —  Supan:  Die 
deutsche  und  englische  Südpolarexpedi- 
tion. —  Fischer:  Zur  Entwickelung  un- 
serer Kenntnis  des  Atlas-Vorlandes  von 
Marokko.  —  Futterer:  F.  v.  Richthofens 
geomorphologische  Studien  aus  Ostasien. 

—  H an  n :  Bemerkungen  über  die  Schwere- 
korrektion bei  den  barometrischen  Höhen- 
messungen. 

Globus.  84.  Bd.  Nr.  3.  Jäger:  Speyer 
am  Rhein.  —  de  Mathuisieux*  Reisen 
in  Tripolitanien.  —  ten  Kate:  Neuere 
Publikationen  von  Dr.  R.  Lehmann-Nitsche. 

—  Basutoland. 

D(us.  Nr.  4.  Andrae:  Hausinschrif- 
ten aus  Dänemark.  —  de  Mathuisieux' 
Reisen  in  Tripolitanien.  —  Behrend: 
Die  Ems.  —  Tetzner:  Zur  Sprichwörter- 
kunde bei  Deutschen  und  Litauern.  — 
Krause:  Die  Yegetationsverhältnisse  des 
Lenagebietes. 

Dass.  Nr.  6.  Friedrich:  Einige 
kartographische  Aufgaben  in  der  Wirt- 
schafbsgeogpraphie.  —  Krebs:  Flutschwan- 
kungen und  die  vulkanischen  Ereignisse 
in  Mittelamerika.  —  Die  Inderansiedlun- 
gen bei  Tanga.  —  Schmidt:  Beiträge 
zur  Ethnographie  des  Gebietes  um  Pots- 
damhafen. —  Förstemann:  Inschriften 
von  Taxchilan. 

D<iss,  Nr.  6.  Friedrich:  Einige 
kartographische  Aufgaben  in  der  Wirt- 
schaftsgeographie. —  Tetzner:  Lock- 
und  Scheuchrufe  bei  Litauern  und  Deut- 
schen. —  Dar-es-Salaam.  —  Seidel: 
Kamerun  im  J.  1902.  —  Trinidad  und 
seine  Bedeutung.  —  Wilser:  Nachschrift 
zu  dem  „Beitrag  zur  Urgeschichte  des 
Menschen**.  Entgegnung  von  Prof.  E. 
Schmidt. 

Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  26.  Jhrg.  11.  Heft.  Sieger: 
Der  14.  deutsche  Geographentag  in  Köln. 

—  Jüttner:  Fortschritte  der  geographi- 
schen Forschungen  und  Reisen  im  J.  1902 
in   Amerika.    —    Schoener:  Die  Shet- 


lands-  und  Orkneyinseln.  —  Frankreichs 
Stellung  in  Nordafrika.  —  Prager:  All- 
gemeines über  die  Insel  Ponap^. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie,  1903. 
10.  Heft.  Mayer:  Das  fragende  Lehr- 
verfahren und  das  Lehrverfahren  in  der 
Länderkunde.  —  Gorge:  Zur  Behandlung 
der  Geographie  Amerikas  im  Mittelschul- 
unterricht. 

Dass,  11.  Heft.  Trampler:  Nach- 
wort  zur  geographischen  Abteilung  der 
Lehrmittelausstellung  zu  Ostern  1903. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1908.  7.  Heft. 
Mack:  Zur  Morphologie  der  Wolken  des 
aufsteigenden  Luftstromes.  —  Drap- 
czynsky:  Über  die  Verteilung  der  meteo- 
rologischen Elemente  zu  St.  Louis,  Mis- 
souri. 

Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erd- 
kunde zu  Berlin.  1908.  Nr.  6.  Engler: 
Über  die  Vegetationsformationen  Ost- 
afrikas. —  B aschin:  Dünenstudien.  — 
Wegen  er:  Einige  neue  Aufnahmen  vom 
Mt.  Pelä. —  Chevalier:  Aus  Französisch - 
Kongo. 

Beiträge  zwr  Kolonialpolitik  und  Kolo- 
niaJunrtschaft.  4.  Jhrg.  19.  u.  20.  Heft. 
Sander:  Zur  Erforschung  der  Tsetse- 
fliege. —  Hesse:  Die  ostafrikanische 
Bahnfrage. 

Deutsche  Geographische  Blätter.  Bd.  26. 
Heft  2.  Ratzel:  Heinrich  Schurtz.  — 
Schurtz  f:  Santiago  de  Compostela.  — 
Stavenhagen:  Das  Adriatische  Meer. 

Geographischer  Anzeiger.  IV.  Jhrg. 
Aug.  1908.  Halbfaß:  Die  Stellung  der 
Geographie  auf  den  preußischen  Gymna- 
sien und  Realgynmasien.  —  Immen- 
dörffer:  Die  Geographie  im  Lehrplane 
der  neuen  österreichischen  Mädchenlyceen. 
—  Lippold:  Gedanken  über  die  Her- 
stellung „fröhlicher  Eisenbahn-Ody  sseuse". 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Erdkunde 
zu  Leipzig.  1902.  Feldner:  Die  Fluß- 
dichte und  ihre  Bedingtheit  im  Eibsand- 
steingebirge und  dessen  nordöstlichen 
Nachbargebieten.  —  Stübler:  Anthropo- 
geographische  Studien  in  der  Sächsischen 
Schweiz. 

Mitteilungen  der  K.  K.  Geographischen 
Gesellschaft  in  Wien.    1908.    Nr.  5  u.  6, 


544 


Zeitschriftenschau. 


Krupitz:  Dr.  K.  v.  Scherzer  f.  —  v.  Lo- 
renz: Nachträgliches  über  das  Gmunde- 
ner  Schotterterrain. 

The  Geographiccd  Journal,  1903.  Nr.  2. 
Günther:  Earth  Movements  in  the  Bay 
of  Naples.  —  Smith:  Geographica!  Distri- 
bution of  Vegetation  in  Yorkshire.  — 
Hanbury:  Trough  the  Barren  Ground  of 
North  Eastem  Canada  to  the  Arctic  Coast. 

—  Terminology  and  Nomenclature  of  the 
Forms  of  Suboceanic  Relief.  — -  Note  on 
a  Map  of  South- West  China,  Capt  Ryder. 

—  German  Antarctic  Expedition. 

The  ScoUish  Geogra^ical  Magazine, 
1908.  Nr.  8.  Lapworth:  The  Relations 
of  Geology.  —  Botanical  Survey  in  York- 
shire. —  Begg:  Grand  Trunk  Pacific 
Railway  Extension.  —  Terminology  and 
Nomenclature  of  the  Forms  of  Suboceanic 
Relief. 

La  Geographie.  1908.  Nr.  1.  Squi- 
nabol:  üne  ezcursion  k  Capracotta  en 
Molise.  —  Superville:  De  TOubangi  ä 
N'Dell^  par  la  rivifere  Kotto.  —  Hardy: 
Les  r^serves  des  ßtats-ünis. 

Annales  de  Geographie.  1903.  Nr.  64. 
de  Lacger:  Le  Hasli  im  Grund,  ^tude 
de  morphologie  glaciaire.  —  de  Mar- 
gerie:  L'architecture  du  sol  de  la  France. 
— -  Blanchard:  Le  val  d'Orl^ans.  — 
Gaukler:  La  pluie  ä  Alger.  —  Dubois: 
Bas  Chan,  rive  sud  du  Tchad  et  Bahr  el 
Ghazal.  —  Girardin:  Eaux  courantes  et 
tourbillons.  —  Auerbach:  La  distribu- 
tion  de  la  population  de  Yalachie.  — 
Gautier:  Lettre  sur  le  Mougdir.  — 
Zimmermann:  L^atlas  des  colonies 
fran9aises. 

The  National  Geographie  Magazine. 
1903.    No.  8.   Austin:  The  Industries  of 


the  United  States.  —  The  Introduction 
of  the  Mango.  —  Moseley:  Rainfall  and 
the  Level  of  Lake  Erie 

Maryland  Geologicäl  Survey.  Cecil 
County.  (80  Taf,  24  Fig.,  8  K.)  Shat- 
tuk:  Developement  of  knowledge  concer- 
ning  the  Physical  Features,  with  biblio- 
graphy.  —  Ders.:  The  physiography.  — 
Bassom:  The  geology  of  the  Grystalline 
rocks.  —  Shattuk:  The  geology  of  the 
coastal  piain  formations.  —  Mathews: 
The  mineral  resources.  —  Bonsteel: 
The  soils.  —  Fassig:  The  climate.  — 
Pressey:  The  hydrography.  —  Bauer: 
The  magnetic  declinations.  —  Gurr  an 
u.  Sudworth:  The  forests. 

Daas.  Garett  County.  (26  Taf.,  12  Fig., 
2  K.)  Abbe:  The  Physiography.  — 
Martin:  The  geology.  —  Ders.:  The 
mineral  resources.  —  Fassig:  The  cli- 
mate. —  Pressey  u.  Paul:  The  hydro- 
graphy. —  Cur  ran:  The  forests. 

Aus  rerseliiedeneii  Zeitseliriften. 

Gebhardt:  Entdeck ungsfahrten  der  alten 
Norweger.  Beil.  z,  (Münch.)  Allg.  Ztg. 
1908.  Nr.  183. 

Pellehn:  Der  Pantograph.  Vom  ür- 
storohschnabel  zur  modernen  Zeichen- 
maschine. 1608—1908.  (23  Fig.)  Deut- 
sche Mechaniker-Ztg,  1903.  Nr.  10—14. 

de  Quervain:  Rapport  sur  les  lances 
de  ballons-sondes  faits  en  Russie. 
(ätude  de  Tatmosph^re  libre  par  son- 
dages.)  Observatoire  de  m^Soroiogie 
dynamique.  T.  III.  1903. 

Rumpelt:  Frühlingstage  am  Mittelmeer 
(Forts.).  Himmel  und  Erde.  XV.  Jhrg. 
1903.  Heft  11.  Aug. 


Verantwortlicher  Herautgeber:  Prof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  HeideTber(;f. 


Am  Mont  Pel6  im  März  1903. 

Von  Dr.  Gtoorg  Wegener. 

Im  Anfange  dieses  Jahres  fCÜirte  micH  eine  Studienreise  nach  Mittel- 
Amerika,  deren  Zweck  nnter  anderem  der  Besuch  der  Insel  Martinique  und 
die  Beobachtung  des  gegenwärtigen  Zustandes  des  Mt.  Pele  war. 

Die  ersten  Wirkungen  der  eruptiven  Tätigkeit  der  Antillen- Vulkane 
traten  mir  bereits  auf  der  Überfahrt  von  Hamburg  nach  St.  Thomas,  etwa 
300  Seemeilen  vor  diesem  Ziel,  entgegen;  während  nämlich  an  allen  vorher- 
gebenden  Abenden  im  Bereiche  der  wärmeren  Zone  die  Sonne  ohne  besondere 
Farbenspiele  untergegangen  war,  wie  es  im  allgemeinen  in  diesen  Breiten 
geschieht,  zeigte  sich  am  14.  März  einige  Minuten  nach  Verschwinden  des 
Tagesgestims,  und  zwar  fast  plötzlich,  ein  intensives  Dämmerungsleuchten, 
über  dem  üntergangspunkte  der  Sonne  beginnend  und  sich  dann  über 
die  Hälfte  des  ganzen  Firmaments  verbreitend.  In  feuriger,  rotgelber  Glut 
stand  der  Himmel,  und  auch  das  Meer  flammte  wie  transparent  in  diesem 
Schein.  Fast  eine  Stunde  dauerte,  langsam  verblassend,  das  Schauspiel,  ehe 
es  erlosch,  und  am  nächsten  Abend,  an  dem  wir  mit  dem  Inselchen  Sombrero 
das  erste  westindische  Land  sahen,  wiederholte   es  sich  in  derselben  Weise. 

Diese  Dämmerungserscheinungen  erklärte  man  in  St.  Thomas  für  Folgen 
der  Eruptionen  des  Pele  und  der  Soufrifere  von  St.  Vincent,  deren  fein  ver- 
teilter Aschendunst  in  der  Atmosphäre  hängen  bleibt,  ähnlich  wie  es  in  so 
großartigem  Maßstabe  vor  20  Jahren  beim  Krakatoa  der  Fall  gewesen  ist. 
Zuverlässige  dortige  Beobachter  sagten  mir,  daß  man  in  der  Regel  drei 
bis  vier  Wochen  nach  einer  größeren  oder  kleineren  Eruption,  insbesondere 
des  Pele,  diese  Erscheinungen  wahrnehme,  die  sich  dann  jedesmal,  an  Inten- 
sität allmählich  abnehmend,  eine  längere  Reihe  von  Abenden  wiederholten. 
Das  letztere  war  auch  während  meines  Aufenthalts  in  St  Thomas,  der  bis 
zum  21.  März  dauerte,  der  Fall.  Näher  an  Martinique  heran  und  auf  dieser 
Insel  selbst  beobachtete  ich  nachher  die  Dämmerung  in  viel  geringerem 
Maße,  was  ja  nicht  verwunderlich  ist,  da  der  Passat  den  Dunst  vom  ür- 
sprungsort  wegführen  muß.  Auf  welche  Eruption  die  damalige  Dämme- 
rung bei  St.  Thomas  gerade  zurückgehen  mochte,  kann  ich  nicht  sagen; 
kleine  Dampfausstoßungen  kamen  beim  Mt.  Pele  während  des  Frühjahrs  häufig 
vor,  der  letzte  größere  Ausbruch  aber  hatte  bereits  am  25.  Januar  statt- 
gehabt Besonders  verstärkte  Dämmerungserscheinungen  in  Folge  des  im 
Nachstehenden  zu  besprechenden  Ausbruchs  waren,  solange  ich  im  Bereich  der 
kleinen  Antillen  weilen  konnte,  noch  nicht  zu  beobachten. 

Ich  hatte  mich  bereits  im  vorigen  Sommer  mit  Herrn  Prof.  Karl 
Sapper  aus  Tübingen,  der  damals  seine  jüngste  Reise  nach  Mittel- Amerika 

Geographische  Zeitochrift.  9.  Jahrgang   1908.  10.  Heft.  87 


546  Georg  Wegener: 

antrat,  verabredet,  Anfang  Januar  mit  ihm  gemeinsam  Martinique  zu  be- 
reisen; da  meine  eigne  Abreise  sich  jedoch  bis  zum  Februar  hinausschob,  so 
hatte  ich  auf  die  angenehme  Aussicht,  mit  diesem  ausgezeichneten  Renner 
des  mittelamerikanischen  Vulkanismus  den  Mt.  Pel4  zu  besteigen,  bedauernd 
verzichtet.  Da  fügte  es  ein  seltsam  glücklicher  Zufall,  daß  Prof.  Sapper, 
von  dem  ich  seit  Herbst  nichts  mehr  gehört  hatte,  genau  zwei  Tage  nach 
mir,  von  der  kleinen  Antillen-Insel  Saba  kommend,  ebenfalls  in  St.  Thomas 
eintraf.  Er  war  in  der  Tat  bereits  im  Januar  eine  Beihe  von  Tagen  auf 
Martinique  gewesen,  war  jedoch  durch  fortdauernde  schwere  Regen  und  Be- 
wölkung der  höheren  Bergpartien  in  seinen  Studien  stark  behindert  worden 
und  hatte  die  Besteigung  des  Pel^  nicht  durchführen  können  und  beabsich- 
tigte daher,  vor  seiner  Heimreise  nach  Europa  noch  einmal  Martinique  auf- 
zusuchen. So  konnten  wir  denn  zu  beiderseitiger  Freude  doch  noch  die  ge- 
meinschafUiche  Reise  ausführen. 

Vor  uns  hatte  seit  dem  Beginn  der  Eruptionstätigkeit  im  Mai  vorigen 
Jahres  noch  kein  deutscher  Gelehrter  den  Gipfel  des  Mt.  Pelä  erstiegen; 
Amerikanern  und  Franzosen  war  im  wesentlichen  das  Studium  des  Berges 
überlassen  geblieben.  Trotz  der  Vortrefflichkeit  der  Arbeiten  dieser  Forscher 
bot  aber  und  bietet  der  seltsame  Berg  in  seinen  so  vielfach  vollkommen 
neuen  Erscheinungen  noch  ungelöste  Rätsel  genug,  die  z.  T.  geeignet  er- 
scheinen, unsere  gesamten  Anschauungen  des  Vulkanismus  wesentlich  zu  be- 
einflussen. Es  sei  nur  daran  erinnert,  daß  wir  für  das  sonderbare  Abwärts- 
wandem  und  Abwärtswirken  der  Eruptionswolken  des  Pele  noch  durchaus 
keine  beMedigende  Erklärung  besitzen,  daß  uns  das  eigentliche  Wesen  dieser 
Wölken  und  ihre  zerstörende  Kraft,  trotz  aller  Studien  an  den  Ruinen  von 
St.  Pierre,  noch  immer  ein  Geheimnis  ist,  daß  wir  für  das  auffallende  Zu- 
sammenspiel der  beiden  Vulkane  von  Martinique  und  St.  Vincent,  deren 
größere  Eruptionen  nie  ganz  gleichzeitig,  fast  immer  jedoch  innerhalb  eines 
gemeinsamen  Zeitraums  von  wenigen  Tagen  erfolgen,  noch  keine  allgemein 
befriedigende  Erklärung  haben  u.  s.  w. 

Besonders  aber  interessierte  uns  das  letzte  und  sonderbarste  Problem, 
das  der  PeU  der  Wissenschaft)  aufgegeben  hat,  die  rätselhafte  Felsennadel, 
jdie  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahres  aus  seinem  Krater  hervor- 
gewachsen ist,  und  die  man  nach  den  Vorgängen  der  Franzosen  als  den 
„cone"  zu  bezeichnen  pflegt.  Am  11.  August  vorigen  Jahres  hatte  man  die 
Zacke  zum  ersten  Mal  von  Mome  Rouge  aus  ein  wenig  über  den  Kraterrand 
emporragen  sehen,  und  da  während  der  —  vom  Juli  bis  zum  November 
dauernden  —  Regenzeit  die  schwere  Bewölkimg  der  Höhen  sich  gelegentlich 
lüftete  und  den  Blick  auf  den  cone  frei  gab,  so  zeigte  sich,  daß  er  fort- 
während wuchs  und  wuchs,  zu  erstaunlicher  Höhe  und  Steilheit.  Zeitweilig 
verminderte  er  sich  zwar  wieder,  stieg  dann  aber  von  neuem  empor.  Auch 
in  der  darauf  folgenden  „saison  fraiche*^  (Dezember  bis  März)  war  in  diesem 
Jahr  die  Bewölkung  fast  durchweg  sehr  ungünstig,  so  daß  auch  nachher  nur 
flüchtige  Beobachtungen  des  sonderbaren  Gebildes  stattgefunden  hatten.  Zur 
Zeit  von  Sappers  Anwesenheit  im  Januar  hatte  man  sich  die  Theorie  zurecht 
gelegt,  daß  die  Felsensäule  aus  vulkanischen  Auswurfsblöcken  aufgebaut  sein 


Am  Moni  Pel^  im  März  1903.  547 

müsse,  die  aas  dem  Krater  herausgeschleudert  würden  und  niederüedlend  sich 
übereinander  türmten;  gelegentlich  sollte  das  Gebilde  teilweise  zusanmien- 
stürzen  und  sich  dann  von  neuem  aufbauen. 

Es  braucht  nicht  betont  zu  werden,  daß  diese  Anschauung  angesichts 
der  Steilheit  und  Höhe  des  cone  sehr  abenteuerlich  erschien. 

In  der  Frühe  des  21.  März  verließen  wir  St.  Thomas  auf  einem  Schiff 
der  französischen  Compagnie  G^n^rale  Transatiantique,  um  in  etwa  48 stün- 
diger Fahrt  nach  Fort  de  France  zu  reisen.  Unterwegs  liefen  wir  am  folgenden 
Tage  die  beiden  Hauptstädte  der  Insel  Guadeloupe:  Basseterre  und  Pointe  a 
Pitre,  an  und  erfuhren  übereinstinunend  in  beiden,  daß  man  dort  in  den 
frühen  Morgenstunden  dieses  Tages  von  Süden  her  ein  langanhaltendes 
dumpfes  Donnern  yemommen  habe,  aus  dem  man  auf  einen  neuen  Ausbruch 
des  Mt  Pele  schloß. 

Gegen  5  Uhr  morgens  am  folgenden  Tage  passierten  wir  das  Nordende 
von  Martinique,  wo  der  Pele  liegt.  Die  Schiffe  der  Compagnie  waren  an- 
gewiesen, sich  bei  der  Yorüberfahrt  in  einem  Abstand  von  mindestens  zehn 
Seemeilen  von  der  Küste  zu  halten,  um  einem  etwaigen  Überfall  durch  eine 
Glutwolke  zu  entgehen,  wie  sie  am  8.  Mai  vorigen  Jahres  die  Schiffe  auf  der 
Beede  von  St.  Pierre  zerstörte.  Über  dem  noch  nachtdunklen  Wasser  lag 
der  Berg  in  der  Feme,  eine  finstere  Masse  von  unbestimmten  Umrissen,  die 
sich  schon  in  geringer  Höhe  in  dichten  Wolken  verlor;  kein  Anzeichen  irgend 
welcher  vulkanischen  Tätigkeit  war  zu  beobachten.  Und  als  wir  dann  zwei 
Stunden  später  in  Fort  de  France  uns  erkundigten,  ob  gestern  ein  Ausbruch 
stattgefunden  habe,  wurde  dies  mit  Erstaunen  verneint;  hier  hatte  niemand 
von  einem  Geräusch,  wie  es  in  Guadeloupe  gehört  worden  war,  das  Geringste 
vemonmien.     Hiermit  war  ein  neues  Eätsel  für  uns  gestellt 

Der  Mt.  Pele*)  ist  von  Fort  de  France  nicht  sichtbar,  der  Yulkanstock 
der  Pitons  de  Carbet  liegt  dazwischen.  Auch  dessen  gezackter  Gipfel  war  aber 
gegenwärtig  bis  tief  hinab  mit  dunkelgrauen  Wolkenmassen  verhüllt.  Das 
Wetter  sah  für  unser  Unternehmen  wenig  günstig  aus,  um  so  weniger  als 


1)  Auf  Martinique  selbst  ist  die  Form  Montagne  Pel^e  üblich.  Der  Name 
bedeutet  im  Französischen  „enthaarter^\  d.  h.  waldloser  Berg,  und  erklärt  sich 
dadurch,  daß  die  oberste  Kalotte  des  Kegels  keinen  Baumwuchs  trug.  Bei  der- in 
Europa  üblich  gewordenen  männlichen  Form  Mont  Pel^  muß  das  ai^ektivische  Bei- 
wort natürlich  nur  mit  einem  6  geschrieben  werden.  Die  Erklärung  R.  T.  Hills 
für  Pel^  als  „shovelful"  (Nat.  Geogr.  Mag.  Washington  1902,  S.  245)  beruht  wohl 
auf  der  orthographischen  Verwechselung  mit  dem  Worte  Pellte.  —  Nicht  unerwähnt 
will  ich  lassen,  daß  Paul  Koch  (Tägl.  Rundschau  vom  24.  Juli  1908)  die  Benen- 
nung auf  einen  altindiänischen  Namen  zurückführt,  den  die  Franzosen  in  ihrer 
Sprache  umgedeutet  hätten  und  der  1)  den  Berggott,  2)  den  Krater,  8)  den  ganzen 
Berg  bedeutet  habe.  Auf  Hawaii  heiße  der  Gott  des  feuerspeienden  Berges  noch 
heute  Pele  (besiser  wohl  eine  Göttin;  als  solche  wurde  mir  Pele  beim  Besuch  des 
Kilauea  bezeichnet,  in  dessen  Krater  Halemaumau,  dem  „Hause  des  Feuers**,  6ie 
ihren  Wohnsitz  hat.  Die  eigentümlichen  Fäden  der  Kilauea-Lava  werden  dort  das 
„Haar  der  Pele**  genannt).  Beiden  Namen  liege  wahrscheinlich  der  altsemitische 
Baal  zu  Grunde  u.  s.  w.  Ich  muß  es  besseren  Kennern  der  alten  Indianer  und 
mythologischer  Yölkerzusammenhänge,  als  ich  es  bin,  überlassen,  zu  dieser  Ansicht 
und  dem  ganzen  Artikel  von  Koch  Stellung  zu  nehmen. 

37* 


548  Georg  Wegen^r: 

noch  am  Vormittag  auch  im  Tiefland  ein  rauschender  Regen  ansetzte,  der 
fast  den  ganzen  Tag  hindurch  anhielt. 

Trotzdem  trafen  wir  unsere  Vorbereitungen,  denn  der  Spielramn,  der  uns 
zur  Verfügung  stand,  war  gering;  Prof.  Sapper  mußte  bereits  am  30.  Mar- 
tinique wieder  verlassen,  um  noch  rechtzeitig  zum  Beginn  seiner  Sommer- 
Vorlesungen  in  Tübingen  einzutreffen,  und  auch  mir  verbot  die  Schwierigkeit, 
passende  Anschlüsse  zur  Weiterfahrt  zu  finden,  einen  längeren  Aufenthalt. 

Man  erreicht  den  Pele  am  leichtesten  auf  dem  Wasserwege,  indem  man 
den  zweimal  wöchentlich  fahrenden  Dampfer  nach  Carbet  benutzt;  von  da  ist 
man  in  einer  halbstündigen  Fußwanderung  auf  der  Statte  von  St.  Pierre. 
Allein  von  Westen  aus  den  Berg  zu  nehmen,  ist  noch  heute  eine  Tollkühn- 
heit, da  bei  den  größeren  Eruptionen  ebenso  wie  bei  den  kleineren,  häufig 
eintretenden  Dampfausstoßungen  die  Glutwolke  in  der  Regel  hierhin  abwandert 
Von  Süden,  von  der  Sattelfläche  von  Mome  Rouge  aus,  wo  Sapper  im  Januar 
den  Anstieg  versuchte,  ist  der  Weg  bei  schlechtem  Wetter  sehr  schwierig. 
Am  besten  ist  es,  vom  Ostfuße  aus  unter  dem  Schutz  des  Passats  an  zu 
steigen. 

Da  aber  im  nördlichen  Martinique  der  öffentliche  Verkelir  noch  nicht 
wiederhergestellt  ist  und  die  Wege  und  Brücken  vielfach  zerstört  sein  sollten, 
so  konnten  wir  zu  Lande  nur  mit  Hilfe  der  Regierung  vorwärts  zu  kommen 
hoffen.  Ein  ursprünglich  unliebsamer  Vorfall,  der  meinem  Reisegefährten  im 
Januar  begegnet  war,  wurde  uns  dabei  zum  Vorteil.  Der  Forscher  war  näm- 
lich im  Innern  von  Martinique  von  einem  übereifrigen  farbigen  Polizeisoldaten 
als  deutscher  Spion  verhaftet  und  zur  Unterbrechung  seiner  Arbeiten  ge- 
nötigt worden.  In  Fort  de  France  hatte  der  lächerliche  Vorfall  nicht  geringe 
Verlegenheit  bereitet,  und  der  Gouverneur  hatte  dem  Reisenden  für  eine 
Wiederholung  seines  Besuches  jede  mögliche  Förderung  zugesagt  Daher 
fanden  wir  jetzt  die  zuvorkommendste  Aufnahme.  Ein  persönlicher  Brief  des 
Gouverneurs  empfahl  uns  den  Eigentümern  der  bedeutenden  am  Ostfnße  des 
Mt.  Pele  gelegenen  Zuckerfabrik  Viv^  mit  der  Bitte,  uns  Reittiere  und 
Führer  zur  Besteigung  des  Berges  zu  beschaffen,  und  der  Chef  des  mili- 
tärischen Transportwesens  erhielt  Anweisung,  für  unsere  Reise  dorthin  in 
jeder  Weise  zu  sorgen.  Dieser  stellte  uns  sofort  einen  kräftigen  Wagen  mit 
vier  Maultieren  und  zwei  farbigen  Soldaten  zur  Verfügung  und  wies  die 
über  das  Land  verstreuten  Gendarmerie-Posten,  die  mit  einer  Art  Kasino  ver- 
sehen sind  und  in  dieser  Kolonie  für  reisende  amtliche  Persönlichkeiten  eine 
ähnliche  Rolle  spielen,  wie  die  Rasthäuser  in  Ceylon,  telephonisch  an,  uns 
Nahrung  und  Unterkunft  zu  gewähren. 

Mit  Ausnahme  einer  beschränkten  Zone  von  Kalksteinen  im  Süd-Osten 
besteht  die  Insel  Martinique  aus  vulkanischen  Aufschüttungen,  aber  nur  der 
Mt.  Pele  besitzt  die  Form  eines  modernen  Strato- Vulkans;  im  übrigen  finden 
wir  ältere  vulkanische  Gebilde  aus  verschiedenen  Zeitaltem,  die  der  Insel  ein 
regelloses,  überaus  stark  bewegtes  Relief  geben.  Die  Haupthöhenlinie  liegt 
auf  dem  größeren  Teile  der  Insel  der  Westküste  etwas  näher  als  der  Ost- 
küste, so  daß  die  Ufer  von  hier  aus  bedeutender  aussehen,  als  von  Osten 
her.      Zwei    größere    Buchten    gliedern    die   Westküste,    die    flach    gespannte 


Am  Moni  Pel^  im  März  1903.  549 

ofifene  Rede  von  St.  Piere  und  die  tief  in  das  Land  hineingreifende  von  Fort 
de  France.  Beide  genießen  den  Vorteil,  daß  sie  durch  den  Windschutz  der 
Berge  vor  dem  Passat  gedeckt  sind.  Die  Ostküste  ist  dagegen  dem  letzteren 
voll  ausgesetzt;  unter  dem  Einfluß  der  unablässig  gegen  sie  geschleuderten 
Brandung  ist  sie  daher  im  einzelnen  sehr  viel  mannigfaltiger  ausgekerbt,  als 
die  westliche,  allein  die  dadurch  gebildeten  Buchten  sind  eben  wegen  des 
Passats  für  den  Verkehr  wenig  brauchbar.  Deshalb  haben  sich  die  beiden 
Haupthäfen  der  Insel  an  der  Westküste  gebildet. 

Fort  de  France  bietet  vom  Meere  aus  mit  seinem  alten  auf  einer  Halb- 
insel weit  in  den  Hafen  hin  ausspringenden  Fort  einen  üben*aschend  hübschen 
Anblick  dar.  Im  Innern  verflüchtet  sich  dieser  leider;  die  Stadt,  nach  der 
Zerstörung  durch  einen  Orkan  in  geraden  >  schachbrettartig  angeordneten 
Straßen  Mrieder  aufgebaut,  sieht  ziemlich  armselig  und  nüchtern  aus.  Die  Be- 
völkerung ist  mit  Ausnahme  der  Beamten  und  des  Militärs  vorwiegend  farbig, 
die  ganze  Blüte  der  weißen  Rasse,  ihre  beste  Intelligenz,  Energie  und  Kapital- 
kraft war  in  St.  Pierre  vereinigt  gewesen  imd  ist  dort  am  8.  Mai  vorigen 
Jahres  fast  mit  einem  Ruck  vernichtet  worden.  In  Folge  dessen  hat  Fort 
de  France  anscheinend  noch  wenig  begonnen,  aus  der  Beseitigung  der  Kon- 
kurrenzstadt den  sonst  naheliegenden  Nutzen  zu  ziehen. 

Punkt  6  Uhr  morgens  hielt  der  Militärwagen  vor  unserem  Hotel,  und 
wir  fuhren  nach  Osten  in  das  Innere  von  Martinique  hinein.  Ich  hatte  mich 
auf  früheren  Reisen  durch  englische  Kolonien  daran  gewöhnt,  in  der  aus- 
gezeichneten Erschließung  des  Landes  durch  sorgfaltig  gehaltene  Straßen  ein 
besonderes  Charakteristicum  für  die  ausgezeichnete  Kolonialverwaltung  gerade 
der  Engländer  zu  sehen,  muß  aber  den  Franzosen  hier  ganz  dasselbe  Lob 
zollen.  Bei  dem  stark  zerschnittenen  Gelände  müssen  die  Straßen  in  schwie- 
rigen Serpentinen  auf  und  ab  geführt  werden,  die  schweren  Regengüsse  der 
Tropen  gefährden  unausgesetzt  die  Gräben  und  Wasserdurchlässe  und  die 
Regellosigkeit  der  wildwasserartig  in  tief  eingerissenen  Furchen  dahinströmen- 
den  Flüsse  und  Bäche  erfordern  schwierige  Brückenkonstruktionen.  Diesen 
Anforderungen  war  auf  glänzende  Weise  genügt.  Insbesondere  erregten  die 
meist  aus  schweren  Quadern  gefaßten  Bogenbrücken  unsere  volle  Bewunderung. 

Für  denjenigen,  der  mit  der  in  Europa  vielfach  verbreiteten  Ansicht 
herkommt,  die  ganze  Insel  Martinique  sei  ein  Bild  des  Schreckens  und  der 
Verwüstung  und  einem  nahen  Untergange  geweiht,  dürfte  die  Wirklichkeit, 
wie  wir  sie  hier  vor  Augen  hatten,  eine  große  Überraschung  bereiten.  Man 
vergißt  in  der  Regel,  daß  die  Verwüstungen  des  Mt.  Pele  nicht  viel  mehr  als 
ein  20tel  des  Gesamtareals  der  Insel  betrafen,  und  daß  man  tagelang  auf 
ihr  umherreisen  kann,  ohne  das  , Geringste  von  einer  Zerstörung  gewahr  zu 
werden. 

Die  Natur  Martiniques  ist,  wie  überhaupt  auf  den  kleinen  Antillen, 
nicht  übermäßig  reich  und  tropisch  üppig;  sie  steht  darin  entschieden  hinter 
den  australasiatischen  Inseln  zurück  und  kann  auch  mit  der  Vegetationsfülle 
des  nahen  festländischen  Amerikas  keinen  Vergleich  aushalten;  einzig  in 
einigen  tiefen  und  feuchten  Schluchtentälern  sah  ich  Vegetationsgebilde  von 
ähnlicher  überströmender  Üppigkeit,  wie  später  dort. 


550  Georg  Wegener: 

Gewiß  trägt  dazu  der  umstand  mit  bei,  daß  die  Insel  bereits  in  sehr 
ausgedehntem  Maße  von  der  Kultur  in  Beschlag  genommen  worden  ist.  Es 
gibt  noch  größere  ürwaldbezirke  in  den  höheren  Bergregionen,  wie  beispiels- 
weise im  Bereich  der  Pitons  de  Oarbet;  auf  dem  weithin  größeren  Teil  er- 
kennt man  aber  die  Hand  des  Menschen.  Die  Gehänge  sind  vielfach  terras- 
siert,  in  losen  parkähnlichen  Beständen  sieht  man  Gruppen  von  Fruchtbäumen 
zwischen  den  Feldern  verstreut,  anderswo  breiten  sich  alljährlich  sorgföltig 
vom  Buschwerk  geklärte  und  mit  langen  Baumhecken  umgebene  Viehweiden 
aus,  und  nah  und  fem  leuchten  die  heUgelbgrünen  Flächen  der  Zuckerrohr- 
anlagen. Dörfer  und  Einzel-Gehöfte  sind  allenthalben  über  die  Landschaft 
verteilt. 

Die  Häuser  und  Hütten  der  Neger  sind  entweder  aus  Brettern  her- 
gestellt und  mit  roten  Ziegeln  gedeckt  oder  bestehen  aus  Bambus  und  Palm- 
geflecht, meist  liegen  sie  in  Gärtchen  mit  Blumen  und  bunten  2iiersträuchem. 

Die  Bevölkerungsdichte  beträgt  im  Durchschnitt  200  Köpfe  auf  den  qkm, 
übertrifift  also  die  des  Deutschen  Reiches,  der  neuesten  Volkszählung  nach, 
um  das  Doppelte.  Im  Innern  trafen  wir  fast  ausschließlich  Neger  mit  ziem- 
lich dunkler  Hautfarbe;  nur  einigemal  Typen  vollkommen  abweichender  Natur, 
schön  gewachsene  Figuren  mit  braungelber  Hautfarbe  und  auch  nach  imserem 
Begriff  stolzem  und  schönem  Gesichtsschniti  Welcher  Art  diese  Leute  waren, 
ob,  wie  wenig  wahrscheinlich,  Nachkonmien  der  indianischen  Urbevölkerung 
oder  Abkönunlinge  ostindischer  Kulis,  konnten  wir  nicht  ermitteln.  Die 
Negerinnen  tragen  einen  langen  hemdartigen  Überwurf,  der  um  die  Hüften 
noch  einmal  aufgeschürzt  wird  und  bauschig  über  den  Gürtel  herabfallt, 
meist  aus  bimtem  Kattun  von  bäurisch  schreienden  Farben.  Sehr  häufig 
sahen  wir  jedoch  auch  schwarze,  beziehungsweise  durch  langes  Tragen  oliv- 
grün verschossene  Überwürfe,  Zeugnisse  von  den  Katastrophen  des  Mt.  Pele, 
denn  diese  schwarzen  Kleider  waren  Trauerge wände  für  Angehörige,  die  bei 
den  Ausbrüchen  umgekommen. 

Unweit  des  Städtchens  Gros  Mome  erreicht  die  Straße  den  höchsten 
Punkt,  und  man  schaut  nach  beiden  Meeren  zugleich  hinab.  Von  hier  aus 
rollten  wir  rasch  zu  der  Stadt  Trinite  an  der  Ostküste  hinab. 

Trinit^  ist  an  der  Wurzel  der  eigentümlich  gewundenen  und  weit  in 
den  Ozean  hinausspringenden  Halbinsel  de  la  Caravelle  gelegen,  in  der  man 
vielleicht  einen  alten  Lavastrom  zu  sehen  hat,  den  die  Passatbrandung  aus 
der  Küstenlinie  herauspräpariert.  Die  Hafenbucht  der  Stadt  ist  leider  mit 
gefährlichen  Korallenbänken  durchsetzt. 

Die  Weiterfahrt  folgte  dann  dem  ungemein  malerischen,  in  vielen  trotzi- 
gen Kaps  von  senkrechter,  ja  häufig  überhängender  Steilheit  gegen  das  immer 
brandende  Meer  vorspringenden  Strande  nach  Norden.  Eine  reiche  Vegetation 
wuchert  in  den  zurückgelegenen  Buchten,  welchen  der  Jahr  aus  Jahr  ein 
von  Osten  her  wehende  Wind  einen  eigentümlichen  Charakter  gegeben  hat. 
Sapper  hatte  dafür  den  treffenden  Ausdruck  „gekämmt".  Alle  Bäume  und 
Büsche,  ja  auch  das  Polster  der  Stauden  sind  nach  aufwärts  und  westwärts 
gekehrt,  als  sei  die  Vegetation  mit  einem  großen  Kamme  vom  Meere  her 
nach  dem  Innern  zu  gestrichen. 


Am  Mont  Pel^  im  März  1903.  551 

Die  Sonne  war  bereits  untergegangen,  als  wir  unser  Nachtquartier  in 
der  Gendarmerie  des  Fleckens  bourg  de  Lorrain  am  OstfoBe  des  Feli  er- 
reichten. Kurz  zuvor  hatten  wir  einen  Fluß  auf  einer  Furt  durchqueren 
müssen,  weil  die  Steinbrdcke  durch  die  Schlammfluten  bei  einem  der  Aus- 
brüche des  Mi  Pel4  zerstört  worden  war. 


Am  nächsten  Morgen  fuhren  wir  von  Lorrain  weiter  nach  der  noch 
einige  km  nordwestlich  grelegenen  üsine  Viva.  Zimi  erstenmal  lag  jetzt  der 
Kegel  des  Mt.  Pele  in  ganzer  Größe  vor  uns,  pyramidisch  mit  sanften  Ge- 
hängen ansteigend  und  nur  oben  mit  einer  flachen  weißen  Passatwolke  be- 
deckt, die  sich  auf  der  Vorderseite  des  Windes  fortwährend  bildete,  langsam 
über  den  Berg  hinweg  wanderte  imd  auf  der  Gegenseite  wieder  auflöste. 
Über  diese  Wolke  aber  ragte  hoch  in  die  Lüfte  hinaus  das  erstaunliche  Ge- 
bilde des  cone,  in  der  Form  entfernt  der  Spitze  des  Matter-Homs  ähnlich, 
nur  ungleich  steiler  und  schmäler;  die  schwächste  Neigung  mochte  etwa 
70  Grad  betragen,  nach  Süden  zu  erschien  die  Felsennadel  sogar  vollkom- 
men senkrecht  Ihre  Höhe  mußte  mehrere  Hundert  Meter  erreichen,  und 
^s  war  kaum  zu  verstehen,  wie  sich  diese  Bildung  überhaupt  halten  konnte. 
Die  Farbe  war  hier  in  der  Feme  ein  lichtes  Weiß,  als  sei  die  Spitze  ver- 
schneit oder  vergletschert. 

Auf  dem  Wege  nach  der  üsine  Yvvi  passierten  wir  in  Assier  das  klei- 
nere der  beiden  französischen  Observatorien,  von  denen  aus  der  Berg  täglich 
beobachtet  wird.  Der  hier  stationierte,  zuvorkommende  Artillerie-Kapitän 
teilte  uns  mit,  daß  der  cone  fast  täglich  wachse  und  gelegentlich  in  einem 
Tage  2,  4,  ja  sogar  10  m  an  Höhe  zunehme;  gegenwärtig  rage  er  über 
257  m  über  den  Kraterrand  (von  hier  aus  gesehen)  empor.  Durch  das 
kleine  Femrohr  der  Station  erkannten  wir  dabei,  daß  die  weiße  Farbe  doch 
nur  in  einzelnen  Flecken  an  den  sonst  gelblichen  Wänden  des  Gebüdes  ver- 
teilt war.  Diese  Flecken  sollen  bei  stärkerem  Begen  sich  vermindern  und 
dann  wieder  zunehmen;  sie  dürften  also  wohl  Niederschläge  oder  Aus- 
blühimgen  irgend  welcher  Salze  sein. 

In  der  üsine  Vive  wurden  wir,  telephonisch  bereits  vorausgemeldet,  auf 
das  Liebenswürdigste  empfangen,  zwei  Beitmaultiere  standen  schon  bereit, 
ebenso  zwei  Negeijungen  als  Führer  und  Träger.  Wir  schickten  von  hier 
unsere  Wagen  nach  Fort  de  France  zurück  und  begannen  unverzüglich  den 
Anstieg  zum  Berge. 

Am  selben  Morgen  war  übrigens  einige  Zeit  vor  ims,  ebenfalls  von  Vive 
aus,  der  amerikanische  Geolog  Dr.  J.  0.  Hovey,  der  sich  schon  im  vorigen 
Jahre  durch  treffliche  Beobachtungen  und  photographische  Aufnahmen  am 
Pele  einen  Namen  gemacht  hat,  zum  Krater  emporgestiegen;  wir  hatten  also 
die  Aussicht,  ihn  dort  oben  zu  treffen. 

Die  Zucker-Plantagen  von  Vive  sind  bisher  ununterbrochen  in  Betrieb 
geblieben,  obwohl  die  große  Emption  vom  30.  August  vorigen  Jahres,  die 
Mome  Bouge  zerstörte,  ihre  verheerende  Glutwolke  bis  auf  2 — 3  km  Ent- 
femung  von  der  üsine  abwärts  gejagt  hatte;    daher  sahen  wir   auch  jetzt 


552  Georg  Wegen^r: 

noch,  als  wir  langsam  steigend  gegen  den  Berg  anritten,  zunächst  keinerlei 
Spuren  der  Verwüstung.  Die  Zuckerrohrfelder  standen  sorgfältig  gepflegt  in 
üppiger  Fülle,  mit  den  Halmen  über  unsem  Häuptern  zusammenschlagend, 
wenn  wir  auf  schmalem  Pfade  hindurchritten;  reich  war  das  Gelände  besetzt 
mit  Kakaobüschen,  Mango-  und  Brotfruchtbäimien;  in  einer  der  Schluchten, 
die  wir  zu  durchreiten  hatten,  entfaltete  sich  die  üppigste  Vegetation  von 
Fambäumen,  Schlingpflanzen  und  überhängenden  Tropenlaubbäumen,  die  ich 
bisher  auf  der  Insel  gesehen.  Negerhäuschen  mit  kleinen  Gärten  und  Feldern 
begegneten  uns  auch  hier,  deren  Insassen  dem  über  all  dem  Grün  drohend 
emporragenden  Haupte  des  Vulkans  keinerlei  Aufinerksamkeit  zu  schenken 
schienen.  Hier  am  Ostfuß  war  somit  noch  ein  Zeugnis  davon  erhalten  geblieben, 
wie  vor  der  Eruption  die  gesamten  Untergehänge  des  Berges  ausgesehen 
hatten. 

Erst  bei  400  m  Meereshöhe  ungefähr  traten  wir  plötzlich  in  die  Zone 
der  Verwüstung  ein.  Von  hier  ab  stiegen  die  Abhänge  des  ehemals  bis  an 
die  Spitze  mit  dichtem  Urwald,  in  seinen  obersten  Teilen  aber  mit  Gebüsch- 
und  Staudenwuchs  überzogenen  Berges  vollkommen  kahl  empor.  Der  Wald 
war  größtenteils  voUkonunen  weggewischt,  so  daß  kaum  noch  die  verkohlten 
Baumstämme  übrig  geblieben  waren.  Die  Stämme  waren  vom  Feuer  verzehrt» 
und  tiefe  Erosions-Binnen  durchfurchten  in  Folge  dessen  den  ungeschützten 
weichen  Boden.  Anderswo  und  zwar  gegen  den  imteren  Teil  der  Zone  hin, 
waren  die  Baumstämme  nicht  verschwunden,  sondern  nur  der  Blätter,  Zweige 
und  Binde  beraubt  und  weiß  versengt  und  alle  mit  einem  Kuck  von  einer  radial 
den  Berg  abwärts  wirkenden  Gewalt  zu  Boden  gestreckt.  Wiederum  anders- 
wo hatte  die  Kraft  des  vulkanischen  Orkans  nicht  mehr  hingereicht,  die 
Bäume  niederzustürzen,  wohl  aber  die  Glut  noch,  sie  zu  töten.  So  standen 
ganze  Teile  des  ehemals  lebenden  Waldes  gegenwärtig  als  totes,  weiß  ver^ 
sengtes  Gestrüpp  aufrecht.  Wo  Schluchten  sich  in  den  Berg  hineintiefken,  war 
die  Vegetation,  die  ohne  Frage  in  ihnen  früher  einen  ähnlichen  Anblick  ge- 
boten hat,  wie  in  der  vorhin  erwähnten  Talfurche,  bis  in  die  letzten  Tiefen 
hinein  von  der  Glut  vernichtet;  die  an  den  Rändern  stehenden  Bäume  waren 
von  den  Seiten  her  in  diese  Furchen  hinabgekippt,  in  die  Tiefe  gezerrt  und 
dort  mit  verbranntem  Buschwerk,  Schlanun  und  Steinen  zu  einem  wüsten 
Chaos  ineinander  gewühlt.  Es  sah  ganz  so  aus,  als  wäre  das  Gas  in  Form 
einer  Flüssigkeit  den  Berg  abwärts  gestürzt  und  hätte  die  Bäume  in  diese 
Talrinnen  hinabgespült;  ob  in  Folge  von  eigner  Schwere  oder  explosivem 
Ausdehnungsbedürfiiis,  bleibt  natürlich  die  Frage.  Nicht  ein  völlig  regel- 
mäßiger Kreis  begrenzte  die  Vernichtungszone,  sondern  zungenförmig  griff  sie 
hier  und  dort  weiter  hinaus,  so  daß  Teile  unzerstörter  Vegetation  zahnartig 
zwischen  zerstörte  hineinragten. 

Das  war  der  Eindruck  im  großen.  Im  einzelnen  erkannte  das  Auge 
sehr  bald,  daß  die  Vegetation  bereits  wieder  im  Werke  war,  den  Berg  zurück- 
zuerobern. Sapper  gab  seinem  Erstaunen  darüber  Ausdruck,  welche  Fort- 
schritte dieser  Prozeß  bereits  seit  seiner  Anwesenheit  im  Januar  gemacht  hatte. 
Überall  sproßten  aus  den  Wurzeln  der  nur  oberflächlich  vernichteten,  niederen 
Vegetation  —  das  Hochholz  war  meist  völlig  getötet  —  neue  Triebe  hervor. 


Am  Mont  PeU  im  MÄrz  1903.  553 

Schlingpflanzen  überzogen  üppig  ausgreifend  den  Boden;  in  geschützteren 
Schluchten  waren  namentlich  die  Farne  eifrig  dabei,  Msche  Wedel  zu  treiben, 
und  bis  anf  wenige  Kilometer  an  den  Gipfel  heran  waren  zarte  grüne 
Schleier  einer  neuen  Vegetation  zu  erkennen.  Für  einen  Botaniker  müßte, 
sollte  man  meinen,  dieser  Vorgang  das  allergrößte  Interesse  bieten. 

Bei  900  m  etwa  ließen  wir  unsere  Maultiere  mit  einem  Neger  zurück 
und  setzten  den  Anstieg  zu  Fuß  auf  einer  der  von  dem  Gipfel  hinablaufenden 
Bergrippen  fort  Er  bot  erst  weit  gegen  oben  hin  nennenswerte  Schwierig- 
keiten, als  wir  in  die  Zone  des  ganz  vegetationsleeren  Bodens  gelangt  waren, 
der,  aus  sandiger,  grandiger  Asche,  untermischt  mit  größeren  und  kleineren 
Auswürflingen  und  Spuren  verbrannter  Vegetation  bestehend,  den  Fuß  tief 
einsinken  ließ. 

Leider  hatte  sich  der  Berg  (schon  ehe  wir  Vive  erreichten)  wieder  um- 
wölkt, so  daß  der  Gipfel  mitsamt  dem  cone  xmsichtbar  geworden  war. 
Gegen  1  Uhr  mittags  jedoch,  kurz  ehe  wir  die  über  uns  hangende  Wolken- 
hülle erreichten,  lichtete  sie  sich  und  legte  den  Gipfel  frei 

Wir  trafen  oben  eine  fast  ebene  Hochfläche,  soweit  wir  sie  überschauen 
konnten  von  halbkreisförmiger  Gestalt  und  etwa  100  Schritt  durchschnitt- 
licher Breite;  sie  bestand  aus  kleinen  kömigen,  weißgrauen  Bapilli,  unter- 
mischt mit  Bimssteinstücken  und  kleinen  und  größeren  Auswiufsblöcken,  von 
denen  einige  die  Form  gedrehter  vulkanischer  Bomben  hatten.  Dr.  Hovey, 
den  wir  oben  begrüßten,  war  dabei,  mit  einem  Dutzend  von  schwarzen 
Trägem,  die  er  mit  hinauf  genommen  hatte,  die  schönsten  dieser  Exemplare 
für  ein  amerikanisches  Museum  zu  sammeln.  Nach  Westen  hin  begrenzte 
ein  sichelförmiger  Graben  mit  stellenweis  überh&ngendem  Band  die  Krater- 
hochflAche,  aus  dessen  Tiefe  weißlicher  Dampf  hervor  schwelte.  Dieser  be- 
grenzte im  Verein  mit  den  über  den  Gipfel  hin  wandernden  losen  Wolken 
rechts  und  links  die  volle  Übersicht  über  den  Krater,  gab  aber  doch  den 
Blick  frei  auf  das  ungeheure  Gebilde  des  cone,  das  jenseits  des  Kratergrabens 
aus  einer  Schutthalde  von  gelblich  weißem  Geröll  riesenhaft  in  die  Lüfte 
emporstieg.  Von  der  etwa  50  m  betragenden  Tiefe  des  Gh*abens  aus  erreichte 
es  mindestens  300  m  Höhe,  also  die  Erhebung  des  Eiffelturms.  Dabei  waren 
seine  Wände  tatsächlich  stellenweis  senkrecht,  ja  sogar  überhängend.  Nach 
Südosten  zu  lief  der  Felsenturm  in  eine  scharfe  Kante  aus.  Seine  Gnmd- 
farbe  war  ein  lichtes  Lehmgelb,  unterbrochen  von  den  bereits  erwähnten 
schneeweißen  Flächen. 

So  viel  sahen  wir  sofort,  daß  von  einer  Entstehung  durch  aufeinander 
gefallene  Auswurfsblöcke  gar  keine  Bede  sein  konnte.  Vollkommen  glatt 
und  einheitlich  stiegen  die  Felsenwände  in  die  Lüfte;  der  cone  bestand  aus 
einem  einzigen  Stück.  Allerdings  übermäßig  solide  schien  er  trotz  der  kühnen 
Architektur  nicht  zu  sein,  denn  ein  paar  große  vertikale  Risse  durchfurchten 
die  uns  zugekehrte  Wand,  und  dreimal  stürzte,  während  wir  auf  dem  Gipfel 
verweilten,  ein  großer  Steinfall  mit  gewaltigem  Knattern  und  Prasseln  von 
der  uns  abgewandten  Seite  des  Felsenturms  hernieder.  Ein  Teil  der  Stein- 
massen rollte  dabei  auch  diesseits  in  den  Kratergraben  hinab,  die  Schutt- 
halden um  den  Fuß  des  cone  vergrößernd. 


554  Georg  Wegener: 

Erfreulicli  war  das  Geräusch  fElr  uns  gerade  nicht,  konnten  wir  doch 
nicht  wissen,  oh  es  nicht  den  Zusammenbrach  des  ganzen  Gebildes  vor- 
bereitete. Jedenfalls  war  in  diesen  Steinstürzen  die  Erklärung  fOr  das  zeit- 
weilige Niedrigerwerden  des  cone  zu  suchen.  B&tselhafter  als  je  zuvor  aber  * 
wurde  das  sonderbare  Emporwachsen  eines  so  ungeheuren  einheitlichen  Fels- 
klotzes! 

Eine  halbe  Stunde  etwa  blieb  der  Gipfel  mehr  oder  minder  frei,  so  daß 
ich  einige  photographische  Aufnahmen  machen  konnte^);  dann  bezog  er  sich 
wieder  und  ein  kalte^  Regen  zwang  uns,  wenn  wir  die  Negative  retten 
wollten,  schleunigst  abwärts  zu  steigen. 

Gegen  Abend  hatten  wir  die  Usine  Viv^  in  Gemeinschaft  mit  Dr.  Hovey 
wieder  erreicht  und  verbrachten  den  Abend  in  interessantem  Gespräch  mit 
den  dirigierenden  Herren  der  Pflanzung.  Es  ist  zu  begreifen,  daß  der  Berg, 
seine  rätselhaften  Erscheinungen  und  vor  allen  Dingen  die  Frage:  wird  er 
noch  neue  furchtbare  Ausbrüche  zeigen  oder  sich  beruhigen?  die  Gemüter 
dieser  Leut«  vollkommen  ausfüllte.  Wir  konnten  leider  die  gewünschte  Ver- 
sicherung, daß  die  vulkanische  Kraft  im  Abnehmen  sei,  angesichts  der  unheim- 
lich rätselvollen  Erscheinung  des  unablässig  wachsenden  cone  nicht   geben. 


Am  folgenden  Tage  ritten  Sapper  und  ich  über  die  Ost-  und  Süd- 
gehänge des  Berges,  von  neuem  die  Zerstörungszone  vom  80.  August  durch- 
querend, nach  der  Ruinenstätte  von  Mome  Rouge,  sandten  von  hier  aus  die 
Maultiere  nach  dem  Observatorium  von  Fonds  Saint  Denis  voraus,  das  unser 
Ziel  für  die  Nacht  war,  und  stiegen  zu  Fuß  auf  schönen,  jetzt  freilich  viel- 
fach mit  Asche  bedeckten  Landstraßen  im  Talzuge  der  Riviere  Roxelane  zu 
der  Trümmerstätte  des  ehemaligen  Si  Pierre  hinab. 

Ich  will  die  Schilderung  der  seit  den  Katastrophen  mannigfach  be- 
schriebenen Ruinenfelder  nicht  um  eine  neue  vermehren  und  bemerke  nur,  daß 
der  Eindruck  auch  heute  noch  grauenvoll,  insbesondere  in  St.  Pierre  ge- 
radezu überwältigend  schauerlich  ist,  obwohl  oder  vielleicht  gerade  weil 
in  den  Gärten  der  verlassenen  Orte,  auch  ohne  die  Hand  des  Menschen,  die 
Blumen  und  Büsche  nach  der  Regenzeit  wieder  zu  blühen  begonnen  haben 
imd  die  Zuckerrohrfelder  vielfach  von  selbst  wieder  in  Halme  geschossen 
sind.  Noch  ist  die  Zone,  trotz  mannigfekchen  Ansturmes  der  vom  Heimweh 
nach  ihren  alten  lieben  Stätten  verfolgten  Bevölkerung,  nicht  wieder  frei- 
gegeben; und  das  mit  Recht,  denn  noch  kann  niemand  die  Sicherheit  vor 
einer  Wiederkehr  der  Katastrophe  gewährleisten.  Nur  wenige  Arbeiter  sind 
mit  obrigkeitlicher  Erlaubnis  mit  Aufräumungsarbeiten  betraut  oder  graben 
auf  den  einzelnen  Grundstücken  nach  Wertsachen. 

Die  Häuser  von  Mome  Rouge  sind,  obwohl  sie  von  Holz  waren,  nicht 
durch  die  Glut  des  Vulkans  verzehrt,  sondern  nur  glatt  wie  die  Karten- 
häuser zu  Boden  geweht  worden.     In  den  weiter  entfernten  Stadtteilen  sind 

1)  Einige  meiner  Pelö-Aofnahmen  sind  publiziert  —  leider  in  zu  eiliger  und 
darum  recht  ungenügender  Reproduktion  —  in  der  Z.  d.  Ges.  f.  Erdkde.  1903. 
Heft  6;  später  und  besser  in  Velhagen  und  Klasings  Monatsheften.  Juli  1903. 


Am  Mont  Pel^  im  März  1908.  555 

sie  sogar  stehen  geblieben  und  nnr  verwüstet  und  im  Innern  von  trockener 
Asche,  stellen  weis  fnßhoch,  verhüllt.  St.  Pierre  dagegen  ist  vollständig,  mit 
einer  unbegreiflich  wilden  Gewalt,  der  die  auch  meterdicken  Mauern  keinen 
Widerstand  geleistet  haben,  niedergeworfen  und  gleichzeitig  ausgesengt  worden, 
so  daß  jetzt  das  Gelände  mit  den  kahlen  viereckigen  Grundmauerresten  wie 
eine  leere  Bienenwabe  aussieht. 

Der  oft  beliebte  Vergleich  der  Katastrophe  von  Si  Pierre  mit  derjenigen 
von  Pompeji  im  Altertum,  soviel  Analogien  sie  auch  besitzen,  stimmt  doch 
in  wesentlichen  Punkten  nicht.  In  Pompeji  haben  sich,  wie  es  scheint,  doch 
die  meisten  Bewohner  retten  können;  in  St.  Pierre  dagegen  sind  sie  alle,  bis 
auf  den  berühmten  Gefangenen  im  Keller,  in  wenigen  Sekunden,  höchstens 
Minuten,  getötet  worden.  Pompeji  wurde  nur  unbedeutend  zerstört,  ein 
Aschenregen  von  solcher  Sanftheit  und  Feinheit  überrieselte  die  Stadt  bis 
6  m  hoch,  daß  bekanntlich  die  Wohnstatten  mit  ihrem  ganzen  dekorativen 
Inhalt  bis  auf  die  zierlichsten  Nippes  aufs  sorgfältigste  erhalten  blieben. 
St.  Pierre  ist  nicht  verschüttet  worden;  fast  nirgends  fanden  wir  eine  Aschen- 
schicht, die  mehr  als  Yj  m  tief  war.  St.  Pierre  ist,  wie  erwähnt,  in  einer 
so  vollkommenen  Weise  zerstört,  daß,  wie  Angelo  Heilprin  sehr  treffend 
bemerkt,  seine  Buinen  heute  schon  Jahrtausende  älter  aussehen,  als  diejenigen 
von  Pompeji. 

In  dem  Halbrund  der  Berge,  das  St.  Pierre  im  Osten  umschrankt  und 
so  recht  geeignet  ist,  eine  vom  Berge  herabbrausende  Glutwolke  unfehlbar 
über  die  Stadt  hinzuleiten,  herrschte  in  den  Nachmittagsstunden  eine  sengende 
Glut,  die  Berge  hielten  jeden  Hauch  des  Passat  fem  und  von  dem  kahlen 
Aschenboden  reflektierten  die  von  dem  westlichen  Himmel  hemiederbrennenden 
Sonnenstrahlen  mit  kaum  erträglicher  Intensität.  Als  wir  uns  gegen  3  Uhr 
in  dem  dürftigen  Schatten  einer  Felswand  etwas  ausruhten,  bemerkten  wir 
am  südwestlichen  Fuß  des  cone  eine  lebhaftere  Entwickelung  der  aus  der 
Schattenhalde  emporwallenden  Dämpfe.  Sapper  glaubte  auch  einen  Augen- 
blick ein  Geräusch  vom  Berge  gehört  zu  haben.  Doch  nichts  weiter  geschah, 
und  die  Dampfaushauchung  verminderte  sich  bald  wieder  zum  vorherigen  Stand« 

Zwischen  4  und  5  Uhr  verließen  wir  St.  Pierre,  um  in  einem  west- 
östlich gerichteten  Tal,  das  durch  einen  langhinziehenden  Bergrücken  vor  der 
Glut  des  Vulkans  geschützt  gewesen  und  in  Folge  dessen  in  seiner  prächtigen 
Vegetation  erhalten  geblieben  war,  zu  dem  Observatorium  von  Fonds  Si  Denis 
emporzusteigen. 

Diese  französische  Hauptbeobachtungs-Station  liegt  etwa  5  km  von  der 
Küste  auf  dem  spitzen,  ungefähr  600  m  hohen  Gipfel  eines  Vorberges  der 
Pitons  de  Carbet.  Die  Lage  des  Ortes  ist  imgemein  glücklich  gewählt.  In 
Folge  der  Höhe  und  des  dazwischen  liegenden  Tales  ist  er  gegen  Überfälle  von 
Seiten  des  Vulkans  nach  allen  bisherigen  Erfahrungen  bei  der  Eruption  vollkom- 
men gesichert,  in  voller  Klarheit  und  majestätischer  Größe  liegt  der  Berg  aber 
sichtbar  vor  dem  Beobachter,  mit  dem  Krater  rund  9  km  vom  Observatorium 
entfernt.  Ein  paar  kleine  Holzhäuser  bilden  die  Station.  Gegen  eine  über 
alles  Erwarten  große  Eruption  soll  ein  kleines  niedriges  Gebäude  mit 
kasemattenartig  starken  Wänden  und  hermetisch   verschließbaren  Türen  und 


556  Georg  Wegener: 

Fenstern  sichern,  das  eng  an  den  Berghang  angelehnt  ist  und  wohin  beim 
Herannahen  einer  etwaigen  Glutwolke  die  Beobachter  flüchten  können. 

Es  war  ungefähr  Y,  6  Uhr,  als  wir,  wenige  Minuten  noch  vom  Gipfel 
des  Observatoriums  entfernt,  deutlich  ein  kurzes  Bollen  vom  Berge  her 
vernahmen.  Da  aber  sonst  nichts«  Bemerkenswertes  erfolgte,  beruhigten  wir 
uns  bei  dem  Gedanken,  es  sei  ein  neuer  Steinfall  ähnlich  dem  gestern  am 
cone  beobachteten  gewesen.  Oben  auf  dem  Observatorium  fanden  wir  neben 
dem  ständigen  Leiter,  dem  Kapitän  Perney,  auch  noch  Prof.  Girand,  den 
Vertreter  des  vor  kurzem  nach  Frankreich  zurückgekehrten  Prof.  Lacroix, 
und, konnten  sogleich  an  deren  Abendmahlzeit  unter  einem  schönen  Baume 
im  Angesichte  einer  wundervoUen  Landschaft  und  des  Mt.  Pelä  teilnehmen. 
Kapitän  Perney  bejahte  unsere  Frage,  ob  der  cone  bei  seinem  Wachsen  die 
Form  seiner  Spitze  im  wesentlichen  unverändert  behalte.  Hiernach  war  also 
kein  Zweifel  möglich,  daß  er  nicht  von  oben  her  aufgehöht  werden  konnte^ 
sondern  von  unten  langsam  berauf  geschoben  werden  mußte. 

Die  Sonne  war  bereits  untergegangen,  doch  die  Dämmerung  noch  hell, 
als  plötzlich  durch  die  matte  Wolke  am  Fuße  des  cone  ein  schwacher 
Glutschein  sichtbar  wurde  imd  kurz  darauf,  12  Minuten  nach  6  Uhr,  ein 
wenige  Sekunden  dauerndes  dumpfes  KoUen  vom  Berge  herüberdrang.  Das 
Geräusch  war  nicht  sehr  laut  und  dauerte  nur  wenige  Sekunden.  Gleich- 
zeitig aber  schoß  aus  einer  Gegend  am  Südwestfuß  des  c6ne  eine  Wolken- 
masse in  die  Höhe,  deren  grauweiße  Farbe  sich  von  der  leichtet-en,  flach  auf 
dem  Gipfel  liegenden  Passatwolke  deutlich  unterschied.  Mit  ungeheurer 
Schnelligkeit  wuchs  die  Wolkenmasse  senkrecht  über  dem  Krater  in  die  Höhe, 
unter  mächtigen  inneren  Wallungen  und  Wirbeln  sich  in  blumenkohlartigen 
Formen  erweiternd.  In  weniger  als  5  Minuten  hatte  sie  eine  Höhe  von 
3400  m  über  dem  Gipfel  erreicht  und  kam  zum  Stillstand.  Auf  der  Ost- 
seite stieg  ihre  Wand  anfänglich  ganz  vertikal  empor  und  erst  etwa  in  der 
Hälfte  ihrer  Gesamthöhe,  also  2 — 3  km  über  dem  Gipfel,  schob  sie  sich 
flach  schirmförmig  eine  Strecke  ostwärts  vor,  so  daß  es  schien,  als  ob  hier 
in  dieser  Höhe  der  an  jenem  Tage  überhaupt  nicht  besonders  starke  Passat 
die  Grenze  seiner  Kraft  habe. 

Zur  selben  Zeit  rollte  vom  gleichen  Ursprungsort  aus  ein  anderer  Teil 
der  eruptiven  Ausstoßungsmasse  mit  der  gleichen  außerordentlichen  Geschwindig- 
keit, die  anfangs  1 — 2  km  in  der  Minute  betrug,  nach  Westen  den  Berg- 
abhang abwärts,  dem  Talzuge  der  Biviere  Blanche  folgend,  auch  sie  unter 
inneren  Wirbeln  und  Wallungen  ähnlich  der  vertikal  emporsteigenden  Wolke. 
Etwas  über  die  Hälfte  des  Wegs  gegen  das  Meer  hin  hatte  sie  zurück- 
gelegt, als  ihre  Bewegung  sich  rasch  verlangsamte  imd  das  Wirbeln  schwächer 
und  schwächer  wurde;  sie  dehnte  sich  dabei  in  die  Höhe  aus,  verwuchs  mit 
der  vertikalen  Wolke  zu  einem  Ganzen,  das  nach  einer  Skizze,  die  ich  5 
bis  6  Minuten  nach  der  Eruption  in  mein  Notizbuch  zeichnete,  noch  höher 
als  zuvor,  bis  über  5  km  oberhalb  des  Gipfels,  emporstieg*).  Li  Form  eines 
grauen  Vorhangs,  der  über  dem  Talzug   der  Biviere  Blanche  hing,  schob  sie 

1)  unmittelbar  vorher  hatte  ich  auch  eine  photographische  Auftiahme  ver- 
sucht, die,  obwohl  die  Sonne  beriBits  untergegangen  war,  gelungen  ist.    Sie  zeigt 


Am  Mont  Pel^  im  März  1903.  557 

sich  mit  scbr&g  vorwärts  geneigter  Front  weiter,  erreichte  das  Meer  und 
kroch  allmählich,  sich  immer  mehr  verdünnend,  weit  westwärts  üher  die 
Oberfläche  der  Bucht  hinaus. 

So  waren  wir  also  Zeugen  genau  des  wesensgleichen  rätselhaften  Vor* 
gangs  geworden,  der  St.  Pierre  verwüstet  hat  und  sich  seitdem  in  kleinerer 
und  größerer  Form  bei  den  Eruptionen  des  Berges  so  oft  wiederholt.  Un- 
leugbar hat  der  Anblick  der  absteigenden  Wolke  große  Ähnlichkeit  mit  dem 
Fließen  einer  schweren  Masse.  An  einer  Stelle  teilte  sich  der  Strom,  um- 
wanderte in  zwei  Armen  ein  Hindernis  auf  seinem  Wege  und  vereinigte  sich 
hinter  diesem  wieder.  Ob  freilich  dieser  Augenschein  hinreicht,  eine  wirk- 
liche Schwere  der  ganzen  Masse  als  die  Bewegungsursache  anzunehmen,  bleibt 
unerweislich.  Sapper  war  geneigt,  mindestens  als  wesentliche  Mitwirkung 
anzunehmen,  daß  die  eruptiven  Dämpfe  sehr  stark  mit  festem  Auswurfsstoff 
durchsetzt  gewesen  und  dadurch  talabwärts  gerissen  seien.  Sobald  die  grö- 
beren Materialien  darunter  zu  Boden  gefallen,  dehnten  sich  dann  nach  dieser 
Auffassung  die  befreiten  Gase  gegen  oben  aus.  Für  das  horizontale  Weiter- 
wandem  nach  Westen  könnte  dann  neben  der  fortgesetzten  Ausdehnung  auch 
der  Passat  als  Ursache  mit  angesehen  werden. 

Binnen  kurzem  war  die  Nacht  hereingebrochen,  die  weitere  Entwickelung 
der  Wolke  entzog  sich  der  Beobachtung,  doch  wurde  der  anfänglich  in  ihr 
verschwundene  cone  wieder  bemerkbar.  Feurige  Erscheinungen  waren  mit 
Ausnahme  des  erwähnten  Aufleuchtens  zu  Anfang  der  Eruption  während 
der  Dauer  des  Tageslichts  nicht  mehr  sichtbar  gewesen;  mit  der  Dunkelheit 
traten  sie  jedoch  mit  großer  Deutlichkeit  hervor.  An  dem  freiliegenden  süd- 
westlichen Fuß  des  cone  waren  zwei  konvergierende  Glutstreifen,  augenschein- 
lich Spalten,  erkennbar,  aus  denen  an  verschiedenen  Stellen  glühende  Massen, 
anscheinend  Blöcke,  mit  größerer  oder  geringerer  Energie  hervorgestoßen 
wurden.  Gefolgt  von  einem  Schweif  feinerer  feuriger  Materie,  rollten  sie, 
roten  Schlangen  gleich,  in  bestinmiten  Rinnen  abwärts,  um  im  Tale  der  Ri- 
viere  Blanche  sich  der  weiteren  Beobachtung  zu  entziehen.  Leider  waren 
wir  auf  unsere  Feldstecher  und  ein  unbedeutendes  Handfemrohr  der  Station 
angewiesen.  Es  ist  geradezu  unbegreiflich,  daß  die  Regierung  nicht  hierher 
für  die  Dauer  der  Eruptionsperiode  das  größte  transportable  Teleskop  ihres 
Besitzes  geschafft  hat,  denn  die  Gelegenheit,  sich  die  Einzelheiten  eines  Aus- 
bruchs dadurch  in  nächste  Nähe  zu  bringen,  war  hier  geradezu  einzig. 


die  geschilderte  Erscheinung,  die  flache,  weiße  Passatwolke  und  auch  die  abwärts 
wandernde  Wolkenmasse  vor  ihrem  völligen  Emporwachsen. 

Es  war  mir  hierbei  eine  lehrreiche  Erfiahnmg,  wie  wertvoll  doch  bei  der- 
artigen Erscheinungen  die  Anwesenheit  mehrerer  Beobachter  ist.  Pemey  kon- 
statierte ruhig  mit  der  Uhr  in  der  Hand  die  Zeit,  Sapper  hatte  das  erste  Auf- 
glühen am  Fuß  des  cöne  beobachtet,  und  auf  ihn  ist  auch  die  Feststellung  zurück- 
zuführen, daß  die  beiden  Teile  der  Eruptionswolke  anfangs  scharf  gesondert  waren 
und  erst  nachträglich  völlig  zusammenwuchsen.  Mir  allein,  dessen  Aufmerksamkeit 
durch  die  Manipulation  der  photographischen  Aufnahme  doch  teilweise  abgelenkt 
wurde,  wäre  die  Entwickelnng  mehr  als  eine  einheitliche  im  Gedächtnis  haften  ge- 
blieben. Auch  das  sogleich  zu  erwähnende  Sichteilen  und  Wiederzusammen-Fließen 
der  absteigenden  Wolke  ist  Sappers  Wahrnehmung. 


568  Georg  Wegenen 

Fast  noch  interessanter  aber  als  diese  Blockanswürfe  war  uns  die 
Beobachtung,  daß  auch  zeitweilig  hoch  hinauf  an  der  dunkeln  Wand  des 
cone,  gelegentlich  bis  nahe  an  seine  Spitze  heran,  einzelne  Glühpunkte  auf- 
leuchteten, die  sich  dann  nicht  talwärts  bewegten,  sondern  an  Ort  und  Stelle 
langsam  verblaßten.  Wir  konnten  uns  dies  nicht  anders  erklären,  als  daß 
hier,  nach  dem  Muster  der  gestrigen  Steinfälle,  Stücke  von  der  Wand  des 
cone  losbrachen  imd  daß  sich  dabei  sein  bloßgelegtes  Innere  als  glühend 
erwies.  War  das  richtig,  dann  durften  wir  darin  einen  sehr  wesentlichen 
weiteren  Stützpunkt  fElr  die  seit  gestern  uns  immer  wahrscheinlicher  ge- 
wordene Überzeugung  sehen,  daß  der  cone  nichts  anderes  ist,  als  eine  Lava- 
masse,  die  von  unbekannten  Kräften  aus  einem  senkrechten  Schacht  langsam 
emporgedrängt  wird,  bei  der  Berührung  mit  der  Luft  erstarrt  und  oberhalb 
des  Kraters  jene  ungeheuerliche  Säule  bildet.  Daß  dieses  Ergebnis,  falls  es 
richtig  ist,  von  schwerwiegendstem  Einfluß  auf  unsere  gesamten  vulkanischen 
Anschauungen  sein  muß,  bedarf  keiner  weiteren  Erklärung^). 

Zwischen  10  xmd  11  ühr  verblaßten  die  feurigen  Erscheinungen.  Ab- 
gesehen von  jenem  ersten  kurzen  Anfangsgeräusch  war  die  gesamte  Eruption 
für  uns  auch  völlig  lautlos  vor  sich  gegangen. 

Als  wir  am  nächsten  Morgen  erwachten,  war  die  Ausbruchswolke  ver- 
schwunden, aber  auf  den  Gehängen  längs  dem  Talzuge  der  Biviere  Blanche 
lag  eine  frische  Decke  niedergefallener  Asche,  anzusehen  wie  neuer  Schnee 
oder  besser,  in  dem  morgendlichen  Lichte  wenigstens,  wie  zart  graue  chinesische 
Rohseide.  Der  cone  ragte  wie  gestern  morgen  anscheinend  unverändert  über 
der   flachen   Passatwolke    empor;    Pemejs  Winkelmessung  aber  konstatierte. 


1)  Mir  ist  in  der  Literatur  des  Vulkanismus  keine  Beobachtung  eines  ähn- 
lichen Gebildes  wie  der  ,,c6ne**  des  Mont  Pel^  bekannt.  VieUeicht  schärft  aber 
die  gegenwärtige  Erfahrung  den  Blick  und  läßt  uns  in  den  Ruinen  älterer  Vulkane 
die  Reste  verwandter  Erscheinungen  erkennen.  Denn  es  ist  auch  für  den  gewal- 
tigen Kegel  von  Martinique  nicht  wahrscheinlich,  daß  er  einen  langen  Bestand 
haben  wird. 

In  sehr  dankenswerter  Weise  macht  mich  A.  Graef  in  Bemburg  auf  eine 
interessante  Stelle  Darwins  aufoierksam  (Gh.  Darwins  Naturwissenschaftliche  Reisen. 
Deutsch  von  E.  Dieffenbach.  Braunschweig  1844.  Bd.  L  S.  10),  in  der  von  der 
Insel  Fernando  Noronha  die  Rede  ist:  „Soviel  ich  während  eines  Aufenthalts  von 
wenigen  Stunden  an  diesem  Platze  bemerken  konnte,  ist  die  Bildung  dieser  Insel 
vulkanisch,  doch  wahrscheinlich  aus  einer  älteren  Periode.  Das  Hervorragendste 
ist  ein  kegelförmiger  Berg,  ungefähr  1000  Fuß  hoch,  dessen  oberer  Teil  ausnehmend 
steil  ist  und  auf  einer  Seite  seine  Basis  überhängt.  Die  Felsart  ist  PhonoUt  und 
ist  in  unregelmäßige  Säulen  geteilt.  Auf  den  ersten  Eindruck,  wenn  man  eine 
dieser  isolierten  Massen  betrachtet,  ist  man  geneigt  zu  glauben,  daß  das  Ganze 
plötzlich  in  einem  halbflüssigen  Zustande  hervorgetrieben  wurde.  Ich  fand  indessen 
auf  St.  Helena,  daß  einige  solcher  Gipfel  von  ganz  ähnlicher  Gestalt  und  BeschafiPen- 
heit  durch  das  Heraufkreiben  des  geschmolzenen  Gresteins  zwischen  die  nachgebenden 
Schichten  gebildet  worden  waren,  die  auf  diese  Weise  das  Modell  für  diese  riesen- 
haften Obelisken  abgegeben  hatten.** 

Graef  bemerkt  dazu,  daß,  wenn  auch  Darwin  seine  erste  Meinung  zurück- 
zöge, sie  angesichts  der  Entstehung  des  „cdne"  doch  vielleicht  richtiger  sein  könnte, 
als  er  meint.  Ich  selbst  bin  leider  augenblicklich,  fem  von  einer  Bibliothek,  außer 
Stande,  diese  Frage  weiter  zu  verfolgen ;  sie  verdient  jedenfalls  Aufmerksamkeit. 


Am  Moni  FeU  im  März  1908.  559 

daß  er  25  m  niedriger  geworden  war.     1570  m  Meereshöhe  hatte  jetzt  seine 
Spitze  über  dem  Meeresspiegel. 

Der  Ausbruch,  den  wir  gestern  mit  angesehen  hatten,  war  nach  der 
Angabe  desselben  Of&ziers  der  stärkste  seit  dem  25.  Januar.  Mit  diesem 
zusammen  ist  er  der  bedeutendste  gewesen,  den  der  Berg  seit  der  Katastrophe 
von  Mome  Bouge  am  30.  August  vorigen  Jahres  erlebt  hat. 

•     *     • 

Am  nächsten  Morgen  fuhren  wir  mit  dem  Regierungswagen,  der  gestern 
Herrn  Girand  hierher  gebracht  hatte,  mitten  durch  die  wild  zerschnittene 
Gruppe  der  Pitons  de  Carbet  hindurch  nach  Fort  de  France  zurück,  ent- 
zückt unterwegs  durch  die  wundervoll  üppige,  noch  im  weiten  Maßstabe 
urwüchsige  Vegetation  dieser  Partien  der  Insel,  die  namentlich  durch  eine 
prachtvolle  Entfaltung  der  für  die  Antillenwelt  so  charakteristischen  Farne 
sich  auszeichnete.  Diese  ürwaldbezirke  bieten  noch  reichlichen  Baum  für 
neue  Ansiedlungen,  und  so  begegneten  wir  auch  hier  und  dort  den  Plätzen, 
wo  durch  Brandrodung  für  die  aus  den  gefährdeten  Gebieten  geflüchteten 
Einwohner  neue  Wohnplätze  gewonnen  wurden. 

In  Fort  de  France  erwartete  uns  die  ungemein  interessante  Nachricht, 
daß  am  22.  März  in  den  Morgenstunden  auch  die  Soufri^re  von  St.  Vincent 
einen  ungewöhnlich  starken  Ausbruch  gehabt  habe.  Somit  bestätigte  sich 
wiederum  das  sonderbare  Zusammenspiel  der  beiden  Vulkane.  Es  liegt  darin 
zweifellos  ein  Punkt,  der  für  das  Wesen  des  Vulkanismus  von  der  aller- 
größten Bedeutung  ist;  denn  so  großartig  auch,  mit  menschlichem  Maßstabe 
gemessen,  die  vorhin  geschilderten  Vorgänge  und  Erscheinungen  bei  dem 
Vulkanausbruch  des  Feli  waren,  ich  konnte  mich  doch  andererseits  dem  Ein- 
druck nicht  verschließen,  daß  sie,  im  Verhältnis  zur  ganzen  Landschaft  ge- 
nommen, eigentlich  doch  recht  geringfügig  sind.  Allein  betrachtet  würden 
sie  auf  eine  nur  nahe  unter  der  Epidermis  der  Erde  gelegene  Ursache 
schließen  lassen.  Weit  mehr  als  die  beobachteten  Eraffcwirkungen  läßt  der 
Umstand,  daß  diese  beide  ca.  170  km  voneinander  entfernten  Vulkane  in 
einem  unzweifelhaften,  übrigens  auch  noch  durch  die  verwandte  Art  ihrer 
Ausbrüche  bestätigten  Zusammenhang  stehen,  auf  eine  größere  Tiefe  und  mely: 
als  einen  rein  lokalen  Charakter  der  vulkanischen  Herde  schließen. 

Mit  der  Nachricht  von  St  Vincent  war  zugleich  auch  das  Bätsei  jenes 
Geräusches  gelöst,  das  man  am  22.  März  früh  auf  Guadeloupe  vernommen 
hatte;  freilich  war  auch  das  neue  aufgegeben,  weshalb  dieses  Geräusch  die 
zwischen  St.  Vincent  und  Guadeloupe  gelegene  Insel  Martinique  übersprungen 
hatte.  Es  wäre  sehr  interessant,  zu  erfahren,  wie  es  damit  auf  Si  Lucia  und 
Dominca  gestanden  hat. 

Auch  der  Gouverneur  erkundigte  sich,  als  wir  ihm  unsem  freundlichsten 
Dank  für  die  glänzende  Förderung  unserer  Absichten  ausgesprochen,  sogleich 
nach  unserer  Ansicht,  ob  der  Berg  im  Wiedererlöschen  begriffen  sei,  aber 
auch  ihm  konnten  wir  leider  angesichts  der  beobachteten  Tatsachen  diese  Be- 
ruhigung nicht  geben. 

Am  30.  März  verließen  wir  beide  die  Insel  wieder.  Sapper,  um  nach  Europa 
zurückzukehren,  ich,  um  meine  Reise  zur  Landenge  von  Panama  fortzusetzen. 


560  H.  Fischer: 


Die  Atlanten  an  den  prenfiischen  höheren  Schalen. 

Von  Oberlehrer  Heinrich  Fisoher  in  Berlin. 

(Schluß.) 

Indem  ich  nunmehr  zu  'den  Karten  zur  allgemeinen  Erdkunde  über- 
gehe, möchte  ich  mir  nicht  zu  widersprechen  scheinen,  wenn  ich  jetzt  der 
Einfachheit  halber  geologische  u.  a.  Karten  einzelner  Länder,  besonders  Deutsch- 
lands, ebenso  alle  anthropogeographischen  Karten  hier  mit  unterbringe.  Es 
war  ja  nur  eine  theoretische  Forderung,  daß  eine  ideale  aber  praktisch  un- 
ausfahrbare  Karte  zur  Länderkunde  auch  geologischen  Untergrund  gleichzeitig 
zeigen  müßte. 

Die  Mannigfaltigkeit,  die  uns  hier  in  dem  modernen  Schulatlas  entgegen 
tritt,  ist  überraschend  groß.  Sie  entspricht  einerseits  einer  ausgesprochenen 
Vorliebe  der  wissenschaftlichen  Geographie  und  andererseits,  mit  gewichtiger 
Ausnahme,  der  Leichtigkeit  der  Übernahme  solcher  Karten  aus  Original- 
werken. Denn  selbst  bei  eigener  Überarbeitung  des  Kartographen,  der  sich 
aber  meist  an  die  wenigen  neuesten  kartographischen  Publikationen  zu  halten 
gezwungen  sehen  wird,  ist  Stich  und  Kolorit  gegenüber  der  Länderkundekarte 
meist  sehr  Yereinfacht. 

Ich  gehe  nun-  die  einzelnen  Kategorien  von  Karten  durch;  ihre  volle 
Würdigimg  wird  aber  auch  hier  wieder  nicht  möglich  sein^ 

Besonders  beliebt  sind  klimatologische  Karten,  Isothermen  und  Iso- 
baren werden  oft  in  drei  und  zwei  Darstellungen  gegeben  (Jahr,  Januar, 
Juli),  dazu  konmien  wohl  noch  die  Isoamplituden.  Mit  Flächenfarben 
werden  Maxima-  und  Minimagebiete  gegenübergestellt  (Grenze  760  nmi  und 
20^  und  0^)  und  durch  Farbenstufen  die  allmählichen  Steigerungen  veransckau- 
licht.  Bei  den  Isothermenkarten  beschränkt  man  die  Farbengebung  gern  auf 
die  Landmassen.  Ob  das  völlige  Fehlen  jeder  Terrainunterlage  richtig  ist, 
lasse  ich  dahingestellt.  Versuche  möchten  sich  jedenfalls  im  Sinne  der  poli- 
tischen Blätter  des  Debesschen  Handatlas  wohl  empfehlen,  ob  sie  schon  ge- 
macht sind,  weiß  ich  nicht.  Daneben  wäre  es  gut,  den  Hinweis,  daß  es  sich 
um  die  Darstellung  auf  den  Meeresspiegel  reduzierter  Größen  handelt,  nirgends 
fehlen  zu  lassen.  Das  ist  besonders  wichtig,  wenn  sich  neben  diesen,  wie 
im  Diercke-Gaebler  auf  Taf.  130  u.  a.,  „Temperaturkarten"  ohne  Reduktion  ein- 
stellen. Solche  sind  fOr  Deutschland  gewiß  sehr  hübsch,  die  dort  gegebene 
Verbindung  mit  einigen  reduzierten  Januar-  und  Juliisothermen  ist  aber  wohl 
recht  bedenklich,  zumal  wenn  jeder  erläuternde  Hinweis  fehlt  —  Femer 
finden  wir  Begenkarten.  Soweit  sie  die  jährliche  Begenhöhe  angeben, 
ermöglichen  sie  eine  den  anderen  analoge|f  Darstellungsform:  Linien  gleicher 
Begenhöhe,  die  Zwischenräume  farbig  abgestuft.  Dagegen  stellen  sich  die 
Karten  zur  Versinnbildlichung  der  Begenzeiten  vielleicht  als  noch  nicht 
besonders  günstiges  Objekt  für  den  Schulatlas  dar.  Lehmann  gibt  sie  nicht, 
Debes    sehr    dürftig.      Sie    wollen    sehr    komplizierte,    kartographisch    recht 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen.  561 

schwierig  fest  sn  haltende  Erscheinungen  hringen^);  ich  möchte  hezweifeln, 
ob  sie  sich,  selbst  eine  andere  Schule  und  andere  Lehrer  vorausgesetzt,  für 
einen  Schulatlas  eignen. 

Eine  Karte  des  magnetischen  Verhaltens  der  Erde  finde  ich  nur 
im  großen  Debes,  auch  fast  nur  als  Lückenbüßer.  Wenn  selbst  Wagner,  trotz 
seiner  geographischen  Entwicklang  vom  mathematischen  Lager  her,  auf  solche 
verzichtet,  so  werden  wir  ihr  Fehlen  billigen  müssen. 

An  pflanzengeographisehen  Karten  haben  wir  solche  der  Vege- 
tation sgebiete,  mit  denen  meist  die  die  Darstellungsgebiete  ausschließende 
Karte  der  Meeresströmungen  verbunden  ist  Ob  diese  nicht  vielleicht  noch 
besser  auf  die  Weltverkehrskarte  gehörte,  möchte  zu  untersuchen  sein;  daß 
sie  dort  auch  Zweck  hat,  ist  ohne  weiteres  klar,  allein  die  Übersichtlichkeit 
kann  hier  entscheiden.  Lehmann  und  Diercke  bringen  auch  Teile  der  Erd- 
oberfläche mit  pflanzengeographischen  Darstellungen.  Nirgends  aber  finde 
ich  Florenkarten  außer  im  Richter  auf  Taf.  6;  da  eine  einigermaßen  klare 
Vorstellung  von  dem  Wesen  einer  Flora  außerhalb  des  im  botanischen  unter- 
richte Erreichbaren  liegt,  halte  ich  die  Aufnahme  der  Karte  für  verfehlt. 
Diercke  bringt  auf  Taf.  130  eine  phänolo^sche  Karte  Deutschlands.  Ob  sich 
bei  der  bedenklichen  Stellung,  die  heute  die  Phänologie  einnimmt,  die  Auf- 
nahme einer  solchen  Karte  empfiehlt,  ist  mir  zweifelhaft.  Anschauungswert 
besitzt  sie  ja. 

An  die  rein  pflanzengeographischen  Karten  schließen  sich  einerseits  die 
Karten,  die  die  Verbreitung  von  Kulturpflanzen  und  anderen  Produkten 
darstellen,  andererseits  tiergeographische  Blätter.  Auch  hier  wieder  sind 
Lehmann  und  Diercke  am  reichsten,  doch  in  verschiedenem  Sinne.  Lehmann 
gibt  mehr  allgemeine  Weltübersichten,  Diercke  mehr  einzelne  Karten  der 
,.Bodenbenutzung^  oder  der  Produkte^).  Es  muß  diesen  Karten  gegenüber 
folgendes  erinnert  werden:  der  Wert  der  kartographischen  Versinnlichung,  be- 
sonders von  Produktionsgebieten  ist  unbestreitbar,  ihre  Aufnahme  und  Aus- 
bildung in  Handelsatlanten  und  auf  Spezialkarten  eine  von  Tag  zu  Tag  an 
Wichtigkeit  wachsende  Aufgabe.  Aber  einerseits  sind  unsere  technischen  Hilfs- 
mittel hier  sehr  unbeholfen,  schon  wenige  Tiere  oder  Kulturpflanzen  mit  teil- 
weise zusammenfallenden  Verbreitungsgebieten  können  den  Kartographen  an 
die  Grenzen  seiner  Mittel  bringen,  und  andererseits  ist  die  Frage  immerhin 
aufzuwerfen,  wie  viel  die  Schule,  auch  wieder  selbst  die  erstrebte  ZukunftS' 
schule  —  denn  die  heutige  als  Maß  anzulegen,  geht  natürlich  doch  nicht  — 
überhaupt  aufnehmen  und  verarbeiten  kann,  unter  allen  Umständen  schießen 
Atlanten  für  untere  Klassen  über  das  Ziel,  wenn  sie  sich  mit  solchen  Karten 
beschweren').  Ein  Quintaner  oder  auch  Quartaner  hat  es  noch  vid  zu  nötig, 
die  wirkliche  Gestaltung  der  Erdoberfläche  kennen  zu  lernen,  als  daß  er  sie 
schon  als  Unterlage  für  die  Verbreitung  solcher  Dinge  benutzen  soUte.    Will 


1)  Vgl.  die  Köppensche  Karte  in  der  G.  Z.  1900. 

2)  Diercke-Gaebler  Blatt  88,  86,  110  u.  a. 

8)  Lehmann-Petzold  für  antere  Klassen  Taf.  18  u.  a.  Diercke  fQr  untere  Klassen 
Taf.  21  u.  a.,  besonders  dieser  letztere  ist  ein  trauriger  Beweis,  wie  sehr  dem  Karto- 
graphen heute  die  Möglichkeit  fehlt,  sachgemäße  Beratung  an  den  Schulen  zu  finden. 
Oeograpbiiobe  ZeiUcbrift.  »Jahrgang.  1908.  10  Heft  88 


562  H.  Fischer: 

der  Lehrer  ihm  die  Verbreitnng  des  Löwen  oder  des  Kaffee  einmal  zeigen,  so 
nehme  er  die  Karte  Ton  Afrika  oder  die  Planigloben,  das  ist  viel  besser.  Ich 
möchte  aus  Atlanten  für  untere  Klassen  überhaupt  alle  in  diesem  Abschnitte 
genannten  Karten  yerbannt  wissen.  Daß  sie  sich  in  ihnen  finden  und  wohl 
auch  mancher  Lehrer  zu  ihnen  greift,  hat  einen  seiner  gewichtigsten 
Gründe  in  der  unglücklichen,  vielleicht  nächstdem  durch  die  sog.  „Reform^ 
des  höheren  Unterrichts  noch  verschlimmerte  Lage  des  Erdkundeunterrichtes, 
der  ihn  fast  ausschließlich  auf  die  unteren  Klassen  beschränkt  Indem  man 
aber  Dinge  vor  ein  für  sie  unreifes  Alter  bringt,  nützt  man  der  Sache  nichts, 
schadet  ihr  vielmehr,  indem  man  sie  der  Gefahr  aussetzt,  daß  sie  nicht  ernst 
genommen  wird.  Ja  selbst  für  die  größeren  Schulatlanten  vermögen  die  tier- 
geographischen Karten  wenig  zu  leisten«  Das  liegt  an  ihrer  oben  berührten 
Unbeholfenheit,  die  keinem  entgehen  kann,  der  etwa  den  Berghaus'  physika- 
lischen Atlas  durchblättert.  Wer  glaubt,  daß  ein  Durchschnittsschüler  sidi 
aus  dem  Gewirr  von  Linie,  Farbe  und  Strichelung  in  der  Gegend  von  Zentral- 
asien auf  Taf.  15  des  großen  Debes  ein  Bild  machen  kann,  kennt  diesen 
vortrefflichen  Knaben  kaum.  Oder  man  nehme  sich  andererseits  für  Produkten- 
karten im  großen  Diercke  Taf.  134  vor  und  mache  sich  die  ungeheuere  Un- 
vollkommenheit  dieser  Karten  gegenüber  den  landeskundlichen  in  der  Bestimmt- 
heit und  Ausgeglichenheit  der  einzelnen  Faktoren  klar,  und  man  wird  kaum 
im  Zweifel  bleiben  können,  ob  es  nicht  besser  wäre,  mit  derartigen  karto- 
graphischen Versuchen  —  denn  das  sind  vorläufig  auch  noch  die  besten 
Karten  auf  diesen  Gebieten  —  in  Schulatlanten  etwas  sparsamer  zu  sein. 
Die  Begründung  von  Handelsfachschulen  und  das  Entstehen  besonderer  Handels- 
atlanten wird  hier  viell^cht  eine  gewisse  Entlastung  bringen. 

Ehe  ich  zu  anderen  Karten  übergehe,  möchte  ich  noch  die  beiläufige 
Bemerkung  machen,  daß  manchmal  eine  Verbindung  im  Sinne  der  Verdeut- 
lichung kausaler  Zusammenhänge  versucht  wird,  besonders  indem  Isothermen 
über  andere  Karten  gelegt  werden,  so  im  großen  Debes  auf  Taf.  12  auf  eine 
Regenkarte,  so  bei  Diercke  auf  Prodnktenkarten. 

Verhältnismäßig  stiefmütterlich  bedacht  ist  in  unseren  Schulatlanten 
andererseits  die  Geologie.  Bedenke  ich  die  üppige  Fülle  aller  möglicher 
Darstellungen,  denen  wir  eben,  ohne  sie  auszuschöpfen,  begegnet  sind,  so 
dürfte  wohl  die  technische  Seite  hier  eine  entscheidende  Rolle  gespielt  haben. 
Denn  eine  einigermaßen  ordentliche  geologische  Karte  bedarf  eines  VielfEurben- 
druckes  und  feiner  Ausführung.  Das  macht  sie  teuer.  Diercke  reicht  hier 
gar  nicht  hin,  Lehmann,  Debes  und  Wagner  geben  sie  alle  drei  ziemlidb  über- 
einstimmend, so  alle  im  Maßstabe  1  :  6  Mill.  Wagner  ist  am  besten,  weil 
am  feinsten  durchgearbeitet,  aber  eine  Gliederung  des  Diluviums  oder  der 
Trias,  ja  eine  Trennung  von  älteren  und  jüngeren  Eruptivgesteinen  kann  auch 
er  nicht  geben.  Irre  ich  mich  nicht,  so  wird  die  Zukunft  eine  größere  geo- 
logische Karte  von  Deutschland,  zum  mindesten  im  Maßstabe  der  Hauptkarte, 
für  den  größeren  deutschen  Schulatlas  nötig  machen.  Wie  viel  weiter  wir 
noch  gehen  sollen,  möchte  ich  nicht  zu  entscheiden  wagen;  eine  geologische 
Gesamtübersicht  der  Erde  z.  B.  gehört  vorläufig  wohl,  weil  allzu  provisorisch, 
noch  nicht  in  den  Schulatlas. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen.  563 

Ich  komme  schließlich  zu  anthropogeographisohen  Karten.  Bech* 
nen  wir,  wie  hier  erklärlich,  die  sog.  politische  Karte  nicht  dazu,  so  bleiben 
für  Schulatlanten  im  allgemeinen  Bevölkerungsdichte-,  Völker-  und 
Beligionskarten  übrig.  Die  Bevölkenmgsdiohiekarten  sind  sehr  beliebt,  an 
die  Erarbeitung  ihr^  besten  Form  ist  außerordentlich  viel  Mühe  verwandt 
worden^).  Eüi*  den  Schulatlas  stellt  sich  die  Karte,  noch  immer  an  einen 
ihrer  ersten  Versuche  anknüpfend^),  als  eine  Art  Isohypsenkarte  dar,  bei  der 
vielleicht  daran  erinnert  werden  darf,  daß  im  Gegensatz  zu  diesen  oder  kli- 
matologischen  Karten  schroffe  Wechsel  vorkomnten,  daher  nicht,  wie  es  ge- 
schieht, zwischen  Gebieten  hoher  und  geringer  Volksdichte  alle  gewählten 
Zwischenstufen  ausgezogen  werden  sollten.  Ein  fast  unlösbares  Problem 
bieten  die  großen  Städte,  ihre  doppelte  Darstellung  einmal  in  Verstärkung 
der  Flächenfarbe  und  einmal  im  Ortszeichen  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
zu  verteidigen.  Bringt  man  sie  aber  für  die  Flächendarstellung  ganz  in  Ab- 
zug, so  konamen  Gegenden  wie  z.  B.  die  Umgebung  Berlins  zu  sohlecht  fort, 
tut  man  es  nicht,  wo  ist  dann  die  Grenze  des  Bodens,  zu  dem  sie  gehören?') 

Diese  und  zahlreiche  andere  Erwägungen  stellen  sich  ein  und  können 
uns  lehren,  daß  trotz  aller  Arbeit  hier  noch  kein  Abschluß  gefunden  isi  Das 
mag  bedauerlich  sein,  ist  aber  auch  erklärlich.  Denn  die  wissenschaftlichen 
Arbeiten  haben  sich  in  den  letzten  Jahrzehnten  ganz*  überwiegend  auf  Spezial- 
untersuchungen und  Darstellungen  kleinerer  Landschaften  oder  auf  theoretische 
Erörterungen  erstreckt^  von  welchen  beiden  ein  ganz  einwandsfreier  Weg  zu 
der  besten  Darstellung  der  Bevölkerungsdichte  auf  Karten  mittelgroßen  Maß- 
stabes noch  nicht  gefunden  ist.  Bei  diesen  ist  man  praktisch  nur  an  ver- 
hältnismäßig alte  Vorbilder  gebunden.  Immerhin  ist  die  Kartographie  hier 
viel  weiter  als  auf  wirtschaftsgeographischem  Gebiete,  freilich  kein  Wunder 
gegenüber  dem  mehr  einheitlichen  Phänomen,  das  es  zu  veranschaulichen  gilt. 
Die  größte  Mannigfaltigkeit  tritt  hier  erst  ein,  wenn  statt  der  einfachen 
Volksdichte  Siedelungsart  und  -dichte  u.  a.  dargestellt  werden  sollen.  Ich  habe 
aber  die  interessanten  Versuche,  die  hier  vorliegen,  noch  keinen  Einfluß  auf 
die  Schulkartographie  gewinnen  sehen,  so  können  wir  auch  hier  von  ihnen 
schweigen. 

Von  ethnographischen  Karten  finden  wir  fast  ausschließlich  Sprach- 
und  Beligionskarten^)  vertreten,  und  zwar  Übersichten  über  die  ganze 
Erde,  einzelne  Weltteile,  Mitteleuropa.  Was  ihre  äußere  Form  betrifft,  so 
möchte  man  bei  Übersichten  die  Wahl  der  Merkatorkarte  am  meisten  be- 
dauern. Wie  unglücklich  ist  z.  B.  auf  solchen  Karten  das  Flächenverhältnis 
von  Bantu  oder  Dravida  zu  Jakuten  oder  Tschuktschen !  Bei  der  Fülle  der 
zu  trennenden  Völker  ist  eine  reiche   Farbenauswahl  nötig.     Dadurch  wird 

1)  Siehe  die  erwähnte  Arbeit  von  Neukirch;  seitdem  ist  die  dort  citierte  Lite- 
ratur von  neuem  erheblich  angeschwollen  (Uhlig,  Sandler  etc.) 

2)  itavn  s.  Nenkirch  S.  26. 

3)  Sollte  hier  vielleicht  eine  Lösung  bei  Verbindung  mit  der  Isochronen- 
karte  möglich  sein,  auf  deren  Ausgestaltung  neuerdings  Schjerning  einen  bestim- 
menden Einfluß  ausgeübt  hat  (Fachsitzung  der  Ges.  f.  Erdkde.  in  Berlin  Januar  1902). 

4)  Dierke-Gaebler  gibt  außerdem,  z.  B.  auf  Taf.  17,  daneben  noch  Kultur- 
formen und  Staateformen. 

88* 


564  H.  Fischer: 

eine  Verbindung  von  Dichtekarte  und  Völkerkarte  ein  schwieriges,  tatsachlich 
in  Schulatlanten  meines  Wissens  nicht  versuchtes  Problem.  Ich  möchte  sie 
aber  doch  empfehlen.  Man  könnte  die  Dichtekarte,  die  nur  als  Untergrund 
Gegensätze  und  Übergänge  darlegen  sollte,  nach  Art  der  alten  Petermann- 
sehen  Karten  geben,  wie  sie  sich  in  Schummerungsmanier  im  Taschenatlas 
von  Habenicht  erhalten  hat.  Gar  nicht  befreimden  kann  ich  mich  mit  der 
Streifendarstellung,  die  ein  Völkergemisch  darstellen  soll.  Bei  Karten  mit 
großem  Maßstabe  erträglich,  aber  wenig  nötig,  da  ja  bekanntlich  die  Zonen 
sprachlichen  Übergangs  sehr  schmal  zu  sein  pflegen,  stellen  sie  auf  Über- 
sichten  viele  Kilometer  breite  Bänder,  breiter  oft  als  ernst  gemeinte  Ver- 
breitungsgebiete dicht  daneben^). 

Ob  auf  diesen  Karten  die  Stellung  der  Deutschen  stark  und  mannig- 
faltig genug  für  einen  deutschen  Schulatlas  zur  Geltung  kommt,  möchte 
zweifelhaft  sein.  Jedenfalls  weise  ich  auf  Langhans'  Kolonialatlas  und  seine 
sonstige  kartographische  Tätigkeit  als  auf  einen  fOr  die  Schulkartographie 
noch  nicht  gehobenen  Schatz  hin.  Ein  Kartenbild,  das  zu  manchen  schiefen 
Urteilen  verftihren  kann  und  das  wir  doch  nicht  vermissen  möditen,  ist  im 
besonderen  die  Sprachenkarte  von  Deutschland.  Die  Grenzen  gegen  die 
fremden  Sprachen  liegen  heute,  genau  untersucht,  vollkommen  fest.  Nicht  so 
steht  es  aber  mit  den  Dialektgrenzen  im  Innern.  Hier  werden  Grenzen  von 
ganz  verschiedenem  Werte  gleichartig  ausgezogen.  So  ist  der  Verlauf  der 
Dialektgrenzen  im  Bereich  des  Ober-  und  des  Mitteldeutschen  (wenn  man 
letzteren  Ausdruck  für  Franken,  Thüringen  und  deren  östliche  Kolonisten  zuläßt) 
vielerorts  auf  Grund  minutiöser  phonetischer  Untersuchungen  festgestellt.  Im 
Bereich  der  Niederdeutschen  aber,  besonders  des  Osteibischen,  herrschen*  ganz 
andere  Einteilungsprinzipien'-).  Aber  selbst,  wenn  man  mit  Wagner,  Diercke 
und  z.  T.  Lehmann  nur  die  eine  Grenze  zwischen  Ober-  (Mittel-)  und  Nieder- 
deutsch ausziehen  will,  kommt  man  praktisch  in  Ostelbien  in  die  Brüche. 
Nach  dem  großen  Debes  sprechen  die  Berliner  Niederschlesisch,  nach  dem  Sydow- 
Wagner  Niederdeutsch,  nach  Lehmann-Petzold  Mitteldeutsch,  nach  dem  Diercke- 
Gaebler  Niedersächsisch,  jedoch  nach  Dierckes  Atlas  für  berliner  Schulen 
wieder  Mitteldeutsch.  Es  ist,  wie  man  sieht,  hohe  Zeit,  daß  die  noch  immer 
Ungelöste  Preisaufgabe  der  berliner  Universität:  Was  ist  der  berliner  Dialekt? 
endlich  einmal  ihre  Lösung  findet,  schon  im  Interesse  der  berliner  Schuljugend. 
Der  tiefere  Grund  liegt  aber  wohl  darin,  daß  seit  der  hochdeutschen  Bibel 
und  verstärkt  seit  dem  Schulzwang  des  hochdeutsch  sprechenden  Staates  das 
Niederdeutsche  einem  Auflösungsprozeß  entgegengeht,  der  an  verschiedenen 
Stellen  sehr  verschiedene  Stadien  angenommen  hat;  diese  harren  noch  der 
kartographischen  Fixierung,  ja  wohl  auch  großenteils  der  Bearbeitung  imserer 
Germanisten.  Ich  weise  nur  auf  die  Unterschiede  von  Stadt  und  Land  hin, 
hier  Zusammenfluß   verschiedener  Dialekte    und    ausgebildeteres    Schulwesen, 


1)  Vgl.  Diercke-GaeblerTaf.  16,17,  19a;  Lüddecke-Haack  Taf .  48 ;  großer  Debes 
Taf.  17,  18;  Lehmann-Petzold  Taf.  20  u.  andern  Orts. 

2)  Vgl.  im  großen  Debes  Taf.  66,  Grenze  zwischen  Niedersächsisch,  Märkisch 
und  Pommersch,  die  nur  an  einer  Stelle  von  politisch  gegebenen  Grenzen  abweicht, 
in  Neuvorpommem,  und  dort  sicher  nicht  der  Wirklichkeit  entspricht. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schalen.  565 

dort  Abfluß  der  Intelligenzen  und  stärkeres  Nachgeben  gegenüber  der  Volks- 
sprache; ferner  auf  den  Unterschied  zwischen  Alt-Preußen  mit  seinem  alten 
Schulzwang  und  Ländern  wie  Mecklenburg  und  Schleswig-Holstein;  drittens 
auf  den  Gegensatz  von  Binnenland  und  Wasserkante,  hier  das  Niederdeutsche 
konserviert  unter  dem  Einfluß  der  allgemeinen  niederdeutschen  Seemanns- 
spraehe,  dort  der  Zuwanderung  Oberdeutscher  ausgesetzt.  Diesem  Zersetzungs- 
Yorgang  des  Niederdeutschen,  der  sich  starker  von  den  Städten,  schwächer  von 
seiner  Südgrenze  her  ToUzieht,  hat  man  in  seinem  wesentlichsten  Beispiel, 
Berlin,  bald  eine  Eonzession  gemacht,  bald  sie  unterlassen.  Jedenfalls  wird 
noch  viele  wissenschaftliche  Arbeit  nötig  sein,  ehe  wir  eine  weniger  Ein- 
wänden ausgesetzte  Mundartenkarte  fOr  das  Gebiet  des  Niederdeutschen  in 
unseren  Schulatlanten  finden  werden^). 

Indem  ich  jetzt  das  Gesagte  überblicke,  bemerke  ich,  daß  ich  wirklich, 
wie  zu  fürchten  stand,  nicht  viel  mehr  als  Aufzählungen  imd  Anregungen 
gegeben  habe;  aber  mehr  ist  eben  in  dieser  Form  auch  kaum  möglich.  Noch 
stehen  dabei  weite  Kapitel,  über  die  zu  schreiben  wäre,  ganz  beiseite,  so  vor 
allem  die  Behandlung  der  Namen  und  der  Zahlen.  Beide  sind  zum  Ver- 
stehen der  Karte  unerläßlich,  beeinträchtigen  aber  ihren  Eindruck  oft  in  un- 
erfreulichster Weise  ^).  Ihre  Anwendung  setzt  ganz  besonders  viel  Takt  des 
Kartographen  voraus,  der  mir  u.  a.  nicht  genügend  bewiesen  scheint,  wenn 
viele  Alpengruppen  oder  nordamerikanische  Großstädte  mit  zn  großen  Schrifb- 
zeichen  begleitet  werden.  Im  allgemeinen  gilt  wohl,  daß  alle  Schrift  deut- 
lich sein  und  doch  zurücktreten  muß,  und  daß  für  verschiedene  Kategorien 
verschiedener  Schriftduktus  zu  wählen  ist.  Die  Schrift  würde  uns  dann 
weiter  zu  Transkription  führen.  Das  ist  wieder  eine  äußerst  schwierige 
Frage,  oder  eigentlich  ein  gordischer  Ejioten  von  Fragen,  die  noch  in  mancher 
Hinsicht  so  wenig  geklärt  scheinen^),  daß  wir  uns  —  zumal  die  Sache  den 
Atlas  nicht  allein  angeht  —  hier  mit  dem  allgemeinen  Grundsatze  begnügen 
wollen,  für  die  Jugend  in  zweifelhaften  Fällen  stets  das  einfachere  zu  wählen^). 

Fassen  wir  nun  das  Gesamtbild  des  größeren  deutschen  Schulatlas  zu- 
sammen, so  erblicken  wir  zunächst  einen  erfreulichen  und  gi*oßen  Fortschritt, 
der  sich  innerhalb  der  letzten  Jahrzehnte  vollzogen  hat.  Es  hat  ein  voll- 
ständiger Wechsel  in  den  gebräuchlichen  Atlanten  stattgefunden;  denn  der 
einzige  Sjdow- Wagner,  der  wenigstens  noch  den  alten  Namen  mitträgt,  ist 
innerlich  erst  recht  ein  ganz  anderer  geworden.  Vollkommen  neue  Abteilungen 
haben  sich  im  Atlas  entwickelt:  Spezialkarten,  Karten  zur  allgemeinen  Erd- 
kunde. Der  Einfluß  unserer  wissenschaftlichen  Erdkunde  ist  stark  und  un- 
mittelbar gewesen,  nicht  weniger  als  drei  Hochschullehrer  sind  an  der  Aus- 
gestaltung der  Atlanten  persönlich  beteiligt:  Wagner,  Lehmann,  Kirchhofll 
Ein  Blick  auf  das  Ausland  zeigt  uns   dieses  zwar  in  der  Schulkartographie 

1)  Die  im  vorigen  Jahre  von  Langhans  begründete  Zeitschrift  ,,Deatflche  Erde*^ 
wird  der  geeignete  Sammelpunkt  für  solche  Arbeit  sein  können. 

2)  Vgl.  das  lehrreiche  Beispiel  der  beiden  kleinen  Atlanten  von  Haack,  von 
denen  der  eine  ,,8tumm^^  ist. 

3)  Vgl.  7.  Intern.  Geogr.-Kongreß  I,  S.  187  ff. 

4)  Demgemäß  ist  die  Nomenklatur  auf  Taf.  50  von  Diercke-Gaebler  stark  zu 
beschränken. 


566  H.  Fischer: 

sich  selbständiger  maohen,  aber  doch  noch  immer  weit  hinter  Dentschland 
zurück,  mit  alleiniger  Ausnahme  Hollands,  das  uns  in  der  Ausgestaltung 
seiner  heimatkundlichen  Karten,  seiner  Beschränkung  auf  das  Schulm&ßige 
und  in  der  Kartographie  seiner  Kolonien  im  Schulatlas  überlegen  ist,  aut 
anderen  Gebieten  (Karten  zur  allgemeinen  Erdkunde,  Ausland,  Projektionen)  aber 
hinter  uns  zurückbleibt.  Freilich  bleiben  gegenüber  dem  hervorragenden  Kunst- 
werke, als  welches  uns  der  moderne  Schulatlas  entgegentritt,  noch  immer 
so  manche  Wünsche  bestehen.  Diese  erklären  sich  einerseits  aus  dem  rapiden 
Wachstum  auf  allen  Gebieten  der  wissenschaftlichen  Erdkunde,  durch  das 
immer  neue  karthographische  Aufgaben  entstehen,  neue  geographische  Inter- 
essen erblühen.  Von  ihnen  kann  die  Schulkartographie  nidit  unberührt 
bleiben,  sie  ist  aber  kaum  im  Stande,  selbst  ohne  Bücksicht  auf  eine  gewisse 
Beständigkeit,  wie  sie  die  Schule  wünschen  muß,  immer  schnell  genug  nach- 
zukommen. Andererseits  aber  bewirkt  das  Fehlen  fachmännischen  Bates  von 
der  Schule  her,  das  durch  die  unglückselige  Entwicklimg  unseres  Unterrichts- 
faches verschuldet  ist^),  daß  sich  so  manches  schulmännisch  nicht  Glückliche 
in  unseren  Atlanten  findet,  wenn  es  natürlich  auch  ausgeschlossen  ist,  daß 
unsere  Schulatlanten  das  Niveau  unserer  heutigen  höheren  Schule  als  Maß 
für  sich  annehmen  dürften.  Das  würde  einer  Bankerotterklärung  unserer 
Schulkartographie,  noch  immer  trotz  unserer  höheren  Schule  der  ersten  der 
Welt,  gleichkommen. 

Schließlich  möge  mir  erlaubt  sein,  einige  der  hauptsächlichsten  Quellen 
zu  nennen,  aus  denen,  wer  sich  weiter  auf  dem  Gebiete  der  Atlantenkunde 
umtun  will,  zu  schöpfen  hätte.  Ich  nenne  zuerst,  trotzdem  es  sachte  an- 
fängt zu  veralten,  das  noch  immer  inhaltlich  reichste:  Lehmann,  ,yHülfe- 
mittel  und  Methode  etc.",  H.  Wagner  an  vielen  Orten,  so  in  seinem  „Lehr- 
buch" Einleitung  §  7,  doch  ohne  auf  Schulatlanten  einzugehen;  wesentlicher 
für  uns  sind  daher  u.  a.  seine  „Erläuterungen",  dem  Sydow-Wagnerschen 
Schulatlas  vorgedruckt.  Hieran  seien  die  „Begleitworte"  anderer  Atlanten- 
autoren angeschlossen.  Indem  ich  auf  Spezialarbeiten  hier  nicht  eingehe, 
führe  ich  aus  den  letzten  Jahren  als  umfassendere  Schriften  Zondervan, 
,Jiehrbuch  der  Kartenkunde"  und  Trunk,  „Die  Anschaulichkeit  des  geo- 
graphischen Unterrichtes"  an  und  mache  auf  Haacks  einschlagende  Schriften 
in  den  letzten  Jahrgängen  des  Geogr.  Anzeigers  aufmerksam.  Wesentlicher 
als  das  Durchlesen  solcher  Schriften,  so  wenig  es  dem  Geographielehrer  er- 
lassen werden  kann,  ist  die  persönliche  Beschäftigung  mit  dem  Atlas  selbst. 
Nicht  im  Lehrerzimmer  im  Schubfach  und  dann  kurz  vor  der  Stunde  in  die 
Hand  genommen,  zu  Hause,  immerdar  zur  Hand,  immer  in  neuer  Auflage, 
so  sollte  er  es  halten. 

Die  Verbreitung  der  Atlanten. 

Wenn  man  die  Verbreitung  der  an  den  höheren  Lehranstalten  Preußens 
eingeführten  Atlanten   untersuchen  will,    so  muß  man  zunächst  den  Begriff 

1)  Vgl.  als  jüngstes  Zeugnis:  H.  Wagner.  „Der  Unterricht  in  der  Erdkunde" 
aus  dem  Sammelwerk  „Die  Reform  des  höheren  Schulwesens  in  Preußen'^  heraus- 
gegeben auf  Veranlassung  des  preußischen  Kultusministeriums. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen.  567 

„Einführung*^  näher  präzisieren.  Man  darf  darunter  nicht  verstehen,  daß 
der  betreffende  Atlas  als  verbindliches  Lehrmittel  von  allen  Schülern  der  in 
Frage  kommenden  Anstalt  geführt  wurde;  es  ist  nur  die  Erlaubnis,  ihn  im 
Unterrichte  zu  gebrauchen,  von  der  Behörde  gegeben.  Erst  die  neuesten  Lehr- 
pläne von  1901  tuen  nach  der  Richtung  der  Einheitlichkeit  der  in  den  ein- 
zelnen Klassen  gebrauchten  Atlanten  einen  entscheidenden  Schritt  vorwärts; 
S.  51  No.  3  lautet:  „Li  den  unteren  und  mittleren  Klassen  ist  tunlichst 
darauf  zu  halten,  daß  alle  Schüler  denselben  Atlas  gebrauchen.  Ob  ein  Ein- 
heitsatlas fOr  alle  Klassen  oder  ein  Stufenatlas  zu  wählen  sei,  bleibt  den 
einzelnen  Anstalten  überlassen»  Jedenfalls  sind  von  den  unteren  Klassen 
größere  Atlanten  auszuschließen  .  .  .'*  Bekanntlich  herrscht  in  den  übrigen 
ünterrichtsgegenständen  strenge,  oft  bis  auf  diffizile  üntei'scheidungen  zwischen 
wenig  von  einander  abweichenden  Ausgaben  desselben  Werkes  durchgeführte 
Einheitlichkeit  der  Lehrbücher;  aber  erst  jetzt  fängt  man  auch  auf  unserm 
Gebiet  an,  dieser  wichtigen  Frage  größeres  Literesse  entgegen  zu  bringen.  Die 
augenblicklich  noch  vielfach  herrschende  Atlantenanarchie  in  den  Schulen  hat 
damit  Aussicht,  zu  verschwinden.  Ihr  Bestehen  ist  natürlich  historisch  zu  er- 
klären. Eine  eingehendere  Geschichte  der  geographischen  Schulmethodik  soll 
trotz  der  tüchtigen  und  inhaltreichen  Arbeit  Gruber's*)  noch  geschrieben 
werden;  so  ist  die  Entwicklungsgeschichte  des  Schulatlas  und  seiner  Stellung 
im  Unterricht  auch  noch  nicht  vorhanden.  Mit  wenigen  Zügen  sei  darum 
hier  zum  Verständnis  der  augenblicklichen  Lage  einiges  für  preußische  Ver- 
hältnisse Zutreffende  aus  diesem  Kapitel  angedeutet. 

Die  Grundlage  der  Handhabimg  der  Lehrbücher  an  den  preußischen  Schulen 
bildet  die  Dienstinstruktion  für  die  k.  Konsistorien  und  Prov.-SchulkoUegien 
vom  23.  Okt.  1817,  S.  9^),  wonach  Lehrbücher  nicht  mehr  ohne  weiteres 
von  den  Schulen  eingeführt  werden  durften.  An  sie  wird  von  nun  an  in  der 
Folgezeit  mehrfach  erinnert,  z.  B.  unter  dem  14.  Juni  1843.  Li  dieser  Zeit  und 
darüber  hinaus  haben  die  Schulen  andererseits,  abgesehen  von  gelegentlichem 
minderwertigen  Holzschnittschund,  mit  billigen  und  geeigneten  Schulatlanten 
noch  wenig  zu  rechnen.  Die  Atlanten  (Stieler,  R.  v.  L.,  Liechtenstem  u.  a.) 
sind  in  Kupferdruck  hergestellt,  haben  z.  T.  ein  ganz  unmögliches  Format 
und  wurden  wohl  auch,  da  sie  meist  in  Lieferungsausgaben  erschienen,  nur 
blattweise  gebraucht.  Um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  entsteht  in  E.  v.  Sy- 
dow's  Schulatlas  und  dem  von  Liechtenstem  unvollendet  Henry  Lange  über- 
lassenen  ein  neuer  für  die  Schule  mehr  geeigneter  Typus;  es  dauert  aber 
noch  geraume  Zeit,  ehe  sich  diese  Erkenntnis  an  maßgebender  Stelle  geltend 
macht,  woran  wohl  z.  T.  auch  der  Umstand  mit  schuld  gewesen  sein  wird, 
daß  die  in  Frage  kommenden  Institute  (F.  Perthes  und  G.  Westennann)  im 
preußischen  Auslande  lagen.  —  Deutlich  zeigt  sich  die  Auffassung  der  Be- 
hörde von    dem  Wert   eines   Schulatlasses    oder   richtiger   das  Fehlen    einer 


1)  Grub  er.  Die  Entwickelung  der  geograph.  Lehrmethoden  im  18.  u.  19.  Jahr- 
hundert. Der  Nebentitel  ,,Rückblicke  und  Ausblicke^^  zeigt  deutlich,  daß  dem  Ver- 
fasser der  fragmentarische  Charakter  dieses  ersten,  sehr  dankenswerten  Versuches 
deutlich  vor  Augen  stand. 

2)  Wiese-Kühler.    Verordnungen  u.  s.  w.  1886.  S.  367. 


568 


H.  Fischer: 


Aoffassong  dieser  Art  in  der  Zirkular- Verfügung  vom  28.  April  1857.  In 
ihr  erfahren  wir^),  daß  von  den  Prov.-Schulkollegien  Berichte  über  die  an 
den  Gymnasien  u.  s.  w.  eingeführten  (geschichtlichen  und)  geographischen 
Lehrbücher  eingefordert  worden  sind  und  was  auf  die  nun  erfolgten  Eingänge 
verfügt  wird.  Der  Unterricht  hat  sidi  danach  unter  Vermeidung  des  Heft- 
schreibens in  allen  Klassen  an  gedruckte  Lehrbücher,  Leitf&den  oder  Tabellen 
anzuschließen.  Über  diese  Lehrbücher  wird  dann  nodi  genauer  bestimmt, 
von  Atlanten  ist  mit  keinem  Worte  die  Bede.  Ein  anders  geartetes  Zei:^;nis 
haben  wir  zwei  Jahre  später  in  einer  ,,Instruktion  f.  d.  geschieht!  u.  geo- 
graph.  Unterricht  an  den  Gymnasien  und  Realschulen  der  Provinz  West£alen'^^. 
Ohne  auf  diese  recht  fortgeschrittene  Leistung  näher  einzugehen,  weise  ich 
nur  auf  No.  11  (S.  200)  „Methode"  hin,  wo  verlangt  wird,  überall  die  geo- 
graphische Karte,  nicht  das  Lehrbuch  beim  Unterricht  zu  Grunde  zu  legen,  „so 
daß  der  Schüler  den  Lehrstoff  aus  jener  und  aus  dem  Munde  des  Lehrers 
ausschließlich  seine  Kenntnis  schöpfe".  Indessen  ist  doch  auch  hier  vor 
allem  an  den  Gebrauch  von  Wandkarten  gedacht,  die  in  ihren  Maßstäben  so 
gehalten  sein  sollen,  daß  „kein  Schüler  zugleich  einen  Aüas  zur  Hand  zu 
haben  braucht".  „Mehr  für  den  häuslichen  Gebrauch  und  zur  Vergleichung 
dient  der  Handatlas."  Es  folgt  nun  eine  Beschreibung  von  dessen  bester 
Form,  die  deutlich  auf  den  Sydow- Typus  hinweist  und  mit  der  Bemerkung 
schließt,  es  „möge  darauf  gehalten  werden,  daß  die  Schüler  einer  oder  meh- 
rerer Klassen  sämtlich  einen  und  denselben  Atlas  gebrauchen".  Dies  ist 
wohl  die  älteste  behördliche  Äufserung  nach  dieser  Richtung  in  Preußen. 

Es  folgen  nun  mit  großem  Litervall  die  drei  „Verzeichnisse  der  ein- 
geführten Lehrbücher  u.  s.  w."  von  1880'),  1890*)  und  1901*^).  Aus  ihnen 
und  den  Lehranstaltenverzeichnissen  ^)  können  wir  uns  über  die  Verbreitung 
der  Schulatlanten  unterrichten. 

Atlaseinführungen  in  den  verschiedenen  Provinzen^. 


DP. 


WP.    Pm 


Ps.    Sohl. 


Bd.      Sa.      SH. 


Ha.     HN.     W. 


Rh.    Mon. 


1880 

b 
c 

22 
9 

20 
26 

25 
15 

20       45 
8       51 

52        36 

46        18 

1890 

17 
11 

36        25 
—        31 

31 
25 

57    1  386 

40    :  280 

b 

25 

25 

30 

21 

57 

71 

47 

29 

52 

46 

40 

81 

524 

c 

BPh. 

29 

• 

38 

34 

16 

(-1) 

76 

(-1) 

96 
(-1) 
19 

46 
(-1) 
»00 

31 

40 

51 

55 

92 
(-1) 

604 

b 
0 

23 
86 

27 
44 

28 
43 

20        60 
28      100 

95        53 
145        65 

26 
54 

51        43 
82        61 

46 

64 

92    1  564 
151    1  873 

* 

BPh« 

Debes, 

Phyiik 

Alischex 

AtlM; 

kann  i 

naiürlic 

ii  nirge 

adf  all 

ein  eil 

igeftthrf 

geweM 

w  sein 

1)  Wieae-Kübler.    I.  194.  2)  Wiese-Kübler.  I.  195  ff. 

3)  Centralblatt  für  die  gesamte  Unterrichts- Verwaltung  in  Preußen.  Jhrg.  1880, 
8.  1—103,  für  Geographie  im  besondem  IXb.  S.  65—69. 

4)  Dass.  Jhrg.  1890.  S.  339—466,  f.  Geogr.  i.  bes.  X.  S.  420—425. 

5)  Verzeichnis  der  auf  den  höh.  Lehranstalten  Preußens  eingefiihrten  Schul- 
bücher.    Im  amtl.  Aufkr.  herausgeg.  von  Dr.  Hern.    Leipzig,  Teubner  1901. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen.  569 

Aus  der  Tabelle  läßt  sich  entnehmen,  daß  1880  noch  lange  nicht  auf  jede 
Anstalt  ein  eingeftLhrter  Atlas  kam,  Ha.  weist  überhaupt  keine  Zahl  auf,  in 
OP.  und  Pul  bleibt  sie  weit  nnter  der  Hälfte  der  Anstalten.  Ihnen  gegen- 
über stehen  WP.,  Schi.,  HN.  mit  einem  Überschuß.  Alles  in  allem  wÄre 
für  106  Anstalten  za  wenig  eine  Atlaseinführung  nachgesucht,  wenn  diese 
Zahl  nicht,  wie  WP.  u.  a.  zeigen,  noch  dadurch  wächst,  daß  an  manchen 
Anstalten  mehr  als  ein  Atlas  eingeführt  wurde. 

Ein  ander  Bild  bietet  1890.  Die  Zahl  der  AtlaseinfOhrungen  ist  schon 
um  79  Nnomidm  höher  als  die  der  Anstalten,  nur  noch  Ps.,  Sa.,  Ha.  zeigen 
überhaupt  kleinere  Zahlen  in  b.  Überall  sonst  kommt  schon  mehr  als  eine 
Atlaseinführung  auf  die  Anstalt. 

Das  Jahr  1900  verstärkt  dies  Bild,  b  ist  schon  319  Nummern  größer; 
in  keiner  Provinz  komimt  die  Zahl  der  AÜaseinfÜhrungen  auch  nur  nahe  an 
die  der  Anstalten  heran,  am  nächsten  in  Ps.  mit  20  zu  28.  In  SH.  ist  die 
Zahl  der  Atlaseinführungen  schon  mehr  als  doppelt  so  groß  wie  die  der 
Anstalten,  es  muß  also  schon  Anstalten  geben,  an  denen  mindestens  drei 
Atlanten  eingeführt  sind. 

Nehmen  wir  zunächst  das  Jahr  1880.  Unter  den  an  den  280  Anstalten 
eingeführten  Atlanten  sind  16  verschiedene^).  Man  beachte,  daß  nur  ein 
Atlas,  der  Andree-Putzgersche,  genau  als  für  die  Zwecke  des  geograph.  Unter- 
richtes einer  höheren  Schule  bestinunt  bezeichnet  wird.  Es  ist  dies  um  so 
charakteristischer,  als  dieser  mit  seinem  Erscheinen  (1879)  den  heute  herr- 
schenden SchulaÜanten-Typus  inauguriert  hat^;  ein  Jahr  später  brauchte  er 
nur  zu  erscheinen,  um  zu  bewirken,  daß  ein  eigentlicher  „Gymnasial-Atlas^^ 
überhaupt  noch  nicht  iu  dem  Verzeichnis  hätte  angeführt  werden  können. 
Freilich  sind  die  einfach  als  „Schulatlanten^  bezeichneten  Nrn.  1,  7,  11,  12, 
13,  15,  16  wohl  auch,  wenn  auch  eben  nicht  ausdrücklich,  für  die  Unter- 


6)  Für  1880  a.  a.  0.  1880.  8.  728  u.  ff.  —  Für  1890  a.  a.  0.  1890.  S.  672—694.  — 
Für  1900  ist  die  „ZusammenfiEMsende  Übersicht  u.  s.  w.*^  von  Kunzes  Kalender  1901 
ZQ  Qrunde  gelegt.  —  Doppelanstalten  sind  allemal  doppel  gezählt,  vgl.  Hom,  S.  lY, 
Vorwort.  Absolute  Oewähr  für  völlige  Yergleichbarkeit  der  Zahlen  möchte  ich 
aber  doch  nicht  übernehmen. 

7)  a.  Abkürzung  der  Namen  der  preußischen  Provinzen;  b.  Zahl  der  höheren 
Lehranstalten;  c.  Zahl  der  Anstalten,  an  denen  Atlanten  als  eingeführt  offiziell 
angegeben  werden. 

1)  1.  Adami.  Schul-Atlas  (26).  D.  Reimer.  6  UK  2.  Amthor  u.  Ißleib. 
Volks-Atlas  (32).  Ißleib  &  Rietschel.  1  JC  3.  Andree.  Volksschul-Atlas.  Vel- 
hagen  &  Klasing.  1  JC  4k.  Andree  u.  Putzger.  Gymn.  u.  s.  w.  Atlas.  Yelhagenft 
Klasing.  S  JC  6.  Debes.  Kl.  Schul-Atlas  (19).  Wagner  &  Debes.  0,60  JC 
6.  Handtke.  Schulatlas.  Flemming.  0,90  JC  7.  Ißleib.  Neuester  Schul-Atlas  (44). 
Ißleib  &  Rietzschel.  2  JC  B,  Kiepert,  H.  Kl.  Hand-Atlas  (16).  Reimer.  7,60  JC 
9.  Kiepert,  R.  Volksschul-Atlas.  Reimer.  1  ^K  10.  Lange.  Neuer  Volksschul- 
Atlas.  Westermann.  1  JC  11.  Liebenow.  Schulatlas.  Nicolai.  4,60  JC  12.  von 
Liechtenstern  u.  Lange.  Schulatlas  (46).  Westermann.  7,20  JC  13.  Schade. 
Schulatlas  (83).  Payne.  4,80  JC  14.  Sohr-Berghaus.  Hand-Atlas.  Flemming. 
12^  16.  Stieler.  Schul-Atlas.  Perthes.  4UK  16.  von  Sydow.  Schul-Atlas  (42). 
Perthes.    4,60  JC 

2)  Dies  betont  R.  Lehmann  zu  Anfang  der  Vorrede  der  Erstauflage  seines 
Atlasses  mit  vollem  Recht. 


570 


H.  Fischer: 


ricbtszwecke  höherer  Lehranstalten  gedacht  gewesen.  Beträchtlich  ist  aber 
doch  die  Anzahl  der  nicht  direkt  für  Gymnasialzwecke  (andere  höhere  Lehr- 
anstalten fasse  ich  der  Kürze  halber  mit  unter  diesen  Ausdruck)  bestimmt 
gewesenen.  So  haben  wir  einerseits  in  No.  8  und  14  Handatlanten,  durch 
die  man  sofort  an  die  oben  mitgeteilte  Instruktion  yom  Jahre  1859  erinnert 
wird,  die  den  Atlas  lediglich  im  Hause  gebraucht  wissen  wollte,  in  No.  2, 
3,  9,  10,  woran  wohl  No.  5  und  6  angeschlossen  werden  müssen,  anderer- 
seits Volks-  oder  Volksschulatlanten.  Die  ganze  Kategorie  umfaßt,  wie  schon 
die  1  tÄ  nicht  überschreitende  Preislage  (trotz  der  damals  infolge  der  Aus- 
nutzung der  Lithographie  zur  Herstellung  billiger  und  doch  brauchbarer 
Kartenbilder  eingetretenen  Verbilligung)  deutlich  verrät,  nur  Atlanten,  die 
sich  inhaltlich  unterhalb  der  Anforderungen  halten,  welche  man  an  einen 
Atlas  fOr  höhere  Lehranstalten  stellen  muß^). 

Li  der  folgenden  kleinen  Tabelle  sind  die  drei  Atlantentypen   getrennt, 


1880 

I.  Hand- 
Atlanten 

11.  Kleine 

(Volks-)  Atlanten 

Preis  unter  1,60  JC 

in.  Gymnasialatlanten 

für  höhere  Schulen  bestimmte 

Atlanten 

Atlasnummer.    .    . 
Zahl  d.  Einfahnmgen 

8 
4 

14 
1 

8 
2 

8 

8 

9 
16 

10 
39 

5 
16 

6 
2 

1 
6 

4 
13 

7 

1 

11 
2 

12 
35 

13 
2 

16    16 
44    90 

82 

9  110  1 


193 

II    61 


in  wieviel  Provinzen  I  3|  1  |  1 1  6]|  9  1 10  |  7  |  2  |  6  |  8  |  1 1  1  |  6  |  2  1 11 1 11 
dagegen  nur  die  Zahlen  für  die  ganze  Monarchie  gegeben.  Wir  sehen,  daß 
die  Anzahl  der  eingeführten  Gymnasialatlanten  (193)  immerhin  ^/s  ^®^  ^®' 
samtzahl  (280)  ausmacht,  und  daß  der  Mißgriff  der  Bewilligung  eines  Hand- 
atlasses verhältnismäßig  selten  ist.  Im  einzelnen  sehen  wir  den  Sydow  (16) 
mit  90  (327o)  fast  V,  behaupten;  in  großem  Abstand  folgt  mit  44  (l67o), 
nahezu  Yg,  sein  älterer  Verlagsbruder,  der  Stieler  (15),  so  daß  die  Firma 
J.  Perthes  mit  134  EinfÜhnmgen  noch  fast  zur  Hälfte  die  preußischen  höheren 
Schulen  auf  unserem  Gebiete  versorgt,  soweit  sie  überhaupt  haben  versorgt  sein 
wollen.  An  dritter  und  vierter  Stelle  stehen  Atlanten  der  Firma  G.  Wester- 
mann: Lange,  Volkschul-Atlas  (10),  und  Liechtenstern  u.  Lange  (12), 
mit  39  und  35  Einführungen,  zusammen  377^,  weit  über  Vj.  Ihnen  gegen- 
über treten  sämtliche  anderen  elf  Atlanten  sehr  zurück,  indem  sie  es  zu- 
sammen nur  auf  56  Einführungen,  genau  75,  bringen.  Indessen  sind  doch 
auch  hier  noch  beachtenswerte  Unterschiede  vorhanden.  Sechs  Atlanten  sind 
nur  ein-  oder  zweimal  eingeführt  worden,  ihre  Einführung  war  ein  verun- 
glückter Versuch  oder  die  Sanktionierung  eines  veralteten  Herkommens.  Drei 
andere  aber  (No.  9,  5  und  4)  treten  mit  den  nicht  ganz  unbedeutenden  Zahlen 
16,  15  und  13  auf.  No.  9  und  5  sind  kleine  Atlanten,  der  erste  der  minder 
glückliche  Konkurrent  H.  Langes,  der  kleine  Kiepert,  der  andere  der  erste 
Vorstoß  der  Firma  Wagner  und  Debes  auf  diesem  Gebiet;   No.  4  endlich 


1)  Das  Verzeichnis  führt  außei  diesen  Atlanten  noch  die  in  Gebrauch  befind- 
lichen Lehrbücher  auf.  Ein  Mittelding,  ähnlich  den  in  Frankreich  u.  a.  beliebten 
Formen,  scheint  Stößner  gewesen  zu  sein:  „Elemente  d.  Geogr.  in  Karten  und 
Text  u.  8.  w.",  übrigens  nur  an  einer  Schule  in  Gebrauch. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen. 


571 


ist  der  Andree-Putzger.  Ich  hob  schon  oben  hervor,  was  sein  Erscheinen 
bemerkenswert  macht;  hier  sei  noch  darauf  hingewiesen,  daß  es  ihm  schon 
gelungen  war,  mit  seinen  13  EinftÜimngen  in  acht  Provinzen  festen  Fuß 
zu  fassen,  und  sich  damit,  was  die  größeren  Atlanten  betrifft,  unmittelbar 
hinter  die  beiden  Perthes'schen  zu  setzen,  die  überall  zu  finden  waren,  im 
scharfen  Gregensatz  zum  Liechtenstem  und  Lange,  der  sich  nur  in  fünf  öst- 
lichen Provinzen  (nicht  in  Ps.)  fand.  „Für  höhere  Schulen  bestimmte  At- 
lanten'* zeigen  198  Einfühnmgen  bei  386  höheren  Lehranstalten.  Also  auf 
den  Kopf  die  Hälfte  aller  höheren  Schulen  hatte  keine  Bewilligung  eines 
brauchbaren  Atlas  nachgesucht;  diese  Zahl  wachst  noch,  wenn  man,  der  Wirk- 
lichkeit entsprechend,  annimmt,  daß  einzelne  Schulen  sich  mehr  als  einen 
Atlas  hatten  bewilligen  lassen. 

Wir  gehen  zu  dem  Bilde  von  1890  über.  Die  Anzahl  der  Atlanten- 
einführungen hat  sich  wesentlich  vermehrt  und  ist  von  280  auf  604  ge- 
stiegen, während  statt  386  Schulen  524  gezählt  werden.  Besonders  auf- 
fallend ist  aber  die  Vermehrung  der  Atlantenarten,  von  16  auf  28^).    1890 


1890 

I.  Hand- 
Atlanten 

n.  Kleine  (Volks-)  AÜanten 
Preis  unter  1,60  JC 

Atlasnummer 

Zahl  der  Fiinführungen    . 

16 

4 

25 
1 

2 

1 

8 
2 

4 
10 

7 
23 

11  1 12 

l|    2 

14 
1 

16 

8 

17 
10 

18 
41 

21 
3 

24 
1 

in  wieviel  Provinzen    .     . 

6 

8 

M 

1 

(> 

1 

17 
6 

10 

1( 
aber  mi 

1  |2 

t  N^ 

1 

X  6 

8 

(ca, 
6 

40 
10 

Vo) 
2 

1 

III.  f.  höh.  Schulen  bestimmte  Atlanten 

Aüasnmnmer 

Zahl  der  Einfahrungen  .     . 

1      5 
6    21 

6 
138 

8 
61 

9 
10 

10 
48 

13    19 
1      2 

20 
76 

22 

16 

23 
1 

26 
38 

27 
73 

28 
3 

in  wieviel  Provinzen  .     .    . 

4|    9 

12 

12 

7 

11 

491(82 

1|    1 

7o)- 

11 1 

-No 
«1 

.6- 

1| 

363 

10  1 

oa.  607^ 

11  1    3 

1)  1.  Adami-Kiepert.  Schulatlas  (27).  Reimer.  6  JC  2.  Algermissen, 
D.  L.  Kl.  Handatlas  f  d.  Volksschulen  d.  Reg.-Bez.  Trier.  Lang.  0,50  JC  3.  Am- 
thor,  neu  bearb.  v.  F.  Riecke.  4.  Andree.  Volksschulati.  1,40  JC  6.  Andree- 
Putzger.  Gymn.- Atlas.  4,60  JC  6.  Debes.  Schulatlas  f  d.  mittl.  ünterrichte- 
stufen  (34).  1,76  JC  7.  Debes.  Volksachulatlas  (22).  0,80  .€  8.  Debes,  Kirch- 
hoff u.  KropatB check.  Schnlatlas  f  d.  Oberklassen  höh.  Lehranstalten.  6  JC 
9.  Diercke  u.  Gaebler.  Schulatlas  f  d.  mittl.  Unterrichtsstufen  (36).  Westermann. 
8,76  JC  10.  Diercke  u.  Gaebler.  Schulatlas.  Zum  geogr.  ünterr.  an  höh.  Lehr- 
anstalten (64).  Westermann.  6,60  JC  11.  Gaebler.  System.  Schulatlas.  Lang. 
0,80  JC  12.  Handtke.  Schulatlas.  13.  Ißleib.  Schulatlas.  14.  Keil.  Elementar- 
atlas f.  d.  Reg. 'Bez.  Potsdam.  Hofiinann.  0,90  JC  16.  Keil  u.  Riecke.  Deutscher 
Schulatlas.  Hofimann.  1,40  JC  16.  Kiepert.  Kl.  Handatlas.  6  JC  17.  Kiepert. 
Volksschul- Atlas.  18.  Lange.  Volksschul-Atlas.  19.  Liebenow,  W.  Schulatlas. 
20.  von  Liechtenstem  u.  Lange.  Schul-Atlas  (48).  21.  Habenicht.  Elementar- 
Atlas.  Perthes.  1  JC  22.  Richter.  Atlas  f.  höh.  Schalen.  Flemming.  4,60  JC 
23.  Schade.  Schul-Atlas.  4,60  JC  24.  Kl.  Schul-Atlas  f.  einf.  Schulverhältn.  (8). 
Hoffmann.  0,30  JC  26.  Sohr-Berghaus.  Hand-Atlas.  26.  Stieler.  Schul-Atlas. 
6  JC  27.  von  Sydow.  Schul-Atlas.  28.  Sydow- Wagner.  Method.  Schulatlas. 
Perthes.    8  JC 


572  H.  Fischer: 

zählt  sie  auf,  nach  Centralblatt  1890,  S.  420—425.  Vergleichen  wir  mit 
1880,  so  ergibt  sich,  daß  kein  Atlas  verschwunden  ist.  Die  neu  hinzu- 
gekommenen 12  Atlanten  sind:  2.  Algermissen;  die  Gruppe  der  Debesschen 
Atlanten  (mit  Ausnahme  ^es  schon  1880  vorhandenen  kleinsten)  6  und  8;  die 
Dierckeschen  9  und  10;  Gaebler  11;  die  beiden  Keuschen  14  und  15; 
Perthes'  Elementaratlas  21;  Richter  22;  Nr.  24  und  28  der  Sydow- Wagner. 
Dem  Vorläufer  Andree-Putzger  sind  also  die  drei  wichtigsten  modernen  Schul- 
atlanten  gefolgt:  Debes,  Diercke,  Sjdow^ Wagner.  Neben  ihnen  treten  die  anderen 
Neuheiten  sehr  zurück.  Zunächst  sei  darauf  hingewiesen,  daß  die  „Handatlanten" 
sich  mit  der  Zahl  5  unverändert  an  ihrer  Stelle  gehalten  haben,  doch  be- 
haupten sie  mit  ihr  jetzt  kein  Prozent  aller  EinfQhrungen  mehr.  Für  höhere 
Schulzwecke  geeignete  Atlanten  (1,60  JL  mag  als  untere  Grenze  einiger- 
maßen ausreichen,  No.  6  Debes,  Mittelstufe  kostete  1,75  JL  und  stellte  doch 
wohl  das  zulässige  Mindestmaß  dar)  behaupten  nun  schon  827o)  ^^  ^^^ 
Ys;  kleinere  Atlanten  stellen  sich  auf  über  177o»  nie^  als  Ve»  H^^t  man 
freilich  Debes,  Mittelstufe  für  höhere  Schulen,  was  doqh  sehr  berechtigt  ist^ 
allein  nicht  für  ausreichend,  so  steigt  11  auf  241,  etwa  40%,  und  m  fällt 
auf  353,  etwa  60%. 

Was  die  einzelnen  Atlanten  betrifft,  so  hat  der  1880  noch  unbekannte 
Debes,  Mittelstufe  weitaus  die  höchste  Zahl  erreicht,  die  allein  fast  y^  aus- 
macht An  zweiter  Stelle  steht  Liechtenstem  und  Lange,  etwa  127^%,  ihm 
nahe  kommt  Sydow,  beide  fehlen  in  Hannover^  was  beim  Liechtenstem  seltr 
sam  ist,  und  der  Debes,  Eirchhoff  und  Kropatscheksche  Atlas  (noch  über 
10%).  Neben  die  beiden  Debes'schen  Atlanten  sind  als  beachtenswerte  Neue- 
rung die  beiden  Diercke'schen  getreten  (No.  9  und  10).  Von  den  übrigen 
interessieren  noch  Andree-Putzger  (No.  5),  der  es  nur  auf  eine  zerstreute 
Verbreitung  gebracht  hat,  nach  seinen  vielversprechenden  Anföngen  kein 
glücklicher  Fortgang,  und  der  Stieler,  der  im  entschiedenen  Bückgang  be- 
griffen ist.  Eine  achtbare  Zahl  weist  No.  22  (Richter)  auf.  Unter  den 
kleinen  Atlanten  steht,  wenn  Debes,  Mittelstufe  nicht  dazu  gerechnet  wird, 
der  Lange  obenan  (No.  18  mit  41  Einführungen),  ihm  zunächst  steht  der 
kleine  Debes  (No.  7),  nur  noch  unbedeutende  Zahlen  weisen  No.  4,  Andrees 
Volksatlas,  und  No.  17,  Kieperts  Volksschulatlas,  auf.  Nehme  ich  nun  noch 
allenfalls  No.  15,  Keil  und  Bieke  aus,  so  gilt  von  allen  anderen  das  oben 
Gesagte.  Es  sind  noch  13  Atlanten  mit  nur  28  Einführungen  insgesamt. 
Lehrreich  ist  auch  eine  Vergleichung  der  hauptsächlich  beteiligten  Firmen. 
Jetzt  steht  Wagner  und  Debes  mit  seinen  durchaus  neuartigen  Atlanten  obenan 
(222  Einführungen  =  37  v.  H.).  Die  Firma  J.  Perthes  ist  damit  gründlich 
überholt,  denn  sie  kommt  mit  119  Einführungen  nur  noch  auf  20%,  von 
fast  Yg  zu  Yg  herunter.  Den  Vorrang  vor  ihr  behauptet  noch  Westermann 
mit  174  Einführungen  =  29*yrQ.  Alle  anderen  Firmen  bringen  es  nur  zu- 
sammen auf  14%.  Beachtung  verdient  auch,  daß  die  Neuerung  aus  dem 
Perthes'schen  Verlage,  der  berühmte  Sydow- Wagner,  es  nur  erst  auf  3  Ein- 
führungen gebracht  hat,  freilich  kostete  er  damals  auch  noch  8  JL 

Wieder  wesentlich  anders  ist  das  Bild  von  1899.  Die  Zahl  der  ge- 
bräuchlichen Atlanten  ist  wieder  fast  auf  den   Stand  von    1880    gesunken. 


Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen. 


573 


auf  18^).  Verschwunden  sind  Adami,  Algermissen,  Amthor,  Gaehler,  Handtkä, 
Ißleib,  die  beiden  Kiepert,  Liebenow,  Perthes'  Elementar- Atlas,  Schade,  der 
SchnlaÜas  f.  einf.  Verhältnisse,  Sohr-Berghaus,  Sydow.  Mit  Ausnahme  des 
letzteren  führten  sie  schon  1890  nur  eine  sehr  bescheidene  Bolle,  einige 
waren  Neuerscheinungen,  die  sich  nicht  zu  halten  vermochten,  andere,  wie 
etwa  Adami,  Kiepert,  Liebenow  gaben  die  Konkurrenz  auf,  wieder  bei 
anderen  zog  die  Firma  den   alten  Atlas  zu  Gunsten  neuerer   ein  (Sydow). 


1899 


1.  Hand- 
Atlanten 


n.  Kleine  (Volks-)  Atlanten 
Preis  unter  1,60  JL 


Atlasnnmmer  .... 
Zahl  der  Einfflhnmgen 

in  wieviel  Provinzen   . 


vaeat 
vacat 

vaeat 


1 
19 


3 
816 


5 
20 


9 


10 
9 


11 
36 

407  =  477o  +  No.  4  =  416  -=  787, 

7{12|       7|       2|       6|       8|       6 


14 
6 


m.  Gymnasialatlanten 


Atlasnmnmer    .    .     *    . 
Zahl  der  Einführungen 

in  wieviel  Provinzen     . 


4  1  6 
8  I  206 
466 


7 
30 


8 
164 


12 

8 


13 
4 


16 
16 


=  ca.  637^  -f.  No.  8  =  782 
—  No.  4  =  468  =  ca.  627, 

12  I  11  I     12  I     7  I     2  I     9  1 


16 
12 


17 
4 


907o; 


18 
17 


6  I     6  I     12  I  11  I     12  I     7  I     2  I     9  j     4  I     3  I     7 

Im  ganzen  sind  14  Atlanten  verschwunden;  dafür  finden  sich  4  Neuerschei- 
nungen. Es  sind  Hunmiel,  womit  die  erste  Stuttgarter  Firma  im  Norden  Fuß 
faßt,  2  Stufen  des  Lüddecke  (Perthes)  und  Lehmann-Petzold  (Velhagen  und 
Klasing).  Nach  Firmen  geordnet  verftlgt  jetzt  Wagner  und  Debes  über  549 
Einführungen,  ca.  637oi  und  steht  damit  durchaus  an  der  Spitze,  es  folgt 
Westermann  mit  223  oder  ca.  267o;  ^©ide  zusammen  beherrschen  die  Situa- 
tion vollkonmien.  Der  Westermannsche  Verlag  tritt  dann  noch  stärker  her- 
vor, wenn  man  bedenkt,  daß  sein  großer  Schulatlas  weit  mehr  überwiegt 
als  der  entsprechende  an  sich  schon  kleinere  von  Wagner  und  Debes.  Ganz 
in  den  Hintergrund  gedrängt  ist  Perthes  mit  43,  etwa  ö^o»  fast  erreicht 
von  Velhagen  und  Klasing  35,  ca.  47o-  Alles  andere  ist  nicht  der  Rede 
wert.  Zu  beachten  ist  innerhalb  der  einzelnen  Atlasgruppen  das  Verhältnis 
der    „veralteten"    zu   den    neuen  Atlantentypen:   v.  Liechtenstem  imd  Lange 


1)  1.  Andree.  I.  Allg.  Schul- Atlas  v.  Schillmann;  Velhagen  k  Klasing. 
a)  mit  bes.  Berücksichtigung  d.  phys.,  b)  d.  pol.  Verhältnisse,  n.  Wupperthaler 
Schul-Atlas.  III.  Berliner  Schul-Atlas.  Jeder  1,60  JL  2.  Andree-Putzger. 
Gymn.-Atlas.  8.  Debes.  Schul-Atlas  (4S).  1,60  JL  4.  Debes.  F.  weitergehende 
Bedürfe.  (60).  2,60.;^  6.  Debes.  Elementar- Atlas  (Umarbeitg.  3.  Volks-Atlas)  (21). 
0,60  JL  6.  Debes,  Kirchhoff,  Kropatscheck.  Schul-Atlas.  7.  Diereke- 
Gaebler.  Schul-Atlas.  3,60  UK  8.  Diercke-Gaebler.  Schul-Atlas.  6JK  9.  Hum- 
mel. Schul-Atlas  (39  u.  Beilage).  Hobbing  &  Büchle.  1,20  ^ä:  10.  Keil  u.  Riecke. 
Deutscher  Schul-Atlas.  11.  Lange.  Volksschul- Atlas.  12.  Lehmann  u.  Petzold. 
Atlas    f.   Mittel-    n.   Oberkl.   höh.   Lehranstalten.    Velhagen   &   Klasing.     6,60  JL 

13.  Liechtenstem  u.  Lange.  Schul-Atlas.  (48)  8,40  JL^  (42)  7,10  JL,  (32)  4,60  JL 

14.  Lud  decke.  Deutscher  Schulatlas  Unterstufe.  Perthes.  \  JL  16.  Lüddecke. 
Mittelstufe.  Perthes.  2,80  JL  16.  Richter.  Atlas  f  höh.  Schulen.  4,60  JL 
17.  Stieler.  Schul-Atlas,  vollst,  neu  bearb.  v.  H.  Berghaus.  4  JL  18.  Sydow- 
Wagner.    Meth.  Schul-Atlas.    6  ^H. 


574    H.  Fischer:  Die  Atlanten  an  den  preußischen  höheren  Schulen. 

4,  Diercke  Ober-  und  Mittelstufe  184,  Andree-Putsger  8,  ebensoviel  Lehmann- 
Petzold,  Sydow  verschwunden,  Stieler  4,  Sydow- Wagner  und  Lüddecke  17 
und  16.  Also  bei  Westermann  ist  der  Ersatz  vollkommen  geglückt,  bei 
Perthes  nicht,  Yelhagen  und  Klasing  haben  vor  der  Hand  noch  keine  Ursache, 
von  einem  durchgreifenden  Erfolge  zu  sprechen. 

Auch  die  Gesamtsumme  der  Einführungen  sei  mit  einem  Worte  ge- 
streift. Auf  564  Schulen  kommen  873.  Aus  diesem  Verhältnis  läßt  sich 
aber  noch  nicht  schließen,  daß  wirklich  auf  jede  Schule  auch  mindestens 
eine  Einführung  kommt.  An  einzelnen  Anstalten  scheint  eine  Fülle  von 
Atlanten  „eingeführt"  zu  sein,  an  anderen  vielleicht  keiner.  Schon  die  Provinz- 
zahlen lassen  so  etwas  durchblicken.  In  SH.  komimen  auf  26  Schulen  54 
Einf.,  also  mehr  als  2  im  Durchschnitt  auf  jede.  In  Ps.  nur  28  auf  20, 
also  wenig  über  1.  Schließlich  gibt  auch  vorstehende  Tabelle  einen  Anhalt 
dieser  Art  Wenn  ich  alle  Atlanten  ausschließe,  die  für  den  Gesamtbetrieb 
der  höheren  Schulen  zu  klein  sind,  also  noch  No.  4,  was  freilich  nicht 
sehr  ins  Gewicht  fallt,  so  bekonmie  ich  nur  458  Atlanten,  während  natür- 
lich 564  nötig  wären,  wenn  jede  Anstalt  einen  größeren  Atlas  eingeführt 
hätte.  Da  nun  an  manchen  Anstalten  mehrere  eingeführt  sind,  reicht  die 
Zahl  106  noch  nicht  aus,  die  sonst  die  Menge  der  sicher  mit  nicht  aus- 
reichendem Atlasmaterial  versehenen  Anstalten  bezeichnen  würde.    Vergleichen 

wir  hier  die  Entmcklung  seit  1880. 

c  =  d  » 

a  b  b  — a        (c.l00):b 

Große  Atlanten  Anstalten 
18B0  193  386  193  507« 

1890  363  624  171  ca.  38% 

1899  468  664  106  ca.  19  7^ 

c  giebt  das  Minimum  der  Anstalten,  die  ohne  ausreichenden  Atlas  sich  be- 
helfen,  d  den  Prozentsatz.  Man  sieht,  die  Verhältnisse  haben  sich  seit  1880 
doch  wesentlich  gebessert,  das  Minimum  ist  von  y,  auf  Vs  herabgegangen. 
Gegenüber  einem  tatsächlichen  Herabgang  kann  man  freilich  für  das  Jahr- 
zehnt 1880/90  im  Zweifel  sein;  die  vielen  Neuerscheinungen  können  ihn 
vortäuschen,  da  anzunehmen  ist,  die  neueren  besseren  Atlanten  werden  auch 
gerade  an  solchen  Anstalten  zur  Einführung  gekonunen  sein,  wo  sich  ein  ge- 
wisses Interesse  fttr  Erdkunde-Unterricht  schon  vorher  in  Gestalt  von  bean- 
tragten Einführungen  bekundet  hatte.  Da  sich  aber  bis  1899  die  Zahl  der 
Atlantenarten  wieder  sehr  erheblich  vermindert  hat,  können  wir  von  einer 
starken  Besserung  der  Verhältnisse  während  dieses  Jahrzehnts  mit  Beoht 
sprechen.  Immerhin  halte  man  die  Tatsache  fest,  daß  noch  immer  minde- 
stens 75  aller  höheren  Lehranstalten  Preußens  die  Einführung  eines  angemes- 
senen Schulatlas  nicht  nachgesucht  hat.  Dazu  aber  halte  man  die  weitere 
Tatsache,  daß  es  sich  im  Gegensatz  zu  allen  anderen  Schulbüchern  auch  1899 
bei  einer  „Atlaseinführung^^  nicht  um  die  Beschaffung  eines  obligatorischen 
Lehrmittels  gehandelt  hat.  Man  wird  danach  zugeben  müssen,  daß  auch 
heute  noch  die  Atlasfrage  für  die  preußische  höhere  Schule  ihrer  befrie- 
digenden Lösung  ziemlich  fem  ist.  Es  kann  hierbei  die  Bemerkung  nicht 
unterdrückt  werden,   daß  neben  anderen  Gründen  das  Fehlen  solcher  Herren 


Martha  Erng-Genthe:  Der  Ohinook.  575 

im  höheren  Lehr£ache,  die  sich  berufsmäßig  für  die  Interessen  eines  gedeih- 
lichen geographischen  Unterrichts  interessiren  müssen,  also  geographischer 
Fachlehrer,  diese  Langsamkeit  der  Entwicklung  verschuldet. 

Eine  andere  Quelle,  aus  der  man  man  Nachweise  über  die  Verbreitung 
der  einzelnen  Atlanten  schöpfen  kann,  sind  die  Schulprogramme.  Indessen 
ist  der  Erfolg  der  mühseligen  Arbeit,  die  einzelnen  Angaben  aus  den  Pro^ 
grammen  herauszupicken,  schwerlich  lohnend  genug,  da  die  Angaben  wenig 
gleichmäßig  sind;  des  öfteren  sind  sie  ungenau,  oft  fehlen  sie  auch  ganz.  Ein 
Beispiel  habe  ich  in  meinem  Vortrage  in  Breslau  gegeben.  Die  Angaben 
bezogen  sich  auf  zwei  preußische  Provinzen  (Brandenburg  und  Pommern)  im 
Jahr  1899  und  lauteten  folgendermaßen:  „Von  106  Anstalten  bekannten  sich 
5l7o  zur  Atlaseinheit  bis  obenhin,  noch  etwa  11%  ^^^  zu  einer  niederen 
Klasse,  bei  weiteren  1 1  %  fanden  sich  keine  Bücherangaben  und  mehr  als 
267o?  ^^®^  Vi  aller  Anstalten,  verharrten  noch  in  der  alten  Anarchie."^) 

Außer  den  „höheren  Schulen"  im  engeren  Sinne,  den  Gymnasien,  Real- 
gymnasien, Oberrealschulen  und  ihrem  Anhange,  kommen  in  Betracht  noch 
die  anderweitigen  preußisciien  Schulen  mit  höheren  Lehransprüchen,  die  Semi- 
narien  mit  Präparandenanstalten  und  die  höheren  Töchterschulen.  Über  die 
letzteren  hat  Schlottmann  einige  Zahlen  veröffentlicht.  Er  fand  bei  190 
Programimen  „Atlaseinheit"  in  737oi  „Auswahl"  in  12%,  vom  Reste  fehlten 
Angaben.  Von  den  ersteren  besitze  ich  kein  zahlenmäßiges  Material,  doch 
habe  ich  in  einigen  brandenburgischen  Seminarien  den  „großen  Diercke"  ein- 
geftihrt  gefunden,  dessen  Gebrauch  auch  in  anderen  Seminarien  mir  aus 
persönlicher  Mitteilung  bekannt  ist  In  den  Präparandenanstalten  fand  ich 
keine  solche  Einheitlichkeit;  der  „mittlere  Diercke"  würde  sich  hier  empfehlen, 
wenn  er  nicht  vom  Verlage  gar  so  stiefinütterlich  behandelt  worden  wäre. 


Der  Cliinook. 


über  das  Auftreten  eines  Riesenföhns  berichtet  der  amerikanische  Staats- 
meteorologe Alvin  T.  Burrows  in  dem  kürzlich  erschienenen  Jahrbuch  des 
landwirtschafblichen  Amtes  der  Vereinigten  Staaten  *).  Es  ist  dies  ein  im 
Nordwesten  des  Landes  auftretender  warmer  Winterwind,  der  unter  dem 
Namen  Chinook  der  Bevölkerung  dieser  Distrikte  wohlbekannt  ist,  aber  in 
der  erwähnten  Arbeit  seine  erste  wissenschaftliche  Bearbeitung  gefanden  hat. 

Das  Verbreitungsgebiet  des  Chinook  ist  für  einen  Wind  dieser  Art  außer- 
ordentlich groß.  Es  umfaßt  die  Staaten  Washington,  Oregon,  Idaho,  Wyoming, 
Montana  und  die  beiden  Dakotas,  imd  in  einzelnen  Fällen  sollen  seine  Spuren 
bis  nach  Nebraska,  Jowa,  Minnesota  und  selbst  Wisconsin,  also  in  einem 
Umkreise  von  1000 — 1500  km,  nachgewiesen  worden  sein,  d.  h.,  auf  den 
Föhn  der  Alpen  übertragen,  ein  Gebiet,  dessen  Grenzen  bis  Madrid,  Brest, 
Kopenhagen,  Danzig,  Debreczin  und  eventuell  bis  Stockholm  und  Riga  aus- 
gedehnt gedacht  werden  müßten. 

1)  Verhandlungen  d.  XTTI.  deutschen  Geogr.-Tages.   S.  90. 

2)  A.  T.  Burrows.  The  Chinook  Winds.  Department  of  Agriculture.  Year 
Book  1902. 


576  Martha  Erng-Genthe: 

Der  Chinook  wird  beschrieben  als  ein  trockener,  warmer  Wind,  der 
w&hrend  des  Winters  in  unregelmäßigen  ZwischenrÄumen  mit  großer  Plötz- 
lichkeit eintritt,  bald  einige  Stunden,  bald  Tage  lang  anhält  und  vor  dem 
die  strengste  Kälte  sich  in  kürzester  Zeit  in  Frühlingstemperatur  umwandelt 
Er  tritt  auf,  wenn  über  den  Hochflächen  im  Inneren  der  Felsengebirge 
(Great  Basin  etc.)  ein  barometrisches  Maximum,  auf  den  Hochebenen  jenseits 
der  umschließenden  Bergketten  aber  ein  Minimum  vorhanden  ist.  Unter  dem 
höheren  Luftdruck  des  Inneren  steigt  die  Luft  an  den  Bandgebirgen  empor, 
wo  sie  ihre  Feuchtigkeit  völlig  abgibt,  überschreitet  den  Kamm  und  gelangt 
als  trockener  Fallwind,  dessen  Temperatur  sich  im  Herabsinken  durch  Kom- 
pression beständig  steigert,  auf  die  jenseitigen  Hochebenen  hinab.  Je  nach 
der  Größe  des  Druckunterschiedes  auf  beiden  Seiten  der  Gebirgskette  ge- 
schieht dies  bald  als  sanftes  Überfließen,  das  eine  frühlingsgleiche  Brise  er- 
zeugt, bald  als  verheerender  Sturm;  in  allen  Fällen  aber  ist  seine  Absorptions- 
fähigkeit so  groß,  daß  der  Schnee  vor  ihm  nicht  taut,  sondern  direkt  verdunstet 

Ans  Fabelhafte  grenzen  die  Mitteilungen  über  die  ihn  begleitenden 
Temperaturumschläge.  1896  z.  B.  trat  in  Montana  der  Frühwinter  mit 
solcher  Strenge  auf,  daß  schon  Ende  November  dreißig  Zoll  Schnee  lagen 
und  die  großen  Herden  der  dortigen  Viehzüchter  dem  Verhungern  nahe 
waren.  Am  Abend  des  1.  Dezembers  stand  das  Thermometer  auf  — 13®  (F.) 
bei  Windstille  und  klarem  Himmel.  Plötzlich  tauchte  über  dem  westlichen 
Gebirgsrande  eine  große  schwarze  Wolkenbank  auf,  in  wenig  Minuten  war 
schon  ein  warmer  Lufthanch  zu  spüren,  und  sieben  Minuten  später  war  das 
Quecksilber  um  34®  (F.)  gestiegen.  Der  Wind  nahm  ständig  zu  bis  zu  einer 
Geschwindigkeit  von  25  Meilen,  und  das  Thermometer  stieg  bis  auf  38®  (F.). 
Innerhalb  zwölf  Stunden  waren  die  dreißig  Zoll  Schnee  verschwunden  wie 
weggeblasen,  die  Weiden  waren  grün  und  frisch  wie  im  März. 

Die  Viehzüchter  der  Gegend  schätzen  daher  den  Chinook  als  den  Er- 
halter ihrer  Herden,  ohne  den  sie  ihre  großen  Viehbestände,  die  Sommer  und 
Winter  im  Freien  bleiben  müssen,  nicht  durch  die  strenge  Jahreszeit  bringen 
könnten.  Die  Tiere  selbst  scheinen  einen  Instinkt  fär  sein  Kommen  ent- 
wickelt zu  haben.  Wenn  die  Kälte  zu  lange  anhält  und  sie  von  Hunger 
gequält  werden,  sieht  man  sie  im  knietiefen  Schnee  stehen,  die  Köpfe  den 
Bergen  zugekehrt,  als  ob  sie  auf  sein  Kommen  warteten.  Ein  Beobachter 
auf  der  meteorologischen  Station  zu  Kipp  im  nördlichen  Montana  behauptet 
sogar,  daß  dort  selbst  für  den  Menschen  das  Überwintern  ohne  den  Chinook 
seine  Schwierigkeiten  haben  würde. 

Nicht  minder  wichtig  ist  der  Chinook  f&r  die  Regulierung  der  Wasser- 
läufe. Ihm  ist  es  zu  danken,  daß  trotz  des  ungeheuren  Schneefalles  in  diesen 
Gegenden  die  Früligahrshochwasser  nicht  annähernd  denselben  Umfang  an- 
nehmen wie  in  anderen  Teilen  des  Landes.  Indem  er  auf  den  niedrigeren 
Hochflächen  den  jeweils  liegenden  Schnee  entfernt  und  auf  den  Höhen  und 
in  den  Schluchten,  wo  er  nicht  alles  aufsaugen  oder  vielleicht  nur  schmelzen 
kann,  die  Schneemassen  in  Firn  oder  Eis  verwandelt,  verhindert  er  einerseits 
die  Ansammlung  großer  Schneemassen,  durch  die  die  Schneeschmelze  gefähr- 
lich wird,  und  erhält  auch  einen  bis  in  den  Frülisomimer  hinein  reichenden 
Vorrat  von  Schmelzwasser,  der  in  den  von  ihm  bestrichenen  Teilen  des 
Landes  die  fließenden  Gewässer  weit  über  ihre  sonstige  Zeit  hinaus  auf  be- 
friedigender Höhe  örhält.  Die  Jahre,  in  denen  der  Chinook  selten  ist,  zeich- 
nen sich  stets  durch  Hochwasser  im  Frühjahr  und  schlechten  Wasserstand 
der   Flüsse    im    Sommer   aus.      Der   Umfang    der   Frühjahrshochwasser    des 


Der  Chinook.  577 

Eolumbia  hängt  nachweislich  nicht  von  der  Menge  des  im  Winter  gefallenen 
Schnees  ab. 

Die  folgende  Tabelle  veranschaulicht  die  großen  Wärmeschwankungen, 
die  einen  am  9.  und  10.  Janaar  1894  beobachteten  Chinook  begleiteten, 
ebenso  wie  die  Größe  des  Gebietes,  auf  dem  sein  Einfluß  sich  geltend  machte. 
Es  ist  nur  ein  Beispiel  von  vielen. 


iT4JU 


Met  Station    ''^^^^^^l'^- 

Roseburg,  Ore. 

84  F. 

Portland,  Ore. 

34 

FortCanby,Wa8h. 

88 

Seattle,  Wash. 

82 

Walla,  Wash. 

28 

Spokane,  Wash. 
Helena,  Mont. 

14 

10 

Miles  City,  Mont. 

-6 

Havre,  Mont. 

20 

Biamarck,  N.  D. 

—22 

Temperatur  am  10.  Jan. 
8  Uhr  morgens 

Wechsel ; 

44  F. 

10 

42 

8 

42 

4 

40 

8 

46 

18 

34 

20 

38 

28 

40 

46 

32 

12 

82 

54 

Während  dieses  Chinook  war  das  barometrische  Maximum  mit  30,7  Zoll  über 
Nevada  und  das  Minimum  mit  29,8  Zoll  über  dem  nördlichen  Montana. 

Merkwürdig  ist,  daß  der  Chinook  nicht  inmier  genau  dem  Abhang  des 
Gebirges  folgt,  sondern  oft  in  einer  weniger  steilen  Ebene  abwärts  fließt,  so 
daß  er  die  Ebene  hundert  oder  mehr  Meilen  vom  Fuße  des  Gebirges  ent- 
fernt erreicht.  In  solchen  Fällen  findet  sich  dann  während  eines  Chinook  das 
Gebiet  milderer  Temperatur  auf  den  höheren  Teilen  des  Gebirges  und  weiter 
draußen  in  der  Ebene,  während  dazwischen,  nahe  dem  Fuße  des  Gebirges, 
die  Temperatur  auf  Null  und  tiefer  stehen  kann.  Ein  Beispiel  dieser  Art 
wird  aus  Kipp,  Mont.  berichtet.  Die  Station  daselbst,  4400  Fuß  hoch  ge- 
legen, hatte  am  13.  Februar  1897  6®  F.  mit  Nordwestwind,  klarem  Hinunel 
und  sieben  Zoll  Schnee,  während  in  Sunrndt,  Moni,  5500  Fuß  hoch,  39®  F., 
Südwestwind  und  starke  Bewölkung  vorhanden  waren.  Der  Chinook  hatte 
hier  seit  13  Stunden  geweht,  aber  das  38  Meilen  entfernte  Kipp  noch  nicht 
erreicht  Nach  zwei  Tagen  aber  stieg  das  Thermometer  in  Kipp  in  12  Minuten 
um  40®  F.  Reisende,  die  das  Gebirge  auf  der  Pacifikbahn  fa'euzen,  machen 
oft  die  Erfahrung,  daß  sie  auf  der  Paßhöhe  müdes,  warmes  Wetter  antreff'en 
und  bei  der  Talfahrt  schon  eine  halbe  Stunde  später  in  Temperaturen  imter 
0®  F.  gelangen. 

Der  Chinook  ist  in  den  Staaten  östlich  vom  Felsengebirge  naturgemäß 
ein  West-  oder  Südwestwind,  während  er  in  Kalifomien  und  Oregon  von 
Osten  und  Südosten  kommt.  Eine  Abart  ist  daselbst  der  vom  Kaskaden- 
gebirge herab  wehende  Chinook,  der  öfter  Feuchtigkeit  enthält  und  sogar 
Niederschläge  im  Gefolge  hat,  auch  weniger  starke  Temperaturumschläge 
hervorruft.  W.  S.  Pague,  der  Direktor  der  meteorologischen  Station  in 
Portland,  Ore.*),  erklärt  den  Feuchtigkeitsgehalt  dadurch,  daß  der  herab- 
steigende Wind  mit  dem  Seewinde  vom  Pazifischen  Ozean  zusanunentreffe 
und  daher  kein  reiner  Chinook  mehr  sei,  die  geringere  Temperaturzunahme 
dadurch,  daß  in  diesen  Teilen  des  Landes  die  Kältegrade  nie  die  Höhe  der- 
jenigen des  Inlandes  erreichen,  so  daß  der  Kontrast  zwischen  den  Tempera- 
turen vor  und  nach  dem  Eintreten  des  Windes  naturgemäß  nicht  so  groß 
ausfaUen  könne.     Doch  sind  diese  Verhältnisse  noch  nicht  zum  Gegenstand 

1)  Pague.  Weather  Forecasting  on  the  Pacific  Coast 

a«ographiaohe  ZeitMhrift  9.  Jahrgang.  1903.  10.  Heft  89 


^   .>4,-.-<* 


578  Martha  Krug-Genthe:  Der  Cbinook. 

eingehenderen  Studiums  gemacht  worden.  Vielleicht  wird,  wenn  diese  Lücke 
erst  ausgefiillt  ist,  der  Name  Chinook  auf  diese  Winde  gar  nicht  mehr  an- 
gewandt werden  können. 

Die  Spuren  der  Jugendlichkeit  der  geographischen  Wissenschaft,  die 
kritiklose  Anwendung  gleicher  Namen  auf  äußerlich  ähnlich  scheinende  und 
dabei  innerlich  oft  ganz  verschiedene  Phänomene  zeigen  sich  auch  in  der 
Geschichte  des  Namens  Chinook.  Was  heute  wissenschaftlich  so  genannt 
wird,  ist  alles  andere  als  was  das  Wort  ursprünglich  bedeutete.  Chinook, 
der  Name  eines  Indianerstammes  am  Stillen  Ozean,  wurde  von  den  Ansiedlem 
der  Hudson  Bay  Für  Company  in  Astoria,  Ore.,  als  Name  der  feuchten  See- 
winde gebraucht,  die  „vom.» Lager  der  Chinooks  her"  nach  ihrer  Station 
wehten,  und  in  dem  Maße,  wie  das  Land  besiedelt  wurde,  verbreitete  sich 
der  Name  weiter  landwärts  zur  Bezeichnung  jedes  warmen  Winterwindes,  ob 
feucht  oder  trocken,  ob  vom  Gebirge  oder  der  See.  Noch  jetzt  heißen  im 
Sprachgebrauch  jener  Gegenden  auch  die  feuchten  Seewinde  Chinook.  Nach- 
dem der  vorwiegende  Gebrauch  des  Wortes  wissenschaftlich  für  Winde  ganz 
anderer  Art  angenommen  worden  ist,  ist  es  aufs  dringendste  zu  wünschen, 
daß  die  wissenschaftlichen  Geographen  Amerikas  eine  reinliche  Scheidung 
zwischen  den  beiden  (oder,  wenn  man  die  von  Pague  beschriebenen  be- 
sonders nimmt,  drei)  Windarten  vornehmen  möchten,  die  auch  in  verschiedenen 
Namen  ihren  Ausdruck  findet,  damit  die  weitere  Bearbeitung  dieses  interessanten 
Problems  nicht  durch  die  in  seiner  Begriffsbestimmung  herrschende  Verwimmg 
an  seiner  völlig  befriedigenden  Lösung  verhindert  werde. 

Dr.  Martha  Krug-Genthe. 


C.  Schmidts  geologische  Wandtafeln. 

Jeder  Dozent  der  Geographie  und  Geologie  wird  gefunden  haben,  daß 
von  allen  Zweigen  dieser  Wissenschaften  die  Lehre  vom  Gebirgsbau  dem 
Verständnis  der  Anfönger  zu  erschließen  am  schwierigsten  ist  Exkursionen 
zur  Erläuterung  verwickelter  tektonischer  Erscheinungen  sind  bei  vielen  Hoch- 
schulen durch  ihre  geographische  Lage  ausgeschlossen;  aber  auch  bei  den 
günstiger  gelegenen  muß  die  Beobachtimg  in  der  Natui*  durch  Profile  und 
andere  Anschauungsmittel  im  Hörsaal  erklärt  und  ergänzt  werden,  wenn  sie 
vom  AnfäDger  verstanden  und  behalten  werden  soll.  Derartige  Anschauungs- 
mittel für  den  Unterricht  im  Gebirgsbau,  speziell  Profile  als  Wandtafeln 
zur  Demonstration  vor  größerem  Hörerkreise,  sind  bisher  so  gut  wie  gar 
nicht  veröffentlicht  worden. 

Es  ist  daher  sehr  erfreulich,  daß  C.  Schmidt,  der  rühmlichst  bekannte 
Baseler  Professor  der  Geologie,  eine  Reihe  derartiger  Wandtafeln  hergestellt 
hat,  welche  die  Mineralien  -  Firma  Grebel,  Wendler  &  Cie  in  Genf  in 
Negrographie  vervielfältigt  und  mit  lichtbeständigen  Aquarellfarben  mit  der 
Hand  angelegt  in  den  Handel  bringt.  Die  meist  langen  bandförmigen  Streifen 
sind  auf  Leinwand  aufgezogen.  Zeichnung,  Schrift,  Signaturen  und  Farben 
sind  vorzüglich  klar  und  auf  größere  Entfernung  trefflich  wirksam,  dabei 
keineswegs  grell,  sondern  für  das  Auge  angenehm.  So  kann  die  Darstellung 
technisch  als  dem  Zweck  durchaus  entsprechend  bezeichnet  werden.  Daß  die 
Profile  in  wissenschaftlicher  Hinsicht  geschickt  ausgewählt  imd  nach  den 
besten  Quellen,  die  zumeist  auch  angeführt  werden,  gewissenhaft  bearbeitet 
sind,   braucht  bei   der  vielseitigen  Erfahrung  und  BedeutuDg  des  Verfassers 


A.  Philippson:  G.  Sohmidts  geologische  Wandtafeln.  579 

nicht  hervorgehoben  zu  werden.  Vor  allem  ist  zu  rühmen  der  richtige  Takt 
in  der  Generalisierung,  die  sich  möglichst  an  die  Natur  anschließt,  ohne  mehr 
Einzelheiten  aufzunehmen,  als  sich  mit  Anschaulichkeit  und  Femwirkung 
verträgt. 

An  erster  Stelle  ist  die  prächtige  Serie  von  fünf,  ohne  Überhöhung  ge- 
zeichneten Profilen  durch  die  Schweizer  Alpen  zu  nennen,  die  auf  einem 
Streifen  von  5  X  1,2  m  angebracht  sind  (mit  36  Farben  und  Signaturen, 
Preis  125  Francs).  Vier  Querschnitte  in  1:33  333  (Sentis  —  Comer  See; 
Rigi  —  Gotthard  —  Lugano;  Pilatus  —  Grimsel  —  Arona;  Moleson  —  Monterosa 
—  Val  Sesia)  geben  ein  lebensvolles  Bild  des  zonaren  Aufbaues  des  Gebirges. 
Die  Molassezone,  die  Flysch-  und  Kalkalpen  mit  der  Glamer  Doppelfalte  (in  der 
alten  Heimschen  Auffassung)  und  mit  den  großen  Überschiebungen,  besonders 
der  WaadÜänder  Alpen;  dann  die  steilgefaltete  krystalline  Zone  des  Aar* 
und  Gotthard -Massivs,  im  Gegensatz  dazu  das  breite  Gneißge  wölbe  der 
Monterosa-Zone;  endlich  wieder  die  intensive  Faltung  des  Seengebirges  treten 
vorzüglich  in  die  Erscheinung.  Das  (fünfte)  Längsprofil  der  Centralalpen 
vom  Mont  Blanc  bis  zur  Flüela  in  1 :  66  666  schneidet  ebenfalls  viele  Fal- 
tungen, besonders  im  östlichen  Teil,  dem  beginnenden  Ostalpenbogen. 

Nicht  minder  instruktiv  führt  uns  die  Profilserie  durch  den  östlichen 
Schweizer  Jura  die  einfacheren,  für  den  ersten  Unterricht  besonders  ge- 
eigneten Verhältnisse  dieses  Gebirges  vor  Augen.  Sieben  Querprofile  von 
Nord  nach  Süd,  in  der  Beihenfolge  von  Ost  nach  West  angeordnet  (Walds- 
hut —  Brugg  —  Mellingen  bis  Basel  —  Solothum)  in  1:10  000,  ebenfalls  ohne 
Überhöhung,  sind  auf  zwei  Tafeln  von  je  4  X  0,8  m  verteilt  (Preis  105  Francs). 
Sie  zeigen  uns  die  auf  die  alte  Masse  des  Schwarzwalds  aufgelagerte  ebene 
Trias -Jura -Tafel  mit  ihren  Verwerfungen;  im  Gegensatz  dazu  den  Falten- 
jura, der  im  Osten  schmal  und  mit  starken  Überschiebungen  beginnt,  dann 
nach  Westen  sich  allmählich^  verbreitert  imd  dabei  in  regelmäßigere  Falten 
legt,  während  die  Überschiebungen  sich  mehr  auf  den  Nordrand  beschränken; 
die  Vorfalte  des  Blauen  gegen  die  Oberrheinische  Tiefebene;  im  Süden  den 
Band  der  ebenen  Schweiz  mit  ungefaltetem  Jura  und  Tertiär. 

Sehen  wir  hier  Schollen-  und  Faltengebirge  nebeneinander,  so  ver- 
anschaulicht die  Profilserie  durch  Vogesen,  Oberrheinische  Ebene  und 
Schwarzwald  (6,4  X  0,9  m,  4  Profile,  1 :  25  000  Länge,  1 :  12  500  Höhe, 
also  doppelte  Überhöhung,  Preis  115  Francs)  Bumpf-  und  Schollengebirge  und 
Grabenbruch.  Sehr  eindrucksvoll  ist  der  ungemein  sanfte,  fast  bruchlose 
Abfall  der  mesozoischen  Tafeln  nach  beiden  Außenseiten,  der  Abbruch  nach 
Innen  zum  Graben,  aus  dem  der  vulkanische  Kaiserstuhl,  die  Tertiärhügel 
von  Mühlhausen  u.  a.  hervorragen.  Auch  der  Einbruch  des  Hegau  mit 
seinen  Eruptivkegeln  wird  noch  getrofifen. 

Ln  Vergleich  mit  diesen  großen  Tafeln,  die  eine  Fülle  von  Erscheinimgen 
darbieten,  machen  die  kleineren  Profile  fremdländischer  Gebirge  einen  ein- 
facheren Eindruck,  so  daß  auch  vielfach  ein  kleinerer  Maßstab  gewählt  worden 
ist.  Teils  liegt  dies  in  der  Natur  begründet,  teils  aber  auch  an  der  weniger 
fortgeschrittenen  Einzeluntersuchimg.  Der  Schnitt  durch  den  Kaukasus, 
die  Kur-Ebene  und  das  Armenische  Hochland  (6,1:0,4  m,  1:66  666 
Länge,  1:50  000  Höhe,  also  wenig  überhöht,  Preis  40  Francs)  führt  von 
Wladikawkas  über  die  Grusinische  Heerstraße  und  Tif  lis  zimi  Ararat.  Er  zeigt 
uns  den  Kaukasus  als  ein  großes,  nach  S  überliegendes  Faltengewölbe,  in 
dessen  Kern  ein  breiter  Gürtel  steil  gefalteter  paläozoischer  Schiefer  zu  Tage 

Ö9* 


580  A.  Philippson:  G.  Sobmidts  geologische  Wandtafeln. 

tritt,  vom  Bieseovalkan  des  Kasbek  überragt.  (Diese  Schiefer  dürften  übrigens 
sehr  verschiedene  Altersstufen  enthalten,  ähnlich  den  Bündner  Schiefem  der 
Ostschweiz.)  Die  Kur-Niederung  besteht  aus  gefaltetem  Tertiär,  zu  einer 
Fastebene  denudiert.  Der  Antikaukasus  erscheint  als  eine  sanftansteigende 
BumpfAäche  auf  Gneiß,  mit  Kroideschollen  darauf.  Dann  folgt  südwärts  eine 
tiefer  gesunkene  Scholle:  ein  paläozoisches  Bumpfgebirge,  von  Kreide,  Tertiär 
und  gewaltigen  Vulkanen  (z.  B.  Ararat)  überlagert. 

Die  Tafel:  Kartenskizze  (1:90  000)  und  Profil  (1:17  500  Länge, 
1:2000  Höhe)  der  Halbinsel  Apscheron  (2,1  X  0,89  m,  45  Francs)  ist 
eine  Vergrößerung  der  Tafel  7  der  Geograph.  Zeitschrift  IV,  1898. 

Das  Querprofil  durch  den  Ural  auf  55®  n.  Br.  (3,52  X  0,42  m, 
1 :  83  333  Länge,  1 :  20  000  Höhe,  35  Francs)  mußte  bei  den  flachen  Formen 
stark  überhöht  werden.  Es  zeigt  uns  ein  typisches  Bumpfgebirge,  dessen 
Oberfläche,  trotz  intensiver  Faltung  des  Untergrundes,  von  beiden  Seiten  fast 
unmerklich  ansteigt,  nur  dort  von  ausdrucksvolleren  Höhenzügen  überragt, 
wo  harte  Gesteine  (Quarzit  und  Granit)  auftreten.  Die  Unterscheidung  der 
verschiedenen  Höhenstufen  der  Denudationsflächen  würde  eine  noch  größere 
Überhöhung  verlangt  haben.  Allerdings  wird  das  Belief  in  der  Natur  etwas 
reicher  durch  die  Täler,  die  auf  dem  Profil  nicht  hervortreten.  Das  gefaltete 
Gebirge  setzt  sich  auch  unter  der  westsibirischen  Ebene  fort.  Sehr  lehrreich 
ist  auch  das  unter  dem  geologischen  angebrachte  orographische  Profil  ohne 
Überhöhung;  es  ist,  kurz  gesagt,  nur  ein  schwarzer  Strich,  der  nach  der 
Mitte  zu  etwas  dicker  ist,  und  in  weiten  Abständen  isolierte  kleine  Er- 
höhungen aufweist,  eben  jene  Züge  härteren  Gesteins. 

Der  Querschnitt  durch  die  Bocky  Mountains  (3,48  X  0,63  m, 
1 :  250  000  Länge,  1 :  50  000  Höhe,  also  fanfinal  überhöht,  40  Francs),  von 
Canyon  City  zum  Lake  Bonneville,  veranschaulicht  den  sehr  einfachen  Bau; 
das  flache  Faltengewölbe  der  Park  Bange,  das. ebene  Becken  des  Ghund-  und 
Green-Biver,  den  nach  W  aufgebogenen  und  abgebrochenen  Band  (Wasatsch- 
Gebirge)  zum  Great  Basin. 

Eine  andere  Tafel  (2  X  1  m,  60  Francs)  gibt  ein  Längsprofil  durch  den 
Niagara-Fall  von  See  zu  See  (1:4000  Länge,  1:1500  Hölie),  ein  Profil 
und  eine  Spezialkarte  des  eigentlichen  Falls  sowie  eine  Yogelschauansicht. 

Das  Profil  durch  Banka  und  Süd-Sumatra  (4,5  X 0,35  m,  1:167000, 
nicht  überhöht,  30  Francs)  läßt  diese  Inseln  abgesehen  von  den  Vulkanen 
fast  eben  erscheinen.  In  einem  paläozoischen  Bumpfgebirge  mit  Granite 
stocken  ist  in  Simiatra  ein  großes  Einbruchsfeld  eingesenkt,  erfüllt  mit  flach- 
gefaltetem Tertiär  und  tertiären  Eruptivgesteinen. 

In  den  zwei  Profilen  durch  Java  (auf  einer  Tafel,  3,5  X  0,45  m, 
1:100  000,  nicht  überhöht,  32  Francs)  überwiegen  mäßig  gefaltete  Kreide 
und  Tertiär  imd  die  mächtigen  Vulkane. 

Die  Sammlung  ist  ein  ganz  vorzügliches  Anschauungsmittel  und  man 
möchte  ihr  die  weiteste  Verbreitung  wünschen.  In  diesem  Sinne  ist  es  be- 
dauerlich, daß  die  Preise  der  Tafeln  recht  hoch  sind.  Auch  firägt  es  sich, 
ob  sie  nicht  handlicher  montiert  werden  könnten.  Die  bis  6,4  m  langen 
gerollten  Streifen  sind  z.  T.  unbequem  zu  handhaben;  man  hat  nicht  inmier 
eine  so  lange  ununterbrochene  Wandfläche  zur  Verfügung,  auch  möchte  man 
bald  diese,  bald  jene  Tafel  vorführen.  So  würde  es  sich  vielleicht  empfehlen, 
die  langen  Profile  in  einzelnen  Sektionen  auf  Papptafeln  aufzuziehen,  die 
man  nach  Belieben  bald  nebeneinander  hängen  oder  stellen,  bald  auch  einzeln 
herausnehmen  kann.  A.  Philippson. 


Geographische  Neuigkeiten. 


581 


Geograpliisclie  Nenigkeiten. 


Allgemeines. 

♦  Die  Schreibweise  der  geogra- 
phischen Nainen  in  den  deutschen 
Schutzgebieten  ist  vom  Reichskanzler 
durch  eine  Verordnung  geregelt  worden, 
die  geeignet  erscheint,  auf  die  deutsche 
Schreibweise  geog^raphischer  Namen  im 
allgemeinen  angewandt  zu  werden,  und 
so  einen  Weg  zur  Lösung  dieser  viel  um- 
strittenen Frage  zeigt.  Die  neue  Verord- 
nung stellt  sich  entschieden  auf  den  pho- 
netischen und  zugleich  nationalen  Stand- 
punkt, indem  sie  den  Grundsatz  aufstellt, 
daß  die  Ortsnamen  der  Naturvölker  mög- 
lichst lautgetreu  mit  einer  Mindestzahl 
deutscher  Schriftzeichen  wiederzugeben 
seien.  Die  Verordnung  bestimmt  femer, 
daß  bei  der  Schreibung  der  Schutzgebiet- 
namen jedem  Laut  nur  ein  Zeichen,  und 
stets  das  nämliche,  zukommen  soll.  Der 
Laut,  den  wir  mit  f,  v,  ph  oder  ff  be- 
zeichnen, ist  stets  durch  f,  der  Laut,  für 
den  wir  sonst  k,  c,  ck,  q  oder  ch  schrei- 
ben, ist  ausschließlich  durch  k  wiederzu- 
geben. Für  qu  ist  kw,  für  z  ist  ts  zu 
schreiben;  der  weiche  s-Laut  wird  durch 
s,  der  scharfe  s-Laut  durch  ss  bezeichnet. 
Vokale  und  Diphthonge  werden  so  ge- 
schrieben, wie  sie  in  der  deutschen  Sprache 
klingen:  für  äu,  eu,  oi  und  07  wird  nur 
eu,  für  ai,  ei,  ay  und  ey  nur  ei  gesetzt. 
Besondere  Dehnung  eines  Vokals  wird 
nicht  durch  Verdoppelung  desselben  oder 
durch  Zufügen  von  h  oder,  wie  bei  i, 
durch  Zufügen  von  e  ausgedrückt,  son- 
dern durch  einen  Dehnungsstrich  (Agöme). 
Besondere  Kürzung  wird  nicht  durch  Ver- 
doppelung des  folgenden  Konsonanten, 
sondern  durch  das  Kürzezeichen  kenntlich 
gemacht  (Sehe).  Es  wäre  wünschenswert, 
daß  in  geographischen  Lehrbüchern  diese 
Vorschriften  Anwendung  fänden  und  daß 
bei  Umschrift  fremder  geographischer 
Namen  nach  unseren  Lautwerten  und 
nicht  nach  englischen  oder  französischen 
umgeschrieben  würde 

*  Zur  Messung  der  Größe  und 
Bewegung  der  Meereswellen  hat 
neuerdings  Geh.  Admiralitätsrat  Rottok 
ein  Verfahren  vorgeschlagen,  das  auf 
photographischen  Aufnahmen  an  Bord 
und  nachheriger  Ausmessung  der  erhal- 
tenen Bilder  an  Land  mittels  des  Stereo- 


komparators  oder  des  Stereoplanigraphen 
beruht.  Zur  photographischen  Aufnahme 
der  Wellen  an  Bord  sind  zwei  Kameras 
erforderlich,  die  in  genau  gemessenem 
Abstände  von  einander  so  aufgestellt  sind, 
daß  die  photographisohen  Platten  in  einer 
der  Standlinie  parallelen  Ebene  liegen 
und  die  optischen  Achsen  der  Objektive 
senkrecht  zur  Plattenebene  stehen.  Diese 
Au&ahmen  in  Verbindung  mit  Bestim- 
mungen der  Geschwindigkeit  oder  der 
Periode  der  Wellen  liefern  alle  Daten, 
die  zur  Charakteristik  und  DarsteUimg 
der  Wellen  erforderlich  sind;  sie  werden 
auch  dazu  dienen  können,  das  Studium 
der  Interferenz  der  Wellen,  wie  sich  diese 
tatsächlich  auf  dem  Ozean  abspielt,  zu 
ermöglichen.  Die  nautische  AbteUung  des 
Reichsmarineamts  beabsichtigt,  demnächst 
Versuche  nach  dem  angedeuteten  Ver- 
fahren anstellen  zu  lassen. 

*  Der  deutsche  Forschungsdamp- 
fer „Poseidon",  welchen  die  Reichs- 
regierung zur  Ausführung  der  Deutsch- 
land zukommenden  Arbeiten  bei  der 
internationalen  Meeresforschung 
(Vn.  Jhrg.  S.  466)  hat  bauen  lassen,  unter- 
nimmt seit  Mai  1902  jährlich  vier  Termin- 
fahrten, die  im  Februar,  Mai,  August  und 
November  stattfinden  und  bei  denen  jedes 
Mal  die  vorgeschriebenen  Linien  des 
deutschen  Arbeitsgebiets  in  der  Nord- 
und  Ostsee  zu  befahren  sind.  Neben 
diesen  Forschungsfahrten  bleibt  dem  Schiff 
viele  freie  Zeit,  die  es  zu  biologischen 
Untersuchungsfahrten  unter  der  Leitung 
der  biologischen  Anstalt  auf  Helgoland 
oder  zu  Forschungsreisen  in  die  nördliche 
Nordsee  benutzt,  um  die  deutsche  See- 
fischerei durch  Aufsuchen  neuer  Fischerei- 
gründe zu  fördern.  Die  im  Dezember 
1902  und  Januar  1903  im  Verein  mit 
drei  deutschen  Dampfern  zvirischen  der 
fischreichen  Küste  des  mittleren  Nor- 
wegens und  den  Shetland- Inseln  vom 
„Poseidon"  ausgeführte  Versuchsfischerei 
hatte  wegen  der  Ungunst  der  Witterung 
leider  keinen  Erfolg,  aber  der  als  Hydro- 
graph an  der  Fahrt  beteiligte  Dr.  Perle- 
witz  aus  Berlin  vermochte  in  den  be- 
suchten Gebieten  verschiedene  hydro- 
graphische Forschungen  auszuführen.  Am 
2.  Sept.  1903   hat   dann   der  „Poseidon" 


582 


Geographische  Neuigkeiten. 


eine  nene  Versnchsfahrt  von  Geestemünde 
ans  angetreten,  an  der  die  obersten  Be- 
hörden des  zustSjidigen  Ressorts  teil- 
nahmen. Außerdem  befanden  sich  an 
Bord  fünf  Biologen,  Chemiker  und  Phy- 
siker der  Kieler  Universität,  ein  Meteoro- 
loge der  deutschen  Seewarte  in  Hamburg 
und  ein  Mitglied  der  biologischen  Station 
auf  Helgoland.  Die  Fahrt  ging  zunächst 
in  die  Nordsee,  wo  wissenschaftliche  und 
praktische  Fischereiversuche  und  gemäß 
getroffener  Vereinbarung  vergleichende 
Fischzüge  mit  dem  englischen  Regierungs- 
dampfer „Huxley"  ausgeführt  wurden. 
Dann  ging  es  durch  den  Kaiser  Wilhelms- 
Kanal  in  die  Ostsee,  wo  hauptsächlich 
die  Fauna  und  Flora  des  Greifswalder 
Boddens  und  die  Frage  der  Grundschlepp- 
netzfischerei untersucht  wurden. 

Asien« 

*  Die  wirtschaftliche  Erschlie- 
ßung Sibiriens  ist  durch  den  Bau  der 
transsibirischen  Eisenbahn  nicht  durch- 
greifend gefördert  worden,  da  nur  einige 
Ausfuhrartikel,  wie  Tee,  Edelmetalle, 
Butter,  die  hohe  Eisenbahn&acht  zu  tra- 
gen vermögen,  während  die  landwirt- 
schaftlichen Haupterzeugnisse,  Getreide, 
Vieh,  Fleisch  und  Holz,  von  der  Ausfuhr 
auf  diesem  Wege  der  hohen  Kosten  wegen 
fast  ausgeschlossen  sind.  Die  großen 
sibirischen  Ströme,  Ob  und  Jenissei  mit 
ihrem  weitverzweigten  Netz  von  schiff- 
baren Nebenflüssen,  so  günstig  sie  auch 
der  Ausfuhr  aus  dem  innersten  Sibirien 
zu  liegen  scheinen,  sind  zu  diesem  Zwecke 
nicht  nutzbar,  da  schon  A.  E.  Norden- 
skjöld  durch  seine  von  1876  bis  1878 
entlang  der  Nordküste  Asiens  ausgeführ- 
ten Dampferfahrten  den  Beweis  erbracht 
hat,  daß  zwar  das  Karische  Meer  und  die 
Mündungen  der  großen  nordasiatischen 
Ströme  unter  günstigen  Verhältnissen 
der  Schiffahrt  zugänglich  wären,  daß  aber 
der  Seeweg  nach  Sibirien  unter  gewöhn- 
lichen Verhältnissen  für  kommerzielle 
Zwecke  wenig  geeignet  ist.  Um  die  be- 
sonders schwierigen  Schiffahrtsverhältnisse 
im  Karischen  Meer  zu  umgehen,  ist  man 
dann  neuerdings  dem  Gedanken  näher 
getreten,  eine  überseeische  Verbin- 
dung mit  Sibirien  über  die  Petschora- 
Mündung  herzustellen  und  den  Verkehr 
vom  Ob  auf  Landstraßen  über  den  Ural 
nach   der   unteren   Petschora   zu    leiten. 


In  Petermanns  Mitteilungen  (1903.  S.  190) 
geht   A.   Sibiarkow   näher   auf  diesen 
Gegenstand  ein  und  erwähnt,   daß  jetzt 
bereits  seit  17  Jahren  zwischen  Archangel 
und  der  Petschora-Mündung  regelmäßige 
Dampfertouren  bestehen  und  daß  in  der 
letzten  Navigationsperiode  die  Petschora- 
Mündung  schon  von   16   russischen   und 
ausländischen  Dampfern  zu  verschiedenen 
kommerziellen  Zwecken  besucht  worden 
ist.    Um  auch  Sibirien   an   dieser  über- 
seeischen  Verbindung   mit  Europa  teil- 
nehmen zu  lassen,  wäre  der  Bau  einiger 
Landstraßen  über  den  Ural  zum  Ob  nötig, 
von  denen  gegenwärtig  nur  eine  auch  im 
Winter  passierbare  zwischen  dem  Dorfe 
Schtschugorskoje  an   der  Petschora  und 
Ljapin  an  der  Sygwa,   wo  die  Dampfer 
aus  dem  Ob  und  Lrtisch  anlegen,  existiert. 
Die    Schaffung    eines    anderen  Ausfuhr- 
weges vom  Ob  aus  bezweckt  der  russische 
Ingenieur   Getto   durch   den   Bau   einer 
Polarbahn,   die,   bei  Obdorsk   am   Ob 
ausgehend,  bis  zur  Belskowbucht  am  Eis- 
meer,  60  Werst  südlich  von  der  Jugor- 
straße,  gehen  soll  (Export  1908.  Nr.  37). 
Die  Schiffe  brauchten  also  nicht  das  Ka- 
rische  Meer   zu   berühren   und   mit   der 
Belskowbucht  kann  die  Verbindung  von 
der  See  her  über  fünf  Monate  aufrecht 
erhalten  werden.    Die  projektierte  Bahn 
würde  360  Werst  lang  werden  und  gegen- 
über   der   Fahrt    durchs   Karische   Meer 
und  um  die  Jalmalinsel  eine  Abkürzung 
von  2000  Werst  bringen.    An  der  tech- 
nischen Ausführbarkeit  der  Bahn  ist  an- 
gesichts der  unter  schwierigeren  Verhält- 
nissen ausgeführten  Bahnbauten  in  Alaska 
nicht  zu  zweifeln,   ebensowenig  wie  an 
der  Rentabilität  derselben,  da,  trotzdem 
die  sibirische  Landwirtschaft  noch  in  den 
Anfängen  steckt,  allein  im  Gt)uvemement 
Tomsk  1899  mindestens  36  Mill.  Pud  Ge- 
treide zur  Ausfuhr  bereit  lagen  und  der 
größte  Teil  hiervon  seinen  Weg  der  Bil- 
ligkeit und  Schnelligkeit  wegen  Ob  ab- 
wärts über  die  neue  Polarbahn  zum  Meere 
hin  nehmen  würde.   Die  Kosten  der  Bahn 
sind  auf  28  Millionen  Rubel  veranschlagt 
*  Der  russische  Machtbereich  in 
Ostasien    hat    kürzlich    dadurch    eine 
große  Erweiterung  erfahren,   daß  durch 
kaiserlichen   Ukas    aus    dem    General- 
gouvernement des  Amur   und   dem 
Kwantunggebiet  eine  besondere  Statt- 
halterschaft unter  dem  Admiral  Alexe- 


Geographische  Neuigkeiten. 


583 


jew  gebildet  worden  ist.  Dieser  Schritt 
kommt  einer  tatsächlichen  Einverleibung 
der  ganzen  Mandschurei  in  das  russische 
Reich  gleich,  wie  aus  den  Machtbefug- 
nissen des  neuemannten  Statthalters  her- 
vorgeht. Durch  den  Ukas  wird  der  Statt- 
halter mit  höchster  Gewalt  in  allen  Zwei- 
gen der  Zivilverwaltung  des  Gebietes  be- 
kleidet, die  gleichzeitig  der  Leitung  der 
russischen  Ministerien  entzogen  wird.  Ihm 
liegt  auch  die  Sorge  für  Buhe,  Sicherheit 
und  Wohlfahrt  ob,  sowohl  der  an  der 
chinesischen  Ostbahn  liegenden  Gegenden 
als  auch  der  an  die  Statthalterschaft  an- 
grenzenden, jenseit  der  Grenze  liegenden 
russischen  Besitzungen.  Bis  zu  dem  Er- 
laß eines  Gesetzes  über  die  Zuständig- 
keiten und  Pflichten  des  Statthalters  gel- 
ten für  die  Verwaltung  des  fernen  Ostens 
die  1846  für  die  kaukasische  Statthalter- 
schaft erlassenen  Bestimmungen.  Die 
diplomatischen  Beziehungen  im  Verkehr 
dieser  Gebiete  mit  den  Nachbarstaaten 
werden  vom  Statthalter  geleitet.  Ihm 
wird  auch  das  Kommando  der  russischen 
Kriegsflotte  im  Stillen  Ozean  sowie  aller 
Truppen  des  Gebietes  übertragen.  Ein 
besonderer  Ausschuß  unter  dem  Vorsitz 
des  Kaisers  wird  die  Anordnungen  des 
Statthalters  mit  den  allgemeinen  staatlichen 
Absichten  und  der  Tätigkeit  der  Mini- 
sterien in  Einklang  bringen. 

♦  Von  einem  Kanonenboot  der  Ver- 
einigten Staaten  in  Besitz  genom- 
men wurden  im  Juli  d.  J.  sieben  Inseln 
in  der  Sandakanbucht  auf  Nord- 
Bomeo  und  im  September  drei  Inseln 
in  der  Darvel bucht  an  der  Südostküste 
Nord-Bomeos.  Die  der  Küste  in  geringer 
Entfernung  vorgelagerten  Inseln  standen 
seit  26  Jahren  unter  englischer  Verwal- 
tung, weshalb  England  gegen  die  Besitz- 
ergreifung in  Washington  Protest  ein- 
gelegt hat.  In  der  Sandakanbucht  be- 
findet sich  die  Hauptstation  der  Nord- 
Bomeo-Gesellschaft,  die  das  Gebiet  unter 
britischer  Schutzherrschaft  seit  1881/82 
verwaltet.  Die  Inseln  waren  ursprünglich 
der  Schlupfwinkel  von  Seeräubern,  die 
von  der  Nord -Bomeo- Gesellschaft  un- 
schädlich gemacht  wurden,  und  seit  dieser 
Zeit  bildeten  die  Inseln  einen  Bestandteil 
des  englischen  Gebietes  von  Nord-Borneo. 
Jedoch  soll  der  Sultan  von  Brunei,  dem 
einst  dieses  Gebiet  gehörte,  im  Jahre  1866 
einigen  Amerikanern  bedeutende  Rechte 


in  Nord-Bomea  verliehen   haben;   indes 
wurden  diese  Rechte  nie  ausgenutzt. 

Polargegenden. 

Kt  Eine  neue  Expedition  zur  Er- 
reichung des  Nordpols  gedenkt  der 
nordamerikanische  Schiffisoffizier  Peary 
im  nächsten  Frühjahr  anzutreten,  trotz- 
dem er  im  September  vorigen  Jahres 
nach  der  Rückkehr  von  seinem  vierjäh- 
rigen Aufenthalte  in  Nordgrönland  er- 
klärt hatte,  die  Erreichung  des  Nordpols 
aufgeben  und  diese  Arbeit  in  Zukunft 
anderen  überlassen  zu  wollen.  Aus  na- 
tionalem Ehrgeiz  jedoch,  weil  nach  sei- 
ner imd  vieler  Amerikaner  Meinung  der 
Pol  nur  auf  der  amerikanischen  Route 
durch  den  Smith-Sund  und  daher  auch 
von  einem  Amerikaner  erreicht  werden 
dürfe,  will  er  den  Versuch  auf  einem 
noch  stärkeren  Schiffe  als  die  „Wind- 
ward** war  wiederholen;  er  will  ein 
Winterquartier  an  der  Nordküste  von 
Grants-Land  imter  83^  n.  Br.  anlegen 
und  im  Sommer  1906  abermals  polwärts 
vordringen;  er  hofft  bis  86®  n.  Br.  Rauh- 
eis und  von  da  ab  mehr  oder  weniger 
glatte  Bahn  vorzufinden,  so  daß  er  die 
800  km  zum  Pol  und  ebensoviel  zurück 
zum  Standquartier  in  100  Tagen,  das 
wären  16  km  am  Tage ,  zurücklegen 
könnte. 

#  Die  englische  Hilfsexpedition 
für  die  in  der  Antarktis  im  Eise  fest- 
sitzende „Discovery"  ist  auf  dem  Ex- 
peditionsschiff „Terra  Nova"  am  27. 
August  in  See  gegangen.  Da  die  Jahres- 
zeit schon  etwas  weit  vorgeschritten  ist, 
wird  die  „Terra  Nova"  durch  den  Suez- 
kanal fahren  imd  bis  nach  Aden  von  dem 
Kreuzer  „Minerva"  geschleppt  werden. 
Führer  dieses  Schiffes  ist  der  beim  Wal- 
fang in  der  Eisschiffahrt  erprobte  Kapt. 
Harry  Mackay,  die  Ausrüstung  des 
Schiffes  geschah  unter  Aufsicht  des  Kapt. 
Kolbeck  von  der  „Moming",  welcher  zu 
diesem  Zwecke  von  Lyttleton  nach  Eng- 
land gekommen  war.  Zum  Entsätze  der 
„Discovery"  wird  die  „Morning",  das 
Schiff  der  vorjährigen  Hilfsexpedition,  mit 
der  „Terra  Nova"  zusammen  von  Lyttle- 
ton nach  Viktorialand  gehen.  Man  hofft 
bestimmt,  daß  Kapt.  Skott  im  nächsten 
antarktischen  Sommer  die  „Discovery" 
wird  vom  Eise  freimachen  können,  da 
ihm   zu   den  Vorbereitungen  hierzu  ge- 


584 


Geographische  Neuigkeiten. 


nügend  Zeit  zur  Yeifagniig  gestanden  hat. 
Sollte  es  wider  Erwarten  nicht  gelingen, 
so  wird  Eapt.  Skott  mit  den  Expeditions- 
mitgliedem  und  der  Mannschaft  die  ,4^is- 
covery^  verlassen  und  an  Bord  der  beiden 
Ersatzschiffe  unter  Mitnahme  der  wissen- 
schaftlichen Ausrüstung  und  des  Proviants 
nach  England  zurückkehren. 

Meere« 

♦  Eine  schwedische  wissenschaft- 
liche Expedition  in  den  großen 
Ozean,  deren  Aufgabe  hydrographische, 
zoologische  und  botanische  Forschungen 
im  nördlichen  großen  Ozean  und  an  des- 
sen Küstenrändem  sind,  wird  auf  Kosten 
des  Konsuls  Broms  ausgerüstet  werden. 
Zum  Leiter  der  Expedition  ist  der  üpsa- 
laer  Konservator  Kolthoff  ausersehen, 
der  bereits  im  J.  1900  auf  Kosten  Broms 
eine  zoologische  Expedition  nach  Ost- 
Grönland  unternommen  hat.  Die  Expe- 
ditionsmitglieder gehen  im  April  nächsten 
Jahres  auf  dem  Landwege  nach  Port 
Arthur,  wo  das  Expeditionsschiff  bereit 
liegen  wird.  Die  Untersuchungen  sollen 
im  gelben  Meer  beginnen  und  sich  durch 
das  japanische  und  ochotskische  Meer 
bis  zur  Bering^traße  fortsetzen.  Dabei 
arbeitet  gleichzeitig  eine  aus  zwei  Zoo- 
logen und  einem  Botaniker  bestehende 
Abteilung  auf  dem  Lande,  vor  allem  in 
Kamschatka  und  an  den  benachbarten 
Küsten;  das  Schiff  nimmt  die  Abteilung 
zeitweilig  an  Bord  und  setzt  sie  an  ge- 
eigneten Punkten  wieder  ab.  Im  Spät- 
sommer vdrd  die  Expedition  nach  der 
amerikanischen  Küste  hinübergehen  und 
mit  Eintritt  des  Winters  wieder  nach 
Port  Arthur  zurückkehren.  Die  natur- 
wissenschafÜichen  und  ethnographischen 
Sammlungen  werden  unter  die  wissen- 
schaftlichen Institute  von  Stockholm  und 
Upsala  verteilt  werden.  (Globus,  84.  Bd. 
S.  163.) 

Geographlseher  Unterrieht. 
Gfreographisohe  Yorlesnngen 
an  den  deatschsprachigen  Universit&ten  und  tech- 
nischen Hochschulen  im  Wintersemester  1903/4.  II. 
Österreich-  Ungarn. 

Wien:  o.  Prof.  Penck:  Geographie 
von  Österreich- Ungarn,  6  st.  —  Seminar, 
28t.  —  Übungen  für  Fortgeschrittenere. 
—  0.  Prof.  Oberhummer:  Geschichte 
der  ErV^u^ide  und  der  geographischen 
EntdeckungeDv    ö«t.    —    Geographisches 


Seminar,  2 st.  —  a.  o.  Prof.  Sieger:  Geo- 
graphie des  Weltverkehrs,  2  st. 

Osemowits:  o.  Prof.  Löwl:  Allge- 
meine Geographie  I,  5  st.  —  Übungen,  2  st. 

Gras:  o.  Prof.  Richter:  Geographie 
von  Asien,  8  st.  —  EinHihrung  in  die  all- 
gemeine (Geographie,  2  st.  —  Übungen,  2  st. 

Iniuibraok:  o.  Prof,  v.  Wieser:  All- 
gemeine Hydrographie,  8  st.  —  Das  Fest- 
land von  Australien,  2  st. 

Prag:  o.  Prof.  Lenz:  Geogpraphie  von 
Amerika,  5 st.  —  Besprechungen,  2 st 

Technische  Hochschulen. 

Darmstadt:  a.  o.  Prof.  Greim:  Mor- 
phologie der  Erdoberfläche.  —  Vorlesung 
aus  der  physikalischen  Geographie. 

Dresden:  o.  Prof.  Buge:  Geographie 
von  Deutschland.  —  Geog^phie  von 
Frankreich. 

München:  o.  Prof.  Günther:  Mathe- 
matisch-physikalische Erdkunde  L  — 
Handels-  und  Wirtschaftsgeographie  IL  — 
Seminar. 

Wien:  a.  o.  Prof.  v.  Böhm:  Morpho- 
logie der  Erdoberfläche.  —  Geographie 
von  Österreich-Ungarn. 

Zürioh:  Prof.  Früh:  Die  Atmosphäre. 
—  Geographie  der  Schweiz.  —  Morpho- 
logie von  Europa  und  deren  Beziehung 
zur  Siedelung. 

Yereine  und  Yersammlangeii« 

*  Nach  einem  im  Juni  ausgesandten 
Bundschreiben  wird  der  Vlll.  Inter- 
nationale Geographenkongreß  am 
8.  Sept.  1904  in  Washington  zusammen- 
treten und  am  9.,  10.,  12.,  18.  u.  14.  d.  Mts. 
seine  Sitzungen  abhalten.  Der  Ausschuß 
(Prof.  Mc  Gee  in  Washington)  bittet  die 
Anmeldung  von  Yortrilgen  und  die  Ein- 
reichung der  zur  Diskussion  zu  stellenden 
Anträge  bis  1.  Juli  1904  bewirken  zu 
wollen;  die  in  den  täglichen  Veröffent- 
lichungen des  Kongresses  abzudruckenden 
Referate  der  Vorträge  (nicht  über  1000 
Worte)  sind  bis  zum  1.  August  einzusen- 
den. Im  allgemeinen  ist  für  jeden  Vor- 
trag eine  Bedezeit  von  20  Minuten  in 
Aussicht  genommen.  Die  Mitteilungen 
an  den  Ausschuß  können  in  französischer, 
englischer,  deutscher,  italienischer  und 
spanischer  Sprache  abgefaßt  sein.  Als 
Verhandlungsgegenstände  sind  in  Aus- 
sicht genommen:  1)  physikalische  (Geo- 
graphie einschl.  Geomorphologie,  Meteoro- 
logie, Hydrologie  etc.;  2)  mathematische 


\ 


Bücherbesprechungen. 


586 


Geographie  einschl.  Geodäsie  and  Geo- 
physik; .H)  Biogeographie  einschl.  Pflanzen- 
und  Tiergeogpraphie;  4)  Anthropogeogpra- 
phie  einschl.  Ethnologie;  5)  beschreibende 
Geographie  einschl.  Entdeckungen  und 
Landesuntersuchungen;  6)  technische  Geo- 
graphie einschl.  Kartographie,  Bibliogra- 
phie, Namensrechtschreibung;  7)  Handels- 
und Industriegeographie;  8)  Geschichte 
der  Geographie;  9)  geographischer  Unter- 
richt. Vom  16.— 20.  Sept.  sollen  in  Balti- 
more, Philadelphia,  Neu  York,  Chicago 
Sitzungen  abgehalten  werden^  wobei  die 
auswärtigen  Kongreßteilnehmer  die  Gäste 
der  geographischen  Gesellschaft  der  be- 
treffenden Stadt  sein  werden.  Nach 
Schluß  des  Kongresses  in  St.  Louis  sollen 
für  den  Fall,  daß  sich  eine  genügend 
große  Anzahl  von  Teilnehmern  findet, 
Ausflüge  bis  nach  der  Stadt  Mexiko  und 
San  Franzisko  unternommen  werden;  man 
hofft  hierzu  Fahrpreisermäßigungen  von 
26—40%  zu  erlangen.  Es  dürfte  viel- 
leicht angebracht  sein,  wenn  sich  die 
europäischen  Kongreßbesucher  vereinigten, 
um  für  die  Überfahrt  ebenfalls  Preis- 
ermäßigung zu  erlangen. 


Persdnliches. 

*  Die  ordentlichen  Professoren  der 
Geographie  Dr.  Alfred  Kirchhoff  in 
Halle  und  Dr.  Theobald  Fischer  in 
Marburg  wurden  zu  Geheimen  Begierungs- 
räten ernannt.  Prof.  Kirchhoff  feierte  am 
1.  Oktober  das  80jährige  Jubiläum  als 
ordentlicher  Professor  der  Geog^raphie  an 
der  Universität  Halle. 

*  Am  8.  Sept.  1908  starb  zu  Blasewitz 
bei  Dresden  im  Alter  von  62  Jahren 
Prof.  Dr.  Oskar  Schneider,  ein  be- 
kannter Geograph  und  Zoolog.  Mehrfache 
Reisen  nach  Ägypten,  dem  Kaukasus  und 
Italien  und  der  vnederholte  Aufenthalt 
auf  Borkum  gaben  dem  Naturforscher 
Anregung  zu  mannigfaltigen  geographisch- 
naturhistorischen  Studien,  die  er  in  klei- 
neren Abhandlungen  veröffentlichte,  zu- 
letzt im  Jahre  1898  über  die  Tierwelt 
von  Borkum.  Als  Schulmann  förderte  er 
den  geographischen  Unterricht  an  höheren 
Schulen  durch  mehrere  Schriften,  in  denen 
er  auf  die  Wichtigkeit  geographischer 
Schulsammlungen  und  Anschauungsmittel 
hinwies. 


Bflcherbesprechnngeii. 


Rage,  S.    Topographische  Studien 
zu    den    portugiesischen    Ent- 
deckungen    an      den     Küsten 
Afrikas.    Abh.  d.  phiL-hist.  Klasse 
der  K.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.    Bd.  XX. 
No.  VI.    110  S.     Leipzig,  Teubner 
1908.    JC  8.60. 
Wie  der  Verfasser  in  der  Einleitung 
ausführt,  verfolgt  er  mit  der  vorliegenden 
Arbeit,   die  als   1.  Teü   eines   größeren 
Werkes  erscheint,  einen  fünffachen  Zweck. 
Auf  Grund  der  Küstenlegenden  in   den 
alten  Portolankarten  vnll  er  zunächst  die 
am  besten  zu  begründende  Namensform 
der  afrikanischen  Küstenplätze  feststellen^ 
dann  die  richtige  Reihenfolge  dieser  Plätze 
ermitteln ,    femer    womöglich    die    Ent- 
deckungszeit und  denEntdecker  bestimmen, 
von  dem  die  Namengebung  ausgegangen 
ist,  außerdem  die  Erklärung  der  Namen 
anstreben  und  endlich  aus  dem  Inhalt  der 
Legenden    annähernd,    bei    undatierten 
Karten  genauer  als  bisher,  die  Abfassungs- 


zeit abzuleiten  versuchen.  Um  diesen 
Zweck  zu  erreichen,  bedarf  es  einer  mög- 
lichst vollständigen  Sammlung  und  daran- 
schließenden Vergleichung  der  Legenden 
aller  erreichbaren  Portolankarten,  auf 
denen  die  von  den  Portugiesen  erschlos- 
senen Küsten  Afrikas  ganz  oder  teilweise 
dargestellt  sind.  Zur  bessern  Obersicht 
über  das  umfangreiche  Material  gibt  der 
Verfasser  zunächst  ein  chronolog^ch  ge- 
ordnetes und  durch  zahlreiche  kritische 
Bemerkungen  wertvolles  Verzeichnis  der 
in  Frage  kommenden  Karten  und  Atlanten 
von  den  in  ihren  letzten  Wurzeln  auf 
frühmittelalterliche  Quellen  zurückgehen- 
den Zeichnungen,  die  sich  in  verschie- 
denen Handschriften  von  DatisSfera  finden, 
und  von  der  Pisanischen  Portolankarte 
aus  dem  18.  Jahrhundert  an  bis  auf  die 
Karte  des  Pilestrina  von  1511.  Warum 
der  Katalog  gerade  mit  dieser  abschließt, 
ist  nicht  ersichtlich.  Der  Wert  dieses 
Verzeichnisses  besteht  hauptiächlich  darin. 


586 


Buch erbe Sprech ungei 


daß  es  angibt,  wie  nach  dem  gegenwär- 
tigen Stande  der  Forschung  die  Reihe 
der  Eur  Zeit  bekannten  ältesten  Portolane 
zu  ordnen  ist.  Die  Arbeit  ist  nicht  nur 
ihrem  Inhalte  nach,  sondern  auch  in  me- 
thodischer Hinsicht  von  Wert.  Sie  zeigt, 
wie  bereits  durch  die  genaue  Yergleichung 
kleiner  Eüstenabschnitte  der  alten  Karten 
wichtige  Ergebnisse  für  die  Geschichte 
der  Kartographie  und  der  Entdeckungen 
gewonnen  werden  können.  Die  bisher 
von  den  kundigsten  Forschem  auf  diesem 
Gebiete  angenommene  Reihenfolge  der 
ältesten  Portolane  wird  unter  Beibringung 
beachtenswerter  Gründe  mehrfach  um- 
gestaltet. In  einem  2.  Abschnitt  beginnt 
der  Verfasser  mit  der  Aufzählung  der 
afrikanischen  Küstennamen,  und  zwar 
stellt  er  zunächst  die  nordwestafrika- 
nischen von  Tanger  bis  Kap  Bojador  zu- 
sanmien,  indem  er  nicht  nur  die  auf  den 
Portolanen,  sondern  gelegentlich  auch  die 
in  der  geographischen  Literatur  vorkom- 
menden verschiedenen  Schreibweisen  an- 
gibt. Der  Fortsetzung,  welche  vermutlich 
die  übrigen  Küstenstrecken  West-  und 
Ostafrikas  behandeln  wird,  darf  man  mit 
Interesse  entgegensehen.  Eine  eingehen- 
dere Würdigung  des  Werkes  muß  vor- 
behalten bleiben  bis  es  vollendet  ist. 
Viktor  Hantzsch. 

Christensen,  ۥ  ۥ,  u.  Yahl,  M.  Dan- 
marks  Land  og  Folk.  99  S.  47  K., 
Diagramme  u.  Bilder.  Kopenhagen, 
Nordischer  Verlag  (E.  Bojesen)  1908. 
Das  kleine  Werk  ist  für  den  geogra- 
phischen Unterricht  in  den  Volkshoch- 
schulen, Seminaren  und  ähnlichen  Bil- 
dungsanstalten bestimmt.  Es  muß  für 
den  Unterricht  in  der  Geographie  hier 
ziemlich  viel  Zeit  zur  Verfügung  stehen, 
denn  das  Buch  enthält  trotz  seines  ge- 
ringen Umfanges  erheblichen  Lernstoff. 
Mag  man  auch  über  diese  und  jene  Frage 
anderer  Ansicht  sein,  man  muß  anerken- 
nen, daß  die  Verfasser  sich  durchweg  be- 
müht haben,  mit  der  modernen  Geogra- 
phie Fühlung  zu  gewinnen,  und  nicht 
bloß  aufzählen  und  beschreiben,  sondern 
auch  erklären  und  begründen.  Für  die 
Dänen  ist  das  Meer  und  seine  Eigenart 
fast  wichtiger  als  das  Land,  ihm  ist  des- 
halb eine  verhältnismäßig  ausführliche 
Darstellung  gewidmet.  Liegen  doch  von 
Dänemarks  74  Städten  64  unmittelbar  am 


Meer    oder    an    Föhrden    und    Buchten, 

7  weitere  an  Flußmündungen,  so  daß  sie 
für  kleinere  Schiffe  erreichbar  sind,  aber- 
mals 5  haben  einen  Ladeplatz  an  der  nicht 
über  2  d&n.  Meilen  entfernten  Küste,  nur 

8  sind  völlige  Binnenstädte.  Für  den 
dänischen  Boden  ist  der  Gegensatz  größe- 
rer und  geringerer  Meereshöhe  lange 
nicht  so  wichtig  als  die  Beschaffenheit 
des  Bodens  und  der  Gegensatz  zwischen 
Lehm-  und  Sandboden.  Auch  ein  Leit- 
faden wie  der  vorliegende  geht  deshalb 
ziemlich  tief  in  geologisch-bodenkundliche 
Fragen  ein.  Merkwürdig  kurz  sind  Klima, 
Pflanzen  und  Tiere  behandelt.  Die  Kar- 
ten und  Bilder  sind  ausreichend  und  im 
allgemeinen  gut  gemacht.       F.  Hahn. 

Labb^yPauL  Un  bagne  russe(Sakha- 
line).  16^  276  S.  61  Abb.  Paris, 
Hachette  &  Cie.  1903.  Fr.  4.—. 
Die  Insel  Sachalin,  das  eisige  Land 
der  Verbrecher  und  der  Verbannten,  ist 
in  den  letzten  Jahren  mehrfach  beschrie- 
ben worden.  Aber  alle  bisherigen  Schil- 
derungen leiden  daran,  daß  sie  bei 
aller  sonstigen  Freimütigkeit  und  Offen- 
heit doch  nur  den  amtlichen  Standpunkt, 
d.  h.  das  mehr  oder  weniger  offizielle 
Rußland,  vertreten.  Das  vorliegende  Buch 
gibt  ein  wesentlich  anderes,  ohne  Zweifel 
viel  getreueres  Bild,  denn  der  Verf.  hat 
tiefer  gesehen  und  mit  den  Verbrechern 
im  Gefängnis,  in  den  Bergwerken,  in  den 
Branntweinschenken,  in  den  Lazaretten  ge- 
lebt, ja  er  hat  die  entlegenen  Dörfer  imd 
Höhlen  der  Ureinwohner  —  Aino ,  Tun- 
gusen,  Orotschonen,  Giljaken  u.  s.  w.  — 
aufgesucht  und  dem  Leben  dieser  Natur- 
völker höchst  interessante  Züge  abge- 
lauscht. Es  ist  ganz  besonders  anzuer- 
kennen, daß  er  nicht  in  blindem  Haß  die 
russische  Behörde  angreift  und  für  alles 
Elend  verantwortlich  macht,  das  sich  ihm 
auf  Sachalin  in  furchtbarer  Weise  dar- 
bietet. Die  Insel  liegt  zu  sehr  unter  dem 
erstarrenden  Einfluß  des  polarischen  Kli- 
mas, als  daß  die  Ackerbaukolonien  ge- 
deihen könnten,  die  man  vor  10  Jahren 
im  Süden  der  Insel  unter  so  großen  Hoff- 
nungen angelegt  hat.  Der  Versuch  ist 
mißlungen,  die  Begründung  eines  gesunden 
Bauernstandes  endgültig  gescheitert.  Statt 
dessen  lebt  heute  auf  Sachalin  eine  Ko- 
lonie gemeiner,  meist  unverbesserlicher 
Verbrecher,  die  in  den  Kohlengruben  ver- 


Bücherbesprechungen. 


587 


kommen  oder  in  den  Gefängnissen  stumpf 
dahinleben.  Die  sehr  traurigen  klima- 
tischen Einflüsse  und  die  trostlosen  Lebens- 
verhältnisse haben  auch  auf  die  Beamten- 
schaft zerrüttend  gewirkt;  unter  den 
Ureinwohnern  räumen  Branntwein  und 
eingeschleppte  Krankheiten  furchtbar  auf. 
Höchstens  die  japanischen  Fischerkolo- 
nien im  Süden  der  Insel,  denen  das  Meer 
imendliche  Reichtümer  an  Fischen  spendet, 
gewähren  ein  freundlicheres  Bild.  So 
zeigt  uns  das  treffliche  Buch  nicht  nur 
interessante  geographische  Neuigkeiten, 
sondern  bietet  uns  auch  eine  Fülle  von 
Beobachtungen,  aus  welchen  sich  eine 
Fundgrube  für  psychologische  Lehren  er- 
gibt. Menschliche  Schuld  und  mensch- 
liches Unglück  treten  uns  hier  in  er- 
greifender Weise  entgegen. 

Immanuel. 

Henze,  Hermann.  Der  Nil,  seine 
Hydrographie  und  wirtschaft- 
liche Bedeutung.  (Angewandte 
Geographie.  I.  4.)  108  S.  2  Abb. 
Halle  a/S.,  Gebauer-Schwetschke  1903. 
.IL  2.—. 
Das  vorliegende  Heft  ist  eine  fleißige 
Kompilation,  geschickt  aus  den  besten 
Quellen  zusammengestellt,  aber  ohne  eigene 
Gedanken  oder  Berechnungen.  Es  ver- 
mehrt die  Summe  unseres  Wissens  vom 
Nil  an  keiner  Stelle,  wird  aber  selbst  dem 
Fachmanne  als  bequeme  Fundstelle  für 
Zahlenwerte,  die  reichlich  vorhanden  sind, 
gelegentlich  Dienste  leisten.  Die  ange- 
wandte Geographie  kommt  freilich  nur 
auf  den  letzten  30  Seiten  zu  ihrem  Rechte. 
Das  Werk  ist  durchaus  beschreibend, 
nirgends  ursächlich  erklärend.  Ein  Ver- 
such, die  Greschichte  des  Nils  zu  entwerfen, 
wird  nicht  gemacht,  kaum  daß  sich  (S.  64) 
eine  Andeutung  in  dieser  Richtung  findet. 
Bei  der  Nilquellfrage  hätte  doch  wohl 
K  an  dt  noch  benützt  werden  können.  Wenn 
S.  67  gesagt  wird,  daß  das  Nildelta  jähr- 
lich 4  m  vorrückt,  so  bedurfte  das  doch 
wohl  einer  näheren  Erläutenmg.  Und 
was  soll  man  (S.  67)  zu  dem  Satze  sagen: 
„Selbst  bis  an  die  Küste  von  Syrien  wer- 
den von  den  Fluten  des  Nils  die  Sinkstoffe 
getragen."  Die  große  Tragweite  der  Um- 
wandlung der  Bewässerungsbecken  in  Be- 
wässerungskanäle tritt  (S.  71)  nicht  scharf 
genug  hervor,  und  die  Gefahren,  welche 
der  Salzgehalt  des  Bodens  birgt,  werden 


nicht  erwähnt.  Daß  Zittel  die  Herkunft 
des  Wassers  der  libyschen  Oasen  auf  den 
tropischen  Süden  zurückführt,  nicht  auf 
den  Nil,  scheint  dem  Verf.  unbekannt  ge- 
blieben zu  sein;  und  wenn  der  Verf.  den 
Ausdruck  „große  Wüstentafel"  irgendwo 
angewendet  hätte,  würde  er  vielleicht 
nicht  von  der  „östlichen  Gebirgskette" 
der  unermeßlichen  libyschen  Wüste  (S.  6), 
die  sich  längs  des  ganzen  Unterlaufes  des 
Nils  hinzieht,  gesprochen  haben. 

Th.  Fischer. 

Strecker,  C.  Ch.,  0.  M.  J     Auf   den 

Diamanten-  und  Goldfeldern 
Südafrikas.  XVI  u.  682  S.,  1  K. 
Freiburg  i.  B.,  Herder  1901.  JK  10.—. 
Verfasser  ist  nicht  selbst  in  Südafrika 
gewesen,  sondern  hat  das  vorliegende 
Buch  zusammengestellt  aus  anderen  Reise- 
werken und  Schriften  über  dieses  Land. 
Ganz  besonders  benutzt  sind  aber  vorher 
noch  nicht  gedruckte  Berichte  und  Briefe 
katholischer  Missionare.  Das  Buch  ist 
abgefaßt  in  der  Form  einer  fingierten, 
einheitlichen  Reisebeschreibung,  die  sich 
aber  aus  Einzelschilderungen  verschiedener 
Personen  zusammensetzt.  Die  überall  ein- 
geflochtenen zusammenhängenden  Aus- 
fuhrungen über  Geschichte  und  politische 
Verhältnisse,  Landeskunde  und  wirtschaft- 
liche Bedeutung  der  einzelnen  Länder 
lassen  jedoch  die  eigentliche  Reisebe- 
schreibung mehr  in  den  Hintergrund 
treten.  Da  der  Verfasser  katholischer 
Priester  ist  und  sein  Werk  in  erster 
Linie  für  katholische  Leser  geschrieben 
hat,  so  ist  es  erklärlich,  daß  er  der  Tätig- 
keit der  katholischen  Mission  einen  breiten 
Raum  gönnt,  während  die  evangelische 
nur  hier  und  da  kurz  erwähnt  wird.  Im 
übrigen  läßt  sich  sagen,  daß  das  Buch 
ein  fleißiges  und  eingehendes  Studium 
der  Verhältnisse  Südafrikas  verrät  und 
daß  die  Darstellung  im  allgemeinen  als 
zuverlässig  gelten  kann,  wenn  auch  hier 
und  da  kleinere  Irrtümer  sich  einge- 
schlichen haben.  Namentlich  gilt  dies 
mit  Bezug  auf  naturwissenschaftliche 
Dinge,  in  denen  der  Verfasser  weniger 
bewandert  zu  sein  scheint.  Die  Schilde- 
rungen der  Diamanten-  und  Goldfelder 
enthalten  manche  Unklarheiten  und  Wi- 
dersprüche, die  sich  dadurch  erklären, 
daß  verschiedene  Quellen  von  ungleichem 
Werte  benutzt  wurden.     Daß   der   Ver- 


588 


Bücherbesprechungen. 


fasser  bald  ,,das^'  und  bald  ««der"  Quarz 
schreibt,  ist  wohl  auf  diese  Verschieden- 
heit der  Quellen  zurückzufahren.  Bei  der 
Übersetzung  mancher  technischer  Aus- 
drücke aus  dem  Englischen  ist  nicht 
immer  die  richtige  deutsche  Bezeichnung 
gefunden  worden,  so  daß  hierdurch  oft 
Unklarheiten  entstehen,  die  freilich  dem 
Laien  weniger  auffallen  werden.  In  den 
einzelnen  Kapiteln  des  Buches  werden 
behandelt  die  Reise  nach  dem  Kap,  Kap- 
stadt, die  ältere  Geschichte  SüdaMkas, 
Transvaal,  die  Goldfelder,  das  Weihnachts- 
land (Natal),  Kaffraria,  Sulu-,  Swasi-  und 
Tongaland,  die  südafrikanische  Schweiz 
(Basutoland),  der  Oranjefreistaat,  die 
Diamantfelder,  die  britische  Kapkolonie, 
Cecil  Rhodes  und  sein  Werk  (Betschuana- 
und  Matabeleland\  Dentsch-Südwestafrika, 
Buren  und  Engländer  in  Südafrika  und 
endlich  der  Krieg  an  der  Jahrhundert- 
wende. A.  Schenck. 

Schulwandkarte  der  Schweiz.  Bern, 
Verlag  des  Topographischen  Bureaus 
1902.   Unentgeltliche  Abgabe  an  alle 
schweizerischen    Schulen,    die    den 
Unterricht   in   der  Landeskunde   als 
ordentliches  Lehrfach  eingeführt  ha- 
ben.   Hauptdepot  für  das  Deutsche 
Reich:  K.  F.  Köhler,  Leipzig.  Laden- 
preis: unaufgezogen  Jt,  16.—  ;  aufge- 
zogen u.  mit  Stäben  versehen  JL  24.-—. 
Mit  hoher  Freude  und  mit  dem  Ge- 
fühl des  Dankes  an  die  eidgenössischen 
Behörden   setze   ich   die   Feder   an,   um 
über  die  Schulwandkarte  der  Schweiz  von 
1902  zu  berichten.  Wir  wollen  uns  gleich 
mit  der  fertigen  Karte  beschäftigen;  wer 
zu  wissen  wünscht,  wie  sie  zustande  kam 
und  wie  viel  Sorgfalt  Behörden  und  Kom- 
missionen darauf  verwendeten,  mag  dies 
bei  Graf,  Die  neue  schweizerische  Schul- 
wandkarte (Bern,  K.  J.  Wyß)  nachlesen. 
Die  Karte,  die  innerhalb  des  Randes 
186  X  120  cm  mißt,  ist  im  Maßstab  von 
1  :  200  000  angefertigt;    eine  schwächere 
Verjüngung  wäre  kaum  möglich  gewesen, 
da  sie  im  W  und   0  noch  10  km  weiter 
geht  als  die  Dufourkarte.   Als  besonderer 
Vorteil   mag   ermähnt  werden,   daß   das 
Bild  ein  vollständiges  Rechteck  einnimmt 
und  nicht  durch  Ausschnitte  gestört  wird, 
indem  der  Titel  auf  dem  oberen  und  die 
Legende  auf  dem  unteren  Rande   ange- 
bracht   worden    ist.     Darum    sehen   wir 


hier  —  besonders  im  NW  und  SO  — 
Gegenden,  die  sonst  auf  keiner  Schweizer- 
karte dargestellt  sind.  Situation,  Schrift 
und  Höhenkurven  wurden  im  eidgenössi- 
schen topographischen  Bureau  in  Bern 
mit  aller  wünschbaren  Genauigkeit  und 
Schärfe  gedruckt.  Die  Gewässer  erschei- 
nen blau,  für  die  Siedelungen  wurde 
Schwarz  und  Rot,  für  die  Verkehrswege 
Schwarz,  für  die  Grenzen  Rot  und  für 
die  Höhenkurven  Braun  verwendet.  Das 
von  Hermann  Kümmerly  gemalte  Ter- 
rainbild führte  die  Firma  Kümmerly  k 
Frey  in  Bern  mit  14  Steinen  in  Farben- 
druck aus.  Und  eben  diese  Leistung  ist 
es,  die  der  Karte  das  eigentümliche  und 
originelle  Grepi^ge  verleiht.  Zwar  hat 
schon  F.  Becker  1888  in  der  Karte  des 
Kantons  Glarus  (Winterthur,  Randegger) 
den  blaugrünen  nach  oben  heller  werden- 
den Farbenton  zur  Darstellung  des  Ter- 
rains verwendet,  und  dem  Einfluß  dieses 
Mannes  ist  es  jedenfalls  zuzuschreiben, 
daß  bei  der  vorliegenden  Karte  die  Farbe 
eine  Hauptrolle  spielt;  doch  hat  Hermann 
Kümmerly  die  Aufgabe  selbständig  auf 
empirischem  Wege  gelöst. 

Die  in  die  Schneeregion  hineinragen- 
den Gipfel  und  die  Gletscher  erscheinen 
weiß  resp.  bläulich,  d.  h.  in  ihrer  natür- 
lichen Farbe.  Die  Tiefebenen  und  die 
Talböden  bis  600  m  sind  graublau  ge- 
malt, über  600  m  wird  das  Terrain 
grünlich,  noch  höher  gehen  die  Abhänge 
in  Gelb  und  Orange  über.  Die  Farben 
folgen  also  genau  auf  einander  wie 
im  Spektrum,  und  dadurch  erhält  die 
Karte  das  Relief:  die  roten  Strahlen  wer- 
den weniger  stark  gebrochen  als  die 
blauen.  Wenn  also  die  von  der  Karte 
ausgehenden  blauen  Strahlen  sich  auf 
der  Netzhaut  vereinigen,  so  konvergfieren 
die  roten  erst  hinter  derselben.  Damit 
diese  ihr  Büd  auf  die  Netzhaut  werfen, 
muß  die  Linse  sich  stärker  wölben;  d.h. 
sie  muß  die  gleiche  Anstrengung  machen 
wie  bei  der  Fixierung  eines  näheren 
Gegenstandes.  Rot  erscheint  also  im  Bilde 
näher,  oder  auf  der  Karte,  die  den  Grund- 
riß des  Landes  darstellt,  höher  als  blau. 
Kümmerly  gelangte  somit  selbstöndig  zu 
ähnlichen  Resultaten,  wie  sie  Peucker 
in  der  Schrift  „Schattenplastik  und  Far- 
benplastik'^  (Wien  1898)  niedergelegt  hat. 
Neben  der  Farbe  verwendet  die  Karte 
aber   auch  den  Schatten.    Bei  Annahme 


Büchei'beBprechungen. 


689 


der  schiefen  Beleuchtung  werden  die 
Schattentöne  in  einem  zarten  Violett  an- 
gegeben. Diese  beiden  Mittel  —  Farbe 
und  Schatten  —  bewirken,  daß  die  Karte 
dem  Auge  als  Belief  erscheint,  und  zwar 
ob  es  will  oder  nicht,  ob  es  im  Karten- 
lesen geübt  ist  oder  nicht;  hierin  liegt 
ihr  künstlerischer  Wert  und  zugleich 
ihre  große  Bedeutung  für  den  Unterricht. 

Als  Fehler  hat  man  der  Karte  ange- 
rechnet, daß  sie  die  Beleuchtung  aus 
NW  annimmt,  d.h.  aus  einer  Richtung, 
aus  der  die  Sonnenstrahlen  nie  auf  die 
Erdoberfläche  fallen,  in  Folge  dessen  die 
in  Wirklichkeit  beschienenen  Abhänge 
dunkel,  die  in  Wirklichkeit  beschatteten 
dagegen  hell  erscheinen  (Heim).  Dieser 
Vorwurf  ist  kaum  stichhaltig;  denn  der 
Schatten  wird  nicht  durch  Schwarz  an- 
gegeben, sondern  durch  einen  zarten 
Farbenton,  der  die  Flächen  vollkommen 
klar  und  lesbar  erscheinen  läßt.  Gerade 
in  den  beschatteten  Partien  hat  das  Bild 
seine  größte  Wirkung,  während  gewisse 
nach  der  Einfallsrichtung  des  Lichtes  ge- 
wendete Abhänge  zeigen,  daß  die  Methode 
der  schiefen  Beleuchtung  ihre  Unvoll- 
kommenheiten  hat  und  die  Gewalt  der 
Natur  nicht  immer  zum  Ausdruck  bringen 
kann.  Wie  sehr  wünschte  man  z.  B.,  daß 
der  Absturz  des  Wildstrubels  nach  den 
Siebenbrunnen,  der  Jungfrau  ins  Trüm- 
letental,  des  Wetterhoms  nach  der  Großen 
Scheidegg  mit  mehr  Krafk  hätte  dar- 
gestellt werden  können.  Freilich,  solche 
Naturgröße  macht  nicht  nur  die  Kunst 
des  Kartenzeichners  sondern  auch  die  des 
Malers  zu  Schanden:  sie  muß  in  Wirk- 
lichkeit geschaut  und  bewundert  werden. 

Die  vielen  Farben  stimmen  aufs  beste 
zusammen;  es  ist  sogar  möglich  gewesen, 
die  politischen  Grenzen  durch  ein  Farben- 
band anzugeben,  ohne  den  Gesamteindruck 
irgendwie  zu  stören.  Inuner  und  immer 
wieder  muß  man  das  Bild  betrachten, 
und  wo  der  Blick  hinfällt,  da  fängt  das 
Spiel  der  Erinnerung  an,  das  uns  in  Ge- 
danken die  Wege  zurücklegen  läßt,  die 
wir  in  Wirklichkeit  gemacht  haben. 

E.  Zollinger. 

Kfimmerly )  H«  Schulkarte  der 
Schweiz.  Ausgabe  E  (Reliefkarte 
in  Farbendruck).  Maßstab  1 :  600  000. 
Bern ,  G^graphischer  Kartenverlag 
H.  Kümmerly  &  Frey  und  A.  Francke. 


Auf  gew.  Papier  80  Cts.,  auf  Lein- 
wand 1  Fr.  80  Cts. 
Von  den  fQnf  Kärtchen,  die  Hermann 
Kümmerly  nach  der  Herausgabe  der 
Schul  Wandkarte  von  1902  zum  Gebrauch 
für  die  Schüler  der  verschiedenen  Stufen 
hat  erscheinen  lassen,  konunt  das  vor- 
liegende in  Beziehung  auf  die  Terrain- 
darstellung seinem  Vorbilde  am  nächsten. 
Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  empfiehlt 
es  sich  ganz  besonders  als  individuelles 
Lehrmittel  für  diejenigen  Schulen,  in 
denen  die  schweizerische  Schulwandkarte 
in  Gebrauch  steht.  Zwar  wird  es  auch 
Lehrer  geben,  die  der  Ansicht  sind,  das 
Handkärtchen  sollte  eine  Ergänzung  zur 
Wandkarte  sein.  Diese  Anforderungen 
berücksichtigt  ein  kleiner  Ausschnitt,  der 
die  Kantone  in  Flächenkolorit  (1 :  276000) 
darstellt.  Von  der  Schulwandkarte  unter- 
scheidet sich  dieses  Handkärtchen  da- 
durch, daß  es  die  Verkehrslinien  nicht 
schwarz  sondern  rot,  und  die  Grenzlinien 
nicht  rot  sondern  grün  darstellt.  Das 
erstere  ist  zu  begrüßen,  weü  so  eine  Ver- 
wechselung der  Eisenbahnen  mit  den 
Flußläufen  nicht  eintritt;  das  Grün  der 
Grenzen  gibt  dem  prächtigen  Bild  jedoch 
einen  kalten  Zug.  E.  Zollinger. 

Walser,  Hermann.  Die  Schweiz.  Ein 
Begleitwort  der  eidgenössischen  Schul- 
wandkarte. 116  S.  Bern,  Francke  1902. 
Geh.  JL  1.20,  geb.  JL  1.60. 
Die  neue  Schulwandkarte  der  Schweiz 
ist  ein  so  hervorragendes  Werk,  daß  an 
ein  Schriftchen,  das  sich  ihr  „Begleitwort^^ 
nennt,  hohe  Anforderungen  gestellt  werden. 
Zum  vorneherein  ist  nun  zu  konstatieren, 
daß  diese  Erwartungen  nicht  getäuscht 
werden.  Wie  löst  aber  der  Verfasser  die 
Aufgabe?  Als  kundiger  Führer  hätte  er 
den  Leser  in  dem  interessanten  und 
schönen  Gebiet,  das  die  Karte  darstellt, 
herumführen  können,  um  auf  der  sicheren 
Grundlage  des  Tatsächlichen  zum  Begriff- 
lichen und  Gesetzmäßigen  aufzusteigen. 
Diesen  allerdings  schwierigen  Weg  schlägt 
der  Verfasser  nicht  ein,  sondern  ordnet 
den  Stoff  nach  den  bekannten  Kategorien, 
innerhalb  deren  meistens  wiederum  all- 
gemeine Gesichtspunkte  mafsgebend  sind. 
So  werden  beim  Abschnitt  „Alpen^^  nach 
einander  besprochen:  Wert  der  Kenntnis 
der  Alpen,  Umgrenzung  der  Alpen,  die 
Alpen   ein  Hochgebirge,   die   Alpen   ein 


590 


Neue  Bücher  und  Karten. 


Kettengebirge,  die  Täler  bestimmen  den  ! 
Charakter  der  Alpen,  Vergleich  mit  dem 
skandinavischen  Gebirge,  Bedeutung  der 
Täler  u.  8.  w.     Zu    der    ersehnten    Ge- 
samtauffassung schreitet  die  Betrachtung 
nicht   fort,   doch   ist  sie   streng  wissen- 1 
schaftlich.     Der   Verfasser    erweist    sich  | 
als  gleich   kompetent  in  der  Behandlung 
physischer  wie  historischer  Probleme,  er 
erkennt  das  Morphologische  so  scharf  wie 
das  Genetische,  vor  allem  verschließt  er 
sich  auch   der   ästhetischen  Betrachtung 
nicht.  Wenn  dies  Büchlein  dem  Lehrer  der 
schweizer  Geographie  kein  systematischer 
Führer  sein  kann,  noch  sein  will,  so  be- 


ruht sein  großer  Wert  darin,  daß  es  zur 
denkenden  imd  fühlenden  Behandlungs- 
weise  dieses  Faches  anregt. 

Zu  verbessern  sind  folgende  Einzel- 
heiten: S.  2:  Ein  Längengrad  hat  in 
der  Breite  von  47*  einen  Wert  von  76  km, 
nicht  79  km.  S.  15:  Die  Gotthardbahn 
wurde  am  1.  Juni  1882  eröffnet,  nicht  1881. 
S.  28:  Der  Ausdruck  „Blätter"  wird  hier 
gleichbedeutend  gebraucht  mit  Schichten; 
Sueß  versteht  darunter  Verscbiebungs- 
flächen  („AntUtz"  I.  S.  169). 

Ausstattung  und  Druck  machen  dem 
Verlag  und  der  Druckerei  Ehre. 

E.  ZoUinger. 


Nene  Bflcher  und  Karten. 


All9«M«1i«i. 

Meyers       Großes       Konversations- 
Lexikon.  6.  Aufl.  IV.  Bd.  Chemnitzer — 
Differenz. 
All9«M«lie  GeoffTftplil«  dei  H«iieli«i. 

Schurtz,  H.  Völkerkunde.  Xm  u  178  S. 
84  Textabb.  Leipzig  u.  Wien,  Deuticke 
1908.     JL  7.—. 

DeitseliUnd  »d  Nachbarllader. 

Rechts  und  links  der  Eisenbahn! 
Neuer  Führer  auf  den  Hauptbahnen  im 
Deutschen  Reich.  Her.  von  P.  Lang- 
hans.  Heftl.  Fischer, Hch.:  Berlin — 
Frankfurt  a.  M.  über  Eisenach.  2  K. 
81  S.  Gotha,  Justus  Perthes  1903. 
JL  —.50. 

Henkel,  Ludw.  Beiträge  zur  Geologie 
des  nordöstlichen  Thüringens.  Beil.  z. 
Jahresber.  d.  Landesschule  Pforta.  26  S. 
4  Fig.,  2  Profiltaf.  u.  1  K.  Naumburg 
a.  S.,  Sieling  1903. 

Müller,  JuL  Beiträge  zur  Morphologie 
des  Harzgebirges.  Diss.  89  S.  1  K. 
Halle  a.  S.,  Kreibohm  1908. 

Zimmermann,  F.  W.  R.  Die  Bevölke- 
rungszunahme und  die  Bevölkerungs- 
dichtigkeit des  HerzogtumsBraun  schweig 
im  19.  Jahrhundert  unter  dem  Einfluß 
der  natürlichen  und  wirtschaftlichen 
Lebensbedingungen.  Beiträge  zur  Sta- 
tistik des  Herzogtums  Braunschweig. 
Heft  XVn  66  S.,  16  Tab.  Braun- 
schweig 1908. 

Cbrifei  Kvropm. 

Dane 8,  G.  Bevölkenmgsdichtigkeit  der 
Hercegovina.     (Travaux   g^ographiques 


tch^ues.  8.  1902.  L)   71  8.   1  K.  Prag, 
Selbstverlag  1908. 

OrSßer«  Erdriui«. 
Das      überseeische      Deutschland. 
Lief.  17—20  (Schluß). 

Asien. 

Jüthner,  Jul.,  Fritz  Knoll,  Karl 
Patsch,  Hch.  Swoboda.  Vorläufiger 
Bericht  über  eine  archäologische  Expe- 
dition nach  Kleinasien,  unternommen 
i.  A.  d.  Ges.  zur  Förderung  deutscher 
Wissenschaft,  Kunst  und  Literatur  in 
Böhmen..  62  S.  16  Fig.  u.  1  K.  Pra^, 
Verl.  d.  Ges.  zur  Förderung  deutscher 
Wiss.,  Kunst  u.  Lit.  in  Böhmen  (Calve) 
1903. 

88d*AMerl]ui. 

Goeldi,  A.  Emilio.  Album  de  Aves 
Amazonicas.  2.  Fase.  Taf.  18—24.  Rio 
de  Janeiro,  Alves  &  Cie. 

6eo^T»plilieli«r  üiterrlelit, 

Kerp,  Hch.  Lehrbuch  der  Erdkunde. 
VII  u.  489  S.  65  Abb.  Trier,  Lintz 
1908.     JL  4.20. 

Der 8.  Methodisches  Lehrbuch  einer  be- 
gründend-vergleichenden Erdkunde.  — 
Einleitender  Teil:  Die  Methodik  des 
erdkundlichen  Unterrichts.  2.  Aufl.  XVI 
U.188S.  Ebda.  1902.  UK  2.76.  —  Bd.  I: 
Die  deutschen  Landschaften.  2.  Aufl. 
VIU  u.  868  S.  Ebda.  1902.  JL  3.80. 
—  Bd.  U:  Die  Landschaften  Europas. 
XV  u.  458  S.  4  Taf.  Ebda.  1900. 
JL  4.60. 

Deb  es -Wein  eck.     Schul-Atlas   för  die 


Zeitschriftenschau. 


591 


unteren  und  mittleren  ünterrichtestufen 
in  60  Karten.  Leipzig,  Wagner  u.  Debes. 
JL  8.60. 
C.  Diercke.     Schulwandkarten  in  Ober- 
einstimmung    mit     den    Dierckeschen 


1 :  200  000.    152  cm  x  187  cm.    Braun- 
schweig,  Westermann  1908.    ünauf ge- 
zogen   JL    12.  — ,    axifigez.   mit    Stäben 
JL  20.—. 
Das 8.    Palästina.    1 :  250  000.    187  cm  x 


Schulatlanten.      Provinz    Brandenburg.;      126cm,   Ebda.  JL  10. —  oder  JL  16.—. 


Zeitscbriftensehan. 


Petermanne  Mitteilungen.  1908.  8.  Heft. 
Krümm el:  Die  geographische  Verbrei- 
tung der  Wind-  imd  Wassermotoren  im 
Deutschen  Reiche.  —  Hübner:  Ins  Hoch- 
land von  Liberia.  —  Enderli:  Zwei 
Jahre  bei  den  Tschuktschen  und  Koijaken. 

—  Friederichsen:  Saposchniko  ws  Reisen 
im  russischen  Altai,  1895  und  1897—99.  — 
Hammer:  Der  Pedograph  von  Th.  Fer- 
guson. —  Mitzopulos:  Das  griechische 
Erdbeben  vom  11.  August  1908.  —  Sibi- 
riakow:  Nordenskjöld  und  der  Seeweg 
nach  Sibirien. 

Globus.  84.  Bd.  Nr.  7.  Koganei: 
Über  die  Ureinwohner  von  Japan.  — 
Fehlinger:  Die  Indianer  Kanadas.  — 
Schoetensack:  Der  durchlochte  Zier- 
stab aus  Edelhirschgeweih  von  Klein- 
Machnow.  —  Schmidt:  Beiträge  zur 
Ethnographie  von  Potsdamhafen. 

Dctss.  Nr.  8.  Koganei:  Über  die  Ur- 
einwohner von  Japan.  —  Schmidt:  Bei- 
träge zur  Ethnographie  von  Potsdamhafen. 

—  Singer:  Die  Heimkehr  der  deutschen 
Südpolarexpedition.  —  Die  Becherumen. 

—  Schauer:  Island  in  neuer  Beleuch- 
tung. 

Dass.  Nr.  9.  Henning:  Die  Ergeb- 
nisse der  Ausgrabungen  am  Beltempel 
zuNippur.  —  Wüst:  Diluviale  Salzstellen 
im  deutschen  Binnenlande.  —  Weißen- 
berg: Die  Karäer  der  Krim.  —  Von  den 
afrikanischen  Eisenbahnen  und  Eisenbahn- 
plänen. 

Dass,  Nr.  10.  Henning:  Die  Ergeb- 
nisse der  Ausgrabungen  am  Beltempel 
zu  Nippur.  —  Meerwarth:  Zur  Ethno- 
graphie der  Paraguajgebiete  und  Matto 
Grossos.  —  Gentz:  Beiträge  zur  Kennt- 
nis der  südwestafrikanischen  Völkerschaf- 
ten. —  Piechowski:  Die  schiffbaren 
Flüsse  in  Russisch-Polen. 

Deutsche  Bundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  25.  Jhrg.  12.  Hefk.  Die  bel- 
gische    Südpolarexpedition.    —    Zanie- 


towski:  Das  Vinodol  in  Kroatien.  — 
Umlauft:  Fortschritt«  der  geographischen 
Forschungen  und  Reisen  im  J.  1902  in 
Australien.  —  Lenz:  Fortschritte  etc.  in 
Afrika.  —  Hübner:  Forschungsreisen  am 
Rio  Branco. 

Geographischer  Anzeiger.  TV.  Jhrg. 
Sept.  1908.  Schwarz:  Zur  Frage  der 
geographischen  Ausflüge.  —  Schjer- 
ning:  Die  dritte  Auflage  von  Alexander 
Supans  „Grundzügen  der  physischen  Erd- 
kunde". 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Erdkun^ 
zuHäaea.S.  1908.  H  an  seh:  Matthias 
Christian  Sprengel.  Ein  geographischer 
Publizist.  —  Luedecke:  Über  die  gleiche 
geognostische  Beschaffenheit  von  Brocken 
und  Kyffhäuser.  —  Toepfer:  Der  Püste- 
rich  in  Sondershausen.  —  Halbfaß:  Über 
Einsturzbecken  am  Südrand  des  Harzes 
(1  K.).  —  Nehm  er:  Beiträge  zur  Landes- 
kunde des  Eichsfeldes  (2  K.  u.  1  Prof.- 
Taf.).  —  Toepfer:  Phänologische  Beob- 
achtungen in  Thüringen  1902. 

Meteorologische  Zeitschrift  1908.  8.  Heft. 
Kossatsch:  Die  Lage  der  Troglinie  in 
einer  elliptischen  Cyklone.  —  v.  Szalay: 
Über  Blitzphotographien.  —  Hann:  Die 
meteorologischen  Ergebnisse  der  Pola- 
Expedition  1896/96  u.  1897/98. 

Zeitschrift  für  Gewässerkunde.  1908. 
6.  Heft.  Gravelius:  Der  Einfluß  der 
Gletscher  auf  den  Wasserhaushalt  der 
Alpenflüsse.  —  Oppokow:  Zusammen- 
hang zwischen  Abflußschwankungen  in 
den  Bassins  großer  Flüsse  und  dem  Gang 
der  meteorologischen  Elemente.  —  Mey- 
thaler:  Der  Oberrhein. 

Beiträge  zur  Kolonialpolitik  und  Kolo- 
nialwirtsdiaft.  5.  Jhrg.  1.  Heft.  Anton: 
Zur  Landfrage  in  den  Kolonien.  — 
Maercker:  Die  hauptsächlichsten  Aus- 
fuhrartikel Schantungs.  —  Sander:  Die 
Tsetsefliege  in  Ostafrika.  —  Fies:  Mis- 
sion in  Togo. 


592 


ZeitBchriftenschäu. 


Boss.  2.  Heft.  y.  Härder:  Argen- 
tinien, das  Land  der  Zukunft.  —  San- 
der: Die  Tsetsefliege. 

Deutsche  Erde.  H.  1908.  Heft  8. 
Witte:  Staats-  und  Volksgrenzen  im 
19.  Jahrhundert  (1  K.).  —  Brämer:  Die 
Doppelsprachigen  in  Preußen  nach  der 
Zählung  vom  1.  Dez.  1900.  —  Weber: 
Deutsche  Spuren  in  der  Zips.  —  Hotz: 
Deutscher  Gottesdienst  in  welschen  Lan- 
den. —  Zondervan:  Deutsche  in  Lhasa, 
der  Hauptstadt  Tibets. 

Ymer.  1908.  Heft  2.  Betzius  und 
Wa Uengren:  Arkeologiska  undersök- 
ningar  i  gratton  k  Kuliaberg  i  Skäne.  ~ 
Lönborg:  Gamla  hus  och  hustyper.  — 
Grönberg:  Om  det  nyuppt&ckta  girraf- 
fartade  djurot  „Okapi".  —  Nathorst: 
Den  svenska  antarktiska  undsättnings- 
expeditionen.  —  Andersson,  Gunnar:; 
De  pägäende  antarktiska  expeditionema. 

The  GeographkalJtmmal.  1908.  Nr.  3. 
Murray:  Bathymetrical  Survey  of  the 
Freshwater  Lochs  of  Scotland.  —  Gün- 
ther: Eaith-movements  in  the  Bay  of 
Naples.  —  R^clus:  On  Spherical  Maps 
and  Reliefs.  —  Markham:  Antarctic 
Sledge  Travelling.  —  Millais:  On  some 
new  Lakes  and  a  little-known  Part  of 
Central  Newfoundland.  —  The  Vm  Inter- 
national Geographica!  Congress. 

The  ScoUieh  OeographiccU  Meigazine. 
1903.  No.  9.  Murray:  Bathymetrical 
Survey  of  the  Freshwater  Lochs  of  Scot- 
land. —  Mainprise:  Reminiscences  of 
China  after  the  Recent  Troubles.  —  The« 
German  Antarctic  Expedition.  —  TheScope 
and  Practical  Teaching  of  Geography  in 
Schools. 

La  Geographie.  1908.  No.  2.  Bons 
d'Anty:  La  navigation  ä.  vapeur  dans 
le  bassin  sup^rieur  du  Tang-tseu.  —  de 
Wybranowsky:  Le  regime  du  Dniepr. 
—   Chevalier:   Exploration  scientifique 


dans  les  £tats  de  Snoussi.  —  Froide- 
vaux:  Collection  des  ouvrages  anciens 
concemant  Madagascar. 

Ihe  National  Geographie  Magazine. 
1908.  No.  9.  Kirchhoff:  The  Mineral 
Sources  of  the  United  States.  —  Brew- 
ster:  Expedition  into  Texas  of  Fernando 
del  Bosque.  —  The  Hardy  Catalpa.  — 
Explorations  in  Tibet.  —  Smith:  Garde- 
ning  in  northem  Alaska. 

Publications  de  circonstance  No.  1  du 
conseü  permanent  international  pour  Vex- 
ploration  de  la  mer.  No.  1.  Juli  1908. 
Petersen:  How  to  distinguish  between 
mature  and  immature  plaire  throughout 
the  year.  A  preliminaiy  communicaüon 
(1  Taf.).  —  No.  2.  Juü  1908.  Knudsen: 
On  the  Standard -water  used  in  the 
hydrographical  research  until  July  1908. 
—  No.  8.  Aug.  1908.  Die  Literatur  der 
zehn  wichtigsten  Nutzfische  der  Nordsee 
in  monographischer  Darstellung  (10  Taf.). 

Aus  yersehiedenen  Zeitsehriften. 

Finsterwalder  u.  Muret:  Les  varia- 
tions  päriodiques  des  glaciers.  YHIme 
Rapport,  1902.  Ärchives  des  Sciences 
physiques  et  natureOes.  Bd.  XV  u.  XVI. 
Juni  u.  Juli  1908. 

V.  Richthofe n:  Geomorphologische  Stu- 
dien aus  Ostasien.  IV.  Über  Gebirgs- 
kettungen  in  Ostasien,  mit  Ausschluß 
von  Japan.  V.  Gebirgskettungen  im 
japanischen  Bogen  (1  K.)  Sitzungaber. 
d.  k.  preufi.  Ak.  d.  Wiss.  1908.  Stück 
XL. 

Tob  1er:  Einige  Notizen  zur  Geologie  von 
Südsumatra  (1  K.).  Verh.  d.  Natur- 
forsch. Ges.  in  Basel.  Bd.  XV,  Heft  8. 

Toula:  Der  gegenwärtige  Stand  der  geo- 
lo^schen  Erforschung  der  Balkanhalb- 
insel und  des  Orients.  (Wiener)  DetUsche 
Ztg.  Nr.  11366.  1908.  Aug.  27. 


Verantwortlicher  Herautgeber:  Prof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  Heidelberg. 


über  Land  und  Leute  der  russischen  Eolonisationsgebiete  des 
Oeneralgouyemements  Turkestan. 

Von  Dr.  Max  Fiiederiehten,  Privatdozent  der  Geographie  in  Götting^n. 
Mit  Abbildungen  nach  Originalanfiiahmen  des  Verfassers  (Taf.  11). 

Auf  dem  ersten  Deutschen  Kolonialkongreß  zu  Berlin  (10.  u.  11.  Ok- 
tober 1902),  über  dessen  auch  fOr  die  geographische  Wissenschaft  bedeutungs- 
vollen und  interessanten  Verlauf  Heft  12  des  8.  Jahrganges  dieser  Zeit- 
schrift berichtet  hat,  ist  mit  besonderem  Nachdruck  betont  worden,  daß  ein 
richtiges  Verständnis  för  die  Verwertung  und  Brauchbarkeit  einer  Kolonie 
nicht  zu  erreichen  sei  ohne  Eindringen  in  ihre  geographischen  Eigentüm- 
lichkeiten. Besonders  Hans  Meyer  hat  in  seinem  Vortrage  über:  „Die 
geographischen  Grundlagen  und  Aufgaben  in  der  wirtschaftlichen  Erforschung 
unserer  Schutzgebiete"  diese  Anschauung  energisch  vertreten  und  darauf  hin- 
gewiesen, daß  die  wissenschaftliche  Geographie  der  Kolonialpolitik  Deutsch- 
lands die  Wege  ebnen  und  mit  ihr  Hand  in  Hand  arbeiten  müsse. 

Das,  was  für  unsere  Kolonien  gilt,  gilt  in  gleicher  Weise  für  diejenigen 
fremder  Länder,  und  wenn  ein  Geograph  durch  die  Kolonisationsgebiete 
einer  fremden  Nation  reist,  so  wird  er,  wenn  ihm  um  ein  tieferes  Ein- 
dringen in  ihre  Eigenart  zu  tun  ist,  versuchen  müssen,  sich  über  die  geo- 
graphischen (einschließlich  klimatischen  und  ethnographischen)  Verhältnisse 
klar  zu  werden,  auf  welche  das  kolonisatorisch  vorgehende  Volk  in  den  be- 
treffenden Kolonialgebieten  gestoßen  ist.  Nur  so  wird  er  ein  richtiges  Ver- 
ständnis auch  diesen  fremden  Kolonien  entgegenbringen  können. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  habe  ich  im  folgenden  versucht,  das- 
jenige, was  ich  gelegentlich  einer  ydssenschaffclichen  Forschungsreise  in  den 
zentralen  Tiön-schan  im  Sommer  1902  im  Generalgouvernement  Turkestan  über 
Land  und  Leute  habe  sehen  und  beobachten  können,  oder  was  mir  aus  der 
einschlägigen  Literatur  bekannt  war,  in  nachstehendem  Aufsatz  zusanmien- 
zufassen. 

Er  gehört  also  in  die  Kategorie  der  „angewandten  Geographie",  insofern 
in  ihm  zunächst  in  großen  Zügen  erörtert  werden  soll:  wie  sehen  die  zu 
betrachtenden  Länder  geographisch-morphologisch  aus,  welches  Küma  herrscht 
in  ihnen  und  welche  Bewohner  finden  sich  dort.  Die  sich  daran  anschließende 
und  auf  Grund  des  Vorausgegangenen  kausal  zu  erklärende  Frage  ist  die: 
inwieweit  sind  diese  Gebiete  überhaupt  fttr  Kolonisation  durch  Europäer  ge- 
eignet, und  wie  hat  sie  speziell  Bußland  wirtschaftlich  verwertet? 

Unter  „Turkestan"  werde  ich  im  wesentlichen  die  Ländergebiete  Rus- 
sisch-Zentralasiens   verstehen,    welche    unter    dem  Begriff  des   gleichnamigen 

Oeogrsphitohe  Zeittohrlft.  9.Jahrg»iig.  1908.  11.  Heft  40 


594  Max  Friederichsen: 

Generalgouvernements  heute  durch  den  Ukas  vom  12.  Juni  1899  zusammen- 
gefaßt werden  und  aus  den  Provinzen  Transkaspien ,  Syr-darya,  Samarkand, 
Ferghana  und  Semirjetschensk  (=  Siebenstromland)  bestehen.  Biese  Provinz- 
grenzen sind  indessen,  weil  rein  politisch  und  absolut  ungeographisch,  für 
unsere  weiteren  Erörterungen  ein  ungeeigneter  Rahmen.  Wir  lassen  sie  da- 
her außer  Acht  imd  bedienen  uns  für  unsere  Zwecke  der  weit  natürlicheren 
Dreiteilung  des  Generalgouvernements  Turkestan  in: 

1)  Transkaspien,  zwischen  dem  Kaspisee  und  den  westlichen  Aus- 
läufern des  Titfn-schan  und  Hindukusch  bis  südlich  zu  den  nördlichsten  Rand- 
ketten Persiens  und  Afghanistans, 

2)  das  nördliche  Vorland  des  zentralen  und  westlichen  Tien- 
schan von  der  Gebirgsabdachung  bis  zum  Hügelland  der  sogenannten  „Kir- 
gisensteppe" an  der  Südgrenze  Westsibiriens  und 

3)  das  Gebirgsland  des  zentralen  und  westlichen  Ti^n-schan  und  des 
Pamir-Alai. 

Von  dem  letztgenannten  dieser  natürlichen  Gebiete  Turkestans,  dem 
Pamir-Alai,  wird,  weil  es  dem  Verfasser  persönlich  unbekannt,  auch  vorwiegend 
von  politischer  und  nur  untergeordneter  wirtschaftlicher  Bedeutung  ist,  hier 
überhaupt  nicht  die  Rede  sein,  während  Teile  des  Tiön-schan,  soweit  sie 
von  Interesse  sind,  mit  in  die  Betrachtung  hineingezogen  werden  sollen. 

1.  Morpholofrische  OmndjEfige. 

a.  Transkaspien. 

Transkaspien  in  genannten  Grenzen  ist  vorwiegend  Wüstenland,  so  pflegt 
man  gemeiniglich  zu  glauben.  Zu  weitaus  größtem  Teile  dürfte  dem  so  sein 
und  Transkaspien  in  der  Tat  als  Teil  jenes  großen  Wüstengürtels  aufgefaßt 
werden  dürfen,  welcher  sich  zwischen  den  Tropen  und  der  gemäßigten  Zone 
um  den  ganzen  Erdball  schlingt,  und  dessen  Eigenart  in  letzter  Zeit  die 
wissenschaftliche  Geographie,  besonders  im  Verfolg  der  grundlegenden  und 
anregenden  Arbeiten  von  Johannes  Walther,  eifrig  zu  ergründen  versucht 
hat.  Das  Resultat  dieser  modernen  Wüstenstudien  war,  daß  sich  die  ur- 
sprünglich als  so  monoton  und  einförmig  verschrieene  Wüstenlandschaffc  in 
eine  ganze  Reihe  wohlunterschiedener  Einzelformen  auflöste,  deren  drei  wich- 
tigste: die  Fels-  und  Kies  wüste,  die  Lehm-  und  Salzwüste,  die  Sandwüste 
der  Reisende  auch  in  Transkaspien  in  typischer  Weise  studieren  kann,  sei  es, 
daß  er  auf  dem  Rücken  des  Kamels,  oder  auf  den  Bänken  der  transkaspischen 
Eisenbahn  das  Land  durchzieht. 

Der  erste  der  genannten  Typen,  die  Felswüste,  tritt  dem  Reisenden 
bereits  in  der  Umgegend  des  heutigen  Ausgangspimktes  der  transkaspischen 
Bahn,  um  Kraßnowodsk,  sowie  im  Bereich  des  von  dieser  Stadt  aus 
streng  südöstlich  und  unmittelbar  nördlich  des  Bahnkörpers  hinziehenden  Ge- 
birgszuges des  Großen  Baichan  entgegen.  Dieselben  Erscheinungen  der 
Wüstendenudation,  wie  sie  uns  die  moderne  Forschung  aus  den  Felswüsten 
Afrikas  und  Nord-Amerikas  kennen  gelehrt  hat,  finden  wir  hier  wieder.  Die 
ragenden  Felswände  und  abgestürzten  Blöcke  sind  überzogen  von  jener  eigen- 
tümlichen   schwarzen,    wie    Metall    glänzenden  Verwitterungskruste,    welche 


Land  und  Leute  des  Generalgouvernements  Turkestan.         595 

man  bezeichnenderweise  als  „Wüstenlack"  gekennzeichnet  hat.  Durch  die 
kolossalen  Differenzen  zwischen  der  hohen  Hitze  des  Tages  und  der  starken 
Abkühlung  in  der  Nacht  ist  das  Gestein  tiefgreifend  zertrümmert;  8chuppen 
lösen  sich  ab  wie  die  Blätter  eines  Kohlkopfes;  klaffende  Bisse  zerklüften  das 
Gesteinsmaterial  in  radialen  Sprüngen;  durch  die  Zusammenarbeit  der 
chemischen  Verwitterung  und  der  äolischen  Denudation  werden  tiefe  Höh- 
lungen im  anstehenden  Fels  geschaffen;  kurzum  unter  der  Einwirkung  des 
eigenartigen  Wüstenklimas  wird  eine  Unmasse  von  Gesteinsgrus  geschaffen, 
welcher  bei  der  gleichzeitigen  absoluten  Vegetationslosigkeit  der  Felswüste 
dem  Weitertransport  durch  die  Atmosphärilien,  besonders  durch  Regen  und 
Wind,  in  intensivster  Weise  unterliegen  muß.  Beide  atmosphärischen  Agen- 
tien  aber  pflegen  in  der  Wüste,  wenu  sie  auftreten,  sofort  mit  elementarer 
Wucht  als  Orkan  und  Wolkenbruch  einzusetzen  und  daher  in  der  mit  losem 
Yerwitterungsschutt  überlasteten  Felswüste  leichtes  Spiel  zu  haben  und  radikal 
zu  wirken.  Der  Wüstenwind  peitscht  allen  Staub  und  Verwitterungsgrus 
zwischen  den  Blöcken  und  Gesteinstrünamem  der  Felswüste  heraus,  treibt 
ihn  gegen  die  benachbarten  Felsen,  glättet  und  schrotet  diese  wie  ein  natür- 
liches Sandgebläse  und  fegt  die  Oberfläche  der  Felswüste  völlig  frei  von 
Detritus.  Der  Gewitterregen  seinerseits  rafft  den  lockeren  Schutt  zusanamen, 
welcher  sich  besonders  im  Hintergrund  der  Trockentäler  (Abb.  l),  die  blind 
endend  und  ohne  Wasser  die  Fels^rüste  durchziehen,  ansammelt,  wälzt  ihn 
in  schlammigem  Strom  kurze  Strecken  vor  sich  hin;  das  Wasser  verdunstet 
dann  und  läßt  den  Detritus,  vne  ein  Fluß  den  Schlamm  seines  Deltas,  an 
der  Ausmündung  der  Trockentäler  in  Form  von  Detrituskegeln  liegen.  Fährt 
man  mit  der  Bahn  an  den  völlig  vegetationslosen,  den  inneren  Aufbau  aus 
wechselnden  braungelben  Sandsteinen  und  rötlichen  bis  grünlichen  Mergel- 
zwischenschichten klar  bloßlegenden  Steilab^llen  des  Baichan  von  Kraßno- 
wodsk  aus  entlang,  so  sieht  man  überall  diese  Schuttkegel  aus  den  Trocken- 
schluchten hervorquellen  und  den  Gebirgsfuß  in  Schutt  begraben  (Abb.  2). 

Je  weiter  man  sich  mit  der  Bahn  von  dieser  Felswüste  am  Rande  des 
Großen  Baichan  entfernt,  je  mehr  beginnt  die  Kieswüste  an  ihre  Stelle  zu 
treten.  Die  Schuttdeltas  breiten  sich  horizontal  mehr  und  mehr  aus  und 
entwickeln  sich  zu  weiten  Kiesfeldem,  deren  einzelne  Steinchen,  vom  schwarzen 
„Wüstenlack"  überzogen,  dem  Ganzen  einen  höchst  düsteren  und  traurigen 
Anstrich  verleihen,  der  nicht  verdrängt  werden  kann  von  den  matten  grau- 
grünen Farbentönen  der  wenigen,  weit  voneinander  stehenden  und  imter  dem 
Einflüsse  des  ungünstigen  Klimas  an  Blättern  armen,  aber  an  Stacheln  reichen 
Wüstenkräutem  Auch  diese  Kieswüste  steht  imter  dem  Einfluß  von  Wind 
imd  Regen.  Der  Wind  freilich  vermag  ihre  schweren  Kiesel  nicht  mehr  zu 
heben,  nur  ringsum  von  Sand  freizublasen  und  so  schließlich  doch  noch  in 
eine  langsam  rollende  Bewegung  zu  bringen.  Dadurch  arbeitet  er  dem  Wasser 
vor,  welches  nun  im  Falle  des  Eintretens  eines  Platzregens  diese  freigeblasenen 
Kiesel  leicht  in  Bewegung  setzt  und  in  einer  Geröllflut  streckenweise  zu 
verfrachten  vermag. 

Entfernt  sich  die  transkaspische  Bahn  im  Bestreben,  das  Vorland  der 
nordpersischen  Randketten   zu   erreichen,   noch   weiter  vom  Baichan  imd   der 

40* 


596  Max  FriederichseA: 

Kies  wüste  seines  Fußes,  so  tritt  sie  ein  in  eine  neue  Wüstenform,  die  Lehm- 
und  Sal^wüste.  Diese  bildet  sich  in  Transkaspien  da,  wo  die  periodisch 
oder  dauernd  vom  höheren  Oebirge  der  Randketten  abströmenden  Wasser  ver- 
siegen und  die  feinsten  noch  mittransportierten  Schlammteilchen  und  die 
chemisch  gelösten  Balze  gemftB  der  immer  geringer  werdenden  Transportkraft 
der  verdunstenden  und  nur  periodisch  fließenden  Begenbftche  sich  ablagern. 
Das  sind  die  sogenannten  „Takyrböden^  Transkaspiens,  die  im  Blumenschmuck 
des  Frühlings  das  Auge  erfreuen,  im  dürren  staubigen  Sommerkleid  aber  den 
Beisenden  entsetzen.  Sie  bereiten  in  ihrer  einförmigen  trostlos  abwechslungs- 
leeren Öde  vor  auf  den  dritten  und  letzten,  ^eichzeitig  aber  auch  furchtbar- 
sten Wüstentjpus  Transkaspiens,  die  Sandwüste. 

Hier  in  dieser  Sandwüste,  welche  weithin  das  Innere  Transkaspiens  be- 
deckt, spielt  bereits  das  Wasser  als  umgestaltendes  und  formengebendes  Ele- 
ment kaum  mehr  eine  Rolle.  Lediglich  der  Wind  ist  hier  am  Werk.  Die 
Sandwüste  ist  eine  absolut  äolische  Bildung.  Kara-kum  (d.  h.  schwarzer  Sand) 
heißt  diese  trostlose  Sand  Wüstenei,  durch  welche  sich  zwischen  Merw  und 
Buchara  die  transkaspische  Bahn  hindurchkämpfen  muß  und  deren  Eigentüm- 
lichkeiten die  Winde  bestimmen.  Nicht  lange  und  weit  sich  hinziehende 
Sand  wälle  wie  in  der  libyschen  Wüste  sind  ihr  Charakteristikum,  sondern 
die  als  „Barchane^^  bekannten  halbmondförmig  geschwungenen  Sicheldünen, 
deren  Gestalt  je  nach  dem  vorherrschenden  Winde  variiert.  Von  Mitte  Februar 
bis  Oktober,  also  im  ganzen  Sommer,  bedingt  der  aus  Norden  wehende 
Wind  Ausbildung  der  Sichelarme  nach  Süden  und  steilen  unter  35^  geneigten 
Absturz  nach  der  gleichen  Himmelsrichtung.  Er  läßt,  wie  die  Untersuchungen 
der  russischen  Ingenieure  am  transkaspischen  Bahndamm  erwiesen  haben,  den 
Sand  um  18  m  gen  Süden  wandern^).  Im  Winter  dagegen,  vom  Oktober 
bis  Januar,  springt  der  Wind  um,  bläst  nun  konstant  aus  Süden  und  ver- 
anlaßt ein  völliges  Umkrempeln  der  Arme  der  Sicheldünen  nach  Norden.  Da 
er  schwächer  und  kürzere  Zeit  weht,  wandern  unter  seinem  Einfluß  die  losen 
Triebsandmassen  nur  12  m  zurück,  sodaß  in  jedem  Jahr  6  m  Triebsand  von 
dem  Bahndamm  der  transkaspischen  Linie  femgehalten  werden  müssen,  was 
heute  mit  Erfolg  geschieht  durch  Anpflanzen  der  typischen  Wüstensträucher 
des  Saxäul  {Hdloxylon  ammodendron).  Seine  sperrigen,  kahlen  Büschel  sieht 
man  in  einer  5  km  breiten  Zone  heute  diese  technisch  schwierigste  und  land- 
schaftlich ödeste  Strecke  der  transkaspischen  Bahn  begleiten,  imd  sein  knor- 
riges, stahlhartes  und  unter  großer  Hitzeentwicklung  verbrennendes  Wurzel- 
werk liegt  überall  in  großen  Haufen  nahe  den  Stationen,  welche  einsam  als 
letzte  Vorposten  der  Kultur  in  dieses  Sandmeer  vorgeschoben  sind. 

Alles  Wasser  von  den  imiliegenden  Gebirgen  versiegt  in  dieser  Band- 
wüstenei der  Kara-kum  mit  einziger  Ausnahme  des  Amu-darya,  des  Oxus 
der  Alten,  an  dessen  Ufern  bereits  Alexander  der  Große  gestanden  hat  und 
den  heute  die  Russen  in  einer  5  km  langen  eisernen  Brücke  (an  Stelle 
der  alten  Annenkowschen  Holzbrücke)   überwunden  haben.     Schokoladebraun 

1)  Vgl.  Walther.  Gesetz  der  Wüstenbildung.  Berlin,  D.  Reimer  1900.  S.  122. 
Ders.    Verh    d.  Ges.  f.  Erdkde.    Bd.  26.    1898.    S.  68. 


Land  und  Leute  des  Generalgouvernements  Turkestan.         597 

wälzt  der  selbst  inmitten  dieser  trostlosen  Wüstenei  noch  majestätische  Strom 
in  völlig  flacher  Umgebung  und  durch  schlammige  Liseln  in  zahllose  Arme 
geteilt  seine  Wasser  unter  den  Bögen  der  Eisenbahnbrücke  dahin.  Und 
doch  erschlaflPb  auch  er  weiterhin  im  Kampfe  mit  der  Unbill  des  Wüsten- 
klimas und  endet  frühzeitig  im  verdampfenden  Becken  des  Aral-Sees.  Die 
wandernden  Sandmassen  der  Kara-kum  erseheinen  auch  an  seinen  Ufern,  ja 
überschreiten  sogar  seine  Fluten  und  dringen  gegen  sein  belebendes  Naß  ge- 
nau so  todbringend  vor,  wie  gegen  die  transkaspische  Bahn  und  vor  allem 
gegen  die  gesegneten  Distrikte  der  Lößoasen,  welche  überall  an  der  Peri- 
pherie Transkaspiens  zwischen  Wüste  und  umgebendem  Gebirge  als  letzte 
typische  morphologische  Zone  Transkaspiens  auftreten.  Ihr  Vorhandensein  ver- 
dankt diese  nach  den  Anschauungen  der  modernen  Forschung  dem  gleichen 
Wüstenwind,  welcher  die  toten  Sandmassen  des  Inneren  Tran^aspiens  auf- 
türmte. Er  trug  das  allerfeinste,  nur  langsam  sinkende  Staubmaterial  der 
Gesteinsverwitterung  an  den  Fuß  der  umgebenden  Gebirgszüge  imd  häufte 
hier  in  unendlichen  Zeiten  jene  mächtigen  Massen  ungeschichteten  gelben 
Lehms  auf,  welchen  man  hier,  wie  in  den  analogen  Gegenden  Chinas,  als 
Löß  bezeichnet.  Ist  er  genügend  natürlich  oder  künstlich  bewässert,  so  be- 
dingt er  die  Fruchtbarkeit  jener  Kulturlandschaften  an  der  Peripherie  Trans- 
kaspiens, zu  denen  die  Oasen  der  Turkmenen  nördlich  der  persischen  Rand- 
ketten, die  Bezirke  der  Städte  Buchara  und  Samarkand  an  den  Ausläufern 
des  Alai,  das  fruchtbare  Ferghanabecken  und  die  Oasenbezirke  von  Taschkent 
und  Umgebung  am  Fuße  der  westlichen  Ausläufer  des  Uimmelsgebirges  in 
erster  Linie  gehören. 

b.  Nördliches  Vorland  des   westlichen   und   zentralen   Tiön-schan. 

Die  vorstehend  in  großen  Zügen  charakterisierten  morphologischen  Grund- 
tjpen  der  Landschaft  Transkaspiens  kehren  im  großen  und  ganzen  auch  im 
nördlichen  Vorland  des  westlichen  und  zentralen  Tien-schan  wieder. 

Auch  hier  liegt  zwischen  dem  Tiön-schan  im  Süden  und  der  sogenannten 
Kirgisensteppe  im  Norden  ein  Wüstengürtel  mit  den  gleichen  Typen  der 
Fels-,  Kies-,  Lehm-  und  Sandwüste. 

So  begleiten  den  nordwestlich  aus  dem  TiiJn-schan  hervortretenden  Kara- 
tau  die  Sande  Mujun-kum,  in  welchem  der  Tschu  genau  so  versandet,  wie 
der  Murgab  hinter  der  Oase  Merw  in  den  Sauden  der  Kara-kum.  Vor  den 
zentralen  Gebirgsteilen  des  Tiön-schan  liegen  die  Sandwüsten  Tau-kum, 
Ljuk-kum  u.  a.  Als  Pendant  zum  Binnenbecken  des  Aral-Sees  erscheint  der 
abflußlose  Balkasch-See,  in  welchem,  wie  dort  im  Aral-See  der  Amu-  und  Syr-dary a, 
hier  der  Ili  und  die  Abflüsse  des  dsungarischen  Ala-tau  versiegen.  Auch  das 
Ferghanabecken  Transkaspiens  findet  um  Kuldscha  nach  Gestalt,  morphologischer 
Oberflächenform  und,  wie  wir  später  sehen  werden,  Kulturwert  ein  völliges 
Analogen.  Nur  die  Lößzone  am  Gebirgsfuß  an  der  Peripherie  der  Wüsten 
tritt  in  beiden  Gebieten  in  äußerlich  verschiedener  Form  in  die  Erscheinung. 
Gut  und  seit  alters  berieseltes  und  besiedeltes  Oasenland  stellt  diese  Zone 
eigentlich  nur  im  Ilibecken  dar,  sonst  bildet  sie  an  den  Hängen  des  Tien- 
schan den  Untergrund  für  eine  imunterbrochene  Zone  von  Wiesensteppen, 


598  Max  Friederichsen: 

wie  sie  in  dieser  ausgeprägten  Form  Transkaspien  fehlt.  In  einer  fast  zwei- 
wöchentlichen  Postfahrt  in  dem  wegen  seiner  Federlosigkeit  und  ftlr  West- 
europäer unglaublich  primitiven  Ausrüstung  gefOrchteten  russischen  Tarantaß 
habe  ich  zwischen  Taschkent  und  Wjemyj  diese  Steppenzone  zwischen  Ge- 
birgsfiiß  und  Wüste  hinreichend  kennen  gelernt  und  mich  davon  überzeugen 
können,  daB  nur  die  ragenden  Schneezinnen  der  Alexanderkette,  des  trans- 
ilensischen  Ala-tau  oder  des  dsungarischen  Ala-tau  im  Hintergrund  dieser 
Steppe  für  ihre  eigene  landschaftliche  Eintönigkeit  einigermaßen  zu  ent- 
schädigen vermögen.  Besonders  im  Hochsommer,  wenn  alles  Gras  und  alle 
Blumen  knochentrocken  und  verdorrt  sind,  wenn  der  Lößstaub  des  Steppen- 
untergrundes von  jedem  Hufschlag  in  dichten  Wolken  emporgewirbelt  wird 
und  in  die  feinsten  Poren  der  Haut,  in  Augen,  Mund,  Nase  und  Ohren  ein- 
dringt, dann  vermag  man  kaum  die  begeisterten  Steppenschilderungen  zu 
verstehen,  welche  besonders  russische  Dichter  uns  vielfach  geliefert  haben. 

Ganz  anders  ist  es  im  Frühling,  wenn  ein  Blumenteppich  in  prächtigen 
Farben  die  ganze  Steppe  überzieht,  wenn  alles  blüht  und  duftet!  Dann  finde 
auch  ich  die  Steppe  schön  und  gern  erinnere  ich  mich  der  Bilder  aus  jenen 
Maitagen  des  vorigen  Jahres,  wie  sie  mir  an  vielen  Punkten  der  Steppe  am 
Nordfuß  des  zentralen  Ti{fn-schan  auf  meiner  einsamen  Steppenfahrt  von 
Taschkent  nach  Wjemyj  vor  Auge  und  Seele  traten.  Saftig  grünes  Gras, 
tiefroter,  feurigglühender  Mohn,  hellblaue  Vergißmeinnicht,  schlanke  Königs- 
kerzen, gelbes  Labkraut,  rotviolette  Kukuksnelken,  Löwenmaul  und  tausender- 
lei andere  Gräser  und  Blumen  bildeten  gemeinsam  einen   herrlichen  Teppich. 

Schön  auch  ist  diese  Steppe  am  Fuße  der  Berge  bei  Abend,  wenn  flim- 
mernd und  zitternd  die  letzten  Strahlen  der  Sonne  über  sie  hinweggleiten, 
sie  in  feurige  Glut  tauchen  und  der  Himmel  in  nie  gesehenen  Tinten  mannig- 
fach wechselnd,  langsam  verblaßt. 

2.  Klimatische  OrimdKflge. 

Alles  in  allem  ist  demnach  ein  großer  Teil  des  Generalgouvernements 
Turkestan,  zu  welchem  auch  die  hier  nicht  näher  zu  besprechenden,  weil 
für  eine  ausgedehntere  kolonisatorische  Besiedelung  belanglosen  eigentlichen 
Hochgebirgsstrecken  des  Tiön-schan  und  Pamir- Alai  gehören,  ein  ödes  Wüsten-, 
Steppen-  und  Felsengebirgsgebiet,  und  wenn  man  die  später  noch  näher  zu 
erörternden  Oasendistrikte  an  den  Gebirgshängen  diesen  Wüsten,  Steppen  und 
Felsengebirgen  prozentualisch  gegenüberstellt,  so  erhält  man  nur  einen  höchst 
unbedeutenden  Teil  des  Gesamtareals  von  Turkestan  als  angebautes  Kulturland. 

Was  ist  der  Grund  dieser  Verhältnisse?  Warum  sieht  das  Land  weithin 
so  trostlos  und  öde  aus?  Die  Antwort  lautet,  weil  es  klimatisch  so  un- 
günstig gestellt  ist.  Wüste  und  Steppe  sind  als  Oberflächenformen  unserer 
Erde  vorwiegend  klimatisch  bedingt. 

Diese  klimatische  Ungunst  Turkestans  charakterisiert  sich  auf  Basis 
unserer  klimatologischen  Kenntnisse  dieses  Gebietes  vor  allem  durch  folgende 
Faktoren:  geringe  Niederschläge,  exzessive  Sommerhitze,  große  tägliche  und 
jährliche  Temperaturschwankungen  und  vor  allem  einen  beträchtlichen  Über- 
schuß der  Verdunstung  über  die  Niederschläge. 


Land  und  Leute  des  Generalgouvernements  Turkestan.  599 

Betrachtet  man  eine  moderne  Niederschlagskarte  der  Erde^),  sg  wird 
man  an  der  Stelle  Transkaspiens  imd  des  Vorlands  des  westlichen  und  zen- 
tralen Tiön-schan  die  nicht  sehr  viel  versprechende  Bezeichnung  „dauernd 
regenarm^'  eingetragen  finden,  d.  h.  in  Zahlen  ausgedrückt,  dauernd  unter 
250  mm  jahrlicher  Regenmenge.  Verschlimmert  wird  dieser  Umstand  da- 
durch, daß  diese  unbedeutenden  Niederschläge  noch  dazu  im  Winter  fallen. 
Im  Sommer  aber,  wenn  die  Wasserflächen  der  hauptsächlich  als  Feuchtigkeits- 
spender in  Betracht  konmaenden  Binnenmeere  des  Kaspi-  und  Aral-Sees  am 
kräftigsten  verdampfen,  kann  die  hochgradig  erhitzte  Luft  so  ungeheure 
Feuchtigkeitsmassen  aufnehmen,  daß  ohne  Niederschlag  zu  bilden  alle  Ver- 
dunstungsfeuchtigkeit von  ihr  absorbiert  wird.  Diese  heiße,  mit  Feuchtigkeit 
beladene  Sommerluft  Transkaspiens  kouunt  unter  dem  Einfluß  der  sommer- 
lichen N-  und  NW-Winde  Transkaspiens  beim  Aufsteigen  an  den  Randgebirgen 
zur  Abkühlimg  und  zum  Niederschlag,  und  so  kommt  es,  daß  auf  Kosten 
des  verdunstenden  Aral-  und  Kaspi-Sees  diese  Gebirge  im  Bereich  des  tur- 
kestanischen  Generalgouvernements  im  Sommer  Feuchtigkeitsinseln  innerhalb 
klimatischer  Trockengebiete  darstellen,  also  eine  völlig  umgekehrte,  im  Som- 
mer gelegene  Regenperiode  besitzen.  Und  das  ist  fär  die  randlichen  Oasen- 
distrikte Transkaspiens  imd  deren  natürliche  und  künstliche  Bewässerung  von 
allergrößtem  Einfluß.     Es  ist  das  Geheimnis  ihrer  Existenzmöglichkeii 

Eine  Folge  der  für  die  hochgradig  erhitzte  Luft  Transkaspiens  und  der 
nördlichen  Vorlande  des  westlichen  und  zentralen  Tit?n-schan  viel  zu  geringen 
Feuchtigkeitszufuhr  im  Sommer  ist  die  große  Zahl  völlig  heiterer  Tage  zu 
dieser  Jahreszeit,  die  in  der  Nacht  wiederum  eine  starke  Ausstrahlung  be- 
günstigen und  so  die  eigentümlich  starken  Schwankungen  zwischen  der  Tem- 
peratur von  Tag  und  Nacht,  sowie  Sonuner  und  Winter  bedingen  mit  ihrer 
Einwirkung  auf  die  früher  erörterte  Gesteins  Verwitterung. 

Der  wichtigste  klimatische  Faktor  aber  für  die  Erklärung  des  heutigen 
und  zukünftigen  Zustandes  des  Generalgouvernements  Turkestan  ist  das  Ver- 
hältnis der  Verdimstung  zu  den  Niederschlägen,  und  das  ist  nicht  nur  in 
den  Wüsten-  und  Steppenzonen  Transkaspiens  und  des  Tien-schan- Vorlandes, 
sondern  auch  in  den  feuchteren  Regionen  des  Hochgebirges  selber  zweifellos 
ungünstig  und  wird  immer  ungünstiger.  Dafür  spricht  nicht  nur  das  nach- 
weisbar schnelle  Austrocknen  transkaspischer  Seen,  wde  z.  B.  des  Aral-  imd 
Balchasch-Sees,  sondern  auch  das  Einschrumpfen  des  Issyk-kul  im  zentralen 
Tien-schan,  dessen  alte  Terrassen  von  mir  gelegentlich  unserer  Expedition  in 
das  Hochgebirge  an  verschiedenen  Stellen  begangen  wurden.  Schließlich 
spricht  für  dieses  immer  trockener  werdende  Klima  Turkestans  auch  das 
deutliche  und  intensive  Abschmelzen  der  Gletscher  des  Tiön-schan,  wie  ich 
es  in  zentralen  Teilen  des  Gebirges  in  einer  Deutlichkeit  habe  nachweisen 
können,  die  keine  Zweifel  zuläßt  und  gelegentliche  ältere  Beobachtimgen  in- 
tensiv ergänzt,  so  daß  es  heute  kaimi  mehr  einem  Zweifel  unterliegen  kann, 
daß  in  nicht  allzu  femer  Vergangenheit  der  Tiön-schan  Talgletscher  gehabt 
hat  von   einer  Größe   und  Mächtigkeit,   die  kaum  hinter    den   analogen  Bil- 


1)  Z.  B.  Supans  Karte  in  Pet.  Mitt.    Ergbd.  124.  1898. 


600  Max  FriederichBen: 

düngen   in    gewissen   eiszeitlichen    Gletscherperioden    unserer   Alpen    zurück- 
stehen dürften. 

8.  Die  Rossen  als  Kolonisatoren  in  Tnrkestan. 

Damit  wären  die  Hauptbeweise  für  die  klimatische  üngxmst  Turkestans 
und  somit  auch  für  die  Naturnotwendigkeit  seines  vorwiegenden  heutigen 
Wüsten-  und  Steppencharakters  geliefert,  und  es  früge  sich  jetzt,  welche  Teile 
dieser  Länder  kommen  demnach  wirtschaftlich  für  eine  russische  Kolonisation 
in  Betracht,  und  da  bleiben  in  der  Tat  vom  ganzen  Generalgouvernement 
Tnrkestan  eigentlich  nur  die  von  den  umliegenden  Gebirgen  hinlänglich  mit 
Wasser  bedachten  Randzonen  übrig,  während  das  Innere  Transkaspiens  und 
die  Hochgebirge  des  Ti6n-schan  und  Pamir-Alai  als  vorwiegend  unwirtlich 
und  nur  in  gewissen  Teilen  von  Nomaden,  in  ganz  wenigen  (wie  z.  B.  der 
Umgebung  des  Issyk-kul)  von  kolonisierenden  Russen  bewohnbar,  unmittelbar 
auszuschalten  sind. 

Bei  Besprechung  dieser  randlichen  Kulturzonen  möchte  ich  wiederum  die 
Lößdistrikte  Transkaspiens  von  denen  des  nördlichen  Vorlandes  des  zentralen 
und  westlichen  Tißn-schan  scheiden  und  mich  zunächst  einer  Erörterung  der 
ersteren  zuwenden. 

a.    Die  transkaspische  Lößzone. 

In  der  Lößzone  Transkaspiens,  besonders  an  dem  Fuß  der  Gebirgsaus- 
läufer des  Tißn-schan  und  Pamir-Alai  ist  der  Russe  als  Kolonisator  einge- 
drungen in  schon  seit  alters  bebaute,  kompliziert  und  kunstvoll  bewässerte 
und  von  einer  alteingesessenen,  unter  dem  Einfluß  einer  Jahrhunderte  alten 
mohammedanischen  Kultur  stehenden  Bevölkerung  dicht  bewohnte  Gebiet«. 
Er  hat  sich  angesiedelt,  wo  er  diese  Bevölkerung  seßhaft  fand.  So  entstand 
neben  dem  sartischen  Alt-Samarkand  ein  russisches  Neu-Samarkand,  neben 
Alt-Buchara  ein  Neu-Buchara,  neben  dem  sartischen  Taschkent  ein  russisches 
Taschkent.  Und  zwar  siedelten  sich  in  diesen  russischen  Neugründungen  der 
Natur  der  Dinge  nach  in  erster  Linie  Militärs,  Beamte  und  vor  allem  Kauf- 
leute an.  Es  begann  durch  der  letzteren  Arbeit  ein  Import  russischer  und 
europäischer  Waren  und  ein  Export  der  von  der  einheimischen  Stadtbevölkerung 
erzeugten  Produkte  des  einheimischen  Gewerbes,  besonders  von  Seiden-  imd 
Baumwollgeweben,  von  Leder-  und  Metallarbeiten  und  ähnlichem.  Diese  durch 
die  seit  den  Feldzügen  der  Generäle  Tschern ajew  und  von  K auf f mann  in 
den  60  er  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  (Einnahme  Taschkents  1865, 
Samarkands  1868)  eingeleitete  Kolonisierung  Turkestans  und  kaufmännische 
Ausnutzung  hat  nun  einen  bedeutenden  Aufschwung  genommen,  als  Rußland 
im  Jahre  1888  mit  dem  Bau  der  transkaspischen  Eisenbahn  bis  Samar- 
kand  vordrang.  Es  sind  ja  bekannte  Tatsachen,  an  die  hier  nur  kurz 
erinnert  werden  soll,  daß  diese  wichtige  Schienenlegung  im  Grunde  militä- 
rische Zwecke  verfolgt  hatte  und  unmittelbar  veranlaßt  worden  war  durch 
den  Turkmenenaufstand  des  Jahres  1881,  zu  dessen  Niederwerfung  General 
Skobelew  den  Bau  einer  Bahn  von  den  russischen  Kolonien  am  Kaspischen 
Meere  in  die  transkaspischen  Wüstengebicte  verlangt  hatte.     General  Annen- 


Land  und  Leute  des  Generalgouvernements  Turkestan.         601 

kow  wurde  bekanntlich  mit  dieser  schwierigen  Aufgabe  betraut  nnd  löste  sie 
glänzend.  Wenngleich  auch  der  Turkmenenaufstand  durch  den  Fall  der  Feste 
Gök-tepe  (18.  Januar  1881)  bereits  entschieden  war,  ehe  die  Schienen  vom 
Kaspischen  Meere  aus  auch  nur  die  persischen  Randketten  erreicht  hatten,  so 
'hatte  doch  schon  das  fertige  Stück  für  Verproviantierung  der  Truppen  und 
Rücktransport  der  Verwundeten  großen  Nutzen  gebracht,  der  nach  Pazifizie- 
rung  Transkaspiens  und  Weiterführung  der  Bahn  zunächst  bis  Samarkand 
der  Kolonisation  Turkestaus  sehr  zu  statten  kam.  Heute  endigt  diese  unter 
den  größten  technischen  Schwierigkeiten  gebaute  Bahn  bereits  lange  nicht 
mehr  in  Samarkand.  Man  hat  sie  bis  Taschkent  weitergeführt  und  in  die 
fruchtbaren  Baumwolldistrikte  Ferghanas,  in  welchen  letzthin  auch  wertvolle 
Erdölvorkonunen  gefunden  sein  sollen,  eine  Stichbahn  bis  zur  Stadt  Andidschan 
gelegt.  Auch  eine  militärisch  höchst  wichtige  Abzweigung  nach  Kuschk  an 
der  Grenze  Afghanistans  ist  im  Betriebe,  so  daß  heute  im  ganzen  auf  dieser 
Bahn  über  2500  km  Schienen  in  Benutzung  sind.  Dazu  kommt,  daß  man 
im  Augenblick  bereits  eifrig  am  Bau  der  Bahn  Taschkent-Orenburg  arbeitet, 
um  auf  diese  Weise  die  zentral-asiatische  Linie  an  das  europäisch-russische 
Eisenbahnnetz  Orenburg-Samara  anzuschließen,  was  für  die  Nutzbarmachung 
der  natürlichen  Reichtümer,  besonders  des  Ferghana-Beckens,  von  größter 
Bedeutung  sein  wird.  Auch  eine  Weiterführung  der  Linie  von  Taschkent 
am  Nordfuß  des  Ti^n-schan  über  Wjemyj  nach  Semipalatinsk  und  weiter  bis 
Omsk  zum  Anschluß  an  die  große  sibirische  Eisenbahn  dürfte  lediglich  eine 
Frage  der  Zeit  sein.  Es  bedarf  daher  kaum  einer  Betonung,  daß  nicht  nur 
die  bestehenden,  sondern  auch  die  im  Bau  bereits  begriffenen  oder  projek- 
tierten Schienenwege  Turkestans  fttr  die  Hebung  des  Handels  in  diesen  russi- 
schen Kolonisationsgebieten  nach  den  verschiedensten  Richtungen  von  größter 
Bedeutung  sein  müssen.  Um  nur  eins  anzuführen,  hatte  sich  der  Export  von 
Baumwolle  aus  Turkestan  nach  dem  europäischen  Rußland  von  jährlich 
9  680  000  kg  vor  Fertigstellung  der  transkaspischen  Bahn  auf  beispielsweise 
98  280600  kg  im  Jahre  1897  gehoben,  und  heute  wird  diese  Steigerung  noch 
weit  bedeutender  sein. 

Diesen  kaufmännischen  Interessen  der  kolonisierenden  Russen  gegenüber 
kann  die  Verwertimg  des  Ackerbodens  der  turkestanischen  Lößzone  durch 
Feldbau  abseiten  zuwandernder  russischer  Kolonisatoren  kaum  ins  Gewicht 
fallen.  In  letzterer  Beziehung  wird  der  Russe  stets  gegenüber  dem  altein- 
gesessenen Eingeborenenelement  stark  ins  Hintertreffen  geraten.  Daher 
kommt  es  denn,  daß  der  im  transkaspischen  Lößgebiet  kolonisierend  einge- 
drungene Russe  den  mühseligen  und  nur  durch  die  geduldigste  Bewässerungs- 
arbeit mit  Erfolg  zu  betreibenden  Feld-,  Garten-  und  Obstbau  vorwiegend 
dem  Eingeborenen  überläßt,  welcher  in  unverdrossener  Arbeit  Reis,  Getreide, 
Hülsenfiüchte,  Gewürz-,  Futter-  und  Gewebepflanzen  anbaut,  während  der 
Russe  die  Produkte  dieser  Landbearbeitung  aufhäuft  und  kaufinännisch  weiter 
verwertet.  Schwerlich  würde  ein  russischer  Ackerbauer  mit  diesen  genüg- 
samen uftd  an  das  heiße,  trockene  Klima  von  Jugend  an  gewöhnten  Ein- 
geborenen zu  konkurrieren  vermögen.  Auch  würde  bei  der  bereits  vorher 
angedeuteten,  immer  weiter  fortschreitenden  Austrocknung  Turkestans,    und 


602  Max  Friederichsen: 

bei  der  sorgsamen  Benutzung  jedes  bewässerbaren  und  anbaufähigen  Fleckchens 
Oasenland  der  transkaspischen  Lößzone  kaum  mehr  Platz  für  eine  vorwiegend 
auf  Landanbau  abzielende  Kolonisation  Transkaspiens  vorhanden  sein.  Nach 
dieser  Bichtung  auf  eine  glänzende  Zukunft  der  transkaspischen  Lößzone  als 
russischer  Ackerbaukolonie  zu  hoffen,  dürfte  jedenfalls  absolut  unangebracht' 
sein.  Hier  liegen  die  Verhältnisse  zweifellos  ähnlich  wie  in  vielen  Teilen 
Chinas,  wo  das  Land  auch  so  dicht  besiedelt  und  intensiv  von  der  ange- 
sessenen Bevölkerung  bewirtschaftet  wird,  daß  kein  oder  wenig  Platz  für  eine 
auf  Ackerbau  abzielende  Bewirtschaftung  abseiten  einer  fremden  Kolonial- 
macht vorhanden  ist,  wohl  aber  hier  wie  dort  ftir  eine  kaufmännische  Ver- 
wertung der  Landesprodukte  bei  wachsendem  Absatz  und  Bedarf  der  kolo- 
nisatorisch eindringenden  Macht  eine  vielversprechende  Zukunft  winkt. 

Was  aber  Rußland  nach  dieser  Richtung  der  wirtschaftlichen  Erschließung 
der  transkaspischen  Lößzone  bisher  getan  hat,  wird  es  in  Zukunft  zielbewußt 
weiter  tun;  und  nach  dieser  Richtung  hin  halte  ich  die  alten  Kulturländereien 
dieses  Gebietes,  besonders  das  neuerdings  inmier  mehr  und  mehr  erschlossene 
Ferghana-Becken  für  eines  der  zukunftsreichsten,  wenn  nicht  fOr  das  zukunfts- 
reichste Kolonisationsgebiet  Rußlands,  besonders  auch  deshalb,  weil  es  an 
Persien  imd  Afghanistan  stößt,  und  weil  es  vor  allem  Rußland  verstanden 
hat,  mit  dem  hier  ansässigen  und  vielsprachigen  Völkergewinmiel  ausge- 
zeichnet geschickt  fertig  zu  werden  und  sich  den  Eigentümlichkeiten  der 
Bewohner  seiner  Kolonialbesitzimgen  trefflich  anzuschmiegen.  Und  das  will 
einiges  bedeuten,  denn  in  Transkaspien  stießen  die  Russen  auf  ein  fast  ebenso 
buntes  Völkermosaik,  wie  etwa  im  Kaukasus.  Ist  doch  das  Land  im  Laufe 
der  Geschichte  von  unzähligen,  aus  dem  Innern  Asiens  immer  von  neuem 
herausflutenden  Völkerwellen  überspült  worden,  die  sämtlich  ihre  Spuren 
hinterlassen  haben.  Nicht  weniger  als  26  verschiedene  Völkerschaften  haben 
ihre  Vertreter  heutzutage  in  Transkaspien;  darunter  sind  als  Ansässige  die 
Sarten,  Tadschiken  und  Usbeken,  als  Nomaden  die  Kirgisen  und  Turkmenen 
am  wichtigsten.  Da  es  viel  zu  weit  führt,  auf  diese  schwierigen  Völker- 
verhältnisse in  diesem  Zusammenhang  genauer  einzugehen,  so  will  ich  aus 
den  zwei  Hauptgruppen  der  Ansässigen  und  Nomaden  Transkaspiens  nur 
die  zwei  bekanntesten  und  für  das  Land  wichtigsten  die  Sarten  imd  die 
Turkmenen  herausgreifen  und  ganz  kurz  charakterisieren. 

Den  sogenannten  Sarten  begegnet  man  überall  in  den  großen  Städten 
und  kleineren  Ansiedelungen  Transkaspiens  als  dem  Grundstock  der  ansässigen 
Bevölkerung.  Über  ihre  ethnogi-aphische  Stellung  findet  man  in  der  sehr 
umfangreichen  einschlägigen  Literatur  die  verschiedenartigsten  und  von  einander 
abweichendsten  Erklärungen  imd  Auffassungen,  unter  welchen  ich  persönlich 
eine  der  älteren  bevorzugen  möchte,  welche  mir  in  dem  schon  1872  publi- 
zierten 1.  Heft  der  Russischen  Revue  begegnet  ist,  wo  Lerch  schreibt:  „Der 
Name  Sart  hat  nach  unserer  Überzeugung  von  Hause  aus  durchaus  keine 
ethnische  Bedeutung  gehabt,  sondern  eine  kulturhistorische  und  hat  dieselbe 
auch  bis  jetzt  bewahrt"  Er  kommt  dann  am  Ende  einer  längeren  Diskussion 
des  Gegenstandes  zu  dem  Schlüsse,  daß  der  Begriff  „Sart"  ein  Kollektivname 
zur  Bezeichnung  der  ansässigen   Bewohner  unabhängig  von   ihrer  Ursprung- 


Land  und  Leute  des  Generalgouvernements  Turkestan.         603 

liehen  ethnischen  Zugehörigkeit  sei  und  lediglich  den  Gegensatz  zum  Nomaden 
bezeichne.  Ethnographisch  aber  sind  diese  Sarten  ein  heute  schwer  definier- 
bares Mischvolk,  hervorgegangen  aus  intensiver  Vermischung  der  indogerma- 
nischen Urbewohner  Turkestans  mit  allen  jenen  zahllosen  anderen  Völker- 
schaften, welche  sich  im  Laufe  der  Menschheitsgeschichte  über  diese  Land- 
schaften ergossen,  und  von  denen  türkische  und  mongolische  Elemente  gleicher- 
weise in  ihnen  vorhanden  sind  vrie  indogermanische,  wie  denn  auch  der  Ein- 
druck ihrer  Physiognomie  vorwiegend  indogermanisch,  dagegen  ihre  Sprache 
türkisch  ist^). 

Li  jeder  Beziehung  in  strengem  Gegensatz  zu  diesen  ansässigen  Sarten 
stehen  die  Turkmenen,  die  Hauptvertreter  der  nomadisierenden  Hirten- 
stämme Transkaspiens,  welche  einst  als  gefOrchtete  Räuber  das  Lauere  des 
Landes  imsicher  machten,  heute  aber  schon  teilweise  seßhaft  in  der  Oaseu- 
zone  vor  den  persischen  Randketten  sitzen,  und  denen  man  dort,  wie  beson- 
ders in  der  Oase  Merw  begegnet.  Es  ist  ein  ursprünglich  türkisches,  später 
aber  durch  indogermanische  Elemente  maßgebend  beeinflußtes  und  seines 
mongolischen  Urtypus  daher  fast  völlig  verlustig  gegangenes  Volk  von  mutiger, 
tapferer  Sinnesart  und  kriegerischem  männlichem  Charakter.  Auch  sie  hat 
Rußland  nach  der  blutigen  Erstürmung  von  Gök-tepe  völlig  zu  paziflzieren 
verstanden.  Ebenso  verwegen  und  widerspenstig  wie  sie  seinerzeit  den  Russen 
gegenüber  traten,  ebenso  ruhig  und  friedlich  haben  sie  sich  jetzt  in  die  neuen 
Verhältnisse  gefunden  und  dem  „weißen  Zaren"  die  einmal  geschworene  Treue 
redlich  gehalten. 

b.    Die  Weide-  und  Ackerbau-Zone  im   nördlichen  Vorland  des 
westlichen  und  zentralen  Tiön-schan. 

Verlassen  wir  damit  Transkaspien  und  wenden  uns  dem  nördlichen  Vor- 
land des  westlichen  und  zentralen  Ti(fn-8chan  zu  mit  der  gleichen  Frage- 
stellung nach  kolonialer  Nutzbarkeit,  so  wissen  wir  aus  früherem,  daß  auch 
hier  große  Teile  durch  Bodengestaltung  und  Klima  als  Wüsten  kolonisatorisch 
unbrauchbar  sind,  und  daß  die  Lößzone  Transkaspiens  hier  auf  weite  Strecken 
durch  eine  Steppenzone  ersetzt  wird,  welche  vor  dem  Gebirgsfuße  als  breites 
Band  liegt.  Mit  Ausnahme  des  Hi-Beckens,  welches  bereits  vorher  als  ein 
völliges  Analogon  des  Ferghana-Tales  ausgesondert  wurde,  fehlt  diesem 
Steppengürtel  das  Charakteristikum  der  transkaspischen  Lößzone:  die  gut 
und  seit  alters  berieselten  Oasengebiete  mit  ihren  alten  Kulturzentren  (wie 
etwa  Samarkand,  Taschkent  u.  a.).  An  ihrer  Stelle  erscheint  die  Wiesen- 
steppe mit  einer  ausschließlich  nomadisierenden  eingeborenen  Bevölkerung, 
den  Kirgisen.  Diesen  veränderten  Boden-  und  Bevölkerungsverhältnissen 
haben  sich  nun  auch  die  kolonisierenden  Russen  im  Tit?n-schan- Vorland  an- 
gepaßt Waren  es  in  der  Lößzone  Transkaspiens  vorwiegend  Kaufleute,  so 
sind  es  hier  in  erster  Linie  russische  Bauern,  besonders  aus  den  über- 
völkerten Schwarzerdedistrikten  des  südlichen  und  mittleren  Rußlands.  Da  sie 
ihre  Häuser  genau  aus  dem  gleichen  Material  des  gefällten  Baumstammes  in 

1)  Näheres  vgl.  man  in  F.  von  Schwarz,  Turkestan.    Freiburg  1900. 


604  Max  Friederichsen: 

seiner  natürlichen  runden  Form  erbauen  wie  in  der  Heimat,  und  ihre  Kirchen 
ebenso  kuppel-  und  turmreich  und  bimtfarbig  sind  wie  daheim,  so  machen 
diese  russischen  Ackerbau-  und  Yiehwirtschaftskolonien  nördlich  des  zentralen 
und  westlichen  Tiön-schan,  wie  z.  B.  Tschimkent,  Aulie-ata,  Merke,  Tokmak  u.  a., 
oder  Eopal,  Lepsinsk  u.  a.  am  Nordabhang  des  dsungarischen  Ala-tau  einen 
durchaus  europäischen  Eindruck  und  muten  uns  an  wie  ein  Stück  europftischen 
Rußlands  auf  innerasiatischem  Boden.  Häufig  imd  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
scheinen  in  diesen  Gebieten  die  eingewanderten  Kolonisten  durchaus  ihr  gutes 
Einkommen  durch  Betrieb  von  Ackerbau  und  Viehzucht  zu  haben,  so  daß  die 
einzelnen  Häuser  und  das  gesamte  Siedelungsbild  einen  wohlhabenden  und 
freundlichen  Eindruck  macht. 

Letzteres  gilt  besonders  von  der  wichtigsten  Stadt  dieses  Teiles  des  tur- 
kestanischen  Generalgouvernements,  der  Stadt  Wjemyj,  gleichzeitig  dem  Sitz 
des  russischen  Gouverneurs  der  Provinz  Semiijetschensk  (Siebenstromland), 
des  Generals  Jonnow.  Die  etwa  23000  Einwohner  zählende  Stadt  liegt  am 
Ufer  der  reißenden  Almatinka,  am  Fuße  der  nahezu  bis  Montblanc-Höhe  auf- 
steigenden Schneekette  des  transilensischen  Ala-tau  (Abb.  3).  Da  sie  im 
Jahre  1887  von  einem  verheerenden  Erdbeben  heimgesucht  wurde,  welches 
alle  größeren  Steingebäude  zertrümmerte,  hat  man  sie  seitdem  fast  nur  in 
niedrigen  einstöckigen  Holzhäusern,  im  russischen  Blockhausstil,  wieder  erbaut. 
Sie  wird  von  zahlreichen  Bewässerungskanälen  durchzogen,  welche  die  Gärten 
und  prächtigen  schattigen  Alleen  berieseln,  von  denen  alle  Straßenzüge 
Wjemyjs  begleitet  sind.  Von  einem  erhöhten  Standpunkte  aus,  etwa  von 
dem  Hügelzug  im  Osten  der  Stadt,  verschwindet  sie  daher  völlig  in  einem 
Park  von  grünen  Bäumen  und  Sträuchem.  Was  freilich  Wjemyj  noch 
fehlt,  ist  eine  leichte  Kommunikation  mit  der  Außenwelt.  Eine  Eisen- 
bahn gibt  es  im  Augenblick  noch  nicht,  und  ehe  nicht  eine  solche  in  der 
früher  angedeuteten  Weise  von  Taschkent  aus  über  Wjemjj  den  Anschluß 
dieses  russischen  Kolonisationsgebiets  im  Vorlande  des  zentralen  Tiön-schan 
an  die  transkaspische  Bahn  auf  der  einen  und  die  sibirische  Magistrale  auf 
der  anderen  Seite  hergestellt  hat,  wird  eine  weitergehende  Abfuhr  der  Pro- 
dukte der  Viehwirtschaft  und  des  Ackerbaus,  sowie  eine  Ausnützung  der  be- 
reits gefundenen  oder  noch  zu  erschließenden  Minei^alschätze  des  Tien-schan 
kaum  möglich  werden.  Heute  ist  Wjemyj  nur  mit  der  russischen  Post  auf 
langwierigen  und  für  westeuropäische  BegriflFe  wenig  erfreulichen  Wegen  per 
Achse  zu  erreichen,  und  alle  Erzeugnisse  einer  höheren  westeuropäischen 
Kultur  müssen  gleich  den  Landesprodukten  dieser  Kolonialgebiete  auf  diesem 
umständlichen  Wege  transportiert  werden.  Es  ist  daher  kein  Wunder,  wenn 
für  höhere  russische  Beamte  und  Militärs,  welche  ihr  Dienst  hierher  ver- 
schlagen hat,  das  Leben  in  Wjemyj  als  eine  Art  Verbannung  empfunden 
wird.  Von  Wjemyj  aus  besteht  auch  ein  regelmäßiger  Postdienst  mit  den 
wenigen  russischen  Ackerbau-  und'  Viehwirtschaftskolonien,  welche  im  Innern 
des  zentralen  Tiön-schan  um  den  ca.  1600  m  hoch  liegenden  Alpensee 
Issyk-kul  gelegen  sind,  und  unter  denen  Prschewalsk  am  Ostende  dieses  Sees 
mit  nmd  7900  Einwohnem  die  bedeutendste  sein  dürfte. 

Die  Bewohner  dieses  nördlichen  Vorlands  des  westlichen  und  zentralen 


Land  und  Leute  dea  Oeneralgouvernements  Turkestan.         605 

TiSn-scliaii  und  auch  der  wenigen  Distrikte,  welche  als  von  Bussen  kolonisiert 
aus  dem  Gebirgsinnem  angefahrt  wurden,  sind  nun  der  Natur  der  Oberflächen- 
gestaltong  dieser  Distrikte  entsprechend  nomadisierende  Hirten,  und  zwar  wie 
schon  erwähnt  Kirgisen.  Es  ist  dies  em  turkotartarischer  Volksstamm  von 
echt  mongolischem  Typus  mit  vorspringenden  Backenknochen,  „geschlitzten" 
Augen,  langem,  straffem,  schwarzem  Haupthaar  und  spärlichem  Bartwuchs 
(Abb.  6).  Von  Statur  meist  klein  und  gedrungen,  aber  von  kräftigem,  musku- 
lösem Gliederbau,  sind  sie  als  echte  Nomaden  treffliche  und  verwegene  Reiter, 
welche  leicht  beweglich  ihr  nomadisches  Filzzeltlager  abschlagen  (Abb.  4 
und  5),  wenn  das  Futter  der  jeweiligen  Weide  abgegrast  ist  und  es  fQr  den 
ganzen  Stamm  erforderlich  wird,  mit  Hab  und  Gut,  d.  h.  vor  allem  mit 
Schafen,  Pferden  und  Ochsen,  weiter  zu  wandern. 

Der  russische  Ackerbauer  und  Viehwirt  hat  sich  nun  mit  diesem  ein- 
geborenen Nomadenvolk  der  Kii-gisen  in  den  Steppen  am  Gebirgsfuß  und  auf 
den  wenigen  Hochweiden  des  Gebirgsinnem  ganz  vortrefflich  und  ebenso  gut, 
wie  mit  den  buntscheckigen  Bevölkerungselementen  der  LöBzone  Trans- 
kaspiens  zurechtgefunden,  dabei  trefflich  unterstützt  d\xtch  die  verständigen 
russischen  Regierungsmaßregeln.  Durch  letztere  ist  den  Kirgisen  dieser  Ge- 
biete die  alte  Hordeneinteilung  ihrer  wandernden  Stämme  im  Grunde  belassen, 
nur  mit  der  russischen  Bezeichnung  „Wollostj"  belegt  worden.  Dadurch  nahm 
man  klugerweise  dem  Eingeborenen  nichts  von  dem,  an  das  er  gewöhnt  war, 
gab  ihm  dafür  aber  durch  Einführung  einer  leicht  getragenen  russischen 
obrigkeitlichen  Gewalt  größere  Ordnung  und  Sicherheit  von  Leben  und  Eigen- 
tum, und  führte  ihm  in  ihrem  Gefolge  die  Errungenschaften  einer  höheren 
Kultur  in  Gestalt  kleiner  nützlicher  Bedarfs-  und  Verbrauchsgegenstände  zu. 
Von  der  Beglückung  durch  Missionswirksamkeit  nahm  man  auch  hier  als 
gegenüber  Mohanunedanem  nicht  zweckmäßig  völlig  Abstand!  Femer  setzte 
man  an  die  Spitze  der  einzelnen  „WoUostj"  sogenannte  „Wollostnojs", 
d.  h.  von  den  kirgisischen  Gemeinden  selbständig  gewählte,  aber  von  der 
russischen  Regierung  zu  bestätigende  Geraeindeäl teste,  welchen  die  einheimisch- 
kirgisische Gerichtsbarkeit,  mit  einzigem  Ausschluß  des  Blutbannes,  unum- 
schränkt zusteht,  und  welche  den  Vorsitz  bei  dem  kirgisischen  Volksgericht, 
dem  „Bij",  führen.  Da  diese  Wollostnojs  fiir  gewöhnlich  nicht  Russisch  reden 
und  verstehen,  steht  einem  jeden  ein  russischer  Schreiber,  ein  sogenannter 
„Pissar^,  zur  Seite,  welche  in  den  turkestanischen  Kolonialgebieten  in  eigenen 
Dolmetscherschulen  für  diesen  Zweck  vorbereitet  und  ausgebildet  werden. 
Durch  diesen  „Pissar"  wird  der  Verkehr  mit  der  russischen  Regierung  ver- 
mittelt. 

Diese  Organisation  der  kirgisischen  Horden  hat  sich  als  sehr  gut  be- 
währt, und  da  auch  die  von  den  Kirgisen  erhobenen  Abgaben  fast  unverhält- 
nismäßig gering  gegenüber  den  von  den  russischen  Ansiedlern  erhobenen  sind, 
so  sind  die  Eingeborenen  durchaus  mit  ihrer  Lage  zufrieden  und  achten  die 
russische  Macht,  wovon  ich  mich  später  gelegentlich  von  Proviant-  und 
Pferdelieferungen  an  unsere  Expedition  im  Hochgebirge  des  Ti^n-schan  genügend 
zu  überzeugen  Gelegenheit  hatte.  Auch  stehen  die  Kirgisen  mit  den  einge- 
wanderten russischen  Kolonisten  in  stellenweise  recht  lebhaftem  Tausch-  und 


606  Max  Priederichßen: 

Handelsyerkehr.  Besonders  lebendes  Vieh  (Pferde,  Rinder,  Hammel)  oder 
Wolle  und  Felle  werden  gehandelt,  imd  an  zwei  Stellen  meiner  Reise,  in 
Merke,  am  Nord  faß  der  Alexanderkette,  und  später  in  Karkara,  östlich  von 
Prschewalsk  im  zentralen  Ti6n-schan  habe  ich  interessante  derartige  Kirgisen- 
markte  zu  sehen  und  das  Treiben  auf  ihnen  zu  beobachten  Gelegenheit  ge- 
habt Besonders  in  Karkara  spielt  sich  jährlich  vom  Mai  bis  September 
ein  der  Nishnij -Nowgoroder  Messe  ähnlicher  kirgisischer  Jahrmarkt  ab. 
Dann  bildet  sich  rings  um  die  wenigen  russischen  Blockhäuser  dieses  zeit- 
weiligen Handelsmarktes  ein  ganzes  Feldlager  von  Jurten.  Monatelang  ist  so 
Karkara  das  Ziel  wandernder  Kirgisen,  welche  hier  an  die  russischen  Auf- 
käufer oft  weitab  im  europäischen  Rußland  (z.  B.  in  Saratow)  beheimateter 
Fabriken  ungeheure  Massen  von  Schafwolle  und  Tierfellen  verhandeln  und 
sich  selber  für  die  langen  Wintermonate  ausrüsten  mit  den  notwendigsten 
Artikeln  russischer  Kultur  (vor  allem  mit  Tee  und  Zucker),  welche  sie 
in 'den  schmutzigen  niedrigen  Holzbuden  der  Händler  der  einzigen  breiten  und 
unsauberen  Straße  Karkaras  kaufen. 

Anders  als  die  geschilderten  Verhältnisse  am  Nordfuß  des  zentralen 
Ti^n-schan  und  in  den  wenigen  Kolonien  im  Gebirge  selber,  sind  Ansiede- 
lungsbedingungen und  Bevölkerungselemente  im  bereits  vorher  morphologisch 
abgesonderten  Ili-Becken.  An  seinem  Rande  gibt  es  wie  im  Ferghana- 
Becken  der  transkaspischen  Kulturzone  wieder  gut  berieselte  und  seit  alters 
bebaute  Lößzonen  mit  Anbau  von  Baumwolle,  mit  Wein-  und  Melonenkultur, 
mit  Seidenzucht  und  Getreidebau,  daher  auch  mit  ansässiger  Bevölkerung.  In 
diesem  Ili-Becken  liegt,  bereits  politisch  auf  chinesischem  Boden,  die  alte  Stadt 
Kuldscha,  auf  russischem  das  neuerdings  zur  wichtigsten  dortigen  Kolonie 
erblühte  Dscharkent.  Letztere  Stadt,  in  welcher  ich  länger  weilte,  erinnert 
in  mancher  Hinsicht  an  die  Städte  der  transkaspischen  Lößzone.  Wie  Samar- 
kand  ist  es  trefflich  berieselt  und  von  schönen,  gut  gepflegten  Alleen  durch- 
zogen, in  deren  Schatten  die  kleinen  sauberen  Steindatschen  der  Russen 
stehen.  Neben  diesem  lauschig  freundlichen  Russenviertel  liegt  freilich  ein  sehr 
viel  staubigerer,  lauterer  und  schmutzigerer  Eingeborenen-Stadtteil,  in  welchem 
hier  in  Dscharkent,  wie  in  Samarkand,  vorwiegend  ansässige,  ackerbautrei- 
bende sartische  Völkerschaften  sitzen,  vor  allem  die  Dunganen  und  Tarantschen. 

Die  Tarantschis  stehen  ethnisch  den  vorher  bereits  näher  geschil- 
derten Sarten  sehr  nahe,  sind  wie  diese  ansässig  und  in  ihre  heutigen 
Wohnsitze  im  Ili-Tal  im  18  Jahrhundert  von  der  chinesischen  Regierung 
aus  Kaschgarien  versetzt  worden.  In  ihrem  Äußern  gleichen  sie  nach  Tracht 
und  Ausseben  in  vielem  den  Sarten  und  sind  wie  diese  Mohammedaner, 
Trotzdem  pflegen  ihre  Frauen  unverschleiert  zu  gehen  und  sich  dadurch  von 
den  Sartinnen  zu  unterscheiden. 

Von  ihnen  grundverschieden  sind  die  Dunganen,  das  zweite  an- 
sässige Bevölkenmgselement  des  Ili- Tales,  welche  Nachkommen  türkischer 
Völker  sind,  welche  von  den  Chinesen  zu  verschiedenen  Zeiten  im  nordwest- 
lichen China  angesiedelt  wurden  und  durch  ihre  wilde  Unbotmäßigkeit  in 
vielfachen  blutigen  Aufständen  sich  gegen  ihre  chinesischen  Herren  auflehnten 
und  ihnen  schweren  Schaden  zufügten.    Sie  haben  während  ihres  Aufenthaltes 


Land  und  Leute  des  Qeneralgouvei-nements  Turkestan.         607 

in  China  chinesische  Sprache  und  Sitte  angenommen.  Sie  sehen  nach  Tracht 
und  Habitus  völlig  chinesisch  aus  (tragen  aber  keinen  Zopf),  während  sie 
ihrer  Religion  nach  Mohammedaner  sind.  Diese  ihre  Zwittematur  kommt 
auch  an  ihren  Moscheen  sehr  deutlich  zum  Ausdruck,  wenigstens  an  dem  mir 
aus  Dscharkent  näher  bekannten  Beispiel.  Nach  der  Straße  zu  macht  das 
Eingangsportal  derselben  einen  orientalisch-zentralasiatischen  Eindruck  und 
erinnert  an  die  Pischtaks  Samarkander  Medresseen.  Schreitet  man  durch  dieses 
Portal  hindurch,  so  ist  man  erstaunt,  auf  seiner  Rückseite  über  dem  Torbogen 
einen  völlig  in  chinesischem  Pagodenstil  erbauten  Glockenturm  zu  erblicken,  und 
geht  man  weiter,  so  steht  man  in  dem  Moscheehof  vor  einem  gleichfalls  in 
seiner  Architektur  völlig  chinesischen  Bethaus  mit  kunstvoll  geschwungenem 
Dach  und  zierlichem  Holzschnitzwerk  an  Säulen,  Türen  imd  Fensterumrahmungen. 


Wenn  ich  am  Schlüsse  dieser  Betrachtungen  auf  dasjenige  kurz  zurück- 
blicke, was  ich  auf  Basis  der  Erfahrungen  meiner  vorjährigen  Reise  in  den 
Tiön-schan  von  den  behandelten  russischen  Kolonisationsgebieten  gesehen  und 
im  vorhergehenden  geäußert  habe,  so  möchte  ich  zwei  Dinge  noch  einmal 
besonders  hervorheben:  zunächst  die  große  ünwirtlichkeit  und  kolonisatorisch 
dauernde  Wertlosigkeit  weiter  Strecken  des  Generalgouvernements  Turkestan, 
hervorgerufen  durch  ihre  vorwiegend  klimatisch  bedingte  öde  Oberflächen- 
gestaltimg,  sodann  den  Umstand,  daß  diese  Verhältnisse  auch  durch  umfang- 
reiche Meliorations-  oder  Berieselungsarbeiten,  wenigstens  innerhalb  des  Be- 
reiches der  transkaspischen  Lößzone,  kaum  wesentlich  gebessert  werden  können. 

Auf  der  anderen  Seite  aber  kann  man  nicht  anerkennend  genug  Rußlands 
taktvolles  Vorgehen  gegen  die  eingeborenen  Bevölkerungselemente  des  turkesta- 
nischen  Generalgouvernements  hervorheben  und  nicht  nachdrücklich  genug  darauf 
hinweisen,  daß  seit  den  ersten  blutigen  Revolten  der  Turkmenen  und  Kirgisen  in 
den  Eroberungsjahren  des  Landes  späterhin  kaum  irgendwie  nennenswerte  Auf- 
stände der  eingeborenen  Elemente  zu  bekämpfen  waren,  was  als  ein  gutes  Zeichen 
für  die  Zufriedenheit  mit  dem  neuen  russischen  Regiment  betrachtet  werden  darf. 

Schließlich  aber  könnte  man  sich  in  Deutschland  getrost  ein  Beispiel 
daran  nehmen,  wie  Rußland,  dem  Vorgehen  Englands  folgend,  unter  den 
schwierigsten  äußeren  Verhältnissen  Bahnbauten,  wie  die  transkaspische  Linie 
mit  ihren  Abzweigungen,  zuwege  gebracht  und  damit  die  turkestanischen 
Kolonien  lebensfähig  gemacht  hat,  und  wie  man  heute  durch  weiteren  Aus- 
bau dieses  Schienennetzes  bestrebt  ist,  die  Kolonie  wirtschaftlich  und  militä- 
risch in  inmier  engeren  Konnex  mit  dem  russisch-europäischen  Mutterland  zu 
bringen.  Besonders  vom  militärischen  Standpunkte  aus  ist  diese  Verstärkung 
des  Schienennetzes  des  turkestanischen  Generalgouvernements  von  allergrößter 
Bedeutung,  da  es  ein  offenes  Geheimnis  ist,  daß  Turkestan  die  Operations- 
basis für  alle  weitere  Expansionspolitik  Rußlands  gegen  Persien,  Afghanistan 
und  Indien  bildet. 

Im  Hinblick  auf  diese  zweifellos  wichtige  Rolle  des  Landes  und  das  viele, 
was  wir  Deutschen  von  den  Russen  als  Kolonisatoren  in  diesen  Grebieten  lernen 
können,  mag  es  auch  gerechtfertigt  erscheinen,  die  Aufmerksamkeit  der  Leser 
dieser  Zeitschrift  auf  das  Generalgouvernement  Turkestan   gelenkt  zu  haben. 


608  Alfred  Hettner: 

Die  Felsbildangen  der  sächsisehen  Sehweiz^). 

Von  Alfred  Hettner. 

Die  sächsische  Schweiz  oder  das  Elbsandsteingehirge  nimmt  in  mancher 
Beziehung  eine  Sonderstellung  unter  den  deutschen  Mittelgebirgen  ein,  und 
nur  etwa  das  Heuscheuergebirge  nebst  den  Adersbacher  imd  Wekelsdorfer 
Felsen,  einige  Partien  des  nordöstlichen  Böhmens  (bei  Tumau  und  Groß-Skal), 
die  Berge  der  südlichen  Hardt  können  damit  verglichen  werden.  Wahrend 
in  den  deutschen  Mittelgebirgen  im  allgemeinen  sanfte  Formen  herrschen  und 
Erdkrume  das  Gestein  bedeckt  und  nur  hie  und  da  Felsriffe  die  sanften  Tal- 
hänge unterbrechen  oder  mächtige  Granitblöcke  auf  den  Kämmen  aufgetürmt 
sind,  herrschen  in  der  sächsischen  Schweiz  Fels  und  scharfe  eckige  Formen 
vor  und  machen  geradezu  ihren  Charakter  aus.  Überall  treten  uns  die  selt- 
samsten, barocksten  Felsgebilde  entgegen:  wabenartige  Zerfressungen  der 
Felswände,  Nischen,  Höhlen,  Überhänge,  Tore  von  den  kleinsten  bis  zu  recht 
beträchtlichen  Ausmaßen,  schmale  Felsmauern  und  isolierte  Felspfeiler  und 
Felsblöcke,  oft  wunderlich  modelliert,  so  daß  eine  kindliche  Phantasie  darin 
das  Gesicht  Napoleons  oder  die  Form  einer  Gans,  eines  Lanunes,  eines 
Kamels,  einer  Lokomotive  entdeckt.  Die  Täler  oder  „Gründe^'  wenigstens 
des  rechten  Eibufers  haben  steile,  oft  beinahe  senkrechte  Felswände,  an 
denen  die  Pflanzen  nur  mit  Mühe  haften.  Die  meisten  Gipfel  sind  aus- 
gesprochene Tafelberge,  sogenannte  Steine,  bei  denen  sich  eine  Felskrone  von 
einem  sanfter  geneigten  Fußkegel  abhebt  In  anderen  Teilen  finden  wir 
ausgedehnte  Felsplatten,  die  in  steilen,  durch  Felskessel  und  Felsrippen  reich 
gegliederten  Wänden  abfallen.     Die  Steine  und  die  Felsmauem  erheben  sich 

1)  Nachdem  die  Felsbildangen  der  sächsischen  Schweiz  schon  früher  von 
A.  V.  Gatbier  in  seinen  hübschen  Geognostischen  Skizzen  aas  der  sächsischen 
Schweiz,  Leipzig  1868  behandelt  worden  waren,  habe  ich  sie  in  einem  kleinen 
Buche:  Oebirgsban  und  Oberflächengestaltung  der  sächsischen  Schweiz  (Forschimgen 
zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde  11.  Bd.  4.  Heft),  Stuttgart  1S87,  untersucht. 
Seitdem  ist  die  neue,  von  den  damaligen  Landesgeologen  Beck  und  Schalch 
bearbeitete  geologische  Spezi  alkarte  unseres  Gebietes  mit  Erläuterungen  erschienen, 
die  namentlich  für  die  Untersuchung  der  Landstufen  und  Ebenheiten  eine  sicherere 
Grundlage  bietet,  und  an  deren  Bearbeitung  Beck  auch  einige  Studien  über  Fels- 
bildungen angeknüpft  hat.  Die  schönen  Wüstenstudien  Walthers  und  anderer 
haben  durch  die  merkwürdige  Ähnlichkeit  mancher  Wüstenformen  mit  denen  der 
sächsischen  Schweiz  neue  Probleme  gestellt.  Auch  Ed.  Richter  hat  in  seinen  geo- 
morphologischen  Untersuchungen  in  den  Hochalpen  auf  interessante  Analogien  hin- 
gewiesen. Wenngleich  ich  in  der  Zwischenzeit  Öfters  in  der  sächsischen  Schweiz 
war,  war  es  mir  doch  erst  im  vergangenen  Herbst  (1902)  mOglich,  bei  einem  etwas 
längeren  Besuch  meine  früheren  Untersuchungen  zu  revidieren.  In  einzelnen 
Punkten  habe  ich  meine  frühere  Auffassung  berichtigt,  in  anderen  konnte  ich  ihr 
jetzt  eine  schärfere  Fassung  geben.  Da  die  Ergebnisse  meiner  Empfindung  nach 
nicht  nur  für  die  sächsische  Schweiz,  sondern  für  das  Verständnis  der  Oberflächen- 
formen  überhaupt  von  Interesse  sind,  habe  ich  sie  in  dem  folgenden  Aufsatz  zu- 
sammengestellt. Für  die  ausführlichere  Beschreibung  der  Tatsachen  muß  ich  auf 
mein  früheres  Buch  (zitiert:  S.  Schw.)  verweisen.  Ein  kürzlich  erschienenes  Buch  von 
S.  Rüge  über  Dresden  und  die  sächsische  Schweiz  (Monographien  zur  Erdkunde  XVI) 
wird  wegen  der  zahlreichen  instruktiven  Abbildungen  mit  Vorteil  eingesehen  werdai. 


Die  Felsbildungen  der  sächsischen  Schweiz.  609 

über  weit  ausgedehnten  wagrechten  oder  sanft  abgedachten  ^Ebenheiten^^, 
in  die  wieder  die  Täler  eingesenkt  sind.  Besonders  im  unteren  Teile  der 
sächsischen  Schweiz  sind  diese  Ebenheiten  deutlich  ausgebildet,  und  man 
sieht  hier  mehrere  Ebenheiten  von  verschiedener  Höhe  mit  Landstufen  an 
einander  treten. 

Schon  seit  langem  ist  man  darauf  aufmerksam  geworden,  daß  die  engen 
steilwandigen  Täler,  die  „Gründe",  der  sächsischen  Schweiz  eine  große  physio^ 
gnomische  Ähnlichkeit  mit  den  Canons  des  Coloradogebietes  haben,  die  be- 
sonders von  Powell  und  Button  beschrieben  und  als  Gebilde  eines  trockenen 
Klimas  aufgefaßt  worden  sind.  Auch  die  Ähnlichkeit  der  Eelskessel  oder 
Amphitheater  mit  den  Nischen,  die  im  oberen  Teile  der  Talwände  des  Colorado- 
eanons  auftreten,  ist  unverkennbar.  Die  eingehenden  Untersuchungen  über 
die  Formen  der  Wüste,  die  wir  Schweinfurth,  Walther,  Schenck, 
Obrutschew,  Futterer  u.  a.  verdanken,  haben  dort  ganz  ähnliche  Zer- 
fressungen ^  Höblehen,  isolierte  Felspfeiler  kennen  gelehrt,  wie  sie  in  der 
sächsischen  Schweiz  vorhanden  sind,  und  damit  gezeigt,  daß  eine  Ähnlichkeit 
nicht  nur  in  den  großen,  sondern  auch  in  den  kleinsten  Formen  besteht.  Man 
kann  wohl  sagen,  daß  die  sächsische  Schweiz,  wenn  man  ihr  ihr  Pflanzenkleid 
nähme,  beinahe  den  Eindinick  einer  typischen  Wüstenlaudschaft  machen  würde. 

Eine  Wüstenlandschaft  oder,  sagen  wir  lieber  vorsichtiger,  eine  Land- 
schaft mit  den  Formen  der  Wüste  mitten  in  Deutschland!  Also  haben  wir 
in  Deutschland  einst  ein  Wüstenklima  gehabt,  welches  diese  Formen  ge- 
schaffen hat?  Walt  her  hat  gelegentlich  Andeutungen  in  diesem  Sinne  ge^ 
macht,  andere  haben  diese  Meinung  plump  ausgesprochen.  Daß  wir  in 
Deutschland  einmal  eine  Zeit  trockenen  Klimas  gehabt  haben,  in  der  auch 
die  Ausbildung  der  Erdoberfläche  unter  anderen  Bedingungen  als  heute  er- 
folgte, ist  wahrscheinlich.  Namentlich  weisen  der  Löß,  wenn  wir  ihn  mit 
V.  Bichthofen  als  einen  äolischen  Staubabsatz  auffassen,  imd  die  Fauna 
des  Löß,  die  ja  nach  den  Untersuchungen  Nehrings  den  Charakter  einer 
Stepp^ifauna  hat,  auf  ein  trockenes  Klima  und  einen  dem  entsprechenden 
Landschaftscharakter  in  der  jüngeren  Quartärzeit  hin;  die  tieferen  Teile  des 
deutschen  Mittelgebirgslandes  scheinen  damals  Grassteppen  etwa  wie  heute 
die  Pußten  Ungarns  und  die  Grassteppen  Süd -Bußlands  gewesen  zu  sein. 
Aber  doch  eben  nur  Grassteppen,  nicht  Wüsten  oder  Halbwüsten,  also 
Gebiete  des  Staubabsatzes,  nicht  Gebiete  der  Wegnahme  aller  lockeren  Be- 
standteile des  Bodens  durch  den  Wind.  Allerdings  finden  wir  stellenweise, 
auch  in  der  Nähe  der  sächsischen  Schweiz,  in  den  glacialen  Sandablagerungen 
der  Dresdner  Heide  Dünen,  allerdings  sind  wohl  auch  die  Kantengerölle,  die 
in  den  Kiesgruben  der  Gegend  von  Pirna  und  des  Pillnitzer  Tännigts  massen- 
haft vorkonunen,  als  Schliffwirkungen  des  Flugsands  zu  erklären.  Wir  müssen 
deshalb  annehmen,  daß  diese  Sandablagerungen  einmal  der  Walddecke  und 
überhaupt  eines  schützenden  Pflanzenkleides  entbehrt  haben,  und  das  mag  — 
die  Lagerungsverhältnisse  weisen  darauf  hin  —  in  derselben  Zeit  gewesen 
sein,  in  der  der  Löß  gebildet  wurde;  aber  dieser  Wüstencharakter  ist  doch 
nur  eine  lokale,  in  der  Bodenbeschaffenheit  begründete,  also,  wenn  wir  den 
von  Schimper  in  die  Pflanzengeographie  eingeführten  Ausdruck  gebrauchen 

Geographische  Zeitiohrlfl.  9.  Jahrgang.  190S.  11.  Heft.  41 


610  Alfred  Hettner: 

wollen,  eine  edaphiscbe,  keine  allgemeine  klimatische  Erscheinung  gewesen, 
die  sich  doch  über  größere  Oebiete  bStte  erstrecken  müssen.  Hätte  in 
Deutschland  wirklich  einmal  ein  Wüstenklima  geherrscht,  auf  dessen  Redinung 
man  die  Formen  der  sftchsiscben  Schweiz  setzen  könnte,  so  müßten  ähnliche 
Formen  doch  auch,  da  die  charakteristischen  Formen  der  Wüste  keineswegs 
auf  bestimmte  Gesteine  beschränkt  sind,  in  den  anderen  deutschen  Mittel- 
gebirgen ohne  Unterschied  der  Gesteine  auftreten.  Das  ist  aber  nicht  der 
Fall.  Dazu  kommt,  daß  die  Ausbildung  von  „Wüstenformen"  in  der  sach- 
sischen Schweiz  nicht  auf  einen  bestimmten  kurzen  Zeitabschnitt  beschränkt 
gewesen  sein  kann.  Die  großen  Formen,  die  Felsplatten  und  Tafelberge  und 
wo^l  auch  die  Gründe,  müssen  in  der  Periode  trockeneren  Klimas  schon 
ziemlich  fertig  gewesen  sein;  und  die  kleinen  Formen,  die  Löcher,  Höhlen 
und  Tore,  die  terrassierten  Felswände,  die  isolierten  Felspfeiler  gehören  ganz 
der  Gegenwart  an.  Wenn  sie  in  einer  geologischen  Vergangenheit  unter 
anderen  Bedingungen  gebildet  worden  wären,  so  wären  sie  durch  die  heute 
wirksamen  Kräfte  längst  wieder  zerstört  worden. 

Die  eigentümlichen  Felsbildungen  der  sächsischen  Schweiz  sind  also 
kein  Erzeugnis  eines  Wüstenklimas,  vielmehr  beruhen  sie,  woran  man  ja 
früher  nie  gezweifelt  hat,  auf  der  Beschaffenheit  des  Gesteins,  des  Quader- 
sandsteins, die  ähnliche  Formen  hervorruft  wie  in  der  Wüste  die  Trocken- 
heit des  Klimas.  Es  ist  doch  kein  Zufall,  daß  in  Deutschland  nur  im 
Quadersandstein  und  an  einzelnen  Stellen  auch  im  Buntsandstein  ähnliche 
Formen  auftreten.  Und  auch  innerhalb  der  sächsischen  Schweiz  sind  sie 
gerade  da  am  schönsten  und  häufigsten,  wo  der  Quadersandstein  am  reinsten 
ausgebildet  ist,  während  in  den  Teilen  des  linken  Eibufers,  wo  eine  mergelige 
Zwischenschicht  auftritt  und  auch  der  Sandstein  weniger  rein  ist,  die  Formen 
in  die  gewöhnlichen  Formen  der  deutschen  Mittelgebirge  übergehen. 

Der  typische  Qnadersandstein  ^)  ist  ein  grobkörniger,  meist  weißer, 
grauer  oder  gelblicher  Quarzsandstein  mit  ganz  geringem  tonigem  oder  eisen- 
schüssigem Bindemittel.  Seine  meist  ziemlich  mächtigen  Bänke  lagern  flach 
oder  sind  ganz  schwach  geneigt,  außer  an  dem  südlichen  Bruchrand  der 
sächsischen  Schweiz.  Das  Gestein  wird  von  zahllosen  regelmäßigen  Klüfken') 
durchsetzt,  die  im  allgemeinen  senkrecht  stehen  und,  im  Grundriß  betrachtet, 
an  jeder  Stelle  der  Hauptsache  nach  in  zwei,  einander  unter  rechten  Winkeln 
schneidenden  Systemen  angeordnet  sind.  Diese  Klüfte  sind  erst  durch  die 
Verwitterung  zu  klaffenden  Spalten  geworden,  sind  aber  der  Anlage  nach, 
wie  die  Beobachtung  in  jedem  Steinbruche  zeigt,  schon  im  Gestein  vorhanden 
und  sind  wahrscheinlich  die  Folge  einer  Zerreißung  der  Gesteinsmasse,  die 
im  Zusammenhang  mit  den  großen  Verwerfungen  und  Dislokationen  der  mitt- 
leren Tertiärzeit  stattgefunden  hat.  Auf  diesen  Klüften  beruht  die  quader- 
förmige Absonderung,  welcher  das  Gestein  seinen  Namen  verdankt. 

Drei  verschiedene  Eigenschaften  sind  es,  welche  uns  am  Qnadersand- 
stein  als  die  Ursachen  seiner  eigentümlichen  Oberflächenformen  entgegen- 
treten:  die  Zusammensetzung  fast  ganz  aus  Quarz,   welche  nur  mechanische 


1)  S.  Schw.  12  und  46.  2)  S.  Schw.  43  ff". 


Die  Felsbildungen  der  sächsischen  Schweiz.  611 

Yerwitterong  erlaubt,  die  große  Durchlässigkeit  für  das  Regen wasser,  und 
die  in  der  quaderförmigen  Absonderung  begründete  Neigung  zur  Bildung 
senkrechter  Wände. 

Von  einer  chemischen  Zersetzung  kann  beim  Quadersandstein  kaum  die 
Bede  sein.  Nur  das  geringe  eisenschüssige  Bindemittel  kann  durch  die 
Feuchtigkeit  gelöst  werden,  und  die  Lösung  mag  an  der  Oberfläche  des 
Felsens,  wo  das  Wasser  verdunstet,  eine  Kruste  bilden,  welche  der  Schutz- 
rinde der  Wüstengesteine  zu  vergleichen  ist;  aber  der  Hauptsache  nach  kann 
das  Gestein  nur  mechanisch  zerfallen.  Hie  und  da  mag  solcher  Zerfall  wie 
in  der  Wüste  durch  die  starke  Sonnenstrahlung  bewirkt  werden,  eine  viel 
wichtigere  Ursache  ist  hier  aber  wohl  der  Spaltenfrost,  und  dazu  kommt  die 
lockernde  Wirkung  des  Pflanzenwuchses,  besonders  der  Flechten  und  Moose, 
die  sich  an  den  Felswänden  festsetzen,  ihre  Wurzeln  zwischen  die  Sandkörner 
eindrängen,  diese  allmählich  lockern  und  schließlich  mit  ihnen  in  ganzen 
Polstern  abfallen.  Das  Ergebnis  dieser  Vorgänge  ist  die  Bildung  von  Sand. 
Gelegentlich  werden  wohl  auch  größere  eckige  Stücke  abgesprengt,  aber  bei 
der  gleichmäßigen  Zusammensetzung  und  dem  lockeren  Gefüge  des  Gesteins 
ist  das  mehr  eine  Ausnahme.  Dagegen  ist  die  Ablösung  ganzer  Quadern 
und  Quaderreihen  eine  häufige  und  wichtige  Erscheinung.  Namentlich  das 
Gefrieren  der  in  den  Klüften  sich  sanmielnden  Feuchtigkeit  und  die  von  oben 
her  eindringenden  und  sich  beim  Wachsen  allmählich  verdickenden  Baum- 
wurzeln üben  diese  Wirkung  aus.  Es  bilden  sich  senkrechte  Abrißstellen, 
und  wenn  gleich  ganze  Quaderreihen  niedergehen,  in  ähnlicher  Weise  wie 
es  im  Steinbruchbetrieb  geschieht,  können  hohe  senkrechte  Felswände  ent- 
stehen. Die  niederfallenden  Quadern  werden  häufig  durch  die  Gewalt  des 
Sturzes  zermalmt  und  zerfallen  in  Sand,  häufig  aber  bleiben  die  großen 
Blöcke  am  Fuß  der  Felswand  liegen  und  werden  nur  allmählich  von  der 
Verwitterung  zerstört^). 

In  der  Wüste  scheint  die  Wegnahme  des  Sandes  und  der  noch  feineren 
Verwitterungsprodukte  durch  den  Wind,  die  Deflation,  wie  sich  Walther 
ausgedrückt  hat,  eine  Haupttatsache  der  Bodenbildung  zu  sein.  Ganz  fehlt 
sie  auch  in  der  sächsischen  Schweiz  nicht.  Bei  windigem  Wetter  sieht  und 
fühlt  man,  wie  der  Sand  vom  Wind  weggeblasen  wird;  manche  Sandmassen 
sind  wohl  vom  Winde  angeweht  worden,  und  an  herumliegenden  Glasscherben 
sowohl  wie  an  Felswänden  hat  Beck  die  Wirkung  des  Sandgebläses  nach- 
gewiesen^). Aber  im  ganzen  ist  die  Windwirkung  heute  doch  beschränkt 
Auf  den  Hochflächen  ist  der  Sand  fast  überall  diurch  den  Wald  geschützt, 
und  in  die  engen  Gründe  und  Felskessel  kommt  der  Wind  viel  zu  wenig 
hinein,  als  daß  er  eine  große  bodengestaltende  Wirkung  ausüben  könnte. 
Die  Wirkung  des  Windes  mag  in  einer  früheren  geologischen  Zeit,  ja 
sie  mag  sogar  in  früheren  Jahrhunderten,  in  Zeiten  der  Waldverwüstung, 
größer  gewesen  sein  als  heute;  aber  es  liegt  gar  kein  Grund  dafür  vor,  die 
Bodengestaltung  der  sächsischen  Schweiz  auf  diese  Ausnahmebedingungen  zu 
begründen. 


1)  S.  Schw.  48  f.  2)  Z.  d.  d.  geol.  Ges.  1894  S.  637  ff. 

41* 


612  Alfred  Hettner: 

Die  Hauptrolle  hat  bei  der  Gestaltung  der  sächsischen  Schweiz  jeden- 
falls das  Wasser  gespielt^  aber  doch  in  ganz  anderer  Weise  als  in  der  Mehr- 
zahl der  deutschen  Mittelgebirge,  ähnlich  vielmehr  wie  in  der  Wüste  ^).  Der 
Quadersandstein  und  namentlich  der  obere  Quadersandstein,  der  am  rechten 
Eibufer  und  auch  in  den  höheren  Teilen  des  linken  Eibufers  herrscht,  und 
dem  alle  die  typischen  Felsgebilde  angehören,  lun  die  es  sich  hier  handelt, 
ist  ein  in  hohem  Grade  durchlässiges  Gestein.  Nicht  nur  in  den  Klüften 
dringt  das  Wasser,  häufig  den  Baumwurzeln  folgend,  in  die  Tiefe,  sondern 
auch  im  einzelnen  Gesteinsblock  sickert  es  ein  imd  tritt  erst  an  der  unter- 
fläche  teilweise  wieder  heraus.  Man  kann  das  besonders  im  Winter  deutlich 
beobachten;  die  ünterflächen  und  teilweise  auch  die  Seitenflächen  der  Gesteins- 
bänke sind  dann  mit  Eiskrusten  überzogen,  und  an  vielen  Stellen  sieht  man 
aus  dem  Gestein  kleine  Eiszapfen  herabhängen.  Die  Oberfläche  des  Quader- 
sandsteins, möge  sie  nun  nackt  oder  von  Verwitterungssand  bedeckt  sein,  ist 
immer  trocken,  die  Gründe  dagegen,  an  deren  Wänden  Feuchtigkeit  aus- 
schwitzt, sind  feucht;  dort  herrscht  die  Kiefer,  hier  die  Fichte.  Aber  es  ist 
immer  nur  ein  Heraussickem  des  Wassers,  keine  eigentliche  Quellenbildung, 
die  vielmehr  im  Gebiete  der  sächsischen  Schweiz  fast  ganz  auf  die  Stellen 
beschränkt  ist,  wo  der  Quadersandstein  durch  tonige  oder  mergelige  Zwischen- 
schichten unterbrochen  wird  oder  wo  Basalt  auftritt.  Das  ganze  Gebiet  des 
oberen  Quadersandsteins  entbehrt  der  Quellen  so  gut  wie  vollständig.  Nur 
die  von  außen  hereinkommenden  Flüsse  und  Bäche  führen  immer  Wasser, 
alle  die  vielen  Schluchten,  welche  von  den  Seiten  her  in  jene  Täler  münden, 
sind,  soweit  sie  dem  Quadersandstein  angehören,  für  gewöhnlich  wasserlos 
und  füllen  sich  nur  nach  besonders  heftigen  Regengüssen  oder  zur  Zeit  der 
Schneeschmelze,  wenn  das  Wasser  nicht  rasch  genug  in  den  Boden  einsickern 
kann;  sie  tragen  also  den  Charakter  von  Wadis.  Die  Durchlässigkeit  des 
Bodens  bewirkt  demnach  ähnliche  Verhältnisse  der  Wasserführung  wie  das 
trockene  Klima  in  der  Wüste:  Abwesenheit  des  spülenden  Wassers,  unregel- 
mäßiges Auftreten  von  Regenfluten,  ein  weitmaschiges  Flußnetz*).  Wir  be- 
greifen nun,  daß  auch  die  Bodenformen  der  sächsischen  Schweiz  mit  denen 
der  Wüste  verwandt  sind. 

Die  Erscheinungen  der  Verwitterung  und  Denudation  lassen  sich 
in  der  sächsischen  Schweiz  in  solche  der  Felskanten,  in  denen  sich  die  ivag- 
rechten  Oberflächen  mit  den  senkrechten  Felswänden  schneiden,  und  solche 
der  Felswände  zerlegen;  denn  den  ebenen  Oberflächen  sind  sie  überhaupt 
fremd. 

An  den  Felskanten ^)  sind  die  ursprünglichen  rechten  Winkel  wohl 
nie  unversehrt  erhalten.  Meist  sind  eine  ganze  Anzahl  von  Quadern  weg- 
genommen, so  daß  der  Übergang  von  der  Hochfläche  in  die  eigentliche  Wand 
allmählich   und   zwar  mehr   oder  weniger  treppenförmig   erfolgt.     Die   rand- 


1)  S.  Schw.  47f.  u.  61. 

2)  Sehr  anschaulich  tritt  dies  in  einer  von  H.  Feldner  gezeichneten  Karte 
entgegen.  Wer  Freude  an  Zahlen  hat,  wird  auch  durch  den  begleitenden  Text  (Mitt. 
d.  V.  f.  Erdkunde  zu  Leipzig  1902,  S.  Iff.)  befriedigt  werden. 

8)  S.  Schw.  48 f.  u.  52  fi*. 


Die  Felsbildangen  der  sächBischen  Schweiz.  613 

liehen  Quadern  sind  immer  stark  abgerundet.  Bei  einer  geschlossenen  Fels- 
wand mit  einseitigem  Abfall  stellt  sich  das  Profil  ungefähr  in  der  Form 
eines  Kreisquadranten  dar;  bei  einzelstehenden,  nach  allen  Seiten  abfallenden 
Felspfeilem  schließt  die  Oberfläche  halbkugelig  ab.  Manchmal  sind  solche 
randliche  Felsblöcke  durch  parallele  Furchen  modelliert,  welche  sich  gegen 
den  Rand  hin  senken;  v.  Gutbier  wurde  dadurch  an  Karrenbildungen  er- 
innert An  anderen  Stellen  treten  Höcker  und  Löcher  ohne  ausgesprochene 
Längsrichtung  und  Neigung  auf,  die  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  Erd- 
pjramiden  kleinsten  Maßstabes  haben.  In  beiden  Fällen  haben  wir  es  wohl 
mit  Gebilden  des  auftreffenden  und  abfließenden  Regenwassers  zu  tun.  Ob 
die  kleinen  Felsbecken,  die  sich  an  ähnlichen  Stellen  gelegentlich  finden, 
überhaupt  natürliche  Gebilde  sind  und  dem  Ausblasen  des  Sandes  durch  den 
Wind  ihre  Entstehung  verdanken,  wie  man  gemeint  hat,  muß  ich  dahin- 
gestellt sein  lassen. 

Von  viel  größerer  landschaftlicher  Wirkung  und  wohl  auch  von  viel 
größerer  Bedeutung  für  die  Ausgestaltung  des  Gebirges  als  die  Formen  der 
Felskanten  sind  die  Formen  der  Felswände.  Sowohl  an  offenen  Felswänden 
wie,  wenn  auch  in  geringerem  Maße,  in  den  Klüften  geht  die  Zerstörung 
beständig  vor  sich.  Häufig  sind  die  Wände  im  ganzen  ebenflächig,  aber 
nicht  glatt,  sondern  rauh,  und  vortretende  Leisten  und  Höcker  oder  Zapfen 
zeigen,  daß  die  Verwitterung  wirksam  gewesen  ist.  In  vielen  Fällen  sind 
die  Seiten  und  ünterflächen  der  Bänke  dicht  mit  Löchern  besetzt,  zwischen 
denen  ein  wabenartiges  Netzwerk  aus  feuchtem,  leicht  zerreiblichem  Sandstein 
stehen  geblieben  ist.  Diese  Löcher  sind  namentlich  an  den  Schichtenfugen 
gut  ausgebildet  und  treten  hier  als  kleine  Nischen,  Grotten  oder  Höhlchen  ^) 
auf,  die  halbkugelig  nach  innen  gewölbt  sind,  aber  immer  einen  wagrechten 
oder  sanft  nach  außen  geneigten  Boden  haben.  Gewöhnlich  sind  sie  klein, 
nur  etwa  10 — 15  cm  hoch,  mitunter  aber  werden  sie  viel  größer,  bis  zu 
fünf  und  mehr  Metern  Höhe.  An  größere  Grotten  setzen  sich  im  Hinter- 
grund oft  kleinere  an.  Meist  treten  sie  in  Scharen,  eine  neben  der  anderen 
auf,  nur  durch  schmale  Zwischenwände  oder,  wenn  diese  halb  durchbrochen 
sind,  durch  sanduhrförmige  Pfeiler  von  einander  getrennt.  Walther  hat 
dieselbe  Erscheinung  aus  der  Wüste  als  Steingitter  beschrieben.  Wenn  die 
Zwischenwände  allmählich  ganz  zerstört  werden,  so  wei-den  mehrere  neben 
einander  liegende  Nischen  zu  einfachen  Felsüberhängen.  Einzelne  Felspfeiler,  die 
an  allen  Seiten  Überhänge  haben,  bekommen  pilzartige  Form.  Rücken  dagegen 
zwei  Nischen  von  den  zwei  entgegengesetzten  Seiten  einer  Felsmauer  gegen 
einander  vor,  so  entstehen  daraus,  wie  Beck  ausgeführt  hat,  Tore,  und  es 
scheint,  daß  nicht  nur  die  vielen  kleinen  Tore,  die  wir  z.  B.  in  den  Tyssaer 
Wänden  finden,  sondern  auch  der  Kuhstall  und  das  Prebischtor  auf  diese 
Weise  zu  erklären  sind.  Eine  Exposition  dieser  Nischen  und  Überhänge 
nach  einer  bestimmten  Himmelsrichtung  ist  nicht  zu  bemerken.  Sie  treten 
eben  sowohl  an  freigelegenen  Wänden  wie  in   engen   geschützten  Schluchten 

1)  Die  Bezeichnung  Nische  oder  Grotte  wäre  sprachlich  am  besten,  schon 
um  den  Unterschied  von  allseitig  geschlossenen  Höhlen  hervorzuheben;  aber  man 
hat  das  Wort  Nische  leider  schon  anders  verwendet. 


614  Alfred  Hettner: 

auf.  Wir  können  daher  ihre  Bildung  weder  dem  Wind  noch  dem  Nebel, 
den  y.  Guthier  dafär  verantwortlich  macht,  zuschreiben.  Dagegen  sind  sie 
zweifellos  an  bestimmte  Bänke  gebunden,  denn  über  manchen  Schichtfugen 
treten  sie  in  langen  Beihen  auf,  während  sie  darüber  und  darcmter  ganz  fehlen. 
Dadurch  wird  die  Vermutung  erweckt,  daß  sie  dem  Sickerwafiser  zuzuschreiben 
seieÄ,  das  gerade  an  diesen  Schichtenfugen  etwas  reichlicher  hervorkomme, 
und  dabei  hauptsächlich  zur  Zeit  des  Frostes  Sandkörner  mitnehme;  und  diese 
Vermutung  wird  durch  die  zahllosen,  kleinen  Eiszapfen,  die  man  im  Wintek* 
von  der  Decke  dieser  Nischen  und  Überhänge  herabhängen  sieht,  fast  zur 
Gewißheit  erhoben*). 

Diese  Nischen  und  Überhänge  vergrößern  sich  im  Laufe  der  Zeit,  und 
der  Fels  wird  dadurch  immer  mehr  unterhöhlt,  untergraben,  unterminiert'). 
Lange  steht  er  auf  dem  immer  schmaler  werdenden  Sockel;  aber  schließlich 
vermag  dieser  die  darüber  liegende  Gesteinsmasse  nicht  mehr  zu  tragen,  und 
die  ganze  Felswand  bricht  einer  Kluftfläche  entlang  ab.  Eine  neue  Fels- 
wand tritt  so  an  die  Oberfläche  und  wird  von  der  Verwitterung  und  Zer- 
störung angegrifien.  Die  Grotten  und  Überhänge  bilden  sich,  wie  wir  gesehen 
haben,  vorzugsweise  in  bestimmten  Höhenzonen;  darum  schreitet  hier  auch 
die  Zerstörung  schneller  fort.  Der  über  einer  solchen  Zone  liegende  Teil 
der  Felswand  wird  rascher  zurückverlegt  als  der  untere  Teil;  es  entsteht 
ein  Sims  oder  eine  Terrasse.  Sie  treten  fast  überall  an  den  Felswänden 
der  sächsischen  Schweiz  auf  und  bilden  eines  ihrer  landschaftlich  auffallendsten 
Merkmale. 

So  sehen  wir  an  jeder  Felswand  zwei  Vorgänge  der  Zerstörung  in 
Tätigkeit:  Abspülimg  an  den  oberen  Felskanten  und  Untergrabung  oder 
Unterhöhlung  durch  Sickerwasser  von  den  Seiten  her.  Während  jene  in 
undurchlässigem  Gestein  fast  allein  in  Betracht  kommt,  ist  sie  im  stark  durch- 
lässigen Quadersandstein  verhältnismäßig  schwach  und  steht  hinter  dieser  an 
Wirksamkeit  zurück;  sie  wird  von  dieser  immer  wieder  überholt  Sie  gliedert 
die  obere  Felskante  und  rundet  deren  einzelne  Quadern  ab,  modelliert  auch 
auf  ihnen  eigentümliche  Höcker  und  Leisten.  Aber  gleichzeitig  werden  die 
Wände  an  den  Seiten  benagt,  und  in  gewissen  Horizonten  bohrt  die  Zer- 
störung tief  in  den  Felsen  ein.  Nach  einiger  Zeit  geht  die  Felswand  nieder 
und  mit  ihr  auch  die  abgewaschenen  Formen  der  oberen  Kante.  Die  Zer- 
störung muß  an  der  nächsten  Felswand  von  neuem  einsetzen. 

Ein  Teil  der  niederfallenden  Felsblöcke  und  Sandmassen  wird  durch 
rieselndes  Wasser  und  vielleicht  auch  diu-ch  Wind  weggeführt,  ein  anderer 
Teil  bleibt  aber  auf  den  vorspringenden  Terrassen  und  namentlich  am 
Fuße  der  Felswand  liegen.  Dadurch  wird  die  Verwitterung  lahm  gelegt 
oder  wenigstens  verlangsamt;  unter  der  Decke  des  Schuttes  bleibt  das  an- 
stehende Gestein  unversehrt,  während  es  darüber  abgetragen  wird.  Während 
die  Wand  allmählich  zurückverlegt  wird,  nimmt  auch  die  Zudeckung  des 
unteren  Teiles  mit  Schutt  zu,  bis  ein  gewisses  Gleichgewicht  eiTeicht  ist. 
So   wird   die   Zurücklegung   der  Felswand   von    der  Entstehung    eines    Fuß- 


1)  S.  Schw.  49  ff.  2)  S.  Schw.  63. 


Die  Felsbildungen  der  sächsischen  Schweiz.  615 

banges^)  begleitet,  der  keineswegs,  wie  man  früher  geglaubt  hat,  nur  aus 
Schutt,  sondern  gi*oßenteils  aus  anstehendem  Gestein  mit  einer  verhältnismäßig 
dünnen  Decke  von  Sand  und  losen  Felsblöcken  besteht*). 

Felswand  mit  Faßhang  ist  also  das  der  sächsischen  Schweiz  eigen* 
tümliche  Gebilde  der  Verwitterung  und  Denudation.  £s  ist,  um  von  einem 
treffenden  Vergleich  Eduard  Richters  Gebrauch  zu  machen,  das  ihren 
architektonischen  Stil  bestimmende  Formelement,  verschieden  ebenso  von  den 
gleichmäßig  geneigten  Hängen,  welche  das  oberflächlich  spülende  Wasser  in 
schwer  durchlässigem  Gestein  erzeugt,  wie  von  den  nackten  Felswänden  der 
Wüste,  in  der  der  Wind  den  niedergefallenen  Schutt  aufhebt  und  es  nicht 
zur  Bildung  von  Fußhängen  kommen  läßt. 

Die  Formen  der  Verwitterung  und  Denudation  sind  keine  selbständigen 
Gebilde,  sondern  machen  die  Bänder  der  Vertiefungen  aus,  welche,  da  Ver- 
werfungen innerhalb  der  sächsischen  Schweiz  nicht  in  Betracht  kommen, 
durch  das  fließende  Wasser  erzeugt  worden  sind. 

Man  kann  zwei  Gruppen  von  Gebilden  des  fließenden  Wassers  unter- 
scheiden: die  linear  gestreckten,  eigentlichen  Bäche  oder  Flüsse  und  die  ver- 
zweigten, im  Umriß  mehr  oder  weniger  halbkreisförmigen  Quell-  oder  Sammel- 
gebiete,  in  denen  eine  Anzahl  kleiner  Wasseradern  radial  zusammenfließen'). 
Jene  schneiden  die  eigentlichen  Täler  ein;  für  die  von  diesen  geschaffenen, 
mehr  in  die  Breite  gedehnten  und  im  Grundriß  reich  gegliederten  Hohlformen 
fehlt  uns  leider  eine  einheitliche  Bezeichnung,  da  sich  der  öfters  dafOr  ge- 
brauchte Ausdruck  Trichter,  wie  wii*  nachher  sehen  werden,  doch  nur  auf 
eine  bestimmte  Ausbildungsweise  bezieht 

Die  Täler  der  sächsischen  Schweiz,  wie  wohl  der  meisten  Gebiete  mit 
ursprünglich  flacher  Oberfläche,  zerfallen  ihrer  Anlage  nach  wieder  in  zwei 
Gruppen^).  Die  eine  sind  die  eigentlichen  Täler.  Sie  gehören  ursprünglich 
vorhandenen,  meist  von  außen  hereinkommenden  Flüssen  und  Bächen  an,  die 
schon  auf  der  Oberfläche  der  Quadersandsteintafel  in  gewundenem  Laufe 
flössen,  ehe  sie  überhaupt  begannen  sich  einzuschneiden.  Ihr  Lauf  ist  daher 
von  den  Klufkrichtungen  ganz  unabhängig  und  schneidet  diese  unter  den  ver- 
schiedensten Winkeln;  die  Talwände  sind  vielfach  kulissenfÖrmig  und  be- 
kommen leicht  etwas  Unruhiges.  Die  andere  Gruppe  sind  die  Regenschluchten, 
die  sich  erst  im  Gefolge  der  eigentlichen  Täler  von  deren  Rändern  aus  ge- 
bildet haben.  Sie  folgen  meist  geradlinig  einer  Kluftrichtung,  weil  hier  das 
abfließende  Wasser  den  geringsten  Widerstand  fand.  Abgesehen  von  diesem 
Unterschiede  aber  stimmen  die  eigentlichen  Täler  und  die  Regenschluchten 
überein,  und  wir  können  sie  unter  der  ortsüblichen  Bezeichnung  „Gründe" 
zusammenfassen. 


1)  S.  Schw.  56,  wo  aber  die  theoretische  Erörterung  zu  sehr  auf  das  von 
oben  wirkende  Wasser  zugeschnitten  ist.  Da  der  Ausdruck  Fußk«gel  nur  bei  einer 
in  sich  geschlossenen,  allseitig  abfallenden  Felswand  richtig  ist,  habe  ich  ihn  jetzt 
lieber  durch  Fußhang  ersetzt.    Er  entspricht  dem  englischen  Talus. 

2)  Rüge  gibt  in  dem  schematischen  Bilde  S.  68  leider  noch  die  falsche 
alte  Auffassung  wieder. 

3)  S.  Schw.  68  f.  4)  S.  Schw.  64  ff. 


616  Alfred  Hettner: 

Die  Gründe  der  sächsischen  Schweiz  oder  wenigstens  des  eigentlich 
typischen  Teiles  der  sächsischen  Schweiz  hahen,  wie  schon  im  Eingang  he- 
merkt  wurde,  eine  große  physiognomische  Ähnlichkeit  mit  den  Canons.  Wie 
für  diese  ist  auch  für  sie  die  geringe  Gliederung  und  das  steile  Ansteigen 
der  Talhänge,  deren  Ausbildung  in  der  Form  von  Felswänden  charakteri- 
stisch. Man  hat  diese  Eigentümlichkeit  bei  den  Canons  des  Coloradogebietes 
und  anderer  ähnlicher  Gegenden  aus  der  Trockenheit  des  Klimas  erklärt: 
die  Flüsse,  die  aus  niederschlagsreichen  Gebirgen  herabkommen,  schneiden 
tiefe  Rinnen  ein,  aber  im  Gebiet  selbst  fehlt  spülendes  Wasser,  das  die 
Wände  abflachen  und  modellieren  könnte.  In  der  sächsischen  Schweiz  übt 
die  Trockenheit  des  Bodens  eine  ähnliche  Wirkung  aus  wie  dort  die  Trocken- 
heit des  Klimas.  Auch  hier  tritt  die  Abspülung  hinter  der  Untergrabung 
zurück.  Daher  bilden  sich  nicht,  wie  in  den  meisten  deutschen  Mittelgebirgen, 
flache  gegliederte  Hänge,  die  Täler  zeigen  vielmehr  Felswände,  die  auf  man- 
chen klammartigen  Talstrecken  fast  senkrecht  bis  ans  Flußbett  herantreten,  ge- 
wöhnlich aber  einen  Fußhang  haben.  Am  linken  Eibufer,  wo  das  Gestein 
meist  etwas  toniger  und  weniger  durchlässig  ist,  also  mehr  Wasser  ober^ 
flächlich  abrieselt,  zeigen  die  Täler  meist  flachere  Hänge;  nur  an  einzelnen 
Stellen,  wie  im  Bielatal  bei  der  Schweizermühle,  treten  auch  hier  zerrissene, 
grotesk  gestaltete  Felswände  auf^). 

Walther  hat  aus  der  ägyptischen  Wüste  Schluchten  beschrieben,  die 
im  großen  und  ganzen  die  Form  von  Tälern  haben,  am  Boden  aber  mit 
-Sand  erfüllt  sind  und  keine  gleichmäßige  Neigung,  sondern  unregelmäßiges 
Auf  und  Ab  zeigen.  Über  die  Entstehung  dieser  Schluchten  hat  er  sich 
wechselnd  ausgesprochen;  während  er  dem  Winde  an  manchen  Stellen  nur 
eine  umbildende  Rolle  zuweist,  stellt  er  ihn  an  anderen  Stellen  als  den 
eigentlichen  Bildner  dieser  Schluchten  hin.  Mir  scheint  die  erstere  Ansicht 
richtig  zu  sein.  Keine  Beobachtung  gibt  uns  den  geringsten  Anhalt  für 
die  Meinung,  noch  ist  diese  theoretisch  plausibel,  daß  der  Wind  aus  einer 
zusammenhängenden  ungegliederten  Fläche  länglich  gestreckte  und  dabei  ge- 
wimdene  Hohlforraen  herauszublasen  vermöge.  Die  Hohlform  muß  durch 
fließendes  Wasser  angelegt  worden  sein,  sei  es  daß  ihre  Bildung  in  eine 
Zeit  feuchteren  Klimas  zurückreicht,  sei  es  daß  die  gelegentlichen  heftigen 
Regengüsse,  die  keiner  Wüste  fehlen,  sie  geschaffen  haben.  Nur  die  Um- 
bildung des  Talbodens  ist  ein  Werk  des  Windes,  der  in  den  langen  Zwischen- 
zeiten zwischen  stärkeren  Regenfluten  zur  Alleinherrschaft  kommt.  Die 
Wüstenschluchten  oder  Wadis  sind  fluviatile  Gebilde,  aber  äolisch  umge- 
bildet. Angedeutet  ist  solche  äolische  Umbildung  des  Bodens  auch  in  den 
Schluchten  der  sächsischen  Schweiz;  der  Boden  ist  auch  hier  manchmal  mit 
dickem  Sand  bedeckt,  der  ursprünglich  wohl  vom  Wasser  herbeigebracht, 
aber  vom  Wind  imigelagert  worden  ist;  denn  wenn  das  Wasser  nicht  in 
größer  Fülle  herabstürzt,  versickert  es  leicht  im  Sande,  ohne  ihm  etwas  an- 
haben zu  können. 

Man  kann  in  den  meisten  Tälern  der  sächsischen  Schweiz  zwei  Systeme 


1)  S.  Schw.  80  ff.,  bes.  8Ö. 


Die  Felsbildung^en  der  Bäcbsischen  Schweiz.  617 

von  Talterrassen  erkennen,  welche  auf  Stillstandsperioden  der  Erosion 
beruhen.  Das  jüngere  besteht  in  Stufen  und  Terrassen  im  Längsprofile  na- 
mentlich der  kleineren  Täler,  manchmal  noch  ganz  nahe  ihrer  Mündung,  die 
auf  eine  ehemalige  Talsohle  der  Elbe  ungefähr  40  m  über  der  heutigen  Tal- 
sohle hinweisen^).  Diese  Stillstandsperiode  muß  ziemlich  kurz  gewesen  sein 
und  hat  fär  die  heutige  Form  der  sächsischen  Schweiz  verhältnismäßig  ge- 
ringe Bedeutung.  Die  andere,  ältere  Stillstandsperiode  kommt  in  Gehänge- 
terrassen des  Elbtals  oberhalb  Wehlens  und  Hermskretschens,  des  sich  auf- 
wärts daran  anschließenden  Kanmitztales  und  fast  sämtlicher  Nebentäler 
2um  Ausdruck,  wenngleich  es  nicht  immer  möglich  ist,  sie  von  den  auf  der 
verschiedenen  Widerstandsfähigkeit  der  Gesteinsbänke  beruhenden  Denudations- 
terrassen bestimmt  zu  unterscheiden').  Unterhalb  Wehlens  kommt  diese  Ter- 
rasse über  das  Niveau  der  Ebenheiten  zu  liegen;  sie  scheint  sich  hier  in  der 
Form  von  Schotterterrassen  fortzusetzen.  Oberhalb  Hermskretschens  fehlt  sie 
im  Elbtal  zwar  nicht,  steigt  aber  auffallend  rasch  an^  so  daß  sie  bei  Rasseln 
schon  400  m  ü.  d.  M.  liegt').  Man  könnte  annehmen,  daß  sie  hier  ur- 
sprünglich flach  verlaufen  und  erst  nachträglich  schief  gestellt  worden  sei; 
aber  die  Ebenheiten  auf  beiden  Seiten  des  heutigen  Elbtals  erscheinen  so 
einheitlich  und  zeigen  so  wenig  Bezug  auf  das  dazwischenliegende  Tal,  daß 
man  den  Eindruck  bekommt,  hier  sei  ursprünglich  nur  ein  kleiner  Bach  ge- 
flossen und  erst  nachträglich,  d.  h.  zur  Zeit  der  neu  einsetzenden  Erosion, 
habe  die  böhmische  Elbe  ihren  Lauf  hierher  gewendet^).  Es  mag  darauf 
hingewiesen  werden,  daß  nach  den  Untersuchungen  Kaisers  auch  die 
Terrasse  des  Rheintals  oberhalb  Andernachs  auffallend  stark  ansteigt. 

Die  oberen  Erosionsterrassen  sind  darum  so  bedeutsam,  weil  sich  an  sie,  wie 
wir  sehen  werden,  große  Denudationsflächen  anschließen,  wodurch  in  größerer 
Höhe  überhaupt  oft  der  eigentliche  Talcharakter  verloren  geht.  Ihre  Aus- 
bildung setzt  eine  sehr  lange  Stillstandsperiode  des  Einschneidens  voraus, 
welche  wohl  in  der  Tertiärzeit  begonnen  und  bis  in  die  Quartärzeit  hinein- 
gereicht hat,  denn  ihnen  sind  vielfach  altquartäre  (teilweise  glaciale)  Schotter 
und  Lehme  aufgelagert,  welche  nicht  mit  Wald,  wie  der  Sandstein,  sondern 
mit  Feld  bedeckt  sind  und  die  Terrassen  und  Platten  schon  äußerlich  auf- 
fUllig  machen.  Zur  Zeit  der  größten  Ausdehnung  eiszeitlicher  Vergletsche- 
rung, als  die  letzten  Ausläufer  des  nordischen  Lilandeises  bis  hierher  reichten, 
müssen  die  Terrassen  und  Platten  bereits  ausgebildet  gewesen  sein;  dagegen 
ist  das  tiefere  Einschneiden  der  Flüsse  und  damit  die  Ausbildung  der  heutigen 
Gründe  erst  in  postglacialer  Zeit,  d.  h.  nach  der  vorletzten,  größten  Eiszeit 


1)  S.  Schw.  77  f.  u.  100  f. 

2)  S.  Schw.  102  ff.  Ich  habe  die  Terrasse  seitdem  auch  noch  in  mehreren  der 
kleinen  Nebentäler  der  linken  Eibseite  festgestellt  xmd  auch  im  Elbtal  zwischen 
Schandau  und  Hermskretschen  mit  Deutlichkeit  erkannt. 

8)  Die  in  meinem  Buch  S.  103  f.  ausgesprochene  Skepsis  ist  wohl  unnötig. 

4)  Die  Mitteilungen  von  Hibsch  im  Jahrbuch  d.  geol.  Eeichsanstalt  Bd.  49 
(1899)  S.  641  ff.  und  in  seinem  Exkursionsführer  beziehen  sich  leider  nur  auf  die 
diluvialen  Ablagerungen,  nicht  auch  auf  die  Terrassen  im  böhmischen  Mittelgebirge 
imd  reichen  daher  für  die  Entscheidung  der  Frage  nicht  aus. 


618  Alfred  Hettner: 

erfolgt^).  Das  Inlandeis  hat  auf  die  Ausbildung  der  eigentlichen  Oründe 
keinen  Einfluß  ausgeübt,  und  auch  die  Kräfte  der  Verwitterung  und  Denu- 
dation haben  nur  verhältnismäßig  wenig  Zeit  zur  Bearbeitung  der  Tal- 
wände gehabt.  Daher  kommt  es,  daß  manche  Gründe  etwas  Elammartiges 
haben,  und  auch  die  •  Canonform  wird  dadurch  begünstigt. 

Die  Ausgestaltung  der  Quell-  oder  Sammelgebiete  des  Wassers 
gehorcht  denselben  Gesetzen  wie  die  der  Täler.  Die  flachen  Hänge  der  ein- 
zelnen Bunsen,  welche  überall  auftreten,  wo  spülendes  Wasser  wirksam  ist, 
werden  hier  in  dem  durchlässigen  und  dabei  von  senkrechten  Klüften  durch- 
setzten Sandstein  durch  steile  Felswände  ersetzt,  die  nur  an  ihrem  Fuß 
flacher  geneigt  und  oberflächlich  mit  Schutt  überdeckt  sind.  An  Stelle  der 
Trichter  (eigentlich  Halbtiichter),  welche  im  Bereich  undurchlässiger  Ge- 
steine die  Form  der  Sammelgebiete  sind,  treten  daher  Felskessel  oder 
Amphitheater.  Wir  können  sie  im  kleinsten  Maßstab  im  oberen  Teile  fast 
jeder  Felswand  bemerken,  etwas  größer  treten  sie  an  den  Seiten  der  Tafel- 
berge, z.  B.  an  den  Bärensteinen,  auf,  am  größten  sind  sie  in  dem  großen 
Felsrevier  zwischen  Elbe,  Kimitzsch  und  Kamnitz  entwickelt,  wo  sie  Durch- 
messer von  mehr  als  einem  Kilometer  erreichen  und  sich  nach  hinten, 
manchmal  in  mehrfacher  Wiederholung,  in  sekundäre  Felskessel  zu  ver- 
zweigen pflegen.  Ein  solcher  großer  Felskessel  liegt  hier  neben  dem  andern, 
die  einen  ziemlich  genau  halbkreisförmig,  die  anderen  mehr  in  die  Länge 
gezogen  und  dadurch  in  die  Talform  übergehend,  aber  im  wesentlichen  ein- 
ander gleich^).  Diese  Felskessel  sind  natürlich  in  beständiger  Weiterbildung 
begriffen.  Wenn  sich  ihre  Ränder  einander  nähern,  werden  die  dazwischen 
liegenden  Tafelstücke  angegriffen,  ausgestaltet  und  schließlich  ganz  zerstört, 
so  daß  an  ihrer  Stelle  nur  eine  flache  Bodenschwelle  übrig  bleibt,  während 
sich  ein  neuer  Kessel  im  Hintergrunde  des  alten  gebildet  hat.  Die  Kessel 
schreiten  also  gleichsam  nach  hinten  fort,  und  zwar  erfolgt  dies  Fortschreiten 
viel  schneller  auf  der  Seite  der  Schichtenneigung  als  der  Schichtenköpfe, 
wie  man  an  den  Nikolsdorfer  und  Tyssaer  Wänden  oder  in  größerem  Maß- 
stabe an  dem  unterschiede  der  gegen  die  Kirnitzsch  und  der  gegen  die  Elbe 
gekehrten  Kessel  beobachten  kann'). 

Eduard  Richter  hat  feinsinnig  darauf  hingewiesen^),  daß  die  Amphi- 
theater der  Wüste,  welche .  zuerst  Powell  und  Dutton  an  den  Seiten  des 
Coloradocanons  und  später  Walther  aus  der  ägyptischen  Wüste  kennen  ge- 
lehrt haben,  die  Felskessel  der  sächsischen  Schweiz,  welche  ich  ausfOhrlich 
beschrieben  hatte,  und  die  Kare  oder  Botner  der  ehemals  verfimten  Hoch- 
gebirge auf  eine  entsprechende  Bildungsursache,  nämlich  die  Abwesenheit 
spülenden  Wassers  und  die  Abtragung  durch  Untergrabung,  zurückzufahren 
seien.  Die  Umrandung  durch  Felswände  ist  in  allen  drei  Fällen  gleich  und 
macht  den  Gegensatz  gegen  die  Trichter  aus.  Hauptsächlich  in  der  Ge- 
staltung des  Bodens  der  Kessel  kommen  die  großen  Verschiedenheiten  der 
Lage  und  der  klimatischen  Bedingungen  zur  Geltung,   denn   sie  wird  in  der 

1)  S.  Schw.  99.  2)  Vergl.  die  ausführliche  Beschreibung   S.  Schw.  86  f. 

8)  S.  Schw.  64. 

4)  Geomorphologische  Untersuchungen  in  den  Hochalpen.    S.  11  f. 


Die  Felsbildungen  der  sächsischen  Schweiz.  619 

sächsischen  Schweiz  wie  überhaupt  bei  feuchtem  Klima  durch  das  Wasser,  in 
den  Wüsten  vorzugsweise  durch  den  Wind,  in  dem  Hochgebirge  durch  Firn 
und  Eis  bewirkt.  Der  Boden  ist  daher  bei  uns  fast  immer  trichterförmig, 
in  der  Wüste  kann  er  eben  sein,  in  den  eigentlichen  Karen  ist  er  flach 
wellig  und  häufig  beckenförmig. 

In  den  Sammelgebieten  vollzieht  sich  der  Hauptsache  nach  die  Zer- 
störung und  Abtragung  der  Gebirgslandschaften;  denn  die  von  Gilbert  aus- 
gesprochene Vermutung,  daß  die  Flüsse  selbst,  an  der  Oberfläche  harter  Bänke 
schräg  abwärts  gleitend,  eine  Flächenabtragung  ausübten,  ist  zwar  offc  als 
Vermutung  wiederholt,  aber  wohl  nirgends  durch  genauere  Untersuchung  be- 
wiesen worden.  Darum  ergibt  sich  die  Ausbildungsweise,  der  Stil  der  Berge 
und  überhaupt  der  Vollformen  aus  der  Ausbildungsweise  der  Sammelgebiete, 
ebenso  wie  ihre  Anordnung  von  der  Anordnung  der  Sammelgebiete  und  überhaupt 
der  Wasserläufe  abhängig  ist.  Die  Zerstörung  der  sächsischen  Schweiz  diu-c^ 
die  Gewässer  stinunt  mit  der  der  übrigen  deutschen  Mittelgebirge  darin  über- 
ein, daß  sie  nur  ganz  allmählich  von  den  durch  die  Verwerfungen  und  Fluß- 
linien  gegebenen  l^efenlinien  aus  ins  Innere  vordringt^),  sie  unterscheidet  sich 
aber  von  den  meisten  dadurch,  daß  dieses  Vordringen  nicht  mit  trichterför- 
migen, sondern,  ähnlich  wie  in  der  Wüste,  mit  kesseiförmigen  Einsenkungen 
erfolgt  An  Stelle  flacher  Böschungen,  die  durch  Trichter  und  dazwischen 
liegende  gerundete  Bergrippen  gegliedert  sind,  sind  darum  Felswände  mit 
Felskesseln  und  dazwischen  sich  vorstreckenden  Felsmauem  die  vorwaltenden 
Formen.  Die  erhalten  gebliebenen  Stücke  der  ursprünglichen  Tafelfläche, 
mögen  sie  noch  eine  weite  Flächenausdehnung  haben  oder  länglich  gestreckte 
Rücken  oder  einfache  Berge  bilden,  sind  stets  durch  solche  Felswände  be- 
grenzt und  sind  daher  je  nachdem  Tafelmassen,  die  an  den  Bändern  in  wirre 
Felsreviere  aufgelöst  sind,  oder  Felsmauem  oder  Tafelberge,  sogenannte  Steine, 
bei  denen  sich  eine  Felskrone  von  einem  Fußkegel  absetzt.  Felsmauem,  die 
auf  beiden  Seiten  von  Kesseln  angegriffen  werden,  zeigen  Einsattelungen,  die 
nach  den  beiden  Seiten  aber  nicht  allmählich,  wie  bei  gewöhnlichen  Kämmen, 
sondern  treppenförmig  ansteigen.  An  der  Spitze  einer  zwei  benachbarte 
Kessel  trennenden  Felsmauer  stehen  häufig  isolierte  Felssäulen  oder  Fels- 
pfeiler oder,  in  größerem  Maßstab,  eigentliche  Vorberge,  die  immer  die  Form 
von  Steinen  haben*).  Am  Fuß  der  Tafelmassen  und  Tafelberge  breiten  sich 
sanftwellige  Felsplatten  aus,  die  aus  der  Zerstörung  hervorgegangen  sind; 
die  niedrigen  Bodenschwellen  entsprechen  den  ehemaligen  Felsmauem. 

Am  schönsten  lassen  sich  diese  Formen  in  dem  Gebiet  zwischen  Elbe, 
Kimitzsch  und  Kamnitz  studieren,  weil  der  Vorgang  der  Zerstörung  hier  noch 
in  vollem  Gange  ist  und  die  durch  die  vollendete  Abtragung  entstandenen 
Platten  neben  wirren  Felsrevieren  und  unversehrten  Felsmassen  liegen').  Viel 
weiter  fortgeschritten  ist  die  Zerstörung  auf  dem  linken  Eibufer  zwischen 
Schöna  und  Königstein,  wo  sie  von  einer  ganzen  Anzahl  unregelmäßig  an- 
geordneter kleiner  Täler  ausgegangen  ist,  welche  durch  die  meist  auf  der 
Plänerschicht   entspringenden   Bäche    eingegraben    worden    waren.     Hier    sind 


1)  8.  Schw.  76  ff.  2)  S.  Schw.  65  u.  87.  3)  S.  Schw.  86  ff. 


620  Alfred  Hettner; 

nur  noch  einzelne  Tafelberge  als  Reste  der  alten  Kesselumrandnngßn  erhalten, 
die  im  übrigen  zu  flachen  Bodenschwellen  eingeebnet  sind.  Ein  solcher  Fels- 
kessel muß  das  bei  Königstein  mündende  Pfaffendorfer  Tälchen  umgeben 
haben;  der  Pfaffenstein,  die  schon  ziemlich  abgetragenen  Höhen  nordwestlich 
von  Kunersdorf,  der  Gorischstein,  die  Höhen  nordöstlich  von  Pfaffendorf  ge- 
hörten ihm  an;  aber  mehr  gegen  Eönigstein  hin  finden  wir  an  der  Stelle 
der  ehemaligen  Felswände  flache  Schwellen,  die  sich  gegen  den  oberen  Band 
des  Pfaff'endorfer  Grandes  abdachen.  Ein  zweiter  Felskessel,  durch  den 
Gorischstein,  den  Papststein  und  den  Kleinhennersdorfer  Stein  gebildet,  lag 
gleich  daneben  um  den  Gorischbach  und  Bietzschgrund  herum.  Daran  schloß 
sich,  den  Papstdorfer  Bach  umgebend,  ein  dritter  Kessel,  von  dessen  einer 
Wand,  die  ihm  mit  dem  vorigen  Kessel  gemeinsam  ist,  der  Papststein  und 
der  Kleinhennersdorfer  Stein,  von  dessen  anderer  Wand  der  Koppelsberg  und 
äer  Kohlbomstein  erhalten  sind,  während  die  Hinterwand  zerstört  ist.  Öst- 
lich von  Schöna  und  südlich  von  Beinhardsdorf  treten  uns  Kaiserkrone, 
Zirkelstein  und  Wolfsberg,  bei  denen  aber  die  Tafelform  schon  verloren  ge- 
gangen und  die  Felskrone  stark  verkleinert  ist,  als  Beste  alter  Felskessel 
entgegen^).  Zwischen  Beinhardsdorf  und  der  Elbe  ist  die  Einebnung  voll- 
ständig erfolgt;  hier  ist  nur  noch  eine  flache  Bodenschwelle  vorhanden,  die 
einerseits  gegen  eine  alte  Talterrasse  der  Elbe,  andererseits  gegen  eine  alte 
Terrasse  des  Beinhardsdorfer  Baches  abgedacht  ist.  Ganz  ähnlicher  Ent- 
stehung scheinen  die  Krippener,  Ostrauer,  Bathmannsdorfer  Ebenheiten  zu  sein. 
Es  sind  ganz  flache,  gegen  alte  Talterrassen  der  Elbe  und  ihrer  Nebenflüsse 
abgedachte  Schwellen  und  Buckel  von  annähernd  gleicher  Meereshöhe,  die 
übrig  gebliebenen  Bümpfe  ehemaliger  Felsmauem  und  Steine*). 

In  der  sächsischen  Schweiz  erfolgt  die  Abtragung  also  nach  ähnlichen 
Gesetzen,  wie  sie  Powell  und  Button  für  das  Cafiongebiet  des  Colorado 
entwickelt  haben:  an  den  Seiten  der  Verwerfungen  und  Tallinien  bilden  sich 
Felskessel  aus,  sie  vergrößern  sich  allmählich  nach  den  Seiten  und  nach 
hinten,  die  trennenden  Felsrippen  werden  zerstört,  und  flache  Schwellen  treten 
an  ihre  Stelle,  die  Felswände  im  ganzen  weichen  nach  hinten  zurück  {Reces- 
sion  of  Cliffs\  die  ursprüngliche  Tafel  wird  immer  kleiner  und  verliert  immer 
mehr  den  Zusammenhang,  vielfach  bleiben  nur  noch  einzelne  Felsmauem  und 
Tafelberge  davon  übrig,  bis  auch  sie  verschwinden  und  eine  flach  gewellte 
Oberfläche  zurückbleibt.  Es  ist  eine  besondere  Form  des  allgemeinen  Vorganges 
der  Einebnung  der  Gebirge,  der  Peneplanation,  wie  man  heute  oft  mit  einem  von 
W.  M.  Davis  eingeführten  Ausdruck  sagt,  der  Abrasion,  wie  man,  eine  zunächst 
allerdings  lÜr  die  Brandungswirkung  geschaffene  Bezeichnung  v.  Bichthofens 
erweiternd,  sagen  könnte.  Es  ist  eine  besondere  Form,  deren  Besonderheit  je 
nachdem  in  der  Trockenheit  des  Klimas  oder  in  der  Trockenheit  des  Bodens  und 
in  beiden  Fällen  in  der  Abwesenheit  des  spülenden  Wassers  und  der  dadurch 


1)  Ich  habe  diese  ehemaligen  Felakessel  jetzt  vollständiger  zu  rekonstruieren 
vermocht,  als  es  mir  früher  (S.  Schw.  96)  gelungen  war. 

2)  Früher  habe  ich  mich  leider  durch  die  annähernd  gleiche  Meereshöhe  dieser 
Ebenheiten  täuschen  lassen  und  sie  für  die  Stücke  einer  großen,  einheitlich  gebil- 
deten Ebene  gehalten,  in  die  die  Talterrassen  eingesenkt  seien  (S.  Schw.  92  fr.). 


Die  Felsbildungen  der  säcbsiscben  Schweiz.  621 

ermöglichten  Bildung  von  Felswänden  ihre  Ui*sache  hat.  Walther  hat  diese 
Form  der  Bodengestaltung  und  Abtragung,  das  Auftreten  der  Felswände  und 
der  tafelartigen  Vorberge,  die  er  mit  einem  in  der  algerischen  Sahara  üb- 
lichen treffenden  Ausdruck  Zeugenberge  nennt,  als  Eigentümlichkeiten  der 
Wüste  ansprechen  wollen.  Aber  Zeugenberge,  d.  h.  tafelförmige  Vorberge 
vor  Tafelländern,  finden  sich  selbst  in  feuchten  Klimaten  der  Tropen  und 
Subtropen  und  können  sich  überall  bilden,  wo  durchlässige  Schichten  in  tafel- 
förmiger Lagerung  auftreten.  Nur  in  der  Einzelgestaltung,  in  der  Abwesen- 
heit eines  Fußhanges  und  dem  Herabreichen  der  Felswand  bis  an  den  Fuß, 
scheint  das  Wüstenklima  zur  Geltung  zu  kommen.  Auch  der  Gvaig  der  Zer- 
störung in  den  Hochalpen  und  der  davon  abhängende  Charakter  der  Formen 
ist  ja  ähnlich;  aber  die  Ähnlichkeit  konunt  wegen  der  steilen  Aufrichtung  der 
Schichten  gewöhnlich  nicht  zu  deutlichem  physiognomischem  Ausdruck. 

Im  östlichen  Teile  der  sächsischen  Schweiz  treten  uns  am  rechten  Elb-' 
ufer  und  auch  in  den  anschließenden  Gebieten  des  linken  Eibufers  mit  großer 
Deutlichkeit  zwei  Höhenzonen  mit  verschiedener  Bodengestaltung  entgegen, 
die  durch  ein  Niveau  der  Ebenheiten  von  einander  getrennt  werden.  Wäh- 
rend unterhalb  dieses  Niveaus  nur  enge  Gründe  eingegraben  sind,  an  die  sich 
nur  wenig  entwickelte  Schluchtennetze  anschließen,  das  Gestein  also  großen- 
teils noch  erhalten  ist,  ist  es  über  den  Ebenheiten  zum  größeren  Teile  ab- 
getragen, und  nur  kleinere  Tafelmassen  und  Tafelberge  sind  als  Reste  und 
Zeugen  der  ursprünglich  zusammenhängenden  Gesteinstafel  übrig  geblieben. 
Dieser  Gegensatz  beruht  nicht  auf  einem  Gegensatz  der  Art,  sondern  lediglich 
des  Grades  der  Zerstörung.  Er  beruht  darauf,  daß  die  Erosion  der  Elbe 
und  ihrer  Nebenflüsse  aus  irgend  einem  Grunde,  den  wir  noch  nicht  kennen, 
für  lange  Zeit  in  einem  bestimmten  Niveau,  das  noch  heute  durch  ein  System 
von  Talterrassen  deutlich  gekennzeichnet  wird.  Halt  machte  und  erst  in  ver- 
hältnismäßig junger  Zeit,  erst  nach  der  großen  Vergletscherung,  von  neuem 
einsetzte  und  die  Täler  bis  zu  ihrer  jetzigen  Tiefe  eingrub.  Über  dem 
Niveau  der  Talterrassen  ist  die  Zerstörung  sehr  alt  und  hat  daher  große 
Fortschritte  machen  können;  Felskessel  schaffend  und  sie  vergrößernd  und 
zurücklegend,  hat  sie  über  die  Fläche  gearbeitet  und  Felsplatten  oder  Eben- 
heiten erzeugt,  die  gegen  die  Talterrassen  abgedacht  sind,  unter  diesen 
Talterrassen  ist  die  Zerstörung  noch  jung  und  daher  im  ganzen  auf  einzelne 
Linien  beschränkt 

Mit  einem  Gegensatz  der  Gesteinszusammensetzung  hat  also  der  auf- 
fallende, den  Landschaftscharakter  in  erster  Linie  bestimmende  Gegensatz 
zweier  Niveaus  im  östlichen  Teile  der  sächsischen  Schweiz  nichts  zu  tun;  er 
vollzieht  sich  fast  ganz  innerhalb  des  oberen  Quadersandsteins,  der  hier  keine 
trennende  Zwischenschicht  zeigt.  Wohl  aber  kommt  die  Gesteinszusammen- 
setzung zur  Geltung,  wenn  wir  uns  in  den  nördlichen  und  westlichen  Teil 
der  sächsischen  Schweiz  begeben.  Wir  finden  hier  eine  Anzahl  auffallend 
regelmäßiger,  sanft  abgedachter  Ebenheiten,  die  durch  Landstufen  von 
einander  getrennt  werden,  und  in  jedem  Falle  sehen  wir  diese  Landstufen 
von  einem  Gesteinswechsel  oder  dem  Auftreten  einer  Zwischenschicht  begleitet. 

In  einer  ersten  Stufe  erhebt  sich  bei  der  Goldenen  Höhe  und  bei  Neu- 


622  Alfred  Hettner: 

Cunnersdorf  südlich  von  Dresden,  also  noch  außerhalb  der  sSchsischen  Schweiz^ 
der  untere  Quader  (Carinatendandstein  =  cl$  der  geologischen  Spezialkarte)  aus 
dem  Orundgebirge.  Diese  Stufe  geht  weiter  südöstlich,  also  am  Rande  der 
sSchsischen  Schweiz  gegen  das  Erzgebirge,  verloren,  der  untere  Quader,  der 
hier  wohl  toniger  ist,  liegt  hier  vielmehr  flach  auf  dem  Grundgebirge  auf. 
Eine  Stufe  wird  erst  durch  den  mittleren  oder  Labiatusquader  (tls)  gebildet. 
Sie  läßt  sich  von  Dohma  bei  Pirna  über  den  Ladenberg  nördlich  von  Berg- 
gießhübel,  Hennersdorf  und  Baitza  bis  Tjssa  verfolgen  und  kann  hier  als  die 
Grenze  der  sächsischen  Schweiz  gegen  das  Erzgebirge  angesehen  werden. 
Sie  bildet  den  Rand  einer,  abgesehen  von  den  Taleinschnitten,  merkwürdig 
ebenen,  gleichmäßig  nach  Norden  geneigten  Fläche,  die  zwischen  Tjssa  und 
Dorf  Schneeberg  620  m  ü.  d.  M.  liegt  und  bei  Pirna  unter  die  Eibaue  ein- 
sinkt. Ich  habe  sie  als  die  Cottaer  Ebenheit  bezeichnet.  Ihre  Oberfläche 
besteht,  von  den  auflagernden  quartären  Lehmen  und  Schottern  abgesehen, 
überall  aus  dem  mittleren  Quadersandstein;  nur  an  dem  sie  überragenden  Cot- 
taer Spitzberg  hat  sich  unter  dem  Schutze  des  Basaltes  auch  der  über  dem 
mittleren  Quader  liegende  Pläner  und  glaukonitische  Sandstein  erhalten. 

Eine  neue  Stufe  führt  uns  von  der  Cottaer  zu  einer  neuen  Ebenheit 
hinauf.  Diese  Stufe  begleitet  von  Pirna  an  die  rechte  Seite  des  Gottleuba- 
tales  und  zieht  dann,  jedoch  in  etwas  verwaschener  Ausbildung,  von  Langen- 
hennersdorf  nahe  bei  Hermsdorf  und  Rosenthal  vorbei  zum  Schneeberg,  der 
sich  in  raschem  Anstieg  über  die  Cottaer  Ebenheit  erhebt,  auf  welcher  noch 
das  Dorf  Schneeberg  liegt.  Den  unteren  Teil  dieser  Stufe  setzen  Pläner- 
mergel  {t2p)  und  glaukonitischer  Sandstein  (tJ^g)^  den  oberen  oberer  Quadersand^ 
stein  (tSs)  zusammen,  der  dann  auch  die  Oberfläche  der  folgenden  Ebenheit 
bildet.  Diese  hat  ihre  klarste  und  besterhaltene  Ausbildung  am  linken  Eib- 
ufer zwischen  Pirna  und  Eönigstein;  deshalb  habe  ich  sie  nach  dem  hier  be- 
legenen,  Dorfe  Struppen  benannt.  Auf  dem  rechten  Eibufer  zerlegt  sie  sich 
in  zwei  Ebenheiten,  die  Copitzer  und  die  Wehlener  Ebenheit,  die  durch  eine 
von  Zatzschke  gegen  Zeichen  und  Naundorf  ziehende  Stufe  getrennt  werden; 
es  ist  bezeichnend,  daß  diese  Zerlegung  mit  dem  Auftreten  einer  mergeligen 
Zwischenschicht  im  oberen  Quader,  des  sog.  Baculitenmergels  (f4),  zusammen* 
fällt.  In  den  höheren  Teilen  des  linken  Eibufers  ist  die  Sbruppener  Eben- 
heit nur  noch  unvollkommen  erhalten;  schon  in  der  breiten  Haide  und  den 
Nikolsdorfer  Wänden  südwestlich  von  Königstein  ist  sie  durch  eine  von  einem 
Seitentälchen  der  Biela  ausgehende  Zerstörung,  von  der  oben  die  Rede  war, 
stark  angegriffen,  weiter  östlich  und  südöstlich  ist  sie  nur  noch  in  einzelnen 
Steinen  übrig,  von  denen  der  Schneebei^  der  höchste  (723  m)  und  zugleich 
best  erhaltene  ist;  in  den  Zwischenräumen  ist  die  ziemlich  dünne  Decke  des 
oberen  Quaders  entfernt,  und  die  weichen  verwaschenen  Formen  des  glauko- 
nitischen Sandsteins  sind  zu  Tage  getreten*). 

Die  Felsmassen  des  nordöstlichen  Teiles  der  sächsischen  Schweiz:  die 
Schöne  Höhe  bei  Dittersbach  i.  S.,   das  Plateau  der  Bastei,  das  Plateau  jen- 


1)  Die  Konstruktion  der  Ebenheiten  auf  den  Profilen  in  meinem  Buche  bedarf 
in  diesem  Gebiete  teilweise  der  Berichtigung. 


Die  Felsbildungen  der  dächsischen  Schweiz.  623 

seits  äer  Pölenz,  auf  däm  der  Brand  liegt,  das  Schrammstein- Winterberg- 
Plateau,  wahilBCheinlich  auch  die  Oberflächen  des  Liliensteins,  Königsteins, 
Pfaffensteins  und  der  anderen  der  Elbe  nahe  liegenden  Steine  der  linken 
Eibseite,  erheben  sich  noch  über  die  Wehlener  und  did  Struppener  Ebenheit; 
aber  es  muß  dahingestellt  bleiben  ^  ob  hier  eine  neue  eigentliche  Landstufe 
vorliegt;  eine  Zwischenschicht  von  anderer  Beschaffenheit,  wie  sie  an  den 
übrigen  Landstüfen  auftritt,  ist  hier  nicht  zu  bemerken. 

So  iareten  uns  in  der  sächsischen  Schweiz,  im  ganzen  von  SW  nach  NO 
auf  einander  folgend,  eine  Anzahl  von  Landstufen  und  Platten  oder  Eben- 
heiten entgegen,  die  an  Größe  hinter  denen  des  schwäbischen  und  fränkischen 
Stufenlandes  zurücktreten,  aber  von  derselben  Art  und  Entstehung  sind.  Sie 
können  nicht  durch  Yerwörfimgen  heryorgerdfen  söin,  wie  man  ohne  irgend 
welchen  Beweis  angenommen  hatte,  da  die  Schichten  auf  beiden  Seiten  der 
Landstufen  im  selben  Niveau  fortsetzen  und  jede  Stufe  mit  dem  Auftreten 
eines  neuen  höheren  Schichtenkomplexes  zusanuQ^nfällt.  Es  ist  auch  nicht 
wahrscheinlich,  daß  sie  gleich  bei  der  Ablagerung  der  Schichten  im  Meere 
entstanden  seien,  denn  an  einzelnen  Stellen  haben  sich  die  höheren  Schichten 
auch  jenseits  der  Stufe  erhalten.  Die  Stufen  scheinen  vielmehr  durch  Ab- 
tragung entstanden  zu  sein,  als  eine  Folge  des  Gesteinswechsels  und  der 
darin  gegebenen  Ungleichheit  des  Widerstandes,  wie  es  oft  auseinandergesetzt 
worden  ist. 

Aber  von  dem  Vorgang  der  Abtragung  können  wir  uns  inmier  noch 
keine  ganz  klare  Vorstellung  machen.  Es  ist  schwer,  sich  eine  Kraft  vorzu^ 
stellen,  durch  welche  manche  Schichtkomplexe  fast  bis  auf  den  letzten  Rest 
weggeräumt  werden,  während  die  darunter  liegende  Schicht  ^t  unversehrt 
erhalten  ist.  Walther  hat  in  der  Wüste  dafür  hauptsächlich  den  Wind  in 
Anspruch  genonimen,  der  in  einem  trockenen  Klima  auf  nacktem  Boden  für 
eine  solche  in  die  Fläche  wirkende  Arbeit  in  der  Tat  geeignet  erscheint. 
Aber  für  unsere  deutschen  Stufenlandschaften  dürfte  er  kaum  in  Betracht 
kommen;  denn  abgesehen  davon,  daß  wir  in  der  Tertiärzeit,  in  welcher  die 
Abtragung  vor  sich  gegangen  sein  muß,  keinerlei  Anhalt  für  ein  Trocken- 
klima haben,  spricht  dagegen  auch  die  Auswahl  der  Gesteine,  welche  zerstört 
und  welche  erhalten  sind.  Wir  pflegen  die  Gesteine,  welche  stehen  bleiben,, 
als  hart,  die  Gesteine,  welche  zerstört  werden,  als  weich  zu  bezeichnen,  und 
geben  uns  nicht  immer  genügend  Rechenschaft  darüber,  worin  die  Härte  oder 
Weichheit  bestehe;  wir  dürften  zunächst  eigentlich  nur  von  größerer  oder  ge- 
ringerer Widerstandsfähigkeit  sprechen.  Die  Widerstandsfähigkeit  muß  aber 
gegenüber  verschiedenen  Kräften  verschieden  sein;  somit  können  wir  aus  der 
Art  der  Widerstandsfähigkeit  auf  die  Kraft  schließen,  welche  die  Abtragung 
bewirkt  hat.  In  der  sächsischen  Schweiz  werden  die  oberen  Teile  der  Stufen 
und  die  Platten,  von  den  quartären  Auflagerungen  natürlich  abgesehen,  von 
reinem  Quarzsandstein  gebildet,  während  die  tonigen  und  mergeligen  Gesteine 
unter  dem  Sandstein  im  unteren  Teile  der  Stufen  auftreten,  auf  den  Platten 
aber  meist  zerstört  oder  wenigstens  stark  angegriffen  sind.  Der  Sandstein 
der  sächsischen  Schweiz  ist  nun  keineswegs  ein  hartes,  sondern  im  Gegenteil 
ein  sehr  mürbes  Gestein;  die  einzelnen  Quarzkömer  sind  natürlich  hart,  ihre 


624  Alfred  Hettner: 

Verkittung  ist  aber  so  mangelhaft,  daß  der  Stein  schon  beim  leisesten 
Hanmierschlag  in  Sand  zerfallt.  Der  Wind  würde  den  Sand  leicht  wegwehen 
and  gerade  umgekehrt  dem  Pläner  und  Mergel  wenig  anhaben  können;  er 
kann  also  bei  der  Entstehung  dieser  Stufen  und  Terrassen  keine  Rolle 
gespielt  haben.  Die  Widerstandsfähigkeit  des  Quadersandsteins  besteht 
in  seiner  Durchlässigkeit;  sie  macht  sich  daher  gegenüber  dem  spülenden 
Wasser  geltend.  Der  Quadersandstein  wird  nur  langsam  durch  Untergrabung 
zerstört  und  weicht  in  Wänden  zurück.  Wo  dadurch  Pläner  nud  Mergtl  zu 
Tage  treten,  werden  sie  weggespült,  während  in  dem  darunter  herauskom- 
menden Sandstein  das  Wasser  wieder  versickert  und  damit  seine  zerstörende 
Kraft  einbüßt. 

Wenn  demnach,  wie  ja  auch  ziemlich  allgemein  angenommen  wird,  das 
Wasser  der  Bildner  dieser  Stufen  und  Platten  ist,  so  muß  deren  Bildung 
natürlich  in  Beziehung  zu  den  Flußläufen  gestanden  haben,  und  manche  der 
oben  entwickelten  Gesetze,  namentlich  über  das  Fortschreiten  der  Stufen  im 
Sinne  der  Schichtenneigung,  müssen  auch  hier  zur  Geltung  gekommen  sein. 
Aber  eine  Abhängigkeit  vom  Niveau  der  Flüsse  braucht  bei  diesen  Eben- 
heiten nicht  bestanden  zu  haben.  Sie  können  selbstverständlich  uie  tiefer 
als  die  Flußläufe  gelegen  haben,  wohl  aber  kann  ihre  Bildung  in  einer  be- 
liebigen Höhe  des  Talhanges  erfolgt  sein.  Im  Murgtal  und  im  Neckartal, 
wo  sie  F.  Jaeger  näher  untersucht  hat,  kann  man  solche  Denudationsterrasgen 
—  ich  brauche  diesen  Ausdruck  im  Gegensatz  zu  den  Erosionsterrassen  — 
an  der  Grenze  des  Buntsandsteins  gegen  das  Rotliegende  oder  den  Granit 
deutlich  beobachten,  auch  in  manchen  Tälern  der  sächsischen  Schweiz,  z.  B. 
im  Gottleuba-  und  im  Bielatal,  scheinen  sie,  allerdings  weniger  deutlich,  aus- 
gebildet zu  sein.  Ebenso  können  auch  die  großen,  schon  in  der  Vergangen- 
heit vollendeten  Terrassen  und  Ebenheiten  unabhängig  von  einem  bestimmten 
Niveau  der  Flüsse  entstanden  sein.  Die  an  Gesteinswechsel  geknüpften 
Denudationsformen  stimmen  in  dieser  Unabhängigkeit  von  den  Talsohlen  mit 
den  Felsplatten  überein,  welche  nach  Richter  im  Niveau  der  Schneegrenze 
durch  das  Rückweichen  der  Kare  zu  Stande  kommen  sollen. 

Das  morphologische  Bild  der  sächsischen  Schweiz  ist  gerade  danmi  so 
schwer  zu  entziffern,  weil  zwei  verschiedene  Arten  von  Terrassen  oder  Eben- 
heiten neben  einander  liegen  und  sich  berühren,  vielleicht  in  einander  greifen, 
und  weil  sie  bei  der  flachen  Lagerung  der  Schichten  und  der  ungefähren 
Übereinstimmung  der  Schichtenneigung  und  der  Flußrichtimg  auch  äußerlich 
so  schwer  zu  unterscheiden  sind^).  Die  einen  Ebenheiten  sind  vom  Gesteina- 
wechsel unabhängig  und  schließen  sich  an  Erosionsterrassen  an,  haben  sich 
in  einer  Zeit  längerer  Ruhe  der  inneren  Erdrinde  herausgebildet;  die  anderen 
sind   gerade  vom   Gesteinswechsel    abhängig,    dagegen    von  Erosionsterrassen 


1)  In  meiner  früheren  Arbeit  hatte  ich  wohl  die  Talterrassen  von  den  großen 
Platten  des  westlichen  Teiles  der  sächsischen  Schweiz  unterschieden,  aber  zu  diesen 
fälschlicherweise  auch  die  Ebenheiten  des  östlichen  Teiles  gestellt,  die  ich  für 
selbständige  Gebilde  hielt  (vergl.  S.  26  Amn.).  Darum  glaubte  ich  (S.  97  ff.)  einen 
maßgebenden  Einfluß  des  Gesteinswechsels  in  Abrede  stellen  und  die  Entstehung 
der  Platten  aus  einem  langen  Stillstand  der  Erosion  erklären  zu  müssen. 


Die  Felsbildungen  der  sächsischen  Schweiz.  625 

unabhängig,  ihre  Fortbildung  kann  Bodenbewegungen  überdauert  haben.  Der 
Hauptsache  nach  scheinen  jene  Terrassen  jünger  als  diese  zu  sein;  denn  sie 
sind  nicht  nur  weniger  vollendet,  sondern  sind,  wie  es  scheint,  auch  in  diese 
eingesenkt  oder  setzen  sich  in  Schotterterrassen  fort,  welche  auf  diesen  auf- 
mhen.  Über  ihre  Bildungszeit  im  Verhältnis  zur  Entstehung  des  heutigen 
Oebirgsbaus  könnte  man  wohl  Vermutungen  äußern,  aber  eine  begründete 
Ansicht  ließe  sich  nur  auf  Qrund  einer  Untersuchung  aussprechen,  die  sich 
auch  auf  die  Nachbargebiete  erstreckt. 

So  fehlt  uns  inmier  noch  der  letzte  Schlüssel  für  das  morphologische 
Verständnis  der  sächsischen  Schweiz.  Ihrem  inneren  Bau  nach  ist  sie  ein 
Block  von  Sandstein,  mit  schwachen  aber  bedeutsamen  Zwischenschichten  von 
Pläner  und  Mergel.  Im  Meere  der  oberen  Kreide  abgelagert,  wurde  sie 
gegen  den  Schluß  der  Kreidezeit  über  den  Meeresspiegel  gehoben  und  in  der 
Mitte  der  Tertiärzeit  von  großen  Dislokationen  betroffen,  die  teils  der 
sudetischen,  teils  der  erzgebirgischen  Streichrichtung  folgen;  da  der  den  Süd- 
rand der  sächsischen  Schweiz  bildende  Bmch,  welcher  der  erzgebirgischen 
Bichtung  folgt,  an  der  großen  Lausitzer  Verwerfung  umgebogen  erscheint, 
ist  er  wohl  jünger  als  diese.  Ob  das  Land  in  der  ältereren  Tertiärzeit  Tief- 
land oder  zu  größerer  Höhe  gehoben  war,  und  welche  Fortschritte  die  Ab- 
tragung schon  gemacht  hatte,  können  wir  nicht  sagen;  in  der  Hauptsache 
gehört  die  Abtragung  wohl  erst  der  Zeit  nach  der  Dislokation  oder  wenigstens 
nach  der  im  sudetischen  Sinne  erfolgten  Dislokation,  d.  h.  nach  dem  Ein- 
sinken des  Quadersandsteinblockes  zwischen  Erzgebirge  und  Lausitzer  Platte, 
an,  da  der  Sandstein  überhaupt  nur  in  dieser  Einsenkung  erhalten,  auf  der 
Lausitzer  Platte  und  dem  Erzgebirge  dagegen  abgetragen  ist,  und  da  auch 
die  Landstufen  ungefähr  in  der  Richtung  der  durch  die  sudetische  Dislokation 
bewirkten  Schichtenneigung  verlaufen.  In  der  Bildung  dieser  Landstufen  und 
Ebenheiten,  die  in  Abhängigkeit  vom  Gesteinswechsel  erfolgt  ist,  haben  wir 
im  ganzen  wohl  die  älteste  noch  heute  in  Betracht  konmiende  Tatsache  der 
Ausgestaltung  des  Bodens  durch  äußere  Kräfte  zu  erblicken.  Auch  die 
Zerstörung  innerhalb  des  den  nordöstlichen  Teil  der  sächsischen  Schweiz  ein- 
nehmenden oberen  Quadersandsteins  hat  damals  selbstverständlich  schon  ein- 
gesetzt, ist  aber,  wie  es  scheint,  erst  später  mit  der  Ausbildung  der  Tal- 
terrasse der  Kanmitz-Elbe  und  ihrer  Zuflüsse  und  der  darauf  gerichteten 
Ebenheiten  zu  einem  vorläufigen  Abschluß  gelangt.  Diesen  Zustand  hat  die 
sächsische  Schweiz  in  der  großen  Eiszeit  gehabt  Danach  hat  —  die  Ursache 
muß  dahingestellt  bleiben,  vielleicht  hängt  sie  mit  dem  Eintritt  der  böhmischen 
Elbe  zusanmien  —  die  Erosion  weiter  in  die  Tiefe  schneiden  können;  aber 
dieser  Vorgang  ist  noch  nicht  weit  gediehen,  er  beschränkt  sich  der  Haupt- 
sache nach  noch  auf  die  Bildung  von  Gründen  und  Schluchten.  Darum 
heben  sich  in  der  östlichen  sächsischen  Schweiz  zwei  Höhenzonen,  eine  obere 
der  über  größere  Flächen  sich  erstreckenden  Zerstörung,  der  über  großen 
Felsplatten  aufsteigenden  Felsreviere  und  Tafelberge,  und  eine  untere  der 
nur  in  einzelnen  Linien  erfolgten  Zerstörung,  der  Gründe,  deutlich  von  ein- 
ander ab.  Es  ist  aber  nur  ein  Gegensatz  im  Betrage,  nicht  in  der  Art  der 
Zerstörung.     Es  liegt  kein  Grund  vor,  daraus  auf  einen  Wechsel  des  Klimas 

QttographUohe  Zeitaohrlft.  9.JahrgaDff.  1908.  11.  Hell.  42 


62G    Alfred  Hettner:  Die  Felsbildungeu  der  sächsisehen  Schweiz. 

zu  schlieBen.  Die  eigentümliche  Art  der  Bodengestaltung  der  sächsischen 
Schweiz  ist  nicht  im  Klima,  sondern  in  der  Oesteinszusammensetzimg  be- 
gründet; ihre  Felsbildungen  sind  nicht,  wie  die  der  Wüste,  die  Folge  einer 
Trockenheit  des  Klimas,  sondern  der  Trockenheit  des  Bodens;  sie  sind  eine 
lithologische  oder,  wenn  wir  nochmals  den  pflanzengeographischen  Ausdruck 
gebrauchen  wollen,  eine  edaphische  Formation. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten^). 

Von  Martha  Erug-Ghenthe. 
I.   Die  wissengchaftUche  Geographie. 

Unter  den  Kulturländern,  die  sich  um  die  Erweiterung  des  geographischen 
Horizontes  verdient  gemacht  haben,  nehmen  die  Vereinigten  Staaten  eine 
ehrenvolle  Stellung  ein.  Als  Herren  eines  zum  großen  Teil  noch  völlig  un- 
bekannten Landes  fanden  die  amerikanischen  Ansiedler  ihre  geographische 
Aufgabe  sozusagen  vor  ihrer  Tür  liegen,  und  die  Erfüllung  dieser  Aufgabe 
hat  seit  den  ersten  Anfängen  der  Union  als  eine  der  wichtigsten  Pflichten 
der  Bundesregierung  gegolten.  Die  geodätischen,  topographischen,  geolo- 
gischen, meteorologischen  und  ozeanographischen  Arbeiten  der  Regierungs- 
institute dürfen  dem  Besten  an  die  Seite  gestellt  werden,  was  auf  diesen  Ge- 
bieten geleistet  worden  ist,  und  Pearys  Name  ist  nur  der  letzte  in  der 
langen  Reihe,  die  in  den  Polarregionen  von  dem  Wagemute  amerikanischer 
Entdecker  Zeugnis  ablegen. 

Um  so  auffalliger  berührt  es  unter  diesen  Umständen,  daß  die  wissen- 
schaftliche Geographie  als  solche  in  den  Vereinigten  Staaten  noch  so  wenig 
Fuß  gefaßt  hat.  Bis  vor  wenigen  Jahren  war  sie  an  den  wissenschaftlichen 
Hochschulen  (Universitäten  und  Colleges)  des  Landes  völlig  unvertxeten,  und  auch 
gegenwärtig  fehlt  noch  viel  daran,  daß  die  Gelegenheiten  zum  geographischen 
Studium  dem  auf  anderen  Gebieten  Vorhandenen  gleichwertig  seien.  Fester 
als  irgendwo  anders  scheint  hier  das  alte  Vorurteil  zu  wurzeln,  daß  sich  die 
Geographie  bei  wissenschaftlichem  Betriebe  unvermeidlich  in  eine  Reihe  von 
Einzelwissenschaften  auflösen  müsse,  und  daß  das,  was  in  der  Regel  den 
Namen  Geographie  trägt,  nichts  anderes  sei  als  ein  für  den  Elementargebrauch 
bestimmtes  Konglomerat  wissenschaftlicher  Vorbegriffe,  das  nicht  auf  die 
Universität  gehört.  Nur  so  kann  es  sich  erklären,  daß  unter  75  Universitäten 
und  Colleges,  deren  Studienpläne  für  diese  Arbeit  durchgesehen  wurden,  nicht 
mehr  als  36  sich  fanden,  an  denen  Geographie  gelehrt  wird,  und  unter  diesen 
36  wieder  nicht  mehr  als  9^),  an  denen  der  Betrieb  einigermaßen  wissenschaft- 

1)  Der  Einfachheit  halber  wird  in  dem  folgenden  „Amerika"  und  „amerika- 
nisch" häufig  für  Vereinigte  Staaten  angewandt  werden,  wie  es  auch  im  Lande 
selbst  Sprachgebrauch  ist. 

2)  Harvard,  Comell,  Yale,  Princeton,  Teachers  College  (Neu- York),  die  Staats- 
universitäten  von  Pennsjlvanien  (Philadelphia),  Indiana  (Bloomington) ,  Kalifornien 
(Berkeley)  und  die  Universität  Chicago.  Die  beiden  einzigen  Universitäten,  die  nach 
Charakter  und  Studentenmaterial  den  Stand  der  deutschen  Universität  bewußt  auf- 


Martha  Krug-Genthe:  Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  627 

liehen  Anforderungen  genügen  kann.  An  den  übrigen  27  ist  die  Angelegen- 
heit so  geregelt,  daß  der  Geologe  oder  Naturwissenschaftler  neben  seinen 
regulären  Kursen  auch  noch  einen  solchen  in  physikalischer  Geographie  oder 
Phjsiographie  (s.  u.)  ankündigt,  in  der  Eegel  mit  dem  ausdrücklichen  Hin- 
weise, daß  er  als  Vorbereitung  fOr  die  geologischen  Vorlesungen  oder  mit 
spezieller  Rücksicht  auf  künftige  Geographielehrer  eingefügt  sei.  Selbst 
die  9  fortschrittlicheren  Anstalten  lassen  in  der  äußeren  Stellung  der  Geo- 
graphie noch  die  alte  Besorgnis  erkennen,  durch  ein  allzu  kühnes  Bekenntnis 
zu  diesem  Gegenstande  von  zweifelhaftem  Werte  in  den  Verdacht  der  Un- 
wissenschaftlichkeit zu  geraten,  und  vermeiden  nach  Möglichkeit  das  ominöse 
Wort  Geographie.  Einen  Professor  der  „Geographie"  findet  man  in  Amerika 
fast  nur  an  Lehrerbildungsanstalten;  in  der  Qualifikation  der  Geographen  an 
Universitäten  und  Colleges  pflegt  die  Fakultät  das  Bedürhiis  zu  empfinden, 
durch,  ein  Beiwort  darzutun,  daß  es  sich  nicht  um  Geographie  im  gewöhn- 
lichen Sinne  handelt.  Die  wissenschaftlichen  Geographen  sind  daher  offiziell 
entweder  Professor  der  Geologie  und  Geographie,  oder  Professor  der  geo- 
graphischen Geologie,  oder  Professor  der  physikalischen  Geographie,  oder 
der  Physiographie  u.  s.  w.,  und  die  Geographie  selbst  figiuiert  im  Studienplane 
bald  als  ein  Zweig  der  Geologie,  bald  als  eine  Hilfswissenschaft  der  Volks- 
wirtschaftslehre. Nur  in  zwei  Fällen  ü-itt  sie  den  übrigen  Wissenschaften 
als  selbständiges  Fach  gegenüber:  unter  dem  Schutze  des  Namens  physika- 
lische Geographie  in  Princeton,  und  als  Geographie  schlechthin  an  der  Uni- 
versität von  Kalifornien  —  der  einzige  Fall  seiner  Art  an  einer  amerika- 
nischen Universität  (abgesehen  von  Teachers  College  in  Neu- York,  wo  die 
Frage  der  Lehrerbildimg  wieder  hineinspielt)  ^). 

Wenn  auch  diese  Verhältnisse  zum  großen  Teil  auf  geschichtlichen  Ur- 
sachen beruhen  mögen,  so  sind  sie  deshalb  nicht  weniger  bezeichnend,  für 
die  Tatsache,  daß  nur  in  Anlehnung  an  eine  andere  anerkannte  Wissenschaft 
die  Arbeit  auf  diesem  Gebiete  sich  wissenschaftliche  Anerkennung  sichern 
kann.  Noch  heute  ist  eines  der  größten  Henmmisse  einer  gedeihlichen  Weiter- 
entwicklung, gegen  das  die  zünftigen  Geographen  unausgesetzt  ihre  Stimme 
erheben  müssen,  die  allgemeine  Vorstellung,  daß  „Geographie"  imd  „physika- 
lische Geographie"  (oder  Physiographie)  die  Gegensätze  „elementar"  und 
„wissenschaftlich"  repräsentieren.  Das  geht  so  weit,  daß  die  Formulare  der 
Stellenvermittelungen  für  Lehrer  eine  Rubrik  „Geographie"  und  eine  andere 
„physikalische  Geographie"  aufweisen,  gleich  als  ob  das  eine  ohne  das  andere 
denkbar  sei.  Als  ich  ins  Land  kam,  wurde  mir  von  Freunden  der  gute  Rat 
erteilt,  nie  zu  sagen,  daß  ich  in  „Geographie"  promoviert  hätte,  weil  meine 
Promotion  dann  als  Humbug  erscheinen  würde.  Daß  dies  nicht  zu  viel  be- 
hauptet war,  hat  mir  kürzlich  die  Antwort  bewiesen,  die  ich  auf  meine  An- 
frage über  geographische  Vorlesungen  von  einer  Staatsuniversität  des  mittleren 


recht  zu  erhalten   bestrebt  sind,   Clark  imd  Johns  Hopkins  University,   sind*  be- 
zeichnenderweise nicht  einmal  unter  den  27. 

1)  Während  dies  gedruckt  wurde,  ist  auch  an  der  Universität  Chicago  ein 
selbständiges  „Department  of  Geography*^  eingerichtet  worden.  (Notiz  in:  National 
Geographie  Magazine.  April  1903.   S.  16a.) 

42* 


628  Martha  Krug-Oenthe: 

Westens  erliielt:  ^Da  dies  eine  echte  Universität  ist,  gibt  es  hier  keine  Kurse 
in  (elementarer)  (Jeographie.^ 

Die  Atoiospbäre,  in  der  wissenschaftlicher  Fortschritt  geboren  wird,  ist 
für  die  Geographie,  summarisch  gesprochen,  in  Amerika  demnach  noch  nicht 
vorhanden.  Die  meisten  ihrer  wissenschaftlichen  Vertreter  sind  von  anderer 
Seite  zu  ihr  gekommen,  und  die  wenigen  Nur-Geographen  gehören  fast  alle 
der  jüngeren  Generation  an  und  haben  ihre  Lebensarbeit  noch  vor  sich. 
Über  ein  Gebiet  von  der  Größe  der  Vereinigten  Staaten  zerstreut,  stehen  sie 
als  einzelne  Arbeiter  viel  zu  isoliert,  als  daß  ein  rechtes  einheitliches  Zusammen- 
gehen, wie  in  anderen  Ländern,  zu  Stande  kommen  könnte.  Li  den  anderen 
Wissenschaften  macht  sich  das  weniger  fahlbar,  denn  in  diesen  hat  Amerika 
von  der  alten  Welt  das  Erbteil  jahrhundertelanger  Arbeit  auf  kleineren 
Räumen  in  der  Gestalt  eines  in  den  ELauptzügen  bereits  fest  gegründeten 
Systems  überkommen,  wodurch  von  vornherein  ein  gemeinsamer  Ausgangs- 
punkt und  ein  einigendes  Band  auch  für  die  räumlich  weitest  entfernten 
Mitarbeiter  gegeben  war.  Allein  in  der  Geographie  schafft  das  Land  sich  die 
Wissenschaft  selbst  und  hat  daher  auch  mit  allen  nachteiligen  Folgen  des 
Mangels  an  Organisation  zu  kämpfen.  Es  fehlt  fast  völlig  an  wissenschaft- 
lichen Verständigungsmitteln  und  -mögHchkeiten:  es  fehlt  eine  einheitliche 
wissenschaftliche  Sprache,  imd  es  fehlt  sogar  ein  führendes  wissenschaftliches 
Fachorgan.  Geographische  Zeitschriften  sind  zwar  vorhanden:  aber  sie  dienen 
entweder  vorwiegend  den  Literessen  des  Schulunterrichts,  wie  das  „Jonmal 
of  Geography",  oder  sie  sind,  wie  „National  Geographie  Magazine^  und  einige 
andere,  Organe  einer  geographischen  Gesellschaft  Diese  Gesellschaften  tragen 
hierzulande  einen  durchaus  populären  Charakter^)  und  scheinen  genötigt, 
auch  den  Standpunkt  ihrer  Publikationen  mehr  oder  weniger  dem  Bedürfiiis 
der  Mehrzahl  ihrer  Leser  anzupassen  und  so  das  Eingehen  auf  wissenschaft- 
liche Spezialfragen  tunlichst  zu  vermeiden.  Nur  das  Bulletin  der  „American 
Geographie  Society"  hat  ein  höheres  Niveau  und  ist  noch  am  ersten  mit  den 
Veröffentlichungen  deutscher  geographischer  Gesellschaften  zu  vergleichen. 
Aber  um  sich  zu  einem  wissenschaftlich-geographischen  Zentralorgan  zu  ent- 
wickeln, wie  es  für  England  etwa  das  Journal  der  „Royal  Geographie  Society" 
geworden  ist,  bedürfte  es  einer  vollständigen  Umgestaltung,  vor  aUem  einer 
viel  größeren  jährlichen  Nummemzahl,  denn  in  seinem  gegenwärtigen  Um- 
fange kann  es  noch  nicht  die  Hälfte  der  laufenden  Erscheinungen,  soweit  sie 
Originalarbeiten  sind,  aufnehmen.  Ein  sehr  beachtenswerter  Vorschlag,  durch 
dessen  Ausführung  unschwer  die  Bedingungen  für  die  Lösung  dieser  brennen- 
den Frage  geschaffen  werden  könnten,  ist  kürzlich  von  Professor  J.  C.  Russell 
gemacht  worden,  nämlich  der  eines  Zusammenschlusses  der  verschiedenen  geo- 

1)  „Die  geographischen  Gesellschaften  haben  lange  Mitgliederlisten,  in  denen 
jeder  anständige  Mensch,  der  den  vorgeschriebenen  Beitrag  bezahlt,,  aufgenommen 
werden  kann/'  Die  Veröffentlichungen  der  geographischen  Zeitschriften  „schenken 
der  wissenschaftlichen  Seite  der  Probleme  nur  untergeordnete  Beachtung  .  .  .  Gann 
anders  in  den  geologischen  Gesellschaften:  ihre  Mitgliederzahl  ist  beschränkter, 
wissenschaftliche  Ausbildung  oder  wissenschaftliche  Arbeiten  sind  Bedingung  der 
Erwählung'',  und  geologische  Organe  „sind  in  der  Regel  ausschließlich  für  wissen- 
schaftliche Fragen  bestimmt".     Davis  in:  The  Journal  of  Geography.  Vol.  1.  S.  19. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  629 

grapbisefaen  Gesellschaften  der  Vereinigten  Staaten  zu  einer  großen  ,fAnierican 
Geographie  Society^  mit  der  Neu- Yorker  Gesellschaft,  der  ältesten,  als  Zentral- 
stelle. Doch  über  die  Aufnahme,  die  der  Plan  an  den  betreffenden  Adressen 
gefunden  hat,  ist  noch  nichts  bekannt  geworden. 

Einstweilen  muß,  wer  hierzulande  wissenschaftlich  geographisch  arbeiten 
will,  sich  seine  Literatur  noch  an  den  heterogensten  Stellen  zusammensuchen. 
In  den  Veröffentlichungen  der  geologischen  Landesuntersuchung,  des  hydro- 
graphischen Amtes,  des  ü.  S.  Weather  Bureau,  im  Journal  of  Geology  und 
im  American  Geologist,  in  den  Verhandlungen  der  „American  Association  of 
Arts  and  Sciences*'  und  der  Amerikanischen  Philosophischen  Gesellschaft,  in 
Science,  dem  Organ  der  „American  Association  for  the  Advancement  of 
Science'*,  im  Journal  of  Comparatiye  Zoology,  in  den  Veröffentlichungen  aller 
möglichen  lokalen  naturforschenden  Gesellschaften,  von  den  angesehensten  bis 
zu  den  obskursten,  und  sogar  in  pädagogischen  Zeitschriften  liegt  verstreut, 
was  Amerika  an  Beiträgen  zur  wissenschaftlichen  Geographie  geleistet  hat. 
Dazu  vergegenwärtige  man  sich  eine  Flut  pseudo-wissenschaftlicher  Literatur, 
die  Frucht  der  hierzulande  mehr  als  irgendwo  verbreiteten  (Un-?)Sitte  der 
schrankenlosen  Produktion,  nach  der  jeder,  der  da  glaubt,  einem  Gegenstande 
eine  neue  Seite  abgewonnen  zu  haben,  sich  nun  auch  verpflichtet  und  be- 
rechtigt fühlt,  seine  manchmal  durch  gar  nicht  zuviel  Sachkenntnis  getrübte 
Ansicht  der  Mitwelt  zu  unterbreiten,  und  man  wird  es  nicht  zuviel  behauptet 
finden,  daß  die  gegenwärtige  Situation  sich  dem  aus  europäischen  Verhält- 
nissen kommenden  Beobachter  zunächst  nur  als  ein  ungeheures  Chaos  darstellt. 

Nach  langer,  sorgfältiger  Arbeit,  in  der  oft  ganze  Berge  von  Spreu 
durchgesehen  werden  mußten,  um  das  Weizenkom  zu  finden,  soll  im 
Folgenden  versucht  werden,  die  gegenwärtig  im  Umlauf  befindlichen  Haupt- 
ideen und  Tendenzen  der  wissenschaftlichen  Gaographie  des  Landes  in  ihren 
wesentlichen  Zügen  zu  charakterisieren.  Zweierlei  muß  dabei  im  Auge  be- 
halten werden:  einmal,  daß  alle  Verhältnisse  noch  durchaus  im  Werden  und 
in  Gärung  begriffen  sind,  so  daß  sich  manche  Widersprüche  ergeben,  und 
manche  Anschauungen,  die  augenblicklich  den  fortgeschrittensten  Stand  der 
Entwicklung  bezeichnen,  noch  nicht  als  allgemein  gültig  angenommen  werden 
dürfen;  zweitens  die  in  den  Vereinigten  Staaten  bestehende  enge  Verbindung 
von  Universität  und  Schule,  in  Folge  deren  die  erstere  von  aktuellen  Schul- 
problemen viel  mehr  in  Mitleidenschaft  gezogen  wird  als  irgendwo  anders, 
und  wodurch  auch  die  Aufrechterhaltung  der  Grenze  zwischen  wissenschaft- 
lichem und  Schulbetrieb  unverhältnismäßig  erschwert  wird. 

Eine  Hauptschwierigkeit,  mit  der  die  wissenschaftliche  Geographie  in 
Folge  der  geschilderten  ungeordneten  Verhältnisse  zu  kämpfen  hat,  ist  die 
Unsicherheit  der  Namengebung.  Nicht  einmal  der  Name  der  Wissenschaft 
selbst  steht  allgemein  fest,  und  ob  jemand  sein  Studium  Geographie,  physi- 
kalische Geographie  oder  Physiographie  nennen  will,  ist  fast  eine  Frage  per- 
sönlichen Geschmackes.  Der  Gebrauch  von  „Geographie"  hat  seine  Gefahren, 
wie  oben  gezeigt  wurde.  Nur  Leute  von  anerkannt  wissenschaftlicher  Be- 
deutung dürfen  sich  den  Luxus  erlauben,  sich  Geographen  schlechthin  zu 
nennen.      Solange    das   Feld    der    politischen   und    Anthropogeographio    hier 


630  Martha  Krug-Genthe: 

wissenschaftlich  noch  so  fast  vollständig  hrach  liegt,  wie  es  gegenwärtig  der 
Fall  ist,  wird  die  Identifizierung  von  physikalischer  und  wissenschaftlicher 
Geographie  kaum  zu  widerlegen  seien.  Ist  es  doch  in  der  alten  Welt  schließ- 
lich nicht  anders  gewesen.  Aber  während  in  Europa  dieses  Stadium  jetzt 
mehr  oder  weniger  hinter  uns  liegt,  steht  die  amerikanische  Geographie  noch 
mitten  darin,  und  eine  gerechte  Beurteilung  darf  nie  außer  acht  lassen,  daß 
Amerika  in  diesem  Sinne  eine  ganze  wissenschaftliche  Generation  jünger  ist 
als  Deutschland.  Durch  diese  Verzögerung  scheint  auch  die  schließliche 
Lösung  des  Problems  mit  größeren  Schwierigkeiten  verknüpft  als  in  der  alten 
Welt,  denn  während  sich  dort  die  Wissenschaft  ruhig  entwickeln  konnte,  bis 
sie  zur  Reife  gelangt  war,  ist  die  amerikanische  Geographie  durch  den  Fort- 
schritt der  anderen  Wissenschaften  genötigt,  schon  jetzt  in  ihrer  einseitigen 
und  unvollkommenen  Ausbildung  in  den  Kampf  um  ihre  wissenschaftliche 
Anerkennung  einzuti-eten^  und  das  vergrößert  die  Gefahr,  daß  selbst  ihre  Ver- 
treter auf  das  bereits  Geleistete  und  Vorhandene  mehr  Nachdruck  legen,  als  sich 
mit  seiner  Stellung  innerhalb  des  Ganzen  vereinigen  läßt,  und  so  da^u  bei- 
tragen, das  Vorurteil  zu  bestärken,  daß  dieser  Teil  schon  das  Ganze  repräsentiere. 
Die  Folgen  dieser  einseitigen  Betonung  des  naturwissenschaftlichen  Ele- 
mentes haben  schließlich,  ähnlich  wie  in  der  englischen  Geographie,  zu  einer 
Verschiebung  des  Schwerpunktes  innerhalb  der  physikalischen  Geographie 
geführt,  die  sie  zu  etwas  anderem  hat  werden  lassen,  als  man  im  kon- 
tinentalen Europa  unter  physikalischer  Geographie  versteht.  Bei  einer  Auf- 
fassung, die  in  der  Einführung  physikalischer  Gesichtspunkte  das  Haupt- 
kriterium der  Wissenschaftlichkeit  in  der  Geographie  erblickte,  konnte  es 
nicht  ausbleiben,  daß  diese  Gesichtspunkte  mehr  und  mehr  in  den  Vorder- 
grund, die  eigentlich  geographischen  Elemente  mehr  und  mehr  in  den  Hinter- 
grund traten:  was  als  Vertiefung  der  Geographie  durch  Einführung  natur- 
wissenschaftlicher Methoden  begonnen  hatte,  endete  mit  ihrer  völligen  Auf- 
teilung nach  den  Gesichtspunkten  der  exakten  Naturwissenschaften,  bei  der 
von  Geographie  wenig  mehr  als  der  Name  übrig  blieb.  So  findet  man 
eine  ganze  Reihe  von  Lehrbüchern  für  Phpsical  geography,  die  in  Wahr- 
heit Lehrbücher  der  Physik  auf  geographischer  Grundlage  sind,  in  denen  Ko- 
häsion,  Schwere,  Kapillarität  u.  a.  als  Teile  der  Geographie  behandelt 
werden.  So  erklärt  sich  auch  der  oben  erwähnte  Brauch  der  weniger  fort- 
geschrittenen Universitäten  und  Colleges,  physikalische  Geographie  als  Pro- 
pädeutik der  Naturwissenschaften  in  den  Studienplan  aufzunehmen,  und  die 
Hoffnung  der  Schulmänner,  mit  Hilfe  der  physikalischen  Geographie  „Physik 
selbst  in  die  einfachsten  Schulen  einführen  zu  können"^).  Mit  dem  gleichen 
Rechte  forderten  aber  dem  gegenüber  andere,  denen  an  der  wirtschaftlichen 
Seite  der  Geographie  mehr  gelegen  war,  daß  „der  industrielle  und  kommer- 
zielle Gedanke  das  Zentrum  der  Geographie"*)  bilden  müsse,  denn  ihr  Gegen- 
stand sei  „das,   und  nur  das,   was  zur  Erde  als  Wohnort  des  Menschen  Be- 

1)  Report  of  the  Committee  of  Ten  (National  Educational  Association).    Ame- 
rican Book  Company  1894.  p.  240. 

2)  üniversity  of  the  State  of  New  York:  Academic  Sy Ilabus.     Nr.  X,  24  der 
„Publicatione".   p.  81. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  631 

Ziehung  hat^^),  so  daß  von  dieser  Seite  her  eine  Auflösung  der  Geographie 
in  Warenkunde  und  Technologie  einzutreten  drohte.  Das  Bestreben,  diesen 
verschiedenen  Anforderungen  gleichmäßig  gerecht  zu  werden,  fahrte,  mit  den 
Worten  W.  J.  Redways,  zu  „einer  Überladung,  aber  nicht  Bereicherung"*)  des 
Gegenstandes.  Diese  Geographie  ist  „zu  etwa  ein  Viertel  direkt  geographisch" 
(was  darunter  verstanden  wird,  darüber  fehlen  leider  genauere  Angaben),  „zu 
ein  Halb  beschäftigt  sie  sich  mit  den  Bewohnern  der  Erde,  ihren  Sitten, 
Gebräuchen,  Industrien,  Produkten,  und  ein  Viertel  ist  Mineralogie,  Meteoro- 
logie, Botanik,  Zoologie,  Astronomie"').  Huxleys  Charakteristik  dieser  „physi- 
kalischen Geographie"  als  des  „Hakens,  an  dem  das  größte  Maß  nützlicher 
und  unterhaltender  Kenntnisse  aufgehangen  werden  kann"^),  erscheint  nicht 
übertrieben,  wenn  man  liest,  daß  die  genannten  Wissenschaften,  zuzüglich 
Geschichte,  Staats  Wissenschaft,  Ethnographie  und  vergleichende  Beligions- 
studien,  schon  deswegen  unter  der  Geographie  einbegriffen  werden  müßten, 
weil  die  meisten  Menschen  „sonst  nicht  einmal  die  Hauptzüge  dieser  wich- 
tigen Wissensgebiete  kennen  lernten"^).  Der  Irrtum,  vor  dem  Humboldt 
in  seinen  einleitenden  Betrachtungen  zum  Kosmos  so  nachdrücklich  warnt, 
die  Verwechselung  der  physischen  Weltbeschreibung  mit  einer  Encyklopädie 
der  Naturwissenschaften,  ist  in  dieser  Gestalt  der  Physical  geography  zu 
seinen  letzten  Konsequenzen  ausgebildet  worden. 

Die  Erkenntnis,  daß  diese  Art  Geographie  trotz  alles  Redens  über 
Refoim,  Wissenschaftiiichkeit,  Kausalitatsbeziehungen  u.  s.  w.  noch  ein  ebenso 
unwissenschaftliches  Sammelsurium  blieb  wie  die  „alte"  Geographie,  brachte  den 
Namen  physikalische  Geographie  ziemlich  in  Verruf;  und  als  in  der  jüngsten 
Vergangenheit  die  Phase  einsetzte,  in  der  die  junge  amerikanische  Geographie 
um  ihre  wissenschaftliche  Anerkennung  zu  kämpfen  begann,  schien  es  daher 
angebracht,  zur  Vermeidung  von  Mißdeutungen  einen  neuen  Namen  anzu- 
nehmen.    Dies  war  das  jetzt  so  viel  gebrauchte  „Physiographie". 

Der  Vater  des  Wortes  ist  Huxley.  Er  gebrauchte  es  im  Jahre  1878 
als  Titel  einer  Monographie  des  Themsegebietes,  worin  er  im  Gegensatz  zu 
den  Methoden  der  landläufigen  „physikalischen"  Geographie  zum  ersten  Mal 
wieder  den  geographischen  Gesichtspunkt  in  den  Vordergrund  stellte,  näm- 
lich, die  physiko-geograph'ischen  Vorgänge  nicht  als  Selbstzweck,  sondern  als 
Mittel  zum  Verständnis  des  Werdens  und  des  gegenwärtigen  Zustandes  eines 
geographischen  Objektes,  in  diesem  Falle  der  Themse,  berücksichtigte.  Er 
nennt  sein  Verfahren  die  Feststellung  des  „Platzes  in  der  Natur"  für  das 
geographische  Objekt,  doch  wird  es  vielleicht  besser  als  eine  Anwendung  des 
Evolutionsgedankens  auf  das  Studium  der  geographischen  Vorgänge  bezeichnet. 
In  diesem  Sinne  wurde  das  Wort  von  der  wissenschaftlichen  amerikanischen 
Geographie  aufgenommen,  und  aller  Anschein  spricht  dafür,  daß  es  sich  hier 
ein  dauerndes  Existenzrecht  zu  erwerben  im  Begriff  steht. 


1)  Bulletin  of  the  American  Bureau  of  Geography.    Chicago  1901.    p.  5. 

2)  The  New  Basis  of  Geography.    Neu- York,  Mac  Millan  &  Co.  1901.    p.  178. 

3)  Academic  Sy Ilabus  p.  30. 

4)  Citiert  nach  Science.   Vol.  XIV.  1901.  p.  206. 

5)  Report  of  the  Committee  of  Ten.   p.  206. 


632  Martha  Erug-Genthe: 

Freilich,  was  nun  im  einzelnen  unter  diesem  Namen  verstanden  werden 
soll,  darüher  gehen  die  Anschauungen  vorläufig  noch  ziemlich  auseinander, 
und  die  ohen  geschilderten  Zust&nde  der  wissenschaftlichen  Literatur  machen 
es  außerordentlich  schwer,  aus  dem  Hin  und  Her  der  Diskussion  einen  positiven 
Kern  herauszuschälen  und  vor  allem  auch  das  Verhältnis  der  Physiographie 
zur  physikalischen  Geographie  im  europäischen  Sinne  und  zur  dynamischen 
Geologie  zu  hestimmen.  Gemeinsam  ist  den  verschiedenen  Bedeutungen,  in 
denen  das  Wort  gebraucht  wird,  eigentlich  nur  ein  negativer  Bestandteil,  die 
entschiedene  Absage  an  die  „alte"  Geographie,  worunter  das  Mechanische, 
Zusammenhangslose,  Empirische  des  früheren  Standpunktes  verstanden  wird. 
Dem  gegenüber  betont  die  „neue"  Geographie  oder  Physiographie  in  erster 
Linie  die  Einheitlichkeit  der  geographischen  Vorgänge  und  betrachtet  jede 
geographische  Erscheinung  als  Glied  in  einer  Reihe  von  Erscheinungen,  als 
Repräsentant  eines  bestimmten  Studiums  in  einem  Kreislaufe  von  organisch 
zusammenhängenden  Prozessen,  für  die  die  amerikanische  Geographie  den 
Namen  des  „Geographischen  Cyklus"  geprägt  hat  Der  Hauptwert  dieser 
Auffassung  liegt  darin,  daß  dadurch  ein  beständiger  Zwang  geschaffen  wird, 
den  Zusammenhang  der  Erscheinungen,  die  großen  Leitlinien  der  Geographie 
im  Auge  zu  behalten,  worin  auch  für  die  speziellsten  Arbeiten  ein  Gegen- 
gewicht gegen  die  Gefahr  des  Auseinanderfallens  der  Geographie  in  eine 
Reihe  von  Einzelwissenschafben  gegeben  ist.  Leider  wird  mit  dem  Worte  oft 
auch  recht  unwissenschaftlicher  Mißbrauch  getrieben,  da  ja  scheinbar  nichts 
leichter  ist,  als  aus  den  Früchten  fremder  Arbeit  einen  „Cyklus"  zusammen- 
zustellen; das  darf  aber  nicht  zu  einer  schiefen  Beurteilung  der  Sache  an 
sich  verleiten,  die  wohl  die  Beachtung  der  europäischen  Geographen  verdient. 
In  seiner  wissenschaftlichen  Form  enthält  dieser  Gedanke  manches,  was  dem 
Ausbau  des  geographischen  Systems,  wie  der  Terminologie  sehr  zu  statten 
kommen  kann. 

Der  geographische  Cyklus  begreift,  nach  Davis,  „denjenigen  Zeitraum, 
innerhalb  dessen  eine  gehobene  Landmasse  durch  die  geomorphologischen 
Vorgänge  umgestaltet  und  schließlich  bis  zum  Stadium  eines  ausdruckslosen 
Tieflandes  abgetragen  wird"^).  Wird  dieses  abermals  der  Einwirkung  heben- 
der Kräfte  ausgesetzt,  so  beginnt  der  zweite  Cyklus,  der  sich  durch  Hebung 
und  Abtragung  wieder  bis  zur  Grenze  der  Abtragungsfähigkeit  fortsetzen 
kann,  und  so  fort.  Im  rheinischen  Schiefergebirge  läge  demnach  z.  B.  ein 
älterer,  bereits  abgeschlossener  Cyklus  vor,  in  dessen  Verlaufe  das  Urgebirge 
aufgerichtet  und  wieder  zu  der  Ebene  abgetragen  wurde,  die  jetzt  die  Hoch- 
flächen des  Gebirges  bildet;  sein  jetziger  Zustand  entspräche  einem  zweiten 
Cyklus,  und  zwar  seiner  zweiten  Hälfte,  da  die  Flüsse  bereits  wieder  erodie- 
rend das  Werk  der  Abtragung  begonnen  haben.  Die  engen  Talformen  beweisen, 
daß  diese  Phase  erst  in  einer  nahen  Vergangenheit  eingesetzt  haben  kann. 

Die  Grenze  zweier  Cyklen  ist  also  die  (ideale)  Ebene,  in  der  die  Ab- 
tragungsfähigkeit des  Landes   durch  subaerische  Agentien    ihr  Ende  erreicht, 


1)  Davis.  Baselevel,  Grade  and  Peneplain.  Journal  of  Geology.  Chicago.  Vol.X. 
1902.  p.  106. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  633 

eine  Ebene,  die  meist  mit  dem  Niveau  des  Meeres  oder  dessen  Fortsetzung 
unter  der  Landmasse  zusammenfallen  wird,  die  aber  für  einen  gegebenen 
Punkt  der  Erdoberfläche  auch  zu  verschiedenen  Zeiten  verschieden  sein  kann 
(vgl.  Depressionen  und  überhaupt  abflußlose  (rebiete).  Für  diese  Ebene  hat 
zuerst  Powell  den  ausdrucksvollen  Namen  baselevd  geprägt*).  Sie  darf 
nicht  verwechselt  werden  mit  Davis'  Feneplain,  die  ja  auch  in  die  deutsche 
Literatur  aufgenommen  worden  ist,  und  worunter  die  geogn^phische  Ebene, 
das  konkrete  Endresultat  der  Abtragung  vor  dem  Einsetzen  des  Wiederauf- 
steigens  verstanden  werden  muß^),  welches  nie  eine  mathematische  Ebene  sein 
wird.  In  Folge  der  oben  geschilderten  Freibeuterei  in  der  geographischen 
Literatur  ist  freilich  in  Amerika  selbst  der  größte  Mißbrauch  mit  dem  Worte 
getrieben  worden,  so  daß  sich  Davis  kürzlich  gezwungen  gesehen  hat,  in  einer 
interessanten  Kritik  von  nicht  weniger  als  17  verschiedenen  Bedeutungen  des 
Wortes  diesen  Unfug  energisch  zu  brandmarken  ^  womit  er  hoffentlich  am 
längsten  gedauert  hat').  Natürlich  läßt  sich  der  Cyklus  nicht  überall  bis 
zur  baseleveH  verfolgen;  wo  eine  Hebung  eingesetzt  hat,  ehe  die  Abtragung 
bis  zum  Stadium  der  Peneplain  fortgeschritten  war,  haben  wir  es  mit  einem 
„unvollendeten  Cjklus"  zu  tun,  und  die  Aufgabe  der  Geographie  ist  es,  zu 
bestimmen,  an  welcher  Stelle  innerhalb  des  Cjklus  dem  geographischen  Ob- 
jekt ein  Platz  anzuweisen  ist. 

Es  läßt  sich  leicht  dagegen  sagen,  di^ß  dies  im  Grunde  nichts  anderes 
als  angewandte  dynamische  Geologie  sei.  Dennoch  wäre  es  irrtümlich,  die 
Sache  damit  für  abgetan  zu  halten.  Wenn  auch  die  Hineintragung  des  zeit- 
lichen Elementes  der  Cyklus-Idee  einen  starken  geologischen  Beigeschmack 
gibt  (und  sicher  kann  niemand  Phjsiograph  sein  ohne  geologische  Schulung), 
so  sind  die  Ausgangspunkte,  wie  die  Ziele  beider  Wissenschaften  doch  deut- 
lich verschieden.  Denn  in  der  Geologie  ist  der  dynamische  Prozeß  die  Haupt- 
sache, während  die  Physiographie  in  erster  Linie  nach  dem  Produkte  des 
Prozesses  fragt:  aber  nicht  so  (imd  darin  scheint  mir  das  Charakteristische 
der  Physiographie  gegenüber  dem  Verfahren  der  europäischen  physischen 
Geographie  zu  liegen),  daß  das  Einzelobjekt  in  seiner  vorliegenden  Gestalt 
als  gegeben  angenommen  und  dann  aus  seinem  Ursprünge  erklärt  wird,  son- 
dern so,  daß  es  als  in  einem  vorübergehenden  Stadium  eines  langen  Ent- 
wicklungsprozesses befindlich  betrachtet  wird,  also  nach  seiner  Vergangenheit 
und  Zukunft,  anstatt  nur  im  Lichte  des  Vergangenen.  So  erhalten  Flüsse, 
Seen,  Gebirge  ,Jjebensgeschichten^'  geographischen  Charakters,  und  die  ganze 
Geographie  erscheint  als  ein  großer  Schauplatz  des  Widerstreits  entgegen- 
gesetzter Faktoren,  in  dem  der  jeweils  intensivste  sich  in  der  ims  vorliegen- 
den Form  ausspricht,  in  dem  aber  „nichts  beständig  ist,  als  der  Wechsel 
selbst"^).  Diese  Betrachtung  des  geographischen  Objektes,  zugleich  als  eines 
Individuums,   das  eine  bestimmte  Eigenart,  und  als  Glied   einer  bestimmten 

1)  Powell.  Exploration  of  the  Colorado  River  of  the  West  and  its  tributa- 
ries.    Washington  1876.     p.  203,  204. 

2)  „The  penultimate  form  developed  in  a  cycle  of  erosion" :  Baselevel ,  Grade 
and  Peneplain.  p.  10.3. 

3)  Ebenda.  4)  Redway.   The  New  Basis  of  Geography.  p.  66. 


634  Martha  Krug-Genthe: 

Familie  von  Individuen,  das  eine  ganze  Beihe  von  Vorfahren  und  Nach- 
kommen repräsentiert,  meint  Davis  wohl,  wenn  er  sagt,  daß  wir  die  Erde 
„mit  sympathischem  Blick"  betrachten,  und  mit  Flüssen  und  Bergen  ihre 
Sprache  reden  müssen,  um  sie  recht  zu  verstehen,  wie  in  den  folgenden  Be- 
merkungen, die  vielleicht  am  besten  geeignet  sind,  die  Tendenz  der  neueren 
amerikanischen  Geographie  zu  charakterisieren^):  „Jede  Quadratmeile  und 
jeder  Quadratfuß  der  Landoberfläche  bezeichnet  einen  bestimmten  Punkt  in 
einem  Kreislaufe  von  Veränderungen,  der  einen  konstruktiven  Anfang  gehabt 
hat  und  gegen  ein  destruktives  Ende  fortschreitet.  Es  folgt  hieraus,  daß  jede 
Art  Landoberfläche  mit  sympathischem  Blicke  betrachtet  werden  sollte,  um 
ihren  Platz  in  dem  langen  Kreislauf  des  Lebens  zu  erkennen.  Wir  sollten 
die  Flüsse  mit  ihren  eigenen  Augen  ansehen,  und  von  den  Bergen  in  ihrer 
eigenen  Sprache  sprechen.  Aus  einer  so  gepflegten  intimen  Kenntnis  er- 
wächst dann  von  selbst  die  Erweiterung  der  Terminologie,  und  so  legt  die 
Physiographie  die  Kinderschuhe  ab."  Denn  „die  Entwicklungsphasen  der  geo- 
graphischen Objekte",  sagt  Davis  an  anderer  Stelle*),  „sind  nicht  weniger 
deutlich  ausgesprochen  als  die  der  organischen  Formen",  und  außerdem  ist 
„die  Aufeinanderfolge  der  Formen  eines  gegebenen  Objektes  bestimmt,  so  daß 
die  früheren  oder  jüngeren  Formen  mit  Leichtigkeit  von  den  voll  entwickel- 
ten und  den  alten  Formen  zu  unterscheiden"  sind. 

Im  Hinblick  darauf  stellt  sich  die  Physiographie  zwei  Aufgaben:  zu- 
nächst die  bestinunte  Umgrenzung  sämtlicher  Typen,  die  für  ein  geographisches 
Objekt  während  seines  Durchganges  durch  den  geographischen  Cyklus  unter- 
scheidbar sind,  und  die  Aufstellung  bestimmter  wissenschaftlicher  Namen  für 
diese;  dann  die  Festlegung  ihrer  wechselseitigen  Verwandtschaft  zur  Auf- 
stellung eines  einheitlichen  Systems  auf  Grund  eines  geographischen  Stamm- 
baumes der  einzelnen  Formen.  Das  erste  Ergebnis  dieser  Methode,  die 
Klassifikation  der  geographischen  Objekte  als  junge,  vollentwickelte  und  alte, 
hat  bereits  durch  das  ganze  Land  bis  in  die  neueren  Schulbücher  Heimats- 
berechtigung erlangt. 

Zunächst  ist  das  Verfahren  ja  nur  auf  die  Geographie  des  Festlandes 
anwendbar.  Aber  so  groß  war  die  allgemeine  Abneigung  gegen  die  fossile 
Fhysical  geography,  daß  der  neue  Name  sofort  allerseits  als  das  Aushänge- 
schild der  Abkehr  von  ihr,  als  Sjrnonym  einer  lebensvolleren,  rationelleren, 
„geographischeren"  Geographie  aufgegriffen  wurde*).  Vergebens  erhoben  die 
führenden  Geographen,  Davis  voran  (sein  eigenes  Lehrbuch  heißt  „Physical 
Geography"),  ihre  Stinmie  im  Interesse  einer  logischen  Beschränkung  des  Namens 
auf  eine  ünterabteilimg  der  physischen  Geographie;  sie  konnten  nicht  gegen 
den  Strom  schwimmen.  So  schloß  sich  schließlich  diese  Minorität,  um  wei- 
teren Konfusionen  vorzubeugen,  dem  Zuge  der  Zeit  an  und  adoptierte  Physio- 


1)  Report  of  the  10**  Annual  Meeting  of  the  New  England  Association  of  Col- 
leges and  Preparatory  Schools.    p.  43. 

2)  Geographie  Methods  in  Geological  Investigation.    National  Geographie  Ma- 
gazine.   Vol.  I.    1881.   Nr.  1.    Washington. 

3)  Report  Comm.  of  Ten,  p.  205 — 249  gibt  ein  vorzügliches  Bild  der  Begriffs- 
verwirrung über  Geography,  Physical  Geography  und  Physiography. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  635 

graphie  als  Ersatz  für  physische  Geographie.  .  Gegenwärtig  ist  daher  wenig- 
stens üher  den  Inhalt  des  Namens  im  allgemeinen  eine  Einheit  hergestellt, 
wenn  auch  sein  Gebrauch  noch  schwankt.  Es  scheint,  daß  in  der  jüngsten 
Vergangenheit,  nachdem  die  erste  Begeisterung  für  das  neue  Schlagwort 
etwas  zur  Ruhe  gekommen  ist,  die  Zahl  derer,  die  das  Festhalten  an  dem 
alten  Namen  auch  bei  Einhaltung  der  neuen  Forderungen  fär  weiser  erachten, 
wieder  im  Zunehmen  begriffen  sei^).  In  theoretischen  Erörterungen  hat  sich 
daher  der  Brauch  eingebürgert,  beide  Namen  nebeneinander  anzuwenden,  also 
je  nach  der  größeren  Vorliebe  des  Sprechenden  für  den  einen  oder  den 
anderen  Namen:  JPhysicäl  Geography  —  or  Physiography  —  oder  Physio- 
graphy  —  or  Physical  Geography  — .  Auch  in  den  Titulaturen  der  Geogra- 
phen spiegelt  sich,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  diese  Gleichstellung  wieder. 
Die  Zukunft  wird  entscheiden,  welcher  von  beiden  Namen  schließlich  die 
Oberhand  behalten  wird. 

Diese  Entscheidung  darüber  dürfte  von  selbst  eintreten,  sobald  erst  ein- 
mal der  wissenschaftliche  Ausbau  der  politischen,  Bio-  und  Anthropogeo- 
graphie  in  Amerika  die  Notwendigkeit  einer  Überarbeitimg  des  ganzen  geo- 
graphischen Systems  fühlbar  machen  wird.  Vor  der  Hand  ist  die  selbständige 
Berücksichtigung  dieser  Zweige  der  Geographie  ja  noch  so  absolut  gleich  Null, 
daß  selbst  Davis  sie  seiner  „Physical  Geography"  als  Anhang  mitgeben  mußte, 
um  ihnen  nur  überhaupt  einige  Aufmerksamkeit  im  höheren  Unterrichte  zu 
sichern.  Als  Handels-  und  Wirtschaftsgeographie  sind  die  hierhergehörigen 
Kapitel  noch  am  ehesten  in  den  üniversitätsplan  einzuführen,  wie  es  z.  B. 
in  Philadelphia  geschehen  ist;  aber  regelrechte  politische  Geographie  im 
Ratzeischen  Sinne  ist  meines  Wissens  in  ganz  Amerika  nur  ein  einziges  Mal 
an  einer  Universität  angekündigt  worden,  und  das  war  im  vorigen  Jahre  durch 
Professor  Dodge,  einen  Schüler  von  Davis,  am  Teachers  College  in  Neu- 
York.  Doch  ist  auch  dieser  Versuch  im  laufenden  Jahre  nicht  wiederholt 
worden. 

Kürzlich  hat  Davis  selbst  zum  ersten  Mal  öffentlich  zu  dieser  Frage 
Stellung  genommen,  und  zwar  auf  von  dem  Hergebrachten  ziemlich  ab- 
weichende Weise  ^).  Er  formuliert  den  Gegensatz  der  beiden  Gesichter  der 
Geographie  weniger  als  den  Gegensatz  zwischen  naturwissenschaftlichen  und 
historischen  Elementen,  als  zwischen  organischen  und  anorganischen,  und  er- 
hält so  an  Stelle  der  alten  Zweiteilung  in  „Erde  und  Mensch"  eine  solche 
in  „Erde  und  Leben".  Dadurch  werden  Pflanzen-  und  Tiergeographie  nicht, 
wie  bisher,  der  physischen  Geographie  zugewiesen,  sondern  in  Verbindung 
mit  der  Geographie  des  Menschen  behandelt.  Dieser  zweite  Teil  der  Geo- 
graphie steht  der  Physiographie  als  „Ontographie"  gegenüber,  ein  von  Davis 
im  vergangenen  Jahre  zum  ersten  Mal  vorgeschlagener  Name.  Inwieweit  eine 
solche  Einteilung,  deren  Berechtigung  zunächst  wohl  zugegeben  werden  kann. 


1)  Proeeedings  of  the  National  Educational  AsHOciation.  1898.  p.  975. 

2)  Systematie  Geography.  Proeeedings  of  the  American  Philosophical  Society. 
Vol.  XLl.  1902.  p.  236—259  —  und:  The  Progress  of  Geography  in  the  Schools. 
First  Yearbook  of  the  National  Society  for  the  Scientific  Study  of  Education. 
Chicago.  1902.  p.  7—48. 


6S6  Martha  Krug-Genthe: 

im  Stande  w&re,  die  Sache  zu  fördern,  l&ßt  sich  bei  dem  embryonalen  Zu- 
stande der  Frage  natürlich  noch  nicht  bestinunen;  es  sei  hier  blofi  die  Tat- 
sache erwähnt.  Für  Amerika  ist  es  sicher  weise,  in  Namen  und  Anordnung 
vollständig  mit  dem  Alten  zu  brechen,  weil  der  Gebrauch  eines  in  Mißkredit 
geratenen  Wortes  in  einem  neuen  Sinne  unter  den  hingen  V^hältnissen  nur 
zu  leicht  zu  größerer  Trübung  als  Klärung  unklarer  Begriffe  Anlaß  geben 
kann.  Der  Urheber  selbst  ven^richt  sich  jedenfalls  von  einer  solchen  Grup- 
pierung des  Stoffes  eine  bessere  Sjstematisierung  der  Lebensformen  in  der 
Geographie,  als  es  bisher  möglich  gewesen  ist  Es  kann  sein,  daß  sich  auf 
diesem  Wege  die  Grenzfiragen  zvrischen  Geographie  und  Biologie  leichter 
regeln  lassen  als  auf  dem  alten  Wege,  das  Ergebnis  kann  aber  ebenso  gut 
eine  größere  Verwirrung  der  Grenzbegriffe  sein.  Das  wird  zum  größten  Teile 
von  den  Leuten  abhängen,  die  den  weiteren  Ausbau  übernehmen  werden,  und 
der  Name  des  Urhebers  darf  wohl  als  eine  der  besten  Garantien  auch  fSr 
die  weitere  Bearbeitung  dieser  Fragen  angesehen  werden. 

Die  „neue''  Geographie  im  Davisschen  Sinne  würde  sich  dann  folgender- 
maßen darstellen^).  Es  wäre  ein  lückenloses  System  der  physiographischen 
Typen  zu  entwerfen,  in  dem,  wie  in  einem  großen  Fach  werk,  jeder  Typ 
seinen  bestimmten  Platz  und  sein  bestimmtes  Etikett  hat,  wie  es  in  den  bio- 
logischen Systemen  schon  längst  geschehen  ist.  Demgegenüber  wäre  ein 
ebenso  systematisches  Fachwerk  ontographischer  Begriffe  zu  denken,  in  dem 
jedes  Fach  für  den  Typus  der  Reaktion  eines  Lebewesens  (oder  einer  Klass« 
von  Lebewesen)  auf  den  Einfluß  des  geographischen  Schauplatzes  steht  Es 
würden  dann  in  dem  einen  Fachwerk  alle  anorganischen  Vorbedingungen  des 
Lebens,  in  dem  andern  alle  durch  diese  hervorgerufenen  Lebensäußerungbn 
eingeschlossen  sein.  Denkt  man  sich  nun  jede  anorganische  Ursache  auf  der 
einen  Seite  mit  ihrer  organischen  Folge  auf  der  andern  Seite  durch  eine 
Gerade  verbunden,  und  hierauf  durch  diese  Verbindungslinien  eine  Ebene  ge- 
legt, die  parallel  zu  den  beiden  Fach  werkflächen  diese  Linien  in  gleichen 
Winkeln  schnitte,  so  entspräche  diese  Ebene  dem  Begriff  der  Geographie 
als  solche,  und  je  nachdem  diese  Schnittebene  näher  an  das  eine  oder 
das  andere  Fachwerk  herangelegt  würde,  ergäbe  sich  eine  mehr  physio- 
graphische  oder  mehr  ontographische  Geographie.  Leider  ist  das  bis  jetst 
Veröffentlichte  noch  zu  skizzenhaft,  um  daraus  zu  ersehen,  wie  weit  sich  bi^ 
Berührungspunkte  mit  Ratzeis  Formulierung  der  Geographie  als  Erde  und 
Leben  ergeben  werden. 

Die  Länderkunde  endlich  ist  in  Amerika  wissenschaftlich  noch  so  gut 
wie  gar  nicht  berücksichtigt  worden.  Ganz  neuerdings  haben  Hill')  und 
Tarr')  ein  paar  vereinzelte  Versuche  veröffentlicht,  aber  bei  der  vor  der  Hand 
noch  so  geringen  Nachfrage  ist  es  kein  verlockendes  Unternehmen,  und  auch 
diese  Arbeiten  sind  mehr  physiographisch,  als  in  deutschem  Sinne  länderkuntKst 
gehalten.   Die  Zeit  der  wissenschaftlichen  Länderkunde,  dieser  reifsten  Frucht 

1)  Systematie  Geography.   p.  254. 

2)  The  Phyaical  Geography  of  the  Texas  Region.  U.  S.  Geological  Survey.  1902. 
8)  Tarr.   The  Phyeical  Geography  of  New  York  State.   Neu- York  u.  London, 

Macmillan  1902. 


i 


Üie  Geographie  in  deü  Vereinigten  Staaten.  6^7 

vom  Baume  der  Geographie,  wird  auch  in  Amerika  erst  kommen  können, 
wenn  die  allgemeine  in  allen  ihren  Zweigen  zu  einer  gewissen  Gleichmäßig- 
keit der  AEshildong  fortgeschritten  sein  wird.  Ein  großes  Hemnmis  für  die 
Entwicklung  ist  sicher,  daß  die  ausländische  Literatur  im  allgemeinen  von 
den  Geographen  Amerikas  viel  weniger  berücksichtigt  wird,  als  es  in  euro- 
päischen Ländern  geschieht.  Es  ist  durchaus  nicht  immer  die  Folge  einer 
Nichtachtung  fremder  Arbeit,  die  von  denen,  die  sie  kennen,  stets  unein- 
geschr&ikt  anerkannt  wird,  als  des  unglttckliGhen  „elektiven^'  Systems  der 
amerikanischen  höheren  Schulen,  unter  dem  es  vom  Belieben  des  einzelnen 
Kindes  ftbhftngt,  ob  es  auf  der  Schule  neuere  Sprachen  lernen  will  oder  nicht. 
Konamt  der  Student  dann  auf  die  Universität,  so  bemerkt  er  zu  spät,  daß 
mit  ein  paar  Dutzend  Stunden  nicht  diejenige  Kenntnis  einer  Sprache  er- 
worben werden  kann,  die  ihm  die  wissenschaftliche  Literatur  erschließt,  imd 
die  Zeit,  das  Versäumte  nachzuholen,  ist  bei  der  viel  strafferen  Regulienmg 
des  amerikanischen  Universitätsstudiums  nicht  immer  zu  erübrigen.  So  konmit 
es,  daß  für  eine  starke  Majorität  der  amerikanischen  Geographen  außer  der 
Fachliteratur  des  eigenen  Landes  nur  die  englische  in  Betracht  kommt,  die 
bei  der  Stagnation  der  englischen  Geographie  ihnen  auch  nicht  viel  geben 
kann.  Vielleicht  wird  der  internationale  Geographenkongreß,  der  ja  im 
nächsten  Jahre  hofFentHch  eine  große  Anzahl  europäischer  Forscher  nach  der 
anderen  Hemisphäre  führen  wird,  dazu  beitragen,  die  Notwendigkeit  einer 
größeren  Berücksichtigung  europäischer  Arbeit  erkennen  zu  lassen.  Angesichts 
dieser  Zustände  wäre  es  aber  nicht  weniger  wünschenswert,  daß,  solange  der 
Umfang  der  wissenschaftlichen  geographischen  Literatur  Amerikas  noch  so 
minimal  ist,  die  Fachgenossen  in  Eurc^a  die  Initiative  ergriffen,  um  mehr,  als 
es  im  allgemeinen  geschieht  ^  mit  der  amerikanischen  Entwicklung  Fühlung 
zu  gewinnen.  Wenn  auch  die  europäische  Qeographie  an  Alter  und  Fort- 
sehritt der  amerikanischen  voran  ist,  dürfte  doch  gerade  die  Voraussetzungs- 
losigkeit,  die  die  amerikanische  Arbeit  auszeichnet,  sie  für  die  geschulten 
Arbeiter  der  alten  Welt  anziehend  machen  und  interessante  Streiflichter  auf 
die  europäischen  Metiioden  werfen.  Gegensätze,  sei  es  im  Prinzip  oder  in 
der  Methode,  haben  sich  ja  von  jelier  anregend  für  die  wissenschaftliche  Ent- 
wicklung erwiesen.  Je  eher  die  Geographie  der  europäischen  Länder  mit  der 
amerikanischen  dieselben  Wechselbeziehungen  aufninmit,  die  unter  den  be- 
nachbarten europäischen  Vertretern  der  Wissenschaft  bestehen,  um  so  besser 
wird  es  sein:  denn  nur  solange  die  amerikanische  Geographie  noch  im 
gegenwärtigen  Zustande  des  Werdens  begriffen  ist,  kann  zwischen  hüben  und 
drüben  die  Übereinstinnnimg  in  den  Hauptlinien  erzielt  werden,  durch  die 
allein  ein  AuseinanderüftUen  der  Wissenschaft  nach  Kontinenten  verhindert 
werden  kann.  (Schluß  folgt.) 


638  V.  Lendenfeld:  Geol.  Ergebnisse  d.  Sverdrupschen  Polarexpedition. 


Die  geologischen  Ergebnisse  der  Sverdmpschen  Polarexpedition. 

P.  Schei  hat  einen  vorläufigen  Bericht*)  über  die  geologischen  Ergeb- 
nisse der  letzten  Sverdrupschen  Polarexpedition,  welche  sich  bekanntlich  vier 
Jahre  lang  im  Parry- Archipel  aufgehalten  hat,  erstattet.  Wir  entnehmen  ihm 
folgendes:  In  Nord-Lincoln-Land  stehen  Granite  von  eigenartiger  Beschaffen- 
heit zu  Tage.  Diese  waren  zur  kambrischen  Zeit  vom  Meere  bedeckt  und 
wurden  teilweise  abradiert.  Stellenweise  (Bache-Halbinsel  etc.)  konmien 
mächtige,  quarzitische  Sandsteine  kambrischen  .Alters  vor.  Es  scheint,  daß 
das  kambrische  Meer  den  Fuß  von  älteren  Ealkfelsen  bespült  habß,  denn  es 
finden  sich  —  wechsellagemd  mit  jenem  Sandstein  —  bis  100  m  mächtige 
Lagen  von  Kalksand  und  -konglomerat.  Auch  in  der  Silurperiode  breitete 
sich  der  Ozean  dort  aus.  Ln  Mittelsilur  wurde  Kalk  abgelagert,  welcher  in 
der  Prinzessin  Maria-Bucht  und  im  Jones-Sund  eine  Mächtigkeit  von  600  m 
erreicht.  Zu  Anfang  der  Devonzeit  war  jenes  Gebiet  ebenfalls  vom  Meere 
bedeckt.  Dieses  devonische  Meer  war  ziemlich  tief;  auf  seinem  Grunde  wur- 
den schwarze  Schiefer  und  Kalke  gebildet.  Dann  rückten  die  Küsten  näher 
zusanunen  und  es  kamen  Ästuarien  zur  Ausbildung,  in  denen  Schlamm,  Sand, 
Schotter  und  Beste  von  Fischen  und  Landpfianzen  zur  Ablagerung  gelangten. 
Die  versteinerungsreichen  Kalke  mit  eingelagerten  Feuersteinen  vom  großen 
Bärenkap  zeigen,  daß  sich  gegen  Ende  der  Karbonperiode  das  Meer  ebenfalls 
über  jenes  Gebiet  ausbreitete.  Über  die  dieser  Zeit  vorangehende,  sowie 
über  die  auf  sie  folgende  Periode  geben  die  Funde  jedoch  keinen  Auf- 
schluß; die  nächsten  Versteinerungen,  die  angetroffen  werden,  sind  die  trias- 
sischen  Lamellibranchiaten  und  ein  Ammonit  von  der  Bärenkap-Lisel. 

An  der  Nordküste  von  Heiberg-Land  gab  es  zur  Karbonzeit  Vulkane, 
deren  mit  vulkanischer  Asche  wechsellagemde  Laven  über  den  älteren  Ab- 
lagerungen ausgebreitet  sind.  Diese  vulkanischen  Bildungen  werden  von 
marinen  Sedimenten  (Kalk  mit  Feuersteinen),  ebenfalls  karbonischen  Alters, 
überlagert.  Zu  Ende  der  Triasperiode  wurden  in  diesem  Gebiete  große  Ver- 
werfungsspalten gebildet,  die  entlaug  sehr  bedeutende  Dislokationen  in  verti- 
kaler Richtung  stattfanden.  Vulkanische  Massen  drangen  in  diese  Spalten 
und  zwischen  die  benachbarten  Schichten  ein.  Wegen  ihrer  größeren  Wider- 
standsfähigkeit gegen  die  Verwitterung  treten  diese  Litrusivmassen  jetzt  an 
der  Oberfläche  in  starkem  Relief  hervor.  Die  bedeutendsten  Litrusionen  und 
auch  die  stärksten  Dislokationen  werden  in  der  Gegend  des  Eureka-Sundes 
angetroffen. 

In  den  Senkungen  wurden  zur  Miozänzeit  Ablagerungen  gebildet,  die  < 
ungemein  reich  an  vorzüglich  erhaltenen  Pfianzenresten  sind.  Es  finden  sich 
da  Formen,  welche  der  kalifornischen  Sequoia  und  der  floridanischen  Sumpf- 
Z3rpresse  ähneln.  Die  jüngsten  marinen  Ablagerungen  sind  die  Sande  und 
der  Lehm  mit  halb  versteinerten  Resten  von  Meerestieren,  welche  in  einer 
Höhe  von  200  m  rings  um  EUesmere-Land  beobachtet  werden.  Deutliche 
alte  Strandlinien  konmien  in  derselben  Höhe  sowohl  hier  wie  auf  der  Graham- 
Insel  vor. 


1)  P.  Schei.  Summary  of  Geological  Besults  (Second  Norwegian  Expedition 
in  the  „Fram"  1898—1902).  Journ.  B.  Geogr.  Soc.  London.  XXII.  S.  56—65.  6  Abb. 
1  Kartenskizze. 


Berichtigungen.  639 

Zur  Vergletscherung  bemerkt  Schei  folgendes:  Nord -Lincoln  ist,  wie 
bekannt,  vergletschert.  Das  ganze  Innere  dieses  Landes  wird  von  einer 
zusammenhängenden  Eismasse  eingenommen,  von  der  Gletscher  zum  Meere 
hinabziehen.  In  der  Nahe  der  Küste,  namentlich  in  der  Gegend  des  Hayes- 
Sundes,  sind  jedoch  die  vortretenden  Teile  des  Landes  in  beträchtlicher 
Ausdehnung  eisfrei.  Noch  größere  eisfreie  Strecken  werden  in  der  Gegend 
des  Jones -Sundes  angetroffen.  Im  allgemeinen  nimmt  die  Yergletscherong 
in  diesem  Gebiete  nach  Westen  hin  ab.  Wenn  man  in  dieser  Richtung 
fortschreitet,  so  bemerkt  man  zuerst,  daß  sich  die  Eisströme  von  der  Küste 
zurückziehen,  und  dann,  daß  sie  ganz  verschwinden.  Die  höheren  Teile  des 
König  Oskar-Landes  sind  allerdings  vereist;  die  Eisdecke  ist  dort  aber  so 
dünn,  daß  sie  keine  Eiszungen  gegen  die  Küste  hinabzusenden  vermag. 
Eigentlich  vergletschert  kann  dieses  Land  ebensowenig  wie  Grinell-  und  der 
größere  Teil  von  Heiberg-Land  genannt  werden.  Nur  an  der  Südostecke  der 
letztgenannten  Insel  werden  wirkliche  Eisströme  angetroffen,  aber  auch  hier 
erreicht  kaum  ein  einziger  das  Meer.  Im  Sommer  sind  ausgedehnte  Land- 
strecken aper.  Die  Untersuchung  hat  gezeigt,  daß  diese  Gebiete  auch  Mher 
nie  vergletschert  gewesen  sind,  roches  motUonnies^  Schrammen  und  dergleichen 
wurden  in  diesen,  jetzt  im  Sommer  aperen  Gegenden  ebensowenig  angetroffen, 
¥de  alte  Moränen.  Hieraus  und  aus  der  Beobachtxmg  alter  Strandlinien 
glaubt  Schei  schließen  zu  können,  daß  nicht  nur  die  Vergletscherung  früher 
hier  nicht  bedeutender  war  als  jetzt,  sondern  auch,  daß  die  gegenwärtige 
Vergletscherung  ein  Maximum  darstellt.  R.  von  Lenden feld  (Prag). 


BeriGhtigongen. 

In  F.  Thorbeckes  Bericht  zu  meinem  Vortrag  auf  dem  Kölner  Geo- 
graphentag über  die  Morphologie  des  Rheinischen  Schiefergebirges  (G.  Z. 
1903.  Heft  8)  sind  einige  wesentliche  üngenauigkeiten  enthalten.  Auf  S.  447 
ist  der  Satz:  „Diese  Erosionstäler  sind  aber  keineswegs  .  .  .  auf  deren  Boden 
die  Flüsse  fließen"  unverständlich.     Er  müßte  etwa  heißen: 

Diese  Erosionstäler  der  bedeutenderen  Flüsse  sind  aber  keineswegs  in 
die  größeren  Höhen  des  Schiefergebirges  eingeschnitten,  sondern  die  Ober- 
kante ihrer  Wände  liegt  meist  bei  180  bis  300  m  Meereshöhe.  Diese  Täler 
sind  nämlich  in  den  Boden  breiter  Tröge  eingegraben,  welche  die  höheren 
Teile  des  Rumpfgebirges  von  einander  trennen  imd  sich  wieder  in  mindestens 
zwei  Stufen,  die  „Trogfläche"  und  die  „Hauptterrasse"  gliedern. 

Auf  S.  448  oben  heißt  es,  ich  hätte  gesagt:  „Ihre  (d.  h.  der  morpho^ 
logischen  Probleme  des  Schiefergebirges)  genauere  Kenntnis  verdanke  man 
den  Arbeiten  des  Bezirksgeologen  Dr.  Kaiser  aus  Berlin,  der  zuerst  in  die 
Meßtischblätter  Höhenschichten  eingezeichnet  habe."  —  Das  habe  ich  nicht 
gesagt  und  nicht  sagen  können;  sondern  ich  habe  nur  darauf  hingewiesen, 
daß  wir  von  den  —  erst  im  vorigen  Jahr  begonnenen  —  Spezialaufnahmen 
Dr.  Kaisers  wesentliche  Aufschlüsse  in  diesen  Fragen  erwarten  dürfen. 

A.  Philippson. 

Privatdozent  Dr.  M.  Friederichsen  in  Göttingen  hat  mir  folgende  Be- 
richtigung zu  meinem  Referat  über  seinen  Kölner  Vortrag  eingesandt,  von 
der  er  hofft,  daß  sie  das,    was  er  in  dieser  an  sich  höchst  kritischen  Frage 


640 


Berichtigungen. 


hat  sagen  wollen,  verständlicher  macht.    Es  handelt  sich  tun  den  Schluß  des 
zweiten  Absatzes  auf  8.  396,  wo  es  heißen  müßte: 

„Doch  dürften  sich  diese  Denudationsflächen  kaum  in  ihrer  heutigen 
Höhe  .  .  .  gebildet  haben,  auch  nicht  alle  ihre  Teile  im  unter  einander 
gleichen  Niveau  sich  seitdem  erhalten  haben .  .  ."  Und  weiter:  „eine 
spätere  Hebung  im  Zusammenhang  mit  gleichzeitiger  Zerstückelung  einzelner 
Teile,  worauf  die  ...  der  Sarj-dschas-Syrte  hindeuten."  Die  im  Text  zu 
verbessernden  oder  einzufügenden  Worte  sind  gesperrt  gedruckt. 

P.  Thorbecke. 


Oeograpliisehe  Neuigkeiten. 


Allgemeines. 

üf-  Durch  die  am  1.  Oktober  seitens 
Rußlands  erfolgte  Freigabe  der  sibi- 
rischen  und  ostchinesigchen  Eisen- 
bahn für  die  iDternationale  Post- 
beförderung ist  ein  neues  Verkehrsmittel 
geschaffen,  das  auf  die  wirtschaftliche 
Entwicklung  Ostasiens  sicher  befruchtend 
einwirken  wird.  Die  deutsche  Postver- 
waltung hat  beschlossen,  den  neuen  Weg 
zur  Beförderung  ihrer  Postsendungen  nach 
Ostasien  zu  benutzen,  trotzdem  an  die 
Verwaltung  der  ostchinesischen  Eisenbahn, 
die  als  Privatbahn  außerhalb  des  Welt- 
postvereinsgebietes  nicht  an  die  Transit- 
sätze des  Weltpostvertrags  gebunden  ist, 
BefSrderungsgebühren  gezahlt  werden 
müssen,  die  allein  schon  erheblich  höher 
sind  als  die  ganze  Porto -Einnahme  für 
die  betreffenden  Sendungen.  Über  Sibirien 
werden  von  Deutschland  aus  mit  Vorteil 
befördert  werden  die  Sendungen  nach 
China  nördlich  vom  Jangtsekiang,  nach 
Japan  und  Korea.  Die  Beförderung  ge- 
schieht über  Moskau,  von  wo  aus  der 
tägliche  Postzug  die  Post  in  17  Tagen 
nach  Dalny  oder  Port  Arthur,  in  ebenso- 
viel Tagen  nach  Wladiwostok  und  in 
16  y.  Tagen  nach  Inkau  bringt.  In  Dalny, 
Port  Arthur  und  Wladiwostok  schließen 
sich  russische  Dampferlinien  nach  Tschifu, 
Schanghai,  Tschemulpo  (Korea)  und  Na- 
gasaki an.  Von  Inkau  besteht  eine 
wöchentlich  viermalige  Postverbindung 
auf  der  Bahn  nach  Tientsin  und  Peking. 
Von  Berlin  aus  dauert  die  Beförderung 
nach  Tientsin  und  Peking  20  bis  22  Tage, 
nach  Schanghai  22  bis  28  Tage  und  nach 
Nagasaki  28  bis  29  Tage,  gegenüber  der 
bisherigen  Beförderungsdauer  von  40  Tagen 
nach  Peking,  38  nach  Schanghai  und  86 


nach  Nagasaki  im  günstigsten  Falle.  Sollte 
später  die  Brief  beförderung  auch  mit  den 
Luxuszügen  der  sibirischen  Bahn  aus- 
geführt werden,  so  würde  sich  ein  weiterer 
Zeitgewinn  von  ungefähr  vier  Tagen  er- 
geben; ebenso  wird  auch  die  Vollendung 
der  noch  im  Bau  begriffenen' Baikal-Um- 
gehungsbahn eine  Beschleunigung  be- 
wirken. —  Die  erste  tatsächlich  auf  dem 
Wege  über  Sibirien  beförderte  Post,  die 
am  26.  Sept.  in  Tsingtau  aufgeliefert  war, 
ist  am  28.  Okt.  in  Berlin  zur  Ausgabe 
gelangt.  Die  Befördemngszeit  von  27 
Tagen  ist  um  8  bis  10  Tage  kürzer  als 
auf  dem  Seewege,  sodaß,  hin  und  her 
gerechnet,  die  zur  Überwindung  des  Rau- 
mes zwischen  Deutschland  und  Ostasien 
erforderliche  Zeit  um  fast  drei  Wochen 
abgekürzt  worden  ist. 

Deutschland  und  Naehbarlftnder. 

*  Der  Kaiser  Wilhelm-Kanal  be~ 
ginnt  für  seine  Umgebung  dadurch  von 
wirtschaftlicher  Bedeutung  zu  wer- 
den, daß  nach  den  neuesten  Beobachtungen 
ein  stetig  wachsender  Aufstieg  der  Ost- 
seefische in  den  Kanal  stattfindet,  so  daß 
dieser  berufen  erscheint,  in  Zukunft  für 
den  vdchtigsten  aller  Fische,  den  Hering, 
als  Schon-  imd  Laichgebiet  von  großer 
Bedeutung  zu  werden  und  dadtirch  mittel- 
bar auch  die  Küstenfischerei  in  günstigem 
Sinne  zu  beeinflussen.  Die  Fische  be- 
nutzen erwiesenermaßen  jede  gebotene 
Gelegenheit  zur  Einwanderung  in  den 
Kanal,  wobei  es  sich  nicht  bloß  um  ver- 
sprengte Exemplare,  sondern  um  das  Vor- 
dringen ganzer  Laichzüge  handelt  In 
den  wenigen  Jahren  seit  Eröffnung  des 
Kanals  haben  die  Heringe  bereits  zwei 
Drittel  des  ganzen  Kanals  in  Besita  ge- 


Geograpliisclie  Neuigkeiten. 


641 


notnmen,  so  daß  das  Vorrücken  der  Fische 
bis  zur  Elbe  innerhalb  absehbarer  Zeit 
erwartet  werden  kann.  Die  Eanalrinne 
selbst  muß  wegen  der  damit  verbundenen 
Störung  der  Schiffahrt  von  der  Befischung 
ausgeschlossen  bleiben,  deshalb  wird  sie 
sich  Toraussichtlich  immer  mehr  zu  einem 
Schon-  und  Laichrevier  für  die  Seefische 
entwickeln.  Die  Binnenfangplätze  liegen 
in  den  Seen,  durch  welche  der  Kanal 
hindurchführt  oder  welche  der  Kanal  be- 
rührt; die  in  den  letzten  fünf  Jahren  um 
mehr  als  das  zehnfache  des  ehemaligen 
Betrages  gewachsene  Pachtsumme  der 
Fischereigerechtsame  in  diesen  Seen  mag 
als  Maßstab  für  die  jetzige  Ertragfähigkeit 
der  Fischerei  gelten.  Auch  der  Küsten- 
fischerei kommt  die  wachsende  Bedeutung 
des  Kanals  als  Schon-  und  Laichgebiet 
für  Seefische  zu  gute,  da  erfahrungsgemäß 
laichreife  Fische  für  das  Fortpfianzungs- 
geschäft  die  eigene  Geburtsstätte  zu  be- 
vorzugen pfiegen.  Je  mehr  Seefische  also 
im  Kanalgebiet  ausschlüpfen  und  als 
Jungfische  in  die  See  zurückkehren,  desto 
größere  Laichzüge  dürfen  im  Kanal  in 
Zukunft  alljährlich  zu  erwarten  sein.  In 
Folge  der  besonderen  Erträge  hat  sich 
seit  1898  die  Zahl  der  in  Eckemförde  und 
EUerbeck  auf  den  Frühjahrsfang  aus- 
ziehenden Boote  nahezu  verfünffacht. 

Übriges  Europa« 

*  Eine  naturwissenschaftliche 
Station  ist  im höchstenNorden  Schwe- 
dens nach  Fertigstellung  der  Ofoten- 
bahn  begründet  worden.  Die  Station 
liegt  dicht  an  der  Ofotenbahn  bei  der 
Ansiedelung  Wassijaure,  etwa  3  km  von 
der  schwedisch-norwegischen  Grenze;  in 
ihr  sollen  während  des  ganzen  Jahres 
Forschungen  angestellt  werden,  im  Som- 
mer biologische,  geologische  u.  s.  w.  und 
im  Winter  meteorologische,  magnetische 
u.  a.  Als  die  ersten  Naturforscher  die- 
ser Station  haben  Geolog  Westergren, 
Entomolog  Haglund  und  die  Bota- 
niker Roman  und  Sylvän  ihre  Tätig- 
keit begonnen.  Die  Tätigkeit  dieser 
Station  wird  besonders  für  die  weitere 
Erschließung  Lapplands,  welches  nament- 
lich in  geologischer  Beziehung  ein  er- 
giebiges Forschungsgebiet  ist,  von  be- 
sonderer Bedeutung  werden,  da  bisher 
nur  wenig  Forscher  in  das  entlegene  und 
aller  Verkehrsmittel    bare    Land    einge- 


drungen sind.  Die  Mittel  für  die  Errich- 
tung des  Stationsgebäudes  schenkte  der 
Stockholmer  Professor  Retzius,  die 
Kosten  für  die  innere  Einrichtung  und 
die  Erhaltung  der  Station  sollen  durch 
private  Sammlungen  aufgebracht  werden. 

Asien. 

*  Eine  neue  Handelsstraße  zwi- 
schen Indien  und  Persien  ist  kürzlich 
von  englischer  Seite  eröffiiet  worden.  Da 
Rußland  sich  das  Privilegium  des  Eisen- 
bahnbaus in  Persien  durch  Vertrag  ge- 
sichert hat,  blieb  England,  wenn  es  sich 
einen  Teil  des  persischen  Außenhandels 
sichern  wollte,  nichts  weiter  übrig,  als 
durch  Einrichtung  von  Karawanenrouten 
zwischen  Lidien  und  Persien  den  Verkehr 
zwischen  beiden  Ländern  zu  fördern.  Die 
neue  Karawanenstraße  führt  von  Quetta, 
der  Hauptstadt  von  Britisch-Beludschistan, 
über  Nuschki,  entlang  der  Südgrenze  von 
Afghanistan  durch  Seistan  und  dann  fast 
nördlich  nach  Mesched,  der  Hauptstadt 
von  Khorassan,  und  hat  eine  Länge  von 
1660  km.  Quetta  steht  in  Eisenbahnver- 
bindung mit  Kuratschi,  dem  aufblühenden 
Hafen  am  Golf  von  Oman,  und  ist  in 
28  Stunden  von  hier  zu  erreichen,  so  daß 
der  Anschluß  des  neuen  Verkehrsweges 
an  das  Weltmeer  leicht  vermittelt  werden 
kann.  Um  die  sechzig  Tage  währende  Reise 
auf  der  neuen  Straße  nach  Möglichkeit 
abzukürzen,  ist  der  Bau  einer  Eisenbahn 
von  Quetta  nach  Nuschki  ins  Auge  ge- 
faßt, wodurch  die  Reise  allerdings  um 
eine  Woche  abgekürzt  werden  würde;  und 
um  den  Handel  auf  den  neuen  Weg  zu 
lenken,  sind  große  Zollerleichterungen  für 
die  den  Weg  benutzenden  Waren  bestimmt 
worden.  Die  Herstellung  und  Unterhaltung 
der  Karawanenstraße  ist  für  England  mit 
ungeheuren  Kosten  verknüpft,  da  die 
Straße  durch  weite  Steppengebiete  führt, 
in  denen  zur  Sicherung  des  Verkehrs  und 
zur  Verproviantierung  der  Karawanen  eine 
Anzahl  von  Relaisstationen  errichtet  wer- 
den mußte.  Trotzdem  war  aber  England 
zur  Herstellung  des  neuen  Verkehrsweges 
gezwungen,  wenn  es  Persien  wirtschaft- 
lich nicht  vollständig  in  Abhängigkeit 
von  Rußland  kommen  lassen  wollte,  ab- 
gesehen davon,  daß  durch  die  geplante 
Bagdad-Bahn  Persien  auch  in  nähere  Be- 
ziehungen zu  Europa  gebracht  werden 
wird,  dem  England  durch  Anschluß  Per- 


Oeographiiche  Zeitsohrift.  9.  J»brgang.  1903.  11.  Heft. 


48 


642 


Geographische  Neuigkeiten. 


siens   an   Indien   nach   Möglichkeit   vor- 
hengen  wollte. 

AfHka. 

♦  Die  Unterwerfung  der  Sulta- 
nate an  der  Grenze  zwischen  Sahara 
und  Sudan,  welche  durch  die  Zertrüm- 
merung der  Herrschaft  des  Rabeh  und 
die  Eroberung  Bornus  eingeleitet  wurde, 
hat  in  diesem  Jahre  weitere  Fortschritte 
gemacht.  Wie  im  Globus  (84.  Bd.  S.  211) 
berichtet  wird,  wurde  Kano  von  den 
Engländern  Anfang  Februar  und  Sokoto 
Mitte  März  von  ihnen  erobert;  jedoch 
konnten  die  dortigen  Herrscher  entfliehen. 
Inzwischen  ist  nun  der  Emir  von  Kano 
gefangen  genommen  worden  und  der 
Sultan  von  Sokoto  ist  im  Kampfe  gefallen. 
Der  Emir  von  Kano  war  zu  einem  seiner 
Lehnsfürsten,  dem  Herrn  von  Maradi,  ge- 
flohen, der  ihn  aber  einer  anrückenden 
englischen  Abteilung  verriet.  Der  Sultan 
von  Sokoto,  der  eine  neue  Anhängerschaft 
um  sich  gesammelt  hatte  und  mit  dieser 
den  Engländern  hartnäckigen  und  erfolg- 
reichen Widerstand  leistete,  ist  am  27.  Juli 
bei  der  Eroberung  seines  Stützpunktes 
Durmi  nach  hartnäckigem  Kampfe  ge- 
fallen. Damit  dürften  die  Engländer  end- 
lich in  den  tatsächlichen  Besitz  ganz 
Nord-Nigeriens  gelangt  sein.  —  Den 
neuesten  Meldungen  zufolge  hat  der 
Sultan  von  Wadai  das  französische  Pro- 
tektorat widerspruchslos  angenommen.  Ob 
in  diesem  passiven  Verhalten  wirklich  eine 
friedliche  Eroberung  dieses  Sultanats  er- 
blickt werden  kann,  muß  vor  der  Hand 
noch  bezweifelt  werden. 

*  Über  die  Niger-Benue-Tschad- 
see-Expedition  (VIII.  Jhrg.  S.  598)  be- 
richtet deren  Leiter  Fritz  Bauer  in  der 
Deutschen  Kolonialzeitung,  daß  die  Ex- 
pedition nach  Erfüllung  ihrer  Aufgaben 
nach  Lokodscha  am  Niger,  dem  Haupt- 
quartier der  britischen  Verwaltung  von 
Süd-Nigerien ,  zurückgekehrt  sei.  In 
geographischer  Beziehung  hat  die  Expe- 
dition die  Strecke  von  Rei  Buba  (am 
obersten  Bogen  des  Benue)  bis  nach 
Ngaundere  kartographisch  festgelegt  und 
damit  einen  wichtigen  Beitrag  zur  Landes- 
kunde unseres  Schutzgebietes  Kamerun 
geleistet.  In  orographischer  Hinsicht  zer- 
fällt das  bereiste  Gebiet  in  zwei  Teile, 
in  das  Hochplateau  von  Ngaundere  und 
in  das  nördlich   davon   gelegene  Gebiet, 

-das   Passarge   als    das    Schollenland   von 


Adamaua  bezeichnet  hat;  beide 
durch  einen  westöstlich  streiche nAtir  gteil- 
abfall  von  einander  getreait:  Das  Gebiet 
in  der  Nähe  der  deutsch -französischen 
Grenze  iat  imgemein  gebirgig,  mehrmals 
führte  der  Pfad  über  Pässe  von  1000  m 
Höhe,  die  höchsten  Erhebungen  erreichten 
im  Ngau-Janga  eine  Höhe  von  1300  m. 
In  hydrographischer  Hinsicht  sind  zwei 
Gebiete  zu  unterscheiden:  das  desSchari- 
Logone  (Tschadsee-Gebiet)  and  das  des 
Niger -Benu^.  Auf  dem  Hochplateau, 
etwa  21  km  nördlich  von  Ngaundere  be- 
ginnend, bis  wohin  sich  außer  den  ge- 
nannten Stromgebieten  auch  das  des 
Kongo  erstreckt,  zieht  sich  die  Wasser- 
scheide zwischen  BenuS  und  Logone  in 
nordöstlicher  Richtung  hin,  läuft  später 
etwa  den  8.®  n.  Br.  entlang,  um  sich 
schließlich  vom  Schnittpunkt  dieses 
Breitengrades  mit  15^  30'  ö.  L.  an  nach 
Nordosten  zu  wenden.  Der  Strombereich 
des  BenuS  erstreckt  sich  in  seinem  Ober- 
laufe allenthalben  bis  über  den  16.*  ö.  L. 
hinaus;  der  Fluß  besaß  bei  Gama  im  De- 
zember eine  Breite  von  über  200  m  bei 
0,6  —  0,7  m  Tiefe,  bei  Duli  war  er  bei 
gleicher  Breite  etwa  1,2  m  tief.  Während 
der  Regenzeit  steigt  der  Fluß  3—4  m  und 
ist  dann  500  m  breit  Seine  beiden  Haupt- 
nebenflüsse sind  der  Mao  Schina  und  der 
Mao  Schufi,  welch  letzterer  bisher  noch 
unbekannt  war.  BenuS  und  Mao  Schufi 
werden  zur  Regenzeit  sicherlieh  bis 
über  Djinmi  hinaus  mit  leichten  Rad- 
dampfern befahren  werden  können;  in 
der  Trockenzeit  sind  beide  Flüsse  soweit 
für  Kanus  fahrbar.  Der  Bergingenieur 
Edlinger  berichtet,  daß  trotz  zahlreich 
angestellter  Waschproben  und  Unter- 
suchungen der  hierfür  in  Betracht  kom- 
menden Gesteine  und  Sedimente  sich 
nutzbare  Mineralien  leider  nicht  hätten 
aufluden  lassen;  auch  die  bei  den  Ein- 
geborenen hier  und  da  eingezogenen  Er- 
kundigungen nach  dem  Vorkommen  von 
Metallen  hatten  nur  ein  negatives  Ergeb- 
nis. Jedoch  ist  ein  späteres  Auffinden 
von  Metallen  nicht  ausgeschlossen,  da  die 
geologischen  Verhältnisse  Adamauas  der- 
art sind,  daß  sie  die  besten  Vorbedingungen 
für  das  Vorkommen  von  Gängen  mit  nutz- 
baren Metallen  und  Metallverbindungen 
bieten. 

♦  An  der  Goldküste,  der  britischen 
Kolonie   in   Westafrika,    ist    eine    neue 


Geographisclie  Keuigkeiten. 


643 


Eisenbalin  von  der  Küste  nach  dem 
Im&ern  dea  Kontinents  eröffnet  worden. 
Nach  «mem  Telegramm  des  Gouverneurs 
der  GoIAtetBnkolonie  an  das  Londoner 
Kolonialamt  ist  der  erste  Eisenbahnzug 
am  1.  Okt.  mit  87  Europäern  und  einer 
Anzahl  von  Häuptlingen  in  Kumassi,  der 
erst  vor  wenigen  Jahren  ^on  den  Eng- 
ländern endgültig  eroberten  Hauptstadt 
der  Aschantis,  eingelaufen.  Die  erste 
Strecke  der  Bahn,  von  dem  Küstenort 
Sekondi  nach  Tarkwa,  erschloß  eine  An- 
zahl von  Goldbergwerken;  die  jetzt  au 
eine  Länge  von  320  km  nach  Kumassi 
mit  der  Spurweite  von  1,067  fortgeführte 
Bahn  wird  einen  rationell  betriebenen 
Bergbau  auch  im  Hinterlande  ermöglichen. 
Die  abbauwürdigen  Lager  sind  alle  schon 
in  den  Besitz  englischer  Unternehmer 
übergegangen. 

Australien« 
^  Als  Hauptstadt  und  Sitz  der 
Regierung  war  bei  der  Konstituierung 
des  australischen  Staatenbundes 
ein  Ort  in  Aussicht  genommen,  der  im 
Staate  Neusüdwales  und  wenigstens  160  km 
entfernt  von  Sidney  liegen  solle,  und  eine 
Kommission  wurde  mit  der  Ausfindig- 
machung  eines  geeigneten,  den  vorge- 
schriebenen Bedingungen  entsprechenden 
Ortes  beauftragt.  Nach  langem  Suchen 
ist  nun  die  Wahl  der  Konmiission  auf 
den  Flecken  Tumut  gefallen,  wo  nach 
Bestätigung  durch  das  Bundesparlament 
die  neue  Hauptstadt  erbaut  werden  soll. 
Tomut  liegt  hoch  in  den  Bergen,  in  einem 
reich  bewässerten  Tale  an  den  Abhängen 
des  Kosciusko- Plateaus  und  hat  ein  aus- 
gezeichnetes Klima.  Der  Tumutfluß,  von 
den  Gletschern  des  Mt.  Kosciusko  gespeist, 
versiegt  im  ganzen  Jahre  nicht  und  die 
Vegetation  des  Distriktes  grünt  während 
des  ganzen  Jahres.  Die  wenigen  Bewohner 
des  Ortes  nähren  sich  v^m  Maisbau,  da 
sich  jetzt  der  Anbau  europäischer  Früchte 
und  Gemüse  wegen  der  Abgeschiedenheit 
des  Ortes  nicht  lohnt.  Die  nächste  Eisen- 
bahnstation ist  das  ca.  35  km  entfernt 
liegende  Städtchen  Gundagai,  von  wo  aus 
eine  Zweiglinie  nach  Cootamundra  an  der 
Hanptverbindungslinie  zwischen  Sidney 
und  Melbourne  führt.  Diese  beiden  Haupt- 
handelsplätze Australiens  liegen  ungefähr 
gleichweit,  gegen  500  km,  von  Tumut 
entfernt,  welches  auch  fast  in  der  Mitte 
zwischen  Adelaide  und  Brisbane  liegt. 


Nord-Ajaeiikii. 

*  Der  amerikanisch-kanadische 
Grenzstreit  ist  soeben  durch  den  Spruch 
eines  Schiedsgerichts  zu  Gunsten  der  Ver- 
einigten Staaten  entschieden  worden.  Wie 
bereits  früher  (I.  Jhrg.  S.  527  u.  IV.  Jhrg. 
S.  293)  mitgeteilt  worden  ist,  handelte  es 
sich  bei  dem  Streite  erstens  um  den  Be- 
sitz der  Insel  Revilla  Gigedo  und  der 
Halbinsel  Tongaß  und  zweitens  um  den 
Verlauf  der  Grenze  zwischen  66  **u.€0  *^n.  Br. 
Auf  Grund  des  britisch-russisehen  Grenz- 
vertrages vom  28.  Febr,  1825,  in  den  die 
Vereinigten  Staaten  beim  Kaufe  Alaskas 
1867  eingetreten  sind  und  der  bestimmt, 
daß  <M^  Grenze  zwischen  56^  u.  60^  n.  Br. 
dem  Kamme  der  Küstenkette  folgen  soll 
und,  wo  sich  dieser  weiter  als  10  engl. 
Meilen  von  der  Küste  entfernt,  im  Ab- 
stand von  10  Meilen  den  Windungen  der 
Küste  gleichlaufen  soll,  beanspruchten  die 
Kanadier,  welche  als  Küstenkette  den 
Gebirgszug  betrachten,  der  den  Alezander- 
Archipel  durchzieht  und  in  den  St.  Elias- 
Alpen  wieder  auf  das  Festland  übertritt, 
die  ganze  Festlandkäste  mit  den  als  Zu- 
gängen zum  Innern  so  wichtigen  Fjord- 
buchten, während  die  Vereinigten  Staaten 
die  Grenze  in  10  Meilen  Entfernung  von 
der  Festlandküste  verlegen  wollten.  Durch 
den  soeben  gefällten  Schiedsspruch  wird 
nun  das  ganze  streitige  Gebiet  einsdiließ- 
lich  der  Insel  Revilla  Gigedo  und  der 
Halbinsel  Tongaß  den  Vereinigten  Staaten 
zugesprochen;  nur  zwei  kleine,  den  Port- 
land-Kanal beherrschende  Inseln  Wales 
und  Pearse  sind  Kanada  zugesprochen 
worden.  Der  offizielle  Schiedsspruch  der 
Kommission  hat  folgenden  Wortlaut:  „Die 
Mehrheit  des  Schiedsgerichts  hat  als 
Grenze  gewählt  eine  Linie,  die  von  der 
Spitze  des  Portland -Kanals  am  Außen- 
rande der  auf  der  amtlichen  Karte  von 
1893  verzeichneten  hohen  Bergkette  bis 
zum  Mounte  Whipple  entlang  läuft.  Dann 
folgt  die  Grenze  der  sog.  Hunter -Linie 
von  1875,  indem  sie  den  Stikine- River 
24  engl.  Meilen  vor  seiner  Mündung  über- 
schreitet, dann  weiter  nördlich  längs  einer 
Hügelkette  bis  Gates  Needle  und  von  Gates 
Needle  bis  Devils  Thumb.  Von  hier  weur 
det  sich  die  Grenze  über  den  Ghilkoot- 
Paß  in  westlicher  Richtung  zu  einem 
Berge,  der  auf  der  dem  Kommissions- 
berichte beigegebenen  Karte  niit  einer 
Höhe  von  6850  Fuß  verzeichnet  ist,  er* 

43* 


C44 


Geographische  Keuigkeiteii. 


reicht  dann  einen  anderen  6800  Fuß  hohen 
Berggipfel,  führt  über  den  Gletscher  des 
Moont  Fairweather  und  endet  schließlich, 
in  nördlicher  Bichtang  über  die  auf  der 
Karte  als  Moonts  Pinta,  Ruhana  und 
Vancouver  verzeichneten  Erhebungen  ver- 
laufend, bei  dem  Mount  St.  Elias/'  Im 
Verlauf  der  Verhandlungen  ist  der  Mangel 
an  gutem  Kartenmaterial  als  eine  wesent- 
liche Erschwerung  der  Beratungen  empfun- 
den worden;  es  wird  zugestanden,  daß 
die  Zweifel  an  der  Identität  der  in  der 
Grenzbestimmung  genannten  Berge  auch 
jetzt  noch  keineswegs  behoben  seien,  und 
es  wird  daher  eine  neue  kartographische 
Aufnahme  der  fraglichen  Territorien  nach- 
drücklich gefordert. 

♦  Der  Umfang  der  Binnenschiff- 
fahrt in  den  industriereichsten  Teilen 
der  Vereinigten  Staaten  von  Nord- 
amerika geht  aus  einem  amtlichen  Be- 
richt hervor,  den  das  Schatzamt  zu 
Washington  über  die  Ein-  und  Ausfuhr 
in  20  der  hervorragendsten  Häfen  an  den 
fünf  großen  Binnenseen  erstattet  hat.  Ab- 
gesehen von  dem  Verkehr,  der  zwischen 
den  Vereinigten  Staaten  und  Kanada  nur 
zum  Austausch  von  Gütern  aus  den  und 
für  die  Vereinigten  Staaten  stattfand, 
liefen  in  den  genannten  Häfen  an  266 
Schi£fahrt8tagen  des  Jahres  1902  im  gan- 
zen 77  480  Schiffe  mit  71%  Millionen 
Netto-Register-Tons  ein  und  77  899  Schiffe 
mit  72  y^  Millionen  Register -Tons  aus. 
Obenan  unter  den  amerikanischen  Binnen- 
häfen stehen  Cleveland  (mit  6  Mill.  t), 
Buffalo  (4,8  Mill.  t),  Milwaukee  (4,66 
Mül.  t)  und  Chicago  (4,33  Mül.  t).  Die 
Vereinigten  Staaten  besitzen  an  künst- 
lichen Wasserstraßen  66  km  Kanäle  und 
1261  km  kanalisierte  Flüsse,  die  Einzel- 
staaten 264  km  kanalisierte  Flüsse  und 
endlich  industrielle  und  ähnliche  Gesell- 
schaften sowie  Private  3628  km  Kanäle 
und  210  km  kanalisierte  Flüsse,  während 
die  426  km  kanadischen  Kanäle  sich  im 
Besitz  des  Staates  befinden.  Von  den 
künstlichen  Wasserstraßen  der  Vereinigten 
Staaten  haben  die  älteren,  die  meist  in 
kleineren,  jetzt  ungenügenden  Abmessun- 
gen gebaut  sind,  keinen  sehr  großen  Ver- 
kehr aufzuweisen;  nur  der  Erie- Kanal 
macht  mit  ca.  4  Mill.  Tons  jährlich  eine 
Ausnahme.  Dagegen  sind  die  Verkehrs- 
mengen auf  den  neueren  Kanälen,  die 
den  Verkehr  von  Schiffen  bis  über  6000 


Tonnengehalt  zulassen,  vielfach  ganz  ge- 
waltig.  So  wird  die  Güterbewegung  auf 
dem  St.  Clair-Flats-Kanal,  der  erst  1899 
vollendet  wurde  und  die  1,9  km  lange 
und  4,9  m  tiefe  Verbindung  des  St.  Clair- 
fluBses  mit  dem  St.  Clairsee  in  Michigan 
bildet,  auf  rund  20  Mill.  Tonnen  ange- 
gegeben. Der  im  September  1896  eröff- 
nete kanadische  Kanal  Sault  8t.  Marie, 
welcher  6,16  m  tief  ist,  hatte  zusammen 
mit  dem  amerikanischen  Schwesterkanal 
St.  Mary  Falls  (6,2  m  tief)  —  beide  zwi- 
schen dem  Oberen  und  dem  Huronsee  — 
schon  1896  einen  Verkehr  von  17  Mill. 
Tonnen,  welcher  im  Jahre  1900  auf  27 
Mill.  Tonnen  und  1902  sogar  auf  36  V, 
MiU.  Tonnen,  bei  22  669  Schiffen,  gestiegen 
ist.  Von  dieser  Gesamtmenge  entfielen 
über  4y,  Mill.  Tonnen  auf  den  St.  Mary 
Falls-  und  fast  81  Mill.  Tonnen  auf  den 
Sault  St.  Marie-Kanal.  Der  deutsche  Nord- 
ostsee-Kanal  hatte  vergleichsweise  im  glei- 
chem Zeitraum  einen  Verkehr  von  rund 
6  Mill.  Tonnen  und  der  Suez-Kanal  einen 
solchen  von  fast  11  Mill.  Tonnen.  Diese 
großen  Zahlen  sind  fast  ausschließlich 
der  Dichtigkeit  der  Wohnbevölkerung  der 
Seengebiete  und  der  hohen  Entwicklung 
der  Industrie  zu  verdanken,  ein  Vergleich 
mit  deutschen  Verhältnissen  in  dieser  Be- 
ziehung ist  fast  nirgends  möglich;  höch- 
stens, aber  auch  nur  in  beschränktem 
Sinne,  könnte  die  Strecke  Dortmund-Rhein 
vom  künftigen  Mittelland -Kanal  in  Ver- 
gleich gestellt  werden.  (Zeitschr.  f.  Ge- 
wässerk.  6.  Bd.  S.  68.) 

Sttd-Amerika. 

♦  In  Bolivia  sind  gegenwärtig  zwei 
Expeditionen,  eine  deutsche  und  eine 
französische,  mit  der  Erforschung  des 
Landes  besonders  nach  der  naturwissen- 
schaftlichen Seite  hin  beschäftigt.  An 
der  Spitze  der  deutschen,  von  der  ba- 
dischen Regierung  unterstützten  Expe- 
dition steht  Prof.  Dr.  Steinmann  aus 
F  r  e  i  b  u  r  g  i.  B  r.,  der  besonders  geologische 
Untersuchungen  und  topographische  Auf- 
nahmen des  Landes  ausführen  will;  seine 
Begleiter  sind  Dr.  Hook  und  Baron  von 
Bistram.  Die  in  Aussicht  genommene 
Reiseroute  führt  von  Buenos  Aires  nach 
Jujuy  (Argentinien),  dann  nach  Targa, 
Tupiza,  Cinti,  Potosi,  Sucre,  Cochobamba, 
Oruro,  La  Paz  und  Corocoro  und  führt 
durch    die    ausgedehnten   Minendistrikte 


Geographische  Neuigkeiten. 


645 


des  Landes. —  Die  französische,  eben- 
falls von  der  Regierang  aasgerüstete 
Expedition  steht  anter  der  Leitung  des 
Graifen  de  Cr^qui-Montfort  und  will 
die  Regionen  von  Antofagasta,  Callama, 
die  Wüste  Atacama,  Choquecamata,  San 
Pedro,  Palacayo-Haanchaca,  Oruro,  La 
Paz,  Poopo-See  und  den  südlichen  Minen- 
distrikt  der  Republik  besuchen.  Von  dieser 
Expedition  sind  bereits  Nachrichten  ein- 
getroffen, welche  Dr.  Neveu-Lemaire, 
der  Arzt  und  Anthropolog  der  Expedition, 
an  den  Herausgeber  der  „Geographie*' 
(1903  S.  116)  über  seine  Erforschung  des 
Poopo-Sees  gerichtet  hat.  Er  hat  den  See 
in  einem  8  m  langen  Segelboot  sechs  Tage 
und  sechs  Nächte  lang  befahren  und  da- 
bei die  Torschiedensten  limnologischen 
Messungen  und  Untersuchungen  angestellt. 
Hierauf  g^achte  dieser  Forscher  nach 
La  Paz  zu  gehen  und  im  dortigen  Kranken- 
hause Untersuchungen  an  Beri-Beri- 
Eranken  anzustellen;  diese  Krankheit 
findet  sich  dort  häufig  bei  den  aus  dem 
Acregebiet  heimkehrenden  bolivianischen 
Soldaten.  Bei  der  vorherrschenden  Kälte 
auf  dem  bolivianischen  Hochlande  sind 
Entzündungen  der  Lunge  und  der  Luft- 
wege dort  häufig  vorkommende  Krank- 
heiten; Lungenschwindsucht  ist  wegen  der 
Höhenlage  des  Landes  ziemlich  selten, 
dafür  dezimiert  aber  der  Alkohol  die  Be- 
völkerung. 

Tereine  und  Tersammlangen. 

♦  In  der  Abteilung  7  für  Geo- 
graphie, Hydrographie  und  Karto- 
graphie der  75.  Versammlung  deut- 
scher Naturforscher  und  Ärzte  in 
Kassel  wurden  nur  zwei  Vorträge  gehalten. 
Dr.  Wolkenhauer  aus  Göttingen  sprach 
am  Montag,  21.  IX.  08,  über  die  ältesten 
Reisekarten  von  Deutschland  aus 
dem  Ende  des  XV.  und  dem  Anfang 
dos  XVI.  Jahrhunderts.  Als  den  Ver- 
fasser dieser  4  Karten  weist  der  Vortra- 
gende den  Nürnberger  Kompaßmacher 
Erhard  Etzlaub  nach;  die  älteste  ist 
1501  von  Glockendon  zu  Nürnberg  ge- 
druckt, das  sehr  seltene  Original  heute 
im  Archiv  des  Fürsten  von  Lichtenstein. 
Der  Einfluß  der  Etzlaubschen  Karten  ist 
sehr  nachhaltig  gewesen;  noch  nach  1580 
werden  vergrößerte  Kopien  als  Wandkarten 
gebraucht;  auch  die  Karte  Waldsee- 
müllers  in  der  Ptolemaeus- Ausgabe  von 


1513  beruht  ganz  auf  der  Etzlaubschen 
von  1601.  Die  Reisekarten  sollen  zusam- 
men mit  den  übrigen  älteren  modernen 
Karten  von  Deutschland  bis  1518  (mit  der 
tabula  modema  in  der  römischen  Ptole- 
maeus-Ausgabe  von  1507  und  den  4  Exem- 
plaren der  Cusa- Karte,  die  nach  den 
Untersuchungen  des  Vortragenden  nicht 
1491,  sondern  erst  1530  veröffentlicht  sind) 
mit  Unterstützung  der  Wedekind-Stiftung 
der  k.  Ges.  d.  Wiss.  in  Göttingen  publi- 
ziert werden. 

In  der  kombinierten  Sitzung  der  Ab- 
teilung 7  mit  der  Abteilung  für 
Geophysik,  Meteorologie  und  Erd- 
magnetismus am  Dienstag,  22.  IX.  03, 
behandelte  der  Direktor  der  preußischen 
Landesanstalt  für  Gewässerkunde,  Geh. 
Baurat  Keller  vom  Ministerium  der 
öffentlichen  Arbeiten  aus  Berlin,  die 
Hochwasserkatastrophen  des  letz- 
ten Jahres.  Ausgehend  vom  letzten 
verheerenden  Hochwasser  der  Oder,  schil- 
dert der  Vortragende  den  allgemeinen 
Verlauf  der  Hochwässer  der  einzelnen 
deutschen  Ströme  und  die  Bekämpfung 
der  Hochwassergefahren.  Er  betont  den 
geringen  Wert  der  Talsperren  und  Sammel- 
becken; sie  seien  ja  ganz  gut,  machten 
aber  eine  Verbesserung  des  Hochwasser- 
bettes durch  seine  Freilegung  nicht  ent- 
behrlich. Häufig  werde  die  Größe  der  Hoch- 
fluten der  Ströme  unterschätzt;  Zahlen- 
beispiele von  den  Hochfluten  der  Donau 
und  des  Oberrheins  belegten  seine  Aus- 
führungen. Eine  Beherrschung  der  Hoch- 
wässer,  ein  Verhindern  ihrer  Entstehung 
und  Ausbildung  ist  mit  menschlichen 
Mitteln  unmöglich:  einzig  ihren  Verlauf 
können  wir  einigermaßen  erleichtem,  ihren 
Verheerungen  mildernd  entgegentreten 
durch  Freilegung  des  Hoch  Wasserbettes 
und  Weiterführung  des  Ausbaus  der  nicht- 
schiffbaren Hochwasserflüsse  nach  den  bei 
unseren  schiffbaren  Strömen  schon  be- 
währten Grundsätzen,  die  einen  Teil  der 
Gefahren  des  Hochwassers,  vor  allem  die 
Eisgefahren  schon  erheblich  abgeschwächt 
haben. 

Im  Anschluß  an  diesen  Vortrag  legte 
Wilhelm  Krebs  aus  Groß -Flottbeck 
(früher  in  Münster  im  Oberelsaß)  die 
meteorologischen  Ursachen  des  letzten 
Oderhochwassers  dar:  das  Zusammen- 
treffen zweier  Depressionen,  einer  nörd- 
lichen und  einer  südlichen  im  deutsch- 


646 


Geographische  Neuigkeiten. 


österreichischen  Grenzgebiet  zwischen  den 
Karpathen  und  Sudeten  habe  zu  gewalti- 
gen Niederschlägen  und  damit  zur  Hoch- 
wasserkatastrophe im  Juli  in  Schlesien 
geführt. 

Inder  Abteilung  6  für  Geophysik, 
die  reichlicher  bedacht  war,  hielt  Prof. 
Dr.  Eudolph  aus  Straßburg  einen  sehr 
interessanten  Vortrag  über  die  wich- 
tigsten Ergebnisse  der  modernen 
Erdbebenforschung. 

In  der  Abteilung  8  für  Mineralo- 
gie sprach  Dr.  Emil  Deckert  aus  Steg- 
litz bei  Berlin  über  die  westindischen 
Yulkanausbrüche;  unterstützt  durch 
gute  Lichtbilder,  gab  er  in  fesselnder 
Darstellung  eine  Beschreibung  des  Mont 
Pel^  und  seiner  Umgebung. 

Die  Beteiligung  der  geographischen 
Fachgenossen  an  der  Kasseler  Tagung 
war  gering;  die  Anwesenheitsliste  für  die 
erste  Abteilungssitzung  am  Montag  nach- 
mittag wies  nur  8  Namen  auf,  die  für 
die  zweite  allerdings  24,  aber  das  Plus 
Ton  16  Personen  entfällt  auf  die  Abtei- 
lung 9,  welche  zu  dem  Vortrag  des  Geh. 
Baurats  Keller  eingeladen  war.  Der  Geo- 
graphentag in  Köln  scheint  das  Interesse 


an  der  Naturforscheryersammlung  gelähmt 
zu  haben.  F.  Th. 

Zeitgchriften. 

*  Die  uneinheitliche  Darstellung  der 
älteren  erdmagnetischen  Beobach- 
tungen ist  schon  häufig  als  eine  Er- 
schwerung der  weiteren  Bearbeitung  em- 
pfunden worden.  Diesem  Übelstand  sucht 
Adolf  Schmidt  in  Potsdam  durch  eine 
Publikation  „Archiv  des  Erdmagne- 
tismus^ abzuhelfen.  Demzufolge  enthält 
das  erste  Heft  außer  einigen  Beobach- 
tungen Yom  Jahre  1890  die  täglichen 
Variationen  in  Toronto,  St.  Helena  und 
Hobarton  nach  den  im  fünften  Jahrzehnt 
des  vorigen  Jahrhunderts  angestellten  Be- 
obachtungen. In  der  gleichen  Darstellung 
sollen  noch  einige  Jahrgänge  neuerer  Be- 
obachtungen folgen,  wodurch  ein  einheit^ 
liches  Material  für  Untersuchungen  über 
das  magnetische  Verhalten  der  ganzen 
Erde  gewonnen  werden  wird. 

Messerschmitt. 

Persönliches* 

*  An  der  Universität  Berlin  hat  sich 
Dr.  Siegfrid  Passarge  als  Privatdozent 
für  G^eographie  habilitiert. 


Bficherbesprechnngen. 


Wfthner,   Franz.    Das    Sonnwendge- 
birge im   Unterinntal,  ein  Ty- 
pus   alpinen    Gebirgsbaus.    I. 
388  S.     96  Abb.,  19  Lichtdrucktaf.  u. 
1  geolog.  Übersichtsk.    Wien,  Deu- 
ticke  1908.    JC  86.—. 
Je  weiter  die  geologische  Erforschung 
der  Alpen  vorschreitet,  um  so  klarer  tritt 
die  Bedeutung  hervor,  welche  die  Einzel- 
untersuchung  komplizierter    Gebirgsteile 
besitzt.    Das  Sonnwend-  (oder  Rofan-)Ge- 
birge  liegt  im  Zuge  der  nördlichen  Kalk- 
alpen zwischen  Achensee  und  Inndurch- 
bruch,  ungefähr  an  der  Stelle,  wo  man 
die  Grenze  der  in  lange  Faltenzonen  ge- 
legten nordtiroler  Berge   und  der  flach- 
gelagerten Kalkhochflächen  des  Nordostens 
anzunehmen  pflegt. 

Die  vorwiegend  flache  Lagerung  der 
au8  oberer  Trias  und  Jura  —  untergeordnet 
aus  älterer  Trias  und  Oberkreide  —  be- 
stehenden Schichten    schien    die  Anglie- 


derung  des  Sonnwendgebirges  an  den 
Osten  geboten  erscheinen  zu  lassen.  Frühere 
Beobachter  nahmen  an,  daß  nach  der 
Triasperiode  eine  Trockenlegung  erfolgt 
sei  und  daß  die  roten  Lias-Sedimente  sich 
ungleichförmig  transgredierend  in  die 
komplizierten  „Spalten  und  Höhlungen*' 
des  älteren  (triadischen)  weißen  Kalkes 
eingelagert  hätten.  Ob  die  früheren  Be- 
obachter (Geyer  und  Diener)  selbst 
noch  an  ihren  17 — 18  Jahre  zurückliegen- 
den Annahmen  festhalten '),  ist  zweifelhaft. 
Wahrscheinlich  gibt  es  in  Wien  z.Z.  nur 
noch  einen  einzigen  überzeugten  Anhänger 
der  vom  Verf.  schlagend  widerlegten  Hy- 
pothese, nach  der  die  wunderbaren  Lage- 
rungsverhältnisse der  Alpen  durch  un- 
gleichförmigen Absatz  auf  altem  Boden- 


1)  Und  ob  somit  die  sehr  ausföhrliche 
Widerlegung  in  dem  literarhistorischen 
Teile  notwendig  war. 


Bücher  besprechungen. 


647 


relief  „erklärt"  werden.  Nicht  durch 
Unterbrechungen  des  Absatzes  im  alten 
Meere,  sondern  durch  spiltere  Faltung 
und  die  aus  dieser  hervorgehende  mehr- 
fache Überschiebxing  erklärt  Wähner 
die  häufige  Wiederholung  (weiß  rot,  weiß 
rot  etc.)  derselben  altersverschiedenen 
Gesteinsmassen  (weiß  Trias,  rot  Lias). 

Besonders  bezeichnend  ist  der  Durch- 
schnitt durch  das  Sonnwendjoch  und  den 
Rofan;  hier  liegen  vier  durch  Überschie- 
bungsflächen voneinander  getrennte  Massen 
von  weißem  RifiPkalk  übereinander.  Daß 
derartige  scheinbar  ungestörte,  in  Wahr- 
heit durch  horizontalwirkende  Faltung 
entstandene  Lagerungsverhältnisse  in 
Wahrheit  „Typen"  des  alpinen  Gebirgs- 
baus  sind,  geht  aus  der  Übereinstimmung 
mit  den  Beobachtungen  anderer  hervor: 
Durchschnitte,  wie  die  des  Sonnwend- 
joches hat  z.  B.  Ref.  aus  dem  Pflersch- 
tal,  haben  W.  Kilian,  Termier  u.  a. 
aus  den  Westalpen  veröffentlicht.  Eben- 
falls im  Einklang  mit  anderweitigen  Be- 
obachtungen (Radstädter  Tauem,  Ref.) 
steht  der  Nachweis,  daß  ausgedehnte  mäch- 
tige Gesteinsmassen  ihre  Struktur  als 
„Dislokationsbreccie"  der  Verschiebung 
der  einzelnen  GebirgsschoUen  gegenein- 
ander verdanken. 

Die  sehr  ausführlichen  Darlegungen 
der  verwickelten  Verhältnisse  des  Ge- 
birgsbaus^)  erfahren  eine  vollkommene 
und  wesentliche  Ergänzung  durch  eine 
Reihe  mustergültig  ausgeführter,  zum  Teil 
in  Buntdruck  wiedergegebener  Lichtbil- 
der. Wenn  auch  ihr  Zweck  wesent- 
lich die  Erläuterung  der  geologischen 
Lagerungsverhältnisse  ist,  so  bieten  doch 
die  zum  Teil  panoramaähnlichen  Ta- 
feln (z.  B.  Taf.  XII,  XIV  und  XVI)  auch 
geographische  Charakterbilder 
der  Kalkalpenplateaus  von  seltener 
Schönheit  und  Schärfe.  Bei  manchen  Bil- 
dern des  mit  augenscheinlicher  Liberalität 
ausgestatteten  Werkes  kommen  Geograph 
und  Geolog  gleichmäßig  zu  ihrem  Recht: 
So  ist  von  dem  durch  die  Einfaltung  roten 
Gesteins  interessanten  Sagzahn  die  eine 
Ansicht  koloriert,  die  andere  vom  gleichen 
Standpunkt  aufgenommene  in  schwarzem 
Lichtdruck  wiedergegeben.  Das  schöne 
Werk  eignet  sich  besonders  zur  Demon- 

1)  Für  die  auf  das  Original  verwiesen 
werden  muß.  ' 


stration  in  Vorlesungen  und  Übungen, 
während  für  die  Mitnahme  in  das  Gelände 
gerade  Gewicht  und  Umfang  hinderlich 
sind.  Frech. 

Banmgartner.  Island  und  dieFäröer. 
Vm  u.  671  S.  1  Titelbild  in  Farbdr., 
136  Abb.  u.  1  K.  8.  Aufl.  Freiburg  i.  B., 
Herder.  1902.  .IC  9.—. 
Baumgartners  Beschreibung  Islands  und 
der  Färöer  ist  entschieden  eine  der  besten 
Beschreibungen  jenes  fernen  Eilands  an 
der  Grenze  der  alten  und  neuen  Welt. 
Wohl  hat  ihr  Verfasser  nur  einen  kleinen 
Teil  der  Insel  bereist  und  durch  Autopsie 
kennen  gelernt,  aber  er  hat  mündliche 
und  schriftliche  Erkundigungen  auch  über 
andere  Teile  eingezogen  und  hat  vor  allem 
die  geographische  Literatur  der  Isländer 
über  ihre  Heimat  gründlich  benutzt.  Da- 
neben hat  er  es  trefflich  verstanden,  einen 
Einblick  über  die  ganze  Eulturentwick- 
lung  des  Inselvolkes,  besonders  seine  Dich- 
tung, zu  geben.  So  blickt  man  gern  über 
einzelne  Schwächen  des  Werkes  hinweg, 
die  teils  durch  den  ausgeprägt  konfessio- 
nellen Standpunkt  des  Verfassers  bedingt 
sind,  teils  in  der  Vernachlässigung  der 
neueren  wissenschaftlichen  Literatur  ihren 
Grund  haben.  Die  Fahrten,  die  Baum- 
gartner  hier  beschreibt,  gehen  bereits  auf 
das  Jahr  1883  zurück.  Sie  erschienen  zu- 
erst in  den  „Stimmen  aus  Maria-Laach^*, 
wenige  Jahre  später  als  besonderes  Werk 
und  liegen  jetzt,  vielfach  erweitert  und 
verbessert  und  mit  Berücksichtigung  der 
neuesten  Forschungen  von  |>orvaldur  Tho- 
roddsen  in  neuer  Bearbeitung  vor.  Der 
Weg,  den  B.  mit  seinen  Reisegefährten 
gemacht  hat,  ist  derjenige,  welchen  Is- 
landbesucher in  der  Regel  einzuschlagen 
pflegen.  Die  Fahrt  hat  von  Kopenhagen 
über  Leith  und  Thorshavn  auf  den  Färöem 
nach  Reykjavik  geführt,  von  wo  aus  die 
Reise  zu  Pferd  über  die  Mosfellsheide, 
durch  die  Almannagja  nach  Thingvellir, 
von  dort  nach  dem  Geysir  und  zum  ge- 
waltigen Gullfoß,  dann  über  die  |>jörsa 
zur  Hekla  und  von  da  zurück  nach 
Reykjavik  gegangen  ist.  Also  nur  vom 
südwestlichen  Island  ist  ein  Stück  Binnen- 
land bereist  worden,  allein  dies  gehört 
unstreitig  zu  dem  geographisch  und  ge- 
schichtlich wichtigsten  Teile  der  Insel. 
Der  lange  zweite  Aufenthalt  in  Reykjavik 
läßt   B.  auf  die   isländische  Kunst  und 


648 


Blicherbesprechungen. 


Literatur,  auf  das  Staats-  und  Schulwesen, 
die  Beschäftigung  und  den  Verkehr  der 
Isländer,  auf  ihre  Geschichte  u.  a.  ein- 
gehen und  von  alledem  ein  im  allgemeinen 
treues  Bild  entwerfen.  Die  Rückfahrt  auf 
der  Thyra  ist  dann  um  den  Norden  der 
Insel  erfolgt,  wodurch  Gelegenheit  geboten 
ist,  auch  die  Eüstenlandschaft  des  Nor- 
dens und  vor  allem  die  zweitgrößte  Stadt 
der  Insel,  Akureyri,  näher  zu  beschreiben. 
Die  Fahrt  nach  Norwegen  geht  wieder 
über  die  Färöer,  und  erst  jetzt  bekommen 
wir  eine  eingehendere  Darstellung  über 
die  Geschichte  dieser  Inseln  und  über  das 
Leben  und  Treiben  ihrer  Bewohner.  Wie 
sich  das  ganze  Buch  durch  Klarheit  und 
WUrme  auszeichnet,  so  auch  das  letzte 
Kapitel,  das  den  politischen,  geistigen, 
wirtschaftlichen,  sanitären,  sozialen  Auf- 
schwxmg  Islands  im  19.  Jahrh.  behandelt. 
—  Die  Abschnitte  des  Anhangs  sind  vor 
allem  für  die  Geschichte  der  Geographie 
der  Insel  von  Bedeutung.  Sie  enthalten 
nicht  nur  die  ältesten  ausländischen  Be- 
richte über  die  Insel,  sondern  auch  die 
neueren  Forschungsreisen  in  einer  Voll- 
ständigkeit, wie  wir  sie  sonst  nirgends 
finden.  Ganz  besonders  ist  das  Kapitel 
über  fjorvaldur  Thoroddsens  Forschungen 
(8.  539  fiP.)  aufs  wärmste  zu  empfehlen,  da 
es  die  Ergebnisse  seiner  Reisen  bis  in 
die  neueste  Zeit  bringt  und  somit  über 
Arbeiten  rekapituliert,  die  ganz  zer- 
streut bald  hier,  bald  dort  in  Zeit- 
schriften erschienen  und  för  uns  Deutsche 
meist  sehr  schwer  zugänglich  sind. 

£.  Mogk. 

NciiBO,  Richard.  Landeskunde  der 
britischen  Inseln.  163  S  Mit  Bil- 
dern. Breslau,  F.  Hirt  1903.  .K.  4.—. 
Das  vorliegende  Buch  soll  Geographen 
und  anderen  Interessenten  ein  etwas  aus- 
führlicheres Bild  der  britischen  Inseln  als 
die  gewöhnlichen  geographischen  Kom- 
pendien geben.  Es  beruht  ersichtlich  auf 
eingehenden  Literaturstudien  und  wohl 
auch  auf  wiederholten  Reisen  im  Lande. 
Darum  ist  die  Beschreibung  richtig  und 
das  Urteil  gerecht,  frei  ebensowohl  von 
dem  leider  Mode  gewordenen  Schimpfen 
auf  England  und  englisches  Wesen  wie 
von  übertriebener  Wertschätzung.  In  der 
Behandlung  des  Stoffes  sucht  der  Verf. 
den  methodischen  Anforderungen  der 
heutigen  Geographie  gerecht  zu  werden. 


Allerdings  hätte  er  darin  m.  E.  weiter 
gehen  können.  Statt  bei  den  drei  Län- 
dern England,  Schottland,  Irland  stehen 
zu  bleiben,  hätte  es  sich,  wenigstens  bei 
England  und  Schottland,  empfohlen,  die 
einzelnen  Landschaften  herauszuarbeiten, 
die  ja  so  charakteristisch  verschieden  sind. 
Dadurch  wäre  auch  ganz  von  selbst  der 
Wunsch  gekommen,  den  verschiedenen  Zu- 
sammenhängen mehr  nachzuspüren  und 
nicht,  wie  jetzt  oft,  bei  der  bloßen  Be- 
schreibung stehen  zu  bleiben.  Vielleicht 
erwägt  der  Verf.  diese  Winke  bei  einer 
neuen  Auflage  oder  bei  dem  geplanten 
größeren  Buche  über  die  britischen  Inseln. 
A.  Hettner. 

Popesen,  Stefan  D.  Wirtschaftsgeo- 
graphische  Studien  über  Groß- 
britannien. Vn  u.  178  S.  Leipzig, 
Oswald  Schmidt  1903.  JC  8.—. 
Das  inhaltsreiche  Buch  stellt  dem  Fleiße 
und  der  Umsicht  des  Verfassers,  der  als 
Professor  an  der  Handelshochschule  in 
Jassy  wirkt,  ein  günstiges  Zeugnis  aus. 
Auf  einer  viermonatlichen  Studienreise 
wurden  Bristol,  Cardiff,  Newport,  Swansea, 
Liverpool,  Glasgow  und  Greenock  besucht. 
Besonders  erfreulich  ist  die  Berücksich- 
tigung Bristols,  das  auf  dem  Kontinent 
weniger  bekannt  ist  und  doch  gerade  als 
Seehafen  eine  so  merkwürdige,  sonst  nicht 
häufig  wiederkehrende  Position  einnimmt. 
Überall  stellt  der  Verfasser  seine  histo- 
rischen und  volkswirtschaftlichen  Unter- 
suchungen auf  eine  möglichst  breite  Basis, 
ja  man  könnte  zweifeln,  ob  die  ausführ- 
lichen Darlegungen  geologischer  und  kli- 
matologischer  Art  notwendig  waren. 
Andererseits  ist  es  uns  aufgefallen,  daß 
die  Beziehungen  der  Eisenbahnen  zu  den 
besprochenen  Hafenorten  nur  sehr  wenig 
berührt  werden.  Gerade  Liverpool,  Glasgow 
und  auch  Bristol  spielen  in  der  jetzt  so 
eifrig  studierten  und  von  besonderen  Zeit- 
schriften gepflegten  Eisenbahngeschichte 
Englands  eine  sehr  wichtige  Rolle.  Recht 
interessant  sind  die  Untersuchungen  über 
den  Einfluß  des  Schiffahrtskanals  nach 
Manchester  auf  den  Verkehr  in  Liverpool. 
Deutlich  zeigt  sich ,  daß  Liverpool  zu 
Gunsten  Manchesters  schon  einen  Teil 
seiner  Bedeutung  eingebüßt  hat.  Trotz- 
dem ist  der  Ertrag  des  Manchesterkanals 
bisher  noch  nicht  glänzend  gewesen. 
F.  Hahn  (Königsberg). 


Bücherbesprechungen. 


649 


Berchoii,  Ch.  £n  Danemark.  16 ^ 
250  S.  52  Textabb.  Paris,  Hachette 
1908.  Fr.  4.—. 
Das  kleine  Bucb  gehört  zu  der  um- 
fangreichen  Gruppe  popnlSorer  Literatur, 
welche  dem  Fachgeographen  wenig  will- 
kommen ist,  da  er,  nm  irgend  eine  brauch- 
bare Notiz  oder  eine  treffende  Bemerkung 
zu  finden,  allzuviel  des  ganz  Unwichtigen 
oder  längst  Bekannten  mit  in  den  Kauf 
nehmen  muß.  Man  kann  ja  dem  Ver- 
fasser, der  flott  zu  schildern  versteht,  zu- 
gestehen, daß  er  seinen  Reiseplan  nicht 
allzu  eng  begrenzt  hat:  er  kennt  nicht 
bloß  Kopenhagen  und  den  Sund,  sondern 
auch  ziemlich  entlegene  Punkte,  wie  z.  B. 
die  Insel  Laesoe,  von  der  er  einige  in- 
teressante Bilder  mitteilt.  Aber  dem- 
jenigen, der  Dänemark  selbst  bereist  hat, 
sagt  er  wenig  Neues  und  auch  zur  Vor- 
bereitung auf  eine  dänische  Reise  wird 
man  das  Buch  kaum  benutzen,  da  es  an 
guter  dänischer  Literatur  nicht  fehlt.  Die 
höchst  ausgeprägte  deutschfeindliche  Ge- 
sinnung des  Verfassers ,  die  an  vielen 
Stellen  hervorbricht,  macht  überdies  die 
Lektüre  seines  Buches  wenig  erquicklich. 
Manche  der  Abbildungen  sind  gut  ge- 
wählt, technisch  aber  nicht  immer  ge- 
lungen. F.  HahV  (Königsberg). 

Popescu,  Stefan D«  Beiträge  zur  Ent- 
stehungsgeschichte des  oberen 
Olttales.  Inaug.-Diss.  94  S.  Leip- 
zig, 1902. 
Nach  einer  Einleitung  über  die  Ur- 
sachen der  Talbildung  bespricht  Verf.  im 
ersten  Teil  (S.  14—35)  die  geographischen 
und  geologischen  Verhältnisse  Siebenbür- 
gens. Kochs  wichtiges  Werk,  auch  Stu- 
dien von  Schafarzik  und  Mrasec,  die 
für  ihn  von  Wichtigkeit  gewesen  wären, 
hat  Popescu  nicht  benutzt  oder  noch 
nicht  benutzen  können.  Die  Höhenziffem 
sind  nicht  immer  die  durch  Neumessung 
berichtigten.  Mit  besonderem  Interesse 
bespricht  Verf.  die  Wasserscheiden,  aus 
ihrem  eigentümlichen  Verlauf  außerhalb 
der  hohen  Grenzgebirge  ergibt  sich  ihm 
mit  Notwendigkeit  der  Schluß,  daß  der 
südliche  sowie  der  östliche  Gebirgszug 
an  vielen  Stellen  von  den  fließenden  Ge- 
wässern durchbrochen  ist.  Als  die  wich- 
tigsten nennt  er:  Jiu,  01t,  Bodza  und 
Bisca  (Nebenfluß  der  Bodza).  Da  in  die- 
sem Abschnitt  von  der  Lage,   den  poli- 


tischen Grenzen,  der  Komitatseinteilung, 
von  den  Nationalitäten  bis  zu  Sanidin-  und 
Plagioklasgesteinen  die  Rede  ist,  kann 
er  natürlich  nur  sehr  summarisch  gehal- 
ten sein. 

Der  01t,  dem  nirgends  die  Bezeich- 
nung eines  reißenden  Stromes  zufallen 
soll,  wird  in  vier  Abschnitte  geteilt,  sie 
entsprechen  den  vier  Stufen  von  E.  A. 
Bielz.  In  jedem  Abschnitt  wird  Ober-, 
Mittel-  und  Unterlauf  unterschieden.  In 
drei  gesonderten  Abschnitten  wird  das 
obere  Olttal  (Ursprungsgebiet,  Csik  und 
Durchbruchstal  von  Tusnad)  speziell  be- 
handelt. Ein  völlig  klares  Bild  von  den 
morphologischen  Anschauungen  des  Verf. 
zu  gewinnen,  ist  mir  nicht  gelungen. 
F.  W.  Paul  Lehmann. 

Grothe,  Hugo.  Auf  türkischer  Erde. 

Reisebilder  und  Studien.    (Veröff.  d. 

Allgem.  Ver.   f.  Deutsche   Literatur. 

XXIX.  Abt.  1.  Bd.)    455  S.    22  Abb. 

auf  Taf.  Berlin,  AUg.  Ver.  f.  Deutsche 

Lit.  (Paetel)  1908.  JC  7.50. 
Dieses  Buch  bringt  eine  Reihe  von 
Reisedarstellungen,  großenteils  über  Ge- 
biete, welche  nur  wenig  oder  schon  seit 
Jahrzehnten  nicht  mehr  von  einem  um- 
sichtigen Beobachter,  wie  Gr.  es  ist,  be- 
sucht worden  sind.  Daher  wird  auch  der 
mit  der  Länderkunde  der  hier  behandelten 
Gebiete  vertrautere  Leser  durch  die  sechs 
Abschnitte,  welche  Tripolitanien,  Cyre- 
naika,  das  Innere  Kleinasiens,  Makedonien 
und  Albanien  in  Einzelbildern  vorführen, 
mancherlei  erwünschte  Bereicherung  sei- 
ner Vorstellungen  gewinnen.  Es  gilt  dies 
wohl  am  meisten  von  Tripolitanien,  wo 
Gr.  22  Monate  sich  aufgehalten.  Lehr- 
haft und  plastisch  zeigt  uns  der  Verfasser 
die  verschiedenen  Zonen  des  Bodens  und 
der  Bodenformen.  Von  der  mangelnden 
staatlichen  Fürsorge  oder,  entsprechender 
gesagt,  allenthalben  entgegentretenden 
staatlichen  Verwahrlosung  und  Benach- 
teiligung des  Landeswohles  gibt  schon 
die  Küstenregion  Kunde,  von  welcher  seit 
Jahrhunderten  die  Sanddünen  landein- 
wärts vorrücken  und  sehr  guten  Alluvial- 
boden, über  die  Lehmmauem  der  Pflan- 
zungen weiterschreitend,  ebenso  begraben 
wie  die  Ruinen  antiker  Städte.  Wesent- 
lich günstiger  aber,  als  man  gemeinhin 
annimmt,  steht  es  gleichwohl  um  das 
langsam     ansteigende    Höhenland,     von 


650 


Bücherbesprechungen* 


fruchtbaren  Tälern  und  Bodensenken  ge- 
gliedert, in  welchen  alle  Baum-  und  Boden- 
kultur bestens  vertreten  ist,  freilich  noch 
großer  Erweiterung  fähig.  Einst  nahm 
jedenfalls  bei  ganz  einfacher  Wasserwirt- 
schaft das  Kulturland  einen  ausgedehn- 
teren Raum  ein,  wie  die  von  Gr.  der 
Römerzeit  zugeschriebenen  (doch  wohl 
noch  älteren)  Reste  von  Staudämmen  an 
Wadis  bezeugen,  abgesehen  von  schrift- 
lichen Hinweisen  auf  Erträgnisse  der 
Provinz.  Doch  sind  auch  jetzt  noch  an 
den  Hängen  der  Plateauzone  reichlich 
Fruchtbäume  verteilt  (Pfirsich-,  Mandel-, 
Olivenbäume),  oder  es  erfreuen  Weinberg- 
terrassen  das  Auge ;  nur  oben  fehlt  es  an 
allen  Holzgewächsen.  Jedenfalls  ist  das 
Land  im  ganzen  weit  entwickelungsf  ähiger, 
als  daß  es  für  einen  zukünftigen  Landes- 
herm  ein  untergeordneter  oder  etwa  gar 
halb  und  halb  lästiger  Besitz  sein  könnte. 
Die  geographische  Forschung  freilich  mag 
wohl  ein  bescheidenes  Emtefeld  vorfinden. 
Beides  gilt  auch  von  Barka,  wo  die  Nach- 
teile der  Verkümmerung  durch  eine  mittel- 
lose und  kurzsichtige  Regierung  noch 
deutlicher  sichtbar  werden.  Gleichwohl 
nimmt  auch  hier  die  einheimische  Be- 
völkerung zu,  deren  Abstanmiung,  Eigen- 
art und  Verhältnissen  Gr.,  wie  durchweg 
in  den  bereisten  Städten  und  Wohnorten, 
eine  dankenswerte  ethnographische  Kenn- 
zeichnung widmet.  (Die  Frage  über  eine 
negative  oder  kontinentale  Strand  Verschie- 
bung nächst  Bengasi  will  Gr.  auf  sich 
beruhen  lassen.) 

Wir  können  hier  freilich  nicht,  wie 
soeben  bezüglich  Tripolis,  auf  die  anderen 
Gebietsdarstellungen  des  Verfassers  mit 
bestimmteren  inhaltlichen  Einzelangaben 
eingehen.  Wir  verzichten  daher  darauf, 
seine  lebensvollen  oder  auch  bezüglich 
todesstarrer  Gebirgskämme  so  greifbar 
plastischen  Naturschilderungen  und  Städte- 
zeichnungen, z.  B.  Armeniens,  näher  ver- 
gegenwärtigen zu  wollen.  Doch  sei  hier 
wenigstens  der  Vorzug  dieses  Darstellers 
hervorgehoben,  daß  er  bei  aller  Huma- 
nität und  angesichts  seiner  eigenen  For- 
derung, man  müsse  „sich  der  Volksseele 
der  Beobachteten  assimilieren",  gleich- 
wohl nicht  zu  der  bei  so  vielen  Forschungs- 
reisenden wahrnehmbaren  weichmütigen 
Begünstigung  der  von  ihnen  besuchten 
Völker  und  Länder  vorgeht,  sondern  sach- 
gemäß  sowohl  Schatten-  als  Lichtseiten 


anerkennt.  —  Auch  bezüglich  der  Wür- 
digung von  Landschaft,  Städteleben  und 
öfiTentlichen  Zuständen  in  Makedonien, 
welches  Gr.  bereits  nach  Beginn  des 
Donnergrollens  der  jetzigen  Aufruhrbe- 
wegungen von  Salonik  zur  Adria  durch- 
reiste, hat  Referent  nur  das  Zutreffende 
und  durchaus  Billige  der  Darstellungen 
und  Urteile  anzuerkennen.  Es  kann  trotz 
aller  von  panslavistischer  und  von  russi- 
scher Seite  für  die  Ansprüche  der  Bul- 
garen vorgebrachter  Behauptungen  weder 
das  nationale,  noch  weit  weniger  aber 
das  politische  Recht  dieses  Volkes  auf 
Makedonien  anerkannt  werden.  Gr.  unter- 
sucht, wie  er  bei  Tripolitanien  ins  einzelne 
gehend  die  Bevölkerungszahl  erhob  (eine 
Million  Bewohner),  namentlich  auch  die 
quantitative  Stellung  der  Bulgaren,  aller- 
dings mit  einer  unsem  Begriff  Makedo- 
niens überschreitenden  Ausdehnung.  Es 
wären  nach  seiner  Schätzung  (im  Ver- 
gleich mit  den  Angaben  von  fünf  anderen 
bekanntenAutoren)  935  000  Mohammedaner 
(darunter  450  000  Türken  samt  Tscher- 
kessen),  650  000  Bulgaren  und  bulgari- 
sierte  Serben  (letztere  etwa  300  000), 
150  000  Serben,  600  000  Griechen,  80  000 
christliche  Amanten ,  75  000  Zinzaren, 
90  000  Juden  v*handen.  Wir  halten 
allerdings  die  hier  angegebene  Zahl  der 
Griechen  für  überhöht,  sind  aber  jeden- 
falls der  Überzeugung,  daß  es  eine  fort- 
dauernde Ursache  schwerer  Unruhen  wäre, 
wenn  man  lediglich  nach  irgend  einer 
der  so  unzuverlässigen  Kopfzahlerhebungen 
die  Zugehörigkeit  des  Landes  für  die  Zu- 
kunft bestimmen  wollte.  Es  dürfte  nur 
dadurch  dem  europäischen  Frieden  ge- 
dient sein  und  zugleich  der  für  geogra- 
phische Landesdurchforschung  notwen- 
digen öffentlichen  Ordnung,  daß  den  Ser- 
ben und  Griechen  als  gleichmächtigen 
Faktoren  neben  den  Bulgaren  die  Fort- 
entwicklung europäischer  Gesittung  auf 
der  umstrittenen  Halbinsel  anvertraut 
würde.  W.  Götz. 

Peters,  KarL  Im  Goldland  des  Alter- 
tums.   Forschungen  zwischen  Zam- 
besi  und  Sabi.   XVI  u.  408  S.   Viele 
Abb.  2  K.   München,  Lehmann  1902. 
JL  14.—,  geb.  JL  16.—. 
Seit  seinem  Ausscheiden  aus  dem  Reichs- 
dienst hat  sich  Dr.  Karl  Peters  besonders 
mit  der  Ophirfrage  beschäftigt  und  heraus- 


Buch  erb esprechungen. 


651 


gefunden  (was  toi  ihm  allerdinge  auch 
schon  von  anderen  Forschem  behauptet 
worden  ist),  daß  das  biblische  Ophir  im 
südöstlichen  Afrika  zu  suchen  sei.  Diese 
Ansicht  hat  er  bereits,  1896  in  einer 
Schrift  (Das  goldene  Ophir  Salomos)  ver- 
treten. Um  für  sie  weitere  Beweise  bei- 
zubringen, zugleich  aber  auch  um  für 
eine  zu  gründende  Gesellschaft  Goldminen 
zu  erwerben,  begab  er  sich  1899  nach 
Südafrika  und  bereiste  zwei  Jahre  lang 
die  Länder  zwischen  dem  Sambesi  und 
Sabifluß.  Von  Mitonda  am  Sambesi  durch- 
zog er  zunächst  Makombes  Land,  da  er 
in  diesem  auf  einer  französischen  Karte 
von  Afrika  aus  dem  Jahre  1719  einen 
Berg  Fura  verzeichnet  gefunden  hatte. 
Er  entdeckte  in  jenem  Lande  alte  Ruiuen, 
sowie  einen  Ort  Lijakafura,  und  fand  bei 
den  Bewohnern,  den  Makalanga,  semitische 
Anklänge  in  den  Gesichtszügen,  außerdem 
noch  Spuren  des  Baalkultus.  Dann  wandte 
er  sich  nach  der  Landschaft  Liyanga,  wo 
er  ebenfalls  rohe  Steinbauten,  viereckige 
und  kreisrunde  Wälle,  Steinterrassen  und 
brunnenartige  Ruinen  nachweisen  konnte. 
Ebenso  fand  er  Ruinen  verschiedenen 
Alters  im  Manikaland,  das  ja  ein  ausge- 
sprochener Goldminendistrikt  ist,  und  alte 
Werke  auf  Edelsteine  sowie  Kupferminen 
im  oberen  Sabigebiet. 

Alle  diese  Fnnde,  wie  auch  philologische 
nnd  historische  Betrachtungen  haben  ihn 
veranlaßt,  in  dem  vorliegenden  Buche 
seine  Ophirtheorie  von  neuem  zu  begrün- 
den. Es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß 
manche  seiner  Ausführungen  auf  den  ersten 
Blick  bestechend  sind.  Aber  auch  der- 
jenige, welcher  mit  ihm  geneigt  ist,  im 
südöstlichen  Afrika  das  alte  Ophir  zu 
suchen,  wird  nicht  allen  seinen  Schluß- 
folgerungen so  ohne  weiteres  beistimmen 
können.  Es  läßt  sich  nicht  leicht  ent- 
scheiden, wie  weit  diese  sicher  begründet 
sind,  und  wie  weit  der  Verfasser  sich  von 
seiner  lebhaften  Phantasie  hat  hinreißen 
lassen.  Urteilt  er  doch  oft  mit  einer 
staunenswerten  Sicherheit  über  Dinge,  die 
seinem  Wissensgebiet  doch  eigentlich  fem 
liegen.  Wir  müssen  es  den  Semitologen 
und  Ägjptologen  überlassen,  sich  mit 
seinen  philologisch -historischen  Betrach- 
tungen auseinanderzusetzen ,  namentlich 
mit  seiner  Ableitung  des  lateinischen 
Wortes  Africa,  des  hebräischen  Ophir  und 
des  Kaffemamen  Fura  von   einem  hypo- 


thetischen arabischen  Worte  Afur  oder 
Afr.  Von  Interesse  ist  immerhin  die  Auf- 
findung der  alten  Ruinen  in  Makombes 
Land,  in  Inyanga  und  Manika.  Aber  wir 
müssen  berücksichtigen,  daß  das«  was 
Peters  znr  Lösung  der  Ophirfrage  beige- 
tragen hat,  doch  eigentlich  in  den  Hinter- 
grund tritt  gegenüber  den  Beweisen,  welche 
bereits  durch  K.  Manch,  Th.  Beut,  Schlichter, 
Hall  und  Neal  beigebracht  worden  sind, 
imd  welche  natürlich  von  Peters  mit  heran- 
gezogen werden.  Am  meisten  Gewicht 
möchten  wir  noch  darauf  legen,  daß  eine 
von  Th.  Beut  in  Simbabwe  gefundene  In- 
schrift nach  Keane  in  himyaritischen 
Lettern  geschrieben  ist  Endgültig  gelöst, 
wie  Peters  meint,  scheint  uns  jedoch  die 
Ophirfrage  noch  nicht,  solange  nicht  in 
Südafrika  solche  Inschriften  aufgefunden 
werden,  welche  unzweifelhaft  auf  jenes 
Land  hinweisen. 

Nicht  allein  das  biblische  Ophir,  son- 
dern auch  das  ägyptische  Punt  will  Peters 
im  südöstlichen  Afrika  suchen.  Als  Be- 
weis dafür  führt  er  hauptsächlich  an,  daß 
die  Ägypter  außer  anderen  Produkten  viel 
Gold  von  dort  mitgebracht  hätten,  welches 
sie  an  der  Somalküste  nicht  hätten  er- 
halten können.  Dann  aber  stützt  er  seine 
Ansicht  auf  die  Abbildungen  ägyptischer 
Haartracht  auf  alten  Buschmannszeich- 
nungen und  auf  eine  ägyptische  Uschebti- 
figur  des  Königs  Tahutmes  IE.  (um  1450 
V.  Chr.),  die  er  in  Umtali  erhielt  und  die 
südlich  vom  Sambesi  gefunden  worden 
sein  soll.  Es  entsteht  nun  allerdings  in- 
sofem  ein  Widerspruch,  als  Peters  angibt, 
die  Bewohner  von  Punt  seien  Hottentotten 
gewesen  (oder  vielmehr  Buschmänner,  da 
er  die  Hottentotten  als  eine  Mischrasse 
zwischen  diesen  und  Ägyptern  ansieht), 
während  er  andererseits  die  Makalanga, 
also  einen  Negerstamm,  der  mit  semi- 
tischem Blut  durchsetzt  sein  soll,  als  die 
Nachkommen  der  alten  Bewohner  von 
Ophir  ansieht.  Demnach  können  Punt 
und  Ophir  nicht  dasselbe  Land  sein,  man 
müßte  denn  etwa  annehmen,  daß  die  busch- 
männisch-hottentottische Bevölkerung  spä- 
ter durch  die  kafferische  verdrängt  wor- 
den sei. 

Für  die  geographische  Wissenschaft 
hat  die  Peterssche  Expedition  außer  den 
genannten  archäologischen  Funden  wenig 
Neues  ergeben.  Seine  Bemerkungen  über 
geologische  Verhältnisse  sind  mit  Vorsicht 


652 


Bücherbesprechungen. 


aafzanehmen.  Was  soll  man  sagen  zu 
Äußerungen  wie  auf  8.  87:  „Wir  kamen 
an  diesem  Tage  aus  der  ürformation  ganz 
heraus  in  Muschelkalk  und  Sandstein 
hinein  und  passierten  gegen  zwei  Uhr 
eine  Reihe  von  höchst  interessanten  Ver- 
steinerungen, unter  d^nen  mir  besonders 
der  Stumpf  eines  Baumstammes  auffiel, 
der  aus  dem  Boden  hervorragte.  Die  For- 
mation ist  meiner  Ansicht  nach  klassische 
Trias",  oder  8.  91:  „Die  kraterförmige 
Bildung  der  Berge  ließ  Herrn  Gramann 
schließen,  daß  wir  es  hier  mit  vulkanischem 
und  nicht  mit  sedimentärem  Granit  zu 
tun  haben."  Auch  auf  S.  97  und  98  wird 
von  vulkanischem  Granit  und  Kraterbil> 
düngen  gesprochen. 

Eigentümlich  bedihrt  es,  wenn  Peters, 
der  Begründer  des  Alldeutschen  Verban- 
des, in  der  kurzen  Zeit  seines  Aufenthaltes 
in  England  bereits  so  weit  gekommen  ist, 
daß  er  in  den  deutschen  Text  englische 
Redewendungen  einflicht.  So  spricht  er 
beständig  von  einer  „Kap  zu  Kairo  Eisen- 
bahn" und  sagt  S.  118:  „Wir  verfolgten 
den  outcrop  über  einen  ganzen  Hügel  und 
fanden  eine  Menge  von  Oberflächenbear- 
beitung" (das  englische  surface  working), 
oder  S.  231 :  „Rhapta  war,  nach  den  alten 
Quellen,  Hauptstapelplatz  für  Elfenbein, 
so  ist  Quilimane  bis  auf  den  heutigen 
Tag."  Auf  S.  349  spricht  er  von  „gold- 
haltigem Schist"  (d.  i.  Schiefer). 

Die  dem  Buche  beigegebenen  Abbil- 
dungen sind  im  allgemeinen  minderwertig 
und  enthalten  meist  Jagd-  und  Lager- 
szenen, bei  denen  die  Person  des  Ver- 
fassers besonders  hervortritt;  Auch  bringt 
das  Buch  nicht  weniger  als  dreimal  sein 
Porträt  in  verschiedenen  Eostilmen.  Von 
den  beiden  Karten  dient  die  eine  nur  als 
Übersichtskarte,  sie  enthält  die  Reise- 
routen, aber  keine  weiteren  Einzelheiten 
und  ist  daher  für  den  Text  wenig  ver- 
wendbar. Die  andere  ist  eine  Wiedergabe 
der  bereits  oben  erwähnten  alten  fran- 
zösischen Karte  aus  dem  Jahre  1719. 

A.  Schenck. 
SemoD,  Aichard«  Im  australischen 
Buscfar  und  an  der  Küste  des 
Korallenmeeres.  Reiseerlebnisse 
und  Beobachtungen  eines  Naturfor- 
schers in  Australien,  Neuguinea  und 
den  Molukken.  2.  Aufl.  XVI  u. 
665  S.  86  Abb.  u.  4  K.  Leipzig, 
Engelmann  1908.     JC  15. — . 


Wir  freuen  uns,  die  zweite  Auflage 
dieses  Buches  anzeigen  zu  können,  das 
eine  der  besten  Reisebeschreibungen  ent- 
hält, die  wir  in  den  letzten  Jahren  in 
deutscher  Sprache  zu  lesen  bekamen. 
Man  klagt  so  oft,  daß  die  guten  alten 
Reisebeschreibungen  am  Aussterben  seien. 
In  der  Tat  wird  die  schöne  Mischung  von 
Erzählung,  Schilderung  und  Betrachtung 
inmier  seltener,  das  Feuilleton  und  die 
wissenschaftliche  Abhandlung  treten  an 
ihre  Stelle,  die  Literatur'  geht  aber  dabei 
leer  aus.  In  Semon  sind  glücklicherweise 
die  Fähigkeiten  vereinigt,  die  einen  Mo- 
ritz Wagner,  einen  Wallace  zu  vorzüg- 
lichen Reisebeschreibem  gemacht  haben: 
Vielseitiges  Interesse,  scharfe  Beobach- 
tung, unbestochenes  Urteil  und,  nicht  zu- 
letzt, eine  gute  Sprache.  Wir  könnten 
zwar  einige  „Längen"  in  dem  erzählenden 
Kapitel,  auch  so  Verbrauchtes,  wie  die 
Äquatortaufe,  entbehren,  nehmen  aber 
das  Buch  als  Ganzes,  und  als  solches  ist 
es  dem  allgemeinen  Leser  und  ganz  be- 
sonders dem  geographischen  dringend  zu 
empfehlen.  Für  den  letzteren  sind  von 
besonderem  Interesse  die  größeren  Aus- 
führungen tiergeographischer  und  morpho- 
logischer Natur,  zu  denen  besonders  die 
Geschichte  Australiens  und  seiner  Lebe- 
welt, beider  Beziehungen  zur  Torres- 
straße  und  Neuguinea,  das  nordostaustra- 
lische Riff,  die  Eingeborenen  Australiens, 
die  Papua  und  die  Malajen  Stoff  geben; 
aber  es  sind  außerdem  so  zahlreiche 
schöne  Beobachtungen  und  feine  Bemer- 
kungen durch  das  Buch  zerstreut,  daß 
man  auch  die  Teile  gern  mit  in  Kauf 
nimmt,  in  denen  der  Verfasser  seine 
zoologische  Arbeit  ausführlich  schildert. 
Diese  hatte  besonders  die  Erforschung 
der  Entwicklungsgeschichte  von  Ceratodus, 
der  Schnabel-  und  Beuteltiere  zum  Zweck. 
Die  Lichter,  die  auf  die  politische  und 
wirtschaftliche  Entwicklung  Australiens 
und  auf  die  Rassen&age  fallen,  sind  um 
so  anziehender,  als  Semon  hauptsächlich 
in  Queensland  gelebt  hat.  Seine  Mit- 
teilungen über  die  Trepang-,  Schildkröten- 
und  Perlfischerei  in  und  an  der  Torres- 
straße  sind  von  wirtschaftsgeographischem 
Interesse.  Nicht  am  wenigsten  schätzens- 
wert sind  die  von  einem  feinen  Natur- 
gefühl eingegebenen  Betrachtungen  über 
landschaftliche  Schönheit ;  die  Landschafts- 
schilderungen sind  zahlreich  und  gelun- 


Neue  Bücher  und  Karten. 


653 


gen.  Wo  sich  Senion  auf  das  geologisch- 
geographische  und  das  ethnographische 
Gebiet  begibt,  sind  wir  nicht  immer  mit 
ihm  einig.  Wir  sind  weder  geneigt,  mit 
ihm  das  mesozoische  Zeitalter  der  Erd- 
geschichte als  das  Mittelalter  der  Erde 
zu  betrachten,  noch  das  Rätsel  des  Dingo, 
des  einzigen  großen  Placentaliers  der 
australischen  Fauna,  für  so  einfach  lös- 
bar zu  halten,  noch  den  kleinen  zufäl- 
ligen Wanderungen  überhaupt  so  viel  Ge- 
vricht  beizulegen,  wie  er  im  Gegensatz 
zu  den  Sarasin  und  M.  Weber  tut; 
das  macht  aber  der  Schätzung  seines  Ex- 
kurses S.  349  über  Transport  durch  trei- 
bendes Holz  keinen  Eintrag.  In  diesen 
und  anderen  biogeographischen  Fragen, 
meinen  wir,  sei  eine  ganz  andere,  größere 
Zeitperspektive  anzuwenden.  Als  ein 
kleiner  geographischer  Verstoß  ist  uns 
die  Bezeichnung  der  Lage  Jünnans  „am 
Südostabhang  des  Himalaja"  (S.  217) 
aufgefallen.  Die  Auffassung  der  Bezeich- 
nung positive  Eüstensch wankung  (S.  259) 
entspricht  nicht  dem  heutigen  Stande  der 
Wissenschaft,  die  gegen  die  angenomme- 
nen Hebungen  des  Meeresspiegels  miß- 
trauisch geworden  ist.  In  dem  vorzüg- 
lichen 10.  Kapitel  über  die  australischen 


Eingeborenen  stehe  ich  der  Ablehnung 
malayo-poljmesischer  Einflüsse  auf  die 
Mythen  der  Australier  zweifelnd  gegen- 
über; auch  hier  trennt  mich  ein  Unter- 
schied der  Perspektive  von  dem  Verfasser, 
dessen  Zurückweisung  Morgan  scher 
Phantasien  ich  dagegen  mit  Grenugtuung 
begrüße,  ebenso  vde  ich  die  Trefflichkeit 
seiner  Charakteristik  der  Papuas,  bes. 
S.  428  u.  f.,  und  der  Malayen  hervorheben 
möchte.  Die  Bemerkung  über  den  tiefen 
Stand  der  Ethnographie  als  Wissenschaft 
(S.  441)  verübeln  wir  einem  Zoologen 
nicht,  sie  ist  aber  nicht  am  Platze.  Wir 
wollen  nicht  etwa  mit  einem  Hinweis  auf 
darwinistische  Auswüchse  in  der  Zoologie 
antworten,  sondern  lieber  noch  die  aus- 
gezeichneten, beherzigenswerten  Schluß- 
worte des  18.  Kapitels  hervorheben,  die 
wir  besonders  jenem  leider  viel  zu  großen 
Teile  der  deutschen  Jugend  empfehlen, 
der  trotz  allem  Reden  von  Weltpolitik 
seinen  engen  Gesichtskreis  nie  zu  erwei- 
tem strebt.  Die  letzten  vier  Kapitel  geben 
mehr  skizzenhafte  Schilderungen  aus  Java, 
Ambon  und  Indien,  die  indessen  durch- 
aus nicht  weniger  lesbar  sind  als  die  aus- 
geführteren  vorhergehenden.  Die  Aus- 
stattung ist  gut.  F.  Ratzel. 


Nene  Bttcher  und  Karten. 


MatheMAtltclie  fleo^rmplile. 

Gelcich,  E.    Die  astronomische  Bestim- 
mung der  geographischen  Koordinaten. 
X  u.  126  S.    46  Textfig.    Leipzig  und 
Wien,  Deuticke  1904.    JL  ö.— . 
AUfemelie  pliytliiehe  Geo^aplile. 

Schmidt,  Adolf.  Archiv  des  Erd- 
magnetismus. Eine  Sammlung  der 
wichtigsten  Ergebnisse  erdmagnetischer 
Beobachtungen  in  einheitlicher  Darstel- 
lung. Heft  1.  72  S.  8  Taf..  Potsdam 
1903. 

Pritsche,  H.  Atlas  des  Erdmagnetis- 
mus für  die  Epochen  1600,  1700,  1780, 
1842  und  1916.  Riga,  Müllersche 
Druckerei  1908. 

Karsten,  G.,  und  H.  Schenck.  Vege- 
tationsbilder. Heft  6.  Taf.  26  —  80. 
A.  Schenck:  Vegetationsbilder  aus 
Südwest-Afrika.  —  Heft  6.  Taf.  31— 
36.     G.  Karsten:   Monokotylenbäume. 


Jena,   Fischer   1903.    In  Lief.  JL  2.50; 
einzeln  JL  4. — . 

DeataelilAad  «id  NaelikarUider. 

Kranz,  W.  Geologischer  Führer  für 
Nagold  und  weitere  Umgebung  bis  Calw, 
Herrenberger  Stadtwald,  Horb  und 
Altensteig.  56  S.  6  Textfig.  Nagold, 
Zaiser  1903.     JL  1.—. 

Geognostische  Karte  von  Württem- 
berg. Hrsg.  in  1:50  000  von  dem  k. 
Statist.  Landesamt.  Nr.  9.  Besigheim. 
Begleitworte  dazu.  2.  Aufl.  von  E.  F  r  a  a  s. 
Stuttgart,  Kohlhammer  1903. 

Diener,  Carl,  Rudolf  Hoernes, 
Franz  E.  Sueß  und  Victor  Uhlig. 
Bau  und  Bild  Österreichs.  Vorwort  von 
Eduard  Sueß.  XXIV  u.  1110  S. 
4  Titelbilder,  250  Textabb.,  8  K. 
JL  66.—  =  Kr,  78.—.  Auch  in  4  S.-A. : 
Sueß:  Bau  und  Bild  der  böhmischen 
Masse.     IV   u.    322   S.     1   Titelb.,    56 


654 


Neue  Bücher  und  Karten. 


Textabb.,  1  K.  JC  20.—  =  Kr.  24.—. 
Diener:  Bau  und  Bild  der  Ostalpen 
und  des  Earstgebiets.  VI  u.  820  S. 
1  Titelb.,  28  Textabb.,  6  K.  JC  20.— 
=-  Kr.  24.—.  -^  ühlig:  Bau  und  Bild 
der  Karpathen.  IV  u.  262  S.  1  Titelb., 
139  Textabb.,  IK.  JC  16.—  =  Kr.  18.—. 
—  Hoernes:  Bau  und  Bild  der  Ebenen 
Österreichs.  VI  u.  194  S.  1  Titelb., 
27  Textabb.  Wien  u.  Leipzig,  Tempsky 
&  Freytag  1908, 

Sld-Amerika. 
Lübcke,  Charles.  Dampferwege  durch 
die  Magellan-Straße  und  den  Smjth- 
Kanal.  Anweisung  für  Dampfer-Kapi- 
täne. (S.-A.  aus  „Der  Pilote",  N.  F., 
Bd.  n  von  1903.)  Vm  u.  204  S.  128  Abb. 
u.  3  K. 

Afrika. 

Horn,   Rud.     Siedelungsrerhältnisse   in 
Deutsch-Ostafrika.    Heidelberger   Diss. 
47  S.     Leipzig,  Teubner  1903. 
6eogrftpb4Bcber  Uaterrlcbt. 

Rusch,  Gustav.  Leitfaden  für  den 
Unterricht  in  der  Geographie  für  öster- 
reichische Bürgerschulen.  2.  Tl.  119  S. 
64  Abb.  (16  färb.  K.)  Kr.  1.70.  3.  Tl. 
114  S.  69  Abb.  (9  färb.  K.)  Kr.  1.40. 
Wien,  Pichlers  Witwe  &  Sohn  1902  u 
1903. 


Holz  eis  Schul  Wandkarte  von  Asien.  Po- 
lit.  Ausg.  Bearb.  von  Franz  Heide- 
rich, In  1  .-8  000  000.  6  BL  in  zehn- 
fachen Farbdr.  140  cm  x  176  cm. 
Wien,  Hölzel  1908.  ünaufgesp.  Kr.  18.— 
=  JC  15. — ;  auf  Lwd.  gesp.  in  Mappe 
Kr.  24.—  =  JC  20.—  ;  auf  Lwd.  gesp. 
mit  StÄben  Kr.  26.—  ==  JC  22.—. 

Hölzeis  Schulwandkarte  von  Australien 
und  Polynesien,  Stiller  Ozean.  Bearb. 
u.  gez.  von  Franz  Heiderich.  Moll- 
weidesche flächentreue  Projektion.  In 
1 :  10  000  000.  6  Bl.  in  lOfachem  Farbdr. 
160  cm  X  192  cm.  Wien,  Hölzel  1903. 
ünaufgesp.  Kr.  20.—  =  JC  18.—  ;  auf 
Lwd.  gesp.  in  Mappe  Kr.  28. —  =  ^€  24. — ; 
auf  Lwd.  gesp.  mit  Stäben  Kr.  32. — 
=  JC  28.—. 

Hölzeis  Rassentypen  des  Menschen. 
Unter  Mitwirk.  v.  Franz  Heger  aus- 
gew.  u.  bearb.  v.  Franz  Heiderich, 
gemalt  v.  Friedr.  Beck.  4  Taf.  u. 
kurzer  Begleittext  v.  Heiderich. 
Taf.  I  u.  H:  Asien.  Taf.  HI:  Afrika. 
Taf.  IV:  Amerika,  Australien  u.  Poly- 
nesien. Wien,  Hölzel  1903.  Unau^esp. 
in  Umschlag  Kr.  20.—  =  JC  17.—  ;  mit 
Metall  -  Saumleisten  zum  Aufhängen 
Kr.  22.—  =  JC  19.—  ;  auf  Lwd.  gesp. 
mit  Stäben  Kr.  28.—  =  JC  24. 


Zeitschriftenschaa. 


Pftermanns  Mitteilungen.  1903.  Nr.  9. 
Graf  Wickenburg:  Von  Dschibuti  bis 
Lamu.  —  Gerland:  Die  IL  internatio- 
nale Erdbebenkonferenz  zu  Straßburg.  — 
Der  geographische  Unterricht  an  den 
deutschen  Hochschulen  W.-S.  1903/04.  — 
Hammer:  Das  Claudesche  „Prismen- 
Astrolabium".  —  Wegemann:  Der  Be- 
völkerungsschwerpunkt des  Deutschen 
Reichs.  —  Fitzner:  Die  Regenverteilung 
in  der  Kilikischen  Ebene. 

Globus.  84.  Bd.  Nr.  11.  Klose:  Wohn- 
stätten und  Hüttenbau  im  Togogebiet.  — 
Seier:  Eine  altmexikanische  Steinmaske. 
—  Aus  den  Ruinen  von  Simbabye.  — 
Südpolarforschung. 

Dass.  Nr.  12.  Krebs:  Staubfälle, 
Blutregen,  Blutschnee.  —  Klose:  Wohn- 
stÄtten  und  Hüttenbaa  im  Togogebiet. — 
Roth:     Geschichte    und    Herkunft    der 


schweizerischen  Alpenflora.  —  Die  russi- 
schen Sekten. 

Dass.  Nr.  13.  Nordenskjöld:  Eini- 
ges über  das  Gebiet,  wo  sich  Ghaco  und 
Anden  begegnen.  —  Kretische  Forschun- 
gen. —  Leuß:  Zur  Volkskunde  der  InseU 
friesen.  —  Die  Japaner  in  China. 

Dass.  Nr.  14.  Zemmrich:  Die  Polen 
im  Deutschen  Reich.  —  Burmeister: 
Groß-Dimon.  —  Leu  fr:  Zur  Volkskunde 
der  Inselfriesen. 

Dass.  Nr.  16.  Bouchal:  Indonesi- 
scher Zahlenglaube.  —  Meerwarth:  Aus 
dem  Mündungsgebiet  des  Amazonas.  — 
Maurer  und  Förster:  Zur  Klimatologie 
Deutsch-Ostafrikas.  —  Aus  den  Arbeiten 
der  Deutschen  Orientgesellschaft. 

Deutsche  Rundschau  für  Geographie 
und  Statistik.  16.  Jhrg.  1.  Heft.  Henz: 
Die    abflußlosen    Gebiete    der    Erde.    — 


Zeitschriftenschaö. 


665 


Schoener:  Stockholm.  —  Eettner: 
Zwei  bisher  ungedruckte  Briefe  Emin 
Paschas.  —  Meinhard:  Nach  Makedo- 
nien. —  Die  deutsche  Südpolarexpedition. 

Zeitschrift  für  Schulgeographie.  1903. 
12.  Heft.  Kerp:  Der  XIV.  deutsche  Geo- 
graphentag in  Köln.  —  Becker:  Zu  den 
Grundsätzen  f.  Lehrbücher  der  Geographie. 
Meteorologische  Zeitschrift.  1908.  9.  Heft. 
Schneider:  Die  harmonische  Analyse 
der  täglichen  Luftbewegung  über  Ham- 
burg. —  Berson:  Wolken  und  Nepho- 
skope.  —  Exner:  Messungen  der  Sonnen- 
strahlung und  der  nächtlichen  Ausstrah- 
lung auf  dem  Sounblick. 

Zeitschrift  für  Gewässerkunde.  6.  Bd. 
1.  Heft.  Oppokow:  Zur  Frage  der  viel- 
jährigen Abflußschwankungen  in  den 
Bassins  großer  Flüsse.  —  Gravelius: 
Zur  Kenntnis  der  Thermik  des  Comer 
Sees.  —  Gravelius:  Die  schwarzen 
Flüsse  Südamerikas.  —  Classen:  Zur 
Lehre  von  den  Abwässern.  —  We igelt: 
Erwiderung.  —  Gravelius:  Oberitalie- 
nische Binnenschiffahrt. 

Beiträge  zur  Kolonialpolitik  und  Kolo- 
nialwirtschaft.  6.  Jhrg.  3.  Heft.  Mohr: 
Von  Mogador  nach  Marrakesch.  —  Kan- 
nengießer: Forschungsreisen  in  Nord- 
ostafrika. —  Sander:   Die   Tsetsefliege. 

—  V.  Fischer:  Die  deutsche  Kolonie  San 
Bemadino  in  Paraguay. 

The  QeographicalJoumdl.  1903.  Nr.  4. 
Ramsay:  Cilicia^  Tarsus  and  the  Great 
Taurus  Pass.  -—  Davis:  A  Scheme  of 
Geography.  —  McClounie:  A  Jonmey 
across  the  Nyika  Plateau.  —  Satchell: 
Notes  to  accompany  Map  of  the  Yavary. 

—  Creak:  Terrestrial  Magnetism  in  its 
Relation  to  Geography. 

The  Scottish  GeographicaX  Magazine. 
1903.  Nr.  10.  Creak:  Terrestrial  Magne- 
tism in  its  Relation  to  Geography.  — 
Meeting  of  the  Britisch  Association.  — 
Report  of  the  Progress  of  the  Ordnance 
Survey.  —  The  VIII.  International  Geo- 
graphie Congress. 

La  Geographie.  1903.  No.  3.  Fla- 
h  a  u  1 1 :  Foreta  et  industrie  des  bois,  France 
et  Nouvelle-Z^lande.  —  Girardin:  La 
Valachie.  —  Laloy:  La  p^ninsule  Orien- 
tale de  la  Cr^te. 

Annales  de  Geographie.  1903.  No.  66. 
XU«  Bibliographie  G^ographique  Annuelle 
1902  publice  sous  la  direction  de  Ra- 
veneau. 


The  Journal  of  Geography.  1903.  Nr.  7. 
Goode:  Geographical  Societies  of  Ame- 
rica. —  Moulton:  Time.  —  Krug- 
Gent  hei  Geographical  Text-Books  and 
Geographical  Teaching.  —  Harrison: 
Cultivation  of  Rice  in  the  United  States. 

Ännwü  Report  of  the  United  States. 
Geological  Survey.  XXIL  1900  —  1901. 
Part  L  Directors  Report.  (24  Taf.)— 
Eldridge:  The  Asphalt  and  Bituminous 
Rock  deposits  of  the  ü.  S.  (33  Taf.  u. 
52  Fig.)  —  Partn.  Ore  Deposits:  Hobbs: 
The  old  tungsten  mine  at  Trumbull,  Conn. 
(5  Taf.  u.  1  Fig.)  —  Bain,  van  Hise  and 
Adams:  Prelimanary  report  on  the  lead 
and  zinc  deposits  of  the  Ozark  region. 
(21  Taf  u.  88  Fig.)  —  Ransome:  The 
ore  deposits  of  the  Rico  Mountains,  Colo- 
rado. (15  Taf.  u.  32  Fig.)  --  Weed  and 
Barr  eil:  Geology  and  ore  deposits  of 
the  Elkhom  mining  district,  Jefferson 
County,  Mont.  (21  Taf.  u.  7  Fig.)  -^ 
Lindgren:  The  gold  belt  of  the  Blue 
Mountains  of  Oregon.  (16  Taf.  u.  10  Fig.) 
—  Spurr:  The  ore  deposits  of  Monte 
Cristo,  Wash.  (4  Taf.  u.  42  Fig.)  — 
Partm.  Goal,  Oil,  Cement:  Hayes:  The 
coal  fields  of  the  ü.  S.  (1  Taf.)  —  Wood - 
worth:  The  Atlantic  coast  Triassic  coal 
fields.  (4  Taf.  u.  7  Fig.)  —  Stock:  The 
Pennsylvania  anthracite  coal  field.  (5  Taf. 
u.  12  Fig.)  —  Withe,  Campbell  and 
Haseltine:  The  Northern  Apalachian 
coal  field.  (2  Taf.)  —  Hayes:.  The  Sou- 
thern Appalachian  coal  field.  (3  Taf.)  — 
Ashley:  The  Eastem  Interior  coal  field. 
(4  Taf.)  — -  Lane:  The  Northern  Interior 
coal  field.  (2  Taf.)  —  Bain:  The  Western 
Interior  coal  field.  (3  Taf.)  —  Taff:  The 
Southweatem  coal  field.  (4  Taf.)  — 
Starrs:  The  Rocky  Mountain  coal  fields. 
(11  Taf)  —  Smith:  The  Pacific  coast 
coal  fields.  (4  Taf.)  —  Brooks:  The  coal 
resources  of  Alaska.  (1  Taf)  —  Füller: 
The  Gaines  oil  field  of  Northern  Pennsyl- 
vania. (8  Taf.)  -  Rüssel:  The  Portland 
cement  industry  in  Michigan.  (3  Taf)  — 
Taff:  Chalk  of  Southwestem  Arkansas, 
with  notes  on  its  adaptability  to  the  manu- 
facture  of  hydraulic  cements.  (7  Taf)  — 
Part  ni.  Hydrography:  Newell:  Report 
of  progress  of  stream  measurements  for 
the  calendar  year  1900.  (36  Taf)  —  Da- 
vis: Hydrography  of  the  American  isth- 
mus.(14Taf.)  —  Johnson:  The  High  Plains 
and  their  utilization  (concluded).  (15  Taf) 


656 


Zeitschriftenschau. 


Bobs,  XXTTT.  1901—02.  Directors 
Report.  (26  Taf.) 

Bulletin  of  ihe  ü.  8.  Geological  Sur- 
vey.  No.  196.  Dale:  Structural  details 
in  the  Green  Mountain  region  and  in 
Eaatem  New  York  (Second  Paper).  (4  Taf. 
u.  8  Fig.)  —  No.  196.  Diller:  Topographie 
developement  of  the  Klamath  Mountains. 
(13  Taf  u.  7  Fig.)  —  No.  197.  Gannet: 
The  origin  of  certain  place  names  in  the 
ü.  S.  —  No.  198.  Griewold:  The  Be- 
reagrit  oil  sand  in  the  Cadiz  quadrangle, 
Ohio.  (1  Taf  u.l  Fig.)  —  No.  199.  EuBeel: 
Geologj  and  water  resource  of  the  Snake 
River  Plains  of  Idaho.  (26  Taf.  u.  6  Fig.) 
—  No.  200.  Campbell:  Reconnaissance 
of  the  Borax,  deposits  of  Death  Valley 
and  Mohave  Deaert.  (1  Taf)  —  No.  201. 
Wilson,  Renshawe,  Douglas,  Goode: 
Results  of  the  primary  triangulation  and 
primaiy  traverse  during  the  fiscal  year 
1901—2.  (1  Taf.)  —  No.202.  Lindgren: 
Tests  for  Gold  and  Silver  in  Shales  from 
Western  Kansas.  —  No.  208.  Weeks: 
Bibliography  and  Index  of  North  Ameri- 
can Geology,  Paleontology,  Petrology  and 
Mineralogy  for  the  Year  1901.  —  No.  204. 
Clark  and  Steiger:  The  action  of  am- 
monium  ohloride  upon  Silicates. 

U.  8.  Geological  Swrvey.  Mineral  Be- 
aources  of  the  ü.  8.  1901. 

U.  8.  Geological  8urvey.  Monographs. 
1908.  Vol.  XLm.  Leith:  The  megabi 
Iron-Bearing  district  of  Minnesota. 

U.  8.  Geological  8urvey.  Professio- 
nal Paper.  No.  1.  Brooks:  Prelimi- 
nary  Report  on  the  Eetchikan  Mining 
District,  Alaska  with  an  introdnctory 
sketch  of  the  Geology  of  Southeastem 
Alaska.  (2  Taf.  u.  6  Fig.)  —  No.  2.  Col- 
lier: A  reconnaissance  of  the  North- 
western   portion    of   Seward   Peninsula, 


Alaska.  (12  Taf.)  —  No.  8.  Di  11  er  and 
Patton:  The  Geology  and  Petrography 
of  Crater  Lake  National  Park.  (19  Taf.) 
—  No.  4.  Gannet:  The  Poreats  of  Ore- 
gon. (7  Taf.)  —  No.  6.  Gannet:  The 
Forests  of  Washington  a  revision  of  esÜ- 
mates.  (1  Taf.)  —  No.  6.  Plumer:  Fo- 
rest conditions  in  Cascade  Range  Washing- 
ton between  the  Mount  Rainier  and 
Washington  forest  reserves.  (11  Taf.)  — 
No.  7.  Dodwell  and  Rixon:  Forest  con- 
ditions of  the  Olympic  Forest  Reserve, 
Washington.  (20  Taf.)  —  No.  8.  Lei- 
berg: Forest  conditions  in  the  Northern 
Sierra  Nevada,  California.  (12  Taf) 

ü.  S.  Geological  Survey.  Water  Supply 
and  Irrigation.  Nr.  65—79.  1902  u.  1903. 

Conseil  perman.  intemat.  pour  Vexplo- 
ration  de  la  mer.  Publications  de  circon- 
stance.  No.  4—5.  Enudsen:  Über  den 
Gebrauch  von  Stickstoffbestimmungen  in 
der  Hydrographie.  —  Gefrierpunkttabelle 
für  Meerwasser. 

Ders.  Rapports  et  procis-verlxMux  des 
r^unions.  Vol.  1.  Juillet  1902— JuiUet  1903. 

Ans  Terschiedenen  Zeitsehriften. 

Günther:  Baumindividualitäten  u.  Land- 
schaftsbild. Natur  und  Schule.  U.  Bd. 
1908.  6.  u.  7.  Heft. 

Günther:  Die  Organisation  des  inter- 
nationalen Erdbebendienstes.  Natur 
und  Kultur,  I.  Jahrg.  Heft  1.  1.  Okt. 
1908. 

Marek:  Die  geographische  Lage  von 
Graz.  Jahresher.  d.  Grazer  Handels- 
akademie für  1903. 

Müller  und  Weber:  Über  filtere  Pluß- 
schotter  bei  Bad  Oeynhausen  und  Al- 
feld und  eine  über  ihnen  abgelagerte 
Vegetationsschicht.  Jahrb.  d.  Preuß. 
geol  L,'A.  f  1902.  Bd.  XXm.  Heft  3. 


Ver&ntrrortlicbtr  Herausgeber:  Prof.  Dr.  Alfred  Hettner  in  Heidelberg. 


Die  Weltstellung  Temens. 

Von  Dr.  Eduard  Hahiu 

Nicht  in  eigentlich  geographischen  Kreisen,  wohl  aher  in  hreiten  Kreisen 
der  Öffentlichkeit  ist  in  letzter  Zeit  die  Kulturstellnng  Babyloniens  zum  Teil 
mit  einer  Hitze  verhandelt,  die  bewies,  daß  es  sich  keineswegs  nur  um 
wissenschaftliches  Interesse  handelte,  daß  sich  vielmehr  hier  an  die  wissen- 
schaftliche Frage  Parteiinteressen  und  sogar  religiöse  Streitfragen  anknüpften. 
Ich  werde  wohl  diesem  Dilemma  entgehen,  auch  wenn  ich  mein  Thema  aus 
einem  nicht  allzu  entfernten  und  fremden,  sondern  vielmehr  recht  sehr  nahe- 
gelegenen Gebiet  genommen  habe!  Ich  hoffe,  es  wird  mir  deshalb  doch 
gestatten,  auf  das  eigentliche  Hauptthema  ohne  jede  Schwierigkeiten  zurück- 
zugreifen; denn,  wenn  ich  auch  von  Yemen  ausgehe,  handelt  es  sich,  ob  ich 
nun  Ägypten  oder  Babylonien  für  den  Augenblick  geographisch  stärker 
herangezogen  habe,  mir  doch  immer  in  der  Hauptsache  um  die  Frage:  Wel- 
ches sind  die  Grundbedingungen  unserer  wirtschaftlichen  Kultur,  welche  wirt- 
schaftlichen Faktoren  gehören  ihr  für  den  allerersten  Anfang?  Zu  diesem 
Thema  gehört  natürlich  auch  die  Frage:  Welche  Länder  sind  als  die  ältesten 
im  Besitz  unserer  wirtschaftlichen  Kultur  befindlichen  anzusehen?  und  daran 
wird  sich  ebenso  natürlich  fernerhin  die  Frage  knüpfen:  Können  wir  vielleicht 
einzelne  Bestandteile  ausscheiden,  die  wir  mit  Sicherheit  dem  einen  oder  mit 
einiger  Bestimmtheit  dem  anderen  Ursprungsland  zuschreiben  können?  und 
endlich,  wenn  wir  soweit  gekommen  sind,  wird  sich  die  Frage  wohl  kaum 
ganz  umgehen  lassen:  Welches  Land  hat  nun  am  meisten  Bestandteile  zu 
dieser  ältesten  aller  Kulturen  hergegeben?  Welches  Land  ist  das  eigentliche 
Ursprungsland  unserer  ganzen,  so  eigentümlichen  wirtschaftlichen  Kultur?  Als 
einen  kleinen  Versuch  in  dieser  Richtung  bitte  ich  die  folgenden  Ausfüh- 
rungen, die  ursprünglich  als  Vortrag  für  den  Kölner  Geographentag  bestimmt 
waren,  anzusehen. 

Yemen,  die  südwestlichste  Spitze  der  ungeheuren  Platte,  die  wir  Arabien 
nennen,  beginnt  nach  langer  Vernachlässigung  zunächst  wegen  politischer 
Eifersüchteleien  wieder  in  den  Vordergrund  des  Tagesinteresses  zu  treten. 
Seltsam  genug,  daß  das  hohe  geschichtliche,  sprachliche  und  wirtschaftliche 
Interesse,  welches  Yemen  doch  vollauf  verdient,  so  lange  nur  in  sehr  gerin- 
gem Maßstabe  wirksam  werden  konnte. 

Die  arabische  Platte  ist  in  einer  höchst  eigentümlichen  Stellung  zwischen 
Vorderasien  und  Ägypten,  zwischen  Indien  und  Afrika  eingeschoben.  Geo- 
graphisch ist  Arabien  ja  kräftig  genug  charakterisiert.  Auf  der  einen  Seite 
wird  es  durch  den  gewaltigen,  in  großen  Zacken  gebogenen  persischen  Meer- 

Qeographiscbe  ZeUtchrift.  9.  Jahrgang   1903.  IS.  lieft.  44 


658  Eduard  Hahn: 

busen  von  dem  ganz  anders  gearteten  eranischen  Hochland  getrennt,  und  die 
ungemein  unzugänglichen  Küstengebirge  Persiens  haben  den  Verkehr  hier  zu 
allen  Zeiten  auf  ein  verhältnismäßig  geringes  Maß  herabgedrückt.  Das  Meer 
hat  hier  vielleicht  weniger  als  irgend  wo  anders  seine  Rolle  als  Völker- 
Vermittler  spielen  können.  Geschichtlich  kam  das  dadurch  zum  Ausdruck, 
daß  häufig  die  kleinen  Häfen  auf  der  persischen  Seite  und  die  kleinen 
Kulturoasen,  die  sich  anschlössen,  in  arabischen  Händen  waren,  also  poli- 
tisch zur  gegenüberliegenden  Küste  gehörten.  Natürlich  war  das  aber 
immer  nur  dann  möglich,  wenn  die  persische  Macht  wieder  einmal  recht  tief 
gesunken  war.  Jeder  kräftige  Stoß  von  der  Höhe  machte  dauernden  Wider- 
stand der  Araber  im  Küstenlande  aussichtslos. 

Gegen  Nordwesten  wird  die  Senke  des  persischen  Meerbusens  fortgesetzt 
durch  die  Alluvialebene  von  Euphrat  und  Tigris.  Hier  findet  sich  nur  eine 
schwach  ausgesprochene,  stellenweise  auch  gar  keine  geographische  Begrenzung. 
Was  vom  Hochwasser  der  Ströme,  resp.  vom  Bewässerungswasser  des  Kanal- 
systems nicht  erreicht  werden  kann,  gehört  eben  bedingungslos '  der  Wüste, 
also  Arabien  zu.  Im  Südosten  springt  aber  aus  der  großen,  mehr  oder  weniger 
ungegliederten  Halbinsel  noch  einmal  ein  kräftig  profiliertes  Bergland  vor,  Oman, 
von  dem  übrigen  Lande  durch  weite  Wüsten  geschieden,  durch  die  inmierhin 
Oasenketten  einen  zu  manchen  Zeiten  nicht  unwesentlichen  Verkehr  gestatteten, 
während  dagegen  seine  offene  Lage  zum  indischen  Meere  mehr  als  einmal 
in  der  Geschichte  kräftigen  Handelsvölkern  und  ehrgeizigen  Herrscherhäusern 
eine  ausreichende  Basis  zu  einer  ausgebreiteten  und  weitreichenden  Tätigkeit 
gewährte,  die  aber  als  nächstes  und  wesentlichstes  Handelsgebiet  eigentlicb 
immer  die  indischen,  besonders  die  nordindischen,  Häfen  den  persischen 
gegenüber  bevorzugte.  Daß  der  arabische  Handel  auch  weit  darüber  hinaus 
bis  nach  den  fernen  Gewürzinseln  der  Molukken  und  weit  an  der  afrikanischen 
Küste  hinabwirkte,  brauche  ich  ja  nur  anzudeuten.  Die  Kolonisatoren  von 
Atchin,  Malacca  und  Bnmej  (Bomeo)  rühmten  sich  arabischer  Abstammung, 
und  die  Sultane  von  Sansibar  sind  bekanntlich  ein  jüngerer  Zweig  des 
Hauses  der  Imame  von  Maskat. 

Nicht  minder  scharf  wie  im  Osten  gliedert  sich  unsere  Halbinsel  vom 
afrikanischen  Kontinent  durch  den  tiefen  Graben  des  Boten  Meeres  ab. 
Vergebens  streckt  Afrika  im  Süden  das  wenig  entfernte,  aber  fast  hafenlose, 
durch  die  wilde  Bevölkerung  zu  allen  Zeiten  bis  auf  unsere  Tage  unzugäng- 
liche Osthom  der  Somalhalbinsel  vor.  Nicht  hier,  aber  wohl  am  Knick,  wo 
westlich  das  mächtige  abessinische  Alpenland  und  östlich  das  kleinere,  aber 
im  Charakter  sehr  verwandte  Alpenland  Yemens  sich  ziemlich  nahe  konmien, 
da  ist  die  Stelle,  die  allezeit  einen  regeren  Verkehr  gehabt  und  stellenweise 
einen  nicht  bloß  für  die  Geschichte,  sondern  ganz  besonders  für  die  Kultur- 
geschichte hervorragend  wichtigen  Austausch  vermittelt  hat.  Auch  hier  spannt 
sich  aber  auf  der  Hauptstrecke  zwischen  dem  fruchtbaren  Niltal  mit  seiner 
zu  allen  Zeiten  dichten  und  hochkultivierten  Bevölkerung  und  dem  Roten 
Meere  wieder  eine  schmale  gebirgige  Wüstenzone,  die  arabische  Wüste,  aus, 
die  zu  allen  Zeiten  auf  den  Verkehr  sehr  hindernd  gewirkt  hat  Mächtige 
Herrscher  konnten  gewiß  zu  allen  Zeiten  die  Straßen  gegen  die  Ungunst  der 


Die  Weltetellung  Yemens.  659 

geographischen  Verhältnisse  und  besonders  gegen  das  größte  Hindernis,  die 
räuberischen  Neigungen  der  Einwohner  dieser  schmalen  Zone,  verteidigen,  aber 
die  Linien  waren  in  nur  einigermaßen  unruhigen  Zeiten  sehr  schlecht  zu 
halten,  vielfach,  zog  der  Verkehr  es  inuner  vor,  das  Rote  Meer  in  seiner 
ganzen  Länge  zu  übersetzen,  um  erst  am  Isthmus  von  Suez  den  kürzesten, 
leichtesten  und  wenigst  beschwerlichen  Weg  ins  Kulturgebiet  des  Nildelta  zu 
suchen.  Seit  einigen  Jahrzehnten  ist  ja  dann  durch  den  Suezkanal  der  Welt- 
verkehr hierher  gezogen,  und  das  Rote  Meer,  das  bis  dahin  fast  immer  ganz 
von  ihm  verlassen  war,  eine  seiner  wichtigsten  Hochstraßei^  geworden! 

Gegen  Norden  trennte  endlich  früher  nur  die  schmale,  von  Dünen  über- 
wehte, von  Salzseen  unterbrochene  Landenge  von  Suez  das  Rote  Meer  und  das 
Mittelmeer»  Trotz  aller  lokalen  Schwierigkeit  war  bei  ihrer  geringen  Ausdeh- 
nung die  Brücke  von  Suez  stets  eine  der  wichtigsten  Landverbindungen  der 
Welt.  Der  eigentliche  Graben  des  Roten  Meeres  setzt  sich  dann  ja  auf  der 
Ostseite  des  Sinai  durch  die  Bucht  von  Akkaba  und  den  tiefen  Spalt  des 
Toten  Meeres  fort,  aber  durch  besondere  klimatische  Gunst  gehören  selbst 
einige  der  östlichen  Länder,  so  Moab,  und  weiterhin  der  Hauran,  noch  zum 
westlichen  Palästina  oder,  richtiger  gesagt,  zu  Syrien,  von  dem  Palästina 
ja  mehr  historisch  als  geographisch  getrennt  ist.  Auch  diese  Grenzländer 
haben  für  den  Verkehr  zu  allen  Zeiten  eine  sehr  große  Rolle  gespielt,  sie 
sind  nicht,  wie  die  fromme  Sage  lange  wollte,  ein  abgesondertes  Gebiet, 
sondern  vielmehr  ein  ausgesprochenstes  Durchgangsgebiet  gewesen,  und  noch 
heutzutage  zieht  die  große  Karawane  der  Pilger  von  Damaskus  östlich  vom 
Jordan  nach  Mekka  und  Medina. 

Im  Norden  verliert  sich  endlich  die  arabische  Platte  ohne  feste  Grenze 
etwa  in  der  Gegend  von  Palmyra  zwischen  dem  Euphratufer  und  dem 
syrischen  Kulturland. 

Schon  aus  dieser  kurzen  geographischen  Skizze  geht  hervor,  daß  die 
wichtigsten  Verbindungen  Arabiens  nach  Nordwesten  führen,  tmd  daß  ganz 
besonders  wichtig  hier  allemal  die  Landverbindungen  gewesen  sind,  da  das 
Rote  Meer  wohl  zu  gewissen  Zeiten  als  wichtige  Straße  fungiert  hat,  selbst 
aber  eigentlich  immer  nur  geringen  und  einen  im  ganzen  wenig  selbständigen 
Verkehr  aufeuweisen  hatte,  meist  sogar  nur  in  möglichst  eiliger  Fahrt  über- 
schritten wurde. 

Die  Anfänge  unsenw:  Kultur  liegen,  darüber  kann  es  keine  Diskussion 
geben,  überall  weit  vor  dem  Anfang  aller  Geschichte.  So  ist  es  auch  in 
diesem  Gebiet.  Mögen  wir  die  Nachrichten  in  der  Bibel  zusammenstellen, 
mögen  wir  die  Semiten  bei  ihrem  Eintritt  in  die  babylonische  Civilisation 
betrachten,  immer  ist  keine  Rede  davon,  daß  sie  kulturlose  Barbaren  waren. 
So  werden  sie  in  der  Geschichte  von  Joseph  erwähnt  als  Handelsleute,  die 
von  weither  kommen  und  nach  weit  entlegenen  Gegenden  ziehen.  Die  Reiche 
der  nordarabischen  Minäer  und  Nabathäer,  das  weitentlegene,  mit  sagenhaftem 
Reichtum  umgebene  Reich  der  Königin  von  Saba,  also  das  heutige  Yemen, 
das  waren  nicht  etwa  kulturlose  Gebiete  dürftiger  Kamelhirten.  Eins  der  großen 
Ereignisse  der  südarabischen  Geschichte,  das  sicher  auf  historischer  Grundlage 
beruht,  auch  wenn  die  Folgen  sagenhaft  ausgeschmückt  worden  sind   —  dies 

44* 


660  Eduard  Hahn: 

Ereignis  bildet  nämlich  das  Anfangsdatum  fOr  alle  Chronologie  der  Stamme, 
die  sich  zu  den  echt  arabischen  rechnen  —  ist  der  Bruch  des  großen  Stau- 
dammes von  Mareb,  im  Norden  des  Berglandes  von  Temen.  Durch  diese 
große  Katastrophe  wollen  alle  die  großen  Stämme  zur  Auswanderung  ge- 
trieben sein,  und  folgenschwer  genug  mag  ja  ein  derartiges  Ereignis  ge- 
wesen sein.  Nirgends  aber  ist  davon  die  Bede,  daß  in  Temen,  über  dessen 
ältere  Geschichte  wir  übrigens  nur  durch  einige  wenige,  schwer  zu  ent- 
ziffernde Inschriften  unterrichtet  sind,  die  Elemente  der  arabischen  Kultur, 
wie  wir  sie  in  allen  Zeiten  finden,  nicht  vorhanden  gewesen  seien,  also  die 
Dattelpalme,  das  Schaf  und  die  stellenweise  wichtigere  Ziege,  die  Kultur 
der  Gerste,  die  mit  künstlicher  Bewässerung  zusanunenging  und  für  die 
stets,  wo  sie  in  irgend  ausgedehntem  Maßstabe  getrieben  werden  konnte, 
auch  das  Kind  in  der  üblichen  Weise  verwendet  wurde.  Nirgends  finden 
wir  femer  den  Gedanken,  daß  die  Verwendung  der  Milch  erst  hätte  ein- 
gef&hrt  werden  müssen,  im  Gegenteil  hat  ja  gerade  die  Wirtschaft  der 
arabischen  Nomaden,  die  wenn  auch  nicht  ausschließlich,  so  doch  wesentlich 
von  der  Milch  ihrer  Herden  leben,  auf  unsere  ganze  historische  Auffassung 
den  allergrößten  Eindruck  gemacht  und  zur  falschen  Annahme  des  Hirten- 
tums  als  einer  notwendigen  Durchgangsstufe  der  Menschheit  gef&hrt  Als 
einen  Rest  davon  finden  wir  aber  auch  hier  immer  wieder  den  Gedanken, 
daß  die  Milch  etwas  Heiliges,  etwas,  was  nicht  so  ganz  zur  bloßen  Nutz- 
wirtschaft des  Menschen  gehört,  in  eigentümlicher  Weise  ausgesprochen.  Vie- 
len Lesern  wird  ja  aus  meinen  früheren  Untersuchungen  bekannt  sein,  daß 
der  Pflugochs  als  Teilnehmer  am  heiligen  Geschenk  der  Götter,  am  Ackerbau, 
zu  vielen  Zeiten  und  an  vielen  Orten  eigentlich  nicht  gegessen  werden 
durfte,  so  noch  heute  ganz  allgemein  in  China,  aber  einst  auch  im  alten 
Rom  und  ebenso  im  heutigen  Cypem.  Die  Türken  essen,  wie  mir  Professor 
Schwein furth  erzählte,  eigentlich  nur  ungern  Bindfleisch  (mit  dem  Kalbe 
ist  ja  das  seit  Abrahams  Zeiten  anders).  In  diesen  Kreis  der  Erscheinung 
gehört  es  meiner  Ansicht  nach,  daß  ein  ganz  allgemeines  Sittengesetz  jedem 
Beduinen,  der  etwas  auf  sich  hält,  auf  das  allerstrengste  verbietet,  Milch  zu 
verkaufen,  er  darf  sie  nur  verschenken.  Für  die  großen  Pilgerkarawanen, 
wo  das  natürlich  nicht  geht,  haben  daher  schon  früh  besondere  Bestimmungen 
fUr  den  Milchverkauf  getroff'en  werden  müssen. 

Schweigen  nun  eigentliche  Geschichtsquellen  über  die  Einfahrung  des 
Ackerbaus  in  Arabien,  wenigstens  bis  jetzt,  ganz,  und  ist  in  Arabien  selbst 
keine  Kenntnis  seiner  ältesten  Geschichte  zu  gewinnen,  können  wir  vielleicht 
aus  einem  anderen  Lande  etwas  mehr  über  die  erste  Geschichte  des  Acker- 
baus ableiten?  Ägypten  hat  doch  oft  als  das  Ui%prungsland  unserer  ganzen 
wirtschaftlichen  Kultur,  d.  h.  also  in  der  Hauptsache  unserer  Pflugkultur  ge- 
golten, so  schon  für  den  alten  Herodot,  und  allerdings  kann  uns  Ägypten 
hier  sehr  viel  weiterhelfen. 

Durch  einen  glücklichen  Zufall  ist  man  vor  einigen  Jahren  in  Abjdos 
auf  die  Königsgräber  der  ersten  Dynastie  gestoßen:  vorher  hatte  schon 
Flinders  Petrie  höchst  eigentümliche  Gräber  in  Ägypten  ausgegraben,  und 
die  Resultate   dieser   Funde    hat   dann   Schwein  furth    mit  Meisterhand    zu 


Die  Weltstellung  Yemens.  661 

einem  Resultate  geordnet.  Diese  Gräber  sind  durch  einige  wichtige  Funde 
als  die  Gräber  einer  Reihe  von  Königen  belegt,  und  unter  den  letzten  dieser 
Reihen  zeigen  sich  im  Eönigschild  historisch  beglaubigte  Namen  aus  der 
sogenannten  ersten  Dynastie  der  ägyptischen  Könige.  Die  älteste  Kultur  ist 
dabei  allerdings  die  Kultur  völliger  Steinzeit ,  aber  auch  so  ist  die  Kultur 
recht  achtbar,  wir  haben  geradezu  wunderbar  gearbeitete  Gefäße  aus  Ala- 
baster und  aus  dem  härtesten  Diorit,  wir  haben  große  Krüge  mit  zahl- 
reichen Figuren  bemalt,  deren  Motive  uns  zumeist  recht  afrikanisch  anmuten, 
so  die  Strauße,  aber  auch  die  höchst  merkwürdigen  Tänzerinnen  mit  ihrem 
Riemenschurz;  ein  häufig  wiederkehrendes  pflanzliches  Motiv  hat  Schwein- 
furths  Meisterblick  als  die  Aloe  (später  die  Hieroglyphe  für  Oberägypten) 
erkannt.  Ein  besonders  charakteristisches  Licht  auf  die  hohe  Bedeutung 
dieses  ältesten  Nilkulturvolkes  wirft  aber  die  Zeichnung  eines  Schiffs,  eine 
Zeichnung,  die  ohne  Zweifel  wegen  ihrer  Wichtigkeit  imd  Bedeutung  häufig 
wiederkehrt!  Diese  Hieroglyphe  ist  nämlich  ganz  und  gar  das  spätere,  für 
den  Nil  ja  noch  heutzutage  so  ungemein  wichtige  Nilschiff.  Das  ist,  ich  folge 
auch  hier  Schweinfurths  ausgezeichneter  Führung,  ein  Fortschritt  von  ge- 
radezu unabsehbarer  Bedeutung  gewesen.  Ich  bin  ganz  sicherlich  kein  Verächter 
der  babylonischen  Civilisation,  aber  so  gern  ich  alle  andern  Verdienste  der 
Einwohner  Mesopotamiens  anerkenne,  in  der  Schiffahrt  sind  die  Babylonier 
immer  Stümper  geblieben,  und  ihre  Nachfahren  sind  es  bis  auf  den  heutigen 
Tag.  Auf  dem  Euphrat  und  dem  Tigris  fährt  man  'zum  Teil  noch  heute 
in  runden  mit  Asphalt  überzogenen  Körben,  die  für  den  lokalen  Wasser- 
verkehr ja  bei  bescheidenen  Ansprüchen  einigermaßen  genügen  mögen,  die 
aber  jedenfalls  niemala  irgend  etwas  zu  stände  kommen  ließen,  was  man  von 
Rechts  wegen  mit  dem  stolzen  Namen  „Schiffahrt"  hätte  belegen  können I 
Ganz  anders  auf  dem  Nil:  ein  auch  räumlich  sehr  achtbares,  verhältnismäßig 
schmales  Schiff  wurde  von  zahlreichen  Ruderern  mit  großer  Schnelligkeit 
fortgetrieben,  und  ein  einziges,  aber  mächtiges  Segel  gestattete  den  wechselnden 
Wind  im  Niltal  je  nach  dem  mit  Vorteil  auszimutzen.  Es  bleibt  kaimi  ein 
Zweifel,  daß  das  spätere,  für  die  Kulturgeschichte  so  ungemein  wichtige 
Schiff,  das  den  Phöniziern  zu  ihren  Fahrten  diente,  ebenso  wie  selbst  die 
moderne  arabische  Dhau  auf  dies  Schiff  der  ältesten  ägyptischen  Steinzeit 
zurückgeht ! 

Für  den  Ethnologen  ist  schon  aus  diesem  einen  Funde  zu  schließen,  daß 
die  Erfinder  dieses  Schiffstypus  eine  ausgesprochene  ethnologische  Individualität 
vertreten  müssen.  Nun  hat  Schweinfurth  mit  dem  kühnen  Griff  des  wahren 
Forschers  an  der  Hand  jener  wirklich  wunderbar  gearbeiteten  Steingefäße 
geschlossen,  daß  diese  ältesten  ägyptischen  Steinzeitleute  eines  Stammes 
oder  doch  einer  Abstammung  gewesen  sind  mit  denen,  die  heute  als  Ababde 
und  Bischarin  die  arabische  Wüste  zwischen  Nil  und  Rotem  Meere  bewohnen. 
Hier  haben  sich  nämlich  Spuren  jener  ehemals  ausgezeichneten  Steintechnik 
in  Resten  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten. 

Ehe  aber  die  älteste  Zeit  in  Ägypten  noch  ganz  zu  Ende  geht,  hat  sich 
das  Bild  der  Zustände  gründlich  geändert.  Wir  finden  hier  deutlich  den 
Übergang    zur    älteren   Metallkultur,    zur   Bronzezeit,    wir   können    aus    den 


662  Eduard  Habn: 

letzten  Funden  auf  das  Vorhandensein  der  Pflugkultur  (so  sage  ich  jetzt  für 
den  weniger  präzisen  Ackerbau)  mit  Pflug  und  Rind,  mit  Gerste  und  Weizen 
schließen.  Auch  der  Lein,  die  Dattel  und,  wie  es  scheint,  zuletzt  auch  der 
Weinstock  waren  schon  nach  Ägypten  gekommen. 

Ich  habe  oben  schon  angeführt,  daß  Herodot  den  Ackerbau  für  in 
Ägypten  entstanden  hielt.  Darüber  haben  uns  nun  diese  Funde  nichts  gesagt 
Im  Gegenteil  die  Bestandteile  des  Ackerbaus  oder  des  Pflugbaus,  der  durch 
ein  Arbeitsgerät,  den  Pflug,  und  durch  ein  Arbeitstier,  das  Rind,  und  durch 
den  Anbau  der  Getreidearten,  hier  also  Gerste  und  Weizen,  charakterisiert 
wird,  treten  wie  anderswo,  so  auch  hier  plötzlich  und  gleich  in  der  ge- 
schlossenen Dreiheit  auf.  Natürlich  sind  sie  dann  auch  in  Äg3rpten  heilig 
gewesen,  auch  hier  hat  der  König  die  von  den  Göttern  zur  Nahrung  des 
auserwählten  Volks  bestimmte  Wirtschaftsform  geehrt,  indem  er  den  Acker- 
bau als  heilige  Handlung  und  ein  den  Göttern  wohlgefälliges  Werk  durch 
eigene  Teilnahme  einweihte.  Auch  hier  war  der  höchste  der  Götter,  Osiris, 
ein  Pflüger,  das  Rind  war  heilig,  die  höchste  Göttin  Isis  tritt  häufig  als  Kuh 
auf,  noch  viel  häufiger  wird  sie  mit  dem  Kuhhaupte  dargestellt,  aber  sie 
wird  auch  dargestellt,  wie  sie  dem  Göttersohn,  dem  König,  ihre  Milch 
spendet;  denn  auch  den  Milchgenuß  hatte  Ägypten  angenommen,  der  sich  von 
hier  aus  dann  über  weite  Strecken  Afrikas  verbreiten  sollte,  während  sonst 
Afrika  dem  urafrikanischen  Hackbau  treu  blieb  und  die  Pflugkultur  nur  die 
eine,  aber  bedeutsame  Eroberung  in  Afrika  machte,  Habesch,  das  eine  ab- 
weichende Religion,  das  Christentum,  mit  einer  abweichenden  Wirtschafts- 
form, unserer  Pflugkultur,  verbindet.  Nur  im  unteren  Niltal  hat  sich  also 
unsere  westasiatisch-europäische  Pflugkultur  ein  Gebiet  erobert,  während  sonst 
das  eigentliche  Afrika  davon  unberührt  geblieben  ist. 

Mit  dieser  Pflugkultur,  mit  der  Bronzekultur  und  mit  den  Anf&ngen  der 
Hieroglyphenschrift  zugleich  scheint,  wie  man  das  wohl  für  die  älteste  Zeit 
eigentlich  immer  annehmen  muß,  auch  ethnisch  ein  neuer  Bestandteil  nach 
Ägypten  gekonunen  zu  sein,  der  sich  hier  nicht  sowohl  der  Herrschaft  be- 
mächtigte, als  sich  vielmehr  allmählich  die  herrschende  Kaste  assimilierte. 
Dieser  neue  asiatische  Bestandteil  —  im  einzelnen  ist  ja  natürlich  noch 
manches  dunkel,  aber  zunächst  dürfen  wir  wohl  den  Ursprung  der  Pflug- 
kultur, wie  der  Bronze,  etwa  im  Gebiet  des  Euphrat  und  Tigris  suchen  — - 
kam  also  vermutlich  von  Asien  herüber  und  zwar,  wie  es  scheint,  das  Niltal 
herab,  d.  h.  also,  daß  die  semitischen  Elemente  bei  ihrer  ersten  geschicht- 
lichen Ausdehnung  nach  dieser  Seite  schon,  wie  sie  das  später  noch  oft  tun 
sollten,  die  engste  Stelle  des  Roten  Meeres  überschritten.  Zugleich  aber,  oder 
wenigstens  ungefähr  in  diese  sehr  entfernte  Zeitepoche  fällt  die  Ausdehnung 
des  semitischen  Elementes  nach  Nordosten,  nach  Babylonien  hinein.  Wir 
wissen  ja  jetzt,  daß  die  Urbegründer  der  wichtigsten  geistigen  Errungen- 
schaften, wie  das  allgemein  zugegeben  wird,  die  Begründer  der  Lehre  von 
den  Himmelsbewegungen  und  damit  der  Grundlagen  unserer  ganzen  Jahres- 
und Tageseinteilung,  nicht  etwa  Semiten,  sondern  vielmehr  eines  ganz  ab- 
weichenden Stammes,  sogenannte  Turanier  gewesen  sind.  Diesen  selben  Leuten 
schreibe  ich  auch  die  Begründung  unserer  wirtschaftlichen  Kultur,  die  Feld- 


Die  Weltstellung  Yemens.  663 

bestellung  mit  Pflug  und  Oclis  und  den  Bau  der  sogenannten  Brotfrücbte, 
d.  h.  des  Getreides,  sowie  die  Milchwirtschaft  zu.  Diese  Völker  geraten  nun, 
das  Nähere  wissen  wir  noch  nicht,  nach  einer  Zeit  der  Wirren  unter  semi- 
tische Vorherrschaft,  unter  der  sich  aber  die  Überlegenheit  ihrer  Sprache  imd 
Schrift  noch  lange  geltend  machte,  sogar  bis  in  den  Ausgang  des  babyloni- 
schen und  assyrischen  Eeiches  hinein! 

In  einer  höchst  eigentümlichen  Weise  hat  aber  damals  das  semitische 
und,  wie  wir  wohl  schließen  dürfen,  das  südsemitische  Element  nach  beiden 
Seiten,  nach  Nordosten  für  Babylonien  und  nach  Nordwesten  für  Ägypten 
seinen  Einfluß  geltend  gemacht,  indem  es  wohl  kaum  ohne  Beziehungen  zur 
politischen  Stellung  in  Ägypten  und  Babylonien  einen  Gebrauchsgegenstand 
einzufahren  gewußt  hat  —  näheres  kennen  wir  natürlich  auch  hier  noch 
nicht  — ,  der  für  die  Entwicklung  des  Weltverkehrs  und  des  Welthandels  von 
allergrößter  Bedeutung  sein  sollte,  den  Weihrauch. 

Für  Ägypten  ist  diese  Einfahrung  um  so  seltsamer,  als  hier  im  Gegen- 
satz zu  Babylonien  der  semitische  Einfluß  nicht  etwa  dauernd  vorherr- 
schend blieb. 

Die  Zusammensetzung  der  Bevölkerung  des  ältesten  Ägyptens  ist  immer 
ein  sehr  interessantes  Problem  gewesen,  weil  die  Ägypter  das  klassische 
Beispiel  eines  mit  Starrheit  nach  außen  abgeschlossenen  und  nach  innen  ge- 
gliederten Volkes  gaben,  aber  trotz  dieser  kastenartigen  Gliederung  bestand, 
wie  gesagt,  ein  ganz  ungemein  kräftiges  Nationalbewußtsein  gegenüber  allen 
draußen  stehenden  Völkern.  Es  lag  in  der  Natur  der  Dinge  im  Niltal,  daß 
die  draußen  stehenden  für  als  von  der  Gunst  der  Götter  ausgeschlossene 
zu  gelten  hatten,  und  daß  sie  den  Haß  und  die  Verachtung  der  ürbewohner 
durch  Jahrhunderte  lang  auch  dann  tragen  mußten,  wenn  sie  wie  die  so- 
genannten Hyksos  durch  die  Gunst  der  Verhältnisse  politische  Herrscher  des 
Landes  geworden  waren. 

Wie  läßt  sich  das  nun  vereinbaren  mit  der  Darstellung,  die  ich  erst 
gab,  daß  ein  ursprünglich  afrikanisches,  wir  dürfen  wohl  noch  näher  sagen, 
ein  hamitisches  Element  mit  einem  semitischen  Bestandteil  zum  ürvolk  der 
Ägypter  zusammenschmolz?  Nun  das  Niltal  bot,  wie  Mesopotamien,  einen  aus- 
gezeichneten Boden  für  einen  Ackerbau  mit  Bewässerung,  der  große  Massen 
von  Volk  jahraus,  jahrein  nicht  nur  ergiebig  ernähren  konnte,  sondern  sie 
auch  zu  den  notwendigen  großen  Kanal-  und  Dammbauten  verlangte.  Als 
die  ersten  semitischen  Ankönmilinge  ins  Niltal  kamen,  wird  die  ursprünglich 
ansässige  hamitische  Bevölkerung  zwar,  ihre  Steingeföße  und  manches  andere 
beweisen  das,  eine  recht  achtbare  Kultiur  erreicht  haben,  aber  ihr  afrikanischer 
Hackbau  wird  die  Bevölkerung  doch  nicht  zu  einer  besonderen  Verdichtung 
haben  kommen  lassen.  Das  wurde  mit  einem  Schlage  anders,  als  die  Pflug- 
kultur und  Milch-  und  Getreidenahrung  ein  ungeheures  Wachstum  der  Be- 
völkerung hervorriefen  und  alle  nicht  nur  ausgiebig  ernährten,  sondern  auch 
ausgiebig  beschäftigten;    das  wird  übrigens  auch    anderswo   so   gewesen   sein. 

Das  goldene  Zeitalter  des  Ghronos,  in  dem  Milch  und  Honig  floß, 
die  Sagen  von  den  glücklichen  Zeiten,  in  denen  man  die  Milch  in  ganzen 
Teichen  sanunelte  und   den  Rahm   in  Kähnen   abschöpfte,    ein  Ideenkomplex, 


664  Eduard  Hahn: 

der  sich  schließlich  noch  bei  uns  den  Mythus  vom  Schlaraffenland  gebildet  hat, 
geht  vielleicht  auf  jenen  Umschwung  in  den  Nahrungsverhftltnissen  zurück, 
den  jedes  Volk  durch  die  Einführung  der  Pflugkultur  erfahren  mußte.  Jeden- 
falls hatte  die  ägyptische  Bevölkerung  aber  Zeit,  trotz  der  Verschiedenheit  der 
ursprünglichen  Elemente  zu  jenem  nach  außen  so  ungemein  abgeschlossenen 
Volk  zusammenzuwachsen,  von  dem  der  heutige  Fellache  Ägyptens  noch  so 
viele  Züge  treu  bewahrt  hat. 

Gkmz  anders  spielten  sich  die  Dinge  im  nordöstlichen  Berührungsgebiet 
ab.  Die  ursprünglich  auf  ganz  anderem  Boden  erwachsene  Kultur  Meso- 
potamiens wurde  so  gründlich  semitisiert,  daß  ohne  die  wissenschaftlichen  Er- 
gebnisse des  letzten  Jahrhunderts  der  Anspruch  der  Semiten,  hier  die  aller- 
wesentlichsten  Kultur-,  Wirtschafts-  und  Religionselemente  selbsttätig  geschaffen 
zu  haben,  der  jetzt  von  allen  Seiten  so  bedenklich  erschüttert  wird,  wesent- 
lich unangefochten  geblieben  wäre.  Von  diesem  Gebiete  aus  haben  dann 
wieder  die  wichtigsten  und  weitreichendsten  Berührungen  stattgefunden,  nicht 
allein  auf  die  Urheimat  der  Semiten,  die  arabische  Halbinsel,  sondern  sicher 
doch  auch  auf  das  ursprünglich  gewiß  von  einer  Reihe  sehr  verschiedener 
Völker  bewohnte  Syrien  und  sein  Anhangsgebiet,  Palästina.  Aus  diesen 
gewiß  nicht  rein  semitischen  Völkern  —  der  assyrische  Typus  kehrt  ja 
in  ausgesprochenster  Form  bei  einem  jetzt  national  und  linguistisch  weit  ver- 
schiedenen Volk,  den  Armeniern,  wieder,  er  findet  sich  aber  auch  unter 
unseren  Juden  —  und  von  hier  aus,  von  der  Ostküste  des  Mittelmeers,  haben 
ja  dann  Kulturberührungen  allerwichtigster  und  einschneidendster  Art  weit 
nach  Westen  und  nach  Nordwesten  stattgefunden. 

In  eigentümlichster  Weise  kommt  das  zur  Geltung  in  jenem  Zwischen- 
gebiet von  Religionsgeschichte  und  Handelsgeschichte.  Der  Weihrauch  ist 
ein  Produkt  Arabiens  und  der  gegenüberliegenden  afrikanischen  Küste.  Es 
war  also  für  die  Bevölkerung  der  Halbinsel  Yemen  ein  Schritt  von  aller- 
größter Bedeutung,  als  es  irgend  einem  großen  religiösen  Reformator  oder 
weiter  wirkenden  Missionaren  gelang,  die  Einwohner  Ägyptens  sowohl,  wie 
die  von  Mesopotamien  zu  überzeugen,  vor  den  Göttern  könne  man  sich  an- 
genehm machen  nur,  indem  man  ümen  Weihrauch  und  Myrrhe  als  Rauch- 
opfer darbringe.  Auf  die  ältere  Zeit  muß  das  ganz  ungemein  überzeugend 
gewirkt  haben.  In  allen  Gebieten  um  das  Mittelmeer  finden  wir  ausnahms- 
los den  Gebrauch  von  Weihrauch  und  Myrrhe  verbreitet. 

Aber  auch  nach  Indien  hin  kommt  von  Arabien  der  Gebrauch,  wohl- 
riechende Sachen  den  Götte^  als  Rauchopfer  darzubringen,  und  von  Indien 
aus,  wo  sich  neue  wohlriechende  Drogen,  zum  Teil  von  verwandten  Pflanzen 
gewonnen,  dem  Weihrauch  zugesellen,  kam  das  Rauchopfer  mit  dem  Buddhis- 
mus auch  nach  Thibet  und  China.  Aus  dem  Heidentum  und  Judentum  kam 
dann  die  Sitte,  zum  Gottesdienst  mit  wohlriechenden  Dingen,  besonders  mit 
Weihrauch  zu  räuchern,  auch  ins  Christentum,  und  mit  dem  Katholizismus 
hat  sich  der  Weihrauchgebrauch  dann  auch  über  die  südlidhe  Hälfte  der 
neuen  Welt  ausgedehnt. 

Man  sieht,  mit  Naturnotwendigkeit  waren  die  Einwohner  der  arabischen 
Halbinsel  auf  einen  ausgedehnten  Handelsverkehr  angewiesen,  der  sich  natur- 


Die  Weltfltellung  Yemens.  665 

gemäß  in  verschiedenen  historischen  Zeiten  in  verschiedener  Weise  vollzog, 
bald  kamen  die  Fremden  aus  dem  Absatzgebiet,  bald  gingen  die  Händler  ins 
Absatzgebiet.  Schon  früh  zieht  sich  das  eigentlich  südarabische  Kulturvolk, 
die  Sabäer,  vom  Handel  zurück,  und  die  nordarabischen  Eamelhirten  über- 
nehmen sehr  bald  die  Vermittlung.  Jatrib,  Petra  und  andere  Städte  sind 
kürzere  oder  längere  Zeit  in  Blüte,  Nabataer,  Minäer  und  Idumäer  teilen 
sich  oder  entreißen  sich  gegenseitig  den  gewinnbringenden  Handel,  dessen 
Ware  schließlich  immer  in  die  Hände  der  phönizischen  Seestädte  kam. 
Nur  ganz  vorübergehend  machte  Altägypten  einen  Versuch,  nicht  nur  den 
Handel  des  Boten  Meeres  an  sich  zu  reißen,  sondern  auch  das  Weihrauch- 
land  durch  Kolonisation  in  Besitz  zu  nehmen. 

Mit  genialem  Blick  erkannten  dann  die  Ftolemäer  die  Weltstellung  des 
imteren  Niltals  zwischen  Rotem  Meer  und  Mittelländischem  Meer,  vielleicht 
geht  ja  diese  Idee  noch  auf  Alexander  zurück,  und  bis  zum  Ausgang  des  Kaiser- 
reichs hat  dann  auf  dem  Boten  Meer  ein  lebhafter  Handel  geherrscht,  der  be- 
sonders indische  Produkte,  Pfeffer  u.  dergl.,  vertrieb.  Noch  einmal  haben 
dann  die  Mamelukkensultane  diesen  Handel  zu  neuem  Leben  erweckt,  bis  ihn 
die  portugiesische  Entdeckung  des  Seeweges  nach  Ostindien  dauernd  in  euro- 
päische Hände  brachte.  Die  Stellung  Arabiens  und  besonders  die  seines  älte- 
sten Kulturzentrums,  Südarabiens,  war  dabei  eigentümlich  passiv  durch  lange 
Jahrhunderte  hindurch.  Brachte  doch  erst  Muhameds  neue  Religion  wieder 
echte  Semiten  zu  einer  historischen  Rolle  außerhalb  der  arabischen  Halbinsel, 
die  ja  dann  freilich  sehr  weitgreifend  wurde! 

Am  Anfang  meiner  Darstellung  versuchte  ich  es  wahrscheinlich  zu 
machen,  daß  die  Bringer  einer  höheren  Kultur  in  Ägypten  Kolonisten  aus  Süd- 
arabien gewesen  sind;  und  dieser  so  folgenreiche  Eingriff  sollte  die  einzige 
historische  Betätigung  eines  sehr  begabten,  mit  allen  •möglichen  Kultur- 
anregungen durchtränkten  Stammes  geblieben  sein?  Das  wäre  eine  höchst 
seltsame  Erscheinung  und  ist  denn  auch  keineswegs  der  FalL  Der  Weg, 
den  die  ältesten  Propheten  des  Ackerbaus  nach  Ägypten  nahmen,  führte  sie 
von  Südarabien  über  die  Enge  zunächst  nach  Abessinien  und  erst  von  da 
ins  Nütal  hinunter.  Nur  so  erklärt  sich  doch  wohl  das  Vorhandensein  der 
uralten,  hier  und  da  historisch  nicht  unwichtigen,  aber  wesentlich  in  meist 
ziemlich  rein  hamitischer  Halbkultur  steckengebliebenen  Reiches  Meroe. 

Bekanntlich  haben  verschiedentlich,  so  noch  kurz  vor  dem  Zusammen- 
bruch des  altägyptischen  Nationalstaats  äthiopische  Könige  in  Ägypten  ge- 
herrscht. Auch  dies  Reich  Meroe  verdankte  seine  doch  nicht  unwesentliche 
Halbkultur  wohl  wesentlich  ursprünglich  südsemitischen  Kultureinflüssen,  wie 
denn  zu  allen  Zeiten  mehr  oder  weniger,  besonders  aber  seit  dem  allerdings 
sehr  späten  Eindringen  des  Islam  in  diese  Gegenden  ein  ausgiebiges  Wandern 
oder  vielmehr  ein  anhaltendes  Einsickern  semitischer  Elemente  auf  die  Tief- 
länder im  Zweistromland  des  Nils  stattgefunden  hat.  Eine  weit  größere 
historische  Bewegung,  die  vielleicht  die  Ausschaltung  Südarabiens  grade  in 
den  letzten  vorchristlichen  Jahrhunderten  erklärt,  ist  die  Kolonisation  des 
alpinen  Gebiets  von  Afrika,  des  äthiopischen  Hochstocks.  Abessinien,  wie 
wir  jetzt  sagen,    hat  aus  Ägypten  und  dem  Mittelmeerland   seine  Religion, 


666  Eduard  Hahn:  Die  Weltstellung  Yemens. 

aus  Südarabien  aber  seine  Schrift  und  den  starken  Zuschuß  in  weit  älterer 
Zeit  empfangen,  der  seine  alte  Schriftsprache  zu  einer  hamitosemitischei] 
machte,  auch  wenn  sich  die  semitische  Volksmischung  im  heutigen  Abessinien 
dem  hamitischen  Bestandteil  gegenüber  kaum  noch  geltend  machen  kann. 

Hier  haben  auch  einmal  nach  der  anderen  Seite  nicht  unwesentliche 
historische  Bewegungen  stattgefunden.  Das  Geburtsjahr  Muhameds  heißt  in 
der  arabischen  Chronologie  das  Jahr  des  Elefanten,  weil  ein  abessinischer 
Statthalter  von  Yemen  mit  einem  Heere  auf  Mekka  zog,  bei  dem  ein  Elefant 
eine  markante  Erscheinung  war.  Nach  muhamedanischer  Tradition  spielt  bei 
dem  Scheitern  des  Zuges  ein  Wunder  eine  Rolle.  Wahrscheinlicher  ist,  daß 
der  Angriff  auf  die  heilige  Stadt  durch  das  verheerende  Auftreten  der  Blattern, 
es  ist  das  das  erste  Mal  in  der  Geschichte  der  Yolkskrankheiten,  scheiterte. 
Bezeichnend  eingeleitet  wurde  die  Geburt  Muhameds  (570  n.  Chr.)  durch  Kämpfe, 
in  denen  sich  damals  persische  Heere  und  Flotten  in  der  Enge  des  Roten 
Meeres  mit  Abessiniem  begegneten,  die  mit  dem  Kaiser  von  Byzanz,  es  war 
das  Justinian,  verbündet  waren.  Die  ungeheure  Zähigkeit  des  hamitischen 
Yolkscharakters,  die  ja  freilich  leicht  in  Stillstand  und  Rückständigkeit  aus- 
artet, wii-d  durch  nichts  so  gut  bewiesen  als  dadurch,  daß  das  freilich  ja  recht 
äußerliche  Christentum  der  Abessinier  allen  islamitischen  Missionsversuchen  und 
allen  mit  noch  so  großer  Wucht  geführten  Eroberungsversuchen  Widerstand 
geleistet  hat.  Seit  wenigen  Jahrzehnten  erst  ist,  abgesehen  von  einem  ener- 
gischen aber  kurzen,  in  seinen  Folgen  ganz  resultatlosen  Versuche  Portugals 
im  16.  Jahrhundert,  Abessinien  und,  wie  es  scheint,  jetzt  dauernd  in  das 
Gewebe  des  europäischen  Welthandels  und  des  Kampfes  der  Europäer  um 
die  Weltherrschaft  eingezogen.  Den  uralten,  häufig  durch  Jahrhunderte  fast 
bedeutungslosen,  jetzt  durch  den  Suezkanal  zu  einer  ausschlaggebenden  Stel- 
lung gelangten  Hfifenplatz  Aden  haben  die  Engländer  seit  1839  besetzt. 
Politische  umstände  zwingen  sie,  zum  Teil  wohl  gegen  ihren  Willen,  zu  einer 
immer  weiter  gehenden  Besetzung  Yemens.  Es  ist  damit  ohne  weiteres  ge- 
geben, daß  dieses  von  der  Geschichte  so  lange  fast  vergessene  Gebiet  dauernd 
zu  einer  wichtigen,  hoffentlich  auch  für  es  selbst  nicht  unvorteilhaften  Rolle 
berufen  ist,  und  die  letzten  Nachrichten  bestätigen  das  ja  vollauf! 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten. 

Von  Martha  Erug-Genthe. 
II«  Die  Schnlgeographie. 

A.  Die  höheren  Schulen. 
Die  Schulgeographie  bietet  der  Berichterstattung  ein  bedeutend  weiteres 
Feld  als  die  wissenschaftliehe.    Denn  als  Gegenstand  wenigstens  des  Elemen- 
tarunterrichts ist  selbst  in  Amerika  die  Existenzberechtigung  der  Geographie 
nie  angezweifelt  worden,  und  in  den  höheren  Schulen^)  hat  sie  sogar  rascher 

1)  Das  amerikanische  Schulwesen  ist  bekanntlich  streng  nach  dem  Prinzip  der 


Martha  Krug-Genthe:  Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  667 

Eingang  gefunden  als  an  den  wissenschaftlichen  Anstalten.  In  dieser  Tat- 
sache liegt  hereits  eine  Folge  der  Wendung  zum  Besseren  auf  diesen  letzteren 
vor.  Denn  da  der  Lehrplan  der  High  Schools  fast  ausschließlich  durch  die 
Anforderungen  hestimmt  wird,  die  die  Colleges  fttr  ihre  Aufnahmeprüfungen 
stellen,  so  war  von  dem  Augenblicke  an,  wo  diese  begannen,  Geographie  auf 
die  Liste  der  offiziellen  Prüfungsfächer  zu  setzen,  für  jene  die  Notwendigkeit 
gegeben,  fär  eine  angemessene  Vorbereitung  zu  sorgen.  Es  fügte  sich  glück- 
lich, daß  ungefähr  gleichzeitig  mit  der  zunehmenden  Anerkennung  der  Geo- 
graphie durch  die  Universitäten  und  Colleges  ihre  Aufnahmebedingungen 
einer  Revision  unterworfen  wurden;  das  Ergebnis  war  die  Einsetzung 
einer  gemeinsamen  Prüfungskommission  und  die  Annahme  der  gleichen  Prü- 
fungserfordemisse  seitens  der  führenden  Colleges.  Diese  „College-Aufnahme- 
Prüfungskommission  fttr  die  Mittelstaaten  und  Maryland"*)  hat  sich  in 
der  kurzen  Zeit  ihres  Bestehens  bereits  die  Stellung  einer  obersten  Instanz 
für  diese  Fragen  erobert,  und  diejenigen  Anstalten,  die  noch  nicht  offiziell 
beigetreten  sind,  passen  sich  tatsächlich  ihren  Forderungen  mehr  und  mehr 
an,  ähnlich  wie  in  Deutschland  die  preußischen  Lehrpläne  mehr  oder  weniger 
vorbildlich  genommen  werden  auch  in  Schulen  unter  anderer  Verwaltung. 
Diese  Prüfungen,  die  jedes  Jahr  im  Juni  in  verschiedenen  Städten  des  Landes 
abgehalten  werden,  werden  mehr  als  irgend  etwas  dazu  beitragen,  die  recht 
großen  Ungleichartigkeiten  und  Ungleichwertigkeiten  des  High  School-Unter- 
richts  in  den  einzelnen  Teilen  des  Landes  auszugleichen,  und  ausnahmslos 
im  Sinne  einer  Hebung  des  Niveaus.  1901  wurde  zum  erstenmal  in  Geo- 
graphie geprüft;  die  Statistik  dieser  Prüfung  ist  bezeichnend  für  die  Zu- 
stände früherer  Jahre.  Es  kamen  nämlich  von  11  744  Aspiranten,  von  denen 
6,7%  vorzüglich  —  17,8 7o  gut  —  31,4 7«  genügend  —  12,4%  ungenügend 
—  31,8%  ganz  ungenügend  befunden  wurden,  auf  Geographie  ganze  5  Mann 
mit  den  Resultaten:  vorzüglich  keiner  —  gut  1  —  genügend  1  —  ganz 
ungenügend  3.  Besser  kann  die  Lage  des  Geographieunterrichts  vor  der 
Einführung  dieses  Einheitsmaßes  quantitativ  und  qualitativ  kaum  veranschau- 
licht werden. 

Über  den  jetzigen  Stund  des  Unterrichtes  an  diesen  Schulen  absolut  Zu- 
verlässiges zu  sagen,  ist  angesichts  der  Tausende  von  High  Schools  in  den 
Vereinigten  Staaten,  deren  selbst  jede  kleine  Stadt  in  der  Regel  eine  und 
jede  größere  drei,  vier,  sechs  imd  mehr  besitzt,  nicht  möglich.  Nur  ein  aktiv 
mit  der  Schulverwaltung  in  Beziehung  stehender  Berichterstatter  könnte 
Zahlen  liefern,    die   einigermaßen    statistischen   Wei-t    beanspruchen   könnten. 

Einheitsschule  organiBiert.  In  viennal  vier  Jahren  folgen  aufeinander  die  Primary 
School,  Granamar  School,  High  School  und  College.  Die  ersten  beiden  entsprechen 
der  deutschen  Volksschule,  die  High  School  umfaßt  das  Pensum  der  deutschen 
höheren  Schulen  bis  etwa  zu  Obertertia  oder  Untersekunda,  das  College,  das  bereits 
den  Zuschnitt  des  Universitätsbetriebes  hat,  entspricht  den  Oberklassen  des  Gym- 
nasiums und  Realgymnasiums,  in  seinen  besten  Vertretern  vielleicht  bis  einschließ- 
lich des  ersten  Universitätsjahres;  erst  was  über  diese  Periode  hinausgeht,  kann  als 
dem  deutschen  Universitätsstudium  gleichwertig  bezeichnet  werden  (das  sogenannte 
Post-Graduate  study.) 

1)  „College  Entrance  Examination  Board  for  the  Middle  States  and  Maryland'*. 


668  Martha  Krug-Üenthe: 

Wenn  man  aber  annimmt,  daß  das  Angebot  durch  die  Nachfrage  geregelt 
wird,  dann  ist  es  bezeichnend  genug  für  die  neue  Wendung  der  Dinge,  daß 
in  den  letzten  zwei  oder  drei  Jahren  die  neuen  Lehrbücher  der  Geographie 
(physikalischen  Geographie)  fOr  Fortgeschrittene  wie  Pilze  aus  der  £rde 
schießen  und  zu  den  einträglichsten  Veröffentlichungen  der  Verleger  gehören. 
Auch  kann  ich  anführen,  daß  unter  einer  ganz  leidlichen  Anzahl  von  High 
School  -  Programmen  mir  persönlich  nur  eines  vorgekommen  ist,  das  Geo- 
graphie nicht  enthielt. 

Die  Anforderungen,  die  von  der  Prüfungskommission  an  den  Geographie- 
unterricht auf  der  High  School  gestellt  werden,  beruhen  auf  den  Beschlüssen 
der  Sektion  für  Geographie  der  National  Educational  Association^).  Die 
Minimaldauer  des  Kursus  soll  ein  Jahr  (32 — 36  Wochen)  mit  4  wöchent- 
lichen Unterrichtsstunden  von  mindestens  45  Minuten  L&nge  umfassen.  Daß 
es  ersprießlicher  sein  würde,  ihn  auf  zwei  Jahre  zu  je  zwei  Wochenstunden 
zu  verteilen,  ist  ein  Gedanke,  der  nicht  nur  in  der  Geographie  dem  ameri- 
kanischen Methodiker  im  allgemeinen  fernliegt;  denn  seine  Verwirklichung 
würde  die  Durchführung  des  elektiven  Systems  erschweren,  in  dessen  Inter- 
esse die  einzelnen  Fächer,  unter  denen  die  Schüler  wählen  sollen,  mög- 
lichst auf  den  Raum  je  eines  Jahres  zusammengedrängt  werden  müssen.  Die 
Schwierigkeit  ist  nun,  in  welches  der  vier  Jahre  die  Geographie  gelegt  werden 
soll.  Im  ersten,  was  die  Regel  ist,  schließt  sich  der  Kursus  glatt  an  den 
Unterricht  der  Oberstufe  der  niederen  Schulen  an;  demgegenüber  wird  aber 
mit  Recht  eingewandt,  daß  auf  dieser  Stufe,  ehe  die  Schüler  von  Physik  und 
Chemie  mehr  als  die  allerrudimentärsten  Kenntnisse  erworben  haben,  der 
Kursus  naturgemäß  in  der  Luft  stehen  muß.  Wird  er  in  ein  späteres  Jahr 
verlegt,  so  werden  bis  dahin  die  auf  der  Elementarschule  erworbenen  geo- 
graphischen Kenntnisse  schon  mehr  oder  weniger  dem  Vergessen  anheim- 
gefallen sein,  und  der  Kursus  wird  auf  andere  Weise  der  festen  Basis  ent- 
behren. Es  besteht  daher  unter  den  Lehrern  der  Geographie  eine  Agitation 
für  eine  Verteilung  des  Stoffes  auf  mehrere  Jahre,  die  vereinzelt  schon  von 
Erfolg  begleitet  gewesen  ist,  indem  zwei  in  sich  abgeschlossene,  aber  einander 
ergänzende  Kui-se  gegeben  werden,  und  in  der  High  School  des  „Chicago  In- 
stitute" in  Chicago  ist,  meines  Wissens  der  einzige  Fall  seiner  Art  im  Lande, 
sogar  das  Ideal  eines  sich  durch  alle  vier  Jahre  hinziehenden  Kursus  in  den 
„Erd Wissenschaften"^)  erreicht. 

Der  Inhalt  des  typischen  einjährigen  Kursus  in  den  High  Schools  ist 
natürlich   rein  physisch-geographisch  oder  physiographisch;  er  gruppiert  sich 


1)  Die  National  Educational  Association  ist  die  größte  und  wichtigste  Ver- 
einigung von  Scholmännem  der  Vereinigten  Staaten.  Sie  erstreckt  sich  über  die 
ganze  Union,  und  ihre  jährlichen  Versammlungen,  deren  Berichte  veröffentlicht 
werden,  sind  die  Marksteine  des  Schullebens.  Von  ihr  aus  ging  der  Anstoß  zur 
Reform  des  amerikanischen  Schulwesens,  und  die  Berichte  des  «Zehner-  imd  Fünf- 
zehnerkomitee der  Vereinigung  bilden  die  Basis  alles  dessen,  was  seit  1894  und  95 
in  dieser  Richtung  getan  worden  ist. 

2)  Erstes  Jahr:  Physiographie  des  Landes;  zweites:  Meteorologie  und  Palä- 
ontologie; drittes:  Geologie,  dynamisch  und  historisch;  viertes:  Anthropogeographie. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  669 

um  die  vier  Begriffe  Erde  als  Kugel,  Ozean,  Atmosphäre  und  Land^).  Der 
erste  Abschnitt  soll  umfassen  Gestalt  und  Größe  der  Erde,  Rotation  und 
Revolution,  Magnetismus,  Kartenprojektion.  Unter  Ozean  werden  verlangt 
Grestalt,  Teile  und  allgemeine  Eigenschaften  der  großen  Ozeane,  Tiefe,  Tem- 
peratur und  Dichte  des  Meerwassers,  der  Meeresboden,  Verteilung  des  Lebens 
in  den  Meeren,  Bewegung  des  Meerwassers  (Wellen,  Ströme,  Gezeiten),  die 
Tätigkeit  des  Ozeans  und  Arten  der  Küstenformen.  Die  Betrachtung  der 
Atmosphäre  umfaßt  Zusammensetzung  und  Bedeutung  der  Atmosphäre,  In- 
strumente zu  ihrer  Untersuchung,  Temperatur,  Druckverhältnisse,  Zirkulation, 
Feuchtigkeit  und  Niederschläge,  Winde,  Wetter,  Klima.  Die  Landformen  er- 
halten den  Löwenanteil  der  Arbeit,  und  ihre  Betrachtung  gruppiert  sich  um 
folgende  Gesichtspunkte:  Vergleich  zwischen  Land  und  Meer,  Verteilung  des 
Landes,  kartographische  Darstellung  der  Oberflächenformen,  säkulare  Niveau- 
verschiebungen, Ebenen,  Plateaus,  Gebirge,  Vu>kane,  Flüsse,  Gletscher.  Eine 
vergleichende  Betrachtung  der  Beziehungen  von  Mensch,  Pflanzen  und  Tieren 
zu  Klima,  Bodengestalt  und  Areal  der  Ozeane  bildet  den  Schluß.  Es  wird 
ausdrücklich  gefordert,  jeden  Gegenstand  in  seinem  kausalen  Zusammenhange 
mit  verwandten  Erscheinungen  darzustellen  und,  soweit  wie  möglich,  auf  den 
Einfluß  der  geographischen  Bedingungen  auf  menschliche  Verhältnisse  hin- 
zuweisen. Dem  Unterrichte  ist  eins  der  neueren  Lehrbücher  zu  Grunde  zu 
legen,  und  die  Prüfung  soll  Bekanntschaft  mit  den  geographischen  Gesetzen 
imd  mit  guten  Belegen  fOr  diese  nachweisen. 

Damit  stehen  wir  bei  dem  zweiten  Faktor,  der  neben  den  Prüfungs- 
bestimmungen  für  die  Beschaffenheit  des  Geographieunterrichts  in  den  High 
Schools  bestimmend  ist,  nämlich  dem  Lehrbuche.  Sein  Einfluß  auf  den 
Unterricht  ist  in  Amerika  weit  größer  als  in  Deutschland,  wo  sich  im  Grunde 
doch  jeder  Lehrer  seinen  eigenen  Lehrgang  mehr  oder  weniger  zurechtlegt, 
in  größerer  oder  geringerer  Abhängigkeit  vom  Texte.  Es  ist  die  Folge 
des  Mangels  an  wissenschaftlich-geographisch  vorgebildeten  Lehrern  für  diese 
Schulen,  daß  die  Behörde  sicherer  zu  gehen  glaubt,  wenn  sie  das  Maß  der 
Prüfungskenntnisse  durch  den  Inhalt  eines  für  gut  befimdenen  Lehrbuches 
bezeichnet,  als  wenn  sie  dem  Lehrer  bloß  eine  Skizze  des  zu  Behandelnden 
in  die  Hand  ^be,  deren  Ausfähnmg  seiner  Diskretion  anheimgegeben  wäre. 
Femer  müssen  wir  darin  wohl  auch  noch  einen  Rest  des  jetzt  glücklicher- 
weise überall  im  Verschwinden  begriffenen  Verfahrens  früherer  Jahre  sehen, 
wo  der  „Unterricht^'  sich  darauf  beschränkte,  daß  der  Lehrer  der  Klasse  ein 
*  Buch  in  die  Hand  gab  und  sich  seinen  Inhalt  aufsagen  ließ  (noch  heute 
ist  der  Name  einer  Unterrichtsstunde  recUaiion),  Es  ist  bezeichnend,  daß 
ein  Äquivalent  für  das  deutsche  Wort  „Leitfaden"  im  Englischen  nicht 
vorhanden  ist,  und  daß  die  neueren  Verordnungen  immer  wieder  von  neuem 
einzuschärfen  für  nötig  halten,  daß  der  Lehrer  der  Herr,  nicht  der  Diener 
des  Lehrbuches  sein  soll,  und  daß  er,  nicht  der  Text,  den  Mittelpunkt  der 
Lektion  bilden  sollte.  Ich  habe  von  einem  Verleger  ein  Lehrbuch  (nicht  der 
Geographie,   zum  Glück)   als   das  beste  unter  seinesgleichen  anpreisen  sehen, 


1)  Coli.  Entr.  Ex.  Board.  Document  No.  8.  1902.  Jan.  10.  S.  35  ff. 


670  Martha  Krug-Genthe: 

weil  „danach  jeder  Lehrer  mit  Leichtigkeit  unterrichten  könne,  sogar  wenn 
er  selbst  die  betreffende  Wissenschaft  noch  nicht  beherrsche".  Manche  ältere 
Lehrbücher  der  Geographie  scheinen  von  diesem  „IdeaP^  nicht  allzuweit 
entfernt. 

Die  neuere  Geographie  hat  freilich  für  dergleichen  keine  Verwendung 
mehr:  der  Lehrer,  der  nach  den  jetzt  eingeführten  Lehrbüchern  unterrichten 
wül,  wird  kläglich  Fiasko  machen,  wenn  er  nicht,  sei  es  in  seiner  Stadien- 
zeit oder  dureh  späteren  Privatfleiß,  sich  selbst  gründlich  in  den  Gegenstand 
eingearbeitet  hat  Zu  dem  Lehrbuche  von  Tarr,  das  schon  früher  von  mir 
eingehend  gewürdigt  worden  ist*),  haben  sich  in  jüngster  Zeit  drei  weitere 
physikalische  Geographien  für  fortgeschrittene  Schüler  gesellt,  von  Davis*), 
Dryer®)  und  Gilbert- Brigham*).  Sie  zeigen  naturgemäß  eine  gewisse 
Familienähnlichkeit,  da  ja  der  Stoff  durch  die  PiFüfungsvorschriften  genau  vor- 
gezeichnet und  die  Freiheit  der  Bewegung  für  die  Verfasser  fast  lediglich 
auf  seine  Anordnung  beschränkt  war.  In  ihren  Anforderumgen  überschreiten 
sie  alle  weit  das  Maß,  das  in  Deutschland  auf  irgendwelcher  höheren 
Schule  an  den  Unterricht  in  physischer  Geographie  angelegt  wird.  Wer 
ein  solches  Buch  ohne  Kenntnis  seiner  besonderen  Bestinunung  durchsieht, 
wird  unfehlbar  den  Eindruck  empfangen,  daß  es  als  Einführung  in  das 
Universitätsstudium  des  Gegenstandes  gedacht  ist,  wie  denn  dieselben  Bücher 
tatsächlich  auch  vielfach  auf  den  Colleges  dem  Unterricht  zu  Grunde  gelegt 
werden^).  Um  so  seltsamer  berührt  angesichts  dieser  Tatsache  der  populäre, 
stellenweise  ans  Feuilletonistische  streifende  Stil  und  vor  allem  der  selbst  für 
ein  amerikanisches  Schulbuch  erstaunliche  Reichtum  an  Illustrationen,  durch 
den  sich  auf  manchen  Seiten  das  wissenschaftliche  Lehrbuch  in  ein  geogra- 
phisches Bilderbuch  zu  verwandeln  scheint*).  Dieser  Zwiespalt  ist  bezeich- 
nend und  in  der  Natur  der  Verhältnisse  begründet.  Er  beweist,  daß  der 
Begriff  tmd  die  Aufgaben  des  geographischen  Lehrbuches  für  diese  Schulen 
in  Amerika  zur  Stunde  noch  nicht  klar  ausgearbeitet  und  deutlich  begi*enzt 
sind.  Von  oben,  von  der  Universität,  ging  die  „neue"  Geographie  aus,  und 
von  dort  her  wurden  die  Vorschriften  für  die  High  School- Geographie  fest- 
gestellt. Wie  nun  ein  frisch  von  der  Universität  kommender  Probekandidat 
gewöhnlich  zunächst  in  den  Fehler  verfallt,  daß  er  in  einem  Auszug  aus 
seinen  Kollegienheften  das  Richtige  für  die  Bedürfnisse  seiner  Schüler  zu  er- 


1)  G.  Z.  1898.  Amerikanische  Lehrbücher  für  den  Geographieunterricht,  be- 
sonders S.  275/76. 

2)  W.  M.  Davis,  Professor  of  Geology  in  Harvard  üniversity.  Elementary 
Physical  Geography.    Boston  u.  London,  Ginn  &  Co. 

3)  Charles  R.  Dryer,  Professor  of  Geography,  Indiana  State  Normal  School 
(=  Lehrerseminar.  Vf.).    Lessons  in  Physical  Geography.    American  Book  Company. 

4)  Grove  K.  Gilbert,  Geologist  United  States  Geological  Survey,  and  Albert 
P.  Brigham,  Professor  of  Geology  in  Colgate  üniversity.  An  Introdnction  to  Phy* 
sical  Geography.    Neu-York,  Appleton  &  Co. 

6)  Es  kann  sich  sogar  der  Schüler,  der  Geographie  auf  der  High  School  gehabt 
hat,  diesen  Kursus  bei  der  Abmessung  seiner  Collegestudien  anrechnen,  d.  h.  darauf- 
hin von  der  Collegegeographie  dispensieren  lassen. 

6;  263  Bilder  und  Figuren  auf  370  Seiten  bei  4),  847  auf  420  Seiten  bei  3), 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  671 

blicken  glaubt,  so  fassen  auch  die  Verfasser  dieser  Bücher,  deren  Lehr-  und 
Forscherarbeit  im  wesentlichen  auf  wissenschaftlichem  Gebiete  liegt  (keiner 
von  ihnen  ist  aktiver  High  School-Lehrer),  den  unterschied  stwischeu  CoUege- 
und  Schulgeographie  hauptsächlich  quantitativ  auf  und  stellen,  auf  ihrer 
eigenen  Lehrerfahrung  aufbauend,  die  wissenschaftliche  Seite  der  Probleme 
durchaus  in  den  Vordergrund.  An  einer  einzigen  Stelle  begegnen  wir  einem 
bewußten  Anlaufe  zu  einer  Scheidung  zwischen  den  beiden  Interessen  (be- 
zeichnenderweise in  dem  Buche,  dessen  Verfasser  Seminarlehrer  ist!),  aber 
leider  in  einer  so  unglücklichen  Form,  daß  man  sieht,  der  Gedanke  entspringt 
mehr  einer  unbestinunten  Ahnung  als  einem  deutlich  im  Bewußtsein  vorhan- 
denen Prinzip.  „In  der  Anordnung  des  Stoffes  hat  die  logische  Aufein- 
anderfolge der  Gegenstände  oft  zu  Gunsten  der  pädagogischen  zurücktreten 
müssen"^).  Im  allgemeinen  muß  eben  der  gemeinverständliche  Stil,  die  ge- 
fällige Darstellung  und  das  Heer  der  Bilder  die  Aufgabe  erfüllen,  den  spröden 
Stoff  für  dieses  Alter  genießbar  zu  machen.  Noch  ein  Umstand  trägt  zu 
dieser  Zwiespältigkeit  bei,  nämlich  die  Rücksicht  auf  den  Lehrer.  Solange 
die  Zahl  der  von  Haus  aus  genügend  vorgebildeten  Lehrer  noch  gering  ist, 
möchten  die  Verfasser  bis  zu  gewissem  Grade  für  Lehrer  und  Schüler  zu- 
gleich schreiben,  damit  sich  jederzeit  auch  der  nur  auf  seinen  eigenen  Fleiß 
angewiesene  Lehrer  rasch  die  verschiedenen  Seiten  eines  Themas  wieder  ver- 
gegenwärtigen könne,  ehe  er  es  mit  der  Klasse  behandelt.  Daß  ein  solcher 
Abriß  wissenschaftlicher  Lehren,  der  sich  zu  Wiederholungszwecken  vor  einem 
Examen  ausgezeichnet  eignete,  nicht  ein  und  dasselbe  ist  wie  ein  Führer, 
der  den  Neuling  mit  der  Wissenschaft  bekannt  machen  soll,  liegt  auf  der 
Hand.  Davis'  Lehrbuch  hält  sich  noch  am  freisten  von  diesem  Widerstreit 
der  Interessen;  es  verfährt  auch  in  der  Anbringung  von  Illustrationen  am 
sparsamsten  und  macht  daher  für  deutsche  Augen  den  solidesten  Eindruck. 
Man  fühlt  in  seiner  Sprache  weniger  als  bei  den  andern  das  Herabsteigen 
eines  Gelehrten  von  seinem  Niveau  auf  das  des  Schülers,  trotzdem  —  oder 
vielleicht  weil  —  der  Verfasser  die  wissenschaftliche  Nomenklatur,  soweit  sie 
nicht  die  großen  Hauptbegriffe  der  Wissenschaft  betrifft,  offenbar  absichtlich 
vermeidet.  Aber  das  Problem  des  Lehrbuches,  das  speziell  dem  Interesse 
des  High  School-Schülers,  und  nur  diesem,  dient,  ist  auch  in  diesem  Buche 
noch  nicht  gelöst. 

Mehr  als  alle  Bilder  und  noch  so  ausführliche  Erklärungen  werden  zur 
Hebung  des  höheren  Geographieunterrichtes  die  sogenannten  „praktischen 
Übungen"  beitragen,  die  als  notwendiger  Bestandteil  eines  rationellen  Unter- 
riohts  verlangt  werden.  Sie  sind  zweierlei  Art:  lähoratory  work  und  field 
work.  Das  „geographische  Laboratorium'^  ist  das  erste  Requisit  einer  auf 
der  Höhe  stehenden  High  School  mit  Geographieunterricht.  Man  darf  sich 
durch  das  große  Wort  keinen  Schrecken  einjagen  lassen.  Lähoratory  me- 
thod  ist  das  Schlagwort  der  neuen  Methoden,  durch  die  im  naturkundlichen 
Unterricht  dem  Auswendiglernen  uud  Aufsagen  von  Lehrbuchsätzen  der  Garaus 


1)  Dryer  S.  6.    „In  the  arrangement  of  topics  the  logical  order  of  the  science 
i8  modified  by  the  pedagogical  order  of  presentation  to  the  students'*. 


672  Martha  Kmg-Genthe: 

gemacht  werden  sollte.  Der  Amerikaner  hat  nun  einmal  die  Schwäche  fiir 
imposante  Namen:  wenn  der  Deutsche  ein  Physikzimmer  einrichtet,  so  gründet 
der  Amerikaner  ein  physicäl  lahoratory^  und  wenn  dieser  fordert,  daß  jede 
Schule  ein  „Moseum^^  haben  soll,  so  nennt  man  das  auf  deutsch  einfach  Lehr- 
mittelsammlung. Das  geographische  „Laboratorium^^  ist  also  ein  Zimmer,  in 
dem  der  geographische  Apparat  an  Modellen,  Karten,  Bildern,  Listmmenten, 
Büchern  u.  s.  w.  vereinigt  ist  und  zwar,  und  hierin  liegt  das  spezifisch  Ameri- 
kanische, zum  Gebrauch  der  Schüler.  Bei  allen  (naturwissenschaftlichen  und) 
geographischen  Demonstrationen  wird  der  Schwerpimkt  darauf  gelegt,  daß  ge- 
nügend Material  vorhanden  ist,  um  nicht  nur  den  Lehrer  vor  der  Klasse  und 
für  diese,  sondern  jeden  einzelnen  Schüler  auf  seinem  Platze  das  Experi- 
ment ausführen  zu  lassen.  Ich  habe  z.  B.  in  einer  Lektion  über  Granit 
hospitiert,  wo  jeder  Schüler  je  ein  Stück  Granit,  Quarz,  Feldspat,  Glimmer, 
Hornblende,  ein  Fläschchen  Salzsäure,  Taschenmesser  u.  s.  w.  vor  sich  hatte, 
um  die  Eigenschafben  des  Gesteins  und  seiner  Bestandteile  eigenhändig  und 
mit  eigenen  Augen  aufzufinden.  Ohne  auf  eine  Erörterung  des  Für  und 
Wider  dieser  Methode  einzugehen,  kann  der  Konsequenz,  mit  der  die  ameri- 
kanischen Schulbehörden  diesen  Grundsatz  durchführen,  und  der  Freigebigkeit, 
mit  der  das  dazu  Nötige  bewilligt  wird,  nur  die  höchste  Anerkennung  gezollt 
werden. 

Die  Prüfungsbestimmungen  verlangen,  daß  der  Examinand  mindestens 
40  „Übungen"  im  geographischen  Laboratorium  nachweise,  wenn  er  sich  zur 
Prüfung  meldet;  die  vorgenommenen  Übungen  werden  daher  sorgfältig  in  ein 
Notizbuch  eingetragen,  das  dem  Examinator  als  Ausweis  eingehändigt  wird. 
Eine  schriftliche  Bescheinigung  des  Lehrers,  daß  diese  Notizen  wirklich  selbst 
gemachte  Versuche  beschreiben  und  ohne  unerlaubte  Hilfe  niedergeschrieben 
worden  sind,  muß  beiliegen.  Die  folgenden  Beispiele  aus  der  Liste  der  von 
der  Prüfungskommission  vorgeschlagenen  mögen  die  Art  dieser  ,  Jjaboratoriums- 
arbeit"  veranschaulichen  *). 

Zu  „Erde  als  Kugel":  Zeichne  eine  Skizze  zur  Veranschaulichung  der 
Ursache  von  Tag  und  Nacht.  Skizziere  die  Stellung  von  Erde,  Mond  und 
Sonne  zur  Zeit  der  verschiedenen  Mondphasen.  Zeichne  eine  Anzahl  Linien, 
die  in  gleichem  Maßstabe  den  Umfang  der  Erde,  den  Erddurchmesser  und 
die  Entfernung  einiger  wichtiger  Städte  von  Neu- York  angeben. 

Zu  „Ozean":  Erkläre  die  Lage  der  Leuchttürme,  der  Bettungsstationen 
für  SchiATbrüchige  und  der  großen  Städte  an  der  atlantischen  Küste. 

Zu  „Atmosphäre":  Bestimme  die  Höhe  eines  Hügels  mit  Hilfe  des  Baro- 
meters. Vergleiche  die  Januar-  und  Julitemperaturen  von  40®  N.  und  S. 
Beobachte  und  notiere  die  Temperaturen  über  Wasser  und  Land  in  den  ver- 
schiedenen Jahreszeiten.  Konstruiere  aus  gegebenen  Zahlen  eine  Isothermenkarte. 
Stelle  nach  vorliegenden  Angaben  eine  Wetterkarte  für  den  heutigen  Tag  zu- 
sammen.   Gib  auf  Grund  der  heutigen  Wetterkarte  eine  Prognose  für  morgen. 

Zu  „Land":  Zeichne  ein  Profil  im  natürlichen  Maßstabe  anf  Grund  einer 
topographischen  Karte.    Verwandle  eine  Schraffenkarte  in  eine  Isohjpsenkarte. 


1)  Coli.  Entr.  Ex.  Board.  Document  8.  S.  88.  39. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  673 

Zeichne  ein  Flußprofil.  Beschreibe  bestimmte  Oberflächenformen  auf  Grund 
einer  topographischen  Karte.  Gib  auf  Grund  der  topographischen  Karte  an, 
welche  Teile  von  New  Jersey  unter  Wasser  gesetzt  werden  würden,  wenn  das 
Land  50  oder  100  Fuß  imtertauqhte  u.  s.  w. 

Neben  diesen  Arbeiten  steht  das  field  worJc^  oder  die  geographische 
Exkursion  Auch  über  diese  verlangt  die  Prüfungskommission  authentischen 
Nachweis  in  Gestalt  eines  beglaubigten  Notizbuches.  Wo  immer  möglich,  soll 
auch  auf  der  Oberstufe  die  Anschauung  des  Objektes  selbst  in  der  Natur 
dem  wissenschaftlichen  Erkennen  zu  Hilfe  kommen.  Die  Horace  Mann  High 
School*)  hat  auf  ihrem  Lehrplane  z.  B.  einen  Ausflug  nach  Staten  Island  in 
der  Bucht  von  Neu- York.  Die  Lehranweisung  lautet:  Beobachte  am  Strande 
die  Miniaturbeispiele  für  die  Bildung  einer  Anschwenmiungsküste,  die  Wirkung 
des  Windes  auf  den  Sand  über  der  Flutgrenze.  Gehe  vom  Strande  nach  der 
Morflne  zu  und  beachte  die  Veränderungen  in  der  Beschaffenheit  des  Bodens 
auf  dem  Wege,  gib  Gründe  dafür.  Welche  Züge  der  Landschaft  erscheinen 
besonders  moränenhaft?  Gründe.  Wo  sehen  wir,  daß  hier  das  Werk  eines 
Gletschers  vorliegt?  Welche  anderen  als  glaciale  Einflüsse  müssen  auch  wirk- 
sam gewesen  sein?  Welche  Umstände  zeigen,  daß  der  Gletscher  im  all- 
gemeinen südwärts  vorgerückt  ist?  Wie  haben  die  Gletscherablagerungen  die 
Siedelungen  beeinflußt?  —  Oder  im  Bronx  Park  im  Norden  von  Neu- York: 
Vergleiche  die  beiden  Teile  des  Tales  des  Bronxflusses  und  erkläre  ihren 
gegenwärtigen  Zustand.  Wo  ist  die  Erosion  am  stärksten?  Wo  die  Sedi- 
mentation? Wie  erklären  sich  die  großen  Strudellöcher  hoch  über  dem  Fluß- 
bett? Welche  Veränderungen  würden  im  Tale  stattfinden,  wenn  das  Wehr 
bei  der  alten  Mühle  entfernt  würde?  Sind  Spuren  von  Gletschertätigkeit  zu 
sehen?    Wie   zeigt  sich   der  geographische   Einfluß   in   der  Kulturlandschaft? 

Ganz  besondere  Anerkennung  verdient  auch  das  allenthalben  zu  beob- 
achtende Bestreben,  das  im  Unterricht  Gebotene  durch  Privatlektüre  zu  er- 
gänzen und  dem  Literesse  näher  zu  bringen.  Die  Schulbibliothek,  wie  die 
öffentliche  Stadtbibliothek,  spielt  in  dem  Lande,  das  einen  Carnegie  hervor- 
gebracht hat,  eine  ganz  andere  Rolle  als  in  Deutschland.  Wenn  sich  auch 
im  allgemeinen  dieses  und  jenes  gegen  die  allzuhohe  Schätzung  eines  nur 
auf  die  Benutzung  von  Bibliotheken  gegründeten  Wissens,  wie  sie  sich  in  der 
Idee  dieses  Bücherfreundes  ausspricht,  einwenden  läßt,  so  ist  doch  nicht  zu 
leugnen,  daß  in  Verbindung  mit  einem  vernünftigen  Unterricht  die  eigene 
Lektüre  eine  außerordentlich  wertvolle  Ergänzung  dazu  bilden  kann. 
Li  dieser  Beziehung  kann  der  amerikanische  Unterricht  direkt  als  vor- 
bildlich bezeichnet  werden.  Jedes  Lehrbuch  enthält  am  Schlüsse  der  ver- 
schiedenen Abschnitte  ein  Verzeichnis  von  einschlägiger  Literatur,  und  was 
mehr  ist,  die  Schüler  erhalten  regelmäßige  Anleitung  zu  ihrer  Benutzung. 
Auf  den  Versammlungen  der  National  Educational  Association  bildet  die 
Verwertung  der  Bibliotheken  für  die  Schüler  ein  ständiges  Thema.  Die 
Schulbibliotheken    sind    regelrechte    Arbeitsbibliotheken,    in    denen    auch    die 

1)  Die  High  School- Abteilung  der  mit  Teachers  College  in  Neu- York  verbun- 
denen Muster-  und  Übungsschule,  genannt  nach  dem  gefeierten  amerikanischen 
Pädagogen  Horace  Mann. 

Oeographifche  Zeittchrifl.  9.  Jahrgang.  1903.  18.  Heft.  45 


674  Martha  Krug-Genthe: 

Lehrer  das  Notwendige  finden;  die  wichtigsten  illustrierten  Zeitschriften  sind 
darin  vertreten,  und  die  Lehrer  machen  im  Unterrichte  darauf  aufinerksam, 
wenn  Aufsätze,  die  dem  Unterrichte  zu  statten  kommen  können,  darin  er- 
scheinen. Sie  arbeiten  auch  Hand  in  Hand  mit  den  Bibliothekaren  der  öffent- 
lichen Büchersammlungen,  unterrichten  sie  über  die  Bücher,  deren  Lektüre 
von  den  ßchtÜem  jeweils  verlangt  wird;  die  Beamten  andrerseits  (meistens 
Frauen)  leisten,  als  wenn  sie  selbst  Lehrer  wären,  den  sich  an  sie  wenden- 
den Schülern  bereitwilligst  jeden  notwendigen  Beistand  in  der  Auffindung 
dessen,  was  sie  wünschen.  An  Sonnabenden  (die  ganz  schulfrei  sind)  sieht 
man  in  jeder  öffentlichen  Bibliothek  einen  starken  Prozentsatz  jugendlicher 
Leser,  und  die  Bibliotheken  der  größeren  Städte  haben  besondere  Lesezinuner 
für  Kinder.  Die  Verwertung  der  Privatlektüre,  wie  ich  sie  fiilher  einmal  an 
dieser  Stelle  als  wünschenswert  hinstellte^),  wird  in  den  amerikanischen 
Schulen  allerseits  durchgeführt.  So  sehr  es  auch  dem  Unterrichte  sachlich, 
in  der  Festlegung  seiner  Ziele  und  der  Umgrenzung  seiner  Aufgaben,  noch 
an  Klarheit  und  Einheitlichkeit  mangelt,  so  sind  die  Folgen  dieses  Anfongs- 
Stadiums  doch  weniger  schlimm  als  man  fürchten  könnte;  dieses  Liangriff- 
nehmen  des  Gegenstandes  von  den  verschiedensten  Seiten  her,  das  unaus- 
gesetzte Bestreben,  die  Selbsttätigkeit  der  Schüler  anzuregen  und  ihr  Interesse 
am  Gegenstande  wach  zu  erhalten,  bildet  ein  wirksames  Gegengewicht  för 
diese  Schäden.  Wenn  man  in  Erwägung  zieht,  wie  sehr  noch  vor  kurzem 
der  ganze  Unterricht  auf  diesem  Gebiete  im  argen  lag,  dann  wird  man 
weniger  geneigt  sein,  zu  bemängeln,  was  noch  verbesserungsfähig,  als  an- 
zuerkennen, was  in  so  kurzer  Zeit  bereits  gebessert  worden  ist. 

B.  Die  niederen  Schulen. 

In  den  Volksschulen  im  engeren  Sinne  ersti'eckt  sich  der  Geographie- 
unterricht über  fünf  bis  acht  Jahre  mit  drei-  bis  fünfwöchentlichen  Unter- 
richtsperioden von  gewöhnlich  30  Minuten,  auf  der  Unterstufe  etwas  kürzer, 
auf  der  Oberstufe  manchmal  etwas  länger.  Er  setzt  gewöhnlich  mit  Heimat- 
kunde im  zweiten  oder  dritten  Schuljahre  ein,  und  wird  auf  der  vorhergehen- 
den Stufe  vorbereitet  durch  einen  naturkundlichen  Anschauungsunterricht,  das 
sogenannte  Nature  Slttdy  (in  Amerika  ist  alles  Lernen  „Studium",  jedes  Schul- 
kind ein  „Student",  wo  nicht  gar  ein  „Forscher").  Manchmal  steht  Heimat- 
kunde auf  dem  Stundenplan  schon  vom  ersten  Schuljahre  ab,  aber  in  diesen 
Fällen  versteht  man  darunter  in  der  Regel  eine  Art  allgemeinen  geographisch- 
naturwissenschaftlichen Vorbereitungsunterricht,  der  sich  in  höheren  Klassen 
in  Geographie  und  die  verschiedenen  naturkundlichen  Fächer  spaltet.  Im 
State  Ohio  z.  B.  umfaßt  der  Unterricht  des  ersten  Jahres  folgende  Gegen- 
stände ^) : 

Wetterbeobachtungen:  sonnige  und  trübe  Tage.    Der  erste  Frost.    Schnee. 

Windbeobachtungen:   Wind  und  Sturm.     Tau  und  Wolken.     Farbe   der 


1)  G.  Z.  1898.  S.  638—642. 

2)  Bei  der  Anordnung  der  Gegenstände  bedenke  man,  daß  das  amerikanische 
Schuljahr  von  September  bis  Juni  läuft. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  675 

Wolken  bei  trübem  und  hellem  Wetter,  bei  Sonnenuntergang.  Bewegung  der 
Wolken.     Der  blaue  Himmel. 

Wasserformen:  Schnee,  Eis,  Regen,  Hagel. 

Berge.     Bergabfahren  ^):  Begriff  des  Abhanges. 

Allgemeines  über  den  Frühling.  Frühlings  Arbeit.  Sonne  und  Sonnenschein. 

Bildung  von  Wasserdampf  (Experiment). 

Beobachtung  {study)  wachsender  Pflanzen.  Samen  in  öl  und  Wasser 
keimen  lassen.  Teile  der  Pflanzen.  Laß  ihre  Beschreibung  stets  nach  einer 
wirklichen  Pflanze  machen  (I)  . .  . 

Tierbeobachtungen  {study),  Katze.  Himd.  Freundlichkeit  gegen  Tiere. 
Puppe  und  Schmetterling. 

Beobachtungen  {ohservaUons)  über  Tag  und  Nacht.     Wochentage. 

Lesen  verwandter  Stoffe  im  muttersprachlichen  Unterricht. 

Das  zweite  Jahr  bringt  mehr  über  Wetter,  Jahreszeiten,  fließendes  Wasser 
und  Kreislauf  des  Wassers,  Blumen,  Haustiere  und  Insekten,  und  das  hübsche, 
fast  im  ganzen  Lande  gebrauchte  Buch  „Sieben  kleine  Schwestern"*),  in  dem 
das  Leben  eines  Eskimomftdchens,  eines  Negermädchens  u.  s.  w.  beschrieben 
wird,  und  wodurch  die  ersten  Vorstellungen  von  fremden  Völkern  und 
Ländern  in  ansprechender  Weise  gelehrt  werden.  Darauf  folgt  im  dritten 
Jahre  der  Globus,  Hinmielsrichtungen,  Rotation  der  Erde  und  Einführung  ins 
Kartenverständnis  auf  Grund  des  Planes  von  Schulzinmier  und  Umgebung 
des  Schulhauses,  und  im  vierten  Jahre  setzt  die  Geographie  im  engeren  Sinne 
mit  dem  State  Ohio  ein.  In  großen  Städten,  wie  Neu- York  und  Chicago, 
bildet  natürlich  die  Vaterstadt  ein  umfangreiches  Thema  für  die  Heimatkunde, 
das  in  allen  Richtungen  (Bodenformen,  Industrie,  Handel  u.  s.  w.)  zum  Mittel 
einer  Einführung  in  möglichst  viele  Gebiete  der  Geographie  ausgenützt  wird. 
Es  folgen  die  Vereinigten  Staaten,  Nord-  und  Südamerika,  die  fremden  Erd- 
teile, und  zum  Schluß  entweder  eine  Art  Generalübersicht  in  Form  eines 
elementar  gehaltenen  Systems  der  physikalischen  Geographie,  oder  ein  noch- 
maliges Durchnehmen  der  Vereinigten  Staaten  auf  breiterer  Grundlage  im 
Vergleiche  mit  anderen  Ländern.  Teilweise  ist  der  Lehrgang  auch  wie  in 
Deutschland  in  zwei  konzentrischen  Kreisen  angelegt,  doch  findet  dieses  Ver- 
fahren nicht  viel  Beifall  bei  dem  Durchschnittslehrer,  da  eine  „Wiederholung" 
eines  schon  dagewesenen  Stoffes  eo  ipso  als  Gipfel  der  Langweile  für  die 
Schüler  und  als  sträfliche  Zeitverschwendung  erscheint.  Oft  hört  in  Folge 
dessen  der  geographische  Unterricht  schon  am  Ende  des  siebenten  Schul- 
jahres auf. 

In  den  Anschauungen  über  Wesen  und  Ziele  der  Elementargeographie 
tritt  im  allgemeinen  das  menschliche  Element  vor  dem  naturwissenschaftlichen 
stark  in  den  Vordergrund.  „Die  Lehre  von  der  Erde  in  ihrem  Verhältnis 
zum  Menschen"^)  ist  mehr  oder  weniger  die  Quintessenz  aller  Definitionen. 
„Die  Erde  sollte  als  Wohnplatz  des  Menschen  betrachtet  {studied)  werden.    Die 

1)  Mit  dem  kleinen  Handschlitten. 

2)  Andrews.  Seven  Little  Sisters  who  live  on  the  round  ball  that  floats  in 
the  air.  Boston,  1896. 

3)  Mi  11.    The  International  Geography.    S.  2, 

46* 


676  Martha  Krug-Genthe: 

physiographischen  Tatsachen  .  .  .  kommen  nur  so  weit  in  Betracht,  als  sie 
Anteil  haben,  die  Erde  zum  Wohnplatz  des  Menschen  geeignet  zu  machen"^) 
oder:  „Den  Mittelpunkt  der  Geograplue  bildet  die  Entwicklung  des  Menschen 
in  seinen  Beziehungen  zur  Erde,  was  stets  eine  Frage  langsamen  Werdens 
ist*^^),  und  zahlreiche  andere  Äußerungen  maßgebender  Behörden  stellen  die- 
selbe Forderung.  So  kommt  es,  daß  auch  die  Schulgeographie  in  der  ersten 
Periode  der  Kcform  unter  der  gleichen  Überladung  mit  oft  ungeographischem 
Detail  zu  leiden  hatte  wie  die  wissenschaftliche,  so  daß  in  der  neuesten  Zeit 
gewichtige  Stinmien  sich  lauter  und  lauter  haben  vernehmen  lassen,  daß  die 
„neue^^  Geographie  in  einer  anderen  Art  unzusanmienhftngenden  Elleinkrams 
denselben  Abwegen  zusteuere  wie  die  alte.  Um  dem  abzuhelfen,  fängt  man 
verschiedentlich  mit  einem  Verfahren  an,  das  von  seinem  ersten  Befürworter, 
Professor  Mc.  Murry  von  der  Lehrerbildungsanstalt  in  Normal,  Dl.,  den 
Namen  des  Typenstudiums  erhalten  hat  Mc.  Murry,  der  ein  sehr  tüchtiger 
Lehrer  zu  sein  scheint  imd  verschiedene  wertvolle  Beitrage  zur  Schulliteratnr 
geliefert  hat'),  geht  von  dem  Gesichtspunkte  aus,  daß  jede  geographische 
Erscheinung  auf  einen  bestimmten  geographischen  Typus  zxirückgeführt  werden 
kann  und  deshalb  im  Unterrichte  darauf  zurückgeführt  werden  sollte.  Wahrend 
in  Botanik  und  Zoologie  das  Individuiun  stets  als  Repräsentant  seiner  Art 
oder  Gattung  betrachtet  wird,  sei  Geographie  der  einzige  Unterricht,  in  dem 
mit  großem  Zeitverlust  jeder  einzelne  Gegenstand  an  sich  und  um  seiner 
selbst  willen  betrachtet  wird,  als  ob  gar  keine  logische  Klassifikation  der 
Einzelerscheinungen  existiere.  Er  verlangt  daher,  einen  Fluß,  einen  Vulkan, 
eine  Küstenlinie,  eine  Baumwollspinnerei,  eine  Zuckerplantage,  eine  Kohlen- 
grube, eine  Rinderfarm  u. s.w.  genau  und  erschöpfend  zu  besprechen,  dann  aber 
alle  übrigen  Vorkomnmisse  derselben  Art  in  allen  Weltteilen,  wie  sie  an 
ihrem  Orte  auftreten,  im  Hinblick  auf  den  erst  behandelten  Typus  wieder- 
holend nur  kurzer  Betrachtung  zu  unterziehen,  so  daß  nur  die  Abweichungen 
von  jenem  besondere  Berücksichtigung  erfahren.  Er  wünscht,  daß  eine  Reihe 
bestimmter  Typen,  etwa  zwanzig,  für  jedes  Schuljahr  in  progressiver  Folge 
fest  vorgeschrieben  werden,  und  verspricht  sich  davon,  gewiß  nicht  mit  Un- 
recht, durch  die  Verminderung  des  Umfangs  des  Stoffes  eine  größere  Ver- 
tiefung der  Behandlung.  Es  ließe  sich  vielleicht  hinzufügen,  daß  so  auch 
der  übergroße  Anteil  der  Industrie-  und  Handelsgeographie  zu  Gunsten  der 
physischen  etwas  mehr  zurücktreten  wird,  daß  im  Gegensatz  zu  den  oben 
geäußerten  Forderungen  die  relative  Wertung  der  beiden  mehr  im  Sinne  der 
Da  vis  sehen  Forderung  abgewogen  werden  kann:  Geographie  behandelt  „die 
(irundtatsachen  der  Erdformen  in  ihren  Beziehungen  zur  Beherrschung  der 
Erde  durch  den  Menschen"^).  Außer  anderen  hat  auch  Prof.  Dodge  (Teachers 
College,  New  York)  in  seiner  vorzüglichen  Darstellung  des  Geographie-Unter- 

1)  Academic  SyUabus.    New  York  State.    .S  31.     1901. 

2)  Report   on   Geography.    New   England    ABBOciation   of  School    Superinten- 
dents.  1902. 

3)  Charles  A.  Mc.  Murry.  Special  Method  in  Geography.  Bloomington,  IlL,  1900. 
4;  Davis.    The  State  Map  of  Maßsachusetts  as  an  Aid  to  the  Study  of  Geo- 
graphy in  Grainmar  and  High  Schools.  Boston,  1897.    S.  4. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  677 

richts  in  den  Horace  Mann-Schulen^)  (s.  o.)  scharf  die  Grenze  zwischen  geo- 
graphischem und  Industrieunterricht  gezogen,  so  daß  man  erwarten  kann, 
diese  Verwirrung  in  absehbarer  Zeit  aus  dem  Schulunterrichte  verschwinden 
zu  sehen.  Man  fängt  an,  sich  zu  überzeugen,  daß  spezielle  Handels-,  Ver- 
kehrs- und  Wirtschaftsgeographie  ein  Fachstudium  für  Handelsschulen  ist, 
das  ohne  technische  Vorkenntnisse  keinen  erzieherischen  Wert  hat,  und  ver- 
weist es  auf  die  Commerdal  High  Schools^),  mit  deren  Gründung  das 
amerikanische  Schulwesen  in  den  letzten  Jahren  wieder  einen  Schritt  vor- 
wärts gekommen  ist,  und  für  die  bereits  ein  ganz  vorzügliches  Lehrbuch  von 
Adi^ms*)  vorliegt. 

Als  eine  vorzügliche  kurze  Zusammenfassung,  wenn  nicht  der  bereits 
überall  vorhandenen  Zustände,  so  doch  der  gegenwärtigen  Tendenzen  und 
Ideale  der  Schulgeographie  möchte  ich  noch  folgende  Stelle  aus  einem  Privat- 
briefe des  Schulsuperintendenten  von  St.  Louis,  Mo.,  anführen.     Es  heißt: 

„Die  eingeführten  Lehrbücher  sind  ßedway  und  Hinmans  Geographien*). 
Wir  betrachten  Geographie  als  die  Wissenschaft,  welche  die  Erde  in  ihren 
Beziehungen  zum  Menschen  beschreibt  Auf  Grund  dieser  Definition  betonen 
wir  vor  allem,  was  das  Leben  und  die  Tätigkeit  des  Menschen,  die  sozialen, 
industriellen  und  politischen  Verhältnisse  eines  Volkes  bedingt.  Jeder  Ab- 
schnitt beginnt  mit  den  physischen  Bedingungen,  Land,  Wasser,  Klima,  Boden, 
die  den  Menschen  beeinflußt  haben,  und  endet  mit  dem  Hinweise  auf  den 
Einfluß,  den  diese  natürlichen  Bedingungen  auf  die  menschliche  Gesellschaft 
gehabt  haben. 

Die  ersten  Anfänge  soUen  den  Schüler  mit  seiner  Heimat  bekannt  machen 
und  ihm  die  allgemeinen  geographischen  Begriffe  geben,  Fluß,  Gebirge  u.  s.  w. 

Der  Betrachtung  der  Karte  soll  stets  die  des  Globus  vorangehen,  der 
in  zweifelhaften  Fällen  der  Karte  vorzuziehen  ist.  Am  Beginn  eines  neuen 
Abschnittes  steht  die  Beliefkarte. 

Geographie  soll  nicht  ein  trocknes  Lernen  von  Namen,  Grenzen  und 
Lage  sein,  sondern  das  Kind  soll  durch  sie  eine  Vorstellung  von  dem  Leben 
in  dem  betreffenden  Lande,  seinem  Klima,  seinen  Bewohnern,  Tieren  u. s. w. 
bekommen.  Für  Privatlektüre  stehen  den  Kindern  die  geographischen  Lese- 
bücher von  Carpenter  u.  a.  zur  Verfügung,  teils  in  der  Schulbibliothek,  teils 
in  der  öffentlichen  Bibliothek." 

Betrieb  und  Methoden  des  Unterrichts  stehen  in  der  Geographie,  wie  in 
allen  anderen  Fächern,  unter  dem  Einfluß  der  sich  gegenwärtig  vollziehenden 
Reform  des  Volksschulwesens  des  Landes,  die  auf  die  Arbeiten  der  National 
Educational  Association  seit  1894  und  1895  zurückgeht*).     In  Ansehung  der 

1)  Dodge.  Geographie  in  the  Horace  Mann  Schools.  Teachers  College  Re- 
cord.  Vol.  n.  No.  2.    Neu- York,  1901. 

2)  Dem  oben  Gesagten  nach  also  Anstalten  ähnlich  den  deutschen  Handels- 
schalen, nicht  Handelshochschulen! 

3)  Cyrus  C.  Adams.  A  Textbook  of  Commercial  Geography.  Neuyork,  Apple- 
ton u.  Co.  1902. 

4)  Besprochen  von  Verf.  in  dieser  Zeitschrift  1899,  S.  660  ff. 

5)  Report  of  the  Committee  of  Fifteen.  1895.  Report  of  the  Committee  of 
Ten.  1894.    American  Book  Co. 


678  Martha  Krug-Genthe: 

Verhältnisse,  die  noch  während  der  vorigen  Generation  hier  geherrscht  haben 
müssen,  wird  es  verständlich,  daß  der  Ruf  nach  Loslösung  vom  toten  Buch- 
wissen und  Bückkehr  zur  Natur  im  kosmischen  und  physiologischen  Sinne  in 
Amerika  sich  seitdem  viel  lauter  und  stürmischer  geltend  gemacht  hat  als 
jemals  in  Deutschland,  und  hieraus  müssen  manche  Übertreibungen  und 
Wunderlichkeiten  des  amerikanischen  Schulwesens  verstanden  werden.  Die 
erste  Hochflut  ist  jetzt  im  Zurückebben  begriffen,  man  darf  schon  wieder 
sagen,  daß  nicht  alles  Alte  als  solches  schlechthin  verwerflich  und  alles  Neue 
von  vornherein  das  Beste  ist,  ohne  als  engherziger  Reaktionär  verschrieen  zu 
werden;  aber  das  normale  Niveau  ist  noch  nicht  wieder  erreicht.  Es  wird 
in  nicht  zu  femer  Zeit  von  selbst  so  weit  konunen,  imd  um  den  gegenwärtigen 
Zustand  gerecht  beurteilen  zu  können,  muß  man  stets  eingedenk  sein,  daß 
der  äußerste  Radikalismus  der  Reform  notwendig  war,  um  erst  einmal  Wandel 
zu  schaffen. 

Daraus  erklärt  es  sich,  daß  Forderungen,  die  dem  deutschen  Lehrer  so 
selbstverständlich  sind,  daß  sie  ihm  als  Gemeinplätze  erscheinen,  in  Diskussion 
und  Vorschrift  stets  von  neuem  wiederkehren.  Ermahnungen,  daß  das  Lehr- 
buch nicht  zum  Auswendiglernen  für  die  Schüler  geschrieben  ist;  daß  der 
Lehrer,  nicht  das  Buch  die  Führung  im  Unterricht  übernehmen  soll;  daß 
kein  Lehrbuch  gebraucht  werden  solle,  ehe  die  Schüler  fließend  lesen  können; 
daß  sich  der  Lehrer  för  die  Stunden  vorbereiten  müsse;  daß  das  Hersagen 
einer  Definition  keine  Garantie  biete,  daß  der  Schüler  den  Inhalt  in  sich 
aufgenommen  hat;  daß  sich  die  Definition,  wenn  überhaupt  gebraucht,  als 
unmittelbarer  Ausdruck  des  vom  Kinde  selbst  Erkannten  ergeben  müsse  —  diese 
und  ähnliche  elementare  Forderungen  kehren  in  allen  Lehranweisungen  wieder. 
Im  Lichte  der  Reaktion  gegen  das  tote  Buchstabenwissen  muß  auch  die  be- 
ständige, bis  ins  Extrem  getriebene  Forderung  nach  der  sinnlichen  Anschauung 
im  Unterrichte  aufgefaßt  werden,  die  wir  schon  im  High  School  -  Unterrichte 
bemerkten,  und  die  im  Elementarunterricht  ihre  volle  Herrschaft  entfaltet. 
Das  „nichts  ist  im  Geiste,  was  nicht  zuvor  in  den  Sinnen  gewesen  ist''  führt 
hier  stellenweise  zur  völligen  Verneinung  der  Möglichkeit  einer  geistigen 
Anschauung.  In  Folge  dessen  ist  der  Unterricht  auf  der  Unterstufe  (Primary 
School)  im  allgemeinen  weit  besser  und  zweckmäßiger  als  auf  der  Mittelstufe 
(Grammar  School).  Die  Heimatkunde  wird,  wo  immer  der  Lehrer  die  neue 
Methode  übt,  ausgezeichnet  erteilt.  Ein  großer  Teil  des  Unterrichts  wird 
im  Freien  am  wirklichen  Objekte  betrieben.  (Das  Klima  der  Vereinigten 
Staaten  ist  solchen  Forderungen  günstiger  als  das  mitteleuropäische!)  Von 
der  eigenen  Beobachtung  schreitet  der  Unterricht  dann  flott  zur  Reproduktion 
des  Gesehenen,  um  den  erhaltenen  Eindruck  zu  präzisieren  und  zu  befestigen. 
Diese  Reproduktion  setzt  nun  aber  nicht,  wie  in  Deutschland,  mit  der  Karte 
ein,  sondern  zunächst  mit  einem  Zwischenglied  zwischen  Natur  und  Karte, 
mit  dem  Modell.  Das  Modellieren  geographischer  Objekte  ist  einer  der 
charakteristischsten  Züge  im  amerikanischen  Geographieunterricht.  Es  ist  das 
lahoratory  work  der  Elementarstufe.  Ein  Tisch  mit  Sand,  etwa  zwei 
Quadratmeter  groß  und  einen  halben  Meter  hoch,  so  daß  die  ganz  Kleinen 
bequem  um  ihn  herumstehen    können,    gehört  zum  eisernen  Bestände  jeder 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  679 

Elementarklasse.  Hier  werden  die  Bodenformen,  die  draußen  beobachtet 
worden  sind,  modelliert.  In  den  besseren  Schulen  hat  aber  jedes  Kind  ein 
eigenes  kleines  Modellierblech  mit  Sand,  auf  dem  es  seine  geographischen 
Vorstellungen  in  Formen  aussprechen  kann^).  Die  Lieblingsidee  Fryes^), 
daß  die  ganze  Erdoberfläche  im  letzten  Grunde  eine  Vereinigung  von  steileren 
oder  sanfteren  Abhängen  ist'),  und  die  zweite  Grundtatsache,  daß  das  Wasser 
stets  bergab  fließt*),  werden  hier  überzeugend  demonstriert.  Fryes  Buch 
„Child  and  Nature"^),  in  dem  die  Hauptgedanken  der  von  ihm  zuerst  aus- 
gearbeiteten Methode  ausgeführt  sind,  ist  auch  für  den  Nicht- Amerikatier  ein 
lesenswertes  Buch.  Auf  dieser  untersten  Stufe,  argumentiert  der  Verfasser 
nicht  mit  Unrecht,  ist  die  absolute  Genauigkeit  noch  nicht  das  Bedürfnis  des 
Kindes.  Es  sieht  nicht  den  Sand  als  solchen,  sondern  durch  den  Sand  hin- 
durch die  Natur,  und  „seine  Sandhäufchen  und  Rinnen  sind  ihm  Berge  und 
Täler  genau  so,  wie  das  Bündel  Lumpen  in  seinen  Augen  eine  zärtlich  ge- 
liebte Puppe  ist"^),  und  „das  beste  Produkt,  das  ein  Kind  hervorbringen 
kann,  ist  nie  unvoUkonunen,  denn  es  ist  der  Ausdruck  des  Ideals  des  Kindes" '). 
„Jeder  Versuch  eigner  Produktion  bewirkt  genauere  Beobachtung"^).  „Um 
Umrisse  einzuprägen,  zeichne;  um  Oberflächengestalt  einzuprägen,  modelliere"^). 
Dabei  verfällt  Frye  selbst  nicht,  wie  viele  seiner  Nachahmer  es  tun,  in  den 
Irrtum,  daß  der  Sand  alles  sei.  „Lehre  direkt  von  der  Natur  und  gebrauche 
den  Sand,  um  durch  Reproduktion  die  Beobachtung  und  das  Gedächtnis  zu 
unterstützen"^®).  „Nicht  im  Sande,  sondern  durch  ihn  soll  das  Kind  Geo- 
graphie lernen"  ^^).  „Es  kommt  eine  Zeit,  wo  der  fernere  Gebrauch  des 
Sandes  die  Entwicklimg  der  Vorstellungskraft  eher  hindert  als  fördert"^*). 
Diese  und  ähnliche  Äußerungen  beweisen,  daß  sich  der  Verfasser  der  Grenzen 
seiner  Methode  bewußt  ist,  und  solange  diese  Beschränkung  des  primitiven 
Modellierens  auf  die  ersten  Anfänge  eingehalten  und  der  Grundsatz,  das 
Modell  nur  als  Durchgangsstadium  zu  betrachten,  festgehalten  wird,  kann  ein 
solches  „Laboratorium"  vom  Psychologen  wie  vom  Geographen  nur  gut  ge- 
heißen werden.  Wenn  aber  die  Schüler  des  fünften  Schuljahres  Stunden  und 
Stunden   kostbarer   Zeit  darauf  verwenden,   aus  Ton  je  Vji  ^^^^  Karte   von 


1)  Es  ist  bekannt,  daß  die  Methoden  des  Eindergartens,  der  in  Amerika  ja 
eine  ganz  andere  Stellung  hat  als  in  Deutschland,  und  der  ein  Zweig  des  Volks- 
schulwesens  ist,  in  den  amerikanischen  Schulen  allenthalben  auch  noch  die  ersten 
Schuljahre  mehr  oder  weniger  beherrschen. 

2)  Alexander  Everett  Frye,  der  Verfasser  der  bekannten  Schulgeographien 
(G.  Z.  1898.  S.  278  ff.)- 

S)  „Abhänge,  nicht  Kontinente,  sind  die  Einheiten,  aus  denen  sich  das  Relief 
der  Erde  im  ganzen,  wie  in  seinen  Teilen,  zusammensetzt".  Child  and  Nature.  S.  127. 
„Das  Leben  der  Erde  ist  von  den  Abhängen  ausgegangen'*.     Ebenda.  S.  11. 

4)  Trotzdem  passiert  es  ihm,  daß  er  an  einer  Stelle  (S.  147)  die  Flüsse  von  der 
Mündung  nach  der  Quelle  zeigen  läßt. 

5)  A.  E.  Frye.  Child  and  Nature.    Boston  1892. 

6)  Child  and  Nature.  S.  35.  7)  Ebenda.  S.  168.  8)  Ebenda.  S.  35. 

9)  Ebenda.  S.  33. 

10)  Ebenda.  S.  30.  Desgleichen  „Eine  Minute  in  der  Natur  ist  besser  als  ein 
Tag  mit  der  Karte".    Teachers  Manual.  S.  44. 

11)  Ebenda.  S.  82.  12)  Ebenda.  S.  30. 


680  Martha  Krug-Genthe: 

Europa  zu  modellieren,  und  daraus  ein  „Belief ^^  von  Europa  zusammenzustellen, 
dann  ist  das,  selbst  wenn  eine  Höhenschichtenkarte  zu  Grunde  gelegt  worden 
ist,  doch  kaum  anders  denn  als  pädagogischer  Unfug  zu  bezeichnen.  Die 
Karte  figurierte  aber  auf  dem  Ehrenplatze  der  Schulausstellung  und  wurde 
von  den  darob  höchlichst  belobten  Kindern  mit  Stolz  gezeigt,  vom  Lehrer 
mit  nicht  minderer  Befriedigung. 

Eine  andere  Beihe  von  allgemein  verbreiteten  Anschauungsübungen  be- 
zieht sich  auf  die  Witterungsverhältnisse.  Schon  die  Kleinsten  werden  an- 
gehalten, nicht  nur  die  Länge  und  Kürze  der  Tage  zu  bemerken,  sondern 
auch  die  Angaben  des  Kalenders  über  Sonnenaufgang  und  -Untergang  zu  ver- 
folgen und  täglich  in  Listen  einzutragen.  Desgleichen  werden  Thermometer- 
und  Barometerstand  schon  von  der  Unterstufe  an  in  täglichen  Ablesungen 
aufgeschrieben,  Bewölkung  und  Windrichtung  der  einzelnen  Tage  notiert  u.  s.w. 
In  den  oberen  Klassen  erreichen  diese  Beobachtungen  im  Lesen  und  Aus- 
füllen von  Wetterkarten  ihren  Abschluß.  Die  große  Begelmäßigkeit  der 
meteorologischen  Erscheinungen  in  Amerika  macht  diese  Beschäftigung  natür- 
lich lohnender  als  in  Deutschland,  und  die  Ausdehnung  der  landwirtschaft- 
lichen Betriebe,  in  denen  ein  Wetterumschlag  Tausende  kosten  kann,  macht 
die  allgemeine  Verbreitung  derartiger  meteorologischer  Kenntnisse  zu  einer 
Notwendigkeit.  Die  Zeit  ist  nicht  mehr  weit,  wo  jeder  amerikanische  Farmer 
im  Stande  sein  wird,  eine  Wetterkarte  zu  lesen  und  seine  Vorbereitungen  dem- 
entsprechend zu  treffen.  Nicht  genug  kann  daher  die  Förderung  anerkannt 
werden,  die  die  Regierung  diesem  Unterrichte  angedeihen  läßt,  indem  die 
Wetterkarten  und  Berichte  des  U.  S.  Weather  Bureau  auf  Ersuchen  jeder 
Schule  des  Landes  kosten-  und  portofrei  zugestellt  werden. 

Ein  ähnlicher  großer  Zug  der  Verwaltung  zeigt  sich  auch  in  der  Ver- 
teilung der  topographischen  Karten.  Soweit  die  Landesaufoahme  fortgeschritten 
ist,  ist  jedes  Blatt  für  den  Preis  von  o  Cent  (20  Pfg.)  von  Washington 
zu  beziehen,  bei  Bestellungen  von  100  Stück  ab,  gleichviel  ob  von  einer  oder 
verschiedenen  Karten,  für  2  Cent  das  Stück.  Die  topographischen  Karten  bilden 
daher  einen  anderen  eisernen  Bestandteil  des  geographischen  Lehrapparates. 
Sie  sind  absichtlich  nicht  gegen  Nachahmung  geschützt,  damit  die  karto- 
graphischen Verleger  des  Landes  in  den  Stand  gesetzt  werden  sollen,  ihre 
eigenen  Produkte  danach  zu  verbessern.  Leider  muß  konstatiert  werden,  daß 
von  diesem  gewünschten  Erfolge  bis  jetzt  noch  keine  Spur  zu  sehen  ist. 
Auch  die  neuen  Schulgeographien ^)  (Text  und  Atlas  sind  in  demselben  Buche 
vereinigt)  haben  fast  alle  noch  die  gleichen  Mißprodukte  des  Buntdrucks  wie 
vor  Jahren,  oder  eine  Verbesserung,  die  nicht  viel  bessert,  nämlich  die  Relief- 
karten. Ich  glaube,  die  deutschen  Reliefkartenfreunde  würden  bald  bekehrt 
werden,  wenn  sie  an  einem  amerikanischen  Beispiele  sehen  könnten,  zu  welchen 
Konsequenzen  die  strikte  Durchführung  dieses  Prinzips  führt.  Die  Beweis- 
führung der  Vertreter  dieses  bösen  Irrtums  ist  folgende:  „Das  Kind  sieht 
zuerst  den   wirklichen  Berg,    dann   die   Reproduktion   des   Berges  im  Sande, 

1)  Mit  der  einzigen  Ausnahme  von  „Tarr  and  Mo.  Murrys  Greographies",  Ver- 
fasser Prof.  Tarr,  der  Autor  der  „Physikal  Geography",  und  Prof.  Frank  M.  Mc. 
Murry  von  Teachers  College.    Neu- York,  Mc.  Millan. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  681 

dann  wird  diese  Reproduktion,  die  es  bereits  als  Berg  kennt,  photographiert, 
und  so  sieht  es,  die  Karte  ist  ein  Büd  des  Berges.  Die  Reliefkarte  sagt 
ihm  daher  etwas,  während  die  Höhenschichtenkarte  ihm  ein  Fremdes  ist, 
worunter  es  sich  nichts  vorstellen  kann.  Auf  der  Reliefkarte  sieht  es  doch, 
hier  ist  ein  Berg  und  hier  ein  FluB,  auf  der  anderen  sieht  es  nur  Farben." 
Man  hat  gut  sagen,  daß  das  Kind,  ehe  es  lesen  lernt,  auch  in  den  Buch- 
staben nichts  sieht  als  Druckerschwärze,  und  da£  sich,  sobald  es  die  Bedeu- 
tung des  Symbols  kennt,  die  tote  Seite  belebt;  die  Höhenschichtenkarte  ist 
„konventionell",  und  damit  ist  die  Sache  erledigt.  Das  zunehmende  Ein- 
dringen der  topographischen  Blätter  in  die  Schule  wird  hoffentlich  dieses 
Vorurteil  allmählich  untergraben:  die  eine  und  andere  Stimme  spricht  sich 
gelegentlich  schon  dagegen  aus^),  aber  ehe  Wandlung  geschaffen  werden  kann, 
muß  die  Einsicht  viel  allgemeiner  und  überwältigender  konunen.  Daß  bei 
Karten,  die  im  besten  Falle  gerade  erkennen  lassen,  daß  und  wo  ungefähr 
Berge  oder  Täler  vorhanden  sind,  die  rein  sachliche  Korrektheit  nicht  zuletzt 
auch  oft  mehr  als  fraglich  ausÜlUt,  sei  nur  angedeutet. 

Dagegen  erfreut  sich  der  Globus  einer  weiten  und  vielseitigen  Verwen- 
dung auf  allen  Stufen  des  Unterrichts,  mehr  als  es  in  Deutschland  der  Fall 
ist.  Die  Idee  des  ,Jiaboratoriums"  verlangt,  daß  jedes  Kind  seinen  eigenen 
kleinen  Globus  besitze,  und  welchen  Gewinn  dies  für  die  einschlägigen  Ka- 
pitel bedeutet,  braucht  nicht  erst  ausgeführt  zu  werden.  Auch  das  Anfer- 
tigen von  Kartenskizzen  an  der  Tafel  und  auf  Papier  wird  fleißig  und  im 
wesentlichen  nach  denselben  Grundsätzen  betrieben  wie  in  Deutschland. 

Das  Bild  niuunt,  wie  im  ganzen  Unterrichte,  so  auch  in  der  Geographie 
eine  viel  bedeutendere  Stelle  ein  als  in  Deutschland.  Wie  jedes  Lesebuch 
ist  auch  das  Geographiebuch  von  Anfang  bis  zu  Ende  reichlich  illustriert, 
nur  steht  leider  die  Qualität  nicht  immer  auf  gleicher  Höhe  mit  der  Quantität. 
Der  gute  Wille  muß  oft  für  das  Gelingen  gerechnet  werden,  und  die  Grund- 
sätze der  Auswahl  sind  nicht  immer  leicht  zu  erkennen.  Das  Für  und  Wider 
dieses  Verfahrens  habe  ich  schon  früher^)  erörtert,  und  ich  kann  mich  auch 
jetzt  auf  Grund  eigener  Anschauung  dem  damals  Gesagten  nur  wieder  an- 
schließen. Theoretisch  sollen  die  Illustrationen  natürlich  so  ausgewählt  werden, 
daß  sie  je  zur  Veranschaulichung  eines  „Typus"  dienen;  aber  die  Praxis  hält 
damit  durchaus  noch  nicht  gleichen  Schritt.  Geographische  Wandbilder  nach 
der  Art  der  in  Deutschland  gebräuchlichen  sieht  man  so  gut  wie  gar  nicht; 
dafüi'  wird  erwartet,  daß  die  Lehrerin  im  Laufe  der  Zeit  aus  Zeitschriften  u.  a. 
passende  Bilder  ausschneide  und  für  Schulzwecke  sammele:  das  Saomielbucb 
ist  ein  wichtiger  Bestandteil  des  geographischen  Laboratoriums.  Vor  allem 
aber  dient  der  Illustrierung  des  Unterrichts  im  größten  Maße  das  Stereoptikon. 
Eine  Schule,  die  auf  der  Höhe  stehen  will,  kann  ohne  ein  solches  nicht  aus- 
konunen.  Um  die  Kosten  der  teuren  Glasbilder  zu  verringern,  ist  in  einigen 
Teilen  des  Landes  ein  lebhaftes  Tauschgeschäft  zwischen  den  verschiedenen 
Schulen  im  Gange,  so  daß  sich  auch  minder  bemittelte  Gemeinden   leihweise 

1)  Z.  B.  Redway  in  seinem  ganz  vorzüglichen  Buche  „The  New  Basis  of 
Greography".    Neu- York,  Mc.  Millan  1901. 

2)  G.  Z.  1898.    S.  277.  278. 


682  Martha  Krug-Genthe: 

die  Annehmlichkeit  solcher  Illustration  verschaffen  können.  Eine  regelrechte 
Organisation  znr  gegenseitigen  Aushilfe  mit  diesen  und  anderen  Anschauungs- 
mitteln hat  sich  vor  ein  paar  Jahren  organisiert,  das  „American  Bureau  of 
Geography",  in  dem  man  sich  gegen  einen  Beitrag  von  wenigen  Mark  leih- 
weise alle  möglichen  Glasbilder,  Gesteinsproben  und  sonstigen  Laboratoriums- 
bedarf verschaffen  kann^).  Geographische  Ausstellungen  liefern  von  Zeit  zu 
Zeit  tibersichten  über  die  neuesten  Erscheinungen  dieser  Art  und  dienen 
stets  dazu,  in  ihrem  Teile  des  Landes  die  Sammel-  und  Yeranschaulichungs- 
lust  neu  zu  beleben'). 

Es  braucht  wohl  kaum  gesagt  zu  werden,  daß  die  Privatlektüre  natvir- 
lich  auch  in  den  Schulen  dieser  Art  nicht  vemachlftssigt  wird.  Was  bei 
Besprechung  der  höheren  Schulen  über  den  Gegenstand  gesagt  wurde,  gilt 
auch  hier.  Wenn  Wissen  und  Können  als  die  beiden  Hauptziele  des  Unter 
richts  hingestellt  werden,  so,  sagt  Dodge,  „gehört  zum  Können  auch  die 
Fähigkeit,  neues  Material  in  allen  verfügbaren  Quellen  des  Wissens  zu  finden, 
und  die  erkannte  Wahrheit  unparteiisch  und  genau  zu  klassifizieren  und  an- 
zuwenden"'). Der  ganze  Unterricht  ist  ja,  trotz  aller  Laboratorien,  auch 
unter  der  Reform  noch  viel  mehr  eine  Anweisung  zum  verständigen  Gebrauch 
eines  Buches,  als  eine  Geographiestunde  nach  deutschen  Begriffen.  Das  Lehr- 
buch ist  nicht,  wie  in  Deutschland,  ein  Hilfsbuch  zur  häuslichen  Wieder- 
holung, sondern  im  wahren  Sinne  seines  amerikanischen  Namens  ein  texi- 
hoök^  ein  Text,  der  dem  Unterricht  zu  Grunde  gelegt  wird.  Er  wird  nicht 
mehr  auswendig  gelernt  und  aufgesagt,  wie  früher;  er  ist  vom  Herrn  des 
Unterrichts  zum  Diener  geworden,  aber  zu  der  Sorte  von  Dienern,  die  un- 
entbehrlich sind.  Der  Text  Mrird  gelesen,  erklärt,  veranschaulicht,  aber  er 
bleibt  das  verbindende  Glied  zwischen  Lehrer  und  Schüler.  Frye  gibt  in 
seinem  Hilfsbuche  für  Lehrer*)  mehrere  Lehrproben,  wie  er  sich  die  Ver- 
wendung des  Buches  denki     Sie  seien  hier  wiedergegeben. 

1.  Die  Klasse  liest  den  bezeichneten  Abschnitt  leise  durch  und  wird 
dann  aufgefordert,  jeden  Abschnitt  mit  eigenen  Worten  wiederzugeben.  Oder 
2.  dasselbe,  aber  anstatt  der  mündlichen  Wiedergabe  schreibt  jeder  über  den 
Inhalt  jedes  Satzes  eine  Frage,  die  dann  an  den  Nachbar  gerichtet  wird,  der, 
wenn  er  antworten  kann,  seinerseits  weiter  fragt.  Oder  3.  der  Lehrer  schreibt 
ein  Stichwort  für  den  Inhalt  eines  jeden  Satzes  an  die  Tafel,  und  die  Schüler 

1)  American  Bureau  of  Geography,  Winona,  Minn.  Das  „Bulletin  of  the 
American  Bureau  of  Geography",  an  dem  die  bekamitesten  Geographen  Mitarbeiter 
waren,  ist  seit  1902  mit  Dodges  „Journal  of  School  Geography*'  zu  dem  „JonmiU 
of  Geography"  verschmolzen, 

2)  Wohl  die  erste  vor  etwas  mehr  als  zwei  Jahren  im  Brooklyn  Institute  of 
Arts  and  Sciences.  Eine  andere  1899  in  Springfield,  Mass.  Die  letzte  und  in 
mancher  Hinsicht  umfangreichste  im  Dezember  1901  in  Des  Moines,  Jowa.  In  Folge 
davon  wurden  von  den  Stereoptikonbildem  von  Comell  College,  Jowa,  die  dort 
ausgestellt  waren,  im  Schuljahr  1901/1902  fast  tausend  Stück  von  Schulen  entliehen, 
im  folgenden  (Herbst  1902  beginnend)  waren  bis  November  bereits  500  bestellt. 
(Privatbrief) 

3>  Teachers  College  Record,  a.  a.  0.  S.  6. 

4i  Teachers  Manual,  to  accompany  Fryes  (leographies.  Boston,  Ginn  &  Co. 
1807.     S.  öfF. 


Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten.  683 

referieren  im  Anschlüsse  daran,  mündlich  oder  schriftlich.  Oder  4.  „lest  den 
Abschnitt  durch  und  denkt  beim  Lesen,  welche  Frage  ich  wohl  bei  jedem 
Satze  stellen  könnte;  seid  bereit,  mir  jede  mögliche  Frage  zu  beantworten"  u.s.w. 
So  wird  die  Stunde,  wenn  auch  nicht  mehr  in  der  früheren  geisttötenden 
Weise,  doch  noch  immer  stets  mehr  oder  weniger  receptive  Aufgaben  an  das 
Kind  stellen,  und  wo  die  Selbstbetätigung  eintritt,  da  geht  man  ins  „Labo- 
ratorium". Eine  geographische  Lektion  in  dialogischer  Form  auf  Grund  der 
Wandkarte  ist  den  meisten  Kindern  in  amerikanischen  Schulen  etwas  völlig 
Fremdes,  und  als  ich  mit  der  Naivet&t  der  deutschen  Lehrerin  hier  meine 
erste  Geographieklasse  übernahm  und  auf  diese  mir  einzig  bekannte  Weise 
verfuhr,  waren  meine  Schüler  zu  meiner  nicht  geringen  Verblüffung  offenbar 
der  Meinung,  eine  Geographiestunde  ohne  Buch  sei  überhaupt  keine  Stunde, 
sondern  ein  ungeheurer  Jux.  So  erst  wird  es  verständlich,  daß  das  „Labo- 
ratorium" von  allen  Seiten  als  so  notwendig  gefordert  wird :  diese  Art  Übungen, 
die  in  Deutschland  einfach  ein  integrierender  Teil  des  Unterrichts  sind,  er- 
seheinen dem  amerikanischen  Empfinden  nicht  als  so  unbedingt  dazu  gehörig; 
da  man  aber  ganz  richtig  fOhlt,  daß  Geographie  ohne  dies  keinen  Zweck 
hat,  so  fordert  man  logischerweise  Textbook  plus  Laboratory,  Das  Resultat 
ist  ja  schließlich  gleich:  aber  es  spricht  nicht  sehr  rühmlich  für  den  all- 
gemeinen Stand  des  unterrichtlichen  Niveaus,  daß  eine  solche  Trennung  über- 
haupt möglich  ist. 

Hier  liegt  in  der  Tat  gegenwärtig  die  größte  Schwierigkeit,  in  den 
üblen  Nachwirkungen  der  nun  glücklich  überwundenen  fttlheren  Zustände,  die 
sich  am  nachteiligsten  in  der  ungenügenden  Vorbildung  der  Lehrer  zeigen. 
Der  Lehrberuf  ist  als  Beruf  in  den  Vereinigten  Staaten  eigentlich  überhaupt 
noch  nicht  entwickelt.  Die  Zahl  derer,  die  nach  Absolvierung  ihrer  Schule 
ein  paar  Jahre  untemchten,  bis  sich  ihnen  etwas  Erträglicheres  bietet,  ist 
erschreckend  groß,  und  in  einer  solchen  Auffassung  als  Durchgangsstadium 
kann  das  auf  diese  Tätigkeit  verwandte  Interesse  nicht  allzu  groß  sein. 
Erst  vor  wenigen  Jahren  hat  man  begonnen,  Lehrerbildungsanstalten  in 
größerem  Maße  zu  gründen  und  Fachbildung  bei  der  Anstellung  obligatorisch 
zu  machen.  In  dem  wegen  seiner  guten  Schulen  berühmten  Minnesota  waren 
nach  der  letzten  Statistik  66%  der  Lehrer(innen)  auf  Colleges  vorgebildet,  20 7o 
auf  Seminaren,  und  14%  hatten  nur  High  School- Bildung,  also  etwa  das 
Äquivalent  einer  höheren  Mädchenschule.  Die  Prozente  aus  zehn  Staaten  des 
mittleren  Westens  stellten  sich  zur  Zeit  der  vorjährigen  Versammlung  der 
National  Educational  Association  auf  folgende  Zahlen:  College -Vorbildung: 
Maximum  6,4 7o?  Minimum  l,l7o-  Seminar  (aller  Arten,  von  einjährigem  bis 
vierjährigem  Kursus):  Max.  53,l7o?  Min.  2ß%.  Nur  High  School- Vorbildung: 
Max.  68%,  Min.  30,l7o-  Nur  Volksschulbildung  ohne  High  School: 
Max.  45%.  Min.  13,37o^). 

Auf  den  Seminaren,  die  reine  Berufsschulen  sind  und  sich  mit  zwei- 
jährigem, vorwiegend  praktischem  Kursus  an  die  High  School  anschließen 
(obwohl   auch   ohne  High   School -Diplom   die   Zulassung    möglich    ist),  kann 

1)  Proceedings  of  the  National  Educational  Association.   1902. 


(584  Martha  Krug-Genthe:  Die  Geographie  in  den  Vereinigten  Staaten. 

natürlich  von  eigentlichem  Geographieunterricht  nicht  die  Bede  sein:  die  20 
bis  35  Wochen  zu  je  vier  Stunden,  die  dem  Gegenstande  gewidmet  sind, 
werden  naturgemäß  durch  die  methodische  Behandlung  des  Gegenstandes  oder, 
wie  der  Wortlaut  des  Lehrplans  manchmal  heißt,  durch  „Wiederholung  des 
Gegenstandes  nach  methodischen  Gesichtspunkten^^  ausgefällt.  Der  Fehler  ist 
nur,  daß  in  so  vielen  Fällen  nichts  zu  wiederholen  da  ist,  und  daß  auf  diese 
Weise  die  Tragikomik  einer  Ausbildung  zu  Stande  kommt,  in  der  der  Zögling 
„nur  Methode  und  keinen  Stoff  lernt"  ^),  wie  alle  einsichtsvollen  Beurteiler 
der  Situation  übereinstimmend  beklagen.  Kommt  der  Zögling  von  einer  High 
School,  wo  er  keine  Geographie  gehabt  hat  (und  bei  dem  elektivem  System 
der  High  Schools  ist  das  auch  jetzt  noch  möglich),  so  tritt  er  in  sein  Lehr- 
amt ein  mit  genau  so  viel  Sachkenntnis  (oder  weniger,  wenn  man  die  Fähig- 
keit, früher  Gelerntes  zu  vergessen,  in  Anrechnung  bringt),  vrie  er  selbst 
seinen  Schülern  einzupauken  hat.  Hat  er  Geographie  auf  der  High  School 
gehabt,  und  wird  er  an  einer  solchen  Schule  angestellt,  so  ist  der  FaU  der- 
selbe. Geht  er  von  der  High  School  aufs  College,  so  bekommt  er  eine  gute 
wissenschaftliche,  aber  keine  methodische  Vorbildung,  und  wenn  das  auch 
dem  umgekehrten  Falle  vorzuziehen  ist,  denn  der  tüchtige  Lehrer  baut  sich 
seine  Methode  selbst,  so  vergehen  über  diesem  Bauen  doch  Monate  und  Jahre, 
während  deren  die  Schule  das  Lehrgeld  für  den  Anfänger  zu  zahlen  bat. 
Alle  einsichtigen  Beurteiler  der  Situation  sind  daher  einig  in  der  Forderung, 
daß  vor  allem  die  Beform  in  der  Lehrerbildung  einsetzen  müsse,  wenn  alle 
Opfer  ftti-  die  schönen  Laboratorien  nicht  umsonst  gewesen  sein  sollen. 
„Wenn  ein  Kursus  wie  in,  sagen  wir  Weimar,  jetzt  in  einer  Stadt  der  Ver- 
einigten Staaten  eingeführt  würde,"  sagt  Bedway*),  „so  wären  die  Folgen 
niederechmettemd  (disastrous).  Die  Lehrer  wären  nicht  im  Stande,  den 
Unterricht  in  der  vorgeschriebenen  Weise  zu  erteilen,  die  Schüler  unfthig, 
ihn  zu  assimilieren."  „In  keinem  ünterrichtsgegenstande  kann  Deutsch- 
land den  amerikanischen  Schullehrer  mehr  lehren  als  in  Geographie"*).  ,^uf 
die  Frage:  Was  ist  zu  tun?  möchte  ich  an  erster  Stelle  sagen:  schafft  bessere 
Lehrer*'*).  „Die  Schwierigkeit  liegt  in  der  Einführung  der  neuen  Geographie 
durch  Lehrer,  die  in  der  alten  ausgebildet  worden  sind"*)  —  diese  und  andere 
Stimmen,  deren  Zahl  von  Tag  zu  Tag  zunimmt,  beweisen,  daß  man  die  Lage 
durchaus  richtig  erkennt.  Damit  ist  für  amerikanische  Verhältnisse  auch 
schon  der  Anfang  einer  Änderung  ausgesprochen.  Die  Lehrerseminare  suchen 
sich  Geographen  zur  Erteilung  des  Geographieunterrichts,  es  bilden  sich  Ver- 

1)  Redway:  „Viele  Seminare  widmen  sich  zu  ausschließlich  der  Methode,  um 
das  zu  leisten,  was  am  nötigsten  ist,  n&mlich,  die  Erteilung  guten  Unterrichts  in 
den  allgemeinen  Grundbegriffen  der  Geographie."  The  New  Basis  of  Geography. 
S.  210.  Tarr:  „In  vielen  Seminaren  erhalten  die  Schüler  Unterweisung  in  der  Me- 
thode, ohne  den  Gegenstand  zu  kennen,  auf  den  die  Methode  angewandt  wird." 
The  Teaching  of  Geography.  National  Geographie  Magazine.  Vol.  XTTI.  S.  57. 

2)  The  New  Basis  of  Geography.  S.  174. 

3)  Monroe.  Geographica!  Instruction  in  Germany.  The  Journal  of  School 
Geography.  Vol.  I. 

4)  Tarr.  The  Teaching  of  Geography.  Nat.  Geogr.  Mag.    Vol.  XIII.  S.  65. 

5)  Report  on  Geography.  New  England  Association  of  School  Superintendent«.  S.  12. 


Wagner:  Vorschläge  z.  VervollstäDdigung  offizieller  Arealangaben.  685 

eine  von  Lehrern  und  Lehrerinnen  zur  Förderung  der  Geographie,  und  vor 
allem  nehmen  die  Universitäten  und  Colleges  durch  Sonderkurse  für  Lehrer 
und  Lehrerinnen  während  der  langen  Sommerferien  rühmlichen  Anteil  an  den 
Bemühungen,  bessere  Zustände  herbeizuführen^).  Wenn  auf  diese  Weise  das 
wissenschaftliche  Niveau  der  Lehrer  allmählich  gehoben  wird,  so  werden  die 
Methoden  von  selbst  abgeglichener  und  stabiler  werden,  und  so  kann  mit 
Bestimmtheit  erwartet  werden,  daß  Davis'  Urteil:  „Das  Bemerkenswerteste 
an  der  Schulgeographie  der  letzten  zehn  Jahre  ist  der  Fortschritt,  den  sie 
gemacht  hat"*),  in  weiteren  zehn  Jahren  noch  in  ganz  anderem  Umfange 
berechtigt  sein  wird  als  heute. 


Vorsclüäge  zur  YerYoUständigimg  offizieller  Arealangaben. 

Vortrag 
gehalten  bei  der  IX.  Tagung  des  Internationalen  Statistischen  Instituts  zu  Berlin 

von  Hermann  Wagner. 

Die  äußerst  seltene  Gelegenheit,  als  Geograph  vor  einem  Kreise  von 
Statistikern,  insbesondere  der  Vertretung  der  offiziellen  Statistik,  oft  empfun- 
dene Wünsche  vortragen  zu  dürfen,  ergreift  mit  doppelter  Freude,  wessen 
Lebensarbeit  so  vielfach  in  der  Statistik  wurzelt.  Schon  im  Jahre  1872  war 
es  mir  vergönnt,  die  erste  Ausgabe  einer  mit  meinem  Freunde  Behm  ins 
Leben  gerufenen  Publikation  persönlich  dem  Internationalen  Statistischen  Kon- 
greß zu  Petersburg  vorlegen  zu  dürfen,  deren  Titel  „Die  Bevölkerung  der 
Erde"  besagt,  daß  sie  die  gleichen  Zwecke  verfolgte,  denen  die  in  diesem 
Kreise  bekanntere  Arbeit  der  Herren  Levasseur  und  Bodio  gewidmet  ist. 
Eine  Neuausgabo  dieser  letzteren  ist  es,  die  heute  zur  Erörterung  steht. 
Erstreckt  sie  sich  auch  bisher  nur  über  Europa,  so  bietet  sie  doch  sofort  eine 
Fülle  von  Einzelfragen,  die  es  sich  verlohnte  in  diesem  Kreise  zu  berühren. 
Die  Kürze  der  Zeit  zwingt  zur  Beschränkung.  Ich  unterlasse  es  daher  ab- 
sichtlich zur  eben  diskutierten  Frage  einer  zweckmäßigen  Begrenzung  Europas 
vom  Standpunkt  der  politischen  und  der  physischen  Geographie,  einer  Frage, 
die  man  wohl  eine  eminent  geographische  nennen  darf,  auch  nur  mit  einem 
Worte  Stellung  zu  nehmen.  Nach  Verabredung  mit  meinen  Herrn  Korrefe- 
renten liegt  mir  die  Beleuchtung  des  Standes  der  europäischen  Arealstatistik 

1)  Die  Comell  Universität  (Ithaca,  N.-Y.)  zeigfte  för  diesen  Sommer  folgende  Kurse 
an,  die  von  9  verschiedenen  Dozenten,  darunter  Tarr,  Brigham»  Mc.  Murry  u.  a., 
erteilt  werden:  Physikalische  Geographie  des  Landes.  Praktikum  (=  ^feorotory  course) 
in  physischer  Geographie.  Phy Biographische  Exkiursionen.  Dynamische  Geologie. 
Geologisches  Praktikum  (=  Ictboratory  coursf).  Geologische  Exkursionen.  Geographie 
der  Vereinigten  Staaten.  Geographie  von  Europa.  Heimatkunde.  Typenstudien 
in  Geographie  für  Grammar-Klassen  (6. — 8.  Schuljahr).  Handelsgeographie.  Prak- 
tikum und  Exkursionen  in  Handelsgeographie.  Praktische  Fragen  des  Schulunter- 
richts. Laboratoriumsmethoden  für  Schulklassen,  Seminar  mit  Diskussionen.  Kursus 
für  Fortgeschrittene  in  dynamischer  Geologie  und  physischer  Geographie. 

2)  Davis.  The  Progress  of  Geography  in  the  Schools.  First  Yearbook  of  the 
National  Society  for  the  Scientific  Study  of  Education.    Chicago,  1902.    S.  7. 


(586  Hermann  Wagner: 

ob.  Ich  kann  in  mein  Thema  nicht  eingehen,  ohne  den  Herren  Verfassern 
den  besonderen  Dank  der  Geographen  dafür  auszusprechen,  daß  sie  in  ihrer 
wertvollen  Arbeit  uns  in  so  ausgiebiger  Weise  über  die  Herkunft  und  die 
Bedeutung  der  mitgeteilten  Flächenangaben  orientieren. 

1.  Ich  glaube  annehmen  zu  müssen,  daß  die  Arealstatistik  der  Mehrzahl 
der  Herren  Statistiker  ziemlich  fem  liegt,  und  greife  daher  mit  einigen  Worten 
zurück.  Im  Laufe  eines  Menschenalters  und  mehr  haben  wir  im  Bereich  der 
Aufgabe,  eine  richtige  Kenntnis  der  Flächengrößen  aller  jener  politischen 
Räume,  welche  wir  Staaten,  Provinzen,  Kreise,  Kantone  u.  s.  f.  nennen,  und 
in  deren  Rahmen  sich  doch  alle  Erscheinungen  abspielen,  die  der  Stati- 
stiker durch  Massenbeobachtungen  festzustellen  sucht,  recht  erfreuliche  Fort- 
schritte gemacht.  Im  Jahre  1869  herrschte  in  betreff  jener  Größen  noch 
eine  erhebliche  Unsicherheit.  Auf  dem  Kongreß  im  Haag  übernahm  es  Ruß- 
land, spezielle  Erhebungen  nach  dieser  Richtung  anzustellen.  Wohlverstanden 
aber  nicht  in  der  üblichen  Form  der  einfachen  Umfrage,  wie  groß  jeder 
einzelne  Staat  sein  Territorium  und  das  seiner  Verwaltungsbezirke  annehme, 
sondern  indem  man  ganz  neue  Messungen  in  die  Wege  leitete.  Das  Stati- 
stische Zentralkomitee  zu  St.  Petersburg  entledigte  sich  der  übernommenen 
Aufgabe,  indem  es  den  bereits  durch  seine  planimetrische  Ausmessung  Ruß- 
lands rühmlichst  bekannten  General  Strelbitzky  für  die  Sache  gewann. 
Das  erforderliche  Kartenmaterial  großen  Maßstabes  ward  alsdann  auf  offi- 
ziellem Wege  von  jedem  Einzelstaat  beschafft.  In  unermüdlicher  Tätigkeit 
vollendete  Strelbitzky  die  Riesenarbeit.  Nach  sieben  Jahren  lag  sie  in  der 
bekannten,  heute  leider  völlig  vergriffenen  Publikation  „La  snperficie  de 
TEurope"  vor,  die  1882  in  St.  Petersburg  erschien.  Statistik  und  Geographie 
haben  alle  Ursache  für  immer  dieses  Zeugnisses  entsagender  Pflichttreue 
dankbar  zu  gedenken. 

Dies  Werk  hat  freilich  nicht  den  vom  Autor  wohl  erhofften  Erfolg  ge- 
habt, daß  die  europäischen  Staaten  von  Staats  wegen  die  eigenen  Berechnungen 
des  Flächengehalts  verwarfen  und  die  Strelbitzkyschen  als  offizielle  annahmen. 
Wir  düifen  heute  sagen  mit  Recht,  da  auch  seine  Ergebnisse  noch  eine  sehr 
gründliche  Durchprüfung  erforderten,  und  sich  gezeigt  hat,  daß  er  dem  ihm 
vorgelegten  Kartenmaterial  in  betreff  der  politischen  Grenzen  im  allgemeinen 
etwas  zu  großes  Vertrauen  schenkte.  Aber  das  Werk  hat  doch  den  Gewinn 
gebracht,  daß  eine  ganze  Reihe  von  Staaten  sich  durch  die  Strelbitzkyschen 
Berechnungen  von  der  Unzulänglichkeit  der  bisherigen  Annahmen  über  die 
Größe  des  eigenen  Staatsgebietes  und  seiner  Verwaltungsbezirke  überzeugte 
und  alsbald  eine  sorgfältige,  planimetrische  Ausmessung  der  topographischen 
Karte  größten  Maßstabes  im  eigenen  Lande  in  die  Hand  nahm. 

Ich  erinnere  in  dieser  Beziehung  nur  an  die  vortreffliche  Publikation 
„Superficie  del  Regno  d^  Italia^^  vom  Jahre  1894,  mit  späteren  Nachträgen 
vom  Istituto  geografico  militare  zu  Florenz  herausgegeben.  Oder  an  die  Be- 
rechnungen des  Service  geographique  de  Tarmee  von  1887  und  1894,  die 
man  den  Anregungen  des  Herrn  Levasseur  im  Conseil  sup^rieur  de  stati- 
stic^ue  verdankt.  Daß  aber  in  anderen  Staaten  in  dieser  Richtung  noch 
etwas   zu   erreichen   ist,  will  ich    durch  ein  Kuriosum  illustrieren,  das  noch 


Vorschläge  zur  Yervollständignng  offizieller  Arealangaben.    687 

nicht  allen  Statistikern  bekannt  geworden  sein  dürfte.  Es  gibt  inmitten 
Europas  einen  souveränen  Staat,  dessen  Territorium  man  durch  Jahrzehnte 
bis  vor  wenigen  Monaten  15  mal,  sage  und  schreibe  um  volle  1400  Prozent, 
überschätzt  hat!  um  einen  Großstaat  handelt  es  sich  freilich  nicht.  Das 
Fürstentum  Monaco  ist  es.  Bisher  in  allen  statistischen  Publikationen  mit 
einem  Areal  von  22  qkm  angenommen,  hat  es  in  Wahrheit  nach  einer  vor 
kurzem  in  Ootha  vorgenonunenen  planimetrischen  Messung  nicht  mehr  als 
deren  lYj,  würde  also  bequem  im  Berliner  Tiergarten  {2}/^  qkm)  Platz 
finden.  Die  Zahl  von  22  qkm  rührt  von  Strelbitzky  her;  er  ist  in  diesem 
Fall  dem  Mangel  an  Prüfung  der  Güte  und  Neuheit  des  von  ihm  benutzten 
Kartenmaterials  zum  Opfer  gefallen,  und  wir  alle,  die  wir  vergleichende 
Arealstatistik  treiben,  mit  ihm.  Strelbitzky  maß  auf  der  älteren  „Carta 
degli  Stati  Sardi"  in  1  :  50000,  ohne  gewahr  zu  werden,  daß  auf  dieser 
Mentone  und  Roquebrune  noch  in  den  Grenzen  des  Fürstentums  verzeichnet 
waren,  während  sie  sich  schon  1848  losgesagt,  jedenfalls  1861  französisch 
geworden^waren.  — 

2.  Überschaut  man  nun  die  Zusammenstellungen  der  Herren  Levasseur 
und  Bodio  über  Fläche  und  Bevölkerung  Europas,  so  ergibt  sich,  daß  die 
der  Theorie  nach  —  aber  keineswegs  immer  nach  der  Praxis  —  genauesten 
Bestinunungen  des  Areals  auf  Grund  der  Katastervermessung  nur  für 
Großbritannien  und  Irland,  sowie  die  Mehrzahl  der  mitteleuropäischen  Staaten 
eingestellt  sind,  also  für  Dänemark,  Niederlande,  Belgien,  Deutsches  Reich, 
Österreich-Ungarn.  Aus  genauen  Ausmessungen  topographischer  Karten 
resultieren  die  Zahlen  für  Südwesteuropa,  nämlich  Frankreich,  Spanien  und 
Portugal  und  Italien,  femer  für  die  nördlichen  Balkanstaaten,  Serbien,  Bul- 
garien und  Rumänien,  endlich  für  die  beiden  skandinavischen  Königreiche. 
In  betreff  der  Schweiz  ist  ein  gemischtes  System  befolgt.  Fast  überall  hat 
sich  gezeigt,  daß  die  neuen  Ausmessungen  ein  etwas  geringeres  Resultat  er- 
geben haben,  als  es  Strelbitzky  fand.  Nur  Frankreich  macht  dabei  aus  gleich 
zu  erörternden  Gründen  eine  Ausnahme.  Für  die  Türkei  und  Griechenland 
konnten  nur  anderweitige  Ausmessungen  auf  Übersichtskarten  denen 
Strelbitzkys  gegenüber  gestellt  werden.  Für  das  ungeheuere  Staatsgebiet 
des  europäischen  Rußland,  das  mehr  als  die  Hälfte  des  Kontinents  umfaßt, 
lagen  ausschließlich  die  Ergebnisse  seiner  planimetrischen  Ausmessungen  auf 
der  Karte  1  :  420000  vor.  Es  ist  also,  das  wollte  ich  konstatieren,  auch 
heute  noch  ein  ziemlich  ungleichwertiges  Material,  welches  der  Statistiker  in 
betreff  der  Flächengröße  der  europäischen  Staaten  und  ihrer  Unterabteilungen 
zu  Rate  ziehen  muß. 

Ich  gehe  nun  absichtlich  der  Kürze  der  Zeit  wegen  auf  die  feineren 
Korrekturen  nicht  ein,  welche  erforderlich  wären,  um  die  Angaben  direkt 
vergleichbar  zu  machen.  Nur  einige  Andeutungen  mögen  gestattet  sein. 
Bekanntlich  messen  wir  niemals  die  wahre  topographische  Fläche,  auf  der 
wir  uns  bewegen,  mit  allen  ihren  Unebenheiten,  dem  Wechsel  von  hoch  und 
niedrig,  steilem  Aufstieg  oder  flacher  Lagerung,  sondern  immer  nur  deren 
Projektion  auf  eine  ideale  Erdoberfläche,  auf  das  sich  der  Erdgestalt  am 
besten  anschmiegende  Erdsphäroid.    Die  Mehrzahl  der  w^teuropäischen  Staaten 


G88         .  Hermann  Wagner: 

legt  bei  ihren  Vermessungen  und  also  auch  bei  ihren  Arealbestimmungen 
die  Bess eischen  Dimensionen  der  Erde,  nach  seiner  Berechnung  vom  Jahre  1841, 
zu  Grunde.  Strelbitzky  ging  von  dem  etwas  größeren  Sphäroid  nach  Clarke 
(1866)  aus.  Immerhin  ist  nach  letzterem  jedes  Gradfeld  in  europäischen 
Breiten  rund  um  2  qkm  größer  als  nach  Bessel.  Da  ein  solches  im  Mittel 
7000  qkm  groß  ist,  so  müßte  man  alle  in  der  Westhälfte  Europas  gemes- 
senen Flächen  eigentlich  um  Ygj  bis  ^j^  Prozent  erhöhen,  um  sie  sich  auf 
das  gleiche  Erdsphäroid  projiziert  zu  denken,  auf  dem  Strelbitzky  maß.  Das 
bringt  für  das  Deutsche  Reich  bereits  150  qkm  mehr. 

Andererseits  erscheint  Rußland  durch  Annahme  eines  etwas  zu  kleinen 
Reduktionsfaktors  bei  Umrechnung  der  Quadratwerst  in  Quadratkilometer 
um  rund  110  qkm  zu  klein,  als  es  nach  den  offiziellen,  d.  h.  Strelbitzkyschen 
Zahlen  angenommen  wird.  Ich  sage,  ich  übergehe  diese  theoretisch  unan- 
fechtbaren Einwände  —  von  der  Berechnung  der  wahren  topographischen 
Fläche  zu  schweigen,  die  wir  ruhig  späteren  Jahrhunderten  überlassen 
wollen  — ,  weil  auch  die  dabei  zu  Tage  tretenden  Differenzen  verschwinden 
gegenüber  der  Unsicherheit  im  Messimgsverfahren  an  sich  und  weit  mehr  noch 
der  UnZuverlässigkeit  im  Kartenmaterial,  besonders  was  Osteuropa  anbelangt. 
Südwesteuropa  nebst  Skandinavien  figurieren  in  Levasseurs  imd  B odios 
Übersicht  mit  einem  rund  um  15  600  qkm  kleineren  Areal  (wenn  man  des  rich- 
tigeren Vergleichs  wegen  bei  Frankreich  für  jetzt  von  den  Küstengewässem, 
2500  qkm,  absieht),  als  es  diesen  Ländern  von  Strelbitzky  gegeben  wurde. 
Und,  wie  ich  glaube,  geschieht  dies  mit  Recht;  man  muß  heute  auch  für 
Norwegen  und  Schweden  den  offiziellen  Zahlen  den  Vorzug  vor  den  Strel- 
bitzkyschen geben,  was  bis  jetzt  z.B.  im  Gothaer  Hof kalender  noch  nicht  geschah. 

Gern  würde  ich  mich  einen  Augenblick  in  die  inneren  Schwierigkeiten 
vertiefen,  welche  die  verschiedenen  Verwaltungszweige  eines  und  desselben 
Staates  noch  heute  finden,  um  zu  einem  gemeinsamen  Resultat  über  die 
Größe  des  Staatsgebietes  und  seiner  administrativen  Unterabteilungen  zu  ge- 
langen. Das  19.  Jahrhundert  ist  trotz  wiederholter  Versuche  zu  Ende  ge- 
gangen, ohne  daß  Katastervermessung  und  topographische  Landesvermessung 
in  der  großen  Mehrzahl  europäischer  Staaten  unter  einen  Hut  gekommen 
wären.  Lebendig  schildert  uns  das  klassische  Werk  des  Generals  Berthaut: 
„La  Carte  de  France  1750  —  1898"  (L  1899),  die  großen  Anstrengungen, 
welche  Akademiker  und  Ingenieur -Geographen  Frankreichs  unter  Führung 
von  Laplace  in  den  Zeiten  der  Vorbereitung  für  die  zweite  Landesaufnahme 
machten,  um  die  Eatasterbehörden  zur  Kooperation  zu  veranlassen.  Sie 
scheiterten  am  passiven  Widerstand  der  letzteren;  die  Feldmesser  zeigten  sich 
der  ihnen  zugemuteten  Aufgabe  nicht  gewachsen.  In  Großbritannien  nahm 
daher  der  Ordnance  Survey  selbst  die  Herstellung  der  Grundlage  für  die 
Flurkarten  oder  Katasterkarten  in  die  Hand;  die  topographische  Karte  basiert 
dort  auf  der  Parishekarte  in  dem  großen  Maßstabe  1  :  2500  und  ward  erst 
nach  Vollendung  der  letzteren  ernstlich  in  Angriff  genommen.  Ähnliches 
ließe  sich  für  einzelne  süddeutsche  Staaten  berichten. 

Genug,  erst  vom  kommenden  Jahrhundert  muß  erhofft  werden,  daß  all- 
gemein  in   unseren  Kulturstaaten   die  Katastervermessung   sich   dem   trigono- 


Vorschläge  zur  Vervollständigung  offizieller  Arealangaben.     689 

metrischen  Netz  dritter  und  vierter  Ordnung,  wie  es  die  Geodäten  jeweilig 
vorbereiten,  unterordnet.  Dann  muß  der  Zwiespalt,  welcher  in  den  Ergeb- 
nissen des  Katasters  und  der  topographischen  Karten  betreffs  der  Verschieden- 
heit der  Grenzlinien  von  Gemeinden,  Kantonen,  Kreisen  u.  s.  w.,  aber  ebenso 
ihrer  planimetrischen  Ausmessungen  oft  beklagt  wird,  aufhören.  Und  man 
erhält  eine  Garantie,  daß  weder  Auslassungen  noch  Doppelrechnungen  in  den 
kleinsten  Teilen  benachbarter  Flurkarten  vorkommen,  oder  wenigstens  die  Mög- 
lichkeit einer  wirklichen  Kontrolle,  wie  sie  jetzt  großenteils  fehlt.  Doch  das 
ist  ein  wenig  Zukunftsmusik,  und  ich  bin  mir  bewußt,  daß  zur  Anbahnung 
dieses  Zieles  die  statistischen  Zentralbehörden  nicht  viel  beizutragen  ver- 
mögen, wenn  nicht  etwa,  wie  dies  in  Württemberg  der  Fall,  Landesaufnahme 
und  Landesstatistik  unter  einer  Verwaltung  stehen. 

3.  Aber  in  einem  andern  Punkte  könnte  von  Seiten  der  offiziellen 
Statistik  etwas  mehr  geschehen.  Und  deshalb  besonders  erlaube  ich  mir  das 
Wort  zu  ergreifen.  Ich  befinde  mich  nach  unseren  Vorbesprechungen  dabei 
durchaus  in  Übereinstinmiung  mit  meinen  Korreferenten,  Herren  Levasseur 
und  V.  Juraschek.  Ich  meine  die  Inkonsequenz,  welche  in  der  offiziellen 
Arealstatistik  hinsichtlich  der  Einbeziehung  gewisser  Grenzgewässer 
in  die  Angaben  über  die  Fläche  des  Staatsterritoriums  besteht.  Aber  nicht 
minder  muß  die  Schwierigkeit,  die  erforderlichen  Daten  aus  den  mitgeteilten 
Arealzahlen  herauszuschälen,  betont  werden. 

Das  Gesamtareal  nach  Land-  und  Wasserfläche  zu  zergliedern,  hat  ja 
sicber  in  Ländern  mit  großen  Strömen  und  Reichtum  an  Seen  hohe  Be- 
deutung. Nicht  weniger  kommt  dies  bei  Ländern  mit  flachen  Doppelküsten, 
wie  sie  z.  B.  Deutschland  längs  der  Ost-  imd  Nordseeküste  besitzt,  in  Be- 
tracht. Und  bei  Gebieten,  die  vom  Ozean  bespült  werden,  mit  ihren  be- 
deutenden Niveauunterschieden  bei  Ebbe  und  Flut,  spielt  die  Sache  eine 
beträchtliche  Rolle.  Die  Insel  Re  an  der  Küste  der  Vend^e  hat  157  qkm 
festes  Land,  aber  sie  wächst  auf  267  qkm  an,  sobald  das  Meer  sich  bei  der 
Ebbe  zurückzieht*). 

Nun  schließt  z.  B.  Frankreich  neuerdings  auf  Grund  der  Ausmessung 
seines  Territoriums  durch  den  Service  geographique  de  Tarmee  auf  den  Kupfer- 
platten der  80 000 teiligen  Carte  de  TEtat- Major  sämtliche  Wattenflächen 
oder  „toute  la  laisse  de  la  plus  basse  mer  jusqu'au  0  des  cartes  marines" 
mit  rund  2500  qkm  in  seine  offiziellen  Flächenangaben  ein*). 

Es  ist  damit  auch  die  wesentlichste  Erklärung  gegeben  für  die  Diffe- 
renzen der  Ergebnisse  dieser  neuen  Ausmessung  mit  den  Berechnungen  Strel- 
bitzkys.  Während  diese  für  die  Mehrzahl  der  Departements  recht  gut 
stimmten,  blieb  er  in  demjenigen  längs  der  atlantischen  Außenseite  um 
ca.  3700  qkm  hinter  den  Resultaten  des  Service  geographique  zurück'). 

Die  Niederlande  verfahren  nicht  in  gleicher  Weise.  Dort  würde  die 
Einrechnung  der  Küstengewässer,  die  man  zu  5345  qkm  berechnet  hat*), 
wovon  der  größte  Teil  auf  die  Südersee  fällt,  allerdings  das  Gesamtgebiet 
des  Staates,  das  nur  33000  qkm  umfaßt,  um  ein  volles  Sechstel  vergrößern! 

1)  Bull.  Inst.  int.  de  stat.  XII.  1902.  S.  22.  2)  Ebenda. 

3)  Bevölk.  der  P:rde.  Vni.  1891.  S.  17.  4)  Ebenda.  X.  1899.  S  25.. 

Geographische  Zeitaohrift.  9.  Jahrgang.  1903.  12  Ueft  46 


690  Hermann  Wagner: 

Ebenso  schließt  die  offizielle  Statistik  des  Deutschen  Reiches  alle 
diese  Grenzgewässer,  die  sicher  mehr  als  8000  qkm  ausmachen,  aus^),  ob- 
wohl die  Ostseehaffe  nichts  anderes  sind  als  Strandseen,  ja  halbe  Binnenseen. 

Für  England  und  Irland  kennt  man  wenigstens  die  Größe  dieser 
Grenzgewftsser,  kann  sie  also  gegebenen  Falls  ab-  oder  zurechnen.  Aber  es 
herrscht  in  den  offiziellen  Publikationen  nach  dieser  Bichtung  durchaus  keine 
Übereinstimmung.  Bald  stecken  jene  Gewässer  in  der  mitgeteilten  Arealzahl, 
wie  beispielsweise  in  den  84  253  qkm  fftr  Irland,  bald  werden  sie  still- 
schweigend fortgelassen.  Für  Schottland  geschieht  dies  immer,  da  man  sie 
dort  überhaupt  nicht  kennt 

Sicher  müßte  man  sie  auch  bei  Dänemark  berücksichtigen,  das  reich 
ist  an  boddenartigen  Gewässern;  aber  es  ist  dort  ofßziellerseits  ebensowenig 
üblich  wie  in  Norwegen  oder  Schweden. 

So  kommt  es,  daß  die  Herren  Levasseur-Bodio,  indem  sie  sich  ihrem 
Prinzip  gemäß  streng  an  die  von  jeder  einzelnen  Regierung  eingesandten 
Ziffern  halten,  dem  festen  Boden  Europas  zwar  insgesamt  3500  qkm  Grenz- 
gewässer zurechnen,  nämlich  für  Portugal,  Frankreich,  England  und  Irland, 
aber  diejenigen  längs  anderweitiger  Küsten  im  Betrage  von  sicher  15 — 
16  000  qkm  nicht! 

Man  wird  zugeben  müssen,  daß  im  Interesse  vergleichender  Statistik 
eine  gewisse  Gleichartigkeit  des  Verfahrens  angestrebt  werden  müßte;  und 
da  dies  verhältnismäßig  leicht  durchzuführen  wäre,  ohne  große  Staatsaktionen 
interner  wie  internationaler  Art  in  Bewegung  zu  setzen,  so  meinen  wir,  das 
Internationale  Statistische  Institut  könne  die  Anregung  dazu  wohl  in  die 
Hand  nehmen.  Aber  es  würde  schon  viel  erreicht  sein,  wenn  die  offiziellen 
Publikationen  sieb  wenigstens  deutlich  aussprechen  wollten  darüber,  auf 
welche  Kategorien  von  Flächen  sich  die  betreffenden  Ziffern  be- 
ziehen, und  wenn  sie  —  es  dem  Privatstatistiker  oder  dem  Geographen 
überlassend,  ob  sie  in  diesem  oder  jenem  Sinn  davon  Gebrauch  machen 
wollen  —  die  Einzelzahlen  für  diese  Grenzgewässer  gesondert  mit- 
teilen würden. 

Vielfach  kennt  man  sie  bereits,  wie  ich  schon  hervorhob,  aber  es  handelt 
sich  mehrfach  um  weitere  Ausfüllung  von  Lücken.  In  der  Einleitung  zu  den 
Ergebnissen  der  letzten  deutschen  Volkszählung  von  1900*)  wird  in  dankens- 
werter Weise  namhaft  gemacht,  wie  groß  die  Haffe  und  Küstengewässer 
längs  der  preußischen,  mecklenburgischen  und  schleswig-holsteinischen  Ostsee- 
küste sind.  Auch  die  Schätzungen  für  die  Wattenflächen  hn  Westen  Schles- 
wig-Holsteins und  die  zur  Provinz  gehörige  Eibfläche  findet  man  dort.  Aber 
eine  Summe  wird  nicht  gezogen,  weil,  wie  es  dort  heißt,  in  bezug  auf  Han- 
nover und  Oldenburg  in  diesem  Punkte  nichts  bekannt  sei.  Kun  wohlan, 
die  preußische  Wasserbauverwaltung  hat  in  ihren  großartigen  Werken  über 
die  deutschen  Ströme  so  reiches  Material  aller  Art  herbeigeschafft,  daß 
es   ihr  oder   einer   andern   zuständigen  Behörde   ein   leichtes  sein  würde,   die 


1)  Statistik  d.  D.  Reiches.  N.  F.  150.    Die  Volkszählung  v,  1.  Dez.  1900.  S.  58*. 

2)  Stat,  d.  D.  licichea.  A.  a.  0.  S.  58*. 


Vorschläge  zur  Vervollständigung  offizieller  Arealangaben.     691 

fraglichen  Küsten  einer  Ausmessung  von  autoritativem  Charakter  zu  unter- 
ziehen. Es  kommt  nur  darauf  an,  daß  der  Chef  des  preußischen  Statistischen 
Bureaus  hierzu  einmal  die  Anregung  gibt. 

4.  Ein  letzter  Punkt,  den  wir  zur  Sprache  bringen  möchten,  betrifft  die 
innern  Grenz gewässer,  vorzüglich  rücksichtlich  der  Binnenseen.  Aber  bei 
Grenzflüssen  wird  es  vielfach  ahnlich  liegen;  es  entziehen  sich  diese  Fälle 
aber  weit  mehr  der  Kognition. 

Wir  erfahren  aus  der  Arbeit  der  Herren  Levasseur-Bodio,  daß  Frank- 
reichs offizielle  Arealangabe  mit  536464  qkm  den  französischen  Anteil  des 
Genfersees  mit  umfaßt  (was  freilich  nach  spätem  Nachrichten  ein  Irrtum 
ist)*).  Die  Schweiz  rechnet  ebenso  die  von  ihr  beanspruchten  Anteile  am 
Boden-,  Genfer-,  Langen-  und  Luganer-See  mit  in  ihr  Areal.  Die  deutschen 
Staaten  tun  dies,  wie  die  Reichsstatistik  von  neuem  ausdrücklich  versichert, 
in  betreff  des  Bodensees  dagegen  nicht.  Nun  gehört  doch  offenbar  der  Boden- 
see zur  Fläche  Europas.  Die  strenge  Wiedergabe  der  offiziellen  Zahlen 
zwingt  daher  die  Herren  Levasseur-Bodio,  den  300  qkm  großen  deut- 
schen Anteil  am  Bodensee  einfach  fortzulassen*),  als  existierten  diese  Flä- 
chen nicht. 

Es  ist  aber  —  und  dies  muß  im  Zusammenhang  mit  unsem  Wünschen 
hervorgehoben  werden  —  oft  äußerst  schwierig,  hinter  diese  ab-  und  zuzurechnen- 
den Einzelflächen  zu  kommen.  Es  wird  uns  gesagt,  auf  den  Regierungsbe- 
zirk Königsberg  entfallen  1723,99  qkm  Wasserfläche').  Da  dieser  aber  Anteil 
am  Kurischen  Haff  und  am  Frischen  Haff  hat,  können  wir  daraus  nicht  er- 
sehen, wieviel  dem  einen  oder  andern  zukommt,  um  diese  Spezialangaben 
mit  den  übrigen  Einzeldaten  für  beide  Haffe  zu  kombinieren. 

Die  neueste  Arealstatistik  der  Schweiz*)  fuhrt  zwar  die  Größe  der 
Wasserfläche  an,  welche  jedem  Kanton  zukommt.  Da  aber  ein  Staat  wie 
Waadt  sowohl  Anteil  am  Genfer,  wie  am  Neuenburger  See  hat,  läßt  sich 
schlechterdings  die  Hauptfrage,  welchen  Anteil  hat  die  Schweiz  am  Genfer 
See,  aus  dieser  Übersicht  nicht  entnehmen.  Wieviel  Fläche  entfällt  von  den 
64  qkm  Wasserfläche  des  Kantons  Tessin  auf  den  Lago  maggiore,  wieviel 
auf  den  Luganer  See?     Man  erfährt  es  nicht. 

Hie  und  da  stellen  sich  bei  diesen  Grenzseen  auch  Ungereimtheiten 
heraus,  die  eine  Beseitigung  erheischen.  Frankreich  rechnet  nach  Herrn  Le- 
vasseur  240  qkm  auf  seinen  Anteil  am  Genfer  See"),    die   Schweiz   362^). 

1)  Dies  wird  ausdrücklich  von  dem  Verfasser  betont,  ebenso  im  Annuaire  du 
Bureau  des  longitudes  1899,  S.  432:  ,,Le  räsultat  de  la  mesure  ex^cut^e  sor  la  Carte 
de  TEtat-Major  (536464  kqm)  comprend  toute  la  laisse  de  hasse  mer  et  la  partie 
fran9ai8e  du  lac  de  Gen^ve." 

2)  Ich  entnehme  einem  gutigen  Schreiben  des  Generals  Berthaut,  Direktors 
des  Service  geographique,  v.  21.  Sept.  1903  die  Versicherung:  „Aucune  partie  du  lac 
de  Gen^ve  n'est  coraprise  dans  la  superficie  territoriale  de  la  France  deduit«  des 
mcsures  ex^cut^es  au  Service  geographique." 

3)  Stat.  d,  D.  Reiches.  A,  a.  0.  S.  58*. 

4)  Schweiz.  Statistik.  Nr.  132.  V.  Allg.  Schweiz.  Viehzahlung  v.  19.  April  1901. 
Bern  1903.    S.  4*. 

5)  Bull.  Inst.  int.  de  Stat.  Xu.  2.  S.  22:  „Le  lac  de  Gen^ve  (582,4  km»;),  dont  en- 
viron  240  constituent  la  partie  fran^aise."     In  dem  oben  genannten  Schreiben  aus 

46* 


692  Wagner:  Vorschläge  z.  Vervollständigung  offizieller  Arealangaben. 

Der  See  müßte  daher  602  qkm  umfassen,  er  ist  aber  nach  genauer  Aus- 
messung nur  582  qkm^)  groß.  So  spielen  sich  im  kleinen  bei  uns  in  Eu- 
ropa doch  noch  Verhältnisse  ab,  die  in  Südamerika  bekanntlich  dahin  führten, 
daß  der  18  Millionen  qkm  große  Kontinent  um  fast  8  Millionen  qkm,  also 
fast  um  die  Hälfte  hätte  größer  sein  müssen,  als  er  wirklich  ist,  wenn  man 
allen  Ansprüchen  der  Einzelstaaten  auf  Grund  ihrer  offiziellen  Arealzahlen 
hätte  Rechnung  tragen  wollen*)!  Oder  um  ein  realeres  Beispiel  heranzu- 
ziehen, so  erinnere  ich  daran,  daß  Fragen,  wie  die  oben  hinsichtlich  der 
Alpenseen  erörterten,  bei  großen  Seekomplexen  schon  mächtig  ins  Gewicht 
fallen,  wie  z.  B.  bei  den  kanadischen  Seen,  wo  es  sich  um  die  Aufteilung 
von  fast  einer  Viertelmillion  Quadratkilometer  auf  die  großen  Nachbar- 
nationen handelt. 

5.  Nun  geht  es  vielleicht  der  Versammlung  zu  weit,  wenn  wir  das 
Internationale  Statistische  •  Institut  ersuchen,  sich  direkt  an  die  beteiligten 
Staaten  zu  wenden,  damit  sie  durch  neue  Staatsverträge  feste  Grenzlinien 
durch  jene  Binnenseen  legen,  an  die  sich  die  Ausmessungen  alsdann  halten 
können.  Aber  wir  glauben  unsere  Kompetenz  nicht  zu  überschreiten  mit  dem 
Wunsch,  daß  die  Statistischen  Bureaus  oder  sonstigen  Behörden,  denen  die 
Aufstellung  offizieller  Flächenzahlen  obliegt,  neue  Erhebungen  über  diese 
Punkte  anstellen.  Wir  wünschen,  daß,  wenn  überhaupt  Anteile  an  den  einzelnen 
Grenzgewässern  dem  eigenen  Staat  zugerechnet  werden,  darüber  ganz  be- 
stimmte ziffermäßige  Angaben  gemacht  werden.  Besteht  daneben  keine  völker- 
rechtliche Vereinigung  über  die  Erstreckung  der  Hoheitsrechte,  wie  bei  den 
Bodenseestaaten,  so  kann  man  solche  einseitig  eingerechneten  G^wässeranteDe 
nötigenfalls  ausscheiden,  imi  die  Grenzseen  im  ganzen  dann  bei  Über- 
sichten über  größere  geographische  Regionen,  wie  Mitteleuropa  oder  Europa, 
wieder  in  Rechnung  zu  ziehen. 

Fasse  ich  alles  zusammen,  was  ich  in  raschem  Fluge  zu  streifen  suchte, 
so  sind  es  ja  scheinbar  nur  sehr  geringfügige  Verbesserungen,  die  wir  an- 
streben. In  der  Tat  handelt  es  sich  nur  um  einen  ganz  kleinen  Schritt  vor- 
wärts, aber  doch  um  einen  solchen  vorwärts.  Denn  darüber  herrscht  in 
diesem  Kreise  wohl  kein  Zweifel,  daß,  wie  es  bereits  eine  Jer  Begrüßungs- 
reden betonte,  auf  allen  Gebieten  der  Statistik  nach  immer  größerer  Ge- 
nauigkeit der  Erhebungen  gestrebt  werden  müsse. 

Nun  ist  auf  der  andern  Seite  die  fast  unbeschränkte  Macht,  um  nicht 
zu  sagen  die  Allmacht  der  offiziellen  statistischen  Zahl  bekannt. 
Sie  ist  ebenso  sehr  Großmacht,  wie  die  Presse   im  öffentlichen  Leben  über- 

dem  Sery.  g^ogr.  heißt  es:  ,,en  1899,  sur  une  demande  deM.  Levasseur,  ce  service  a 
d6termin^  la  superfieie  des  lacs  et  ätangs  prineipaux;  la  partie  fran9ai8e  du  lac 
de  Gen^ve  n'a  pas  ^te  comprise  non  plus  dans  ces  mesuie8^\ 

6)  Nach  Levasseur-Bodio  S.  S9.  Oberst  Siegfried  hatte  1874  nur  849  qkm 
für  den  schweizerischen  Anteil  gefanden.    S.  Bevölk.  d.  Erde.  II.  1874.  S.  22. 

1)  Nach  französischen  Quellen,  s.  auch  Levasseur-Bodio  S.  22.  Auch 
Halbfaß,  Morphometrie  des  Genfer  Sees,  fand  1897:  582,46  qkm  (Z.  d.  Ges.  f. 
Erdkde.  1897).  Die  Schweizer  rechneten  bisher  ö78  qkm,  s.  auch  Levasseur- 
Bodio  8.  89. 

2)  Bevölkerung  d.  Erde.  VI.  1880.  S.  85. 


Wagner:  IX.  Tagung  des  Internation.  Statist.  Institutes  zu  Berlin.    693 

haupt.  Gegen  sie  anzukämpfen,  und  sei  es  mit  noch  so  triftigen  Oründen, 
ist  der  Privatstatistik  oft  unmöglich.  Um  so  mehr  müssen  wir,  je  nach 
unsem  Kräften,  dazu  beitragen,  daß  die  offizielle  Zahl  an  sich  der  wahren 
Schilderung  von  Zuständen  und  Erscheinungen  sich  asymptotisch  nähert.  Nur 
das  bezweckt  unser  Antrag  in  einer  Spezialfrage.  Ich  gebe  ihm  in  Über- 
einstimmimg mit  den  Herren  Levassenr  und  v.  Juraschek  die  folgende 
Fassung: 

Das  Internationale  Statistische  Institut  spricht  den  Wunsch  aus: 

1.  Daß  in  allen  offiziellen  Publikationen,  welche  das  Areal  des  Staats- 
gebietes betreffen,  spezielle  Angaben  gemacht  werden  über  die  Frage,  welche 
Grenzgewässer  in  den  Ziffern  des  Areals  enthalten  sind  oder  nicht,  sei 
es  längs  der  inneren  Landesgrenzen,  sei  es  längs  der  Meeresküsten. 

2.  Diese  Angaben  sollen  nicht  nur  hinsichtlich  der  einzelnen  Verwal- 
tungsbezirke, welche  in  Frage  konmien,  spezifiziert  werden,  sondern  auch  in 
betreff  der  verschiedenen  Seebecken  und  Uferstrecken. 

3.  Im  Falle  nur  unvollständige  Angaben  über  diesen  Punkt  vorliegen, 
werden  die  Bureaus  ersucht,  die  Ausfüllong  der  Lücken  durch  die  geeigneten 
Behörden  oder  Institute  in  die  Wege  zu  leiten  bezw.  selbst  planimetrische 
Ausmessungen,  wenn  auch  von  provisorischem  Charakter,  zu  veranlassen. 


Die  IX.  Tagung  des  Internationalen  Statistischen  Institutes  zu  Berlin 
21.— 26.  September  1903. 

Von  Hermann  Wagner. 

Das  Internationale  Statistische  Institut  ist  bekanntlich  als  ein  ge- 
schlossener Verein  von  Statistikern  aus  den  früheren  Internationalen  Statisti- 
schen Kongressen  hervorgegangen,  wenn  auch  nicht  unmittelbar.  Diese 
Kongresse  selbst,  1851  hauptsächlich  von  Quetelet  ins  Leben  gerufen,  haben 
von  1853  bis  1876  etwa  alle  drei  Jahre  getagt;  nur  einmal  noch  kam  seit- 
dem die  sog.  Permanente  Kommission  des  Statistischen  Kongresses  1878  in 
Paris  zusammen.  Der  Wunsch  nach  einem  ferneren  Mittelpunkt  der  Arbeiter 
und  Forscher  auf  einem  Gebiet,  das  in  ganz  eminenter  Weise  internationale 
Kooperation,  Gleichheit  der  Erhebungsmethoden  und  der  Publikationsformen  fttr 
die  Ergebnisse  erfordert,  zeigte  sich  bald  von  neuem.  Die  „Statistical  Society" 
in  London  regte  die  Gründung  eines  Vereines  an,  den  man  von  Anfang  an 
etwas  anders  stellen  wollte,  als  die  freien  Vereinigungen  von  Männern 
gleicher  wissenschaftlicher,  wirtschaftlicher  oder  sozialer  Bestrebungen,  um 
möglichst  enge  Beziehungen  zu  der  offiziellen  Statistik  der  verschiedenen 
Staaten  zu  erhalten  oder  zu  gewinnen.  Daher  ward  der  von  dem  ver- 
storbenen Neumann-Spallart  vorgeschlagene  Name  eines  „Institut  inter- 
national de  statistique"  auf  der  Versammlung  in  London  1885  gewählt. 
Die  Mitgliederzahl  ist  beschränkt,  war  anfangs  100  und  beträgt  jetzt  200. 
Sie  ergänzt  sich  durch  Wahl;  kein  Staat  (bez.  Bundesstaat)  soll  mehr  als 
ein  Fünftel  der  Gesamtzahl  der  Mitglieder  auf  sich  vereinigen.  Das  Institut 
tagt  alle  zwei  Jahre.  Zu  diesen  Tagungen  können  vom  Vorstand  auch  per- 
sönliche   Einladungen    an    Nichtmitglieder    ergehen.     Eine    solche    war    dem 


694  Hermann  Wagner; 

Referenten  für  die  vom  21. — 26.  Sept.  d.  J.  zu  Berlin  sich  vereinigende 
Session  zu  teil  geworden,  wohl  im  Anschluß  an  den  Beratungsgegenstand 
der  ersten  Sitzung,  in  der  Bodio  und  Levasseur  über  ihr  gemein- 
schaftliches Unternehmen  „Statistique  de  la  superficie  et  de  la  population 
des  contrees  de  la  Terre"  berichten  wollten.  Die  im  Reichstagsgebäude 
tagende  Versammlung  war  sehr  stark  besucht,  die  Präsenzliste  weist  gegen 
240  Namen  —  ohne  die  Damen  —  auf,  darunter  besonders  zahlreich  fran- 
zösische. Es  ist  dies  eine  Zahl,  welche  den  durchschnittlichen  Besuch  der 
bisherigen  Tagungen  um  das  Doppelte  übertrifft.  Es  waren  fast  alle  Staaten, 
die  eine  geordnete  Statistik  besitzen,  vertreten,  daneben  fast  vollständig  die 
Vorstände  städtischer  statistischer  Bureaus  und  ebenso  zahlreich  deutsche 
Nationalökonomen.  Von  Vertretern  der  Geographie  war  ich  in  der  Tat  der 
einzige  anwesende;  von  Namen,  die  in  geographischen  Kreisen  bekannter  sind, 
nenne  ich  Jannasch  und  Meitzen  aus  Berlin,  G.  v.  Mayr  aus  München, 
Levasseur  aus  Paris,  v.  Juraschek  aus  Wien,  Bodio  aus  Rom,  welch 
letzterer  jedoch  erst  am  letzten  Tage  eintraf.  Das  Arbeitsprogramm  war  nicht 
auf  wenige  bestimmte  Fragen  beschränkt,  was  von  vielen  Besuchern  als  ein 
Mangel  empfunden  ward,  da  in  bekannter  Weise  die  Vorsitzenden  den  Red- 
nern die  Zeit  beschneiden,  auch  die  Debatten  abkürzen  mußten,  um  die  Fülle 
des  Tagesprogramms  zu  erledigen.  Da  sich  weitaus  die  meisten,  aus  früheren 
Tagungen  bereits  mit  herüber  geholten  Beratungsgegenstände  auf  Fn^en  er- 
streckten, welche  dem  Geographen  ferner  liegen,  so  glaube  ich  die  Bitte  des 
Herausgebers,  an  dieser  Stelle  über  den  Kongreß  zu  berichten,  nicht  anders 
zu  verstehen,  als  daß  ich  mich  auf  die  wenigen  Punkte,  die  für  uns  Be- 
deutung haben,  beschränke.  Dabei  kommt  vornehmlich  die  Frage  nach  Be- 
grenzung und  Größe  Europas  in  Betracht,  sodann  die  Maßregeln,  welche  man 
vorschlug,  um  zu  einer  besseren  Kenntnis  des  Bevölkerungszustandes  in  Län- 
dern zu  kommen,  in  denen  bisher  keine  Volkszählungen  oder  wiederkehrenden 
Registrierungen  der  Bewohner  stattfanden.  Auch  manche  Erörterung  über 
Bevölkerungsverschiebungen  durch  Wanderungen  bot  Interesse  für  den  Geo- 
graphen. 

Doch  möchte  ich,  bevor  ich  in  die  Einzelheiten  eingehe,  dem  all- 
gemeinen Eindrucke  einige  Worte  verleihen,  der  sich  mir  weit  mehr  in 
Privatgesprächen  als  bei  öffentlichen  Debatten  aufgedrängt  hat.  Mehr  als  ich 
erwartet  habe,  zeigte  sich  besonders  im  Kreise  der  Vertreter  der  offiziellen 
Statistik  ein  offenes  Entgegenkommen,  ja  der  lebhafte  Wunsch,  mit  der  Geo- 
graphie in  nähere  Berührung  zu  kommen.  Einer  der  Veteranen  der  Statistik, 
der  Direktor  des  norwegischen  Statistischen  Bureaus,  A.  N.  Kiaer,  verlieh 
diesen  Anschauungen  Ausdruck,  indem  er  die  Vorteile  darlegte,  welche  in 
einem  engen  Zusanmiengehen  des  Instituts  mit  den  internationalen  Geo- 
graphenkongressen bestehen,  und  ein  solches  daher  warm  befürwortete.  Aber 
auch  persönlich  ward  mir  wiederholt  versichert,  wie  wünschenswert  es  sei, 
wenn  Geographen  den  Bureaus  ihre  Wünsche  hinsichtlich  bestinamter  Er- 
hebungen bei  bevorstehenden  Zählungen  oder  in  betreff  der  Abändenmg  oder 
Erweiterung  dieser  oder  jener  Kategorien  im  Bereich  der  Tabellenstatistik 
rechtzeitig  kundgäben.  Derartige  Anregungen  werden  vielleicht  nicht 
immer  sogleich  durchführbar  sein,  aber,  auch  wenn  dies  möglich  sein 
sollte,  bedarf  es  bis  zur  Erteilung  bestimmter  Vorschriften  der  Anrufung  so 
mancher  Instanzen  —  man  denke  nur  z.  B.  daran,  daß  innerhalb  unseres 
Bundesstaates  das  Statistische  Reichsamt  im  Grunde  nur  der  Verarbeiter 
des  von  allen  einzelnen  Landesstellen  fertig  eingelieferten  statistischen  Mate- 


IX.  Tagung  des  Internationalen  Statistischen  Institutes  zu  Berlin.  695 

rials  ist  —  und  demnach  auch  so  mancher  Verhandlungen,  daß  nur  Anträge, 
die  mehrere  Jahre  zuvor  eintreffen,  Aussicht  haben,  mit  in  die  fraglichen  Be- 
ratungen eingezogen  zu  werden. 

Ich  gestehe,  daß  ich  sehr  gern  die  Frage  der  Herstellung  statisti- 
scher Grundkarten,  die  uns  in  Folge  der  Anregung  des  Herausgebers 
dieser  Zeitschrift  auf  dem  letzten  internationalen  Geographenkongreß  be- 
schäftigt hat  und  nachmals  in  letzterer  mehrfach  behandelt  ist  (Bd.  V. 
1899.  S.  703 f.  u.  Bd.  VI.  1900.' S.  185 ff.),  auf  der  Tagesordnung  der 
IX.  Session  des  Internationalen  Statistischen  Instituts  gesehen  hätte.  Aber 
sie  auf  diese  zu  bringen,  stand  mir  als  bloßem  Gast  kaum  zu,  imd  es  hätte 
die  Sache,  wenn  man  Erfolg  haben  wollte,  sehr  gründlich  durch  Referate 
und  Korreferate  vorbereitet  sein  müssen.  Nach  dem  oben  geschilderten  Ein- 
druck, den  ich  von  der  letzten  Tagung  mit  hin  weggenommen  habe,  halte  ich 
es  für  durchaus  möglich,  daß  der  Vorstand  des  Instituts  diesem  Gegenstande 
Platz  in  einer  der  nächsten  Sessionen  gönnen  würde. 

Für  diesmal  hielt  ich  es  für  taktisch  richtiger,  mit  so  bescheidenen  An- 
trägen hervorzutreten  als  nur  möglich,  um  wenigstens  einmal  den  Versuch 
der  Annäherang  an  die  Kreise  der  Statistiker  zu  wagen.  Die  Handhabe 
dazu  bot,  wie  gesagt,  das  an  die  Spitze  der  diesjährigen  Beratungen  gestellte 
Thema  von  Levasseur  und  Bodio. 

Nicht  alle  Leser  dieser  Zeitschrift  werden  unterrichtet  sein,  um  was  es 
sich  dabei  handelt.  Die  von  Ernst  Behm  und  dem  Referenten  1872  ins 
Leben  gerufene  Publikation  „Die  Bevölkerung  der  Erde"  darf  ich  wohl  bei 
der  Mehrzahl  als  bekannt  voraussetzen.  Wir  planten,  in  periodischen  Über- 
sichten zuverlässiges  Material  zur  politischen  Geographie  und  Anthropo- 
geographie  zu  liefern,  indem  wir  die  Staaten  und  Länder  der  gesamten 
Erdoberfläche  nach  Areal  und  Bevölkerungsstand  mit  Dichtigkeitsberech- 
nungen und  Ortstabellen  zusammenstellten.  Nicht  in  bloßer  Kompilation 
anderweitig  aufgestellter  Zahlen.  Die  Kritik  über  die  Wahrscheinlichkeit  des 
mitgeteilten  Zahlenmaterials  —  vor  allem  auch  des  offiziellen  —  hat  uns 
von  Anfang  ernstlich  am  Herzen  gelegen.  Achtmal  habe  ich  selbst  den 
mühsamen  Gang  über  die  Erde  mitgemacht,  nach  Beb  ms  Tode  1891  im 
Verein  mit  Professor  Alex.  Supan;  seitdem  diesem  die  Arbeit  allein  über- 
lassend. Im  großen  ganzen  haben  wir  im  In-  und  Auslande  wenige  Fach- 
genossen gefunden,  die  sich  der  gleichen  Aufgabe  zu  unterziehen  geneigt  ge- 
wesen wären.  In  Frankreich  hat  Emile  Levasseur  seit  lange  ähnliche 
Bestrebungen  gezeigt.  Von  ihm  ging  daher  wohl  auch  der  Gedanke  aus, 
die  nämliche  Aufgabe  mit  Unterstützung  des  Internationalen  Instituts  zu 
lösen.  Weniger  durch  eine  Verteilung  der  Arbeit  auf  zahlreiche  Mitarbeiter, 
als  durch  eine  direktere  Inanspruchnahme  der  Statistischen  Bureaus  behufs 
Ausfüllung  bestimmter  Schemata.  Natürlich  konnte  dies  nur  für  Länder 
mit  ausgebildeter  statistischer  Organisation  geltxjn,  und  —  das  darf  man 
nicht  außer  Acht  lassen  —  man  begab  sich  damit  im  Grunde  der  Möglich- 
keit, gegebenen  Falles  Besseres  an  die  Stelle  der  offiziellen  Zahlen  zu  setzen. 
Hinsichtlich  aller  übrigen  Gebiete  der  Erde  war  Levasseur  gleich  uns 
auf  die  Ausnutzung  der  geographischen  Literatur  und  darauf  begründeter 
eigener  Schätzungen  angewiesen.  Im  Jahre  1886  und  1887  veröffentlichte 
er  die  betreffende  Arbeit:  „Statistique  de  la  superficie  et  de  la  population 
des  contrees  de  la  Terre"  allein*).     Ein   besonderer  Vorzug  der  Arbeit  war, 

1)  Bull,  de  rinst.  intern,  de  Stat.  I.  S^mo  et  i^me  Hvr.  Rome.  1887.  S.  1—186; 
II.  2^»9  livr.  1887.  S.  163—242. 


696  Hermann  Wagner: 

daß  sie  versuchte,  auch  den  Bevölkerungszustand  früherer  Jahre  festzustellen. 
Nach  14  Jahren  ward  sie  von  neuem  unternommen,  diesmal  im  Verein 
mit  dem  langjährigen  Chef  der  italienischen  Statistik,  L.  Bodio,  der  bereits 
die  erste  einer  Durchsicht  unterzogen  hatte. 

In  betreff  des  Umfanges  der  Arbeit  mußten  die  Herausgeber  die  gleichen 
Erfahrungen  machen  wie  wir  bezw.  Professor  Supan.  Man  mußte  sich  zu- 
nächst auf  Mitteilung  der  Ergebnisse  über  Europa  beschränken.  Sie  wurden 
im  Bulletin  (Tome  XH.  2*°>«  livr.  1902.  S.  1—119)  veröffentHcht.  Ich  er- 
wartete, daß  der  Schluß,  die  außereuropäischen  Erdteile  betreffend,  bereits 
diesmal  auf  dem  Kongreß  zur  Vorlage  gelangte.  Das  war  eine  Täuschung. 
Levasseur  übergab  den  Mitgliedern  nur  die  vorläufige  Zusammenstellung 
der  Ergebnisse  fQr  Amerika.  Sie  sollen  den  einzelnen  amerikanischen  Staaten 
erst  zur  Prüfung  vorgelegt  werden,  unterstanden  daher  der  Beratung  auf  dem 
Kongreß  nicht  mehr.  Ebenso  wenig  gab  sich  unter  diesen  umständen  Ge- 
legenheit, zu  einer  neuen  Schätzung  der  Gesamtbevölkerung  der  Erde  oder 
der  von  Afrika  und  Asien  Stellung  zu  nehmen. 

Wenn  man  die  Sache  konkret  anfassen  wollte,  mußte  man  notwendig 
an  der  1902  in  betjreff  Europas  veröffentlichten '  Arbeit  anknüpfen.  Das  war 
von  Fr.  v.  Juraschek  bereits  mittels  eines  sehr  ausführlichen  Referates  und 
einer  etwas  anderweitigen  Berechnung  geschehen,  die  er  in  der  Österreichi- 
schen Statistischen  Monatsschrift  Ostern  1903  veröffentlicht  hat.  Sie  bildete 
den  Anknüpfungspunkt  für  unser  gemeinsames  Vorgehen  auf  dem  Kongreß. 
V.  Juraschek  hatte  jetzt  seine  Wünsche  in  vier  Thesen  zusammengefaßt, 
deren  erste  sich  über  die  Begrenzung  Europas  im  statistischen  Sinne  aus- 
sprach. Die  zweite  deckte  sich  im  wesentlichen  mit  meinen  Vorschlägen  in 
betreff  der  Vervollständigung  der  Arealangaben,  so  daß  er  mir  deren  Ver- 
tretung überließ  (s.  o.  S.  685).  Die  dritte  wollte  Anregung  füi*  eine  Feststellung 
der  geschichtlichen  Entwicklung  der  Staatsterritorien  nach  gemeinsamen  Ver- 
abredungen unter  den  einzelnen  Staaten  geben,  derartig,  daß  bei  Ab-  und  Zu- 
rechnung gewonnener  und  abgetretener  Gebiete  beiderseits  die  gleichen,  dem 
wirklichen  Areal  entsprechenden,  daher  meist  erst  neu  festzustellenden  Werte 
in  Rechnung  gestellt  würden.  Zuletzt  wünschte  der  Antragsteller  noch,  daß 
von  Seiten  des  Instituts  Volksdichtekarten  von  Europa  für  jede  Zählungs- 
periode, etwa  im  Maßstab  1:5000000,  hergestellt  würden,  auf  denen  nach 
möglichst  kleinen  Verwaltungsbezirken  die  Dichten  in  gleichmäßig  zur  Ver- 
wendung kommenden  Stufen  mittels  Farben  eingetragen  wären. 

Man  sieht  in  wenigen  Sätzen  ein  sehr  reiches,  für  den  Geographen  be- 
sonders interessantes  Progranam,  dessen  letzte  beide  Teile  jedoch  aus  Mangel 
an  Zeit  selbst  nicht  mehr  zur  näheren  Begründimg  durch  den  Boferenten, 
geschweige  denn  zur  Beratung  kamen,  aber  auch  ohne  Debatten  einstimmige 
Annahme  fanden. 

1.  Der  Begriff  Europas  im  Rahmen  der  politischen  und  der 
physischen  Geographie  —  so  etwa  müßte  man  die  erste  Hauptfrage,  die 
zwischen  Levasseur  und  v.  Juraschek  zur  Debatte  stand,  kurz  bezeichnen. 
Es  muß  vorausgeschickt  werden,  daß  Levasseur  und  Bodio  in  ihrer  Über- 
sicht über  Areal  und  Bevölkerung  Europas  bereits  dem  Erdteil  bestimmte 
Grenzen  gesetzt  hatten,  über  welche  sich  streiten  läßt.  Zwar  hatten  sie  die 
Kanarischen  Inseln  und  kleinen  spanischen  Besitzungen  am  Südufer  der 
Straße  von  Gibraltar,  sowie  Madeira  und  die  Azoren  ausgeschlossen,  aber  im 
bewußten  Gegensatz  besonders  gegen  Supans  und  meine  Gruppierung  in  der 
Bevölkerung  der  Erde  die  sog.  europäischen  Polarinseln  mit  einbezogen,  oäm- 


IX.  Tagung  des  Internationalen  Statistischen  Institutes  zu  Berlin.  697 

lieh  Island  und  Jan  Mayen,  Spitzbergen  und  Nowaja  Semlja.  Daß  es  in 
diesem  Falle  nicht  folgerichtig  ist  —  wenn  man  nämlich  Spitzbergen  dazu 
rechnet  —  Franz  Joseph -Land  von  Europa  zu  trennen,  gab  Levasseur 
sofort  zu.  Für  den  Bevölkerungsstatistiker  spielt  unter  den  genannten  Polar- 
inseln  nur  Island,  als  die  einzig  dauernd  bewohnte,  eine  Rolle.  Der  Schwer- 
punkt der  ganzen  Frage  einer  richtigen  Begrenzung  Europas  ruht  bekanntlich 
im  Osten  des  Erdteils.  Die  Verfasser  hatten  sich  dort  für  die  Wasserscheide 
im  Ural  und  im  Kaukasus  als  natürliche  Grenze  entschieden  —  eine  Grenze, 
die  ich  seit  Jahren  als  die  Strelbitzkysche  bezeichnet  habe^  da  dieser  sie 
bei  seiner  Arealberechnung  Europas  1882  zu  Grunde  legte.  Sie  weicht  von 
der  politischen  Grenze  der  russischen  Gouvernements  ab.  Das  k.  russische 
Statistische  Zentralkomitee  hatte  den  beiden  Statistikern  den  Gefallen  erzeigt, 
die  russische  Bevölkerung  nach  den  Zählungsergebnissen  von  1897  gemäß 
dieser  sog.  natürlichen  Grenze  auf  Europa  und  Asien  zu  verteilen,  was  dem 
Privatstatistiker  immerhin  Schwierigkeit  gemacht  hätte,  solange  nicht  die  Er- 
gebnisse bis  auf  die  kleinen  Verwaltungsbezirke  veröffentlicht  sind. 

V.  Juraschek  wünschte  nun  dem  gegenüber,  daß  in  allen  statistischen 
Werken  Areal  und  Bevölkerungszahl  Europas  nach  seiner  politi- 
schen Begrenzung,  „also  nach  dem  Besitzstande  der  europäischen  Staaten 
mit  Ausschluß  der  getrennt  verwalteten  Außenbesitzungen"  dargestellt  werde. 
Er  ging  dabei  von  der  m.  E.  durchaus  berechtigten  Anschauung  aus,  daß 
mit  der  einmaligen  Feststellung  der  Bevölkerung  des  Erdteils  innerhalb  einer 
bestimmten  Begrenzung  —  etwa  wie  der  von  obigen  Autoren  angenonmie- 
nen  —  ja  nicht  alles  erledigt  sei.  Die  statistischen  Erhebungen  erstrecken  sich 
heute  über  eine  große  Zahl  von  Fragen  sowohl  in  sozialer  Hinsicht,  z.  B.  in 
betreff  der  Verteilung  der  Bevölkerung  nach  Geschlecht  und  Alter,  Konfession 
und  Sprache,  Infirmität  und  Kriminalität  u.  a.,  vor  allem  nach  ihrer  Bewegung 
durch  Geburten  und  Todesfälle,  Ein-  und  Auswanderungen,  wie  in  wirtschaft- 
licher Hinsicht,  z.  B.  nach  Urproduktion  und  Konsum,  Viehstand  und  Ackerbau, 
Steuererträgnissen  und  Schulden wesen,  Handel  und  Verkehr  u.  s.  w.  u.  s.  w.  Alle 
diese  Erhebungen  werden  offiziell  für  das  Staatsgebiet  im  ganzen  zusammengefaßt, 
wohl  auch  hinsichtlich  der  großem  Verwaltungsbezirke  —  in  Rußland  also 
z.  B.  der  Gouvernements  —  veröffentlicht.  In  gleicher  Weise  beziehen  sich  die 
entsprechenden  statistischen  Angaben  Portugals  auf  die  Azoren  und  Madeira 
mit,  diejenigen  Spaniens  gleichzeitig  auf  die  Kanarischen  Inseln,  welche  voll- 
berechtigte Provinzen  der  genannten  Staaten,  nicht  etwa  Außenbesitzungen 
sind.  Will  man  also  diese  Angaben  für  ganz  Europa  zusanunenfassen  — 
so  argumentiert  v.  Juraschek  — ,  so  muß  man  diesen  Begriff  in  die  Staats- 
grenzen einschließen.  Im  andern  Falle  müßte  z.  B.  Rußland  veranlaßt  wer- 
den, bei  jeder  Kategorie  von  Erhebungen  stets  gleichzeitig  die  östlichen 
Gouvernements  nach  ihren  Anteilen  am  diesseitigen  oder  jenseitigen  Abhang 
des  Ural  bezw.  die  längs  des  Kaukasus  zu  teilen.  Dazu  würde  es  sich  wahr- 
scheinlich ebenso  wenig  verstehen,  als  Spanien  und  Portugal  in  betreff  der 
zugehörigen  Inselgruppen. 

Es  war  eine  seltsame  Erscheinung,  daß  diese  so  einfach  erscheinenden 
Darlegungen  manchem  der  anwesenden  Statistiker  nicht  in  den  Sinn  wollten, 
und  sie  sich  geographischer  als  die  Geographen  erwiesen,  indem  sie  für  die 
Abgrenzung  Europas  durchaus  eine  feste,  durch  die  Natur  vorbezeichnete 
Linie,  wie  eben  die  Strelbitzkysche  Grenze,  verlangten.  Denn,  hieß  es,  man 
kann  die  Feststellung  dieses  Begriffes  von  Europa  doch  nicht  ganz  in  die 
Willkür  einer  einzelnen  Regierung  legen.     Was  wird,  wenn  Rußland  heute 


698  Hermann  Wagner: 

z.  B.  ganz  Sibirien,  oder  wenigstens  Westsibirien  „zu  Europa  schlägt"? 
Sollen  wir  dann  mit  unserem  Kontinent  bis  an  den  Jenissei  oder  noch 
weiter  wandern?  Der  Fehlschluß  in  solcher  Argumentation  dürfte  ziemlich 
klar  am  Tage  liegen.  Es  kommen  bei  diesen  Fragen  der  politischen  Geo- 
graphie doch  immer  nur  die  eigentlichen  Grenzprovinzen  in  Betracht.  Die 
Größe  eines  Verwaltungsbezirkes  erster  Ordnung  hat  seine  natürlichen  Grenzen. 
Solche  erstrecken  sich  in  großräumigen  Staaten  wie  Rußland  über  größere  Flächen 
als  in  Westeuropa.  In  Österreich  (in  den  Kronländem)  und  Preußen  20 — 
30  000  qkm  umfassend,  erreichen  sie  im  Hauptgebiete  des  europäischen  Buß- 
lands 50 — 60  000  qkm,  und  schwellen  nur  im  N.  und  0.  zum  Vierfachen 
dieses  Betrages  an,  während  die  Bevölkerungsdichte  schwindet  Es  wäre  daher 
denkbar,  daß  Rußland  bei  dichterer  Besiedelung  Westsibiriens  einzelne  Distrikte 
derjenigen  östlichen  Gouvernements,  die  jetzt  von  der  Zentrale  aus  unmittel- 
bar verwaltet  werden,  zum  Generalgouvernement  von  Westsibirien  schlüge, 
aber  unwahrscheinlich  ist  es,  daß  große  Territorien  jenseits  des  Ural  in 
Zukunft  noch  an  das  europäische  Rußland  angeschweißt  werden,  eben 
weil  sie  zu  entfernt  von  Petersburg  liegen.  Die  Größe  der  Räume  des 
russischen  Reiches  an  sich  zwingt  zur  Errichtung  mehrerer  Zentralsitze  in 
Asien  neben  der  Hauptstadt  des  Reiches.  Mit  andern  Worten,  eine  starke 
Verschiebimg  der  östlichen  Grenze  dessen,  was^  man  heute  unter  dem  Begriffe 
der  60  europäischen  Gouvernements  zusammenzufassen  pflegt,  ist  un- 
wahrscheinlich. 

Weit  schwieriger  aber  wäre  es  gewesen,  für  den  Fall,  daß  man  auf 
dem  Kongreß  die  sog.  politische  Grenze  Europas  ganz  verwerfen  sollte,  eine 
Übereinstimmung  über  die  Wahl  der  richtigen  Naturgrenze  zu  erzielen.  Der 
Kamm  des  Kaukasus  schien  den  meisten  der  Herren  Statistiker  als  solche 
durchaus  einleuchtend  zu  sein,  wogegen  v.  Juraschek  mit  Recht  seinen 
Freimd  Sueß  ins  Treffen  fahrte,  um  zu  beweisen,  daß  der  Kaukasus  eine 
geographische  Einheit  und  in  zweiter  Linie  ein  Glied  in  der  Kette  asiatischer, 
nicht  europäischer  Gebirge  sei,  wie  umgekehrt  es  berechtigt  wäre,  den  Ural 
im  ganzen  zu  Europa  zu  rechnen.  Die  Kürze  der  Zeit  verbot,  vor  einem 
Publikum,  dem  alle  diese  neueren  erdkundlichen  Anschauungen  fem  lagen,  den 
näheren  Nachweis  über  die  Zugehörigkeit  des  Ural  zu  Europa  zu  führen  und 
darzulegen,  warum  Tiefenlinien  bei  Abgrenzung  derartiger  geographischer 
Räume  den  Höhenlinien  (Wasserscheiden,  Kammlinien)  zimieist  vorzuziehen  sind. 

So  schloß  man  schließlich  einen  vernünftigen  Kompromiß,  wonach  es 
alles  beim  alten  bleibt: 

„Das  Internationale  Institut  erkennt  zwei  Arten  die  Oberfläche  Europas 
zu  berechnen  an  und  empfiehlt  sie  beide  als  nützlich  je  nach  verschiedenen 
Fällen,  nämlich  einmal  die  Oberfläche  im  Sinne  der  physischen  Geographie, 
d.  h.  nach  den  natürlichen  Grenzen  Europas,  welche  die  Geographen  gegen 
Südosten  und  Osten  festzulegen  haben,  sodann  die  Oberfläche  im  Sinne  der 
politischen  Geographie,  umfassend  alle  innerhalb  oder  außerhalb  des  physi- 
schen Europa  gelegenen  Territorien,  welche  als  europäische  Provinzen  ver- 
waltet werden." 

Wenn  ich  mich  an  den  Verhandlungen  über  den  oben  geschilderten 
Punkt  nicht  beteiligte  —  die  obigen  Argumentationen  erfolgten  mehr  in 
Privatgesprächen  — ,  so  geschah  es,  weil  ich  die  Beratung  von  vornherein 
für  unfruchtbar  hielt.  Über  Begriffe  kann  man  nicht  per  majora  ab- 
stimmen und  doch  ist  sowohl  Europa  als  politischer  wie  als  physischer  Raum 
ein    wissenschaftlicher    Begriff;    einen    solchen    kann    der    einzelne    Forscher 


IX.  Tagung  des  Internationalen  Statistischen  Institutes  zu  Berlin.  699 

unter  Anfübrung  bestimmter  Gi-Ünde  in  dieser  oder  anderer  Weise  definieren, 
er  kann  dabei  vielleicht  auf  viele  überzeugend  wirken,  aber  zu  einem  ab- 
soluten Begriffe  kann  er  seine  Anschauungsweise  nicht  erheben.  Es  erinner- 
ten mich  die  Verhandlungen  jenes  Septembertages  an  den  Dresdener  Geo- 
graphentag 1886,  wo  uns  allen  Ernstes  vorgeschlagen  wurde,  eine  feste 
Definition  für  den  Begriff  der  Steppe  zu  „beschließen".  Wir  haben  dies 
damals  aber  energisch  zurückgewiesen.  Ein  praktisches  Ergebnis  in  dem 
Sinn,  daß  irgend  einer  der  fraglichen  Staaten  —  auch  die  europäische  Türkei 
käme  in  Betracht,  da  das  Vilajet  Konstantin opel  noch  ein  Stück  der  vorge- 
streckten Halbinsel  Kleinasiens  von  rund  2800  qkm  mit  umfaßt  —  sich  den 
schönen  Augen  der  Geographie  zu  liebe  bewogen  finden  sollte,  seine  inneren 
administrativen  Grenzen  abzuändern,  wird  diese  Debatte  mit  Sicherheit  nicht 
haben.  Was  man  allein  erstreben  kann,  ist,  jene  Staaten  von  der  Zweck- 
mäßigkeit der  Veröffentlichung  von  Einzelangaben  in  betreff  solcher  zwar 
der  inneren  Verwaltung  unterstellten,  aber  außerhalb  der  natürlichen  Grenzen 
des  Staatsgebietes  gelegenen  Territorien  zu  überzeugen.  Der  politische  Be- 
griff von  Europa  ist  das  Primäre,  wenigstens  zuerst  Festzustellende.  Daneben 
muß  uns  womöglich  die  offizielle  Statistik  selbst  die  Handhaben  bieten,  um 
daraus  durch  möglichst  genaue  Ab-  und  Zurechnungen  den  Begriff  Europas 
in  seinen  physischen  Grenzen  festzustellen. 

2.  Diejenigen  Vorschläge,  welche  der  Referent  nach  Verabredung  mit 
Juraschek  zu  begründen  übernommen  hatte,  betreffen  eine  Quelle  der  Diver- 
genzen in  den  offiziellen  Arealangaben,  welche  zu  beseitigen  bei  gutem 
Willen  nicht  schwer  sein  dürfte.  Ich  meine  die  Inkonsequenz,  welche  bei 
Einbeziehung  von  Grenzgewässern  in  die  Daten  für  die  dem  Staate 
zugehörige  Fläche  besteht.  Die  Gelegenheit  nach  der  Seite  der  Areal- 
statistik einige  seit  Jahrzehnten  gehegte  und  vertretene  Wünsche  vor  dem 
Forum  der  offiziellen  Statistik  Europas  darzulegen,  schien  mir  zu  günstig, 
um  sie  unbenutzt  vorübergehen  zu  lassen,  auch  wenn  ich  mir  bewußt  war, 
die  positiven  Vorschläge  auf  ein  Minimum  des  Erreichbaren  beschränken  zu 
müssen.  Doch  ich  will,  um  Wiederholungen  zu  vermeiden,  den  Leser  auf 
den  Wortlaut  meines  kurzen  Vortrages  in  diesem  Heft  verweisen  und  hier 
nur  hervorheben,  daß  ich  den  Eindruck  gewonnen  habe,  eine  Reihe  von  Sta- 
tistikern nicht  nur  von  der  Notwendigkeit,  sondern  auch  der  Möglichkeit 
der  Durchflihrung  der  Vorschläge  überzeugt  zu  haben.  Wie  weit  dies  nach- 
haltig wirkt,  muß  die  Zukunft  lehren. 

3.  Im  Bereich  der  Debatten  über  die  Ausdehnung  der  Statistik  der 
Wanderungen  war  es  von  Interesse,  zu  beobachten,  wie  auch  auf  diesem 
Gebiet  der  Drang,  die  Tatsachen  zu  lokalisieren,  sich  Geltung  zu  verschaffen 
sucht.  Begnügte  man  sich  bisher  mit  Ursprungsland  und  neuem  Heimats- 
land des  Auswandernden,  so  wünschte  v.  Mayr  unter  vielseitiger  Zustim- 
mung in  die  Aus-  und  Einwanderungsstatistik  genauere  Angaben  über  die 
territoriale  Provenienz,  also  kurz  gesagt  die  Heimatsbezirke,  und  andererseits 
die  einzelnen  Niederlassungsbezirke  der  sich  bewegenden  Massen  aufgenommen 
zu  sehen.  Neben  durchgreifender  Unterscheidung  zmschen  dauernder  und 
temporärer  Auswanderung,  soll  womöglich  die  neue  Erscheinung  der  jahres- 
zeitlichen Wanderzüge  von  Arbeitern  mit  sog.  Saisonbeschäftigung  besser  als 
bisher  erfaßt  werden,  Wanderungen,  die  bisher  meist  innerhalb  der  einzelnen 
Großstaaten  vor  sich  gingen,  jetzt  aber  bereits  stark  über  die  Staatsgrenzen 
übergreifen. 

4.  Demographische  Erforschungen  in  Ländern,  in  denen  noch 


700   Wagner:  IX.  Tagung  des  Internation.  Statist.  Institutes  zu  Berlin. 

keine  Volkszählungen  bestehen,  sind  bereits  1899  auf  der  Vll.  Session 
des  Instituts  zu  Kristiania  von  A.  N.  Kiaer  angeregt  worden.  Nach 
mehrfachen  Verhandlungen  im  Schöße  kleiner  Kommissionen  hatte  Mar- 
cus Rubin,  bisher  Chef  der  Statistik  in  Kopenhagen,  übernommen,  bestimmte 
Vorschläge  fdr  die  Berliner  Tagung  zu  formulieren.  Das  Vorgehen  ist  in 
der  Weise  gedacht,  daß  man  von  Seiten  des  Institutes  sich  mit  genau  aus- 
gearbeiteten Fragebogen  und  kurzen  Instruktionen  an  alle  gelehrten  Gesell- 
schaften wendet,  von  denen  man  voraussetzen  kann,  daß  sie  an  den  demo- 
graphischen Erhebungen  innerhalb  ihres  geographischen  Wirkungsbereichs 
überhaupt  Anteil  nehmen.  Diese  Gesellschaften  sollen  es  alsdann  Übernehmen, 
die  Fragebogen  und  Instruktionen  an  die  geeigneten  Privatpersonen,  die  sich 
in  den  zu  erforschenden  Ländern  befinden,  also  besonders  an  Reisende,  Katif- 
leute,  Missionare  zur  Verteilung  zu  bringen,  die  ausgefüllten  Listen  zu  sam- 
meln imd  diese  dem  Institut  zur  weitem  Verarbeitung  zuzustellen.  Man 
hat  jüngst  mit  der  Verteilung  solchen  Druckmaterials  an  ca.  150  Gesell- 
schaften begonnen. 

Diese  Fragebogen  hier  vollständig  abzudrucken  würde  vielleicht  zu  weit 
fahren,  wiewohl  damit  ein  ausdrücklicher  Wimsch  der  Antragsteller  er- 
füllt werden  würde  ^).  Denn  namentlich  von  Seiten  Kiaers  ward  in  der 
Debatte  betont,  wie  sehr  man  bei  Durchführung  der  vorgeschlagenen  Maß- 
regel auf  die  Mitwirkimg  gerade  der  Geographen  aller  Länder  angewiesen 
sei.  Den  Besuchern  des  internationalen  Geographenkongresses  zu  Berlin 
1899  wird  erinnerlich  sein,  daß  dort  in  Folge  einer  Anregung  von  Scott 
Keltie  die  nämliche  Frage  zur  Erörterung  stand').  Im  Anschluß  daran 
wird  jetzt  der  Wunsch  geäußert,  daß  dies  Thema  fortan  ständig  auf  die 
Tagesordnung  der  geographischen  Kongresse,  wie  der  Sessionen  des  Inter- 
nationalen Statistischen  Instituts  gebracht  werde,  imd  daß  der  Versuch  ge- 
macht würde,  für  die  Zwischenzeiten  die  permanente  Kommission  des  erstem 
mit  dem  Vorstand  des  Instituts  bezw.  der  die  Frage  behandelnden  Konmdssion 
in  Korrespondenz  zu  bringen.  Vor  der  Hand  würde  es  also  darauf  ankom- 
men, dafar  zn  sorgen,  daß  der  Geographenkongreß  von  Washington  1904 
der  Angelegenheit  und  zwar  den  bereits  in  feste  Form  gebrachten  Maß- 
regeln seine  Aufmerksamkeit  schenkt. 

Der  Raum  reicht  nicht,  die  Sache  an  dieser  Stelle  eingehender  zu  er- 
örtern. Ich  möchte  glauben,  daß  die  Fragebogen  mit  ihren  35  Fragen 
(Formular  l)  noch  immer  ein  wenig  zu  kompliziert  sind.  Fast  könnte  z.  B. 
die  Aufforderung:  Constater  autant  que  possible  le  caractere  geographique 
des  districts  en  question  (cotes,  iles  et  ilots,  plaines  situees  au  bord  des 
ri viferes  ou  a  Tinterieur,  regions  humides,  marecages,  prairies;  steppes,  deserts, 
forets,  regions  bocageres,  plateaux  et  montagnes),  die  Korrespondenten  glau- 
ben machen,  daß  zu  große  Ansprüche  an  sie  gemacht  würden  in  betreff 
der  geographischen  Beschreibung  ihres  Distrikts,  die  man  wohl  auch  ander- 
weitigen Quellen  entnehmen  könnte.  Sie  sollen  sich  weiter  informieren  über 
die  Ausdehnung  des  Distrikts,  über  den  sie  berichten,  über  sein  Verhältnis 
zur  Gesamtfläche  des  Landes;  soweit  es  dicht  oder  weniger  dicht  bevölkert 
ist.  Mehr  in  die  praktische  Aufgabe  demographischer  Erforschung  zielt  die 
Aufforderung,   Häuser,   Familien    oder  Haushalte,    mittlere  Zahl  der  Haus- 

1)  Petermanns  Geogr.  Mitteilungen  werden  in  Kürze  den  Wortlaut  der  Frage- 
bogen bringen.  (1903,  Heft  12.) 

2)  Verhandlungen  des  VU.  Internat.  Geographen  -  KongreBses.  Berlin  1899. 
n.  S.  öl  1—576.    Keltie:  The  Population  of  üncii^ilised  Countries. 


Geographisclie  Neuigkeiten. 


701 


haltsgenossen  zu  zählen.  Aber  nicht  rein  statistische  Erhebungen  sind  ge- 
plant Auch  auf  die  Lebensweise,  die  Art  der  Ernährung,  die  sozialen  Ver- 
hältnisse erstrecken  sich  die  Fragebogen.  Weitere  Vorschriften  gelten  für 
halbzivilisierte  Länder,  in  denen  es  dem  Einfluß  einzelner  Europäer  gelingen 
könnte,  eine  Gesamtaufnahme  des  Bevölkerungsstandes  in  die  Wege  zu  leiten. 
Warnungen  behufs  vorsichtigen  Vorgehens  bei  einer  mißtrauischen  Bevölke- 
rung fehlen  nicht.  Die  Zeit  muß  lehren,  wie  weit  man  auf  diesem  Wege 
kommt.  Daß  der  Versuch  sehr  beachtenswert  ist  imd  jegliche  Unterstützung 
von  Seiten  der  Geographen  verdient,  scheint  mir  außer  Zweifel. 

Beiläufig  mag  erwähnt  werden,  daß  M.  Baines,  ehemaliger  Zensus- 
direktor von  Lidien,  1900  die  Zahl  der  „nichtgezählten  Bevölkerung"  der 
Erde  auf  742  Millionen  oder,  bei  einer  Gesamtbevölkerung  von  ca.  1580  Millio- 
nen, zu  fast  48  Prozent  sehätzte*).  Dieser  Prozentsatz,  der  die  Zahl  der 
gezählten  Bewohner  auf  52  Prozent  herabdrückt,  erscheint  uns  jedoch  ein 
wenig  zu  hoch.  Abgesehen  davon,  daß  dabei  die  Schätzung  fCbr  China,  für 
welche  Baines  400  Millionen  Seelen  annimmt,  gegenüber  360  Millionen, 
die  ich  mit  andern  für  wahrscheinlicher  halte  (Supan  nahm  1901  nur  330 
an),  ins  Gewicht  fällt,  wird  man  Bumänien,  Japan  und  wohl  auch  Java 
zu  den  Ländern  mit  etwas  genauerer  Bevölkerungsaufhahme  rechnen  dürfen. 
Ich  berechnete  daher  die  letztere  schon  1891  insgesamt  zu  57 — 58  Prozent 
der  Gesamtbevölkerung  der  Erde*). 


Geograpliisclie  Neuigkeiten. 

Zusammengestellt  von  Dr.  August  Fitzau. 


Allgemeines. 

♦  Im  weiteren  Verlauf  einer  litera- 
rischen Sammelreise  (G.  Z.  1902.  S.  705) 
hat  Dr.  Walter  Rüge  aus  Leipzig  (nach 
Michow  in  den  ,,Mitt.  d.  Geogr.  Ges.  in 
Hamburg^*  S.  241)  in  der  ehemaligen  Uni- 
versitätsstadt Helmstedt  auch  die  Welt- 
karte und  die  Europa-Karte  Caspar 
Vopells  in  Abdrücken  scheinbar  von  den 
Originalplatten  gefunden;  sie  datieren 
aus  Antwerpen  von  1570  und  1572. 

F.  Th. 
Asien. 

*  Über  die  Eisdicke  auf  ostsibi- 
rischen Flüssen  referiert  Woeikof  in 
der  Meteorologischen  Zeitschrift  (S.  456) 
nach  einer  Studie  von  Schostakowicz. 
Im  großen  und  ganzen  ist  die  Eisdicke 
mäßig,  nur  in  der  Tundra  im  äußersten 
Norden  ist  das  Eis  sehr  dick,  in  Russkoje 
Ustje  auf  der  Indigirka,  71  •  n.  Br.,  235, 
230,   225   cm,   in   Bnlun    auf  der   Lena, 


70»//  n.  Er.,  205,  216  cm.  In  den  Ge- 
genden mit  kältesten  Wintern:  JanaWer- 
ehojansk,  67y,<*n.  Br.,  180  cm,  Kolyma, 
66y/  n.  Br.,  125,  180  cm  Auf  dem  obe- 
ren Amur  imd  seinen  Zuflüssen  Schilka, 
Ingoda,  Argun  ist  wegen  der  Schnee- 
armut die  Eisdicke  groß,  jedoch  wech- 
selnd von  Winter  zu  Winter  und  in  dem- 
selben Winter  von  Ort  zu  Ort,  so  am 
oberen  Amur  an  drei  Orten  zwischen 
51  y,®  und  58  V,®  in  zwei  Wintern  bez. 
105,  140;  105,  180;  160,  140  cm  und  auf 
der  Schilka  in  demselben  Winter  in 
Stretensk:  100  cm,  zwei  Orten  je  140  cm, 
zwei  je  180  cm;  im  nächsten  Winter  in 
Stretensk  235  cm.  Der  JenesseT  hatte 
ziemlich  gleichmäßige  Eisdicke  in  dem- 
selben Winter,  so  1896/97  ungeHÜir  90  cm, 
1900/01  ungefähr  70  cm.  Die  wechselnde 
Eisdicke  am  oberen  Amur  und  seinen 
Zuflüssen  erklärt  Schostakowicz  zutreffend 
durch    die    wechselnde    Schneetiete,    die 


1)  Bulletin  de  Tlnst.  int.  de  Statist.  XIII.  1.  1903.  S.  297  ff, 

2)  Bevölkerung  der  Erde.  VIII.  1891.  Vorwort  S.  VI. 


702 


Geographische  Neuigkeiten. 


sehr  große  durch  fehlenden  Schnee.  Die 
Beobachter  bemerkten  häufig:  „Eis  dünn 
wegen  großer  Schneetiefe'*  oder  ,.EiB  sehr 
dick,  weil  wenig  Schnee'*.  Seichte  Flüsse 
und  Seen  gefrieren  bis  zum  Grunde  und 
da  dies  zu  einem  Aussterben  der  Fische 
führt,  so  haben  die  Jakuten  sich  zu 
helfen  gewußt:  Um  zu  großer  Eisdicke 
vorzubeugen,  werden  bald  nach  dem 
Grefrieren  des  Wassers  Tannenzweige  an- 
gehäuft, der  Wind  weht  große  Schnee- 
mengen an,  als  schlechter  Wärmeleiter 
schützt  der  Schnee  vor  Abkühlung,  das 
Eis  wird  nicht  dick. 

Afrika. 

*  Von  Lenfants  Expedition  zur 
Erforschung  einer  Wasserverbindung  zwi- 
schen Niger-Benue  und  Tschadsee  (S.  535) 
sind  Nachrichten  in  Paris  eingetroffen  (La 
Geographie  1908,  Nr.  4),  denen  zufolge 
die  Expedition  dank  dem  Entgegenkommen 
der  Niger-Gesellschaft  25  Tage  nach  ihrer 
Abreise  von  Bordeaux  bereits  in  Lokodja 
am  Zusammenfluß  von  Niger  und  Benue 
angekommen  war.  Von  dort  aus  fuhr 
man  auf  einem  englibchen  Dampfer  den 
Benue  aufwärts  nach  Garua,  von  wo  aus 
am  25.  August  die  letzte  Nachricht  nach 
Frankreich  gesandt  wurde.  Lenfant  so- 
wohl wie  auch  der  englische  Gouverneur 
Wallace,  der  wie  alle  englischen  Behörden 
dieser  Expedition  mit  ungewöhnlicher  Höf- 
lichkeit und  Hilfsbereitschaft  entgegen- 
kam, sind  von  dem  Vorhandensein  eines 
Wasserweges  zwischen  Benue  und  Tschad- 
see fest  überzeugt,  während  die  deutscheu 
Mitglieder  der  deutsch-englischen  Kame- 
run-Grenzexpedition, die  Lenfant  in  Yola 
antraf,  das  Vorhandensein  einer  Bergkette 
zwischen  Benue  und  Logone  behaupten. 
Von  Garua  aus  wollte  Lenfant  am  nächsten 
Tage  Benue  aufwärts  weiterfahren  bis 
nach  Bifara,  und  von  dort  aus  hoffte  er 
in  wenigen  Tagen  den  Logone  erreichen 
zu  können. 

♦  Über  das  östliche  Scharibecken, 
besonders  über  die  Gegend  südwest- 
lich von  Dar  für  berichtet  der  fran- 
zösische Reisende  Chevalier  im  August- 
heft der  „Geographie".  Die  Gegend  ist 
besonders  in  hydrographischer  Hinsicht 
sehr  interessant.  Das  zwischen  Schari 
Kongo  und  Nil  sich  bis  zu  einer  Höhe 
von  2000  bis  2800  Fuß  erhebende  Sand- 
steinplatoau  fallt  nach  Norden  zu  einer 


ungefähr  400  Fuß  niedrigeren  Ebene  ab, 
die  mit  einförmiger  Vegetation  bedeckt 
ißt  und  strichweise  jährlich  durch  Über- 
schwemmung in  Sumpf  verwandelt  wird. 
Dies  ist  die  Ebene  Mamun,  durch  welche 
die  auf  dem  südlichen  Plateau  entspringen- 
den Flüsse  in  vielfach  verzweigtem  Laufe 
fließen.  Alle  diese  Wasserläufe  vereinigen 
sich  schließlich  in  dem  Auk,  wie  schon 
Nachtigal  diesen  Arm  des  Schari  benannt 
hat.  Der  Hauptarm  soll  der  Bungul  sein, 
der  bei  günstigem  Wasserstande  über 
12  Fuß  tief  und  300—500  Yards  breit  ist. 
Nach  Chevaliers  Skizze  hat  aber  der  nörd- 
lichste Arm,  der  Miiya,  einen  noch  länge- 
ren Lauf,  durch  den  das  Scharibecken 
ostwärts  bis  23^  östl.  Gr.  ausgedehnt  wird. 
Den  Auk  hält  Chevalier  für  schiffbar 
während  des  Winters.  Während  der 
Regenzeit  wird  die  ganze  Gegend  in  einen 
mit  Sumpfvegetation  bedeckten  See  ver- 
wandelt, aus  dem  die  höher  gelegenen 
Stellen  als  bewaldete  Inseln  hervorragen. 
Die  ganze  Gegend  wimmelt  von  großen 
Säugetieren  und  von  Wasservögeln;  die 
Vegetation  ist  die  für  den  Sudan  charak- 
teridtische  mit  Arten  von  Diospyros,  Ter- 
minalia,  Combretum  u.  a.  Trotzdem  ist 
das  Land  arm  und  würde  von  seinen  Be- 
wohnern längst  verlassen  sein,  wenn  seine 
Sümpfe  und  Überschwemmungen  nicht  so 
guten  Schutz  gegen  die  Raubzüge  der  Be- 
wohner von  Wadai  und  Daifur  darböten. 
Im  ganzen  besitzt  also  das  Land  südlich 
und  östlich  von  Wadai  nur  einen  geringen 
Wert. 

»  Die  schon  seit  einigen  Jahren  ein- 
getretene Austrocknung  des  Schirwa- 
Sees  scheint  nach  einer  Mitteilung  der 
Missionszeitschrift:  „Life  and  Work  in 
British  Central  Afrioa"  nun  vollständig 
geworden  zu  sein.  Alles  was  vom  See 
von  der  früheren  Insel  Mchisi  aus  noch 
zu  erblicken  ist,  ist  ein  Sumpf  an  dem 
ehemaligen  westlichen  Seeufer  und  einige 
seichte  Lachen  an  den  Flußmündungen. 
Die  Kanus,  mit  welchen  die  Eingeborenen 
seit  undenklichen  Zeiten  den  See  be- 
fuhren,  liegen  auf  dem  ausgetrockneten 
Schlamme,  indessen  man  zu  Fuß  nach 
Tongwe,  der  kleinen  bewohnten  Insel,  ge- 
langt. Der  Schlamm  ist  stellenweise  noch 
weich,  aber  an  der  Oberfläche  ist  er  ganx 
hart,  mit  welkem  Gras  bedeckt,  das  oft 
in  Flammen  aufgeht.  Ein  kleiner  Brunnen 
in  der  Nähe  der  Missionsschule  auf  der 


Geographische  Neuigkeiten. 


703 


Insel  versorgt  die  Eingeborenen  in  der 
Umgebung  mit  gutem  Wasser,  obgleich 
das  Seewasser  brackig  ist  oder  war.  Wegen 
anhaltender  Dürre  wächst  auf  der  Insel 
nur  spärliches  Futter,  weshalb  viele  Be- 
wohner nach  dem  Zomba- Distrikt  aus- 
wandern. (Geogr.  Journal  1908  S.  469.) 

Nord-  und  Mittel-Amerika» 

*  In  der  an  Überraschungen  und  im- 
vorhergesehenen  Wendungen  so  reichen 
Geschichte  des  interozeanischen  Ka- 
nals in  Mittelamerika  ist  wiederum 
ein  Ereignis  eingetreten,  das  wohl  nie- 
mand geahnt  hat,  durch  welches  aber  das 
letzte  dem  Bau  des  Kanals  entgegen- 
stehende Hindernis  beseitigt  sein  dürfte. 
In  einer  früheren  Notiz  (S.  172)  waren 
die  Bedingungen  des  Vertrages  mitgeteilt 
worden,  der  zwischen  den  Vereinigten 
Staaten  und  Kolumbien  wegen  des  Kanal- 
baus abgeschlossen  werden  sollte,  und  zu- 
gleich wurde  die  Zuversicht  ausgesprochen, 
daß  der  Vertrag  bald  von  beiden  Seiten 
angenommen  werden  würde.  Das  letztere 
ist  nun  nicht  eingetreten,  weil  die  Re- 
gierung von  Kolumbien  die  im  Vertrage 
geforderte  Landabtretung  an  die  Ver- 
einigten Staaten  mit  den  patriotischen 
Gefühlen  ihres  Volkes  nicht  für  vereinbar 
hielt  und  deshalb  den  ganzen  Vertrag 
ablehnte.  Vielleicht  hat  auch  die  Furcht 
vor  der  unmittelbaren  Nachbarschaft  der 
die  Monroe-Doktrin  so  laut  verkündenden 
Nordamerikaner  oder  die  Agitation  der 
die  Konkurrenz  des  Kanals  furchtenden 
Pacific-Eisenbahnen  das  ihre  zu  dem  ab- 
lehnenden Votum  beigetragen.  Kurz,  der 
Vertrag  kam  nicht  zu  Stande  und  der 
Kanal  bau  schien  abermals  in  weite  Ferne 
gerückt  zu  sein.  Da  trennte  sich  Anfang 
November  die  Provinz  Panama,  für  die 
der  Kanal  natürlich  von  unendlicher 
Wichtigkeit  ist  und  die  in  der  Ankunft 
der  Nordamerikaner  das  einzige  Mittel 
für  die  Ausführung  des  Kanalbaus  sieht, 
von  der  kolumbischen  Republik  los  und 
konstituierte  sich  als  selbständige  Re- 
publik Panama,  die  sofort  in  ein  freund- 
schaftliches Verhältnis  zu  den  Vereinigten 
Staaten  trat.  Ein  schwacher  Versuch 
Kolumbiens,  die  verlorene  Provinz  wieder 
unter  seine  Botmäßigkeit  zu  bringen, 
scheiterte  kläglich,  dagegen  entsandte  die 
neue  Republik  sofort  einen  Vertreter  nach 
Washington,  um  die  Verhandlungon  über 


den  Bau  des  Kanals  einzuleiten.  Die 
neue  Republik  hat  sich  bereit  erklärt,  iu 
alle  Verträge,  die  Kolumbien  abgeschlossen 
hat,  einzutreten,  und  so  werden  wohl  nun 
die  Vereinigten  Staaten  bald  in  den  Be- 
sitz des  zum  Bau  des  Kanals  nötigen 
Landstreifens  kommen. 

Polargegen den. 

♦  Wohlbehalten  ist  am  24.  Nov.  die 
deutsche  Südpolarexpedition  auf 
dem  Expeditionsschiff  „Gauß"  wieder  auf 
der  Elbe  angekommen,  von  wo  aus  die 
Fahrt  nach  Kiel  durch  den  Kaiser  Wil- 
helm-Kanal angetreten  wurde.  Aber  schon 
Anfang  November  ist  der  Bericht  über 
die  wissenschaftlichen  Arbeiten  der 
Expedition  als  5.  Heft  der  „Veröffent- 
lichungen des  Instituts  für  Meereskunde'^ 
zu  Berlin  erschienen.  Der  Bericht  bezieht 
sich  auf  die  Zeit  von  der  Abfahrt  von  Ker- 
guelen  bis  zur  Rückkehr  nach  Kapstadt 
(31.  Jan.  1902  bis  9.  Juni  1903)  und  auf  die 
Tätigkeit  auf  der  Kerguelen- Station  vom 
1.  April  1902  bis  1.  April  1903  und  zer- 
fällt in  drei  Teile,  die  die  Einzelberichte 
der  Gelehrten  und  Offiziere  über  ihre  spe- 
zielle Tätigkeit  enthalten.  Der  erste  Teil 
berichtet  über  den  äußeren  Verlauf  und 
enthält :  Allgemeinen  Bericht  von  E.  v.  D  r  y  - 
galski,  Bericht  über  die  Rekognoszie- 
rungs-Schlittenreise  nach  dem  Rand  des 
Inlandeises  von  R.  Vahsel;  Gesundheits- 
bericht von  H.  Gazert  und  allgemeinen 
Bericht  über  die  Tätigkeit  der  Kerguelen- 
Station  von  K.  L u y  k  e  n.  Im  zweiten  Teile 
folgen  Berichte  über  die  wissenschaftliche 
Tätigkeit  und  zwar:  Über  die  geogra- 
phischen Arbeiten  von  E.  V.  Dry galski; 
über  die  erdmagnetischen  Arbeiten  von 
F.  Bidlingmaier;  meteorologischer  Be- 
richt von  H.  Gazert;  geologischer  und 
chemischer  Bericht  von  E.  Philippi; 
biologischer  Bericht  von  E.  Vanhöffen 
und  bakteriologischer  Bericht  von  H.  Ga- 
zert. Der  dritte  Teil  umfaßt  technische 
Berichte  über  Schiff,  Seefahrt  und  Ballon- 
aufstiege und  zwar  berichtet  H.  Ruser 
über  Seefahrt  und  Schiffsarbeiten  und 
A.  St  ehr  über  die  Ballonaufstiege.  Zu- 
nächst ergibt  sich  aus  dem  Bericht  mit 
Bestimmtheit,  daß  die  Expedition  auf  das 
Sorgfältigste  vorbereitet  worden  war  und 
daß  bei  der  Ausarbeitung  des  Expeditions- 
planes und  der  Ausrüstung  alle  Eventuali- 
täten in  Betracht  gezogen  worden  waren; 


704 


GeograpliiBclie  Neuigkeiten. 


außerdem  geht  aus  allen  Einzelberichten 
zur  Evidenz  hervor,  daß  alle  Ezpeditions- 
mitglieder  sich  ihrer  Aufgabe  gewachsen 
zeigten  und  während  der  ganzen  Ex- 
pedition mit  großer  Pflichttreue  ihren 
wissenschaftlichen  Arbeiten  obgelegen 
haben.  Wenn  es  trotzdem  der  Expedition 
nicht  gelungen  ist,  einen  großen  äußeren 
Erfolg  zu  erringen,  so  ist  der  Grund  hier- 
zu ebenfalls  nur  in  äußeren  Umständen  zu 
suchen,  besonders  darin,  daß,  im  Gegen- 
satz zur  englischen  Südpolarexpedition, 
welche  als  Operationsbasis  das  schon  öfter 
besuchte  und  leidlich  gut  erforschte  Vik- 
torialand benutzen  konnte,  die  deutsche 
Expedition  noch  völlig  unbekannte  Gegen- 
den der  Antarktis  aufgesucht  hat,  die  sich 
iils  besonders  arm  an  Inseln  oder  Festland 
erwiesen  und  in  denen  die  Expedition 
alle  Unbilden  des  antarktischen  Ozeans 
und  Klimas  ausgiebig  zu  kosten  bekam. 
Der  in  späterer  Zeit  zu  erwartende  aus- 
führliche Bericht  über  die  wissenschaft- 
lichen Untersuchungen  in  der  Antarktis 
wird  beweisen,  daß  die  Expedition  ihre 
mühsame  Fahrt  nicht  vergebens  für  die 
Wissenschaft  unternommen  hat. 

:4t  Als  die  wichtigste  geographische 
Entdeckung,  welche  auf  der  deutschen 
Südpolarexpedition  gemacht  worden  ist, 
ist  vorläufig  die  Auffindung  des  Gauß- 
berges  als  Teil  eines  bisher  noch  un- 
bekannten antarktischen  Festlandes  an- 
zusehen. Wie  bereits  früher  (S.  471)  mit- 
geteilt wurde,  wurde  das  Expeditionsschiff 
„Gauß"  in  der  Nähe  einer  bisher  un- 
bekannten Küste  vom  Scholleneise  ein- 
geschlossen und  fast  ein  Jahr  lang  von 
ihm  festgehalten.  Das  neuentdeckte, 
Kaiser  Wilhelm  II-Küste  benannte  Fest- 
land lag  85  km  südlich  vom  Schiff  und 
war  derart  unter  Gletschern  begraben,  daß 
von  ihm  nur  eine  eisfreie  Bergkuppe,  der 
„Gaußberg"  sichtbar  war.  Der  Berg,  der 
unter  6öM8'  s.  Br.  und  89^30'  östl.  L. 
liegt  und  .366  m  hoch  ist,  hat  die  Form 
eines  in  der  Nord-Südlinie  etwas  lang- 
gezogenen Kegels  und  erhebt  sich  auf  der 
Grenze  zwischen  Meer  und  Inlandeis,  auf 
seiner  Nordseite  unmittelbar  aus  dem 
Meere  aufsteigend,  während  ein  großer 
Teil  der  Süd-  und  besonders  der  West- 
seite von  Schnee  und  Eis  bedeckt  ist, 
welches  in  ununterbrochenem  Zusammen- 
hange' mit  dem  Inlandeis  steht.  So  er- 
scheint der  Gaußberg  ungefähr  zu   zwei 


Dritteln  in  das  Inlandeis  eingebettet,  von 
dem  er  einstmals  ganz  überströmt  war, 
wie  die  erratischen  Granii-  und  Gneis- 
blöcke beweisen,  die  sieh  an  allen  seinen 
Abhängen  und  auf  dem  Gipfel  selbst  finden. 
Der  Berg  baut  sich  lediglich  aus  einem 
Gestein  jungvulkanischen  Ursprungs,  einer 
schwarzbraunen,  körnigen,  zuweilen  gla- 
sigen Basaltlava,  auf;  Auswürflinge  oder 
Tuffe  fehlen  ganz.  Sein  Dasein  verdankt 
der  Gaußberg  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  einem  einmaligen  Ausbruch  streng- 
flüssiger, rasch  erkaltender  Lava,  in  Folge 
dessen  sich  eine  Quellkuppe  bildete.  Die 
ursprüngliche  Oberfläche  dieser  Kuppe  ist 
aber  nirgends  mehr  erhalten,  da  frühere 
glaziale  Erosion  und  gegenwärtig  eine 
sehr  lebhafte  mechanische  Verwitterung 
in  Folge  der  hohen  Temperaturdifferenzen 
zwischen  Tag  und  Nacht  überall  zerstörend 
gewirkt  haben.  Weitaus  den  größten  Teil 
der  Oberfläche  des  Berges  bedecken  Schutt- 
halden von  über  80  cm  Tiefe,  die  eine  Be- 
steigung des  Berges  beschwerlich  machen ; 
anstehendes  Gestein,  das  einzige,  welches 
die  Expeditjon  innerhalb  des  antarktischen 
Gebietes  fand,  spielt  nur  auf  der  nörd- 
lichen Seite  des  Berges  eine  bedeutende 
Rolle,  findet  sich  aber  in  isolierten  Massen 
auch  auf  den  anderen  Flanken  des  Berges; 
überall  zeigte  es  sich  angewittert  und 
äußerst  brüchig.  Von  Vegetation  wurden 
auf  dem  Berge  nur  einige  niedere  Moose 
und  Flechten  gefunden.  Südlich  vom 
Gaußberg  steigt  die  Oberfläche  des  Inland- 
eises weiter  und  weiter  an;  einige  Meilen 
vom  Berg  war  eine  bedeutende,  an  der 
Oberfläche  stark  gespaltene  Erhöhung  des 
Inlandeises  bemerkbar,  die  auf  eine  darunter 
liegende  Bodenerhöhung  schließen  läßt; 
aber  eisfreies  Land  war  weder  vom  Gipfel 
des  Gaußberges  noch  von  dem  zu  500  m 
Höhe  angestiegenen  Ballon  aus  sichtbar. 
♦  Das  von  der  argentinischen  Regie- 
rung ausgesandte  Kanonenboot  „Uruguay^' 
(S.  414)  hat  nach  dem  Bericht  seines 
Kommandeurs  am  S.November  auf  derSey- 
mons-Insel  zwei  Teilnehmer  der  schwedi- 
schen Südpolarexpedition  aufgefun- 
den, die  sich  in  der  Hoffnung  auf  Rettung 
von  den  übrigen  getrennt  hatten.  Norden- 
skjöld  selbst  mit  einigen  Mitgliedern 
der  Expedition  traf  man  auf  Snowbill. 
Die  übrigen  Teilnehmer  waren  auf  der 
Paulet-Insel  geblieben,  wo  die  gesanit« 
Mannschaft  der  Expedition  überwinterte, 


Bücherbesprechungen. 


705 


nachdem  die  „Antarctic"  im  Erebus-  und 
Terror-Golf  vom  Eise  zermabnt  war.  Die 
„Uruguay"  fuhr  daher  bis  zur  Paulet- 
Insel  weiter,  brachte  von  dort  den  Rest 
der  Expedition  zurück  und  beförderte  sie 
nach  Santa  Cruz.  Vom  Beginn  der  Reise 
an  hatte  die  „Antarctic"  im  Eis  zahllose 
Schwierigkeiten  zu  überwinden.  Im  De- 
zember 1902  traf  die  Expedition  am 
Bramsfieldberg  in  Louis  Philippe -Land 
ein.  Nordens kjöld  verließ  hier  das 
Schiff  mit  einer  kleinen  Schar,  um  nach 
Snowhill  zu  wandern.  Inzwischen  fuhr 
die  „Antarctic"  nach  der  Erebus-  und 
Terror-Bucht  weiter,  wo  sie  unterging. 
Kapitän  Tarsen  und  die  übrigen  Teil- 
nehmer an  der  Expedition  erreichten  nach 
einer  16tägigen  gefährlichen  Seefahrt  in 


offenen  Booten  die  Paalet-Insel  und  tra- 
fen erst  bei  Snowhill  wieder  mit  Nor- 
den skjöld  zusammen.  Dieser  erreichte 
auf  einer  Schlittenreise  über  König  Oskar- 
Land  den  66.^  s.  Br.  und  machte  viele 
wertvolle  wissenschaftliche  Beobachtun- 
gen. Die  niedrigste  Temperatur,  die  er 
verzeichnete,  waren  —  42®.  In  Buenos 
Aires  ist  die  „Uruguay"  mit  der  schwe- 
dischen Expedition  an  Bord  am  2.  De- 
zember angekommen.  F.  Th. 

Persdnliohes. 

♦  Dem  Privatdozenten  der  Geographie 
an  der  Universität  Berlin  Dr.  Konrad 
Kretschmer,  der  zugleich  als  Lehrer  an 
der  Kriegsakademie  tätig  ist,  ist  das 
Prädikat  Professor  beigelegt  worden. 


Bttcherbesprecliangen. 


Weltall  und  Menschheit.    Geschichte 
der  Erforschung  der  Natur  und  der 
Verwertung  der  Naturkräfte  im  Dienste 
der   Völker.      Hrsg.    in    Verbindung 
mit    andern    von    Hans   Kraemer. 
n.  Bd.     H.  Klaatsch:   Entstehung 
und     Entwicklung     des     Menschen- 
geschlechtes. —  H.  Potoni^:    Ent- 
wicklung   der    Pflanzenwelt.    —    L. 
Beushausen:  Entwicklung  der  Tier- 
welt.   Xin  u.  518  S.    Viele  Beil.  u. 
Textabb.    Berlin,  Deutsches  Verlags- 
haus Bong  &  Co.    JC  16. — . 
Dieser  zweite,  wieder  mit  vorzüglichen 
Illustrationen  fast  überreich  ausgestattete 
Band   des   großen   Sammelwerks   enthält 
drei  sich  nahe  berührende  Darstellungen, 
die,  obwohl  auf  streng  wissenschaftlicher 
Grundlage  ruhend,  durchaus   gemeinver- 
ständlich gehalten  sind:  Entstehung* und 
Entwicklung    des    Menschengeschlechtes 
(von    H.    Klaatsch),    Entwicklung    der 
Pflanzenwelt  (von  H.  Potonid),  Entwick- 
lung der  Tierwelt  (von  L.  Beushausen). 
Nur  die  mehr  als  %  des  Bandes  ein- 
nehmende Abhandlung  von  Prof  Klaatsch 
greift  mehrfach  in  erdkundliche  Probleme 
ein,  die  beiden   anderen  sind  rein  palä- 
ontologisch.    In   ganz   ausführlicher   Er- 
Ürterung  wird  in  jener  der  Entwicklungs- 
weg des  Menschen  aus  tierischen  Vorwesen 
beleuchtet.   Zwar  leugnet  der  Verf.  keines- 


wegs die  nahe  Verwandtschaft  unseres 
Geschlechts  mit  den  afrikanischen  und 
asiatischen  Anthropoiden,  führt  jedoch 
gründlich  aus,  daß  der  Mensch,  der  ge- 
wisse körperliche  Merkmale  mit  jeder  der 
heute  noch  fortlebenden  Anthropoiden - 
formen  teilt,  eben  darum  schon  von  keiner 
derselben  unmittelbar  abstammen  kann. 
Stammesgeschichtlich  interessant  ist  die 
Tatsache,  daß  die  Langarmaffen  oder 
Gibbons  (in  deren  nahe  Verwandtschaft 
auch  der  berühmte,  von  Dubois  1891  auf 
Java  in  einigen  Fossilresten  entdeckte 
Piihecanihropus  erectus  gehört)  im  em- 
bryonalen Zustand  eine  ganz  besondere 
Menschenähnlichkeit  verraten.  Das  Lippen- 
rot ist  das  einzige  somatische  Sondergut, 
das  der  Mensch  vor  den  Anthropoiden 
voraus  hat.  Die  großen  Abweichungen 
im  Skelett-,  besonders  im  Schädelbau 
gegenüber  den  Menschenaffen  erklären 
sich  durch  den  Erwerb  des  aufrechten 
Ganges,  der  den  Arm  zum  Kampf  frei 
machte,  imd  die  überlegene  Ausbildung 
des  Gehirns.  Für  die  Enthaarung  möchte 
der  Verf.  den  Übergang  zur  Fleischkost 
kausativ  verwerten.  Sollte  aber  die  Ein- 
schränkung des  Witterungskreises  als 
natürliche  Wirkung  geringerer  Hautaus- 
dünstung zu  Folge  der  Lichtung  der  Be- 
haarung nicht  eher  in  Betracht  kommen, 
da  er  Herabsetzung  der  Gefahr  vor  dem 


Geographisohe  Zeitschrift.    9.  Jahrgang.  inoS.  12.  Hof t. 


47 


106 


Bücherbesprechungen. 


Überfall  von  Raubtieren  bei  einem  doch 
gewiß  ursprünglich  im  Waldesdickicht 
lebenden  Wesen  bedingte?  Freilich  denkt 
der  Verf.  an  das  raubtierlose  Australien 
ala  Urheimat  der  Menschheit;  indessen 
die  hierfür  angeführten  Gründe  erscheinen 
nicht  stichhaltig.  Dagegen  dünken  die 
Beweise  unwiderleglich,  mit  denen  der 
Verf.  für  die  Einheit  des  Menschen- 
geschlechts und  für  dessen  Entstehung  be- 
reits im  Tertiäralter  eintritt.  K  i  r  c  h  h  o  f f . 

Nippoldty  A.  jun.  Erdmagnetismus, 
Erdstrom  und  Polarlicht.  (Samm- 
lung Göschen.)  16  ^  186  S.  3  Taf. 
14  Fig.  Leipzig,  Göschen  1908. 
JL  —.80. 
Das  vorliegende  Büchlein  der  bekannten 
„Sammlung  Göschen"  bringt  auf  dem  ihm 
zugewiesenen  engen  Raum  die  wichtig- 
sten Lehren  dieser  Gebiete  in  übersicht- 
licher, leicht  faßlicher  Darstellung.  Nach- 
dem die  notwendigen  Definitionen  gegeben 
sind,  wird  der  permanente  Magnetismus 
der  Erde  behandelt,  wobei  insbesondere 
die  räumliche  Verteilung  der  magneti- 
schen Elemente  und  die  Theorie  in  Frage 
kommt.  Der  folgende  Abschnitt  erörtert 
die  Variationen  und  die  Perioden  der 
Bewegungen  der  Magnetnadel,  nebst  den 
Beziehungen  zu  anderen  meteorologischen 
und  kosmischen  Vorgängen.  Die  beiden 
letzten  Abschnitte  behandeln  den  Erd- 
strom und  das  Polarlicht  und  deren  Zu- 
sammenhang mit  dem  Erdmagnetismus. 
Li  allen  Kapiteln  ist  auf  den  neuesten 
Stand  des  Wissens  Bezug  genommen. 
Eine  Übersicht  der  wichtigsten  Literatur 
und  ein  ausführliches  Inhaltsverzeichnis 
vervollständigen  das  Ganze. 

Messerschmitt. 

Schütz,  E.  H.    Die  Lehre   von   dem 
Wesen  und  denWanderungender 
magnetischen    Pole    der    Erde. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Geo- 
physik.    XVI  u.  70  S.     4  Taf.  u.  5  K. 
Berlin,  Dietr.  Reimer  1902.  JL  10.—. 
Die  Wissenschaft  vom  Erdmagnetismus 
wird    sicherlich    einmal    dahin  gelangen, 
die  magnetischen  Verhältnisse  an  der  Erd- 
oberfläche in  früheren  Zeiten  mit  größe- 
rer Genauigkeit  rückwärts  zu  berechnen, 
als    sie     seinei*zeit     beobachtet    werden 
konnten.     Noch   sind   wir  indessen  nicht 
so  weit,   und    noch    immer   haben   daher 


die  spärlichen  und  nach  heutigen  Be- 
griffen  rohen  Messungen,  die  uns  aus 
jenen  Zeiten  überliefert  sind,  nicht  nur 
geschichtlichen  Wert:  sie  liefern  uns  viel- 
mehr Daten,  die  für  unsere  Forschung 
sachlichen  Wert  besitzen  und  die  ims  dar- 
zu  verhelfen,  dem  zu  Anfang  bezeichne- 
ten Ziele  näher  zu  kommen. 

Auch  dem  vorliegenden  »^^i^'i^  zur 
Geschichte  der  Geophjsik^^  der  schon  als 
solcher  das  rege  Interesse  aller  Geogra- 
phen verdient,  kommt  die  angedeutete, 
erweiterte  Bedeutung  zu.  Dies  umso- 
mehr,  als  der  Verfasser  seiner  Aufgabe 
in  jeder  Beziehung  in  mustergültiger  Weise 
gerecht  wird. 

Nach  einer  knappen  und  klaren  Er- 
örterung über  die  Bedeutung  der  magne- 
tischen Erdpole,  woran  sich  einige  be- 
achtenswerte methodische  Bemerkungen 
schließen,  betrachtet  der  Verfasser  die 
Mittel  zur  Bestimmung  dieser  Punkte,  in- 
dem er  besonders  bei  der  Schilderung 
der  Expeditionen  verweilt,  die  zu  ihrer 
unmittelbaren  Aufsuchung  bestimmt  waren. 
Sehr  dankenswert  ist  es,  daß  der  Verf. 
in  einem  Anhange  den  ersten  Bericht 
von  James  Clark  Roß  über  seine  Ent- 
deckung des  magnetischen  Nordpols  nebet 
einigen  ergänzenden  Stellen  aus  dem 
späteren  ausführlichen  Werke  über  die 
große  Expedition  von  Sir  John  Roß  in 
deutscher  Übersetzung  abdruckt.  Die  Be- 
trachtungen dieses  ersten  Kapitels  führen 
den  Verfasser  zu  dem  Schlüsse,  daß  sich 
über  eine  Bewegung  der  magneti- 
schen Pole  der  Erde  zur  Zeit  nichts 
„Bestimmtest^  aussagen  läßt. 

Das  zweite  Kapitel  liefert  eine  kurz- 
gefaßte geschichtliche  Darstellung  der 
Anschauungen,  die  über  den  Sitz  der  erd- 
magnetischen Kraft  überhaupt  entwickelt 
worden  sind,  seitdem  man  ihre  Äuße- 
rungen kennen  gelernt  hatte.  Dann 
wendet  sich  die  Betrachtung  in  den  näch- 
sten Kapiteln  wieder  ausschließlich  dem 
speziellen  Problem  der  Pole  zu,  schildert 
die  Entwicklung  des  schärfer  bestinmiten 
Begriffs  dieser  Punkte  besonders  bei  Hal- 
ley  und  Euler  und  dann  in  ausführ- 
licher kritischer  Darstellung  die  Theorien 
über  ihre  Wanderung,  wie  sie  außer  von 
den  Genannten  von  Hansteen,  Weyer, 
Fritsche  und  van  Bemmelen  ent- 
wickelt worden  sind. 

An   einen   zusammenfassenden    Rück- 


Bücherbesprechungen. 


707 


blick  schließt  eich  endlich  noch  ein  Aus- 
blick auf  das,  was  in  der  Frage  zu  tun 
bleibt.  Dabei  wird  auch  die  etwa  zwi- 
schen dem  Polorte  und  dem  Endpunkte 
der  magnetischen  Erdachse  bestehende 
Beziehung  in  Betracht  gezogen.  In  den 
zutreffenden  Erörterungen  über  das,  was 
für  die  Erforschung  der  yergangenen  Zu- 
stände durch  weitere  Ausbildung  der 
Theorie  zu  erstreben  und  zu  erwarten  ist, 
h&tte  ich  nur  eine  stärkere  Betonung  der 
grundlegenden  Arbeit  Carlheim -Gyl- 
lenskölds  gegenüber  anderen,  die  in 
theoretischer  wie  methodischer  Hinsicht 
weit  dahinter  zurückstehen,  gewünscht. 
Den  Hauptnachdruck  legt  der  Verfasser 
mit  Recht  auf  die  Forderung  nach  neuen 
systematischen  Beobachtungen.  Man  wird 
ihm  zustimmen  können,  wenn  er  meint, 
daß  etwa  2  oder  3  direkte  Bestimmungen 
des  Ortes  jedes  der  beiden  Pole  im  Jahr- 
hundert hinreichend,  aber  auch  erforder- 
lich sein  dürften. 

Das  den  Ausführungen  des  Textes  zu 
Grunde  liegende  Tatsachenmaterial  ist  in 
5  kartographischen  Darstellungen  nieder- 
gelegt. Schmidt  (Potsdam). 

Driesmans,  Hch.  Rasse  und  Milieu. 
(Eulturprobleme  der  Gegenwart.  Bd. 
IV.)  X  u.  236  S.  Berlin,  Rade  1902. 
JC  2.50. 

Das  Buch  enthält  manchen  anregen- 
den Gedanken,  ist  jedoch  stärker  im  Be- 
haupten als  im  Beweisen,  zumal  es  sich, 
auf  einen  weiteren  Leserkreis  berechnet, 
der  Anführung  von  Belegstellen  fast  ganz 
enthält. 

unter  „Milieu"  versteht  der  Verf.  nicht 
bloß  die  tellurische  Umgebung,  in  der 
sich  eine  Volksentwicklung  vollzieht,  son- 
dern auch  die  geistige  Atmosphäre,  wie 
sie  durch  staatliche,  religiöse  und  andere 
Kulturelemente  bestimmten  Zeitaltem  oder 
Länderräumen  ihr  Gepräge  verleiht.  So- 
mit untersucht  der  Verf.  den  Werdegang 
der  Völker  in  weitestem  Umfang  auf  die 
Frage  hin,  was  dabei  Rassenerbe,  was 
Umgebungseinfluß  erwirkt  habe.  Aller- 
diugs  tut  er  das  nur  in  allgemeinen  Um- 
rissen und  beschränkt  sich  dabei  wesent- 
lich auf  die  europäischen  Völker;  nur 
gelegentlich  streift  er  die  Chinesen  oder 
die  alten  Kulturvölker  Mexikos. 

Es  fällt  auf,  daß  der  Verf.,  der  die 
großen  Vereisungen   in  ursächlichen  Zu- 


sammenhang bringt  mit  dem  Aufsteigen 
des  Urmenschen  zu  einem  Eulturwesen, 
nirgends  den  Namen  Moritz  Wagners 
nennt,  der  diesen  Ideen  so  geistvoll  unter 
uns  Bahn  brach.  Die  große  zweite  Eis- 
zeit des  Diluvialalters  denkt  sich  der 
Verf.  als  Züchtungsperiode  der  arischen 
Rasse,  deren  elastischere,  h-ohgemutere 
Natur  unter  erschwerteren,  aber  das 
Lebensgefühl  im  höchsten  Grade  heraus- 
fordernden und  steigernden  Bedingungen 
in  einem  solchen  Milieu  gewonnen  sei. 
Die  Mongolenrasse  soll  sich  unterdessen, 
von  dieser  größten  Vereisung  unberührt, 
in  Sibirien  entfaltet  haben.  Die  dritte 
Eiszeit  könnte  dann  wohl  den  hamito- 
semitischen  Zweig  von  den  Ariern  abge- 
trennt haben  (zum  Glück  wird  gleich 
dazugefügt:  „Eine  reine  Hypothese,  für 
welche  nicht  der  geringste  erweisliche 
Tatbestand  vorliegt"). 

Kühn  wird  behauptet,  „alle  Anthro- 
pologen" seien  sich  darüber  einig,  daß 
der  Grundstock  der  europäischen  Be- 
völkerung durch  ein  „mongolisches  Ele- 
ment" gelegt  worden  sei.  Ihm  werden 
völlig  beweislos  Etrusker,  Ligurer,  Basken 
zugerechnet,  mit  denen  „gleichzeitig** 
Lappen  und  Finnen  in  Europa  erschienen 
seien.  Mesopotamien  soll  nach  „neueren 
Forschungen"  vor  der  Besiedelung  durch 
die  „Hamiten"  (!)  eine  dürre  Öde  gewesen 
sein  wie  heute  wieder  (Babylonier  und 
Assyrer  waren  nach  S.  110  Hamiten!). 
Eine  große  Rolle  spielen  die  Langschädel 
als  „Herrenmenschen"  gegenüber  den 
Kurzschädeln  als  „Herdenmenschen"  (wo- 
bei die  Neger  -  Schmalschädel  nicht  viel 
genieren).  Ein  solches  Herrenvolk  waren 
z.  B.  die  Skandinavier,  „zu  denen  wir 
außer  Goten  und  Normannen  auch  die 
Langobarden  und  Franken  rechnen".  Was 
werden  die  Germanisten  dazu  sagen! 

Noch  verblüffender  ist  die  Offenbarung, 
daß  die  Italiker  (Sabiner,  Osker  u.  s.  w.) 
Kelten  waren  und  Rom,  „eine  etruskisch- 
tyrrhenische"  Kolonie,  erst  nachmals  „sa- 
binisiert"  wurde.  Und  weshalb  über- 
flügeln die  Deutschen  jetzt  allmählich  die 
Engländer?  Auf  S.  102  wird  es  uns  ver- 
raten: Weil  den  Engländern  nur  kelto- 
germanisches  Blut  in  den  Adern  rollt, 
wir  dagegen  auch  slavisch  gemischt  sind. 

Kirchhoff. 
Helmolt^   HanH.    Weltgeschichte. 
j    II.  Bd.    Ostasien  und  Ozeanien.   Der 

47* 


708 


BüdierbeBprechungen. 


Indische  Ozean.  XVI  u.  301  S.  10  K., 
6  färb.  u.  16  schwarze  Taf.  Leipzig, 
Bibl.  Inst.  1902.  JL  8.—, 
In  diesem  Band  der  Helm olt sehen 
Weltgeschichte  findet  gerade  der  Geograph 
ausgezeichnet  für  seinen  Bedarf  gesorgt. 
Handelt  es  sich  doch  durchweg  um  Län- 
der- und  Seegebiete,  deren  Geschichte  in 
den  weltgeschichtlichen  Werken,  die  bis- 
her diesen  stolzen  Namen  durch  ihren 
geographisch  so  eng  begrenzten  Inhalt 
wenig  verdienten,  entweder  gar  nicht  oder 
nur  ganz  nebensächlich  berücksichtigt  zu 
werden  pflegten.  In  naturgemäßem  Fort- 
schritt von  einem  zum  andeten  Nachbar- 
raum liefert  Max  v.  Brandt  die  Ge- 
schichte der  untereinander  mehrfach  in 
wirkungsreiche  Beziehungen  getretenen 
ostasiatischen  iteiche  Japan,  China  und 
Korea,  Heinrich  Schurtz  die  von  Hoch- 
asien und  Sibirien;  eine  neue  Reihe  der 
Darstellung  beginnt  sodann  Karl  Weule 
mit  Australien  und  den  Inseln  der  Süd- 
see, ihm  reihen  sich  die  beiden  indischen 
Halbinseln  an  (bearbeitet  von  Emil 
Schmidt),  der  ostindische  Archipel  (von 
Heinrich  Schurtz)  und  die  Betrachtung 
der  geschichtlichen  Bedeutung  des  Indi- 
schen Ozeans  in  seiner  von  den  Monsunen 
getragenen  verbindenden  Kraft  der  indi- 
schen, arabischen  und  ostafrikanischen 
Welt  (von  Karl  Weule). 

Mit  vollem  Recht  betont  es  der  Her- 
ausgeber im  Vorwort,  daß  auch  dieser 
Band  des  großen  Werkes  beweise,  wie 
es  nicht  aus  einem  Haufwerk  getrennter 
Monographien  einzelnerVölker  oder  Völker- 
kreise bestehe,  sondern  die  „Brücken- 
schlagung^^  in  den  Kulturbewegungen  von 
einem  zum  anderen  Erdraum  stets  fest  im 
Auge  behalten  werde,  innerhalb  jedes  der 
Räume  aber,  nach  denen  das  Ganze  viel 
mehr  geographisch  als  ethnographisch  sich 
gliedert,  die  „Abfolge  der  Zeit"  streng 
eingehalten  sei,  wie  sie  das  Gesamtwerk 
gemäß  seinem  nicht  chronologischen  ober- 
sten Einteilungsprinzip  selbstverständlich 
vermissen  lassen  muß.  Wie  schön  hat  es 
der  bis  zu  seinem  vorzeitigen  Tode  so  rast- 
los tätige  Heinrich  Schurtz  z.  B.  hier 
verstanden,  die  verwickelte  Geschichte 
Inner-  und  Nordasiens  zu  klären  und  das 
Chaos  untereinandergeschobenerMongolen- 
und  Türkenvölker  dadurch  verständlich  zu 
machen,  daß  er  den  Entwicklungsfaden 
fortspann  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zur 


frischen  Gegenwart!  Nur  den  Schlag- 
i  n  t  w  e  i  t  sehen  Ausdruck  „Hochasien^^ 
hätte  man  meiden  sollen;  gemeint  ist  doch 
Inner-  oder  Zentralasien,  für  dessen  Süden 
nur  der  Name  Hoohasien  recht  paßt. 

Kirchhoff. 
Das  überseeische  Deutschland.   Die 
deutschen  Kolonien  in  Wort  und  Bild. 
Nach  dem  neuesten  Stand  der  Kennt- 
nis bearbeitet  von  Hptm.  a.  D.  Hu  t te r , 
Dr.R.  Büttner,  Prof.  Dr.  Karl  Dove, 
Direktor    A.    Seidel,    Direktor    C. 
V.  Beck,  H.  Seidel,  Dr.  Reinecke, 
Kapitänleutnant  Deimling.    VHI  u. 
u.  679  S.     6  färb.  K.,  21  Taf.  u.  287 
Textabb.    Stuttgart,  Union,  Deutsche 
Verlagsanstalt     o.    J.     (1902  —  08). 
JC  8.—. 
Den   schon   (G.  Z.   1908,   S.  177)   be- 
sprochenen    12    ersten    Lieferungen    des 
Werkes  sind  die   letzten  8  rasch  gefolgt. 
Das  Zusammenwirken  so  vieler  Kolonial- 
freunde   erhöht    sicher    die   Frische   des 
Eindrucks  der  einzelnen  Teile,   und  der 
für  den  strengen  Methodiker  damit  un- 
vermeidlich gepaarte  Nachteil  einer  Un- 
gleichheit   der    Darstellungen    der    weit 
getrennten  Stücke  des  überseeischen  Be- 
sitzes wiegt  deshalb  nicht  schwer,  weil 
vorläufig  die  Kenntnis  der  verschiedenen 
Gebiete  noch  in  so  weitem  Abstand  sich 
unterscheidet,    daß    sich    eine   ungleich- 
mäßige Behandlung  von  selbst  aufdrängt. 
Während   der  Redakteur  der  Deutschen 
Kolonialzeitung  bei  der  Darstellung  des 
ostafrikanischen  Gebietes,  dessen  Sprach- 
forschung er  in  besondere  Pflege  genom- 
men, zu  einer  überaus  knappen,  zu  großem 
Inhaltreichtum    verdichteten    Darstellung 
(S.  823  —  482)  greifen  muß,  um  nur  die 
wesentlichsten  Ergebnisse  der  vielseitigen 
Durchforschung  zusammenzufassen,  behält 
der  Direktor  der  Neu-Guinea-Kompagnie 
in  der  Charakteristik  seines  schwer  zu- 
gänglichen tropischen  Waldlandes  (S.  483 
bis  666)  Raum  nicht  nur  für  die  nähere 
Übersicht  der  wichtigen  Forschungen  Dr. 
Lauterbachs,    sondern   auch    für   eine 
ausführliche  Erzählung   der   nur   unvoll- 
kommen aufgehellten  Vorgänge  auf  der 
verhängnisvollen      Durchquerungsexpedi- 
tion    von   Ehlers.      Besondere    lebhafte 
Empfindungen  führen  dem  Samoaforscher 
Dr.   Rein  ecke    die   Feder,    Erbitterung 
über  den  durch  eine  alte  Torheit  und  die 
lange  verzögerte  Wehrhaftigkeit  zur  See 


Bücherbesprechuiigen. 


709 


besonders  domenToIl  gewordenen  Gang 
der  Erwerbung  dieses  Archipels  und 
andrerseits  Entzücken  über  die  herrliche 
Natur  und  das  trotz  aller  Einwirkungen 
der  Fremden  noch  heute  von  dem  Zauber 
einer  kräftigen  Eigenart  umwobene  Völk- 
chen (S.  608—666).  Die  Fortschritte  der 
Entwicklung  von  Kiautschou  überblickt 
sachkundig  ein  Offizier  der  Marine  (S.  659 
bis  679),  während  einem  Lehrtalent  die 
Vereinigung  der  kleineren  Inselbesitzungen 
des  großen  Ozeans  zu  einem  wohlgeord- 
neten Gesamtbild  (S.  570—600)  überlassen 
bleibt.  Bei  dem  raschen  Gang  der  Arbeit 
unserer  Zeit  kann  keinen  Mitarbeiter 
eines  solchen  Eolonialwerkes  die  Vor- 
stellung überkommen,  an  einem  Geistes- 
werk von  unvergänglichem  Werte  Anteil 
zu  haben.  Desto  dankbarer  muß  der 
Leser  es  anerkennen,  wenn,  um  seiner 
Zeit  genug  zu  tun,  ein  Kreis  berufener 
Berichterstatter  ein  treues  Augenblicks- 
bild entwirft.  J.  Part  seh. 

KntlUy  Bodo.  Historische  Geogra- 
phie Deutschlands  im  Mittel- 
alter. Vm  u.  240  S.  Breslau,  Hirt 
1903.  JL  4.—. 
Bei  dem  zweischneidigen  Drängen  un- 
serer Fachmänner  auf  schärfere  Trennung 
von  Geschichte  und  Erdkunde  im  Unter- 
richt der  höheren  Schulen  verdient  jeder 
Versuch,  den  Historikern  die  Beachtung 
des  Bodens,  auf  dem  die  Weltereignisse 
spielen,  näher  zu  rücken,  beifällige  Auf- 
nahme. Diese  Grundstimmung  wird  auch 
herrschend  bleiben  müssen,  selbst  wenn 
dem  ersten  Anlauf  manche  Unvollkom- 
menheiten  anhaften.  Sie  treffen  in  die- 
sem Falle  hauptsächlich  das  erste  Ka- 
pitel, die  Darstellung  der  natürlichen 
Veränderungen  unserer  Küsten  und  un- 
serer Binnengewässer.  Überall,  wo  der 
Verf.  geologische  Fragen  streift,  sollte  er 
der  Selbstkritik  den  festen  Halt  eines 
sackkundigen  Freundes  gönnen.  Der 
Leser  darf  nicht  gleich  an  der  Schwelle 
der  Bücher  stolpern  und  stutzen  wie  hier 
über  den  zweiten  Satz.  Dem  Historiker 
wird  immer  der  Wunsch  nach  annähern- 
der Datierung  auch  der  Naturereignisse 
aufsteigen.  Bei  geologischen  Erscheinun- 
gen, die  vor  jeder  Überlieferung  liegen, 
würde  ein  Andeuten  der  Kriterien  der 
Altersbestimmung  nicht  überflüssig  sein, 
bei  dem  Zweifel  an  der  Chronologie  der 


jüngsten  rheinischen  Vulkanausbrüche 
ebenso  wie  bei  der  Schätzung  des  Zeit- 
alters der  Trennung  Britanniens  vom 
Festlande.  Nähert  sich  in  diesen  Fällen 
des  Verf.  Urteil  dem  richtigen,  so  verrät 
sich  S.  17  falsches  Augenmaß  und  irrige 
Auffassung  der  ganzen  Sachlage,  wenn 
die  Bildung  des  Rheinfalls  in  nachrömi- 
sche Zeit  verlegt  wird.  Bei  der  künftigen 
Neubearbeitung  dieses  Abschnitts  wird 
die  Beachtung  einzelner  übersehener  Hilfs- 
mittel, so  von  F.  W.  Paul  Lehmanns 
Studien  über  die  Küsten  Vor-  und  Hinter- 
pommems,  der  großen  amtlichen  Strom- 
beschreibungen, die  auch  versteckte  kleine 
Literatur  (z.  B.  beim  Memeldelta)  schon 
verwerten,  leicht  eine  Bereicherung  er- 
möglichen; aber  wichtiger  wäre  eine 
scharfe,  kritische  Darstellung,  wie  sie 
K.  Kretschmer  (Verh.  d.  Gtes.  f.  Erdkunde 
1901)  für  ein  Stück  Nordseeküste  ge- 
boten hat. 

Offenbar  betritt  der  Verf.  erst  bei 
dem  Kapitel  'Wechsel  der  Bewohner',  in 
dessen  Literaturnachweisen  K.  Müllen- 
hof f  nachzutragen  ist,  recht  vertrauten 
Boden.  In  der  Darstellung  des  großen 
Zuges  der  ostdeutschen  Kolonisation  und 
der  dadurch  hervorgerufenen  Umgestal- 
tung der  Physiognomie  des  Landes  liegt 
der  Kern  des  Buches.  Ein  unmittelbares 
Schöpfen  aus  dem  Wortlaut  der  Quellen 
vermeidet  der  Verf.  grundsätzlich;  viel- 
leicht versagt  er  seiner  Darstellung  aber 
damit  grade  etwas  von  der  Frische,  die 
nur  aus  der  ürsprünglichkeit  der  im- 
mittelbaren  Beobachtung  und  Auffassung 
herausweht.  Jedenfalls  verdient  das  fleißige 
Buch,  das  seine  Entstehung  selbst  auf  die 
anregende  Kraft  von  Wimmers  fein- 
sinniger Historischer  Landschaftskunde 
(1885)  zurückführt,  Beachtung  und  stei- 
gende Fortentwicklung  in  künftigen  Auf- 
lagen. J.  Bartsch. 

Rechts   und   links    der   Eisenbahn. 
Neue  Führer   auf  den  Hauptbahnen 
im  Deutschen  Reiche.    Hrsg.  von  P. 
Langhans.  Hch.  Fischer:  Heft  la. 
Frankfurt  a.  M.— Berlin.    Ib.  Berlin — 
Frankfurt  a.  M.    31  S.    2  K.    Gotha, 
Justus  Perthes  1903.    JL  —.50. 
Mit    der  Herausgabe    dieser   Führer- 
sammlung kommt    die   Verlagshandlung 
von  J.  Perthes  entschieden  einem  Bedürfnis 
entgegen.    Ich  muß  wenigstens  gesteheu, 


710 


Bücherbesprechungen. 


daß  ich  mich  schon  oft  auf  der  Reise 
nach  einem  solchen  Begleiter  gesehnt  habe, 
der  über  das»  was  man  vom  Wagenfenster 
aus  sieht,  ausführliche  und  sachliche  Be- 
lehrung böte,  nicht  etwa  Gefühlsergüsse! 
Die  vorliegenden  beiden  Hefte  aus  der 
Feder  H.  Fischers  bieten  im  wesent- 
lichen durchaus  das,  was  man  unter  diesen 
Gesichtspunkten  von  einem  solchen  Führer 
erwartet.  Vor  den  Darstellungen  der 
Reisehandbücher  haben  sie  außer  der  weit 
eingehenderen  und  das  Geographische  mehr 
betonenden  Darstellung  auch  den  Vorzug^ 
daß  die  Kartenbeilagen  dem  Bedürfnis 
auf  der  Eisenbahnfahrt  viel  mehr  ent- 
sprechen (der  Streifen  entlang  der  Bahn 
als  Ausschnitt  aus  den  betreffenden  Blät- 
tern von  Vogels  Karte  des  Deutschen 
Reichs,  dazu  ein  Übersichstskärtchen  von 
Deutschland). 

Für  eine  Neuauflage  möchte  ich  fol- 
gende Pjjnkte  der  Berücksichtigung  em- 
pfehlen : 

Die  Tal  enge  der  Kinzig  zwischen  Geln- 
hausen und  Wirtheim  hat  in  der  Kriegs- 
geschichte vor  der  Schlacht  bei  Hanau 
eine  bedeutungsvolle  Rolle  gespielt. 

Von  einer  Stelle  zwischen  Fulda  und 
Hünfeld  hat  man  ein  vorzügliches  Pano- 
rama der  Rhön;  besonders  der  flache 
Scheitel  der  Wasserkuppe  und  die  sarg- 
ähnliche Milseburg  (Phonolith  mit  noch 
schrofferen  Formen  als  der  Basalt)  treten 
klar  hervor. 

Die  großartige  Ruine  der  Abteikirche 
von  Hersfeld  ist  vom  Zug  aus  gut  zu  sehen. 

Bei  Station  Wutha  überblickt  man 
die  mächtige  Überschiebung  am  Hörsel- 
berg (vgl.  die  Abbildung  bei  F.  Regel, 
Thüringen  I,  S.  260). 

Der  Seeberg  bei  Gotha  trägt  eine 
Scholle  von  Rhät-Sandstein,  die  ebenso- 
sehr geologisch  interessant  wie  technisch 
wichtig  ist. 

Bei  Suiza  kreuzt  die  Bahn  eine  wichtige 
Störungslinie.  Dicht  am  Bahnhof  durch- 
fährt man  einen  Einschnitt,  dessen  Muschel- 
kalkwände die  gewaltigsten  Knickungen 
und  Verwerfungen  zeigen.  Eins  der  in- 
teressantesten Profile  im  deutschen  Mit- 
telgebirge! 

Schloß  Goseck  war  einst  keine  Grenz- 
burg, sondern  ein  Kloster. 

Die  Ungamschlacht  von  933  war  wohl 
sicher  nicht  bei  Keuschberg. 

L.  Henkel. 


Meyers    Reisebücher.      Der    Harz. 

Gr.  Ausg.     17.  Aufl.    XII  u.   267  S. 

21  K.  u.  Pläne  u.  1  Brockenpanorama. 

Leipzig,  Bibl.  Inst.  1903.  JC  2.60. 
Von  Meyers  Führer  durch  den  Harz 
liegt  nun  bereits  die  17.  Auflage  vor,  Be- 
weis genug  für  seine  Brauchbarkeit.  Im 
vergangenen  Sommer  hat  der  Referent  das 
Buch  selbst  bei  verschiedenen  Wande- 
rungen prüfen  können  und  es  überall 
durchaus  zuverlässig  und  ausreichend  ge- 
funden. Bei  den  kleinen  Karten  stört 
etwas  das  Fehlen  jeglicher  Terrainangabe. 
Die  Orientierung  wird  dadurch  wesentlich 
erschwert,  noch  dazu  da  auf  den  Karten 
nicht  alle  Wege  eingezeichnet  und  ein- 
zelne, vielleicht  in  Folge  einer  gewissen 
Generalisierung,  in  ihrer  Richtung  nicht 
ganz  zutreffend  wiedergegeben  sind. 

Vom  geographischen  Standpunkt  aus 
wäre  eine  ausführlichere  allgemeine  Dar- 
stellung des  Harzes  als  Einleitung  zu 
wünschen.  Auch  sollten  die  gelegentlichen 
geologischen  Bemerkungen  einmal  von 
fachmännischer  Seite  berichtigt  werden, 
sie  sind  zuweilen  geradezu  unsinnig, 
z.  B.  „Achtermannshöhe,  Homfelskegel 
(während  die  Umgebung  Granit  ist)  in 
vulkanischer  Form".  Ule. 

Mathias    Burgklehners    Tirolische 
Landtafeln      1608,      1611,      1620. 
Hrsg.    mit    einem    Begleittexte    von 
Eduard    Richter.      15  Taf.,    groß 
Folio  in  Mappe  u.  86  S.  Text  in  4*. 
Wien,  Holzhausen  1902.   Kr.  40.—. 
Die   Wiedergabe   alter   Kartenwerke 
ist  gegenwärtig  in  erfreulicher  Zunahme 
begriffen.    Neben  wertvollen  photomecha- 
nischen   Vervielfdltigrungen     hand'schrifl- 
licher  Karten,  unter  denen  die  Portulan- 
karten obenan  stehen,  finden  wir  auch  Re- 
produktionen seltener  Drucke,  wie  Aven- 
tins   und  Apians   Karten   von   Bayern, 
Tschudis   Schweizer   Karte,    Gretters 
Karte  der  Gegend  um  BoU  u.  a.    Zu  den 
prächtigsten  Stücken  alter  Kartographie  ge- 
hört zweifellos  die  große  Karte  Tirols  von 
Mathias  Burgklehner,   welche  1611  in 
12    Blättern    größten    Folioformats    er- 
schienen  ist  und   hier   in   einem   neuen 
Abdruck  von  den  Originalholzstöcken  in 
den    kunsthistorischen    Sammlungen    des 
Kaiserhauses  vorliegt.  Zugleich  mit  dieser 
ist  auch  die  Übersichtskarte  von  1608  in 
einem  Blatt   und   die  sogenannte  Adler- 


Bücherbesprechungen. 


711 


karte,  eine  in  die  Fläche  eines  heraldischen 
Adlers  gezwungene  Darstellung  Tirols 
von  1620  in  4  Blättern,  nach  den  Original- 
kupferplatten neu  gedruckt  worden.  Hat 
die  Adlerkarte  nur  als  eine  dem  heutigen 
Geschmacke  wenig  entsprechende  karto- 
graphische Spielerei  Interesse,  so  bietet 
auch  die  Übersichtskarte  in  ihrer  Be- 
schränkung auf  das  Fluß-  und  Ortsnetz 
wenig  Bemerkenswertes,  wie  z.  B.  die 
auffällige,  durch  den  Ausbruch  des  Ver- 
nagtfemers  im  J.  1600  veranlaßte  Be^ 
Zeichnung  des  ötzthaler  Gletschergebietes 
(„der  groß  femer").  Um  so  wertvoller  ist 
die  große  Tiroler  Karte,  welche  bis  auf 
Anich  und  Hueber  wohl  den  meisten 
Darstellungen  Tirols  zu  Grunde  gelegen 
hat,  obwohl  die  etwas  ältere  und  kleinere 
Karte  von  Warmund  Ygl  (1604)  sich  in 
mancher  Beziehung  als  richtiger  erweist; 
leider  sind  deren  Platten  verloren  ge- 
gangen, und  findet  man  die  Original- 
drucke nur  sehr  selten,  so  in  der  Hof- 
bibliothek in  Wien  und  im  Museum  in 
Innsbruck.  Dagegen  kennt  man  von 
Burgklehners  großer  Karte  noch  eine 
zweite  Ausgabe  in  Kupferstich  von  1629, 
deren  technische  Ausführung  aber  der 
Holzschnittkarte  erheblich  nachsteht.  Es 
ist  bemerkenswert,  daß  auch  Apians 
„Bayerische  Landtafeln**  von  1666  zu- 
nächst in  Holz  geschnitten  wurden  (Neu- 
druck nach  den  Originalholzstöcken  im 
Münchener  Nationalmuseum ,  Augsburg 
1886),  dann  1579  in  Kupferstich  von 
Petrus  Wein  er  US  erschienen,  nach  des- 
sen Kupferplatten  kürzlich  vom  k.  bayr. 
Topogr.  Bureau  ein  neuer  Abdruck  her- 
gestellt wurde  (München  1902);  der  Unter- 
schied beider  Ausgaben,  die  sich  in  man- 
cher Beziehung  ganz  ähnlich  verhalten 
wie  die  geschnittene  und  die  gestochene 
Ausgabe  Burgklehners,  ist  schon  von 
Lutz  (Jahresber.  d.  Geogr.  Ges.  München 
1886,  S.  91)  hervorgehoben  und  neuer- 
dings auf  meine  Veranlassung  von  M. 
Gasser  (Mitt.  d.  Geogr.  Ges.  München, 
I,  S.  27)  untersucht  worden. 

Der  Text  Richters,  ebenso  wie  das 
Tafelwerk  in  Papier  und  Druck  vornehm 
ausgestattet,  bespricht  klar  und  übersicht- 
lich Burgklehners  Leben  und  Werke, 
darunter  auch  den  nur  handschriftlich 
erhaltenen  „Tiroler  Adler",  eine  sehr  um- 
fangreiche, geschichtliche  und  geogra- 
phisch-statistische Beschreibung  von  Tirol. 


Die  Idee  der  „Adlerkarte"  hängt  offen- 
bar mit  dem  Titel  dieses  Werkes  zu- 
sammen, während  die  große  Karte  dazu 
dienen  sollte,  die  zahlreichen  Einzelheiten 
des  „Tiroler  Adlers"  zu  erläutern,  ähnlich 
wie  Aventin  seine  Karte  von  Bayern  als 
Ergänzung  zu  seinem  Geschichtswerk  ge- 
dacht hat;  umgekehrt  ist  Apians,  erst 
1880  vom  Histor.  Ver.  v.  Oberbayem  her- 
ausgegebene „Topographie  von  Bayern" 
durch  seine  Karte  veranlaßt  worden  und 
als  Kommentar  zu  dieser  zu  beurteilen. 

Was  über  die  Herstellung  von  Burgk- 
lehners Kartenwerken  zu  ermitteln  war, 
hat  Richter  sorgfältig  gesammelt  und 
deren  technische  Ausführung  geprüft. 
Ihre  wissenschaftliche  Grundlage  läßt 
vieles  zu  wünschen  übrig.  Schon  der 
Maßstab  der  großen  Karte  gibt  ein  ganz 
anderes  Verhältnis  in  der  Richtung  W-0 
(1:110000)  als  in  der  Richtung  N-S 
(1:161000)  und  damit  eine  Verzerrung 
des  Kartenbildes  in  die  Breite.  Ein  großes 
Mißverständnis  enthält  das  Gradnetz,  in- 
dem die  annähernd  richtige  Bezeichnung 
des  Abstandes  der  Längen-  und  Breiten- 
minuten durch  eine  falsche  Bezifferung 
verwirrt  ist.  Auch  sonst  finden  sich  Ir- 
tümer,  welche  zeigen,  daß  der  Autor  der 
mathematischen  Seite  seiner  Aufgabe  nicht 
gewachsen  war.  Steht  Burgklehner 
also  in  dieser  Beziehung  auch  hinter 
Apian,  seinem  Vorbilde,  zurück,  so  bleibt 
seine  Karte  doch  durch  ihren  Reichtum 
an  Einzelheiten  und  ihre  künstlerische 
Ausführung  ein  hervorragendes  Denkmal 
der  Kartographie  des  17.  Jahrhunderts. 
Mit  kulturhistorischem  Interesse  betrach- 
ten wir  darin  die  Bildchen  von  Städten, 
Burgen,  Brücken  und  anderen  Menschen- 
werken und  freuen  uns  über  die  deutschen 
Namen  in  Südtirol  wie  Reiff  für  Riva, 
Arch,  Garttsee,  Vilgreit  (Folgaria),  die  wir 
seither  leider  für  die  italienischen  preis- 
gegeben haben.  Möchten  derartige  Zeugen 
der  Denkart  unserer  Altvordern  uns  eine 
Mahnung  sein,  den  Rest  deutscher  Namen 
an  der  Grenze  deutschen  Sprachgebietes 
festzuhalten  gegen  welsche,  magyarische 
und  slavische  Bedrohung! 

E.  Oberhummer. 
Fitzner,  B«   Anatolien,  Wirtschafts- 
geographie.   120  S.    Berlin,  Protei 
1902.    .IC  2,40. 

Der  Verfasser,  der  schon  in  seinen 
Streifzügen  und  Studien  in  der  Regent- 


712 


Bücherbesprechun^en. 


Bchaft  Tunis  (Berlin,  Allg.  Ver.  f.  d.  Lit. 
1897)  sich  als  einen  gründlichen  Kenner 
des  arabischen,   afrikanischen  Islams  ge- 
zeigt hatte,   verwandte  in  der  Folgezeit 
seine  wertvolle  Kraft  auf  die  Erkundung 
der     wirtschaftlichen    Verhältnisse     des 
türkischen    Asiens.     Seine    Erdbebenbe- 
obachtungen, sowie  seine  Studie  über  den 
gegenwärtigen    Stand    der    Meteorologie 
in  Kleinasien,  seine  Forschungen  auf  der 
bithynischen   Halbinsel,   sein   in  zweiter 
Lieferung  erschienenes  Sammelwerk  „Aus 
Kleinasien  und  Syrien''  stellen  ihn  in  den 
Vordergrund  der  besten  Kenner  Anatoliens 
und  seine  obengenannte  Schrift  würdig  an 
die  Seite  von  J.  Grunzeis  „Untersuchun- 
gen  über    die   wirtschaftlichen  Verhält- 
nisse Kleinasiens"  (Wien  1897)  imd  Kan- 
nenbergs    „Naturschätze    Kleinasiens" 
(Berlin  1897).   In  kurzen,  knappen  Zügen 
schildert  Fitzner  das  Land  nach  Lage, 
Bodenbau  und  Gewässer,  Klima,  Pflanzen- 
welt und  Tierleben,  die  Bewohner  nach 
Ortschaften  und  Volksdichte,    das  Wirt- 
schaftsleben  nach  Viehzucht,   Ackerbau, 
Kolonisation,    Waldwirtschaft,    Bergbau, 
Jagd  und  Fischfang,  Industrie  und  Ge- 
werbe, den  Verkehr  als  Land-  und  Trans- 
portverkehr, Transporttiere,  Verkehrswege, 
Eisenbahnen,    Seeverkehr,    Häfen,    Post 
und  Telegraph,  die  Verwaltung  nach  ihrer 
Organisation,  Pronnzeinteilung,  Konsular- 
vertretung  und  Rechtspflege.    Der  Ver- 
fasser stützt  sich   dabei  auf  die  besten 
ihm    zugänglichen    Quellen    und    bietet 
einen  großen  Fortschritt  gegenüber  den 
veralteten  Schriften  von  Tschihatscheff 
über  Kleinasien.    Vielfach  berühren  sich 
seine  Erkundungen  mit  den  Abhandlun- 
gen   der    Zeitschrift    „Asien".      An    der 
Hand     der    Handels-     und     Produkten 
karte    Kleinasiens    von    W.    Rüge    und 
E.    Friedrichs    (Halle    1898)    wie    be- 
sonders der   eben   erscheinenden   großen 
Spezialkarte    R.    Kieperts    von    Klein- 
asien in  24  Blatt   in    1:400000   (Berlin, 
D.  Reimer)  kann  die  fleißige  Arbeit  jedem 
Forscher  und  Reisenden  die  ersprießlich- 
sten  Dienste   leisten.     Ein   ausführliches 
Sachregister    erleichtert    die   Auffindung 
des  umfangreichen  Stoifes  bedeutend  imd 
dankenswert.  Zimmerer. 

Rohrbachy  Paul.  Vom  Kaukasus  zum 
Mittelmeer,  eine  Hochzeits-  und 
Studienreise  durch  Armenien.    224  S. 


42  Textabb.   Leipzig  u.  Berlin,  Teub- 

ner  1903.  JL  6.—. 
Diese  Tagebuchblätter  stellen  zum 
größeren  Teil  die  Schilderung  einer  Reise 
dar,  die  der  Verf.  in  den  Monaten  Juli 
bis  Oktober  1898  mit  seiner  Frau  durch 
Armenien  und  einige  seiner  Nachbar- 
landschaften unternommen  hat.  Diesen 
Schilderungen  fügte  dann  der  Verf.  noch 
ein  Schlußkapitel  über  seine  späteren  Er- 
fahrungen im  Winter  1900  und  1901  in 
Südarmenien  jenseits  des  Taurus  hinzu. 
Die  Fortsetzung  seiner  „Hochzeitsreise", 
die  am  Mittelmeer,  am  Südrande  der 
armenischen  Landschaften,  noch  nicht 
ihr  Ende  gefunden  hatte,  sondern  weiter 
nach  Syrien  und  Palästina  gegangen 
war,  hat  der  Verf.  in  dem  Buche  „Im 
Lande  Jehovahs  und  Jesu"  zusammen- 
gefaßt. Das  Buch  will  an  seinem  Teil 
etwas  zu  dem  Zwecke  beitragen,  zu  dem 
die  Reise  unternommen  war,  mit  zum 
Verständnis  und  zur  Würdigung  des 
armenischen  Volkes  und  der  armenischen 
Frage  unter  vorurteilsfreien,  zugleich 
sittlich  und  verständig  empfindenden 
Menschen  dienstlich  zu  sein.  Die  Erzäh- 
lung beginnt  mit  dem  Kapitel  jenseits 
des  Kaukasus,  im  Lande  Ararat  und 
Schirak,  vom  Berge  Massis  (=  Ararat) 
bis  zum  „Meer"  von  Wan,  das  vierte 
Kapitel  von  Dschelal-ed-din  dem  Henker 
entwirft  ein  grauenvolles  Bild  armeni- 
scher Gemetzel.  Von  Taron  geht  die 
Reise  zwischen  Enphrat  und  Haljs  über 
den  Taurus,  endlich  nach  Südarmenien, 
ürfa  und  Diarbekir  Zimmerer. 

Grothe^  Hugo»   Die  Bagdadbahn  und 
das     schwäbische     Bauernele- 
ment   in   Transkaukasien    und 
Palästina,  Gedanken  zur  Kolo- 
nisation  Mesopotamiens.    Mün- 
chen, Lehmann  1902.    66  S.    JL  1.20. 
Der  bekannte  Orientreisende,  der  uns 
erst  vor  kurzem  mit  seinen  Reisebildem 
und  Studien  „Auf  türkischer  Erde"  (Berlin 
1903)  beschenkt  hat,  betritt  mit  der  hier 
vorliegenden    Schrift,    wenn    uns    recht 
dünkt,  einen  gefUhrlichen  Pfad.  Ich  habe 
schon  an  anderer  Stelle  (Beilage  zurMünch. 
Allg.  Ztg.)  darauf  hingewiesen,  wie  miß- 
lich  es   ist,   die   Kolonisationslrage    für 
die  Türkei  im  allgemeinen  und  für  die 
immer  noch  nicht  in  Angriff  genommene 
Bagdadbahn  insonderheit  aufzuwerfen.  Ich 


Büclierbesprechungen. 


713 


wiederhole  hier  meine  Bedenken,  unter 
dem  Hinweis,  mit  welcher  Entschiedenheit 
einst  der  verewigte  G.  v.  Siemens  in  der 
Kolonialgesellschaft  Berlin  die  Vorschläge 
meines  hochverehrten  Freundes  Major 
^ohlagintweit  zurückgewiesen  hat,  die 
dieser  auch  in  seinem  (München  1899)  ge- 
druckten Vortrage  über  „deutsche  Koloni- 
sation in  Kleinasien*^  des  weiteren  aus- 
geführt und  begründet  hat.  Schlagint- 
weit  hat  damals  nach  dem  Vorgange  E. 
Oehlmanns  in  Hannover  1894  vor  allem 
auf  die  schwäbischen  Templerkolonien  in 
Palästina  hingewiesen,  Grothe  zieht  seine 
Schlüsse  vornehmlich  aus  dem  Wirken  des 
schwäbischen  Bauemelements  in  Transkau- 
kasien.  Allein  wer  das  Mißtrauen  der  hohen 
Pforte  gegen  alle  europäischen  Einwan- 
derer in  der  Türkei  tmd  die  Wühlarbeit 
unserer  gehässigen  Neider  am  Bosporus 
kennt,  weiB,  daß  in  den  maßgebenden 
Kreisen  der  deutschen  Kolonie  in  Pera 
nichts  mehr  gefürchtet  wird,  als  eine 
Befürwortung  einer  deutschen  Ansiedelung 
in  Kleinasien,  Syrien  oder  Mesopotamien. 
Mit  Recht  beklagt  dagegen  Grothe,  der 
die  genannten  Länder  aus  eigener  An- 
schauung kennt,  daß  Deutschland  im  ge- 
samten Kleinasien  nur  drei  Konsulate, 
einen  Berufskonsul  in  Smyma,  je  einen 
Wahlkonsul  in  Mersina  und  Amasia  be- 
sitzt. Die  ganze  wichtige  anatolische 
Nordküste  mit  ihren  Hafenplätzen  Ine- 
boli,  Sinope,  Samsun,  Kerasund,  Trape- 
ztmt,  in  denen  unsere  Flagge  infolge 
eines  seit  1898  bestehenden  regelmäßigen 
Dienstes  der  Hamburger  „deutschen  Le- 
vantelinie" sich  bereits  häufig  zeigt,  blieb 
außer  Beachtung.  Unbegreiflich  muß  es 
erscheinen,  wenn  an  keinem  der  so  be- 
deutenden Marktorte  der  Bahntrace,  weder 
in  dem  stark  aufblühenden  Eskischehr, 
noch  in  dem  wohlbevölkerten  Konia  und 
Angora  das  Deutsche  Reich  bisher  einen 
Vertreter  seiner  Literessen  bestellt  hai 
Das  was  uns  Grothe  über  die  Ge- 
schichte und  Leidenszeit  der  schwäbischen 
Ansiedelungen  in  Transkaukasien  aus 
eigener  Anschauung  mitteilt,  wirkt  auch 
keineswegs  ermutigend,  das  unter  russi- 
schem Szepter  nur  teilweise  gelungene 
Experiment  imter  dem  Halbmond  zu 
wiederholen.  Wir  sind  vielmehr  noch 
der  Ansicht,  die  Walther  Judeich  und 
noch  früher  Ludwig  Roß  (1850)  ausge- 
sprochen haben,   es  sei   zwar   ein   alter 


Traum,  daß  wir  Deutschen  uns  in  dem 
reichen  kleinasiatischen  Lande  nieder- 
lassen möchten,  und  wahrlich,  unter  der 
Hand  des  deutschen  Bauers,  unter  sorg- 
fältiger umfassender  Bestellung  würde  das 
Land  wieder  der  große  Gottesgarten  werden 
können,  der  es  im  Altertum  gewesen  ist. 
Aber  der  schöne  Traum  Grothes  wird  sich 
wohl  nie  verwirklichen  können,  wenn  er 
sagt:  Möge  das  neue  Jahrhundert  nicht 
ablaufen,  ehe  die  Frage  der  gesicherten 
Volksansiedelung  gelöst  ist,  ehe  in  Meso- 
potamien nicht  auch  im  Umkreis  deutscher 
Dörfer  deutscher  Pflug  und  deutscher 
Spaten  walten,  ehe  nicht  in  den  Flächen 
zu  Seiten  des  Euphrat  und  Tigris  im 
Lande  zwischen  Aleppo,  ürfa,  Mardin 
und  Nissibin  durch  deutsche  Hand  Ge- 
treidefelder wie  in  Südrußland  gedeihen, 
in  den  Mulden  der  zahlreichen  aus  den 
Taurusbergen  herabrinnenden  Flüsse 
deutsche  Weingärten,  wie  in  Palästina 
und  Kaukasien  prangen  zum  Nutzen  und 
zum  wirtschaftlichen  Hochgang  der  Türkei 
und  zu  unseres  Volkes  wachsender  Wohl- 
fahrt. Demgegenüber  ist  zu  beachten, 
daß,  von  den  g^roßen  politischen  Kon- 
stellationen abgesehen,  das  türkische 
Volkselement  noch  zu  zäh  und  stark  ist, 
als  daß  man  es  ohne  weiteres  aus  der 
Welt  schafl^en  könnte,  und  da,  wo  es  in 
Kleinasien  schwächer  wird,  an  den  Küsten, 
ist  sein  sicherer  und  natürlicher  Erbe 
das  griechische  Volk.     H.  Zimmerer. 

Werther,  C.  W.  östliche  Streif- 
lichter. Kritische  Beobachtungen 
und  Reiseskizzen.  163  S.  Abb.  auf 
Taf.  Berün,  Paetel  1903.  JL  3.—. 
Der  von  seinem  Reisewerk  über  die  von 
ihm  geführte  Antisklaverei-Expedition  in 
Deutsch  -  Ostafrika  geographischen  Krei- 
sen bekannte  Waldemar  Werther  unter- 
nahm als  Leiter  der  vom  Deutschen  Flotten- 
verein nach  China  entsandten  Nachrich- 
ten- und  Telegraphenexpedition  im  Sommer 
1900  eine  Reise  nach  Nordchina  ins  Ok- 
kupationsgebiet von  Tschili;  nachdem  jene 
Sendung  wegen  Mangels  an  den  nötigen 
Geldmitteln  ein  baldiges  Ende  erreicht 
hatte,  schloß  er  an  seine  nordchinesischen 
Streifzüge  solche  in  Mittelchina  an,  wo  er  den 
Jangtse  bis  zu  den  berühmten  Stromschnel- 
len oberhalb  Itschang  befuhr,  besuchte  auch 
noch  Japan  und  auf  der  Heimfahrt  Macao, 
Labuan  nebst  Brunei  und  Nordindien. 


714 


BücherbeBprechungen. 


Indem  er  seine  Beurteilong  des  enropä- 
iscb-japaniscb-nordamerikaniBchen  China- 
feldzngs  auf  eine  spätere  Zeit  verschiebt, 
schildert  er  im  vorliegenden  Händchen, 
das  er  mit  einigen  hübschen  Illastrationen 
(größtenteils  nach  eigenen  photographi- 
schen Aufnahmen)  versehen  hat,  die  auf 
der  Reise  gewonnenen  Eindrücke.  Nicht 
aber  in  der  faden  Globetrotterweise  be- 
lästigt er  den  Leser  mit  langatmigen  Be- 
schreibungen des  schon  tausendmal  Be- 
schriebenen, sondern  er  führt  uns  in 
kurzen ,  scharf  ausgezogenen  Skizzen- 
strichen eine  bunte  Reihe  von  Charakter- 
bildern vor,  in  denen  sich  wichtige  Züge 
des  Volks-  und  Kulturlebens  Ost-  wie 
Südasiens  aus  jüngster  Vergangenheit  ab- 
spiegeln. Mit  gutem  Humor  und  unter 
Umständen  mit  rücksichtslosem  Sarkas- 
mus  werden  Zustände  und  Personen  kri- 
tisiert. Die  hohe  Bedeutung  der  Lage 
von  Hankou  im  Schnittpunkt  der  wich- 
tigsten Nordsüd-  mit  der  wichtigsten 
Ustweststraße  des  innerchinesischen  Ver- 
kehrs wird  ebenso  klar  dargelegt  wie 
der  große  FortschHtt,  den  der  deutsche 
Handel,  besonders  aber  die  deutsche 
Schiffahrt  gegenüber  dem  englischen 
Mitbewerb  neuerdings  aufzuweisen  hat. 
Ein  eigenes  Kapitel  gilt  der  Geschichte 
des  ostasiatischen  Küstenverkehrs  in  sei- 
ner neuesten  Phase.  Wir  lernen  den 
großen  chinesischen  Patrioten  Tschau- 
tschi-tung  kennen,  wohl  den  ausgezeich- 
netsten Chinesen  der  Gegenwart,  diesen 
mächtigen  Vizekönig  am  Jangtse,  der 
arm  geblieben  ist,  weil  er  sein  eigenes 
Vermögen  zum  Wohl  seiner  Untertanen 
verwandte  im  grellen  Gegensatz  zu  Li- 
hung- tschang,  der  im  Sold  von  Rußland 
stand.  Pessimistischer  Nörgler  aus  Prin- 
zip ist  der  Verf.  gar  nicht,  wie  seine  warm- 
herzige Anerkennung  der  Tüchtigkeit  un- 
seres Konsularkorps  in  Ostasien  zeigt. 
Indessen,  wo  es  gilt,  schwache  Seiten  im 
Verhalten  unseres  auswärtigen  Amtes, 
insbesondere  unserer  Kolonialverwaltung 
aufzudecken,  nimmt  er  kein  Blatt  vor 
den  Mund,  geleitet  von  der  sehr  gerecht- 
fertigten Überzeugung,  daß  in  solchen 
Dingen  offen  Wahrheit  bekennen  dem 
Vaterland  mehr  fruchtet  als  vertuschen 
oder  beschönigen.  Kirchhoff. 

Daum,    H.     Kunene-Sambesi-Expe- 
dition.  Im  Auftr.  d  Kol.-Wirtflchaftl. 


Komitees    hrsg.    von    0.   Warburg. 
XI  u.  Ö93  S.     1  Buntdruck,  12  Taf., 
1  K.,   108  Textabb.    Berlin,  Verl.  d. 
Kol.-Wirtschaftl.  Komitees  (E.  8.  Mitt- 
ler) 1903.    JC  20.—. 
Die  Kunene- Sambesi -Expedition  ver- 
dankt ihr  Zustandekommen  demZusammen- 
wirken  des  rührigen  Kolonial- Wirtschaft- 
lichen Komitees   mit   der  Companhia   de 
Mossamedes   und  der  South  West- Afrika 
Company.     Feststellung    des    Wirtschaft 
liehen  Wertes   von   Süd-Angola   war   die 
zu  lösende  Hauptaufgabe,  welche  ja  auch 
für  die  angrenzenden  Teile  von  Deutsch- 
Südwest -Afrika     erhebliche     Bedeutung 
besaß. 

Der  eigentliche  Reisebericht  ist  von 
H.  Baum  erstattet  und  konnte  die  vom 
ExpeditionsführerPietervanderKellen 
an  die  Companhia  de  Mossamedes  gelie- 
ferten Mitteilungen  berücksichtigen.  Von 
Mossamedes  aus  führte  der  Weg  nach 
Überwindung  des  Shella- Randgebirges 
über  Ediva  nach  Humbe  am  Kunene. 
Flußaufwärts  folgte  die  Expedition  sodann 
dem  Laufe  des  Chitanda  bis  Kassinga. 
Hier  nach  Osten  abbiegend  wurde  die 
ca.  1420  m  hohe  Wasserscheide  zwischen 
dem  Kunene  und  Kubango  überschritten. 
Am  Kubango  abwärts  bis  18*  s.  Br.  ge- 
langte die  flxpedition  an  die  Südgrenze 
der  Mossamedes  Companhia,  bog  wiederum 
östlich  aus  und  kreuzte  den  Longa  und 
Kuito.  Die  Wagen  blieben  hier  zurück; 
zu  Fuß  wurde  der  zum  Stromgebiet  des 
Sambesi  gehörende  Kuando  erreicht  und 
sodann  der  Rückweg  angetreten.  Kurze 
Angaben  über  meteorologische  Beobach- 
tungen und  Höhenlagen  sind  angefügt 
imd  zum  Schluß  wird  die  wirtschaftliche 
Bedeutung  von  Süd- Angola  besprochen. 

Außerordentlich  reiche  Sammlungen 
zoologischen  und  besonders  botanischen 
Materials  hatte  die  Expedition  mitgebracht, 
und  ihre  Bearbeitung  durch  eine  große 
Zahl  von  Fachleuten  bildet  den  Schwer- 
punkt der  Veröffentlichung.  In  der  Auf- 
zählung der  gesammelten  Pflanzen  finden 
die  in  stattlicher  Anzahl  (276)  vertretenen 
neuen  Formen  ausführliche  Diagnosen. 
Die  Ergebnisse  für  die  Pflanzengeographie 
werden  von  Warburg  zusammengefaßt. 
Er  gelangt  zu  dem  Schlüsse,  daß  die 
außergewöhnlich  eigenartige  Hochlandflora 
und  ihr  Reichtum  an  endemischen  For- 
men die  Zusammenfassung  eines  Kunene- 


Bücherbesprechungen. 


716 


Kubango-Gebietes  „als  besondere  Unter- 
provinz der  Süd-  und  ostafrikanischen 
Steppenprovinz"  rechtfertige 

Hervorgehoben  zu  werden  verdienen 
die  genaueren  Angaben  über  Welmtschia 
mirabilis,  die  auf  dem  Titelbilde  eine 
charakteristische  farbige  Wiedergabe  er- 
hält; sie  bleibt  auf  die  Küstenzone  be- 
schränkt. Das  Hochland  ist  zum  größten 
Teil  mit  einem  stark  xerophilen  Walde 
bedeckt,  der  einen  dichteren  üferwald  von 
lichterem  Hügel-  und  Ebenenwald  unter- 
scheiden läßt.  An  den  Abhängen  des 
Shella-Gebirges  steigt  die  Waldformation 
den  Tälern  folgend  hinab,  von  einer  xero- 
philen Felswüsten -Vegetation  der  expo- 
nierteren Hänge  durchsetzt.  Charakter- 
pflanzen der  dichteren  Galeriewälder  sind 
^coeta- Arten,  deren  eine,  A.  Kirkii,  treff- 
lichen Gummi  liefert,  Diospyros  wespHi- 
fonnis  und  Phoenix  nclinata.  Im  Ebenen- 
walde wird  zwischen  dem  Mopanewald, 
aus  Copaifera  Mopane  neben  einigen 
Akazien,  Terminalien  und  Adansonia  zu- 
sammengesetzt,  und  dem  Houtbosch, 
wesentlich  von  Berlinia  Baumii  gebildet, 
unterschieden,  welche  einander  aus- 
schließen, dieser  an  sandigen,  jener  an 
mehr  lehmig-tonigen  Boden  gebunden. 
In  gemischten  Wäldern  weniger  scharf 
ausgeprägten  Charakters  tritt  u.  a.  die 
zweite  beobachtete  Palme  Hyphaene  ven- 
tricosa  auf.  Park-  und  Graslandschaften 
vielfach  in  einander  übergehend  treten 
ihrer  Ausdehnung  nach  hinter  dem  Walde 
zurück ;  jene  durch  stattliche  Parinarium- 
Bäume  und  den  beschatteten  Boden 
deckende  Sansecieia-Arien  ausgezeichnet, 
diese  unbekannter  Zusammensetzung,  je- 
doch mit  vereinzelten  Protea  melliodora' 
Sträuchern  und  einer  bis  8  m  hohen  ^to^' 
palmiformis.  Die  wichtigste  Nutzpflanze 
findet  sich  jedoch  auf  den  freien  mit  dis- 
kontinuierlicher Busch-  und  Kraut- Vegeta- 
tion bestandenen  Sandflächen  in  der 
Wurzelkautschukpflanze,  Carpodinus  chy- 
lorrhiza,  vom  Kubango  bis  Kuando,  in 
weiten  Gebieten  leider  bereits  durch  riick- 
sichtslosen  Raubbau  ausgerottet.  Bota- 
nisch von  hohem  Interesse  ist  endlich  die 
Vegetation  der  Sümpfe,  Moore  und  Wasser- 
flächen durch  äußerst  eigenartige  Formen 
und  ungewöhnlich  reiche  Entwicklung. 

Eine  besondere  Zusammenstellung  der 
Nutzpflanzen  des  Gebietes  ist  dankens- 
wert. 


Die  zoologischen  Ergebnisse  beschrän- 
ken sich  auf  einen  Bericht  über  14  Anti- 
lopen-Arten auf  Grund  der  mitgebrachten 
Gehörne  erstattet,  einige  Kriechtiere,  eine 
größere  Lepidopteren-Sammlung  und  ei- 
nige neue  Ameisen-Arten,  jeder  Teil  von 
einem  Fachmanne  bearbeitet.  3  Register 
für  Reisebericht,  botanischen  und  zoo- 
logischen Teil  vervollständigen  das  Werk. 
12  Tafeln  sind  wichtigeren  und  eigen- 
artigen neuen  Pflanzen  gewidmet,  eine 
Karte  gibt  eine  genauere  Darstellung  der 
Reiseroute. 

Die  Resultate  der  Expedition  in  geo- 
graphischer, wirtschaftlicher  und  bota- 
nischer Hinsicht  sind  außerordentlich  be- 
achtenswert und  man  muß  dem  Kolonial- 
Wirtschaftlichen  Komitee  dankbar  sein, 
daß  es  verstanden  hat,  Mittel  und  Wege 
zu  finden,  welche  die  Erreichung  und 
zweckmäßige  Veröffentlichung  derartiger 
Ergebnisse  möglich  machten. 

G.  Karsten. 

Deeken,  R«  Rauschende  Palmen. 
Bunte  Erzählungen  und  Novellen  aus 
der  Südsee.  204  S.  Abb.  Olden- 
burg, Stalling  1902.  JC  3.-. 
Allerlei  Geplauder  von  eigenen  Erleb- 
nissen und  Eindrücken  auf  einer  Südsee- 
fahrt von  Sydney  aus  durch  die  Mar- 
shalls-Inseln  und  Karolinen  nach  Hawaii, 
sowie  von  novellistisch  eingeflochtenen 
Erlebnissen  anderer  unter  den  Kokos- 
palmen der  „vielen  Inseln**.  Ganz  hübsch 
wird  mitunter  in  wenigen  Strichen  die 
Landschaft  skizziert,  und  recht  anschau- 
lich hört  man  erzählen  von  den  gegen- 
wärtigen Zuständen  unserer  mikronesi- 
schen  Schutzgebiete  und  Samoas.  Mit 
gutem  Humor  malt  uns  der  Verfasser  die 
Ablösung  der  spanischen  Regierung  auf 
den  Karolinen  mit  ihrem  törichten,  die 
Eingeborenen  verhetzenden  Säbelgerassel 
durch  die  vernünftig  friedfertige  deutsche. 
Nebenbei  erfährt  man,  wenn  man  sich 
Zeit  nimmt,  dem  unterhaltsamen  Plaude- 
rer zuzuhören,  mancherlei  Neues:  wie  es 
zur  Zeit  auf  Ebon  im  Jaluit- Atoll,  in  Yap, 
Kusaie,  Ponape  und  aufRuk  aussieht,  daß 
auf  Nauru  wertvolle  Phosphoritlager  aus- 
gebeutet werden,  auf  den  Palau-Inseln  und 
den  deutschen  Marianen  noch  immer  der 
japanische  Handel  überwiegt,  90 7o  der 
Marshall-Insulaner  syphilitisch  verseucht 
sind,   Bodaß    auf  vielen   der  Inseln    der 


716 


Buch  erb esprechungen. 


Kinderseegen  beinahe  erlischt  und  unser 
Regierungsarzt,  der  dort  so  sehr  viel 
Gutes  stiftet,  doch  seine  Hoffnung,  das 
Inselvölkchen  vor  gänzlichem  Untergang 
zu  bewahren,  nur  auf  eine  gesundere 
nachwachsende  Generation  setzt. 

Ein  ganze  Anzahl  hübscher  Zinko- 
typien  schmückt  das  Buch,  teils  Küsten- 
ansichten oder  Häfen  darstellend,  meisten- 
teils aber  Völkertypen,  besonders  solche 
von  den  Karolinen  und  den  Marshall- 
Inseln.  Eine  so  unbestimmte  Unterschrift 
wie  bei  dem  zu  S.  96  eingefügten  Bild 
„Eingeborenes  Mädchen'*  läßt  freilich  die 
Volkszugehörigkeit  kaum  erraten.  Die 
„Farreninsel^^  Kusaie,  die  nie  etwas  mit 
jungen  Stieren  zu  tun  gehabt,  wird  der 
Leser,  auch  ohne  die  Liste  der  neusten 
Orthographie  anzugehen,  schonend  in 
„Faminsel''  umändern.        Kirch  hoff. 

Deutche  Seewarte.  Atlantischer 
Ozean.  Ein  Atlas  von  39  Karten, 
die  physikalischen  Verhältnisse  und 
die  Verkehrsstraßen  darstellend,  mit 
einer  erläuternden  Einleitung.  2.  Aufl. 
Gr.  -  Fol.  9  S.  39  Taf.  Hamburg, 
Friederichsen  &  Co.  1902.  JL  22.60. 
Die  im  Jahre  1882  ausgegebene  erste 
Auflage  des  Atlas  vom  Atlantischen  Ozean 
genügte  schon  seit  längerer  Zeit  nicht 
mehr  modernen  wissenschaftlichen  An- 
sprüchen, eine  große  Zahl  von  Karten 
war  vollständig  veraltet,  da  zur  Zeit  ihrer 
Anfertigung  die  Verwendung  eines  um- 
fangreichen, kritisch  bearbeiteten  Materials 
nur  in  beschränktem  Maße  möglich  war. 
In  den  seitdem  verflossenen  beiden  Jahr- 
zehnten hat  die  ozeanographische  und 
maritim-meteorologische  Forschung  be- 
sonders im  Gebiet  des  Atlantischen  Ozeans 
solche  Fortschritte  gemacht,  daß  die  Neu- 
auflage des  Atlas  im  Anschluß  an  die 
2.  Auflage  des  Segelhandbuchs  für  diesen 
Ozean  als  eine  Verpflichtung  der  geo- 
graphischen Wissenschaft  und  der  Schiff- 
fahrtskunde gegenüber  gelten  mußte. 
Wenn  das  nun  vorliegende  Werk  in  seiner 
neuen  Gestalt  den  vielseitigsten  An- 
sprüchen gerecht  wird  und  Einzelheiten 
enthält,  die,  wie  die  Monatskarten  des 
Luftdrucks,  der  Temperatur,  der  Bewöl- 
kung, der  Regen-Dauer  und  -Häufigkeit, 
der  Sturm-  und  Nebelhäufigkeit  und  vie- 
les andere,  zum  erstenmal  zur  Darstel- 
lung   kommen,    so    erkennen    wir  darin 


dankbar  den  freigebigen  wissenschaft- 
lichen Geist,  der  die  Arbeiten  der  See- 
warte unter  der  Leitung  ihres  ersten  Di- 
rektors V.  Neumayer  durchdrungen  hat 
und  ihnen  hoffentlich  auch  fernerhin  er- 
halten bleibt.  Der  Entwurf  der  einzelnen 
Karten  des  Atlas  hat  in  den  Händen  der 
besten  Sachkenner  gelegen:  Schott  und 
Krümmel  habendie  vorwiegend  ozeano- 
graphischen  Karten  (Meerestiefen,  Strö- 
mungen, Salzgehalts-  und  Temperatur- 
verteilung), Koppen,  van  Bebber, 
Knipping  u.  a.  die  meteorologischen 
Karten  redigiert.  Bei  Benutzung  der 
Luftdmckkarten  ist  zu  beachten,  daß  an 
die  Lufbdruckwerte  die  Korrektion  auf 
45®  Breite  noch  nicht  angebracht  ist. 
Die  erdmagnetischen  Karten  wurden  für 
die  Epoche  1902  gezeichnet.  Für  Tier- 
geographen wird  die  von  H.  Bolau  ent- 
worfene Karte  der  Verbreitung  und  der 
Hauptfangplätze  der  wichtigsten  Wal- 
Arten  von  Interesse  sein.  Die  Aus- 
stattung des  Atlas  macht  der  Verlags- 
firma alle  Ehre.        W.  Meinardus. 

Albert  I.,  Fürst  Ton  Monaeo.    Eine 

Seemanns  -  Laufbahn.      Autoris. 

Übersetzung  aus  dem  Franz,  von  A. 

H.  Fried.     367  S.     Berlin,  Boll  u. 

Pickardt  o.  J.  (1903).  JL  6.—. 
Der  Titel  läßt  vermuten,  daß  das  Buch 
keine  Bereicherung  unseres  geographischen 
Tatsachenmateriales,  auch  keine  Erörte- 
rung wissenschaftlicher  Probleme  der 
Meereskunde  bringt  oder  zu  bringen  be- 
absichtigt; und  diese  Vermutung  trifft  in 
der  Tat  zu.  Gleichwohl  darf  das  Buch 
als  die  überaus  eigenartige  Schöpfung 
eines  scharf  beobachtenden,  hochgebilde- 
ten und  mit  einer  gradezu  bewunderns- 
werten Schilderungsgabe  ausgerüsteten 
Naturforschers  allen  denen  zur  Lektüre 
dringend  empfohlen  werden,  die  natur- 
getreue Stinunungsbilder  vom  Meere  und 
dessen  Wundem  der  verschiedenen  Breiten 
suchen.  Das  Buch  ist  nicht  etwa  eine 
vollständige  Beschreibung  des  Lebens  des 
Fürsten.  Es  sind  vielmehr  acht  in  künstle- 
rischer, wirksamer  Weise  ausgewählte 
Abschnitte  aus  seinem  Leben  in  zum  Teil 
epischer  Breite  behandelt;  hierdurch  wird 
aber  eine  Tiefe  der  Einzeldarstellung, 
eine  Naturwahrheit  der  Schilderung  der 
immer  mit  dem  Verstand  und  Herzen  zu- 
gleich erlebten  Vorgänge  erreicht,  welcher 


Nene  Bächer  und  Karten. 


717 


man  wirklich  sehr  selten  begegnet.  Wir 
Deutschen  müssen  uns  allerdings  zuerst 
an  die  etwas  überschwengliche  Betrach- 
tungsweise und  Bedeweise  in  französi- 
scher Manier  gewöhnen.  Als  charakte- 
ristisches Gegenstück  deutscher  Schreib- 
weise möchte  ich  die  ebenfalls  ungemein 
naturgetreuen,  aber  in  einfachem  und  an- 
spruchslosem Stil  gehaltenen  Schilderun- 
gen des  Meeres  nennen ,  welche  wir  der 
Frau  Kapt.  Rosenberger  („Auf  großer 
Fahrt**,  Berlin,  Reimer;  2.  Aufl.  1900)  ver- 
danken. 

^ach  einem  einleitenden  Kapitel,  wel- 
ches die  „Seemanns-Seele*'  überschrieben 
ist,  schildert  A.  von  Monaco  zuerst  sei- 
nen Aufenthalt  in  den  westindischen  Ge- 
wässern, wo  er  als  Fähnrich  der  spani- 
schen Marine  weilte,  besonders  das  Leben 
auf  den  Zuckerplantagen  Cubas.  1868, 
mit  seinem  Austritt  aus  dieser  Marine, 
begann  er  sich  der  Ozeanographie  zu  wid- 
men, , Jener  neuen  Wissenschaft,  die  in 
das  Geheimnis  der  Meeresliefen  eindringt**. 
Das  vierte  Kapitel  bringt  eine  spannende 
Schilderung  eines  Wirbelsturmes,  der  am 
23.  August  1887  im  nordatlantischen  Ozean 
überstanden  wurde,  das  fünfte  —  ein  Ka- 
binetstück  meisterhafter  Detailmalerei  — 
die  Erlebnisse  einer  Jagd  auf  wilde  Zie- 
gen auf  Dezerta  Grande  bei  Madeira.  Im 
sechsten  Kapitel  wird  die  letzte  wissen- 
schafbliche  Reise  seiner  ersten  Yacht,  der 
„Hirondelle**  (1888),  beschrieben  und  auch 
auf  die  physikalischen  und  biologischen 
Arbeitsmethoden  und  Arbeitsergebnisse 
da  und  dort  etwas  eingegangen.   Auf  eine 


im  7.  Kapitel  enthaltene,  nicht  gerade 
ästhetische  Schilderung  des  Todes  und 
der  Ausschlachtung  eines  Potwales  folgt 
als  letztes  und  vielleicht  ansprechendstes 
Bild  die  Skizzierung  der  Ereignisse  und 
Eindrücke  während  der  Reise  nach  Spitz- 
bergen 1898. 

Überall  offenbart  sich  der  Verfasser 
als  ein  leidenschaftlicher  Freund  der  freien, 
einsamen  Natur,  als  ein  Verehrer  der  ein- 
fachen, aber  erhabenen  Genüsse,  die  sie 
gewährt,  und  an  mehr  als  an  einer  Stelle 
wendet  er  sich  in  auffallender  Schärfe 
gegen  „das  dreiste  Schauspiel,  welches 
unnütze  Gesellschafbsmenschen ,  Lebe- 
männer und  Genußmenschen  durch  ihre 
sinnlosen  und  unlauteren  Vergnügungen, 
durch  das  Vergeuden  ihrer  Tage  und 
Nächte  in  den  Klubs  u.  s.  w.  bieten**.  Von 
den  Reizen  des  nördlichen  Eismeeres 
spricht  er  (S.  293)  wie  folgt:  ,Jch  liebe 
den  Kampf  gegen  die  Gewalten  eines 
Meeres,  welches  der  vom  Schnee  ge- 
reinigte Wind  peitscht,  denn  stolzer  und 
edler  geht  die  Seele  aus  solchem  Kampfe 
hervor;  ich  liebe  den  Norden,  weil  dort 
der  Tod  mit  der  Würde  der  Stille  einher- 
schreitet  und  die  durch  die  Lügen  der 
Welt  gequälten  Wesen  in  das  Krystall 
der  Eisfelder  sanft  einhüllt.** 

Zum  Verständnis  des  Buches  sei  noch 
hinzugefügt,  daß  der  Fürst,  als  voll  aus- 
gebildeter Seemann  von  Beruf,  seine  Yacht 
selbst  kommandiert.  Die  deutsche  Aus- 
gabe dieser  „Seemanns  -  Laufbahn**  ist 
Kaiser  Wilhelm  U.  gewidmet 

Schott. 


Nene  Bfliclier  and  Karten. 


AUgemelnet. 
Meyers   historisch-geographischer 
Kalender  1904.     Leipzig,  Bibl.  Inst. 
1908.     JL  1.76. 

Oeiehleht«  der  Geographie. 
Berger,  Hugo.    Geschichte  der  wissen- 
schaftlichen   Erdkunde    der    Griechen. 
2.  Aufl.    IV  u.  662  S.    19  Textfig.    Leip- 
zig, Veit  &  Ck).  1908.    JL  20.—. 
MuthenifttUche  Oeoirniphle. 
Haentzschel,  E.    Das  Erdsphäroid  und 
seine  Abbildung.  VIII  u.  140  S.  11  Text- 
abb.    Leipzig,  Teubner  1903.    JL  3.40. 


Allgemeine  phyRUche  Geogrftphie. 

Nippoldt,  Erdmagnetismus,  Erdstrom  und 
Polarlicht.  136  S.  8  Taf.  u.  14  Fig. 
Leipzig,  Göschen  1903.    JL  —.80. 

Dittenberger,  W.  Zur  Kritik  der  neue- 
ren Fortschritte  der  Orometrie.  16  S. 
3  Textfig.  Halle,  Buchh.  d.  Waisen- 
hauses 1908.     JL  —.60. 

Pernter,  J.  M.  Allerlei  Methoden,  das 
Wetter  zu  prophezeien.  (Vortrag  d.  Ver. 
z.  Verbreitg.  naturwiss.  Kenntnisse  in 
Wien.  XLm.  Jahrg.  14.  Heft.)  36  S.  HText- 
abb.  Wien,  Selbstverlag  d.  Vereins  1903. 


718 


Neue  Bücher  and  Karten. 


Allf  emelne  tieogrAphie  dei  MewiHw». 

Helmolt,  Hans.  Weltgeschichte.  B.  Bd. 
Westeuropa,  Zweiter  Teil  Der  Atlan- 
tische Ozean.  XUI  u.  646  S.  7  K.  u. 
16  Beilagen.  Leipzig,  Bibl.  Inst.  1908. 
JC  10.—. 

Winkler,  Hch.  Skizzen  aus  dem  Völker- 
leben. IV  u.  198  S.  Berlin,  Dümmler 
1903.     JC  3.—. 

Dröber,  W.  Kartographie  bei  den  Natur- 
völkern. Erlanger  Diss.  80  S.  8  Fig. 
Erlangen,  Junge  &  Sohn  1908. 

DeitRchlABd  iBd  NAchbArlinder. 

Lepsius,  Rieh.  Geologie  von  Deutsch- 
land und  den  angrenzenden  Gebieten. 
II.  Teil.  Das  östl.  u.  nördl.  Deutsch- 
land. Lief.  1.  246  S.  58  Prof.  im  Text. 
Leipzig,  Engelmann  1903.     JC  8. — . 

Hassert,K.  Landeskimde des  Königreichs 
Württemberg.  160  S.  1 6  VoUb.  u.  1  K. 
Leipzig,  Göschen  1903.    JC  —.80. 

Haußmann,  Karl.  Die  erdmagnetischen 
Elemente  von  Württemberg  und  Hohen- 
zoUem.  Gemessen  u.  berechnet  für  I.Jan. 
löOl  i.  A.  u.  unter  Mitwirkung  d.  k. 
Württ.  Meteorolog.  Zentralstation.  Hrsg. 
V.  d.  k.  Statist.  Landesamt  1903.  V  u. 
160  S.  2  Taf.  u.  5  K.  Stuttgart,  Kohl- 
hanuner  1908.     JC  6.—. 

Wickert,  Fr.  Der  Rhein  und  sein  Ver- 
kehr. Mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Abhängigkeit  von  den  natürlichen 
Verhältnissen.  Bd.  XV.  Heft  1.  148  S. 
2  K.  u.  29  Diagramme.  Stuttgart,  Engel- 
horn  1903.     JL  12.—. 

Schlüter,  0.  Die  Siedelungen  im  nord- 
östlichen Thüringen.  XIX  u.  453  S. 
6  K.  u.  2  Taf.  Berlin,  Costenoble  1903. 
JC  18.—. 

Hanslick,  E.  über  die  Entstehung  und 
Entwicklung  von  Bielitz-Biala.  10  S. 
Bielitz,  Handel  1903. 

i  briges  Europa. 
Calderaio,   R.     Portugal  von  der  Gua- 

diana   zum  Minho.     (Land  und  Leute.) 

VII  u.  400  S.     100  Textabb.   u.    1   K. 

Stuttgart,  Franckh  1903.     JC  ö.  -. 
Kogutowicz,     Em.      Wandkarte     der 

BalkanhalbinscL    4  Blätter.    1:800000. 

Budapest,    Ungar.    Üeogr.    Inst.    1903. 

X  14.  -. 

Atieu. 

Stübel,    A.     Das    nordsyrische    Vulkan- 
gebiet IViret  Et-Tulül,  Haurän,  Dschebel,  ' 
Mämi'  und  Dscholün.    Beschreibung  der  , 


im  Grassi-Museum  zu  Leipzig  ausge- 
stellten Zeichnungen  der  vulkanischen 
Schöpfungen  dieses  Gebietes.  21  S. 
1  Übersichtsk.  (Veröff.  d.  vulkaoolog. 
Abt.  d.  Grassi-Mus.  in  Le^zig.)  Leip- 
zig, Weg  1903.     JC  2.60. 

Deußen,  Paul.  Erinnerungen  an  Indien. 
Vm  u.  2ö6  S.  1  K.  16  Abb.  u,  1  Anh.: 
„On  the  philosphy  of  the  Vedanta  in 
its  relations  to  Occidental  metaphysics.** 
Kiel,  Lipsius  &  Tischer  1903.    JC  6.—. 

H  a  1  k  i  n ,  J  0  s.  En  Extrdme-Orien t .  Räcit 
et  notes  de  voyage  (1900 — 1901).  Ceylan. 
Java.  Siam.  Indo-Chine.  He  de  Hat- 
nan.  Chine — Japon.  Cor^.  Sibärie. 
446  S.  48  Abb.  Brüssel,  Schepens  1903. 
AfHk». 

Reitemeyer,  Else.  Beschreibung  Ägyp- 
tens im  Mittelalter  aus  den  geographi- 
schen Werken  der  Araber  zusammen- 
gestellt. 238  S.  Leipzig,  Seele  k  Co. 
1908. 

Nord-Awerlkft. 

Deckert,  E.  Nordamerika.  Eine  aU- 
gemeine  Landeskunde.  2.  Aufl.  14  Lief. 
140  Textabb.  12  K.  u.  19  Taf.  Lief.  1  ff. 
^1C  14. — .  Die  Lief.  JC  1,—.  Leipzig, 
Bibl.  Inst.  1903. 

Engelbrecht,  Th.  H.  Die  geographische 
Verteilung  der  Getreidepreise  in  den 
Vereinigten  Staaten  von  1862  bis  1900, 
(Die  geogr.  Verteil,  d.  Getreidepreise.  I. 
Nordamerika.)  VHI  u.  108  S.  24  K.  a. 
8  Taf.  Berlin,  Parey  1903. 
Sid-Awerllt». 

Sievers,  W.  Südamerika  und  die  deut- 
schen Interessen.  Eine  geographisch- 
politische Betrachtung.  96  S.  Stuttgart, 
Strecker  &  Schröder  1903      JC  2.—. 

Stübel,  A.  Karte  der  Vulkanberge  Anti- 
sana,  Chacana,  Sincholagua,  Quilindana. 
Cotopaxi,  Runiüahui  und  Pasochon.  Ein 
Beispiel  für  die  Äußerung  eruptiver 
Kraft  in  räumlich  kleinen  Abständen 
unter  deutlichen  Anzeichen  ihrer  Ab- 
Bchwächung  und  ihres  Ersterbens  inner- 
halb begrenzter  Zeiträume.  Mit  einem 
Beglcitwort.  12  S.  (Veröff.  d.  vulka- 
nolog.  Abt.  d.  Grassi-Mus.  in  Leipzig.) 
Leipzig,  Weg  1903.     JC  2.—. 

Goll,  Fr.  Die  Erdbeben  Chiles.  Ein  Ver- 
zeichnis der  Erdbeben  und  Vulkanaus- 
brüche in  Chile  bis  zum  Ende  des  Jahres 
1879  nebst  einigen  allgemeinen  Be- 
merkungen zu  diesen  Erdbeben.  (Münch. 
Geogr.  Studien.  XIV.  Stück).  V  u.  137  S, 


Zeitschriftenschau. 


719 


1    Taf.      München ,    Ackermaon   1904.  \ 

JC  8.20.  j 

Katzer,   Fr.     Grandzüge    der    Geologie  I 

des     unteren     Amazonasgebieted     (des 

Staates  Parä  in  Brasilien).  296  S.    1  K. 

4  Bildnisse  u.  261  Textabb.     Leipzig, 

Weg  1903.    .€  14.—. 
Condreau,  0.     Voyage   au   Rio   Cuma 

20.  XT.  1900—7.111.1901.  114  S.  34  Abb. 

u.  1  K.    Paris,  Lahnre  1908. 
Ders.     Voyage   a   la    Mapuera   21.    IV. 

1901—24.  XII.    1901.     166  S.    36  Abb. 

u.  1  K.     Paris,  Lahure  1908. 
Ders.    Voyage  an  Maycnrü  6. VI.  1902 — 

12.  I.  1903.     57  Abb.  u.   1  K.     Paris, 

Labure  1903. 

Heere. 

Conseil    permanent    international 
pour    Texploration    de    la     mer. 
Bulletin   des   r^sultats   acquis  pendant  I 
les   courses   p^riodiques    publ.    par   lel 
bureau  du  conseil  avec  Tassistance  de  . 


M.  Knudsen.  Annee  1902— 1903.  No.  4. 
Mai  1903.  S.  172—309.  2  Taf.  (Nr.  7 
u.  8).  Kopenhagen,  H0st  u.  Söhne  1903. 

Geogrftphificher  Unterricht. 

Becker,  A.  u.  J.  Mayer.  Lembuch  der 
Erdkunde.  II.  Teil.  Mit  reichhaltigem 
Lehrstoff.  VI  u.  881  S.  16  Textfig. 
4  Tab.  u.  1  Diagramm  im  Anh.  Wien, 
Deuticke  1908.     Kr.  4.80. 

Rusch ^  G.  Erdkunde  f.  österr.  Mädchen- 
lyzeen.  HI.  Teil.  Für  die  III.  bis 
V.  Klasse.  IIu.  268S.  77  Fig.   Kr.  3.60. 

K  0  r  s  c  h ,  H.  Methodik  des  geographischen 
Unterrichts  in  der  Volksschule.  Ein 
Hilfsbuch  für  Lehrer  und  Seminaristen. 
VII  u.  139  S.  22  Abb.  Braunschweig 
u.  Leipzig,  Wollermann  1903.    JC  2.40. 

Herbertson,  F.  D.  u.  A.  J.  Herbert- 
son.  Australia  and  Oceania.  XXVI  u. 
221  S.  Viele  Abb.  London,  Black  1903. 
S.  2.  d.  6. 


Zeitschriftenschau. 


Petermanns  Mitteilungen.  1908. 10.  Heft. 
Phillipow:  Polarreisen  des  russischen 
Malers  Borissow.  —  Enderli:  Zwei  Jahre 
bei  den  Tschuktschen  und  Koijaken.  — 
Zondervan:  Die  geschichtliche  Entwick- 
lung der  offiziellen  Kartenkunde  in  den 
Niederlanden.  —  Lehmann:  Armenien, 
nach  Lynch.  —  Woeikof:  Erforschung 
des  Teletzky.See3.  —  Fitzner:  Eidbeben- 
beobachtungen in  Kleinasien. 

GlobiM.  84.  Bd.  Nr.  16.  Singer: 
Tharschisch  und  Ophir.  —  Hans  Meyers 
Forschungsreise  in  die  Anden  Ecuadors. 
—  Meerwarth:  Aus  dem  Mündungs- 
gebiet des  Amazonas.  —  Hochtouren  im 
Karakorumgebirge. 

Dass.  Nr.  17.  v.  Lieb  er t:  Die  Be- 
siedlung Deutsch-Ostafrikas.  —  Singer: 
Die  Lage  in  Nordkamerun.  —  Gentz: 
Die  Verbindungsstraßen  durch  die  nörd- 
liche Kalahari.  —  Fies:  Der  Yamsbau  in 
Deutsch-Togo.  —  Lieber:  Die  Eisenbahn 
Dachibuti-Adis  Harar. 

I)(i88,  Nr.  18.  Rzehak:  Das  Karst- 
])hrinomen  im  mährischen  Devonkalk.  — 
Sinf^er:  Marokko.  —  Schmidt:  Ein  an- 
geblicher Beweis  des  tertiären  Alters  des 
Menschen    m    Australien.    —    Andree: 


I  Die    präkolumbi sehen    Forschungen    von 
!  Dr.  Fewkes  in  Westindien.  —  Das  ethno- 
I  graphische  Reichsmuseum  in  Leiden. 
I       Deutsche    Bundschau    für   Geographie 
\  und  Statistik.  26.  Jhrg.   2.  Hefk.    Müller: 
I  Die  Ätherfrage  in  ihren  Beziehungen  zu 
den   Bewegungen   der  Erde   im  Sonnen- 
'  und  Weltenraum.  —  Wagner:  Madagas- 
kars Bevölkerung.   —   Meinhard:  Nach 
;  Mazedonien.    —   Nusser-Asport:    Von 
Puerto  Columbia  nach  Bogota. 

Meteorologische  Zeitschrift.  1908. 10.  Heft. 
Hann:  Über  die  tägliche  Drehung  der 
mittleren  Windrichtung  auf  Berggipfeln 
von  2 — 4  km  SeehÖhe.  —  Sassen  fei d: 
Die  Bewölkung  der  Schneekoppe.  — 
Woeikof:  Referate  über  russische  For- 
schungen auf  dem  Gebiete  der  Meteoro- 
logie. 

Zeitschrift  für  Getoässerkunde.  0.  Bd. 
2.  Hoft.  Halb  faß:  Stehende  Seespiegel- 
schwankungen im  Madüsee.  —  Hempel: 
Die  Hochwassergefahren  und  ihre  Be- 
kilmpfnng.  —  (iravelius:  Das  Quell- 
gebiet der  Wolga  und  seine  Seen. 

ZiiUichrift  für  Schulgeographie.  1903. 
1.  H^'ft.  V.  Filek:  Aus  den  Vulkan - 
gebieten    Unteritalieus.    —     Rein  hold; 


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