^*^"
GERMANIA.
VIERTELJAHRSSCHRIFT
FÜR
DEUTSCHE ALTERTH UMS KÜNDE.
BEGRÜNDET VON FRANZ PFEIFFER.
FORTGESETZT VON KARL BARTSCH.
.lETZT HERAUSGEGEBEN
VON
OTTO BEHAGHEL.
VIERUNDDREISSIGSTER JAHRGANG.
NEUE REIHE ZWEIUNDZWANZIGSTER JAHRGANG.
WIEN.
VERLAG VON CARL GEROLD'S SOHN.
1889.
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INHALT.
Seite
Über den Ursprung des höfischen Minnesanges und sein Verbältniß zur Volks-
dichtung. Von Ed. Theodor Walter 1
Einleitung 1
Capitel I. Winileodi, Liebesgrüße, trotUliet, Kürenberglieder, puellarum
cantica 3
Capitel II. Der Versuch R. M. Meyers , vermittelst einer Sammlung von
Parallelstellen aus höfischen Dichtern den Minnesang als Entwickelungs-
product einer .verloren gegangenen" Volkslyrik hinzustellen ... 9
Der Minnesänger Albrecht von Johansdorf. Von J. Hörn off. (Schluß) • . . 75
V. Gedankenwelt .... 75
VI. Zeitliche Anordnung 105
VII. Fremde Einflüsse 109
Zur Lautform des Alemanischen. Von A. Heusler 112
Zu den „drei Mareien". Von H. v. Wlislocki 130
Über den Ursprung des höfischen Minnesanges und sein Verhältniß zur Volks-
dichtung. (Schluß.) Von E. Th. Walter 141
Capitel III. Werth des Aufsatzes von A. Berger über „die volkstliümlichen
Grundlagen des Minnesanges" für die Frage nach dem Zusammenhange
zwischen diesem und der Volksdichtung 141
Capitel IV. Die Carviina Burana und ihr Zusammenhang mit dem höfischen
Minnesänge 146
Capitel V. Schluß 153
Zur Alexiuslegende. II. Von Max Fr. Blau 156
Zur Tristansage. Von E. Kölbing 187
Schwäbisch e als Vertreter von a. Von K. Bohnenberger 194
Über den gegenwärtigen Stand der Suchenwirt-Handschriften. (Forts, und Schluß.)
Von Franz Kratochwil 20.3. .303. 431
Leute. Von O. Brenner 24o
Mhd. iu und ü. Von O. Behaghel 247
Eine Handschrift des Pfaffen Amis. Von G. Ehrismann 251
Bemerkungen zum deutschen Wörterbuche .(Forts, und Schluß.) Von A. Gom-
bert 253. 371. 493
Messer. Von 0. Behaghel 264
Norddeutsche und süddeutsche Heldensage und die älteste Gestalt der Nibe-
lungensage. Von W. Golther 265
Zur Freckenhorster Heberolle. Von Franz Jostes 297
Seite
Bibliographie der Uhland-Litteratur. Von Ludwig Fränkel 345
Ein Brief. Von O. Brenner 369
Zu mhd. tu und w. Von O. Behaghel. . . . 370
Zu S. 370. Von 0. B 396
Zur Runenlehre. Von F. Losch 397
Die Vorfahren des Jordanes. Von Th. v. Grienberger 406
Eriliva. Von Demselben 411
Die Sprachbewegung in Norwegen. Von W. Golther 41.
Zu Gerhard von Minden. Von R. Sprenger 419
Zu Wolfram. Von O. Behaghel 481
I. Die Zeit seines Thüringer Aufenthalts 487
II. Zum Titurel 488
III. Zu den Liedern 488
Fragmente aus der Weltchronik Rudolfs von Ems. Von K. Reißeuberger . 490
Jappesstift. Von G. Ehrismann 492
LITTERATUR.
H. Sweet, A History of English Sounds. Von K. Schröer 513
Elias Steinmeyer, Über einige Epitheta der mhd. Poesie. Rede beim Antritt des
Prorectoiats. Von O. Behaghel 520
Mittheilungen _^140. 396. 520
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNE-
SANGES UND SEIN VERHÄLTNISS ZUR VOLKS-
DICHTUNG.
Einleitung.
Wilmanns stellt in seinem „Leben und Dichten Walthers von
der Vogelweide" das Vorhandensein einer deutschen Volksliebeslyrik
vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts, also vor dem Emporblühen
des höfischen Minnesanges auf deutschem Boden schlechthin in Ab-
rede ^).
Seine Ansicht fand entschiedene Gegner; zunächst in Konrad
Burdach '^), dann in Richard M. Meyer^), welche beide eine weit ver-
breitete Liebeslyrik vor der genannten Zeit nachzuweisen bemüht
sind. Beide beantworten aber bei dieser Gelegenheit zugleich auch
die Frage nach dem Zusammenhange der deutschen Volkslyrik mit
dem höfischen Minnesänge in der Weise, daß sie diesen als die oberste
Stufe einer allmählichen steten Entwickelung, als die volle Blüthe
einer seit Jahrhunderten gepflegten und ausgebildeten Volkslyrik hin-
stellen *).
•) Wilmanns, Leben und Dichten Walthers von der Vog^elweide. Bonn 1882.
S. 16: „Daß es vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts eine weit verbreitete Liebes-
lyrik gegeben habe, glaube ich nicht^; durch Zeugnisse ist sie nicht zu. belegen, die
aligemeine Entwickelung des Volkes spricht nicht dafür.«
') Burdach, das volksthümliche deutsche Liebeslied. Zeitschrift für deutsches
Alterthum etc. XXVIL S. 343—367.
3) Meyer, alte deutsche Volksliedchen. Zs, XXIX. 121—236.
■*) cf. vor Allem Meyer a. a. O. 8. 225: „Wichtiger ... ist das Gesammt-
resultat, welches aus dieser Betrachtung sich ergibt: ... weiter gibt uns die Ver-
arbeitung der Verse und Lieder ein Bild von der Art, wie die Kunstdichtung
sich aus der bäurischen Stegreifdichtung erhob: zuerst noch ganz die alte
Art fortsetzend, nur feilend, glättend, viel mehr formell ändernd als inhaltlich, viel
mehr vermuthlich noch in der Melodie als im Text sich von der einfachsten Kunst-
übung absondernd."
HERMANIA. Neue Reihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 1
2 E. TH. WALTER
Zu gleichem Resultate kommt auch Arnold Berger in seiner
Abhandlung über „die volksthtimlichen Grundlagen des Minnesangs"^),
wenigstens erklärt er sich ausdrücklich einverstanden mit den „scharf-
sinnigen Untersuchungen von Riehard M. Meyer", dessen Standpunkt
er in allem Wesentlichen theile^).
Ich meinerseits halte diese Untersuchungen und somit ihr Resultat
für völlig verfehlt. Gern will ich zugeben, daß der Standpunkt, von
dem aus sie unternommen sind, auf den ersten Blick viel Verlockendes
hat; Berechtigung jedoch kann ich ihm in keiner Weise zusprechen.
Nicht daß ich Wilmanns beitreten wollte, wenn er geradezu
behauptet: daß die Liebe vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts
als „Ausdruck persönlicher Empfindung" in der Lyrik nirgends sich
ausgesprochen habe; daß sie „wie alle andere Empfindung" nur in
der epischen Poesie laut geworden sei^); solcher Ansicht stehe ich
fern. Nur einen Zusammenhang zwischen dem höfischen Minnesänge
und der ihm vorausgehenden Volkspoesie, wie ihn Burdach, vor Allem
aber Meyer und mit ihm Berger — ich weiß nicht, ob in Überein-
stimmung mit der allgemein herrschenden Ansicht, jedenfalls aber bis
heute ohne wesentlichen lauten Widerspruch — nachzuweisen ver-
suchten, muß ich entschieden in Abrede stellen.
Soll der höfische Minnesang die Blüthe der Volksdichtung sein
— nach Meyer wäre er überhaupt nur ein Abklatsch derselben —
so genügt es keineswegs, eine solche vor den Jahren 1150 — 1180
nachzuweisen; auch nicht, wenn in derselben die Liebe offenbar in
irgend welcher Weise einen Ausdruck gefunden hat; vielmehr muß
gezeigt werden, daß es bereits vor den ersten Kundgebungen der
höfischen Minnepoesie eine Volkslyrik und zwar Volksliebeslyrik ge-
geben habe, so geartet und ausgebildet, daß dieser auch wirklich als
die nächste und nun allerdings höchste Stufe der Weiterentwickelung
angesehen werden könne, ohne aber selbstverständlich auch auf dieser
Höhe als Kind der vorigen Periode sich verläugnen zu lassen*).
') A. Berger, die volksthümlichen Grundlagen des Minnesangs. Zeitschrift für
deutsche Philol. XIX. S. 440—486.
') Berger a. a. O. S. 441 unten.
') Wilmanns a. a. O. S. 16.
^) Der Nothwendigkeit einer solchen Forderung ist sich übrigens Richard
M. Meyer offenbar bewußt, wenn er von der ältesten höfischen Kunstdichtung —
allerdings ohne einen Reweis folgen zu lassen — behauptet, sie habe sich aus
der „bäurischen Stegreifdichtung" erhoben, „zuerst noch ganz die
;ilte Art fortsetzend."
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNE"^ANGES etc. 3
Sind nun Burdacb, Meyer und Berger im Stande, eine solche
volksthümlicbe Poesie als Vorläuferin und Vorbild des höfischen Minne-
sanges nachzuweisen und so „das oft bestaunte Räthsel des plötz-
lichen Aufbruchs der ganzen mittelhochdeutschen Lyrik" ^) zu lösen?
Capitel I.
Winileodi, Liebesgrüße, troutliet, Kürnberglieder,
puellarum cantica.
Das erste Zeugniß, auf welches sich Meyer beruft, sind die
Worte des Kapitulars aus dem Jahre 789, durch welche den Nonnen
verboten wird:
winileodos scribere vel mittere.
Was in Wirklichkeit diese winileodi gewesen sein mögen, darüber
will ich mich hier nicht weiter auslassen, betonen möchte ich nur,
daß es mir keinesfalls darum zu thun ist, den „verliebten Inhalt"
derselben in Abrede zu stellen; von Liebe, ja sogar meist und vor-
wiegend von Liebe ist gewiß in ihnen die Rede gewesen; was aber
die Aufführung dieser Lieder für den Ursprung des Minnesanges in
ritterlichen Kreisen und für dessen Zusammenhang mit einer ihm
direct voraufgehenden Volksliebeslyrik bedeuten soll, ist mir nicht
recht erfindlich.
Es handelt sich hier doch lediglich um den Nachweis einer
unmittelbaren Vorstufe zu der höfischen Dichtung. Eine solche in
jenen von den Nonnen gesandten Gedichten des achten Jahrhunderts,
über deren Wesen und Inhalt wir uns nur Vermulhungen hingeben
können, finden zu wollen, erscheint mir ganz und gar unstatthaft.
Einzuwenden: diese winileodi könnten sich ja in der Zeit vom
achten bis zwölften Jahrhunderte derartig weiter entwickelt haben,
daß sie unseren Anforderungen entsprächen, wäre ebenfalls sehr wenig
angebracht. Wir wissen eben von einer solchen Entwickelung nichts,
erfahren überhaupt eine lange Zeit hindurch über lo'nileodi nicht das
Geringste; und in späterer Zeit, da wir sie wieder genannt finden,
treten sie uns in einer Bedeutung entgegen, die viel mehr auf Lieder,
wie sie beim Tanze oder bei Spielen gebräuchlich sein mochten^),
') Meyer a. a. O. S. 225.
') cf. Neidhard ed. Haupt 62, 32:
durch minen haz von stige vaste nach den bluomen spranger ,
in einer hohen wise siniu vvineliet diu sanger.
und 96, 14:
unde in hoher wise siniu wineliedel sanger.
1*
4 E. TH. WALTER
als auf Liebeslieder schließen läßt und damit für unseren Zweck
jeden sonderlichen Werth verliert.
Ich lehne daher die winüeodi als nicht hierher gehörig von
vornherein ab.
Auch dem aus dem elften Jahrhunderte stammenden Liebesgrußo
im Ruodlieb^) kann ich keine Beweiskraft zugestehen. Er lautet:
Die sodes illi nunc de me corde fideli
tantundem liebes, veniat quantummodo loubes,
et volucrum wunna quot sint, tot die sibi minna
graminis et florum quantum sit, die et bonorum.
Daß die den Vers hier durchbrechenden deutschen Reimworte
einem weit verbreiteten, allbekannten Liebesgruße zuzuschreiben
seien, daß es solcher Liebesgrüße viele im elften, ja schon im zehnten
Jahrhunderte gegeben habe'^), räume ich ohne Weiteres ein. Jedoch
— mögen diese Grüße sangbar gewesen oder gesungen worden sein;
mag man sie nur als Formeln für die Einleitung mündlicher Bot-
schaften; später, ausgebildet, für den Briefanfang allenthalben gäng
und gäbe gehabt haben ^): für einen Zusammenhang zwischen diesen
Strophen und dem höfischen Minnesänge des zwölften Jahrhunderts
spricht nicht das Geringste.
Solche Liebesgrüße sind ja gewiß ein Zeichen von einer gewissen
Lust am Überschwänglichen , am poetischen Vergleichen und Über-
treiben; zugleich aber auch ein Zeugniß für den noch herrschenden
Mangel an Beweglichkeit und Übung, der immer und immer wieder
das Zurückgreifen nach der alten Formel nöthig macht und sich mit
ihr begnügt. Von der Fähigkeit zu einer über die engen Grenzen
des Grußes hinausgehenden Entwickelung ist gleichfalls nichts zu
finden; Anzeichen einer Dichtungsart, in welcher der Minnesang sein
Vorbild oder auch nur seine Vorbereitung gefunden hätte, werden
nirgends bemerkbar.
Auch die Berufung auf die troutliet*) , die in den Kreisen der
österreichischen Ritter offenbar schon vor 1163 geübt wurden^), gibt
uns keinen Beweis für das Hervorwachsen des Minnesanges aus einer
„verloren gegangenen" Volkspoesie.
') Ruodlieb ed. Seiler XVII. 11—14.
^) Dümmler, Mittheilungen der Züricher antiquarischen Gesellschaft 12, 228.
3) Meyer a. a. O. S. 129.
") Burdach a. a. O. S. 354.
^) Heinrich von Melk ed. Heinzel, Erinnerung 610—613 und Priesterleben 670
bis 671.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 5
Zwar halte ich diese troutliet nicht für „Erzählungen erotischen
Inhaltes", Liebesgeschichten oder Gesänge, „die dem epischen Ge-
halte den Ausdruck einer augenblicklichen und subjectivcn Stimmung
beigesellten" '), sondern glaube in ihnen Dichtungen sehen zu dürfen,
die weit mehr lyrischen als epischen Charakter trugen; doch sind ja
alle diese Lieder, so weit wir unterrichtet sind, allein in ritter-
lichen Kreisen, obendrein nur Österreichs gedichtet und gesungen
worden, haben also mit Volkslyrik von vornherein gar nichts zu thun.
Den stärksten Nachdruck jedoch glaubt Burdach auf die Kürn-
berglieder legen zu müssen'^).
Um dies zu können, ist er natürlich gezwungen, die Autorschaft
eines einzigen Mannes für die Männer- und Frauenstrophen in Ab-
rede zu stellen und dieselben verschiedenen Verfassern: Männern
und Frauen^) zuzuschreiben.
Leider bringt er von neuen Gründen für seine Behauptung gar
nichts.
Mit den widerlegenden Auseinandersetzungen Pauls ^) befaßt er
sich unbegreiflicher Weise überhaupt nicht, sondern begnügt sich
damit, es für unmöglich zu erklären, daß derselbe Mann, der in den
Männerstrophen so stolz und hart, roh und begehrlich sich zeige,
die zarten Frauenstrophen gedichtet haben könne. Aber wie steht es
in Wirklichkeit mit diesen so stolzen, rohen und begehrlichen Männer-
strophen, wie mit den so zarten Frauenliedern?
Ich kann nur mit PauP) fragen: ist eine Frauenstrophe, die
mit den Worten
er muoz mir diu lant rümen
ald ich geniete mich sin ^)
schließt, wirklich so überaus zart und weich; und hinwiederum eine
Männerstrophe, in der es heißt:
wip vile schoene,
nu var du sam mir.
lieb und leide
teile ich sament dir ... ')
>) Wackernagel a. a. O. S. 291.
^) Burdach a. a. 0. S. 355 f. cf. Meyer a. a. O. S. 127.
3) cf. Scherer, Der Kürnberger, Ztschr. i. d. Alt. XVII, S. 561—581.
*) cf. Paul in P. u. Br. Beitr. II, 406—418.
*) a. a. O. S. 414.
«) MF. 8, 7—8.
') MF. 9, 21—28.
6 E. TH. WALTER
SO hart und roh, daß man sie nicht beide einem Verfasser zuschreiben
könnte?
Oder ist es etwa als Thatsache anzuerkennen, wie Scherer ^)
behauptet, daß die Männer im XII. Jahrhunderte wirklich aller wei-
cheren Empfindungen unfähig gewesen wären, wenn unter Dietmar
von Eist der Ritter klagt:
Seneder friundinne böte,
DU sage dem schoenen wibe,
daz mir tuot äne mäze we,
daz ich si so lange mide:
lieber hete i'r minne
dan al der vögele singen '').
Oder wenn der Dichter das Verhalten des Ritters folgender-
maßen charakterisieret:
Jö stuont ich nehtint späte
vor dinem bette :
do getorst ich dich frouwe
niuwet wecken ...**)
und das der Dame mit den Worten:
'des gehazze
got den dinen lip ;
j6 enwas ich niht ein ber
wilde.' so sprach das wip.
Wer ist hier zaghaft, zart und voller Rücksicht?
Ferner! Haben wir in der Strophe "*)
Nu brinc mir her vil balde
min ros, min isengwant.
wan ich muoz einer frouwen
rümen diu lant.
diu wil mich des betwingen
daz ich ir holt si.
si muoz der miner minne
immer darbende sin ....
wirklich, wie Burdach behauptet^), das wälde Zurückstoßen des
Ritters gegenüber derselben Frau zu erblicken, deren Liebe und Hin-
gebung er sich vorher gewünscht habe, oder nicht vielmehr (vielleicht
mit humoristischer Färbung) das Fliehen vor einem Weibe, dessen
') a. a. O. S. 577.
^) MF. 32, 13.
3) MF. 8, 9.
') MF. 9, 29.
*; a. a. O. S. 356.
I
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 7
uugewünschte, aufdringliche Liebe iiim bereits unbehaglich zu werden
anfängt?
Ebensowenig ist Burdachs Behauptung stichhaltig: „man wünscht
nicht, was man nicht selbst kennt", oder „Gefühle lassen sich nicht
darstellen, wenn man sie nicht aus eigener Erfahrung kennt". Er
spricht damit kurzweg jedem Dichter die Fähigkeit ab, Frauen zu
zeichnen. Seine diesbezüglichen Auslassungen eingehender zu wider-
legen, halte ich für unnöthig.
Diesen allgemeinen Betrachtungen Burdachs ist in Wirklichkeit
kein Werth beizumessen; nicht viel mehr seinen folgenden Auseinander-
setzungen'), für deren Gegenstand er übrigens „sorgfältige Berück-
sichtigung'" in Anspruch nimmt.
Er verbreitet sich in ihnen über die Thatsache, daß „wo ur-
sprüngliche, volksthümliche Liebespoesie blüht", „wir auch sonst die
Frauen hervorragend als Dichterinnen thätig" finden.
Aber ganz abgesehen davon, daß wir in unserem Falle ja erst
die volksthümliche Natur der Kürnberglieder beweisen wollen, er
also die Behauptung zum Beweise als Voraussetzung benutzt — ab-
gesehen davon: kann er damit doch nur beweisen wollen, daß es
überhaupt dichtende Frauen gegeben habe, keineswegs aber, daß
diese Strophen, die uns unter Kürnbergers Namen überliefert sind,
Frauen zu Verfassern gehabt haben müßten; zumal da ebenfalls aus
älterer Zeit Frauenstropheu, von einem Manne gedichtet, unter Diet-
mar von Eist überliefert sind").
Wie Burdach sich übrigens mit der oben erwähnten Strophe
MF. 8, 9 glaubt abfinden zu können, in der zuerst der Mann spricht:
Jö stuont ich nehtint späte
vor dineoi bette:
do getorste ich dich, frouwe,
niwet wecken . . .
dann die Frau antwortet:
des gehazze
got den dinen lip !
j6 enwas ich niht ein ber
wilde . . .
und zum Schlüsse der Dichter anfügt:
so sprach daz wip,
kann ich mir bei seiner Ansicht durchaus nicht vorstellen. Er läßt
') a. a. O. S. 356-367.
') MF. 37, 4—17. 18 — 29.
8 E. TH. WALTER
von dieser Strophe überhaupt nichts verlauten: sie ist ihm offenbar
im Wege.
Endlich möchte ich noch darauf hinweisen , daß einige der in
Frage kommenden Strophen schon ohne Weiteres durch ihren Inhalt
der ritterlichen Poesie zugewiesen werden. Dazu gehören auf jeden
Fall die Strophen Ich stuont mir nehtint späte \ an einer zinnen ^),
Ich zoch mir einen valken ^) , Nu hrinc mir her vil halde \ mm ros,
min isengwant^) und die letzte der ganzen Sammlung Wtp unde
vederspil \ die werdent Ithte zam:*)', doch glaube ich, daß man wohl
auch die beiden Strophen Leit machet sorge^) und Swenne ich stän
alleine^) wird herbeiziehen dürfen.
Alles in Allem halte ich den abermaligen Versuch, aus den Kürn-
bergliedern Volksdichtungen machen zu wollen, für gründlich ver-
fehlt und betone ausdrücklich, daß ich außer Stande bin, jene Lieder
für Producte volksthümlicher Lyrik zu betrachten , sie vielmehr für
alte Zeugnisse ritterlicher Poesie ansehen muß'').
Über die puellarum cantica läßt sich bei den überaus geringen
Nachrichten, die wir von denselben haben, gar nichts sagen-
Daß sie mit dem höfischen Minnesänge in näherer Beziehung
gestanden hätten, wird auch wohl kaum Jemand zu behaupten ver-
suchen.
Damit hätten wir den Kreis dessen durchlaufen, was von that-
sächlich Überliefertem oder sicher Bezeugtem für die Existenz einer
so gearteten und so weit verbreiteten Volksliebeslyrik vorgebracht
worden ist, daß der Minnesang als ihre nächste Entwickelungsstufe
angesehen werden könnte.
Einen Beleg von beweisender Kraft haben wir aber nirgends
finden können.
») MF. 8, 1—8. ■") MF. 10, 17—24.
2) MF. 8, 33—9, 12. ^) MF. 7, 19-26.
=) MF. 9, 29—36. ") MF. 8, 17—24.
') Wegen des Weiteren in der Kürnbergfrage, sofern sie hierher gehört, ver-
weise ich auf die oben citierte Abhandlung Pauls in den Beiträgen.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 9
Capitel II.
Der Versuch R. M. Meyers, vermittelst einer Sammlung
von Parallelstellen aus höfischen Dichtern den Minnesang
als Entwickelungsproduct einer „verloren gegangenen"
Volkslyrik hinzustellen.
Ganz abgesehen von den bisher besprochenen, entweder that-
sächlich vorhandenen oder sicher bezeugten dichterischen Erzeugnissen
glaubt R. M. Meyer noch andere Belege dafür zu haben , daß der
höfische Minnesang das unmittelbare Entwickelungsproduct einer
„verloren gegangenen" Volksliebeslyrik sei').
Er stellt nämlich über 1000 ähnliche Verse aus den ältesten
Stücken von des Minnesanges Frühling, den deutschen Strophen der
Carmina Burana, aus Walther von der Vogelweide, Wolfram und
Neithart zusammen"), und zieht dann den Schluß: allen diesen Versen
hätten bereits poetisch bearbeitete Muster vorgelegen^), deren sich
die betreffenden Dichter bedient hätten, die sie, gleichsam als Bau-
steine in ihre Gedichte einfügend, nur insoweit behauen hätten, als
es der Bau ihrer Strophen erforderte*).
Damit macht er also den höfischen Minnesang geradezu zu einem
Abklatsch, und zwar zu dem Abklatsch einer Poesie, wie sie sich
einstweilen nur in seiner Einbildung findet.
Und in dieser Einbildung ist Meyer so befangen, daß er „aus
einzelnen Stücken und Stückchen" zwar „kein einzelnes Lied" wie-
der so aufbauen zu können glaubt, „daß wir es wirklich in seiner
alten Gestalt zu besitzen überzeugt sein könnten; wohl aber „mit
Deutlichkeit die Existenz", ja sogar „klar den Charakter einer großen
Zahl alter Liedchen" nachweisen zu können sich getraut^).
Er geht aber noch weiter; er unterscheidet sogar drei Abschnitte
der Entwickelung:
eine Zeit der größeren Abhängigkeit von den Vorbildern,
eine Zeit „des Aufstrebens von den Anfängen zur Blüthe" mit
dem „bemerkbaren Bestreben, sich von den alten Vorbildern frei zu
machen" ^).
und endlich die Zeit der Erweiterung und Verfeinerung '),
') Meyer gebraucht, wie schon sein Citat aus Wilmanns' Walthers Leben zeigt,
immer „Lyrik" in dem Sinne von Liebeslyrik.
») a. a. O. S. 133—164. ') a. a. O. S. 131 u. 132.
') a. a. O, S. 167. *) a. a. O. S 169 f.
*) a. a. O, S. 167—168. ') a. a. O. S. 171.
10 E. TH. WALTER
„welche Formeln der alten Art, formelhaft verwandte Verse also
überhaupt kaum noch hervorbringt oder vielmehr ohne ältere Bei-
spiele kaum noch zeigt und die alten wiederholt verdichtet und bricht."
Er schließt dann seine Beweisführung mit den Worten: „Wir
haben nun, wie ich glaube, die Existenz einer großen Anzahl von
Versen , die in der verloren gegangenen Volksdichtung gerade wie
noch in den ältesten erhaltenen Liedern zu neuen Liedern zusammen-
gefügt wurden, für alle an der litterarischen Cultur Deutschlands be-
theiligten Länder nachgewiesen; gegen Wilmanns also eine weit ver-
breitete Volkslyrik (Volksliebeslyrik) vor der Mitte des zwölften Jahr-
hunderts festgestellt." ').
Von dieser selben nach seiner Ansicht nun erschlossenen Volks-
lyrik sagt er an einer anderen Stelle, wie schon erwähnt:'^) aus ihr
hätte sich die Kunstdichtung in der Weise erhoben, daß sie „zuerst
ganz die alte Art fortgesetzt", „viel mehr vermuthlich noch in der
Melodie als im Text sich von der einfachsten Kunstübung" abge-
sondert hätte.
Das heißt, vom entgegengesetzten Standpunkte aus betrachtet,
nichts anderes, als:
Jene „verloren gegangene" Volksdichtung bot im
Großen und Ganzen so ziemlich denselben Anblick, den
uns die älteren Zeugnisse der höfischen Kunstdichtung ge-
währen.
Wäre es also Meyer gelungen, dies thatsächlich zu erweisen, so
wäre auch die Forderung erfüllt , die wir am Eingange unserer Ab-
handlung glaubten stellen zu müssen: ^) somit der Zusammenhang
zwischen höfischem Minnesang und der Volksdichtung als ein solcher
dargethan, wie ihn Burdach, Meyer und Berger annehmen.
Sehen wir nun zu, ob die Sammlung Meyers in Wirklichkeit
zu den Resultaten führt, die wir von ihm behauptet fanden.
I.
Will man aus einer Zusammenstellung von Versen, die gleiche
oder ähnliche Gedanken, gleiche oder ähnliche Ausdrücke enthalten,
auch nur irgendwie auf den Umstand schließen, daß die betrefi'enden
Dichter, denen jene Verse entnommen sind, vorhandene Vorbilder
•) a. a. O. S, 174.
') Vgl. oben S. 1, Anm. 4 und S. 2, Anm. 4.
') Vgl. oben S. 2.
ÜBER DEN URSPRUNG DEvS HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 1 1
gemeinsam benutzt haben: so ist es vor Allem durchaus unzulässig,
solche ähnliche oder gleiche Gedanken oder Ausdrücke desselben
Dichters zusammenzustellen.
Daß nicht nur jeder Dichter, sondern überhaupt jeder Mensch
einen ganz bestimmten Schatz von Worten besitzt, aus dem allein er
zu schöpfen pflegt, ist doch wohl Jedem bekannt.
P^in solcher Schatz wird, natürlich entsprechend dem Bildungs-
grade eines jeden, bei dem einen größer, bei dem andern kleiner
vorhanden, an jedem aber bei einigermaßen aufmerksamer Beobach-
tung bemerkbar sein; schon in der Alltagssprache der ungebundenen
Rede. Wie viel mehr muß er sich zeigen bei dem Dichter, dessen
Bewegung, wenn nicht gehemmt, so doch mit einer gewissen Regel-
mäßigkeit geleitet und beeinflußt wird durch die Rücksicht, die er
dem Verse: dem Rhythmus und dem Reime schuldig ist.
Dazu kommt noch die allseits vorhandene Neigung zu ganz be-
stimmten Lieblingsgedanken -Wendungen und -Worten bei ein und
derselben Persönlichkeit; oft nur zeitweilig, dann aber um so auf-
fallender.
Beides können wir an allen unsern Dichtern , selbst unsern
größten wahrnehmen.
Solche Parallelstellen, einer Persönlichkeit entnommen, beweisen
selbstverständlich für die Annahme einer Entlehnung aus „verloren
gegangenen" Dichtungen nicht das Geringste. Ebensowenig hat es
Bedeutung, wenn den Stellen eines Dichters Parallelen aus der
späteren Volkslyrik beigefügt werden,
Soll denn einmal Entlehnung angenommen werden, so läge es
wohl weit näher, bei derartigen Stellen daran zu denken, daß sie
unter dem Einflüsse des voraufgehenden Minnesanges gestanden
hätten.
Tritt zu solchen, wie wir sahen ganz bedeutungslosen, Zusam-
menstellungen eine einzige irgend einem andern Dichter entnommene
Parallele hinzu, so wird man dadurch wohl kaum die Beweiskraft der
Gruppe für erhöht halten können, denn eine einzelne Entsprechung
weist doch zu sehr auf den Zufall hin, als daß man ihr Werth bei-
legen könnte.
Dasselbe gilt natürlich auch für die Fälle, in denen eine Pa-
rallele, entnommen einem Dichter, zu einer einzelnen Stelle aus einem
andern hinzutritt.
Ich scheide also aus der Sammlung Meyers von vornherein als
untauglich zum Beweise aus :
12
E. TH. WALTER
1. Gruppen, deren Parallelstellen nur ein und denaselben Dichter
entnommen sind.
2. Gruppen, zu deren, einem Dichter entnommenen Parallelen
nur Entsprechungen aus der späteren Volkslyrik hinzugefügt sind.
3. Gruppen, zu deren, einem Dichter entnommenen Parallel-
stellen nur eine einzige Stelle aus einem andern Dichter gefügt ist,
a) ohne Volksliedentsprechung,
h) mit Volksliedeutsprechung.
4. Gruppen, in denen zu einer einzigen Stelle eines Dichters
nur Parallelen aus späterer Volkslyrik gesetzt sind.
5. Gruppen, die überhaupt nur aus zwei Stellen bestehen, d. h.
in denen zu einer einzigen Stelle irgend eines Dichters nur eine ein-
zige aus einem anderen Dichter hinzugefügt ist.
Hierbei berücksichtige ich zunächst nur diejenigen Fälle, in denen
meine Ausstellungen die ganzen Gruppen treffen, nicht nur Theile
derselben.
1. Gruppen, deren Parallelstellen nur ein und demselben Dichter
entnommen sind.
Kürenbere : daz ist schedelich
daz ist lobelich
daz ist schedelich
Meinloh : Ich bin holt einer frouwen
so weiz ich eine frouwen
lehn sach nie eine frouwen
Walther: . . und weiz noch me
. . so wist ichs gerne me
noch klagte ich gerne me
Walther: ob er weite
ob er wolde
swie er wolte
swie si wolde
und wilt du daz
ob sis willen hat
und waerez al der weite leit
waere ez al der werlte leit
waz wil si mere?
waz wil dus me.
Rein mar :
Walther :
^) cf. Meyer a, a. 0. S. 144 u.
2) ib. S, 148 u.
^) ib. S. 162—163.
MF. 7, 2
?? 7, 4.
n 8, 30 ').
MF. 13, 1
n 15, 3
w 15, 13 2).
W. 24, 2.
n 69, 2
J7 102, 28^).
W. 61, 28
75 105, 28
« 94, 34
n 109, 15
r, 82, 14
n 121,17*).
t
MF. 6, 12
w 164, 12^)
ri 59, 35
n 60,22«)
■)
ib.
ib.
ib.
S.
S.
s.
163.
143.
163 0.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc
13
2. Gruppen, zu deren, einem Dichter entnommenen Parallelen
nur Entsprechungen aus der späteren Volkslyrik hinzugefügt sind.
Kürenberc : Ich stuont mir nehtint späte MF. 8, 1
lö stuont ich nehtint späte n 8, 9,
dazu Ausdrücke, in denen neckten späte wiederkehrt, sonst übrigens
keine Übereinstimmung herrscht, aus der späteren
Volkslyrik : es (ein kleines Waldvögelein) flog
wol nechten späte
Was sah ich nechten späte
ich fand si nechten späte
"^er reit nechten ganz späte
[mit hunden auf die jagd'l*)
Walther: Ich hörte ein wazzer diezen
Wan daz daz wazzer fliuzet
Volkslyrik: Ich hört ein waszer flieszen
Neithart : sol ich im des niht danken . . .
von Beiern unz in Vranken
. . . daz iu die Beier danken,
die Swäbe und die Vranken
Volkslyrik : ... ich solt euch danken
mit Schwaben und mit Franken
Desgl. : Sie sagt, sie war' aus Franken :
Ich will mich schön bedanken
Desgl. : Jungfrau, ich sollt' euch danken
mit Schwaben und mit Franken !
Desgl. : So woll'n wir euch nun danken
mit Sachsen und mit Franken
Uhl. 29, 2
w 49, 3
r, 90, A. 10
V 123, A. 5').
W. 8, 28
n 124, 11
Uhl. 85, 2'^).
N. 4, 28. 30
r 16, 2—3.
Uhl. 3, 9.
Simrok VIII, S. 334.
Uhl. Sehr. III, S.262.
Büsching, der Deutsch
Leben etc, II, 400,
Str. 7.
Wenig hierher gehören, da ihnen auch noch — abgesehen von
dem anderen Zusammenhange — das Band des Reimes fehlt, die
Stellen
Desgl. :
und noch mehr;
auss welchem land er kommen war,
auss Franken oder aus Schwaben
swer sanc, daz der struz sie dri tage
an sin eier
der sanc unreht, er si ein Swäbe oder
ein Beier.
Uhl. 100 B., G.
cf. Marner ed. Strauch
S. 3 3).
*) Ich werde an vielen Stellen genöthigt sein, die Citate Meyers wieder in den
Zusammenhang einzufügen; ich werde meine Zusätze in [ ] einschließen.
•) ib. S. 145. 2) ib. S. 162 u.
'■') ib. S. 163. Auffallend ist es übrigens gewiß, daß gerade eine go echt volks-
14
E. TH. WALTER
3. Gruppen, zu deren, einem Dichter entnommenen Parallel-
stellen nur eine einzige Stelle aus einem anderen Dichter zugefügt ist.
a) Ohne Volksliedentsprechung.
Veldegge :
Dazu:
Meinloh :
Dazu:
Meinloh :
Dazu:
als siz gebiut, ich bin ir töte:
dan ich durch si gelige tot,
gebiutet si, ich lige tot.
er hat dur dinen willen
iemer durch ir willen
gedienet nach dem willen min
Swer werden wiben dienen sol,
swer biderber dienet wiben,
der wol wiben dienen chan
MF. 67, 1
n 66, 3
CB. 94" (3) ').
MF. 11, 24
J5 12, 38
n 6, e'')
MF. 12, 1
n 12, 9
CB. 14.V%
Dietmar: frouwe biderbe unde guot MF. 33, 24
Man sol die biderben und die frumen n 33, 31
Dazu Meinloh: Vil schoene unde biderbe, ^^ 15, l*).
MF. 15, 2
n 15, 11
71 60, 25
?5 66, 29 5)
N. 41, 39
71 79, 31
77 87, 14.
MF. 124, 7.
Meinloh: dar zuo edel unde guot,
sist edel und ist schoene.
Dazu Veldegge : sie ist edel und fruot
der schoenen vrowen und der guoten
Hierher ziehe ich auch die Verse ^)
Neithart: den kinden singe ich niuwen sanc
ich gesunge ir niuwen sanc
deich ir kinden singe niuwen sanc
Dz. Morungen : daz ich singe ir niuwen sanc
Denn der noch angeführte Vers des
Rietenb. : [noch ist min guot rät] daz ich niuwe
minen sanc
paßt weder im Sinne noch in der Form zu den
Kürenberc: er muoz mir diu lant rumen
rümen diu lant
Dz. An. Sperv.: . . so der gast muoz | die herberge
rümen . .
thümliche Formel sicli außer bei Neithart, der zugestandenermaßen sich der Volks-
poesie zuneigte, unter den Minnesingern nicht gebraucht findet. Dergleichen Beob-
achtungen sprechen recht gegen Meyer.
») ib. S. 135. ■•) ib. S. 151 o.
') ib. S. 147. ^) ib. S. 151.
') ib. S. 147; für volksthümlich «) ib. S. 153.
möchte ich übrigens den Ausdruck wiben ') ib. S. 145.
dienen nicht halten.|
MF. 19, 13.
übrigen.
MF. 8, 7
77 9, 32
77 27, 9').
ÜBEK DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc.
15
Dietmar :
Dazu Rietenb. :
Neithart :
Dazu Veldegge :
Walther:
Dazu Fenis :
Reinmar :
Dazu Morungen:
Morungen :
(vierrna
Dazu Walther :
Walther:
Dazu Reiumar:
Walther :
Dz. Hartman n:
Neithart:
Dazu Wolfram :
Neithart :
Dazu Meinloh :
waz hilfet zorn ? . .
Teil solde zürnen, hülfe ez iet
waz frumte, ob ich von zorne jaehe
, • . daist diu wolgetäne
daz ist diu wolgetäne
ez ist diu wolgetäne
si sint mir ze her:
so wirt er ze here
ja ist si mir ein teil ze here
tuot si mir ze lange we
daz tuot mir vil lange we
. . . : ez tuot ze we
si tuot mir ze lange we
dö tagete ez, . .
MF. 35, 30
n 40, 11
71 18, 4 ').
N. 42, 38
n 52, 33.
MF. 58, 19-).
W. 56, 27
n 81, 25
MF. 85, 12^)
MF. 174, 1
n 174, 29
n 197, 18
n 14G, lO'*).
MF. 143,29. 37; 144,
8. 16.
1 als Refrain in ein und demselben Gedichte!)
[do ich s6 wünnecliche | was in
troume riebe]
du taget ez W. 75, 24^).
swaz so mir gesehiht n 42, 30
. . swaz mir da von gesehiht '7 84, 4
. . swaz liebes dir da von gesehiht ri 101, 34
. . so mir daz gesehiht n 113, 38
swaz dar umbe mir gesehiht MF. 202, 10*).
. . . swie si dir tuot W. 91, 34
swaz si mir getuot n 116, 20
[swer für guot hat] swaz er tuot ii 107, 9
swaz si mir tuot [ich hän mich ir MF. 206, 27').
ergeben]
Uf dem berge und in dem tal N. 4, 31
in dem tal [hebt sich aber der vogelc
schal] n tJ, 19
[nu wache abr ich und singe] iif
berge und in dem tal
ich hän vernomen
. . als ir wol habt vernomen
. . als ich hän vernomen
Ich hän vernomen ein maere
Wolfr. 7, 22^).
N. 14, 6
7? 15, 85
77 31, 8
MF. 14, 26^).
•) ib. S. 155.
*) ib. S. 158.
*) ib. S. 159.
') ib. S. 161.
•^) ib. S. 162.
) ib. S. 162.
') ib. 8. 102.
«) ib. S. 163.
9) ib. S. 16.3.
16
E. TH, WALTER
An dieser Stelle führe ich auch noch zwei Gruppen auf, in denen
mehrere Parallelen aus je zwei Dichtern zusammengestellt sind; es
gilt von ihnen dasselbe, wie von den vorstehenden Gruppen.
Guotenburc: [schone | von ir min herze] swiez MF. 75, 9
ergät
[ichn singes alleine] swiez mir ergät ti 78, 34
Dazu Walther: [. . muoz bi fröiden sin | durch die
lieben,] swiez dar under mir
ergät
[got der waldes,] swies erge : [schoener
troum enwart ni me.
Walther: [der ie streit umb iuwer ere | wider
unstsete Hute,] daz was ich.
[der iu maere bringet,] daz bin ich
Dazu Reinmar: [war zuo sol ein unstaeter man? daz
was ich e :] nu bin ichz
nicht
[Weste ich waz ir wille waere, | daz
taet ich] nu enweiz ichs nicht
Diese Gruppe ist wirklich ein sprechendes Beispiel für die con-
fuse Art Meyers. Man betrachte sich nur einmal die vier vorstehenden
Stellen: die ersten beiden sind ein und demselben Dichter entnommen
und enthalten den Gedanken ich hin es, der ... in umgekehrter Folge;
die dritte Stelle, Reinmar entnommen, hat schon absolut nichts Über-
einstimmendes weiter als den Gebrauch der Form &{n; und nun gar
die vierte Reihe hat mit den beiden ersten gar nichts mehr, mit der
dritten nur noch das Wörtchen nu gemeinsam. Und eine solche Zu-
sammenstellung soll dazu dienen oder wenigstens mit dazu dienen,
einen Zusammenhang zwischen Volkslyrik und Minnesang zu erweisen!
h) Mit Volksliedentsprechung.
Wolfram : nu gib im urloup, süezez wip
. . urloup gap . .
Dazu Meinloh : [mines herzen leide] si ein urlop
gegeben
und Volkslyrik: gib mir urlob, du roter mund!
w.
98, 8
11
94, 361).
w.
40, 30
■n
56, 15
MF
. 197, 27
Tl
202, 8")
?
Dazu ?
und Volkslyrik
er viench si bi der wizen haut
er nam mich bi der wizen hant
Er nam sie bei der hende,
bei ir schneeweiszen hand,
Wolfr. 4, 30
« 7, 10
MF. 14, 31
Uhl. 29, 5=*).
CB. 145
:: 146, 3
Uhl. 81, 4;
90, 10;
106, 2;
330, 2
') ib. S. 169.
'') ib. S. 161 — 162.
^) ib. S. 150-151.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN .AHNNESANGES etc. 17
Do nam ers bei der heude
bei ir schneeweiszen band ULI. 25<), 3
Er nabln sie bei ibrer scbneeweiGon
Hand Siiniock 84 u,
[. . er griff sie] Bei ibrer scbnec-
weißen Hand :i 121
mit iren scbneweiszen benden Uhl. 20, 2. 9
n 109, 1; cf. 1 10, 1
)) 2, 1
an ir scbneweisze bende n 115, 8
[Si rank] ir weisse bende ^^ 123, 18
si bot im ir scbneweisze band ji 147, 6 etc.')
Waltber : stirbe ab ich, so bin ich sanfte tot W. 86, 34
[ir leben bat mins lebennes ere]
sterbet sie micb, so ist si tot ri 73, 16
Dazu Reinmar: stirbet si, so bin icb tot MF. 158, 28
und Volkslyrik: Und stirb icb dann, so bin ich tot Uhl. 150, 8
sterbe ich nun, so bin icb todt Wundh. I, 77").
Neitbart: Die selben wolden gerne mich vor-
dringen N. 43, 35
disen sumer babent si mich von ir
verdrungen v 77, 17
micb von minen vröudeu und von
lieber stat verdringen n 89, 38
. . . der micb hat von lieber stat
verdrungen 77 91,21
Dz. Ps. -AN'altb. : wirde ich hie verdrungen W. 182, 60
und Volkslyrik: von im bin icb verdrungen Uhl. 50, 1
er bleibt wol unverdrungen 77 60, 7
ain andrer hat in verdrungen. 77 271, 7"*).
4. Gruppen, in denen zu einer einzigen Stelle eines Dichters
nur Parallelen aus späterer Volkslyrik gesetzt sind.
Kürenberc : got sende si zesamene | die gerne
geliebe wellen sin MF. 9, 12-)
•Dazu Volkslyrik : schein uns zwei lieb zusammen, \ ei
die gerne bei einander wollen sein! Uhl. 31, A. 1 "*;.
Die Beifügung der Verse
got bbüt die fi'umen knaben, | die
allzeit vol wöln sein Uhl. 233, 11
erscheint mir doch sehr wenig berechtigt^).
*) Sehr beliebt ist dies Gedicht allerdings und dadurch volksthümlich ge-
worden; das Folgende könnte unter seinem Einflüsse stehen.
') ib. S. 139. ') ib. S. 161. ^) ib. S. 163—164. '1 ib. S. 146.
'") Bemerken möchte ich bei dieser Gelegenheit, daß für einen Zweck, wie
ÜEEMANIA. Neue Reihe. XXU. (XXXIV,) Jahrg. 2
18 E. TH. WALTER
Meinloh : [nu hoehe im sin gemüete] gegen
dirre sumerzit
Dazu Volkslyrik : [Dat geit hir jegen den samer] jegen
de leve samertit, Uhl. 37, 1
Wann es get (Es get wol) gegen
dem Sommer n 116, 4. 6')
Johansdorf : Swä zwei herzeliep gefriundent sich |
. . . die sei niemen scheiden, dunket
mich MF. 91, 29. 31
Dazu Volkslyrik: Wo zwei herzHeb beinander sind | die
zwei sol niemant scheiden Uhl. 101, 4.
Geradezu entgegengesetzt ist der Gedanke in den beiden folgen-
den Stellen:
Wo nun zwei lieb bei einander sein,
die scheiden sich bald! Uhl. 80, 1
und Wo nun zwei lieb bei einander sein,
die scheiden sich bald von hier! n 98, 1.
So gut wie gar keinen Werth hat endlich der Zusatz der letzten
Parallele, wie sofort kenntlich wird, wenn man die Stelle wieder in
den Zusammenhang einfügt, aus dem sie gerissen ist:
Wo zwei herzenliebe | an einem
danze gan
die laszen ir eigelin schieszen, .. Uhl. 36, 5 '^)
Neithart: ich hoere ein vogelin singen N. 31, 19
Dazu Volkslyrik : ich hoere ein vogelken singen Uhl. 164, 5. 35^).
Ich komme endlich
5. zu den Gruppen , die überhaupt nur aus zwei Stellen be-
stehen, d. h. in denen zu einer einzigen Stelle eines Dichters nur
eine einzige Parallele aus einem anderen Dichter zugefügt wird.
Namenl. L. : Tougen minne diu ist guot, MF. 3, 12
Dazu : Swer tougenlichen minnet , | wie
tugentlich daz stat, CB. 144**)
Namenl. L. : der sol man sich vlizen MF. 3, 12
Dazu Meinloh: durch daz wil ich mich flizen MF. 15, 15^)
der unselige ist, ,,paro di stische^ Stellen vollkommeu unbrauchbar sind, da ilnieu
ja jede selbständige Bedeutung mangelt.
•) ib. S. 150. ') ib. S. 159-1(50.
/) it>. S. 163. Die Volksliedstelle ist au dem angegebeneu Oite nicht zu fiudeu ;
doch sind Parallelen häufig, cf. Uhl. 16, 2.
*) ib. S. 134. ') ih. S. 134.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc.
19
Dazu Neithart:
Dazu :
Dazu Reinrnar:
Dazu:
Dazu :
Dazu :
[Her meie , iu ist der bris gezalt,]
der winder si gehönet CB. 101'
der winder si guneret. [der brach
uns ze leide ] bluomen an
der beide] N. 21, 37 ')
[Ib ban geseben] daz mir in dem
herzen sanfte tut CB. 107"
[bi dir swer lit] sanfte dem daz tut
nach mine gesellen ist mir we
. . mir ist nach ir so we
[Vil reine wip, din schöner lip :], wil
mich ze sere schiezen
Venus wil mich schiezen
[nu woldih diner minne] , vil suzc
minne, niezen
[Nu la mih, chuniginne] diner minne
niezen t) 124'*)
n UO''')
CB. 112'
MF. 182, 25^)
CB. 116'
n 124*^)
CB. 116'
Dazu :
rosen, lilien si [diu sumcrzit] uns git CB. 133'
gras, blumen, chle, loup uns si git n 143» **)
[ein stolzer man , ] der wol wiben
dienen chan CB. Ml'
wie wol er frowen dienen kan MF. 14, 37 ')
Diu mich singen tut, [getörste ich
si nennen] CB. 163'
Dazu Veldegge: Diu schoene, diu mich singen tuot, MF. 60, 21**)
Dazu Dietmar:
Namenl. L. :
Dazu Meinloh:
Namenl. L. :
Dazu :
[si bat mir min ungemach]
mit ir gute gar benomen
[waz bilfet zorn? swenn er mich siht]
den hat er schiere mir benomen
[got wizze wol die wärheit] daz ich "
ime diu holdeste bin
[wan ob ich hän gedienet] daz ich
diu liebeste bin
CB. 165|
MF. 35, 31-')
MF. 4, 8
77 13,32^")
Sie enkunnen niewan triegen [vil
menegen kindeschen man] MF. 4, 9
so sol man si triegen n 12, 24")
') ib. S. 136. ») ib. S. 136. ») ib. S. 137.
*) ib. S. 136. ") ib. S. 137. «) ib. S. 139.
') ib. S. 139; für volksthümlich möchte ich den Ausdruck von vornherein nicht
halten.
«) ib. S. 139.
») ib, S. UO.
») ib. S. 141.
") ib. S. 141.
2*
20
E. TH. WALTER
Namenl. L. : da moht anders niht geschehen [wan
daz si minnecliche sprach]
Dazu Morungeu : mir ist anders niht geschehen
Kürenberc: Sit sach ich den valken | schöne
fliegen
Ps. Dietmar : so gesach si valken fliegen
Dazu ;
Ir röter rosenvarwer munt
Suzer rosenvarwer munt
Namenl. L. : swenn ich in umbevangen hän
Dz. Regensburc : swenn ich in umbevangen hän
Kürenberc I als tuo du, frouwe schoene
Dazu Meinloh : weist du, schoene frouwe,
Kürenberc : [Wip unde vederspil] die werdent
lihte zam
Dazu Husen : Einer frowen was ich zam
Meinloh: [Do ich dich loben hörte,] do hete
ich dich gerne erkant.
Dazu Dietmar: gerne daz min herze erkande, [wan
ez so bedwungen stät]
Meinloh : [er hat dur dinen willen [ eine ganze
fröide I gar umbe ein trü-
ren gegeben
Dazu: [Ir schöner lip] hat mir vroude vil
gegeben
Meinloh: ichn sach mit minen ougen
Dazu Walther: ich sach mit minen ougen
Meinloh : uu wizzen algeliche [daz ich sin
friundinne bin]
Dazu Rugge; nu wünschent algeliche [heiles umbe
den riehen got]
Meinloh : Mir weiten miniu ougen [ [einen kin-
deschen man]
Dz. Ps. -Dietmar: [ich erkös mir selbe man:] j den
weiten miniu ougen
MF.
6, 22
J7
128, 27')
MF.
9, 5. 6
n
37, 7=)
CB.
94% 2
n
136'^3)
MF.
6, 11
77
16,4%
MF.
10, 3
77
14,3^)
MF.
10, 18
77
46, 29«')
MF.
11,2
77
32,2')
MF. 11, 25
CB. 127'^^)
MF. 12, 33
W. 9, 16^)
MF. 13, 20
77 97, 9 '")
MF. 13, 27
77 37, 14")
») ib. S. 144.
^) ib. S. 146. Auch diese Stellen halte ich entschieden nicht für volksthümlich.
') ib. S. 135. ") ib. S. 143. ') ib. S, 146. <") ib. S. 146.
') ib. S. 147. ^) ib. S. 147. Wie sich Meyer aus Bwei derartigen Parallelen,
iu denen die Übereinstimmung, wenn man eine solche überhaupt finden will, so äußer-
lich wie nur möglich ist, eine Urstelle construiren würde, wäre wirklich interessant
zu erfahren.
s; ib. S. 148. '») ib. S. 449. ") ib. S. 149.
OHER den URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc
21
Meinloh: daz ich vil staeter minne pflege
Dazu Neithart : er pfliget niht staeter minne
Regensburc: und laegen si vor leide tot | [ich
wil im iemer wesen holt]
Ps. Reinmar: stürben si von leide, [so enwart mir
c nie baz]
Rietenbiirc : si fliesent alle ir arebeit :] er kan
mir niemer werden leit
Dazu Dietmar : si kan mir niemer werden leit [des
biute ich mine Sicherheit]
Rietenburc : sit ich hän von rehter schulde [also
wol gedient ir hulde]
Dazu Dietmar: Ich muoz von rehten schulden ho}
[tragen daz herze und al
die sinne]
Dietmar: [an ein ende ich des wol kocme]
wan diu huote
Dazu Morungen : we der huote [. . . diu mir hat be-
nomen]
MF. 14, 33
N. 3, 10*)
MF. IG, 12
77 301, 6"^)
MF. 18, 8
77 3G, 18^)
MF. 18, 11
77 38, 5*)
MF. 32, 3
77 136, 27^)
Ps. -Dietmar: Swer meret die gewizzen min, [dem
wil ich dienen, obe ich kan;] MF. 35, 32
Dazu Rugge: si meret vil der vröide min
77 103,6")
MF. 38, 11
77 203, 14')
MF. 5, 12
Dietmar: ich wil im iemer staete sin
Dazu Reinmar: ich wil im iemer holder sin [danne
deheinem mäge min]
Die Heranziehung des Verses
Namenl. L. : unde bist mir dar zuo holt
halte ich für ganz unberechtigt, ja für unverständHch; die Worte,
welche die ersten beiden Stellen gemeinsam haben, finden sich in
dieser Zeile gar nicht; das Vorkommen des Wortes holt [zu holdei']
kann man unmöglich als Grund gelten lassen.
Dietmar: der dich hat erweit | üz al der werlte
in sin gemüete
Dazu Husen: so hat iedoch daz herze erweit ein
wip I vor al der werlt
Husen : min herze ist ir Ingesinde
Dazu Neithart: si ist mines herzen ingesinde
MF. 38, 16. 17
MF. 47, 12. 13^)
MF. 50, 15
N. 56, 13^)
') ib. S. 151.
') ib. S. 151.
») ib. S. 152.
*) ib. S, 152.
«) ib. S. 154.
«) ib. S. 156.
') ib. S. 156.
«) ib. S. 156.
9) ib. S. 158.
22 E. TH. WALTER
Morungen : Mime kinde wil ich erben dise not MF. 125, 10
Dz. Ps. Wolfr. ; üf wen erbe ich danne diese not Wolfr. XII, 20')
Morungen: mäht du doch etswan sprechen ja
[ja ja ja ja ja ja ja?] MF. 137, 24
Dazu Reinmar: mac si sprechen eht mit triuwen ja,
[als si e sprach nein, so wirt min
Wille sä,] n 189, 18^)
Walther: so ist ouch min frowe wandelbaere W. 59, 22
Dazu Neithart: Min vrouwe ist wandelbaere. N. 82, 39'^)
Damit bin ich ans Ende derjenigen Gruppen gelangt, die ich schon
von vornherein aus rein äußerlichen Gründen auszuscheiden genöthigt
war; aus Gründen, die nicht nur für die vorliegende, sondern viel-
mehr für jede derartige Sammlung maßgebend sein müssen,
wenn diese nicht — wie hier geschehen ist — ernstlich Gefahr laufen
will, auf jeden Fall ihre Beweiskraft zu schwächen,
II.
Doch betrachten wir die Sammlung Meyers in ihrem nunmehrigen,
nicht unwesentlich verringerten Umfange noch einmal, und prüfen wir
von Neuem ihre Beweiskraft.
Ich wiederhole: es handelt sich darum, das Vorhandensein einer
Volksliebeslyrik darzuthun, die so ziemlich den Anblick bot,
den der älteste Kunstgesang uns zeigt: denn der älteste
Kunstgesang hat ja nach IVIeyer „zuerst ganz die alte Art fortgesetzt" "*);
er hat „eine große Anzahl von Versen" „der verloren gegangenen
Volksdichtung" einfach „zu neuen Liedern zusammengefügt" ; die von
JVTeyer zusammengestellten Verse sind nicht Erzeugnisse der betreffen-
den Dichter: der höfische ]\Iinnesang ist vielmehr ein Abklatsch der
„verloren gegangenen Volksdichtung" ^).
Das wäre also zu beweisen.
Soll man aus einer Zusammenstellung, wie die Meyer'sche es
bezweckt, zunächst überhaupt nur auf poetisch verarbeitetes Material
mit nur einiger Gewißheit zu schließen im Stande sein, so dürfen die
angeführten Parallelstellen weder allein in Bezug auf die Form, noch
auch allein in Bezug auf den Gedanken, den Sinn einander nahe
stehen; vielmehr müssen sie in Form und Inhalt Übereinstimmung
zeigen.
') ib. S. 160. =) ib. S. 160. 3) ib. S. 163.
*) cf. oben S. 1, Anm. 4; S. 2, Anm. 4; S. 10. ^) cf. oben S. 9 u. 10.
ÜBER DES URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 23
Denn alleinige Übereinstimmung in der Form kann nur zu leieht
und wird meistens ihren Grund im Walten der Sprache selbst haben;
alleinige Übereinstimmung des Inhalts in der wenigstens innerhalb
eines Volkes [oder noch vielmehr einer socialen Gemeinschaft] sich
gleich oder doch sehr ähnlich bleibenden Art des Geistes- und Ge-
müthslebens.
Doch selbst wenn Form und Inhalt der benutzten Parallelstellen
übereinstimmen, so wird man ihnen einen wirklichen Werth doch
wohl erst dann beimessen dürfen, wenn die Übereinstimmung ganze
Wendungen, und zwar solche Wendungen betrifft, die nicht gerade
zu den alltäglichen und jedem leicht in den Mund kommenden gehören.
Wir wollen aber zweitens nicht nur auf poetisch verarbeitetes
Material überhaupt schließen können; dieses Material soll einer Volks-
liebeslyrik angehört haben: die angeführten Parallelen müssen also
auch noch ein volksthümliches Gepräge tragen oder doch wenigstens
nichts an sich haben, was uns verwehrt, sie der Volkslyrik zuzu-
rechnen; sie müssen endlich auch noch an Liebeslyrik erinnern, da
sie ja sonst — wenn überhaupt — einer anderen Dichtungsart, deren
Vorhandensein niemand in Frage stellt, entnommen sein können.
Alle diese Bedingungen, deren Folgerichtigkeit wohl für jeden
in die Augen springend ist, erfüllen aber die Gruppen der uns vor-
liegenden Stellensammlung durchaus nicht.
Denn ihre Entsprechungen beruhen einerseits nur auf einem
einzigen Worte, welches dann noch meistens entweder ganz alltäglich
ist, oder an den verschiedenen Stellen in verschiedenem Zusammen-
hange oder Sinne gebraucht wird; oder endlich wohl im Sinne, nicht
aber in der Form sich mit den beigesellten Parallelen übereinstim-
mend zeigt; — anderntheils dienen als Bindeglieder innerhalb einer
Gruppe oft ganz alltägliche Wendungen, die entweder der Umgangs-
sprache überhaupt entnommen sein mögen, oder doch bei einer den
Liebesverkehr behandelnden Dichtung kaum uragehbar erscheinen.
Noch andere Stellen, deren Übereinstimmung vielleicht auffallen-
der sein dürfte, lassen im besten Falle auf Spruchpoesie u. dergl.,
keineswegs aber auf Liebeslyrik schließen; oder sie tragen ein so
oflfenbar ritterliches Gepräge, dass man sie auf volksthümliche Dich-
tung von vornherein nicht zurückführen darf, sondern ihren Ursprung
in höfischen Kreisen allein zu suchen hat.
Ein gut Theil des imposanten Eindrucks, den die Sammlung
zweifelsohne beim ersten kritiklosen Anblicke macht, geht übrigens
bereits verloren, wenn wir — wie es nothwendig geboten ist — jetzt
24 E. TH. WALTER
innerhalb der einzelnen Gruppen theilweise dasselbe Verfahren an-
wenden, mit dem wir gleich Anfangs an die ganze Sammlung heran-
traten; ich meine: wenn wir die beigefügten Parallelen aus der
späteren Volkslyrik für untauglich zum Beweise erklären und
ausscheiden; und diejenigen, welche ein und demselben Dichter
entnommen sind, im Werthe einer einzigen Stelle gleichsetzen.
Auf den vorstehenden Bemerkungen fußend, wende ich mich
jetzt von Neuem zu der Sammlung, und hebe zunächst heraus
1, diejenigen Parallelstellen, deren Entsprechung nur auf einem
einzigen Worte beruht.
Aus dem 3. lat.
Liebesbr.: wände du mir daz vercheret linst MF. 224, 25
Dazu Meinloh: du ha.st im nah verkcret | beidiu
sin unde leben r> 11, 22
Dz. 2mal Husen : [wan als ich ir min angest sage]
daz kan si leider wol ver-
keren 75 44, 34
sus kan si mir wol daz herze ver-
keren v 53, 9
Dazu Morungen: die verkerent underwilent mir den sin ^^ 138, 1^)
Die Übereinstimmung beruht nur auf der Anwendung des Wortes
verkeren.
Aus dem 3. lat.
Liebesbr.: diu nemach dir gescaden nieth MF. 224, 27
Dazu Kürenberc: fjo würbe ichz gerne selbe] waer
ez ir schade niet 75 10, 14
Dazu Morungen: [ich fluoche in] unde schadet in niht n 131, 13
Dazu Hartmann: daz schät ir niht [und ist mir iemer
gUOt] 55 215, IS'*)
Schon in den vorstehenden Stellen beruht die Übereinstimmung
nur auf dem Gebrauche des Verbums schaden (einmal sogar nur das
Substantivum) in den verschiedensten Formen und dem verschiedensten
Zusammenhange. Welchen seiner drei Perioden IMeyer diese Verse
zuschreiben würde, weiß ich nicht; doch denke ich mir, nach seinen
eigenen Auseinandersetzungen müßten doch wohl die Zeilen des lat.
Liebesbriefes der ersten. Periode ebenso wie die des Kürenberg an-
gehören; sie müßten also von dem zu erschließenden Urverse nur
insofern sich unterscheiden, an ihm nur so viel geändert haben,
') ib. S. 133.
*) ib. S. 134, Ich muß Anfangs etwas ausführlicher werden, um die Gesichts-
punkte deutlich zu machen, von denen aus ich die einzelnen Gruppen betrachtet
sehen möchte.
ÜBER DEN UKSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 25
„als die Einfügung in die Strophe verlangt"'), im Übrigen aber die
alte Formel bewahren: ich überlasse es Jedem selbst, die beiden
Verse dahin zu prüfen. Ich möchte meinerseits es hier nicht unter-
nehmen, eine weitere Periodisicruug an den vorliegenden und folgen-
den Versen der Gruppe nach Meyers Vorschrift zu versuchen; doch
er selbst rechnet wohl die mit „vgl." oder gar mit „vgl. auch" be-
zeichneten'^) zu der dritten Periode; dahin würde also auch die Stelle
Dietmars: mir wirret uiht [sin boesor kip] MF. 41, 5
gehören; wie kommt aber Dietmar in die dritte Periode der Zeit nach?
Oder wenn ich mich nach seinen Ausführungen auf 8. 171 richte,
in denen es heißt „ebenso wird die Ersetzung der alten volksthüm-
lichen Ausdrücke, schon vorher zuweilen vorkommend, jetzt geradezu
System", wie zum Beispiel ,^schaden statt iverren^^'^ wie paßt dazu, daß
gleich in den beiden ältesten Stücken diu nemach dir cjescaden niaih
(MF. 224, 27) und loaer ez ir schade niet (Kür.) das Wort schaden
(resp, schade), hingegen bei Walther
[sol er mir büezen] des mir niht
enwirret W. 83, 19
wieder wirren steht?
Der Vollständigkeit halber füge ich die beiden noch übrigen
Stellen hinzu:
Meinloli : [daz ich dich nu gesehen han] daz
enwirret dir niet
und Dietmar: [Ich solde zürnen, hülfe ez iet]
Es folgen Stellen mit liep'^):
3. lat. Liebesbr. : wände wärest du mir nieth liep
f Dz. Kürenberc: so bist du mir vil Hep
I und mir wart nie wip also liep
( Dazu Meinloli : im wart liebers nie niet
l und den du wilt frowe haben liep
Dz. Rietenburc : daz mir si iemen alse liep ?
Dazu Dietmar: der ich gerne waere liep
Gemäß unserem Grundsatze fällt bei Seite die Stelle aus der
Volkslyrik : Und war' mein Herr Vater mir nicht
so lieb Talvj, S. 437*).
Die Übereinstimmung ist vollständig auf das eine Wort liep, dessen
Vorkommen in einer ausgesprochenen Liebeslyrik mir eben nicht sehr
MF.
11, 6
MF.
40, 11 (!!)
MF.
224, 27
7)
9, 26
V
10, IG
n
14, 6
n
11, 8
n
18, 5
T)
32, 10.
') ib. S. 171 unten. ') ib. S. 133. ^) ib. S. 134.
■*) Daß ein solcher Vers wie dieser überhaupt als Parallele zu den voranf-
gehenden beigefügt, zeigt deutlich, wie sehr ins Blaue sich die Bemüliungcn M.'s
verlieren.
26 E. TH. WALTER
seltsam erscheint, beschränkt; einen zu Grunde liegenden Original-
vers kann ich mir absolut nicht vorstellen. Was wird nun hier aus
einer Periodisierung?
Auch in der folgenden Gruppe ') ist nur ein einziges Wort als
Bindeglied zu betrachten; das in den beiden ersten Versen außer
pJiUget sich findende triuwen gewährt nur auf den ersten Blick den
Anschein engerer Übereinstimmung, denn in der Zeile
Namenl. L. : swer mit triuwen der niht phliget MF. 3, 15
ist mit trmioen nur adverbiale Bestimmung zu phligen', als Object zu
diesem ist der^ das ist tougen minni; beigefügt, während in dem anderen
Verse
Spervogel: ist danne daz er triuwen phliget MF. 20, 21
trünven als Object anzusehen und in ganz allgemeinem Sinne, wie der
Zusammenhang der ganzen Strophe lehrt, aufzufassen ist.
Daß bei der dritten Stelle
Swer des biderben swaehe phliget MF. 245, 25
eine innigere Übereinstimmung nicht vorliegt, ist offenbar; man müßte
denn etwa das fiioer aus diesem und dem ersten Verse auffallend
finden wollen.
Desgleichen mangelt es an engerer Zusammengehörigkeit in der
Gruppe mit dem Reimworte ^ü7zen^):
Namenl. L. : dem sol man daz verwizen MF. 3, IG
Dazu Meinloh: der wil ich nu niht wizen [sihe ichs
nnfroelichen stan] v 13, 38
Dz. Rietenburc: Nu endarf mir nieman wizen n 18, 1.
Auch haben die Verse speciell mit Liebeslyrik nichts zu thiui.
Nur das Wort güete weisen als gemeinsam auf die Verse:
[vröde han ich manichvalt] von eines
wibes gute CB. 102"
Dz. Rietenburc: [Mir gestuont min gemüete] nie so
hohe von ir güete MF. 18, 10
Dazu Dietmar: [Ich bin ein bete hergesant, frowe]
üf mange dine güete n 38, 15
Dz. j Reinmar: [daz er die rede vermite] iemer dur
I sin selbes güete n 187, 3
I Ders. : ... [daz sich sent | min gemüete]
' nach siner güete, n 199, 29.
Von der folgenden Zusammenstellung^) mögen die beiden ersten
Verse :
ich weiz wiez "^ir gevalle CB. 103"
Dazu Kürenberg: in weiz wiech ir gevalle MF. 10, 15
*) ib. S. 134. ') ib. S. 134. ^) ib. Ö. 136.
ÜBKR DEN URSPRUNG DES HÖFIr^CKEN MINNESANGES etc. 27
auffallendere Übpreinstinimun<2: zeigen; sie stehen aber damit so ver-
einzelt da, daß wir ihnen weiteren Wertli nicht beilegen können; die
übrigen Verse haben außer dem Verbum gevallen nichts gemein-
sam, cf.
Meinloh : [und sol die merkaere reden lan],
swaz in gevalle MP. 14, IS
Ps. -Dietmar: ...[in dem walde | ein boum ,] der
dir gevalle n 37, 11
Dazu: [Seht mich an , jungen man!] Lät
mich eu gevallen CB. S. 97 o.
Dazu Neithart: [sin (winders) getwanc | wendet man-
gen süezen sanc | uns allen]
wem sol daz wol gevallen N. 14, 21.
Auszuschließen ist die Stelle aus der Volkslyrik
Volkslyrik : wenn ich dir nit gefalle | [gib mir
urlob, du roter mund] Uhl. 29, 5.
Es folgen Stellen mit dem V^erbum hau als Reimwort M:
Nu suln wir alle froude han CB. 103"
Namenl. L. : Ich wil weinen von dir h:in MF. 6, 2(5
Dz. Rietenburc : gedinge j den ich von einer frowen
hän n 18, 21.
In 14 Stellen finden wir ferner') das im Mhd. überaus häufige
(jemezen lan; dazu gefügt sind 8 Verse mit (jeniezen allein. Beide Aus-
drücke, die übrigens durchaus nicht auf Liebeslyrik ausschließlich
hinweisen, tragen nichts Auffallendes an sich.
Ebenso steht es mit der nächsten Gruppe, deren Verse den
Gebrauch des Verbums verdriezen im verschiedensten Zusammenhange
gemeinsam haben ^).
Es folgen 4 resp. 3 Verse (zwei gehören demselben Dichter an)
mit dem Verbum singen*):
Ich wolde gerne singen, [der werlde
vrovde bringen] CB. 126*
Morungen: Ich wil immer singen [dine hohen
wirdekeit] MF. 14G, 11
Kunde ich uii gesingen [daz die jnn-
Neithart: ' ^en gerne sungen] N. 33,22
Ich wil aber singen [swie ez vür ir
oren gej n G7, 7.
>) ib. S. 136.
') ib. S. 137; obendrein sclnnilzt die Gruppe etwas zusammen, da von den
angeführten Stellen mehrere einem Dichter angehören; nämlicli : ."j Rugge , 3 Rein-
mar, 3 Walther und 1 der späteren Volkslyrik.
') ib. S. 137. ') ib. S. 138.
28 E. TH. WALTER
Das Vorkommen des Verbums singen, obendrein in so verschie-
denem Zusammenhange, hat bei berufsmäßigen Dichtern doch sicher-
lich nichts Befremdendes.
Bedeutungslos ist auch die Gruppe mit trüric ') ; man wird wohl
kaum zwischen dem Verse:
[Vrowe, wesent vro ! Wie tut ir nur
so,] daz ir so trürech sit? CB 133'
und
Dietmar : also trüi-ic wart ich nie, [swenn ich
die wolgetänen sach | min
senedez ungemaCh zergie] MF. 36, 20
eine auf Entlehnung deutende Übereinstimmung finden können. Auch
der beigefügte Vers Reinmars :
Reinmar : Alse rehte unfrö enwart ich nie.
[daz solte eht sin : nust ez
geschehen] MF. 185, 20
darf nicht auffallend erscheinen; denn außer dem Wechsel des Aus-
drucks — unfrö statt trüric — raubt auch der verschiedene Zusam-
menhang der Stelle den Werth.
Horheim: [. . . üf minen eit ] noch niene
wart so trüric man MF. 115, 15.
Ein ziemliches Durcheinander bietet die Zusammenstellung der
Verse mit benemen^ das in den verschiedensten Verbindungen aufge-
führt wird '^).
Selbst bei den Stellen, die ungefähr ähnlichen Sinn haben, wie
Kürenberc: [eines hübschen ritters | gewan ich
künde] | daz mir den benomen hän
[die merker und ir nit] MF. 7, 23
Regensburc : Sin mugen alle mir benemen | [den
ich mir lange hän erweit] n 16,8
Husen: [In minem troume ich sach ] ein harte
schoene wip | . . . . do er-
wachet ich e zit] dö wart si
mir benomen ti 48, 2 7
und Wolfram: du (wahtaer) hast in dicke mir be-
nomen} [von blanken armen,
und üz herzen nicht] Wolfr. 5, 4 — 5
oder:
Reinmar: [Der mir gaebe sinen rät! | konde
ich ie deheinen,] der ist mir
benomen MF. 194, 34—35
') ib. S. 138—139. ») ib. S. 140.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 29
ist die Ausdrucksweise eine so verschiedene, die Verwendung des
benemen so mannigfaltig , daß man an einen gemeinsamen Grundvers
nicht wohl denken darf.
Auch aus den ferner enger zusammengehörigen Versen :
Guotenburc: din guote , diu mir luit benomen
Minen sin MF. 71, 28
Riigge: [daz tiiot diu minne] : diu nimt mir
die sinne ?i 101, 19
Morungen : swenne ir schoene mir nimt so gar
minen sin n 135, 23
Namenl. L. : [Vil ist unstaeter wibe : ] diu be-
ncment ime den sin n 4, 6
und Spervogel: [So we dir armiiete!] du benimest
dem man | beidiu witze und
ouch den sin, [der niht eh-
kan] n 22, 9
— auch aus diesen Versen können wir nur auf eine der Umgangs-
sprache — vielleicht ziemlich fest — zu eigen gewordene formelhafte
Ausdrucksweise, keinesfalls aber auf einen der „eigentlichen Lyrik"
zugehörigen poetisch bearbeiteten „Baustein" schließen, das zeigt
schon die Verwendung des Verses bei Spervogel.
Geradezu auffallend ist hier übrigens, daß gerade die Verse,
deren Übereinstimmung etwas weiter geht, ein und demselben Dichter
angehören, wie dies der Fall ist mit den Zeilen
Walthers : die mir in dem winter fröide hänt
benomen
und : die mir dicke fröide hänt benomen
und in ähnlicher Weise mit den Versen
Neitharts : iriancgem senedem herzen trürcn ist
benomen
und: manegen herzen ist benomen | leit
und ungemüete n 23, 8. 9.
Das Hinfällige einer Gruppe, wie die folgende ist: ^)
Namenl. L. : [daz der sumer komen sol. ] seht
wie wol das menegen herzen
tuot. MF. 4, 16
Dazu: [bi dir swer lit] sanfte dem daz tut CB. 140"
und Johansdorf: seht wie maneger ez doch tuot MF. 86, 8
brauche ich nicht erst auseinanderzusetzen; es liegt auf der Hand.
Von den angeführten zwölf Stellen mit dem Reimwort gemuot '^)
gehört die Hälfte Walther an, hat also den Werth einer einzigen
Stelle; das gleiche gilt von den zwei citierten Versen des Johansdorf.
') ib. S. 141. ') ib. S. 142.
w.
73
23
n
98
15
N.
H,
7
n
23,
8.
30 E. TH. WALTER
In den übrigen Stellen:
Namenl. L. : [daz ist also verendet] daz ich bin
wol gemuot MF. 4, 29
Rugge : [daz ich durch ieman si vermeit] des
wirde ich selten wol ge-
muot V 105, 21
Bligger : [ . . sweme da gelinge ,] der si wol
gemuot V 118, 18
Dazu: swer gegen den hat hohen mut CB, 132"
und Kürenberc : [als ich daran gedenke] so stet wol
höhe min muot MF. 10, 23
hängt die Übereinstimmung einzig an dem Worte gemuot-^ ja in den
beiden letzten Stellen sogar nur noch an dem Reime muot-^ obendrein
wechselt der Sinn.
Bei Versen wie
Namenl. L. : [Ich hän den lip gewendet] an einen
ritter guot MF. 4, 27
Dietmar : [jii hoere ich vil der tugende sagen]
von eime ritter guot n 39, 4
Dz. Kürenberc : [als warb ein schoene ritter] umb
ein frouwen guot n 10, 22 ')
eine Entlehnung annehmen zu wollen, möchte einem doch wirklich
schwer werden. Man könnte fast der Meinung werden, Meyer trete
an die mittelhochdeutschen Ausdrücke und Wendungen mit ganz neu-
hochdeutschem Sprachgefühle heran; denn nur so läßt es sich eigent-
lich erklären, daß er in Stellen wie in den obigen irgendwie Beson-
derliches finden kann.
Die vierte Zeile
Dietmar: ein schoene wip so rebte guot MF. 36, 26
fällt für uns obendrein fort, da sie einem in der gleichen Gruppe
schon citierten Dichter angehört.
Es folgt eine Gruppe von drei Stellen mit entstän als Reim wort: ^)
Kürenberc : so läz ich die Hute [ harte wol ent-
stän MF. 7, 15
Dz. Regensburc: des mac sich min herze wol entsten n 17, 6
und Guotenburc : ichn mac mich schiere niht entstän v 76, 14.
Man sieht, eine nähere Übereinstimmung ist nicht vorhanden.
Von den fünf Versen mit getan ^) sind es eigentlich nur zwei,
welche in Betracht kommen können :
Meinloh: ich hän in anders niht getan [ wän
ob ich han gedienet] MF. 13, 30
und Reinmar: In habe in anders niht getan [wan
daz ich sere sinne] ?? 194, 4.
») ib. S. 142. ') ib. S. 144— 14Ä ') ib. S. 149.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 31
Die übrigen haben außer der Verbalforra habe getan nichts Ge-
meinsames; außerdem fallen noch zwei Stellen als unbrauchbar fort:
die zweite Stelle Meinlohs (einem schon citierten Dichter zugehöiig)
und die der Volkslyrik entnommene, so daß eigentlich überhaupt
außer den oben angeführten nur noch die eine bei
Dietmar : [Waz wizet mir der beste man ?] ich
habe im leides niht getan: MF. 40, 36
zu beachten ist, und diese bezeichnet Meyer wohl sehr mit Recht nur
als „entfernteren Anklang".
Daß in den folgenden Versen ')
Meinloh: im trviret sin herze | [sit er nu jun-
gest von dir schiet] MF. 14, 7
und Dietmar: [nu muoz ich von ir gescheiden sin]
trüric ist mir al daz herze
min n 32, 20
die beiden betreffenden Dichter nöthig gehabt haben sollten, den Ge-
danken: daß ihr Herz durch das Scheiden traurig geworden sei,
{ — die Form ist ja verschieden genug — ) zu entlehnen, wird wohl
kaum Glauben finden. Und noch viel weniger dürfte dies der Fall
sein bei den Versen:
Veldegge : truric ist daz herze min : [wan ez
wil nu winter sin,] MF. 59, 15
und Kürenberc: [Swenne ich stän alleine j. •. und
ich gedenke anc dich '
so . . . ]
. . . gwinnet mir daz herze | vil
manegen tnxrigen muot n 8, 23.
Am Schlüsse des Verses die beiden zu einem Begriffe verschmol-
zenen Wörter ake laue weisen die folgenden Stellen auf: ^)
Rietenburc : ez ist leider alze lanc [daz die bluo-
men i-öt | begunden liden
not] MF. 19, 13
Dietmar: [sit was mir min fröide kurz] und
ouch der jämer alze lanc n 34, 18
Reinmar: mirst beidiu winter und der sumer
alze lanc n 155, 4
Hartman: die swaeren tage sint alze lanc n 207, 4
und noch zweimal bei demselben.
Man sieht, außer den beiden zusammengehörigen Wörtern ver-
bindet die angeführten Verse nichts; der Zusammenhang und die ganze
Verseinfügung lassen an keine Entlehnung denken.
') ib. S. 150. ^) ib. S. 153.
32 E. TH. WALTER
Ahnlich verhält es sich mit ')
Meinloh : [im trüret sin herze] sit er nu jun-
gest von dir schiet MF. 14, 8
Dietmar: do ich aller nachest von dir schiet
[sit hat ich gröze swaere] ?) 40, 13.
Nur noch Gedankenähnlichkeit liegt vor in
Husen : Deich von der guoten schiet [des
lide ich ungemach] MF. 48, 32.
Die Heranziehung des Verses
Nameul. L. : [Ein vpinken und ein umbe sehen |
wart mir] do ich si nähest
sach MF. 6, 21
nur wegen des vorkommenden nähest ist wirklich recht unnütz.
Es folgen Stellen mit tiuren ^) oder Ausdrücken ähnlicher Be-
deutung ; von den acht Parallelen gehören bereits vier , und zwar
darunter gerade die drei auffallender übereinstimmenden einem Dichter,
nämlich Walther ^) an. Die Ähnlichkeit der übrigen ist so wenig
ausgeprägt, daß an Entlehnung nicht gedacht werden kann:
Dietmar : du hast getiuret mir den muot MF. 33, 26
Dazu Eugge : si tiuret vil der sinne min. 75 103, 24
Dazu Morungen: [dine redegesellen | die sint swie wir
wellen j guoter worte und
guoter site.] da bist du ge-
tiuret mite. V 146, 26
und gar
Johansdorf : daz ir desto werder sint [und da bi
hochgemuot] n 94, 14.
Die folgende Gruppe "*)
Fs. Dietmar: und wil doch mannen fremede sin MF. 35, 34
Dietmar: sol ich im lange vrömede sin n 36, 11
Ders. : [so höh öwi] sol ich ir lange fi-ömde
sin n 39, 17
Morungen: [ich fluoche in unde schadet in niht,|]
dur die ich ir muoz frömede
sin n 131, 17
weist als gemeinschaftlich nur das Wort fremede in vier Stellen, von
denen drei auf einen und denselben Dichter kommen, auf ^).
^) ib. S. 150. =) ib. S. 155.
') Wenigstens ist zu dem Verbum tiuren resp. einmal ivirden jedesmal derselbe
Zusatz Itp gefügt.
*) ib. S. 155.
^) Wieder gehören gerade die beiden Verse, die größere Entsprechung haben:
sol ich im lange frömede stn (D. 36, 11) und sol ich ir lange frömede sin (ib. 39, 17)
demselben Dichter an.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 33
Angefügt sind drei weitere Verse mit dem Zeitwort fremeden:
Dietmar: fsunder äne mine schult || fremedet
er mich manegen tac MF. 34, 14
linsen : aleine fromdet mich ir lip, | [si hat
iedoch des herzen mich |
beroubet gar für elliu wip] n 42^ 7
Rugge : sin langez fremeden muoz ich klagen v 107, 23.
Die Stellen haben außer dem noch dazu in verschiedenen Formen
gebrauchten einzigen Worte durchaus keine weitere Übereinstimmung.
Auch haben Ausdrücke mit fremede sowohl als mit fremeden
etwas Absonderliches nur für den mit neuhochdeutschem Sprach-
geflihle an sie Herantretenden.
Ebensowenig ist etwas anzufangen mit den Versen : ')
Dietmar: |h6he stät min muot :] wan al diu
werlt noch nie gewan [ein
schoene wip so rehte guot] MF. 36, 25
Husen: got weiz wol, daz ich nie gewan |
[in al der werlt so liebe
enkeine] n 44, 19
Namenl. L. : [du bist in minen sinnen] für alle
die ich ie gewan n 5,1.
Auch in den Parallelen mit gedagen '^) tritt zu dem einfachen
Verbum nirgends etwas hinzu , was eine Entlehnung wahrscheinlich
machen könnte:
Husen: |deich lide urabe ir hulde seren {]
daz ich niemer mac ver-
dagen MF. 44, 39
Morungen: [Sin hiez mir nie widersagen ^ • • •]
desn mac ich langer niht
verdagen n 130, 12
Hartmann: nieman sol ir lobes gedagen n 214, 8
Neithart: Hie mit sul wir des gedagen N. 36, 38
Rugge: [unser leit daz ist ir spil :] wir mugen
wol stille dagen MF. 97, 34
die drei übrigen Stellen gehören Reinmar, haben also den Werth einer
einzigen.
Ganz werthlos ist die Zusammenstellung der Verse mit guot ^).
Von den zehn angeführten Stellen sind allein sieben Walther ent-
nommen, zwei kommen auf Neithart, eine auf Horheim, so daß wir
eigentlich nur drei Parallelen vor uns sehen, die nichts Anderes als
das Wörtchen guot mit einander gemein haben. Es berührt höchst
eigenthümlich , wenn man bedenkt, daß einem hier Verse oder Vers-
■) ib. S. 155—156. ') ib. S. 158. ^) ib. S. 160.
GERMANIA. Neue Reihe XXII. (XXXIY.) J^hrg. 3
34 E. TH. WALTER
Stückchen wie: sist guot; du enhist niht guot; so slt ir niht guof ; daz
loaei'e guot etc. geboten werden in der Absicht, den Glauben an eine
Entlehnung aus alten Liedern zu erwecken.
Nicht anders fühlt man sich berührt von der folgenden Gruppe'):
Bligger: so ist aber menger sü gemuot [daz
er der geste haz bejaget] MF. 119, 23
Walther: der lantgräve ist so gemuot W. 20, 10
Neithart : erst ein knappe so gemuot N. 3, 9
(Ders. : minne ist so gemuot 57 97, 6)
Reinmar : min muot stuont mir eteswenne also
[daz ich was mit den andern
frÖ] MF. 174, 7.
Wie sollte wohl hier etwa der Oi'iginalvers zu allen diesen Variationen
gelautet haben?
Ein Gleiches gilt von den Versen mit sivachen ^) ; zu den drei
Stellen aus Walther:') die sich selben so verswachent (23,21); ...diu
so swachet (47, 5); ..wie du dich swachest (51, 37) treten
Morungen : sä zehant bin ich geswachet MF. 135, 22
und Neithart: daz du mich so swachest N. 23, 39.
Es bedarf nicht erst der Mühe , die Verse in ihren übrigens
überall ganz verschiedenen Zusammenhang einzufügen; man wird ihnen
auch so schon keinen Werth beilegen können.
Ganz dasselbe, was ich oben über die Gruppe guot *) bemerkte,
muß ich von den folgenden beiden Zusammenstellungen wiederholen,
in denen die Verbalform kan und das Verbum tuon als Bindeglieder
dienen ^). Ein Blick auf die beiden Gruppen genügt;, um ihre Be-
deutungslosigkeit zu erkennen.
Die im vorstehenden Abschnitte besprochenen Gruppen fanden
oder suchten ihre Übereinstimmung nur in einzelnen Worten , im fol-
genden werde ich
2. diejenigen Parallelstellen zu behandeln haben, deren Ent-
sprechung auf einem etwas umfangreicheren Ausdrucke oder einer
Wendung beruht, wie sie die Umgangssprache des täglichen Lebens
gewiß schon geformt hatte und leicht dem Dichter in den Mund ge-
geben haben mag.
') ib. S. 160. ^) ib. S. 160.
*) Es sind nicht einmal ganze Verse, die in Betracht kommen.
') ib. p. 5H(,).
^) ib. S. 161. In der Gruppe kan fallen wieder von 9 Stellen 5 Reinmar und 2
Walther zu: desgleichen in der Gruppe tuon von 9 Stellen 5 auf Waltber und 2 auf
Reinmar, so daß schon ganz äußerlich die beiden Zusammenstellungen an Werth
recht beträchtlich einbüßen.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 35
Fast mit in die vorige Abtheilung hätte ich verweisen können
die Zusammenstellung *)
3. lat. Liebesbr. : desne soltu dun niemere MF. 224, 26
Huseii : deswär tuon in niht mere n 51,11
Walther: lätz iu geschehen niht mere W. 18, 4.
Eine Menge Stellen liefert das Verbum zergän, das in verschie-
deneu Verbindungen aufgeführt M^ird -)
davon mag uns frovde nimmer mer
zergan CB. 98*
Meinloh: [wan er ist komen ze lande,] von
dem min truren sol zergan MF. 14, 29
Morungen: [swer da enzwischen danne stet und
irret mich ,] dem müez al
sin wünne gar zergen :i 126, 35
Walther: [mich müet], sol min tröst zergan W. 14, 13
[so enwirde ich anders niht erlost]
Ders. : sol der (kumhcr) mit fröide an mir
zergan], n 72, 1 "*)
Ders. : [der ist eht manger fröiden rieh]
so jenes fröide gar zei'gät 55 92, 38**)
Reinmar : sT» ist min truren gar zergan [und
bin die Wochen wol getan] ^) MF. 203,21
Ders.: [anders so gestuont ez nie,] wan daz
beidiu liep und leit zergie n 172, 29"^)
Ps.-Neithart: [der anger lit | bevangen.] min tru-
ren deist zergangen N. 130, 7^).
In allen diesen Versen liegt die Übereinstimmung eigentlich nur
darin, daß das Verbum zergan zur Bildung von Redensarten verwandt
ist. Was uns zwingen sollte, Versentlehnungen anzunehmen, sehe ich
nicht. Warum soll denn außer den vielen anderen Ausdrücken, zu
denen sich das Wort mit Substantiven auch sonst noch verbunden
hat, nicht auch ein frovde zergan, truren zergan, wunne zergen, tröd
zergen, leit zergen in der Umgangssprache sich gebildet haben?
') ib. S. 133. ') ib. S. 135.
^) Ich führe die.se Verse, obschon sie bereits citierten Dichtern angehören, nur
deshalb mit an, weil sie gerade die Verschiedenheit des Gebrauches von zergä/n, zu
zeigen geeignet sind.
^) So und nicht wie Meyer schreibt: sol nun fräude nu zergan lautet der Wem
an der angegebenen Stelle.
*) Der am Schlüsse der Gruppe noch angefügte Vers:
Namenl. L. : [Ow§ mir siner jugende!] diu muoz mir
al ze sorgen ergäu MF. 4, 12
wäre besser weggeblieben.
3*
CB.
lor
n
123"
Tl
133
MF.
6, 24
36 E. TH. WALTER
Daß in den folgenden Versen der Ausdruck des „Frohseins" *)
auf Entlehnung deuten soll, zumal da er in den vier Zeilen dreimal
in verschiedener Fassung erscheint:
[stolze meide |] wesent palt!
[grüne stat der schöne walt :] des
suln wir nu wesen halt
Vrowe, wesent vro
Namenl. L. : vriunt, du wis vil hochgemuot
hat wenig Wahrscheinlichkeit für sieh.
Das Gleiche gilt von den folgenden Zeilen ") • Wendungen mit
tragen sind dem Mittelhochdeutschen geläufig, hoher muot ist ebenfalls
ein vielgebrauchter Ausdruck: warum sollte die Verbindung hohen muot
tragen sich also nicht hier und da einstellen? In den angeführten
Parallelen findet sie sich überhaupt nur zweimal:
Reinmar: [War umbe vüeget diu mir leit |]
von der ich höhe solte tra-
gen den muot MF. 162, 17
und Regensburc : [der sich mit manegen tagenden guot ]
gemachet al der werlte liep]
der mac wol hohe tragen
den muot » 16, 7.
An den übrigen Stellen ziemlich stark variiert, wenn man überhaupt
von Variation sprechen will. So bei
Dietmar: Ich muoz von rehten schulden ho |
[tragen daz herze und al die
sinne] MF. 38, 5
und nochmals bei
Reinmar : [guoten trost wil ich mir selben
geben] | und min gemüete
tragen ho n 185, 30.
In beiden Stellen ist nicht einmal das Reimwort dasselbe ge-
blieben, worauf Meyer doch sonst mit Recht Werth legt. Der Vers
Walthers : [edel unde riche | sint si sumeliche,] |
dar zuo tragent si hohen
muot: W. 51, 3
will mir endlich seiner Bedeutung wegen nicht hierher gehörig er-
scheinen; das hoher muot bedeutet hier gewiß nicht nur so viel wie
„gehobene Stimmung = Fröhlichkeit", was man bei den obigen Stellen
MF. 38, 5 und 185, 30 wohl anzunehmen hat, sondern drückt aus
„hohen stolzen Sinn" ^).
') ib. S. 136. ») ib. S. 138.
') Für volksthümUch, d. h. volksthümliclien Ursprungs möchte ich — beiläufig
erwähnt — den Ausdruck auch uicht lialteu.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 37
Es folgen vierzehn Stellen mit der Wendung sanfte tuot ^) (vier
davon gehören Walther an). Die Übereinstimmung beruht nur auf
diesem Ausdrucke, der, allgemein gebräuchlich, Schlüsse auf Entleh-
nung nicht erlaubt.
Nicht mehr besagt die umfangreiche Sammlung mit fri'^), das
in den verschiedensten Verbindungen aufgeführt wird. Man findet
zusammengestellt: fri machen oder ß't tuon, fri sin, fri beltben, fri
tcerden, fri läzen, auch absolut fri in wechselnder Verbindung mit
leides^ sorgen, von leide, von seneder not, lobes\ dazugefügt sind sinn-
verwandte Wendungen, wie von sorgen scheiden, von sorgen laere tuon;
kurz: was wiederkehrt, ist meistens nur der Gedanke; Zusammenhang
und Form sind verschieden genug, jedenfalls nicht dazu angethan,
einem die Annahme einer Versentlehnung aus vorhandener Poesie
nahe zu legen ^).
Die Redensart den lip Verliesen ist an sich eine ganz geläufige,
deren Anwendung nicht befremden kann; die Stellen, an denen sie
vorkommt, haben durchaus nichts Formelhaftes, obendrein findet sie
sich nur bei drei verschiedenen Dichtern *), nämlich außer in den
Namenl. L. : [kumest du mir niht schiere,] so ver-
liuse ich minen Iip MF. 5, 3
nur noch zweimal bei
Morungen: [ich mac mich langer niiit erwern]
den lip muoz ich verloren
hän n 137, 13
und in demselben Liede
[frouwe, mine swaere sich, j] e ich
Verliese minen lip n 137, 18
und zweimal bei Neithart:
ja verliuse ich den lip | [ist si mir
niht beschert] N. 61, 34
[daz was ein henne guot | und gienc
staete unbehuot] da von sie
verlos den lip n 181, 18^).
oder vielmehr Ps. N.
*) ib. S. 139. '') ib. S. 141.
^) 6 Stellen fallen übrigens aus der Sammluug heraus, da von den angezogeneu
3 Reinmar, 2 Walther und 4 Neithart zukommen.
') ib. S. 142.
') Man könnte den Vers eher gegen Meyer zum Beweise dafür auwendeu, daß
die Redensart eine allgemein verbreitete war; sonst könnte sie nicht hier in so völlig
verschiedenem Zusammenhange stehen.
38 E. TH. WALTER
In den folgenden Versen *) hängt die Übereinstimmung über-
haupt nur an der ganz unzweifelhaft bereits von der Umgangssprache
geformten Wendung al der werke] im Übrigen sind die Stellen grund-
verschieden:
Narnenl. L. : den möhte in al der weite ] [got
niemer mir vergelten] MF. 5, 4^*)
Dietmar: nu muoz ich al der werlte [haben
dur sinen willen rät] v 39, 8
Namenl. L. : [und waerez al der weite leit,J ;? 6, 12.
Ebenso gewagt ist es, an das zweimalige Vorkommen^) von
7iäch dem willen mm in den Versen:
Namenl. L. : [Mir hat ein ritter . . . . j] gedienet
nach dem willen min MF. 6, 6
und Dietmar: [er kan wol grozer arebeit] gelönen
nach dem willen min n 38, 13
weitere Folgerungen zu knüpfen, dazu ist Ausdruck und Zusammen-
hang doch gar nicht geeignet. Die Zufügung des nicht einmal gleich-
lautenden
Keinmar: sage im durch den willen min MF. 178, 5
erhöht den Werth der Gruppe nicht.
Eine der reichsten Zusammenstellungen gründet sich auf die
Redensart rät tverden *) ; sie wird in 24 Versen aufgeführt. Diese
schmelzen nun allerdings im Werthe zu 9 zusammen, denn von ihnen
fallen allein 7 auf Walther, 4 auf Reinmar, 4 auf Rugge, 2 auf Neit-
hart, 2 auf Dietmar, 2 auf Husen. Aber ganz abgesehen davon:
Meyer kann doch unmöglich im Zweifel darüber sein , ob hier ein
Ausdruck der Alltagsrede oder ein rein lyrischer, ja überhaupt lyri-
scher Vers zu Grunde liegt. Für die letztere Annahme bietet sich
doch nirgends der geringste Anhaltspunkt. Die Gruppe ist bezeich-
nend für die Natur der ganzen Sammlung. Der eigentliche Zweck
derselben ist gänzlich außer Acht gelassen; Ähnliches wird eben
zusammengestellt, unbekümmert, ob es die. Sache fördert
oder nicht.
Die beiden Verse: ^)
Namenl. L. : swie du wilt, so wil ich sin [lache,
liebez fi-owelin] MF. 6, 30
und Walther: swie si sint so wil ich sin W. 48, 7
verlieren das auffallend Übereinstimmende, das ihnen der erste Blick
zuerkennt, sobald man sie im Zusammenhange betrachtet.
') ib. S. 142. 5) nicht 5, 11. ») ib. S. 143. ') ib. S. 143—144.
*) ib. S. 144.
ÜBKK DEN UKSr'RirNG DES HÖFISCHEN MINNESÄNGE^ v\v. 39
In der Strophe der Namenlosen hat die Frau mit jenem Verse
die Versicherung völliger Ergebenheit von Seite des Mannes erhalten;
bei Walther will die Wendung besagen, daß er so viel fuoge besitze,
die Leute nicht zu verdriezen, daß er darum sich nach ihnen richte,
mit ihnen fröhlich und traurig sei. Der Ausdruck ist an beiden
Stellen ganz vom Augenblicke eingegeben; seine Übereinstimmung
gewiß eine zufällige. Die dritte angeführte Entsprechung
Rietenburc: als wil ich iemer mere sin MF. 18, 24
ähnelt zu wenig dem Wortlaute den beiden anderen, als daß man sie
in Betracht ziehen könnte.
Nichts als einen ganz alltäglichen Ausdruck haben wir auch in
dem die lotle *) ^= derweile zu sehen, das uns in neun Versen ') (dar-
unter viermal Reinmar und zweimal Neidhart, so daß vier Stellen
ungiltig werden) entgegentritt. Das regelmäßig hinzutretende ich lebe
oder daz leben hän oder ich habe den lip beweist nichts mehr, als daß
der ganze Ausdruck im gewöhnlichen Leben eben gerade so gebräuch-
lich war, wie heutzutage unser „so lange ich lebe" oder „mein Leben
lang". Von lyrischem Verse haftet an der Wendung nichts.
Was die Stellen mit hohe stau '^) in Verbindung mit muot, gemüete,
herze angeht, so kann ich nur wiederholen, was ich schon bei sanfte
tuo7i^) und anderen zu bemerken hatte: es liegt nichts als eine be-
nutzte Redensart der Umgangssprache vor, deren Verwendung im
Verse Variation genug zeigt, ja nicht einmal ein bestimmtes Reimwort
zu Tage treten läßt, so daß man dem Gedanken an einen zu Grunde
liegenden formelhaften Vers nicht Raum geben darf^).
Dasselbe gilt in noch höherem Maße von der Zusamraeustellung
mit inne werden^'') und inne bringen, nur daß das Reirawort das-
selbe bleibt.
Vergleicht man ferner die Verse mit umbe icaz ^) näher im Zu-
sammenhange, so verlieren sie von ihrer Ähnlichkeit wesentlich.
Meinloh : [Ich bin holt einer frouwen :] ih
weiz vil wol umbe waz MF. 13, '2
Morungen: [. . e ich ir iemer diende] ine wisse
umbe waz n 142, 18.
Die übrigen Stellen, von denen zwei einander ähnlicher lauten,
gehören einem und demselben Dichter, nämlich Neithart zu:
>) ib. S. 146. =) ib. S. 146. 3) oben S. et? 0.
*) Die 15 Stellen reducieren sich auf 9; 5 gehören schon angezogenen Dicli-
tern zu.
») ib. S. 147. «) ib. S. 149.
40 K. TH. WALTER
Neithart: [Si sint mir unwaege] sine wizzen
umbe waz N. 68, 17
[er ist dir gehaz] ich enweiz niht
umbe waz 77 75, 22.
Der folgende Vers erhält den Anschein der Ähnlichkeit nur durch
die Verkürzung, die ihm im Citate der Zusammenstellung zu Theil
geworden ist:
ich weiz rebte nibt war umbe [si
daz liez] N. 97, 3.
Doch wäre auch die Zahl der Parallelen (3) größer, ihr Zu-
sammenhang gleichartiger, so berechtigten sie doch ihrer Natur nach
niemals zu dem Schluß auf einen geformten Vers, höchstens auf einen
geläufigen Ausdruck der gewöhnlichen Rede.
Es folgt eine Gruppe mit hoehen oder besser mit dem gemein-
schaftlichen Gedanken „einen in frohe Stimmung versetzen" ^).
Größere Ähnlichkeit zeigen von den angeführten Stellen in der
Form nur zwei:
Rugge: [Ein wiser man vil dicke tuot. [ des
ein tumber nicht enkan.]
als ime daz boehet sinen
muot, [so muoz ich leider
trüric stän] MF. 103, 37
Reinmar: [sit daz er mir getriuwet wol,] so
wil ich boehen sinen muot. v 151, 28
allenfalls noch '^)
Meinlob: im trüret sin herze | . . . .] nu hcehe
im sin gemüete [gegen dirre
sumerzit] n 14, 9
Die übrigen Stellen verdienen nicht herangezogen zu werden. Der Vers :
er erfreut mir mein gemüete Uhl. 61, 3
kommt schon zufolge seines Ursprunges aus der späteren Volkslyrik
nicht in Betracht, und die beiden übrigen:
[gelobet stät der grüne walt,] des
froet sih min gemüte CB. 102"^
und Kürenberc: s6 stet wol hohe min muot MF. 10, 23
haben doch formell gar zu wenig Ähnlichkeit, als daß man sie neben
die obigen stellen dürfte. Obendrein ist der Gedanke (der in den
letzteren Stellen auch durchaus nicht genau mit den zuerst ange-
führten paßt) durchaus nicht auffallend, so wenig, wie die Art ihn
auszudrücken selten erscheint.
•) ib. S. 150. ') Der Vers
daz ir güete mich gehoehet hat MF. 110, 32
gehört Rugge, also einem schon verwendeten Dichter au,
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 41
In der folgenden Gruppe: *)
Rietenburc: [taet ich selbe nicht also] der be-
twungen stät MF. 19, 11
Dietmar : [gerne daz min herze erkandej wan
ez so bedwungen stät v 32, 2
Morungen: [sit daz diu werlt mit sorgen] also
gar betwungen stät n 143, 8
ist vor allen Dingen die gleichmäßige Verbindung mit sfdt als irgend-
wie auffällige Übereinstimmung zurückzuweisen. Die Anwendung von
stän ist nicht anders zu betrachten als die einer Kopula; das Verbum
wird ebenso häufig gebraucht und ist in seiner Bedeutung ebenso
abgeblaßt, wie eine solche.
Über den häutigen redensartlichen Gebrauch von beticungen be-
lehrt uns schon der Zusammenhang, in dem das Verbum in den
obigen Stellen und in der folgenden erscheint:
Kegensburc: [ich wil im iemer wesen holt.] si
sint betwungen äne not MF. 16, 14
d. h. >|Sie macheu sich ohne Noth Kummer und Sorge".
Die Bemerkungen Haupts zu der letzteren Stelle bekräftigen
nur, daß dergleichen Wendungen schon frühe und allgemein gebräuch-
lich waren.
Die Ähnlichkeit des Verses:
der minne wil mich twingen CB. 126
ist formell zu gering, als daß man auf ihn Rücksicht zu nehmen
hätte. Dietmar endlich (40, 15) ist bereits citiert.
Die folgende Gruppe mit ze oder an ein ende bringen oder
komen"^) hat ja an sich schon darum wenig Werth, weil einmal von
den angeführten fünf Stellen drei ein und demselben Dichter entnommen
sind, dann aber ihnen nicht einmal dasselbe Reimwort eigen ist. Aber
davon ganz abgesehen, darf man die Wendung durchaus nicht als
etwas vielleicht nur der Liebeslyrik oder der Lyrik überhaupt Eigen-
thümliches betrachten. Sie war mit verschiedenen kleineu Änderungen
ganz gebräuchlich und gewiß nicht nur der poetischen, sondern auch
der alltäglichen Umgangssprache ^).
Daß von guot dünken das Gleiche gilt "*), bedarf keiner weiteren
Erörterung.
Bei der folgenden Zusammenstellung mit nie (jeschach ^) ist der
Zusammenhang in den drei zur Geltung kommenden Versen doch
») ib. S. 153. ^) ib. S. 154.
') Ich brauche nur auf das Mhd. Wb, zu verweisen.
*) ib. S. 154—155. *) ib. S. 155.
42
E. TH. WALTER
nicht derart, daß wir an einen zu Grunde liegenden t'estgeformten Vers
denken müßten:
Dietmar;
Hiisen :
Reinmar
[si hat daz herze mir benomen;] daz
mir geschach von wibe e nie MF. 35, 4
[ze fröiden muos ich urlop nemen :]
daz mir da vor e nie ge-
schach
[waene ich des daz mir diu unge-
lonet läze] se geschaehe an
mir daz nie geschach
43, -27
" 189, 36.
Es folgen die Stellen *) :
MF. 36, 13
N. 58, 29
,1 MF. 116, 20;
Dietmar : [ich weiz wol daz tuet ime we] daz
ist diu meiste sorge min . .
Neithart: doch ist daz diu meiste sorge mine
[daz niht langer dienest lie-
ben Ion erworben habe]
Rute: [da manic man der süuden sin ver-
jach,] dö was daz min aller
nieistiu swaere [daz
Die übrigen Verse verdienen nicht angeführt zu werden; denn
der eine gehört dem schon oben herangezogenen Neithart zu; der
andere aber
Husen: [des ist er min leitvertrip] und diu
hoahste wunne min
begründet seine Zugehörigkeit nur dadurch, daß er von den obigen
das Gegentheil bedeutet.
Ob nun diese zu dem Schlüsse auf Entlehnung aus einer Liebes-
lyrik, ja auf Entlehnung überhaupt berechtigen, erscheint mir mehr
als zweifelhaft. Hat hier nicht bloßer Zufall gewaltet, so könnte man
höchstens an eine im gewöhnlichen Leben gebrauchte Wendung denken.
Recht aus der Umgangssprache herausgegriffen, aber nur durch-
aus nicht auf Lyrik zurückzuführen, ist die Redensart mit ein heiden,
wie sie sich in den Versen
Dietmar^): ja bin ich niht ein heiden [si sol
genäde an mir begän]
[swelch kristen kristentuomes gibt
an Worten und an werken
niht ] der ist wol halp ein
heiden
Walther:
MF. 40, 24
W. 7, IS"*).
findet.
') ib. S. 155. ') ib. S. 157.
•*) Auf eine Stute mit den übrigen Versen läßt sich dieser doch nicht stellen,
deuii in ihm ist das Wort heiden bedeutungsvoller als in jenen.
ÜBER l'KN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES ote. 43
Weitere Parallelen gibt Haupt zu 40, 24:
Gliers: ja enbin ich ein beiden : [so be-
scheiden ist ii- minuiclicher
lip.] MSH. 1, 101'' iZ. 5)
Winterstetteu : diu mich in senden leiden — nu
lange lät als einen wilden
beiden n 1, 152'' (Z. 8
V. u.)
Stretlingen : si tet als ich w«re ein beiden MS. 1, 45'' (Z. 3 v. u.).
Der Vergleich mit den heiden ist gewiß — wie ja auch in der
damaligen Zeit der Kreuzzüge leicht erklärlich — in Jedermanns
Munde gewesen.
In den beiden Versen ^) :
Reinmar: daz ist an minen fröiden mir ein
angeslicher slac MF. 197, 21
Walter: und waere an fröide ein angeslicher
slac W. 115, 1
mag man wohl etwas Auffallendes an ihrer Übereinstimmung finden.
Will man hier aber auf Entlehnung (was bei so geringer Zahl von
Versen nicht sehr rathsam erscheinen will) schließen, so wäre man
doch viel eher berechtigt, eine Benutzung des Reinmarschen Verses
von Seite Walthers anzunehmen, als auf Nichtvorhandenes zu fahnden.
Wenn die Redensart ez ist ein slac auch noch bei
Dietmar: es waere an miner fröide ein slac MF. 40, 33
sich findet, so ist dies nicht seltsam, Wendungen mit sine gehören
zu den sehr gebräuchlichen. Das Wort findet sich in gleicher Bedeu-
tung in den mannigfachsten Verbindungen ^) , warum soll es nicht auch
ein oder das andere Mal mit fröide verbunden vorkommen?
Die Gruppe mit schm tuon hat gar keine Bedeutung '*). Der
Ausdruck ist ganz verbreitet; die Reimübereinstiramung kann auch
nicht befremden; denn — wie sich aus einigermaßen sorgfältiger Be-
obachtung ergibt — wird bei Anwendung zusammengesetzter Aus-
drücke in derselben Verszeile gewöhnlich eines der beiden zusammen-
gehörigen Glieder Reimwort; und zwar trifft dies, je nachdem wir es
mit einem Haupt- oder Nebensatze zu thun haben, das Beiwort oder
das Verbura.
Werthlos ist auch die Aufzählung der wenigen Stellen (5, davon
3 bei Neithart) mit wol im Ausruf*), umsomehr, da es sich hier
') ib. S. 157. ') cf. d. Mbd. Wb. S. 351 ^) ib. S. 158.
i ib. S. 158.
44
E. TH. WALTER
Walther:
Neithart:
Bei dems.:
Bei dems.:
nicht einmal um ganze Verse, sondern nur um einen herausgerissenen
Ausdruck handelt. Daß derartige Verbindungen mit lool, unpersön-
liche Sätze, namentlich imperativischer Natur, vollkommen zu dem
mhd. Sprachgebrauche gehören; dalj ihr Vorkommen nicht viel anders
zu betrachten ist, als das der gebräuchlichsten Interjectionen, sollte
ich kaum zu erwähnen brauchen. Ich führe die betreffenden Stellen
nur an, um zu zeigen, in welcher Weise zuweilen die Gruppen
der uns vorliegenden Sammlung zu Stande kommen:
Guotenburc: Nu wol hin [(ez muoz eht sin)] \
und Stic ilf, daz herze min] MF. 70, 19
Nu wol dan [weit ir die wärheit
schouwen ! ] gen wir. . , .] W. 46, 21
[Diu muoter sprach] "wol hin ! ver-
stü übel oder wol, sich daz
ist din gewin ' N. 21, 27
[Do sprachs ein alte in ir geile, }
trütgespil,] wol dan mit mir! N. 3, 16
'Wol dan mit mir [ [zuo der linden,
trütgespil] n 10, 32').
Die Gruppe mit war nemen^) ist auf 20 Stellen gebracht, von
denen sieben auf Reinmar, sechs auf Walther und vier auf Neithart
kommen, so daß die ganze Sammlung nur den Werth von fünf Versen
besitzt. Im Übrigen gilt dasselbe, was ich zuletzt von schtn tuon^)
zu bemerken hatte.
Ebenso steht es mit der Stellensammlung mit leW^); sie schmilzt
auch ähnlich wie die vorige zusammen; es sind angeführt: Reinmar
viermal, Walther viermal, Neidhart fünfmal.
Auch folgende Stellen , die alle das Sätzchen ich loeiz wol auf-
weisen, haben keine Bedeutung:
Johansdorf : [Wie sich minne hebt] daz weiz ich
wol MF. 91, 21
Wolfram: [. . . diu sorge ist mir ze vruo] ich
weiz vil wol, [daz ist ouch Wolfr. 8, 8
ime]
Ps. -Neithart: ich weiz wol, [und het ich ...J N. 170, 76
und dreimal bei
Walther: [swaz ir in tuot, daz rechent iuwer
jungen] daz weiz ich wol
[und weiz noch me] W. 24, 2
etc.
*) Wie ich schon mehrfach zu zeigen bemüht war, so tritt auch hier wieder
zu Tage, daß gerade nähere Übereiustimmuugen meist nur bei demselben Dichter
sich finden.
') ib. S. 158. ') oben S. 43. ') ib. S. 159.
ÜBER DEN URSRPUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 45
Daß diese Verse auf Entlehnung deuteten , obendrein aus lyri-
scher Poesie, läßt sich gewiß nicht ernstlich behaupten; wir haben
hier nur ein zufälliges Zusammentreffen auch sonst gewiß ganz ge-
bräuchlicher Redewendungen, die sich natürlich jedem ungezwungen
zur Benutzung darboten.
Die zwölf Verse, deren Übereinstimmung auf der Wendung daz
herze ist vol beruht '), haben für uns nur den Werth von drei Stellen:
achtmal wird die Volkslyrik der späteren Zeit herangezogen, und
zweimal Neithart angeführt. Daß die Ausdrucksweise selbst etwas
Befremdliches, auf Entlehnung Deutendes haben sollte, kann ich
schlechterdings nicht finden. Das herze als Sitz des Gefühls, und
demgemäß mit leit, fröiden, trauren, unmut, jämer angefüllt zu denken,
war gewiß eine sehr gewöhnliche Vorstellung.
Bei der Redensart loaz dar umhe? ^) was liegt daran? an Lyrik
zu denken, erscheint mir mehr als gewagt; die Wendung entstammt
natürlich nur der Umgangssprache.
Aus der folgenden Gruppe mit dem Reimworte getan ^) kommen
nur die drei ersten angeführten Verse in Betracht. Die übrigen vier
erhaltem durch die Zufügung von lool eine so verschiedene Bedeutung,
daß sie höchstens gesondert berücksichtigt werden dürften. Dies
jedoch wäre unnöthig; denn von den vier Stellen mit wol getan ge-
hören allein drei Walther, die vierte — mit guot statt wol — Neit-
hart an *).
Die Verse mit getan allein sind:
Keinmar: swer in eret | unde im meret | fröide,]
daz ist mir getan MF. 200, 13
Neithart: [daz si da mit ir gerunent] deist min
ungewin] unde ist mir getan N. 7 7, 24
Walther: [. . . daz ich die getiuret hän | und
mit lobe gekroenet | diu
mich wider hopnet] frouwe
Minne, daz si iu getan W. 40, 2G.
Auch in diesen Stellen kann ich nichts finden, was den Schluß
auf einen zu Grunde liegenden Originalvers erlaubte. Warum soll die
Wendung nicht schon im gewöhnlichen Leben sich geformt haben?
Eine für die ganze Sammlung recht bezeichnende Zu-
sammenstellung ist die auf den beiden Ausdrücken tuot ice und tuof
wol beruhende ^). Von den 15 im Ganzen aufgezählten Versen fallen
aliein acht auf Walther, vier auf Neidhart, zwei auf Hartmann, eine
') ib. S. 159. ^) ib. S. 161. ^) ib. S. 102. ') cf. oben S. 30 (3*)
^) ib. S. 162.
46 E. TH. WALTER
auf Morungen : wir babeu also eigentlich nur vier brauchbare Stellen
vor uns, und in diesen nichts als eine zweifelsohne ganz gewöhnliche
Redewendung, die obendrein weder einen ganzen Vers einnimmt nocli
einen solchen mit einem regelmäßig wiederkehrenden Reimworte ver-
sieht, so daß wir nicht einmal von einem formelhaften Eindruck
reden können.
Ganz dasselbe gilt von dem Gebrauche der Wendung äne danc '),
sie kann nur für neuhochdeutsches Gefühl etwas Befremdliches
haben: der mittelhochdeutschen Sprache war sie offenbar ganz zu
eigen. Geltung haben für uns übrigens von Vornherein nicht die beiden
Stellen aus der späteren Volkslyrik, so daß uns nur der Wert von
drei Parallelen bleibt (Neidhart dreimal citiert).
Aus dem bisher Gesagten wird wohl deutlich und klar schon
die Natur der ganzen Sammlung Meyers zu Tage getreten sein. Es
fand sich nirgends auch nur eine Schwierigkeit bei dem Versuche,
alles was uns als auffallende Übereinstimmungen vorgebracht war,
auf alltäglichen Wortgebrauch und Ausdrucksschatz zurückzuführen.
3. Doch die Gruppen der Sammlung haben wir erst zur Hälfte
durchlaufen. Ich überging zunächst noch diejenigen Stellen, in denen
die Übereinstimmungen einen etwas auffallenderen Eindruck zu machen
schienen , insofern die den einzelnen Versen gemeinsamen Worte oder
Wendungen nicht so ohne Weiteres es verriethen, dem Sprachschatze
entnommen zu sein , sondern durch ihren Gebrauch in einer Liebes-
lyrik einen etwas bestimmteren, eigenartigeren Charakter angenom-
men hatten.
Groß und häufig ist dergleichen eigenartigeres Zusammentreffen
aber nicht, jedenfalls überall ohne Bedeutung. Denn daß eine Liebes-
poesie sich an ihr eigenes Lexikon hält, ist doch nur natürlich; und
daß Wendungen und Worte, sonst keineswegs auffallend, durch gleiche
Verhältnisse ins Leben gerufen, in ähnlichen Zusammenhang einge-
fügt einander ähnlicher werden müssen, wird wohl Jedem einleuchten,
ohne daß ihm darum gleich der Gedanke an die Nothwendigkeit einer
Entlehnung aus einer verloren gegangenen Volkslyrik berechtigt zu
sein scheinen dürfte.
Die folgenden Gruppen haben in Wirkliclikeit nicht größeren
Werth als die oben bereits besprochenen.
') ib. S. 162.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 47
Kanu es bei einer Poesie, die den Fraueudienst zum Gegenstande
hat, befremden, wenn der Ausspruch einigemal sich findet, daß kein
Weib dem Dichter besser gefallen habe, als eben das, welches er be-
singt; zumal wenn der Gedanke durchaus nicht in formelhafter Weise
zum Ausdrucke gelangt?
So haben wir bei ^)
Meinloli : |sit ich ir gunde dienen, |] si geviel
mir ie baz und ie baz MF. 13, 4
und Reinmar: [got weiz wol daz ich ir nie vergaz []
und daz mir wip geviel nie
baz 77 174, 36.
Füge ich noch die Stelle hinzu, wo der Dichter die Frau
sprechen läßt
Rugge: |sou sach ich nie deheinen man |j
der mir ze relite geviele ie
baz MF. 106, 21
so sind wir eigentlich mit den Parallelen, deren jede noch immer
genug Individuelles trägt, zu Ende. Was Meyer zufügt, enthält nichts
Übereinstimmendes außer dem Worte gevallen. Der Vers
Walthers : [so läze ir mine rede . . . . ] ein wenic
baz gevallen W. 71, 9
hat dem Sinne nach gar nichts, der Form nach wenig (nicht einmal
gleiches Reimwort) mit den oben angeführten Stellen gemein; ebenso
steht es mit dem Verse :
[min vrowe ist ganzer tagende vol, |]
ih weiz wiez 'ir gevalle CB. 103*.
Die Worte der Tegernseer Briefschreiberin sagen gerade das Gegen-
theil zu jenen:
icli mohte dir deste wirs gevalle MF. 224, 24 '')
Daß zum Lobe der Frau gesagt wird ') an einer Stelle :
[si ist ganzer tagende ein adamas]
und schöner zühte ist si so
vol,"*) CB. 94% 1
und an einer zweiten :
min vrowe ist ganzer tugende vol 77 103*
') ib, S. 133.
^) Rechte Übereinstimmuug des Gedankens herrscht eigentlich auch unter den
ersten drei Stellen nicht; sie findet sich nur in den beiden Versen Mehilohs, dem
obigen und dem folgenden:
ie lieber und ie lieber | so ist si 7. allen ziten mir, |
ie schceuer und ie schoener | : vil wol gevallet si mir. |
^) ib. S. 134.
■*) Für vulksthiinilich halte icli den Vers auch durchaus uicht.
48 K. TH. WALTER
und endlich mit gewiß nicht der gleichen Bedeutung von
Walther: dei* herze ist ganzer tilgende vol W. 115, 15
wird doch wohl kaum zur Annahme einer Entlehnung verführen können.
Wenn ich die folgenden Stellen mit tivingen ^) erst hier anführe
und nicht schon in der ersten Abtheilung behandelt habe, so hat das
seinen Grund darin, daß sie so ziemlich ähnlichen Sinn haben und
dieser auf Liebeslyrik hinweist. Beweisen läßt sich mit diesen Versen
nichts; denn Redensarten mit twingen sind so allgemein gebräuchlich
in den mannigfachsten Verbindungen wie ^) : Kriemhilde twanc groz
jämer Nbl. 988, 1; waz mich leides tivinget MS. 1. 53"; si twanc ein not
Trist. 11896; Sifrit twanc des durstes nOt Nbl. 911, 1 u. a. m., daß man
sich nicht wundern darf, das Wort mit dem Subject minne anzutreffen,
wie in den Versen '^):
[der ih diene alle mine tage |,] der
minne wil mich twingen CB. 126*
und diu minne twanch sere den man n 14G
oder Veldegge: [Diu Minne twanc e Salomone: . . . .]
si twunge ouch mich ge-
waltecliche MF. 66, 20.
Formelhaftes haben die drei Verse gewiß nichts an sich; sie
weisen nicht einmal das gleiche Reimwort auf.
Die anderen Stellen bringen nur das einzelne Wort ohne sonstige
Übereinstimmungen wieder, so
Guotenburc : äne die diu so betwungen mich hat MF. 79, 3
und Husen: wie sere si min herze twinget 7; 45, 20
mit wenigstens noch ähnlichem Sinne sind endlich
Dietmar: [sit hat ich gi-oze swaere. |] be-
twungen was daz herze min
[nu wil ez aber mit fi-öiden
sin] MF. 40, 15
Kürenberc: diu wil mich des betwingen [daz ich
ir holt si] 77 9, 33,
WO der Zusammenhang im Grunde doch eine Parallelstellung mit den
obigen Versen verbietet.
Wir kommen an die Verse mit im herzen, tragen ^). „Einfach
undenkbar", sagt Meyer *), „ist es, daß die Damen des zwölften Jahr-
hunderts, die doch keine Moliere'schen Prdcieusen waren, oder gar die
„eisernen Ritter" in ihrer Unterhaltung gesagt hätten: in mmem herzen
') ib. S. 138. 153. 157. 159. "") ib. S. 138. ^) ib. S. 1.S8.
*) ib. S. 167.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 49
ich si trage oder sone wirde ich niemer fro. Das ist nicht der Ton des
Tagesgesprächs." Diese Bemerkung ist in mehr als einer Beziehung
nicht stichhaltig. Der Ton des Tagesgesprächs? Natürlich ist er
das nicht. Das wird auch Niemand behaupten v/ollen ; gedichtet wird
ja überhaupt nicht im „Ton des Tagesgesprächs". Und mir, wenn ich
leugne, daß der genannte Vers aus einer verlorenen Volksliebeslyrik
als „Baustein" entnommen sei, wird es durchaus nicht einfallen zu
behaupten, der Vers sei, so wie er ist, aus der Umgangssprache
geholt worden. Aber : die Umgangssprache hat offenbar vielerlei
Wendungen mit tragen (in ganz anderer Weise freilich als wir im
Nhd.) gehabt; sie hat auch das herze als Sitz der Gefühle betrachtet;
die Ritter ihrerseits — die „eisernen Ritter" haben doch Fähigkeit
und weiche Stimmung zum Dichten gehabt, sie waren sogar zu Zeiten
so wenig „eisern", daß sie ihre Lieder zum Saitenklange vortrugen:
sollten sie nicht vielleicht doch einen Ausdruck wie ich trage im herzen
selbständig haben zu Stande bringen können; oder sollte man Der-
artiges wirklich nur einem Bauern zumuthen dürfen, der das dann
freilich aus dem „Stegreife" fertig brachte? Doch der Ausdruck mag
immerhin existiert haben, er wird es sogar ganz gewiß; es ging
ja der ritterlichen Liebespoesie genug Sang und Klang voraus; die
Wendung ist keine solche, daß sie nur in der Liebespoesie sich hätte
bilden können: es handelt sich hier nur darum, ob die ganzen Verse
einen volksthümlichen Original vers vorauszusetzen zwingen, und das
wird man — glaube ich — aus ihnen nicht sehließen können. Ich
führe die Verse auf:
[der miune wil mich twingen :] in J
mime herzen ich si trage, CB. 126* '^
K. Heinrich : Sit daz ich si [so gar herzelicheu
minne | und si äue wanc
zallen ziten] trage beide in
herzen und ouch in sinne, MF. 5, 30
Fenis: daz si mich hiez in deme herzen
tragen | [diu mir wol mac
min leit ze vröuden keren] n 81, 38
Reinmar : sit ichs [äne ir danc] in minem her-
zen trage ri 171, 27
und bei demselben ') :
*) Ich führe die Stelle nur an, weil sie Zeugniß davon ablegt, daß der Ge-
brauch des Ausdrucks jedesfalls keiner gedankenlosen Entlehnung zuzusclireiben ist,
vielmehr ein liebevolles Ausspinnen einer oflFeubar geläufigen Vorstellung von Seiten
eines „eisernen" Ritters zeigt.
GEKMANIA. Neue Eeihe XXU. (XXXIY.) .lahrg. 4
50 E. TH. WALTER
[si gie mir alse sanfte dur min ougen, |
daz si sich in der enge niene
stiez] in minem herzen si
sich nider liez : da trage ich
noch die werden inne tougen MF. 194, iJ4 — 25').
Wo ist in diesen Versen Formelhaftes? Wo ein Zeichen von
dem Zugrundeliegen eines bestimmten Verses? Nur die Redensart
im herzen tragen haben sie gemeinsam ; und da wir es mit Liebespoesie
zu thun haben, tritt natürlich in ein paar Stellen als Object auch
einmal die minne oder die froiiive ein; andere Verbindungen mit tragen
sind übrigens auch vorhanden ').
Es folgt eine Gruppe mit Übereinstimmung in der Anwendung
des Wortes gedinge ^) :
[möhte mir an ir gelingen, j ]
noh lebe ich des gedingen CB. 12G*
Kietenburc : [Diu nahtegal ist gesweiget I ]
doch tuot mir sanfte guot
gedinge [den ich von einer
frowen hän] MF, 18, 20
Guotenburc: [Swiech mich erhol,] der gedinge
tuot mir wol, [Daz ich wol
weiz . . .] 71 76, 35
Walther: doch tuot mir der gedinge wol [der
wile, den ich hän, deichz
noch erwerben sol] W. 92, 7
Reinmar: [guot gedinge viz lönes rehte nie
gebrach.] des habe ich hin
zir hulden ie gedinge MF. 189, 39.
über diese Zusammenstellung gilt genau dasselbe, was ich über
die vorige bemerkte. Meyer jedoch legt offenbar besonderes Gewicht
auf sie, denn er greift sie zum Beweise seiner Ansicht als Beispiel
heraus. „Sicher sagte man auch in Prosa einmal diese Hoffnung
thut mir wohl'", bemerkt er *), „aber wenn Guotenburc und Walther,
die weder in der Art noch in der Form der Dichtung vielj gemein
haben, diese Phrase beide anwandten — wie kam da fast genau der-
selbe Vers heraus? Lag aber beiden derselbe Vers schon vor, so
*) seneliche swaere tragen ... in dem herzen MF, 12, 6
bestätigt mir das oben über tragen Gesagte.
^) cf. oben S. 36.
') ib. S. 138.
*) ib. S. 167. Natürlich sagte man mbd. nicht so, sondern der gedinge tuot
mir tooZ; das meinte Meyer doch wohl auch; wie kommt er dann aber dazu, ein
paar Zeilen weiter unten genau dns Gegentheil zu behaupten, indem er die Aus-
dnicksform der gedinge tuot ir vjol recht wenig wahrscheinlich für die Prosa nennt.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 51
erklärt das Bedürfniß des Liedes allerdingcs leicht die crerinofe Modi-
fication."
Ich möchte der Frage Meyers mit einer Frage meinerseits ant-
worten: wenn Walther den Gedanken „diese Hoffnung thut mir wohl",
der doch an sich nichts Seltsames hat, zum Ausdruck bringen wollte;
wenn ihm seine Sprache die Wendung wöl tuon und das Wort gedingp
dazu bot, wenn endlich der Bau seiner Strophe einen vierhehigen
Vers verlangte: wie hätte er dann wohl mit aller Mühe es fertig
bringen sollen, einen von Guotenburc mehr abweichenden Vers zu
liefern, als er es gethan hat?
Er wundert sich dann darüber, daß man ihm zumuthen könnte,
„jenen einfachen Gedanken ganz allgemein etwa in der Form der ge-
dinge tuot mir wol, wie einen regelmäßigen Vers von vier Hebungen
ansehen" zu sollen. Dabei vergißt er aber ganz, daß man, sobald
man nicht, wie er, aus einem verlorenen Liede die Verse in fester
Gestalt übernommen glaubt, nie an eine Entlehnung ganzer Sätze
aus der Umgangssprache denkt, sondern nur an die Benutzung der
der gewöhnlichen Rede eigenen Worte und Phrasen; daß man die
Gestaltung dieser aber ebenso gut dem dichtenden Ritter überläßt,
wie es Meyer doch jedenfalls bei dem „Stegreif dichtenden" Bauern
thut; denn woher sollten denn diese ihre Verse sonst haben?
Ebenso steht es mit den folgenden Versen ') :
Mir ist ein wip sere in min gemüte
chomen CB. 127*
Dietniar: der ist mir äne mäze komen in minen
staeten muot, MF. 39, 5 ")
Morungen: wie waere si mir danne also ze her-
zen komen? r> 124, 34^)
Reinmar: mirst komen an daz herze min | ein
wip n 157, 15.
Dabei herrscht weder Übereinstimmung im Reimwort noch genau
im Ausdruck; nur das Wort komen und der Sinn der Stellen treffen
zusammen.
Im Folgenden greife ich zwei Gruppen zusammen, da Meyer
in der ersten auf den Vers an der Spitze der zweiten hinweist *).
*) ib. S, 138.
') iJie andere Stelle lautet:
der an min herze ist nähe komen MF. 35, 29.
^) Die andere Stelle:
dem ein wip so nähen an stn herze ge » 138, 6.
') S. 138 und 141.
4*
52
E. TH. WALTER
[Solde ich nach dem willen min diu
zit geleben] daz ih ir ge-
lege bi!
so so güetliche diu guote bi mir lit.
si getuo mich sorgen vri] der ich
gerne laege bi
[nu wizzen algeliche j daz ich sin
friundinne |bin;j ane nähe
bi gelegen
[swenn ich daran gedenke |] daz ich
so güetlichen lac | [vei'holne
an sinem arme
daz diu künegin von Engellant |
laege an minen armen
[Diu wile schone mir zergat] swenn
er an minem arme lit
[Den morgenblic , . . . erkos | ein
freue,] da si tougen an ir
werden friundes arme lac
daz diu guote an minem arme niht
enlit
Daß in einer Poesie, wie sie der höfische Minnesang ist, Stellen
wie die beigebrachten in größerer Zahl sich aufzählen lassen; daß der
darin enthaltene Gedanke wiederkehrt — liegt gerade in dem Wesen
des höfischen Minnesanges begründet; doch davon ganz abgesehen
bieten die Verse durchaus nichts Formelhaftes; es ist immer wieder
nur der Gedanke und mit ihm der nicht gut zu umgehende gleiche
Ausdruck, nie aber der ganze Vers, was uns entgegentritt, nicht
einmal das Reimwort ist gewahrt.
Nur auf das gemeinsame bt in Verbindung mit wesen gründet
sich die Zusammenstellung der folgenden Stellen "*), und zwar kommt
ein doppelter Gedanke zum Ausdruck, in den einen Versen: das treue
Gedenken an die Geliebte; in den andern das örtliche Beisammen-
sein. Im ersteren Sinne
Namenl. L. : irn waer min staetez herze ie nähe bi MF. 4, 25
Rugge : min herze ist ir mit triuwen bi n 110, 23
Namenl. L.
Neithart:
Meinloh:
Regensburc :
Namenl. L. :
Reinmar :
Wolfram
Neithart :
CB.
127"
MF.
4, 20 1)
N.
52, 32
MF.
. 13, 22*0
n
17, 3
Ji
3, 10 — 11
v
203, 18
Wolfr. 3, 3
N.
78, 19^).
') Der mitcitierte Vers MF. 4, 25
irn waer min staetez herze ie nähe bi
paßt doch wohl kaum hierher.
*) Die bisher angeführten Stellen sind ib. S. 138 verzeichuet. Der andere Vers
Meinlohs: [frö enwirt er nimmer, | ]e er an dineni
arme | so rehte güetliche gelit MF. 14, 13
^) ib. S. 141.
') ib. S. 141—142.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 53
Walther: [Er saelic man, si saelic wip] der
herze einander sint mit triu-
wen bi W. 95, 38.
Ich kann mich nicht zu der Überzeugung bringen, daß es etwas
Auffallendes wäre, wenn in einer ausgesprochenen Liebespoesie drei
mal der gleiche und zwar dieser gleiche Gedanke auch in ähnlicher
Form zum Ausdruck gelangt.
Ebenso halte ich doch gewiß nicht mit Unrecht den Wunsch,
bei der Geliebten zu sein, für so natürlich, daß es viel eher befrem-
den dürfte, wenn man ihn vergeblich suchen müßte. Daß die Verse
nähere Übereinstimmung nicht haben, zeigt ein einziger Blick auf die
folgenden Reihen :
Dietmar: dar zuo waere ich dir vil gerne bi MF. 37, 1
Guotenbiu-c : ich solde ir ofte wesen bi [waer ez
an mime heile] ;; 74, 19
Morungen: [hei wan solt ich ir noch so ge-
vangen sin j] daz si mir
mit triuwen waere bi [gan-
zer tage dri]
Bei dems. : [waeren nur die hüetaere algemeine j
toup und blint,] swenn ich
ir waere bi, 75 131, 28
Neithart: [getoerste ich] ja waer ich ir zallen
ziten gerne bi N. 46, 13
Bei dems. • [herzekünegin] ich was dir ie mit
triuwen bi n 66, 26.
Wenig hierzu passen die beiden folgenden Verse :
Rute: [ich enmac | niht geruowen] ich en-
kome ir nähe bi [so daz ich
ir gesagen müeze waz min
Wille si] MF. 117, 10
und Eeinmar: [och weste ich gerne .... j ob er
iht pflaege wunneclicher
staete] diu sol im rehte
wesen bi. n 153, 20.
Über die zwölf Parallelen mit gemeinschaftlichem holt brauche
ich wohl nicht weitere Worte zu verlieren '). Die Versicherung, daß
Eins das Andere liebe, ihm gut sei, liegt doch für eine Liebeslyrik
so nahe, daß ihr häufigeres Vorkommen für eine Entlehnung in keiner
Weise sprechen kann. Wenn dazu noch Verse, wie
Walther: Ich bin dem Bogenaere holt W. 80, 27
angeführt werden, so kann das wirklich nur komisch berühren.
') ib. S. 142.
54 E. TH. WALTER
Die Sammlung, an deren Spitze der Vers MF. 6, 13 so muoz
sin wille an mir ergän steht ^), bietet ein recht buntes Durcheinander,
aus dem einen zu Grunde liegenden Originalvers doch wohl kaum einer
so leicht möchte herausklügeln können.
Die ersten acht Stellen (:= sechs, Dietmar und Meinloh sind
je zweimal vertreten) haben wenigstens ungefähr ähnlichen Grund-
gedanken, die Form ist überall gründlich verschieden, bald heißt es
tüüle ergän, bald wille getan; die Reimwörter wechseln, man fühlt deut-
lich, daß es nur die gemeinsame Anschauung ist, die überall zu
Grunde liegt — und diese Anschauung ist offenbar in der Weise, wie
sie sich im Zusammenhange gibt, höfisch conventioneil. Doch
gleichviel, ob dem so sein mag oder nicht, auf geformte Verse lassen
diese Stellen nicht schließen, dazu bieten sie äußerlich zu wenig Über-
einstimmung.
Zu diesen dem Liebesverkehre eigenen Versen eine Stelle wie
die folgende
Walthers:; [daz man da ze himel] ir willen tuot W. 78, 36
hinzuzufügen (es ist die Rede von der Jungfrau Maria) erscheint
mindestens recht seltsam, vielleicht liegt ein Versehen vor.
Ebenso befremdlich ist^die Heranziehung der Stelle:
Walther: [Herzoge uz Osterricbe,] ez ist iu
wol ergangen W. 28, 11;
sowie der übrigen Stellen mit ergangen überhaupt, von denen ich nur
noch erwähne:
Neithart: [nü sage mir, liebez tohterlin] ist
anders iht ergangen? N. 17, 28.
Die übrigen fünf Stellen sind der späteren Volkslyrik entnommen,
somit für uns ohne Bedeutung.
Daß das Epitheton saelic bei man und wip viel gebräuchlich war,
zeigen die mit diesen Verbindungen versehenen Verse gewiß , weiter
aber auch nichts. Ich führe von den dreizehn Stellen (von denen
übrigens sechs, schon genannten Dichtern zugehörige, in Wegfall
kommen) einige auf ^) :
Husen : Wol ir, si ist ein saelic wip | [diu
von Sender arebeit nie
leit gewan] MF. 54, 1
Veldegge: [Swer zer minne ist so fruot | . . . .]
wol im, derst ein saelic man n 61, 36
Johansdorf : Wol si saelic wip [diu mit ir wibes
güete daz gemachen kan] n 95, 6
') ib. S. 143. ^) ib. S. 144.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 55
Rugge : und wirde ich uoch so saelic mau,
[daz sich min leit verendet] MF. 109, 33
Reinmar : er saelic man, [da fröit er sich] n 153, 16
Walther: er saelic man, [der iuwer lere hat] W. 46, 34
Hartman : [swer seihen strit | . , . . verläzen
künde | . . • . ] der waere ein
saelic man MF. 207, 10
Neithart: waer ich saelic man N. 89, 21.
Ich habe die übereinstimmendsten Verse ausgewählt; doch zeigen
sie alle nur Übereinstimmung in der einfachen Wendung saelic ivq)
saelic man; auf Entlehnung von ganzen Versen Avird der Schiuli über-
haupt nicht ermöglicht. Formelhaft ist die Verbindung jedoch ganz
gewiß, auch glaube ich keinesfalls, die Formel werde sich so in der
Umgangssprache gebildet haben: vielmehr schreibe ich sie — wenn
überhaupt dies nöthig sein sollte — der höfischen Poesie in ihrer
couventionellen Art zu.
Es folgen Stellen mit se.l^,en^):
Nameiil. L.: [Ein winken und ein ambe sehen
wart mir] do ich si nähest
sach. MF. 6, 21
Kürenberc: [... man in waz wir redeten,] do
ich in ze jungest sach. ti 7, 9
Dietmar: do du mich erst saehe, [dö dühtc
ich dich zewäre . . • | n 37,26
Husen : [euch sei si min vergessen niet, |
. wiech von ir schietj und
ich si jungest ane sach n 43, 25
Morungcn : [sist noch hiute vor den ougen min
als si was dö | do si minnec-
liche mir zuo sprach [] und
ich si an sach. v 132, 33
Reinmar: [Min ougen wurden liebes also vol,[
do ich die minneclichen erst
gesach n 194, 19.
Außer in den beiden Versen von Husen und Morungen beruht
die Übereinstimmung einzig auf dem Verbum seheii\ der Zusammen-
hang ist überall anders, so auch bei den beiden eben ausgeschlosse-
nen Stellen, die statt sehen die Zusammensetzung an sehen aufweisen.
Daß so oft von dem sehen, von dem an sehen die Rede ist, erklärt
sich wohl leicht aus der Natur der Liebeslyrik.
Auch bei den Versen: '^j
Meinloh : frö enwirt er nimmer [e er an dinem
arme gelit] MF. 14, 11
♦) ib. S. 144. ') ib. S. 145.
56 E. TH. WALTER
Johansdorf: [verlüre ich minen friunt] seht, so
wurde ich niemer mere frö MF. 91, 35
Reinmar : [Läze] ich mineu dienest
so, . .] sone wirde ich nie-
mer frö
Walther: [ja enwirde ich niemer rehte frö: n 171, 34
[mines herzen tiefiu wnnde.] W. 74, 13
erscheint mir der ganze Gedanke viel zu selbstverständlich, als daß
ich an Entlehnung aus einer früheren Volkslyrik zu denken mich
gezwungen sehen könnte. Daß die Verse natürlich nicht den „Ton
des Tagesgesprächs", wie Meyer meint, darbieten sollen, liegt auf
der Hand. Ich wiederhole, was ich schon oben sagte: den gemein-
samen Gedanken mußten sie wohl haben, da gleicher Gegenstand sie
beschäftigte; sehr viel verschiedene Ausdrücke bot die Sprache ihnen
nicht: was Wunder also, wenn Anklänge oder größere Übereinstim-
mungen zu Tage traten?
Die paar folgenden Stellen m'* andern man etc. ') verdienen
weiter gar keine Beachtung; die Übereinstimmung beruht offenbar
nur auf einem zufälligen Zusammentreffen; man sieht dies gleich,
wenn man die Verse im Zusammenhange betrachtet.
Was hat das an einen andern man in den Zeilen:
Kärenberc : so du sehest mich, ( so lä du diniu
ougen gen |] an einen
andern man. [son weiz doch
lützel ieman | wiez undr uns
zwein ist getan] MF. 10, 6
mit dem entsprechenden Ausdrucke bei
Meiuloh : [mir rätent mine sinne] an deheinen
andern man n 13, 26.
zu thun?
Was mit den eben genannten die folgenden Verse verknüpft, ist
wiederum nur der ähnliche Sinn:
Guotenburc: [deich niemer me die sinne | noch
minen lip bekere] an dehein
ander wip MF. 76, 33
Horheim: [Si darf des niht denken daz ich
minen muot iemer bekere]
an dehein ander wip ?) 113, 13.
Die Übereinstimmung erscheint leicht genug, da wir es eben
mit einer Poesie zu thun haben, die immer und immer wieder um
denselben Gegenstand sich dreht, und zwar in um so engerem Kreise,
') ib, S. 145.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 57
als es sich um einen Gegenstand handelt, den die Mode mit ihren
Schranken umgeben hatte.
Die folgende Gruppe ^) bietet uns als Grund für ihre Zusammen-
stellung nur das Vorkommen des Verbums gedenken in den ihr ange-
hörigen Versen: zu der einfachen Wortübereiustimrnung tritt nichts
sonst hinzu , was uns bewegen könnte an Entlehnung zu denken.
Die Gruppe ist werthlos.
Nicht mehr Bedeutung dürfen wir dem Umstände beilegen, daß
in einigen Versen übereinstimmend der Gedanke, daß der Dichter
seine Geliebte lieber als alle andern Frauen habe, Ausdruck gefunden
hat '^). Solche Gedanken, solche Versicherungen werden wohl jedem
einmal in Sinn und Mund gekommen sein; nicht daß nur einer sie
gehabt haben könnte oder gar keiner, und sie alle aus alten Versen
hätten schöpfen müssen. Die Form ist in jedem Verse eine verschiedene.
Kürenberc: [in weiz wiech ir gevalle mir wart
nie wip also liep MF. 10, IG
Husen : [er hat gesprochen dicke wol , ich
solte im sinj immer liep für
alliu wip 77 54, 34
Reinmar: Wart ie manne ein wip so liep [als
si mir ist, so müez ich ver-
teilet sin]' 77 173, 27'*)
l's. -Veldegge: [ir vil minneclicher lip] der liebet
mir für elliu wip. 77 261, 8.
Die Gruppe, deren Verse den Ausdruck als der lip zur Bezeich-
nung des höchsten Grades von Liebe enthalten, führe ich erst hier
auf [ich hätte sie schon bei Gelegenheit des vorigen Abschnittes bringen
können], weil vielleicht der überschwänglichen Liebespoesie ein sol-
cher Vergleich am nächsten liegt *). Daß der Gebrauch der Wendung
nicht auf eine verlorene Volksdichtung zurückzuführen, vielmehr sprich-
wörtlich geformt schon lange der Zunge eines jeden herzlich Beteuern-
den geläufig gewesen sei: dessen wird man wohl gewiß sein dürfen.
Daß zu Versen wie diu onir ist als der llj) (und ungefähr so
lauten die übrigen alle) die Stelle
Reinmar: [ein ritter minen willen tuotj der
hat geliebet mir den lip MF. 203, 13
herzlich wenig paßt, leuchtet wohl auf den ersten Blick ein; dennoch
») ib. S. 145. ■") ib. S. 146.
') Die. andere Stelle :
daz si mir lieber si, den elliu wip MF. 197, 4,
') ib. S. 147.
58 E. TH. WALTER
fügt sie Meyer bei; sollte ihn wirklich das Wort lip allein dazu ver-
führt haben?
Es schließen sich an die Verse: ^)
Meinloh : [so muoz er under wilen] senelihe
swaere tragen | verholne
in dem herzen MF. 12, 6 — 7
Dietmar: [sit mich der allerbeste man] ver-
holn in sime herzen minne » 38, 8
Neithart: [daz ist mines lieben herzen swaere]
der ich tougenliche vil in
minem herzen trage N. 94, 16.
Vers für Vers Hudeu wir aaderen Sinn, anderen Ausdruck, anderes
Reimwort; das einzige Gemeinschaftliche ist der Gedanke, daß etwas
im Herzen verborgen ruht oder geschieht. Eine Entlehnung ist ganz
undenkbar.
In den Stelion mit gähen, vergällen und gäch '^) sind außer diesen
Wörtern weder formelle noch inhaltliche Übereinstimmungen vorhan-
den. Die Gruppe hat für uns keine Bedeutung.
Von den folgenden Versen ^) sind zunächst drei, welche der
Volkslyrik angehören, auszuschließen; die übrigen sieben schrumpfen
auf vier zusammen, da Neithart dreimal, Fenis zweimal citiert ist.
Ich greife von diesen diejenigen Stellen heraus, die sich am meisten
entsprechen:
Meinloh: da ist gnuogen ane gelungen, [die
daz selbe hänt getan] MF. 12, 25
Fenis: [vil lihte gefröuwent si die lichten
tage,] den da vor ist nach
ir willen gelungen. n 83, 30
Morungen: deswär mirn ist nach werde niht
gelungen t> 136, 22
Neithart: [. . . nüne lät | jener Irenber |] mir
niht wol an ir gelingen N. 100, 28.
Was bei allen diesen Versen übereinstimmend zu Grunde liegt,
ist der Gedanke: Glück bei der Frau. Dieser Gedanke aber —
ohnedies höchst natürlich in Anbetracht des Vorstellungskreises, in
dem wir uns bewegen — findet seinen Ausdruck vom verschiedensten
Standpunkte aus und im mannigfaltigsten Zusammenhange, so daß
an einen Originalvers, der nachgeahmt sein könnte, von Vornherein
gar nicht zu denken ist. Das Wort gelingen in dem hier angewandten
Sinne ist unzweifelhaft schon in der Umgangssprache gebraucht
gewesen.
') ib. S. 147. ^) ib. S. 147—148. 3) ib. S. 148.
ÜBER DEN UßSPKUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 59
Nur der gemeinschaftliche, aus dem Wesen der uns vorliegenden
Poesie ganz ungezwungen sich ergebende Gedanke: ich bin traurig
— nur die Geliebte kann mich trösten, findet sich in seinem zweiten
Theile als Übereinstimmung in den Versen : ^)
Meinloh : [ich triire mit gedanken : | niemen
kan erweuden daz,] ez tuo
ein edeliu frouwe MF. 12, 31
Regensburc: [des ist min herze wunt [ ez heile
mir ein frowe mit ir minne n 16, 21
Husen: [Wer niöhte mir den muot | ge-
troesten,] wan ein schoene
fiouwe T! 49, 30.
Wie sollte mau hier auf einen zu Grunde liegenden Vers, der
nachgeahmt worden wäre, denken?
Über die Gruppe mit sehen oder besser mit mm ouge oder 7nhie
ougen, siht oder sehen oder ähnlich ") verweise ich auf das schon oben
bei demselben Verbum Gesagte ^). Der Zusatz von ouge ändert nichts
an der Bedeutungslosigkeit der Übereinstimmung; dergleichen weist
doch nimmermehr auf Liebeslyrik hin.
Was ich oben von manchen Versgruppen schon bemerkte^), gilt
auch bei der folgenden: ^)
Meinloh: stürbe ich nach ir minne [und wurde
ich danne lebende, so würbe
ich aber umb daz wip] MF. 13, 11
Wolfram: ich stirb, mir werde ir minne Wolfr. 10, 8
Neithart: nach siuer minne bin ich tot N. 3, 13.
Die formelle Verschiedenheit der Verse liegt auf der Hand; nur
die Vorstellung ist dieselbe.
Über die Verse mit nähe ligen etc. ^) gilt, was ich über den ent-
sprechenden Ausdruck schon früher zu sagen hatte '). Die Reini-
wörter wechseln obendrein mehrfach, und von den elf Stellen werden
sechs aus den schon mehrfach angegebenen Gründen untauglich.
Für den Gebrauch des Ausdrucks herze xount ^) wird man wohl
kaum einen andern Ursprung als die Sprache nöthig haben; daß er
sich so oft findet, liegt in der Natur der Sache.
In den Stellen mit miden haben wir nur Wortentsprechung '').
Der Zusammenhang ist immer ein anderer, wie aus der folgenden
Auswahl '") ersichtlich ist:
') ib. S. 148. ') oben S. 58 u. ö. '') oben S. 52.
') ib. S. 148. ») ib. S. 149. ») ib. S. 151.
3) oben S. 55. «) ib. S. 149. ») ib. S. 151—152.
'") Fortgelassen sind je zwei Stellen Dietmars und Reinmars.
60 E. TH. WALTER
Regensburc : Nu heizent si mich miden | einen
ritter. MF. 16, 23
Dietmar: Si wellent daz ich mide [den besten
fi'iunt, den ieman hat] v 36, 8
AValther: [..: swenn ich si solte sehen,] so
miioz ich si miden W. 98, 21
Reiumar: [mir waere | lip und guot unmaere]
het ich si vermiten jNIF. 17 9, 20
Rugge : [nu wil ich tniren iemerme] die wile
ich si vermiden muoz :: 108, 2.
Die Wendung gerne sehen liefert eine bedeutende Gruppe ^). Daß
sie zu den geläufigsten Redensarten gehört haben wird und somit gar
kein Recht zur Annahme einer Versentlehnung giebt, zumal weitere
Übereinstimmungen nicht hinzutreten, leuchtet ein. Ihr Vorkommen
überhaupt ist für eine Liebeslyrik besonders wenig auffallend ^}.
Vollkommen verfehlt ist die Sammlung der Stellen mit//-ö^).
Ganz abgesehen von der Hinfälligkeit der Übereinstimmung — sie
hängt nur an dem einzigen Wörtchen fro — schrumpft die große
Zahl von Versen, es sind einundzwanzig, auf sieben zusammen*).
Was soll nun das beweisen, wenn wir bei sieben verschiedenen Dich-
tern das Wörtchen fro so verwerthet finden, daß es das Reimwort
abgibt ?
Auch die Redensart holdez herze tragen ^) ist gewiß schon in der
Umgangssprache geformt vorhanden gewesen. Daß sie auch durch-
aus nicht etwa nur in den Minnesang gehört, zeigt schon die Art
ihrer Verwendung bei
Spervogel: [ob man dem herren widersage] daz
er im holdez herze trage MF. 22, 4
und wohl auch bei
Husen [den {got) wil ich iemer vor in allen
haben,] und in da nach ein
holdez herze tragen -n 47, 8.
Die zwei Stellen, welche wirklich auffallendere Ähnlichkeit zeigen,
gehören leider ein und demselben Dichter an , nämlich
Reinmar: deich im holdez herze trage MF, 178, 16
deich ir so holdez herze trage n 104, 24.
Die Stellen mit vei'gezzen ®) würde ich schon bei Gelegenheit der
') ib. S. 152. ^) Vgl. oben S. 55 u. 59. Fast die Hälfte der Stellen gehört
Keinmar. ^) ib. S. 152.
^) Es kommen allein 8 Stellen auf Waltber, 3 auf Reinmar, 3 auf Morungen,
2 auf Dietmar, 2 auf Rietenburc.
^) ib. S. 154. Vgl. dazu das oben S. 36 über tragen Gesagte.
«) ib. S. 154.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. Ql
bloßen Worteutsprecliungen behandelt haben, wenn nicht insofern
eine engere Übereinstimmung obwaltete, als in allen den aufgeführten
Versen von dem gegenseitigen Vergessen oder Nichtvergessen im
Sinne von „treu bleiben" der Geliebten die Rede wäre. Das ist aber
auch Alles; formelhaft sind die Verse nirgends. Die mehrmalige
Wiederholung des Gedankens, der übrigens durch den jedesmaligen
Zusammenhang entsprechend verändert wird, kann nicht befremden;
dazu liegt er dem den Liebesverkehr behandelnden Dichter viel zu
nahe. Obendrein sind es nur fünf Dichter, aus deren Liedern Paral-
lelen beigebracht sind ').
Die folgende Zusammenstellung mit fröide stät oder lit '^) mag
auf den ersten Blick, zumal wenn derselbe [mit den mittel-
hochdeutschen Wendungen weniger vertraut ist, einer ge-
wissen auffallenden Übereinstimmung nicht entbehren. Wenn man aber
bedenkt: daß die Redensarten mit stän und ligen in den mannig-
faltigsten Verbindungen gebräuchlich sind, daß durch das Conven-
tionelle, das dem Minnesang nun einmal anhaftete, der
Dichter unwillkürlich immer wieder zum Ausdruck ähnlicher Gedanken
gedrängt wurde, daß endlich eine wörtliche Übereinstimmung nir-
gends vorliegt, vielmehr die Stellen mit lit recht bedeutende Ab-
weichungen zeigen: so wird man trotz der Ähnlichkeit in Form und
Gedanken der Vermuthung einer Entlehnung nicht viel Raum geben
können.
Daß gescheiden sin einigemal vorkommt ^), will doch gewiß wenig
besagen; man vergleiche nur die Verse im Zusammenhang:
Dietmar: riu muoz ich von ir gescheiden siu MF. 32, 19
Ders. : [des werdent mir diu jär so lanc]
sol ich von der gescheiden
sin » 34, 2G
Husen : icli waene an mir wol werde schin|
daz ich von der gescheiden
bin [die ich erkos für elliu wip] " 43, 13
Walther : [und engets uns beiden ,] wir zwei
sin gescheiden W. 41. 11
Reinmar: [daz er iemer solhes iht getuo[ da
von wir gescheiden sin MF. 178, 7.
Die Übereinstimmung beruht in Wirklichkeit nur auf dem einen
Ausdrucke gescheiden und gestattet gar keine weiteren Schlüsse.
Betrachten wir die Gruppe mit eigen*) genauer, so werden wir
') ib. S. 154. ') 3mal Neithart, 2mal Walther, L'nial Dietmar, l'mal Rein-
mar, Imal Rugge. ^) ib. S. 154. •*) ib. S. 155.
ß2 E. TH. WALTER
bei einigen Stellen gewiß eine weitergehende Entsprechung finden;
so bei
Dietmar: der ich den lip | hän gegeben für
eigen MF. 40, 20. 21
Fenis: Lip unde sinne die gap ich für eigen
[ir vif genäde] v 82, 34
Walther: eime sult ir iuwern lip | geben für
eigen, [nement den sinen] W. 86, 19. 20.
Daß aber diese Übereinstimmung nicht etwa auf einer Versent-
lehnung beruht, sondern der Anschauungs- und Gemtithswelt der be-
treffenden Dichter unbewußt entsprungen ist, zeigt wohl mehr noch
als der eben citierte, durchaus nicht formelhaft zu den beiden ersten
Parallelen stimmende Vers Walthers, die Stelle aus
Reinmar: Ich hän ir niht ze gebenne] wan
min selbes lip ; derstir eigen. MF. 182,18, 19.
So drückt man sich nicht aus, wenn man au eine alte feste
Formel denkt, sondern nur wenn die Vorstellung, die in den Worten
sich zeigt, einem ganz geläufig ist.
Eine Wendung, die ebenfalls in einer Liebeslyrik kaum ent-
behrlich scheinen möchte, so wenig sie auch einer solchen ausschließ-
lich eigen ist, enthalten die Verse mit gedanc '). Was ist natürlicher,
als daß dem Gedanken hier und da Ausdruck gegeben wird: all'
mein Sinnen und Denken steht bei der Geliebten, treibt mich zu ihr
hin; ich denke gern an sie, ich kann nur noch an sie denken u. s. w.
Auch die bei drei verschiedenen Dichtern gleichartige Formung
der Wendung aller min gedanc stet darf nicht befremden; wir haben
es nur mit einer allgemein üblichen, gewiß auch schon in der Um-
gangssprache gebrauchten Redeformel zu thun. Das zeigt uns schon
der verschiedenartige, keineswegs nur in den Bereich der Liebeslyrik
gehörige Zusammenhang, dem die Stellen angehören:
Dietmar: [frouwe, mines libes frouwe] an dir
stet aller min gedanc MF. 36, 35
Rugge: ie noch stet aller min gedanc [mit
triuwen an ein schcene wip n 99, 36.
In ähnlichem Zusammenhange stehen die verwandten Ausdrücke:
Morungen : nach der min gedanc | sere ranc MF. 139, 23. 24
Husen : . . daz ich niene kan | gedenken
wan an si alleine v 44, 15. 16.
Daß diesen Versen mit den vorhergehenden gleiche Originalverse
zur Nachahmung vorgelegen haben sollten, ist eine Behauptung, die
■) ib. S. 156.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 63
Meyer wohl selbst nicht recht glauben wird, ebensowenig wie er
ernstlich meinen kann, daß ein Vers wie der folgende
Neithart: von im so treit mich aller min gedanc N. 45, 22
der genau den entgegengesetzten Sinn hat, oder die übrigen, die in
ihrer Anwendung der fraglichen Redensart nichts mit jenen bereits
genannten Stellen gemein haben, in einem andern Zusammenhange
stehen als wie ihn die Sprache selbst an und für sich zu bieten pflegt.
Ich führe den Rest der Stellen auf:
Rugge: üf bezzer Ion stet aller min gedanc MF. 102, 26
Neithart: umbe ein scheiden, so stet aller min
gedanc N. 87, 17
Guotenburc : [bete ich funden deheine so guote]
da nach kert ich gerne
minen gedanc MF. 78, 18.
Es finden sich ferner zusammengestellt: ')
Dietmar: als wirz uns beide hän gedäht, | so
hat erz an ein ende bräht
mit maneger fröide und liebes
vil.] MF. 40, 7. 8
Dazu Rugge: [mit ir ze redenne äne strit] nach
minem willen alsen ich hän
gedäht, V 109, 21
Walther: ezn kome als ich mirz hän gedäht
[umb ir vil minneclichen lip] W. 72, 3,
In welcher Absicht fügt nun Meyer diesen drei Stellen als
Parallele bei:
NIbelungenl. : du hast ez z'eime ende nach dime
willen bräht,
und ist ouch rehte ergangen als ich
mir bete gedäht V. 2307, 3. 4.
Könnte er wirklich meinen, jenen drei Minnesingeiu und dem Dichter
der Nibelungenliedesstelle habe ein Vers aus der Volksliebespoesie
vorgelegen, den sie nun pflichtschuldigst nachgeahmt hätten? Ich
möchte doch wohl eher Recht haben, wenn ich gerade im Hinblick
auf die obigen Entsprechungen besondern Nachdruck auf meine schon
oft ausgesprochene Ansicht lege , daß die Sprache wie heute so da-
mals dem Dichter viel mehr an die Hand gab, als es beim ersten
Blicke scheinen will: nicht nur Wörter, nicht nur Wendungen, sondern
oft genug ganze Vorstellungen, geformt und ungeformt; sprich-
wörtliche Redensarten u. dergl. so gut wie das heute und jeder-
zeit geschieht ^).
') ib. S. 1.5fi. ') Dasselbe gilt auch für die Stellen auf S. 154.
64 E. TH. WALTER
In der folgenden Gruppe ') beruht die Entsprechung auf den
beiden Worten alliu lolp oder ähnlich mit geringen Abänderungen.
Bei einer Anzahl von Stellen tritt wenigstens noch ein ähnlicher Sinn
hinzu, nämlich daß der Dichter der Geliebten den Vorzug vor allen
Frauen einräumt; in anderen fehlt diese Beziehung. Aber auch wo
sie vorhanden ist, läßt sich mit den Stellen nichts erweisen. Daß die
zwei nebeneinander stehenden Worte alliu wip entlehnt sein sollen,
kann Niemand behaupten, ohne sich lächerlich zu machen. Daß der
Gedanke „ich bin Dir vor Allen ergeben", ausgedrückt in der alier-
verschiedensten Weise in einer Liebeslyrik nicht gerade mit Verwun-
derung aufzunehmen ist, wird mir wohl auch keiner bestreiten. Die
Zusammenstellung hat durchaus keine Bedeutung. Ebensowenig
die folgende **), die ihre Übereinstimmung in dem Verbum erkorn oder
erkos mit entsprechender Ähnlichkeit des Sinnes findet. Wie in der
vorigen Gruppe, so ist auch in dieser der Gedanke durch die Art
der Poesie, in deren Kreis wir uns befinden, nothwendig gegeben.
Daß die Wörter erkos oder erkorn und lotp vorkommen müssen, ist
ja klar; im Übrigen unterscheiden sich die Verse sammt und sonders
so gründlich von einander, als es nur möglich ist. An eine Versent-
lehnung kann gar nicht gedacht werden.
Den Schluß dieser Abtheilüng bilde die Gruppe mit gesach^),
von der zum Theil dasselbe sich sagen läßt, was von den beiden
vorhergehenden galt. Es sind die Stelleu :
Morungen: wan in gesach nie wip so rehte guot MF. 142, 25
Keinmar: Ich ensach nie wip so staete [. . . diu
so harte missetaete, | so si
tuot] 57 202, 19
Neithart: ich gesach nie jungez wip so grim-
meclich geslahen N. 47, 32
Ders, : Ich gesach nie jungez wip so lose
[diu ir lip den mannen künde
baz versagen] n 48, 29.
Daß bei den folgenden Stellen blos die drei ersten Worte
der Verse angeführt sind, macht allein ihre Heranziehung möglich;
denn wer sollte wohl auch nur einen Augenblick an eine Beziehung
zwischen den oben angeführten Versen und
') ib. S. 157. ^) ib. S. 157. Bemerken will ich hierbei doch, daß in dieser
Gruppe drei Stellen, die bereits in der vorigen ang'eführt sind (N. 43, 14; N. 50,31;
Mor. 130, 31. 32), nochmals voll citiert werden. ^) ib. S. 161.
ÜßER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. ßf)
Ich gesacli don suiner uie ^) CB. 115"
oder Walther: In gesach nie houbet baz gezogen W. 52, 31
glauben wollen, wenn er die vollen Verse zu Gesicht bekommen iiat?
Eine Anzahl von Gruppen habe ich bisher von der Besprechung
ausgeschlossen, weil mir die Übereinstimmung, die ihre Verse unter-
einander vorbindet, weitgehender erschien, als es für gewöhnlich der
Fall war.
Entweder sind es hier die ganzen Verse, die eine formelhafte
Gleichheit eines nicht gerade durch den Zusammenhang nothwendig
bedingten Gedankens zeigen, oder es sind Theile von Versen, die
oft nur wie zur Füllung erscheinen, oder auch nur regelnuäßig in
einigen Stellen wiederkehrende Gedanken, Vorstellungen oder Wort-
verbindungen, von denen man nicht so ohne Weiteres vermutiien
dürfte, daß sie den verschiedenen Dichtern durch den Zufall allein
eingegeben worden seien.
Gleichwohl haben auch diese Gruppen für uns keinen Werth.
Wir werden bei ihrer Besprechung zu der Einsiciit kommen,
daß sie auf alles Andere, nur nicht auf die nothwendige Existenz
einer Liebeslyrik schließen lassen, die der Natur des Minnesanges
entspräche, ja nicht einmal auf eine Liebeslyrik überhaupt '^).
Sie mögen aus sprichwörtlichen Redensarten der Umgangssprache,
festen Formeln anderer Dichtungsarten hervorgegangen und so in
ganz natürlicher Weise in die Lieder der ritterlichen Poesie — ohne-
liin nicht in bedeutender Anzahl — übergegangen sein.
Ich wende mich also nunmehr
4. zu denjenigen Gruppen, die trotz größerer Übereinstimmungen
doch nicht auf eine Liebeslyrik schließen lassen infolge ihres ent-
weder nicht auf eine solche beschränkten oder sogar ihr fern stehen-
den Inhaltes.
Es begegnet mir zuerst die Gruppe mit volae du miner lere ^).
Die Wendung, die doch gewiß den echt lehrhaft- spruchartigen Cha-
rakter nicht verleugnen kann, findet sich in ziemlich unveränderter
Form nur
') Übrigens hat Meyer in dieser Stolle eine größere Ähnlitdikelt dadurch er-
reicht, daß er — ohne es anzudeuten — das die Übereinstimmung störende Wort
den sjimer einfach ausgelassen hat!!
^) Damit wird natürlich eine solche nicht bezweifelt; es handelt sich hier nur
um den Schluß, den uns die folgenden Stellen erlauben.
^) ib. S. 133-134.
GEKMANIA. Nene Reihe. XXU. (XXXIV.) Jahrg. 5
66 E- TH. WALTER
3. lat. Liebesbr. : friunt volge du miner lere MF. 224, 26
Spervogel: [. . . . neme ze wisem manne rät]
und volge ouch siner lere r 20, 16
Walther: da von volge miner lere [leg üf die
wäge ein rehtez löt] W. 23, 7
Ders.: doch volg ich der alten lere: n 65, 12')
Neithart: [die rätent und prüevent daz ich äne
16n belibe] niht envolge ir lere N. 54, 21
Ist es nicht hierbei auffallend, oder vielmehr recht bezeichnend,
daß die Wendung gerade bei den Vertretern der Spruchdichtung
Spervogel und Walther und sonst nur bei dem späteren Neithart
in ihrer festeren Form sich findet? Denn die Stelle aus dem Liebes-
briefe ist ja auf keinen bestimmten Ursprung zurückzuführen, sie hat
in dieser Beziehung keine Bedeutung^).'
Eine vollere Wendung, deren Gebrauch ebenfalls ganz unzweifel-
haft der Umgangssprache bereits eigen gewesen ist, bieten dann die
Verse ^): Solde ih noh den tach geleben CB. 99*
solde ih nah dem willen min die
zit geleben ti 127"
Johansdorf: Und solde ich iemer daz geleben MF. 92, 28
Husen : Gelebt ich noch die lieben zit n 45, 1
Walther: Müeste ich noch geleben .. W. 112, 3^)
Neithart: Owe, gelebte ich noch den tac N. 80, 9,
Nicht eben auf's beste paßt dazu
Solde aver ich mit sorgen iemmer
leben [swenne ander lüte wercn frö?] CB. 128°
Hierher gehören auch die vier Stellen, die den Ausdruck hoher
Freude ziemlich übereinstimmend wiedergeben ^) :
so wolde ih in wunne sweben CB. 99"
Johansdorf: so mües min herze in fröiden sweben MF. 92, 30
Walther: [wi wie tuont die jungen so] die
von fröiden solten in den
lüften sweben W. 42, 3 4^)
Neithart: der waenet in den lüften sweben N. 93, 31.
') Die anderen beiden Stellen schon ganz anders:
[Welt ] volge wiser liute tugent W. 60, 25
min friunt, im volge mir n 89, 13.
^) Nicht wörtlich stimmen zu den aufgeführten Stellen
Johansdorf: volgent miner raete MF. 94, 5
Neithart: ja volge ich iuwer raete N. 21, 19
') ib. S. 135. ^) Die beiden anderen Stellen Walthers:
noch müeze ich geleben W. 31, 27
doch müeze ich noch die zit geleben W. 98, 22.
^) ib. S. 135. «j Der andere Vers:
min herze swebt in sunnen ho W. 76, 13.
ÜHKli DKN UliSPHUNO D?:-^ HÖFISCHEN MINNESANGES etc. Ö7
Auch mögen hier ihren Platz finden die Verse ^) :
lazze mich mit fröuden werden alt, CB. 94*
Neithart : mit vröuden sul wir alten N. 1<5, 1 <>
Biigger: [Er fände guoten kouf an minen
jaren,] der äne vröude wolte
werden alt, [wan si mir lei-
der ie unnütze wären] MI'\ 118, 20
Walther: [Swer sich so behaltet | daz im nie-
men niht gesprochen mac \]
wünnecliche er altet, [im
enwirret niht ein halber tac]
Daß die Verse nur einer allgemeinen Redeweise oder Vorstelhing
ihre Ähnlichkeit verdanken, ist wohl ebenso leicht einzusehen, als es
offen auf der Hand liegt, daß bei ihnen an eine Entlehnung aus einer
Liebeslyrik gar nicht zu denken ist; an eine Entlehnung überhaupt,
jedenfalls wohl nicht bei Biigger und Walther. Verse, die so wie bei
diesen im engsten und keineswegs formelhaften, sondern eigenthüm-
lichen Zusammenhange stehen, sind sicherlich nicht entlehnt, sondern
selbständig — höchstens mit unbewußter Anlehnung an in der Sprache
liegende Ausdrücke oder Vorstellungen — entstanden.
Dasselbe gilt von den folgenden drei Versen"):
. . wer were alt, [da sih diu zit so
schönet?] CB. 101"
Nieman chan nu werden alt, n 102'
Walther: [swar er vert in siner wünnc,] dan
ist nieman alt W. 51, 20.
Der Gedanke ist ganz gewiß volksthümlich, aber beweisen läßt sich
darum noch nichts damit. Ich möchte sogar geradezu behaupten,
daß er recht eigentlich den volksthümlichen Frühlingsliedern ange-
höre , daß er die Kunde von der Ankunft des nieien gewiß recht
regelmäßig in dergleichen Liedlein begleitet haben mag. Mit einer
dem ritterlichen Minnesang als Vorstufe dienenden Liebeslyrik hat er
aber nichts zu thun. Findet er sich doch auch sonst kaum wieder
in der höfischen Poesie früherer Zeit; nur Walther hat ihn, und bei
diesem dürfen solche Anklänge nicht befremden.
Ganz unpassend ist die Heranziehung der Stellen, welche eine
Umschreibung des Namens Gottes enthalten'''); sie haben für unsere
Frage auch nicht den leisesten Werth und geben nur ein Zeugniß
davon, wne unklar das Bewußtsein von dem Zwecke der ganzen Samm-
lung gewesen ist.
•) ib. S. 135. ') ib. S. 135. ') ib. S 139.
68 E. TH. WALTER
Es sind die Verse:
der al der werlt ein meister si, CB. 165"
Dietmar: der al die weit geschaffen hat MF. 38, 23
Ders. : der uns alle werden hiez, wie ... v 36, 28. 29
Johansdorf: der al der werlte fröude git ^^ 92, 14.
Was bei der Stelle ^)
Namenl. Lied: nu entgilte ich des ich nie genöz MF. 4, 4
der Hinweis auf Anm. 4, 4 im Minnes. Fr. bedeuten soll, ist mir höchst
unklar. Die Anmerkung mitsammt ihren mannigfachen Parallelen be-
sagt gerade gegen Meyer, daß die ganze Wendung allgemein ge-
bräuchlich gewesen sein muß, jedenfalls weder auf Liebeslyrik noch
auch auf Lyrik überhaupt beschränkt werden darf.
Die Gruppe, deren Verse Redensarten mit maere enthalten'^),
hätte ihren Platz vielleicht schon in einer der früheren Abtheilungen
erhalten können. Nur der in einer Anzahl von Stellen ziemlich er-
sichtliche formelhafte Charakter der Verbindungen hat mich dazu ver-
anlaßt, die Zusammenstellung erst hier zu erörtern. Es gilt von ihr
dasselbe, was ich schon mehrmals betont habe: einen Schluß auf
Liebeslyrik erlaubt sie nicht, im besten Falle mag man sie auf an-
dere Dichtungsarten zurückführen.
Auch die Stellen mit der Redensart sine arebeit Verliesen ^) hätte
ich schon andernorts behandelt, wenn nicht bei zwei Dichtern je ein-
mal ganz genau derselbe Vers sich fände, nämlich:
Rietenburc: sie fliesent alle ir arebeit MF. 18, 7
Reinmar : sie fliesent alle ir arebeit n 184, 27
und noch einmal bei demselben wenigstens ähnlich:
der verliiTset al sin arebeit n 172, 31.
Ich glaube zwar durchaus nichl, dieser Übereinstimmung irgend
welchen bedeutenden Werth beimessen zu müssen; vielmehr besteht
für mich gar kein Zweifel darüber, daß hier Zufall gewaltet habe;
bei einer Redensart, die schon selbst aus drei Wörtern besteht, kann
ja naturgemäß zur Bildung eines vierhebigen Verses nicht viel mehr
hinzutreten : wie leicht ist da also eine Übereinstimmung möglich.
Indessen sind noch zwei andere Stellen angeführt:
Walther: [daz er den (dorn) furder leite] von
siner arebeite : sist anders
gar verlorn W. 103, 27. 28.
Neithart : min verloren arebeit . . N. 64, 2
um derentwillen ich die Gruppe hier behandelt habe. Daß mit ihrer
') ib. S. 140. 0 ib. S. 150. ■■) ib. 8. 1.52.
ÜBER DEN URSIMIUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES e\c. [\\)
ZuliiltfUiihuie eine Verseutlelmung nicht bewiesen vverdeu kunu, be-
darf keines Wortes; dazu ist ihre formelle Verschiedenheit von den
oben angezogenen Stellen zu groß. Darauf möchte ich hier nur noch
aufmerksam machen, daß auch die Redensart selbst nicht etwa einer
poetischen Bildung zu verdanken sei, sondern offenbar in der Um-
gangssprache ihren Ursprung hat.
Unzweifelhaft eine feste, wenn auch höchst einfache Formel, liegt
uns in den Versen mit ist mm rät vor *). Daß sie mit Liebeslyrik
nichts zu thun hat, bedarf nicht der Erörterung.
Dasselbe gilt auch von den Stellen mit daz ist war -) (wenn man
nicht von vornherein den Zufall will gelten lassen).
Ebenso ist die Wendung senfter ivaere mir der tot ^) gewiß als
spiichwörtliche Redensart allgemein gebräuchlich gewesen, um etwas
ganz besonders Unerträgliches auszudrücken; jedenfalls hat sie nichts
an sich, was sie nothwcndig einer Liebeslyrik allein zuwiese.
Es folgen die Stellen *) :
Rugge: nu hat er beidinthalb verlorn, [wände
er vorlite daz got im gebot,
durch in ze liden die not
und den tot] MF. 98, 39
Haitmann: [Die fi-iunde habent mir ein spil \
geteilet vor,] dest beident-
lialp niht wan verlorn : 75 216, 9
Ps.-Spervogel : [Swer des biderben swache phliget, |
da bi des bo'sen wol] der
hat si beide verlorn ri 245, 27.
Ich weiß nicht, ob Meyer das Wort heidinthalp auffallend vor-
kommt, was es ja durchaus nicht ist, oder ob er die Verbindung mit
verlorn als etwas Besonderes betrachtet: hätte er die Verse im Zu-
sammenhange betrachtet, so würde er wohl kaum in einer offenbar
zufalligen Übereinstimmung — obendrein eigentlich doch nur in zwei
Stellen — den Grund für eine Entlehnung haben finden können.
Sollte übrigens wirklich eine Entlehnung irgendwoher stattgefunden
haben, so wäre man jedenfalls weder auf Liebeslyrik noch auf Lyrik
überhaupt — fast möchte ich sagen: noch auf poetisch gestaltetes
Material überhaupt angewiesen, sondern dürfte sich vielmehr richtiger
im Formelschatze der Umgangssprache umsehen.
Auffallender sind entschieden die folgenden Verse: ^)
') ib. S. 1.53. ") ib. S. 160.
") ib. S. 153. ^) ib. S. lüO.
^) ib. S. 154.
70
E. TH. WAl.TEli
BHgger: Min alte swaere die klage ich für
niuwe [wan sie getwanc
mich so harte nie me] MF. 118, 1
Morungen : [Leitliche blicke und | hänt
mirdaz herze verlorn]
min alte not, die klagte ich
für niuwe n 133, 15
Guotenburc: [daz lenget mir die kurzen tage] und
niuwet mir die alten klage,
[von der ich wände sin er-
lost] V 70, 35
Reinmar: Nu muoz ich ie min alten not | mit
sänge niuwen unde klagen,
wan si mir also nähen lit] n 18 7, 31. 32
und ders. : ich klag iemer minen alten kumber,
der mir iedoch so niuwer
ist [den si mir gap dö si
mir fröide nam] n 189, 11. 12.
Eine feste Formel liegt uns auch unstreitig vor in den Versen : ')
Moiungen: owe war umbe tuot er daz? MF. 143, 1
Walther: we war umbe tuot si daz? W. 112, 33
Ders.: [die kunnen niuwan sorgen :] we wie
tuout si so? n 124, 20
Neithart: we warumbe tuont si daz? N. 89, 17
Reinmar: we wie tuost du so? R. 190, 32
Ders.: we warumbe spiiche ich daz? ti 193, 17.
Aber die Herleitung dieser Formeln aus der Liebeslyrik ist nicht
begründet. Darum, daß sie jetzt in einer solchen gebraucht sind,
darf man natürlich noch lange nicht rückwärts schließend sagen, sie
wären darin entstanden. Entweder war die Wendung allgemein
verbreitet, oder sie hatte sich in irgend einer der vorhandenen Dich-
tungsarten geprägt. Bestimmtes läßt sich über dergleichen Vorgänge
natürlich selten sagen, umsomehr muß man sich hüten darauf Be-
hauptungen zu gründen.
Damit ist auch diese Abtheilung geschlossen, und es bleiben mir
nur noch einige Stellen übrig, welche
5. Ausdrücke enthalten, die ich darum für unsern Zweck als
unbrauchbar zurückweisen muß, weil sie offenbar nicht volks-
thümlich sind.
Hierher gehört zunächst die Gruppe mit hohen muot^). Für
volksthümlich halte ich diesen Ausdruck, wie er im Minnesang vor-
kommt, nicht. Er ist durchaus nicht etwa identisch mit unserm
») ib. S. 161.
') ib. S. 134.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 71
„Fröhlichkeit" schlechthin, vielmehr bezeichnet es den stolz gehobe-
nen Sinn, der den Uitter im Dienste der Frau erfüllte, wenn ihm
Gewährnng winkte. Mau vergleiche die Stelle bei
Morungen: liebe diu git mir huhen muot, (dar
zuo l'reud uude wüuuej MF. 13'i, '23.
Der Zusatz freud unde wünne verlangt nothwendig eine andere Be-
deutung für hohen muot.
I\Ian beachte ferner die Stelle bei
Walther: edel unde riche { sint si (d. frouwen)
sumeliche, ] daz zno tragent
si hohen muot W. 51, 1 — 4.
Auch hier ist der Sinn des Ausdrucks deutlich erkennbar; edeln, hohen
Sinn rühmt Walther an den Frauen, nicht Fröhlichkeit, frohen Sinn
oder dergleichen.
hoher muot ist ein Ausdruck, der wohl in dem höheren gesell-
schaftlichen Kreise, dem der Minnesang zugehört, seine Stätte hatte,
nicht aber in dem „bäuerischen Stegreifdichten", von dem Meyer
spricht, seinen Ursprung suchen darf*).
Dasselbe urtheile ich über den Gebrauch des Verbums niidertän,
das eine nicht geringe Gruppe bildet ").
Ich fasse mit dem Ausdruck undertdn gleich die Wendung sivaz
sie gebildet, daz allez si getan und ähnlich ^) zusammen.
Beide Ausdrücke halte ich in ihrem Gebrauche innerhalb der
hölischen Poesie für echt höfisch und von vornherein nicht für
volksthümlich. Diese dienstbare Ergebenheit unter den Willen der
Frau ist- ein charakteristisches I\Ierkmal für den conventioneUen
Frauendienst und die denselben feiernde Poesie: den ritterlichen
Minnesang. Volksthümhch ist ein solches Verhältniß, wie es sich aus
jenen Wendungen kundgibt, durchaus nicht.
Das Gleiche darf ich wohl, ohne noch weitere Worte zu verlieren,
von den Stellen mit dienen behaupten ^).
Auch die Stellen mit edel unde guot etc. ^) bleiben der höfischen
Poesie unweigerlich zu eigen, edel wird zur damaligen Zeit von Men-
schen immer nur mit Bezug auf vornehme Abkunft gebraucht;
wir dürfen noch nicht mit einer verallgemeinerten Bedeutung des
Wortes rechnen. Dieser Sinn des Wortes verbietet aber, dasselbe einer
') Übrigens sind nur vier Dichter mit dem Ausdrucke vertreten: Naineid. liied
einmal, Morungen und Keinmar je zweimal und Walther viermal.
') ib. 8. 136—137. ^) ib. S. 151. *) ib. S. 149- 150. *) ib. S. 151.
79 E. TH. WALTER
volksthümlichen Lyrik noch früherer Zeit als Epithetou für die
Frau zuzusprechen.
Ebenfalls der ritterlichen Poesie weise ich die Stellen mit
riten zu ').
Jedenfalls nicht volksthümlich sind endlich Verse wie
Venus schiuzet iren bolz CB. 111*
Venus wil mi schiezen ;? 124*
die Meyer ebenfalls heranzieht ").
Damit habe ich die Stellengruppen der Meyer'sehen Sammlung
vollzählig besprochen. Nur zwei Gruppen habe ich absichtlich bis-
lang übergangen, weil ich später auf sie noch werde eingehender zu
sprechen kommen. Es sind dies die Parallelen zu MF. 3, 1 — 4'^)
und diejenigen zu CB 136"*).
Es bleibt mir nur noch übrig, kurz das Ergebniß meiner Unter-
suchung; zusammenzufassen.
Fragen wir uns zunächst noch einmal: was beansprucht Meyer
durch die vorliegende Sammlung bewiesen zu haben; und
welche Consequenzen knüpft er an das angeblich erlangte
Resultat?
Wir sind in der Lage, mit seinen eigenen Worten zu ant-
worten"): „Wir haben nun, wie ich glaube, die Existenz
einer großen Anzahl vonVersen, die in der verloren gegan-
genen Volksdichtung gerade wie noch in den ältesten er-
haltenen Liedern zu neuen Liedern zusammengefügt wur-
den, für alle an der litterarischen Cultur Deutschlands
betheiligten Länder nachgcAviesen." Er sagt ferner von diesen
Versen®): die betreffenden Dichter hätten dieselben gleichsam als
Bausteine in ihre Gedichte eingefügt und sie nur insoweit
behauen, als es der Bau ihrer Strophen erfordert hätte.
Aus diesen Worten folgt mit voller Nothwendigkeit, daß die
„verloren gegangene" Volkslyrik so ziemlich den älteren Zeugnissen
der höfischen Dichtung muß gleich gewesen sein; daß der ritterliche
Minnesang ein Abklatsch der „bäuerischen Stegreifdichtung" sei, eine
Folgerung, die er selbst vollkommen als die seinige anerkennt, wenn
er äußert '): dieKunstdichtuug habe sich zunächst so wenig
') ib. S. 1:^6. ') ib. S. 136. ') ib. S. 133. ') ib. S. 139.
5) a. a. O. S. 174. cf. oben vS. 10.
") Meyer a. a. O. S. 167—168. cf. oben S. 9.
') Meyer a. a. O. S. 225. cf. oben S. 1, Anm. 4; S. 2, Anm. 4; S. 10.
ÜUEK DEN URSPRUNG DES HÖFISCHKN MINNESANGES et.-. 73
von der „bäuerischen Stegrei fd ich tun <;••' entternt, da(i> sie
„zuerst ganz die alte Art fortgesetzt" l)abe.
Fragen wir nun weiter: inwieweit hat sich die Meyer" sehe
Sammlung beweiskräftig erwiesen?
Wir haben zunächst von ziemlich äußerlichem Gesichtspunkte
aus eine Anzahl der Gruppen von Parallelen ausscheiden müssen,
nachdem wir die Überzeugung gewonnen hatten , daß zum Beweise
einer Entlehnung von Versen aus früherer Zeit von Seiten späterer
Dichter solche Stellen nicht tauglich wären, die entweder einem
Dichter allein entnommen wären oder nur eine einzige Paral-
lele aufwiesen; das Gleiche behaupteten wir von den Stellen, die einer
Volkslyrik späterer Zeit (also nach den entlehnenden [Vj Dich-
tern) angehörten ■').
Wir gingen dann auf die einzelnen Gruppen näher ein und
fanden, daß die Übereinstimmungen in den zusammengestellten Versen
entweder auf einem einzigen Worte beruhten, oder auf Wen-
dungen, zusammengesetzteren Ausdrücken, die zweifelsohne
der täglichen Umgangssprache entstammen; oder auf solchen ,
die so nothwendig dem Kreise jeder Liebeslyrik angehören, daß
ihr wiederholtes Auftreten uicht befremden darf.
Ks blieben uns darnach noch eine Anzahl anderer Gruppen
übrig, bei denen wir oft nicht umhin konnten, dem Gedanken an eine
Entlehnung Raum zu geben. Suchten wir aber nach einer Quelle,
aus der solche formelhafte Verse geflossen sein mochten, so fanden
wir, daß jede andere Dichtungsart mehr dafür zu gelten
geeignet sei, als gerade die Liebeslyrik; daß mau selbst der
Alltagssprache des Umgangs die P^ähigkeit zur Bildung der-
artiger Formeln nicht absprechen dürfe. Die lyrische Form, in der
') Verwahren möchte ich mich hier ge^en einen etwaigen Vorwurf. Man könnte
mir vorhalten, ich hätte diese Stellen ausgeschieden, weil sie aus den Minnesingern
entlehnt sein müßten. Das aber zu behaupten liegt mir ferne. Icli würde nöthigen-
falls gerne zugeben, daß die spätere Voiksiyrik aus der früheren, d. h. vor dem
Minnesänge vorhandenen, Allerlei bewahrt oder übernommen haben mag und wird;
ich leugne nur, daß sich irgendwie von bestimmten Stellen, die uns die Sammlung:
bietet, behaupten lasse, sie müßten der Volkslyrik entstammen; sie könnten nicht
auch dem hötischen Minnesänge ihre Eiitstehuuj? oder auch Anregung verdanken.
Dem gegenüber zu sagen: dann müßten diese Volkslyrikstellen wenigstens mit gleichem
Rechte wie die späteren Minnesinger zugelassen werden, ist werthlos. Die späteren
Minnesinger haben natürlich für den Ursprung der höfischen Dichtung ebenfalls nicht
'lie geringste Bedeutung; die Heranziehung Neitharts ist schon das äußerste, was
man sich gefallen lassen kann.
74 E. TH. \VALTP:R, über I). URSPRUNG D. HÖFISCHEN MINNESANGES etc.
sie uns, wie Meyer bemerkt, entgegentreten (meist in vierhebigen Ver-
sen), durfte uns natürlich nicht anders stimmen, l^iegt uns doch eine
lyrische Poesie vor; was also ihr entnommen ist, muß doch selbst-
redend lyrisches Gewand tragen.
Endlich fanden wir auch die Sammlung nicht trei von solchen
Stellen, die ganz offenbar nicht auf einen volks thümlichen Ur-
sprung zurückgeführt werden durften, weil ihr ganzer Cha-
rakter einer solchen widersprach.
Wir haben in dieser Weise die ganze Sammlung durchgeprüft,
Stelle für Stelle, ohne anscheinenden Schwierigkeiten auszuweichen
oder sie todtzuschweigen; wir haben bei unserer Prüfung noch nicht
einmal den strengsten Maßstab angelegt; sonst hätten wir Dichter
der späteren Zeit, die doch bereits mit dem vollen überlieferten con-
ventionellen Materiale der höfischen Poesie arbeiteten, die aber auch,
wo sie unzweifelhaft sieh mit der Volkspoesie berührten, nicht für
den Ursprung des Minnesangs in Anrechnung gebracht werden
durften — ebenfalls ausscheiden müssen 5 wir hätten auch noch auf
die gegenseitigen Entlehnungen der ritterlichen Sänger selbst auf-
merksam machen, wir hätten ein Wort von der allmähligen Bildung
eines höfischen conveutionellen Kreises, aus dem die Minnesinger mit
wenigen Ausnahmen nicht herauszutreten vermochten, mit einfließen
lassen müssen.
Umsomehr halten wir uns jetzt für berechtigt, unsere Ansicht,
die wir durch die voraufgegangene Untersuchung gewonnen haben,
dahin auszusprechen:
Die Meyer'sche Sammlung hält nicht, was sie verspricht.
Zum Theil ist sie nur auf eine wenig berechtigte Weise zu
einer bedeutenden Stärke angewachsen. Im Übrigen be-
weist sie auf keinen Fall, daß die zusammengestellten
Verse einer Liebespoesie entstammen: sie beweist also
nicht einmal die Existenz einer Volksliebeslyrik über-
haupt^), geschweige denn einen Zusammenhang zwischen
einer solchen und d e r h ö fi s c h e n M i n n e p 0 e 0 i e , w i e e r o b e n ^)
verschiedentlich mit Meyers Worten als Behauptung auf-
gestellt worden ist.
(Schluß Iblgt.)
LEIPZIG. E. TH. WALTER.
') Wie schon oben bemerkt, leugnen wir eine solche durchaus nicht.
^) Oben Ö. 9 ff. nnd öfter.
J HORNOFF. DHU MINNK8ÄNGER ALBRECHT VON JOIIANSDOKF. 75
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON
JOHANSDORF.
(Schluß)
V. Gedankenwelt.
1. Älinne.
Li ebesbek en n tn i Ü. Joh. 88,9 Ich ininae sie. vür allm icip
und swer ir des M (jofe. 90, 14 Ich minne. ein lo^p vor al der werlte in
mineni miiote. 81,1 Wtvid ich zeiner vröude si mir hau erkorn.
Haus. 45, 27 der si vor al der loerlte hat. 50, 31 icli häns er-
korn uz allen loiheii. Veld. 56, 17 die ich zer besten hau erkorn odr in
der werlte mohte schouwen. Rugge 103, 5 di(r die ich elliu ivip verbir.
103, 12. do ichs üz al der icerlle erkds. Mor. 122, 11 daz ich die mine
für allixi andriu uip hän zeinrr kröne gesetzet !<d ho und ich der dchein.
uz gnomen hau. 130, 31 Ich hau si für alliu wtp mir ze frouioen und
ze liep erkorn. 147, 6 ... nnd iuch so herzeliche minne zewdre frouwe
gar für elliu wip.^ Kein in. 150, 3 die sol mir ienwr sin V(,r allni iciben.
ItJO, 9 got iceiz wol, sit ichs erste sach, so het ich ie den muot, daz ich
vür si nie kein loip erkds. 183, 24 diu mich troesfen niac für elliu tvtp.
197, 4 Waz unmdze ist daz, ob ich des hdn gesworn, daz si mir lieber
si dan tlliu wtp?
Joh. 90,16 Ic/t loil ge.^ehen, die ich von kinde her geminnet hdn
für alliu wip.
Der Ausdruek von kinde her minnen berulit auf dichterisciier
Übertreibung. Das beweist Hartra. 215, 29 si was von kinde und muoz
nie stn min kröne, verglichen mit dem Anfange des Liedes, wonach
die erste Bekanntschaft der bereits herangewachsenen Schönen gilt ').
Hartm, 206, 17 der ich gedienet hau mit stmtekeit sit der sfunt
deich üfein stabe reit. Mor. 136, 10 Ich bin noch alse si mich hat
Verlan vil stcete her von einem kleinen kinde. 134, 31 si ist mir liep
• 'iioest dii her von kinde. Hausen 50, 11.
Auch bei den Troubadours, besonders Ventadorn liäutig -).
Eigenschaften der Geliebten. Mit welchen Eigenschaften
die Geliebte von den älteren Minnesängern dargestellt ist , hat Gott-
schau (Beitr. 7, 380 ff., Johansdorf besonders S. 388) gezeigt. Her-
*) Lehfeld, Friedrich von Hausen, Beitr. II, 398.
*) Vgl. F.Michel, Heiniich vcn Mormigen und dit- Tioubadours. Stiüßbuig 1880.
S. 128 f.
76 J. HORNOFF
vorgehoben zu werden verdient nur, daß Johansdorf die Güte seiner
Dame mehr betont als die Schöne. Der Ausdruck schoene findet
sich nur in zwei unechten Liedern: *92, 16 der vil schoenen und *93, 2
die vil schoenen., in den echten Liedern nur einmal dm wolgetdne 87, 13.
— wolgeborn 87, 11 heißt nicht, wie G. Freytag ^) übersetzt, „schön",
sondern „hohen Standes".
Ausdrücke für Güte sind: 91,3 der guoten. 95,9 ir vü giioten lip.
95, 7 diu mit ir tvibes gäete gemachen kan, daz man si vüeret über se.
90, 22 diu tugende nie verde. Aus den unechten Liedern kommen noch
hinzu: *93, 14 diu guote. *94, 13 frouive guot. *93, 4 s ist aller güete ein
gimme. *92, 10 locer sie vil reine niet und alles toandels fri.
In dieser Hinsicht steht Johansdorf besonders mit Rugge und
Reinraar zusammen. Rugge 101, 15 got hat mir armen ze leide getan,
duz er ein wip ie geschuof also guote. 103, 6 si meret vil der vro'ide
min und kan mit güete sich erwern, daz man ir valschheit niht engiht.
V. 17 der schoenen der sol man den strtt vil gar an guoten dingen lau.
V. 19 mm lip vor liebe muoz ertohen, swenne ich daz allerbeste loip so
gar ze guote hoere loben. Die Güte wird über die Schönheit erhoben:
105, 22 ichn loeiz, oh ieman schoener st, ezn lebt niht lotbes alse guot.
107, 27 nach frouwen schoene nienian sol ze vil gef ragen, sint si guot.
Reinm. 151, 19 alse guoten lip. 165, 30 ez icart nie niht so lobe-
sam, swä duz an rehte güete kerest, so die bist (^= wie es deinem Wesen
entspricht). 169, 29 ein wip, diu hat sich underwunden guoter diy\ge
und anders niet. 183, 22 di^ist an güete ein üzerioelter lip. 183, 27 loir
suhl alle frouwen eren umb ir güete. 184, 14 ir güete loendet miniu leit.
190, 3 %oie tuot diu vil reine guote so? v. 9 si ist vil guot. 198, 22 si
ist so guot. Die Güte erscheint hier als das eigentliche Wesen der Frau.
Dienst und Lohn. Dienst: 91,5 der ich diene und iemer
dienen teil.
Den Ausdruck ^dienen' haben seit Meinloh alle Minnesänger.
Joh. 88, 12 in ir geböte sten.
Reinm. 158, 34 von ir geböte wil ich niemer werden fri.
Das Bemühen um die Huld der Dame wird als ein Ringen
bezeichnet:
Joh. 90, 24 ich hän also her gerungen.
Hausen 46, 19 Mit grozen sorgen hat min lip gerungen alle sine zit.
Gutenburc 78, 15 daz er (= der muot) ie so nach ir minne geranc.
Fenis 85, 17 der müez als unsenfte ringen, als ich tuon mit seneden
') Bilder deutscher Vergaugenheit I, 539.
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOITANSDORF. 77
dingen. Horheiin 114, 1 si icas ie, nach der mhi herze, ranc und iemer
muoz. Mor. lHb,9We, loie lange sol ich. nagen? 139,23. 27. Reinm.
1.58, 18 dar nach ich ie mit triuwen ranc. 190, 2. Hartm. 209, 7 nach
der ie min herze ranc. 218, 27.
Indem die Dame das kecke Werben abzuwehren sucht, ent-
l>rennt der Streit zwischen den Liebenden.
Joh. 87, 29 icJi unde ein wip toir liahen gestriten riu vil maneqe
zit, ich hän von ir zorne vil erliten, noch heldet si den sf.rit.
Hausen 46, 9 mm herze nnsanfie stnen strit Idt, den ez nu maneqe
zit behahet loider daz aller beste wip. Gutenb. 75, 36 mir ist verseit,
dar nach ich streit. Rugge 106, 36. Reinm. 200, 39. Ilartm. 207, 7.
17 etc.
Die Dame gestattet den Dienst.
Joh. 92, 11 Si sol mir erlauben, daz ich von ir tilgenden spreche.
Gutenb. 76, 35 der gedinge tuet mir wol, daz ich tvol loeiz daz .si
mir gan ze dienen umhe ir hnlde.
Der Ritter stellt seine ganze Persönlichkeit in den
Dienst der Dame.
Joh. 88, 11 alle mtne sinne und auch der llp daz stet in ir
geböte.
Horheim 114, 15 sit ich ir gap beidiu herze unde lip uf ir
aendde. Fenis 82, 34 lip unde sinne die gap ich für eigen ir v.f
genäde, der hat si gewalt. Reinm. 152,5 ich hän vil ledecliche bräht
in ir genäde mtne 71 Itp.
Der Dichter rechnet dabei auf Lohn.
Joh. 90, 37 noch gedinge ich, der ich vil gedienet hän daz si mir
ez lone.
Hausen 49, 21 Sit ich daz herze hän verläzen an der besten eine,
des sol ich Ion enj)fän. Gutenb. 70, 17 doch var ich gern hin an daz
zil, da si da sol und Ionen luil. \10, 37 nu wil ich noch ir gnaden trost
erbeifen. 71, 1 ff. 11,25 da ich si mir erkos — üf guoten riche schoenen
Ion. Horheim 114, 18 ich hoffe des., daz min reht iht .st so guot, daz si
mir schier ein vil liebez ende git. Reinm. 183, 13 mir ist liebes niht gesehen :
ich gedinge ab, ob ich ez verdiene, ez milge mir lool ergen. 189, 37 guot
gedinge üz lönes rehte nie gebrach, des habe ich hin zir hidden guot
gedinge. 191, 37 mit fuoge ichz tougenlichen trage und gedenke es wirdet
rät. also hab ich gelebet her, daz mir min dinc noch schone stät.
Der Dichter bittet um Lohn.
Joh. '^92, 18 scheide frouwe disen strit, der in mineni herzen lit,
7g J. HORNOFF
mit reines icibes güefe. *93, 36 länt mich noch geniezen, daz ich iu von
herzen ie loas holt. Negativ: *92, 25 du lä gein mir den dineu haz.
Rugge 190, 27 frouwe tuo des ich dich hite, daz ich iemer si dines
heiles vro. v. 37 troeste mir den Up.
Der Dichter ü bei- läßt sicli ganz der Huld seiner Dame.
Joh. 91, 18 ich wil ez allez an ir güete län. ir genäden der be-
darf ich wol. *92, 33 ir genäde stänt dähi.
Eist 37, 2 du nim mich in dme genäde. 38, 14. 40, 25. Hausen
46, 35 do sich verlie min herze lif genäde an sie. Gutenb. 71, 22 oh
si min leben., deich hau gt'peben an ir genäde, nmme. 11, 32. Fenis
82, 34 TÄp linde sinne die gap ich für eigen ir üf genäde : der hat si
gewalt. Rugge 106, 36 nach rehte liez ich minen stril., duz mir ir mimw
lönes gnäde tcete. Horheim 114, 15 s7t ich ir gap beidin herze nnde lip
üf ir genäde. Reinm. 158, 31 genäde ist endellche da. diu 'rzeige sich
als ez an mtnem heile n. 193, 19. 194, 33. Mor. 134, 25 ich darf vil
wol, daz ich genäde vinde. Hartm. 214, 38 der ivil dur dinen loillen
disen sumer sin vil hohes mxotes verre üf die genäde dln.
Die Dame treibt ein falsches Spiel mit dem Dichter.
Joh. 86, 9 ich ivil ir raten bl der sele mm durch keine liebe, niht
wan durch daz reht. waz möht ir an ir tagenden bezzer shi, dan obes
ir umberede lieze sieht, toite an mir einvaltecUche^ als ich ir einvaltec hin.
Gutenb. 76, 3 si giht a^rerst, loan Sit dernäch versaget si mir in
spotes wiz. V. 12 si sprichet dickt', deich erschricke frömdiu wort von
schimpfe, si tnot verirett, sicaz si gerett vor liuten mit gelimpfe. Mor.
128, 25 Lachen unde schoenez sehen und guot gelceze hat ertoeret lange
mich, mir ist anders niht geschehen. Reinm. 195, 23 nieman loeiz, ob si
mich icert od wiez ergät: nein oder ja. ich enweiz emvederz da. 171, 11
In ist liep, daz man si stadeclichen hite, und titot in doch so wol, daz si
versagent. hei, wie manegen ivunderlichen site si tougenliche in ir harzen
tragent !
Die Dame belohnt den Dichter durch einen Kuß.
Joh. *93, 5 geprüevet hat ir roter munt, daz ich muoz iemer mere
mit fröuden leben zaller stuont, swar ich des landes kere. also hat si
geloiiet mir. gescheiden hat mich niht von ir fron Zuht mit süezer lere.
Der Lohn besteht in gesellschaftlicher Veredlung des
Ritters.
Joh. *94, 11 Ju sol wol gelingen, dne Ion so sult ir niht bestand
Wie meint ir daz, fromce guot? Daz ir deste werder sint und dähi
hochgemuo'.'
I
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDOKF. 79
Eist 33,26 si hat c^efiuret mir den ti,uot. Keiiiin. 181), 20 mi lone
ir gof, ich bin von ir qenäden wol gezogen.
Mag nun aber die Dame lolinen oder iiiclit lolinen,
der Dichter lobt sie dennoch.
Joh. 90, 18 und ist, daz ich genäde vl.nde, so gesach ich nie so
gnoten llp. oh ah ich ^ir iüa>re vil gar 7(niN(rre^ so ist si doch, (Hk
tugmiJi' nie verlie.
Hausen 47, 1 Swaz schaden ich da von geicunnen hdn, so friesch
nie man, deich ir iht sprrrche waiie guot , noch min munt von frowen nie-
mer iuo!. Gutenb. 76, 8 Straz si mir tuot, dast allez guot, ichn mac
ir niht entwenken. 77, 29. Mor. 140, 27 des muoz ich ringen mit der
kfage nnde mit der not, difch sdhe mir geschaffet hin. so ist siz doch
diu froinoe min: ich hmz, der ir dienen sol nnd wünsche ir des, daz-i
ierner sa>lic ndleze sin. Keinm. 184, 8» ^2 sol. mich (Ilanpt mit C: ich)
allez dünken guot, sioaz si mir luot. Hartm. 207, 29 SU ich mich rechen
sol, desicär daz sl und doch viht anders wan also, daz ich ir heiles
oan haz dan ein ander man, und hin dähi ir leides gräm ir liebes fro.
208, 4 ich spriche ir nimcan guot e ich hesiocere ir muot, so lo'd ich
e die schulde zuo dem schaden hän.
Vergeblicher Dienst.
Joh. 87, 29 ich und ein wip tcir haben gestriten mi vil rnanege zit.
ich hdn von ir zorne vil erliten. 89, 9 Swaz ich nu gesinge, deist allez
UDibe niht : jnir iceiz sin nicmen danc : ez loiget allez ringe, dar ich hau
gedienet, di ist min. Ion vil krmc. ez ist hiure an genäde unnwher danne
vert , und irirt über ein jär vil lihfe kleines lones locrt. *93, 24 Neinä,
küneginne! daz ndn dimest so iht si verlorn!
Gutenb. 75, 36 Mir ist ve/seit, dar nach ich streit. 76, 1 nun. Ion
der ist noch unbereit. Fenis 81, 2 si ivil, daz ich iemer dien an sollie
siat, da noch min dieneM ie vil kleine wac. Rugge 101, 23 knnde ich
die mäze, so lieze ich den strit, drr mich da müeget und lützel verväliet.
101, 28. Horheim 114, 3 Mich hat daz herze und ein nnwiser rät ze
verre verleitet an tumplichen muot, da doch min dienest vil kleine vervät.
Mor. 136, 12 desicär nur ist nach w<rde niht gelungen. 133,5 sist mit
tagenden und mit werdekeit so behnot vor aller slahte unfröuwelicher tat,
I loan de^ einen, daz si mir verseit ir genäde und minen dienest so ver-
derben lät Reinm. 164, 7 ich diende ir ie : mim londe niemen. 175, 15
ich hin aller dinge ein scbUc man, wan des einen da man Ionen sol.
Hart. 206, 24 daz kan mich niht vervän an einer stat, da ich noch ie
genäden *bat. 208, 3 si wil mich ungelonet län. 209, 7 wan, nach der
ie inin herze ranc, diu lät mich tröstes äne.
80 J- HORNOPF
Die Da)ne weist den Dichter ab.
Job. *94, 6 länt die hete, die niemer mac (geschehen. *93, 23 so
toil ich in tüsent jären niemer itich geivern.
cf. Gutenb. 75, 31 jo hat si mmes lönes zil gesetzet an tvol tüsent jär.
Die Dame weist ihn an andere Frauen.
Job. *94, 8 got der iver iuch ander sioä, des ir an mich da gert.
Sie verweigert dem Dichter sogar den Grruß.
Job. 86, 19 nu hat mich gar ir friundes gruoz vermiten.
Hausen 53, 7 loäfen, waz habe ich getan so zuneren, daz mir diu
guofe ir gruozes erhunde? Fenis 80, 22 ir schoener (Haupts Conjectur
sioacher) gruoz scheidet mich von ir lihe. Rugge 102, 5 Nn, scheidet
mich davon (von Liebessorgen) ein ungemacher gruoz.
Der Dichter verzweifelt an der Erfüllung seiner
Hoffnung. •
Job. 86, 23 herre, wan ist daz nnti Wien, daz mir niemer leit ge-
schiht? Der Lohn als Lehen bezeichnet.
Ähnliche verzweifelnde Ausrufe bei Morungen und Reinraar.
Mor. 126, 39 loenne sol mir iemer liep gesehen? 135, 9 loe, wie
lange sol ich ringen? 128, 1 Owe, daz ich ie so vil gebat und geflehte
an eine stat, da ich gnaden nienen se! Reinm. 156, 32 ivenne sol mir
iemer spilndtu fröide Jwmen? 165, 22 getoinne ah ich nu niemer gnoten
tac? 188, 38 tüSj wanne kiimt mir heiles tac? 199, 16 loenne sol ich
liehen tac an dem geleben ?
Der Dichter sieht sich in seiner Hoffnung getäuscht.
Job. 86, 17 Ich uidnde, daz mm küme icoir erbiten. dar fif het
ich ge dingen manege zit. nu hat mich gar ir vrinndes gruoz vermiten.
min bester trost der ivoin da nider gellt. Ich muoz alse wilen vlehen und
noch harter, hülfe ez iht!
Mor. 143, 10 Ich was etesioenue fro, dö min herze loände neben
der sunne stän. diir die ivolken sacli icJi ho : nu muoz ich min ouge nider
zer erde län. mich triuget alze sere ein vil minnecUcher wän, sit daz
ich von ir niht wan leit und herzeswmre hän. 138, 10 ff. (besonders
v. 14). Mor. 145, 29 Oice leider, jo wand ichs ein ende hän ir vil wünnec-
Uchen werden minne. mi. hin ich vil küme an dem beginne, des ist hin
mm lounne und ouch mm gernder wän. Gutenb. 70, 30 Nu ist ze lanc
ir hahedavc. daz tuot mich kranc. des hän ich mengen imgedanc. daz
lenyet mir die kurzen tage und niuwet mir die alten klage, von der ich.
wände sin erlost. Reinm. 153, 36 do wand ich ie, si wolt ez wenden,
bat ich. si noch, ich künde ez niht verenden. Reinm. 158,37. 190, 11
lieber xcdn ist äne troesten da.
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF. 81
Getheilter Dienst.
Job. 89, 16 des frag ich, ob ez mit fuoge müge geschehen, locer ez
niJit unstoete, der zw ein loihen loolte sin für eigen jehen?
Es ist dies die einzige Stelle in den Liedern der älteren Miimo-
sänger, wo der Dichter durch das Vergebliche seines Werbens um
die Huld der einen Dame sich veranlaßt fühlt, nach der Zulässigkeit
eines dopp elten Dienstes zu fragen. Die übrigen Minnesänger spre-
chen in diesem Falle meist nur den Wunsch aus, sich einer anderen
Dame zuzuwenden, welchem dann häufig aber die Revocatio folgt.
So vor Allem Reinmar, z. B. 160, 35 möht ich mich noch bedenken
baz unde nceme von ir gar den muot! Neina, herre! jö ist si so guot.
173, 1 ff. 194, 15 ff. etc. Fenis 81, 5 ff. v. 14. v. 22. Hartra. 208, 37 ff.
Lust und Leid.
Der Ausdruck der Freude ist seltener als der Ausdruck des
Schmerzes, zumal wenn wir die unechten Lieder *92, 14 und *92, 35
nicht berücksichtigen.
Alle Freude geht von der Geliebten aus.
Job. 87, 8 loand ich zeiner vröude si mir hän erkorn.
Reinm. 175, 29 die ich mir ze fröuden het erkorn. Meinloh 14, 26
ican diu guote ist fröiden rieh, des wil ich iemer fröuwen mich. Eist
32, 11 an der al min fröide lU. Hausen 43, 28 an der genäden al mm
fröide stät. 45, 3. Veld. 59, 32 ich wil frö sm durch ir ere, diu mir
daz hat getan, daz ich von der riuice kere. Gutenb. 78, 19 si schuof
daz ich fröiden mich underivant, die ich mir hän zeiner frouwen erkant.
Fenis 83, 2 diu mich sol niachen vro, vroelich gemuot. 82, 4 diu mac
mich lool ze vröuden hüs geladen. Rugge 100, 3 in der gewalt nun
fröide stät. 103,6 si meret vil der fröide tmn. 110, 31 si kan verkeren
sorgen, der ich loalde. Moi'. 123, 4 des ivirde ich stoiter vröide vil rieh
(= von ihrer tugende). 131, 38 und an der ist al min wünne behalten.
Reinm. 154, 25 (got) hat ze vröiden mir gegeben an einem ivibe liebes vil.
158, 23 daz beste gelt der fröiden min daz lit an ir. 202, 13. Verall-
gemeinert: von den Frauen kommt alle unsere Freude. 183, 31 elüu
fröide uns von in kumt und al der werlte hart uns an ir trost ze nihte
fruiid. 195, 6 an in lit der werlte wunne und auch ir heil. Wol im,
erst ein scelic man , der lool an in eriolrbet phliht der fröiden , der ir
güete lounder geben kan.
Job. 90, 23 vröude und sumer ist noch allez hie (in der Person
der Geliebten vereinigt).
Gutenb. 69, 12 si ist min sumerioünne. Namenloses Lied 6, 9 mich
dünket winter unde sne schoene bluomen unde klS, sivenn ich in nm-
GEBMANJA. Neue Beihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 6
32 J. HORNOFF
hevanqen hän] anklingend an 90, 23. Die Frau empfindet Sommcrlust,
wenn sie ihren Ritter umfaßt hält.
Auffallend reich sind in den beiden unechten Liedern (*92, 14,
35) die Freudenergüsse. *92, 16 mm fröide an der vil schoenen lit,
nach der min herze ivüetet. *93, 2 Swenne ich die vil schoenen hau, son
mac mir nie wer missegän.
Die Erhörung niit den Freuden des Himmels verglichen: *92, 25
du lä gein mir den dinen haz, son mac mir niemer loerden haz, wan in
dem himelriche.
Die Gewährung des Kusses ei'scheint dem Dichter als „eine
Klönung durch die Sselde". *92, 35 din Soilde hat gekroenet mich gein
der vil siiezen minne. *93, 7 geprUevet hat ir roter nmnt ^ daz ich muoz
iemer mere mit fröuden leben zaller dunt, sivar ich des landes kere.
*92, 28 Und solde ich iemer daz gelehen, daz ich si umhevienge, so miles
min herze in fröuden stoehen. sivenn daz also ergienge, so ivurde ich von
sorgen fri etc.
Die Freude äußert sich im Gesänge.
Job. 90, 28 Wol mich singe ich gerne, swenn ichz gelerne.
Einen geradezu überschwänglichen Ausdruck verleiht der Dicliter
seiner Freude, indem er sich das Erscheinen eines Liebesboten vor-
stellt, 91, 36. In drei analogen Sätzen spricht er den Gedanken aus,
daß der Bote, wie auch immer er persönlich zu ihm stehen möge, doch
als von der Geliebten gesendet hochwillkommen sein solle.
ScBhe ich ieman , der jcehe, er wcere von ir homen , xccere ich dem
vi))t, ich lüolt in grüezen. \ allez, daz ich ie gewan, het er mir daz ge-
nomen, daz möht er mir mit sinen mceren hüezen. \ swer si vor mir
nenwt, der hat gar mich ze friunde ein ganzezjär, het er mich jach
verbrennet.
Viel einfacher geben die übrigen Minnesänger ihre Freude kund,
wenn sie auf die mcere, liebiu mcere oder den boten zu sprechen kommen.
Meinloh 14, 26 Ich hän vernomen ein mare. nnn muot sol aber Jtohe
stein. Rugge 107, 15 nan wurde rat, luolde si mir künden liebitt mcere.
HO, 17 Mich fröit an alle siocere wol., daz ich so liebiti niwre hän ver-
nomen, der ich mich gerne troesten sol. mir ist der muot von grozen
sorgen komen. Mor. 147, 19 mt hat man mir mcere bräht , der ist fro
mm herze inbinnen. Reinmnr 175, 13 geseehe ich ivider äbent einen kleinen
boten, so gesanc nie man von fröiden baz. 196, 15 weste ich, ob ez also
wcere, so engehorte ich nie vor maneger wile ein lieher moere (Frauenstr.).
152, 14 xoan ir (= der werlte) niden moht ich nie so wol erliden. ein
liebez ma>re ist mir gesaget. Hartm. 215, 2 (Bote zur Frau:) daz solt
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDOlir, 83
dtt minnecliche enpfdn, daz ich mit guoten mcerea var, so bin ich xoille-
komen dar.
Umgekehrt liegt auch die Freude der Frau an dem
Ritter.
Joh, 94, 38 (Frauenstrophe) vröuleloser Itp, loie wil du dich ge-
hären, swenne er hinnen vert, durch den du tvcere ie hochgemuot ?^
Eist 39, 29 (Tagelied) fiioe, du füerst min fröide sament dir
(nach Pfeiffer Germ. III, 489). Hausen 54,35 des ist er mtn leit-
vertrip und diu höchste icunne mm." Reinra. 199, 39 ^man so guoten,
haz gemuoten hän ich selten noch gesehen, im geliehen noch so gemellichen^
hl dem vür die siocere hezzer fröide ivcere.' 200, 20 wol dem Übe, der
dem loibe seihe fröide machen kan.' Hartra. 217, 22 do ich sm pflac,
do fröite er mich.'
Bedingte Freude.
Joh. 91, 5 ich sol ze mäze lachen, unz ich sin gendde erkenne,
als ich danne bevinde, wie ez allez stät, da nach lache ich denne.
Reinm. 156, 34 Michn scheide ein idip von dirre klage und spreche
ein wort, als ich ir sage^ mir ist anders iemer we. 168, 32 michn he-
swcere ein rehte herzelichiu not, mm sorge ist anders kleine. So daz
danne an mir ei'gät, so kumt aber hoher muot, der mich nilit trüren lät.
Leid. Grund zu Trauer und Klage findet der Dichter in der
abweisenden Haltung der Geliebten, in ihrem zweideutigen Benehmen,
der Versagung ihres Grußes, der Trennung von ihr.
Sprödigkeit der Geliebten.
Joh. *93, 28 frouioe iur haz tuot mir den tot. — Der Entschluß,
trotz der Erfolglosigkeit seines Werbens der Geliebten treu zu bleiben,
kostet dem Dichter Überwindung. 86, 1 min erste liebe, der ich ie
began, diu selbe muoz an mir diu leste sin. an vröuden ich des dicke
schaden hau.
Die Koketterie der Dame schmerzt den Dichter weniger
um seinetwillen, als aus dem Grunde, weil die Dame damit einen
Verstoß gegen Recht und feine Sitte begeht.
Joh. 86, 9 Ich loil ir raten hi der sele min durch keine liebe., niht
loan durch daz reht : waz niöht ir an ir tvgenden hezzer sin, dan obes
ir umberede lieze sieht, tcete an mir einvaltecliche, als ich ir einvaltec bin.
an vröuden wirde ich niemer riche, es eniver ir beste sin.
cf. Gutenb. 76, 9 ff. Mor. 123, 29 wie stet mtner frouwen daz,
daz si sich vergaz und verseite mir ir hulde? owe des, loie rehte unsanfte
ich dulde leide ir spot und ouch ir haz.
6*
84 J- HORNOFF
Reinmar hat nicht den Muth, die Koketterie der Damen geradezu
zu tadeln, er bezeichnet sie nur als eine wunderliche Sitte. 171, 11
Jn ist liej}, daz man si stcetecHclien hite, und tuot in doch so tool, daz n
vprsagent. hei, wie manegen muol imd icunderltche site si tougenltche in
ir herzen tragent! cf. 187, 9.
Verweigerter Gruß.
Joh. 86, 19 nu hat mich gar ir friundes gruoz vermifen. nnii bester
röst der locen da nider gellt, cf. Hausen 53, 7.
Getrenntsein von der Geliebten.
Joh. 91, 1 Ez ist manic icile, da: ich niht von vröuden sanc und
enweiz och rehte niht, wes ich mich vröuwen mac. daz ich der guoten
niht ensac/i, des dunket mich vil lanc. Gleichzeitig liegt darin die Klage
über die lange Dauer des Dienstes, die auch aus 90, 24 spricht.
Ich hdn also her gerungen^ daz vil trürecUche stuont min leben, dicke
hän ich we gelungen.
Schmerz über die lange Trennung finden wir auch bei Eist:
32, 13 Seneder friundinne böte, nu sage dem schoenen ivibe, daz mir tuot
äne mäze we, daz ich si so lange mide. 34, 25 des werdent mir diu jär
so laue, sol ich von der gescheiden sin. Reinm. 199, 31 sol ich liden
von ir langez miden, daz müei mich wol sere. Gut. 74, 21.
Reichlicher fließt die Klage über den allzu langen Dienst:
Gutenb. 70, 30 nu ist ze lanc ir habedanc. daz tuot mich kranc. des
hän ich mengen ungedanc. daz lenget mir die kurzen tage und niuwet
mir die alten klage, von der ich wände sin erlost. Reinm. 185, 35 ich
icwn lernen lebe, der n.ir beneme ein trüren, daz nu menegen tac in
minem herzen l'it begraben. 186, 1 Est nu lanc, daz mir diu ougen min
ze fröweden nie gestuonden wol. Hartm. 207, 4 die sivceren tage sint alze
lanc die ich si gnaden bite und si mir doch verseit. 209, 5 min dienest
der ist alze laue bi ungeioissem loäne: wan, nach der ie min herze ranc,
diu lät midi trostes äne. ich möht in klagen und wunder sagen von.
maneger sioceren zit. sit ich erkande ir strit, sit ist mir geivesen vür irär
ein stunde ein tac, ein tac ein ivoche, ein ivoche ein ganzez jär.
Furcht vor der Trennung.
Joh. 91, 10 da daz ende denne unsanfte tuo, ich icmne des wol, daz
ensi niht guot. 91, 22 Wie sich minne hebt, daz weiz ich lool; wie si
ende nimt, des weiz ich niht. ist daz ich es inne werden sol, wie dem
herze?! herzeliep geschiht, so hewar mich vor dem scheiden got, daz ivcen
bitter ist. diesen kumber fürhte ich äne spot. 91, 34 verlier ich mmen
friunt, seht so wurde ich niemer mere fro. *92, 23 unsanfte mir daz tuot,
und sol ich von dir wichen.
DER MINNESÄNGER ALBRECIIT VON JOHANSDOKF. §5
llorheim 114, 26 der {= der kilnic) loil midi scheiden von liehe
in die not, der ich geioiime vil michelen riuioen. Besonders liäuHj; bei
Reinraar: 150, 7 loaz darf ich leides mere loan swenn eht ich si miden
sol. 155, 36 got helfe mir, deiz lool erge, daz ich uz ir triuicrn kome
niemerme. 178, 36 zallen zlten fürhte ich, daz si mich verge. so lüOir ich
an vröicden tot. 176, 5. 197, 20.
Die Dame beklagt die bevorstehende Trennung.
Joh. 94, 35 ^Oioe, sprach ein iv/p, ^loie vil mir doch von liebe
leides id beschert! IVaz mir diu liehe leides tuot! VrüwUlüser llp, loie
loil du dich gebaren, sivenne er hinnen vert, durch den du wcere ie höch-
gemuot? Wie sol ich der joerlde und miner klagp geleben ?^
Küienb. 7, 10 ^Wcs maiicd du mich leides, min vil liebez liep?
Unser ziveier scheiden müez ich geleben niet. Verliuse ich dine minne,
so Idz ich die Hute harte icol entstän, daz min fröide dez minnist ist
umb alle ander man. Reinm. 200, 22 rntme heile ich' gar verteile, midet
mich der beste man.'
Der Dichter fordert die Geliebte auf, das Trauern zu
lassen.
Joh. 87, 21 nu min herzevrowe nn entrüre niht scre. daz loil ich
iemer zeim liebe haben.
Mor. 131, 1 Oice des scheidens, des er iete von mir, da er mich
tenende lie. lOol aber mich der liehen bete und des weinens, des er dö
begie, du er mich früren Idzen bat und hiez mich in fröiden sin.
Aller frühere Schmerz reicht an den gegenwärtigen
nicht lieran.
Joh. 87, 20 e loas mir tve : dö geschach mir nie so leide.
Hausen 52, 23 erkennen xvänd in e (= den kumber), nu hau in
baz befunden, mir iras ddheime ive und hie lool dristunt me. Fenis
83, 34 toan mtner sicoire emoart nie mere. Horheim 112, 9 so kumber-
Itche gelebte ich nie. 113, 16 mir loart nie wirs. 114, 34 dö was mir
we unde nu michels me. Moi-. 138, 7 ich erkande mdze vil der sorgen e.
disiu sorge gel mir über der mdze zil, hinte ha ^ und aber d-m über
morgen me. Reinm. 164, 18 noch daz mir nie so loe geschach. 179, 5
mir ist unsanfter nu dan e. 185, 20 alse reht unfrö emoart ich nie.
188, 5 von herzeleides schulden hat min Itp vil kumherltche not, daz si
nien künde groezer sin. 198, 6 von stner schulde ich hdn erliten , daz
ich nie groezer not erleit' (Frauenstr.).
Beides, Freude und Schmerz des Dichters liegt in
der Gewalt der Geliebten.
Joh. 91, 20 und ivil si, ich bin vrö , und teil si, .so ist min herze
leides vol.
86 J- HORNOFF
Reinm. 197, 31 viir enmac ein herzeleit noch gröziu liebe niemer
äne si geschehen. 199, 20 diu mir fröide hat gegeben unde sorge
manicvalt, der dien ich die seihen tage, mtniu jär diu müezen mit ir
ende nemen, so mit fröiden, so mit klage. Hartm. 215, 32 si mac
mir leben und fröide wol leiden, da bi alle mtne swvere vertriben : an ir
lit beide mtn liep und mm leit. sivaz si min wil, deist ir iemcr bereit,
wart ieh ic vrö, daz schuof niht wan ir güete. cf. Mor. 138, 33 ich locene,
si ist ein Venus here, diech da viinne, wan si kau so vil.
2. Außenwelt.
Es fällt auf, daß Johansdorf im Gegensatze zu der Mehrzahl
der zeitgenössischen Minnesänger nie Klagen über hiiote und merkaire
laut werden läßt. Das Wort huote findet sich nur in dem unechten
Liede *93, 12 (v. 12 ich vant si äne huote) , wo äne huote nur ganz
allgemein ^allein' bedeutet. Von merkcere wird überhaupt nicht ge-
sprochen. Und doch möchte man auf das Vorhandensein von Auf-
passern und Zwischenträgern*) schließen. Mit einem gewissen Nach-
druck ist 87, 7 gesagt: er ist min friunt nilit, der mir si wil leiden
und 91, 29 Swä zioei herzeliep gefriundent sich und ir beider minne ein
triuwe wirt, die sol niemen scheiden, dunket mich, al die wile unz si der
der tot verbirt. Geradezu auffällig aber erscheint das Widerspruchs-
volle in den beiden Liedern 91, 8 und 91, 22, welche darauf angelegt
erscheinen, den wahren Sachverhalt, d. h. den Abschluß des Verhält-
nisses zu verdecken, oder wenigstens die Aufpasser darüber im Un-
gewissen zu lassen. Auf einen Abschluß des Verhältnisses deutet der
Anfang von 91, 8 Da gehoeret manic stunde zuo, e daz sich gesamene
ir zweier muot. da daz ende denne unsanße tuo, ich iccene des xool, daz
ensi niht guot. Lange st ez mir vil unbekant. Es wäre doch merk-
würdig, wollte der Dichter für die Trennung Sorge tragen, bevor
noch die Vereinigung stattgefunden hätte. Der Gedanke aber, daß
dieselbe erfolgt sei, wird durch die beiden nächsten Verse, wie durch
die folgende Strophe zurückgewiesen. Die Worte: und werde ich
iemen liep, der st stner triuwe an mir gemant etc. rücken das Zustande-
kommen des Verhältnisses in die Zukunft. Derselbe Widerspruch findet
sich in dem folgenden Liede 91, 22. Wieder diese merkwürdige Sorge
für die Zukunft. Der Dichter fürchtet den Bruch eines Verhältnisses,
das noch nicht geknüpft ist: Ist daz ich es inne werden sol, wie
dem herzen herzeliep geschiht ., so beioar mich vor dem scheiden got, daz
wcen bitter ist- ebenso in der zweiten Strophe: sicä zwei herzeliep ge-
') Michel a. a. O. S, 141. 146 ff.
DKK MINNESÄNGER ALBKECHT VON JOUAN.SDOHF. 87
friundent sich nnde ir beider minne ein triuioe toirt, die sol niemen
scheiden etc. Dieses wirt^ aber ist sclion zweideutig, indem es das
Geschehen in der Gegenwart wie in der Zukunft ausdrücken kann.
Nimmt man nun noch das Folgende hinzu: iccer diu rede mhi^ ich tcete
also: verlüre ich 7n/nen friuut, seht, so lourde ich uiemer mere fro, so
bleibt kein Zweifel, daß der Abschluß der frinntschaft wirklich erfolgt
ist; denn über die Person des fr iundes (=: der Freundin) kann man
nicht im Unklaren sein; verlieren aber kann man nur einen Freund,
wenn man schon einen hat. — Für diese Ansicht spricht auch die
geflissentliche Anwendung von Bedingungssätzen, welche die Sache
nur als möglich hinstellen sollen, und das Bestreben, die persönlichen
Bezüge durch allgemeine Sätze zu verwischen. Wir werden also nicht
irren, wenn wir annehmen, das Ganze sei darauf angelegt, die Auf-
passer über den Abschluß des Verhältnisses zu täuschen. Gedichtet
aber sind die Strophen zu dem Zwecke, die Geliebte zum treuen
Festhalten an dem Bunde zu ermahnen.
3. Natur.
Naturgefühl ist bei unserem Dichter vorhanden, wenn es auch
nur ganz vereinzelt hervorbricht, dann aber auch mit großer Stärke.
In dem zweistrophigen Liede 90, 32 nimmt der Natureingang fünf
von den sieben Zeilen der ersten Strophe ein. Blumen unter der
Linde und Vogelsang auf der Linde, wie auch sonst. Was aber sonst
nicht zu finden ist, das ist die hier geschilderte Farbenpracht der
Blumen: Wize rote rösen, blmoe hluomen, grileue gras, hrüne gel und
aber rot, dar zuo des kleices hlat, von dirre varive tcunder minder einer
linden was. dar Ufe snngen vögele, daz loas ein schoeniu stat. kurz
geicahsen bi ein ander stuont ez schone.
Ganz ähnlich wie bei Eist 34, 3 Uf der linden obene da sanc ein
hleinez vogelUn. vor dem walde wart ez lilt : dö huop sich aber daz herze
min an eine stat, da 'z e da was. ich sach die rosebluomen stau : die
manent mich der gedanke vil, die ich hin zeiner frouwen hän; nur daß
bei Eist die innere Verbindung, die zwischen den Naturerscheinungen,
eventuell Vorgängen in der Natur und der Liebesempfindung besteht,
auch äußerlich hergestellt ist, ihren sprachlichen Ausdruck findet.
Von dem Vogelsang wird das Herz zur Geliebten entrückt, von den
Rosen an die Geliebte gemahnt. Bei Johansdorf fehjt die äußere Ver-
knüpfung. An die Schilderung der Natur schließt sich der Salz: noch
gedinge ich der ich vil gedienet hän, daz si mir es Urne. Dieser Fall
kommt sonst im älteren Minnesänge nur noch einmal vor, wo aber
die innere Verknüpfung eine stärkere ist.
88 J. HORNOFF
Namenl. Lied 4, 1 diu linde ist an dem ende nu jdrlanc sieht und
blöz. mich vehet min geselle. Beide Thatsachen lassen tich vergleicheu :
die Linde ist ihres Laubes beraubt^ ich des Geliebten.
Auch in einer zweiten Stelle bei Johansdorf zeigt sich, wie eng
er selbst den Zusammenhang zwischen Natur- und Liebesleben empfindet.
Der Sommer mit seinen Freuden erscheint ihm in der Geliebten ver-
körpert: 90, 23. 31 vröude und sumer ist noch allez hie (nämlich bei
der Geliebten).
4. Gott.
Religiöse Anschauungen. Gott wird vom Dichter als heilic
87, 12 und als allmächtig 94, 17 bezeichnet: der al der werlte hat
gewalt.
Kolmas 120, 24 der vil mute got, den ir Up unihecie, der hat be-
vangen die loelt umhe gar. sin kraft mac langen noch verrer dan dar.
Er wird als gütiger Herr, der uns die ewige Seligkeit schenkt,
vorgestellt: 94, 15 guote liute, holt die gäbe, die got unser he^'re seihe gU\
ferner als einer, der uns Leib und Seele gegeben hat, aber die Rück-
erstattung des ersteren zum Heile der letzteren fordert: 94, 22 got
hat iu beide sele und Up gegeben, gebt inie des Ithes tot daz loirt der
sele ein iemerleben.
Etwas verändert ist das Bild bei Kolmas (121, 3). Er macht
Gott zum Wirthe an der Landstraße, der den Pilgern zwar etwas
borgt, dasselbe aber bei der Wiederkehr ihnen wieder abverlangt:
Wir sin bilgerxne und zogen vaste hin, in der sünden Urne stecket min
sin , daz ich sin drüz niht gebrechen enmac. loir varn eine sträze , die
nieman verbirt. ivir sitln durch niht enläzen, xoir bereiten den icirt , der
uns liät geborget da her mangen tac. gelt im.
Gott aufgefaßt als Kriegsherr, in dessen Sold wir uns zu
begeben aufgefordert werden: 94, 18 dienet sinen solt, der den vil
sceldeha.ften dort behalten lit mit vröuden iemer mxvnecvalt.
Das Verhältniß zu Gott ist bei unserem Dichter ein
enges. Nicht selten erhebt er den Blick nach oben, um bei Gott
Beistand und Hilfe zu erflehen.
Um Nachsicht wegen seiner unerlaubten Liebe bittet er Gott
90, 14: icli niinne'ein tvip vor al der werlte in minem muote. got herrc)
daz verväch ze guote.
Hausen 46, 14 Ich bin ir holt : sivenn ich vor gote getor , so ge-
denke ich ir. daz ruoch ouch er vergeben mir.
DKK MINNESÄNGER ALHREOHT VON JOHANSDORF. 89
Als Beschützer beider Liebenden wird Gott angerufen 87, 12:
heileger got^ wis gencedtc uns beiden.
Um Schutz vor Trennung 91, 24: Ist daz ich es inne werden sol,
ivie dem herzen herzeliej) geschiht, so beioar mich vor dem scheiden^ gof,
daz tücen bitter ist.
Er wird gebeten, die Ehre der Geliebten zu bewahren: 86,27
mi helfe er mir, ob ich herwider kome, ein wtp, diu grozen kumber von
mir hat, daz ich si vinde an ir eren: so wert er mich der bete gar.
sül aber si ir leben verkeren, so gebe got, daz ich vervar. 88, 13 ine
erwache nime)', ezn si min erste segen, daz got ir eren müeze phlegen und
läze ir lip mit lobe hie gesten.
Horheim 114, 28 ich loil bevelhen ir llp und ir vre got und da
nach allen engelen sin. Hart. 207, 25 so ruoche got, daz ez der sclioenni
müeze gän nach eren nnde ivol. 215, 37 got st, der ir lip und ir erti
behilete. Rietenburc und Morungen bitten nur um das Leben der Ge-
liebten. Rietenburc 19, 31 swar ich danne landes var, ir Itp der hoehste
got bewar. Mor. 122, 19 got läze si mir vil lange gesunt.
Umgekehrt läßt der Dichter die Geliebte für sein Wohl während
der Kreuzfahrt flehen: 95, 14 ^so müeze sin der pflegen, durch den er
süezer lip sich dirre icelte hat bnoegcn.
Reinmar 187, 24. 201, 1. Hartm. 217, 23.
Weiter erbittet Johansdorf für sich und die Geliebte die ewige
Seligkeit: 88, 16 dar nach eioecltche gip ir, lierre, vröude in dime riche.
daz ir geschehe, also müeze auch mir ergen.
Reinmar läßt die Geliebte darum bitten: 168,27 ivis ime genmdic^
lierre, gut, ican ttigenthafter gast kam in din ingesinde nie. Kolmas
(120, 21) fordert zu gemeinsamer Hitte auf: Det biten unser frouioen
ze hilfe an der ger, daz loirz beschouwen, daz uns des {= das ewige
Leben) geicer der vil miltc got, den ir lip umhivie.
Bei Versicherungen und in der Schwurform wird der Name Gottes
öfter gebraucht : *92, 7 got u-eiz wol. 87, 9 sivmne ich von schulden
erarne ir zorn, so bin ich veroluochet vor gote als ein heiden. 87, 35 got
vor der helle niemer mich bewar, ob daz min loille st. 88, 10 und, sw(V
ir des bi gote.
Veld. 68, 1 got loeiz wol. Ebenso Hausen 44, 19. — toeiz got
Reinm. 161, 14. 175, 25. 181, 11. 203, 33. — sem mir got 157, 13. —
170, 21 daz loeiz er ivol, dem nieman niht erliegen kan. — 173, 19 da
vor müeze mich got hüeten alle tage. — 186, 32 so mich iemer got be/iüete.
Auch beim bloßen Stoßseufzer fehlt der Name Gottes nicht: Job.
86, 23 herre, loan ist daz min Wien, daz mir niemer leit geschiht?
90 J- HORNOFF
Bemerkenswerth erscheint, daß Johansdorf sieh stets direct an
Gott wendet, sich nie der Vermittlung der heiligen Jungfrau bedient,
wie Kolmas (120, 21 f.), Reinmar (181, 31), so hoch er auch dieselbe
verehrt (90, 1 ff.)-
Die religiösen Erwägungen, welche den Dichter zur Kreuzfahrt
antreiben, und welche sich als sämmtlichen Kreuzfahrern gemeinsame
darstellen, hat bereits Wolfram in seinem schon angeführten Aufsatze
Zs, f. d. Alt. 30, 97 ff. zusammengestellt und zu den gleichzeitigen
Kreuzpredigten in Beziehung gesetzt. Es sind die folgenden:
I. Gott hat für uns gelitten.
II, Wir müssen's ihm vergelten.
III. Auch unsere Sünden fordern eine Sühne.
IV. Wir erwerben durch unseren Dienst die ev^ige Seligkeit.
Als V. Beweggrund kommt bei Johansdorf noch der Wunsch
hinzu, der Beschimpfung der Mutter Gottes durch die Heiden ein
Ende zu machen. 90, 1 die heiden wellent einer rede an uns gesigen,
daz gotes muoter niht enst ein magst.
Auch sonst läßt sich bei Johansdorf christliches Denken und
Empfinden beobachten. In dem Schicksale der Völker und Menschen
erkennt der Dichter das Walten Gottes. 88, 27 loir haben in eime
järe der Hute vil verlorn, da ht so merket gotes zoi^n.
Die Welt sieht er als unbeständig an. Die Treulosen, die ihr
folgen, trifft als Lohn die Verdammniß. 88, 30 diu loerlt ist unstcete.
ich meine, die da iniunent valsche roite, den wirt ze jungest schin, wies
an dem ende iuot.
Wie aber der Dichter Andere zum Insichgehen auffordert (88, 29
nn erkenne sich ein ieglich herze guot), so arbeitet er auch an seiner
eigenen sittlichen Vervollkommnung und überwindet die Regungen
natürlicher Schwachheit, die sich seinem Entschlüsse, das Kreuz zu
nehmen, entgegenstellen. 90,5 Mich liahent die sorge üf daz hräht,
daz ich vil gerne kranken mtiot von mir vertrtbe. des loas
mtn herze her niht fri. Ich denke also vil manege naht: loaz sol
ich wider got nu tuon, ob üh bel/be, daz er mir genoidic si?
Ein merkwürdiger Widerspruch scheint sich in der religiösen
Weltanschauung Johansdorfs vorzufinden. Der Gott, dem er alle Ge-
walt über die ganze Welt zuschreibt (94, 17), dessen Zorn die Men-
schen hinsterben läßt (88, 28), während seine Gnade im Stande wäre
sie zu erretten, der die Ehre der Geliebten zu hüten vermag (86, 27.
88, 15), und unter dessen Schutz er die Geliebte auch sein eigenes
Leben stellen läßt (95, 14), dieser Gott scheint Johansdorf nicht mächtig
DER iMINNESÄNGER ALBRECHT VON JOIIANSDORF. 91
genug, das heilige Land von den Fleidcn zu befreien, er bedarf dazu
der menschlichen Hilfe (89, 27). Nicht ist etwa der Gedanke der, wie
bei Coelestin ') (1195), daß Gott durch die Befreiung des heiligen
Landes dem Menschen ein Mittel in die Hand gebe, für seine Sünde
Vergebung zu erhalten, nein, Gott hat die menschliche Hilfe nöthig.
Wollte man den ersteren Gedanken auch der Strophe 94, 15 zu Grunde
legen, was sehr wohl anginge, so würde dieser doch in Widerspruch
gerathen mit 89,21 ff., wo Johansdorf die Spottreden der Daheim-
bleibenden, der die Kreuzpredigt Bekämpfenden anführt: „Wäre es
für Gott eine Beschimpfung, er würde dieselbe ohne Hilfe der Kreuz-
fahrer rächen." Johansdorf widerlegt diesen Einwand nicht, er sucht
vielmehr andere Motive hervor, um die verstockten Herzen zu be-
wegen, er sucht Dankbarkeit, Mitleid mit Gott, Furcht vor der Strafe,
christliches Selbstgefühl den Heiden gegenüber zu erwecken. „Gott
hat so, wie Ihr jetzt, einst nicht gedacht, als er Euch durch seine
große Marter vom Falle errettete. Wie wird es Euch an Euerem Ende
ergehen, wenn Ihr Gott helfen könnt und es nicht thut? Immerhin!
Laßt Grab und Kreuz, dann werden die Heiden mit ihrem Spotte
siegen!" Die Thatsache bleibt jedenfalls bestehen: ohne die Kreuz-
fahrer wird das heilige Land nicht befreit, auch Gott vermag es nicht
zu befreien. Dazu stimmen nun auch 86, 25 ich hän durch got daz
krinze aii mich genomen. 87,23 wir suln var)i durch des rtchen gotes
ere. 89, 21 die hinnen varn, die sagen durch got, daz Jersalem etc.
Der Widerspruch scheint indeß nur ein äußerer zu sein. Der
Dichter will sich offenbar ein wirkungsvolles Motiv im Kreuzlied nicht
entgehen lassen. Denn wirkungsvoller ist die Aufforderung allerdings,
wenn es heißt: „Gott selbst in Noth", als wenn es heißt: „Gott hat
i die Noth geschaffen oder zugelassen, damit ihr durch Aufhebung der-
; selben euere Sünden sühnt." Abor der Dichter trägt auch kein Be-
denken — und daran erkennen wir eben, daß der Widerspruch nur
ein äußerer ist — den letzteren Gedanken an anderer Stelle, wo er
ihn gerade braucht, wenigstens verhüllt auszusprechen. 88, 27 heißt es:
wir haben in eime Jdre der Hute vil verlorn, da hi so merket gotes zorn.
Bezieht sich der erstere Satz, wie Wolfram vermuthet, auf die Schlacht
i! von Hattin, so folgt aus dem zweiten Satze, daß Gott nur um seines
') Zs. f. d. Alt. 30, 103 verumtanien misericordiam in ira siia nou coutiiieii.s, qui
j nunquam obliviscitur misereri cum populo suo — multa fidelium milia .... ad ageudani
poenitentiam de commissis plures eorum ad vitam praesentem termiiio laudabili con-
cludendam terre illius amissionis occasione clementer invitans (älinlich auch Gregor
und Innocenz 1213).
92 J. HORNOFF
Zornes willen die Feinde der Christenheit siegen läßt, um die Christen
damit zu strafen, und daraus folgt wieder, daß er sehr wohl mächtig
wäre, ohne der Letzteren Hilfe sein Land zu befreien.
Es läßt sich nun erwarten, daß des Dichters tiefes religiöses
Empfinden auch auf seine übrigen Anschauungen von Einfluß ist,
vor allen Dingen auf seine Auffassung der Liebe. Wir glauben diese
am besten darstellen zu können, wenn wir
die sittlichen Begriffe
der älteren Minnesänger bis auf Walther, soweit dieselben sich auf
die Minne beziehen, im Zusammenhange untersuchen.
Die von P^rankreich nach Deutschland verpflanzte Sitte des
Frauendienstes, welche dem heimischen Minnesänge einen neuen, von
da ab ständigen Charakter verleiht, hat nicht nur einen Wandel der
Sitte, eine Verfeinerung der Umgangsformen im Gefolge, sie arbeitet
auch an der Umgestaltung der sittlichen Anschauungen, allerdings,
wie dies nach der unsittlichen Grundlage des Frauendienstes zu er-
warten steht, nicht zu deren Verbesserung.
Einen Anstoß zur Umkehr oder wenigstens ein augenblickliches
Besinnen bewirkt die Kreuzzugsidee und die Kreuzpredigt, welche
die Seelen der Menschen mächtig erschüttert und auch im Herzen
der ritterlichen Sänger den Kampf zwischen der conventioneilen Auf-
fassung der Liebe und dem natürlichen Sittlichkeitsbewußtsein entfacht.
Ich will versuchen, zunächst den durch den Frauendienst ge-
schaffenen Wandel der sittlichen Anschauung und sodann den durch
die Kreuzpredigt hervorgerufenen inneren Kampf mit seinem Ausgange,
wie derselbe sich in den Minneliedern spiegelt, zu schildern.
Da im Frauendienst die Huldigung des Ritters einer verheirateten
Frau galt, so war Verschwiegenheit Ehrenpflicht. Sie gilt bereits
Meinloh, der als einer der ersten die neuen Ideen in seinen Liedern
vertritt, als die vornehmste ritterliche Tugend (MF. 14, 22). Der sitt-
liche Einfluß, den die Liebe auf das Gemüth des Menschen ausübt,
erscheint verflacht. Sie vermag den Ritter nur in gesellschaftlicher
Hinsicht zu veredeln, ihm jene stolze Fieudigkeit zu verleihen, die
der Umgang mit feinen Damen erfordert (Eist 33, 26. Job. *94, 14.
Mor. 142, 30. Reinmar 151, 12. 183, 20 etc.).
Die Begriffe von Treue und Untreue sind vollständig
vertauscht.
Als Treue wird von dem Anbeter die ihm seitens der Dame
bewiesene anhaltende Zuneigung mit allen ihren Consequenzen be-
zeichnet, welche natürlich die Treulosigkeit gegen den Gatten bedingt.
DER MINNESÄNGER ALB RECHT VON JOHANSDORF. 93
Dagej^en nennt derselbe die Stand liattigkeit s^S*^"^ seine Liebes-
werbungeu Sünde und Unreclit (Eist 38, 30. Guten b. 78, 25. 79, 4.
Rugge 100, 18. Horb. 115, 29. Mor. 130, 4. Keinniar 160, 33. 165, 15.
180, 18. 176, 38), wenn er daneben aucli sich selbst als den Urheber
seiner Leiden ansieht (Fenis 83, 11. 24. Mor. 125, 3. 134, 13. Reinmar
171,25. 174, 10. 191,23). Als Treue des Ritters wird die der D.inie
gewidmete andauernde Verehrung gepriesen, wcdche doch nach so
vielen Zurückweisungen und Deuiüthigungen als erbärmliche Schwäche
und als unmännliches Gebahren erscheint. Reinmar sieht dies ein:
160, 22 ff., besonders v. 32 tcete ez danne ein kiid, deiz sus iemer Uhete
nach ic/he, dem soU ich icol totzen daz. 173, 3 ich warn mich sin ge-
louhen loil. nein, su verlür ich ake vil. ist daz also, seht loelch ein
k indes spil.
Einmal (Reinmar 177, 37) scheint stcete in doppeltem Sinne ge-
braucht zu sein, was der geistreichen Manier Reinmars entsprechen
würde, zuerst als Treue gegen den Gatten, dann als Treue gegen den
Freund: daz wir wip niht mugen gewinnen f rinnt mit rede, si enwellen
dan noch nie. daz milet mich, ich loil niht minnen.' Begründung: denn
■stoiten tvihen tuot unstcete we, geht auf die Pflicht gegen den Gatten.
Nun aber kommt die Höflichkeit gegen den Freund: ivcere ich, des ich
niene hin, nnstcete, lieze er danne mich, so lieze ich in. Hier ist natürlich
nur an die Entziehung der Neigung, nicht etwa eines vertraulicheren
Verkehrs zu denken.
Die Lage, in welche die Dame geräth, ist in der That eine schlimme;
denn einerseits möchte sie sich die schmeichelhaften Huldigungen des
Ritters und die Verherrlichung im Gesauge nicht entgehen lassen,
andererseits wünscht sie ihre Frauenehre zu bewahren (Reinniai- 171, 11,
187, 9). Sie verfällt darum meist auf ein heuchlerisches Spiel, indem
sie sich anfangs dem ritterlichen Säuger gewogen zeigt und ihm Lohn
verheißt, später aber, wenn derselbe eingefordert wird, die Ertheilung
desselben in die Ferne rückt oder gänzlich verweigert (Gutenb.
76, 3). Daher dann die ungemessenen Klagen der Dichter über unauf-
richtiges Wesen der Herrin, über getäuschte Hoffnung (Joh. 86, 11.
Mor. 128,25. 138,10. 143,10. 145,29. Reinmar 158,37. 171,11
[cf. 187, 9] 195, 23).
Auch der Begrift der Ehre muß sich eigenthümliche Ver-
änderungen gefallen lassen, zunächst der Begriff der Frauen ehre,
wobei die Auffassung des Mannes von der der Frau zu unterscheiden ist.
In den Frauenstrophen ist gewöhnlich die natürliche und ur-
sprüngliche Auffassung vertreten, insofern ere die Treue gegen
94 J- HORNOFP
den Gatten und den darauf gegründeten guten Ruf be-
zeichnet.
So Hausen 54, 14 torst ich genenden, so tvold ich im enden sine
klage, loan Jaz ich vil sendez lotp erfürhten »moz der eren min.
Damit stiramt auch die Auffassung des Weibes bei Veldegge,
wenn er sich auch des Wortes ere nicht bedient, 57, 5 flf., auch Eist
40, 35 ff. Das Weib hält die völlige Hingabe an den Freund für ein
Unrecht.
Rugge 110, 8 dem ich alsolher eren sol getriiwen, ah ich her he-
halten hau, den muoz ich e bekennen ivol, sin loille mac so Ithte niht an
mir ergän. ere ist hier der gute Ruf.
Reinmar 178, 19 meine er icol ynit triuivm mich, swnz im danne
ndlge ze fröuden kamen, daz nun ere st, daz sprich', sagt die Frau zum
Boten. Zur Erklärung des Begriffes ere tragen v. 10 f. und v. 24 ff.
bei. V. 10 f. ^siüä du mügest, da leite in abe, daz er mich der rede be-
gebe . . V. 24 ff. ^s6 hit in daz er verbir rede, die er jungest sprach ze
mir. so mac ich in an gesehen, wes ivil er da mite hesioccren mich, daz
doch niemer mac geschehen?' Die Frau wünscht also den Boten daran
zu hindern, daß er dem Ritter Aussicht auf Lohn eröffne, er soll nur
insoweit freudige Botschaft bringen, als es die Ehre der Dame zuläßt.
Reinmar 186, 25 ßer mir ist von herzen holf , dem versprich ich sere
niht durch vngefüegen ha:, wan durch mtnes Ubes ere'. 192, 37 nu teil
er {daz ist mir ein not), daz ich durch in die ere wäge und auch
den Itp .
Hartm 217, 19 ^loand ich ivägen teil durch in den lip , die ire
und cd den sin.
Bisweilen treffen wir aber auch bei der Frau auf andere An-
schauungen. Die dem Gatten zu wahrende Treue wird auf den Freund
übertragen und dementsprechend der Begriff gewandelt.
Reinmar 200, 33 er s-hiet hinnen mit den sinnen, daz ich niht ver-
gizze srn. iv'ip mit güeten sol ir ere hileten, wider ir friunt niht striten.
also wil ich s/n mit eren hUen. Das Bewahren der Ehre kann hier
nur gleichbedeutend mit der Treue gegen den Freund sein.
Öfter begegnet uns die letztere Auffassung beim
Manne. Für ehrenvoll gilt die Hingabe an den Geliebten bei
Veldegge 67, 8: joch ist diu minne als si was toilen ere. Aus dem vor-
hergehenden Verse: und tvil doch daz ich klage mine sere ergibt sich,
daß unter Minne die Entgegennahme der Huldigung einschließlich
des Lohnes zu verstehen ist; denn durch diesen allein kann die sere
des Dichters gestillt werden. Auch 59, 32 hat man an keine andere
ä
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF. 95
Erklärung zu deukoD: ich lod frö sin durch ir ere, diu mir daz hete
getan, daz ich von der rinwe leere, diu mich loÜent irte sere. daz ist
mich nu so vergdn, daz ich hin rtch und groz here, stt ich si mtioste
al iimbevun , diu mir gap rehte minne sunder wh-li und äne lodn.
Vgl. auch Rugge 105, 6, wo die Erhörung von der tugent der
Frau gefordert wird. 110, 30 mhi heil in ir genäden stät, si kan ver-
klären sorge, der ich loalde. ir gilete mich gehoehet hat. daz sol si meren
nach ir ere manicvalde.
Als Treue gegen den Geliebten fassen Johansdorf und
Horheim den Ehrbegriff.
Joh. 86, 27 i\u JieJfe er mir, oh ich hi>rioiJer käme, ein wrp, diu
grozen kumher von mir hat, daz ich si viwie an ir eren. 88, 13 Ine
erwache nimer ezn st min erste segen, daz got ir eren müeze pldegen
(uäralich während seiner Entfernung auf dem Kreuzzuge).
Horheim 114, 28 Ich loil hevelhen ir lip und ir ere got und da
nach allen engelen sin. si sol ivizzen , sicar ich landes kere, daz ich ie
hin und muoz iemer sin, als ich e toas. Das Gelöbniü der eigenen Treue
steht hier dem Wunsche, die treue Liebe der Dame zu behalten,
gegenüber, — Der Vorwurf der Treulosigkeit gegen die Freunde ist
mit eingeschlossen, wenn es Hausen als eren slac (48, 16), als lasier
(48, 22) der Frauen bezeichnet, würden sie sich während der Ab-
wesenheit der Kreuzritter den zurückgebliebenen feigen Männern hin-
geben.
Aber nicht nur dem treuen Freunde sich hinzugeben und ihrer-
seits die Treue zu waln-en, gilt als ehrenvoll für die Frau, sondern
auch den treulosen Anbeter zu verstoßen. Hartm. 205,24
groz xoas mtn wandel. do si den entsaz, so rneii si mich, vil lool geiohe
ich daz, me diir ir ere, dan üf mhien haz^).
Reinmar macht eine Ausnahme. Wohl beklagt auch er sich über
die Hartherzigkeit seiner Dame, über ihr zweideutiges Benehmen,
dann aber widerruft er plötzlich und rechtfertigt ihr Verfahren als
ein ehrenvolles. 195, 25 war umhe rede ich solhen mt? si endähte an
mich ze keiner zit, ivan als ein icip gedenket, an der iriuioe und ere
IH. Damit stimmt denn auch 165, 37 Ich hän ein dinc mir für geleit
und strite mit gedanken in dem herzen mm : ob ich ir hohen werde-
keit mit mtnem xcillen wolte Idzen minre sin, ode ob ich daz welle, daz
si groezer si und si vil smlic wip ste min und aller manne
') Der Interpretation Naumanns (Reihenfolge der Werke Hartmanns Ztschr. f. d.
Alt. 22, 47), welcher die Ehre als Standesehre faßt, kann ich mich nicht anschließen.
96 J. HORNOFF
vri. die tuont mir hSJe we. ine loirde ir lastevs tricmer wo : verget si
mich, daz klage ich iemer me. Einmal wendet auch er die eonveutioneile
Bedeutung an: 189, 34 an der ich aber triuwe und ere erkenne, ivcene
ich des, daz mir diu ungelonet läze, so geschoihe an mir, daz nie ge-
schach.
Wie in den meisten der augeführten Stellen der Begriff der
Frauenehre, so ist nun auch weiter der Begriff der Manne seh re ,
soweit diese sich auf die Minne bezieht, verschoben. Was das natür-
lich-sittliche Bewußtsein als unehrenhaft verurtheilt, die ausdauernde
Liebe zur Gattin des fremden Ritters, das Hegen und Pflegen
dieser Liebe gilt nach der neuen Auffassung als ehrenvoll, sowohl
im Munde der Frau, wie des Mannes. Veldegge geht hierin voran.
Er stellt freilich diese Treue als eine alte gute Sitte der Flatter-
haftigkeit als einer neuen Unsitte gegenüber, ohne daran zu denken,
daß die alte Treue der noch unverheirateten Frau oder doch wenig-
stens nicht der Gattin eines Anderen galt. 61, 18 do man der rehten
minne pflac, do pflac man auch der eren, nu mac man naht unde tac
die boesen site leren. Die ehrenvolle Gesinnung ist an die rehte minne
geknüpft. Was aber Veldegge unter dieser versteht, besagt 59, 30.
60, 2 : swer hat rehte minne sunder riuwe und äne ivanc, und : diu mir
gap reh'e mitine sunder riuwe und dne wanc. Die boesen site sind nach
61, 1. 5 Witekeit und losheit\ ihnen gegenüber kann rehte minne nur
„treue Hingabe" bezeichnen, treue Liebe, die sich auch durch Miß-
erfolge nicht abschrecken läßt: 60, 11 diti mich durch rehte minne
lange phie dolen liet (um die Treue zu erproben). Danach würde auch
60, 14. 18. 26 ere auf treue Liebe zu beziehen sein: der bldschaft
sunder riuwe hat mit eren, he ist riche. — Swer mit eren kan gemeren
sine bittschaff, duz ist guo' (Refrain).
Derselben Anschauung huldigt Reiuniar: 199, 34 (Frauenstropi)e)
Jch sprich im niht mere, 2can daz er mich siht, daz sint sin ere. Die
Ehre des Ritters verlangt es, daß er der Dame nicht lange seine
Gesellschaft entzieht, ihr eine treue Pflege angedeihen läßt. cf. v. 31 ff.
sol ich ltdin von im langez mtden, daz müd mich wol sere.
Das Werben um Frauengunst einschließlich ihres
letzten Zieles ist gleichbedeutend mit der sorge umb ere,
dem ^werben umb ere.
Reinmar 198, 30 der ie gern umb ere warp und dar an ist un-
verz'igt, deme tuot vil menegez we, des sich jener getroestet, . . . der dir
ist verdorbene. ]\/an sol sorgest, sorge ist guo f, eine sorge ist nienian
wert. Das ^timb ere werben ist gleich ^sorgen, sorgen gleich um Liebe
DER MINNESÄNGER ALBREOHT VON JOHANSDORF. 97
ringen trotz aller Zurückweisungen, cf. 199, 8 icer hat Uep an arebeit?
192, 20 Mere umh ere sol ein man gesorgen danne iimb ander guot.
R. stellt sich in dem Liede seinen Spöttern gegenüber, indem er
sich seines Werbens nach Frauengunst und des Austandes, mit
dem er seinen Liebesschraerz zu tragen weiß, rühmt. Auch 202, 30
dürfte ere in dem bezeichneten Sinne zu fassen sein. v. 25 Mir ist
der xoerlde unsto'te von genuogen dingen leit. Swie gerne ich rehte tcete
(wände ez tvcere ein sadekeit) ^ so enlät mich manic man, der umh ere
noch um fröude nie deheinen muot gewan.
die sorge umh ere bei Rugge 110, 7 bezeichnet schon mehr die
Besorgniß, des Lohnes nicht theilhaftig zu werden. Sioes muot iedoch
zer loerlte als der mme stät, ich wcene er manege sorge umh ere hat.
Vgl. den Anfang der Strophe: ich hän nach wäne dicke lool gesungen,
des mich andei's niht bestuont^).
Die entgegengesetzte Beurtheilung, welche dieselbe Handlungs-
weise (Gewährung bez. Erringen des höchsten Lohnes) bei beiden
Geschlechtern erfährt, spiegelt sich in Job. *93, 25, wo die Dame zu
ihrem Ritter sagt: wert ich iuch, des hetet ir ere, so wcer mtn der spat.
Es handelt sich nun darum, zu untersuchen, ob dem Einzelnen
die unsittliche Grundlage der Zeitsitte zum Bewußtsein kommt. Nur
bei den Wenigsten finden wir in den Liedern eine Andeutung. Wenn
auch anzunehmen ist, daß Viele in ihrem späteren Leben, wie Wal-
ther, Wolfram und Hartmaun dem Minnedienste den Rücken zu-
kehrten, um wie Wolfram (wahrscheinlich auch Hartmann) '^) Befriedi-
gung im ehelichen Leben zu suchen, so hat doch dieser Wandel in
ihren Liedern keinen Ausdruck gefunden. Dieser Gedanke gehörte
eben nicht in den Rahmen des conventionellen Liebesliedes. Andeu-
tungen aber, daß Einzelnen die sittliche Erwägung nahegetreten ist,
finden wir doch. Gerade gegen sie kämpft Rute mit seinem trotzigen
und leidenschaftlichen Sinne an und stellt sich denen gegenüber, die
in der Todesstunde ihre Sünde bereuen und beichten: 116, 15 Swie
mir der tot vast üf dem rugge wcere unde dar zuo manic ungemach, so
wart mm wille nie, deich si verheere , swie nähen ich den tot ht mir ge-
sach. do manic man der sünden sin verjach, do war daz mm allermeistiu
swcBre, daz mir genäde nie von ir geschach. Auch Adelnburc hat sich
die Frage nach der Zulässigkeit der conventionellen Liebe vorgelegt.
Das Lied 148, 25 erscheint als eine Antwort auf diese Frage : Sioer
•) Erich Schmidt versteht unter ^re hier Lob der Welt'. Heinrich von Rugge
and Reiumar von Hagenau. S. 28.
') Naumann Zs. 22, 59 f. 74.
eUUIAMIA. Neae Beih* XXIL (IIXTV.) Jahrg. 7
98 J. HORNOFF
mit trimcen umbe ein ivtp wirbst, als noch maneger tuot, icaz schadet der
sSle ein toerder Upf — Ich steuere ivol, ez iccere guot. ist aber ez ze
himele zorn, so kommt die boesen alle dar und sint die biderben gar
verlorn. Wie Anderen scheint auch ihm die unsittliche Grundlage ver-
deckt durch die scheinbare Tugend der Treue, sodann aber durch
die Liebe zu einem würdigen Gegenstande {waz schadet der sele ein
werder Itp?). Dieselben Gedanken, die wir bei Johansdorf wiederfinden
werden! cf. auch Mor. 142, 26 gerne sol ein riter ziehen sich ze guoten
loibeny dest mm rät. boesiu ivtp diu sol man vliehen etc. Als dritte Ent-
schuldigung kommt bei Adelnburc noch die Autorität aller trefllichen
Männer hinzu, welche der gleichen Sitte huldigen (149, 2). Wann
dieses Lied abgefaßt ist, ob Adelnburc vielleicht im Ausgange der
achtziger Jahre unter dem Einflüsse der Kreuzpredigt sich diese sitt-
liche Frage vorgelegt hat, läßt sich nicht bestimmen, wäre aber
möglich. Das aber ist gewiß, daß die für die Christenheit so er-
schütternden Vorgänge im Morgenlande vom Jahre 1187 (Schlacht
bei Hattin, Einzug Saladins in Jerusalem), die wiederaufgenommene
und aller Orten gepredigte Kreuzzugsidee Viele zur Selbstschau, zum
stillen Insichgehen veranlaßte. Suchte doch der Kreuzprediger die
Menschen zur Kreuznahme gerade dadurch zu bewegen, daß er sie
einerseits an ihre Sünden erinnerte, anderseits auf den himmlischen
Lohn hinwies. Und so werden wir eine ganze Gruppe von Sängern
kennen lernen, in welchen diese Idee zündend wirkt, und welche nun
entweder einen Bruch oder einen Ausgleich mit ihrer bisherigen An-
schauung herbeizuführen bemüht sind: ich meine die Minnesänger
Hausen, Johansdorf, Rugge, Reinmar und Hartmann.
Das diesen Männern, etwa mit Ausnahme von Rugge, Gemein-
same ist das Bewußtsein, daß die conventioneile Liebe eine Sünde sei.
Hausen 46, 14 Ich bin ir holt : swenne ich vor gote getar, so ge-
denke ich ir. daz riioch ouch er vergeben mir.
Job. 90, 8 Ich gedenke manege naht : waz sol ich tvider got nu tiion,
ob ich beltbe, daz er mir genoedic st? so v^eiz ich niht vi/, groze
schulde, die ich habe, niuwa'n eine, der enkume ich niemer
ahe. alle sünde lieze ich lüol loan die : ich minne ein totp vm' al
der werlte in mmem mtiote, got herre daz verväch ze guote.
Reinmar 181, 35 In erhübe in (nämlich den gedanken) eteswenne
dar (nämlich Ziir Geliebten) und aber wider sä zehant. sos unser beider
friwent^) dort gegrüezen, sfi keren dan und helfen mir die sünde büezen.
') So Becker S. 139, Haupt /Hunde.
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF. 99
Hartra. 209, 25 dem krmze zimt lool reiner mnof und kkische site. si) mar.
man scelde und cdlez guot erioerhen mite, ouch ist ez nilit ein kleiner haft
dem tumhen man, der sime Übe meisterschaft niht kalten kau. ez loil niht,
daz man st der merke drunder frt. 210, 11 diu werlt mich lachet trie-
gent an und winket mir. nu hdn ich als ein tumhei' man gevolget ir.
der [hacken hnn ich manegen tac gelaufen nach, da nieninn stfPte vhtden
kan, dar loas mir gäch. nu hilf mir lierie krist , der mtn da värend
ist, daz ich mich dem entsage mit dhiem zeichen , deich hie trage.
Die Reue über das weltliche Treiben bezieht sich natürlich auf das
vorangegan<ijene erste Minneverhältniß Hartinanns ^).
Unklar bleibt nur die »Stelluno^ von Ruj^oje. Die Stelle im Kreuz-
leiche ist zu allgemein gehalten, als daß aus ijir ein Schluß gezogen
werden könnte. 97, 2 ob ich verhir die hloeden gir, die noch min hefrze
tn'it, so loirt mir hin ze den fvöweden gnch. Die hUcde gir kann sich
auf alles Mögliche beziehen. 98, 33 wendet sich der Dichter nicht
gegen die conventionelle Liebe im Allgemeinen, sondern gegen die-
jenigen, welche sie der Pflicht der Kreuznahme nicht opfern wollen.
Nach 105, 33 ff. scheint er sie mehr für eine Thorheit als eine Sünde
zu halten : Jch hdn der werlt e ir reht getan ie nach der m,äze als ez
mir stuontj der volge ich noch nf guoten wän, alsam die toren alle
tnont. Leicht möglich, daß Rugge zu der Zeit, als er den Leich dichtete,
seinen Minnedienst beendet und so nicht mehr nöthig hatte, persönlich
Stellung zu der F'rage zu nehmen, möglich aber auch, daß er, der
an leichtem und fröhlichem Muthe Veldegge gleicht, ebenso wie jener
den inneren Widerspruch nicht empfand.
Es handelt sich nun um die Stellungnahme, um den sittlichen
Kampf der Übrigen und um dessen Ausgang. Herauszuheben ist zu-
nächst Hartmann, der allein von Allen mit seiner bisherigen An-
schauung bricht. Er hat dieselbe als unrichtig anerkannt und ver-
sucht keinen Ausgleich. Im November-December des Jahres 1195 hat
Hartmann das Kreuz genommen'^). In demselben Winter folgen die
Lieder 209, 25 dem kriuze zimt lool reiner mnot etc. und 210, 35 Mtn
frö/'de zvart nie sorgelos etc., in denen er seinem früheren weltlichen
Treiben entsagt. Wenn er nun im Frühling des folgenden Jahres sich
abermals verliebt, so ist dies keine Inconsequenz, kein Rückfall in
die alte Anschauung, mit dem sich zugleich der Widerspruch mit
seiner Würde als Kreuzträger hätte einstellen müssen, Nein, diese
') Naumann Zs. 22, 74.
^) Naumann Zs. 22. 60. 43 ff.
100 J- HORNOFF
zweite Liebe hat eine ernste Neigung zum Hintergrunde, sie sucht
eine dauernde Verbindung mit der Geliebten', die dann nach dem
Kreuzzuge wahrscheinlich auch erfolgt. Bei Hartmann löst sich also
der Conflict klar und einfach.
Nicht so bei den Übrigen, Hausen, Johansdorf, Reinmar wollen
von ihrer Liebe nicht lassen, und sie suchen deshalb einen Ausgleich
zwischen ihrer Liebesempfiudung und ihrem religiösen Gefühle herbei-
zuführen, jeder auf andere Weise und mit verschiedenem Erfolge.
Hausen, der von den Dreien am meisten weltmännischen Sinn
zeigt, weiß am leichtesten über den Conflict hinwegzukommen. 46, 14
Ich hin ir holt : sivenn ich vor gote getar, so gedenke ich ir. daz rtioch onch
er vergehen mir; wan ob ich des sünde siile hnn, zwiu schuof er si so
rehte wol getan? Er rechnet auf Gottes Nachsicht, indem er ihm vor-
wirft, daß er ja die Geliebte so schön geschaffen habe, und meint,
daß damit eigentlich seine Sünde wegfalle: eine mehr geistreiche
Wendung, als wirklich ernste Erwägung. Am Schlüsse trifft er den
Ausgleich, daß er Gott den ersten, den Frauen den zweiten Platz in
seinem Herzen einräumen wolle. 47, 7 den (nämlich got) wil ich vor
in allen haben, und in {■= den fromven) da nach ein holdez herze tragen.
Die Ruhe, die er damit gewinnt, ist darum keine nachhaltende. Er
hat sich getäuscht, wenn er geglaubt hat, daß mit der einfachen
Thatsache der Kreuznahme auch der innere Streit entschieden sei
(47, 17. 23). Von Neuem kämpfen seine Empfindungen gegen den
gefaßten Entschluß an, kämpft sein herze gegen den Ivp (47,9). Er
ist nicht stark goiug, die ersteren zu unterdrücken, und läßt ihnen
darum freien Lauf. Religiöse Empfindung und Liebesgefühl stehen unver-
mittelt nebeneinander, und das letztere hat sogar die Oberhand (47, 25 ff.).
Weit ernster nimmt es Reinmar mit diesem Widerstreit der Ideen..
Auch er hat den kühnen Entschluß gefaßt, das Kreuz zu nehmen
und den Frauen zu entsagen, und wie schwer ihm dies auch gefallen
ist (180,28 ff.), er sucht sich im Hinblick auf die zu erwartende
weltliche Ehre und auf die Gnade Gottes zur Freude durchzuringen,
wie er denn auch die Anderen zur Freude ermahnt (180, 36 ff.).
Aber freilich der Wille ist zu schwach, wie bei Hausen und vielen
Anderen (181, 22), um die einmal als unberechtigt anerkannten
Gedanken völlig zu bannen. Und so gestattet auch er ihnen (181, 33),
weil ihm nichts Anderes übrig bleibt, den gewohnten Weg vom Herzen
zur Geliebten, aber — und hier zeigt sich der Unterschied von
Hausen — während jener sie dort ruhig weilen läßt (47, 25), ruft
sie Reinmar gebieterisch zurück, damit sie die begangene Sünde
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF. JOl
büßen helfen und Vergebung erlangen (181, 38). Kleinlaut schließt
Reinmar mit der Befürchtung, daß ihn die Gedanken noch recht oft
betrügen werden (182,2). Der Widerspruch bleibt also bestehen, aber
die religiöse Empfindung überwiegt.
Ohne Beimischung religiöser Ideen wird uns der sittliche Kampf
165, 37 ff. geschildert. Nachdem Reinmar drei Strophen hindurch in
der conventionellen Anschauung sich bewegt hat, bricht plötzlich das
sittliche Bewußtsein durch: Ich hän ein dinc mir für geleit und strite
mit gedanken in dem herzen mm, ob ich ir hohen iverdekeit mit mineni
lüillen loolte läzen minre sin, ode oh ich daz tcelle, daz si groezer si und
si vil scbUc wvp ste mm und aller manne vrt. die tuont mir bede ive.
ine wirde ir lasters niemer vro. verget si mich, daz klage ich iemerme.
Es handelt sich also um die Frage, ob Reinmar seine Dame zu einer
Handlungsweise veranlassen soll, die sie in seiner eigenen sittlichen
Werthschätzung herabsetzt, ihm aber Befriedigung seines Herzens-
dranges verschafft, t)der ob er sie lieber sittlich rein, befreit von seiner
und aller übrigen Männer Liebe zu sehen wünschen soll. Reinmar
schwankt, ohne zu einer Entscheidung zu kommen; ihren Schimpf
mag er nicht mitansehen, aber ihr entsagen kann er nicht. Die letzte
Strophe des Liedes, die nur in E überliefert ist (die übrigen in ABC)
und mit der eben besprochenen in durchaus keinem Zusammenhange
steht, ist wahrscheinlich eine Zusatzstrophe. Das Lied schließt, wie
das Kreuzlied, unbefriedigt.
Auch die Revocatio in 195, 25 weist diesen Widerstreit der Ideen
auf. nieman loeiz, ob si mich wert oder tviez ergät, nein oder ja. ich
enioeiz enwederz da. warumbe red ich solhen /itt? si endähte (in
mich ze keiner zit^ loan als ein ivtp gedenket, an der triuive
und ere lit.
Ganz anders als bei Hausen und Reinmar steht die Sache bei
Johansdorf. Auch er hat einen harten Kampf durchzumachen (90, 5 flF.) :
schlaflos wälzt er sich die Nacht auf seinem Lager und überlegt,
ob er das Kreuz nehmen soll; zwar drücken ihn nicht viele, schwere
Sünden, aber die eine, die Liebe zu einer Frau erfordert eine Sühne.
Nicht aber, wie Reinmar, beschließt er darum, dieselbe zu lassen, dazu
ist seine Empfindung zu mächtig; er bittet Gott um Nachsicht (90, 15),
wie Hausen darauf rechnet (46, 16 ff.). Einmal (94, 25 ff.) versucht
auch er die Minne von sich zu weisen, aber im näclisten Augenblicke
gestattet er ihr, in seinem Herzen die Reise nach dem heiligen Lande
mit ihm zu unternehmen, und wagt es sogar, für die Geliebte den
102 J- HORNOFF
halben Lohn der Fahrt bei Gott zu erbitten. Nichts von Unruhe und
Widerspruch mehr in seinem Herzen. Noch mehr erstaunen wir,
wenn der Dichter dieser Liebe zuschreibt, daß sie von Sünden vor
Gott freimache (88,33 ff.): Sioer minne minnecliche treit gar dne
valschen muot, des silnde ivirt vor gote niht geseit. si tiuret und ist guot.
Johansdorf muß einen Ausgleich in seinem Herzen getroffen haben.
Was aber ermöglichte diesen? Er betont die reine Liebe (siver
minne minnecliche treit gar eine valschen muot) und d i e E m p f i n-
dung für reine Frauen (88, 37 man sol mulen hoesen kranc und
minnen reiniu wip). Sie veredelt den Menschen nicht nur nach der
geselligen Seite hin, wie das die übrigen Minnesänger hervorheben,
sie heiligt auch das Innere des Menschen (v. 88, 35 des silnde xoirt
vor gote niht geseit. si tiuret und ist guot). Dazu kommt die Treue,
die starke, die anhaltende Empfindung. 86,1 Min erste
liebe, der ichiehegan, diu seihe muoz an mir diu leste sin. an vröu-
den ich des dicke schaden hän; iedoch so ratet mir daz herze min : solde
ich minnen mer dan eine, daz enwcere mir niht guot, sone minnet ich
deheine. seht, loie maneger ez doch tuöt! 87, 5 Mich mac der tpt von
ir minnen ivol scheiden , anders nieman, des hän ich gestvorn. 89, 1
tuo erz (= minne er ein reinez icvp) mit triuiven, so hob iemer danc
sm tugentlicher Up. künden si ze rehte beidiu sich hewarn, für die wil
ich ze helle varn .... ich meine die da minnent dne gallen, als ich mit
triutoen tuen die lieben frouwen mm. 91, 29 Swä zioei herzeliep ge-
friundent sich und ir beider minne ein triuive loirt, die sol niemen
scheiden, dunket mich, al die wile unz si der tot verbirt. 91, 24 ist
daz ich es inne loerden sol, loie dem herzen herzeliep geschiht, so heioar
mich vor dem scheiden got, dazwoen bitter ist. Vgl. auch 91, 13.
In 89, 15 liegt eine Polemik gegen die getheilte Liebe. Reine und
starke, anhaltende Empfindung, sie beherrschen das Herz des Dichters
in so hohem Grade, daß er über die unsittliche Grundlage seiner
Liebe hinwegsieht, und daß eine Vereinigung der Liebesempfindung
mit dem religiösen Gefühle ermöglicht ist.
Psychologisch interessant ist es nun weiter, denGründeu nach-
zugehen, welche den Einzelnen direct oder indirect zur
Erkenntniß seines unsittlichen Handelns und damit zur
Kreuznahme bewegen. Zwei Motive treten hierbei in den Vorder-
grund: einmal die Furcht vor dem Tode, welcher dem Gemüthe
nahegebracht wird durch die großen Verluste der Christenheit im
Orient, und sodann die Erfolglosigkeit in der Liebe.
Das erste Motiv erscheint bei Hausen, Rugge, Johansdorf.
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF. 103
Hausen 46, 28 nieman iceiz, wie nähe im ist der tot. Rugge 99, 15
nienian tveiz, ivie lange er lebet.
Johansdorf wird erschüttert durch das Massensterben der Men-
schen ; er sieht darin eine Folge des Zornes Gottes. 88, 27 Wir haben
in eime jdre der Hute vil verlorn, da bi so merket gotes zum.
Das zweite Motiv, die Erfolglosigkeit der Liebe, hat Hausen,
46, 29 einer fromven tvas ich zam, diu dne Ion tum dienest nam, von
der sprich ich niht wan allez ijuot, ivan daz ir inuot zunmilie ist loider
mich gewesen, vor aller not ich ivände sin genesen, do sich verlie min
herze üf genäde an sie, der ich da leider niene funden hdn. nii
wil ich dienen dem, der Ionen kan.
Reinm. 153, 22. Do Sprechens zit was wider diu wip, do warp ich
als ein ander man, do wart mir einiu als der lip, von der ich niuwan
leit geivan. do iväyide ich ie, si wolde ez wenden, bcet ich si noch, ich
künde ez niht verenden, nv, hdn ich mir ein leben genomen,
daz sol, ob got von himele teil, mir noch ze staten komen.
ludirect spricht Reinmar den Gedanken auch 180, 28 ff. aus.
Hartm. 211, 8 ff. Mich hat diu xoerlt also getvent, daz mir
der muot sich zeiner mäze nach ir sent. dest mir nu guot. got
hat vil icol ze mir getdn, als ez nu stät, daz ich der sorgen bin erlän,
diu tna^egen hat gebunden an den fuoz, daz er beliben muoz, swenn ich
in Kristes schar mit fröiden wünneclichen var.
Bei Hartmann häufen sich die Motive. Der Tod seines Herrn
hat ihm alle irdische Freude geraubt, so daß er nur noch an sein
Seelenheil zu denken wünscht. 210, 23 Sit mich der tot beroubet hat
des herrcn mm, swie nil diu icerlt nach int gestdt, daz Idz ich sin, der
fröide min den besten teil hat er dd hin , und schliefe ich nu der sele.
heil., daz wcere ein sin. Freilich hält das erste Motiv, wonach Hart-
mann auf die Liebe verzichtet, nicht nach. Noch vor dem Kreuzzuge
(1197) verliebt sich der Dichter zum zweiten Male, ohne daß freilich
dies für ihn die Veranlassung würde, in der Heimat zu bleiben. Im
Gegentheil ist es gerade die Geliebte, die ihn antreibt, dem geleisteten
Versprechen nachzukommen, und so für ihn ein neues Motiv zur
Kreuzfahrt hinzufügt. 217, 20. Sioelch frouive sendet lieben man mit
rehtem muot üf diso vart, diu . . . 218, 10 Nu hat si mir enboten bi ir
liebe, daz ich var. v. 11 ez ist geminnet, der sich dur die Minne eilen-
den muoz.
Mit den genannten Dichtern vergleiche man Morungen, welcher
durch die Erfolglosigkeit seines Minnewerbens nicht zu religiösem
Denken, sondern nur zur Todessehnsucht geleitet wird. 139, 11 ff.
104 J- HORNOFF
A|uch die Zwecke, die der Einzelne durch die Kreuzfahrt zu
erreichen hoflft, sind nicht die gleichen.
Reinmar und Hartmann betonen neben dem ewigen auch den
zeitlichen Lohn, neben der Seligkeit den irdischen Ruhm.
Reinmar 180, 38 wir sollen hiure lüesen froer danne vert. söne
(Regel , yö Haupt) mac ein man erwerben des er gert^ lop und ere und
darzuo gotes hulde.
Hartm. 210, 7 wan swem daz ist beschert^ daz er da wol gevert,
daz giltet beidiu teil, der loerlte lop, der sele heil.
Hausen, Johansdorf, Rugge kennen nur den himmlischen Lohn.
Hausen 46, 38 nu tvil ich dienen dem, der Ionen kan. Er denkt
hierbei gewiß nicht an den irdischen Ruhm, mit dem ja Gott eben-
falls lohnen könnte. Dafür spricht 53, 35: Swerz kriuze nam und loider
loarp, dem loirt doch got ze jungest scMn, stoann im diu porte ist
vor verspart, die er tuot ilf den Hüten sm.
Johansdorf 87, 23 ivir stiln varn durch des riehen gotes ere gerne
ze helfe dem heilegen grabe, swer daz bestrüchet, der mac icol be-
snaben. ddne mac niemen gevallen ze sere, daz meine ich,
so die sele werden gevage, so si mit schalle ; ■ limel" ^~eren.
94, 15 Quote liute, holt die gäbe, die got unser herv'. dbe git . der al
der weite hat geioalt. dienet sinen solt, der den. • ■ >' scelJy .' aften
dort behalten lit mit vrÖuden iemer manicvt i etc. V;ri. auch
89, 32 ff.
Rugge 96, 19 ez wurde ein langer wernder hört, swer got nu dienen
künde, daz wcere guot und ouch mm rät, daz ivizzent algeliche. vil
maneger drumbe enphangen hat daz frone himelriche\ und
sonst öfter.
Bei Johansdorf und Hartmann kommt aber noch der Wunsch hinzu,
den halben Lohn für die Fahrt der Geliebten zukommen zu lassen.
Job. 94, 31 Wilt ab du {= Minne) üz minem herzen scheiden niht,
. . . , viler ich dich dan mit mir in gotes lant , so si er umbe halben
Ion der guoten hie gemant.
Hartm. 211, 20 Swelch frouwe sendet lieben man mit rehtem muole
üf dise vart, diu koufet halben Ion daran, ob si sich heime also
bewart, daz st verdienet kiuschiu wort, si bete für st beidiu hie, so vert
er für st beidiu dort.
Ursprünglich freilich hat Hartmann den halben Lohn seinem
verstorbenen Herrn zugedacht. 210, 31 mac iine (= dem herren) ze helfe
komen min vart, diech hdn genomen, ich wil irm halber jehen, vor
gote müeze ich in gesehen.
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF. 105
Überblicken wir nochmals den Inhalt der Gedankenwelt Johans-
dorfs, so ist es das Sittliche seines Denkens und Empfin-
dens, was vor Allem hervortritt, und wodurch er sich vor sämmt-
lichen' Minnesängern der älteren Zeit auszeichnet. Er ist ein vor-
zugsweise sittlicher Charakter. Die Unsitte seiner Zeit vermag auch
er nicht zu durchbrechen, aber die Stärke und Reinheit seiner Empfin-
dung hilft ihm darüber hinweg, das Unsittliche fernerhin noch als
Unrecht zu empfinden. Reinmar gegenüber, der ihm an sittlicher Fcin-
fühligkeit am nächsten steht, ist er Realist. Jener erkennt sehr wohl
das Unzuträgliche seines Handelns. Er stellt sich (165, 37) vor die
Wahl zwischen dem Rechten aber Unangenehmen einerseits und dem
Unrechten aber Angenehmen anderseits. Aber er entscheidet sich
nicht. An anderer Stelle (181, 13), wo er sich für das Rechte ent-
schieden hat, vermag er mit dem Unrecht nicht vollständig zu brechen,
nicht Meister seiner Gedanken zu werden. Die Kluft zwischen Denken
und Handeln bleibt bei ihm bestehen, während Johansdorf Beides zu
verschmelzen weiß und in sich befriedigt ist.
Was die Form der Gedanken anlangt, so berühren sich natürlich
einzelne Ausdrücke und Wendungen in den Minneliedern mit denen
anderer Minnesänger, und doch fehlt auch hier das Originelle nicht,
was zum Theil durch das Sittliche von Johansdorfs Empfinden,
zum Theil durch die Stärke seines Naturgefühles bedingt ist. Auf
letzterem beruht die Beschreibung der Blumenpracht 90, 32 und der
herrliche Refrain (90, 23. 31): fröude und sumer ist noch allcz hie^ auf
ersterem die Betonung des Unrechts, was die Dame durch ihr falsches
Spiel an dem Dichter begeht : 86, 9 Ich toil ir raten hi der sele min
durch keine liehe niht tvan durch daz reht etc.
Auch durch Entlehnung aus fremdem Gebiete führt derselbe
neue Wendungen und Formen in den Minnesang ein. In den Schatz
der Volkspoesie greift er, um den vollklingenden, im älteren Minne-
sänge einzig dastehenden Ausdruck der Freude über die vorgestellte
Ankunft eines Liebesbotens zu gewinnen. 91, 36 cf. S. 111.
Als den ersten Versuch, die romanische Form des jeti parii in
freier Weise nachzuahmen, sehe ich das Lied 89, 9 an. cf. S. 110.
VI. Zeitliche Anordnung.
Auf formelle und inhaltliche Gesichtspunkte gestützt, versuche
ich eine Anordnung der Lieder zu geben, indem ich dabei von der
Voraussetzung ausgehe, daß die Lieder eines Tones zeitlich nicht allzu-
fern auscinanderliegen und vor oder nach denjenigen eines anderen
106 J- HORNOFF
Tones entstanden sind. Nur 86, 1 und 86, 2ö trenne ich zeitlich, da der
Ton der letzteren Strophe eine Modification von dem der ersteren ist.
Einen Anhaltspunkt bei Bestimmung der Reihenfolge gewinnt
man zunächst durch den Kreuzzug, wodurch sich diejenigen Lieder,
welche eine Andeutung desselben enthalten (= Kreuzlieder) von den
übrigen (den Minneliedern) als besondere Gruppe abheben. Man wird
sie zeitlich hinter die Minnelieder stellen müssen, da sie der conven-
tioneJlen Formeln, die in diesen noch ziemlich häufig sind, entbehren
und eine höhere Stufe der Technik aufweisen. Ausschließlich in den
Kreuzliedern findet sich die Form der Ausrufe (90, 4, 94, 35 flf.
95, 6 fi".), der Anrede an die Dame (87, 21), an die Minne (94, 25),
an die eigene Person (Rede der Frau 94, 38), die Schwur- und Fluch-
form (87, 5. 88, 9. 87, 37. 87, 9. 35. 89, 30) , Personification (94, 25),
Chiasmus (94, 23. 86, 17), die ungemein kühne Parenthese (89, 5),
die wirkungsvolle doppelte Antithese (94, 21. 22. 94, 24) oder die in
zwei benachbarten Versen wiederholte Antithese (94, 36 f.), der Dialog
(87, 15 ff".), die Einführung anderer Personen als redend (87, 14.
94, 35. 95, 13, 89, 25). Mit Absichtlichkeit wiederholt der Dichter
bestimmte Satzformen (88, 19. 94, 15. Haupt- mit Relativsatz wieder-
holt oder einfache Parataxe), um seine Rede ernst und eindringlich
zu gestalten. — Auch die complicirteren Töne gehören den Kreuz-
liedern an (Stollen mit drei Versen: 89, 21. 94, 15; mit vier Versen:
87, 29). — Was die Formelhaftigkeit der Minnelieder anlangt, so lese
man nur 89, 9. 90, 16. 92, 7.
Innerhalb der Kreuzlieder werden die wenigen Anspielungen auf
die Kreuzfahrt und auf die Bulle Gregors, welche Wolfram in der
angeführten Abhandlung^) aufgedeckt hat, maßgebend sein. 89, 21
fällt mit seiner Hindeutung auf den ersten Zug der Kreuzfahrer unter
Friedrich {„die hinnen varn"") in den Sommer 1189'^). .87, 29 (speciell
88, 19 ff,), 86, 25 und 94, 15 enthalten Anklänge an die Bulle Gregors?
welche am 27. März 1188 auf dem Reichstage von Mainz zur Ver-
lesung kam, fallen also hinter diesen Termin. Weiter sind 87, 29 und
87, 5 entstanden , nachdem der Dichter das Kreuz genommen hat-
In der dritten Strophe von 89, 21 dagegen schwankt der Dichter noch,
ob er in der Heimat bleiben oder sich am Zuge betheiligen soll. Ent-
weder ist also die Kreuznahme noch nicht erfolgt, oder sie ist erfolgt,
und der Dichter denkt trotzdem an die Möghchkeit des Zurückbleibens,
») Ztscbr. f. d. Alt. 30, 111.
«) Ztscbr. f. d. Alt, 30, 114,
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF. 107
Freilich würde er sich in letzterem Falle eiues Wortbruchs Gott gegen-
über schuldig machen. Dieser Gedanke tritt aber bei seinen nächt-
lichen Erwägungen nicht auf; es peinigt ihn nur die Schuld seiner
unerlaubten Liebe. Ich nehme demnach das Erstere an : die Kreuz-
nalime ist noch nicht erfolgt. Dann aber lallen 87, 5 und 87, 29 nach
89, 21, also zwischen den Sommer 1189 und den Aufbruch Leopolds
von Osterreich Sommer 1190'j, mit dessen Heere Johansdorf den Zug
antrat. Innerhalb dieses Zeitraumes muß der Dichter das Kreuz ge-
nommen haben.
Kurz vor dem Aufbruche sind 86, 25 und 94, 15 entstanden.
In 94, 15 (v. 35 ff.) ist der Streit mit der Geliebten wegen der Kreuz-
nähme ausgeglichen, welcher in 87,5 und 87,29 noch eine große
Rolle spielt. Der Dichter bittet die Minne (94,25), ihn bis zu seiner
Rückkehr freizulassen. Die Geliebte zittert vor dem nahen Tage der
Abfahrt (95, 5 ez nähet, er wil hinnen varn). In 86, 25 bittet der Dichter
Gott, über die Ehre der Geliebten bis zu seiner Rückkehr zu wachen-
94, 15 fällt wohl noch etwas später als 86, 25, da sich der Dichter
in der zweiten Strophe schon in der Ferne wähnt.
Die Ordnung der Lieder ist also folgende:
89, 21 Sommer 1189.
87,5. 87,29 Sommer 1189 bis Sommer 1190.
86, 25. 94, 15 Sommer 1190.
Mit geringerer Sicherheit lassen sich die Minncliedcr ordnen.
Ich habe schon früher wahrscheinlich zu machen gesucht, daß
die beiden Lieder 91, 8 und 91, 22 den Abschluß des Minneverhält-
nisses zur Voraussetzung haben; sie würden wir demnach an das
Ende der Reihe stellen müssen.
89, 9. 90, 16. 90, 32 enthalten viel conventionelle Phrasen:
Schmerz über die Entfernung von der Geliebten und über ihre Hart"
herzigkeit, Freude über den erhofften Anblick.
92, 7 ist geradezu stümperhaft und erscheint als Erstlingswerk.
91, 36 ist ein Virtuosenstückchen, welches des schlichten Aus-
diuckes wahrer Empfindung, wie ihn die späteren Lieder aufweisen,
entbehrt. Alle die genannten werden wir aus den bezeichneten Grün-
den an den Anfang zu stellen haben, etwa in der Reihenfolge: 92, 7.
- (89, 9. 90, 16. 90, 32) — 91, 36.
86, 1 schlägt plötzlich einen neuen Ton an. Das conventionelle
Minnetreiben scheint unserem Dichter lästig, das Kokettieren seiner
') Wolfram a. a. O. S. 114.
108 J- HORNOFF
Dame widerlich; die Eigenart Johansdorfs, der speciell sittliche Cha-
rakter kommt zum Durchbruch, er verlangt nicht um der Liebe, son-
dern um des Rechten willen Offenheit von der Dame, bestimmte
Zusage oder Absage ohne Umschweife (86, 9). Das dürfte der Anlaß
zu dem folgenden Abschluß des Verhältnisses gewesen sein, und so
schließt sich der Kreis. Das Bild der Reihenfolge würde dieses sein:
I. 92, 7. 89, 9. 90, 16. 90, 32. 91, 36.
II. 86, 1.
III. 9l78r"9l7~22.
Prüfen wir nun noch, wie sich die Strophenzahl der Lieder zu
der aufgestellten Anordnung verhält.
Die Strophenzahl kann nur insoweit als Kriterium gelten, als
man annehmen darf, daß der Entstehung mehrstrophiger Lieder die
einstrophiger vorangegangen sein muß, in unserem Falle, daß die
Entstehung der dreistrophigen Lieder den Vorgang mindestens eines
zweistrophigen, die Entstehung der zweistrophigen den Vorgang minde-
stens eines einstrophigen Liedes voraussetzt.
Falsch dagegen wäre die Annahme, daß sämmtliche ein-
strophigen vor den zweistrophigen, sämmtliche zweistrophigen
vor den dreistrophigen gedichtet seien, dem Dichter mithin die Mög-
lichkeit benommen gewesen wäre, vom dreistrophigen Liede zum zwei-
und einstrophigen zurückzukehren.
Die Strophenzahl der Lieder stellt sich nun folgendermaßen:
Von den Minneliedern sind die meisten zweistrophig: 89, 9.
90, 16. 90, 32. 91, 8. 91, 22; nur eines dreistrophig: 86, 1; zwei ein-
strophig: 91, 36. 92, 7.
Unter den Kreuzliedern finden sich zwei dreistrophige: 87, 5
und 89, 21, zwei zweistrophige: 87, 29. 94, 35. Die übrigen sind ein-
strophig: 86, 25. 88, 19. 88, 33. 94, 15. 94, 25. — Daß gerade unter
den Kreuzliedern, deren Entstehung später angesetzt wird, als die
der Miunelieder, so viel einstrophige erscheinen, darf nicht wunder
nehmen, da drei von den fünf Liedern sich der Spruchform nähern,
zu deren Charakter ja die Einstrophigkeit gehört: 88, 19 (indirecte
Ermahnung zum Kreuzzuge). 94, 15 (directe). 88, 33 (allgemeine Er-
mahnung zur Treue, an Liebende gerichtet).
Betrachten wir nun die Aufeinanderfolge der Lieder mit Rück-
sicht auf 'ihre Strophenzahl, so beginnt ein einstrophiges die Reihe
der Minnelieder: 92, 7. Es folgen die z\Yeistrophigeu: 89, 9. 90, 16,
90, 32, mit Unterbrechung durch ein einstrophiges (91, 36) das drei-
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF. 109
strophige 86, 1. Den Beschluß bilden zwei zweistrophige Lieder 91, 8.
91, 22.
Die höchste Strophenzahl ist bereits innerhalb der Minnelieder
erreicht. Die Reihe der Kreuzlieder beginnt gleich mit zwei drei-
strophigen: 89,21. 87,5 und wird fortgesetzt mit zwei- und ein-
strophigen. Ton 87, 29 enthält ein zweistrophiges: 87, 29, und zwei
einstrophige Lieder: 88, 19. 88, 33. 86, 25 ist einstrophig. —
Ton 94, 15 setzt sieh aus zwei einstrophigen (94, 15. 94, 25) und
einem zweistrophigen Liede (94, 35) zusammen.
Wir haben also thatsächlich ein Fortschreiten vom ein- bis zum
dreistrophigen Liede festzustellen. — Auch von diesem Gesichtspunkte
aus läßt sich die Möglichkeit wenigstens der obigen Anordnung nicht
bestreiten.
Haben wir die Minnelieder vor die Kreuzlieder zu setzen, so
sind sie etwa in der Zeit 1187 — 1188 entstanden. In das Jahr 1189,
wo Johansdorf der Entschluß der Kreuznahme nahetritt, dürfte keines
der Minnelieder fallen, da ja sonst ein Hinweis auf den Kreuzzug
nicht zu umgehen gewesen wäre ').
VIL Fremde Einflüsse.
Am deutlichsten tritt der Einfluß der romanischen Dichtung her-
vor, welcher durchaus kein directer zu sein braucht, sondern von den
romanisierenden Standesgenossen Johansdorfs übermittelt sein kann.
Dieses gilt vor allen Dingen von den Phrasen der conventioneilen
Minnepoesie, die auch Johansdorf im Anfange seines Dichtens häufig
verwendet (89, 9 ff. 00, 16 ff. 91, l ff.), die aber später, je näher ihm
der Entschluß zur Kreuznahme tritt, um so mehr verschwinden und
einem warmen Tone der Empfindung Platz machen.
Romanisch ist die Durchführung zweier Reime durch Stollen und
Abgesang (87, 5) und die Verknüpfung zweier Strophen durch den
Reim (87, 5 erste und zweite Strophe). Die Anwendung vocalischen
Gleichlautes in den Reimen der Stollenverse und in der Waise des
Abgesangs innerhalb der beiden Strophen von 90, 32 haben wir auf
eine freie Behandlung des romanischen Princips der Reimhäufung
und Reimentsprechung zurückzuführen gesucht. — Der umschließende
Reim''), wie die Verbindung kurzer und langer Verse') , die bei Johans-
dorf sich nicht selten findet, deuten auf denselben Ursprung.
») Nach Becker (a. a. O. S. 229) hat J. nicht vor 1189 gedichtet.
') Becker a. a. O. S. 126.
*) Bartsch Germ. II, 282.
,110 J- HORNOFF
Einen Ansatz zu dem jeu parti {prov. jocx partitz, partimens oder
partia^), dem geteilten spil (cf. Hai'tm. 216, 8) möchte ich in 89, 9
finden. Der Dichter richtet hier, nachdem er über das Vergebliche
seines Dienstes geklagt hat, an einen Standesgenossen {herre) die
Frage, ob es erlaubt sei, zwei Frauen heimlich zu dienen (oder
nicht)? An die Antwort desselben müßte sich, wenn das Lied ein
durchgeführter ye?* par^i wäre, eine Discussion schließen, in welcher
der Fragesteller die Gegnerschaft übernimmt. Diese Discussion erfolgt
nicht, ist aber doch in der Antwort andeutungsweise enthalten. Der
Gefragte gibt die Zulässigkeit des doppelten Dienstes stillschweigend
zu, läßt aber den zu erwartenden Einwand des Gegners: daß man
dann auch den Frauen die Entgegennahme mehrseitiger Huldigung
gestatten müsse, nicht gelten. Der Dichter erspart sich eine weitere
Entgegnung, da diese Entscheidung sich als einseitig und damit als
unzulässig für jeden gerecht Urtheilenden ergibt. Der Antwortende
erscheint somit gleichsam als der Geschlagene. Es ist, wie gesagt,
nur ein Ansatz zum jeu parti, aber als solcher nicht zu verkennen.
Man vergleiche hierzu Rubin MSH. I, 314", vierte Strophe des Kreuz-
liedes VII, wo die umgekehrte Frage an eine Frau gerichtet ist.
Das Lied *93, 12 mit einem der lang ausgesponnenen höfischen
Wechselgespräche, deren Ursprung bereits W. Grimm (Athis und Pro-
philias S. 19)*^) als romanisch nachgewiesen hat, fällt als unecht
außer Betracht.
Eine zweite Quelle, aus der Johansdorf wie überhaupt der ganze
Minnesang schöpft, ist die Volkspoesio. Richard Meyer ^) hat die in
Minnesangs Frühling, Carmina Burana, bei Walther, Wolfram, Neit-
hart häufig wiederkehrenden, gleichartigen Wendungen, wo nicht an
gegenseitige Entlehnung zu denken ist, als volksthümliche Bestand-
theile des Minnesangs aufgefaßt. Es sind dies bei Johansdorf die fol-
genden: *94, 5 volgent mmer rmte. — *92, 28 und solde ich iemer daz
geleben. — *92, 30 so miles min herze, in fröiden swehen. — *93, 36
länt mich noch geniezen. — *93, 38 iiich mac wol verdriezen. — *92, 23
unsanfte mir daz tuot. — *92, 14 der al der loerlte fröide git. — 86, 8
seht, wie maneger ez doch tuot. — *92, 32 so ivurde ich von sorgen frt.
— 95, 1 durch den du locere ie hochgemuot. — *94, 14 und dähi hoch-
gemuot. — *93, 37 daz ich iu von herzen ie toas holt. — 95, 6 lool si
scbUc xoip. — 91, 35 seht, so w%irde ich niemer mere vrö. — *94, 14 daz
') Diez, Poesie der Troubadours 2. Aufl. Ton K. Bartsch, Leipzig 1883. S. 98 f.
") Burdach a. a. O. S. 82.
*) R. Meyer, Alte deutsche Volkslieder. Ztschr. f. d. Alt. XXIX, 134 ff.
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF Hl
ir deste werder sint. — 89, 19 wurre ez iht. — 86, 22 hülfe ez i/it. —
88, 9 für alliu imp. — 87, 21 nu entrure niht sere. — 91, 22 daz iveiz
ich ivol. — 91, 21 so ist mm herze leides vol. — 91, 29. 31 sicä zivei
herzeliep gefriundeut sich, . . die sol niemen scheiden dimket mich.
Als sprichwörtliche Redensarten sind bezeichnet: 86, 5. 7 solde
ich minnen mer dan eine, sone minnet ich deheine. 95, 14 so miieze sin
der pflegen (, durch den etc.).
Berj^er') fügt noch hinzu: 91, 37 wcrre ich dem vhit, ich wolt in
grüezen.
Als gnoniische, dem Volksliede entstammende Elemente: 87, f)
Mich mac der tot von ir minnen lool scheiden. Zu 91, 29 ff. vgl. IJhland,
Volkslieder 80, 1. 98, 1. 101, 4. Schriften III, 442. — 94, 36 f wie
vil mir doch von liebe leides ist beschert, waz mir diu liebe leides tuet.
— 95, 13 lebt min herzeliep od ist er tot. cf. Uhlaud 150, 3. Schriften
III, 428. 524. IV, 179.
Als Wünsche und Verwünschungen volksthümlicher Art führt B.
auf (S. 453): 88, 13 Ine erwache ninier ezn st nnn er.tte segert, daz got
ir eren müeze phlegen und Idze ir Itp mit lobe hie gesten etc. 87, 12
heileger got, tvis gencedic uns beiden. 91, 26 so beioar mich vor dem
scheiden got.
Verwünschungen: 87, 9 sxoenne ich von schtdden erarne ir zorn,
so bin ich vervluochet vm^ gotc als ein heiden. — 87, 35 got vor der helle
niemer mich beicar, ob daz mm wille st.
Die Umschreibung der Negation durch Ausdrücke, die etwas
Unmögliches bezeichnen, wird als volksthümliches Element in An-
spruch genommen (S. 455). 92, 3 siver si vor mir nennet, der hat gar
mich zefriimde ein ganzez jär, het er mich joch verbrennet. — Verglichen
wird damit MSH. II, 171'' lieber het ich Ronie und Engellant verbrennet.
Von der Volkspoesie hat der Dichter auch geborgt, wenn er andere
Personen als redend einführt cf. Germ. XXXIII, S. 431.
Unbedeutender als romanische Kunst- und deutsche Volkspoesie
wirkt die geistliche Dichtung auf Johansdorf ein. Das aus ihr ent-
lehnte Bild für die Geliebte *93, 4 sist aller güete ein gimme fällt mit
dem ganzen, als unecht erkannten Liede hinweg. Die Form des
Gebetes 87, 12. 88, 17. 90, 15. 95, 14, die Berger zum Theil zu der
volksthümlichen Grundlage zieht, ließe sich etwa noch hierher rechnen.
Besonders dürfte der Schluß von 87, 29 (88, 18) daz ir geschehe, also
') Arnoli] Berger, Volksthiimliche Grundlagen des Minnesangs. Ztschr. f. d.
Phil. XIX, 440.
112 A. HEUSLER
miieze ouch mir ergen an die Schlüsse geistlicher Epen erinnern, wo
der Verfasser für sein Seelenheil bittet, oder den Leser auffordert,
dies zu thun. Burdach findet weiter in der Neigung zum Parallelisnous,
in der Anknüpfung der Sätze mit 7iu, in der Voranstellung des Haupt-
begriffs (ef, a, a. O. S. 92. 93) , in der Anwendung der rhetorischen
Frage mit negativem Sinne (S. 73) einen Einfluß der geistlichen Lite-
ratur, Hinsichtlich der Anrede der Zuhörer läßt er die Möglichkeit
geistlicher oder volksthümlicher Einwirkung gelten. — Die religiösen
Anschauungen und Empfindungen aber, die Johansdorfs Lieder durch-
ziehen, haben mit der geistlichen Dichtung nichts zu thun; sie sind
auf des Verfassers Naturell und persönliche Beziehungen zu geist-
lichen Herren zurückzuführen.
LEIPZIG, im Mai 1888. J. HORNOFF.
ZUR LAUTFORM DES ALEMANISCHEN.
L Die e-Laute
In dem Aufsatze über die umlauthindernden Consonanten des
Ahd., Beitr. 4, 542 f., 549, hatte Braune die Ansicht aufgestellt, das
eist im 12. Jahrh. an Stelle eines frühern unumgelauteten a auftre-
tende Umlauts -e dürfe nicht als ein auf rein lautlichem Wege ent-
standener Laut aufgefaßt werden; „denn die Zeit, wo der Umlaut
des a zu e lautlich herbeigeführt wurde, war das 8. und 9. Jahrh."
Jene später auftauchenden e seien vielmehr analogisch nach dem
Muster der altern, echten Umlauts -e gebildet worden.
Franck, der Zs. f. d. A. 25 auf die doppelte Vertretung des
Umlauts -e in modernen Maa. aufmerksam machte, geht, ohne sich
doch zu Braune's Auffassung in bestimmten Gegensatz zu stellen,
offenbar von der umgekehrten Anschauung aus, wenn er S. 224 sagt:
„die Pralle, in denen der Umlaut nur durch die Beschaffenheit der
zwischen dem a und dem i der folgenden Silbe befindlichen Conso-
nanz aufgehalten war, scheinen den geschlossenen Laut noch zu
erreichen." Auch seine Worte „die Mouillierung hatte nicht mehr
die Kraft, so viel i- Farbe in die zweitvorhergehende Silbe abzu-
geben, als in die unmittelbar vorhergehende" zeigen klar, daß er
auch in Fällen wie mhd. raenege, megede den einer jüngeren Periode
angehörenden Umlaut des stammhaften a auf lautmechanischem Wege
entstanden sein läßt.
ZUR LAUTFORM DES ALEMANNISCHEN. 113
Im Anschluß an Franck spricht Kauflfmann, der die beiden zeit-
lich getrennten Umlaute im Schwäbischen genauer nachweist (Voca-
lismus des Schwab. §. 9), von einem „Jüngern Lautwandel" des a > e.
Besonders die Ortsnamen, die er als Beispiele dafür anführt, beweisen
vollkommen, daß dieses secundäre Umlautsproduct auf rein lautlichem
Wege entstanden sein muß; kann doch von analogischem Eindringen
des e bei den außerhalb jedes Formensystems stehenden Ortsnamen
nicht die Rede sein.
Anderseits bemerkt jedoch Franck a. a. O. S. 224: „Zugleich
scheint sich das grammatische Bewußtsein für den Umlaut geltend
gemacht zu haben, und es ist zu begreifen, daß Wörter, die ihn bloß
der Analogie zufolge bekommen , kein e mehr, sondern nur e* er-
halten."
Hier scheint mir nun ein Irrthum zu liegen. Wo das Sprach-
gefühl bloß an ein Gegenüber von sack — secke, blat — bleter ge-
wohnt ist, wird zweifellos ein neugeschaffener Umlautplural — nehmen
wir z. B. die im Aleman. verbreiteten secundären Plurale zu Tag,
Fahne — ebenfalls geschlossenes e enthalten müssen. Es ist ganz
undenkbar, daß die Aualogieschöpfung ihr Muster nicht genau be-
folgt hätte. Da die in Frage kommenden Maa. die Scheidung ver-
schiedener e- Qualitäten mit völliger Sicherheit durchführen, können
sie nicht aus irgend einem Grunde bei den Neubildungen nach der
Proportion a : e =: a : x fehl gegangen sein und für x ein e statt
eines e eingesetzt haben. Auch dürfen wir doch nicht glauben, der
Sprechende habe ein Gefühl davon, daß geschlossenes e weiter von
a abliege als offenes e, und könne deshalb bei jener jungen Plural-
bildung nur zu einer Form mit e, nicht zu einer mit e sich ent-
schließen.
Wenn also die erwähnten Plurale teg und fena mit offenem e
lauten, wie dieß thatsächlich der Fall ist, so müssen sie sich nach
einem altern Muster a : e gerichtet haben. Dieses Muster wurde nun
eben dargeboten von den zahlreichen Substantiven, deren einstiges
Endungs-i wegen der bekannten hemmenden Consonanten und Con-
sonantenverbindungen oder wegen einer zwischenliegenden Silbe erst
in einer spätem Zeit umlautend gewirkt und demgemäß lautgesetzlich
offenes (j erzeugt hatte. Wörter wie mhd. beche, nehte, beige stellten
in den aleman. Maa. lautgesetzlicher Weise ein offenes e des Plurals
dem a des Singulars gegenüber. Diese häufigen Wörter konnten
naturgemäß in eine Art von Concurrenz mit jenen Wörtern wie sack
— secke, blat — bleter treten. Es war eine Maclitfrage, ob ein neu
GERMANIA. Neue Reihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 8
114 A. HEUSLER
gebildeter Umlauts -Plural das geschlossene e der letztern oder aber
das offene e der erstem annehmen würde.
Bevor ich dieß an der Hand einer lebenden aleman. Mundart
näher ausführe, möchte ich die Frage berühren: wie alt ist der Um-
laut in beche nehte beige, menege megede, kurz in all den Stellungen
vor umlauthindernden oder besser ,umlautverzögernden^ Consonanten
bezw. vor einer zwischenliegenden Mittelsilbe?
Braune a. a. 0. weist ihn dem 12. Jahrb. zu. KaufFmann a. a. O.
bemerkt: „In späterer (mhd.) Zeit ist hier ein neuer Umlaut einge-
treten." Dieß gründet sich auf das erste Auftreten geschriebener
Formen mit e in den bewußten Stellungen. Allein, sobald man an-
nimmt, daß auch diese spätere Schicht umgelauteter a lautmechanisch
entstanden sei, stellt sich die Schwierigkeit entgegen: im 12. Jahrh.
war das ahd. kurze i der meisten Endsilben längst zu e geschwächt.
Wie konnte aus Notker'schem nahte, aber, chalber, armer, färeuuen,
magede ein Jahrhundert später nehte, eher, chelber, ermer, ferwen,
megede werden? — Man könnte zunächst einwenden, daß zahlreiche
Endsilben jeuer Schwächung nicht unterlagen; daß in mahtig, chalti,
haising auch im 12. Jahrh. noch das erhaltene Endungs-i Umlaut
wirken konnte. Allein wie sollten von diesen Formen die Plurale
oder die Comparative beeinflußt worden sein ? ^) Durch ein mäht :
mehtig, ehalt : chelti konnte doch die völlig verschiedene, unabhän-
gige Beziehung von bach : bache oder arm : armer unmöglich den
Anstoß erhalten, einen neuen Plural beche, einen neuen Comparativ
ermer zu formen. Mit andern Worten: eine Proportion mäht : mehtig
= naht: nehte wäre für das Sprachgefühl ein Unding. Das ,gram-
matische Bewußtsein' für den Umlaut d. h. für den mit einem func-
tionellen Wechsel Hand in Hand gehenden lautlichen Wechsel von
a und e bezw. e ist nur innerhalb der einzelnen grammatischen Reihen
lebendig. Der Plural der Substantive, der Comparativ, die Ableitungen
auf -ig u. s. f. haben je ihr eigenes selbständiges ,Bewußtsein für den
Umlaut': die eine Reihe kann die andere nicht beeinflussen. Dieß
zeigen uns klar die lebenden Mundarten (s. u.). So müssen wir auch
annehmen, daß die Plurale wie mhd. nehte, die Comparative wie mhd.
ermer selbständig, aus rein lautlichen Bedingungen erwachsen sind.
') Ein theilweise analogisches Eindringen des späteren Umlauts wird auch
Gramm. I, 304 (Neudruck) angenommen; doch wird hier noch nicht mit der dopi^elten
Klangfarbe der Umlauts-e gerechnet, so daß eine Einwirkung der älteren Umlaute
auf die jüngeren als möglich erscheint. S. o.
ZUR LAUTFORM DES ALEMANNISCHEN. 115
Zudem zeigen uns die Dialecte eine Anzahl Wörter mit o, in
denen dieser Umlautsvocal isoliert ist, d. h. in keinem beweglichen
Wechsel mit dem unumgelauteten a steht; so z. B. hechel Hechel
(mhd. hechel), g'schlecht Geschlecht (mhd, geslehte), werze Warze
(mhd. warze), viele Sahst, und Verben mit -otsch- (s. Winteler S. 49) :
hier war eine analogische Einwirkung von irgend einer Formreihe
her nicht möglich; der Umlaut muß hier trotz der im 12. Jahrh.
längst geschehenen Schwächung des i lautmeclianisch eingetreten sein.
Es bleibt nichts anderes übrig, als auch diesen secundären Um-
laut des a in eine beträchtlich frühere Periode zu rücken, in eine
Zeit, da das kurze i der End- oder Mittelsilbe noch nicht zu e ge-
schwächt war. Schon Notkers Sprache muß diesen Umlaut besessen
haben. In dem a seiner nahte, mähte, mähtig, chälber, chälti, ärmer,
raänegi, mägede muß sich ein anderer Laut bergen als in dem a von
näht, mäht, chälb, ehält, arm, mdged. üiese Annahme ist keineswegs
abenteuerlich. Hat man doch für die Notker'schen u, o 6, u, üo,
ou, an deren Stelle das spätre Alemanisch die Umlaute ae, ö ce, ü,
üe, öü zeigt, längst annehmen müssen, daß sie schon von der i- Fär-
bung afiiciert waren, nur nicht genugsam, um den Schreiber zur
Wahl eines neuen Zeichens zu drängen (Braune ahd. Gr. §. 51, auch
Ivögel Lit. Blatt 18b7, 109). Dem ä ist das a vor umlauthindernden
Consonanten durchaus gleich zu stellen. Inwieweit hiebei schon der
Vocal selbst, inwieweit bloß der folgende Consonant die MouUierung
angenommen hatte, läßt sich nicht entscheiden. Jedenfalls war der
erst später (12. Jahrh.) als e auftretende Laut in Notkers Sprache
dem a noch sehr nahestehend, offener als sein e = mhd. e; sonst
ließe sich die Schreibung nähte, mähtig etc. nicht verstehen. Wir
haben guten Grund anzunehmen, daß dieses a bei Notker gleiche
Qualität hatte wie sein ä in stäte, sälig, du uuäre, ruzi (s. u.).
Dieses a*" des 10. IL Jahrh. muß sich nun, sei es spontan, sei
es unter fortdauernder Einwirkung der folgenden moullierten Conso-
nanz, zu etwas mehr geschlossener Qualität entwickelt haben, bis es
endlich im 12. Jahrh. den andern e-Vocalen so nahe stand, daß der
Buchstabe e an die Stelle des Buchstaben a eintreten konnte. Doch
wird auch in jener Zeit noch das Alemanische das e in nehte, beche,
beige offener gesprochen haben als in reht, breche, hell u. s. f.
Nachdem auf diese Weise viele e-Plurale neben die älteren
e-Plurale getreten waren, konnte auf die Länge ihr beiderseitiges
Gebiet nicht reinlich gesondert bleiben. Es mußte sich allmählig
entscheiden, ob das Gegenüber von e zu a oder aber von e zu a von
'8*
116 A. HEUSLER
dem Sprechenden als das lebendige, productive empfunden wurde.
Ganz dieselbe Frage trat aber nicht nur beim Subst. , sondern bei
einer ganzen Reihe anderer Formsysteme ein. Wir müssen uns hier
ganz an die lebenden Mundarten halten. Dieselben zeigten bei ge-
nauer Betrachtung eine auffallende Buntscheckigkeit in der Vertretung
des mhd. Umlauts -e. Es blieben trotz sorgfältiger Ermittlung der
consonantischen Einflüsse immer noch eine große Reihe von Aus-
nahmen übrig. Dieß rührt eben daher, daß der lautlich berechtigte
Zustand durch zahlreiche Analogieschöpfungen aufgehoben worden ist.
Die e und e der aleman. Mundarten lagern sich in der großen Mehr-
zahl der Fälle nicht mehr nach den ursprünglichen lautlichen Be-
dingungen, sondern nach einem Jüngern gruppenbildenden Formgefühl.
Man that daher Unrecht, wo es sich um Ermittlung der direct
lautlichen Fortsetzung von mhd. e handelte, immer wieder mund-
artliche Beispiele heranzuziehen, die innerhalb eines Formsystems
stehen. So sind die von Franck S. 224 angezogenen kelber, kelte,
wechst als nicht isolierte Formen wenig beweisend. So wird Stickel-
berger durch die massenhaften Plurale, Diminutive, Comparative, die
er SchafFh. Mundart §. 9 anführt, zu falschen Schlüssen geleitet:
1 und r haben nicht Vorliebe für den geschlossenen Vocal; Offen-
heit des e vor Nasalverbindungen ist strenges Lautgesetz. Kauffmann,
der doch in der Anmerkung zu §.12 a. a. O. auf das Besondere des
, angelehnten' Umlautes aufmerksam macht, bringt dennoch §. 11 f.
zahlreiche nicht isolierte Formen als Belege und gründet auf solche
(wermr, ^1^%^, west, k'elbr; ne;^t) §.14 die Annahme, daß die Regel
von den umlauthindernden Consonanten zu modificieren sei; daß „meist
durch Systemzwang sich im einen Falle der nicht umgelautete Vocal
gehalten hat, während bei anderen Kategorien der Umlaut einge-
treten ist". —
Außer dem Gegensatze von erster und zweiter Umlautsperiode
und den daran sich knüpfenden analogischen Neubildungen giebt es
noch einen Umstand, der auf dem ganzen aleman. Gebiete, wie es
scheint, auf die Quahtät des Umlauts -e einwirkte: die dem e folgen-
den Nasale oder Nasalverbindungen. In entschiedenem Gegensatze
zum Schwäbischen (Kauffmann §. 18) wie auch zum Osterreichischen
(Luick, Beitr. 11, 499) hat e in diesen Stellungen ausgesprochen offe-
nen Klang bekommen. Im Einzelnen weichen die Mundarten von
einander ab: in Baselstadt^ Leerau, Beromünster ist dieses e nur vor
Nasal -j- Cons. (wozu aber auch n aus einstigem ng, mhd. ng zu
rechnen ist) eingetreten, in Ottenheim und Schaff hausen auch vor
ZUK LAUTFOKM DES ALEMANNISCHEN. 117
bloßer Nasaltbrtis (hier also bronna, swomino, dort brenne, swemmo
resp. das daraus weiter entwickelte) ; Kerenzen endlich zeigt den betr.
offenen Laut auch vor Nasallenis.
Da sich so vor Nasalen der Unterschied von älterem und jün-
gerem Umlautproduct in dem einen offenen o verwischt, könnte man
auf den Gedanken verfallen, das offene Umlauts -e im Allgemeinen
sei überhaupt bloß vor Nasalen lautmechanisch erwachsen und habe
von hier aus sein Gebiet analogisch erweitert; also etwa bach —
beche zu bach — bcche umgeformt nach dem Muster von bank —
bcnke u. s. f. Dann würde natürlich die oben versuchte Zurück-
ftthrung des secundären Umlauts ins 10. Jahrh. hinfällig. Allein außer
den isolierten Formen mit o, die einem Einfluß von bank — bonke
nicht ausgesetzt waren, spricht mit entscheidender Bestimmtheit gegen
diese Annahme der Lautstand der Toggenburger und der Appenzeller
Mundart: hier ist nämlich das einstige c vor Nasalen nicht mit dem
secundären Umlauts -e zusammengefallen, sondern zeigt eine geschlos-
senere Klangfarbe als dieses, z. B. k;^en8, sweme, henk;^a gegen
bre;^t8, k;uorli, forbs, tsena. Hier muß dieser spätere Umlautsvocal
unabhängig, ohne Zuthun des e vor Nasalen, seine offene Farbe er-
halten haben. Dasselbe dürfen wir für die übrigen aleman. Mund-
arten annehmen.
Ich erwähne kurz, daß es eine dritte Quelle für offenes c in
den aleman. Mundarten giebt: in der Lautverbindung -asch- (^= ass)
wurde a regelmäßig zu o (Brandstetter §. 19) ') : osso Asche, woss9
waschen, dessa Tasche, flosss Flasche. Dieses o hat seine eigene
Genesis, hat mit dem Umlauts -e nichts zu schaffen. —
Das Nebeneinander von c und e, soweit sie älteres und jüngeres
Umlautproduct sind, hat nun in meiner eigenen Mundart, der basel-
städtischen, zu folgenden Resultaten geführt. Ich kann sechs Pralle
aufstellen, in denen der Umlaut noch heutzutage als productives
Sprachmittel im Dienste bestimmter Functionen empfunden wird. Es
sind L der Plural von Substantiven; 2. die Diminutive auf -11; 3. die
abstracten Feminina auf -i; 4. die Comparative und Superlative;
5. Weiterbildungen von Adjectiven durch das Suffix -lig; 6. diminu-
tive Weiterbildungen von Verben.
In der Reihe 1. ist der offene Vocal e zum Sieg gekommen. Ich
kann die vielen e-Plurale hier nicht aufzählen. Bezeichnend ist das
') In den Wörtern össa Esche und össoba;^;!; Eschenbach müht sich Brandstetter
mit einer gar nicht vorhandenen Schwierigkeit: hier liegt alter Umlaut vor. Die
Wörter lauteten schon esche, eschenbach, als die labialisiereude Wirkung des ss begann.
118 Ä. HEUSLER
e der modernen Bildungen wie wega die Wagen, orm Arme, kspess
Spaße. Daneben findet sich eine nicht ganz geringe Zahl von e-Plu-
ralen. Sie sind als Reste eines frühern formativen Princips zu be-
trachten, die von dem neuern Princip nicht weggeräumt werden
konnten. Die Fälle sind bletar Blätter, stet Städte, est Aeste, gest
Gäste, sek Säcke, k;t6ft Kräfte; redar Räder, gles8r Gläser, k^esar
Gräser, tsen Zähne, negl Nägel, sieg (Baum)schläge, k^ebar Gräber *).
Es sind lauter Wörter, die ihr e in der ersten Umlautsperiode er-
hielten. Andrerseits haben seft Schäfte (ahd. scefti), steh Stäbe (ahd.
stebi) ihr primäres e der neuern Bildungs weise aufgeopfert. Beleh-
rend ist der doppelte Plural von sats Schatz : sets im Sinne von
jthesauri', sets im Sinne von ,amores', deutlich die alte und die neue
Bildung nebeneinander. — Der Angehörige der Mundart hat ein schwer
zu beschreibendes aber untrügliches Gefühl, daß in den e-pluralen
die eigentlich lebendige Pluralbildung steckt. Äußerlich zeigt sich
dieß daran, daß er zu einem ihm das erste Mal begegnenden Worte
mit a den Umlautsplural auf e, nicht auf e bilden würde.
In der zweiten Reihe, den Diminutiven, hat gleichfalls das offene
e die Oberhand bekommen. Vgl. die modernen Bildungen benli kl.
Eisenbahn, e;tp8dli kl. Handarbeit. Unter den paar Fällen mit be-
wahrtem e finden wir dieselben Substantive, die auch den Plur. mit
c bilden : gestli kl. Gast, gleslj kl. Glas u. s. w.
Dagegen ist in der dritten Gruppe, bei den zu Ad), gebildeten
abstr. Fem., die Form mit geschlossenem e vorbildlich geworden.
Wir haben leiini Länge, swe;fi^ Schwäche, nessi Nässe, blessi Blässe ;
ste%ki Stärke, wermi Wärme, swe;^tsi Schwärze, he;^tj Härte; p;Kefi
Bravheit, smeli Schmalheit. Formen mit e sind mir hier überhaupt
nicht bekannt. Trotzdem im Ahd. häufig das Umlauts -e dieser Wörter
dem a des zugehörigen Adjectivs weichen mußte (Braune ahd. Gr.
§. 26 Anm. 1), hat später der primäre Umlautsvocal von den Wörtern
aus, die ihm geblieben waren, das ganze Feld zurückgewinnen können.
Ebenso zeigen die Comparative und Superlative ausnahmslos
geschlossen e dem a des Positivs gegenüber. Zu den Adj., die wir
in der vorigen Reihe fanden, kommen noch elitär älter, belldar bälder,
erm8r ärmer. Hier wie bei den abstr. Fem. ist besonders beachtens-
werth, daß das Formgefühl für den geschlossenen Laut sich stark
genug entwickelt hat, um selbst in der Stellung vor Nasal -\- Cons.
') Geschlossenes e spaltet sich in Baselstadt in die Kürze e und die Länge el
d. h. die Länge ist um einen Grad geschlossener. Nur vor r hat die Länge den halb-
geschlossenen Klang e. Für offenes e, Kürze wie Länge, erscheint gleichmäßig e e.
ZUK LAUTFORM DES ALEMANNISCHEN. 119
das lautlich geforderte offene o zu verdränpjen. Es heißt lennar lenfist
länger längste, k;^eririk8r k.;|jeririk6t kränker kränkste. Dagegen spricht
man eniior ennst zu eM eng, weil hier der Positiv kein a zeigt, das
Wort also nicht derselben Gleichung a : e verfällt.
Ferner haben wir die Adj. auf -Hg (rahd. -lieh) , die ihrerseits
von Adjectiven abgeleitet sein müssen. Nach dem ahd. Stande der
Dinge sollten wir hier das offene, secundäre e erwarten (s. Braune
ahd. Gr. §. 27 Anni. 5). Statt dessen zeigen uns swe;^lig schwächlich,
lennlig länglich, elltlig ältlich, swe;|jtslig schwärzlich, ermlig ärmlich
den geschlossenen Vocal — also wiederum der ältere Zustand von
einigen wenigen AV'örtern aus analogisch umgestaltet. Doch sind
diese Bildungen nicht zahlreich ^ das Formgefühl daher nicht völlig
bestimmt: neben k;^eünklig kränklich geht k;|;ennklig mit dem hier
spec. durch die Nasalgruppe bedingten offenen e. Nicht hieher ge-
hören die (übrigens der Schriftsprache nachgebildeten) Wörter senntlig
schändlich, gleglig kläglich, deglig täglich: diese sind von Subst.
abgeleitet, und das begriffliche Verhältniß der Ableitung zum Grund-
wort ist bei ihnen ein ganz anderes als bei lennlig : laüü. Darum
unterliegen sie auch nicht dem gleichen Formgefühl.
Endlich kommen verbale Wortbildungen meist diminutiver Func-
tion, z. B. Icp8l9 zu lapo läppen, schlürfen, dcpala zu dap8 tappen,
schleichen, (üs-)tsekl8 zu (üs-)tsaka mit Zacken versehen, seffarls zu
saffa arbeiten, blemmpörs zu blammpa baumeln u. a. Hier herrscht
durchweg der oflfene Vocal o.
Was im Einzelnen die Begünstigung des einen oder des andern
Typus veranlaßt hat, was insbesondere beim Subst. Plur. das offene
e, beim Comparativ das geschlossene e zur Geltung gebracht hat,
ist hier wie in so manchen Fällen analogischer Neuschöpfung kaum
zu bestimmen. Doch glaube ich, das lautlich nicht zu erklärende
Durcheinander von e- und e- Formen in aleman. Mundarten verliert
bei obiger Betrachtung sein Auffallendes. Verkehrt wäre es, wie
man beim ersten Blick zu thun geneigt ist, schriftsprachlichen Ein-
fluß heranzuziehen. Mag auch das eine und andre der hergehörigen
Wörter nach schriftsprachlichem Muster gebildet sein: so lange die
betr. Bildungsweise der Mundart noch geläufig ist, könnte sie nicht
dem Schriftbild zu Liebe eine gewohnte Klangfarbe durch eine andre
ersetzen. Überdieß wäre es wunderbar, daß gerade der Comparativ
von all den ä der Schriftsprache unbeeinflußt geblieben wäre, und
daß all die modernen Bildungen wie wega die Wagen, frns die Fah-
nen, e;|jp9dli kl. Handarbeit, denen im Nhd. gar kein umgelauteter
120 A. HEUSLER
Vocal gegenüber steht, das offene o bekommen haben. Vollends be-
weisend ist der Umstand, daß sogar auf die Aussprache des Schrift-
deutschen in aleman. Munde der Einfluü der Schule, woselbst für
geschriebenes ä die Aussprache o gelehrt wird, nur sehr beschränkt
ist. Der Basler spricht meinen Beobachtungen nach für das kurze
nhd. ä stets den geschlossenen Laut, wenn die Mundart dazu stimmt,
also nhd. Säcke Säckchen Blätter Städte Äste Schwäche länger
kränklich als Secke u. s. f. Umgekehrt wird für das e der Schrift-
sprache durchaus e gesprochen, wo dieser Klang den betr. mundart-
lichen Wörtern zukommt; also Stecken brechen Wetter hell mit e,
Weg stehlen nehmen gern mit e. Dagegen wird gewöhnlich beim
Gutdeutschsprechen die mundartliche Länge e durch e ersetzt, wo
die Schriftsprache ä schreibt; also Zähne Räder Nägel Gläs-chen mit
e. Der Grund liegt offenbar darin, daß das sehr geschlossene e von
Baselstadt zu auffällig von dem unter ä gelehrten Laute abliegt. Da-
mit stimmt, daß das lange geschlossene e vor r in seiner der Mund-
art eigenen halb geschlossenen Qualität beibehalten wird: nhd. Wärme
schärfer ärmlich werden mit e, dem Mittellaute zwischen e und e,
gesprochen. Wo das schriftsprachliche ä keinen mundartlichen e- Vocal
sich gegenüber hat, wird es der officiellen Aussprache nach als ee
gesprochen: so in wächst gräbt schlägt fährt (mundartlich mit un-
umgelauteten a). Auch zählen schälen hört man häufig mit e ge-
sprochen; die mundartl. tsells selb, die alten Formen mit -11- fort-
setzend, liegen von dem Schriftbild zu weit ab. — Wenn also selbst
beim Schriftdeutschsprechen nur in einem Falle die dialectische
e- Qualität preisgegeben wird, die kurzen e und e der Mundart
aber, der nhd. Schreibung e und ä zum Trotz, immer beibehalten
sind, so kann das Verhältniß von e und e, e innerhalb der Mund-
art sich unmöglich nach der ^nhd. Orthographie oder Normalaus-
eprache gerichtet haben. (Man vergleiche die Behandlung des schrift-
sprachlichen e, ä in anderen Mundarten, Braune Beitr. 13, 579, Luick
Beitr. 14, 139 ff.)
Soviel ich aus den Darstellungen alemanischer Dialecte ersehe,
zeigt die Vertheilung des primären und des secundären Umlauts -e
auf dem ganzen Gebiet große Verwandtschaft mit der oben für Basel-
stadt kurz angedeuteten. Zumal für den Subst. Plur. scheint offen e,
für den Comparativ geschlossen e überall Geltung erlangt zu haben.
Ich erwähne hier nur aus Winteler KM. S. 181 die charakteristischen
Fälle, die unserm sets — sets entsprechen: neben dem altern Plural
Tebr, der als geographische Benennung erstarrt ist, steht die jüngere
ZUR LÄUTFORM DES ALEMANNISCHEN. 121
Bildung telar ,Thäler' im Allgemeinen, deren späte Entstchunp; auüer
durch das offene e auch durch die Voeallänge bezeugt wird; ganz
entsprechend verhält es sich mit frd Pfade neben dem altern und
isolierten feda. — Aus der beträchtlichen Übereinstimmung der ver-
schiedenen weit entlegenen ]\Iundarten darf man wohl den Schluß
ziehen, daß die Ausgleichung zwischen o und r schon seit Jahrhun-
derten zu dem Resultat gekommen ist, das uns heute entgegentritt:
ohne langedauernden Verkehr und Austausch zwischen den Einzel-
dialecten wäre jene Gleichheit nicht zu verstehen. Doch wäre die
Annahme Avohl unberechtigt, daß schon in früh mhd. Zeit die laut
gesetzlichen Verhältnisse durch Analogie in der heutigen Weise um-
gestaltet waren.
Bei der obigen Beschränkung auf diejenigen Umlauts -e, die in
lebendigem Wechsel mit unumgelautetem a stehen, blieben die Wörter
unberücksichtigt, deren secundäres Umlauts -o außerhalb eines Systems
steht und daher für jeden Einzelfall eine rein lautliche Erklärung
fordert. Es bieten sich hier manche Schwierigkeiten. Ich möchte
hier nur auf einen Punkt hindeuten. Für das häufige secundäre Um-
lauts-e vor der Lautverbindung ts (Beispiele bei Winteler S. 41>)
können wir wohl die Endung ahd. -ezzen (<; atjan). in welcher i von
dem a des Stammes durch eine Silbe getrennt war, verantwortlich
machen. Wo die Gruppe etä geschlossenes e zeigt, möchte dagegen
an ahd. -ison zu denken sein. Offen o kann aber auch durch ein
einstiges ch, das sich in dem tä birgt, gegen den primären Umlaut
geschützt worden sein. —
Luick hat, Beitr. 14, 127 ff., im Anschluß an seinen frühern
Aufsatz Beitr. 11, 497 ff., eine verdienstliche Übersicht über die
e-Vocale des Bairisch-Osterreichischen gegeben. Er zeigt,
was sich für die Qualität der e- Laute in mhd. Zeit, zum Mindesten
auf bair.- österr. Gebiet, erschließen läßt. Da er S. 138 f. über das
Aleman. nur eine kurze Bemerkung gibt, und da auch das Beitr.
11, 515 f. über die schweizerischen e-Vocale Geäußerte nicht über-
sichtlich und großen Theils unzutreffend ist, möchte ich hier eine
Betrachtung der verschiedenen e- Laute im Alemanischen — aus-
schließlich des Schwäbischen — folgen lassen. Dabei gehe ich nicht
auf einzelne Wortformen und specielle einzelmundartliche consonan-
tische Einflüsse ein. Ich fuße auf den vorliegenden ') Dialectdarstel-
') Titus Tobler, Appenzellischer Sprachschatz (behandelt vier Dialectgruppen,
die hiuaichtlich der Vertretung der mhd. e-Laute unter sich nicht wesentlich diffe-
rieren, vgl. Einl. S. XXIX ff.); Winteler, Kerenzer Mundart (behandelt auch eine
122 A. HEUSLER
lungen, die zum Theil selbst schon die e- Laute etymologisch grup-
piert haben, zum Theil aber durch das da und dort zerstreute, genau
transscribierte Wortmaterial auch dem Nichtkenner der Mundart ein
Aufsuchen der Gesetze ermöglichen.
So durchsichtig im Großen und Ganzen die Verhältnisse inner-
halb einer Mundart liegen, so sehr weichen die verschiedenen unter
sich ab. Man sehe z. B. die Statistik der hellen e-Vocale, die Joh.
Meyer F. DM. VII 177 fF. aus einem Theilgebiet des Nordostaleraan.
geliefert hat. Ein klarer Einblick in die gesammte aleman. Entwick-
lung, eine geographische Abgrenzung der Verschiedenheiten ist noch
nicht möglich. Ich verhehle mir nicht, wie sehr die folgende Zusam-
menfassung Stückwerk bleiben muß. Doch kann sich schon jetzt
einiges Beachtenswerthe ergeben.
Inwiefern die absolute Qualität der e- Laute der verschiedenen
Mundarten unter einander differiert, glaube ich hier ohne Schaden
außer Betracht lassen zu dürfen. So fehlt z. B. in Basel und in
Schaff hausen völlig jenes bekannte, überaus offene o (vgl. Rapp, F.
DM. II 481). Das offenste e dieser zwei Mundarten ist merklich ge-
schlossener als das offenste e von Ottenheim, von Beromünster oder
von Kerenzen: es wird dort nicht, wie hier, gleich dem engl, a in
bad, happy gesprochen (im elsäß. Mttnsterthal ist dieser Laut sogar
= a in nhd. satt, Hase). Dennoch kann ich diese Laute einander
gleichstellen und mit demselben Zeichen e versehen, weil sie eben
innerhalb ihrer eigenen Mundart eine analoge Stellung einnehmen.
Sie bilden nach Wintelers schöner Darlegung KM. S. 92 ff. die i- Basis
ihres jeweiligen mundartlichen Vocalsystems. Nur auf die proportio-
nelle Lagerung der , gegensätzlich' (nach Wintelers Ausdruck , dyna-
misch') geschiedenen e - Klangfarben innerhalb der einzelnen Mundart
kommt es hier an.
Mundart des Toggenburgs); Hanziker, Aargauer Wörterbuch in der Lautform der
Leerauer Mundart; Stickelberger, Schaffhauser Mundart; Brandstetter, Zischlaute der
Mundart von Beromünster (im nördlichen Kanton Luzern); Mankel, Mundart des
elsässischen Münstertlials (unweit Colmar. Die Darstellung des Etymologischen bleibt
hinter den bescheidensten Ansprüchen zurück; die Beobachtung der Laute scheint
gut zu sein, so daß man sich dem Materiale anvertrauen kann) ; Heimburger, Mundart
von Ottenheim (Baden, unweit OfFenburg). Die mundartlichen Darstellungen von Schott^
Bühler, Birlinger lassen in ihrer Transscription das Einzelne nicht in der Genauigkeit
erkennen, wie es hier für uns erforderlich ist. Es liegen also, meine eigene Mundart^
die baselstädtische, dazu genommen, neun verschiedene Dialecte, sechs hochalemanische,
drei niederalemanische vor.
ZUR LAUTFÜRM DES ALEMANNISCHEN. 123
Die jMelirzahP) der aleman. Mundarten besitzt drei verschiedene
e- Schattierungen e — e — c. Schaff hausen und Ottonheira ^) stehen
mit ihren zwei Schattierungen c — e allein.
Allen gemeinsam ist, daß die am meisten nach a hin liegende
Nuance das mhd. tc fortsetzt '^). Und die nämliche Lautung zeigt
überall das secundäre Umlauts -e.
Während nun ferner, wie wir oben sahen, in fast allen Mund-
arten eben dieselbe offenste Qualität o auch dem e vor Nasalen (bozw.
Nasalverbindungen) zukommt, sondern bloß Toggenburg und Appen
Zell sicli hier ab, indem sie hiefür ihre mittlere Nuance einsetzen.
Sodann treten Toggenburg und Appenzell mit Kerenzen zusam-
men in einen weitern markanten Gegensatz zu den sechs übrigen.
Diese letztern nämlich lassen in dem gleichen offensten c auch das
mhd. e, seis kurz erhalten, scis gedehnt, zusammenfallen. App.-Togg.-
Ker. dagegen sprechen für mhd. e eine geschlossnerc Qualität, und
zwar App.-Togg. durchgängig, Ker. theilweise (s. u.) die mittlere
ihrer drei Klangfarben.
Beispiele*) hiefür: allgemein wird gesprochen n^m (mhd.
nseme) ; ne;ft adv. vorige Nacht (mhd. nehte^ Gen. oder Dat. sg. ?),
fPl Fälle (mhd. feile);
dagegen in App.-Togg.: in den übrigen:
ennd (mhd. ende), lenna r ennd, lenfia.
langen (mhd. lengen) :
endlich in App.-Togg. -Ker. : in den übrigen:
stex^ (mhd. stechen), [mel (mhd. mel)|^): ste;ij8, mel.
(Die Mundarten, welche mhd. e und sec Umlauts -e auseinandei-
halten, können bisweilen über fragliche Wortformen entscheiden; so
') Hier wie im Folgenden spreclie ich natürlich bloß von den neun erwälinteu
aiemanischen Mundarten.
') Ottenheim zeigt eine dritte, mittlere Klangfarbe vor r: da sie nur in dieser
.Stellung vorkoiTiTut, also von speciellem consonantischem Einfluß bedingt ist, kann
sie hier unberücksichtigt bleiben.
') Es gibt auch Schweizer Mundarten, die mhd. se zu geschlossenem e ge-
wandelt haben (s. Seiler, Basler Mundart S. 94 f., Brandstetter S. 208 j. Leider liegt
keiner dieser Dialecte in genauer Einzeldarstellung vor.
^) Man möge sie nicht urgieren. Da und dort mag eines der angeführten
Wörter in einer Mundart nicht vorkommen oder einem Speciallautgesetz unterliegen.
Ich möchte sie nur als ideelle Vertreter der betreifenden e-Schattierungen betrachtet
wissen-
*) Das in | ] stehende trift't nur für App.-Togg. zu; Ker. weicht hier noch
weiter ab ; s. d. F.
124 A. HEUSLER
steckt z. B. in aleman. mert Markt nicht das e von lat. raercatus,
wie man wohl angenommen hat: Ker. mert beweist, daß wir es mit
secundärem Umlaut zu thun haben, mhd. merket aus *markit.)
Umgekehrt setzt in allen neun Mundarten die am meisten nach
i hin liegende e- Schattierung das mhd. e fort. Während nun aber
in sechs Mundarten mit diesem nämlichen e auch das gedehnte mhd.
(primäre) Umlauts -e zusammenfällt, hat der letztere Laut in Bero-
münster, Leerau, elsäß. Münsterthal einen etwas offneren Klang, den
mittlem zwischen den zwei Extremen. Also allgemein ^) wird ge-
sprochen se (mhd. se, sewes) — aber nur von dem größern Theile
red (mhd. diu rede), von den drei genannten Mundarten aber red.
Ganz eigenartig, abweichend von allen andern Mundarten, zeigt
sich Kerenzen, indem es mhd. e mit dem (primären) Umlauts-e,
mhd. e, zusammenfallen läßt, mögen sie nun als Kürze bewahrt
oder gedehnt worden sein. Beispiele; klegs (mhd. gelegen) — lega
(mhd. legen), snek (mhd. snecke) — streka (mhd. strecken), fressa
(mhd. vrezzen) — bessor (mhd. bezzer), hellffe (mhd. helfen) — weih
(mhd. wellen, wollen); weg (mhd. wec) — red (mhd. rede), berg (mhd.
berg) — erb (mhd. erbe), sterna (mhd. stern) — crml (mhd. errael).
— Nicht das ganze aleman. Gebiet hält also Brechungs- und Um-
lauts-e auseinander.
Fassen wir endlich das Verhältniß von Kürze zu Länge ins
Auge, so zeigt sich, daß in sämmtlichen Mundarten das secundäre
Umlauts-e, ob kurz oder gelängt, gleichen Klang besitzt: ne;^t vorige
Nacht — fei Fälle. Kurzgebliebenes mhd. e stimmt in allen Mundarten
außer Kerenzen qualitativ zu gelängtem mhd. e, kurzgebliebenes
(primäres) Umlauts-e in allen außer Kerenzen und Baselstadt zu ge-
längtem e. Basel gibt hier der Länge die geschlossenste Klangfarbe
e, während dieselbe als Kürze der Mundart überhaupt mangelt und
durch die mittlere Schattierung e ersetzt wird; also red (mhd. rede)
— besser (mhd. bezzer). In Ker. liegt die Sache einfach so: mhd.
e und e, als Kürzen bewahrt, fallen in e, der mittlem Färbung, zu-
sammen ; mhd. e und e, gelängt, vereinigen sich in e. Auch in Ker.
kommt also die geschlossenste e- Qualität nur als Länge vor.
Während also im Österr. die Längung den Gegensatz von e — e
vielfach aufhebt (Beitr. 14, 134), wird im Aleman. jene Differenz von
der Dehnung als solcher nicht angetastet. Denn in Ker. sind ja
') Die nächsten Nachbareu von Kerenzen weichen nach Wiuteler S. 124 in
diesem Punkte von den uns vorliegenden neun Mundarten ab.
ZUR LAUTFORM DES ALEMANNISCHEN. 125
gleichwie die gelängten e und e, so auch die kurzen e und e unter
sich zusammengefallen.
Wir können die behandelten neun Mundarten in folgende engere
Gruppen ordnen.
I. Es stimmen zu einander die weit entlegenen Schaffhausen
und Ottenheim, die Mundarten mit bloß zwei Klangfarben. Sie
sprechen ihre offene e- Qualität (e) für mhd. se, e, e vor Nasal,
secundäres Umlauts- e; die geschlossene (e) erscheint für mhd. e,
primäres Umlauts -e.
II. Übereinstimmend sind die e- Laute ferner vertheilt in den
eng benachbarten Beromünster und Leerau und in dem elsäß. Münster-
thal. Alle drei sprechen ihr offenstes e (e) für die gleichen vier
etymologischen Fälle wie die Mundarten unter I. Das geschlos-
senste e (e) gibt mhd. e, die mittlere Schattierung (e) das pri-
märe Umlautsproduct, mhd. e, wieder.
III. Appenzell und Toggenburg geben gleichmäßig ihre offen-
ste Klangfarbe (e) dem mhd. se und dem secundären Umlauts -e; die
geschlossenste (e) dem mhd. e und (primären) e; die mittlere
(e) dem e vor Nasalen und dem mhd. e.
Die zwei übrigen, Kerenzen (IV) und Baselstadt (V), stimmen
weder unter sich noch mit einer der obigen drei Gruppen überein .
Wir haben also in dem uns vorliegenden Material mit fünf verschieden
entwickelten Typen zu rechnen.
Auf welchen mhd. Lautstand werden wir sie zurückführen?
Wollten wir annehmen, daß all die heut bestehenden Differenzen in
das ältere Mhd. zurückgehen und damals in einer nach dieser Seite
hin einheitlichen, gemein -alemanischen Mundart sich beisammen ge-
funden hätten, so erhielten wir folgendes Bild. Am meisten gegen
i hin liegt mhd. e. Einen Schritt weiter nach a zu (so fordert es
Gruppe II) liegt die Kürze e, das primäre Umlauts -e. Dann folgt
auf der Linie nach a hin das ,Brechungs'-e. Eine weitere Stufe
oJöfener (nach Ausweis von Ker.) ist e vor Nasalgruppen. Und die
Grenze gegen a zu wird (hiefür ist besonders Gruppe III beweisend)
durch mhd. m und durch das secundäre Umlauts -e eingenommen.
Wir hätten also fünf verschiedene e- Klangfarben, die sich, an ein-
zelnen Wörtern veranschaulicht, in folgender Linie lagerten:
1.
2.
3.
4.
5.
se;
rede ;
stechen ;
ende;
nteme,
nehte
megede
126 A. HEUSLER
Unmöglich ist es nicht, daß thatsächlich einst das Gemein-
aleman. diese fünf verschiedenen e- Qualitäten besaß, und daß die
Einzeldialecte in ihrer Sonderentwicklung durch Vermischen hier der
einen, dort der andern Doppelheit endlich zu ihren drei bezw. zwei
Klangfarben gelangten. Aber jenes Additionsverfahren ist willkürlich.
Wir müssen vielmehr fragen, welche der heute vorhandenen Doppel-
heiten aus secundärer Entwicklung haben entstehen können. Da
sehen wir zunächst, daß, solange die quantitative Scheidung zwischen
ursprünglicher Länge und ursprünglicher Kürze streng innegehalten
wurde (was bekanntlich in keiner aleman. Mundart heute mehr der
Fall ist) , die Länge sich ungehindert nach einer Seite hin fortent-
wickeln konnte, ohne die Kürze mit sich zu reißen, und umgekehrt.
Mhd, se kann z. B. leicht auf dem ganzen Gebiete gleiche e- Schat-
tierung gehabt haben wie rede, bezzer; in der Gruppe II hat es sich
zu geschlossenerem Klange secundär entwickelt, doch jedenfalls be-
vor rede sein e dehnte; daher lautet es nun in dieser Gruppe
se — red, bessar. — Ebenso kann das e vor Nasalen, als unter einem
bestimmten combinatorischen Einfluß stehend, seine Qualität in den
einzelnen Mundarten geändert haben, ohne daß die nicht vor Nasal
stehenden e seiner Entwicklung folgen mußten. Vielleicht besaß
denchen bei Notker noch gleiche Geschlossenheit wie reda; erst im
Laufe der Zeit erhielt es in den Mundarten den Klang von stechen
bezw. von nseme.
Ziehen wir diese Möglichkeiten späterer Entwicklung in Betracht,
so können wir für die aleman. e-Laute in mhd. Zeit nur Fol-
gendes mit Bestimmtheit aussagen:
1. Es gab zwei Längen, eine mehr geschlossene, mhd. e, und
eine mehr offene, mhd. se.
2. Es gab drei Kürzen, eine geschlossene in mhd. rede, eine
offene in mhd. nehte, eine mittlere in mhd. stechen.
Diese Dreiheit wird durch die Mundarten App., Togg., Ker.
erwiesen. Denn es ist klar und bedarf keiner weitern Worte, daß
der Unterschied zwischen re%t (mhd. reht) — ne%t (mhd. nehte) ; fei,
Ker. fei (mhd. fei) — fei (mhd. feile pl. zu fal), wie er uns in diesen
Mundarten entgegentritt, nicht aus einer altern einheitlichen Lau-
tung erwachsen konnte. Wohl aber konnte in den andern Mundarten
die ursprüngliche Doppelheit sich leicht in einem Laute secundär
verschmelzen. Nur ist zuzugeben, daß diese Verschmelzung sehr früh
geschehen konnte: möglich, daß schon um 1200 nehte zu der Ge-
schlossenheit von reht gelangt war in all den Mundarten, die heute
ZUR LAUTFORM DES ALEMANNISCHEN. 127
die beiden Laute nicht mehr unterscheiden '). In diesem Falle konnten
wir nur für die früheste mhd. Zeit von gerne in- alemanischer drei-
facher e- Qualität sprechen.
Es bleibt endlich die Frage, wie diesem dreifachen Klang der
kurzen e die beiden langen e- Vocale (mhd. se und e) sicii gegenüber-
stellten. Daß 86 gleich secuudärem Umlauts -e klang, also die offenste
Schattierung e besaß, ist mehr als wahrscheinlich; Kauffmann a. a. O.
S. 9 weist mit Recht auf die gleichen Bedingungen ihrer Entstehung.
Fraglich ist dagegen, ob dem mhd. e die geschlossenste Qualität, die
von den lebenden Mundarten bezeugt wird, schon zu Beginn der mhd.
Zeit zukam; ob es also qualitativ = e (in rede) oder aber = e (in
stechen) anzusetzen ist. Nach Luicks Bemerkungen, Beitr. 14, 133,
wird man nicht mehr dem e gemeinmhd. geschlossenste Qualität zu-
schreiben wollen. Auch im Aleman. hat gese(10en, gesclie(h)en den
gleichen Laut ergeben wie altes e. Wenn anderseits mhd. herre
aleman. nicht durchweg zu herre sondern zu herre gekürzt wird, wie
Martin Anz. f. d. A. 14, 2ö7 richtig hervorhebt, so mag dieß viel-
leicht nur auf eine spätere Zeit dieses Lautvorgangs deuten, als eben
e schon geschlossen geworden war.
Wenn wir annehmen dürfen, daß mhd. c im Aleman. den ge-
schlossenen Klang, den die Mundarten ihm zutheilen, schon zu der
Zeit erhalten hatte, als noch das ganze aleman. Gebiet die drei kurzen
e- Laute unterschied, so können wir uns von der Lagerung der
e- Vocale im Gemein- Alemanischen der mhd. Zeit folgendes hypothe-
tische Bild entwerfen:
]. (geschlossener Klang: e) 2. (mittlerer Klang: e)
mhd. se; rede, bezzer. mhd. mel, stechen; ende,
3. (offenster Klang: e)
mhd. nseme; nehte, megede.
Auf diese Gruppierung lassen sich die vorhandenen mundart-
lichen Typen sehr leicht und ungezwungen zurückleiten.
Die Gruppe III (App.-Togg.) ist dem hier angesetzten Stande
der Dinge treu geblieben.
Von den übrigen verfährt am einfachsten Gruppe I. (Schaffh.-
Ottenh.): sie läßt 2. und 3., den mittlem Klang mit dem offensten,
zusammenfallen; und zwar scheint es, wenn wir nun die absolute
Qualität ihrer e- Laute mit in Betracht ziehen, daß Schaff h. das ein-
') Doch ist zu beachten , dafj aucli das Schwäbische das mhd. ü von dem
seiundären Umlauts-e in manchen Lautumgebungen bis heute auseinanderhält (Kautt'-
mnnn a. a. O. S. 10 f.).
128 A. HEUSLER
stige e dem e zunäherte; denn ihm fehlt heute jener bewußte sehr
offene e- Klang, daß aber Ottenh. umgekehrt das einstige e in e auf-
gehen ließ; denn in dieser Mundart lauten die offenen e heute a- ähnlich.
Auch Gruppe II (Berom.-Leerau-els. Münsterth.) ließ die Schat-
tierungen 2. und 3. zusammenfließen und zwar unzweifelhaft in e,
dem prononciert offenen Klange (eis. Mü. ging dann sogar weiter bis
zu a) ; dann wurde die Kürze e von der Länge e geschieden, indem
jene die mittlere Klangfarbe e bekam, und zwar bevor ein Theil
der Kürzen Dehnung erfahren hatte.
Auch in Baselstadt fielen 2. und 3. zusammen (vermuthlich in
einer Mittelnuance zwischen e und e); 1. blieb zunächst einheitlich,
bis rede zu red gedehnt war; dann ließ die Mundart die noch als
Kürze übrigen e (in bessar etc.) eine Stufe offener werden, also die
Mittelstufe zwischen se red und mel ste^a etc. einnehmen.
In Kerenzen endlich entwickelte e vor Nasalen die offenste
Schattierung e; außerdem mischten sich 1. und 2., nach Vollzug der
partiellen Vocaldehnung, in der Weise, daß alle als Kürze bewahrten
e (in bezzer etc., stechen etc.) in der mittlem Klangfarbe, alle ur-
sprünglich langen oder später gelängten e (in se; rede, mel) in der
geschlossensten Klangfarbe sich einigten. —
Es würde dem Entwicklungsgange, den wir hier für die ver-
schiedenen Mundarten angesetzt haben, um ihren heutigen e-Vocalis-
mus mit einem frühern gemein -alemanischen Zustande in lautgeschicht-
lichen Zusammenhang zu bringen, zur Bestätigung dienen, wenn in
andern Theilen ihres Vocalsystems ein ähnlicher Gang der Bewegung
sich auffinden ließe. Es fehlt zum Theil nicht an derartigen Über-
einstimmungen. Doch möchte ich sie mit allem Vorbehalt vorbringen.
Zunächst die Parallele mit den o- Lauten. Sehr wahrscheinlich
hatten im Aleman. der mhd. Zeit kurz o wie lang 0 die gleiche ge-
schlossene Qualität. Nun finden wir in der Dialectgruppe I (Schaff h.-
Ottenh.), welche den mhd. se — rede, bezzer ihre geschlossenste Schat-
tierung e bewahrt hat, entsprechend auch mhd. o, ob kurz erhalten
oder gelängt, in derselben geschlossensten Klangfarbe wie die Fort-
setzung von mhd. 6. So hat auch Baselstadt nach Ablauf der Vocal-
dehnung die kurzgebliebenen o zu offenerer Stufe geführt, während
die ursprünglich langen und die gelängten ö geschlossen blieben, ganz
wie bei e; also hö% (mhd. hoch), wöl (mhd. wol) — rpss (mhd. ros,
rosses) wie se, red — bessar.
In Gruppe III (Berom.-Leerau-els. Münsterth.) ist o gleichwie e
um eine Stufe offener geworden, bevor die partielle Vocaldehnung
I
ZUR LAUTFORM DES ALEMANNISCHEN. 129
eintrat: das secundär gelängte wöl zeigt daher mit dem kurz geblie-
benen ross die offenere Qualität als das ursprünglich lange hö;|^.
Dagegen trifft für Kerenzen diese Parallele nicht zu. Wir sollten
hier geschlossene Länge, offene Kürze erwarten. Statt dessen zeigt
die Mundart nur noch geschlossenes (_) , ö. — In App. - Togg. ist die
Anordnung der o-Laute complicierter. Bei der Vertretung von mhd.
kurz o scheint sich der Gegeosatz von gedeckter und ungedeckter
Silbe geltend zu machen, vgl. ;t9pf? sota, ross, rok;^, kst();t;|^8 gegen
tobl, ofa, hqlö, raolo (Molch). Die Parallele zu den e- Lauten ist
also jedenfalls keine vollständige.
Eine andere Erscheinung tritt uns in der Gruppe II (Berom.-
Leerau-els. Münsterth.) entgegen. Unsere Annahme, dass diese Mund-
arten ihre einstigen e mittlerer Schattierung (in mhd. mel , stechen ;
ende) einzelmundartlich zu ihrem heutigen sehr offenen e- Laute ge-
wandelt haben, steht in gutem Einklang mit tler Thatsache, daß in
den nämlichen drei Mundarten mhd. i und u eine Stufe offener ge-
worden sind: fürs Gemein- Aleman. der mhd. Zeit sind diese Laute
als i und u auzusetzen; jene drei Dialecte sprechen sie heute als
e (e) und o (ö), d. h. geben ihnen den gleichen Klang wie der Fort-
setzung von mhd. G und ö. Daß auch in dieser Eigenthümlichkeit
das weit entlegene elsäß. Münsterthal mit Beromünster-Leerau sich
begegnet, ist jedenfalls bemerkenswerth.
Anderseits hat in Ottenheim, welches doch auch seine mittlem
e zu e gesenkt hat, das mhd. i und u nicht diese Annäherung an
e und o erfahren. Und umgekehrt finden wir in dem großem Theile
der appenzellischen Dialecte mhd. i>e, u>o, ü>»ö entwickelt,
obwohl hier die mittlere e- Nuance unverändert blieb. Es ist also
fraglich, ob nicht auch jene scheinbar zusammenhängenden Lautwan-
delungen in den andern Mundarten thatsächlich ganz unabhängig sich
vollzogen haben. Schwerlich wird man a priori erwarten dürfen, daß
eine Bewegung innerhalb der e-Laute einer Mundart andere Theile
ihres Vocalismus in Mitleidenschaft ziehen müsse.
Für die Reime alemanischer Dichter mhd. Zeit ergiebt sich
Folgendes. — Wo sich die Bindung e : ö fand, dachte man schon früh
an consonantischen Einfluß, der dem e, bezw. dem e, eine andere
Qualität gab, als sie ursprünglich hatten. Franck präcisierte es da-
hin, daß das vor ht erscheinende offene Umlauts -e liberhaupt nie ge-
schlossen gewesen war. Man setzte dabei stillschweigend voraus, daß
jene offene Sorte von Umlauts -e gleichlautend mit e, die betr. Reime
also rein waren.
OKRMANIA. Nene Reihe. XXU. (XXXIV.) Jahrg. 9
130 H. V. WLISLOCKI
Oben hat sich nun gezeigt, daß ein Theil des Aleman. (und das
Schwäbische in gewissen Lautumgebungen) das secundäre Umlauts -e
nie so weit von a sich entfernen ließ, daß es mit e gleichen Klang
bekommen hätte. Finden sich also bei aleman. Dichtern Reime, wie
sie Gram. I 279 ff. (Neudruck) gesammelt sind (frevel : wevel, effen :
treffen, weide : velde, gesiebte : knehte, ehte : rehte, gebrehte : knehte,
ehtent : vehtent; ich habe mir notiert aus dem Lanzelet: vehten :
wehten [doch s. die Anm. von Hahn zu V. 1774], aus Hadloub: ge-
siebte (Schlachten) : rehte, erne : gerne, aus K. v. Ammenhausen:
tonrslegen : regen), so müssen entweder die Reime nicht völlig genau
sein, oder aber das Theilgebiet des Alemanischen, dem die betr. Ver-
fasser angehören, muß schon die Lautschattierungen 2. und 3. (s. o.)
zusammengeschmelzt haben. In dem Falle siegen : regen, wofern wir
es als genauen Reim aufzufassen haben, zeigt sich auch schon ein
analogisches Umsichgreifen des secundären offenen Umlauts -e, wie es
in den lebenden Mundarten uns entgegentrat.
BERLIN, November 1888. ANDREAS HEUSLER.
ZU DEN „DREI MAREIEN".
Ernst Ludwig Rochholz hat in seinem trefflichen Werke: „Ale-
mannisches Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz" (Leipzig
1857), S. 139 ff. unter den größeren Spieltexten auch „die drei Mareien"
nach Abkunft und Inhalt erklärt. Diese drei verhängnißvollen Spinne-
rinnen leben aber nicht nur in den Sagen, Märchen und Liedern der
germanischen Völker fort, sondern auch im Glauben anderer
Völkerschaften finden sich Anklänge an diese mythischen Vorstel-
lungen. Ich erlaube mir nun zu den Erörterungen Rochholz' einige
hiehergehörige Kinderlieder und Sagen aus Siebenbürgen und Ungarn
mitzutheilen, die vielleicht bei einer ausführlichen Erklärung nicht
gerade unbeachtet bei Seite geschoben werden dürfen.
Daß diese drei spinnenden Mareien ursprünglich die dem Men-
schen bei seiner Geburt den Schicksalsfaden spinnenden Nornen unserer
germanischen Mythen sind, das bezeugen alle die einschlägigen Kinder-
lieder aus Siebenbürgen, — aber was noch mehr, sie liefern uns neben-
bei auch den Beweis, daß dieser Glaube indogermanisches Gemein,
gut ist. In beiden Beziehungen interessant ist das folgende Kinderlied
der Siebenbürger Rumänen, das ich 1886 im Südwesten Siebenbürgens
zu DEN „DREI MAREIEN^ 131
gehört und aufgezeichnet habe. In genauer deutscher Übersetzung
lautet es:
Heida ihr Lieben, Denn die dritte aus ihrem dicken
Wir reiten ins Land! Pyß
Haben ein gold'nes Seil in der Hand! Viel Kröten und Schlangen gebären
Zwei Frauen, die haben es gemacht, muß
Haben es gesponnen über Nacht; Auf jeden Schritt wohl dreißig;
Aus der Nabelschnur zart und klein, Drum reiten wir, reiten wir fleißig,
Spannen sie das Seil, so golden und Sonst kommen die Kröten und
fein ! Schlangen
Die dritte Frau, die will es zcr- Und nehmen uns Bübchen gefangen!
schneiden, —
Drum müssen wir reiten, immer nur
reiten.
Wie es im Deutschen eine weiße, schwarze und eine eiserne
Bertha gibt, eine gute Spinnerin und eine verfluchte, eine Frau Breite
mit der eisernen Nase, im Französischen eine Reine pedauque, reqina
pede avca, die mit dem Platsch- und Gänsefuß, Berthe an (jrand pitd
und wie auch die drei Mareien ein ähnUches Maß von Körperschönheit
und Herzensgute und hinwieder von Häßlichkeit und Hexenhaftigkeit
einhalten, so spinnen die beiden „Guten" auch im rumänischen Liede
„aus der Nabelschnur'* des Kleinen das goldene „Glücksseil", das die
dritte, .,die Böse", die mit „ihrem dicken Fuß", zerschneiden will,
die aus ihrem Bein Schlangen und Kröten zur Welt bringt (Über
Beingeburten s. Liebrecht, Zur Volkskunde, S. 490 ff.). Auch den
ungarischen Märchen ist diese Unholdin unter dem Namen „« vasorrü^
(„die mit der eisernen Nase") bekannt (s. Katona, Zur Litteratur und
Charakteristik des ungarischen Folklore in der Ztschr, f. vergl. Litt,
und Renaissance-Litteratur Bd. I, S. 31). Zwei dieser drei Frauen
sind, dem rumänischen Volksglauben gemäß, auch bei Geburten be-
hilflich; die dritte aber, die „mit dem dicken Fuß", bewirkt —
sobald sie sich der Gebärerin nähern kann — den Tod des Kindes.
Um sie daher von der Geburtsstätte ferne zu halten, wird Haferstroh
zu einem Bündel gewunden ins Herdfeuer geworfen. Dieser Brauch
hängt wohl mit dem deutschen ., Weidendrehen" zusammen. „Im
Aargau löst man diejenigen Knoten sorgfältig auf, die man an den
Ruthen einer dem Wohnhause zunächst stehenden Weide gewahrt;
auch das Weidenband einer jeden Strohgarbe, die man im Stalle
streuen will, wird erlesen und aus gleichem Grunde nicht raitgestreut.
Es könnte ein Hexenschaden mit darin Verknüpft' sein" (Rochholz
a. a. O. S. 146). Ein Strohwisch war in früheren Zeiten in den säch-
sischen Gemeinden das Schandzeichen gefallener Mädchen, und noch
9*
132 H. V. WLISLOCKI
bis in die Mitte dieses Jahrhunderts wurden „fremde Dirnen'' mit
„Schub" (Strohschaub) aus der Gemeinde abgeführt, d. h. auf einen
zweirädrigen Karren wurde ein Strohbund gelegt, die Dirne hinauf-
gesetzt und vom Wasenmeister über die Grenze der Stadt geschafft.
Hafer- und Erbsenstroh verscheucht auch nach siebenbürgisch-säch-
sischem Volksglauben die bösen Geister, und unter dem Sterbenden
wird dieserwegen das Federbett behutsam weggezogen, denn auf dem
Strohsack stirbt man leichter, namentlich aber auf einem Polster mit
Erbsenstroh gefüllt, das sofort unter den Kopf geschoben wird
(s. Fronius, Bilder aus dem sächsischen Bauernleben in Siebenbürgen,
S. 255) und „stin dekel kalt drbes^^ (Steindeckel, kalt Erbsen) klingt
die Glocke, wenn Jemand begraben wird.
Auffallend ist es, daß das rumänische Kinderlied zweier, nicht
nur dem deutschen Volke , sondern auch den Liedern anderer Völker
gemeinsamer Züge entbehrt, nämlich der Erwähnung der „Weiden" und
Anführung der Grenzen, welche das „goldene Seil" umspannt. In den
deutschen Varianten sind stets die Orte angeführt, „von welchen aus
und bis zu welchen das Wiegenseil oder Deichselseil für den Neu-
geborenen gesponnen und gespannt wird, damit dieser Glücksfaden
schirmend um die ganze Heimat herum reiche" (Rochholz a. a. 0.
S. 142). In einem Kinderliede der oberungarischen Slovaken — das
mir Herr Krälik aus seiner unedirten Sammlung zu überlassen die
Güte hatte — finden sich auch diese zwei Züge wieder. Das Lied
lautet in genauer Übersetzung also:
0 du gold'nes Halfterband, Eine lange Gerte flicht
Führe uns durch's ganze Land, Eine sich aus grünen Weiden, —
Führ' du uns von Dobschau Schlägt dich , wenn du folgst mir
Hin zum schönen Kaschau nicht! —
Und von da nach Leutschau, Und die dritte spinnt aus Seiden
Wo drei Frauen wohnen, Dir ein schönes, neues Kleid,
Die uns strafen und belohnen : Darum Bübchen reite, reit',
Einen gold'nen Apfel rund Hopp, hopp, hopp, reite, reit' !
Hält die eine in dem Mund ;
Der Zug „mit den Weiden" ist hier gänzlich verwischt, dafür aber
entspricht die Frau „mit dem goldenen Apfel im Mund" der fünften
Frau bei Rochholtz a, a. O. S. 140, wo es von ihr heißt:
„de feuft' isch eusi liebi Frau,
sie sitzt enuet a der Wand,
hat en Oepfel i der Hand,
sie goht durh-ab zum Suunehüs
und 16t die heilig Sunne üs,
und löt die Schatten ine
für ihre liebe Chline" u. s. w.
zu DEN „DBEI MAREIEN". 133
Daß überhaupt den Nornen auch ein Eintiuß auf die Witterung zu-
geschrieben wird, zeigt das rumänische Lied, das die Kinder singen,
wenn sich der Himmel umwölkt; es lautet deutsch also:
Weisse Mutter, öfF'ne Thür und Thor,
Lass' die liebe Sonn' hervor;
Vor der lieben Sonne muß
Rasch entfliehen Frau Klunapfuß.
Durch die Erwähnung des „goldenen Fadens" steht ein Lied der
deutschen Kinder in der Zips, das sie bei Regenwetter zu singen
pflegen, noch näher zum Kreis „der drei Mareien'; es lautet also:
Liabe Frau, mach's Thürl auf,
Bring' die liabe Sunu herauf,
Lass' de Regen drinne,
Lass' de Schnee verrinne;
Komm' aus danem Brünnchen,
Briang' dan goldig Kindchen,
Briang' a goldnen Faden
Behüetc uns vor Schaden !
Ganz verwischt sind diese Beziehungen im folgenden siebenbürgisch-
sächsischen Kinderliede (s. Schuster Fr. W. , Siebenb.-sächs. Volks-
lieder, S. 337):
Et fed un ze renen, Es fängt an zu regnen,
God kid enkenen; Gott kommt entgegen,
dt de ren afhält, Der den Regen aufhält,
däd äs e selich man, Das ist ein seliger Mann,
di ed ach loeder mäche kän, Der es auch wieder macheu kann,
di ed lieh weder zerdr'emere kän. Der es auch wieder zertrümmern kann.
Einen viel deutlicheren Bezug auf die drei Nornen und „das goldene
Seil" finden wir iu den folgenden siebenbürgisch-sächsischen Kinder-
liedern :
Ich länz mer a reszken guor ivol Ich laaz; mir ein Rößchen gar wohl
beschlo, beschlagen,
ich läsz et an der sailgasz go. Ich lass' es in die Seilgass' gehn.
Do et na knm for Katiche sai dir, Da es nun kam vor Käthchens (seine)
do tvör en galden bräk Thür,
dö wör och mai glück. Da war eine goldene Brücke,
Da war auch mein Glück.
Bei Schuster a. a. O. S. 327 steht wohl zailgasz (Zeilgasse) ; doch
glaube ich „Seilgasse" lesen zu dürfen, besonders da im Siebenbürgisch-
sächsischen „Zeile" für „Gasse" gebraucht wird und somit „Zeil-
gasse" eine Art Tautologie wäre; „Seilgasse' hingegen — so wie ich
es im Volksmunde hersagen hörte — mag vielleicht einen verwischten
Bezug auf das „Glücksseil" haben. Das folgende Lied der siebenb.-
sächs. Kinder nimmt auch Bezug auf die drei Nornen; es lautet:
134 H. V. WLISLOCKI
Brä Ndne' Jcun am rür eraf, Drei Nane (Nornen) kommen im Rohr
se hranjen e käinjt gefangen; hervor,
se lochten et an en trigeltchen, Sie bringen ein Kind gefangen;
et schieß ivä e rene ßgeltchen. Sie legten es in ein Trögelchen,
Es schläft wie ein Regen-Vögelchen.
Vgl. auch das von Fr. Fr. Fronius a. a. O. S. 34 mitgetheilte siebenb.-
sächs. Kinderlied:
Si, si sigelchen Si, si Siegelchen,
Der tuewe flecht e ßgelchen, Dort oben fliegt ein Vögelchen,
Hae nedde tli('<igcn de Nonnen^ Hier unten fliegen die Nonnen,
Se hatten e Kaendj gefangen, Sie hatten ein Kind gefangen,
Se schmieszent en de bach, Sie warfen's in den Bach,
Dat et alles zehräch. Daß es Alles zerbrach.
Die nächste Verwandtschaft mit den deutschen „Mareien-Liedern" zeigt
unter den hiehergehörigen Kinderliedern der Siebenbürger Sachsen
wohl das folgende — meines Wissens bislang unedirte — Liedchen :
Zuzu, zuzu, reddjen; Zuzu, zuzu reiten;
De Baschfrä af den wedjen Die Buschfrau auf den Weiden
Wdl User reszken geht beschlön, Will unser Rößchen gut beschlagen.
Bat wer hedj nö Krüne gön. Daß wir heut' nach Kronstadt gehn,
Bö äs en hisch gdlden brück, Da ist eine hübsche goldne Brück',
Bo fandj Hani uch se gläcJc; Da find't Hanchen auch ihr Glück;
Baschfrä git äs sejeltcher, Buschfrau gibt uns Schüchen,
Uch en sedän kereltchen. Auch ein seid'nes Kittelchen.
Nach dem Kinderglauben kommen die Kinder von der Baschmoter,
Baschfrä, die sie unter einem großen, dicken Baum im Walde hervor-
gräbt oder aus ihrem Brunnen, der unter einem großen Baume sich
befindet, herauszieht und oft — besonders wenn die Kinder nicht
fromm sind — wieder zu sich nimmt. Darum werden auch die Heb-
ammen selbst häufig — wenn auch nur scherzweise — Bäschmatter
(Buschmutter) genannt. Das sind Alles auf Hei zurückweisende An-
schauungen (s. Fr. W. Schuster, Deutsche Mythen aus siebenb.-sächs.
Quellen im Archiv d. Ver. f. siebenb. Landeskunde Bd. IX und X,
S. 251 und 281 flf. ; dies Werk ist für die siebcnbürgische und ver-
gleichende Mythenforschung unentbehrlich. Über die drei Mareien,
Nornen überhaupt, die im Siebenb. -sächsischen neben ^,Nane, Nonne^
auch „Wäiirjken''^ heißen, s. ebenfalls Schuster a. a. 0. S. 76 ff.).
Der Ort, an dem diese Wesen wohnen, liegt nach dem Volks-
glauben in der Nähe einer Quelle, eines Brunnens oder Baches. Diesen
Zug finden wir auch in einem ungarischen Kinderliede, das unter den
Siebenbürger Szeklern verbreitet ist; es lautet in genauer Über-
setzung also :
zu DEN „DREI MAREIEN". 135
Heida, heida auf nach Kronstadt! Und ganz nah' in Angyalos
Haben unser Roß verloren, Fließt ein klares Brüiinlein, —
Wollen uns ein neues kaufen, Sitzen dort drei Fräulein,
Und dazu auch gold'rie Sporen, Hält das eine ein Kindchen,
Dann wird's rascher laufen ! Das andre schneidet Weiden
Heida, heida auf nach Kronstadt! Für den Hintern, hopp, hopp, hopp!
Hei ! da steht ein Schlößlein, Und das dritte spinnet Seide,
Und nicht weit in Sepsi-Szent-György Spinnt für dich den neuen Hock!
Steht ein gold'nes Häuschen, Hopp, hoj)p, hopp !
Merkwürdig ist der Umstand, daß in der ungarischen VolUsdicbtung
überhaupt drei Nornen als solche nicht erwälint werden, und ich bin
geneigt, obiges Kinderlied der Szekler eben deswegen für eine Ent-
lehnung aus dem Deutschen, resp. Sächsischen zu halten. Vielleicht
ist dies Lied einem verlorenen sächsischen nachgebildet worden.
Immerhin bleibt seine Zusanimen-stellung recht interessant, der eben
nur der Zug vom „Seil, goldener Brücke" abgeht. Dieae drei Fräulein
glaube icii auch in folgender Sage der Siebenbürger Szekler wieder-
zufinden.
„Vor vielen, vielen Jahren lebte ein Ritter, der war gegen seine
Untergebenen gar strenge und hartherzig. Seine eigene Gattin hatte
er einmal in seinem Zorn zu Tode geprügelt, und seine drei wunder-
schönen Töchter behandelte er schlechter denn Hunde. Da traf es
sich einmal, dali der böse Kitter in eine gar ferne Stadt zog, um sich
von da eine Gattin zu holen. Bevor er abzog, sprach er zu seinen
Töchtern : „Allen Hanf, der sich am Aufboden des Hauses befindet,
mü(>t ihr bis zu meiner Rückkehr gesponnen haben, sonst lasse ich
jede von euch an einen Baum binden und dann zersägen." Also
sprach der Rittersmann und zog von dannen. Seine armen Töchter
weinten nun Tag und Nacht, denn sie wußten nicht, wie sie den
vielen Hanf aufspinnen sollten. Da traf es sich einmal, daß die drei
Fräulein spät in der Nacht noch spannen und weinten , als sich die
Thüre der Stube öffnete und ein riesiger schwarzer Stier hereintrabte.
Mitten im Hanfstoß , der am Boden lag, blieb er stehen , nahm einen
Bund nach dem andern auf seine Hörner, und während er seinen
Hals von rechts nach links beständig bewegte, verwandelte sich der
Hanf sofort in die schönste Leinwand. Das eine der drei Fräulein
stieg nun schnell auf den Aufboden hinauf und reichte ihrer Schwester,
die auf der Leiter stand, einen Hanfbund nach dem andern herab.
Die mittlere Schwester reichte den Hanf der Jüngsten, die unten in
der Stube stand, und diese warf ihn vor den Stier^ der mit seinen
Hörnern so rasch spann , daß die Schwestern kaum Zeit hatten, ein-
136 H. V. WLISLOCKI
ander den Hanf zu überreichen. Die eine rief stets der andern, diese
wieder der dritten zu: y^Nyujtod-e mar?'' („Reichst du ihn einmal
her") , um sich gegenseitig zur Eile anzufeuern. Als es dämmerte,
spann der Stier noch immer. Aber er war auch schon sehr müde,
denn so oft er den Hals von rechts nach links bog, da flog ihm stets
der Speichel in langen Fäden zum oflfenen Fenster hinaus und schwebte
als glänzender Faden in der Luft fort. Diese Fäden sieht man auch
jetzt noch im Herbste in der Luft schweben, und wir nennen sie eben :
„ökömydl^ (Ochsenspeichel). Gegen Mittag war der gesammte Hanf
aufgesponnen, und da stürmte der Stier auf die drei Jungfrauen los
und warf sie in die Luft; die eine fiel oben auf dem Gebirge neben
einer Quelle auf die Erde, die andere fiel auf einen Acker, und die
dritte fiel auf einen hohen Baum. Jede sitzt nun seit vielen Jahren
auf ihrer Stelle und spinnt den „Ochsenspeichel"; aus dem Gespinst
verfertigen sie dann Hemden , und wer ein solches findet und am
Leibe trägt, der ist in Allem glücklich. An der Stätte, wo das Haus
des Ritters gestanden , hörte man lange Jahre hindurch allnächtlich
den Ruf erschallen: ,,Nyujtod? nyujtod-e mdr?^^ Und als mit der Zeit
sich daselbst Leute ansiedelten, nannten sie das Dorf „Nyujtod" *)..."
Diese Sage erinnert uns an das Zauberhemde und Nothhemde
der deutschen Mythe, das Jungfrauen woben, um Kämpfer fest und
unverwundbar zu machen. In solchem Zusammenhange nennt man in
Deutschland die im Herbste über das Feld schillernden Fäden der
Feldspinne noch den Marienfaden , den Altenweibersommer, in West-
phalen Unser laiwe Frauen Suemer, und die Spinneweben in der
Stube heißen sogar Friggers, der Göttin Fria Gewebe" (Rochholz
a. a. O. S. 142; s. Woeste in Wolfs Ztschr. 2, 96). Dem Volksglauben
der Siebenbürger Armenier gemäß webt die „Glücksfrau" dem Kinde,
das in der Stunde geboren wird, wo sie ihr eigenes Kindlein, den
„Zufall", säugt, aus ihrem Speichel ein Glückshemd. Man legt daher
jedes Kind vor der Taufe an einen Ort, wohin der Mond scheint, und
entfernt sich aus dem Zimmer, damit die Glücksfrau ihm ungestört
das „unsichtbare Glückshemd" anziehe, das es dann sein Lebelang
unbewußt an hat, um nun in allen seinen Handlungen vom Glücke
begünstigt zu werden. Nach dem Glauben der Siebenbürger Rumänen
ist es gut, wenn man von der Nabelschnur des Kindes ein Stückchen
bei zunehmendem Mond in den Garten wirft; dann kommen die „guten
Frauen" und weben das Stückchen zu einem „Glücksfaden"; sie weben
*) Im Südosten Siebenbürgens.
zu DEN ^DREI MAREIEN". I37
ihn so lange, bis daß ihn die „dritte"* abschneidet: „dann ist es aus
mit dem Glücke des Menschen!"
Auch ein Kinderlied der Siebenbürger Zeltzigeuner gehört in den
Kreis der „drei Mareien". Das „goldene Seil" umspannt auch hier
die Grenzen der engeren Heimat. Der unedirte Originaltext dieses
Kinderliedes lautet — so wie ich denselben 1883 in der Gegend von
Hermannstadt aufgezeichnet habe — also:
Andro häro Sibineske Keshdlyi les kereläs,
Stnkdr cercd hin dddeske ; Rdciye lisperpelds.
Andrdl e cercd beshds, Pdl sheloro Orlxiforos
Vdsh Reshndre grdstdrd-t ; Sdr e bdrvdl grästdrds;
Pdl Reshndre sheloro Te 0 phdnro uripen
Hin shukdr somndkuno; Odoy yon den sik amen.
Sheloro hin may shukdr, Kiyd sheloro shukdr,
Oh grdiyd, tu sitydr! OIi grdiyd, tu sitydr!^)
Die genaue Übersetzung desselben lautet:
Auf der Haid' von Hermannstadt, Keschalyi hat es gemacht,
Schönes Zelt dein Vater hat; Es gewoben über Nacht.
Vor dem Zelte sitzen wir, Auf dem Seil nach Orlat hin
Reiten, reiten weg von hier, Mit den Winden wir dann ziehn.
Reiten, hin nach Reschinar, Kleider schön aus Seiden
Dort gemacht aus Gold, so klar, Schenkt man uns dort Beiden.
Ist ein langes, langes Seil ; Wollen hin zum gold'nen Seil,
Hopp, mein Pferdchen, eile, eil' ! Hopp, mein Pferdchen, eile, eil' !
Die Keschalyi sind Feen, die verdammt sind kinderlos zu leben.
Sobald eine Keschalyi ein Kind zur Welt bringt, so stirbt dasselbe
auch gar bald. Dann flieht die trostlose Mutter hinauf ins Gebirge,
wo sie auf einsamen Felsen in unzugänglichen Schluchten regungslos
sitzt und ihr meilenlanges Haar im Winde wehen läßt, wodurch der
Nebel entsteht, der zigeunerisch neben nebulo auch y^bdl Keschdlydkri,^
(Haar der Keschalyi) heißt. Stirbt ein Mann, den eine Keschalyi be-
günstigt hat, da reißt sie sich in ihrem Grame Haare vom Kopfe,
die dann als Sommerfäden (zig. brigd Keschdlydkri, Gram der Keschalyi)
über die Gefilde schweben. Kinderlose Weiber der Zigeuner, die sich
Kinder wünschen, sammeln solche Fäden und verzehren sie mit ihrem
Gatten zusammen, und zwar bei zunehmendem Monde, wobei der
Spruch gemurmelt wird:
') Was die Orthographie anbelangt, so entspricht c = tsch, o. = ch, j = dsch,
n = nj, sh = 9cb, y = f (s. meine „Sprache der transsilvanischen Zigeuner", Leipzig
1884, S. 3).
9**
138 H. V. WLISLOCKI
Keshdlyiyd Usperpm, Ihr Keschalyi spinnet, spinnt,
Cin pdm hin andre len ! Bis noch Wasser in den Bächen rinnt !
Mdngävds pdl holyipen, Euch zur Kindstauf wir einladen,
Kdnd lolo sheloro Wenn den rothen Glücksfaden
Mende turnen Usperpen ihr gesponnen, ihr gesponnen
Vdsh rdkleske, ko dvld Für das Kind, das wir gewonnen
Mende, oh Keshdlyiyd! Haben von eurer Gnad', ihr Keschalyi.
Der hier erwähnte „rothe Glücksfaden" ist nicht identisch mit
dem im vorhergehenden Kinderliede erwähnten „langen, goldenen
Seil". Letzteres erscheint nur dem Geliebten der Keschalyi und zeigt
ihm den Weg zu derjenigen, die in Liebe zu ihm entbrannt ist. Wenn
aber eine Keschalyi einem Kinde „Glück für das ganze Leben" ver-
leihen will, so spinnt sie den „rothen Glücksfaden", den sie dann als
rothes Striemchen am Halse des Bevorzugten erscheinen läßt (vgl.
Rochholz a. a. O. S. 147). Ein solches rothes Striemchen brachte
auch der Stammvater eines der vier Zeltzigeunerstämme Sieben-
bürgens, des Leila-Stammes, bei seiner Geburt mit auf die Welt,
woher er den Beinamen ^Lolo''^ (der Rothe) erhielt. Die Stammsage
der Le'ila, die in mancher Beziehung zum Kreis der „drei Mareien"
zu rechnen ist, lautet im Originaltext, so wie ich denselben nach der
Erzählung des gegenwärtigen Wojwoden des Stammes, Namens Paul
Csutak, zubenannt „der Großfuß", im Jahre 1886 gehört habe, also:
y, Andre hut sei bershd jideläs pdl yek hes yekd mdy shukdr räklyi.
Yoy rdklyi bare thdgdreskro dvld". Kdnd leskre ddd merelds , leskre pcrdl
te leskro romni Id trädend; e romni nd kdmelds^ the andre them shitkd-
reder romni the dvlds sdr yoy. E shukdr räklyi gelyds ändro cdtdro
themdkri, te odoy pdl yek häro hes andre eigne cev hesheläs. Bihdctdles
jideläs yevensd hesheskro te huter andre hokh mdy nierelds. Vucoyes dnäre
besh beshend trin Keshalyiyä, ke butvdr pro besh dikhenä te dikhenä, so
e rdklyi kerel. Atunci penelds yekd Keshdlyi kiyd leskre pcenenge: ^Core
rdklyäke hin misec jidipen; yoy may bokhdles! Mire bald andre them
telebicdv; yoy bald cdl te kerel yek rdkles, ko pro läke gindisdreU'"'' Te
Keshdlyi bdld telebiceläs te ddd cdvelas sik e rdklyi; dtuiici peneläs:
duyte Keshdlyi: „Me kereU hoy yekd somndkune lenori the dveläs dngdl cen
te yek somnakuno ruk odoy th' äveUs^ ko sdke yevd limdkri bdrel!" —
„Te me", penelds trite Keshdlyi, „me kerel, hoy rdkleske, kdnd yov md-
nush hin, nd tdysd bdct hin!"' May voyikereläs e core räklyi, känd ävre
jivese dngdl cev somndkune lenori te yek somndkune ruk dikhelds. Atunci
Idke dvlds bute cabend te e päni somndkune lenoräkri dvlds legfeder mol.
Te atunci e rdklyi kerelds yek räkles , kdske pro kor yek lolo sheloro
dvlas. Te e rdklyi jdnelds. ko Idke rdklds kerdyds! Kdnd yoy rdkles
zu DEN „DREI MAREIEN". 139
andre päiii somnakune lenordkri tovelas, yekvdr shukdr rdklo ävhis. Te
nd hutvdr voyipen dvlds! 0 pcrdl rdkh/iikri dshunelds, hoy e pcen Leila
heshel kiyd somndkune lenori te somndkuno rnk. Yov bicelds ketdnd odoy
te ddd pdl mol somndkune lenordkri mdtovend. Te mdtes muddrend Leila:
leskre rdklo may merelds. Yov dndre lime jidlds te romni lelds ierdklen;
yov dtunci jyenelds kiyd mdmishenc/e : „Kdmdv, the men Leila dndphenen,
hoy dndvd ddydkri tdysd Jidel!"' Te dmen kdde kerds te djes dndphe^ien
men: e I^e'ild "
Die genaue deutsche Übersetzung lautet:
„Vor vielen hundert Jahren lebte am Rande eines Waldes eine
wunderschöne Maid. Sie war die Tochter eines mächtigen Königs
gewesen. Als ihr Vater starb , da verstieß sie ihr Bruder und dessen
böse Frau, die es nicht haben wollte, daß im Lande ein schöneres
Weib als sie lebe. Die schöne Maid floh also an die Grenze des
Landes, wo sie am Rande eines großen Waldes in einer kleinen Höhle
wohnte. Kümmerlich ernährte sie sich von den Früchten des Waldes
und war oft nahe daran, vor Hunger zu sterben. Hoch oben im Ge-
birge da wohnten auch drei Keschalyi, die oft ins Thal hinabblickten
und dem Treiben der Maid zusahen. Da sprach einmal die eine
Keschalyi zu ihren Schwestern: „Die arme Maid hat ein gar schlechtes
Leben; sie ist sehr hungrig! Ich werde einige meiner Haare zu ihr
hinab ins Thal fallen lassen; sie wird diese Haare verzehren und
dann einen Sohn zur Welt bringen, der wird für sie sorgen!" Wäh-
rend die Keschalyi einige Haare hinabfallen ließ, welche von der
Maid sogleich verzehrt wurden, sprach die zweite Keschalyi: „Ich
werde bewirken, daß ein goldenes Bächlein vor ihrer Höhle fließe
und ein goldener Baum ebenda wachse^ der alle Früchte der Welt
tragen soll." — „Und ich", sprach die dritte Keschalyi, „werde schon
sorgen, daß es dem Kinde, wenn es zum Manne erwachsen, nicht
immer gut ergehe!" Wie freute sich die arme Maid, als sie am
nächsten JNIorgen ein goldenes Bächlein vor ihrer Höhle fließen und
einen goldenen Baum stehen sah. Nun hatte sie Speisen in Fülle, und
das Wasser des goldenen Bächleins schmeckte wie der allerbeste
Wein. Da gebar eines Tages die Maid ein Knäblein, das ein rothes
Striemchen am Halse hatte. Nun wußte die Maid, wer ihr das Kind
bescheert habe! Als sie es im Wasser des goldenen Bächleins badete,
da wuchs es auf einmal zu einem schönen Jüngling heran. Doch
nicht lange sollte die Freude der Beiden dauern! Der Bruder der
Maid hatte erfahren, daß seine Schwester Leila in einer Höhle wohne,
wo ein goldenes Bächlein fließe und ein goldener Baum stehe. Er
140 MITTHEILUNGEN.
schickte seine Soldaten hin, und diese berauschten sich vom Weine
des goldenen Bächleins. In ihrem Rausche tödteten sie Leila^ deren
Sohn nur mit Mühe dem Tode entrann. Er floh in die Welt, und als
er geheiratet hatte und Kinder besaß, sprach er zu seinen Leuten:
^Wir wollen uns Leila nennen lassen, damit der Name meiner Mutter
ewig lebe!** Und wir haben es gehalten, denn auch noch heute heißen
wir die Leila "
Dies die Stammsage der Leila, die — wie schon bemerkt — durch
die Züge, die sie eben enthält und die sich leicht aus der ganzen
Darstellung herausschälen lassen, mit in den Kreis von den „drei
Mareien" zu zählen ist.
Zum Schlüsse erlaube ich mir nur noch eine kleine Bemerkung.
In den von Rochholz mitgetheilten Liedern heißt es zum Schlüsse:
z'morge-n-am drü
chömmet drei Mareie,
die eint spinnt Side.
die ander schnäflet Chride,
die dritt schnidet Haberstrau :
s'hüet mar Gott mis Chindli au!
Rochholz hat nun das Wort Chride als = Falschheit und Streit ge-
deutet (a. a. 0. S. 148) und, wie ich glaube, wohl ganz richtig. „Die
Chrideschnatzlerin bringt Hader und Verdruß zwischen die Freunde.**
In meiner Schülerzeit am Honterusgymnasium zu Kronstadt nannten
wir einen feigen, unverträglichen Jungen einen „Kreidenscheißer"*,
im Siebenbürgisch-sächsischen bedeutet sech bekriden = sich ängstigen,
bekümmern.
MÜHLBACH (Siebenbürgen), 20. Febraar 1888.
Dr. HEINRICH v. WLI8L0CKI.
Mittheilungen.
Karl Wein hold ist als Nachfolger Müllenhoffs nach Berlin berufen,
Eduard Schröder in Berlin zum Nachfolger Zuche's in Starburg ernannt
worden.
Prof. H. von Waldberg in Czernowitz ist an die Univerrsität Heidel-
berg übergesiedelt; ebenda hat sich Herrn. Wunderlich als Privatdocent
für deutsche Sprache und Literatur habilitiert.
t am 17. Januar zu Lichtenfelde bei Berlin im Alter von 72 Jahren
Prof. Dr. Ludwig Herr ig; am 22. Januar in Halle Prof. Dr. Karl Elze
im Alter von 67 Jahren; y am 31. Januar in Oxford Prof. Dr. Gudbrand
Vigfusson im Alter von 58 Jahren.
ÜBER DEN URSPPtUNG DES HÖFISCHP^N MINNE-
SANGES UND SEIN VERHÄLTNISS ZUR VOLKS-
DICHTUNG.
(Schluß.)
Capitel IIT.
Werth des Aufsatzes von A. Berger über „die volksthUm-
lichen Grundlagen des ]\Iinne sanges" für die Frage nach
dem Zusammenhange zwischen diesem und der Volks-
dichtung.
Wenn ich der Meyer'schen Sammlung eine so eingehende Be-
handlung habe zukommen lassen, wie es geschehen ist, so hat mich
dazu vor Allem der Umstand bewogen, daß ich fürchtete. Mancher
möchte sich durch den imponierenden Umfang derselben vielleicht
bei nachlässiger Prüfung der P^iuzelheiten dazu bestimmen lassen, der
Ansicht Meyers beizutreten, ohne sich selbst recht klar über die Con-
sequenzen zu werden, die er damit zu den seinigen macht.
Ich hatte zu dieser Befürchtung umsomehr Recht, als es in
dem so umfangreichen Aufsatze Meyers durchaus an einer Überein-
stimmung unter dem anfangs Behaupteten, dem beim versuchten Be-
weise ins Auge Gefaßten und dem Resultate fehlt.
Obendrein zeigte mir der Aufsatz A. Bergers ') bereits die ersten
schädlichen Folgen oder Einflüsse der Meyer'schen Arbeit.
Berger sagt selbst, er theile die Ansichten, die den „scharf-
sinnigen Untersuchungen von Richard ]\[. Äleyer" '^j zu Grunde lägen;
er schließe sich ihnen „vollständig"^) an; er theile den Standpunkt
jenes „in allem Wesentlichen""*). Nun: zu „allem Wesentlichen" ge-
hört doch jedenfalls auch das Gesammtresultat; welches dies ist,
haben wir bereits mehrfach bestimmt zum Ausdruck gebracht.
Daß Berger sich zu ihm bekenne, erfahren wir eigentlich nur
daraus, daß er uns dessen verschiedentlich am Anfange und Ende
seiner Untersuchungen versichert. Aus diesen selbst, aus den zum
') Ztschr. f. d. Phil. XIX, S. 440—486. ') ib. S. 441. ^)' ib. S. 473.
*) ib. S. 441.
GERMANIA. Nene Reihe XXII. (XXXIV.) Jahrj. 10
]42 E. TH. WALTER
Beweise verwandten Mitteln müßte man auf eine andere Behauptung
schließen. Er vergißt offenbar — ganz wie oft Meyer — im Gange
seiner Abhandlung zu Zeiten, was er sich zum Ziele gesetzt hat.
Er beweist; aber er beweist nicht mehr, was er behauptet hat.
Er gibt uns sein Resultat; aber dieses ist in Wahrheit nicht dasselbe,
zu welchem ihn seine Untersuchungen geführt haben.
Doch ich habe dies im Einzelnen darzuthun.
Fragen wir uns zunächst nochmals: Was wollte Meyer mit seiner
Stellensammlung, was will jetzt A. Berger, sich ihm „vollständig"
anschließend, beweisen? Nicht nur, daß es „eine große Menge lyrischer
Verse, die durch ganz Deutschland im Volke fortlebten, 'Blumen, wie
sie überall aus der Erde hervorbrachen und nur zu Sträußen zu-
sammengebunden zu werden brauchten'",') gegeben habe; sondern
auch , daß eben die Vertreter des Minnesanges diese „Blumen" zu
den „Sträußen" zusammengewunden haben, die wir in ihren Liedern
besitzen; daß also jene Sträuße der Volksdichtung denen der
ritterlichen Poesie ähnlich oder gleich gewesen seien: d. h. daß
Charakter und Aussehen der „verloren gegangenen Volksdichtung"
im Großen und Ganzen dieselben gewesen seien.
Das ist in bestimmter Fassung das, was Meyers Untersuchungen
und somit auch Bergers als Ziel aufstellen.
Während nun Meyer in seinem Aufsatze gewöhnlich von Liebes-
lyrik oder wenigstens Lyrik, worunter er dasselbe versteht, spricht,
ist bei Berger zum großen Theile nur von Volksdichtung über-
haupt die Rede.
Er verspricht „eine Reihe von charakteristischen Eigenthüralich-
keiten der Volkspoesie, die sich im Minnesang wiederfinden" zu be-
handeln, dann „eine Anzahl von Vorstellungen, Bildei'n und Gleich-
nissen" zusammenzustellen, „die aus volksthümlicher Dichtung stam-
men" und endlich „gnomische Elemente" und eine Reihe syntaktischer,
stilistischer und metrischer Beobachtungen „uns vorzuführen, an denen
ein Einfluß der Volkspoesie deutlich wird"^).
Schon dies Programm zeigt zur Genüge, daß das anfangs ge-
steckte Ziel bereits ein sehr verschwommenes geworden ist, was uns
die Prüfung der einzelnen Abtheilungen noch deutlicher darthun soll.
Zunächst sehen wir die „Epische Situation"^), die sich im
Minnesänge wieder findet, als Beweis aufgeführt. Was läßt sich aber
damit anfangen?
') cf. ßerger a. a. O. S. 472 und R. M. Meyer a. a. O. S. 208.
') Berger a. a. O. S. 442. ■') ib. 443—444.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 143
Soll daraus, daß auch in unseren Volksliedersaiumlungen „die
episch-lyrische" Form als Lieblingsform der Volksdichtung zur Gel-
tung kommt, etwa gesell lossen werden, dnß der höfische Älinnesang
eben dies aus volksth ii ml ichen Liebesliedern geschöpft, gerade
solche in diesem Punkte nachgeahmt haben müsse?
Soll daraus dann weiter gefolgert werden können, daß es eine
derartige Volksliebeslyrik gegeben haben müsse, daß der höfische
Minnesang als naturgemäßes nächstes Entwickelungs-
product zu demselben zu betrachten sei?
Beides sollte doch schwerlich möglich sein. Dem Minnesang
gaben natürlich ebenso gut wie den späteren Volksliedern die lange
bestehende epische Dichtung und ihre dem Lyrischen sich zuneigen-
den Weiterbildungen ein Mittel au die Hand, welches naturgemäß
in der Volkspoesie wie der Kunstdichtung angewendet, von jener
bevorzugt, von dieser mehr vernachlässigt worden ist.
Den höfischen Epen ihr Theil an dieser Einwirkung abzusprechen,
haben wir natürlich durchaus kein Recht, ohne daß wir jedoch bean-
spruchen wollten, ihren Einfluß in den Vordergrund gestellt zu sehen.
Es mag immerhin die Volkslyrik in diesem Punkte vorangegangen
sein, durch ihr Beispiel gcAvirkt haben: Schlüsse, wie Meyer-Berger
sie sammt den nothwendigen Folgerungen zu einem Gesammtresultate
zusammenfassen, gewinnen dadurch keine Berechtigung.
Mit der Besprechung dessen, was Berger*) über die „Natur-
eingänge" bemerkt, darf ich wohl die der Auseinandersetzungen
Meyers über den gleichen Gegenstand verbinden.
Vor Allem wiederhole ich: „daß es Lieder gegeben habe —
Frühlings-, Sommer-, Winter- und Tanzlieder — habe ich nirgends
bestritten; daß in diesen Liedern der Volkspoesie Natureingänge
üblich gewesen seien, gebe ich gleichfalls zu (sichergestellt ist es aber
vorläufig durch nichts!), daß den Minnesingern solche Lieder bekannt
gewesen sein werden, läßt sich gewiß nicht in Abrede stellen: daß
aber diese Lieder sammt ihren Natureingängen dem Minnesang als
Muster, als Vorbilder gedient haben sollen; daß durch sie der
„plötzliche Aufbruch" der höfischen Poesie sich sollte erklären lassen —
daa leugne ich entschieden.
Wenn dies der Fall sein sollte, so müßten es nicht gerade die
späteren Dichter sein, nicht gerade die Dichter, die sich geflissentlich
') a. a. O. S. 444 f. ') Meyer a. a. O. S. 192 f.
10
144 E. TH. WALTER
der Volkspoesie näherten, wie Walther und Neithart, bei denen die
Natureingänge vornehmlich sich fänden.
Daß natürlich dem Minnesinger, dem die Poesie des Volkes auch
an die Ohren drang, die leichten Verse, die er gehört hatte, im Be-
wußtsein blieben; daß er in gleicher Weise gelegentlich auch selbst
einmal sein Lied begann, obgleich er dazu gewiß der Vorlage nicht
bedurft haben würde, ist ganz denkbar.
Daß aber gerade in den Anfängen des Minnesanges, also zu der
Zeit, da er noch der „bäurischen Stegreifdichtung" — wie Meyer
will — gleich war; da er ihre Verse noch zu Liedern zusammen-
setzte; da er sich, noch „die alte Art fortsetzend, langsam aus ihr
erhob": daß gerade damals der Natureingang selten genug ist;
daß gerade dies als charakteristisch für gewisse Volkslyriksarten Be-
zeichnete nicht überwiegt, sondern gleich im ersten Anbeginn dem
Conventionellen Frauendienste weicht: scheint mir gerade ein Beweis
dafür zu sein, daß der Minnesang als Entwickelungsproduct der Volks-
lyrik nicht zu betrachten sei'}.
Was Berger dann weiter über das „Naturgleichniß" '), über
„Mytholo-gisches" ^) , „Liebesgrüße" und „Wunschlieder"^),
„Verwün schungen^ ^), „öno misch es" ®), „Einzelne Bilder und
Anschauungen"") und „Rechtsalterthümer*^) sagt, führt uns
auch zu keinem Resultate.
Er beweist damit nur, daß der ritterliche Dichter ein Kind
seines Volkes war, mit den herkömmlichen Anschauungen, den Ge-
bräuchen und Sitten des Volkes, auch seinem Sänge bekannt; daß
in ihm auch der ganze im Laufe der Jahrhunderte gesammelte Schatz
von Wendungen, Bildern und sprichwörtlichen Redensarten lebte;
keineswegs aber, daß der ritterlichen Dichtung eine ihr ganz ähnliche
Volkspoesie vorausgegangen sei (wie sie Meyer bestehen lassen will),
aus deren Versen die ersten Lieder der Minnesinger zusammen-
gesetzt seien.
Von Bergers sonstigen Ausführungen habe ich nur noch des
„Metrischen" zu gedenken.
Wir finden bei ihm^) eine größere Menge von Versen der älteren
') Über die Entlehnung der Natureingänge aus classiscben Mustern hier zu
handeln würde mich zu weit führen.
^) Berger a. a. O. S. 446—448,
3) ib. S. 449—451. ') ib. S. 451-453. '-) ib. S. 453. «) ib. S. 457
bis 464. ') ib. S. 464— 46G. ») ib. S. 467.
») Berger a. a. O. S. 473 ff.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 145
Minnesinger und der CB als „stabreimende Langzeilen und Halb-
zeilen" zusammengestellt.
Wie er selbst sagt, will er damit darthun, daß der Sinn für die
Alliteration noch nicht bei den ritterlichen Dichtern erloschen war.
Er macht gar keinen Anspruch darauf, daß die angeführten Zeilen
als mit den „feineren Regeln" der bewußten Kuustform überein-
stimmend angesehen werden sollen; er gibt zu, daß solche allitterie-
rcnden Zeilen sich dem Dichter unbewußt eingestellt hätten. Er will
nur, daß man die Thatsache bestehen lasse.
Ich muß gestehen, daß es mir recht wahrscheinlich dünkt, wenn
man annimmt, daß nach der Jahrhunderte langen Übung das Ohr
noch fernerhin das feine Gefühl für den Stabreim bewahrt habe; daß
das Wohlgefallen an demselben gelegentlich auch zur bewußten
Anwendung geführt haben mag.
In den meisten Fällen jedoch — denke ich mir — wird die
Allitteration unbewußt sich eingestellt haben; recht oft auch nur
auf zufäl ligem Zusammentreffen beruhen.
Doch selbst für den Fall, den wir übrigens kaum für sehr wahr-
scheinlich halten, daß die Anwendung der Allitteration zur damaligen
Zeit wirklich aus bewußtem Streben hervorgegangen wäre, so würde
doch dadurch nichts weiter dargethan, als daß eben eine alte, vor-
vornehmlich epische Kunstform noch in der Sprache sich lobendig
erhalten hätte.
Was hat aber dies mit dem „plötzlichen Aufbruche" des höfi-
schen Minnesanges zu thun?
Mir scheint', nicht das Geringste. In einer Hinsicht hält die
Berger'sche Abhandlung, was sie verspricht: sie legt Beziehungen
zwischen höfischem Minnesang und volksthümlichem Denken, Wesen
und Dichten ganz im Allgemeinen und ziemlich ohne Abgrenzung
der Zeit dar. Solche Beziehungen aber hat — meines Wissens —
noch Niemand ernstlich bestritten.
In Bezug auf die P^rage nach dem Ursprünge des höfischen
Minnesanges bleibt uns Berger dagegen die Antwort schul-
dig; oder, wo er sie uns gibt, indem er sich Meyer anschließt
geschieht dies ohne innere Begründung und erwiesene Be.
rechtigung.
146 E. TH. WALTER
Capitel IV.
Die Carviina Burana und ihr Zusammenhang mit dem
höfischen Minnesänge.
Was Meyer sowohl wie Berger durch ihre Verszusammenstel-
lungen — wie wir glauben nachgewiesen zu haben — vergeblich als
Thatsache hinzustellen versuchten: nämlich daß der älteste Minnesang
als ein Entwickelungsproduct der „verloren gegangenen" Volksliebes-
lyrik, dieser in seinen ersten Anfängen also gleich, erst später all-
mälig von ihr sich abwendend, aufzufassen sei; daß wir uns dem-
nach von dieser verlorenen Volksdichtung, oder vielmehr Volksliebes-
lyrik ein richtiges und ziemlich deutliches Bild dadurch machen
könnten, daß wir eben den Minnesang in seiner Anfangsgcstalt uns
vor Augen führten: das alles soll sich endlich aus den Carmina
Burana erweisen lassen.
In ihnen glaubt nämlich Meyer eine ergiebige Fundgrube für
solche Liedlein zu besitzen'), wie sie ihm als Vorstufe für den
höfischen Minnesang nöthig scheinen; das heißt: Lieder, Liebes-
lieder ähnlich oder gleich den Erzeugnissen des Minne-
sanges und dabei volksthümlichen Charakters.
Von den erhaltenen deutschen Strophen weist er selbst als für
seinen Zweck nicht brauchbar eine Anzahl zurück^).
Zunächst 129*, da es nicht lyrisch sei') und auch keine latei-
nische Entsprechung habe'*); ferner 98^ 100% 101", 102% 103% 104%
116% 126% 132% 133% 139% 143% 165% 166" als nicht altvolksthümlich
wegen Reinheit der Reime oder Reimkünstelei; ferner 109% 117%
125% 140% löS"^ als nicht formelhaft; ferner 111% 124% 135% 144'' als
nicht volksthümlich wegen ihres Inhaltes; endlich 105* gleichfalls
wegen seines Inhaltes.
Es bleiben also zunächst noch folgende mit dem Ansprüche auf
Alter und Volksthümlichkeit versehen übrig und kommen demnach
zur Besprechung ungefähr chronologisch geordnet:
vor 11 60-. 108%
vor 1180: 112%
vor 1190: 127% 134;
') ib. S. 177. ') ib. S. 179.
^) Wie Meyer dieses Gedicht — es ist das bekannte Swaz hie gat umbe —
„nicht lyrisch" nennen kann, ist mir ganz unfaßbar. Sollte er vielleicht hier mit 'lyrisch
ritterliche Lyrik meinen? Dann müßte ich ihm allerdings sehr Recht geben.
*) Er prüft nämlich die Strophen zugleich auf ihre Originalität gegenüber dem
Lateinischen.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. I47
unbestimmt aber möpjlicherweise älter sind ferner die Strophen 107'
136"; jünger, aber nicht über den ßietenburger hinauszuweisen sind
141", 100", 115% 142".
Ich beginne mit 108" = MF. 3, 7 ») :
Were diu werlt alle min
von deme raere unze au den Kin,
des wolt ih mih darben,
daz diu chünegin von Eugcllant
lege au mineu armen.
Meyer hält diese Strophe mit Martin^) „wegen der Anspielung auf
die Königin von England" und „der Frechheit der ganzen Stelle zwar
nicht für ein altes Volksliedchen, sondern vielmehr für die Original-
dichtung eines Fahrenden^);
doch aus den darüber verzeichneten lateinischen Strophen 108
glaubt er eine, 108, 4, als Umbildung eines alten Liedchens erweisen
zu können.
Die Strophe lautet:
Latc paudit tilia
frondes, ramos, folia,
thymus est sub ea
viridi cum graminc,
in quo fit chorea.
Meyer reißt diese Verse aus ihrem Zusammenhange heraus, erklärt
sie für die lateinische Umbildung eines deutschen Tanzliedchens, und
das ganze Gedicht für eine Compilation.
Stichhaltige Gründe für seine Behauptung bringt er freilich nicht.
Ihm erscheint die Strophenfolge innerhalb des Gedichtes un-
richtig. „Auf Frühlingseingang und Aufforderung zum Gesänge folgen
zwei Strophen voll Nachahmungen von Vogelstimmen; danach heißt
es dann: Pulchre cantant volucres — eine unmögliche Zusammenfassung
dieser zwei Strophen in eine Zeile. Die beste Ordnung entsteht da-
gegen, wenn wir Strophe 4 (Schmeller: Strophe 3) an Strophe 1
anrücken: die formelhafte Angabe des Vogelgesaugs setzt den Natur-
eingang in ganz regelrechter Weise fort." So sagt Meyer. Daß er
Recht hat, glaube ich nicht.
Ich halte die überlieferte Strophenfolgc für die einzig rich-
tige. Gedanke schließt sich leicht an Gedanke: Kommt, laßt uns singen,
•) Meyer a. a. O. S. 180 ff.
') Nach mündlicher Besprechung, wie er sagt.
') Scherer, Deutsche Studieu II, 7 (441).
148 E. TH. WALTER
denn Alles ist wieder grün geworden*). Schon in der Moi'genfrühe
singt die Lerche etc.'). Ja! die Vögel singen schön, die Erde strahlt
in farbigem Glänze, von Wohlgeruch ist Alles erfüllt^), die Linde
breitet ihre Aste aus, unter dem Grase sprießen die Blumen hervor,
ein Tanz hebt sich an") 5 dazu rieselt mit lieblichem Murmeln ein
Bach durch das Gras: kurz der Platz ist ganz herrlich, zumal ein
sanfter Wind sich gerade recht angenehm erhebt^).
Was an diesem Zusammenhange nicht in Ordnung sei, in wiefern
man nach Strophe 2 (bei Schmeller) „Pulchre cantant volucres" als
„eine unmögliche Zusammenfassung" der zwei voraufgegangenen Stro-
phen ansehen soll, leuchtet mir nicht ein, urasoweniger, da Meyer
nicht ein einziges beweisendes Wörtchen seiner kurzgefaßten Be-
hauptung anzufügen für nöthig hält.
Recht klar ist mir dagegen geworden, daß Meyers Anordnung
ganz zwecklos ist und weit eher der Erklärung bedürftige Gedankeu-
sprünge zumuthet. Er will also die Strophe 3 (bei Schmeller) an
Strophe 1 (also hinter yrata, 7'us et nenms) angefügt haben und dann
die Strophen mime garrit alandula und hirundo jam finsat folgen lassen.
Was gibt aber das für einen Zusammenhang? Der vorhandene
wird geradezu zerrissen:
Strophe 1 : Kommt laßt uns singen, Alles ist grün.
Strophe 2: Schön singen die Vögel, die Erde steht in Farben-
fracht, Woklgeruch überall.
Strophe 3 u. 4: Es singt die Lerche in der Frühe etc.
Strophe 5: Die Linde breitet ihre Aste aus etc. etc.
Ich denke, das Gezwungene dieser Ordnung liegt auf der Hand. Das,
was zusammengehört, Naturschilderung und Naturschilderung, Vogel-
sang und Vogelsang sind glücklich getrennt; das ganze Gedicht, um
seinen einheitlichen Charakter gebracht, macht nun einen unfertigen
Eindruck.
Und wozu das Alles? Um die Strophe late pandit tilia heraus-
reißen und für Nachbildung erklären zu können. Die Strophe ge-
hört fest in den Zusammenhang hinein. Grund, sie für Neubil-
dung zu halten, ist nicht vorhanden.
So wenig wie viridi gramine ^) etwas beweist, hat die Nennung
') Musa venit — rus et nemus. Strophe 1, Vers 1 — 5.
') Mane garrit — nemora vernata. Strophe 1, Vers 6 — 10 und Strophe 2.
') Strophe 3. *) Strophe 4. s) Strophe 5.
*) W^enn Meyer übrigens selbst weiß, daß die Formel viride gramen sich ,auch
in ursprünglichen Vagantenliedern (so 65, 5)" findet, so hätte er sie nicht erst zum
Beweise für den deutschen Ursprung anführen sollen. Es ist doch völlig zwecklos.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 149
der tilia irgend welchen Wcrth , sobald dadurch Nachbildung darzu-
thun beansprucht wird. Man kann daraus nur LM'kennen , daß der
Vagant nicht immer sklavisch und gedankenlos seinem herkömm-
lichen Phrasenschatze sich anbequemte, sondern daß er auch — was
doch so ungemein natürlich ist — gelegentlich seiner Umgebung,
dem Volksbewußtsein Rechnung zu tragen verstand').
Nun ist freilicii Meyer auch nicht entgangen, daß Strophe 2
(l"" Schmeller) und 3 (2 Schmeller) nach seiner Umstellung nicht
mehr in den Zusammenhang passen; darum müssen sie interpoliert
sein. Es würde mich viel zu weit führen, wollte ich mich hier mit
den weiteren Auseinandersetzungen Meyers befassen''), zumal dadurch
im besten Falle nur bewiesen werden könnte, daß der Autor allerlei
Keminiscenzen verwcrthet, nicht aber daß er ein Tanzliedchen (näm-
lich V. 4) nachgebildet hätte.
Doch hätte selbst Meyer in allen seinen Behauptungen über das
Gedicht 108 vollkommen Recht, was ich bestreite, so würde er damit
nur die Existenz eines alten Tanzliedchens zur Thatsache gemacht
haben.
Solch ein Tanzliedchen bedeutet aber nichts für die Behauptung,
daß der Minnesang aus der Volkslyrik entstanden sei;
solch ein Tanzliedchen hat auch mit den ältesten erhaltenen Stücken
des höfischen Minnesanges nicht so viel gemeinsam, daß man sagen
könnte, solche Liedlein wären die Vorstufe für eine Poesie
wie die ritterliche Dichtung gewesen.
Bestritten haben wir, das sei nachdrücklich bemerkt, das
Vorhandensein von Tanzliedern nirgends; im Gegentheil,
wir legen auf sie einen ganz besonderen Werth, wie wir später noch
eingehender berichten werden.
Wir kommen zu dem zweiten von Meyer behandelten Stücke
CB. 112^)
Refl. floret silva undique,
nach mime gesellen ist mir wc.
Gruonet der walt allenthalben :
wa ist min geselle '^alselange ?
Der ist geriten hinnen,
owi, wer sol mich minnen?
') Deutsche Tanzlieder werden den Vaganten wohl auch genug um die Ohren
geschwirrt sein, so dafi sie ihnen die Linde geläufig machen konnten, ohne directe
Nachahmung.
') Ich gedenke über die Carm. Bur. in Kürze eingehend zu handeln.
') cf. Meyer a. a. O. S. 185.
150 E. TH. WAiiTER
Gegen die Ursprünglichkeit der deutschen Strophe gegenüber dem
Lateinischen und ihren offenbar lyrischen Charakter habe ich nichts
einzuwenden.
Für entschieden im Volke entstanden kann ich die Strophe aber
nicht erklären; daran hindert mich sowohl das Latein als auch die
Anwendung des Verbums geviten in dem gegebenen Zusammenhange ').
Zum Beweise kann ich sie jedenfalls nicht gelten
lassen.
Es folgen die Strophen 127" und 134*. DaLi sie hier nicht zum
Beweise angeführt werden dürfen, hat Meyer richtig erkannt. Sie
stehen beide bereits vollkommen im Kreise des Minnesangs'^).
Die Strophen 107 und 107" fördern unsere Untersuchung eben-
falls nicht ^).
107" ist von Vornherein aus demselben Grunde, wie die vorigen
127" und 134" auszuscheiden.
Meyers Beobachtung aber, daß das lateinische Gedicht so viel
Formelhaftes zeige, daß man es nicht für eine Originaldichtung halten
könne, was durch eine Zusammenstellung ähnlicher Verse darzuthun
versucht wird, läßt, Alles zugegeben, höchstens auf einen gewissen
Formelschatz des Vaganten schließen, wie man ihn sich immerhin
recht gut vorhanden denken mag, ohne daraus einen Vortheil für
unsere Besprechung nehmen zu können.
In 136" sieht Meyer wieder ein altes Volksliedchen ^), und zwar
eines der ältesten Art. Damit hat er gewiß Recht. Wenn er aber auch
diese beiden Strophen zu Überarbeitungen stempeln will, so hat er
meiner Ansicht nach sich auf einen gänzlich falschen Weg begeben.
Seiner Ansicht nach hat das Lied ursprünglich nicht aus den
beiden Strophen:
chume, chume geselle min, Suzer rosenvarwer inuut,
ich enbite harte din, chum uii mache mich gesunt,
ich enbite harte din, chum uii mache mich gesunt
chum, chum geselle min. suzer rosenvarwer munt.
bestanden; ihn stört die Wiederkehr der Zeilen, obgleich er sich der
Analogie Walthers (W. 87, 1) wohl bewußt ist.
Der Dichter habe sich die Reime leicht gemacht, sagt Martin;
ich glaube nicht darin den Grund der Verswiederholung finden zu
dürfen ; vielmehr scheint mir dieser in der Melodie gelefgen
') cf. oben S. 122 unten. Übrigens bin ich mit der Fixierung des Gedichtes
auf die Zeit vor 1180 wegen mangelnder Scheidung stumpfer und klingender Reime
durchaus nicht einverstanden. Ich halte das Gedicht für viel später entstanden.
•j Meyer ib. S. 185—186. "") ib. S. 186—188. ") ib. S. 188—189.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 151
zu haben und in der Bestimmung des Liedleins, beim Sj)icl oder
Tanz von Paaren j^esungen zu werden.
•Gerade diese Wiederholung der Verse gibt dem Liede den
charakteristischen Reiz, der es zu einem unbeschreiblich anmuthigen,
schlichten Erzeugnisse der frühen Volkspoesie macht.
Durch die unmotivierte Meyer'sche Veräudemug geht dieser
Reiz ganz verloren. Was liegt denn wohl noch von der lockenden und
fliehenden Bewegung des Spieles in der einen Strophe, die uns IMeyer
läßt, nachdem er beide Strophen halbiert und die llältlen zusammen-
gesetzt hat: Chuinc, chume geselle min
ich enbite harte diu,
suzer rosenvarwer munt
chuin und mache mich gesunt.
Der herzige Schalk, der aus jenen beiden Strophen hervorlugt,
ist wenigstens glücklich vertrieben.
Ob nun Jemand sich dazu verstehen dürfte, zwischen diesem
jugendfrischen Tanz- oder Spielliedchen, dieser neckischen Improvi-
sation einerseits und dem Minnesänge der ritterlichen Kreise auch
mit Rücksicht auf seine ältesten Zeugnisse anderseits einen der-
artigen Zusammenhang zu sehen oder auch nur zu empfinden, wie
Meyer es verlangt, und wie wir es von seinem einmal eingenommenen
Standpunkte aus ja auch zu fordern für nöthig fanden, erscheint
doch sehr zweifelhaft.
Ich kann das Gedicht nicht für unsere Besprechung
gel ten lassen.
Besonderes Gewicht wird auf 141* gelegt'). Es soll wiederum
ein altes deutsches Volksliedchen sein").
An eine Nachbildung des lateinischen Gedichtes — wie Martin —
denke ich hier nicht. Eher würde mir ein umgekehrtes Verhältniß
einleuchten. Ich halte das Gedicht gleichfalls für ein Originallied,
und auch der Zeitbestimmung 1175 — 1180 habe ich nicht gerade mit
ausdrücklichem Widerspruche zu begegnen.
Jedoch in einem Punkte bin ich anderer Ansicht: ich halte es
für entstanden unter der Voraussetzung der Einführung und
des Einflusses des höfischen Minnesanges. Das zeigt ganz
deutlich der Schluß des Gedichtes:
daz sol tragen ein stolzer man,
der wol wiben dienen chan "*).
Damit verliert das Lied aber für uns ebenfalls seine Beweiskraft.
•) ib. S. 189—190. ') cf. K. BuidacL, Reinmar der Alte und Walther von
der Vogelweide*S. 163, • ') Vgl. oben S. 71.
152 E. TH. WALTER
Dies war die letzte der Strophen, von denen behauptet wurde,
daß sie in ihrer jetzigen Form ursprüngliche Volksliedchen darstellen
könnten.
Von den Stücken, deren Alterthümlichkeit in der vorliegenden
Gestalt nicht anzunehmen ist, muß ich das erste 100' gleich zurück-
weisen'), weil es unzweifelhaft ein Tanz lied che n ist. Beginnt es doch
gleich mit den Worten:
Springewir den reigen.
Das folgende 115*^) ist ein einfaches Frühlingslied ohne jede
Hindeutung auf Liebeslyrik. Es gehört jedenfalls nicht zu der Lyrik,
als deren Entwickelungsproduct der Minnesang gelten soll.
Ganz dasselbe gilt von dem Herbstliede 142", es hat für unseren
Gegenstand keinen Werth^).
Somit wären wir mit unserer Besprechung der deutschen Stro-
phen in den Carm. Buran. zu Ende*).
Ich fasse unser Resultat zusammen:
Nr. 108* blieb unbeachtet als Originaldichtung eines Fahrenden;
108 dagegen führte uns nur auf ein Tanzliedchen; Nr. 112 glaubten
wir nicht volksthümlich nennen zu dürfen; Nr. 127" und 134" mußten
wir als nicht alterthümlich, vielmehr bereits unter Einfluß des Minne-
sanges stehend ausschließen; Nr. 107 wies uns nur auf einen Formel-
schatz des Vaganten hin; Nr. 136* war ein Spiel- oder Tanzlied; bei
dem letzten der von Meyer als alterthümlich bezeichneten Strophen:
Nr. 141* blieb uns wiederum der Einfluß des Minnesanges nicht ver-
borgen. Von den übrigen, in der jetzigen Gestalt ofl'enbar nicht alter-
thümlichen Gedichten erkannten wir in Nr. 100" wiederum nur ein
Tanzliedchen; bei dem Frühlingsliede Nr. 115* und ebenso dem Herbst-
oder Winterliede Nr. 142* fehlt jede, auch die leiseste Hindeutung
auf Liebeslyrik.
Mit einem Worte: wir haben auch nicht eine einzige
Strophe gefunden, die uns das geboten hätte, was wir such-
ten: ein Lied, ein Liebeslied ähnlich oder gleich den Er-
zeugnissen des Minnesangs und dabei volksthümlichen
Charakters und "Ursprungs.
') Meyer a. a. O. S. 191 ; 165* glaube ich mit Hinweis auf Meyers Zugestäudiiiß
schlechtweg übergehen zu können. ') Meyer a. a. O. S. 216. ^) ib. S. 217.
*) Von den übrigen Liedern sind 98, 103* (Meyer a. a. O. S. 218) und 139*
(ib. 219) Tanzlieder; bei allen anderen liegt Nachahmung lateinischer Muster vor.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 153
Capitel V.
Schluß.
Wir glauben im Laufe unserer vorstehenden Untersuchung nun-
mehr gezeigt zu haben, daß die Versuche, den höfisclien Minnesang
alss ein Entwickelungsproduct, als die höchste Blüthe einer Volksliebes-
lyrik hinzustellen, nicht zu dem gewünschten Resultate geführt haben.
In den xvinileodi, den „Liebesgrüßen" und. pnellarttm cnntica fanden
wir keine directe Vorstufe für eine derartige Dichtung, wie die ritter-
liche es war: die troutliet begreerneten uns nur in den ritterlichen
Kreisen Österreichs; in den „Kürenbergliedern" Volkslieder zu er-
blicken, wollte uns nicht gelingen; der Versuch Meyers, durch Vers-
zusammenstellungen eine dem höfischen Sänge entsprechende „bäue-
rische Stegreifdichtung" zu erweisen, stellte sich als verfehlt heraus;
die Berger'sche Untersuchung fiel einestheils mit der Meyer'schen,
anderseits bestand ein Widerspruch zwischen des Verfassers Behaup-
tung und Beweisführung; auch die Erörterung Meyers in Betreff der
Carmina Burana ließ uns ohne Erfolg; wir kommen somit zu dem
Schlüsse;
Der höfische Miunesang ist nicht als ein Entwicke-
lungsproduct der Volksliebeslyrik zu betrachten; er hat sich
nicht „zuerst noch ganz die alte Art fortsetzend", „aus der
bäuerischen Stegreifdichtung" erhoben; die ihm zugehörigen
Lieder sind nicht „Sträuße", die von den höfischen Dichtern
einfach aus den „Blumen" der Volkslyrik „nur zusammen-
gebunden zu werden brauchten" und zusammengebunden
wurden.
Aus diesem Schlüsse ergibt sich unmittelbar die Behauptung,
deren l^^eweis zugleich in der vorstehenden Abhandlung zu seheu ist:
die dem höfischen Minnesänge vorausgehenda Volkslyrik
trug nicht einen ähnlichen Charakter, wie die ritterliche
Dichtung, vielmehr war sie ihrem ganzen Wesen nach von
dieser verschieden.
Es ist nicht der Zweck dieser Arbeit, den gewonnenen negativen
iiesultaten ausführliche positive Erörterungen folgen zu lassen. Was
ich hinzufüge, soll nur dazu dienen, meinen Standpunkt in den hier
behandelten Fragen und den sich nothwendig anschließenden weitereu
deutlich zu machen und die]Ansichten über die Entwickelung der mittel-
hochdeutschen Poesie des vorliegenden Zeitraumes so anzudeuten, wie
ich sie binnen Kurzem ausführlich darzuthun Gelegenheit nehmen werde.
154 E. TH. WALTER
Daß eine reiche Volkspoesie auch die Zeit lange vor dem höfi-
schen Minnesänge belebt habe, ist genügend belegt und nicht zu be-
zweifeln. Gebete, Klage- und Spott-, Lob- und Scheit-, Fabel-, Räthsel-,
Wunsch- und Gruß-, besonders aber Tanzlieder werden hinreichend
bezeugt. Sie geben Kunde von dem poetischen Triebe, von dem poeti-
schen Können der Jahrhunderte und ihrer Kinder. Alle Empfindungen
werden in der Dichtung auch der damaligen Zeit ihren Ausdruck
gefunden haben; auch die Liebe wird selbstverständlich nicht stumm
geblieben sein. Wohl am meisten bei Spiel und Tanz wird
sie laut geworden sein.
Daß unendlich viel verloren gegangen ist, unterliegt keinem
Zweifel. Doch genug — meine ich — ist entweder vorhanden oder
läßt sich erschließen, um wenigstens ein ungefähres Bild von dem
uns zu gewähren, was vielleicht in reicher Blüthe vorhanden war.
Ich muß hierbei vor Allem auf die Carmina Burana hinweisen.
Die deutschen Strophen derselben haben wir bei Gelegenheit der
Meyer'schen Erörterung bereits zu betrachten gehabt und auf die
lateinischen einen Blick geworfen. Wo uns Lieder entgegentreten, die
volksthümlichen Ursprungs und nicht unter Einfluß des höfischen
Minnesanges entstanden sind, da erkennen wir in ihnen Tanz- und
Spiel- oder Jahreszeitenlieder; selbst wo uns aus dem lateinischen
Liede, ich will nicht sagen ein deutsches Originalgedicht — sondern
auch nur das lebendige Bewußtsein des Vaganten, ein Kind seines
Volkes mit seinem Wesen und Sänge zu sein, eutgegenschaut, sind es
nur derartige Lieder, die uns verrathen werden.
Ich erinnere an die Strophe 108, 4, ferner an 136*, ebenso 100*;
ferner 115*, 142* und füge hinzu das bekannte Gedichtchen CB. 129*:
Swaz hie gat umbe,
daz sint allez megede,
die wellent an man
alle disen sumer gän.
Gewiß ist in dieser Strophe eine Art Blindekuhspiel oder der-
gleichen zu sehen.
Solche Lieder mögen wohl „wie Sommerfäden" auf den „grünen
Wiesen, auf denen die Bauern tanzten", umhergeflogen sein^); solche
Lieder und wohl auch andere, wie das herzlich schlichte
Du bist min, ich bin din*^).
') Scherer, Gescb. tl. d. Lit. S. 202.
') Burdach meint von dergleichen Liedern Ztschr. XXVII, S. 345: „Sie bringt
hervor und verweht der Augenblick.« Ich glaube , damit verkennt er das Wesen der
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 155
Wäre der Minnesang aus solchen Fäden gesponnen, die an „den
Schlüssern des Adels" hängen geblieben wären, so mUßten seine ältesten
Lieder dies verrathen. Daß dem nicht so ist, haben wir gesehen').
Die höfische Dichtung ist und bleibt mit ihrem ganzen
conventionellenCharaktereinProductder gesellschaftlichen
Erhebung des ritterlichen Standes'^).
Neben seiner Entwickelung und Ausbreitung lebte der Volks-
gesang ungestört weiter fort: in derselben Art und Weise, denselben
Gattungen wie zuvor, Spiel und Tanz vor Allem bevorzugend.
Ihr Einfluß wird erst fühlbar in den Liedern Walthers, haupt-
sächlich aber Neitharts und seiner Nachfolger. Und was finden diese
in dem Volksgesange noch jetzt, nachdem er sich ein Jahrhundert
lang hätte entwickeln können, vor?
Dasselbe, was wir in den Carmina Burana vertreten und lebendig
sahen: Spiel- und Tanz- und Jahreszeitenlieder.
Ihnen wandten sich die Dichter der sogenannten höfischen
Dorfpoesie, ausgerüstet mit dem überkommenen höfischen Kunst-
material zu.
Volkspoesie. Es^ist eine von Bnrdach selbst nicht nur zugegebene, sondern sogar
(S, 352) benutzte Beobachtung, daß in Volksliedern mehr die dritte als die erste
Person sich findet, cf. das oben erwähnte Swaz hie gat umhe (die „Schnadahüpfle"
verwenden freilich auch oft die erste Person). Daraus folgt schon, dalJ solche Lieder
den Charakter einer gewissen Allgemeinheit und zugleich die Fähigkeit an sich
tragen, von mehreren verschiedenen Individuen angewendet zu werden. Freilich
aufgezeichnet auf Pergament dürfen wir sie nicht suchen, sondern wir müssen ihre
Gestalt in dem Laufe der Zeiten zu verfolgen trachten, wie sie die mündliche Tradition
bewahrt hat. [Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit noch einer anderen, dan
Wesen des Volkes mißverstehenden Bemerkung Burdachs: „Die culturlosen Menschen
haben wie die Kinder ein schlechtes Gedächtniß für die Vergangenheit." Und doch
ist es nicht eine Behauptung, sondern allbekannte Thatsache, daß mit dem Wachsen
der Cultur, mit dem Überwiegen der schriftlichen Fixierung die Abnahme der Fähig-
keit, Thatsachen der Vergangenheit durch das Gedächtniß fcstzuiialten, Hand in
Hand geht.]
'j Ich komme hierbei noch einmal auf die Meyer'sche Sammlung zurück.
Gerade zu den in der späteren Volkslyrik so viel sich wiederholenden schlichten,
herzlichen Versen MF. 3, 1 ff. fehlen die Parallelen im höfischen Minnesänge; außer
dem Verse bei
Veldegge: lä mich wesen din ] unde wis du min MF. 159, 9—10
bringt kein Gedicht mehr den treuherzigen Vers. Die Entsprechung
Veldegge: des sol si sin von mir gewis MF. 64, 15
kann man bei ihrem allgemeinen Sinne nicht wohl auf Entlehnung deuten.
^) Positives über den Ursprung des hüfischen Minnesanges zu erörtern, behaltt
ich mir vor. Es läßt sich doch bei genauer Untersuchung einer Lösung nahe kon.men.
156 MAX FR. BLAU
Es beginnt eine Zeit der Wechselwirkung zwischen höfischer
Poesie und Volksdichtung. Und wenn schon vor Neithart der Einfluß
des Minnesangs auf die Volkspoesie sich vereinzelt mag gezeigt haben:
so wirkt er jetzt allseitig, hier und da das Gepräge dieser verändernd,
allinälig sogar theilweise sie in neue Bahnen lenkend*).
E. TH. WALTHüR.
ZUR ALEXIUÖLEGENDE. II.
Im zweiten Theile meiner Arbeif*) will ich mich mit der von
Maßmann in „Sanct Alexius Leben etc." Quedlinburg u. Leipzig 1843
(Band 9 der Bibl. der ges. deutschen Nat.-Lit.) als B herausgegebenen
Darstellung der Alexiuslegende beschäftigen. Bisher war nur eine Hs.
dieses mhd. Gedichtes bekannt, die bei Maßmann p. 68 — 76 abge-
druckte Wiener Hs., die wir mit V bezeichnen wollen; dieselbe steht
auf Bl. 243'^— 253" der Papierhs. Nr. XC der altdeutschen Hss. der
Wiener Hofbibliothek (vgl. Hofimann v. Fallersleben: Verzeichniß der
altd. Hss. der k. k. Hofbibiiothek zu Wien 1841, wo p. 176—181
die aus dem Jahre 1472 stammende Hs., allerlei, als: Gebete, Recepte,
Legenden, einen Lucidarius u. s. w. , am Schlüsse als 14. Stück den
Alexius enthaltend, eingehend beschrieben ist).
Durch die Güte des Herrn Prof. Dr. Meltzer, Directors des Wettiner
Gymnasiums in Dresden, habe ich eine von diesem Gelehrten selbst
genommene Abschrift einer zweiten Hs. erhalten. Über die ganze Hs.
theilte mir Hr. Prof. Meltzer Folgendes mit:
„Die Hs. gehört der Kirchenbibliothek zu Annaberg im Erz-
gebirge an und trägt gegenwärtig die Signatur D 187. Sie ist von
Papier, in Folio; die Schrift ist in der zeitüblichen Minuskel von
einer und derselben Hand sehr sauber und leserKch ohne erhebliche
Abkürzungen ausgeführt, und zwar per manus Johannis Pauli notarii
civitatis Misne im Jahre 1447. Der Band enthält auf den ersten 154
Blättern vier prosaische Schriften geistlichen Inhalts. Am Ende des
ersten unter diesen Tractaten ist der Name des Schreibers und die
Jahreszahl nebst Datum (sabbato Divisionis apostolorum = 15. Juli),
') Ich habe absichtlich bisher nicht des französisclien Einflusses Erwähnung
gethan, da ich nicht Behauptungen ohne Beweise — und zu solchen war hier nicht
der Ort — bringen wollte. — Das was bereits über Nachahmungen deutscher Dichter
aus der französischen Poesie erörtert worden ist, trifft im Grunde doch niclit die
eigentliche Frage nach dem Ursprünge des höiischeu Minnesauges, so daß ich mir
einen Hinweis darauf glaubte ersparen zu dürfen.
') Vgl. Jahrgang 83 (1888j dieser Zeitschrift, S. 181 [vgl. dazu G. Paris, Ro-
maula 18, 299. O. B-]
ZUR ALEXIUSLEGENDE. II. 157
am Ende des vierten abermals die Jahreszahl und das Datum (feria
2' post Sy. et Jude := 30. October) angegeben. Drei Gedichte bilden
den Schluß: 1. Bl. löö''— 159''('> Von der messe,
2. Bl. 159"— 163" de sancto Cristofero,
3. Bl. 163"— 166" de sancto AlJexio."
Diese zweite Hs. heiße A.
Von einer dritten Hs. erfuhr ich aus Franke: „Veterbuch 1. Lfg.,
Leipzig 1880", wo wir auf p. 38 ff. eine eingehende Beschreibung der-
selben finden: Franke kommt zu dem Resultate, daß die unseren
Alexius als Anhang zu dem den ganzen Band füllenden „Väter-
buch" enthaltende Pergamenths. Nr. 900 der kön. Universitätsbibliothek
zu Königsberg, im 15. Jahrhundert geschrieben, aus dem nördlichen
Theile Osthessens stammt. Unser Gedicht, das, wie gesagt, den Schluß
der Sammlung bildet, steht auf Bl. 103* — 105". Da mir die Königs-
berger Bibliotheksverwaltung in zuvorkommendster Weise die Hs. zur
\'erfügung stellte, so war es mir möglich, das mich interessirende
Gedicht abzuschreiben. Es heiße diese Hs. R. — Die Angabe Walter
Müllers, Germania XXXl, p. 323, nach welcher man noch drei weitere
Hss. unseres Gedichtes vermuthen müßte, beruht auf einem Irrthurae,
da die Königsberger Hs. des „Buches der Väter" durchaus nicht der
Hamburger, Hildesheimer und Straüburger nebenzureihen ist: die
von den drei letztgenannten Hss. gebildete Gruppe des Väterbuches
hat zwar auch einen Alexius, es ist das aber der von Maßmann mit
E bezeichnete (vgl. a. a. O. p. 105 — 117).
Während V und A vollständige Texte bieten, haben wir in R,
entsprechend der Eigenart oder vielmehr Unart des Schreibers der
ganzen Hs. ') nur eine starke Verkürzung desselben vor uns: R zählt
265 Verse, gegen 518 in A und 517 in V. (Maßmaun hat die in der
Hs. wirklich fehlenden Verse V 144. 164. 232. 242. 426 mitgerechnet,
vgl. ebenda p. 3, Anm. 1.) Der Schreiber von R eilt, damit er sein
finito lihro sit laus et gloria Christo hinter diese Legende setzen
kann. Übrigens hat die große Flüchtigkeit des Schreibers wohl dem
Inhalte, aber nicht der Schrift geschadet, denn diese ist sauber und klar,
auf jeder Abtheilung der zweigespaltenen Seite stehen 24 Verse in schöner
Schrift, die vielleicht noch auf das Ende des 14. Jahrhunderts weist.
Da bereits Franke die naheliegende Vermuthung, unsere Redaction B
gehöre zum „Väterbuche", auf Grund dichterisch-technischer Eigen-
thümlichkeiten, betreffend Reim und Versbau, zurückgewiesen (p. 18)
') Ich verweise auf Franke p. 42.
GERMANIA. Nene Reihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. \\
158
MAX FR. BLAU
und canderseits Jos. Haupt: „Über das md. Buch der Väter, Wien
1871" nachgewiesen hat, daß der Alexius E, wenn nicht vom Dichter
des Väterbuches, so doch von einem Zeitgenossen und Landsmanns
desselben stammt (p. 73), habe ich auf diese Frage nicht näher einzu-
gehen. Der von J. Haupt (a. a. O. p. 62) gemuthmaßte Grund für die Wahl
von B in der Königsberger Hs. des Väterbuches ist wohl nicht zu-
treffend; warum sollte der kürzende Schreiber Skrupel gehabt haben,
in E große Stücke fortzulassen, wie er es ja auch in B that? Da „das
buch von sinte AUexio" am Schlüsse der Hs. steht, so ist wohl eher
zu vermuthen, daß in seiner Vorlage ein Alexius gefehlt und er eine
zufällig vorhandene Darstellung (eben unser B) vorgenommen und nach-
getragen hat.
Daß B nicht etwa zu der anderen großen Sammlung von Hei-
ligenleben, dem „Passioual" gehört, geht — ganz abgesehen davon,
daß keine Hs. des letzteren dieses Alexiusleben gibt — auch daraus
hervor, daß die Darstellung in B wesentlich von der des Jacobus
a Voragine abweicht, dessen „Legenda aurea" ja Vorlage für dieseu
Theil des Passionais war (vgl. J. Haupt a. a. O. p. 45 ff.). Doch
zurück zu den Hss. unseres B !
Alle drei Hss. zeigen ausgesprochen md. Charakter: ich ver-
weise auf die Angaben, die sich bei Maßmann p. 3 und bei Franke
p. 38 ff. finden. Für A, dessen Schreiber ja notarius civitatis Misue
ist, genüge anzuführen'): 19/20 liyz'.lyz, 21/22 geste : wüste, 23/24
gnug : trug, 39/40 mut : gut, 49. lyh vnd leit. Ferner 123/124 seder :
weder, 133/134 seten : hüten, 183/184 gebin (conj. praet.) : lehin, 397/
398 hlehin : heschreben u. s. w.
Den Stammbaum der drei Hss. haben wir folgendermaßen anzu-
setzen : O (Original).
(verderbte gemeinsame Vorlage).
A
') Ich citire im Folgenden nach der beigegebenen Neuausgabe von B, da Maß-
mann zu gewaltthätig mit dem Gedicht verfahren ist und die beiden neugefundenen
Handschriften vieles zu ändern zwingen.
ZUR ALEXIUSLEGENDt:. II. 159
Also V und R bilden die eine Gruppe, A ist Vertreter einer
zweiten. Diese Eintheilung gründet sich auf folgende Beobachtungen:
V und R zeigen die gleiche Verderbniß des Namens Euphemian :
V. 27. fennan V, feiiüan R, 171. li" fennam V, lier femtan R, 280. Ji" re
her femian V. f. R., 386. jfemiam V (R liest den Vers anders) ; A liest
immer Eu femian.
Ebenso ist für V R noch ein Fehler nachzuweisen in v. 199, wo
beide daz sihende jär lesen , während es nach der Legende mit A
heißen muß: da: sibenzehende jär. Dieser Fehler von y hat in V
dann einen andern nach sich gezogen: dieses verböser t — entspre-
chend der Angabe in v. 199. — v. 398. vier und drizec zu vier vnd
czwenczig (jär). (Vgl. auch noch unten zu vv. 107. 108).
Eine andere Gruppierung der Hss. ist nicht möglich: denn wenn
wir etwa auf Grund dos v. 10 und des Schlußgebetes v. 511 ff.,
welche beide in V stark von R A abweichen, V eine besondere Stel-
lung zuweisen wollten gegenüber den dann zu einer Gruppe gehören-
den R und A , so ließen sich die gemeinsamen Fehler von R und V
bei richtiger Angabe in A nur dadurch erklären, daß ein der Legende
bis aufs Einzelnste kundiger Schreiber in A den gleichen Fehler ge-
tilgt habe. Nun beweist aber die Variante von A zu v. 20ö (wieder-
holt V. 332), daß der Schreiber nicht einmal das sprechende Mutter-
gottesbild der Legende kennt, und wir haben demnach die oben ge-
gebene Anordnung der^Hss. als diejenige zu betrachten, die bei mög-
lichster Einfachheit des Stammbaumes ohne Mühe die verschiedenen
Abweichungen und Übereinstimmungen der Hss. unter einander erklärt.
Für eine gemeinsame verderbte Vorlage (x) aller drei Hss.,
welche also zwischen diese und das Original einzuschieben wäre,
spricht das ganze letzte Drittheil des Gedichtes, wo die Hss. in auf-
fallender Weise auseinander gehen, und um Einzelnes anzuführen, vort
V. 151 in allen drei Hss., während nur port möglich ist, und v. 138 ff.,
wo die verschiedenen Hss. sichtlich einen alten Fehler der Vorlage
zu bessern versuchen. (Vgl. auch zu v. 140 — 146. 256. 377 ff. 431. 432.)
Damit ist also für die Constituierung eines kritischen Textes
der richtunggebende Grundsatz geboten : sobald A mit einem der
beiden Vertreter von y zusammenstimmt, ist dieser Übereinstimmung
entsprechend der Text anzusetzen.
Wie verhält es sich aber, wenn y ^) gegen A steht?
*) Es ist gleich vorauszuschicken, daß bei der kläglichen Überlieferung von R
öfter V für sicli als Vertreter von y wird zu gelten haben: gebe ich nicht ausdrücklich
die Lesart von R, so ist die betreffende Stelle in K nicht belegt.
11*
IPO MAX FR. BLAU
Zur Bestimmung des Werthes der beiden Gruppen gehen wir
wohl am besten von denjenigen Versen aus, die nur in einer derselben
nachzuweisen sind; je nachdem sie als dem Original gehörig zu er-
kennen sind oder nicht, werden sie für oder gegen die sie bietende
Gruppe sprechen.
An Stelle von v. 24. 25 finden sich in A folgende vor:
22. sioenne der herre daz wol weste
23. daz si heten alle gnuoc]
24. V. ') So gieng er hin an allen gefug A Daz man iceder von en trug
Er ging hen alz er wol woste
Noch alle syme luste.
25. V. Vnd az mit dem aW erste den er vant Vnd az mit den ermesten dy
er fand.
Die beiden Plusverse von A sind ohne Zweifel unecht. Eben, d. h.
vv. 21. 22 begegnet der Reim geste : weste; wenn nun hier wieder der
Reim mit dem gleichen Worte, diesmal aber in dialektischer Form
vorkommt, so kann das nicht Arbeit ein und desselben Verfassers
sein: einen solchen Grad der Geschmacklosigkeit dürfen wir keinem
Dichter ohne dringendste Veranlassung zutrauen. Auch inhaltlich
sind beide vv. durchaus flach und werthlos , elendes Gereimsei; mit
ihnen ist auch die Variante zu v. 24 zu verwerfen, da dieselbe, an
und für sich ansprechend, nicht in die Construction paßt, wenn die
beiden in A folgenden gestrichen werden.
Zum Verständnisse der Lesung von v. 24 bei V möchte ich die
beiden Stellen bei Maßmann p. 165') anziehen: „sponsa pectus et genas
indigne lacerahaV" und „sponsa quoqne .. capillos indecenter evellens^''
u. s. w. , aus der lateinischen Redaction 21.
Der durch die ganze Art der Erziehung besonders kräftig aus-
geprägte Sinn für äußere Wohlanständigkeit wurde ebenso durch den
unverhüllten Ausdruck mächtiger Gemüthsbewegungen, wie durch die
Vernachlässigung jener Exclusivität verletzt, welche der Vornehme,
der Ritterbürtige den andern Ständen gegenüber zu wahren pflegte.
Gegen den Gedanken , daß der hochgeborene Herr mit dem ersten
Besten, den er findet, sich zu Tische setzte, empört sich die Wohl-
erzogenheit des Dichters.
') Ich gebe V nach der Schreibung von Maßmann und ändere nur nach den
dort unterm Drucke gebotenen Abweichungen der Hs. selbst; freilich fällt ein Ver-
gleich der Lesarten der ersten 21 Verse mit dem auf p. 3 bei Maßmann gegebenen
buchstäblich treuen Abdruck dieses Theiles der Hs. nicht gerade zu Gunsten der Zu-
verlässigkeit M.'s betreffs der Einzelheiten aus. Ich selbst habe mich vergeblich nach
Wien wegen der Hs. gewandt. A und R werdeu handschriftengetreu wiedergegeben.
ZUR ALEXIUSLEGENDE. II. Ißl
Die nächste Stelle, wo vviederum A zwei vv. melir bietet, finden
wir V. 106 ff.
106. V /Si sprach, daz muoz vns A Si/ sprach das maße vns kundig toesin
czukünß.ec sei/.
107. So höre lihe fratve viyn
108. Du Salt kusch bis an dyn ende syn
109. V. Den selbigiu orden wil ich
tragen Denselben orden loü ich tragin.
Der Zusammenhang verlangt unbedingt die beiden Plusverse in A.
Wenn wir mit Maßmann v. 109 als directe Fortsetzung von v. 106 an-
sehen, so ist der Vers unverständlich: welchem Stande will sie sich
denn anschließen? Erst durch v. 107. 108 erhält er seine Erklärung:
der Mann, welcher von seinem Weibe Keuschheit verlangt, verspricht
ihr seinerseits die gleiche Enthaltsamkeit.
Ein Grund für den Ausfall der Zeilen in V ist leicht zu finden.
V hatte V. 106 für tcesen sey geschrieben, das Auge glitt deshalb beim
Hinüberblicken auf die Vorlage leicht über die folgenden zwei vv.,
die ja mit sm schließen.
Betr. V. 117. 118 müssen wir auf die lateinische Legende Bezug
nehmen; die vv. sind nur in V überliefert und lauten: (M ') 115. 116j.
E}' nam daz vingerlin von seyrt" hant
Vnd gap ys der juncfroioen alzehant
Die vv. sind weder für den Zusammenhang unbedingt nöthig, noch
zeigen sie besonders glatten Rhythmus ; auch der hier allein belegte
rührende Reim ist auffallend, aber da es ja in S lautet : ,^deinde tra-
didit ei annulum suum aureum'^ (Maßmann p. 167 Z. 1 v. u.), so wird
sich gegen die Plusverse in V nichts einwenden lassen.
Es folgt nun eine Stelle, bei welcher die Gruppe y in beiden
Hss. vertreten ist.
135. do sie getrunken unde gäzen
136. unde alle in fröuden säzen,
137. beidiu frouwen unde man,
138. V Allexius neig sein'' liben braiot R. Allexius neik syn' brut gynk
Vnd schit von dan dan
139. Das das nymant wart gewar daz des nymant wart gewan (!)
140. Wen7ie seyne übe frato dar loen si*' Hb alleyne gar
*) M bedeutet im Folgenden immer die Maßinauu'äche Ausgabe von V a. a. O.
p. 68—76.
162 MAX FR. BLAU
138. A Do ging syne iwige hrut an
Das sy vil heiß weynen began
139. Daz des nymant wart gewar
140. Wenn syn Üb alleyne gar.
Hier zeigt sich, daß y zuverlässiger ist als A. Was das letztere
bietet, ist inhaltlich ganz unmöglich: wenn die Braut beim Weggange
des Bräutigams angesichts aller Gäste in Thränen ausbricht, so wird
doch die Flucht einfach vereitelt; warum sollte die Braut auf die
theilnahmsvollen Fragen, die ihre plötzliche Trauer doch hervorrufen
würde, die Ursache ihres Kummers verschweigen? Dem Schreiber A
machte jedenfalls der in seiner Vorlage, wie in y schlecht überlieferte
V. 138 Beschwerde, und so dichtete er keck bessernd darauf los, was
ihm in die Situation zu passen schien , bekam dabei aber neben der
UnWahrscheinlichkeit des von ihm Erzählten auch noch einen drei-
fachen Reim, deren sonst keine im Gedichte zu finden sind. Auch
der Anschluß seiner Sonderverse an das Folgende ist durchaus ver-
fehlt. Der Fehler liegt also in x, und wir werden mit y eine Besse-
rung zu finden suchen. Da gegen eine Lesung: Er neic der hriute mit
gie dan spricht, daß Alexius doch zu lange nicht genannt ist, um ihn
hier einfach mit er wieder einzuführen, und auch der hriute wegen
des V. 140 folgenden sin liep kaum brauchbar erscheint, so wird wohl
zu setzen sein :
Alexius neic und gie dan,
wennschon der Rhythmus bei der ersten Lesung glatter ist.
V. 140 ist mit AR zu lesen gegen V, das hier geändert hat.
Das lih beider Hss. wird man wohl nicht mit lip wiederzugeben haben,
denn es ist doch unsinnig erzählen zu wollen, daß Alexius selbst sein
Fortgehen bemerkt.
Hinter v. 140 finden wir nun einige vv., die nur in V belegt sind:
141. V Vnt sines herzen grosse not
142. Silber unde auch golt rot
143. Nam er vil ze siner zer
144. Er ilde balde uf daz mer
145. Daz sin der vater ich loorde geioar (bei M. v. 139 — 143).
iö (Maßmann p. 168, Z. 4): y^post haec accepit de substantia sua
ei discessit ad mare^'' beweist, daß die vv. für das Original in An-
spruch zu nehmen sind. Wir können Maßmanns Lesung annehmen :
nur der erste Vers ist zu ändern. Dieser könnte höchstens eine Um-
schreibung für die Braut sein, aber diese ist ja im Verse vorher aus-
drücklich genannt. Wir werden etwa lesen müssen :
ZUR ALEXIUSLEGENDE. II. 163
des hetwanc sie groziu not,
oder in engerem Anschluß an die gegebene Lesart:
in sines herzen grozer not.
Der Grund, warum diese vv. in A fehlen — bei R muß man
sich mit dem Factum als solchem beirnügen, das seine allgemeine
Ursache in der Hastigkeit des Schreibers findet — ist mit einer ge-
wissen Sicherheit anzugeben. Der Schreiber hatte eben (jeioar : gar
gehabt, sein Auge glitt auf das nächste gewar und dort setzte er die
Arbeit fort. Dieses Abgleiten ist aber nur erklärlich unter der An-
nahme von X, welches bereits den Reimvers zum zweiten gewar ver-
loren haben mußte; denn stand der entsprechende Vers noch in der
allen geraeinsamen Vorlage, so ist dessen Verlust in V und A kaum
erklärlich. Wir dürfen wohl die Ergänzung von M (v. 144) anneh-
men: 146. als er nu quam zeni iirvar, oder etwa mit Flore 3512: als
er mi qtiam an daz var.
V. 166 hat in V keine Entsprechung, aber da er in R und A
belegt ist, so gehört er dem Originale:
R her duerte do leng' wen ym gezcn
A Er truerte do lenger loenn ym geczam.
A muthet dem athleta (vgl. Maßmann p, 163 Z. 11) eine Schwäche
zu . die durch nichts gerechtfertigt erscheint.
R gibt dem Gedanken Ausdruck, daß er — der Sohn des ..ge-
waltigen und reichen" Euphemian — , wenn er schon, um Gott zu
dienen, seiner hohen Stellung in der Welt entsagt habe, doch nicht
immer in solch schmählicher Armuth hätte verweilen, sondern wieder
in Glanz und Reichthum hätte zurückkehren sollen. Derselbe Geist
spricht aus dieser Zeile, der v. 24 dem Euphemian den Vorwurf
nicht ersparte, daß es gegen Sitte und Wohlanständigkeit verstoße,
mit den Bettlern sein Mahl einzunehmen.
Wie im eben genannten Falle fehlt auch der folgende v. 234
in V, ist aber auch in R nicht überliefert.
230. der Hute giengen im vü nä
231. 7mt truogen im also vil zuo.
232. V fhis ys icz en verdrocz de A Daz en vordnchte do
233. Er sprach W leip daz ist ze vil E- sprach leib es ist zcu vil
234. Daz ich voyi dir nichten vnl
235. Ich wil Piich füre aiisz der vnmnszp. Ich teil dich füren nß der
maßen.
V. 232. lesen wir wohl am besten mit A , dessen viel selteneres vor-
duclite — das Mhd. Wb. gibt nur ein, Lexer zwei Beispiele — für diese
Wahl spricht: daz in des verdühte do bezw. duo;
164 MAX FR. BLAU
freilich läßt sich gegen die Lesung von V: daz es in verdröz dö nichts
einwenden. Und für v. 233 werden wir wohl sicher V's her leip in den
Text aufnehmen. In dem nun von A gebotenen v. i34, den wir dem
Originale zuzuweisen haben, ist außer daz in des nichts zu ändern,
wenn man nicht entsprechend dem euch in V (zu v. 235) auch hier
lieber iu für dir setzen will, was ja auch der förmlichen Anrede mit
lier mehr angemessen ist.
v. 235 ist in A sicher schlecht überliefert, V gibt wohl einen
erträglichen Sinn, aber eine durchaus unrhythmische Zeile. Wir neh-
men am besten einen Fehler in x an , so daß im Original gestanden
hätte; man teil iuch fiteren üz der mäze.
Betr. des Ausfalles von v. 234 in V ist möglicherweise wieder
einfach Übergleiten des Auges von „üi7" auf „?(;i7" anzunehmen, umso-
mehr, als ja im 13. — 15. Jahrhundert im Mhd. recht häufig im {w)
für v=f geschrieben wird (vgl. Weinhold: Mhd. Gr.^ §. 174).
Wir haben jetzt die Stelle v. 240 &. zu betrachten:
240. da wolde er sme7i tot emiihdn
241. V Vnd sins endes da erbeiten
242. Do begnde W sin anders czu leiten
243. A Seet das mochte nicht gesehen
244. iii sluoc ein ivint (daz sult ir spehen).
Die Vergleichung mit S (Maßmann p. 169, Z. 3 u. 4): ^Deo itaque
disfiensante rapta est navis vento^' etc. gibt zu gleicher Zeit die Mög-
lichkeit, den Sinn des nur in V überlieferten v. 242 zu bestimmen,
und sichert v. 241. 242 dem Original. Schon M hat eine Besserung
des ganz verderbten Verses nach 33 versucht, und wir können uns
mit kleinen Änderungen seiner Lesung anschließen:
241. unt sines endes da erheiten,
242. got hegunde ez anders leiten.
V. 243 darf wohl ohne Anstoß ans A aufgenommen werden; der In-
halt ist zwar nicht bedeutend, aber durchaus passend und sinngemäß.
Die nunmehr zu untersuchenden vv. sind für y durch V und R
gesichert, fehlen aber in A.
{einen hrief) v. 328 daran sin leben ivart bekant
329. R wi daz eyn megetyn syn brut war V Daz sin brut ein maget ivcer
330. vnd er eyn degen unioandel w\ Vnd er ein dege vnwande xoe'.
Wieder können wir diese vv. durch 53 stützen, wo es (Maßmann p. 169,
Z. 25 ff.) lautet: „scripsit per ordinem omnem vitam suamj qualiter
respuerit nuptias et qualiter conversatus fuerit in peregrinatione qua-
literque contra voluntatem siiam redierit ßomum et in domo patris sui
ZUK ALEXIUSLEGENDE. II. 165
opprobria multa susthiuerit.^ Denn durch den Satz .,qi(aliter respuerif
nuptias"' wurde ja die Erwähnung der Braut als maget ganz direct
veranlaßt. Die vv. sind also zu lesen :
329. daz sin hrüt ein maget iccere
330. unde er ein degen tinxoandelhcere.
Zum Schluß führe ich noch die vv. 427. 428 an, die für y in
Anspruch zu nehmen sind, da sie sich in V finden: (M. 421. 422)
423. Si zestorte ir frewlich gebende
424. Ir ezoppe beyde nä yn dy hende.
Ein Vergleich mit der Darstellung in S (Maßmann p. 170, Z. 11
V, u.) „Mater vero ejus haec audiens g^iasi leaena rumpois rete ita
scissis vestihus exiens coma d issoluta ad coelum octdos levahat" zeigt
uns, daß die beiden vv. dem Originale zuzuweisen sind.
Das bisher Gebotene genügt wohl, um darzuthun, daß im All-
gemeinen y vor A den Vorzug verdient: y stellt eine bessere, vor
allem eine vollständigere Hs. dar. Freilich fehlen einzelne Verse in
V; das haben wir aber wahrscheinlich — mehr dürfen wir, da ja R
bei seiner großen Lückenhaftigkeit uns oft im Stiche läßt , nicht
sagen — V allein zuzuschreiben (siehe o. zu v. 166), für dessen Aus-
lassungen sich zumeist ein bestimmter Grund angeben läßt.
A hat sich nicht l'rei von Interpolationen und von — wenig
glücklichen — Besserungsversuchen gezeigt: ich führe hier noch eine
recht auffallende Stelle dafür an. v. 208 und dementsprechend v. 332
lesen die beiden Vertreter von y, bezw. V allein:
208. R do rief eyn bilde hit' styvie. V Do rief ein bilde mit lawter styiTie.
332. V Vnt icy ym des bildes halle ivas,
also entsprechend dem Codex der Legende, in die bereits der byzan-
tinische Bearbeiter das sprechende Muttergottesbild eingeführt hatte.
A verwässerte diese directe Beziehung auf die Legende zu den vv.
Do rijf dy gotis siymme, bezw.
Wy em gotis hnlffe loart bereit.
Außerdem aber zeigt A auch einige Lücken.
Ehe wir zu der Frage übergehen, welcher Hs. wir bei völligem
Auseinandergehen der Lesungen zu folgen haben, ist noch auf einige
Sonderverse, bezw. wohl besser Sonderzeilen in V und in R hinzu-
weisen.
Die in V nach v. 426 Si sprach: nu ist mm ungemach
stehende Zeile Vil gur czu irgangin
ist nur hier belegt und ermangelt auch in V selbst des entsprechen-
den Reimverses. Wenn wir nun nicht wegen dieser einen Stelle —
166 MAX FR. BLAU
bei A erwies sich die eine Stelle nach v. 24 von selbst als Inter-
polation — annehmen wollen , daß in V interpoliert oder doch herum-
gebessert sei, so müssen wir sie in eine brauchbare Form zu bringen
suchen. Es wäre also etwa zu lesen:
harte gar ergangen.
Schon X muß dann den zugehörigen Reimvers verloren haben.
Für R haben wir allerdings nur im letzten, überhaupt stark ver-
derbten Drittel des Gedichtes die Thatsache festzustellen, daß es eine
Reihe von Sonderversen bietet, die aber entweder sicher unecht oder
höchst verdächtig sind: Für den bereits angegebenen
V. 328 daran sin lehen wart hekant,
— V und A lesen fast gleich — hat R gesetzt:
d' hrief d) waz geschriben so,
was natürlich, da der Reim fehlt und V und A zusammenstimmen,
zu verwerfen ist. Die ganze Stelle in R:
d* brief d'' waz geschriben so vnd ouch diz alwar
ivi daz eyn megetyn syn brut war ganczer vier vnd drisic iar
vnd er eyn degen vmoandel w' hatte er di almuze numen
biz zcu dem tode waz kumen,
ist aus zwei verschiedenen Theilen des Gedichtes, v. 328—330 und
V. 397—400, zusammengesetzt und nach Wortstellung und Rhythmus
für Prosa zu halten.
Statt V. 366. der luwern tranc unde iuwer brot
367. sibenzehen iär hat gnomen,
wie A und — mit unwesentlichen Abweichungen ~ V liest, steht in R:
der sibenczen almtize gemiü hat,
was natürlich ganz verderbt ist, zumal der Schreiber hot mit tot von
V. 365 reimen zu wollen scheint.
Einen eigenen Zusatz (zwei vv. für einen des Originals) finden
wir an der Stelle von
V. 394. dirre heilec man ist iuwer kint
— so im Wesentlichen nach V, A stimmt bis auf das fehlende man
mit V überein — ; R liest hier :
iz ist Allexi di liber dy son
dem dyn alemuze ist geton;
der Reim son : geton sagt genug !
Einfach Unsinn ist die Zeile nach v. 408:
408. er hete leide imt nnsinne
— nach V, R', A weicht etwas ab — . R fährt dann fort:
durch den lieblich mynne.
ZUR ALEXIUSLEGENDE. IL 167
Gegen Ende des Gedichtes faßt also den kürzenden Schreiber
von R, bezw. seine Vorlage, die Laune, das Gedicht noch zu erwei-
tern. Auch nach v. 434:
daz ir beginnet mit mir weinefi,
dem in V und A auch ein Reimvers mit gutem Sinne nicht fehlt, liest
R wieder ganz unverständig:
meynes Üben kyndes reynen
den tot vnd elenedeschaft (!)
d" hat v' lorn syne croft.
Der erste Vers, der an sich brauchbar und gut ist, wird durch das
Zusammenstimmen von V und A dem Originale mit Erfolg streitig
gemacht , der 2. und 3. bilden wieder eine ganz unglückliche Zu-
dichterei eines Schreibers, der denn auch noch nach v. 522, am
Schlüsse des Gebetes, eine Probe seiner poetischen Begabung liefert
mit den folgenden vv. , die eine Beachtung nicht verdienen:
521. der ein ungemachez leben
522. kan um lange fröude geben]
als dirre selig mensche tet
syn livlfe keyn goie
loegen syn heileges gebet.
— Der Rubricator hat diesem Zusätze dadurch eine treffende Censur
ertheilt, daß er den letzten Vers roth ausgestrichen hat. —
Also R's Plusverse sind sammt und sonders werthlos und dem
Originale abzusprechen.
Von V ist noch eine Stelle nachzutragen :
v. 490. darzuo half der habest *ere;
491. V Daz ez also lool czam, (falls M mit Recht die Va-
492. V Daz ez dem heiligen zam, riante zu V 489 gibt).
491. 492 fehlen in A und R, geben aber einen ganz verständigen
Sinn — mit der Änderung von M. ^) — , und so sind sie wohl dem
Originale zuzuweisen.
An Stelle dieser zwei vv. finden wir in A wieder einen Besse-
rungsversuch :
Das noch alldo gecziret steet,
Do manch hundert menschen hen geety
und alsdann
493. Do lyt syn heiliger lip begraben.
*) Vielleicht lesen wir besser:
daz ea also vollequam,
daz ez dem heiligen zam.
Der Sinn wird dadurch etwas weniger flach und die Verse glatter.
168 MAX FR. BLAU
Die ersten beiden vv. sind nicht nöthig, und der zweite mit seinem
Singular des Verbs nach manch hundert menschen wenig ansprechend,
außerdem unrhythmisch : da wir bei A bereits einmal eine Interpolation
fanden (vgl. Variante zu v. 24) , so setzen wir am besten diese beiden
vv. dem Interpolator auch auf die Rechnung. Anders verhält es sich
mit dem dritten v., der freilich auch nur in A belegt ist, aber dessen
Reimvers 494:
welch Ion sol nu diu sele haben
auch in V vorliegt. Wir haben bei V Auslassungen constatiert; hier
verlangt der Gegensatz zu sele dringend den in A erhaltenen Vers,
der also dem Originale angehört.
Es ist nun noch die Frage zu untersuchen, welcher Hs. wir den
Vorzug zu geben haben, wenn keine Übereinstimmung unter den
dreien, bezw. unter zweien von ihnen herrscht. Nach dem bisher
Gefundenen ist es klar, daß es sich dabei nur um V oder R handeln
kann; A hat ja nachweislich den mindest getreuen und zuverlässigen
Text, was natürlich nicht ausschließt, daß ihm in einzelnen Fällen,
wie z. B. in v. 160. 161, der Vorzug vor V R gegeben werden darf.
Trotz der ausführlicher dargelegten Mängel von R ist nun sicher
diese Hs. diejenige, die in vielen Fällen noch Älteres bietet, während
in V und A öfter moderne Formen eingedrungen sind; so z. B. ist
R noch völlig frei von dem Gebrauch von ze (bezw, zu) beim Infinitiv,
das bei V und A nicht selten begegnet, wo der Rhythmus deutlich
zeigt, daß es fehlen muß, vgl. zu v. 110 (V), 216 (V, A), 224 (V),
268 (V, A), besonders auch zu v. 183, wo A den bloßen inf. der Vor-
lage als conj. gefaßt und demnach den Vers gebildet hat:
Daz sy em das almosin gebin : lebin.
V ist gerade, was Syntax betrifi't, noch weniger treu als A; ich ver-
weise dazu auch auf v. 84:
Der herre seyne sune hiez,
wo sune wohl deutlich für den dat. spricht, den Maßmann auch in den
Text aufgenommen hat — R und A haben richtige Lesung ^) — , ferner
auf V. 251 : Ich wente ich sulde also irsterben,
wo A und R den einfachen inf. bieten 5 auf v. 299:
Vil manege schände die er leit,
statt dessen in A steht:
Vil mancher schände er da leyt.
Von einzelnen Wörtern und Wendungen, die in R erhalten sind,
») heizen mit dat. ist unanstößig, vgl. Ztschr. f. d. Phil. XII, 217. O. B.
ZUR ALEXIUSLEGENDE. II. 169
während sie in A oder V, oder in beiden durch jüngere, den Schrei-
bern geläufigere ersetzt wurden, führe ich folgende an :
V. 46: daz icart also vletic synt gegen
A Daz wart en also lohelich sind und
V Daz wart in gegeben sint.
V. 89: ze bette quam mit A gegen für daz bette in V.
V. 127. 128: nu enicl ich nytn'me gedagen
ichen welle schrien vü clagen.
V und A haben in v. 128 den nicht verneinten ind. wil, und man muß
zugeben, daß derselbe durchaus gut und richtig ist. Indeß hat doch
gerade die eigenthüniliche Construction in R ihren Reiz, wennschon
sie wohl zu den allerseltensten gehört. Kinzel füiirt in seinem Auf-
satze: „Zur Charakteristik des Wolfram'schen Stils" Zs. f. d. Ph. V
p. 5 ff. gedagen zwar nicht unter denjeuigen Verben auf, bei denen
Wolfram antiphasis liebt, aber es ist wohl nicht schwer, dieses ge-
dagen so zu erklären, daß die specielle Beziehung, welche ein ver-
miden, verbern^ vergezzen u. s. w. hier auf das Reden hat, durch gedagen
ausgedrückt ward. Daß unserm Dichter die antiphasis durchaus ge-
läufig war, geht besonders aus v. 294. 295 hervor:
sin 'phlegeman des niht vergaz
er enbrcehte im sine phründe dar,
wo freilich auch wieder nur R den negierten conj. bietet gegen A und V.
V. 131 : des morgen^ do der tag uf brach gegen anbrach in A und V.
V. 159: den lichtenlozen syn rotes golt gegen blinden in A und V.
V. 170: her volgete syn seiden strazen\ V liest auch ganz gut Vnt
volgete einer tiuren sirazPM, aber R ist unvergleichlich besser. A hat
die Stelle ganz verwässert: Er volgete syuer straßen.
V. 208: do rief eyn bilde Inf styme gegen V mit lawler styiJie, A
hat wieder geändert.
V. 268: do begonde er loeyn sa czuhant gegen V und A. In den
folgenden sechs Stellen bietet R mit V, also y, gegen A das Richtige :
V. 72: holte, v. 204: ruogte, v. 276: aenic, v. 290: leides vil, v. 341:
karfritage, v. 468: icie!
Wir haben demnach als Grundsätze für die Gewinnung eines
kritischen Textes von B die folgenden erhalten :
1. Stimmt A mit einem Vertreter von y, sei es V oder R, über-
ein, so ist diese gemeinsame Lesung anzunehmen (doch s. 4.).
2. Stehen sich die beiden Gruppen y und A gegenüber, so ver-
dient fast durchgängig y den Vorzug; die Annalune des Textes von
A in solchem Falle bedarf besonderer Begründung z. B. durch das
lateinische 53.
170 MAX FR. BLAU
3. Liest jede der Hss. verschieden, so ist in erster Linie auf
den Text von R Rücksicht zu nehmen.
4. Die Übereinstimmung von V und A beweist noch nichts gegen
R, wenn es sich um in jenen beiden vorliegende Modernisierungen des
Ausdruckes u. dergl. handelt.
5. Alle vv. in V sind echt; R zeigt einige unbrauchbare Reim-
versuche eines Schreibers im letzten Drittel des Gedichtes und A ein
paar leicht erkennbare Interpolationen.
6. In allen Fällen, wo y nur durch V vertreten wird, ist zuerst
mit der Lesung von V ein Versuch zu machen: oft bietet allerdings
auch A in einem solchen Falle den bessern Text.
Vergleichen wir den so gewonnenen Text mit dem bei M gebo-
tenen, so fällt die außerordentlich starke Zahl viermal gehobener
klingender Reimpaare auf. Maßmann ging von der Meinung aus, daß
die beiden in der Darstellung der lateinischen Redaction 51 folgenden
deutschen Gedichte A und B in der ungefähren Zeitfolge vor die-
jenigen zu stellen seien, die den Text der lateinischen Redaction S
bieten (vgl. a a. 0. p. 1).
Ich muß es mir versagen, an dieser Stelle den Nachweis zu ver-
suchen, daß das deutsche A mit seinen vocalisch unreinen Reimen
(besonders zwischen langem und kurzem Vocal im klingenden Reime),
mit seinen starken Apokopen, mit seiner großen Anzahl viermal ge-
hobener klingender Verse wohl schwerlich dem 12. Jahrhundert an-
gehört, sondern eher der zweiten Hälfte des 13. zuzuweisen ist:
jedenfalls aber kann man, auch ohne diesen Beweis erbracht zu haben,
behaupten, daß Maßmann sich von seiner einmal vorgefaßten Ansicht
auch bei der Construction des Textes von B hat leiten lassen. Da-
her erklärt sich die unbedingte Scheu vor dem viermal gehobenen
Verse mit klingendem Ausgange, den ihm seine Wiener Hs. oft genug
nahe legte: ß sollte möglichst den Stempel des Alterthümlichen oder
doch des Nichtjungen erhalten.
Wenn wir ohne Voreingenommenheit jeder Art an die Gewinnung
des Textes gehen, zeigt sich, daß ungefähr ein Fünftel aller Reimpaare
bei vier Hebungen den von Maßmann verpönten ^) klingenden Aus-
gang haben; hingegen sind für den dreimal gehobenen Vers mit klin-
gendem Ausgange nur sehr wenige sichere Beispiele zu erbringen,
nämlich nur vv. 163/164. 177/178. 219/220. 251/252. 427. 479/480.
') Schon Franke hat in seiner Arbeit (p. 18 und 19) auf die von M. gewagte
Vergewaltigung des Textes hingewiesen.
ZUR ALEXIURLEGENDE. II. 171
Die Reime des Gedichtes sind verhältnißmäßig rein: einzig auf-
fallend ist wirklich nur 13/14 geviel : enthielt — denn vv. 14. 15, die
beide nur in V und A und nur in mangelhafter Gestalt überliefert
sind, können doch allein einen Sinn geben, wenn wir mit antiphasis
lesen: ouch pßac er daz er sich ni/tt entliiel{t)
erne machte die armen dicke fro — .
Da nun Abfall des auslautenden t im md. beliebt ist (vgl. Weinhold
Mhd. Gr.** § 200 — p. 194 zwei Beispiele dafür nach l — ), so ist uns
bereits ein Anhalt für den Dialekt des Dichters gegeben '). Md. ist
auch das zweimal im Reime auf gezogen belegte gepflogen (v. 73/74 und
V. 363/364) leichter zu erklären. Denn die Analogieform gepflogen ^)
ist entschieden in Mitteldeutschland früher und öfter nachweisbar als
in Oberdeutschland (vgl. Weinhold a. a. 0. § 348); das mhd. Wb. bietet
freilich nur drei o b d. Beispiele dafür.
Aus md. Dialekt erhalten auch die Reime gehet : anetrit 201/202
und gcbete : anetrite 217/218 ihre Berechtigung, anetrit stm. Tritt, Stufe,
Schemel ist im Mhd. Wb. als in Ehingen belegt angegeben, bei anetret
stehen unsere beiden Stellen: wir haben hier den im md. so häufigen
Wechsel zwischen e und i anzunehmen.
Die Reime gen :ßcn 83/84^), gän : emphän 57/58, stän : emphän
239/240, empha :'dä 187/188, {al)dä : na 229/230, 315/316 und 513/514
sprechen sicherlich nicht gegen einen md. Verfasser, in dessen Dialekt
solche Contractionen viel häufiger waren, als im obd. Aus dem Vers-
innern führe ich noch an: 79. trCde für trüiveie, 303. spUen für sphten,
489. bün für büwen; diese drei contrahierten Formen sind wir durch
den Rhythmus gezwungen anzusetzen. Ebenso sind die Bindungen
stiUe : loillen 95/96 und 263/264 und ende : henden 453/454 bei einem
md. Dichter eher zu vermuthen, als bei einem obd., freilich könnte
henden (für hende) 454 erst vom Schreiber stammen.
Von sonstigen Reimen ist noch bemerkenswerth : gap: ap 167/168,
ferner ruht : gesieht 69/70, man : hdn 269/270, an : Eufemiän 279/280,
Lateran : man 347/348, aus denen allen sich nichts Weiteres schlie-
ßen läßt.
Der Reim herren : eren 31/32 ist md. durchaus ohne Anstoß,
freilich begegnet er auch im obd.
*) Ein hiel für hielt scheint mir äußerst zweifelhaft, so lange nicht andere als
Eeimbelege vorliegen. O. B.
') Sollte dies nicht die alte lautgesetzliche Form sein? O. B.
'j Aus dem Schlußgebet ist noch nachzutragen, v. 617/518: erg&n'.fl^ mit R,
während A ^e#cAen : fltn bietet. V hat, wie wir sehen werden, ein anderes Schlußgebet.
172 MAX FR. BLAU
Die Form duo für do, im Reime auf zuo (231/232. 261/262.
287/288) ist md. ebenfalls beliebt (vgl. Weinhold a. a. O. § 139).
vv. 335/336 sind wohl am besten mit Apokope zu reimen nach V,
denn intervocalisch reimen s und z im md. nicht, also spts : fltz.
Zum Schlüsse führe ich aus dem Gedichte selbst noch eine Reihe
von Ausdrücken an, die entweder speciell md., oder doch md. häufiger
als obd., für den md. Ursprung des Gedichtes sprechen, das uns ja
auch nur in drei md. Hss. überliefert ist.
V. 70. frlete. nach dem Mhd. Wb. nur in md. Denkmälern be-
legt, ebenso nach den im Lexer gegebenen Stellen, vgl. auch DWB
IV, I 105.
V. 79. trüte; die für dieses Wort ') im Mhd. Wb. gegebenen
Beispiele stammen aus dem md. Passional und Hermann v. Fritslar;
der Beleg aus M. S. H. 3, 75'' beweist nichts für obd. Gebrauch, denn
die das Wort bietende Strophe nr. 38 ist als Randschrift bezeichnet,
und Zingerle spricht in seiner Ausgabe des Friedrich von Sonnenburc
dem Dichter auch diese — nur in der Jenaer Hs. überlieferte —
Strophe ab.
V. 129. anderioeide (vgl. z. B. Weinhold a. a. 0. § 339).
V. 499. erkreic.
v. 502. giioter im Reime, also durchaus gesichert, st. Form des
masc. für das ntr. (vgl. dazu z. B. Das hohe lied des Brun v. Schone-
beck von Arwed Fischer (Germanist. Abhandl. v. K. Weinhold VI)
p. 41). [Vgl. Literaturblatt 1877, Sp. 7. O. B]
Aus allem Angeführten ergibt sich wohl so viel, daß wir das
Gedicht mit Recht in das Gebiet des Md. weisen werden; eine ge-
nauere Localisierung ist nicht möglich, ebensowenig wie eine genauere
Datierung. Jedenfalls dürfte der Dialekt des Verfassers dem ost-
fränkischen nicht zu ferne gestanden haben. (? 0. B.) Unmöglich
freilich ist es auch nicht, daß wir ihn mehr nach Norden, unter den
Einfluß niederdeutscher Sprachgesetze, zu verlegen haben. Ich verweise
auf die interessanten Formen in R: 70. siecht für gesieht. 217. bete
für gehete (auch 344. schach für geschach) , durch die allerdings der
Versbau an den betreffenden Stellen bedeutend gewinnt, und nach
deren Analogie man dann etwa auch in 73. pflogen für gepflogen. 201.
bei für gehet. 359. bot für gebot. 380. staü für gestalt zu setzen ver-
sucht sein könnte, um die Überlastung der letzten Senkung zu ver-
meiden. \bit 306 ist wohl = bit d. h. biret, weist also auf das Nd.
0. B.]
') In der Bedeutung „ehelich zusammenleben".
ZUR ALEXIUSLEGENDE. II. 173
Gleich im Anschlüsse hieran bemerke ich, daß der Rhythmus
sonst im Allgemeinen ein glatter ist. Ausfall der Senkung begegnet
noch öfter (vgl. 9. stdm. 34. trüren. 55, 199. jär quam. 63. geistliche.
65. zwtinzigest jär trat. 138. Alexius neic üut gie ddn. 158. krütuhen.
346. ein ander. 348. heiligen u. s. w.).
Synkope findet sich in den gewöhnlicheren Formen gar nicht
selten, so z.B. fällt das e der Vorsatzsilbe ge- und he- vor n, »n, l, w
häufig aus (vgl. 23. gnuoc. 54. 80. gnant. 105. gnesen. 145. gioar.
157. ywant. 352. gmeine. 395. hlihen u. s. w. Auch in Flexionssilben
finden wir bei Nachbarschaft von n, r Synkope des e vgl. 8. 16. 29.
icärii. 180. sinn. 265. inhin. 411. mms. 496. mert. Vgl. auch 79. 377.
443. hobst. 258. phennings. 306, kriucht. 352. fragten. 355. ^r/^/i'.
380. endlich u. s. w.
Apokope begegnet in den Formen wie 207. zittert. 215. 350.
tvundert. 342. minnert. Ferner in stm 173. 217. 379. eim 341. und
in der adv.-Endung Uche: 418. bermltch. 505. stcetecUch. 520. kluocUch.
Für Überfüllung der Senkung sind die schwersten Fälle
195. järe ze järe,
198. quceme ze güote.
wo man auch an Apokope denken könnte, ferner die oben erwähnten
Fälle (v. 70 u. s. w.), dann etwa
2. wUen ein herre ze R. 25. dz mit den ersten.
108. kinsche hiz an. (unz begegnet nie im Gedichte, deshalb ist
auch wohl hier die naheliegende Besserung nicht gestattet.)
176. quämen (He knehte. 188 liezen in da. 201. kirchen an shi.
216. sliezen hegdn. 271. ere so iz. 274. vergizzestxi diner. 276. Idnge
sol ich (vgl. 442). 286. dntlitzes hilde (wo vielleicht auch sin im Verse
zu streichen ist). 291. treppen hegünde. 303. xif in mit spieten. 323.
sterhen am dritten. 353. möhte gesm. 375. kiinde mit allen. 508. viere
ze himel. 514. lihe die sele.
Man sieht, die meisten dieser Fälle, die ich vollzählig gegeben
habe, sind durch die Annahme von leichten Synkopen u. dergl. ohne
Mühe zu entfernen [aber unnöthig. O. B.]
Über den viermal gehobenen Vers mit klingendem Ausgange
habe ich bereits oben gehandelt: Beispiele finden sich so zahlreich,
daß es nicht lohnt, einzelne aufzuführen.
Ebenso macht der Dichter ausgiebigen Gebrauch vom zwei-
silbigen Auftacte, der einige Dutzendmal begegnet, ich verweise auf
Fälle, wie v. 65. 199: do er anz. 85. 92. 102. 108. 163. 178. u. s. w.
GERMANIA. Neue Reihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 12
174 MAX FR. BLAU
Zum nachstehenden Texte habe ich zu bemerken, daß ich in
den Lesarten selbstverständlich nicht alle orthographischen Abwei-
chungen der Handschriften gegeben habe. Im Übrigen ist bei der
späten Entstehung der Hss. nicht zu verwundern, daß in der Flexion
durchaus nhd. Formen herrschen, auch in R, das freilich sonst noch
einiges Altere erhalten hat, z. B. v. 99 swaz, ferner einige Male da^
während in V und A do und da ungeschieden als do geht.
Im letzten Drittel habe ich mich zu einigen Anmerkungen ver-
anlaßt gesehen, da die betreflfenden Stellen im zweiten Theile meiner
Arbeit — um ihn nicht zu breit werden zu lassen — keine Bespre-
chung finden konnten.
Über die Beibehaltung des auslautenden e (vgl. 3/4. 29/30. 71/72.
209/210. 227/228. 311/312. 329/330. 351/352. 389/392. 418/414. 449/
450. 461/462) ließe sich vielleicht streiten, zumal ich v. 335/336 spis :
fliz (dat.) angesetzt habe und auch 101. 102 relit (adv.) : hneht steht
(69. 70 könnte man ebenso gut rehie : geslehte, wie reJd : gesieht lesen) ;
indeß glaube ich, würde die Streichung des auslautenden e nach langer
Silbe dem Gedichte einen so jugendlichen Anstrich geben, wie er ihm
nach allem Übrigen (vgl. nur die nicht geringe Zahl der Fälle, wo
wir Ausfall der Senkung feststellten) nicht zukommt-, und ich habe
deshalb mich nicht zur Streichung des e, das in den Hss. bald er-
halten ist, bald nicht, entschließen können.
Über die Hss. selbst ist noch nachzutragen, daß die einzelnen
Versanfänge in allen durch große Buchstaben hervorgehoben werden.
In eime buoche man uns las, al ir gewant was sidin,
daz wilen ein herre ze Rome 10 er tete in lön mit triuwen schin.
was, da bi hete er solhe tugent,
gewaltec unde vollen riebe, daz sin alter unt sin jugent
er lebete scböne unt tugentlicbe. den gerehten wol geviel.
5 driu tiisent dienten ime für ouch pflae er daz er aich nibt ent
nach sines berzen willekür, biel(t),
swaz er si biez unt gebot. 15 Qvne macbte die armen dicke frö :
ir gürtel warn von golde rot, dri tiscbe warn gesazt also,
Überscbrift : f V,. daz buch von sinte AUexio B^ de sancto AUexio A.
1 icb daz laß A. 2 [wilen] A. d. by vor czu rome ey b. w. F.
3 [vollen] AV . 4 des lebins seh. V. [scböne unt] toguntlicben A.
5 man dinten yn v. V. man di R. dry hundert A. 7 en gebot F.
8 w. en vor g. F. 9 w. edil vnd s. F. 10 1. vnd bulffe scb. A. do
worn sy gepreyset eyn F. 11 — 26 f. B. 13 d. g. lüten A. 14 ouch
pbag b* das das h^ nicbt bil F. o. tat er [sieb] A. 15 [ne] VA.
16 beleyt A.
ZUR ALEXIUSLEGENDE. II.
175
daz man die spise muose reisen,
(mit M)
der ein der diente den armen weisen,
der ander den witewen, als er hiez,
20 der dritte des rehten niht enliez :
dar sazte er pilgerin unt geste.
swenne der herre daz wol weste,
daz sie heten alle gnuoc,
so gienc er hin äne allen fuoc
25 unde az mit dem ersten, den er
vant :
dar was sin diemuot gewant.
Eufemiän hiez er mit dem namen,
Aglais sin wip mit grözen schämen,
geistlicher liebe warn si riche,
30 sie lebeten beide tugentliche.
sin hof stuont mit grözen eren,
iedoch gebrach dem selben herren
eines Schatzes, des er leit gewan.
wie dicke er trüren began
3.5 unt sin schcene frouwe angespart,
daz ein kindlin in niht wart!
des bete er dicke swaeren muot.
er sprach : ..waz sol mir al min guot,
Silber, golt unt richiu wät,
40 sint unser ger nilit enhät
eines erben, der daz guot besitze."
des trüreten alle sine witze
unt siner frouwen euch alsam.
sie bäten dicke, als in wol zam,
45 daz in got bescherte ein kint;
daz wart in also vlretec sint.
daz si liebe unt leide an im sähen,
dö die ammen des verjähen,
daz daz kindlin wart geborn,
50 do zegienc sin trüren unt sin zorn
unt siner frouwen ouch also :
ir beider herze daz wart fro.
er liez ez toufen alzehant,
Alexius wart sin name gnant.
55 do er in daz sehste iär quam,
daz im diu lere wol anzam,
er liez in zuo der schuole gän.
dö begunde er an sin herze emphän
so grözen sin al ungespart,
60 daz er der schrift so wise wart,
daz er die werlt begunde hazzen
unt solhe liebe zuo im vazzen,
17 setczin V. neysen A. 18 dem a. weysze V. eyne [der] A.
21 dorob^ satczte her dy pilgerä v. g. V. der erste der p. v. der g, A.
22 wenn denn das d. b. wüste A. 23 alle hatten A. 24 gefug F, für
diesen Vers liest A : daz man weder von en trug | er ging hen alz er wol
woste I noch alle syme luste. 25 d. all* e. V. den ermesten dy A.
26 dorczu w. em s. mut §■ A. '21 fennan V, femian li. by d. n. A.
28 Agles V. Aglas A. Agalest s. w. genamen R. 31 — 36 f. Ä. 32 ydoch
zo g. d, selbigy h. V. 33 syns seh. daz A. 34 vil d. A. 35 [unt]
.... al ungesp. F. 36 daz in nie kein kint w. V. 37 [hete] li.
hatten sy A. 37. 38 in R timgestcUt. 38 [al min] li. m. groz g. A.
39 s. unt g. u. r. war F. 40 sint daz R. sit daz er vnser nichten h. F.
sint mir got nicht gefiiget \x. A. 41 eyn erbe 72. ein e. d. d. riche b. F.
eynen e. d. min g. b. A. 42 witczin F. trüren mir alle myne w. A.
43 min fr. A. [ouch] F. 44 baten beide als F. als dicke boten als R.
geczam A. 46 [in] R. in gegeben s. F. also lobelich s. A. 47 leit
vh lib R. 48 daz v. F. das vernamen A. 49 do daz AV. 50 daz
vorging s. tr. unde z. F. 51 rehte also F. 52 herze warn A. 53 tew-
fin? F {nach JSI). hyß touflfen den son zcuh. A. 54 w. her gen. R.
was VA. Allexius alle drei Ess., und so immer. 55 an daz A. 57 zcur
seh. R. do liez ern F. 58 in sin h. F. begondee an R. so begunde
a.n A. 59 gross synnö F. syn so ung. .4. 60 daz is JB. 61 czuh.F^.
daz is gegunde di w^lt h. R. 62 [unt] al sulche R. 1. ym czu f. F.
an sich v. A,
12*
176
MAX FR. BLÄ.U
die man heizet geistliche minne.
got gap im solhe sinne.
65 Do er anz zweinzigest jär trat,
sin vater in mit Worten bat:
„sun, du seit ein megetin nemen,
diu dir künne wol anzemen
unt dir an eren füege reht''.
70 do friete er im ein keisers ge-
sieht,
schoene, züchtec unde riche,
unt holte si im tugentliche,
daz groezer fröude nie wart ge-
pflogen,
Alexius was also gezogen,
75 er wolde den vater niht betrüeben
noch sinen willen an im üeben.
er liez sie dö zesamene geben,
daz sich fröute ir beider leben,
sie trüte ein bäbst mit siner hant,
Innocentius was er gnant.
dö diu naht den tac verstiez,
der herre sinen sun hiez:
„Alexi, du solt släfen gen,
du solt triuten unde flen
dine brüt, daz ez ir wol behage,
daz gibet iu fröude äne clage.
80
85
dis ist zit an dirre stunt."
er ensträfte niht des vater munt.
do er mit ir ze bette quam,
90 als in beiden wol gezam,
unt bi ir aleine saz,
sine lere er mit dem munde maz :
er sprach : „vil liebiu frouwe min,
wilt du also mit mir sin,
95 daz du tuost al minen willen?
si sprach Ja" sunder stille:
„herre, swaz so dir behaget,
ich bin din frouwe unt din maget.
ich sol dir undertaenic sin,
100 daz gebietent mir die sinne min."
Alexius sprach : ,.sö redest du reht,
ja bin ich din herre unt din kneht.
frouwe, ich bitte dich niht me,
wan alles, daz dir wol anste,
105 daz lip unt sele müeze gnesen."
si sprach : „daz müeze uns künftec
Wesen."
„so hoere, liebiu frouwe min,
du solt kiusche biz an din ende sin,
denselben orden wil ich tragen."
110 daz begunde der frouwen wol
behagen.
63 d. m. nu heiseit g. libe V. daz m. A. 64 al sulche R.
synnen V. gap ich em A. 65 daz er A. 67 mayt T^. wyb A,
68 kume R. dir wol kan an cz. V. dir wol mag gecz. A. 69 fuget A.
LR. 70 eynes k. siecht R. des k. V. er vreyte em A. 71 dy was
seh. A. 72 er holte im si t. V. dy gap man ym gar t. A. 73 ge-
bort F. groze R. 74 so ^. 75 seynen v. F. f. R. 76 noch keyn
em s. w. üb. A. {. R. 77 do liez er si z. F. dazcus. R. [dö] A.
78 [ir] R. so daz F. 81 also F. vorlyß A. 82 do her syn s. R.
seyns sune F. 81. 82 in A umgestellt. 83 Allexius VA. 84 vnd
du .4. 85 [ez] F. br. das ir b. A. din V R. 86 daz is uch vr. sund''
cl. R. 87 daz A. das ist nu z. an der st. F. 88 [en-] VA. syns A.
89 für daz b. F. 90 anzam F. Dahinter in R nochmals: vn yn beide
wol ge. 91 unt er b. F, al. do was A. 92 die 1. F. sin 1. R. 94 by
mir R. 95 den w. mey F. alle m. w. A. [al] R. 96 [ja] s. stillen R.
alsunder F. 97 hVe wy so ys d. behayt F. swaz .... behalt R. herre
was uch b. A. 98 di vr. v. d. mait R. 99. 100 f. R. 99 wil A.
100 gernenoch dem willen dyn A. 101 nv redistu F. spr. du redest
r. A. 102 so bin R. ich b. d. h. u. ouch d. k. A. 103 ich b. d. frawe
n. m. A. 104 [wan] R, wan waz F. 105—118 i.R. 105 [müeze] F.
106 muoz unsczukünftec sey F. kundig A. 107, '108 f. F, 108 etwa
unz für biz su setzen? 109 selbigin F, 110 fr. czu b. F.
ZUR ALEXIUSLEGENDE. II.
177
si sprach ze ime al überlut:
„min sele werde gotes briit
unt din alsam, als wir verschei-
den."
daz wart gelobet von in beiden.
115 daz gelobete ir beider inunt also,
daz brähte in sorge uut fröude dö.
er nam'z vingerlin von siner hant
unt gap ez der juncfroun alzehant.
er sprach : „vil liebiu frouwe min,
120 so nim daz güldin vingerlin,
wan ich morgen von dir scheide,
ez si mit liebe oder mit leide;
kume ich niemer zuo dir sider,
so gip mir'z in dem himel wider."
1 25 si sprach „gerne" und weinte sere,
als ir gap ir herzen lere:
„nu enwil ich niemer me gedagen,
ich enwelle schrien unde klagen,
biz ich dich anderweide ersehe
130 oder dinen tot genzliche erspehe. "
des morgens dö der tac üf brach,
daz alte reht aldä geschach:
man begienc mit in der briute siten,
man begunde alt unt junge biten.
135 Dö sie getrunken unde gäzcn
unde alle in fröuden säzen,
beidin frouwen unde man,
Alexius neic unt gie dan,
daz des nieman wart gewar,
140 wan sin liep aleine gar
in sines herzen grozer not.
Silber unde ouch golt rot
nam er vil ze siner zer.
er ilte balde üf daz mer,
145 daz sin der vater iht wurde gwar.
[als er nu quam an daz var],
(nach 31)
ze eime schiffe er da stiez,
daz in beliben niht enliez:
ez truoe in in ein ander laut,
150 darinne er niemen was bekant,
fürbaz in einen grözen port.
daz was sin wille unt sin wort,
dö sach er eine gröze stat,
da er sint daz almuosen bat,
155 unt mitten dinne ein münster sten,
dar quam er für die tür gen.
er gap sin gwant der armen diet,
daz Silber den krumben beschiet,
en] . . . [mc] yl.
anderweit s. A.
do des m. A.
brut R. 134 das
111 vnd spr. weder en obirlut A. 112 trut A. 113 wenn w. A.
115. 116 in A umgestellt. 115 es g aldo A. [ir] V. 116 fr.
u. surge nv F. so A. 117. 118 f. A. 119 [vil] Ä. 120 [so] V.
[so] nim hen A. 121 wen ich v. d. scheide morne V. 122 übe vn
mit ß. 123 ich czu dir niht sedir V. ich nicht zcu A. 125 vil z*e V.
126 also V. ires R. eres V. irs A. 127 [me] V.
128 ich wil V. ich wil weynen A. 129 andirwit s. V.
130 vnt V. genczlichen spee A. 131 anbrach VA
132 alda reht ß. do A. 133 begunde F. de" brutal.
junge vnd aide F. jung v. ald A. zuo b. in allen drei ITss., tvohl Fehler
in X. 135 — 137 f. R. 135 aßen A. 138 n. syn* br. gynk dan R.
n. seyn* liben brawt | vnd schit von dan V. do ging sjne iunge brut an |
das sy vil heiß weynen began yl. 139 gewan R. das das V. 140 üb RA.
wenne seyne übe fraw dar F. 141 — 145 f. A. 141 — 150 f. R. 141 vnt
s. h. grosse n. F. 1 45 ich worde F. 146 f. in allen drei Hss. 147 lyff A.
148 nichtö hys F. en do nicht bl. 1. yl. 150 do ynne bek? (nach M) V.
151 vort alle drei Hss. vnt fürbaz V. her gync
R. unde wort F. 153 guote st. F. 154 do synt
A 155 [unt] F. dorinne A. stet V. da vant er
stan : gan in A. do alle drei Hss, 157 den
do er nymande A.
in R. 152 [was]
er R. dorynne er yl
ynne R. 156 türe F.
armen F. s. gew. gap er den a. d. A.
h' d. kr. F.
158 [er] d. kr. gi't R. teilt.
178
MAX FR. BLAU
den liehtelösen'z rote golt:
160 alsus verzerte er sinen solt
unde er von der richeit liez.
in einen hader er sich stiez,
der was boese unt gar unguoter.
do enweste vater noch muoter
165 noch sin brüt, war er quam,
da dürte er lenger, wan im zam.
swaz man ime durch got da gap,
da schiet er ie daz halpteil ap
unt gap'z den armen, die da
säzen:
170 er volgete siner sselde sträzen.
Vil trürec was her Eufemiän,
er hiez üz riten unde gän
üf alle sträzen nach sim kinde.
unt sin muoter weinte swinde,
175 ouch sin schoeniu junge brüt.
do quämen die knehte überlüt
dar da sie in funden
unt sin niht erkennen künden,
vor einer kirchen, da er saz
180 unt sinn dienst gegen gote maz.
sie giengen für in unbekant (sie ')>
er racte gegen in sine haut
unt bat im daz almuosen geben,
dö lobete er sin selbes leben:
185 „ich lobe dich, herre, durch den
sin,
daz ich da zuo worden bin,
deich miner knehte gäbe emphä. "
sie gäben im unt liezen in da
unt grififen an ein ander pfliht,
190 er kantes wol unt sie sin niht!
sie schiften in ein ander lant,
da er ze sehenne wart genant,
da leit er tac unde naht,
er diente gote mit ganzer mäht
195 von järe ze järe manege zit.
er hete müede unt grözen strit.
daz dolte er allez in dem muote,
daz ez der sele quseme ze guote.
Do er anz sibenzehende jär quam,
200 do gienc er hin, als im gezam,
für die kirchen an sin gebet.
da kniete er an der swelle antret
159 sin r. g. RV. blinden VA, bl. gap er daz A. 160 ver-
teilte RV. [er] E, also VA. s. reichin s. F. 161 reichit V. daz
er VB. 163 [gar] V. vnuuget^ ß. das w. eyne g. boze war A,
164 mu enw. noch v. V. syn v. noch syn m. B. daz enw. weder v. n. m.
zwar A. 165 wa ß. wo h^ hy qw. V. wo er hen qu. A. 166 her d.
do 1. w. i. gezcä B, ebenso A, nur truerte für durete. f. V. 167 was
her V. [da] VA. daz man B. 168 yo sneid her ys yo halp ap V.
das sneyt er das A. 169 gap den armen A. dy by ym s. VR. 170 syii
seiden B. unt v. einer tiuren str. V. [saelde] A. 171 femiän B.
fennam F. wart F. waz der vater E. A. 172 liez VA. 174 so w. diu
m. gar sw. F. ouch w. s. m. sw. A. 175 — 178 f. B. 175 unt s. F.
176 oberlant A. sine kn. in VA ist vjoJil Fehler in x. 177 [dar]
do sy F. [dar] do hen do ^. 178 vnd en F. sy en erk. nicht en-
kunden A. 179 k. her do s. A. 180 [unt] sin d. key g. was F. syn
^. BA. l82 [gegen] F. reichte A. 183 czu g. F. daz sy em d. a.
gebin^. 184 seynes F. syns J^. 185 — 198 i.B. 185 dur minen s. F.
herre ich lobe dich A. 187 [knehte] A. daz ich VA. 188 sy gobins
en v. lissen ys yn do F. 189 yn für ein F. sy gr. ^4. 190 [unt] sy
en nichts. 189. 190 in A umgestellt. 191 vnde ritten^. 192 in ze
suochene was ben. F. 193 daz 1. F. 194 gantz seyn^ m. F. 193.
194 Allexius dynete mit aller macht 1 vil manchen tag vnd nacht in A,
195 vil manche A. 196 h. leit v. gr. A. 197 daz tat A. 199 sibende
VB. yn das A. 200 em wol g. A. 201 kirche A. 202 als di sw. B.
nedir an der kirche antrit F. vnd kn. vor d. A.
ZUR ALEXIUSLEGENDE. II.
179
von mitternaht biz gegen tage,
dö ruogte er siner Sünden klage
205 iint tete dem libe sere we,
dö quam ein regen unde sne,
daz er zittert von grimme,
dö rief ein bilde lüter stimme:
„stant üf, du trseger glockenaäic
210 unt ringe dem menschen sine
swKre,
der üzen üf der swelle liget,
e im die kelte angesiget
unde da ersterbe tot.
läz in hin in, es ist im not."
215 daz wunderte sere den huoteman,
die tür er üf sliezen began.
dö vant er in Ligen an sime gebete
üf der swelle anetrete.
er sprach im zuo mit ginoze
220 unt viel im dö ze fuoze:
„wol her in, du sajlec man,
da dirz weter niht geschaden kan.
ein bilde hat für dich gebeten."
dö begunde er in daz münster
treten
225 ze Winkel, da in nieman sach,
da er aber sin gezit sprach,
daz merkte dö der gIocken;T)re,
er sagete s morgens niuwe majre,
ein heilec mensche wicre aldä.
230 der liute gieugen im vil nä
unt truogen im also vil zuo,
daz in des verdühte duo :
er sprach : ..her lip, des ist ze vil,
des ich von iio niht enwil.
235 man wil iuch füeren üz der mäze."
er kerte üf eine ander sträze,
üf daz mer al ungewant ;
er wolde in Cilicien lant:
da hete santPaul ein münster stän,
240 da wolde er sinen tot emphän
unt sines endes da erbeiten.
Got begunde ez anders leiten,
seht, daz mohte niht geschehen:
in sluoc ein wint, daz sult ir spehen,
245 daz er quam ze Röme wider,
daz beweinte er harte sider.
do er wider gegen Röme quam,
eine rede er ze munde nam:
vor ra.
205 er
das A.
ner A.
len F.
ang. V
in V.
man R.
203. 204 in A umgestellt.
biz hin gein t. V.
tet V. tat er d. 1.
203 von der m. R. zcu dem A.
204 sunde V. vnd rurte s. sunde cl. A.
so w. A. 206 [ein] RV. reyn VA. 207 so
mit gr. V. 208 mit 1. st. A. riff dy gotis st. ^. 209 kirche-
210 ring? V {nach 31). lychte den m. ^. 211 duze . . . swel-
d. draußen vor der kirche lyt A, 212 kaltheit 7^. dy k. ym
213 V. her erstorbe t. V. v. eer denn erstirbet t, A, 214 her
laz es hen, es A. iz ist R. 215 [sere] V. denselbin m. A. hut-
21G czu süssen V. [er] uf beslisen gan R. do er zcu slyssen uf
began A. 217 bete R do er in vant an F. 218 swellen antrit F.
swellen an tret A. antrete R. 219 — 246 f. E. 219 [mit] A. 220 ai-
de F. 221 gang h. F. seliger VA. 222 daz dyr d. F. 223 eyne
stymme A. 224 czu fr. F. 225 in ein winkel daz F. 227 marcte F.
offenbarte d. kirchener ^1. 228 markte F. e. s. den luten gute mere A.
229 heiliger F. 230 do g. em dy lute alle na A. (aldo :) noe F.
231 so A. 232 das ys isz en verdrossz de F. [des] A. 233 daz F.
[her] leib es A. 234 daz ich von dir A. f. F. 235 tvoM Fehler in X;
ich w. i. f. u. d. vnmosze F. ich w. dich A. 236 do körte her sich F.
sich A. 237 off F. 238 cecilian V. Cecilien A. 239 synte p. F.
sente pawel A. 241. 242 i. A. 242 do begiide h' sin anders czu 1. V.
243 f. F. 245 d. der q. keyn R. w. A. 246 dicke A. 247. 248 in R
umgestellt. 247 keyn r. weder qu. A. daz e. w zu r. qu. R. 24 8 zu
fyne nam R.
180
MAX FR. BLAU
herre, daz ist äne mine schult,
250 din wille werde an mir erfiilt!
ich WEente also ersterben,
deich niht endurfte werben
ze Rome um keine spise me.
ditz widerkomen tuot mir we.
255 sint ez niht anders mac gesin,
so muoz ich suochen die phründe
min
ze minem vater als ein man,
der phennings wert nie gewan.
er gienc üf eine sträze sten,
260 do quam sin vater für in gen.
er rief im eine stimme zuo
mit jämerlichen worten duo
offenbare unt niht ze stille:
„herre, gip mir durch Alexi willen
265 din brot biz an minn lesten tac."
der vater do sere erschrac,
do er den sun hete genant;
do begnnde er weinen sä zehant.
er sprach: „vil gerne, lieber
man,
270 die wile ichz von gote mac
hän,
275
durch sine ere so iz min bröt,
er si lebende oder tot.
Alexi, min vil liebez trut,
wie vergizzest du diner jungen brüt
des vater unt der muoter din !
wie lange sol ich din senec sin."
ditz clagete er, daz sin s^^n an-
hörte,
der im sin truren doch niht
störte,
da muget ir wunder prüeven an,
daz der herre Eufemiän
sines kindes niht erkante,
bleiche unt armuot daz verwante,
langer hart unt horwege kleider:
also verstalt was er leider,
daz er dem vater was ze wilde,
als gel was im sin antlitzes bilde,
er sazte im einen schaffer zuo,
der fuorte in ze huse duo
unde schuof im solch gemach,
290 daz im leides vil geschach.
under einer treppen begunde er
ligen,
er hete sich fröuden gar verzigen.
280
285
249 dis ist R. er sprach, h. A. 250 deruult R. 251 wente ich
sulde a. F. 252 erwerben R. dorfte niemer w. V. [en-] Ä. 253 in
r. R. [um] V. deheine? F. 254 das w. das tut w. A. 255 gewesi E.
niht nu mac V. sint das n. m. anders gesyn A. 256 freunde AR.
spise F. Wohl in den verschiedenen Hss. verderbt, noch wahrscheinlicher
bereits in x durch friunde ersetzt. 257 e. ander m, F. 258 ph. w. er
nie g. F. 260 zu ym R. gegan A. 261 her sp'ch ym myneclichen zu R,
r. em in einer st. F. eyne st. em A. 262 ju A. du R. 263 [ze] A.
264 gebet R. allexius VA. wille VA. 265 <m br. R. 266 sin R.
d. herre [do] F. do vil s. A. 267 daz er V. 268 czu w. alzeh. F.
er b. zcu w. alczuh. A. 269 spr. gerne vil guoter m. F. vnd spr. g. du
vil 1. m. ^. 270 mac von gote h. F. gehan A. 271 [so] F. sinen
willen VA. so iß durch s. w. myn br. A. 272 er lebe ader sey t. A.
273 Ach Allexius F. Allexius A. 274 [jungen] R. lieben F. 275 vaters
VA. 276 enic R. eynig F. ene A. 271 son horte F. der son A.
278 [sin] R. der nie doch trurens st. F. s. leit d. n. eust. A. 279 —
286 f. R. 279 da merket alle wunder an V. 280 hVe her femian F.
282 irwante A. vorwante F. 283 clengir b. höre cl. F. bofe cl. A.
285 dws her F. [vater] A. 286 also F. vil bleich w. em syns A.
287 suchte A. 288 her R. du R. ju A. 290 do ym R. zculeide
vil ^. 291 unde e. tr. muste er 1. R. her begude czu 1. F. czu ]. A.
292 fröudc g. vorcz egin F. der frawen hatte er sich v. A.
ZUR ALEXIUSLEGENDE. II.
181
swen sin vater ze tische saz,
sin pflegeman des niht vergaz,
295 er enbraehte im sine pfründe dar.
er was gar jämerliche var,
als mcTezliche az er unde tranc:
gegen gote stuont al sin gedanc.
vil maneger schände er do leit
800 von boeser knehte kündekeit:
swenne sie die schüzzeln lif ge-
nämen
unt für sin gemachelin quämen,
sie guzzen üf in unt spieten an.
daz leit der vil sselige man
305 rehte als man einen wurm trit,
der da kriucht unt niemen bit.
vil dicke sach er für in gän
sinen vater unt sine muoter stän
unt sine schoene junge brüt.
310 doch wart der munt des nie lüt,
daz er iht sagete wer er waere.
nu merket'z jämerliche maere:
also liep als er in was,
daz er die herte zuo im las.
315 daz leit er also lange da,
biz im ein siuche volgte nä.
Als uns sin biiechlin hat gelesen,
daz er zem ersten was gewesen,
da er sibcnzen iärz almuosen nam,
320 ze Röme als lange, biz daz vol-
quam
nach sines herzen willekür .
do quam im eines nahtes für,
er solde sterben am dritten tage,
got wolde kürzen sine clage,
325 daz er des wurde wol gewar.
dö quam ein engel unt brähte
im dar
einen brief unt legete in in die
hant,
daran sin leben wart bekant,
daz sin brüt ein megetin w.'ere
330 unde er ein degen unwandelbaere,
unt waz er dort sibenzen jär leit,
wie im's bildes helfe wart bereit
unde allez daz er ie begienc
unt wie er ze Röme sint emphionc
335 sines vater tranc unt spis.
euch was daran geschriben mitfliz
293 wen RA. wan F. 294 syner pflege man do n. v. A. 295 er
brahtem VA. 296 so iemMich waz er geuar 7?. yemmerlichen czworcz V.
[gar] yemmerlicher v. A. 297 — 314 f. R. 297 also F. so A. 298 kein
gote stunden ym alle seyne g. F. czu g. stunden alle syne g, A.
299 manege seh. die er 1. F. 300 v. snoder kn. boßheit A. 301 wan F.
wenn A. 302 gemach A. 303 speit'' en an F. do begossen sy en
vnd A. 305 als eyn worm den man tretit A. .305 vnd nymant nicht
en bitfit A. 307 vnt d. h'' vor en sach g. F. v, d. weynende s. e.
geen A. 308 sin ... sin F. steen A. 309 u. ouch F. 310 das syn m.
do n. A. 311 d. er s. ny w. A, 312 hie hoert d. yömerliche F.
deze A. 313 so als lip er en allen w. A. 314 syn hercze A. 315 —
322 in A folgendermaßen geordnet: 317. 318. 319. 320. 315. 316. 322.
321. 315 ditz F. treib dar ^. 316 daz ym R. dy sycheit A.
do : noe F. 317 eyn b. V. buch A. 318 genesyn R. 319 di allemuse
[nam] R. 320 rome alz do qw. F. r. ouch das also v. A. 322 [doj R.
323 an dem R. daz er sulde st. an dem mittage A. 324 ym kur-
czen S. 325 er daz F. daz wol worde g. .1. 326 brach ym [dar] R.
0 A. 327 en ym in F. 1. ym yn d. Ä. [unt legete in] R. 328 der
asn was s. 1. b. F. d^ brief d^ waz geschriben so R. 329. 330 f. A.
3? 9 wi daz e. megetyn s. br. w. R. 330 dcgc vnwande we' F. vn-
wandcl w' R. 331—340 f. R. 3.51 u. alles daz e. y. gelcid A.
3."32 viit w. i. d. b. hülle was [bereit] V. em gotis h. w. h. A. 334
[sint] F. 335 u. sine speise : fleisse F. speyse A. 336 ouch stund do
geschreben vil leyse A.
182
MAX FR. BLAU
sin name unde ouch sin kumber
groz.
sin hant den biief zesamene slöz,
biz daz in der tot zefuorte,
340 daz sich sin leben niemer ruorte.
An eim karfritage daz gesehach,
daz sich minnert sin ungemach,
daz got die sele von im nam.
dö gesehach ein zeichen, daz wol
zam :
345 dö lüten sich die glockeu alle
gegen einander mit schalle
in Röme unt ouch ze Lateran
umme disen beilegen man,
daz nieman die strenge zöch.
350 daz wundert manegen herren hoch.
rieh unde arme, gröz unt kleine,
die fragten um ditz wunder gmeine,
waz daz lüten mohte sin.
dö sprach ein kleinez kindelin :
355 „ir grift ein tumbez fragen an,
ez ist lihte ein heilec man,
den die glocken baz erkennen,
wan die liute, die in mit namen
nennen.
337 [ouch] A. 339 [daz] A.
341 an eyn k. R. fritage A. 343 zuo im V. 344 schach e. z. [daz]
w. z. R. z. lobesam A. 345 das sich dy gl. 1. a. A. 346 weder e. m.
großem seh. -<4. dez quamen di rom* m. seh. i?. 347 — 351 f. R. 347 czu
Rome A, 349 d. dy glocken n. geczoch A. 350 hern ouch A. 351 riebe
arm V. 352 si fr. al um disiu mser V. si fr. mittenand^ di sache R.
353 daz wunder V. w. d. bedute m. s. R. gesin VA. 354—362 f. R.
356 heiliger V. ist eczwa e. heiliger m. A. 358 [mit namen] do n. A.
359 d. keyser v. d. babist g. A. 361 der er V. das er den luten qu.
V. A. 362 syn scheffer gnug balde dar A. 363 syn seh. d. da h. geflogn
syn R. [der schaffer] A. 364 h* gienc wolgezogen hyn R. Vnd sprach vil
wol gecz. A. 365 d^ armensch ist t. R. 366 der sibenczen almuze genun
bot R. 367—369 f. R. 367 bot zo lange hie g. F. 368 yn s, h. A.
czu k. F. 369 ich sehe in zcuh. A. 370 er in tot vant unde unge-
want V. want den t. v. want A. er gienc zu ym vn vant yn tot R.
371—375 f. R. 371 unt bi V. synen br. gar w. g. A. 372 dy von
\. A. 373 R. als in gezam F. 374 adir wer ob* en qwä F. 375 allen
erin s. F. alle s. s. A. 376 d. b. ny ausz s. h. g. F. her künde den
brief nie g. R. 311 [noch] A. duo /'. in allen drei Hss. 377'') dy
waren alle sulcher gäbe heyßer nur A. 378 — 380 f. R. 378*') den
waz der brif vil tuer ju nur A.
der habest unt der keiser gebot,
360 daz man in suohte durch die not,
daz er der werlde quaeme für.
dö stuont für sines vater tür
der schaffer, der sin bete ge-
pflogen.
der gie für in gar gezogen :
365 „herre, der arme der ist tot,
der iuwern tranc unde iuwer bröt
sibenzehen jär hat gnomen."
daz begunde im an sin herze
komen,
er sprach: „ich wil in sehen ze-
hant. "
370 er vant in töten unde vant
bi im einen brief vil wol getan.
daz vernämen die ze Lateran
unt die Römer alsam.
swer über in gienc oder quam,
375 der künde mit allen sinen sinnen
den brief üz siner hant niht
gwinnen.
vater, muoter, bäbst noch keiser
duo^)
unt alle, die da liefen zuo,
340 vnd sich s. 1. nichten r. A.
') Nach Allem, was wir von A wissen, liegt für die in y unbelegten Verse der
Verdacht der Interpolation vor, und ich kann mich deshalb nicht entschließen, diese
ZUR ALEXIÜSLEQENDE. H. 183
in ze gwinnen üz sim gwalt, 395 Alexius, der hie tot ist hüben.
380 als endlich was nieman gestalt: sin leben ist hie ouch beschiiben
biz sin raegetin zuo im quam, unt sin name, daz ist war.
diu greif dar, als ir wol zam, ganzer ') vier und drizec jär
der viel der brief in die hant hat er die almuosen gnomen,
Eufemiän lie in lesen zehant 400 biz er zuo dem töde ist komen.
385 einen man, der da zuo witscc daz jämert mich an disme lesen,
was, min rehter herre ist er gewesen."
der sin leben dar an las «Owe mir, unde ist daz war",
unde allez, daz er ie geleit sprach der vater unt roufte'z här,
iif von siner kintbeit. 405 er zarte diu kleider von der siten,
du weinte der schriber harte sere er künde der stunde niht erbiten,
390 Eufemiän bat in durch sine ere, er enpflucte den bait an sime
daz er im sagete, waz dran wicre. kinne.
„herre, ez sint diu leitsten masre, er hete leide unde unsinne.
diu alhie verjehen sint. mit den nageln reiz er sine hüt :
dirre heilcc man ist iuwer kint 410 „Alexi, min vil liebez trüt,
379 im z. VA. siner hant VA. 380 also V. so erlich was er ein
gewant A. 381 juncfrowe über in k. V. syne brut ^. 382 sy gr. also i. w.
an czam A. f. R. 383 do vil ir d. b. i. ire h. A. 384 ffemiam V. her
wart gelezen so zcuh. E. alzeh. VA. 385 — 396 f. B, wo nur etiva v. 394.
395 entsprechend stellt: Iz ist AUexi di über dy son | dem dyn alemuze
ist geton. 385 do so wise V. e. schriber d. d. z. nutze w. A. Fehler
in X? 389 keiser F. schriber sere A. 390 h^ femiam V. 390. 391
Eufemiän fragete waz daran were A. 392 lengsten V. er sprach e. s.
leydige m. A. 393 d. mir ie für komen sint V. vernuwet A. Fehler
in X? 394 disir heiüger m. V. der heilige [man] A. 395 blieben F?
{nach M). 396 s. name steet alhy b. A. 397'^) gantz unt F? (nach
M). s. leben A. vnd ouch diz alwar R. 398 vier vnd czwenczig ^''.
399 daz alm. F. hatte e. d. a. nunien R. 400 biz daz F. b. [er] ....
waz k. R. 401 — 407 f. R. 401 lebin A. 402 syn recht heymet ist
hy gewefin A. Dahinter in A^) vnd dy em habin getan | leyt vnd aller
slachte wan. 404 do spr. sin v. v. roffte sey hör F. 405. 406 in A
umgestellt. 405 d. cl. reiß er A. 406 ny irbeitin F. irbeiten A.
407 [en] VA. roufte d. b. uß A. 408 leit RV. u. gar grosz F. I. ußen
vnd jnne A. (R setzt fort: durch den lieblich mynne). 409 — 433 f. R.
409 nelyn F. m. [den] n. r. e. dy h. ^. 410 Allexius VA.
Verse in den Text aufzunehmen. Ich schlielie mich an dieser Stelle, die uns ganz
besonders die UnvoUständigkeit von K bedauern läßt, der Lesung von M au. Im
Übrigen ist gerade diese Stelle geeignet, die Ansetzung von x im Stamme zu recht-
fertigen. Die verderbten Verse besserte A in seiner Weise auf, während V sie jedenfalls
ziemlich getreu und ohne bessern wollende Änderungen wiedergab.
*) Wohl einer der ältesten Belege für diesen Gebrauch von ganz im gen. plur.
mit einer Zahl.
') Die Verse 397—400 stehen in R unmittelbar hinter v. 330.
') Wohl wie Vers 377*. 378" als wenig branchbfire Interpolation von A zu be-
trachten.
184
MAX FR. BLÄU
min ougen lieht, mina herzen
trost,
wie hästu dich von mir erlöst,
daz du so lange bi mir wsere
unt nie dich machtest offenbaere
415 durch armuot dinem vater, kint!
des muoz ich lange trüren sint
unt leidec sin biz an min ende!**
er want gar bermlich sine hende
unt viel von ämaht üf die erden,
420 do muose er gelabet werden.
Do sin muoter daz vernam,
wer er was unde über in quam,
si zestorte ir frouwelich gebende
unt sefuorte ir zöpfe mit ir
hende.
425 daz golt si von den brüsten brach,
si sprach: „nu ist min ungemach
harte gar ergangen.
ein kint, geborn von minem libe !
430 wie hästu mir armen wibe
alsus betrüebet mine witze!"
si twuoc im sin schoene antlitze
mit den zehern unt kusten üf
sine brüst.
„ir Romer, habet al die gelust,
435 daz ir beginnet mit mir weinen."
do enliez si siner vinger keinen,
si enlegete in sundern an ir munt.
si tete dö groz jämer kunt.
81 sluoc sich ze dem herzen dicke
440 unt viel üf in mit manegem blicke
unt trüte in, als ez ir behagete,
so lange biz daz si gar verzagete,
daz si der bäbst hiez danne leiten.
Dö quam mit grözen arbeiten '),
445 diu dannoch was ein megetin.
si sprach: „friunt unt herre min,
waz hat din herte an uns ge-
rochen?^)
min ougen Spiegel ist zebrochen,
411 minr o. V. 417 von m. warist A. werist F. 414 mochtist
offinbarn V. v. du dich mir nicht oflfenbarist A. 415 dinr a. unt deyn
v. k. F? {nach M). vmme ermut myn vil libes k. A. 416 triurec sin F.
417 ymer bis an das ende meyn F. 418 zo yemerlich F. 419 vor
amechtikeit F. unmacht zcu der e. A. 423. 424 f. A. 424 Ir czoppe
beide nä yn dy h. 425 der brüst A. 426 ist F. was A. 427 vil gar
czu irgangin F. f. A. 428 f. in allen drei Hss. 429 [ein] F,
431 alsis -4. betrüebet also m. w. itcze F. 432 wuosch F, beschawte ^.
433 ire trene vylen em uf s. br. A. 434 [die] F. 435 ir mit m. beg.
czu w. F. beg. alle m. m. zcuw. A. 436 — 448 f. J2, das aber nach
435 folgende Fortsetzung gibt: meynes üben kyndes reynen | den tot vnd
elenedeschaft | d^ hat v^lorn syne craft. 436 keyne F. [do] sy lyß A.
437 [en] 1. en bes. a. eren m. F. [en] 1. en besunder a. den m. A. 438
tet vil groz A. 440 mit ganczem bl. A. 441 trewgete en alz h* ir
b. F. druckte en als irs b. A. 442 das ir gar v. F. [so lange] A.
443 von danne F. h. von em 1. A. 444 — 446 in A geordnet: 445.
446. 444. 444 sin brut m. gr. erbeiti^ F. syne brut m. großem ir-
bebin A. 445 do noch A. dene noch [was] F. 446 herre unt friunt
m. F. 447 heil F. herlyn A. gebrochin F. 448 ein sp. minr owgen
ist nu czubrochin F. mynn A.
*) Hier ist wohl wieder eine iSpur von x, dem die Beziehung zu undeutlich
war, da ja das Subject erst durch den Relativsatz gegeben wurde; x setzte sin brül
ein, was einen ungeschickten Vers (grdzjen (ir[beiten in der letzten Senkung!) gab.
Vielleicht könnte man auch lesen : do quam sin brüt ä/ne erbeiten.
') Zu lesen: waz hat min herre an uns gerochen, wie ich ursprünglich wollte,
hindert wohl das gerade vorhergehende herre.
ZUR ALEXIUSLEGENDE. II. 185
den ich verwinde niemer mere. wie daz sin heilekeit zefuorte ! —
450 ich bitte dich, min schepfer here, er waere lam oder krump
läz mich alhie bi im ersterben, 470 unt wa>re blint oder stump,
e mine sinne gar verderben, die wurden alzehant gesunt.
daz min swa^re habe ein ende." daz tete die gotheit durch iu kunt
der bähest nam si bi den henden : unde durch sin heilet; leben.
455 „juncfrouwe, lät die ungehcere, ') sint wart im grözer wünsch ge-
wir Silin den toten üf gebiBren. geben,
als siner heilekeit gezeme ; 475 wir suln des jämers nu verdagen!
got sinen diener zuo im neme." man liez in in daz münster tragen,
Do daz schone aldä geschach, da der bähest über im sanc
4G0 der bähest unt der keiser sprach, unt manec phatfen zunge erklanc
dar zuo die Römer algemeine: unde ouch der kardenäle.
ezwoere ein mensche Sünden reine. 480 die Romer alzemäle,
man truoc in hin mit grözem sänge, die lebeten got um disen man.
im volgete eine werlt mit gange, der bähest selber daz began,
465 als siner heilekeit wol zam. daz er in bestate zuo der erden,
du er für daz münster quam, sint muose den liuten von im
swer siech was unde an in ruorte, — werden
449 daz F. 450 schepp* V. [min] schefiFer sere B. sy sprach seh.
über herre A. 451 [alhie] Ti. hy irsterben ^1. 452 [gar] RV. anders
m. s. v. V. 453—464 f. R. 453 unt m. 'fröude nimt e. e. V.
455. 456 juncfrouwe ir sult iuch niht verwern | biz daz wir in uf ge-
bern. V. er sprach: frawe ir sult nicht verczagen | bis wir en begraben Ä.
457 zimt r. wol angeczeme ^. 458 sine d. z. i. nimt F. wil nemen ^.
459 do allis das do y g. A. 461 vnd d. r. alle g. A. 462 von s. r.
VA. 463 den trug man hen A. 464 werlit noch m. F. pnd volgeten
em mit reynem g. A. 465 — 466 in B umgestellt. 465 wirdikeit wol
ancz. A. als ym wol gezam B. 467 wer sich w. V R. an ym B. Vnd
wer sich do an e. r. A. 468 syne h. das zcu fürte A. 469. 470 waz
er stum waz er krüm | waz er blynt waz er tum'^) B. er were hokericht
ader krump | vnd were blint ader stump A. er waere blint oder lam | adir
mit weichin siuchen er dar kam. 471 w. alle gemeynlich sunt B. der
wart aldo alcz. g. A. 47'2— 500 f. R. 473 heiligis A. 474 gr.
fröude F. 475 w. s. nw des y. vord. F. w. wollen syn y. nicht ver-
dagen A. 47 7 sang A. gesang F. 478 m. herren z. F. manch pf.
czunge ober em ircl. A. 479 dar zuo die k. F. 480 ouch dy romer czu
mole F. 481 [die] V. vnde desin ra. A. 483 d. sy en beataten A.
484 do für eint A.
') Eine ganz verzweifelte Stelle I Was M bietet, ist doch auch gänzlich un-
brauchbar. Man sieht wieder das verderbte x, und ich gebe, um nicht zwei Zeilen
ganz fortzulassen, einen Versuch , der sich — wie dies das Verhältniß der Hss. ver-
langt — mehr an V anschlielit, wenigstens in dem Reime, denn gebern bei M kann
doch nur gebceren sein, das „auf die Bahre legen" bedeutet (vgl. Mhd. Wb. I, 145''
bare). Für v. 455 könnte man auch, um den rührenden Reim zu meiden, lesen junc-
frouwe, wir »uln des sin gevctre, '= eifrig bedacht) daz wir den t. u. s. w.
») Unter dem jüngeren tum sind Spuren eines fortradirten Wortes wahrzunehmen,
aber nicht mehr zu bestimmen.
186
MAX FR. BLAU, ZUR ALEXIUSLEGENDE. II.
485 gnaden smac unde edel ruch
üz sime grabe äne allen bruch '),
daz hiuteges tages ze Roma wert,
von sime vater wart begert
ein münster büwen in siner ere,
490 dar zuo half der bäbest sere,
daz ez also volle quam,
daz ez dem heiligen zam :
da liget sin heilec lip begraben.
Welch Ion sol nu diu sele haben?
495 da von wil ich iu iezuo sagen:
ir fröude mert sich alle tage,
si hat des himelriches smac,
da si niemer getrüren mac.
daz erkreic sin herter kumber
groz,
500 daz er ist den engein gnöz.
sint gwan sin vater unt sin muoter
ein reinez leben so vil guoter
unt sin liebiu trutin.
daz si gotes dierne wolde sin
505 ßtaeteclich biz an ir ende.
si wurden heilec äne wende,
daz erwarp der zweier liute kint,
daz die viere ze himel sint.
Uten si jämer üf der erden,
510 daz muose in ze fvöuden werden.
Nu mane wir den guoten man,
der dises lebens so began,''')
daz er für uns bitte da,
sint sie für, daz wir hin nä
515 mit gotes helfe müezen komen,
so dem libe die sele wirt be-
nomen.
Amen ! daz daz müeze ergen,
darumme suln wir gote flen.
er ist ein wiser koufman,
520 der also kluoclich wehsein kan,
der ein ungemachez leben'*)
kan um lange fröude geben !
485 gnade swag .... räch V. v. guter grüß Ä. 486 brach V.
das werde vns allen büß Ä. 487 hüte des tagis A. 488 gewert V.
489 seyn m, gebawt yn V. zcu b. Ä. 490 half em Ä. 491 wol czam V?
(nach M). 491. 492 sind in A ersetzt durch: das noch aldo gecziret
steet I do manch hundert menschen hen geet. 493 f. V. heiliger A.
495 — 498 {toohl infolge eines alten Fehlers in x) in VA so geordnet:
495. 497. 498. 496, 495 itczüt V. do wil ich nicht sagin von A.
496 sich nacht vnd tag Ä. 497 hymelreich sm. V. den hymmelischen
won A. 498 do V. das A. 499 irkrigke V. irwarp A. 500 der
engel V. 502 leben do hatte T^. lebin gut A. 503 und euch sin brut
czarte F. 504 dyn^ wurden s. 2i. brut ist wordin V. weide A. 505 stetec-
lichen R. bas V. vil stetlich A. 506 f. V. a. alle w. RA, wohl Fehler
in X. 507 daz der warp R. 508 zcu dem h. R. 509 [der] V. deser il.
510 czu zelikeit w. V. vreude R. in dort ze A. 511 f. R. bete V.
512 sey lebin also V. synes A. Dahinter in A: daz er zcu einem guten
ende brachte | wenn er sich selber daran bedachte. Wohl interpoliert.
514 vor hen daz wir darna A. 515 muzen w^ mit g. h. k. -R. 516 wen dy
zele d. 1. vf.h. A. 517 das vnd das allen muße gesehen A. 519 clug^ -ß.
520 welschen R. so kl. geuolgen A. Dahinter in R nochmals: w* also
cluclich welschen kan. 521 kusch gemachsam 1. A. vngemaches 1. R.
52 2 vmme eyne 1. fr, kan g, A. v. 1. m. kan g. R.
•) M liest Hich : brück.
'■^) Hieran schließt sich in V ein anderes Gebet, das ich weiter unten gebe.
^) Dann ist also das ungemache leben der Entgelt für die laiige fröude.
E. KÖLBING, ZUR TRTSTANSAQE. 187
In F finden wir nach 512 folf^ende Verse'):
das wir sey miTsseu genissen vnd mit ym lebin an e....
an allis wedir drissen an allis misse wende
also das wir an arge list das vns das gesehen mu . . .
morgen kömi^ do hyn 253' das helfe vns Alexius der ...
vnde besitzen das ew in allir heiligen namen
das ym got hat gege nu sprechit allir Amen.
Nach 522 folgt in R:
als dirre selig mcHSche tet
syn hülfe keyn gote
wegen syn beileges gebet.
li\ A steht nach eben diesem Verse:
hy endit sich daz lyde von sente Allexio
got mache vns armen sunder fro
daz vns das allen muße gesehen
nu sprechet alle Amen.
Wir haben wohl keinen Grund, diese Verse von yl für das Original
in Anspruch zu nehmen, aber Entscheidendes dagegen lälit sich auch nicht
anführen, wennschon freilich der dritte Vers erst v- 517, wenigstens in A
selbst, begegnete.
BERCHTESGADEN. MAX FR. BLAU.
ZUR TRISTANSAGP].
In dieser Zeitschrift, Jahrg. XXXIII, p. 17fF., hat 0. Glöde
einen Aufsatz veröffentlicht u. d. T. : „Der nordische Tristanroman
und die ästhetische Würdigung Gottfrieds von Straßburg", vi'elcher'
gegen meine Auffassung von Gottfrieds Veriiältiiiß zu seiner altfrz.
Vorlage gerichtet ist. Es ist das die erste, angebliche Widerlegung
der Resultate, welche ich vor nunmehr elf Jaliren in meiner Abhand-
lung: „Zur Überlieferung der Tristansage" (Die nord. und die engl.
Version der Tristansage. Erster Theil. Heilbronn 1878, p, IX ff.)
gewonnen hatte. Sicherlich wäre ich nun meinerseits der erste gewesen,
der freudig zugestimmt hätte, wenn es Herrn Glöde wirklich gelungen
wäre, zu zeigen, daß Gottfried in der Tliat „Unebenheiten des Ori-
ginals bessert oder ausgleiciit, die Darstellung modernen Verhältnissen
näher bringt, sich volksthümlicher zeigt, aus bewußter Welt- und
Menschenkeuutniß ändert, Charaktere veredelt u. s. w."; ich muß
aber energisch bestreiten, daß dies der Fall ist; den Wissenden brauche
') Vgl. Maßmann p. 3, der auch angibt, daß ßl. 2:")3' rcehts abgerissen ist
188 E. KÖLBING
ich das freilich nicht erst zu sagen ; bei flüchtigeren Lesern jedoch
mag das sichere und selbstbewußte Auftreten Glödes den Eindruck
erwecken, als ob das Recht auf seiner Seite wäre, und darum darf
ich im Interesse der Sache wohl nicht ganz schweigen.
Die zehn Seiten lange Abhandlung ist ein literarisches Curiosum.
Die Erwartungen, die der Verf. selbst über seine Leistung erregt,
werden auf das Kläglichste enttäuscht; so heißt es p. 18*): „Über
Heinzel's Arbeiten werde ich später sprechen". Wo geschieht das?
p. 21 : „Ich will nun in der folgenden Untersuchung Kölbing's Einlei-
tung genau (!) durchprüfen und sehen, ob seine Resultate als endgiltig
entscheidende anzusehen sind." „Kölbings Urtheil, das er sich durch
gründliches philologisches Studium erworben hat, ist da, es muß von
allen Seiten angesehen werden." p. 23*. „Im Folgenden will ich die
Vergleichung der (!) Prosabearbeitung mit dem (!) Gedicht Gottfried's
vornehmen und die Schlüsse Kölbings prüfen, die dieser aus der Ver-
gleichung gezogen hat." ') Danach wird doch Jedermann eine gründ-
liche und detaillierte Erörterung meines ziemlich compreß gedruckten,
140 Seiten langen Aufsatzes erwarten; Herr Glöde beschäftigt sich
mit demselben aber nur auf circa 3 — 4 Seiten und zieht nicht mehr
wie 15 Verse Gottfried's und vier Zeilen der nordischen Prosa, nach
meiner Ausgabe gerechnet'^), zu genauerer Vergleichung heran. Was
diese anlangt, so muß ich sein Verfahren wenigstens ganz kurz be-
leuchten. Glöde geht nämlich nicht ganz redlich zu Werke; um den
nordischen Text dürftiger erscheinen zu lassen, wie er in Wirklichkeit
ist, druckt er ein kürzeres Stück davon ab, als wie thatsächlich dem
dazu in Parallele gestellten Abschnitt aus G.'s Gedicht entspricht.
Gottfrieds mute entspricht S. p. 5*^: hinn vildasti i gjöfum. Zu seinen
Worten: Er was der werlde ein wunne stellt sich etwa das. dstsamasti
i sinum medferdum; zu: Der rüterschefte ein lere: fuUgerr at öllum
*) Hieher gehört auch folgender Satz auf p. 21: „Es soll darum hier eine Dar-
legung folgen, inwieweit auch die Form, in der uns Gottfried sein Gedicht hinter-
lassen hat, sein individuelles Gepräge trägt." Diese aus Lüth und Bechstein zusammen-
gestoppelte 'Darlegung' ist netto 21 Zeilen lang.
*) Glöde bemerkt p. 25'): „Ich gebe den Text hier ganz genau nach Kölbings
Ausgabe ; einzelne Bemerkungen über Stellen, wo meiner Ansicht nach anders zu
lesen ist, werde ich am anderen (sie!) Orte bringen." Wirkliche Besserungen meines
Sagatextes werde ich jederzeit mit aufrichtigem Danke acceptieren; aber nach der
Probe, die der Verf. in dem bei ihm abgedruckten Satze von seiner Kenntniß des
Altnordischen geliefert hat {viangrar für margrar und die Abtheilung rid\dara8kap
und nun gar all skonar) , wird er mir es nicht übel nehmen können, wenn ich, vor-
läufig wenigstens, von seinen „Bemerkungen'' nicht allzu hohe Erwartungen hege.
ZUR TRISTANSAGE 189
atgervum. yfir alla menn, er i Jiann Irma vdru i pvi riki. Außerdem wird
er aber von dem Sagaschreiber noch genannt: vi(r o/c varr i raäa-
gerdum, forsjdll ok framsf/nn . . . hinn harctasti höräum ok hinn grimm-
asti grimmum. Daß die in gebundener Rede verfaßte Version denselben
Gedanken ein anderes Gewand gibt, wie die Prosadiehtung, versteht
sich ganz von selbst, wie denn ja der mhd. Dichter der Blütheperiode
bei der Vergleichung mit einem Producte aus der Zeit der Naeh-
blüthe nordischer Sagaschreibung von Anfang an im Vortheil ist.
Das führt mich auf einen zweiten Punkt in Glödes Argumentation;
es heißt dort p. 23: „Der nordische Prosaroman ist 1226 aus dem
Französischen übertragen, uns nur in wenigen Bruchstücken in einer
Membrane des 15. Jhd. erhalten, während die Sage vollständig nur
in einer Papierhs. des 17. Jhd. aufbewahrt ist. Diese Thatsache hat
Kölbing nicht berücksichtigt, aber bei der Wichtigkeit der Frage . . .
darf man sie nicht aus den Augen lassen, um gerecht zu urtheilen."
Und dabei habe ich mich p. XIV f. über diesen Sachverhalt wörtlich
so ausgesprochen: ..Freilich dürfen wir uns eines dabei nicht ver-
schweigen, was den Werth dieser Quelle (sc. der Saga) etwas herab-
mindert: wir besitzen dieselbe nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt,
wie etwa die Elissaga und die Strengleikar, sondern nur in einer durch
die mehrfachen Abschriften nicht unbedeutend verschlechterten, nicht nur
was die Sprache anlangt .... sondern auch was den Inhalt betrifft,
der, wie eine Vergleichung mit den Membranfragmenten ergibt, zwar
keine directen sachlichen Änderungen, wohl aber vielleicht nicht unbe-
deutende Kürzungen erlitten hat. Immerhin müssen wir noch sehr
froh sein, dal.> von diesem werthvollen Denkmal überhaupt eine Hs.
auf uns gekommen ist." p. 21 f. stellt Glöde es so dar, als ob ich
die Form von Gottfrieds Dichtung, die derselben ihr individuelles
Gepräge gebe, dem Stil, der zu solcher Vollendung nur durch jahre-
lange Übung heranreife, keine Beachtung geschenkt habe: „Dies
alles erwähnt Kölbing mit keiner Silbe, als ob jeder beliebige Mensch
der mhd. Periode dies auch hätte ausführen können." Gewiß spreche
ich darüber im Verlaufe meiner Untersuchung nicht, weil ich es dort
nur mit den sachlichen Momenten seines Berichtes zu thun habe;
leider aber hat mein Gegner in der Hitze des Gefechtes einen von ihm
selbst (p. 18) citierten Passus aus dem Schlüsse meines Aufsatzes ver-
gessen, wo ich dazu mahne, in Zukunft bei Vergleichung von mhd. Epen
mit ihren afrz. Quellen, das Augenmerk in höherem Grade wie bisher
auf die stilistischen Unterschiede zu richten, wodurch die Vorzüge
GEKMANIA. Neue Reihe XXU. (XXXIV.) Jahrg. 13
190 E. KÖLBING
wie die Schwächen der deutschen Dichtungen in ein neues und helleres
Licht treten würden.
Für welche Gattung von Lesern der Verf. G-ottfrieds Einleitung
hervorhebt (p. 23 f.) und sogar Citate daraus abdruckt und weiter die
Schwertleite und die Minnegrotte als sein dichterisches Eigenthum
bezeichnet, ist mir nicht recht klar; das Publicum der Germania dürfte
sich ob dieser geringen Taxierung seines Wissens schwerlich sehr
geschmeichelt fühlen. Brauche ich den daraus gezogenen Schlüssen
gegenüber noch besonders zu betonen, daß ich geradeso wie Heinzel in
seinem Aufsatz in der Ztschr. f. d. A. XIV einzig und allein auf die
Theile des Gedichtes Rücksicht nehmen wollte und konnte, zu denen
sich in den anderen Versionen der Sage Parallelen fanden, und daß
auf sie allein das am Schlüsse ausgesprochene Gesammturtheil sich
bezieht?
Ich will nicht entscheiden, ob Leichtfertigkeit oder Böswillig-
keit Herrn Glöde bei seinen Behauptungen und Argumentationen die
Feder geführt hat. Nur einen Grundirrthum von ihm möchte ich noch
betonen: „Daß Gottfrieds feinfühlige Art der Darstellung und sein
poetischer Sinn überall die Sage übertreffen", worauf Glöde besonderes
Gewicht legt, ist mir nie eingefallea, zu bestreiten. Worauf es mir
vielmehr ankam, war dies. Heinzel ging seinerzeit von der Ansicht
aus, die vielen Unebenheiten, welche die Darstellung der Tristansage in
dem englischen Sir Tristrem aufweist, hätten schon der gemeinsamen
Vorlage des englischen Dichters und Gottfrieds angehört und es sei
dem Letzteren als Verdienst anzurechnen, daß er sie getilgt habe. Die
Hinzunahme der nordischen Saga lehrt dagegen, daß diese Schwächen
fast ausnahmslos nur dem Sir Tristrem anhaften, während Gottfried
das Richtige bereits in seiner Quelle fand und somit zu geschmack-
vollen Besserungen keine Veranlassung hatte. Dann erscheint aber
seine ganze Persönlichkeit als Mensch und Dichter in einem erheblich
weniger idealen Lichte, wie nach Heinzel's Ausführungen. Dies
Ergebniß aber hat Glöde durch seinen Aufsatz nicht im Allermindesten
umgestalten können ^).
Um jedoch die Leser dieses Blattes nicht nur mit Wiederholung
von Bekanntem zu langweilen, benütze ich diese Gelegenheit, um auf
eine, bisher, so viel ich sehe, unbeachtet gebliebene Parallele zu einem
interessanten Zuge in Tristans Zweikampf mit Morolt hinzuweisen. Dali
') Vgl. auch Golthers Urtheil über Glödes Aufsatz, Ztschr. f. rom. Phil. XII,
363 =>).
I
ZUR TRISTANSAGK. 191
derselbe das Abbild eines skandinavischen Holiuganga ist, haben in
neuester Zeit Sarrazin (Ztschr. f. vergl. Litt. -Gesch., 1. Band, p. 263)
und Golther (Die Sage von Tristan und Isolde, München 1887, p. 24)
mit Recht betont. Auf zwei Parallelen dazu innerhalb der englischen
romantischen Dichtung hat E. Adam (Torrent of Portyngale. London
1887, p. 107, Anm. zu V. 1268) hingewiesen: den Kampf zwischen
den Riesen Gate und Torrent und den zwischen Colbrond und Guy
of Warwick; Beide haben vor Allem das Motiv gemeinsam, daß der
Riese es ablehnt, zu Pferde zu kämpfen, weil er zu schwer ist, als
daß ein Reitthier ihn tragen könnte.
Was die Localisierung beider Kämpfe auf einer Insel im Meere
anlangt, so findet sie sich ausdrücklich erwähnt in der jüngeren, in
Reimpaaren verfaßten englischen Version des Guy of Warwick (ed.
Zupitza, London 1875/76 = Guy B) v. 10133 f.:'
In a place, where pey schulde hee.
Yn an yle wythynne thee see.
Im weiteren Verlaufe des Berichtes freilich wird dies Moment
auffailenderweise gar nicht mehr betont; Guy gelangt an den fest-
gesetzten Platz zu Pferde, v. 10188 ff.:j
And towarde the batell was rydande.
When he into pe place come,
Of hys stede he lyght anone.
In der älteren Fassung, enthalten in der Auchinleck-Hs. (ed.
Turnbull, Edinburgh 1840 = Guy A) fehlt diese Angabe p. 390 über-
haupt. In Sir Torrent werden beide Kämpfer in Booten nach der Insel
übergesetzt, deren Führer dann sofort wieder zurückkehren; v. 1284 ff.:
Whan sir Torrent in to the ile was brought
The shvpmen lengei' wold tary nought,
But Med hem sone ageyn.
Nach Tödtung des Riesen wird Torrent dann wieder mit dem Boote
abgeholt und an das Festland zurückgebracht.
Dagegen möchte ich aufmerksam machen, auf eine bisher über-
haupt wenig beachtete^) Darstellung des Zweikampfes zwischen Guy
und Colbronde, in Bishop Percy's Folio Mauuscript, Edited by Haies
and Furnivall, Vol. II, p. 509 ff., ein Gedicht in der 12zeiligeu
Sehweifreimstrophe ; dort heißt es v. 202 flf. :
') A. Tanner, Die Sage von Guy von Warwick, Bonn 1877, p. 52 f. erwähnt
diese Fassung ganz kurz als enthalten in einem MS. , „das sich im Besitze Percy's
befand und wie es scheint (!) varia enthielt" — eine etwas merkwürdige Umschrei-
bung des bekannten Percy Folio MS.
13*
192 E. KÖLBING
Then the gyant loud did crye,
To tJie king of Denmarke ihese words says hee:
„Behold & take good lieede!
205 Yonder is an Hand in the sea:
From mc he can not scape aioay
Nor passe my hands indeed;
But I shall either slay him xoüh my brand
Or drowne him in yonder salt Strand,
210 Fro me he shall not scape away.
Then I will with my owne hand
Crowne thee king of litle England
For euer and for aye.
That loas irue, as the king of Denmarke thonght,
215 Comanded ,2 barges forth to he bronght,
And either into one loas done.
The palmer tvas the first, that ore did passe,
And as soone as hee to the Hand come loas,
His bärge there he thrust him from.
220 With his foote and loith his hand
He thrust his bärge from the land,
With the water he lett itt goe,
He let itt passe from him downe the streame.
Then att him the gyant luold freane,
225 Why he wold doe soe.
Then bespake the palmer anon right:
„Hither loee be come for to fight^
Till the tone of vs be slaine:
2 botes brought vs hither
230 And therfore came not both togeiher,
But one loill bring vs home.
For thy böte thou hast yonder tyde,
Ouer in thy böte I trust to ryde^
And therfore, gyant, be wäre!'"''
235 Trumpetts blew and bade them goe toote,
The one on horsbacke, the other on foote^
But Guy to god was darre.
217 palmer] gyant Ms. 236 on] om. Ms.
ZUR TRISTANSAGE. 193
Zu diesem Zuge stimmt inhaltlich ganz genau Sir Tristrom
(Heilbronn 1882) v. 1013 ff.:
Pai seylden into pe icide „Our on schal here ahide,
Wi'p her schippes tvo; No he poti neuer so jiro,
Moraunt hond his biside Yiois!
And Tristrem lete his go; Wheper our to liue <jo,
Moraunt seyd pat fide: He hap a7iou:^ of jns.^
y^Tristrem, lohi dos fow so?^'
Die genau entsprechende, bekannte Stelle aus Gottfrieds Tristan
(v. 6795 ff.) brauche ich nicht erst auszuschreiben.
Nun geht aber das oben erwähnte strophische Gedicht, welches
diese Zweikampfepisode aus dem Ganzen der Guysage iierausgreift,
unzweifelhaft auf eine Quelle zurück, welche mit derjenigen, die dem
Dichter des Guy der Auchinleck-Hs. vorlag, nahe verwandt war; man
vgl. z. B. Guys Gebet vor der Schlacht in beiden Texten:
Guy A V. 9903 (Turnb. p. 391 f.:) Guy and Col. v. 157 ff.:
Lord, seyd Gii, pat rered Lazeroun Crist, that suffer ed tvounds 5
And for man poled ])assioun And raised Lazarus froni deth tu
Aiid an pe rode gan hlede, ^ff^j
rat saued Sussan from the feloun To (1. Do) grant me speech and sight,
And halp Daniel from pe lyotin, And saued Danyell the lyons froe,
To day loisse me and rede etc. And borroived Susanna out of looe,
To (1. Do) grant vs sirength and
viight etc.
Ähnlich auch Guy B v. 10193 ff.
Aus alledem möchte ich folgern, daß in der frz. Guydichtung
ursprünglich die Scene so dargestellt war, wie wir sie in der Fassung
der Percy Fol.-Hs. finden. Die Tendenz eines Abschreibers oder Uber-
arbeiters — was bekanntlich oft auf dasselbe herauskommt — ging
nun dahin, die Localisierung dieses Holmganges auf einer Insel zu
beseitigen; was für eine Erwägung ihn dabei leitete, ist freilich schwer
zu sagen*). Dabei ließ er jedoch aus Versehen ein Verspaar stehen"),
') Ein merkwürdiger Parallelfall ist, daß die altnordische Tristramssaga oder
ihre französische Vorlage an der betreffenden Stelle dasselbe Moment gestrichen hat ;
vgl. Zur Überlieferung etc. p. XLVII.
^) Dergleichen ist in der Geschichte der Überlieferung der französischen Epen
keineswegs unerhört; in der des Partonopeus of Blois habe ich einen ähnlichen Fall
nachgewiesen, Germanistische Studien, herausgegeben von K. Bartsch. Zweiter Band,
p. 104.
194 K. BOHNENBERGER
welchem m der jüngeren englischen Übertragung v. 10133 f. (s. o.
p. 191) entsprechen. Ein weiterer Überarbeiter entfernte auch noch
diesen letzten Rest, und eine Hs. dieser Classe lag dem Verf. von
Guy A vor. Zu ihr gehören — wie ich einer freundlichen Mit-
theiiung von O. Winneberger, der uns soeben mit einer dankens-
werthen Arbeit über das Handschriftenverhältniß des frz. Guy erfreut
hat, entnehme — ferner sämratliche auf uns gekommene frz. fls.
des Epos.
Ob der frz. Dichter diesen echt skandinavischen Zug von Todes-
verachtung aus der Tristansage entnommen hat oder ob beide aus
einer gemeinschaftlichen Quelle schöpften, bleibt vorläufig eine offene
Frage. Sicherlich wird man hier nicht von „zufälliger Änlichkeit"
sprechen können.
BRESLAU, den 18. April 1889. E. KÖLBING.
SCHWÄBISCH p. ALS VERTRETER VON a.
<
Nach den Arbeiten von Franck (Ztschr. f. d. A. 25, 218 ff.),
Luick (Beiträge 11, 492 ff.) und besonders Kauffmann (Der Vocalism.
d. Schwab, in d. Mundart v. Horb, Marb. Habil.-Schr. 1887), sowie
meinem eigenen Aufsatze (Corresp.-Bl. f. d. Gel. u. Realsch. Württem-
bergs 1887, 502 SS.) bleibt ') für eine Untersuchung über schwäbisch c
als Vertreter von älterem a noch die Vervollständigung des Materials
und die Einzelerklärung. Dabei mag zuvor daran erinnert sein, daß
vor Nasalen sämmtliche f-Laute geschlossen erscheinen.
Bei Aufführung des Materials ergeben sich nun folgende Kate-
gorien: 1. Plural von Substantiven; 2. Adjective auf i^, lieh,
ern, e?-; 3. die Deminutive; 4. die Nomina agentis auf er;
5. schwache Verba; 6. eine Anzahl Nomina, welche zunächst in
keinem näheren Zusammenhange zu stehen scheinen, 7. gewisse Orts-
namen.
Im Einzelnen gilt in Betreff des Plurals der Substantive,
daß, abgesehen vom neutralen Plural auf er und einigen wenigen For-
men mit ursprünglichem Umlaut des a zu ^ (wie k>eft, n<igl, espif), im
Plural der starken Declination der Übergang des a in ^ Regel
geworden ist. Die Ausnahmen verschwinden ganz. Es sind in der
') Heuslers Aufsatz in Heft I d. B. konnte begreiflicher Weise nicht mehr be-
rück.sichtigt werden.
SCHWÄBISCH e ALS VERTRETER VON a. 195
Tübinger Gegend: hag (aber in Firn. Plural heg)^ halfter, harn, viarter.
In der schwachen Declination sind die Plurale mit c bei Weitem
in der Minderheit, Regel ist hier die Erhaltung des a. Es weisen r:
lade^) (msc), krage, mage, loage, balke.
Die Adjective auf ig, wie die auf lieh, zeigen mehr Bei-
spiele mit a als solche mit r, doch sind die letzteren ebenfalls zahl-
reich. Eine ganz durchgehende Eintheilung ist hier nicht zu gewinnen
weder nach dem Gesichtspunkte der folgenden Laute, noch mit Be-
ziehung auf den Plural der zugehörigen Substantive. Zwar wiegen
unter den Adjectiven mit e solche vor, bei welchen dem Vocale Laute
folgen, welche nach Braune im Oberdeutschen den Umlaut des a auf-
hielten (schwechlich, mechtig, neclitig, pr/xhtig, trrchtig, liAsig, drrniig,
f-rschig, hertig, zertlich, fericig — daneben schnrbelich, frdig, teglich
[kaum volksthümlich], eschig, frschig, loeßerig), aber mehrere unter
diesen zeigen auch a {halkig, kalkig, halmig, harzig, warzig). Und
mehrfach fallen zwar die Plurale und die zugehörigen Adjective in
Anwendung oder Nichtanwendung des Lautwandels zusammen, aber
gegenüber Plural mit e steht: saftig, kragich. Geschlossenes e
haben: kreftig^ negelig, gefMig, fckixj, und vor Nasal: scheniig, ivemsig,
glenzig, schwenzig. Von den Adjectiven a,\xi -ern zeigen <•: ß.<'[Q\x\sern,
wechsern, von denen auf -er: heller und in Ortsnamen -rcher, hecher.
Die Deminutive, jetzt auslautend auf ^e, haben ohne Ausnahme
e-Laut, und zwar haben e die zu kraft, nagel, asp und die zu Sub-
stantiven, welche selbst e zeigen, alle übrigen aber e. Neben neg'Ae
(kleiner Nagel) steht riegele (Nelke).
Bei den Nomina agentis auf er wiegt e bei Weitem vor:
Viecher, pechter, wechter, leder, scheffer, hefner, kleger, seger^ schleger,
tregevy wegner, heiter, ferwer. Dagegen haben a: lacher, Schnarcher.
Geschlossenes e weisen auf: greber, s-pelter, Schmelzer, setzer.
Schwache Verba mit e durch die ganze Conjugation sind:
ernen, fei^wen, gerwen, ezen, schetzen, schwetzen, heweren, dazu aus der
starken Conjugation loeschen. Im Praesens zeigt e: derf zu dürfen.
Die Nomina mit /', welche sich nicht unter die schon genannten
Kategorien stellen lassen, sind: echte (octo), gelechter, dreck, necket,
gescheft, eile (omnes), eis, kelter, reps, rrw9t (Arbeit), herb, pferd, kei-l,
leiin, er{^= ahir), ernt, meii'e, scherrets, gfrte, e[r]sch (= anvi:^), sperwer,
') Eiüfachheitshalber siud gewöhnlich die Formeln der Unagangssprache,
mehrfach auch die des mhd. bei Beispielsangabe gesetzt und ist nur der in Betracht
kommende Laut in der Dialectform gegeben.
196 K. BOHNENBERGER
esche, ilesch, iescli (sumpfige Bodenversenkung, und in mauUfsch),
meßer, grter, geschivctz, letz, vetz, heweret.
Unter den Ortsnamen erscheint f besonders bei denen auf
-ingen, und zahlreich vor Umlaut aufhaltender Consonanz, wie (mit
Belegen aus dem württembergischen und fürstenbergischen Urkunden-
buche): G(>chingen, Hechingen (Hahingun 786, Hech. 1333), Elchingen
(Neresh.: Alchingen 1140; Grünsb.: Alichingen 1234, Elchingin 1220),
Melchingen (Malechingen 1154), Elfingm (Elv. 1252, Frank.?) Nellingen
(Eßl.: Nall. 12. u. 13. Jh. häufig), Nellingsheim (Nall. c. 1243), Der-
dingen (Tard. 1153, Terd. 1181), Ersingen (Ers. 1194), Erti,>gen (Ert.
1248), Erz (Arz. und Erz. 1246); durch eine Zwischensilbe vom Suffixe
-Ingen getrennt: Eclderdingen (Ahttert. 1226), Schrlklingen (Schalkel.
1248, Schelkel. 1291), Dellmensingen (Talmezz. 1237), Derendingen{^ axodi.
1098, Tered. c. 1204), Ergenzingen (Argaz. 1228, Ergoz. neben Argoz.
c. 1150), Merklingen (Marchel. 861, Merkel. 1275). Vor anderweitiger
Consonanz findet sich e bei ingen: Bcsigheim (Basenkain 1 231, Frank. ?),
Detzingen (Däz. 1263), Hedelfingen (Hadelv. und Haedelv. 1246), Pf^f-
fingen (PfafF. c. 1243, PfefF. 1229), Rexingen (Ragges. 1150, Bachs.
1228). Vor der Silbe -in zeigen f : Ellenweiler (Aglinsw. 1245), Mecken-
beuren (Mechinburren 1155). Dazu kommen sonst noch: Sperioerseck
(Sparewarisegge c. 1050, Sperw. 1192), Heslach, Vfsperiveiler (Vasburw.
1150). Mit e vor Nasal scheinen erst in der Zeit des f-Umlauts (s. u.)
umgelautet zu sein: Emerkingen (Anemarch. 1241), Gemrigheim (Gamer-
tinch. 1150, Frank.?) , Memmmgen (Manm. 1223, Memm. 1247), Schiven-
ningen (Suuan. 1225, Swenn. 1212), Entringen (Anthr. 1240, Enthr.
1245), Benzingen (Banz. 1237). Vollständig ist diese Zusammenstellung
nicht, da mehrfach die Etymologie unsicher, oder die Aussprache des
Namens mir unbekannt ist. Von den Personennamen muß wohl
abgesehen werden. Als Vornamen sind sie verschwunden, und ihre
Verwendung als Geschlechtsnamen zu verfolgen, würde zu weit führen.
Handelt es sich nun darum zu bestimmen, wann der in den
angeführten Beispielen zu Tage tretende Lautwandel sich vollzog,
so ist zu beachten, daß sich vielfach darunter Formen mit einer
Lautfolge finden, welche nach Braune im Oberdeutschen den Umlaut
bis ins 12. oder 13. Jahrh. aufhielt. Da nun nicht anzunehmen ist,
daß diese Beispiele zunächst in e umlauteten und dann in e zurück-
gingen, so wird für diese wenigstens der Wandel des a in f ins 12,
und 13. Jahrh. zu setzen sein. Das Gleiche ergibt sich aber auch für
die aufgeführten Ortsnamen auf -ingen. Berechnet man durch Schluß
aus den folgenden, bezw. vorangehenden Jahren sämmtliche, für die
SCHWÄBISCH e ALS VERTRETER VON a.
197
einzelnen Jahrzehnte nachzuweisenden Formen, so ist auf die Jahre
1150 — 1260 das Ergebnis folgendes:
a
e
a
e
1150 . . .
14
1
1210 .
. . 11
5
1160 . . .
11
1
1220 .
.11
rr
7
1170 . . .
11
1
1230 .
. . 8
7
1180 . . .
11
2
1240 .
. . 5
11
1190 . . .
11
3
1250 .
. . 1
12
1200 . . .
11
4
Weiter, als es geschehen ist, kann die Zusammenstellung nicht
geführt werden, da das wiirttembergische Urkundenbuch mit 1252 ab-
bricht.
Für alle übrigen Formen mit c im Einzelnen die Zeit des Laut-
wandels nachzuweisen, wäre sehr schwierig und durch mancherlei
Voraussetzungen bedingt. Gelingt es aber darzuthun, daß die ganze
Erscheinnng eine einheitliche ist, so ist mit der Zeitbestimmung eines
Theils der Formen auch die der übrigen gegeben. — Doch lassen sich
noch einige allgemeine Gesichtspunkte beiziehen. Die neutralen Plurale
auf -er zeigen stets geschlossenes e. Haben wir es nun, wie sich unten
zeigen wird, bei dem Übergänge von a zu e ebenfalls mit einem
Umlaute zu thun, so ist kaum anzunehmen, daß beide Arten des-
selben gleichzeitig neben einander her gingen. Dürfen wir somit den
Übergang in c nicht zu weit hinaufsetzen, so kommt dazu, daß das
aus a entstandene <\ wo es gedehnt') ist, sich unterscheidet von dem
alten, bezw. durch Brechung entstandenen c, sofern ersteres als f,
letzteres als ra (Jy) erscheint. Somit mußte ii sich schon zu ra hin
entwickelt haben, als a in <• gewandelt wurde. Auf der anderen Seite
liegt aber auch ein Grund vor, nicht zu weit herabzugehen. Es konnte
das unbetonte i noch nicht ganz mit e zusammengefallen sein, wenn
es noch in specifischer Weise auf die vorhergehenden Laute wirken
sollte. Nun ist i nach Behaghel'') (z. Frage n. einer mhd. Schriftspr.,
in Basler Festschrift für Heidelberg p. 48) zum Mindesten tief ins
13. Jahrh. hinein erhalten. Unter dem Schutze des nachfolgenden
') Im schwäbischen Neckargebiete von Tübingen an abwärts ist die alte Kürze
nur erhalten vor Geminata, Affricata (und deren Vertreter cA), sonstiger Doppcl-
consonanz außer ht, m, rs, rst (dafür rsch), rt, r^, rz, weiter zum Mindesten in einem
Theile des Gebietes auch vor t, p {epae = ebehöu, lenis vor h zu fortis) — k findet
sich nicht nach ursprünglicher Kürze.
^) Wozu übrigens zu bemerken ist, daß im Schwäbischen t heute noch nicht
irrationaler Vocal (») geworden, sondern als e erhalten ist.
198 K. BOHNENBERGER
Consonanten ist auch i bis heute noch erhalten im Adjectiv auf -ig.
Aber wir werden bei Erklärung des Lautwandels zu f auch die An-
setzung des Einflusses selbst von auslautend i (z. B. in der i-Decl.)
nicht entbehren können. — Diese allgemeine Umgrenzung stimmt zu
der oben gegebenen Zeitbestimmung.
Was aber die Frage nach der Art und dem Grunde dieses
Lautwandels betrifft, so hat Kauffmann denselben als späteren, vom
ersten geschiedenen Umlaut bezeichnet. Daß es sich um einen Um-
laut handelt, ist für die Formen, welche unter Braunes oberdeutsches
Umlautgesetz fallen, schon gegeben, und daß dieser Umlaut vom
ersten geschieden ist, geht aus der oben gegebenen Zeitbestimmung
hervor. Somit ist Grund genug vorhanden, von Kauffmanns Bestim-
mung aus die Einzelerklärung zu versuchen. Aber dabei genügt es
dann nicht, die ganze Erscheinung direct aus der immer größer
werdenden Unsicherheit und aus Analogiebildung zu den entsprechen-
den ursprünglich umgelauteten Formen abzuleiten. Damit ließe sich
nicht verstehen, warum e und nicht e auftritt. Bei organischer Ent-
wicklung liegt wohl r auf dem Wege von a zu «, für Analogiebildung
aber ist r ein eigener, von e geschiedener Laut. — Nun bilden das
nöthige Mittelglied für die meisten der in Betracht kommenden Er-
scheinungen die Formen mit ursprünglich i nach Umlaut aufhaltender
Consonanz.
Im Einzelnen ist so für die Plurale der starken Declina-
t i o n mit r auszugehen von Formen wie mhd. : backe, nahte, bälge.
Die hier im 12. und 13. Jahrh. durchdringende Palatalisierung ist
wegen des Widerstandes der Consonanz nur bis r gegangen. Sind
aber hiemit einmal einige Formen mit f erklärt, so lassen sich die
übrigen als Analogiebildungen zu diesen ansehen, zumal eine Differen-
zierung im Slammvocal gegenüber dem Singular wünschenswerth
wurde, als die unterscheidende Endung schwand (vgl. Kauffmann,
§. 12 An.) Daher blieben nur wenig gebrauchte Plurale zurück. Von
der starken Declination aus ist der Umlaut durch Analogie auch in
die schwache eingeführt worden. Dabei bleibt offen, wie frühe die
einzelnen Formen der Analogie unterlagen. Die Bewegung kann noch
in Zukunft weiter gehen. Die oben gegebene Zeitbestimmung ist also
für die Plurale nur als terminus a quo anzusehen.
Die Erklärung des e in den Adjectiven auf ig scheint inso-
fern schwieriger, als in der ersten Umlautzeit im Allgemeinen auch
ohne Umlaut hindernde Consonanz der Umlaut unterblieb. Aber, wie
oben aufgeführt, gibt es doch auch Formen, welche seit der ersten
SCHWÄBISCR p ALS VERTRETER VON a, 199
ümlautzeit Umlaut zeigen, oder bei denen dieser wenigstens aus dem
geschlossenen e folgt. Und zwar geht aus den Beispielen hervor, daW
oberdeutsch die Adjective auf irj in der ersten Umlautszeit umgelautet
wurden, wenn ihnen ganz oder in der Mehrheit ihrer Formen um-
gelautete Substantive zur Seite standen. Als dann vor Umlaut auf-
haltender Consonanz im Plural Umlaut zu <• eintrat, wurden die zu-
gehörigen Adjective mitumgelautet. Daher wiegen gerade diese unter
denen mit <■ vor. Weiterhin vollzog sich die Ausdehnung auf die
übrigen Adjective auf i() in Analogiebildung. Wie hart : brrliy, so
sc/mabel : schncheUg, und vor Nasal glänz : glenzig. So läßt sich dieser
Umlaut im Adjective analog dem der Substantive erklären und Ein-
fluß des Zwischenvocals braucht nicht angenommen zu werden, wenn
auch zuzugeben ist, daß bei Beispielen wie schncbelig, xcrfserig darauf
zurückgegriffen werden könnte (so Kauffmann, §. 12, Anm. für das
Deminut.). Aus dem Wechsel von Suffix ich = lg mit ^t erklärt
sich, daß auch nacket umgelautet wurde zu neckH.
Ganz das bisher Gesagte gilt auch von den Adjectiven auf
lieh. An schivechlich schließen sich die übrigen mit f an. Über die
Adjective auf -ern läßt sich wegen der geringen Zahl der Beispiele
nicht mit voller Bestimmtheit urtheilen. Die beiden ßf[ch]sern, iccchsem
zeigen <• vor Umlaut aufhaltender Consonanz. Hier sei auch über die
Adjective auf -eu, schwäbisch -e, nihd. -hi, obwohl sich unter den-
selben keine Formen mit <• finden, bemerkt, daß der Umlaut bei ihnen
nicht weit durchgedrungen zu sein scheint und jetzt offenbar zurück-
geht. Ohne Umlaut erscheint stets tanneu, in Tübinger Gegend vor-
herrschend houchen, neben ^spen häufiger aspen, neben hilze.n mehrfach
holzern, nur eschen ist allgemein gehalten durch die Substantivform
esche. Über die Adjective auf -er s. bei den Substantiven gleicher
Endung.
Den gleichen Weg, wie bei den bisher erklärten Formen, hat
der Umlaut zu e wohl auch bei den Deminutivis gemacht. Auch
hier haben wir kreftle, negdle, eckle, esple und dann vor ch als Aus-
gangspunkt für die übrige Bewegung mit c hechle. Nur ist für die
Derainutiva aus dem Sprachschatze des mhd. noch weniger zu ersehen,
da in diesem überhaupt wenig Deminutiva enthalten sind. Will man
den Umlaut zu <■■ bei den Deminutiven auf einen Mittelvocal zurück-
führen, so stößt man bei Erklärung des Unterschiedes zwischen
kreftle und negdle einerseits und hechle anderseits auf Schwierigkeiten
Die Form n('g<>le (Nelke) zeigt gegenüber negdle den jüngeren Umlaut
und erweist sich damit auch als jüngere Bildung, wobei aber auf-
200 K- BOHNENBERGER
fallend bleibt, daß im gleichen Worte eine solche neben der älteren
soll aufgekommen sein.
Verwickelter wird die Frage bei den Nomina agentis auf
•er, alt ari. Es stehen hier wohl auch neben Verbis mit e Nomina
mit solchem, wie decker, speüer, Schmelzer, setzer, aber man kann doch
fragen, ob die wenigen Beispiele mit Umlaut aufhaltender Consonanz
und offenem e {gerher, fptver) für sich allein den Ausgang zur allge-
meinen Umlautsbewegung zu c gegeben haben. Es empfiehlt sich hier
auch die Bildungen mit anderweitigen Vocalen beizuziehen, welche
von umgelauteten Verben abgeleitet sind und denen Substantive mit
umgelautetem Plurale und Singular ohne Umlaut zur Seite stehen,
wie ßötzer : ßotz : flötze, iräumer : träum : träume» Waren nun einmal
die Plurale hefen und torgen gebildet, so entstehen die Reihen hefner :
hafen : hefen, ivcgner : loagen '. wegen. Dann folgten die übrigen nach,
auch die, welchen kein umgelauteter Plural zur Seite stand, wie
mecher, scheffer. Die zurückgebliebenen lacher und Schnarcher sind
wenig gebraucht. Bei anderweitigen Vocalen außer a, bei welchen
der Umlaut im Plural nicht so weit ausgedehnt ist, finden sich auch
Bildungen auf -er ohne Umlaut in verhältniß mäßig größerer Zahl. —
An die Substantive mögen sich die Adjective auf -er anreihen. Hier
findet sich aus der Zeit des Umlautes zu e stetter als Ableitung von
Ortsnamen auf -stetig -stetim (nicht auf -stat). Somit ist hier der Um-
laut nicht erst durch das Suffix -er gewirkt. Nach Analogie dieser
Derivate von alten Ortsnamen werden nun auch solche von neuen
gebildet: Weilrstetr (Weil der Stadt) gebildet, wie Mögsteir {Mögstet
^= Magstadt). Als dann in der zweiten Umlautszeit vor dem Suffix
-er der Nomina agentis Umlaut zu e eintrat, bildete man von Orts-
namen auf -ach^ -buch die Derivate auf echer, hecher. Bei anderen
Vocalen tritt der Umlaut auf in -hefr (-hof), -derfr (-dorf), -aer (-au),
-haisr (-hausen). Seit die Endsilbe der Ortsnamen verflüchtigt ist,
sind keine Neubildungen dieser Art mehr möglich, darüber sind auch
alte Bildungen mehrfach vei-loren gegangen, und wo bei erhaltenem
Vocal der Schluß silbe neue Derivate auf -er gebildet werden, fehlt
ihnen vielfach der Umlaut. — Hierher gehört auch heller, bei dem aber
fraglich bleibt, ob es als selbständige schwäbische Bildung anzusehen,
oder aus dem Fränkiscken überkommen ist. — Endlich schließt sich
noch an das Substantiv speriver {sperwl) gegenüber älterem sparwcere,
welches dem Umlaut der Nomina agentis und der Adjective auf er
sich angeschlossen hat.
SCHWÄBISCH e ALS VERTRETER VON a. 201
Unter den schwachen Verben zeigt der größere Theil derer
mit umlautaufhaltender Consonantenfolge dennoch e und muß also in
Zusammenhang mit der ersten Umlautszeit umgelautet sein : verkAten,
Spelten, schmelzen^ scherfen, sterken, verderben. Zurückgeblieben sind in
der ersten Zeit und zeigen e nach der oben gegebenen Zusammen-
stellung je eines mit rf und rn, dann zwei mit ric, wie auch nach
Braune riv den Umlaut ganz besonders aufhielt. Als späte Bildung
erklärt sich he.weren : hawer =ft;noen : fariü[e]. Aber auffallend bleiben
die Verba mit r vor z und seh. Sie scheinen überhaupt die einzig
gebräuchlichen zu sein, in welchen diese Consonanten auf ursprünglich
a folgen. Ihnen gegenüber ist die Menge der übrigen schwachen Verba
zurückgeblieben und hat a erhalten. So kann man, zumal noch eine
Anzahl Substantive mit e vor seh hinzukommen und umsehen zur
starken Conjugation gehört, an Einfluß der dentalen Consonanten
denken. Aber dem steht wieder das methodische Bedenken gegen-
über, daß sonst dieser Lautwandel zu e stets auf vocalischen Einfluß
zurückzuführen ist.
Erproben muß sich die bisher angewandte Erklärungsweise an
dem Reste der Nomina. Nun finden sich unter diesen wie unter den
Verben eine ziemliche Anzahl Formen mit e, also älterem Umlaute
trotz umlautaufhaltender Consonantenfolge. Es sind dies außer den
Abstracten auf alt i (s. Braune, Beitr. 4, 555) er6[e], msc. und
ntr., der Positiv hert, sämmtliche Comparative und Superlative
und mit letzteren auch herbst. Dagegen haben vor ursprünglich umlaut-
aufhaltender Consonanz organisch gewirkten Umlaut zu f. echte (octo,
nach Kauffraann, Beitr. 13, 394 neutr. plur., jedenfalls nicht zurück-
zuführen auf msc. mit /, wie sibuni, weil das i des Nom. plur. der
i-Decl. als kurz im schwäbischen abgefallen ist, z. B. gest, das erhaltene
e im Auslaut aber frühere Länge oder früheren Diphthong voraus-
setzt) , zivrlf hrrb, ernt, merr, gerte, e[v\sch, wobei in dioahila und
mariha einfaches h und r in der ersten Umlautszeit den Umlaut auf-
gehalten haben. In Analogiebildung schlössen sich an mit r -\- Cons.
kerl (zugleich auch unter dem Einflüsse des Deminutivs), und rriodt
(lautend wie h^wdrdt). Wenn weiter in sämmtlichen Formen von al-,
auch in als e erscheint, so mag der Umlaut hier vom Neutr. plur.
ausgegangen sein (Kauffmann, Voc. §. 12), wie bei echte. Solche Aus-
breitung ist wohl denkbar in einer Zeit, in der sich f weit aus-
dehnte. Bei letz, fetz kann die inlautende Affricata nach Vocal als
aus doppelter Fortis verschoben auf geminierendes i hinweisen, und
dann hat z, wie im Verbum, so auch in diesen Nomina den Umlaut
202 K. BOHNENBERGER. SCHWÄBISCH e ALS VERTRETER VON a.
ZU e gehindert. Aber nachzuweisen sind keine Formen mit zu Tage
tretendem i. Über die Substantive mit folgendem seh, s. oben
beim Verbum. Das etwa mit a übrig bleibende masche ist nicht volks-
thümlich (dafür schlaufe). Auch bei mefier ist das Ausbleiben des Um-
lautes in der ersten Uralautszeit höchst merkwürdig. Sollte das Wort
in alter Zeit im schwäbischen nicht volksthümlich gewesen sein, oder
ist von der bei Kluge Wb. angeführten P^orm maz-sahs auszugehen und
der f-Laut später aus dem Fränkischen herübergenommen? Bei dreck
fehlt noch sichere Bestimmung der germ. Form. Wird geter^ wie das
schriftdeutsche Gitter auf gegattr zurückgeführt, so ist damit noch
nicht alles erklärt. Die alten neutralen collect! ven j'a-Stämme mit
Fraefix ge- zeigen regelrechten Umlaut zu e: gffell, gelieg, geheck.
Somit muü geter eine Form jüngerer Bildung sein. Mit Umlaut auf-
haltender Consonanz und Umlaut zu e gegenüber einer Grundform
ohne Umlaut gibt es aber keine völlig gleichartige Bildung, nur das
ähnliche gelechter, in welchem die Länge des Vocals vor ch beweist,
daß dies = germ. h und die Form alt ist. Will man diese einzige
und nicht einmal ganz gleichartige Form nicht als Anlaß zur Analogie-
bildung ansehen, so kann man aber auch weiter ausholen und davon
ausgehen, daß bald e und nicht mehr e dem Bewußtsein als Umlaut
von a erscheinen mußte, als einmal der Umlaut zu e sich ausgedehnt
hatte. Denn die Bildungen mit e lagen äußerlich betrachtet so weit
ab von den zu Grunde liegenden Formen mit a, daß deren Zusammen-
gehörigkeit viel weniger nahe lag, als der Wandel von a zu e. Nun
konnte der Umlaut anderweitiger neutraler Collective mit Praeüx ge-
veranlassen, daß das Collectiv zu gater mit dem damals als Umlaut
zu a geltenden e gebildet wurde. Dem läßt sich anreihen geschwez zu
swaz, welches aber sein e auch unter dem Einfluß des zugehörigen
Verbums erhalten haben kann, wie hew^r9t. Nicht volksthümlich ist
er = ahd. ahir (wofür fese, kolbe, kife) und geschqft. Über spqrwer
und hqller s. oben bei den Nomina agentis, über necket bei den Ad-
jectiven auf ig. Unter den Fremdwörtern geht keller zurück auf kalter,
und es wird wohl die Endung er Anlaß zu Umlaut aus Analogie
gegeben haben. Bei ff^rd erklärt sich die Erhaltung des a in der
ersten Umlautszeit, wenn das Wort erst im 8. Jahrh. entlehnt wurde
(Kluge, Wb.) und als Fremdwort zunächst dem Umlaut widerstand.
Das Gleiche wird gelten für krett = mhd. kratte (Korb), wofür übrigens
in Tübingen heute noch kraft. In r^ps muß das i der Form rapic[mm\
den Umlaut veranlaßt haben. Dies bleibt aber auffallend, wenn das
FRANZ. KRATOCHWIL, ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND etc. 203
Wort, wie Kluge will, erst nhd. entlehnt ist. Für hym. ist voraus-
zusetzen lerman aus allerman.
Einfacher liegt die Sache zum SchhiLi wieder bei den Orts-
namen. Die mit Umlaut aufhaltender Consonanz vor i, sowie Sper-
icefi'seck sind durch das bisherige erklärt. Bei HMelfingen, Rfxingen ist
in der ersten Umlautszeit der Umlaut durch die dazwischen liegende
Silbe aufgehalten, wobei dahingestellt sein mag, ob bei solchen Formen
der Umlaut ein organischer ist, oder durch Analogie gewirkt. Nöthig
ist die erstere Auffassungsweise nicht. Für B^sigheim könnte d anzu-
setzen sein, in Pfeffmgen wurde das a zunächst noch gehalten, weil
pfafjo als Bestandtheil deutlich zu Tage lag. Der gleiche Grund mag
lür Alemviingen, Schivenningen gelten. In Detzingen hat wie auch sonst
z in der ersten Umlautszeit den Umlaut aufgehalten. Bei Iledich er-
scheint der Umlaut vor der Endung ich = acli = ahi, wie auch
sonst in jüngerer Zeit (z. B. steckich = stockach). Vqnpei'xveÜHr ver-
dankt seinen Umlaut erklärender Umbildung.
TÜBINGEN, VA. December 1888. K. BOHNENBERGER.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER
SUCHEN WIRT - HANDSCHRIFTEN.
Mit zweln großen, bisher uubekannten Ergänzungen zu Suchenwirta Gedichten.
Seit Jahren war ich bemüht, die in verschiedenen Bücher-
saramlungen zerstreuten Suchen wirt- Handschriften kennen zu lernen,
zu besehreiben und kritisch zu vergleichen, um so eine breite Basis
lür eine möglichst vollständige, kritische Ausgabe der Gedichte
Suchenwirts zu sciiaffen. Daß ich bei diesem Streben nicht wenig
auf das Wohlwollen der Bibliotheksverwaltungen angewiesen war,
leuchtet ein; ich bin in der angenehmen Lage, berichten zu können,
daß ich freundliches Entgegenkommen nahezu überall, wo ich anklopfte,
gefunden habe. Ich danke hiefür öffentlich auf das Wärmste, besonders
dem Vorstande der kaiserlichen Hofbibliothek in Wien, Herrn Hof-
rath Dr. fernst Ritter von Birk, und dem Scriptor daselbst, Herrn
Dr. A. Göldlin von Tiefenau , dem Herrn Dr. G. E. Friess, Pro-
fessor am Gymnasium des Benedictinerstiftes Seitenstetten, dem hoch-
würdigen Herrn P. Florian Schininger, Vorstand der Cistercienser-
abtei Schlierbach", dem Herrn Bibliothekar des Benedictineratifte
204 FRANZ KRATOCHWIL
Kremsmünster, P. HugoSchmid,dera geehrten Verwaltungsausschusse
des Böhmischen Museums in Prag, dem Geheimen Hofrath Professor
Dr. W. Pertsch, Oberbibliothekar der herzoglichen öffentlichen Biblio-
thek zu Gotha, und Herrn Dr. Bender, Vorstand der Universitäts-
bibliothek zu Heidelberg [lange todt. O. B.]. Den ehemaligen Ober-
bibHothekar der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden, Ge-
heimen Hofrath Professor Dr. E. W. Förstemann erreichen meine
Dankesworte nicht mehr im Amte, der frühere Director der königlichen
Hof- und Staatsbibliothek zu München, Professor Dr. Karl Halm
vernimmt sie gar nicht.
Auch allen Freunden und Bekannten, die mich in irgend einer
Weise gefördert haben, danke ich hiemit bestens, besonders den
Herren Universitätsprofessoren Dr. Richard Heinzel in Wien, Dr.
Hermann Paul in Freiburg im Breisgau und Dr. K. A. Barack,
Oberbibliothekar der Universitäts- und Landesbibliothek zu Straßburg.
Es würde mich freuen, wenn durch die Veröffentlichung dieser
Arbeit eine Anregung gegeben würde, den Spuren Suchenwirtischer
Gedichte nachzugehen und etwa gefundene auf dem kürzesten Wege
bekannt zu machen. Ich glaube, es ließe sich^ besonders in Miscellan-
handschriften, hie und da noch etwas finden. So habe ich erst jüngst,
freilich für diese Untersuchung zu spät, aus den Beiträgen zur Quellen-
kunde der altdeutschen Literatur von K. Bartsch ersehen, daß trotz
fleißiger Suche mir doch zwei Recensionen [Suchenwirtischer Gedichte
entgangen sind.
WIEN, im Juli 1888.
L Handschriften.
L A.
Aus Katalogen und durch zahlreiche Anfragen auf verschiedenen
Bibliotheken sind mir einundzwanzig Handschriften, welche Gedichte
Suchenwirts enthalten, bekannt geworden. Die bedeutendste von
allen ist A, eine Papierhandschrift der k. k. Hofbibliothek in Wien,
Nr. 13045, 8". Durch den erst in neuester Zeit erfolgten Einband
(rother Juchten, im Geschmacke des 14. Jahrhunderts gepreßt, mit
schön bronzierten stilvollen Schließen, auf dem Rücken mit Gold-
buchstaben „Peter Suchen wir t") erhält die Handschrift ein quart-
förmiges Aussehen. Die drei leeren Blätter nach dem vorderen sowie
vor dem rückwärtigen Deckel sind eine Zuthat des außerordentlich
geschickten (bereits verstorbenen) Buchbinders Fr. Kraus s in Wien;
er hat es auch verstanden, die stellenweise an den Blattenden sehr
abgegriffene und ausgefranste Handschrift aufs Beste zu reparieren.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 205
Die Haudsclirift selbst besteht aus zweihundertzweiuudfünfzig
Blättern. Die mit Blei angebrachte fortlaufende Paginierung ist bis
pag. 48 richtig, da aber die nächste Seite auch mit 48 bezeichnet
ist, so ist von hier an jede Zahl um eins zu niedrig. Um einerseits
den Fehler auszugleichen , anderseits aber nicht in dauernden Wider-
spruch mit der nun einmal vorhandenen Zählung zu gerathen, citiero
ich in der Folge 48* und 48". Die Paginierung stammt aus unserer
Zeit; jedenfalls war sie schon vorgenommen, bevor die Handschrift
gebunden wurde; denn dadurch wurden die Zahlen von 421 ab mehr
oder minder weggeschnitten. Höchst wahrscheinlich rührt sie von Alois
Primisser^) her, gewesenem Gustos des k. k. Münz- und Antiken-
cabinetes und der k. k. Ambrasersammlung zu Wien ; dafür spricht
auch, daß sie nur bis Seite 483 (richtig 484) reicht, denn Seite 1 bis
483 bringen ausschließlich Suchenwirtische Gedichte. Sie sind schon
1827 in seiner bekannten Ausgabe der Werke Peter Suchenwirts ver-
öffentlicht worden, jedoch abweichend von der in der Handschrift
eingehaltenen Aufeinanderfolge. Diese zu kennen, ist aber aus meh-
reren Gründen nöthig; sie ist aus nachstehender Tabelle ersichtlich.
» fc-
■ä-So
Pri-
Von Seite . . . der
1
missers
Zählung
Handschrift bis
Seite . . .
Überschriften
der Gedichte
Geschrieben vom
1
1, Z. 1—7
Titel fehlt
'2
I
1,Z.8— 9,Z.10
Von Chünik ludwig von
Ungerlant
3
II
9, Z. 11 — 12,
Z. 20
Von der Kayserin von Payrn!
1 . Schreiber
4
xxni
12, Z. 21 — 17,
Z. 12
Ein red von der Minne
5
IX
17, Z. 13—27,
Z. 24
Di von Elrwach vö hn
puppli
6
XLV
28 bis Ende der-
Ein red von liübscher lug
7
XXIV
selben Seite
29, Z. 1—42,
Z. 12
Die Minne vor Gericht
NB. Der Titel stammt von P
2. Schreiber
1
8
XI
42, Z. 13 — 54,
Z. 10
VonGrafl" vlreich von Phfan-
berg
') Dafür sowie für seine Sucbeuwirt-Ausgabe steht im Nachfolgenden gewöhn-
lich P.
GERMANIA. Nene Reihe. XXII. (XXXIV.) Jahrg.
14
206
FRANZ KRATOCHWIL
I ® in I
Pri-
mis sers
Zählung
Von Seite . . . der
Handschrift bis
Seite . . .
Überschriften
der Gedichte
Geschrieben vom
9
10
11')
12
13
14
15
16
17
19
20
21
22
X
XII
III
xni
XIV
VII
VI
XXI
XXV
XXVI
XXVII
XV
vm
54, Z. 11 — 64,
Z. 19
64, Z. 20—70,
Z. 19
70, Z. 20—80,
Z. 18
80, Z. 19—89,
Z. 14
89, Z. 15 — 99,
Z. 3
99, Z. 4—114,
Z. 3
114, Z. 4—124,
Z. 13
124, Z. 14—134
Z. 7
134, Z. 8—142,
Z. 20
143, Z. 1 — 156,
Z. 22
157, Z. 1—159,
Z. 16
159, Z. 17—163
Z. 14
163, Z. 15—171,
Z. 25
171, Z. 26—182,
Z. 5
Von h^n puppily von Elrwach
NB. Zweite Bede
Von her herdegen von
PetAw
Von h^rn vireich von wallsse
NB. Erste Fassung
Von h'tzog Albrecht vö
Ostereich (II. f)
Von hn vir von walse
NB. Zweite Fassung
Von h'rn fridreichen dem
Chreuzzpekch
von purgf Albrechten von
Nurnberch
von kernden h'^czog hain
reich
Die reD haist D brief
2. Schreiber
3. Schreiber
4. Schreiber
Die schon abeutewr
Daz geiaiD
D*^ Rat von Dem vngelt
von Leutolten von Stadekk
Vo b-er pvrcharten eller
bach Dem alten
5. Schreiber
6. Schreiber
7. Schreiber
8. Schreiber
9, Schreiber
') Den Text dieses Gedichtes begleitet am linken Rande der Handschrift eine
mit Blei angebrachte Verszählung (von fünf zu fünf Versen). Sie stammt wahr-
scheinlich von derselben Hand wie die Paginjerung und findet sich auch in Nr. 14,
17, 20, 21, 24, 25, 27, 31, 35, 39 und 44,
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-H8S. 207
9 h
f »'S
fms)
Pri-
misse rs
Zählung
Von
Ha
Seite . . . der
iidschrift bis
Seite . . .
Überschriften
de r Gedichte
Geschrieben vom
23
XXVIII
182,
Z. 6—193,
Z. 28
die haist d' widertail
24
XVI
193,
Z. 29 — 203,
Z. 20
von Graff vireichen von
Tzili
25
XXIX
203,
Z. 21—213,
Z. 16
Von Dem phenig
. 10.
Schreiber
26
XXX
213,
Z. 17 — 223,
Z. 20
Von D*^ mynn slaff
27
xvn
223,
Z. 21—231,
Z. 25
Von hern Fridreichen von
lochen
,
28
XXXI
232,
Z. 1—241,
Z. 20
Das ist Di verlegenhait
. 11.
Schreiber
29
XXXIX
242,
Z. 1—252,
Z. 20
Daz sind Di tzelien gepot
1"
Schreiber
30
XXXII
253,
Z. 1—255,
Z. 20
Daz ist Di geitichait
1
1
31
xxxm
256,
Z. 1 — 262,
Z. 10
Daz ist Der getrew rat
Schreiber
32
XIX
262,
Z. 11 — 266,
Z. 15
Daz ist Di red vom Teichner
14.
33
IV
267,
Z. 1—299,
Z. 7
Von HHzog Albr' Ritt^schaft
Schreiber
34
XXXIV
299,
Z. 8—305,
Z. 7
Von Der tursten tailung
i-
Schreiber
35
xvin
305,
Z. 8 — 330,
Von h'^n Hansen Dem Trawn*^
16.
Schreiber
Z. 12
36
XL
330,
Z. 13—342,
Z. 9 0
Daz sint Die l'yben tod sünd
17.
Schreiber
') S. 342, Z. 10—343 Ende unbeschrieben.
14*
208
FRANZ KRATOCHWIL
fMtS9
Pri-
missers
Zählung
Von Seite . . der
Handschrift bis
Seite . . .
Überschriften
der Gedichte
Geschrieben vom
37
XLI
344,
Z. 1 — 418,
Z. 7')
Die siben frewd Mariae
NB. Vgl. S. 209.
y 18, Schreiber
1
38
XLII
420,
Z. 1—428,
Z. 4
Die red von Dem Jüngsten
gencht
1
39
XXXV
428,
Z. 5—432,
Z. 24
Von Zwain Päbsten
40
XXII
433,
Z. 1—442,
Z. 14
Die reD haizzt D^ new rat
41
XLIU
442,
Z. 15—445,
Z. 17
Die reD haizzt D^ frömD sin
. 19. Schreiber
42
XLIV
445,
Z. 18—450,
Z. 21
Die reD ist Equiuocum
43
XXXVI
451,
Z. 1—454,
Z. 21
Die reD' haizzt D' vmbchert
wagn
44
XXXVII
455,
Z. 1—460,
Z. 3
Von Der fürstn chrieg vnD
von Des reiches stetn
45
XXXVIII
460,
Z. 4—477,
Z. 4
Daz sinD aristotiles ret
46
V
477,
Z. 5—483,
Von h'rtzog albo säligen in'
1
Z. 9
öst'reich
1 20. Schreiber
Der Raum nach der 9. Zeile auf Seite 483 ist unbeschrieben,
ebenso die nächsten 15 Seiten (vgl. S. 230) ; dann folgt auf zwein Seiten
ein Tobias Segen **), die letzten drei der Handschrift selbst ange-
hörigen Seiten sind hie und da mit bereits abgeblaßten Wörtern be-
kritzelt.
Die Schrift des Tobiassegens stammt wohl noch aus dem
15. Jahrhunderte, jedenfalls ist sie jünger als die von A. Volumen
') S. 418, Z. 8—419 Ende unbeschrieben.
') Er ist mit keiner der beiden in der Ztschr. f. d. Alt., 24. Bd. (1880), S. 182 ff.
mitgetheilten Fassungen identisch, doch zeigt er mit V. 1—50 des ersten dort ange-
führten Segens einige Ähnlichkeit.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUOHENWIRT-HSS. 209
VII. (erschienen 1875) der Tabulae codi cum manu scriptorum
praeter graecos et orientales in bibliotheka palatina vindobonensi
asservatorum setzt (pag. 180) ganz allgemein A in das 15. Jahr-
hundert; ich möchte die Handschrift dem Ende des 14. oder
doch sp.ätestens dem Anfange des 15. Jahrhundertes zu-
weisen.
Freilich ist die Schrift in A nicht eine durchgehend gleich-
mäßige: es haben eben mehrere Hände daran geai'beitet. Für den in
einer Coluraue mit abgesetzten*) Versen — ihre Zahl ist auf keiner
Seite höher als dreißig und sinkt, wenn man von den in der Tabelle
Nr. 36, 37 und 46 berührten Fällen absieht, nur selten bis fünfzehn
— gegebenen Text der Gedichte wurde ausschließlich schwarze Tinte
verwendet, nur in Nr. 41 sind die vier letzten Zeilen mit rother
Tinte geschrieben. Roth sind auch die Überschriften der Gedichte
bis auf Nr. 23, deren Titel schwarz ist. Bei drein Gedichten fehlen
die Überschriften: bei Nr. 1 und 7 wegen Lückenhaftigkeit der
Handschrift, bei Nr, 37 durch den Schreiber, welcher den für den
Titel auf S. 343 reichlich vorhandenen Raum zu benützen unterließ.
Da aber Suchenwirt im fünften Verse vor Schluß dieses Gedichtes
sagt : Di sihen freicd haizzt Daz getichf,
so läßt sich mit ziemlicher Sicherheit die fehlende Überschrift er-
setzen. — Als Gegenstück dient das Gedicht Nr. 44, dessen Titel
zweimal geschrieben wurde: Ende der S. 454 und zu Anfang der
S. 455.
Roth ist auch sehr häufig die Initiale der einzelnen Gedichte,
und zwar in sechsunddreißig von sechsundvierzig Gedichten der
Handschrift, in Nr. 31, 33 und 35 ist sie roth verziert; nur in wenigen
Gedichten (Nr. 18, 22, 23, 34 und 36) entbehrt sie ganz der rothen
Farbe.
Der Anfangsbuchstabe jedes ersten Verses ist groß^)
bei den Anfangsbuchstaben der übrigen Verse ist es meistens der
Fall; klein (mit nur wenigen Ausnahmen) sind sie blos in Nr. 19 und
21; in Nr. 35 beginnen (doch mit einzelnen Ausnahmen) die ungeraden
mit großen, die geraden Verszeilen mit kleinen Anfangsbuchstaben,
in Nr. 18, 20, 34 und 36 wechseln sie ohne Regel, doch so, daß in
18 und 34 die großen, in 20 (stammt von demselben Schreiber wie
19 und 21) die kleinen Anfangsbuchstaben vorwiegen.
') Einige Ausnahmen zeigen sich in Nr. 18 und zu Anfang von Nr. 37.
') In den Nummern 38 — 45 ist er sogar auffällig groß.
210 FEANZ KRATOCHWIL
Unbekannt ist mir, wie P in der Besehreibung von A (dieselbe
reicht, von einigen Zeilen der Einleitung auf S. XLIII, XLIV, LII
und LIII abgesehen, von S. XLV — XLVIII) zur Behauptung kam:
„Die Verse sind alle abgesondert geschrieben, jeder mit einem roth
durchstrichenen Anfangsbuchstaben" (S. XLVI). Ein Blick in die
Handschrift zeigt die Unrichtigkeit der letzteren Behaup-
tung. Nur die vom ersten und vorletzten Schreiber herrührenden elf
Gedichte (Nr. 1-4 und 38—44 auf S. 1—17 und 420—460) zeigen
die großen Buchstaben am Anfange der Verse roth durchstrichen, und
zwar vertical oder wagrecht die ersteren, die letzteren von oben
nach unten. In allen anderen Gedichten sind die Anfangsbuchstaben,
abgesehen von jedem ersten Verse und ganz vereinzelten Ausnahmen,
einfach schwarz ; nur in Nr. 37 wechseln schwarze Anfangsbuchstaben
ziemlich regelmäßig mit von oben nach unten roth durchstrichenen.
Ganz allein in diesem Gedicht begegnen auch rothe Anfangsbuch-
staben, fast auf jeder Seite einer, und zwar zu Beginn der Darstel-
lung einer jeden der sieben Freuden, gewöhnlich zu Anfang eines
Citates oder nach einem größeren Abschnitte.
Am Anfange der Verse herrscht somitder große Buch-
stabe ziemlich unbestritten. Seine Anwendung ist aber auch
im Innern der Verse ausgedehnter als in mhd. Zeit, aber
ganz inconsequent; letzteres ist schon aus den in der Tabelle
S. 205 — 208 angeführten Überschriften ersichtlich, desgl. aus dem Texte
der Handschrift^ welcher häufig genug (so in Nr. 2, 5, 9, 20, 22, 24
bis 27, 29, 33, 36—39, 41, 43—46) nicht einmal alle Orts- und Per-
sonennamen mit großen Anfangsbuchstaben bringt, wohl aber nicht
selten wenig bedeutende Wörter (besonders in Nr. 36 und 37) ; so
begegnet in Nr. 15 der Vers 239:
0 Edler purgraf albrecht
u. s.w. Anders in Primissers Ausgabe: denn diese ist kein diplo-
matisch treuer Abdruck von A; P hat sich vielmehr bezugs der
großen Anfangsbuchstaben für den Druck eine feste Norm gebildet
und schrieb alle Personen- und Ortsnamen, sowie alle persönlich oder
allegorisch gebrauchten Ausdrücke (DerPhenning sprach XIX 140,
in XXIV der Mai, der Winder, die Minne, Staete, Gerechti-
kait u. s. w.) mit großen Anfangsbuchstaben, desgl. den Anfang der
directen Rede nach einem Doppelpunkte.
Letztere, sowie alle Anführungs- und Bindezeichen, kurz nahezu
sämmtliche Unterscheidungszeichen gehören dem Herausgeber
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 21 1
an. Nur die wenigsten der hier in Betracht kommenden Zeichen der
Handschrift lassen die Deutung eines mit Absicht gesetzten Unter-
scheidungszeichens zu ; die meisten erscheinen als Spielereien der
Schreiber. So trifft man den Punkt nach dem Titel eines Ge-
dichtes nur sehr selten (Nr, 2 und 6), zuweilen aber einem latei-
nischen c ähnliche Zeichen (Nr. 5 und 6) oder eine Kritzelei (Nr. 11),
meist mit zwein oder drein vorgesetzten Punkten (Nr. 33, 35, 39 und
nach dem ersten Titel von 44). Der Punkt findet sich auch am Ende
eines Gedichtes nur ausnahmsweise (Nr. 21), desgl. der Strich-
punkt (Nr. 13, hier wie in 21 vor dem Worte amen), öfter aber
Kritzeleien (Nr. 11, 12, 18, 26, 36, 37, 40 und 45), oder Doppel-
punkte mit einem Striche oder Schnörkel (Nr. 4, 33 — 35). Durch
Verbindung von Doppelpunkten, Strichen und Schnörkeln bilden die
Schreiber ganze Zeilen; so unter dem letzten Verse von Nr. 21
(während in Nr. 41, 42, 44 und 45 auf den letzten Vers ein rother
Strich in der Länge einer Zeile folgt), aber auch innerhalb von
Nr. 37, und zwar roth nach V. 502, mit dem S. 367 schließt, und
einmal schwarz nach V. 1473 (Ende der S. 414). Am Ende der
Verse setzt der vorletzte Schreiber gerne einen schiefen Strich, be-
sonders in Nr. 38 und 39, nicht so häufig in den gleichfalls von
seiner Hand stammenden Gedichten 40—45; belanglose Punkte finden
sich in Nr. 21 nach den Versen 123, 199 und 220, in Nr. 36 fast
nach jedem Vers; in Nr. 22 nach V. 221 steht der Punkt am richtigen
Platz. Punkte oder wagrechte Striche setzt öfter am Ende der Verse
der Schreiber von Nr. 28, der von Nr. 5 — 9 mehr oder minder häufig
fast durchaus unberechtigte Doppelpunkte; Punkte, Doppelpunkte
oder Schnörkel (öfter Mehreres zugleich) begegnen an den Versenden
von Nr. 13 hie und da, von Nr. 37 aber ungemein häufig.
Durch die ganze Handschrift jedoch ausgedehnt ist der Ge-
brauch der Abkürzungszeichen. Hieher gehört 1. ^ a) für in-
und auslautendes er : vgl. die Überschriften von Nr. 5, 9, 13 u. s. w. ;
besonders gerne wird so die Vorsilbe ver gekürzt. In dieser Ver-
wendung nimmt das Zeichen auch häufig die Gestalt an "^ (so in den
Überschriften zu den Nummern 23, 26, 35 u. s. w.), weit seltener
erscheint dafür ^ (Überschrift zu Nr. 33) ; b) für e vor ?' : vgl. die
Überschrift von Nr. 46 ; für auslautendes r : Vo^ A S. 93 = P XIII,
103; d) für iu- und auslautendes ?-e : tw A S. 3 = P I, 70; e) für
-echt und -recht: vgl. die Überschriften von Nr. 33 und 46;
f) für -reich und -eich : Frid', himelro A S. 482 und 483 ^^- P V,
123 und 147. In den beiden letzten Fällen wird das Zeichen öft<r
212 FRANZ KRATOCHWIL
verschnörkelt; g) ausnahmsweise i'ür ur : antioH A S. 445 = P
XLIII, 71.
2. In Verbindung mit p wird -er, -re und -ro öfter mit g) gegeben :
plein A S. 144 = P XXV, 38; einige Mal begegnet suchen und in
Nr. 37 ^pheten; nur einmal findet sich p = pre : rübpcht A S. 430
= P XXXV, 57.
3. " = inlautendem ra : vgl. Überschrift zu Nr. 15, tib, pcht
A S. 20 und 22 = P IX, 71 und 108, ähnlich in Nr. 18, 22, 24
und 37.
4. Ganz ausnahmsweise wird inlautendes re und ro durch
einen e-förmigen Haken oder durch zwei Punkte bezeichnet : betgen
=z betrogen, spchen = sprechen A S. 139 und 140 = P XXI,
115 und 145, twen und tivri = treioen A S. 170 = P XV, 176
und 188.
5. und zwar a) für fehlendes e vor n '. chrenchn : bedenchen
A S. 4 = P I, 73; b) für in- und auslautendes n oder m : gi'üt : munt
A S. 4 = P I, 77, ungemein häufig vö, vrüpt : chumpt A S, 189 =z
P. XXVIII 239, de A S. 295 = P IV, 509; c) für inlautendes en :
ti^t A S. 186 = P XXVIII, 143, TrTsch öfter in Nr 36; d) allgemein
vn =■ und oder tmde; e) ausnahmsweise für fehlendes g in samptzta-
nacht (Nr. 46, V. 86) ; /) nur in Nr. 37 zur Abkürzung der Namen
Johannes (Johes) und Jerusalem (Jrlm).
6. 9 :== US : Jeronimo) u. s. w., aber nur in Nr. 37.
7. Durch Combinierung des ersten und fünften Zeichens entsteht
'^- : pdm = prechen (prehen) A S. 8 = P I, 183, kommt nur ver-
einzelt vor.
8. Durch Verdoppelung des fünften Zeichens entsteht : phe-
fjjg ■=! phenning, nur in Nr. 25. Allerdings erscheint dieses Zeichen
auch häufig in Nr. 37, aber dessen Schreiber verwendet es in allen
denjenigen Fällen, wo die anderen Schreiber das fünfte Zeichen ge-
brauchen.
Gewissermaßen lassen sich als Abkürzungszeichen auch die
Haken betrachten. Sie erscheinen oberhalb der Buchstaben (entweder
unmittelbar über denselben oder etwas seitlich) geradezu über-
raschend häufig, doch nicht immer in derselben Form.
Seite 1 der Handschrift zeigt allein folgende fünf Formen: 1. ';
2. " ; 3. "" ; 4. '^ und 5. :' ; sonst begegnen noch 6. • oder • • (sehr
häufig über ?/); 7. ^ (nicht sehr oft und dann meist über e); 8. ^- ein
deutliches e; 9. ausnahmsweise, z. B, in Nr. 36 die Form ' , endlich
10. ein Punkt, aber nur über e und y und allein in Nr. 33; am
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DEK SUCHENWIKT-HSS. 213
häufigsten findet sich die 1. und 4. Form, am wenigsten (abgesehen
von 9 und 10) die 2., 3. und 5.
Die Form ist übrigens gleichgiltig für die Bedeutung des
Hakens. Diese erhellt aus seiner Verwendung «) zur Bezeichnung
der Vocale, Diphtonge und deren Umlaute.
So wird der Umlaut des kurzen a auf mhd. Weise gegeben und
auch durch d : täqeleich A S. 107 = P XIV, 197, ferner durch e :
chlegleichen A S. 457 = P XXXVII 56; daneben aber — S. 455 —
in V. 4 des nämlichen Gedichtes von derselben Hand chaegleich.
ae ist die gewöhnliche Bezeichnung für den Umlaut des a, doch
wird ae (auch ce geschrieben) nicht selten durch e vertreten : an
evaer : siver (swcer) A S. 13 = P XXIII, 13, chem =^ kcem A S. 293
N^ = P IV, 470; in dem letzten Gedichte (A S. 267 ff.) erscheint das-
selbe Wort auch so geschrieben : chem; P schreibt IV, 519 dafür
ehem. Allerdings findet sich diese Form des Hakens über einem e zur
Bezeichnung von ce zuweilen, z. B. A S. 456 sioere : Icjere = P
XXXVII, 36 oder A S. 470 werst {locerst) = P XXXVIII, 216 und
öfter, zumal in IV, aber gerade nicht an jener Stelle. — AS. 169 =
P XV, 175 begegnet e := o; in reten : steten (statten), doch sind die
Fälle gar nicht häufig. Ausnahmsweise findet sich e und e ^ ce : A
S. 87 = P. III, 148 lar (leere) : siver und A S. 334 f. = P. XL,
84 und 101 iver und treger.
d erscheint zuweilen auch für mhd. e : geioärt A S. 1 = P I, 16.
Mhd. e wird ausnahmsweise durch e gegeben : er : mer A S.
334 = P XL, 79, und vereinzelt durch e : ern A S. 7 = P I, 171.
Die Flexions-«^ werden häufig — besonders vom achten Schreiber,
dessen Text schön und genau ist — nur durch Haken angedeutet :
A S. 57 hörn = P X, 80 (unrichtig hörn für koren oder hoeren), A
S. 216 ivarn = P XXX 75.
o' = oe und ö : höret und vromdeii (adj.) A S. 4 = P I, 86 f. ;
das letzte Wort begegnet A S. 445 auch in der Schreibung frbmd,
wofür P XLIII, 51 froind liest.
au wird oft durch ah gegeben (ungemein oft aw^), sehr häufig
durch aw (wie denn überhaupt v und tv, wenn sie als u zu lesen
sind, gewöhnlich den Haken tragen), nur ganz ausnahmsweise durch
ü im Reime pr'üt : hat A S. 235 = P XXXI, 71 von dem elften
Schreiber, der auch noch durch andere Anzeichen seine alemanni-
sche Abkunft verräth. ')
') Er hat eine unschöne, nicht besonders genaue Hand und gebraucht immer
och (= auch), fröden (V. 154 frölein) und haust (= hast); er liebt auch Consonaiiten-
214 FRANZ KRATOCHWIL
eu =^ ew, sehr häufig ew, seltener ew (der 19, Schreiber hat
dafür Vorliebe); nicht so oft erscheint dio {Idwt A S. 258 = P
XXXIII, 44), du {vrduden A S. 216 = P XXX, 75) oder eu (Mchtet
: veüchtet AS. 11 = P II, 65 [letzteres Wort hier ohne Haken]).
öa = oü und da : vroüdenreich, vrduden A S. 215 und 219 =:
P XXX, 52 und 143.
w mit und ohne Haken steht 1. für gewöhnliches u (A S. 86 =
P III, 135 rübein : doch sind diese Fälle im Ganzen nicht zahlreich,
wenn man von denjenigen absieht, die bei den Halbdiphthongen zu
besprechen sind).
2. Für ü, wo sich solches in Eigennamen und Fremdwörtern
erhalten hat, z. B. lasur : figur A S. 183 =r P XXVIII, 27, vtrich
(Ü^trieht) A S. 21 = P IX, 97.
3. Für w, uo (sehr häufig durch ue gegeben) und üe : sioürn :
ftürn (mhd. wo : w) A S. 95 = P XIII, 151, hingegen ftirte : spurte
(mhd, uo : u oder ü) A S. 169 = P XV, 153, ebenso P VI, 89, 90
und XXX, 49, 50; stühel : übel (mhd. üe : ü) A S. 440 = P XXII,
176; wuffen : rueffen (mhd. üe : üe) A S. 165 ^ P XV 53; chuele :
gestüele A S. 215 = P XXX, 53, seltenere Schreibweise, ebenso
früe : rue. (ruowe) A S. 217 =: P XXX, 89, frw = vruo A S. 337 =
P XL, 143 (A S. 477 = P V, 13 ohne Haken tiv) und pehwtt (behüet)
A S. 482 = P V, 134. Ausnahmsweise begegnet bei dem aleman-
nischen Schreiber von Nr. 28 iü für ü und üe : hitilff, eiu, hetriühen
V. 29, 135 und 132 (vgl. S. 213).
Für ei {= mhd. t) findet man auch i mit darüber gesetztem
Haken; dieser wird links oder rechts von i angebracht, wobei das i
seinen Punkt in der Regel verliert (rnm : vein A S. 2 = P I, 22).
Daneben begegnen nicht selten inconsequente Schreibweisen, wie
preisen : hufeysen A S. 8 ^= P I, 195, ja sogar chleine : staine (mhd.
ei : ei) A S. 260 = P XXIII, 82, obwohl A das alte organische ei
sonst gewöhnlich mit ai bezeichnet (vgl. alem. chW^ 0. B.).
Der Haken ober i steht sehr häufig auch für den Diphthong ie,
wobei i meistens seinen Punkt verliert : geschidt (= geschiet) : beriet
A S. 10 = P II, 39.
Der Haken über i vertritt auch zuweilen die Stelle des I-Punktes,
auffallend häufig in Nr. 22 : meines, chüntg, aln u. s. w. ; anderseits
wird der I-Punkt (abgesehen von i = ei und ie) oft weggelassen, wie
häufungen wie thisch, tzhier , zoffph u. s. w , dagegen schreibt er wieder /rwÄ^, z%iht
(V. 161); die Adjectivendung m wendet er gerne an, aber auch im Acc. sing. fem.
V. 72, 92 u. s. w.) und im Nom. plur. masc. (V. 64).
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 215
aus manchen Überschriften der Gediclite, besonders aber aus den
Gedichten Nr, 23—27 zu ersehen ist, deren Schreiber die Eigenthüm-
lichkeit hat, die I-Punkte, falls er sie anbringt, meistens etwas rechts
von i zu setzen.
b~) Die Haken dienen aber auch oft zur Bezeichnung
der Svarabhakti (vgl. Johannes Schmidt, Zur Geschichte des
indogermanischen Vocalismus 1875, 2. Abtheilung, S. 382 ff.), sowohl
wenn sie metrisch gerechnet wird {Die arm leid di sten da vor A S. 337
= P. XL, 148), als wenn dies nicht der Fall ist (armbrusf A S. 166
= P XV, 65, zorii, genoorn A S. 217, wofür P XXX, 87 tzore7i :
gesworen schrieb).
Übrigens gibt die Handschrift die Svarabhakti nicht selten durch
i, zuweilen durch e (vgl. J. Schmidt a. a. 0.); hie und da fehlt
auch jede graphische Bezeichnung der Svarabhakti, selbst wenn sie
metrische Geltung hat, so in P XXXVIl, 34, 39, 54 und 102 {= A
S. 456 ff.), wo statt arm zu lesen ist arm (= XL, 148) oder armen,
ebenso P XXXVHI, 85 und 294 (= A S. 464 und 474). P XXXIX,
41 (AS. 243) begegnet dem loerige : herberge.
c) Interessant ist die ziemlich ausgedehnte Verwen-
dung der Haken zur Bezeichnung der Halbdiphthonge a",
a' oder d", e% o" oder o', i', u" oder u'', W besonders vor r mit fol-
gendem Consonanten, aber auch vor anderm Stammschluß (J. Schmidt
a. a, O. S. 375, 384 f.; hingegen findet Weinhold in den a% o% u^
unechten Umlaut: Bairische Grammatik §. 9 und 42, 25 und 57,
32 und 109).
Nicht alle diese Laute waren den Schreibern in der Bezeichnung
gleich geläufig, am wenigsten die aus a entstandenen: da^
und dä^ AS. 116 und 267, wofür P VII, 51 de^ und IV, 10 da^
setzt, lassen sich hier mit Sicherheit nicht anführen. Vgl. übrigens
verlaern = verldrn aus verlorn im Reime auf hochgeporn A S. 47 =
P XI, 124, vaern = vd^m aus vären im Reime auf jarn A S. 41 =
P XX, 316 und getzaemt = gezdmt aus gezamt gereimt auf erlamt A
S. 51 = P XI, 255.
Zahlreicher und in verschiedenen Theilen der Handschrift finden
sich Beispiele für e% am häufigsten im Gedichte Nr. 29. er (subst.) •
.s-eV (adv.) A S. 248 und 251 = P XXXIX, 151 und 203; loer ')
(Abwehr) : her (exercitus) A S. 307; 308; 312, 315; 323; 326 = P
XVIII, 51; 77; 159, 221; 413; 479 : mer (mare) A S. 309; 310 =
') Die Schlierbacher Handschrift schreibt V. 93 loeer, V. 413 Heer.
216 FRANZ KRATOCHWIL
P XVIII, 93; 119; UHze A S. 83 = P III, 65 und 68, phert A S.
434 = P XXII, 32, sivert (schwört); hercz und werben : sterben A S.
247, 250, 252 = P XXXIX, 121, 177 und 219; swemt A S. 278,
292 = P IV, 194, 448; ent, mensch, A S. 336 = P XL, 125, 128,
streben : leben, das recht A S. 248, 251 = P XXXIX 131, 208; sb
(pron.) A S. 308, 316 = P XVIII, 76, 246. Vgl. übrigens auch see
(subst.) A S. 109 = P XIV, 231, 249 (Weinhold, Bair. Gr. §. 75 b)
: ee (adv.) A S. 321 = P XVIII, 364 : ich gee A S. 89 f. = P XIII,
7, ee (adv.) A S. 152 = P XXV, 257 und ee (adv.) A S. 86 f. =
P III, 139, 162.
Belege für die übrigen Halbdiphthonge finden sich in den ver-
schiedensten Gedichten der Handschrift und sind sehr zahlreich, so
tzorn : ho7m, geporn : dorn, ivdrten : orten A S. 55, 82, 248 = P X,
29, III, 33, XXXIX, 133; in der chron : schon A S. 8 = P I, 189;
des todes A S. 81 = P III, 22, guten trdst : hat erlost A S. 10 =
P II, 43 (hingegen A S. 49 = P XI, 193, derselbe Reim ohne Haken),
gr62,2,e flust A S. 48" = P XI, 155; das in demselben Gedicht oft
wiederkehrende chldster (sing.) ist nur in V. 21 und 35 ohne Haken
geschrieben, not : tot A S. 13 = P XXIII, 15; in hochem mfit A S. 2
=: P I, 27 ; bei sämmtlichen hier angeführten Belegen für o' fehlt in
P der Haken.
gecziert : suchenwirt (der Haken wurde im zweiten Wort ver-
gessen), vir : begir A S. 299 und 160 = P IV, 569 und XXVII, 13,
überdies ungemein viele ähnliche Fälle außerhalb des Reimes; hieher
gehören auch die ohne Haken geschriebenen Belege: daz viech : siech
(mhd. i : ie) A S. 252 = P XXXIX 221, niender : toinder A S. 237
= P XXXI, 109 (vgl. K I '), S. 22), ich siech (video) A S. 38 = P
XXIV, 246.
durch A S. 111 = P XIV, 287 u. o., churizen (adj.) A S. 37 =
P XXIV, 222 u. ö.; P ließ in beiden Fällen den Haken weg'; nicht
selten haben ihn auch die Schreiber vergessen, z. B. snur : verlur
(mhd. uo : u) A S. 440 = P XXII, 170 (vgl. auch S. 214); uns
A S. 10 f. := P II, 25, 50, 64 (bei P an allen drei Stellen ohne
Haken) und sonst ungemein oft, desgl. untz und ünder, letzteres auch
in Zusammensetzungen; hieher gehört auch tun (inf.) : sun (= Sohnes)
A S. 44 z=: P XI, 53; prmst (sing.) und czücht (subst.) A S. 86 und
250, beide Fälle bei P III, 133 und XXXIX, 184 ohne Haken.
') K I hier und im Folgenden für A. Koberstein, Über die Sprache des
österreichischen Dichters Peter Suchenwirt. Lautlehre.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHEN WIRT-HSS. 217
chum he>^ ßir : du mich für (mhd. ?7 : ne) A S. 448 = P XLIV,
55, erfür : vei'lür (mhd. üe : «) A S. 155 = P XXV, 325; vgl. auch
S. 214.
Einen verläßlichen Einblick in diese mannigfache Anwendung
des Hakens erhält man aus dem schon S. 210 angegebenen Grunde
aus P nicht, am ehesten noch über die Gruppe a. Doch hat er aus
Verseheu zuweilen die Form des Hakens geändert {frewden XLIV^
109 und 118, wo A frewden hat u. s. w.) und den Haken ganz weg-
gelassen (I, 13 mir, II, 2 dir, 35 ir, XXIII, 66 diiier, IX, 173 lichte
u. s. w., wo A den Haken hat), wodurch manchmal das Metrum
leidet (so II, 12, wo trawrn = trauern zu lesen ist u. s. w.). Ander-
seits hat er Haken gesetzt, wo A sie nicht hat, so II, 53 gebeut,
während er dieselbe Form I, 147 und 204 mit A gebeut schrieb.
Wichtiger ist die principielle Änderung, uo und ue mit ü, hingegen
ü mit u zu geben (Einleitung S. LII). Ein Blick jedoch in Primisser's
Text genügt, zu zeigen, daß er sein Princip leider nicht strenge
durchgeführt hat.
Das P mehrere durch Haken angedeutete Svarabhakti in seinen
Text aufgenommen, kann uns ebenso sehr Wunder nehmen, als es
uns begreiflich erscheint, daß er sich gegenüber der Gruppe c ab-
lehnend verhielt: er erklärt derlei Haken durch die Nachlässigkeit
der Schreiber (Einleitung S. LIII).
Halten wir auch derzeit diesen Vorwurf nicht für gerechtfertigt,
so könnte man doch geneigt sein, ihn aus einem andern Grunde zu
erheben, wenn uns nämlich Formen begegnen, wie suchen, muteSj
süssen (AS. 1, 5, 9 = P I, 5, 104 und II, 8) u. s. w., die noth-
w endig den Haken verlangen, oder wenn wir den Haken ungleich-
mäßig angewendet finden {vor : tor, erchorn : gepwn, vor sünden und
vor schänden A S. 2, 3, 4 = P I, 43, 44, 47, 48, 88 u. s. w.). Unser
Urtheil wird aber milder ausfallen, wenn wir bedenken, daß diese
Erscheinungen im Verhältniss zu dem bedeutenden Umfang der Hand-
schrift nicht zu zahlreich sind, dann daß an dieser großen Hand-
schrift mindestens zwanzig Schreiber gearbeitet haben, und zwar zu
einer Zeit, wo nicht nur die Quantität in starkem Schwanken, son-
dern die gesammten sprachlichen Verhältnisse in mehr oder minder
lebhaftem Flusse waren, so daß für die schriftliche Fixierung mancher
neuen oder doch erst jetzt zum sichern Bewußtsein gelangenden Er-
scheinungen (z. B. der Halbdiphtonge a", e') den Schreibern bereits
geläufige Behelfe nicht zur Verfügung standen.
218 FRANZ KRATOCHWIL
Aus denselben Gesichtspunkten werden auch die oft von einem
und demselben Schreiber herrührenden inconsequenten Schreibungen
der Consonanten, besonders der Geminationen und Con so-
tt an tenverbindungen zu beurtheilen sein {sei und seil {== sele) A
S. 245 und 251 = P XXXIX, 79 und 197 ; Ev^n und Efen A S. 388 f.
= P XLI, 922 und 933, phfat und phat AS. 139 und 142 z= P
XXI, 126 und 189; ivardt (verb.) : ze widerpart A S. 21 = P IX, 85,
gesait : laid (acc.) A S. 262 == P XXXIII, 117, unverslunten : über-
wunden A S. 451 = P XXXVI, 22, geritten : versniten A S. 120 =
P VII, 153, das sehr oft, so A S. 143 ff. (P XXV), hingegen wa^
(verb.) : graz, (subst.) V. 33, V. 129 wieder was, V. 123 wa2,^pr, V.
361 wasser, fleis : xvei^ V. 219, aber weis V. 186 und 208, Hessen :
sfte^^m V. 335, wie denn unter allen Schreibern gerade der siebente
die größten Inconsequenzen in der Schreibung der S-Laute zeigt;
erschrikchet : unvertzwichet A S. 259 = P XXXIII, 58, drukte : ver-
ruchte A S. 280 = P IV, 225, gejechen (inf.) : gesehen (part.) A S.
57 ^ P X, 83; hingegen begegnen beide Formen von demselben
Schreiber mit ch A S. 31 == P XXIV 50 und mit Ä A S. 65 = P
XII, 25 u. s. w.; vgl. K I, 12 und IIP), Note 11, I, 20, 34—37, 39,
42 und II, Note 8, ferner I, 50 und 51 u. s. w.); desgl. die ungemein
zahlreichen, oft recht auffälligen, zuweilen geradezu den Eindruck
von Willkür machenden Apocopen und Syncopen (z. B. reichs
und reiches im zweimal geschriebenen Titel zu Nr. 44), Erscheinungen,
welche selbst wieder auf die Schreibung der Vocale wie der Conso-
nanten vom großen Einflüsse sein mussten (vgl. Weinhold, Bair. Gr.
§. 14 und 15 und K I, 53, 2), aber wie schon aus Koberstein's
Untersuchungen (besonders I, 53 — 55, 11, §. 11 — 22, 49, 75 Punkt 1
und 2, 77 Punkt 3 und 4, III, §. 1—9, 36—39 u. s. w.) erhellt,
sicherlich nicht durchaus auf Rechnung der Schreiber zu setzen
sind. — Wenn wir überdies unsere Handschrift in Bezug auf genaue
Schreibung mit gleichzeitigen Urkunden und anderen größeren Schrift-
stücken vergleichen, dann wird unsere anfängliche Neigung zu einem
etwas abträglichen Gesammturtheil über die Schreiber von A bald
weichen, ja, wir werden ihnen sogar das Lob einer verhältniß-
mäßigen Sorgfalt nicht vorenthalten.
Dieses wird auch nicht geschmälert durch die in A vorkom-
menden Schreibfehler und Lücken. In Bezug auf erstere ver-
*) II für die zweite, III für die dritte Abtheilung von Koberstein's Unter-
suchungen über Suchenwirt's Sprache.
ÜBBR DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 219
halten sich die verschiedenen Theile der Handschrift, je nach Be-
schaffenheit der Schreiber, sehr ungleichmäßig. Selbst in den einem
Schreiber angehörigen Gedichten zeigt sich nicht immer der gleiche
Grad von Sorgfalt; das beste Beispiel bietet der 19. Schreiber: er
erscheint in Nr. 39, 40, 43 und 45 ziemlich genau, in 41 genau, in
38 und 42 sehr genau, hingegen in 44 nicht genau; in den vom
zehnten Schreiber herrührenden Gedichten hingegen ist eine immer
mehr zunehmende Genauigkeit nicht zu verkennen.
Die meisten Schreiber haben den von ihnen gelieferten Text
revidiert und so manche Irrthümer verbessert'); so hat der 14. Schreiber
an seiner Arbeit (572 Verse) nahezu vierzig Correcturen vorgenommen ;
leider blieben noch über zwanzig Fehler in dem ebenso schön als
deutlich geschriebenen Gedichte zurück. — Hie und da (P XVI, 200,
XXX, 181 und 182) findet sich auch eine Rasur.
An ungefähr 60 Stellen merkt man, daß die Verbesserungen
nicht vom Schreiber, sondern von anderer (aber alter) Hand her-
rühren; die meisten derartigen Correcturen entfallen auf die nicht
besonders deutliche, wohl aber recht fehlerhafte Abschrift des siebenten
Schreibers, fast ebensoviele kommen dem zehnten und zehn dem
vierzehnten Schreiber zu Gute.
Trotzdem finden sich noch über zwei und ein halbes Hun-
dert Verstöße. Aber die weitaus größere Hälfte davon ist
nicht nur gleich als Fehler erkennbar, sondern auch von dem halb-
wegs bewanderten Leser unschwer zu corrigieren. Bei mehr als
dreißig sinnlosen Stellen ist das nicht so leicht; verhältuißmäßig
participieren daran am meisten außer dem neunten Schreiber der
fünfte, der sich überdies durch lange wagrechte Striche auszeichnet,
die er seinen g und t anfügt, mit Nr. 15'^) und der 19. mit Nr, 44,
') P hat solche Änderungen auch dort, wo sie Beachtung verdienen, nicht
immer gewürdigt; so schrieb er IX, 32 reyffea ^ obwohl in A das s durchgestrichen
und über e ein wagrechter Strich gesetzt ist, III, 128
Unwerleich und ummütea par,
trotzdem der Schreiber das sinnlose dritte Wort in mütes geändert hat , XVI, 191
gealacht, wiewohl an das a ein e angehängt worden ist u. s. w.'
*) Für die auffällige Schreibung im Verse :
Was er der iaer helen schar
setzt P VII, 101 laerhelen, richtig würe larahelen, entsprechend XXXIX, .31 und 34;
die unsinnigen Verse :
aein edel hertz im vier geriet
Von manhait noch von milde
hat P VII, 124 zu bessern gesucht, indem er nivier setzte; das Richtige ist im nie,
was auch der Schlierbacher Codex hat.
220 FRANZ KRATOCHWIL
An circa achtzig Stellen wurde durch nicht beseitigte Schreib-
fehler der Reim getrübt, zuweilen auch gestört. Die Fälle vertheilen
sich durch die ganze Handschrift; doch größeren Antheil haben der
11. Schreiber, der 19. mit Nr. 43, der 10. mit Nr. 27 (vrowden : ver-
hawen wurde von P XVII, 32 in vrowen geändert, kommt somit nahe
dem richtigen frawen) und der siebente (über lamme : tamne, das
auch P XXI, 85 aufgenommen hat, vgl. K I, 9 und 29, dann II,
Note 45; gewolkent im Keime auf gecziri P XXV, 48, läßt sich nach
cgm. 4871 leicht in geivolkeniert bessern, was auch schon K III, §. 67
angesetzt hat). — Nur zweimal (XXIV, 195 und XV, 107) trat Stö-
rung des Reimes ein, weil die Schreiber das Reimwort anzubringen
vergaßen, und dreimal, weil sie einen ganzen Vers übersahen,
nämlich in P XXXH nach V. 18, in XXH nach V. 169 und in V
nach V. 41.
Im Innern der Verse fehlen einzelne Wörter öfter, aber auch
nicht häufig; neun von den sechzehn Fällen rühren allein vom fünften
Schreiber her. Neben diesen geringfügigen Lücken hat die
Handschrift leider auch größere; vier davon waren schon dem
Herausgeber bekannt. Gleich die erste Seite beginnt mit den sieben
Schlußzeilen eines satirischen Gedichtes (vgl. S. 238) ; mit S. 28
endet in A Vers 23 von Nr. 6; auf S. 29 ganz oben beginnt V. 2
von Nr. 7, es fehlen somit vom ersteren Gedichte 91 Verse, vom
letzteren der Titel und mindestens der erste Vers, somit im Ganzen
zwei Blätter; desgl. zwischen dem letzten Verse auf S. 85 und
dem ersten auf S. 86 (= P IH, 116 und 117): es sind nämlich
(vgl. S. 238) 89 Verse abgängig, doch ist äußerlich nur der Mangel
eines Blattes zu erkennen. Ein Blatt fehlt nach S. 121: zwischen
V. 185 und 186 von P VII ist eine Lücke von 41 Versen (vgl. S. 238).
Außer diesen bemerkte ichnoch zwei größere Lücken von
je 52 Versen: in Nr. 9 nach S. 55 (P X. 34) und in Nr. 27 nach
S. 225 (P XVH, 52); beide sind äußerlich nicht auffällig (vgl. S. 238).
Keine dieser sechs größeren Lücken fällt den Schreibern zur Last,
sie erklären sich vielmehr aus der Geschichte der Handschrift.
Leider lässt sich dieselbe mit Sicherheit nicht einmal bis in das
vorige Jahrhundert verfolgen. 1820 erfuhr P von der Existenz derselben
durch Hofrath Josef von Hammer (nachmals Freiherrn von Hammer-
Purgstall), der ihn seinem Freunde, dem Fürsten Prosper von
Sinzendorf, dem Besitzer der Handschrift, empfahl, P sagt in
der Einleitung zu seiner Ausgabe nur, daß die Handschrift „seit
langer Zeit unerkannt" unter den Büchern des kenntnißreichen
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCnENWIRT-TTSS. 221
P^ürsten Prosper von Sinzendorf gelegen, der sie ilnn mit größter
Bereitwilligkeit zur literarischen Benützung überließ (S, XLIII).
Dieses hervorragende österreichische Adelsgeschlecht (vgl, Dr. C o n-
stant von Wurzbach, Biograj)hisches Lexikon des Kaiserthunis
Österreich, 35. Theil. Wien 1877. S. 12—27) reicht bis in das 11.
Jahrhundert zurück. Heinrich, welcher um 1044 lebte, nannte sich
nach dem in Ob er ö st erreich gelegeneu Orte Herr von Sinzen-
dorf); das Geschlecht erhielt zu Anfang des 17. .lahrhundertes den
Freiherrn-, 16.53 den Reichsgrafenstand. Zu Anfang des Iß. Jahr-
hunderts erscheint es in zwei Hauptlinien gespalten: in die jfingere,
nach dem untersteierischen tSchlol.> und Städtchen Friedau benannte
Fridauische oder Neuburgische Linie, welche 1767 im Mannesstamme
ausstarb, und in die ältere Feyereggische Linie, welche sich später
nach dem niederösterreichischen Schlosse Ernstbrunn nannte. Der
letzte männliche Sprosse dieser Linie und des ganzen Geschlechtes
ist der früher genannte Prosper von Sinzendorf, welcher 1<S03 die
Würde eines Reichsfürsten erhalten hatte. Er liebte die Wissenschaften
und den Umgang mit gelehrten, geistreichen Personen und legte eine
ansehnliche Bibliothek an, zu welcher auch unsere Handschrift ge-
hörte. Ob diese der Fürst erst erworben oder — was höchst wahr-
scheinlich ist — schon als altes Erbstück seines Geschlechtes
überkommen habe, hätte P leicht in Erfahrung bringen können ; aber
er berichtete darüber nur die oben angeführten Worte: ihn interes-
sierte vielmehr der Inhalt der Handschrift.
Bereits 1821 war er mit der Durcharbeitung der Handschrift
fertig, und noch im selben Jahre machte er von dem reichen Inhalte
derselben den Freunden der alten Literatur und Geschichtskunde um-
fassende Mittheilung im 14. Bande der Wiener Jahrbücher der
Literatur, Anzeigeblatt S. 10 — 51. Der Aufsatz erschien gleichzeitig
bei Carl Gerold in Wien, auch als Separatabdruck (aber nur in zwölf
Exemplaren) unter dem Titel: Nachricht von einer neuent-
deckten Handschrift mit deutschen Gedichten aus dem
14. Jahrhunderte, verfasst von Peter Suchen wirt aus
Osterreich. Mitgetheilt von Alois Pr im isser. 44 Seiten 8".
Am ausführlichsten sind die Auszüge aus den historischen Ge-
dichten im engeren Sinne (den sogenannten P^hrenreden) ; sie umfassen
') Das Dorf, in welchem .sich das Stammiiaus dieses Geschlechtes bef;ind, liegt
im Traunviertel , in der Nähe des Cistercienserstiftes Schlierbacii ntid »ehört zu der
(1784 selbständig gewordenen) Pfarre Nnlibach, vgl. B. Pill wein. Geschichte, Geo-
graphie und Stati.sUk des Erzherzogthums ob der Enns (1827—18:59), '2, Bd., S. 409.
liEBUANIA. Neue Eeihe XXU. (XXXIV.) JaLrg. 15
222 FRANZ KRATOCHWIL
nahezu dreißig Seiten; ungefähr acht Seiten sind den Sittengeraälden
und Lehrgedichten gewidmet, eine Seite den geistlichen Dichtungen
und Reimkünsten. Bemerkungen über des Dichters Leben und sonstige
dem Berichterstatter bekannt gewordene Handschriften, welche einzelne
G-edichte Suchenwirt's enthalten, erfüllen die drei letzten Seiten der
umfangreichen Anzeige.
Hat P gleich seit seiner ersten Kenntniß der Handschrift diese
vor Allem als eine wichtige geschichtliche Fundgrube betrachtet und
dem Nachweise dieser Anschauung den größten Theil seiner Mit-
theilungen gewidmet, so erscheint uns nicht auffallend, daß seine An-
zeige besonders bei Historikern das regste Interesse wachrief und
gerade von diesen zuerst der Wunsch geäußert wurde, P möge den
spannenden Inhaltsangaben der Gedichte Suchenwirt's ehebaldigst eine
vollständige Ausgabe dieser selbst folgen lassen. P erklärte sich be-
reit; aber bald wäre die Ausführung in Frage gestellt worden: Fürst
Prosper von Sinzendorf war auf einer Reise nach Karlsbad aus dem
Wagen gestürzt und in Folge davon im August 1822 gestorben. Er
war unvermählt geblieben; durch testamentarische Verfügung fiel mit
seinem Besitz auch die Bibliothek und somit auch unsere Handschrift
an den Sohn seiner Schwester Maria Anna, den Grafen Georg von
Thurn (Wurzbaeh a. a. O.). P sagt nur, daß er auch von ihm wie
von dem früheren Besitzer bezugs Benützung der Handschrift das
größte Wohlwollen erfuhr. Kr rechtfertigte dasselbe vollkommen;
bereits 1827 erschien bei Wallishauser in Wien Primisser's Ausgabe:
„Peter Suchenwirt's Werke aus dem vierzehnten Jahrhunderte. Ein
Beitrag zur Zeit- und Sittengeschichte". LIV und 392
Seiten 8"^).
Unstreitig hat sich P dadurch ein wahres Verdienst erworben:
eine nicht unbedeutende Lücke der Literaturgeschichte ward hiemit
ausgefüllt und literarische Denkmäler, für die Geschichtsforschung
nicht weniger wichtig als für die Sprachwissenschaft, dadurch allge-
mein zugänglich gemacht. Daß P die historische Bedeutung der
Suchen wirtischen Gedichte gleich bei der ersten Durchnahme der
Handschrift richtig erkannte und in seiner Anzeige entsprechend
würdigte, ward bereits hervorgehoben. Es ist auch aus seiner Ausgabe,
') Leider starb der unermüdlich thätige Mann bald nach dem Erscheinen seines
Werkes im 32. Lebensjahre; vgl. Bergmanns Aufsätze: „Alois Primisser und sein
literarisches Wirken" in Nr. 99 der Blätter für Literatur, Kunst und Kritik
vom 13. December 1837 und: „Die fünf Gelehrten Primisser" im 5. Bande (1861) der
Berichte und Mittheilungen desAlterthumsvereins zu Wien S. 177 — 244.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-IISS. 223
aus dem Titel sowie aus der ganzen Anlage derselben ersichtlich.
Denkt er doch zunächst „den Freunden der Geschichte" hiemit zu
dienen (Einleitung S. XLIV). Daü diese Dichtungen auch als Sprach-
denkmale einen bedeutenden Platz in Anspruch nehmen, hat P
(S. XLIV) zwar behauptet, aber weder in der Anzeige noch in der
Ausgabe bewiesen. Man darf annehmen, daß er den sprachlichen
Werth wohl geahnt, aber keineswegs klar erfaßt hat. Zu dieser An-
nahme berechtigt nicht nur das in der Einleitung S. LIII Gesagte,
sondern auch die im Anhange S. 389 und 390 gegebenen ,, Gram-
matischen Bemerkungen", nicht minder das Wörterbuch und vor
Allem der Text.
Wären unsere mittelalterlichen Schreiber immer und allerorten
vollkommen getreue Copisten gewesen, dann wäre es bei Ver-
öffentlichung einer Handschrift unnöthig, besondere Aufmerksamkeit
dem Schreiber zuzuwenden. Da aber die Avirklichen Verhältnisse
anders waren, kann sich der Herausgeber nicht der Mühe entschlagen,
Antheil und Zuthat des Schreibers zu sondern von dem, was des
Dichters ist. Von einer solchen Arbeit findet sich bei P keine Spur,
denn daß er zweimal angibt, es seien an der Handschrift mehrere
Hände thätig gewesen, oder daß er einige der gröbsten Schreibfehler
anmerkt, kann man wohl nicht als solche gelten lassen. Es hat viel-
mehr den Anschein, daß er die Sprache der von verschiedenen
Schreibern herrührenden Gedichte für eine und dieselbe hielt und
überdies für identisch mit der Sprache des Dichters. Allerdings zeigt
die Sprache der einzelnen Gedichte nicht solche Unterschiede, wie sie
zwischen dem Ober- und Niederdeutschen bestehen, denn die
Schreiber von A gehören alle dem süddeutschen, und
zwar bis auf eine einzige nennenswert he Ausnahme (vgl.
S. 213 u. 214) dem bairisch-öster reichischen Sprachgebiete
an. P beachtete nicht die auffälligen, die großen süddeutschen Dialecte
charakterisierenden Kennzeichen, noch weniger die minder aufdring-
lichen Nuancierungen') in den, verschiedenen Theilen des öster-
') So gebraucht der zweite Schreiber (deutlich, aber nicht besonders genau)
mit Vorliebe die Adjectivendung ew und scu im Noniin. plur. ; der dritte liebt b für tf,
da für do, die Ableitungssilbe lieh (wo der vierte Schreiber -leich hat), gebraucht
lieber / als v, ist kein großer Freund der Haken, die er besonders über u und j,
wenn sie Diphthonge vertreten, oft wegläßt, wohl aber macht er gerne an den t lange
Querstriche, an h und c/t lange Schnörkel. Der zehnte Schreiber unterläßt oft die
Bezeichnung des Umlautes bei u und au. Der 17. Schreiber (unschön und wenig
genau) setzt gerne w für u, o für a (wie der siebente) und a für o, er hat Vorliebe
15*
224 FRANZ KRATOCHWIL
reichischen Sprachgebietes entstammenden Gedichten, oder er wollte
sie nicht beachten, wie man nach seiner Äußerung (S. LI): „Bloße
Schreibeformen und mundartliche Verschiedenheiten sind ein schlechter
Gewinn, wenn weiter nichts Neues von Bedeutung gefunden wird",
anzunehmen vielleicht berechtigt ist. Daraus erhellt jedoch, daß
Primisser's Text nicht auf einer kritischen Bearbeitung
beruht; er ist aber auch kein diplomatisch getreuer Ab-
druck wegen der bereits (S. 210 u. 217) angeführten Gründe sowohl
als auch wegen Auflösung sämmtlicher Abkürzungszeichen und ge-
sonderter Anwendung des u und v, des Gebrauches von z und tz für
cz und zz (Einleitung S. LH), wegen mancher Lesefehler, sowie endlich
wegen Änderungen, die er im guten Glauben zu bessern, hie und
da vornahm, die aber den Text nicht selten thatsächlich verschlech-
terten. Immerhin — und das steht außer Zweifel — hat P selbst
durch diesen Abdruck der Sache mehr gedient, als wenn er einen
kritisch bearbeiteten Text gegeben hätte; um eine solche Aufgabe
richtig zu lösen, dazu fehlten ihm die Kräfte.
So urtheilte bald nach dem Erscheinen der Ausgabe der damalige
Professor zu Pforta, August Koberstein, in der Einleitung (S. 2 u. 3)
zu seinem Werke: „Über die Sprache des österreichischen Dichters
Peter Suchenwirt", das er auf Grundlage dieser Ausgabe begonnen
und von dem 1828 als erste Abtheilung die Lautlehre erschien
(Naumburg, 56 Seiten 4*^). Das Jahr 1842 brachte als zweite Abthei-
lung (lateinisch) die ganze Lehre von der Declination (Naumburg,
68 Seiten 4"); die Conjugation behandelte er in der 1852 erschie-
nenen dritten Abtheilung (Naumburg, 45 Seiten 4"). Koberstein hatte
sich überdies viel mit Vorarbeiten beschäftiget, um in gleicher Weise
auch die Lehre von der Wortbildung und Syntax zu behandeln, und
zuletzt sollte ein vollständiges System der metrischen Gesetze folgen,
für Wörter mit Svarabhakti, welche er häufig durch i ausdrückt; dadurch ist er ein
Seitenstück zum zwölften (nicht besonders sorgfältigen) Schreiber und auch darin,
daß wie dieser ". und ', er ' und • oder ' ungemein oft über e, zuweilen selbst in
der Flexion setzt. In Bezug auf den letzten Punkt bildet der 18. (sehr genaue) Schreiber
einen Gegensatz, indem er außer i*" keinen Halbdiphthong bezeichnet; er stimmt
aber mit seinem Vorgänger darin überein, daß er gleich ihm h für ch schreibt, selbst
im Reime; er behält li vor <, wo die anderen Schreiber durchaus ch haben. Auch
dadurch unterscheidet er sich von allen anderen Schreibern, daß er im Gebrauche
der Haken einer bestimmten Regel folgt: er verwendet " über m für wo (we) und " für
alle Umlaute und ie; an den 16. Schreiber, der in seinem ebenso schönen als rich-
tigen Text sehr fleißig die Halbdiphthonge bezeichnet, erinnert er, daß er noch häu-
figer wie dieser im Anlaute 1c gebraucht u. s. w.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER ÖUCHENWIRT-HSS. 225
an die Suclieuwirt sich fifehaltcn (vgl. K III, S. 1); leider hat Kober-
stein diesen Plan nieht ausgeführt. Hingegen schrieb er 1843 als An-
hang zur ersten und zweiten Abtheilung die Abhandlung: Über
die Betonung m c h r s i 1 b i g e r W ö r t e r i n S u c h e n w i r t 's V e r s e n
(8 Seiten 4"), Damals wäre er der richtige Mann gewesen, einen
ordentlich kritischen Text von Suchenwirt's Gedichten zu liefern;
denn wenn auch zu keiner Zeit zu besorgen war, daß Koberstein
unsern Dichter in die Schnürjacke mhd. Reime gezwängt hätte, wie
dies später Karajan mit Teichner wirklich that, das läßt sich
doch nicht leugnen, daß Koberstein in dem Bestreben, möglichst genau
zu bestimmen, was dem Dichter und was den Schreibern gehört, noch
in der ersten Abtheilung einem etwas strengen Purismus gehuldigt
hat. Beispielsweise erinnere ich nur daran, mit welchem Aufgebot von
Scharfsinn und Überredung Koberstein (I, S. 17 f.) unsern Dichter
vor dem Vorwurfe, er habe einige klingende Verse mit vier Hebungen
verbrochen, zu retten suchte. In II, pag. 7, zeigte er sich in diesem
Punkte schon weit weniger rigoros u. s. w.
Wer wie Schreiber dieser Zeilen jedes einzelne von den Tau-
senden von Beispielen, die Koberstein in langen, oft ganze Seiten
füllenden Reihen zusammenstellte, in P aufschlug, der kann eigentlich
erst ermessen, was Koberstein, ganz abgesehen von seinem Wissen,
an Geduld und Ausdauer geleistet hat. Diese seltene Akribie
wirkte auf mich derart, daß ich auch nach absolvierter Universität
mich gerne mit Suchenwirt beschäftigte und als Gymnasiallehrer zu
Krems den Gedanken faßte, ein allseitiges getreues Bild von Suchen-
wirt's Leben und Wirken zu entwerfen, seine Bedeutung mit Rück-
sicht auf seine Zeitgenossen zu bestimmen und seinen absoluten Werth
festzustellen. Die Abhandlung sollte im Jahresberichte 1871 veröffent-
licht werden, da sie aber für eine Programmarbeit zu umfangreich
war, konnte nur die erste Hälfte gedruckt werden. Sie erschien auch
als Separatabdruck im Selbstverlag unter dem Titel: Der öster-
reichische Didaktiker Peter Suchenwirt, sein Leben und
seine Werke. 54 Seiten 8".
Trotz mehrerer wohlwollenden Besprechungen konnte ich mich
nicht entschließen, auch die zweite Hälfte zu veröffentlichen: ich
dachte vielmehr daran, eine neue Ausgabe der Suchcnwirtischen
Dichtungen zu veranstalten. Ende 1874 versuchte ich, mit dem Be-
sitzer der Handschrift durch gütige Verraittelung des bairischen Ge-
sandten am Wiener Hofe, des Herrn Grafen Otto Bray-Stcinburg,
in Verbindung zu treten. Im Jänner 1875 erfuhr ich, daß der frühere
226 FRANZ KRATOCHWIL
Besitzer Graf Georg Thurn bereits 1866 gestorben sei; sein gleich-
namiger Sohn besitze aber die Handschrift nicht, sie sei
schon bei Lebzeiten seines Vaters gestohlen worden, sei
darauf in der Ankündigung eines Antiquars aufgetaucht;
wohin sie gekommen, sei ihm unbekannt. Alle meine Pläne
waren zerronnen.
Doch gab ich nicht Alles verloren und veröffentlichte darauf
gleichlautende Anfragen in Nr. 62 des Jahrganges 1875 des Leip-
ziger Börsenblattes für den deutschen Buchhandel und im
Literarischen Centrnlblatt (Nr, 12) sowie im vierten Hefte der
Zeitschrift für österreichische Gymnasien (S. 330); aber es
kam keine Antwort — auch nicht auf eine nochmalige Anfrage im
Leipziger Börsenblatt (Nr. 7 des Jahrganges 1876).
Da erhielt ich von meinem Freunde Dr. G. E. Friess , Professor
am Obergymnasium zu Seitenstetten, im März 1877 einen Brief, worin
er mir mittheilt, er sei durch eine Notiz im Nachlasse des ehemaligen
k. k. Staatsarchivars Dr. von Meiller auf einen im oberösterreichischen
Stifte Schlierbach befindlichen Codex gelenkt worden, welcher außer
dem Gesuchten auch eine bedeutende Anzahl Suchenwirtischer Ge-
dichte enthalte, darunter auch solche, welche in Primissers Ausgabe
sich nicht finden. Über letztere machte er mir einige Angaben mit
der Bitte, ihm bekannt zu geben, ob und wo diese ediert seien. Ich
schrieb, daß dies nicht der Fall sei, worauf er sich entschloß, einen
Abdruck derselben für die kaiserliche Akademie der Wissenschaften
in Wien zu besorgen.
Dieser Brief spornte mich an, noch einen Schritt bei dem Grafen
Georg Thurn zu thun. Da ich nicht ganz gewiß wußte, ob Graf Bray
die Nachforschung auch mit dem nothwendigen Nachdruck geführt
habe, so bat ich meinen damaligen CoUegen am Franz Joseph-Gym-
nasium in Wien, den in vielen aristokratischen Kreisen wohlbekannten
Professor Dr. Franz Weihrich, in dieser Angelegenheit Schritte zu
thun. Er war so freundlich, sich der Sache eifrig anzunehmen; der
Herr Graf*) übergab ihm ein an mich gerichtetes, vom 18. April 1877
datiertes Schreiben, worin er mir mittheilt, daß die Bibliothek seines
Vaters, bevor sie nach Blei bürg in Kärnten übertragen ward, sich
durch viele Jahre zu Wien in einer eigens zu diesem Zwecke ge-
mietheten Wohnung befunden habe. Dorthin wurde 1827 die durch
Primisser's Ausgabe berühmt gewordene Handschrift gestellt. Das
*) Er ist im Juui 1879 gestorbeu.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 227
erfuhr ein Schreiber des gräl'lichen Wirthschaftsrathes Pfusterschmied
Ritter von Hartenstein, der, da der Graf in Folge seiner militärischen
Stellung von Wien abwesend war, den Schlüssel zur Bibliothek in
Verwahrung hatte. Der Schreiber wußte sich Zutritt zur Bibliothek
zu verschaffen und entwendete die Handschrift; doch kam man zur
Kenntniß des Diebstahls erst 1846, als die Handschrift in einer Zei-
tung zum Verkaufe angeboten wurde. Lange vorher war aber der
Dieb wegen anderer Unredlichkeiten bereits entlassen worden.
Ich war nicht weiter als im Jänner 1875: die Handschrift ist
gestohlen; aber wo wird sie verwahrt? — Bald sollte auf unerwartete
Weise die Frage gelöst werden. — Als der seither verstorbene IJni-
versitätsprofessor Plofrath KarlTomaschek in der am 6. Juni 1877
abgehaltenen Sitzung der philosophisch-historischen Classc der kais.
Akad. d. Wiss. die Arbeit des Professors Friess vorlegte und betonte,
daß der Schlierbacher Codex um so höher im Werthe stehe, da die
Sinzendorf-Thurn'sche Handschrift seit langer Zeit verschollen sei, er-
klärte Hofrath Dr. Ernst Ritter von Birk, Vorstand der k. k. Hof-
bibliothek zu Wien, dieselbe sei nicht verschollen, sie befinde sich
seit 1846 in der Wiener Hofbibliothek.
Also dahin war sie gekommen! Aber um des Himraelswillen,
wie kann ein Laie in juridischen Dingen jemals auf den Gedanken
kommen, daß eine in Wien gestohlene, noch dazu einem alten
Adelsgeschlechte gestohlene Handschrift von der Wiener Hof-
bibliothek angekauft werde? Das geschah, wie Herr Hofrath Ritter
von Birk mir mitzutheilen die Güte hatte, so. — Der entlassene Schreiber
getraute sich mit seiner Beute nicht an die Öffentlichkeit; bald wäre
dieselbe gänzlich vernichtet worden. Er hatte sich nämlich nach
Wiener-Neustadt gezogen; daselbst war am 8. September 1834 bei
heftigem Sturmwind ein ungelieuercr Brand ausgebrochen, wel-
cher über 350 Scheunen und 500 Häuser zerstörte. Über vier Millionen
Gulden Conv.-Münze betrug der Schaden, 47 Menschen — nach anderen
Berichten 51 — verloren ihr Leben in den Flammen! Diese wütheten
derart, daß, wie ein gleichzeitiger Bericht (Darstellung der k. k.
Stadt Wiener-Neustadt, Wien 1834, S. 172 f.) sagt, „selbst
Kellergewölbe bis auf den Grund ausbrannten!"^) — Und
') Vgl. darüber auch Sebastiau Bruiinor, Wiener -Neustadt. Wien 1842,
S. 40 f., ferner Rückblick auf den Brand von Wiener-N eustadt. Von einem
Augenzeugen im 3. Bande der österr. Zeitschrift für Geschichts- und Staatskunde
Nr. 36 und 37. — Die Wiener-Zeitung vom 10. September 1834 spricht nur vun
einem Gerüchte, daß die Stadt abgebrannt sei; erst am 13. September brachte
sie eine Darstellung des Brandes !
228 FRANZ KRATOCHWIL
damals lag die gestohlene Handschrift in einer dünnen
Cartonschachtel in einem Keller von Wiener -Neustadt!
Was mag sie da gelitten haben!
P, der, was Beschreibung und Geschichte der Handschrift betrifft,
sich stets der äußersten Kürze befleißt, gedenkt nur (Einleitung
S. XLHI) „ihres unscheinbaren und schadhaften Äußeren", das
ihm schon damals, als er sie zum ersten Male sah, auffiel. Hätte er
doch gesagt, worin letzteres bestand! Es muß schon sehr schad-
haft gewesen sein; offenbar war damals bereits die Handschrift mehr
oder minder in einzelne Lagen aufgelöst: wie ließen sich sonst
die verschiedenen bedeutenden Lücken zu Anfang und im
Innern erklären? Herausgerissen wurden die fehlenden Blätter
nicht, sie können nur herausgefallen sein, denn diese Lücken
waren alle schon zu Primisser's Zeit, wenn er auch nicht alle er-
kannte. — Zu seiner Zeit schon war ferner die Handschrift fast
unleserlich an manchen Stellen, weil sie verbl aßt oder v erlös ch t
waren, ganz besonders S. 1 und 2, wahrscheinlich auch S. 153 (Nr. 18,
V. 280 ff.) in der unteren Hälfte, besonders in den Anfängen der
Verse. Ob die oberen Hälften der Seite 42 (Nr. 7, V. 330—341 und
der Seiten 450—461 (Schluß von Nr. 42, 43, Anfang von 45) schon
damals (wahrscheinlich durch eingedrungene Feuchtigkeit) verblaßt
waren, oder ob dies später geschah, läßt sich ebensowenig entscheiden,
als die Frage, aus welcher Zeit die ur • .nein zahlreichen Flecken
der Handschrift (am Rande, aber au im Innern, z. B. S. 1 — 12,
15-17, 38, 42, 51, 86, 89, 113, 125, ■ -4, 140, 144, 149—156, 175,
176, 203, 218—220, 231, 256—258, oOO, 315, 322, 344, 367, 382,
398, 415 — 418 u. s. w.) sowie die Risse S. 211 und 305 stammen.
Gewiß ist nur, daß der Zustand der Handschrift während der Ver-
borgenheit sich verschlechterte.
Endlich — es waren fast zwei Decennien seit der Entwendung
vergangen — faßte der Dieb Muth und näherte sich dem Wiener Anti-
quar Johann Schratt. Dieser stellte dem Unterhändler Wilhelm
Gram er Städter, dem Sohne des Diebes, einen Revers aus, worin
er ihm bestätigte, die von P 1827 herausgegebene Handschrift am
10. Februar (?) 1846 zum Commissionsverkaufe übernommen zu haben,
und verspricht, diese durch die Wiener-Zeitung um 100 Stück Ducaten
feilzubieten, das Manuscript, falls der Verkauf nicht gelinge, in dem-
selben Zustande, wie er es übernommen, zurückzustellen, im Verkaufs-
falle aber 50 Gulden nebst den für die Ankündigung ausgelegten
Geldern zu beanspruchen. — Schratt that seine Schuldigkeit ; er ließ
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 229
eine aiibt'ührlichc, im Verj^lciche zum Ivcvers uiifrcwöliniicli sjut j,'e-
haltene Ankündigung der Handschrift am 17. März in die Wiener-
Zeitung einrücken.
Das genügte. — Trotzdem die in ein zelne Lagen atifgelöste
Handschrift, welcher eine gewö h nli clic Schachtel aus
Pappe als Aufbewahrungsort diente, nicht im Mindesten einen
imponierenden Eindruck machte, fanden sich doch Kauflustige; be-
sonders Ungarn, für dessen König Ludwig den Großen 8uchenwirt
so viele Worte des Lobes hatte, strebte nach dem Besitze der Hand-
schrift. In diesem entscheidenden IMomente griff die Wiener llof-
bibliothek ein und erwarb um den verlangten Preis die Handschrift ').
Und Graf Georg ThurnV Dieser lebte damals als Feldmarschall-
lieutcnant und Divisionär in Pest (vgl. Wurzbach n. a. O. 45. Theil,
8. 120) und erfuhr erst aus der Wiener Zeitung, daß ihm seine werth-
volle Handschrift entwendet worden war; bevor er noch Schritte
thun konnte, war sie schon verkauft. Aber auch der Kecurs, den
er später wirklich ergriff, fiel nicht zu seinen Gunsten aus; die llof-
bibliothek hatte mit der Handschrift auch den von Schratt aus^-c-
stellten Revers und einen Abdruck seiner Ankündigung in der Wiener-
Zeitung^) erworben, und diese für einen rechtsunkundigen Menschen
höchst unbedeutenden Dinge schützten die Hofbibliothek in ihrem
kostbaren Erwerbe. Doch führte der Recurs zur Bestrafung des Diebes,
Schratt kam um seine Provision. — Dies die wahre Geschichte
einer verlorenen Handschrift.
Wäre die Handschrift nicht gestohlen worden, so befände sie
sich schon längst im fernen BIciburg. Daß sie aber an ihrem jetzi-
gen Orte leichter zugänglich und ungleich besser ge-
borgen ist, unterliegt keinem Zweifel. Und dies ist bei dem sehr
') Und zwar noch im Monate März, wie icli aus dem Zettelkataloge der Hand-
schriften ersah. Herr Scriptor Dr. A. Göldlin von Tiefenan, wie immer liebenswürdig
und gefällig, gestattete mir nämlich einen Einblick in denselben. Dadurch wurde es
erst möglich, die Ankündigung der Handschrift in der Wiener-Zeitung zu finden und
das Datum des Reverses richtigzustellen. Jedermann liest dieses mit 10. April. Das
kann es aber nicht bedeuten: Schratt kann nicht Anfangs April die Übernahme der
Handschrift zum Verkaufe bestätigen, nachdem dieselbe am 17. März bereits von ihm
in der Wiener-Zeitung zum Verkaufe angeboten und balil darnach von der Hof-
bibliothek angekauft worden war. Es kann somit die für den Munat gesetzte riimische
Zahl nur II mit einem Schnöikel oder einen unvollendeten III bedeuten.
') Beide wurden später der Handschrift vor dem rückwärtigen Deckel bei-
gebundeu.
230 FBANZ KKATOCHWIL
hohen Wert he der Handschrift nicht gleichgiitig. Ihr Verlust wäre
unersetzlich selbst jetzt noch; sie ist die Suchenwirt-Hand-
schrift xar' s^oi}]v. Ihr Werth wird erst klar durch die Betrachtuog
der übrigen Handschriften.
II. af.
Die Tabulae codicum erwähnen nichts davon, daß A eine
andere Handschrift beigelegt ist, nämlich a, eine Abschrift des
Suchenwirtischen Gedichtes Von Der mynn slaff von unbekannter
Hand des vorigen Jahrhun dertes, wie schon nach der Schrift
anzunehmen ist. Die Abschrift bestand ursprünglich aus einem
halben und einem Viertelbogen; man denke sich einen ganzen Papier-
bogen von oben nach unten in vier gleich breite Streifen zerschnitten
und jeden derselben auf beiden Seiten mit 46 — 50 abgesetzten Versen
beschrieben. Der halbe Bogen hatte zwei solche Columnen, er wurde
Ende 1878 auf meine Anregung von dem seither verstorbenen Custos
J. Haupt in zwei Streifen zerschnitten; somit umfaßt jetzt die
Abschrift drei Streifen. Um sie vor Verlust zu sichern, wurden
dieselben auf den drei ersten leeren Blättern nachdem letzten
Gedichte in A (vgl. S. 208) befestigt.
Da das Gedicht Von Der mynn slaff nur in A erhalten ist
so liegt die Annahme, daß diese Handschrift als Vorlage für a
gedient habe, sehr nahe. Unterstützt wird dieselbe noch durch V er-
gleich ung des Gedichtes in beiden Fassungen: sie zeigt
Übereinstimmung, oft sogar in den kleinsten Kleinigkeiten.
Abweichungen kommen wohl in a vor, doch erklären sie sich
fast sämmtlich aus dem Drange des Abschreibers, Schreibweisen und
Sprachformen der alten Fassung zu modernisieren. So hat er
Anfangs eine regelrechte Interpunction eingeführt und s'ämmtliclie
Hauptwörter groß geschrieben, aber bald fügt er sich mehr und mehr
der alten Schreibweise. Nur die f oder i gibt er durchaus mit i und
schreibt ie nur dort, wo es schon das Original bringt; u mit dem
Ilaken • drückt er durch Umlaut des u aus {tut : gilt : müt V. 163, 241
u. s. w.) , die durch den Haken angedeuteten Flexions-e ignoriert er
gewöhnlich. V. 6 schreibt er ihrer für ir, 17 und 191 Das für des^
18 Hofmaisterin für hofma ister ine, 83 cioahi für tioalm, 128 um für
iimb u. s. w.
f Dieses Zeichen zeigt an, daß P die Handschrift nicht gekannt oder doch
in seiner Ausgabe der Gedichte Suchenwirt's nicht benützt hat.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 231
Anderungeu wie sie7,^er für 51162,%^)- V. 13, iciste für iceste V. 23,
gorten für garten V. 5, Z^c»r für dar V. 54 und 55, Auflösungen von
Abkürzungen wie in meine puech V. 188 (ebenso in V. 5) mit dem
Accusativ mag weniger der Drang zu modernisieren als des Schrei-
bers österreichische Mundart veranlaßt haben.
Einige Abweichungen sind durch unrichtiges Lesen entstan-
den, so V. 7 chrellCel, 8 S2>rechen, 31 niemaniler wekchen (A hat
niema/i D' icekchen) y 76 tat, 91 no; alters ain in V. 109 iieli er ganz
weg; offenbar war es ihm unverständlich.
Erscheint somit a im Ganzen für die Textkritik belanglos,
so kann man dieser jungen Handschrift als Beleg, daß 8uchenwirt's
Dichtungen auch im vorigen Jahrhundert nicht ganz vergessen waren,
ein historisches Interesse nicht absprechen.
III. Bf.
Anders verhält es sich mit B. Diese Papierhandschrift gehört
der oberösterreichischen Cistercicnserabtei Schlierbach, trägt dort
die Signatur I, 27 und wurde mir durch die Güte des hochwürdigen
Herrn Stiftsvorstandes Florian Schininger unter Bürgschaft des Pro-
fessors G. Friess in Seitenstetten (vgl. S. 226) zur Benützung über-
lassen. Sie stammt aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts und
zählt Alles in Allem 403 Blätter in Folio, von denen 54 unbe-
schrieben sind.
Ihre Entstehung verdankt sie dem -gelehrten Job Hart mann
Enenkel von Albrechtsberg'), Freiherrn auf Hoheneck und
Goldeck. Das besonders in Niederösterreich begüterte Geschlecht läßt
sich bis 1009 zurück verfolgen; es wurde 1477 ritterlich, in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhundertes freiherrlich. Der letzte des Mannesstammes,
der oben genannte Job Hartmann, 1576 geboren, wurde kaiserlicher
Räth und Kämmerer, Landrath von Oberösterreich, 1613 Regent der
niederösterreichischen Lande (d. i. n. ö. Regimentsrath) und starb in
seinem 50. Jahre am 9. Februar 1627 zu Wien. Vgl. Hoheneck,
Genealogische und historische Beschreibung der löblichen Stände in
dem Erzherzogthum Österreich ob der Enns, 3. Band (1748), S. 122 bis
154 und Zeitschrift f. d. Alt. 28. Band (1884), wo Philipp Strauch
in der Abhandlung: Studien über Jansen Enikel S. 35 — 64 die Frage,
ob der Verfasser der Weltchronik und des Fürstenbuches
aus demselben Gesclilecht wie der Schreiber vonB stamme»
') An der Bielach bei Melk.
232 FKANZ KRATOCHWIL
verneint und die Literatur ttber Letzteren zusammenstellt. — Enenkel
war selbst dichterisch thätig; die Gelegenheitsdichtung war sein Feld
(vgl. unter andern die Nummern 21 — 25, 29 und oS der Handschrift
10100 der Wiener Hofbibliothek); er war ein warmer Liebhaber deut-
scher Literatur, großer Bücherfreund und besaß eine reichhaltige
Sammlung von Handschriften, die aber nach seinem Tode nach allen
Richtungen zerstreut wurden. Vieles kam in die Wiener Hofbibliothek
(vgl. Strauch a. a. O.), zwei Bände Genealogien in das n. ö. Landes-
archiv, anderes in das Museum Francisco-Carolinum in Linz u. s. w.
Auf welche Weise B in das vom Kaiser Ferdinand H. 1620 den
Cisterciensern übergebene Stift Schlierbach kam, ist mir nicht bekannt.
Ein Jahrhundert darnach benützte wahrscheinlich Freiherr von
lloheneck^) diese Handschrift zu seinem oben angeführten Geschichts-
werke (vgl. S. 244 f.); gewiß ist, daß sie Dr. von Meiller's Aufmerksam-
keit erregte und durch dessen Nachlaß das Interesse des Professors
G. Friess, welcher in seiner Abhandlung: Fünf unedierte Ehren-
reden Peter Suchenwirt' s, Wien 1878, 30 S. (Separatabdruck
aus dem Octoberhefte des Jahrganges 1877 der Sitzungsberichte der
philos.-histor. Classe d. kais. Akad. d. Wiss., LXXVIIL Bd., S. 99 ff.)
der gelehrten Welt nebst Mittheilungen aus dem Codex auch eine
kurze Beschreibung desselben gab.
Es sind in demselben zwei Zäh lungen angebracht. Eine alte,
vom Schreiber Job Hartmann Freiherrn von Enenkel her-
rührende, die beim Einbinden des Codex in Pergamentdeckel durch
das Beschneiden des Papiers ganz oder theilweise wegfiel, zählt nach
Seiten, erreicht Seite 819 und rechnet die zwei letzten Blätter, die
zum Deckel gehören, nicht mit, wohl aber die zwei, die zum Vorder-
') Ausdrücklich beruft sich Freiherr von Hoheneck an sehr zahlreichen
Stellen seines Werkes auf in seinem Archive befindliche, aus Baron Eneukers Feder
stammende genealogische Manuscripte. — Möglich ist es, daß unsere Handschrift
schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von Valentin Preuenhueber sen.
benützt wurde. Dieser handelt unter Nr. 12 seines Catalogus supremorum capitaneo-
rum Austriae superioris von Hans von Traun und beruft sich dabei auf ein Manu-
script de rebus gestis D. Joan, Baronis a Traun (Preuenhueber, Annal.
Ötyr. S. 416). Er gibt aber den Inhalt desselben leider nur in ganz allgemeinen
Zügen, die zwar zur höchst wahrscheinlichen Annahme, daß unter
dem angeführten Manuscript nichts anderes als Suchenwirt' s Kede
auf Hans von Traun gemeint sei, völlig ausreichen, nicht aber zur
Entscheidung, ob Preuenhueb er das Gedicht in der Fassung vonA
oder B vor sich gehabt habe. Bis auf das Todesjahr passen seine An-
gaben eben zu beiden.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT ITSS. 233
deckel gehören, von denen aber nur nocli ein Blatt vorhanden ist.
Gegen den Schluß ist in Enenkels Zählung ein Ftdder gekommen:
er sollte 804 Seiten erreichen. Stellenweise (wie bei den Gedichten
Suchenwirt's) ist die zum Theile weggeschnittene Zählung von neuerer
Hand mit Tinte angebracht. Außerdem findet sich eine Zählung nach
Blättern; sie stammt aus neuester Zeit, ist mit Blei hie und da
angebracht, namentlich wenn ein neues Stück in der Handschrift
anfängt. Das eine noch vorhandene Blatt nach dem Vorderdeckel ist
eingerechnet. Dort, wo 200 steht, sollte 201 stehen, es ist somit die
Zählung von hier an bis zum Schlüsse unrichtig.
Der Deckel ist namentlich au den unteren Ecken durch Wurm-
stich schadhaft; auf dem Rücken steht von älterer Hand geschri(!bon :
Historia de Sancto Severino.
Diese Vita nimmt aber nicht vielleicht den größten Kaum der
Handschrift in Anspruch, mit ihr beginnt die Handschrift, von ihr hat
sie die Aufschrift. Die übrigen Stücke sind gleichfalls historisch, stehen
mit der Geschichte Österreichs in engerer oder weiterer Beziehung
und sind nach den in der Wiener Hofbibliothek befindlichen Hand-
schriften geschrieben. Das größte Stück darunter und überhaupt der
Handschrift ist Fürstenbuch von Oesterreich und Steyerland \ ßeschriben
vor mehr als 350 Jahren \ von \ Herren Jansen dem Enencheln. Der Ab-
schreiber macht unterhalb dieses Titels die Bemerkung, daß diese Ab-
schrift von Hieron. Megiser, dem er sie 1613 nur zum Anschauen
gegeben, 1618 zu Linz in Druck gelegt worden sei, erst 1623 habe
er sie wieder zurückerhalten^). Viereinhalb Blätter nach dem Fürsten-
buche, von Seite 434 — 485 nach Enenkel's Zählung, folgen
Gedichte Suchenwirt's, jener Theil des Codex, auf dem
allein aus später ersichtlichen Gründen der wahre Wert h
dieser umfangreichen Handschrift beruht.
Der Titel steht S. 434 und lautet: Dises Heldenbuech oder beschrei-
bung ATX. Oesterreichischer umb die 1300. 1330. 1350 1380 berümbten
helden Ritterlicher Thaten Ist abgenommen vnd geschriben mit meines
vnderschribnes handen , aus dem alt vor 200. Jahren geschribnen
buech bei herren Wolf Chr ist offen Velderndorfer zum Neiden-
stein"^) Zu befinden: vnd miers mitgetheilt Im 1G2Ö, Jar. Dabei noch
') Megiser eiwälmt in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Fürstenbuehes nichts
von dem, wolil aber beruft er sich auf zwei alte auf Pergament geschriebene Exem-
plare des Fürstenbuehes in der kaiserlichen Bibliothek zu Wien.
"*) Wolfgang Christoph Freiherr von Velderndorf (geboren 1&72) gehört einem
niederösterreichischeu Adelsgeschlechte an, das sich bis in das elfte Jahrhundert ver-
234
FRANZ KRATOCHWIL
andere mehr Poetische beschreihung oder getichte, samt eingemischten
historien von Oesterreichen Sach, absonderlich in ein buech geschriben.
Die nächste Seite ist leer. Von Seite 436 an folgen 21 Gedichte
Suchenwirt's in nachstehender Ordnung:
n3 «>
Zählung nach
Fri ess und
P r i m i s s e r
Von Seite . . .
der Handschrift
bis Seite . . .
Überschriften der Gediclite
10
11
12
13
14
ab In
II
III
IV
V
I
II
IX
XIV
XVIII
XI
X
XII
XIII
430'"")
430'^— 438'
438"— 439''
439"-
44r-
-441"
-442"
442"— 444"
445"— 447"
447'— 450"
450"— 456"
45G"-4G0''
460'— 403'
463' — 464"
464" -407'
Lobgedicht auf Moriz von Hawnfeld.
NB. Titel fehlt
Von Hern Hansen von Chappell
Von Herzog Albrechten von Oester-
reich
Von Hern Albrechten von Rawchenstein
Von Hern Sumolf Lappen von Ern-
wicht
Von Cbünig Ludweigen von Ungernland
Von der Chaiserinn von Payern
Von Hern PuppH von Eilerbach
Zum Lobe Friedrichs von Chrewspekch.
NB. Titel fehlt
Von Herren Hansen von Traun
Von GrafF Ulreichen von Phannberg
Von Hern Puppli von Ellerbacii
Von Hern Hertweigen von Pettau
Von Hern Ulreichen von Waise
folgen läßt. Den Namen hat es von dem kleinen Orte Velderndorf, ehemals auch
Völlerndorf, Völderndorf, Felderndorf, jetzt Feilendorf, in der vom n. ö.
Landesausschusse 1882 herausgegebenen Übersichtskarte der Flußgebiete von Nieder-
österreich Fall endorf genannt; es liegt 9 Kilometer westlich von St. Polten zwischen
der Sirning und Bielach. 1613 kam Wolf Christoph von Velderndorf auch in den
Besitz der kleinen Herrschaft Neidenstein (auch Neutenstein genannt), die aus
dem Schlosse Neidenstein und dem Orte Unter-Grafendorf (am rechten Ufer der Persch-
ling zwischen Jeutendorf und Böheimkirchen) besteht. Seit Anfang des vorigen Jahr-
hunderts hat Neideustein zu wiederholtenmalen seinen Besitzer gewechselt, so daß leider
„von dem alten Buch" keine Spur mehr zu finden ist. Vgl. J. Fr. Gau he. Des Heil.
Rom. Reichs genealogisch-historisches Adelslexikon, 1740, 1. Bd., S.528f.; J.Seifert,
Hoch-Adeliche Stammtafeln, 1721, 1. Theil, Nr. 19, und Fr. Seh wei ckhardt Ritter
vonSickingen, Darstellung des Erzherzogthums Österreich unter der Enns. Viertel
ober dem Wienerwald, 3. Bd. (1836), S. 15—17 und S. 100— lOl.
■) a = linke, b =; rechte Spalte.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 235
c-w® IZählune: nach Von Seite ...
^■^ Friess und der Handschrift
Primisser bis Seite ...
Ü b e r s c in- i f t e n der G e d i c li t e
15
16
17
18
19
20
21
(VI)'), Pill' 467"— 470"
(VII) ^), VII 470"— 472*^
VI
XV
VTII
XVI
XVII
473"— 475»
475"— 477"
477"_480"
480"— 482"^
482"— 485'^
Von Herczogen Albrechten von Oester-
reich
Von Purchgraff Albrechton von Nürn-
berg
Von Herczog Hainreichen von Kernden
Von Ilern Lewtolden von Stadekk
Von Herren Purkharten von Ellerbacli
dem alten
Von Graven Ulreichen von Cyli
Von Hern Pridreichen von Lochen
Während der erwähnte Titel eine undeutliche, verzogene Current-
schrift") zeigt, sind die Gedichte in schöner, gut lesbarer lateinischer
Schrift des 17. Jahrhunderts geschrieben, auf jeder Seite zwei
Columnen, jede zu ungefähr fünfzig Zeilen. Die Verse sind abgesetzt
und beginnen bald mit großen bald mit kleineu Buch-
staben. Die Überschriften sind in größerer Schrift geschrieben; es
ist durchaus nur schwarze Tinte verwendet.
Bei dem ersten Anblicke fallen die großen Anfangsbuch-
staben im Innern der Verse auf^, deren Verwendung weit aus-
gedehnter, aber schon consequenter ist als in A. Im Übrigen ist jedoch
die Schreibweise der Handschrift mit der von A im Ganzen über-
einstimmend. Beide Handschriften sind nicht frei von Inconsequenz:
dasselbe Wort, sogar in demselben oder nächstem Verse, zeigt zu-
weilen verschiedene Schreibung. Unter den Buchstaben ist nur sS neu,
wechselt aber häutig mit zz. Das Dehnungs-A nach dem t begegnet
öfter, so B S. 463 = P X, 242 thet, Friess VI, 52 that. Während
in A ebenso oft tz wie cz verwendet wird, ist in B Vorliebe für cz
bemerkbar.
Von den in A zur Bezeichnung von Vocalen und Diphthongen
üblichen Haken kommen häufiger vor ", dann •' und ", selten ',
ausnahmsweise ; hingegen liebt unsere Plan d seh rift beson-
») Vgl. S. 238.
') Sie gleicht ganz Enenkel's Autograph in der Ilaudsclirift der Wiener Ilof-
bibliothek Nr. 10100", welche f. 165"'' ein Gedicht von ihm bringt „für Herrn Poter
von .Scherenberg auf sein Dama einer Poplin zu Siena in Toscana".
236 FRANZ KRATOCHWIL
ders das Zeichen '"'. Dieses vertritt alle Haken von A, und zwar
in der Seite 213 — 217 dargelegten dreifachen Verwendung derselben.
Doch fehlt in B der Haken als Zeichen der Diphthonge öfter
als in A; so begegnen nicht wenige u für iio, tie und ^ = ?'e. Dar-
nach wird uns das häufige Fehlen des Hakens in B, wo es sich um
Halbdiphthonge oder gar um S varabhak ti-handelt, nicht so sehr
wundernehmen; sind doch selbst in A die durch Haken bezeichneten
Svarabhakti nicht besonders zahlreich. Immerhin ist aber nicht zu
leugnen, daß der Schreiber von B nur geringe Vorliebe für Formen
mit Svarabhakti zeigt; denn selbst die in A durch e oder i ausge-
drückten gibt B nicht immer. Der Punkt ober ^ fehlt oft, doch, wenn
er gesetzt wird, befindet er sich meist über dem i und nicht (wie in
A oft) seitwärts davon, so daß die Schrift lesbarer ist.
Die Unterscheidungszeichen sind nur selten. Am Ende
des letzten Verses von Nr. 1, 2, 4 und 5 begegnet ein Punkt, desgl.
nach dem Titel von Nr. 3, 15 und 16; in Nr. 5 V. 96, Nr. 15 V. 25,
37, 42 und in Nr. 16 V. 3 finden sich auch Beistriche, in Nr. 9, 118''
(dieser Vers fehlt in A) ein Ausrufungszeichen. Ich glaube, selbst
diese wenigen Zeichen dürften von Enenkel herrühren.
Der Abkürzungszeichen sind zwei: ~ und s. Wie in A steht
ersteres bisweilen unnöthig, wird aber sonst nicht nur oft, sondern
auch in ausgedehnterer Weise verwendet als in A (vgl. S. 212),
indem es nicht selten für auslautendes e (iteüid Nr. 1, 193, Nr. 8, 127),
einmal auch für auslautendes s (Nr. 14, 158 de) steht. B S. 468'^ be-
gegnet ds (= des), was Friess VI, 60 irrig mit das aufgelöst hat. n
= nn und m = mm findet sich oft (danen Nr. 19, 183 und 185,
Hawhtman in einem nach 448 eingeschobenen Verse von Nr. 10, czil-
sawie 10, 271 u. s. w.), 12, 166 u. ö. Ihu = Jesu. __ ^ hat eine etwas
engere Bedeutung als ^ in A (vgl. S. 211 f.); es bezeichnet in der
Regel er, doch auch ur (sehr häufig d'ch), ganz ausnahmsweise ar, ir
{bewH : art Nr. 14, 169, wde = wit-de Nr. 5, 3) und ert {hund\ dorffer
in Nr. 21, 18 Ergänzungsvers. Häufig begegnet Osterr'' oder Oesterr\
selten Oster^^.
Was die Schreibfehler (im Sinne von Versehen durch Eile
oder Vergessen) betrifft, so sind dieselben verhältnißmäßig häufiger
als in A. Höchst wahrscheinlich hat Enenkel seine umfangreiche Ab-
schrift, nachdem er sie fertig gebracht: nicht mehr mit der Vorlage
verglichen; manche Versehen hat er gebessert: sie mögen ihm gleich
beim Schreiben aufgefallen sein. Übrigens konnte ja auch seine Vor-
lage hie und da fehlerhaft sein.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT- IISS. 237
Unzweifelhaft ist es,- daß durch manclie solche Verstöße der Text
leidet; an nahezu dreißig Stellen erscheint dadurch der Sinn gestört.
In den Reimen begegnet selten Auffälliges. Von den zwanzig
hieher gehörigen Fällen zeigen fast alle nur ganz unbedeutende Ver-
schen, wie sie leicht beim Abschreiben unterlaufen-, sie lassen sich
auf den ersten Blick corrigieren, aber auch die paar anderen bedeu-
tenderen Reimstörungen sind unschwer zu beheben. Eine derselben:
voglsaiich noch mayen Lust
den /terczen gaben wenig gust
in Nr 18, 85 möchte ich auf Enenkel's Rechnung setzen; seine Vor-
lage wird gleich A gehabt haben luft : guft. Da ihm letzteres Wort
vielleicht unverständlich war, hielt er es für Verderbniß und suchte
zu bessern ; er hat aber nur den Text verschlechtert. Dasselbe glaube
ich von einigen anderen verderbten Stellen .".uuerhalb des Reimes.
So heißt es in Nr. 10, 508:
do icaa dfr Winter recht so ehalt]
es stand schon (wie in A) nicht\ dieses wurde aber, da Enenkel den
Sinn nicht verstand, in recht geändert. Nr. 14, 56 schreibt er:
er icas ein uher holdes Kraft
(A über heldes), 14, 212 darin falsch (A vasch), 15, 31 Unschulden
A von schulden), 16, 184 Senuise graben (A Gen muse), 21, 89 be-
trogt (A bevogt).
Wie viel von all den Ungenauigkeiten auf Flüchtigkeit oder
Mißverständniß Enenkel's, wie viel auf Unlesbarkeit oder Fehler-
haftigkeit seiner Vorlage zu setzen kommt, läßt sich nicht entscheiden.
Immerhin ist ihre Gesammtzahl im Verhältnisse zum Um-
fang der Handschrift gering. Eine sorgfältige Vergleichung zeigt
nicht nur Übereinstimmung unserer Handschrift mit A im
großen Ganzen, sondern oft in den kleinsten Details; ja, sie ist mit-
unter geradezu überraschend. So hat P XI, 158 f.:
Da von mein vrewd vergellet,
Ir su^z,ikait ist loorden sawer,
hingegen B mit A in, und V. 322 Got vater setze, B und A aber Got
herre vater; P VII, 51 leben, dez, A dd^ (vgl. S. 215), B das, V. 139
P Chriehen, AB chriechen, V. 190 P Waegen, AB wegen; P VI 45
X>e? ist daz, leben, kB der; P XV, 184 Getrewer, AB getrewn; P
VIII, 32: Mit wort, gedanchen, guter tat,
AB mit vorgedankchen, V. 84 P erslagen, A hatte wie B geslagen,
doch hat der Schreiber in A nachträglich die erste Silbe geändert,
V. 137: Die flucht pracht er ze wal hemider,
GERMANIA. Neue Reihe XXII. (XXXIV.) .lahrft. 16
238 FRANZ KRATOCHWIL
A zemal, B zumal- P XVII, 85 An der Oder; AB Ader, V. 127 De>n
von Maekelhurch, B mit dem Meklhurg, A hatte mit dem^ aber mit
sieht verlöscht aus, V. 131 P gewunn^ B gewunnen, desgl. A, aber en
ist ausgestrichen. — Diese Stellen, die sich sehr leicht bedeutend ver-
mehren ließen, bezeugen nicht nur die große Übereinstimmung
zwischen B und A, sondern lassen auch die Annahme zu, d a IX
Enenkel seiner Vorlage, wo sie ihm keine Schwierigkeiten
bereitete, in der Regel getreu gefolgt ist. Es ist also zu
sehließen erlaubt, daß die oben berührten üngenauigkeiten größten-
theils auf Rechnung der Vorlage zu setzen seien.
Dazu stimmt, daß die Sprachformen fast ausnahmslos mit
denen von A congruent sind. Doch zeigt unsere Handschrift keine
Vorliebe für den in A häufigen Wechsel von h und w, hingegen findet
sich fast durchaus die, wo A di hat, auch gebraucht Enenkel nie die
Formen schol, scholde, sondern immer mit dem einfachen Anlaute s;
sonst steht seh statt s ganz vereinzelt in Nr. 12, 49 und 129, auch
die Form mancher b<;gegnet nur ausnahmsweise.
Überhaupt macht EnenkePs Abschrift der Suchenwirtischen
Gedichte, von den Schriftzügen abgesehen, ganz den Eindruck einer
alten Handschrift, obwohl sie erst 1625 angelegt wurde. Früher kann
sie nach Enenkel's Angabe auf dem schon beregten Titel nicht ent-
standen sein, aber auch nicht viel später, da Enenkel 1627 starb;
andere Theile des Codex sind freilich schon bedeutend früher (1613)
geschrieben worden. Wenn nun Jemand die Handschrift, auf deren
unbedeutendes Alter reflectierend, geringschätzig beurtheilen möchte,
so würde dies dem Werthe derselben widersprechen.
Dieser ist nach dem bisher Glesagten trotz ihrer Jugend sehr
bedeutend. Er wird noch dadurch erhöht, daß sie fünf neue Ge-
dichte bringt, von denen besonders vier historisch verwerthbar sind;
dadurch wird die große Lücke am Anfange von A nahezu ganz aus-
gefüllt. Aber auch vier andere Lücken in A fanden durch B
ihre Ergänzung; davon waren zwei schon P bekannt, die eine von
89 Versen in A Nr. 12 nach dem V. 116, die andere von 41 Versen
in A Nr. 15 nach dem V. 185. Professor Friess veröffentlichte zugleich
mit den fünf Ehrenreden unter Nr. VI und VII auch die Ergänzungs-
verse zu diesen beiden Lücken ^) (a. a. O. S. 26 — 30). Zwei andere
•) Zu ändern sind folgende Stellen, und zwar in I, 17 frumde in fromde, 20 wer-
den in werdem, 25 mullen in viüllen, 45 so in do, 84 manigen in maniger; in II ist zu
lesen: 1 pitt mit u. s. w. , 4 helffe, 8 inn. imd, in V. 18 hat B gemawre, in 25
loillen : pillen, 48 wo. swert, 68 mendleicJi , 85 was, 100 der, 104 geslagen, in 51 hat
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 239
Lücken, jede zu 52 Versen, sind bisher unbemerkt geblieben, die
eine in A Nr. 9 nach V. 34, die andere in A Nr. 27 nach V. 52:
die Ergänzungsverse beider Lücken gebe ich im Anhange
zu dieser Untersuchung.
Daß aber diese fünf Gedichte und vier Ergänzungen
wirklich von Suchenwirt herrühren, unterliegt keinem
Zweifel, Allerdings sagt Enenkel ausdrücklich mit keinem Worte,
daß die von ihm abgeschriebenen Gedichte dem Suchenwirt ange-
hören ; aber am Ende seiner Abschrift (S. 485 b) hängt er dem
Schlüsse des letzten Gedichtes noch die Bemerkung an: Hie habent
die rede uon den Wappen ein ende. Hier bringt also Enenkel
ein Ganzes, die fünf fraglichen Gedichte erscheinen in Verbindung
mit 16 anderen, welche unbestritten längst als Suchenwirt's Eigen-
thura allgemein gelten. Zudem steht das fünfte dieser Gedichte wenig-
stens mit seinem Schlüsse in A, in jener Handschrift, welche aus-
schließlich Gedichte Suchenwirt's enthält. Es ist aber mehr als
wahrscheinlich, daß nicht nur der Anfang des fünften Gedichtes,
sondern auch die vier anderen Gedichte einmal in A gestanden haben
(vgl. S. 228 f.). Daß Suchenwirt sich in den fünf Gedichten nicht
nennt, ist kein Einwand; das Gegentheil wäre sogar auffällig,
da er dieses in keiner seiner Ehrenreden thut, diesen aber sind
die fünf Gedichte in allen Stücken conform. Wie dort han-
delt es sich auch hier um das Lob österreichischer Edlen: er
preist Moriz von Haunfeld , Jans von Chappell, Herzog Albrecht U.
den Lahmen und Albrecht von Raulieustein. Alle bis auf den Herzog
sind todt; das fünfte Gedicht ist satirisch. — Auch die Ausführung
des Themas ist um kein Haar anders: er beginnt mit dem Bekennt-
nisse seiner poetischen Ohnmacht und der Anrufung der göttlichen
Hilfe und endet mit der Empfehlung der Seele des Verstorbenen an
die Gnade Gottes und mit der Beschreibung des Wappens seines
Helden. Auch was Dietion, Sprache und metrischen Bau be-
trifft, gleichen die fünf Gedichte ganz den anderen Ehrenreden.
Letzteres gilt auch von den Ergänzungen. Daß sie echte, wesentliche
zu entfallen der, in 87 er; in III ist zu lesen: 10 yicalt, 11 mein, 6.^ trewen, 65 chrümbe,
109 snödeni 116 in, in 47 liat auszufallen die vor weisen; in IV ist zu le.sen : 2.5 ir,
öifrovid, 61 heldes, 82 mugd, 133 nagel, 135 helle, 141 under; in V hat B V. 2
uemünst, 28 nu, 30 der, 43 erd, 48 dem, 73 do er, 87 gürtel, 92 einen, 93 im, 102
öphltrank, 105 geschehen, 110 glider, 111 warn, 142 Am«; in VI: 21 gesach, Si frewden-
reiches, 44 armew, 48 uö jugent, 57 nu dar, 60 dea, 67 viir (nicht nm-), 80 achilde,
88 was; in VII: 13 von dem, 24 selbes und 39 den (nicht der).
16*
240 FRANZ KRATOCHWIL
Theile, keine müßigen Erweiterungen der Gedichte sind, sieht
Jeder, der nur aufmerksam die Nummern 12, 15 und 27 in A mit
ihren Ergänzungen in B liest; dasselbe gilt von der Ergänzung zu A
Nr. 9 (Rede vom verstorbenen jungen Ellerbach) , deren Echtheit
und Nothwendigkeit am deutlichsten aus A Nr. 5 (Rede auf den
lebenden jungen Ellerbach), V. 58 — 113 erhellt.
Der Werth von B zeigt sich auch, wenn in A Wörter fehlen,
wie z. B. A Nr. 15, 75, 192; Nr. 16, 72, 75, 214; Nr. 27, 51, 178;
ferner wo A schwer leserlich oder unlesbar ist, wie A Nr. 1 ,
18, 43; Nr. 9, 144; Nr. 13, 111, 117 (zweite Recension); endlich
wo A fehlerhaft oder sinnlos ist, z. B. A Nr. 15, 199; Nr. 16,
66; Nr. 22, 182, 231, 243; Nr. 27, 53. — Es hat sich nämlich als
unzweifelhaft herausgestellt, daß unsere Handschrift nicht selten dem
Sinne nach Besseres bietet als A.
Das Urtheil über den Werth der Handschrift wird keineswegs
dadurch umgestoßen, daß B zuweilen Verse versetzt, einen Vers
etwas früher oder später als A oder statt eines Verses in A
einen neuen bringt; so ist V. 119 von Nr. 13 in B = V. 120 von
Nr. 10 in A, V. 120 in B:
derselb mit sterk un ehren geuast
ist ein neuer Vers, der in A nicht vorkommt. Letzteres gilt auch von
folgenden Versen in B :
Nr. 14, 30 wan er ye lobes chunde warten
V 14, 172 darnach der degeyi here
7) 19, 152 si chomen ungeladen
Ti 21, lOß die was enuallen swer
•n 21, 107 loie wid"" in wer daz gancz lant.
Der Werth der Handschrift wird selbst dadurch nicht beein-
trächtigt, daß sie hie und da Lücken hat. Von den größeren gibt
Enenkel selber Rechenschaft. So schreibt er B S. 436 vor Beginn
von Nr. 1: Diser Helden heschreihung ist ein abgang. wegen etlicher
nher nit gar uiler heransgeris3ner hletter-^ B ist also gleich A zu Anfang
lückenhaft, von Nr. 1 fehlt Titel, Einleitung und ein Theil des Mittel-
stückes. Und nach V. 138 von Nr. 8 bemerkt er S. 447* der Hand-
schrift: Hier ist auch ein ahgang xoegen eines oder zioaier herausgerissener
bletter. Die zweitnächste Zeile lautet:
do wart er zu derselben stunt,
und es geht so fort, daß es für den oberflächlichen Beobachter den
Anschein hat, als ob nach der Lücke das Gedicht vom jungen Eller-
bach fortgesetzt werde. Aber das, was nach Enenkel's Bemerkung
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWFKTHSS. 241
folgt, ist ein ganz anderes Gedicht: es handelt von Kreuspeck. Somit
fehlt von Nr. 8 nach V. 139 alles bis zum Schlüsse, das sind 104
Verse, und von Nr. 9 der Anfang, nämlich V. 1 — 40.
Von den kleineren Lücken ist die größte in Nr. 10 nach V. 124:
sie erstreckt sich auf zehn Verse. In Nr. 3 läßt die Unterbrechung
des Reimes nach V. 41 den Ausfall von mindestens einem Verse er-
kennen; ganz dasselbe zeigt sich noch an fünf anderen Stellen: in
Nr. 9 fehlt V. 80, in 11 V. 150, in 12 V. 164, in 14 V. 28 ') und in
20 V. 136. — Andere Lücken umfassen nicht einmal einen ganzen
Vers. So sind die Verse 64 — 73 von Nr. 1 an ihren Enden mehr
oder weniger unvollständig. Enenkel hat das fehlende Stück des
Originals gezeichnet und in die Umrisse hineingeschrieben: War
hinweg gerissen. Dieselbe Zeichnung und die gleichen Worte darin
finden sich S. 436'' der Handschrift zu Beginn von Nr. 2; hier sind
die Verse 1 — 10 zu Anfang mehr oder minder verstümmelt. In Nr. 9
fehlt das letzte Wort (und damit der Reim) des V. 311, desgleichen
im V. 206 von Nr. 16; in Nr. 18 V. 226 fehlt amen. — Die Gesammt-
zahl der ganz oder theilweise fehlenden Verse in den verschiedenen
Lücken dieser Handschrift erreicht noch lange nicht die Höhe derer
in A.
Dieser Handschrift, welche nach Alter, verhältnißmäßiger
Sorgfalt in Sprache und Vers und in erster Linie durch den Umstand,
daß sie von allen Suchenwirt-Handschriften die größte Anzahl
von Gedichten enthält, den ersten Platz unter allen unbestritten
einnimmt, reiht sich zunächst dem Werthe nach B an. Es
ist dies gerechtfertigt durch das hohe Alter des Originals von B, durch
die im Ganzen vertrauenswürdige Wiedergabe desselben, durch sorg-
fältige Schonung der Sprachformen und metrischen Verhältnisse, sowie
endlich dadurch, daß sie die zweitgröß te Anzahl Suchenwirtischer
Gedichte, darunter bisher unbekannte Dichtungen und wichtige Er-
gänzungen zu den Lücken von A, bringt.
Ja, es ist begreiflich, daß bei so engen Beziehungen zwischen A
und B der Gedanke auftauchen könnte, es sei das von Enenkel auf
dem Titel zu Suchenwirt's Gedichten erwähnte „alte huech'^^ das ihm
als Vorlage diente, kein anderes als die Handschrift A. Nehmen wir
diesen Gedanken als erwiesen an — daß in A die fünf ersten
Gedichte von B fehlen und A vier Lücken aufweist, die B ausfüllt,
') Hier ist keine Unterbrechung des Reimes, wohl aber eine Störung der
Reimordnung, insoferne durch den Ausfall des V. 28 drei Verse aufeinander
leimen, während sonst in den Ehrenreden die Reime gepaart sind.
242 FRANZ KRATOCHWIL
würde ihm am wenigsten widerstreben: die fünf Gedichte können ja in A
gestanden haben (gewiß ist dies in Bezug der Nr. 5 von B) und nach
Enenkel's Benützung erst weggefallen sein, wie ja auch die Lücken
erst später entstanden sein können — so wäre damit die Frage nach
dem Original von B gelöst und für A das gewonnen, daß ihr bisher
aus verschiedenen Kriterien erschlossenes Alter nun bis 1425 zurück-
geführt und belegt wäre, und es würde sich dann, wie sich später
zeigen wird, dasselbe noch bis 1402 documentarisch hinaufrücken
lassen. Soviel dabei A gewänne, ebensoviel würde B dadurch ver-
lieren; B würde nicht mehr eine verlorene sei bst|ändige
Handschrift von 1425 oder 1402 repräsentieren, sondern
zu einer Copie vonA herabsinken, die nur dadurch Werth
hätte, daß sie die in A im Laufe der Zeit entstandenen
Schäden zu reparieren geeignet ist.
Doch der Gedanke, daß A die Quelle von B gewesen,
ist gar nicht haltbar;
a) denn in A ist ja die erste Rede von Eilerbach dem Jungen
vollständig, während Enenkel nicht weiter als bis V. 138 schreiben
konnte, weil danach in seiner Vorlage eine Lücke war von einem
oder zwein Blättern, wie er meint. Da nun in B 104 Verse fehlen,
so käme das in A einer Lücke von zwein Blättern gleich.
b) In A ist die Rede von Kreuspeck vollständig, während in B
die Überschrift nebst den ersten 40 Versen fehlt. Dabei bleibt es
in hohem Grade auffällig, daß der Titel der Handschrift
von zwanzig Österreichischen Helden spricht, während
die Sammlung 21 Gedichte zählt. Es hat für das erste auf mich
den Eindruck gemacht, als ob Enenkel die Verse nach der Lücke
für eine Fortsetzung des vorausgehenden Gedichtes gehalten hätte-
dann allerdings wären es 20 Gedichte. Aber es heißt einem Enenkel
doch viel zumuthen, wenn man ihn eines solchen Irrthums fähig hält.
Konnte Enenkel diesen mit der Anzahl der Gedichte dis-
harmonierenden Titel nicht schon in seiner Quelle vor-
gefunden haben?
c) Es ist auch in A eine andere Folge der Gedichte.
Es muß in der Vorlage für B auf die erste Rede von Ellerbach dem
Jungen gleich die Rede von Kreuspeck gefolgt sein, während in A
die nächste Ehrenrede von Ulrich von Pfannberg handelt, der die
Reden von Ellerbach dem Jungen (zweite Rede), Herdegen von
Pettau, Ulrich von Waise, Herzog Albrecbt H., Ulrich Waise (zweite
Recension) sich anreihen. Jetzt erst kommt die Rede von Kreuspeck.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER .^UCHENWIRT-HSS. 243
d) Nicht so zwin;^end wie das Vorhergehende ist, daß in B auf
die Rede von Kreuspcck die über Hans von Traun folgt, welche
in A die vorletzte Ehrenrede ist. Die Folge der übrigen Ehrenreden
ist genau so vj^ie in A.
e) Fraglich bleibt es, ob bei den großen Unterschieden zwischen
A und B in der Rede über Hans von Traun (zehn Verse von A fehlen,
dagegen weist B 24 neue Verse, an sieben verschiedenen Stellen ein-
geschoben'), auf, sonstiger zahlreicher Abweichungen nicht zu ge-
denken) A hieftir die Vorlage gewesen sein konnte. An sich schon;
man v/eiß ja — und auch Siichenwirt-Handschriften bieten hiefür
Belege — wie die Abschreiber verfuhren. Aber bei der sonstigen
Grenauigkeit Enenkel's ist es — selbst bei seiner oahen Beziehung
') Und zwar nach dem Verse 431:
eu Herczog Rudolf, iih sich ergeii
171 sein schirm mit gut und hab;
nach dem Vers 434:
nach dem Verse 448:
nach dem Verse 486:
nach dem Verse 487:
savil Ölten dem Ilaslauer fruet
und Hezlein den Enenchel guet
uil laidig uon irevi leben hie
dan also ez im stürm ergie;
der Bischolf ivolt in nicht erlan
er lourd des chrieges Hawbtman;
rait mit uirczig Pferdten allez ßeis;
als der chrieg wid'' mit Frächreich
angieng, czog er gar tugentleich
czu keif dem uon Engellant
chiinig , d'' in darczu mit bet besant
der in schikcht Kaieis zentschütten
darzu er sich nicht lang lies bitten
er half der stat, den Franczoys jagt
des manheit manig loernd'' chlagt
Do er nacher mit sighafter hant\
nach dem Verse 498:
ein guidein chetten an halz im hankcht
darzue secJishundH march im schankcht
Sein zu denken der Princz im gab
ein chostleich Ring und ander hab;
Vers 445 ist durch folgende drei Verse ersetzt:
viit zicaihitndert auf sechshüdH rait
sbjg si un jagt deio unu'<zait
zum land hinaus, wart aber wunt.
244 FR. KRATOCHWIL, ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND etc.
ZU dem Hause Traun*) — sehr zweifelhaft, daß wenn ihm A vor-
gelegen, er so geändert hätte.
Wenn nun A die Quelle fürB nicht gewesen sein kann,
was hat es dann mit dem y^alten buech''^ für einBewandtniß?
(Fortsetzung folgt.)
FRANZ KRATOCHWIL.
Manche dieser Zusätze geben für die Geschichte des Helden erwünschte Details,
sie wurden auch von dem Freiherrn von Hoheneck in dem 1732 erschienenen zweiten
Bande seines Werkes in der Geschichte des Hauses Traun (S. 678 — 717) verwerthet ;
ob nach dem „alten buech'^ auf dem Neidenstein oder — was mich viel wahrschein-
licher dünkt — nach Enenkel's Abschrift, darüber berichtet er nichts. Hoheneck sagt
S. 687 nur, er finde es angezeigt, ein „uraltes", nach Hans' von Traun Tod „ver-
faßtes Leichengedicht", wenn auch „zum Theil nur summariter" aufzunehmen. Er
gibt dann S. 687 f. die Verse 1 — 14 und 37—40, die ebenso wie die S. 690 und 691
angeführten Verse 521 — 526, 543 — 553 (Beschreibung seines Wappens) und 560 — 570
(Schluß) mit B übereinstimmen. Der von Hoheneck S. 688 — 690 gebrachte Aus-
zug des Gedichtes harmoniert vollständig mit den Varianten und Zu-
sätzen von B bis auf zwei Stellen. B und A nennen (V. 117) den Namen der
Festung, welche Traun während der Sperrung von Calais dem englischen Könige
wiedergewann, nicht, beide erzählen die Hilfe, welche Traun dem Bischöfe von Passau
gegen seine unruhigen Bürger leistet, fast mit denselben Worten (A V. 446—470,
B hat mar um zwei Verse mehr). Hoheneck aber nennt S. 688 den Namen derselben
Cadamum, ob aufGrund seiner Quelle oder nur als eigenen erklärenden
Zusatz, ist nicht zu ersehen; ebenso verhält es sich, wenn er S. 690 anführt,
der Bischof von Passau habe Albrecht von Winckl geheißen; von den Auf-
ständischen, welche 700 Pferde gehabt haben, aber von der Feste Georgenberg hart
bedrängt wurden, seien 300 gefangen genommen worden. — In beiden Fällen,
glaube ich, hat Hoheneck die erwähnten Angaben nicht dem Gedichte
entnommen; die auf Passau bezughabenden Details wenigstens konnte er sehr
leicht aus den Annalen von Garsten in dem 1727 erschienenen ersten Bande der Ger-
mania Sacra (S. 475) von Hansiz erfahren haben.
') Er hatte sich 1617 in zweiter Ehe mit Barbara Herrin von Abens-
berg und Traun vermalt; vgl. Wissgril 1, Schauplatz des landsäßigen niederöster-
reichischen Adels (5 Bände 1794—1804) 2. Bd., S. 410 ff.
O, BRENNER, LEUTE. 245
LEUTE.
Nicht alle rahd. in sind überall gleich ausgesprochen worden.
Darauf weist die jetzige Aussprache des alten iu in schwäbischen
Gegenden. Behaghel hat mich gesprächsweise darauf aufmerksam
gemacht, daß der Unterschied durch den Ursprung bedingt sei. Ich
war durch Formen wie nui, drid, hruier und durch das längere Fort-
bestehen der Schreibung tu in den entsprechenden Formen in bairi-
schen und Würzburger Urkunden zu der Ansicht gebracht worden,
Stellung im Auslaut und vor Vocal sei Ursache der besonderen Aus-
sprache. An der richtigen Erkenntniß hinderte mich vor Allem ein
Wort: Hute. Ich glaube nun allerdings, daß das umgelautete ü im
Oberdeutschen seine eigenen Wege gegangen ist, und daß die alten
iu, nachdem sie beim Eintritt der neuen Diphthonge getrennt wurden,
sich schließlich wieder meist zu einer Gruppe einigten. Die Unter-
scheidung zwischen u (so will ich den Umlaut des n hier der Ein-
fachheit halber bezeichnen) und iu erhellt aus verschiedenen Um-
ständen. Einmal ist {i an einzelnen Stellen eher eu geworden als iu,
oder eher als eu aufgefaßt worden denn iu, so in Kaiser Rudolfs
Landfrieden für Baiern vom Jahre 1281, wo päul, hovser, drwvheu
steht, aber frivnt, div, iriv, diup u. s. f. Sodann wird, nachdem eu
für iu durchgedrungen, sehr oft scharf zwischen altem vi, nun (cu,
und altem iu, nun eu unterschieden s. u. Endlich findet sich noch
zur Zeit des Monophthonges die Schreibung u für den Umlaut (im
oben erwähnten Landfrieden noch ein verspätetes hiisei; 1286 in einer
Urkunde von Ried chridzes, in den Carmina burana im jüngeren Theil
fol. 110 V. lut reimend mit müt), wo m für den alten Diphthong steht.
Doch fehlen mir für letztere Thatsache genügend zahlreiche Belege.
Nur ^in Wort fügt sich der durch obige Auseinandersetzung
gebotenen Trennung nicht: das Wort leute^). Niemand hat, soviel ich
weiß, bisher bezweifelt, daß dasselbe zu den m-Stämmen zu zählen,
und doch stellt es sich selbst ganz unzweifelhaft zu den umgelauteten
w-Stämmen. In den ober- und niederbairischen Urkunden von 1284
bis 1349, in denen ich das Wort gefunden habe, ist es nur in 3 — 4
') Anf das einmalige Vorkommen von dcevtsch im Landfrieden von 1281 , ge-
rcBvtte Urk. von 1297* lege ich so lange kein Gewicht, als ich keine weiteren Belege
finde. Die mit *verseheDen Jahreszahlen weisen auf Urkunden, die ich selbst ge-
sehen, ** anf zwei verschiedene solche Urkunden des gleichen Jahres.
246 O- BRENNER, LEUTE.
nicht von eu gesondert, was kein Beweis für die Gleichheit des Lautes
ist. Sonst haben wir
1. leute\ für altes iu aber hi, so 1291* gezivch, nivnzich, 1295*
(Hv, gezivk, nivntzic, ebenso 1296*, 1307*, 1309* (hier letvt, leit, da-
gegen triuzehen, nivntem, aber auch ncevn), 1313*.
2. Ivte, Ivte oder Ivte gegenüber iu 1300*, 1306*, 1307*, 1309*,
1310*, 1314* 1314**, 1316*, 1318* vielleicht auch 1315*, 1323*.
3. laut gegenüber iu 1307*, lote und leut neben Heuserer einer-
seits, div, neinzckik (!) anderseits.
4. Iceut, Icevte, Iceiit, laeut, läwt gegenüber iu oder eu 1293, 1294,
1295*, 1304*, 1306**, 1307**, 1309*, 1315* (ebd. hau/hm), 1316*,
1318*, 1323*, 1324 (ebd. chraeuz, Maeujel), 1326**, 1331*, 1335*, 1338*,
1349 u. s. w.
5. Einzeln 1297* laut, pcevren : gerceute, 1328* levt : frievnt, alliev,
haidiev.
Genug Beispiele dafür, daß sich letäe von den übrigen Worten
mit iu sondert; wo Umlaute von ü neben leute belegbar sind, stellt
unser Wort in so gut wie allen Fällen zu diesen. Auch noch in
späteren Urkunden ist das Verhältniß dasselbe; um 1500 freilich ist
hievon nichts mehr erkennbar, da heißt es leite, durchlaichtiger, frain-
din, vertrailich, Praisen.
Die Scheidung ist aber nicht bloß bairisch im engeren Sinn
gewesen. Freilich so zahlreiche Belege wie aus München und Um-
gebung (die sich künftig noch vermehren lassen werden) weiß ich sonst
nicht beizubringen, aber doch genügende, um das Vorhandensein im
Süden und Norden zu beweisen. In zahlreichen Urkunden von Ober-
und Niederösterreich und Steiermark *) wird durchaus iu oder eu ge-
schrieben, also chreutz wie freiint und gezeuk, aber schon 1274 (Reins-
berg) levte : triiven, geziuge, 1278 (Wilden) laeut : vriviit, niwen, 1278
(ebd.) laevt (oft) : vriuntlich, geziuge, lewen-, ebentiuren , 1281 (Kaiser
Rudolf, aber in Regensburg) Icevt, faul, hovser, hvser, drcevhen und
dcevtsch : frivnt, driv, diup u. s. w., 1292 (Wien) levte : geziuge, diu 1293
(Aychsperg) levt : getziugen, 1293 (Weidhouen) leut'.niun, diu, 1292
(St. Paul in Kärnten) lande : sev (eas), nevntzich, 1293 (Wien) leute:
ziug , 1295 (Lack) lauten : geziug, 1297 (Wien) laute, belaeuttet : ge-
ziugen, neunzigist u. s. w.
Im Schwäbischen habe ich alte Belegstellen nicht gesammelt.
In der Gegenwart stellt sich'^) in der Memminger Gegend, wie ich
') Belege in den Fontes rer. Austr. II. bes. Band 1 und 31.
^) [H. Fischer theilt mir gütigst mit, daß in ganz Schwaben leute, denf-ch
und gereute sich zu häuser stellen.]
O, BEHAGHEL, MHD. iu UND ü. 247
selbst gehört, lait zu haiser; auch nach den Proben bei Firmenich ist
weithin lait, leut von den übrigen iM-Stämmen getrennt. In einem
fliegenden Blatt des vorigen Jahrhunderts (Froinmann, Mundarten
VII, 488) aus Schwaben finde ich : leit, sew aber tuiffel, frvind, uyer
u. s. w. Das alem. lut = finget muß durchaus nicht ursprünglicher
sein als die älteren bairischcn und die ostschwäbischen Formen.
Es wird also wohl neben liidi im Ahd. auch lüti anzusetzen sein.
Während man bei 'd{dscK wohl Einfluß der niederrheinischen Form
annehmen könnte, ist es doch gewagt, bei lüte das Gleiche zu thun.
Es müßte denn — was noch zu beweisen wäre — das Wort in Baiern
und Schwaben einmal verloren gegangen sein. Die Namen , die mit
Hut- gebildet sind, stellen sich zu den iw-Stämmen; Liutold, Leutold
findet sich zugleich mit Iccute. Rein lautliche Entwicklung ist wohl
ausgeschlossen (trotzdem man wegen dcevtsch und gercevtte an Einfluß
des t glauben könnte). Anlehnung an den Stamm lüt ist ganz un-
wahrscheinlich. Woher kommt dann die Form *lnti?
MÜNCHEN, Juni 1889. O. BRENNER
MHD. iu UND ü.
Um die interessante Thatsache, auf die Brenner im Vorstehen-
den hinweist, richtig beurtheilen zu können, wird es sich empfehlen,
die Untersuchung noch auf etwas breitere Grundlage zu stellen.
Daß der alte Diphthong itc und der aus u vor i entstandene
Laut keineswegs überall, wie man bis jetzt annahm, in einem Laute
zusammengefallen sind, ist zweifellos. Zu dieser Überzeugung bin ich
schon vor einiger Zeit geführt worden, als ich meinen Beitrag für
Paul's Grundriß bearbeitete, und zwar durch den Thatbestand in den
heutigen Mundarten:
L Schmeller verzeichnet aus dem von ihm bearbeiteten Gebiete
sieben verschiedene Entsprechungen für nhd. du, d. h. für den Umlaut
von ü, dessen ältere Stufe ich mit Brenner durch ü wiedergeben will ;
für den alten Diphthong iu zählt er 16 mundartliche Vertretungen
auf; vgL die Mundarten Baierns N° 164—170 und 246—261. Von
diesen lasse ich N* 168 bei Seite, das ich nicht recht zu beurtheilen
weiß; ferner N" 251 und 256, weil u kaum unter den gleichen Bedin-
gungen auftreten dürfte, unter denen hier iu erschien. Dann bleiben
für iu 14, für u 6 Entsprechungen. Theilweise nun fallen diese
248 O- BEHAGHEL
beiden Reihen zusammen: alle die Laute, die altes ü fortsetzen, be-
gegnen auch als Vertreter von altem m; vgl. N° 164 mit 247,
165 mit 249, 166 mit 250, 167 mit 252, 169 mit 253, 170 mit 255
und 261. Dagegen sind sieben heutige Laute nur Nachkommen von
iu, nicht von m; vgl. N" 246, 248, 254, 257, 258, 259, 260.
2. Aus den Darlegungen von Kauffraann (der Vocalismus des
Schwäbischen in der Mundart von Horb S. 23 und 24) ergibt sich,
daß altes ü im Schwäbischen durchaus zu ei geworden, während iu
theils als ui, theils als ei erscheint.
3. In einem Theile des Westmitteldeutschen — keineswegs im
ganz-en Mitteldeutschen, wie meist gelehrt wird — ist iu mehrfach
zu ü geworden und wird heute durch au vertreten; daneben erscheint
es in den gleichen Mundarten auch als äu {ai, ei). Für u begegnet
nur äu mit seinen Nebenformen.
2. und 3. ergeben sich theilweise schon aus dem von Schmeller
Gesagten.
Daß aus den Reimen der mhd. Dichter sich irgend ein Anhalt
gewinnen lasse, um das Verhältniß von iu und il zu beurtheilen,
möchte ich bezweifeln. Zur Probe habe ich darauf hin die ersten
10000 Verse Gotfrieds durchgesehen. Hier finden sich nur zwei Reime
von «< Ruf u (w), nämlich stiure : aventiure 2419, tiure : aventiure 8660.
Daraus kann aber nichts geschlossen werden, denn Wörter mit iu
und M sind im Reime überhaupt selten: il begegnet nur in dem Aus-
gang -luj'e, und zwar wird dieser fast ausschließlich durch Substantiva
mit der französischen Endung -ure gebildet, vgl. v. 919, 1607, 1991,
1997, 3267—70, 4185, 4271, 4339, 4577, 665P). Mit altem m be-
gegnet der Ausgang -iure nur 1115, 8989, 9023. Ferner findet sich
-iu V. 1459, 2945, 7151; -iuhet 3431; -tute 2695, 2775, 6779, 8803,
9523; -iuwe 219, 1789—92, 4155, 5034, 9559.
Dagegen hat nun Brenner gezeigt, daß eine Scheidung von iu
und w auch aus mittelalterlichen Schreibungen deutlich hervorgeht.
Schon vor ihm aber, was Brenner entgangen ist, hat Leitzmann die
gleiche Wahrnehmung für das Alemanische des badischen Oberlandes
gemacht: in Grieshabers Predigten wird altes iu durch iu, altes il
durch u' dargestellt (Beitr. 14, 493). Ich verweise ferner auf zwei
umfangreiche bairische Texte. Erstens die von Schönbach heraus-
*) Wie vorsichtig man sein muß, wenn man fremde Eigennamen für laut-
geschichtliche Untersuchungen verwerthen will, zeigt der Gebrauch, den Gotfiied
von dem Namen Blanchefleur macht: es reimt meist auf -iure (919, 1607, 1991, 4185,
4217, 4329); daneben wird es gebunden auf amur 1359, auf erfuor 1383.
MHD. »M UND M. 249
gegebenen Oberaltacher Predigten. Hier wird in durch das Zeiclien
iu wiedergegeben, seltener durch eu, dies letztere meist im Pronomen
der 2. Pers. Plur. : es mag sein, daß im einsilbigen Worte sich in
früher zu eu gewandelt als im mehrsilbigen. Für ü erscheint in dem
von mir durchgeprüften Stücke (S. 121 — 173) das Zeichen iu nur in
diuchten 153, 3, gediuht 153, 40, eu nur in cheusch 129, 38; chreutz
153, 4; sonst werden für den Umlaut die beiden Zeichen u und mu
verwendet; einmal begegnet ?/: bedutet 125, 26. Zweitens die von
Keller veröffentlichten Gesta Romanorum: iu erscheint hier als eu
{eio), tl als ceu.
Als Störenfried tritt nun das ^^'ort Leute auf. Es wird, wie in
Brenners Quellen , so auch in den von mir genannten stets mit dem
Zeichen geschrieben, das sonst dem Umlaut gilt. Es gibt aber noch
einige andere Wörter, die in der älteren Sprache den Diphthong
iu aufweisen und doch die gleiche, anscheinend regelwidrige Schrei-
bung zeigen wie Leute. Leitzmann nennt aus Grieshabers Predigten
die Wörter hetu'ten, eniti'schen, erlu'htet. Für diutsch bietet Brenner
selber einen Beleg der Schreibung dceutsch, ohne freilich Gewicht
darauf zu legen; beduten bezw. bedamten ist in Schönbachs Predigten
oft genug belegt (z. B. 121,36; 122,21; 122,24; 122,27; 122,36.
37.41; 125,27; 129,20; 130,38; 139,16; 142,30), ebenso in den
Gesta (S. 7, Z. 2 v. u. ; 8, 3; 16, 15 v. u.; 31, 16 v. u.); auch lüch-
t9n : Iceuhten begegnet in beiden Quellen: Predigten 144,27, Gesta
S. 2, Z. 19 V. u.; 8, 3 v. u.; 9, 21. Dazu kommt noch aus Brenners
Belegen gercevtte. Eine eigenthümliche Stellung nimmt das Zahlwort
neun ein: Leitzmann gibt zwei Belege für die Schi'eibung niune, zwei
für nu'ne\ Brenner bietet ein nceun neben zahlreichen Belegen für den
alten Diphthongen; die Oberaltacher Predigten haben sieben Beispiele
mit iu {eu), zwei mit ii (6u) s. unten; die Gesta bieten nm'otden (S. 17),
nmcnzehenden S. 31 ; also Belege für iu wie u. Ich bemerke noch, daß
in den von mir durchgesehenen Proben mitteldeutscher Mundart ich
weder für Leute noch für ein anderes der genannten Wörter Formen
mit au begegnet bin 'j. Wie sind nun diese auffallenden Abweichungen
zu erklären?
An Entlehnung aus irgend einer anderen Mundart kann unmög-
lich gedacht werden; ebensowenig ist anzunehmen, daß u für in ein-
getreten nach Analogie irgend welcher danebenstehenden Wörter
') Durchlaucht, erlaucht können Analogiebildungen »ein so gut wie karte —
lärte, gekärt — gelärt.
250 O- BEHAGHEL, MHD. in UND n.
mit ü. Daß der dem Vocal nachfolgende Consonant nicht die Ursache
der Veränderung sein kann, wird für bedeuten^ deutsch, Leute, Gereute
durch heute bewiesen, das stets mit dem Zeichen erscheint, das dem
alten Diphthong zukommt (vgl. Oberaltacher Predigten 121, 3; 124, 8;
131,23; 132,8; 132,20; 133,8; 144,5. 37; 156,23; 160,16; 161,6;
173, 24). Für neun durch Freund, von dem das Gleiche gilt (vgl. Ober-
altacher Pred. 124, 27; 125,9. 13. 14. 15. 24; 126,9. 11; 127, 16;
129, 7. 9). Für leuchten freilich stehen mir keine Gegenbeweise zu
Gebote. Daß das Nebeneinander von ein- und mehrsilbigen Formen
keinen Einfluß auf die Entwicklung des alten m gehabt haben kann,
zeigt wieder die Form Mute neben heduten. Es bleibt anscheinend
nur der von Brenner vorgeschlagene Ausweg. Man müßte dann
überall ahd. Nebenformen mit ü annehmen, die zu den Formen mit
iu im Ablautsverhältniß stünden. Aber auch dieser Auffassung stehen
große Bedenken im Wege. Graff verzeichnet über 200 Belege für
den Stamm Hut-, für die Stämme diut- und ninn- je etwa 30, gegen
50 für den Stamm liuht- , gegen 20 für den Stamm riut-, zusammen
also etwa 330 Belege für m-Stämme. Dem gegenüber steht ein Beleg
von lut- , den ich nicht nachprüfen kann, ein Beleg von dut- , zwei
Belege für nun-, einer für luht-, zwei für rut- , von denen ich einen
wieder nicht nachprüfen kann. Drei weitere Beispiele von luht- ge-
hören dem 12. Jahrh. an; für luhterit, das Graff aus Willeram anführt,
bietet Seemüller nur die Lesart luihtent. Macht zusammen 5 — 7 Bei-
spiele für u als Stammvocal. Hätten nun im Ahd. wirklich die 'ä-
Formen bestanden, die später die zw -Formen gänzlich verdrängt
hätten, so wäre es ein unbegreiflicher Zufall, daß sie in unseren
Quellen nicht häufiger Bezeichnung gefunden hätten. Dazu kommt
ein eigenthümlicher, von mir bis jetzt übergangener Umstand, der
bei Brenners Annahme keine Erklärung findet: in den Oberaltacher
Predigten werden die Casus des Plurals Leute stets mit ü oder oeu
geschrieben; in dem von mir geprüften Stück zähle ich 69 Belege.
Dagegen der Sing, erscheint stets mit iu: 148,36; 151, 15; 156, 25;
157,23. 26; 162,39; 165,17; 172, 31 = 8 Beispiele; doch wohl genug,
um die Annahme eines Zufalls auszuschließen. Gerade so vertheilt
sind die m-Formen und die M-Formen bei der Zahl neun', es heißt
niune, niunzic: 124,24; 124,31; 125,4 (je zwei Beispiele); 125,29.
Dagegen die nbun 158, 3; die nüne 158, 6.
Wollte man ti in den beiden Wörtern auf ahd. ü zurückführen,
so müßte ein uralter Wechsel des Accents zwischen Singular und
Plural von Hut und niwi angenommen werden. Einen solchen kennt
G. EHRISMANN, EINE HANDSCHRIFT DES PFAFFEN AMIS. 251
ja nun allerdings das Indogermanische beim Neutrum (Joh. Schmidt,
die Pluralbildungen der indogermanischen Neutra S. 147). Allein
erstens ist nicht erwiesen, daß Hut im Indogerm. Neutrum war;
zweitens ist zweifelhaft, ob es schon im Indogerm. einen Plural Leute
gab, da das Wort als Collectiv ursprünglich wohl nur einen Singular
besaß (Schmidt a. a. O. S. 28); drittens wäre es höchst merkwürdig,
wenn jener vorgeschichtliche Wechsel sich bis in's Mhd. hinein be-
wahrt hätte, während im übrigen Germanischen keine Spur davon
erhalten ist.
Welche Eigenschaft ist denn nun den Wörtern bedeuten, deutsch,
Gereute, leucliten gemeinsam, welche Eigenthümlichkeit lag in Leute
und neune vor, während sie bei neun und dem Sing, von Leute fehlte?
Nichts Anderes als das ursprünglich der Stammsilbe folgende i (j):
dnitjan, diutisc, cjarmti etc. Und wir müssen ofl'eubar annehmen, daß,
wie nicht nur m zu o gebrochen wurde, sondern auch iu vor folgendem
n sich zu io w-andelte, so auch nicht nur u zu il, sondern auch iu zu
iü umlautete. Daß aber m sehr leicht zu il werden und so mit il aus ü
vor i zusammenfallen konnte, liegt auf der Hand.
Es kann nicht verwundern, wenn der lautgesetzliche Stand der
Dinge mehrfach durch Ausgleichungen zerstört ist. Z. B. "'sollte es
heißen ziuhu, aber ziühit, also bair. ziuhe — zcBuhet; es hat aber
der Vocal von ziuJie und vom Imperativ ziuh den Sieg über den Vocal
von ziühes — ziühet davongetragen. Ebenso hat sich etwa iiilri nach
tiures, tiuro umgestaltet.
GIESSEN, Juli 1889, O. BEHAGHEL.
EINE HANDSCHRIFT DES PFAFFEN AMIS.
Die Perg.-Hs., deren Eingang durch ein Versehen schon in Band 33,
S. 46 abgedruckt worden ist, wurde von den Herren Rector Schmid
und Professor Einert in Arnstadt gefunden als Umschlag einer
Rechnung des Amtes Clingen, Schw^arzburg-Sondershausen, vom
Jahre 1513 — 14. Die genannten Herren hatten die Güte, mir eine
Abschrift zuzusenden. Mit ihrer Erlaubniß gebe ich die folgenden
Bemerkungen.
Der Dialect ist nd. Schon die Übertragung in eine andere
Mundart veranlaßte eine Menge Änderungen des ursprünglich obd.
252 ö. EHRISMANN, EINE HÄNDSCHRIFT DES PFAFFEN AMIS.
Textes. Der Schreiber verfuhr aber auch sonst, wo jener Grund nicht
vorlag, mit der Überlieferung sehr willkürlich und hat diese nach
Belieben umgestaltet. Die auffallendsten Änderungen bilden die drei-
fachen Reime, welche er da anbrachte, wo ihm in der Darstellung
eine Pause geboten schien. Zu dem vorhandenen Reimpaare machte
er einfach einen neuen Vers hinzu, den er entweder zwischen die
beiden ursprünglichen einfügte oder auf sie folgen ließ. Es sind nur
bedeutungslose Flickverse, die nicht für die dichterische Fähigkeit
ihres Verfassers sprechen.
Da die Außenseite der Blätter mehrfach verwischt ist, auch der
Verfertiger des Umschlags diese für seine Zwecke vielfach zerschnitten
und dann zusammengeklebt hat, so sind nur etwa 900 zum Theil
verstümmelte Verse vorhanden, die zwischen V. 1 und 2237 fallen.
Den Schwank von der Messe, Nr. X bei Lambel, hat der Abschreiber
wahrscheinlich schon in der Vorlage nicht mehr vorgefunden, da diese
Geschichte in der Gruppe , welcher unsere Hs. angehört, übergangen
wurde. Die Hs. gehört nämlich zu jener Umarbeitung, welche Lambel
in der Einleitung (Erzählungen und Schwanke^, S. 15) bespricht.
Das ergibt sich schon aus der Stellung der Erzählung Nr. VIII, welche
auf Nr. V folgt. Ferner fehlen wie in GHK (Benecke's Bezeichnung):
V. 277 und 278, 709—714, 913 und 914; es stehen = GHK gegen
R: V. 227 und 228 sowie 1552''"'. Auch die Übereinstimmungen im
Wortlaut zwischen unserer Hs. mit GHK gegen R sind so zahlreich,
daß an einer gemeinsamen Vorlage nicht gezweifelt werden kann.
Dagegen ist ihr Verhältniß innerhalb der Gruppe GHK nicht mit
Sicherheit zu bestimmen. An einigen Stellen stimmt sie mit R gegen
GHK; ein paarmal hat sie mit HK gemeinsame Fehler. Von Wichtig-
keit ist die Entscheidung dieser Frage nicht, da die Hs. überhaupt
für die Kritik entbehrlich ist; Lambels Text wird durch ihre Bei-
ziehung nirgends geändert. Mit der Straßburger Hs. (v. d. Hagens
Grundr. S. 353) und den Drucken (Zs. 9, 400 und 30, 376) steht sie
in keinem Zusammenhang.
PFORZHEIM. GUSTAV EHRISMANN.
A. GOMBERT, BEMEEKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 253
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTER-
BUCHE.
Bd. Vn, Lief. 10 {Pflasterung bis riatz).
Die folgondon kleinen Bemerkungen zu einer der neueren Lieferungen
des Grimmschen WörterbuchcH bedürfen um so weniger einer längeren Recht-
fertigung, als eine gleichartige der folgenden l-iieferung desselben Bandes
gewidmete Betrachtung, zu Neujahr 1889 im Anzeiger der Zeitschrift für
deutsches Alterthum veröti'entlicht, über Ziel und Zweck dieser Bemerkungen
das Erforderliche ausspricht. Beide Zusammenstellungen sind nach gleichen
Gesichtspunkten und unter Benutzung etwa derselben Quellen gemacht ; sie
werden sich daher in ihrem Werthe nicht von einander unterscheiden und
sich auch darin gleichen, daß sie neben erwünschten Ergänzungen oder
Berichtigungen manches Entbehrliche bringen. Daß in den Bemerkungen den
Fremdwörtern viel Platz eingeräumt ist, liegt hauptsächlich an dem Buch-
staben P. Man wird aber finden , daß ich nur auf solche Fremdwörter ein-
gegangen bin , die entweder bei Lexer selber Erwähnung gefunden haben
oder eine Beachtung aus dem Grunde zu verdienen .scheinen, weil sie, wenig-
stens nach meiner Überzeugung, dem weiteren Kreise der Gebildeten ge-
läuGger sind als andere sprachlich oder begriÜ'lich naheliegende, welche
Lexer übergangen hat. Die mehrfach hervortretenden Hinweise auf den nord-
deutschen Sprachgebrauch wird man mir so wenig übel nehmen, wie ich
Lexer einen Vorwurf daraus mache, daß er diesen Sprachgebrauch weniger
eingehend behandelt. Mit dem Landschaftlichen hängt das Volksmäßige eng
zusammen, und wenn dies letztere ohne Schminke vorgeführt werden sollte,
so war einiges Derbe oder auch Schwankhafte nicht wohl zu vermeiden.
Abweichend von früheren Besprechungen des DWb. habe ich diesmal mehr-
fach auf Sanders hingewiesen, der im Grimmschen Werke wohl kaum
genannt wird. Seine und seiner Gehilfen Sammlungen sind oti'enbar zum
deutschen Wörterbuche ebensogut zu benutzen wie die anderer Sammler,
und es erscheint sogar als Pflicht, das in seinen Wörterbüchern enthaltene
Brauchbare auch für das Grimm'sche Wörterbuch zu verwerthen. Am wirk-
samsten würde dies natürlich in der Art auszuführen sein, daß für die noch
nicht im DWb. bearbeiteten Buchstaben des Alphabets ein einfach nach
den Anfangsbuchstaben geordnetes Verzeichnis der bei Sanders aufgenom-
menen zusammengesetzten Wörter angelegt würde, die sich ja wegen der von
Sanders gewählten Anordnung nach dem Anlaut der Stammsilbe leicht verstecken.
Wem aber sollte man diese zeitraubende und vielfach durch dürres und werth-
loses Gestrüpp führende Wanderung zumutben? Die Bearbeiter des Deutschen
Wörterbuches haben in der That Besseres zu thun. Aber man beklagt ja,
wenigstens in Preußen, die Überzahl von jungen Philologen, die bei einem
halben Dutzend wöchentlicher Lehrstunden immer noch viel Muße haben,
selbst wenn sie, wie ich annehmen will, daheim mit Eifer in die großen
Geheimnisse der Ziller-Stoyschen Lebrweisheit einzudringen suchen. Würde
QEBMANIA. Neue Beihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 17
254 A. GOMBERT
die bezeichnete Arbeit auf ein halbes Dutzend geeignete angehende Gym-
nasiallehrer vertheilt, so könnte sie rasch ausgeführt sein, vielleicht unent-
geltlich , vielleicht gegen eine in diesem Falle, wie ich glaube, ebenso will-
kommene wie wohlverdiente Entschädigung. Am Riemen lernt der Hund be-
kanntlich Leder fressen; es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß einer oder
der andere der so zunächst in Handlangerdiensten für das Deutsche Wörter-
buch Beschäftigten später auf gleichem Felde selbständig fortai-beiten würde.
Doch das sind weiterführende Gedanken. Näher liegt es, daß ich mich
wegen der Breite entschuldige, die in der Vorführung mancher Belege herrscht.
Durch kurze Angabe von Stichwort und Fundstelle würde sich der Inhalt
der folgenden Bemerkungen auf sehr viel kleinerem Räume geben lassen ;
aber es ist doch gewiß manchem Leser erwünscht, einen gebotenen Beleg
gleich im Zusammenhange zu sehen, und die Wenigsten werden alle hier
genannten Quellen bequem zum Nachschlagen bei der Hand haben. Ich
wenigstens habe nicht selten bei ähnlichen mir zugegangenen Sammlungen
den Zusammenhang einer kurz angedeuteten Stelle mit Bedauern vermißt,
zumal da sich gegen die richtige Auffassung und begriifliche Einordnung eines
Wortes öfters Bedenken erheben, die ohne Kenntniß des Zusammenhanges
nicht zu lösen sind. Ein Beispiel für diesen Fall findet man später unter
Pichelei gegeben. Daß endlich allen im Folgenden gemachten Ausstellungen
die vollste und dankbarste Anerkennung der auch in der besprochenen Liefe-
rung des Wörterbuches vorzüglichen Leistung Lexers zu Grunde liegt, sei für
mit der Sache weniger bekannte Leser hiermit ausdrücklich ausgesprochen ;
für Lexer selbst bedarf es solcher Versicherung nicht mehr.
Pflaume. Sachs im Encycl. Wb. 2, 1320^ erinnert, daß das Wort
bei Soldaten so viel wie Erinnerungszeichen oder Medaille bedeute.
Dieser Sprachgebrauch ist mir aus früherer Zeit allerdings sehr be-
kannt, doch eben nur in Anwendung auf die Denkmünzen für 1813,
1814, 1815; die entsprechenden Zeichen seit 1864 habe ich nicht mehr
so nennen hören. Pflaume im weiteren Sinne von Obstfrucht steht
in Fröhlichs Gedicht Ellengröße:
Die Pappel sprach zum Bäumchen:
Was machst du dich so breit
Mit den geringen Pfläumchen?
Pflaumenbauer (fehlt) ist eine in ganz Schlesien übliche als
beleidigend geltende Bezeichnung des Bauern. Dieselbe muß aus-
gegangen sein von den selbstbewußten Groß- oder Getreidebauern,
welche auf ihre geringeren Standesgenossen, die anstatt ausgedehnter
Getreidefelder nur einen beschränkten Fleck um ihr Haus zum Obst-
oder Gemüsebau besaßen, die sog. Gärtner (DWb. 4, 1, 1, 1422),
spottend herabsahen. Vgl. die entsprechenden Ausdrücke Kraut-
junker, Putenjunker (dies wird von Sanders nicht richtig erklärt)
und Zwiebeljunker (J. 6. Müller Emmerich 6, 330).
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 255
Pflaumen kern als Sinnbild des Wcrthlosen bei Jean Paul
Hesperus 98 (Hpl.): Dürfen mir denn die Kantianer ansinnen, daß ich
das kleine Bild der schönsten besten Gestalt .... zum Fenster hinaiisioerfe
loie Apfelschalen und Pflaumenkerne? Das mit Pflaumenkcrn
gleichbedeutende, in niederdeutscher Gegend sehr übliche und dem-
entsprechend auch bei Campe (desgl. bei Heinsius, Heyse, Sanders,
Sachs -Villatte) verzeichnete Wort Pflaumenstein wird übergangen.
Hierbei sei auch erwähnt der in einfach ländlichen Verhältnissen
Norddeutschlands vorkommende Pflaumensteinbeutel oder, wie
man ihn auch abkürzend nennt, Pflaumenbeutel, d. h. ein leinenes
Säckchen mit Pflaumenstoinen, das erhitzt alten, kranken oder frie-
renden Leuten in Ermangelung oder anstatt der Wärmflasche ins
Bett gelegt wird. Übergangen ist auch der Pflaumenschmeißcr,
die Bezeichnung für einen derben ungezogenen Jungen; ich habe das
Wort in der Provinz Sachsen und im westlichen Theile der Provinz
Brandenburg (Westhavelland) gehört, gedruckt nur bei Sachs -Villatte
gefunden, der es übrigens mit bretailleur, fanfaron wiedergeben
will; ich müßte es hingegen durch polisson oder butor übersetzen.
Ob mit dem Worte ursprünglich der unbefugterweise in die Pflaumen-
bäume Werfende bezeichnet werden soll oder eine andere Beziehung zu
Grunde liegt, weiß ich nicht zu sagen. Pflaumenschütteln gebraucht
Stoppe Parnaß im Sattler 384 (1735) in einem Gedicht 'auf die Ein-
weihung eines neuerbauten Zeltbettes eines guten Freundes* , als Bild
des sinnlichen Liebesgenusses :
Kein Wunder war es, daß dir hie
Von lauter Pflaumenschütteln träumte.
Die voraufgehenden und folgenden Worte Stoppes lassen über den
Sinn der Wendung keinen Zweifel; ihm ist das Bild überhaupt ge-
läutig: vgl. Teutsche Gedichte 1, 9 (1728):
ja /liehet immerhin
In den vergnügten Stand, um den ihr euch so dränget,
Der eurer Rechnung nach voll süßer Pflaumen hänget.
Der Pflaumentoffel, aus Stoppes Parnaß belegt, findet sich auch
einige Jahre vorher in dessen Teutschen Gedichten 2, 21 :
Ha! Pflaumentoffels Butte
War viel zu eng und schioach, von meiner Fröligkeit
Auch nur den vierdten Theil in ihren Raum zu nehmen.
Pflegamt, aus Hederich (1729) belegt, steht schon bei Schotte!
495* (1663): Pflegamt, so ein Reichspfleger oder Reichsvogt vor diesem
in den Reichsstädten gehabt. Das Wort wird wohl in die älteste nhd.
17*
256 A- GOMBERT
Zeit zurückreichen, während im mhd. dafür das auch später noch
übliche einfache pflege gebraucht wird. Zu pflegen mit d. Gen.
im Sinne von treiben, womit umgehen (I P Sp. 1738) vermißt man
neben der Stelle aus Aventin die weit bekanntere aus 1 Mose 18,
12: nu ich alt bin, sol ich noch woUust pflegen, und mein Herr
auch alt ist?
Vermißt wird Pfleg[el statt oder Pfleg[e] statte, ein heute
sehr beliebtes Wort, das, wie es scheint, ganz unentbehrlich ist, wenn
eine höhere Schule eingeweiht oder ein rückblickendes Erinnerungs-
fest solcher Anstalt gefeiert wird; vgl. Zs. f. Gymn. Wesen 40, 700
(1887): Pflegstätte königstreuer, deutscher und christlicher Gesinnung ;
Pflegstätte ernster Wissenschaftlichkeit; ebd. 701: Pflegstätte
geistiger Bildung und Gesittung und 704 Pf leg statte der Bildimg und
Wissenschaft. Ebenso örenzboten 1887, 4, 125 (vom 13. Oct. 1887):
Wenn noch Jemand daran zweifeln wollte, daß die deutschen Gymnasien
wahrhafte Pflegstätten des deutschen Geistes sind, so würde es erlaubt
seiM, sich auf das Ansehen des Reichskanzlers zu berufen, der mehr als
einmal der deutschen Jugend, und ganz besonders der studierenden, das
glänzendste Zeugniß ausgestellt hat. Pflegeschwester fehlt in beiden
mir bekannten Bedeutungen: 1. eine zur Pflege von Leidenden verordnete
Schwester (eines geistlichen Ordens oder eines entsprechenden Vereins).
2. ein neben einem Sohne angenommenes weibliches Pflegekind; vgl.
Immermann Epigonen 201 (Recl.) Ihr Vetter Ferdinand hat, ohne es zu
wissen, sein Pflegeschivesterchen geliebt. Pflegewirth steht in
Günthers Lebensbeschr. 70 (1732): Mei)i neuer Pfleg e-Wirth erwieß
mir alle Güte. Zu pflegsweis wäre auch die übergangene von
Schottel 461* aus Goldast angeführte Form pflegersweis hinzuzu-
fügen.
Zu Pflicht im neueren Sinne des Wortes werden sehr reich-
liche Beispiele gegeben, mit Recht auch aus Kant; umsomehr ver-
misse ich Hauptsätze wie Kant Krit. d. pr. Vern. 108 (Kehrbach):
die Ehriüürdigkeit der Pflicht hat nichts mit Lebensgenuß zu schaffen;
desgl. Goethe 19, 20 (Spr. in Prosa 2 u. 3): Versuche deine Pflicht
zu thwi, und du loeifU gleich icas an dir ist. Was aber ist deine Pflicht?
die Forderung des Tages. Die volksmäßigen Wendungen von der ver-
dammten oder verfluchten Pflicht und Schuldigkeit sind
vielleicht mit Absicht fortgelassen und dem Buchstaben V überwiesen;
wenigstens finde ich sie in dem bis jetzt neuesten Hefte des Wörter-
buches (Bd. 12, 2, Sp. 193 u. 344) von Wülcker verzeichnet, worauf
gelegentlich wird zurückzukommen sein. Auffällig aber ist, dali die
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 257
Verbindung eine I*/l, ich t abstatten nicht erwähnt wird; (Icmenlsprcchend
fehlt auch das Wort Pflichtabs tat tung, das wir 1732 in J. U. Königs
Widmung vor seiner Ausgabe der Schriften Bessers finden: weniger
tin Geschencke, ivelches hier Euer Excell. von mir (jewiedmet wird, als
vielmehr eine Pfl ichtahstattung. Das unbelegte Pflichtb eflissen-
hcit steht bei Hermes Manch. Hermäon 2, 16(). Pflichtarbeit ist
wohl ein neues Wort, doch heute zumal in der Mehrzahl nicht selten
im Sinne von Dienst- oder Amtsgeschäften. Ein Beleg bei
Wiese, Lebenserinnerungen und Amtserfahrungen 2, 126: Nach langer
Pflichtarbeit durfte ich mich noch eine <fnte Weile frei(jeivählten
Studien und Beschäftigungen hingeben. Pflichtbar, das aus d. J. 1653
nachgewiesen wird, steht auch in einer aus d. J. 1616 herrührenden
Schi'ift bei Londorp Acta publica 2, 270'': so sey der I'fall?:(ir([ff
pflichtbar sich des liichterlichen Atnpts zu vnternemmen. Pflicht-
brüchig wird aus Ludwig (1716) und Frisch belegt; Pflicht-
brüchigkeit fehlt, hndet sich aber schon 161*J in einem Schreiben
des Grafen Matth. von Thurn bei Londorp 2, 803: hat mir gebiinn
loollen, die Frag auszugeben, loer an solcher Pflicht IJrilchiigkrit
(so im Druck) schuldig. P flieh tbruch und p flieh tl>rüch ig vor
Stieler und Ludwig schon bei Schottelius 517". Pflichteifer (Ger-
vinus, G. Freytag) Niemeyer Grunds, der Erz. 3', 378 und 411 (1819):
Möge die beßer gewordene äujhre Lage vieler En-zieher und Lehrer sie
nur nicht träger und bequemer machen, statt jenen unbedingten Pf licht-
eifert der auch die Arbeit im Schtveiße des Angesichts nicht scheut,
desto mehr zu beleben; das fehlende Pflichtenkunde bei Jahn Ges.
Wke. 1,278 = Volksthum 263 (1810): Schriften, die ztir Selbstbelehrung
und Bildungsvollendung oder zur weiblichen Pflichtenkunde gehören;
ebd. 2, 553: die Gottesgelahrtheit war auf die Glaubetislehre ... verküm-
mert, auf Knifflichkeitslehre (Casuistik) und auf Pflicht enkuiide nach
ihrem /Sm/i. Pflichtergeb en (Tiecks Übers, von Shakespeares Cym-
beline) in einem Gedichte Bessers aus d. J. 1687 S. 685:
Du hast sie erst erzeugt aus Pf licht- er y ebner Treu,
Auf daß nicht dein Geblüt dem Tjande möchte fehlen.
Daß das wohl erst in unserer Zeit von Lehrern oder Schulaufsehern
gebildete Pflichtfach fehlt, ist kaum ein Mangel, wenn auch die
Absicht löblich ist, hier wie in anderen Verbindungen das fremde Wort
obligatorisch durch Pflicht zu ersetzen. Beispiele wären zahl-
reich zu linden in den Schriften, die sich mit der angeblich dringend
nothwendigen Umgestaltung unserer Gymnasien beschäftigen ; im Hin-
blick auf solche Schriften wird das Wort dann auch in den Grenz-
258 ' ^- GOMBERT
boten 1888, Nr. 9 (1. Viertel]., S. 466) gebraucht: Zeichenunterricht
his Ohersecunda als Pflichtfach, in Prima nach freier Wahl; ebd.
Nr. 21 (2. Viertel]'., S. 384 u. 385) : indem die Mathematik noch uner-
heblich verstärkt, Englisch in den oberen Classen icnd Zeichnen loenigstens
bis Obersecunda als Pflichtfach eingeführt werden muß. Vgl. später
Pflichtstunden. In diesem besonderen schulmäßigen Sinne haben
Avir auch das Wort Pflichtleistungen (unerläßliche Leistungen in
den sog. Pflichtfächern), das von Lexer nur in seiner allgemeinen
Bedeutung aus Haltaus angeführt wird, in den Grenzboten 1887 (4. Viertel-
jahrsschr., S. 125): Sicher ist es doch^ daß Anregung, Gelegenheil und
Muße wie für die Pflichtleistungen, so auch für die Pflege besonderer
Neigungen gewährt xvird. Pflichtgehorsam und pflichtgehorsamst
als ein früher üblicher Ergebenheitsausdruck am Schluße von Briefen
hätte Aufnahme verdient; vgl. auch Wieland Horazens Br. l'^ 71
(1782): als eine Art von unterthänigen pflichtgehorsamsten Freunden.
Pflichtgemäß (Rabener, Scheffel, G. Freytag) sollte nach dem Plane
des Wörterbuches auch aus Goethe belegt werden: pflichtgemäß,
befehlgemäß zu handeln, befördern das gemeine Glück. Maskenzüge,
Bd. 11, 1, 325 (Hpl.) Pflichtgeschäfte ist wohl ein nicht zu seltenes
Wort; ich begnüge mich mit einem Beispiel aus Johannes v. Müller,
Bd. 30, 182 der Ausg. v. 1834 (Brief vom 3. Juni 1788): Daß ich
die Briefe nicht emsiger beantivortet , kommt soioohl von P flieh l-
geschäften, als von der Nothwendigkeit, mich mit einer neuen Lauf bahn
bekannt zu machen. Pflichtgrundsätze fehlt, obwohl es Goethe in
Hans Wursts Hochzeit gebraucht:
Hab' ihn gelehrt nach Pf licht grün ds ätzen
Ein paar Stunden hintereinander schwätzen.
Pflichtlich, zwar auch aus dem Mittelniederdeutschen belegt, ist
jetzt dem Norden Deutschlands fast fremdartig, im Süden aber, beson-
ders im Schwäbischen, wie die Beispiele aus S. Frank, Lavater, ühland,
Kurz, Mörike und der Schwäbischen Chronik (Sanders) zeigen, ganz
üblich. Ich füge hinzu Palmer Evangel. Pädagogik "275: Menschen,
die pflichtlich auch in das schlechteste Lustspiel gehen zu müssen
meinen. Zu Pflichtliebe wäre auch pflichtliebend zu fügen
aus J. G. Müller Emmerich, 5. Theil, 372 (1788): loenn die etlichen
Dutzend Menschen auf den Thronen sammt und sondern gnügsame,
pflichtliebende Menschen loären. Zu pflichtlos wäre auch das
freilich seltene, doch schon von Adelung verzeichnete Wort Pflicht-
losig keit zu fügen, das Scherer in der Litteraturgeschichte 3 ge-
braucht: die Freiheit ihres Lebens, ihre Pflicht- und Zuchtlosigkeit,
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 259
ihre Unfähigkeit den eigenen Willen zu verleugnen. (Freie Übers, von
Cäsar: Cum a pueris nullo officio aut disciplina assuefacti nihil om-
nino contra voluntatem faciant.) Fflicli tmiißii^ wird von Lexei- aus-
drücklich bis zum J. 1731 aufwärts belegt; darum sei auf l^asilius Fabers
Thesaurus aus d. .1. 1710, S. 1522 verwiesen, wo das Wort al.s Über-
setzung von obnoxie auftritt; ob es schon in den früheren Auflagen
des Buches steht, ist mir unbekannt. Pflichtmäßigkei t (aus
Schillers philos. Sehr. u. W. v. Humboldts Briefen an eine Freundin
belegt) steht 1763 bei Kant Träume eines Geistersehers 03 (Kehrbach):
die Annehmlichkeit, icelche die Erweiterung des Wissens Itegleifei, vlrd
sehr leicht den Schein der Pflichtmäßigkeit annehmen. Pflicht-
rücksicht fehlt; vgl. Hippel Ehe 159 (Brockh.): wenn ihr keine
Pf Hellt rück sichten zu heobachten habt. Pflichtschuldig: unter
den Wendungen kanzleimäßigen Briefstils wäre aus dem 17. Jhdt.
auch schon zu nennen: ich verharre pflichtschuldigst, was wir
z. B. am Schluße der aus dem April 1688 herrührenden Zuschrift
Ph. J. Speners zu seinen Evangelienpredigten des J. 1G87 finden.
Pflichtstrenge: Dahn, Kampf um Rom 2'', 311: Antonina üherhietet
alle Frauen an Pf licht strenge. Pflicli ts tun den , neues Schuhvort,
bedeutet die Anzahl von Stunden, welche ein Lehrer Avährend einer
Woche zu ertheilen verpflichtet ist. Man sagt also: In Preußen hat
ein Oberlehrer 20, ein ordentlicher Lehrer 22 Pf lichtstund e)i. Das
Wort wird in neueren amtlichen Verfügungen als allgemein bekannt
gebraucht, z. B. Centralblatt für die Unterrichtsvervvaltung in Preußen
1878, S. 488: sofern über die Anzahl der Pf licht stunden nichts ent-
halten, so treten selbstverständlich die allgemein geltenden Bestimmungen
ein; ebenso Circularverf. vom 6. April 1880: tvenn sämmtiiche übrigen
Lehrer zur vollen Maximalzahl der Pf licht stunden herangezogen sind.
Ebenso steht bei Wiese Höheres Schulwesen, 3. Aufl., besorgt von
O. Kubier, das Wort als allgemein bekanntes Stichwort im Schluß-
verzeichniß und im Buche selbst Bd. 1, 34; 2, 260, 261, 263; aber
in der 2, 261 angezogenen Verfügung vom 13. Juli 1873 (Centralbl.
1873, S. 457) wird der Ausdruck Pflichtstunden noch nicht ge-
braucht. Die Prägung und der häufige Gebrauch des Wortes ist be-
zeichnend für unsere Zeit, in welcher Rechte und Pflichten der Lehrer
bestimmter umgrenzt worden sind als früher. Herbere Beurtheiler
werden vielleicht schließen, daß seit dieser Zeit die Lehrer viel von
der ruhigen und behaglichen Berufsfreudigkeit eingebüßt haben und
ihre Thätigkeit vorzugsweise als eine nicht gerade gern geübte
Pflicht betrachten. Pflichttheil im übertr. Sinne wird nur aus
260 A. GOMBERT
Gutzkow belegt; früher steht es so bei Jahn 2, 629 (Volksthum 220) :
Jedermann im Volk muß sein PflicTittlieil an der Landesehre haben,
Lust nach Last und Freud nach Leid. Zu Pflichttreue (drei Beisp.
aus G. Freytags Bildern) war doch zu bemerken, daß das Wort von
Adelung noch nicht verzeichnet, von Campe als ein neues aus Wolke
belegt wird. Pflichtverkennung gebraucht Vilmar Schulreden ^^2 15
als gelinderen Ausdruck gegenüber der Pflichtvergessenheit:
Zeugte es schon von Beschränktheit und Pflichtverkennung, tüenyi
er...: von weit schlimmerer Beschränktheit imd Pflichtvergessen-
heit vnlrde es zeugen, ivoUte er... Auffallend ist das Fehlen von
Pflichtversäumniß, da das Wort heute doch häufig von Lehrern
mit Beziehung auf ihre Schüler, von Behörden mit Beziehung auf
Beamte gebraucht wird. Die Instruction zum preuß. Kirchengesetz
vom 30. Juli 1880 unterscheidet ausdrücklich und richtig an mehreren
Stellen zwischen kirchlichen Pflichtversäumnissen und Pflicht-
verletzungen. Von Pflichtwegen verdiente immerhin Aufnahme,
sollte es auch nur eine Nachbildung des gewöhnlichen von Rechts-
wegen sein. s. Kortum Jobsiade 1, 104: iveiin sie nicht etwa von
Pflichtswegen den alten Herrn mußte wärmen 7md pflegen. Auch
Pflichtwidrigkeit verdiente Erwähnung; es scheint in unserer Zeit
wenigstens häufiger gebraucht zu werden als das aus Schiller und
W. V. Humboldt belegte Gegentheil Pflichtmäßigkeit. Ein Beispiel
bietet eine in Löpers Anmerkungen zu Goethes Dichtung und Wahr-
heit (Bd. 20, 368 der Hempelschen Ausg.) abgedruckte Mittheilung
Kriegks: ge^visse Pflichtwidrigkeiten, welche bei Concurssachen vor-
gekommen waren; desgl. Sclileierraachers Predigt am Neujahrstage 1807
(Predigten '^l, 282: daß er nichts zu besorgen hätte von der Rache derer,
die im Genuß ihrer Pf licht Widrigkeit d^irch seine geivissenhafte
/Strenge gestört wenden.
Zu pflücken entbehrt man ungern Usteris einst allgemein ge-
sungenes und noch jetzt nicht verklungenes
Fretd euch des Lebens, iveil noch das Lämpchen glüht,
Pflücket die Rose, eh sie verblüht!
Rückerts Vers: Pflücke Lust, eh sie verblüht! ist sicher nur eine
Erinnerung an Usteri und konnte eher fehlen.
Pflug. Bei der Angabe der mehrfachen Verwendung des Pfluges
hätte es auch Erwähnung verdient, daß in früherer Zeit über die
Stätte eines völlig zerstörten Ortes der Pflug gezogen wurde zum
Zeichen, daß ein Wiederaufbau des Ortes nicht stattfinden sollte.
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 261
Beispiele dazu wären reichlich vorhanden; eins der schönsten ist
sicher das bekannte aus Chamissos Schloß Boncourt:
So stehst du, o Schloß meiner Väter,
Älir treu und fest in dem Sinn,
Und bist von der Erde verschwunden,
Der Pflug geht über dich hin.
Die Wendung hinter dem Pfluge wird durch mehrere passende
Beispiele belegt, doch für Rückerts in seiner Allgemeinheit zu wenig
besagendes Hinterm Pflug der Bauer sähe ich lieber die bekannten
Zeilen aus Uhlands Döffinger Schlacht:
Noch lange traf der Bauer, der hinterm Pfluge ging,
Auf rostge Degenklingen, Speereisen, Panzernng.
Pflug art bei Bahrdt Lebensbeschr. 2, 331: Salis versuchte eine
leichtere Pf lug art ihnen (den Graubündnern) bekannt zu machen, aber
sie fuhren fort, mit ihrem centner schweren Geschirr und vier Pferden
zu ackern. Pflugleine (übergangen) nennt man die zur Leitung des
Pfluggespannes gebrauchte, etwa 16 Meter lange Leine, von der
Dicke einer schwächeren Zeug- oder Wäschleine. Sie unterscheidet
sich von der beim Fahren üblichen Kreuzleine theils durch ihre größere
Länge, theils durch die Art der Befestigung am Gebisse des Leit-
thieres. Da das jedem Landmann oder Kenner ländlicher Verhältnisse
bekannte Wort auch bei Adelung, Campe, Heinsius, Heyse, Sanders
fehlt, so mag auf ein Beispiel hingewiesen werden. F. W. Ziegler
Ges. Novellen 1, 189, schildert, wie Jemand in einem brandenburgi-
schen Fenn dem Ertrinken nahe ist, und läßt einen Dazukommenden
ausrufen: Hat denn nicht einer einen Strick oder eine Pf lug leine, die
man ihm um den Hals schlingen und womit man ihn dann herausziehen
könnte'^ Pflug mann als dichtei'ische Bezeichnung des Pflügers wird
aus neuerer Zeit nur durch eine Stelle Gleims belegt; vgl. Görres
Athanasius '*157 (1838): Erkennt ihr nicht den starken Pflugmann,
der die Pflugschar über seinen Äcker in Mitte all dieses Unheils führt,
und ihn bestellt, damit er tauglich werde, auch dort die neuen Saaten
atifztinehmen, die er ihm bestimmt? Hier ist natürlich Gott der Pflug-
mann. Pflugschar zur Bezeichnung der Friedensarbeit im Gegen-
satze zum Schwert, als dem Sinnbilde des Krieges, wird mit passen-
den Beispielen belegt; ungern aber vermißt man Körners bekannte
und schöne Zeilen:
Zerbrich die Pflugschar, laß den Meißel fallen,
Die Leier still, den Webstuhl ruhig stehn!
2ß2 ^- GOMBERT
Pflugwagen (fehlt) ist eine andere Bezeichnung des Pfluggestells;
s. Voß zu Vergils Landbau '25 (1789): Die buchene Stelze führte der
Pflüqer zur Lenkung des Pflugivagens, durch loelchen die Pflugschar
flach und tief gestellt werden konnte. Pf lug zeit (aus Voß und Stolberg)
steht schon 1663 bei Schottelius 440*. Pflugziehen wird aufgeführt,
doch ohne Beleg; ein solcher findet sich auch nicht unter Pflug 4,
Sp. 1777, wohin verwiesen wird. Unter den Arten des Pflugziehens
wünscht man auch das als Strafe verhängte verzeichnet zu sehen.
Vgl. Jahn Ges. Wke. 2, 370: Das Schwert mußte erst entscheiden., und
als der Landgraf Sieger blieb, die Vornehmsten der Befehlshaber gefangen
nahm, da bestrafte er sie durch das Pflugziehen.
Ein Wort wie Pforte findet natürlich sehr mannigfache Anwen-
dung, so oft nur in eigentlichem oder übertragenem Sinne von einem
Zugange oder Eingange (gelegentlich auch vom Ausgange) geredet
wird. Neben Uhlands goldner Pforte des Lebens (d. h. dem glück-
verheißenden Eingange in das Leben) würde passend die dunkle
Pforte ihren Platz finden, eine nicht seltene Bezeichnung für Grab
und Tod. Besonders passend erscheinen hier die Zeilen von Salis
aus seinem einst vielgesungenen Liede Mas Grab' (1783):
Sonst an keinem Orte
Wohnt die ersehnte Ruh;
Nur durch die dunkle Pforte
Geht man der Heimat zu.
Unter den Beispielen für Pforte im Aligemeinen fehlt es nicht an
bedeutungsschwachen; für dieselben böte besseren Ersatz Geibel Spät-
herbstbl. 151:
Wollt ihr in der Kirche Schoß
Wieder die Zerstreuten sammeln,
Macht die Pforten weit und groß,
Statt sie zu verrammeln.
Desgleichen würde ich für Pförtnerin anstatt des einzigen aus
Platens Abbassiden entnommenen nichtssagenden Beispiels das inhalt-
reichere aus Geibels Gedenkblättern '^198 gewählt haben:
Soll denn ewig als Pförtnerin
Am Kirchthor die Dogmatik stehen?
Gönnt endlich, jedem einzugehen,
Der sich bekennt zu seines Heilands Sinn.
Wenn übrigens gegenüber dem aus dem J. 1482 belegten unumgelau-
teten pfortner das umgelautete pförtner ausdrücklich erst aus
Stieler bezeugt wird, eo ist an Helber (1593) 24, 5 (Neudruck vom
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 263
J. 1883) zu erinnern, der uns 'pförtner, sonst j) ortner bietet. In
seiner Bedeutung nicht klar ist mir das übergangene Wort Pfort-
stube, das ich im Ergänzungswörterbuch von Sanders 537 in der
Form portstube aus Stumpf nachgewiesen und auch mit einem
Fragezeichen versehen finde. Es kommt auch in neuerer Zeit noch
vor, so bei J. G. Müller in den Straußfedern 2, 21 (1790) : Röschen
ließ die Ohren hängen und schlich hin icie der Bauer, tvenn er in die
Pfortstube kriechen soll. Das in Zusammensetzungen vorkommende
-pfortig erscheint nicht bloß in Verbindung mit einem Zahlwort;
vgl. bei Geibel Gedenkbl. ^263 die freilich kühne Bildung:
hildwerkp fortige Giebel entlang
mein Fuß die Stätten der Jugend,
die veriüitternden, sucht.
Pfosten ist auch der Pfahl, an den der zur Züchtigung Ver-
urtheilte gebunden wird:
Arme Bauern, an dem Pfosten
TVei'den blutig sie gestrichen.
Herder Volksl. 2, 99 (1779).
Pfote. Die Diphthongierung in Pfaute (aus Bebel 1589) findet
sich auch bei Londorp 2, 696^ (um 1621): Teuschland in seine Pf auten
gänzlich bringen. Die Form Pfate ist über 1569 und 1572 hinaus
noch im J. 1598 zu finden bei Sebiz Feldbau ^739: wenn der Wolf
mit seiner Pfaten und Klaioen irgends ein Thier schlägt, muß es gleich
dahin fallen.
Pfriem wird als Geräth des Schneiders erwähnt, doch auf-
fälliger Weise nicht als das des Schusters; eines Beleges hierfür be-
dürfte es eigentlich nicht, zumal da man ja auch die Fortsetzung
Schusterpfriem (-pfriemen) hat: doch möge hingewiesen werden
auf R. Reinicks hübsche Legende von der Berufung der Künstler,
Z. 42—44:
Der König sah nur an sein Scepter,
Grammaticam mir der Präcepter,
Der Schuster seinen Pfriem und Leist,
Der Kriegesknecht sein Schicert zumeist.
Pfropf bildet auch gelegentlich die umgelautete Mehrheitsform
Pfropfe, so bei H. P. Sturz M, 199 (aus d. J. 1768): die Akademie
der Wissenschaften untersucht nicht immer Maschinen., um Pfropfe ans
Bouteillen zu ziehen, desgl. Pröpfe bei Raabe Horacker 34: roth-
belackte Pröpfe, doch ebd. 35: der Pfropfen wich. Zu den sehr
spärlich gegebenen Wendungen mit Pfropf und Pfropfen wäre
264 O- BEHAGHEL, MESSER.
hinzuzufügen: am Pfro'pfen riechen oder am Pfropfen riechen lassen.
Kinder nämlich, die unbescheidener Weise Antheil am Weine der
Erwachsenen begehren, werden, gelegentlich unter wirklicher Dar-
reichung des Pfropfens, mit der scherzenden Erinnerung abgefertigt:
Du kannst am Pfropfen riechen. Dann wird die Wendung überhaupt
gebraucht, wo von scheinbarer Betheiligung an einem Genüsse, doch
thatsächlicher Ausschließung von demselben, gesprochen wird. In ihrem
Ursprünge undeutlich ist mir die in Norddeutschland wenigstens häufige
Wendung: auf den Pfropfen setzen = in schwere Verlegenheit
setzen, beschämen. So setzt der Lehrer den Schüler auf den
Pfropfen, wenn er durch eindringendes Fragen dessen Unwissenheit
nachweist; dieser sitzt dann auf dem Pfropfen. Beide hier ver-
mißte Wendungen bringt Sanders im Ergänzungswörterbuch. Unter
Pfropfenzieher wird auf Pfropfzi eher verwiesen. Soll damit
die letztere Form als die üblichere bezeichnet sein , so muß wenig-
stens für Norddeutschland das umgekehrte Verhältniß behauptet werden.
In der heutigen Zeit verdiente übrigens neben dem althergebrachten
Pfropfenzieher auch der neuere Pfropfenheber Aufnahme.
(Fortsetzung folgt.)
GROSS-STBELITZ. Ä. GOMBERT.
MESSER.
Oben S. 202 denkt Bohnenberger daran, Messer sei, wegen des
offenen e, dem Schwäbischen vielleicht ursprünglich fremd. Aber da-
mit ist nichts gewonnen. Allerdings hat z. B. das Pfälzische hier
offenes e (Lenz, Handschuchsheimer Mundart) , ebenso das Hessische.
Aber hier ist die Schwierigkeit der Erklärung die gleiche. Zudem
bietet auch das Aleman. c, so in Ottenheim (Beitr. 13, 220), in Leerau
(Hunziker, Aargauisches Wörterbuch S. 180), in Basel (Seiler S. 204),
während für das Bairische allerdings e bezeugt wird (Beitr. 11, 499).
Verdankt das e sein Dasein einer Angleichung? Jedenfalls nicht an
metzgen, denn dieses hat in Leerau andern Vocal als Messer.
O. BEHAGHEL.
S. 213, 9 1. chlaegleich statt chaegleich.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDEN-
SAGE UND DIE ÄLTESTE GESTALT DER NIBE-
LUNGENSAGE.
In meinen Bemerkungen zur Wielandsage (Germ. 33, S. 480)
habe ich die Wanderung der meiner Ansieht nach in ihrem letzten
Grunde fränkischen, für gewöhnlich als deutsch bezeichneten
Heldensage zu bestimmen versucht. In dem aufgestellten Schema trat
bereits meine Auffassung des Verhältnisses zwischen süddeutscher und
norddeutscher Heldensage zu Tage: die letztere gründet sich auf
süddeutsche Spielmannslieder, die im 11. und 12, Jahrhundert ge-
sungen wurden und in derselben Zeit nach Niederdeutschland, d. h.
Westphalen und Hannover gelangten, aus welchen auch unsere mhd.
Dichtungen hervorgingen. Im Folgenden will ich es versuchen, die
nur in Kürze gegebenen Andeutungen etwas weiter auszuführen und
mit Beweisgründen zu stützen, und die daraus mit Nothwendigkeit
sich darbietenden Folgerungen zu ziehen. Die erste Frage ist die
nach dem Vorhandensein einer niederdeutschen Heldeusaee.
d. h. von Liedern, welche in Niederdeutschland umgingen und in
niederdeutscher Sprache verfaßt waren , gleichviel aus welchen Vor-
lagen sie auch stammen mögen. Der Beweis, daß die Behauptung
des Prologes der ridrekssaga, Dänen und Schweden hätten längst
nach den sächsischen Vorbildern eigene Lieder gedichtet, vollkommen
zu Recht besteht, darf als sicher erbracht gelten. Am meisten ein-
leuchtend ist er von Svend Grundtvig und Bugge geführt worden ').
Wenn dänische Volkslieder dieselben Stoffe behandeln wie die t^idreks-
saga, dabei aber die letztere an eigenartigen, echten und alten Sagen-
zügen übertreffen, so ist klar, daß sie nicht in der norwegischen Saga
ihre Quelle haben können, vielmehr erster Hand auf dieselben Vor-
lagen zurückweisen, aus denen auf der anderen Seite die ridrekssaga
entstammt. Es erwächst hieraus die Aufgabe, durch Vergleichung der
beiden nordischen Quellen den Sageninhalt der zu Grunde liegenden
niederdeutschen Lieder zu erschließen. Weder die l*idrekssaga noch
die dänischen Lieder (natürlich auch die aus ihnen geflossenen schwe-
') Danmarks gamle folkeviser IV, p. 586—600; 602—678.
GERMANIA. Nene Reihe. XXU. (XXXIY.) Jalirg. 18
266 - W. GOLTHER
dischen, norwegischen, fseröischen und isländischen, die ja nur als
Übertragungen zu betrachten sind, als solche jedoch sehr bedeutsam
für die Wiederherstellung des ursprünglichen dänischen Originales
werden, wie dies Grundtvig in seinen ausgezeichneten Untersuchungen
mehrfach darthut) , dürfen einseitig zur Vergleichung mit der süd-
deutschen Sage herangezogen werden, sondern immer nur alle zu-
gleich im Hinblick auf ihre gemeinsame Quelle. Diese also gewonnenen
nds. Lieder zeigen in ihrem Inhalt einen genaueren Anschluß an die
süddeutschen, als man von einer gesonderten Betrachtung der ridreks-
saga aus anzunehmen gewillt ist. Durch die Beachtung dieser That-
sache wird die Auffassung des Verhältnisses süddeutscher und nord-
deutscher Heldensage sehr wesentlich beeinflußt. Was von einzelnen
Sagen gilt, insbesondere von der Nibelungensage, wo sich diese Er-
scheinung am deutlichsten verfolgen läßt'), das zeigt sich auch bei
mehreren anderen und ist überhaupt auf die ganze Masse der in der
tidrekssaga vereinigten Gedichte auszudehnen, da dieselben zusammen
als Sagenkreis von Dietrich von Bern eingewandert sind, nicht etwa
einzeln losgelöst und zu verschiedenen Zeiten. Das Alter deutscher,
d. h. nds. Heldensage läßt sich vorläufig jedenfalls für die erste Hälfte
des 12. Jahrhunderts (1131) durch die viel citierte Stelle des Saxo^)
als gesichert annehmen. Um diese Zeit müssen zum Mindesten die
Vorläufer der in die t'idrekssaga und in die Volksweisen aufgegan-
o-enen nds. Lieder in Norddeutschland eingewandert gewesen sein. Zwei
Möglichkeiten bieten sich dar, um das Vorhandensein nds. Lieder zu
erklären : entweder hat sich im 8. oder 9. Jahrb., als die fränkischen
Sagen nach Deutschland wanderten, die nds. Sage abgezweigt, also:
y fränkisch-deutsch 8./9. Jh.
südds. nds.
hürnen Seyfrid. Nibllied. fidrekss. dän. Lieder.
In diesem Falle wären die nds. Lieder geradeso wie die südds. aus
der gemeinsamen Ursage entwickelt ; oder es sind süddeutsche Spiel-
mannslieder nachmals wieder nach Norddeutschland zurückgewan-
dert also: y' fränkisch-deutsch 8./9. Jh.
y* süddeutsche Weiterbildung. lO./ll. Jh.
südds, nds. (spätestens im Anfang des
I I 13. Jhs.)
hürnen Seyfrid. Nibllied. fidrekss. dän. Lieder.
') Bugge in Daumarks gamle folkeviser IV, p. 600.
=) Lib. XIII, bei Müller, p. 638 [bei Holder 427, 33. O. B].
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 267
Wir haben die Gründe für und wider einen der beiden Wege abzu-
wägen und danach die Entscheidung zu treffen.
Bei Betrachtung der in der I^idrekssaga tiberlieferten Ge-
schichten ist zunächst zu beachten, daß dieselben, soweit sie zur
Nibelungensage gehören, nicht in vollem Umfange auf niederdeutsche
Quellen zurückgeführt werden dürfen. Die Sagen von Sigurd und
den Niflungen Avaren seit lange in isländisch-norwegischer Überliefe-
rung vorhanden. Daraus ergab sich natürlich von selber eine Ver-
einigung des einheimischen mit dem zugewanderten'). In
die Darstellung der norwegischen Saga gingen nordische Züge über,
welche in den nds. Liedern nicht vorhanden waren. Wenn man den
Inhalt der letzteren gewinnen will, müssen diese Bestandtheile aus-
geschieden werden^ was sich zum Theile mit der größten Leichtigkeit
bewerkstelligen läßt. Als nordisch ist zu bezeichnen die Bemer-
kung in Cap. 163, daß der Drache, den Sigurd erschlägt, Regiu heißt
und ein Bruder des Schmiedes Mimir ist; Cap. 166, daß sich Sigurd
beim Kochen der Fleischstücke des Wurmes die Finger verbrennt,
daraufhin die Vogelstimmen versteht und in Folge dessen Mimir
tödtet; Cap. 167, daß das Schwert Sigurds Gram genannt wird und
das Roß Gräni; ebenso Cap. 168, daß sich Sigurd bei Brynhild das
Roß Grani holt. In Folge des in isländisch- norwegischer Sage be-
richteten Rittes durch den vafrlogi war man gewohnt, das Roß mit
Brynhild in Zusammenhang zu bringen ; nur hieraus erklärt es sich,
daß man Grdni in die Sage einführte in einer Weise und an einer
Stelle, die im Zusammenhang des Ganzen geradewegs widersinnig
sind*^). Cap. 227 ist nordisch, daß Sigurd und Brynhild einmal mit
*) Storm, Aarböger for nordisk oldkyndighed 1877, p. 320—21; Klocklioff,
Studier öfver Thidrekssaga af Bern (Upsala universitets ärsskrift 188ü) p. 4. Auf
diesen Punkt ist darum Gewicht zu legen, weil man ihn auch anders zu erklären
versucht hat, freilich mit ziemlicher Erfolglosigkeit, ßaszmaun hält in seinen Schriften
Westplialen für die Urheimat der Nibelungensage. Von dort seien im 9. Jahrhundert
die Eddalieder ausgegangen, aber ein Grundstock blieb zurück. Damit vermischten
sich die später in Niederdeutschland eingewanderten süddeutschen Sagen, und darum
reten uns in der f*s. scheinbare Entlehnungen aus der nordischen Sagenform ent-
gegen. Diese Auffassung vertritt Easzmann in seiner Schrift: Die Niflungasaga und
das Nibelungenlied (1877), namentlich p. 35 flF., 66 flf., 79 S., 81 ff. Nicht überall liegt
die Entlehnung aus dem Nordischen so klar am Tage wie in den hier aufgeführten
Fällen. Es bedarf oft sehr genauer Sichtung, die Zudichtungen des theilweise völlig
frei schaffenden Verfassers der f s. loszulösen, um nicht ungerechtfertigter Weise diese
Neuerungen der nds. Sage zu unterschieben.
^) Abhandl. d. I. Cl. d. Akad. d. Wies, zu München, Bd. XVIII, Abtli. II, p. 454 f.
18*
268 W. GOLTHER
einander verlobt waren') 5 Cap, 226, daß Sigurds und Grudrüns Hoch-
zeit gefeiert wird , ehe Sigurd und Gunnar nach Brynhild ausfahren ;
Cap. 348, daß Sigurds Leiche auf Gudruns Bett geworfen wird und
sie so, wie in der isländischen Version, neben dem todten Gemahl
erwacht; Cap. 383, daß Gunnar in den Wurmgarten geworfen wird;
Cap. 170 hat Oda vier Söhne, außer Gunnar, Gernoz und Gisler auch
noch Guthormr, der natürlich aus dem Berichte der Edda übernommen.
Diese hier erwähnten nordischen Sageneinflüsse sind äußerlich und
von sehr untergeordneter Bedeutung; sie haben kaum eine wesentliche
Änderung an der überkommenen deutschen Form hervorgerufen und
stehen darin der ebenfalls rein äußerlichen Wiedergabe der über-
nommenen deutschen Namen durch die entsprechenden nordischen,
also Gunnar statt Günther, Gudrun statt Grimhild, Sigurd statt Sig-
froedr. Gram statt Balmunc, Mimir statt Mime vollkommen gleich.
Solche nordische Einwirkungen konnten sich nur bei der Nibelüngen-
sage und bei der Wielandsage bemerkbar machen, wo nordische Gegen-
stücke vorhanden waren. Die letztere scheint jedoch völlig davon frei
geblieben zu sein; es wurde auch kein Versuch gemacht, die nordi-
schen Namen der Volundarkvida einzusetzen. Bei den übrigen Stoffen
der Pidrekssaga sind wir also der Mühe enthoben, einzelne Züge, die
in Norwegen eindrangen, vor der Zurückführung auf die nds. Vor-
lagen auszuscheiden. Fremdartige Neuerungen können aber auch in
anderer Hinsicht sich entwickelt haben. Dies gilt vornehmlich bei
Bestimmung der geographischen Verhältnisse in der ridrekssaga.
Hiebei ist zu unterscheiden zwischen dem, was bereits in den nieder-
deutschen Vorlagen stand, und dem, was erst die norwegische Dar-
stellung verschuldet. Für das Vorhandensein einer niederdeutschen
Heldensage, welche in volksmäßigen Liedern lebte, spricht entschieden
auch der Umstand, daß Niederdeutschland selbst zum Schauplatz der
Ereignisse geworden ist'*). Hunaland und Susat, Attila's Königssitz,
sind meistens als Westphalen zu verstehen, außer in der Nibelungen-
sage, aus deren Darstellung mit Sicherheit hervorgeht, daß unter
Hunaland und Susat in diesem einzelnen, bestimmten Falle nur Ungarn
und Ofen entsprechend den süddeutschen Quellen verstanden sein
kann^). Hieraus ist aber zu entnehmen, daß einmal in den niedei--
deutschen Liedern die Geographie gerade so wie in den süddeutschen
*) W. Grimm, Heldensage p. 84.
^) Storm, Nye studier over Thidrekssaga (Aarböger for nordisk oldkyndighed
1877, p. 329 flf. Zur Frage überhaupt: Holthausen, Studien zur Thidrekssaga. 1884.
*) Döring, Ztschr. f. d. Phil. II, p. 22 ff. Holthausen a. a. O, p. 33.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 269
beschaffen war, daß von Anfang an kein Unterschied bestand, sondern
erst nachmals ein solcher geschaffen wurde dadurch, daß Nieder-
deutschland als Schauplatz der Sage galt und deshalb dort mehrfache
Änderungen vorgenommen wurden. Sind diese Neuerungen zum großen
Theile der nds. Sagenentwicklung zuzuschreiben, so hat aber auch
die norwegische Saga einige Änderungen in dieser Richtung ver-
anlaßt, welche aus ungenügender Kenntniß der deutschen Ortlichkeiten
entsprangen. Doch sind auch diese nur äußerlicher Art und berühren
die Handlung der Sage wenig.
Wenn wir die in Form und Inhalt den süddeutschen so nahe
stehenden norddeutschen Nibelungenlieder mit den ersteren vergleichen,
so müssen sich hiebei Anhaltspunkte auffinden lassen, welche auf die
ursprüngliche Heimat der Sage und damit wohl auch auf das Ab-
hängigkeitsverhältniß der Lieder hinweisen. Als die fränkische Sage
im 8. oder 9. Jahrhundert nach Deutschland kam , erfuhr sie dort
nachmals im 10. und 11. Jahrhundert in den süddeutschen Gegenden
namhafte Zuthaten, welche unter dem Eindruck der Kämpfe an der
Ostmark mit ungarischen Stämmen sich vornehmlich auf die zweite
Hälfte, die Fahrt der Nibelungen zum Hunnenkönig und ihren Unter-
gang erstreckten. Anerkanntermaßen enthält die Darstellung des
Nibelungenliedes viele Züge, die sich erst in jenen Zeiten bilden
konnten , und die mit dieser Ausführlichkeit in der ursprünglichen Sage
des 6. Jahrhs. und überhaupt bei den Franken nicht als vorhanden
gedacht werden dürfen. Mit sichtlicher Vorliebe und Sachkenntniß
ist die Reise der Burgunden von Worms den Main entlang durch
Ostfranken zur Donau und durch das Donauthal über Bechelarn
nach Etzelnburg geschildert. Natürlich setzt diese Beschreibung vor-
aus, daß die Sage in jene Gegenden gedrungen war. Dem ersten
Dichter der Nibelungen standen diese genauen örtlichen Angaben
nicht zu Gebote. Nun finden wir die Einzelheiten der Fahrt auch in
der Pidrekssaga vor, dort allerdings entstellt durch einen Fehler des
norwegischen Verfassers, der aber deutlich erkennen läßt, daß
in der Vorlage, dem nds. Liede, Alles in Ordnung war'). Bereits
hieraus ist zu entnehmen, daß die norddeutsche und süddeutsche Sage
unter einander näher verwandt sind, und daß zur Erklärung dieser
Verwandtschaft der Hinweis auf ihre alte gemeinsame Quelle in der
fränkischen Sage nicht ausreicht. Eine der anziehendsten Gestalten
*) Rhein und Dynau fließen zusammen Cap. 362 ; ein Wasser heißt Moere, d. i.
Möringen.
270 "^' GOLTHER
des zweiten Theiles ist Markgraf Rüedeger ; dieser wurzelt aber gänz-
lich in den süddeutschen Verhältnissen. Die Markgrafen im Nibelungen-
lied entstammen aus der Ottonenzeit, wo es sich um die Festigung
der Grenzen handelte; sie sind undenkbar für die Zeit der Entstehung
der Sage. Mit Recht hat Thausing*) darauf hingewiesen, daß in den
Hunnenkämpfen eine Erinnerung an die Kriege Heinrichs HI. in
Ungarn 1042 — 1044 lebt; Vieles in diesen Schilderungen ist auf die
nationale Erhebung jener Zeiten zurückzuführen. In Volker, dem
ritterlichen Spielmann und Kampfgenossen Hagens, ist auch unschwer
eine später erdichtete Gestalt zu erkennen, für welche in der alten
Sage kein Platz war. Betrachten wir die Nibelungensage im Ganzen,
so zeigt sich, daß sie ebenso getreu die geschichtlichen Ereignisse
des 5. Jahrhs. und die Ortlichkeit des Rheines bewahrt hat, als
anderseits Widerspiegelungen späterer Zeiten und genaue Kenntniß
süddeutscher Gegenden hervortreten. Dadurch werden wir zur An-
nahme einer doppelten Hauptbearbeitung der Sage geführt, oder jeden-
falls zu der einer tiefgreifenden Umarbeitung des Überkommenen in
Süddeutschland. Daß die alte fränkische Sage nichts von alledem
wußte, läßt sich aus ihr selber, soweit sie in isländisch-norwegischem
Gewände sich erhielt, nachweisen. Die Eddagedichte sind von allen
diesen Ausführungen, welche nur die nach Deutschland ausgewanderte
Sage betrafen, völlig frei geblieben. Aber die ridrekssaga faßt die-
selben in vollem Umfange in sich; und noch mehr als bei dieser
selbst oder ihren unmittelbaren niederdeutschen Quellen, in denen
sich ja das Bestreben der Localisation auf norddeutschem Boden kund-
gibt, war dies bei den älteren niederdeutschen Liedern der FalP).
Es ergibt sich hieraus mit zwingender Noth wendigkeit die Abhängig-
keit der nds. Heldensage von der süddeutschen, die dem-
nach in späterer Zeit unter den lebhafter gestalteten Wechselbezie-
hungen wiederum nordwärts zurückwanderte. In der ersten Hälfte
des 12. Jahrhs. ist sie dort bezeugt; früher als in der zweiten Hälfte
des 11. Jahrhs. kann aber die Rückwanderung kaum erfolgt sein,
somit ergibt sich rund 1100 für die wahrscheinliche Zeit der Über-
nahme süddeutschen Heldensanges in Norddeutschland. Mit dieser
Zeitbestimmung vereinigt sich recht wohl, was wir von einheimischen
niederdeutschen Sagen wissen. Storm^) hat nachgewiesen, daß ein
*) Germ. 4, p. 435 — 436. Die Nibelungen in der Geschichte und Dichtung.
*) Storm, Aarböger 386; die Dichtung, welche der Saga zu Grunde liegt, ist
in ihrem Ursprünge süddeutsch.
') Aarböger p. 341 ff.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 271
Theil des SagenstofFes nicht süddeutscher, sondern norddeutscher Ent-
stehung ist. Die Kämpfe der Hunnen (d. h. der Sachsen und West-
phalen nach der Ausdrucksweise der Saga) mit Friesen und Wilkinen
(d. h. Wilzen, Wenden, Dänen) stammen aus den Kriegen der Ottonen
gegen jene Völker im 10. Jahrhundert; Heinrich H. kriegt Anfang
des 11. Jahrhunderts im Osten von „Saxland" mit Polen und Russen.
Attila der Hunnenkönig trat an Stelle der deutschen Kaiser; d. h. der
einheimische nds. Heldensang schloß sich an den zugewanderten sild-
deutschen an, und das dort bemerkbare Bestreben, die Vereinigung
aller Sagen um einen gemeinsamen Mittelpunkt, König Dietrich von
Bern, kam im Verlaufe der Zeit immer mehr zur Geltung. Nieder-
deutsche Heldenlieder wurden gerade damals gesungen , als süd-
deutsche einwanderten. So trafen die letzteren auf einen wohl vor-
bereiteten Boden, was ihre rasche Annahme und Ausbreitung durch
ihr Verwachsen mit dem bereits vorhandenen Grundstock wesentlich
erleichterte.
Die Nibelungensage in der ridrekssaga entspricht dem Lied vom
hürnen Seyfrid ') und dem Nibelungenlied. Die Ubereinstin)mung mit
letzterem beginnt Cap. 228 mit Gunnars Brautnacht. So ist auch in
der t'idrekssaga scheinbar eine Trennung dieser beiden Denkmäler
anzuerkennen, und Döring**) versuchte die Benützung der beiden mhd.
Quellen nachzuweisen. Daß unser zwischen 1190 und 1205 entstan-
denes Nibelungenlied der ridrekssaga und den dänischen Liedern
vorlag , verbietet sich von selber durch die Erwägung der Zeitver-
hältnisse. Die Frage darf also nur so gestellt werden, ob bereits in den
nach Norddeutschland gewanderten Liedern eine ähnliche Scheidung
des Stoffes eingetreten war, wie nachmals in den genannten zwei
mhd. Gedichten. Im Nibelungenliede ist die Spielmannsdichtung in höhere
und feinere Kreise emporgehoben; äußerliche und innerliche Vorzüge
zeichnen es demnach vor den übrigen Spielmannsgedichten aus.
Sigfrid wird in ritterlich höfischer Art erzogen, er wirbt um Kriem-
hildes Minne; glänzende Hoffeste und Trauerfeierlichkeiten im kirch-
lichen Sinne sind ausführlich beschrieben ; die Charakteristik der
Personen ist psychologisch vertieft und die Handlung dadurch ab-
gerundet; nicht wie in der Spielmannsdichtung herrscht die bloße
Freude am Erzählen vor. Rohe Züge sind getilgt oder wenigstens
derartig verfeinert, daß sie für eine gesittetere Anschauung nichts
') Über das Alter der Sagenform des h. S. vgl. meine Ausgabe [Braunes Neu-
drucke Nr. 81 u. 82] S. XIX ff.
') Ztschr. f. d. Pbil. 2, p. 1—79; 256—292.
272 W. GOLTHER
Verletzendes enthalten. Es ist klar, daß die meisten derartigen Ände-
rungen dem mhd. Denkmal als solchem angehören und erst in diesem
auftraten, dagegen in den vorhergehenden Liedern nicht vorhanden
waren. Wenn uns der Unterschied zwischen dem hürnen Seyfrid und
dem Nibelungenlied in ihrer heutigen Gestalt allerdings sehr groß
erscheint, so kommt dies bei ihren Quellen in Wegfall, weil das Nibe-
lungenlied auf dem Boden der älteren Spielmannsdichtung begreiflicher-
weise von allen den unterscheidenden Merkmalen wenig enthielt. Beim
hürnen Seifrid ist die rohe Form der späten Überlieferung in Abzug
zu bringen. Dann aber wird die Überlieferung in beiden Gedichten
eine einheitlichere sein und nicht mehr eine entschiedene Trennung
derselben nothwendig erscheinen lassen. Unter diesem Gesichtspunkte
muß die Nibelungensage in der tidrekssaga aufgefaßt werden. Der
Bericht der Saga und die ihr zu Grunde liegenden nds. Lieder sind
durchaus einheitlich, die Spielmannsdichtung von den Nibelungen.
Ebenso verhielt es sich mit der süddeutschen Sage im IL und 12. Jahr-
hundert; nur das Nibelungenlied ist aus ihrem Kreise herausgetreten.
Zwischen der Jugendgeschichte Sigfrids und den letzten Kämpfen
der Nibelungen ist in der Darstellung der Spielmannslieder und der
ridrekssaga keine Verschiedenheit bedingt. Die Vergleichung mit
der nds. Sage gibt ein vortreffliches Hilfsmittel an die Hand, den
Stand der älteren süddeutschen Sagenüberlieferung uns wieder zu er-
schließen und die eigenartige Kunst des Nibelungenliedes namentlich
auch in ästhetischer Hinsicht, insoferne es am Inhalte änderte, zu
bemessen. Es ist begreiflich, daß Sigfrids Abenteuer beim Schmied
als dessen Lehrling unmöglich war, sobald seine Erziehung den An-
sprüchen des höfischen Anstandes entsprechen mußte. Die Scene, wie
Sigfrid Brünhilde bezwingt, ist im Nibelungenlied offenbar umgebildet:
Sigfrid ringt mit ihr, nimmt ihr einen Ring und Gürtel ab, ohne
jedoch ihre Minne zu genießen'). Dagegen berichtet die ridrekssaga
Gap. 229: oc])a teer hann til Brynüldar oc fear skiott hennar mmydom.
Das Aufgeben dieses in der rohen Auffassung der Spielmanns-
dichtung vorhandenen Zuges ist bedeutungsvoll für das ethische
Urtheil über Sigfrids Schuld oder Unschuld. Die Kämpfe bei den
Hunnen sind in den älteren Liedern viel wilder als im Nibelungen-
lied ; das letztere hat die furchtbare Grausamkeit Krierahildes, die nach
der älteren Sage (Ps. Cap. 392) die Verwundeten zu Tode quält, mit
richtigem Gefühl getilgt. Daß in Süddeutschland Lieder vorhanden
•) Bartsch Str. 649—681.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 273
waren, ganz im Geiste der Quellen der Pidrekssaga gehalten, von
denen sich aber das Nibelungenlied unterschied , zeigt sich anläßlich
des Auftritts zwischen Hagen und Ortliep, dem Kinde der Krienihilt,
über welchen der Bericht der Saga (Cap. 379) und des prosaischen
Anhanges zum Heldenbuch (Heldensage p. 298 f.) gegen das Lied
zusammenstimmen; ebenso am Schlüsse, wenn Dietrich die Krienihilt
erschlägt, während im Nibelungenlied dies von Hildebrand erzählt wird.
Auch die Betrachtung der übrigen in der f'idrekssaga vorhan-
denen Sagen läßt erkennen, daß die norddeutsche und süddeutsche
Heldensage gegenüber einer älteren süddeutschen des 8. und 9. Jahr-
hunderts im Allgemeinen und im Besonderen zusammengehen, und
zwar so, daß jeder Gedanke, als hätten wir es mit einer jeweiligen
Weiterbildung einer gemeinschaftlichen Ursage im Norden und Süden
zu thun, von Vorneherein ausgeschlossen wird. Wären süddeutsche
und norddeutsche Sagen, vom gleichen Ausgangspunkte beginnend,
ihre eigenen Wege gewandelt, so könnten nicht die im 13. Jahr-
hundert erfolgten Aufzeichnungen, die also 400 oder 500 Jahre von
der entlehnten fränkischen Sage entfernt sind, so genau überein-
stimmen, namentlich nicht, wenn es sich um auf beiden Seiten gleich-
mäßig durchgeführte Neuerungen handelt. In Bezug auf diese muß
natürlich die eine vorangegangen, die andere nachgefolgt sein. Unter
den in die Pidrekssaga übergegangenen süddeutschen stehen an erster
Stelle diejenigen, welchen mhd. Dichtungen entsprechen, wie Ecken-
lied und Rother; die Berührungen gehen vielfach bis zu wörtlicher
Übereinstimmung *), was darauf hinweist, daß theilweise der Wortlaut
der Originale des 11. Jahrhunderts gewahrt blieb und in die nord-
deutschen und süddeutschen Dichtungen überging. Dies wäre eben-
falls unmöglich aus gemeinsamen Quellen des 8. oder 9. Jahrhunderts
zu erklären. Die sprachliche Entwicklung zwischen dem 8. und
13. Jahrhundert hätte tiefgreifende Änderungen veranlaßt. Die Über-
einstimmung muß aber sich sehr weit erstreckt haben, wenn sie noch
so deutlich selbst aus der norwegischen Prosa'^) heraus an die mhd.
Werke anklingt. Von anderen Sagen läßt sich nachweisen, daß sie
im 11. Jahrhundert in älterer einfacherer Form vom Süden nach dem
Norden wanderten, aber nachmals eigenartige Ausbildung erfuin*en,
z. B. von den Gedichten, aus denen der Kampf der Dietrichsrecken
■) Edzardi Germ. 23, p. 99 ff.; 25, p. 48—67.
') An einigen Stellen erkennt man noch deutlich den p.ietischen Stil der iids.
Lieder, der an den unserer mhd. Heldendichtung sich anschließt; einiges bei Edzardi,
Germ. 25, p. 66 Anm.
274 W. GOLTHER
mit Isungs Söhnen (Ps. Cap. 45 — 56) einerseits, der große Rosen-
garten (wohl auch Dietrichs siegreicher Zweikampf mit Sigfrid in der
Rabenschlacht Str. 672 — 683) anderseits hervorgingen. Nur sehr
Weniges von der älteren deutschen Sage, welche den Stand des
Fränkischen bewahrte, wo also jene süddeutschen Zuthaten noch nicht
vorhanden waren, hat sich erhalten, das Bruchstück des Hildebrands-
liedes aus dem 8. Jahrhundert. Aber auch aus dem Wenigen läßt
sich entnehmen, daß damals die Sage noch in anderen Bahnen lief.
Odovakar ist Dietrichs Gegner, ein Zug, der später gänzlich schwand,
dadurch, daß Sibich, welcher zu Ermenrich und den Harlungen ge-
hört, überhaupt die Verrätherrolle übernahm, und somit Dietrich
nachmals seinem Neide entfloh'). Die fränkische Sage hat, wie auch
aus der nordischen Gestalt des zweiten Theiles der Nibelungensage
ersichtlich ist, die geschichtlichen Grundzüge wohl gewahrt, welche
nachmals in der deutschen Fortbildung mehr und mehr zurücktraten.
Völlig verschieden vom alten Hildebrandslied ist die Darstellung der
ridrekssaga (Cap. 406—409). Damit stimmt aber auch das deutsche
Hildebrandslied des Kaspar von der Roen zusammen. Edzardi**) be-
hauptet für das letztere zwar niederdeutschen Ursprung, doch sind
die angeführten Gründe nicht völlig bestimmend, die Möglichkeit der
süddeutschen Herkunft ist nicht ausgeschlossen. Jedenfalls ist die Sage
auf einem ganz anderen Standpunkt als im alten Lied. In gleicher
Weise hat sich norddeutsche und süddeutsche Überlieferung vom Alten
entfernt, nicht jede gesondert für sich.
Nachdem wir erkannt haben, daß die t'idrekssaga und die mhd.
Gedichte auf gemeinsame Quellen zurückzuführen sind, darf der Ver-
such gewagt werden, den Stand der hochdeutschen Sage während
dem 11. Jahrhundert zu ermitteln. Natürlich ist das den nord- und
süddeutschen Liedern Gemeinsame ohne weitere Fragen als alt zu
betrachten; dagegen ist bei allen eigenartigen Abweichungen auf der
einen Seite zu bestimmen, ob dieselben bereits in der alten Sage
standen und nur zufällig sich hier erhielten, dort aber vergessen
wurden, oder ob wir es mit Neubildungen, beziehungsweise mit Doppel-
berichten zu thun haben. So müssen einige Vorfragen zunächst ent-
schieden werden. Sehr wichtig ist Cap. 165 der l*idrekssaga: Sigurds
Besuch bei Brynhild. Wie ist überhaupt das Verhältniß Sigurds
und Brynhilds in der t^s. aufzufassen? Eine Verlobung fand nicht
') Ähnliche Auffassung bei Storm, Sagnkredsene om Karl den störe og Diderik
af Bern p. 72.
') Germ. 19, p. 315 — 326: zum jüngeren Hildebrandsliede.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 275
statt; die Worte in Cap. 227 stammen aus der nordischen Sage.
Wenn dagegen Sigurd wenigstens bei Brynhild war, ehe er sie Gunnar
zur Frau vorsehhig, also sie kannte, ohne daß jedoch ein innigeres
Verhältniß sich daran angeknüpft hätte, so könnte man diesen Zug
als deutsche Sage auffassen und für die letztere wenigstens eine
vorhergehende Bekanntschaft Hrünhildes und Sigfrids behaupten, wenn
auch eine Verlobung mit aller Entschiedenheit geleugnet werden muß.
Nach der rs. weiß Sigurd nichts von seinen Eltern. Er nennt Bryn-
hild seinen Namen ^ aber vermochte über sein Geschlecht keine Aus-
kunft zu ertheilen; da sprach Brynhild: ef fw veitz ceigi at scegia mer,
pa kann ec at scegia per, at pv ert Sigin'är Sigmundar son konungs oc
Sisibe. Wenn etwas echt und sinnvoll ist bei dieser Begegnung, so
ist es diese Mittheilung über Sigurds Herkunft. Sic wird als sagen-
mäßig bestätigt durch zwei Strophen des Seyfridliedes:
47 nun was der held Seyfride gewesen seyne jar,
das er vmb vatter vnd müter nicht west als vnib ein har.
er ward vil ferr versendet inn eyneu finstern than,
darinn zoch jn ein meyster, bisz er ward zu eym man.
48 er gwan vier vnd zwentzig stercke vnd yegklich sterck ein man.
do sprach zu jm das zwerge: will dir zu wissen thon,
deyn muter hiesz Siglinge vnd was von adel geporu,
deyn vatter künig Sigmunde von den so bist du wordn.
Diese Strophen setzen dieselbe Sage voraus, wie die niederdeutschen
Lieder. Jedoch ertheilt der Zwerg Eugel Seyfrid Auskunft, nicht wie
in der rs. Brynhild. Was sonst im Cap. 168 enthalten ist, bedarf
einer genaueren Prüfung. Sigurd holt sich Gräni aus dem Gestüte
der Brynhild; als er zu ihrer Burg kommt, hat er mit den Wacht-
männern einen Kampf zu bestehen. Das Roß Grani ist eine Zuthat
der nordischen Sage; aus dieser ist es in die rs. eingedrungen, die
niederdeutschen Lieder wußten so wenig von ihm als die süddeutschen.
Die norddeutsche Sage erzählte, Studar ') , des Heimir Vater, habe
ein Gestüt verwaltet, aus dem die berühmtesten Helden und Dietrich
selber ihre Rosse bezogen, daher stammten Falka, Skemmingr und
Rispa. Es ist wahrscheinlich, daß auch Sigfrid nicht zurückgesetzt
werden sollte und darum aus demselben Gestüt ein Roß bezog; natür-
lich konnte dies nach der ridrekssaga nur Grdni sein. Die schwedische
Saga berichtet auch Cap. 16: i then skog , sora Brynnilla ägher ther
*) In J>s. steht allerdings Studas , aber die schwedische Bearbeitung hat die
richtige Namensform Studar (68, 18), sonst Studder oder Studer = ahd. stnotäri, der
Stüter, Verwalter eines Gestüts, gewahrt.
276 W. GOLTHER
äre im hästa, en heter Grane, oc annar heter Skimling oc tridie heter
Falke oc IUI. heter Rispa (das in fs. entsprechende Cap. 188 hat
diesen Satz nicht). Brynhild besitzt das Gestüte, aus welchem jene
Rosse stammen. Cap. 18 berichtet von ihr: ßrir nordan ßall i Svava
Par er su borg er heitir /Scegard. par red ßrir hin rika oc hin fagra
oh hin mikilata Brynhilldr, er fegrst er kvenna i Sudrlondum ok sva
nordr af speki ok storvirkium er gor verda ßrir hennar sakir ok seint
mnnu fyrnaz; ähnHch Nibelungenlied 326:
ez was ein küneginne gesezzen über se :
ir geliche enheine man wesse ninder me.
diu was unmäzen scoene, vil michel was ir kraft.
si scöz mit snellen degenen umbe minne den scaft.
Der Hinweis auf die großen Thaten, welche um Brynhildes willen
geschehen, spricht dafür, daß auch in Bezug auf ihre Gewinnung in der
nds. Sage Ähnliches berichtet wurde, wie im Nibelungenlied, obwohl
die rs. diese Dinge ausfallen ließ. Dann fährt die ts. fort: i einum
skog eigi ])adan langt stendr hu mikit, er atti Brynhilldr ok red ßrir
sa madr er Studas het. Der Gestüthof wird dann ausführlich be-
schrieben. Es fragt sich, ob die nds. und damit früher auch die
süddeutsche Sage wirklich Brünhilt zur Besitzerin einer Pferdezucht
gemacht haben. Auch nicht der geringste Anlaß dazu liegt in ihrer
Geschichte selber vor. Aber eben ihr Gestüt ist der Grund, weßhalb
Sigurd sie aufsucht. Auch Cap. 168 ist völlig auf nordische Sage
gegründet; es beruht auf einer Einmischung nordischer Züge. Die
Einwirkungen der nordischen Sage sind hier etwas tiefer gehend als
in den oben namhaft gemachten Fällen; sie haben eine eigene neue
Scene veranlaßt. Des Studar Sohn ist Heimir; Brynhild nach der
jungen nordischen Sage ist Heimirs Pflegetochter, und lebt auf
Heimirs Hofe. Dies war dem Verfasser der rs. natürlicii bekannt.
So brachte er auch einzig und allein in Folge der Namensgleichheit
Heimir, den Gesellen Dietrichs, mit Brynhild in Verbindung; er und
sein Vater standen in ihrem Dienste, und so wurde Brynhild zur
Besitzerin des Gestüts. Als solche wird sie ja gerade in Cap. 18,
wo von Heimir zum ersten Male die Rede ist, erwähnt. Ein weiterer,
ebenso äußerlicher Grund lag in Sigurds Geschichte. Es ist nicht
unmöglich, daß bereits nds. Lieder ihm wie dem Dietrich ein Roß
aus der edelsten Zucht zuschrieben. Dieser Zug wäre aber dann
bereits ein neugebildeter, nicht der alten deutschen Sage zugehöriger,
welcher entstand, als die übrigen Sagen immer mehr nur als Episoden
der Geschichte Dietrichs aufgefaßt wurden und sich deshalb auch
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 277
allerlei Änderungen gefallen lassen mußten. Die Pictrekssaga wies
ihm das Roß Gräni zu. Gräni aber steht in unlöslichem Zusammen-
hang mit dem Ritt durch den vafrlogi, den die jüngere nordische
Sage auf Brynhild übertrug. Also auch auf diesem Wege brachte die
ts. Brynhild und die Pferde mit einander in Verbindung. War einmal
Brynhild die Besitzerin der Rosse, so lag es für den Sagaschreiber
nahe, Sigurd den Gräni bei Brynhild selber holen zu lassen, also die
in Gap. 168 erzählte Begegnung zu erfinden, da ja die ihm geläufige
nordische Sagenform von einer Verlobung und einem Zusammentreffen
Sigurds und Brynhilds wußte. Was die Kämpfe mit den Waehtmännern
anlangt, welche Sigurd zu bestehen hat, so erinnere ich an Oddrünar-
grätr 17:
pä, var vig vegit volsku sverdi
ok borg brotin sü er Brynhildr dtti —
wo die Werbung um ßrynhild mit Kämpfen verknüpft ist '). Somit ist
Gap. 168 die Begegnung Sigurds und Brynhilds Erfindung
des Verfassers der l^'s. ; die nds. Lieder wußten nichts von
einer solchen zu erzählen; Gap. 168 stammt nicht aus der deut-
schen Sage und darf unter keinen Umständen verwendet werden, um
nachzuweisen , daß auch die deutsche Sage einmal berichtet habe,
Sigfrid und Brünhilt hätten sich gesehen, ehe Sigfrid mit Günther zu
ihr zog. Die deutsche Sage hat niemals etwas von einer Verlobung
erzählt, aber auch nicht einmal von einer Begegnung. Was sich
irgendwo davon vorfindet, ist nordische Erfindung und darf nicht
in die deutsche Sage zurückgetragen werden. Auch die letzte schein-
bare Stütze der fidrekssaga für diese Annahme erweist sich als hin-
fällig. Allerdings bleibt ein Zug des Capitels als echt und alt be-
stehen, nämlich daß Sigfrid über seine Herkunft Kunde erhält. Jedoch
war Brünhilt nicht von Anfang an dazu bestimmt, und es ist ein reiner
Zufall, daß die ts. sie dazu ausersah, wahrscheinlich auch wiederum
auf Grund der nordischen Nibelungenlieder, in denen Brynhild mehr
als alle übrigen durch langathmige Weissagungen und Reden sich
auszeichnet, die ihrem ursprünglichen Charakter wenig anstehen.
Sobald die Sage voraussetzte, daß Sigfrid nichts von Vater und Mutter
wußte, so mußte ihn einmal später Jemand darüber aufklären, wie
Eugel in dem Seyfridsliede, Brynhild in der ^s. Die fränkische Sage
berichtete aber einmal ebenso, und die alte nordische Sage folgte ihr
*) Weiteres hierüber in meiner Abbaudlung über die Nibeluugensage (Abb. d.
Akad. d. Wiss. zu München, Bd. XVIII, p. 453).
278 W. GOLTHER
darin. Die Person des Gripir zeugt noch dafür. Man hat bereits mehr-
fach auf eine Ähnlichkeit zwischen Gripir und Eugel hingewiesen und
dieselbe mythologisch zu erklären versucht. In Wirklichkeit verhält sich
die Sache so, daß nach der fränkischen Sage ein Mann den Sigfrid
über seine Herkunft aufklärte, vielleicht sein Oheim. So lange er ihm
diese Mittheilung zu machen hatte, war seine Stellung in der Sage
sehr wohl begründet. Nachmals aber fiel dieser Zug weg, indem die
Jugendgeschichte Sigurds im Norden gänzlich umgestaltet wurde;
Gripir jedoch blieb stehen und erhielt die unmotivierte Aufgabe, dem
Sigurd in proj)hetischer Weise sein Lebensschicksal aufs Genaueste
her zu erzählen. Die ridrekssaga hat die im Nordischen als Gripir,
im Deutschen als Eugel erhaltene Gestalt überhaupt fallen lassen
und ihre Rolle an Brynhild übertragen. Cap. 168 ist lehrreich für
die Beurtheilung der Thätigkeit des Sagaschreibers, die doch nicht
überall eine bloß mechanische Übersetzung war, sondern stellenweise
in selbständiger Erfindung hervortritt, aber vielleicht nur da, wo er
die zwei sehr verschiedenartig lautenden Berichte des Isländisch-nor-
wegischen und des Niederdeutschen zu vereinigen suchte. Cap. 168
löst sich somit befriedigend und einfach in seine Bestandtheile auf,
und damit ist für die Forschung festgestellt, wie sie dasselbe aufzu-
fassen hat. — Aus einer Vergleichung der faeröisch-dänischen Lieder
und der ridrekssaga läßt sich die norddeutsche Sage in vollkommenerer
Weise wiederherstellen, als aus der letzteren allein. Aber bereits die
Auffassung der Handschriftenfrage bei der ridrekssaga trägt wesent-
lich dazu bei. Treutiers ^) Ansicht, die isländischen Handschriften
und die schwedische Übersetzung seien insgesammt auf die norwegische
Membrane (M) zurückzuführen , ist durch Storm ^) , Edzardi ') und
KlockhofF^) berichtigt. Das Wesentliche beruht darin , daß alle auf
uns gekommenen Handschriften, zuweilen durch Zwischenstufen ver-
mittelt, auf eine alte norwegische Bearbeitung der ridrekssaga zurück-
gehen. In der alten I'idrekssaga waren alle die Berührungen mit der
deutschen Sage bereits vorhanden, welche in den verschiedenen Hand-
schriften nicht immer gleichmäßig häufig auftreten und die man darum
zum Theil auch als spätere neue Einwirkung deutscher Sagen aufzu-
fassen geneigt war. Daraus erhellt, daß im Ganzen der Anschluß der
») Germ. 20, p. 151-189.
') Nye studier over Thidrekssaga.
=) Germ. 25, p. 47 ff. ; p. 142 ff. ; 257 ff.
^) Studier öfver Thidrekssaga. Upsala universitets aarskrift 1880. Zustimmend
zu dieser vortrefflichen Schrift Edzardi, Germ. 26, p. 242—248.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 279
norwegischen Bearbeitung an ihre niederdeutschen Vorlagen ein ziem-
lich genauer war, und daß diese nds. Lieder unseren süddeutschen
nahe standen und vielfach geradewegs gleich lauteten.
Bereits die alte rictrekssaga enthielt Parallelbelichte; eine und
dieselbe Scene wird zweimal erzählt. Zum Tlieil mögen die nds.
Quellen Schuld daran tragen, wie bei König Osantrix Tod (Cap. 144
und 292), zum Theil aber auch die Darstellung der Saga (in Cap. 169
und 170). In den beiden letztgenannten wird H9gnis Geburt erzählt
und seine Erzeugung durch einen Alben. Der wirkliche Bericht der
nds. Vorlage wird nur durch Zusammenziehung der zwei Capitel
zu öinem und mit Hilfe der deutschen Quellen erlangt. Die zwei
Berichte ergänzen sich mit Nothwendigkeit zu einem einzigen; für
sich allein genommen ist jeder unvollkommen. Die ^s. und damit
die nds. Sage hat allein den alten Zug gewahrt, der bereits der
fränkischen Sage eignete, dali Hagen der Sohn eines Alben war.
Ursprünglich war er der Stiefbruder der Gibichunge, denn nur so
erklärt es sich, daß die nordische Sage und die deutsche Spielmanns-
dichtung Hagen als Bruder der Nibelungen auffaßt. Damals natürlich
kam auch der Albe zu Gibichs Gattin. Bereits im 10. Jahrhundert,
im Waltharius aber ist Hagen Günthers Oheim; und so auch späterhin
Hagen Aldrians Sohn. Da auch die rs. Aldrian als Hognis Vater
kennt, so ist klar, daß die nds. Sage auf derselben Stufe stand wie
die süddeutsche, d. h. Hagen als Aldrians Sohn und demnach den
Oheim der Burgunden betrachtete. Cap. 169 berührt sich überdies
ganz auffallend mit dem Nibelungenlied 1734. Nun aber berichtete
die nordische Sage, Hogni sei Gunnars Bruder; der Verfasser der
rs. half sich dadurch, daß er einmal Aldrian auch zum Vater der
Burgunden machte (Cap. 169), das andere Mal aber Hagen zum Sohne
der Oda (Uote) und damit zum Stiefsohne des Nibelungenkönigs Irung
(=: Dancrät, d. h. für Gibich ist ein anderer Name eingesetzt)
Cap. 170. Es ist in diesem Falle deutlich, daß die Thatsachen der
Quellen unter nordischem Sageneinfluß geändert wurden; diese Ände-
rung ist leicht und einfach. Wenn also Hagen wiederum zufällig
dieses Mal mit vollem Recht in seine alte Stellung trat, so hat nicht
die nds. Sage darin einen uralten Zug erhalten, von dem aus wir
Weiteres schließen dürfen. Wir stünden sonst auf dem sehr schwanken
Boden der Erfindung des norwegischen Verfassers, und natürlich ist
es rein unmöglich, so lange man auf solche Voraussetzungen baut,
zu einem befriedigenden Ergebniß zu kommen. In der nds. Sage
verhielt sich also die Sache folgendermaßen: Aldrians Frau hatte
280 W. GOLTHER
von einem Alben einen Sohn. Das aber wußte Niemand, und darum
hieß Hagen auch Aldrian's Kind (Cap. 169). Dieser Hagen war der
Oheim der Nibelunge. Irung und Oda waren die Eltern des Günther,
Gislher, Gernot und der Grimhilt (Cap. 170).
Wenn bereits die älteste ridrekssaga in vielen Einzelheiten sich
genauer an die nds. Sage anschloß , so ist dies bei den dänischen
Liedern und ihren Übersetzungen noch weit mehr der Fall. Um Ein-
sicht in den Stand der nds. Sage zu gewinnen, müssen also auch sie
berücksichtigt werden. Auf der Fahrt zu den Hunnen haben Hagen
und Dancwart mit Gelpfrat von Bayern einen Streit zu bestehen
(XXVI äventiure, wie Gelfrät erslagen wart von Danewarte). Die
I'idrekssaga weiß nichts davon, wohl aber das dänische Lied von
Grimhilds Rache ^); demnach fand sich diese Scene auch in den nds.
Liedern, und gerade dieser Zug, die Erwähnung eines bayerischen
Herrn, der die durchziehenden Burgunden belästigte, zeigt wiederum
deutlich die enge Verwandtschaft, beziehungsweise die Abstammung
norddeutscher von süddeutscher Sage. Der Rath Hagens , das Blut
der Erschlagenen zu trinken, fehlt zwar in rs., aber im fseröischen
Högni 140, sowie in dän. B 32 findet er sich. Rüedeger ist in der I*s.
etwas zu kurz gekommen; wir vermissen die ausführliche anziehende
Charakterzeichnung, welche im Nibelungenlied ihn in so schöner
Weise hervortreten läßt. Über seine letzten Kämpfe und seinen Fall
geht die t*s. sehr rasch hinweg. Aber sie kürzt auch hier die Quellen,
in denen beschrieben war, wie Rüedeger und die Nibelungen mit ein-
ander reden und wie Rüedeger seinen eigenen Schild Hagen für dessen
zerhauenen hinbot '^). Auch die nds. Sage kannte das Idealbild des
edlen und milden Markgrafen. — Es ist klar, daß in den nordischen
Ländern nur die niederdeutschen Lieder und die niederdeutsche Sage
bekannt sein konnte und daß hochdeutsche Gedichte nicht hinauf-
drangen. Man darf sich zu dieser Annahme nicht durch die Gleich-
heit norwegisch -isländischer und süddeutscher Sagenzüge verleiten
lassen. Wenn die Liedersammlung von 1240 [„Ssemundar-Edda"] von
deutscher Sage spricht {en Pydverskir menn segja svd, Brot af
Sykv.), so kann damit nur die niederdeutsche Sage', dieselbe, die in
die ridrekssaga und in die dänischen Lieder aufging, gemeint sein').
') Bugge in Danmarks gamle folkeviser IV, p. 596/97.
0 a. a. O. p. 598/99.
^) Wenn in einigen Strophen der Edda Sigurds Tod geschildert wird, und zwar
in einer dem Berichte der deutschen Spielmansdichtung (von Hans Sachs erhalten)
entsprechenden Weise, so kann dieser Zug unmöglich als späterer deutscher Sagen-
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 281
Nun finden sich in den Eddaliedern vereinzelte Spuren vor, die mau
als erneute, zweite deutsehe Sageneinflüsse zu erklären ])flegt^). Aus
ihnen kann unter Umständen auch hie und da etwas für den Stand
der nds. Sage Belangreiches erschlossen werden. Gripisspa 43 be-
richtet deutscher Sagendarstellung gemäß, welcher natürlich auch die
nds. folgte,' Sigurds und Gunnars Hochzeit sei zusamnicn in Gjükis
Sälen gefeiert worden. Auf Grund hievon darf das Cap. 22G der ^s.
als unter nordischen Einwirkungen entstanden betrachtet werden.
Die Träume der Kriemhilt im Nibelungenlied av. I sind zwar von
der rs. weggelassen worden, aber fanden sich höchst wahrscheinlich
in den nds. Liedern vor, was aus Volsungasaga Cap. 25 zu ent-
nehmen ist.
Wenn so die nordischen Quellen (ridrekssaga) einer kritischen
Sichtung bedürfen, ehe sie zur Gewinnung des Inhaltes der nds. Lieder
verwerthbar werden, so können anderseits auch die rahd. Werke
nicht ohne Weiteres als Repräsentanten der im 11. Jahrhundert leben-
den süddeutschen, nach Norddeutschland verpflanzten Sage gelten.
Eigenartige Neuerungen sind in Abzug zu bringen. Als eine solche ist
zu betrachten die Geschichte vom Hort der Nibelunge undfseiner
Erwerbung, wie sie im Nibelungenlied und im Biterolf dargestellt wird.
W. Müller') hat überzeugend nachgewiesen, daß die Sage von Nibe-
lunc und seinen Söhnen Schilbunc und Nibelunc und damit von dem
Volke der Nibelungen, das Sigfrid beherrscht, späterer Bildung ist.
Nibelungen heißt das fränkisch-burgundische Königsgeschlecht der
Gibichungen, und daher leitet sich der Ausdruck: Hort der Nibe-
lungen. Dazu ist ein Heros eponymos und sein Volk gebildet worden.
Die Erwerbung des Hortes durch Sigfrid ist ein indisches Märchen^),
das ziemlich spät in die Sage Eingang fand, und zwar in die süd-
deutsche im 11. oder 12. Jahrhundert, nicht schon in die altfränkische.
Die rs. und wahi'scheinlich auch die niederdeutsche Sage erwähnen
einfluß bezeichnet werden; denn die dabei allein in Frage kommende nds. Spielmanns-
dichtung deckte sich ja mit dem Nibelungenliede, und demnach müßten wir den
Bericht des letzteren in den nordischen Quellen wiederfinden. Die Berechtigung,
Sigurds Tod draußen im Freien, beim fingritt als sehr alt in der Edda annehmen
zu dürfen, ist hiedurch erwiesen. Von späterer deutscher Entlehnung kann keine
Rede sein.
') Meine Abhandlung über die Nibelungensage p. 486 ff.
') Mythologie der deutschen Heldensage 56/60.
') Im Tuti nameh (Papageienbuch) ed. Rosen II, 249 ; Weiteres Kathä-sarit-sägara,
übersetzt von Tawney I, p. 14 Anm.
GERMANIA. Nene Eeihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 19
282 W. GOLTHER
zwar nichts davoD. Trotzdem scheint für die letztere bereits dieselbe
vorausgesetzt werden zu müssen, wie unten ausgeführt wird.
Als eine Abweichung des Nibelungenliedes ist bereits der Um-
stand geltend gemacht worden, daß Sigfrid Brünhilt in Worms für
Günther bezwang, ohne sie zu berühren, obwohl dies eigentlich wider-
sinnig ist. Denn an Brünhildes Jungfrauenthum ist ihre Stärke ge-
knüpft. Doch bricht im Nibelungenlied auch eine ältere Auffassung
in halbvei'wischten Spuren hervor. Beim Zanke sagt Brünhilt, als sie
Sigfrid und Günther zum ersten Male gesehen habe, also auf ihrer
Burg Isenstein selber, sei des Königs Wille an ihrem Leibe geschehen
(Str. 820):
ich liort' si jehen beide, do ih s' aller erste sach,
und da des küneges wille an mime libe gescach.
Damit stimmt rs. Cap. 228 u. 229 überein. Der Stammvater der Bur-
gundenkönige hieß Gibich; daher führten die Nibelungen auch den
Namen Gibichungen (im Altnord, und in der deutschen Spielmanns-
dichtung). Dagegen nennt das Nibelungenlied an Gibichs Stelle
Dancrät, die Ps, Irung und Aldrian. Also beide stimmen darin überein,
daß sie den richtigen alten Namen durch einen jüngeren und unrich-
tigen ersetzen. Dieser Zug kommt bereits ihren gemeinsamen Vor-
lagen zu. Das Lied vom hürnen Seyfrid' ist hochwichtig, weil es
über Sigfrids Jugendschicksale in den Strophen 47 — 48, 1 — 11 jeden-
falls die alte Sage gewahrt hat, die sonst in hochdeutschen Quellen
gänzlich verschollen ist. Dagegen ist der übrige Inhalt auf seinen
Werth zu prüfen '). Daß Sigfrid Herr des Zwergenvolkes wird und
ihren Hort gewinnt''), geht auf die jüngere Sjige von den Nibelungen
als dem hortbesitzenden Zwergvolke zurück. Nybling hinterläßt drei
Söhne, von denen nur der dritte, Eugel, bei Namen genannt ist. Sie
entsprechen Nibelunc, Schilbuuc und Alberich, der sich ihnen als
Bruder zugesellt. Wie Alberich besitzt Eugel die Tarnkappe; wie
dieser greift Eugel allein thatkräftig in die Handlung ein, während
von den anderen nur die Namen genannt werden. Doch ist diese
„Nibelungensage" im Seyfridsliede umgebildet. Ungeschickt stehen die
Strophen 13 — 15 und 38 im Zusammenhang. Überhaupt wird bereits
von Anfang an das Zwergenvolk als Seyfrid unterthänig gedacht,
obwohl er erst mit dem Gewinn des Hortes (134 — 138) Gewalt über
') Vgl. nunmehr hierüber meine Ausgabe des Hürnen Seyfrid S. XIX ff.
nach einzelnes von hier Bemerktem zu berichtigen ist.
') Vgl. namentlich Strophe 1.3—15; 38; 134—138.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 283
dasselbe gewinnt. Wir haben es demnach mit einer in Verwirrung
gerathenen Anwendung der Sage des Nibelungenliedes zu thun. Trotz-
dem liegt derselben eine alte richtige Auffassung zu Grunde: der
Gewinn des Hortes knüpft sich noch an den Drachen-
kampf, nicht an das im Nibelungenlied verwerthete indische Mär-
chen. Vgl. Strophe 165 (ähnlich auch 140):
nun het er zwen gedancken, den ein aufF Kuperan,
den andern auff den wurme, welcher den schätz het glan.
er meynt in het gesamlet der wurm nach menschen witz,
wenn er würd zu eym menschen, thet er den schätz besitz.
Dieser alte Sagenzug veranlaßte für das Seyfridslied die Umgestaltung
der späten Hortsage. Die Lieder im 11. Jahrhundert haben jedenfalls
noch den Hergang in dieser Weise berichtet. Die Ps. weiß allerdings
in Cap. 166 nichts mehr davon, so wenig wie das Seyfridslied 1 — 11.
Der Satz rs. Cap. 359 „Sigvrdr sveinn atte mikit gull, })at fyrst er
hann toc vndan [jeim mikla dreka" dürfte sich eher aus der nordi-
schen Sage erklären als aus den niederdeutschen Liedern. — Nach
den Strophen 107, 108, 130, 131 des Seyfridliedes gibt es nur ein
Schwert, mit welchem der Wurm überwunden werden kann. Dieser
Zug gehörte bereits der ältesten fränkischen Sage an; auch im Nor-
dischen erhält Sigurd das Schwert Gram zu dem bestimmten Zwecke,
Fäfnir zu tödten. Nachmals aber ging dieses Schwert unter die
Wunschdinge über, welche Sigfrid mit dem Horte erhielt'). Wie der
Hort vom Drachenkarapfe getrennt ward, so verlor auch das Sciiwert
seine besondere Bedeutung. Die Sage des Nibelungenliedes weiß von
keinem Schwert mehr zu erzählen, das dazu nöthig war. Auch im
Seyfridsliede zeigt sich beim ersten alten Wurmkampfe (Str. 6 — 11)
keine Spur mehr davon, da ja die neue Hortsage bereits Eingang
fand. Die ridrekssaga Cap. 166 schließt sich genau an die Darstellung
im hürnen Seyfrid au; zum Kampfe braucht Sigurd kein Schwert.
Wohl berichtet Cap. 167, Mimir habe ihm Gram gegeben, aber darin
') Bereits in der ältesten Sagenform war vielleicht beim Dracheuhort ein
Schwert und ein Helm (Hrotti, cegishjälmr, gullbrynja in den Fafnismäl). Das Schwert
war aber da ganz bedeutungslos, es zählte eben unter die Kleinodien des Hortes.
Um so leichter war nachmals die Anknüpfung: unter dem Schwerte des Hortes wurde
das Sigfridsschwert (Gramr oder Balmunc) verstanden. Übrigens läßt das Erscheinen
von Schwert und Helm beim Horte auch eine andere Deutung zu, nämlich daß wir
in dieser so vereinzelt stehenden Prosastelle zu dem Fäfuismäi , die durch nichts als
alt erwiesen wird, eine späte deutsche Eutlehuung anzuerkennen haben, wodurch
wiederum das Vorhandensein der jüngeren Hortsage für die uds. Lieder eine Stütze
erhält.
19*
284 W. GOLTHER
zeigt sich nordische Sageneinwirkung, gerade so ungeschickt und
äußerlich herbeigezogen wie das Roß Gräni. Gramr hätte Sigurd genützt,
den Kampf zu bestehen, Gräni, um zu Brynhild zu reiten. Aber
der Verfasser der Saga erzählt zunächst die Thaten seines Helden, und
erst nachher erhält derselbe Schwert und Pferd. Es liegt auf der Hand,
daß eine halbwegs vernünftige und organisch entwickelte Sage der-
artige Verkehrtheiten nicht zu Tage gefördert hätte, daß wir also die
nds. Quellen nicht dafür verantwortlich machen dürfen. Die nds. Sage
hatte wie die des Nibelungenliedes beim Drachenkampf die Bedeutung
des Schwertes vergessen, die nordische Sage dagegen hatte das Richtige
gewahrt, und dieses ist unverständig vom Verfasser der Saga am
unrechten Orte wieder eingefügt worden. Wenn aber die nds. Quellen
der I's. sich in diesem einen Zuge an die Form des Seyfridliedes an-
schlössen, so müssen sie auch in den übrigen dadurch bedingten
Änderungen mit dem letzteren übereingestimmt haben. Das Fehlen
des Schwertes setzt das Vorhandensein der jüngeren Hortsage voraus,
obwohl in der Ps. selber die letztere sonst nirgends erwähnt wird.
Das indische Märchen war also bereits in die nach Norddeutschland
gewanderten Lieder eingedrungen. In Bezug auf den Hort ist aber
auch in der nds. Sage eine eigenthümliche Weiterbildung erfolgt.
Die älteste Sage (Atlakvida 28) berichtete, daß der Nibelungen Hort
in den Rhein versenkt ward, und ebenso das Nibelungenlied und
das Seyfridslied (Str. 167). Dem gegenüber weiß die I*s. Cap. 393.
423 — 427 Anderes über den Verbleib desselben zu melden. Er wurde
in Sigfrids Keller verborgen, und Attila starb, indem er dort ein-
creschlossen wurde. Nach Ausweis der dänischen (die Hven'sche
Chronik vermittelt den Inhalt eines solchen) und fseröischen Lieder^)
gehört diese Erzählung der nds. Sage an, nicht etwa der ts. Wir haben
es also mit einer späten Neuerung zu thun, die wahrscheinlich nicht
auf die süddeutschen Lieder zurückgeführt werden darf, wenigstens
nicht in ihrem gesammten Umfang. — Die Handlung des Seyfridliedes
ist sonst ganz klar und gibt zu keinen weiteren Bemerkungen Anlaß.
Sie stimmt in der Hauptsache zu dem, was wir auch aus dem Nibe-
lungenlied erfahren: Sigfrid kennt seine Eltern; er gewinnt den Hort
von den Zwergen; er wird erschlagen, als er sich zur Quelle nieder-
beugt. Ausführlicher ist nur die Jugendgeschichte behandelt; neu
hinzugetreten ist die Befreiung der Jungfrau aus der Gewalt des
Drachen und damit einige Änderungen an der Geschichte des Hortes.
') Über die nordischen Sigurdlieder vgl. Ztschr. für vergleichende Litteratur-
geschichte, N. P. II, 269—297.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 285
Dagegen ist in dieser Spielmannsdichtung von Sigfrid noch eine ältere
Sagenform in vereinzelten Überresten erhalten, nach welcher Sigfrid
seine Eltern nicht kannte (Str. 47—48), Sigfrid ein Schwert erhielt,
um den schätzehütenden Drachen zu tödten (Str. 107 — 108 und 165),
endlich Sigfrid erschlagen wurde, als er im Walde unter einer Linde
ausruhte (so in dem Seyfridsliede, das dem Hans Sachs vorlag) ^).
In Bezug auf das erste dieser drei Merkmale folgten die nach Nord-
deutschland gewanderten Lieder der alten Sagenform: Sigfrid wuchs
auf, ohne seine Eltern zu kennen (t*s. Cap. 154 — 161); in den zwei
letztgenannten dagegen enthielten sie die jüngere Sage. Daß das
Nibelungenlied und von ihm beeinflußt wohl auch das Seyfridslied
Sigfrids Jugend in der Weise einer Umgestaltung unterzogen, daß
er wenigstens sein Geschlecht weiß, hängt mit dem Bestreben zu-
sammen, die Geschichte des jungen Helden den Anschauungen eines
feineren Zeitgeschmackes gemäß darzustellen. Aber alt imd echt ist
nur der Bericht der rs. und der beiden Strophen des Seyfridliedes^).
Wir können demnach den Stand der Nibelungensage in Süddeutsch-
land für die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts aus einer Vereinigung
der mhd. und der nds. in dänischer und norwegischer Sprache auf
uns gekommenen Quellen nach Abzug der auf beiden Seiten anzu-
erkennenden eigenartigen Neuerungen mit ziemlicher Sicherheit be-
stimmen: Sigmund, König im Frankenland, hatte eine schöne Frau,
Siglind, Sighers Tochter. Als er einst auf einer Heerfahrt abwesend
war, da suchten zwei Grafen Siglind zur Untreue zu verführen. Da
ihnen dieses nicht gelang, verleumdeten sie Siglind bei ihrem Gemahl,
als er heimkehrte, sie habe sich mit einem Knechte vergangen. Im
Zorne befahl er, sie in einen wilden Wald zu führen und dort um-
kommen zu lassen. Der eine der Grafen wollte sie retten; da ent-
brannte ein Kampf unter ihnen. In diesem Augenblick gab die Königin
einem überaus schönen Knaben das Leben; sie wickelte ihn in Tücher
und verschloß ihn in ein Glasgefäß, das sie mit sich führte. Beim
Kampfe stieß der eine der Grafen mit dem Fuße nach dem Glas-
fasse, so daß es hinab in den Rheinstrom rollte. Die Königin Siglind
aber starb vor Schrecken (ts. Cap. 252 — 161). Nun trieb das Gefäß
mit dem Kinde den Fluß hinab; an einer Klippe am Ufer zerbrach
es, und der Knabe weinte. Da kam eine Hindin und säugte ihn und
') Vgl. meine Abhandlung p. 478 ff. und ^ meine Ausgabe des Hürnen Seyfrid
s, xxni f.
') Auch Edzardi, Germ. 23, p. 88 hält die Darstellung der ps. von Sigurds
Geburt für die ursprünglichste, hat aber die Begründung nicht mehr ausgeführt.
286 W. GOLTHER
trug ihn heim zu ihrem Lager (rs. 163). Mime der Schmied fuhr
eines Tages zum Wald, um Kohlen zu brennen. Da lief ein wunder-
schöner Knabe auf ihn zu, der konnte nicht sprechen. Mime nahm
ihn bei sich auf, da er keine Kinder hatte, und beschloß, ihn als
seinen Sohn aufzuziehen, und gab ihm den Namen Sigfrid. Sigfrid
war wild und unbändig und schlug die Schmiedgesellen. Bei der
Lehre erwies er sich so überkräftig, daß er den Amboß in die Erde
schlug. Da sann Mime nach, wie er seiner ledig würde. Er sandte
ihn in den Wald, um Kohlen zu holen, und hoffte, der dort hausende
Wurm werde ihn tödten. Aber Sigfrid erschlug den Wurm und ver-
brannte ihn; aus dem Fette, das davon floß, gewann er seine Horn-
haut (t*s. Cap. 164 — 166, Seyfridslied 4 — 11). Nun zog Sigfrid in die
weite Welt. Auf seinen Fahrten vernahm er, woher er stammte, und
wer sein Vater und seine Mutter sei (Seyfridslied 47 — 48; rs. 168;
als uralt bezeugt durch die Gripisspa). Da gewann er auch den Hort,
den der alte Nibelunc seinen Söhnen hinterlassen hatte, das Schwert
und die Tarnkappe. An dem Hofe zu Worms, im Nibelungenland,
entspann sich sein Verhältniß zu Grimhild und ihren Brüdern. Diese
waren Günther, Gislher, Gernot, ihr Oheim Hagen, der, übernatür-
licher Herkunft, von einem Alben erzeugt war. Sigfrid zog mit
ihnen aus, um die Königin Brünhilt für Günther zu gewinnen. Er
bestand die Kämpfe für Günther (Nibelungenlied) ; in der Nacht brach
er Brünhildes jungfräuliche Stärke, daß sie Günther völlig willfährig
war (ts. Cap. 229; Nibllied Str. 820). Ein Fest zu Worms beschloß
Günthers und Sigfrids Hochzeit. In der Königshalle brach der Streit
der Königinnen aus, und so ward Sigfrid von Hagen erschlagen, als
er sich zum Trinken zu einer Quelle niedergebeugt hatte. Was den
zweiten Theil, der Nibelunge Not, anlangt, so ist es unnöthig, den
Hergang zu besprechen. Das Nibelungenlied und die nds. Lieder
befinden sich hier in allen wesentlichen Punkten in völliger Überein-
stimmung. — Bemerkenswerth an dieser Sagengestalt ist, daß König
Sigmund am Leben bleibt, obwohl er in die Handlung gar nicht mehr
eingreift. Übrigens ist seine Theilnahme an den Ereignissen im Nibe-
lungenlied auch auf äußerliches, völlig bedeutungsloses Auftreten be-
schränkt. Wir könnten ihn leicht missen, ohne daß dadurch der
geringste Eintrag geschähe. Von einer Verlobung Sigfrids und Brün-
hildes oder auch nur von einer Begegnung weiß die Sage von 1100
nichts. Es ist also ganz falsch, wenn man annimmt, daß im Nibelungen-
liede eine frühere Begegnung vorausgesetzt werde und diese in den
Vorläufern des mhd. Gedichtes noch in ungeschmälertem Umfang zu
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 287
Tage getreten sei. In der vorhergehenden Dichtung fand sich nicht
eine Spur davon. Brünhilt überlebte Sigfrid (1*8. Cap, 427; auch in der
Klage empfängt sie die Trauerbotschaft). Die niederdeutschen Lieder und
die mhd. Gedichte haben an der Sage nur Weniges geändert, am meisten
jedenfalls das Nibelungenlied durch das Fallenlassender Jugendgeschichte.
Einer älteren süddeutschen Sage gegenüber, die noch trümmerhaft in
Spielmannsliedern hervortritt, geht die norddeutsche und süddeutsche
Form in Bezug auf gemeinsame Neuerungen zusammen. In die Thätig-
keit des Verfassers der I'idrekssaga eröffnet sich uns ein lehrreicher
Einblick. Sicherlich hat er stellenweise seine niederdeutschen Vorlagen
fast wörtlich übersetzt. Dies läßt sich namentlich dort erkennen,
wo dieselben Lieder in dänische Weisen übergingen, wie bei Dietrich
und seinen Gesellen*). An anderem Orte dagegen verfuhr er auf die
freieste Weise, und vornehmlich bei der Nibelungensage. Im zweiten
Theil kürzte er vielfach, weßhalb seine Darstellung im Vergleich zu
der des Nibelungenliedes lückenhaft erscheint. Nach Ausweis der
dänischen Weisen fällt dieser Vorwurf nicht auf die nds. Quellen.
Daß er im Aligememen norwegische Sitten schilderte und sich in
dieser Hinsicht freier den letzteren gegenüberstellte^), ist klar. Döring
räumte ihm auch ziemlich viel Freiheit ein. In besonderem Maße
aber trifft dies bei der Geschichte Sigurds zu. Hier ließ er nicht
bloß Vieles weg (z. B. die Kämpfe um Brynhild, die Sage vom Hort),
sondern er versuchte die einheimische norwegisch-isländische Sage
mit der niederdeutschen zu verschmelzen, iheils dadurch, daß er nur
in äußerlicher Weise nordische Züge einflociit, iheils aber auch, in-
dem er ganz neue Scenen erfand, wie Sigurds Begegnung mit Bryn-
hild. Die Verhältnisse liegen hier scheinbar veiwickelt; sie lösen sich
aber leicht, wenn man mit aller Strenge sich bemüht, einerseits die
nordische und anderseits die deutsche, d. h. nord- und süddeutsche
Sage sich vorzuhalten. Von diesem Standpunkt aus, der einzig und
allein zur Lösung der Geschichte unserer Heldensage führt, zeigt sich
aber sofort, was auf einer Vermischung der beiden beruht, die einstens
freilich von derselben Wurzel, der altfränkischen Sage, entsprungen,
nach so verschiedenartigen Schicksalen und Wanderungen nach Norden
und Süden im 13. Jahrhundert in der fidrekssaga wieder zusammen-
trafen. In Betreff der eigenartigen Darstellung der Nibelungensage in
der ts. kommt auch der Umstand in Betracht, daß ihr Zusammen-
') ^g'« Svend Grundtvig, Danmarks gamle folkeviser IV, p. 623-678.
*) Stoim, Nye studier p. 317.
288 W. GOLTHER
hang zerrissen wurde und ihre Abschnitte stückweise an verschiedenen
Stellen berichtet wurden, wodurch natürlich die Einheit und der ruhige
Fluß der Erzählung merkliche Einbuße erlitt. Man denke sich in ent-
sprechender Weise im mhd. die Handlung des Nibelungenliedes in die
Dielrichsdichtungen als eine Episode eingerückt; Lieder wie die vom
Rosengarten nehmen einen festen Platz in Sigfrids Geschichte ein.
Auch hier würden gewiß Unzuträglichkeiten genug entstehen und die
Klarheit der Geschichte empfindlich getrübt werden; und zumal, wenn
ein solches Unternehmen nicht einmal von einem auf diesem Gebiete
wohlgeübten Dichter ausgeführt wird, sondern von einem Ausländer
die Gesammtmasse des Stoffes zu einer umfassenden Erzählung, theil-
weise mit eigener Erfindung ausgeschmückt, verai'beitet wird. Der
Schöpfer der ridrekssaga erhielt die nds. Stoffe etwa in ähnlicher
Art, wie unsere mhd. Spielmannsdichtungen geordnet. Dietrich war
der Mittelpunkt; aber nur lose schließen sich die einzelnen Sagen an
ihn an. In der Absicht der ridrekssaga lag es , alles Einzelne unter
diesem Hauptgesichtspunkte zu vereinigen. Wenn man aus der t*s.
die nds. Quellen loslösen will, so müssen diese Eigenthümlichkeiten
des norwegischen Verfassers zunächst in Abzug gebracht werden;
hierauf ist die niederdeutsche Sage auf ihren Inhalt mit Rücksicht auf
etwaige Zuthaten zu prüfen; dann erst wird sich die Zusammen-
stellung mit dem mhd. Gegenstück fruchtbringend erweisen. Gewiß
wird aus einer genaueren Einzelbetrachtung der übrigen Stoffe auch
noch manches Licht auf die Arbeit des Sagaschreibers fallen, die sich
jedenfalls in der Nibelungensage am eigenartigsten bewährt.
In meiner Abhandlung über die nordische und deutsche Gestalt
der Nibelungensage habe ich im Nordischen mehrere Schichten von
einander geschieden. In der ältesten, nur noch trümmerhaft vorhan-
denen Form, die im 9. Jahrhundert, gleich nach der Entlehnung,
herrschend war, zeigte sich sehr große Übereinstimmung mit der
unserer süddeutschen Quellen , während später die Neuerungen platz-
griffen, welche der jüngeren Form in den isländisch-norwegischen
Quellen ein so verschiedenes Aussehen verliehen, welches man fälsch-
licherweise als uralt und einstens auch den deutschen Quellen zu
Grunde liegend betrachtete. Auch im Deutschen bemerken wir in
vereinzelten Spuren noch eine ältere Überlieferung, welche sich
von der unserer ausführlichen Berichte des 13. Jahrhunderts in nordi-
scher und deutscher Sprache sehr wesentlich unterschied, dagegen
vielfach mit den ältesten nordischen Zügen sich deckt. Natürlich ist
die Annahme ausgeschlossen, als hätten wir es auf beiden Seiten mit
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 289
Ansätzen und Keimen zu neuer Entwicklung zu thun. Vielmehr be-
weist gerade diese merkwürdige Übereinstimmung die Richtigkeit unserer
Auffassung. Meine früheren Ausführungen waren negativer Art; sie
bezweckten an erster Stelle den Nachweis, daß die sogenannte nordische
Form nicht die Quelle unserer süddeutschen sein kann. Nun soll Positives
beigebracht werden, nänilicii wie die altfränkische Sage beschaffen war,
welche die Grundlage für die nordische und die deutsche Sagenentwick-
lung abgab, und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert liat. Die
fränkische Sage kann am ehesten und sichersten aus einer Ver-
gleichung der ältesten nordischen und deutschen (d. h. natür-
lich hier süd- oder hochdeutschen, im Gegensatz zur ursprünglichen
altfränkischen) Form erschlossen werden. Zu diesem Behufe war es
nöthig, zu bestimmen, was auf beiden Seiten jüngere Bildung ist.
Da wir bereits mehrfach an der Sage des 11. Jahrhunderts ent-
schiedene Neuerungen bemerkten und auch für's 10. Jahrhundert
solche in einer besonderen Richtung anzuerkennen hatten, so wird
es nicht sehr schwer halten, mit Hilfe des in der Spielmannsdichtung
Überlieferten und nach Abzug eben dieser Neuerungen zu einer älteren
deutschen Sage vorzudringen. Die Jugendgeschichte Sigfrids war
ebenso geschildert wie in der Sage von 1100, d. h. Sigfrid kannte
seine Eltern nicht, bis ihm später auf seinen Fahrten Kunde von
seinem Geschlechte ward'). Der Schmid Mime zog den Knaben auf.
Er schmiedete ihm ein Schwert (Balmunc oder Gram), damit er einen
Wurm erschlüge, der einen unermeßlichen Schatz hütete (Seyfridslied
Str. 107—108, 165 = nordische Sage. Vgl. auch Be6wulf 888, wo
der Wurm liordes hyrcle genannt wird). Hierauf erfuhr er, daß er
aus dem Geschlecht der Wälsunge stamme (Seyfridslied Str. 47 — 48
= Gripisspä). Trotzigen Muthes zog Sigfrid an Gibichs Hof, um ihm
sein Reich abzugewinnen, das jener als Preis eines Zweikampfes aus-
') Die Berechtigung, den Bericht der J>s. und der Sage von 1100 über Sigfrids
Jugend als uralt, bereits der fränkischen Sage angehörig zu betrachten, ergeben auch
allgemeine Erwägungen. Ist es wahrscheinlich, daß einmal Sigfrid seine Eltern kannte,
daß in einer späteren Zeit ohne Grund die Darstellung der ps. entstand, nachmals
aber wieder fallen gelassen wurde? Dagegen begreift man leicht, wie die Sage dazu
kam , den ältesten Bericht zu verändern. Außerdem spricht der Umstand entschieden
für unsere Annahme, daß gerade auf fränkischem Boden die Genovefa-Legende ganz
besonders verbreitet war und mehrfach in der afz. Dichtung in den verschieden-
artigsten Werken oft vielfach umgebildet zum Vorschein kommt, z. B. in Berte aux
grand pieds und im Tristan (Brangaene); vgl. Weiteres bei Svend Grundtvig, Dan-
marks gamle folkeviser I in der Einleitung zu Ravengaard og Memering, besonders
p. 197 ff.; und Zacher, die Historie von der Pfalzgräfin Genovefa p. 27 ff.
290 W. GOLTHER
gesetzt hatte'). An Gibichs Hofe am Rhein, bei den burgundisch-
fränkischen Nibelungen, den Königen Günther, Giselher, Godomar und
ihrem von einem Alben erzeugten Stiefbruder Hagen wurde er mit
Guntrun vermählt. Er zog aus, um für Günther die Brtinhilt zu ge-
winnen. In diesem Abschnitte der Sage ist die jüngere Form der
älteren ziemlich getreu geblieben. Von Hagen ward Sigfrid erschlagen,
als er unter einer Linde ruhte. Seine Gattin eilte auf die Kunde hin-
aus zum Todten und klagte um ihn (Hans Sachs =: Brot af Sigurdar-
kvida 5 — 7, 9; Gudrünarkvida II, 4—12). In der ältesten deutschen
Sage vor dem 10. Jahrhundert fielen für den zweiten Theil, den Unter-
gang der Nibelunge, alle die in Süddeutschland entstandenen Neue-
rungen weg, also Rüedeggr, Volker, die Einzelheiten der Fahrt zu
Etzels Hofe. Damit sind wir denn auch mit ziemlicher Sicherheit zum
Stande der altfränkischen Sage vorgedrungen. Als eine spätere Ände-
rung, die vielleicht bereits auf fränkischem Boden stattfand, wäre die
Umgestaltung des zweiten Theiles der Sage anzuerkennen, wenn
Guntrun-Grimhild dort sich an ihren Brüdern rächte, wogegen die
auf fränkischem Gebiet verbliebene Sage, welche im 9. Jahrhundert
von den Nordleuten übernommen wurde, die ursprüngliche, mit den
sagengeschichtlichen Verhältnissen sich deckende Form beibehielt.
Doch ist nicht ausgeschlossen, daß Grimhild als Sigfrids Rächerin
eine spätere deutsche Dichtung ist und der fränkischen Sage stets
ferne blieb. Besondere Berücksichtigung erfordert noch die Bezwin-
gung der Brünhilt für Günther, wie sie von der ältesten Sage etwa
aufgefaßt wurde. Es läßt sich erwarten, daß die Sage von 1 100 keine
Änderungen vornahm; Brünhildes Stärke mußte zuerst in den Wett-
kärapfen, dann in der Brautnacht gebrochen werden. Erst dann wurde
sie zur fügsamen Frau. Beide Thaten kamen nach der Spielmanns-
dichtung Sigfrid zu. Und dieser Zug entspricht wohl auch dem Ur
sprünglichen. Gerade darin liegt der ärgste Trug, der Brünhilde an-
gethan wird, und so erklärt sich ihr tödtlicher Haß Sigfrid gegen-
über. Auch die älteste nordische Sage wußte, daß Brynhild durch
Kämpfe bezwungen wurde. Doch in der Brautnacht legt Sigfrid sein
Schwert zwischen sich und Brynhild. Die Sitte des Schwertlegens
begegnet in Märchen, und vornehmlich in Dichtungen, die auf fränki-
schem Boden erwuchsen, so im Tristan und in Amis et Amiles. Die
Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß erst im Norden dieser Zug
') Vgl. Edzardi, Germ. 26, p. 172 — 176, welcher aus Stellen im Rosengarten,
dem Nibelungenlied und in einzelnen Spuren der nordischen Sage einen solchen Her-
gang vermuthet.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 291
in die Sigfridsage gekommen ist; aber walirscheinliclier gehörte er
der entlehnten fränkischen bereits an. Das Verhältniß der deutscheu
Sage zur fränkischen ist damit bereits bestimmt. Das Alte ist ziemlich
treu gewahrt geblieben. Zwar traten mit der Zeit natürlich Ände-
rungen ein; im 11. Jahrhundert sieht schon Vieles ganz anders aus
als im 9. oder 10. Jahrhundert; und noch weiter stehen die Gedichte
des 13. Jahi'hunderts ab. Jedoch ist niemals eine von Grund aus
umbildende Umgestaltung eingetreten. Dazu fehlt die Veranlassung.
So sind die hochdeutschen Heldendichtungen treue Widerspiegelungen
der fränkischen Lieder. Wenn dem so ist, so fragt sich nur, was älter
ist: daß Sigfrid die Knmpfjungfrau bezwang und zum Beweis seiner
Erwerbung mit ihr das Lager theilt, ohne sie zu berühren, oder ob
auch diese letzte Bezwingung ihm zukam, wie es im Deutschen er-
zählt wird. Im einen Fall wäre ein ursprünglich edler gedachter Zug
verwildert und verroht, im anderen dagegen zu Gunsten einer höheren
Denkart gemildert worden, und Beides ist möglich. An sich betrachtet
ist es etwas befremdlicii, wenn Sigfrid Günthers Rolle spielt uml ihm
gänzlich gleichen soll , und dabei das Schwert zwischen sich und die
Braut legt, deren Verdacht hierdurch doch jedenfalls wachgerufen
werden mußte, was gewiß im Sinne der Handlung eher zu vermeiden
gewesen wäre. Doch ist darin kein vollkommen zwingender Beweis für
die spätere Entstehung der Sage vom Schwertlegen bedingt. Ich ver-
mag vorerst hier kein bestimmtes Urtheil zu fällen; doch ist vielleicht
etwas anderes aus dieser Scene zu lernen, nämlich daß bereits im
Fränkischen Doppelberichte vorhanden waren, wie dann auch in Be-
zug auf den zweiten Theil der Sage, Grimhildes oder Guntruns Rache;
bei einer mehr als hundertjährigen Entwicklung ist das kein Wunder;
und weiterhin , daß dadurch auch einzelne Abweichungen der deut-
schen und nordischen Sage erklärt werden, welche bis in die älteste
Gestalt auf beiden Seiten zurückzuverfolgen sind. Denn die fränkische
Quelle, aus der die süddeutsche Sage floß, war nicht genau eben
dieselbe, aus der die nordische stammt, vielmehr sind sie wohl zeitlich
und örtlich getrennt gewesen und dadurch eröffnet sich nicht bloß
die Möglichkeit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, daß Einzel-
heiten, eventuell auch ganze Scenen, wie der Schluß verschieden
waren, während jedoch das Gesammtbild und namentlich die Auf-
fassung der Sigfridsage völlig gleichartig war und nur die nachmaliji^e
Entwicklung auf oberdeutschem und isländisch-norwegischem Boden die
bis in die tiefsten Grundlagen der Sage eindringenden Umwandlungen
hervorrief, die uns aus einer Vergleichung der beiderseits im 13. Jahr-
hundert und noch später niedergeschriebenen Quellen hervortreten«
292 W. GOLTHER
In Island und Norwegen waren die Schicksale der fränkischen Sage
völlig verschieden. Das neue Aufblühen des altheidnischen Glaubens
im 9. Jahrhundert, die Mythen und Dichtungen, welche die Wikinger-
zeit hervorgerufen, zogen Alles in ihren Bannkreis, und so prägte
sich ein neuer Geist allem dorthin Gewanderten mit unwiderstehlichem
Zwange auf. Zumal die isländischen Helden- und Götterlieder sind
Beispiele dafür; sie sind in ihrer Gesammtheit eigentlich vollkommene
Neuschöpfungen, und die verschiedenartigsten Elemente sind darin
aufgenommen. Man würde fehl gehen, wollte man eines der darin ent-
haltenen Bestandtheile allein betonen und für die Erklärung und Deu-
tung maßgebend werden lassen. Die nach Island gewanderten Nor-
weger sind die Schöpfer jener Werke; so sind sie rein norrön in der
Auffassung und Ausführung, aber von wesentlichstem Einfluß sind
die Eindrücke und die Entlehnungen , welche die westfahrenden
Wikinger in Hülle und Fülle in sich aufnahmen. So finden wir in
den isländischen Sagen, vornehmlich den Eddaliedern, alte nor-
wegische Sagen, die aus der Heimat hinübergeführt wurden, aber
daneben auch deutsche, englische, keltische (gaelische), und Bestand-
theile antiker und christlicher Anschauungen und Werke. Eine Dich-
tung, aus so viel verschlungenen Wurzeln erwachsen, verdient unsere
Aufmerksamkeit in hohem Maße; aber man muß sich ihre Entstehung
und Entwicklung immer vor Augen halten, um davor bewahrt zu
bleiben, falsche und unhaltbare Schlüsse auf ein derartiges isländisches
Werk zu bauen, was bisher immer geschehen ist. Die altfränkische
Nibelungensage ist auf Island einer durchgreifenden Umgestaltung
unterzogen worden, theils durch Vermischung mit norwegischen, älteren
Sagen, theils durch das Eindringen des Odin- und Valhollglaubens;
und diese Umarbeitung hat stetig bis ins 13. Jahrhundert zugenommen,
so daß schließlich die alte Gestalt in einer Weise verändert wurde,
daß es überhaupt schwer hält, sie wieder aufzufinden, indem vor-
sichtig die neu hinzugekommenen Stücke entfernt werden. Sigfrids
Geschichte hat vornehmlich solche Zuthaten in Menge erhalten. Die
Geschichte seiner Geburt ist aufgegeben , auch in der ältesten für
uns erreichbaren Form. Wie bereits bemerkt, blieb jedoch Gripir
stehen, der, ursprünglich bestimmt Sigfrid über seine Herkunft auf-
zuklären, am Ende ein langweiliges Inhaltsverzeichniß seiner Lebens-
geschichte vorzutragen hatte. Sigmunds Tod und einzelne Züge in
Sigurds Jugend sind das Ergebniß einer Vermengung der Sigfridsage
mit der von Helgi. Die beiden Helgi der nordischen Sage, Helgi
HJ9rvardsson und Helgi Hundingsbani sind mit der Sigurdsage ver-
mischt worden. Des ersten Helgi Mutter heißt Sigrlinn (Siglint), wo-
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 293
gegen die Sigurds Hjordis; der andere Helgi ist ein V9l8ung, Sig-
munds Sohn und damit Sigurds Bruder. Helgi Hjorvardsson ist der
Rächer seines Muttervaters; daß Sigurds Zug gegen die Hundings-
söhne eine Entlehnung aus der Helgisage ist, wird kaum Jemand
leugnen wollen. Falls aber dieses anerkannt wird, muß nothwendig
auch noch Weiteres in Betracht gezogen werden. Sigurd rächt an
den Hundingssöhnen den Tod seines Vaters Sigmund. In der ältesten
süddeutschen Sagenform wurde nicht erzählt, daß Sigmund im Kampfe
gefallen sei; Sigmund trat gar nicht mehr auf, in die Geschichte Sig-
frids griff er nirgends thätig ein. Es ist kein Grund vorhanden, anzu-
nehmen, in der fränkischen Sage sei Sigmunds Fall und Sigfrids
Rache jemals dargestellt worden, die deutsche habe diesen Zug fallen
lassen, die nordische bewahrt. Im letzteren Falle müßte für das Nor-
dische jedenfalls Umgestaltung der Geschichte Sigmunds unter dem
Einfluß der Helgisage zugegeben werden. Wahrscheinlich ist Sig-
munds Fall und Sigurds Rache nordische Neüdichtung: wie Helgi
den Tod eines Ahnen (später Siglindes Vater) rächte, so wurde Sigurd
zum Rächer seines Vaters (Sigmund ist Siglindes Gatte, Sigher viel-
leicht ihr Vater gewesen, danach rächt Sigurd seinen Vater, nicht
wie Helgi seinen Muttervater), den Hundings Söhne erschlagen hatten.
Gerade an denjenigen Stellen, welche wir als nordische Zudichtungeu
in Sigmunds und Sigfrids Geschichte erkennen, greift Odin selber ein.
Der deutschen und fränkischen Sage war die Theilnahme der Götter
gänzlich unbekannt. Also muß zum Mindesten ihr Auftreten, meistens
aber auch die damit zusammenhängende Scene nordische Neudichtung
sein. Der Bericht der Volsungasaga von Sigmunds Tod geht auf
Lieder zurück, die reich an ausschließlich nordischen Zügen sind.
Sigmunds Werbung um eine reiche und schöne Königstochter stammt
allein aus der fränkischen Sage und vergleicht sich Pidrekssaga
Cap. 152 — 154. Sein Nebenbuhler ist Lyngvi, Hundings Sohn; mit
Wikingschiffen macht er einen Einfall in Sigmunds Land. Sigmund
fällt, weil Odin ihm seinen Speer entgegenhält, woran das alte Götter-
schwert zerspringt (Vols. Cap. 11). Da fahren dänische Wikinger an
und nehmen Hjordis mit sich; in Dänemark bei Alf wird Sigurd ge-
boren. Man merkt der Dichtung deutlich an, daß sie zur Zeit des
Odinglaubens und der Wikingerfahrten entstanden ist, also jedenfalls
so, wie sie in der Überlieferung steht, unmöglich fränkisch sein kann.
Ebenso verhält es sich mit Sigurds Wikingfahrt gegen die Hundings -
söhne, bei welcher ihm Odin erscheint. Die fränkisch-hochdeutsche
Heldensage wußte von Schwertern und Waffen zu rühmen, daß Schmiede
294 W. GOLTHER
von ausgezeichneter Bedeutung, wie Weland und Mime, sie geschaffen
hätten. Dagegen wurde in der nordischen erzählt, daß sie von den
Göttern stammten'). So stand in der fränkischen Sage, Mime habe
dem Sigfrid ein Schwert geschmiedet, damit er den Drachen tödte.
Die nordische Sage blieb dabei nicht stehen. Gramr wurde ein Erb-
stück des Volsungengeschlechtes, gleichwie das Tyrfingschwert der
Hervararsage, das Odin ihm verliehen hatte. Von der Vorgeschichte,
Sigurds Ahnen, sind nur die Abenteuer Sigmunds und Sinfjotlis frän-
kischer Sage angehörig, wie aus dem Beowulf hervorgeht. Das Übrige
ist fast durchweg nordisch. Es wird ja auch besonders viel von Odin
erzählt. So ist die fränkische Gestalt der Sigfridssage im nordischen
Gewände kaum wiederzuerkennen. Aber wir sehen deutlich, wo die
Umdichtung eingesetzt hat, während auf der anderen Seite es fast
unmöglich wäre, die fränkisch-deutsche Form aus der nordischen
abzuleiten. — Die Geschichte des Hortes ist im Norden ebenfalls
r
gänzlich erneuert worden; von den Wanderungen Odins, Hoenirs und
Lokis konnte die alte Sage nichts wissen. Dieser Theil ging gerade-
wegs in die nordische Mythologie des 9. und 10. Jahrhunderts über.
Die alte fränkische Sage wußte nur, daß Sigfrid dem Wurme einen
Hort abgewann. Das Nibelungenlied sagt vom Horte noch 1124:
der wünsch der lac darunter, von golde ein rüetelin.
der daz het erkunnet, der möhte meister sin
wol in aller werlde über ietslichen man.
Die goldene Wünschelruthe, die den Schatz mehrte und vor dem
Schwinden bewahrte, ist wohl mit Recht mit dem Andvaranautr zu-
sammengestellt worden^). Auch von diesem sagt Snorra Edda: Uz
mega oexla ser fe af hauginum. Grimm meint, die Wünschelruthe sei
an Stelle des Ringes getreten. Ebenso leicht kann das Umgekehrte
der Fall gewesen sein. Dem Nordischen liegt ein schätzemehrender
Ring besonders nahe, da Odin den Ring Draupnir besitzt, von wel-
chem jede neunte Nacht acht ebenso schwere Ringe abtropfen. Ethisch
vertieft wurde die Sache dadurch, daß der Ring, welchen Sigurd der
Brynhild gibt, der Andvaranautr ist. Was den Fluch anlangt, so ist
die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Hort von Alters her ver-
•j Vgl. z. B. Hyndluljdd 2:
bidjum Herjafodr i hugum sitja;
bann geldr ok gefr guU verSungu:
gaf hann Hermödi hjälm ok bryuju,
en Sigmund! sverd at })iggja.
') W. Grimm, Heldensage p. 386.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 295
wünscht war; sicherlicli ist aber dieses Motiv erst von der nordischen
Sage recht ausgebildet worden, wie auch sonst in uoidischen Ge-
schichten der einmal auf einen Gegenstand gelegte Fluch, z. B.
beim Tyrfingschwert sich durch Geschlechter hindurch erstreckt. Auf
zweierlei Art kam Odin in die Sage, mit dem Schwerte und mit dem
Hort, endlich auch mit der Valkyrje. Jede Gelegenheit, welche die
Sage für den Mythus zur Anknüpfung darbot, wurde ausgenützt, so
daß die nordische Form der Nibelungensage durchaus mythisch ist.
Aber alle die Mythen sind wiederum so ausschließlich nordisch, so
daß sie, abgesehen von allem Übrigen, unmöglich in die alte frän-
kische Form zurückgetragen werden können und damit das mytho-
logische Halbdunkel und alle darauf aufgebauten Folgerungen von
der letzteren ganz ferne gehalten werden müssen. Daß die nordische
Dichtung mit dem überkommenen Stoffe in freiester Weise geschaltet
hat, zeigt sich auch sonst, z. B. in der Verbindung der Ermanarich-
Sage mit der Nibelungensage, einer ausschließlich isländisch-norwegi-
schen Neuerung, zu welcher in den zu Grunde liegenden Vorlagen
nicht der geringste Anlaß gegeben war. — Die Vergleichung der
nordischen Nibelungensage mit der fränkischen lehrt wieder recht ein-
dringlich den Satz, der nicht genug betont werden kann, der die Vor-
aussetzung einer richtigen Einsicht in die gesammte deutsche und
nordische Mythen- und Sagengeschichte recht eigentlich begründet, daß
die Nordleute aus einfachen Keimen glänzende, neue und phantasie-
reiche Gebilde schufen. Es soll durchaus nicht in Abrede gezogen
werden, daß bei dieser Umwandlung, die alten Vorlagen zum Theile
sehr gewonnen haben und viel schöner und erhabener wirken als
zuvor; nur muß mit voller Offenheit und Klarheit anerkannt werden,
daß dieses Neue eine eigene Schöpfung des nordischen Geistes ist
und nicht des germanischen, und daß nimmermehr das ältere Ein-
fache aus dem Späteren, Großartigeren abgeleitet werden darf. Man
verwirrt mit einem solchen Versuche die Möglichkeit der klaren Er-
kenntniß der wirklichen Verhältnisse im stärksten Maße. Mit Recht
hat JMüllenhoff ') bemerkt, die wissenschaftliche deutsche Mythologie sei
die unumgängliche, noth wendige Vorbedingung der nordischen; das-
selbe gilt von der Heldensage. Aber der Grundsatz muß mit voller,
rücksichtsloser Entschiedenheit überall durchgeführt werden, die Aus-
scheidung des nordischen Elementes in größerem Umfang vorgenommen
werden, als Müllenhoff selber sich hiezu verstehen konnte. Wenn der
') Deutsche Literaturzeitung 11, 1224 f.
296 W. GOLTHER, NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc.
also vorgezeichnete Weg eingehalten wird, so leiten uns auch all-
gemeinere Erwägungen zu der Ansicht, daß er der richtige, zur Lösung
führende sein muß. Man hat fast immer in der Ursage möglichst viel
unterzubringen versucht, so daß sich das Erhaltene eigentlich nur als
trümmerhafter Überrest herausstellte. Eine Sage, eine Dichtung ist
aber keineswegs allezeit in beständig fortschreitendem Verfalle be-
griffen, vielmehr hat sie Leben, Blühen und Wachsthum, zumal so
lange sie in mündlicher Überlieferung sich erhält und noch nicht zu
dem von Abschrift zu Abschrift übergehenden Literaturwerk erstarrt
ist. So liegt unsere Aufgabe darin, den Kern herauszufinden, und
weiterhin zu untersuchen, wie er sich im Verlaufe veränderte durch
vielfache, in Zeit und Umständen belegene Anwüchse. Dadurch
gelangen wir zu einem Einblick in die wirkliche geschichtliche Ent-
wicklung. Es wäre sicherlich auch verkehrt, wollte man alles Schöne
und Ergreifende einer Sage allein in ihrer ältesten Fassung suchen
und damit die Möglichkeit ausschließen , daß bei späteren Weiter-
bildungen Verbesserung und Vertiefung des Gedankens ebensowohl
einmal glücklich gelang, als dieser anderseits auch verschlechtert
und verflacht werden konnte. Nordische Dichtungen aus deutschen
Stoffen verhalten sich wie künstliche, oft auch glänzend und schön
ausgeführte Paraphrasen eines einfachen Themas. Weiterhin ist eine
genaue Berücksichtigung jeder einzelnen Quelle von höchster Wichtig-
keit. Es genügt nicht, vom Inhalt allein auszugehen, diesen zusammen-
zustellen und so Wiederherstellungsversuche zu machen. Jede Quelle
muß zunächst sorgfältig für sich allein geprüft werden in Rücksicht
auf die Umgebung, der sie entstammt. Von welch großer Bedeutung
dies ist, lehren die nordischen Quellen auf Schritt und Tritt. Erst
dann darf mit dem also kritisch gesichteten Inhalte gearbeitet werden.
Die Kenntniß der einzelnen Quellen ist aber heutzutage in ungleich
besserer und verlässigerer Weise ermöglicht; und daraus ist natürlich
Vieles für das Ganze richtigzustellen, und oft sind neue Erklärungsver-
suche an Stelle älterer, verfrühter zu setzen. — Für die hier vertretene
Auffassung über die Entwicklung der Nibelungensage darf wohl auch
der Umstand sprechen, daß die Geschichte der Verwandlungen, welche
die alte Sage erfuhr, in logisch richtiger Gliederung uns vor Augen
tritt. In den meisten Fällen sehen wir, warum und auf welche Art die
Veränderungen erfolgt sind, und wie sie das ältere umgebildet haben.
Auf diese Vorgänge fiel bei der Ansicht, welche die deutsche Form
aus der nordischen erklärte, kein Licht. Räthselvoll blieb, warum
dieser oder jener Zug auf einmal verschwand, diese oder jene Zuthat
FRANZ JOSTES, ZUR FRECKENHORSTER HEBEROLLE. 297
hinzukam. Sicherlich beruht bei der lebendigen Dichtung Vieles auch
auf reinem Zufall und bloßer Willkür eines einzelnen Sängers, und
wir wUrden zu weit gehen, wenn wir für Alles und Jedes den Grund
ausfindig machen wollten. Aber so ganz blindlings ist darum das
Walten der in der Dichtung schöpferischen Kraft denn doch nicht,
und wo sich ungezwungen aus Zeit- und Orts Verhältnissen eine aus-
reichende Erklärung darbietet, wie in unserem Falle die Wikingerzeit
im besonderen Maße dies vermag, da ist sie gewiß auch die richtige;
die beste Gewähr für die Richtigkeit der Gesammtheit ist, wenn sie
durch das Einzelne Bestätigung findet, wobei unter Umständen auch
verschiedene noch nicht völlig klare Punkte aufgehellt werden.
MÜNCHEN, December 1888. WOLFGANG GOLTHER.
ZUR FRECKENHORSTER HEBEROLLE.
Es ist schon früher versucht worden, mit Hilfe einer Urkunde
des Bischofs Erpho von Münster vom Jahre 1090 ') das Alter der
Freckenhorster Heberolle zu bestimmen. Der Versuch ist als miß-
lungen von J. Grimm sofort abgewiesen worden^). Wenn ich nun
auch der Ansicht bin, daß Grimm im Rechte war, wenn er die bei-
gebrachten Gründe für nicht stichhaltig erklärte, so glaube ich doch
anderseits auch, daß die Urkunde an und für sich wohl mehr Licht
auf die Heberolle werfen könnte, ja daß sie durchaus die Ansicht
von Grimm's Gegnern über das Alter der Handschrift bestätigen würde,
wenn man sie, was noch nicht geschehen ist, mit dem Abschnitte
504 — 534 der Heberolle in Vergleich stellte^). Ich habe diesen Ver-
such durchgeführt, allein je näher ich dem Ende kam, desto mehr
überzeugte ich mich davon, daß ebenso wie die Stiftungsurkunde
auch diese eine Freckenhorster Fälschung sei und ich somit in die
Luft gebaut hatte. Herr Archivar Dr. Ilgen hatte die Güte, daraufhin
das Original zu untersuchen und kam dabei zu dem Ergebnisse, daß
die äußeren Verdachtsgründe ebenso stark seien wie die inneren.
Anordnung, Schrift, Pergament und Siegel stimmen nicht zu den
übrigen Erpho'schen Urkunden und weisen eher nach Freckenhorst
*) Erhard, Cod. diplom. bistoriae Westfaliae I, S. 129 flf.
') Kleine Schriften V, S. 1 ff.
') Ich citiere die Heberolle nach der Ausgabe von Heyne: Kleinere altnieder-
deutsche Denkmäler. 2. Aufl. Paderborn 1877.
GERMANIA. Neae Reihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 20
298 ■ FRANZ JOSTES
hin. Damit verliert sie zunächst jede Bedeutung *) für die Datierung
der Heberolle. Aber da sie immerhin noch in die erste Hälfte des
12. Jahrhunderts fällt, so ist sie doch nicht ganz unbrauchbar, viel-
mehr gibt sie uns einen Fingerzeig für die richtige Erklärung des
Abschnittes 505 — 534, des dunkelsten in der ganzen Heberolle^). Ich
hebe hier gerade die Stelle heraus, welche sämmtliche drei dunkeln
Worte in sich schließt:
In anniversario sancte T/nedhüdis tö then neppenon, anJe to then
almdson ande to themo inganga thero iungerono tive malt.
Der Abschnitt 505 — 545 fällt, um das zunächst zu bemerken,
aus dem Charakter einer Heberolle insofern heraus, als hier nicht
Einkünfte, sondern Ausgaben, und zwar außerordentliche Ausgaben
{äne the rehton pravendi) der Abtei zum Besten der Stiftsmitglieder
verzeichnet werden.
Jacob Grimm hat sich mehrfach über die angeführte Stelle aus-
gesprochen^), ohne zu einer bestimmten Entscheidung zu gelangen:
„Wüßte man deutlich , was hier ^Jungeron'''' und was ihr .^ingang^^
bedeutet! .. Sind das Novizen, ihr ingang die Reception?" ....
Friedländer nimmt dies an^ Heyne dagegen erklärt im Glossare:
„jungero Jünger, Schüler, Klosterschüler" und „ingang, Eingang,
Antritt".
Grimm hat schon bemerkt, daß bei einem Damenstifte höchstens
an Schülerinnen gedacht werden könne. Ob wir dann weiter aber
„Schülerinnen" oder „Novizen" übersetzen, ist bei der Identität der
Begriffe gleichgiltig. Allein auch diese Übersetzung trifft das Richtige
nicht; ich glaube nur das Wort „Junfer" nennen zu brauchen, um
wenigstens die Möglichkeit einer dritten Übersetzung darzuthun. Sie
ist indeß nicht nur möglich, sondern die einzig mögliche. Schüler
können nicht gemeint sein, Schülerinnen oder Novizen ebensowenig;
denn der ingang thero iungerono fand ungefähr dreißig Male im Jahre
statt. Nun gab es aber im 15. Jahrhundert erst neun Pfründen für
') Den schulgerechten Nachweis für die Unechtheit beizubringen muß ich den
Diplomatikern von Fach überlassen.
*) Eine kleine Berichtigung, welche die Untersuchung ergab, möge hier doch
eine Stelle finden. Friedländer, Codex Traditonum Westfalicarum I, 8. 21, und ihm
folgt Heyne, nimmt eine dreifache Entstehungszeit der Handschrift an. Das ist irrig;
bis De imperatore Heinrici hat dieselbe Hand geschrieben, von da ab eine andere,
nicht viel jüngere. Wilmaus (Kaiserurkunden S. 404) hat die ganze Handschrift dem
12. Jahrhundert zugewiesen, dabei muß es auch nach der Ansicht Ilgens sein Bewenden
haben.
^) a. a. O. V, S. 1 fiF.; VI, S. 352 ff.
ZUR FRECKENHORSTER HEBEROLLE. 299
haushaltende Stiftsdamen '), und mehr hat auch die frühere Zeit nicht
gekannt^). Demnach liönnen unmöglich dreißigmal im Jahre neue
Mitglieder aufgenommen worden sein. Ziehen wir aber zunächst das
Wort ingang in die Untersuchung hinein !
Der „Eingang" fand an folgenden Tagen statt: in Adventu^
Nat. Dom., Joh. Evang., in Octava, in Epiphania Doniini, in anni-
versario abbatisse Thiedhiidis, in Puriüc. 8. i\Iarie, in Coena Domini,
in Pascha, in Invent. S. Crucis, in Ascens. Dom., in Pentecoste,
Bonifatii, Joh. Bapt., Petri et Pauli, assumptionis et nativitatis Sancte
Marie, Michaelis, Aeonii et Antonii, Cosmt^^ et Damiani, Maximi,
Omnium Sanctorum, [MartiniJ, Andree^).
Diese Anordnung nach dem Kalenderjahre rührt nicht von mir
her; ich habe sie aus der angeblichen Urkunde Erphos entlehnt, die
in der Angabe der Feste bis auf Martini mit der Heberolle (wo es
fehlt) übereinstimmt. Es ist interessant zu sehen, wie diese Feier
hinzugekommen ist. In einem Verzeichnisse des Goldenen Buches
(14. Jahrh.) *) heißt es: „/u vigilia heati Martini per agetur memoria
episcopi Erponis, qui dedit, ut dicitur, conventui officium de
Warfenhorst.'^ ^) In Wirklichkeit war dieser Tag der Todestag des
Bischofs*'), aber ihn im Jahre 1090 zu bestimmen, liätte doch wohl
schwer fallen dürfen!
Er ist der einzige Bischof, dessen Gedächtniß feierlich mit einem
Schmause begangen wurde, und er hatte das wahrhaftig um die Nönnchen
verdient !
Bei der Übereinstimmung der Festtage darf man schon ver-
muthen, daß auch die übrigen näheren Angaben zu einander stimmen,
d. h. daß dieser Theil der Urkunde den betreffenden Passus der Hebe-
rolle in anderer Form bietet.
Nun handelt es sich in der Urkunde um eine Erleichterung der
Lebensweise der adeligen Dämchen, die von der Äbtissin gar zu strenge
behandelt wurden. Bei dem immer mehr anwachsenden Reichthum
1) Friedländer n. a. 0. S. 182, Anm. 2.
^) Nordhofif, Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler der Provinz Westphalen II,
S. 101. Nordhofif gibt als ursprüngliche Zahl der Stiftsdamen zwölf an.
') Von den sonst wenig bekannten Heiligen Maximus, Aeonius und Antonius
hatte das Stift im Jahre 861 durch Schenkung des Bischofs Liutbert von Münster
Reliquien erhalten.
■•) Herausgegeben von Friedländer a. a. O. S. 63 ff.
*) ibid. S. 102.
*) Er starb am 9. November 1097; vgl. Erhard, Regesta historiae Westfaliae.
S. 210. Charakteristisch ist der in „ut dicitur" liegende Zweifel an der Schenkung.
20*
300 FRANZ JOSTES
des Stiftes fühlten diese die Einfachheit der Beköstigung um so drücken-
der. Mit Hilfe des guten Bischofs Erpho, der eine Mitleid erregende
Schilderung ihrer erbärmlichen Lebensweise gibt, wurde dem ab-
geholfen und Alles in Bezug auf Speise und Trank bis in die Einzel-
heiten geregelt. In Bezug auf die oben genannten Tage heißt es nun
in der Urkunde:
Unde inito in commune consilio tempora constituimus , videlicet in
Adventu etc. cum plenum datur servicium septem fercida, cum
pleniter non datur qtdnque dari, ad C^nam^) vero genus cihi quod
vulgo struna dicitur.
Es werden hier zwei verschiedene servicia unterschieden, plena
und non pJena. Auch die Heberolle unterscheidet, insofern sie bald 4
bezw. 6 Müdde, bald l'/a oder 2 Malter Korns ansetzt.
Was ist nun unter servicium zu verstehen? Es ist das, was der
Convent an jenen Tagen „awe the rehton pravendi"' von der Äbtissin
zu beanspruchen hatte. Präbenden sind nach klösterlichem Sprach-
gebrauch die Bezüge aus Küche und Keller; diese waren an jenen
Tagen besonders reichhaltig und, was hier noch wichtiger ist, sie
wurden in der Abtei, am Tische der Äbtissin verabreicht. Ein Ver-
zeichniß aus der Mitte des 16. Jahrhunderts^), in dem die einzelnen
Speisen und Getränke genau vorgeschrieben sind, zeigt deutlich genug,
daß an diesen Tagen die Äbtissin die Junfern zu sich in die Abtei
lud und sie dort bewirthete^). Was auf diesen ingang thero iungerono
verwendet werden mußte , das ist es, was die Heberolle feststellt.
War es zu wenig oder wurde Abbruch daran gethan? Genug, die
Tendenz der Urkunde ist es, hier ein- für allemal genaue Bestim-
mungen zu geben.
') So ist zu schreiben, nicht cenam.
^) Abgedruckt bei Friedländer a. a. O. S. 149 fif. Der Herausgeber setzt das
Stück ins 16. Jahrhundert; dagegen spricht schon die Schrift. Die Sprache aber —
es ist ein Mischmasch von Hoch- und Niederdeutschem — läßt eher auf die zweite
als auf die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts schließen.
^) Daß im Laufe der Zeit mannigfache Veränderungen vorkamen, liegt auf der
Hand. Der Grund dafür, der in dem Aufkommen neuer kirchlicher Feste, in neuen
Stiftungen, in Verlegungen u. s. w. liegt, ist fast überall noch zu erkennen. Bis-
weilen ist die Abweichung nur scheinbar und findet ihre Erklärung in der Kürze der
alten Aufzeichnung, welche mit der Zeit immer mehr ins Einzelne geht. Der Heraus-
geber hat freilich den Zusammenhang der einzelnen Stücke nicht erkannt, aber auf-
merksam gemacht kann ihn doch keiner verkennen. Daß in der Urkunde ebensowenig
wie in der Heberolle der Kirchweihetag genannt ist, läßt wohl darauf schließen, daß sie
vor Einweihung der jetzigen Stiftskirehe (1129) entstanden sind. Der frühere Tag ist
nicht bekannt, steckt aber doch wohl in einem nach dem Heiligen bezeichneten Tage.
ZUR FRECKENHORSTER HEBEROLLE. 301
Nachdem nun festgestellt ist, daß ingang die Bewirthung der
Junfern bedeutet, und da das Almosen der Bewirthung der Armen
diente, so liegt es nahe, bei to thai neppenon an eine ähnliche Be-
stimmung zu denken. Gegen wen konnte die Äbtissin sonst noch Ver-
pflichtungen haben? Gegen die „Herren", Canoniker, Pastoi-e, Vicare.
Heyne erklärt im Glossare: „Die /mippena, welche zum Weih-
nachtsabend, am Feste der heil. Thiadhildis, der Schutzpatronin des
Stiftes, zu Ostern und zu Pfingsten stattfanden, können nur geistliche
Spiele und Umzüge gewesen sein, für die die Zinspflichtigen Gerste
zur Bierbereitung lieferten." Von diesen Worten steht kaum eines
auf festem Fuße. Zunächst ist die Zahl der Tage falsch angegeben;
es sind Coena Domini, Inventio S. Crucis ') und Omnium Sanctorum
übersehen (vgl. Heyne S. 82, Z. 516 f.). Die Spiele müßten also nicht
vier-, sondern siebenmal im Jahre stattgefunden haben. Dann steht
nirgends, daß die Zinspflichtigen dieses Korn lieferten, und ebenso-
wenig irgendwo, daß es zur Bierbereitung verwendet wurde'). End-
lich sehe ich auch nicht ein, weßhalb hnippena nicht auch Näpfe sein
können. Ich bin im Gegentheil sogar der Ansicht, daß es nur Näpfe
sein können, freilich Näpfe in einer anderen Form als unsere jetzigen.
Das unserem Abschnitte der Heberolle entsprechende Verzeichniß
des 16. Jahrhunderts hat zu all jenen Tagen, wo dort to tken nep-
penon sich findet, den Zusatz „Heildienst". Die weniger ausführliche
Aufzeichnung des 14. Jahrhunderts, wie auch die Erpho'sche Urkunde,
unterscheiden nicht im Besonderen; es war das ja auch allgemein
bekannt. Aber nach der Urkunde gab es zu den Heildiensten zwei
Gänge mehr als zu den Halbdiensten, und im 16. Jahrhundert wurde
zu diesen Festen ein Ochse geschlachtet, während man sonst ein
Rindchen (risehiter) nahm, oder gar sich mit Fleisch „aus der Peckel"
begnügte. Was hier aber wichtiger ist: an jenen Tagen erhielten
nach der Aufzeichnung des 14. Jahrhunderts die Junfern una crathera
vini^)\ an den Halbdiensten mußten sie sich mit dimidia crathera
begnügen. Doch auch hiermit dürfte die unverhältnißmäßig große
Ausgabe noch nicht genügend erklärt sein. Aber in eben dieser Auf-
zeichnung ist vorher (Friedländer S. 101) bemerkt: „Quandocunque
') Im 14. Jahrhunderte finden sich statt dessen zwei Halbdienste, für die Vigil
und den Tag selbst. An der Vigil wurde das Gedächtniß des Stifters Everword be-
gangen. Die Theilung hat demnach wohl der Ausbildung der Stiftungslegeude ihren
Ursprung zu verdanken.
') Es sind bloße Werthbestimmungen.
') Friedländer a. a. O. S. 103 f.
3Ö2 FRANZ JOSTES, ZUR FRECKENHORSTER HEBEROLLE.
conventui dahitur plenum servicium, tunc canonici dehent procurari lauta
et honesta procuratione in mensa domine ahhatisse''^ ; und in der Auf-
zeichnung des 16. Jahrhunderts heißt es zu allen Heildiensten „Heren
zu gaste^^. Da nun die Zahl der Herren mindestens sechs betrug, also
hinter der der Junfern nicht weit zurückblieb, so kann man sich
wohl denken, daß an diesen Tagen das Weinfaß der Äbtissin ein
Loch bekam, zu dessen Ausfüllung es wohl eines Malter Korns be-
dürfen mochte.
Ich glaube demnach, daß wir in den cratherae des 14. Jahrhs.
die neppena des 12. Jahrhs. zu sehen haben. Freilich wird im Mnd.
Wb. keine Stelle angeführt, in der nap Becher, Pocal bedeutet, allein
damit ist nicht bewiesen, daß das Wort im Niederdeutschen die Be-
deutung auch nicht gehabt habe. Es möge hier eine Stelle für das
Gegentheil angeführt sein. Röchell erzählt in seiner Chronik (c. 1600)
von dem Bischof Werner von Münster [1132 — 1151J, daß er jährlich
ein Fuder Wein für die Domherren und Andere und einen „silberen
7iap uberhen verguldet'"'' gestiftet habe. „Daruf steidt die historie von
S. Pauioel mit verheben bilderen; und wordt noch heuthe zu dage ge-
nompt S. Paulus nap; man Jean darin gedoen ungeferlich vif orth tveins. ')
Dieser Pocal ist verschwunden, aber auch der Pocal des hiesigen
Großen Kalands, den jedes Mitglied bei seiner Aufnahme stehend in
einem Zuge leeren muß, führt noch jetzt den Namen „A'ap". Der
Deutung der neppena als Poeale dürfte demnach kaum noch etwas
entgegenstehen. Daß die Ausgabe speciell zur Weinspende für die
„Herren" bestimmt war, möchte ich auch noch daraus schließen, daß
in der Heberolle auch der Grtinedonnerstag angeführt ist; im 14. Jahr-
hunderte bekamen an diesem Tage die Junfern noch keinen Wein,
während es von den Herren heißt: „In cena Domini ad mandatum
(Gastlocal) domina abbatissa ministrabit canonicis et clericis suis species
propinando eisdem dabit e^c."^) Für die Schwestern wurde die Wein-
frage auch erst nach der Entstehung der Heberolle durch die Urkunde
geregelt; bis dahin hatten sie ,^minus quam indigerent^^ erhalten, dafür
yjVilissima cerevisia, nulli fere quam indigentissimo potabilis''^ . Doch
kommt es darauf auch so sehr nicht an. Meine Übersetzung der
oben angeführten Stelle würde also folgendermaßen lauten:
„Am Gedächtnißtage der heil. Thiadhild für die Weinpoeale (der
Herren) und für Almosen und für den Besuch der Junfern zwei Malter."
MÜNSTER in Westfalen, FRANZ JOSTES.
') Geschichtsquellen des Bisthumes Münster III, S. 199 fl".
') Friedländer S. 105.
FRANZ KRATOCHWIL, ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND etc. 303
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER
SUCHENWIRT - HANDSCHRIFTEN.
Mit zwein großen, bisher imbekannten Ergänzungen zu Suchenwirt's Gedichten.
IV. c.
Vielleicht kann uns C, die Papierhandschrift der Wiener Ilof-
bibliothek Nr. 10100' (Rec. 2201 nach der Eintragung auf der Innen-
seite des Vorderdeckels) darüber Aufschluß geben. — Die Ecken der
beiden Deckel und der Rücken sind mit Pergament überzogen ; letz-
terer trägt ein ächwarzes Schild mit der Inschrift in Goldbuchstabcn :
Varia Poetica Coli. A O ^) A. Fernberger.
Christoph Adam Freiherr von Fern b er g gehörte dem
aus ölittelfranken stammenden Geschlechte der Fernberger an; der
Name rührt von dem in der Nähe von Ansbach gelegenen Stanim-
hause Fernberg. Ulrich Fernberger trat um 1470 in die Dienste des
Erzherzogs Sigismund von Tirol ; sein Sohn Johann ging nach Oster-
reich und kaufte sich 1531 Herrschaft und Schloß Egenberg in
Oberösterreich, wonach er und sein Geschlecht sich in der Folge
nannte. 1535 wurde er mit seinem ganzen Mannesstamme von König
Ferdinand I. mit dem Erbkämraereramte in Osterreich ob der Enns
belehnt. Sein Enkel ist Karl Ludwig Fernberger zu Egenberg, Hoch-
haus und Messenbach, Herr der Herrschaften Sitzenberg (im politi-
schen Bezirke St. Polten, also nicht sehr weit von Neiden-
stein) und Fahrafeld in Niederösterreich. Obwohl Lutheraner wurde
er 1615 Regimentsrath in Niederösterreich. Aus seiner ersten 1594
geschlossenen Ehe stammten zwei Söhne ; der ältere ist der Urheber
dieser Handschrift, Christoph Adam Fernberger von und zu Egenberg,
Herr zu Wiernitz (jetzt Wüinitz im Gerichtsbezirke Korneuburg) in
Niederösterreich. Die Nachrichten über ihn lauten dürftig. Er lebte
der Wissenschaft und Kunst; dafür spricht deutlich genug sein hand-
schriftlicher Nachlaß. Audi dichterisch versuchte er sich, wie u. A.
aus C f. 164" zu ersehen ist. 1650 — 1656 war er niederösterreiehischer
Ritterstands-Verordneter; obwohl zweimal vermählt, hinterließ er keine
Kinder. Sein Bruder Christoph Karl war schon vor ihm aus dem Leben
geschieden; mit seinem Stiefbruder Christoph Ferdinand, der General
und Oberst eines kaiserlichen Regimentes war, starb 1671 der letzte
männliche Sprosse dieses Geschlechtes (vgl. Hoheneck a. a. O. 3. Bd.,
S. 159—164 und Wissgrill a. a, O. 3. Bd., S. 31-36).
•) Es soll richtig heißen C, wie schon aus pag. 139 des 6. Bandes der Tabulae
codicum zu ersehen ist.
304
FRANZ KRATOCHWIL
Christoph Adam Freiherr von Fernberg ist der Urheber von C
oder, nach dem Schilde und 6. Bande der Tabulae codicum, der
Sammler. Diese Bezeichnung ist aber keineswegs dahin zu ver-
stehen, als ob die sechsundvierzig Theile der Handschrift, nahezu
ausschließlich Dichtungen^) des Mittelalters und der
Neuzeit in deutscher, aber auch in lateinischer Sprache,
durchaus Originale wären, welche Fernberg gesammelt und zu
einem Bande vereinigt hätte. Gleich die ersten zwölf Nummern sind
es nicht, sondern sie sind Abschriften einer umfangreichen
Handschrift aus dem Jahre 1402, die ich im Folgenden N
nenne. Aber gerade sie erregen unser Interesse, 'da unter ihnen
zehn Suchenwirtische Gedichte vorkommen; es sind folgende:
P r i m i s s e r's
Zählung
Von Blatt . . .
der Handschrift
bis Blatt . . .
Überschriften der Gedichte
IV
XXXIV
XX
f. 1"— 6'''
f. 6"— 7'
f. 7''— 10"
Von Herczog Albrechts Ritter] ^)schaflft
in Prewssenland | Anno Dni M'CCCL
XXVII {SclmörM).
Von der Fürsten taylüng in | Oster-
reich Herzog Albrecht | vnd Herzog
Lewppolt.
Von Fünf Fürsten von dem von Maylan |
Von Marchgraf Sigmund von Karlur |
Von Herczog wilhalm von Osterreich |
vnd von Herczog Lewppold von Oster-
reich {ScJmörkeT}.
') Die Prosa ist nur durch wenige Stücke vertreten. — Zu den jüngsten Theilen
des Codex dürfte wohl Nr. 32 (f. 178'') gehören: „Chürzweilige Soldatenlieder ....
so deß Herrn Oberst (?)-Leidenambt Fernbergerß Musterscbreiber gesungen hat ....
1645." Diese Mittheilung wird sich auf Adams Bruder Christoph Karl beziehen,
welcher kaiserlicher Oberst und wn 1636 bis an seinen Tod im Jahre 1653 General-
Landoberstlieutenant im Erzherzogthum Österreich unter der Enns war.
') Die Handschrift zählt 242 Blätter in Folio. Eine Blattzählung ist oben
rechts mit Blei angebracht und stammt aus neuester Zeit; a bezeichnet die vordere,
b die rückwärtige Seite. Allerdings finden sich hie und da oben Zahlen von
alter Hand, aber diese beziehen sich nicht auf die Paginierung, sondern sind
Nummern, womit einzelne Theile der Handschrift schon vor ihrer Vereinigung zu
diesem Bande bezeichnet waren, die somit nicht immer gerade fortlaufend sind.
') Die senkrechten Striche bezeichnen die Brechung der Überschrift in zwei
oder mehrere Theile.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 305
Primi sser's
Zählung
Von Blatt .. .
der Handschrift
bis Blatt . . .
Übers chriftcn der Gedichte
10
XXXV
XXXVII
XIX
XLV
XLIII
XXXVI
f. 10*— 11"^')
f. 23''— 25"")
f. 25" — 26'^
f. 26''— 27''
f. 27^^—29"
f. 29"— 29''
f. 30"— 30''
Von Hl i brecht seeligeu • | Von
Österreich.
Von zwayn Päbsten.
Von der Fürsten Chrieg | vnd von Reich-
stetten.
Daz ist die Red uon dem | Teychner
darnach und er | gestorben ist
Ein Red uon der hübschen Lug.
Die red haii;t der fromd Siii | Vn ist
mit vercherten worten | da< merkht
ye an der leczten Silben , die antwort
irm genoi;!?en hinder sich vnd für sich
vnd I ist geticht chrewczweys.
Die Red haii^t der vmbgecherte Wagen
38 bis 56 abgesetzte Verse, die meisteu mit großen
Buchstaben beginnend, bilden eine Columne auf jeder Seite.
Sowohl der Text wie die Überschriften sind mit schwarzer Tinte
geschrieben, die Überschriften durchaus mit größeren Zügen, und
zwar hat eine Hand die Überschrift zu Nr. 1 und die sechs ersten
Verse dieses Gedichtes lateinisch cursiv, von f. 23'" — 30*" die Über-
schriften lateinisch cursiv, den Text nahezu ausschließlich deutsch
cursiv geschrieben; eine zweite Hand schrieb von V. 7 auf
f. 1' — ll** Text und Überschriften gothisch. So schön diese
Schrift ist, gar Manches, namentlich die großen Buchstaben, lassen
die jüngere Hand leicht erkennen. — Während aber bis f. 11
undeutlich geschriebene Wörter äußerst selten begegnen, läßt die
Schrift von f. 23'' an^ was Deutlichkeit betrifft, viel, stellenweise
wie in Nr. 8, sehr viel zu wünschen übrig: nicht nur a und e,
auch r und t, p und / sind zuweilen mit Sicherheit nicht zu unter-
scheiden.
*) Darauf folgt f. 11°— 17*": Die Chünigiu von Frankreich | hat ge-
ticht ein varunder man | der hie? Schöndoch und f. 17'' — SS*": Die Redt
hai^t Ots vnd hat | geticht maister Chunrad von Wircz | purckh.
') Fol. 24''' wurde durch Versehen zwischen f. 30 und 31 gebunden.
306 FRANZ KRATOCHWIL
Die Schreibweise der Handschrift erinnert vielfach
an B, wenn auch C im Ganzen, besonders von f. 23^ an, einen
Jüngern Eindruck macht. Was S. 235 über den Gebrauch der Ma-
juskel im Innern der Verse, die Anwendung des Dehnungs-Ä. {hegehrt,
loerthen-C 3" und 6"^ = P IV 278 und 567 u. ö.) und die Vorliebe von
z und cz für tz gesagt wurde, gilt auch von C. An Inconsequenz
lassen es auch die Schreiber von C nicht ganz fehlen ; so begegnen
unter Andern in Nr. 1 V. 131, 133, 180, 187, 240, 241, 249 und 487,
in Nr. 4, V. 33 u. s. w. die Eigennamen mit kleinen Anfangsbuchstaben.
Im Gebrauche der Haken jedoch zeigt unsere Hand-
schrift einen auffallenden Unterschied im Vergleiche zu
B. Wie in unserer Schreibart findet sich in C ober dem u ein Ring-
lein (" ^ '^) und die Umlaute des kurzen und langen a ^), o und u
werden durch zwei darüber gesetzte Punkte oder Striche (" ' " auch
^) angedeutet und dies so allgemein, daß man dort, wo in einem
der beiden Fälle die Bezeichnung unterblieb (z. B. chunig in Nr. 3,
fursten C 25"^ = P XXXVU, 13 u. ö., fromd C 29^ im Titel' von Nr. 9)
ein Versehen der Schreiber annehmen darf Sonst finden sich Haken
nur sporadisch angewendet, z. B. geschlechte C 7" =: P XX 2,
set = scet C S'' = F XX 75 (ähnlich im V. 167), chrum C 6" = P
XXXIV 11, tüilchs (A lauechs) C 29"^ = P XLIII 59, stdrt C 30" = P
XXXVI 67, wuchsen (= üe) C 26* = P XXXVII 71, wymel 0 2" =
P IV 187 u. ö. (die Punkte auch schief übereinander). Man sieht
daraus, daß die Schreiber es geflissentlich unterließen, ihrer alten
Vorlage in der Wiedergabe der Haken getreu zu folgen. Wo letztere,
wie in den obigen Beispielen, sich dennoch finden, sind sie ihnen bei
dem mechanischen Abschreiben gegen ihren Willen raitunterlaufen.
Daraus erklären sich umgekehrt aber auch Fälle, in denen wohl der
Haken weggelassen, aber das Zeichen für den Vocal nach der den
Schreibern geläufigen Art zu transscribieren vergessen ward, wie be-
ruren {= üe) C P = P IV 33, ivtichsen {= uo, ue) C 28'^ = P XLV 27
usw., yder C 4* = P IV 320 u. ö. Geradezu störend ist in Nr. 9, 65
die Schreibweise Süchenwirt, da nach dem ausgesprochenen Plane
dieses Gedichtes die Umkehrüng der letzten Silbe auf treib reimen soll.
Darnach kann es nicht Wunder nehmen, daß sich in C Bezeich-
nungen von Halbdiphthongen durch Haken auffallend wenig, von
Svarabhakti gar nicht finden. Für erstere ließe sich anführen:
') Vereinzelt findet sich wele : schrete (=: 05) C 8*" = P XX, 98 und ee = ce:
seeligen C 10* im Titel zu Nr. 4.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-IISS. 307
ü = u' C 7*^ und 8" = P XX 11 und 101 chümer und lyürg, vielleiclit
noch e* = e* C 2'' = P IV 183 glesein (das nach A richtig cjlefen
heißen soll). Bezugs der Svarabhakti macht es für das erste den
Eindruck, als ob die Schreiber sich vollkommen ablehnend dagoi:;en
verhalten hätten, denn in C vermißt man selbst Svarabhakti, die in
A durch e oder i gegeben sind, so C 2» = P IV 104 Cherg, C 27" =
P XIX, 71 Kirchen, sogar solche, die metrische Geltung haben, wie
C 3" = P IV 264 gern, C 7" und 9" = P XX 14, 158 ernst und sfern,
C 2"'' = P IV 133, 192 perchtold und arbeit. Aber dagegen linden sich
in C einige, wenn auch wenige Svarabhakti, die A nicht hat, so
Marschalich C 4" — P IV 317, und in Nr. 8 V. 27 Mar ichfeit mit metri-
scher Geltung. Statt arm (richtig arem) in A hat C Nr. 6 = P
XXXVII 34, 39, 54, 102 armen.
Ebenso sparsam sind die Unterscheidungszeichen ange-
wendet; acht von den zehn Überschriften folgt ein Punkt (vgl.
S. 304 f.), desgl. dem letzten Wort in der Schlußzeile von Nr. 5 — 10.
Der Schreiber der ersten vier Nummern hingegen setzt nach dem
letzten Worte zwei Punkte und dazwischen einen Strich (•/.).
Der Gebrauch der Abkürzungszeichen ist nicht nur gegen-
über A, sondern selbst im Vergleiche mit B sehr beschränkt. ^ wird
nur für auslautendes er gebraucht (zuweilen vergessen , wie in Nr. 1
V. 34 gancz, 131 dain = der ain u. s. w.), ~ für e vor l, n und r (C 7''
= P XXXIV 123 manchn, C IP' = P V Ul himlreich , C 26" = P
XXXVII 80 Eier), für fehlendes w und m (dieste C 27" :=r P XIX 45,
Sitt. im Titel von Nr. 9; in manige C 2'' = P IV 155 wurde das Ab-
kürzungszeichen für auslautendes m vergessen); vm noch nach alter
Weise für und. oder unde.
Nach alledem erscheint es nicht auffällig, wenn in C auch die
Sprachformen vom Drange zu modernisieren nicht ganz unberührt
geblieben sind. So sucht man Formen mit auslautendem t in der
3. Person Pluralis im Indicativ des Präsens vergebens; neben loas
zeigt sich auch C ll^'rrrP V 144 icar; die gut österreichische Form
des Präteritums leioff^) von A wurde in C 29" == P XLIU 47 durch
lief ersetzt, hingegen wurde C 28'' = P XLV 83 leuffet beibehalten.
Die 2. Person der Einzahl im Ind. des Prät. starker Verba muß sieh,
so schwer dies geht, Umänderungen gefallen lassen; so hat C in der
') Vgl. Antou Schönbach, Erstes Stück der Mittheihingen aus altdeutschen
Handschriften, Wien 1878, Separatabdruck S. 7 und Zeitschrift für deutsches Alter-
thum und deutsche Literatur, 20. Band (1876): Über einige Breviarien von
St. Lambrecht S. 187 ff.
308 FRANZ KRATOCHWIL
Rede vom Teichner V. 84 du gepört (A gepaer). Veraltet scheinende
Präterita starker Verb a sollen schwache Form annehmen; so heißt es
in der Rede auf den verstorbenen Herzog Albrecht III:
Silber und gold er ringe wagt
und gab
manigem Eitler, der da p klagt
der rai:^. V. 65 ff.
seh für anlautendes s begegnet noch nicht häufig (schlecht, schlug C 3*"
= P IV, 209, 295 u. s. w.) ; von soln werden stets Formen mit anlauten-
dem s verwendet; mancher findet sich nur vereinzelt (C ö'" ;= P IV 452).
In diesen drei Punkten zeigt sich Übereinstimmung mit B (vgl. S. 238),
desgl. auch in der Abneigung, b für w zu setzen; Beispiele finden
sich allenthalben, besonders auffällige in Nr. 9. Von zehn Reimstö-
rungen in diesem Gedichte rühren sieben von dieser Abneigung. So
lautet V. 4 geb : iveg, V. 8 sib : tvis, V. 30 wag : gab, V. 53 tvar : Rab,
V. 57 iver : reb, V. 65 Süchenwirt : treib und V. 66 wol : lob. — P.
IV 131 hat nach A Hainreich, C 2" Hainrich, für das in A durch den
Reim auf pran gesicherte prewtigan bringt 0 3*" = ? IV 264 prewtigam,
T = 'P XXXIV 105 leczten (A lesten) und 2V' = P XIX 92 nühn (A
nu). Nebenbei erwähne ich den ausgedehnten Gebrauch von k (kk)
im Anlaut, besonders aber im In- und Auslaut für das in A so häufige
ch (kch, chk) , den Übergang von a in o (morner C 2*' = P IV 190,
volsche C 6*' = P XXXIV, 11) und von i in ü = u {C 1' = F IV, 7
Zieht ig).
Daß N der Sprache nach identisch mit A war, er-
sieht man deutlich aus C trotz der eben besprochenen
Änderungen; diese berühren somit den eigentlichen
Sprachcharakter von C nicht. Sie konnten und wollten
ihn gar nicht alterieren, denn sie gingen von Leuten aus, deren
Sprache, wie selbst mehrere der Änderungen bezeugen, dem öster-
reichischen Sprachgebiete angehörte, die aber manche alte
Formen des österreichischen Dialects, als nicht mehr zeitgemäß, durch
andere ihnen passendere ersetzen zu müssen glaubten. Damit hängt
es zusammen, daß durch diese Änderungen der Sinn der Hand-
schrift nicht oder doch nur unbedeutend entstellt wurde.
Ganz verschieden von diesen Änderungen bezwecken andere eine
Besserung des Versbaues, namentlich einen regelmäßigen Wechsel
von Hebung und Senkung, so durch Einsetzung einzelner Wörtlein:
Nr. 7 V. 67 er nach hiet (dadurch Unsinn!) und V. 68 und nach nain,
Nr, 10 V. 8 eins nach ich; durch Weglassung einsilbiger Wörter, z. B.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 309
und in Nr. 1 V. 25 und 364, die nach ßtrsten in Nr. (5 V. 13 und dm
in demselben Gedichte V. 28 u. s. w. ; durch Unterdrückung des Vocals
in der Vorsilbe ge- : glauben C 23" = P XXXV, 13 u. a. w.; durch Ab-
werfung des Präfixes ge- : schriß C 10'' = P V 29; durch AusstolMuig
von Silben: Nr. 1 V. 171 inanig''Hay\ durch Apokope Nr. 1 V. 356
guf'l und 388 lügend'"', in Nr. 5 V. 114 soll''" toir u. s. w. ; aber auch
durch Einführung der vollen Formen, besonders statt der syn-
kopierten, so 0 6*» =: P XXXIV, 25 armes, C 10^ = P V 8 und 11
seinem (A seim) und fronen, C 26" = P XXX VIF, 63 edlen u. s. w. —
Alle diese Änderungen erfüllen fast ausnahmslos ihren
Zweck.
Leider finden sich nicht selten ganz zwecklose Ände-
rungen gleicher Art; so begegnen in Nr. 1 allein 14 Verse, in wel-
chen ein kurzes Wort fehlt (V. 8 auch, 33 mer, 132 den, 172 ir,
234 und 471 die nach pferd, 295 und 469 das zweite da^, 400 und
406 das zweite der und dem, 499 sowie 536 und, endlich 510 so; in
Nr. 4, 93 der, in Nr. 5, 5 nicht [dadurch die Stelle sinnlos], in Nr. 7,
15 wann, in Nr. 8, 103 in, in Nr. 10, 10 in und V. 37 der), auch
sonst Verse, in welchen Vorsilben ganz unterdrückt werden (Nr. 5, 22
'Tirret, Nr. 7, 65 ''.pracht) , ferner Synkopen (Nr. 1, 12 und 490 ed.l
u. s. w.) und besonders Apokopen {und^. in Nr. 1, 7, 267 und Nr. 2, 5,
tisch'^^ Nr. 1, 392 u. s. w.), aber auch Einsetzung des unterdrückten
Vocals im Präfix he- {helaib Nr. 9, 53), Zusatz von Silben zu Anfang
oder am Ende der Wörter {gestain Nr, 1, 251, geschriß^) Nr. 7, 64,
meinem Nr. 1, 265, hnheti ivir Nr. 5, 19, ähnlich Nr. 6, 69), sowie
Einfügung von überflüssigen einsilbigen Wörtlein (Nr. 7, 31 Allen
den, 51 e?:5en an, Nr. 9, 54 des todes, ähnlich Nr. 10, 28 und 53).
Manches dürfte auf Rechnung von N zu setzen sein;
denn mag dieselbe, was Verläßlichkeit des Textes betrifft, selbst A
gleich stehen ^), so kann man doch mit Sicherheit annehmen, daß sie
von ungleichmäßigen Schreibungen, mancherlei Versehen und Schreib-
») Vgl. Schönbach a. a. O. S. 9, Anm. 3.
') Die Übereinstimmung zwischen A und C ist oft wirklich über-
raschend. So hat C in Nr. 1, V. 116:
Chlar Rainfal schancht man ein,
A hat Chlarn, es stand aber ursprünglich Chlar; V, 128 ain, auch A hatte anfäng-
lich so, dann wurde noch ein n über n geschrieben, daß es ainn heißt. V. 471 :
Die pferd wurden heilich,
A hatte ebenfalls wtirden, der Schreiber änderte es aber in wom; V. 473 gründen,
ebenso A, der Schreiber besserte aber in gravden (Graudenz); V. 487 hat P den
310 FRANZ KRATOCHWIL
fehlem, Willkürlichkeiten und verderbten Stellen nicht ganz frei war,
zumal bei ihrem großen Umfange mehrere Schreiber daran gearbeitet
haben werden. Auch konnten einzelne Theile schon ursprünglich
undeutlich geschrieben worden sein, wahrscheinlich aber hatte die
Vorlage im Laufe von mehr als 200 Jahren allerlei Schaden ge-
litten. — Daraus erklären sich Schreibfehler ^) , Trübungen und Stö-
rungen des Reimes'^), sowie sinnlose Stellen^) in C, von denen
freilich ein guter Theil den Schreibern dies er Handschrift^
die auch in ihrem Drange, ihnen Unverständliches zu bessern, nicht
immer eine glückliche Hand hatten, zur Last fällt.
Das glaube ich auch von den Lücken in C, die allerdings zu-
sammen nur sieben Verse betragen; es fehlen nämlich ohne äußere
Unterbrechung in Nr. 1 die Verse 197 und 198, in Nr. 9 die Verse
25 — 27 und in Nr. 10 die Verse 75 und 76. Vielleicht stammt auch
von ihnen die Umstellung der Verse in Nr. 1, wo ohne jede
Reimstönmg auf V. 308 die Verse 311, 312, 377, 378, 309, 310, 313
und 314 folgen, dann geht es mit V. 315 in der Ordnung von A
weiter. Nr. 9 schließt mit V. 68, die in A noch folgenden vier Zeilen
stehen in C unmittelbar nach dem Titel, wohin sie auch mit Recht
gehören (vgl. S. 209).
Has, A und C der und V. 495 Der zehent, A und C Da%. P schreibt XXXIV, 55
sighaft , C sigehaft, A desgleichen, aber das e ist durchgestrichen, doch steht ein
Punkt darunter; es dürfte also doch das e gelten. C hat in Nr. 9, V. 4 weg und
V. 53 war, A ursprünglich auch so, der Schreiber änderte aber dann in beg und
har um.
') Z. B. in Nr. 1, 65 den fursten, 120 reichart, 188 pogenscM:^^es, 200 an statt
ain, 372 lehen für leben, 476 sprtlch, Nr. 2, 24 drünen (A Drümen), in Nr. 3, 8 Da;;,
in Nr. 6, 47 schroten, 53 vergo^^en, in Nr. 8, 4 Die anstatt Do, 11 ober, 31 Singen
für Giengen (vgl. KU, §. 5 und III, §. 8), in Nr. 9, 4 chiinstes,' und 45 in für im,
ferner in Nr. 10, V. 42, 67 u. 88.
^) In Nr. 1, 45 veracht (N verlach : gesach) , 412 lobesan {: navi) , in Nr. 3, 191
gedan (: davon), 238 hitte (: gute), in Nr. 4, 33 paris (A Pareis : weis), in Nr. 6, 86
erden (: werde), 112 hat der Schreiber anstatt des Reimes auf gemaine dieses Wort
nochmals geschrieben, in Nr. 8, 29 eselgarten {'.narren), wofür wohl eselkarren zu
setzen ist (vgl. Lex er I, S. 709, III, S. 167 und die zweite Ausgabe (1881) des
Taschenwörterbuches unter O und K) und 101 er gaioen (: khann), wofür P mit Recht
gewan setzt (vgl. seine Ausgabe 170), in Nr. 9, 3 der frewden jach (A chor : roch), 17
niemen (: mein) und 20 og (: ge).
8) In Nr. 1, 57, 76, 98, 127, 138, 141 (!), 146, 166, 167, 178, 187, 207 (!), 216^
239, 256, 282(!), 284 (!) , 304 (!!), 308, 317, 321 (dadurch auch Reimstörung), 435,
474 (!!) und 567, also 24 Fälle (vgl. PS. 154), in Nr. 2, 123 (vgl. PS. 162), in Nr. 3,
167 (vgl. PS. 155), in Nr. 5, 5 (vgl. PS. 162), in Nr. 7, 5 u. 6 (vgl. PS. 159), in Nr.
10, 38 u. 84 (vgl. PS. 162 f.).
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT HSS. 311
Immerhin erscheint C, trotz aller KücksichtualunQ
aufN, nicht mit ganz gleicher Sorgfalt abgefaßt wie B
(vgl. S. 237). Dieses sowie ihr unbedeutendes Alter ist keineswegs
geeignet, ein günstiges Vorurtheil bezugs ihres Werthes zu erwecken:
in Wirklichkeit aber ist derselbe durchaus nicht gering.
Sie hat zwar, wie wir gesehen, selbst mancherlei Gebrechen, aber
diese sind meist leicht oder doch durch lleranziehuug von A zu be-
seitigen. Im Allgemeinen bringt C einen sehr guten Text.
Den besten Beweis liefert ein Blick in die Ausgabe von Suchouwirt's
Gedichten, wo P S. 154 ff. die verbesseruugsbediirftigeii Stellen aus
A anführt. Soweit diese Gedichten angehören, die auch in C vor-
kommen, sind sie fast ausnahmslos durch C zu bessern'). Und diese
Stellen ließen sich noch leicht vermehren, wie denn überhaupt
C in einer neuen Ausgabe eine größere Beachtung finden
muß. — Im Gedichte auf den verstorbenen Herzog Albrecht III. fehlt
in A V. 42; C hat diesen Vers, und dadurch ist die Reimstörung
in A behoben. Nichts, weder ein äußeres Zeichen noch der Sinn,
läßt in A erkennen, daß im Gedichte von Herzog Albrechts Ritter-
schaft nach V. 366 etwas fehlt: C bringt aber an dieser Stelle
sechs inhaltlich durchaus nicht bedeutungslose Verse,
die aller Wahrscheinlichkeit nach echt sind und daher von P mit
Recht in seiner Ausgabe als Verse 367 — 372 in den Text aufgenommen
sind. — In Bezug auf die Zahl der Gedichte wird diese Handschrift
nur von A und B übertroffen, aber unter den zehn Gedichten von C
findet sich das Gedicht von fünf Fürsten, das in A gar nicht
vorkommt"). Von dem Gedichte von hübscher Lug besitzt A bloß
den Anfang (V. 1 — 23), in C nur allein findet sich das Gedicht ganz^).
') Abgesehen von den Nummern .S und 8 liefern besonders 1, 2, b, fi und 10
für die Textkritik recht Brauchbares.
') Dieser Umstand mag mit dazu beigetragen haben, daß P noch vor dem
Erscheinen seiner Ausgabe in Hormayr's Archiv (Jahrgang 1822, S. 188 — 191) dieses
Gedicht, sowie das auf den verstorbenen Herzog Albrecht III. abdrucken ließ.
P setzte nicht einmal seinen Namen darunter, wohl aber unter den Titel die Bemer-
kung: „Nach einer Handschrift der k. k. Hofbibliothek.'' Natürlich ist diese Hand-
schrift C. Später (aber noch in demselben Jahrgange des Archivs S. 218 — 221) hat
er aus geschichtlichem Interesse, das bei ihm immer vorwog (vgl.
S. 221 f.), aus derselben Handschrift noch drei andere historische Gedichte, nämlich
von zwein Päpsten, der Fürsten Theilung und der Fürsten Krieg veröflentlicht.
') Ein ähnliches Quodlibet bietet das Liederbuch der Hätzlerin in Haltaus'
Ausgabe S. 201 — 203 mit dem Titel: Ain aubentewrliche rede vnd veilt von
ainem czu dem andern, ferner Lassberg im Liedersaal S- 383 f. des zweiten
312 FRANZ KRATOCHWIL
C ist aber in Bezug auf dieses Gedicht ein Unicum, da
die Vorlage von C gänzlich verschollen ist.
Von dieser gibt C ') auf f. 31" folgende Nachricht: In disem
alten buechj^) daraus dise Reimen geschriben sein | dise getichte
zu finden samt der Tichter Neraen ^) :
1. Zwainzig Oester reichischer Helden Ritter Thaten,
das in ein absonderlich buech vnder meinen histo-
ricis sub ,lit^) .... loc. . . lib... da Eitel authores
Manuscripti, eingeschriben worden
2. Die schön Abentewr. Des Peter Suchenwirt
3. Von der mynne und seim vrteil vnd slaff
4. Der Rat von dem Vngelt. Eiusd.
5. Von der geuticheit. Eiusd.
6. Von zweien Bäbsten Eiusd
7. von dem Würfelspil Eiusd
8. von der Fürsten chrieg und den Reichstetten Eiusd.
9. von der hübschen lug Eiusd
10. 11. 12. von dem Prief, Jagd, Widertail. Eiusd.
13. 14. von dem Phenning, Verlegenheit Eiusd
15. von zehen geboten Eiusd
16. Der getrewe Rat. Eiusd
17. von dem Teychner Eiusd.
18. von herzog Albrecht Ritterschaft in Preissen 1377. Eiusd.
19. von herzog Albr. vnd Leupolt Tailung. Idem
20. von unser lieben Frauen 7. frewden Id
5. fürsten von Mailan, von Marchgraf Sigmund von Carlur,
von herzog Wilhelm vnd Lewp[olt] von Oesterreich
21. von den 7. todsünden
p-
66.
Jl
5.
Tl
9.
n
2.
n
2.
n
14
?5
2.
n
H
n
H
n
8.
n
6.
11
3.
11
2.
n
H
n
8.
11
2
V
21.
11
4
n
3.
Bandes miter der Überschrift «Luderei". Das Gedicht ist aber hie und da anstößig,
es fängt an: Ich bin kamen an die stat
Da% man rot snecken wat u. s. w.
und endet:
Der hielt mir den win her
So trincJc ich nach mins hertzen ger (128 Verse).
') Dieselbe Hand, welche f. 6* unten am Rande rechts bemerkte: Peter
Suchenwiert hujus descriptionis author, wahrscheinlich identisch mit dem
Schreiber von V. 1—6 f. 1^ und f. 23"— SO*".
^) So ist die Überschrift gebrochen.
*) Die gesetzten Unterscheidungszeichen sind in der Handschrift.
■*) Fernberger hat vergessen, die Signaturen an den leer [gelassenen Stellen
nachzutragen.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 313
22. Der fromb sinn mit vercherten Worten Eiusd.
23. Der vinbgecherte wagen eiusd.
24. 25. von dem jüngsten gericht, Neuen Rath eiusd.
26. von Aristotelis reden. Idem
27. Von Herzog Albrechten von Oesterreich Id
28. Vnsers Herrn Wapen anthore Versweigseinnicht
29. von der Chunigin von Frankreich des Schundoch
30. von Chaiser Ott Maister Chunra? von Wirzburg
31. von vnser Fraiien die gülden Smitte. Eiusd.
32. vnser frawen Wappen des Härder') von Frankh (Franken?)
33. legend vom heiligen Chreuz Maister Heinrichs von Freiberg
34. Von 2. S. Johansen Euangelisten vnd Baptisten geticht Chlein
Hansen von Chostniz
35. von 7. färben geticht Jacoben Peterswald
36. Der Ritter mit dem Herzen Maister Grotfrid von Strasbnrch
37. Vom chunig im Pade
38. Von Stet vnd Vnstette auth. Verschweigseinnit
Vnd dises alles geschriben Anno domini mcccc"
secundo InVigilia SS. VitiModesti etCrescentiae
mar ty rum.
39. Von unser frauen Marien lob, geticht genant die guldin Arch,
Heinrich hunder Pfundts n 41.
40. Vom cheuferen (?) von Orient :^ 5.
Für diese Mittheilungeii über Inhalt und Zeit der Abfassung von
N sind wir Fernberg zu großem Danke verpflichtet: wir erhalten
dadurch werthvoUe Anhaltspunkte für die Beurtheilung von C,
aber auch von B. Denn wem fiele nicht gleich bei der Leetüre der
ersten Nummer dieses Inhaltsverzeichnisses der Titel ein, welchen
Enenkel (vgl. S. 233^f.) B vorangestellt hat? Der Anfang des-
selben: „Dises Heldenbuech oder beschreibung XX. Oesterreichischer
umb die 1300. 1330. 1350 1380 berümbten beiden Ritterlicher Thatten
Ist abgenommen" u. s. w. führt nur umständlicher aus, was
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24-
^) Vgl. Germania 3. Bd., S. .308—313 und K. Bartsch, Meisterlieder der
Kolmarer Handschrift, Stuttgart 1862, S. 182, 192 — 198 und 628. Bartsch' aus den
Reimen erschlossene Annahme, Härder habe noch dem 14. Jalirliunderte
angehört, findet durch Nr. 32 des Inhaltsverzeichnisses volle Be-
stätigung. Härder kommt auch in der Wiltener Meistersänger-Hs. vor, ferner in
der von K.J. 8chröer im zweiten Bande der Germanistischen Studien (von K. Bartsch,
1875), S. 206 ff. behandelten, in der Privatbibliothek des Kaisers von Österreich be-
findlichen Mei!^tersänger-^s. aus Steier.
GERMANIA. Nene Reihe. XXU. (XXXIV.) Jahrg. 21
314 FRANZ KRATOCHWIL
die erste Nummer dieses Inhaltsverzeichnisses kurz sagt.
Was Enenkel unter diesem Titel lieferte, ist nun bekannt. Aber schon
1827 schrieb P, ohne irgend eine Ahnung von B gehabt zu haben,
in der Einleitung seiner Ausgabe pag. LI über den]|Anfang des Inhalts-
verzeichnisses: „Die erste Nummer mit den Heldenthaten
zwanzig österreichischer Ritter ist offenbar die Samm-
lung historischerGedichte unseres Suchenwirt, welche ....,
wenngleich nicht mit Suchenwirt's Namen bezeichnet, doch durch
unverkennbare Ähnlichkeit der Sprache sowie durch Andeutung eines
Zeitgenossen, der Suchenwirt als den Dichter von den Wappen
rühmt, ihren Verfasser bestimmt genug verrathen." Es ist somit
kein Zweifel, daß B und C aus derselben Quelle geflossen
sind^).
Auch die (schon S. 242 beregte) Dissonanz zwischen den ein-
undzwanzig Gedichten von B und Enenkel's Titel, der von zwanzig
Helden spricht, erhält ihre Lösung: er fand eben den Fehler
schon in der ersten Überschrift von N. Dieser Fehler entstand
offenbar zu einer Zeit, als N bereits schadhaft geworden war. Ein
flüchtiger Leser, der die gefeierten Helden zusammenzählen wollte,
mag, der Lücke am Ende des Gedichtes auf den jungen EUerbach
und zu Beginn der Rede von Kreuspeck nicht achtend, über das
erste, gleich zu Anfang mangelhafte Gedicht diesen zusammenfassen-
den, aber mit der Zahl der gefeierten Helden nicht übereinstimmen-
den Titel geschrieben haben.
Dazu stimmt, daß keines von den 21 Gedichten, welche
B bringt, in den späteren Nummern des Inhaltsverzeich-
nisses vonN erscheint. Die Nummern 3 und 15 in B lassen
sich dagegen nicht anführen, denn erstere verherrlichet den lebenden,
letztere den bereits verstorbenen Herzog Albrecht IL von Österreich,
') Dazu stimmt auch die räumliche Ausdehnung von Enenkel's
Abschrift und der ersten Nummer in N. Allerdings umfaßt erstere 50, letztere
66 Seiten ; vergleicht man aber die den einzelnen Gedichten in N beigefügten An-
gaben über ihren Umfang mit dem Kaume, den sie in A, C u. s. w. einnehmen, so
ergibt sich die Nothwendigkeit, daß in N auf eine Seite durchschnittlich 76 Verse
(wahrscheinlich in zwei Spalten vertheilt) kamen. B hingegen hat auf jeder Seite
ungefähr 100 Verse; demnach kämen auf ß 5000 Verse, auf die erste Nummer
von N 5016. — Daß in Wirklichkeit auf dem von B eingenommenen Räume nicht
viel über 4800 Verse, somit um fast 200 Verse weniger stehen, ist nicht befremdend,
da ja die Überschriften der Gedichte in großer Schrift gegeben sind und zwischen
dem Schluß der einen und der Überschrift der nachfolgenden Rede häufig Raum frei
gelassen wurde.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 315
Nr. 27 des Inhaltsverzeichnisses von N dagegen enthält einen lobenden
Nachruf an Herzog Albrecht III. von Österreich.
Wenn überdies Enonkel sagt, daß in seiner Vorlage außerdem
„noch andere mehr Poetische beschreibung oder getichte, samt ein-
gemischten historien von Oesterreichen Sach" zu finden seien, so
stimmt das zu den folgenden Nummern des Inhaltsver-
zeichnisses von N so vollkommen wie seine Angabe, das
alt buech, welches ihm 1625 zur Benützung überlassen
worden, sei vor 200 Jahren geschrieben worden, mit der
in Nr. 38 des Inhaltsverzeichnisses beigefügten Zeit-
bestimmung, welche N in das Jahr 1402 setzt.
Durch Enenkel's Bemerkung, die Handschrift gelKire dem Wolf
Christoph Velderndorfer zum Neiden stein, wird es erklär-
lich, daß bei der geringen örtlichen Entfernung Enenkel leicht mit
dem Hause Velderndorf verkehren und so auf die werthvolle Hand-
schrift aufmerksam werden konnte. Vorausgesetzt, daß nicht ohnehin
schon freundschaftliche Verhältnisse auch zwischen Fernberg und
Velderndorf bestanden, konnten diese unschwer durch Enenkel her-
gestellt werden. Man muß sich gegenwärtig halten, daß zwischen
den Häusern Enenkel und Fernberg enge Beziehungen
schon lange herrschten. Besonders gilt dies zur Zeit des
Job Hartmann Enenkel, der an allen Vorfällen des Hauses
Fernberg den regsten Antheil nahm').
So konnte Fernberg das „alte buech" benützen, und er that
es auch. Fernberg besorgte nicht nur von Nr. 1 eine Ab-
schrift, sondern auch von den Nummern 6 — 9, 17 — 19, 20 (aber
nur vom zweiten Theil) , 22, 23 und 27. Wäre uns erstere er-
halten, so besäßen wir durch ihn allein 31 Abschriften
von Suchenwirt's Gedichten, deren N im Ganzen 50 ent-
hielte^).
') So dichtet Enenkel 1593 „Plialeucium scriptum funeri Jani Fernbcrgii
Austriaci" und 1597 Epitaphia duo inGeor<,'ium C ristophornm a Fernberg
(vgl. die Handschrift der Wiener IlofbiblioUiek 10100, Nr. 21 u. 25).
^) Diese Zahl erhält man, da die erste Nummer 21, die dritte 3 Gedichte um-
faßt; letztere sind die in A als Nummer 4, 7 und 26 angeführten Gedichte: „Die
Rede von der Minne", „Die Minne vor Gericht" und „Der Minne Schlaf". — Dodi
enthält N nicht alle Dichtungen Suchenwirt's, wie P in der Einleitung pag. XLI.X
seiner Ausgabe angibt, denn es fehlt nicht nur Nr. 42 von A: Equiuocum, sondern
auch das letzte Gedicht in P: Gar ain Schöne Rede uon der Liebin vnd der
Schonin, wie sie kriegten mitt ainander.
2r'-
316 FRANZ KRATOCHWIL
Glücklicherweise besitzen wir Enenkel's Aufzeichnung. B und C,
welche durch eng befreundete Männer nahezu um die
gleiche Zeit aus derselben Quelle entstanden, repräsen-
tieren mehr als drei Fünft heile der Suchenwirtischen
Dichtungen in N, sie ergänzen sich zu einer Abschrift,
zu einer im Ganzen ziemlich treuen Copie eines großen
Theiles von N, einer Handschrift, die nicht nur durch
ihren reichen Inhalt und die Güte der Überlieferung
hohen Werth besaß, sondern auch dadurch, daß ihre Ab-
fassung den letzten Lebenstagen Suchenwirt' s nicht
ferne war.
V. s.
Dem 15. Jahrhunderte angehörig, aber jünger als N
is t s, eine Papierhandschrift in Quart, Eigenthum des n. ö. Benedictiner-
stiftes Seitenstetten, wo sie die Nr. 286 führt. Herrn G. Friess,
Professor am dortigen Gymnasium, verdanke ich es, daß ich dieselbe
in meiner Wohnung bequem benutzen konnte.
Die Handschrift ist durch dicke, auswendig mit Leder überzogene
Holzdeckel geschützt, welche durch zwei Schließen zusammengehalten
werden. In das Leder sind auf beiden Deckeln je sechs Vierecke
gepreßt, welche ein Thier mit steinbockartigem Kopf und vorge-
streckter Zunge, eigenthümlichen Pranken und geringeltem Schweife
umgeben. Inwendig sind beide Deckel mit beschriebenem Pergament
beklebt. Die Handschrift stammt von verschiedenen Händen.
Sie enthält: 1. Homiliae variorum Doctorum; 2. Legenda trium
Magorum; 3. Aelredi tractatus de Jesu duodenni; 4. Exegetica V.
et N. Testamenti; 5. Carmen de Equite Chreui^pekchn (idio-
mate teutonico) et de laude mulierum: Da^ ist der vrawen lob^);
6. Jacobi de Cessolis") liber Schachorum; 7. Theologica miscellanea
cum paraphrasi orationis Dominicae und 8. Stella clericorura.
Mehrere Blätter sind unbeschrieben, so vor Suchenwirt' s
Gedicht, das so ziemlich in der Mitte des dicken, nicht
paginierten Codex auf sechs und einer halben Seite steht.
') Anfang: Wa^ hoher wird und ere Oot hat geleif, an raine loeib,
Ende: Wa% slaffet oder wachet daroh swebt eins weibes nam
die vorcht hat und schäm.
Es sind drei Strophen; vgl. Altdeutsche Blätter von Haupt und Hoffmann 1, .383
und K. Bartsch, Meisterlieder S. 486—487 u. 693.
') Französischer Dominikaner am Ende des 13. und zu Anfang des 14. Jahrhs.
ÜbEU DEN GEGENWÄRTIGEN ÖTAND DEK 81ICI1EN\V1KT IISS. 317
Hier ist kein Buchstabe lutli, nicht ciuiual die Überschrift. Die Verse,
ungefähr fünfzig auf jeder Seite, sind fortlaufend geschrieben, aber
von einander meist durch zwei schiefe Striche (^) getrennt; sie be-
ginnen bald mit großen, bald mit kleinen Buchstaben.
Die Schrift ist der in A sehr iihnlich, doch gebraucht der
Schreiber im Anlaute nur z (;;), wo A cz oder tz hat. Die gewöhn-
liche Form der Haken ist *, sehr selten begegnet ^ und \ nur
einmal "" (V. 298 zypper)^ über y steht meistens ein runkl. Die
Verwendung der Haken entspricht ganz der in A; dasselbe
gilt vom Gebrauche der Abkürzungszeichen; nam :::= namen
erinnert an den 18. Schreiber in A (vgl. S. 212), hingegen ist " -=
eich (V. 202 vlei^i;,ichl) neu.
Auch die Sprach formen sind dieselben wie in A, doch
findet sich in s immer edeln (A edlen), meist die, wo A di oder dy,
ze, wo A czu oder czu hat; auch zeigt sich häutig Neigung lo für h
zu setzen, besonders im Präfix he-, hingegen erscheint nur zweimal
b für 10 : 308 siben buryen und 322 gehert. Fast ausnahmslos hat s
(in Übereinstimmung mit B) da (A do) , auch sonst läßt sich oftmals
Übergang von o in a beachten: 14 tvarten, 215 erbarben, 13 und 317
ica, 105 daclt {A doch). Letzteres läßt auf alemannischen Dialect
schließen (vgl. Weinhold, Alem. Gr. ^. 11) [Nein! O. B.]. Dasselbe
gilt von dem fast durchstehenden Gebrauche des ouch (Weinhold a. a. 0.
§. 51) und folgenden vereinzelten Stellen: 17 sclnimpfuniuni : (jesticrn
und 117 schumpfetior (Verengung von iu zu ii, a. a. O. §. 47), 339
stiwr : kobertiwr und 352 yetiwrten (B getewrten, A getewerteu, a. a. O.
§. 61 und 67), 139 prises {i = ei, a. a. O. §. 57), 236 schale (Nom.
masc, a. a. O. §. 20). Weniger Gewicht lege ich auf heneyow : pow
V. 279 (a. a. O. §. 70) und auf einige Fälle von Widerstand gegen
den Umlaut: 6 lourd, 7 osterreich und (wie in B) fast immer fünf (a. a. O.
§. 29), aber in Verbindung mit den übrigen Erscheinungen sind sie nicht
ohne Bedeutung; ebensowenig 351 der Imperativ xounschent (a. a. 0.
§. 342) und 332 ich tun bechant (a. a. O. 4j. 354). Die Form tuon ist
in der 1. Person sing. ind. des Präsens bei Suchenwirt allerdings sehr
häufig, aber vor der Partikel be- gebraucht er jedesmal tuo (tue), vgl. K
m, §. 63.
An 15 Stellen (vgl. die Lesarten von s in P S. 157 f.) lauten
die Orts- und Ländernamen in s mehr oder minder abweichend
von A; vielleicht ist Einzelnes auf Schreibfehler zurückzuführen,
so 47 pabst (da 66 das richtige ^>a6-< steht), wahrscheinlich auch 20
318 FRANZ KRATOCHWIL
gestel, wohl aber nicht in demselben Verse purm^) (: dürm, A Göltet,
Prünn : dünn).
Es ist möglich, daß ein österreichischer Schreiber s nach
einer alemannischen Vorlage schrieb und Einzelnes daraus (viel-
leicht weil unverstanden) im alemannischen Dialect wiedergab, aber
der fast durchstehende Gebrauch des ouch macht es mir wahrschein-
licher, daß s ein Alemanne geschrieben, der durch langen
Aufenthalt in Osterreich (Seitenstetten?) der österreichischen Sprache
mächtig war, dem aber unwillkürlich beim Abschreiben seiner öster-
reichischen Vorlage manches Alemannische in die Feder floß.
Ob diese Vorlage A oder N war, läßt sich nicht entscheiden.
Allerdings stimmen die Abweichungen der Handschrift s
von A vielfach mit B, öfter geradezu überraschend; so ist
ein Drittheil der oben beregten Orts- und Ländernamen in s und B
gleich (V. 64, 89, 186, 238 [Norwegen] und 248), aber daneben
bestehen denn doch solche Unterschiede zwischen s und B,
daß die Annahme, s sei aus N geflossen (natürlich bevor dort die
Rede auf Kreuspeck verstümmelt worden) , wieder etwas wankend
wird. Jedenfalls ist der Text von s dem von B (in Bezug auf
Kreuspeck) vorzuziehen, denn s ist der alten Schreibweise getreu
und von Schreibfehlern freier als B.
Solcher (35 ei-en :pern, 241 Egellant u. s. w.) kommen in s acht
vor, außerdem fehlt 278 ein in, 342 er und wohl durch Schuld des
Schreibers die Verse 220—225. — Verderbt sind nur wenig Stellen:
215, 218, 241, 332 (vgl. P S. 157 f.) und 166 da^ (A des); hingegen
erscheint der Rhythmus einigemalgestört durch volle Formen (statt
der apokopierten und synkopierten in A) : 4 und 74 hertze, 31 veste,
b?tnamen, ISl geivalf, 196helaif>, 2i6 hai^^et-^ noch mehr durch 22 Fälle
von Apokopen*) und 12 Synkopen^), die in A nicht vorkommen.
') Ist es vielleicht durcii Umstellung des r und unechtes m für n am Ende
(a. a. O. §. 197 u. 168) aus Priinn zu erklRieu und dürm aus dünn durch Einschie-
bung eines unechten »• (a. a. O. §. 197) und Eutwickelung eines unechten m am Ende?
Oder steht es für dürnin (Lexer I, S. 496): er machte der Feinde Freude zu
Dornen? Oder für türm aus türmen = türmein schwindeln, taumeln (Lexer II, S. 1582) ?
Vgl. M. J. Chr. von Schmid, Schwab. Wörterbuch, zweite Ausgabe (1844), S. 149.
') P gibt nur an 90 und, 112 havf, 141 voJchomen uud 182 tag, die übrigen
sind: 18 frevmd, 19 veind fräwd, 27 gantz , 73 und 97 veint, 110 rant, 119 gro^^,
143 veld, 146 tümyrt, \b% flucht , 166 u. 211 rüterscheß, 197 taegleich, 263 land, 265
auf dei' ainn vert : hert, 334 golt und 347 sei.
^) Da P in den Lesarten nur 178 Eatreyn anführt, gebe ich die übrigen an:
55 Streits, 97 tailn : maiin, 131 stiirms, 136 stürmt, 159 geschrirn, 189 halbs, 191 ainn,
330 gots und 348 rosenvarbs.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHEN WIRT-HÖS. 319
Wenn auch nach dem Gesagten s, trotzdem diese Ilaudschiift
nach Schrift und Sprache nicht viel jünger als A ist, nicht auf
gleiche Stufe mit A zu setzen ist, so ist sie doch immerhin
eine gute Handschrift: sie liefert an nahezu 20 Stelleu
mehr oder minder erhebliche Verbesserungen zu A.
VI. h'.
Von weit minderem Belang für die Textkritik ist h',
Papierhandschrift Nr. 182 (vormals 355) in Quart, der Universitäts-
Bibliothek in Heidelberg gehörig. Dankbar erwähne ich, daß der
damalige Bibliothekar, Herr Dr. Bender, mit Bewilligung des groß-
herzoglichen badischen Ministeriums des Innern diesen Codex sowie
h** und h^ mit großer Bereitwilligkeit nach Wien zur Benützung auf der
k. k. Hofbibliothek übersandt hat.
Alle drei gehören zu jenen Handschriften, welche
1622 aus der kurpfälzisehen Bibliothek nach Rom gewan-
dert sind. Als man 1815 von Frankreich die geraubten Kunst-
schätze, Handschriften und werthvollen Bücher zurückverlangte, wollte
auch Rom jene 500 Manuscripte (darunter 38 pfälzische), welche es
im Frieden von Tolentino (19. Februar 1797) an Frankreich abtreten
mußte, zurückbekommen. Durch Unterstützung der Verbündeten gelang
dies Rom vollständig, weßhalb die Curie das Ansuchen', die 38 pfäl-
zischen Handschriften Heidelberg zu überlassen, 1816 bereitwillig
erfüllte. Die Hoffnung jedoch, Rom, das durch die Verbündeten so
viele äußerst werthvoUe Handschriften zurückerhalten, werde auch
der weiteren Bitte, den andern Theil der pfälzischen Bibliothek der
Universität Heidelberg zurückzugeben, willfahren, war trügerisch:
nur die deutschen Handschriften und einige andere , zusammen 890,
wurden restituiert (vgl. Friedrich Wilken, Geschichte der Bildung,
Beraubung und Vernichtung der alten heidelbergischen Bücher-
sammlungen. Nebst einem meist beschreibenden Verzeichnisse der
im Jahre 1816 vom Papste Pius VII. der Universität Heidelberg zurück-
gegebenen Handschriften. Heidelberg 1817).
Das Äußere von h' ist sehr schön; die beiden durch Schließen
zusammengehaltenen Deckel sind mit gepreßtem braunen Leder über-
zogen und an den Ecken beschlagen. Der vordere Deckel zeigt
Otto Heinrichs Bildniß in Gold; zu Häupten steht 0. H. , unten
R a und die Zahl 1558.
Die Handschrift zählt 161 beschriebene und fünf unbeschriebene
Blätter und enthält f. 1'' — 12'' Suchenwirt' s Räthc des Aristo-
320 FRANZ KRATOCHWIL
teles; von sonstigen Stücken erwähne ich f. 19 — 23'' Das güldin
jar von Hans Zukunft und f. 28'' — 114'' Dichtungen von Meister
Altswert und zwar: Die Minnennot — f. 33'', der Kittel — f. 74, der
Schatz {ettliche Reimen von dem hiolen) f. 75 — 106" (1469 Verse) und
der Spiegel (366 Verse) f. 106"— 114'. Vergl. Karl Bartsch: Die alt-
deutschen Handschriften der üniversitäts-Bibliothek in Heidelberg.
Heidelberg 1887, S. 103 f.
Suchenwirt's Gedicht trägt die lange Überschrift: Hienach stett
geschrihen loie der wifi aristottelle^ ßinem herreu Dem grossen küng al-
lexandern sin getriiioen Rät loisfi vnd ler liinder ihm geschriben ließ als
er von dieser weit scheiden müst <f — Jede Seite hat nur eine Coluinne,
diese besteht aus ungefähr 20 Versen; jeder ist abgesetzt und
beginnt mit einem großen, roth durch strichenen Buch-
staben. Die Schrift ist gothisch, weicht von der in A ziem-
lich stark ab (so durch die /.t), weist aber noch in das 15. Jahr-
hundert. Abkürzungen (durch '^ und gegeben) begegnen nicht
häufig, Unterscheidungszeichen im Texte gar nicht. Die ge-
wöhnlichste Form des Hakens ist ', daneben ' (so immer kang),
^ ", seltener ' und vereinzelt ' (241 schlichen = schiuhen). Sie werden
nicht nur zur Bezeichnung der Vocale (auch in der Flexion: 321 bühh
u. ö.), sondern auch der Halbdiphthonge verwendet; aber während
in A am seltensten die aus a entstandeneu Halbdiphthonge begegneten
(vgl. S. 215), sind sie hier die zahlreichsten (341 zwar, 475 uff der
wäge, 431 rät ich, 310 dissem rät (ebenso 31 u. o.), 312 an menger statt,
52 cläfen (: schaffen). Svarabhakti (durch e, i oder Haken aus-
gedrückt) finden sich nicht.
Was ich in S als vereinzelte Spuren des alemanni-
schen Dialcctes bezeichnete, findet sich hier ganz all-
gemein; überdies fast durchgehends an = ä 261 schlau ff, A slaff,
305 haut, A hat (vgl. Weinhold, Alemann. Grammatik §. 52), ie = e
in 244 niemen und 298 niem (a. a. 0. §. 64), immer och, frSivt (verb.)
und frod (subst.), 116 der löff (A lauff), 257 höpt (A haubt), vgl. a.
a. O. §. 42 und 45; immer ü = au (43 tusent, 114 uff, a. a. 0. §. 51);
513 vmer und 433 numer (a. a. O. §. 32).
Immer hriß (a. a. 0. §. 153 und 189 Ende); s in den Verbin-
dungen sp, sw, st, sl, sm und sn wird im Anlaut zu seh (4 verschioinden
u. s. w., a. a. O. §. 190); Einschiebung von n (a. a. O. §. 201) erscheint
74, 359 geschenhen : gesenhen und 292 senhent (3. Person pl. praes.),
142 begegnet momentz (A morgen, a. a. O. §. 277). Vortritt eines un-
echten h (a. a. O. §. 230) zeigt sich in der Vorsilbe er- (184, 502 her-
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIinMISS. 321
härmen, 395 /terßiiden, 'SViJ /tcikcntien, 4'Ji) Iici werben), neben iiiht er-
scheint meistens ?iit (a. a. O. §. 322).
In der 2. Person pl, des Präsens ist das Fehlen des t fast all-
gemein, selbst im Keime, so 410 ir hahiit : Jie kuahcn, ähidieh 437
(a. a. 0. §. 342); in der 3. sing. ind. präs. und im Plural des Imperativ
zeigt es sich nur vereinzelt (267 kreugk, 374 (jedenck ir /icrrcii, a. a. < ).
§. 341), desgl. der Abfall des 71 im Infinitiv (118 truie, a. a. (>.
§. 370). In 17 erscheint bereits die Form schrieb (A hat noch nc/mdb,
a. a. O. §. 333). Von shi finden sich die Conjunctivformcn : lOU i'V/.s7,
153 e^ sie, 294 6< si(/ent (a. a. O. §. 353), von sidu 214 sitUt (a. a. O.
§. 379). V. 32 hat A seic, h' sie (Accus, pl. masc, a. a. O. §. 416);
durchgängig schreibt h' disse, diases usw. (a. a. O. §. 191); das starke
Adjeetiv endet im Plural des Accus, neutr. auf 11 --^ ü (241 ndiniidii
ivip, a. a. O. §. 424); stets begegnet 7neitk (A 104 manik) , 35 mentjein
u. s. w.
Zu dem jüngeren Alter der Handschrift stimmen nicht nur die
graphischen und sprachlichen Verhältnisse, sondern auch die Ver-
wilderung des Versbaues, h' zeigt bis V. 314 zahlreiche Ab-
weichungen, weniger durch Umstellung und Auslassung als durch
Einschieb ung von Wörtern herbeigeführt. Häufig sind derlei
Änderungen überflüssig, nicht selten dem Satz- oder Versbau sogar
schädlich, aber aus Allem macht sieh doch das Bestreben be-
merkbar, dem Verse einen jambischen oder a n a p ä s t i s c lum
Anfang zu geben *), „eine Rücksicht", von der P in seiner Aus-
gabe S. 163 in den Lesarten zu XXXVIII sagt, „daß sie dem Dichter
gewiß fremd war". — Diese Behauptung ist vollständig falsch, denn
eine genaue Beobachtung der Suclienwirtischen Vei'se zeigt, ilaß
das VerhältnilJ der mit Auftact beginnenden zu den tro-
chäisch a nfangen den Versen durchschnittlich wie 10:1 ist.
Es wäre somit die in h' sich kundgebende Tendenz dem Dichter gerecht
zu nennen; nur darf dies nicht so aufgefaliit werden, als ob iSuchenwirt
nur Verse mit Auftact gedichtet hätte, oder gar vielleicht lauter rein
jambische nach unserer Auffassung. Dieser entsj)rechen übrigens die
Verse in h* gewiß in sehr vielen Fällen auch nicht.
80 findet sich als Auftact häufig verwendet Lang, imd (137, 150,
245, 295 u. s. av.), so (146, 236), icenn (187 u. ö.), denn (211, 239 u. s. w.),
vil (222) und dergleichen mehr, im Innern eingeschoben, um Auftact
') Vgl. über die Bedeutung des Auftactes in dieser Zeit Bartscli, Mcistorlieder
Ö. 155.
322 FRANZ KRATOCHWIL
zu erhalten, och (41, 241, 242 u. s. w.) , all (249), dick (275) u. s. w.
Mehrere dieser Änderungen (so in 150, 222, 236, 239, 241, 275)
sind gut und ohne Bedenken in eine neue Ausgabe auf-
zunehmen. Zu verwerfen sind sie, wenn dadurch Verse mit vier
Hebungen und klingendem Schluß entstehen
(wie 158: Und hör toa^ ich dir furhaz, schreibe,
168: mit leih und och mit gut nü schawe,
254, 264, 274, 288 u. ö.), mehr als vier Hebungen, mehrsilbiger Auf-
tact oder gar Mehreres zugleich, z. B.
65: küng hiß erengitig und rechter milt,
89: Aller hübischen wiß der hiß du gram,
93: Den armen und die sin notdurfftig sind,
208: Gerechtichait die trag in dinem munt,
273: Und halt dich als ain kung und herre sol,
297: 0 herre Allexander ich hah sorg u. s. w.
Denn in 304 ist wohl auf einen Irrthum zurückzuführen, denn der
Vers bekommt dadurch trochäischen Anfang.
Aus Willkür oder durch Versehen wurden häufig
auch Wörter weggelassen; nicht selten entstanden dadurch Verse
mit nur drein Hebungen und stumpfem Schluß (118 fehlt varn, 120
geren, IdO paide, 114, 178, 281 u. s.w.), desgleichen durch Contraction
der vollen Formen des unbestimmten Artikels und des Possessivpro-
nomens. Sicherlich ist es nur ein Versehen, wenn 1 79 du fehlt oder
203 vil, denn diese Verse bekommen dadurch trochäischen Rhythmus,
dem der Schreiber abgeneigt ist. Man sieht, dieser kennt für
Verse mit stumpfem und klingendem Schluß keinenUnter-
schied in der Anzahl der Hebungen.
In den Reimen begegnet nicht viel Auffälliges; einige Unge-
nauigkeiten kommen vor, so 98 pflichten : gericht, 109 sigst : frist,
133 kamen : frömen, 321 wiß : hrissen, 330 verniem : ungestem, 422 fro-
men : vernümen, 435 enden : erkennen. Nach den Versen 314 und 320
zeigt sich Reimstörung und zwar keineswegs zufällig. Während
das Gedicht in A 352 Verse hat, zählt es in h^ fünfhundert-
fünfzehn. Bis 314, also bis gegen den Schluß der eigentlichen
Räthe des Aristoteles (diese enden in A mit V. 324), ist zwischen A
und h^ wenigstens eine leidliche Übereinstimmung, die allerdings um
so kleiner wird, je weiter das Gedicht fortschreitet. So folgen in h^
nach V. 111 drei eingeschobene Verse (vgl. P S. 164, nur sind
die dort angegebenen Verszahlen unrichtig), dann geht es mit V. 112
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 323
von A weiter; ganze Verse, wenn auch dem Sinne nach verwandt,
lauten anders als in A:
A 140: Ir Zungen die chan pieten schach
h^ 140: /;• munf der stiftet jiiein und ach,
ebenso 171, 172, 200, 229, 249, 250,' 253, 254, 260, 265, 309 — 311.
Man sieht daraus, wie Haltaus in der Einleitung zum Liederbuche
der Hcätzlerin pag. XXXIII sagt, daß die Gedichte jener Zeit von den
Abschreibern oder Dichterlingen völlig paraph rasiert wurden.
Recht anschaulich wird dies vom V. 314 ab; obwohl in h' noch
über 200 Verse folgen (vgl. P S. 165—168), umfnlit dieser Theil in-
haltlich doch nicht mehr als in A die Verse 315 — 324; hier hört
der Parallelismus zwischen A und h' auf. Dieser Theil ist
wahrhaft holperig; einigemal (V. 446 und 464) wird die in diesem
Gedichte eingehaltene gekreuzte Reimstellung verlassen. Es ist ein
ewiges Wiedei-käuen eines und desselben Gedankens, oft in den plat-
testen Ausdrücken, das Ganze ein elendes Machwerk. Es wird
einem ekel, den Aristoteles durch 200 Verse so erbärmlich winseln
zu hören. Um dieser geistlosen Reimerei willen müssen wir auf die
Schlußverse von A (325—352), in welchen Suchenwirt die Zeit der
Abfassung und das secret secretorum ^) als seine Quelle angibt , auf
König Wenzels Gefangennahme hinweist und seine Autorschaft be-
zeugt, verzichten.
Trotz aller dieser Abweichungen und einiger sinnlosen Stellen
(V. 16 der faric, 102 zweimal die für dich, 67, 106, 251) könnte h'
aus A geflossen sein, doch ist es nicht wahrscheinlich. Für die
Herstellung des Textes liefert diese Handschrift^) bloß
unbedeutende Besserungen und dies nur an wenigen
Stellen.
') Vgl. W. To ischer , Aristotilis lieimlicbkeit. Separatabdruck aus dem Jabres-
bericbte des k. k. Gymnasiums zu Wiener-Neustadt 1882. VI und 42 S. %^, und von
demselben: Die altdeutschen Bearbeitungen der pseudo-aristotelisclien Secreta-secreto-
lum. Separatabdruck aus dem Jahresberichte des k. k. Gymnasiums Prag-Neustadt
1884. 36 S. Vgl. noch S. 91 f. im 11. Bande des Anzeigers für deutsches Alterthum
und deutsche Literatur (1885).
') S. 167 der Nachrichten von altdeutschen Gedichten, welche aus der Ileidel-
bergischen Bibliothek in die Vaticanische gekommen sind (Königsberg 1796), sagt
Friedrich Adelung bei Besprechung unserer Handschrift, daß von den Räthen
des Aristoteles eine Abschrift zu Straßburg sich befinde. Auf eine diesbezügliche
Anfrage hatte der dortige Oberbibliotbekar Herr Professor Barack die Güte, mir
zu antworten, daß von dieser Abschrift — falls Adelung's Angabc überhaupt richtig
war — derzeit keine Spnr vorhanden ist.
324 FRANZ KRATOCHWIL
Yll h\
Ein wenig besser steht es mit h'', der Papierhandschrift
Nr. 215 (vormals 393) in Quart aus dem 15. Jahrhunderte, Eigen-
thum der Heidelberger Universitäts-Bibliothek. Auf dem Rücken
des in Pergament gebundenen Codex steht: Foenia in laudem Dei et
B. Virginia. 88 Blätter sind beschrieben, 9 unbeschrieben. Von den
12 Stücken, welche die Handschrift enthält (vgl. Wilken a. a. 0. S. 463
und [Friedr. Adelung, Fortgesetzte Nachrichten von Heidelbergischen
Handschriften in der Vaticauischen Bibliothek, Königsberg 1799,
k5. 305 — 309] Bartsch a. a. O. S. 128 f.) ist das erste das jüngste
Gericht^) von Suchenwirt f. 1* — 4''. Das neunte mit der Über-
schrift (roth): Der mijnne gericlit (Bl. 60 — 65), ein Gedicht von 222
Versen , beginnend :
Do der sumnter ivas da hin
Vnd do des lointer vngeioin
Wolt pringen den Ilain vogelin
und mit den Schlußversen :
Vrloh mir da gegeben loard
Vnd ließ die andern all clagen
Aber man sol der lieben von mir sagen
Rieht sie sich nit myt mir von dem tag
Das ich es fürbaß clagen mag
nahm P im 14. Bande der Wiener Jahrbücher der Literatur (Anzeige-
blatl S. 51) ebenfalls für Suchenwirt in Anspruch. Es hat
aber mit allen bei einer Vergleichung hier in Betracht kommenden
Gedichten Suchenwirt's: Rede von der Minne (124 V.), die Minne vor
Gericht (342 V.), die schöne Abenteuer (372 V.), der Widertail (364 V.)
und der Minne Schlaf (266 V.) nicht einmal entfernte Ähnlichkeit ^).
') Der Titel des Gedichtes fehlt in li'.
') Auch nicht Der Minne Gericht (318 V.) im Liederbuche der Hätzlerin
Bl. 143'— 14«" (in Haltaus' Ausgabe Nr. 55, S, 226 ff.) mit dem Anfange:
Ich stund an ainein morgen frü
TJff in grosser vnrü,
Ende: Sag ditz allen guten weiben
Das sy es in ir hertz schreiben
Vnd hüten sich vor diser not
Sag jn das sey mein ratt.
Dieses Gedicht ist gleich dem 12. Stücke in h' von Blatt 82 bis Ende, welches Wilkeu
(a. a. 0. S. 463) unter dem Titel „Gespräch eines Gesellen mit einer Frau, die ihren
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER RÜCIIENWIRT-IISS. 32;')
Auch nennt sich Suchenwirt darin nicht als Autor. Offenbar hat P
sich eines Besseren besonnen, denn er nalim das Gedicht in seine
Ausgabe nicht auf, aber er widerrief dort auch nicht mit
einem Wörtchen seine frülier in den Wiener Jahrbücliorn gemachte
Behauptung. Sie ist daher wohl geeignet, Jemanden irrezuführen, der
die ganze Suchenwirt-Literatur durcharbeitet, um sämmtHche Hand-
schriften kennen zu lernen.
Das Gleiche gilt von dem Gedichte: Der ern gericht zwischen der
gerechfygkeit imd der minn und fjeicint die minn da^ recht von Bi. 72 — 78
der Heidelberger Handschrift Nr. 149 (vormals 314, vgl. Bartsch
a. a. O. S. 72 — 75) mit dem Anfange:
Ich ersach an der selben stund,
Als ich nach mventür reyten hegvnd
Durch da^ hag ain enge tur
Da hett ich e geritten für u. s. w.
Auch dieses Gedicht schrieb P. a. a. O. Suchenwirt zu, in
seiner Ausgabe aber lehnte er es stillschweigend ab, und zwar mit
Recht; denn wie mir der Herr Bibliothekar Dr. Bender freundlichst
mittheilte, stimmt es mit keinem Suchenwirtischen Gedichte ähnlichen
Inhaltes auch nur im Entferntesten überein; überdies nennt sich
Suchenwirt darin nicht. Nebenbei bemerke ich, daß P bei Anführung
dieses Gedichtes im Anzeigeblatt S. 51 sich auf Adelung's altdeutsche
Gedichte in Rom, II, S. 313 und 316 bezieht. Dort macht aber
Adelung nirgends die leiseste Bemerkung, daß dieses
Gedicht von Suchen wirt herrühre.
Jede Seite bringt in einer ungespaltenen Columne ungefähr 24
Verse. Die Schrift ist der in A noch ähnlich, nicht schön, aber meist
deutlich. Was über d ie Schreib weise, die sprachlichen und
metrischen Verhältnisse in h* gesagt wurde, gilt fast
ganz auch von h'^.
Als Haken findet sich hier auch vereinzelt ". Bezeichnung von
Halbdiphthongen fiel mir nicht auf.
An einer Stelle: 25 eschen : icdschen zeigt sich unechter Umlaut
(Weinhold, Alemann. Gramm. §. 12 und 15), dreimal Verdumpfung
von tt zu o (a. a. O. §. 44): 61 gon : rinderton und 66 on, je einmal i
in der Flexion (48 liehin kind, a. a. 0. §. 23), ou = u (95 houch, a. a.
Liebhaber kalt behanrlelt" anführt, und von dem Adelung II, S. W'i Anfanrj mnl
Ende gibt, die mit der Recensioii der Ilätzlerin ziemlich gleichlautend sind. Vgl.
Hartsdi a. a. O. S. 128 f.
326 FRANZ KRATOCHWIL
O. §. 71) und 0 = w = w (86 ir forchtend, a. a. O. §. 24 und 27), end-
lich zweimal Ausstoßung von n (114 tuset und 193 tugei^ a. a. O.
§. 200). — Sonst bieten die Reime wenig Bemerkenswerthes (31
nacht : krafft, 175 du verst : haust verzert)\ am meisten auffällig ist 105
du syest : dii leist. Letzteres ist (wie 1 Ursprung : dink) ohne Zweifel
bloß Schreibfehler, da aber auch 2 weishait, 100 leyd (praes.), 3 durch-
faucht und 161 ungeheivr vorkommt, so darf man diese Stellen als
Fingerzeig betrachten, daß dem Schreiber zur Abschrift eine Vorlage
im bairisch- österreichischen Dialecte diente, aus welcher durch Ver-
sehen einige Wörter ohne Anpassung an den alemannischen Lautstand
stehen blieben. — V. 172 fehlt ohne äußere Unterbrechung; dadurch
entsteht eine Reimstörung; daß V. 34 vor 33 kommt, hat auf den
Reim keinen Einfluß.
Die in h' berührten metrischen Verhältnisse werden in h'
fast nur durch Umstellung und Einschiebung, nahezu gar nicht durch
Ausfall von Wörtern ') herbeigeführt. Auch begegnen weit weniger
Apocopen und Syncopen als in h*. Da zudem verhältnißmäßig nicht
so viele Verse paraph rasiert sind wie in h', so schließt sich h''
auch inhaltlich mehr an A an: es ist nicht nur möglich,
sondern sogar wahrscheinlich, daß A zur Vorlage von h*^
gedient hat.
Außer einigen Schreibfehlern (9 clare", 60 dein, IIQ jamers,
132 schrit für schrib, wahrscheinlich 101 dem [nach richter, wenn nicht
dein = din zu lesen ist] und 109 andrun) finden sich auch verderbte
Stellen: V. 4, 7, 92, 95, 122, 152 (vgl. darüber in P S. 169 die
Lesarten zum jüngsten Gericht) und 138 IVol gemüt zu hymel var.
Diesen gegenüber bietet h'^ an nahezu zehn Stellen Besse-
rungen zu A.
VlIL m'f.
Suchenwirt's jüngstes Gericht kommt auch in m' vor,
der Papierhandschrift Nr. 393 der königlichen Hof- und Staatsbiblio-
thek zu München. Der leider zu früh verstorbene Director dieser
Bibliothek, Dr. Karl Halm, gestattete bereitwillig die Übersendung
dieser und vier anderer später zu besprechenden Codices nach Wien
zur Benützung auf der kaiserlichen Hof bibliothek.
m' ist durch Holzdeckel, welche mit rothem gepreßten Leder
überzogen sind und ehemals durch zwei Schließen zusammengehalten
') Es fielen aus: 2 gar, 121 da, 187 du, 98 wie dann und 143 seihen — der.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-FISS. 327
waren, geschützt. Die vier Ecken der Deckel sind beschlagen; der
Rücken trägt ein weißes Schild mit folgender Inschrift:
(Leonis Taich chronicö)
Der geistliche Wagen.
Sibyllen Weissagung, etc.
Die Handschrift zählt 319 Blätter in Quart und oiitliält 13 Num-
mern verschiedenen Inhaltes, darunter Bl. 20—44 eine (ünonik von
den Herzogen zu Baiern, Bl. 96 — 112^ den j^eistliciien \Va;;eii
mit einer gereimten Vorrede des Suclienwirt, Bl. 127 — 136
Aristoteles' Lehr an Alexander (durchaus nicht identisch mit
Suchenwirt's gleichbetiteltem Gedichte) und Bl. 136 — 210 das grüßte
Stück der Handschrift, Bruder Philipps j\Iarienleben.
Bl. 96* heißt es: Hie hebt sich der geistlich wagen Vntl ist gar
nutz ze hören oder lesen dem menschen czue vnderioeystmg ( — Bl, 108'').
Das Ganze ist eine geistliche Allegorie, in der die vier Räder den
Tod, die Hölle, das Gericht (genau in dieser Ordnung!) und den
Himmel bedeuten, die zwei Gestelle die Betrachtung des Leidens
Christi und das Mitleid mit dem Menschen, die drei Pferde Glauben,
Hoffnung und Liebe; der Leiter aber ist Christus, die Deichsel stellt
die Gerechtigkeit vor. Den Schluß macht die Anrufung Gottes und
Mariens. So der Gang dieses geschmacklosen, aber dem 15. Jahr-
hunderte sehr zusagenden ') Machwerkes, das in Prosa abgefaßt, öfter
aber auch mit Reimen durchspickt und mit zahlreichen Belegstellen
aus Bibel und Kirchenvätern ausgestattet ist. Der Verfasser nennt
sich nicht.
Daran schließt sich Bl. 109": Ein vorred diß geistlichen wagens
(roth). Dieses Stück entpuppte sich bald als Suchenwirt's
Jüngstes Gericht, nur beginnt es gleich mit V. 23:
0 (roth und groß) mensch gedenck das du pist.
Die Verse, ungefähr 27 auf jeder Seite, sind nicht abgesetzt, aber
häufig durch rothe Querstriche von einander geschieden, freilich oft
ganz fehlerhaft. Die Schrift ist weder schön noch deutlich, beson-
ders die r sind stark verschnörkelt. Doch gehört sie noch dem 15.
Jahrhunderte an; damit stimmt auch am Ende dieser rojvecZ (Bl. 112')
die Bemerkung : L. T. Anno als man zn.lt nach christi gepurt
MCCCC'IXVIII jar an samb^tag nach Katherine virginis. Doch stammt
nicht der ganze Codex aus dem Jahre 1468, wie man nach dem
Katalog der deutschen Handschriften der königlichen Hof- und Staats-
') Unter Anderen hat auch Cod. germ. mon. Nr. 690 f. 244 — 252cincn 'jais/lich
Wayen.
328 FRANZ KRÄTOCHWIL
bibliothek zu München nach J. A. Schmeller's kürzerem Verzeich-
nisse, 1. Theil, München 1866, S. 63 annehmen muß, denn Bl. 131* hat
Leonhard Taichstetter aus München, der Schreiber dieser
Handschrift, angemerkt: A7ino Christi 1469 (roth) und Bl. 282":
geendt ä domini 1470.
Die Schreibweise weicht nicht unbedeutend von A ab; Haken
begegnen wenig und nur über ^l = no, ue, üe und öfter auch über
einfachem ?t. In der Regel werden die Umlaute durch zwei neben-
oder übereinander gesetzte Punkte bezeichnet, nur selten (155 schaffiin)
mittelst Haken. Einmal findet sich durch e ausgedrückte Svarab-
hakti: 96 hören {: geporen). Abkürzungen werden äußerst selten
angewendet.
Sprachlich herrscht zwischen m^ und A Übereinstim-
mung. Sehr gerne gibt Taichstetter h zwischen zwein Vocalen durch
ch (vgl. Weinhold, Bair. Grammatik §. 183) : 27 zacheren^ 40 kochen,
14: zechen, und 134 gefliechen, hingegen setzt er für nächsten im V. 62
(und so immer) nagsten, 145 hat A zu der linkclien hant, h^ zit der
glinken hant, m* zue der dencken hant (vgl. über das letzte Adjectiv
Schmeller, Bairisches Wörterbuch 1*^, S. 524 f.). 104 nemht (A nie-
mant, h^ niempt) ist wohl ungenaue Schreibung für niemht. — Etwas
auffällig — wie ein leiser Anklang an den alemannischen
Dialect — erscheint es, daß alle Adjectiva, welche in A auf -leich
endigen, in m^ auf -lieh ausgehen, ferner 4:3 spänglin: wangl in {a ist
nur ein Schreibfehler) und 155 schaffiin (vgl. jedoch Weinhold a. a. O.
§. 19). Bei der großen Übereinstimmung, die dem Inhalte
nach zwischen m^ und h^ herrscht^), liegt nämlich dieVer-
muthung nahe, daß h^ dem Taichstetter als Vorlage ge-
dient habe.
Damit stünde auch der verwilderte Versbau im Einklänge.
Er schreibt nicht nur nicht sorgfältig^), sondern er läßt einzelne
Wörter weg, z. B. 32 auch, 61 du, 136 daz,, 170 grimm, so daß dieser
stumpf schließende Vers nur drei Hebungen hat; 164 fehlt gar mit
allen teufein, so daß als Vers nur zwei Füße: ist berait übrig bleiben,
') Beide haben 33 schätz : satz , 52 hoffart, 63 lesus, 69 dir, 90 losaphat, 134
gefliehen, 153 des, 159 da zu Anfang des Verses, 162 ewig vor fewr, 174 weder vor
ritter, 180 gelrew, 181 dem zu Anfang des Verses; 94 all nach müe:^%en, 131 ir nach
teuffei', 143 fehlt der nach weg.
') 27 sele (: q^iel), 37 leivmbt (A lewt) , 57 mit zürnen in (dadurch Reimstörung)
für mit in zürnen, 141 widerstellen : helle, Reime, wie den letzten, erklärt jedoch
Weinhold a. a. O. §. 167 aus dem durch Näselung bewirkten Abfall des n.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 329
54 fehlt ganz. Er schaltet aber aiuh mit ebenso störender Wirkuu}^
Wörter ein, so 35 auch , 66 und, 80 doch nach stund, 90 selbs nach
da, 122 hat nach dich u. s. w. DieVer.se werden dadurch oft überfüllt,
so lautet V. 75 :
die nam und die loappen verswindent zu haut,
71 (soll vor 75 stehen!)
als sy 10 er de nt dein frewnt des halt vil geschieht,
89: da^ er an dem jüngsten tag haben loil u. s. w.
Paraphrasierte Verse finden sich wie in h^ nicht häufig;
übrigens geht Taichstetter mit den Versen auch sonst willkürlich
genug um; so lauten die Verse 104 und 105 in A:
Du hast auch niemant der da swei'
Für dich da^ du 7inschuldig seist,
in m*: Du hast auch nemht, der da für dich swer
Da:^ du tmsckuldig seist;
in A 122 f.: Der plütvar stvai:^^ für dich gesioitzt
Hat in seiner gro2,2,en not,
m^ setzt, wie früher für dich, jetzt hat aus 123 in V. 122, so daß 123
nur drei Hebungen mit stumpfem Schlüsse hat. In 166 läßt der
Schreiber das nicht am Ende weg (dadurch Störung des Reimes),
setzt es aber in den nächsten Vers, so daß dieser überfüllt wird.
Auch an sinnlosen Stellen fehlt es nicht. So sagt der
Dichter V. 73 — 76: Ganze Geschlechter vergehen, Namen und Wappen
schwinden so schnell, wie ein Gemälde an der Wand; statt des
letzten Gedankens schreibt Taichstetter V. 76 :
als düT, mel an einer tvant!
V. 92 sagt A, bei dem jüngsten Gerichte sei es mit dem Glücke (A
saeld) der Ungerecliten zu Ende; in m^ heißt es:
und aller ir solt ist gar verzert.
In 128 steht zweimal werdent (A wem) u. s. w.
Aus dem Ganzen ist ersichtlich, daß m^ der Hand-
schrift h^ sehr nahe steht, text kritisch aber noch gerin-
geren Werth besitzt als diese. Für den Text von A or-
geben sich aus m' nur einige unbedeutende Besserungen.
IX. wf.
Zwei andere Suchenwirtische Gedichte religiösen Inhaltes finden
sich in w, einer Papierhaudschrift des 15. Jahrhundertes Nr. 2U69
(Novi 243) der k. k. Hofbibliothek in Wien (vgl. Hoff mann von
GERMANIA. Neue Reihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 22
330 FRANZ KRATOCHWIL
Fallersleben, Verzeichniß der altdeutschen Handschriften der k. k.
Hofbibliothek zu Wien, Leipzig 1841, S. 352 f.). Der Einband be-
steht aus dicken, auswendig mit Leder überzogenen Holzdeckeln;
innen sind dieselben zum Theil mit Pergament beklebt. Die Außen-
seiten zeigen Überreste von sehr schöner Pressung, aber das Leder
ist stark gebräunt, fast schwarz: das Buch scheint einem Brande aus-
gesetzt gewesen zu sein; noch jetzt wird man beim Befühlen etwas
rußig. Die Schließe fehlt. Beim Einbinden wurden manche an den
Rändern einzelner Blätter angebrachte Bemerkungen durch das Be-
schneiden des Papiers verstümmelt. Nach dem 2. Bande der Tabulae
codicum, pag. 164 f., zählt die Handschrift 304 Blätter in Quart: es
sind aber 306; es sollte da, wo 20 und 110 geschrieben wurde, 21
und 112 stehen.
Über die Herkunft des Codex läßt sich vollkommen Sicheres
nicht angeben; gewiß aber entstand er in einem Kloster
(wahrscheinlich in Österreich). Dafür spricht der Inhalt.
Gleich das erste Stück (Bl. 1' — 192*") ist ein deutsches florilegium
asceticum. Daran reiht sich ( — Bl. 262") die Summa virtutum da:^ ist
ein hoch der lügend (in diesem Theile kommen wiederholt Perga-
mentblätter vor); den Schluß des Buches machen zwei
Gedichte Such en wir t's. Das erste (fernerhin Nr. 1 benannt)
reicht von Bl. 269* — 274*; die Überschrift lautet: Da:^ sind Die czehen
pot vnsers herren; nach dem letzten Vers folgt in der nächsten
Zeile: amen amen amen. Bl. 274'' nimmt eine Federzeichnung ein:
sie stellt die h. Maria mit dem Jesusknaben und der h. Katharina
dar. Bl. 275'' beginnt das zweite Gedicht (im Folgenden = Nr. 2)
mit dem Titel: Daz, sind Die sihen freiod unser liehen froivn, es reicht
bis Bl. 306\
Beide Überschriften sind mit rother Tinte geschrieben ; die A n-
fangsbuch Stäben der Verse (meist über 20 auf einer Seite) sind
groß;, die Initiale ist größer und ganz roth. Wie in Nr. 37 von A
(vgl. S. 210) sind in Nr. 1 und 2 von w auch andere Verse auf
gleiche Weise ausgezeichnet, wenn sie eine Bibelstelle oder einen
größeren Abschnitt beginnen. Auffällig genug sind es in Nr. 2
sehr häufig dieselben Verse wie in Nr. 37 von A. — Die in
der Regel sehr deutlichen Schriftzüge wie die ganze Schreib-
weise gemahnen an A. Als Haken werden gewöhnlich zwei
neben- oder schief übereinander stehende Punkte gebraucht, seltener
'^ *" und vereinzelt ''' (2, 1134 chunig); i finden sich verhältnißmäßig
wenig; Halbdiphthonge werden seltener als in A durch Haken be-
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SÜCHENWIRT-HSS. ,^{31
zeichnet, Svarabhakti nur durch i ausgedrückt, bego_£;non aber hiiulig,
selbst im Reime.
Die etwas flüchtige Art des Schreibers zeigt sich in dem
häufigen Weglassen des I-Punktes sowie in dem Fehlen einzelner
Wörter, wodurch Sinn oder Rhythmus in Nr. 1 an acht, in 2 an
17 Stellen gestört und einige stumpf schließende Verse (1, 15, 57;
2, 709, 965) auf drei Hebungen reduciert werden. In 2, 1196 wurde
das Reimwort auf herren ganz vergessen, wie denn die übrigens nicht
zahlreichen Schreibfehler gerade in Reimen vorkommen (1, 112
vncMusch". : geteusche, 2, 23 ßorif : Sitchemcuf , 420 uindl : chuidel und
1384 rawen ipusaunen'^ vngreiißeichaii in 2, 252 halte ich für kein Ver-
sehen, sondern für absichtlich, freilich recht übel angebrachte Ände-
rung des Schreibers, hingegen beruhen zwei sinnlose Stellen in den
sieben Freuden (596 smekchen und 1312 daz) offenbar auf Sclireib-
fehlern.
Die vielen ?(, ne, o, für welche A w, üe, ö oder oe schreibt,
möchte man auf den ersten Blick auch auf die Flüchtigkeit des
Schreibers zurückführen, sie sind aber vielmehr aus dessen Dialect
zu erklären; im Allgemeinen jedoch sind die sprachlichen
Unterschiede zwischen A und w gar nicht erheblich, w
liebt 0 = « und d; fast immer begegnet froroe (2, 1503 frowen : ge-
paiven), wann (A loenn) und do\ in mirkchet (2, 462) steht i r= ;/ = ia
(vgl. Weinhold, Bair. Gramm. §. 88 und 117). Besonders beliebt ist
h für w (1, 232 ehig, 2, 1004 hebeiset, 585 imhirdig) und w für h (2,
562 Walchasar, 173 ^c^s, 827 icegund, 955 iceheist, vgl. a. a. O. §. 124
und 136). Regelmäßig setzt unser Schreiber p zwischen stammschlie-
ßendem m und der Endung t (2, 924 zimpt, a. a. O. §. 122); Einsehtib
des lingualen Nasals erscheint nur 1, 183 \xx jungent (: tugeni, a. a. O.
§. 168), Ansatz von t öfter, so 1, 19 dennocht, 56 u. ö. aptgot (a. a. ( )•
§. 133), Abfall des g nur 2, 989 in hpylitum (a. a. O. §. 176). Immer
schreibt er tumnie, werlt (2, 911 im Reime auf gelt), wertleich und dif,
(A di)'^ in 1 zieht er die Endung -e, in 2 die Endung -ew (en) vor,
selbst im Accus, sing. fem. (141 icareiv, 213 liebexo. 372 swangereic,
a. a. 0. §. 368 und 370). sölher wechselt mit soüiev' die Grundzahlen
endigen auf -czig (A 37, 767 sibenzk). Mit ge- zusammengesetzten Sub-
stantiven ist der Schreiber von w nicht hold, hingegen zeigt er Vor-
liebe für t in der 3. Person pl. ind. des Präsens,
Aus dem Gesagten würde die große Menge von Unterschieden
zwischen w und A erklärlich sein. Die meisten Abweichungen —
und das ist das Charakteristische für w — rühren aber von
22*
332 FRANZ KRATOCHWIL
der Neigung des Schreibers zu Synkopen und Apokopen. Durch er-
stere fällt in 1 an 15, durch letztere an 20 Stellen die Senkung,
meistens vor der letzten Hebung, aus (wo sie in A bewahrt
wird); in 2 stehen circa 20 den Ausfall der Senkung bewirkenden
Synkopen nahezu viermal soviel Apokopen gegenüber. Mehr als die
Hälfte der letzteren finden wir vor der letzten Hebung; einen
großen Beitrag dazu liefert und für unde in A. Durch Apocope im
Reime erhalten in 1 die Verse 41, 42, 105, 106, 112, 137 und 138
stumpfen Schluß mit nur drein Hebungen, in 2 die Verse 685 und 686.
1409 und 1410.
Weitaus weniger häufig sind die Fälle, wo w die volle Form her-
stellt. Doch kann man sagen, es zeigt sich in w Neigung für die
volle Form des Possessivpronomens, des unbestimmten
Artikels und des Infinitivs. Eine verhältnißmäßig geringe
Zahl von Abweichungen wird herbeigeführt durch Um-
stellung d erWörter und durch inhaltliche Verschiedenheit.
Immerhin ist w, wenn auch in Bezug auf die beiden Gedichte
nicht gleichwerthig mit A, ein Gewinn für die Textkritik:
manche der von P in seiner Ausgabe S. 168 berührten Mängel in A
werden durch w behoben und viele von Koberstein in seinen Abhand-
lungen gemachte Besserungsvorschläge erhalten durch w Bestätigung.
w könnte aus A entstanden sein.
X. in-f.
Die beiden Gedichte finden sich auch noch in einer dritten, aus
dem 15. Jahrhundert stammenden, der königlichen Hof- und Staats-
bibliothek in München gehörigen Papierhandschrift. Sie führt die
Nr. 1113 und zälilt 134 Blätter in Folio. Die Handschrift ist in Holz-
deckel gebunden, welche mit rothem Leder überzogen sind; die bei-
den Schließen fehlen. Der Rücken trägt ein Schild mit der Inschrift:
Das Burgerrecht zu Wienn. — Thatsächlich enthält der Codex Bl. 1 — 42
verschiedene Rechte und Satzungen, magistratische Anordnungen u. s. w.
der Stadt Wien (aus dem Jahre 1375) und Bl. 43—74 das Stadt-
recht von Wien. Von den übrigen Stücken (vgl. Schmeller's Katalog
der deutschen Handschriften, 1. Theil, S. 169 f.) erwähne ich die
Ungeltordnung Rudolfs vom Jahre 1359 und eine Fischmarkt-
ordnung (Bl. 80 — 83). Bl. 93* befindet sich folgendes, mit rother
Tinte geschriebene Register: Hie hebent sich an siben püch.
Von erst hebt sich an das puech und sagt die heiligen stet und
genad und den antlas in dem heiligen lant czü Jerusalem und darnach
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-IISS. ;3;}3
Die czehen gepot unsers herren (Sucheuwii-rs Gedicht beginnt 131. 96'
linke Spalte mit der Überschrift: Das dud die zehen pot unsers
herren Jesu Christi und endet Bl. 97'' rechte Spalte; dem letzten
Verse folgt Amen [mit rothverzierten großen Buchstaben], i-in Doppel-
punkt und ein Schnörkel.)
Das ander puech sagt Die sihen freicd unser fraiven und die neion
chör loie sij Darinn enphangen ist (Sucheuwirt's Gedicht folgt unmittel-
bar den zehn Geboten Bl. 98' linke Spalte, hat dort die Überschrift:
Das ist das ander puech die siben freiod, uns fräxoen Vnd Die neum chur
Der engel und reicht bis Bl. 112'' linke Spalte.)
Das dritt puech sag von den ßhiß fürsten\ von de von Maijlan tind
von Margraf Sigmund vnd von kern charlnr Vnd von herczog ivilhalm
vnd herczog leitpolten seinem vater paid fürst en in Österreich (das Gedicht
schließt sich an die sieben Freuden Bl. 112'' linke Spalte mit dem
Titel: Das ist Das Dritt puech Vnd ist von den fUrsten, es endet Bl. 114**
rechte Spalte; alle drei Überschriften sind roth, dosgleichen der An-
fangsbuchstabe jedes ersten Verses, aber auch anderer Verse, meist
zur äußeren Bezeichnung der logischen Gliederung. Die übrigen An-
fangsbuchstaben sind groß und roth durchstrichen.)
Das vierd puech ist die reget der heiligen christenhait vnd lert uns
rechten christenleichen gelawhen und bechennen unser s^'ind (Bl. 115 — 125
befindet sich ein Gewissensspiegel , aber nicht mit der Bezeichnung
vierd puech.)
Das fünft puech sagt den antlas den man vint und verdient zu
ram vnd wer ram gepäwt hat und von alter auf chomen ist mit swi-
pogen vnd mit säiollen
Das sechst puech pliiemster chunst czi'i steicr genannt Die schon
Auentewr
Das sibent puech ist hern fridreichs Des khreio^pekchen
rays Sechs veldstreit Die er geföchten hat an ander Auentewr Die im
geschehen sind
Das sechste und siebente Buch beziehen sich ohne Zweifel auf
die bekannten Gedichte Suchenwirt's, sie finden sich aber, gleich
dem fünften Buche, leider in der Handschrift nicht vor; denn
Bl. 126 ist unbeschrieben, dann folgen Bl. 127 — 130 lateinische Hymnen,
Bl. 131 — 132 ein Gedicht Jacob Vetter's auf König Ladislaus
von Böhmen 1452 und Bl. 132 chronologische Notizen über Wiener
Begebenheiten aus den Jahren 1450 — 1463. Daran reihen sich
26 leere Blätter; Bl. ISS*" enthält Nachrichten über einen Kometen
vom Jahre 1402 und Bl. 134 Namen, die Osterreich gehabt. Höchst
334 FRASfZ KRATOCHWIL
wahrscheinlich waren die unbeschriebenen Blätter für die drei letzten
Bücher bestimmt. Da m'^ den Text in zwein Spalten bringt, jede durch-
schnittlich 25 abgesetzte Verse enthält , so würden auf das sechste
und siebente Buch 7, höchstens 8 Blätter gekommen sein, so daß
noch 18 Blätter für das fünfte Buch übrig geblieben wären.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich mit größter
Wahrscheinlichkeit, daß m'' in Osterreich entstanden und
auf unbekannte Weise (vielleicht aus einem Kloster in ein anderes
desselben Ordens) nach Baiern kam und zwar nach Regensburg, wie
Docen in der Sammlung für altdeutsche Literatur und Kunst, 1. Band,
1. Stück, Breslau 1812, S. 152 — 160 angibt, und von da nach München.
Docen nennt das Gedicht von den zehn Geboten unbedeutend, wohl
aber gefällt ihm der Anfang von den sieben Freuden Mariens, den
er auch nach m'^ mittheilt. Die ganze Anzeige dieser Handschrift
macht den Eindruck des Überstürzten und rasch Hingeworfenen. —
P kannte sie, wie aus pag. LII der Einleitung und einer Bemerkung
S. 159 seiner Ausgabe zu ersehen ist, aber m'' selbst benützte er
nicht, gewiß nicht zum Vortheile der Ausgabe. Da er (gleich a, B
und m') w nicht kannte, hätte er für letztere Handschrift in m^ Ersatz
gefunden, denn zwischen w und m*^ herrscht große Überein-
stimmung.
Nicht nur kehren die in w vorkommenden Synkopen und Apo-
kopen sowie die vollen Formen statt der in A synkopierten und apo-
kopierten in m'^ fast regelmäßig wieder, sondern es zeigt sich
auch in anderen, oft ganz unbedeutenden Details nicht
selten eine geradezu überraschende Übereinstimmung.
Zum Beweise des zweiten Theiles dieser Behauptung führe ich nur
einige Stellen an, und zwar aus den zehn Geboten: 15 fehlt schulden
in w und m*^, 32 w die fürten auT, egippen lernt, tnP- die fürten a. e. L,
34 wm" czogten, wm" pot im Titel, V. 44, 53, 71; 42 w toas an her-
herg, m" iv. a. herioerg , wm" 52 im der, 56 apfgot, 100 erparm und
107 niemafi, 115 w chüfifte, m" chünfft, wm" 116 merch da^ ist, 141
nickte, 142 clianst, 165 vrte{ä) gleichen , 172 in deinen, 188 hab, 190
chains, 197 fehlt auch, 200 merkcht , 202 sein gilt, 218 simd ver-
meideii, 222 fehlt tmd] ferner aus den sieben Freuden Mariens: 13 w
lüOricht, m.^ loorcht, wm** 16 Saffir charfunchel seh. e. , 57 ßinse,
65 ew, 81 peste, 111 (und sonst) teuf eis, 152 alle:^{s) sein(e)s gepotes,
155 henden, 292 muemen, 324 loovon chü(it)mpt, 339 gewOricht, 223
der vers der, 238 volloben, 252 heg und ye, 256 u. 1214 heschermf,
272 fehlt gro2,2,n, 290 hie nahent, 370 do pei ez,, 404 schön umh-
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DHK SUCHENWIKT-HSS. 335
lüunden, 442 achs, 443 alle':, 471 u. 562 walchase{a)r, 4U1 snelleichen,
497 tüO lesm, 525 leiccht , 574 zioainczig, 501 Äew? wwit, 622 vergehend,
687 truchent, 689 a// fehlt, 701 schilich : mi/iV/?, 855 dennoch, 963
losophat, 973 Ninivet, 1040 b{2J)eschribcn , 1048 ncmunder, 1090 </e-
sete«, 1108 /reii^e^cm, 1203 «am'!', 1256 söllch , 1264 register, 1276
pwcÄ an vnderlas, 1282 gotes müter, 1289 ■•<eind, 1322 y*^?*«^ nach,
1324 Uligen, 1325 hestrSwt, 1349 (Z<'//n (A tZan«), 1362 salmon, 1403
yedie, 1418 w statichleich, m'^ stätleichj 1475 wm'- vorlcht : «r/iu^r-
b{iv)0richt, 1513 wann, 1529 m/i /tiZ/ s?t steior.
Zudem gilt Alles, was ich über die Schreibweise in w gesagt,
von m'^. Es liegt daher die Annahme, daß av und m'^ von einem und
demselben Schreiber herrühren, sehr nahe, aber derselben widerspricht
die Ungleichheit der Schrift. Auf die zunächst sich aufdrängende
Frage, wie es komme, daß zwei verschiedene Schi-eiber so auffallend
gleiche Abweichungen sich erlaubten, gibt es nur die Autwort, daß
eine der beiden Handschriften aus der anderen geflossen sein muß,
und zwar halte ich w l'ür die Vorlage von m*^. Denn dieser
Codex, welcher im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts ent-
standen sein mag, zeigt nicht nur jüngere Schriftzüge als w>
es fehlen in nx^ auch ganze Verse, so in Nr, 1 die Verse 48,
98, 112, in Nr. 2 die Verse 335 und 336.
Überhaupt scheint mir m" etwas weniger sorgfältig abgefaßt zu
sein als w; es sind viele einzelne Wörter abgängig, in Nr. 1
an elf Stellen, in Nr. 2 fast zweimal so viel wie in w, wobei in Nr. 1
die Verse 15, 91 und 197, in Nr. 2 die Verse 946, 978, 1181 und
1317 nur drei Hebungen bei stumpfem Schlüsse haben. Ferner linden
sich in Nr. 2 von m" folgende Reime: 11 magt (A maii) : herait, 175
märbel : hermel , 309 siten : mit und 1504 gepaivet : fraiven. Aus der
Sorglosigkeit des Schreibers erklären sich daselbst auch die sinn-
losen Stellen: 110 erhört (A der hört), 124 gepot, 834 glauben, 1310
er (A mer), 1344 ist (A ich), 1423 hiet (A hie).
Bestünden aber auch die gegen die Identität des Schreibers er-
hobenen Einwände nicht, man könnte doch nicht w und m^ dem-
selben Schreiber zuweisen, da m" einige, wenn auch ganz
unbedeutende sprachliche Eigen thümlichkeiten zeigt.
So gebraucht der Schreiber von m'^ die und di, wie solch, solch und
solich, immer zxvelif (Weinhold, Bair. Gramm. §. 258) und v)Glt, nahezu
ausnahmslos fraio , in Nr. 1 immer da, in Nr. 2 auch häufig do, wie
denn daselbst viel öfter als in Nr. 1 Vertauschuug von a mit 0 be-
gegnet. Widerstand gegen den Umlaut zeigt in ra** zuweilen a (2, 182
336 FRANZ KßATOCHWIL
den swaren last), in Verbindung mit einem Lingualen finden wir
h für w in 2, 236 sbebt — eine Erscheinung, die besonders in Tiroler
Denkmälern (a. a. 0. §. 124, S. 128 unten) zu treffen ist. In Tirol
namentlich, aber auch in den anderen österreichischen Alpenländern,
wird gerne in der 3. Person sing. ind. des Präsens das t abgestoßen:
2, 630 schreib (a. a. O. §. 122); 2, 1036 begegnet örnleicher (A orden-
leicher).
Im Allgemeinen darf man wohl w und m*^ in Bezug auf
die zwei besprochenen Gedichte als gleich betrachten,
es gilt daher auch das über den Werth und die Bedeutung
von w für die Textkritik Gesagte im Ganzen von m^.
Zum Schluß muß noch erwähnt werden, daß im Gedichte
von den sieben Freuden die Verse 1 — 358 in derselben
Weise aufeinanderfolgen wie in A, somit nicht in der Anord-
nung, die ihnen P in seiner Ausgabe S. 123 — 127 gegeben. In Awm'
verkündet der Erzengel Gabriel der heil. Maria, daß sie die Mutter
Jesu und ihre Muhme Elisabeth einen Sohn gebären werde. Maria
besucht sie, Elisabeth preist Maria selig, diese bleibt bei Elisabeth,
bis Johannes geboren wird und kehrt dann nach Nazareth zu Joseph.
Der Dichter schildert umständlich des Letzteren Traurigkeit, die ihm
Marions Zustand verursacht. Aber ein Engel erscheint ihm in der
Nacht und klärt ihn auf. Da wird der alte Joseph freudenreich und
sagt zu Maria: Mir ist Alles kund geworden, worauf Maria mit den
Worten des Magnificat antwortet. Nun kam die Zeit, wo Joseph und
Maria in Folge des kaiserlichen Gebotes, das Land zu beschreiben,
sich nach Betlehem begeben u. s. w. — Dieser Gang stimmt insoferne
nicht mit dem biblischen Bericht, als dort Maria das Magnificat nicht
vor Joseph, sondern bei dem Besuche Elisabeths spricht. P, dem zur
Veröffentlichung dieses Gedichtes nur A vorlag, glaubte nun daß
diese Verschiedenheit vom Abschreiber herrühre, „der ein paar Blätter
früher abschrieb, als sie der Folge nach eingeschaltet werden sollten"
(PS. 168). Er stellte daher die Verse um, während in A auf
218 die Verse 291—358 und dann 219—290 folgen. Primisser's
Verfahren ist begreiflich. Wir aber, die jetzt denselben Gang wie in A
auch in w und m^ wiederfinden, müßten glauben, daß die Schreiber
von w und m^ durch einen an's Wunderbare grenzenden Zufall gerade
dieselben Blätter zu früh abschrieben, oder daß w aus A entstanden
und m" aus w. Nun ist das zweite Glied der Disjunction allerdings
wahrscheinlich, aber nicht zu beweisen. Daher könnte ich
mich als Herausgeber zu der obigen Umstellung der Verse im Gegen-
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIKT-HSS. 337
satze zu allen Handschriften nur dann entschließen, wenn diese
wirklich nothwendig ist. Das ist sie aber, wie wir gesehen haben,
nicht. An sich ist es ja gar nicht auffällig und gewiß ebenso berech-
tiget, wenn Maria, als sie die Traurigkeit Josephs weichen sieht, in
die Dankesworte des Magniticat ausbricht. Ich halte daher die
handschriftliche Anordnung der Verse 1 — 358 für die ur-
sprüngliche, von Suchenwirt selbst herrührende'). Warum
er vom biblischen Bericht abwich, läÜt sich nicht sagen; an einen
Irrthum ist nicht zu denken. Gewiß hat er die alttestamentliche Reihen-
folge der zehn Gebote gekannt, und wie verschieden ist seine An-
ordnung der zehn Gebote! Übrigens finden wir solche Abweichungen
auch anderv.'ärts, ich verweise hier nur auf den geistlichen wagen
(vgh S. 327).
Das dritte Suchen wirtische Gedicht in m^ führt uns
zu Nr. 3 in C Die sprachlichen Unterschiede zwischen beiden
Fassungen dieses Gedichtes erklären sich durch das höhere Alter von
m^, die metrischen durch Neigung in C, im Verse gleichmäßigen
Wechsel von Hebung und Senkung herzustellen (vgl. S. 308). — Eine
Vergleichung beider Handschriften fällt entschieden zu
Gunsten von m** aus. Trotz mancher Fehler, von denen bei anderer
Gelegenheit die Rede sein wird, liefert m** im Vergleiche zu C nahezu
dreißig recht brauchbare Lesarten. Anderseits sind die Ver-
schiedenheiten zwischen m'^ und C keineswegs derartig,
daß nicht N die gemeinsame Quelle beider gewesen sein
könnte.
XL gf.
Höchst wahrscheinlich stammt aus derselben Quelle
auch g, ein der herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha ge-
höriger Papiercodex B, Nr. 271. Dankbar rühme ich hier die große
Liberalität, die mir der Herr Oberbibliothekar Geheimer Hofrath Pro-
fessor Dr. W. Pertsch durch Übersendung der werthvollen Pland-
schrift nach Wien bewiesen hat.
Diese, mittelquart, in starken Hulzdeckeln, welche mit roth-
braunem, feingepreßtem, einstmals reich vergoldetem Leder überzogen
sind, hatte Schließen und zählt gegenwärtig 201 Blatt. Da aber die
an dem Codex in jüngster Zeit mit Tinte angebrachte Blattzählung
das erste Blatt nach dem Deckel nicht zählt, so kann mit demselben
*) In die.ser Untersuchung bin ich aber überall, wo aus den sieben Freuden
Verse citiert werden oder auf welche verwiesen wird, der Zählung Priinisser's gefolgt.
338 FRANZ KRATOCHWIL
Rechte auch das letzte nicht gerechnet werden, und es sind dann
199 Blätter. Übrigens ist, da das dritte Blatt aus Versehen nicht
eingezählt ward, die angebrachte Zählung von incl. 3 bis incl. 164
unrichtig; da aber nach Bl. 164 statt 165 gleich 166 gezählt ward,
so ist das frühere Versehen ausgeglichen und die Zählung von incl.
166 bis Ende correct.
Die Handschrift enthält, von dem letzten Stücke abgesehen, nur
Poetisches, und zwar von Teichner Bl. 9 — 94'' Liher Sapientie (dieser
Titel stammt von dem ehemaligen Eigenthümer der Handschrift,
Augustinus von Hamer steten; er selbst schreibt sich H am er-
st etenn, vgl. S. 339 ff.) und Bl. 94*" — 136'' Von unser frawen en-
phenknuss, 136'' — 177" von Konrad von Würzburg die Guidein Smyt,
178* — 183* von Suchenwirt spruch von fünff fursten (vollständig lautet
die rothe Überschrift: Den 'spruch hat gemacht peter der Suchen\wirt
von fünf fursten), 183" — 188'' von Teichner: In der Römer puch man
las (Hamersteten bemerkt daneben: von ainer edlen Kaiserin).
Während die goldene Schmiede an das zweite Stück so un-
mittelbar sich fügt, daß an dessen Ende gleich der Titel von Kon-
rads Gedicht sich reiht, obwohl auf dieser Seite nur mehr ein Raum
von einigen Zeilen frei war, also (und so überall) die größte Aus-
nützung des Raumes sich zeigt: folgte auf das oben zuletzt
angeführte Stück Teichner's, obwohl noch die halbe Seite frei war,
ursprünglich nichts als die zwei Verse:
Also hat da^ puch ein ende
Got hehiit vns vor missewende —
Es haben nämlich diese Stücke einmal für sich allein
einen Codex gebildet, welcher nicht vor 1386 beendet worden
sein kann, wohl aber auch nicht viel später: also zu Ende des
14. Jahrhundertes oder im äußersten Falle zu Anfang des
15. Jahrhundertes.
Das sagt uns die Schrift, die nur auf einen Schreiber hinweist
und in den Zügen, der Gefälligkeit, Reinlichkeit und leichten Lesbar-
keit nach an die besten Theile von A erinnert. Auffallend ist, daß
in den meisten Fällen die Punkte über i fehlen. Als Abkürzungs-
zeichen erscheinen '^ = ?■ und er, um inlautendes e anzuzeigen,
und r^ = reich in Osterreich] als Haken gebraucht der Schreiber
gewöhnlich ' ", sehr selten ' und nur über u (33 fnr z= für), über?/
einen Punkt; über aus d entstandenem e (= m) findet sich häufig
^ oder ^ Svarabhakti werden durch Haken nie bezeichnet, Halb-
diphthonge nur vereinzelt (31 recht, 34 gepürd, 200 schemleich), aber
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHEN WIKT-IISS. 339
auch die Diphthonge nicht consequent; besonders bei den vf-Lauton
fehlt der Haken oft, so steht ü = n, m, vo, ue, dann kommt wieder
für alle diese Laute ein bloßes u vor. Sonstige Schreibfehler hin-
gegen (wie 58 smaikchen : czaichen) sind ganz selten.
Die äußere Anordnung der Verse ist sehr gleichmäßig: jede Seite
ist von vier schwarzen Strichen eingesäumt und enthält in einer un-
gespaltenen Columne 24 abgesetzte Verse. Zwischen der ersten und
zweiten Zeile befindet sich ein schwarzer Strich. Jeder Vers beginnt
mit einem großen Buchstaben, die der ungeraden Verszcilen sind
überdies roth durchstrichen. Dort, wo dem Sinne nach ein Ab-
schnitt beginnt, steht eine bedeutend größere ganz rothc ^lajuskel.
Sprachlich herrscht volle Übereinstimmung mit C
(wenn man von einigen unbedeutenden Änderungen der Schreiber,
wie schl = sl u. s. w. absieht) und m" (nur liebt g nicht den Wechsel
von b und ic), und dies ist nicht auffällig, da g gleichfalls aus
()ster reich stammt, und zwar höchst walir seh ein lieh aus
Wien. Schon der Inhalt läßt das vermuthen : drei Viertheile der
Handschrift kommen auf den Wiener Dichter Teichner, fünf Blätter
auf den in Wien ansäßigen Suchenwirt, 40 auf Konrad von Wllrz-
burg. Aber auch die Zut baten zu Anfang und Ende des
Codex stammen aus Wien, wenn auch aus späterer Zeit.
Die Handschrift war nämlich zu Ende des 15. Jahrhundertes
Eigenthum des Augustinus von Harne r steten in Wien. Dr. J. G.
Tb. Gräße nennt ihn S. 1166 des Lehrbuches einer Literärgeschichte
der berühmtesten Völker des Mittelalters, 2. Bd., 2. Hälfte der 3. Ab-
theilung', 1843, einen österreichischen Meistersänger; Belege hie-
für bringt er nicht. In Ritter's geographisch-statistischem Lexikon
(1. Bd., 6. Aufl., 1874) findet sich unter allen hier in Betracht kom-
menden Orten nur ein Hammerstetten, und zwar in Baiern, Kreis
Schwaben, Bezirksamt Günzburg. In Zedler's Universallexikon bei
gegnet S. 395 des 12. Bandes (1735) ein Hammerstaettl oder
Hamry, Marktflecken im Czaslauer Kreise in Böhmen mit gutem
Eisenbergwerke. — Sicher ist, daß A. von Hamersteten sich 14'.)6 in
Torgau aufhielt. Hier vollendete er seine Histori vom Hirs mit den
guldin ghurnVnd der Füratin vom pronnen. Zu Ende derselben schrieb er:
^4. de Hamersteten Cancellarius. Finitum Torga Sabato vüji"- ijahnarunt
A" 1496. Dieser auf 36 Blätter Papier in üctav geschriebene und
aufs Schönste gebundene kleine Roman behandelt die Liebschaft des
Kurfürsten Friedrich des Weisen von Sachsen mit der Gräfin
Amalia von Schwarzburg, Gemahlin des Grafen Günther XXXIX.
340 FRANZ KRATOCHWIL
Das Büchlein widmete Hamer steten dem genannten Kur-
fürsten, der es nach einer am Schlüsse desselben von jüngerer Hand
angebrachten Bemerkung sehr lieb hatte. Jetzt befindet sich dasselbe
als Handschrift M 279 auf der königlichen Bibliothek zu Dresden
(vgl. Dr. Franz Schnorr von Carolsfeld, Katalog der Hand-
schriften der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden, 2. Bd.,
Leipzig 1883, S. 518 f.). Der Bibliothekar Heinrich Jonathan
Clodius ließ nebst einigen einleitenden Bemerkungen das Büchlein
imDresdnischen Magazin, Bd. 1 (Dresden 1760), S. 18 — 31 und
131 — 152 abdrucken. Auffällig ist, daß der Verfasser des Büchleins
sowohl S. 23 als 152 Haramersteiw genannt wird, ebenso bei Ben-
jamin Gottfried Weinart, der diesen Aufsatz aus dem Dresd-
nischen Magazin, das nach 20 Jahren ziemlich vergriffen war, im
zweiten zu Leipzig 1784 erschienenen Theil der Neuen sächsischen
historischen Handbibliothek S. 1 — 43 abgedruckt hat. In dem-
selben Jahre wurde zu Leipzig Hamerstetens Erzählung in der Sprache
modernisiert und mit Anmerkungen versehen, herausgegeben im dritten
Stück des ersten Jahrganges des Sammelwerkes: Für ältere Lite-
ratur und neuere Leetüre S. 107 — 138 von Ganz 1er und Meißner.
Leider bieten die genannten drei Werke keinerlei Aufschluß über
Hamersteten's Lebensverhältnisse.
Im Jahre 1497 ist Hamer steten in Wien. Hier überreicht
er, unbestimmt ob zum Ankauf oder — was viel wahrcheinlicher ist —
als Geschenk dem damals mit seinem Bruder Johann in Wien weilen-
den Kurfürsten von Sachsen, Friedrich dem Weisen, einen Papiercodex,
der nunmehr in der herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha
unter der Bezeichnung B Nr. 50 verwahrt wird. Die Handschrift be-
steht aus 277 Blättern in Quart; jede Seite zählt 24 Verse (vgl. S. 339
oben) ; die Schrift ist sauber und stammt aus dem Ende des 15. Jahr-
hunderts. Auf der Rückseite des ersten Blattes heißt es: Dises Puch
sagt von der Zioitracht vnnsers Herrn Kaisers vnd seinem Bruder Her-
czog alhreclit vnd der lantschaft Osterreich vnd abfal der von wien vnd
stet das man es lesen mag als einen spricch oder singen als ein lied vnd
Michel Beham hat es gemacht vnd es haisst in seiner Angst loeiss wan
er fieng es an zu wien In der purg do er In grossen Ängsten loas iver
es singen woll der lieb es in diesen noten hie also an. Auf der folgenden
Seite beginnt das Gedicht mit sechs Reihen Musiknoten. Wir haben
es also mit Michael Beheim's Buch von den Wienern zu
thun. In diesem erscheint aber Augustinus von Hamer-
steten selbst als handelnde Person, als Begleiter des kaiser-
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 34]
liehen Obersten von Uraveneck, den die Wiener im Jaliro 1462
niedergeworfen hatten; er vertheidigte ihn mit noch vier Anderen,
die Beheim mit Namen anführt:
Aiiier (jenant u-as Asani schraniz
Des manheif die wass vest vnd aontz
Der stund neben dem Hern sein
Von Hammerstetten Augustein
Neben seinem Hern stunde
Ein Arm ward Im verivunde.
Die andern drey loaren vor dem Thor u. s. w.
Vgl. Th. Gr. V. Karajan, Michael Beheim's Buch von den Wienern.
W^ien 1843, S. LXXX f. und S. 53, Vers 7 ff., ferner Fr. Jacobs
und F. A. Ukert, Beiträge zur älteren Literatur oder Merkwürdig-
keiten der herzoglich öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 3. Bd., 1838,
S. 94 — 98. — Die Handschrift hat Haraersteten mit mancherlei Rand-
bemerkungen versehen, so schrieb er auf der ersten Seite am
oberen Rande: 1496. Soli altissimo. Idem vi infra. Ar^ daneben:
4. feria post palmarum in Torga (vgl. S. 339). A. . . .x A/uio 1496 \
zu S. 53, V. 5 u. 6 (Ausgabe Karajan's): V nobiles stipendidrii Impera-
toris, wodurch er sich nach Karajan's Meinung als kaiserlicher Söldner
bezeichnet. Zum Vers 31 der Seite 33 machte Hamersteten am unteren
Rande der Seite folgenden auch mit Ebendorfer's Angaben (Pez
II, 974) stimmenden Zusatz:
An hohen markt hin dazumal
Der Wiener Henker Maister pal
Hett Ein längs swert an der seiten
Snell richten on alles peiten
Schryen die pluthund alle
Daz tet gar vhel gevalle
Den gefangnen mitsambt Grafneken
Zesterben loaz ser erschrecken.
Daz schreibt A von Hamersteten
Vil lieber iver Er getreten
Frey hin durch Doriv ger xoarde
Daz solt Ir Im glauben pa/de
Von gotz q)iaden ward nichtz darauss
HoUtzer Hess füren in sein Haivs.
Im October 1497 — also wahrscheinlich bei Gelegenheit der
Überreichung des Buches von den Wienern — geschah es, daü
Hamersteten die Handschrift g, der er eine gereimte Wid-
342 FRANZ KRATOCHWIL
mung — wahrhaftig kein poetisches Meisterstück — vorangestellt
hatte (Bl. 1 — 8), dem genannten Kurfürsten von Sachsen anläßlich
des bevorstehenden Jahreswechsels zum Geschenke machte.
Gegen den Schluß seiner Zueignung sagt Haraersteten:
Ewr gnad nemhs hin
Z%i c^ef allen, das pitt ich ser
Dann mecht ich has, so tet ich mer
Seidmal ich Aurum ivenig hob,
So geet mir auch Argentum ab.
Über den Inhalt des Codex spricht er auf den zwei letzten
Blättern der Widmung'); hiebei nennt er Teichner einen „berümbten
Tichter wol bekannt". An seinen Dichtungen bringt er auch aller-
hand Änderungen an, während er Konrad von Würzburg und
Suchen wirt glücklicherweise verschont. Ja, er bemerkt rechts von
den neun ersten Versen des Suchen wirtischen Gedichtes ausdrücklich :
Ich hah die ding nit corrigirt
Von dem peter süchemvirt
Laß beleihen in Irem lo'firdt
Als man dauon sagen h'ert seil, audit.
Zum letzten Gedichte Teichner's schreibt er Bl. ISS"":
Was der teichner hat gesetzt
Daz ist gut vnd vnuerlefzt
In Syben vnd auch in Acht
Der Sillelb zal wol gemacht
Collatinirt, durch yettenn
Hat:^ A. von Hamerstenn (offenbar Schreibfehler!)
Vberal gerichtet gleich
Hie Zu Wienn in Osterreich.
Darauf Bl. 189" wieder eine Vorrede Hamersteten's zu dem letzten
Stücke der Handschrift, der Zuthat am Ende, Clenodium genannt
(Bl. 190"— 199*'). 190'' unten steht mit rother Tinte:
Anno Domini zc. XLII1° zc
per me — lo — p. scriptum ~
und Bl. 199'' unten ein Wappen, daneben: Clenodium venerahilis viri
Domini icolfgangi Clementis plebani Noueciuitatis et Canonici Ecclesie
Collegiate Sancti steffany wienn zc Sub Anno domini zc XLIII". Die
Schrift ist eine andere als in der Vorrede und älter, aber jünger als
') Einige auf den Inhalt des Codex bezüglicbe Stellen dieser Zueignung hat
Tentzel in den Monatlichen Untersuchungen 1691, S. 928 f. veröffentlicht.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCnENWIRT-HSS. 343
die des Codex: sie kann nur aus dem Jahre 1443^) stammen;
nicht von 1543, da die Handschrift schon 1497 nach Sachsen kam,
und aus dem Jahre 1343 nicht, weil es damals eine (Jollegiat-
kirche St. Stephan noch nicht gab. Das Jahr 1443 stimmt auch
ganz gut mit dem Lebensgange des genannten Wolfgang. Die Hand-
schrift Nr. 100 '') des k. und k. Haus-, Hof- und Staatsarchivs enthält
in Tora. 4, Bl. 278" — 325'' die Series Canonicorum Ecclesiae S. Ste-
phani, Viennae 1365—1783 (vgl. Dr. Const antin Edler von
Böhm, Die Handschriften des k. und k. Haus-, Hof- und Staats-
archivs, Wien 1873, S. 32). Bl. 286" findet sich zum Jahre 1424 be-
merkt: Dominus Wolfgangus Clementis^) Canonicus instnlkitus i)i die
Sancti Jeronimi. 29"" {siel) Septembris. Ohiit 1445. Während Wolfgang
sein Canonicat in Wien versah, war für ihn Pfarrverweser in
Wiener-Neustadt Niki as von Wien. Derselbe wird 1439 urkundlich
genannt; vgl. Ferd. Karl Boeheim, Gesammelte Schriften. Wien
1863, 2. Bd., S. 101 u. 210.
Was den Werth dieser Recension gegenüber C und m'^ betrifft,
so ist er so bedeutend, daß diese Handschrift des Gedichtes
von fünf Fürsten einem künftigen Neudrucke zu Grunde
zu legen sein wird.
Durch die Bekanntschaft mit der Gothaer Handschrift hat sich
gezeigt, daß m'^ und g auf das Engste verwandt sind. Icli ver-
weise nur auf m'g 7 in hoh(ch)en lo irden, 'S des, 11 grossen irnvdel,
25 seim, 29 m'^ edierst, g allrerst, m-g 39 vil ser, 43 da vil, 49 und
fehlt, 79, 141 u. 184 edlen, 87 gefueget, 89 mord.r, 94 wnjeheft , 101
end er nam, 110 fleisch da:;, vmrt , 113 treicen, 125 und, des loerder,
129 tcann, 131 eim, 133 und urnb daz,, 146 g la^ si, m"^ la seic, m'^g
151 kroniken, 160g aine:^ suU, m^ aine schüU, m^g 162 oder teic-
riing, 168 nahent euch, 167 mort (C maet), 169 chlage{n)nder (C cJdxtg
mid"), 176 der man, 182 do seio{si) , 200 sche{e)nileich , 204 dem
rechten, 205 vieln, 211 veinden do(da) zu, 215 do wart, 238 huetie).
So lange m'* allein mit C verglichen wurde, standen die Ab-
weichungen der Münchener Handschrift von C der S. 337 ausgespro-
') Jacobs' und Ukerfs Beiträge zur älteren Literatur ii. s. w. enthalten im
zweiten Bande 8. 312 — 318 manch Irrthümlichcs über diese Handschrift. So trans-
scribieren die Herausgeber die Zahlenangaben Bl. 19u' und 199'' in g auf folgende
Weise: nC.XLM^TC. und HCXLM^^!
^) Einst Eigenthum des Wiener Canonicus l'ranz Paul Edlen von
S m i t m 6 r.
*) Seil, ßliua.
344 FR KRATOCHWIL, ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND etc.
ebenen Annahme , daß m" aus derselben Quelle wie C geflossen,
durebaus niebt binderlicb im Wege. Ganz anders gestaltet sich das
VerbältniÜ , nachdem sich gezeigt, daß auch g an denselben Stellen
von C abweicht wie m^. Denn soll der Zufall wirklich möglich sein,
daß der Schreiber von g und der um mehr als ein halbes Jahrhundert
später thätige Schreiber von m'-' gerade an denselben Stellen von N
abänderten, ja noch mehr, daß sie sich die gleichen Abänderungen
erlaubten ?
Allerdings unterscheidet sich m*^ auch hie und da von C, wäh-
rend g und C übereinstimmen. Dies erklärt sich daraus, daß m^ wie
schon früher bei Vergleichung von m'' mit w gesagt wurde, weniger
sorgsam abgefaßt wurde; so fehlt in m*^ 2 a/5, 33 jar, 46 mul, 207
veint und 165 utid freud, so daß dieser Vers nur drei Hebungen mit
stumpfem Schlüsse hat. Dieselbe Erscheinung wurde durch Apokope
im Reime in den Versen 126, 128, 162, 238 und 240 herbeigeführt.
Störung durch Apokope findet sich auch 144 daucht und 154 halb,
durch Synkope 206 tratn^ durch Verschreiben 2 geslachte, 16 mit
ernst und 94 ""gepunden, endlich durch Sinnlosigkeit 57 osterreich,
58 u. 59 in anstatt sey.
Es stimmen aber auch einige Mal C und m^, während g allein
steht; so hat g 31 recht, 60 weibes, 64 suUen, 122 untretin, 147 alle,
156 und prinnt recht als ein cherzen, 181 dem lannde, 194 wellen, 204
beleiben, 211 veinden da zu, 213 do si, 228 tu sew, 201 fehlt und.
Diese wenigen Stellen ausgenommen, bietet g fast immer das
Richtige sowohl in Bezug auf den Inhalt und Ausdruck,
als auch in metrischer Hinsicht.
Trotz dieser Verschiedenheiten ist die Übereinstimmung zwischen
g und m*^ eine in die Augen fallende; sie zwingt zur Annahme, daß
g die Vorlage für m'* gebildet habe. Und g? g kann sehr
wohl nach N geschrieben worden sein. Dafür spricht, daß
beide in Osterreich entstanden sind und der Zeit nach einander nicht
ferne stehen. In diesem Falle wäre g der Vorlage treuer gefolgt,
während C hie und da modernisierte; vielleicht war auch für den
Schreiber von C seine Vorlage bereits öfter schwer leserlich, oder er
las flüchtig, wie dies bei V. 51 winken für kroniken der Fall gewesen
sein dürfte. Dagegen spricht weniger der Einwand, warum, wenn
N die Vorlage war, der Schreiber von g daraus nur die goldene
Schmiede und das Gedicht von fünf Fürsten wählte, warum er nicht
noch andere zu dem Inhalte der bereits aufgenommenen vollkommen
passende Gedichte Suchenwirt's (z. B. religiösen Inhalts) abgeschrieben
L. FRÄNKEL, BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATUR. 345
liabe; vieiraehr aber der Gedanke, da(.> g der Schrift nach höchst
wahrscheinlich .noch vor 1402 zu setzen ist.
Doch schwerlich wird sich die Schrift bis auf ein Jahrzehnt
mit Sicherheit bestimmen lassen. Wer sich aber trotzdem darüber
nicht beruhigen kann, für den bleibt nur die Annahme, daß g nach
des Dichters Autograph oder nach einem zu dieser Zeit schon
üblichen fliegenden Blatte geschrieben worden sei.
Zum Schlüsse noch die Bemerkung, daß im Gedichte von fünf
Fürsten weder in C noch in m^ und g eine Andeutung strophischer
Gliederung zu finden ist.
(Fortsetzung und Schluß folgt.)
FRANZ KRATOCHWIL.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND - LITTERATUK.
Ludwig Uhland, dem zweifellos volksthümlichsteu Dichter deutscher
Zunge, dem erfolgreichen Erforscher unserer Vorzeit, dem rüstigen Vertreter
alter guter Sitte und Satzung und wackeren Streiter für des Gesamnitvater-
landes Freiheit und Größe ein seiner würdiges litterarisches Denkmal zu
errichten , darin gipfelt mein in absehbarer Zeit zu verwirklichender Plan.
Um nun für diese Aufgabe in ihrem vollen Umfange einen sicheren Boden
zu gewinnen, hielt ich es für angebracht, vorerst eine Bibliographie der
gesammten mir erreichbaren Uhland-Litteratur zu entwerfen , deren Fehlen
ich bei Abfassung meiner Studie über Uhland als Romanist ') empfindlich
verspürt hatte. Die bescheidene Sammlung wuchs mir aber unversehens
unter der Hand und entwickelte sich zu einer so beträchtlichen Ausdehnung,
daß sie einen gewissen selbständigen Werth wohl beanspruchen darf. Ich
lege dieselbe hier den Fachgenossen vor, indem ich zwar bitte, sie nicht
bloß als Vorstufe, sondern als einen Ausschnitt der Arbeit selbst zu be-
trachten, jedoch mit dem Geständniß nicht zurückhalten will, daß die mannig-
fache Unvollkommenheit des Ergebnisses auf vielseitige Ergänzung durch
Kenner der Sache rechnen muß.
Einige Erläuterungen über die Anlage des Verzeichnisses seien voraus-
geschickt. Die rein durch die Zeitfolge bestimmte äußere Anordnung erwies
sich unter Anderem auch dadurch als die geeignetste, weil allein sie ge-
stattet, der wechselnden größeren oder geringeren Zuneigung der Kritik eine
Art Maßstab für die in verschiedenen Zeiten ungleiche Beliebtheit und
Werthschätzung Uhland's zu entnehmen. Was den Inhalt des Katalogs, wel-
cher vermöge der beigegebenen Andeutungen über Stoff und Seitenzahl der
angeführten Nummern und der Hinweise auf sachkundige Besprechungen
*) Archiv für das Studium der neuereu Sprachen und Litteraturen, herausgeg.
von L. Herrig, 80. Band (1888), S. 25—11.3, und 82. Band (188<)), S. 233—235.
GERMANIA. Neue Reihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 23
346 L. FRÄNKEL
zugleich ein Wegweiser durch die zerstreute Litteratur sein möchte , hin-
sichtlich des Maßes des darin aufgenommenen Materials betrifft, so sei be-
merkt, daß nur für selbständig erschienene Bücher und Abhandlungen größt-
mögliche Vollständigkeit angestrebt wurde. Von Aufsätzen in Zeitschriften
und Tagesblättern, namentlich von den zahlreichen Nekrologen der Jahre 1862
und 1863 und den Jubiläumsartikelu von 1887, fanden hingegen meist nur die
Aufnahme, welche durch Hervorhebung eigenartiger G-esichtspunkte Anspruch
auf bleibende Bedeutung erheben dürfen. Aus letzterem Grunde werden auch
eine Anzahl von Einzelstellen aus Werken genannt, deren Absehen zunächst
nicht auf eine Würdigung Uhlands gerichtet ist. Anfänglich beabsichtigte
ich auch eine möglichst erschöpfende Liste aller hervorragenden Charakte-
ristiken Uhlands in allgemein litterarhistorischen Schriften mitzutheilen. Aber
dies Vorhaben zeigte sich einerseits undurchführbar — denn wenn eine
Kategorie des deutschen Büchermarktes Legion ist, so ist es die Zahl der
litterargeschichtlichen Handbücher großen und kleinen Kalibers — anderer-
seits kaum zweckmäßig. Entweder nämlich wird an gedachter Stelle Uhland
nur ganz flüchtig berührt oder sonst sein Bild meist bloß in leichten Umriß-
linien gezeichnet, so daß die Erkenntniß seines menschlichen und schrift-
stellerischen Wesens hier keine Förderung empfangen kann; die wenigen
bemerkenswerthen Schilderungen, welche auf wirklich individueller Anschauungs-
weise beruhen, wie bei Gervinus, J. Hillebrand, Jul. Schmidt, Scherer, von
den Freunden Uhland's auch ohne besonderen Hinweis aufgesucht, bieten
dem Specialisten kein neues Licht.
Von Vorarbeiten kann eigentlich nicht die Rede sein. Dankbar wurde
benutzt, was Bartsch's mit 1862 einsetzende Bibliographien in der „Ger-
mania", Strauchs Jahresübersichten in den letzten Bänden des „Anzeigers
für deutsches Alterthum und deutsche Litteratur'' und einige andere ähnliche
Zusammenstellungen allgemeinen Charakters ') gewährten , wenn mir auch
nur sehr selten ein Titel oder eine Notiz entgangen war. Den einzigen
bibliographisch wie immer musterhaften Überblick gab (bis 1881 reichend)
K. Goedeke im Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung IH, S. 338 If.,
woselbst er auch S. 320 flF. einen alles Wissenswerthe knapp zusammen-
fassenden Bericht über die gesammte Thätigkeit Uhlands geliefert hat ;
Fasold's 'Verzeichniß der Uhland - Literatur' in Herrig's Archiv Band 72,
S. 411 — 414 ist eine unmethodisch angelegte, kritiklos durchgeführte und
im Einzelnen ungenaue und unzuverlässige Skizze, der Abriß Hassenstein's in
der Einleitung seines unten zu 188 7 genannten Buches im engsten Rahmen
gehalten. Daß sich die Fasold'schen Mängel bei mir nirgends fühlbar machen,
wage ich nicht zu behaupten, wo so manches Citat nicht nach eigener An-
schauung gegeben werden konnte , einige wenige Belege aber überhaupt
unzugänglich blieben. Möge jedoch diesem Versuche wenigstens das Verdienst
') Z. B. der Jahresbericht über die Erscheinungen auf dem Gebiete der ger-
manischen Philologie , herausgeg. von der Gesellschaft für deutsche Philologie in
Berlin (9 Bände 1880—1888), das zur Bibliotheca philologica' gehörige 'Verzeichniß
aller neuen Erscheinungen auf dem Gebiete der Philologie' von Heyse und Blau u. A.
Dankbar erwähne ich für 1863 auch R. Goscbe's Übersicht in seinem Jahrbuch für
Littgesch. (1865) .379 ff.
BIBLIOGRAPHIE DEK UHLAND-LITTERTUR. 347
nicht abgesprochen werden, den Grund zu einer Sammlung von allem über
Uhland Geschriebenen zu legen und dies hier an einer Arbeitsstätte , in
deren erste Anbauzeit noch sein berathendes Wort, von eigener wackerer
That begleitet, verheißungsvoll hineingeklungen ist.
1783. Auf die Uhlandische und Hoserische Verbindung am 20. März
1783. Tübingen. 4 Bl. (Diese ungemein seltene Festschrift zur Hochzeit von
L. Uhland's Eltern ist bisher sämmtlichen Bio- und Bibliographen entgangen;
mit dem Druckfehler 'Hofcrische' ist sie im Antiquarkatalog 178, S. 47 der
Berliner Buchhandlung S. Calvary und Co. [I88tj] verzeichnet.)
1807. Morgenblatt für gebildete Stände (Stuttg.) 13. Jan., Nr. 11,
S. 43 zur Veröffentlichung von U.'s lyrischen Erstlingen; vgl. Intelligenz-
blatt zum Morgenblatt 1808, Nr. 3, S. 12.
1815. Uhland's Gedichte (l.Aufl. ') Stuttgart, Cotta 1815) besprochen
in den Heidelbg. Jahrb. Bericht S. 168.
1818. U.'s "Ernst, Herzog von Schwaben (Heidelberg, Winter 1817),
besprochen: Wünschelruthe S. 43 f., Leipziger Litteraturztg. Nr. 250 (vgl.
Wiener Jahrb. der Litteratur VII, 11 u. VIII, 255).
Studien. Ein Beitrag zur neuesten Dramaturgie, oder über Müllner's
Schuld, Uhland's Ernst und Kotzebue's Rehbock (München).
1819. U.'s Gedichte, besprochen in Kotzebue's Literar. Wochenblatt,
October, 4, 31, S. 246; desgl. in der AUgem. Litteraturztg., August, Nr. 205,
S. 785—789.
U.'s Vaterländische Gedichte', besprochen in der .\llgem. Litteraturztg.,
October, Nr. 114 (Ergänzungsbl. S. 912).
Ernst, Herzog von Schwaben : Bericht über die erste Aufführung in
Stuttgart am 7. Mai im 'Gesellschafter' Nr. 124.
U.'s Ludwig der Baier (Berlin, G. Reimer, 1819), besprochen: Litte-
raturblatt zum Morgenblatt für gebildete Stände Nr. 37; desgl. Kotzebue's
Literar. Wochenblatt Nr. 39.
1821. Ludwig der Baier , besprochen in der Leipziger Litteraturztg.
S. 2001.
Gedichte. Zweite verm. Aufl. (1820) besprochen: Leipz. Litteraturztg.
S. 2129.
1822. Walther von der Vogelweide, ein altdeutscher Dichter, ge-
schildert von L. Uhland, besprochen Allgem. Litteraturztg. 2, 481; Leipz.
Repertorium 4, 269. (Vgl. Wiener Jahrbücher der Literatur XXV, 70;
XXX, 46; XCII A, Bl. 3.)
1823. L. Uhland, de constituenda re publica carmina, latine edidit
G. Schwab (Stuttgart) 4.
1826. Gustav Schwab, 'Ludwig Uhland als Dichter'. Mit U.'s Porträt.
Moosrosen, Taschenbuch, herausgegeben von W. Menzel, S. 1 — 37 (Schwab's
') Die Ergebnisse einer von mir angestellten Vergleichung der verschiedenen
Ausgaben veröffentliche ich nicht, so lange noch die von Professor W. L. Holland,
dem die reichlichsten und gedieojensten Quellen fließen, angekündigte kritische Abschluli-
ausgabe, mit vollständigem Variantenapparat ausgestattet, in Aussicht steht. Doch soll
eine ausreichende Bibliographie sämmtlicher litterarischen Leistungen Uhland's bald
folgen.
23*
348 L. FRANKE L
'^ Kleine prosaische Schriften, herausgegeben von Klüpfel [Tübingen 188J]
S. 1 ff.)
Bericht über die Aufführung von Ludwig der Baier' in München : Abend-
zeitung Nr. 287.
Fr, Diez, Die Poesie der Troubadours, S. 195, A. 1 'über das alt-
franz. Epos' [2. Aufl. von Bartsch, lb83. S. 172, A. 1].
1827. Gedichte, 3. Aufl. (1826), besprochen: Allgem. Litteraturztg.
I. Halbband des Jahrgangs S. 335.
'Bericht über die Aufführung von Ernst von Schwaben in Wien: Abend-
zeitung Nr. 128.
Wilhelm Müller, Die neueste lyrische Poesie der Deutschen. Ludwig
Uhland (und Justinus Kerner) : Hermes oder Leipziger kritisches Jahrbuch
der Literatur 28. Band, S. 94 — 114; vgl. W. Müller, Vermischte Schriften,
herausgeg. von G. Schwab (Leipzig 1830), IV, 95 ff.
W. Grimm in den Gott. Gel. Anzeigen IH, S. 202Ö (über U.'s 'Wal-
ther V. d. V.'): Abdruck in W. Grimm, Kleinere Schriften H (1882), S. 386.
1829. Fr. Diez, Leben und Werke der Troubadours' (Zwickau) S. (313 f.
1830. 'Ludwig Uhland unser Lebewohl'. (Gelegenheitsgedicht.) Stuttgart.
1831. M. W. Götzinger, Deutsche Dichter erläutert. I. (Leipzig.) S.351 —
414 (2. Aufl. [1844], S. 471—545). (Ludwig Uhland nebst Erklärung von
10 bez. 16 Balladen.)
G. Schwab, Besprechung der 5. Aufl. von U.'s Gedichte' (besonders
über: der Mohn, Münstersage, Ver sacrum).
1833. K. Lachmann, 'Wolfi-am von Eschenbach' (Berlin) p. XL, Note
(U. über das altfranzösische Epos).
K. Simrock, Walther von der Vogelweide übersetzt', Vorrede S. IV
u. VI (6. Aufl. S. XXXIV f.).
Notiz über die 6. Auflage der Gedichte (1833) in Menzels Literatur-
blatt Nr. 52 (20. Mai).
1834. (Goethe im) 'Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter (Berlin)
VI, 306 (Äußerung vom 4. October 1831).
1835. H. Viehoff", Programm des Gymnasiums zu Emmerich S. 13
(Des Sängers Fluch).
G. Schwab, Die deutschen Volksbücher wiedererzählt S. VI (Notiz zum
Fortunat).
1836. L, Börne, Beranger et Uhland in seiner 'La Balance. Revue
allemande et fran9aise' (Paris) I, 17 — 46 (Abdruck in der Hamburger Aus-
gabe der Gesammelten Schriften VII, 314 ff. [Eine Stelle aus S. 19, sowie
S. 23 f. theilt Börne in deutscher Übersetzung mit in Menzel der Franzosen-
fresser'. New- Yorker Ausg. von Jos. Wieck III, 37 f.])
Goethe's Gespräche mit Eckermann (Leipzig) I, 65 f. (Gespräch vom
21. October 1823); vgl. II, 358 f. (von 18J1; inhaltlich stimmt damit
genau die unter 1848 angeführte Äußerung Eückert's).
K. Gutzkow, Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur (Stuttg.)
I, S. 57 — 66.
H. Heine in: Die romantische Schule (Hamburg): Sämmtliche Werke,
Hamburg 1861, VI, 254 — 270.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATUK. 349
H. Viehoft', Ausgewählte Stücke deutscher Dichter erläutert und auf
ihre Quellen zurückgeführt (Emmerich): I, 248 Das Schloß am Meere, 251
Des Sängers Fluch, 2G1 König Karl's Meerfahrt.
1837. G. Pfizer, Uhlaud und Kückert. Ein kritischer Versuch (Stutt-
gart und Tübingen).
1838 (?). Uhland'sche Lieder und Balladen , übersetzt von Margaret
Füller bei George Ripley, Specimens of Foreign Literature (14 vols). Boston
1838—1842 (s. Goethe-Jahrbuch V, 232).
1838. C. C. Heuse: Ludwig Uhland, Halle'sche Jahrbücher S. 893 flF.
Melch. Meyer, Die poetischen Richtungen unserer Zeit [Heine. Platen.
Uhland. Rückert. Das „junge"' Deutschland.] (Erlangen.^ S. 87 — 1 1 G.
A^arnhagen von Ense, Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften
(Mannheim) II, 53 ff., 198; vgl. in der zweiten Auflage (Leipzig 1843 ff.)
All, 65 u. 77, IX, 232 ff,, 415, 426 f. (schon 1808 und 1810 geschrieben),
auch m, 96 f. 98 und 121.
W. Grimm in den Gott. Gel. Anz. 1, S. 491 f. (U. "^Über das altfran-
zösische Epos'). Abdruck in AV. Grimm, Kleinere Schriften II (1882), S. 474.
1839. A. V. Chamisso, Sämmtliehe AA'crke (Leipzig) V, 287, 291 u. 31« f.
(schon 1810 niedergeschriebene Charakteristik Uhlaml's und seiner Lyrik).
Th. Echtermeyer, Auswahl deutscher Gedichte (Halle) S XXI f. (die
Uhland'sche Rhapsodie), S. XXX, Note („Sängerfluch"), zuerst in „Hallische
Jahrbücher für deutsche AA'^issenschaft und Kunst" 1839, Nr. 9(5 ff.
H. Heine, der Schwabenspiegel im Jahrbuch der Literatur, I. (einziger)
Jahrgang (Hamburg), S. 335 — 3G2 (Sämmtliche Werke, XIV, 81 — 108; 1862).
K. Gutzkow, Jahrbuch der Literatur S. 4G ff.
R. H. Hiecke, Über den Ideengehalt in Uhland's Ballade „Des Sängers
Fluch". Gymnasialprogr. Älerseburg (26 S.).
W. B. Mönnich, Über L. Uhland's Herzog Ernst von Schwaben (Nürn-
berg).
D. Fr. Strauß, Zwei friedliche Blätter (Altena) S. 31 ff. (U. und Kerner).
L. AVienbarg, Die Dramatiker der Jetztzeit (Altona) Nr, 1 (vgl. unter
1867 Hebben.
Vangerow , Leitfaden der Pandektenvorlesungen (Marburg) I, S. G44
(über U.'s Doctordissertation).
J. A. X. Michiels, '^Etudes sur I'Allemagne'. Darin (?) u. A. 'Des Sängers
Fluch' als ' la malediction du chanteur .
1842. A., Dem deutschen Sänger L. Uhland (Braunschweig).
R. H. Hiecke, Der deutsche Unterricht auf deutschen Gymnasien S. 153 f.
(Schwäbische Kunde) und S. 155 u. 159 f. (die Rachel.
Fr. Notter in: Schwaben wie es war und ist, herausgeg. von L. Bauer
(Karlsruhe). I. Abtheilung, 4. Aufsatz.
C. C. Hense , Deutsche Dichter der Gegenwart. Erläuternde und kri-
tische Betrachtungen (Sangerhausen) I, S. 1 ff.
F. de Roisin in der Notiz zu seiner in den Mcmoires de la Societe
des Antiquaires de la Morinie abgedruckten Übersetzung Les Romans en
Prose des Cycles de la Table Ronde et de Charlemagne' (s. E. Stengel, Bei-
träge zur Geschichte der roman. Philologie in Deutschland 188G, S. 17).
p. 4 (U. als Romanist).
350
L. FKANKEL
1843. Kellner, Vorbereitungen auf höheren Sprachunterricht (Erfurt)
S. 140 (Das Glück von Edenhall), 149 (Tell's Tod), 157 (Des Sängers Fluch).
1844. R. H. Hiecke in Viehoff's Archiv für den deutschen Unterricht
I, 40 ff. (U.'s 'Einkehr'). Vgl, ebenda II, 199.
W. B. Mönnich , Ludwig Uhland und seine Gedichte. Separatabdruck
aus dem Album des literarischen Vereins zu Nürnberg.
Joh. Scherr, Poeten der Jetztzeit (Stuttgart); der (zweite) Aufsatz über
schwäbische Dichter behandelt besonders Uhland.
1845. Mönnich, Über Uhland's Schauspiel Ludwig der Baier (Nürnberg).
1846. Chr. Oeser (Schröer), Weihgeschenk für Frauen und Jungfrauen
(Leipzig) S. 447 — 452 (U. als Balladendichter).
Poesies allemandes par J. P. Hebel, Th. Körner, L. Uhland, H. Heine
traduites par Max Buchon (Salins, Cornu); u. A. Le comte des greiers,
le jardin des roses, trois jeunes filles, la Faucheuse.
1847. J. V. Eichendorff, Über die ethische und religiöse Bedeutung
der neueren deutschen Poesie in Deutschland (Leipzig) S. 198 ff.
R. Hiecke, Ästhetische Erläuterungen zu U.'s Bertran de Born. (Vie-
hoff-) Herrig's Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen
II, 303—317.
Ludwig Bauer's Schriften (Stuttgart) p. XLVII (Brief von 1830: U.
als Professor).
Poesie di Luigi Uhland e di altri autori tedeschi, imitate da Nie.
Negrelli, con note e prose (Venezia, Münster).
1848. Uhland's „Sängers Fluch", englisch: Herrig's Archiv f. d. Stud.
d. neueren Sprachen IH, 247.
Briefe Uhlands in: Briefe an Friedrich Baron de la Motte Fouque.
Herausgeg. von Albertine de la Motte Fouque (Berlin) S. 493 — 500; Äuße-
rungen Rückert's über Uhland aus den Jahren 1814 — 1817 in seinen Briefen
S. 316 ff.
Alexander Platt, The Poems of Ludwig Uhland. New for the first time
translated from the German. Together with a biographical notice of the
author and necessary notes [Leipzig).
1849. R. Foß, Zur Erklärung deutscher, vorzüglich Uhland'scher Ge-
dichte. Progr. d. Friedrich -Wilhelms-Gymnasiums zu Berlin. (I. Elfenlieder.
II. Das Märchen.)
R. H. Hiecke, Ästhetische Erläuterungen zu zwölf Uhland'schen Ge-
dichten in: F. Low und F.Körner, Pädagogische Monatsschrift III. (Abdruck
1864 in Hiecke's Aufsätzen s. u.)
1850. Th. Kriebitzsch, Deutsche Dichtungen, erläutert (Erfurt-Leipzig) :
[S. 5 des Sängers Fluch, S. 20 Klein Roland, S. 22 Roland Schildträger,
S. 25 König Karls Meerfahrt, S. 26 Schwäbische Kunde, S. 63 Die Rache].
1851. M. Hertz, Karl Lachmann (Berlin) S. 239 (L.'s Verhältniß zu U.).
J. Schenkel, Deutsche Dichterhalle des 19. Jahrhunderts (Mainz) III,
S. 327 bis 339 Ludwig Uhland.
1852. A. Steudener, Zur Beurtheilung von L. Uhland's Dichtungen.
Progi-. d. Gymnasiums zu Brandenburg a. d. Havel.
1853. Nicolaus Lenau's Briefe an einen Freund. Heiausgegeben mit
Erinnerungen an den Verstorbenen von K. Mayer (Stuttgart) S. 12, 30, 35 f.,
37, 40 f., 129 u. ö.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATUR. 351
Emma von Niendorf, Lenau in Schwaben (Leipz.) S. 129 (U.'s Volkslieder).
K. A. V. Reichlin-Meldegg, K. E. G. Paulus und seine Zeit (Stuttgart)
II, 271 f. (Brief U.'s an Paulus vom 18. Dec. 1818.)
Sanders in: Der praktische Schulmann, herausgegeben von F. Körner
(Leipzig) II, S. 218 (Schwäbische Kunde).
Ludwig Uhland. Eine Biograi^hie (Cassel, Bälde/ in : Moderne Classiker.
Deutsche Litteraturgeschichte der neueren Zeit (von W. Neumann).
(A. Tellkampf) Phantasus. Eiue Auswahl aus erzählenden Dichtungen
der Romantiker. Mit einleitenden Bemerkungen über die romantische Schule
'^Haunover; Neudruck, Erfurt 1883) S. 47.
1854. J. Grosse, Über die Bedeutung der modernen Romantik mit
Rücksicht auf die bildende Kunst (^Berlin) S. 4 u. 9 (vgl. auch S. 22 u. 3Ü).
Wt'udt, Die dramatischen Dichtungen von Uhland: Herrig'a Archiv
15, 1 — 16.
A. Steudener, (U.'s) Scheiden und Meiden: Herrig's Archiv l5, 412.
1855. Weimarisches Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und
Kunst, herausgeg. von Hotfmann v. Fallersleben und Oscar Schade (Han-
nover) III, 215 f. Brief U.'s an Gustav Anton vom 27. Nov. 1842.
A. X. Schurz, Lenau's Leben (Stuttgart) I, 124 u. 347.
Aus dem Leben von Johann Diederich Gries. Nebst seinen eigenen
und den Briefen seiner Zeitgenossen. Als Handschrift gedruckt o. 0. (Leipzig,
Brockhaus) S. 174 f. (Schwab über U.).
1856. K. Mayer, Das Sonntagsblatt. Eine Erinnerung aus der roman-
tischen Literaturperiode: AVeimar. Jahrbuch V, 33 — 51 (vgl. in Mayer's
Ludwig Uhland und seine Zeitgenossen* 1867, I, 16 ff.).
R. Foß, Erläuterungen zu Uhland's Eberhard der Greiner (Berlin).
Job. Scherr, Dichterfürsten (Leipzig) Nr. 3. Uhland.
Herrig's Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen 19, 123 u. 125
(U.'s Verdienste um die Popularisierung der älteren deutschen Literatur).
1857 G. Liebert, Ludwig Uhland. Eine Skizze (Hamburg). [2. Aufl.
1863].
Uhland's „Einkehr" englisch: Herrig's Archiv 22, 221.
1858. K. Klüpfel, Gustav Schwab. Sein Leben und Wirken (Leipzig)
S. 30, 49, 108 f., 203 f., 226 f., 275 ff., 324 u. ö.
Seydel in: Der praktische Schulmann (Leipzig) VI, S. 90 (Der blinde
König).
C. Gude, Erläuterungen deutscher Dichtungen (Leipzig). Erste Reihe
(3. Aufl. 1870) S. 177 Des Sängers Fluch, 239 Klein Roland, 247 Der
blinde König, 251 Roland Schildträger, 262 Schenk von liimburg, 269 Lied
eines Armen, 277 Schäfers Sonntagslied. Dasselbe, dritte Reihe (2. Aufl. 1869)
S. 176 Des Knaben Berglied, 186 Schwäbische Kunde, 204 Bertran de Born,
211 Graf Eberhard der Rauschebart.
1859. K. Th. Kriebitzsch, Musterstücke mit Erläuterungen (Glogau):
S. 41 Lied eines Armen, 93 Des Knaben Berglied, 99 Der gute Kamerad,
201 Der weiße Hirsch.
Rob. Prutz, 1. Auflage des unter 1860 genannten Buches (s. d.j.
Sachs, Herrigs' Archiv 26, 139 f. (U. und das Altfranzösische).
Jul. Schwenda, Schiller und Uhland. Eine Dichterparallele (Wien).
352 1^- FRANK EL
1860. 0. Eiben, Das Schiller-Fest in Schiller's Heimat S. 53.
R. Foß, Erklärung Uhland'scher Gedichte (Das Nothemd, Das Schwert,
Siegfried's Schwert, Die drei Lieder): Herrig's Archiv 28, 187 — 208,
H. E., Ludwig Uhland: Gartenlaube Nr. 41.
Rob. Prutz, Die deutsche Literatur der Gegenwart. 1848 — 1858 (Leipzig)
I, S. 71 u. 83 (2. Aufl.).
1861. K. Mayer, Ludwig Uhland : Album schwäbischer Dichter (Tübingen)
1. Lief. (32 S.).
Julian Schmidt, Ludwig Uhland (Biographie und Charakteristik): Illu-
strirte Zeitung (Leipzig) Nr. 9^9 (9. Febr.).
G. Köhler, Die Vertreter der schwäbischen Dichterschule nach ihren
ethischen und religiösen Gesichtspunkten. Progr. (14 S.)
1862. I. vor dem Tode:
J. V. Laßberg, bei Sulpiz Boisseree (Stuttgart, Cotta) I, 570.
W. Petsch, Ludwig Uhland. Jubelschrift (Berlin).
A. Wolf im Jahrbuch für romanische und englische Literatur, heraus-
gegeben von Wolf und Ebert 4, 227 (U. und das altfranz. Epos).
G. Zimmermann, Uhland als lyrischer und epischer Dichter (Progr.
Darmstadt).
L. Schücking, Annette von Droste. Ein Lebensbild (Hannover) S. 139
(U. und Freih. von Laßberg) ').
H. nach dem Tode :
M. Georgii, Zum Andenken an Uhland (Leichenrede. Tübingen).
W. L. Holland, Chrestien's Chevalier au lion (Neuauflagen 187 9 und
1885): Anmerkungen zu V. 2185, 4088, 5188, 5933 f. u. ö.
Otto Müller, An Uhland's Grab: Didaskalia (Frankfurt a. M.) Nr. 319
u. 320 (18. November).
Die Uhland-Feier des Liederkranzes : Didaskalia Nr. 319 u. 320, Nr. 326
u. 327 (K. W. 25. November) und 'Feuilleton der Neuen Frankfurter Zeitung
Nr. 277 (25. November).
Theod. Creizenach, Gedächtnißrede auf L. Uhland: Didaskalia Nr. 328
bis 330").
(Fr. Notter), Ludwig Uhland, Nekrolog: Schwäbischer Merkur, Dec.
(Sonderabdruck von 12 S.).
Franz Pfeiffer, Ludwig Uhland. Ein Nachruf (Wien). Sonderabdruck
aus der 'Wiener Zeitung' vom 29. November, Nr. 44, Beilage. (Wiederabdruck
in Fr. Pfeiffer, Freie Forschung. Wien 1867, S. 397 — 412).
*) Vgl. L. Schücking's Gedicht Die Meersburg 2. Str. 6 — 11 (s. z. B. Echter-
meyer's Auswahl deutscher Gedichte ^* S. 698 f.). Einzelne Mittheilungen der A. von
Droste-Hülshoff über U. in den neuesten VeröÖ'entlichungen über sie, z. B. in den
1887 erschienenen Biographien von Hüffer imd von Kreiten. Eine Probe aus ihrem
Tagebuche ergänze den oben gegebenen Hinweis: „Auch Uhland war hier [bei Laß-
berg]; Gott, was ist das für ein gutes, schüchternes Männchen."
') Die letzten drei Notizen verdanke ich Prof. Th. Creizenach's Witwe in Frank-
furt a. M. , der ich d.adnrch ebenso verpflichtet bin wie Herrn Prof. W. Creizenach
in Krakaix für seine freundliche Benachrichtigung.
BIliLlÜCJKAl'lIlK DKK UlILAND LITTHlJATLi:. 353
(Gust. Pfizer), Ludwig üliland: Allgemeine Zeitung (Augsburg) Nr. 338
bis 345 des Jahrgangs.
A. Ruperti, Ludwig Fhland: Zeitung ..Telegraph" vom 31. Deceniber.
L. Scherk, Erinneiungen an L. Uhland: Weserzeitung (Bremen) Nr. 5904,
vom 18. November.
Ludwig Uhland: Gedenkbliitter auf das Grab des Dichters (Tübingen) 32 S.
Ludwig Uhland: Grenzboteu (Leipzig) TL Theil des Jahrgangs S. 400 ff.
Der Uhlaud'sche Stamm: Tübinger Chronik Nr. 228. S. 931 und Nr. 234,
S. 956.
1863. Berthold Auerbacli, Rede zum Gedächtnisse Ludwig Uhland"s:
Jac. Grimm's Deutsche Blätter, October (Abdruck in Auerbach's Deutschen
Abenden N. F., Stuttg. 1867, S. 121 — 140). Vgl. auch'Voßische Ztg.' Nr. 26 ,
Beil. 1 (Die Uhland-Feier in Berlin) und 'Berliner Allgem. Ztg.' Nr. 53 ( Die
Ühland-Feier im Victoria-Theater' zu Berlin, mit Auerbach's Festrede).
Adolf Bacmeister, Rede zu Uhland's Todtcnfeier (Reutlingen). Vgl.
Ad. Bacmeister, Abhandlungen und Gedichte 1886.
(Reinhold Bechstein), Unsere Tage (Braunschweig) Heft 50, S. 686 — 7Ü4.
Auguste Beranger, L. Uhland: (Genfer) Bibliothrque universelle,
20. Januar.
Ludwig Eckardt, L. Uhland. Gedächtnißrede (Karlsruhe). Abdruck in:
Eckardt, Wandervorträge aus Kunst und Geschichte (Stuttg. 1868) S. 159 — 178.
R. Foß, Ludwig Uhland. Ein öffentlicher Vertrag (Berlin) 38 S.
Ludwig August Frankl in: Die Presse (Wien) Nr. 2.3, 27, 36.
Joh. Gihr, Uhland's Leben. Ein Gedenkbucli für das deutsche \'olk
(Stuttgart) 381 S. ').
Otto Jahn, Ludwig Uhland. Vortrag. Mit literarhistorischen Beilagen
(S. 217 — 231 'chronologisches Verzeichnis der Gedichte' von Michael Beinays)
231 S. (Bonn) Vgl. Literar. Centralblatt, herausgeg von Zarncke , Sp. 597.
{\y. Jordan), Uhland als Sagenforscher: Deutsche Vicrtcljahrsschrift
XXVI, S. 172 — 198 (vgl. die Berichte des Frankfurter Freien deutschen
Hochstifts von demselben Jahre).
Ad. V. Keller, Urkundliches zu Uhland's Leben: Staatsanzeiger für
Württemberg Nr. 25.
(K. Klüpfel), Johann Ludwig Uhland: Unsere Zeit (Leipzig) Bd. VII,
74. Heft, S. 81—108.
C. Koch, Gedächtnißrede auf L. Uhland (Braunschweig).
A. F. Krannhals, Ludwig Uhland: Baltische Monatsschrift VII, S. 392
bis 408.
Herm. Marggi-aff, Blätter für literar. Unterhaltung (Leipzig Nr. 28,
S. 513 f. (über Notter, Jahn, Gihr, Foß).
K. Mayer, Ludwig Uhland. Gedenkblätter (Tübingen) [2. Aufl. 1873")].
') Nach der Angabe der BufliliäiKlloi-N'aeli.sclilageweike , der meisten Litterar-
liistoriker und der mir vorliegenden Exemplare zu urtbeilen, e.xistiert wohl nur eine
Ausgabe von 1864. Es ist möglich, daß der Zahlenfehler aus einer Quelle stammt
und sich durch eine Reihe von abhängigen Schriften forterbte
') Unter dem Titel : Ludwig Uhland, geschildert von seinem F'reniifle Kail .Mayer.
Festschrift zur Feier der Enthüllung des Ubland-Denkmals.
354 L. FRÄNKEL
Nägele, Ludwig Uhland (Rede im Murrhardter Liederkranz) : Der Beob-
achter (Stuttgart) Nr. 48.
Friedrich Notter, Ludwig Uhland. Sein Leben und seine Dichtungen.
Mit zahlreichen ungedruckten Poesien aus dessen Nachlaß und einer Auswahl
von Briefen (Stuttgart). (Vgl. Literar. Centralblatt Sp. 1076.)
Th. Paur, Zu Uhland's Gedächtniß (Görlitz) 10 S. Sonderabdruck aus
dem Neuen Lausitzischen Magazin.
E. Petzholdt, Graf Eberhard der Rauschebart. Rhapsodie von Uhland:
Herrig's Archiv 3321—3344.
Franz Pfeiffer, Germania 8, 6ö f. (Kurzer Nachruf und Notiz über seine
letzten Arbeiten.)
R. Prutz, Deutsches Museum (Leipzig) XIII, Nr. 1.
Jos. Rank, Aus meinen Wanderjahren (Wien). Vgl. Fr. Bornmüller,
Biographisches Schriftstellerlexikon der Gegenwart (1882) S. 584; auch Jos.
Rank, Erinnerung an Berthold Auerbach: Saale-Ztg. (Halle) vom 22. April
1887.
Arnold Rüge, Aus früherer Zeit II, S. 108 ff.
J.W.Schäfer, Zur Biographie Ludwig Uhland's: Bremer Sonntagsblatt,
Nr. 25, S. 209—211.
Ad. Scholl, Erinnerungen an Ludwig Uhland: Orion, Monatsschrift für
Litteratur und Kunst, herausgeg. von Ad. Strodtmann (Hamburg) I, 122 — 132.
(Abdruck in: Ad. Scholl, Gesammelte Aufsätze zur classischen Literatur alter
und neuer Zeit. Berlin 1884, S. 353—368.)
Heinrich v. Treitschke, Zum Gedächtniß Ludwig Uhland's: Preußische
Jahrbücher, herausgeg. von R. Haym XI, S. 323—348 (vgl. S. 15 ff. Treitschke's
Charakteristik Wangenheim's); Abdruck: Tr., Historische und politische Auf-
sätze (Leipzig 1865) S. 278 — 312.
Fr. Vischer, 'Ludwig Uhland' in seinen Kritischen Gängen, N. F. (Stutt-
gart) IV, 97—169.
W. Wackernagel, Gedächtnißrede auf Ludwig Uhland: Gelzer's Prote-
stantische Monatsblätter XXI, S. 1 — 20 (Abdruck: W. Wackernagers Kleine
Schriften II (1873), S. 481—503).
Franz Weber, Ein Besuch bei L. Uhland : Bremer Sonntagsblatt Nr. 35,
S. 289 — 291.
Heinr. Weismann, L. Uhland's dramatische Dichtungen. Für Schule
und Haus erläutert (Frankfurt a. M.). Vgl. Grenzboteu 1864, S. 442.
Derselbe, Über Uhland's Ernst von Schwaben: Progr. Frankfurt a. M.
— 1 — , Uhland-Literatur (über Jahn, Notter, Gihr, Vischer): Österrei-
chische Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und öffentliches Leben (Nr. 45)
S. 594—598.
Über Ludwig Uhland: Evangelische Kirchenzeitung, herausgeg. von
Hengstenberg Nr. 9, Nr. 33 (S. 388—397).
Ludwig Uhland der Dichter und der Mensch: ebenda Nr. 46, Beilage
S. 564 f.
Noch eine Stimme für Uhland: ebenda Nr. 67, Beilage. S. 798 f.
Ludwig Uhland, ein deutscher Sänger. Des Dichters Leben und Wirken.
Nach den zuverlässigsten Quellen. (Mehrere Abdrücke. Meppen. 15 S.)
L. Uhland: Blackwood's Magazine, may Art. 3.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATUR. 355
L. Uhland: Quarterly Review, july Art. 2, p. 34 — 59.
Allgemeine Zeitunp; (Augsburg) 22. Februar, Beilage.
Charles Bielefeld, Ballads of Uhland, Goethe, Srhillor. With intro-
duction to each poem , copious explanatory notes and biograpliic;il noticca
(London. Bell and Daldy. Foreign Classics XII, 197).
1864. R. Foß, Über Uhland's Gedichte: Herrig's Archiv 35, 129 iV.
Karl Frenzel, Büsten und Bilder (Hannover) S. 13G — 149.
R. H. Hiecke, Gesammelte Aufsätze zur deutschen Literatur, herausgeg.
von G. Wandt (Hamm); S. 1 — 27 Abdruck aus der Pädagogischen Monats-
schrift III (s. 1849), Erläuterungen zu: Schäfers Sonntagslied, Lied eines
Armen, Zimmersprucb, des Knaben Berglied, das Schwert, Siegfrieds Schwert,
der blinde König, Klein Roland, Roland Schildträger, König Karls Meer-
fahrt, Graf Richard ohne Furcht, Schwäbische Kunde; S. 27 — 42 Bertran
de Born (s. 1847), S. 42 f. Einkehr (s. 1843), S. 55—80 des Sängers
Fluch (s. 1838).
Ed. Hobein, Über Uhland's Dramen: Schaubühne, herausgeg. von
F. Wehl, Heft 5— G.
Alex. Kaufmann, Herrig's Archiv 35, 476 f. (mit Brief U.'s über die
Quellen seiner Rolandsgedichte).
Lüben und Nacke , Einführung in die deutsche Literatur (Leipzig) III
(3.'Aufl. 1869) [S. 333 Einkehr, 335 Des Knaben Berglied , 341 Der weiße
Hirsch, 342 Die Rache, 343 Das Glück von Edenhall, 349 Schwäbische
Kunde, 360 Der gute Kamerad, 363 Klein Roland, 370 Schenk von Lim-
burg, 373 des Sängers Fluch, 38 7 Graf Eberhard der Rauschebart].
Frz. Sandvoß, Rede auf Uhland (Friedland i. M.).
F. Scholl, Reden zur Erinnerung an zwei Heroen im deutschen Licdc,
Franz Schubert und Ludwig Uhland (Stuttgart).
Jos. Strobl , Quellen zu drei Romanzen Uhlands (Wien), Beilage zur
AViener-Ztg. (über den Cyklus 'Sängerliebe ).
W.W. Skeat, The songs and ballads of Uhland (vgl. cbenders, in (Jold-
schmidt's 'German poetry ).
Challemel-Lacour : s. unter 1866.
1865. Rieh. Gosche, Jahrbuch für Litteraturgeschichte I, 379 — 381
'Die Uhland-Literatur von 1863)
Fritz Ohnesorge, Ludwig Uhland. Biographisch - litterarische Skizze
(Dresden).
(Emilie Uhland) Ludwig Uhlnnd. Eine Gabe für Freunde zum 26. April
1865. Als Handschrift gedruckt (s. unter 1874), Stuttgart. [Vgl. Gott Gel.
Anz. 1865, Nr. 24, S. 959 f.]
Uhland's Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage (Stuttgart)
I, S. m— Vm Vorwort von Holland, Keller und Pfeiffer; S. XI— XIV Vor-
wort von Keller.
1866. K. Bartsch, 'Uhland's Schriften zur Geschichte der Sage und
Dichtung. Erster Band': Germania, herausgeg. von Pfeiffer iWien) 11, 453
bis 467.
356 L- FRÄNKEL
P. Challemel-Lacour, Jean Louis Uhland: Novelle biographie generale
(Didot-Hoefer, Paris) 45, 773 — 777 (vgl. auch den Artikel eben desselben:
Revue germanique, totne 31 (1864) p. 451 — 477)^).
A.W. Grube, Ästhetische Vorträge IL (Iserlohn) Deutsche Volkslieder.
Vom Kehrreim des Volkslieds. Der Kehrreim bei Goethe, Uhland und Rückert.
H. Prutz, Ludwig Uhland als Literarhistoriker: Deutsches Museum
Nr. 47 u. 48.
D. Fr. Strauß, Kleine Schriften N. F. (Berlin), S. 303—313 (Uhland und
Kerner): abgedruckt aus dem Nekrolog auf Kerner im Schwab. Merkur 1862,
Uhland's Schriften u. s. w. II, S. IIT f. Vorwort von Holland.
Uhland's Schriften u. s. w. III, S. V— XII Vorwort von Pfeiffer.
1867. R. Bechstein, Ludwig Uhland's gelehrte Werke I — III: Blätter
für literarische Unterhaltung (Leipzig) Nr. 7, 14, 27.
(3) Briefe J. Grimm's an Ludwig Uhland: Germania, herausgeg. von
Pfeiffer 12, 115 f.
Friedrich Hebbel, Sämmtliche Werke (Hamburg) XII, 214 (vgl. 208
ein Urtheil Wienbarg's über IThland). Vgl. auch unter 1888.
K. Mayer, Ludwig Uhland, seine Freunde und Zeitgenossen. Erinne-
rungen. 2 Bde. (Stuttgart). („Vgl Deutsches Museum 1867, Nr. 25; AUgem.
Ztg., Beil. Nr. 180; Wiener-Ztg. 142; Hamb, Nachrichten 133; Kölnische
Ztg. 241; „Über Land und Meer" Nr. 52; Dohm , Sonntagsblatt Nr. 36;
Volksblatt für Stadt und Land Nr. 94; Blätter für literar. Unterh. Nr. 52;
Weserzeitung 7444". Bartsch, Germania 13, 321.)
Ludwig Uhland und die deutsche Dichtkunst im 15. und 16. Jahr-
hundert: Magazin für die Literatur des Auslands Nr. 13.
Aufzeichnungen des schwedischen Dichters P. D. A. Atterbom über
berühmte Männer und Frauen. Übersetzt von Frz. Maurer (Berlin) S. 163,
173, 204, 216 (U. bei seinen Zeitgenossen 1817 — 1819).
1868. Dyckhoff, Die Bildsäule des Bacchus von Uhland, Nadowessische
Todtenklage von Schiller, Hochzeitlied von Goethe, für die Schule erklärt.
Progr. des Progymn. zu Rietberg (13 S.).
A. Freybe, Klopstock's Abschiedsrede über die epische Poesie be-
leuchtet, mit einer Darstellung der Theorie Uhland's über das Nibelungenlied
(Halle).
C. Gude, Erläuterungen deutscher Dichtungen. Vierte Reihe (Leipzig).
S. 139 Einkehr, 224 Das Glück von Edenhall.
Uhland's Schriften u. s. w. VI, S. III f. Vorwort von Keller.
Uhland's Schriften u. s. w. VII, S. III f. Vorwort von Keller.
Desire Corbier, französische Übersetzung von U.'s 'Ständchen' (Serenade)
und der Wirthin Töchterlein^ (La fille de l'Hötesse) : Herrig's Archiv f. d.
Studium d. neueren Sprachen 43, 463.
1869. Diez, Etudes litteraires sur l'Allemagne contemporaine (Paris,
Hachette): Uhland (Körner. Les freres Grimm. Goethe).
') Vor Ch. L. urtheilten über Uhland den Gelehrten: Victor Ledere in 'Dis-
cours sur l'etat des lettres au 14'= siecle', S. K T. in der Biographie universelle,
nouv. ed. 42, 338 — 342 (1864) und Lomenie in der Galerie des coutemporains illustres
par im homme de rien t. IX.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATUR. 357
R. Fuß, Zur Cailö-Sage: Progr. der Nictoria-Schule zu Berlin ^3l S.);
behandelt Klein Koland, Roland Schildträger, König Karl's Meerfahrt (nament-
lich hinsichtlich der Quellen).
A.W. Grube, Biographische Miniaturbilder (Leipz.) 2, Auti. I, 278 — 303,
Gustav Hauff, Über Uhland's Konradin: Ilerrig's Archiv 44, 382 f.
Fr. Notter, Ungedruckte Briefe von Ludwig Uhland : Westermann's
Illustrierte deutsche Monatshefte, November-Nummer.
E. Paulus, Ludwig Uhland und seine Heimat Tübingen. Eine Studie
(Berlin) 52 S. (Neue Ausgabe, Stuttgart 1887, 48 S.) Vgl. Kettner, Ztschr.
f. deutsche Philol. 20, 37lj, Magazin f. d. Lit. d. Ausl. Nr. 10, Schwab.
Chronik 303, Wiener-Ztg. 208, Badische Landeszeitung 18(J8, Nr. 292 u. a.
(s. Bartsch, Germania 15, 4G4).
L. Uhland, Poems translated into English verse with a short biogra-
phical memoir of the poet, by W. C. Sandars (London).
A. F. C. Vilmar, Lebensbilder deutscher Dichter (Frankfurt a. M.)
S. 149 — 158. Neuauflage von M. Koch, L. d, D. und Germanisten (1885),
Marburg, 15. Aufsatz: Uhland.
Feodor Wehl, Am sausenden Webstuhl der Zeit (Leipzig) H, 162 — 171.
W. Wilmanns, Walther von der Vogelwcide herausgegeben und erklärt
(Halle) S. 2 7.
Tuiskon Ziller, Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik
1. Jahrg. (Leipzig) S. 107 (Das Schwert).
Uhland's Schriften u. s. w. IV, S. III — VI. Vorwort von Holland.
1870. A. Goerth, Über Uhland's 'des Sängers Fluch', 'Bertrand de Born',
'die verlorne Kirche, 'Ich hatf einen Kameraden': Herrig's Archiv 4G,
390—397.
R. V. Raumer, Geschichte der germanischen Philologie (München)
S. 566 — 579 und 671.
K. Simrock, Walther von der Vogelweide, herausgegeben und erläutert
(Bonn) S. 22 (1828 in 1822 zu ändern!).
Weichelt, Uhland als Liederdichter: Progr. Demrain (vgl. Herrig's
Archiv 47, 344).
Briefwechsel zwischen Joseph Freih. von Laßberg und Ludwig Uhland,
herausgegeben von Franz Pfeiffer. Mit Biographie Pfeiffers von K. Bartsch
(Wien). Nachtrag Germania 30, 221 f. [Besprochen von Sachse in Herrig's
Archiv 46, 316 — 323; Magazin f. d. Lit. des Ausl. 32; Athenaeum vom
12. Febr.]
Rieh. Gosche, Archiv für Literaturgeschichte I, 561 (zu Uhland's Sagen-
forschung; vgl. ebd. II, 590).
Uhland's Schriften u. s. w. V, S. III f. Vorwort von Keller.
1871. Paul Eichholtz, Beiträge zur Erklärung Uhland'scher Balladen:
Zeitschrift f. d. Gymnasialwesen (Berlin) 25, 1 — 10.
Fahle, Uhland's Balladendichtung: Masius' Jahrbücher für Pädagogik
104, 422.
W. Hoffner, Ludwig Uhland : Westermann's lllustrirte deutsche Monats-
hefte, October, S. 94 — 99.
Karl Janicke, Joseph von Laßberg und Ludwig Uhland: Historisch-
politische Blätter 4. Heft des Jahrgangs, S. 236 — 256.
358 L. FRÄNKEL
Derselbe, Zur Geschichte der deutschen Philologie: Ergänzungsblätter
zur Kenntniß der Gegenwart S. 209 — 216 (knüpft an den Laßberg-Uhland-
schen Briefwechsel an).
A. V. Wurzbach, Ludwig Uhland (Wien); Abdruck aus : Die Zeitgenossen I.
F. G. Sintenis, Goethe und Uhland (Dorpat). Vgl. Gott, Gel. Anz. 1872,
S. 278.
187 2. Michael Bernays , Ludwig Uhland als Forscher germanischer
Sage und Dichtung: Im neuen Reich, herausgeg. von A. Dove II, 81 — 96.
F. Sintenis, Goethe's Einfluß auf Uhland: Neue Jahrbücher für Philo-
logie und Pädagogik lOG, 369—388 und 108, 386 f.
Rob. Boxberger, Die Quelle von U.'s Gedicht Schwäbische Kunde :
Archiv für Literaturgesch. II, 270 — 2 72.
1873. Uhland's Schriften u. s. w. VIII, S. III— VI Vorwort von Holland.
H. Dederich, Uhland als episch-lyrischer Dichter besonders im Ver-
gleich mit Schiller (Paderborn
K. Mayer, s. unter 1863.
P. Eichholtz, Uhland's schwäbische Balladen auf ihre Quellen zurück-
geführt (Progr. des Berliner Gymn. zum grauen Kloster, 28 S.).
Das Uhlanddenkmal (in Tübingen) : Im neuen Reich III, 2, 112 — 115.
Enthüllung des Standbildes von Ludwig Uhland in Tübingen, nebst
den Reden und Gedichten (v. Gerok, Notter, A. v. Keller u. A. I. Tübingen.
L. Tobler (in 'Mythologie und Moral): Im neuen Reich III, 2, 168 f.
(zu U.'s Ruhethal' und die verlorene Kirche').
W. Wackernagel, Poetik, Rhetorik und Stilistik. Herausgegeben von
L. Sieber (Basel). S. 99 f. (U.'s Balladen und Romanzen), 123 (Lieder),
127 ('mimische Poesie' in U.'s Lyrik), 141 (Epigramme, besondei-s 'Ruhe-
thaO, 170 (einstrophige Lieder), 407 und 413 ('der Räuber'), 4l4 (Ernst
von Schwaben 1289 ff.), 424 ("Wir sind nicht mehr'), 434 (der gute Kamerad)
[2. Ausg. 1888].
1874. P. Eichholtz, Uhland's französische Balladen auf ihre Quellen
zurückgeführt. (Abdruck aus der Festschrift zur dritten Säcularfeier des Ber-
liner Gymn. zum grauen Kloster).
Joseph von Görres, Gesammelte Briefe 2 und 3 Freundesbriefe (1802
bis 1845), herausgeg. von Franz Binder (München; Der 'Gesammelten Schriften'
8. und 9. Band): enthält auch Briefe von Uhland.
W. L. Holland, Über Uhland's Gedicht: Die Mähderin (Tübingen) 8 S.
H. Kämmel, Ludwig Uhland (Zittau).
Emilie Uhland, Ludwig Uhland's Leben. Aus dessen Nachlaß und aus
eigener Erinnerung zusammengestellt von seiner Witwe. (Stuttgart). Abdruck
des Manuscriptdi-ucks von 1865. (Eine größere Anzahl Besprechungen siehe
bei Bartsch, Germania 20, 451).
Ludwig Uhland. Studien zu seinem Leben: Allgemeine Zeitung (Augs-
burg) 213, Beilage.
H. Weismann, U.'s Ludwig der Baier. Schulausgabe mit (Einleitung
und) Anmerkungen (Stuttgart).
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Onze Wächter, Juli, S. 55—64.
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und Fürst Pückler-Muskan (eine Studie). Dorpat, S. 3 (U.'s Verhältniß zu
seiner Gattin).
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höheren Bürgerschule zu Saarlouis) S. 15 U.'s Dichterwald'.
A. Schleusinger , Klein Roland, der sterbende Roland, der getreue
Eckart auf Quarta erklärt (Programm Ansbach, 28 S.).
W. Schleusner, über die Nothwendigkeit und den Plan der ühland-
Lectüre auf der höheren Schule (17 S. Progr. Hö.xter). Bielefeld. Vgl. unter
1878.
Ed. Schmidt-Weißenfels, Ferdinand Freiligrath. Ein biographisches Denk-
mal (^Stuttgart) S. 45 f. (U. und Freiligrath).
H. Weismann, U.'s Herzog Ernst von Schwaben. Schulausgabe mit
(Einleitung und) Anmerkungen (Stuttgart).
1877. K. Frenzel , Berliner Dramaturgie (Hannoverj II, S. .07 — 65
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S. 378 u. 415 (Grillparzer mit U. verglichen).
A. V. Keller, ühland als Dramatiker. Mit Benutzung seines handschrift-
lichen Nachlasses (Stuttgart).
J. W. Schäfer, Ludwig Uhland's ausgewühltc Gedichte mit Anmer-
kungen (Stuttgart).
Th. Ziegler, Studien und Studienköpfe aus der neuen und neuesten
Litteratur (Schaflfhausen) S. 193 ff.
1878. Rob. Boxberger, ühland als Dramatiker. Zu A. v. Kellcr's
gleichnamigem Buche: Archiv für Literaturgesch. 7, 216 — 224.
Derselbe, Briefe von ühland: ebenda 225 — 235.
J. Hense, Romanze und Ballade I. (Jahresbericht über das Gymnasium
zu Warburg), S. 7 (Das Typische in 'Des Sängers Fluch').
Ad. Rümelin, L. ühland als Dramatiker: Preußische Jahrbücher 42,
S. 121—159.
W. Schleusner, Zur ühlandlectüre (Leipzig).
Erich Schmidt, Der Text der ühland'schen Gedichte nach Holland's
Revision: Anzeiger für deutsches Alterthum und deutsche Litteratur, heraus-
gegeben von Steinmeyer 4, 224 — 231.
1879. Rob. Boxberger, Die Quellen von Uhland's Romanze 'Don Mas-
sias': Archiv für Literaturgesch. 8, 137 — 142.
H. Düützer, Uhland's Balladen und Romanzen, erläutert (Leipzig).
360 L. FRÄNKEL
P. Eichholtz, Quellenstudien zu Uhland's Balladen (herausgeg. von
G. Hinrichs, Berlin) enthält auch die unter 1871, 1873, 1874 aufgeführten
Aufsätze [besprochen von Bellermann: Zeitschr. f. d. Gymnasialwesen 34,
147—154].
J. Hense, Romanze und Ballade II. (Jahresbericht über das Gymnasium
zu Warburg), S. 15 — 18, 'ühland'.
0. Jäger, 'Ludwig Uhland' in der Festschrift zur Begrüßung der 34. Ver-
sammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu Trier (Bonn), S. 31 — 52.
A. E. Philipps, Zur Theorie des neuhochdeutschen Rhythmus (Leipzig.
Diss.) S. 37 A. 2, 39 A. 3, 41 A , 4 9 A., 60 f., 82 A. , 87—89 (zum
Rhythmus Uhland's).
F. J. Scherer, Die Kaiseridee des deutschen Volkes in Liedern seiner
Dichter seit dem Jahre 1806 (Jahresbericht des Laurentianum zu Arnsberg),
S. XVII f. (ü.'s deutsch-patriotische Gedichte).
Felix Liebrecht, Zur Volkskunde (Heilbronn) S. 54 ff. Die Todten von
Lustnau.
J. Schulzen, Mittelhochdeutsche Anklänge bei Uhland (17 S.) : Progr.
des Real-Progymn. in Thann i. E.
Camillus Wendeler, Fischartstudien des Freiherrn von Meusebach mit
einer Skizze seiner literarischen Bestrebungen (Halle a. d. S.) S. 1 , 4 — 8,
10, 14, 26—29.
1880. K. L. Leimbach, Ausgewählte deutsche Dichtungen erläutert
(2. Aufl. Kassel) IV, 280 Schwäbische Kunde, 286 Eberhard der Rausche-
bart, 306 Des Sängers Fluch, 315 Bertran de Born, 271 das Schloß am
Meer, 274 Der blinde König.
Anton lUrlinger, Uhland's Schwäbische Kunde: Wochenschrift Im neuen
Reich XI, S. 193 — 196.
Rob. Hein, Archiv für Literaturgeschichte 9, 244 (zu Uhland's 'Auf
das Kind eines Dichters').
E. Koch , Die Sage vom Kaiser Friedrich im Kiffhäuser (Abhandlung
zum Jahresbericht Grimma) S. 23 A. 57 (Zu U.'s 'Am 15. October 1816^
und Rückert's Verhältniß zu U.). Vgl. auch S. 30 A. 86 (schon 1875 ge-
schrieben).
Ed. Koschwitz, Karls des Großen Reise nach Jerusalem und Constan-
tinopel (Alt-französische Bibliothek, herausgeg. von W. Förster. II. Heil-
bronn); Excurs 10: Dramatische nachgelassene Bearbeitung von Uhland.
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die Uhland'sche Poesie: Herrig's Archiv 64, 11 — 24.
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J. G. Fischer, Die Natur in der Kunst (Jahresbericht, Stuttgart) S. 14 f.
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H. Fischer, Eduard Mörike. Ein Lebensbild des Dichters (Stuttgart)
S. 17 und 27—29.
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U, und Chamisso's Fortunat.
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S. 320—339 (vgl. auch S. 341, 879, 1019, 1401).
K. Klüpfel , Gustav Schwab als Dichter und Scliriftsteller (Stuttgart)
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schwäbischen Dichter. Rückert (Progr. der Realschule zu Oldenburg) S. 2 f.
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Ottiker von Leyk, Die deutsche Lyrik in der franzö.'sisclien Übersetzungs-
litteratur I. Uhland: Herrig's Archiv 71, 49 (51) — 72.
Zur Erinnerung an Adelbert von Keller (Tübingen) S. G f., 17, 20, 22, 24.
Chamisso's Werke, mit Einleitung, herausgeg. von Max Koch (Stutt-
gart) I, 33 u. 55 (Ch. u. U.).
Goethe-Jahrbuch, herausgeg. von L.Geiger, IV, 351 (Hinweis auf von
U. beigebrachtes Material zu einigen volksmäßigen Wendungen bei (ioethe).
1884. A. Birlinger, 'Akademische Blätter. Beiträge zur Literaturwissen-
schaft, herausgeg. von 0. Sievers (Braunschweig)* S. 293 (zum Junker Rech-
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Rob. Boxberger, Schnorr's Archiv für Literaturgesch. 12, 638 — G40
(zu Schwab's Aufsätzen über U.).
ÖEBMANIA. X»np Rpihp XXII. (XXXIV.) Jalir»;. _ 24
362 L. FRANKE L
Eich. Fasold, Altdeutsche und dialektische Anklänge in der Poesie
L. Uhland's nebst einem Veizeichniß der Uhland-Litteratur. Eine Skizze :
Herrig's Archiv 72, 405 — 414.
L. A. Frankl, Zur Biographie Friedrich Hebbel's (Wien) S. 32 ff.
J. Lautenbacher, Ludwig Uhland: Zeitschrift für allgemeine Geschichte,
Cultur-, Literatur- und Kunstgeschichte (Stuttgart) 4. Bd., 286 ').
Siegm. Levy, zu Uhland's Klein Roland: Archiv für Literaturgeschichte,
herausgeg. von Schnorr 12, 481 f.
G. V. Loeper, Goethe's Werke. Mit Einleitung und Anmerkungen III^,
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Der deutsche Stil, von Dr. Karl Ferdinand Becker. Neu bearbeitet von
Dr. Otto Lyon. 3. Aufl. S. 137 u. 161 (Uhland's alterthümliche Ausdrücke).
Marc-Monnier, Histoire generale de la litterature moderne (Paris) p. 241
(U. und Hans Sachs).
H. Steinthal, Zeitschrift für Völkerpsj-chologie und Sprachwissenschaft
15, 479 (zu U.'s Der gute Kamerad).
H. Welti, Geschichte des Sonettes in der deutschen Dichtung (Leipzig)
S. 223 f. und 228.
Zeitschrift für die österr. Gymnasien S. 438 f. (vgl. ebd. 1886, S. 920).
Goethe-Jahrbuch V, 357 f. (A. v. Keller's Verhältniß zu U.).
Kleinere Schriften von Jacob Grimm (Berlin) VII, 556 (U. in Frank-
furt a. M. 1846).
1885. Wilh. Scherer, Jacob Grimm (2. Aufl.; l.Aufl. 1865) S. 83 — 85,
87 f., 112 f. (vgl. auch S. 71, 79, 253, 307).
Ein Brief U.'s an Laßberg: Germ. 30, 221 f.
Abraham a Sancta Clara, Quelle für Uhland's 'Schwäbische Kunde'
(Notiz) : Wiener Zeitung Nr. 244.
Eine bisher ungedruckte politische Äußerung Uliland's: poetische Zu-
schrift (fünf Strophen) an den Baron von Voerst, Berichterstatter der Militär-
und Budgetcommission von 1862 (27. August 1862, Darmstadt). Aus der
Königsberger Hartung'schen Zeitung wiederholt in der Frankf. Ztg. Nr. 227
(Morgenblatt) sowie im Berliner Tageblatt Nr. 4 03, 1. Beiblatt (dagegen ebenda
Nr. 409 das 1816 verfaßte 'An die Volksvertreter , s. Gedichte und Dramen
1876, I, HO).
Friedr. Hebbel's Tagebücher, herausgeg. von Bamberg (Berlin) I, 301
(H. und U.).
Biographische Einleitung zu Uhland's Gedichten und Dramen : U.'s
Gedichte und Dramen (Stuttgart, Cotta) 1, Theil, p. V — XXIV.
0. Böckel, Deutsche Volkslieder aus Oberhessen (Marburg) p. CXXVIII
(Übergang Uhland'scher Lieder in den Volksnmnd).
1886. Herrn. Dederich, Ludwig Uhland als Dichter und Patriot. Nebst
einem Anhang: Quellennachweise zu den episch-lyrischen Dichtungen und
litterar-historische Beilagen und Bemerkungen (Gotha). 2. Band von Perthes'
Biographien deutscher Dichter. [Vgl. dazu K. Geiger im Literarischen Merkur
7, 59 (10. December 1886)].
') Nicht, wie Strauch Anzeiger für deutsches Alterthum und deutsche Literatur
15, 132 angibt, erst 1887 erschienen.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATUR. 363
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seiner akademischen Lehrthätigkeit (Leipzig"). Inhaltsreiche Besprechungen:
R. Bechstein, 'Aus Uhland's akademischer Lehrthätigkeit* in der wissen-
schaftlichen Beilage der Leipz. Ztg. Nr. Ott des .lalirgangs, und Schwäbische
Chronik S. 2017 desselben.
A. Landenberger, Pädagogische Studien (Ludwigsburg). 6. Capitel :
Uhland.
Ambros Mayr, Der schwäbische Dichterbund (Innsbruck) S. 1 ff.
Caroline Michaelis de Vasconcellos, Uhland's „Lied aus dem Spanischen"
und sein Original: Schnorr's Archiv für Literaturgeschichte 14, 189 f.
Erich Schmidt, Charakteristiken (Berlin) S. 403 (U. und das alte
Volkslied).
Edm. Stengel, Beiträge zur Geschichte der romanischen Philologie in
Deutschland. (Marburg) S. 15 [Ausgaben und Abhandlungen ;uif dem Gebiete
der roman. Philologie, Heft (53].
'Hamburger Nachrichten' 22. December, Sonntagsbeilage (U.'s Ballade
Junker Rechberger' und ihre Quellen).
Herrn. Ullrich, Archiv für Literaturgeschichte 14, Ol f. und 102 (zu
U.'s Königstochter).
G. Marengo, Ver-sioni poetiche da Chamisso, Bürger, Kerner, Uhland etc.
nova ediz. (Firenze, Le Monnier).
A. Pariselle, 'Taillefer, d'aprcs Uhland : Herrig's Archiv 75, 234 — 236.
Derselbe, L ormeau de Hirsau, d'aprrs Uhland : ebenda 236.
J. H. Ward, Ballads of life. (Salt lake city, Utah. Hyrum, Parry and
oie) : Übersetzungen aus Goethe, Schiller, Uhland u. A.
1887. R. Bechstein, Zu Ludwig Uhland's Gedächtniß. Festrede ge-
halten am 2G. April 1887 in der Aula der Universität zu Rostock (Rostock).
Herrn. Baumgart. Handbuch der Poetik (Stuttgart) S. 74 (U.'s Romanzen).
Oscar Erdmaun, Jubiläumsfeuilleton der Breslauer Zeitung zum 26. April.
Herm. Fischer, Ludwig Uhland, Zur Jahrhundertfeier seiner Geburt:
Allgemeine Zeitung (München), Beilage vom 26. — 29. April (Nr. 115 — 118).
Derselbe, Uhland's Beziehungen zu auswärtigen Litteraturen nebst Über-
sicht der neuesten Uhland-Litteratur : Koch's Zeitschril't für vergleichende
Litteraturgeschichte I, 365 — ^91.
Derselbe, Ludwig Uhland. Eine Studie zu seiner Säcularfeier (Stutt-
gart) *). Vgl. Kettner in der Zeitschrift für deutsche Philologie 20, 374 ff.
Ferd. Ginzel , Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie : Grenz-
boten 46. Bd. II. Xr. 18 (vom 28. April) S. 206 ff.
Herm. Grimm, Zu Uhland's hundertjährigem Geburtstage: Deutsche
i\undschau, Ai)rilheft, S. 62 — 69.
Derselbe, Goethe -Vorlesungen. 4. Aufl. (Berlin) S. XXIX. (U.'s Jubi-
läum stag).
Fr. W. Grimme, Ludwig Uhland. Ein Gedenkblatt zu seinem 100. Ge-
burtstage (Frankf. a. M.) Bildet 'Frankfurter zeitgemäße Broschüren Bd. 8,
Heft 7.
') Eine Aiizalil kürzerer Anzeigen werden angeführt von Strauch, Anz. f. d.
Alt. und deutsche Lit. 15, LSI luiter Nr. 1489.
24*
364 ^- FRANKEL
Rieh. Gosche, Jubiläumsfeuilleton der Saale-Zeitung (Halle) zum 21. April.
Georg Hassenstein, Ludwig Uhland. Seine Darstellung der Volksdich-
tung und das Volksthümliche in seinen Gedichten (Leipzig) ')•
Mor. Heyne, Jubiläumsfeuilleton der Weser-Ztg. (Bremen) zum 26. April
(Nr. 14493).
Chr. Hönes, Ludwig Uhland der Dichter und der Patriot (Hamburg):
Virchow-HoltzendorfF, Sammlung von Vorträgen N. F. 2. Serie, Heft 3 (Vgl.
Liter. Centralbl. Nr. 49 vom 3. Dec).
Julius Klaiber, Zur Uhlandfeier. Eine Festrede: Schwäbische Kronik
vom 27. April (Nr. 98).
Ad. Kohut, L. Uhland. Lichtstrahlen aus seinen Werken. Nebst einer
biographischen Charakteristik (Dresden).
Derselbe, Professor Ludwig Uhland und seine Schüler: Die Gegen-
wart, herausgeg. von Th. Zolling, 31. Band, Nr. 17.
Derselbe, Ludwig Uhland in memoriam ; Magazin f. d. Literatur des
In- u. Auslandes Nr. 17.
Derselbe, Ludwig Uhland und sein Verleger: Börsenblatt für den
deutschen Buchhandel, Nr. 93 (des Jahrgangs) S. 218 f.
A. Landenberger , Uhland's Gedichte nach ihrer religiösen Seite be-
trachtet: Beweis des Glaubens, Aprilnummer (23. Bd., S. 121).
Derselbe, Der Charakter der Uhland'schen Dichtung: Didaskalia (Bei-
lage zum Frankfurter Journal) Nr. 97 u. 98.
Fr. Muscogiuri , Nel centenario del poeta Luigi Uhland: Nuova Anto-
logia 3. s. 7. Fase. 5 — 29. (Vgl. Mahrenholtz in Herrig's Archiv 78. Bd.,
475: Ein italienisches Urtheil über Uhland.)
Otto Neumann-Hofer, Ludwig Uhland der Sammler und Forscher:
Deutsches Montagsblatt (Berlin) vom 25. April.
Ant. Ohorn, Ludwig Uhland. Zum hundertjährigen Gedächtnißtage seiner
Geburt. (Sammlung gemeinnütziger Vorträge, herausgeg. vom deutschen Verein
zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag, Nr. 119).
Pleibel , Ludwig Uhland , der Dichter für die deutsche Jugend , zum
26. April 1887 dargestellt: Neue Blätter aus Süddeutschland für Erziehung
und Unterricht, herausgeg. von Burk und Pfisterer (Stuttgart) 16, 130 — 151.
Ad. Rümelin , Ludwig Uhland. Zum hundertsten Gedenktage seiner
Geburt. (Württembergische Neujahrsblätter, herausgeg. von Hartmann. IV.)
Ludwig Salomon, Ludwig Uhland. Eine Biographie (Stuttgart): Aus
S.'s Geschichte der deutschen Nation al-Litteratur des 19. Jahrhunderts.
Jos. Seemüller, akademische Festrede zum 26. April bei der Uhland-
feier der Universität Wien (ungedruckt; Referat in der Neuen Freien Presse
vom 28. April).
Ed. Sievers , Festrede zur Uhlandfeier der Universität Tübingen am
26. April (ungedruckt; Referat im Schwäbischen Merkur vom 27. April).
Ant. E. Schönbach, Jubiläumsfeuilleton der (Wiener) Deutschen Ztg.
vom 28. April, Nr. 5503. (Rede zur Uhland-Feier, gesprochen zu Graz am
26. April.)
Edm. Stengel in den Frankfurter neuphilologischen Beiträgen (Festschrift
') Über Referate vgl. Strauch ebenda unter Nr. 1501.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATUF{. 365
zur Begrüßung des zweiten allgem. deutschen Neuphilologentages) S. 69 (ver-
schiedene Mitthcilnngen über U.'s Charakter und wissenschaftliche Pläne).
J. Stöckle, II. W. Longfellow, der Uhland Nordamerikas. Eine literar-
historische Parallele: Rheinische Blätter für Erziehung u. Unterricht 61, 6.
Phil. Strauch, Zwei Briefe Uhlands an Ad. v. Keller und ein Brief
U.'s an Professor Joachim Meyer: Anzeiger für deutsches Alterthum und
deutsche Litteratur 13, 392-398.
Derselbe, Briefe Uhland's: 'Deutsche Dichtung', herausgeg. von K. E.
Franzos (Stuttgart) III, 126. (Auch in erweitertem Separatabdruck erschienen.)
Ad. Tobler über U. als Romanist in der Uhlandfestsitzung der Berliner
Gesellschaft für neuere Sprachen am 26. April: Bericht in Herrig's Archiv
Archiv 79, 91 (ebenda auch M. Rödiger's kurze Bemerkungen über U. als
Germanist bei derselben Gelegenheit gesprochen und ein Referat Zupitza's
über Holland's obgenanntes Buch).
E. Du Bois-Reymond. Reden, Zweite Folge. (Leipzig.) S. 43 (Castellan
von Coucy). 336 (Merlin der Wilde), 474 (Jagd von Winchester).
Wiersz Uhlanda do Mickiewicza (U.'s Mickiewicz) von R. M. Werner:
Pamietnik towarzystwa literackiego imienia Ad. Mickiewicza pod redakcya
Romana Pilata (Lemberg) I, S. 138 f. und Zipper S. 253.
Deutsche Wochenschrift (Wien) 23. April: Ludwig Uhland von Armin,
25. Juni: 'Uhland's Charakter' von Ad. Kohut.
Rob. König, Zu Uhland's lOOjährigem Geburtstage: Daheim (Leipzig)
Nr. 29.
Ein Stammbuchvers von Uhland (vom 19. August 1861): Daheim (Leipzig)
Nr. 32, S. 511.
Briefe von Uhland: Schwäbische Chronik S. 605.
H. Bauer, Zur Uhland-Feier. Uhland und die Neugestaltung Deutsch-
lands. Anecdoten und Reminiscenzen : Nationalzeitung (Berlin) Nr. 233.
Uhland und Hebbel von H. Fischer: Neue Zürcher Zeitung Nr. 64, 66
u. 67 (in einer Besprechung der von Bamberg herausgegebenen Tagebücher
Hebbel's).
'L. Uhland und F. Hebbel von K. Werner: Wiener Zeitung Nr. 94 u. 95.
K. V. Gerok, FestgrulJ zur Uhland-Feier am 26. April: Protestantische
Kirchenzeitung Nr. 19.
Rud. von Gottschall, Ludwig Uhland: Gartenlaube Nr. 17.
Th. Kerner, L. U. im Kernerhause: ebenda.
Martin Greif, Ludwig Uhland: Deutsche Zeitung (Wien) Nr. 5499
(Feuilleton). Vgl. ebenda 5501.
Gust. Karpeles, Ein moderner Sängerkrieg [zwischen U. und Rückert;
vgl. 1876 unter Holland]: Über Land und Meer Nr. 30.
K. Köstlin, Zum 100jährigen Geburtstag L Uhland's (Tübingen).
Heinr. Löbner, Ludwig Uhland. Ein Gedenkblatt zur Säculnrfeier :
Litterar, Merkur, herausgeg. von Ebner, VII, 165.
F. Martin, Ludwig Uhland der Classiker der Volksschule : Pädagogische
Blätter 16, 273.
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der Gedächtnißfeier des Gesangvereins Frohsinn zu Cannstadt a. N. (Cann-
stadt). Vgl. Strauch in Franzos' Deutsch. Dichtung II, 244.
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Joh. Prölß, Zu L. Uhland's Gedächtniß : Frankf. Ztg. Nr. 116 u. 117
(Feuilleton).
Jul. Riffert, Zu L. Uhland's lOOjährigem Geburtstage: Leipz. Zeitung
wissenschaftl. Beil. Nr. 32,
Ludw. Saloraon, Zu Uhland's 100. Geburtstage: Illustr. Ztg (Leipzig)
Nr. 2286.
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(Tübingen; Manuscriptdruck).
Ludw. Speidel, Ludwig Uhland (zu seinem 100. Geburtstag): Neue
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K. Weitbrecht, L. Uhland: Neue Zürcher Ztg. Nr. 112, 114, 115.
Willibald, L. Uhland: Die Presse (Wien) Nr. 114.
R. Wolkan, L. Uhland: Bohemia (Prag), Beil. zu Nr. 115.
Rieh. Wulckow, L. Uhland: Didaskalia (Frankfurt a. M.) Nr. 97.
Zu Uhland's hundertjährigem Geburtstage : Leipziger Tageblatt 26. April.
Rieh. Gosche, Festrede gehalten bei der Uhland-Feier im alten Gewand-
haus zu Leipzig: Leipziger Tageblatt vom 4. Mai, 1. Beilage.
Zum Säculargedächtniß an L. Uhland : Schorer's Familienblatt Nr 17.
Zu Uhland's Gedächtniß: Die kleine chron. Frankf. Wochenschr. , her-
ausgegeben von Holthof IX, Nr. 44 u. 45.
Bericht über die Uhland-Feier zu Tübingen: Tübinger Chronik Xr. 97
und 98.
Bericht über Uhland-Gedächtnißfeiern: Schwäbische Chronik Nr. 96 —
101; Blätter für litterarische Unterhaltung Nr. 19, S. 303.
Über die Uhland-Ausstellung in Stuttgart und die Uhland-Feier in
Württemberg: Die Presse Nr. 116 u. 117.
Ludwig Uhland und die Schwaben : Zeitung für Literatur, Kunst und
Wisenschaft', Beilage des Hamburgischen Correspondenten Nr. 6.
Ludwig Uhland: Schlesische Zeitung (Breslau) Nr. 286 u. 289.
Ludwig Uhland: Evangelisch -lutherisches Gemeindeblatt, herausgeg.
von Rade, Nr. 18.
Etwas über Uhland: Tübinger Unterhaltungsblatt Nr. 20, S. 79.
Ein Beitrag zur Erinnerung an Ludwig Uhland: Sonntagsblatt, her-
ausgegeben von A. Philipps (Berlin) Nr. 17.
Zwei bisher unbekannte Anecdoten über Ludwig Uhland: Universum,
herausgeg. von Seemann und Puttkamer (Dresden) Nr. 24.
Uhland über biblische Dichtungen: Evangelisch-lutherisches Gemeinde-
blatt, herausgeg. von Rade, Nr. 30.
Uhland's Beziehungen zu Lena«. Nach Briefen geschildert: D. Buch-
händler-Akademie IV, 8 (vgl. 1853 unter Mayer).
BIBLIOGRAPHIK DKR UHLAND-LITTERATUR 3(^7
Ludwig Uhland's Reden in der 1848er Nationalversammlung. Ein
Gedenkblatt zum 26. April 1887: Deutsche Worte, hcrausgeg. von E. Perner-
storfer VII, 14;) ff.
Ludwig Uhland und die Deutschen in Österreich: Deutsche Zeitung
(Wien) Nr. 5490.
Jean Fastenrath, Figures de l'Allemagne contemporaine (Paris): enthält
p. 321 — 333 einen Aufsatz 'Le centenaire de Louis Uhland* (vgl. Schwäbische
Chronik S. 1462).
Jacob Nover. L. Uhland: Berichte des freien deutschen Hochstiftes zu
Frankfurt a. M. N. F. 3. (1886—87) S. 172 ff.
Goethe's Willkommen und Abschied. Herrn Wilh. Hertz zum 1 Januar
1887 gewidmet von Eichard Maria Werner. Als Handschrift gedruckt (^Lem-
berg, 14 S.): Vergleich mit einigen den Kitt behandelnden Liedern von
Uhland, Heine, Geibel.
Deutsche Dichtung, herausgeg. von K. E. Franzos (Stuttgart) II, 38:
Uhlandnummer im 2. Aprilheft (enthält verschollene und unbekannte Ge-
dichte U.'s. Mittheilungen Karl Mayer's jun. u. A.). Ebenda II, 55 Aus L. U.'s
Briefwechsel. Mitgetheilt von K. E. Franzos.
Allgemeine Zeitung vom 28. März S- 1276 theilt einen Brief U.'s, aus
Paris vom 29. Juni 1810 an eine junge Verwandte gerichtet, mit (aus dem
Staatsanzeiger für Württemberg Nr. 70, Beil.): Abdruck im Litterar. Merkur,
herausgeg. von Ebner VII. 172.
Ebenda, Nummer vom 21. Februar: Zu L. U.'s Gedächtniß (Besprechung
von Holland's obgenannter Schriftl.
Unsre Uhlandfeier: Korrespondenzblatt des Vereins für siebenbürg.
Landeskunde 10 (4), 58 f.
Nachlese zu den Uhlandbiographien (zusammengestellt von J. Hartmann):
Württemberger Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 10 (l), 1 — 16.
Zwei Uhlandische Gedichte,, erläutert für den Schulgebrauch: Neue
Blätter aus Süddeutschland für Erziehung and Unterricht, herausgeg. von
Burk und Pfisterer 16, 174 — 190 (Einkehr 175—180. Schwäbische Kunde
180—190).
J. Clark, Poesias liiicas alemanas de Heine, Uhland, Zedlitz, Rückert,
Hoffmann, Platen, Hartmann y otros autores, vertidas en castellano I^Paris,
Bouret, 158 p.).
1888. Ludwig Fränkel, Ludwig Uhland als Romanist 1.: Herrig's
Archiv 80, 25 — 113 (Darin: S. 82 — 87 Excurs zu U.'s Königstochtor, S 87 —
Hi9 Uhland in seinem Verhältniß zur Romantik, namentlich als Romanist).
Friedrich Hebbel in seinem Verhältniß zu Uhland (Referat aus seinen
Tagebüchern): Deutsche Rundschau. Januarheft (14. Bd., H. 4) S. 155.
H. Hormel, Uhland s Graf Richard Ohnefurcht und seine altfranzösische
Vorlage: Franco-Gallii), lierausgfg. von Kreßner V, S 10 — 15.
Franz Kern, Zur Würdigung von Uhland's Gedichten: Vossische Ztg.
(Berlin) Nr. 6 u. 7 der Sonntagsbeilage (6. und 12. Februar).
Friedr. Rückert über Uhland 1835: Brief an Gustav Kühne, mitgetheilt
von Ad. Kohut, Die Gegenwart vom 14. Januar, S. 26 (mit dem merkwür-
digen Versehen, daß diese Äußerung als eine ^Heinrich [sie!] Rückert's,
der damals Professor in Erlangen war" gegeben wird;.
368 L. FKÄNKEL
Philipp Strauch, Briefe von Jacob und Wilhelm Grimm an Adelbert
von Keller: Anzeiger f. deutsches Alt. u. deutsche Litt. 14, 97 ff. (Darin auf
S. 98 f., 104, 107 f., 113 u. ö. interessante Beiträge über Uhland).
R. M. Werner, Neuere Uhlandlitteratur: Anzeiger f. deutsches Alt. u.
deutsche Litt. 14, 153 — 202 (Eingehende kritische Besprechungen der vor-
stehend genannten Jubiläumschriften von Holland , Fischer , Hassenstein,
Dederich, Paulus [s. unter 1869], Ohorn, Kohut und Mayr).
R. M. Werner, Des Sängers Fluch von Uhland: SeufFert's Vierteljahr-
schrift für Litteraturgeschichte I, 508 — 511 (S. 510 auch zu der Ring').
A. Biese, Die Entwickelung des Naturgefühls im Mittelalter und ia
der Neuzeit (Leipzig) S. 1 1 5 (U.'s 'Frühlingsglanben und Heinrich von Vel-
deke) und S. 453 (U.'s Naturlyrik). Vgl. R. M. Werner's Recension : Deutsche
Literaturztg. 9, 596 (21. April).
K. Fulda, Ludwig Uhland ein deutscher Dichter (Barmen) : Wiemann's
Sammlung Aus dem Reiche für das Reich', Heft 8.
Felix Liebrecht, in der Germania (herausgeg. von 0. Behaghel) 33,
252 ('Schlößlein in Uhland's „Graf Eberstein").
P. Ludwig, Eine Uhland-Reliquie t Allgemeine conservative Monats-
schrift für das christliche Deutschland, herausgeg. von v. Oertzen und Müller
45, 28 6 — 290 (über U.'s Gedichtschema vom heimkehrenden Wanderer bei
Holland, Zu Uhland's Gedächtniß S. 51.)
K. Strackerjan, Zur Feier deutscher Dichter: Progr. der Realschule zu
Oldenburg: S. 11 — 16 'Uhland'.
Deutsche Rundschau, herausgeg. von J. Rodenberg 54, 399 (U. über
Berthold Auerbach).
Die Gesellschaft. Monatsschrift für Literatur und Kunst. Jahrg. 1888,
S. 1174 (Zu Uhland's Rudello).
G. Gröber im 'Grundriß der roman. Philologie' T, S. 57 f. (U.'s Stel-
lung in der Geschichte der roman. Philologie ).
A. Birlinger, Das Hunno -Weisthum von Bodmann: Alemannia 14, 237
(Berichtigungen zu Uhland's Aufsatz Germ. 4, 50 ff).
Jahrbuch der deutschen Shakespearegesellschaft 23, 291 (Zupitza zu
U.'s 'In Gras und Blumen lag ich gern ),
1889, Felix Bamberg, Hebbel's Briefwechsel mit Freunden und hervor-
ragenden Zeitgenossen: Beilage zur „Allgem. Zeitung" (München) 1. Januar
(auf S. 10 über Hebbel's Verhältniß zu U.).
Ludwig Fränkel, Uhland als Romanist. Nachträge und Berichtigungen.
Herrig's Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen und Lit. 82, 233 — 235.
Frisch, über ein Originalnianuscript von Ernst von Schwaben : Zeit-
schrift für vergleichende Literaturgesch. u. Renaissancelit. N. F. II, 103.
0. Knoop. Das Glück von Edenhall. Eine polnische Sage: Zeitschrift
für Volkskunde I, S. 392.
K. Knortz, Die deutschen Volkslieder und Märchen (Zürich) S. 57 f.
(vgl. auch S. 56 u. 59) U. als Schüler des Volkslieds.
Karl Lucae. Aus deutscher Sprach- und Literaturgeschichte. Gesammelte
Vorträge (herausgeg. von Max Koch). S. 217 (U. als Balladendichter).
Pfeiffer, L. Uhland und seine Stellung im deutschen Geistesleben:
Correspondenzblatt für die Gelehrten- und Realschulen Würtembergs 36, 6.
o. bkp:nner. kin hrief. 369
Johann Schmidt, Die Apokope beiden neueren deutschen Dramatikern:
Zeitschrift f. d. österr. Gymn. 40 (59*J — GOf)), «04.
Phil. Strauch in seiner Übersicht der Flrscheinungen des Jahres 1887
über neuere deutsche Literatur: Anzeiger f. d. Alt. 15, 130 — 133.
Ludwig Fränkel, Neuere Uhlandliteratur: Literaturblatt f. german. u.
roman. Philologie X, Nr. 4, Sp. 125 — 134 (bespricht die oben unter 188G,
1887 u. 1888 genannten Schriften von Holland, Kechstcin, Ohorn, Salomon,
Rümelin, Fulda, Strackerjan).
Da ich mir wohl bewußt bin , daß vorstehendem Verzeichnisse trotz
der größten Mühewaltung, der ich mich behufs möglichster Vollständigkeit
desselben unterzogen habe, mannigfache Mängel anhatten, richte ich hiermit
an die Fachgenossen sowie an alle Freunde und Kenner IJhland's die Bitte,
mich auf die Fehler und Lücken aufmerksam zu machen. Erst dann kann
meine Arbeit werden, wozu ich sie vergebens zu machen strebte, ein wirklich
vollständiges Repertorium der gesammten Uhlandlitteratur, würdig des großen
und verehrten Mannes, auf den es sich bezieht. In diesem Sinne suchte
ich auch einer rein schematischen Anordnung des Stotfes auszuweichen. Sie
ist nirgends eine willkürliche, sondern, wo nicht durch alpliabetische Zu-
sammengehörigkeit, durch gewisse innere Griiude bedingt.
LEIPZIG (PoniatowskystrHsse 13), Frühjahr 1889.
LUDWIG FKÄNKEL.
EIN BRIEF.
Ich elspet von pseierbrvne enpivt d'r lieben vn d'r getriwen d'r
chastenjBrein | gotrawelich mine driwen dienst vn wizct duz mich gar
hart nach ivch | petraget an mine mveterlin daz ich niemen walze
daz mvnch da mich | als hart nach pelange als nach dir licbiv diemvt
der en zwai prach mir | daz herze mine d'n lieze ich ivch vile liebiv
miten trine sehen mit iwern | pelzen vri mit iwer chvrsen allen vü
mit iwern grozen schvhen si mvzen | aver schon gewischet sin da mit
plege iwer d'r svzc got grvzet mir div mvlhaus serciu
(Rückseite)
der lieben sol der ] prief.
Obiger Brief, wohl einer der allerältesten deutschen Privatbriefe,
liegt unter den Urkunden des Münchner Angerklosters in fasc. 9
J. 1303 — 1306 im Münchner Reichsarchiv. Er steht auf einem kleinen
Pergamentzettel (14^ Ctm. br. , 5 Ctm. hocii) , der ganz schwache
Spuren der Faltung aufweist. Ein kleiner Schnitt könnte zum Durch-
ziehen der Siegelschnur gedient haben. Die Orthographie zeigt, daß
die Schreiberin nicht eben sehr geübt in deutscher Briefstellcrei war.
370 O. REHAGHEL, ZU MHD. iu UND «.
Die Schriftzüge sind äußerst zierlich und meist vollkommen deutlich;
auch die unrichtigen v statt v in mveterlin und mvnch sind unver-
kennbar. Die Form mvnch ist mir in keiner der zahllosen Münchener
Urkunden begegnet; prach sollte nach der Schreibgewohnheit der Zeit
prcech, präch geschrieben sein (das übergeschriebene e fehlt auch in
mvzen , grvzet, mvlhavscerein, denen nach guten Münchner und Bayer-
brunner Urkunden durchweg v zukommt). Die Mutter der Elsbet,
Irmgart, erscheint 1309 als Wohlthäterin des Klarnklosters (Mon. boic.
XVIII, 57 f.), Diemüt die Kastnaerin schon 1302; 1307 wird sie in
einer Urkunde der Äbtissin 'vnser sermciaV genannt; 1309 wird sie
als Zeugin nocii einmal erwähnt; 1302 war sie schon Witwe; später
war sie wohl Pfründnerin des Klosters.
O. BRENNER.
ZU MHD. iu UND
u.
Wilmanns macht mich freundlichst darauf aufmerksam, daß
bereits Sebastian Helber, der 1593 sein Syllabirbüchlein veröffentlicht,
den noch heute in Theilen des Oberdeutschen bestehenden Unter-
schied zwischen den genannten Lauten beobachtet hat. Helber gibt —
S. 32 von Roethes Ausgabe — ein Verzeichniß von Wörtern „mit
jenem EV, welliches sonst aber eü gedrucket wirdt" und er setzt
„zwei punctlein zu denen Worten, die bei den gemeinen Donawischen
auf jre eigne weis ausgesprochen werden, [gleichsam oi bei meererem
teil, bei andern it«]". Unter Donauischen versteht er „alle in den Alt
Baierischen und Schwebischen Landen, den Rein vnberürt" (S. 24).
Mit dem Doppelpunkte nun versieht er 52 Wörter, von denen 43 ein
eu aus dem alten Diphthong iu enthalten; bei sechs Belegen geht ett
auf Umlaut von ü zurück (s. Roetlie, Einl. S. XVI; Preußen rechne
ich nicht hierher); bei zweien liegt mhd. i zu Grunde (Plenen (?)
durchgeraüttert) ; bei einem ist der Ursprung des eu zweifelhaft (Preußen).
In 74 Wörtern folgt ein Komma. Von ihnen ') haben neun ein eu
aus mhd. ?; zu ihnen gehört als zehntes gewiß auch verheürathen.
Umlaut von mhd. ou zeigen kleuheln, tenglich; altes üe liegt vor in
Neuchtland ('?). Fremdwort ist abenteürlich, dunkeln Ursprungs das eü
in reüsperen, Rot - Reüssen, scheüren, treiisch. Von den noch bleiben-
den 56 Beispielen besitzen 43 den Umlaut von i2, 12 altes iu. Die
') Bei einzelnen Wörtern ist iiicht mit Sicherheit zwischen Homonymen zu unter-
scheiden.
A. GOMBERT, BEMEEKUNGEN Zl'M DEUTSCHEN VVÖRTERBUCHE. 371
letzteren sind deuten, heulen, vorleuchten, liienstleut , verleumdet, Reu,
misgereuttet ßpreur, scheuheii, schenslich, teutsch, also mit Ausnahm«' vom
verleumdet und Reu lauter Wörter, wo der Staniinvocal ursprUnixlicli
vor i {j) stand, also nach meinen Krörterunj^en oben S. 2öl mit dem
Umlaut von il zusammenfallen mußte. Beute kann auf *hfJja oder
*hiutja zurückgehen. Es ist somit unrichtig, daß Helber der Aiit-
gabe, die beiden eu zu scheiden, erlegen sei (Roetlie S. XV): anl
105 Beispiele kommen nur acht falsche Zuweisungen.
GIESSEN, 4. October 188'.». O. HEH.UillEL.
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖHTKR-
BUCHE.
Bd. VII, Lief. 10 {Pflasterung bis Platz).
(Fortsetzung.)
Pfrundbuch gebraucht Joh. v. Müller in einem Briefe vom
10. Juli 1778 Wke. 29. 250 (Ausg. von 1834); der Herausgeber hält
es aber für nöthig, zu dem allerding.s nicht allgemein verständlichen
Worte die Erklärung zu fügen: Ein Msc, icorin alle Geistlichen, und.
welche Stellen sie bekleidet haben, aufgeschrieben tverden. Pfrundkauf
(fehlt) ist etwas Anderes als der mit Simonie gleichbedeutende Pfründe n-
kauf, nämlich eine Art Leibrente, wie aus Schottel 528 (Beleg aus
Besold) hervorgeht: quando Fiscus certani pecuniae summani a pvivnfo
occipit eique pensionem usuris vulgaribus maiorem ad dies vitae concedit.
Daß der Inhaber solcher Nutznießung neben Pfründner auch Pfrün-
der heißt, weist Lexer aus Maaler nach. Auch Schottel 339" hat
das Wort mit der Erklärung, icelcher eine pf runde oder pfründ-
recht (nicht im Wb.) hat. Dazu kommt ebenda der Zusatz: Eine
pfründe ist confracfus emptionis aiinvi reditns ad vifain ementis. Zu
Pfründe im Sinne von 4 (geistliches Amt und damit ver-
bundene Einkünfte) gehört das gegenwärtig in der preußischen
Kirchenverwaltung häufig gebrauchte Wort Pfrün den abgäbe, d. h,
der Abzug aus den Einkünften einer evangelischen Pfarre, den ein
neu anzustellender Geistlicher an den Staat oder eine öffentliche Gasse
auf eine Reihe von Jahren zahlen mu(> , weil er noch nicht die für
den Bezug des ganzen Einkommens bestimmte Anzahl von Dienst-
jahren hat.
Pfuhl ist auch, wie das aus Wiedemann beigebrachte Beispiel
zeigt, der Inhalt der Pfütze, die Jauche u. dgl. Das Wort wird in
372 A. GOMBERT
besonderem Sinne mehrfach genannt bei der Düngerlehre, wo Pfuhl
oder Pfui eine künstlich gesammelte, gehörig vergohrene und mit
Wasser versetzte Mistjauche bedeutet. Schwerz, Prakt. Acker-
bau^ 1, 116 verbreitet sich behaglich über den Pfui: Diese Brühe,
ivelche wir hier [an dieser Stelle im Buch oder in Hohenheim bei
Stuttgart?] unter dem Namen Pfui bezeichnen, ist darin von dem bloßen
Harne verschieden, daß sie atißer letzterem noch einige der feineren Theile
der festen Auswurf e enthält'^ ebenda Pfulbehälter und S. 117 Pful-
düngung: eive Pfuldüngung ist icirksamer als eine Düngung mit
Stallmist, allein sie ist nicht so nachhaltig wie diese-^ ebd. pfulen und
das Pfulen, z.B.: Man pfult auch die zu Runkeln bestimmt en Felder ;
auch auf Klee, Luzerne, Wiesen thut das Pfulen die herrlichste Wir-
kung-^ ebd. 2, 134 wird pfulen erklärt durch die Worte: mit Jauche
überfahren; ein magerer Acker wird durch das Pfulen zu einer
reichlichen Kartoffelernte gebracht. Das Wort Pfuhl überhaupt ist nach
Lexer den oberdeutschen Mundarten fremd; Schwerz aber scheint es
nach 1, 116 doch in Hohenheim entweder vorgefunden oder wenig-
stens dort gewöhnlich gebraucht zu haben; auch am Mittelrhein muß
es in der besonderen Bedeutung = Jauche üblich sein; vgl. National-
zeitung vom 11, Mai 1879, Nr. 217 in einer Mittheilung aus Darm-
stadt: Ein Heppenheimer Einwohner ... wurde für überführt erachtet,
einem Nachbar 3 Ohm Wein dadurch ungeniefsbar gemacht zu haben,
daß er in den frisch gekelterten Most eine Quantität Pfuhl schüttete.
Pfudel, die mundartliche Nebenform von Pfuhl, ist vereinzelt
auch weiblich, z. B. in einer Anmerkung Wenzel Scherffers zu seinen
Gredichten S. 428: Es haben böse Buben im nechsten Kriege arme Leute
zu martern auf die Erde gelegt und aus der Mistpfudel ihnen den
Leib mit Geicalt angefilllet und sie also bis zum Tode getrenket. Dieß
haben sie den Schwedischen Trunk genewiet.
Das Hauptwort Pfuidichan steht schon bei Schottel 667, wahr-
scheinlich in der Bedeutung unfläthiger Geselle: Das wird ein
Pfuidichan werden und Ich habe mich für solchem Pfuidichan
alzeit gehütet. Rachel S. 80 (Ausgabe von 1742) gebraucht das Wort
in besonderer Bedeutung bei der Schilderung des unanständigen Poeten:
Wenn nun ein grobes Holtz ein Eulenspiegels-gleichen
Last einen Pf uy- dich- an mit gutem Willen streichen
Bringt kahle Zoten vor, verschluckt ein gantzes Ey,
Und rültzet ins Gelach und schivätzet in den Brey.
Unter pfünder 4 ist doch zu erinnern, daß auch schon, ehe
die Geschütze nach der in Centimetern ausgedrückten Weite ihres
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTKKIU'CHE. 373
Calibers benannt wurden, die verschiedenen Ausdrücke mit pf'ündor
nicht mehr ein Geschütz bezeichneten,- das ein (jreschoß der bezeich-
neten Schwere schleuderte. Mit erklärlichem Batteriewitz wurde ehe-
dem auch das preußische Viergroschenstück als Vierpfünder,
das Achtgroschenstück als Ach t pfün der bezeichnet: D>i humst
einen Vierpfünder abladen (d. h. vier Groschen zum licsten
geben); mit einem Acht pfün der vorfahren u. dgl.
In Pfuscher, Pfuscherei und pfusciien (pfusch er n) ist
heute der Begriff des Unberechtigten vor dem des 8tiimi)erhaftpn
zurückgetreten. Früher zeigt sich der erstere Begriff mehrfach ohne
jede Beimengung des letzteren ; so wird in Günthers Lebensbeschrei-
bung S. 33 (1732) der verbotene Umgang mit einer Frau als Ehe-
stands-Pfusch er et und der Thäter als Pfuscher in der Liehe be-
zeichnet. Unter den Belegen für Pfuscher fehlt neben weniger be-
deutenden die classische Stelle aus Goethes Divan: Doch wer keinen
Leisten kennt, wird ein Pfuscher bleiben. (Man findet sie übrigens im
sechsten Bande des Wb. unter Leisten.) Die selbstverkennende
Überhebung als etwas für den Pfuscher gerade Bezeichnendes drückt
auch Platen 4, 86 (Schlußparabase zur Gabel) gut aus: Und der
Pf US eher meint, e?- könne das auch; doch irrt sich der Gute, so
scheint ex. Daß die norddeutsche Aussprache oft Fuscher u. s. w.
statt Pfuscher bietet, ist bekannt. Ein Beispiel sei angeführt, weil
es uns zugleich eine andere von Lexer nicht hervorgeliobcne Seite
des Pfuschers zeigt: Für Stümper und Ungeübte gehet es wohl hin, daß
sie, loie es die Fuscher unter den Handwerkern machen, sich mit was
geringem und ivenigem beheißen; aber ein Mann, der seine Sache ver-
steht, kan sich damit, ohne Verdacht seiner eigenen Tugend, nicht al>-
loeisen lassen. Besser Staats- und Lobschriften S. 161 in der Ausgabe
von 1732, vgl. auch fuschern bei Claudius im Liede für Schwind-
.süchtige bei Gödeke, Elf Bücher 1, 735":
r>ie Ärzte thun zwar ihre Pflicht
Und fuschern drum und dran;
Allein sie haben leider nicht
Das, was mir helfen kann.
Pfuscherei war bekanntlich Goethen in allen ihren Erscheinungs-
formen verhaßt, und zu dem aus den Briefen an Zelter genommenen
Belege für diese Stimmung würde passend zu fügen sein die Mit-
theilung bei Eckermann"* 2, 243: ich hasse alle Pf uscherei wie die
Sünde, besonders aber die Pfuscherei in Staatsangelegenheiten,
ivoraus für Tausende und Millionen iiichts als Unheil hervorgeht. Pfu-
374 A. GOMBERT
Sehern wird etwas kurz (in sechs Zeilen) behandelt. Die Form ist
die in der norddeutschen Haus- und Umgangssprache bei Weitem
üblichere, während pfuschen dort buchmäÜiig klingt; insbesondere
nennt man das sonst unter der Bezeichnung Mogeln bekannte Be-
trügen beim Kartenspiel (öfters nach Verabredung erlaubt) pfus ehern.
Lexer bringt zwei Beispiele für pfuschern mit der Präp. in und dem
Dativ; natürlich kommt so auch in mit dem Acc. vor (~ hinein-
pfuschen), z. B. Jahn 1, 229 (Volksthum): Erziehung, die jedem
Menschen am nächsten liegt , von der Jedermann spricht, in die Jeder-
mann pfuschert, ist das Allerunhekannteste. Endlich wäre hinzuweisen
auf pfuschern mit dem Acc. = pfuschend herstellen bei F. W.
Schmidt. Gedichte 304 (Berlin 1797):
Rolle, eitler Thor, auf Schivanenhälsen
Stolz zu Prunkvisiten fern und nah,
Laß dir pf tisch er n einen Park mit FeUen
Schön auf Holz gemahlt, und — gähne da!
Verpfuschern anstatt verpfuschen hat Hermes, Für Töchter
edler Herkunft 1, 15 (1787): Ich hätte es vielleicht in Üherweisheit sein-
gut machen wollen und hätte es dann mir verpfuschert. Unter den
Zusammensetzungen sei nachgetragen Pfuscherstrich aus Neukirchs
Sammlung ), 210 (Ausgabe von 1697):
Welch Momus hat iemahls hier fehler ausgesetzt.
Und iver will der natur noch pfuscher-s triche weisen?
Neben dem aus Rückert belegten Pfusch werk sehen wir auch
Pfu seh er werk:
Da flohen sie vor ihm wie Eulen vor dem Lichte,
Und dieses Pfuscher- Werk ward auf einrnal zu nichtc.
Poesie der Franken 1, 105 (1730).
Phänomenologie. Herder 4, (59 spricht im Jahre 1768 schon
von einer ästhetischen Phänomenologie. Erwähnung verdiente
auch das Wort phänomenal, das eine Reihe von Jahren (wie vor-
her pyramidal) ein Modewort zur Bezeichnung des Außerordent-
lichen geworden war.
Zu Pfütze 2, das im Sinne von See und Meer aus Diefenbach
und besondere Stellen aus dem 16, Jahrh. belegt wird, könnte Jahn
2, 735 {jenseit der großen Pfütze) und ebd. 841 {iiber die große
Pfütze) gefügt werden, da hier die große Pfütze das Amerika
von Europa trennende Meer bedeutet. Vielleicht aber hat Jahn, ob-
wohl er sonst mit Vorliebe seine Wendungen an gesprochenes und
von ihm gehörtes Deutsch anknüpft, hier nur den Versuch gemacht,
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN VVÖKTEKMUJCHE. 375
einen ihm aufgestoßenen älterneuhochdeutsclien Ausdruc-k wieder zu
verjüngen.
Phantasie in der Bedeutung Ton spiel aus dem Stegereif
wird erst aus Millers Siegwart belegt, wofür leicht ein früheres Bei-
spiel, etwa aus Zachariäs Scherzhaften Poesien 403 (aus dem Jahre
1754) zu geben war:
JSttn jauchzt das yanze Ciavier und feifrct holte Gesänge
hl Phantasie voll Anmuth und Pracht.
Phantasieren als trans. wird aus Wieland und Bürger belegt.
Da dieser Sprachgebrauch selten ist, möge ein weiteres Beispiel aus
den Frankf. Gel. Anzeigen vom Jahre 1772, S. 479 (Neudruck) ge-
geben werden, zumal da nach Scherers Einleitung LXXIX u. LXXXIII
die bezügliche Stelle vielleicht von Goethe herrührt: .So hnige die
Wissenschaften in phantasierten Welten auf /Seifenblasen herumfahren.
Von Zusammensetzungen mögen einige nachgetragen , einige auch
aus früherer Zeit nachgewiesen werden, als dies im Wb. geschieht.
Phantasiebegabung gebraucht Wiese Lebenserinnerungen und
.4ratserfahrungen 2, 141 : in keiner der anderen Provinzen siml mir so
viele Spuren von Phontasiehegahung vorgekomnten [wie in Schlesien!.
Phantasieberauscht (fehlt): phantasirberauschte Fülle Platen
1, 41. Phantasiebild (fehlt). Goethe, Spr. in Prosa 932 (Bd. 19,
201 Hempel): Der denkende Mensch hat die ivunderliche Eigenschaft, daß
er an die Stelle, too das unauf gelöste Problem liegt, gerne ein Phan-
tasiebild hinfabelt, desgl. 28, 166 (Über den Dilettantismus):
[Zweck der Dilettanten,] J'hantasie- Bilder unmittelbar vorstellen
::a wollen. Ebd. S. 725 (1815): Franz, Weislingens Knabe, kommt von
Bamberg und erregt alte Erinnerungen sowie ein neues Phantasiebild
dei' gefährlichen Adelheid von Walldorf. Der physische '/'heil dieses
wilden Phantasiebildes [der Protogaea von Leibnitzj Humboldt,
Kosmos 2, 391. Überweg in der Gesch. der Philos. übersetzt (fuvzdo-
aara durch Phantasiebilder; Vi scher, Ästhet. 0, 2, 5, 1182: die
Unbestimmtheit und Undeidlichkeit des Phant as iebildes, das sich noch
gar nicht erschlossen hat. Hase, Kirchengescliichte'"* 614 (1868): JJa
legitime Fürsten der Gewalt tveichen mußten und der Sieg gewonnen
ivurde im Bunde mit dem "^ Kronenräuber jenseits der Alpen, verschivand
das geistliche Phantasiebild des Herrschers von Gottes übernatürUchen
Gnaden. Früher steht schon Phantasieenbild bei Eberhard, Hand-
buch der Ästhetik 3, 13 (l>i04): die Idee^ nach welcher ich mir die
äußere Darstellung der Phantasiebilder durch die wesentlichen Zeichen
der Ktinst denke. Phantasiebildung (fehlt): In der gegenwärtigen
376
A. GOMBERT
Zeit warnt man vorzugsweise vor der einseitigen Phantasiethätiykeit und
versäumt darüher die normale Fhantasiehildung , die doch ebenso
nothwendig ist als die Bildung jeder anderen Geistesthätigkeit. Deinhardt
in Schmids Encykl. d. Erziehung^ 5, 782. Phantasie form (fehlt)
bei Vischer, Ästhetik 3, 2, 5, 1177: Poesie als Kunst der Darstellung
des hetüußten Lehens in Phantasieform.. Deinhardt a. a. 0. 5, 789
unterscheidet dreierlei Phantasie formen (zurückzuführen auf Ge-
stalten, Töne und Worte). Phantasiefrisch (fehlt): Die besten Eigen-
schaften des Poeten (W. Raabe) treten uns aus den phantasie-
frischen Geschichten entgegen. A. Stern, die deutsche National-
litteratur seit Goethe, S. 154. Phantasiegelispel: O verbeck
Ufid blinkt denn noch der Mond herein
Mit dämme rlichem Silberschein,
Und Phantasiegelispel sich
Herab ergießt so zauberlich
in Vossens Musenalmanach für 1782, S. 111 bei Gödeke. Elf Bücher
1, 790*". Phantasiegemälde (fehlt) ist wohl ein nicht seltenes Wort;
ein Roman unter diesem Titel erschien von G. Döring im Jahre 1833.
Phantasiegestalt (Humboldt, Sonette) findet sich auch bei Goethe
28, 383 Hpl. (Verein der deutschen Bildhauer. 1817). Phantasie-
kranz und Phantasiestrauß werden in Goethes Faust 2. Theil,
Hempel 13, 18 genannt. Phantasiekönig bei H. Leo, Nominalistische
Gedankenspäne 57 : Alle Eide der conservativen Männer in ganz Preußen
gelten dem icahren lebendigen Könige von Preußen . . und nicht jenem
Phantasiekönig e, meinetwegen im Monde. Phantasielos (über-
gangen) ist ein nicht eben seltenes Wort; in etwas ungewöhnlicher
Verbindung hat es Rumohr, Geist der Kochkunst 36 (Reclam): Wer
seine Geschmacksiierven nicht durch häufiges Tabakrauchen abgestumpft
hat oder überhaupt ganz phantasielos ist, dem wird schaudern vor
dieser Verbindung des Lieblichen und Widrigen. Mehrfach gebraucht
es Vischer in seiner Ästhetik, z. B. 3, 2, 5, 1463, ebenso das gleich-
falls übergangene Hauptwort Phan tasielosigkeit ebd. 1232:
Manche Bilder Shakespeares, loelche die Phantasielosigkeit von heute
für geschmacklos erklärt, . . . verdienen die höchste Beiotmderung ; ebd.
1439: die breite Phantasielosigkeit , die keinen ganzen Humor ver-
steht und nichts zu greifen meint, ivenn ihre plumpen Finger nicht ein
solides Stück nackter Wahrheit fassen. Phantasiemäßig (fehlt): Soll
das Anschauen — sei es ein sinnliches oder ein phantasiemäßiges —
gut und ganz gelingen, so dürfen die neuen Vorstellungen nicht als etwas
gänzlich Neues im Geiste Platz nehmen. Dörpfeld, didakt. Materialismus '^
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 377
121 (1886); ebd. 21S: Von d(n- phantasiemäßigen Ansclxtniinqs-
vermittehmg. Phantasiemensch fehlt: ein j^utes Beispiel böte
6. Schwab, Deutsche Prosa '^ 2, 3G mit dem trefifenden Urtheil über
Börne: Verstandesmensch als Kritiker. Phantasiemensch als Politiker.
Phantasiereich (Adj.) ist vor Klinger bei Herder 1, 83 (ÖuphJ
aus dem Jahre 1765 zu finden: die Phantasiereichen Araber:, vgl.
auch ebd. 13, 308 (1785, Ideen): Überhanpt sind bei allen Phantasie-
reichen Völkern die Träume icunderbar mächtig. Natürlich spricht man
auch von Phantasiereicht hu m, doch habe ich augenblicklich für
das Wort keinen besseren Gewährsmann als D. Stern, Gesch. d. deut-
schen Nationallitteratur seit Goethes Tode 137 u. 152. Phantasie-
reich als Hauptwort wird durch eine Stelle aus Gervinus belegt,
dem wohl das gleichbedeutende Schillersche Reich der Phantasie
(Ihr loildes Reich behauptet Phantasie) vorschwebte. Phantasie-
spiel brauchte nicht erst aus Auerbach belegt zu werden; am An-
fange des Jahrhunderts tinden wir es in Eberhards Handbuch d. Ästh.
2, 41 (1803): Das gibt ihr [der christl. Religion] ihren hohen Werth,
nicht ihre Poesie, nicht ihr Phantasiespiel:, ebd. 4, 338 (1805): bald
starkes, bald liebliches Phayitasiespiel [der deutschen lyrischen Poesiel.
Das Wort wird wohl schon im 18. Jahrh. vorkommen; vgl. Wieland
Agathon 1, 234: Das Spiel der Phantasie und des Witzes. Phan-
tasiestück. Wenn als Beleg nur der Titel der Weisflog'schen Er-
zählungen (seit 1824) gegeben wird, so mußte eher an HofFmanns
zehn Jahre früher erschienene und nicht bloß im Titel von Weisflog
nachgeahmte Phantasiestilcke in Callots Manier (Leipz. 1814)
erinnert werden. Phantasiethätigkeit ist ein häufig von Deinhardt
gebrauchtes Wort; seine Abhandlung über Phantasie in Schmids
Encykl. d. Erziehung '^ 5, 782 — 798 enthält es mehr als dreißigmal.
Vischer in der Ästhetik gebraucht es ebenfalls nicht selten. Hegel,
Ästhet.'^ 1, 417 hat TJiätigkeit der Phantasie. Phantasievoll
ist wohl unter den von Lexer übergangenen Zusammensetzungen mit
Phantasie die in unserer Zeit am häufigsten gebrauchte und seheint
bei der Bearbeitung von Dichterwerken und Tonstücken gar nicht
mehr entbehrt werden zu können, doch kenne ich es erst aus Vilmars
Litteraturgesch., z. B. "* 301: Friedrich von Spee, der herzliche, an-
muthige und phantasievolle Lieder dichtete. Hettner und Scherer
brauchen das Wort häufig ; es fehlt aber bei Sanders in beiden Wörter-
buch ern. Phantasiewerk (fehlt 1 : Bea les wird als ein Ph antas ie-
werk behandelt Goethe 28, 179 (Über den Dilettantismus). Phantas-
magorie und auch phantasmagorisch verdienten wohl eher
QBRMANIA. Neue Eeihe. XXII. (XXXIV.) Jahrg. 25
378 A. GOMBERT
Aufnahme als Ph an tasmist und Phantomist; man denkt zunächst
an Goethes Helena, classisch-romantische Pliantasmagor ie, und einen
Beleg zu phantasmagoriseh gibt Kehrein aus einem Briefe Goethes
an Reinhard. Wurden aber einmal die Phantasmisten erwähnt,
so durfte auch als hervorragender Vertreter der Gattung der aus
Goethes Faust bekannte Proktophantasmist nicht fehlen, in dem
wir wohl einen älteren Vetter des in den Vierziger Jahren auftauchen-
den und dann durch die Fliegenden Blätter rasch bekannt gewordenen
Staatshämorrhoidarius erblicken dürfen. Phantasma ist wohl
als ganz griechische Form übergangen, doch verdiente die in der
Endung deutsch gemachte Mehrheit Phantasmen wohl aufgenommen
zu werden, da das Wort in dieser Form seit dem Ende des vorigen
Jahrhunderts häufig begegnet. Ein Beispiel Goethes 28, 170 (Dilettantis-
mus). Kehrein im Fremdwörterbuch gibt für Phantasmen eine Stelle
aus Wieland 37, 56 in der Gruberschen Ausgabe, die mir nicht zur
Hand ist. Phantastik (übergangen) ist ein Lieblingswort Hettners
und bei ihm Dutzende von Malen zu finden, vielleicht eine Hegeische
Bildung, bei dem es u. A. Ästhetik '^ 1, 402 vorkommt. Die ganze
Phantastik und Verwirrung, alle Gährung und wild umhertaumelnde
Vermischung der symbolischen Kunst. Phantom. Daß für die Mehrzahl
aus Schiller nur die schwache Form belegt wird, könnte irreleiten;
es wäre darum aus ihm auch ein Beispiel der starken Form zu
geben, etwa das bekannte aus Ideal und Leben:
Wie des Lehens schweigende Phantome
Glänzend ivandeln an dem stygschen Strome.
Pharisäer, Pharisäerthum, pharisäisch sind lange und
häufig gebrauchte Ausdrücke für das Wesen der Leute, die sich selbst
vermessen, daß sie fromm seien. Luther hat phariseisch Gute
Werke B ij'' (1520): von den falschen, p haiiseischen vnglanhigen
guten wercken\ ebenso H. Emser, Annotationes zu Luthers Neuem
Testament F iij* (1525): dise Phariseisch ent schuldig ung. J. Jonas
in der Übersetzung von Melanchthons Apologie (1525) schwankt zwi-
schen pharisäisch (7'', 9% 12% 142" u. ö.) und phariseisch
(145% 149% 167"^ u. ö,). phariseyer hat H. Emser a. a O. G vij%
übrigens im eigentlichen Sinne: schrifftgelerten und phariseyer.
Pharisäerei bietet Bode im Tristram 6, 35 (1774): 'ch glaube, daß
'n Soldat, wenn fr Zeit zum Beten geivinnen kann, wohl ebenso herzlich
betet als 'n Pastor, obschon nicht mit so'n Haufen Handgebärden und
Pharisäerey.
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHES WÖRTERBUCHE. 379
Philanthrop sollte in seinen beiden Bedeutungen, sowohl der
allgemeinen wie der besonderen (Anhänger der Rousseau-Basedow-
schen Erziehungsgrundsätze) verzeichnet sein; beide Bedeutungen hat
auch das Eigenschaftswort philanthropisch, doch linden wir nach
der Einrichtung des Dessauer Ph ilantropins (1774) und der gleich-
namigen Anstalten (Marschlins. Heidesheini, Schnepfonthal) zur Be-
zeichnung des engeren Begriffes auch vielfach philantropinisch
und philantropinistisch, wie auch der Deutlichkeit wegen Phi-
lantropist und Philanthropinist von Philanthrop, desgl.
Philantropinismus von Philanthropie unterschieden wird.
Vgl. Goethe 22, 159 Hempel (Dichtung und Wahrheit 14. Buch) :
Basedoio hatte die Absicht, das Puhlicum durch seine Persönlichkeit für
sein philanthropisches Unternehmen zu geivinnen. Niemeyer, Grund-
sätze d. Erz.' 3, 368: philanthropische Unternehmungen', ebd. 371:
die philanthropischen Institute. Philantropinisch erscheint als
ein Lieblingswort Bahrdts in dessen Lebensbeschreibung, z. B. 2, 305
(1790): Nach den großen Ideen, die ich von Pliilantr opinis eher
Feierlichkeit hatte; ebd. 271: Ich sähe den glänzendsten Wirktmgskreis
eines Directors philantropinischer Anstalten] ebd. 275: Ich bekam
auch nicht ein Tropf lein des pädagogisch-philantro'p in i sehen Geistes,
den der große Basedoio über mich hätte ausströmen sollen^ ebd. 276:
Ich machte mich .. mit der philantropini sehen Lehr- und Erzie-
hungsart vertraut. Ebd. 290: Salis einzahlte von Basedoios Thafen und
Philantropinischen Herrlichkeiten; ebd. 305: Ein Wirthshaus, welches
Herr von Salis erbaut hatte und welches nun der philantropini sehe
Gasthof hieß. Hettner, Litteraturgesch. d. 18. Jahrhs.' 3, 2, 321:
Keine dieser philantropini stischen Anstalten ist von langer Dauer
gewesen] ebd. 322: Der tüchtigste und kräftigste Förderer dieser philan.
fropinistischen Erziehungsrichtung war Campe. Vgl. auch J. G.
Müller, Emmerich 2, 267: Lieber philantropinisierender Leser.
Philantropin Wäldchen Jean Paul, Unsichtb. Loge III (Hpl.) —
Für den Philister verweist Lexer auf einige von mir gegebene Nach-
weisungen, die doch das große Thema der Philisterei nur eben streifen.
Ich muß es mir aber auch hier versagen, durch Vorführung reich-
licher Beispiele den Philister in seinen so außerordentlich zahlreichen
Erscheinungsformen und oft täuschenden Verhüllungen darzustellen;
es möge nur gestattet sein, eine Vermuthung über den Urs[)rung der
Übertragung des Wortes auszusprechen. Die von Lexer nach Weigand
mitgetheilte Behauptung Wiedemanns, daß ein besonderer, dem letzten
Drittel des 17. Jahrhunderts zuzuweisender Vorfall auf der Universität
25*
380 ^- GOMBERT
Jena die Bezeichnung des nichtstudentischen Bürgers durch Philister
veranlaßt habe, halte ich jetzt wie schon 1877 für sehr zweifelhaft,
doch mag in ihr nach Ort und Gedankeninhalt ein Kern von Wahr-
heit stecken. Daß die Studenten sich als Musensöhne bezeichneten,
konnte bei streng christlich biblischer Weltanschauung für heidnischen
Unfug gelten, und zumal für die Theologen der ausdrücklich als Ver-
treterin des reinen biblischen Lutherthums gegründeten Universität
Jena lag vielleicht der Gegensatz von Israeliten und Philistern
näher. Dann mögen die Studenten nach biblischer Sprechweise sich
als das auserwählte Volk, als Kinder Gottes im Gegensatze
zu dem unbegnadeten Volke der Heiden oder Philister gefühlt und
bezeichnet haben. Leicht konnte sich solcher Sprachgebrauch noch
im 17. Jahrhundert über die drei schon bestehenden sächsischen Uni-
versitäten und das seit 1694 hinzutretende preußische Halle ver-
breiten, wie ja in der That die Übertragung des Wortes Philister
sich zuerst in der geistig von diesen vier Hochschulen beherrschten
obersächsischen Gegend zeigt. Hierzu stimmt es, wenn ein in den
Neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts erfolgter Auszug der Halli-
schen Studenten in gleichzeitigem Bericht als Auszug der Kinder
Israel aus Ägypten dargestellt wird; hierzu stimmt es nicht weniger,
wenn Goethe, vielleicht in bewußter Erinnerung an überlieferten stu-
dentischen Sprachgebrauch, bald ausdrücklich, bald andeutend Phi-
lister und Kinder Gottes einander gegenüberstellt, so am deut-
lichsten Bd. 2, 290 Hempel ('Gedichte sind gemalte Fensterscheiben')
und erkennbar auch ebd. 2, 298 im Gedichte vom Regen und Regen-
bogen. So läßt sich die Sache wohl denken ; doch bleibt die Ver-
muthung unsicher, und wer sie zurückweist, kränkt mich nicht. Von
Zusammensetzungen und Ableitungen, die freilich zum Theile nicht
viel lehren und die zu erschöpfen nicht beabsichtigt wird, mögen hier
noch folgende Platz finden: Philisterbart (bestehend aus Backen*
bart und Kinnbart, soweit letzterer sich unter dem Kinn hinzieht»
während das Kinn selbst wie die Theile um den Mund rasiert sind)
steht gelegentlich im Gegensatz zum 1848er Demokratenbart,
dem heute allgemein üblichen sog. Vollbart; vgl. Fontane, Wande-
rungen' 1, 462: Lange genug habe ich einem hochlöhlichen Publicum
gedient und einen Philisterbart getragen; nun will ich frei sein und
einen Demokraten bart tragen. Philisterbrut H. Leo, Volksbl. f.
St. u. L. 1856, S. 821: Bekehre dich ordentlich, innerlich in Geist und
Wesen., theure Philisterhrut — oder laß es ganz bleiben — aber
mache keinen Seifenschaum mit bunten Bilderchen drin., und vor Allem
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 381
mache dir nicht weiß, du seist auch etwas, wenn du dich in deyi Seifen-
blasen als ein leidliches Kerlchen ahspie()elst. Philisterdasein Scherer,
Lit.- Gesch. 646: Der Klempnermeister Konr. Griihel in Nürnberg hafte
städtisches Philisterdasein poetisch abgeschildert. Philisterdumm
gebraucht Hoffmann v. Fallersleben, Ged. 256; ebenderselbe auch
PhiHstergeschmeiß (Spitzkugeln S. 30):
Besser du stirbfit für eine Idee, als daß du bewußtlos
Lebst in den Tag hinein wie das Philistergeschm ei ß.
Ph ilisterhaus. Wer denkt nicht an G. Schwabs viel-gesungenes
Lied: Bemooster Bursche zieh ich aus,
Behüi dich Gott, Philisterhaus?
Philisterhimmel nennt H. Leo imVolksbl. f. St. u. L. 1858, S. 1069
den einem Philister erwünschten Zustand: zu dv'sem. l'hilister-
h im m e l wären wir sicher angelangt ! Philisterjoch Strachwitz, Ged. 4 1 :
Eh ziüängt der Alaulivurf in sein Loch
Den Adler stolzbeschwingt,
Eh Philisterwitz und Philisterjoch
Den Dichternacken zwingt.
Philisterkanngießerei bei Jahn 1, 255 (Volksthum) : Der Ge-
schichtschreiber, wenn er nicht Kindermärchen schivatzen, Philister-
kanngießereien auf stutzen, Altioeiberwäsche putzen loill, ist nichts
ohne Vaterland, Volksthum und Muttersprache. Philisterland. Der
aus Börne beigebrachte Beleg klingt stark an eine Stelle des viel-
gesungenen Liedes „0 alte Burschenherrlichkeit" an:
Sie zogeil mit gesenktem Blick
Sich ins Philisterland zurück.
Philisterlich steht in der Zusammensetzung das Unphilisterliche
bei Heine 7, 68 der Campischen Ausgabe von 1887 (Deutschland von
Luther bis Kant). Philisterlein bei Strachwitz, Ged. 16:
Kann mir nichts die Harfe stimmen,
Nicht die Liehe, nicht der Wein,
Sei's das zornige Ergrimmen
Über die Philisterlein.
Philistermann für Philister hat Kopisch, Ges. W. 1, 247:
Stirbt im Hansjochemwinkel ein Philistermann,
Ins Himmelreich er nicht so bald gelangen kann.
Philistermoral: die gewöhnliche hausbackene Philistermoral. Phi-
listerpferd {=^ Miethsgaul oder Ge wo h nhei tsthier) ist durch
ein wenig bezeichnendes Beispiel aus Kotzebue belegt. Vgl. Gaudys
Gedicht „Führ uns nicht in Versuchung":
382 Ä- GOMBERT
Da stund ich wieder an der Ecke (nämlich dem Wein-
haus gegenüber)
Höchst wunderbar! Wie kam es nur?
Die Beine wollen nicht vom Flecke,
. Recht nach Philisterpferds Natur.
Philisterrotte bei Strachwitz, Ged. 61 (Recl.) : Laßt uns zerbrechen
die Philisterrotte! Philisterseele: Was kann aus so platter Phi-
listerseele [Brockes] Hohes kommen? Hettner, D. Litt. 3, 1, 342,
Philisterschaden bei Eichen dorf, Krieg den Philistern 161:
Erhalt der Herr euch lang erklecklich dumm.,
Behüt die Blüthen vor Geschmeiß und Maden,
Maifrösten, Türken- und Philisterschaden.
Ebd. 51 : Philisterschaar und 101: Philisterfähnlein. Philister-
staaten. Novalis 2, 237 unterscheidet genialische und Philister-
Staaten. Philisterunglück nennt H. Leo im Volksbl. f. St. u. L.
1857, S. 774 ein solches, das dem ersten besten Philister begegnen
kann. Philisterthum ist durch das etwas phrasenhafte Beispiel
aus Bettinas Briefen nicht ausreichend belegt. Statt vieler Belege
diene einer aus Wienbargs ästhetischen Feldzügen 79 (1835): Sie
werden entweder die Leibpoeten des Philisterthums , das unmittelbar
über dem Volk lagert, oder sie teer den die Poeten der Gebildeten, d. h.
verschiedener unter sich streitiger Cliquen, icelche die gesellschaftlichen
Culminationen der Macht, des Geistes, der Gelehrsamkeit u. s. w. repräsen-
tieren, Philisterium steht wohl wegen seiner lateinischen Endung
an der Grenze der Aufnahmefähigkeit, doch ist es einmal in studen-
tischen Kreisen häufig gebraucht, theils als sinnverwandt mit Phi-
listerthum, theils als Sammelname zur Bezeichnung der Philister;
vgl. in letzter Bedeutung H. Leo, Volksbl. 1857, S. 774. Ein paar
hundert tolle Excesse von müßig gewordenen Fabrikarbeitern würden unser
süßes deutsches Philisterium weit rascher wieder ernüchtert wid zu
einigem Conservatismus bekehrt haben. Philisterverstand W. Raabe,
Deutscher Adel in Westermanns Monatsheften 1878, November, S. 162:
Vögel aus demselben Nest der Lebensharmlosigkeit, nur daß den einen
sein phantastisches Gefieder allzu leicht zu hoch über den gesunden Men-
schen- und Philist er verstand hinaustrug.
Philisterweisheit: Prinz Zerbino ist gegen die hausbackene
Avfklärungsmoral und Philist er lo ei sheit gerichtet. Hettner Litgesch.
3, 3, 2, 434. Philister weit ist verzeichnet, doch ohne Beleg ge-
lassen; man denkt zunächst an die bekannten Zeilen von Klamer
Schmidt:
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTER BUCHE. 383
Ich Iahe mich lieber an Wein und am Kuß,
Bev(yr ich hinunter
Ins traurige Reich der Philisterioelt muß (Hier
sitz ich auf Rosen mit Veilchen bekränzt).
Vgl. auch Wienbarg Asth. Feldz. 135 (1835): In dieser roilsten küsten-
losen Litteratur, in welcher die Schriftsteller ohne Polarstern schiffen und
ihre großen und kleinen Bären nicht am Himmel, sondern in der Phi-
listerwelt haben. Philisterwitz: Es steht mancher Weise in Erz
und Bronze auf unseren Märkten, aber Regenschauer, Philisterwitz
und üble Nachrede gehen an keinem von ihnen, so inachtlos vorüber wie
an meinem Freiind. W. Raabe, Deutscher Adel a. a. O. S. 2(S7. Phi-
listern (und zwar trans., also: in Piiilister weise bebandeln)
war durch das bei Sanders und Kehrein stehende Beispiel aus E. M.
Arndt zu belegen. Phil is tri eren in der Bed. zum Philister
(einer studentischen Vereinigung) machen ist doch wohl seltener
Sprachgebrauch; ich kenne es mehr in dem intr, Sinne: sich vom
Verbindungswesen fern halten. Philiströs wechselt mit
philiströs; letzteres wird von H. Leo bevorzugt, z. B. Volksbl. f.
St. u. L. 1856, S. 548: dies geistig armselige und philiströse Lumpen-
gesindel. Die schlechte Form Philiströsität aber ist doch sicher
weniger üblich als das übergangene Philiströsität; übrigens wird
man leicht zugeben, daß beide fehlen könnten.
Philosoph und Philosophie verdienten eine eingehendere
Erklärung als ihnen bei Lexer zu Theil wird ; wenigstens sollte aus-
drücklich an den eigenthUmlichen Gebrauch erinnert werden, den
diese Wörter etwa seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts erleiden.
Dazu genügte schließlich ein Hinweis auf das 7. Buch von Goethes
Dichtung und Wahrheit, Wke. 21, 57 (Henipel), wo v-on dem Gegen-
satze des sich innerlialb des protestantischen Theils von Deutschland
und der Schweiz lebhaft regenden sogenannten Menschenverstandes
einerseits und der Schulphilosophie anderseits gesprochen wird: Man
glaubte, icenn man in seiwm Kreis richtig urtheile und handle, sich auch
wohl herausnehmen zu dürfen, über Anderes, was entfernter lag, mit-
sprechen zu dürfen. Nach einer solchen Vorstellung war nun jeder be-
rechtiget, nicht allein zu philosophieren, sondern sich auch nach und
nach für einen Philosophen zu halten. Die Philosophie loar also ein
mehr oder iceniger gesunder und geübter .^fenschenver stand, der es loagte
ins Allgemeine zu gehen und über innere und äußere Erfahrungen abzu-
sprechen ....und so fanden sich zidetzt Philosophen in allen Facul-
täten, ja in edlen Ständen und Hantirungen. Damit werden wir in die
384 A- GOMBERT
Zeit der sogenannten Popularphilosophen geführt, die der Gefahr
nicht entgingen den Begriff der Philosophie zu verflachen, indem sie
gern jede von den überlieferten Vorstellungen freie oder sich frei
dünkende Betrachtung der Dinge als philosophisch bezeichneten 5
man vergleiche nur in J. J. Engels Philosophen für die Welt den
Titel des Buches mit der Mehrzahl der in demselben stehenden Ab-
handlungen. Goethe selbst bezeichnet im 8. Buch a. a. O. S. 99
seinen Gastfreund, den Dresdener Schuster, mit gutmüthigem Scherze
als praktischen Philosophen imd bewußtlosen Weltiveisen. Wie sich
diese Popularphilosophie allmälig überlebte und nicht zum wenigsten
durch das absprechende Wesen Nicolais an Ansehen verlor, gehört
freilich nicht ins Wörterbuch , ließe sich aber auch ohne große Er-
örterung an einigen wohlgewählten Beispielen klar machen. Philo-
sophaster, ein im 18. Jhdt. anscheinend nicht seltenes Wort, [Vgl.
Kritikaster, Poetaster, Theologaster, Medicaster, letzteres
in Günthers Lebensbeschreibung 76] (1732) gebraucht Joh. v. Müller
in einem Briefe vom 12. August 1770 (Wke. 29, 79 der Ausg. v.
1831 ff,), ferner Wieland Horazens Sat. "1, 33 (1786); andere Bei-
spiele bringt Kehrein aus Herder. Verwandt mit dem Philoso-
p ha st er ist der Philosoph ant, den Sanders und Kehrein aus
Lichtenberg nachweisen; desgl. der Philosophist, den Jean Paul
Hesperus 281 (Hpl) vom Philosophen unterscheidet {so viele Phi-
losophen lind Philosophisten). Philos ophis tisieren hat No-
valis 2, 177: Das Universalisieren und Philosophist isieren eines
specißschen Begriffs oder Bildes ist nichts als ein Ätherisieren^ ein Ver-
luftige)i, Vergeistigen eines Specificums oder Individuums; ebd. 2, 117
auch Philosophismus: Philosophismus ist ein höheres Analogon
des Organismus; der Organismus loird durch den Philosophismus
completiert und umgekehrt. Philosophin. Zu dem Beispiele aus
Zimmermanns Einsamkeit füge man ein früheres aus Gellerts Lust-
spielen 130 (1748):
Ihr seid gelehrt,
Recht sehr gelehrt in allen Sachen,
Und loollt Lucinden gern zur Philosophin machen.
Philosophenbart bei Wieland Hör. Sat. % 73: er hat natürlich
auch nach Art dieser Leute den Philosophenhart (sapientens bar-
bam); vgl. ebd.: des Stertinius, eines philosophischen Marktschreiers,
dem sein stoischer Bart und Mantel (s. später Philosophen-
mantel) ... eine Art von Becht gaben; kürzer zu Horaz Sat. 1, 3,
133: [der stoische Tugendschwätzer] hat natürlich auch nach Art jener
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 385
Leute den Philosophen hart. Vgl. Friedländer Sittengesch. Roms 3,
559 (1871): ein langer Bart, hinanfgezogeite Augenbrauen, ein grober
Mantel und hloße Füße seien einem genug, vm sich für weise, mannhaft
und gerecht auszugeben. Philosophenbraten: Eine am Spieß gebratene
und mit Petersilie bedeckte Hammelbrust ist ebenfalls kein verächtliches
Gericht: es ist dies der sogenannte Philosophenbraten. La Reyiiiere
Küchenkalender, übersetzt und herausg. v. Habs (Reclain). Philo-
sophenkönig bei Gregorovius Athenais 121. Philosophenkaiser
bei Friedländer a. a. O. zur Bezeichnung des Kaisers Julian. Der
Philosophenmantel wird im Altertiium und dem entsprechend
auch häufig in deutschen Schriften erwähnt, thcils im eigentlichen
Sinne, theils übertragen. Vgl. Poesie der Franken 1, 215 (1730):
Hiermit ließ er die guten Alten
Die Philosophenmäntel falten.
Wir finden diesen Ausdruck desgleichen in einem docli für weitere
Kreise berechneten Buche, das im Jahre 1786 zu Breslau unter dem
Titel Liebe und Ehe in der Narrenkappe und im Philoso jjhenm an tel
erschien (s. Verzeichn. des antiq. Bücherlagere von K. Th. Völcker
141, Nr. 67). Daß auch in unseren Tagen der Ausdruck als allge-
mein bekannt vorausgesetzt wird, sehen wir aus den Grenzboten, Jahrg.
1887, Nr. 52, S. 635, wo eine Abtheilung von Gedichten Albert Gehrkes
die zusammenfassend'^ Überschrift: Im Prophetenmantel trägt.
Arndt Geist der Zeit ^1, 46 (1807): Selbst die Theologie ließ sich so
weit hei^ab, den Philosophenmantel umzunehmen; nun ward sie be-
thört, und die Philosophie stutzte und zierte und glättete an ihr, so lange
es eticas zu stutzen, zu zieren und zu glätten gab. Friedländer a. a. O.
602: Ist es erforderlich, daß tausend Bänke aufgestellt, Zuhörer einge-
laden werden, daß du in eleganter Kleidung oder im schäbigen Philo-
so phenmänt eichen auf das Katheder trittst und den Tod AchiUs be-
schreibst? Vgl. ebd. 569: Die Gegner ließen es sich nicht nehmen., gerade
auf den Lebensioandel dieser bloßen Bart- und Mantelphilosophen
hinzuweisen, um die Unfruchtbarkeit der Philosophie Jür sittliche Ver-
vollkommnung darzuthun. Wieland Agathon 10, 3 (Sämmtl. Wke. 2,
273 der kl. Ausg. von 1794 fF.) : Alan mußte Metaphysik in geometri-
schen Ausdrücken reden, um sich dem Fürsten angenehm, zu machen. Man
trug also am ganzen Hofe keine andere als philosophische Mäntel.
Frkf. Gel. Anz. 1, 147 (1772): So rathe ich keinem Dichter, in dem
Mantel der Philos ophen aufzutreten, dessen Löcher so vielen ärgei'-
lich an denjenigen sind, die keinen besseren Mantel haben U7id ihn aus
Caprice auf einige Stunden von sich legen, um zu sehen, wie sie der
386 A. GOMBERT
andere kleidet und wie weit er ihnen reicht. Philosophenbart und
Philosophenmantel findet man auch in mehreren deutsch -latein,
Wörterbüchern, wie von Georges. Philosophenmaske bei Fried-
länder a. a. O. 573: dies bequeme und einträgliche Bettlerlehen, das
ihnen zugleich die Möglichkeit gewährte, unter der Philosophenmaske
iliren hestialen N'-igungen zu, fröhnen; ebd. 561, 577 u. oft, übrigens
schon viel früher, Philo s ophen schule, 559: Philosophentracht.
Philosophensecte bei Seume 8, 200 (Weinlese): Professor und
Verfechter einer Philo sophe7isecte. Philoso phenthum bei Gre-
gorovius Athenais 80: fakirhaftes Mönchthnm und das Bettelphiloso-
ph enth um Griechen lands.
Phiole wird einfach als kugelförmige Glasflasche mit langem
Halse bezeichnet. Es wäre hinzuzufügen, daß nach dem heutigen
Sprachgebrauche das Wort ein ungewöhnliches und vornehmes ge-
worden ist, daher, so viel ich weiß, nicht zur Bezeichnung von all-
täglichen Gebrauchsgeräthen verwendet wird , sollten sie auch der
sonst richtig von Lexer gegebenen Begriffsbestimmung entsprechen ;
man versteht vielmehr unter der Phiole die in der angegebenen
Weise gestaltete Glas f lasche des Chemikers, der ja dem ge-
wöhnlichen Sterblichen leicht wie ein Hexenmeister erscheint, oder
ein als Heiligthum gezeigtes oder kirchlichem Gebrauche dienendes
Gefäß. Hierzu stimmen die von Lexer gegebenen drei Beispiele,
denen noch beizufügen wären zunächst die schon von Kehrein ange-
führte Stelle aus Faust 2. Theil (Hempel, 13, 69):
/Schon in der innersten Phiole
Erglüht es wie lebendge Kohle;
ferner aus Lenaus Faust (S. 386 der Gesammtausgabe von Barthel) :
Er riefs und hatte mit den Worten
Phiolen, Flaschen und Retorten
Zerschmettert schnell in tausend Scherben.
Diese Scherben heißen zum Überfluß ebd. 385
die Splitter
Vom alchymist' sehen Apparat.
Und wenn Rückert in dem von Sanders gebotenen Beispiele aus den
Makamen eine Trinkflasche als Phiole bezeichnet, so mag dies der
morgenländischen Einkleidung zuliebe geschehen sein, wird aber wohl
eher eine durch das vorhergehende Reirawort Viole nahe gelegte
unübliche Verwendung des Wortes Phiole sein, wie dergleichen bei
Rückert häufig zu finden ist. Dahn, im Kampf um Rom ^1, 277, ver-
wendet bei der Schilderung eines Gastmahls und Trinkgelages wieder
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCH KN WÖRTERRICflK. ;}87
die ursprüngliche griech. Form Filiale, ich denke, weil ihm die
Phiole zu alchymistisch, apothekerhaft oder kirchlich vorkam: Laji
die Amphora hereinbringen ; dazu die Phialru von rjelheni Bernslein.
Hedio in der Übersetzung von Baptista Piatinas Papstgeschichte 32*
(1546) hat Phiel: ein guldin Phiel odei' schal.
Phlegmatiker und phlegmatisch werden erst aus Kants
Anthropolo2;ie belegt. Wann ersteres Wort aufgekommen ist, weilJ ich
nicht, will aber doch bemerken, daß die lateinische Form ])hleg-
maticus, die ja noch heute neben Phlegmatiker gebraucht wird,
schon von Sim. Roth (1572) als Fremdwort aufgenommen und erklärt
ist: ein rotziger, pfntziger, tostiger mensch. Phlegmatisch aber im
Sinne der alten Anthropologie ist schon im IG. Jhdt. ganz gewöhn-
lich, z.B. 1532 bei Fries, Spiegel der Arznei 106: von ßigmaiischan
Unwillen [Übelkeit]; Sebiz vom Feldbau 233 (1580): die Phlegma-
tische tuid Wasser ige feucht igkegf. ebd. p hlegvidf ische heulen; auß
Vermischung des phlegmatischen und Biliosi gehlüts. New Distülir-
buch 2* u. ö*» (Fkft. 1597): ein rohe ungedäioete Flegmatische feuchte;
ebd. 3^^: die Flegmatische vngeschviackte wässerigkeif. Cureus Schles.
Chron. übers, v. Rättel 2, 50 (1585): die Pituita und Flegmatische
Materi. Im übertragenen Sinne habe ich mir phlegmatisch erst aus
Abbt Liebe zum Vaterlande (1761), Vermischte Werke 2, 47 der Ausg.
von 1770 angemerkt: Wir werden Stützen des Vaterlandes durch unsern
Fall, anstatt demselben durch unsere phlegmatisJie Lage zur Last zu
gereichen.
Pho s p hör in der Bed. Morgenstern findet sich vor Fr. ]\Iüller
bei Uz 1, 50 (Ausg. v. 1768):
Wie Phosphor glänzt, der um den Morgenthau
Aus Thetis Armen sich entziehet,
Und ans gestirnte Blau
Mit heitrem Lächeln tritt und vom Olympe stehet.
In Phosphor wird die Abstammung nicht mehr gefühlt, und so bildet
man auch Phosphorlicht:
JJilnste, mein Junge, nur Phosphorlicht,
Vermoderte Quallen und Schnecken.
A. V. Droste HülshofF 1, 247.
Ihr [der Sterne] Phosphorlicht ivandelt die grünliche Fläche des uner-
meßlichen Ocaans in ein Feuermeer um Humboldt, Ans. der Natur 175
(kl. Ausg. V. 1871); ebd. 139: zahllose Insecten gössen ihr röthliches
Phosphorlicht über die krautbedeckte Erde. ebd. 204: ein sihicaches
Phosphor licht. Vgl. auch in Alfr. Meißners Gedicht Venezia: du
388 A- GOMBERT
blasser Phosphorschimmer. Phosphorisch wird aus Wielands
Cielia (1783) belegt; etwas früher sehen wir es bei Kant in Engels
Philosophen für d. Welt 2, 151 (1777): die Ausdünstung des phos-
porisch Sauren, wornach alle Neger stinken, ebd. 156. Auch wäre
ein Beispiel aus Goethe 11, 1, 260 (Hempel) vom J. 1821 (Theater-
reden) beizubringen:
Und unter dem Kopfschmuck pho sphärischer Schlangen
Weiß glühen die Augen mid. rothhravn die Wangen.
Gephosphortes Wasserstoffgas Humboldt, Ans. d. Natur 216.
Phrase. Zu den geschraubten Phrasen (Platen) wären auch die
gewundenen Phrasen anzuführen, z. B. aus Goethe 13, 22 (Faust,
2. Theil); ferner Phrasen drehen und Phrasen drechseln., auch
Phrasendrechsler ; die geschwollene Phrase, z. B. bei Geibel Ged.
u. Gedenkbl. 103:
Wann der Verfall anhebt? Wenn die Zeit die geschwollene Phrase
Von des empfundenen Worts Fülle zu scheiden verlernt.
Dazu gehört denn die nicht seltene Zusammensetzung Phrasen-
schwall, Phrasenflor Goethe 2, 382 Hempel (Zahme Xenien
5. Abth.) : So zerret Lesers dürftig Ohr
Mit vielgequirltem Phrasen- Flor.
Von weiteren übergangenen Zusammensetzungen seien genannt Phra-
sengewebe Vilmar Litgesch. ^^444: Nocli länger bekannt und beliebt
ivar das Phrasengewebe: die Fürstengruft; Phrasenheld Vilmar
Schulreden ^217 (aus d. J. 1845); Phrasenherrschaft ebd. 336
(1849): die Begriffs- und Phrasenherrschaft hat zu einer Trägheit
und Feigheit geführt, die noch nie in >o auffallenden Formen hervoi^-
getreten ist, wie in unserer neuesten Zeit; ebd. 337 wird der Ausdruck
wiederholt ; S. 335 dafür Phrasendespotismus: die Begriffe werden
zu Phrasen, und die Begriffsherrschaft wird zum Phrasendespotis-
mus'., Phrasentausch H. Leo, Gedankenspäne 115: den Dingen,
vor allen Dingen den Persönlichkeiten und deren Handlungen fest auf
die Nähte zu fühlen, haben xvir uns in diesem öden langioeiligen Traum-
leben unseres Phrasentausches, den ivir Unterhaltung und Belehrung
nennen, fast ganz entwöhnt. Phraseologie ist übergangen. Im Jahre
1610 gab J. R. Sattler zu Basel seine Teutsche Orthographey und
Phraseologey heraus. Seit wann das Wort auch im tadelnden
Sinne gebraucht wird, habe ich nicht angemerkt; ein Beispiel aus
dem Jahre 1790 gäbe J. G. Müller, Herr Thomas 2, 379: also konnten
seine Lieder nicht viel mehr enthalten als Gemeinplätze und abgenutzte
erotische Phraseologie; ebd. 4, 353 (1791): er erschöpfte seine ganze
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 389
poetische Phraseologie. Bekannter ist Platens Vers aus der Gabel
(Werke 4, 30 der Ausg. von 1854): Phraseologie, die im Kopfe mir
hlv'h ans einem TragödienrUhrei. Phraseologisch steht 1719 in Math.
Krämers Nider-Hoch-Teutsehen Wörterbuche, Vorrede, Bl. V' -. gute
phraseologische Dictiojiarien und ebd. 3": ohnn Nachtheil der zu
einem rechtschaffenen phraseol og isch en Lexico ei'fonlerten Vullstäiidigkeit.
Physik. Auf Wolframs fisike folgt sogleicli ein Beispiel aus
Kant, während man doch einige Belege aus den zwischenliegenden
Jahrhunderten wünschte. Für das 16. Jhdt. wäre auf den doch häufig
von Lexer angezogenen S. Roth zu verweisen: Physic Wisticn nid
kiuist oder verstandt der natürlichen dingen\ dann etwa auf Pistorius
Anatomie Lutheri 3, 47 (1593): Daß Luther ein grober Saw Theologtis
ist und in seiner Theologia allzeit seicische Physich vnd stinckemlen
Mist vnderfnischen muß. Physisch (belegt aus dem Jahre 1664) steht
1593 in Seb. Helbers Syllabierbüchlein 16, 28; ein zusammenhängendes
Beispiel bietet Harsdörffer in dem von ihm verfaßten 3. Theil von
D. Schwenters Mathematischen und Philosophischen Erquickstunden
S.. 227 (1653): Diese Strahlen aber sind keine Mathematische und künst-
liche, sondern vielmehr Physische und natürliche Linien.
Physiognomik. Die gegebene umfassende Erklärung wird
leider durch das Beispiel aus Kant getrübt, welcher nur den Menschen
ins Auge faßt; längst aber redet man doch auch von einer Physio-
gnomik der Gewächse, wie ja in Humboldts Ansichten der Natur
ein Abschnitt sich als Idee7i zu einer Physiognomik der Gewächse be-
zeichnet (S. 173 ff. der kleinen Ausgabe von 1871); ebd. 155: auf-
fallend sind in altcastilischen Idiomen die melen Ausdrücke für die
Physio gnomik der Gebirgsmassen , für diejenigen ihrer Gestaltungen,
welche unter allen Himmelsstrichen loiederkehren und schon in weifer Ferne
die Natur des Gesteins ojfenbaren. liehen dem Physiogn o misten ver-
diente auch der Physiognomiker Aufnahme; letzteres Wort ist heute
sogar das üblichere. Das Wort wurde wohl durch Lavatcrs bezügliche
Schriften (seit 1772 und besonders, seit 1775) üblich. Vgl. auch
H. P. Sturz '^ 2, 205; wir sind Alle, mehr oder iveniger, empirische
Physiognomiker.
Piano als Adv. (Bürger) kommt schon 1702 vor bei Thomasius,
Auserlesene Sehr. 2, 36 (Ausgabe von 1714): So lange fridericus Sapiens
und Spalatinus Luthers allzu hitzigen Eyfer mit Glimpff supprimierten,
vnd der Churfürst Gott reformieren und alles fein piano gehen ließen,
ivenngleich Luther noch so sehr scholt.
390 A. GOMBERT
Pi chel (als Geiferläppchen kleiner Kinder) zeigt auch die Weiter-
bildung Pichelschürze, d. h. Latzschürze, nur daß die Pichel-
schürze ebensogut von Erwachsenen getragen wird und in unserer
Zeit überhaupt die gewöhnliche Form der Schürzen ist. Das Wort gilt
für berlinisch, gilt aber jetzt auch anderswo und wird wohl in ganz
Norddeutschland verstanden.
Pichelei wird von Lexer mit Sanders nur im Sinne von Sau-
ferei gefaßt und durch eine Stelle aus der Karschin belegt. Ich habe
schon im Jahre 1877 darauf aufmerksam gemacht, daß die mir damals
nur aus Sanders bekannte Stelle keinen Sinn gäbe, wenn mau sie auf
das Trinken bezöge, daß sie vielmehr auf harte Arbeit ginge, wozu
ich auch picheln ::= schwer arbeiten aus Butschkys persianischem
Rosenthal anführte. Genaue Einsicht in die genannte Stelle nimmt
jeden Zweifel an meiner damaligen Behauptung. In dem bezüglichen
Gedichte (Schlesisches Bauerngespräch, Gedichte von Luise Karschin,
Berlin 1792 [Titelauflage von 1797], S. 376—388) schildert Bauer Hans
S. 380 und 381 sein einfaches Tagewerk vom frühen Morgen an, gibt
dabei an, wie seine Frau zuerst das Bette verläßt und fährt dann fort:
Ich. fahr ihr huriig nach, und bet a Morgen- Seegen,
So kurz als möglich iß; denn unser s Herr-Goots wegen
Verioendt man nicht viel Zeit. Verzeih mirs Gott! icir seyn
Zum Flegel nur gemacht und zu den Picheleyn.
Der Bauer sagt also ganz einfach, daß er bei seiner harten Arbeit
keine Zeit zu einer längeren Morgenandacht habe; er wirft nun einen
Seitenblick auf den Städter, der wohl den Schein der Frömmigkeit
annehme, dabei jedoch an seinen Wucher denke, und kehrt schließ-
lich zu sich zurück:
Wir Bauersleute thun, loas unsre Väter thaten :
Wir beten kurz und gut und geh?! zur Arbeit hin.
Das Mißverständniß der Stelle rührt wohl daher, daß Lexer sie auf
Treu und Glauben aus dem Wörterbuche von Sanders entnahm; dar-
auf deutet auch die nach Sanders gegebene Abtheilung der Zeilen,
aus der die Alexandriner der Karschin nicht zu erkennen sind.
Pickel in der Bed. Eiter bläschen auf der Haut, Blatter
wird ganz übergangen, während es doch wenigstens in ganz Nord-
deutschland ein alltägliches Wort ist und außer dem Adj. pick(e)lig
in mancherlei Zusammensetzungen auftritt. Fontane Wanderungen
4, 345 erzählt vom alten Schade w, daß zwei in Wachsmasse aus-
geführte Modellfiguren in der Nähe des warmen Ofens, weil das Wachs
an der Oberfläche schmolz, eine wie mit Pickeln übersäete Haut
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. ;i91
bekommen hätten. Ein Tausendkünstler will den Schaden beseitigen,
führt dies aber so mangelhaft aus, daß Schadow sagt (a. a. 0. 346):
Ja, die Pickeln sind wea , aber die Pelle ooch. Pickel als eine Art
Kraftwort zur Bezeichnung eines festen, seiner Arbeit gewachsenen
Mannes wird aus Schöpf, tirol. Idiot belegt. In Norddeutschland habe
ich diese Anwendung des Wortes nie gehört; daß sie im Süden auch
aul>erhalb Tirols vorkommt, sieht man aus J. Gotthelf, Ges. Sehr.
20, 175 (Berlin 1861. Käserei i. d. Vehfr.): Das ist ein Buch, das ist
eins! Das muß Einer sein, ders geschrieben hat, e ganze Kerli, e ver-
buchte Pickel! Pickel hart wird nur aus Wörterbüchern belegt;
vgl. darum Berlepsch, Alpen* 407 (1871): u-enn drunten im 'Thal Alles
picke l hart gefroren ist. Pickelhaube. Es wird richtig angegeben,
wie das Wort allmälig seine Bedeutung gewechselt hat und heute
fast ausschließlich den metallbeschlagenen und mit einer Spitze ver-
sehenen Helm bezeichnet. Man vermißt aber einen bestimmten Hin-
weis darauf, daß seit der Einführung des griechischem Vorbilde ent-
lehnten mit der Spitze versehenen Helmes durch König Friedrich Wil-
helm IV. das Wort Pickelhaube nicht bloß stehende Bezeichnung
des preußischen Helmes, sondern auch der preußischen Heeres- und
Staatsmacht geworden ist. Bei den Wahlen zum Zollparlament (1867)
wurde in süddeutschen ultramontanen Blättern die schreckliche An-
klage erhoben , man wolle in Berlin ganz Deutschland unter die
Pickelhaube bringen. Gleichmüthiger empfand man es, daß vor
nicht langer Zeit durch Abschaffung des sogenannten historischen
Raupenhelmes und die Einführung des preußischen auch Baiern unter
die Pickelhatihe gebracht wurde. Für die von Lexer erwähnte unrichtige
Ableitung, nach der man unter Pickel so viel wie Spitze verstand
und versteht, bietet H. Heine, Deutschland, Cap. 3, ein bezeichnendes
Beispiel :
Nicht übel gefiel mir das neue Kostüm Ja, ja, der Helm gefällt mir, er zeugt
Der Reiter, das muß ich loben, Vom allerhöchsten '[Vitze !
Besonders die Pickelhaube, den Ein königlicher Einfall wars!
Helm Es fehlt nicht die Pointe, die Sp itze !
Mit der stählernen Spitze nach oben.
Nach dem Gesagten bedeutet Pickelhaube natürlich auch den Helm
der preußischen Polizei und den Polizeibeamten selber; vgl. Raabe,
Deutscher Adel in Westermanns Monatsheften, Dez. 1878, S. 311":
Ist das eine Polizei! Keine Pickelhaube zu sehen, so iceit das Auge
tmd der Tumidt reicht. Pickel st ein wird als gefrorner Erden-
kloß bezeichnet; besser ist die Erklärung Jahns 1, 536: Erde, die
392
A. OOMBERT
steinhart mit scharfen Spitzen gefroren ist. Übrigens gebraucht man
das Wort, wie Danneil an der von Lexer angezogenen Stelle bemerkt,
kaum anders als in der Wendung: es friert Pickelsteine. Vgl. Jahn
1, 478: Biermährte ißt man in den Hundstagen; loenn es Pickelsteine
friert, kann man sie nicht gebrauchen. Pickelstock wird nur im
Sinne von Pickel = Spitzhacke aus Rädlein beigebracht, be-
deutet aber auch den mit metallener Spitze versehenen Wanderstock;
vgl Hoffmann v. Fallersieben Ged.^ 298:
Ein Paar gute Sohlen Ein Paar weite Hosen
Und ein heiler Rock, Und ein Pickelstock,
Dichtes Wachstuch überm Hut
Ist in Wind und Wetter g%it.
Picker steht bei Lexer nur im Sinne von Pickenarbeiter
und von dem Vogel Steinhauer oder Steinpicker. Schottel jedoch
334" führt den Pick er an als denjenigen, der seinen Nutz von eines
Anderen Abgang und Schaden suchet, und ebenda: Pikken, abpikken
das ist jhm vortheilhaftig zuheimschen. Pieken ist in Norddeutschland,
besonders im .Brandenburgischen, das gewöhnliche Haus- und Kinder-
wort für stechen (nd. peken) und wird von picken bestimmt
unterschieden. Floh und Nadel pieken; letztere heißt daher auch in
der Kindersprache die Pieknadel, so daß diese Bezeichnung nicht
etwa auf die Stecknadel beschränkt ist. Vgl. auch Kopisch, Ges.
Sehr. 2, 231:
Wird dir hei Nacht die Ruhe gerauht durch hüpfender Flöhe
Piekende Schar und sanft anschleichende Wanzen.
Piekentief (übergangen) führt Campe nach Frisch 2, 59" als gleich-
bedeutend mit zwei Klafter tief an. Denselben Sinn hat offenbar
das in Bessers Schriften 1, 198 der Ausgabe von 1732 vorkommende
Picken-hoch:
Bey Landen hat es Carln, o strenge Schlacht hey Landen!
Viel eher an Geschütz, als Gegemoehr gefehlt,
Der mit dem Degen nur, als mehr kein Kraut vorhanden,
Die Feinde Picken-hoch dem Tode zugezehlt.
Erwähnt sei auch das aus dem Osten Deutschlands weiter gedrungene
piekfein (auch pick fein), das im Munde von Handlungsreisenden
und sonst in gewöhnlicher Rede eine sehr übliche Verstärkung von
fein bedeutet. Es hängt schwerlich mit der Pieke oder Spitze zu-
sammen (obgleich es auch ein nadelfein, nähnadelfein gibt);
der erste Theil wird das polnische piekny (=^ schön) sein, so daß
piekfein denselben Begriff doppelt ausdrückt, vgl. Guerillakrieg
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 393
imd ähnliche Bildungen. Dem piekfein ganz nahe steht wienerisch
pieksüß (picksüß); vgl.' Pötzl, Rund um den Stephansthurm 111
fReclam, Universalbibl. 2-iIl, 2412) •. der Vogel singt Ihna, daß d'Leiif
<iuf der Gass'n stehen hleih'n. Aiifn ganzen Ginind nennens'n mir 'spick-
.«üße Hölzel [Nach Pötzl ein Dialectwort für die Clarinette ] An den
ebenfalls übergangenen Piek seh litten will ich hier nur erinnern,
um das Wort als ein allgemein norddeutsches in Anspruch zu nehmen,
das auch Sanders verzeichnet, während die Anführung bei Frischbier
den Gedanken erwecken könnte, als sei es auf die Provinz Preußen
beschränkt.
Piepbock (eigentlich piepender Bock) als passende Bezeich-
nung des Dudelsacks oder der Sackpfeife finde ich nur bei
Sachs- Villatte 2, 1327^ während das Wort doch Avohl in weiten Stri-
chen Norddeutschlands nicht bloß volksmäßig (nd. in der Form
Pibuck) für Dudelsack, sondern auch verächtlich für andere Ton-
geräthe, so insbesondere für ein schlechtes sog. Positiv gebraucht
wird. Adektng, Campe, Heyse bringen für Sackpfeife die Bezeichnung
Piep sack. Der Piepbock erscheint selten in Druckwerken; einen
Beleg bietet die Schles. Zeitung vom 23. October 18b5, Nr. 743 in
einem von einem Ungenannten aus dem Französischen übersetzten
Roman: JJer Dudelsackpfeifer gab, seinen Pipbock aif blasend, dos
Zeichen zum Aufbruch.
Piephahn kommt in der ersten von Lexer angegebenen Be-
deutung kaum noch vor, desto mehr norddeutsch in der zweiten,
und darum wird das Wort überhaupt in anständiger Rede ganz ge-
mieden. Ein Beispiel für die erste Bedeutung bietet Joh. Helwig,
Nymphe Noris bei Gödeke Elf Bücher deutscher Dichtung 1, 34b'':
es gottert und klottert und schlottert
Der Piphan für Stoliz.
!\Iit dem P. ist hier nach den lautmalenden Zeitwörtern der Truthahn
gemeint; man vergleiche auch das von Lexer nicht verzeichnete Wort
Piephenne bei HarsdörfFer, Frauenz.£Gespr. 5, 469 (1645): Dalier
hat jener eine Pipphenne, deme [lies dtr^ eine Hand ein rothes Tuch
vorhält, in einem Siniibild vorgeführt mit diesen Worten: der Wahn be-
trügt. Weil besagter Vogel über die rothe Farbe, die ihn doch nicht be-
leidiget, zörnet. Piepmatz wird nur aus Albrechts Buch über die
Leipziger Mundart beigebracht, ist aber, so weit meine Kenntniß
reicht, überall in Norddeutschland Bezeichnung eines kleinen Vogels
(in Berlin insbesondere des Haussperlings) oder eines kleinen, ängst-
lichen oder weinerlichen Kindes, das man ja auch Vögelchen nennt.
GEUMANIA. Neue Keihc XXII. (XXXIV.) Jahrg. 26
394 ^- GOMBERT
Piepmeier (übergangen) war in den Jahren 1848 — 1850 ein hcäufig
gebrauchter Ausdruck zur Bezeichnung einer Art von ängstlichen und
unentschlossenen Politikern, die indessen das lebhafte Bedürfniß hatten,
sich bei jeder Gelegenheit mit ihrer Meinung hören zu lassen.
Vgl. Jahn 2, 1061 in einem Briefe vom 20. März 1849: Nun gibt
es noch Leute, man nennt sie Piep m ei er s, icahre Prachtkerle, die des
Abends mit einer anderen Meinung zu Bette gehen und des Morgens mit
einer anderen zum Vorschein kommen. Man bildete auch weiter Piep-
meierei und Piepmeier thum. Ein Beispiel für ersteres bietet Bis-
marck in seinem Petersburger Schreiben vom 12. Mai 1859 an den
Minister von Schleinitz, abgedruckt bei Hahn, Fürst Bisraarck 1, 52:
Es ist so lüeit gekommen, daß kaum noch unter dem Mantd allgemeine^'
deutscher Gesinnung ein preußisches Blatt sich zu i^reußischem Patriotismus
zu bekennen icagt. Die allgemeine Piepmeierei spielt dabei eine große
Rolle, nicht minder die Zwanziger, die Osterreich zu diesem Zwecke nie-
mals felden. Bei Sachs -Villatte wird Piepmeier verzeichnet und
durch Prudhomme wiedergegeben. Piepstückel (übergangen)
steht bei Rumohr, Geist der Kochkunst (Reclam): Brüste von großem
Geflügel, ah indianischen Hühnern {Kalekuten, Kühnen oder Piepstückeln)
. . gerathen vorzüglich am Baumelspieß toie auf dem Roste. Auch Campe,
Heyse, Sanders und Sachs -Villatte im Encykl. Wb. führen Piep-
stückel in der Bedeutung von Pute(r) auf. Daß Piepvogel auch
den preußischen rothen Adlerorden bedeutet, brauchte kaum aus
Albrecht belegt zu werden, da doch die Bezeichnung unzweifelhaft
nicht aus Sachsen, sondern aus Preußen, bez. aus Berlin stammt.
Im Übrigen ist sie mehr gemüthlich als spöttisch zu fassen. Der
Brandenburger verbirgt gern seine Neigung und selbst Verehrung für
Dinge wie Personen unter einer dem Fremden achtungswidrig oder
spöttisch klingenden Bezeichnung, und so nennt dort gelegentlich
auch der unbedingteste Anhänger des Preußen- und Hohenzollernthums
den bewußten Orden, den er stolz als wohlerworbenen trägt, einen
Piepvogel.
Pieraas (Regenwurm) wird in der Berliner Volkssprache und
auch sonst im Brandenburgischen in Piere sei verwandelt; in der
Ukermark ist die stehende Bezeichnung Pier atz, auch Pier atze,
pl. Pieratzen, was mit der von Frischbier verzeichneten Angabe
des Westpreußen Treichel übereinstimmt.
Pietät wird erst aus Goethe belegt, während es doch schon
Sim. Roth M 7* (1572) als ein gebräuchliches Fremdwort aufnimmt.
Rietet vnd Pietantz Trewe pflicht , lieb vnd gehorsam, fürnemblich
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 'Süö
gegen Gott, darnach gegen Vatter vnd Matter, Kinder vnd Gffreunden,
Gottsforcht, icarer Gottsdienst. Vgl. auch Micrälius, Vorrede zum
«rsten Buche Vom alten Pommerlande: meine liietait gegen vnser all-
gemehies Vaterland:, Philander 6, 65 (Frankfurt 1646, Itinerarium» :
so vnerhörte kindliche pietet vnd Treice. Einer Dichterstelle für das
Fremdwort bedurfte es eigentlich nicht; die einzige gegebene, aus
Heinrich Heines letzten Gedichten, ist höchst unglücklich gewählt.
Sie lautet: Der Deutsehe wird die Majestät
Behandeln stets mit Pietät}
Für denjenigen nämlich, welcher, unbekannt mit Heine, sie ernst
nimmt, klingt sie ziemlich nichtssagend; wer aber Heine kennt, weil:,
daß wenige Zeilen darauf diese Pietät darauf hinausläuft, einst den
deutschen Monarchen in sechsspänniger Hofcarosse auf den Richtplatz
zu kutschieren und unterthänigst zu guillotinieren . Das ist nicht mehr
geraüthliches Scherzen, wie wir es vorhin beim Piepvogel sahen;
das ist herzlos grinsende Frechheit, über welche Lexer sicher genau
so denkt wie ich. Ihm also mache ich wegen dieser Stelle keinen
Vorwurf; es ist ja unmöglich, bei der fiir jedes Heft des Wb. sich
ergebenden Arbeit mit vielen tausend Belegen jeden derselben nach
seinem Zusammenhange zu kennen und darnach über Aufnahme oder
Übergebung stets mit unanfechtbarem Urtheil zu entscheiden. Eher
nehme ich Anstoli daran, da(.^ die seit Jahrzehnten so häufig ge-
brauchten und fast zu Modewörtern gewordenen Ausdrücke pietät-
los, Pietätlosigkeit, pietät(s)voll übergangen sind. Von Zu-
sammensetzungen vermisse ich vorzugsweise Pietätspflicht und
Pietätsrücksicht; vgl. G. Baur, Grundzüge der Erziehungslehre*
XIX (Vorrede): ich empßnde eine gewisse Pietät. '^pf licht gegen die
tirsprUngl'uhen Grundzüge einer Jugendschrift \ G. Curtius, Rede auf
Friedrich VII. von Dänemark (1861) bei P. Cauer, Deutsches Lesebuch
für Prima 376: Man ist es gewohnt geioorden, die Pflichten, icelclie in
dem, Gebote, du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, begriffen
sind, als die ausschließlichen Pietätspflichten zu betrachten^ Palmer,
Evang. Pädagogik^ 651 (1855): daß eine aufrichtige Geschichtsdar-
stellung aus Pietätsrüiksichten oft unmöglich loerde (angeführt aus
Curtmann, Lehrbuch der Pädagogik). Pietist. Aus Gervinus ist die
Angabe aufgenommen, da(i die Bezeichnung Pietist zuerst 1689 in
Leipzig in Umlauf gekommen sei, während doch schon Weigand 2, 350
ausdrücklich unter Bezugnahme auf Ph. J. Spener den Frankfurter
Ursprung des Wortes seit 1674 behauptet. Mir sind Speners Schriften
nicht zur Hand, so daß ich die Wahrheit von Weigands Angabe nicht
26*
396 A. GOMBERT, BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE.
erweisen kann; Spener aber gebraucht den Ausdruck in einem Briefe
aus dem Jahre 1680, mitgetheilt bei Wackernagel, Leseb. 3, 1, 954
als einen damals schon üblichen: Was zicar die Namen der neuen
Christen^ pietisten tind dergleichen anlangt, . . . hoffe ich nicht, daß
jemand von uns oder von uvseren hekanten freunden solchen jemahl von
sich seihst iverde gehraucht haben , . . . sondern solche nahmen sind von
den icied er ich- gesinnten und ühel- wollenden uns zum schimpff auffgehracht
luorden. Man bildete im Anfange des 18. Jhdts. auch, doch wohl nur
vereinzelt, das Wort Impietist, vgl. Neukirchs Sammlung 4, 200:
Die Frommeil weiß ich wohl, ich kenne deines gleichen,
Wo lehr und leben stets in gleicher waage gehn.
Da loohl vor diesem rühm der gröste teil muß iveichen.
Und manch impietist beschämt zurücke stehn.
Pietistisch (belegt aus Nicolais Sebaldus Nothanker) wird bald
nach Pietist entstanden sein; einen Beleg aus dem Jahre 1698 haben
wir bei Leibniz , Deutsche Schriften , herausgeg. von Guhrauer 2, 80
(Brief an Jablonski) : iceil man es nicht nur als einen Pietistischen
Streich, sondern auch gar als eine Oppression der Evangelischen auf-
nehmen würde.
(Fortsetzung und Schluß folgt.)
GROSS-STRELITZ. A. GOMBERT
Zu S. 370.
Auch V. Bahder verweist mich auf Helbers Litteraturbüchlein, sowie
auf Literaturblatt 1888, Sp. 340, wo er es ausgesprochen, daß in dem
Dialect Ulrichs von Liechtenstein der Zusammenfall von in und u nicht
eingetreten.
Mitthei hingen.
Professor Dr. Fr. Vogt in Kiel ist als Nachfolger Weinhold's nach
Breslau berufen; Vogt's Nachfolger in Kiel wird 0. Erdmann, bis jetzt
in Breslau.
An die neu gegründete Universität in Freiburg i. S. sind berufen
Dr. Fr. Jostes in Münster und Dr. W. Streitberg, der sich eben erst
in Leipzig habilitiert.
Dr. A. Hauffen hat sich an der deutschen Universität in Prag für
deutsche Sprache und Literatur habilitiert.
ZUR EUNENLEHRK.
Das neueste Werk über Kiiiyen ist dasjenige vuu Lndv. F. A.
Winimer, dänische Kuneskriftens oprindelse etc., 1874, und deutscli:
Die Runenschrift etc., übersetzt von Dr. F. Holtliausen, Berlin 1887.
Die Kuuenschritt ist hier genau und ausführlich behandelt, Ursprung
und Entwickelung des Runeualphabets wird überzeugend dargelegt
und an der Hand vieler Abbildungen die Erklärung und chrono-
logische Bestimmung der Runenschrift-Denkmäler gegeben. Aber mit
dem Titel: „Die Runenschrift" ist diesem Werke auch die Grenze
gesteckt.
Über ein anderes Gebiet der Runenlehre hat schon W. Grimm,
„Über deutsche Runen", Anhang II, S. 296 — 320 unter der Über-
schrift „Weissagung aus Baumzweigen" wichtige Winke gegeben;
besonders aber gebührt Liliencron und Müllenhoff das Verdienst, hier
tiefer eingedrungen zu sein und die mystische Bedeutung der Runen
in den Vordergrund gestellt zu haben in den zwei Abhandlungen zur
Runenlehre im XVI. Berichte der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen
Gesellschaft etc. 1852.
Jedoch auch von ihnen ist nur die Hälfte eines Feldes bebaut;
neben den mystischen Zeichen nehmen die persönlichen einen bedeuten-
den Rang und Raum ein. Über diese ist bis jetzt wohl das Beste die
Abhandlung von Dr. A. L. J. Michelsen, Die Hausmarlce. Jena 1853.
Alle drei Gebiete, Runenschrift, mystische Zeichen und Haus-
marken unserer Vorfahren von einem einheitlichen Gesichtspunkte
aufzufassen und gegenseitige Beziehungen derselben aufzudecken , ist
der Zweck der folgenden Arbeit.
So einleuchtend auch Wimmer das Runenalphabet aus dem
lateinischen hergeleitet hat, so läßt er die selbständigen Eigenthümlich-
keiten desselben, auf die er S. 140 — 143 kurz eingeht, doch so ziemlich
auf der Seite liegen. Es sind 1. die abweichende Gestalt mancher
Zeichen, 2. ihre die bloße Lautbezeichnung überragende Function,
3. die abweichende Ordnung des Futhorks, 4. die deutschen Namen
der Buchstaben. Diese Eigenthümlichkeiten treten schon in den älteren
Runen denkmälGru zu Tage und haben sich im Ganzen so einheitlich,
GERMANIA. Neue Keihe XXII. (XXXIV.) Jahrjf. 27
398 ^' LOSCH
im Einzelnen so organisch-mannigfaltig bei den verschiedenen deut-
schen Völkern entwickelt, daß nach dieser Seite hin die Annahme
einer willkürlichen Umgestaltung des lateinischen Alphabets von Seiten
eines Erfinders der Runenschrift verfehlt ist. Denn weder im lateini-
schen Alphabet, noch in der deutschen Sprache, noch in der geringen
Anwendung der Runenschrift zu kurzen und litterarisch unbedeuten-
den Inschriften läßt sich ein zwingender oder auch nur hinreichender
Grund für eine so durchgreifende, planmäßige Umgestaltung des ent-
lehnten Alphabets nachweisen. Der zureichende Grund muß deshalb
in einer bestimmten Richtung gesucht werden. Diesen Weg haben
Liliencron und MüUenhoff eingeschlagen. Ersterer sagt in der oben-
genannten Abhandlung S. 17: „Alle Runenschriftsteller seit dem Mittel-
alter sind darüber einig, daß es eine eigene Classe der Runen gab,
welche zum Schreiben, d. h. zum buchstabierenden Zusammensetzen
der Worte aus ihren Lautbestandtheilen gebraucht werden. Man pflegt
sie Malrunen zu nennen. — Wenn sie also zum Schreiben dienten,
so ward mithin mit anderen Runen, welchen sie entgegengesetzt sind,
nicht geschrieben. Diese Folgerung ist so bescheiden, daß Niemand
widersprechen ward; und dennoch ist sie nirgends gehörig festgehalten.
Jene eine Art bildet ein Runenalphabet in unserem heutigen Sinn,
die andere eine Reihe von — sagen wir getrost mystischen Zeichen."
Es wird auch zugegeben werden, daß der Gebrauch mystischer Zei-
chen nicht vom lateinischen Alphabet abzuleiten ist, und doch hat
die Rune diesen Sinn in erster Linie. MüUenhoff sagt: „das Etymon
des Wortes hat Grimm (Myth. 1174) zuerst aus dem altnord. raun,
experimentum , reyna , temptare jrichtig erkannt" ; das ist aber zu be-
richtigen, denn Grimm vermuthet an jener Stelle als ursprüngliche
Bedeutung „das leise, feierlich Gesprochene, hernach erst Geheimniß"
und sagt: „im ahd. Verbum rünen, susurrare, rünazan, murmurare,
mhd. rünen, nhd. raunen, -ags. rünian dauert die Urbedeutung des
geheimen Flüsterns, ahd. orrüno ist ein Vertrauter, der ins Ohr raunt."
Bei Ulfilas hat rüna die Bedeutung von iivgttjqiov' sonst im Deut-
schen, Angelsächsischen und Nordischen die eines geheimnißvoll-
bedeutsamen Zeichens. Die lateinischen litterae erhielten also, indem
sie zu Runen wurden, eine Bereicherung ihrer Bedeutsamkeit in dem
Maße, als der deutsche Begriff den lateinischen übertrifft. Das Be-
dürfniß mystischer Zeichen kann nicht erst mit der Übernahme des
lateinischen Alphabets erwacht sein, ebensowenig als das Wort Rune
erst bei diesem Anlass entstanden sein kann; also ist anzunehmen,
daß die Deutschen schon vorher sowohl mystische Zeichen , als das
ZUR RUNENLEHKE. 399
Wort Rune hatten, und daß sie mit diesem jene bezeichneten. Lilien-
cron wirft die von ihm bejahte Frage auf: „ob es wirklich eine Zeit
gab, wo bei den germanisch-nordischen Stämmen die mystischen llunen-
zeichen im allgemeinen Gebrauche waren, ohne daß mau mit ihnen
den Gedanken eines eigentlichen Alphabetes und den des Schreibens
verband?" Diese Frage ist folgerichtig, nur bleibt sie auf halbem
Wege stehen; denn Liliencron und ]\lüllenhofF haben trotz der Uuter-
scheidung von Malrunen und mystischen liunen doch diejenigen Runen
im Auge, welche in den überlieferten Ruuenalphabeten vorliegen.
Es muß noch eine weitergreifende Unterscheidung gemacht und der
Schluß gewagt werden, daß zwischen Rune und Alphabet einmal zu
trennen und analphabetische Runen anzunehmen seien. Wimmer sagt
S. 141: „Damit diese Verschiedenheiten zwischen dem Runenalphabet
und dem lateinischen Alphabet hinsichtlich der Reihenfolge und Be-
nennung der Buchstaben in irgend welcher Beziehung das Ergebniß
unserer Untersuchungen erschüttern könnten, müßte man auf jeden
Fall ein anderes, älteres Alphabet nachweisen, welches besser als das
lateinische den Grund dieser Abweichungen zu erklären vermöchte;
aber ein solches Alphabet findet sich nicht." Hier ist nur die Forde-
rung verfehlt, ein älteres Alphabet nachzuweisen, denn ein solches
findet sich freilich nicht, sondern analphabetische Zeichen; darum
erschüttert aber auch unser Ergebniß nicht im Geringsten dasjenige
Wimmers, sondern ergänzt es. Waren analphabetische Runen vor der
Bekanntschaft mit dem Alphabet vorhanden, so ist erklärlich, wie
aus dem bekannt gewordenen Alphabet ein Runenalphabet entstand,
indem es dem alten Systeme angepaßt wurde und dasselbe mit dem
neuen Principe der Lautbezeichnung bereicherte; umgekehrt ist damit
auch die Umgestaltung des übernommenen Alphabets natürlich uud
hinreichend begründet.
Es erhebt sich nun die Frage, wie man sich die mystischen
Zeichen vor Einführung des Alphabets zu denken habe. Zur Ver-
anschaulichung derselben dienen eben die wesentlichen Unterschei-
dungsmerkmale des Futhork vom lateinischen Alphabete. 1. Es waren
Zeichen mit einem senkrechten Hauptstrich, welchem schräge Seiten-
striche angefügt wurden; 2. sie bezeichneten nicht Laute, sondern
Sachen; 3. zu besonderen Zwecken bildete eine bestimmte Anzahl
solcher Zeichen eine dreitheilige Gruppe; 4. jedes Zeichen trug den
Namen der Sache, die es bezeichnete, wodurch es belebt wurde.
Mystische Zeichen sind demnach solche, deren Name mystische Be-
deutung hatte.
27*
400 F. LOSCH
Das Ganze wird klarer bei Betrachtung der Losung, zu welcher
solche Zeichen verwendet wurden. Die Belege hat Müllenhoff zusam-
mengestellt; wir brauchen nur die zwei hauptsächlichsten.
Tacitus Germania X: Sortium consuetudo simplex. Virgam frugi-
ferae arbori decisam in surculos amputant, eosque notis quibusdam
discretos super candidam vesteui temere ac fortuito spargunt. Mox,
si publice consuletur, sacerdos civitatis, sin privatim, ipse pater
familias precatus deos coelumque suspiciens ter singulos tollit, sub-
latos secundum impressam ante notam interpretatur.
Hrabanus Maurus de inventione linguarum (zum Runenalphabete):
Cum quibus [litteris Marcomanui, quos nos Nordmannos vocamus]
carmina sua incantationesque ac divinationes significare proeurant, qui
adhuc paganis ritibus involvuntur.
/Sortes und divinatio mit Runen ist dasselbe. Wimmer bestreitet,
Müllenhoff behauptet, daß die notae des Tacitus Runen waren. Die
Frage ist eigentlich nur die, ob die Germanen zur Zeit des Tacitus
schon das Alphabet hatten oder nicht. Runen waren die notae jeden-
falls, nur ist nicht sicher, ob es alphabetische oder analphabetische
waren. Nimmt mau mit Wimmer an, daß das Alphabet am Ende des
zweiten oder zu Anfang des dritten Jahrhunderts n. Chr. eingeführt
worden ist, so erhellt aus obigen Belegen, daß zur Zeit des Tacitus
die analphabetischeu Runen zu dem gleichen Zwecke, wie zur Zeit
des Hrabanus die alphabetischen gebraucht wurden. Die Hauptsache
ist die Beschreibung der surculi notis quibusdam discreti, d. h. der
Runstäbe. Wort und Begriff des Runstabes war den deutschen Stämmen
gemein; er heißt altn. rünastajr , ags. rünstcef, ahd. rünstah. Wenn
W. Grimm S. 72 sagt: „stob wird nur aus dem Wesen und der Ent-
stehung des Schriftzeichens selbst zu erklären sein", so ist die Stelle
des Tacitus hiefür höchst willkommen. Man scheute sich bis jetzt,
dieselbe auf Runen auszulegen, weil man das Wort Rune nur von
den bekannten alphabetischen Runen gebrauchte^; nunmehr aber ladet
uns Tacitus förmlich ein, aus seiner Stelle j weitere Ergebnisse zu
schöpfen. Die Runstäbe oder surculi notis quibusdam discreti sind
zum Auswerfen (spargere) bestimmt. W. Grimm sagt zur Stelle des
Tacitus S. 296: „Es scheint, daß jedem Zweige vorher ein Zeichen
eingedrückt wurde, die einzelnen aber nach der durch das Ausstreuen
zufällig entstandenen Lage herausgewählt und die darauf befindlichen
Zeichen von dem Priester als zusammenhängend betrachtet und er-
klärt wurden." Er mischt hier eine Vorstellung ein, gegen welche
der Wortlaut der Stelle (singulos und notam sing.) spricht. Aber
ZUR RUNENLEHRE. 401
doch ist anzunehmen, daß durch das Hinwerfen die Lage des ein-
zelnen Runstabes irgendwie entschieden werden sollte, worüber Grimm
S. 298 treffend sagt: „Es liegt die Idee zu Grunde, daß in der
lebendigen und zitternden Bewegung des niederfallenden Zweiges,
weil sie frei von aller menschlichen Einwirkung ist, der göttliche Wille
thätig sein und sich offenbaren müsse." Soll nun der einzelne Zweig
durch das Auswerfen eine entscheidende Lage bekommen können,
so muß er auch die in diesem Falle einzig vorhandene Bedingung
dazu an sich haben, er muß durch die Mitte gespalten sein; dann
fällt er entweder auf den Rücken oder auf die Spaltseite. Die Spal-
tung gibt zugleich auch die Möglichkeit, ein Runenzeichen ilurch
bloße notae, got. vrits, nord. kännestrek herzustellen, indem der zu
Tage tretende Älarkstrieh des Zweiges von selbst den senkrechten
Hauptstrich des Zeichens bildet. Und wie genau drückt sich Tacitus
aus! Was eingekerbt wurde, waren bloße notae] nur der Kundige
erfaßte im verbindenden Markstriche die Einheit des Zeichens. Durch
den Markstrich ist nunmehr auch das Princip des senkrechten Haupt-
striches der Runenzeichen, wodurch sie sich vom lateinischen Alpha-
bet unterscheiden, erklärt und begründet. Diejenigen Zeichen, welche
ihn aufweisen, reihen sich der Form nach den analphabetischeu Run-
stäben gleichartig an ; ja es ist anzunehmen, daß die einfachsten alpha-
betischen Runen nach ihrer Form schon vor dem Alphabete da waren
und man ihnen nur den Lautwerth des entsprechenden Alphabet-
zeichens zu geben brauchte. Theilweise haben sich aber auch Alphabet-
runen ohne den Markstrich und zwar oft neben der Form mit jNIark-
strich erhalten: A und f>, X^,<K,H+i<>'^,HNr> M Y (uord.),
5^ <f . Der Übergang der Formen H ^ M io -f "f und nord. Y erklärt
sich in ihrer Darstellung auf dem Stabe von selbst: @ @ @, je nach-
dem die beiden Kantenlinien oder der Markstrich zum Zeichen ge-
rechnet wurden. Zufällig oder absichtlich konnte bei der Spaltung
des Zweiges der Markstrich auch verdeckt bleiben oder ganz ab-
getrennt werden. Für die Malruuen war jedoch die Darstellung der
Stabform nicht immer nöthig und oft eine Unterscheidung der stab-
losen Rune für die Lautbezeichnung zweckmäßig, z, B. A und f^.
Wer sich für Formen wie D A H M PI $ H ^^^ Stäben ohne Mark-
strich nicht beruhigen will, dem ist zu erwiedern, daß wir die Runen
nur in Form von Malrunen kennen und eben keine alten Runstäbe
mehr haben, und daß für Zeichen ohne Slabform einst doch eine
solche von besonderer Art vorhanden sein konnte; nur wäre es müßig,
sie ohne hinlängliche Anhaltspunkte zu reconstruieren.
402 F. LOSCH
Die zweite EigenthümlicLkeit des Ruuenalphabets, daß der Run-
stab nicht bloße Laute, sondern Begriffe bezeichnete, geht schon aus
Tacitus' Worten hervor: sublatos secundum impressam ante notam
interpretatur. Ein der Auslegung fähiges Zeichen ist mehr als bloßes
Lautzeichen. Darauf weist auch die Stelle in Skirnismäl 36: Thurs
rist eh ther ok thriä stafi, ergi ok oetti ok öpola. Zugleich erhellt hier-
aus ein weiterer Umstand: es gibt Glücksrunen und Unglücksrunen.
Auch bei der Losung handelt es sich darum , den glücklichen oder
unglücklichen Ausgang einer Sache, dazu auch das beste Mittel und
die Bedingungen zur Ausführung zu erforschen. Hiefür ist eine Nach-
richt Cäsars lehrreich: de bello Gallico I, 50: Quum ex captivis quae-
reret Caesar, quamobrem Ariovistus proelio non decertaret, hanc re-
periebat causam: quod apud Germauos ea consuetudo esset, ut matres
familias eorum sortibus et vaticinationibus declararent, utrum proe-
lium committi ex usu esset, necne. Eas ita dicere: non esse fas,
Germanos superare^ si ante novam lunam proelio contendissent.
Die Hausmütter erforschten also nicht bloß, ob das Gefecht günstig
oder ungünstig, sondern auch, unter welcher Bedingung es günstig
oder ungünstig ausschlagen werde. So mußten auch die zur Losung
verwendeten Runstäbe solche Auskunft geben können. Zur Erforschung
von Glück oder Unglück brauchte man nur zwei ; zur Erforschung der
Bedingung aber mehrere. Besonders zu diesem Zwecke mußten Stäbe
von ganz bestimmter sachlicher Bedeutung benützt werden.
Die dritte Eigenthümlichkeit des Runenalphabets, die besondere
Anordnung des Futhorks, bietet der Erklärung viele Schwierigkeit.
An die Dreitheilung desselben erinnert: ter singulos tollit bei Tacitus;
und da es sich um Erforschung des Schicksals handelt, so dürfen
auch die drei Schicksalsgöttiunen verglichen werden. Auch Wimmer
bezieht S. 142 die Reihenfolge in drei Abtheilungen auf einen magischen
Gebrauch der Runen, fügt aber hinzu: „Weiter als zu dieser ganz
allgemeinen Einsicht können wir, glaube ich, nicht gelangen." Bei der
Eintheilung sind die ersten Runen der drei Reihen von besonderer
Wichtigkeit, denn nach ihnen wurden im Norden und entsprechend
sicher einst auch bei uns die Reihen benannt: Freys aett, Hagais aett,
Tys aett. Freyr oder Fehlst eine Glücksrune; Hagal wohl eine Uuglücks-
rune; über Tyr spricht Grimm, Myth. S. 166: T = Ttjr scheint ein
höchst feierliches Zeichen, der Name dieses Gottes besonders heilig
gewesen zu sein; beim Einritzen der Sie grünen auf das Schwert
sollte Tyr zweimal genannt werden — und in dem ags. Gedicht über
die Runen steht ausdrücklich: tiv biet täcna sum {tir ist ein gewisses
ZUR RUNENLEHKE. 40o
Zeicheij). Verschiedentlich reden die Dichter von tire tdcnian und
tires tö täote; man darf es auslegen: (jloria, decore insifjnire, in qloriae
Signum und doch an das heidnische Zeichen des Gottes denken, etwa
wie es auch bei feierlichem Besegnen der Becher vorkam." Der
Gedanke in den ersten Zeichen der drei Reihen des Futhorks scheint
zu sein: Glück — Unglück — Sieg, wonach sowohl die Glücks- hIs
die Unglücksrune unter der Herrschaft der höchsten Rune, der Sieg-
rune des Gottes Tfjr oder Ziu stünden. Damit stünde das Futhork
im Gegensatz zur Weise der Nornen, von denen Grimm S. 338 sagt:
„Das scheint gerade charakteristisch in Nornen- und Fecnsagen, dali,
was vorausgehende Begabungen Günstiges verheißen, durch eine nach-
folgende zum Theil wieder vereitelt wird." Umgekcdu't scheint mir
im Futhork alles Unglück überwunden werden zu sollen. Damit
glaube ich die Untersuchung der Ursache der Futhorkordnung auf
eine zur Lösung führende Bahn zu leiten, besonders wenn ich frage,
wozu sieh das Futhork auf den ältesten Denkmälern wie dem Brak-
teaten von Vadsteua, der Spange von Charnay und dem Themse-
messer befinde? Einen bestimmten Zweck muß es doch gehabt haben,
und ich finde ihn in dem persönlichen Schutze des Trägers solcher
Stücke. Dann ist weiter zu schließen, daß die Glücksrunen im Futhork
80 geordnet sein werden, um alle Uuglücksrunen'zu binden, damit der
Träger schon zum Voraus vor allen schlimmen Zufallen gesichert sei.
Über die vierte Eigenthünilichkeit, die Namen der Runen, geben
die vorhandenen Runenlieder nähere Auskunft, ein altnorwegisches
und isländisches. Wimmer, S. 275 — 288, und ein angelsächsisches,
W.Grimm, S. 217 ff., wo auch das norwegische zu finden ist. Wimmer
faßt diese Lieder als bloße Runenreimerei auf; ich glaube, daß darin
die interpretatio der Stäbe bei den uicantationes und divinationes oder
sortes angegeben ist. Im Futhork geben die Namen der Runen im
Anfangsbuchstaben zugleich den Lautwerth ihres Zeichens an. Das
ist Einfluß des Alphabets; denkt man sich diese Rücksicht auf den
Anlaut oder Buchstabenwerth weg, so dürfen noch mehrere Namen
für die einzelnen Zeichen angenommen werden. Das geht auch deut-
lich aus den Runennamen des isländischen Runeuliedes hervor, welche
Wimmer S. 287 f. zusammenstellt. Diese Namen stehen unter dem
Gesetze der Synonymität: Aiirum <jull, gull er /«', fe er rilnastafr
u. s. w. Hier ist leicht erkennbar, daß die Bedeutung des Namens in
erster Linie, der Anlaut erst in zweiter maßgebend war.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist der: die Runennamen gelten nur
mittelbar dem Zeichen, denn sie besagen zunächst, welchem Gegen-
404 F. LOSCH
Stande das Zeichen zukommt, und wurden so erst auch Namen des
Zeichens: je er rünastafr. Dies muß beachtet werden, um die Stelle
von den hugrünar in Sigrdrifumdl 13 — 19 zu verstehen, die Wolzogen
richtij^ als die Bezeichnungen aller Dinge erklärt. Es ist der Gedanke,
wie alle Dinge einen Namen haben, so haben sie auch ihre Rune,
an der sie, in ihrer Gesammtheit freilich nur von Wenigen, wie Odhin
und Mimr, erkannt werden. Das war wohl auch das Ursprünglichste,
daß den Dingen oder Personen ihr bestimmtes Zeichen ganz so zu-
kam, wie ihr bestimmter Name.
Hiemit kommen wir auf das Gebiet der Hausmarken. Michelsen
sagt in seiner grundlegenden Abhandlung S. 11 f.: „Beschaut man
diese Zeichen (die Hausmarken) als solche genauer, so drängt sich
sofort die Wahrnehmung auf, daß es ursprünglich sehr einfache, gerad-
linige Figuren waren, die leicht eingeschnitten oder eingegraben werden
konnten. Sie erinnern dadurch stark an die Runen, welche ja ebenfalls
sehr einfach und geradlinig waren, und zwar, wie die älteren Haus-
marken durchweg, mit einer senkrechten Linie, die bei der Rune der
Stab ist, und mit Kennstrichen nach den Seiten hin, die in verschie-
denem Winkel sich ansetzen. Deßungeachtet ginge man entschieden
viel zu weit, wollte mau die Hypothese wagen, sie wären aus den
Runen hervorgegangen: wozu Finn Magnusen in seinem umfänglichen
bekannten Runenwerke, seiner Liebhaberei für die Binderunen zu sehr
nachgebend, sich gar sehr hinneigt. Allein dabei ist freilich auch nicht
zu leugnen, daß in schwedischen, norwegischen, isländischen Haus-
marken, älteren und neueren, manchmal wirkliche Runen uns entgegen-
treten. Es kann das theils ein zufälliges Zusammentreffen sein, theils
aber auch Aufnahme des literaleu Elementes in die Haus- und Personen-
zeichen, wie bei uns in Deutschland die Marke mit Buchstaben in
einen Ductus sich zusammenzog oder durch diese ganz verdrängt ward,
indem die monogrammatische Namenscliiffer an die Stelle der ehe-
maligen Simpeln Marke trat. Jedenfalls sind die Hausmarken ur-
sprünglich kein Alphabet, sie gehören vielmehr originär einem analpha-
betischen Geschlechte an. Was das dänische und das preußische
Gesetzbuch in dieser Beziehung für analphabetische Individuen vor-
schreiben, das galt gewissermaßen einst im grauen Alterthum für das
gesammte lebende Geschlecht, welches des Schreibens ganz oder
großentheils unkundig war. Jenes Gesetzbuch verordnet, die Analpha-
beten sollen ihre Verschreibungen durch ihr Siegel oder nöthigenfalls
durch ihre bomaerke (Hauszeichen) bekräftigen; ebenso sprechen noch
das Landrecht und die allgemeine Gerichtsordnung Preußens in Rück-
ZUR RUNENLEHRE. 405
sieht auf den Analpliabeleii von seinem ^evvolmliehen Handzciclion
und bestimmen, daß er mit Kreuzen oder mit seinem sonsticfen ge-
wöhnlichen Handzeichen unterschreiben solle. Solchergestalt vertritt
im hohen Alterthiim die ]\larke als Personenzeichen den Namen, sie
dient als chirographum, sie vertritt Namensunterschrift und Wappen."
Alan ginge natürlich zu weit, wollte man die Hypothese wagen,
die Hausmarken seien aus den alphabetischen Kunen hervor-
gegangen. Nachdem wir aber den analphabetisciien Hausmarken an-
cil])habetische mystische Zeichen, d. h. Runen zur Seite stellen können,
erhellt die Verwandtschaft beider ziemlich deutlich. Der Unterschied
war nur der, daß die mystischen Zeichen für Götter, Elemente und
Natur, die persönlichen aber für die Leute und ihr Ei^'cnthum fest-
gesetzt waren. Die Hausmarke scheint mir die ältere Schwester der
analphabetischen Runen zu sein, und diese vielleicht aus den Zei-
chen für die den Göttern geweihten Gegenstände zu Zeichen der
Götter und göttlichen Wesen geworden, an welche sich dann nach und
nach eine größere Anzahl religiös-bedeutsamer Zeichen anschließen
konnte. Die spätere alphabetische Rune bereicherte wieder die Zahl
der mystischen und persönlichen Zeichen. Die Hausmarke steht mit
der Rune in übereinstimmender Beziehung zum Stabe. Beim Verkaufe
von Haus und Hofgut wurde zum Zeichen der Übergabe u. A. die
festuca notata samrat Äicsser eingehändigt, welche ein mit der Haus-
marke bezeichnetes Stäbchen ist, Michelsen S. 4G ff. Auch zur Losung
dient die Hausmarke, worüber eine Stelle aus dem Gesetze der Friesen,
Michelsen, S. 14 f., W. Grimm, S. 301 f., aufklärt: tali de virga
praecisi, quos tenos vocant, müssen von den Männern, über welche
gelost wird, mit ihrer Hausmarke versehen werden: unusquisque
illorum septem faciat suam sortem, id est tenum de virga, et signet
signo suo, ut cum tam ille quam caeteri, qui circumstant, cognoscere
possint. Der talus weist noch entschiedener als der surcuhis des
Tacitus auf den gespaltenen Zweig hin. Nun erklärt sich auch das
Wort „IMarke" dadurch'), daß der ]\Iarkstrich einen wesentlichen Be-
standtheil der Marke bildete, welchen Charakter die vorhandenen Haus-
marken wirklich erweisen. Eine spätere Abzweigung von den Haus-
marken sind die Steinmetzzeichen, vgl. die Arbeit von Klemm
im V. und dessen Bemeikungen zu meinem Aufsatz im VIII. Jahrg.
d. württemb. Vierteljahrshefte f. Landesgeschichte.
Schließlich ist noch ein Bauernkalender vom Jahre 139H im
') Unrichtig; die Wörter hatten ursprünglich verschiedenen Staniinaii.slaut, O. li.
406 TH. V. GKIENBERGER
germanischen Museum zu Nürnberg mit eigenthümlichen Zahlzeichen
zu erwähnen. Ein Theil desselben war in der vierten Auflage von
Königs Litteraturgeschichte S. 5 abgebildet. Die „runenartigen" Zei-
chen sind römische Zahlen, an senkrechte Striche gefügt, indem
X durch f , V durch \i , I durch f- bezeichnet ist, z. B. XVII
= "^ , XIX = I^ . Ohne Zweifel beruht diese Art der Zahlen auf
alter Überlieferung und bildet ein willkommenes Seitenstück zu der
Art, wie das lateinische Alphabet zu Runstäben umgestaltet wurde.
Denn auch hier wird der Ursprung solcher Formen durch einen Stab
mit Markstrich, das alte Kerbholz, am einfachsten erklärt, besonders
da in der ältesten Zeit solche Stäbe wirklich zu Kalendern benützt
wurden.
Der Ausdruck „Stab" wurde für die Runen, „Marke" für die
Haus- und Personalzeichen, „Zein" (got. tains, altn. teinn, ags. tan,
ahd. zein, plattd. teen) für die Loszweige, „Kerbe" für die Zahlstäbe
gebraucht; allen aber liegt der Abschnitt einer Rute zu Grunde.
F. LOSCH.
DIE VORFAHREN DES JORDANES.
Die Stelle, an welcher Jordanes von seiner Abstammung nähere
Kunde gibt, lautet nach der Ausgabe von Mommsen Mon. Germ, bist.;
Auetor. V, p. 126:
Scyri vero et Sadagarii et certi Alanorum cum duce suo nomine
Candac Scythiam minorem inferioreraque Moesiam acceperunt. cuius
Candacis Alanoviiarauthis patris mei genitor Paria, id est meus avus,
notarius, quousque Candac ipse viveret, fuit, eiusque gerraanae filio
Gunthicis (Gunthigis), qui et Baza dicebatur, mag. mil., filio Andages
(Andagis) fili Andele de prosapia Amalorum descendente, ego item
quamvis agramatus Jordannis ante conversionem meam notarius fui.
Der Name des Vaters, im Texte als Genitiv, wäre also Alanovii-
amuth, woran Mommsen, Vorrede VI und Index p. 146, festhält,
indem er glaubt, Paria habe seinem Sohne etwa zu Ehren des alani-
schen Fürsten, dem er diente, einen Namen beigelegt „cum Alanorum
vocabulo nescio quomodo compositum". MüllenhofF aber, welcher
wohl sah, daß Alanoviiamuth ganz unmöglich 'ein gotischer Name
sein könne, hat an der bezogenen Stelle des Index zur Mommsen-
schen Ausgabe denselben in zwei Genitive, Alanovii und Amuthis,
zerlegt, von denen der erste auf Candac bezogen, während der zweite
als der Name des Vaters erklärt wird. Alanovius mit Verwendung
DIE vorfahrem des jordanes. 407
des ölavisclien 8uttixes ovtt , welches als avit ins Kumäuischc Uber-
Domraen wurde und hier wie dort Adjective bildet , wäre demnach
„der aus alanischem Geschlecht Entsprossene" und Amuth erinnert
Müllenhoff an (jahamoths äifövödusvog , wogegen Mommscn einwendet,
daß eine Ableitung Alane vi us selbst in irgend einem verdorbenen
Voikslatein unmöglich sei.
Die Frage nun nach dem wahren Namen des Vaters Hudct ihre
gedeihliche Lösung weder mit Mommsen noch mit MülleuhofF, denn
es ist zu trennen alano uiiamuthis, und Uiiamuth , d. i. got. Veiha-
moths, hat der Sohn des Paria geheißen.
Der erste Theil dieses Namens, in welchem das lange i mit
seltener Treue durch ii gegeben ist, während das schwache gotische h
ausfiel, gehört ohne Zweifel zu got. veihan stv. kämpfen, genauer zu
einem Nomen entsprechend dem germ. vtha n. Kampf, Streit bei Fick'
III, 303, ein Element, welches in ahd. und ags. Namen so bekannt
ist, daß ich keine Beispiele vorzuführen brauche; der zweite Theil
aber, bei Jordanes selbst in den gotischen Namen Beremud, Evermud,
Thorismud wiederkehrend, ist augenscheinlich nichts Anderes als ein
dem ahd. -r/,dt (Graff II, 687 ff.), as. -mod in (jeli/iöd Ubermüthig u. a.
entsprechendes Adj. vioths gemuthet, erregt, von Leidenschaft bewegt,
und Veihamoths, dem bei Goldast Alaman. Antiqu. II, 151 eine weib-
liche Uuihmuot gegenübersteht, bedeutet mithin „der Kami)fmuthige".
An der Lesung uiiamuthis ist nicht zu zweifeln. Vier der von
Mommsen benützten Handschriften gewähren sie, darunter die drei
ältesten, nur ein i unterdrücken die drei Handschriften der dritten
Gruppe nach Mommsens Eintheilung, Vorrede LXXII, und bieten
uiamuthis gleich der ersten Niederschrift des Codex Palatinus, welche
aber vom Schreiber selbst noch in uiiamuthis corrigiert wurde, die
beiden ii in u verlesen haben der Cod. Breslaviensis uuamuthis und
der Atrebatensis mit einer weiteren Verderbung uuamocthis.
Das vorausgehende alano ist einstimmig dargeboten, nur der
Breslauer Codex hat alani, und es ist klar, daß der Schreiber des
letzteren mit seiner Form entweder einen selbstverschuldeten Fehler
oder eine Correctur auf eigene Rechnung überliefert, denn der Codex
Ottobonianus, welcher nach ]\Iommsen von derselben Vorlage abge-
leitet ist wie der Breslauer, besitzt alano.
Um dieses alano zu erklären, muß ich mich auf das beziehen,
was iMommsen, Vorrede XLV über die Jordanes-Hss. mittheilt.
Sämmtliche Handschriften, sowohl diejenigen, welche das ]\Iittel-
alter kannte, als auch die uns heute vorliegen, gehen auf einen
408 TH. V. grienbI:rger
Archetypus zurück, welcher bereits Fehler enthält, die von ihm in
alle Abschriften übergingen und nachweislich allen geraeinsam sind.
Diese Lesefehler sind zum Theil aus den Verwechslungsmöglich-
keiten der Uncialis, zum Theil aus denen der schottischen (irischen)
Schrift zu erklären. Der Archetypus war in der scriptura continua
angelegt und enthielt einige, wenn auch nicht gerade zahlreiche Ab-
kürzungen, welche sich im Heidelberger Codex und den übrigen besseren
Handschriften wiederfinden.
Eine derartige Abkürzung muß alano sein.
Berücksichtigen wir nun, daß bei der Uncialis die Buchstaben
D und 0 verwechselt werden können, weßhalb schon Dietrich, Aus-
sprache des Gotischen den Anführer Thuruaro bei Jordanes als
Thuruard erklären wollte, so dürfen wir statt ALANOUiiAMUThiS ein
ursprüngliches ALAN . 5 . uilAMüThiS herstellen, d. i. aufgelöst Alanorum
ducis, eine Apposition, welche zum vorausgehenden Genitiv Candacis
gehört und wohl nur deshalb gekürzt alän. d. geschrieben wurde, weil
die Bezeichnung des Candac als alanischen Herzogs schon in dem
unmittelbar vorausgehenden Alanorum cum duce suo ausgedrückt ist.
Daß noch in demselben Satze die Kürzung mag. 'ml. für magistro
militum folgt, darf für diese Annahme als eine erwünschte Befestigung
in Anspruch genommen werden.
Ist nun der Name des Vaters gotisch und entfällt nach meiner
verbesserten Lesung jedweder Grund, wie noch Mommsen, Vorrede
VI, VIT geneigt ist, aus dem Wortungethüme Alanoviiamuthis auf eine
alanische Abstammung des Jordanes zu schließen, entgegen seiner
bestimmten eigenen Aussage, mit welcher er sich bekanntlich am Ende
der Getica zur gotischen Herkunft bekennt, so werden wir uns an-
geregt finden, auch den Namen des Großvaters für das Gotische
gewinnen zu suchen.
Der Name des Großvaters lautet in den Handschriften der
ersten Ordnung nach Mommsens erwähnter Gruppierung paria und
so auch bei denen der zweiten, welche nur eine falsche Zusammen-
ziehung parialdemeus für paria id e. meus gewähren, bei den drei
Handschriften der dritten Ordnung ist er in patria entstellt.
Soll nun paria ein gotischer Name sein, so muß abermals ein
Fehler im gemeinsamen Archetypus angenommen werden, denn paria
läßt sich im germanischen Namenschatze kaum unterbringen.
Ich bin der Ansicht, daß der Name in faria herzustellen sei
und verlege auch hier den Ursprung des Fehlers in das Gebiet der
Uncialis, wo F und P verwechselt werden können. Möglich wäre frei-
DIE VORFAHREN DES JORDANES. 409
lieh aucli , daß der Name ursprünglich pluiria gt'.schrieben war und
nur sein h verloren hat, aber Jordanes schreibt Romana p. 48 den
herulischen Feldherrn Fara mit /, nicht mit pli, und somit darf auch
der Name des Großvaters mit / in Uncialis FAUIA erwartet werden.
Faria ist aber offenbar ein swra. noni. agentis zu got. farjan,
ahd. ferren, ubarferran transfretare und entspricht genau dem ahd.
ferjo, swm. nauta der ferge. Viiamuth ist ein voller germanischer
Name, Farja aber nur ein Beiname, den der Großvater neben einem
anderen unbekannten Eigennamen geführt liaben muß, sowie der
Gote aus dem amalischen Stamme, bei welchem Jordanes als Notar
bedienstet gewesen, zwei Namen führt: Gunthigis qui et Baza, von
denen der componierte der eigentliche ist.
Sehr wahrscheinlich ist es, daß auch Jordanes vor seiner con-
versio einen nationalen Namen geführt hat, den wir nicht kennen,
wie ,z. B. die geistlichen Minnulus und Danihel der gotischen Kirche
Anastasia zu Ravenna in der bekannten Neapler Urkunde auch die
nationalen Namen Uuillienant und Igila führen und mit diesen Namen
die Urkunde fertigen. Für diesen nationalen Namen einen Anhalt in
der Form Jornandis zu suchen, welche au unserer Stelle die Hand-
schriften der zweiten Gruppe darbieten, wäre verfehlt, denn wenn
schon -nandis an das got. -nanths erinnert, so ist doch jor- nicht er-
klärbar, am allerwenigsten gewiß aus „Eber", wie Grimm gewollt hat.
In welcher Form dieses Wort erscheinen müßte, wenn es als erster
Theil vorläge, das zeigen ja aufs deutlichste die gotischen Namen
Evermud und Euervulfus bei Jordanes selbst.
So merkwürdig auch der Irrthum sei, es kann jornandis schließ-
lich doch nichts Anderes sein als eine Buchstabenversetzung aus
jordannis, bei welcher die Zahl der Lettern die gleiche blieb und
nur das d und das zweite n ihre Plätze vertauscht haben. Ich möchte
dem noch hinzufügen, daß ich das quamvis agrammatus der aus-
gehobenen Stelle nicht mit Mommsen, Vorrede VI als den Ausdruck
einer in Anbetracht seines mangelhaften Lateins hinlänglich gerecht-
fertigten Bescheidenheit des Jordanes betrachte, denn ich beziehe das
quamvis agrammatus nicht auf die Zeit, da er seine Romana und
Getica schrieb, sondern auf jene, da er Notarius war und, so wie
ich den Passus verstehe, Avill Jordanes mit demselben nichts Anderes
sagen, als, daß er vor seiner conversio, welche ihm erst eine höhere
Bildung vermittelte, trotz seiner damaligen geringen Kenntnisse das
Amt eines Notarius bei Gunthigis versah.
.SALZBURG, 18. Jänuer 1889. THEODOR V. GRIENBERGER.
410 TH. V. GRIENBERGER, feRILlVA.
ERILIVA.
Dem Urtheile Müllenhoffs nomen esse germanicum nemo pro-
babit', womit er im Index zur Mommsen'schen Jordanesausgabe den
Namen der Mutter Theoderiks des Großen bei Seite schob, steht die
bestimmte Aussage des Anonymus Valesianus c. 58 gegenüber: mater
Ereriliva dicta Gothice catholiea quidem erat, quae in baptismo
E^usebia dicta est.
Bei Jordanes heißt die Kebse Thiudimers, welche ihm den Theo-
derik gebar, Ereheua, und nur die zwei Handschriften der dritten
Ordnung nach Mommsens Eintheilung, der cod. Cantabrig. und Berolin.
bieten dazu die Varianten hei'ilieua und herili sua, von denen die
erste bloß um ein wohl unorganisches h vermehrt ist, die zweite aber
einer falschen Auffassung (d. i. adj. herilis -\- pron. suus) der schlecht
gelesenen Stelle quam vis de herilieua concubina ihre Entstehung verdankt.
Besehen wir uns die Angabe des Anon. Vales., so wird uns so-
fort klar, daß die Verdopplung des er von dem vorhergehenden Worte
mater herrührt, und daß wir mit Beseitigung dieser graphischen
Wucherbildung mater Eriliva zu lesen haben, wozu auch des Paulus
diac. Arileua stimmt. Wir erhalten demnach als Vocal des zweiten
Theiles den Wechsel von i und e und werden dadurch in den Stand
gesetzt, die Form Erelieua der Jordanes-Hss. auf ein ursprüngliches
ereiiua zurückzuführen, bei welchem der Tilgungspunkt übersehen
und das übergeschriebene e in das Wort heruntergenommen wurde.
So entstand bei Keinz, Indicul. Arnonis ein p. n. heraliant aus dem
heralint, d. i. heralant der Hs., die ich selbst eingesehen habe.
Es ist also Ereleva mit Wechsel zu i Eriliva der authentische
Name der Kebse Thiudimers.
Was den ersten Theil des Namens anbelangt, der doch wohl
auch in Erarius rex Gothor. a. 541 bei Jordanes, Aerarius im catalog.
imperatorum etc. Farfensis. Mon. Germ. Scriptor. rer. Langobard.
p. 521 vorliegt, so wird eine andere Anknüpfung als germ. aira
f. Ehre, Fick^ III, 4 kaum möglich sein, und des Paulus diac, Ari-
leua wird dem Aerarius gemäß als Aerileua aufzufassen sein.
Das di ist bei Jordanes in ä verengt und das r wird wohl auch
schon dem späteren Got. gemäß gewesen sein'). Wenn Förstemann,
') Vgl. die Glosse gairu im cod. Ambros. zu 2. Cor. 12, 7 gegen gaetum,
Qaeaatea,
W. GOLTHER, DIE SPRACHBEWEGUNG IN NORWEGEN. 411
Sprachstaram II, 199 für ahd. em ein got. aiza vcrrauthet uuJ diebe
Annahme auf den burgundischen Frauennamen Aisaberga vom Jahre
491 stützt , so brauelite man dies als zwingend zwar nicht anzuer-
kennen, denn Aisaberga ließe sich, wie schon Wackernagel gethan
hat, ganz leicht aus atz, Erz erklären. Aisaberga, die das Erz birgt,
wäre ja ein trefflicher Frauenname, sei es, daß er in kriegerischer, sei
es in friedlicher Weise bezogen werde, aber allerdings kann mit Hin-
sicht auf die Wurzel a/i? Fick' III, 5, zu welcher <n-a offenbar gehört,
an seiner germanischen Grundform aiza nicht gezweifelt werden, und
Ficks aira ist demgemäß zu berichtigen.
Der zweite Theil ist als sicheres gotisches Namenselement nach-
weisbar bei dem Diacon Gudilebus (dreimal), Gudiliuus (einmal) der
Urkunde von Arezzo, welcher in der eigenhändigen Fertigung des
lateinischen Urkundentextes sich nach Rlaßraanns Lesung schreibt
ik Gudilaib. dkn, sowie bei dem uatiaiius der Gotenkirche S. Anastasia
zu Ravenna Gudeljuus (zweimal), welcher in der bekannten Neajjler
Urkunde erscheint. Die gotischen Wörterbücher, so z. B. das von
Heyne zu seiner Ulphilasausgabe, 5. Auflage, führen den Diakon fälsch-
lich als Gudilub.
Dieses Gudilaib (*gudei swf. pietas?) kann aber nicht das be-
kannte Element -Idifs enthalten, sondern in Ansehung der lateinischen
Transscription -Uhus, -limis nur ein Element laihs, und eben dieses
wird auch in ereleva anzusetzen sein. Gewiß gehört auch dieses
zum Verbum *leiban und darf vielleicht vivus, vigens bedeuten,
SALZBURG 1889. THEODOR v GRIENHERGER.
DIE SPRACHBEWEGUNG IN NORWEGEN.
Germania 25 (1880) S. 1 — 33 hat mein hochverehrter Lehrer
Konrad Mai;rer in seiner gewohnten gründlichen und klaren Dar-
stellungsweise über die Sprachbewegung in Norwegen, das „j\I aal s trte v",
berichtet. Im Anschluß an diesen Artikel sollen hier einige Nachträge
gegeben werden, welche diejenigen Erscheinungen hervorzuheben
beabsichtigen, die im Verlaufe der letzten Jahre sich herausbildeten,
und die dazu geeignet sind, das Urtheil über das Maalstrsev wesentlich
zu bestin)raen. Ich nehme auf Maurers Ausführungen Bezug und sehe
darum billigerweise davon ab, die Entstehung der Sprachbewegung
nochmals zu schildern. — Norwegen gebraucht die dänische Schrift-
412 W. GOLTHER
spräche als Verkehrssprache; seit seiner politischen Loslösung von
Dänemark hat sich das Nationalgefühl lebhaft mit dem Gedanken
getragen, eine eigene norwegische Schrift- und Umgangssprache zu
schaffen, wodurch das Dänische völlig verdrängt werden sollte. Diese
Landessprache, das Landsmaal, versuchte Ivar Aasen in Wirklichkeit
festzustellen, indem er auf Grund der lebenden, reichen norwegischen
Dialecte (bygdemaal) die denselben zu Grunde liegende ideale Ein-
heit, gleichsam eine Normalsprache wiederzugewinnen suchte und
in seinen Schriften zur Anwendung brachte. Obwohl Aasen ein be-
wundernswerthes, auf tiefgehender Kenntniß beruhendes Kunstwerk
in seinem Landsmaal zu Stande brachte, so kann man sich doch nicht
verhehlen, daß eine solche Sprache zu künstlich und unnatürlich sein
muß, um ins Leben überzugehen, in Schi'ift und Rede benutzt zu
werden. Die Entstehung einer Schriftsprache ist äußeren Zufälligkeiten
unterworfen; sie gründet sich stets auf einen bestimmten Dialect,
nimmt von anderen allenfalls Einzelheiten herüber; ihre Schöpfung
liegt in der Zeit selber begründet. Umstände besonderer Art wirken
zusammen, daß die in ihr verfaßten Schriften tonangebend werden
und die weitesten Kreise des Volkes durchdringen, das sich dadurch
gewöhnt, litterarische Werke auch in einer anderen als der engen
heimatlichen Sprachform zu verstehen und gegebenen Falles selber
in dieser Form thätig zu werden. Zum Anderen muß der erkorene
Dialect auch ein überall verständlicher sein, d. h. z. B. auf deutsche
Verhältnisse übertragen, wäre bayerisch oder alemannisch ebenso-
wenig wie niederdeutsch dazu geeignet gewesen, den Kern einer
lebensfähigen Schriftsprache abzugeben, wohl aber vermochte dies ein
Dialect des mittleren Deutschlands, der den beiden Enden in der
Verständlichkeit entgegenkam. Ein Volksschriftsteller in des Wortes
wahrer und edler Bedeutung, sei er nun Dichter oder Gelehrter, kann
zum Schöpfer einer für alle anderen maßgebenden Sprache werden;
ob dies aber heutzutage noch ebenso möglich wäre wie in den ver-
gangenen Jahrhunderten, dürfte fraglich erscheinen. So lange der
litterarische Verkehr ein beschränkter ist, hält es nicht schwer, das
gesammte Gebiet zu beherrschen; doch bei der unermeßlichen Viel-
heit der litterarischen Erzeugnisse unserer Tage dürfte es schlechter-
dmgs unmöglich sein, ein ausschließliches Übergewicht zu gewinnen
und zu behaupten.
Die Schule vermöchte allerdings ein Machtwort zu sprechen und
eine neue Sprache einfach zwangsweise durchzuführen. Doch würden
sich für eine Reihe von Jahren die unerquicklichsten Unzuträglich-
DIE SPRACHBEWEGUNG IN NORWEGEN. 413
keiten ergeben, indem die geistigen Ausdrueksmittel der jungen Gene-
ration von denen der alten verschieden wären, die mittlere aber vor-
aussichtlich der willkürlichsten Regellosigkeit anheimfiele. Man denke
sich etwa, daß die Sprache unserer Reichshauptstadt plötzlich zur
alleingiltigen Schriftsprache erhoben würde und die seither gebrauchte
verdrängen müßte! — Aasens Landsmaal gründet sich aber auf ge-
lehrte Abstraction; die norwegischen Dialecte, deren es, die feineren
Unterschiede mit veranschlagt, über 400 gibt, haben allerdings einen
gemeinsamen Grund, schließlich sogar eine gemeinsame, fest bestimmte
Ursprache, aus der sie hervorwuchsen. Wollten wir aber diese Einheit
wiederherstellen, so müßten wir folgerichtig geradewegs in vorhisto-
rische Zeiten zurückgreifen; dann ließe sich eine Normalform auf-
finden, von welcher alle Dialecte in genau bestimmbaren Übergangs-
stufen sich ableiteten. Um nun diese Form für den heutigen Gebrauch
zurecht zu machen, müssen die Lautverhältnisse der betreffenden Ur-
formen in der jetzt herrschenden Umbildung angesetzt werden, wobei
aber Worte entstehen können, die völlig unverständlich sind. Eigent-
lich müßte überall ein solches Verfahren strenge eingehalten werden,
damit man mit Recht und Fug behaupten könnte, das norwegische
Landsmaal vereinige alle Dialecte als die über ihnen stehende Einheit
in sich. Es liegt auf der Hand , daß aber in weitaus den meisten
Fällen das Verfahren in der gedachten Weise rein undenkbar ist,
da die älteren Belege für viele Worte fehlen; ferner in Bezug auf
Syntax und Bedeutungswandel sich unübersteigbare Schwierigkeiten
erheben; mit anderen Worten: die Einheit der norwegischen Dialecte
in einer norwegischen Gesammtsprache bleibt stets eine rein wissen-
schaftliche Abstraction, genau so wie das Urgermanische oder Ur-
arische, deren Richtigkeit zwar nicht dem geringsten Zweifel unter-
steht, die aber nie in die Wirklichkeit übersetzt werden kann, zumal
nie in Bezug auf die zusammenhängende Rede, weil die einfachsten
Grundbedingungen hiezu fehlen. Angenommen aber, es gelänge wirk-
lich, die norwegische Einheitssprache in allseitig befriedigender Art
aus den Dialecten heraus zu gewinnen und sie von dem eben dadurch
mit Nothwendigkeit bedingten alten Entwicklungsstand auf den gegen-
wärtigen herunter zu führen, so daß die Grammatik nirgends mehr
auf Anstände stieße, so würde ein solches Landsmaal merkwürdig
genug und abgesondert neben den übrigen Schriftsprachen der Erde
sich ausnehmen, da es nicht auf natürliche Weise ins Leben gerufen
ward. Zu der principiell anfechtbaren Grundlage des Landsmaal
Aasens tritt aber der Umstand hinzu, daß die Einheit eine willkürliche
GERMANIA. Neue Reihe. XXII. (XXXIV.) Jubrg. 28
414 W. GOLTHER
ist, d. h. trotz aller Bemühung eben doch nicht auf allen norwegischen
Dialecten beruht, sondern auf dem von Söndmöre. So ist es nicht zu
verwundern, wenn bei den verschiedenen Verfassern, welche selbst-
thätig in die Frage eingriffen, das Landsmaal Ivar Aasens, auch wenn
sie von Hochachtung für dasselbe erfüllt sind und ihm zu folgen die
Absicht haben , allerlei Veränderungen erleidet. Fjortoft sprach sich
dahin aus, daß die Sprachstreber sich so gut als möglich an Ivar zu
halten hätten; aber er wolle kein Czar und kein Papst sein, sondern
Jeder dürfe nach dem Rechten suchen. Ivar Hoyem äußerte sich in
ähnlicher Weise in seiner Norsk mällsere (Nidaros 1880): „Es versteht
sich von selber, daß Ivar Aasens norwegische Sprachlehre und Wörter-
buch bei der Ausarbeitung eines solchen Buches die Hauptquellen
für mich gewesen sind ; und wenn ich in einzelnen Fällen etwas ab-
seits trete von dem Wege, den Aasen abgesteckt, so geschieht es in
der Hoffnung, daß der Menge damit besser gedient wird." Aasmund
Vinje schloß sich Aasen an, doch treten bei ihm die Sprachformen
von Thelemarken, seiner Heimat, so stark hervor, daß das Gesammt-
bild seines Landsmaal eine ausgeprägte thelemärkische Färbung
trägt. Aasen hatte eine Orthographie angewandt, welche auf der
Etymologie der Wörter beruhte, wie in den, meisten Schriftsprachen,
und auf die Phonetik keine Rücksicht nahm. Dem gegenüber verlangt
Fjartoft engeren Anschluß an die wirklich gesprochenen Dialecte;
alles Künstliche, Fremde, Todte, Altnordische soll aus der Schreibweise
verschwinden. Obwohl Fjartoft wie Aasen aus Söndmöre stammt,
unterscheidet sich sein Landsmaal in Folge davon doch bedeutend
von dem Aasens. Die Consonanten im In- und Auslaute sind vielfach
weggefallen, so daß allerdings der Aussprache_^ damit ihr Recht ein-
geräumt wird, aber schwerlich zu Gunsten der Deutlichkeit. Man
denke sich das Dänische phonetisch geschrieben und entsprechend
norwegische Lands- oder Bygdemaal, so würde es sehr schwer sein,
überhaupt nur noch die Verwandtschaft der beiden Sprachen zu er-
kennen. Die phonetische Schreibart sollte thunlichst ausgeschlossen
bleiben; denn die Schriftsprache ist einmal zum Verkehrsmittel,
selbst mit dem Ausland, bestimmt. Phonetische Schreibung darf
angewendet werden , wo es sich um die Darstellung eines leben-
den und gesprochenen Dialectes handelt. Außerdem wird sie fast
immer von der subjectiven Sprechweise des Einzelnen beeinflußt,
eignet sich also wohl für diejenigen Fälle, wo er seinen Dialect
niederschreibt, kann aber nicht maßgebend für Landesangehörige aus
anderen Gegenden sein. An die ostländischen Dialecte macht Fj^rtoft
DIE SPRACIIBEWEGUNG IN NORWEGEN. 415
einige Zugeständnisse, da diese natürlich der bislang auf das West-
land eingeschränkten Sprachbewegung ziemlich fremd gegenüber-
gestanden waren. Ähnlich verfuhr Steinur Schjott in einer Über-
setzung der Heimskringla. Die i)eiden Genannten nähern sich un-
streitig mehr einer wirklichen lebenskräftigen Sprache, indem sie in
den Dialecten ihre Stützen suchen, aber sie entfernen sich im selben
Verhältnisse vom Laudsmaal, der historisclu'n Einheit aller Bygdamaal,
auf welcher die norwegische Spraclic sich aufbauen soll. Arne Garborg
und Ivar Mortenson verfaßten im Jahre 1885 eine „Lesebok i det
norske folkemal for hogre skular". Auch sie entfernen sich von Aasens
Normalform und suchen einzelne Annäheruugspunkte an das Ostland.
Ein hervorstechender Zug des neuen Laudsmaal ist die Incousequenz
in Hinsicht auf die Rechtschreibung und die Grammatik, die aller-
orts zu Tage ti'itt. Neben einander werden dieselben Wörter in ver-
schiedener Form gebraucht, z. B. moyer und moyar, menn und menner,
arbeid und arbeide und zahllose andere Beispiele. Die Schriftsprache
muß aber vor Allem auf ein strengstens durchgeführtes einheitliches
System dringen, sonst zerfällt sie in sich selber. Die nordländische
Sprache, der trondheimische Dialect hat nun unterdessen auch in den
Streit eingegriffen durch die beiden Hoyem, gebürtig aus ßynses,
westlich von Trondheim. Ivar Hoyem verfaßte eine Norsk mullaere
(Nidaros 1880) und O. J. Hoyem eine biblische Geschichte, „den
heiige Saga og Kjorkjesaga" (Nidaros 1881), welche letztere mit
öffentlicher Unterstützung unter dem tröndischen Volke vertheilt wurde,
aber trotzdem wenig Anklang fand. Es stand zu erwarten, daß von
Trondheim die Landsmaalfrage jedenfalls vielfach neu beleuchtet wer-
den müßte, und in der That hat eine so wichtige Dialectgruppe wie
die tröudische bei der Schaffung einer gemeinsamen Schriftsprache
eine gewichtige Stimme. Da zeigt sich nun, daß Aasens Landsraaal,
überhaupt die gesammte seitherige wesentlich westländische Richtung
den tröndischen Dialecten sehr ferne steht; bei allem Bestreben der
Hwyem, Anschluß an das erstere zu gewinnen, ergibt sich doch mit
Deutlichkeit, daß der Trönder nur ein auf seinen Dialect begründetes
Laudsmaal annehmen kann, daß also das Landsmaal von diesem
Standpunkt aus betrachtet durchaus kein allgemein giltiges wird,
sondern ein stets an verschiedenen Theilen des Landes auch ver-
schieden aufgefaßtes. Mit demselben Rechte natürlich, wie der Trönder
auf dem seinigen, besteht der Bergenser und Thelemärker auf dem
westländischen , und keiner dürfte sich geneigt finden, zu Gunsten
des anderen Verzicht zu leisten. Dem Trönder Landsmaal kommt in
28*
41ß W. GOLTHER
diesem Sinne negative Entscheidung über die Mögliclikeit eines all-
gemeinen Landsmaal zu. O. J. Hayem machte den originellen Versuch,
auf Grund des neuen Landsmaal eine deutsche Grammatik zu
schreiben unter dem Titel: „Tysk gjort let ved norsk Bygdamäl og
Landsmäl" (Nidaros 1889). Er betont im Vorwort des kleinen, 101 Seiten
umfassenden Büchleins, daß vom Norwegischen aus die Erlernung
des Deutschen leichter sei als vom Dänischen und Schwedischen, in-
dem die beiden letzteren Sprachen vieles Altere verloren, das im
Norwegischen noch lebendig ist und darum mit dem Deutschen über-
einstimmt, wo jene nichts Entsprechendes mehr aufweisen. So besitzt
das Norwegische noch drei Geschlechter gegenüber den zweien im
Dänischen und Schwedischen; verschiedene Casusformen (Dativ)
haben sich im Norwegischen erhalten [freilich ging dafür der Genitiv
verloren und muß sich das Landsmaal mit umständlichen Umschrei-
bungen behelfen]. Diesen praktischen Vortheil hat aber der Norweger
in seinem Dialecte, und er vermag ihn auch von hier aus zu benutzen,
ohne daß er der Zwischenstufe des Landsmaal bedarf, so daß also
dieser Umstand gerade nicht sehr schwer in die Wagschale fällt.
Wenn wir das Landsmaal, seitdem es durch Aasen in die Wirk-
lichkeit übersetzt wurde, überblicken, so stellt es sich als ein keines-
wegs klarer und fester Begriff dar, sondern als ein wechselnder und
veränderlicher, der sich bei den verschiedenen Vertretern immer neu
gestaltet. Johan Storm, dessen Ansichten wir auch in den vorher-
gehenden Erörterungen zum großen Theil folgten, hat in einer kleinen,
höchst werthvoUen und lesenswertlien Schrift „det nynorske Landsmaal"
Kjebenhavn 1888, 8", 116 Seiten, die ganze Frage nochmals zusammen-
fassend beleuchtet, und erweist an vielen Beispielen nach, wie richtig
sein alter Satz ist, daß das Landsmaal eine Sprache sei, „qui a le
malheur de ne pas exister". Von einer Einheit der grammatikalischen
Form ist gar keine Rede, und doch betonen die Maalstrsever immer
mit besonderem Nachdruck, daß es gerade auf die Form ankomme,
nicht auf ein paar Norwagismen, welche man in die dänisch-nor-
wegische Schriftsprache einführe. Nicht einmal der Artikel hat eine
einheitliche Form bei den verschiedenen Schriftstellern; die gewöhn-
lichsten Begriffe erscheinen überall anders. Z. B. schreibt Aasen für
Hand (manus) Iiandi, Vinje hande und haanda, O. J. Hayem handa;
für Braut (sponsa) Aasen brudi, Vinje hrudri und brude und brura,
O. J. Hoyem brudra. Bei den selteneren Ausdrücken ist die Regel-
losigkeit noch ärger. Nicht einmal ein und derselbe Schriftsteller,
Aasen nicht ausgenommen, hält an einer strengen Einheit fest. Wie
DIE .SPKACIIHEWEGUNCt IN NOKWEGEN. 117
kanu man aber von einer derarti;^eu Sprache, die in iln-en allerein-
fachsten Grundzügen nicht zur rechten Khirheit vorzudringen vermag,
verlangen, sie solle dem gesammten Volke als Verkehrsmittel dienen?
Sie kann eigentlich schlechterdings nicht einmal gelernt werden, son-
dern immer nur die individuelle Auffassung einzelner Verfasser, denen
es selbst an manchen unerläßlichen Vorbedingungen gebricht. Aasen
hat sicher verhältnismäßig das denkbar Beste geleistet; ihm stand
ja auch die gründliche philologische Schulung und geschichtliche
Sprachkenntniß zu Gebote, ohne welche ein Urtheil in sprachlichen
Sachen eben unmöglich ist. Trotzdem erwies sich sein Landsinaal
als ungenügend, weil es eben ein todtgeborenes Kind ist, dem keine
andere Macht den belebenden Herzschlag verleihen kann, als eben die
Natur selber, die hier versagt. Von den Nachfolgern Aasens läßt
sich das Gleiche nicht behaupten. Trotz des patriotischen Eifers ver-
mögen viele Maalstrsevere nicht einmal Danismeu und Germanismen
zu vermeiden, was zur Genüge bekundet, daß es ihnen an einer
sicheren geschichtlichen Auffasung entschieden fehlt. Man darf bei
solchen Dingen nicht zu einseitig vom idealen patriotischen Stand-
punkte ausgehen , sondern muß der nüchternen Betrachtung und Er-
wägung Gehör schenken, um sich nicht in reine Unmöglichkeiten zu
versteigen. Storm urtheilt sicher als der berufendste Richter, und jeder
Unbefangene und Urtheilsfähige muß seinen Ansichten vollkommen
beipflichten. Von der praktischen Seite aus besehen ist das Landsmaal
hinfällig, und der Bauer wird sich nicht damit befreunden können.
Es dürfte sein Bewenden dabei haben, daß die norwegisch-dänische
Schriftsprache fortfährt, sich am nationalen Element zu kräftigen und
dadurch eigenartig genug dem Dänischen sich gegenüberzustellen.
So kommt das charakteristische Norwegische zu Recht, ohne daß das
äußerst nutzbringende gemeinsame sprachliche Ausdrucksmittel der
beiden nordischen Staaten aufgehoben zu werden braucht. Nicht zu
unterschätzen beim Landsmaal ist der Umstand , daß im täglichen
Verkehr und im litterarischen jedweder Gattung durch das letztere
sehr beträchtliche und durchaus unnöthige Schwierigkeiten geschaffen
würden. Die nordischen Sprachen stehen ohnehin schon außerhalb
der allbekannten und allgekannten europäischen, und es ist eine ver-
hältnißmäßig geringe Anzahl, zu der jene schönen Idiome unmittelbar
reden. Diese wird um ein Ziemliches vermindert, sobald wir mit drei
ausgesprochenen Einzelsprachen, statt wie bisher mit zweien zu rechnen
haben. Die modernen Zustände drängen aber zum Wechselverkehr
hin, nicht zur einseitigen Isolierung, durch welche ein Volk vielleicht
418 W. GOLTHER, DIE SPRACHBEWEGUNG IN NORWEGEN.
nicht unerheblich geschädigt werden würde. Man könnte davon gerne
absehen, wenn es sich darum handelte, eine ursprüngliche Sprache
zu erhalten. Denn die Erhaltung germanischer Eigenart, und sei es
im Geringsten nur, ist wichtig genug, um mit Opfern erkauft zu
werden. Aber im gegebenen Falle handelt es sich um willkürliche
künstliche Sprachgebilde, bei denen solche Rücksichten überhaupt gar
nicht zum Zuge kommen. Das Maalstrsev kann demnach nur als
dansk-norsk, d. h. als die naturgemäße, nicht gewaltsam vorwärts
getriebene Norwegisierung der bestehenden Schriftsprache thatsäch-
liche Bedeutung gewinnen^). — Etwas Anderes als das künstliche Lands-
maal wäre die Heranbildung eines besonderen Dialectes zur Schriftsprache ;
eine derartige Erschaffung der letzteren ist die natürliche, organische
Entstehung, wie sich auch sonst Schriftsprachen entwickelten. Jedoch
fehlen die äußeren geschichtlichen, zwingenden Umstände, welche gerade
einen bestimmten Dialect zur Schriftsprache erheben, vollkommen, und
sind in der Gegenwart, wie bereits bemerkt, nimmer recht denkbar. Die
willkürliche, etwa auf sprachgeschichtliche Gründe gestützte Auswahl
eines norwegischen Dialectes würde bei der praktischen Durchführung
auf gerechtfertigte Widersprüche stoßen ; der Trönder würde sich fürs
Bergensische bedanken und umgekehrt. Dagegen kann die eingehende
Beschäftigung mit den einzelnen Bygdemaal aufs angelegentlichste
empfohlen werden. Gewiß bleiben diese in ihrer ßeinheit um Vieles
ungestörter, wenn in der Schule und im öffentlichen Leben die dänische
Schriftsprache herrscht, weil diese nirgends das Einheimische ver-
drängt oder verbessert, sondern als eine zweite, gänzlich verschiedene
Sprache, wie im Grunde jede Schriftsprache, daneben steht. Wohl
aber könnte das unnatürliche Landsmaal die Dialecte empfindlich
stören, und darüber hätte der Patriotismus mehr Ursache zu klagen,
als über das Bestehen einer dänischen Schriftsprache. Die moderne
Sprachwissenschaft ist mehr denn je geneigt, dem Dialect volle Be-
rechtigung einzuräumen; der letztere gibt das reichste Material für
die Geschichte der Gesammtsprache an die Hand und lehrt noch
heutigen Tages die morphologischen Gesetze kennen, die vor Urzeiten
herrschend waren. Der norwegischen Sprache würde unendlich mehr
Förderung erwachsen, wollten sich die Bemühungen statt auf das
unfruchtbare Landsmaal auf die Bygdemaal selber und ihre genaue
Erforschung richten. Unstreitig sehr richtig ist auch der Gedanke,
*) Es verdient angemerkt zu werden, wie sich norwegische Schriftsteller zur
Frage stellen. Vgl. die Kritik, welche Ibsen im „Peer Gynt" durch die Gestalt „des
Sprachverbesserers Huhu" über die Sache ausspricht.
R. SPRENGER, ZU GERHARD VON MINDEN. 410
den Sturm andeutet, die Schule solle neben der Erlernung der däuiseli-
norwegischen Schriftsprache Gewicht darauf legen, daß die Schüler
aus einer entsprechend eingerichteten Chrestomathie die Bygdemaal
lesen und verstehen lernen. Nicht nur in Norwegen, sondern auch in
Deutschland wäre es von Werth , wenn die Schule weniffstens ciniije
Andeutungen und Winke dem Schüler über das Verhältnis der Schrift-
sprache und des Dialectes zukommen ließe, von dem die Wenigsten
auch nur die leiseste Ahnung haben; zumeist M'ird in Laienkreisen
der Dialect als Elntartung der Schriftspraclu! heutigen Tages noch
aufgefaßt. Diesem Übelstand wäre so leicht abzuhelfen , wenn anders
nur der Unterricht in der Muttersprache auch überall endlich zu
gebührenden Ehren erhoben würde.
MÜNCHEN, 1. Mai 1889. W. GOLTHER.
ZU GERHARD VON MINDEN.
Bemerkungen zu Seelmanns Ausgabe der Gedichte Gerhards
theilte ich zuerst im Osterprogramm des hiesigen Realprogymnasiums
vom Jahre 1879 mit, worauf ein zweiter Aufsatz im Jahrbuche des
Vereins für niederdeutsche Sprachforschung IV, S. 98 folgte. P^inen
längeren Aufsatz zur Kritik und Erklärung der Gedichte ließ sodann
Damköhler im Niederd. Jahrb. XIII, 75 erscheinen, nachdem er schon
vorher seine Meinung über einzelne Stellen im Korrespondenzblatt des
Vereins mit mir ausgetauscht hatte. Hieran schließen sich die nach-
stehenden Bemerkungen, welche bei wiederholter Lesung im Laufe
der letzten Jahre niedergeschrieben sind.
NORTH EIM. R. SPRENGER.
Prol. 54 in dumheit tit ist unverständlich. Es ist wohl in tlt zu
lesen = 'zu rechter Zeit'; rahd. enzite. Darauf führt aucli die an-
geführte Stelle des Cato: Insipiens esto quum terapus postulat. Vgl.
in half 'zur Hälfte' IV, 50.
2, 21 De xoulf s-prak: 'Dat i'.s schult genöch
van dl, dat dm drank mi geroch,
de mit di moste sin verJomel;
dut vlet drovet unde tclomet,
dat ik if drinken nicht enmach.
Die Verse sind unverständlich , und auch der Herausgeber hat sich
vergeblich um ihre Deutung bemüht. Zunächst ist es der Form nach
420 K. SPRENGER
unmöglich, daß geroch zu geruken, riechen gehören soll, wie er in der
Wortlese annimmt; auch würde diese Bedeutung nicht in den Zu-
sammenhang passen. Sodann ist es auffällig, daß wlomen nur an dieser
Stelle in intransitiver Bedeutung vorkommen sollte, während es sonst
stets 'trübe machen' bedeutet. Dies ist um so auffälliger, als auch in
der entsprechenden Fabel des Wolfenbüttler Aesop II, 13 der Hand-
schrift das Lamm spricht: ive mochte ich wlomen dinen drank? Auch
für droven ist die Bedeutung 'trübe sein' durch keine weitere Stelle
belegt, seitdem es in v. Kellers Fastnachtspielen 967, 10 durch Seel-
mann richtig in doven gebessert ist. Ich glaube, daß die Stelle ver-
derbt und folgendermaßen zu bessern ist:
De wulf sprak: Dat is schult genoch
van di, dat dm drank mi gedroch,
de mit di moste sin ver dornet;
dut vlet he drovet unde iclomet,
dat ik it drinken nicht enmach.
Dadurch, daß das Lamm angeblich das Wasser getrübt hat, will der
Wolf um seinen Trank betrogen sein. Er sagt von dem Lamme auch
V. 13 du dregest wulle unde hörn dorch drogene.
3, 100 unde loorden vast aldus gebunden
mit einem vaden, den se vunden
daraf geneget was ein hot (: vlot).
Ich bleibe bei der handschriftlichen Lesart und übersetze: Mit einem
Faden, womit ein Hut genäht gewesen war. Seelmann hat dafür das
landschaftlich begrenzte bot 'Endchen* gesetzt, das sich im älteren
Niederdeutsch nicht belegen läßt, denn 17, 13, wo der Herausgeber
dieses Wort ebenfalls finden will, ist verderbt. Was geneget heißen
soll, hat er uns nicht gesagt. Man wird zunächst an neien, neigen,
neggen nähen' denken, und dies ist denn auch das Richtige, während
Damköhler sich durch Seelmanns Conjectur verleiten läßt, ein, wie
er selbst gesteht, im Mnd. nicht belegtes nagen = gnagen, knagen
'nagen' anzusetzen, was um so bedenklicher ist, als auch für das
hochdeutsche nagen der Umlaut nicht erwiesen ist.
6, 15 de xoeder sprak der bute vro.
Statt bitte hat die Hs. hude 'Hut', welches richtig ist, da hude und
warde (V. 9), wie das Mnd. Wb. 2, 276 zeigt, synonym sind. Vgl.
die im Mnd. Wb. citierte Stelle Niederd. Rechtsb. f. 181: unde holden
de hoede unde warde.
6, 14 Na sinem rechte he do on wrachte.
Die Hs. hat: to on, und zu lesen ist: he to om ivrachte 'that er mit ihm'.
zu GERHARD VON MINDEN. 421
7, 13 De toise man sprak dnsse rneie,
dat it da- sunnen tcille wcre
ök wis, dat he loolde iiemen
ein echte tvtf . . .
Über diese Stelle hat zuletzt Damköhler im Niederd. Jahrbmli Xlll, 7;")
j^esprochen. Er wendet sich daselbst Regen meine frühere iMklariin^,
welche in dem handschriftlichen icisr eine Verbform sah, und halt
dagegen an des Herausgebers wis fest, von dem er aber leider eben-
sowenig wie Jener sagt, was es bedeuten soll. Auch seine Auflösung
in lüis en, indem er en = 'und' falit, scheint mir nicht annehmbar.
Ich vermuthe, daß zu schreiben ist ok wes en 'und gab ihn (den Willen)
zu erkennen . wes ist starkes Praeteritum zu wiscu , welches selten
ist '), wodurch die Veranlassung zur Verderbniß gegeben wurde.
7, 31 Dit hispel wil de jene leren,
de geiifie hedden vele heren,
dat se sik vorivandeln mochten
vnd ere des jdres vele besuchten.
Diese Stelle scheint mir auch von Damköhler noch nicht richtig ge-
deutet. Im Aesop. moral. heißt es: Jsta fabula docet, quo melius est
habere unum principtm quam plures. nam si plures sinl, quilibei sibi
vindicat servitium et honorem, quibus su/ßcere nequeiint subditi. Das
läßt doch wohl darauf schließen, daß en' nicht als Pronom. poss.,
auch nicht als Gen. Plur. des Pronom. personale zu fassen ist, son-
dern = honor. Ich übersetzte: 'Diese Fabel will Diejenigen lehren,
die gern viele Herren hätten: daß sie (die Herieo) sich in da.s Gegen-
theil (von dem was man erwartete) verkehren und das Jahr über
viele Ehre von ihnen beanspruchen möchten.' Auch die folgenden
Verse: Ein here is ok beter denne twe,
went men gelike jo nicht se
ne mach mit denste moden.
dürften mit näherem Anschluß an die Vorlage zu erklären sein: 'Ein
Herr ist auch besser als zwei, weil man ihnen nicht in gleicher Weise
(wie einem) mit Dienst Genüge leisten kann.' moden muß hier etwas
Ahnliches bedeuten, wie sufficere 'zu Willen sein', worauf ja die Glosse
im Mnd. Wb. III, 106 moden vel ayinioden, insinuare führt.
8, 1 Ein wulf dorch sin girichede
grot let to etiem male dede
') Doch .siehe die im Mnd. Wb. angeführte Stelle aus den Monum. Jjivi.n 4',
195 unde wes uns alle segel unde breue.
422 R- SPRENGER
Da let dön nur heißen kann „Leid, Schmerz zufügen", so glaubt Dam-
köhler Jahrb. XIII, 76, daß die Stelle entstellt sei. Ich glaube, daß
nichts zu ändern ist, und erkläre dorch als contrahierte Form von
dorich „thöricht". Ein muti dann unflectierte Form des Dativs sein,
wie sie sich nach dem Mnd. Wb. z. B. in der Münster Chron. 1, 277
findet. Es ist also zu übersetzen: „Einem thörichten Wolfe fügte
einst seine Gier großes Leid zu".
9, 19 Darna tvol over seveit. iveken
begtmde se darumme spreken
unde hat se harde gunstliken,
dat se ore loolde untwiken,
als an der not, se let darinne.
V. 23 erklärt Seelmann, indem er Ausfall des Relativums annimmt:
'in Anbetracht der Noth, welche sie darin litte'. Dies ist aber schon
deshalb falsch, weil die Hündin der Schwangeren ja ihre ganze Wohn-
stätte eingeräumt hat und erst jetzt wieder Einlaß verlangt. Es ist
zu schreiben:
dat se ore wolde untwiken,
alse all der not se let darinne.
„Daß sie ihr jetzt weichen möchte, da sie sie in der Noth darin ge-
litten liatte. alse steht für a'se se, wie öfter; vgl. Mnd. Wb. I, 61.
9, 31 ff. ist zu lesen:
Darumme en schal gi nicht vorderven
mi nu. tatet mi hliven
Iiir so lange, of it ju geteme,
dat dusse winter ende neme,
dat doch unlanges ioes(-n mot.
Die Hs. hat V. 35 dat er it doch. Es ist zu übersetzen: 'Was doch
bald geschehen muß', unlanges wird auch von der Zukunft gebraucht,
was aber aus dem Mnd. Hdwb. nicht zu ersehen ist.
11, 18 unde it enhlift ok nicht dat leste,
went se alle darna moten varen,
dat gi vil arme scolen hewaren.
Die in der Wortlese angegebene Bedeutung von heioaren = verhüten
paßt nicht für unsere Stelle, es ist hier vielmehr = 'behüten, be-
wahren'. Der Sinn ist demnach: „Es bleibt Euch, ärmste, auch nicht
das letzte Junge zu beschützen."
11, 27 ff. sind in der Ausgabe unverständlich und folgender-
maßen zu bessern :
zu GERHARD VON MINDEN 403
unde hastliken ein blas
van vure, dat dar hernede was
he in dat droge holt do stak.
„Und scbnell nahm er ein Scheit von einem Feuer, das da brannte,
und steckte es in das trockene Holz." herneda = heini-nde, wie »Sünden-
fall 2054.
14, ob De /lOgen werden landesheren
de mögen sik tein hi dünnen meren,
dat se mit gnedelikfu dingen
jo ore underdanen dwingen,
dat se mit vrede nicht hestän,
oft it on schulde missegän.
V. 39 ist zu lesen: dat se mit vreden icht bestän daß sie etwa in
Frieden bleiben'. Vgl. mit vrede laten 9, 54. 80, 37 und nnd. med.
freen laten Schambach s. v.
15, 18 Do sin her van kerken gink
tö hüs mit sinen besten kleden,
icolde de esel ummescheten,
mit sinem speie em to untmoten
V. 20 nmmescheten erklärt der Herausgeber durch 'sich überschlagen',
welche Erklärung auch in das Mnd. Wb. übergegangen ist. Es ist
aber, wie schon der Reim beweist, entstellt aus unbescheden 'unbe-
scheiden'. Es ist dann auch nichts weiter an der handschriftlichen
Lesart zu ändern, und zu schreiben:
wolde de esel umbescheden
mit sinem speie eme do entinoten.
'Da wollte der unbescheidene Esel ihn mit seinem Spiele begrüßen'.
16, 56. dat (starke strik) stof f-e entwe. stöf wird in der Wortlese
erklärt = zerbiß. Diese Bedeutung kann aber stoven nicht haben;
es ist wohl zu lesen scof — mhd. schtiof S^erursachte, bewirkte'.
17, 10 ff. ist zu lesen:
darmede xoe scholen in der vlucht
gefangen unvorwändes werden,
beslagen ane ivater, up der erden
unde ok an allen holten gestricket.
Statt holten hat die Hs. holen, woraus der Herausgeber unpassend
boten gemacht hat. stricken hat hier die Bedeutung 'mit Stricken
fangen'. Vgl. Wolf Aesop. 17, 16 {wi loille) uns nit in der vögele schar
halden, die vil dicke gevangen icirt mit stricke an allen holten in allen
Wäldern'.
424 K. SPKENGEK
18, 51 Dus möt ore vriheit sik vorkeren,
de under enem guden heren
jo wonet, de al mit duldichede
on IS in allen dingen mede,
unde dan na enem vromden stdt.
Statt vromden hat die Hs. vrede, d. i. icrede 'böse'; der letzte Vers ist
also zu schreiben:
unde dan na enem wreden stdt.
Die Frösche verlangen ja V. 37 einen Herren, „dem se dor angest
mosten denen.''^
19, 6. Nach diesem Verse ist eine größere Lücke, in welcher,
wie die Vergleichung mit Wolfenbüttler Aesop 19 zeigt, gesagt war,
daß der Habicht die Alten verfolgte, und daß diese dann die Jungen
im Neste verließen.
20, 11. hrotwert ist wohl als Compositum zu fassen, wie jjenninc-
wert gebildet.
20, 29 ist besser zu ergänzen: dat tvas ome hl dem tun nnt-
vallen. Die Auslassung erklärt sich so leichter; auch ist in V. 26
von einem tun, nicht von einer lüaiit die Rede.
21, 1 ist zu interpungieren :
Ein verkenmoder scholde w innen
ir jungen, dar se lach enbinnen,
quam ein ivtdf to ir
dar ist zeitlich zu fassen, wie R. V. 2346, 3544. iuue ligen oder kindes
inne ligen bedeutet 'im Kindbett liegen'; vgl. Lexer I, 1915.
22, 13 ist zu interpungieren:
ik bringe di dar sunder leide
ik loeit se stän an guder weide.
'Ich bringe dich ohne Leid dahin, wo ich sie auf guter Weide stehen
weiß.'
23, 31 Darna hegunde an tornen dagen
de koninc den sulven lowen jagen.
Daß tornen nicht, wie die Wortlese angibt, Verbform sein kann, be-
merkte ich schon im Programm. Altsächsisch und angelsächsisch findet
sich ein Adjectiv in der Bedeutung 'bitter*. Dies in übertragener Be-
deutung := 'unangenehm' könnte hier vorliegen.
27, 37 Do lüönde dar ein kotse fer,
ein ridder, junk stolt unde her,
de was von art wol or geltke,
al ne loas he nicht so rike.
zu GERHARD VON MINDEN. 425
Gegen diesen Text erhebt sich das Bedenken, daß ein lütter, der
wegen seiner Armuth eine einfache Kotstelle bewohnen muß, deshalb
noch nicht ein kotse 'Kossä,the' genannt werden kann , womit durch-
weg ein Angehöriger des kleinen Bauerstandes bezeichnet wird. Die Hs,
hat statt „kotse fer^ y,botzever" , doch so geschrieben, „daß der Anlaut
durch Zusammenfluß der Tinte aus k entstanden sein, das v auch als h
gelesen werden könnte". Das von Wiggert, 2. Scherflein 43 gelesene
kotzcher wollte J. Grimm erklären als „einer, der eine kotze (eine Art
Mantel) trägt". Erinnern wir uns, daß wonen im Mnd. auch transitiv
in der Bedeutung 'bewohnen' sich findet, so ergibt sich leicht die
Verbesserung: Do wonde dar ein koteioere
ein riJder, junk, stolt unde here.
koteivere ist eine Kotstelle, der Besitz eines Kossäten.
28, 36 mit niden mit Hassen', wie der Herausgeber übersetzt,
paßt nicht. Die Hs. hat mit syden, das ist wohl : mit tiden — „mit der
Zeit". Vgl. nhd. 'beizeiten'.
28, 45 ist vom Herausgeber der Frau zugetheilt, gehört aber
zur Rede des Mannes, wie auch Wolfenb. Aes. 64, 24: hie sprach 'noch
»prech. ein t^eisze iccere, dar mit der loisch gemeyet wart beweist. Es ist
danach zu schreiben:
'A'och sprek, dat it ein segede were .
Se sprak, alse se do mochte schere
'ein chere, ein chere\
schere in V. 46 ist nicht = forpix, sondern mhd. schiere 'alsbald', und
de.'^halb ist auch das Komma zu tilgen.
29, 32 lies dicke st. dicker.
31, 30. Die Hs. hat richtig: de (nämlich der Sang) mi vul na
was genomen.
32, 57 lies: loeder den wulven,
33, 20 ist zu übersetzen: 'Das thäte er ganz nach ihrem Rathe'.
34, 5 lese ich jetzt: De versmähede he genoch. Ein Substantiv
versma ist immer noch nicht nachgewiesen.
34, 7. Der Bauer, dem seine häßlichen Hände und breiten Füße
Schande däuchten, vernachlässigte sie:
de hande he io nicht ne dwoch,
De vote he vel seiden stode.
St. stode schreibt Seelmann scrode und denkt dabei an das Absciineiden
der Nägel an den Füßen, schroden hat aber die Bedeutung von 'zer-
kleinern, in kleine Stücke schneiden', z. B. Getreide zu grobem Mehl.
Lübben im Wb. 4, 418 bleibt deshalb bei der handschriftlichen Lesart
426 R- SPRENGER
und erklärt stode durch 'stieß, setzte nieder'. Auch diese Erklärung
ist unmöglich. Es ist zu schreiben scode versah er mit Schuhen . Über
schoen, schoten s. Mnd. Wb. 4, HO.
37, 35 lies: tei- (== to der) st. der.
38, 80 lies: valsch man; ebenso 42, 29. 65, 124 wts man, 59, 70
loert man.
39, 70 lies: ichtes wat.
41, 57 ist zu lesen:
<nnn lif is vaster den ju icorde
klein oder grot ei in der horde.
'Mein Leib ist fester als je ein kleines oder großes Ei wurde.' Der-
selbe Reim 48, 20.
46, 24 ff. lese ich jetzt folgendermaßen:
Se sin der morgenroden sunnen
alse se erst upgeit, an done
geltk van schöner rode. Jedoch ik xcone . . .
Das heißt: „Sie (die Federn) sind der Morgenröthe, wenn sie aufgeht,
an Aussehen gleich in Bezug auf ihre schöne Röthe."
49, 195 do louste he vorwär dat wol,
dat dar de lorede tcevel was.
Dem Zusammenhange entspricht ivunde Vermuthete'.
50, 6. dat lange vort em klene droch ist zu übersetzen: 'was ihm
ange wenig nützte'.
56, 11 so wanne komet ein derve regen,
tce schal di danne to schüre dregen.
dregen ist in der Wortlese nur in den beiden Bedeutungen 'tragen und
trügen' angeführt, hier kann es nur = drogen, drugen 'trocknen' sein,
wie die Form noch jetzt mundartlich vorkommt.
59, 1 Ein vet schone ors van hogem prise
geziret ivol na siner wise
mit hreidele unde mit gereide
lep ledich sunder jenich geleide.,
dat wol dem rede mochte schaden.
Der letzte Vers ist unverständlich und statt dessen zu lesen : das wol
dem rede mochte staden 'das wohl zum Ritte passen mochte*, staden
und scaden konnte vom Schreiber leicht verwechselt werden.
61, 94. xoänlik 'vermuthlich', wie die Hs. hat, war nicht in wärlik
zu ändern.
61, 123 ist das handschriftlich überlieferte anden, wohl weil ande
im Mnd. Wb. nicht verzeichnet war, in vianden geändert; doch ist
zu GERHARD VON MINDKN 227
die bekaunte Redensart shien cuiclen icnken nun auch l'ui das Mittel-
niederdeutsche beleiht in Strauchs Glossar zur Sachs. Weltchronik
(s. auch den Nachtrag zum Mnd. Wb. S. 16). Schon im Programm
S. 8 behandelte ich die Verse, lese dieselben aber jetzt etwas ab-
weichend: dan it mach lichte so gereken
dat se mit schaden mögen wreken
als sunder stade oren andea
al oren vrunden to schänden.
Stade mhd. staie = „alles, was zu Statten kommt, Hilfe, Nutzen."
Die Hs. hat statt dessen den leicht zu erklärenden Fehler schaden.
6G, 9 ist entweder den raven zu lesen, oder rave^ wie es im Mnd.
und noch mundartlich vorkommt, als Femin. zunehmen; dann mülUe
aber V. 6 he in sc geändert werden. Die Interpunktion ist wohl folgen-
dermaßen zu ändern:
Wie heff he dus gut se nu gevunden,
dat se de hunde latet slapen,
de dar ligget hi den schapen.
dat se de raven nicht vorjayet,
dat si dem duvele geklaget,
de mi so gerne jaget na,
so icor ik in dem velde ga.
V. 11 ist natürlich auf die Hunde zu beziehen.
G7, 27 f. schreibe ich :
Doch weit ik icol, icat bestreiket
din zagel, dat dar jo vorwiket
de der
Ich weiß, daß, was dein Schwanz bestreicht (wohin du kommst),
die Thiere stets entfliehen.' Statt vonclken schreibt der Herausgeber
getrennt vor wiken.
67, 30 Mit stempne ök lüt nnde unbehande
dot al de der ök sere vlein
de nii gehören ofte sein.
Durch die Änderung von Mit in Mhi wird die Stelle verständlich,
unbehande ist ''incomitus, grob' und nicht mit Damköhler, Niederd.
Jahrb. XIII, 79 in behandt; zu ändern. Ebenso bedeutet umbehmde
öO, 25 auf grobe Weise', nicht 'unklug', wie der Herausgeber meint.
69, 36 ist zu trennen vor (vorüber) gegän.
09, 04 f. ist zu lesen:
nnde segge, wtr de loice wesen
dutdcet di wreder, ofte de man.
428 R- SPRENGER
„Sage, ob dir der Löwe böser zu sein dünkt, oder der Mensch."
Vgl. V. 10 f.
72, 15 ist nach der Hs. mit folgender Interpunktion zu schreiben:
gi scholen weten: dat vorivär
gedregen hehbe ik ein jdr
unde is mi leides also sivär u. s. w.
Die Verbesserung von Seelmann Indes st. des handschriftlichen It^yder
scheint geboten, drege^i (Mnd. Wb. I, 503) auch vom ertragen von
Leid und Krankheit.
73,17 lies: dede vele an aller schalkheit dornet 'die in aller Schalk-
heit schwelgen'.
80, 57 ff. lese ich:
Do sprak de lowe: ''It mach ivol toesen!
prove anders, wo ek möge genesen,
— De arzedie de is hin —
loent ik nein vrunt van herten hinJ'
„Versuche, wie ich auf andere Weise genesen möge (Diese Arzenei ist
verloren), weil ich kein Freund von Herzen bin [mir nichts aus Herzen
mache].
81, 9. Statt minschen hat die Hs. weverschen 'Weberfrauen', was
wohl richtig ist.
81, 70 lies: qfte de modink der truwe love 'wenn der Nichtsnutz
seine Treue gelobt'. Vgl. V. 48 ff.
83, 19. Die Hs. hat mer st. mor, und ersteres ist richtig.
91, 52 lies: in or Iqfte dachten se vulherden 'bei ihrem Gelübde
gedachten sie zu verbleiben'. Vgl. Mnd. Wb. 5, 552.
92, 76 ist mi st. mm zu lesen. Über den Reim hin : mi s. Einl.
95, 29 lies:
Na des mules degedingen
al de dummen schevelingen
heginnen doven unde hagen
van den besten magen
unde de hogest sin to allen ttden.
95, 40 ist mit der Hs. dede zu schreiben, don steht hier an
Stelle des vorhergehenden Verbs.
95, 36 lies: Dat is dicke an on enket 'das wird oft an ihnen
offenbar .
100, 43 leggen Verleihen'.
100, 107 lies We schippen hiran enen voch. 'Wir wollen hieran
vmsere Schicklichkeit zeigen.*
zu GERHARD VON MINDEN. 429
101, 17 mit giricheit hehbe ek nenen gaden.
kume mochte, mi geschaden
ein grot osse edder ein fiert.
Das unverständliche geschaden ist in gesaden 'sättigen' zu vorhessorn.
101, 109, 110 seilen aus wie eine ungeschickte Interpolation.
Ich glaube, daß es ursprünglich gelautet hat:
To voren kau ek ök tcol makcn
sivindicheit . Dnrch lives not
so late ek, To voren = 'besonders', s. Mnd. Wb. 4, 601 ;
als ek ivere dot.
V. 126 f. lauten in der Hs.:
we IS so hose, de ok gunde
den jungen, dat se vorderven unde vorheren.
Die Stelle ist offenbar entstellt. S. schreibt: dat se vordorven teeren.
Ich glaube nicht, daß der Schreiber daran Anstoß genommen hätte,
glaube vielmehr, daß er ein Wort gefunden hat, welches ihm nicht
mehr geläufig war. Ich schreibe: dat se vorworden iceren. voricorden
entspricht nhd. Verkommen'.
V. 132 hat die Hs. hrunsheren st. krvnsheren wie S. schreibt.
Ich glaube nicht, daß Kronsberen (mnd. krdns-here Icrdnshere' Kranirh-
heere) gemeint sind, sondern hrüsheren 'Wachholderbeeren'. Ich hörte
das Wort vor etwa zwölf Jahren von einem Märker. Vgl. auch bros-
heeu im Mnd. Hdwb.
V. 156 fehlt das Verbura, dieses findet sich aber, wenn wir die
Interpunktion ändern und folgendermaßen lesen :
Ichtu enen ossen ofte ein perf
tagest üt crem, stalle
unde ore schap alle,
dat scholdestu mit one herden.
Der Wolf meint, da der Fuchs mit den Menschen in offener Fehde
lebe, so sei er auch berechtigt, ihnen allen möglichen Abbruch zu
thun. Und wenn er ihnen einen Ochsen oder ein Pferd und alle ihre
Schafe aus dem Stalle zöge, so vermöchte er das wohl als sein Recht
gegen sie zu erweisen. Vgl. unser 'erhärten'.
102, 63 lauten im Text:
Wo mochte tom konninge de gevogen,
den de lüde also dot slogen?
In der Hs. steht dem st. tom und dat st. de.
Wo mochte dem konninge dat gevogen.
Daß dies richtig ist, beweist außer dem Zusammenhang die ent-
GERMANIA. Neue Reihe XXII. (XXXIV.) Jabrg. 29
430 R- SPRENGER, ZU GERHARD VON MINDEN.
sprechende Stelle des Wolfenb. Aesop 93, 27: wo mochte dass eyme
koninge voegen, dat ome (lies ene) sine keirle slogen? Es ist also zu
schreiben: Wo mochte dem konninge dat gevogen,
dat en de lüde also slogen?
gevogen heißt 'angemessen, passend sein", und diese Bedeutung hat es
auch 79, 18; nicht die in der Wortlese angegebene.
102, 69 busch = Buchsbaum, wofür noch jetzt landschaftlich
huschhom,
102, 70 de ek lool gem. gein kann nur Infinitiv sein, daher ist
zu lesen: des mach ek wol gein:^ vgl. V. 103.
102, 96 ist das handschriftliche hekande nicht zu ändern.
102, 147 lies: dzner schalkessede.
102, 173 lies: Den (Guten) dusse (die Dunkelguden) grofe husheit
deit. overgän ist = betrügen.
103, 1 ist zu lesen:
In dem mere ligget ein woltj
darinne hebhet ein holt
de wilden apen ende sik vodtt.
'Darin haben die Affen einen Aufenthalt und nähren sich darin.'
103, 48 ist zu lesen:
de ander dor nicht ne hrak,
wente he se gerne spreken wolte,,
de wdrheit, wat dat kosten scholde.
'Der andere brach durch nichts die Wahrheit, weil er sie gerne
sprechen wollte, was es auch kosten mochte.'
103, 100 Gode levet de wärheit ane twivel
de logene jaget jo den duvel.
jaget Verjagt' gibt keinen Sinn. Es ist haget 'behagt' zu lesen.
FR. KRATOCHWIL, ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND etc. 431
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER
SUCHEN WIRT - HANDSCHRIFTEN.
Mit zwein großen^ bisher unbekannten Ergänzungen zu Suchenwirt's Gedichten.
XII. (If.
In dem schon S- 324 angezogenen 14. Bande der Wiener Jahr-
bücher der Literatur (Anzeigeblatt S. 50) behauptete P, daß von der
Gothaischen Recension des Gedichtes von fünf Fürsten eine Absclnift
auf der Wiener Hofbibliothek sich befinde. Daselbst ist das genannte
Gedicht nur in C vorhanden, für diese Handschrift war aber N die
Vorlage. Primissers Angabe ist somit falsch; sie wurde auch
in seiner Ausgabe nicht wiederholt, wohl aber noch später von Jacobs
und Ukert im dritten Bande ihrer Beiträge zur älteren Literatur etc.
(S. V u. VI).
Nicht zu Wien, sondern in der königl. öffentlichen Bibliothek
zu Dresden findet sich eine Abschrift des Gedichtes von
fünf Fürsten nach g und zwar in dem Miscellancodex, der vor-
mals die Nr. 105 hatte, jetzt aber die Nr. M 203 führt (vgl. Falkeu-
stein, Karl, Beschreibung der königl. öffentl. Bibliothek zu Dresden,
1839, S, 398 und Prof. Dr. Franz fcschnorr von Oarolsfeld a. a. 0.
zweiter Band, Ö. 494 f.). Der damalige Herr Oberbibliothekar Ge-
heimer Hofrath Professor Dr. E. W. Förstemann gestattete in be-
sonderer Güte bereitwilligst die Übersendung diesei" Papierhandschrift
nach Wien. Sie zählt 83 Blätter in Quart ^j, ist in steile, mit grauem
Papier überzogene Deckel gebunden und hat auf dem Kücken die
Aufschrift: Von den heil, drey Königen. Diese entspricht dem ersten
Stücke der Handschrift, das von der Überbringung der Körper der
heil, drei Könige handelt; wie das Titelblatt dazu besagt, wurde
dieses Gedicht aus einem Manuscript (der Dresdner Hands chrift
M 42) der königl. öffentl. Bibliothek in Dresden „abgeschrieben und
mit der Urschrift verglichen von Job. Christ. G o ttscheden", dem
auch dieser ganze Band gehörte, wie aus der an der Innenseite des
Vorderdeckels angebrachten Vignette zu ersehen ist. Nach seinem
Tode kam der Codex in die Bibliothek der Gesellschaft der freien
') Im Jahre 1879 war weder eine Blatt- noch eine Seitenzählung angebraclit.
29*
432 FRANZ KRATOCHWIL
Künste und schönen Wissenschaften in Leipzig und von dort 1793 mit
132 gedruckten Büchern und 85 altdeutschen Handschriften (früher
Eigenthum des Professors Gottsched) für 300 Thaler in die königl.
Bibliothek zu Dresden (vgl. Dr. Julius Petzholdt, Adreßbuch der
Bibliotheken Deutschlands mit Einschluß von Österreich-Ungarn und
der Schweiz. Dresden 1875, S. 107).
Wie das erste sind auch die neun anderen Stücke von d
sämmtlich Abschriften von Manuscripteu in Gotha, Dres-
den etc. Die Anzahl der Verse auf je einer Seite wechselt, aber stets
sind dieselben abgesetzt, immer in einer Columne, die Anfangs-
buchstaben der Verse groß, Unterscheidungszeichen nur
spärlich. Für einige Stücke wurde lateinische, für andere deutsche
Schrift gebraucht; ich glaube, daß mindestens drei Hände daran
geschrieben haben. Ob, wie Falkenstein (a. a. O.) bemerkt, Nr. 7 („Ein
verliebter Traum", Bl. 61* — 64*) und 9 („Gedicht vom Edelstein",
Bl. 66* — 77'') von Gottscheds eigener Hand geschrieben wurden, ob
nur diese und nicht auch andere, ist hier nicht Gegenstand der Unter-
suchung; doch bemerken will ich, daß die Schrift des sechsten Ge-
dichtes (Bl. 54* — QÖ^) mit den Anfangsversen:
Ach mynne wie creftig ist dine craft
Wo man schief t adir loacht
ganz genau dieselbe ist wie die des siebenten, das statt nach Falken-
stein „Ein verliebter Traum" wohl besser mit den Worten der viert-
letzten Zeile des Gedichtes überschrieben würde: Des kranich hahes
nun (9) grad. Darnach schon erweist sich Falkensteins Behauptung
nicht stichhältig. Vgl. auch Schnorr a. a. O. S. 495, f, g und i.
Von den Stücken in d, die nach Gotha weisen, hebe ich das
vierte hervor, das von Bl. 42* — 47* reicht. Es hat die Überschrift:
Abschrift eines alten MSCti, de anno 1397. aus der gothaischen Bihliothec.
Den Spruch hat gemacht peter der Süchemoirt von fünff fürsten. — Das
alte Manuscript aus der gothaischen Bibliothek ist die uns wohl-
bekannte Handschrift Nr. 271 oder g; doch befremdet in der obigen
Überschrift die Bemerkung, daß die Gothaer Handschrift aus dem
Jahre 1397 stamme. Woher wußte das der Schreiber? Schon früher
wurde betont, daß, von den Zusätzen zu Anfang und Ende abgesehen,
die Schrift der ursprünglichen Theile von g höchst wahrscheinlich
noch vor 1402 zu setzen sei. Aber ein bestimmtes Jahr für die Ent-
stehung von g anzugeben, dazu reicht die Schrift allein nicht aus;
andere Anhaltspunkte fehlen. Es drängt sich aber die Erklärung auf
daß der Schreiber von d die auf dem ersten Blatt in g
ÜBER DEN GEGENWÄKTKJEN STAND DER 8UCHENWIKT-HSS. 433
angebrachte Zahl 14U7 falsch gelesen habe. Es stand übrigens
in d ursprünglich nicht 1397; wo jetzt der Dreier ist, war radiert
worden, doch scheint er von derselben Hand zu sein, welche das
Gedicht von fünf Fürsten schrieb. Da^^ Falkenstein und Schnorr die
Zahl 1397 unbedenklich nachschrieben, kann man begreiflich finden.
Die Abschrift selbst zeigt vielcAbweichungen von g,
doch erklären sich manche durch geänderte Orthographie (Anwendung
des Dehnungs-Ä und des stummen e) , durch Einführung des Um-
lautes (l fütsten, desgl. 79, 95, 141, 1G3, 185, 192, 215, 224 und 234,
8 glUkk, 15 prüfen^ 41 ßühen, 109 mörder, 169 fügen), andere durch
Unterlassung des Umlautes (73 chonigs, 124 und 171 osterreich), durch
Älodernisierung einzelner Wörter (56 chönik, 69 Karins, 78 und 85
icent , 105 monad , 123 wil/iebn, 167 mansch leckt ig, 177 Scliweinczer
u. s. w.), sowie durch Schreibfehler (4 starkets , 35 sech'^. u. s. w.).
^Manches war dem Schreiber offenbar schwer leserlich oder unver-
ständlich; so schrieb er (statt verschriet : da ze miet) 89 versöhnet:
91 Daz ennet, 98 ivere, 100 schtcere, 189 Ma7i net, 191 gehon (g ge-
don) und 193 helt im (= mt). Öfter wurden die Abkürzungen nicht
berücksichtigt: daraus erklärt sich 14 ivordn, 17 yed man, 41 da^
tvaz^ u. s. w. Nur selten hat der Schreiber den Text willkürlich ge-
ändert und das sehr unbedeutend: 101 g zu der piirg, d in der pärg,
104 g geh, d gab. Im Übrigen stimmt g mit d, selbst die in g ge-
machten Absätze sind beibehalten; im Ganzen kann man die
Abschrift somit eine ziemlich leidliche nennen. Für die
Textkritik selbst ist sie aber belanglos, da ja ihr r)riginal
vollständig erhalten ist.
Anders verhält es sich mit dem dritten Stücke von d mit der
Überschrift: Abschrift eines alten Manuscripts ans der Dreßdner Biblio-
thec. Peters des Suchenioirths — Bl. 36" — 4P. Falkenstein sagt dar-
über (a. a. 0.): „Peters des Sucheuwirt Lobsprucii auf die Liebe".
Damals war Primisser's Ausgabe längst erschienen; ein Blick in die-
selbe hätte Falkenstein belehrt, daß dieses Gedicht die schöne Aben-
teuer ist ').
') Die von Falkenstein gebrauchte Benennung ist übrigens schon alt, sie findet
sich bereits in Adelung's Fortgesetzten Naciirichten. Bei Besprechung der Handschrift
Nr. 215 (vormals 393 = h') führt dort S. 305 Adelung das jüngste Gericht von
Suchenwirt an, „einem Österreicher, wie er sagt, oder vielmehr Meistersänger, der
um 1386 reimte. Von ihm befindet sich ein Lobspruch auf die Liebe in der
kurfürstlichen Bibliothek zu Dresden". Gar manche Irrthümer befinden sich in diesem
wie in dem ersten von Adelung herausgegebenen Bändchen über altdeutsche Gedichte,
434 FRANZ KRATOCHWIL
Die Vorlage für das 3. Stück von d war die Dresdner Hand-
schrift M 42, Daß das 3. und 4. Stück von d — das eine in lateini-
scher, das andere in deutscher Cursivschrift abgefaßt — von derselben
Hand geschrieben sind, ist nicht unmöglich, ich halte es aber für
unwahrscheinlich. Stammen beide Abschriften von demselben
Schreiber, dann dürfen wir uns das Verhältniß zwischen d und
M 42 so vorstellen, wie es zwischen d und g früher dargelegt wurde;
rühren aber beide Abschriften nicht von derselben Hand, dann sind
wir außer Stande, dieses Verhältniß bestimmt anzugeben. Denn
eine Vergleichung der Abschrift mit dem Original wie bei dem Ge-
dicht von fünf Fürsten ist nicht möglich, weil bereits gegen die Mitte
des vorigen Jahrhunderts M 42 eine bedeutende Spoliierung erlitt,
wobei auch die schöne Abenteuer verschwunden ist. Über
die Verstümmelung der Handschrift ist zu vergleichen Adelung, Alt-
deutsche Gedichte in Rom, S. XVI, über die früher vorhanden ge-
wesenen Stücke der literarische Grundriß von v. d. Hagen und
Büsching, S. 105, 126, 341 und 444. Nach einer Bemerkung Ebert's
in dem Manuscripte der königl. Bibliothek zu Dresden R 174, S. 186
sind diese Stücke „noch vor Canzler's Zeit" abhanden gekommen^).
Als Götze, Merkvvürdigkeiten der königlichen Bibliothek zu Dres-
den, 1744, 2. Band, S. 233 f. diese Handschrift beschrieb, war sie
noch bis auf einige wenige zu Anfang fehlende Blätter complet. —
Am Ende des Gedichtes von der Überbringung der Körper der heil,
drei Könige hat sie: Expliciunt dicta Eolandi trislrandi et trium regum
per manus Nicolai siaertfegir de Jhamis anno domini M''CCCC°XXXII1
feria quarta post andres. Darauf folgten nach Götze a. a. O. II, S. 234
„drei kleine Gedichte von Träumen, und der Liebe, die nicht viel zu
bedeuten haben"; da« wären also die Stücke 3, 6 und 7 in d, die in
M 42 jetzt fehlen'^). Die oben angeführten Worte finden sich genau
welche aus der heidelbergischen Bibliothek in die vaticanische gekommen sind. Schon
Docen hat im ersten Jahrzehent unseres Jahrhunderts in seinen Miscellaneen zur
Geschichte der deutschen Literatur Adelung zu berichtigen gesucht. Aber Irrthümer
haben ein zähes Leben. Aus Adelung gingen nicht wenigein den Literarischen Grundriß
zur Geschichte der deutschen Poesie von der ältesten Zeit bis in das 16. Jahrhundert,
von Fr. H. von der Hagen und J. G. Büsching, Berlin 1812, über; manche
sind wohl geeignet, irrezuführen oder tagelange nutzlose Mühe zu verursachen.
') Canzler kam 1768 in die kursächsische Bibliothek zu Dresden.
^) K. Bartsch hingegen behauptet, das 6. und 7. Stück von d stammen aus
dem codex eh. A 985 (15. Jahrh.) in Gotha; vgl. Bartsch's ausführliche Besprechung
des von Schnorr von Carolsfeld herausgegebenen Handschriftencataloges der königl.
Bibliothek zu Dresden in Germania .Sl. Jahrgang (1886), S. 233—238.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCIIENVVIRT-HS8. 435
in d nach Vollendung der ersten Nummer und zu dem Worte tristrandi
noch die Bemerkung: In demselben Bande des dresdenischen
MSpts waren auch die groszen Gedichte von Karl dem
Großen oder Rolanden, und von Tristranden, und zwar
von eben derselben Hand dieses Nicol. Swertfegirs, ge-
schrieben: wes wegen er diesen Schluß beygefüget hat.
Dem Titel des 7. Stückes in d ist die Bemerkung angehängt: „Aus
einem Dresdener MSpte", und am Ende des Gedichtes: Anno
Christi 1439 haec finita sunt. Ist nun dieses i\Iauuscript, wie
man bisher annahm, M 42, so wäre die Vollendung der Handschrift
M 42 in dieses Jahr zu setzen. Der jetzige Inhalt derselben wird
genau von Schnorr a. a. O. II, S. 442 — 444 angegeben.
Durch die Spoliierung der Handschrift M 42 ist die Abschrift
von Suchenwirt's schöner Ahent euer in d in den Rang einer
Handschrift vorgerückt, sie repräsentiert für ihren Theil M 42.
Was hat nun d für einen Werth? Das 3. Stück in d ist dem
Inhalte nach ein Mixtum compositum : wir hören zwei Frauen dar-
über streiten, ob man der Liebe Leiden im Hinblick auf ihre Freuden
ertragen oder der Liebe das Herz verschließen solle. Mitten in ihrer
Unterredung stört sie ein Jüngling, von dem man bisher nichts gehört
und gesehen; er ist derjenige, welcher das Ganze uns erzählt und
selbst von Liebespein geplagt wird. Eine der beiden Frauen gibt ihm
Auskunft, wie er weiter gehen solle. So kommt er in der Folge zur
schönen Abenteuer; das Übrige ist aus Suchenwirt's schönem Gedicht
bekannt.
Schon Bartsch hat a. a. O. die Bemerkung gemacht: „Das (der
schönen Abenteuer) vorhergehende Gedicht soll nach Gottsched auch
von Suchenwirt sein, findet sich aber unter seinem Namen sonst nicht."
Das ist richtig, die Sache verhält sich folgendermaßen. Die beiden
Theile im 3. Stück von d sind nur äußerlich, ganz lose mit
einander verbunden. Der erste Theil besteht aus 108 Versen,
sie sind der Schluß eines allegorischen, Suchenwirt nicht ange-
hörigen Gedichtes, das, abgesehen von einigen anderen Hand-
schriften^), auch in dem umfangreichen Codex I. G. 8 des böhmischen
Museums in Prag Bl. 39* — 4^ vorkommt unter der Überschrift: Ain
Krieg von zwain fraioen ob pesser sey Lieh ze haben oder on Lieb zu
beleiben; es beginnt mit den Versen:
*) Vgl. K. Bartsch, Beiträge zur Quellenkunde der altdeutschen Literatur.
Straßburg 1886, S. 177, Nr. 3.
436
FRANZ KKATOCHWIL
Ich ivas ains iags also frey
Das meines hertzen Awiey u. s. w, *)
Der dialectischen Besonderheiten
ersten Theil vollständig caus d hieher'^):
wegen setze ich diesen
Bl. 36*.
Es ist doch der beste anevang
AUir vroudin wer libes plegit,
Alle Sache he geringe wegit,
Wie mag der hogin mut gehan
5 Der kein hercze ny lip gewan
Wen reiner vrauwin gute
Brengit, eyme Jczlichen hoch-
gemute
Wie mochte mir vmir bas gesin
Denne wen ich sehe den gesellin
myn
10 Der mynn herczin wol behalt,
Vnd he mir synen kumer clait,
So wirt vnsir vroude alzo gros
Das sie had keinen wedir stos
Manch liblich zcüchtig worden
15 Wird von vns beidin gehorden
Das süst nymanden konde ir-
denkin
Man sihet vns äuge blicke schen-
kein
Sich der vroudin bistu ein gast
Wen du keinen sünderlich lip hast,
20 Daz du redest weder mich,
Daran betrigestu selbir dich
Du Salt vorbas dine rede lau
Die ane Übe sprach nu horc
mich an
Bl. 36\
Du hast wol vroude daz ist war
25 Adir es ist seidin in dem Jar
Wen du bie dyme libe bist,
Vnd uch allir best ist,
So geschit von lich ein scheidin
Hy mede wirt üch beidin leide
30 Nod vnd clage
Dabie manche tage
Ein iczlich hercze sich darna senet.
Was man es vor hat gewenet,
Wen ich mir genügen laße
35n7in77«nrnn
Ich bin von nichte andirs vro
Wen myn gemiite streit alzo
ffrolich stete in einer achte
Wen ich andirs nicht betrachte
40 Wen ich vroude irdenkin möge
Die myme herczin wol tögen
So ist dir we und leide
Wen dich diu hercze irmanet beide
An die vnd gedenckest do hen
45 Do din hercze vnd din syu
Czumale ist vorborgin
So müstü doch besorgin
Din lip wo is in dem lande vert
Du weist nicht, wie is seine tage
vorczert
Bl. 37»,
50 Mit vrouden vnd mit leide
Süst lebet ir in Jammer beide
So bin ich vro daz gancz jar
So müstü dich senen dar
Nach dyme libe mit stetir pin
55 Die libes plag, die sprach la sin
Dine rede wedir mich
Wen sie ist vnvorfenglich
Ich sage dir werlichen das
Das mir ist eines tagis bas
60 Wen myn lip an sehe ich
Czu hant, so vro werde ich
Das ich vorgesse myner nod
All myn trüren daz ist tod
») Vgl. Haltaus, Liederbuch der Clara Hätzlerin, Nr. 9.
^) Vgl. auch J oh. Joach. Eschenburg, Denkmäler altdeutscher Dichtkunst,
Bremen 1799, S. 257: Gespräch in plattdeutschen Reimen über Glück und Unglück
der Liebe, besonders S. 260, 6. Zeile von unten — S. 264.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SU('HKN\VIKT-118S. -I;j7
Das ich lange gehad hau
65 Wen ich myn lieb sehe au
So ist myu leit geletczit
Wie schire he mich irgetczit
Alle inyner sorgin swere
Und thut mir allir sorgen lere
70 So hastii doch myr dycke gescit
Du weist nicht vnie lip noch vinc
leit
Ich woldc eczwan leides plegiu
Er ich mich libes wolde irwegiu
Do bleib ich stete an mynen mute
75 Do von weistü nicht, vme edil
adir vme gut
Idoch brengit eine gewonlieit
Beide lip und leit,
Der wolle wir vnsir rede lau
Wen ich mich wol gewissen kan
80 Welch lebin bessir sy
Idoch ist lip min rechtir gü
Bl. 37".
Bis an myn ende stetlich
Hie mede wordin sie glich
Mit en andir voreynt,
85 Ich armer vorborgen leit.
Daz mich ir kein cn sadi
Czu mymc herczin ich do spracii
Nu rat mir waz ich möge thuii
Is ryt mir daz ich ginge liinzuu
1)0 Ich (pvcme iii'hte myncs trürens
ai)c
Ich gruötc sie vil tummcr knabc
De begunden sie sich sciicidin
Lliplich nach ircs herczin gir
Di(! eine IVauwe sprach zcu mir
Ü5 Vil tummei- kiialie, waz sciiaft
ir hie
Ich sprach gnade frauwe ich vorgee
Mich eines tagis also Ee
Dorcli myuer vroudiu gewinnen
Bin ich kommen aldo her
lOÜ Do sprach zcu mir die wuiien her
Nu gang ein wenig vorbas
So kufnestu uff eine rechte stras,
Der volge, sie treit dich nicht ab
Gar togentlich sie mir gab
105 Orlob zcu der seibin stunt
Daz mir scheidin ny wart kunt
Daz clagc ich gote ich sondir man
Werne icii noch allir eren gan.
Hiermit schließt Bl. 37''. — Im Vorstellenden wurde die Handsclirift
mit größter Treue wiedergegeben; sämintliclie Abkürzungs- und Unter-
scheidungszeiclien rühren aus derselben. Auffällig sind die ungenauen
Reime 40 : 41, 44 : 45, 74 : 75, 80 : 81 und 84 : 85, noch mehr die
Unterbrechungen des Reimes. Schon der erste Vers ist reimlos; nach
den Versen 34, 92, 95 und ÜB fehlt ebenfalls der Reim, doch ist nur
nach V. 34 eine äußere Lücke wahrnehmbar. Wahrscheinlich konnte
der Abschreiber den V. 35 der Vorlage nicht lesen, denn er schrieb
vom V. 36: Ich bin v, radierte das zum Theil weg und setzte als
V. 35 die Häkchen.
Nicht weniger mangelhaft ist der an den ersten Theil sich
unmittelbar anschließende zweite Theil des 3. Stückes in d: die
schöne Abenteuer, ßl. 38"— 4r. Es fehlen die Verse 16—19, 49 u. 50,
61, 62, 89, 90, 101—104, 155, 156, 208-211, 219, 220, 239-244,
249, 250, 267-352, 360—368 u. 370. Der Text ist somit sehr mangel-
haft, da er 13 Lücken aufweist, von welchen die kleinste einen,
die größte 86 Verse beträgt, so daß von den 372 Versen, welche
das Gedieht in A zählt, in d 126 fehlen. Vermindert wird
letztere Zahl durch eine eigen th Um liehe Erscheinung.
438 FRANZ KHATOCHWIL
In dem schon erwähnten 6, Stücke von d, „Abschrift eines ver-
liebten Gedichtes, aus einem Dresdener Mspte" von einem
ungenannten Verfasser kommen nämlich, wie G ol dtheilchen
in Quarz eingesprengt, einzelne Verse aus Suchenwirt's
schöner Abenteuer vor^); so Bl. öi*" die Verse'*):
267 Is kumet zcu hofe ein rytter gut,
Der mit eren hat sin Blut
Grereret mit rytterlichen syt
270 Deme wichet nymanden ein tryt,
(gleich daran mit Weglassung von V. 271 u. 272)
273 Sie wenen sie sin vulkoffien gar
Vnd nemen keines Beddirmannes war
275 {nachgebildet) Do sprach fraw ere mit gedolt
278 (276 w. 277 fehlen) Sin sie abir uflF dem ffelde dort
279 So rysch alz bie den fFrawin
280 Wo man die rotten sal zcu hauwin
(nun folgen zwei fremde Verse, darauf)
283 Die ich bie ffrawen han gesehn
(nach zwein anderen Versen und einer angedeuteten Lücke von einem
Verse )
287 Wo man der vinde solde nemen war
288 Do karten sie den rucken dar
290 Darnach man sie zcu hoffe sach
(nun kommt ein fremder Vers, dann)
291 Vnd hylt sie al? die veddriwe lute
292 Die do etczen können uff der hüte
(jetzt folgt gleich ein Sprung auf Vers)
') Ein Seitenstück von Verwendung Suchenwiitischer Verse in anderen Dich-
tungen liefert G. Sarrazin in „Wigarnur, eine literarhistorische Untersuchung"
(Quellen und Forschungen Nr. XXXV. Straßburg 1879). Er wies nach , dali der vor-
liegende Text interpoliert sei, daß (mit Ausnahme von vieren) die Verse 4905—4944
verschiedenen Versen (zwischen 166 und 222) in Suchenwirt's schöner Abenteuer voll-
kommen entsprechen, und nimmt an, daß der letzte Schreiber des Wigamur die ihm
aus Suchenwirt bekannte Stelle zur Schilderung weiblicher Formenschönheit wahr-
scheinlich aus dem Gedächtnisse (da er sonst die Reihenfolge der Suchenwirtischen
Verse wohl besser eingehalten hätte') eingeflickt habe. Sarrazin bezeichnet diese Verse
schon aus inneren Gründen als verdächtig; den Beweis hiefür erbringt Ferd. Khull
im Anzeiger f. deutsches Alt. u. deutsche Litt., 5. Band, S. 358 — 363. In der von
Rieh. M. Werner in der Zeitschrift f. deutsches Alt. u. deutsche Lit., XXXIII, S. 100 ff.
abgedruckten Salzburger Fragmenten des Wigamur kommt denn auch diese Interpolation
nicht vor. — In der Schilderung weiblicher Schönheit ist Suchenwirt, auf dem von
ihm hochverehrten Konrad von Würzburg fußend, wirklich sehr gewandt; so erscheint
das Gedicht: Von guldin stain im Liederbuche der Hätzlerin (Haltaus, S. 219 — 221)
geradezu matt gegenüber der Suchenwirtischen Darstellung in der schönen Abenteuer.
^) Säramtliche Unterscheidungs- und Abkürzungszeichen stammen aus d.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 439
315 Werd in sie uÖ' der flucht gevangin
316 So ist in schedelich irgangin,
(Sprung auf Vers)
319 Mit schandin haldin si den lip
320 Sie mochten libir sin die wip
(Sprung auf Vers)
323 Do sprach fFraw ere mit gedult
Ich gebe iczlichir frauwen solt
325 Vnd melde (!) welche frauwe daj; irfure
Da/, ir bule sin ere vorlore
Die solde den zcagin hassin
Vnd US irem herczin laßin
Bl. 55* Vnd mit ihm redin nymer wort
330 Vnd sencket in ires herczin hört
Einen werdin beddirman
Der falscher zcagheit ny gewan
Wo die fforsten vnd die frauwin
334 Sich also lißen schauwin
(Sprung auf)
841 So dinte In beide dorch guten mut
Vnd lißen den lip vnd da', gut
In frauwen dinste al uflf die wage
344 Y ba^ y ba<^) zcu tage zcu tage
339 Ein herr mit gäbe ein frauwe mit gunst
340 Die zcwei die rürten ritters kunst
Dies sind zusammen 38 Verse, sie fehlen im 3. Stücke
von d, so daß in der elften Lücke (V. 267 — 352) nur mehr
48 Verse fehlen und im ganzen Gedicht 88 Verse.
Die immer noch bedeutenden Lücken beeinträchtigen natürHcii
den Werth dieser Recension; sie stehen mit den sprachlichen
Verhältnissen der Vorlage von d im engsten Zusammenhange. —
A. Lübben, welcher zu seiner Ausgabe des Zeno (Bremen 18*39) auch
M 42 (das Gedicht von der Überbringung der Körper der h. drei Könige
= L Stück in d) benützt hat, zählt in der Einleitung seines Buches
die Handschrift 42 nicht zu den niederdeutschen; er sagt, sie sei in
einem Mischdialecte geschrieben. — Dasselbe gilt aucii von der schönen
Abenteuer \ die Sprache dieses Gedichtes ist ein Mischdialect, da der
Vocalismus mehr dem niederdeutschen ähnlich ist, während der Con-
sonantismus dem Süddeutschlands näher steht, kurz es ist die mittel-
deutsche Sprache, wie sie im 15. Jahrhunderte in den öst-
lichen Gegenden ^Mitteldeutschlands gesprochen wurde.
') Es steht: Y baz) y baz), vielleicht soll damit der Wegfall des einen i/ baz
angedeutet werden.
4-10 FKANZ KRATOCHWIL
So steht vereinzelt a in d =: hochd. 6 \ 141 sal, 228 ab , desgl.
für hochd. ex 288 karten sie; allgemein e = hochd. «i (171 mere) und
(besonders vor d, t, tt, vi, r, s) = hochd. /: 40 gesnetin, 124 ge-
sedell, 140 desir , 135 czemit, vereinzelt für hochd. ä (207 weren, 224
ehinture, desgl. 159 u. 253 j und hochd. ö (45 geioercht, aber 176 ge-
loorcht). In allen Conjngations-, Flexions- und Ableitungssilben ist e
durch i verdrängt (stets kegln), desgl. in den meisten Präfixen; immer
i = hochd. ei (?) und ie (69 ging)\ im letzteren Falle steht in d
häufig y\ sehr oft o = hochd. ü (70 togentlich^ 80 orkunde, immer
dorch) , allgemein = hochd. ce, vereinzelt = hochd. ort, au (66 knojf)',
immer it = hochd. au (180 truren) , hochd. eu, ew (9 nuwe, 63 dutze
[A dtutsche]) , hochd. üe (1 grünen loalt und hochd. uo , ue (47 stunf,
immer zcu); fast immer ei = hochd. ai {11 heißen), häufig ie = hochd. i
= ei (79 hie), stets ou für hochd. au (203 ougin, immer ouch). Ab-
neigung gegen Umlaut ist erkennbar. — In Bezug auf die Con-
sonanten zeigt sich allgemein d für hochd. t im Auslaut (225 ich
sand, 264 tlmd, 355 had) und öfter Verdoppelung des d im Inlaut
(274 BeJdirmannes und 331), aber kein ivat, dat, dit für loa^, da-;, und
di2,\ p = hochd. ph (39 placke)-^ öfter g fUr hochd. h (67 sag ich,
128 trogsesse, 143 in hogin icerdin) und für k, ch (94 7narg [medulla],
135 smag (acc.) : so riehen hehag^), 160 sie zcoitg = hochd. zoch) ;
h wird abgeworfen in her vor lüciper 237. Vgl. Weinhold, Mhd. Gr.,
2. Ausgabe, 1883, und zwar §. 30 u. 67, 101, 46 u. 56, 93, 67, 81,
108, 103 u. 134, 63, 116, 112, 108, 122 u. 132, 144, 140, 107, 124,
127, 27; 171, 190, 188, 152 u. 221, 226, endlich 243.
Aber noch in einem anderen Sinne ist die Sprache
der schönen Abenteuer ein Mischdialec t. Lübben fragte sich,
üb der Zeno ursprünglich in hoch- oder niederdeutscher Sprache ab-
gefaßt worden sei. Eingehendes Studium der ihm vorliegenden Hand-
schriften brachte ihn dahin, der niederdeutschen Aufzeichnung, trotz
mancher für die Priorität der hochdeutschen Fassung sprechenden
Umstände, den Vorzug zu geben, und zwar mit Recht. Anders bei
der schönen Abenteuer; hier war die Vorlage von M 42
gewiß nicht nieder-, sondern oberdeutsch. Abgesehen davon,
daß Suchenwirt in der österreichischen Sprache schrieb und uns
keine nieder- oder mitteldeutsche Kecension seiner schönen Abenteuer
bekannt ist, sprechen für den hochdeutschen Charakter der
') Also behac stm.; im Mhd. Wörterbuch und bei Lexer war bisher nur behage
stf. belegt und in Lexers Nachträgen behac als Adjectiv.
ÜRER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER .«^rCHENWIRTHSS. 44 ]
Vorlage niclit wenige im Innern dei' Verse stehen ge-
bliebene Stellen derselben, welche mit dem mittel- oder
niederdeutschen L a u t s y s t e m durchaus n i e h t h a r m o n i e i- e n ,
so 26 hlumelein, 34 u. 42 grüne, 91 frauwe, ebenso 105^ 115, 117 und
immer, 126 zeit, 137 vrafnvete, 159 ebinteure (224 aber ehiiüure)^ 174
hauhtlin, 196 die xoeiße.
Auch in den Reimen begegnet derlei: 9 behamciix : auwe, 107
zceü : nyt (A nett), 147 viü neyge (mitteld. Infinitiv ohne ?/)'): swigin
(A neigen : siceigen). 1 88 lang hlanck. Deutlich sieht man, daß
zwischen der Sprache der Vorlage von iM 42 und des
Schreibers ein bedeutender Unterschied war, der leicht zu
ungenauen Reimen führte, so 59 irliobin") \ Imchsiahin , ll'd ge-
loullin^) : gedrollen, 231 mit hotschaßten'*) : in krefftin. Die Vorli^ljc der
mitteldeutschen Sprache für volle Formen (vgl. Weinhold a. a. O.
§. 80) erklärt 93 iren : gehijrne (A iem : hiern) , sie führte sogar zu
Fehlerhaftem, wie 97 zu der stunte (A stunt) : do danckte mir ir roter
munde (Weinhold a. a. O. §. 85). Umgekehrt ist auch die Neigung
zu Reimen, wie 165 gesehn : Jen {A jehen) aus dem Charakter des
Mitteldeutschen sehr begreiflich''). — Andere Unebenheiten mögen
durch bloße Nachlässigkeit des älteren (von M 42) oder jüngeren
Schreibers (von d) sich eingeschlichen haben, so 83 reiger : snnder
wegir (A waiger)', 197 gemenget -. dringet , 199 teil : ane mall, 215 ir-
czetterten : icettern. Vielleicht gehört hieher auch die 163 und 175 vor-
kommende Assonanz g//t (A chlug) : trag.
Manche Stellen seiner Vorlage verstand der ältere Sc 1j reiber
gar nicht, oder es war ihm unmöglich, sie in seiner heimatlichen
Sprache genau wiederzugeben, so die Ausdrücke getzindelt (V. 15),
gechrispet, gechrindelt (V. 16) und überliaupt die nächsten Verse.
Er schrieb also statt des Reimes getzindelt in V. 15 den Reim von
dem V. 19 in hlumen, ließ die Verse 16 — 19 weg, so daß auf hlumen
reimt grünen. Ähnlich kann man sich den Ausfall der meisten Verse
erklären, so der Verse 155 und 156 u. s. w. Daß das b'ehlen
dieser und anderer Verse nicht auf Zufall beruht, sieht
man schon daraus, daß die Reimordnung nirgends unter-
brochen ist'^j. Daß der Schreiber von M 42 (und diesem folgt
') Vgl. Weinhold a. a, O. §. 372. «; Umstellungen von Versen
') Vgl. Weinhold a. a. O. §. 30. treffen wir in d allerdings an, so stellt
'j Vgl. Weinhold a. a, 0. §. 63. V. 88 vor 87, 100 vor 99, 140 vor i:?;» und
*) Vgl. W^einbold a. a. O. §. 27. 246 vor 245.
»; Vgl. Weinhold a. a. O. §. 52.
442 FRANZ KRATOCHWIL
ja d) eine ihm schwer verständliche, also oberdeutsche Vorlage hatte,
erhellt aus den Versen 53 und 54, wo er statt gilbet : gehilbet schreibt
giebet : gebildet, besonders aber aus den Versen 166 — 168. Er schreibt:
Ir jfußelin (chlain fehlt) böge ryste holl
Ein wenig (A tzeisel sich) vorborgen lool
Harte (A Jiiet) vndir iren rysten.
In A heißt es 174, es sei ir hufel zart ged^^ollen^ d aber schreibt
haubtlin\ V. 194 lautet in d: Ir mundelin bin es (A feuers) ßamen
flocket. — Die Verse 235 u. 236 verursachten ihm viele Mühe; in
236 war dem nach bairisch-österreichischer Art verkürzten Reimworte
leicht die volle Form zu geben: sinen samen, aber wie paßte es dann
auf den Nominativ schäm? Der Schreiber änderte also:
Den forsten zcemit wol trwe vnd zcame
Nu hat geworffin sinen samen!
So verursachten mangelhaftes Verständniß der Vorlage, die Schwierig-
keit der Wiedergabe derselben in der heimatlichen Mundart selbst
sinnlose Stellen; besonders vom Auftreten der Abenteuer an (V. 150 ff.)
häufen sich Textverderbnisse*) und Störungen des syntak-
tischen Zusammenhanges'^). Möglich ist, daß die Vorlage selbst,
wenigstens stellenweise, schon einen corrupten Text bot.
Da ist es nun nicht zu wundern, daß unter solchen Verhältnissen
auch der metrische Bau der Verse mitunter erheblich litt. Dazu
trägt nicht wenig der ausgedehnte Gebrauch der vollen Deminutiv-
endungen bei, so 160, 172, 184 u. o.; statt der bairisch-österreichischen
Formen hendel, prustel u. s. w. erscheinen die ungekürzten hendelin,
brusteliuy helselin, neckelin u. s. w. Sträubt sich der Vers dagegen, so
unterläßt d die Verkleinerung lieber ganz, z. B. 183 dirne : birne.
Der Einführung der ungekürzten Formen^) in der Flexion
') V. 24 u. 25: AU kegin de:; außen tauwes thor (A tror)
Kegin tal sich us lißen,
43: die remsumme (A rennsail), 55: manch lust (A leisten),
78: Nach lust und nach ebuttin es (r) setin (A axventeior),
115: Eine June frawe rut ir wiße hant (A mit),
218: Ir ho übt loa:^ manch edil gesteine (A harpant),
247 u. 248: Der ouff rede vnd ouch sin louff
Sulchein kommet hie den hern uff.
^) Ich führe nur den Schluß an:
Der rede eine bluende kunst zcu sture
Genant schone ebinture.
') Im V. 149 begegnet sogar der Acc. nymande {Ich horte nymande), ent-
sprechend dem Acc. iemande : lande , Jeroschin 19208; V. 151 Werne erUphaet ir ist
wohl Schreibfehler? A bat wen.
ÜRER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SrCHENWIRT-HSS. 443
und Conjugatiou statt der oberdeutschen, die durch Synkope
oder Apokope nicht selten ganz auffälhg zusammengeschrumpft sind,
ist es besonders zuzuschreiben, daß in d nur wenige Verse sich finden,
die nicht an überschüssigen Senkungen leiden. Hätten wir
gar keinen anderen Anhaltspunkt für den oberdeutschen
Charakter der Vorlage von M 42, eine aufmerksame Beob-
achtung der oben berührten metrisclien Erscheinungen
müßte uns daraufführen, daß ein schon ursprünglich in
mittel- oder niederdeutscher Sprache abgefaßtes Gedicht
nicht zur Nachschrift gedient haben könne. Da hätten wir
diese Überfülle von Senkungen nicht. Diese aber führte vielfach zu
Versen mit vier Hebungen und klingendem Schluß und zwar ge-
bunden auf solche mit vier und drei Hebungen. Beispiele der ersten
Art sind :
161 Daz loas von vyiiem golde reine
Darinne lag ein edel steyne,
ferner die Verse 95, 96, 169, 170, 177, 178, 193, 194, 217, 218, 223,
224, 235, 236, 253, 254. Hingegen reimt der Vers
74 Der knabe waz, antwort nicht zcu tereqe ')
auf einen Vers von drei Hebungen mit klingendem Schlüsse, ebenso
26, 106, 112, 216, 358 u. s, w. Selbst zu überlangen Versen führt
dies, so
114 Wo man sihet, do nians gerne thiit
154 Ingastis xvise vor der taffein stan
200 Ir neselifi was ane allis mall.
Daß durch diese überschüssigen Senkungen sowie durch Einsetzung
unnöthiger Wörtchen auch der Rhythmus leidet, beweisen Verse, wie
93 Iczliche die esete den iren
253 Berichte mich Juncfraw ebinture
ferner 113, 119 u, a. — Weitaus seltener finden sich Verse, die durch
Weglassung von Wörtern verstümmelt sind, wie
122 Wilpret vnd ffische
oder 175, 176, 212, 230; Verse von drei Hebungen mit stum-
pfe|m Schlüsse begegnen nur sporadisch, so
41 Manch strick geioundin loas
129 Ffraw zeucht loas sie genannt.
Vereinzelt kommt es vor, daß in d die Senkung ausfällt, während sie
in A steht, meistens geschieht dies durch manch, wofür A manik hat.
•) Vgl. Weinhold a. a. 0, §. 86.
444 FRANZ KRATOCHWIL
Daß die so beschafifene Fassung dieses Gedichtes in M 42 unter
den Händen des Schreibers von d mindestens nicht gewonnen hat,
ist selbstverständlich, auch wenn man des früher dargelegten Ver-
hältnisses zwischen Suchenwirt's Gedicht von fünf Fürsten in d zum
Original in der Gothaer Handschrift B 271 nicht gedächte. Für die
Herstellung eines guten Textes hat somit die Recension
der schönen Ah e nt euer in d nur einen sehr untergeordneten
Werth, sie ist aber inso ferne von Bedeutung, als sie unter
allen bisher bekannt gewordenen Suchenwirt-Handschriften die ein-
zige ist, welche ein Gedicht Suchenwirt's in mittel-
deutscher Einkleidung uns überliefert.
xm. m^f.
Nicht günstiger steht es mit Suchenwirt's schöner
Abenteuer in m^ Diese in der Münchner Hof- und Staatsbibliothek
befindliche Papierhandschrift mit der Nummer 4871^) umfaßt 146 Seiten
in Quart und enthält nur zwei Stücke: eine im Jahre 1461 für Ortolf
vonTrenbach durch dessen Gerichtsschreiber Johann Fritz von
Passau gefertigte Abschrift des Lohengrin'^) und darnach (S. 137
bis 146) von späterer Hand die schöne Abenteuer.
Die Trenbach führten ursprünglich den Namen Wackber und
waren in Ungarn ansäüig. Von dort zogen um 900 vier Brüder dieses
Geschlechtes nach Baiern, einer derselben, Azelius, nannte sich und
seine Familie von dem in der neuen Heimat angekauften Schlosse
Trenbach (in Niederbaiern, Bezirksamt Eggenfelden; ehemals zum
Landshut'schen Pfleggerichte Dingelfing gehörig^). Zu diesem Zweige
gehörte der genannte Ortolf. Er ist wohl derselbe, der sich in der
Handschrift des Lucidarius der Wiener Hofbibliothek (Nr. 2808)
als Ortolf Trenbekch der Elter — zum Unterschiede von seinem
gleichnamigen Sohne — unterschreibt und mittheilt, daß er die Hand-
schrift 1459 mit eigener Hand geschrieben habe (vgl. Hoffmann von
Fallersleben a. a. O. Nr. CXXl). — Der in der schönen Abenteuer
anstatt Suchenwirt's genannte Hans vonTrenbach (V. 131)
kann Ortolfs des Alteren Neffe oder — was mich weit wahrscheinlicher
') Vgl. Schmeller's Katalog der deutschen Handschriften, 2. Theil, S. 493.
') H. Eückert hat diese Handschrift in seiner Ausgabe des Lohengrin (Quedlin-
burg 1858) nicht berücksichtigt.
^) Vgl. Vollständiges Ortschaften-Verzeichniß des Königreichs
Baiern. München 1877, und J. M. Einzinger von Einzing, Baierische Adels-
historie, 2. Band (1768), S. 653.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 445
düukt — sein Eükel sein, welcher (nach Bucelinus, Sacri roiuaui
iniperii principum, comitum etc. stcmata et probatioues, MDCLXXll,
paj^. 190) als Doiuprobst von Passau 1552 gestorben ist. Die Nieder-
schrift der schönen Ahenten er wird demnach in die erste
Hälfte des 16. Jahrhunderts zu setzen sein.
Nicht h'inge darnach dürfte die Handschrift nach Oberösterreich
in die Bücherei des Hauses Fernberg geivomnien sein, denn auf der
ersten Seite von m^ steht oben: lI 1588 llanli Fereuberg zu
Egenberg. Es ist dies wohl Johann Christoph Fernberg, der sich
am 12. Juni 1588 vermählte, aber kinderlos starb (vgl. IS. 315,
1. Anm.) , ein Enkel jenes Johann Fernberg, der 1531 Öciiloß und
Herrschaft Egenberg erworben hat. — Darunter aber steht seitwärts :
Enenkel vidit. Bezieht sich diese Bemerkung auf das Jahr 1588,
dann dürfte sie nur schwer auf Job Hartmann Enenkel zu deuten
sein, da dieser 1576 geboren ward, wohl auch nicht auf seinen um
drei Jahre älteren Bruder Georg Achaz, den Hoheneck a. a. ü. S. 151
„einen sehr gelehrten Herrn" nennt. Mit mehr Wahrscheinlichkeit
könnte man an deren Vater Freiherrn Albrecht Enenkel denken, wel-
cher 1547 geboren wurde, viele Reisen gemacht und fremde Länder
gesehen hat. Da aber gar kein zwingender Grund vorliegt, diese
Notiz in das Jahr 1588 zu verlegen, ist man nach Allem, was bei B
und C über Job Hartmann gesagt wurde, wohl berechtigt, diese Be-
merkung auf ihn zu beziehen. — Wie die Handschrift nach Baiern
zurückkam, ist unbekannt, auch nicht aus dem Auüeren zu ent-
nehmen, da der alte Emband durch einen modernen ersetzt ward,
wobei die Überschrift des Suchenwirtischen Gedichtes weggeschnitten
ward, so daß nur die Worte übrig blieben: hat Vise Red gemuchtt.
D,i e sprachlichen Verhältnisse in m"^ weisen nachBaiern
und widersprechen der Annahme, die schöne Abenteuer sei in der ersten
Hälfte des IG. Jahrhunderts aufgezeichnet worden, nicht. Flexion und
Conjugation verrathen die jüngere Zeit (vereinzelt begegnet 259 der
Nomin. fem. sing, andrew), nicht nur in sc, auch in den Verbindungen
sl, sm, sn, sw ist die breite Trübung fast vollständig durchgedrungen
(Weinhold^ ßair. Gr. §. 154) : 22 schicüngell u. s. w. , aber 323 ayrach
u. ö., 2U6 gestrichen. Adjective und Adverbien endigen nur auf -lieh,
statt -i und -el wendet der Schreiber zur Verkleinerung -lebt an:
167 fuesslein u. s. w., einigemal auch -len: 172 härnden, 265 händlen
und 266 freiolen (a. a. O. §. 244) ; 293 bgegnet bereits hirsch. —
Im Übrigen findet sich nebeneinander da und do, die und di, fast
durchaus zu , immer durch (A durich), gein (A gt^n) und nitt (A nicht,
QEKMANIA. Nene Reihe XXII. (XXXIV.) Jalirg. 3(J
446 FRANZ KRATOCHWIL
vo-1. a. a. 0. §. 11); über 149 nembt vgl. S. 328. — Apokope und
Synkope erscheinen in nahezu unbeschränkter Freiheit, und daraus
erklären sich einerseits die sehr häufigen Störungen durch Mangel
der Senkung (V. 34, 179, 207, 211, 312 u. s. w.), besonders vor der
letzten Hebung (V. 29, 33, 34, 46, 63 u. s. w.) , anderseits das Vor-
kommen vieler Verse mit stumpfem Schluß und drein Hebungen
(V. 39, 40, 65, 66, 121, 275 u. s. w.).
Für die Aufzeichnung des Gedichtes in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts sprechen auch die Schriftzüge. Dieselben sind
lateinisch (nicht cursiv) , aber sehr undeutlich und schleuderhaft ^).
Dadurch werden auch die Schreibfehler (280 durchschawen, A durich-
hawen), die selbst in den Reimen zu finden sind (20 aus jun [: blumen\)j
leicht begreiflich, desgleichen der Ausfall vieler einzelnen Wörtchen :
38 auch und das Reimwort vein, 41 gewunden, 59 vein, 96 ie, 175 do,
176 auchf 254 die, 257 ee, 301 und und machen u. s. w. Überall
zeigt sich Mangel an Sorgfalt, dafür aber dasWalten der
Schreib er Willkür. Manche Verse sind so stark geändert, daß sie
den entsprechenden in A kaum mehr ähnlich sehen; so lautet V. 33:
Der Ritterlich heczeugt was,
die Verse 206—211:
Jr augpra schon gestrichen
Vnd warn darnach prawn gevar
Als obs mit einem pemsel dar
Dar czu hat dy magt rain
Zwey örlein geschmückt und Main
Noch tüunsch wol geioachsm dar,
V. 353 /Sag an viel lieber Trenbeckk^
ähnlich 59, 121, 199, 240, 311, 312, 318. —Ja, es sind ganz neue
Verse für solche in A eingesetzt; so für
V. 32 Als ob ein kayser lag zu veld
V. 294 Vnd bei ritter spil verczagt
V, 302 Sij das in kain fürst meit
V. 314 stirbt er sunst des %oirt wol wett
V. 354 an adel vest an eren kechk;
die Verse 131 u. 132 in A gibt m^ durch folgende drei Verse:
Viel lieber hanns von Trenbach
der nie von frawen vbell sprach
Bett sy zu mir zu hant.
') Die Verse sind abgesetzt, die Aufangsbiichstabaii der Verse bald groß,
bald klein.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 447
Njich Vers 314 von A fiudet sich iu vi^ folgender Zusatz:
Wirt er an der flucht lountt
er ist zu klagn als ein hundt\
als Gegenstück dazu fehlen in nv* die Verse 183 — 186, und 221 u.
222 ohne jede äußere Unterbrochung. Es sind, abgesehen von Apo-
kopen und Synkopen oder Auflösungen von solchen, kaum 20 Verse
zu finden, in denen nieht geringere oder größere, oft sehr bedeutende
Änderungen vorkommen. Viele derselben sind schlecht, viele zwar
nicht, aber ganz willkürlich, nur wenige bieten wirklich Besse-
rung {4S geicolkeiiirt^ Q9 fragten, Ib'd frawen^ 161 veinem, "239 et le ecken).
Aber nicht sämmtliche Änderungen kommen auf Rechnung der
Schleuderhaftigkeit und Willkür des Schreibers, viele fanden sich
gewiß in seiner Vorlage. Diese war nicht A, das ergibt sich aus
einer Vergleichung von m^ mit d, welche in folgenden Stellen.
übereinstimmen: 8 zu ainem (eyme) , 66 m.^ kiiopf, d knoff, 67 m^ sach
d sag, m^d 70 tu[o) gentlich, 87 dem, 88 als noch, 96 ie fehlt, 100 m'
recht als ob, d recht ab, m^d 107 ivol, 111 loeini, 114 mans, 110 icli,
142 da, 144 man fehlt, 148 lenge(i)r, 161 vei{y)nem, 165 nyemant, 175
do fehlt, 176 auch fehlt, 181 massen, 245 nemen, 258 mer wenn, 274
pidermans {Beddirmannes) , 323 do sprach, 328 irem, 372 ist fehlt. —
d kann nicht von m^ abgeschrieben worden sein, weil die Vorlage
von d, die Dresdner Handschrift M 42, schon 1433 oder doch 1439
fertig wurde, m^ aber erst nach 1461. m^ kann aber auch nicht
aus M 42 geflossen sein, denn läßt man auch die Verschiedenheit
des Dialectes unberücksichtigt, so sprechen doch dagegen vor Allem
die zahlreichen Lücken in M 42, während in m' nur sechs Verse
fehlen. Aber aus derselben Quelle stammen M 42 (d) und m^,
und diese — derzeit unbekannt — war, wie schon S. 440 — 443 dar-
gethan wurde, eine oberdeutsche.
XIV. iu*t.
Aus dieser Quelle schöpfte auch m"*. Die in der Münch-
ner Hof- und Staatsbibliothek unter der Nummer 270 aufbewahrte
Papierhandschrift*) hat Holzdeckel, die mit gepreßtem schwarzen Leder
überzogen sind, doch ist der Überzug auf jedem Deckel zur Hälfte
weggeschnitten; die Schließen fehlen. Auf 388 Blättern in Folio ent-
hält sie Sprüche, Abenteuer und Mären, darunter von Teichner und
drei Gedichte Suche nwirt's, rückwärts wieder Dichtungen Teich-
') Vgl. J. A. Schmeller's Katalog der deutscheu Handschrifteu, 1. Theil, S. 31 — 37.
30*
448 FRANZ KRATOCHWIL
ner's und „Freidank's Sprüche". Die Verse sind abgesetzt und be-
ginnen meistens mit großen rothdurchstrichenen Buchstaben; jede
Seite enthält durchschnittlich 31 Verse in einer Columne. Die Schrift
ist außerordentlich deutlich und noch der in A ziemlich ähnlich, ob-
wohl m* um mehr als ein halbes Jahrhundert jünger ist. Die Hand-
schrift stammt, wie auf der letzten Seite bemerkt ist, aus dem
Jahre 1464 und war zufolge der Eintragung auf der ersten Seite:
Sunt B. V. ÄJariae in Rottenbuech Eigenthum eines Klosters im schwäbi-
schen Sprachgebiet*).
Dahin führt nämlich die Sprache, die unverkennbare Zeichen
des schwäbischen Dialectes aufweist. Das letzte (f. 124^ — 130")
der drei Gedichte Suchenwirt's hat die Überschrift: Die schön Aubenteür
(roth)'^). Wie im Titel begegnet auch sonst au für ä: 236 haut u. s. w.
(vgl. Weinhold, Alemann. Gramm. §. 96), zuweilen äu: 71 fräugt,
ebenso 99 (a. a. O. §. 97). Adjective und Adverbien zeigen nur das
Suffix -lich'^ in -lin^) und pi/ wurde i bewahrt, sonst aber ist dessen
Diphthongisierung fast allgemein: 38 u. Ö9 fein, 66 rubein, 191 mein,
236 sein, 265 weissen, 270 weicJit, 299 veinden, 342 leib^ 194 sogar
tnündlein (a. a. O. §. 90 u. 99) ; ie für üe: 170 geschniert (a. a. O. §. 102),
oe für üe: 34 grön und so immer (a. a. O. §. 92); u für iu (eu) ver-
einzelt: 33 erzugt, 357 creahir ; stur, ebenso ül für eu: 251 u. 252 ge-
hiur, hingegen häufig eu: 213 treubel, 259 newe, 260 newes, 344 u. ö.
euch (a.a.O. §. lÖOu. 103); ü hat sich nur selten erhalten: 60 durch-
hccht, gewöhnlich steht au für rt und ou: 67 auf \x. s. w., immer /ra?ü,
210 hauyt, £60 lauf (a. a. O. §. 93 u. 96). In 183 dierel : pirel (A
dirnl : pirid) zeigt sich Abstoßung von auslautendem n (a. a. 0. §. 202)^
sehr häufig ist s diphthongisiert in den Verbindungen sl, sm, sn, aber
27 entspriessen , 105 sprach, desgleichen 112, 275 u. s. w. , 27 u. 368
stund (subst.), 55, 57 stund (verb.), 262 stock, 188 sioanck, aber 191
schwär (a. a. O. §. 190); gg = kk: 288 ruggen (a. a. O. §. 209). Be-
•) Ich denke hier nicht so sehr an Raitenbuch im bairischen Regierungs-
bezirke Schwaben (Bezirksamt Znsmarshausen), als vielmehr an Rottenbuch im
Regierungsbezirke Oberbaiern (Bezirksamt Schongau), wo seit dem 11. Jahrhunderte
ein Augustiner-Convent bestand, einst auch ein Nonnenkloster und Hospital (vgl.
Universallexikon aller Wissenschaften und Künste, 30. Band (1741), S. 712, und Ein-
zinger a. a. O. 2. Band, S. 457). Daß Rottenbuch im Volksraunde auch Raitenbuech
heißt, ist nebensächlich, da a, verdumpft zu o, für ai (ei) nicht nur im Alemannischen,
sondern auch im Schwäbischen vorkommt (Weinhold, Alemann. Gramm. §. 34, 44,
87 und 94).
*) In der Folge als Nr. 3 citiert.
') Die Verkleinerung unterbleibt sehr häufig, so 185, 187, 193, 200 u. s, w.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HS.S. 44«)
merken will ich noch die nasalierte Form der 2. Person im Plural
des Präsens ind.: 151 enpfachent u. s. w., das Präsens 101 ich gen
und die nasalierten Präterita gieng und vieng (a. a. 0. §. 342 u. 336),
die Deminutive im Plural: 38 perlach (A -perlein) und 210 armlach
(a. a. O. §.263), die Nominative sing, fem.: 325 ivelchu (entsprechend
dem disu, a. a. 0. §. 420) und 127 edh u. s. w. (a. a. O. §. 423), den
Accus, neutr. plur. 216 meimi und den Accus, fem. sing. 102 dis.'iu
(a. a. O. §. 424, letzterer ein Seitenstück zu w Nr. 2, 141 icarew,
213 liebew u. s. w. , vgl. S. 331). — Sonst findet sich nur durch (A
durich) und die, fast ausschließlich zu, unterschiedslos da und do,
neben menig auch manig. — Apokopen und Synkopen treten noch
ungezügelter auf als in m^, daher der störende Mangel so vieler Sen-
kungen (5, 54, 63, 68, 172, 174, 187, 193, 195, 240, 262, 319, 331,
341 u. s. w.), zumal vor der letzten Hebung (1, 29, 34, 86, 119, 185,
236, 265, 369 u. s. w.), daher nicht selten Verse mit drein Hebungen
und stumpfem Schlüsse (21 u. 22 [Umbildungen von 19 u. 20 in A|,
47, 121, 180, 198, 231, 232, 261, 262 u. s. w.).
Von den letzteren Erscheinungen beruhen viele auf sprachlichem
Grunde 5 nicht wenige aber sind auf die Schi eud er haftigkei t und
Willkür des Schreibers, der in diesen ungünstigen Eigenschaften
noch den von m^ überbietet, zurückzuführen: daher die häufigen
Schreibfehler (10 da für der, 86 pald [A hayde] u. s. w.) und oftmaligen
Störungen des Rhythmus durch fehlende Wörter: 63 zu, 73 al, 74 ze,
78 nach, 154 vor, 202 u. 352 gar, 257 ee, 268 hat, 272 nu. — Die
Verse 15 — 20 von A sind in m^ fast bis zur Unkenntlichkeit ver-
ändert. Statt A 44 hat m**:
Waren von guldin porten
statt A 68 hat m*: Dem ich gar recht chost trüg
n „136 v n : Min herz noch nie so reich hehak (Unsinn!)
n n 167 n v : Ir ciain füß por{c) ist hol
r) n 168 n V : Aain tail sich verporgen icol
n T) 169 n n : hett under im rist (Unsinn!)
r n 210 n n : zwai armlach nnd ain haupt ciain
ri n 260 71 n : J^ie ist neives laufs erkür (Unsinn!).
Ähnlich 54—61, 121, 170, 211, 213, 243, 299, 321, 333 (dadurch die
ganze Stelle sinnlos), 337, 338. Die beiden Schlußverse lauten :
Die red Die plündent gunst stür
Genad ist Die schon auhentnr.
Die Verse 67, 188, 306 und 344 in A werden durch folgende neue
Verse ersetzt:
450
FRANZ f<:ratochwil
Des ich auf den zeit slüg
Ir zö'pf warent von manigem sioanck
Nach prisz und nicht verzagen
für war ich euch das sag.
Aus den Versen 251 — 253 in A macht m* die zwei Verse:
Da sprach fraiv lieh die gehiur
Beschait mich fraw auhentwr ;
die Verse 254 u. 255 in A verschmelzen in m* zu dem monströsen
Verse :
wie lehent die da sitzent in der liehe glitt.
Durch diese willkürliche Behandlung des Textes wird auch der
Reim getrübt; so steht 45 hand : umhehank, 190 liehin für minne '). —
Auf 194 folgen die Verse 197, 198, 195, 19ß u. 199, von da an in
der Ordnung von A weiter. Nach V. 270 folgen 273, 274, 271, 272,
dann 275, 276 u. s. w. ; an V. 360 reihen sich 362, 361, 363 u. s. f. —
Von den Versen in A fehlen hier in acht Lücken folgende 20 Verse:
21—26, 49, 50, 103, 104, 155, 156, 161, 162, 303, 304, 335, 336,
345 u. 346.
„Es war das Schicksal der deutschen Dichter aus dieser Zeit,
daß sich die Abschreiber mit ilinen mehr als mit anderen Schriften
erlaubten. Jeder schaltete ein und änderte, wie es ihm gutdünkte oder
aus der Feder fiel. Es würde eine unendliche Arbeit für die Kritik sein,
die wahre Lesart des Verfassers wiederherzustellen, und oft wüßte ich
gar nicht, wie sie es anfangen wollte, wenn sie nicht das Autographon
des Verfassers bei der Hand hätte." Diese Worte Lessing's*^) gelten
nicht nur von Boner's Edelstein, sondern auch von m*. Aber die
Kritik verzagt nicht, selbst wenn nicht das Autograph zur Verfügung
steht, wie in unserem Fall. Wir haben ja A — ein Vergleich
mit d, m^, m* zeigt erst ihren großen Werth; die drei letzt-
genannten aber, so gering ihre Bedeutung ist, sind selbst wieder nicht
gleichwerthig. d gebührt trotz der vielen Lücken der Vorrang
vor m^, m* aber steht zu unters t. Und trotzdem liefert
auch m* einige gute Lesarten, wie 33 gar, 112 sprachen , 123
gechülef, 170 geschniert und mehrere, welche auch m^ hat.
Überhaupt herrcht zwischen diesen beiden Recen-
sionen trotz vieler Verschiedenheiten doch eine gewisse Über-
') In dem vorausgehenden Gedichte Suchenwirt's in dieser Handschrift wurde
V. 180 ff. der Raum für das Wort minne leergelassen und nachträglich von anderer
Hand mit liehin ausgefüllt.
') Ausgabe Lachmann's, Band 10, S. 336.
ÜBEi; DEN OEOENWÄRTIGKN STAND DER SUCFIENWIRT-IISS. 4r>l
einstiramung, wie aus folgenden Stelleu erhellt: 29 der hist,
42 als (Aalsam), 41 sammat (aamaf), 52 lasur, 66 knöpf, 70 ttigentlich,
74 ze fehlt, 84 Der ander ainen {m* nin) waujer (Unsinn!), 96 re fehlt,
111 wenn, 114 mafis (ra^ mangs), 121 : Vnd salzte {mtzent) sich zu fisch,
144 man fehlt, 148 lenger, 153 f rate en, 165 vyeniani , 175 do fehlt.
229 vordem (vodern) haben, 239 ettlei{i)chen , 242 andern su{o)ll lan,
245 nemen, 257 f:;e fehlt, 290 hei fraioen, 291 pider , 310 schant Idain
ist, 315 gefangen , SIQ schä(a)7itlich ergangen , SM als, 323 do{a) sprach,
347 eucÄ, 368 schied. — Diese Übercinstinmiung wird nicht dadurch
erklärt, daß mau m* als Vorlage von ra'' annimmt, denn in m^ fehlen
ja, von allem Anderen abgesehen, 20 Verse, die in m'' vorhanden sind.
Es kann auch nicht m* von m'' abgenommen worden sein, weil letztere
Handschrift erst im 16. Jahrhundert abgefaßt wurde, m* aber schon
1464, Und wäre auch nicht diese Zeitdifferenz, so ließe sich doch
nicht absehen, Avie der Schreiber von m^ an den Stellen, wo m^ an-
statt Suchen wirt's den Trenbach einflocht, den richtigen Text hätte
herstellen können. Es bleibt somit nur die Annahme einer
gemeinsamen Quelle übrig, aus welcher auch d (M 42)
geflossen ist') (vgl. S. 447).
Fol. 107*" beginnt unter der Überschrift : Ain ander spruch (roth)
Suchenwirt' s Widertail und endet fol. 114""), fol. 68'' fängt Ain ander
uast guter spruch (roth) an und reicht bis fol. 71". Es ist jenes Ge-
dicht, welches P in seiner Ausgabe unter Nr. XLVI als Krieg der
Liehe und Schöne anführt^), es wird bei späterer Gelegenheit seine
Besprechung finden. — Was über Nr. 3 in m** vom sprachlich metri-
schen Staudpunkte gesagt wurde, gilt im Allgemeinen auch von Nr. 2;
ich merke hier nur noch an a =: o?i = au (Weinhold, Alem. Gr.
§. 87): 315 den sam, w für anlautendes v (a. a. 0. §. 160, S. 125,
1. Anm.) : 32 warb, 132 icart , endlich Abfall von auslautendem d
sammt Schlußvocal (a. a. 0. §. 183): 241 pnl. Auch den Eindruck
der Flüchtigkeit macht Nr. 2, doch im minderen Grade als
Nr. 3. Schreibfehler begegnen im Innern der Verse (114 chumejit,
279 stat, 321, 329 u. s. w.), aber auch im Reime, so 31 plaio : da,
') Daß m^ und d (M 42) nach derselben Vorlage geschrieben wur-
den, beweist direct die Übereinstimmung dieser Handschriften an
folgenden Stellen: 48 gefloriert, 112 sprache{i)n. Wh junckfraw{e), i2S ffechü{i/)let,
143 vn{e)rden, 160: Sie zuckt {zcoug) ein vingerlin von der liant, 164 en , 17.3 gewollen,
177 side rain, 182 mitten, 218 gestain (gesteine).
') Fol. 108 ist unbeschrieben.
') leb bezeichne diese Gedichte im Folgenden mit Nr. 2 und 1 in m'.
452 FRANZ KRATOCHWIL
33 ander : wandel, 37 niemant : iemarij 183 enzühet : fluchet, 269 jähen
: wagen, 273 reiti (A anrurt) : verfürt, 313 6rtzc?e : chlaider; vom V. 58
hatte der Schreiber den Anfang geschrieben, war dann wieder in
V. 57 gekommen und schrieb dessen Schluß noch einmal, so daß
die Verse 57 und 58 mit heb du an schließen. Statt 68 mit aäuden,
schrieb er mit genaden, wodurch der Reim unterbrochen, die Stelle
sinnlos wird. Umstellung der Wörter nimmt er nicht selten vor, sie
ist meist nutzlos, in 361 (stan in dem garten : gethan) wird dadurch
der Reim gestört. Wörter fehlen nur wenige: 16 der, 18 ich, 126 man,
Verse an sechs Stellen: 155—158, 203, 204, 245, 246, 297, 302 und
304 — 307, im Ganzen 14, eigentlich 13, da V. 297 durch einen neuen
ersetzt ist. Nach V. 308 findet sich der eingeschobene Vers:
Das ivas der plawen ungemach.
V. 188 geht 187 vor und 314 dem V. 313. Aber diese Umstel-
lungen und die vorher angegebenen fehlenden Verse kom-
men nicht auf Rechnung des Schreibers, sie fanden sich
schon in seiner Vorlage.
XV. m^f.
Dazu diente ihm m'', das ist die Papierhandschrift Nr. 379
der Münchner Hof- und Staatsbibliothek. An den mit braunem Leder
überzogenen Holzdeckeln befindet sieh eine Messingschließe; ^uf dieser
ist noch zu lesen mar. Der Rücken ist sehr schadhaft; auf der Außen-
seite des Vorderdeckels ist ein alter Zettel aufgeklebt: mancherlei/
Spruch und gedieht, und das entspricht dem Inhalte der 225 Blätter
in Quart. Bis fol. 177 folgen verschiedene Gedichte, darunter die
als Nr. 1 und 2 bezeichneten Gedichte Suchenwirt's in m*;
fol. 178 — 219 nimmt Eduard Wahrens' Augsburger Chronik
der Jahre 1368 — 1444 ein. Der ganze Codex stammt nicht aus dem
Jahre 1454, wie man nach J. A. Schmeller's Katalog der deutschen
Handschriften, 1. Theil, S. 56 — 61 annehmen könnte; es wird ja gegen
den Schluß noch das Jahr 1478 erwähnt.
Fol. 31*^ steht in der vierten Zeile von oben: Sequitur Alter,
daneben mit blasser Tinte : Das ist ain sprvch vö der scheny uü vö der
liehy:, derselbe endet fol. 34*; fol. 72" — 74' befindet sich der Wider-
tail. Am Rande von 72'' ist bemerkt: Der spruch vö den zwen farhn
von platver und von gemegter wie ') sie ivider einander worent. Die Verse
') Es steht nur: ie wider ein
ndef worenf, das andere ist weggeschnitten.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIKT-HSS. 453
sind abgesetzt, ungefähr 30 auf jeder Seite, die Anfangsbuchstaben
derselben sind groß und roth durchstrichen. Die Besprechung des
ersten Gedichtes folgt spcäter, die Vergleichung des zweiten mit A
führt zu demselben Ergebnisse wie bei m*. Es erklärt sich dies dar-
aus, daß beide Handschriften bis auf wenige, meist belanglose
Dinge so vollständig übereinstimmen, wie sich Ähnliches
bei keinem anderen Gedichte Suchen wirt's in zw ein oder
mehreren Handschriften auch nur annäherungsweise bis-
her gezeigt hat. Zum Beweise führe ich nur einige Stellen nn :
2 hohen fränden (fröden) , 14 durch, 15 u. '20S fehlt gar, 18 ich ndch,
23 tvann ich, Sb als ich, 36 gemenift da, 40 das seih,
43: Daz es soll wi^:^en iemant vier,
44: Wes ich in meinem hertzen ger
45: Das ich mit treiven han vers(ch)lossen,
52 ob ich, 56 hoher er(e)n,
71: Das es ain ch{]c)ind icol mo{ö)cht versfan,
80: Sein hau{o)/'t das ist im worden schicer {swär),
82 p{h)iß auf, 84 plaio die, 88 oh tisch{e) chan er, 102 ho(ö)chsti'n
und, 113 iren,
115: Sein fräu{ö)d paß da{e)nn ain{n) allain,
116 er niedert (m^ nyndert) , 117 gelob, 119 mager, 122: Ich viain
py (bey) namen sollich sach,
123: Vnd sollich grossu missetnt,
125: Ain puest er an dem leib mit sucht,
130 liget, 131 en spart, 132 icer hie, 136 ir icol ir, 13S Chain falsch[s)
noch sicaches main, 141 von fehlt, 144 sich vieref , 148 in hoh{ch)em
ritterlichem, 149 sioencken, 153 pan gezogen, 167 sprach da{o), 168
chdu der dir, 169 gemelich, 175: Ist alles waidenlich gpstalt, 177
als es, 185 vei{i)ntlichen , 186 und fürt, 198 ich wi{ü)rt so, 199 so
geit, 210 gehört, 211 man die, 215 u. 296 fruinen helt, 227 frn{o)men,
236 gar vil, 237 siecht in teufe, 240 er da{e)nn, 241 so loidei- umb,
242 all {er) erst so, 252 preiß icol erben, 263 progt, 264 zogt, 268
der fordern,
215: Er iat das {der) erst von dannen zeit (Unsinn!),
276: Und. hebt sich hin pald {bald hin) an die iceit,
277 piß das, 288 ob fehlt, 288 mit im selb, 308 und was, 314 au
den rock, 318 fraioet, 319 auß lachedem,
329: Ob du in deiner pläive7'{n) wa{a)t,
330: Leptest noch in gantzer stät,
339 die band.
454 FRANZ KRATOCHWIL
347: Da{e)nn das er sei der fugend am chern{p),
353 eriüirht und das behept, 355 gespila ich, 360 kert auch, 364 red,
die. Endlich finden sich noch in beiden Handschriften die Schreiber-
verse: Ich icolt Das ich soll
Lieh han loen ich wolt
Vnd loem ich gelten solt
Das er sein nicht en{t)wolt.
Beide Handschriften stehen in Bezug auf dieses Gedicht in alier-
engster Verwandtschaft: man kann wohl mit Ausschluß jedes Irrthums
sagen, daß m^ (zum größten Theil 1454 geschrieben) die Vorlage für
m* (beendet 1464) gebildet hat. Von demselben Schreiber können
sie nicht herrühren, weil m'^ eine ganz andere, stark verschnörkelte,
auf den ersten Blick undeutlich scheinende, bei genauerer Betrachtung
aber recht gut lesbare Schrift aufweist. Auch nicht aus sprachlichem
Grunde; allerdings herrscht hier wie dort schwäbischer Dialect,
aber an vereinzelten feinen Unterschieden fehlt es nicht: 102 hat
m* nirat, m^ niemt (unechtes ie für i, Weinhold, Aleni. Gr. §. 102),
183 m'* eiizühet -.fluchet, m^ enziohet -.fliehet (also w =: m = zw = en),
185 m* veintlichen, m^ vintUchen, 226 m* icir, m^ mir (a. a. O. §. 168 b),
239 m* fraindeii, m^ fntnden, 315 m^ sam, m^ söm (o für ou = au,
a. a. O. §. 91); der Schreiber von m'' gebraucht imm^- fräude, der
von m^ stets fröde (a. a. 0. §. 92) und fast ausschließlich da im Sinne
von da und do . Er ist kein Muster von Genauigkeit, übertrifft aber
hierin gewiß den Schreiber von m'*. Die Schreibfehler sind nicht zahl-
reich (147 die für dein, 223 zo für so oder ze, 224 herrem, 358 kurchten
oder kurchtent), ungenaue Reime selten: 31 hlaio : da, 97 verdrußt : auß-
schleiüßt und 313 baide : chlaider; 105 fehlt sich. Daß sich die Um-
stellungen der Verse und Lücken im Wiedertail von m'* und in m^
finden, wurde bereits gesagt, aber außer-dem fehlen in m^ die Verse
30, 46 und 230, so daß der Reim dreimal unterbrochen wird.
Und trotz dieser letzten drei Lücken ist m* nach
unserer Handschrift geschrieben worden? Allerdings zeigt
sich an diesen drein Stellen in m* keine Unterbrechung, aber die
Verse 30, 46 und 230 lauten dort nicht wie in A, sondern
30: Dar ein was sie gesprengef,
46: Das ich mit treioen han Verstössen^
230: Vnd mit listen ah stritten.
Man sieht sogleich, daß diese Verse eine Leistung des Schreibers von
m* sind, der jene Lücken seiner Vorlage durch die Reimstörung be-
merkte und nach seinen Kräften ausfüllte. — So viel demnach
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCFTENWIHT HS.S. 455
^e^en d i e A n n a h m e , daß m* und nr' von demselben Schreiber
lierr (ihren, einzuwenden ist, so wenig läßt sich daj^egen
anführen, daß m* aus m^ geflossen ist. Und die Quelle
von m''?
XVI. und XVII. ff. If.
Vielleicht nähern wir uns dorsolbon in f, der l'apior-
handschrift Nr. .362 der Frciburgcr Univcrsitätsbiblioth(^k *). Zu-
weilen kommt dafür die Bezeichnun*; „Ilu^'scher Codex" vor; derselbe
gehörte nämlich früher dem Freiburger Professor, Domdekan und
Geheimrath Dr. Leonhard 11 ug; nach dessen 1846 erfolgtem Ab-
leben kam er mit anderen werthvollen Handschriften und dem ganzen
Bücherschatze durch Schenkung an die Universitätsbibliothek in Frei-
burg, welche alle diejenigen Werke der Sammlung, die ohnehin bereits
vorhanden waren, dem Lyceum in Constanz überließ-). — Die Hand-
schrift f umfaßt 93 Blätter in Folio, welche (zum Theile leer gelassen)
erst in neuester Zeit mit Bleistift gezählt worden sind. Die Gedichte
sind in zwei Spalten geschrieben, jede besteht durchschnittlich aus
mehr als 40 Versen; diese beginnen mit großen Buchstaben. Nach
dem Schlüsse des achten Gedichtes findet sich die für die Alters-
bestimmung der Handschrift wichtige Bemerkung: Anno domini
mccccxif In die Sande avffre jn kii'chherg '^) est hoc scriptum pm
Cfgr^i?). ■ ■
Der Widertail beginnt fol. 2, Spalte a und endet auf
f o 1. 4 m it Spalte b. Die Handschrift selbst habe ich nicht gesehen,
da Herr Professor Hern)ann Paul in Freiburg mir boreits 1879
eine Abschrift des Gedichtes mit einigen die Handschrift betreffenden
Notizen zu übersenden die Güte hatte. Vor dem Anfangsbuchstaben
des ersten Verses v/urde Raum für eine Initiale freigelassen, dann
ein S vorgeschrieben. Von den Haken gebraucht der Schreiber
^ oder " über u für ^^o und tie und zwei neben oder schräg überein-
ander gestellte Punkte zur Bezeichnung dei- Umlaute: fugt, 5 süssen,
49 hör, 75 möchten, 100 fru u. s. w, , aber auch für a'. 121 sprch
= sprach (: sach) , ebenso 308 und 328. Reine n (kurz oder lang)
•) H. Amanu, Praestantiorum aliquot Codicum Mss. qui Fiiburgi seivantur
notitia. Fasciculus I. Friburgi Brisigaviae 1836. Fasciculus II. 1837.
') Vgl. Dr. Julius Petzholdt a. a. O. S. 87.
') Von den vielen Kirchberg könnten hier in Betracht kommen die in drr
alemannischen Schweiz und zwar im Canton Thurgau, Bezirk Frauenfeld; im Canfon
St. Gallen;. Bezirk Alt-Togcreuburg; im Canton Aargau bei Aarau und im Canfon
Bern, Bezirk Burgdorf; vgl. Ritter a. a. 0. I, S. 778.
456 FRANZ KRATOCHWIL
tragen keine Haken, wohl aber kommen sie ober w vor, wo diese
als Halbdiphthonge zu lesen sind: 100 gesündert (: htinndert),
140 stund (nora. sing.) {: grund) u. s. w. ; dasselbe zeigt sich bei o:
77 u. 260 frömt (: kompt), 302 not (accus, sing.) ( : rot) u. s. w., und
besonders zahlreich bei a: 17, 45 hän (verb.) , 28 u. o. nach, 71 ver-
stau (: man), 91 gdt : den rät, 121 in der loät u. s. w. Letztere Er-
scheinung wurde schon bei h^ (vgl. S. 320) beobachtet, mit welcher
Handschrift f sprachlich übereinstimmt; die dort sowie bei s und h*^
angegebenen Kennzeichen des alemannischen Dialectes
finden sich im Allgemeinen auch hier wieder. Daran knüpfe
ich noch das öftere Vorkommen von ä für e (Weinhold , Alem. Gr.
§. 13): 30 gäl, 149 u. 154 spar, 271 zu fachten, von ä für au (a. a. O.
§. 34): 19 bam : sam; Verengung von ou zu ö (a- a. O. §. 42): immer
froioen, Ausfall von g vor flexi vischem t (a. a. 0. §. 212): 326 ge-
mente, Aus- und Abfall von t (a. a. O. §. 174 und 177): gemenge,
94 rech, Verdoppelung des t in- und auslautend (auch in Verbindung
mit anderen Consonanten) nicht nur nach Kürzen, sondern auch nach
Lcängen (a. a. O. §. 172 u. 176): 90 zitten, 194 rotti, 244 tötten u. o.;
Abstoß der ganzen Endung im Particip des Präteritums (a. a. O.
§. 372): 36 die gemeng, sp, st, sio sind allgemein ,*-6Z, sm, sn wechseln
mit schl, schm, sehn (323 schmugen, 324 smvgen) , Vereinfachung von
echtem seh zu s (a. a. O. §. 190) begegnet 96 in sympfs.
Apokopen und Synkopen sind nicht besonders auffällig, be-
wirken aber öfter den Verlust der Senkung, so 1, 9, 10, 16, 32, 33,
30, 88, 115, 122, 123, 129, 168, 178, 233, 237, 289, 301, 314 u. s. w.,
selbst vor der letzten Hebung: 10, 11, 194, 325 u. ö. Auch wird
der Rhythmus durch den Ausfall kleiner Wörter gestört, so 51 u.
355 nu, 60 dich, 100 u. 247 so, 107 er, 154 von, 198 recht, 202 aigen,
227 ern, 287 u. 301 er; oft aber auch durch Einsetzung unnöthiger
Wörtlein: 49 hör wol, 88 durch mich aine, 104 vil ze, 125 den
ainen, 150 dir, 222 all, 223 so gar, 278 man, 282 nit, 289 nu. —
Klingend schließende Verse von vier Hebungen reimen nicht nur auf
solche mit vier Hebungen (117, 143, 199 u. s.w.), sondern auch auf
solche mit drei Hebungen (33, 37, 75 u. ö.). Auch die Reime bieten
häufig Anstößiges, z. B. 5 stür : createur, 17 ich plick : geschickt, 21 hetten
: ungebitten, 31 hlaiv : da (begegnet in m* und m^ ebenfalls an dieser
Stelle!), 37 niemen : yemant .^ 67 f roden : geuden , 77 frömt : kompt,
99 sunderbaur : war, 105 scharn '. faren, 115 aine : kain, 131 spar : hin
fart, 135 begert : er ... geioei'te, 137 mich aine : noch böses maines,
151 schowen : froive , 153 kompt : zerdrimbt , 161 geschehn : gesehen , 181
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SITCHENWIRT-HSS. 457
schimpf : milt , 183 enzücket : flühet , 191 erhucket : f'dyet , 205 gernost
: ernst, 207 erweit hast (A hast erchorn) : zorn, 213 f nicht (A fruet)
: m/H, 219 ere : mer, 239 frümt : kotnpf , 247 ge/^echeii : jehen, 251 fa^r
^»a^r^, 257 fröde : güden, 271 t/rä'< : ta(Z<', 275 t?/ zi7^tf/i : waitten, 277 oZ>-
^e^ezV : si"^^, 289 7?järe : sioär^ 291 ^aic^ . seiVe, 313 claider : haidew, 315
laucht : geducht, 359 zarten : siichemoirt (ganz unuöthige Reimstörung!),
361 fehlt das Reimwort sfan und 362 steht garten ') auf grian. Man
sieht aus manchen dieser Beispiele, daß der Schreiber in doii Reimen
seiner Vorlage hie und da einen Haken fand, der seinen sprach-
lichen Widerstand anregte; nicht immer hat er denselben aufgegeben.
Bei anderen aber zeigt sich deutlich Gedankenlosi gkei t'*) als Ur-
sache; so schreibt er 209 zornayd statt ayd (der vorausgehende Vers
schließt nämlich mit zorn), und 324 setzte er das Reimwort von 323
nochmal; audere mögen auf Willkür beruhen (ganz unnöthige Um-
stellungen der Wörter, wie 22 ich stund da, 23 haimlich kamen, äiiiilich
77, 80, 235, 317, 343, 355 lassen dies vermuthen), andere schon in
der Vorlage gestanden haben.
Dort fand vielleicht auch der Schreiber einzelne Text Ver-
derbnisse^) vor, sowie die Lücken und Umstellungen der
Verse. Es sind genau dieselben wie in ra"* (vgl. S. 452), nur fehlt
in f überdies V. 319 (dadurch Reimunterbrechung), 224 steht vor 223
und 258 vor dem Verse 257. Das läßt auf enge Verwandtschaft von f
mit m* und m^ schließen, zudem stehen sich die drei Handschriften
auch sprachlich sehr nahe. Die Übereinstimmung läßt sich
durch das ganzeGedicht verfolgen, wie aus nachfolgenden Stellen
erhellt: 3 m^m^ ioiinnec{k)lichen , f lounnencUchen ^ 7 sich s{ch)winget,
8 erde, 9 m^m^ lustic{k)lichen , f lustlich, 10 gart, 11 kriites, f kricts,
12 gilgen. o[ci)ne, 15 hin zu, 17 gehag, 18 liep{l>)Uch, 21 entladen,
') art in gai-len ist verkleckst.
') Im Innern der Verse sind Schreibfelilcr nicht häufig, besonders nicht in den
ersten hundert Versen, die nahezu sorgfältig geschrieben sind.
3) 6 allei' , 53 main : erkaim, 55 haisset [\) , 82 slauffen , 88 fehlt das Verbum,
102 höchsten (: ersten), 159 uanckels hah,
196: Der der fröden ain vhei- lest;
27Ö: So ist er der demiP, hy zitten,
312 — 314: Er graif mit baiden hennda dar
In rock mantel die baidew
In die gemengt w" claider",
345 — 347 : Den ich zu hulen erwelet hett
Jjer trih ald er je verlschriet
Von gantzen lugenden ain kern.
458 FRANZ KßATOCHWIL
22 ich stu{u)nd da, 27 plaw g emi sehet, 28 gestalt toas(z) , 31: Dar
unJer was swartz grö{ü)n und pleno (in f fehlt loas), 32 gemischet, f ge-
müscht, 33 getempert vnder ein, f getemperiert^) , 41: Die hlaiio) sprach
durch ir staetichait, 42 sicherlichen , 47 wanckels, 57 cZie hlaiv {die)
sprach so heb, 74 verhaiß{ss)en , 75 möchten {ge)laisten, 85: A/ei(i)ns
hertzen iru{au)t vil anders tut,
89 m*: i^f^< züchten er schvmpf waiderdich,
m^f: ^t< zu{u)chten Schimpfi, er icaidelich (f ivirdenclich),
90: f/ncZ aZ/e zi(ei)t (f zw a^^en zitten) sicherlich,
immer weit (A werlt), 107 Was fräuden (fröden, fröwden) möcht{e), 108
ww(w) Aör WÄ wil(V) erst, 109 p{b)ül, 111 er so m^Y, 118 p{b)älen,
119 zsif doch kainu ze (f <Zocä kaine so), 120: -B?- imtrcZ i'r eren bald
ein dieb, 121 wat die sprach, 124 ni{ü)mer , 129 schantperlichu , m^
schamperliche, i schamparlich, 130 al(l)s, i alles, 142 tuenden, 143 jugent,
145 und gewöhnlich 2^^«^<^ für Stcete, 161: Dar ««i6 m^s^ {mt'/sz) im gar
we beschehen (f geschehn), 162 Atm,
163: i)ar wm& (f wm) so chu{o)mpt er mir gesund,
173: In(m) hertzen deucht {dilcht, f gedeucht) er in gemait,
174 tzeug fehlt,
179: >S'o /er^ er her gar ritterlich,
182: In ritterlicher milt,
191 ro/J(ssz),
192: Gar (vil) ma(e)ngen voll er füget,
197 in mei{i)nem, 207 p{h)tilen, 212 wnrf man, 213 so ist, 216 szn(^
(A seit), 218 erwerben, 220 A^w /iir p(b)as, 221 su(ü)llen loir a(o)uch
heut (hüt), 222 smcZ aZ^, 226 ftesete wiV (m^ mir),
232: Des{z) hau{a)t er sich da{e)nn sicher (f schier) versunnen,
233 schicket (f schickt) er, 236 tüir^. versert,
238: Z)az inenger da muß ligen tot,
239 Az7/e, 243 roß{sz) muß (f müssen), 244 er tö(o)ten ojfenbe^m* a)-
ren, 250 wns te, 251 dis{ss)en tag, 253 auch {och, ouch) selten, 256
sweig {und) lass, 259 so er, 260 mich, 261 ^?'«<^, 262 mi7, 265 ö?a.
nw fehlt, 267 : Er mach{e)t sich zu{e) hindro{er)st an (m^ in) die schar,
270 tö{o)rlichen, 271 zu fe{ä)chten also t{d)rat, 278 isi o?as, 219 geruet,
i geribbt, gerivbet m'', 280 iverdu{e) hand, 281 recht als. springen reimt
auf 282 gelungen, 284 roß, 285 schrei{y)t,
286: 0 züie /w^zeZ fr sic/t (ra'*m^ da{e)nn) spart.
') Zwischen A uud den drei Handschriften zeigen sich in den Versen 29—33
bedeutende Abweichungen, desgleichen später in den Versen 121 — 123.
Ü1?ER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHEN WIKT-HSS. 459
290 in sei {{) n, 291 sicherlichen, 292 ander, 29-i grossem, in^( yrösscren-
nach V. 298 als Ersatz für den fehlenden V. 297:
Dein (din) red ich nicht geli{ei)den (f gedulden) mag,
303 schuf{t), nach 308 folgt der eingeschobene Vers:
Das{z) was der plawen ungemach,
309: Also stund {ir) zu aller stund,
316 lüie, 317 dar under sack si, 321 ir sint (m'^ seit), 323: Cu{e)samen
si sich s(ch)mugen, 324 iüei{i)ß, 327 si uider, 32S lian, 335 w<ii{i)iien,
336 sprach fra{o)iv, 339 erkant, 349 sich von jugent,
352: /S'o lüo^ im der (f cZe/n) azn gut loort,
363 ward.
U n a b w e i s 1 i c h drängt sich da d e i- Gedanke auf, ti a ß
wir in f die Quelle von m^ gefunden haben. Freilich U:\\\i in f
V. 319, m^ hat abweichend von A an dieser Stelle:
Sjj sprach unß lachedem sinn:,
offenbar hat die Reimunterbrechung den Schreiber von m^ zu dieser
dichterischen Leistiing veranlaßt. Aber vielleicht erscheint Jemanden
auffällig, daß im V. 324, wo f das Reimwort der früheren Zeile wie-
derholt, m^ das richtige pugen hat, daß, während in f die Verse 329
und 330 au mangelhafter Satzconstruction leiden, m*' den V, 330
anders als f und besser gibt, wie denn auch die Verse 345 — 347 in
m^ lesbarer sind. Aber zu diesen Änderungen oder dazu, daß er im
V. 359 das in f fehlende Reimwort herstellte, den in f vorgestellten
V. 258 an seinen richtigen Platz setzte, dazu gehört geringe Ge-
schicklichkeit, die wir dem Schreiber von m^ wohl zutrauen können.
Bedenken könnte allenfalls V. 132 hervorrufen, der in f lautet:
Oder vjf ein letzte hin fart^
während m^ hat: Wer hie seins naechsten er vart,
also, das Wörtlein hie abgerechnet, dasselbe wie A. Sollte der Schreiber
von in"', vom Reime geführt, errathend das Richtige getroffen haben?
Unmöglich wäre es nicht, vielleicht — das Gedicht war ja sehr be-
liebt — stand ihm zur Vergleichung noch eine andere Handschrift
oder ein fliegendes Blatt zu Diensten. Wer dieses Bedenken nicht
zerstreuen, somit f nicht als Quelle von m^ anerkennen kann, für
den bleibt nur die Annahme übrig, daß m^ und f nach der-
selben, uns unbekannten Vorlage geschrieben wurden. Da-
gegen aber, daß m^ und f von einander unabhängig aus einer anderen
Handschrift geflossen sind, erhebt der Zweifel den Einwand mit Recht,
daß dann schwerlich zwischen m* und f sich eine so durch-
stehende Ü berei u st i in n) u n g zeigen würde. — Allerdings ge-
460 FRANZ KRATOCHWIL
stattete sich der Schreiber von m^ Abweichungen von f (vgl. S. 453
und 454), aber dergleichen waren für diese Periode nicht ungewöhnlich;
erlaubte sich nicht auch der Schreiber von m* manche Freiheiten
gegenüber von ra^? Und doch muß man ihm nachsagen, daß er
seiner Vorlage (mit Rücksicht auf seine Zeit) ziemlich treu gefolgt ist.
Eines ist unanfechtbar, daß nämlich in Bezug auf
Suchenwirt's Widertail m^m^ und f gegenüber A eine
Gruppe bilden, von der die Freiburger Handschrift A
noch am nächsten steht und den meisten Werth besitzt,
dann folgt m^, zuletzt m*. Die Gruppe hat für die Herstellung
eines guten Textes keine geringe Bedeutung: m'^m^f liefern jede an
denselben 26 Stellen Besserungen, ra'^f und m^f an je vier, m*m^
an acht, für sich allein m"*, m^ an je zweien und f an acht Stellen.
Diese Besserungen sind um so mehr willkommen, als der Widertail in A
(das erste Gedicht des 10. Schreibers, vgl. S. 219) nicht fehlerfrei ist.
Die Gruppe m^m^f bildet somit für die Textkritik einen
erwünschten Gewinn.
Mit dem ehemaligen Besitzer von f war Josef Freiherr von
Laßberg auf das innigste befreundet; beide hatten eine außer-
ordentliche Vorliebe für alte Bücher und Handschriften. Natürlich
hielt keiner vor dem andern das Gewonnene geheim, sie thaten es
ja nicht einmal gegenüber der Außenwelt^). So entlieh Laßberg von
seinem Freunde die Handschrift und schrieb aus derselben zwölf
deutsche Gedichte ab; diese Abschrift ist heute noch in der fürstlich
Fürstenbergischen Bibliothek zu Donaueschingen in einem Halb-
lederbande mit der Nummer 72 verwahrt, er hat 340 Seiten in Folio,
von S. 289 — 340 stehen die oben erwähnten zwölf Gedichte, das
zweite davon ist Suchenwirt's Widertail. Barack**) macht
dazu die Bemerkung: „abgedruckt im Liedersaal IH, 57". — f ist
also schon seit 1825 veröffentlicht? Wie erklären sich aber die be-
deutenden Unterschiede zwischen f und ihrem Abdruck im Liedersaal?
Unnützes Kopfzerbrechen, an welchem einerseits Barack's Bemerkung
schuld ist, die ja nur sagen will, daß f das unter dem Namen „Wider-
tail'*' bekannte Gedicht Suchenwirt's ist, das auch im Liedersaal an
der angegebenen Stelle zu lesen ist, anderseits Laßberg's ganz unbe-
stimmte Art, mit der er über das den drei ersten Bänden des Lieder-
saales zu Grunde liegende handschriftliche Material sich äußert.
*) Vgl. den Artikel von Franz Muncker über Laßberg in der Allgemeinen
deutschen Biographie, 17. Band (1883), S. 780—784.
') Dr. K. A. Barack, Die Handschriften der fürstlich Fürstenbergischen Hof-
bibliothek zu Donaueschingen. Tübingen. 1865.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 461
Den 1820 erschienenen ersten Band widmete er in einer ale-
mannisch geschriebenen Vorrede (I — XXVIII) seinem Freunde Pro-
fessor Leonhard Hug; S. XV sagt er, er wolle hiemit verschiedene
Lieder alter Sänger abdrucken aus einem großen alten Buche, das
vor Aher und Unbilden übel aussehe, gegen Ende des 14. Jahr-
hunderts geschrieben sei') und an die 3UU Lieder enthalte; diese
seien aber nicht nur ]\linnelieder, sondern auch (S. XXI) „Mähren,
Sagen, geistliclie und weltliche Lieder, Bispel uud allerlei Schwank".
Kr sondere (8. XVll) diese Gedichte nicht nach dem Inhalte, sondern
gebe sie, wie sie in der Handschrift folgen; doch habe er jedem eine
Überschrift uud Inhaltsangabe beigefügt, die Abkürzungen (S. XVIII)
aufgelöst, sonst aber die alte Schreibart vollkommen beibehalten, nur
habe er für ü (aus altem iu) ü gesetzt, dem es in der Aussprache
gleichkomme. Am Ende des ersten Bandes gibt Laßberg in dem
Format der alten Foliohandschrift eine Schriftprobe des in zwei Spalten
(jede ungefähr zu 40 Versen) geschriebenen Textes. In der Einleitung
des zweiten Bandes sagt er S. XII, er habe gerade diese Handschrift
herausgegeben, weil im Privatbesitz befindliche Handschriften leichter
zu Grunde gehen können, als solche, welche der Staat verwahrt.
Er habe sie absichtlich so gedruckt, wie sie ist, selbst mit ihren
Fehlern. S. XIV verspricht er, am Ende des dritten Bandes über die
Handschrift und sein Verfahren mit derselben Auskunft zu geben,
aber daselbst findet sich nichts als ein Verzeichniß sämmtlicher Über-
schriften der Gedichte und die alphabetisch geordneten Anfänge der-
selben. Dem vierten Bande ist weder eine Enleitung noch ein Nach-
wort beigegeben; wer nun bedenkt, daß Laßberg die Lücken der
daselbst abgedruckten Nibelungenhandschrift C aus B ausfiUlle, daß
er, wie aus seinem Briefwechsel mit Uhland (herausgegeben von
Franz Pfeiffer, Wien 1870) erhellt, im Liedersaal auch die Wein-
gartener Handschrift abdrucken wollte, der wird einräumen, daß auf
Barack's obige Bemerkung hin sehr leicht Jemand glauben könne,
Laßberg habe im Liedersaal außer seinem alten Buche auch hie und
da aus anderen Handschriften etwas aufgenommen, speciell aus f, aus
der er ]a erwiesenermaßen viel abgeschrieben hatte.
Dem ist aber nicht so. Die in den drei ersten Bänden des
Liedersaales veröfl"entlichten 261 Gedichte sind thatsächlich ein Ab-
'•) In der Inhaltsangabe zu Nr. CXXXV sagt Laßberg (2. Band, S. 384), das
Gedicht stamme aus dem Jahre 1371; es ist aber nicht ersichtlich, ob diese Zeit-
bestimmung von der ganzen Handschrift gilt oder nur auf die erste Hälfte derselben
sich bezieht.
QEKMANIA. Nene Reihe XXII. (XXXIV.) Jahrgr. 31
462 FRANZ KRATOCHWIL
druck aus dem „großen alten Buch" , einein mit Leder überzogenen
Holzdeckelbande, welcher unter dem Namen „Liedersaal-Codex"
(=: 1) in der fürstlichen Bibliothek zu Donaueschingen aufbewahrt
wird. Laßberg hatte sich von dieser umfangreichen Papierhandschrift
zuerst eine Copie gemacht, dann aber die Handschrift selbst erworben ;
Original sammt Copie und allen anderen zahlreichen Handschriften
kamen nach Laßberg's Tode in die Fürstenbergische Bibliothek ; dort
führt der Liedersaal-Codex die Nr. 104^). Er zählt 269 Blätter und
ist zu Anfang und zu Ende lückenhaft;
Anfang: Daz tunt mir liebe frowe kunt,
Ende: Vnd bin frisch vnd vnuerzagt
Vnd waisz nieman wer mich jagt.
Der Widertail reicht von Bl. 196, 1. Spalte bis Bl. 198,
2. Spalte. Die Vergleichung geschah, da ich 1 selbst nicht gesehen,
auf Grundlage des von Laßberg gegebenen Abdruckes. Dieser hat
gleich A 364 Verse; da aber in 1 die Verse 91, 94, 305 u. 306 ohne
jede äußere Unterbrechung fehlen, so entsprechen von 91 an die
Verszahlen von 1 nicht mehr denen in A, sie sind um eins, von V. 93
um zwei, von 304 um vier niedriger als in A bis V. 350 (:= 354
in A), dem die interpolierten Verse
351 : Da:^ wirt got in dem himel schin
352 : Vnd lost in der E von helle pin
folgen. Von V. 352 ab in 1 beträgt die Differenz gegen A nur zwei ;
auch diese verschwindet, da der Schreiber zum Schlüsse noch zwei
Verse anfügt:
363: Vnd nimpt hie ain end
364: An alle mi^^exoend.
Alle Zahlen der nachfolgenden Citate sind mit Rücksicht auf A an-
gegeben.
Die Sprache ist wie in f alemannisch, doch zeigt sich in 1
keine so große Vorliebe für umgelautete Formen und den Gebrauch
von au = ä', dafür aber begegnet in den Flexionen sehr häufig ?* für
mhd. iu und niempt für nieman oder niemen. Vereinzelt findet sich
194 mundalin (Weinhold, Alemann. Gramm. §. 271), 296 bidarben
(a. a. O. §. 10), 95 vachen für wachen (a. a. O. §. 163), öfter in-
lautendes ch für /i, z. B. 162 gesechen (a. a. 0. §. 222). Die Sprache
ist in den Reimen weitaus einheitlicher als in f; von der langen
Reihe der dort (vgl. S. 456 f.) angeführten Reimungenauigkeiten sind
') Vgl. Barack a. a. O. S, 100—101.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHEN WIRT-HSS. 4(53
in 1 nur 31 plaw : da (wie in m^'m^f), 67 und 2bl fröden : gtudm,
241 /rwwjf : Ä;?/nj2^/, ,(immerliin besser als f) und 251 fng : magt zu
finden. Auf Rechnung von 1 kommen 83 haut : inin und 345 erzell
Es ist dies ein Zeiclien größerer Sorgfalt, die sieh auch
dadurch verräth , daß die Apokope und Synkope mehr beschränkt
ist und daher die fehlenden Senkungen \M'niger häufig sind. Fa^t
ausnahmslos ') treffen wir in 1 dort das Richtige, wo in f ein Schreib-
fehler ist, ein Wort fehlt, eines zu viel steht oder der Text sinnlos ist.
Die in f nachgewiesenen Lücken und Umstellungen der Verse suchen
wir hier vergebens.
Aus all dem erhellt im Zusammenhalte mit dem S. 456 f. Gesagten,
daß wir 1 als Vorlage von f nicht ansehen dürfen. Für die Zugehörig-
keit zur Gruppe m*m^f würde sprechen: 10 gart, 109 huol,
132: An siner nechsten herfarf,
142 iceitden, 191 u. 284 ros:^, 212 Vnd man, 218 erwerben, 237 sieht
in tief, 243 muo:^, 270 torlich, 271 ze fechten und 363 ivard. — Da-
gegen aber ließe sich mehr anführen, zunächst die Übereinstimmung
mit A gegen m*m^f (vgl. S. 457 — 459): 9 fruchticklichen, 11 kruter,
12 sunder, 17 hag, 18 zärtlich, 21 geladen, 22 stuont ich, 27 gesmelze,
28 gestellet, 32 Getempert, 33 Gemischet, 52 Wann, 57 stett, 85 Min
buol, 111 gar, 124 nit, 129 schemliche, 153 gezieret, 163 haim, 197
im hercen, 256 sprach, 271 gerad, 281 sprung : gehing, 289 selber, 294
solichen, 318 frot, 327 baide, 336 dii, 339 beckant, 349 sicJi in\ 15 hin,
das m^m^f haben, fehlt wie in A, ebenso 75 möchten, 121 die sprach,
130 alls, 221 u. 253 ouch, 222 a/Z; die Verse 89, 90, 108, 119, 120,
123, 173, 179, 182, 192, 213, 220, 227, 232, 233, 236, 244, 250, 259,
260, 267, 278, 280, 284, 290, 309, 313—316, 321, 329, 330 u. 352
stimmen mit A und nicht mit der Gruppe ra^ni^f.
All das macht die Annahme, daß faus 1 geflossen sei,
nicht wahrscheinlich. 1 kann aber gar nicht die Vorlage
für f gebildet haben, denn es fehlt in 1 im V. 56 hoher, und doch
hat es f gleich Am''m^; 60 schreibt 1 zert, f mit Am"* m'' treit, ii^ Sizt,
f mit den anderen Handschriften sind ! V. 78 lautet in 1 :
Dez nachte:^ er selb ändert kumpt,
und den soll f zufällig so verbessert haben, wie er in Am^m'' lautet?
') Von auffälligen Schreibfehlern habe ich angemerkt: 127 holden^ 159 Wvn-
schex halb, 196 De?- sorgen, 228 kert; störend ist ain vor lieb im V. 39 und h(U nach
Bestelt im V. 226.
31*
4g4 FRANZ KRATOCHWIL
Das wäre eine Kette von wunderbaren Zufällen. Dasselbe zeigt sich
an den nachfolgenden Versen:
261 : Min buol vü anders ist gemuot
273: Wenn man du vient erblicket
274: Vnd man du huffen schicket
288: Recht als e^ sy ain loetturny
350: Wie wol er sich da2, frowen mag —
ganz besonders aber an V. 360, welcher in 1 lautet: Ich ylt von dan
mit sneller giert '^ woher, wenn f aus 1 stammt, nahm denn der Schreiber
von f den Namen Suchenwirt? — Die Verse 91 u. 94 fehlen ganz
in 1, f hat aber die Verse gleich mit A! — Wäre 1 die Vorlage ge-
wesen, dann ist doch schwer anzunehmen, daß der Schreiber von f
in den Versen 313 — 316, die in 1 einen lesbaren Text bieten, einen
solchen Unsinn zusammenschrieb. Dasselbe gilt von den Versen 343
bis 354, die in f mehr oder minder verderbt sind.
f stammt somit nicht aus 1, 1 gehört nicht zur Gruppe m'^m^f;
möglich ist, daß f aus N entstand. 1 aber schließt sich enge
an A und übertrifft f an Werth; 1 kommt zwar an Güte des
Textes A nicht gleich, liefert aber doch eine Reihe guter Lesarten
(für sich allein an ungefähr 18 Stellen, zugleich mit m^m^f, mit
zwein derselben oder der ganzen Gruppe an mehr als 20 Stellen).
1 kann aus A entstanden sein: der Widertail ist nach der Reihenfolge
der Gedichte in A (vgl. S. 207) zu schließen, am Ende der Sechziger
Jahre des 14. Jahrhunderts entstanden ; dessen Abschrift in A gehört
zu den älteren Theilen dieser Handschrift.
XVIII. h^.
Schon bei h' wurde von dreien heidelbergischen Hand-
schriften gesprochen, zwei davon sind uns bereits bekannt, die dritte
ist h*, ein in Pergament gebundener Codex in Folio, der auf dem
Rücken die Aufschrift : Astronomicum calendarium trägt, früher
die Nummer 4 hatte, jetzt aber die Nr. 3 führt (vgl. Bartsch, Hand-
schriftenkatalog S. 4 f.) und aus 230 beschriebenen und sechs leeren
Blättern besteht. Zu Anfang befinden sich drei Pergamentblätter, auf
dem dritten beginnt Rudolfs Wilhelm von Orlens (mit wundervollen
Initialen und schönen Bildern) und reicht bis fol. 197, wo Conrad
Schreyber von Otingen bemerkt, daß er das Werk in H och-
st etten 1458 beendet habe. Das nächste Stück: Der Borte schrieb
er 1478 (er hielt sich damals zufolge einer Bemerkung auf Bl. 208
in Augsburg auf), das vierte: Rede von dem Studenten zu Pareyß
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 465
vnd der Schönen Junck frawen etc. (f. 211" — 225') 1466; beim dritten
{Die Rede von ainer graseryn f. 208'' — 210") ist nur angegeben, daß es
1479 geschrieben ward. Beim fünften (Der kriecie J)es p/tlers und des
Spilers etc. f. 225"— 228") fehlt jede Bemerkung über die Zeit der
Abfassung und den Namen des Schreibers. Fol. 228* unten beginnt
Gar ain Schöne Rede uon der Liebin vnd der Schonin ivie sie kriegten
mitt ainander (roth) und reicht bis f. 230''. Dieses Gedicht wurde
von P in seiner Ausgabe der Gedichte Suchenwirt's als Nr. XLVI
mit einigen Änderungen abgedruckt.
Der Raum für die Initiale ist freigelassen, die Verse sind fort-
laufend geschrieben, aber meistens geschieden durch das Zeichen (j";
nach V. 53 ist ein Raum von 22 Zeilen leergelassen (wahrscheiulicii
für eine nachträglich anzubringende Illustration). Auf V. 160 folgt:
Amen (J* ßnitum est qiiinta feria ante Dominicam Innocauif A)ino Ihmini
Millesimo CCCCLXXIX. Gewiß stammt auch das letzte Stück
der Handschrift aus der Feder Schreybers; es ist dieselbe
schöne, sehr deutliche Schrift, die aber in einigen Buchstaben, be-
sonders r, 5 und ß die spätere Zeit verräth; das Jahr 1479 bildet
kein Hinderniß, rührt ja doch die 'dritte Nummer der Handschrift
auch aus dieser Zeit. Auch die sprachlichen Verhältnisse im letzten
Stücke stehen mit dieser Annahme im Einklänge.
Stammt Schreyber aus Ottingen an der Wörnitz, dann liegt
seine Heimat hart an der Scheide des schwäbischen und bairischen
Dialectes, überdies wissen wir bereits, daß er sich zeitweilig an Orten
aufhielt, die entschieden dem schwäbischen Sprachgebiete angehören.
Dem entspricht in h^ der herrschende bairische Laut-
stand einerseits und die hie und da auftretenden schwä-
bischen Anklänge andrerseits. So begegnet schon in der Über-
schrift Liebln, Schonin, erstere Form auch in V. 86, letztere in 100,
sonst immer Liebe und Schöne; 80 ouch neben aitch, durchaus nit,
gewöhnlich das Suffix -lieh, aber 59 taugenleych (: reich); Verschie-
bung des d nach o (Weinhold, Aleman. Gramm. §. 91): 127, 129,
150 hon ich, 7 hondt (3. Fers. pl. präs.) und 41 plon; Antritt von
unechtem e an das Präteritum des Indicativ (a. a. O. §. 345: 57 ich
Hesse) und den Nomin. des Sing. (137 der kriege), sowie von unechtem t
an Pluralformen des Zeitwortes (a. a. 0. §. 178, 346 u. 348): 41 si
ziertent, 43 u. 60 loärent, 44 ei^klungent, 75 kdment (conjunct.) und
146 giengent. Einmal (V. 84) findet sich auch der Sing, des Imperativs
gang und 58 ich stondt (a. a. 0. §. 336 b und 332 b). Einiges ist auch
in die Reime gedrungen : 9 gefaren : gepOren, 33 kom : benam, 49 qnart
466 FRANZ KRATOCHWIL
: man erhart (a = ö, a. a. O. §. 79 u. 87), 63 prysen : wisen {i = ei),
77 aine sprach : ach (= auch), 129 erleucht : verflucht, 131 gepott : mi< ro<<.
Die zwei ersten Fälle und der vierte beruhen auf Sorglosigkeit
des Schreibers, die sich auch sonst in Schreibfehlern zeigt (18
fröndt, 34 ir, 41 so, 78 nem ich, Id klement, 127 baide'^^). Sie lassen
sich leicht beheben, ebenso der letzte und drittletzte (wo zwei andere
Handschriften Abhilfe gewähren'^), desgleichen der vorletzte, der einer
nicht ganz sicheren Stelle angehört/*). Somit bleibt nur der dritte Reim;
dieser ist allerdings eine Incidenz gegen Koberstein's allgemeinen
Satz: „Von einer Berührung des ä und o findet sich keine Spur im
Reim: ebensowenig darf man einen Übergang des o in a annehmen"
(I, S. 20). Unser Gedicht erscheint demnach Koberstein „wenn auch
nicht geradezu unecht, doch in einer Überarbeitung auf uns
gekommen, welche in Versmaß und Reimbindung zu sehr von
den in den übrigen Stücken beobachteten Regeln abweicht, als daß
man mit Sicherheit von den darin vorkommenden Formen auf Suchen-
wirt's Sprachgebrauch schließen künnte" (I, S. 3).
Diese Behauptung geht, wenigstens was die Reime
betrifft, sicherlich zu weit;, aber auch bezüglich des Vers-
maßes*). Fehlende Senkung stört in 89, 91, 115, 131; in 38, 70,
149 und 150 vermißt man die Senkung vor der letzten Hebung.
Öfter begegnet zweisilbiger Auftakt; im Innern der Verse wäre zwei-
silbige Senkung nur zu beanständen in 5, 33, 82, 116, 117, 139 und
146. — Dieses kann nicht den Stein des Anstoßes gebildet haben
(denn Ähnliches kommt in A auch vor) , vielmehr wird er in den
Versen mit vier Hebungen und klingendem Schlüsse (17, 18, 23, 24,
29, 30, 45, 46, 51, 52, 73, 74, 97, 98, 147, 148), sowie in den klingend
reimenden Versen von drei und vier Hebungen (27, 28, 41 und 42)
zu suchen sein. Nach dem Standpunkte, den Koberstein zu Anfang
seiner Untersuchungen einnahm, ist sein Verdict begreiflich; später
dachte er auch über klingend reimende Verse milder (vgl. S. 225).
') V. 62 schreibt P Tzunt frawen, h' bat aber zum ; nach seinem Text erscheint
V. 37 der Reim unterbrochen, aber h' hat erzaigten Da : pla.
') Diese haben:
77 Nu nenn dich mir vnd ich Dar nach,
131 Das er in mein {mim) gep(h)otte stat,
132 Ich drinck bilUchen vor mit rat.
^) Auch der Anfang bis V. 16 ist hie und da unklar und verderbt.
*) Der stumpf schließende V. 136 mit fünf Hebungen entspricht, sobald man
die vom Schreiber zugesetzten Änfangsworte: Sie sprach wegläßt.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 457
AVir haben an Beispielen, wie h' oder Nr. 3 in m*, gesehen, was sich
die Schreiber dieser Zeit zuweilen erlaubten; ihre Thätiefkeit konnte
mit Recht eine Überarbeitung genannt werden; bei Ir' scheint
mir aber dieser Ausdruck etwas zu stark, wobei nicht ge-
leugnet werden soll, daß der Schreiber sich seiner Vorlage gegenüber
gewiß allerlei Freiheiten gestattet haben wird. Den Vorgang Kober-
stein's aber, das Gedicht für unecht zu erklären, dem
Suchenwirt die Autorschaft abzusprechen, halteich für ungerecht-
fertigt. Gerade solche Stoffe, in solcher Einkleidung liebte Suchen-
wirt, auch die stilistischen Wendungen stechen nicht von denen seiner
anderen Gedichte ab. Daß sich Suchen wirt als Autor nennt, halte
ich nicht für ausschlaggebend, wenn uns das Gedicht in h^ allein
überliefert worden wäre: denn es gibt Fälle, wo Gedichte, deren
Urheber mit aller Bestimmtheit feststehen, mittelst einiger angehängter
Verse einem anderen Dichter beigelegt wurden. Aber in dieser Lage
sind wir nicht. Unser Gedicht findet sich ja auch in ra*
und m^ (vgl. S. 451 f.); auch hier nennt sich Suchenwirt
als Dichter, und damit ist seineAutorschaft wohl gerettet.
Das im Allgemeinen über m* und m^ Gesagte hat auch von der
Nr. 1 dieser beiden Handschriften, dem Krieg der Liebe und Schöne,
Geltung. Die beiden Recensionen dieses Gedichtes zeigen
eine durchgreifende Übereinstimmung, wie aus nachfolgenden
Stellen überzeugend erhellt: 2 die f{v)err(e). zu, 4 mag nicht, 5 mit,
6 : We{a)nn es der (iceysen) maister mund,,
7 : Durchit) suchet (habent) uher all,
9 und fehlt, gearn, 10 ich dan dar under faren, 12 nymmer Die yelaß,
13 heriz sich sent,
17: hin in ain awe{oic) zu aine jn'unnen,
19 menigfalt, 20 so fehlt,
21 : Vnd dang (Da) ü(v)her herten ßins,
22 edle7i, 23 er fehlt und 24 alle,
25: Die lüchten auß ir plüenden gruf(t),
26 da fehlt, 27 gesprentzet,
28 : Der p{h)lümen Dolden glentzet ;
für die Verse 29 — 31 von h^ folgen fünf Verse:
(29) fr(o)ölich gen der(n) sannen p(h)i-ehen,
(30) Als a(^)m') kai7i laid nie war beschehen,
(31) Vnd erchucket Den im {erkukte gen ir) glast,
') OT» =: im, vgl. Weinhold, Alemanu. Gramm. §. 415, S. 455; bieher gehört
auch das Possessivpronomen ar = ir iu m* 71.
468 FRANZ KRATOCHWIL
(32) wann (was) des tawes ü{v)berlast,
(33) So sere menge{n) nider zioang,
dann weiter mit V. 32 von h* ; 33 kam, 34 in, 36 plümen Hecht Die
durch, 37 sie fehlt, 38 gel rot gr'ö{e)n prun und\ die Verse 39 und 40
fehlen; 41 jplan si, 42 sie fehlt, 44 la{ä)nkten, 47 die sungen, 47 plü-
(ti) enden iverden tal, 49 mit ain, 52 ziüo, 53 gar hesunder, 55 loes,
56 &ar^, 57 ich ließ mich nicht (nich), 57 vnd stund vnder ainer,
59 lugt in zu gar, 63 ie. hoch gepriset,
64: Des mich mein sinn Da ivei(i)sset,
71 dar oh gesch. , 73 gar fehlt, 74 recht als si zicen, 75 ch{k)omen,
76: /S'o 7'zcÄ was ir geioand^),
80: 7c/i sag{e) Dir auch Den namen mein,
83 die fehlt, 84 nttw wol,
86: Z). ^{e6 spr. z. d. schön hinw. (ganz sinnlose Umstellung),
87 ioelch{u) vnder uns pas'^), 88 prunnen frey{y), 89 sprach die lieh,
90 trenck ich mich, 91 na in sprach, 96 von erst, 97 tatitzen stechen
und, 98 p/. singen, 100 nimpt auch, 101 nwn ac/i, 102 cZfs so^/ ich,
105 ^ar klainen,
107: Weder weil noch k. fr.,
108 ii;as <r(e)iüe, 109 ein fehlt, 110 da ch{k)an ich. und fehlt, 114
p(b)illichen mit, 115 allda, 116 v?7 fehlt, diser, 117 ?ü«V2;«3 fehlt, 118
väu(o)h(rin, 119 rcts^ (dadurch Reimstörung), 123 lieb die,
126: Z)r<s si ain ander '^) nicht sind wild,
127 haider,
128: Z^as Da hie uor f. lo.,
130: Das sich menger in mir vertücht,
131: Das er in mein (mm) gep{h)otte stat],
132 billichen. rat, 133 gedingen, 134 ch{k)a>n,
135: i)«e tüar^Z entpfangen und hiess äie fein^^(mynn);
nun folgen die eingeschobenen Verse:
(136) Die nam (m^ mam?) ir Disputieren ein (yn),
(137) Fan in paiden on gewerr (m^ ougener, Schreibfehler),
(138) Welchu pas zu preisen (ze hriessent)*) loer;
') Hat nur drei Hebungen; dergleichen begegnet in beiden Haudschriften öfter,
so in m* V. 6 u. 7, in m* 79:
Sag mir den namen dein.
') m^ hat geadlot; vgl. a. a. O. §. 372, S. 380.
') m^ hat an ainder, dies muß nicht Schreibfehler sein: a für ei, ai kommt
ebenso wie ai für a auch im schwäbischen Dialect vor; vgl. Weinhold a. a. O. §. 87
und 94.
*)iÜber solche flectierte Infinitive vgl. a. a. 0. §, 371.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DKIJ SITCHENWIRT-MSS. 4H0
darauf 186: Die vein (minn) dip sprach legert ir mein,
137 krieg hie, 138 fehlt: zweite Lücke; 139 si p{h)niien pai'l, 142
da geivan, 147 nicht fehlt.
149: und cha(k6)men im{o)ch da nit h. ic.^
152: Vnd auch dusselhig w. pr.,
153 sfien, 154 h'rtz lieb hob, 156 und feiilt.
160: Also rett petter s{sch)uchemoivH .
Aus denselben Gründen, die ich schon bei anderer Gele{2;enheit
vorgebracht (vgl. S. 454 und 459) ist die Annahme, daß beide Fas-
sungen von der Hand desselben Schreibers herrühren, ausgeschlossen,
die, daß beide Schreiber von einander unabhängig aus einer und
derselben Quelle geschöpft, sehr unwahrscheinlich. Man geht nicht
fehl, wenn man m^ nicht nur als Quelle von Nr. 2, sondern
auch von Nr. 1 in m'* betrachtet. Daß zwischen beiden Hand-
schriften Abweichungen sich zeigen, ist nicht auffällig; sie sind
weniger zahlreich als im Widertail, aber etwas belangreicher. Das
erklärt sich aus zweien Gründen. Schon früher wurde bemerkt, daß
Nr. 2 in m^ nicht diesen argen Eindruck der Flüchtigkeit maciie
wie Nr. 3 dieser Handschrift. Im Krieg der Liebe und Schöne
zeigt sich noch eine größere Sorgfalt als in Nr. 2, so daß
der Schreiber von ra^ ein vollkommenes Gegenstück zum 10. Schreiber
von A bildet. — Der gut lesbaren Schrift in m^ wurde bereits ge-
dacht, der Krieg der Liebe und Schöne aber ist von V. 37 an
elend geschrieben und minder genau. Man sieht dies aus
Schreibfehlern, von denen ich nur anführe: 25 gruf, 37 da : blaio,
49 quart : erhört, 84 mir, 127 verspradt , 156 (jefrawet. Ganz fehlen
sie auch nicht in ra**; 1 cluge, 21 herzen, .51 zirieng, 120 umieruorren
und 145 die für der fallen auf. Im Übrigen hat der Schreiber von
m* manche Gebrechen seiner Vorlage glücklich gebessert. Daß in
m* die Verse 11 — 16 zu Anfang verstümmelt sind, trifft nicht den
Schreiber; das untere Eck von fol. 68 ist nämlich weggerissen.
Gegen einander gewogen, scheint m'* den Vorzug vor
m'' zu verdienen: im Ganzen sind sie wohl gleichwert h ig.
Die Quelle von m^ ist unbekannt, h^ kann es nicht gewesen sein schon
wegen der nicht unbedeutenden Textverschiedenheiten;
überdies ist h'' erst 1479 geschrieben worden, m"* aber 1464' und m^
1454. An Brauchbarkeit kommen sich alle drei Hand-
schriften ziemlich gleich; P benützte nur h'^, eine neue Aus-
gabe wird die Gruppe m*m^ nicht übergehen dürfen, sie liefert
an ungefähr 25 Stellen, m^ und m-^ an je zwein Verbesserungen zu h'.
470 FRANZ KRATOCHWIL
Zu den guten Handschriften gehören m*, m^ und h"^ nicht,
sie weisen metrische und sprachliche Ausartungen und Sinnlosigkeiten
genug auf. Ihr Werth aber liegt darin, daß durch sie ein
Gedicht, ein sicheres Eigenthum Suchenwirt' s, welches
in A leider fehlt, uns erhalten wurde.
XIX-XXI. kt- pt- rf.
Auch kpr bilden wie h^m*m^ insoferne eine Gruppe,
als sie uns ebenfalls ein Gedicht Suchenwirt's überliefern,
das in der Reihenfolge seiner Gedichte in A nicht vorkommt:
das Würfelspiel. Daß Suchen wirt ein Gedicht unter dieser Über-
schrift dichtete, war schon aus dem Inhaltsverzeichnisse von N
bekannt, daß es noch existiere, erfuhr man erst 1829. Damals
berichtete Graff, Diutiska, 3. Bd., S. 267 ff. „über altdeutsche Denk-
mäler in Kloster-Neuburg bei Wien, in Melk, St. Florian, Kremsmünster
und Linz", S. 277 erwähnte er unter den handschriftlichen Schätzen
Krerasmünsters „ein Gedicht vom Würfelspiel, von Suchenwirt aus
dem 15. Jahrhunderte". Auf mein Ansuchen wurde mir der Codex
Nr. 69, welcher das Würfelspiel *) enthält, in wahrhaft liberaler Weise
nach W^ien zur häuslichen Benützung geschickt.
Äußerlich ist diese Papierhandschrift mit ihren dicken über-
zogenen Holzdeckeln und eisernen Schließen sehr unansehnlich; sie
besteht aus 173 Blättern in Quart. Auf der Innenseite des Vorder-
deckels ist ein Pergamentstreifen aufgeklebt mit der Inschrift: Iste
liher est Sancti Agapiti mariyris in Krems miister y quem nobis dedit
honorabilis presbyter Johannes Seid De lewbs . . .; bei dem letzten Worte
ist offenbar an Leihen in Niederösterreich zwischen Dürrenstein und
Stein zu denken. Der genannte Priester hat nicht nur diese, sondern
auch mehrere andere Handschriften dem Kloster Kremsmünster in
den Jahren 1440 und 1441 übergeben''). — Die Schlußworte des
') üas Gedicht im Liedersaal, 3. Band, S. 231 f., mit dem Anfange:
Mich hell ains tages dar zu bracht
Der Würfel das ich was verdacht
und am Schluß: Vnd an den wurfel beliben
Durch sine valschen vii:^:^etat
Du er begat mit valschem rat,
(im Ganzen 82 Verse) ist von dem Suchenwirt's verschieden, wenn es auch dieselbe
Tendenz hat, die Schädlichkeit des Würfels darzustellen.
') Vgl. über Seid und die üblichen Todtenverbrüderungen P. Hugo Schmid,
Catalogus codicum manuscriptorum in bibliotheca monasterii Cremifanensis ord.
S. Benedict! asservatorum. Tomi I. fasc. I. (1877) pag. 24.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUrHENWIUT-Hss;, .|V1
Pergamentstreifens . ... et continet colleclionem tabularum de equationibus
motuuvi Solls et lune compüatam ex tahulijs alphoncy regis hysponie
charakterisieren den Inhalt der Handschrift; dieselbe handelt that-
sächlich zum größten Theile von astronomischen und astrologischen
Dingen.
Die Handschrift ist an mehreren Stellen, namentlich nach dem
S u c h e n w i r t' s c h e n Gedichte stark schadhaft. Dasselbe b e-
ginnt fol. 167' oben ohne Überschrift und i-eicht bis 170*.
Die Schrift ist ziemlich deutlich, weist in die erste Hälfte des 15. Jahr-
hunderts und gemahnt an die Züge in w, doch dürfte letztere Hand-
schrift älter sein. Es wurde ausschlielMich schwarze Tinte verwendet;
auf jeder Seite steht nur eine Columne, die Verse (durchschnittlich
28 auf jeder Seite) sind abgesetzt und beginnen meist mit großen
Buchstaben. Die zwei ersten Verse wurden mehr nach rechts ge-
schrieben, um Raum für eine größere Initiale zu reservieren, die
übrigens nicht nachgetragen wurde. Als Abkürzungszeichen gebraucht
der Schreiber '\ ^ und ^ letzteres ist zuweilen unnöthig gesetzt,
dagegen fehlen häufig die i-Punkte'; zur Vocalbezeichnung verwendet
er ganz vereinzelt *, sonst * und ', gewöhnlich aber ' . Fast regel-
mäßig finden sich diese Punkte über y, hingegen werden Halb-
diphthonge damit nur selten angedeutet: 20 er let {■= ä = ae),
59 ich tummer, 81 (jät (= «) und 163 der zehen pot, Svarabhakti nie.
Diese werden vielmehr durch e und i gegeben ; metrisch nicht ge-
rechnet ist sie in 58 czaren , 129 czoiii und dem öfter vorkommenden
durich; metrischen Werth hat sie in 85 icerichstat und 155 icerich.
Das Lob der Sorgfalt kann man dem Schreiber von k
nicht er t heilen. Es kommen Schreibfehler im Innern der Verse
und in den Reimen vor, so 35 .set (die Prager Handschrift p hat
schneidt), 41 se (p seiti), 52 und 128 wymt (p nymht), 52 iveil (p loeih),
57 fer (p ser) , 85 eicicht (p entivicJd: Antritt von unechtem t nach
lingualem Auslaut, vgl. Weiuhold, Alemaun. Gramm. §. 178), 87 da;;
dem (p czu dem) und 109 tugenchaften (p tug entliehen) ; 1 ampt : schampt,
19 versiahen : v'sTiiachen, 29 vart : span (p spart), 61 emvicht : 7iit (p nicht),
69 p-awtet (p praittet) : laitet, 125 v'nvft : czuchunft, 143 fraivn : ge-
trawen\ 25 j>rnefet (p. prewet) : vernewet, 39: Er siez Den tag vnd The
nacht : icag (p hingegen : Er sitzt die nacht bis an den lag) , 9\ hat
: stet (p statt), 109 vor : spar (p spor), 113 ir habet : icaldet (p halten
: lüalten), 121 schulln : schulln (p fällen : süllen)-, in V. 128 fehlt auch, in
71 spil, 121 dn\ Neben stumpfschließenden Versen mit drei Hebungen,
wie Vers
472 FRANZ KEATOCHWIL
3: DaT; phligt nicht chlug' sinn
4: De^ pin ich loarden ynn
89: Noch ains Da^ mt'it mich ser
finden sich überladene Verse, z, B.
37 : De:^ nachtz, so hat oft ein" guten müt
62: Marl geit yem Das;, gelt hin wid'' nit
64: ivann er mit ainem füe^^ stet auf // pankch',
V. 151 mit vier Hebungen:
Mit fumf augen^) czu den stunden
reimt auf V. 152 mit nur drein Hebungen:
Spott er Der fumf lounden u. s. w.
Die Verse 19 und 20 von p sind in k umgestellt (20 geht 19 voraus),
desgleichen 101 und 102, beidemale, wie ich glaube, nicht zum Vor-
theile des Sinnes. Nach V. 49:
ffleiist er Dann Daz ist ein spot
fehlt ein Vers, p hat darnach:
So schilt er dann vnd swert hy gott'^
nach 117: Frawen priest'' ritterschaft
weist die Unterbrechung des Reimes auf den Ausfall eines Verses hin;
p. hat als V. 118:
Den krencket er Lohes crafft.
Nach V. 144 folgen die zwei nicht reimenden Verse:
Mit tauz, e^ Die Driualtichait
Der vier eioangelisten\
vor dem ersten hat p als V. 145:
Er verlaugent als man saitt,
vor dem zweiten als V. 147:
Das merckt ir edeln cristen.
Auf den ersten Eindruck hin ist man leicht geneigt, den häu-
figen Mangel des Umlautes durch die Leichtfertigkeit des Schrei-
bers zu erklären. Aber dieser schreibt nicht nur 1 snodes, 33 phlag,
74 mocht, 122 vppichait^ 175 schant, sondern auch 17 und 21 vher,
100, 124 und 160 sunt^ 119 und 122 sunden und stets wurfel. Wir
haben es also hier mit einer Eigenthümlichkeit der Sprache
des Schreibers zu^thun (vgl. S. 331), diese aber hat unver-
kennbar alle Merkmale des österreichisch-bairischen
Dialectes. Ich erwähne (um nicht bereits Gesagtes zu wiederholen)
nur den Einschub des lingualen Nasals in das Suffix: heiling (Wein-
*) äugen fehlt in p.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 473
hold, Bair. Gramm. §. 168), den Aus- und Abfall von d in 127 arii
(p ordeyi) und 160 fröm (p främd, a. a. 0. §. 148 u. 149), sowie die
Vertretung von ü durch i in 180 cJnnnd (p künd, a. a. O. §. 19).
Die Papierhandschrift p, deren bereits im Vorstehenden öfter
gedacht wurde, hat die Signatur I. G. 8 (früher 325) und ist Eigen-
thum des Böhmischen Museums in Prag, dessen Verwaltungs-
ausschuß die Güte hatte, mir die Handschrift zur Benützung nach
Wien an die k. k. Universitätsbibliothek zu übersenden. — Sie war
ohne Zweifel einmal eine der schönsten Handschriften ; die starken
Deckel sind mit rothem feingeprelUem Leder überzogen und waren
an den Ecken und in der Mitte mit schön gearbeiteten Messing-
buckeln versehen, von denen bereits vier fehlen, desgleichen eine
der Lederschließen, während die andere verstümmelt ist. Die auf
den Deckeln eingepreßten Worte lauten „ave maria", auf den
Messingbeschlägen des Vorderdeckels zum Einklappen der Schließen
„avet mariat gracia'', auf jenen des rückwärtigen Deckels, mit wel-
chen die Schließen befestigt waren „vns", auf den Eckbeschlägen
„mariat graciat plenaf a". Der Rücken ist etwas schadhaft; er trägt
oben ein Schild mit den Worten „Versus germanici Script!"' : darunter
ein kleineres mit der Zahl 271 und darunter ein Zettelchen mit der
jetzigen Signatur.
Der Codex enthält zu Anfang fünf ungezählte Blätter in Folio,
denen 353 gezählte folgen; die Blattzahlen von 1 — 60 scheinen mir
in neuerer Zeit mit schwarzer Tinte aufgefrischt worden zu sein.
Die Überschriften sind mit rother Tinte geschrieben, der Anfangs-
buchstabe des ersten Verses ist roth und bedeutend größer als die
der anderen , welche mit einem rothen Striche durchzogen sind.
Während in der kleineren zweiten Hälfte der Handschrift nur die
Strophen abgesetzt sind, sind die Gedichte der ersten Hälfte in einer
Columne so geschrieben, daß mit jedem Vers eine neue Zeile beginnt;
deren sind auf einer Seite ungefähr 30 — 34. Der beschriebene Raum
ist mit vier auf einander senkrecht stehenden Linien eingesäumt, so
daß nach allen vier Richtungen breite Ränder frei bleiben.
Die Schrift verräth nur eine Hand und weist uns in die zweite
Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die i-Punkte — ich habe hier und im
Folgenden vor Allem Suchenwir t's Gedicht im Auge, das fol. 113''
unten mit der Überschrift: Was vbels ainem yeglichem uß Spil choJn
beginnt und fol. 116' endet — fehlen häufig. Abkürzungszeichen
finden sich nicht, außer einem wagrechten Striche, um die Verdoppe-
lung des m oder n anzuzeigen. Die zur Bezeichnung des Umlautes
474 FRANZ KRATOCHWIL
üblichen Punkte oder " werden auch über w häufig gesetzt, wenn
sie als u gelesen werden sollen, z. B. V. 27 heivt. Doch kommen die
Punkte statt auf iv auch auf das diesem vorausgehende e zu stehen,
80 25 prewet, 56 reioßt. Um uo, ue auszudrücken, wird das Zeichen <*
angewendet oder", welches manchmal einem Kreise ähnlich ist, wie
denn Dr. Karl Haltaus, welcher diese Handschrift unter dem Titel
„Liederbuch der Clara Hätzlerin" {^= dem achten Bande der Bibliothek
der gesammten deutschen Nationalliteratur von der ältesten bis auf
die neuere Zeit) im Jahre 1840 veröffentlicht hat, immer dafür einen
kleinen Kreis setzt; s steht viel häufiger als in k dort, wo wir es
jetzt schreiben, ss auch für 2,2,, so 98 essens, 102 ysset\ 5 (in k noch
öfter als hier nach mhd. Weise an rechter Stelle) für z (namentlich
im Worte zu) und %. \ 55 ist nicht beliebt , dafür wie auch für 5
(64/tt/3, 184 laßt) und ss (94 tnißewend) kommt besonders häufig JJ
vor. In- und auslautend hat die Handschrift immer t^ (k cz), nur
anlautend einigemal c^, so 67 c:^ucJit; k und ck begegnet viel öfter
als in k, so 10 kan, 16 kunst, 63 kranck, 120 vppikaü u. s. w. Unter-
scheidungszeichen finden sich nicht, der Gebrauch der Majuskel inner-
halb des Verses ist nicht häufig.
Zu obiger Altersbestimmung der Schrift stimmen die an dem
unteren Rande des letztgezählten Blattes (353'') von derselben Hand
angebrachten Worte: Änno Dm Augspurg ic'^* LXXI, darunter: Clara
Hät:^lerin. Wir haben es also mit einem Autograph der Hätzlerin zu
thun, das sie 1471 zu Augsburg beendete, wahrscheinlich für Jörg
Roggenburg daselbst. Es steht nämlich auf der Innenseite des Vorder-
deckels : Item da2, buch ist H. . . .^) Roggenburg \ zu Augspurg wer e^
+
hab der lass jms ivider werden, darüber H, noch höher: Jhus 1470
Christus. Auf dem leeren ungezählten Blatte vor dem rückwärtigen
Deckel steht oben: Jhus Maria 1470 Christus, tiefer: Item dac^ püch
jst Jörg Roggenburg wer eß hab der laß Ims wyder werden Anno Vom
M"CCCC"LXX Jar, daruntes H, was sicherlich der Namenszug Roggen-
burgs ist, dessen Wappen auf der Innenseite des rückwärtigen Deckels
unter dem Namen ROGENBURG in primitivster Federzeichnung an-
gebracht ist. Daß die Hätzlerin die Handschrift 1471 beendet, Roggen-
burg aber an drei Stellen sie im Jahre 1470 schon als sein Eigen-
thum erklärt, ist insoferne vereinbar, als sie von ihm den Auftrag
') Die punktierte Stelle ist nicht mit Sicherheit zu lesen; beide Zeilen sind,
hie und da sogar mehrere Mal, mit Tinte durchstrichen. — Die Hätzlerin hält Haltaus
für eine Nonne zu Augsburg (S. IX); einen Beweis für diese Annahme bringt er nicht.
ÜBKR DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT ITSS. 475
zur Abfassung 1470 erhalten haben mag, damit aber erst U71
fertig ward.
Jedenfalls ist die Schrift jünger als in der Handschrift von Krenis-
münster, welche auch ältere Sprachforuien und zwar österreichi.sch-
bairischen Charakters aufweist, während der Prager Codex im schwä-
bischen Dialect geschrieben ist. Im Gedichte kommt immer 1;//'
(meist mit zwei /) vor; 184 iiß, V. öO h>/, hingegen 1G'> hcy, nie
durich, sondern stets ilnrcli\ im Innern der Verse nit , mit Ausnahme
des V. 35, wo wie auch im Reime V. 62, 67, 86 nicht begegnet.
In den Verbindungen sl, sm, sn herrscht im Gegensatze zu k der
breite Laut «cA, hingegen werden die Formen des Verbums sollen nie
mit seh geschrieben. Während in k die Bezeichnung des Umlautes
sehr häufig unterbleibt, wird er hier regelmäßig durch zwei Punkte
angedeutet; diese finden sich auffallender Weise auch über uihd. i'
öfter, so 29 mainsioern, 50 sivert, wie sich auch über mhd. (2 häufig
ein Zeichen zeigt, das zuweilen wie das über w {^= uo, ne: 30 w7ir-
hait), meist aber so aussieht " oder so ' (60 hdn, 179 ivärhaif). Haltaus
macht ein v = y daraus ^), was allerdings dem schwäbischen Dialect
entspräche, welcher au =: ä setzt; mir scheint aber wahrscheinlicher,
daß dadurch eine Verschiebung des ä nach ö, ein Mittellaut n an-
gedeutet werden soll (vgl. Weinhold, Alemann. Gramm. §. 91).
Im Ganzen ist diese Recension für die Textkritik ein
bedeutender Gewinn; denn wenn auch die Handschrift k ihres
Alters und Dialectes wegen dem Texte zu Grunde gelegt werden mag,
so kann dies doch nur geschehen unter sorgfältiger Beachtung der
Prager Recension, welche die Lücken von k ausfüllt und an Stelle
von deren Fehlern fast immer das Richtige bietet. Nur an einigen
Stellen zeigt diese sauber und deutlich geschriebene Handschrift
Textverderbni ß. Ungenaue Reime sind: 3 synne : ynnen , 11 er-
hangen : lange (k erhäng : lang) , 55 verllußt (k vHmst) : rkofit , Ib tat
: latt, 165 holt (k held) : erweit, 179 verpirgt (k v''pirt) : Suechenwirt. —
In V. 5 fehlt vtY, 15 auch, 54 der, 88 so; die Verse 89 u. 90, 93 u. 94
haben drei Hebungen mit stumpfem Schluß, desgleichen V. 105, mit
dem der stumpf schließende V. 106 mit vier Hebungen durch Reim
gebunden ist.
') Sonsst siud die Unterschiede zwischen p und dem Abdruck unseres
Gedichtes bei Haltaus nicht zahlreich: V. 4 fehlt ganz bei Haltaus (es ist auch
in den rückwärts angehängten Bemerkungen S. 365 darüber nichts gesagt); V. 18 h.it
p lerent (Haltaus lernet), 29 viainswem (der Druck maimwere), 35 nicht (Haltaus nU),
126 Zukunft (das Buch Zukunft), 152 der der (Haltaus ser der, er schlügt vor tr der zu
le.sen, k hat wirklich suy.
476 FKANZ KRATOCHWIL
Eine ursächliche Beziehung zwischen k und p ist
wohl nicht anzunehmen; die Entstehung von k ist spätestens 1441,
die von p 1471 anzusetzen; p könnte aus k geflossen sein, aber es
spricht außer der Zeit gar nichts für eine solche Annahme. Verwandt-
schaft aber herrscht zwischen pundr, einer Liederhandschrift,
welche der Dichter Ludwig Bechstein bei einem Antiquar 1835 er-
worben hat. Ich habe die Handschrift nicht gesehen, besitze leider auch
keine Abschrift des Suchenwirtischen Gedichtes, das dort
Bl. 138'' steht; wohl aber war Haltaus in der Lage, die Handschrift
für die Ausgabe seines Liederbuches vergleichen zu können; er nennt
sie eine „sehr nutzbare", mit p „auffallend" übereinstimmende Hand-
schrift, welche aber etwas jünger als p und in der Orthographie ver-
derbter sei. An bedeutenden Unterschieden zwischen p und r fehlt
es nicht; als solche verzeichnet Haltaus S. XLVII f.: 16 vil fehlt,
17 er füllt ^ 19 er lösts, 20 verschahen, 21 — 24 i'ehlen, 25 laster^
44 leydt, 85 entwuest, 98 nach esses woll er, 102 also, 104 obersten,
110 das statt der, 113 haltend : waltend, 159 verleugent acht.
Von den 21 Handschriften, die bisher beschrieben und verglichen
wurden, hat P in seiner Ausgabe der Gredichte Suchenwirt's
sechs verwendet; wo und inwieferne die übrigen 15 Hand-
schriften für eine neue Ausgabe heranzuziehen sind, wurde
in der vorstehenden Untersuchung bereits angegeben. Die
Hälfte aller Handschriften (darunter die bedeutendsten), nämlich
A, a, B, C (N), w, m'', g, k, m^ und m^ gehört dem österreichisch-
bairischen Sprachgebiete an; österreichisch-bairischer Dialect mit
schwäbisch-alemannischen Anklängen zeigt sich in h^ und s; ale-
mannisch ist die Sprache in h^, h'*, f und 1; schwäbisch in m^, m^,
p und r (?); mitteld. in d.
Die ältesten von allen sind A, 1 und g; sie gehören dem
Ende des 14., A und g spätestens dem Anfange des 15. Jahrhunderts
an; N datiert aus dem Jahre 1402, etwas jünger sind s und w;
k wurde spätestens 1440 oder 1441 geschrieben, f 1445. Der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts gehören neun Handschriften an: m^ (1454),
m* (1464), m' (1468), m'^ (1470), p (1471), h^ (1479), \x\ h^ und r.
Aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammt m^, aus der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts B und C, aus dem 18. Jahrhundert a und d.
A übertrifft alle anderen durch die Zahl der Gedichte;
rechnet man das nur mit den letzten Versen in A erhaltene Gedicht
auf Gumolf Läpp mit, zählt aber die beiden Recensionen auf Ulrich
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 477
von Waise nur als eine Nummer, so liefert A allein 45 Gedichte.
Keine der übrigen Handschriften kommt auch nur entfernt dieser
Zahl nahe; B bringt 21, C zehn, m*^ und m^ je drei, w, d und m^ je
zwei, von den übrigen 13 Handschriften hat jede ein Gedicht von
Suchenwirt. Den 45 Gedichten in A allein stehen somit 56 Gedichte
gegenüber in den übrigen 20 Handschriften zusammen. Sämmt-
liche Handschriften enthalten demnach hundert und eine
Suchenwir tische Dichtung.
Der Widertail kommt allein fünfmal vor, die schöne Abenteuer
und das Gedicht von fünf Fürsten treffen wir in je vier, die Rede
auf Kreuspeck, die zehn Gebote, die sieben Freuden Mariens, das
jüngste Gericht, den Krieg der Liebe und Schöne, endlich das Würfel-
spiel in je drein Handschriften, die Reden auf Gumolf Läpp, den
König Ludwig von Ungarn, die Kaiserin von Baiern, auf Elierbach
Vater und Sohn (letzterer zweimal verherrlicht), auf die Edlen von
Pfannberg, Pettau , Waise, Stadeck, Cilli, Lochen und Traun, auf
die Herzoge Albrecht H. und Albrecht HL von Osterreich (beide todt)
und Heinrich von Kärnten, auf Albrecht von Nürnberg und den
Teichner, die Gedichte von der ]\Iinne Schlaf, Albrechts Ritterschaft
und der Fürsten Theilung, von zwein Päpsten und von hübscher
Lug, vom umgekehrten Wagen, dem Kriege der Fürsten und Städte,
von den Räthen des Aristoteles, endlich der „fremde" Sinn, also zu-
sammen 27 Dichtungen begegneten uns in je zwein Handschriften;
nur einmal finden wir die Reden auf Haunfeld, Chappell , Herzog
Albrecht H. von Österreich (noch am Leben) und Albrecht von Rauhen-
stein, das Gedicht von der Minne, der Minne Gericht, den Brief, die
Jagd, den Rath vom Ungelt, den Pfennig, die Verlegenheit und den
Geiz, den getreuen Rat und die sieben Todsünden, den neuen Rath
und Equivocum, das sind IG Gedichte. Wir besitzen somit unter
den die Zahl hundert übersteigenden Suchen wirtischen
Dichtungen der einundzwanzig Handschriften zweiund-
fünf z^ig verschiedene Gedichte Such en wir t's.
Schon einmal (vgl. S. 466 f.) kam die Rede auf den Versuch,
Suchenwirt ein Gedicht abzusprechen. Aber auch gegentheilige Be-
strebungen können wir bemerken (vgl. S. 324 f. und 4o5 ff.) ; so sieht
Dr. Anton Mayer S. 235 f. seiner Geschichte der geistigen Cultur
in Niederösterreich von der ältesten Zeit bis in die Gegenwart, 1. Band,
Wien 1878, in Suchen wirt den Autor des Gedichtes auf die Schlacht
an der Leitha (1246); Gründe hiefür gibt der Verfasser nicht an,
er bezieht sich bloß auf die Stelle:
ÜEKMANIA. Neue Reihp XXII. (XXXIY.) Jahrg. 32
478 FRANZ KRATOCHWIL
Den strit tiht ich iu gerne gar,
wie da hestuont diu schar di schar
und wie man kom übr di Leittä
und lüie^ di biderben täten da
und wie der und der wart erslagen;
wan da^ ich^ dar umb wil verdagen
e^ ist getihtet e vor mir,
da von ich der niioe lool enbir
im Frauendienst des Ulrich von Liechtenstein (S. 527, 3 der von
Karajan mit Anmerkungen versehenen Ausgabe Lachmann' s,
Berlin 1841). Aber Mayer mag selbst in dieser Annahme sich nicht
ganz sicher fühlen, denn er verweist auf W ackern a gel, der in
seiner Literaturgeschichte (2. Auflage, 1879, S. 285) das fragliche
Gedicht dem Liechtenstein selbst zuschreibt: vor (in ^5 ist getihtet e
vor mir), sagt Wackernagel, bessert sich gleichsam von selbst in von. —
Schwer in die Wagschale fällt der Umstand, daß die Schlacht an der
Leitha als dichterischer Vorwurf dem Suchen wirt, -wie eine Unter-
suchung seiner Dichtungen -vom historischen Standpunkte ergibt,
zeitlich viel zu ferne liegt.
Anders verhält es sich mit der in Laßberg's Liedersaal, 2. Band,
S. 321 — 326 abgedruckten Ehrenrede auf einen verstorbenen Grafen
Wernher von Hon(m)berg (194 Verse), von der Laßberg an-
nimmt, daß sie von einem der edlen ßurgmänner des dahingeschiedenen
Grafen herrühre, während sie Ko b er st ein in seinem Grundriß der
Geschichte der deutschen Nationalliteratur, S. 308 des ersten Bandes
(5. Auflage) „mit Zuversicht Suchenwirt zusprechen zu dürfen" glaubt.
Diese Annahme beruht offenbar auf der Ähnlichkeit dieses Gedichtes
in Anlage und Durchführung (weniger im Stile) mit einzelnen Dich-
tungen Suchenwirt's ; darnach könnte die Rede vielleicht von Suchen-
wirt sein. Auch über die Persönlichkeit des Grafen Wernher von H.
gehen die Ansichten auseinander. Laßberg, Koberstein und Wacker-
nagel (a. a. O. S. 288) sehen in ihm den um 1360 verstorbenen letzten:
Grafen dieses Stammes; von der Hagen (Minnesinger IV, S. 88 — 95)
setzt das Gedicht in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts; fürBartsch
(Deutsche Liederdichter des 12. — 14. Jahrhunderts, Leipzig 1864,
Nr. LXXXVl) ist der in dieser Ehrenrede Gefeierte identisch mit dem
Dichter Wernher von Honberg, der am 21. März 1320 vor Genua
sein Leben beschließt und den der Verfasser des Gedichtes von den
sechs Farben (Müller, Sammlung deutscher Gedichte 3, XXIV) als
Gewährsmann nennt. Vgl. Wackernagel a. a. 0. S. 374 a und Dr.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 479
G. von Wyss, Graf Wernher von Hombcr-; in den Mittheilungen
der antiquarischen Gesellschaft zu Zürich (1860) 13, 2. 1. — Der
Gedanke der Autorschaft Suchenwirt's fand keine offenen Gegner, aber
auch nicht ausgesprochene Anhänger. In dor That läßt sich derselbe
nicht mit gleicher Bestimmtheit wie die Annahme Mayer's ablehnen,
aber faßt man alle in dieser Frage in Betracht kommenden Momente
ins Auge, so findet man. daß sie doch nicht derart ausreichende An-
haltspunkte geben, um zu mehr als einem problematischen Urthcil zu
kommen. Daraufhin aber das Gedicht in eine künftige Suchenwirt-
ausgabe aufzunehmen, halte ich nicht für angezeigt.
Es bleibt somit bei 52 Gedichten; von diesen besitzt A allein 45!
Da aber zu Anfang von A einst auch die vier ersten Gedichte von B
standen, so fehlen in A von allen Gedichten Suchenwirt's nur drei:
von fünf Fürsten, das Würfelspiel und der Krieg der Liebe und der
Schöne. Das erste hat 244 Verse, das zweite 184, das dritte in h'"'
160 Verse; alle drei Gedichte zählen somit 588 Verse. Da dem letzten
Gedichte in A ursprünglich zwanzig unbeschriebene Seiten folgten,
auf eine Seite aber in A 29 — 30 Verse gehen, so würden diese zehn
leeren Blätter — ganz abgesehen davon, daß auch der größere Theil
von S. 483 zur Verfügung stand, vollkommen für die Aufnahme der
erwähnten drei Gedichte ausgereicht haben. Da diese Gedichte zu
jenen gehören, die gerade am häufigsten vorkommen — und zudem
die beiden ersten in österreichischen Handschriften — , so ist wohl
die Annahme gestattet, daß die zehn Blätter am Schlüsse von A zur
Aufnahme dieser drei Gedichte bestimmt waren, die aber aus einem
uns unbekannten Grunde nicht mehr zu Stande kam. Wäre sie aus-
geführt worden, dann hätten wir in A eine vollständige Samm-
lung der Gedichte Suchenwirt's! Ich meine Sammlung im wört-
lichen Sinne: denn ohne Zweifel verdankt die Handschrift A ihre
Entstehung einem Verehrer der Suchenwirtischen Muse, aber nicht in
der Art, wie das Liederbuch der Clara Hätzlerin, das auf einen be-
stimmten Antrag hin von einer Person in einem Jahre geschrieben
wurde. Bei A haben wir es vielmehr mit einer nach und nach an-
wachsenden Sammlung zu thun , daher die erweislich große Anzahl
Schreiber, die sich daran betheiligten, daher die so sehr verschiedene
Schreibweise und äußere Ausstattung der Gedichte (vgl. S. 209 — 220j ;
von S. 1 — 28 inclusive steht jede Columne zwischen zwein von oben
bis unten reichenden schwarzen Strichen; der 14. Schreiber faßt jede
Seite seiner Abschrift von Herzog Albrechts Ritterschaft (bis S. 280)
32*
480 FRANZ KRATOCHWIL
mit vier aufeinander senkrechten Linien ein, daß nach allen Richtungen
ein freier Raum bleibt. Ähnliches that nur noch der 18. Schreiber,
von dem die Abschrift des umfangreichsten Gedichtes, der sieben
Freuden Mariens, herrührt. Dieses Gedicht zeigt auch deutlich, wie
die Sammlung entstand; nicht vielleicht so, daß wir uns den Codex
schon gebunden denken, in welchen die einzelnen Schreiber die Ge-
dichte eintragen, sondern er setzte sich allmählich aus einzelnen
Heften zusammen. Gewöhnlich fiel die Leistung eines Schreibers mit
dem Ende eines solchen Heftes (einer oder mehrerer Lagen) zusammen ;
blieb aber gegen das Ende des Heftes etwas unbeschrieben, so be-
nützte in der Regel der nächste Schreiber den freien Raum. Aber
nicht immer. So sah sich der 18. Schreiber das Format der bisherigen
Hefte an, arbeitete zu Hause an seiner Abschrift, unbekümmert darum,
daß vor derselben über anderthalb Seiten unbeschrieben blieben; er
achtete nicht der Gewohnheit der anderen Schreiber, jedem Gedichte
eine Überschrift zu geben, ja er trug sie nicht einmal auf dem freien
Räume vor seinem Hefte ein, — und doch ist er von allen Schreibern
einer der sorgfältigsten. Auch sein Nachfolger begann seine Arbeit
mit dem jüngsten Gericht, ohne Rücksicht, daß in dem Hefte seines
Vorgängers nahezu zwei Seiten unbeschrieben waren. Lieferte doch
der 4. Schreiber noch einmal eine Abschrift der Rede auf Ulrich von
Waise, trotzdem von dem 3. Schreiber 20 Seiten vorher bereits die-
selbe geschrieben stand. Und doch haben beide Recensionen ') die-
selbe Anzahl Verse, behandeln den Stoff in gleicher Ordnung, kurz
es ist, von einzelnen Abweichungen im Ausdrucke abgesehen, dem
Inhalte und der Form nach zwischen beiden kein wesentlicher
Unterschied.
A war, wie sich bisher ergab, ausschließlich zur Aufnahme Suchen-
wirtischer Dichtungen bestimmt; es war somit gerechtfertigt,
A die Suchenwirt-Handschrift ocaT' i^oxrjv zu nennen (vgl.
S. 230); die Handschriften a, h^, h*^, m', w, m'' und 1 lassen sich mit
größerer oder geringerer Sicherheit darauf zurückführen. A zunächst
durch hohes Alter, reichen Inhalt und Güte der Überlie-
ferung steht N; in ihr standen 50 Gedichte Suchen wirt's; davon
sind uns glücklicherweise in B und C, welche aus der nun leider
ganz verschollenen Handschrift unmittelbar schöpften, 31 erhalten.
') P hat die zweite Fassung in seiner Ausgabe zu Grunde gelegt und von
der ersten mehrere Lesarten abgedruckt; S. 167 seiner Ausgabe lautet es aber gerade
umgekehrt. B stimmt mit der ersten Recension in A.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 4SI
Andere Handschriften, wie s, g (?), ra^'und m^ (für die schöne Abenteuer),
M 42 (d), f mit m^ und m"*, k, vielleicht auch p und r weisen auf N
zurück, während h^ und m^ (Krieg der Liebe und Schöne) mit m*
eine selbständige Stellung einnehmen. Daß die aus N stammenden
Handschriften, z. B. B in der Rede auf Hans von Traun, im Texte öfter
von A abweichen, ist, selbst wenn man von den Schreibern ganz
absieht, nicht besonders auffällig. Zeigt sich nicht in A sogar Ähn-
liches? Man vergleiche doch die beiden Fassungen der Rede auf
Waise! — Gerade in den Ehrenreden mögen am frühesten, vielleicht
selbst zur Zeit Suchenwirt's schon, hie und da Änderungen vor-
genommen worden sein. Solche Reden entstanden aus einem bestimmten
Anlaß; wurden sie bei einer späteren Gelegenheit wieder benützt,
so konnte ja von Seite der Angehörigen des Gefeierten vielleicht ge-
wünscht werden, daß diese oder jene That in der Rede etwas mehr
in den Vordergrund trete u. s. w.
Ich erinnere an die zweite Rede auf den jungen Ellerbach und
Albrecht II. von Osterreich.
Behufs Anordnung undNummerierung der 52 Gedichte
Suchenwirt's stehen drei Wege offen. Es können die Gedichte
nach den Haupthandschriften, in denen sie vorkommen und
die dem Texte besonders zu Grunde gelegt werden, geordnet werden.
Darnach kämen die fünf ersten Gedichte aus B, die ja einmal auch
zu Anfang von A standen, zuerst, dann die Gedichte von A, dann
das von fünf Fürsten nach g, der Krieg der Liebe und Schöne nach
h^m*m^ und endlich das Würfelspiel nach kpr. Dieser Vorgang er-
schiene als zu äußei-lich.
Oder es könnten die Gedichte nach der Zeit ihrer Ent-
stehung aufeinander folgen. So berechtigt eine solche Anordnung
auch wäre, es steht als Hinderniß der Ausführung der Umstand im
Wege, daß nicht bei allen Gedichten sichere Anhaltspunkte für die
Zeit ihrer Abfassung vorhanden sind, bei einigen dieselbe nur ver-
muthet, bei anderen gar nichts über die Zeit ihrer Entstehung gesagt
werden kann.
Es empfiehlt sich somit der dritte Weg, die Gedichte nach
ihrem Inhalt zu gruppieren, in jeder Gruppe aber die ein-
zelnen Gedichte, so viel dies möglich, nach derZeit ihres
Entstehens aufeinander folgen zu lassen. Ähnliches hat schon P
versucht, aber nicht genau durchgeführt (denn sonst hätte wenigstens
dem Gedichte von fünf Fürsten das von zwein Päpsten , vom um-
gekehrten Wagen und der Krieg der Fürsten und Städte folgen müssen ;
482 FRANZ KRATOCHWIL
der Krieg der Liebe und Schöne wäre den anderen allegorischen Ge-
dichten eingereiht worden).
Nach dieser Anordnung sind in der nachfolgenden Tabelle die
dem Lobe (oder der Geißelung) einzelner Personen gewidmeten Ge-
dichte an den Anfang gesetzt (24) und ihnen diejenigen, welche Ge-
schichtliches ohne allegorische Einkleidung bieten, angereiht (10),
worauf die allegorischen (9), didaktischen (2) und religiösen Dich-
tungen (4) und zum Schlüsse die possenhaften Gedichte (mit Aus-
nahme der Rede auf Gumolf Läpp) und die Reimkünsteleien folgen (3).
Von der in A eingehaltenen Anordnung der Gedichte weicht
diese Reihenfolge nur zweimal ab ; einmal, indem die Rede auf Ulrich
von Pfannberg, welche in A zwischen beiden Reden auf den jungen
Eilerbach steht, vor die erste Rede auf diesen gesetzt wurde, damit
der Rede auf den lebenden Eilerbach sogleich die auf den todten folge,
dann indem die Rede auf Hans von Traun der vom Teichner vor-
gestellt wurde, obwohl sie ihr in A folgt. Da aber beide so ziemlich
um dieselbe Zeit gedichtet worden sind, glaubte ich das thun zu können,
zumal es vom praktischen Werthe ist: es entsprechen dann die Num-
mern 1 — 24 der nachfolgenden Tabelle genau den in B befindlichen
Gedichten, nur daß diese Handschrift zweimal eine andere Aufeinander-
folge des Gedichtes hat.
Die Zählung von Friess und P ist beigefügt und angegeben, wie
oft und in welchen Handschriften ein Gedicht vorkommt. In den
Nummern 22 — 37 und 39 — 52 nennt sich der Dichter mit Namen.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 483
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486 FRANZ KRATOCHWIL, ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND etc.
2. Texter g ä n z u n g e n.
Zur zweiten Rede auf Ellerbach den Jungen.
A hat nach V. 36 dieses Gedichtes eine Lücke von 52 Versen,
die ich nach B unverändert folgen lasse.
B, S. 460, linke Spalte.
und rangk nach Gottes hulden
ich muz von waren schulden
urchund geben seiner tat
die er in Frawen dienste hat
5 mit Ritterschafft uollendet
der Mailheit ungeblendet
füer er uon erst durch preys bejag
für Landaw da czu felde lag
der chaiser Ludweig genant
10 und wolte nemen reiche phant
dem Edlen Herzog Heinreich
S. 460, rechte Spalte.
mit Streites ernst chrefftichleich
den Ritters Orden do enphie,
der hochgetewrt nu merket wie
15 es wart uerslicht das nicht geschach
der streit des maniger sich v sach
darnach der Edel was berait
mit Chunig Johan gan unu^zait
gen Frankreich do mang hund t lag
20 Ze tod erslagen auf ein tag
für tod belaib er auf dem wal
uon wunden was sein leben smal
daz man in sunder chreffte uand
daz leben waz des todes phant
25 die pheyl man aus im sueiden müst
Ach tod waz du czu laide tust
Zur Rede auf Friedrich von Lochen.
Nach Vers 52 dieses Gedichtes fehlen in A 52 Verse, die ich
nach B unverändert wiedergebe.
der hochgetewrten Ritterschaft
an leib und auch an lebens chraft
Maria Muetter und maid
30 in deinem dinst was er berait
drey stund in Prewßen landen
da man gar sund* schänden
der uerte zwo czu schaden czoch
den haiden daz si chlagent noch
35 Er tet nach Christenleicher ee
mit wer dem ungelauben we
daz manig* wart des lebens par
er nam der haidenschaffte war
mit wernden henden als im zam
40 In Holland für der Lobesam
mit manigem Ritter auserwelt
uor Utrecht uacht er als ein helt
uncz er uier wunden do enphie
wann es im Ritterleichen gie
45 daz man im hohen preises jach
in Brabant man den werden sach
uor Lüttich do der neinde schar
nam schänden uii schaden war
ainer floch der ander uiel
in ern glut sein hercze wiel
daz es uon schänden nie erlasch
der ueinde schaden er do drasch
50
B, S. 483, rechte Spalte,
gen Lubigk czu d^ guten Stat
die auch mit den Holczen hat
zu chriegf? chreftichleich gemaint
mit der Stat er sich ueraint
5 un rüst die schef mit frischer
kost
Westen, norden, Süden, Ost
die wind im wurdn wol bekant
er für hin in Holczen lant
in den Rosengarten
10 der neind si nicht sparten
"in wurdä uest gewunen an
nu merkt was ein pid^ man
durch wird un er geleidä mag
daz im uncz an den dritte tag
15 nie haubn ab dem hawbt cham
zu slaffen im gar übel czam
die gegent wart gewunnen
uir hund^ dörffer uerprunnen
O. BEHAGHEL, ZU WOLFKAM.
487
Lewt un gut was gar u^lorn
20 die weil was uö d^ Holcze czoru
der Clumig in Denenmarch v4riben
die Chunigin was chawm beliben
auf eiuer uest erpawen
mit allen Landes vrawen
25 gesafnet auf der fluchte spor
da lagf^ auch die neindo uor
mit starken heeres chrefften
die Chunigin mit potschefften
entbot dem Held uil gute
30 ob er uon guter müter
ye bechomen were
daz er aus großer swere
in hulf un rette si zehant
der chunig auch zu im pottii sant
35 man seit sein selbs peiten
die Chfinigin an den czeiten
sant aber ander poten dar
daz man recht oder ewen war
rett man si nicht si wer vMorn
10 von lande stiez der wolgeporn
mit achczeh"" koken wolgeladen
und sigilt auf der ueinde schadii
der chunigin um dn fiaw'^ zu trost
di wurdü uö d" besazz e^lo!^t
45 die Holcz"? czoge her gegen im
S. 484, linke Spalte
daz cham in da czu ungewin
waz einer suecht daz uand er
si lagen gegen einander
bis an den czehenden morge fni
50 di Heer do grififö baide czü
do hüb sich ein uil grozz* streit
der werte biz auf Vesperzeit
FRANZ KRATOCHWIL.
ZU WOLFRAM.
I. Die Zeit seines Thüringer Aufenthalts.
Die bei Wolfram so häufigen Reime wie stuont : funt , stuonden
'.gebunden werden von Lachmann dadurch zu reinen Reimen gemacht,
daß er faont und gebuonden schreibt. Die gleiche Anschauung vertritt
Weinhold: er meint, es sei u vor Liquida in Wolframs Dialekt zu uo
geworden (Bair. Gr. §. 114, mhd. Gramm. '^ S. 353). Es ist mir jedoch
nicht bekannt, daß heutige Mundarten diese Auffassung bestätigten;
ein stKont (hora), ein gebuonden, gefxionden ist mir nirgends begegnet.
Aber noch aus einem andern Umstand geht hervor, daß die Reim-
bindung Wolfram nicht durch seine Mundart an die Hand gegeben
wurde. Dieselbe liegt nämlich in folgenden Stellen des Parcival vor:
180, 7; 181, 11; 185, 25; 218, 17; 237, 13; 242, 17; 282, 1; 288, 25;
326, 13; 352, 29; 379, 29; 385, 13; 398, 21; 405, 15; 417, 9; 437, 21;
446, 1; 4.56, 25; 461, 3; 468, 21; 471, 15; 489, 25; 490, 23; 493, 17;
516, 7; 560, 25; 565, 5; 568, 19; 581,27; 589, 29; 595, 25; 648, 15;
741,11; 752,21; 798,7. Mit andern Worten: in den drei ersten
Büchern des Parz. mit ihren 5352 Versen kein einziges Beispiel; auf
die 19458 Verse der folgenden Bücher 35 Belege, also auf je 555
Verse einer. Wären diese Reime Wolfram von Haus aus geläufig
488 O. BEHAGHEL
gewesen, so wäre diese merkwürdige Vertheilung ein unbegreiflicher
Zufall. Es bleibt nur die Annahme, daß irgend ein fremder, während
der Abfassung des Parzival sich geltend machender Einfluß Wolfram
auf diese Reime geführt hat. Und was liegt näher, als die Ursache
in Wolframs Aufenthalt in Thüringen zu suchen, wo derartige Bin-
dungen durchaus gebräuchlich waren? Die drei ersten Bücher des
Parzival wären somit vor, die späteren nach dem Thüringer Aufenthalt
gedichtet.
Was man sonst noch in Wolframs Sprache auf thüringischen Einfluß
zurückführen möchte, steht damit nicht im Widerspruch. Ich glaube
allerdings mit Kinzel (Ztschr. f. d. Gymnasialw. 1877, 587), daß die
= der für Wolfram anzuerkennen ist, aber keines der mir einiger-
maßen sicher erscheinenden Beispiele fällt in die drei ersten Bücher
(in Bezug auf P. 139, 16 kann ich Kinzel nicht beistimmen). Zweifel
erregt das Verbum trecken , das schon P. 62, 29 steht. Seine heutige
Verbreitung ist mir unbekannt. Lexer weist seinen Gebrauch bei Meister
Eckart nach, der es doch schwerlich aus Wolfram entlehnt hat.
II. Zum Titurel.
Im Titurel fehlen derartige Reime von uo : m. Daraus läßt sich
natürlich beim geringen Umfang derselben nicht schließen, daß er
vor den Thüringer Aufenthalt fällt. Anderseits ist es kaum mehr
nöthig, noch weitere Beweise dafür beizubringen, daß der Titurel
nicht vor dem Parzival geschrieben ist. Ich will aber doch noch
einen kleinen Nachtrag geben zu Stosch's Bemerkungen Ztschr. f. d. A.
32, 471. Er weist darauf hin, daß der Baruc, der im Parzival des
Namens entbehrt, im Titurel Akherin genannt wird nach Bat. d' Alis-
cans V. 1653. Das gleiche Verhältniß liegt aber auch vor bei Ehkunat.
Er wird im Parzival dreimal erwähnt: 178, 19; 413, 15; 503, 16,
jedesmal ohne irgendwelche nähere Bezeichnung. Dagegen im Titurel
hat Wolfram eine Heimat für ihn gefunden, die er ihm bei seiner
bekannten Neigung für Namengebung gewiß auch im Parz. beigelegt
hätte, wenn dieser dem Titurel nachgefolgt wäre: Tit. 42, 1 Eh/mnates
swester, den man nant uz der starken Berhester. Und zwar stammt
auch dieser Name, wie schon Bartsch bemerkt hat, aus der Quelle
des Willehalm, bat. d'Aliscenus v. 5404.
III. Zu den Liedern.
1. Das Lied, das Lachmann in der Einleitung S. XII mittheilt
und aus metrischen Gründen ohne Weiteres Wolfram abspricht, hat
seitdem allgemein, so viel ich sehe, unter Acht und Bann gelegen.
zu WOLFRAM. 489
Ich möchte aber doch darauf hinweisen, dali Lachmanns Verwerfungs-
urtheil auf sehr schwachen Füßen steht. Er nimmt Anstoß an dem
Reimwort du mäht, das im Reime sonst nicht wiederkehre bei Wolfram.
Das ist der Irrthum, der in Lachmanns metrischen Ansichten eine so
große Rolle spielt: daß er etwas mit Bewulitsein gemieden glaubt,
das bei der Beschaffenheit des Sprachmaterials sich dem Dichter gar
nicht oder nicht leicht darbot. Auch in nhd. Versen würde man lange
nach Versen suchen können, die mit du magst schließen, wenn auch
die Reime darauf nicht so selten wären. So steht denn auch bei
Hartmann du mäht niemals im Reime, wie schon das rahd. Wb. be-
merkt. Ich füge hinzu, daß es auch in Minnesangs Frühling am Vers-
schluß j.gemieden wird", d. h. nicht vorkommt. Es wäre also bei
jedem andern Dichter die gleiche Rarität wie bei Wolfram.
Das Hauptverbrechen des Liedes ist aber der Versschluß spriv/ie
ah ich V. 18. Den hartnäckigsten Verehrer von Lachmanns Versrej^eln
dürfte der Nachweis stutzig machen, daß auch Goethe und Schiller
die nach Lachmann verpönten Versausgänge „gemieden" haben (Litbl.
1881, 426). Was insbesondere den vorliegenden Fall betrifft, so be-
gegnet das Wörtchen ich bei Wolfram überhaupt nur lOmal im Vers-
ausgang, wenn Moldaenke (der Ausgang des stumpf reimenden Verses
bei W.) und San Marte (Reimregister zu Wolfram) nichts übersehen
haben (P. 238, 8; 272, 19; 342, 27; 369, 17; 440, 19; 554, 18; 747, 29;
749, 26. W. 67, 22; 224, 17). Da müßte es schon ein ganz besonderer
Zufall sein, wenn darunter sich ein Ausgang ab ich befände, dessen
Entsprechung wir auch in nhd. Versen wieder lange vergeblich suchen
würden. Daß das Fehlen dieses Ausgangs mit Lachmanns Regel nichts
zu thun hat, geht schon aus dem Umstände hervor, daß auch aber
ich nicht vorkommt, das nach Lachmann zulässig wäre.
Im Übrigen ist das Lied zwar nicht besonders originell, aber
ein anderer Grund, es Wolfram abzusprechen, liegt nicht vor. Zu
Wolframs Weise stimmt der Reim mahf : bräht v. 22, das starke En-
jambement V. 23, das Fehlen des Artikels bei baut v. 23, das Band
der Sorge und das Hinken der Freude v. 23. Unsinnig ist allerdings
v. 17, aber auch ein Anderer würde nicht so geschrieben haben.
Vermuthlich ist zu lesen: icei' sol mich uu mieten, vgl. die bei Lexer
unter mieten verzeichneten Beispiele.
2. In 3, 25 — 26 ist Lachmanns wie Pauls Änderung (Beitr. 1, 202)
unnöthig, wenn man so schreibt:
sus der tac erschein:
weindiu ougen, silezer frouwen kus.
490 K. RETSSENBERGER
Das von mir zu En. 5260 belegte Fehlen des Verbs zeigt sich zwar
meist dann, wenn der Satz aus Subject und Prädikat gebildet ist;
aber auch eingliedrige Sätze ohne Verbum kommen vor: vgl. P. 44, 20;
681, 29.
3. Betreffs des Liedes 9, 3 theile ich Pauls Ansicht (Beitr. 1,
203), daß die drei ersten Strophen Wolfram zugehören. Wenn Müller
(Ztschr. f. d. Alt. 25, 50) gegen die Echtheit geltend macht, daß die
Strophen im Abhängigkeitsverhältnis zu 7, 11 — 40 stünden, so könnte
man ziemlich ebenso gut behaupten, daß das Lied 6, 10 ff. von dem
Lied 4, 8 ff. abhängig sei; vgl. 4, 28 mit 6, 40; 5, 14 mit 7, 6. Über-
haupt ist es ein Irrthum Müllers, daß Wolfram sich nicht selbst
wiederhole, vgl. z. B. P. 101, 9 mit Tit. 81, 2, P. 387, 2 mit T. 583, 8.
Aus den metrischen Düfteleien Müllers wird wohl schwerlich Jemand
einen Grund gegen die Echtheit der Strophen entnehmen.
GIESSEN. O. BEHAGHEL.
FRAGMENTE AUS DER WELTCHRONIK
RUDOLFS VON EMS.
Die nachfolgenden Fragmente aus der Weltchronik Rudolfs von
Ems sind auf einem Pergamentstreifen, der dem Einbände eines Quar-
tanten diente, im steiermärkischen Landesarchive in Graz erhalten
und wurden mir durch die Freundlichkeit des Herrn Landesarchiv-
directors Regierungsrath Dr. J. von Zahn zur Veröffentlichung über-
lassen. Der Streifen ist 36 Ctm. lang und 7 Ctm. breit und gehörte
zwei Blättern der Handschrift an. Doch ist der zweite Theil schmäler
als der erste, da von jenem ein Stück abgeschnitten ist. Die Schrift
ist nur hie und da etwas verblaßt und unleserlich, im Ganzen deut-
lich und sauber. Nach dem Charakter der Schrift wäre der Codex
dem 13. Jahrhunderte zuzuweisen.
Aus dem Vorliegenden zu schließen, enthielt jede Seite drei
Reihen Verszeilen, doch war der Text mannigfach von größeren und
kleineren bunten Bildern unterbrochen.
Auf der zweiten Seite ist das initiale D in der Bemerkung Daz
ander kvnige hvch hat hie ane farbenreich und kunstvoll behandelt,
jedoch nur in seiner unteren Hälfte erhalten. Auf der dritten Seite,
die ganze Breite entlang, ist die Überreichung der Krone und des
Armgeschmeides durch den Amalekiter an David (2 Sam. 1, 10)
FRAGMENTE AUS DER WELTCHRONIK RUDOLFS VON EMS.
491
abgebildet. Auf der vierten endlich
meist Köpfe darstellend. Wahrschein
bung Davids (2 Sara. 2, 4) behandelt.
') Do dranc an der selben zit
Div groze beidenschaft
Mit ir werlicben kraft
Hin vf Savlen da er streit
Vnd mit wlieher manbeit
Bi im siner svne dri
Die manlicbe im striten bi
Amminadab vnd Jonatbas
Melcbisve der dritte was
Die mit so frevelicben siten
Mit leidem wider kere
Fflohe er im was gach
Sebwtzen iagten im do )i!ieb
von den ward er vaste wunt
vnd von den scbvzzen vngesunt
Nv was savl gescheiden
Mit fliehen von den beiden
vf monte Gelboe bin dan
Vnd mit im sin man
D' mit namen als icb ez las
Slahen er s'pch icb tvn sin niht
Daz icb den gotes gewibten man
Grife also frevelicb an
Daz er von mir lege tot.
Do twanc des iamers not
Savlen daz er da fvr sieb
Stiez sin swert vnd einen stieb
Mit dvhen durcb sieb selben treib
Daz swert gie durcb in er beleib
Tot von sin selbes bant alda
Daz tet sin geselle ocb iesa.
Durcb ir manlicb manbeit
Gingen si mit ir mabt
Von Jabes Galaat die nabt
.sind vinten Reste eines Bildes,
lieh war in demselben die Sal-
\
Gern Bereaui der vcsfc bin')
dar komen si vnd stigen in
Vnd namen da die toten
Ane bübt vnd vscbroten
Die si fvrten an der zit
von danncn vnd si begrvben sit
In Jabes Galaat mit klage
lebten si siben tage.
Wan ez bedencke gotes r\cb
Hie ist daz erste kvnige bvch
Ffollesprocben voUegeseit
Mit vngelogener warbeit.
Daz ander
kvnige
bvch hat
hie ane
Wer bistv wie bistv genant
Daz dir diz ist so rebt erkant
Flr spch von geschiht ich kam
Do d* strit ein ende nam
vf monte Gelbo da sähe ich saeii
Do div groze flvbt geschach
Säulen vf dem schilte sin
Ligen d^ leit vil grozen pin
Von des todes vngemach
Do er gen im do nahen saeli
■•) e vnwandelbere.
e ob got wolde
dannen solde
oder war got wolde.
r varn solde
gote wart im do ") geseit
gütlicher warbeit
') Vgl. Schütze, Die historischen Bücher des alten Testamentes etc. 1. Il.-im-
bnrg 1779. S. 2.36 f.
^) Die ganze Zeile verschmiert, festeJi bei Schütze,
=) Schütze a. a. O IL Hamburg 1781. S. 112.
*) Schütze a. a. O. S. 116 f.
*; Ein Loch.
492 G. EHRISMANN, JAPPE8STIFT.
Er solde varn iu Juda In ebron vnd beleih alda
In ebron do kerte sa*') Sin gesiebte von Jvda
D'' Menthafte degen dar kam mit grozer mäht da hin
vnd fvrte mit im sine schar zv im ?;')nd wiht in
Beidiv kint wib und man ze kvnige vber al div diet
Ffurt er allez mit im dan Die sins gesiebtes namen vz schiet.
vnd lie des niht beliben
Er füre mit sinen wiben
BIELITZ in Oest.-Schlesien. KARL REISSENBERGER.
JÄPPESSTIFT
(König Tirol ed. Leitzmann 9, 5 und 43, 4).
Kinzel in seiner Recension von Leitzmanns Ausgabe (Ztschr.
f. d. Philol. 22, 242—244) vermuthet in jappe, indem er die Über-
setzung des mhd. Wb. und Lexers „Fußangel" mit Recht ablehnt,
einen Pflanzennamen. Ohne Zvv^eifel jedoch wird damit eine Schlangen-
art bezeichnet. An beiden Stellen ist von dem Gift der Vipper die
Rede, und es ist eine geläufige Vorstellung des Mittelalters, daß der
Schwanz, bezw. der Stachel (st/ift) der Schlangen Gift enthalte (z. B.
bei Megenberg S. 260, 23, MSH. 2, 174"). Dies paßt auch gut zu dem
Bilde in Strophe 43, denn der Schlangenzagel gilt als ein Zeichen
der Falschheit, vgl. die von Lexer unter slangenzagel angeführten
Stellen: Renner V. 14126, Teichner Laßb. L. S. 3, 383, 14; ferner
MSH. 2, 174" und 2, 367'. — Eine Schlangenspecies Jappes (9, 5) oder
Jappe (43, 4) habe ich nicht finden können. Ahnlich lautet ipnappe
bei Megenberg S. 272, 3, entstellt aus hypnale. Aber am nächsten
kommt Jaspis, Nebenform von aspis, welch letzteres auch von Wolfram
im Parzival 481, 8 erwähnt wird. Da nun Str. 42 des Tirol sicher
aus jener Partie des Parzival geschöpft ist (Leitzmann S .4), so wird
man auch in jappes, bezw. jaspes eine Reminiscenz an aspis des Par-
zival annehmen dürfen.
PFORZHEIM. G. EHRISMANN.
®) Über diese, die vorhergehende Zeile und das darüber befindliche Spatium
ist ein großer Buchstabe, der aber halb abgeschnitten ist, gedruckt.
') Ein Loch.
A. GOMRI^.RT. BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 493
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTER-
BUCHE.
Bd. VII, Lief. 10 {Pflasterung bis Platz).
(Schluß.)
Piez (vorquellende Weiberbrust) ist wohl absichtlich über-
gangen, weil im Wb. 2, 7—8 unter Biez (Bietz) erledigt. Zu den An-
gaben a. a. O. habe ich einmal hinzuzufügen, daß mir das Wort in der
märkischen Volkssprache sehr wenig, im Mitteldeutschen aber (Halle
und ganz Thüringen) häufig begegnet ist, dann aber, daß ich es
durchweg mit anlautendem p gehört habe, so weit nicht die ober-
sächsische Verwechslung zwischen P und B jede Sicherheit über den
Anlaut vernichtete. Mit diesem Worte hängt nicht zusammen das in
Zieglers Gesammelten Novellen vorkommende und deutlich erklärte
Piezloch; s. dort 1, 137: In der gininen iJecke, in dem Nafzfy das
avf dem. grundlosen Moder nuflieqi, ist zuiccilen hier und da eine Manche
gerissen, nur ist ein solches einen halhen bis ztoei Fuß im DurcJtmi'sser
große.'' Loch gar nicht zu bemerken , iceil das überhängende Gras und
Schilf es bedecken .... Noch loenigen Monaten ivälzen sich die Wogen
über das Fenn, und schon im nächsten Frühjahr loeiß der Jäger nicht
mehr genau anzttgeben, wo das Loch, das in de?' Landessprache Piez-
loch heißt, sich befand, in ivelchem. sein Freiwd, versank. Ebenda 138:
Im. Volke ist, ivenn Jemand unter dem Verdachte , daß er er.'^chlagen
toorden, verschwindet, gleich feststehend , daß der Mörder die Leiche in
ein Piezloch gesteckt habe. Eine haltbare Ableitung dieses Piez weiß
ich nicht zu geben. Der Ausdruck scheint übrigens auf die Mittel-
mark oder gar das Havelland beschränkt zu sein , wenigstens habe
ich ihn in der Ukermark nicht gefunden, obgleich dort die von Ziegler
beschriebenen Fenne und die Löcher in ihnen so gut wie in der Mittel-
mark vorkommen.
Pik als Bergspitze ist wohl mit Recht dem Fremdwörterbuche
überlassen; erwähnt sei, daß im 17. Jhdt. dafür auch die Pique
vorkommt bei Erasmus Franciscus, Ost- und Westindischer Lust- und
Staatsgarten, Vorbericht 116" (1668): Umere Leute, so die Neue Welt
besuchen, geben die Cannrische Pique für den höchsten Berg aus, den
man bißhero in der ganfzen Welt gesehni.
Pikant wird erst aus dem Briefwechsel zwischen Schiller und
Goethe beigebracht, während es nach Weigand bereits im 17. Jhdt.
GERMANIA. Neof. Reihe XXD. (XXXIV.) Jahrg. 33
494 A- GOMBERT
aufgenommen ist. Für solche, welche etwa Weigands bloßer Behaup-
tung nicht glauben, verweise ich auf Joh. Christoph Nehring, Manuale
Juridico-Politicum 675 (1694), wo piquant durch stachelhaft,
stechend, stichelnd erläutert wird. Die gleiche Erklärung gibt
Sperander 472^ (1728) und führt dabei das Wort auch zur Bezeich-
nung des sinnlichen Geschmackes an: ein piquant er Wein heist, der
einen scharfen auf die Zunge fallenden Geschmack hat. Daß Pi k an-
ter ie, wie Lexer aus Heynatz anführt, von Personen mit Handwerks-
burschengeschmack im Sinne von Feindschaft, oft auch von Stichelei
gebraucht wird, ist bekannt; diese Bedeutung scheint früher noch
allgemeiner gewesen zu sein , da Sperander a. a. 0. 473" es ebenso
durch Groll, Anstechung, Beschimpfung erklärt. In der Ber-
liner Volkssprache verwandelt sich das Wort in Pinkaterie, eine
Form, deren häufige und zwar ernsthafte Verwendung in den ange-
deuteten Kreisen ich bezeugen kann.
Piket spiel wird nur aus Stieler (1691) belegt, doch haben
wir den substant. Inf. piketspielen schon aus dem Jahre 1625 bei
Londorp 2, 1207": seine Landsleuth haben ihn drey Wochen in Pariß
aufgehalten, da er die Zeit mit Pickhetspielen zugehracht; ebenso
1, 1559\
Pilger. Zum Begriffe des Pilgers gehört die mancherlei Noth
und Beschwerde, die er auf seinem Wege erduldet. Vgl. Geibel, Spät-
herbstbl. 9:
Laß den sc hw ergeprüften Pilger (Odysseus)
Nicht am Ziel noch untergehn.
Noch deutlicher spricht dies F. L. Jahn, Ges. Werke 2, 403 (Neue
Runenblätter , aus dem Jahre 1828) bei der Erklärung des Wortes
pilgern aus: Pilgern ist mit selbstauferlegter Beschioerde, Mühe, An-
strengung und Entbehrung verbunden; gewählt als eine heilige Arbeit, um
drückende Gefühle loszuwerden, Leiden zu vergessen und das sturmbewegte
Lebensgeicoge in einen Ruhhafen zu retten. Von Zusammensetzungen
mit Pilger ist etwa ein Schock gegeben; ich füge einige hinzu, die
wohl ebenso berechtigt zur Aufnahme sind wie das verzeichnete
Pilgerbill et. Pilgerbahn kommt sicher in geistlicher Dichtung
mehrfach vor, so in der 15. Strophe von Gerh. Terstegens Liede
Kommt Kinder, laßt uns gehen; doch finde ich in dem mir vor-
liegenden Abdruck des geistlichen Blumengärtleins (Stuttgart 1884)
S. 331 die Lesart Liebesbahn statt Pilgerbahn. Pilgerbrot
nennt in leicht verständlicher Anwendung der Stuttgarter Prälat Gerok
eine Sammlung seiner Predigten. Pilgerflor bei Goethe 11, 1, 322
Hempel (Maskenzüge zum 18. Deceraber 1818):
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 495
Treuer Genius der Zeiten
Leicht gehüllt in Pilperflor.
Pilger Herberge findet sich neuerdings nicht selten in Beschrei-
bungen von Reisen ins Morgenland, so wiederholt bei Ninck, Auf bib-
lischen Pfaden. Pilger leben ist seit Klopstock belegt, zum Theil
durch wenig hervortretende Beispiele: man vermißt neben dem aus
Hölty gegebenen Belege den bekannteren aus dem Liede Üb immer
Treu' und Redlichkeit Z. .') fg.:
Dann kannst du wie auf grünen Aun
Durchs Pil geriehen gehn.
Ferner aus demselben Dichter:
Die Freude tvinkt aiif allen Wegen,
Die durch dies Pil gdr leben gehn (Wer wollte sich
mit Grillen plagen Z. 5 fg.).
Neben der Form Pilgerleute (zwei Belege aus dem 16. Jahrhundert)
war auch die andere Pilgersleute (vgl. Pilgers mann) zu ver-
zeichnen :
Ein Fahrzeug dort im Meere hält,
Darauf ist mir ein Platz bestellt
Nebst andern icackern Pilgers leuten. Tieck, Kaiser
Octavianus 119.
Pilgerort: Constantin und Helena hatten das verfallene Jerusalem zu
der Bedeutung des heiligsten Pilgerortes [üblicherer Ausdruck : «Wall-
fahrtsort] der Christenheit erhoben. Gregorovius Athenais 161. Pilger-
pfad bei G. Terstegen a. a. O. 328:
Es soll uns nicht gereuen
Der schmale. Pilgerpfad.
Pilgerschritt bei Goethe 11, 1, 256 Hempel (Theaterreden aus
dem Jahre 1821):
Entsagung heiligt Kriegs- und Pilgerschr itt ;
Sie treibts, zu leiden, weil der Höchste litt.
Pilger Stätte: Der Weg zu den großen Pilgerstätten hat noch immer
durch die Wüste geführt. Fontane, Wanderungen 3, 45. Pilger stecken
ist zwar seltener als Pilgerstab, findet sich jedoch mehrfach, z. B.
Dingelstedt, Am Grabe Chamissos (1838), abgedruckt in Echtermeyers
AuswahP^ 694:
Nun schläfst du in der fremden Erde schon,
Und die den Wandernden nicht konnte wiegen,
Brut ihm ein Grab mit Lorbeer und mit Mohn,
Ih-auf soll gekreuzt sein Pil ger.ttecken liegen
33*
496 ^- OOMBERT
Und unser Banner, das dem Sängerheer
Voran er trug.
Vgl. auch Vilmar Schulreden über Fragen der Zeit'* 297: mit dem
Hirtenstahe weiden und am Pilgerstecken wandeln. Pilgerthum bei
Goethe 28, 383 Hempel (1817): Obgleich ein jeder Künstler, der sich
zum Plastischen bestimmt fühlt, sich diese Wallfahrt nach London [zu den
Elginschen Marmoren] zuschwören und mit Gefahr des Pilger- und
Märtyrihums ausführen muß. Pilgertracht bei Goethe 11, 1, 316:
Genius in Pilgertracht (Bemerkung und Erklärung zum Maskenzuge
vom 18. Dec. 1818). Vgl. auch Scherer, Gesch. d. deutschen Litt. ^
219: In späteren Jahren lauert ihr Hadlaub in Pilgertracht des Mor-
gens auf. Sicher würden sich für dies gewöhnliche Wort viele bessere
Belege finden lassen, wenn es auch wie im DWb. bei Adelung, Campe,
Heinsius, Heyse und Sanders übergangen wird. Pilger ziel hat Gre-
gorovius Athenais 157: Hellas war das gelobte Land und AtheM das Pi lg er-
ziel der Heiden. Zu Pilgrim wird mit Recht bemerkt, daß es als
alterthümlich edel gilt und besonders in gehobener Rede Verwendung
findet. Dazu wäre ergänzend zu fügen, daß Pilgrim mit seinen Zu-
sammensetzungen in der Sprache der Erbauung und des geistlichen
Liedes sehr beliebt ist. Einer Häufung von Belegen bedarf es nicht.
Es sei nur bemerkt, daß der erst nach einer Anführung bei Jung-
Stilling aus Fr. A. Lampe gegebene Beleg für Pilgrimstand den
Anfang eines in vielen evangelischen Gesangbüchern stehenden Liedes
des im Jahre 1729 gestorbenen Lampe bildet. Bekannter noch als diese
Stelle ist die in Gedanken und Wortlaut mit der genannten fast ganz
übereinstimmende aus B. Schmolkes Liede Himmelan geht unsre
Bahn: Hier ist unser Pilgrimstand.
Droben unser Vaterland,
Wurde das Pilgrimsjahr verzeichnet, so konnte auch der Pil-
grim s tag Erwähnung finden:
Ein Pilger muß sich schicken,
Sich dulden und sich bücken
Den kurzen Pilgrimstag, G. Terstegen a. a. O. 329.
Pilgrimsväter oder Pilgerväter ist die ehemals von evangelischen
Nordamerikanern mit Stolz gebrauchte Bezeichnung ihrer unter Jacob I.
zuerst nach Holland geflüchteten und seit 1620 in Massachusetts ge-
landeten puritanischen Vorfahren. Pilgrimszeit bei Uz 1, 224:
Von Misgunst, Unruh, Müh und Streit,
Den Plagen unsrer Pilgrimszeit,
Flieh ich dir freudig zu (Ode an die Weisheit).
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 497
Pille wird nicht selten als Arznei neben dem klan^verwandten
Pulver genannt, z. B. Immermann. Epigonen 008 Recl. : Wir (Ärzte)
tverdcn uns dm- antiken Richtung wieder nähtr an.-<chließ,N. Lange oemtg
haben wir mit Pulvern und Pillen die Natur zu zwingen geioähni
odtr den lebendigen Leih an das Kreuz des Systeinis geschlagen, in Zukunft
werden wir mein- beobachten. Neben Pillendreher war auch Pillen-
drechsler aufzuführen; das entsprechende Pillen drechseln bringt
ja Lexer selbst wie schon W. Grimm 2, 13:31 aus Günther, ebenso
hat es Liscow 450: Da man ohne Vernunfl ganze Völker regierm, Länder
erobern, Schlachten geioinnen, Seelen bekehren, Rechtshändel entscheiden,
Pillen drechseln, Reeepte verschreiben und ein Weltioeiser sein lann:
so möchte ich ivohl icissen, ivantm es nicht erlaubt sein sulllr, ohne Ver-
nunft ein Buch zu schreiben? Pillenheld als höhnische Bezeichnung
des ungeschickten Arztes in Neukirchs Sammlung 6, 242 (1709):
Du armer tod, so wirst du eoujoniert!
Gelt! solche pillen-helden
Die können dir den Abschied melden,
Der dich von uns in ferni' grentzen führt.
Pillenschachtel als ein im Apothekerverkehr sehr gewöhnliches
Wort sollte nicht fehlen. Wer noch einen Beleg für dasselbe begehrt,
sei verwiesen auf Annette von Droste-Hülshoff 1, 229:
Wie Abendroth zog ins Gemach
Ein frischer Jugendodem
Und überhauchte nach und nach
Der Pillen Schacht ein Brodem.
Endlich möge noch der Pillenstaub erwähnt werden, den der Apo-
theker nöthig hat, um die in die Schachtel gethanen Pillen am Zu-
sammenkleben zu hindern.
Pilot. Daß das Wort im 17. Jhdt. aufgenommen sei, ist wohl
auf die Gewähr Weigands behauptet. Am Schlüsse des 16. Jhdts. linden
wir es bei Ägidius Albertinus Übers, von Guevaras Güld. Sendschr.
1. 62" (1598): Die jenige Jioben Gott höchlich zu dancken die er nicht
gibt unter die Händt eines hoffertigen Hauptmanns^ eines frechen Piloten,
einis iin geschickten Rechtfsgelehrten, eines ein f eltigen Medici vnd eines vn-
erfarenen Richters; vorher steht es bei Mathesius Sarepta (15(32):
darnach sich die Piloten im wilden Meere zu richten haben. Für Pilot
in der Bedeutung Leitfisch steht gelegentlich auch Pilotenfisch
(naucrates ductor) bei J. J. Engel, FürstenspiegeP 242 (1802): die
Matrosen, die bei Benenmmg dieser dirigirenden Fische im Kreise ihrer
gewohnten Begriffe blieben, haben sie Pilot en fische genannt; man
498 A. GOMBERT
könnte sie sonst, mit gutem, Fug und Recht, auch Ministerfische nennen.
Pilotieren, freilich ein sehr entbehrliches Wort, findet sich bei
H. P. Sturz '^ 2, 301: Da fuhr ich herum auf dem Sündenmeer, ohne
Ruder und Kompaß , und wäre sicherlich untergegangen im Strudel der
Verzioeiflung, hätte mich der ehrioürdige Herr nicht in den Hafen der
Gnade pilotirt. Piloten schaft steht bei J. G. Müller, Herr Thomas
2, 380 in einer vom Verfasser selbst als veraltete Phrase bezeichneten
Wendung: Unter der Pilotenschaft ihrer Compassion.
Pilz. Entsprechend der ungewöhnlichen von Lexer angeführten
Nebenform die Pilze hat Herder auch den (von Lexer aus Zachariä
beigebrachten) Plural die Pilzen, z. B. 7, 304 Suph. (Fünfzehn
Provinzialblätter) : alle Pilzen auf einem Miste. Pilz nennt man auch
eine luftige Baulichkeit im Freien, die hauptsächlich aus einem starken
Mittelpfosten und einem von dessen oberem Ende nach allen Seiten
schräg oder rundlich wie ein Zeltdach oder ein Pilz sich herab-
senkenden, doch noch etwa auf Mannshöhe vom Boden fernbleiben-
den Dache besteht. Kleinere Pilze der Art errichtet man auf vor-
springender Waldhöhe, um den Genuß einer schönen Aussicht zu ver-
mehren; größere Pilze bekommen einen gedielten Boden, auch wohl
Bänke rundum, und das Ganze dient als Tanzplatz bei Waldfesten.
Einen Pilz der ersten Gattung hat Jalin 2, 973 (Brief aus dem Jahre
1840) im Auge: Ihr Franzosen seid schnell fertig geivorden [mit dem
Staatsgebäude oder der Verfassung], habt auf hohen Siehdichum einen
schlanken Pilz gestellt mit loohlklingendem Schellengeläute, too die Luft
nach der Windrose durchstreicht. Von sprichwörtlichen Wendungen mit
Pilz führt Lexer nur aufschießen wie ein Pilz an und verweist
für andere auf Wanders Sprichwörterlexikon. Das wird nicht nach
Jedermanns Meinung sein, da die üblichen Wendungen doch auch
in das allgemeine Wörterbuch gehören; man will wohl eine Begrün-
dung einer sprachlichen Erscheinung gern anderswo suchen, nicht aber
den SprachstofF selbst. Die Wendung in die Pilze gehen (belegt
DWb. 2, 514 unter Bülz) bedeutet, wie schon Campe angibt, nicht
bloß verloren gehen, sondern auch zu einem Liebesabenteuer
oder Stelldichein gehen. Diese zweite Bedeutung finde ich, und
zwar in der Fassung nach Pilzen gehen, zuerst bei Londorp 2,
771'' (aus dem Jahre 1619): Eben dieser Priester ist auch bald darauf
mit der fürnemsten Klosterjungfraiven in den Wald nach Piltz en ge-
gangen., und ebenda 772": es were ja leider darzu kommen., daß soviel
Nonnenklöster so viel Hurenhäuser weren, da gehet dann der Pf äff mit
der Äbtissin, wie oben erwehnt, in Wald nach Piltz en. In Kinds Ge-
RKMERKUNGEN /UM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 499
dicht: Der Gang in die Pilze wird mit der Wendung gespielt, indem
die ränkevolle Geliebte den arglosen Liebhaber zuerst zu einem Stell-
dichein verlockt mit den Worten:
Doch werd ich abends nach Pilzen ansifehen
Zur güldenen Ane,
dann ihn aber schimpflich behandelt und der Verhöhnung aussetzt,
so daß er nach dem Erlebten dergleichen Gänge zu meiden beschlielH:
Drum einmal in die Pilze gegangen
Und — hol mich! nicht wieder.
Auch der Pilz als Mauerschwamm verdiente Erwähnung; vgl.
Annette v. Droste Hülshoff 2, 246:
in diese öden pilzhewachsnen Maxiern.
Von Zusammensetzungen bringt Lexer nur Pilzenge ri cli t und
Pilzgeschlecht, die wenigstens nicht die zwei üblichsten sind;
häutiger ist sicherlich Pilzsammler (auch ein die Pilze behandelndes
Buch nennt sich der kleine Pilzsammler), noch häufiger das Adj.
pilz artig, theils im allgemeinen Sinne, theils mit Beziehung auf das
schnelle Wachsen der Pilze. Vgl. Humboldt Ansichten der Natur 274
(Ausg. V. 1871 : Sie [eine Pflanze auf Sumatra] riecht pilzartig thierisch
nach Rindfleisch'^ Strack, Süd und Ost 263 (1885): die Stadt Hermu-
polis hat sich pilzartig geschwind und doch mit sichtbarer Solidität ent-
wickelt.
Pimpeln ist schon, wie L. mit Recht bemerkt, ein Frequeu-
tativum . doch wird dieser Begriff gelegentlich noch durch Wieder-
holung verstärkt; vgl. Edelmann, Lebensbeschr. 96: darüber erhöh sich
dann ein continuierliches Pimpeln und Pimpeln der Madame bey dem
Herrn Lerchen, daß er mich doch zu einem eingezogenen Leben ermahnen
möchte. Das nicht verzeichnete Pimplich (g) keit ist wenigstens in
Norddeutschland ungleich üblicher als das aus Heine beigebrachte
Pimperlich keit. Ein Beispiel für jenes in E. M. Arndts Erinnerungen
bei Schwab und Klüpfel, Deutsche Prosa'' 2, 87: Der Vater, noch jung
und kräftig, fühlte mit unserer Pimperlichkeit kein weichliches Mitleid.
Für Pimpelhans sagt man, um das Weibische des Pimpeins noch
mehr hervorzuheben, auch Pimpelhanne und Pimpelhenne, zur
Bezeichnung des pimpelnden Mädchens Pim pell lese. (Gedruckte
Belege dafür vermag ich nicht zu geben, nur daß ich ich die Pimpel-
liese auch bei Frischbier angeführt finde.
Pink pink! ist natürlich auch die Bezeichnung für den Ton
des Feueranschlagens : Pink, pink! der Zunder glimmt, die Glut wird
aufgeblasen Stoppe, Parnaü i. Sättl. 26Ü. Pink und pank ahmt den
500 ^- GOMBERT
Schlag der Schmiedehämmer nach; vgl. Annette v. Droste-Hülshoff
1, 231 (Die Schmiede):
Und draußen geht es Fink und Panh,
Man hört die Flammen pfeifen,
Es keucht der Balg aus hohler Flank'
Und bildet Aschen streifen.
Pinkel für Harn scheint in Oberschlesien wenig üblich zu sein;
sonst könnte nicht in Groß-Strelitzer Judenfamilien die kosende und
keineswegs spöttische Bezeichnung für Pinkus, Pinkel lauten (vgl.
Vattel, Muttel, Hetel [Hedwig], Ketel [Käthe]). Ferner redet
man ebenda von gepinkeltem Kleiderstoff, indem man gepünk-
telten meint. Über die von Frau H. Davidis in ihrem Kochbuch ^^
561 beschriebene, von Lexer nicht erwähnte Pinkelwurst vergl.
Sanders Wb. 2, 55P. Die hier genannten Ausdrücke würden im
Brandenburgischen anstößig oder unmöglich sein, da dort Pinkel
und pinkeln ausschließlich Harn und harnen bedeuten. Daß der
Harn in der alten Heilkunde und Zauberweisheit vielfache Verwen-
dung fand, lehren zahlreiche Arzneibücher. Einen besonderen hier zu
erwähnenden Aberglauben verhöhnt Chr. Weise, Überfl. Gedanken,
9. Dutzend Nr. 7, Str. 4:
Die Leut6 mögen nun
Durch unsern Trauring Pinckeln,
So wollen wir doch lulm,
Und alle die Quacksalherey
Soll uns hei unsrer Löffeley
Doch keinen Schaden thun.
Bei Pinscher wäre eine Hindeutung darauf erwünscht, daß
das Wort im übertragenen Sinne etwas verhältnißmäßig Kleines oder
Geringartiges ausdrückt. Vgl. Tenorpinscher bei Sanders im Er-
gänzungswörterbuch. Der berittene Soldat nennt in mitleidigem Selbst-
gefühl die auf strengen Märschen ermüdeten Fußsoldaten arme Pin-
scher, da sie zu aller Bewegung auf die eigenen Beine angewiesen
sind. Beim Kartenspiel heißen die geringen Karten gegenüber den
hohen oder Trümpfen die kleinen Pinscher. Pinschern, das
Lexer übergeht, führt Frischbier in der Bedeutung jagen an. Ich
habe das Wort häufig gehört, doch ohne Beziehung auf die Jagd,
lediglich als herabsetzendes Kraftwort für herumlaufen oder auch
als Fußsoldat marschieren: Ich bin durch halb Frankreich gepin-
schert und habe nicht viel Schönes gesehen; er muß einmal überall
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 501
herumpins ehern u. dgl. Heine braucht bekanntlich in den Hel)rai-
schen Melodien vom Allta^sjuden das entsprechende allgemeine kütern:
Hund mit hündischen Gadanken
Eötert er die ganze Woche
Durch des Lehens Kolk und Kehricht.
Pinsel. Ein eilfertiges und achtloses Malen, besonders aber die
auffällige Buntheit eines Gemäldes bezeichnet man mit der Wendung:
Hier hat der Maler (alle) seine Pinsel anf!(jeicisc hl :, vgl. aucii Castellis
Gedicht Der Stieglitz:
So hat der liebe Gott
Mit Farh den Stieglitz aufgefrischt,
An ihm die Fi n sei aus g e w ischt.
Pinsel in der unter 4 gegebenen Bedeutung wird gelegentlich von
Förstern und mehr noch in der Kraftsprache städtischer Jäger auch
auf den Menschen angewendet. Pinselei im übertragenen Sinne
wird aus Bürger, Knigge, Klopstock belegt; ein etwas früheres Bei-
spiel bietet Ch. D. v. Böhlau, Poet. Jugendfrüchte 39U (in einem
Gedichte des Jahres 1730j:
So sitzest du zu Haus und schmierest ein Gedicht
Und willst des Abends dich nicht vor der [so!] Thiire trauen,
Um dich zur hlosen Lust einmal herum zu hauen.
Ist dies nicht Finseley?
Auf Zusammensetzungen mit Pinsel ist Lexer nicht gerade ängstlich
bedacht gewesen. So hat er das heute so häufig gebrauchte Wort
Pinselführung nicht aufgenommen, obwohl er es auf Sp. 1862 in
der dort gegebenen Erklärung selber gebraucht. Neben Pinselstiel
und Pinselstock hätte sonst auch der Pinselstecken genannt
werden können; s. Forster, Ansichten vom Niederrh. 3, 83 (Anhang):
er malte in ein^'m halhdunkeln Zimmer mit sehr langen Pinselsteckeit.,
iceit von der Staffelei, und daher ivirkten seine Gemälde erst in einer
geicissen Entfernung. Ebenda 3, 67 auch Pinselspitze: der Zauber,
der in Correggios Fi n seispitz e entzückt.
Pionier sollte nicht fehlen, zumal da das Wort über seinen
engeren Begriff hinausgewachsen und zur Bezeichnung eines Bahn-
brechers oder Pfadweisers überhaupt geworden ist. Das auch
von Weigand übergangene Wort findet sich schon bei Nehring (1694)
und darnach bei Sperander (1728) mit der Erklärung Schantz-
graber. Spielhagen nennt bekanntlich eine seiner früheren Erzäh-
lungen Pioniere des Westens; Pioniere der Bildung, des
Deutschthums u. dgl. sind uns heute geläufige Ausdrücke; vgl. auch
502 A. GOMBERT
Ziegler, Novellen 1, 90: Wo ich immer gekonnt, habe ich mich auf
Reisen an diese Pioniere der Cultur [die Handlungsreisenden] an-
geschlossen,
Pipi wird übergangen, sowohl als Lockruf für Vögel (Goethe
1, 169 Hempel) wie als die der norddeutschen Kinderstube ange-
hörende, jedoch in Schlesien weniger übliche und in Oberschlesien
zum Theil nicht einnoal bekannte Bezeichnung für Harn. Diese letztere
Bedeutung hat das Wort (häufig in der Verbindung Pipi machen)
im Norden Deutschlands so überwiegend und fast ausschließlich, daß
hier der in Goethes Gedichten 1, 14 erwähnte Prinz Pipi über die
Absicht des Dichters hinaus komisch wirkt. Da man nun in Nord-
deutschland die ganz kleinen Kinder abrichtet, für den Fall des an-
gedeuteten Bedürfnisses zu rufen: Pipi, Pipi! so ist es auch für ein
ernsthaftes und der Jagd auf Zweideutigkeiten abholdes branden-
burgisches oder pommersches Gemüth befremdlich und störend, in
der zuerst genannten Stelle Goethes zu lesen :
Aber der Blick auch, der Ton,
Wenn sie ruft: Pipi! Pipi!
Zöge den Adler Jupiters vom Thron.
Man durfte die Aufnahme des Wortes Pipi um so eher erwarten,
als Jac. Grimm das entsprechende Aa der Kindersprache nicht bloß
verzeichnet, sondern ziemlich ausführlich erörtert hat.
Pips (die bekannte Hühnerkrankheit) findet sich auch in der
Nebenform Pnips bei Valentin Apelles (Apel) in der deutschen aus
dem Jahre 1580 herrührenden Bearbeitung eines Terenzischen Stückes,
herausg. v. Fr. Straumer in der Beigabe zum Progr. des Gymn. zu
Chemnitz vom J. 1888, S. 30\-
darzu weyß sie ein sunder e tveyse
den sichen henen den pnips zu reyssen.
Die hier gebrauchte Wendung (seit Adelung in den Wbb.) hätte ver-
zeichnet werden sollen, zumal da sie in weiten Strichen Norddeutsch-
lands auch übertragen gebraucht wird und so viel bedeutet wie
Jemandem in empfindlicher Weise seine Fehler oder Un-
arten abgewöhnen.
Pirat wird aus der Zimmerschen Chronik belegt; vgl. auch
Niclas V. Wyle 307 (1470): der andern schiffung vnd parthie houptman,
nämlich der pirraten'^ ebd.: von den birraten zu allen orten bekriegt
und angegriffen. Damit will ich für Lexer nichts Neues sagen, der ja
in den Nachträgen zu seinem mhd. Handwörterbuch selber aus Hein-
rich von Neustadts Apollonius (um 1300) den (allerdings erst aus dem
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖHTERBUCHE. 503
handschriftlichen beratten von Strobl herg;estellten ^ Pliir pi raten
bringt. Von den leicht zusammenzubringenden Zusammensetzungen
sei hier nur die Piratenflagge erwähnt und aus Ziegler 3, 94 (Brief
aus Florenz vom J. 1861) durch ein auch heute noch der Erinnerung
werthes Beispiel belegt: die Impertinenz Eut/lands, die sie [die dreifarbige
Flagge Deutschlands 1848] als Piratenflagge behandeln wollte, stuht
noch aufrecht da.
Pirr gebraucht Kopisch (Des kleinen Volkes Überfahrtj
als Naturlaut vom Getrippel vieler kleinen Füße:
Tück, tück! ßels in den Krug hinab,
Wie jeder seinen Heller gab.
Pirr! trippelts heran
Und stapft zum Kahn.
Übrigens finde ich hier Kopisch nicht gerade glücklich; denn pirr!
würde (etwa in Stellvertretung von burr!) besser das Aufsteigen eines
Fluges Lerchen oder eines Volkes Rebhühner andeuten.
Pissen wird nach Kehrein als weidmännische Bezeichnung des
Tones der Haselhühner angegeben; vgl. dazu Harsdörffer, Frauenz.
Gesprechsp. 1, Schutzschrift S. 13: es rissen imd pissoi die Vögel.
Pistazie. Über die Einführung des Baumes in Frankreich meldet
Sebiz, Vom Feldbau 273 (1580): Der Pistacienhaum ist inn unseren
Landen gar seltzam gewesen, eh das er durch die zween Ehrivilrdigen
Herren, den Herrn Cardinal von Bellay [j 1560] und Herrn Renato
Bischof von Mans [bis 1546] bcyde gehrüder . . zum aller ersten inn
unser Franckreich ist gebracht, vnnd in disen Landen nit allein sein
Name, ivelcher vns ganlz vnbekant geivesen; sondern auch die pßantzung,
die gestalt als eines fremden geivächß . dessen wir vns hoch vei-wundern,
vn so hoch vnd inn grossen ehren halten, aber doch von seinem herkommen
gar loenig icissen, vns ist bekant gemacht looi'den.
Pistolet als Goldmünze findet sich vor Bürster schon bald nach
1610 bei Londorp 2, 116": die Pfältzische Baicren allein seynd nnn ein
lange Zeit hero in Kriegssachen abgerichtet worden vnd erwarten etver
doppel Pistolletten mit verlangen. Daß die Bezeichnung nicht erst
im 17. Jahrhundert in Deutschland aufgekommen ist, sehen wir aus
Fischart, Gegenbadstub (1568, Kurz 3, 368): mit jhren Pistolet-
Kronen.
Pitsch(e)naß kommt neben dem von Lexer verzeichneten
platschnaß wie im Preußischen (s. Frischbier) auch in der Berliner
Haussprache vor; noch nachdrücklicher und malender ist da.s dort
ebenfalls übliche pitsche-patsche-pladdernaß.
504 A. GOMBERT
Pitschel führt F. L. Jahn 1. 448 (Denknisse 42) als ein Gubener
ßiermaß an: In Guben an der Neiße in der Niederlausitz war sonst
Pitschel ein gewöhnliches Biermaß. Das Wort ist mir unbekannt:
Jahns Zusamenstellung desselben mit dem englischen pitcher (Krug)
erscheint als verfehlt, eher ist wohl, schon wegen der Gegend, an
das slav. pic = trinken zu denken.
Pitzeln (= schnitzeln) bes. in der Zusammensetzung ver-
pitzeln (s. Weinhold, Beiträge 70**) ist nicht aufgenommen. Ver-
pitzelung in Rättels Übersetzung von Cureus 2, 24 (1585): in solcher
vielf eltigen zertheilung und verpitzelung der Fiirstenthümher. Das bei Wein-
hold a. a. O. aufgeführte Pitzel (abgeschnitzeltes Stück) das
in Schlesien neben dem dort noch gewöhnlicheren Brinkel auch in
der Verkleinerungsform Pitzerle vorkommt, lautet im brandenb.
Niederdeutsch Pritzel und dementsprechend auch das Zeitwort ver-
pritzeln.
Plackerei. Der aus Liliencrons histor. Volksliedern gegebene
Beleg gehört nicht in das Jahr 1572, wie in Folge eines Druck- oder
Schreibfehlers angegeben wird, sondern in das Jahr 1512.
Plageteufel (aus Hederich 1729) steht schon bei Londorp
2, 86": haben auch newlich in abgedachte Länder die schändlichen vn-
ruhigen Plageteuf fei die Jesuiter geschickt, die den Weg bereiten sollen.
Plaid fehlt, während es doch sicher heute weiteren Kreisen
geläufig ist als das aufgenommene stets gelehrt klingende Plagiat.
Geibel gebraucht Plaid unbedenklich auch in der Dichtung, freilich
wo er uns nach Schottland führt; so Gedichte u. Gedenkbl.^ 59:
Schön Ellen lehnt auf des Feldstücks Rand
Vom bunten Plaid iimflossen.
und ebd. 52: Und da kams in Geschioadern gezogen
Mit geioürfeltem Plaid und mit Federn vom Aar,
Und Englands Banner ßogen.
Plagge wird von Lexer als männlich bezeichnet; ich kenne es
mit Adelung, Campe, Heinsius, Heyse, Sanders nur als weiblich, mei-
stentheils aber steht das Wort in der Mehrzahl, so daß das Geschlecht
nicht erkennbar ist. Ausführlich über den Plaggendünger spricht
Schwerz, prakt. Ackerbau 1, 140 ff., der auch folgende nicht bei Lexer
stehenden Zusammensetzungen bietet: Plaggendung, Plagge Ur
mist, Plaggeneinstreuung, Plaggenstreu, Plaggenlager,
Plaggensch icht.
Plakat ist vor Stieler nachzuweisen aus Erasmus Franciscus,
West- und Ostindischer Lust- und Staatsgarten 3, 1631" (1668): Hie-
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUPHE. f^ö
henebenst werden öffentliche Placafpii ang »schlagen \ ebd. 1632": alle
durch das kaiserliche Placat citirte grosse Ufrren. Plakatenpresse
gebraucht Bismarck am 21. März 1849 als Abgeordneter der zweiten
Kammer: Wenn das Feuer der Berliner Straßen pnlifik durch den Wind
der Plakatenpresse und. der Kluhs angefacht wurde, so gab t>s Auf-
tritte, die zu den schmachvollsten in der preußischen (leschichte gehUren.
Plan als Kampfplatz wird mit mancherlei, auch wonig be-
deutsamen Beispielen belegt, doch vergebens sucht man die bekannten
Zeilen aus Luthers Hauptliede:
Fh' ist hei uns wohl auf dem. Plan
Mit seinem Geist und Gaben.
Auch durfte man wohl erwarten, aus E. M. Arndts inimfr nocli frischem
Liede vom Feldmarschall die Verse zu finden:
Bei Leipzig auf dem Plane, o herrliche Schlacht!
Da brach er den Franzosen das Glück und die Macht.
Im Anschluß an Weinhold wird besonders hervorgehoben, daß Plan
im Schlesischen auch eine Ackerstrecke bedeute. Dieser Sprach-
gebrauch wird wohl in der Volkssprache ziemlich verbreitet gewesen
sein, wenigstens ist er mir aus meiner ukermärkischen Heimat als
ganz gewöhnlich bekannt. Die Bezeichnung Plan stößt dort mit der
nach dem Westen Deutschlands hin häufigeren Kamp zusammen,
so daß nach Lage und Beschaff"enheit der Ackerbreiten kein Unter-
schied zwischen dem Kamp und dem Plan zu finden ist; indessen
wird der Ackerbesitz Jemandes durchweg als Plan mit dem voran-
gesetzten Namen des Eigen thümers bezeichnet, also etwa Eberts
Plan, wogegen das dem Dorfschulzen für seine Mühewaltung überlassene
Ackerstück dort nd. stets Schultenkamp heißt, nie Schulten-
plan. Schwerz, Prkt. Ackerbau 1. 344, 346, 347, 348 bezeichnet die
zur Überrieselung bestimmten Wiesenflächen als Rasen stücke oder
Plane. Auffallend ist das Fehlen von Plankammer, das man
freilich, zu geschweigen der früheren Wörterbücher, auch bei Campe,
Heinsius, Heyse, Sanders nicht findet. Nach Müllers Verdeutsch-
wörterbuch der Kriegssprache 279 (1814) ist das Wort zuerst in
Sachsen aufgekommen: Topographisches Bureau ist P lankannner,
eine in Dresden gebräuchliche Benennung dieses Bureatis. In Berlin
gehört die Plankammer zum Nebenetat des Großen Generalstabes.
Die in dieser Abtheilung mit der Landesaufnahme und anderen Ver-
messungsarbeiten beschäftigten Officiere geben einen Theil ihrer Karten
für den Verkauf heraus, so daß es wenigstens früher einen Verlag
der Plankammer gab. Planwagen wird durch Albrechts Buch
506 A- GOMBERT
über die Leipziger Mundart gestützt. Das Wort ist doch in ganz
Norddeutschland üblich, wenn es auch gelegentlich noch durch Be-
schreibung verdeutlicht wird, wie Spielhagen, Angela 216: Der Wagen,
der ein mit einer Plane bedeckter und zwei tüchtigen Gäulen bespannter
Karren ivar^ dann ebd. 264 heißt es einfach: der Planwagen war
davongefahren. Fontane, Wanderungen 4, 166 traut die Kenntniß des
Wortes jedem seiner Leser zu". Krippen lehnen sich an die Wand, ein
Planwagen steht zur Seite, daratif ein Spitz die Wache hält.
Pläne für Ebene oder Fläche hätte durch die Bemerkung
gekennzeichnet werden sollen, daß es zu denjenigen Fremdwörtern
gehöre, welche, in der edleren Sprache absterbend, jetzt nur noch oder
wenigstens vorzugsweise in den niederen Kreisen der Bevölkerung
üblich sind (vgl. retour, Parasol, BouteiUe u. a.).
Der Planet ist genau entsprechend seiner Grundbedeutung, auch
ein Sinnbild der Unbeständigkeit, vgl. v. L. in Neukirchs Sammlung
2, 111 (Leipzig 1697):
Wundre dich nicht, daß die liebe meistens unbeständig ist;
Venus die hat eine stelle beyn plan et en ihr erkiest.
Zu den Beispielen, welche den ehemals mächtigen Wahn der Stern-
deuterei veranschaulichen, wäre des Gegensatzes halber der Spruch
aus Neukirclis Sammlung 6, 315 (1709) zu setzen:
Christen führet kein planete,
Gott allein ist ihr prophete [Überschrift: Christen kann man
keine Nativität stellen].
Die Verse sind wohl nur eine Abänderung aus Logau, Zugabe zum
zweiten Tausend, Nr. 195:
Christen dörffen nicht Planeten,
Ihre Wercke sind Propheten,
Jetzt zu Segen, jetzt zu Aöthen.
Statt Thümmels wortreicher Umschreibung für Erde {der frostige
Planet, den tvir bewohnen) wird später in geschmückter Rede das
kürzere unser Planet gebraucht, so bei Wieland 37, 136 Eutha-
nasia, zweites Gespräch), ferner bei Humboldt, Ans. d. Natur 1, 7,
42, 132, 185, 186 u. ö.). Planetarisch wird nur aus Humboldts
Kosmos und aus Börne belegt, kommt jedoch schon früh im 17. Jhdt.
vor, z. B. 1622 bei Jac. Böhme^ Sign, rerum 38 (Ausg. v. 1682):
darumb ist die Sonne das Centrum in dem planetarischen Rade [in
dem Kreise, den die Planeten in ihrer Bahn um die Sonne beschreiben]
und in allen loachsenden und lebendigen Dingen. Aus Humboldt wäre
besonders die Verbindung planetarisches Licht zu bemerken;
■ BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTEUBUCHE. 507
vgl. außer der von Kehrein angeführten Stelle Kosmos 1, S auch Ans.
d. Nat. 13 : seihst die scheitelrechten Gestirne des Adlers und des Schüiugen-
trägers leuchten mit zitterndem, minder planetarischem Lichte \ ebd.
175: wenn ans der duftigen Himmelshläue Jas hohe Sternbild dts Schi(j'es
und das gesenkt untergehende Kreuz ihr mildes planctur inches Licht
ausgössen; ebd. 3, 4"20: die Planeten haben im ganzen eine schwache
Scintillation , loeil sie von reflectiniem Sonnenlichte leuchten und ihr
planetarisches Licht aus Scheiben emaniert. Das erst aus Aler (1728)
belegte planetisch bietet Jac. Böhme, Signat. rerum 3U: wif das
planetische Rad sein Insiehen hat, also ist auch die Geburt h jedes
Dings; desgl. steht das Wort Aurora im Aufgang 7, 44 (in der Ausg.
V. 1780) und sonst bei Böhme.
Planieren. Daß das Wort vor Stieler vorkommen muLJ, weiß
Lexer selber, da er das Hauptwort Planier er aus den Jahren 1429
und 1445 belegt. Für das Zeitwort wäre anstatt auf Stieler schon
auf Sim. Roth (1572) M 7" zu verweisen: Planirn Eben vnd hdl
machen. Item die Bücher ivaschen, schlaaen und einpressen, das sie ge-
leytiget werden, das nennen die Buchbinder Planirn. Laur. Müller
Übers, von Cureus C iij" (1585): ivie die Buchbinder ihr Papier pla-
niren. Duez, Nomenciator 163 (1662): laver planieren.
Plänkeln ist allerdings weitaus üblicher als plänkern, das
nur durch eine Stelle aus Musäus belegt wird; doch findet sich letzteres
auch sonst, namentlich bei Schriftstellern norddeutscher Sprachfär-
bung; vgl. Jahn, 2, 371: die Franzosen kamen bis zu dem Engpaß von
Rothenstein , wo sie mit ein Preußen plänkerten; K.W. Krüger in
seinem Wörterbuch zu Xenophons Anabasis übersetzt dxQoßoUt,i(Jd-ai
durch plänkern, desgleichen dxQoßöhaig Plänkergefecht. Rost
im deutsch-griech. Wörterbuch hat plänkeln oder plänkern, Plän-
keln oder Plänkerei. Plänklergefecht hn eigentlichen und im
übertragenden Sinne ist wohl häutig genug, um Aufnahme im Wb.
zu verdienen; vgl. Hettner, D. Litt.^ 3, 1, 371: die ersten Plänkler-
gefechte gegen Gottscheds unbedingte Oberherrschaft gingen von derselben
Frau Neuberin aus, ivelche u. s. w.
Planket (nicht aufgenommen) wird bei Schottel 285 ohne nähere
Erklärung verzeichnet, doch wohl im Sinne von Blankett (planchette).
Duez, Nomenciator 61 (1663) hat: die planschett, das Jischbein.
Plapperdipapp ist der Ton der Windmühle (Plappermühle)
bei Kopisch, Ges. Wke. 2, 245:
Am Arendsee eine Windmühle stund.
Die ging da plapperd i papp
508 A. GOMBERT
Plapperdeutsch gebraucht Jahn 2, 604 fg.: Rechnet man zur Voll-
kommenheit einer Sprache, loenn sie viel Fremdes hat und immerfort
welschen kann, so muß die Rede des schahigen Betteljuden über Luther
und Klopstock, über Schiller und Goethe stehen, und icir müssen alle noch
in die polnische Judenschule, um Pia pp er deutsch zu lernen. Derselbe
1, 237 hat auch Plappermäulig keit: Fremde Sprachen sind für
den, der sie nur aus Liebhaberei und Plappermäuligkeit treibt, ein
heimliches Gift (Volktshum). Pia pper werk steht in der Cabinets-
ordre an Wöllner vom 7. Januar 1798: ich weiß, daß sie [die Religion]
Sache des Herzen^i , des Gefühls und der eigenen Überzeugung sein und
bleiben muß und nicht durch einen methodischen Zwang zu einem gedanken-
losen Plapperwerk herabgewürdigt werden darf, loenn sie Tilgend und
Rechtschaffenheit unter den Menschen befördern soll.
Zu Pläntern vgl. auch Plänterschlag bei Berlepsch, Alpen
'*76: Durch diesen improvisierten Natur-Plänterschlag rceiter vorzu-
dringen ist unmöglich. B. meint eine durch Lawinensturz gelichtete
Waldstraße im Hochgebirge.
Pläsir wird erst aus Goethes Mitschuldigen, pläsierlich
nur aus Albrecht, Leipziger Mundart belegt, doch steht das Hauptwort
bei G. Arnold, Kirchen- und Ketzerhistorien 1, 236*' der Ausg. v. 1740:
alle weltlichen plaisiren-^ ferner niederdeutsch schon 1593 bei Herzog
Julius von Braunschweig 239: guden Plesier maken. Auch Pläsir
gehört zu den vorhin bei Pläne bezeichneten ehemals edleren, jetzt
heruntergekommenen Fremdwörtern. Gh. Terstegen gebraucht es noch
in ernster, frommer Dichtung, Geistl. Blumengärtl. " 326:
Die Welt mag traurig leben,
Wir, die uns ganz ergehen
Dem Vater zum Pläsir,
Wie selig leben wir!
und ebd. 380: Solch kränkeln ist mir schlecht Pläsir. Pläsierlich
linden wir Döbel, Jägerpractica 4, 103" (1754): Mit den Klitzsch-
Ang ein zu angeln ist auch plaisirlich, und früher bei Erasmus Fran-
ciscus 1, 427", 496% 506" (1668). Den Gegensatz des älteren' und
neueren Sprachgebrauches in dem Worte Pläsir bringt Immermann
gut zur Anschauung, wenn er im Münchhausen 4, 117 fg. (Berl. Ausg.
V. 1858) dem alten Hofschulzen, wo dieser ernst und nachdrucksvoll
redet, dieses Wort in den Mund legt, während es doch für den Leser
schon etwas fremdartig klingt: Wie ein ordentlicher Mensch dem~ lieben
Gott nicht um jede Bagatelle Molesten macht, ... also .soll der König
nicht angeschrieen werden um jeden Groschen, der mangelt, sondern in
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 509
der rechten echten Not allein, und zti allen übrigen Tagen soll mitn nur
sein Herze erfreuen und erquicken an dem Könige; dnxn er ist das Ab-
bild. Gottes auf Erden. Zum Pläsir ist tms hauptsächlich der König
gesetzet und nicht zum Hans in allen Ecken. In dem uns heute pjeliiutijien
Sinne steht das Wort in K. A. Mayers Gedicht Spatz und Spätzin,
mitgetheilt bei Bernd, Deutsche Lyrik'^ 350 (1886):
Spricht der Spatz: ich will dich hier
Mit zioei Worten kurz berichten :
Für den Spatz ist das Pläsir,
Für die Spätzin sind die Pflichten.
Plesirlijjkeit und plesirlich bei Nehring a. a. O. 676 (1694).
Wenn Pläsirvergnügen mit Berufung auf Kehrein als nassauisch
und das sprichwörtliche Jedes Thim-chen hat sein Pläsierchen unter
Hinweis auf Albrecht als sächsisch angegeben werden , so kann ich
das nicht widerlegen, muß jedoch bemerken, daß ich beide Wen-
dungen seit meiner Knabenzeit in der Ukerraark und zwar von Leuten
gehört habe, die keinerlei sprachliche Einwirkung aus Nassau oder
Obersachsen erfahren hatten. Pläsieren hat die Nebenform plesi-
nieren nicht bloß im späten mhd., sondern auch noch 1565 bei
Mathesius, Psalm 130, Bl. xiiij*: das die andern nicht drüber in der
faust lachen vn solches hey menniglich ausplesiniren vnd verun-
glimpffen helffen. Man sieht zugleich, da(i hier ausplesiniren nicht
in dem sonst üblichen lobenden Sinne des Wortes, sondern im herab-
setzenden gebraucht wird.
Platonisch. Im scharfen Gegensatze dazu, daß das Wort vor-
zugsweise den Begriff des Unsinnlichen, rein Geistigen enthält, steht
H. Müller, Übers, von Cureus 2, 36 (1585); [Widertäufer] begaben sich
hernach in Mehren, allda haben sie vnderschleijf kriegt vnd eine sonder-
liche Platonische Policey voller vnsauhrigkeit vnd vnreinigkeit auß-
gerichtet. Gemeint ist hier wohl die von Cureus mit der von Plato
vorgeschlagenen Weibergemeinschaft der höheren Stände zusammen-
gebrachte praktische, schon von Münster her bekannte Vielweiberei
der Widertäufer, schwerlich die Ausartung der platonischen Knaben-
liebe. Platonische Philosophie finde ich zuerst bei Hedio, Übers, von
Bapt. Piatina 53" (1546), doch wird die Verbindung sicher früher
vorkommen. Platonischer Wohlklang, H. P. Sturz '^ 1, 161 (1768) :
[In Italien] ivard ihr [der Angelika Kaufmann] empfänglicher Geist,
unter Kunstwerken und in dei' guten Gesellschaft, ganz zum platoni-
schen Wohlklang gestimmt. Platonisieren im allgemeinen Sinne
steht bei Herder 1, 41 Suph. (1764): Die Machtsäzze Johannen erklärt
GERMANIA. Neue Reihe. XXU. (XXXIV.) Jahrg. 34
510 A. GOMBERT
man aus der Bedeutung der Platonisirenden Christen^ mit Beziehung
auf die platonische Liebe bei Wieland 9, 125 (Aspasia):
Wenn ihr je hei MoiidenKckt im. Grünen
Platonisieren loollt, platonisiert allein!
ebd. 36: Zu den Zeiten der Gnostiker und der Platonisierenden
ersten Christen; ebd. 38: Welch ein Jude kann diese Piatoni sir ende
Erklärung ausstehen? Pia tonist steht ebenfalls bei Herder 3, 115
Suph. im allgemeinen Sinne von Platoniker, d. h. Anhänger der
Lehre Plato's: solche feine Metaphysik üher die Natur der Götter ge-
hört in den Kreis der späteren Platonisten und Pythagoräer und in
das heilige Murmeln ihrer GeJteimnisse; Wieland wieder nennt den
Kombabus mit Beziehung auf seine Entsagung in der Liebe den armen
Platonisten (10, 274); vgl. auch 9, 93 (Musarion 3): die /Schwärmerei
der Platonisten.
Plätschern gebraucht Jean Paul Quintus Fixlein 61 Hempel
mit Übertragung auf den Ton: damit er durch ein plätscherndes
Murki den Kirchensprengel tanzend die Treppe niederführte. Zu dem
Belege aus Harsdörffer für das unumgelautete platschern füge man
einen zweiten aus demselben Schriftsteller, abgedr. in den Älathemat.
Erquickst. 3, 351 (1653): der platschrende hach. Platschig wird
erst aus Weinhold und Hegel beigebracht, doch haben wir ein ent-
sprechendes platschecht schon bei Sebiz Feldbau 754: die Wölffin
macht ihren kath mitten in den weg, ist darzu loeich und platschecht.
Platte. Eine besondere und wenn auch selbst bei Sanders nicht
verzeichnete, so doch wohl in ganz Deutschland vorkommende Ver-
wendung erfährt das Wort zur Bezeichnung der zur Aussaat ge-
schnittenen Kartoffel; vgl. Schwerz, Prakt. Ackerbau 2, 447: Man
pflanzt ganze, halbe, viertel, einäugige Würfel, Platten {Kartoffel-
köpfe), ausgebohrte Äugen, Schaben.
Plätte (Wasserfahrzeug mit plattem Boden) ist ein in Nord-
deutschland weniger bekannter, in Österreich dagegen um so häufigerer
Ausdruck, der auch schon früh seinen Weg nach Schlesien gefunden
hat. Die Plätte wird öfters gleichbedeutend mit Fähre gebraucht.
Vgl. in der Schles. Ztg. vom 20. Juni 1887 (Abendbl.) den aus der
Wiener Presse entnommenen Bericht über ein kurz vorher auf der
Donau vorgekommenes Unglück: Bei der Donau angelangt, bestiegen
etwa 150 Wallfahrer die bereitstehende Plätte, um über die Donau zu
setzen. Kaum hatte die Fähre das Ufer verlassen, ... verlor das Fahrzeug
in Folge der heftigen Bewegung (Orkan) das Gleichgewicht Und kippte
um. Es haben sich 280—300 Menschen auf der Plätte befunden.
BEMERKUNGKN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. öl 1
Pötzl, Rund um den Stephansthurm l'!6 (Reclams Universalbibl. 1*41 1
und 2412) scheint unter der Plätte nicht gerade die Fähre zu ver-
stehen: Anden PH (j er, icdche den edlen Sport des Anyelns freiheu, sitzen
reihenweise auf Flößen und leeren Fladen. Man v<;l. auch das bei
Sanders Ergänzungswb. S^O"" vorzeichnete absichtlich unterscheidende
Wort Überfuhr -Plcätte. Die übergangenen und auch sehr entbehr-
lichen Zusammensetzungen Plattenabsonderung, Plattenart,
Plattenbildung und Plattenbasalt seien hier genannt, weil
sie bei Goethe vorkommen: s. Goethes Werke 33, 417, 436, 437.
Platten ab druck steht ebenfalls bei Goethe 23, 63 Herapel (Dich-
tung und Wahrheit, Ruch 18) und das nur aus Dannenberg-Frantz
belegte platten förmig bei Goethe 33, 448 (1824). Neben Platten-
hengst kommt auch Plattenpriester vor; vgl. Luther, Ref.-hist.
Sehr. 1, 215: So St. Fefrus Spruch, da er zu allen Christen sagt: Ihr
seid ein koniklich Friesterthicm, kann den Vorstand geben, daß er leiblich
heschorne und geschmierte Priester bedeute . daß aUo alle Christen, zu
denen es saget ist Mann, Weib,, Kind. Jung und Alt Platten und ■ Ole-
priest er sind: loarumh sollt niJd auch jemand dem Spruch St. Pauli
ein solche Nusen stellen ktmnten [so]? Plattform steht früher als bei
Eggers (1756) in Duez. Nomenciator 237 (1663): Une platte forme
eine plafform, ima piatta forma, plana forma] desgleichen Platformer
bei Schotelius 532. Im Sinne von Hochfläche belegt es Lexer aus Oken;
vgl. darum Kant bei Engel, Philos. f. d. Welt 2, 163 (1777): Die
Länder in diesem Striche sind das, loas Biiache Platte form nennt,
nehmlich hohe ^ind mehreidheils loagerecht gestellte Ebenen, in denen die
daselbst befindlichen Gebürge nirgend einen weitgestreckten Abhang haben,
indem ihr Fuß unter horizontal-liegendem Lande vergraben ist.
Plattheit. Von den Belegen gehen drei in das 18. Jahrhunder
zurück; der älteste ist der Wielandische (Bunkliade aus dem Jahr-
gange 1778 des deutschen Merkur), sofern der angeführte Satz nicht
ernt 1798 in der Gesamtausgabe seine jetzige Fassung erhalten hat.
Da nun Wieland das Wort Plattheit im geistigen Sinne auch im
Jahre 1782 (Hör. Epist. 1. S. 69) hat, Adelung aber (1777) dasselbe
noch nicht verzeichnet, so werden wir es einstweilen auf Wieland
zurückführen müssen. Unter Plattkammer wird auf Kammer im
fünften Bande des Wb. verwiesen,, wo Hildebrand Sp. IM darauf
aufmerksam macht, daß es in herrschaftlichen, fürstlichen Haushalten
eine besondere Platt kämm er gebe, wo Wäsche geplättet werde.
Solche Plättkammer (denn aul.^erhalb Leipzigs, bez. Obersachseos
spricht man das Wort mit dem Umlaut) kommt doch auch in durch-
34*
512 A. GOMBERT, BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖETERBUCHE.
aus unfürstlichen Haushaltungen, z. B. in geräumigen ländlichen Pfarr-
häusern vor, oft freilich muß auch der Flur zur Aushilfe dienen;
vgl. Fontane, Wanderungen 4, 235: Der Pfurrflur war in eine große
Plättkammer umgewandelt worden. Plattkopf im übertragenen
Sinne als Gegensatz zu Spitzkopf gebraucht Seume mit Vorliebe;
man vergleiche außer den drei von Lexer beigebrachten Stellen noch
Werke 2, 1 58 : j Demut und die mit ihr verwandte Geduld sind Esels-
tugenden, die die Spitzköpfe den Plattköpfen gar zu gern ein-
prägen- 2, 212: Zeitvertreibe )iind die Erfindung der S pitzköpfe für
die Plattköpfe. Plattköpfig wird nur aus Oken belegt. Hier denkt
man, auch wenn man kein Verehrer Heines ist und dessen häutige
Anführung im Wörterbuche nicht billigt, doch sogleich au die bekannten
Verse aus dem Buche der Lieder:
In Lappland sind schmutzige Leute,
Plattköpfig , hreitDtäulig und klein.
Plattnasig, das übergangen wird, steht bei Bode, Tristram Schandy
2, 61: Stellen Sie sich eine kleine quappelichte platnasig e Figur von
einem Doctor Slop vor. Plattnasicht findet sich schon bei Schottel
347*. Plattschnur (im Gegensatz zur rundgeflochtenen Schnur) ist
heute ein bei Schneidern, Schneiderinnen und Posamentierern gewöhn-
liches Wort, das aber in den Wörterbüchern vor Sanders nicht vor-
kommt. Sanders bietet auch die entsprechende Plattlitze. Plätt-
stein als Stellvertreter des gewöhnlich eisernen Plättbolzens haben
wir bei Jean Paul, Quintus Fixlein 60, Hempel (Werke Bd. 3): Sie
konnte vor Vergnügen den Plättstein nicht in die Plätte schütteln.
Platz fehlt als Übersetzung des lat. locus^Stelle in einem
Buche; vgl. Belustigungen des Verstandes und Witzes 1, S. 23
(1741): Daß diese gelehrten Helden an der Poesie und Beredsamkeit einen
Geschmack finden sollten^ weil sie große Plätze aus den alten Dichtern
und Rednern ausioendig können, das wäre falsch geschlossen. Daß diese
Übersetzung von locus wenig Anklang gefunden hat und eigentlich
nur noch in dem Worte Gemeinplatz (früher auch mit Gemeinort
wechselnd) fortlebt, ist bekannt. Übrigens braucht der Gemeinplatz
nicht unmittelbar aus dem Lateinischen herzurühren, sondern kann
aus dem Holländischen entnommen sein , da in L. Meijers Woorden-
schat' 452 (Amsterd. 1698, wann zuerst erschienen?) für loci com-
munes ghemeene plaatsen gegeben wird. Oder ist umgekehrt der
holländische Ausdruck nur die Übersetzung eines noch älteren, nur
bisher nicht nachgewiesenen deutschen? Zu Platze wird nur in der
Wendung zu Platze legen = erlegen, niederstrecken vor-
LITTERATUR: H. SWEKT, A FTISTORY OF FA'GLIsn SOUNDS. 51;^
geführt; doch sind mir aus norddeutscher (vielleicht auch weiter ver-
breiteter) Umgangssprache die Verbindungen etwas zu Platze
bringen oder womit zu Platze kommen geläufig in dem Sinne
des lat. in medio proponere, also zu Markte bringen, öffent-
lich mittheilen. Vgl. Wb. 4, 1, 90 (unter fräuleinen) den nd.
Beleg aus Fr. Reuter.
GROSS-STRELITZ. A. GOMBERT.
Berichtigung zu S. 259: Der Ausdruck: Pflich ts tuiiden
in der S. 259 angegebenen Bedeutung findet sich schon 1868 in der
amtlichen Instruction für die Lehrer an höheren Schulen der Provinz
Brandenburg §. 4: Die Zahl der Pflichtstunden heträijt u. s. w.
Gbt.
r>ITTEIlATÜR.
A History of English Sounds from the earliest period with füll word-lists.
By Henry Sweet, M. A. Balliol Coli., Oxford; Hon. Ph. D. Heidelberg.
Oxford, Clarendon Press 1888. XVI u. 409 S. 8". 14 eh.
Als der junge englische Gelehrte Henry Sweet in den Transactions
der Londoner Philological Society für 1873 — 74 einen Aufsatz von 163 Seiten
unter dem Titel ..The History of English Sounds" erscheinen ließ, ahnte
er wohl kaum den Erfolg, den das unscheinbare Schriftchen haben sollte,
das auch noch für die English Dialect Society ausgegeben und aulierdein
bald in einer Sonderausgabe rapid ausverkauft wurde.
In Deutschland verdanken wir u. A. der Anregung, eine Anzeige des
Buches zu schreiben, dem schwerwiegenden Aufsatz ten Brinks „Zum eng-
lischen Vocalismus" im 19. Bande der Zs. f. deutsches Alt. und deutsche
Litt. 1876 (1875j.
Seither hat die englische Philologie manchen Schritt weiter gethan,
und immer noch spielte das Büchlein eine wichtige Rolle auch in der lebenden
Forschung; doch auch Sweet selbst war indessen nicht nur mit, sondern
auch vielfach bahnbrechend vorangegangen, und dieser gewaltige Fortschritt
in unserer Erkenntnis der englischen Sprachgeschichte tritt uns deutlich aus
einem Vergleiche des nun vorliegenden neuen Werkes mit seinem ersten
Entwürfe entgegen.
Die „historische Grammatik der englischen Sprache", und zwar zunächst
Laut- und Flexionslehre, hatte seit der vor mehr als einem Vierteljahrhundert
erschienenen bist. Gramm, d. engl. Spr. von C. Friedr. Koch keine wissen-
schaftlich befriedigende Gesammtdarstellung gefunden; da.** Bedürfniß nach
einer solchen mußte ein um so größeres sein, als einerseits den Germanisten,
denen das Altenglische (Angelsächsische) ein mit jedem Jahre bedeutsameres
Arbeitsfeld wurde, der weitere Verlauf desselben von zunehmender Wichtig-
keit wurde, und andererseits die zahllosen sogenannten „Neuphilologen" einer
wirklich wissenschaftlichen Aufhellung des Neuenglischen dringend bedurften.
514 LITTEEATUR: H. SWEET, A HISTORY OF ENGLISH SOUNDS.
Das Altenglische oder Angelsächsische wurde zuerst im Jahre
1882 durch Sievers epochemachende Angel sächsische Gram matik in
helleres Licht gerückt; wohl waren in Zeitschriften, besonders in Paul-Braunes
Beiträgen, eine Reihe grundlegender Untersuchungen namentlich von Paul und
Sievers selbst niedergelegt worden, die eine Menge Fragen der vergleichend-
germanischen Grammatik in wesentlich neuem Lichte erscheinen ließen. Die
Verwerthung dieses vielfach zerstreuten Materiales aber zu einer zusammen-
hängenden Darstellung des Angelsächsischen war ein nicht hoch genug anzu-
schlagendes Verdienst Sievers', was man aus den Wirkungen auf die Arbeiten
der Folgezeit ersehen konnte. Von dem Standpunkte der neuen Erkenntniß
des Altenglischen mußten die Ausblicke auf die darauf folgenden Perioden
der englischen Sprachentwicklung zwar auch wesentlich neue sein, doch war
für diese das Dunkel noch lange nicht gelichtet, und die Dinge lagen hier
deshalb meist sehr im Argen, weil viele Forscher den mannigfach räthsel-
haften graphischen Erscheinungen kritiklos gegenüberstanden , anstatt festen
Gesetzen lautlicher Entwicklung einerseits und graphischen Traditionen anderer-
seits nachzuspüren. So entstand vielfach die Anschauung, die Zwischenstufen
zwischen Altenglisch und Neuenglisch, das Mittelenglische, seien ein
buntes Chaos, aus dem alles Mögliche werden konnte, so entstand u. A.
Stratmanns Mittelenglische Grammatik, so noch in jüngster Zeit die ein-
schlägigen Partien in dem unglücklichen Buche „Encyklopädie und Methodo-
logie der englischen Philologie" von G. Körting.
Daß das Mittelenglische kein Chaos von sprachlichen Zufällen und
Willkürlichkeiten ist, zeigte außer einigen feinen Einzelarbeiten im Zusammen-
hange einer Gesammtdarstellung der Sprache des größten mittelenglischen
Dichters ten Brink in seinem grundlegenden Werke über Chaucers
Sprache und Verskunst, 1884.
Mit Sievers einerseits und ten Brink andererseits waren Ausgangs-
und Mittelpunkte geboten, an die die Einzelforschung sich zielbewußt und
erfolgreich anschließen konnte, und die letzten Jahre haben auch auf dem
Gebiete des Mittelenglischen ganz andere, dauernde Ergebnisse gebracht als
vordem; namentlich sei hier Lorenz Morsbachs trotz der mindestens an-
fechtbaren Grundanschauung lehrreiches Büchlein: „Über den Ursprung der
neuenglischen Schriftsprache" 1888 genannt.
Wenn nun weitgehende methodische Einzelarbeit auf dem Gebiete des
Mittelenglischen und den verschiedenen Stufen des Neuenglischen das drin-
gendste Erforderniß für die Zukunft ist, so war eine Zusammenfassung der
lautlichen Entwicklungsreihen nach großen Gesichtspunkten, und die Dar-
stellung dieser selbst nicht weniger ein Bedürfniß. Eine solche wird uns in
der vorliegenden neuen Bearbeitung der „History of English Sounds" geboten,
einer „histor. Gramm, d. engl. Spr, erster Theil", die Lautlehre um-
fassend, aus der begreiflicherweise eine Fülle werthvoller Streiflichter auch
auf flexivische Erscheinungen fallen muß.
Die erste Auflage von 1873^ — 74 ist dem neuen Werke gegenüber ein
kühner Entwurf, der nun nur mehr historisches Interesse hat; das neue
Werk ist ein abgeschlossenes Lehrbuch, das sowohl dem Germanisten
und Studierenden der englischen Philologie, als auch dem Schulmann, sofern
er Lehrer des Englischen ist, unentbehrlich sein wird.
LITTERATUR: n. SWEET. A HISTORY OK ENGLISH S0UND8. 515
Der Plan des Werkes ist ein äußerst glücklicher, indem der Dar-
stellung der einzelnen englischen Sprachperioden einige Capitel sprach-
geschichtlicher Principienlehre vorangeschickt werden . die Sweet's, Sievere',
Paul's u. A. Forschungen in der bei Sweet bekannten klaren und einfachen
Ausdrucksweise auch Anfängern und Fernerstehenden näher bringen werden.
Es umfaßt diese Einleitung folgende Abschnitte: l.Phonetics; 2. Sound-
Chan ge, und zwar Internal-Isolative, InternalCombinative, Acoustic Changes,
External Changes, General Principles; 3. Origin of Speech-Sounds;
4. Origin of Dialects; 5. Sound Representation. Es ist von diesen
einleitenden Cajjiteln ein weit und tiefgreifender Einfluß auf die apraeh-
geschichtlichen Studien zu erwarten, und wenn vielleicht auch Manche jetzt
glauben werden, sie hätten all das längst vorher schon gewußt, so wird es
wenigstens erfreulich sein, daß man in künftigen einschlägigen Arbeiten
diese Principien verwerthet finden wird, die vorher in der Regel nicht
vorwalteten.
Nebenbei bemerkt wird es Vielen willkommen sein, hier in Kürze und
doch mit nöthiger Vollständigkeit Sweet's phonetisches System uud sein
Organic Alphabet, das im Verlaufe des Buches beständig zur TrauBscription
verwendet wird, dargestellt zu finden.
Den Inhalt der eigentlichen History of English Sounds mögen die
Überschriften der einzelnen Abschnitte veranschaulichen.
Arian Sounds. Germanic Sounds, kurze, klare Übersicht auf
Grund der neuesten grammatischen Forschungen. Runes. Old English
Sounds, hierin die Sievers'schen metrischen Untersuchungen mitverwerthet.
Scandinavian Sounds, sehr werthvoU, doch leider nur vier Seiten",
der Einfluß des Skandinavischen auf das Englische und zwar namentlich das
Mittelenglische ist ja bekanntlich noch eines der peinlichsten Probleme, deren
Lösung immer dringlicher wird. (In gleicher Weise gilt dies vom nieder-
deutschen Einflüsse, beziehungsweise Einflüssen, die Sweet nicht besonders
heranzieht, deren Bedeutung aber namentlich durch Skeat und ten Brink
eindringlichst nahegelegt wurde. Am besten sind wir bekanntlich mit den
romanischen Lehnwörtern daran, die im englischen Spraeiikörper am
leichtesten als fremde An- und Einwüchse erkannt wurden und deren Durch-
forschung von Seite hervorragender Romanisten schon deshalb nicht ver-
säumt wurde, weil die rührige romanische Sprachwissenschaft ihrer nicht
entratben konnte. Sweet geht nur nebenbei auf die romanischen Laute im
Englischen ein, und zwar bei Besprechung der inittelenglischen Orthographie.
Soviel läßt sich fi-eilich für das Englische daraus nicht gewinnen, wie um-
gekehrt aus dem Englischen für das F"'ranzösische, doch wären einige wenige
Seiten nach den trefflichen Arbeiten von ten Brink, Sturmfels, Behrens ebenso
leicht einer nächsten Auflage einzufügen, als sie unentbehrlich sind. Die
bunten Doppelformen, in denen französische Lehnwörter je nach Stamm- oder
Endungsbetontheit im Französischen ins Englische treten, spiegeln sich im
Mittel- und Neuenglischen zwar mehr in der Orthographie, die sich auch
auf Einheimisches übertrug, als in der Aussprache wieder, doch erscheint mir
ein zusammenhängendes französisch-lautgeschichtliches Capitel vor dem ortho-
graphischen wünschenswerth, zumal da ja Sweet gerade die seltene G:ihc
besitzt, scheinbar Verwickeltes in treffender Kürze klarzulegen. Fälle, wie z. B.
516 LITTERATÜR: H. SWEET, A HlbTORY OF ENGLISH SOUNDS.
revengc von den endungsbetonten Formen des Verbs gegenüber dem frz.
revanclic können gewissermaßen als feste Werthe übernommen werden, nicht
so z.B. die Resultate von frz. o vor und nach dem Tone u. A. m.) Middle
English Sounds. Hier, sowie bei den Old Engl. Sounds als Einleitung:
Dialects und Texts, Orthography, Metre and Stress, Qnantity. Beachtens-
werth ist die Periodisierung : 1050 — 1150 Old Transition, — 1300 Early
Middle English, 1300- Late Middle Engl., 1450—1500 Middle Transition.
Dabei scheidet Sweet jene Gruppe von Denkmälern, für die ich kürzlich
(in der Einleitung zu meiner Ausgabe der Winteney -Version der Regula
S. Benedicti) den Ausdruck „Neuangelsächsisch" zu vindi eieren versuchte,
treffend ab: „such texts do not represent any actual language''. Bei den
Modern English Sounds tritt begreiflicherweise das dialectische Moment
zurück , und auch eine Übersicht der Denkmäler macht der Aufzählung der
Phonetic Authorities, der Orthographisten , Orthoepisten und Grammatiker
von Palsgrave bis Sheridan (nach Ellis' großem Werke On Early English
Pronunciation) Platz. Das Modern English, was wir auf deutsch meist
„Neuenglisch" nennen, periodisiert Sweet folgendermaßen: 1500 — 1600 First
Modern English, 1600—1700 Second Mod. Engl., 1700—1800 Third Mod.
Engl., 1800 — 1850 Early Living English, 1850—1900 Late Liv. Engl.
Schon bei der Besprechung der Middle English Sounds wurden die
nordenglischen Dialecte zu Gunsten der süd- und mittelländischen zurück-
gesetzt ; bei Sweet, der praktisch und klar e i n Ziel vor Augen hat, handelt
es sich zunächst darum , das was wir heute englische Schriftsprache oder
besser Gemeinsprache nennen , geschichtlich in seinen Hauptzügen zu
begründen , und so stehen für das Mittelenglische die südenglischen und
mittelländischen Quellen , soweit sie für die Bildung der kolvtj in Betracht
kommen, im Vordergrunde. Es ist keineswegs versucht, die altenglischen
Laute durch alle litterarisch bezeugten Dialecte gleichmäßig zu verfolgen
oder, was in diesem Falle gleichbedeutend wäre, Parallelgrammatiken der
einzelnen Dialecte zu liefern. Für das Modern English treten naturgemäß
die nordenglischen Dialecte gänzlich zurück, und ihr litterarischer Reprä-
sentant, das sogenannte „Schottische", wird überhaupt nicht weiter berück-
sichtigt. Nicht als Tadel, sondern nur als Wunsch für eine nächste Auflage
des Buches, das doch bestimmt ist, in Aller Händen zu sein, sei dem Ver-
fasser nahegelegt, ein Capitel über das „Schottische" anhangsweise beizu-
fügen. Das bahnbrechende, doch leider immer noch einzig dastehende Werk
über die schottischen Dialecte, Murray's Dialect of the Southern Counties
of Scotland ist lange vergriffen und so selten, daß die Wenigsten Gelegenheit
haben , sich über die richtige Sachlage bezüglich des Schottischen zu be-
lehren , über das die abenteuerlichsten Ansichten noch nicht ausgestorben
sind. Wenn nun aber auch das Nordenglische zur Zeit, wo es sich „Schot-
tisch" anstatt ,,Inglis'" nannte, viel mehr vom Südenglischen beeinflußt wurde
wie vorher, so sind dennoch eine Reihe namentlich orthographischer Sonder-
entwickelungen zu wichtig, um von einer History of English Sounds aus-
geschlossen zu werden ; beispielsweise sei nur auf Eigennamen wie Laing,
Dalziel, Mackenzie u. A. hingewiesen.
Living English Sounds, nur wenige Seiten, weil in dem Vorher-
gehenden eine Menge vorweggenommen, doch trefflich ; beachtenswerth dabei
LITTERATUR: H. SWEET, A HISTORY OF ENGLISH SOUNDS. 5l7
u. A. die Andeutungen über In^el-stress, und unter Quantity der fiuantitativc
Ausgleich zweier Silben, wie in bcttcr.
Es folgen nun: First Word-List (OldMiddle-Modern und Second-
Word-List (Living-Old). Erstere Liste enthält 2143 (gegen 17f)l der ersten
Auflage) Wörter, nach den altenglischen Vocalen angeordnet, in alteuglischer,
bez. skandinavischer Form mit ihren mittelenglischen und ncuenglischen Ent-
sprechungen, die ueuenglischen in moderner Orthographie und daneben in
phonetischer Transscriptiou. Hiebei sind die Ansätze nicht etwa — was bei
der ersten Auflage für das Mittelenglische mit Recht beanstandet wurde —
bloü theoretisch construiert, sondern reichlich für alle Perioden mit Belegen
versehen. Man kann da wieder sehen, was Sweet seit der ersten Auflage
gearbeitet haben muß. Die Anlage ist außerordentlich praktisch, wie .Teder
aus dem Gebrauche, der durch den Index to first Word-List wesentlich er-
leichtert wird, ersehen wird. Mit einem Blicke sind die lautlichen und gra-
phischen Entsprechungen klar zu übersehen, und die vierte Colnmne, die
phonetische Transscription des Modernenglischen , wird sich nicht nur für
sprachgeschichtliche Zwecke, sondern auch allen denen, die sich über die
moderne Aussprache belehren wollen , nützlich erweisen. Mit unbarmherziger
Consequenz werden nämlich die Wörter dargestellt, wie sie wirklich
lauten, und so enthält diese Liste thatsächlich das beste und erste phone-
tische Pronouncing dictionary, soweit es sich um „the majority of
the words of Old English or Scandinavian origin still in common use" handelt.
Ebenso dankenswerth ist die Second Word- List, die, den umgekehrten
Weg einschlagend, die neuenglischen Wörter voranstellend, drei Coluninen
enthält: die phonetische Transscription, die moderne Orthographie und die
altenglische Entsprechung (das Mittelenglische und die Belege brauchten hier
nicht wiederholt zu werden). Die Anordnung geschieht hier nach den Vocalen
der lebenden Aussprache.
Zum Schlüsse finden sich Tables über L Sound Change, IL Form of
Letters, III. English Vowels (Alt-, Mittel-, Neuenglisch), ebenso übersichtlicli
IV. Old-English Dialects, V. Middle-Engiish Dialects (doch nur Südlich.
Ostmittelländisch, Kentisch, Chaucer, dem Altenglischen gegenübergestellt,
entsprechend der oben angedeuteten Behandlungsweise im Texte), VI. Modern
English Vowels. — Contractions.
Dies der Inhalt des in seiner Behandlungsweise durchaus originellen
Werkes. Es ist echt englisch, nicht nur in der energisch und praktisch
auf die Hauptsache losgehenden Methode, sondern auch in der etwas an-
fechtbaren Kühnheit, nicht viel links noch rechts zu sehen, sondern aus
dem Ganzen selbständig zu gestalten. Die hauptsächlichsten Leistungen
Anderer, besonders aber Derer, die ihm congenial erschienen, hat Sweet
verwerthet, wie er ja auch zum Schlüsse der Vorrede seine bescheidene Dank-
barkeit gegenüber fremder Forschung in die schöne Huldigung ausklingen
läßt: „If I had to dedicate this book, it would receive on its title-page the
four names of Bell, Ellis, Paul, and Sievers." Ja, man wird sieh oft
fragen müssen, ob man da und dort einen Paul'schen oder Sweet'schen Ge-
danken wieder zu erkennen hat. Im Einzelnen aber wird mau gewiß Manches
vermissen , was anderswo schon gesagt worden ist. Freilieh dürfte Niemand
es Sweet verargen, wenn er über die zahllosen deutschen Einzelarbeiteu
518 LITTERATUR: H. SWEET, A HISTORY OF ENGLISH SOUNDS.
abermals wie in seiner Vorrede zu den Oldest English Texts in Unmuth
ausgebrochen wäre, denn die Art, wie dieselben in die Öflfentlichkeit dringen
oder vielmehr häufig lange verborgen bleiben, ist eine unsägliche Misere.
Am ehesten sollten die Docenten an deutschen Universitäten doch in der
Lage sein, über wirklich Erschienenes oder im Erscheinen begriffenes orien-
tiert zu sein. Doch wie es damit steht, dürfte bekannt sein. Wie viele
Specialarbeiten müssen, nahe der Vollendung, aufgegeben werden, weil
plötzlich das gleiche Thema anderswo bearbeitet erscheint! Wie viel ver-
lorene Arbeit und Verdruß wäre alljährlich da zu ersparen, wo doch das
Arbeitsfeld noch genügend Raum für alle hat! Wenn dies an deutschen
Universitäten der Fall ist, wie mag es dann Dr. Sweet in Bath damit er-
gehen! So darf man sich nicht wundern, wenn er endlich auf diese Einzel-
heiten verzichtete und entschlossen seinen eigenen Weg ging. Freilich, was
Sweet ten Brink verdankt, wird nicht gesagt, und wo er dessen Arbeiten
nicht verwerthet, ist es für sein Buch gewiß nicht von Vortheil.
Sweet ist durch und durch Engländer und mit Bewußtsein ; aus seiner
Eigenart heraus wollte er seine History of English Sounds darstellen , und
wer sich der daraus erwachsenden Vortheile erfreut, muß sich eben auch
damit zufrieden geben. Er hat einmal bei Besprechung von Joh. Storm's
englischer Philologie (in den Gott. Gel. Anz. 1881, St. 44, p. 1407) diesen
Gelehrten folgendermaßen charakterisiert: „Storm's Geist ist vor Allem
praktisch und conservativ; auch darin ist er echt englisch, daß er sich
öfter scheut, seine eigenen Principien vollständig durchzuführen."
Es ist merkwürdig, wie diese Charakteristik auf Sweet selbst anzuwenden
ist, vor Allem eine Scheu, alle Consequenzen seiner Aufstellungen selbst
zu ziehen.
Wir Deutsche, die wir leicht in den umgekehrten Fehler verfallen,
Theorien und Systeme aufzustellen, ehe uns die Beobachtung der Thatsachen
die volle Berechtigung dazu gibt, werden in Sweet's Buch die zusammen-
hängende Darstellung mancher Lautgesetze vermissen, mit denen Sweet an
verschiedenen Stellen operierte , ohne ihren Umfang fest abzugrenzen. So
wäre es beispielsweise von Interesse, über die Frage der Vocaldehnung und
Vocalverkürzung Sweet's Ansicht im Z us ammenhange zuhören. W. Fick's i
Aufsatz: Vocalverkürzung in englischen Wörtern germanischen Ursprungs
(Engl. Studien VIII, 502 — 510), Ferd. Brück's Dissertation „Die Consonanten-
doppelung in den mittelenglischen Comparativen und Superlativen (Bonn 1886)
haben werthvolle Zusammenstellungen ergeben; die Hauptschwierigkeit liegt
hiebei freilich in der Chronologisierung der Lautgesetze.
Oder die wichtige Erscheinung, die Sweet group-lengthening nennt,
namentlich die Längungen und späteren Kürzungen vor nd, ng. Sweet berührt
diese Punkte an verschiedenen Stellen verstreut, ohne daß man ein klares
Bild darüber gewinnt, welche Vocale vor nd und ng gelängt wurden, welche
gekürzt wurden, und in welche Zeit die einzelnen Erscheinungen zu setzen sind.
In §. 694 erklärt er ö in ^png, hönd, comb entstanden aus group-lengthened
Angl. ä; warum haben wir aber heute hand. land, sand, lamh u. s. w. gegen-
über strong, long, wrong, comb? Die lebend-englische Lautform, die einzige
über die wir mit völliger Sicherheit urtheilen können, bietet, als die Resul-
tierende der verschiedensten Kräfte, meist den sichersten Ausgangspunkt
LITTERATUR: G. SWEET, A HISTORY OF ENGLISH SOUNDS. 519
besonders iu Fällen wie der vorliegende, in denen heute der Unterschied
zwischen a und 0 weit größer ist als zu einer Zeit, wo a noch a lautete.
Der im Wesentlichen durchgeführte Gegensatz von Jand : long u. s. w. dürfte
doch wohl auf alte Quantitätsunterschiede zurückgehen, indem die «-Formen
die Kürze , die o-Formen die Länge wiederspiegeln ; warum wir dement-
sprechend aber z. B. lamh auf kurze oder verkürzte Vocalform zurückzuführen
haben, ergibt sich aus der Analogie der dem Verkürzungsgesetze unter-
worfenen Composita (Deminutiva) wie lamhkin, lambswool u. a. , wogegen
comb zugleich als Verb dem Einfluß etwaiger Compositionen widerstehen
konnte und tvonib auch kaum viel componiert erscheinen dürfte. Aus dem
Verkürzungsgesetze in Compositis erklärt sich ebenso havg {hangman u. a.)
statt hong ; nicht hieher gehört trotz dem Anscheine seines Zusammenhanges
mit band das Wort bond, bondman a. a. m. , denn dies ist etymologisch
davon zu scheiden.
FHir die Frage, wie lange die Lautgruppe -cnd lang war, könnte das Ver-
bum AE iTenan, NE Icnd vielleicht einen branchbaren Wink geben, ten Brink
(Chaucers Sprache und Vk. §. 50) erwähnt bei Besprechung AE schw. Verba
mit a- im Stammvocal, deren Prät. und Particip. neben seltenerem e ein a
zeigen, ..nur mente, Icnte, weil in der ersten Hälfte der ME Periode
7)1 ende, lende mit langem oder doch schwebendem e galt." Aus diesem
Jende, hnäe muß sich mit Nothwendigkeit ergeben, daß NE lend nicht
nach Analogie der Präterita sphite, ^vente , btnte , sente oder des Partie.
ent sich zu seinem Icnte einen Infinitiv lende bilden konnte, wenn nicht
auch noch nach der ersten Hälfte der ME Periode die Infinitive spende,
iven e, hende, sende, ende dem Inf. lene auf halbem Wege entgegen-
gei-o.nmen wären, d. h. also langes e bewahrt hätten. Nur nach langem be-
tonten Vocal wird nämlich die Lautverbindung -nd unfest, d. h. wechselt in
Folge flexivischer Einflüsse (s des Genitivs , des Plurals, der 3. Sing. Präs.
bei Verben u. ähnl.) mit /», wie schon fi-üh ME in spene für spende, Owl
a. Night. 1549, u. a. m. und in NE tine, tvoodbine , line : Urne, Imvn und
hind, round (Verb, neben rotin), sound, astound gown{d) u. a. m. Unbetontes
and oder Composita wie handkerchief, brannew zählen natürlich nicht mit.
Es konnte also ein lene nur an Formen wie wände, hende, ende sich an-
schließen ; es würde demnach nicht, wie früher meist behauptet wurde, lend
sein d und damit seine Kürze seinem Prät. und Partie, lent verdanken, welches
nach bent, went u. a. den Infinitiv mit einem gewaltigen Sprunge von lene
zu lende gemacht haben müßte, sondern umgekehrt der Inf. len{d)e , nach-
dem er einmal sich hende, wende u. a. angeschlossen, mit weit weniger
Schwierigkeit sein ünt zu lent angeglichen haben. Wenn dies richtig ist,
und da sich Und neben dem älteren lene erst recht spät festzusetzen scheint
— nach Stratmann und K. Oliphant, The New English, erst im Promptorium
Parvulorum um 1440 — würde die ganze Lautgruppe -end noch um diese
Zeit als -end anzusetzen sein, während man sich meist mit dem Hinweis auf
einige Doppelschreibungen (eende) bei Wiclif begnügte.
Ich muß gestehen, daß mir die Fragen nach dem Umfang und den
Zeiten der Längungen und späteren Verkürzungen vor Consonantenverbin-
dungen . über die ich noch manche Vermuthungen und Zweifel vorbringen
könnte, die aber besser diese Anzeige nicht belasten, noch sehr der syste-
520 E. STEINMEYER, ÜBER EINIGE EPITHETA D. MHD. POESIE-REDE etc,
matischen Untersuchung bedürfen. Wie weit Sweet selbst darüber zu festen
Ergebnissen gelangt ist, läßt sich aus seinem Buche aus den genannten
Gründen durchaus nicht erkennen. Es liegt mir auch ferne, ihm daraus einen
Vorwurf zu machen , denn sein Buch enthält so massenhafte Anregungen
und kurze Hinweise , die zur Einzelarbeit anreizen , daß man dafür allein
dankbar sein muß. Welche Streiflichter fallen nicht auf die Flexionslehre!
So sei nur beispielsweise darauf hingewiesen, daß Sweet's feine Functions-
theorie der stimmlosen und stimmhaften Consonanten als starke und schwache
Formen eine Reihe von flexivischen Erscheinungen naturgemäß erklärt ; so
haben wir auch im Obigen die t in lent^ tvent u. a. aufzufassen. Vgl. Sweet
§. 45, 754.
Auf weitere Einzelheiten einzugehen, gestattet der Raum hier nicht, und
es ist auch hier nicht nöthig. Mit freudiger Dankbarkeit sei das Buch dem
Sprachforscher und Schulmanne empfohlen, nicht weniger den Studenten,
denen allen es hoffentlich gar viel des „tedious toil and groping after light",
das der berühmte Verfasser daran gewendet, ersparen wird.
FREIBURG i. Br., Januar 1889. A. SCHRÖER.
Elias Steinmeyer, Über einige Epitheta der mhd. Poesie. Rede beim An-
tritt des Prorectorats. Erlangen 1889. '20 S. 4.
Eine trotz ihres geringen Umfangs sehr lehrreiche und anregende
Abhandlung. St. zeigt, daß manche Adjective in der mhd. Dichtung zn
gewissen Zeiten vornehmlich im Reime vorkommen. Sie gehören somit nicht
dem lebendigen Sprachschatze des betreffenden Dichters an, sondern **iind
entweder im Veralten oder erst im Aufkommen begi'iffen. Die erstere (. ..sse
führt zur Erörterung der sogenannten ixnhöfischen Wörter, die St. im Ganzen
wie Bötticher beurtheilt (Germ. XXI, 27 7). Von Vertretern der zweiten Classe
behandelt St. hauptsächlich die Adjectiva idar, kluoc, icert, gehkire. Er macht
es wahrscheinlich, daß sie aus dem Md. in den oberdeutschen Sprachschatz
eingedrungen, und daß insbesondere Wolfram den Vermittler gespielt.
Warum wird Veldekes Dichtung immer wieder als Eneit citiert, während
sie doch Eneide hieß (vgl. v. 13510 und meine Einl. S. 88)?
GIESSEN, den .31. December 1889. O. BEHAGHEL.
Mittheilung.
Die Fortführung von Bartsch's Bibliographie durch Dr. Gustav Ehris-
mann wird im ersten Hefte des nächsten Jahrgangs ihren Anfang nehmen.
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3003
Germania
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