This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world's books discoverable online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web
at|http : //books . google . com/
über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
«<*^' ■'.
»♦ -
' <*r.
K<
.^r**»
% .*♦
< ''P^r'* i
J^:^.
« ?►
i'JLM.SCl:^^-^'^' '^'^'-
l^arbarö College ILiörarg
THE GIFT OF
GEORGE W. WALES,
OF BOSTON.
A^^' ^^^'
GEEMANIA. ^.
VIERTEUAHRSSCHRIFT ^^
PUB
DEUTSCHE ALTERTHUM8KÜNDE.
BEGRÜNDET VON FRANZ PFEIFFER.
FORTGESETZT VON KARL BARTSCH.
JETZT HERAUSQBOEBEN
VOM
OTTO BEHAGHEL.
VIERUNDDBEISSIOSTER JAHBGANG.
NEUE REIHE ZWEIDNDZWAMZIGH9TER JAHROANO.
WIEN.
VEBLAQ VON CARL OEROLD'S SOHN.
1889.
f^vJe^. so
INHALT.
Mit
Über den Ursprung des hofisehen Minnesanges und sein Verhlltniß rar Volks-
dichtong. Von Ed. Theodor Walter 1
Einleitung 1
Capitel I. WMUodi, Liebesgrflße, trotiiUet, Kflrenberglieder, ptMarum
eanUea . » ^ • . S
Capitel n. Der Versuch B. M. Mejers, Termittelst einer Sammlnng Ton
Parallelstellen aus hofisehen Diehtem den Minnesang als Entwickelnngs-
product einer ^Terloren gegangenen* Volksljrik hinrastellen ... 9
Der Minnesinger Albrecbt von Johansdorf. Von J. Hörn off. (Schluß) * . . 76
V. Gedankenwelt 76
VI. Zeitliche Anordnung 106
Vn. Fremde Einflösse 109
Znr Lantfomi des Alemanischen. Von A. Hensler. 112
Zu den ^drei Mareien". Von H. v. Wlislocki 180
Über den Ursprung des höfischen Minnesanges und sein VerhJUtniß sur Volks-
dichtung. (Schluß.) Von E. Th. Walter 141
Capitel m. Werth des Anfsatses von A. Berger über «die volksthümlichen
Omndlagen des Minnesanges** für die Frage nach dem Zusammenhange
swischen diesem und der Volksdichtung 141
Capitel IV. Die Oarmina Burana und ihr Zusammenhang mit dem höfischen
Minnesänge 146
Capitel V. Schluß 1Ö3
0 Zur Aleziuslegende. II. Von Max Fr. B^lau 166
Zur Tristansage. Von E.JCölbing . T . . . ... . ., ^. .^ . , . . . 187
Schwäbisch e als Vertreter von a. Von K. Bohne über g er -i 194
Über den gegenwärtigen Stand der Snchenwirt-Handschriften. (Forts, und Schluß.)
Von Fran« Kratochwil 208. 808. 481
Leute. Von O. Brenner 246
Mhd. tu und d. Von O. Behaghel 247
Eine Handschrift des Pfaffen Amis. Von Q. Ehrismann 261
Bemerkungen zum deutschen Wörterbuche ^Forts, und Schluß.) Von A. Gom-
bert «W- 871- *98
AfetMT. Von O. Behaghel 264
Norddeutsche und süddeutsche Heldensage und die älteste Gestalt der Nibe-
lungensage. Von W. Golther 266
Zur Freckenhorster Heberolle. Von Franz Jostes 297
Seite
Bibliographie der Uhland-Litteratur. Von Ludwig FrSnkel 345
Ein Brief. Von O. Brenner 369
Zu mhd. iu und u. Von O. Behaghel . . . . 370
Zu S. 370. Von O. B 396
Zur Runenlehre. Von F. Losch 397
Die Vorfahren des Jordanes. Von Th. v. Grienberger 406
firiliva. Von Demselben 411
Die Sprachbewegung in Norwegen. Von W. Golther 41.
Zu Gerhard von Minden. Von R. Sprenger 419
Zu Wolfram. Von O. Behaghel 481
I. Die Zeit seines Thüringer Aufenthalts 487
II. Zum Titurel 488
III. Zu den Liedern 488
Fragmente aus der Weltchronik Rudolfs von Ems. Von K. Reißeuberger . 490
Jappeaatift, Von G. Ehrismann 492
LITTERATÜR.
H. Sweet, A Historj of English Sounds. Von E. Schröer 513
Elias Steinmeyer, Über einige Epitheta der mhd. Poesie. Rede beim Antritt des
Prorectorats. Von O. Behaghel 520
Mittheilungen 140. 396. 620
GERMANIA.
VIERTELJAHRSSCHRIFT
FÜH
DEUTSCHE ALTERTHÜMSKÜNDE.
BEGRÜNDET VON FRANZ PFEIFFER.
FORTGESETZT VON KARL BARTSCH.
JETZT HSBAUSOEOEBEN
VON
OTTO BEHAGHEL.
VIERUNDDREISSIGSTER JAHRGANG.
NEUE REIHE ZWEIUNDZWANZIQSTER JAHRGANG.
EBSTES HEFT.
WIEN.
VERLAG VON CARL GEROLD'S SOHN.
1889.
Teiiflg TOD Friedrieli Yiew^ k. Sofai In Bmvnsebwei^.
(Z« WxkhcA darek jede Badkaadln«.)
Böt%tn erseliUft TollsIftBdif :
H an db ach
der deutschen Alterthumskunde.
Ueberridit der Denkmale and Gräberfande frfibgescfaidttliclier nnd Toigesdddit-
Mdier Zeit.
Von L. Lindenselmiit.
In drei Theilen. Rqyal-OctaT. gelu
Erster Tlteil« IHe Alterthlaer der meroTiasiiehea Zett.
XU nUrriehen IMnIielMB. Preis 30 Kark.
GemiAnia« yierteljahniclinft fSr denteehe Alterthnmskiinde. Begrfindet
von Franz Pfeiffer, fortgesetzt von Elarl Bartsch. VL — ^XXIL
Jahrg. 1861—1877 je 4 Hefte jetzt 1^ Jahrg. M. 8.—.
Germania, xxm. — xxxni. Jahrg. 1878
1888 je 4 Hefte
1^ Jahrg. M. 15. — .
NeUWirthy Dr. Jos., die Satzangen des Begensbarger Steinmetzentages
im Jahre 1459 aaf Grand der Elagenfarter Steinmetzen- nnd
Maarerordnang von 1628. 4 Bogen gr. 8^ M. 2. — .
Wiener Communaikaiender und städt. Jalirbucli 1889. Der ganzen
Folge 27., der neaen 17. Jahrg. 350 S. kl. 8®. cart. M. 4.—.
Inhalt: I. Kalendariam. — IL GesehäiUkalender: 1. Verkehrsanstalten. —
2. Strassen and Plätze des Wiener Gemeindegebietes. — 3. Städtische
Gebäade. — 4. Wiener Jahr- und Wochenmärkte. — 6. Gebühren-
Yerzeichniss für den Centralfriedhof. — 6. Wiener Dienstboten- Kranken-
casse. — 7. Taxe für die Aufnahme in den Gemeindeverband der Stadt
Wien. — - 8. Niederösterreichische Advocatenkammer. — IlL Städtisches
Jahrbuch: 1. Gemeindevertretung und Verwaltung. — 2. Commissionen
des Gemeinderathes. — 8. Bureau und Kanzlei des Gemeinderathes. — .
4. Magistrat. — 6. Bezirksvorstände und Bezirksausschüsse. — 6. Buch-
haltung. — 7. Städtische Hilfs- und Nebenämter. — 8. Städtische
Humanitätsanstalten. — 9. Unterrichtsanstalten. — 10. Anhang zu den
Unterrichtsanstalten. — 11. Gewerbeschulen. — 12. Anhenbezirke. —
18. Gremial- und Genossenschafts-Vorstehungen. — IV. Geschichtliche
Beiträge: — 1. Mayer, S., Handwerk und Gross-Industrie in Wien
1700—1860. — 2. Weiss, E., Die Entwickelung Wiens in den letzten
zwei Jahrhunderten. -* 8. Benner, V. v., Bericht aus dem Nicolai-
kloster über die Belagerung von Wien 1683. — 4. Mayer, Dr. A., Ueber
die historisohe Ethnographie Wiens. — V. Chronik der Stadt Wien:
1. Thätigkelt des Gemeinderathes und des Magistrates. — 2. Local-Chronik.
— 8. Todesfälle. — VI. Allgemeine Anzeigen.
JUL 15 IBS^vi
ÜBER DEN URSPRUNG DES HOFISCHEN MINNE-
SANGES UND SEIN VERHÄLTNISS ZUR VOLKS-
DICHTUNG.
Einleitung.
Wilmanns stellt in seinem ^Leben und Dichten Walthers von
der Vogelweide" das Vorhandensein einer deutschen Volksliebeslyrik
vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts, also vor dem Emporblühen
des höfischen Minnesanges auf deutschem Boden schlechthin in Ab-
rede*).
Seine Ansicht fand entschiedene Gegner; zunächst in Konrad
Burdach*), dann in Richard M. Meyer ^), welche beide eine weit ver-
breitete Liebeslyrik vor der genannten Zeit nachzuweisen bemüht
sind. Beide beantworten aber bei dieser Gelegenheit zugleich auch
die Frage nach dem Zusammenhange der deutschen Volkslyrik mit
dem höfischen Minnesänge in der Weise, daß sie diesen als die oberste
Stufe einer allmählichen steten Entwickelung , als die volle Blüthe
einer seit Jahrhunderten gepflegten und ausgebildeten Volkslyrik hin-
stellen *).
*) Wilmanns, Leben und Dichten Walthers von der Vogelweide. Bonn 1882.
S. 16: „Da5 es vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts eine weit verbreitete Liebes-
lyrik gegeben habe, glaube ich nicht[; durch Zeugnisse ist sie nicht zu belegen, die
allgemeine Entwickelung des Volkes spricht nicht dafür.«
') Burdach, das volksthümliche deutsche Liebeslied. Zeitschrift für deutsches
Alterthum etc. XXVIL S. 343—367.
') Meyer, alte deutsche Volksliedchen. Zs. XXIX. 121—236.
^) cf. vor Allem Meyer a. a. O. S. 226: „Wichtiger ... ist das Gesammt-
resultat , welches aus dieser Betrachtung sich ergibt : ... weiter gibt uns die Ver-
arbeitung der Verse und Lieder ein Bild von der Art, wie dieEunstdichtung
sich aus der bäurischen Stegreifdichtung erhob: zuerst noch ganz die alte
Art fortsetzend, nur feilend, glättend, viel mehr formell ändernd als inhaltlich, viel
mehr vermuthlich noch in der Melodie als im Text sich von der einfachsten Kunst-
übung absondernd."
OEBMANIA. Neve Reihe XXU. (XXXIY.) Jahrg. 1
2 E. TH. WALTER
Zu gleichem Resultate kommt auch Arnold Berger in seiner
Abhandlung über „die volksthümlichen Grundlagen des Minnesangs" *),
wenigstens erklärt er sich ausdrtlcklich einverstanden mit den „scharf-
sinnigen Untersuchungen von Richard M. Meyer**, dessen Standpunkt
er in allem Wesentlichen theile').
Ich meinerseits halte diese Untersuchungen und somit ihr Resultat
fttr völlig verfehlt. Gern will ich zugeben, daß der Standpunkt^ von
dem aus sie unternommen sind, auf den ersten Blick viel Verlockendes
hat; Berechtigung jedoch kann ich ihm in keiner Weise zusprechen.
Nicht daß ich Wilmanns beitreten wollte, wenn er geradezu
behauptet: daß die Liebe vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts
als „Ausdruck persönlicher Empfindung" in der Lyrik nirgends sich
ausgesprochen habe; daß sie „wie alle andere Empfindung" nur in
der epischen Poesie laut geworden sei®); solcher Ansicht stehe ich
fern. Nur einen Zusammenhang zwischen dem höfischen Minnesänge
und der ihm vorausgehenden Volkspoesie, wie ihn Burdach, vor Allem
aber Meyer und mit ihm Berger — ich weiß nicht, ob in Überein-
stimmung mit der allgemein herrschenden Ansicht, jedenfalls aber bis
heute ohne wesentlichen lauten Widerspruch — nachzuweisen ver-
suchten, muß ich entschieden in Abrede stellen.
Soll der höfische Minnesang die Blüthe der Volksdichtung sein
— nach Meyer wäre er überhaupt nur ein Abklatsch derselben —
so genügt es keineswegs, eine solche vor den Jahren 1150 — 1180
nachzuweisen; auch nicht, wenn in derselben die Liebe oiSFenbar in
irgend welcher Weise einen Ausdruck gefunden hat; vielmehr muß
gezeigt werden, daß es bereits vor den ersten Kundgebungen der
höfischen Minnepoesie eine Volkslyrik und zwar Volksliebeslyrik ge-
geben habe, so geartet und ausgebildet, daß dieser auch wirklich als
die nächste und nun allerdings höchste Stufe der Weiterentwickelung
angesehen werden könne, ohne aber selbstverständlich aUch auf dieser
Höhe als Kind der vorigen Periode sich verläugnen zu lassen*).
^) A. Berger, die volksthümlichen Grundlagen des Minnesangs. Zeitschrift für
deutsche Philol XIX. S. 440—486.
') Berger a. a. O. S. 441 unten.
=») Wilmanns a. a. O. S. 16.
*) Der Nothweiidigkeit einer solchen Forderung ist sich übrigens Richard
M. Meyer offenbar bewußt, wenn er von der ältesten höfischen Kunstdichtung —
allerdings ohne einen Beweis folgen zu lassen — behauptet, sie habe sich aus
der „bäurischen Stegreifdichtung" erhoben, „zuerst noch ganz die
alte Art fortsetzend,"
ÜB£R DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 8
Sind nun Burdach, Meyer und Berger im Stande, eine solche
volksthümliche Poesie als Vorläuferin und Vorbild des höfischen Minne-
sanges nachzuweisen und so „das oft bestaunte Räthsel des plötz-
lichen Aufbruchs der ganzen mittelhochdeutschen Lyrik^^) zu lösen?
Capitel I.
Winileodif Liebesgrüße, troutliet^ Kiirnbergliedery
puellarum cantica.
Das erste Zeügniß, auf welches sich Meyer beruft, sind die
Worte des Eapitulars aus dem Jahre 789, durch welche den Nonnen
verboten wird:
winileodos scribere vel mittere.
Was in Wirklichkeit diese winileodi gewesen sein mögen, darüber
will ich mich hier nicht weiter auslassen, betonen möchte ich nur,
daß es mir keinesfalls darum zU thun ist, den «verliebten Inhalt"
derselben in Abrede zu stellen; von Liebe, ja sogar meist und vor-
wiegend von Liebe ist gewiß in ihnen die Rede gewesen; was aber
die Auffährung dieser Lieder für den Ursprung des Minnesanges in
ritterlichen Kreisen und für dessen Zusammenhang mit einer ihm
direct voraufgehenden Volksliebeslyrik bedeuten soll, ist mir nicht
recht erfindlich.
Es handelt sich hier doch lediglich um den Nlichweis einer
unmittelbaren Vorstufe zu der höfischen Dichtung. Eine solche in
jenen von den Nonnen gesandten Gedichten des achten Jahrhunderts,
über deren Wesen und Inhalt wir uns nur Vermulhungen hingeben
können, finden zu wollen, erscheint mir ganz und gar unstatthaft.
Einzuwenden: diese winileodi könnten sich ja in der Zeit vom
achten bis zwölften Jahrhunderte derartig weiter entwickelt haben,
daß sie unseren Anforderungen entsprächen, wäre ebenfalls sehr wenig
angebracht. Wir wissen eben von einer solchen Entwickelung nichts,
erfahren überhaupt eine lange Zeit hindurch über winileodi nicht das
Geringste; und in späterer Zeit, da wir sie wieder genannt finden^
treten sie uns in einer Bedeutung entgegen, die viel mehr auf Lieder,
wie sie beim Tanze oder bei Spielen gebräuchlich sein mochten^),
^) Meyer a. a. O. S. 225.
*) cf. Neidhard ed. Haupt 62, 82 :
durch minen haz von Bttge yaste n&ch den blaomen spranger ,
in einer höhen wise sSnin wineliet diu sanger.
und 96, U:
unde in h6her wlse ainiu wineliedel sanger.
1*
4 E. TH. WALTER
als auf Liebeslieder schließen läßt und damit für unseren Zweck
jeden sonderlichen Werth verliert.
f Ich lehne daher die mnileodi als nicht hierher gehörig von
vornherein ab.
Auch dem aus dem elften Jahrhunderte stammenden Liebesgruße
im Ruodlieb^) kann ich keine Beweiskraft zugestehen. Er lautet:
Die Südes illi nunc de me corde fideli
tantundem liebes, yeniat quantummodo loubes,
et yolucmm wurma quot sint, tot die sibi minna
graminis et florum quantum sit, die et bonorum.
Daß die den Vers hier durchbrechenden deutschen Beimworte
einem weit verbreiteten , allbekannten Liebesgruße zuzuschreiben
seien, daß es solcher Liebesgrüße viele im elften, ja schon im zehnten
Jahrhunderte gegeben habe'*), räume ich ohne Weiteres ein. Jedoch
— mögen diese Grüße sangbar gewesen oder gesungen worden sein;
mag man sie nur als Formeln fUr die Einleitung mündlicher Bot-
schaften; später, ausgebildet, für den Briefanfang allenthalben gäng
und gäbe gehabt haben ^): für einen Zusammenhang zwischen diesen
Strophen und dem höfischen Minnesänge des zwölften Jahrhunderts
\ spricht nicht das Geringste.
Solche Liebesgrüße sind ja gewiß ein Zeichen von einer gewissen
Lust am Überschwänglichen , am poetischen Vergleichen und Über-
treiben; zugleich aber auch ein Zeugniß für den noch herrschenden
Mangel an Beweglichkeit und Übung, der immer und immer wieder
das Zurückgreifen nach der alten Formel nöthig macht und sich mit
ihr begnügt. Von der Fähigkeit zu einer über die engen Grenzen
des Grußes hinausgehenden Entwickelung ist gleichfalls nichts zu
finden; Anzeichen einer Dichtungsart, in welcher der Minnesang sein
Vorbild oder auch nur seine Vorbereitung gefunden hätte, werden
nirgends bemerkbar.
Auch die Berufung auf die trouüiet^), die in den Kreisen der
österreichischen Ritter offenbar schon vor 1163 geübt wurden*), gibt
uns keinen Beweis für das Hervorwachsen des Minnesanges aus einer
„verloren gegangenen** Volkspoesie.
*) Ruodlieb ed. Seiler XVII. U— 14.
') Dümmler) Mittheilungen der Züricher antiquarischen Gesellschaft 12, 228.
») Meyer a. a. O. S. 129.
*) Burdach a. a. O. S. 354.
') Heinrich von Melk ed. Heinzel, Erinnerung^ 610—613 und Priestefleben 670
bis 671.
ÜBEB DBN URSPRUNG DES HOFISCHEK MINNESANGES ate. 5
Zwar halte ich diese trauütet nieht für |,Ersfthlangeii erotischen
Inhaltes"; Liebesgeschichten oder Gesänge ; „die dem epischen Ge-
halte den Ausdruck einer augenblicklichen und subjectiven Stimmung
beigesellten^ ^), sondern glaube in ihnen Dichtungen sehen zu dürfen,
die weit mehr lyrischen als epischen Charakter trugen ; doch sind ja
alle diese Lieder^ so weit wir unterrichtet sind^ allein in ritter-
lichen Kreisen y obendrein nur Österreichs gedichtet und gesungen
worden^ haben also mit Volkslyrik von vornhereio gar nichts zu thun.
Den stärksten Nachdruck jedoch glaubt Burdach auf dieEtirn-
berglieder legen zu müssen').
Um dies zu können, ist er natürlich gezwungen, die Autorschaft
eines einzigen Mannes für die Männer- und Frauenstrophen in Ab-
rede zu stellen und dieselben verschiedenen Verfassern: Männern
und Frauen^) zuzuschreiben.
Leider bringt er von neuen Gründen für seine Behauptung gar
nichts.
Mit den widerlegenden Auseinandersetzungen Pauls ^) befaßt er
sich unbegreiflicher Weise überhaupt nicht, sondern begnügt sich
damit, es für unmöglich zu erklären, daß derselbe Mann, der in den
Männerstrophen so stolz und hart, roh und begehrlich sich zeige,
die zarten Frauenstrophen gedichtet haben könne. Aber wie steht es
in Wirklichkeit mit diesen so stolzen, rohen und begehrlichen Männer-
strophen, wie mit den so zarten Frauenliedern?
Ich kann nur mit PauP) fragen: ist eine Frauenstrophe, die
mit den Worten
er muoz mir diu lant rümen
ald ich geniete mich sin^)
schließt, wirklich so überaus zart und weich; und hinwiederum eine
Männerstrophe, in der es heißt:
wtp vile schoene,
nu var dn sam mir.
lieb und leide
teile ich sament dir ... ^)
*) Wackeraagel a. a. O. S. 291.
3) Burdach a. a. O. S. 366 f. cf. Meyer a. a. O. S. 127.
*) cf. Scherer, Der Kflmherger, Ztschr. f. d. Alt. XVII, S. 661—581.
♦) cf. Paul in P. u. Br. Beitr. 11, 406—418.
») a. a. O. S. 414.
•) MF. 8, 7—8.
') MF. 9, 21—28.
6 E. TH. WALTER
SO hart und roh^ daß man sie Dicht beide einem Verfasser zuschreiben
könnte?
Oder ist es etwa als Thatsacbe anzuerkennen, wie Scherer*)
behauptet, daß die Männer im XII. Jahrhunderte wirklich aller wei-
cheren Empfindungen unfähig gewesen wären, wenn unter Dietmar
von Eist der Bitter klagt:
Seneder friundinne böte,
na sage dem schoenen wibe,
daz mir tuot äne mäze w^,
daz ich si so lange mide:
lieber bete i*r minne
dan al der vögele singen^).
Oder wenn der Dichter das Verhalten des Ritters folgender-
maßen charakterisieret:
J6 stuont ich nehtint späte
vor dinem bette:
do getorst ich dich frouwe
niuwet wecken ...'*)
und das der Dame mit den Worten:
*des gehazze
got den dinen lip;
jö enwas ich niht ein her
wilde/ so sprach das wip.
Wer ist hier zaghaft, zart und voller Rücksicht?
Ferner! Haben wir in der Strophe*)
Nu brinc mir her vil balde
min rosy min isengwant.
wan ich muoz einer frouwen
rümen diu lant.
diu wil mich des betwingen
daz ich ir holt si.
si muoz der miner minne
immer darbende sin . , , .
wirklich, wie Burdach behauptet^), das wilde Zurückstoßen des
Ritters gegenüber derselben Frau zu erblicken, deren Liebe und Hin-
gebung er sich vorher gewünscht habe, oder nicht vielmehr (vielleicht
mit humoristischer Färbung) das Fliehen vor einem Weibe, dessen
») a. a. O. 8. 677.
') MF. 32, 13.
») MF. 8, 9.
*) MF. 9, 29.
») a. a. O. S. 356.
ÜBEB DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. ^
ungewüuschte, aufdringliche Liebe ihm bereits unbehaglich zu werden
anfängt?
Ebensowenig ist Burdachs Behauptung stichhaltig: ^man wünscht
nicht, was man nicht selbst kennt"", oder ,,Gefilhle lassen sich nicht
darstellen, wenn man sie nicht aus eigener Erfahrung kennt^. Er
spricht damit kurzweg jedem Dichter die Fähigkeit ab, Frauen zu
zeichnen. Seine diesbezüglichen Auslassungen eingehender zu wider-
legen, halte ich für unnöthig.
Diesen allgemeinen Betrachtungen Burdachs ist in Wirklichkeit
kein Werth beizumessen ; nicht viel mehr seinen folgenden Auseinander-
setzungen^), Air deren Gegenstand er übrigens „sorgfältige Berück-
sichtigung" in Anspruch nimmt.
Er verbreitet sich in ihnen über die Thatsache, daß „wo ur-
sprüngliche, volksthümliche Liebespoesie blüht^, „wir auch sonst die
Frauen hervorragend als Dichterinnen thfttig^ finden.
Aber ganz abgesehen davon , daß wir in unserem Falle ja erst
die volksthümliche Natur der Kürnberglieder beweisen wollen, er
also die Behauptung zum Beweise als Voraussetzung benutzt — ab-
gesehen davon: kann er damit doch nur beweisen wollen, daß es
überhaupt dichtende Frauen gegeben habe, keineswegs aber, daß
diese Strophen, die uns unter Kürnbergers Namen überliefert sind,
Frauen zu Verfassern gehabt haben müßten; zumal da* ebenfalls aus
älterer Zeit Frauenstrophen, von einem Manne gedichtet, unter Diet-
mar von Eist überliefert sind*).
Wie Burdach sich übrigens mit der oben erwähnten Strophe
MF. 8, 9 glaubt abfinden zu können, in der zuerst der Mann spricht:
Jö stuont ich nehtint späte
vor dinem bette :
do getorste ich dich, frouwe,
niwet wecken . . .
dann die Frau antwortet:
des gehazze
got den dfnen l!p!
jö enwas ich niht ein her
wilde . . .
und zum Schlüsse der Dichter anfügt:
80 sprach daz wip.
kann ich mir bei seiner Ansicht durchaus nicht vorstellen. Er läßt
») a. Ä. O. 8. 366—367.
') MF. 37, 4—17. IS— 29.
8 E. TH. WALTER
yoD dieser Strophe überhaupt nichts yerlauten: sie ist ihm offenbar
im Wege.
Endlich möchte ich noch darauf hinweisen, daß einige der in
Frage kommenden Strophen schon ohne Weiteres durch ihren Inhalt
der ritterlichen Poesie zugewiesen werden. Dazu gehören auf jeden
Fall die Strophen Ich atuont mir nehtint späte \ an einer zinnen^).
Ich zöch mir einen valken^), Nu brinc mir her vil holde \ min roB,
mm tsengwant^) und die letzte der ganzen Sammlung Wtp unde
vederspil \ die werdent Rhte zam:^)\ doch glaube ich, daß man wohl
auch die beiden Strophen Leu machet sorge^) und Swenne ich stän
alkine^) wird herbeiziehen dürfen.
Alles in Allem halte ich den abermaligen Versuch, aus den Kürn-
bergliedem Volksdichtungen machen zu wollen, für gründlich ver-
fehlt und betone ausdrücklich, daß ich außer Stande bin, jene Lieder
fftr Producte volksthüm lieber Lyrik zu betrachten, sie vielmehr für
alte Zeugnisse ritterlicher Poesie ansehen muß'').
Über die puellarum cantica läßt sich bei den überaus geringen
Nachrichten, die wir von denselben haben, gar nichts sagen.
Daß sie mit dem höfischen Minnesänge ifi näherer Beziehung
gestanden hätten, wird auch wohl kaum Jemand zu behaupten ver-
suchen.
Damit hätten wir den Kreis dessen durchlaufen, was von that-
sächlich Überliefertem oder sicher Bezeugtem für die Existenz einer
so gearteten und so weit verbreiteten Volksliebeslyrik vorgebracht
worden ist, daß der Minnesang als ihre nächste Entwickelungsstufe
angesehen werden könnte.
Einen Beleg von beweisender Kraft haben wir aber nirgends
finden können.
») MF. 8, 1—8. *) MF. 10, 17—24.
•) MF. 8, 33—9, 12. ^) MF. 7, 19-26.
») MF. 9, 29—36. «) MF. 8, 17—24.
') Wegen des Weiteren in der Eümbergfrage , sofern sie hierher gehört, ver-
weise ich auf die oben citierte Abhandlnng Pauls in den Beiträgen.
ÜBER DEN UB8PRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES eie. 9
Capitel n.
Der Versuch R. M. Meyers, vermittelst einer Sammlung
von Parallelstellen aus höfischen Dichtern den Minnesang
als Entwickelungsproduct einer „verloren gegangenen^
Volkslyrik hinzustellen.
Ganz abgesehen von den bisher besprochenen; entweder that-
sächlich varhandenen oder sicher bezeugten dichterischen Erzeugnissen
glaubt" R. M. Meyer noch andere Belege daftbr zu haben , daß der
höfische Minnesang das unmittelbare Entwickelungsproduct einer
„verloren gegangenen '^ Volksliebeslyrik sei').
Er stellt nämlich über 1000 ähnliche Verse aus den ältesten
Stücken von des Minnesanges Frtihling, den deutschen Strophen der
Carmina Burana, aus Walther von der Vogelweide, Wolfram und
Neithart zusammen'), und zieht dann den Schluß: alten diesen Versen
hätten bereits poetisch bearbeitete Muster vorgelegen*); deren sich
die betreffenden Dichter bedient hätten, die sie, gleichsam als Bau-
steine in ihre Gedichte einfügend, nur insoweit behauen hätten, als
es der Bau ihrer Strophen erforderte*).
Damit macht er also den höfischen Minnesang geradezu zu einem
Abklatsch; und zwar zu dem Abklatsch einer Poesie; wie sie sich
einstweilen nur in seiner Einbildung findet.
Und in dieser Einbildung ist Meyer so befangen, daß er „aus
einzelnen Stücken und Stückchen*^ zwar „kein einzelnes Lied^ wie-
der so aufbauen zu können glaubt, „daß wir es wirklich in seiner
alten Gestalt zu besitzen überzeugt sein könnten; wohl aber „mit
Deutlichkeit die Existenz^, ja sogar ^klar den Charakter einer großen
Zahl alter Liedchen^ nachweisen zu können sich getraut'^).
Er geht aber noch weiter ; er unterscheidet sogar drei Abschnitte
der Entwickelung:
eine Zeit der größeren Abhängigkeit von den Vorbildern,
eine Zeit „des Aufstrebens von den Anfängen zur Blüthe^ mit
dem „bemerkbaren Bestreben, sich von den alten Vorbildern frei zu
machen^ •).
und endlich die Zeit der Erweiterung und Verfeinerung^),
*) Meyer gebraucht, wie schon Bein Citat aus Wilmanns* Walthers Leben seigt,
immer „Lyrik" in dem Sinne von Liebeslyrik.
*) a. a. O. 8. 133—164. «) a. a. O. S. 131 u. 132.
») a. a. O. 8. 167. •) a. a. O. 8. 169 f.
*) a. a. O. 8. 167—168. 7) a. a. O. 8. 171.
10 E. TH. WALTER
„welche Formeln der alten Art, formelhaft verwandte Verse also
überhaupt kaum noch hervorbringt oder vielmehr ohne ältere Bei-
spiele kaum noch zeigt und die alten wiederholt verdichtet und bricht^
Er schließt dann seine Beweisführung mit den Worten: „Wir
haben nun, wie ich glaube, die Existenz einer großen Anzahl von
Versen , die in der verloren gegangenen Volksdichtung gerade wie
noch in den ältesten erhaltenen Liedern zu neuen Liedern zusammen-
gefdgt wurden, für alle an der litterarischen Cultur Deutschlands be-
theiligten Länder nachgewiesen; gegen Wilmanns also eine weit ver-
breitete Volkslyrik (Volksliebeslyrik) vor der Mitte des zwölften Jahr-
hunderts festgestellt.^ ').
Von dieser selben nach seiner Ansicht nun erschlossenen Volks-
lyrik sagt er an einer anderen Stelle, wie^schon erwähnt:') aus ihr
hätte sich die Kunstdichtung in der Weise erhoben, daß sie „zuerst
ganz die alte Art fortgesetzt^, „viel mehr vermuthlich noch in der
Melodie als im Text sich von der einfachsten Kunstübung^ abge-
sondert hätte.
Das heißt, vom entgegengesetzten Standpunkte aus betrachtet,
nichts anderes, als:
Jene „verloren gegangene" Volksdichtung bot im
Großen und Ganzen so ziemlich denselben Anblick, den
uns die älteren Zeugnisse der höfischen Kun stdichtung ge-
währen.
Wäre es also Meyer gelungen, dies thatsächlich zu erweisen, so
wäre auch die Forderung erfüllt, die wir am Eingange unserer Ab-
handlung glaubten stellen zu müssen: ^) somit der Zusammenhang
zwischen höfischem Minnesang und der Volksdichtung als ein solcher
dargethan, wie ihn Burdach, Meyer und Berger annehmen.
Sehen wir nun zu, ob die Sammlung Meyers in Wirklichkeit
zu den Resultaten führt, die wir von ihm behauptet fanden.
L
Will man aus einer Zusammenstellung von Versen, die gleiche
oder ähnliche Gedanken, gleiche oder ähnliche Ausdrücke enthalten,
auch nur irgendwie auf den Umstand schließen, daß die betreffenden
Dichter, denen jene Verse entnommen sind, vorhandene Vorbilder
*) a. a. O. 8. 174.
3) Vgl. oben 8. 1, Anm. 4 und 8. 2, Anm. 4.
») Vgl. oben 8. 2.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. H
gemeinsam benatzt haben: so ist es vor Allem durchaus unzulässig,
solche ähnliche oder gleiche Gedanken oder Ausdrücke desselben
Dichters zusammenzustellen.
Daß nicht nur jeder Dichter , sondern überhaupt jeder Mensch
einen ganz bestimmten Schatz von Worten besitzt^ aus dem allein er
zu schöpfen pflegt, ist doch wohl Jedem bekannt.
* Ein solcher Schatz wird, natürlich entsprechend dem Bildungs-
grade eines jeden , bei dem einen größer, bei dem andern kleiner
vorhanden, an jedem aber bei einigermaßen aufmerksamer Beobach-
tung bemerkbar sein; schon in der Alltagssprache der ungebundenen
Rede. Wie viel mehr muß er sich zeigen bei dem Dichter, dessen
Bewegung, wenn nicht gehemmt; so doch mit einer gewissen Regel-
mäßigkeit geleitet und beeinflußt wird durch die Rücksicht , die er
dem Verse: dem Rhythmus und dem Reime schuldig ist.
Dazu kommt hoch die allseits vorhandene Neigung zu ganz be-
stimmten LiebliDgsgedanken -Wendungen und -Worten bei ein und
derselben Persönlichkeit; oft nur zeitweilig, dann aber um so auf-
fallender.
Beides können wir an allen unsern Dichtern, selbst unsern
größten wahrnehmen.
Solche Parallelstellen, einer Persönlichkeit entnommen, beweisen
selbstverständlich für die Annahme einer Entlehnung aus „verloren
gegangenen" Dichtungen nicht das Geringste. Ebensowenig hat es
Bedeutung, wenn den Stellen eines Dichters Parallelen aus der
späteren Volkslyrik beigefügt werden.
Soll denn einmal Entlehnung angenommen werden, so läge es
wohl weit Daher, bei derartigen Stellen daran zu denken, daß sie
unter dem Einflüsse des vor auf gehenden Minnesanges gestanden
hätten.
Tritt zu solchen, wie wir sahen ganz bedeutungslosen, Zusam-
menstellungen eine einzige irgend einem andern Dichter entnommene
Parallele hinzu, so wird man dadurch wohl kaum die Beweiskraft der
Gruppe für erhöht halten können, denn eine einzelne Entsprechung
weist doch zu sehr auf den Zufall hin, als daß man ihr Werth bei-
legen könnte.
Dasselbe gilt natürlich auch für die Fälle, in denen eine Pa-
rallele, entnommen einem Dichter, zu einer einzelnen Stelle aus einem
andern hinzutritt.
Ich scheide also aus der Sammlung Meyers von vornherein als
untauglich zum Beweise au9:
12
E. TH. WALTER
1. Gruppen, deren Parallelstellen nur ein und demselben Dichter
entnommen sind.
2. Gruppen, zu deren, einem Dichter entnommenen Parallelen
nur Entsprechungen aus der späteren Volkslyrik hinsugeftlgt sind.
3. Gruppen, zu deren, einem Dichter entnommenen Parallel-
stellen nur eine einzige Stelle aus einem andern Dichter gefügt ist,
a) ohne Volksliedentsprechung,
h) mit Volksliedentsprechung.
4. Gruppen, in denen zu einer einzigen Stelle eines Dichters
nur Parallelen aus späterer Volkslyrik gesetzt sind.
5. Gruppen, die überhaupt nur aus zwei Stellen bestehen, d. h.
in denen zu einer einzigen Stelle irgend eines Dichters nur eine ein-
zige aus einem anderen Dichter hinzugefügt ist.
Hierbei berücksichtige ich zunächst nur diejenigen Fälle, in denen
meine Ausstellungen die ganzen Gruppen treffen, nicht nur Theile
derselben.
1. Gruppen, deren Parallelstellen nur ein und demselben Dichter
entnommen sind.
Kürenberc
: daz ist schedelich
daz ist lobelich
daz ist Bchedelieh
MF. 7, 2
T7 7, 4.
« 8, 30 ').
Meinloh :
Walther:
Ich bin holt einer fronwen
86 weiz ich eine fronwen
ichn sach nie eine frouwen
. . und weiz noch m6
. . 86 wist Ichs gerne me
noch klagte ich gerne m^
MF. 13, 1
71 15, 3
« 16, 13 2).
W. 24, 2.
D 69, 2
rj 102, 28*).
Walther :
ob er wolte
ob er wolde
swie er wolte
swie si wolde
und wilt du daz
ob sis willen hat
W. 61, 28
r? 105, 28
n 94, 34
n 109, 15
7) 82, 14
j) 121,17*).
Bein mar:
und waerez al der weite leit
waere ez al der werlte leit
MF. 6, 12
ji 164, 12*)
Walther:
waz wil 0i möre?
» 59, 35
waz wil dus m6«
Meyer a. a. 0. 8. 144 u. *)
ib.
8.
» 60,22«)
Ocf,
168. *
») ib.
8. 148 «. *)
ib.
8.
148.
»)ib.
8. 162—168. •) Ib.
fi.
1«8 0.
ÜBER DEN UB8PBUN0 DES HÖFISCHEN MINNESANGES ate.
IS
2. Orappen, zu deren, eineni Dichter entnommenen Parallelen
nur Entsprecbungen aas der späteren Volkslyrik hinzugefügt sind.
Kürenberc: Ich stuont mir nehtint tpftte MF. 8, 1
16 stuont ich nehtint späte n 8, 9,
dazu Ausdrücke, in denen neckten späte wiederkehrt , sonst übrigens
keine Übereinstimmung herrscht, aus der spftteren
Volkslyrik: es (ein kleines WaldvOgelein) flog
wol nechten spftte
Was sah ich nechten spftte
ich fond si nechten spftte
"^er reit nechten ganz spftte
[mit hnnden auf die jagd']*)
Walther: Ich hdrte ein wasser diesen
Wan daz daz wazzer flinzet
Volkslyrik: Ich hört ein waszer flieszen
Neithart : so! ich im des niht danken . . .
, von Beiem nnz in Tranken
. . . daz in die Beier danken,
die Swftbe und die Vranken
Yolksljrik : ... ich solt euch danken
mit Schwaben and mit Franken
Desgl.: Sie sagt, sie war' aus Franken:
Ich will mich schön bedanken
Desgl.: Jungfrau, ich sollt' euch danken
mit Schwaben und mit Franken!
Desgl.: So woll'n wir euch nun danken
mit Sachsen und mit Franken
Uhl. 29, 2
* r) 49, 3
n 90, A. 10
7t 123, A. 6 *).
W. 8, 28
n 124,11
Uhl. 85, 2«).
N. 4, 28. 30
n 16, 2—3.
Uhl. 8, 9.
Simrok YHI, S. 334.
Uhl. Sehr. III, S. 262.
Wenig hierher gehören ^ da ihnen auch
dem anderen Zusammenhange — das Band
Stellen
Bttsching, der Deutsch
Leben etc. II, 400,
Str. 7.
noch — abgesehen von
des Reimes fehlt; die
Desgl.:
und noch mehr:
auss welchem land er kommen war,
auss Franken oder aus Schwaben
swer sanc, daz der strüz ste dri tage
an sin eier
der sanc nnreht, er si ein Swftbe oder
ein Beier.
Uhl. 100 B., 6.
cf. Mamer ed. Strauch
S. 8»).
*) Ich werde an Tielen Stellen genöthigt sein, die Citate Meyers wieder in den
Zusammenhang einzufügen; ich werde meine Zusätze in [ ] einschließen.
*) ib. 8. 146. ") ib. S, 162 u.
') ib. S. 163. Auffallend ist es übrigens gewiß, daß gerade eine so acht Tolks-
14 E. TH. WALTER
3. Gruppen, zu deren, einem Dichter entnommenen Parallel-
stellen nur eine einzige Stelle aus einem anderen Dichter zugefügt ist.
a) Ohne Volksliedentsprechung.
y eidegge: als siz gebiut, ich bin ir tote: MF. 67, 1
dan ich durch si gelige tot, n 66, 3
Dazu: gebiutet si, ich lige tdt. CB. 94* (3) ').
Meinloh: er hat dur dinen willen MF. 11, 24
iemer durch ir willen n 12, 88
Dazu: gedienet nach dem willen mtn n 6, 6*)
Meinloh: Swer werden wiben dienen sol, MF. 12, 1
swer biderber dienet wiben, n 12, 9
Dazu: der wol wiben dienen chan CB. 141*'). '■
Dietmar: frouwe biderbe unde guot MF. 33, 24
Man sol die biderben und die frnmen n 33, 3 t
Dazu Meinloh: Vil schoene unde biderbe, r> 15, 1^).
Meinloh: dar zuo edel unde guot, MF. 15, 2
sist edel und ist schoene, n 15, 11
Dazu Veldegge : sie ist edel und fruot n 60, 25
der schoenen vrowen und der guoten r? 66, 29 *)
Hierher ziehe ich auch die Verse')
Neithart: den kinden singe ich niuwen sanc N. 41, 39
ich gesunge ir niuwen sanc n 79, 31
deich ir kinden singe niuwen sanc 7i 87, 14.
Dz. Morungen: daz ich singe ir niuwen sanc MF. 124, 7.
Denn der noch angeführte Vers des
Rietenb. : [noch ist mtn guot rät] daz ich niuwe
minen sanc MF. 19, 13.
paßt weder im Sinne noch in der Form zu den übrigen.
Kürenberc: er muoz mir diu lant rümen MF. 8, 7
rümen diu lant n 9, 32
Dz. An. Sperv.: . . so der gast muoz | die herberge rt 27, 9^).
rümen . .
thümliche Formel sich außer bei Neithart, der zugestandenermaßen sich der Yolks-
poesie zuneigte, unter den Minnesingern nicht gebraucht findet. Dergleichen Beob-
achtungen sprechen recht gegen Meyer.
*) ib. S. 136. ') ib. 8. 161 o.
«) ib. S. 147. *) ib. 8. 161.
*) ib. 8. 147; für volksthümlich *) ib. 8. 168.
möchte ich übrigens den Ausdruck fMen ^) ib. 8. 146.
dienen nicht halten.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc.
15
Dietmar :
Dazu Rietenb. :
Neithart :
DazuVeldegge:
Walther:
Dazu Fenis:
Reinmar :
waz hilfet zorn ? . . .
Ich solde zürneii) hülfe ez iet
waz frumte, ob ich von zorne jaehe
. • . deist diu wolget&ne
daz ist diu wolgetäne
ez ist diu wolget&ne
si sint mir ze hSr:
so wirt er ze hSre
ja ist si mir ein teil ze h^re
tuot si mir ze lange w^
daz tuot mir vil lange w6
. . . : ez tuot ze w€
Dazu Morungen: si tuot mir ze lange w^
MF. 35, 30
7) 40, 11
7) 18,4').
N. 42, 38
n 62, 33.
MF. 58, 19*).
W. 56, 27
n 81, 25
MF. 85, 12^)
MF. 174, 1
n 174, 29
n 197, 18
r? 146, 10*).
Morungen :
dö tagete ez.
MF.143,29. 37;144,
8, 16.
(viermal als Refrain in ein und demselben Gedichte!)
Dazu Walther: [do ich so wünnecliche | was in
troume rtche]
dö taget ez
Walther:
Dazu Reinmar:
Walther:
Dz. Hartmann :
Neithart:
swaz so mir geschiht
. . swaz mir da von geschiht
. . swaz liebes dir da von geschiht
. . so mir daz geschiht
swaz dar umbe mir geschiht
. . . swie si dir tuot
swaz si mii* getuot
[swer für guot hat] swaz er tuot
swaz si mir tuot [ich hän mich ir
ergeben]
Uf dem berge und in dem tal
in dem tal [hebt sich aber der vögele
schal]
D&zu Wolfram : [nu wache abr ich und singe] üf
berge und in dem tal
Neithart: ich hän vemomen^
. . als ir wol habt vernomen
. . als ich hftn vernomen
Dazu Meinloh: Ich hän vernomen ein maere
W. 75, 24*).
n 42, 30
n 84, 4
n 101, 84
7» 113,88
MF. 202, 10 •).
W. 91, 34
w 116,20
7) 107, 9
MF. 206, 27').
N. 4, 31
w 6, 19
Wolfr. 7, 22 8).
N. 14, 6
7) 15, 35
7J 31, 8
MF. 14, 26*).
') ib. S. 156.
«) ib. S. 158.
») ib. 8. 169.
*) ib. S. 161.
5) ib. S. 162.
) ib. S. 162.
') ib. S. 162.
■) ib. S. 163.
») ib. S. 163.
16
E. TH. WALTER
An dieser Stelle ftlhre ich auch noch zwei Gruppen auf, in denen
mehrere Parallelen aus je zwei Dichtern zusammengestellt sind; es
gilt von ihnen dasselbe, wie von den vorstehenden Gruppen.
Guotenborc :
DasTi Walther:
[schöne | von ir min herze] swiez
ergät
[ichn singes alleine] swiez mir ergät
[. . muoz bt fröiden sin | durch die
lieben,] swiez dar under mir
ergät
[got der waldes,] swies ergß ; [schoener
troum enwart ni m6.
Walther:
Dazu Reinmar:
MF.
. 75, 9
r?
78,34
W.
98, 8
7)
94, 36 1).
w.
40, 30
n
56, 15
MF.
197, 27
7i
202, 8^).
[der ie streit nmb iuwer 6re | wider
unstsBte liute,] daz was ich.
[der iu maere bringet,] daz bin ich
[war zuo sol ein unstaeter man ? daz
was ich ^ :] nu bin ichz
nicht
[Weste ich waz ir wille waere, | daz
taet ich] nu enweiz ichs nicht
Diese Gruppe ist wirklich ein sprechendes Beispiel für die con-
fuse Art Meyers. Man betrachte sich nur einmal die vier vorstehenden
Stellen : die ersten beiden sind ein und demselben Dichter entnommen
und enthalten den Gedanken ich bin es, der ... in umgekehrter Folge ;
die dritte Stelle, Reinmar entnommen, hat schon absolut nichts Über-
einstimmendes weiter als den Gebrauch der Form ∈ und nun gar
die vierte Reihe hat mit den beiden ersten gar nichts mehr, mit der
dritten nur noch das Wörtchen nu gemeinsam, und eine solche Zu-
sammenstellung soll dazu dienen oder wenigstens mit dazu dienen,
einen Zusammenhang zwischen Volkslyrik und Minnesang zu erweisen !
l) Mit Volksliedentsprechung.
Wolfram: nu gib im urloup, süezez wip
. . urloup gap . .
Dazu Meinloh: [mines herzen leide] si ein urlop
gegeben
und Volkslyrik: gib mir urlob, du roter mundl
Wolfr.
4, 80
7, 10
?
Dazu ?
und Volkslyrik :
er viench si bi der wizen hant
er nam mich bi der wizen hant
Er nam sie bei der hende,
bei ir schneeweiszen hand,
MF. 14, 31
ühl. 29, 5»).
OB. 145
7) 146, 3
ühl. 81, 4; 90, 10;
106, 2; 330, 2
*) ib. S. 169.
•) ib. S. 161—162.
») ib. S. 160-161.
ÜBER DEN UB8PRUNQ DES HÖFISCHEN MINNESANGES ate.
17
Walther:
Dazu Beinmar:
und Volkslyrik:
Neithart:
Do nam ers bei der hende
bei ir schneeweissen band
Er nahm sie bei ihrer scbneeweißeii
Hand
[. . er griff sie] Bei ihrer schnee-
weißen Hand
mit iren schneweiszen henden
an ir schneweisze hende
[Si rank] ir weisse hende
si bot im ir schneweisze band
stirbe ab ich, so bin ich sanfte tot
[ir leben h&t mins lebennes ^re]
sterbet sie mich, so ist si tot
stirbet si, sd bin ich tot
Und stirb ich dann, so bin ich tot
sterbe ich nun, so bin ich todt
Uhl. 256, 8
Simrock 84 u.
n 121
Uhl. 20, 2. 9
n 109; l;cf. 110,1
» 2, 1
7) 115,8
n 128, 18
n 147, 6 etc.')
W. 86, 34
n 73, 16
MF. 158, 28
ühl. 160, 8
Wundh. I, 77«).
Die selben wolden gerne mich ver-
dringen
disen sumer habent si mich von ir
verdningen
mich von minen vröuden und von
lieber stat verdringen
. • . der mich hat von lieber stat
verdningen
Dz. Ps. - Walth. : wirde ich hie vordrangen
und Volkslyrik: von im bin ich verdrungen
er bleibt wol nnverdrangen
ain andrer hat in verdrungen.
4. Gruppen, in denen su einer einzigen Stelle eines Dichters
nur Parallelen aus späterer Volkslyrik gesetzt sind*
Kürenberc: got sende si zesamene | die gerne
geliebe wellen sin MF. 9, 12*)
Dazu Volkslyrik : schein uns zwei lieb zusammen, { ei
die gerne bei einander wollen sein! Uhl. 81, A. 1^).
Die Beifügung der Verse
got bhüt die fimmen knaben, | die
allzeii vol wöln sein Uhl. 233, 11
erscheint mir doch sehr wenig berechtigt^).
N. 43, 35
n 77, 17
V 89, 38
« 91, 21
W. 182, 60
Uhl. 50, 1
n 60, 7
7> 271, 1*).
*) Sehr beliebt ist dies Qedicht allerdings und dadurch volksthümlich ge-
worden; das Folgende könnte unter seinem Einflüsse stehen.
>) ib. .8. 139. ») ib. 8. 161. ») ib. S. 168—164. *) ib. S. 146.
^) Bemerken möchte ich bei dieser Gelegenheit, daß für einen Zweck, wie
GSRMAMIA. Neue Beilie. XIU. (XXXIY.) Jabrg. 2
18 E. TH. WALTER
Meinloh: [na hoehe im sin gemtiete] gegen
dirre snmerzit MF. 14, 10
Dazu Volkslyrik : [Dat geit hir jegen den samer] jegen
de leye samertit, Uhl. 37, 1
Wann es get (Es get wol) gegen
dem sommer n 116, 4. 6')
Johansdorf : Swft zwei herzeliep gefriundent sich |
. . . die sol niemen scheiden, dunket
mich MF. 91, 29. 31
Dazu Volkslyrik : Wo zwei herzlieb beinander sind | die
zwei sol niemant scheiden Uhl. 101, 4.
Geradezu entgegengesetzt ist der Oedanke in den beiden folgen-
den Stellen:
Wo nnn zwei lieb bei einander sein,
die scheiden sich bald! Uhl. 80, 1
nnd Wo nun zwei lieb bei einander sein,
die scheiden sich bald von hier! n 98, 1.
So gut wie gar keinen Werth hat endlich der Zusatz der letzten
Parallele, wie sofort kenntlich wird, wenn man die Stelle wieder in
den Zusammenhang einfügt, aus dem sie gerissen ist:
Wo zwei herzenliebe | an einem
danze gan
die laszen ir eigelin schieszen, . . Uhl. 86, 5 ^)
Neithart: ich hoere ein vogelin singen N. 31, 19
Dazu Volkslyrik : ich hoere ein vogelken singen Uhl. 164,5. 35^).
Ich komme endlich
5. zu den Gruppen, die überhaupt nur aus zwei Stellen be-
stehen ^ d. h. in denen zu einer einzigen Stelle eines Dichters nur
eine einzige Parallele aus einem anderen Dichter zugefügt wird.
Namenl. L. : Tongen minne diu ist guot, MF. 3, 12
Dazu: Swer tongenlichen minnet, | wie
tugentlich daz stat, CB. 144*^)
Namenl. L. : der sol man sich vlizen MF. 3, 12^
Dazu Meinloh: durch daz wil ich mich flizen MF. 15, 15^)
der unHerige ist, j^parodistische** Stellen vollkommen unbrauchbar sind, da ihnen
ja jede selbständige Bedeutung mangelt.
*) ib. 8. 150. ») ib. S. 169-.160.
') ib. 8. 163. Die Volksliedstelle ist an dem angegebenen Orte nicht su finden ;
doch sind Parallelen häufig, cf. Uhl. 16, 2.
*) ib. 8. 184. *) iU 8. 184.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc.
19
Dazu Neithart:
Dazu:
Dazu Beinmar:
Dazn:
Dazu:
Dazu:
Dazu:
[Her meie, in ist der bris gezalt,]
der winder si gebönet
der winder ei gon6ret [der brach
uns ze leide | blnomen an
der beide]
[Ib ban geseben] das mir in dem
berzen sanfte tut
[bi dir swer lit] sanfte dem daz tut
nacb mine gesellen ist mir w6
. . mir ist nacb ir so we
[Yil reine wip, din scboner lip {], wil
micb ze s^re scbiezen
Venus wil micb scbiezen
[nu woldib diner minne] , vil suze
minne, niezen
[Nu la mib, cbuniginne] diner minne
niezen
rosen, lilien si [diu sumerzit] uns git CB. 133*
gras, blumen, cble, loup uns si git n 143« ^)
[ein stolzer man, {] der wol wiben
dienen chan
wie wol er frowen dienen kan
CB.
101*
N.
21, 37>)
CB.
107*
ti
140*«)
CB.
112*
MF.
182, 25«)
CB.
116*
fi
124* *)
CB.
116*
71
124**)
Dazu Veldegge:
Dazu Dietmar:
Namenl. L.:
Dazu Meinlob:
Namenl. L. :
Dazu:
») ib. S. 186.
«) ib. S. 136.
CB. 141'
MF. 14, 37'^)
Din micb singen tut, [getörste icb
si nennen] CB. 163'
Diu scboene, diu micb singen tuot, MF. 60, 21 ^)
[si bat mir min ungemaeb]
mit ir gute gar benomen CB. 165|
[waz bilfet zorn ? swenn er mich siht]
den hat er schiere mir benomen MF. 35, 31 ')
[got wizze wol die wärbeit] daz ich
ime diu holdeste bin MF. 4, 8
[wan ob ich hän gedienet] daz ich
diu liebeste bin r? 13, 32*")
Sie enkunnen niewan triegen [vil
menegen kindeschen man] MF. 4, 9
so sol man si triegen n 12, 24**)
») ib. 8. 136. •) ib. S. 137.
') ib. S. 137. «) ib. S. 139.
^ ib. S. 139; für volksthümlich möchte ich den Ausdrack von vornherein nicht
halten.
«) ib. S. 139.
•) ib, 8. 140.
") ib. S. 141.
") ib. S. 141.
2»
20 E. TH, WALTEB
Namenl. L. : d& moht anders niht geschehen [wan
daz si minnecliche sprach]
Dazu Morungen: mir ist anders niht geschehen
Kürenberc: Sit sach ich den valken | schöne
fliegen
Ps. Dietmar: so gesach si valken fliegen
Ir roter rosenvarwer munt
Dazu: Suzer rosenvarwer munt
Namenl. L. : swenn ich in umbevangen hän
Dz. Begensburc: swenn ich in umbevangen hän
Kürenberc :
Dazu Meinloh:
Kürenberc :
Dazu Husen:
Meinloh:
Dazu Dietmar:
Meinloh :
Dazu:
Meinloh:
Dazu Walther:
Meinloh :
Dazu Rugge;
Meinloh :
als tuo du, frouwe schoene
weist du, schoene frouwe,
[Wip unde vederspil] die werdent
lihte zam
Einer frowen was ich zam
[Do ich dich loben horte,] do hete
ich dich gerne erkant.
gerne daz min herze erkande, [wan
ez so bedwungen stät]
[er h4t dur dinen willen [ eine ganze
fröide | gar umbe ein trü-
ren gegeben
[Ir schöner lip] hat mir vroude vil
gegeben
ichn sach mit mtnen ougen
ich sach mit minen ougen
nu wizzen algeliche [daz ich sin
friundinne bin]
nu wünschent algeliche [heiles umbe
den riehen got]
MF.
n
6,22
128, 27')
MF.
n
9, 5. 6
37,7«)
CB.
94*, 2
136*3)
MF.
6, 11
16, 4 ^
MF.
7)
10,8
14,3^)
MF.
7)
10, 18
46, 29 «)
MF.
11,2
n
32, 2')
MF.
11, 25
CB.
127'»)
MF.
W. !
12, 33
9,16^
MF.
13, 20
n
97, 9 «")
MF.
13, 27
n
37, 14*')
Mir weiten miniu ougen | [einen kin-
deschen man]
Dz. Ps. -Dietmar: [ich erkös mir selbe man:] | den
weiten miniu ougen
>) ib. S. 144.
^) ib. S. 146. Auch diese Stellen halte ich entschieden nicht für volksthümlich.
') ib. S. 136. *) ib. 8. 143. «) ib. S. 146. «) ib. S. 146.
^ ib. S. 147. ") ib. S. 147. Wie sich Meyer aus Ewei derartigen Parallelen,
iD denen die Übereinstimmung, wenn man eine solche überhaupt finden will, so äußer-
lich wie nur möglich ist, eine Urstelle construiren würde, wäre wirklich interessaDt
zu erfahren.
«) ib. S. 148. *•) ib. 8. 449. '*) ib. 8. 149.
OBER DEN US8PRUNQ DES HÖPISGHEN MINNEBANGEB ete.
31
Meinloh: das ich ▼!! staeter minne pflege
Dazu Neithart: er pfliget niht staeter minne
Begensburc: und laegen b\ tot leide tdt | [ich
wil im iemer wesen holt]
Ps. Reinmar: stürben si von leide, [s6 enwart mir
6 nie bas]
Rietenbnrc : si fliesent alle ir arebeit :] er kan
mir niemer werden leit
Daza Dietmar: si kan mir niemer werden leit [des
biute ich mine Sicherheit]
Rietenbnrc : stt ich hftn von rehter schnlde [also
wol gedient ir hnlde]
Dazu Dietmar : Ich mnoz von rehten schulden ho |
[tragen daz herze und al
die sinne]
Dietmar: [an ein ende ich des wol koeme]
wan diu hnote
Dazu Momngen: w6 der hnote [. . . diu mir h&t be-
nomen]
Ps.-Dietmar: Swer m^ret die gewizzen mtn, [dem
wil ich dienen, obe ich kan ;]
Dazu Kngge: si m^ret vil der vröide min
MF. 14,88
N. 3, 10*)
MF. 16, 12
» 301,6«)
MF. 18, 8
1» 36, 18»)
MF. 18, 11
7t 38,5*)
MF. 32, 8
7) 136,27*)
MF. 35, 32
w 103,6«)
MF. 38, 11
n 203, U')
MF. 5, 12
Dietmar: ich wil im iemer staete sin
Dazu Reinmar: ich wil im iemer holder sin [danne
deheinem mäge mm]
Die Heranziehung des Verses
Namenl. L.: unde bist mir dar zuo holt
halte ich für ganz unberechtigt, ja fllr unverständlich; die Worte,
welche die ersten beiden Stellen gemeinsam haben, finden sich in
dieser Zeile gar nicht; das Vorkommen des Wortes holt [zu liolder]
kann man unmöglich als Grund gelten lassen.
Dietmar: der dich hat erweit | üz al der werlte
in sin gemüete
Dazu Hnsen: 86 hat iedoch daz herze erweit ein
wip I vor al der werlt
MF. 38, 16. 17
MF. 47, 12. 13 ®)
Husen :
Dazu Neithart:
•) ib. 8. 161.
«) ib. S. 161.
•) ib. 8. 162.
min herze ist ir ingesinde
st ist mines herzen ingesinde
*) ib. 8. 162.
•) ib. S. 164.
•) ib. 8. 166.
MF. 50, 15
N. 56, 13^
') ib. S. 166.
•) ib. S. 166.
^ ib. 8. 168.
22 E. TH. WALTER
Morungen: Mtme kinde wil ich erben dise ndt MF. 125, 10
Dz. Ps. Wolfir.: üf wen erbe ich danne diese not Wolfr. XII, 20')
Morangen: mäht du doch etswan sprechen ja
[ja ja ja ja ja ja ja?] MF. 137, 24
Dazu Reinmar: mac si sprechen eht mit triuwen ja,
[als si 6 sprach nein, so wirt min
Wille sä,] T) 189, 18«) •
Walther: so ist euch min frowe wandelbaere W. 59, 22
Dazu Neithart: Min vronwe ist wandelbaere. N. 82, 39^)
Damit bin ich ans Ende derjenigen Gruppen gelangt, die ich schon
von vornherein aus rein äußerlichen Gründen auszuscheiden genöthigt
war; aus Gründen, die nicht nur für die vorliegende, sondern viel-
mehr Air jede derajrtige Sammlung maßgebend sein müssen,
wenn diese nicht — wie hier geschehen ist — ernstlich Gefahr laufen
will, auf jeden Fall ihre Beweiskraft zu schwächen.
II.
Doch betrachten wir die Sammlung Meyers in ihrem nunmehrigen,
nicht unwesentlich verringerten Umfange noch einmal, und prüfen wir
von Neuem ihre Beweiskraft.
Ich wiederhole: es handelt sich darum, das Vorhandensein einer
Volksliebeslyrik darzuthun, die so ziemlich den Anblick bot,
den der älteste Kunstgesang uns zeigt; denn der älteste
Kunstgesang hat ja nach Meyer „zuerst ganz die alte Art fortgesetzt'' ^);
er hat „eine große Anzahl von Versen** „der verloren gegangenen
Volksdichtung** einfach „zu neuen Liedern zusammengefügt'* ; die von
Meyer zusammengestellten Verse sind nicht Erzeugnisse der betreffen-
den Dichter: der höfische Minnesang ist vielmehr ein Abklatsch der
„verloren gegangenen Volksdichtung" *).
Das wäre also zu beweisen.
Soll man aus einer Zusammenstellung, wie die Meyer'sche es
bezweckt, zunächst überhaupt nur auf poetisch verarbeitetes Material
mit nur einiger Gewißheit zu schließen im Stande sein, so dürfen die
angeführten Parallelstellen weder allein in Bezug auf die Form, noch
auch allein in Bezug auf den Gedanken, den Sinn einander nahe
stehen: vielmehr müssen sie in Form und Inhalt Übereinstimmung
zeigen.
') ib. S. 160. «) ib. S. 160. ») ib. 8. 163.
*) cf. oben S. 1, Anm. 4; S. 2, Addi. 4; S. 10. ^) cf. oben S. 9 u. 10.
ÜBER DE^ UR8PBUNG DE8 HÖPI8CHBN MINNESANGES etc. 28
Denn alleinige Übereinstimmang in der Form kann nnr zu leicht
und wird meistens ihren Grund im Walten der Sprache selbst haben;
alleinige Übereinstimmung des Inhalts in der wenigstens innerhalb
eines Volkes [oder noch vielmehr einer socialen Oemeinschaft] sich
gleich oder doch sehr ähnlich bleibenden Art des Geistes- und Ge-
müthslebens.
Doch selbst wenn Form und Inhalt der benutzten Parallelstellen
übereinstimmen, so wird man ihnen einen wirklichen Werth doch
wohl erst dann beimessen dürfen, wenn die Übereinstimmung ganze
Wendungen, und zwar solche Wendungen betrifft, die nicht gerade
zu den alltäglichen und jedem leicht in den Mund kommenden gehören.
Wir wollen aber zweitens nicht nur auf poetisch verarbeitetes
Material überhaupt schließen können; dieses Material soll einer Volks*
liebeslyrik angehört haben: die angeführten Parallelen müssen also
auch noch einvolksthümliches Gepräge tragen oder doch wenigstens
nichts an sich haben, was uns verwehrt, sie der Volkslyrik zuzu-
rechnen; sie müssen endlich auch noch an Liebeslyrik erinnern, da
sie ja sonst — wenn überhaupt — einer anderen Dichtungaart, deren
Vorhandensein niemand in Frage stellt, entnommen sein können.
Alle diese Bedingungen, deren Folgerichtigkeit wohl für jeden
in die Augen springend ist, erfllllen aber die Gruppen der uns vor-
liegenden Stellensammlnng durchaus nicht.
Denn ihre Entsprechungen beruhen einerseits nur auf einem
einzigen Worte, welches dann noch meistens entweder ganz alltäglich
ist, oder an den verschiedenen Stellen in verschiedenem Zusammen-
hange oder Sinne gebraucht wird; oder endlich wohl im Sinne, nicht
aber in der Form sich mit den beigesellten Parallelen übereinstim-
mend zeigt; — anderntheils dienen aU Bindeglieder innerhalb einer
Gruppe oft ganz alltägliche Wendungen, die entweder der Umgangs-
sprache überhaupt entnommen sein mögen, oder doch bei einer den
Liebesverkehr behandelnden Dichtung kaum umgehbar erscheinen.
Noch andere Stellen, deren Übereinstimmung vielleicht auffallen-
der sein dürfte, lassen im besten Falle auf Spruchpoesie u. dergl.,
keineswegs aber auf Liebeslyrik schließen; oder sie tragen ein so
offenbar ritterliches Gepräge, dass man sie auf volksthümliche Dich-
tung von vornherein nicht zurückfahren darf, sondern ihren Ursprung
in höfischen Kreisen allein zu suchen hat
Ein gut Theil des imposanten Eindrucks, den die Sammlung
zweifelsohne beim ersten kritiklosen Anblicke macht, geht übrigens
bereits verloren, wenn wir — wie es nothwendig geboten ist — jetzt
24 E. TH. WALTER
innerhalb der einzelnen Gh*appen theilweise dasselbe Verfahren an-
wenden, mit dem wir gleich Anfangs an die ganze Sammlung heran-
traten; ich meine: wenn wir die beigefügten Parallelen aus der
späteren^ Volkslyrik für untauglich zum Beweise erklären und
ausscheiden; und diejenigen^ welche ein und demselben Dichter
entnommen sind, im Werthe einer einzigen Stelle gleichsetzen.
Auf den vorstehenden Bemerkungen fußend, wende ich mich
jetzt von Neuem zu der Sammlung, und hebe zunächst heraus
1. diejenigen Parallelstellen, deren Entsprechung nur auf einem
einzigen Worte beruht.
Ans dem 3. lat.
Liebesbr.: wände da mir daz vercheret hast MF. 224, 25
Dazu Meinloh: du hast im näh verk^ret | beidin
sin unde leben n 11, 22
Dz. 2mal Husen: [wan als ich ir min angest sage]
daz kan si leider wol ver-
k^ren n 44, 34
BUS kan si mir wol daz herze ver-
k€ren t) 53, 9
Dazu Morungen: die verk^rent underwilent mir den sin n 138, 1^)
Die Übereinstimmung beruht nur auf der Anwendung des Wortes
Aus dem 3. lat.
Liebesbr.: diu nemach dir gescaden nieth MF. 224, 27
Dazu Kürenbere: [j6 würbe ichz gerne selbe] waer
ez ir schade niet n 10, 14
Dazu Morungen: [ich fluoche in] unde schadet in niht d 131, 13
Dazu Hartmann : daz schät ir niht [und ist mir iemer
guot] n 215, 18*)
Schon in den vorstehenden Stellen beruht die Übereinstimmung
nur auf dem Gebrauche des Verbums schaden (einmal sogar nur das
Substantivum) in den verschiedensten Formen und dem verschiedensten
Zusammenhange. Welchen seiner drei Perioden Meyer diese Verse
zuschreiben würde, weiß ich nicht; doch denke ich mir, nach seinen
eigenen Auseinandersetzungen müßten doch wohl die Zeilen des lat.
Liebesbriefes der ersten Periode ebenso wie die des Kürenberg an-
gehören; sie müßten also von dem zu erschließenden Urverse nur
insofern sich unterscheiden, an ihm nur so viel geändert haben,
*) ib. S. 133.
•) ib. S. 134» Ich muß Anfangs «twas ausführlicher werden, um die Qesichtg-
punkte deutlich zu machen, von denen aus ich die einzelnen Gruppen betrachtet
sehen möchte.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 25
„als die Einfügung in die Strophe verlangt'' 0» ^^^ Übrigen aber die
alte Formel bewahren: ich überlasBe es Jedem selbst, die beiden
Verse dahin zu prüfen. Ich möchte meinerseits es hier nicht unter-
nehmen, eine weitere Periodisierung an den vorliegenden und folgen-
den Versen der Gruppe nach Meyers Vorschrift zu versuchen; doch
er selbst rechnet wohl die mit „vgl.** oder gar mit „vgl. auch** be-
zeichneten") zu der dritten Periode; dahin würde also auch die Stelle
Dietmars: mir wirret niht [stn boeser ktp] MF. 41, 5
gehören; wie kommt aber Dietmar in die dritte Periode der Zeit nach?
Oder wenn ich mich nach seinen Ausftihrungen auf S. 171 richte,
in denen es hieißt „ebenso wird die Ersetzung der alten volksthüm-
lichen Ausdrücke, schon vorher zuweilen vorkommend, jetzt geradezu
System", wie zum Beispiel „schaden statt werren^] wie paßt dazu, daß
gleich in den beiden ältesten Stücken diu nemach dir gescaden nieth
(MF. 224, 27) und waer ez ir schade niet (Kür.) das Wort schaden
(resp. schade)^ hingegen bei Walther
[sei er mir büezen] des mir niht
enwirret W. 83, 19
wieder toirren steht?
Der VoUstftndigkeit halber füge ich die beiden noch übrigen
Stellen hinzu:
Meinloh: [daz ich dich nu gesehen h&n] das
enwirret dir niet
und Dietmar: [Ich solde zürnen, hülfe ez iet]
Es folgen Stellen mit liep^):
3. lat. Liebesbr. : wände wärest du mir nieth liep
f Dz. Rärenberc : so bist du mir vil liep
I und mir wart nie wip also liep
( Dazu Meinloh : im wart liebers nie niet
\ und den du wilt frowe haben liep
De. Rietenburc: daz mir st iemen alse liep?
Dazu Dietmar: der ich gerne waere liep
Gemäß unserem Grundsatze fällt bei Seite die Stelle aus der
Volkslyrik: Und war' mein Herr Vater mir nicht
so lieb Talyj, S. 437*).
Die Übereinstimmung ist vollständig auf das eine Wort liep, dessen
Vorkommen in einer ausgesprochenen Liebeslyrik mir eben nicht sehr
MF.
11,6
MF.
40,11(11)
MF.
224, 27
rj
9, 26
7)
10, 16
n
14,6
n
11,8
T)
18, 5
n
32, 10.
») ib. 8. 171 unten. ») ib. S. 133. ') ib. S. 184.
*) Daß ein iolcher Vers wie dieser überhaupt als Parallele zu den vorauf-
gehenden beigefügt, zeiget deutlich, wie sehr ins Blaue sich die Bemühungen M/a
Terlieren.
26 E. TH. WALTER
seltsam erscheint, beschränkt; einen zu Grunde liegenden Original-
vers kann ich mir absolut nicht vorstellen. Was wird nun hier aus
einer Periodisierung ?
Auch in der folgenden Gruppe') ist nur ein einziges Wort als
Bindeglied zu betrachten; das in den beiden ersten Versen außer
phliget sich findende triuwen gewährt nur auf den ersten Blick den
Anschein engerer Übereinstimmung, denn in der Zeile
Namenl. L. : swer mit triawen der niht phliget MF. 3, 15
ist mit triuwen nur adverbiale Bestimmung zu pJdigen^ als Object zu
diesem ist der, das ist tougen minn^ beigefügt, während in dem anderen
Verse
Spervogel: ist danne daz er triawen phliget MF. 20, 21
triuwen als Object anzusehen und in ganz allgemeinem Sinne, wie der
Zusammenhang der ganzen Strophe lehrt, aufzufassen ist.
Daß bei der dritten Stelle
Swer des biderben swache phliget MF. 245, 25
eine innigere Übereinstimmung nicht vorliegt; ist offenbar; man müßte
denn etwa das swer aus diesem und dem ersten Verse auffallend
finden wollen.
Desgleichen mangelt es an engerer Zusammengehörigkeit in der
Gruppe mit dem Reimworte wizen^):
Namenl. L. : dem sol man daz verwizen MF. 3, 16
Dazn Meinloh : der wil ich nu niht wfzen [sihe ichs
unfroelichen stan] n 13, 38
Dz. Rietenburc: Nu endarf mir nieman wizen 77 18, 1.
Auch haben die Verse speciell mit Liebeslyrik nichts zu thun.
Nur das Wort giiete weisen als gemeinsam auf die Verse:
[vröde han ich manichvalt] von eines
wibes gute CB. 102'
Dz. Bietenburc: [Mir gestnont min gemüete] nie so
h6he von ir güete MF. 18, 10
Dazu Dietmar: [Ich bin ein böte hergesant, frowe]
üf mange dine güete n 38, 15
Dz. i Reinmar: [daz er die rede vermite] iemer dur
sin selbes güete n 187, 3
Ders. : ... [daz sich sent | min gemüete]
nach siner güete, n 199, 29.
Von der folgenden Zusammenstellung^) mögen die beiden ersten
Verse :
ich weiz wiez *^ir' gevalle CB. 103*
Dazu Kürenberg : in weiz wiech ir gevalle MF. 10, 15
') ib. 8. 134. ') ib. S. 134. ») ib. S. 136.
ÜBER DEN UB8PRUN0 DBS HÖnSCHEN MINNESANGES etc. 27
auffallendere ÜbereioBtimmung zeigen; sie stehen aber damit so ver-
einzelt da, daß wir ihnen weiteren Werth nicht beilegen können; die
übrigen Verse haben außer dem Verbum gevaUen nichts gemein-
sam. cf.
Meinloh: [und sol die merkaere reden l&n],
8waz in gevalle MF. 14, 18
Ps.-Dietmar : ... [in dem walde | ein boum ,] der
dir geyalle n 37, 11
Dazu: [Seht mich an |, jungen man!] L&t
mich eu geyallen CB. 8. 97 o.
Dazu Neithart : [sin (winders) getwanc | wendet man-
gen stiesen sanc | nns allen]
wem 8ol das wol gefallen N. 14, 31.
Auszuschließen ist die Stelle aus der Volkslyrik
VolkslTrik: wenn ich dir nit gefalle | [gib mir
urlob, du roter mund] Uhl. 29, 5.
Es folgen Stellen mit dem Verbum liän als Reimwort ^):
Nu suln wir alle fronde hftn CB. 103*
Namenl. L.: loh wil weinen von dir h&n MF. 6, 26
Dz. Rietenbnrc: gedinge | den ich von einer frowen
h&n 71 18, 21.
In 14 Stellen finden wir ferner*) das im Mhd. überaus häufige
geniezen Idn; dazu gefügt sind 8 Verse mit geniezen allein. Beide Aus-
drücke, die übrigens durchaus nicht auf Liebeslyrik ausschließlich
hinweisen, tragen nichts Auffallendes an sich.
Ebenso steht es mit der nächsten Gruppe, deren Verse den
Gebrauch des Verbums verdriezen im verschiedensten Zusammenhange
gemeinsam haben ^).
Es folgen 4 resp. 3 Verse (zwei gehören demselben Dichter an)
mit dem Verbum singen^):
Ich wolde gerne singen, [der werlde
yrovde bringen] CB. 126*
Morungen: Ich wil immer singen [dine höhen
wirdekeit] MF. 146, 11
Kunde ich nü gesingen [daz die jun-
Neithart:^ T . -,. T ^*"' 7"^*"^ «• ^'^^'^^
Ich wil aber singen [swie ez vür ir
oren gö] » 67, 7.
») ib. S. 186.
') ib. S. 137; obendrein schmilzt die Gruppe etwas zusammen, da von den
angefahrten Stellen mehrere einem Dichter an^i^ehOren; nämlich: 5 Rugge, 3 Kein-
mar, 3 Walther und 1 der späteren Volksljrik.
») ib. S. 137. *) ib. 8. 138.
28 E. TR WALTER
Das Vorkommen des Verbnms singen, obendrein in so Terschie*
denem Zusammenhange, hat bei berufsmäßigen Dichtern doch sicher-
lich nichts Befremdendes.
Bedeutungslos ist auch die Gruppe mit trüaic ^) ; man wird wohl
kaum zwischen dem Verse:
[Vrowe, wesent vro ! Wie tut ir nur
so,] daz ir so trürech sit? CB 133'*
und
Dietmar: also trüric wart ich nie, [swenn ich
die wolget&nen sach | min
senedez ungemach zergie] MF. 36, 20
eine auf Entlehnung deutende Übereinstimmung finden können« Auch
der beigefügte Vers Reinmars:
Reinmar: Alse rehte unfr6 enwart ich nie.
[daz solte eht sin : nust ez
geschehen] MF. 185, 20
darf nicht auffallend erscheinen; denn außer dem Wechsel des Aus-
drucks — unfrd statt trüric — raubt auch der verschiedene Zusam-
menhang der Stelle den Werth.
Horheim: [. . , üf minen eit ( ] noch niene
wart so trüric man MF* 115, 15.
Ein ziemliches Durcheinander bietet die Zusammenstellung der
Verse mit henemen^ das in den verschiedensten Verbindungen aufge-
führt wird ").
Selbst bei den Stellen, die ungefähr ähnlichen Sinn haben, wie
Eürenberc: [eines hühschen ritters | gewan ich
künde] | daz mir den henomen hän
[die merker und ir nit] MF. 7, 23
Begensburc : Sin mugen alle mir benemen | [den
ich mir lange hän erweit] n 16, 8
Husen: [In minem troume ich sach { ein harte
schoene wip { . . . • do er-
wachet ich ^ zit] do wart si
mir benomen v 48, 27
und Wolfram : du (wahtaer) hast in dicke mir be-
nomen I [von blanken armen,
und üz herzen nicht] , Wolfr. 5, 4 — 5
oder:
Reinmar: [Der mir gaebe stnen rät! | konde
ich ie deheinen,] der ist mir
benomen MF. 194, 34—85
•) ib. 8. 188—139. •) ib. 8. 140.
ÜBEB DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES eto. 29
ist die Ausdruoksweise eine bo verschiedene, die Verwendang des
benemen so mannigfaltig, daß man an einen gemeinsamen Orundvers
nicht wohl denken darf.
Auch aus den ferner enger zusammengehörigen Versen:
Gnotenborc: din gnote, diu mir h4t benomen |
Minen sin MF. 71, 28
Bugge : [daz tuot diu minne] : diu nimt mir
die sinne » 101, 19
Morungen: swenne ir schoene mir nimt so gar
minen sin n 135, 23
Namenl. L. : [Vil ist unstaeter wibe : |] diu be-
nement ime den sin n 4, 6
und Spervogel: [Sd wS dir armüete!] du benimest
dem man | beidiu witze und
euch den sin, [der niht en-
kan] n 22, 9
— auch aus diesen Versen können wir nur auf eine der Umgangs-
sprache — vielleicht ziemlich fest — zu eigen gewordene formelhafte
Ausdrucksweise, keinesfalls aber auf einen der „eigentlichen Lyrik^
zugehörigen poetisch bearbeiteten „Baustein'' schließen , das zeigt
schon die Verwendung des Verses bei Spervogel
Geradezu auffallend ist hier übrigens , daß gerade die Verse,
deren Übereinstimmung etwas weiter geht, ein und demselben Dichter
angehören, wie dies der Fall ist mit den Zeilen
Walthers: die mir in dem winter fröide h&nt
benomen W. 73, 23
und: die mir dicke fröide h&nt benomen n 98, 15
und in ähnlicher Weise mit den Versen
Neitharts: manegem senedem herzen trüren ist
benomen N. 14, 7
und: manegen herzen ist benomen | leit
und ungemüete n ^3, 8. 9.
Das HinfiÜlige einer Gruppe , wie die folgende ist: ^)
Namenl. L.: [das der sumer komen sol. |] seht
wie wol das menegen herzen
tuot MF. 4, 16
Dazu: [bi dir swer lit] sanfte dem daz tut CB. 140*
und Johansdorf: seht wie maneger ez doch tuot MF. 86, 8 .
brauche ich nicht erst auseinanderzusetzen; es liegt auf der Hand.
Von den angeführten zwölf Stellen mit dem Reimwort gemuot ')
gehört die Hälfte Walther an^ hat also den Werth einer einzigen
Stelle; das gleiche gilt von den zwei oitierten Versen des Johansdorf.
«) ib. 8. 141. «) ib. 8. 142.
30 E. TH. WALTER
In den übrigen Stellen:
NamenL L.: [daz ist also verendet] daz ich bin
wol gemuot MF. 4, 29
Bugge l [daz ich durch ieman si vermeit] des
wirde ich selten wol ge-
muot V 106, 21
Bligger : [ . . sw^me d& gelinge J der si wol
gemuot n 118, 18
Dazu: swer gegen den hat hohen mut CB, 132*
und Eürenberc : [als ich daran gedenke] so stSt wol
höhe min muot MF. 10, 23
bangt die Übereinstimmung einzig an dem Worte gemuot'^ ja in den
beiden letzten Stellen sogar nur noch an dem Reime mtiot; obendrein
wechselt der Sinn.
Bei Versen wie
NamenL L. : [Ich hän den lip gewendet] an einen
ritter guot MF. 4, 27
Dietmar : [j4 hoere ich vil der tugende sagen]
von eime ritter guot 71 39, 4
Dz. Eürenberc: [als warb ein schoene ritter] umb
ein frouwen guot n 10, 22*)
eine Entlehnung annehmen zu wollen ^ möchte einem doch wirklich
schwer werden. Man könnte fast der Meinung werden, Meyer trete
an die mittelhochdeutschen Ausdrücke und Wendungen mit ganz nen-
hoolideutscliem Sprachgefühle heran; denn nur so läßt es sich eigent-
lich erklären, daß er in Stellen wie in den obigen irgendwie Beson*
derliches finden kann.
Die vierte Zeile
Dietmar: ein schoene wip so rehte guot MF. 36, 26
fällt für uns obendrein fort, da sie einem in der gleichen Grruppe
schon citierten Dichter angehört«
Es folgt eine Gruppe von drei Stellen mit entstän als Reim wort: ^)
Rürenbere: so läz ich die Hute | harte wol ent-
stän MF. 7, 15
Dz. Begensburc: des mac sich min herze wol entstin n 17, 6
und Guotenburc: ichn mac mich schiere niht entstän r? 76, 14.
Man sieht, eine nähere Übereinstimmung ist nicht vorhanden.
Von den fünf Versen mit getan ®) sind es eigentlich nur zwei,
welche in Betracht kommen können:
Meinloh: ich hän in anders niht getän[ wän
ob ich hau gedienet] MF. 13, 30
und ßeinmar: In habe in anders niht getan [wan
daz ich sire sinne] n 194, 4.
») ib. S. 142. ») ib. S. 144-14& *) ib. S. 149.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES ete. 31
Die übrigen haben außer der Verbalform habe getan nichts Oe-
meinsames; außerdem fallen noch zwei Stellen als unbrauchbar fort:
die zweite Stelle Meinlohs (einem schon citierten Dichter zugehörig)
und die der Volkslyrik entnommene, so daß eigentlich überhaupt
außer den oben angefahrten nur noch die eine bei
Dietmar: [Waz wizet mir der beste man?] ich
habe im leides niht get&n : MF. 40, 36
ZU beachten ist, und diese bezeichnet Meyer wohl sehr mit Recht nur
als „entfernteren Anklang*^.
Daß in den folgenden Versen ^)
Meinloh : im trüret sin herze | [sit er nu jun-
gest von dir schiet] MF. 14, 7
und Dietmar: [nu muoz ich von ir gescheiden sin]
trüric ist mir al daz herze
min n 32, 20
die beiden betreffenden Dichter nöthig gehabt haben sollten^ den Ge-
danken: daß ihr Herz durch das Scheiden traurig geworden sei,
( — die Form ist ja verschieden genug — ) zu entlehnen, wird wohl
kaum Glauben finden. Und noch viel weniger dürfte dies der Fall
sein bei den Versen:
Yeldegge: tr6ric ist daz herze min : [wan ez
wil nu Winter sin,] MF. 59, 15
und Rürenberc: [Swenne ich stän alleine |. .. und
ich gedenke ane dich |
so . . . ]
. . . gwinnet mir daz herze | vil
manegen trürigen muot n 8, 23.
Am Schlüsse des Verses die beiden zu einem Begriffe verschmol-
zenen Wörter alze lanc weisen die folgenden Stellen auf: •)
Rietenburc : ez ist leider alze lanc [daz die bluo-
men rdt { begunden liden
not] MF. 19, 13
Dietmar: [sit was mir min fröide kurz] und
euch der jämer alze lanc n 34, 18
Beinmar: miret beidiu winter und der sumer
alze lanc n 155, 4
Hartman: die swaeren tage sint alze lanc n 207, 4
und noch zweimal bei demselben.
Man sieht, außer den beiden zusammengehörigen Wörtern ver-
bindet die angeführten Verse nichts; der Zusammenhang und die ganze
Verseinfdgung lassen an keine Entlehnung denken.
•) ib. S. 160. ») ib. S. 163.
32 B. TH. WALTER
Ähnlich verhält es eich mit *)
Meinloh: [im trüret sin herze] sit er nn jun-
gest von dir schiet MF. 14, 8
Dietmar: do ich aller nachest von dir schiet
[sit hat ich groze swaere] n 40, 13»
Nur noch Gedankenähnlichkeit liegt vor in
Husen: Deich von der guoten schiet [des
lide ich Ungemach] MF. 48, 32.
Die Heranziehung des Verses
Namenl. L. : [Ein winken und ein umbe sehen {
wart mir] do ich si nähest
sach MF. 6y 21
nur wegen des vorkommenden nähest ist wirklich recht unnütz.
Es folgen Stellen mit tiuren^) oder Ausdrücken ähnlicher Be-
deutung; von den acht Parallelen gehören bereits vier, und zwar
ditrunter gerade die drei auffallender übereinstimmenden einem Dichter,
nämlich Walther') an. Die Ähnlichkeit der übrigen ist so wenig
ausgeprägt, daß an Entlehnung nicht gedacht werden kann:
Dietmar: du hast getiuret mir den muot MF. 33, 26
Dazu Kugge : si tiuret vil der sinne min. n 103, 24
Dazu Morungen : [dine redegesellen | die sint swie wir
wellen | guoter worte und
guoter alte.] da bist du ge-
tiuret mite. n 146, 26
und gar
Johansdorf : daz ir deste werder sint [und da bi
hochgemuot] » 94, 14.
Die folgende Gruppe*)
Ps, Dietmar: und wil doch mannen fremede sin MF. 35, 34
Dietmar: sol ich im lange vrömede sin w 36, 11
Ders. : [so höh owi] sol ich ir lange frömde
sin n 39, 17
Morungen: [ich fluoche in unde schadet in niht,|]
dur die ich ir muoz frömede
sin n 131, 17
weist als gemeinschaftlich nur das Wort fremede in vier Stellen , von
denen drei auf einen und denselben Dichter kommen, auf*).
») ib. S. löO. ') ib. S. 156.
*) Wenigstens ist zu dem Verbnm tiuren resp. einmal toirden jedesmal derselbe
Zusatz % gefügt.
*) ib. S. 1Ö5.
») Wieder gehören gerade die beiden Verse, die größere Entsprechung haben:
aol ich im lange frömMe ««w (D. 36, 11) und aol ich ir lange frömede «$n (ib. 39, 17)
demselben Dichter an.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHES MINNESANGES etc. 33
Angefügt sind drei weitere Verse mit dem Zeitwort fremeden:
Dietmar: [snnder äne mine schult |] fremedet
er mich managen tao MF. 34, 14
Husen: aleine frömdet mich ir lip, | [si h&t
iedoch des herzen mich |
beroubet gar für elliu wip] n 42, 7
Kugge: sin langez fremeden muoz ich klagen » 107, 23.
Die Stellen haben außer dem noch dazu in verschiedenen Formen
gebrauchten einzigen Worte durchaus keine weitere Übereinstimmung.
Auch haben Ausdrucke mit fremede sowohl als mit fremeden
etwas Absonderliches nur für den mit neuhochdentscliem Sprach-
gefühle an sie Herantretenden.
Ebensowenig ist etwas anzufangen mit den Versen: ')
Dietmar: [höhe stät min muot :] wan al diu
werlt noch nie gewan [ein
schoene wip so rehte guot]
Husen: got weiz wol, daz ich nie gewan {
[in al der werlt sd liebe
enkeine]
Namenl. L. : [du bist in minen sinnen] für alle
die ich ie gewan
Auch in den Parallelen mit gedagen ^) tritt zu dem einfachen
Verbum nirgends etwas hinzu, was eine Entlehnung wahrscheinlich
machen könnte:
Husen: [deich lide umbe ir hulde seren |]
daz ich niemer mac ver-
dagen MF. 44, 39
Momngen: [Sin hiez mir nie widersagen ^ •••]
desn mac ich langer niht
verdagen n ISO, 12
Hartmann: nieman sol ir lobes gedagen » 214, 8
Neithart: Hie mit sul wir des gedagen N. 36, 38
Bngge : [unser leit daz ist ir spil :] wir mugen
wol stille dagen MF. 97, 84
die drei übrigen Stellen gehören Beinmar, haben also den Werth einer
einzigen.
Ganz werthlos ist die Zusammenstellung der Veree mit gw>t^.
Von den zehn angeführten Stellen sind allein sieben Walther ent-
nommen, zwei kommen auf Neithart, eine auf Horheim, so daß wir
eigentlich nur drei Parallelen vor uns sehen, die nichts Anderes als
das Wörtchen guot mit einander gemein haben. Es berührt höchst
eigenthümlich , wenn man bedenkt, daß einem hier Verse oder Vers-
MF.
36,
25
n
44,
19
n
5,1
,
") ib. S. 16Ö— 166. ^) ib. S. 1Ö8. ») ib. S. 160.
OESMAMIA. Neue Reihe XXII. (XXXIY.) Jahrg^
34 E. TH. WALTER
Stückchen wie: siat guot; du enbist niht guot; sd sU ir niht guot; dctz
wdere guöt etc. geboten werden in der Absicht, den Glauben an eine
Entlehnung aus alten Liedern zu erwecken.
Nicht anders fühlt man sich berührt von der folgenden Gruppe *) :
Bligger: so ist aber menger so gemuot [daz
er der geste baz bejaget] MF. 119, 23
Waltber: der lantgräve ist so gemuot W. 20, 10
Neitbart: erst ein knappe so gemuot N. 3, 9
(Ders. : minne ist so gemuot n 97, 6)
Reinmar : min muot stuont mir eteswenne alsd
[daz icb was mit den andern
fro] MF. 174, 7.
Wie sollte wohl hier etwa der Originalvers zu allen diesen Variationen
gelautet habend
Ein Gleiches gilt von den Versen mit awachen ^) ; zu den drei
Stellen aus Walther: ^) die sich selben sd verswachent (23,21); ...diu
sd swachet (47, 5); ..wie du dich swachest (51, 37) treten
Momngen: sä zebant bin ich geswacbet MF. 135, 22
und Neitbart: daz du micb sd swacbest N. 23, 39.
Es bedarf nicht erst der Mühe, die Verse in ihren übrigens
überall ganz verschiedenen Zusammenhang einzufügen; man wird ihnen
auch so schon keinen Werth beilegen können.
Ganz dasselbe, was ich oben über die Gruppe guot*) bemerkte,
muß ich von den folgenden beiden Zusammenstellungen wiederholen,
in denen die Verbalform kan und das Verbum tuon als Bindeglieder
dienen ^). Ein Blick auf die beiden Gruppen genügt^ um ihre Be-
deutungslosigkeit zu erkennen.
Die im vorstehenden Abschnitte besprocheneu Gruppen fanden
oder suchten ihre Übereinstimmung nur in einzelnen Worten, im fol-
genden werde ich
2. diejenigen Parallelstellen zu behandeln haben, deren Ent-
sprechung auf einem etwas umfangreicheren Ausdrucke oder einer
Wendung beruht, wie sie die Umgangssprache des täglichen Lebens
gewiß schon geformt hatte und leicht dem Dichter in den Mund ge-
geben haben mag.
') ib. S. 160. ») ib. S. 160.
") Es sind nicht einmal ganze Verse, die in Betracht kommen.
«) ib. p. 6S.(,).
^) ib. S. 161. In der Gruppe kan fallen wieder von 9 Stellen 6 Reinmar und 2
Walther zu: desgleichen in der Gruppe tuon von 9 Stellen 5 auf Walther und 2 auf
Reinmar, so daß schon ganz äußerlich die beiden Zusammenstellungen an Werth
recht beträchtlich einbüßen.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 35
Fast mit in die vorige Abtheilung hätte ich verweisen können
die Zusammenstellung ^)
3. lat. Liebesbr. : desne soltu dün niem^re MF. 224, 26
Husen: d^swär tudn i'n niht m^re n 51, 11
Walther: l&tz iu geschehen niht m^re W. 18, 4.
Eine Menge Stellen liefert das Verbum zergän^ das in verschie-
denen Verbindungen aufgeführt wird ^)
davon mag uns frovde nimmer mer
zergan CB. 98'
Meinloh: [wan er ist kernen ze lande,] von
dem min trüren sei zergftn
Morungen: [swer da enzwischen danne stdt und
irret mich,] dem müez al
sin wünne gar zergen
Walther: [mich müet], sol min trost zerg&n
[s6 enwirde ich anders niht erldst]
Ders.: sol der (kumber) mit fröide an mir
zergan],
Ders. : [der ist eht manger fröiden rieh]
80 jenes fröide gar zergät
Keinmar: so ist min trüren gar zergan [und
bindie Wochen wol getan]*) MF. 203,21
Ders. : [anders s6 gestuont ez nie,] wan daz
beidiu liep und leit zergie » 172, 29*)
Ps.-Neithart : [der anger lit | bevangen.] min trü-
ren deist zergangen N. 1 30, 7 ^).
In allen diesen Versen liegt die Übereinstimmung eigentlich nur
darin, daß das Verbum zergan zur Bildung von Redensarten verwandt
ist. Was uns zwingen sollte, Versentlehnungen anzunehmen, sehe ich
nicht. Warum soll denn außer den vielen anderen Ausdrücken, zu
denen sich das Wort mit Substantiven auch sonst noch verbunden
hat, nicht auch ein frovde zergan^ trUren zergan ^ vmnne zergm^ trdst
zergen, leit zergen in der Umgangssprache sich gebildet haben?
MF
• 14
,29
n
126, 35
W.
14,
13
n
72,
1")
n
92,
38»)
») ib. S. 133. . ») ib. S. 135.
*) Ich führe diese Verse, obschon sie bereits citierten Dichtem angeboren, nnr
deshalb mit an, weil sie gerade die Verschiedenheit des Gebrauches von zergan au
zeigen geeignet sind.
^) So und nicht wie Meyer schreibt: sol mtn /röiuie nu wrgän lautet der Vers
an der angegebenen Stelle.
•) Der am Schlüsse der Gruppe noch angefügte Vers:
Namenl. L.: [OwS mir siner jugende!] diu muoz mir
al ze sorgen erglin MF. 4, 12
wäre besser weggeblieben.
3*
CB.
104'
n
123'
n
133
MF.
6, 24
36 E. TH. WALTKR
Daß in den folgenden Versen der Ausdruck des „Frohseins^ ^)
auf Entlehnung deuten soll^ zumal da er in den vier Zeilen dreimal
in verschiedener Fassung erscheint:
[stoke meide {] wesent palt!
[gmne etat der schöne walt :] des
suln wir nu wesen halt
Vrowe, wesent vro
Namenl. L. : vriunt, du wis vil hochgemuot
hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich.
Das Gleiche gilt von den folgenden Zeilen ^) ; Wendungen mit
tragen sind dem Mittelhochdeutschen geläufig, h^her muot ist ebenfalls
ein vielgebrauchter Ausdruck : warum sollte die Verbindung Mhen muot
tragen sich also nicht hier und da einstellen? In den angefilhrten
Parallelen findet sie sich überhaupt nur zweimal:
Beinmar: [War umbe vüeget diu mir leit |]
von der ich hohe solte tra-
gen den muot MF. 162, 17
und Begensburc : [der i^ich mit manegen tugenden guot |
gemachet al der werlte liep]
der mac wol hohe tragen
den muot 77 16, 7.
An den übrigen Stellen ziemlich stark variiert, wenn man überhaupt
von Variation sprechen will. So bei
Dietmar: Ich muoz von rehten schulden ho |
[tragen daz herze und al die
sinne] MF. 38, 5
und nochmals bei
Reinmar: [gnoten trost wil ich mir selben
geben] | und min gemüete
tragen hd rt 185, 30.
In beiden Stellen ist nicht einmal das Reimwort dasselbe ge-
blieben, worauf Meyer doch sonst mit Recht Werth legt. Der Vers
Walthers : [edel unde riche | sint si sumeliche,] {
dar zuo tragent si höhen
muot : W. 51, 3
will mir endlich seiner Bedeutung wegen nicht hierher gehörig er-
scheinen; das höher muot bedeutet hier gewiß nicht nur so viel wie
„gehobene Stimmung = Fröhlichkeit"^ was man bei den obigen Stellen
MF. 38, 5 und 185, 30 wohl anzunehmen hat, sondern drückt aus
„hohen stolzen Sinn" ').
') ib. S. 136. •) ib. S. 188.
') Für volksthümlich, d. h. volksthümliclien Ursprungs mochte ich — beiläufig
erwähnt — den Ausdruck auch nicht halten.
ÜBER DEN URSPRUNG DB8 HÖFI8CHEN MINNESANGES etc. 37
Es folgen vierzehn Stellen mit der Wendang sanfte tuci'^) (vier
davon gehören Walther an). Die Übereinstimmung beruht nur auf
diesem Ausdrucke, der, allgemein gebräuchlich, Schlüsse auf Entleh-
nung nicht erlaubt.
Nicht mehr besagt die umfangreiche Sammlung mit /rt'), das
in den verschiedensten Verbindungen aufgeführt wird. Man findet
zusammengestellt: frt machen oder /rt tibon, frt «m, fri beliben^ fri
werden, fri läsBeUj auch absolut /rt in wechselnder Verbindung mit
leides j sorgen^ von leide^ van seneder ndt, lobes'^ dazugefägt sind sinn-
verwandte Wendungen, wie von sorgen scheiden^ von sorgen ledere tuen;
kurz: was wiederkehrt, ist meistens nur der Gedanke; Zusammenhang
und Form sind verschieden genug, jedenfalls nicht dazu angethan,
einem die Annahme einer Versentlehnung aus vorhandener Poesie
nahe zu legen ^.
Die Redensart den Ivp Verliesen ist an sich eine ganz geläufige,
deren Anwendung nicht befremden kann; die Stellen, an denen sie
vorkommt, haben durchaus nichts Formelhaftes, obendrein findet sie
sich nur bei drei verschiedenen Dichtern ^), nämlich außer in den
Namenl. L. : [kämest du mir niht schiere J 86 ver-
liuse ich minen lip MF. 5, 8
nur noch zweimal bei
Momngen: [ich mac mich langer niht erwem]
den lip mnoz ich verloren
hän I) 137, 13
und in demselben Liede
[frouwe, mine swaere sich, |] ^ ich
Verliese minen lip n 137, 18
und zweimal bei Neithart:
jft verliuse ich den lip | [ist si mir
niht beschert] N. 61, 34
[daz was ein henne guot | und gienc
staete unbehuot] dft von sie
verlos den Ifp 7) 181, 18^).
oder vielmehr Ps. N.
») ib. S. 139. •) ib. S. 141.
') 6 Stellen fallen übrigens aus der Sammlung heraus, da von den augezogenen
3 Reiumar, 2 Walther und 4 Neithart zukommen.
*) ib. S. 142.
*) Man könnte den Vers eher gegen Meyer zum Beweise dafttr anwenden, daß
die Redensart eine allgemein verbreitete war; aonst könnte sie nicht hier in so völlig
verschiedenem Zusammenhange stehen.
38 E. TH. WALTER
In den folgenden Versen *) hängt die Übereinstimmung über-
haupt nur an der ganz unzweifelhaft bereits von der Umgangssprache
geformten Wendung al der werke; im Übrigen sind die Stellen grund-
verschieden :
Namenl. L.: den möhte in al der weite | [got
niemer mir vergelten] MF. 5, 4*)
Dietmar: nu muoz ich al der werlte [haben
dur sinen willen rät] tj 39, 8
Namenl. L. : [und waerez al der weite leitj n 6, 12.
Ebenso gewagt ist es, an das zweimalige Vorkommen^) von
nach dem willen mm in den Versen:
Namenl. L. : [Mir hat ein ritter •..•!] gedienet
nach dem willen min MF. 6^ 6
und Dietmar: [er kan wol grdzer arebeit] gelönen
nach dem willen min n 38, 13
weitere Folgerungen zu knüpfen, dazu ist Ausdruck und Zusammen-
hang doch gar nicht geeignet. Die Zufügung des nicht einmal gleich-
lautenden
Beinmar: sage im durch den willen min MF. 178, 5
erhöht den Werth der Gruppe nicht.
Eine der reichsten Zusammenstellungen gründet sich auf die
Redensart rdi werden ^) ; sie wird in 24 Versen aufgeführt. Diese
schmelzen nun allerdings im Werthe zu 9 zusammen, denn von ihnen
fallen allein 7 auf Walther, 4 auf Reinmar, 4 auf Rugge, 2 auf Neit-
hart, 2 auf Dietmar, 2 auf Husen. Aber ganz abgesehen davon:
Meyer kann doch unmöglich im Zweifel darüber sein, ob hier ein
Ausdruck der Alltagsrede oder ein rein lyrischer, ja überhaupt lyri-
scher Vers zu Grunde liegt. Für die letztere Annahme bietet sich
doch nirgends der geringste Anhaltspunkt. Die Gruppe ist bezeich-
nend für die Natur der ganzen Sammlung. Der eigentliche Zweck
derselben ist gänzlich außer Acht gelassen; Ähnliches wird eben
zusammengestellt, UDbekümmert, ob es die Sache fördert
oder nicht.
Die beiden Verse : *)
Namenl. L. : swie du wilt, so wil ich sin [lache,
liebez frowelin] MF. 6, 30
und Walther: swie si sint sd wil ich sin W. 48, 7
verlieren das auffallend Übereinstimmende, das ihnen der erste Blick
zuerkennt, sobald man sie im Zusammenhange betrachtet.
') ib. S. 142. «) nicht 5, 11. ») ib. 8. 143. *) ib. S. 148-.U4.
■) ib. S. 144.
ÜBEK DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES ett-, 39
In der Strophe der Namenlosen hat die Frau mit jenem Verse
die Versicherung völliger Ergebenheit von Seite des Mannes erhalten;
bei Walther will die Wendung besagen, daß er so viel fuogt besitze,
die Leute nicht zu verdriezen, daß er darum sich nach ihnen richte,
mit ihnen fröhlich und traurig sei. Der Ausdruck ist an beiden
Stellen ganz vom Augenblicke eingegeben; seine Übereinstimmung
gewiß eine zufällige. Die dritte angeführte Entsprechung
RietenbuTc: als wil ich iemer m^re sin MF. 18, 24
ähnelt zu wenig dem Wortlaute den beiden anderen, als daß man sie
in Betracht ziehen könnte.
Nichts als einen ganz alltäglichen Ausdruck haben wir auch in
dem die unle ^) = derweile zu sehen, das uns in neun Versen ^) (dar-
unter viermal Reinmar und zweimal Neidhart, so daß vier Stellen
ungiltig werden) entgegentritt. Das regelmäßig hinzutretende ich lebe
oder daz M>en hän oder ick habe den lip beweist nichts mehr, als daß
der ganze Ausdruck im gewöhnlichen Leben eben gerade so gebrauch*
lieh war, wie heutzutage unser „so lange ich lebe^ oder „mein Leben
lang". Von lyrischem Verse haftet an der Wendung nichts.
Was die Stellen mit hdhe stän ^) in Verbindung mit mttoty gemüete,
herze angeht, so kann ich nur wiederholen, was ich schon bei sanße
tuon') und anderen zu bemerken hatte: es liegt nichts als eine be-
nutzte Redensart der Umgangssprache vor, deren Verwendung im
Verse Variation genug zeigt, ja nicht einmal ein bestimmtes Reimwort
zu Tage treten läßt, so daß man dem Gedanken an einen zu Grunde
liegenden formelhaflen Vers nicht Raum geben darf*).
Dasselbe gilt in noch höherem Maße von der Zusammenstellung
mit inne werden'^) und inne bringen, nur daß das Reim wort das-
selbe bleibt.
Vergleicht man ferner die Verse mit umbe waz^) näher im Zu-
sammenhange, so verlieren sie von ihrer Ähnlichkeit wesentlich.
Meinlob: [Ich bin holt einer frcuwen :] ih
weis vil wol umbe waa MF. 13, 2
Momngen: [. . € ich ir iemer diende] ine wisse
umbe waz » 142, 18.
Die übrigen Stellen, von denen zwei einander ähnlicher lauten,
gehören einem und demselben Dichter, nämlich Neithart zu:
>) ib. S. 146. ») ib. S. 146. ») oben S. 87 o.
^ Die 16 Stellen redacieren sieb auf 9; 6 gehören schon angesogenen Dich-
tern zu.
») ib. 8. 147. «) ib. S. 149.
40 E. TH. WOLTER
Neithart: [Si sint mir unwaege] sine wizzen
umbe waz N. 68, 17
[er ist dir gehaz] ich enweiz niht
umbe waz w 75, 22.
Der folgende Vers erhält den Anschein der Ähnlichkeit nur durch
die Verkürzung, die ihm im Citate der Zusammenstellung zu Theil
geworden ist:
ich weiz rehte niht war umbe [si
daz liez] N. 97, 3.
Doch wäre auch die Zahl der Parallelen (3) größer, ihr Zu-
sammenhang gleichartiger, so berechtigten sie doch ihrer Natur nach
niemals zu dem Schluß auf einen geformten Vers, höchstens auf einen
geläufigen Ausdruck der gewöhnlichen Rede.
Es folgt eine Gruppe mit hoehen oder besser mit dem gemein-
schaftlichen Gedanken „einen in frohe Stimmung versetzen** *).
Größere Ähnlichkeit zeigen von den angeführten Stellen in der
Form nur zwei:
Rugge: [Ein wiser man vil dicke tuet | des
ein tumber nicht enkan.]
als ime daz hoehet einen
muot, [so muoz ich leider
trüric stan] MF. 103, 37
Beinmar: [sit daz er mir getriuwet wol,] s6
wil ich hoehen sinen muot. 77 151, 28
allenfalls noch '')
Meinloh: im trüret sin herze !•...] nu hoehe
im sin gemüete [gegen dirre
sumerztt] n 14, 9
Die übrigen Stellen verdienen nicht herangezogen zu werden. Der Vers :
er erfreut mir mein gemüete Uhl. 61, 3
kommt schon zufolge seines Ursprunges aus der späteren Volkslyrik
nicht in Betracht, und die beiden übrigen:
[gelobet stät der grüne walt,] des
froet sih min gemüte OB. 102^
und Kürenberc: so stöt wol hohe min muot MF. 10, 23
haben doch formell gar zu wenig Ähnlichkeit, als daß man sie neben
die obigen stellen dürfte. Obendrein ist der Gedanke (der in den
letzteren Stellen auch durchaus nicht genau mit den zuerst ange-
führten paßt) durchaus nicht auffallend, so wenig, wie die Art ihn
auszudrücken selten erscheint.
») ib. S. 160. ') Der Vers
daz ir gäete mich gehoehet h&t MF. 110, 32
gehört Rugge, also einem schon verwendeten Dichter an.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES ete. 41
In der folgenden Ornppe: 0
BietcBbnrc: [taet ich selbe nicht also] der be-
twungen stAt MF. 19, 11
Dietmar: [gerne daz min herse erkande] wan
ez so bedwungen stat n 32, 2
Morungen: [sit daz diu werlt mit sorgen] also
gar betwungen stät n 143, 8
ist vor allen Dingen die gleichmäßige Verbindung mit stdt als irgend-
wie auffällige Übereinstimmung zurttckzuweisen. Die Anwendung von
sidn ist nicht anders zu betrachten als die einer Kopula ; das Verbum
wird ebenso häufig gebraucht und ist in seiner Bedeutung ebenso
abgeblaßt, wie eine solche.
Über den häufigen redensartlichen Gebrauch von betwungen be-
lehrt uns schon der Zusammenhang; in dem das Verbum in den
obigen Stellen und in der folgenden erscheint:
Regensburc: [ich wil im iemer wesen holt.] si
sint betwungen ftne not MF. 16, 14
d. h. „sie machen sich ohne Noth Kummer und Sorge".
Die Bemerkungen Haupts zu der letzteren Stelle bekräftigen
nur, daß dergleichen Wendungen schon frühe und allgemein gebräuch-
lich waren.
Die Ähnlichkeit des Verses:
der minne wil mich twingen OB. 126
ist formell zu gering, als daß man auf ihn Rücksicht zu nehmen
hätte. Dietmar endlich (40, 15) ist bereits citiert.
Die folgende Gruppe mit ze oder an ein ende bringen oder
komen^ hat ja an sich schon darum wenig Werth, weil einmal von
den angeführten fünf Stellen drei ein und demselben Dichter entnommen
sind, dann aber ihnen nicht einmal dasselbe Reim wort eigen ist. Aber
davon ganz abgesehen ^ darf man die Wendung durchaus nicht als
etwas vielleicht nur der Liebeslyrik oder der Lyrik überhaupt Eigen-
thümliches betrachten. Sie war mit verschiedenen kleinen Änderungen
ganz gebräuchlich und gewiß nicht nur der poetischen, sondern auch
der alltäglichen Umgangssprache ^).
Daß von guot dünken das Gleiche gilt ^), bedarf keiner weiteren
Erörterung.
Bei der folgenden Zusammenstellung mit nie geschach ^) ist der
Zusammenhang in den drei zur Geltung kommenden Versen doch
*) ib. S. 163. ») ib. 8. 164.
') Ich brauche nur auf das Mhd. Wb. za rerweisen.
*) ib. S. 164—166. *) ib. S. 166.
42
E. TH. WALTER
nicht derart, daß wir an einen za Grande liegenden festgeformten Vers
denken müßten:
Dietmar : [si hat daz herze mir benomen ;] daz
mir gescbach von wibe ö nie
Husen: [ze fiöiden muos ich urlop nemen;]
daz mir da vor % nie ge-
Schach
Reinmar : [waene ich des daz mir diu ange-
16net läze] se geschaebe an
mir daz nie gescbach
Es folgen die Stellen ') :
Dietmar :
MF. 35, 4
n 43, 27
u 189, 36.
Neitbart :
Rute:
[ich weiz wol daz tuot ime we] daz
ist diu meiste sorge min . . MF. 36, 13
doch ist daz diu meiste sorge mine
[daz nibt langer dienest lie-
ben 16n erworben babe] N. 58^ 29
[da manic man der Sünden sin ver-
jach^] do was daz min aller
meistiu swaere [daz . . •] MF. 116,20;
Die übrigen Verse verdienen nicht angeführt zu werden; denn
der eine gehört dem schon oben herangezogenen Neitbart zu; der
andere aber
Husen: [des ist er min leitvertrip] und diu
boebste wunne min
begründet seine Zugehörigkeit nur dadurch , daß er von den obigen
das Gegentheil bedeutet.
Ob nun diese zu dem Schlüsse auf Entlehnung aus einer Liebes-
lyrik, ja auf Entlehnung überhaupt berechtigen, erscheint mir mehr
als zweifelhaft. Hat hier nicht bloßer Zufall gewaltet, so könnte man
höchstens an eine im gewöhnlichen Leben gebrauchte Wendung denken.
Recht aus der Umgangssprache herausgegriffen, aber nur durch-
aus nicht auf Lyrik zurückzuftlhren, ist die Redensart mit ein heiden^
wie sie sich in den Versen
Dietmar ^) :
Waltber:
findet.
40, 24
ja bin icb nibt ein beiden [si sol
genäde an mir begän] MF.
[swelcb kristen kristentuomes gibt
an Worten und an werken
nibt |] der ist wol balp ein
beiden W. 7, 13*).
') ib. S. 166. ») ib. S. 1Ö7.
') Auf eine Stufe mit den übrigen Versen läßt sich dieser <lQch Qicht stellen,
denn in ihm ist das Wort heiden bedeutungsvoller als in jenen.
ÜBER 1>EN UKSFRUNG DEö HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 43
Weitere Parallelen gibt Haupt zu 40, 24:
Gliers: ja enbin ich ein beiden : [so be-
scheiden . ist ir roinnicUcher
ISp.] MSH. 1, lOd»* (Z. 6)
Winterstetten : diu mich in senden leiden — nu
lange l&t als einen wilden
beiden n 1, 152* (Z. 8
T. u.)
Stredingen: si tet als ich waere ein beiden M8. 1,45^ (Z. 3 v.u.)*
Der Vergleich mit den heiden ist gewiß — wie ja auch in der
damaligen Zeit der Ereuzzüge leicht erklärlich — in Jedermanns
Munde gewesen.
In den beiden Versen *) :
Reinmar: daz ist an minen fröiden mir ein
angeslicber slac MF. 197, 21
Walter: und waere an fröide ein angeslicber
slac W. 115, 1
mag man wohl etwas Auffallendes an ihrer Übereinstimmung finden.
Will man hier aber auf Entlehnung (was bei so geringer Zahl von
Versen nicht sehr rathsam erscheinen will) schließen, so wäre man
doch viel eher berechtigt, eine Benutzung des Reinmarschen Verses
von Seite Walthers anzunehmen, als auf Nichtvorhandenes zu fahnden.
Wenn die Redensart ez ist ein slac auch noch bei
Dietmar: es waere an miner fröide ein slac MF. 40, 33
sich findet, so ist dies nicht seltsam. Wendungen mit slac gehören
zu den sehr gebräuchlichen. Das Wort findet sich in gleicher Bedeu^
tung in den mannigfachsten Verbindungen ^) , warum soll es nicht auch
ein oder das andere Mal mit fröide verbunden vorkonunen?
Die Gruppe mit schtn tuen hat gar keine Bedeutung ^). Der
Ausdruck ist ganz verbreitet; die Reimübereinstimmung kann auch
nicht befremden; denn — wie sich aus einigermaßen sorgfältiger Be-
obachtung ergibt — wird bei Anwendung zusammengesetzter Aus-
drücke in derselben Verszeile gewöhnlich eines der beiden zusammen-
gehörigen Glieder Reimwort; und zwar trifi't dies, je nachdem wir es
mit einem Haupt- oder Nebensatze zu thun haben, das Beiwort oder
das Verbum.
Werthlos ist auch die Aufzählung der wenigen Stellen (5, davon
3 bei Neithart) mit wol im Ausruft), umsomehr, da es sich hier
*) ib. S. 167. «) cf. d. Mhd. Wb. S. 361 ^ ib. S. 158.
T ib. 8. 158.
44 E- TH. WALTER
nicht einmal um ganze Verse, sondern nur um einen herausgerissenen
Ausdruck handelt. Daß derartige Verbindungen mit wol^ unpersön-
liche Sätze, namentlich imperativischer Natur, vollkommen zu dem
mhd. Sprachgebrauche gehören; daß ihr Vorkommen nicht viel anders
zu betrachten ist; als das der gebräuchlichsten Interjectionen , sollte
ich kaum zu erwähnen brauchen. Ich führe die betreffenden Stellen
nur an, um zu zeigen, in welcher Weise zuweilen die Qruppen
der uns vorliegenden Sammlung zu Stande kommen:
GuotenbuTc: Nu wol hin [(ez muoz eht sin)] |
und Stic üf, daz herze min] MF. 70, 19
Walther: Nu wol dan [weit ir die wärheit
schouwen! | gen wir. . . .] W. 46, 21
Neithart: [Diu muoter sprach] "wol hin! ver-
stü übel oder wol, sich daz
ist din gewin'* N. 21, 27
Bei dems.: [Do spräche ein alte in ir geile, j
trütgespil,] wol dan mit mir ! N. 3, 16
Bei dems. : 'Wol dan mit mir | [zuo der linden,
trütgespil] 7) 10, 32^).
Die Gruppe mit war nemen^) ist auf 20 Stellen gebracht, von
denen sieben auf Reinmar, sechs auf Walther und vier auf Neithart
kommen, so daß die ganze Sammlung nur den Werth von fiinf Versen
besitzt. Im Übrigen gilt dasselbe , was ich zuletzt von schin tuon^)
zu bemerken hatte.
Ebenso steht es mit der Stellensammlung mit leit^); sie schmilzt
auch ähnlich wie die vorige zusammen; es sind angeführt: Reinmar
viermal, Walther viermal, Neidhart fünfmal.
Auch folgende Stellen, die alle das Sätzchen ich wetz wol auf-
weisen, haben keine Bedeutung:
Johansdorf : [Wie sich minne hebt] daz weiz ich
wol MF. 91, 21
Wolfram: [••. diu sorge ist mir ze vruo] ich
weiz vil wol, [daz ist euch Wolfir. 8, 3
ime]
Ps.-Neithart: ich weiz wol, [und het ich . . .] N. 170, 76
und dreimal bei
Walther: [swaz ir in tuet, daz rechent iuwer
jungen] daz weiz ich wol
[und weiz noch mö] W. 24, 2
etc.
^) Wie ich schon mehrfach bu zeigen bemüht war, so tritt auch hier wieder
zu Tage, daß gerade nähere Übereinstimmangen meist nur bei demseibeo Dichter
sich finden.
«) ib. 8. 168. ») oben S. 43. ') ib. S. 169.
ObEB den UBSBPUNa DES HÖPI8CHEN MIN1IE8ANOE8 etc. 46
Daß diese Verse auf Entlehnang deuteten , obendrein ans lyri-
scher Poesie y läßt sich gewiß nicht ernstlich behaupten; wir haben
hier nur ein zufiilliges Zusammentreffen auch sonst gewiß gans ge-
bräuchlicher Redewendungen, die sich natttrlich jedem ungezwungen
zur Benutzung darboten.
Die zwölf Verse, deren Übereinstimmung auf der Wendung daz
herze ist vol beruht *), haben Air uns nur den Werth von drei Stellen:
achtmal wird die Volkslyrik der späteren Zeit herangezogen, and
zweimal Neithart angeführt Daß die Ausdrucksweise selbst etwas
Befremdliches, auf Entlehnung Deutendes haben sollte, kann ich
schlechterdings nicht finden. Das herze als Sitz des Oefdhls, und
demgemäß mit leit^ fröiden, trauren, unmut, jdmer angefüllt zu denken,
war gewiß eine sehr gewöhnliche Vorstellung.
Bei der Redensart waz dar umbe?^) was liegt daran? an Lyrik
zu denken, erscheint mir mehr als gewagt; die Wendung entstammt
natürlich nur der Umgangssprache.
' Aus der folgenden Gruppe mit dem Reimworte getdn^) kommen
nur die drei ersten angeführten Verse in Betracht. Die übrigen vier
erhalten durch die Zufügung von wol eine so verschiedene Bedeutung,
daß sie höchstens gesondert berücksichtigt werden dürften. Dies
jedoch wäre unnöthig; denn von den vier Stellen mit wol getan ge-
hören allein drei Walther, die vierte — mit guot statt wol — Neit-
hart an^).
Die Verse mit getan allein sind:
Reinmar : swer in 6ret { unde im m^ret | fröide,]
daz ist mir get&n MF. 200, 13
Neithart : [daz si dft mit ir gerünent] deist min
angewin] unde ist mir getan N. 77, 24
Walther: [. . . daz ich die getiuret h&n | und
mit lobe gekroenet | diu
mich wider hoenet] frouwe
Minne, daz si iu getftn W. 40, 26.
Auch in diesen Stellen kann ich nichts finden ^ was den Schluß
auf einen zu Grunde, liegenden Originalvers erlaubte. Warum soll die
Wendung nicht schon im gewöhnlichen Leben sich geformt haben?
Eine für die ganze Sammlung recht bezeichnende Zu-
sammenstellung ist die auf den beiden Ausdrücken tttotu)e und tuot
wol beruhende *). Von den 15 im Ganzen aufgezählten Versen fallen
allein acht auf Walther^ vier auf Neidhart^ zwei auf Hartmann , eine
") ib. S. 159. «) ib. S. 161. ») ib. S. 162. *) cf. oben S. 80 (3*)
*) ib. S. 162.
46 B TH. WALTER
auf Morongen: wir haben also eigentlich nur vier brauchbare Stellen
vor uns^ und in diesen nichts als eine zweifelsohne ganz gewöhnliche
Redewendung, die obendrein weder einen ganzen Vers einnimmt noch
einen solchen mit einem regelmäßig wiederkehrenden Reimworte ver-
siehty so daß wir nicht einmal von einem formelhaften Eindruck
reden können.
Ganz dasselbe gilt von dem Gebrauche der Wendung äne danc '),
sie kann nur fttr neuhochdeutsches Gefähl etwas Befremdliches
haben: der mittelhochdeutschen Sprache war sie offenbar ganz zu
eigen. Geltung haben fttr uns übrigens von Vornherein nicht die beiden
Stellen aus der späteren Volkslyrik, so daß uns nur der Wert von
drei Parallelen bleibt (Neidhart dreimal citiert).
Aus dem bisher Gesagten wird wohl deutlich und klar schon
die Natur der ganzen Sammlung Meyers zu Tage getreten sein. Es
fand sich nirgends auch nur eine Schwierigkeit bei dem Versuche,
alles was uns als auffallende Übereinstimmungen vorgebracht war,
auf alltäglichen Wortgebrauch und Ausdrucksschatz zurttckzuftlhren.
3. Doch die Gruppen der Sammlung haben wir erst zur Hälfte
durchlaufen. Ich überging zunächst noch diejenigen Stellen, in denen
die Übereinstimmungen einen etwas auffallenderen Eindruck zu machen
schienen ; insofern die den einzelnen Versen gemeinsamen Worte oder
Wendungen nicht so ohne Weiteres es verriethen , dem Sprachschatze
entnommen zu sein , sondern durch ihren Gebrauch in einer Liebes-
lyrik einen etwas bestimmteren, eigenartigeren Charakter angenom-
men hatten.
Groß und häufig ist dergleichen eigenartigeres Zusammentreffen
aber nicht^ jedenfalls überall ohne Bedeutung. Denn daß eine Liebes-
poesie sich an ihr eigenes Lexikon hält, ist doch nur natürlich; und
daß Wendungen und Worte, sonst keineswegs auffallend, durch gleiche
Verhältnisse ins Leben gerufen, in ähnlichen Zusammenhang einge-
fügt einander ähnlicher werden müssen, wird wohl Jedem einleuchten,
ohne daß ihm darum gleich der Gedanke an die Nothwendigkeit einer
Entlehnung aus einer verloren gegangenen Volkslyrik berechtigt zu
sein scheinen dürfte.
Die folgenden Gruppen haben in Wirklichkeit nicht größeren
Werth als die oben bereits besprochenen.
') ib. S. 162.
ÜBER DEN UB8PRUNO DES HÖFISCHEN MINNESANOES etc. 47
Kann es bei einer Poesie^ die den Frauendienst zum GegenBtande
hat, befremden, wenn der Ansspraeh einigemal sieh findet, daß kein
Weib dem Dichter besser gefallen habe, als eben das, welches er be-
singt; zumal wenn der Gedanke durchaus nicht in formelhafter Weise
zum Ausdrucke gelangt?
So haben wir bei^)
Meinloh: [sit ich ir gunde dienen, |] si geviel
mir ie baz und ie bac MF. 13, 4
und Reinmar: [got weia wol daz ich ir nie vergaz {]
und daz mir wip geviel nie
baz 7> 174, 36.
Füge ich noch die Stelle hinzu, wo der Dichter die Frau
sprechen läßt
Rugge: [son sach ich nie deheinen man {]
der mir ze rehte geviele ie
baz MF. 106, 21
so sind wir eigentlich mit den Parallelen, deren jede noch immer
genug Individuelles trägt, zu Ende. Was Mejer zufilgt, enthält nichts
Übereinstimmendes außer dem Worte gevallen. Der Vers
Walthers : [so I&ze ir mine rede . . . .] ein wSnic
baz gevallen W. 71, 9
hat dem Sinne nach gar nichts, der Form nach wenig (nicht einmal
gleiches Beimwort) mit den oben angeführten Stellen gemein; ebenso
steht es mit dem Verse:
[min vrowe ist ganzer tngende vol, |]
ih weiz wiez *ir gevalle CB. 103'.
Die Worte der Tegernseer Briefschreiberin sagen gerade das Qegen-
theil zu jenen:
ich mohte dir deste wirs gevalle MF. 224, 24^
Daß zum Lobe der Frau gesagt wird ^) an einer Stelle :
[si ist ganzer tugende ein adamas]
und schöner ;EÜhte ist si so
vol,*) CB. 94% 1
und an einer zweiten:
min vrowe ist ganzer tugende vol » 103*
«) ib, 8. 133.
') Rechte Übereinstimmung des Gedankens herrscht eigentlich auch unter den
ersten drei Stellen nicht; sie findet sich nur lo den beiden Versen Meinlohs, dem
obigen und dem folgenden:
ie lieber und ie lieber j so ist si z allen ziten mir, j
ie schoeuer und ie schoener | : vil wol gevallet si mir. |
») ib. S. 134.
^) Für Yolksthümlich halte ich den Vers auch durchaus nichL
48 E. TH. WALTER
und endlich mit gewiß nicht der gleichen Bedeutung von
Walther: der herze ist ganzer tugende vol W. 115, 15
wird doch wohl kaum zur Annahme einer Entlehnung verführen können.
Wenn ich die folgenden Stellen mit twingen ^) erst hier anf&hre
und nicht schon in der ersten Abtheilung behandelt habe, so hat das
seinen Grund darin ^ daß sie so ziemlich ähnlichen Sinn haben und
dieser auf Liebeslyrik hinweist. Beweisen läßt sich mit diesen Versen
nichts; denn Redensarten mit twingen sind so allgemein gebräuchlich
in den mannigfachsten Verbindungen wie *) : Kriemhilde twanc groz
jdmer Nbl. 988, 1; waz mich leides twinget MS. 1. 53'; si twanc ein ndt
Trist. 11896; Stfrit twanc des durstes ndt Nbl. 911, 1 u. a. m., daß man
sich nicht wundern darf, das Wort mit dem Subject minne anzutreffen^
wie in den Versen *):
[der ih diene alle mine tage \,] der
minne wil mich twingen CB. 126*
und diu minne twanch sere den man n 146
oder Veldegge : [Diu Minne twanc ^ Salomone : . . . . ]
si twunge euch mich ge-
waltecliche MF. 66, 20.
Formelhaftes haben die drei Verse gewiß nichts an sich; sie
weisen nicht einmal das gleiche Reimwort auf.
Die anderen Stellen bringen nur das einzelne Wort ohne sonstige
Übereinstimmungen wieder, so
Guotenburc: äne die diu so betwungen mich hat MF. 79, 3
und Husen: wie s^re si min herze twinget 77 45, 20
mit wenigstens noch ähnlichem Sinne sind endlich
Dietmar: [sit hat ich groze swaere. |] be-
twungen was daz herze min
[nu wil ez aber mit fröiden
sin] MF. 40, 15
Eürenberc : diu wil mich des betwingen [daz ich
ir holt si] 77 9, 33,
wo der Zusammenhang im Grunde doch eine Parallelstellung mit den
obigen Versen verbietet.
Wir kommen an die Verse mit im herzen tragen ^). ^Einfach
undenkbar", sagt Meyer *), „ist es, daß die Damen des zwölften Jahr-
hundertSy die doch keine Molifere'schen Pr^cieusen waren, oder gar die
„eisernen Ritter" in ihrer Unterhaltung gesagt hätten: in mmem herzen
*) ib. S. 138. 163. 167. 169. «) ib. S. 138. ») ib. S. 138.
*) ib. S. 167.
ÜBEB DEN ÜBSPRÜNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES «te. 49
ich st trage oder s&ne mrde ich niemer frd. Das ist nicht der Ton des
Tagesgesprächs.' Diese Bemerkung ist in mehr als einer Beziehung
nicht stichhaltig« Der Ton des Tagesgesprächs? Natflrlich ist er
das nicht. Das wird auch Niemand behaupten wollen; gedichtet wird
ja überhaupt nicht im „Ton des Tagesgesprächs^. Und mir^ wenn ich
leugne, daß der genannte Vers aus einer verlorenen Volksliebesljrik
als „Baustein '^ entnommen sei, wird es durchaus nicht einfallen zu
behaupten, der Vers sei, so wie er ist, aus der Umgangssprache
geholt worden. Aber: die Umgangssprache hat offenbar vielerlei
Wendungen mit tragen (in ganz anderer Weise freilich als wir im
Nbd.) gehabt; sie hat auch das herze als Sitz der Gefühle betrachtet;
die Ritter ihrerseits — die „eisernen Ritter^ haben doch Fähigkeit
und weiche Stimmung zum Dichten gehabt, sie waren sogar zu Zeiten
so wenig „eisern ^^^ daß sie ihre Lieder zum Saitenklange vortrugen:
sollten sie nicht vielleicht doch einen Ausdruck wie ich trage im herzen
selbständig haben zu Stande bringen können; oder sollte man Der-
artiges wirklich nur einem Bauern zumuthen dttrfen, der das dann
freilich aus dem „Stegreife*^ fertig brachte? Doch der Ausdruck mag
immerhin existiert haben, er wird es sogar ganz gewiß; es ging
ja der ritterlichen Liebespoesie genug Sang und Klang voraus; die
Wendung ist keine solche, daß sie nur in der Liebespoesie sich hätte
bilden kOnnen: es handelt sich hier nur darum, ob die ganzen Verse
einen volksthümlichen Original vers vorauszusetzen zwingen, und das
wird man — glaube ich — aus ihnen nicht schließen können. Ich
führe die Verse auf:
[der minne wil mich twingen :] in
mime herzen ich si trage, OB. 126^
R. Heinrich: Sit daz ich si [sd gar herselichen
minne | und si ftne wanc
zallen ztten] trage beide in
herzen und onch in sinne, MF. 5, 30
Fems: daz si mich hiez in deme herzen
tragen | [diu mir wol mac
min leit ze vröuden k^ren] n 81, 38
Reinmar : sit ichs [ftne ir danc] in minem her-
zen trage n 171, 27
und bei demselben ') :
*) Ich föhre die Stelle nnr an, weil sie Zeugniß daron ablegt, dzß der Ge-
branch des Ausdrucks jedesfalls keiner gedankenlosen Entlebnung lUBUSohreiben ist,
▼ielmehr ein liebevoUes Ausspinnen einer offenbar geläufigen VorsteUnng von Seiten
eines ^eisernen" Kitters seigt.
GEKMANIA. Men« Bailie XXII. (XXXIY.) Jftbrg. 4
50 E. TEL WALTJSB
[si gie mir alse sanfte dar min ougen» |
daz si sich in der enge niene
stiez] in minem herzen si
sich nider liez : dft trage ich
noch die werden inne tougen MF. 194,24 — 25').
Wo ist in diesen Versen Formelhaftes? Wo ein Zeichen von
dem Zugrundeiiegen eines bestimmten Verses? Nur die Redensart
im herzen tragen haben sie gemeinsam ; und da wir es mit Liebespoesie
zu thun haben, tritt natürlich in ein paar Stellen als Object auch
einmal die minne oder die frouwe ein; andere Verbindungen mit tragen
sind übrigens auch vorhanden*).
Es folgt eine Gruppe mit Übereinstimmung in der Anwendung
des Wortes gedinge ^ :
[möhte mir an ir gelingen, | ]
noh lebe ich des gedingen CB. 126^
Rietenburc : [Din nahtegal ist gesweiget j ]
doch tnot mir sanfte guot
gedinge [den ich von einer
frowen h&n] MF. 18, 20
Gnotenburc: [Swiech mich erhol,] der gedinge
tuet mir wol, [Daz ich wol
weiz . . .] T) 76, 35
Walther: doch tuot mir der gedinge wol [der
wile, den ich hän , deichz
noch erwerben sol] W. 92, 7
Beinmar: [guot gedinge üz lönes rehte nie
gebrach.] des habe ich hin
zir hulden ie gedinge MF. 189, 39.
Über diese Zusammenstellung gilt genau dasselbe, was ich über
die vorige bemerkte. Meyer jedoch legt offenbar besonderes Gewicht
auf sie, denn er greift sie zum Beweise seiner Ansicht als Beispiel
heraus. „Sicher sagte man auch in Prosa einmal 'diese Hoffnung
thut mir wohl'", bemerkt er*), „aber wenn Guotenburc und Walther,
die weder in der Art noch in der Form der Dichtung viel] gemein
haben, diese Phrase beide anwandten — wie kam da fast genau der-
selbe Vers heraus? Lag aber beiden derselbe Vers schon vor, so
^) seneliche swaere tragen ... in dem herzen MF. 12, 6
bestätigt mir das oben über tragen Gesagte.
«) cf. oben S. 36.
") ib. S. 188.
*) ib. S. 167. Natürlich sagte man mbd. nicht so, sondern der gedinge tuol
mir wol; das meinte Meyer doch wohl auch; wie kommt er dann aber dasu, ein
paar Zeilen weiter unten genan das Gegentheil sn behaupten, indem er die Aus-
drucksform der gedinge tuot ir wol recht wenig wahrscheinlich ftlr die Prosa nennt.
Ober den ursprunq des höfischen Minnesanges etc. 51
erklärt das Bedfirfniß des Liedes aUerdings leicht die geringe Modi-
fication.''
Ich möchte der Frage Meyers mit einer Frage meinerseits ant-
worten: wenn Walther den Gedanken „diese Hoffnnng thut mir wohP,
der doch an sich nichts Seltsames hat, zum Ausdruck bringen wollte;
wenn ihm seine Sprache die Wendung wöl tuan und das Wort gedinge
dazu bot, wenn endlich der Bau seiner Strophe einen vierhebigen
Vers verlangte: wie hätte er dann wohl mit aller Mühe es fertig
bringen sollen, einen von Guotenburc mehr abweichenden Vers zu
liefern, als er es gethan hat?
Er wundert sich dann darüber, daß man ihm zumuthen könnte,
^enen einfachen Gedanken ganz allgemein etwa in der Form der ge-
dinge tuot mir wol^ wie einen regelmäßigen Vers von vier Hebungen
ansehen^ zu sollen. Dabei vergißt er aber ganz, daß man, sobald
man nicht, wie er, aus einem verlorenen Liede die Verse in fester
Gestalt übernommen glaubt, nie an eine Entlehnung ganzer Sätze
aus der Umgangssprache denkt, sondern nur an die Benutzung der
der gewöhnlichen Rede eigenen Worte und Phrasen; daß man die
Gestaltung dieser aber ebenso gut dem dichtenden Ritter überläßt,
wie es Meyer doch jedenfalls bei dem „Stegreif dichtenden^ Bauern
thut; denn woher sollten denn diese ihre Verse sonst haben?
Ebenso steht es mit den folgenden Versen '):
Mir ist ein wip s^re in min gemüte
chomen OB. 127^
Dietmar : der ist mir ftne mkze komen in mtnen
Staaten mnot, MF. 39, 5 *)
Monmgen: wie waere si mir danne also ze her-
zen komen? n 124, 34^
Reinmar: mirst komen an daz berze min | ein
wlp n 157, 15.
Dabei herrscht weder Übereinstimmung im Reimwort noch genau
im Ausdruck; nur das Wort komen und der Sinn der Stellen treffen
zusammen.
Im Folgenden greife ich zwei Gruppen zusammen, da Meyer
in der ersten auf den Vers an der Spitze der zweiten hinweist *).
») ib. 8. 138.
') Die andere Stelle lantet:
der an mtn berze ist nftbe komen MF. 36, 29.
3) Die andere Stelle:
dem ein wip so n&hen an sSn herze g% n 138, 6.
') S. 138 nnd 141.
4*
52 E- TH. WALTER
[Solde ich nach dem willen min diu
zit geleben] daz ih ir ge-
lege bi! CB. 127'
Namenl. L. : so so gfietliche diu guote bi mir lit. MF. 4, 20 ^)
Neithart: si getno mich sorgen vri] der ich
gerne laege bi N. 52, 32
Meinloh: [na wixzen algeliche | daz ich sin
frinndinne |bin;j kae nfthe
bi gelegen MF. 13, 22*)
Regensbnrc: [swenn ich daran gedenke |] daz ich
80 güetlichen lac | [verholne
an sinem arme r» 17, 3
Namenl* L. : daz din könegin von Engellant {
laege an minen armen » 3, 10 — 11
Beinmar: [Diu wile schöne mir zergat] swenn
er an minem arme lit jt 203, 18
Wolfram : [Den morgenblic .... erkos | ein
frone,] da si tongen an ir
werden friundes arme lac Wolfr. 3, 3
Neithart: daz diu gnote an minem arme niht
enlit N. 78, 19*).
Daß in einer Poesie, wie sie der höfische Minnesang ist, Stellen
wie die beigebrachten in größerer Zahl sich aufzählen lassen; daß der
darin enthaltene Gedanke wiederkehrt — liegt gerade in dem Wesen
des höfischen Minnesanges begründet; doch davon ganz abgesehen
bieten die Verse durchaus nichts Formelhaftes; es ist immer wieder
nur der Gedanke und mit ihm der nicht gut zu umgehende gleiche
Ausdruck, nie aber der ganze Vers, was uns entgegentritt, nicht
einmal das Reim wort ist gewahrt.
Nur auf das gemeinsame bi in Verbindung mit wesen grtlndet
sich die Zusammenstellung der folgenden Stellen^), und zwar kommt
ein doppelter Gedanke zum Ausdruck, in den einen Versen: das treue
Gedenken an die Geliebte; in den andern das örtliche Beisammen-
sein. Im ersteren Sinne
Namenl. L. : im waer min staetez herze ie nähe bi MF. 4, 25
Bngge: min herze ist ir mit triuwen bi n 110, 23
>) Der miteitierte Vers MF. 4, 25
im waer m!n staetez herze ie n&he bi
paßt doch wohl kanm hierher.
') Die bisher angeführten Stellen sind ib. S. 138 verzeichnet. Der andere Vers
Meinlohs: [frd enwirt er nimmer, | ]d er an dinem
arme | so rehte güetliche gelit MF. 14, IS
•) ib. S. 141.
*) ib. S. 141—142.
ÜBER DEN UBSPBUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 53
Walther: [Er saelic man^ si saelic wip] der
herze einander sint mit triu-
wen bi W* 95, 38.
Ich kann mich nicht zu der Überzeugung bringen, daß es etwas
Auffallendes wäre^ wenn in einer ausgesprochenen Liebespoesie drei
mal der gleiche und zwar dieser gleiche Gredanke auch in ähnlicher
Form zum Ausdruck gelangt.
Ebenso halte ich doch gewiß nicht mit Unrecht den Wunsch^
bei der Geliebten zu sein, für so natürlich, daß es viel eher befrem-
den dürfte, wenn man ihn vergeblich suchen müßte. Daß die Verse
nähere Übereinstimmung nicht haben, zeigt ein einziger Blick auf die
folgenden Reihen:
Dietmar: dar zuo waere ich dir vil gerne bi MF. 37, 1
Guotenburc: ich solde ir ofte wesen bi [waer ez
an mime heile] n 74, 19
Morungen: [hei wan solt ich ir noch so ge-
vangen sin |] daz si mir
mit triuwen waere bi [gan-
zer tage dri]
Bei dems. : [waeren nur die hüetaere algemeine |
tonp und blint,] swenn ich
ir waere bi, n 181, 28
Neithart: [geto erste ich] ja waer ich ir zallen
ziten gerne bi K. 46, 13
Bei dems.' [herzekünegin] ich was dir ie mit
triuwen bi n 66, 26.
Wenig hierzu passen die beiden folgenden Verse:
Rute: [ich enmac | niht geruowen] ich en-
kome ir nähe bi [so daz ich
ir gesagen müeze waz min
Wille si] MF. 117, 10
und Reinmar: [och weste ich gerne .... | ob er
iht pflaege wunneclicher
staete] diu sol im rehte
wesen bi. » 153, 20.
Über die zwölf Parallelen mit gemeinschaftlichem hoU brauche
ich wohl nicht weitere Worte zu verlieren ^). Die Versicherung, daß
Eins das Andere liebe, ihm gut sei, liegt doch für eine Liebeslyrik
so nahe, daß ihr häufigeres Vorkommen für eine Entlehnung in keiner
Weise sprechen kann. Wenn dazu noch Verse, wie
Walther: Ich bin dem Bogenaere holt W. 80, 27
angeführt werden, so kann das wirklich nur komisch berühren.
*) ib. S. 142.
54 E. TH. WALTER
Die Sammlung, an deren Spitze der Vers MF. 6, 13 sd muoz
sin wille an mir ergdn steht ^)y bietet ein recht buntes Durcheinander,
aus dem einen zu Grunde liegenden Originalvers doch wohl kaum einer
so leicht möchte herausklügeln können.
Die ersten acht Stellen (= sechs , Dietmar und Meinloh sind
je zweimal vertreten) haben wenigstens ungefähr ähnlichen Grund-
gedanken, die Form ist überall gründlich verschieden, bald heißt es
wille ergdn, bald vnlle getan; die Reim Wörter wechseln, man fühlt deut-
lich, daß es nur die gemeinsame Anschauung ist, die überall zu
Grunde liegt — und diese Anschauung ist offenbar in der Weise, wie
sie sich im Zusammenhange gibt, höfisch conventionell. Doch
gleichviel, ob dem so sein mag oder nicht, auf geformte Verse lassen
diese Stellen nicht schließen, dazu bieten sie äußerlich zu wenig Über-
einstimmung.
Zu diesen dem Liebesverkehre eigenen Versen eine Stelle wie
die folgende
Walthers :j [daz man da ze himel] ir willen tuot W. 78, 36
hinzuzufügen (es ist die Rede von der Jungfrau Maria) erscheint
mindestens recht seltsam, vielleicht liegt ein Versehen vor.
Ebenso befremdlich ist^die Heranziehung der Stelle:
Walther: [Herzoge uz Osterricbe,] ez ist in
wol ergangen W. 28, 11;
sowie der übrigen Stellen mit ergangen überhaupt, von denen ich nur
noch erwähne:
Neithart: [nü sage mir, liebez tohterlin] ist
anders iht ergangen? N. 17, 28.
Die übrigen fünf Stellen sind der späteren Volksljrik entnommen,
somit für uns ohne Bedeutung.
Daß das Epitheton saelic bei man und vnp viel gebräuchlich war,
zeigen die mit diesen Verbindungen versehenen Verse gewiß, weiter
aber auch nichts« Ich fahre von den dreizehn Stellen (von denen
übrigens sechs, schon genannten Dichtern zugehörige, in Wegfall
kommen) einige auf):
Husen: Wol ir, si ist ein saelic wtp | [diu
von sender arebeit nie
leit gewan] MF. 54, 1
Veldegge : [Swer zer minne ist so fruot | . . . . ]
wol im, derst ein saelic man n 61, 36
Johansdorf : Wol si saelic wip [diu mit ir wibes
güete daz gemachen kan] n 95, 6
') ib. S. 143. ') ib. S. 144.
ÜBER DEN UBSPHUNO DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc.
55
Reinmar :
Walther :
Hartman :
Neithart:
MF. 109, 33
n 153, 16
W. 46, 84
MF. 207, 10
N. 89, 21.
Bagge: und wirde ich noch bö saelic man,
[daz sich min leit verendet]
er saelic man, [dA fröit er sich]
er saelic man, [der iuwer Idre hit]
[swer seihen strit | . . • . verlftsen
künde | . • • • ] der waere ein
saelic man
waer ich saelic man
Ich habe die übereinstimmendsten Verse ausgewählt; doch zeigen
sie alle nur Übereinstimmung in der einfachen Wendung saelic mp
saelic man; auf Entlehnung von ganzen Versen wird der Schluß über-
haupt nicht ermöglicht. Formelhaft ist die Verbindung jedoch ganz
gewiß, auch glaube ich keinesfalls, die Formel werde sich so in der
Umgangssprache gebildet haben: vielmehr schreibe ich sie — wenn
überhaupt dies nöthig sein sollte — der höfischen Poesie in ihrer
Conventionellen Art zu.
Es folgen Stellen mit sehen ^):
Namenl. L.:
[Ein winken und ein umbe sehen
wart mir] do ich si nähest
sach.
[ . . . man in waz wir redeten, ] dö
ich in ze jungest sach.
do du mich erst saehe, [dö dühte
ich dich zewftre . . . ]
[euch sol si min vergessen niet, |
wiech von ir schiet] und
ich si jungest ane sach
[sist noch hiute vor den ougen min
als si was do | dö si minnec-
licfae mir zuo sprach {] und
ich si an sach«
[Min ougen wurden liebes also volj
dö ich die minneclichen erst
gesach
Außer in den beiden Versen von Husen und Morungen beruht
die Übereinstimmung einzig auf dem Verbum sehen] der Zusammen-
hang ist überall anders, so auch bei den beiden eben ausgeschlosse-
nen Stellen, die statt sehen die Zusammensetzung an sehen aufweisen.
Daß so oft von dem sehen, von dem an sehen die Rede ist, erklärt
sich wohl leicht aus der Natur der Liebeslyrik.
Auch bei den Versen : *)
Meinloh : frd enwirt er nimmer [e er an dinem
arme gelit] MF. 14, 11
Kürenberc :
Dietmar :
Hasen :
Morungen :
Beinmar :
MF. 6, 21
n 7, 9
j) 37, 26
n 43, 25
7> 132, 33
n 194, 19.
») ib. S. 144.
') ib. 8. 146.
66 E. TH. WALTER
Johansdorf: [verlöre ich minen Munt] seht, sd
wurde ich niemer m^re irö MF. 91, 35
Beinmar: [Läze] ich minen dienest
80, . .] BÖne wirde ich nie-
mer fro
Walther: [ja enwirde ich niemer rehte firö : n 171,34
[mines herzen tiefin wnnde.] W. 74, 13
erscheint mir der ganze Gedanke viel zu selbstverständlich, als daß
ich an Entlehnung aus einer früheren Volksljrik zu denken mich
gezwungen sehen könnte. Daß die Verse natürlich nicht den „Ton
des Tagesgesprächs^, wie Meyer meint, darbieten sollen, liegt auf
der Hand. Ich wiederhole, was ich schon oben sagte: den gemein-
samen Gedanken mußten sie wohl haben, da gleicher Gegenstand sie
beschäftigte; sehr viel verschiedene Ausdrücke bot die Sprache ihnen
nicht: was Wunder also, wenn Anklänge oder größere Übereinstim-
mungen zu Tage traten?
Die paar folgenden Stellen mit andern man etc. ') verdienen
weiter gar keine Beachtung; die Übereinstimmung beruht ofifenbar
nur auf einem zufälligen Zusammentreffen; man sieht dies gleich,
wenn man die Verse im Zusammenhange betrachtet.
Was hat das an einen andern man in den Zeilen:
Kürenberc: sd du sehest mich, | so lä du diniu
ougen g^n |] an einen
andern man. [son weiz doch
lützel ieman | wiez undr uns
zwein ist getan] MF. 10, 6
mit dem entsprechenden Ausdrucke bei
Meinloh : [mir r&tent mine sinne] an deheinen
andern man rt 13^ 26.
zu thun?
Was mit den eben genannten die folgenden Verse verknüpft, ist
wiederum nur der ähnliche Sinn:
Guotenbnrc: [deich niemer md die sinne | noch
minen 11p bekere] an dehein
ander wip MF. 76, 33
Horheim: [Si darf des niht denken daz ich
minen muot iemer bekere]
an dehein ander wip n 113, 13.
Die Übereinstimmung erscheint leicht genug, da wir es eben
mit einer Poesie zu thun haben, die immer und immer wieder um
denselben Gegenstand sich dreht, und zwar in um so engerem Kreise,
') ib. S. 146.
OB£fi DEN UB8PBUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 57
als es sich um einen Gegenstand handelt, den die Mode mit ihren
Schranken nmgeben hatte.
Die folgende Gruppe ^) bietet uns als Grund für ihre Zusammen-
stellung nur das Vorkommen des Verbums gedenken in den ihr ange-
hörigen Versen: zu der einfachen Wortfibereinstimmung tritt nichts
sonst hinzu y was uns bewegen könnte an Entlehnung zu denken.
Die Gruppe ist werthlos.
Nicht mehr Bedeutung dürfen wir dem Umstände beilegen, daß
in einigen Versen flbereinstimmend der Gedanke, daß der Dichter
seine Geliebte lieber als alle andern Frauen habe, Ausdruck gefunden
hat ■). Solche Gedanken , solche Versicherungen werden wohl jedem
einmal in Sinn und Mund gekommen sein; nicht daß nur einer sie
gehabt haben könnte oder gar keiner, und sie alle aus alten Versen
hätten schöpfen müssen. Die Form ist in jedem Verse eine verschiedene.
Kürenberc: [in weiz wiech ir gevslle mir wart
nie wip also liep MF. 10, 16
Husen : [er hat gesprochen dicke wol , ich
solto im 6in] immer liep für
alliu wip 7) 54^ 34
Reinmar: Wart ie manne ein wip so liep [als
si mir ist, so müez ich ver-
teilet sin] 71 178, 27')
Ps.-Veldegge: [ir vil minneclicher lip] der liebet
mir für elliu wip. n 261, 8.
Die Gruppe, deren Verse den Ausdruck aU der lip zur Bezeich-
nung des höchsten Grades von Liebe enthalten, führe ich erst hier
auf [ich hätte sie schon bei Gelegenheit des vorigen Abschnittes bringen
können], weil vielleicht der überschwänglichen Liebespoesie ein sol-
cher Vergleich am nächsten liegt *). Daß der Gebrauch der Wendung
nicht auf eine verlorene Volksdichtung zurückzufahren, vielmehr sprich-
wörtlich geformt schon lange der Zunge eines jeden herzlich Beteuern-
den geläufig gewesen sei: dessen wird man wohl gewiß sein dürfen.
Daß zu Versen wie diu mir ist ah der Ivp (und ungefähr so
lauten die übrigen alle) die Stelle
fieinmar: [ein ritter minen willen tuet] der
hat geliebet mir den lip MF. 203, 13
herzlich wenig paßt, leuchtet wohl auf den ersten Blick ein; dennoch
») ib. S. 146. ') ib. S. 146.
') Die andere Stelle:
daz 8i mir lieber si, den elliu wip MF. 197, 4.
') ib. 8. 147.
58 E. TH. WALTER
fbgt sie Meyer bei^ sollte ihn wirklich das Wort Itp allein dazu ver-
führt haben?
Es schließen sich an die Verse : ^)
Meioloh: [so muoz er under wilen] senelihe ^
swaere tragen | verholne
in dem herzen MF. 12, 6 — 7
Dietmar: [sit mich der allerbeste man] ver-
-^ holn in sime herzen minne n 38, 8
Neithart^ [daz ist mines lieben herzen swaere]
der ich tougenliche vil in
minem herzen trage N. 94, 16.
Vers für Vers finden wir anderen Sinn, anderen Ausdruck, anderes
Reim wort; das einzige Gemeinschaftliche ist der Gedanke, daß etwas
im Herzen verborgen ruht oder geschieht. Eine Entlehnung ist ganz
undenkbar.
In den Stellen mit gähen, vergähen und gäch ^) sind außer diesen
Wörtern weder formelle noch inhaltliche Übereinstimmungen vorhan-
den. Die Gruppe hat für uns keine Bedeutung.
Von den folgenden Versen ^) sind zunächst drei, welche der
Volkslyrik angehören, auszuschließen; die übrigen sieben schrumpfen
auf vier zusammen, da Neithart dreimal, Fenis zweimal citiert ist.
Ich greife von diesen diejenigen Stellen heraus, die sich am meisten
entsprechen :
Meinloh: dft ist gnuogen ane gelungen, [die
daz selbe hftnt get&n]
Fenis: [yil lihte gefiröuwent si die liehten
tage,] den d& vor ist n&ch
ir willen gelungen.
Morungen: deswär mim ist nach werde niht
gelungen
Neithart: [. . . nüne lät | jener Irenber {] mir
niht wol an ir gelingen
Was bei allen diesen Versen übereinstimmend zu Grunde liegt,
ist der Gedanke: Glück bei der Frau. Dieser Gedanke aber —
ohnedies höchst natürlich in Anbetracht des Vorstellungskreises, in
dem wir uns bewegen — findet seinen Ausdruck vom verschiedensten
Standpunkte aus und im mannigfaltigsten Zusammenhange, so daß
an einen Originalvers, der nachgeahmt sein könnte, von Vornherein
gar nicht zu denken ist. Das Wort gelingen in dem hier angewandten
Sinne ist unzweifelhaft schon in der Umgangssprache gebraucht
gewesen.
«) ib. S. 147. ^ ib. S. 147— 148. ») ib. S. 148.
MF
. 12,
25
7)
88,
30
T)
186
,22
%
100,
28.
ÜBEK DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 59
Nor der gemeinschaftliche, aus dem Wesen der uns vorliegenden
Poesie ganz ungezwungen sich ergebende Qedanke: ich bin traurig
— nur die Greliebte kann mich trösten, findet sich in seinem zweiten
Theile als Übereinstimmung in den Versen : ^)
Meinloh : [ich trure mit gedanken : | niemen
kan erwenden daz,] ez tue
ein edeliu frouwe MF. 12, 31
Regenshurc: ' [des ist min herze wunt J ez heile
mir ein frowe mit ir minne » 16^ 21
Husen: [Wer möhte mir den muot | ge-
troesten,] wan ein schoene
frouwe n 49, 30.
Wie sollte man hier auf einen zu Grunde liegenden Vers, der
nachgeahmt worden wäre, denken?
Über die Gruppe mit sehen oder besser mit min ouge oder mine
ougen, siht oder sehen oder fthnlich ") verweise ich auf das schon oben
bei demselben Verbum Gesagte ^. Der Zusatz von ouge ändert nichts
an der Bedeutungslosigkeit der Übereinstimmung; dergleichen weist
doch nimmermehr auf Liebeslyrik hin.
Was ich oben von manchen Versgruppen schon bemerkte*), gilt
auch bei der folgenden : *)
Meinloh : stürbe ich nach ir minne [und wurde
ich danne lebende, so würbe
ich aber umb daz wip] MF. 13, 11
Wolfram: ich stirb, mir werde ir minne Wolfr. 10, 8
Neithart: nÄch siner minne bin ich tot N. 3, 13.
Die formelle Verschiedenheit der Verse liegt auf der Hand; nur
die Vorstellung ist dieselbe.
Über die Verse mit nähe ligen etc. *) gilt, was ich ttber den ent-
sprechenden Ausdruck schon frtther zu sagen hatte ''). Die Reim-
wörter wechseln obendrein mehrfach, und von den elf Stellen werden
sechs aus den schon mehrfach angegebenen Grtlnden untauglich.
Für den Gebrauch des Ausdrucks herze wunt ^) wird man wohl
kaum einen andern Ursprung als die Sprache nöthig haben; daß er
sich so oft findet, liegt in der Natur der Sache.
In den Stellen mit miden haben wir nur Wortentsprechung ').
Der Zusammenhang ist immer ein anderer, wie aus der folgenden
Auswahl ") ersichtlich ist:
') ib. S. US. ') oben S. 68 u. ö. ') oben S. 62.
») ib. S. 148. ») ib. S. 149. ") ib. 8. 161.
») oben S. 66. •) ib. S. 149. ») ib. S. 161—162.
'*) Fortgelassen sind je zwei Stellen Dietmars und Reinmars.
60
E. TH. WALTER
Begensburc :
Nu heizent si mich miden | einen
ritter.
MF.
16, 23
Dietmar :
Si wellent daz ich mide [den besten
friunt, den ieman hat]
n
36, 8
Walther:
[..: swenn ich si solte sehen,] so
muoz ich si miden
W.
98, 21
Beinmar :
[mir waere | lip und guot unmaere]
het ich si vermiten
MF.
1.79, 20
Eugge:
[nu wil ich trüren iemerme] die wile
ich si vermiden muoz
77
108, 2.
Die Wendung gerne sehen liefert eine bedeutende Gruppe ^). Daß
sie zu den geläufigsten Redensarten gehört haben wird und somit gar
kein Recht zur Annahme einer Versentlehnung giebt, zumal weitere
Übereinstimmungen nicht hinzutreten, leuchtet ein. Ihr Vorkommen
überhaupt ist für eine Liebeslyrik besonders wenig auffallend *).
Vollkommen verfehlt ist die Sammlung der Stellen mit^ro ^).
Ganz abgesehen von der Hinfälligkeit der Übereinstimmung — sie
hängt nur an dem einzigen Wörtchen frd — schrumpft die große
Zahl von Versen ; es sind einundzwanzig ^ auf sieben zusammen^).
Was soll nun das beweisen, wenn wir bei sieben verschiedenen Dich-
tern das Wörtchen frd so verwerthet finden , daß es das Reimwort
abgibt?
Auch die Redensart holdez herze tragen ^) ist gewiß schon in der
Umgangssprache geformt vorhanden gewesen. Daß sie auch durch-
aus nicht etwa nur in den Minnesang gehört , zeigt schon die Art
ihrer Verwendung bei
Spervogel: [ob man dem herren widersage] daz
er im holdez herze trage MF. 22, 4
und wohl auch bei
Hosen [den (got) wil ich iemer vor in allen
haben,] und in da nach ein
holdez herze tragen n 47, 8.
Die zwei Stellen, welche wirklich auffallendere Ähnlichkeit zeigen,
gehören leider ein und demselben Dichter an, nämlich
Beinmar: deich im holdez herze trage MF. 178, 16
deich ir so holdez herze trage n 104, 24.
Die Stellen mit vergezzen *) würde ich schon bei Gelegenheit der
') ib. S. 152. >) Vgl. oben S. 56 u. 59. Fast die Hälfte der Stellen gehört
Reinmar. *) ib. S. 162.
*) Es kommen allein 8 Stellen auf Waltfaer, 3 auf Reinmar, 3 auf Morun^en,
2 auf Dietmar, 2 auf Rietenburc.
*) ib. S. 164. Vgl. dazu das oben S. 36 über tragen Gesagte.
•) ib. S. 154.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES «ie. 61
bloßen Wortentsprechungen behandelt haben , wenn nicht insofern
eine engere Übereinstimmung obwaltete^ als in allen den aufgeführten
Versen von dem gegenseitigen Vergessen oder Niehtvergessen im
Sinne von „treu bleiben** der Oeliebten die Rede wäre. Das ist aber
auch Alles; formelhaft sind die Verse nirgends. Die mehrmalige
Wiederholung des Gedankens , der ttbrigens durch den jedesmaligen
Zusammenhang entsprechend verändert wird, kann nicht befremden;
dazu liegt er dem den Liebesverkehr behandelnden Dichter viel zu
nahe. Obendrein sind es nur fünf Dichter, aus deren Liedern Paral-
lelen beigebracht sind ^).
Die folgende Zusammenstellung mit fr&ide stät oder tU^ mag
auf den ersten Blick, zumal wenn derselbe [mit den mittel-
hochdeutschen Wendungen weniger vertraut ist, einer ge-
wissen auffallenden Übereinstimmung nicht entbehren. Wenn man aber
bedenkt: daß die Redensarten mit stän und ligen in den mannig-
faltigsten Verbindungen gebräuchlich sind, daß durch das Conven-
tionelle, das dem Minnesang nun einmal anhaftete, der
Dichter unwillktlrlich immer wieder zum Ausdruck ähnlicher Gedanken
gedrängt wurde, daß endlich eine wörtliche Übereinstimmung nir-
gends vorliegt, vielmehr die Stellen mit Itt recht bedeutende Ab-
weichungen zeigen : so wird man trotz der Ähnlichkeit in Form und
Gedanken der Vermuthung einer Entlehnung nicht viel Raum geben
können.
Daß gescheiden im einigemal vorkommt ^), will doch gewiß wenig
besagen; man vergleiche nur die Verse im Zusammenhang:
Dietmar: na maoz ich von ir gescheiden sin MF. 32, 19
Ders.: [des werdent mir diu jftr sd lanc]
sei ich von der gescheiden
sin J7 34, 26
Husen: ich waene an mir wol werde ßchin]
daz ich von der gescheiden
bin [die ich erkds für elliu wip] r) 43, 13
Walther: [und engdts uns beiden,] wir zwei
sin gescheiden W. 41, 11
Reinmar: [daz er iemer solhes iht getno] dft
von wir gescheiden sin MF. 178, 7.
Die Übereinstimmung beruht in Wirklichkeit nur auf dem einen
Ausdrucke gescheiden und gestattet gar keine weiteren Schlüsse.
Betrachten wir die Gruppe mit eigen ^) genauer, so werden wir
*) ib. S. 164. *) Smal Neithart, 2mal Walther, 2mal Dietmar, 2mal Rein-
mar, Imal Rugge. ») ib. S. 164. ^) ib. 8^ 166.
62 B- TH. WALTER
bei einigen Stellen gewiß eine weitergehende Entsprechung finden;
so bei
Dietmar: der ich den lip | hfin gegeben für
eigen MF. 40^ 20. 21
Fenis: Lip unde sinne die gap ich für eigen
[ir uf genäde] t) 82, 34
Walther : eime sult ir in wem lip | geben für
eigen, [nement den sinen] W. 86, 19. 20.
Daß aber diese Übereinstimmung nicht etwa auf einer Versent-
lehnung beruht, sondern der Anschauungs- und Gemüthswelt der be-
treffenden Dichter unbewußt entsprungen ist, zeigt wohl mehr noch
als der eben citierte, durchaus nicht formelhaft zu den beiden ersten
Parallelen stimmende Vers Walthers, die Stelle aus
Reinmar: Ich hän ir niht ze gebenne] wan
min selbes lip ;der8tir eigen. MF. 182, 18, 19.
So drückt man sich nicht aus, wenn man au eine alte feste
Formel denkt, sondern nur wenn die Vorstellung, die in den Worten
sich zeigt, einem ganz geläufig ist.
Eine Wendung, die ebenfalls in einer Liebeslyrik kaum ent-
behrlich scheinen möchte, so wenig sie auch einer solchen ausschließ-
lich eigen ist, enthalten die Verse mit gedanc *). Was ist natürlicher,
als daß dem Gedanken hier und da Ausdruck gegeben wird: all'
mein Sinnen und Denken steht bei der Geliebten, treibt mich zu ihr
hin; ich denke gern an sie, ich kann nur noch an sie denken u. s. w.
Auch die bei drei verschiedenen Dichtern gleichartige Formung
der Wendung aller ndn gedanc stet darf nicht befremden; wir haben
es nur mit einer allgemein üblichen, gewiß auch schon in der Um-
gangssprache gebrauchten Redeformel zu thun. Das zeigt uns schon
der verschiedenartige, keineswegs nur in den Bereich der Liebeslyrik
gehörige Zusammenhang; dem die Stellen angehören:
Dietmar: [frouwe, mines libes frouwe] an dir
st^t aller min gedanc MF. 36, 35
Rngge: ie noch stSt aller min gedanc [mit
triuwen an ein echoene wip d 99, 36.
In ähnlichem Zusammenhange stehen die verwandten Ausdrücke:
Morungen: * nach der mtn gedanc | s6re ranc MF. 139, 23. 24
Husen : . . daz ich niene kan | gedenken
wan an si alleine n 44, 15. 16.
Daß diesen Versen mit den vorhergehenden gleiche Originalverse
zur Nachahmung vorgelegen haben sollten, ist eine Behauptung, die
») ib. S. 166.
ÜB£R DEN URSPRUNQ DES HÖFISCHEN MINNESANGES ete. 63
Meyer wohl selbst nicht recht glanben wird, ebensowenig wie er
ernstlich meinen kann, daß ein Vers wie der folgende
Neithart: yon im b6 treit mieh aller mtn gedanc N* 45, 22
der genau den entgegengesetzten Sinn hat^ oder die übrigen , die in
ihrer Anwendung der fraglichen Redensart nichts mit jenen bereits
genannten Stellen gemein haben , in einem andern Zusammenhange
stehen als wie ihn die Sprache selbst an und Air sich zu bieten pflegt.
Ich fahre den Best der Stellen auf:
Bugge: üf besser 16n st6t aller min gedane MF. 103, 26
Neithart: umbe ein scheiden, so st^t aller mtn
gedane N. 87, 17
Gaotenburc: [bete ich funden deheine so gnote]
dft nftch k6rt ich gerne
mtnen gedane MF. 78, 18.
Es finden sich ferner zusammengestellt: *)
Dietmar: als wirs uns beide hftn gedAht, | sd
hAt ers an ein ende brÄht
mit maneger fröide und liebes
viL] MF. 40, 7. 8
Dazu Rugge: [mit ir ze redenne ftne strit] nftch
mlnem willen alsen ich h&n
gedftht, j) 109, 21
Walther: ezn kome als ich mirz hftn gedftht
[umb ir vil minneclichen Itp] W. 72, 8.
In welcher Absicht fügt nun Mejer 'diesen drei Stellen als
Parallele bei:
Nibelungenl. : 'du hftst ez z'eime ende nach dtme
willen brftht,
und ist euch rehte ergangen als ich
mir h6te ged&ht V. 2307, 3. 4.
Könnte er wirklich meinen, jenen drei Minnesingern und dem Dichter
der Nibelungenliedesstelle habe ein Vers aus der Volksliebespoesie
vorgelegen, den sie nun pflichtschuldigst nachgeahmt hätten? Ich
mö^chte doch wohl eher Recht haben, wenn ich gerade im Hinblick
auf die obigen Entsprechungen besondern Nachdruck auf meine schon
oft ausgesprochene Ansicht lege, daß die Sprache wie heute so da-
mals dem Dichter viel mehr an die Hand gab, als es beim ersten
Blicke scheinen will : nicht nur Wörter, nicht nur Wendungen, sondern
oft genug ganze Vorstellungen, geformt und ungeformt; sprich-
wörtliche Redensarten u. dergl. so gut wie das heute und jeder-
zeit geschieht').
') ib. S. 156. >) Dasselbe gilt aach fttr die Stellen auf S. 164.
64 E. TH. WALTER
In der folgenden Gruppe ^) beruht die Entsprechung auf den
beiden Worten aUiu wip oder ähnlich mit geringen Abänderungen.
Bei einer Anzahl von Stellen tritt wenigstens noch ein ähnlicher Sinn
hinzu, nämlich daß der Dichter der Geliebten den Vorzug vor allen
Frauen einräumt; in anderen fehlt diese Beziehung. Aber auch wo
sie vorhanden ist, läßt sich mit den Stellen nichts erweisen. Daß die
zwei nebeneinander stehenden Worte aUiu wip entlehnt sein sollen,
kann Niemand behaupten, ohne sich lächerlich zu machen. Daß der
Gedanke „ich bin Dir vor Allen ergeben^, ausgedrückt in der aller-
verschiedensten Weise in einer Liebeslyrik nicht gerade mit Verwun-
derung aufzunehmen ist, wird mir wohl auch keiner bestreiten. Die
Zusammenstellung hat durchaus keine Bedeutung. Ebensowenig
die folgende ') , die ihre Übereinstimmung in dem Verbum erkorn oder
erkSs mit entsprechender Ähnlichkeit des Sinnes findet. Wie in der
vorigen Gruppe, so ist auch in dieser der Gedanke durch die Art
der Poesie, in deren Kreis wir uns befinden, nothwendig gegeben.
Daß die Wörter erkos oder erkorn und wip vorkommen mtlssen, ist
ja klar; im Übrigen unterscheiden sich die Verse sammt und sonders
so gründlich von einander, als es nur möglich ist. An eine Versent-
lehnung kann gar nicht gedacht werden.
Den Schluß dieser Abtheilüng bilde die Gruppe mit gesach^)^
von der zum Theil dasselbe sich sagen läßt; was von den beiden
vorhergehenden galt. Es sind die Stellen:
Momngen: wan in gesach nie wip ad rehte guot MF. 142, 25
Beinmar: Ich ensach nie wip so staete [. . • diu
so harte missetaete, | ad si
tuet] 7) 202, 19
Neithart: ich gesach nie jungez wip so grim-
meclich gealahen N. 47, 32
Ders. : Ich gesach nie jnngez wip sd lose
[diu ir lip den mannen künde
baz versagen] n 48, 29.
Daß bei den folgenden Stellen blos die drei ersten Worte
der Verse angeführt sind^ macht allein ihre Heranziehung möglich;
denn wer sollte wohl auch nur einen Augenblick an eine Beziehung
zwischen den oben angeßlhrten Versen und
*) ib. S. 157. ') ib. S. 167. Bemerken will ich hierbei doch, daß in dieser
Gnippe drei Stellen, die bereits in der vorigen ang^eftlhrt sind (N. 43, 14; N. 60, 81 ;
Mor. 130, 31. 82), nochmals voll citiert werden. '> ib. S. 161.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFI8CHEN MINNESANGES ete. 65
Ich gesach den Bnmer nie^) CB. 115*
oder Walther: In gesaoh nie hoabet bas gesogen W. 62, 31
glaaben wollen; wenn er die vollen Verse eu Qesicht bekommen hat?
Eine Anzahl von Gruppen habe ich bisher von der Besprechung
ausgeschlossen y weil mir die Übereinstimmung , die ihre Verse unter-
einander verbindet, weitgehender erschien, als es fiir gewöhnlich der
Fall war
Entweder sind es hier die ganzen Verse, die eine formelhafte
Gleichheit eines nicht gerade durch den Zusammenhang nothwendig
bedingten Gedankens zeigen, oder es sind Theile von Versen, die
oft nur wie zur Ftlllung erscheinen, oder auch nur regelmäßig in
einigen Stellen wiederkehrende Gedanken, Vorstellungen oder Wort-
verbindungen, von denen man nicht so ohne Weiteres vermuthen
dürfte, daß sie den verschiedenen Dichtem durch den Zufall allein
eingegeben worden seien.
Gleichwohl haben auch diese Gruppen für uns keinen Werth.
Wir werden bei ihrer Besprechung zu der Einsicht kommen,
daß sie auf alles Andere, nur nicht auf die nothwendige Existenz
einer Liebeslyrik schließen lassen, die der Natur des Minnesanges
entspräche, ja nicht einmal auf eine Liebeslyrik überhaupt').
Sie mögen aus sprichwörtlichen Redensarten der Umgangssprache,
festen Formeln anderer Dichtungsarten hervorgegangen und so in
ganz natürlicher Weise in die Lieder der ritterlichen Poesie — ohne-
bin nicht in bedeutender Anzahl — übergegangen sein.
Ich wende mich also nunmehr
4. zu denjenigen Gruppen , die trotz größerer Übereinstimmungen
doch nicht auf eine Liebeslyrik schließen lassen infolge ihres ent-
weder nicht auf eine solche beschränkten oder sogar ihr fern stehen-
den Inhaltes.
Es begegnet mir zuerst die Ghnppe mit volcfe du mtner lere^).
Die Wendung, die doch gewiß den echt lehrhaft -spruchartigen Cha-
rakter nicht verleugnen kann, findet sich in ziemlich unveränderter
Form nur
') Übrigens hat Meyer in dieser Stelle eine gröfiere Ähnlichkeit dadnroh er-
reicht, daß er — ohne es anzudeuten — das die Übereinstimmnng störende Wort
dm mtmer einfach ansgelassen hat II
^) Damit wird natürlich eine solche nicht bezweifelt; es handelt sich hier nnr
nm den Schloß, den uns die folgenden Stellen erlauben.
») ib. S. 133-134.
GERMANIA. Neue Beihe. XXU. (XXXIV.) Jalirg. 5
66 B. TH. TV ALTER
3. lat. Liebesbr.: frinnt volge dn miner l^re MF. 224, 26
Spervogel: [. . . . neme ae wisem manne rät]
und volge ouch einer l^re n 20^ 16
Walther : da von volge miner l^re [leg üf die
wäge ein rehtez 16t] W. 23, 7
Ders.: doch volg ich der alten 16re: n 65, 12*)
Neithart: [die rätent und prüevent daz ich ftne
Ion belibe] niht en volge ir Ure N. 54, 21
Ist 66 nicht hierbei auffallend, oder vielmehr recht bezeichnend,
daß die Wendung gerade bei den Vertretern der Spruchdichtung
Spervogel und Walther und sonst nur bei dem späteren Neithart
in ihrer festeren Form sich findet? Denn die Stelle aus dem Liebes-
briefe ist ja auf keinen bestimmten Ursprung zurückzuführen, sie hat
in dieser Beziehung keine Bedeutung^).!
Eine vollere Wendung, deren Gebrauch ebenfalls ganz unzweifel-
haft der Umgangssprache bereits eigen gewesen ist^ bieten dann die
Verse®): Solde ih noh den tach geleben CB. 99'
solde ih nah dem willen min die
zit geleben rt 127*
Johansdorf: Und solde ich iemer daz geleben MF. 92, 28
Husen: Gelebt ich noch die lieben zit n 45, 1
Walther : Müeste ich noch geleben . . W. 11 2, 3 *)
Neithart: Ow6, gelebte ich noch den tac N. 80, 9.
Nicht eben auf's beste paßt dazu
Solde aver ich mit sorgen iemmer
leben [swenne ander Itite weren fr6 ?] CB. 1 28*
Hierher gehören auch die vier Stellen, die den Ausdruck hoher
Freude ziemlich übereinstimmend wiedergeben*):
so wolde ih in wunne sweben CB. 99*
Johansdorf: so mües min herze in fröiden sweben MF. 92, 30
Walther: [wi wie tuont die jungen so] die
von fröiden solten in den
lüften sweben W. 42, 34*)
Neithart: der waenet in den lüften sweben N. 93, 31.
') Die anderen beiden Stellen schon ganz anders:
[Welt ] volge wiser liute tugent W. 60, 26
min frinnt, nu volge mir n 89, 13.
*) Nicht wörtlich stimmen bu den aufgeführten Stellen
Johansdorf: volgent miner raete MF. 9i, 5
Neithart: ja volge ich iuwer raete N. 21, 19
') ib. S. 135. *) Die beiden anderen SteUen Walthers:
noch müeze ich geleben W. 31, 27
doch müeze ich noch die zit geleben W. 98, 22.
*) ib. S. 136. *) Der andere Vers:
min herze swebt in snnnen hö W. 76, 13.
ÜBER DKN URSPRUNG DE6 HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 67
Auch mögen hier ihren Platz finden die. Verse *):
laz2e mich mit fröuden werden alt, CB. 94^
Neithart: mit yröuden sul wir alten N. 16, 16
Bligger: [Er fünde guotcn kouf an minen
j&ren,] der ftne vröude wolte
werden alt, [wan si mir lei-
der ie unnütze w&ren] MF. 118, 20
Walther: [Swer sich so behaltet | daz im nie-
men niht gesprochen mac {]
wünnecliche er altet, [im
* en wirret niht ein halber tac]
Daß die Verse nur einer allgemeinen Redeweise oder Vorstellung
ihre Ähnlichkeit verdanken^ ist wohl ebenso leicht einzusehen, als es
offen auf der Hand liegt, daß bei ihnen an eine Entlehnung aus einer
Liebeslyrik gar nicht zu denken ist; an eine Entlehnung überhaupt,
jedenfalls wohl nicht bei Bligger und Walther. Verse; die so wie bei
diesen im engsten und keineswegs formelhaften, sondern eigenthüm-
liehen Zusammenhange stehen, sind sicherlich nicht entlehnt, sondern
selbständig — höchstens mit unbewußter Anlehnung an in der Sprache
liegende Ausdrücke oder Vorstellungen — entstanden«
Dasselbe gilt von den folgenden drei Versen*):
. . wer were alt, [da sih diu zit so
schönet?] CB. 101'
Nieman chan nu werden alt, n 102^
Walther: [swar er vert in sin er wünne,] d&n
ist nieman alt W. 51, 20.
Der Gedanke ist ganz gewiß volksthümlich, aber beweisen läßt sich
darum noch nichts damit. Ich möchte sogar geradezu behaupten,
daß er recht eigentlich den volksthümlichen Frühlingsliedern ange-
höre, daß er die Kunde von der Ankunft des meien gewiß recht
regelmäßig in dergleichen Liedlein begleitet haben mag. Mit einer
dem ritterlichen Minnesang als Vorstufe dienenden Liebeslyrik hat er
aber nichts zu thun. Findet er sich doch auch sonst kaum wieder
in der höfischen Poesie früherer Zeit; nur Walther hat ihn, und bei
diesem dürfen solche Anklänge nicht befremden.
Ganz unpassend ist die Heranziehung der Stellen, welche eine
Umschreibung des Namens Gottes enthalten ^) ; sie haben flir unsere
Frage auch nicht den leisesten Werth und geben nur ein Zeugniß
davon, wie unklar das Bewußtsein von dem Zwecke der ganzen Samm-
lung gewesen ist.
•) ib. 8. 136. ') ib. S. 135. >) ib. 8 189.
68 E. TH. WALTER
Es sind die Verse:
der al der werlt ein meister si, CB. 165*
Dietmar: der al die weit geschaffen hat MF. 38, 23
Ders. : der nns alle werden hiez, wie ... n 36, 28. 29
Johansdorf: der al der werlte fröude git n 92, 14.
Was bei der Stelle ^)
Namenl. Lied: *nü entgilte ich des ich nie genoz MF. 4, 4
der Hinweis auf Anm. 4, 4 im Minnes. Fr. bedeuten soll, ist mir höchst
unklar. Die Anmerkung mitsammt ihren mannigfachen Parallelen be-
sagt gerade gegen Meyer, daß die ganze Wendung allgemein ge-
bräuchlich gewesen sein muß, jedenfalls weder auf Liebeslyrik noch
auch auf Lyrik überhaupt beschränkt werden darf.
Die Gruppe, deren Verse Redensarten mit maere enthalten'),
hätte ihren Platz vielleicht schon in einer der früheren Abtheilungen
erhalten könneä. Nur der in einer Anzahl von Stellen ziemlich er-
sichtliche formelhafte Charakter der Verbindungen hat mich dazu ver-
anlaßt, die Zusammenstellung erst hier zu erörtern. Es gilt von ihr
dasselbe, was ich schon mehrmals betont habe: einen Schluß auf
Liebeslyrik erlaubt sie nicht, im besten Falle mag man sie auf an-
dere Dichtungsarten zurückführen.
Auch die Stellen mit der Redensart äine arebeit Verliesen^) hätte
ich schon andernorts behandelt, wenn nicht bei zwei Dichtern je ein-
mal ganz genau derselbe Vers sich fände, nämlich:
Rietenburc: sie fliesent alle ir arebeit MF. 18, 7
Reinmar: sie fliesent alle ir arebeit n 184, 27
und noch einmal bei demselben wenigstens ähnlich:
der y erlinset al sin arebeit n 172, 31.
Ich glaube zwar durchaus nicht, dieser Übereinstimmung irgend
welchen bedeutenden Werth beimessen zu müssen; vielmehr besteht
für mich gar kein Zweifel darüber, daß hier Zufall gewaltet habe;
bei einer Redensart, die schon selbst aus drei Wörtern besteht, kann
ja naturgemäß zur Bildung eines vierhebigen Verses nicht viel mehr
hinzutreten: wie leicht ist da also eine Übereinstimmung möglich.
Indessen sind noch zwei andere Stellen angeführt:
Walther: [daz er den (dorn) furder leite] von
siner arebeite : sist anders
gar verlorn W. 103, 27. 28.
Neithart: min verloren arebeit .• N. 64, 2
um derentwillen ich die Gruppe hier behandelt habe. Daß mit ihrer
*) ib. 8. 140. ') ib. S. 160. =*) ib. S. 152.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 69
Zuhilfenahme eine Versentiehnung nicht bewiesen werden kann, be-
darf keines Wortes; dasn ist ihre formelle Verschiedenheit von den
oben angezogenen Stellen zu groß. Darauf möchte ich hier nur noch
aufmerksam machen, daß auch die Redensart selbst nicht etwa einer
poetischen Bildung zu verdanken sei, sondern offenbar in der Um-
gangssprache ihren Ursprung hat.
Unzweifelhaft eine feste, wenn auch höchst einfache Formel, liegt
uns in den Versen mit ist min rät vor *). Daß sie mit Liebeslyrik
nichts zu thun hat, bedarf nicht der Erörterung.
Dasselbe gilt auch von den Stellen mit daz ist war ') (wenn man
nicht von vornherein den Zufall will gelten lassen).
Ebenso ist die Wendung senfier waere mir der tot *) gewiß als
sprichwörtliche Redensart allgemein gebräuchlich gewesen, um etwas
ganz besonders Unerträgliches auszudrücken; jedenfalls hat sie nichts
an sich, was sie nothwendig einer Liebeslyrik allein zuwiese.
Es folgen die Stellen *) :
Rngge : du hat er beidinthalb verlorn, [wände
er vorhte daz got im gebot, I
durch in ze liden die not
und den tot] MF. 98^ 39
Hartmann: [Die friunde babent mir ein spil {
geteilet vor,] d^st beident-
halp nibt wan verlorn : n 216, 9
Ps.-Spervogel : [Swer des biderben swache phliget, |
d& bi des boesen wol] der
hat si beide verlorn » 245, 27.
Ich weiß nicht ^ ob Meyer das Wort beidinthalp auffallend vor-
kommt, was es ja durchaus nicht ist, oder ob er die Verbindung mit
verlorn als etwas Besonderes betrachtet: hätte er die Verse im Zu-
sammenhange betrachtet, so würde er wohl kaum in einer offenbar
zufälligen Übereinstimmung — obendrein eigentlich doch nur in zwei
Stellen — den Grund für eine Entlehnung haben finden können.
Sollte übrigens wirklich eine Entlehnung irgendwoher stattgefunden
haben^ so wäre man jedenfalls weder auf Liebeslyrik noch auf Lyrik
überhaupt — fast möchte ich sagen: noch auf poetisch gestaltetes
Material Oberhaupt angewiesen, sondern dürfte sich vielmehr richtiger
im Formelschatze der Umgangssprache umsehen.
Auffallender sind entschieden die folgenden Verse:*)
>) ib. S. 168. *) ib. 8. 1«0.
") ib. S. 168. *) ib. 8. 160.
^) ib. 8. 164.
70 E. TH. WALTER
Bligger: Min alte swaere die klage ich für
ninwe [wan sie getwanc
mich so harte nie m^] MF. 118, 1
Morungen : [Leitliche blicke and { hänt
mir daz herze verlorn]
min alte not, die klagte ich
für niuwe n 138, 15
Guotenburc : [daz lenget mir die kurzen tage] und
niuwet mir die alten klage,
[von der ich wände sin er-
löst] n 70, 35
Reinmar: Nu muoz ich ie min alten n6t | mit
sänge niuwen unde klagen,
wan si mir also nähen lit] t) 187, 31. 32
und ders, : ich klag iemer minen alten kumber,
der mir iedoch so niuwer
ist [den si mir gap dö si
mir fröide nam] n 189, 11. 12.
Eine feste Formel liegt uns auch unstreitig vor in den Versen : ')
Morungen: ow^ war umbe tuot er daz? MF. 143, 1
Walther: w6 war umbe tuot si daz? W. 112, 33
Ders. : [die kunnen niuwan sorgen :] we wie
tuont si so? 77 124, 20
Neithart: w^ warumbe tuont si daz? N. 89, 17
Reinmar: w^ wie tuest du s6? R. 190^ 32
Ders.: wß warumbe spriche ich daz? 77 193, 17.
Aber die Herleitung dieser Formeln aus der Liebeslyrik ist nicht
begründet. Darum, daß sie jetzt in einer solchen gebraucht sind^
darf man natürlich noch lange nicht rückwärts schließend sagen, sie
wftren darin entstanden. Entweder war die Wendung allgemein
verbreitet, oder sie hatte sich in ii^end einer der vorhandenen Dich-
tnngsarten geprägt. Bestimmtes läßt sich über dergleichen Vorgänge
natürlich selten sagen, umsomehr muß man sich hüten darauf Be>
hauptüDgen zu gründen.
Damit ist auch diese Abtheilung geschlossen, und es bleiben mir
nur noch einige Stellen übrig, welche
5. Ausdrücke enthalten, die ich darum für unsern Zweck als
unbrauchbar zurückweisen muß, weil sie offenbar nicht volks-
thümlich sind.
Hierher gehört zunächst die Gruppe mit hohen muob^). Für
volksthümlich halte ich diesen Ausdruck, wie er im Minnesang vor-
kommt, nicht. Er ist durchaus nicht etwa identisch mit unserm
») ib. S. 161. «) ib. S. 134.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 71
„Fröhlichkeit^ sofaleehthia, Tielmehr bexeichnei es den stolz gehobe-
nen Sinn, der den Ritter im Dienste der Fraa erfüllte ^ wenn ihm
Gewährung winkte. Man vergleiche die Stelle bei
Momngen: liebe diu git mir höhen mnot, [dar
stto freud unde wännej MF. 132, 23.
Der Zusatz freud unde wünne verlangt notbwendig eine andere Be-
deutung für hdhen muot
Man beachte femer die Stelle bei
Walther : edel ande riche | sint si (d. frouwen)
lameliche, { daz zuo tragent
si hdhen muot W. 51, 1 — 4,
Auch hier ist der Sinn des Ausdrucks deutlich erkennbar; edeln, hohen
Sinn rühmt Walther an den Frauen, nicht Fröhlichkeit, frohen Sinn
oder dergleichen.
hoher muct ist ein Ausdruck, der wohl in dem höheren gesell-
schaftlichen Kreise, dem der Minnesang zugehört, seine Stätte hatte,
nicht aber in dem „bäuerischen Stegreifdichten", von dem Meyer
spricht, seinen Ursprung suchen darf).
Dasselbe urtheile ich über den Qebrauch des Verbums undertäriy
das eine nicht geringe Gruppe bildet').
Ich fasse mit dem Ausdruck undertän gleich die Wendung swciz
sie gebitUetf daz aUez st getan und ähnlich ^) zusammen.
Beide Ausdrücke halte ich in ihrem Gebrauche innerhalb der
höfischen Poesie für echt höfisch und von vornherein nicht für
volksthümlich. Diese dienstbare Ergebenheit unter den Willen der
Frau ist ein charakteristisches Merkmal für den conventionellen
Frauendienst und die denselben feiernde Poesie: den ritterlichen
Minnesang. Volksthümlich ist ein solches Verhältniß, wie es sich aus
jenen Wendungen kundgibt, durchaus nicht.
Das Gleiche darf ich wohl, ohne noch weitere Worte zu verlieren,
von den Stellen mit dienen behaupten ^).
Auch die Stellen mit edel unde guot etc.^) bleiben der höfischen
Poesie unweigerlich au eigen, edel wird zur damaligen Zeit von Men-
schen immer nur mit Bezug auf vornehme Abkunft gebraucht;
wir dürfen noch nicht mit einer verallgemeinerten Bedeutung des
Wortes rechnen. Dieser Sinn des Wortes verbietet aber, dasselbe einer
') Übrigens sind nnr vier Dichter mit dem Ausdrucke vertreten : Namenl. Lied
einmal, Momngen und Reinmar je aweimal und Walther viermal.
») ib. & 136—137. *) ib. S. 161. *) ib. S. 149- 150. ») ib. S. 161.
72 E. TH. WALTER
volksthümlichen Lyi*ik noch früherer Zeit als Epitheton für die
Frau zuzusprechen.
Ebenfalls der ritterlichen Poesie weise ich die Stellen mit
riten zu ').
Jedenfalls nicht volksthümlich sind endlich Verse wie
VenuB schiuzet iren bolz CB. 111*
Venus wil mi schiezen n 124*
die Meyer ebenfalls heranzieht *).
Damit habe ich die Stellengruppen der Meyer'schen Sammlung
vollzählig besprochen. Nur zwei Gruppen habe ich absichtlich bis-
lang übergangen, weil ich später auf sie noch werde eingehender zu
sprechen kommen. Es sind dies die Parallelen zu MF. 3, 1 — 4*)
und diejenigen zu CB 136**).
Es bleibt mir nur noch übrig, kurz das Ergebniß meiner Unter-
suchung zusammenzufassen .
Fragen wir uns zunächst noch einmal: was beansprucht Keyer
durch die vorliegende Sammlung bewiesen zu haben; und
welche Gonseqnenzen knüpft er an das angeblich erlangte
Eesultat?
Wir sind in der Lage, mit seinen eigenen Worten zu ant-
worten^): „Wir haben nun, wie ich glaube, die Existenz
einer großen Anzahl von Versen, die in der verloren gegan-
genen Volksdichtung gerade wie noch in den ältesten er-
haltenen Liedern zu neuen Liedern zusammengefügt wur-
den, für alle an der litterarischen Cultur Deutschlands
betheiligten Länder nachgewiesen.'* Er sagt ferner von diesen
Versen®): die betreflfenden Dichter hätten dieselben gleichsam als
Bausteine in ihre Gedichte eingefügt und sie nur insoweit
behauen, als es der Bau ihrer Strophen erfordert hätte.
Aus diesen Worten folgt mit voller Nothwendigkeit , daß die
„verloren gegangene** Volkslyrik so ziemlich den älteren Zeugnissen
der höfischen Dichtung muß gleich gewesen sein; daß der ritterliche
Minnesang ein Abklatsch der „bäuerischen Stegreifdichtung** sei, eine
Folgerung, die er selbst vollkommen als die seinige anerkennt, wenn
er äußert'): die Eunstdichtung h-abe sich zunächst so wenig
») ib. S. 136. ') ib. S. 136. ») ib. S. 133. *) ib. S. 139.
») a. a. O. S. 174. cf. oben S. 10.
^) Meyer a. a. O. S. 167—168. cf. oben 8. 9.
') Meyer a. a. O. S. 226. cf. oben S. 1, Anm. 4; S. 2, Anm. 4; S. 10.
Ober d£K ursprumo des höfischen Minnesanges etc. 73
von der ^bäuerischen Stegreifdichtung" entfernt, d»ß sie
„luerst gans die alte Art fortgeietst*' habe.
Fragen wir nun weiter: inwieweit hat tick die Meyer'sohe
Sammlung beweiskraftig erwiesen!
Wir haben zunächst von aiemlich äufierliehem Gesichtspunkte
aus eine Anzahl der Gruppen von Parallelen ausscheiden müsseDi
nachdem wir die Überzeugung gewonnen hatten, daß zum Beweise
einer Entlehnung von Versen aus früherer Zeit von Seiten späterer
Dichter solche Stellen nicht tauglich wären^ die entweder einem
Dichter allein entnommen wären oder nur eine einzige Paral*
lele aufwiesen; das Gleiche behaupteten wir von den Stellen, die einer
Volkslyrik späterer Zeit (also nach den entlehnenden [?] Dich-
tem) angehörten ^).
Wir gingen dann auf die einzelnen Gruppen näher ein und
fanden, daß die Übereinstimmungen in den zusammengestellten Versen
entweder auf einem einzigen Worte beruhten, oder auf Wen-
dungen^ zusammengesetzteren Ausdrücken, die zweifelsohne
der täglichen Umgangssprache entstammen; oder auf solchen,
die so noth wendig dem Kreise jeder Liebeslyrik angehören, daß
ihr wiederholtes Auftreten nicht befremden darf«
Es blieben uns darnach noch eine Anzahl anderer Gruppen
übrig, bei denen wir oft nicht umhin konnten, dem Gedanken an eine
Entlehnung Baum zu geben. Suchten wir aber nach einer Quelle,
aus der solche formelhafte Verse geflossen sein mochten, so fanden
wir, daß jede andere Dichtungsart mehr dafür zu gelten
geeignet sei, als gerade die Liebeslyrik; daß man selbst der
Alltagsspracfae des Umgangs die Fähigkeit zur Bildung der-
artiger Formeln nicht absprechen dürfe. Die lyrische Form, in der
') Verwahren möchte ich mieh hier gegen einen etwaigen Vorwarf. Man kOnnte
mir vorhalten, ich hätte dieae Stellen ansgesehieden , weil sie aus den Minnesingern
entlehnt sein müßten. Das aber au behaupten liegt mir ferne. Ich würde nöthigen-
falls gerne zugeben, daß die spätere Volkslyrik aus der früheren, d. h. vor dem
Minnesänge vorhandenen, Allerlei bewahrt oder übernommen haben mag und wird;
ich leugne nur, daß sich irgendwie von bestimmten Stellen, die uns die Sammlung
bietet, behaupten lasse, sie müßten der Volkslyrik entstammen; sie könnten nicht
auch dem höfischen Minnesauge ihre Entstehung oder auch Anregung verdanken.
Dem gegenüber zu sag^i: dann müßten diese Volksljrikstellen wenigstens mit gleichem
Rechte wie die späteren Minnesinger zugelassen werden, ist werthlos. Die späteren
Minnesinger haben natürlich für den Ursprung der höfischen Dichtung ebenfalls nicht
die geringste Bedeutung; die Heranziehung Neitharts ist schon das äußerste, was
man sich gefallen lassen kann.
74 E. TH. WALTER, ÜBER D. URSPRUNG D. HÖFISCHEN MINNESANGES etc.
sie uns , wie Meyer bemerkt, entgegentreten (meist in vierhebigen Ver-
sen), durfte uns natürlich nicht anders stimmen. Liegt uns doch eine
lyrische Poesie vor; was also ihr entnommen ist, muß doch selbst-
redend lyrisches Gewand tragen.
Endlich fanden wir auch die Sammlung nicht frei von solchen
Stellen, die ganz offenbar nicht auf einen volksthümlichen Ur-
sprung zurückgeführt werden durften, weil ihr ganzer Cha-
rakter einer solchen widersprach.
Wir haben in dieser Weise die ganze Sammlung durchgeprüfte
Stelle für Stelle, ohne anscheinenden Schwierigkeiten auszuweichen
oder sie todtzuschweigen; wir haben bei unserer Prüfung noch nicht
einmal den strengsten Maßstab angelegt; sonst hätten wir Dichter
der späteren Zeit, die doch bereits mit dem vollen überlieferten con-
ventioneilen Materiale der höfischen Poesie arbeiteten, die aber auch,
wo sie unzweifelhaft sich mit der Volkspoesie berührten, nicht für
den Ursprung des Minnesangs in Anrechnung gebracht werden
durften -^ ebenfalls ausscheiden müssen; wir hätten auch noch auf
die gegenseitigen Entlehnungen der ritterlichen Sänger selbst auf-
merksam machen, wir hätten ein Wort von der allmähligen Bildung
eines höfischen conventioneilen Kreises, aus dem die Minnesinger mit
wenigen' Ausnahmen nicht herauszutreten vermochten, mit einfließen
lassen müssen.
Umsomehr halten wir uns jetzt für berechtigt, unsere Ansicht,
die wir durch die voraufgegangene Untersuchung gewonnen haben,
dahin auszusprechen:
Die Meyer*8che Sammlung hält nicht» was sie verspricht.
Zum Theil ist sie nur auf eine wenig berechtigte Weise zu
einer bedeutenden Stärke angewachsen. Im Übrigen be-
weist sie auf keinen Fall, daß die zusammengestellten
Verse einer Liebespoesie entstammen: sie beweist also
nicht einmal die Existenz einer Volks liebeslyrik über-
haupt^), geschweige denn einen Znsammenhang zwischen
einer solchen und der höfischen Minnepoesie, wieeroben^)
verschiedentlich mit Meyers Worten als Behauptung auf-
gestellt worden ist.
(Schluß folgt.)
L£IPZia B. TH. WALTER.
') Wie schon oben bemerkt, leugnen wir eine solche durchaus nicht.
*) Oben Ö. 9 ff. und öfter.
J. HORNOFF, DER MINNESÄNQBR ALBRECHT VON JORAN^DORF. %i
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON
JOHANSDORF-
(Seblnft.)
V. Oedankenwelt.
1. Minne.
Liebesbekenntniß. Job. 88,9 Ich minne tie v^ aUiu uüp
und 9wer ir de» In gote. 90, 14 Ith mitme ein toip vor al der tverlte in
mxnem muote* 87^ 7 Wand ich zeiner vröude »i mir han erkom.
Haus. 45, 27 der si vor al der werlte hat 50, 31 ich häns er-
kom vz allen mben» Veld. 56, 17 die ich zer besten hän erkom odr in
der werlte mohte echouwen, £ugge 103, 5 dur die ich elliu wtp verhir,
103, 12. dt ichs üz al der werlie erkds. Mor. 122, 11 daz ich die mine
für alliu andriu utp hän zeiner kröne geeetzet sd hd und ich der dehein
üz gnomen hän. 130, 31 Ich hän ei für alliu wvp mir ze frouwen und
ze liep erkom. 147, 6 ... und iuch so herzeliche minne zewäre frouwe
gar für elliu unpf Beiom. 150, 3 die solmir iemer sin vor allen wiben.
160, 9 got weiz wol, sU ichs Srste sacht sd hei ich ie den muot, daz ich
vür si nie kein vnp erkos. 183, 24 diu midi troesten mac fü» elliu wtp.
197, 4 Wüz unmäxe ist daz, ob ich des hän geeiDom, daz si mir lieber
n dan elUu luip?
Job. 90, 16 Ich wil gesehen, die ich von kinde her geminnet hän
für alliu vAp.
Der Ausdruck ^von kinde hei* minnen berubt auf dicbterisehor
Übertreibung. Das beweist Hartm. 215, 29 si wa^ von kinde und muoz
me sin wnn krüne^ verglichen mit dem Anfange des Liedea, ivonacb
die erste Bekanntschaft der bereits herangewachsenen Schönen gilt ').
Hartm, 206, 17 der ich gedienet hän mit stcetekeit sit der stvnt
deich üfem stabe reit Mor. 136, 10 Ich bin noch alee si miqh hat
vefi'län vil stceie her von einem kleinen kinde. 184, 81 si ist mir liep
gewesi da her von kinde. Hausen 50, 11.
Auch bei den Troubadours, besonders Ventadorn häufig^).
Eigenschaften der Geliebten. Mit welchen Eigenschaften
die Geliebte von den älteren Minnesängern dargestellt ist , hat Gott-
schau (Beitr. 7, 380 flF., Johansdorf besonders S. 388) gezeigt. Her-
^) Lehfeld, Friedrich yon HaoseD, Beitr. IT, 398.
') Vgl. F. Michel, Heinrich von Moniogen und die Troubadours. Straßburg 1880.
S. 128 f.
76 J. HOBNOPF
vorgehoben zu werden verdient nur, daß Johansdorf die Güte seiner
Dame mehr betont als die Schöne. Der Ausdruck achoene findet
sich nur in zwei unechten Liedern: *92, 16 der vil schoenen und *93, 2
die vil schoenen, in den echten Liedern nur einmal diu wolgetäne 87, 13.
— wolgebom 87, 11 heißt nicht, wie G. Preytag*) übersetzt, ^schön",
sondern ^hohen Standes^.
Ausdrücke für Güte sind: 91, 3 der guoten, 95, 9 ir vil guoten lip.
95, 7 diu mit ir vnbes güete gemachen kan, daz man ei vüeret über se,
90, 22 diu tugende nie verlie. Aus den unechten Liedern kommen noch
hinzu: *93, 14 diu guote. *94, 13 frouwe guoU *93, 4 eist aller güete ein
gimme. *92, 10 wcbt sie vil reine niet und alles wandele frt.
In dieser Hinsicht steht Johansdorf besonders mit Rugge und
Reinmar zusammen. Rugge 101, 15 got hat mir armen ze leide getan,
daz er ein wvp ie geschuof als^ guote. 103, 6 si mSret vil der vro'ide
min und kan mit güete sich erwern, daz man ir valschheU niht engiht.
y. 17 der schoenen dei* sol man den strU vil gar an gurten dingen lein,
V. 19 mm Itp vor liebe muoz ertoben, swenne ich daz allerbeste tbtp sd
gar ze guote hoere loben. Die Güte wird über die Schönheit erhoben:
105, 22 ichn wetz, ob ieman schoener ^, ezn lebt niht vribes alse guot.
107, 27 nach frouwen schoene nieman sol ze vil gef ragen, sint si guot.
Reinm. 151, 19 alse guoten Itp, 165, 30 ez wart nie niht sd lobe-
sam, swä duz an rehte güete kSrest, sd du bist (:= wie es deinem Wesen
entspricht). 169, 29 ein tmp, diu hat sich underwunden guoten* dmge
und anders niet. 183, 22 diust an güete ein üzerweüer Up. 183, 27 wir
suln alle frouwen ^'en umb ir güete, 184, 14 ir güete wendet miniu leit,
190, 3 wie tuot diu vil reine guote s6f y, 9 si ist vil guoi, 198, 22 si
ist sd guot Die Güte erscheint hier als das eigentliche Wesen der Frau.
Dienst und Lohn. Dienst: 91,5 der ich diene und iemer
dienen wil.
Den Ausdruck ^dienen' haben seit Meinloh alle Minnesänger.
Joh. 88, 12 m ir geböte sten,
Reinm. 168, 84 von ir geböte wil ich niemer werden frx.
Das Bemühen um die Huld der Dame wird als ein Ringen
bezeichnet:
Joh. 90, 24 iah hän also her gerungen,
Hausen 46, 19 Mit grdzen sorgen hat min Itp gerungen alle sine zvt.
Gutenburc 78, 15 daz er (= der muoi) ie sd nach ir minne geranc.
Fenis 85, 17 der müez als unsenfte ringen, als ich tuon mit seneden
*) Bilder deutscher Vergangenheit I, 639.
DER MINNESÄNGER ALBBEOHT VON JOHANSDORF. 77
dingen. Horheim 114, 1 aiwM ie, näeh der min herze rane und iemer
muoz. Mor. 135, 9 We, wie lange sol ick ringenf 139, 23. 27. Reimö,
158, 18 dar nach ich ie mit triuwen ranc. 190, 2. Harim. 209, 7 nach
der ie min herze ranc. 218, 27.
Indem die Dame das kecke Werben abzuwehren sacht, ent-
brennt der Streit zwischen den Liebenden.
Job, 87, 29 ich unde ein vsiip wir haben geatriien nu vil manege
z% ich hän van ir zame vil erliten. noch heUet $i den strtU
Hausen 46, 9 m^ herze unsanfte sünen strit lät, den ez nu manege
ztt behabet wider daz aller beste mp. Gutenb. 75, 36 mir ist verseit,
dar nach ich streit. Rugge 106, 36. ßeinm. 200, 39. Hartm. 207, 7.
17 etc.
Die Dame gestattet den Dienst.
Job. 92, 11 Si sol mir erlauben, daz ich von ir tugenden spreche.
Gutenb. 76, 35 der gedinge tuot mir wol, daz ich wol weiz daz si
mir gan ze dienen umbe ir hulde.
Der Kitter stellt seine ganze Persönlichkeit in den
Dienst der Dame.
Job. 88, 11 alle mine sinne und ouch der Itp daz stSt in ir
geböte.
Horheim 114, 15 sit ich ir gap heidiu herze unde lip üf ir
genäde. Fenis 82, 34 Z«p unde sinne die gap ich für eigen ir üf
gendde, der hat si gewaU. Reinm. 152, 5 ich hän vil ledecliche bräht
in ir gendde mtnen Itp.
Der Dichter rechnet dabei auf Lohn.
Job. 90, 37 noch gedinge ich, der ich vil gedienet hän da» si mir
Hausen 49, 21 &tt ich daz herze hän verläzen an der besten eine,
des sol ich Idn enpfän. Gutenb. 70, 17 doch var ich gern hin an. daz
zilf da si da sol und Idnen wil. i70, 37 nu wil ich noch ir gnaden irdst
erbeiten. 71, 1 ff. 77, 25 dö tcÄ si mir erJcSs — 'ßf guoten riche Schemen
Idn. Horheim 114, 18 ich hoffe des^ daz mki reht iht sii sd guot^ daz si
mir schier ein vil liebez ende gtt. Reinm. 183, 13 mir ist liebes niht geschSn :
ich gedinge ab , ob ich ez verdiene, ez müge mir wol ergSn. 189, 37 guot
gedinge üz Idnes rehte nie gebrach, des habe ich hin zir hulden guot
gedivge. 191, 37 mit fuoge ichz tougenlichen trage und gedenke ^es wirdet
rät\ äls8 hob ich gelebet lier, daz mir min dinc noch schöne stät.
Der Dichter bittet um Lohn.
Job. '"^92, 18 scheide frouwe disen strit, der in mtnem herzen tk,
78 J. HOHNOFF
mtt reines unbee giieU, *93, 36 länt mich noch geniezen^ daz ich tu von
herzen ie weis holt. Negativ: *92, 25 du lä gein mir den dtnen haz.
Rttgge 190^ 27 frouwe tuo des ich dich bite, daz ich iemer A d^nes
heiles vro, v. 37 troeste mir den Itp.
Der Dichter überläßt Bicb ganz der Hald seiner Dame.
Job. 91, 18 ich wil ez allez an ir güete lan» ir genäden der be-
darf ich wo^. "^92, 33 tV genäde stänt däU.
Eist 37, 2 du nim mich in düne genäde. 38, 14. 40, 25. Hausen
46, 35 dd sich verlie min herze üf genäde an sie. Gutenb. 71, 22 oh
si min ld)en^ deich hän gegeben an ir genäde ^ nceme. 11 y 32. Fenis
82, 34 Ltp nnde sinne die gap ich für eigen ir üf genäde : der hat si
gewalt. Rugge 106, 36 nach rehte liez ich minen siril, daz mir ir miruie
lones gnade teste. Hör heim 114, 15 sU ich ir gap heidi a herze ynde ftp
üf ir genäde. Keinm. 158, 31 genäde ist endeliche da. diu 'rzeige sich
ah ez an mtnem heile A. 193, 19. 194, 33. Mor. 134, 25 ich darf vil
wol^ daz ich genäde vinde. Hartm. 214, 38 der wil dur dinen willen
disen sumer sin vil hohes muotes verre üf die genäde dtn.
Die Dame treibt ein falsches Spiel mit dem Dichter.
Job. 86, 9 ich wil ir rSUen 6i der sele min durch keine liebe, niht
wan durch daz reht. waz möht ir an ir tutenden hezzer sin^ dan obes
ir umberede lieze sieht, tcete an mir einvaltecUche, als ich ir einvaUec bin.
Gutenb. 76, 3 si giht alrerst, wan sU dernäch versaget si mir in
spotes «?&. V. 12 «i sprichet dicke deich erschricke frömdiu wort von
schimpfe, si tuot verirett, swaz si gerett vor liuten mit gelimpfe. Mor.
128, 25 Lachen unde schoenez sehen und guot gelceze hat ertoeret lange
mich, mir ist anders niht geschehen. Reinm. 195, 23 nieman weiz, ob si
mich wert od wiez ergät: nein oder ja, ich enweiz enwederz da. 171, 11
Jri ist liep, daz man si stceteclichen bite^ und tuot in doch s$ lool^ daz si
nersagent hei, wie manegen wunderUchen site si tougenliche in ir herzen
tragent ! .
Die Dame belohnt den Dichter durch einen Kuß.
Job. *93, 5 geprüevet hat ir r&ter munt, daz ich muoz iemer mere
mit fröuden leiben zaüer stu^nt, awar ich des landes kere. alsd hat si
gelSnet mir. gescheiden hat mich niht von ir frou Zuht mit siiezer Wre.
Der Lohn besteht in gesellschaftlicher Veredlung des
Ritters.
Job. *94, 11 ^Ju sol wol gelingen, dne Idn sS sidi ir nikt hestänj"
Wie meint ir daz^ frouwe guotf Dax ir deete werder sint imd däbt
hdchgemuoK*
DER MINNESINGER ALBHECHT VON J0HAN8D0RF. 79
Eist 33, 26 si hat pethtret mir den muot ReiDiii. ]80, 20 nu Idne
ir got^ ich bin von ir gendden wol gezogen r
Mag nun aber die Dame lohnen oder nicht lohnen,
der Dichter lobt sie dennoch«
Joh. 90; 18 nnd ist^ daz ich gendde vindey $6 gesach ich nie 8d
guoten lip, ob ab ich ^ir wcere ml gar unmc&r^y so ist si doch, diu
tugende nie verlie.
Hausen 47, 1 Swaz schaden ich da von geumnnen hän, sd friesch
nie manj deich ir iht sprceche warte guot^ noch mm munt von frowen nie-
mer iuot. Gutenb. 76, 8 Swaz si mir tuot^ dost allez gttot^ ichn Tnac
ir niht entwenken. 77, 29. Mor. 140, 27 des muaz ich ringen mit der
klage unde mit der nüt, dieeh selbe mir geschaffet hän, so ist siz doch
diu frouwe mm : ich binzj der ir dienen sol und wünsche ir deSy dazs
iemer scelic müeze sin. Reinm. 184, 8 ez sol mich (Haupt mit C: ich)
aUez dünken guot^ swaz si mir tuM, Hartm. 207, 29 SU ich mich rechen
sol, deswdr daz si und doch niht anders wan alsQ^ daz ich ir heiles
gan baz dan ein ander man, und hin däbH ir leides gram ir liebes frd,
208, 4 ich spriche ir niuuHin guat e ich beswoBre ir muot, so w'd ich
i die schulde zuo dem schaden hän.
Vergeblicher Dienst.
Joh. 87, 29 ich und ein wtp wir haben gestriten nu vil manege ztt
ich hän von ir zome vil erliten. 89, 9 Swaz ich nu gesinge, deist aUez
umbe niht : mir weiz arin niemen danc : ez wiget allez ringe, dar ich Iiän
gedienety da ist mm Idn vil kranc, ez ist hiure an genäde unnasher danne
vert , und loirt über ein jär vil Uhte kleines IQnes wert *93, 24 Neinä,
kUneginne! daz min dienest sd iht «$ verlorn!
Gutenb. 75, 86 Mir ist verseit^ dar nach ich streit. 76, 1 min ISn
der ist noch unbereit Fenis 81^ 2 si wil, daz ich femer dien an solhe
stat, da noch mm dienest ie vil kleine wac. Rugge 101, 23 k^nde ich
die mäze, sd lieze ich den strit, der mich da müeget und Utteel vervähet.
101; 28. Horheim 114, 3 Mich hat daz Jurze und ein unwiser rät ze
verre verleitet an tumpliehen muot, da doch min dienest vil kleine vervcU.
Mor. 136, 12 dSswär mir ist nach werde niht gelungen* 133, 6 sisl mit
lügenden und mit werdekeit sd behux)t vor aüer slahie unfröuwdieher täi,
wan des einen, daz si mir verseif, ir genäde und mmen dienest sd ver-
derben lät. Reinm. 164, 7 ich diende ir ie : mim Idhde niemen. 175, 16
ich bin maller dinge ein seelic man^ wan des einen da man länen sol.
Hart. 206, 24 daz kan mich niht vervän an einer stat^ da ich noch ie
genäden bat 208, 3 si wil mich ungeldnet län. 209, 7 wan, nach der
ie mtn herze ranc, diu lät mich trdstes äne*
80 J. HORNOPF
Die Dame weist den Dichter ab.
Joh. *94, 6 Idnt die bete, die memer mac geschehen. *93y 23 so
wil ich in tüsent jären niemer iuch gewem.
cf« Gutenb. 75, 31 j& hat si mines Idnea zil geseizet an wol tül^entjär.
Die Dame weist ihn an andere Frauen.
Joh. ^4; 8 got der wer iueh ander swä, des ir an mich dd gert.
Sie verweigert dem Dichter sogar den G-ruß.
Joh. 86, 19 nu hott mich gar ir friundes gruoz vermiten.
Hausen 53^ 7 wäfen, waz habe ich getan sd zandren, das mir diu
guote ir gruozes erhunde? Fenis 80, 22 ir schoener (Haupts Conjectur
swacher) gruoz scheidet mich von ir Übe. Rugge 102, 5 Nu scheidet
mich davon (von Liebessorgen) ein ungemach&r gruoz*
Der Dichter verzweifelt an der Erfüllung seiner
Hoffnung.
Joh. 86, 23 herre, wan ist daz mm Wien, daz mir niemer leit ge-
schihtf Der Lohn als Lehen bezeichnet.
Ähnliche verzweifelnde Ausrufe bei Morungen und Reinmar.
Mor. 126, 39 wenne sol mir iemer liep geschSnf 13ö, 9 we, wie
lange sol ich ringen f 128, 1 Owe, daz ich ie so vil gebat und geflöhte
an eine etat, da ich gnaden nienen se! Reinm. 156, 32 wenne sol mir
iemer spihdiu fräide komen? 165, 22 gewinne ab ich nu niemer guoten
tac? 188, 38 v}^y wanne kamt mir heiles tacf 199, 16 wenne sol ich
liehen tac an dem geleben f
Der Dichter sieht sich in seiner Hoffnung getäuscht.
Joh. 86, 17 Ich wände, daz min kiJtme wcer erbiten. dar uf het
ich ge dingen manege zit, nu hat mich gaa* ir vriundes gruoz vermiten,
mm bester trdst der woen da nider geltt. Ich muoz alse wilen vlehen und
noch harter» hülfe pz ihtl
Mor. 143, 10 Ich was eteswenne frd, dd min herze wände neben
der sunne stän. dur die wölken sach ich hd : nu muoz ich mm ouge nider
zer erde län. mich trivget alze sere ein vil minnecVkher wän, sit daz
ich von ir niht wan leit und herzeswcere hän. 138, 10 ff. (besonders
V. 14). Mor. 145, 29 Öwe leider, jQ wand ichs ein ende hän ir vil tüünnec-
Uchen werden minne. nu bin ich vil küme an dem beginne, des ist hin
mtn wunne und ottch min gemder wän. Gutenb. 70, 30 Nu ist ze lanc
ir habedanc, daz tuot mich kränc, des hän ich mengen ungedanc, daz
lenget mir die kurzen tage und niuwet mir die alten klage, vor^ der ich
wände «tn erlöst. Reinm. 153, 36 dd wand ich ie, si woU ez wenden,
boet ich si noe/i, ich künde ez niht verenden. Reinm. 158, 37. 190, 11
lieber wän ist äne troesten dd.
DER MIKNESÄNGEB ALBRBCHT VON JOHANSDORF. gl
Oetfaeilter Dienst.
Job. 89y 16 des frag ick, ob ez mit fuoge müge geschehen^ wcer ez
niht unatcBie^ der zw ein mben weite sin für eigen jehenf
Es ist dies die einzige Stelle in den Liedern der älteren Minne-
sänger, wo der Dichter durch das Vergebliche seines Werbend um
die Huld der einen Dame sich veranlaßt fühlt, nach der Zulässigkeit
eines doppelten Dienstes zii fragen. Die übrigen Minnesänger spre-
chen in diesem Falle meist nur den Wunsch aus, sich einer anderen
Dame zuzuwenden, welchem dann häufig aber die Revocatio folgt.
So vor Allem Beinmar, z. B. 160, 35 möht ich mich noch bedenken
baz unde nceme von ir gar den muot! Neina^ herre! j& ist si s$ guot.
173, 1 ff. 194, 15 ff. etc. Fenis 81, 5 ff. v. 14. v. 22. Hartm. 208, 37 ff.
Lust und Leid.
Der Ausdruck der Freude ist seltener als der Ausdruck des
Schmerzes, zumal wenn wir die unechten Lieder *92, 14 und *92, 35
nicht berücksichtigen.
Alle Freude geht von der Geliebten aus.
Job« 87, 8 wand ich zeiner wöude si mir hän erkom.
Reinm. 175, 29 die ich mir ze fröuden het erkorn. Meinloh 14, 26
toan diu guote ist fröiden rieh, des wil ich iemer fröuwen mich* Eist
32, 11 a» der al mtn fröide lit Hausen 43, 28 an der genäden al min
fröide stät, 45, 3. Veld. 59, 32 ich wil frd sin durch ir dre, diu mir
daz hat getan y daz ich von der riuwe kere. Gutenb. 78, 19 si schuof
daz ich fröiden mich underwant, die ich mir hän zeiner frouwen erkant.
Fenis 83, 2 diu mich sol machen wd, vroelich gemuot, 82, 4 diu mac
mich wol ze vröuden hüs geladen, Rugge lOOj^ 3 in der gewaU mm
fröide stät. 103,6 si meret vil der fröide min, 110, 31 si kctn verkeren
sorgen, der ich wafde. Mor. 123, 4 des wirde ich stceter vröide vil rieh
(= von ihrer tugende). 131, 38 und an der ist al min wünne behalten,
Keinm. 154, 25 {got) hat ze vröiden mir gegeben an einem wibe liebes vil.
158, 23 daz beste geü der fröiden min daz lit an ir. 202, 13. Verall-
gemeinert: von den Frauen kommt alle unsere Freude. 183, 31 elUu
fröide uns von in kumt und al der werüe hört uns an ir trost ze nihte
frutht. 195, 6 an in lit. der werke wunne und ouch ir lieiL Wol im,
ei'st ein scelic man , der wol an in erwirbet phliht der fröiden , der ir
giiete wunder geben kan,
Job. 90, 23 vröude und sumer ist noch allez hie (in der Person
der Geliebten vereinigt)»
Gutenb. 69^ 12 si ist min sumerwünne. Namenloses Lied 6, 9 mich
diinket winter unde sne schoene bluomen unde kW, swenn ich in um-
aEKHANJA. Nene Keihe XIII. (XXXIY.) Jahrg. 6
82 J. HOBNOPP
bevangen hän'^ anklingend an 90,23. Die Frau empfindet Sommerlust,
wenn sie ihren Bitter umfaßt hält.
Auffallend reich sind in den beiden unechten Liedern (*92; 14.
36) die Freudenergüsse. *92, 16 min fröide an der vä sehoenen lit,
fläch der min herze wüetet. *93, 2 Swenne ich die vil sehoenen hdn, sdn
mae mir niemer mieeegdn.
Die Erhörung mit den Freuden des Himmels verglichen: *92; 25
du lä gein mir den dünen haz, $<m mac mir niemer werden haz, wan in
dem himelriche.
Die Gewährung des Kusses erscheint dem Dichter als y,cine
Krönung durch die S«lde". *92, 35 diu Scelde hat gekroenet mich gein
der vil süezen minne. *93, 7 geprüevet hat ir r&ter munt^ daz ich muaz
iemer mSre mit fröuden leben zaUer stunt, ewar ich des landes kire.
*92, 28 Und solde ich iemer daz geleben, daz ich si umbevienge^ s6 mües
mtn herze in fröuden swehen. stvenn daz alsd ergienge, sd wurde ich von
sorgen fn etc.
Die Freude äußert sich im Gesänge.
Joh. 90, 28 JVol micli singe ich geme^ swenn ichz geleme.
Einen geradezu überschwänglichen Ausdruck verleiht der Dichter
seiner Freude, indem er sich das Erscheinen eines Liebesboten vor-
stellt, 91, 36. In drei analogen Sätzen spricht er den Gedanken aus,
daß der Bote, wie auch immer er persönlich zu ihm stehen möge, doch
als von der Geliebten gesendet hochwillkommen sein solle.
Seehe ich ieman , der jcehCf er wcere von ir komen , wcere ich dem,
inni^ ich wok in grüezen. \ aüez, daz ich ie gewan, het er mir daz ge-
nomen, daz möht er mir mit sinen mceren büezen, \ swer si vor mir
nennet ^ der hat gar mich ze friunde ein ganzez jdr, het er mich Joch
verbrennet.
Viel einfacher geben die übrigen Minnesänger ihre Freude kund,
wenn sie auf die mcere^ liebiu mcere oder den boten zu sprechen kommen.
Meinloh 14, 26 Ich hän vemomen ein mcere. mtn muot sol aber hdhe
stän. Bugge 107, 15 mtn wurde rät, wolde si mir künden liebiu mosre,
110, 17 Mich fröit an alle swcere wol^ daz ich sd liebiu mcere hän ver-
nomen^ der ich mich gerne troesten soL mir ist der muot von grSzen
sorgen komen. Mor. 147, 19 nu hat man mir mcere bräht, der ist frd
mtn herze inbinnen. Beinmar 175, 13 gescehe ich wider äbent einen kleinen
boten^ sd gesanc nie man von fröiden baz. 196, 15 ^weete icÄ, ob ez alsd
Wfxre^ sd engehdrte ich nie vor maneger uMe ein lieber mceri (Frauenstr.).
162, 14 wan ir (= der werUe) ntden moht ich nie sd wol erliden. ein
liebez mcere ist mir gesaget. Hartm. 215, 2 (Bote zur Frau:) daz soU
DER MINNESINGER ALBRBCHT VON JOHANdDORF, 88
du minneeäehe enpfän^ daz ich mü guoien mceren var, $6 bin ich wiüe-
körnen danr»
Umgekehrt liegt anoh die Freude der Frau andern
Ritter.
Job. 94, 38 (Fraaenstrophe) vröudeldser Up^ wie wü du dich ge-
hären, swenne er hinnen vert, durch den du wcere ie hdchgemuotf
Eist 39^ 29 (Tagelied) ßwS, du füerst min fröide eament dir
(nach Pfeiffer Germ. III, 489). Hausen 54,35 dee iet er mtn leii-
veririp und diu hoehste wunne mtn.* Reinm. 199, 39 ^man sd guoien,
haz gemuoten hän ich selten noch gesehen, im geUehen noch so gemelUchen^
In dem vür die swasre bezzer fröide wcere^ 200, 20 ^wcl dem Ube, der
dem mbe seihe fröide machen kan,* Hartm. 217, 22 dd ich sin pflae,
do freite er mich.*
Bedingte Freude.
Job. 91, 5 ich sol ze mäze lachen, unz ich sin gendde erkenne,
als ich danne bemnde, wie ez allez stät, da nach lache ich denne.
Reinm. 156, 34 Michn scheide ein vnp von dirre klage und spreche
ein wort, als ich ir sage^ mir ist anders iemer we. 168, 32 michn be-
swcere ein rehte herzelichiu n6t, min sorge ist anders Jcleine. 8d daz
danne an mir ergätj sd kamt aber hoher muot, der mich niht trüren lät.
Leid. Grund zu Trauer und Klage findet der Dichter in der
abweisenden Haltung der Geliebten, in ihrem zweideutigen Benehmen,
der Versagung ihres Grußes, der Trennung von ihr.
Sprödigkeit der Geliebten.
Job. *93, 28 frouwe iur haz tuot mir den töt — Der Entschluß,
trotz der Erfolglosigkeit seines Werbens der Geliebten treu zu bleiben,
kostet dem Dichter Überwindung. 86, 1 min erste liebe ^ der ich ie
began^ diu selbe muoz an mir diu leste sin* an vröuden ich des dicke
schaden hän.
Die Koketterie der Dame schmerzt den Dichter weniger
um seinetwillen, als aus dem Grunde, weil die Dame damit einen
Verstoß gegen Recht und feine Sitte begebt.
Job. 86, 9 Ich wil ir raten bi der sele min durch keine liebe^ niht
loan durch daz reht : waz mäht ir an ir tagenden bezzer «In, dan obes
ir umberede lieze sieht, tcete an mir einvaüediche, als ich ir einvaUec bin,
an vr&uden wirde ich niemer viche, es enwer ir beste sin.
cf. Gutenb. 76, 9 ff. Mor. 123, 29 wie stSt miner frouwen daz,
daz si sich vergaz und verseite mir ir huldef owi des^ wie rehte unsanfte
ich dulde beide ir spot und otteh ir haz.
6*
84 J. HORNOFP
Reinmar hat nicht den Muth, die Koketterie der Damen geradezu
zu tadeln, er bezeichnet sie nur als eine wunderliche Sitte. 17 1, 11
In ist liep, daz man si atcetecKchen hite, und tuot in doch 8^ wol, daz »i
vpi*8agent. hei, wie managen muot und wunderliche site si tougentiche in
ir herzen tragent! cf. 187, 9.
Verweigerter Qriiß«
Joh. 86, 19 nu hat mich gar irfriundes gruoz vermifen, nan bester
röst der warn da nider gellt cf. Hausen 53, 7.
Getrenntsein von der Geliebten.
Joh. 9J, 1 Ez ist manic wile, daz ich niht von vröuden sanc und
enweiz och rekte nild, wes ich mich vröuwen mac. daz ich der guoten
niht ensac/i, des danket mich vil lanc. Gleichzeitig liegt darin die Klage
über die lange Dauer des Dienstes, die auch aus 90, 24 spricht.
Ich hdn alsS her gerungen, daz vil trürecliche stux)nt min leben, dicke
hän ich we gesungen.
Schmerz über die lange Trennung finden wir auch bei Eist:
32, 13 Seneder friundinne bäte, nu sage dem schoenen w2be, daz mir tuot
äne mäze we, daz ich si sd lange mtde. 34, 25 des werdent mir diu jär
sd laue, sol ich von der gescheiden sin. Reinm. 199, 31 sol ich Itden
von ir langez miden, daz milet mich wöl sere. Gut. 74, 21.
Reichlicher fließt die Klage über den allzu langen Dienst:
Gutenb. 70, 30 nu ist ze lanc ir habedanc. daz tuot mich kranc. des
hdn ich mengen ungedanc, daz lenget mir die kurzen tage und niuwet
mir die alten klage y von der ich wände sin erWst. Reinm. 185, 85 ich
wcen iemen lebe, der nir beneme ein trttren, daz nu menegen tac in
mtnem herzen lit begraben. 186, 1 Sst nu lanc, daz mir diu ougen min
ze fröweden nie gestuonden wol. Hartm. 207, 4 die swceren tage sint alze
lanc die ich si gnaden bite und si mir doch verseil. 209, 5 mtn dienest
der ist alze lanc bi Ungewissem wäne: wan, nach der ie mtn herze ranc,
diu lät mich trdstes dne. ich möht iu klagen und wunder sagen von
maneger swceren zit. sU ich erkande ir strity sil ist mir geioesen vür war
ein stunde ein tac, ein tac ein woclie, ein woehe ein ganzez jär.
Furcht vor der Trennung.
Joh. 91, 10 dd daz ende denne unsanfte tuo, ich wcene des wol, daz
en»i niht guot. 91, 22 Wie sich minne hebt, daz weiz ick wol; wie si
ende nimt, des weiz ich niht ist daz ich es inne werden sol, wie dem
herzen herzeliep geschiht, s^ hewar mich vor dem scheiden, got, daz wem
bitter ist diesen kumber fürhte ich äne spot. 91, 34 vei'tor ich mtnen
friuntj seht sd wurde ich niemer mere frS. *92, 23 unsanfte mir daz tuot,
und sol ich von dir wichen.
DER MINNESiNOEB ALBBECHT VON JOHANSDORF. 85
Horheim 114, 26 der (= der künic) wil mich scheiden van liebe
in die noty der ich gewinne vil michelen riuwen. Besonders häufig bei
Reinmar: 150, 7 fvciz darf ich leides mdre wan swenn ekt ich si ndden
sol, 155, 36 got helfe mir, deiz wol ergSj daz ich Hz ir tnuwen kome
niemerme. 173, 36 zallen ztten fürhte ieh, daz simich vergS. sd wcer ich
an vröuden tdt. 176, 5- 197, 20.
Die Dame beklagt die bevorstehende Trennung.'
Joh. 94, 35 ^Owe", sprach ein v)ip^ ju)ie vil mir doch von liebe
leides ist beschert! Waz mir diu liehe leides tuot! Vrömleldse^' /Ip, loie
wil du dich gebären, swenne er hinnen verty durch den du woBre ie hoch-
gemuot? Wie sol ich der werlde und miner klage geleben f
Kürenb. 7, 10 ^Wes maned du mich leides ^ min vil liebez liepf
Unser zweier scheiden müez ich geleben niet Verliuse ich dine minne^
sd läz ich die Hute haHe wol entstän^ daz min fröide dez minnist ist
umb alle ander man^ Reinm. 200, 22 rnima heile ich' gar verteile, midet
mich der beste man*
Der Dichter fordert die Geliebte auf, das Trauern zu
lassen.
Joh. 87, 21 wu min herzevrowe nu entrüre niht sere* daz wil ich
iemer zeim liebe haben,
Mor. 131, 1 Owe des scheidens^ des er tete von mir^ dö er mich
senende lie, wol aber, mich der lieben bete und des weinens, des er dö
begie, dö er mich trüren Idzen bat und hiez mich in fröiden sin.
Aller frühere Schmerz reicht an den gegenwärtigen
nicht heran.
Joh. 87, 20 e was mir we : dö geschach mir nie s6 leide.
Hausen 52, 23 erkennen wand in e (= den kumber) , nu hän in
baz befunden, mir was ddheime we und hie wol dristunt me, Fenis
83, 34 wan miner swasre enwart nie mere, Horheim 112, 9 s6 kumber-
liehe gelebte ich nie. 113, 16 mir wart nie vrirs. 114, 34 dö was mir
we unde nu michels me, Mor. 138, 7 ich erkande mäze vil der sorgen e.
disiu soiye get mir über der mäze zily Mute ba ^ und ab&t* dun über
morgen me. Reinm. 164, 18 noch daz mir nie s6 we geschach. 179, 5
mir ist unsanfter nu dan S. 185, 20 alse reht unfrö enwart ich nie.
188, 5 von herzeUides schulden hat min lip vil kumberliche not, daz si
nien künde groezer sin. 198, 6 von siner schulde ich hän erliteny daz
ich nie groezer not erleit' ( Frauen str.).
Beides, Freude und Schmerz des Dichters liegt in
der Gewalt der Geliebten.
Joh. 91, 20 und wil si, ich bin vrö, und wil siy so ist min herze
leides vol.
86 J. HORNOPP
Reinm. 197, 31 mir enmac ein herzeleit noch gröziu liehe niemer
dne n geschehen, 199,20 diu mir fröide hat gegeben unde sorge
manicfoaüy der dien ich die selben tage, mtniu jär diu müezen mit ir
ende nemen, so mit fröiden, s6 mit klage, Hartm. 215, 32 si mae
wir leben und fröide wol leiden, dd M alle mtne swcere vertriben : an ir
Itt beide min liep und min leit, swaz si min wil, deist ir iemer bereit y
waH ieh ic vrö, daz schuof niht wan ir güete, cf, Mor, 138, 33 ich warne,
si ist ein VSnus h$re, diech dd minne, wan si kan so viL
2. Außenwelt«
Es fällt auf, daß Johansdorf im Gegensatze zu der Mehrzahl
der zeitgenössischen Minnesänger nie Klagen über huote und merkcere
laut werden läßt. Das Wort huote findet sich nur in dem unechten
Liede *93, 12 (v, 12 ich vant si dne huote) , wo dne huote nur ganz
allgemein ^allein' bedeutet. Von merkcere wird überhaupt nicht ge-
sprochen. Und doch möchte man auf das Vorhandensein von Auf-
passern und ZwischentrUgern *) schließen. Mit einem gewissen Nach-
druck ist 87, 7 gesagt: er ist min friunt niht, der mir si wil leiden
und 91, 29 Swd zwei herzeliep gefriundent sich und ir beider minne ein
triuwe wirt, die sol niemen scheiden^ dunket mich, dl die wile unz si der
der tdt verUrt. Geradezu auffällig aber erscheint das Widerspruchs-
volle in den beiden Liedern 91, 8 und 91, 22, welche darauf angelegt
erscheinen, den wahren Sachverhalt, d. h. den Abschluß des Verhält-
nisses zu verdecken, oder wenigstens die Aufpasser darüber im Un-
gewissen zu lassen. Auf einen Abschluß des Verhältnisses deutet der
Anfang von 91, 8 Dd gehoeret manic stunde zu^, S daz sich gesamene
ir zweier muoU dd daz ende denne unsanfte tuo, ich wcene des wol, daz
ensi niht guot Lange si ez mir vil unbekant. Es wäre doch merk-
würdig, wollte der Dichter für die Trennung Sorge tragen, bevor
noch die Vereinigung stattgefunden hätte. Der Gedanke aber, daß
dieselbe erfolgt sei, wird durch die beiden nächsten Verse, wie durch
die folgende Strophe zurückgewiesen. Die Worte: und werde ich
iemen liep, der si siner triuwe an mir gemant etc. rücken das Zustande-
kommen des Verhältnisses in die Zukunft. Derselbe Widerspruch findet
sich in dem folgenden Liede 91, 22. Wieder diese merkwürdige Sorge
für die Zukunft. Der Dichter fürchtet den Bruch eines Verhältnisses,
das noch nicht geknüpft ist: Ist daz ich es inne werden sol, wie
dem herzen herzeliep geschiht^ sd bewar mich vor dem scheiden goty daz
warn bitter ist'^ ebenso in der zweiten Strophe: swd zwei herzeliep ge-
') Miohel a. a. O. S. 141. U6 ff.
DER MINNESINGER ALBRECHT VON J0HAN8D0RF. 87
friundent sich unde ir beider tninne ein iriuwe wirt^ die eol niemen
scheiden ete. Dieses wirt* aber ist schon sweideutig, indem es das
Geschehen in der Gegenwart wie in der Zaknnft aasdrflcken kann.
Nimmt man nun noch das Folgende hinzu: wcer diu rede mtn^ ich tcete
aUd : verlüre ich minen friunif seht, e6 wurde ich niemer mSre fröy so
bleibt kein Zweifei, daß der Abschluß der friuntechaft wirklich erfolgt
ist ; denn über die Person des friundes (= der Freundin) kann man
nicht im Unklaren sein; verlieren aber kann man nur einen Freund,
wenn man schon einen hat. — Für diese Ansicht spricht auch die
geflissentliche Anwendung von Bedingungssätaen, welche die Sache
nur als möglich hinstellen sollen, und das Bestreben, die persönlichen
Bezüge durch allgemeine Sätse zu yerwischen« Wir werden also nicht
irren, wenn wir annehmen, das Ganze sei darauf angelegt, die Auf-
passer über den Abschluß des Verhältnisses zu täuschen. Gedichtet
aber sind die Strophen zu dem Zwecke, die Geliebte zum treuen
Festhalten an dem Bunde zu ermahnen.
8. Natur.
Naturgefühl ist bei unserem Dichter yorhanden, wenn es auch
nur ganz vereinzelt hervorbricht, dann aber auch mit großer Stärke.
In dem zweistrophigen Liede 90, 32 nimmt der Natureingang fänf
von den sieben Zeilen der ersten Strophe ein. Blumen unter der
Linde und Vogelsang auf der Linde, wie auch sonst. Was aber sonst
nicht zu finden ist, das ist die hier geschilderte Farbenpracht der
Blumen: Wtze röte rdsen, bläuoe bluomen, grüene grae^ brüne gel und
aber rdty dar zuo des klewes blatj von dirre varwe wunder under einer
Unden was. dar üfe sungen vögele, daz was ein schoeniu etat, kurz
gewahsen bi ein ander stuont ez schone.
Ganz ähnlich wie bei Eist 34, 3 üf der linden obene dd $anc ein
kleinez vogelltn. vor dem waide wart ez lüt : dd huop sieh aber daz herze
min an eine etat, da 'z S dd was. ich sach die rdsebluomen stän : die
maneni mich der gedanke vily die ich hin zeiner frouwen hdn\ nur daß
bei Eist die innere Verbindung, die zwischen den Naturerscheinungen,
eventuell Vorgängen in der Natur und der Liebesempfindung besteht,
auch äußerlich hergestellt ist, ihren sprachlichen Ausdruck findet.
Von dem Vogelsang wird das Herz zur Geliebten entrückt, von den
Rosen an die Geliebte gemahnt. Bei Johansdorf fehlt die äußere Ver-
knüpfung. An die Schilderung der Natur schließt sich der Satz: noch
gedinge ich der ich vil gedienet hän, daz si mir es Idne. Dieser Fall
kommt sonst im älteren Minnesänge nur noch einmal vor, wo aber
die innere Verknüpfung eine stärkere ist.
88 J. HORNOFF
Namenl. Lied 4, 1 diu linde ist an dem ende nu jdrlanc sieht und
blöz. mich vehet min geselle. Beide Thatsachen lassen bich vergleichen :
die Linde ist ihres Laubes beraubt^ ich des Geliebten.
Auch in einer zweiten Stelle bei Johansdorf zeigt sich, wie eng
er selbst den Zusammenhang zwischen Natitr- und Liebesleben empfindet.
t)er Sommer mit seinen Freuden erscheint ihm in der Geliebten ver-
körpert: 90, 23. 31 vröude und sumer ist noch allez hie (nämlich bei
der Geliebten).
4. Gott
Religiöse Anschauungen. Gott wird vom Dichter Bi&heilic
87y 12 und als allmächtig 94, 17 bezeichnet: der al der werlte hat
gewalt.
Kolmas 120, 24 der vil miUe got^ den ir Itp umbeoief der hat be-
vangen die weit umbe gar, sin kraft mac langen nx>ch verrer dan dar.
Er wird als gütiger Herr, der uns die ewige Seligkeit schenkt,
vorgestellt: 94, 15 guoteliute, holt die gäbe, die got unser herre selbe git\
ferner als einer, der uns Leib and Seele gegeben hat, aber die Rück-
erstattung des ersteren zum Heile der letzteren fordert: 94, 22 got
hat iu beide seU und Itp gegeben, geht ime des libes tot daz wirt der
sele ein iemerleben.
Etwas verändert ist das Bild bei Eolmas (121, 3). Er macht
Gott zum Wirthe an der Landstraße, der den Pilgern zwar etwas
borgt, dasselbe aber bei der Wiederkehr ihnen wieder abverlangt:
Wir sin bilgerine und zogen vaste hin, in der Sünden Urne stecket min
sin, daz ich sin druz niht gebrechen enmac, wir vam eine strdze, die
nieman verbirt, wir suln durch niht enläzen^ wir bereiten den wirt, de^'
uns hat geborget da her mangen tac, gelt im.
Gott aufgefaßt als Kriegsherr, in dessen Sold wir uns zu
begeben aufgefordert werden: 94, 18 dienet einen solt, der den vil
sceldehaften dort behalten lit mit vröuden ierner manecvaU,
Das Verhältniß zu Gott ist bei unserem Dichter ein
enges. Nicht selten erhebt er den Blick nach oben, um bei Gott
Beistand und Hilfe zu erflehen.
Um Nachsicht wegen seiner unerlaubten Liebe bittet er Gott
90, 14: ich tninne ein wip vor al der werlte in minem muote» got herrej
daz verväch ze guote.
Hausen 46, 14 Ich bin ir holt : swenn ich vor gote getar , so ge-
denke ich ir, daz i^och ouch er vergeben mir.
DKH MINNESINGER ALBBECHT VON JOHANSDORF. gg
AIb Beschütser beider Liebenden wird Oott angerufen 87, 12:
heileger gat^ wU gencMe uns beiden.
Um Schuts vor Trennung 91, 24: IH daz ich es inne werden eol,
wie dem herzen herzeliep geschiht, $d bewar mich vot* dem scheiden, got,
daz warn bitter ist.
Er wird gebeten, die Ehre der Geliebten zu bewahren: 86, 27
nu helfe er mir, ob ich herwider kome, ein wip, diu grdzen kumber von
mir hat, daz ich si vinde an tr eren: sd wert er mich der bete gar.
9ül aber ei «r kiben verkSren, s6 gebe got, daz ich vervar. 88, 13 ine
erweiche nimer, ezn ei min Srete eegea, daz got ir eren mileze pUegeti und
laze ir Itp mit lobe hie gesten.
Horheim 114, 28 ich wil beuMhen ir Up und «r ere got und da
nach allen engelen ein. Hart« 207, 25 $6 ruoche got, daz ez der echoentn
mileze gän nach eren unde wol. 215, 37 got ei, der ir Rp und ir $re
bekiiete. Bietenburc und Morungen bitten nur um das Leben der Ge-
liebten. Bietenbure 19, 31 ewar ich dawM landes var, ir Üp der hoeliete
got bewar. Mor. 122, 19 got läze ei mir ml lange geeunt.
Umgekehrt läßt der Dichter die Geliebte für sein Wohl während
der Kreuzfahrt flehen: 95, 14 ^d müeze ein der pflegen, durch den er
süezer Üp eich dirre weite hat bewegen*.
Reinmar 187, 24. 201, 1. Hartm. 217, 23.
Weiter erbittet Johansdorf für sich und die Geliebte die ewige
Seligkeit: 88, 16 dar nach ewecUche gip ir, hen*e, vröude in dime riche.
daz ir geschehe^ aled müeze auch mir ergen.
Reinmar läßt die Geliebte darum bitten: 168,27 uns ime genasdic^
herre got, v>an tugent/iafter gast kam in din ingednde nie. Eolmas
(120, 21) fordert zu gemeinsamer liitte auf: Des biten unser frouwen
ze hilfe an der ger, daz wirz beschouwen, daz uns des (= das ewige
Leben) gewer der vil miüt got, den ir lip umbtvie.
Bei Versicherungen und in der Sohwurform wird der Name Gottes
öfter gebraucht: *92, 7 got wetz woL 87, 9 swenne ich von schulden
erame ir zorn, sd bin ich veroluochet vor gote als ein heiden, 87, 35 got
vor der heUe niemer mich bewar, ob daz min wille si. 88, 10 und swer
ir des bi gote.
Veld. 68, 1 got wetz wol. Ebenso Hausen 44, 19. — weiz got
Reinm. 161, 14. 175, 25. 181, 11. 203, 33. — sem mir got 157, 13. —
170, 21 daz weiz er wolj dem nieman wM erliegen kan. — 173, 19 dd
vor müeze mich got hüeten aüe tage. ^ 186, 32 sd mich iemer got behüete.
Auch beim bloßen Stoßseufzer fehlt der Name Gottes nicht: Job«
86, 23 herre j wan ist daz min leben, daz mir niemer leit geschiht f
90 J. HORNOFF
Bemerkens wertb erscheint, daß Johansdorf sich stets direct an
Gott wendet^ sich nie der Vermittlung der heiligen Jungfrau bedient,
wie Eolmas (120, 21 f.), Reinmar (181, 31); so hoch er auch dieselbe
verehrt (90, 1 ff.).
Die religiösen Erwägungen, welche den Dichter zur Kreuzfahrt
antreiben, und welche sich als sämmtlichen Kreuzfahrern gemeinsame
darstellen, hat bereits Wolfram in seinem schon angeführten Aufsatze
Zs. f. d« Alt. 30, 97 ff. zusammengestellt und zu den gleichzeitigen
Kreuzpredigten in Beziehung gesetzt. Es sind die folgenden:
I. Gott hat far uns gelittenr
II. Wir milssen's ihm vergelten.
III. Auch unsere Sünden fordern eine Sühne.
IV. Wir erwerben durch unseren Dienst die ewige Seligkeit.
Als V. Beweggrund kommt bei Johansdorf noch der Wunsch
hinzu, der Beschimpfung der Mutter Gottes durch die Heiden ein
Ende zu machen. 90, 1 die heiden wellmt einer rede an uns gesigen,
daz gotes mtioter nikt enst ein maget.
Auch sonst läßt sich bei Johansdorf christliches Denken und
Empfinden beobachten. In dem Schicksale der Völker und Menschen
erkennt der Dichter das Walten Gottes. 88, 27 wir hoben in eime
järe der Hute vil verlorn, da bt «8 merket gotes zom.
Die Welt sieht er als unbeständig an. Die Treulosen, die ihr
folgen, trifft als Lohn die Verdammniß. 88, 30 diu werU ist unstcete,
ich meine, die da miunent vakche roste, den vdrt ze jungest ecMn, wies
an dem ende tuot
Wie aber der Dichter Andere zum Insichgehen auffordert (88, 29
nu erkenne sich ein ieglich herze guot)^ so arbeitet er auch an seiner
eigenen sittlichen Vervollkommnung und überwindet die Regungen
natürlicher Schwachheit, die sich seinem Entschlüsse, das Kreuz zu
nehmen^ entgegenstellen. 90,5 Mich habent die sorge üf daz hräht,
daz ich vil gerne kranken muot von mir vertrtbe, des was
min herze her niht frt. Ich denke alsd vil manege naht: waz sol
ich wider got nu tuon, ob ich beltbe, daz er mir gencedic Af
Ein merkwürdiger Widerspruch scheint sich in der religiösen
Weltanschauung Johansdorfs vorzufinden. Der Gott, dem er alle Ge-
walt über die ganze Welt zuschreibt (94, 17), dessen Zorn die Men-
schen hinsterben läßt (88, 28), während seine Gnade im Stande wäre
sie zu erretten, der die Ehre der Geliebten zu hüten vermag (86, 27.
88, 15), und unter dessen Schutz er die Geliebte auch sein eigenes
Leben stellen läßt (95, 14), dieser Gott scheint Johansdorf nicht mächtig
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF. 91
genug, das heilige Land von den Heiden zu befreien, er bedarf dazu
der menschlichen Hilfe (89, 27), Nicht ist etwa der Gedanke der, wie
bei Coelestin^) (1195), daß Gott durch die Befreiung des heiligen
Landes dem Menschen ein Mittel in die Hand gebe, für seine Sünde
Vergebung zu erhalten, nein, Gott hat die menschliche Hilfe nöthig.
Wollte man den ersteren Gedanken auch der Strophe 94, 15 zu Grunde
legen, was sehr wohl anginge, so würde dieser doch in Widerspruch
gerathen mit 89,21 ff., wo Johansdorf die Spottreden der Daheim-
bleibenden, der die Ereuzpredigt Bekämpfenden anführt: „Wäre es
für Gott eine Beschimpfung, er würde dieselbe ohne Hilfe der Kreuz-
fahrer rächen." Johansdorf widerlegt diesen Einwand nicht, er sucht
vielmehr andere Motive hervor, um die verstockten Herzen zu be-
wegen, er sucht Dankbarkeit, Mitleid mit Gott, Furcht vor der Strafe,
christliches Selbstgefühl den Heiden gegenüber zu erwecken. „Gott
hat so, wie Ihr jetzt, einst nicht gedacht, als er Euch durch seine
große Marter vom Falle errettete. Wie wird es Euch an Euerem Ende
ergehen, wenn Ihr Gott helfen könnt und es nicht thut? Immerhin!
Laßt Grab und Kreuz, dann werden die Heiden mit ihrem Spotte
siegen!" Die Thatsache bleibt jedenfalls bestehen: ohne die Kreuz-
fahrer wird das heilige Land nicht befreit, auch Gott vermag es nicht
zu befreien. Dazu stimmen nun auch 86, 25 ich hän durch got daz
hriuze an mich genomen. 87, 23 wir suln vam durch des riehen gotes
Sre. 89, 21 die hinnen vam, die sagen durch got, daz Jersalem etc.
Der Widerspruch scheint indeß nur ein äußerer zu sein. Der
Dichter will sich offenbar ein wirkungsvolles Motiv im Kreuzlied nicht
entgehen lassen. Denn wirkungsvoller ist die Aufforderung allerdings,
wenn es heißt: „Gott selbst in Noth'', als wenn es heißt: „Gott hat
die Noth geschaffen oder zugelassen, damit ihr durch Aufhebung der-
selben euere Sünden sühnt. ^ Aber der Dichter trägt auch kein Be-
denken — und daran erkennen wir eben, daß der Widerspruch nur
ein äußerer ist — den letzteren Gedanken an anderer Stelle, wo er
ihn gerade braucht, wenigstens verhüllt auszusprechen. 88, 27 heißt es:
wir haben in eime järe der liute vil verlorn, da ht sd merket gotes zorn.
Bezieht sich der erstere Satz, wie Wolfram vermuthet, auf die Schlacht
von Hattin, so folgt aus dem zweiten Satze, daß Gott nur um seines
^) Zs. f. d. Alt. SO, 103 veramtamen misericordiam in ira sna non continens, qui
nunquam obliviscitar misereri cum popnlo suo — mnlta fidelium milia .... ad agendam
poenitentiam de commissis plures eorum ad yitam praesentem termino laudabili con-
cludendam terre illius amissionis occasione dem enter invitans (ähnlich auch Gregor
und Innocenz 1213).
92 J. HOBNOPF
Zornes willen die Feinde der Christenheit siegen läOt^ um die Christen
damit zu strafen, und daraus folgt wieder, daß er sehr wohl mächtig
wäre, ohne der Letzteren Hilfe sein Land zu befreien.
£s läßt sich nun erwarten, daß des Dichters tiefes religiöses
Empfinden auch auf seine übrigen Anschauungen von Einfluß ist,
vor allen Dingen auf seine Auffassung der Liebe. Wir glauben diese
am besten darstellen zu können, wenn wir
die sittlichen Begriffe
der älteren Minnesänger bis auf Walther, soweit dieselben sich auf
die Minne beziehen, im Zusammenhange untersuchen.
Die von Frankreich nach Deutschland verpflanzte Sitte des
Frauendienstes, welche dem heimischen Minnesänge einen neuen, von
da ab ständigen Charakter verleiht, hat nicht nur einen Wandel der
Sitte^ eine Verfeinerung der Umgangsformen im Qefolge, sie arbeitet
auch an der Umgestaltung der sittlichen Anschauungen, allerdings,
wie dies nach der unsittlichen Grundlage des Frauendienstes zu er-
warten stfeht, nicht zu deren Verbesserung.
Einen Anstoß zur Umkehr oder wenigstens ein augenblickliches
Besinnen bewirkt; die Kreuzzugsidee und die Kreuzpredigt, welche
die Seelen der Menschen mächtig erschüttert und auch im Herzen
d6r ritterlichen Sänger den Kampf zwischen der conventioneilen Auf-
fassung der Liebe umd dem natürlichen Sittlichkeitsbewußtsein entfacht.
Ich will versuchen, zunächst den durch den Frauendienst ge-
schaffenen Wandel der sittlichen Anschauung und sodann den durch
die Ki'euzpredigt hervorgerufenen inneren Kampf mit seinem Ausgange,
wie derselbe sich in den Minneliedern spiegelt, zu schildern.
Da im Frauendienst die Huldigung des Kitters einer verheirateten
Frau galt, so war Verschwiegenheit Ehrenpflicht. Sie gilt bereits
Meinloh, der als einer der ersten die neuen Ideen in seinen Liedern
vertritt, als die vornehmste ritterliche Tugend (MF. 14, 22). Der sitt-
liche Einfluß, den die Liebe auf das Gemüth des Menschen ausübt,
erscheint verflacht. Sie vermag den Ritter nur in gesellschaftlicher
Hinsicht zu veredeln, ihm jene stolze Freudigkeit zu verleihen, die
der Umgang mit feinen Damen erfordert (Eist 33, 26. Job. *94, 14,
Mor. 142, 30. Reinmar 151, 12. 183, 20 etc.).
Die Begriffe von Treue und Untreue sind vollständig
vertauscht.
Als Treue wird von dem Anbeter die ihm seitens der Dame
bewiesene anhaltende Zuneigung mit allen ihren Consequenzen be-
zeichnet, welche natürlich die Treulosigkeit gegen den Gatten bedingt.
DEB ftINNE8lNGER ALBRECHT VON JOHANSDOBF. 93
Dagegen nennt derselbe die Standhaftigkeit gegen seine Liebes-
werbungen Sünde und Unrecht (Eist 38, 30. Gutenb. 78, 25. 79, 4.
Rugge 100, 18. Horb. 116, 29. Mor. 130, 4. Reinmar 160, 33. 165, 15.
180, 18. 176, 38), wenn er daneben auch sich selbst als den Urheber
seiner Leiden ansieht (Fenis 83, 11. 24. Mor. 126, 3. 134, 13. Reinmar
171, 26. 174, 10. 191, 23). Als Treue des Ritters wird die der Dame
gewidmete andauernde Verehrung gepriesen, welche doch nach so
vielen Zurückweisungen und Demüthigungen als erbärmliche Schwäche
und als unmännliches Oebahren erscheint Reinmar sieht dies ein:
160, 22 ff., besonders v. 32 tceie ez danne ein kudy deiz su9 iemer Ubete
nach wibey dem sok ich wol wtzen. daz. 173, 3 ich tomn mich Hn ge-
louhen wü. neiriy sd verlUr idi a^ze vil, ist daz alsdy seht weich ein
kindes spiL
Einmal (Reinmar 177, 37) scheint staste in doppeltem Sinne ge-
braucht zu sein, was der geistreichen Manier Reinmars entsprechen
würde, zuerst als Treue gegen den Qatten, dann als Treue gegen den
Freund: /fem wir toip niht mugen gewinnen friunJt mit redcj si enwelien
dan noch me. daz müet mieh, ich wil niht minnen' Begründung: denn
sdcßten wihen tuot unstcste wi, geht auf die Pflicht gegen den Qatten.
Nun aber kommt die Höflichkeit gegen den Freund: wasre ichj des ich
niene bin, unstcete, lieze er danne mich, sS lieze ich in. Hier ist natürlich
nur an die Entziehung der Neigung, nicht etwa eines vertraulicheren
Verkehrs zu denken.
Die Lage, in welche die Dame geräth, ist in der That eine schlimme;
denn einerseits möchte sie sich di6 schmeichelhaften Huldigungen des
Ritters und die Verherrlichung im Gesänge nicht entgehen lassen,
andererseits wünscht sie ihre Frauenehre zu bewahren (Reinmar 171, 11,
187, 9). Sie verflällt darum meist auf ein heuchlerisches Spiel, indem
sie sich anfangs dem ritterlichen Sänger gewogen zeigt und ihm Lohn
verheißt, später aber, wenn derselbe eingefordert wird, die Ertheilung
desselben in die Ferne rückt oder gänzlich verweigert (Gutenb.
76, 3). Daher dann die ungemessenen Riagen der Dichter über unauf-
richtiges Wesen der Herrin, über getäuschte Hoffnung (Job. 86, 11.
Mor. 128,25. 138,10. 143,10. 145,29. Reinmar 158,37. 171,11
[cf. 187, 9] 195, 23).
Auch der Begriff der Ehre muß sich eigenthümliche Ver-
änderungen gefallen lassen, zunächst der Begriff der Frauenehre,
wobei die Auffassung des Mannes von der der Frau zu unterscheiden ist.
In den Frauenstrophen ist gewöhnlich die natürliche und ur-
sprüngliche Auffassung vertreten, insofern Sre die Treue gegen
94 J. HOBNOFP
den Gatten und den darauf gegründeten guten Ruf be-
seichnet.
So Hausen 54, 14 t<>r$t ich genenden , 96 toold ich im enden t^ne
klage y wan daz ich vil sendez totp erfärhten muaz der eren min.
Damit stimmt auch die Auffassung des Weibes bei Veldegge,
wenn er sich auch des Wortes Sre nicht bedient, 57, 5 ff., auch Eist
40, 35 ff. Das Weib hält die völlige Hingabe an den Freund f&r ein
Unrecht.
Rugge 110, 8 dem ich aUolher iren eol getrüwen, ah ich her be-
halten hdn^ den muoz ich S bekennen wol, sin wille vtac sd Ithte niht an
mir ergän, ire ist hier der gute Ruf.
Reinmar 178, 19 meine er wol mit triuwen mich, swaz im danne
müge ze fröuden kamen, daz min er est, daz sprich*, sagt die Frau zum
Boten. Zur Erklärung des Begriffes Sre tragen v. 10 f. und v. 24 ff.
bei. V. 10 f. ^swd du milgest, da leite in abe, daz er mich der rede be-
gebe . .' y. 24 ff. ^«6 bit in daz er vei*bir rede^ die er jungest sprach ze
mir. s6 mac ich in an gesehen, wes wil er da mite beswceren mich, daz
doch niemer moAi geschehen f Die Frau wünscht also den Boten daran
zu hindern, daß er dem Ritter Aussicht auf Lohn eröffne, er soll nur
insoweit freudige Botschaft bringen, als es die Ehre der Dame zuläßt.
Reinmar 186, 25 ^der mir ist von herzen- hoüy dem versprich ich sere
niht durch ungefäegen hat, wan durch mtnes Itbes $r^. 192, 37 nu wil
er {daz ist mir ein n^t), daz ich durch in die ere wäge und auch
den Up*.
Hartm. 217, 19 ^wand ich wägen wil durch in den Up, die Sre
und al den sin.
Bisweilen treffen wir aber auch bei der Frau auf andere An-
schauungen. Die dem Gatten zu wahrende Treue wird auf den Freund
übertragen und dementsprechend der Begriff gewandelt.
Reinmar 200, 33 er srhiet hinnen mit den sinnen, daz ich niht ver-
gizze stn. totp mit gileten sol ir e^e hüeten, wider ir friunt niht striten,
alsd wil ich stn mit eren Uten, Das Bewahren der Ehre kann hier
nur gleichbedeutend mit der Treue gegen den Freund sein.
Öfter begegnet uns die letztere Auffassung beim
Manne. Für ehrenvoll gilt die Hingabe an den Qeliebten bei
Veldegge 67, 8: joch ist diu minne als siwas WÜen ere. Aus dem vor-
hergehenden Verse: und wil doch daz ich klage mtne sdte ergibt sich,
daß unter Minne die Entgegennahme der Huldigung einschließlich
des Lohnes zu verstehen ist; denn durch diesen allein kann die sire
des Dichters gestillt werden. Auch 59, 32 hat man an keine andere
DER MINNESÄNGER ALBBEOHT VON JOHANSDOKF. 95
Erklttrung zu denken: ich tvil frd sin durch ir ire, diu mir daz hete
getan y daz ich tion der riuwe hircy diu mich uMent irte sSre, daz iet
mich nti ^ vergaUj daz ich bin rieh und grdz hSre, stt ich ei muoate
al umbevdn^ diu mir gap rehte minne eunder vAch und äne wan.
Vgl. auch Rugge 105, 6, wo die Erhörung von der tugent der
Frau gefordert wird. 110, 30 mtn heil in ir genäden etat, ei Tcan ver-
kSren sorge, der ich walde, ir güete mich gehoehet hat. daz eol ei meren
nach ir Sre manicvalde.
AU Treue gegen den Geliebten fassen Johansdorf und
Horheim den Ehrbegriff.
Job. 86| 27 Nu helfe er mir, ob ich herwider kerne j ein i^, diu
grSzen humber von mir hat, daz ich si mnde an ir Sren. 88, 13 Ine
erwache nimer ezn si mtn Srste segen, daz got ir eren mileze phlegen
(nämlich während seiner Entfernung auf dem Kreuseuge).
Horheim 114, 28 Ich wü bevelhen ir lip und ir ere got und da
nach allen engelen ein, si sol toisszen^ stoar ich landes kSre^ daz ich ie
bin und muoz iemer sin, als ich S was. Das G^löbniÜ der eigenen Treue
steht hier dem Wunsche, die treue Liebe der Dame zu behalten,
gegenüber. — Der Vorwurf der Treulosigkeit g^en die Freunde ist
mit eingeschlossen, wenn es Hausen als 6ren slac (48, 16), als laster
(48, 22) der Frauen bezeichnet, wtlrden sie sich während der Ab-
wesenheit der Kreuzritter den zurückgebliebenen feigen Männern hin-
geben.
Aber nicht nur dem treuen Freunde sich hinzugeben und ihrer-
seits die Treue zu wahren, gilt als ehrenvoll fQr die Frau, sondern
auch den treulosen Anbeter zu verstoßen. Hartm. 205,24
grdz was min wandel. dd si den enteaz, s6 meit si mich^ vil wol gelcbe
ich daZj me dur ir ere, dan üf minen haz*).
Reinmar macht eine Ausnahme. Wohl beklagt auch er sich über
die Hartherzigkeit seiner Dame, über ihr zweideutiges Benehmen,
dann aber widerruft er plötzlich und rechtfertigt ihr Verfahren als
ein ehrenvolles. 195, 25 vfar umbe rede ich seihen nttf si endähte an
mich ze keiner zit, wan die ein wip gedenket ^ an der triuwe und Sre
lit. Damit stimmt denn auch 165, 37 Ich hdn ein dinc mir für geUit
und strite mit gedanken in dem herzen min : ob ich ir höhen werde-
keit mit minem willen woüe läzen minre sin, ode oh ich daz weUe, daz
si groezer si und si vil scelic wip ste min und aller m'anne
*) Der Interpretation Naomanns (Reihenfolge der Werke Hartmanns Ztschr. f. d.
Alt, 22, 47), welcher die Ehre all Standesehre faßt, kann ich mich nicht anschließen.
96 J* HOKNOFP
vrt. die tuont mir bede wL ine wirde ir last er s mem&i- vrÖ : vergit st
mich, daz klage ich iemer mi. £ininai wendet auch er die conveDtionelle
Bedeutung an: 189, 34 an der ich aber ttiuwe und ire erkenne, tccene
ich des, daz mir diu ungeldnet Idze, so geschcehe an mir, daz nie ge-
schach.
Wie in den meisten der angeführten Stellen der Begriff der
Frauenehre, so ist nun auch weiter derBegriff derMannesehre,
soweit diese sich auf die Minne bezieht, verschoben. Was das natür-
lich-sittliche Bewußtsein als unehrenhaft verurtheilt, die aus dauernde
Liebe zur Gattin des fremden Ritters, das Hegen und Pflegen
dieser Liebe gilt nach der neuen Auffassung als ehrenvoll, sowohl
im Munde der Frau, wie des Mannes. Veldegge geht hierin voran.
Er stellt freilieh diese Treue als eine alte gute Sitte der Flatter-
haftigkeit als einer neuen Unsitte gegenüber, ohne daran zu denken,
daß die alte Treue der noch unverheirateten Frau oder doch wenig-
stens nicht der Gattin eines Anderen galt. 61, 18 cfö man der rehten
minne 'pfiac, dd pflac man auch der eren, nu mac man naht unde tac
die boesen siie iSren. Die ehrenvolle Gesinnung ist an die rehte minne
geknüpft. Was aber Veldegge unter dieser versteht, besagt 59, 30.
60, 2: stver hat rehte minne mnder riuwe und äne voanc, und: diu mir
gofp rehfe minne sunder riuwe und äne teanc* Die boesen säe sind nach
61, ]. ö Uhtekeit und losheit; ihnen gegenüber kann rehte minne nur
„treue Hingabe^ bezeichnen, treue Liebe, die sich auch durch Miß-
erfolge nicht abschrecken läßt: 60,11 diu mich durch rehte minne
lange pine dolen Uet (um die Treue zu erproben). Danach würde auch
60, 14. 18. 26 ere auf treue Liebe zu beziehen sein: cJet* blitschaft
sunder riuwe hcU mit eren, he ist riche. — Sioer mit iren kan gemeren
sine blitschaft, daz ist guof (Refrain).
Derselben Anschauung huldigt Reinmar: 199, 34 (Franenstrophe)
Jch sprich im niht mere, wan daz er mich siht, daz sint sin ere*. Die
Ehre des Ritters verlangt es, daß er der Dame nicht lange seine
Gesellsciiaft entzieht, ihr eine treue Pflege angedeihen läßt. cf. v. 31 ff.
sol ich lidf-n von im langez miden, daz müet mich wol sere.
Das Werben um Frauengunst einschließlich ihres
letzten Zieles ist gleichbedeutend mit der jiorge umb eri,
dem gerben umb %re,
Reinmar 198, 30 der ie gern umb ere warp und dar an ist tin-
verzngt, deme tuot vil menegez to^, des sich jener getroestety . . . der dir
ist verdorben e. Man sol sorgen, sorge ist guot, dne sorge ist nieman
wert. Das ^umb en*e werben ist gleich ^sorgen, sorgen gleich um Liebe
DEE IflNNESlNGER ALBRBOHT VON JOHANSDORF. 97
ringen trotz aller ZarückweisungeD, cf. 199; 8 wer Mt liep an arAeitf
192; 20 Mere umb ere 9ol ein man gesorgen danne umb ander guot,
R. stellt sich in dem Liede seinen Spöttern gegentlber, indem er
sich seines Werbens nach Frauengunst und des Anstandes, mit
dem er seinen Liebesschmerz zu tragen weiß, rühmt. Auch 202, 30
dürfte ere in dem bezeichneten Sinne zu fassen sein. v. 25 Mir igt
der werlde unstcete von genuogen dingen leit. Swie gerne ich rehte teste
{wände ez wcere ein aadekeit), sd enldt mich manie man^ der umb ere
noch um fröude nie deheinen muot gewan.
die sorge umb Sre bei Rugge 110; 7 bezeichnet schon mehr die
Besorgniß; des Lohnes nicht theilhaftig zu werden. Swes muot iedoch
zer werke als der mSne stät, ich wcene er manege sorge unib Sre hat.
Vgl. den Anfang der Strophe: ich hdn nach wäne dicke wol gesungen^
des mich anders mht bestuont^).
Die entgegengesetzte Beurtheilung, welche dieselbe Handlangs-
weise (Gew&hrung bez. Erringen des höchsten Lohnes) bei beiden
Geschlechtern erfährt; spiegelt sich in Joh. *93; 25, wo die Dame zu
ihrem Ritter sagt: wert ich iuchy des hetet ir Sre, s8 waer min der spot.
Es handelt sich nun darum, zu untersuchen; ob dem Einzelnen
die unsittliche Grundlage der Zeitsitte zum Bewußtsein kommt. Nur
bei den Wenigsten, finden wir in den Liedern eine Andeutung. Wenn
auch anzunehmen ist, daß Viele in ihrem späteren Leben; wie Wal-
ther; Wolfram und Hartmann dem Minnedienste den Rücken zu-
kehrten, um wie Wolfram (wahrscheinlich auch Hartmann)*) Befriedi-
gung im ehelichen Leben zu suchen; so hat doch dieser Wandel in
ihren Liedern keinen Ausdruck gefunden. Dieser Gedanke gehörte
eben nicht in den Rahmen des Conventionellen Liebesliedes. Andeu-
tungen aber; daß Einzelnen die sittliche Erwägung nahegetreten ist,
finden wir doch. Gerade gegen sie kämpft Rute mit seinem trotzigen
und leidenschaftlichen Sinne an und stellt sich denen gegenttber; die
in der Todesstunde ihre Sünde bereuen und beichten: 116; 15 Swie
mir der tdt vast üf dem rugge wcere unde dar zuo manic ungemachy s8
wart mm wille nie, deich si verheere, swie nähen ich den tdt la mir ge-
sach. do manic man der siinden sin verjach, d$ war daz mm allermeistiu
meerej daz mir genäde nie von ir geschach. Auch Adeinburc hat sich
die Frage nach der Zulässigkeit der Conventionellen Liebe vorgelegt.
Das Lied 148, 25 erscheint als eine Antwort auf diese Frage : Swer
') Erich Schmidt versteht unter ^0 hier ^Lob der Welt*. Heinrich von Rugge
and Reinmar von Hagenau. S. 28.
') Naumann Zs. 22, 59 f. 74.
«IRMianA. N««« Bellia XTU. (XXXTV.) .lahrf. 7
98 J. HORNOFF
mit triuwen umbe ein vnp tvirhet, als noch maneger tuoty waz schadet der
siU ein werder lip? — Ich swüere wol, ez wcsre guot. üt aber ez ze
himele zorn^ sd kommt die boesen alle dar und sint die biderben gar
verlorn. Wie Anderen scheint auch ihm die unsittliche Grundlage ver-
deckt durch die scheinbare Tugend der Treue, sodann aber durch
die Liebe zu einem würdigen Gegenstande (waz schadet der sele ein
werder Upf). Dieselben Gedanken, die wir bei Johansdorf wiederfinden
werden! cf. auch Mor. 142, 26 gerne sol ein riter ziehen sich ze guoten
vnbeny d^st min rät. boesiu vnp diu sol man vliehen etc. Als dritte Ent-
schuldigung kommt bei Adelnburc noch die Autorität aller trefilichen
Männer hinzu, welche der gleichen Sitte huldigen (149, 2). Wann
dieses Lied abgefaßt ist, ob Adelnburc vielleicht im Ausgange der
achtziger Jahre unter dem Einflüsse der Ereuzpredigt sich diese sitt-
liche Frage vorgelegt hat, läßt sich nicht bestimmen, wäre aber
möglich. Das aber ist gewiß, daß die fttr die Christenheit so er-
schütternden Vorgänge im Morgenlande vom Jahre 1187 (Schlacht
bei Hattin, Einzug Saladins in Jerusalem), die wiederaufgenommene
und aller Orten gepredigte Kreuzzugsidee Viele zur Selbstschau, zum
stillen Insichgehen veranlaßte. Suchte doch der Ereuzprediger die
Menschen zur Kreuznahme gerade dadurch zu bewegen, daß er sie
einerseits an ihre Sünden erinnerte, anderseits auf den himmlischen
Lohn hinwies. Und so werden wir eine ganze Gruppe von Sängern
kennen lernen, in welchen diese Idee zündend wirkt, und welche nun
entweder einen Bruch oder einen Ausgleich mit ihrer bisherigen An-
schauung herbeizuführen bemüht sind: ich meine die Minnesänger
Hausen, Johansdorf, Rugge, Reinmar und Hartmann.
Das diesen Männern, etwa mit Ausnahme von Rugge, Gemein-
same ist das Bewußtsein, daß die conventioneile Liebe eine Sünde sei.
Hausen 46, 14 Ich bin ir holt : swenne ich [vor gote getar^ so ge-
denke ich ir. daz ruoch auch er vergeben mir,
Joh. 90, 8 Ich gedenke manege naht : waz sol ich wider got nu tuon,
ob ich belthe, daz er mir genoedic sif «ö weiz ich niht vil groze
schulde, die ich habCy niuwan eine, der enkume ich niemer
abe» 'alle sünde lieze ich wol wan die : ich minne ein wtp vor al
der werüe in minem muote, got herre daz verväch ze guote.
Reinmar 181, 35 In erlaube in (nämlich den gedanken) eteswenne
dar (nämlich zur Geliebten) und aber wider sä zehant, sos unser beidei-
friwent^) dort gegrüezenj so keren dan und helfen mir die sünde büezen.
^) So Becker S. 139, Haupt friunde.
DER MINNESANG KR ALHREOHT VON JOHANSDORF.
99
Hartm. 209, 25 dem hrkize zimt wol reiner rmtof und kitische 9Üp.» so mae
man s^dde und allez guot erwf^'ben mite, wich ist ez niht ein kleiner haß
dem iumhen matt, der shne Uhe Tneisferschaft niht hauen han. ez unl niht,
daz man sü dei* werke di^mder frt. 210, 11 diu werü mich lachet trie^
gent an und winket mir, nu hdn ich ala ein fumber man gevolget ir.
der [hacken hdn ich manegen tac gelaufen nach, da nieman starte vinden
kany dar was mir gäch, nu hilf mir herre kr tat ^ der min da värend
istj daz ich mich dem entsage mit dmem zeichen y deich hie trage.
Die Reue über das weltliche Treiben bezieht sich natürlich auf das
vorangeganf^ene erste Minneverhftltniß Hartmanns ^).
Unklar bleibt nur die Stellung von Rugge. Die Stelle im Kreuz-
laiche ist zu allgemein gehalten, als daß aus ihr ein Schluß gezogen
werden könnte. 97, 2 ob ich verbir die bheden gir, die noch min herze
treity so wirt mir hin ze den fröweAen gäch. Die blcßde gir kann sich
auf alles Mögliche beziehen. 98, 33 wendet sich der Dichter nicht
^egen die conventionelle Liebe im Allgemeinen, sondern gegen die-
jenigen, welche sie der Pflicht der Kreuznahme nieht opfern wollen.
Nach 105, 33 ff. scheint er sie mehr f)ir eine Thorheit als eine Sünde
zu halten: Jch hdn dei* werlie ir reht getan ie nach der mäze als ez
mir stuonty der volge ich noch vf guoten wdn, als am die toren alle
tuont. Leicht möglich, daß Rugge zu der Zeit, als er den Leich dichtete,
seinen Minnedienst beendet und so nicht mehr nöthig hatte, persönlich
Stellung zu der Frage zu nehmen, möglich aber auch, daß er, der
an leichtem und fröhlichem Muthe Veldegge gleicht, ebenso wie jener
den inneren Widerspruch nicht empfand.
Es handelt sich nun um die Stellungnahme, um den sittlichen
Kampf der Übrigen und um dessen Ausgang. Herauszuheben ist zu*
nächst Hartmann, der allein von Allen mit seiner bisherigen An-
schauung bricht. Er hat dieselbe als unrichtig anerkannt und ver-
sucht keinen Ausgleich. Im November-December des Jahres 1195 hat
Hartmann das Kreuz genommen*). In demselben Winter folgen die
Lieder 209, 25 dem kriuze zimt wol reiner muot etc. und 210, 35 Mtn
fröide wart nie sorgelos etc., in denen er seinem früheren weltlichen
Treiben entsagt. Wenn er nun im Frühling des folgenden Jahres sich
abermals verliebt, so ist dies keine Inconsequenz , kein Rückfall in
die alte Anschauung, mit dem sich zugleich der Widerspruch mit
seiner Würde als Kreuzträger hätte einstellen müssen. Nein, diese
') Naumann Zs. 22, 74.
') Naumann Zs. 22. 60. 43 ff.
100 J- HOBNOFF
zweite Liebe hat eine ernste Neigung zum Hintergrunde , sie sucht
eine dauernde Verbindung mit der Geliebten*, die dann nach dem
Ereuzzuge wahrscheinlich auch erfolgt. Bei Hartmann löst sich also
der Conflict klar und einfach.
Nicht 80 bei den Übrigen. Hausen, Johansdorf, Reinmar wollen
von ihrer Liebe nicht lassen, und sie suchen deshalb einen Ausgleich
zwischen ihrer Liebesempfindung und ihrem religiösen Gefühle herbei-
zuflihren, jeder auf andere Weise und mit verschiedenem Erfolge.
Hausen, der von den Dreien am meisten weltmännischen Sinn
zeigt, weiß am leichtesten über den Conflict hinwegzukommen. 46, 14
Ich hin ir hoü : swenn ich vor gote getaVy so gedenke ich ir, daz ruoch ouch
er vergeben mir; tüan ob ich des sünde silie hän, ztoiu schuof er si so
rehte wol getan f Er rechnet auf Gottes Nachsicht, indem er ihm vor-
wirft, daß er ja die Geliebte so schön geschaffen habe, und meint,
daß damit eigentlich seine Sünde wegfalle: eine mehr geistreiche
Wendung, als wirklich ernste Erwägung. Am Schlüsse trifl% er den
Ausgleich, daß er Gott den ersten, den Frauen den zweiten Platz in
seinem Herzen einräumen wolle. 47, 7 d&n (nämlich got) wil ich vor
in allen haben, und in (= den frouwen) da nach ein holdez herze tragen.
Die Buhe, die er damit gewinnt, ist darum keine nachhaltende. Er
hat sich getäuscht, wenn er geglaubt hat, daß mit der einfachen
Thatsache der Kreuznahrae auch der innere Streit entschieden sei
(47, 17. 23). Von Neuem kämpfen seine Empfindungen gegen den
gefaßten Entschluß an, kämpft sein herze gegen den Itp (47,9). Er
ist nicht stark genug, die ersteren zu unterdrücken, und läßt ihnen
darum freien Lauf. Religiöse Empfindung und Liebesgeftthl stehen unver-
mittelt nebeneinander, und das letztere hat sogar die Oberhand (47, 25 ff.).
Weit ernster nimmt es Reinmar mit diesem Widerstreit der Ideen.
Auch er hat den kühnen Entschluß gefaßt, das Kreuz zu nehmen
und den Frauen zu entsagen, und wie schwer ihm dies auch gefallen
ist (180,28 ff.), er sucht sich im Hinblick auf die zu erwartende
weltliche Ehre und auf die Gnade Gottes zur Freude durchzuringen,
wie er denn auch die Anderen zur Freude ermahnt (180, 36 ff.).
Aber freilich der Wille ist zu schwach, wie bei Hausen und vielen
Anderen (181, 22), um die einmal als unberechtigt anerkannten
Gedanken völlig zu bannen. Und so gestattet auch er ihnen (181, 33),
weil ihm nichts Anderes übrig bleibt, den gewohnten Weg vom Herzen
zur Geliebten, aber — und hier zeigt sich der Unterschied von
Hausen — während jener sie dort ruhig weilen läßt (47, 25), ruft
sie Reinmar gebieterisch zurück, damit sie die begangene Sünde
DER MINNESINGER ALBRECHT TON J0HAN8D0RF. IQl
büßen helfen und Vergebang erlangen (181, 38). Kleinlaut schließt
Reinmar mit der Befürcbtang^ daß ihn die Qedanken noch recht oft
betrügen werden (182^2). Der Widerspruch bleibt also bestehen^ aber
die religiöse Empfindung überwiegt.
Ohne Beimischung religiöser Ideen wird uns der sittliche Kampf
165, 37 ff. geschildert. Nachdem Reinmar drei Strophen hindurch in
der conventioneilen Anschauung sich bewegt hat, bricht plötzlich das
sittliche Bewußtsein durch : Ich hän ein dinc mir für geleit und strite
mit gedanken in dem herzen mtn^ ob ich ir hShen werdekeit mit minem
willen woüe Idzen minre sin^ ode ob ich daz welle, daz si groezer in und
si ml scelic tvip ste min und aller manne vru die tuont mir bede wS.
ine wirde ir lästere niemer vro. verget si mich, daz Idage ich iemerme.
Es handelt sich also um die Frage, ob Reinmar seine Dame zu einer
Handlungsweise veranlassen soll; die sie in seiner eigenen sittlichen
WerthschätzuDg herabsetzt, ihm aber Befriedigung seines Herzens-
dranges verschaffi, oder ob er sie lieber sittlich rein, befreit von seiner
und aller übrigen Männer Liebe zu sehen wünschen soll. Reinmar
schwankt; ohne zu einer Entscheidung zu kommen; ihren Schimpf
mag er nicht mitansehen, aber ihr entsagen kann er nicht. Die letzte
Strophe des Liedes, die nur in E überliefert ist (die übrigen in ABC)
und mit der eben besprochenen in durchaus keinem Zusammenhange
steht, ist wahrscheinlich eine Zusatzstrophe. Das Lied schließt, wie
das Kreuzlied; unbefriedigt.
Auch die Bevocatio in 195, 25 weist diesen Widerstreit der Ideen
auf. nieman weiz, ob si mich wert oder wiez ergät^ nein oder jä^ ich
enweiz enwederz da, warumbe red ich solhen nitf si endähte an
mich ze keiner zit^ wan als ein wtp gedenket, an der triuwe
und ere liU
Ganz anders als bei Hausen und Reinmar steht die Sache bei
Johansdorf. Auch er hat einen harten Kampf durchzumachen (90, 5 ff.) :
schlaflos wälzt er sich die Nacht auf seinem Lager und überlegt,
ob er das Kreuz nehmen soll; zwar drücken ihn nicht viele, schwere
Sünden, aber die eine, die Liebe zu einer Frau erfordert eine Sühne.
Nicht aber, wie Reinmar, beschließt er darum, dieselbe zu lassen, dazu
ist seine Empfindung zu mächtig ; er bittet Gott um Nachsicht (90, 15),
wie Hausen darauf rechnet (46, 16 ff.). Einmal (94, 25 ff.) versucht
auch er die Minne von sich zu weisen, aber im nächsten Augenblicke
gestattet er ihr, in seinem Herzen die Reise nach dem heiligen Lande
mit ihm zu unternehmen, und wagt es sogar, für die Geliebte den
102 J- HORNOFF
halben Lohn der Fahrt bei Gott zu erbitten. Nichts von Unruhe und
Widerspruch mehr in seinem Herzen. Noch mehr erstaunen wir,
wenn der Dichter dieser Liebe zuschreibt, daß sie von Sünden vor
Gott freimache (88, 33 ff.) : Swer minne muinecltche treu gar äne
valschen muoty des siinde loirt v(yr gote niht geseit si Huret und ist guot.
Johansdorf muß einen Ausgleich in seinem Herzen getroffen haben.
Was aber ermöglichte diesen? Er betont die reine Liebe {swer
minne minnecltche treu gar dne valscheti muot) und die Empfin-
dung ftlr reine Frauen (88, 37 man sol miden boesen kranc und
minnen reiniu vnp), Sie veredelt den Menschen nicht nur nach der
geselligen Seite hin, wie das die übrigen Minnesänger hervorheben,
sie heiligt auch das Innere des Menschen (v. 88, 35 des siinde wirt
vor gote niht geseit, si tiuret und ist guot). Dazu kommt die Treue,
die starke, die anhaltende Empfindung. 86, 1 Min erste
liebe, der ichiebegan, diu selbe muoz an mir diu leste sin, an vröu-
den ich des dicke schaden hau; iedoch so ratet mir daz herze min : solde
ich minnen mer dan eine, daz enwcere mir niht guotj söne tninnet ich
deheine* seht, wie maneger ez doch tuöt! 87, 5 Mich mac der t/jt von
ir minnen wol scheiden, anders nieman, des hdn ich gesworn, 89, 1
tuo erz (= minne er ein reinez wtp) mit triuwen, so hob iemer danc
sin tugentlicher lip. künden si ze rehte beidiu sich bewarn, für die wil
ich ze helle vam ,.,. ich meine die da minnent äne gallen, als ich mit
triuwen tuon die lieben frouwen mm, 91, 29 Swä zwei herzeliep ge-
friundent sich und ir beider minne ein triuwe wirt, die sol niemeii
scheiden, dunket mich, al die wile unz si der tot verbirt, 91, 24 ist
daz ich es inne werden solf wie dem herzen herzeliep geschiht, so he war
mich vor dem scheiden got, dazwoen bitter ist. Vgl. auch 91, 13»
In 89, 15 liegt eine Polemik gegen die getheilte Liebe. Reine und
starke, anhaltende Empfindung, sie beherrschen das Herz des Dichters
in so hohem Grade, daß er über die unsittliche Grundlage seiner
Liebe hinwegsieht, und daß eine Vereinigung der Liebesempfindung
mit dem religiösen Gefühle ermöglicht ist.
Psychologisch interessant ist es nun weiter, denGründon nach-
zugehen, welche den Einzelnen direot oder indirect zur
Erkenntniß seines unsittlichen Handelns und damit zur
Kreuznahme bewegen. Zwei Motive treten hierbei in den Vorder-
grund: einmal die Furcht vor dem Tode, welcher dem Gemüthe
nahegebracht wird durch die großen Verluste der Christenheit im
Orient, und sodann die Erfolglosigkeit in der Liebe.
Das erste Motiv erscheint bei Hausen, Rugge, Johansdorf.
DER MINNESÄNGER ALBSEGHT VON J0HAN8DORF. 103
Hausen 46, 28 nieman wetz, wie nähe im tat der tot Rugge 99, 15
nie man weizy wie lange er lehet,
Johansdorf wird erschttttert durch das Massensterben der Men-
schen : er sieht darin eine Folge des Zornes Gottes. 88, 27 Wir haben
in eime jdre der Hute vil verlorn, da In eo merket gates zom.
Das zweite Motiv, die Erfolglosigkeit der Liebe, bat Hausen.
46, 29 einer frouwen was ich zam, diu äne lön min dienest nam, von
der sprich ich niht wan allez guot, wan daz ir tnuot zunmilte ist wider
mich gewesen, vor aUer not ich wände sin genesen, dö sich verlie min
herze üf genäde an sie, der ich da leider niene funden hdn. nu
loil ich dienen dem, der Ionen kan,
Reinm. 103, 22. Do Sprechens zU was wider diu wvp, do warp ich
als ein ander man, do wart mir einiu als der lip, von der ich niuwan
leit gewan, do wände ich ie, si wolde ez wenden, hast ich si noch, ich
künde ez niht verenden, nu hän ich mir ein leben genomen,
daz sol, ob got von himele wil, mir noch ze staten komen.
Indirect spricht Reinmar den Gedanken auch 180, 28 ff. aus.
Hartm. 211, 8 ff. Mich hat diu werlt also gewent, daz mir
der muot sich z einer mäze nach ir sent. desi mir nu guot got
hat vil wol ze mir getan, als ez nu stät, daz ich der sorgen bin erlän,
diu manegen hat gebunden an den fuoz, daz er beliben muoz, swenn ich
in Kristes schar mit fröiden wünneclichen vor.
Bei Hartmann häufen sich die Motive. Der Tod seines' Herrn
hat ihm alle irdische Freude geraubt, so da(^ er nur noch an sein
Seelenheil zu denken wünscht. 210, 23 SU mich der tot beroubet hat
des herren min, swie nü diu weidt nach im geatät, daz Idz ich sin, der
fröide min den besten teil hat er da hin^ und schliefe ich nu der sele.
heil^ daz wcere ein sin. Freilich hält das erste Motiv, wonach Hart-
mann auf die Liebe verzichtet, nicht nach. Noch vor dem Kreuzzuge
(1197) verliebt sich der Dichter zum zweiten Male, ohne daß freilich
dies für ihn die Veranlassung würde, in der Heimat zu bleiben. Im
Gegentheil ist es gerade die Geliebte, die ihn antreibt, dem geleisteten
Versprechen nachzukommen, und so für ihn ein neues Motiv zur
Kreuzfahrt hinzufügt. 217, 20. 8welch frouwe sendet lieben man mit
rehtem mUot üf dise vart^ diu . . . 218, 10 Nu hat si mir enboten bi ir
liebe j daz ich var. v. 11 ez ist geminnety der sich dur die Minne eilen-
den muoz.
Mit den genannten Dichtern vergleiche man Morungen, welcher
durch die Erfolglosigkeit seines Minnewerbens nicht zu religiösem
Denken, sondern nur zur Todessehnsucht geleitet wird. 139, 11 ff.
104 J. HOENOFF
A'uch die Zwecke^ die der Einzelne durch die Kreuzfahrt zu
erreichen hoffli; sind nicht die gleichen.
Reinmar und Hartmann betonen neben dem ewigen auch den
zeitlichen Lohn, neben der Seligkeit den irdischen Ruhm.
Reinmar 180, 38 wir selten hiure wesen frder danne verL söne
(Regel, yS Haupt) mae ein man erwerben des er gert, lop und ere und
darzuo gotes hulde.
Hartm. 210, 7 wan swem daz ist beschert ^ daz er dd wol gevert,
daz giltet beidiu teilj der werlte lopj der sele heiL
Hausen, Johansdorf, Rugge kennen nur den himmlischen Lohn.
Hausen 46, 38 jiu wil ich dienen dem^ der ISnen hau. Er denkt
hierbei gewiß nicht an den irdischen Ruhm, mit dem ja Gott eben-
falls lohnen könnte. Dafltr spricht 53, 35: 8werz kriuze nam Und wider
warpy dem wirt doch got ze jungest schm, swann im diu porte ist
vor verspart^ die er tuot üf den Hüten sin.
Johansdorf 87, 23 wir buln vam durch des riehen gotes ere gerne
ze helfe dem heilegen grabe, swer daz bestrüchet, der mae wol be-
snaben, däne mae niemen gevallen ze sere^ daz meine ioh,
sd die sile werden gevage, so si mit schalle ze himele keren.
94, 15 Guote Hute, hoU die gäbe, die got unser herre selbe gßty der al
der weite hat gewalt. dienet stnen solt^ der den vil sceldehaften
dort behalten Itt mit vröuden iemer manicvalt etc. Vgl. auch
89, 32 'ff.
Rugge 96, 19 ez wurde ein langer wemder hört, swer got nu dienen
künde, daz wcere guot und ouch mm rät^ daz wizzent algeltche, vil
maneger drumbe enphangen hat daz frdne himelr%che\ und
sonst öfter.
Bei Johansdorf und Hartmann kommt aber noch der Wunsch hinzu,
den halben Lohn für die Fahrt der Geliebten zukommen zu lassen.
Joh. 94, 31 Wilt ab du (= Minne) üz minem herzen scheiden niht,
..., vüer ich dich dan mit mir in gotes lant, so si er umbe halben
Idn der guoten hie gemant.
Hartm. 211, 20 Swelch frouwe sendet lieben man mit rehtem muote
üf dise varty diu koufet halben Ion daran, ob si sich heime also
bewart, daz st verdienet kiu^chiu wort, si bete für si beidiu hie, sd vert
er für st beidiu dort
Ursprünglich freilich hat Hartmann den halben Lohn seinem
verstorbenen Herrn zugedacht. 210, 31 mae ime (= dem. herren) ze helfe
kamen min vart, diech hdn genomen, ich wil irm halber jehen^ vor
gote müeze ich in gesehen.
DBB MINNESlNGEB ALBRECHT VON JORANSDOBF. |06
Überblicken wir nochmals den Inhalt der Gedankenwelt Johans-
dorfs, 80 ist es das Sittliche seines Denkens und Empfin-
den s^ was vor Allem hervortritt, und wodurch er sich vor sämmt-
lichenl Minnesängern der älteren Zeit auszeichnet. Er ist ein vor-
zttgsweise sittlicher Charakter. Die Unsitte seiner Zeit vermag auch
er nicht zu durchbrechen^ aber die Stärke und Reinheit seiner Empfin-
dung hilft ihm darüber hinweg, das Unsittliche fernerhin noch als
Unrecht zu empfinden. Reinmar gegenüber, der ihm an sittlicher Fein-
ftihligkeit am nächsten steht, ist er Realist. Jener erkennt sehr wohl
das Unzuträgliche seines Handelns. Er stellt sich (165, 37) vor die
Wahl zwischen dem Rechten aber Unangenehmen einerseits und dem
Unrechten aber Angenehmen anderseits. Aber er entscheidet sich
nicht. An anderer Stelle (181, 13), wo er sich für das Rechte ent-
schieden hat, vermag er mit dem Unrecht nicht vollständig zu brechen,
nicht Meister seiner Gedanken zu werden. Die Kluft zwischen Denken
und Handeln bleibt bei ihm bestehen, während Johansdorf Beides zu
verschmelzen weiß und in sich befriedigt ist.
Was die Form der Gedanken anlangt, so berühren sich natürlich
einzelne Ausdrücke und Wendungen in den Minneliedom mit denen
anderer Minnesänger, und doch fehlt auch hier das Originelle nicht,
was zum Theil durch das Sittliche von Johansdorfs Empfinden,
zum Theil durch die Stärke seines Naturgefühles bedingt ist. Auf
letzterem beruht die Beschreibung der Blumenpracht 90, 32 und der
herrliche Refrain (90, 23. 31): fröude und sumer ist noch allez hie^ auf
ersterem die Betonung des Unrechts, was die Dame durch ihr falsches
Spiel an dem Dichter begeht : 86, 9 Ich wil ir raten bi der sele mtn
durch keine liebe niht wan durch daz reht etc.
Auch durch Entlehnung aus fremdem Gebiete führt derselbe
neue Wendungen und Formen in den Minnesang ein. In den Schatz
der Volkspo^sie greift er, um den vollklingenden, im älteren Minne-
sänge einzig dastehenden Ausdruck der Freude über die vorgestellte
Ankunft eines Liebesbotens zu gewinnen. 91, 36 cf. S. 111.
Als den ersten Versuch, die romanische Form des jeu parti in
freier Weise nachzuahmen, sehe ich das Lied 89, 9 an. cf. S. 110.
VI. Zeitliche Anordnung.
Auf formelle und inhaltliche Gesichtspunkte gestützt, versuche
ich eine Anordnung der Lieder zu geben, indem ich dabei von der
Voraussetzung ausgehe, daß die Lieder eines Tones zeitlich nicht allzu-
fern auseinanderliegen und vor oder nach denjenigen eines anderen
106 J. HOBNOFF
Tones entstanden sind. Nur 86, 1 und 86, 25 trenne ich zeitlich, da der
Ton der letzteren Strophe eine Modification von dem der ersteren ist.
Einen Anhaltspunkt bei Bestimmung der Reihenfolge gewinnt
man zunächst durch den Kreuzzug, wodurch sich diejenigen Lieder,
welche eine Andeutung desselben enthalten (= Kreuzlieder) von den
übrigen (den Minueliedern) als besondere Gruppe abheben. Man wird
sie zeitlich hinter die Minnelieder stellen müssen, da sie der conven-
tioneilen Formeln, die in diesen noch ziemlich häufig sind, entbehren
und eine höhere Stufe der Technik aufweisen. Ausschließlich in den
Kreuzliedern findet sich die Form der Ausrufe (90, 4. 94, 35 ff.
95, 6 ff.), der Anrede an die Dame (87, 21), an die Minne (94, 25),
an die eigene Person (Rede der Frau 94, 38), die Schwur- und Fluch-
form (87, 5. 88, 9. 87, 37. 87, 9. 35. 89, 30), Personification (94, 25),
Chiasmus (94, 23. 86, 17), die ungemein kühne Parenthese (89, 5),
die wirkungsvolle doppelte Antithese (94, 21. 22. 94, 24) oder die in
zwei benachbarten Versen wiederholte Antithese (94, 36 f.), der Dialog
(87, 15 ff.), die Einführung anderer Personen als redend (87, 14.
94, 35. 95, 13. 89, 25). Mit Absichtlichkeit wiederholt der Dichter
bestimmte Satzformen (88, 19. 94, 15. Haupt- mit Relativsatz wieder-
holt oder einfache Parataxe), um seine Rede ernst und eindringlich
zu gestalten. — Auch die complicirteren Töne gehören den Kreuz-
liedern an (Stollen mit drei Versen: 89, 21. 94, 15; mit vier Versen:
87, 29). — Was die Formelhaftigkeit der Minnelieder anlangt, so lese
man nur 89, 9. 90, 16. 92, 7.
Innerhalb der Kreuzlieder werden die wenigen Anspielungen auf
die Kreuzfahrt und auf die Bulle Gregors, welche Wolfram in der
angeführten Abhandlung^) aufgedeckt hat, maßgebend sein. 89, 21
fällt mit seiner Hindeutung auf den ersten Zug der Kreuzfahrer unter
Friedrich {„die hinnen varn^) in den Sommer 1189'). 87, 29 (speciell
88, 19 ff.), 86, 25 und 94, 15 enthalten Anklänge an die Bulle Gregors;
welche am 27. März 1188 auf dem Reichstage von Mainz zur Ver-
lesung kam, fallen also hinter diesen Termin. Weiter sind 87, 29 und
87, 5 entstanden , nachdem der Dichter das Kreuz genommen hat*
In der dritten Strophe von 89, 21 dagegen schwankt der Dichter noch,
ob er in der Heimat bleiben oder sich am Zuge betheiligen soll. Ent-
weder ist also die Kreuznahme noch nicht erfolgt^ oder sie ist erfolgt,
und der Dichter denkt trotzdem an die Möglichkeit des Zurückbleibens.
>) Ztichr. f. d. Alt. 30, 111.
^ Ztschr. f. d. Alt. 30, 114.
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHANSDORF. 107
Freilich würde er sich in letzterem Falle eines Wortbruchs Gott gegen-
über schuldig machen. Dieser Gedanke tritt aber bei seinen nächt-
lichen Erwägungen nicht auf^ es peinigt ihn nur die Schuld seiner
unerlaubten Liebe. Ich nehme demnach das Erstere an: die Kreuz-
nähme ist noch nicht erfolgt. Dann aber fallen 87, 5 und 87, 29 nach
89, 21, also zwischen den Sommer 1189 und den Aufbruch Leopolds
von Osterreich Sommer 1190*), mit dessen Heere Johansdorf den Zug
antrat. Innerhalb dieses Zeitraumes muß der Dichter das Kreuz ge-
nommen haben.
Kurz vor dem Aufbruche sind 86, 25 und 94, 15 entstanden.
In 94, 15 (v. 35 ff.) ist der Streit mit der Geliebten wegen der Kreuz-
nähme ausgeglichen, welcher in 87,5 und 87,29 noch eine große
Rolle spielt. Der Dichter bittet die Minne (94, 25), ihn bis zu seiner
Rückkehr freizulassen. Die Geliebte zittert vor dem nahen Tage der
Abfahrt (95, 5 ez nähet, er wil hinnen varn). In 86, 25 bittet der Dichter
Gott, über die Ehre der Geliebten bis zu seiner Rückkehr zu wachen-
94, 15 fällt wohl noch etwas später als 86, 25, da sich der Dichter
in der zweiten Strophe schon in der Ferne wähnt.
Die Ordnung der Lieder ist also folgende:
89, 21 Sommer 1189.
8775717729 Sommer 1189 bis Sommer 1190.
86, 25. 94, 15 Sommer 1190.
Mit geringerer Sicherheit lassen sich die Minnelieder ordnen.
Ich habe schon früher wahrscheinlich zu machen gesucht, daß
die beiden Lieder 91, 8 und 91, 22 den Abschluß des Minneverhält-
nisses zur Voraussetzung haben; sie würden wir demnach an das
Ende der Reihe stellen müssen.
89, 9. 90, 16. 90, 32 enthalten viel conventioneile Phrasen:
Schmerz über die Entfernung von der Geliebten und über ihre Hart-
herzigkeit, Freude über den erhofften Anblick.
92, 7 ist geradezu stümperhaft und erscheint als Erstlingswerk.
91, 36 ist ein Virtuosenstückchen, welches des schlichten Aus-
druckes wahrer Empfindung, wie ihn die späteren Lieder aufweisen,
entbehrt. Alle die genannten werden wir aus den bezeichneten Grün-
den an den Anfang zu stellen haben, etwa in der Reihenfolge: 92, 7.
- (89, 9. 90, 16. 90, 32) — 91, 36.
86, 1 schlägt plötzlich einen neuen Ton an. Das conventioneile
Minnetreiben scheint unserem Dichter lästig, das Kokettieren seiner
•) Wolfram a. a. O. S. 114.
108 J. HOBNOPP
Dame widerlich; die Eigenart Johansdorfs^ der speciell sittliche Cha-
rakter kommt zum Durchbruch, er verlangt nicht um der Liebe, son-
dern um des Bechten willen Offenheit von der Dame^ bestimmte
Zusage oder Absage ohne Umschweife (86, 9). Das dürfte der Anlaß
zu dem folgenden Abschluß des Verhältnisses gewesen sein, und so
schließt sich der Kreis. Das Bild der Beihenfolge würde dieses sein:
I. 92,7. 89, 9. 90, 16. 90, 32. 91,36.
II. 86, 1.
III. 9l78r"9l7^2.
Prüfen wir nun noch, wie sich die Strophenzahl der Lieder zu
der aufgestellten Anordnung verhält.
Die Strophenzahl kann nur insoweit als Kriterium gelten, als
man annehmen darf, daß der Entstehung mehrstrophiger Lieder die
einstrophiger vorangegangen sein muß, in unserem Falle, daß die
Entstehung der dreistrophigen Lieder den Vorgang mindestens eines
zweistrophigen, die Entstehung der zweistrophigen den Vorgang minde*
stens eines einstrophigen Liedes voraussetzt.
Falsch dagegen wäre die Annahme, daß sämmtliche ein-
strophigen vor den zweistrophigen, sämmtliche zweistrophigen
vor den dreistrophigen gedichtet seien, dem Dichter mithin die Mög-
lichkeit benommen gewesen wäre, vom dreistrophigen Liede zum zwei-
und einstrophigen zurückzukehren.
Die Strophenzahl der Lieder stellt sich nun folgendermaßen:
Von den Minneliedern sind die meisten zweistrophig: 89, 9.
90, 16. 90, 32. 91, 8. 9J, 22; nur eines dreistrophig: 86, 1; zwei ein-
strophig: 91, 36. 92, 7.
Unter den Kreuzliedern finden sich zwei dreistrophige: 87, 5
und 89, 21, zwei zweistrophige: 87, 29. 94, 35. Die übrigen sind ein-
strophig: 86, 25. 88, 19. 88, 33. 94, 15. 94, 25. — Daß gerade unter
den Kreuzliedern, deren Entstehung später angesetzt wird, als die
der Minnelieder, so viel einstrophige erscheinen, darf nicht wunder
nehmen, da drei von den fünf Liedern sich der Spruchform nähern,
zu deren Charakter ja die Einstrophigkeit gehört: 88, 19 (indirecte
Ermahnung zum Kreuzzuge). 94, 15 (directe). 88, 33 (allgemeine Er-
mahnung zur Treue, an Liebende gerichtet).
Betrachten wir nun die Aufeinanderfolge der Lieder mit Rück-
sicht auf ihre Strophenzahl, so beginnt ein einstrophiges die Reihe
der Minnelieder: 92, 7. Es folgen die zweistrophigen: 89, 9. 90, 16.
90,32, mit Unterbrechung durch ein einstrophiges (91,36) das drei-
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON JOHAN8DORF. 109
strophige 86, 1. Den Beschluß bilden swei zweistrophige Lieder 91, 8.
91, 22,
Die höchste Strophenzahl ist bereits innerhalb der Minnelieder
erreicht. Die Reihe der Ereuzlieder beginnt gleich mit zwei drei-
strophigen: 89,21. 87,5 und wird fortgesetzt mit zwei- und ein-
strophigen« Ton 87, 29 enthält ein zweistrophiges: 87, 29, und zwei
einstropbige Lieder: 88, 19. 88, 33. 86, 25 ist einstrophig. —
Ton 94, 15 setzt sich aus zwei einstrophigen (94, 15. 94, 25) und
einem zweistrophigen Liede (94, 35) zusammen.
Wir haben also thatsächlich ein Fortschreiten rom ein- bis zum
dreistrophigen Liede festzustellen. — Auch von diesem Gesichtspunkte
aus läßt sich die Möglichkeit wenigstens der obigen Anordnung nicht
bestreiten.
Haben wir die Minnelieder vor die Ereuzlieder zu setzen, so
sind sie etwa in der Zeit 1187 — 1188 entstanden. In das Jahr 1189,
wo Johansdorf der Entschluß der Ereuznahme nahetritt, dürfte keines
der Minnelieder fallen, da ja sonst ein Hinweis auf den Ereuzzug
nicht zu umgehen gewesen wäre^).
VU. Fremd« Einflüsse.
Am deutlichsten tritt der Einfluß der romanischen Dichtung her-
vor, welcher durchaus kein directer zu sein braucht, sondern von den
romanisierenden Standesgenossen Johansdorfs übermittelt sein kann.
Dieses gilt vor allen Dingen von den Phrasen der conventioneilen
Minnepoösie, die auch Johansdorf im Anfange seines Dichtens häufig
verwendet (89, 9 ff. 90, 16 ff. 91, 1 ff.), die aber später, je näher ihm
der Entschluß zur Kreuznahme tritt, um so mehr verschwinden und
einem warmen Tone der Empfindung Platz machen.
Romanisch ist die Durchführung zweier Reime durch Stollen und
Abgesang (87, 5) und die Verknüpfung zweier Strophen durch den
Reim (87, 5 erste und zweite Strophe). Die Anwendung vocalischen
Gleichlautes in den Reimen der Stollenverse und in der Waise des
Abgesangs innerhalb der beiden Strophen von 90, 32 haben wir auf
eine freie Behandlung des romanischen Princips der Reimhänfung
und Reimentsprechung zurückzuführen gesucht. — Der umschließende
Reim^), wie die Verbindung kurzer und langer Verse*), die bei Johans-
dorf sich nicht selten findet, deuten auf denselben Ursprung.
') Nach Becker (a. a. O. S. 229) hat J. nicht ror 1189 gedichtet.
^) Becker a. a. O. S. 126.
*) Bartsch Germ. II, 282.
110 J» HOBNOFF
Einen Ansatz zu dem jeu parti (prov. jocx partitz, partimens oder
partia^), dem geteilten spil (ef. Hartm. 216, 8) möchte ich in 89, 9
finden. Der Dichter richtet hiet, nachdem er über das Vergebliche
seines Dienstes geklagt hat, an einen Standesgenossen {herre) die
Frage, ob es erlaubt sei, zwei Frauen heimlich zu dienen (oder
nicht)? An die Antwort desselben müßte sich, wenn das Lied ein
durchgeführter yew paHi wäre, eine Discussion schließen, in welcher
der Fragesteller die Gegnerschaft übernimmt. Diese Discussion erfolgt
nicht, ist aber doch in der Antwort andeutungsweise enthalten. Der
Gefragte gibt die Zulässigkeit des doppelten Dienstes stillschweigend
zu, läßt aber den zu erwartenden Einwand des Gegners: daß man
dann auch den Frauen die Entgegennahme mehrseitiger Huldigung
gestatten müsse, nicht gelten. Der Dichter erspart sich eine weitere
Entgegnung, da diese Entscheidung sich als einseitig und damit als
unzulässig für jeden gerecht ürtheilenden ergibt. Der Antwortende
erscheint somit gleichsam als der Geschlagene. Es ist, wie gesagt,
nur ein Ansatz zum jeu parti, aber als solcher nicht zu verkennen.
Man vergleiche hierzu Rubin MSH. I, 314% vierte Strophe des Kreuz-
liedes VII, wo die umgekehrte Frage an eine Frau gerichtet ist.
Das Lied *93, 12 mit einem der lang ausgesponnenen höfischen
Wechselgespräche, deren Ursprung bereits W. Grimm (Athis und Pro-
philias S. 19)^) als romanisch nachgewiesen hat, fällt als unecht
außer Betracht.
Eine zweite Quelle, aus der Johansdorf wie überhaupt der ganze
Minnesang schöpft, ist die Volkspoesie. Richard Meyer ^) hat die in
Minnesangs Frühling, Carmina Burana, bei Walther, Wolfram, Neit-
hart häufig wiederkehrenden, gleichartigen Wendungen, wo nicht an
gegenseitige Entlehnung zu denken ist, als volksthümliche Bestand-
theile des Minnesangs aufgefaßt. Es sind dies bei Johansdorf die fol-
genden : *94, 5 volgent mmer raste. — *92, 28 und solde ich iemer daz
geleben, — *92, 30 so mües min herze in fröiden sweb&n, — *93, 36
länt mich noch geniezen. — *93, 38 iuch mac wol verdHezen, — *92, 23
unsanfte mir daz tuot, — *92, 14 der al der loerlte fröide git — 86, 8
seht, wie maneger ez doch tuot, — *92, 32 so umrde ich von sorgen frt.
— 95, 1 durch den du wcere ie hochgemuoL — *94, 14 und ddbi hdch-
gemuot, — *93, 37 daz ich iu von herzen ie was holt, — ^ 95, 6 wol si
scelic wip, — 91, 35 seht, so wu/rde ich niemer mere vro, — *94, 14 daz
*) Diez, Poesio der Troubadours 2. Aufl. von K. Bartsch. Leipzig 1883. S. 98 f.
') Burdach a. a. O. S. 82.
') B. Meyer, Alte deutsche Volkslieder. Ztschr. f. d. Alt. XXIX, 134 ff.
DER MINNESÄNGER ALBRECHT VON J0HAN8D0RF. Hl
ir deste werder nnt. — 89, 19 wurre ez iht. — 86, 22 hülfe ez ihi. —
88, 9 für aüiu mp. — 87, 21 nu entrure nihi %ere. — 91, 22 daz toeiz
ich woL — 91, 21 w> tat mta herze leides vol. — 91, 29. 31 aicd zwei
herzeliep gefriundent sich, . . die sol wiemen scheiden dunket mich.
Als sprichwörtliche Redensarten sind bezeichnet: 86, 5« 7 solde
ich minnen mer dan eine, sone minnet ich deheine. 95, 14 so miieze sin
der pflegen {, durch den etc.).
Berger') fiigt noch hinza: 91, 37 wcere ich dem vtnt, ich wolt in
grilezen.
Als gnomische, dem Volksliede entstammende Elemente: 87, 5
Mich mae der tot von ir minnen %ool scheiden. Zu 91, 29 ff. vgl. Uhland,
Volkslieder 80, 1. 98, 1. 101, 4. Schriften 111, 442. — 94, 36 f. wie
vil mir doch von liehe leides ist beschert, waz mir diu liebe leides tuof.
— 95, 13 lebt mm herzeliep od ist er tot. cf. Uhland 150, 3. Schriften
III, 428. 524. IV, 179.
Als Wünsche und Verwünschungen volksthümlieher Art führt B.
auf (S. 453): 88, 13 Ine erwache nimer ezn «* fntn ei\^te segen, daz got
ir ereil miieze phlegen und Idze ir Itp mit hbe hie gelten etc. 87, 12
heileger got, wis gencedic uns beiden. 91, 26 so beivar mich vor dem
scheiden got,
Verwünschungen: 87, 9 swenne ich von schulden erarne ir zom^
sd bin ich vervluochet vor gote als ein heiden. — 87, 35 got üw der helle
niemer mich bewar, ob daz mtn wille st.
Die Umschreibung der Negation durch Ausdrücke, die etwas
Unmögliches bezeichnen, wird als volksthüraliches Element in An-
spruch genommen (S. 455). 92, 3 swer si vor mir nennet, der hat gar
mich zefriunde ein ganzez jär, het er mich joch verbrennet. — Verglichen
wird damit MSH. II, 17 1*' lieber het ich Rome und Engellant verbrennet.
Von der Volkspo^sie hat der Dichter auch geborgt, wenn er andere
Personen als redend einführt cf. Germ. XXXIII, S. 431.
Unbedeutender als romanische Kunst- und deutsche Volkspoäsie
wirkt die geistliche Dichtung auf Johansdorf ein. Das aus ihr ent-
lehnte Bild für die Geliebte ^93, 4 eist aller gilete ein gimme fällt mit
dem ganzen, als unecht erkannten Liede hinweg. Die Form des
Gebetes 87, 12. 88, 17. 90, 15. 95, 14, die Berger zum Theil zu der
volksthümlichen Grundlage zieht, ließe sich etwa noch hierher rechnen.
Besonders dürfte der Schluß von 87, 29 (88, 18) daz ir geschehe, also
*) Arnold Berger, Volkstbüiuliche Qrandlagen des Minnesangs. Ztschr. f. d.
Phil. XIX, 440.
112 A. HEUSLEB
müeze auch mir erg^ an die Schlüsse geistlicher Epen erinnern, wo
der Verfasser ftir sein Seelenheil bittet, oder den Leser auffordert,
dies zu thun. Burdach findet weiter in der Neigung zum Parallelismus,
in der Anknüpfung der Sätze mit nu, in der Voranstellung des Haupt-
begriffs (cf. a. a. O. S. 92. 93) , in der Anwendung der rhetorischen
Frage mit negativem Sinne (S. 73) einen Einfluß der geistlichen Lite-
ratur. Hinsichtlich der Anrede der Zuhörer läßt er die Möglichkeit
geistlicher oder volksthümlicfaer Einwirkung gelten. — Die religiösen
Anschauungen und Empfindungen aber, die Johansdorfs Lieder durch-
ziehen, haben mit der geistlichen Dichtung nichts zu thun; sie sind
auf des Verfassers Naturell und persönliche Beziehungen zu geist-
lichen Herren zurückzuführen.
LEIPZIG, im Mai 1888. J. HOBNOFF.
ZUR LAUTFORM DES ALEMANISCHEN.
L Die e-Laute
In dem Aufsatze über die umlauthindemden Consonanten des
Ahd., Beitr. 4, 542 f., 549, hatte Braune die Ansicht aufgestellt, das
erst im 12. Jahrb. an Stelle eines frühern unumgelauteten a auftre-
tende Umlauts -e dürfe nicht als ein auf rein lautlichem Wege ent-
standener Laut aufgefaßt werden; „denn die Zeit, wo der Umlaut
des a zu e lautlich herbeigeführt wurde, war das 8. und 9. Jahrb."
Jene später auftauchenden e seien vielmehr analogisch nach dem
Muster der altem, echten Umlauts -e gebildet worden.
Franck, der Zs. f. d. A. 25 auf die doppelte Vertretung des
Umlauts -e in modernen Maa. aufmerksam machte, geht, ohne sich
doch zu Braune's Auffassung in bestimmten Gegensatz zu stellen,
o£fenbar von der umgekehrten Anschauung aus, wenn er S. 224 sagt :
„die Fälle, in denen der Umlaut nur durch die Beschaffenheit der
zwischen dem a und dem i der folgenden Silbe befindlichen Conso-
nanz aufgehalten war, scheinen den geschlossenen Laut noch zu
erreichen." Auch seine Worte „die Mouillierung hatte nicht mehr
die Kraft, so viel i- Farbe in die zweitvorhergehende Silbe abzu-
geben, als in die unmittelbar vorhergehende" zeigen klar, daß er
auch in Fällen wie mhd. menege, megede den einer jüngeren Periode
angehörenden Umlaut des stammbaften a auf lautmechanisohem Wege
entstanden sein läßt.
ZUB LAUTFOBM DE8 ALEMANNISCHEN. 113
Im Anschluß an Franck spricht Kanflänann, der die beiden zeit-
lich getrennten Umlaute im Schwäbischen genaner nachweist (Voca-
lismus des Schwftb. §. 9)^ von einem ^flngem Lautwandel*' des a >• e.
Besonders die Ortsnamen, die er als Beispiele dafilr anfahrt, beweisen
vollkommen, daß dieses secundäre Umlautsprodnct auf rein lautlichem
Wege entstanden sein muß ; kann doch von analogischem Eindringen
des e bei den außerhalb jedes Formensystems stehenden Ortsnamen
nicht die Bede sein.
Anderseits bemerkt jedoch Franck a. a. O. S. 224: ,,Zugleich
scheint sich das grammatische Bewußtsein für den Umlaut geltend
gemacht zu haben, und es ist zu begreifen^ daß Wörter^ die ihn bloß
der Analogie zufolge bekonmien, kein e mehr, sondern nur e* er-
halten."
Hier scheint mir nun ein Irrthum zu liegen» Wo das Sprach-
gefühl bloß an ein Gegenüber von sack — secke, blat — bleter ge-
wohnt ist, wird zweifellos ein neugeschaffener Umlautplural — nehmen
wir z. B. die im Aleman. verbreiteten secundären Plurale zu Tag,
Fahne — ebenfalls geschlossenes e enthalten müssen. Es ist ganz
undenkbar^ daß die Analogieschöpfung ihr Muster nicht genau be-
folgt hätte. Da die in Frage kommenden Maa. die Scheidang ver-
schiedener e- Qualitäten mit vülliger Sicherheit durchführen ^ können
sie nicht aus irgend einem Grunde bei den Neubildungen nach der
Proportion a : e = a : x fehl gegangen sein und für x ein e statt
eines e eingesetzt haben. Auch dürfen wir doch nicht glauben ^ der
Sprechende habe ein Gefühl davon ^ daß geschlossenes e weiter von
a abliege als offenes ^^ und könne deshalb bei jener jungen Plural-
bildung nur zu einer Form mit e, nicht zu einer mit e sich ent-
schließen.
Wenn also die erwähnten Plurale t|g und {^n9 mit offenem ^
lauten y wie dieß thatsächlich der Fall ist, so müssen sie sich nach
einem altern Muster a : ^ gerichtet haben. Dieses Muster wurde nun
eben dargeboten von den zahlreichen Substantiven, deren 0instiges
Endungs-i wegen der bekannten hemmenden Consonanten und Con-
sonantenverbindungen oder wegen einer zwischenliegenden Silbe erst
in einer spätem Zeit umlautend gewirkt und demgemäß lautgesetzlich
offenes Q erzeugt hatte. Wörter wie mhd. becbe, nehte, beige stellten
in den aleman. Maa. lautgesetzlicher Weise ein offenes e des Plurals
dem a des Singulars gegenüber. Diese häufigen Wörter konnten
naturgemäß in eine Art von Concurrenz mit jenen Wörtern wie sack
— secke, blat — bleter treten. Es war eine Machtfrage, ob ein neu
OEBMANIA. Neu« Baili« XXII. (XXXIY.) Jahr;. 8
114 A. HEÜSLER
gebildeter ümlauto- Plural das geschlossene e der letzten oder aber
das offene § der erstem annehmen würde.
Bevor ich dieß an der Hand einer lebenden aleman. Mundart
näher ausfahre^ möchte' ich die Frage berühren: wie alt ist der Um-
laut in beche nehte belgC; menege megede, kurz in all den Stellungen
vor umlauthindemden oder besser ^unüautverzögernden' Consonanten
bezw. vor einer zwischenliegenden Mittelsilbe?
Braune a. a. O. weist ihn dem 12. Jahrh. zu. Kauffinann a. a. O.
bemerkt: „In späterer (mhd.) Zeit ist hier ein neuer Umlaut einge-
treten.^ Dieß gründet sich auf das erste Auftreten geschriebener
Formen mit e in den bewußten Stellungen. Allein , sobald man an-
nimmty daß auch diese spätere Schicht nmgelanteter a lautmechanisch
entstanden sei^ stellt sich die Schwierigkeit entgegen: im 12. Jahiii.
war das ahd. kurze i der meisten Endsilben längst zu e geschwächt.
Wie konnte aus Notker'schem n4hte^ äher, chälber, 4rmer, färeuuen,
m&gede ein Jahrhundert später nehte, eher^ chelber^ ermer^ ferwen^
megede werden? — Man könnte zunächst einwenden^ daß zahlreiche
Endsilben jener Schwächung nicht unterlagen; daß in mahtig^ chalti^
haising auch im 12. Jahrh. noch das erhaltene Endungs^i Umlaut
wirken konnte. Allein wie sollten von diesen Formen die Plurale
oder die Comparative beeinflußt worden sein ? ^) Durch ein mäht :
m^htigy ehalt : chelti konnte doch die völlig verschiedene, unabhän-
gige Beziehung von bach : bache oder arm : armer unmöglich den
Anstoß erhalten y einen neuen Plural beche , einen neuen Comparativ
frmer zu formen. Mit andern Worten: eine Proportion mäht : mehtig
= naht : n^hte wäre für das Sprachgefühl ein Unding. Das ^gram-
matische Bewußtsein^ für den Umlaut d. h. für den mit einem iunc«
tionellen Wechsel Hand in Hand gehenden lautlichen Wechsel von
a und e bezw. q ist nur innerhalb der einzelnen grammatischen Reihen
lebendig. Der Plural der Substantive^ der Comparativ, die Ableitungen
auf -ig u. s. f. haben je ihr eigenes selbständiges ^Bewußtsein für den
Umlaut^: die eine Reihe kann die andere nicht beeinflussen. Dieß
zeigen uns klar die lebenden Mundarten (s. u.). So müssen wir auch
annehmen, daß die Plurale wie mhd. n^hte, die Comparative wie mhd.
ermer selbständig, aus rein lautlichen Bedingungen erwachsen sind.
') Ein theilweise analogisches Eindringen des späteren Umlauts wird auch
Gramm. I| 804 (Neudruck) angenommen; doch wird hier noch nicht mit der doppelten
Klangfarbe der Umlauts-e gerechnet, so daß eine Einwirkung der älteren Umlaute
auf die jflngeren als möglich erscheint. S. o.
ZUR LAÜTFOBM DES ALEMANNISCHEN. 115
Zudem zeigen ans die Dialecte eine Ansaht Wörter mit e, in
denen dieser UnÜMitsvocal isoliert ist, d. h. in keinem bewegliehen
Wechsel mit dem onumgelauteten a steht; so z. B. heehel Hechel
(mhd. heehel), g'schlecht Geschlecht (mhd. geslehte), werze Warze
(mhd. warze), viele Sahst, and Verben mit -etsch* (s. Winteler S. 49) :
hier war eine analogische Einwirkung von irgend einer Formreihe
her nicht möglich; der Umlaut muß hier trotz der im 12. Jahrh.
längst geschehenen Schwächung des i lautmechanisch eingetreten sein.
Es bleibt nichts anderes übrig, als auch diesen secundären Um-
laut des a in eine beträchtlich frühere Periode au rücken^ in eine
Zeit, da das kurze i der End- oder Mittelsilbe noch nicht zu e ge-
schwächt war. Schon Notkers Sprache muß diesen Umlaut besessen
haben. In dem a seiner n&hte, m4hte, m&ht^, chälber, ch<f, Armer,
mAnegi, mÄgede muß sich ein anderer Laut bergen als in dem a von
niht, miht, chälb, ch<, irm, miged. Diese Annahme ist keineswegs
abenteuerlich* Hat man doch für die Notker'schen 4, o 6, u, üo,
DU, an deren Stelle das spätre Alemanisch die Umlaute 86, ö oe, ü,
üe, öü zeigt, längst annehmen müssen, daß sie schon von der i- Fär-
bung aificiert waren, nur nicht genugsam, um den Schreiber zur
Wahl eines neuen Zeichens zu drängen (Braune ahd. Or. §. 51, auch
Kögel Lit. Blatt 1887» 109). Dem & ist das a vor umlauthindernden
Consonanten durchaus gleich zu stellen. Inwieweit hiebei schon der
Vocal selbst, inwieweit bloß der folgende Consonant die Moullierung
angenommen hatte, läßt sich nicht entscheiden. Jedenfalls war der
erst später (12. Jahrh.) als e auftretende Laut in Notkers Sprache
dem a noch sehr nahestehend, ofTener als sein e = mhd. ä; sonst
ließe sich die Schreibung n4hte, mihtig etc. nicht verstehen. Wir
haben guten Grund anzunehmen, daß dieses a bei Notker gleiche
Qualität hatte wie sein ä in st&te, sälig, du uuäre, räzi (s. u.)*
Dieses a* des 10. 11* Jahrh. muß sich nun, sei es spontan, sei
es unter fortdauernder Einwirkung der folgenden mouUierten Conso*
nanz, zu etwas mehr geschlossener Qualität entwickelt haben, bis es
endlich im 12. Jahrh. den andern e-Vocalen so nahe stand, daß der
Buchstabe e an die Stelle des Buchstaben a eintreten konnte. Doch
wird auch in jener Zeit noch das Alemanische das e in nehte, beche,
beige offener gesprochen haben als in rSht, bräche, hall u. s. f.
Nachdem auf diese Weise viele e-Plurale neben die älteren
6-PluraIe getreten waren, konnte auf die Länge ihr beiderseitiges
Gebiet nicht reinlich gesondert bleiben. Es mußte sich allmählig
entscheiden, ob das Gegenüber von e zu a oder aber von e zu a von
8*
116 A. HEUSLEB
dem Sprechenden als das lebendige, productive empfunden wurde.
Oanz dieselbe Frage trat aber nicht nur beim Subsi, sondern bei
einer ganzen Reihe anderer Formsysteme ein. Wir müssen uns hier
ganz an die lebenden Mundarten halten. Dieselben zeigten bei ge-
nauer Betrachtung eine auffallende Buntscheckigkeit in der Vertretung
des mhd. Umlauts -e. Es blieben trotz sorgfältiger Ermittlung der
consonantischen Einflüsse immer noch eine große Reihe von Aus-
nahmen übrig. Dieß rührt eben daher , daß der lautlich berechtigte
Zustand durch zahlreiche Analogieschöpfungen aufgehoben worden ist.
Die e und e der aleman. Mundarten lagern sich in der großen Mehr-
zahl der Fälle nicht mehr nach den ursprünglichen lautlichen Be-
dingungen, sondern nach einem Jüngern gruppenbildenden Formgefähl.
Man that daher Unrecht^ wo es sich um Ermittlung der direct
lautlichen Fortsetzung von mhd. e handelte, immer wieder mund-
artliche Beispiele heranzuziehen , die innerhalb eines Formsystems
stehen. So sind die von Franck S. 224 angezogenen kelber, kelte,
wechst als nicht isolierte Formen wenig beweisend. So wird Stickel-
berger durch die massenhaften Plurale^ Diminutive, Comparative^ die
er Schaff h. Mundart §. 9 anführt , zu falschen Schlüssen geleitet:
1 und r haben nicht Vorliebe für den geschlossenen Vocal; Offen-
heit des e vor Nasalverbindungen ist strenges Lautgesetz. Kauffmann,
der doch in der Anmerkung zu §.12 a. a. O. auf das Besondere des
^angelehnten^ Umlautes aufmerksam macht, bringt dennoch §. 11 f.
zahlreiche nicht isolierte Formen als Belege und gründet auf solche
(wermr^ ^\^%tf west^ k'elbr; ne%t) §.14 die Annahme, daß die Regel
von den umlauthindernden Consonanten zu modifioieren sei ; daß ^meist
durch Systemzwang sich im einen Falle der nicht umgelautete Vocal
gehalten hat^ während bei anderen Kategorien der Umlaut einge-
treten ist". —
Außer dem Gegensatze von erster und zweiter Umlautsperiode
und den daran sich knüpfenden analogisohen Neubildungen giebt es
noch einen Umstand, der auf dem ganzen aleman. Gebiete, wie es
scheint^ auf die Qualität des Umlauts -e einwirkte: die dem e folgen*
den Nasale oder Nasalverbindungen. In entschiedenem Gegensatze
zum Schwäbischen (Kauffmann §. 18) wie auch zum Österreichischen
(Luick, Beitr. 11, 499) hat e in diesen Stellungen ausgesprochen offe-
nen Klang bekommen. Im Einzelnen weichen die Mundarten von
einander ab : in Baselstadt^ Leerau, Beromünster ist dieses ^ nur vor
Nasal 4- CoQS. (wozu aber auch £i aus einstigem ng , mhd. ng zu
rechnen ist) eingetreten, in Ottenheim und Schaff hausen auch vor
ZUR LAUTFOBM DES ALEMANNISCHEN. 117
bloßer Nasalfortis (hier also brenna, fiwemmd, dort brenno^ äwemm»
resp. das daraus weiter entwickelte) ; Eerenzen endlich zeigt den betr.
offenen Laut aucb vor Nasallenis.
Da sich so vor Nasalen der Unterschied von älterem und jttn*
gerem Umlautproduct in dem einen offenen e verwischt ^ könnte man
auf den Gedanken verfallen , das offene Umlauts -e im Allgemeinen
sei überhaupt bloß vor Nasalen lautmechanisch erwachsen und habe
von hier aus sein Gebiet analogisch erweitert; also etwa bach —
beche zu bach — beche umgeformt nach dem Muster von bank —
benke u. s. f. Dann wflrde natürlich die oben versuchte Zurück-
fährung des secundären Umlauts ins 10. Jahrh. hinfilllig. Allein außer
den isolierten Formen mit e, die einem Einfluß von bank — benke
nicht ausgesetzt waren^ spricht mit entscheidender Bestimmtheit gegen
diese Annahme der Lautstand der Toggenburger und der Appenzeller
Mundart: hier ist nftmlich das einstige o vor Nasalen nicht mit dem
secundären Umlauts -e zusammengefallen, sondern zeigt eine geschlos-
senere Klangfarbe als dieses, z. B. k^eno, gwemo, hefik^o gegen
brextOy k^erli, ferbe, tseno. Hier muß dieser spätere Umlauts vocal
unabhängig, ohne Zuthun des e vor Nasalen, seine offene Farbe er-
halten haben. Dasselbe dürfen wir für die übrigen aleman, Mund-
arten annehmen.
Ich erwähne kurz, daß es eine dritte Quelle f(ir offenes e in
den aleman. Mundarten giebt: in der Lautverbindung -asch- (= aäd)
wurde a regelmäßig zu e (Brandstetter §. 19) ^): e§§9 Asche, weSSe
waschen, d^SSe Tasche, fleääd Flasche. Dieses e hat seine eigene
Genesis, hat mit dem Umlauts -e nichts zu schaffen. —
Das Nebeneinander von e und e, soweit sie älteres und jüngeres
Umlautproduct sind, hat nun in meiner eigenen Mundart, der basel-
städtischen, zu folgenden Resultaten gefährt. Ich kann sechs Fälle
aufstellen, in denen der Umlaut noch heutzutage als productives
Sprachmittel im Dienste bestimmter Functionen empfunden wird. Es
sind 1. der Plural von Substantiven; 2. die Diminutive auf -li; 3. die
abstracten Feminina auf -i; 4. die Comparative und Superlative;
5. Weiterbildungen von Adjectiven durch das Suffix -lig; 6. diminu-
tive Weiterbildungen von Verben.
In der Reihe 1* ist der offene Vocal e zum Sieg gekommen« Ich
kann die vielen e-Plurale hier nicht aufzählen. Bezeichnend ist das
') In den Wörtern ögsa Esche und öggsba^^jr Esohenbach müht sich Brandstetter
mit einer gar nicht vorhandenen Schwierigkeit: hier liegt alter Umlaut vor. Die
Wörter lauteten schon esche, eschenbach) als die labialisierende Wirkung des §§ begann.
118 A. HEÜSLER
e der modernen Bildungen wie wego die Wagen, erm Arme, kspess
Spaße. Daneben findet sich eine nicht ganz geringe Zahl von e-Pla-
ralen. Sie sind als Reste eines frühern formativen Prinoips zu be-
trachten, die von dem neuem Princip nicht weggeräumt werden
konnten. Die Fälle sind bletor Blätter, stet Städte, est Aeste, gest
Gäste, sek Säcke, k^eft Kräfte; red9r Räder, gleser Gläser, k;|^eB9r
Gräser, tsen Zähne, negl Nägel, sieg (Baum)schläge, k^ebar Gräber ^).
Es sind lauter Wörter, die ihr e in der ersten Umlautsperiode er-
hielten. Andrerseits haben seft Schäfte (ahd. scefti), gteb Stäbe (ahd.
stebi) ihr primäres e der neuern Bildungsweise aufgeopfert. Beleh-
rend ist der doppelte Plural von Sats Schatz: gets im Sinne von
,thesauri^ g^ts im Sinne von ,amoresS deutlich die alte und die neue
Bildung nebeneinander. — Der Angehörige der Mundart hat ein schwer
zu beschreibendes aber untrügliches Gefühl, daß in den e-pluralen
die eigentlich lebendige Pluralbildung steckt. Äußerlich zeigt sich
dieß daran, daß er zu einem ihm das erste Mal begegnenden Worte
mit a den Umlautsplural auf e, nicht auf e bilden würde.
In der zweiten Reihe, den Diminutiven, hat gleichfalls das offene
q die Oberhand bekommen. Vgl. die modernen Bildungen benli kl.
Eisenbahn, e;i;p9dli kl. Handarbeit. Unter den paar Fällen mit be-
wahrtem e finden wir dieselben Substantive, die auch den Plur. mit
e bilden : gestl^ kl. Gast, glesli kl. Glas u. s. w.
Dagegen ist in der dritten Gruppe^ bei den zu Adj. gebildeten
abstr. Fem., die Form mit geschlossenem e vorbildlich geworden.
Wir haben leMi Länge, 8we%\ Schwäche, nessi Nässe, blessi Blässe;
stejrki Stärke, wermi Wärme, swe^tsi Schwärze, hext\ Härte; p;uSfJ
Bravheit, smelf Schmalheit. Formen mit e sind mir hier überhaupt
nicht bekannt Trotzdem im Ahd. häufig das Umlauts -e dieser Wörter
dem a des zugehörigen Adjectivs weichen mußte (Braune ahd. Gr.
§. 26 Anm. 1), hat später der primäre Umlautsvocal von den Wörtern
aus, die ihm geblieben waren, das ganze Feld zurückgewinnen können.
Ebenso zeigen die Comparative und Superlative ausnahmslos
geschlossen e dem a des Positivs gegenüber. Zu den Adj., die wir
in der vorigen Reihe fanden, kommen noch elitär älter, belldor bälder,
ermor ärmer. Hier wie bei den abstr. Fem. ist besonders beachtens-
werth, daß das Formgefühl für den geschlossenen Laut sich stark
genug entwickelt hat, um selbst in der Stellung vor Nasal 4** Cons.
^) Geschlossenes e spaltet sich in Baselstadt in die Kürze e und die Ung^e ef
d. h. die Länge ist um einen Grad geschlossener. Nur vor r hat die Länge den halb-
geschlossenen fiUang 5. Für offenes e, Kürae wie Länge, erscheint gleicbmäfiig e e.
ZUR LAUTFORM DES ALEMANNISCHEN. 119
das lautlich geforderte offene e su verdrtogen. Es heißt leüftor leftö&t
länger längste, k^efiAkdr k^efiflkst kränker kränkste. Dagegen spricht
man ^M9r efifist zu efifi eng, weil hier der Positiv kein a zeigt ^ das
Wort also nicht derselben Gleichung a : e verfilllt.
Femer haben wir die Adj. auf -Ijg (mhd. -Itch), die ihrerseits
von Adjectiven abgeleitet sein müssen. Nach dem ahd. Stande der
Dinge sollten wir hier das offene, secundäre e erwarten (s. Braune
ahd. Or. §. 27 Anm. 5). Statt dessen zeigen uns äwe^lig schwächlich,
lefifilig länglich, elltl|g ältlich, 8wS);tslig schwärzlich, Srmlig ärmlich
den geschlossenen Vocal — also wiederum der ältere Zustand von
einigen wenigen Wörtern aus analogisch umgestaltet. Doch sind
diese Bildungen nicht zahlreich, das Formgeftthl daher nicht völlig
bestimmt: neben k^efiftklig kränklich geht k^eüfiklig mit dem hier
spec. durch die Nasalgruppe bedingten offenen e. Nicht hieher ge-
hören die (übrigens der Schriftsprache nachgebildeten) Wörter S^nntUg
schändlich, gleglig kläglidi, degl|g täglich: diese sind von Subst.
abgeleitet, und das begriffliche Verhältniß der Ableitung zum Grund-
wort ist bei ihnen ein ganz anderes als bei lefifilig : laftfi. Darum
anterliegen sie auch nicht dem gleichen Formgefahl.
Endlich kommen verbale Wortbildungen meist diminutiver Func-
tion, z. B. lepolo zu lapo läppen, schlürfen, depolo zu dapo tappen,
schleichen, (üs-)tsekld zu (u8-)tsako mit Zacken versehen, fiefforle zu
saffo arbeiten, blemmpora zu blammpa baumeln u. a. Hier herrscht
durchweg der offene Vocal e.
Was im Einzelnen die Begünstigung des einen oder des andern
Typus veranlaßt hat, was insbesondere beim Subst. Plur. das offene
e, beim Comparativ das geschlossene e zur Geltung gebracht hat,
ist hier wie in so manchen Fällen analogischer Neuschöpfung kaum
zu bestimmen. Doch glaube ich, das lautlich nicht zu erklärend«
Durcheinander von e- und e- Formen in aleman. Mundarten verliert
bei obiger Betrachtung sein Auffallendes. Verkehrt wäre es, wie
man beim ersten Blick zu thun geneigt ist, schriftsprachlichen Ein-
fluß heranzuziehen. Mag auch das eine und andre der hergehörigen
Wörter nach schriftsprachlich^tn Muster gebildet sein: so lange die
betr. Bildungsweise der Mundart noch geläufig ist, könnte sie nicht
dem Schriftbild zu Liebe eine gewohnte Klangfarbe durch eine andre
ersetzen. Überdieß wäre es wunderbar, daß gerade der Comparativ
von all den ä der Schriftsprache unbeeinflußt geblieben wäre, und
daß all die modernen Bildungen wie wego die Wagen, feno die Fah-
nen, e^podlji kl. Handarbeit, denen im Nhd. gar kein umgelauteter
120 A. HEUSLER
Vocal gegenüber steht ^ das offene e bekommen haben. Vollends be-
weisend ist der Umstand, daß sogar auf die Aussprache des Schrift-
deutschen in aleman. Munde der Einfluß der Schule, woselbst fiir
geschriebenes ä die Aussprache e gelehrt wird, nur sehr beschränkt
ist. Der Basler spricht meinen Beobachtungen nach für das kurze
nhd. ft stets den geschlossenen Laut, wenn die Mundart dazu stimmt,
also nhd. Säcke Säckchen Blätter Städte Äste Schwäche länger
kränklich als Secke u. s. f. Umgekehrt wird für das e der Schrift-
sprache durchaus e gesprochen^ wo dieser Klang den betr. mundart-
lichen Wörtern zukommt; also Stecken brechen Wetter hell mit e,
Weg stehlen nehmen gern mit e. Dagegen wird gewöhnlich beim
Gutdeutschsprechen die mundartliche Länge e durch ^ ersetzt, wo
die Schriftsprache ä schreibt; also Zähne Räder Nägel Gläs-chen mit
e. Der Orund liegt offenbar darin, daß das sehr geschlossene e von
Baselstadt zu auffällig von dem unter ä gelehrten Laute abliegt. Da-
mit stimmt, daß das lange geschlossene e vor r in seiner der Mund-
art eigenen halbgeschlossenen Qualität beibehalten wird: nhd. Wärme
schärfer ärmlich werden mit e, dem Mittellaute zwischen e und e,
gesprochen. Wo das schriftsprachliche ä keinen mundartlichen e- Vocal
sich gegenüber hat^ wird es der officiellen Aussprache nach als ee
gesprochen: so in wächst gräbt schlägt fährt (mundartlich mit un-
umgelauteten a). Auch zählen schälen hört man häufig mit e ge-
sprechen; die mundartl. tsello sello, die alten Formen mit -11- fort-
setzend, liegen von dem Schriftbild zu weit ab. — Wenn also selbst
beim Schriftdeutschsprechen nur in einem Falle die dialectische
e- Qualität preisgegeben wird; die kurzen e und e der Mundart
aber, der nhd. Schreibung e und ä zum Trotz , immer beibehalten
sind, so kann das Verhältniß von e und e, e innerhalb der Mund-
art sich unmöglich nach der ^nhd. Orthographie oder Normalaus-
sprache gerichtet haben. (Man vergleiche die Behandlung des schrift-
sprachlichen e, ä in anderen Mundarten, Braune Beitr. 13, 579^ Luick
Beitr. 14, 139 ff.)
Soviel ich aus den Darstellungen alemanischer Dialecte ersehe,
zeigt die Vertheilung des primären und des seeundären Umlauts -e
auf dem ganzen Gebiet große Verwandtschaft mit der oben für Basel-
Stadt kurz angedeuteten. Zumal für den Subst. Flur, scheint offen e,
für den Comparativ geschlossen e überall Geltung erlangt zu haben.
Ich erwähne hier nur aus Winteler KM. S. 181 die charakteristischen
Fälle, die unserm §ets — sets entsprechen: neben dem altem Plural
Telor, der als geographische Benennung erstarrt ist^ steht die jüngere
ZUR LAUTFORM DES ALEMANNISCHEN. 121
Bildung teldr ,Thäler^ im Allgemeinen, deren späte Entstehung außer
durch das offene e auch durch die Vocaiiänge bezeugt wird; ganz
entsprechend verhält es sich mit fed Pfade neben dem altem und
isolierten feda. — Aus der beträchtlichen Übereinstimmung der ver-
schiedenen weit entlegenen Mundarten darf man wohl den Schluß
ziehen, daß die Ausgleichung zwischen e und e schon seit Jahrhun-
derten zu dem Resultat gekommen ist, das uns heute entgegentritt:
ohne langedauernden Verkehr und Austausch zwischen den Einzel*
dialecten wäre jene Gleichheit nicht zu verstehen. Doch wäre die
Annahme wohl unberechtigt, daß schon in früh mhd. Zeit die laut-
gesetzlichen Verhältnisse durch Analogie in der heutigen Weise um-
gestaltet waren.
Bei der obigen Beschränkung auf diejenigen Umlauts- e, die in
lebendigem Wechsel mit unumgelautetem a stehen^ blieben die Wörter
unberücksichtigt, deren secundäres Umlauts -e außerhalb eines Systems
steht und daher für jeden Einzelfall eine rein lautliche Erklärung
fordert. Es bieten sich hier manche Schwierigkeiten. Ich möchte
hier nur auf einen Punkt hindeuten. Für das häufige secundäre Um-
lauts-e vor der Lautverbindung ts (Beispiele bei Winteler S. 49)
können wir wohl die Endung ahd. -ezzen (<: atjan), in welcher i von
dem a des Stammes durch eine Silbe getrennt war, verantwortlich
machen. Wo die Gruppe ets geschlossenes e zeigt, möchte dagegen
an ahd. -isön zu denken sein. Offen e kann aber auch durch ein
einstiges ch, das sich in dem ts birgt, gegen den primären Umlaut
geschützt worden sein. —
Luick hat, Beitr. 14, 127 ff., im Anschluß an seinen frühern
Aufsatz Beitr. 11, 497 ff., eine verdienstliche Übersicht über die
e-Vocale des Bairisch- Österreichischen gegeben. Er zeigt,
was sich für die Qualität der e- Laute in mhd. Zeit, zum Mindesten
auf bair.-österr. Gebiet, erschließen läßt. Da er S. 138 f. über das
Aleman. nur eine kurze Bemerkung gibt, und da auch das Beitr.
11, 515 f. über die schweizerischen e-Vocale Geäußerte nicht über-
sichtlich und großen Theils unzutreffend ist, möchte ich hier eine
Betrachtung der verschiedenen e- Laute im Alemanischen — aus-
schließlich des Schwäbischen — folgen lassen. Dabei gehe ich nicht
auf einzelne Wortformen und specielle einzelmundartliohe oonsonan-
tische Einflüsse ein. Ich fuße auf den vorliegenden ') Dialectdarstel-
') Titu0 Tobler, AppeniellUcher Sprachschata (behandelt vier Dialectgrappen,
die hiDBichtlich der Vertretung der mhd. e-Laate unter sich nicht wesentlich diffe-
rieren, vgl. Einl, S. XXIX ff.); Winteler, Kerenzer Mundart (behandelt auch ehie
122 A. HEÜSLER
langQDy die zum Theil selbst schon die e- Laute etymologisch grup-
piert haben, ssum Theil aber durch das da und dort verstreute, fi^enati
transscribierte Wortmaterial auch dem Nichtkenner der Mundart ein
Aufsüßen der Gesetze ermögHehen.
So durchsichtig im Großen und Ganzen die Verhältnisse inner-
halb einer Mundart liegen, so sehr weichen die verschiedenen unter
sich ab. Man sehe z. B. die Statistik der hellen e-Vocale, die Joh.
Meyer F. DM. VII 177 ff. aus einem Theilgebiet des Nordostaleman.
geliefert hat. Ein klarer Einblick in die gesammte aleman. Entwick-
lung, eine geographische Abgrenzung der Verschiedenheiten ist noch
nicht möglich. Ich verhehle mir nicht, wie sehr die folgende Zusam-
menfassung Stückwerk bleiben muß. Doch kann sich schon jetzt
einiges Beachtenswerthe ergeben.
Inwiefern die absolute Qualität der e- Laute der verschiedenen
Mundarten unter einander differiert, glaube ich hier, ohne Schaden
außer Betracht lassen zu dürfen. So fehlt z. B. in Basel und in
Schaff hausen völlig jenes bekannte, überaus offene e (vgl. Rapp, F.
DM. II 481). Das offenste e dieser zwei Mundarten ist merklich ge-
schlossener als das offenste e von Ottenheim, von Beromünster oder
von Kerenzen: es wird dort nicht, wie hier, gleich dem engl, a in
bad, happy gesprochen (im elsäß. Münsterthal ist dieser Laut sogar
=: a in nhd. satt, Hase). Dennoch kann ich diese Laute einander
gleichstellen und mit demselben Zeichen e versehen, weil sie eben
innerhalb ihrer eigenen Mundart eine analoge Stellung einnehmen.
Sie bilden nach Wintelers schöner Darlegung EM. S. 92 ff. die i- Basis
ihres jeweiligen mundartlichen Vocalsystems. Nur auf die proportio-
nelle Lagerung der , gegensätzlich^ (nach Wintelers Ausdruck , dyna-
misch^) geschiedenen e - Klangfarben innerhalb der einzelnen Mundart
kommt es hier an.
Mundart des Toggenburgs) ; Hanziker, Aargauer Wörterbach in der Lautform dar
Leerauer Mundart; Stick elberger, Schaffhauser Mundart; Brandstetter, Zischlaute der
Mundart von Beromünster (im nördlichen Kanton Luzern); Mankel, Mundart des
elsässischen Münsterthals (unweit Colmar. Die Darstellung des Etjmologischen bleibt
hinter den bescheidensten Ansprächen zurück; die Beobaohtung der Laute scheint
gut «a sein, so daß man sich dem Materiale aaTertranen kann) ; Heimburger, Mundart
von Ottenheim (Baden, unweit Offenburg). Die mundartlichen Darstellungen von Schott,
Bühler, Birlinger lassen in ihrer Transscription das Einzelne nicht in der Genauigkeit
erkennen, wie es hier für uns erforderlich ist. Es liegen alao, meine eigene Mundart^
die baselstfidtisehe) dazu gMiommen, neun verschiedene .Dialecte, sechs hochalemanische,
drei niederalemanisehe vor.
ZUR LAUTFOSM DES ALEMANNISCHEN. 128
Die MehrsahP) der aleman. Mundarten besitst drei versehiedene
e-Schattierangen ^ — e *• e. Schaff hausen und Ottenheim *) stehen
mit ihren zwei Sehattiemngen e -~- e allein.
Allen gemeinsam ist, daß die am meisten nach a hin liegende
Nuance das mhd. » fortsetzt'). Und die nämliche Lautung zeigt
tiberall das secundäre Umlauts «e.
Während nun ferner, wie wir oben sahen, in fast allen Mnod*
arten eben dieselbe offenste Qualität e auch dem e Tor Nasalen (bezw.
Nasalyerbindungen) zukommt, sondern bloß Toggenburg und Appen-
zell sich hier ab, indem sie hiefür ihre mittlere Nuance einsetzen.
Sodann treten Toggenburg und Appenzell mit Kerenzen zusam«
men in einen weitern markanten Gegensatz zu den sechs ttbrigen.
Diese letztern nämlich lassen in dem gleichen offensten ^ auch das
mhd. e, seis kurz erhalten, seis gedehnt, zusammenfallen. App.-Togg.-
Ker. dagegen sprechen für mhd. 6 eine geschlossnere Qualität, und
zwar App.-Togg. durchgängig, Ker. theilweise (s. u.) die mittlere
ihrer drei Klangfarben.
Beispiele^) hiefür: allgemein wird gesprochen nem (mhd.
naBme) ; nef^ adv. vorige Nacht (mhd. nehte. Gen. oder Dat. sg. ?),
fei FäUe (mhd. feile);
dagegen in App.-Togg.: in den übrigen:
ennd (mhd. ende), le&fia ennd, lefina.
langen (mhd. lengen);
endlich in App.-Togg.-Ker.: in den ttbrigen:
ste^o (mhd. stachen), [m6l (mhd. möl)]*); ^^% niel.
(Die Mundarten, welche mhd. @ und sec Umlauts «e auseinandei«^
halten, können bisweilen über fragliche Wortformen entscheiden; so
*) Hier wie im Folgenden spreche ich nHtflrlich bloß von den neun erwähnten
alemanischen Mundarten.
') Ottenheim seigt eine dritte, mittlere Klangfarbe vor r: da sie nur in dieser
Stellung vorkommt, also von speciellem coasonantischem Einfluß bedingt ist, kann
sie hier unberücksichtigt bleiben.
') Es gibt auch Schweizer Mundarten, die mhd. sß zu geschlossenem e ge-
wandelt haben (s. Seiler, Basler Mundart S. 94 f., Brandstetter 8. 208> Leider liegt
keiner dieser Dialeote in genauer Einzeldarstellung Tor.
*) Man möge sie nicht nrgieren. Da und dort mag eines der angefübrtea
Wörter in einer Mundart nicht yorkommeli oder einem Speciallaatgesetz unterliegen.
Ich möchte sie nur als ideelle Vertreter der betreffenden e-Schattierungen betrachtet
wissen*
*) Das in [ ] stehende trifft nur fttr App.-Togg. «i; K«r. weicht hier noch
weiter ab; s. d. F.
124 A. HKU8LBR
steckt z. 6. in äleman. mert Markt nicht das ^ von lat. mercatus,
wi^ man wohl angenommen hat: Eer. mert beweist, daß wir es mit
secundärem Umlaut zu thun haben, mhd. merket aus *markit.)
Umgekehrt setzt in allen neun Mundarten die am meisten nach
i hin liegende e - Schattierung das mhd. 6 fort. Während nun aber
in sechs Mundarten mit diesem nämlichen e auch das gedehnte mhd.
(primäre) Umlauts -e zusammenfällt, hat der letztere Laut in Bero-
münster, Leerau, elsäß. Münsterthal einen etwas offnereji Klang, den
mittlem zwischen den zwei Extremen. Also allgemein ^) wird ge-
sprochen se (mhd. s§, sSwes) — aber nur von dem größern Theile
red (mhd. diu rede), von den drei genannten Mundarten aber red.
Ganz eigenartig, abweichend von allen andern Mundarten, zeigt
sich Kerenzen, indem es mhd. 6 mit dem (primären) Umlauts- e,
mhd. e, zusammenfallen läßt, mögen sie nun als Kürze bewahrt
oder gedehnt worden sein. Beispiele: kleg9 (mhd. gelegen) — lega
(mhd. legen), Snek (mhd. snöcke) — ätreko (mhd. strecken), fress9
(mhd. vrözzen) — besser (mhd. bezzer), hellflfo (mhd. hälfen) — wello
(mhd. wellen, wollen); weg (mhd. wec) — red (mhd. rede), berg (mhd.
borg) — ' erb (mhd. erbe), stema (mhd. stßrn) — erml (mhd. ermel).
— Nicht das ganze aleman. Qebiet hält also BrechungS" und Um-
lauts-e auseinander.
Fassen wir endlich das Verhältniß von Kürze zu Länge ins
Auge, so zeigt sich, daß in sämmtlichen Mundarten das secundäre
Umlauts -e, ob kurz oder gelängt, gleichen Klang besitzt: he^t vorige
Nacht — fei Fälle. Kurzgebliebenes mhd. ä stimmt in allen Mundarten
außer Kerenzen qualitativ zu gelängtem mhd. ä, kurzgebliebenes
(primäres) Umlauts -e in allen außer Kerenzen und Baselstadt zu ge-
längtem e. Basel gibt hier der Länge die geschlossenste Klangfarbe
e, während dieselbe als Kürze der Mundart überhaupt mangelt und
durch die mittlere Schattierung e ersetzt wird; also red (mhd. rede)
— bessor (mhd. bezzer). In Ker. liegt die Sache einfach so: mhd.
6 und e, als Kürzen bewahrt, fallen in e, der mittlem Färbung, zu-
sammen; mhd. 6 und e, gelängt, vereinigen sich in e. Auch in Ker.
kommt also die geschlossenste e- Qualität nur als Länge vor.
Während also im Österr. die Längung den Gegensatz von^ e — e
vielfach aufhebt (Beitr. 14, 134), wird im Aleman. jene Differenz von
der Dehnung als solcher nicht angetastet. Denn in Ker. sind ja
*) Die nächsten Nachbaren Ton Kerensen weichen nach Winteler S. 124 in
diesem Punkte von den uns ▼erliegenden neun Mundarten ab.
ZUR LAUTFORM DES ALEMANNISCHEN. 126
gleichwie die gelängten « und e, so auch die kurzen ^ and e unter
sich zusammengefallen.
Wir können die behandelten neun Mundarten in folgende engere
Gruppen ordnen.
I. £s stimmen zu einander die weit entlegenen Schaffhausen
und Ottenheim, die Mundarten mit bloß zwei Klangfarben. Sie
sprechen ihre offene e- Qualität (e) fflr mhd. le, 6, e vor Nasal,
seeundäres Umlauts- e; die geschlossene (e) erscheint für mhd. d,
prim&res Umlauts -e.
II. Übereinstimmend sind die e- Laute ferner ^ertheilt in den
eng benachbarten Beromünster und Leerau und in dem elsäß. Mttnster-
thal. Alle drei sprechen ihr offenstes e (e) für die gleichen vier
etymologischen Fälle wie die Mundarten unter I. Das geschlos-
senste e (e) gibt mhd. ^, die mittlere Schattierung (e) das pri-
märe Umlautsproducty mhd. e^ wieder.
ni. Appenzell und Toggenburg geben gleichmäßig ihre offen-
ste EJangfarbe (e) dem mhd. se und dem secundären Umlauts-e; die
geschlossenste (e) dem mhd. % und (primären) e; die mittlere
(e) dem e vor Nasalen und dem mhd. ^.
Die zwei übrigen, Kerenzen (IV) und Baselstadt (V), stimmen
weder unter sich noch mit einer der obigen drei Ghtippen flberein.
Wir haben also in dem uns yorliegenden Material mit fttnf verschieden
entwickelten Typen zu rechnen.
Auf welchen mhd. Lautstand werden wir sie zurttckftthren?
Wollten wir annehmen ^ daß all die heut bestehenden Differenzen in
das ältere Mhd. zurückgehen und damals in einer nach dieser Seite
hin einheitlichen» gemein -alemanischen Mundart sich beisammen ge^
fanden hätten, so erhielten wir folgendes Bild. Am meisten gegen
i hin liegt mhd. §. Einen Schritt weiter nach a zu (so fordert es
Gruppe II) liegt die Kürze e^ das primäre Umlauts-e. Dann folgt
auf der Linie nach a hin das ^rechungs'-^. Eine weitere Stufe
offener (nach Ausweis von Ker.) ist e vor Nasalgruppen. Und die
Grenze gegen a zu wird (hiefür ist besonders Qruppe III beweisend)
durch mhd. 8e und durch das secundäre Umlauts -e eingenommen.
Wir hätten also fünf verschiedene e- Klangfarben , die sich^ an ein-
zelnen Wörtern veranschaulicht , in folgender Linie lagerten:
1. 2. 3. 4. 5.
s@; rede; stachen; ende; nffime,
nehte
megede.
126 A. HBJUSLBR
Unmöglich ist es nicht, daß thatsäcUich einst das Gemein-
aleman. diese fünf rerschiedenen e- Qualitäten besaß, und daß die
Einzeldialecte in ihrer äonderentwicklong durch Vermischen hier der
einen y dort der andern Doppelheit endlich zu ihren drei bezw. zwei
Klangfarben gelangten. Aber jenes Additionsverfahren ist willkttrlich.
Wir müssen vieimehr fragen, welche der heute vorhandenen Doppel-
heiten aus secundärer Entwicklung haben entstehen können. Da
sehen wir zunächst, daß, solange die quantitative Scheidung zwischen
ursprünglicher Länge und ursprünglicher Kürze streng innegehalten
wurde (was bekanntlich in keiner aleman. Mundart heute mehr der
Fall ist), die Länge sich ungehindert nach einer Seite hin fortent-
wickeln konnte, ohne die Kürze mit sich zu reißen, und umgekehrt
Mhd. s§ kann z. B. leicht auf dem ganzen Gebiete gleiche e- Schat-
tierung'gehabt haben wie rede, bezzer; in der Gruppe II hat es sich
zu geschlossenerem Klange secundär entwickelt, doch jedenfalls be-
vor rede sein e dehnte; daher lautet es nun in dieser Gruppe
se — red, besser. — Ebenso kann das e vor Nasalen, als unter einem
bestimmten combinatorischen Einfluß stehend, seine Qualität in den
einzelnen Mundarten geändert haben, ohne daß die nicht vor Nasal
stehenden e seiner Entwicklung folgen mußten. Vielleicht besaß
denchen bei Notker noch gleiche Geschlossenheit wie reda; erst im
Laufe der Zeit erhielt es in den Mundarten den Klang von stächen
bezw. von nseme.
Zi^en wir diese Möglichkeiten späterer Entwicklung in Betracht,
so können wir für die aleman. e-Laute in mhd. Zeit nur Fol-
gendes mit Bestimmtheit aussagen:
1. Es gab zwei Längen^ eine mehr geschlossene , mhd. e, und
eine mehr, offene, mhd. m.
2. Es gab drei Kürzen, eine geschlossene in mhd. rede, eine
offene in mhd. nehte, eine mi(itlere in mhd. stechen.
Diese Dreikeit wird durch die Mundarten App., Togg., Ken
erwiesen« Denn es ist klar und bedarf keiner weitem Worte, daß
der Unterschied zwischen re^t (mhd. röht) — n^xt (mhd* nehte); fei,
Ker. fäl (mhd. föl) — f^l (mhd* feile pL zu fal), wie er uns in diesen
Mundarten entgegentritt, nicht aus einer altern einheitlichen Lau-
tung erwachsen konnte. Wohl aber konnte in den andern Mundarten
die ursprüngliche Doppelheit sich leicht in einem Laute secundär
verschmelzen. Nur ist zuzugeben, daß diese Verschmelzung sehr früh
geschehen konnte: möglich, daß schon um 1200 nehte zu der Ge-
schlossenheit von räht gelangt war in all den Mundarten, die heute
ZUB LAUTFORU DBS ALEMANNISCHEN. 127
die beiden Laute nidht mehr ontersclieiden '). In diesem Falle könnten
wir nur für die früheste mhd. Zeit von gemein «alemanischer drei-
facher e- Qualität sprechen.
Es bleibt endlich die Frage , wie diesem dreifachen Klang der
kurzen e die beiden langen e* Vocale (mhd. 2b und %) sich g^enttber-
stellten. Daß » gleich secundärem Umlauts -e klang, also die offenste
Schattierung ^ besaß, ist mehr als wahrscheinlich; Eauffmann a. a. O«
S. 9 weist mit Recht auf die gleichen Bedingungen ihrer Entstehung*
Fraglich ist dagegen, ob dem mhd. S die geschlossenste Qualität, die
von den lebenden Mundarten bezeugt wird, schon zu Beginn der mhd.
Zeit zukam; ob es also qualitativ =z: e (in rede) oder aber = '6 (in
stachen) anzusetzen ist. Nach Luicks Bemerkungen, Beitr. 14, 133,
wird man nicht mehr dem % gemeinmhd. geschlossenste Qualität zu-
schreiben wollen. Auch im Aleman. hat gesä(h)en, gesche(h)en den
gleichen Laut ergeben wie altes e. Wenn anderseits mhd. h^rre
aleman. nicht durchweg zu harre sondern zu herre gekürzt wird, wie
Martin Anz. f. d. A. 14, 287 richtig hervorhebt, so mag dieß viel:
leicht nur auf eine spätere Zeit dieses Lautvorgangs deuten, als eben
^ schon geschlossen geworden war.
Wenn wir annehmen dürfen, daß mhd. 6 im Aleman» den ge-
schlossenen Klang, den die Mundarten ihm zutheilen, schon zu der
Zeit erhalten hatte, als noch das ganze aleman. Gebiet die drei kurzen
e- Laute unterschied, so können wir uns von der Lagerung der
e-Vocale im Gemein -Alemanischen der mhd. Zeit folgendes hypothe-»
tische Bild entwerfen:
1. (geschlossener Klang: e) 2. (mittlerer Klang: e)
mhd. s&; rede, bezzer. mhd. m&l, stächen; ende,
3. (offenster Kiang: e)
mhd. nseme; nehte, megede.
Auf diese Gruppierung lassen sich die vorhandenen mundart«
lieben Typen sehr leicht und ungezwungen zurückleiten.
Die Gruppe III (App.-Togg.) ist dem hier angesetzten Stande
der Dinge treu geblieben.
Von den übrigen verfährt am einfachsten Gruppe I. (Schaff h. -
Oltenh.): sie läßt 2. und 3., den mittlem Klang mit dem offensten,
zusammenfallen; und zwar scheint es, wenn wir nun die absolute
Qualität ihrer e- Laute mit in Betracht ziehen, daß Schaff h. das ein-
') Doch ist zu beachten, daß auch das Schwäbische das mhd. @ von dem
secundfiren Umlauts-e in manchen Lautumgebungen bis heute auseinanderhält (Kaaff-
mann a. a. O. S. 10 f.).
128 A. HEÜSLEB
stige e dem e ennäherte; denn ihm fehlt heute jener bewußte sehr
offene e- Klang, daß aber Ottenh. umgekehrt das einstige e in e auf-
gehen ließ; denn in dieser Mundart lauten die offenen e heute a- ähnlich.
Auch Qruppe II (Berom. - Leerau • eis. Mflnsterth.) ließ die Schat-
tierungen 2. und 3. zusammenfließen und zwar unzweifelhaft in e,
dem prononciert offenen Klange (eis. Mü. ging dann sogar weiter bis
zu a); dann wurde die Kürze e von der Lllnge e geschieden, indem
jene die mittlere Klangfarbe e bekam, und zwar bevor ein Theil
der Kürzen Dehnung erfahren hatte.
Auch in Baselstadt fielen 2. und 3. zusammen (vermuthlich in
einer Mittelnuance zwischen e und e); 1. blieb zunächst einheitlich,
bis r^de zu red gedehnt war; dann ließ die Mundart die noch als
Kürze übrigen e (in bessor etc.) eine Stufe offener werden ^ also die
Mittelstufe zwischen se red und mel dtex^ etc. einnehmen.
In Kerenzen endlich entwickelte e vor Nasalen die offenste
Schattierung e; außerdem mischten sich 1. und 2., nach Vollzug der
partiellen Vocaldehnung, in der Weise, daß alle als Kürze bewahrten
e (in bezzer etc., stachen etc.) in der mittlem Klangfarbe, alle ur-
sprünglich langen oder später gelängten e (in se; rede, m@l) in der
geschlossensten Klangfarbe sich einigten. —
Es würde dem Entwicklungsgange, den wir hier für die ver-
schiedenen Mundarten angesetzt haben, um ihren heutigen e • Vocalis-
mus mit einem frühern gemein -alemanischen Zustande in lautgeschicht-
lichen Zusammenhang zu bringen, zur Bestätigung dienen, wenn in
andern Theilen ihres Vocalsystems ein ähnlicher Gang der Bewegung
sich auffinden ließe. Es fehlt zum Theil nicht an derartigen Über-
einstimmungen. Doch möchte ich sie mit allem Vorbehalt vorbringen.
Zunächst die Parallele mit den o- Lauten. Sehr wahrscheinlich
hatten im Aleman. der mhd. Zeit kurz o wie lang d die gleiche ge-
schlossene Qualität. Nun finden wir in der Dialectgruppe I (Schaffh.-
Ottenh«), welche den mhd. s^ — rede, bezzer ihre geschlossenste Schat-
tierung e bewahrt hat, entsprechend auch mhd. o, ob kurz erhalten
oder gelängt, in derselben geschlossensten Klangfarbe wie die Fort-
setzung von mhd. d. So hat auch Baselstadt nach Ablauf der Vocal-
dehnung die kurzgebliebenen o zu offenerer Stufe geführt, während
die ursprünglich langen und die gelängten ö geschlossen blieben, gan«
wie bei e; also hö^ (mhd. hdch), wol (mhd. wol) — rpss (mhd. ros,
rosses) wie se, red — besser.
In Gruppe III (Berom.-Leerau-els. Münsterth.) ist o gleichwie e
um eine Stufe offener geworden, bevor die partielle Vocaldehnung
ZUR LAÜTFORM DES ALEMANNISCHEN. 129
eintrat: das secundär gelängte w5l zeigt daber mit dem kurz geblie-
benen ross die offenere Qualität als das ursprünglicb lange box«
Dagegen trifft für Rerenzen diese Parallele nicbt zu; Wir sollten
bier geschlossene Länge, offene Kürze erwarten. Statt dessen zeigt
die Mundart nur noch geschlossenes o, o. — In App.-Togg. ist die
Anordnung der o- Laute compHcierter. Bei der Vertretung von mbd.
kurz o scheint sich der Gegensatz von gedeckter und ungedeckter
Silbe geltend zu machen, vgl. xof(, sota, ross, rokjj, khiqxx^ gegen
tobl, ofe, holo, molo (Molch), Die Parallele zu den e- Lauten ist
also jedenfalls keine vollständige.
Eine andere Erscheinung tritt uns in der Gruppe II (Berom.-
Leerau-els. Münsterth.) entgegen. Unsere Annahme, dass diese Mund-
arten ihre einstigen e mittlerer Schattierung (in mhd. m^l, stächen;
ende) einzelmundartlich zu ihrem heutigen sehr offenen e- Laute ge-
wandelt haben, steht in gutem Einklang mit der Thatsache, daß in
den nämlichen drei Mundarten mhd. i und u eine Stufe offener ge-
worden sind: fürs Gemein -Aleman. der mhd. Zeit sind diese Laute
als } und i^ anzusetzen; jene drei Dialecte sprechen sie heute als
e (e) und o (ö), d. h. geben ihnen den gleichen Klang wie der Fort-
setzung von mhd. 6 und ö. Daß auch in dieser Eigenthümlichkeit
das weit entlegene elsäß. Münsterthal mit Beromünster-Leerau sich
begegnet, ist jedenfalls bemerkenswerth.
Anderseits hat in Ottenheim, welches doch auch seine mittlem
e zu e gesenkt hat, das mhd. i und u nicht diese Annäherung an
e und o erfahren. Und umgekehrt finden wir in dem größern Theile
der appenzellischen Dialecte mhd. i>e, u>o, ü>ö entwickelt,
obwohl hier die mittlere e- Nuance unverändert blieb. Es ist also
fraglich, ob nicht auch jene scheinbar zusammenhängenden Lautwan-
delungen in den andern Mundarten thatsächlich ganz unabhängig sich
vollzogen haben. Schwerlich wird man a priori erwarten dürfen, daß
eine Bewegung innerhalb der e- Laute einer Mundart andere Tbeile
ihres Vocalismus in Mitleidenschaft ziehen müsse.
Für die Reime alemanischer Dichter mhd. Zeit ergiebt sich
Folgendes. — Wo sich die Bindung e : ö fand, dachte man schon früh
an consonantischen Einfluß, der dem e, bezw. dem 6, eine andere
Qualität gab, als sie ursprünglich hatten. Franck präcisierte es da-
hin, daß das vor ht erscheinende offene Umlauts -e überhaupt nie ge-
schlossen gewesen war. Man setzte dabei stillschweigend voraus, daß
jene offene Sorte von Umlauts -e gleichlautend mit 6, die betr. Reime
also rein waren.
GBBM4NIA. Neue Beihe. XXU. (XXXIY.) Jahrg. 9
130 H. ▼. WUSLOCKI
Oben hat sich nun gezeigt, daß ein Theil des Äleman. (und das
Schwäbische in gewissen Lautumgebungen) das secundftre Umlauts -e
nie so weit von a sich entfernen ließ^ daß es mit @ gleichen Klang
bekommen hätte. Finden sich also bei aleman. Dichtern Reime , wie
sie Gram. I 279 flf. (Neudruck) gesammelt sind (frevel : wövel, eflfen :
tröffen, weide : völde, gesiebte : knöhte, ehte : rehte, gebrehte : knöhte,
ehtent : vöhtent ; ich habe mir notiert aus dem Lanzelet: vghten :
wehten [doch s. die Anm. von Hahn zu V. 1774], aus Hadloub: ge-
siebte (Schlachten) : rehte, erne.-görne, aus K. v. Ammenhausen:
tonrslegen : rögen), so mtlssen entweder die Reime nicht völlig genau
sein, oder aber das Theilgebiet des Alemanischen, dem die betr. Ver-
fasser angehören, muß schon die Lautschattierungen 2. und 3. (s. o.)
zusammengeschmelzt haben. In dem Falle siegen : rögen, wofern wir
es als genauen Reim aufzufassen haben, zeigt sich auch schon ein
analogisches Umsichgreifen des secundären offenen Umlauts -e, wie es
in den lebenden Mundarten uns entgegentrat. ,
BERLIN, November 1888. ANDREAS HEUSLER.
ZU DEN „DREI MAREIEN".
Ernst Ludwig Rochholz hat in seinem trefflichen Werke: „Ale-
mannisches Einderlied und Einderspiel aus der Schweiz^' (Leipzig
1857), S. 139 ff. unter den größeren Spieltexten auch ^die drei Mareien"
nach Abkunft und Inhalt erklärt. Diese drei verhängnißvoUen Spinne-
rinnen leben aber nicht nur in den Sagen, Märchen und Liedern der
germanischen Völker fort, sondern auch im Glauben anderer
Völkerschaften finden sich Anklänge an diese mythischen Vorstel-
lungen. Ich erlaube mir nun zu den Erörterungen Rochholz' einige
hiehergehörige Einderlieder und Sagen aus Siebenbürgen und Ungarn
mitzutheilen^ die vielleicht bei einer ausführlichen Erklärung nicht
gerade unbeachtet bei Seite geschoben werden dürfen.
Daß diese drei spinnenden Mareien ursprünglich die dem Men-
schen bei seiner Geburt den Schicksalsfaden spinnenden Nornen unserer
germanischen Mythen sind, das bezeugen alle die einschlägigen Einder-
lieder aus Siebenbürgen, — aber was noch mehr, sie liefern uns neben-
bei auch den Beweis, daß dieser Glaube indogermanisches Gemein,
gut ist In beiden Beziehungen interessant ist das folgende Einderlied
der Siebenbürger Rumänen, das ich 1886 im Südwesten Siebenbürgens
Zu DEM «DREI MABEIEM«« 181
gehört und aufgezeichnet habe. In genauer deutscher Übersetzung
lautet es:
Heida ihr Lieben, Dean die dritte aus ihrem dicken
Wir reiten ins Land! Fnft
Haben ein gold'nes Seil in der Hand! Viel Kröten und Schlangen gebären
Zwei Frauen, die haben es gemacht, muß,
Haben es gesponnen über Nacht; Auf jeden Schritt wohl dreißig;
Aus der Nabelschnur zart und klein, Drum reiten wir, reiten wir fleißig,
Spannen sie das Seil, so golden und Sonst kommen die Kröten und
fein ! Schlangen
Die dritte Frau, die will os zer- Und nehmen uns Bübchen gefangen!
schneiden, —
Drum müssen wir reiten, immer nur
reiten,
Wie es im Deutschen eine weiße, schwarze und eine eiserne
Hertha gibt, eine gute Spinnerin und eine verfluchte, eine Frau Breite
mit der eisernen Nase^ im Französischen eine Reine pSdauque, regina
peds auca, die mit dem Platsoh- und Gänsefuß, Berthe au grand pied^
und wie auch die drei Mareien ein Ähnliches Maß von Körperschönheit
und Herzensgüte und hinwieder von Häßlichkeit und Hexenhaftigkeit
einhalten, so spinnen die beiden „ Outen ^ auch im rumänischen Liede
„aus der Nabelschnur^ des Kleinen das goldene wOlttcksseiP, das die
dritte, „die Böse*^, die mit „ihrem dicken Fuß^, zerschneiden will,
die aus ihrem Bein Schlangen und Kröten zur Welt bringt (Über
Beingeburten s. Liebrecht, Zur Volkskunde , S. 490 ff.). Auch den
ungarischen Märchen ist diese Unholdin unter dem Namen „a vasarrü*^
(„die mit der eisernen Nase") bekannt (s. Katona, Zur Litteratur und
Charakteristik des ungarischen Folklore in der Ztschr. f. vergl. Litt,
und Renaissance-Litteratur Bd. I, S. 31). Zwei dieser drei Frauen
Bind, dem rumänischen Volksglauben gemäß , auch bei Qeburten be-
hilflich; die dritte aber, die „mit dem dicken Fuß*^, bewirkt —
sobald sie sich der Gebärerin nähern kann — den Tod des Kindes.
Um sie daher von der Geburtsstätte ferne zu halten, wird Haf^rstroh
zu einem Bündel gewunden ins Herdfeuer geworfen. Dieser Brauch
hängt wohl mit dem deutschen „Weidendrehen*^ zusammen. „Im
Aargau löst man diejenigen Knoten sorgfältig auf, die man an den
Ruthen einer dem Wohnhause zunächst stehenden Weide gewahrt;
auch das Weidenband einer jeden Strohgarbe, die man im Stalle
streuen will, wird erlesen und aus gleichem Grunde nicht mitgestreut.
Es könnte ein Hexenschaden mit darin Verknüpft' sein^ (Rochholz
a. a. O. S. 146). Ein Strohwisch war in früheren Zeiten in den säch-
sischen Gemeinden das Schandzeichen gefallener Mädchen, und noch
9*
H. T. WLISLOCKI
bis in die Mitte dieses Jahrhunderts wurden „fremde Dirnen*' mit
„Schub" (Strohschaub) aus der Gemeinde abgeführt, d. h. auf einen
zweirädrigen Karren wurde ein Strohbund gelegt, die Dirne hinauf-
gesetzt und vom Wasenmeister über die Grenze der Stadt geschajBPt.
Hafer- und Erbsenstroh verscheucht auch nach siebenbtirgisch-säch-
sischem Volksglauben die bösen Geister, und unter dem Sterbenden
wird dieserwegen das Federbett behutsam weggezogen, denn auf dem
Strohsack stirbt man leichter, namentlich aber auf einem Polster mit
Erbsenstroh gefüllt, das sofort unter den Kopf geschoben wird
(s. Fronius, Bilder aus dem sächsischen Bauernleben in Siebenbürgen,
S. 255) und „stin dekel kalt drbes" (Steindeckel, kalt Erbsen) klingt
die Glocke, wenn Jemand begraben wird.
Auffallend ist es, daß das rumänische Kinderlied zweier, nicht
nur dem deutschen Volke , sondern auch den Liedern anderer Völker
gemeinsamer Züge entbehrt, nämlich der Erwähnung der „Weiden*' und
Anführung der Grenzen, welche das „goldene Seil" umspannt In den
deutschen Varianten sind stets die Orte angeführt, „von welchen aus
und bis zu welchen das Wiegenseil oder Deichselseil für den Neu-
geborenen gesponnen und gespannt wird, damit dieser Glücksfaden
schirmend um die ganze Heimat herum reiche'^ (Rochholz a. a. O.
S. 142). In einem Kinderliede der oberungarischen Slovaken — das
mir Herr Kr&lik aus seiner unedirten Sammlung zu überlassen die
Güte hatte — finden sich auch diese zwei Züge wieder. Das Lied
lautet in genauer Übersetzung also:
0 du gold'nes Halfterband, Eine lange Gerte flicht
Führe uns durch's ganze Land, Eine eich aus grünen Weiden, —
Führ* du uns von Dobschau Schlägt dich, wenn du folgst mir
Hin zum schönen Kaschau nicht! —
Und von da nach Leutschau, Und die dritte spinnt aus Seiden
Wo drei Frauen wohnen, Dir ein schönes, neues Kleid,
Die uns strafen und belohnen: Darum Bübchen reite, reit',
Einen gold'nen Apfel rund Hopß, hopp, hopp, reite, reit'!
Hält die eine in dem Mund;
Der Zug ^mit den Weiden" ist hier gänzlich verwischt, dafür aber
entspricht die Frau „mit dem goldenen Apfel im Mund" der fünften
Frau bei Rochholtz a, a. O. S. 140, wo es von ihr heißt:
„de feuft' isch eusi liebi Frau,
sie sitzt ennet a der Wand,
hat en Oepfel i der Hand,
sie goht durh-ab zum Sunnehüs
und Idt die heilig Sunne üs,
und 16t die Schatten tue
für ihre liebe Chline** u. s. w.
Zu DBN ,DBEI MARSIEN^ 188
Daß flherhaapt den Nornen auch ein Einfloß auf die Witterung sa-
geschrieben wirdy zeigt das rumänische Lied, das die Kinder singen,
wenn sich der Hinunel umwölkt; es lautet deutsch also:
Weisse Matter, öffne Thür and Thor,
Lass' die liebe Sonn' henror;
Vor der lieben Sonne maß
Rasch entfliehen Frau Klumpfdß.
Durch die Erwähnung des ^goldenen Fadens*^ steht ein Lied der
deutschen Kinder in der Zips, das sie bei Regenwetter zu singen
pflegen y noch näher zum Kreis „der drei Mareien"; es lautet also:
Liabe Frau, mach's Thürl aaf^
Bring* die liabe Sann herauf,
Lass* de Bogen drinne,
Lass' de Schnee verrinne;
Komm' aus danem Brftnnchen,
Briang' dan goldig Kindchen,
Briang' a goldnen Faden
Behüete uns vor Schaden!
Ganz verwischt sind diese Beziehungen im folgenden siebenbürgisch-
sächsischen Kinderliede (s. Schuster Fr. W., Siebenb.-sftchs. Volks-
lieder, S. 337):
Et fed im ee rSnen, Es f&agt an zu regnen,
God kid enkenen; Gott kommt entgegen,
di de ren aßäli, Der den Regen aufhält,
ddd äs e selich man, Das ist ein seliger Haan,
di ed uch weder mäche kän, Der es auch wieder machen kann,
di ed uch weder eerdr'emere kän. Der es auch wieder zertrümmern kann.
Einen viel deutlicheren Bezug auf die drei Nornen und „das goldene
Seil" finden wir in den folgenden siebenbürgisch-sächsischen ELinder-
liedern :
Ich läsz mer a reszken guor wol Ich lasz mir ein Rößchen gar wohl
beschloß beschlagen,
ich läse et an der sailgasz gd. Ich lass' es in die Seilgass' gehn.
Dö et na küm for Katiche sai dir^ Da es nun kam vor Käthchens (seine)
dö wör en golden hräk Thür,
dö wör och mai gläck. Da war eine goldene Brücke,
Da war auch mein Glück.
Bei Schuster a* a. 0. S. 327 steht wohl zailgasz (Zeilgasse); doch
glaube ich „Seilgasse" lesen zu dürfen, besonders da im Siebenbürgisch-
sächsischen „Zeile** fllr „Gasse** gebraucht wird und somit „Zeil-
gasse" eine Art Tautologie wäre; „Seilgasse" hingegen — so wie ich
es im Volksmunde hersagen hörte — mag vielleicht einen verwischten
Bezug auf das „Glücksseil« haben. Das folgende Lied der siebenb.-
sächs. Kinder nimmt auch Bezug auf die drei Nornen; es lautet:
134 H. ▼. WLISLOCKI
Brä Ndne^ kun am rür eraf. Drei Nane (Nomen) kommen im Bohr
se branjen e käinjt gefangen; hervor,
se lochten et an en trigeltchen, Sie bringen ein Kind gefangen;
et schlift wä e rene figeltchen. Sie legten es in ein Trögelchen,
Es schläft wie ein Regen -Vögelchen,
Vgl. auch das von Fr. Fr. Fronius a. a. 0. S. 34 mitgetheilte siebenb.-
sächs. Kinderlied:
Sif si sigelchen Si, si Siegelchen,
Der tuewe fleckt e figelchen, Dort oben fliegt ein Vögelchen,
Hae nidde flaegen de Nonnen^ Hier unten fliegen die Nonnen,
Se hatten e Kaendj gefangen, Sie hatten ein Kind gefangen,
Se schmiesßent en de back, Sie warfen*8 in den Bach,
DcU et alles eehrdch. Daß es Alles zerbrach.
Die nächste Verwandtschaft mit den deutschen „Mareien-Liedern" zeigt
unter den hiehergehörigen Kinderliedem der Siebenbürger Sachsen
wohl das folgende — meines Wissens bislang unedirte — Liedchen:
Zußu, euzu, reddjen; Zuasu, znzu reiten;
De Baschfrd af den wedjen Die Buschfrau auf den Weiden
Wdl dser reseken geht beschlön. Will unser Rößchen gut beschlagen,
Dat wer hedj nö Krüne gön, Daß wir heut' nach Kronstadt gehn,
Dö äs en hisch gdlden bräck, Da ist eine hübsche goldne Brück',
Do fandj Rani uch se gläck; Da find't Hanchen auch ihr Glück;
Baschfrd git ds sejeltcher, Buschfrau gibt uns Schüchen,
Uch en seddn kereUchen. Auch ein seid'nes Kittelchen.
Nach dem Einderglauben kommen die Kinder von der Baschmoter,
Baschfrd, die sie unter einem großen, dicken Baum im Walde hervor-
gräbt oder aus ihrem Brunnen, der unter einem großen Baume sich
befindet, herauszieht und oft — besonders wenn die Kinder nicht
fromm sind — wieder zu sich nimmt. Darum werden auch die Heb-
ammen selbst häufig — wenn auch nur scherzweise — Bäschmatter
(Buschmutter) genannt. Das sind Alles auf Hei zurückweisende An-
schauungen (s. Fr. W. Schuster, Deutsche Mythen aus siebenb.-sächs.
Quellen im Archiv d. Ver. f. siebenb. Landeskunde Bd» IX und X,
S. 251 und 281 ff.; dies Werk ist für die siebenbürgische und ver-
gleichende Mythenforschung unentbehrlich. Über die drei Mareien,
Nomen überhaupt, die im Siebenb.-sächsischen neben y,Nane, Nonne^
auch „Wäinjken^ heißen^ s. ebenfalls Schuster a. a. O. S. 76 ff.).
Der Ort, an dem diese Wesen wohnen, liegt nach dem Volks-
glauben in der Nähe einer Quelle^ eines Brunnens oder Baches. Diesen
Zug finden wir auch in einem ungarischen Kinderliede, das unter den
Sieben bürger Szeklern verbreitet ist; es lautet in genauer Über-
setzung also:
zu DEN ^DREI HASEIEN«*. 135
Heida, heida auf nach Kronstadt! Und gans nah' in Angjalos
Haben nnser Roß yerloren. Fließt ein klares Brfinnlein, —
Wollen nns ein neues kaufen, Sitsen dort drei Frftulein,
Und dazu auch gold'ne Sporen, Hält das eine ein Kindchen,
Dann wird*s rascher laufen! Das andre schneidet Weiden
Heida, heida auf nach Kronstadt! Ffir den Hintern, hopp, hopp, hopp!
Hei ! da steht ein Schlößlein, Und das dritte spinnet Seide,
Und nicht weit in Sepsi-Szent-GjSrgy Spinnt fflr dich den neuen Rock!
Steht ein gold*nes Häuschen, Hopp, hopp, hopp!
Merkwürdig ist der Umstand, daß in der ungarischen Volksdichtung
überhaupt drei Nomen als solche nicht erwähnt werden, und ich bin
geneigt^ obiges Kinderlied der Szekler eben deswegen für eine Ent-
lehnung aus dem Deutschen, resp. Sächsischen zu halten. Vielleicht
ist dies Lied einem verlorenen sächsischen nachgebildet worden.
Immerhin bleibt seine Zusammenstellung recht interessant, der eben
nur der Zug vom „Seil, goldener Brücke^ abgeht. Diese drei Fräulein
glaube ich auch in folgender Sage der Siebenbttrger Szekler wieder-
zufinden.
„Vor vielen, vielen Jahren lebte ein Ritter, der war gegen seine
Untei^ebenen gar strenge und hartherzig. Seine eigene Gattin hatte
er einmal in seinem Zorn zu Tode geprttgelt, und seine drei wunder-
schönen Töchter behandelte er schlechter denn Hunde. Da traf es
sich einmal, daß der böse Ritter in eine gar ferne Stadt zog, um sich
von da eine Gattin zu holen. Bevor er abzog, sprach er zu seinen
Töchtern: „Allen Hanf, der sich am Aufboden des Hauses befindet,
müßt ihr bis zu meiner Rückkehr gesponnen haben, sonst lasse ich
jede von euch an einen Baum binden und dann zersägen.^ Also
sprach der Rittersmann und zog von dannen. Seine armen Töchter
weinten nun Tag und Nacht, denn sie wußten nicht, wie sie den
vielen Hanf aufspinnen sollten. Da traf es sich einmal, daß die drei
Fräulein spät in der Nacht noch spannen und weinten, als sich die
Thüre der Stube öffnete und ein riesiger schwarzer Stier hereintrabte.
Mitten im Hanfstoß, der am Boden lag, blieb er stehen, nahm einen
Bund nach dem andern auf seine Hörner, und während er seinen
Hals von rechts nach links beständig bewegte, verwandelte sich der
Hanf sofort in die schönste Leinwand. Das eine der drei Fräulein
stieg nun schnell auf den Aufboden hinauf und reichte ihrer Schwester,
die auf der Leiter stand, einen Hanfbund nach dem andern herab.
Die mittlere Schwester reichte den Hanf der Jüngsten, die unten in
der Stube stand, und diese warf ihn vor den Stier ^ der mit seinen
Hörnern so rasch spann, daß die Schwestern kaum Zeit hatten, ein-
136 H. V. WLISLOCKI
ander den Hanf zu überreichen. Die eine rief stets der andern^ diese
wieder der dritten zu: y^Nyujtod-e mar?'' („Reichst du ihn einmal
her"), um sich gegenseitig zur Eile anzufeuern. Als es dämmerte,
spann der Stier noch immer. Aber er war auch schon sehr milde,
denn so oft er den Hals von rechts nach links bog^ da flog ihm stets
der Speichel in langen Fäden zum offenen Fenster hinaus und schwebte
als glänzender Faden in der Luft fort. Diese Fäden sieht man auch
jetzt noch im Herbste in der Luft schweben, und wir nennen sie eben :
„ökömydl^ (Ochsenspeichel). Gegen Mittag war der gesammte Hanf
aufgesponnen, und da stürmte der Stier auf die drei Jungfrauen los
und warf sie in die Luft; die eine fiel oben auf dem Gebirge neben
einer Quelle auf die Erde, die andere fiel auf einen Acker, und die
dritte fiel auf einen hohen Baum. Jede sitzt nun seit vielen Jahren
auf ihrer Stelle und spinnt den „Ochsenspeichel"; aus dem Gespinst
verfertigen sie dann Hemden, und wer ein solches findet und am
Leibe trägt, der ist in Allem glücklich. An der Stätte, wo das Haus
des Ritters gestanden, hörte man lange Jahre hindurch allnächtlich
den Ruf erschallen: „Nyujtod? nyujtod-e md/r?^ Und als mit der Zeit
sieh daselbst Leute ansiedelten, nannten sie das Dorf „Ny uj tod"* ^) . . . '^
Diese Sage erinnert uns an das Zauberhemde und Kothhemde
der deutschen Mythe, das Jungfrauen woben, um Kämpfer fest and
unverwimdbar zu machen. In solchem Zusammenhange nennt man in
Deutschland die im Herbste über das Feld schillernden Fäden der
Feldspinne noch den Marienfaden, den Altenweibersommer, in West-
phalen Unser laiwe Frauen Suemer, und die Spinneweben in der
Stube heißen sogar Friggers, der Göttin Frta Gewebe" (Rochholz
a. a. 0. S. 142; s. Woeste in Wolfs Ztschr. 2, 96). Dem Volksglauben
der Siebenbürger Armenier gemäß webt die „Glttcksfrau** dem Kinde,
das in der Stunde geboi'en wird, wo sie ihr eigenes Kindlein, den
^ZufalP, säugt, aus ihrem Speichel ein Glückshemd. Man legt daher
jedes Kind vor der Taufe an einen Ort, wohin der Mond scheint, und
entfernt sich aus dem Zimmer, damit die Glücksfrau ihm ungestört
das ^unsichtbare Glückshemd*^ anziehe, das es dann sein Lebelang
unbewußt an hat, um nun in allen seinen Handlungen vom Glücke
begünstigt zu werden. Nach dem Glauben der Siebenbürger Rumänen
ist es gut, wenn man von der Nabelschnur des Kindes ein Stückchen
bei zunehmendem Mond in den Garten wirftf dann kommen die ^ guten
Frauen ** und weben das Stückchen zu einem „Glücksfaden''; sie weben
*) Im Südosten Siebenbür^eos.
zu DEN ^DREI MARE1EN^ 137
ihn 80 lange, bis daß ihn die ,,dritte*^ abschneidet: ^dann ist es aas
mit dem Glücke des Menschen!''
Auch ein Kinderlied der Siebenbürger Zeltzigeuner gehört in den
Kreis der „drei Mareien^. Das „goldene Seil" umspannt auch hier
die Orenzen der engeren Heimat. Der unedirte Originaltext dieses
Kinderliedes lautet — so wie ich denselben 1883 in der Oegend von
Hermannstadt aufgezeichnet habe — also:
Andro bäro Sünneske Keshälyi les kerelds,
Stukdr cercd hin dädeske; Riciye Itsperpelds.
Andrdl e certd hfshda, Päl sheloro Orldfaros
Vdsh Beshndre grÖMtdrdn; Sdr e bdrvdl grdgtdrds;
Pol Reshndre sheloro Te o phdnro uripen
Hin shukdr somndkuno; Odoy yon den sik amen.
Sheloro hin may shukdvy Kiyd sheloro shukdr,
Oh grdiyd, tu sityärl Oh grdiyd, tu eitydrP)
Die genaue Übersetzung desselben lautet:
Anf der Haid' von Hermannstadt, Keschalyi hat es gemacht,
Schönes Zelt dein Vater hat; Es gewoben über Nacht.
Vor dem Zelte sitsen wir. Auf dem Seil nach Orlat hin
Reiten, reiten weg von hier, Mit den Winden wir dann ziehn,
Reiten, hin nach Reschinar, Kleider schön aus Seiden
Dort gemacht aus Gold^ so klar, Schenkt man uns dort Beiden.
Ist ein langes, langes Seil; Wollen hin zum gold'nen Seil,
Hopp, mein Pferdchen, eile, eil'! Hopp, mein Pferdchen, eile, eil'!
Die Keschalyi sind Feen, die verdammt sind kinderlos zu leben.
Sobald eine Keschalyi ein Ejnd zur Welt bringt, so stirbt dasselbe
auch gar bald. Dann flieht die trostlose Mutter hinauf ins Gebirge,
wo sie auf einsamen Felsen in unzugänglichen Schluchten regungslos
sitzt und ihr meilenlanges Haar im Winde wehen litfit, wodurch der
Nebel entsteht, der zigeunerisch neben nebulo auch yfidl Keschdlytücri^
(Haar der Eesch&lyi) heißt Stirbt ein Mann, den eine Keschalyi be-
günstigt hat, da reißt sie sich in ihrem Grame Haare vom Kopfe^
die dann als Sommerfäden (zig. brigd Kesehdlydkri, Gram der Keschalyi)
über die Gefilde schweben» Eanderlose Weiber der Zigeuner, die sich
Kinder wünschen, sammeln solche Fäden und verzehren sie mit ihrem
Gatten zusammen, und zwar bei zunehmendem Monde, wobei der
Spruch gemurmelt wird;
') Was die Orthographie anbelangt, so entspricht c = tsch, c = ch, j = dach,
n == nj, sh = seh, y =e f (s. meine „Sprache der transsilvanischen Zigeuner", Leipzig
1884, S. 3).
9**
138 H. V. WLISLOCKI
Keshälyiyd lisperpen, Ihr Keschalyi spinnet, spinnt,
Cin pdni hin andre len ! Bis noch Wasser in den Bächen rinnt !
Mdngdvds pdl holyipen, Euch zur Kindstauf wir einladen,
Kdnd lolo sheloro Wenn den rothen Glücksfaden
Mende turnen Ksperpen Ihr gesponnen, ihr gesponnen
Vdsh rdkleske, ko dvld Für das Kind, das wir gewonnen
Mende, oh Keshälyiyd! Haben von eurer Gnad*, ihr Keschalyi.
Der hier erwähnte „rothe Glücksfaden" ist nicht identisch mit
dem im vorhergehenden Kinderliede erwähnten nlang®^» goldenen
Seil". Letzteres erscheint nur dem Geliebten der Keschalyi und zeigt
ihm den Weg zu derjenigen, die in Liebe zu ihm entbrannt ist. Wenn
aber eine Keschalyi einem Kinde „Glück für das ganze Leben" ver-
leihen will, so spinnt sie den „rothen Glücksfaden**, den sie dann als
rothes Striemchen am Halse des Bevorzugten erscheinen läßt (vgl.
Rochholz a. a. O. S. 147). Ein solches rothes Striemchen brachte
auch der Stammvater eines der vier Zeltzigeunerstämme Sieben-
bürgens, des Leila-Stammes, bei seiner Geburt mit auf die Welt,
woher er den Beinamen „Lofo" (der Rothe) erhielt. Die Stammsage
der Leila, die in mancher Beziehung zum Kreis der ,,drei Mareien"
zu rechnen ist, lautet im Originaltext, so wie ich denselben nach der
Erzählung des gegenwärtigen Wojwoden des Stammes, Namens Paul
Csutak, zubenannt ^der Großfuß", im Jahre 1886 gehört habe, also:
y^Andre but sei bershd jideläs pdl yek bes yekd mdy shukdr rdklyt.
Yoyrdklyi bdre thdgdreskro dvld^. Kdnd leskre ddd mereUs, leskre perdl
tfi leskro romni Id trddend; e romni nd kdmelds, the andre them shukd-
reder romni the dvlds sdr yoy. E shukdr rdklyi gelyds dnd/ro cdtdro
themäkri^ te odoy pdl yek bdro bes dndre eigne cev beshMs, Bibdctäles
jideläs yevensd besheshro te buter dndre bokh mdy merelds. Vucoyes dndre
besh beshend trin Keshälyiyd^ ke butvär pro besh dikhend te dikkend, so
e rdklyi kerel Atunci peneUs yekd Keshdlyi kiyd leskre pcenenge: j^Core
rdklydke hin misec jidipen; yoy may bokhdles! Mire bald dnd/re them
felebicdv; yoy bdld cdl te kerel yek rdkles, ko pro Idke gindiadrel!^ Te
Keshdlyi bdld telebicelds te ddd cdvelas sik e rdklyi; dtunci penelds:
duyte Keshdlyi: ^Me kerel, hoy yekd somndkune lenori the dvelds dngdl cm
te yek somnakuno ruk odoy th' dvelds, ko sdke yevd limdkri bdrel!^ —
„Te me", penelds trite Keshdlyi, „me kerel, hoy rdhUske, kdnd yov md-
nush hin, nd tdysd bdct hin!"" May voyikereUs e core rdklyi, kdnd dvre
jivese dngdl cev somndkune lenori te yek somndkune ruk dikhelds. Atunci
Idke dvlds bute cabe-nd te e pdhi somndkune lenordkri dvlds legfeder mol.
Te dtunci e rdklyi kerelds yek rdkles, kdske pro kor yek Mo sheloro
ävlas. Te e rdklyi jdnelds, ko Idke rdklds kerdyds! Kdnd yoy rdkles
zu DEN ^DREI MAB£IEN^ 139
andre päni aomnakime lenoräkri tavelas, yekvdr shukär rdklo ävlds. Te
nd hutvdr voyipen dvlds! 0 perdl rdMydkri dshtmelds, hoy e pcen Leäa
heshd kiyd somndkune lenori te somndkuno ruk, Yov bicelds ketdnd oday
U ddd pdl mol somndkune lenordkri mdtovend, Te mdtes muddrend Leüa;
leskre rdklo may merelds, Yov dndre Urne jidlds te romni lelda te rdklen;
yov dtunci penelds kiyd mdnushenge: „Kdmdv, the men Leäa dndphenen^
hoy dndvd ddydkri tdysd jidel!^ Te dmen kdde kerds te djes dndphenen
men: e Leild "
Die genaue deutsche Übersetzung lautet:
f,Vor vielen hundert Jahren lebte am Rande eines Waldes eine
wunderschöne Maid. Sie war die Tochter eines mächtigen Königs
gewesen. Als ihr Vater starb, da verstieß sie ihr Bruder und dessen
böse Frau 9 die es nicht haben wollte, daß im Lande ein schöneres
Weib als sie lebe. Die schöne Maid floh also an die Grenze des
Landes, wo sie am Rande eines großen Waldes in einer kleinen Höhle
wohnte. Kümmerlich ernährte sie sich von den Frtlchten des Waldes
imd war oft nahe daran, vor Hunger zu sterben. Hoch oben im Ge-
birge da wohnten auch drei Keschalyi, die oft ins Thal hinabblickten
and dem Treiben der Maid zusahen. Da sprach einmal die eine
Keschalji zu ihren Schwestern: „Die arme Maid hat ein gar schlechtes
Leben; sie ist sehr hungrig! Ich werde einige meiner Haare zu ihr
hinab ins Thal fallen lassen; sie wird diese Haare verzehren und
dann einen Sohn zur Welt bringen, der wird für sie sorgen!" Wäh-
rend die Keschalyi einige Haare hinabfallen ließ, welche von der
Maid sogleich verzehrt wurden, sprach die zweite Keschalyi: „Ich
werde bewirken, daß ein goldenes Bächlein vor ihrer Höhle fließe
und ein goldener Baum ebenda wachse^ der alle Früchte der Welt
tragen soll." — „Und ich", sprach die dritte Keschalyi, „werde schon
sorgen, daß es dem Kinde, wenn es zum Manne erwachsen, nicht
immer gut ergehe!** Wie freute sich die arme Maid, als sie am
nächsten Morgen ein goldenes Bächlein vor ihrer Höhle fließen und
einen goldenen Baum stehen sah. Nun hatte sie Speisen in Fülle, und
das Wasser des goldenen Bächleins schmeckte wie der allerbeste
Wein. Da gebar eines Tages die Maid ein Knäblein, das ein rothes
Striemchen am Halse hatte. Nun wußte die Maid, wer ihr das Kind
bescheert habe ! Als sie es im Wasser des goldenen Bächleins badete,
da wuchs es auf einmal zu einem schönen Jüngling heran. Doch
nicht lange sollte die Freude der Beiden dauern! Der Bruder der
Maid hatte erfahren, daß seine Schwester Le'ila in einer Höhle wohne,
wo ein goldenes Bächlein fließe und ein goldener Baum stehe. Er
140 MITTHEILUNGEN.
schickte seine Soldaten hin, und diese berauschten sich vom Weine
des goldenen Bächleins* In ihrem Rausche tödteten sie Le'ila, deren
Sohn nur mit Mtlhe dem Tode entrann. Er floh in die Welt, und als
er geheiratet hatte und Kinder besaß ^ sprach er zu seinen Leuten:
„Wir wollen uns Le^la nennen lassen, damit der Name meiner Mutter
ewig lebe!" Und wir haben es gehalten, denn auch noch heute heißen
wir die LeYla **
Dies die Stammsage der Le'ila, die — wie schon bemerkt — durch
die Züge, die sie eben enthält und die sich leicht aus der ganzen
Darstellung herausschälen lassen, mit in den Kreis von den ^^drei
Mareien" zu zählen ist.
Zum Schlüsse erlaube ich mir nur noch eine kleine Bemerkung.
In den von Rochholz mitgetheilten Liedern heißt es zum Schlüsse:
z'morge-n-am drü
chömmet drei Mareie,
die eint spinnt Side,
die ander schnäflet Chride,
die dritt schnidet Haberstrau:
s'hüet mer Gott mis Chindli au!
Rochholz hat nun das Wort Chride als = Falschheit und Streit ge-
deutet (a. a. 0. S. 148) und, wie ich glaube, wohl ganz richtig. „Die
Chrideschnatzlerin bringt Hader und Verdruß zwischen die Freunde."
In meiner Schtilerzeit am Honterusgymnasium zu Kronstadt nannten
wir einen feigen, unverträglichen Jungen einen „Kreidenscheißer";
im Siebenbürgisch-sächsischen bedeutet sech bekriden = sich ängstigen,
bekümmern.
MÜHLBACH (Siebenbürgen), 20. Februar 1888.
Dr. HEINRICH v. WLISLOCKI.
Mittheilnngen.
Karl Wein hold ist als Nachfolger Müllenhoffs nach Berlin berufen,
Eduard Schröder in Berlin zum Nachfolger Zuche's in Starburg ernannt
worden*
Prof. H. vonWaldberg in Czernowitz ist an die Univerrsität Heidel-
berg übergesiedelt; ebenda hat sich Herrn. Wunderlich als Priyatdocent
für deutsche Sprache und Literatur habilitiert.
f am 17. Januar zu Lichtenfelde bei Berlin im Alter von 72 Jahren
Prof. Dr. Ludwig Herr ig; am 22. Januar in Halle Prof. Dr. Karl Elze
im Alter von 67 Jahren; f am 31. Januar in Oxford Prof. Dr. Gudbrand
VigfuBBon im Alter von 58 Jahren.
Caesaris Commentarii de bello gallioo. Itemm recogn. Ed. Em. Hoff mann.
geh. M. 1*50.
de bello Clvlll. Aeeednnt comment de bello Alezandrino, Africano,
Hispaniensi. Itemm recogn. Em. Hoff mann. geh. M. 1*50.
CJoeronis in L. Catillnam oratlones quattuor. Ed. AI. Kornitzer. Mit Index
nom. geh. M. — *60.
— — CatO maior de senectste. Ed. AI. Ko mite er. Mit Index nom. geh.
M. —-50.
Laellus de amioltia. Ed. AI. Kornitzer. Mit Index nom. geh. M. —-60.
-<- — Oratlones pro T. Annio Rfllone, pro Q. Ligarlo, pro rege Delotaro.
Ed. AI. Kornitzer. Mit Index nom. geh. M. — *80.
pro Sex. RoscIO Amerlno Oratio. Ed. AI. Kornitzer. Mit Index nom.
geh. M. — -60.
de Offloiis llbri tres. Ed. AL Kornitzer. Mit Index nom. geh. M. 1*10.
•^ — Oratio de imperio Cn. Pompel. Ed. AL Kornitzer. Mit Index nom.
geh. M. — -ÖO.
Oratio pro S. Sulla, pro A. Licinio Archia poeta. Ed. AI. Kornitzer. Mit
Index nom. geh. M. — '70.
Herodotl de bello persloo ilbrorum epltome. Ed. Fr. Lanczizkj. Adinnctae
sunt libr. I — lY partes seleetae. geh. M. 1*80«
Homerl iliadis epltome. Ed. Aug. Scheindler. Pars prior Iliadis I— X. geh.
M. !•-.
Ed. Aug. Scheindler. Pars altera Iliadis XI— XXIV. geh. M. 1-40.
LIvli, T., ab urbe condita Ilbrorum partes seleetae. Ed. C. J. Grysar.
Recogn. B. Bitschofsky. Mit Index nom. u. 4 Karten, geh. M. 1*90.
P. Ovidli Nasonis oarmina selecta. Ed. C. J. Grjsar. Becognoyit et auxit
Carolas Ziwsa. geh. M. 1*40.
Piatons Laches. Itemm ed. Ed. Jahn. geh. M. 1*—.
Sallusti Crispl bellum Catllinae. Ed. Phil. Klimscha. geh. M. —-so.
bellum lugurthlnum. Ed. Phil. Klimscha. geh. M. —-50.
Taciti ab exoessu divi AugustI librl qui supersuni Ed. Ig. Prammer.
Pars prior libri I— VI. geh. M. 1-70.
Ed. Ig. Prammer. Pars posterior libri XI — XVI. geh. M. 1*70.
Germania. Ed. Ig. Prammer. Adiecta est tabula, qua Germaniae
antiquae situs describitur. geh. M. — *60.
P. YIrgllll Maronis Aeneldos epltome. Accedit ex Georgicls ex Bucolicis
delectus. Scholarum in usum ed. Em. Ho ff mann. geh. M. 1*30.
S^' Diese Sammlnng griechisclier nnd lateinischer Classiker wird
fortgesetzt. ''W
INHALT.
Seite
Über den Ursprung des höfischen Minnesanges und sein Verhältniß zur
Volksdichtung. Von Ed. Theodor Walter 1
Einleitung 1
Capitel I. Wimleodit Liebesgrüße, trauiliety Kürenberglieder,
puellarum earUiea .., 3
Capitel IL Der Versuch R. M. Meyers, vermittelst einer Samm-
lung Yon Parallelstellen aus höfischen Dichtem den Minne-
sang als Entwickelangsproduct einer ^^doroQ gegangenen**
Volkslyrik hinzustellen 9
Der Minnesänger Albrecht yon Johansdorf. Von J. Hörn off. (Schluß) 76
.V. Gedankenwelt 75
VI. Zeitliche Anordnung 105
VII. Fremde Einflüsse 109
Zur Lautform des Alemanischen. Von A.Heusler . . . . . . 112
Zu den «drei Mareien". Von H. v. Wlislocki 130
Mittheilungen 140
Bnchdruckerei von Carl G«rold*s Sohn In Wien.
•^liv-
SEP 23 ibi;y
GERMANIA.
VIERTELJAHRSSCHRIFT
FÜK
DEUTSCHE ALTERTHUM8KUNDE.
BEGRÜNDET VON FRANZ PFEIFFER.
FORTGESETZT VON KARL BARTSCH.
JETZT BERADSGEOEBEl«
OTTO BEHAGHEL.
• VIERUNDDREISSIGSTER JAHRGANG.
NEUE REIHE ZWEIUNDZWANZIGSTER JAHRGANG.
ZWEITES HEFT.
V- WIEN.
VERLAG VON CARL GEROLD'S SOHN.
1889.
-jjff ^1 Classikep-Ausg
Caesaris Commentarii de hello gallico. Iterum recogn. £d. Em. Hoff mann.
geh. M. l'öO.
de hello Clvili. Accedunt comment. de hello Alexandrino, Africano,
Hispaniensi. Iterum recogn. Em. Hoff mann. geh. M. l'.^O.
Ciceronis in L. Catilinam orationes quattuor. Ed. AI. Körniger. Mit Index
nom. geh. M. — '60.
CatO maior de senectute. Ed. AI. Kornitzer. Mit Index nom. geh.
M. —-50.
— — LaelluS de amicitia. Ed. AI. Kornitzer. Mit Index nom. geh. M. —'50.
Oratlones pro T. Annio Milone, pro Q. Ligario, pro rege Delotaro.
Ed. AI. Kornitzer. Mit Index nom. geh. M. — '80.
pro Sex. Roscio Amerino Oratio. Ed. AI. Kornitzer. Mit Index nom.
geh. M. — -60.
de Offleiis libri tres. Ed. AI. Kornitzer. Mit Index nom. geh. M. 1-10.
In C. Verrem accusatlenis liber quartue. Ed. AI Kornitzer. Mit
Index nom geh. . M. — .80.
— ~ Oratio de imperlo Cn. Pompel. Ed. AI. Kornitzer. Mit Index nom.
geh. , M. — -60.
Oratio pro S. Sulla, pro A. Licinio Archia poetaf Ed. AI. Kornitzer. Mit
Index nom. geh. M. — '10,
Oratio pro Phllipplca seeunda. Ed. AI. Kornitzer. Mit Index nom
geh. M. —.60
Herodotl de hello persico lihrorum epitome. Ed'. Fr. Lauczizky. Adiunctae
sunt llbr. I — IV partes selectae. geh. M. 1*80.
Homeri lliadis epitome. Ed. Aug. Scheindler. Pars prior Iliadis I— X. geh.
M. 1-.
Ed. Aug. Scheindler. Pars altera Iliadis XI— XXIV. geh. M. 1-40.
Livii, T., ab urhe condita lihrorum partes selectae. Ed. C. J. Grysar.
Becogn. R. Bitschofsky. Mit Index nom. u. 4 Karten, geh. M. 1*90.
P. Ovidii Nasonis carmina selecta. Ed. C. J. Grysar. Recognovit et auxit
Carolus Ziwsa. geh. M. 1'40.
Piatons Laches. Iterum ed. Ed. Jahn. geh. M. 1* — .
Sallusti Crispl bellum Catilinae. Ed. Phil. Klimscha. geh. M. -;.-50.
bellum lugurthinum. Ed. Phil. Klimscha. geh. M. — 50.
Taciti ah excessu divi AugustI libri qui supersunt. Ed. Ig. Prammer.
Pars prior libri I — VI. geh. M, 1*70.
Ed. Ig. Prammer. Pars posterior libri XI — XVI. geh. M. 1;70.
\
* '^ ' ' '^^'- .^"^ . V
SlP 23 ]8.^9
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNE-
SANGES UND SEIN VERHÄLTNISS ZUR VOLKS-
DICHTUNG.
(Schluß.)
Capitel III.
Werth des Aufsatzes von A. Berger über „die volksthüm-
liehen Grundlagen des Minnesanges^ für die Frage nach
dem Zusammenhange zwischen diesem und der Volks-
dichtung.
Wenn ich der Meyer'schen Sammlung eine so eingehende Be-
handlung habe zukommen lassen , wie es geschehen ist; so hat mich
dazu vor Allem der Umstand bewogen, daß ich fdrchtete, Mancher
möchte sich durch den imponierenden Umfang derselben vielleicht
bei nachlässiger Prüfung der Einzelheiten dazu bestimmen lassen, der
Ansicht Meyers beizutreten, ohne sich selbst recht klar über die Con-
Sequenzen zu werden, die er damit zu den seinigen macht.
Ich hatte zu dieser Befürchtung umsomehr Recht, als es in
dem so umfangreichen Aufsatze Meyers durchaus an einer Überein-
stimmung unter dem anfangs Behaupteten, dem beim versuchten Be-
weise ins Auge Gefaßten und dem Resultate fehlt.
Obendrein zeigte mir der Aufsatz A. Bergers ^) bereits die ersten
schädlichen Folgen oder Einflüsse der Meyer'schen Arbeit.
Berger sagt selbst, er theile die Ansichten, die den „scharf-
sinnigen Untersuchungen von Richard M. Meyer" ') zu Grunde lägen ;
er schließe sich ihnen „vollständig"^) an; er theile den Standpunkt
jenes „in allem Wesentlichen"*). Nun: zu „allem Wesentlichen^ ge-
hört doch jedenfalls auch das Gesammtresultat; welches dies ist,
haben wir bereits mehrfach bestimmt zum Ausdruck gebracht.
Daß Berger sich zu ihm bekenne, erfahren wir eigentlich nur
daraus, daß er uns dessen verschiedentlich am Anfange und Ende
seiner Untersuchungen versichert. Aus diesen selbst, aus den zum
>) Ztschr. f. d. Phil. XIX, S. 44Q— 486. ») ib. S. 441. ») ib. S. 473.
*) ib. 8. 441.
QBBMANIA. Nene Reihe XXII. (XXXIY.) Jahrg. 10
142 E. TH. WALTER
Beweise verwandten Mitteln müßte man auf eine andere Behauptung
schließen. Er vergißt offenbar — ganz wie oft Meyer — im Gange
seiner Abhandlung zu Zeiten, was er sich zum Ziele gesetzt hat.
Er beweist; aber er beweist nicht mehr, was er behauptet hat.
Er gibt uns sein Resultat; aber dieses ist in Wahrheit nicht dasselbe,
zu welchem ihn seine Untersuchungen geführt haben.
Doch ich habe dies im Einzelnen darzuthun.
Fragen wir uns zunächst nochmals : Was wollte Meyer mit seiner
Stellensammlung, was will jetzt A. Berger, sich ihm „vollständig*'
anschließend, beweisen? Nicht nur, daß es „eine große Menge lyrischer
Verse, die durch ganz Deutschland im Volke fortlebten, *ßlumen, wie
sie überall aus der Erde hervorbrachen und nur zu Sträußen zu-
sammengebunden zu werden brauchten'",^) gegeben habe; sondern
auch, daß eben die Vertreter des Minnesanges diese „Blumen^ zu
den „Sträußen^ zusammengewunden haben, die wir in ihren Liedern
besitzen; daß also jene Sträuße der Volksdichtung denen der
ritterlichen Poesie ähnlich oder gleich gewesen seien: d. h. daß
Charakter und Aussehen der „verloren gegangenen Volksdichtung"
im Großen und Ganzen dieselben gewesen seien.
Das ist in bestimmter Fassung das, was Meyers Untersuchungen
und somit auch Bergers als Ziel aufstellen.
Während nun Meyer in seinem Aufsatze gewöhnlich von Liebes-
lyrik oder wenigstens Lyrik, worunter er dasselbe versteht, spricht,
ist bei Berger zum großen Theile nur von Volksdichtung über-
haupt die Rede.
Er verspricht „eine Reihe von charakteristischen Eigenthümlich-
keiten der Volkspoesie, die sich im Minnesang wiederfinden" zu be-
handeln, dann „eine Anzahl von Vorstellungen, Bildern und Gleich-
nissen" zusammenzustellen, „die aus volksthümlicher Dichtung stam-
men" und endlich „gnomische Elemente" und eine Reihe syntaktischer,
stilistischer und metrischer Beobachtungen „uns vorzuführen, an denen
ein Einfluß der Volkspoesie deutlich wird"*).
Schon dies Programm zeigt zur Genüge, daß das anfangs ge-
steckte Ziel bereits ein sehr verschwommenes geworden ist, was uns
die Prüfung der einzelnen Abtheilungen noch deutlicher darthun soll.
Zunächst sehen wir die „Epische Situation"^), die sich im
Minnesänge wieder findet, als Beweis aufgeführt. Was läßt sich aber
damit anfangen?
') cf. Berger a. a. O. S. 472 and B. Bf. Meyer a. a. O. S. 208.
«) Berger a. a. O. S. 442. «) ib. 443—444.
ÜB£R DEN ÜRSPRUNQ DES HÖFISCHEN MINNESANOES etc. 143
Soll daraus ; daß auch in unseren Volksliedersammlungen „die
episch-lyrische" Form als Lieblingsfonn der Volksdichtung zur Gel-
tung kommt, etwa geschlossen werden, daß der höfische Minnesang
eben dies aus volksthQmlichen Liebesliedem geschöpft, gerade
solche in diesem Punkte nachgeahmt haben mQsse?
Soll daraus dann weiter gefolgert werden können, daß es eine
derartige Volksliebeslyrik gegeben haben müsse, daß der höfische
Minnesang als naturgemäßes nächstes Entwickelungs-
product zu demselben zu betrachten sei?
Beides sollte doch schwerlich möglich sein. Dem Minnesang
gaben natürlich ebenso gut wie den späteren Volksliedern die lange
bestehende epische Dichtung und ihre dem Lyrischen sich zuneigen-
den Weiterbildungen ein Mittel an die Hand, welches naturgemäß
in der Volkspoesie wie der Kunstdichtung angewendet, von jener
bevorzugt, von dieser mehr vernachlässigt worden ist.
Den höfischen £pen ihr Theil an dieser Einwirkung abzusprechen,
haben wir natürlich durchaus kein Recht, ohne daß wir jedoch bean-
spruchen wollten, ihren Einfluß in den Vordergrund gestellt zu sehen.
Es mag immerhin die Volkslyrik in diesem Punkte vorangegangen
sein, durch ihr Beispiel gewirkt haben: Schlüsse, wie Meyer-Berger
sie sammt den nothwendigen Folgerungen zu einem Gesammtresultate
zusammenfassen, gewinnen dadurch keine Berechtigung.
Mit der Besprechung dessen, was Borger^) über die „Natur-
eiDgänge** bemerkt, darf ich wohl die der Auseinandersetzungen
Meyers über den gleichen Gegenstand verbinden.
Vor Allem wiederhole ich: „daß es Lieder gegeben habe —
Frühlings-, Sommer-, Winter- und Tanzlieder — habe ich nirgends
bestritten; daß in diesen Liedern der Volkspoesie Natureingänge
üblich gewesen seien, gebe ich gleichfalls zu (sichergestellt ist es aber
vorläufig durch nichts!), daß den Minnesingern solche Lieder bekannt
gewesen sein werden, läßt sich gewiß nicht in Abrede stellen: daß
aber diese Lieder sammt ihren Natureingängen dem Minnesang als
Muster, als Vorbilder gedient haben sollen; daß durch sie der
«plötzliche Aufbruch" der höfischen Poesie sich sollte erklären lassen —
das leugne ich entschieden.
VtTenn dies der Fall sein sollte, so müßten es nicht gerade die
späteren Dichter sein, nicht gerade die Dichter, die sich geflissentlich
') a. a. O. S. 444 f. ') Meyer a. a. O. 8. 192 f.
10'
144 £. TH. WALTER
der Volkspoeaie näherten, wie Walther and Neithart, bei denen die
Natureingänge vornehmlich sich ftnden.
Daß natürlich dem Minnesinger, dem die Poesie des Volkes auch
an die Ohren drang, die leichten Verse, die er gehört hatte, im Be-
wußtsein blieben; daß er in gleicher Weise gelegentlich auch selbst
einmal sein Lied begann, obgleich er dazu gewiß der Vorlage nicht
bedurft haben wQrde, ist ganz denkbar.
Daß aber gerade in den Anfängen des Minnesanges, also zu der
Zeit, da er noch der „bäurischen Stegreifdichtung** — wie Meyer
will — gleich war; da er ihre Verse noch zu Liedern zusammen-
setzte; da er sich, noch „die alte Art fortsetzend, langsam aus ihr
erhob^: daß gerade damals der Natureingang selten genug ist;
daß gerade dies als charakteristisch für gewisse Volkslyriksarten Be-
zeichnete nicht überwiegt, sondern gleich im ersten Anbeginn dem
Conventionellen Frauen dienste weicht: scheint mir gerade ein Beweis
dafür zu sein, daß der Minnesaug als Entwickelungsproduct der Volks-
lyrik nicht zu betrachten sei^).
Was Berger dann weiter über das „Naturgleichniß"^), über
„Mytholojgisches"^), „Liebesgrüße" und „Wunschlieder"*),
„Verwünschungen***), „Onomisches"®), „Einzelne Bilder und
Anschauungen^*^) und „Rechtsalterthümer^) sagt, führt uns
auch zu keinem Resultate.
Er beweist damit nur, daß der ritterliche Dichter ein Kind
seines Volkes war, mit den herkömmlichen Anschauungen, den Ge-
bräuchen und Sitten des Volkes, auch seinem Sänge bekannt; daß
in ihm auch der ganze im Laufe der Jahrhunderte gesammelte Schatz
von Wendungen, Bildern und sprichwörtlichen Redensarten lebte;
keineswegs aber, daß der ritterlichen Dichtung eine ihr ganz ähnliche
Volkspoesie vorausgegangen sei (wie sie Meyer bestehen lassen will),
aus deren Versen die ersten Lieder der Minnesinger zusammen-
gesetzt seien.
Von Bergers sonstigen Ausführungen habe ich nur noch des
„Metrischen" zu gedenken.
Wir finden bei ihm ®) eine größere Menge von Versen der älteren
') Über die Entlehnung der Natureingänge ans classischen Mustern hier zu
handeln würde mich zu weit führen.
>) Berger a. a. O. S. 446—448.
•) ib. S. 449—461. ') ib. S. 461—453. *) ib. S. 468. •) ib. S. 457
bis 464. ') ib. S. 464-466. ») ib. S. 467.
») Berger a. a. O. S. 473 ff.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 145
Minnesinger und der CB als „stabreimende Langzeilen und Halb-
zeilen*' zusammengestellt.
Wie er selbst sagt, will er damit dartbun, daß der Sinn ftlr die
Alliteration noch nicht bei den ritterlichen Dichtem erloschen war.
Er macht gar keinen Anspruch darauf, daß die angeführten Zeilen
als mit den „feineren Regeln" der bewußten Kunstform tiberein-
stimmend angesehen werden sollen; er gibt zu, daß solche allitterie-
renden Zeilen sich dem Dichter unbewußt eingestellt hätten. Er will
nur, daß man die Thatsache bestehen lasse.
Ich muß gestehen, daß es mir recht wahrscheinlich dünkt, wenn
man annimmt, daß nach der Jahrhunderte langen Übung das Ohr
noch fernerhin das feine Gefühl für den Stabreim bewahrt habe ; daß
das Wohlgefallen an demselben gelegentlich auch zur bewußten
Anwendung geführt haben mag.
In den meisten Fällen jedoch — denke ich mir — wird die
AUitteration unbewußt sich eingestellt haben; recht oft auch nur
auf zufälligem Zusammentreffen beruhen.
Doch selbst für den Fall, den wir übrigens kaum für sehr wahr-
scheinlich halten, daß die Anwendung der AUitteration zur damaligen
Zeit wirklich aus bewußtem Streben hervorgegangen wäre, so würde
doch dadurch nichts weiter dargethan, als daß eben eine alte, vor-
vornehmlich epische Eunstform noch in der Sprache sich lebendig
erhalten hätte.
Was hat aber dies mit dem „plötzlichen Aufbruche** des höfi-
schen Minnesanges zu thun?
Mir scheint^ nicht das Geringste. In einer Hinsicht hält die
Berger'sche Abhandlung, was sie verspricht: sie legt Beziehungen
zwischen höfischem Minnesang und volksthümlichem Denken, Wesen
und Dichten ganz im Allgemeinen und ziemlich ohne Abgrenzung
der Zeit dar. Solche Beziehungen aber hat — meines Wissens —
noch Niemand ernstlich bestritten.
In Bezug auf die Frage nach dem Ursprünge des höfischen
Minnesanges bleibt uns Berger dagegen die Antwort schul-
dig ;oder, woersieunsgibt, indemer sich Meyer anschließt^
geschieht dies ohne innert Begründung und erwiesene Be-
rechtigung.
146 E. TH. WALTER
Gapitel IV.
Die Carmina Burana und ihr Zusammenhang mit dem
höfischen Minnesänge.
Was Meyer sowohl wie Berger durch ihre Verszusammenstel-
lungen — wie wir glauben nachgewiesen zu haben — vergeblich als
Thatsache hinzustellen versuchten: nämlich daß der älteste Minnesang
als ein Entwickelungsproduct der „verloren gegangenen" Volksliebes-
lyrik, dieser in seinen ersten Anfängen also gleich, erst später all-
mälig von ihr sich abwendend, aufzufassen sei; daß wir uns dem-
nach von dieser verlorenen Volksdichtung, oder vielmehr Volksliebes-
lyrik ein richtiges und ziemlich deutliches Bild dadurch machen
könnten, daß wir eben den Minnesang in seiner Anfangsgestalt uns
vor Augen führten: das alles soll sich endlich aus den Carmina
Burana erweisen lassen.
In ihnen glaubt nämlich Meyer eine ergiebige Fundgrube für
solche Liedlein zu besitzen^), wie sie ihm als Vorstufe für den
höfischen Minnesang nöthig scheinen; das heißt: Lieder, Liebes-
lieder ähnlich oder gleich den Erzeugnissen des Minne-
sanges und dabei volksthümlichen Charakters.
Von den erhaltenen deutschen Strophen weist er selbst als für
seinen Zweck nicht brauchbar eine Anzahl zurück*).
Zunächst 129'', da es nicht lyrisch sei') und auch keine latei-
nische Entsprechung habe*); ferner 98*, 100% 101% 102% 103% 104%
116% 126% 132% 133% 139% 143% 165% 166* als nicht altvolksthümlich
wegen Reinheit der Reime oder Reimkünstelei; ferner 109% 117%
125% 140% 163* als nicht formelhaft; ferner 111% 124% 135% 144* als
nicht volksthümlich wegen ihres Inhaltes; endlich 105* gleichfalls
wegen seines Inhaltes.
Es bleiben also zunächst noch folgende mit dem Ansprüche auf
Alter und Volksthümlichkeit versehen übrig und kommen demnach
zur Besprechung ungefähr chronologisch geordnet:
vor 1160: 108%
vor 1180: 112%
vor 1190: 127% 134;
') ib. S. 177. ») ib. S. 179.
^) Wie Meyer dieses Gedicht — es ist das bekannte Stoass hie gat umht —
„nicht lyrisch^ nennen kann, ist mir ganz unfaßbar. Sollte er Yielleicht hier mit *lyrisch
ritterliche Lyrik meinen? Dann müßte ich ihm allerdings sehr Recht geben»
*) Er prüft nämlich die Strophen zugleich auf ihre Originalität gegenüber dem
Lateinischen.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 147
unbestimmt aber möglicherweise älter sind ferner die Strophen 107%
136*; jünger y aber nicht über den Rietenburger hinauszuweisen sind
141', lOO*, 115% 142\
Ich beginne mit 108' = MF. 3, 7 ») :
Were diu werlt alle min
von deme mere unze an den Rin,
des wolt ih mih darben,
daz diu ohünegin von Engellant
lege an minen armen.
Meyer hält diese Strophe mit Martin') „wegen der Anspielung auf
die Königin von England^ und „der Frechheit der ganzen Stelle zwar
nicht für ein altes Volksliedchen, sondern vielmehr ftlr die Original-
dichtung eines Fahrenden^);
doch aus den darüber verzeichneten lateinischen Strophen 108
glaubt er eine, 108, 4, als Umbildung eines alten Liedchens erweisen
zu können.
Die Strophe lautet:
Late pandit tilia
frondes, ramos, folia,
thymuB est sub ea
viridi cum gramine,
in '^quo' fit chorea.
Heyer reißt diese Verse aus ihrem Zusammenhange heraus, erklärt
sie für die lateinische Umbildung eines deutschen Tanzliedchens, und
das ganze Gedicht fllr eine Compilation.
Stichhaltige Gründe für seine Behauptung bringt er freilich nicht.
Ihm erscheint die Strophenfolge innerhalb des Gedichtes un-
richtig. „Auf Frühlingseingang und Aufforderung zum Gesänge folgen
zwei Strophen voll Nachahmungen von Vogelstimmen; danach heißt
es dann : Pulchre tantant volucfrea — eine unmögliche Zusammenfassung
dieser zwei Strophen in eine Zeile. Die beste Ordnung entsteht da-
gegen, wenn wir Strophe 4 (Schmeller: Strophe 3) an Strophe 1
anrücken: die formelhafte Angabe des Vogelgesangs setzt den Natur-
eingang in ganz regelrechter Weise fort.^ &> sagt Meyer. Daß er
Recht hat, glaube ich nicht.
Ich halte die überlieferte Strophenfolge für die einzig rich-
tige. Gedanke schließt sich leicht an Gedanke: Kommt, laßt uns singen,
') Meyer a. a. O. S. 180 ff.
') Nach mündlicher Besprechung, wie er sagt.
*) Seherer, Deutsche Studien II, 7 (441).
148 E. TH. WALTER
denn Alles ist wieder grün geworden*). Schon in der Morgenfrühe
singt die Lerche etc.'). Ja! die Vögel singen schön, die Erde strahlt
in farbigem Glänze, von Wohlgeruch ist Alles erfüllt*), die Linde
breitet ihre Äste aus, unter dem Grase sprießen die Blumen hervor,
ein Tanz hebt sich an^); dazu rieselt mit lieblichem Murmeln ein
Bach durch das Gras: kurz der Platz ist ganz herrlich, zumal ein
sanfter Wind sich gerade recht angenehm erhebt*).
Was an diesem Zusammenhange nicht in Ordnung sei, in wiefern
man nach Strophe 2 (bei Schmeller) j^Pukhre cantant volikcres'* als
„eine unmögliche Zusammenfassung*^ der zwei voraufgegangenen Stro-
phen ansehen soll, leuchtet mir nicht ein, urosoweniger, da Meyer
nicht ein einziges beweisendes Wörtchen seiner kurzgefaßten Be-
hauptung anzufügen für nöthig hält.
Recht klar ist mir dagegen geworden, daß Meyers Anordnung
ganz zwecklos ist und weit eher der Erklärung bedürftige Gedanken-
sprünge zumuthet. Er will also die Strophe 3 (bei Schmeller) an
Strophe 1 (also hinter prata, rus et nemus) angefügt haben und dann
die Strophen mane garrit alandula und hirundo jam finsat folgen lassen.
Was gibt aber das für einen Zusammenhang? Der vorhandene
wird geradezu zerrissen:
Strophe 1: Kommt laßt uns singen, Alles ist grün,
Strophe 2: Sehen singen die Vögel, die Erde steht in Farben-
pracht, Wohlgeruch überall.
Strophe 3 u. 4: Es singt die Lerche in der Frühe etc.
Strophe 5: Die Linde breitet ihre Äste aus etc. etc.
Ich denke, das Gezwungene dieser Ordnung liegt auf der Hand. Das,
was zusammengehört, Naturschilderung und Naturschilderung, Vogel-
sang und Vogelsang sind glücklich getrennt; das ganze Gedicht, um
seinen einheitlichen Charakter gebracht, macht nun einen unfertigen
Eindruck.
Und wozu das Alles? Um die Strophe late pandit tilia heraus-
reißen und für Nachbildung erklären zu können. Die Strophe ge-
hört fest in den Zusammenhang hinein. Grund, sie fttr Neubil-
dung zu halten, ist nicht vorhanden.
So wenig wie viridi gramine^) etwas beweist, hat die Nennung
*) Mnsa venit — rus et nemas. Strophe 1, Vers 1 — 6.
') Mane garrit — nemora yemata. Strophe 1, Vers 6 — 10 und Strophe 2.
*) Strophe 3. ^) Strophe 4. ») Strophe 5.
') VSTenn Meyer übrigens selbst weiß, daß die Formel mride gratnen sich ,,aach
iu ursprünglichen Vagantenliedem (so 65, 5)^ findet, so hätte er sie nicht erst sum
Beweise für den deutschen Ursprung anführen sollen. Es ist doch yöllig zwecklos.
ÜBER DEN URSPRUNG DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 149
der tilia irgend welchen Werth, sobald dadurch Nachbildung darzu-
thun beansprucht wird. Man kann daraus nur erkennen, daß der
Vagant nicht immer sklavisch und gedankenlos seinem herkömm-
lichen Phrasenschatze sich anbequemte, sondern daß er auch — was
doch so ungemein natürlich ist — gelegentlich seiner Umgebung,
dem Volksbewußtsein Rechnung zu tragen verstand *).
Nun ist freilich Meyer auch nicht entgangen, daß Strophe 2
(1^ Schmeller) und 3 (2 Schmeller) nach seiner Umstellung nicht
roebr in den Zusammenhang passen; darum müssen sie interpoliert
sein. Es würde mich viel zu weit fähren, wollte ich mich hier mit
den weiteren Auseinandersetzungen Meyers befassen*), zumal dadurch
im besten Falle nur bewiesen werden könnte, daß der Autor allerlei
Reminiscenzen verwerthet, nicht aber daß er ein Tanzliedchen (näm-
lich V. 4) nachgebildet hätte.
Doch hätte selbst Meyer in allen seinen Behauptungen über das
Gedicht 108 vollkommen Recht, was ich bestreite, so würde er damit
nur die Existenz eines alten Tanzlied eben s zur Thatsache gemacht
haben.
Solch ein Tanzliedchen bedeutet aber nichts für die Behauptung,
daß der Minnesang aus der Volkslyrik entstanden sei;
solch ein Tanzliedchen hat auch mit den ältesten erhaltenen Stücken
des höfischen Minnesanges nicht so viel gemeinsam, daß man sagen
könnte, solche Liedlein wären die Vorstufe für eine Poesie
wie die ritterliche Dichtung gewesen.
Bestritten haben wir, das sei nachdrücklich bemerkt, das
Vorhandensein von Tanzliedern nirgends; ikn Oegentheil,
wir legen auf sie einen ganz besonderen Werth, wie wir später noch
eingehender berichten werden.
Wir kommen zu dem zweiten von Meyer behandelten Stücke
CB. 112»)
Refl. floret silva undiqne,
nach mime gesellen ist mir we.
Gruonet der walt allenthalben:
wa ist min geselle '^alselange' ?
Der ist geriten hinnen,
owi, wer sol mich minnen?
*) Deutsche Tanslieder werden den Vaganten wohl auch genug um die Ohren
geschwirrt sein, so daß sie ihnen die Linde geläufig machen konnten, ohne directe
Nachahmung.
') Ich gedenke ttber die Corm. Bur, in Kürze eingehend au handeln.
*) cf. Meyer a. a. O. 8. 186.
150 £• TH. WALT£R
Gegen die ürsprttnglichkeit der deutschen Strophe gegenüber dem
Lateinischen und ihren offenbar lyrischen Charakter habe ich nichts
einzuwenden.
Für entschieden im Volke entstanden kann ich die Strophe aber
nicht erklären; daran hindert mich sowohl das Latei[n als auch die
Anwendung des Verbums geriten in dem gegebenen Zusammenhange^).
Zum Beweise kann ich sie jedenfalls nicht gelten
lassen.
Es folgen die Strophen 127* und 134*. Daß sie hier nicht zum
Beweise angeführt werden dürfen ^ hat Meyer richtig erkannt. Sie
stehen beide bereits vollkommen im Kreise des Minnesangs").
Die Strophen 107 und 107* fördern unsere Untersuchung eben-
falls nicht ^).
107* ist von Vornherein aus demselben Grunde, wie die vorigen
127* und 134* auszuscheiden.
Meyers Beobachtung aber, daß das lateinische Gedicht so viel
Formelhaftes zeige, daß man es nicht für eine Originaldichtung halten
könne ; was durch eine Zusammenstellung ähnlicher Verse darzuthun
versucht wird^ läßt, Alles zugegeben, höchstens auf einen gewissen
Formelschatz des Vaganten schließen, wie man ihn si<^ immerhin
recht gut vorhanden denken mag, ohne daraus einen Vortheil fiir
unsere Besprechung nehmen zu können.
Iq 136* sieht Meyer wieder ein altes Volksliedchen ^), und zwar
eines der ältesten Art. Damit hat er gewiß Recht Wenn er aber auch
diese beiden Strophen zu Überarbeitungen stempeln will, so bat er
meiner Ansicht nach sich auf einen gänzlich falschen Weg begeben.
Seiner Ansicht nach hat das Lied ursprünglich nicht aus den
beiden Strophen:
chumej ehume geselle min, Suzer rosenvarwer nxunt,
ich enbite harte din, chum un mache mich gesunt,
ich enbite harte din, chum uii mache mich gesunt
chum, chum geselle min. snzer rosenvarwer munt.
bestanden; ihn stört die Wiederkehr der Zeilen, obgleich er sich der
Analogie Walthers (W. 87, 1) wohl bewußt ist.
Der Dichter habe sich die Beime leicht gemacht, sagt Martin;
ich glaube nicht darin den Grand der Verswiederholung finden zu
dürfen; vielmehr scheint mir dieser in der Melodie gele|gen
') ef. oben 6. 122 unten. Übrigens bin ich mit der Fisderung des Gedichtes
auf die Zeit vor 1180 wegen mangelnder Scheidung stumpfer und klingender Beime
durchaus nicht einverstanden. Ich halte das Gedicht für iri«l spftter entstanden.
•') Meyer ib. S. 186—186. =») ib. S. 186-188. *) ib. S. 188—189.
ÜBER DEN URSPRUNQ DES HÖFISCHEN MINNESANGES etc. 151
ZU haben und jn der BeBtimmung des Liedleins, beim Spiel oder
Tans von Paaren gesungen zu werden.
Gerade diese Wiederholung der Verse gibt dem Liede den
charakteristisehen BeisB, der es zu einem unbeschreiblich anmutfaigen,
schlichten Erzeugnisse der frühen Volkspoesie macht.
Durch die unmotivierte Meyer'sche Verftnderung geht dieser
Reiz ganz verloren. Was liegt denn wohl noch von der lockenden und
fliehenden Bewegung des Spieles in der eiQen Strophe, die uns Meyer
läßt, nachdem er beide Strophen halbiert und die Hälften zusammen-
gesetzt hat: Chume, chume geselle min
ich enbite harte dio,
suzer rosenvarwer rnunt
chum und mache mich gesunt.
Der herzige Schalk, der aus jenen beiden Strophen hervorlugt,
ist wenigstens glücklich vertrieben.
Ob nun Jemand sich dazu verstehen dürfte, zwischen diesem
jugendfrischen Tanz- oder Spielliedchen, dieser neckischen Improvi-
sation einerseits und dem Minnesänge der ritterlichen Kreise auch
mit Rücksicht auf seine ältesten Zeugnisse anderseits einen der-
artigen Zusammenhang zu sehen oder auch nur zu empfinden, wie
Meyer es verlangt, und wie wir es von seinem einmal eingenommenen
Standpunkte aus ja auch zu fordern ftir nöthig fanden, erscheint
doch sehr zweifelhaft.
Ich kann das Gedicht nicht für unsere Besprechung
gelten lassen.
Besonderes Gewicht wird auf 141* gelegt^). Es soll wiederum
ein altes deutsches Volksliedchen sein^).
An eine Nachbildung des lateinischen Gedichtes — wie Martin —
denke ich hier nicht. Eher würde mir ein umgekehrtes Verfaältniß
einleuchten. Ich halte das Gedicht gleichfalls für ein Originallied,
und auch der Zeitbestimmung 1175 — 1180 habe ich nicht gerade mit
ausdrücklichem Widerspruche zu begegnen.
Jedoch in einem Punkte bin ich anderer Ansicht: ich halte es
Air entstanden unter der Voraussetzung der Einführung und
des Einflusses des höfischen Minnesanges. Das zeigt ganz
deutlich der Schluß des Gedichtes:
daz sol tragen ein stolzer man,
der wol wiben dienen chan^).
Damit verliert das Lied aber fiir uns ebenfalls seine Beweiskraft.
>) ib. S. 189—190. ^) cf. K. Bardacb, Reinmar der Alte und Walther Ton
der Vogelweide S, 163. ^) Vgl. oben S. 71.
152 E. TH. WALTER
Dies war die letzte der Strophen, von denen behauptet wurde,
daß sie in ihrer jetzigen Form ursprüngliche Volksliedchen darstellen
könnten.
Von den Stücken, deren Alterthümlichkeit in der vorliegenden
Gestalt nicht anzunehmen ist, muß ich das erste 100* gleich zurück-
weisen'), weil es unzweifelhaft ein Tanzliedchen ist. Beginnt es doch
gleich mit den Worten:
'^Springewir den reigen/
Das folgende 115*') ist ein einfaches Frühlingslied ohne jede
Hindeutung auf Liebeslyrik. Es gehört jedenfalls nicht zu der Lyrik,
als deren Entwickelungsproduct der Minnesang gelten soll.
Ganz dasselbe gilt von dem Herbstliede 142% es hat für unseren
Gegenstand keinen Werth').
Somit wären wir mit unserer Besprechung der deutschen Stro-
phen in den Carm. Buran. zu Ende*).
Ich fasse unser Resultat zusammen:
Nr. 108* blieb unbeachtet als Originaldichtung eines Fahrenden;
108 dagegen führte uns nur auf ein Tanzliedchen; Nr. 112 glaubten
wir nicht volksthümlich nennen zu dürfen; Nr. 127* und 134* mußten
wir als nicht alterthümlicb, vielmehr bereits unter Einfluß des Minne-
sanges stehend ausscbiieüen; Nr. 107 wies uns nur auf einen Formel-
schatz des Vaganten hin; Nr. 136* war ein Spiel- oder Tanzlied; bei
dem letzten der von Meyer als alterthümlicb bezeichneten Strophen:
Nr. 141* blieb uns wiederum der Einfluß des Minnesanges nicht ver-
borgen. Von den übrigen, in der jetzigen Gestalt offenbar nicht alter-
thümlichen Gedichten erkannten wir in Nr. 100* wiederum nur ein
Tanzliedchen; bei dem Frühlingsliede Nr. 115* und ebenso dem Herbst-
oder Winterliede Nr. 142* fehlt jede, auch die leiseste Hindeutung
auf Liebeslyrik.
Mit einem Worte: wir haben auch nicht eine einzige
Strophe gefunden, die uns das geboten hätte, was wir such-
ten: ein Lied, ein Liebeslied ähnlich oder gleich den Er-
zeugnissen des Minnesangs und dabei volksthümlichen
Charakters und Ursprungs.
') Meyer a. a. O. 8. 191 ; 166* glaube ich mit Hinweis auf Meyers Zugeständniß
schlechtweg übergehen zu können. *) Meyer a. a. O. S. 216. *) ib. S. 217.
0 Von den übrigen Liedern sind 98, 103' (Meyer a. a. O. S. 218) und 139*
(ib. 2i9) Tanzlieder; bei allen anderen liegt Nachahmung lateinischer Muster vor.
Ober den Ursprung des höfischen Minnesanges etc. 153
Capitel V.
Schluß.
Wir glauben im Laufe unserer vorstehenden Untersuchung nun-
mehr gezeigt zu haben, daß die Versuche , den höjßschen Minnesang
als ein Entwickelungsproduct, als die höchste Blüthe einer Volksliebes-
lyrik hinzustellen, nicht zu dem gewflnschten Resultate gefdhrt haben.
In den winileodi, den „Liebesgrüßen*^ und pueUarum cantica fanden
wir keine directe Vorstufe für eine derartige Dichtung, wie die ritter-
liche es war: die troutlieb begegneten uns nur in den ritterlichen
Kreisen Österreichs; in den „Kürenbergliedern'' Volkslieder zu er-
blicken, wollte uns nicht gelingen; der Versuch Meyers, durch Vers-
zusammenstellungen eine dem höfischen Sänge entsprechende .„bäue-
rische Stegreifdichtung" zu erweisen, stellte sich als verfehlt heraus;
die Berger'sche Untersuchung fiel einestheils mit der Meyer'schen,
anderseits bestand ein Widerspruch zwischen des Verfassers Behaup-
tung und Beweisführung; auch die Erörterung Meyers in Betreff der
Carmina Burana ließ uns ohne Erfolg; wir kommen somit zu dem
Schlüsse ;
Der höfische Minnesang ist nicht als ein Entwicke-
lungsproduct der Volksliebeslyrik zu betrachten; er hat sich
nicht „zuerst noch ganz die alte Art fortsetzend", „ans der
bäuerischen Stegreifdichtung" erhoben; die ihm zugehörigen
Lieder sind nicht „Sträuße", die von den höfischen Dichtern
einfach aus den „Blumen" der Volkslyrik „nur zusammen-
gebunden zu werden brauchten^' und zusammengebunden
wurden.
Aus diesem Schlüsse ergibt sich unmittelbar die Behauptung,
deren Beweis zugleich in der vorstehenden Abhandlung zu sehen ist:
die dem höfischen Minnesänge vorausgehende Volkslyrik
trug nicht einen ähnlichen Charakter, wie die ritterliche
Dichtung, vielmehr war sie ihrem ganzen Wesen nach von
dieser verschieden.
Es ist nicht der Zweck dieser Arbeit, den gewonnenen negativea
Resultaten ausftlhrliche positive Erörterungen folgen zu lassen. Waf
ich hinzufüge, soll nur. dazu dienen, meinen .Standpunkt in den hier
behandelten Fragen und den sich nothwendig anschließenden weiteren
deutlich zu machen und die]Ansichten über die Entwickelung der mittel-
hochdeutschen Poesie des vorliegenden Zeitraumes so anzudeul;en^ wie
ich sie binnen Kurzem ausführlich darzuthun Gelegenheit nehmen werder
154 E. TH. WALTER
Daß eine reiche Volkspoesie aach die Zeit lange vor dem höfi-
schen Minnesänge belebt habe, ist genügend belegt und nicht zu be-
zweifeln. Gebete^ Klage- und Spott-, Lob- und Scheit-, Fabel-, Räthsel-,
Wunsch- und Gruß-, besonders aber Tanzlieder werden hinreichend
bezeugt Sie geben Kunde von dem poetischen Triebe> von dem poeti-
schen Können der Jahrhunderte und ihrer Kinder. Alle Empfindungen
werden in der Dichtung auch der damaligen Zeit ihren Ausdruck
gefunden haben; auch die Liebe wird selbstverständlich nicht stumm
geblieben sein. Wohl am meisten bei Spiel und Tanz wird
sie laut geworden sein.
Daß unendlich viel verloren gegangen ist, unterliegt keinem
Zweifel. Doch genug — meine ich — ist entweder vorhanden oder
läßt sich erschließen, um wenigstens ein ungefähres Bild von dem
uns zu gewähren, was vielleicht in reicher Blüthe vorhanden war.
Ich muß hierbei vor Allem auf die Carmina Burana hinweisen.
Die deutschen Strophen derselben haben wir bei Gelegenheit der
Meyer'schen Erörterung bereits zu betrachten gehabt und auf die
lateinischen einen Blick geworfen. Wo uns Lieder entgegentreten, die
volksthümlichen Ursprungs und nicht unter Einfluß des höfischen
Minnesanges entstanden sind, da erkennen wir in ihnen Tanz- und
Spiel- oder Jahreszeiteniieder; selbst wo uns aus dem lateinischen
Liede, ich will nicht sagen ein deutsches Originalgedicht — sondern
auch nur das lebendige Bewußtsein des Vaganten, ein Kind seines
Volkes mit seinem Wesen und Sänge zu sein, entgegenschaut, sind es
nur derartige Lieder, die uns verrathen werden.
Ich erinnere an die Strophe 108, 4, ferner an 136*, ebenso 100';
ferner 115', 142* und füge hinzu das bekannte Gedichtchen CB. 129':
Swaz bie gat umbe,
daz sint allez megede,
die wellent an man
alle disen sumer gftn.
Gewiß ist in dieser Strophe eine Art Blindekuhspiel oder der-
gleichen zu sehen.
Solche Lieder mögen wohl „wie Sommerftlden*^ auf den „grflnen
Wiesen, auf denen die Bauern tanzten^, umhergeflogen sein ^) ; solche
Lieder und wohl auch andere, wie das herzlich schlichte
Du bist mtn, ich bin din^.
*) Scherer, Gesch. d. d. Lit. S. 202.
*) Bordacb meint von dergleichen liedern Ztschr. XXVII, S. 346 : ^Sie bringt
hervor nnd rerweht der Angenbliok*« Ich glaube, damit verkennt er das Wesen der
Ober den urspbuno üeb h<>fi8CHen Minnesanges et«. 155
Wftre der Minnetang ans solchen Fäden gesponnen^ die an „den
Schlössern des Adels^ hängen geblieben wären, so müßten seine ältesten
Lieder dies rerratfaen. Daß dem nicht so ist, haben wir gesehen*).
Die höfiselie Diohtang ist nnd bleibt mit ibrem ganten
conventioneilen Charakter einProdnctder gesellsebaftlioben
Erhebung des ritterlichen Standes').
Neben seiner Entwickelung und Ausbreitung lebte der Volks-
gesang ungestört weiter fort: in derselben Art und Weise, denselben
Gattungen wie zuvor, Spiel und Tanz vor Allem bevorzugend.
Ihr Einfluß wird erst fühlbar in den Liedern Walthers, haupt-
sächlich aber Neitharts und seiner Nachfolger. Und was finden diese
in dem Volksgesange noch jetzt, nachdem er sich ein Jahrhundert
lang hätte entwickeln können, vor?
Dasselbe, was wir in den Carmina Burana vertreten und lebendig
sahen: Spiel- und Tanz- und Jahreszeitenlieder.
Ihnen wandten sich die Dichter der sogenannten höfischen
Dorfpoesie, ausgerüstet mit dem überkommenen höfischen Eunst-
material zu.
Volkspoesie. Es ist eine von Bardach selbst nicht nnr zugegebene, sondern sogar
(8. 362) benatste Beobachtilng , daß in Volksliedern mehr die dritte als die erste
Person sich findet, cf. das oben erwähnte Syrern hie gai funSbt (die „Schnadahüpfle"
▼enrenden freilich auoh oft die evate Person). Daraus Ibigt schon, daß solche Lieder
den Charakter einer gewissen Allgemeinheit und augleich die JplUiigkeit an «ic)i
tragen 9 Yon mehreren verschiedenen Individaen angewendet zu werden« Freilich
aufgezeichnet auf Pergament dürfen wir sie nicht suchen, sondern wir müssen ihre
Gestalt in dem Laufe der Zeiten zu verfolgen trachten, wie sie die mdndliche Tradition
bewahrt hat [Ich erinnere mich bei dieser Qelegenheit noch einer anderen, das
Wesen dw Volkes mißTerstehenden Bemerkung Burdachs: „l>ie culturlosen Menschen
haben wie die Kinder ein schlechtes Ged&ditniß für die Vergangenheit.'' Und doch
ist es nicht eine Behauptung, sondern allbekannte Thatsache, daß mit dem Wachsen
der Cnltur, mit dem Oberwiegen der schriftlichen Fixierung die Abnahme der Fähig-
keit, Thatsachen der Vergangenheit durch das GedSchtniß festzuhalten, Hand in
Hand geht.]
*) Ich komne hierbei noch einmal auf die Meycr*sobe Sammlung zurfick.
Gerade zu den in der späteren Volkslyrik so viel sich wisderholendea scbliehten,
herzlichen Versen MF. 3, 1 £ fehlen die Parallelen im höfischen Minnesänge; außer
dem Verse bei
Veldegge: Ift mich wesen din | nnde wis du min MF. 159, 9—10
bringt kein Gedicht mehr den treuherzigen Vers. Die Entsprechung
Veldegge: des sol si süi von mir gewis MF. 64, 15
kann man bei ihrem allgemeinen Sinne nicht wohl auf Entlehnung deuten.
') Positives über den Ursprung des hSfiscfaen Mhinesanges zu erörtern, behalte
ieh mir vor. Es Iftßt sich doch bei genauer Untenruchung einer Lösung niahe kommen.
156 M^^ ^^ BLAU
Es beginnt eine Zeit der Wechselwirkung zwischen höfischer
Poesie und Volksdichtung. Und wenn schon vor Neithart der Einfluß
des Minnesangs auf die Volkspoesie sich vereinzelt mag gezeigt haben :
so wirkt er jetzt allseitig, hier und da das Gepräge dieser verändernd,
allmälig sogar theilweise sie in neue Bahnen lenkend^).
E. TH. WALTHER
0
ZUR ALEXIUSLEGENDE. IL
Im zweiten Theile meiner Arbeit') will ich mich mit der von
Maßmann in „Sanct Alexius Leben etc.^ Quedlinburg u. Leipzig 1843
(Band 9 der Bibl. der ges. deutschen Nat-Lit.) als B herausgegebenen
Darstellung der Alexiuslegende beschäftigen. Bisher war nur eine Hs.
dieses mhd. Gedichtes bekannt, die bei Maßmann p. 68 — 76 abge-
druckte Wiener Hs., die wir mit V bezeichnen wollen; dieselbe steht
auf Bl. 243*— 253* der Papierhs. Nr. XC der altdeutschen Hss. der
Wiener Hofbibliothek (vgl. Hoffmann v. Fallersleben: Verzeichniß der
altd. Hss. der k. k. Hofbibliothek zu Wien 1841, wo p. 176—181
die aus dem Jahre 1472 stammende Hs.^ allerlei, als: Gebete, Recepte,
Legenden, einen Lucidarius u, s. w., am Schlüsse als 14. Stück den
Alexius enthaltend, eingehend beschrieben ist).
Durch die Güte des Herrn Prof. Dr. Meltzer, Directors des Wettiner
Gymnasiums in Dresden , habe ich eine von diesem Gelehrten selbst
genommene Abschrift einer zweiten Hs. erhalten. Über die ganze Hs.
theilte mir Hr. Prof. Meltzer Folgendes mit:
„Die Hs. gehört der Kirchenbibliothek zu Annaberg im Erz-
gebirge an und trägt gegenwärtig die Signatur D 187. Sie ist von
Papier, in Folio; die Schrift ist in der zeitüblichen Minuskel von
einer und derselben Hand sehr sauber und leserlich ohne erhebliche
Abkürzungen ausgeführt, und zwar per manua Johannis Pauli noiarii
civücUis Mime im Jahre 1447. Der Band enthält auf den ersten 154
Blättern vier prosaische Schriften geistlichen Inhalts. Am Ende des
ersten unter diesen Tractaten ist der Name des Schreibers und die
Jahreszahl nebst Datum (sabbato Divisionis apostolorum = 15. Juli)^
'} Ich habe absichtlich bisher nicht des französisch en Einflusses ElrwÜhnung
gethan, da ich nicht Behauptungen ohne Beweise — und sa solchen war hier nicht
der Ort •— bringen woUte. — Das was bereits über Nachahmungen deutscher Dichter
aus der französischen Poesie erörtert worden ist, trifft im Grunde doch sieht die
eigentliche Frage nach dem Ursprünge des höfischen Minnesanges, so daß ich mir
einen. Hinweis darauf glaubte ersparen zu dUrfen.
?) Vgl Jahrgang 33 (1888) dieser ZeiUohrift, S. 181 [vgl. dazu Q. Paris, Eo-
mania 18, 299. O. B]
ZUR ALEXIUSLEOENDE. II. 157
am £ode des vierten abermals die Jahreszahl und das Datum (feria
2* post Sy. et Jade = 30. Oetober) angegeben. Drei Gedichte bilden
den Schluß: 1. BL 155'— 159*^^ Von der messe,
2. BL 159**— 163' de sancto Cristofero,
3. Bl. 163»»— 166»» de sancto Allexio.«
Diese zweite Hs. heiße A.
Von einer dritten Hs« erfuhr ich aas Franke: ^Veterbuch 1. Lfg.^
Leipzig 1880", wo wir auf p. 38 ff. eine eingehende Beschreibung der-
selben finden: Franke kommt zu dem Resultate, daß die unseren
Alexius als Anhang zu dem den ganzen Band fttllenden „Väter-
buch'' enthaltende Pergamenths. Nr. 900 der kön. Universitätsbibliothek
zu Königsberg, im 15. Jahrhundert geschrieben, aus dem nördlichen
Theile Osthessens stammt. Unser Qedicht, das, wie gesagt, den Schluß
der Sammlung bildet, steht auf Bl. 103*--105\ Da mir die Eönigs-
berger Bibliotheksverwaltung in zuvorkommendster Weise die Hs. zur
Verfügung stellte, so war es mir möglich, das mich interessirende
Gedicht abzuschreiben. Es heiße diese Hs. R. — Die Angabe Walter
Müllers, Germania XXXI, p, 323, nach welcher man noch drei weitere
Hss. unseres Gedichtes vermuthen müßte, beruht auf einem Irrthume,
da die Eönigsberger Hs. des „Buches der Väter^ durchaus nicht der
Hambnrger, Hildesheimer und Straßburger nebenzureihen ist: die
von den drei letztgenannten Hss. gebildete Gruppe des Väterbuches
hat zwar auch einen Alexius, es ist das aber der von Maß mann mit
E bezeichnete (vgl. a. a. O. p. 105—117).
Während V und A vollständige Texte bieten, haben wir in R,
entsprechend der Eigenart oder vielmehr Unart des Schreibers der
ganzen Hs.^) nur eine starke Verkürzung desselben vor uns: R zählt
265 Verse, gegen 518 in A und 517 inV. (Maßmann hat die in der
Hs. wirklich fehlenden Verse V 144. 164. 232. 242. 426 mitgerechnet,
vgl. ebenda p. 3, Anm. 1.) Der Schreiber von R eilt, damit er sein
finito libro sit laus et ghria Chi^isio hinter diese Legende setzen
kann. Übrigens hat die große Flüchtigkeit des Schreibers wohl dem
Inhalte, aber nicht der Schrift geschadet, denn diese ist sauber und klar,
auf jeder Abtheilung der zweigespaltenen Seite stehen 24 Verse in schöner
Schrift, die vielleicht noch auf das Ende des 14. Jahrhunderts weist.
Da bereits Franke die naheliegende Vermuthung, unsere Redaction B
gehöre zum „Väterbuche**, auf Grund dichterisch-technischer Eigen-
thümlichkeiten , betreffend Reim und Versbau, zurückgewiesen (p. 18)
*) leb Terweise auf Frsnke p. 42.
aBKMAlfU. Nm« Keihe XXII. (XXXIV.) J&hrg. J J
158
MAX FR. BLAU
und anderseits Jos. Haupt: ^Über das md. Buch der Väter, Wien
1871" nachgewiesen hat, daß der Alexius E, wenn nicht vom Dichter
des Väter buches, so doch von einem Zeitgenossen und Landsmanne
desselben stammt (p. 73), habe ich auf diese Frage nicht näher einzu-
gehen. Der von J. Haupt (a. a. O. p. 62) gemuthmaßte Grund für die Wahl
von B in der Königsberger Hs. des Väterbuches ist wohl nicht zu-
treffend; warum sollte der kürzende Schreiber Skrupel gehabt haben,
in E große Stücke fortzulassen, wie er es ja auch in B that? Da „das
buch von sinte Allexio" am Schlüsse der Hs. steht, so ist wohl eher
zu vermuthen, daß in seiner Vorlage ein Alexius gefehlt und er eine
zufällig vorhandene Darstellung (eben unser B) vorgenommen und nach-
getragen hat.
Daß B nicht etwa zu der anderen großen Sammlung von Hei-
ligenleben, dem „PassionaP gehört, geht — ganz abgesehen davon,
daß keine Hs. des letzteren dieses Alexiusleben gibt — auch daraus
hervor, daß die Darstellung in B wesentlich von der des Jacob us
a Voragine abweicht, dessen „Legenda aurea" ja Vorlage für diesen
Theil des Passionais war (vgl. J. Haupt a. a. O. p. 45 ff.). Doch
zurück zu den Hss. unseres B!
Alle drei Hss. zeigen ausgesprochen md. Charakter: ich ver-
weise auf die Angaben, die sich bei Maßmann p. 3 und bei Franke
p. 38 ff.« finden. Für A, dessen Schreiber ja notarius civitatis Misne
ist, genüge anzuführen ^) : 19/20 hyz : lyz, 21/22 geste : touste, 23/24
gnug : ttmg, 39/40 mut : gut, 49. lyh vnd leiL Ferner 123/124 aedet' :
weder, 133/134 seien : bitten, 183/184 gebin (conj. praet.) : lebin, 397/
398 hlebin : beschreben u. s. w.
Den Stammbaum der drei Hss. haben wir folgendermaßen anzu-
setzen: O (Original).
z (yerderbte gemeinsame Vorlage).
*) Ich citire im Folgenden nach der beigegebenen Nenansgabe von B, da Maß-
mann zu gewaltthätig mit dem Gedicht verfahren ist und die beiden nengefundenen
Handschriften vieles su ändern zwingen.
ZUR ALEXIUSLfiGENDE. II. 159
Also V und R bilden die eine Gbnppet A ist Vertreter einer
zweiten. Diese Eintheilung grdndet sich auf folgende Beobachtungen:
V und R seigen die gleiche Verderbniß des Namens Euphemian :
y. 27. fmnan V, femmn R, 171. V fennam V, her femian R, 280. hf re
her femian V. f. R., 386. ffemiam V (R liest den Vers anders) ; A liest
immer Eufemian.
Ebenso ist f&r V R noch ein Fehler nachzuweisen in v. 199, wo
beide daz eibende jär lesen , während es nach der Legende mit A
heilen muß: daz eibenzehende jär. Dieser Fehler von y hat in V
dann einen andern nach sich gezogen: dieses verbösert — entspre-
chend der Angabe in v. 199. — v. 398. vier und drtzee zu vier vnd
czwenceig (Jär). (Vgl. auch noch unten zu w. 107. 108).
Eine andere Gruppierung der Hss. ist nicht möglich: denn wenn
wir etwa auf Grund des ▼. 10 und des Schlußgebetes v. 511 ff.,
welche beide in V stark von RA abweichen, V eine besondere Stel-
lung zuweisen wollten gegenüber den dann zu einer Gruppe gehören-
den R und A, so ließen sich die gemeinsamen Fehler von R und V
bei richtiger Angabe in A nur dadurch erklären, daß ein der Legende
bis aufs Einzelnste kundiger Schreiber in A den gleichen Fehler ge-
tilgt habe. Nun beweist aber die Variante von A zu v. 208 (wieder-
holt V. 332), daß der Schreiber nicht einmal das sprechende Mutter-
gottesbild der Legende kennt , und wir haben demnach die oben ge-
gebene Anordnung der].Hss. als diejenige zu betrachten, die bei mög-
lichster Einfachheit des Stammbaumes ohne Mühe die verschiedenen
Abweichungen und Übereinstimmungen der Hss. unter einander erklärt.
Für eine gemeinsame verderbte Vorlage (x) aller drei Hss.,
welche also zwischen diese und das Original einzuschieben wäre^
spricht das ganze letzte Drittheil des Gedichtes, wo die Hss. in auf-
fallender Weise auseinander gehen, und um Einzelnes anzuführen, vort
V. 151 in allen drei Hss., während nur port möglich ist, und v. 138 ff.^
wo die verschiedenen Hss. sichtlich einen alten Fehler der Vorlage
zu bessern versuchen. (Vgl. auch zu v. 140—146. 256. 377 ff. 431. 432.)
Damit ist also fttr die Constituierung eines kritischen Textes
der richtunggebende Grundsatz geboten: sobald A mit einem der
beiden Vertreter von y zusammenstimmt, ist dieser Übereinstimmung
entsprechend der Text anzusetzen*
Wie verhält es sich aber, wenn j^) gegen A steht?
^) Es ist gleich ToraosEOschicken, daß bei der kläglichen Überlieferong Yon B
Öfter V f{ir sich als Vertreter von 7 wird za gelten haben : gebe ich nicht ausdrücklich
die Lesart Ton B, so ist die betreffende Stelle in B nicht belegt
11*
160 ^AX FB. BLAU
Zur Bestimmung des Wertfaes der beiden Gruppen gehen wir
wohl am besten von denjenigen Versen aus, die nur in einer derselben
nachzuweisen sind; je nachdem sie als dem Original gehörig zu er-
kennen sind oder nicht, werden sie ffir oder gegen die sie bietende
Gruppe sprechen.
An Stelle von v. 24. 25 finden sich in A folgende vor:
22. swenne der herre daz wol weate
23. daz 81 heten alle gniioc]
24. V. *) So gieng er hin an allen gefug A Daz man weder von en trag
Er ging hen alz er wol woste
Noch alle syme luste,
25. V. Vnd az mit dem alV erste den er vant Vnd az mit den ermesten dy
er fand.
Die beiden Plusverse von A sind ohne Zweifel unecht. Eben, d, h.
vv. 21. 22 begegnet der Reim geste : we8te\ wenn nun hier wieder der
Reim mit dem gleichen Worte, diesmal aber in dialektischer Form
vorkommt, so kann das nicht Arbeit ein und desselben Verfassers
sein:* einen solchen Grad der Geschmacklosigkeit dürfen wir keinem
Dichter ohne dringendste Veranlassung zutrauen. Auch inhaltlich
sind beide vv. durchaus flach und werthlos, elendes G^reimsel; mit
ihnen ist auch die Variante zu v. 24 zu verwerfen, da dieselbe, an
und für sich ansprechend, nicht in die Construction paßt, wenn die
beiden in A folgenden gestrichen werden.
Zum Verständnisse der Lesung von v. 24 bei V möchte ich die
beiden Stellen bei Maßmann p. 165 ') anziehen: j^sponsa pectus et genas
indigne lacerabat^ und ^sponsa quoque , , capillos indecenter evellens"
u. s. w. , aus der lateinischen Redaction 9[.
Der durch die ganze Art der Erziehung besonders kräftig aus-
geprägte Sinn für äußere Wofalanständigkeit wurde ebenso durch den
unverhüllten Ausdruck mächtiger Gemüthsbewegungen, wie durch die
Vernachlässigung jener Exclusivität verletzt, welche der Vornehme,
der Ritterbürtige den andern Ständen gegenüber zu wahren pflegte.
Gegen den Gedanken, daß der hochgeborene Herr mit dem ersten
Besten, den er findet, sich zu Tische setzte, empört sich die Wohl-
erzogenheit des Dichters.
') Ich gebe V nach der Schreibung von Maßmann und ändere nnr nach den
dort unterm Drucke gebotenen Abweichungen der Ha. selbst; freilich fällt ein Ver-
gleich der Lesarten der ersten 21 Verse mit dem auf p. 8 bei MalSmann gegebenen
buchstäblich treuen Abdruck dieses Theiles der Hs. nicht gerade zu Gunsten der Zu-
verlässigkeit M.*s betreffs der Einzelheiten aus. Ich selbst habe mich vergeblich nach
Wien wegen der Hs. gewandt. A und R werden handschriftengetreu wiedergegeben.
ZUR ALEXIUSLEGENDE. n. 16t
Die nächste Stelle^ wo wiederum A zwei vv. mehr bietet, finden
wir V. 106 ß.
106. V iSi sprach, daz muoz vns A Sy sprach daß mufie vna kundig wenn
czukilnfiec sey.
107. So höre lihe frawe myn
108. Du sali kusch lis an dyn ende syn
109. V. Den selbigin orden wil ich
tragen Denselben orden wil ich tra^in.
Der Zusammenhang verlangt unbedingt die beiden Plusverse in A.
Wenn wir mit Maßmann v. 109 als directe Fortsetzung von v. 106 an-
sehen, so ist der Vers unverständlich: welchem Stande will sie sich
denn anschließen? Erst durch v. 107. 108 erhält er seine Erklärung :
der Mann, welcher von seinem Weibe Keuschheit verlangt, verspricht
ihr seinerseits die gleiche Enthaltsamkeit.
Ein Orund für den Ausfall der Zeilen in V ist leicht zu finden.
V hatte V. 106 ftti* wesen sey geschrieben, das Auge glitt deshalb beim
Hinüberblioken auf die Vorlage leicht über die folgenden zwei vv.,
die ja mit sin schließen.
Betr. V. 117. 118 müssen wir auf die lateinische Legende Bezug
nehmen; die vv. sind nur in V überliefert und lauten: (M^) 115. 116).
Er nam daz vingerlin von seyn^ hant
Vnd gap ys der junefrowen alzehant
Die w. sind weder für den Zusammenhang unbedingt nöthig, noch
zeigen sie besonders glatten Rhythmus; auch der hier allein belegte
rührende Reim ist auffallend, aber da es ja in So 'lautet : „deinde tra-
didii ei anntdum suum aureum^ (Maßmann p. 167 Z. 1 v. u.), so wird
sich gegen die Plusverse in V nichts einwenden lassen.
Es folgt nun eine Stelle, bei welcher die Gruppe y in beiden
Hßs. vertreten ist.
135. d^ sie getrunken unde gäzen
136. unde alle in fröuden säzen,
137. beidiu frouwen unde man^
138. V Allexivs neig sein^ Üben hrawt R. Allexius neik syn^ hrut gynk
Vnd schit von dan dan
139. DcLs das nymant wart gewar daz des nymant wart gewan (!)
140. Wenne seyne Übe fraw clar wen «i** Hb alleyne gar
') M bedeutet im Folgenden immer die Maßmann^sche AaBgabe von Y a. a. O.
p. 68—76.
162 MAX FR. BLAU
138. A Do ging ayne iuvge hrut an
Das sy vil heiß weynen began
139. Daz des nymant wart gewar
140. Wenn eyn Itb aUeyne ga/r*
Hier zeigt sich, daß y zuverlässiger ist als A. Was das letztere
bietet, ist inhaltlich ganz unmöglich : wenn die Braut beim Weggänge
des Bräutigams angesichts aller Gäste in Thränen ausbricht, so wird
doch die Flucht einfach vereitelt; warum sollte die Braut auf die
theilnahmsvollen Fragen, die ihre plötzliche Trauer doch hervorrufen
würde, die Ursache ihres Kummers verschweigen? Dem Schreiber A
machte jedenfalls der in seiner Vorlage, wie in y schlecht überlieferte
V. 138 Beschwerde, und so dichtete er keck bessernd darauf los^ was
ihm in die Situation zu passen schien, bekam dabei aber neben der
UnWahrscheinlichkeit des von ihm Erzählten auch noch einen drei-
fachen Reim, deren sonst keine im Gedichte zu finden sind. Auch
der Anschluß seiner Sonderverse an das Folgende ist durchaus ver-
fehlt. Der Fehler liegt also in x, und wir werden mit y eine Besse-
rung zu finden suchen. Da gegen eine Lesung: Er neic der Mute unt
gie dan spricht, daß Alexius doch zu lange nicht genannt ist, um ihn
hier einfach mit er wieder einzuführen, und auch der briiäe wegen
des V. 140 folgenden sin liep kaum brauchbar erscheint, so wird wohl
zu setzen sein:
Alexiue neic und gie dan^
wennschon der Rhythmus bei der ersten Lesung glatter ist.
V. 140 ist mit AR zu lesen gegen V, das hier geändert hat.
Das lib beider Hss. wird man wohl nicht mit lip wiederzugeben haben,
denn es ist doch unsinnig erzählen zu wollen, daß Alexius selbst sein
Fortgehen bemerkt.
Hinter v. 140 finden wir nun einige vv., die nur in V belegt sind:
141. V Vnt eines herzen grosse not
142. Silber unde ouch golt rot
143. Nam er vil ze einer zer
144. Er ilde balde uf daz mer
145. Daz sin der vater ich war de gewar (bei M. v. 139 — 143).
Sß (Maßmann p. 168, Z. 4): j^post haec accepit de substantia sua
et discessit ad mare^ beweist, daß die vv. für das Original in An-
spruch zu nehmen sind. Wir können Maßmanns Lesung annehmen;
nur der erste Vers ist zu ändern. Dieser könnte höchstens eine Um-
schreibung für die Braut sein, aber diese ist ja im Verse vorher aus-
drücklich genannt. Wir werden etwa lesen müssen:
ZUR ALEXIUSLEQENDE. IL 163
des betwanc sie grdziu notj
oder in eogerem Anschluß an die gegebene Lesart:
in sines herzen ffrdzer nSt
Der Grund, warum diese vv. in A fehlen — bei R muß man
sich mit dem Factum als solchem begnügen, das seine allgemeine
Ursache in der Hastigkeit des Schreibers findet — ist mit einer ge-
wissen Sicherheit anzugeben. Der Schreiber hatte eben gewar : gar
gehabt, sein Auge glitt auf das nächste gewar und dort setzte er die
Arbeit fort. Dieses Abgleiten ist aber nur erklärlich unter der An-
nahme von X, welches bereits den Reimvers zum zweiten gewar ver-
loren haben mußte; denn stand der entsprechende Vers noch in der
allen gemeinsamen Vorlage, so ist dessen Verlust in V und A kaum
erklärlich. Wir dürfen wohl die Ergänzung von M (v. 144) anneh-
men: 146. als er 7m quam zem urvar^ oder etwa mit Flore 3512: als
er nu qttam an daz vor.
V. 166 hat in V keine Entsprechung, aber da er in R und A
belegt ist, so gehört er dem Originale:
R her duerte do leng* wen ym gezcä
A Er truerte do lenger wenn ym geczam.
A muthet dem athleta (vgl. Maßmann p. 163 Z. 11) eine Schwäche
zu, die durch nichts gerechtfertigt erscheint.
R gibt dem Gedanken Ausdruck, daß er — der Sohn des „ge-
waltigen und reichen** Euphemian — , wenn er schon, um Gott zu
dienen, seiner hohen Stellung in der Welt entsagt habe, doch nicht
immer in solch schmählicher Armuth hätte verweilen, sondern wieder
in Glanz und Reichthum hätte zurückkehren sollen. Derselbe Geist
spricht aus dieser Zeile, der v. 24 dem Euphemian den Vorwurf
nicht ersparte, daß es gegen Sitte and Wohlanständigkeit verstoße,
mit den Bettlern sein Mahl einzunehmen.
Wie im eben genannten Falle fehlt auch der folgende v. 234
in V, ist aber auch in R nicht tiberliefert.
230. der Hute giengen im vil nd
231. unt truogen im alsd vil zuo.
232. V Das ys icz en verdrocz de A Daz en vorduchte do
233. Er sprach ä* leip daz ist ze vil Er sprach leib es ist zcu vil
234. Daz ich von dir nickten wil
235. Ich vril Puch füre ausz der vnmoszp. Ich loil dich füren uß der
maßen,
V. 232. lesen wir wohl am besten mit A , dessen viel selteneres voi--
duchte — das Mhd. Wb. gibt nur ein, Lexer zwei Beispiele — flir diese
Wahl spricht: daz in des verdühte dd bessw. duo\
164 MAX FR BLAU
freilich läßt sich gegen die Lesung von V: daz es in verdröz do nichts
einwenden. Und für v. 233 werden wir wohl sicher V's her leip in den
Text aufnehmen. In dem nun von A gebotenen v. ^34, den wir dem
Originale zuzuweisen haben, ist außer daz in des nichts zu ändern,
wenn man nicht entsprechend dem euch in V (zu v. 235) auch hier
lieber tu für dir setzen will, was ja auch der förmlichen Anrede mit
her mehr angemessen ist«
V. 235 ist in A sicher schlecht überliefert, V gibt wohl einen
erträglichen Sinn, aber eine durchaus unrhythmische Zeile. Wir neh-
men am besten einen Fehler in x an, so daß im Original gestanden
hätte: man wil iuch fUeren uz der tndze.
Betr. des Ausfalles von v. 234 in V ist möglicherweise wieder
einfach Übergleiten des Auges von „m7^ auf y^wiV" anzunehmen, umso-
mehr, als ja im 13. — 15. Jahrhundert im Mhd. recht häufig uu (w)
für V ^= f geschrieben wird (vgl. Weinhold: Mhd. Gr.* §. 174).
Wir haben jetzt die Stelle v. 240 flf. zu betrachten:
240. da woJde er »inen idt emphdn
241. V Vnd sins endes da erbeiten
242. Do begnde W sin anders czu leiten
243. A Seet das mochte nicht gesehen
244. in sluoc ein wint (daz sult ir spehen).
Die Vergleichung mit © (Maßmann p. 169, Z. 3 u. 4): ^^Deo itaque
dispensante rapta est navis vento^ etc. gibt zu gleicher Zeit die Mög-
lichkeit, den Sinn des nur in V überlieferten v. 242 zu bestimmen,
und sichert v. 241. 242 dem Original. Schon M hat eine Besserung
des ganz verderbten Verses nach Sß versucht, und wir können uns
mit kleinen Änderungen seiner Lesung anschließen:
241. unt sines endes da erbeiten^
242. got begunde ez anders leiten.
V. 243 darf wohl ohne Anstoß aus A aufgenommen werden; der In-
halt ist zwar nicht bedeutend, aber durchaus passend und sinngemäß.
Die nunmehr zu untersuchenden vv. sind für y durch V und R
gesichert, fehlen aber in A.
(einen brief) v. 328 daran sin leben wart bekant
329. R wi daz eyn megetyn syn brut war V Daz sin brat ein maget wcer
330. vnd er eyn degen unwandel w\ Vnd er ein dege vnwande toe\
Wieder können wir diese vv. durch © stützen, wo es (Maßmann p. 169,
Z. 25 fi^.) lautet: „sanpsit per ordinem ömnem vitam stuimj qualiter
respuerit nuptias et qualiter conversatus fuerit in peregrinatione qua-
liierte contra voluntatem suxim redierit ßomam et in domo patris sui
ZUR ALCXIU8LEGENDE. IL 165
opprobria multa iuBÜnueriL^ Denn darch den Satz y^qualiter respuerit
nuptias*^ wurde ja die Erwähnung der Braut als maget ganz direct
yeranlaßt. Die vv. sind also zu lesen:
329. das An hrüt ein maget wcere
330. unde er ein degen unwandetbcere.
Zum Schluß führe ich noch die vv. 427. 428 an, die für y in
Anspruch zu nehmen sind, da sie sich in V finden: (M. 421. 422)
423. 8i zestarte ir frewlich gehende
424. Ir czoppe beyde nä yn dy henJe,
Ein Vergleich mit der Darstellung in 9 (Maß mann p. 170, Z. 11
y. u.) „Mater vero ejus haec audiens quasi leaena rumpene rete ita
ncissia vestihus exiens coma dissoluta ad coelum oeulos leoabat*^ zeigt
uns, daß die beiden vt. dem Originale zuzuweisen sind.
Das bisher Oebotene genügt wohl, um darzuthun, daß im All-
gemeinen y vor A den Vorzug verdient: y stellt eine bessere, vor
allem eine vollständigere Hs. dar. Freilich fehlen einzelne Verse in
V; das haben wir aber wahrscheinlich — mehr dürfen wir, da ja R
bei seiner großen Lückenhaftigkeit uns oft im Stiche läßt, nicht
sagen — V allein zuzuschreiben (siehe o. zu v. 166), für dessen Aus-
lassungen sich zumeist ein bestimmter Gh^und angeben läßt.
A hat sich nicht frei von Interpolationen und von — wenig
glücklichen — Besserungsversuchen gezeigt: ich führe hier noch eine
recht auffallende Stelle dafttr an. v. 208 und dementsprechend v. 332
lesen die beiden Vertreter von y, bezw. V allein:
208. R do rief eyn bilde lut* ttyme. V Do rief ein bilde mit lavoter styme.
332. V Vnt wy ym des bädee hülle wae,
also entsprechend dem Codex der Legende, in die bereits der byzan-
tinische Bearbeiter das sprechende Muttergottesbild eingeführt hatte.
A verwässerte diese directe Beziehung auf die Legende zu den vv.
Do riff dy gotie siymme, bezw.
Wy em gotie hulffe wart bereit
Außerdem aber zeigt A auch einige Lücken.
Ehe wir zu der Frage übergehen^ welcher Hs. wir bei völligem
Auseinandergehen der Lesungen zu folgen haben, ist noch auf einige
Sonderverse, bezw. wohl besser Sonderzeilen in V und in R hinzu-
weisen.
Die in V nach v. 426 8i sprach: nu ist min ungemaeh
stehende Zeile Vil gar czu irgangin
ist nur hier belegt und ermangelt auch in V selbst des entsprechen-
den Beimverses. Wenn wir nun nicht wegen dieser einen Stelle —
166 MAX FB. BLAU
bei A erwies sich die eine Stelle nach v. 24 von selbst als Inter-
polation — annehmen wollen , daß in V interpoliert oder doch herum-
gebessert sei, so müssen wir sie in eine brauchbare Form zu bringen
suchen. Es wäre also etwa zu lesen:
harte gar ergangen.
Schon X muß dann den zugehörigen Reimvers verloren haben.
Für R haben wir allerdings nur im letzten, überhaupt stark ver-
derbten Drittel des Gedichtes die Thatsache festzustellen, daß es eine
Reihe von Sonderversen bietet, die aber entweder sicher unecht oder
höchst verdächtig sind: Für den bereits angegebenen
V. 328 daran dn leben wart beJcant,
— V und A lesen fast gleich — hat R gesetzt:
d? hrief cP waz geBchriben so,
was natürlich, da der Reim fehlt und V und A zusammenstimmen,
zu verwerfen ist. Die ganze Stelle in R:
cT brief cT waz geachriben so vnd euch diz alwar
wi daz eyn megetyn syn brut war ganczer vier vnd drisie iar
vnd er eyn degen vnwandel w^ hatte er di almtua numen
biz zcu dem tode waz kumen,
ist aus zwei verschiedenen Theilen des Gedichtes, v. 328 — 330 und
V. 397—400, zusammengesetzt und nach Wortstellung und Rhythmus
für Prosa zu halten.
Statt V. 366. der iuwem iranc unde iuwer brot
367. sibenzehen idr hat gnomen,
wie A und — mit unwesentlichen Abweichungen — V liest, steht in R:
der sibenczen almuze genun hoty
was natürlich ganz verderbt ist, zumal der Schreiber hot mit tot von
V. 365 reimen zu wollen scheint.
Einen eigenen Zusatz (zwei vv. für einen des Originals) finden
wir an der Stelle von
V. 394. dirre heilec man ist iuwer kint
— so im Wesentlichen nach V, A stimmt bis auf das fehlende man
mit V überein — ; R liest hier:
iz ist Allead di liber dy son
dem dyn alemuze ist geton;
der Reim son : geton sagt genug!
Einfach Unsinn ist die Zeile nach v. 408:
408. er hete leide unt unsinne
— nach V, R; A weicht etwas ab — . R ftlhrt dann fort:
durch den lieblich mi^nne.
ZUR ALBXnTSLEGENDE. II. 167
Gegen Ende des Gedichtes faßt also den kürzenden Schreiber
von R, bezw. seine Vorlage, die Laune, das Gedicht noch zu erwei-
tem. Auch nach y. 434:
daz ir beginnet mit mir weinen,
dem in V und A auch ein Reimvers mit gutem Sinne nicht fehlt, liest
R wieder ganz unverständig:
meynei Üben kyndes reynen
den tot vnd elenedeeehafi (!)
d* Juit ü* hm syne traft.
Der erste Vers^ der an sich brauchbar und gut ist, wird durch das
Zusammenstimmen von V und A dem Originale mit Erfolg streitig
gemacht, der 2. und 3. bilden wieder eine ganz unglückliche Zu-
dichterei eines Schreibers, der denn auch noch nach v. 522, am
Schlüsse des Gebetes, eine Probe seiner poetischen Begabung liefert
mit den folgenden vv., die eine Beachtung nicht verdienen:
521. der ein ungemaehez leben
522. kan um lange fröttde geben]
alt dirre eelig meneche ta
syn hülfe keyn gote
wegen syn heileges gebet.
— Der Rubricator hat diesem Zusätze dadurch eine treffende Censur
ertheilt, daß er den letzten Vers roth ausgestrichen hat. —
Also R's Plusverse sind sammt und sonders werthlos und dem
Originale abzusprechen.
Von V ist noch eine Stelle nachzutragei) :
V. 490. darzuo haif der bähest 8Sre\
491. y Dax ez also wol ezam^ (falls M mit Recht die Va-
492. V Dax ez dem heiligen zam, riante zu V 489 gibt).
491. 492 fehlen in A und R, geben aber einen ganz verständigen
Sinn — mit der Änderung von M. ^) — , und so sind sie wohl dem
Originale zuzuweisen.
An Stelle dieser zwei w. finden wir in A wieder einen Besse-
rungsversuch :
D(u noch alldo gecziret steetf
Do manch hundert menschen hen geet,
und alsdann
493. Do lyt syn heiliger lip begraben.
*) VioUeicht lesen wir besser:
da9 et aUo volleqtuun,
dam es den heUigen mm.
Der Sinn wird dadnreli etwas weniger flaeb nnd die ^ Verse gUtter.
168 MAX FR. BLAU
Die ersten beiden vv. sind nicht nöthig, und der zweite mit seinem
Singular des Verbs nach manch hundert menschen wenig ansprechend,
außerdem unrhythmisch: da wir bei A bereits einmal eine Interpolation
fanden (vgL Variante zu v. 24) , so setzen wir am besten diese beiden
yy. dem Interpolator auch auf die Rechnung. Anders yerhält es sich
mit dem dritten y.; der freilich auch nur in A belegt ist, aber dessen
Reimyers 494:
welch Idn sol nu diu sele haben
auch in V yorliegt. Wir haben bei V Auslassungen constatiert; hier
yerlangt der Gegensatz zu sele dringend den in A. erhaltenen Vers,
der also dem Originale angehört.
Es ist nun noch die Frage zu untersuchen; welcher Hs. wir den
Vorzug zu geben haben , wenn keine Übereinstimmung unter den
dreien ; bezw. unter zweien yon ihaen herrscht. Nach dem bisher
Gefundenen ist es klar, daß es sich dabei nur um V oder R handeln
kann; A hat ja nachweislich den mindest getreuen und zuyerlässigen
Test, was natürlich nicht ausschließt, daß ihm in einzelnen Fällen,
wie z. B. in y. 160. 161, der Vorzug vor V R gegeben werden darf.
Trotz der ausführlicher dargelegten Mängel yon R ist nun sicher
diese Hs, diejenige, die in yielen Fällen noch Älteres bietet, während
in V und A öfter moderne Formen eingedrungen sind; so z. B. ist
R noch yöllig frei yon dem Gebrauch yon ee (bezw. zu) beim Infinitiy,
das bei V und A nicht selten begegnet > wo der Rhythmus deutlich
zeigt, daß es fehlen muß, ygl. zu v. 110 (V), 216 (V, A)^ 224 (V),
268 (V, A), besonders auoh zu y» 183, wo A den bloßen inf. der Vor-
lage als conj. gefaßt und demnach den Vers gebildet hat:
Vaz sy em das almosin gebin : lebin.
V ist gerade; was Syntax betrifft; noch weniger treu als A; ich yer-
weise dazu auch auf y. 84:
Der herre seynB sune hiez,
wo sune wohl deutlich für den dat. spricht, den Maßmann auch in den
Text aufgenommen hat — R und A haben richtige Lesung ^) — ; ferner
auf y. 251: Ich werde ich sulde also irsterben,
wo A und R den einfachen inf. bieten; auf y. 299:
Vil manege schände die er leit,
statt dessen in A steht:
Vil mancher schände er do leyt
Von einzelnen Wörtern und Wendungen, die in R erhalten sind,
') hmasm mit dat. ist onanstomg, ygL Ztscbr. t d. Phil. XII, 217. O. B.
EÜR ALEXIU8LEGENDE. O. 169
Während sie in A oder V, oder in beiden durch jüngere, den Schrei-
bern geläufigere ersetst wurden, fUhre ich folgende an :
y. 46: daz wart dUo vletie synt gegen
A Daz wart en also Icbdich sind und
V Daz wart in gegeben sint,
Y. 89: ze bette quam mit A gegen för daz bette in V.
V. 127« 128: nu enwl ich nym'me gedagen
ichen welle schrien vfi elagen,
V und A haben in ▼. 128 den nicht verneinten ind. wil, und man muß
zugeben, daß derselbe durchaus gut und richtig ist. Indeß hat doch
gerade die eigenthümliche Construction in R ihren Reiz, wennschon
sie wohl zu den allerseltensten gehört. Kinzel führt in seinem Auf-
satze: „Zur Charakteristik des Wolfram'schen Stils** Zs. f. d. Ph. V
p. 5 ff. gedagen zwar nicht unter denjenigen Verben auf, bei denen
Wolfram antiphasis liebt, aber es ist wohl nicht schwer, dieses ge-
dagen so zu erklären, daß die specielle Beziehung, Welche ein ver-
miden, verbem, vergezzen u. s. w. hier auf das Reden hat, durch gedagen
ausgedrückt ward. Daß unserm Dichter die antiphasis durchaus ge-
läufig war, geht besonders aus v. 294. 296 hervor:
Hn phlegeman des niht vergaz
er enbrcehte im ätne phründe dar^
wo freilich auch wieder nur R den negierten conj. bietet gegen A und V.
V. 131 : des morgens do der tag ufbra/ch gegen anbrach in A und V.
V. 159: den lichtenlozen syn rotes goü gegen blinden in A und V.
V. 170: her volgete syn seiden straaen\ Y liest auch ganz gut Vnt
volgete einer tiuren strazen, aber R ist unvergleichlich besser. A hat
die Stelle ganz verwässert: Er volgete syner atraßen.
V. 208: do rief eyn bilde luf styme gegen V mit lawter styme, A
hat wieder geändert.
V. 268: do begonde er weyn sa czuhant gegen V und A. In den
folgenden sechs Stellen bietet R mit V, also y, gegen A das Richtige :
V. 72: holte, v. 204: ruogte, v. 276: aenic, v. 290: leides vil, v. 341:
karfritage, v. 468: wie!
Wir haben demnach als Grundsätze für die Gewinnung eines
kritischen Textes von B die folgenden erhalten:
1. Stimmt A mit einem Vertreter von y, sei es V oder R, über-
ein, so ist diese gemeinsame Lesung anzunehmen (doch s« 4.).
2. Stehen sich die beiden Oruppen y und A gegenüber, so ver-
dient fast durchgängig y den Vorzug; die Annahme des Textes von
A in solchem Falle bedarf besonderer Begründung z. B. durch das
lateinische 9.
170 ^AX FB, BLAU
3. Liest jede der Uss. verschieden, so ist in erster Linie auf
den Text von R Rücksicht zu nehmen.
4. Die Übereinstimmung von V und A beweist noch nichts gegen
Ry wenn es sich um in jenen beiden vorliegende Modernisierungen des
Auedruckes u. dergl. handelt.
5. Alle w. in V sind echt; R zeigt einige unbrauchbare Reim-
versuche eines Schreibers im letzten Drittel des Gedichtes und A ein
paar leicht erkennbare Interpolationen.
6. In allen Fällen, wo y nur durch V vertreten wird, ist zuerst
mit der Lesung von V ein Versuch zu machen: oft bietet allerdings
auch A in einem solchen Falle den bessern Text,
Vergleichen wir den so gewonnenen Text mit dem bei M gebo-
tenen, so fällt die außerordentlich starke Zahl viermal gehobener
klingender Reimpaare auf. Maßmann ging von der Meinung aus, daß
die beiden in der Darstellung der lateinischen Redaction 91 folgenden
deutschen Gedichte A und B in der ungefähren Zeitfolge vor die-
jenigen zu stellen seien ^ die den Text der lateinischen Redaotion SS
bieten (vgl. a a. 0. p. 1).
Ich muß es mir versagen, an dieser Stelle den Nachweis zu ver-
suchen, daß das deutsche A mit seinen vocalisch unreinen Reimen
(besonders zwischen langem und kurzem Vocal im klingenden Reime),
mit seinen starken Apokopen, mit seiner großen Anzahl viermal ge-
hobener klingender Verse wohl schwerlich dem 12. Jahrhundert an-
gehört, sondern eher der zweiten Hälfte des 13. zuzuweisen ist:
jedenfalls aber kann man, auch ohne diesen Beweis erbracht zu haben,
behaupten, daß Maßmann sich von seiner einmal vorgefaßten Ansicht
auch bei der Construction des Textes von B hat leiten lassen. Da-
her erklärt sich die unbedingte Scheu vor dem viermal gehobenen
Verse mit klingendem Ausgange, den ihm seine Wiener Hs. oft genug
nahe legte: B sollte möglichst den Stempel des Alterthümlichen oder
doch des Nichtjungen erhalten.
Wenn wir ohne Voreingenommenheit jeder Art an die Gewinnung
des Textes gehen, zeigt sich, daß ungefähr ein Fünftel aller Reimpaare
bei vier Hebungen den von Maß mann verpönten^) klingenden Aus-
gang haben; hingegen sind für den dreimal gehobenen Vers mit klin-
gendem Ausgange nur sehr wenige sichere Beispiele zu erbringen,
nämlich nur vv. 163/164. 177/178. 219/220. 251/252. 427. 479/480.
') Schon. Franke bat in seiner Arbeit (p. 18 und 19) anf dl% von M. fewagte
Verc^ewaltigong des Textes hingewiesen.
ZUR AtEXIURLEGENDE. U. 171
Die Reime des Gedichtes sind yerhältnißmftßig rein: einzig auf-
fallend ist wirklich nur 13/14 geviel : enthielt — denn vv. 14. 15; die
beide nur in V und A und nur in mangelhafter Gestalt überliefert
sind 9 können doch allein einen Sinn geben, wenn wir mit antiphasis
lesen: ouch ffiac er das er sieh niht enthiel{t)
eme machte die armen dicke frd — ,
Da nun Abfall des auslautenden t im md. beliebt ist (vgl. Weinhold
Mhd. Gr.* § 200 — p. 194 zwei Beispiele dafttr nach Z — ), so ist uns
bereits ein Anhalt für den Dialekt des Dichters gegeben ^). Md. ist
aach das zweimal im Reime auf gezogen belegte gepflogen (v. 73/74 und
V. 363/364) leichter zu erklären. Denn die Analogieform gepflogen. ")
ist entschieden in Mitteldeutschland früher und öfter nachweisbar als
in Oberdeutschland (vgl. Weinhold a. a. O. § 348) ; das mhd. Wb. bietet
freilich nur drei obd. Beispiele dafttr.
Aus md. Dialekt erhalten auch die Reime gebet : anetrit 201/202
und gebete : anetrite 217/218 ihre Berechtigung, anetrit etm. Tritt, Stufe,
Schemel ist im Mhd. Wb. als in £hingen belegt angegeben, bei anetret
stehen unsere beiden Stellen: wir haben hier den im md. so häufigen
Wechsel zwischen e und t anzunehmen.
Die Reime gen iflen ^83/84^, gän : emphän 57/58, etän : emphän
239/240, empha : da 187/188, {al)dd : nd 229/230, 315/316 und 613/514
sprechen sicherlich nicht gegen einen md. Verfasser, in dessen Dialekt
solche Contractionen Tiel häufiger waren, als im obd. Aus dem Vers-
innern ftthre ich noch an: 79. trüte für trüwete^ 303. sptten für epteten,
489. bün für büwen] diese drei contrahierten Formen sind wir durch
den Rhythmus gezwungen anzusetzen. Ebenso sind die Bindungen
stiUe : willen 95/96 und 263/264 und ende : henden 453/454 bei einem
md. Dichter eher zu vermuthen, als bei einem obd., freilich könnte
henden (für hende) 454 erst vom Schreiber stammen.
Von sonstigen Reimen ist noch bemerkenswerth : gap: ap 167/168,
ferner reht : ge^Uht 69/70, man : hän 269/270, an : Eufemidn 279/280,
Lateran : man 347/848, aus denen allen sich nichts Weiteres schlie-
ßen läßt.
Der Reim herren : 9ren 31/32 ist md. durchaus ohne Anstoß,
freilich begegnet er auch im obd.
*) Ein kiel für hieU soheint mir luOant sweifelhaft, so lange nieht andere a]s
Reimbelege Torliegen. O. B,
*) Sollte dies nicht die alte lantgesetEliche Form sein? O. B.
') Aus dem Schlußgebet ist noch nachzutragen , v. 617/518: ergkiißdn mit R,
während A guchin iflk^ bietet. Y hat, wie wir sehen werden, ein anderes SchlulSgebet.
172 M4X FR. BLAU
Die Form duo fflr d$, im Reime auf zuo (231/232. 261/262.
287/28S) ist md. ebenfalls beliebt (vgl. Weinhold a. a. O. § 139).
vv. 335/336 sind wohl am besten mit Apokope zu reimen nach V,
denn intervocalisch reimen s und z im md. nicht, also spia : fltz.
Zum Schlüsse ftthre ich aus dem Gedichte selbst noch eine Reihe
von Ausdrücken an, die entweder speciell md.; oder doch md. häufiger
als obd«, für den md. Ursprung des Gedichtes sprechen^ das uns ja
auch nur in drei md. Hss. überliefert ist.
V. 70. /riete, nach dem Mhd. Wb. nur in md. Denkmälern be-
legt, ebenso nach den im Lexer gegebenen Stellen, vgl. auch DWB
IV, I 105.
V. 79. trüte; die für dieses Wort ') im Mhd. Wb. gegebenen
Beispiele stammen aus dem md. Passional und Hermann v. Fritslar;
der Beleg aus M. S. H. 3, 75^ beweist nichts für obd. Gebrauch , denn
die das Wort bietende Strophe nr. 38 ist als Randschrift bezeichnet,
und Zingerle spricht in seiner Ausgabe des Friedrich von Sonnenburc
dem Dichter auch diese — nur in der Jenaer Hs. überlieferte —
Strophe ab.
V. 129. anderweide (vgl. z. B. Weinhold a. a. O. § 339).
V. 499. erkreic,
v. 502. guoter im Reime, also durchaus gesichert, st. Form des
masc. für das ntr. (vgl. dazu z. B. Das hohe lied des Brun v. Schone-
beck von Arwed Fischer (Germanist. Abhandl. v. K. Weinhold VI)
p. 41). [Vgl. Literaturblatt 1877, Sp. 7. O. B.]
Aus allem Angeführten ergibt sich wohl so viel, daß wir das
Gedicht mit Recht in das Gebiet des Md. weisen werden; eine ge-
nauere Localisierung ist nicht möglich, ebensowenig wie eine genauere
Datierung. Jedenfalls dürfte der Dialekt des Verfassers dem ost-
fränkischen nicht zu ferne gestanden haben. (? 0. B.) Unmöglich
freilich ist es auch nicht, daß wir ihn mehr nach Norden, unter den
Einfluß niederdeutscher Sprachgesetze, zu verlegen haben. Ich verweise
auf die interessanten Formen in R: 70. siecht für gesteht 217. bete
für gehete (auch 344. schach für geschach)^ durch die allerdings der
Versbau an den betreffenden Stellen bedeutend gewinnt, und nach
deren Analogie man dann etwa auch in 73. pflogen für gepflogen. 201.
bet für gebet. 359. bdt für gebdt. 380. stalt für gestalt zu setzen ver-
sucht sein könnte, um die Überlastung der letzten Senkung zu ver-
meiden, [bit 306 ist wohl = bit d. h. biret, weist also auf das Nd.
0. B.]
*) In der Bodeatang „ehelich susAmmengeben''«
ZUB ALßXIUSLEOBNDE. n. 178
Gleich im Anschlüsse hieran bemerke ich, daß der Rhythmus
sonst im Allgemeinen ein glatter ist Aosfall der Senkung begegnet
noch öfter (vgl. 9. sidin. 34. ii^ren. 55. 199. jär quam, 63. geistHiche.
65. zweinzigest jär trat. 138. Aleanus neic ünt gie ddn. 158. krümben.
346. ein ander. 348. heiligen u. s. w.).
Synkope findet sich in den gewöhnlicheren Formen gar nicht
selten^ so z. B. fllllt das e der Vorsatzsilbe ge- and be- vor n, m, l, w
häufig aus (vgl. 23. gnuoc. 54. 80. gnant 105. gnesen. 145. gwar,
157. gwant, 352. gmeine. 395. bliben u. s. w. Auch in Flexionssilben
finden wir bei Nachbarschaft von n, r Synkope des e vgl. 8. 16. 29.
wärti. 180. nnn. 265. mmn. 411. mtn$. 496. w^rf. Vgl. auch 79. 377.
443. bäbst. 258. phennings. 306. iriucA«. 352. fragten. 355. jfrt/i.
380. endlich u. s. w.
Apokope begegnet in den Formen wie 207. zittert. 215. 350.
wundert. 342. minnert. Ferner in stm 173. 217. 379. eim 341. und
in der adv.-Endung liehe: 418. bermltch. 505. stoeteclteh. 520. khiocltch.
Für Überfdllung der Senkung sind die schwersten Fälle
195. järe ze järe^
198. quceme ze gdote.
wo man auch an Apokope denken könnte, ferner die oben erwähnten
Fälle (v. 70 u. s. w.), dann etwa
2. uAlen ein hSrre ze R, 25. dz mit den ersten.
108. kiüsche biz an. (unz begegnet nie im Gedichte, deshalb ist
auch wohl hier die naheliegende Besserung nicht gestattet.)
176. quämen die knehte, 188 liezen in da, 201. kirchen an sin.
216. sliezen begdn. 271. ere so iz. 274. vergtzzestu dtner. 276. länge
8ol ich (vgl. 442). 286. dntlitzes bilde (wo vielleicht auch sin im Verse
zu streichen ist). 291. treppen begünde. 303. üf in unt spieten. 323.
stSrben am dritten. 353. möhte gestn. 375. künde mit allen. 508. viere
ze himel. 514. Kbe die sele.
Man sieht, die meisten dieser Fälle, die ich vollzählig gegeben
habe, sind durch die Annahme von leichten Synkopen u. dergl. ohne
Mühe zu entfernen [aber unnöthig. 0. B.]
Über den viermal gehobenen Vers mit klingendem Ausgange
habe ich bereits oben gehandelt: Beispiele finden sich so zahlreich,
daß es nicht lohnt, einzelne aufzuführen.
Ebenso macht der Dichter ausgiebigen Gebrauch vom zwei-
silbigen Auftacte, der einige Dutzendraal begegnet, ich verweise auf
Fälle, wie v. 65. 199: do er anz. 85. 92. 102. 108. 163. 178. u. s. w.
GERMANIA. Nene Baihe XXH. (IXXIY.) Jahrg. 12
174 MAX Fa BLAU
Zum Dachstehenden Texte habe ich zu bemerken, daß ich in
den Lesarten selbstverständlich nicht alle orthographischen Abwei-
chungen der Handschriften gegeben habe. Im Übrigen ist bei der
späten Entstehung der Hss. nicht zu verwundern^ daß in der Flexion
durchaus nhd. Formen herrschen, auch in B, das freilich sonst noch
einiges Ältere erhalten hat, z. B. v. 99 atoaz, ferner einige Male da,
während in V und A do und da ungeschieden als do geht..
Im letzten Drittel habe ich mich zu einigen Anmerkungen ver-
anlaßt gesehen, da die betreffenden Stellen im zweiten Theile meiner
Arbeit — um ihn nicht zu breit werden zu lassen — keine Bespre-
chung finden konnten.
Über die Beibehaltung des auslautenden e (vgl. 3/4. 29/30. 71/72.
209/210. 227/228. 311/312. 329/330. 351/352. 389/392. 413/414. 449/
450. 461/462) ließe sich vielleicht streiten, zumal ich v. 335/336 spis:
ßiz (dat.) angesetzt habe und auch 101. 102 reht (adv«) : kneht steht
(69. 70 könnte man ebenso gut rehte : geslekte^ wie reht : gesieht lesen) ;
indeß glaube icb^ würde die Streichung des auslautenden e nach langer
Silbe dem Gedichte einen so jugendlichen Anstrich geben, wie er ihm
nach allem Übrigen (vgl. nur die nicht geringe Zahl der Fälle, wo
wir Ausfall der Senkung feststellten) nicht zukommt, und ich habe
deshalb mich nicht zur Streichung des e, das in den Hss. bald er-
halten ist, bald nicht, entschließen können.
Über die Hss. selbst ist noch nachzutragen, daß die einzelnen
Versanfänge in allen durch große Buchstaben hervorgehoben werden.
In eime bnoche man uns las, al ir gewant was sidin,
daz wilen ein herre ze B6me 10 er tete in Ion mit triuwen schln.
was, da bi bete er solbe tugent,
gewaltec unde vollen riebe, daz sin alter nnt sin jugent
er lebete scbone unt tugentlicbe. den gerebten wol geviel.
5 driu tüsent dienten ime für oucb pflac er daz er sich nibt ent
nach sines herzen willekür, h]el(t),
swaz er si hiez unt gebdt. 15 eme machte die armen dicke frö:
ir gürtel w&rn von golde rot, drt tische w&rn gesazt also,
Überschrift: f V., daz buch von sinte AUexio R, de sancto AUexio Ä.
1 ich daz laß Ä, 2 [wilen] Ä. d. by vor czu rome ef b. w. F.
3 [vollen] AV, 4 des lebins seh. F. [schöne unt] tognntlicben Ä.
5 man dinten yn v. F. man di R, dry hundert Ä. 7 en gebot F.
8 w. en vor g. F. 9 w. edil vnd s. F. 10 1. vnd hulffe seh. Ä. do
worn sy gepreyset eyn F. 11 — 26 f. Ä. 13 d. g. leiten A. 14 onch
phag h^ das das h^ nicht hil F. o. tat er [sieb] A, 16 [ne] VA,
16 beleyt A,
ZUR ALEXIUSLEQENDE. n.
175
20
25
daz man die spise mnose reisen,
{mit M)
der ein der diente den armen weisen,
der ander den witewen, als er hiez,
der dritte des rehten niht enliez:
dar sazte er pilgerin nnt geste.
swenne der herre daz wol weste^
daz sie beten alle gnuocy
BÖ gienc er hin äne allen fnoc
unde az mit dem^sten, den er
vant:
dar was sin diemnot gewant.
Eufemiftn biez er mit dem namen,
Aglais sin wip mit grözen schämen,
geistlicher liebe wdm si riebe,
30 sie lebeten beide tugentliche.
stn hof stuont mit grdzen ^ren,
iedocb gebrach dem selben herren
eines Schatzes, des er Ißit gewan.
wie dicke er trüren began
35 nnt sin schoene fronwe angespart,.
daz ein kindlin in niht wart!
des bete er dieke swaoren muot.
er sprach : „waz sol mir al min guot,
Silber, golt nnt richin wftt,
40 sint unser ger niht enhftt
eines erben, der daz gnot besitze«''
des trüreten alle sine witze
unt siner frouwen oucb alsam.
sie bäten dicke, als in wol zam,
45 daz in got bescherte ein kint;
daz wart in also vlsstec sint.
daz si liebe nnt leide an im sähen,
dd die ammen des verjAhen,
daz daz kindlin wart gebom,
50 dö zegienc sin trüren unt sin zom
unt siner frouwen ouch als6:
ir beider herze daz wart frd.
er liez ez toufen alzehant,
Alexius wart sin name gnant.
55 do er in daz sehste iär quam,
daz im diu 16re wol anzam,
er liez in zuo der schuole gän.
dd begunde er an sin herze emphän
sd grdzen sin al ungespart,
60 daz er der schrift so wise wart,
daz er die werlt begunde hazzen
unt solhe liebe zuo im yazzen,
17 setczin F. nejsen Ä. 18 dem a. weyszS F. eyne [der] Ä.
21 dorob^ satczte her dy pilgerä y. g. F. der erste der p. v. der g. Ä,
22 wenn denn das d. b. wüste Ä, 23 alle hatten A, 24 gefdg F, für
diesen Vers liest Ä: daz man weder von en trug | er ging hen alz er wol
woste I noch alle sjme luste. 25 d« all^ e. F. den ermesten dy A.
26 dorczu w. em s. mut g. A, 27 fennan F. femian R, by d. n. A.
28 Agles F. Aglas A. Agalest s. w. genamen R. 31 — 36 f. R, 32 ydoch
zo g. d. selbigy h. F. 33 syns seh. daz A, 34 vil d, A. 35 [unt]
. • . . al ungesp. F. 36 daz in nie kein kint w. F« 37 [bete] R,
hatten sy A. 37. 38 in B umgestellt. 38 [al min] B. m. groz g. A.
39 s. unt g. u, r. war F. 40 sint daz R. sit daz er vnser nichten h* F.
sint mir got nicht geföget h. ^. 41 eyn erbe jß. ein e, d. d. riebe b. F.
eynen e. d. min g. b. ^. 42 witczin F. truren mir alle myne w. A,
43 min fr. A. [ouch] F. 44 baten beide als F. als dicke boten als R,
geczam A, 46 [in] B. in gegeben s. F. also lobelich s. A. 47 leit
yii lib R. 48 daz y. F. das yernamen A» 49 do daz AV. 50 daz
yorging s. tr* unde z. V, 51 rehte also F. 52 herze warn A. 53 tew-
rin? F (nach M). hyß touffen den son zcuh. A. 54 w. her gen. R.
was VA. Allezius alle drei Hss.^ und so immer. 55 an daz A. 57 zcur
seh. R. do liez em F. 58 in sin h. F. begondes an R, so begunde
an^. 59 grose synnS F. syn so nng. ^. 60 daz is R. 61 czuh .F^.
daz is gegunde di wUt h. R. 62 [unt] al sulche R. 1. ym czn f. F.
an sich y« A.
12*
176
MAX FR BLAU
die man heizet geistliche minDe.
got gap im solhe sinne.
65 Do er anz zweinzigest jftr trat,
Bin vater in mit Worten bat:
„sun, da solt ein megetin nemen,
diu dir ktinne wol anzemen
unt dir an £ren füege reht**.
70 dö Mete er im ein keisers ge-
steht,
schoene, zfichtec unde richei
unt holte si im togentliche,
daz groezer frönde nie wart ge-
pflogen,
Alexins was alsd gezogen,
75 er wolde den vater niht beträeben
noch sinen willen an im üeben.
er liez sie dö zesamene geben,
daz sich frönte ir beider leben,
sie trüte ein bftbst mit siner hant,
80 Innoeentins was er gnant.
dd diu naht den tac verstiez,
der herre sinen snn hiez:
„Alexi, du solt slftfen g6n,
du solt triuten unde fi6n
85 dine brüt, daz ez ir wol behage,
daz gib et iu fröude ftne dage.
dis ist zit an dirre stont.''
er ensträfte niht des vater munt.
do er mit ir ze bette quam,
90 als in beiden wol gezam,
nnt bi ir aleine saz,
sine 16re er mit dem munde maz:
er sprach : „vil liebiu frouwe min,
wilt du also mit mir sin,
95 daz du tuost ai minen willen?
si sprach ,fjk^ sunder stille:
„herre, swaz so dir behaget,
ich bin diu frouwe nnt din maget.
ich sol dir undertfienic sin,
100 daz gebieten t mir die sinne min."
Alexins sprach : „so redest du reht,
jft bin ich din herre unt ^n knefat.
frouwe, ich bitte dich niht me,
wan alles, daz dir wol anste,
105 daz lip unt sSle müeze gnesen."
si sprach : „daz müeze uns künftec
wesen.**
„sd hoere, liebiu frouwe min,
du solt kiusche blz an din ende sin,
denselben orden wil ich tragen."
110 daz begunde der frouwen wol
behagen.
63 d. m. nu heiseit g. übe F. daz m. Ä* 64 al snlche B.
synnen F. gap ich em ^. 65 daz er ^. 67 mayt F. wyb A.
68 kume R. dir wol kan an cz. F. dir wol mag gecz. Ä. 69 friget Ä.
f. R, 70 eynes k. siecht R. des k. F. er vreyte em Ä. 71 dy was
seh. Ä. 72 er holte im si t. F. dy gap man ym gar t. Ä, 73 ge-
hört F. groze R. 74 so ^. 75 seynen v. F. f. R, 76 noch keyn
em s. w. üb. A. LR, 77 do liez er si z« F. dazcus. R. [dö] A,
78 [ir] R. so daz F. 81 also F. vorlyß A. 82 do her syn s. R,
seynß sune F. 81. 82 in A umgestellt, 83 Allexius VA, 84 vnd
du A, 85 [ez] V, br. das ir b. A. din VR, 86 daz is uch vr. sund^
cl. R. 87 daz A, das ist nu z. an der st. F. 88 [en-] VA. syns A,
89 für daz b. F. 90 anzam F. Dahinter in B nochmals: vii yn beide
wol ge. 91 unt er b. F, al. do was ^. 92 die 1. F. sin 1. R. 94 by
mir R. 95 den w. mey F. alle m. w. A. [al] R. 96 [j&] s. stillen R.
alsunder F. 97 h^re wy so ys d. behayt F. swaz .... behalt R. herre
was uch b. A. 98 di vr. v. d. mait R. 99. 100 f. R. 99 wil A,
100 gernenoch dem willen dyn A. 101 nv redistu F. spr. du redest
r. A, 102 so bin R, ich b. d. h. u. euch d. k. A. 103 ich b. d. frawe
n. m. A. 104 [wan] Ä, wan waz F. 105—118 f. Ä. 105 [müeze] F.
106 muoz unsczukünftec sey F. kundig A. 107. 108 f. F. 108 etm
unz für biz su setzen? 109 selbigin F. 110 fr. czu b. F.
ZUR ALÜXIUSLEGENDE. II.
177
si sprach ze ime al überlfit:
„min sdle werde gotes brüt
unt din alsam, als wir verschei-
den."
daz wart gelobet von in beiden.
115 daz gelobete ir beider mnnt also,
daz brähte in sorge unt frdude dö.
er nam'i vingerlin von siner hant
nnt gap ez der juncfroun alzehant.
er sprach : ^ vil liebin frouwe min,
120 so nim daz gäldin vingerlin,
wan ich morgen von dir scheide^
ez si mit liebe oder mit leide;
kume ich niemer zno dir sider,
BÖ gip mir'z in dem himel wider."
125 si sprach „gerne** nnd weinte s^re^
als ir gap ir herzen l€re:
,,nu enwil ich niemer m^ gedagen,
ich enwelle schrien nnde klagen,
biz ich dich anderweide ersehe
130 oder dinen tdt genzliche erspehe. "
des morgens do der tac üf brach,
daz alte reht aldft geschach:
man begienc mit in der briute siten,
man begunde alt unt junge biten.
135 Dd sie ge tranken unde gftzen
unde alle in fröuden sftzen,
beidin frouwen unde man,
Alezias neic unt gie dan,
daz des nieman wart gewar,
140 wan sin liep aleine gar
in sines herzen grdzer not.
Silber unde euch golt r6t
nam er vil ze siner zer.
er ilte balde üf daz mer,
145 daz sin der vatör iht wurde gwar.
[als er nu quam an daz var],
{nach M)
ze eime schiffe er da stiez,
daz in beliben niht enliez:
ez truoc in in ein ander lant,
150 dftrinne er niemen was bekant,
fürbaz in einen grdzen port
daz was sin wille unt sin wort,
dd sach er eine gröze stat,
da er sint daz almuosen bat,
155 unt mitten dinne ein münster sten,
dar quam er für die tür g^n.
er gap sin gwant der armen diet,
daz Silber den krumben beschiet.
111 vnd spr. weder en obirlut Ä. 112 trut Ä. 113 wenn w. Ä.
115. 116 in A umgestellt. 115 es g aldo Ä. [ir] F. 116 fr.
u. surge nv F. so A. 117. 118 f. A. 119 [vil] Ä. 120 [so] F.
[so] nim hen A. 121 wen ich v. d. scheide morne F. 122 libe vn
mit R. 123 ich czu dir niht sedir F. ich nicht zcu A, 125 vil z*e F.
126 also F. ires Ä. eres F. irs -4. 127 [m%] F. [en] ... [m6] A.
128 ich wil F. ich wil weynen A. 129 andirwit s. F. anderweit s. A,
130 vnt F. genczlichen spee A. 131 anbrach VA, do des m. A,
132 alda reht Ä. do -4. 133 begunde F. de" brut-4. brut Ä. 134 das
junge vnd aide F. jung v. ald A. zuo b. in allen drei ITss., wohl Fehler
in X, 136—137 f. B. 135 aßen A. 138 n. syn* br. gynk dan R
n. seyn^ liben brawt | vnd schit von dan F. do ging syne iunge brut an |
das sy vil heiß weynen began A. 139 gewan E, das das F. 140 Wh RA,
wenne seyne libe fraw dar F. 141—145 f. A. 141—150 f. R. 141 vnt
8. h. grosse n. F. 1 45 ich worde F. 146 f. in allen drei Hss, 147 lyff A,
148 nichte hys F. en do nicht bl. \, A. 150 do ynne bek? (nach M) F.
do er nymande A. 151 vort alle drei Hss, vnt fürbaz F. her gync
in R. 152 [was] R, unde wort F. 153 guote st. F. 154 do synt
er R, dorynne er A 155 [unt] F. dorinne A, stet F. da vant er
ynne R, 156 türe F. stan : gan in A. do alle drei Hss. 157 den
armen F. s. gew. gap er den a. d. A, 158 [er] d. kr« gi't B* teilte
h^ d. kr. F.
178
MAX FB. BLAU
den liehtelosen'x rote golt:
160 alsus verzerte er sinen solt
unde er von der richeit liez.
in einen hader er sich stiei,
der was boese ant gar ungaoter. 185
do enweste vater noch mnoter
165 noch sin brüt, war er quam,
dft dürte er lenger, wan im zam.
swaz man ime durch got d& gap,
d& schiet er ie das haipteil ap
nnt gap'z den armen, die da 190
sftzen :
170 er volgete stner saBlde strftzen.
Yil trürec was her £afemi&n,
er hiei üz riten unde g&n
üf alle strAzen nftch sim kinde. 195
nnt sin mnoter weinte swinde,
175 onch sin schoenin jnnge brüt.
dd qu&men die knehte überlüt
dar d& sie in fanden
nnt sin niht erkennen kmiden, 200
vor einer kirchen, dft er saz
180 unt sinn dienst gegen gote maz.
sie giengen für in unbekant (sie 0
er racte gegen in sine hant
unt bat im daz almuosen geben,
dd lobete er sin selbes leben:
„ich lobe dich, herre, durch den
sin,
daz ich d& zno worden bin,
deich miner knehte g&be emphä."
sie gftben im unt liezen in d4
unt griffen an ein ander pfliht,
er kantes wol unt sie sin niht!
sie schiften in ein ander lant,
d& er ze sehenne wart genant,
dft leit er tac unde naht,
er diente gote mit ganzer mäht
von jftre ze j&re manege zit.
er hete müede unt grozen strit
daz dolte er allez in dem muote,
daz ez der s^le qaaame ze guote.
Do er anz sibenzehende jftr quam,
do gienc er hin, als im gezam,
ffir die kirchen an sin gebet,
dft kniete er an der swelle antret
159 sin r. g. £F. blinden VA. bl. gap er daz ^. 160 ver-
teilte RV. [er] R. also VA. s. reichin s. V. 161 reichit F. daz
et VR. 163 [gar] F. vnuuget^ R. das w. eyne g. boze war A.
164 mu enw. noch v. F. syn v. noch syn m. R. daz enw. w^der v. n. m«
zwar A. 165 wa R. wo h^ hy qw. F. wo er hen qu« A, 166 her d.
do 1. w. i. gezcä R, ebenso A^ nur truerte für durete. f. F. 167 was
her F. [dft] VA. daz man R. 168 yo sneid her ys yo halp ap F.
das sneyt er das A. 169 gap den armen A, dy by ym s. VR, 170 syn
seiden R, unt v. einer tiuren str. F. [sselde] A. 171 femiftn R,
fennam F. wart F. waz der vater E. ^. 172 liez VA. 174 so w. diu
m. gar sw. F. ouch w. s. m. sw. A. 175 — 178 f. JB. 175 unt s. F.
176 oberlant A. sine kn. in VA ist wohl Fehler in x. 177 [dar]
do sy F. [dar] do hen do ^. 178 vnd en F. sy en erk. nicht en-
kunden A, 179 k. her do s. ^. 180 [unt] sin d. key g. was F. syn
A. RA. l82 [gegen] F. reichte A. 183 czu g. F. daz sy em d. a.
gebinX 184 seynes F. syns ^i. 185— 198 f. iS. 185 dur minen s. F.
herre ich lobe dich A. 187 [knehte] A. daz ich VA. 188 sy gobins
en V. lissen ys yn do F. 189 yn für ein F. sy gr. ^. 190 [unt] ßy
en nichts. 189. 190 in A umgestellt. 191 vnde ritten^. 192 in ze
suochene was ben. F. 193 daz 1. F. 194 gantz seyn^ m. V. 193.
194 AUezius dynete mit aller macht 1 vil manchen tag vnd nacht in A.
195 vil manche A. 196 h. leit v. gr. A. 197 daz tat A. 199 sibende
VR. yn das A. 200 em wol g. A. 201 kirche A. 202 als di sw. R.
nedir an der kirche antrit F. vnd kn. vor d. A.
ZUR ALEXIUSLEGENDE. IL
179
von mitternaht bis gegen tage,
dd mogte er siner Sünden klage
*20b unt tete dem libe s^re wS,
dö quam ein regen nnde snS^
daz er zittert von grimme ,
dö rief ein bilde lüter stimme:
nstant üf, du trssger glockenaere
210 unt ringe dem menschen sine
swaare,
der uzen üf der swelle liget,
§ im die kelte angesiget
unde dft ersterbe tot.
läz in hin in, es ist im not.*
215 daz wunderte s6re den huoteman,
die tör er üf sliezen began.
dö vant er in ligen an stme gebete
üf der swelle anetrete.
er sprach im zuo mit gmoze
220 unt viel im d6 ze faoze:
„wol her in, du saslec man,
d& dirz weter niht geschaden kau.
ein bilde h&t für dich gebeten.^
dö begunde er in daz münster
treten
225 ze Winkel, da in nieman sach,
dft er aber sin geztt sprach,
daz merkte dö der glockensBre,
er sagete s morgens niuwe mare,
ein heilec mensche wsere aldä.
230 der Hute gi engen im vil nd.
unt truogen im also vil zuo,
daz in des verdühte duo:
er sprach : „her lip, des ist ze vil,
des ich von iu niht enwil.'
235 man wil iuch füeren üz der mftze.^
er k^rte üf eine ander strftze,
üf daz mer al nngewant;
er wolde in Cilicien laut:
dft hete santPaul ein münster stftn,
240 da wolde er sinen tOt emphftn
unt sines endes dft erbeiten.
Got begunde ez anders leiten,
sehty daz mohte niht geschehen :
in sluoc ein wint, daz sult ir spehen,
245 daz er quam ze Röme wider,
daz beweinte er harte sider.
do er wider gegen Börne quam,
eine rede er ze munde nam:
203. 204 in A umgestellt, 203 von der m. U. zcu dem A.
vor m. biz hin gein t. F. 204 sunde F. vnd rurte s, sunde cl. A.
205 er tet F. tat er d. 1. so w. A. 206 fein] JBF. reyn VA. 207 so
das A, mit gr. F. 208 mit 1. st. A. riff dj gotis st. A. 209 kirche-
ner A, 210 ring? F {nach M). lychte den m. A. 211 duze . . . swel-
len F. d. draußen vor der kirche lyt A. 212 kaltheit Ä. dy k. ym
ang. F. 213 V. her erstorbe t. F. v. eer denn erstirbet t. A, 214 her
in F. laz es hen, es A, iz ist It, 215 [sere] F. denselbin m. A, hut-
man B. 216 czu süssen F. [er] uf beslisen gan JR. do er zcu slyssen uf
began A. 217 bete B do er in vant an F. 218 sweUen antrit F.
swellen an tret A, antrete B, 219 — 246 i. B» 219 [mit] A, 220 al-
do F. 221 gang h. F, seliger VA. 222 daz dyr d. F. 223 eyne
stymme A, 224 czu tr. F. 225 in ein winkel daz F. 227 marcte F.
offenbarte d. kirchener A. 228 markte F. e. s. den luten gute mere A.
229 heiliger F. 230 do g. em dy lute alle na A. (aldo :) noe F.
231 so ^. 232 das ys isz en verdrossz de F. [des] A, 233 daz F.
[her] leib es A. 234 daz ich von dir A, f. F. 235 wohl Fehler in X;
ich w. i. f. u. d. vnmosze F. ich w. dich A, 236 do körte her sich F.
sich A. 237 off F. 238 cecilian F. Cecilien A. 239 synte p. F.
sente pawel A. 241. 242 {, A. 242 do begnde h* sin anders czu 1. F.
243 f. F. 245 d. der q. keyn R. w. A. 246 dicke A. 247. 248 in B
umgestellt, 247 keyn r. weder qu. A. da? e* w- zu r. qu, /?, t?48 £u
l^ue nam B,
180
MAX FB. BLAU
herre, daz ist äne mine schult,
250 din wille werde an mir erftilt!
ich waBnte alsd ersterben,
deich niht endurfte werben
ze Röme um keine spise m^. 275
ditz widerkomen tuot mir we.
255 sint ez niht anders mac gesin,
so muoz ich suochen die phründe
min
ze minem vater als ein man,
der phennings wert nie gewan.
er gienc üf eine sträze st^n, 280
260 do quam sin vater fär in gen.
er rief im eine stimme zuo
mit jimerlichen werten duo
offenbare unt niht ze stille:
„berre, gip mir durch Alezi willen 285
265 din brot biz an mtnn lesten tac.^
der vater do s€re erschrac^
do er den sun hete genant;
do begunde er weinen sä zehant
er sprach: „vil gerne, lieber 290
man,
270 die wile ichz von gote mac
hän,
durch sine ^re so iz min bröt,
er si lebende oder tot.
Alezi, min vil liebez trüt,
wie vergizzest du diner jungen brüt
des vater unt der muoter din !
wie lange sol ich din sBnec sin."
ditz clagete er, daz sin sun an-
hörte,
der im sin trüren doch niht
stdrte.
da muget ir wunder prüeven an,
daz der herre Eufemiän
sines kindes niht erkante,
bleiche unt armuot daz verwante,
langer hart unt horwege kleider:
also verstalt was er leider ,
daz er dem vater was ze wilde,
als gel was im sin antlitzes bilde,
er sazte im einen schaffer zuo,
der fuorte in ze hüse duo
unde schuof im solch gemach,
daz im leides vil geschach.
under einer treppen begunde er
ligen,
er hete sich fröuden gar verzigen.
249 dis ist R. er sprach, h. A. 250 deruult R, 251 wente ich
snlde a. F. 252 erwerben Ä. dorfte niemer w. F. [en-] Ä. 253 in
r. R, [um] F. deheine? F. 254 das w. das tut w. -4. 255 gewesi B.
niht nu mac F. sint das n. m. anders gesyn A, 256 freunde AR.
spise F. Wohl in den verschiedenen Hss. verderbt', noch wahrscheinlicher
bereits in x durch friunde ersetet. 257 e. ander m. F. 258 ph. w. er
nie g. F. 260 zu ym R. gegan A. 261 her spch ym myneclichen zu R,
r. em in einer st. F. eyne st. em A. 262 ju A. du R, 263 [ze] A.
264 gebet R, allexius VA. wille VA. 265 \fn br. Ä. 266 sin R.
d. herre [do] F. do vil s. A. 267 daz er F. 268 czu w. alzeh. F.
er b. zcu w. alczuh. A, 269 spr. gerne vil guoter m. F. vnd spr. g. du
vil 1. m. A, 270 mac von gote h. F. gehan A, 271 [so] F. sinen
willen VA, so iß durch s. w. myn br. A, 272 er lebe ader sey t. A.
273 Ach AUexius F. AUexius A. 274 [jungen] Ä. lieben F. 275 vaters
VA, 276 enic R, eynig F. ene A, 211 son horte F. der son A.
278 [sin] Ä. der nie doch trurens st. F. s. leit d. n. enst. A, 279 —
286 f. R. 279 da merket alle wunder an F. 280 h^re her femian F.
282 irwante A, vorwante F. 283 clengir b. höre cl. F. bofe cl. A,
285 dws her F. [vater] A, 286 also F. vil bleich w. em syns A.
287 suchte A. 288 her R, du R, ju A, 290 do ym R, zculeide
vil ^. 291 unde e. tr. muste er 1. R. her begude czu 1. F. czu \. A.
292 fröude g. vorcz egin V, der frawen hatte er sich v. A,
ZUR ALBXIU8LE0ENDE. IL
181
8wen sin yater k6 tische aas.
Bin pflegeman des niht vergas,
295 er enbrashte im sine pfrttnde dar.
er was gar j&merliohe var,
als mflBsUehe as er nnde träne:
gegen gote stnont al sin gedanc.
yil maneger sehande er d6 leit
300 yon boeser knehte kttodekeit:
swenne sie die schfizseln df ge-
n&men
unt für sin gemachelin qn&men,
sie gnzzen üf in unt spieten an.
das leit der vi! saalige man
305 rehte als man einen wnrm trity
der dt krineht nnt niemen bit.
vil dieke sach er für in gftn
sinen yater nnt sine mvoter stftn
nnt sine scboene junge brüt.
310 doch wart der munt des nie lüt,
daz er iht sagete wer er wäre.'
nn merket*s j&mer]iche masre:
also liep als er in was,
daz er die herte zuo im las.
315 daz leit er also lange da,
bis im ein sinche yolgte n&.
Als uns sin büechlin hftt gelesen,
das er zem Ersten was gewesen,
da er sibenzßn i4rz almnosen nam,
320 seBdme als lange, bis daz rol-
quam
nach sines herzen wiUekfir.
dd qnam im eines nahtes für,
er solde sterben am dritten tage,
got wolde kürzen sine clage,
325 daz er des wnrde wol gewar,
dd quam ein engel nnt brähte
im dar
einen brief nnt legete in in die
hant,
daran sin leben wart bekmnt,
daz sin brüt ein megettn wasre
330 nnde er ein degen nnwandelbasre,
nnt was er dort sibenz^n jftr leit,
wie im's bildes helfe wart bereit
unde allez daz er ie begienc
nnt wie er ze Börne eint emphienc
335 sines yater tranc nnt spis.
onch was daran geschriben mit fliz
293 wen RA, wan F. 294 sjner pflege man do n. y. A. 295 er
brahtem VA. 296 so iemUich was er genar R. yetnmerllehen czworcz F.
[gar] yemmerlieber v. A, 297—314 f. R, 297 also F. so A, 298 kein
gote stunden ym alle seyne g. F. czn g. stunden alle syne g. A»
299 manege seh. die er 1. F. 300 v. snoder kn. boßheit A. 301 wan F.
wenn A. 802 gemach A. 803 speit? en an F. do begossen sy en
vnd A, 305 als eyn worm den man tretit A. 305 ynd nymant nicht
en bittit A, 307 ynt d. h* vor en sach g. F. v. d. weynende s. c.
geen A. 308 sin ... sin F. steen A, 809 u. ouch F. 310 das syn m.
do n. A. 811 d. er s. ny w. A. 312 hie beert d. yemerliche F.
deze A. . 313 so als Hp er en allen w. -4. 814 syn hercze A, 316 —
322 in A folgendermaßen geordnet: 317. 318. 319. 320. 315. 316, 322.
321. 316 ditz F. treib dar ^. 816 daz ym R. dy sycheit A.
do : noe F. 317 eyn b. F. buch A. 318 genesyn Ä. 319 di allemuse
[nam] R, 820 rome alz do qw. F. r. ouch das also y, A. 322 [do] R.
323 an dem R. daz er snlde st. an dem mittage A. 324 ym kur-
czen S, 325 er daz F. daz wol werde g. -4. 826 brach ym [dar] Ä.
0 A. 327 en ym in F. 1. ym yn d. A. [unt legete in] R. 328 dor
asn was s. 1. b. F. d^ brief d* waz geschriben so Ä. 829. 330 f. A.
320 wi daz e. megetyn s. br. w. Ä. 330 dege vn wände we* F. vn-
wandel w* R 331 — 340 f. Ä. 331 u. alles daz e. y. geleid A.
332 vnt w. ,i. d. b. hülle was [bereit] F. em gotis h. w. b. A, 334
[sint] F. 385 u. sine speise : fleisse F. speyae A, 336 ouch stund do
geschreben vil leyse A.
182
MAX FR. BLAU
sin name ande ouch sin kninber
groz.
sin hant den brief zesamene sldz,
biz daz in der töt zefiiorte,
340 daz sich sin leben niemer morte.
An eim karfritage daz geschach,
daz sich minnert sin nngemach,
daz got die s^le von im nam.
dö geschach ein zeichen, daz wol
zam:
345 dö lüten sich die glocken alle
gegen einander mit sehalle
in Borne nnt ouch ze Laterfin
nmme disen beilegen man,
daz nieman die strenge zoch.
350 daz wundert manegen herren hoch,
rieh nnde arme, grdz unt kleine,
die frftgten um ditz wunder gmeine,
waz daz löten mohte sin.
dö sprach ein kleinez kindelin:
355 „ir griffc ein tnmbez fragen an,
ez ist lihte ein heilec man,
den die glocken baz erkennen^
wan die liute, die in mit namen
nennen.
der b&best unt der keiser gebot,
360 daz man in suohte durch die not,
daz er der werlde quame für.
dd stuont fftr sines vater tür
der schaffer, der sin hete ge-
pflogen.
der gie für in gar gezogen:
365 „herre, der arme der ist tdt,
der iuwem tranc unde iuwer brot
sibenzehen jär h&t gnomen.^
daz begunde im an sin herze
komen,
er sprach: «ich wil in sehen ze-
hant.*
370 er vant in toten unde vant
bt im einen brief vil wol get&n.
das yemämen die ze Lateran
unt die Bdmer alsam.
swer über in gienc oder quam,
375 der künde mit allen sinen sinnen
den brief üz sfner hant niht
gwinnen.
vater^ muoter, bäbst noch keiser
duo^
unt alle, die da liefen zuo,
340 vnd sich s. 1. nichten r. A,
344 Schach e. z. [daz]
a. Ä. 346 weder e. m.
347 — 351 f. Ä. 347 czu
hem ouch A, 351 riebe
337 [ouch] Ä. 339 [daz] A,
341 an eyn k. B. fritage A. 343 zuo im F.
w. z. R. z. lobesam A. 345 das sich dy gl. 1.
großem seh. A, dez quamen di rom^ m. seh. R.
Borne A. 349 d. dj glocken n. geczoch A» 350
arm V. 352 si fr. al um disiu maBr F. si fr. mittenand^ di sache R.
353 daz wunder F. w. d. bedute m. s. R. gesin VA, 354 — 362 f. R.
356 heiliger F. ist eczwa e. heiliger m. ^. 358 [mit namen] do n. A»
359 d. kejser y. d. babist g* A. 361 der er F. das er den luten qu.
y, A. 362 ajn scheffer gnug balde dar A, 363 syn seh. d. da h.. geflogn
syn R. [der schaffer] A, 364 h^ gienc wolgezogen hyn R. Vnd sprach vil
wol gecz. A, 365 d^ armensch ist t R, 366 der sibenczen almuze genuii
bot R. 367 — 369 f. R. 367 bot zo lange hie g. F. 368 yn s. h. A.
czu k. F. 369 ich sehe in zcuh. A. 370 er in tot vant unde unge-
want F. want den t. v. want A. er gienc zu ym vn vant yn tot R,
371—375 f. Ä. 371 unt bi F. synen br. gar w. g. A. 372 dy von
h A. 373 R. als in gezam F. 374 adir wer ob^ en qwä F. 375 allen
erin s. F. alle s. s. ^. 376 d. b. ny ausz s. h. g. F. her künde den
brief nie g. Ä. 377 [noch] A, duo f. in allen drei Hss. 377**) dy
waren alle sulcher gäbe heyßer nur A, 378—380 f. R. 378*') den
waz der brif vil tu er ju nur A,
^) Nach Allem, was wir ron A wissen, liegt für die in y anbelegten Verse der
Verdacht der Interpolation vor, und ich kann mich deshalb nicht entschließen, diese
züB aleziüsleoehde. n. 18S
in ze gwiimen üs stm gwalt, S95 AleiinSy der bie tot ist bliben.
380 als endlich was nieman gestalt: sfn leben ist hie oncb beschriben
bis sin megettn sno im quam, nnt stn name, das ist wir.
diu greif dar, als ir wol sam, ganzer ') vier und drtsec jftr
der viel der brief in die hant bftt er die almno&en gnomeni
Enfemiftn He in lesen sebant 400 bis er soo dem t6de ist komen.
385 einen man, der d& sno witzee das jftmert mich an disme lesen,
waSy min rehter berre ist er gewesen.^
der stn leben dar an las »Owö mir, nnde ist das war**,
nnde alles, das er ie geleit sprach der yater nnt ronfte's bär,
üf von stner kintbeit. 405 er sarte din kleider Ton der siten,
do weinte der sebriber harte s6re er knnde der stände nibt erbiten,
390 Eniemiftn bat in durch sine dre, er enpfincte den hart an sime
das er im sagete, was dran wasre. kinne.
,, berre, es sint diu leiteten mare^ er bete leide nnde nnsinne.
din alhie verjehen sint. mit den nageln reiz er sine hüt :
dirre heilee man ist iuwer kint 410 „Alexi, min yil liebes trüt^
379 im s. VA. siner hant VA. 380 also V. so erlich was er ein
gewant A. 381 jnncfrowe über in k. F, sjrne brat A, 382 sy gr. also i. w.
an czam A. f. B. 883 do vil ir d. b. i« ire h. A, 384 £Eemiam F. her
wart gelesen so scnb. R. alseh. VA. 385—896 t B, wo nur etwa v. 394.
395 entsprechend steht: Iz ist Allexi di über dy son | dem dyn alemnze
ist geton. 885 do so wise F. e. schriber d. d. s. nutze w. A. Fehler
in X? 389 keiser F. sebriber sere A. 890 b^ femiam F. 890. 891
Eufemian fragete was daran were A^ 893 lengsten F. er spraeh e. s.
leydige m. A. 893 d. mir ie für komen sint F. yemuwet A, Fehler
in X? 394 disir heiliger m. F. der heilige [man] A. 395 blieben F?
(nach M). 39& s. name steet alhy b. A. 397*) gants nnt F? {nach
M). B. leben A. md euch dis alwar R. 898 vier vnd czwencsig F.
399 das alm. F. hatte e. d. a. numen B. 400 bis das F. b. [er]
waz k. B. 401 — 407 f. B. 401 lebin A. 402 syn recht heymet ist
hy gewefin A. Dahinter in A^ ynd dy em habin getan | leyt vnd aller
slachte wan* 404 do spr. sin y. v. reffte sey bor F. 405. 406 in A
umgestellt. 405 d. cl. reiß er A. 406 ny irbeitin F. irbeiten A.
407 [en] VA. ronfte d. b. ulS A. 408 leit BV. u. gar gross F. 1. ußen
vnd ynne A. (B setzt fort: durch den lieblich mynne). 409—483 f. B,
409 nelyn F. m. [ddb] n. r. e. dy h. A. 410 Allezins VA.
Verse in den Text anfzunehmen. Ich sehließe mich an dieser Stelle, die uns gans
besonders die UnyolUtSndigkeit ron R bedauern läßt, der Lesung von M au. Im
Übrigen ist gerade diese Stelle geeignet, die Ansetzun^ von x im Stamme sn recht-
fertigen. Die verderbten Verse besserte A in seiner Weise auf, während V sie jedenfalls
ziemlich getreu und ohne bessern wollende Änderungen wiedergab.
^) Wohl einer der ältesten Belege fflr diesen Gebrauch von gimz im gen. plur.
mit einer Zahl.
^ Die Verse 397—400 stehen in R unmittelbar hinter v. 330.
•) Wohl wie Vers 377*. 378' als wenig brauchbare Interpolation von A zu be-
trachten.
184 MAX FR. BLAU
min ougen lieht, mins hersen 430 wie h&sta mir armen wibe
trost, al8U8 betrüebet mine witsef
wie b&stu dich von mir erlost, si twuoc im sin scboene antlitze
daz dn s6 lange bi mir wsBre mit den sehem nnt kästen üf
unt nie dieb machtest ofiPenbaBre sine brüst.
415 durch sxmviot dhiQm vater, kintl »^^ Bdmer, habet al die gelust,
des muoz ich lange trfiren sint 435 daz ir beginnet mit mir weinen«**
unt leidec sin biz an min ende!^ do enliez si sin er yinger keinen,
er want gar bermlich stne hende si <?^legete in sundern an ir munt.
unt viel von ämaht üf die erden, si tete do grdz jämer kunt.
420 dd mnose er gelabet werden. si sluoo sich ze dem herzen dicke
Dö sin muoter daz vernam, 440 unt viel üf in mit manegem blicke
wer er was nnde über in quam, unt trüte in, al« ez ir behagete,
si zestorte ir frouwelich gebende so lange biz daz si gar verzagete,
unt eefuorte ir eöpfe mit ir daz si der b&bst hiez danne leiten.
hende. Dd quam mit grdzen arbeiten '),
425 daz golt si von den brüsten brach, 445 diu dannoch was ein megeün.
si sprach: „nu ist min ungemach si sprach: ,,friunt unt herre min,
harte gar ergangen. waz hftt din herte an uns ge-
rochen?*)
ein kint, geborn von minem libe ! min ougen Spiegel ist zebrochen,
411 minr o. F. 417 von m. warist X werist F» 414 mochtist
o£finbam F. v. du dich mir nicht offenbarist A^ 415 dinr a. unt dejn
V. k. F? {nach M)» vmme ermut myn vil libes k. -4. 416 triurec sin F.
417 jilier bis an das ende meyn F. 418 zo yemerlich F. 419 vor
amechtikeit F. unmacht zcu der e. A. 423* 424 f. A, 424 Ir czoppe
beide nä yn dy h« 425 der brüst A, 426 ist F. was A. 427 vil gar
czu irgangin F. f. A. 428 f. in allen drei Hss. 429 [ein] F.
431 alsis A» betrüebet also m. w« itcze F« 432 wuosch F. beschawteui.
433 ire trene vylen em uf s. br. A. 434 [die] F. 435 ir mit m. beg.
czu w. F. beg. alle m. m. zcuw. A. 436 — 448 f. jß, das aber nach
435 folgende Fortsetzung gibt: meynes liben kyndes reynen { den tot vnd
elenedeschaft | d^ hat v^lom syne craft. 436 koyne F« [do] sy lyß A,
437 [en] 1. en bes. a, eren m. F. [en] 1. eo besunder a. den m. A. 438
tet vil groz A, 440 mit ganczem bl. A, 441 trewgete en alz h^ ir
b. F. druckte en als irs b. A, 442 das ir gar v. F. [so lange] A,
443 von danne F. h. von em L -4, 444 — 446» m A geordnet: 445.
446. 444. 444 sin brut m. gr. erbeite F. syne brut m. großem ir-
bebin A. 445 do noch A, dene noch [was] F. 446 herre unt friunt
m. F. 447 heil F. herlyn A, gebrochin F. 448 ein sp. minr owgen
ist nu czubrochin F. mynn A,
^) Hier ist wohl wieder eine Spar von x, dem die Beziehung zu undeutlich
war, da ja das Subject erst durch den Relativsatz gegeben wurde; x seilte tun hrüt
ein, was einen ungeschickten Vers (gr6z]en ar[beUen in der letzten Senkung!) gab.
Vielleicht könnte man auch lesen: dS quam «$n brüt dne erbeiUn.
^) Zu lesen: voax hat m\n herre an uns gerochen, wie ich ursprünglich wollte,
hindert wohl das gerade vorhergehende herre.
ZUR ALEXIU8LE0ENDK II. Ig5
den ich verwinde ntemer mßre. wie das stn heilekeit seftiorte ! —
450 ich bitte dich, mtn eehepfer hdre, er wnre lam oder »kramp
l&s mich alhie b! im ersterben, 470 nnt wsere blint oder etamp,
€ mtne sinne gar verderben, die wurden alsehant gesnnt.
das mfn swflere habe ein ende.* das tete die gotheit durch in kunt
der habest nam si bi den henden : nnde durch sf n heilec leben.
455 „jnncfronwe, lät die ungeharCy ') sint wart im grdser wnnsch ge-
wir 8uln den tdten df gehören. gehen,
als einer heilekeit geseme; 475 wir saln des jftmers nn verdagen!
got stnen diener sno im neme/ man liec in in das m Ans ter tragen,
Dd dax schöne ald& geschach, d& der bähest über im sanc
460 der b&best nnt der ketser sprach, nnt manee phaffen annge erklanc
dar zno die Bömer algemeine: nnde ouch der karden&Ie.
es wiere ein mensche sflnden reine. 480 die Römer alsem&le,
man tmoc in hin mit grösem sänge, die lebeten got nm disen man.
im Yolgete eine werlt mit gange, der b&best selber das began,
465 als siner heilekeit wol sam. das er in bestate suo der erden,
dd er för das mfinster qnam, sint mnose den linten von im
swer sieeh was nnde an in morte, — werden
449 das F« 450 schepp^ F, [min] scheffer sere R. %j sprach seh.
über herre A, 451 [alhie] R. hy irsterben Ä, 452 [gar] RV. anders
m. s. V. F. 453—464 f. R. 453 nnt m. frdade nimt e. e. F.
455. 456 jnncfironwe ir snlt iuch niht verwem | bis das wir in nf ge-
bern« F. er sprach :* frawe ir sult nicht verczagen | bis wir en begraben Ä.
457 simt F. wol angeczeme^i. 458 sine d. s. i. nimt F. wil nemen ^.
459 do allis das do y g. Ä. 461 vnd d. r. alle g. A. 462 von s. r.
VA. 463 den trag man hen A, 464 werlit noch m. F. vnd volgeten
em mit reynem g. A, 465 — 466 in B umgestellL 465 wirdikeit wol
ancz. A, als ym wol gesam R, 467 wer sich w. VR, an ym R. Vnd
wer sich do an e. r. A, 468 syne h. das zcu fürte A. 469. 470 waz
er stam waz er krum | waz er blynt waz er tarn') R, er were hokericht
ader kramp | vnd were blint ader stump A, er waere blint oder lam | adir
mit weichin sinchen er dar kam. 471 w. alle gemeynlich sunt R. der
wart aldo alcz. g. A. 472—500 f. Ä. 473 heiligis A. 474 gr.
fröude F. 475 w. s. nw des y. vord. F. w. wollen syn y. nicht ver-
dagen A, 477 sang A. gesang F. 478 m. herren z. F. manch pf.
czunge ober em ird. A. 479 dar zno die k. F. 480 ouch dy romer cza
mole F. 481 [die] F. vnde deain m. A, 483 d. sy en bestaten A.
484 do für sint A.
') Eine ganz versweifelte Stelle I Was M bietet, ist doch aach gänzlich an-
braaehbar. Man sieht wieder das verderbte t, und ich gebe, wn nicht zwei Zeilen
gaoz fortzulasseD, einen Versneh, der sich — wie dies das Verbältniß der Hss. ver-
langt — mehr an V anschließt, wenigstens io dem Reime, denn gebm^ bei M kann
doch nnr gthartn sein, das „auf die Bahre legen** bedeutet (vgl. Mbd. Wb. I, 145^
h(Brt), Für V. 455 könnte man auch , nm den rtibrenden Keim zu meiden, lesen junc-
froüwe, wir auki des «tn gewßre, (= eifrig bedacht) daa loir den t, u. s. w.
') Unter dem jüngeren Ann sind Spuren eines fortradirten Wortes wahrzunehmen ,
aber nicht mehr zu bestimmen.
186 ^^^ ^K- BLAU, ZUR ALEXIUSLEGENDE. II.
485 gnaden smac unde edel nich daz si gotes dieme wolde sin
öz sime grabe äne allen brach ^), 505 stseteclicb biz an ir ende,
daz hittteges tages ze Bdme wert. si worden beilec ftne wende,
von sime vater wart begert daz erwarp der zweier Hute kint,
ein münater büwen in siner 6re, daz die viere ze bimel sint.
490 dar zuo half der bäbest s^re, liten si jämer uf der erden,
daz ez also volle quam, 510 daz muose in ze fröuden werden,
daz ez dem heiligen zam: Nu mane wir den guoten man,
dft liget sin heilec lip begraben. der dises lebens sd began,')
Welch Idn sol nu diu s^le haben ? daz er für uns bitte da,
495 da von wü ich iu iezuo sagen: sint sie für, daz wir hin nft
ir fröude m^rt sich alle tage. 515 mit gotes helfe müezen komen,
si hat des himelriches smac, so dem libe die s61e wirt be-
da si niem^r getrüren mac. nomen.
daz erkreic sin herter kumber Amen! daz daz müeze erg^n,
groz, darumme suln wir gote fl^n.
500 daz er ist den engein gnoz. er ist ein wiser koufman,
sint gwan sin vater unt sin muoter 520 der also kluoclich wehsein kan,
ein reinez leben so vil guoter der ein ungemachez leben ^)
unt sin liebiu trutin, kan um lange frÖude geben!
485 gnade swag .... räch F. v. guter grüß Ä. 486 brach F.
das werde vns allen büß Ä 487 hüte des tagis A, 488 gewert F.
489 seyn m, gebawt yn F. zcu b. Ä. 490 half em Ä* 491 wol czam F?
{nach M). 491. 492 sind in Ä ersetist durch: das noch aldo gecziret
steet I do manch hundert menschen hen geet. 493 f. F. heiliger A.
495 — 498 {woJü infolge eines alten Fehlers in x) in VA so geordnet:
495. 497. 498. 496. 495 itczut F. do wil ich nicht sagin von A.
496 sich nacht vnd tag A* 497 hymelreich sm. F. den hymmelischen
won A. 498 do F. das A. 499 irkrigke F. irwarp A. 500 der
engel F. 502 leben do hatte F. lebin gut A, 503 und ouch sin brut
czarte F. 504 dyn* wurden s. B, brut ist wordin F. weide A. 505 stetec-
liehen Ä. bas F. vil stetlich A. 506 f. F. ä. alle w. RA, wohl Fehler
in X. bOl daz der warp E, 508 zcu dem h. JB. 509 [der] F. deser A.
510 czu zelikeit w. F. vreude -B. in dort ze -4. 511 f. IL bete F.
512 sey lebin also F. synes -4. Dahinter in A: daz er zcu einem guten
ende brachte | wenn er sich selber daran bedachte. Wohl interpoliert.
514 vor hen daz wir darna A. 515 muzen w^ mit g. h. k. i2. 516 wen dy
zele d. 1. w. b. A, 517 das vnd das allen muße gesehen A. 519 clug^ R,
520 welschen R, so kl. geuolgen A, Dahinter in R nochmals: w* also
cluclich welschen kan. 521 kusch gemachsam 1. A. vngemaches 1. R.
522 vmme eyne 1. fr. kan g. A. v. 1. m. kan g. R*
') M liest rü^h : br^h.
*) Hieran schließt sich in V ein anderes Gebet, das ich weiter unten gebe.
') Dann ist also das ungemache leben der Eutgelt für die lange fröude.
E. KOLBING, zur TR18TAN8AGS. 187
In F finden wir nach 51f folgende Vorse'):
dM wir sey massen genissen Tnd mit jm lebin an e. • • •
an allia wedir drissen an allis misse wende
also das wir an arge list das ms das gesehen mn . . •
morgen kom9 do byn • . . • • 258* das helfe vns Alexius der • • •
rnde besitzen das eiß in allir heiligen namen
das ym got hat gege nii spreehit allir Amen.
Nach 522 folgt in S:
als dirre selig mensche tet
syn hülfe keyn gote
wegen syn heileges gebet.
In A steht nach eben diesem Verse:
hj endit sich das lyde von sente Aliezio
got mache vns armen sunder fro
daz yns das allen maße gesehen
nn sprechet alle Amen.
Wir haben wohl keinen Gmnd, diese Verse von Ä fflr das Original
in Anspruch in nehmen, aber Entscheidendes dagegen läßt sich auch nicht
anfahren, wennschon freilieh der dritte Vers erst v. 517, wenigstens in A
selbst^ begegnete.
BERCHTESGADEN. MAX FR. BLAU.
ZUR TRISTANSAGE.
In dieser Zeitschrift, Jahrg. XXXIII, p. 17 ff., hat O. Ghlöde
einen Aufsatz veröffentlicht u. d. T.: „Der nordische Tristanroman
und die ästhetische Würdigung Oottfrieds von Straßbarg**, welcher
gegen meine Anffassung von Gottfrieds Verhältniß zu seiner altfrz.
Vorlage gerichtet ist. Es ist das die erste, angebliche Widerlegung
der Resultate, welche ich vor nunmehr elf Jahren in meiner Abhand-
lung: „Zur Überlieferung der Tristansage ** (Die nord. und die engl.
Version der Tristansage. Erster Theil. Heilbronn 1878, p. IX ff.)
gewonnen hatte. Sicherlich wäre ich nun meinerseits der erste gewesen^
der freudig zugestimmt hätte, wenn es Herrn Glöde wirklich gelungen
wäre, zu zeigen, daß Gottfried in der That „Unebenheiten des Ori-
ginals bessert oder ausgleicht, die Darstellung modernen Verhältnissen
näher bringt, sich volksthümlicher zeigt, aus bewußter Welt- und
Menschenkenntniß ändert, Charaktere veredelt u. s. w.^; ich muß
aber energisch bestreiten, daß dies der Fall ist; den Wiasenden brauche
^) Vgl. Maftmann p. 3, der auch angibt, daß Bi. 263' reehts abgerissen ist
188 S. KÖLBINO
ich das freilich nicht erat sa sagen; bei flüchtigeren Lesern jedoch
mag das sichere and selbstbewaßte Auftreten Glödes den Eindruck
erwecken, als ob das Recht auf seiner Seite wftre, und darum darf
ich im Interesse der Sache wohl nicht ganz schweigen.
Die zehn Seiten lange Abhandlung ist ein literarisches Curiosum.
Die Erwartungen, die der Verf. selbst ttber seine Leistung erregt,
werden auf das Kläglichste enttäuscht; so heißt es p. 18^): „Über
HeinzePs Arbeiten werde ich später sprechen^. Wo geschieht das?
p. 21 : ,,Ich will nun in der folgenden Untersuchung Eölbing's Einlei-
tung genau (!) durchprüfen und sehen, ob seine Resultate als endgiltig
entscheidende anzusehen sind.^ „Kölbings Urtbeil, das er sich durch
gründliches philologisches Studium erworben hat, ist da, es muß von
allen Seiten angesehen werden. '^ p. 28: „Im Folgenden will ich die
Vergleichung der (!) Prosabearbeitung mit dem (!) G-edicht Gottfried's
vornehmen und die Schlüsse Kölbings prüfen, die dieser aus der Ver-
gleichung gezogen hat.'' *) Danach wird doch Jedermann eine grCind-
liche und detaillierte Erörterung meines ziemlich compreß gedruckten,
140 Seiten langen Aufsatzes erwarten; Herr Glöde beschäftigt sieh
mit demselben aber nur auf circa 3 — 4 Seiten und zieht nicht mehr
wie 15 Verse Gottfried's und vier Zeilen der nordischen Prosa, nach
meiner Ausgabe gerechnet'), zu genauerer Vergleichung heran. Was
diese anlangt, so muß ich sein Verfahren wenigstens ganz kurz be-
leuchten. Glöde geht nämlich nicht ganz redlich zu Werke; um den
nordischen Text dürftiger erscheinen zu lassen, wie er in Wirklichkeit
ist, druckt er ein kürzeres Stück davon ab, als wie thatsächlich dem
dazu in Parallele gestellten Abschnitt aus G/s Gedicht entspricht.
Gottfrieds milte entspricht S. p. 5^^: hinn vildasti i gjöfum. Zu seinen
Worten: Er was der werlds ein wunne stellt sich etwa das. dateamasti
i sinum medferdum; zu: Der riUerschefU ein ISre: fuUg&rr at öllum
^) Hieher gehört anch folgender Sats auf p. 21 : «Es soll dämm hier eine Dar>
legang folgen, inwieweit auch die Form, in der uns Gottfried sein Gedicht hinter-
lassen hat, sein indiridaelles Gepräge tr&gf Diese aas Lttth und Bechstein zusammen-
gestöppelte 'Darlegung* ist netto 21 Zeilen lang.
') GlGde bemerkt p. 26'): riictk gebe den Text hier ganz genau nach Kölbings
Ausgabe ; einzelne Bemerkungen fiber Stellen, wo meiner Ansicht nach anders zu
lesen ist, werde ich am anderen (sie!) Orte bringen." Wirkliche Besserungen meines
Sagatextes werde ich jederzeit mit aufrichtigem Danke acceptieren; aber nach der
Probe, die der Verf. in dem bei ihm abgedruckten Satze Ton seiner Kenntniß des
Altnordischen geliefert hat (mangrar ffir margrar und die Abtheilung rid\dara9kap
und nun gar aU\9konar), wird er mir es nicht Übel nehmen können, wenn ich, yor-
läufig wenigstens, von seinen „Bemerkungen' nicht allzu hohe Erwartungen hege.
ZUR TRISTANSAGE 189
atgarvum yfir alla menriy er i pann Hma vdru i pvi rikü Außerdem wird
er aber von dem Sagaschreiber noch genannt: vür ok varr i rada-
gerdum, forsjäü ok framaynn . . . hinn hardasti höräum ok hinn g^nmm-
asti gtimmum. Daß die in,, gebundener Rede verfaßte Version denselben
Gedanken ein anderes Gewand gibt; wie die Prosadichtung, versteht
sich ganz von selbst^ wie denn ja der mhd. Dichter der Blütheperiode
bei der Yergleichung mit einem Producte aus der Zeit der Nacb-
blüthe nordischer Sagaschreibung von Anfang an im Vortheil ist.
Das führt mich auf einen zweiten Punkt in Glödes Argumentation;
es heißt dort p. 23: „Der nordische Prosaroman ist 1226 aus dem
Französischen übertragen, uns nur in wenigen Bruchstücken in einer
Membrane des 15. Jhd. erhalten, während die Sage vollständig nur
in einer Papierhs. des 17. Jhd. aufbewahrt ist. Diese Thatsache hat
Kölbing nicht berücksichtigt, aber bei der Wichtigkeit der Frage . • .
darf man sie nicht aus den Augen lassen, um gerecht zu urtheilen.^'
Und dabei habe ich mich p. XIV f. über diesen Sachverhalt wörtlich
so ausgesprochen: „Freilich dürfen wir uns eines dabei nicht ver-
schweigen, was den Werth dieser Quelle (sc. der Saga) etwas herab-
mindert: wir besitzen dieselbe nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt,
wie etwa die Elissaga und die Strengleikar, sondern nur in einer durch
die mehrfachen Abschriften nicht unbedeutend verschlechterten, nicht nur
was die Sprache anlangt .... sondern auch was den Inhalt betrifft,
der^ wie eine Yergleichung mit den Membranfragmenten ergibt, zwar
keine directen sachlichen Änderungen, wohl aber vielleicht nicht unbe-
deutende Ktirzungen erlitten hat. Immerhin müssen wir noch sehr
froh sein, daß von diesem werthvoUen Denkmal überhaupt eine Hs.
auf uns gekommen ist.^' p. 21 f. stellt Glöde es so dar, als ob ich
die Form von Gottfrieds Dichtung, die derselben ihr individuelles
Gepräge gebe, dem Stil, der zu solcher Vollendung nur durch jahre-
lange Übung heranreife, keine Beachtung geschenkt habe: „Dies
alles erwähnt Kölbing mit keiner Silbe, als ob jeder beliebige Mensch
der mhd. Periode dies auch hätte ausfilhren können.^ Gewiß spreche
ich darüber im Verlaufe meiner Untersuchung nicht, weil ich es^ dort
nur mit den sachlichen Momenten seines Berichtes zu thun habe;
leider aber hat mein Gegner in der Hitze des Gefechtes einen von ihm
selbst (p. 18) citierten Passus aus dem Schlüsse meines Aufsatzes ver-
gessen, wo ich dazu mahne, in Zukunft bei Vergleichung von mhd. Epen
mit ihren afrz. Quellen, das Augenmerk in höherem Grade wie bisher
auf die stilistischen Unterschiede zu richten, wodurch die Vorzüge
aE&HANU. Neae Reihe XXII. (XXXIY.) Jahrg. 13
190 E. KÖLBING
wie die Schwächen der deutschen Dichtungen in ein neues und helleres
Licht treten würden.
Für welche Gattung von Lesern der Verf. Gottfrieds Einleitung
hervorhebt (p. 23 f.) und sogar Citate daraus abdruckt und weiter die
Schwertleite und die Minnegrotte als sein dichterisches Eigenthum
bezeichnet, ist mir nicht recht klar; das Publicum der Germania dürfte
sich ob dieser geringen Taxierung seines Wissens schwerlich sehr
geschmeichelt fühlen. Brauche ich den daraus gezogenen Schlüssen
gegenüber noch besonders zu betonen, daß ich geradeso wie Heinzel in
seinem Aufsatz in der Ztschr. f. d. A. XIV einzig und allein auf die
Theile des Gedichtes Rücksicht nehmen wollte und konnte, zu denen
sich in den anderen Versionen der Sage Parallelen fanden, und daß
auf sie allein das am Schlüsse ausgesprochene Gesammturtheil sich
bezieht?
Ich will nicht entscheiden, ob Leichtfertigkeit oder Böswillig-
keit Herrn Glöde bei seinen Behauptungen und Argumentationen die
Feder geführt hat. Nur einen Grundirrthum von ihm möchte ich noch
betonen: „Daß Gottfrieds feinfühlige Art der Darstellung und sein
poetischer Sinn überall die Sage übertreffen", worauf Glöde besonderes
Gewicht legt, ist mir nie eingefallen, zu bestreiten. Worauf es mir
vielmehr ankam, war dies. Heinzel ging seinerzeit von der Ansicht
aus, die vielen Unebenheiten, welche die Darstellung der Tristansage in
dem englischen Sir Tristrem aufweist, hätten schon der gemeinsamen
Vorlage des englischen Dichters und Gottfrieds angehört und es sei
dem Letzteren als Verdienst anzurechnen, daß er Bie getilgt habe. Die
Hinzunahme der nordischen Saga lehrt dagegen, daß diese Schwächen
fast ausnahmslos nur dem Sir Tristrem anhaften, während Gottfiried
das Richtige bereits in seiner Quelle fand und somit zu geschmack-
vollen Besserungen keine Veranlassung hatte. Dann erscheint aber
seine ganze Persönlichkeit als Mensch und Dichter in einem erheblich
weniger idealen Lichte, wie nach HeinzeFs Ausführungen. Dies
Ergebniß aber hat Glöde durch seinen Aufsatz nicht im AUermindesten
umgestalten können^).
Um jedoch die Leser dieses Blattes nicht nur mit Wiederholung
von Bekanntem zu langweilen, benütze ich diese Gelegenheit, um auf
eine, bisher, so viel ich sehe, unbeachtet gebliebene Parallele zu einem
interessanten Zuge in Tristans Zweikampf mit Morolt hinzuweisen. Dali
*) Vgl. auch Golthers Urtheil über Glödes Aafsate, Ztschr. f. rom. Phil. XII,
368 »).
ZUB TSI8TANSAQE. 191
derselbe das AbbUd eines skandinavischen Heimgangs ist, haben in
neuester Zeit Sarrazin (Ztschr. f. vergL Litt.*Gtesch., 1. Band, p. 263)
und Golther (Die Sage von Tristan und Isolde^ Mllnchen 1887, p. 24)
mit Recht betont Anf zwei Parallelen dazu innerhalb der englischen
romantischen Dichtung hat £. Adam (Torrent of Portyngale. London
1887, p. 107, Anm. zu V. 1268) hingewiesen: den Kampf zwischen
den Riesen Gate und Torrent und den zwischen Colbrond und Guy
of Warwick; Beide haben vor Allem das Motiv gemeinsam, daß der
Riese es ablehnt, zu Pferde zu kämpfen, weil er zu schwer ist, als
daß ein Reitthier ihn tragen könnte.
Was die Localisierung beider Kämpfe auf einer Insel im Meere
anlangt, so findet sie sich ausdrtlcklich erwähnt in der jüngeren, in
Reimpaaren verfaßten englischen Version des Guy of Warwick (ed.
Zupitza, London 1876/76 = Guy B) v. 10133 f.:
In a place, tohere pey sehUde bee,
Yn an yle wythynne thee 9ee.
Im weiteren Verlaufe des Berichtes freilich wird dies Moment
auffallenderweise gar nicht mehr betont; Guy gelangt an den fest-
gesetzten Platz zu Pferde, v. 10188 fiF.:|
And touHirde the baieU was rydande,
When he into pe place eome,
Of hye stede he lyght anone.
In der älteren Fassung, enthalten in der Auchinleck-Hs. (ed.
TumbuU, Edinburgh 1840 = Guy A) fehlt diese Angabe p. 390 über-
haupt In Sir Torrent werden beide Kämpfer in Booten nach der Insel
übergesetzt, deren Führer dann sofort wieder zurüekkehren; v. 1284 ff.:
Whan sir Torrent in to the üe was brtmght
The shipmen lenger wold tary nought,
But hied hem aone ageyn*
Nach Tödtung des Riesen wird Torrent dann wieder mit dem Boote
abgeholt und an das Festland zurückgebracht.
Dagegen möchte ich aufioierksam machen, auf eine bisher über-
haupt wenig beachtete^) Darstellung des Zweikampfes zwischen Gny
und Colbronde, in Bishop Percy's Folio Manuscript. Edited by Haies
and Fumivall, Vol. II, p. 509 ff., ein Gedicht in der 12 zeiligen
Schweifreimstrophe; dort heißt es v. 202 ff.:
*) A. Tanner, Die Sage ron Qnj von Warwick, Bonn 1877, p. 52 f. erwähnt
diese Fassung ganz kors als enthalten in einem MS.» ,)da8 sich im Besitse Perey*s
befand und wie es scheint (I) raria enthielt* — eine etwas merkwürdige Umschrei-
bung des bekannten Percy Folio liS.
13»
192 £. KÖLBING
Then the gyant loud did crye,
To the hing of Denmarke these words say9 hee:
„Behold & take good heede!
205 Yarider iß an iland in the eea:
From me he can not acape away
Nor passe my hands indeed;
But I shaU either slay him with my brand
Or drowne him in yonder sali strande
210 Fro me he ahaü not scape away.
Then I will with my oume hand
Crowne thee hing of litte England
For euer and for aye>
That was true, as the kmg of Denmarke thought,
215 Comanded 2 barges forth to he brovght,
And either into one was dorn*
The palmer was the first, that ore did passe^
And as soone as hee to the iland come wa^,
Eis bärge there he thrust him from.
220 With his foote and with his hand
He thrusit his borge from the land,
With the water he lett itt goe,
He let itt passe from him dornte the streame.
Then att him the gyant wold freane,
225 Why he wold doe soe,
Then bespake the palmer anon right:
„Hither wee he come for to fght,
Till the tone of vs be slaine:
2 botes brought vs hither
230 And therfo^^e came not both together,
But one will bring vs home*
For thy böte thou hast yonder tyde,
Otter in thy böte I irust to ryde.
And therfore, gyant, be ware!^
235 Trumpetts blew and bade them goe toote^
The one on lurrsbacke, the other on foote^
Bvi Ouy to god was darre.
217 palmer] gyant M». 236 on] om. M».
ZUB TB18TAN8A6E. 193
Za diesem Zuge stimmt inhaltlich ganas genau Sir Tristrem
(Heilbronn 1882) v. 1013 tf.:
Pai seylden into pe toide „Our on schal here (Aide,
Wip her schippea tvo; No he pau neuer eo pro^
Moraunt bond his bieide Twia!
And Trüirem lete hü go; Wheper <mr to liue gOy
Moraunt eeyd pat tide: He hap anou^ of pie.^
j^Trigtrem^ whi dos law sof^
Die genan entsprechende, bekannte SteUe aus Gottfrieds Tristan
(y. 6795 ff.) brauche ich nicht erst auszuschreiben.
Nun geht aber das oben erwähnte strophische Qedicht, welches
diese Zweikampfepisode aus dem Ganzen der Guysage herausgreift,
unzweifelhaft auf eine Quelle zurück, welche mit derjenigen, die dem
Dichter des Guy der Auchinleck-Hs. vorlag, nahe verwandt war; man
vgl. z. B. Guys Gebet vor der Schlacht in beiden Texten:
Guy A V. 9903 (Tumb. p. 391 f.:) Guy and Col. v. 157 ff.:
Lordf seyd Griij pat rered Lazeroun Crist^ that suffered wounds 6
And far man poled passioun And raised Lazams fram deth io
And on pe rode gan hlede, liffe,
Pat saued Sussan from the feloun To (1. Do) grant me speech and stght^
And halp Daniel from pe lyoun^ And saued Danyell the lyons froe^
To day wisse me and rede etc. And borrowed Susanna out ofwoe^
To (1. Do) grant vs sirength and
might etc.
Ähnlich auch Guy B v. 10193 ff.
Aus alledem möchte ich folgern^ daß in der frz. Guydichtung
ursprünglich die Scene so dargesteUt war, wie wir sie in der Fassung
der Percy Fol.-Hs. finden. Die Tendenz eines Abschreibers oder Über-
arbeiters — was bekanntlich oft auf dasselbe herauskommt — ging
nun dahin, die Localisierung dieses Holmganges auf einer Insel zu
beseitigen ; was ftlr eine Erwägung ihn dabei leitete^ ist freilich schwer
zu sagen'). Dabei ließ er jedoch aus Versehen ein Yerspaar stehen*),
') Ein merkwürdiger Parallelfall ist, daß die altnordische Tristramssaga oder
ihre fraosösieehe Vorlage an der betreffenden Stelle dasselbe Moment gestrichen bat ;
▼gl. Zur Überliefening etc. p. XLVII.
') Dergleichen ist in der Qesohichte der Überliefening der franaösisohen Epen
keineswegs unerhört; in der des Partonopens of Blois habe ich einen ähnlichen Fall
nachgewiesen, Oermanistische Studien, herausgegeben von K. Bartsch. 'Zweiter Band,
p. 104.
194 K. BOHNENBERQER
welchem in der jüngeren englischen Übertragung v. 10133 f. (s. o.
p. 191) entsprechen. Ein weiterer Überarbeiter entfernte auch noch
diesen letzten Rest, und eine Hs. dieser ülasse lag dem Verf. von
Guy A vor. Zu ihr gehören — wie ich einer freundlichen Mit-
theilung von O. Winneberger, der uns soeben mit einer dankens-
werthen Arbeit ilber das Handscbriftenverhältniß des frz. Guy erfreut
hat, entnehme — ferner sämmtliche auf uns gekommene frz. Hs.
des Epos.
Ob der frz. Dichter diesen echt skandinavischen Zug von Todes-
verachtung aus der Tristansage entnommen hat oder ob beide aus
einer gemeinschaftlichen Quelle schöpften, bleibt vorläufig eine offene
Frage. Sicherlich wird man hier nicht von „zufllUiger Änlichkeit"
i^prechen können.
BRESLAU, den 18. April 1889. E. KÖLBING.
SCHWÄBISCH e ALS VERTRETER VON a.
Nach den Arbeiten von Franck (Ztschr. f. d. A. 25, 218 ff.)>
Luick (Beiträge 11, 492 ff.) und besonders Kauffmann (Der Vocalism.
d. Schwab, in d. Mundart v. Horb, Marb. Habil.-Schr. 1887), sowie
meinem eigenen Aufsatze (Corresp.-Bl. f. d. Gel. u. Realsch. Württem-
bergs 1887, 502 SS.) bleibt 0 für eine Untersuchung über schwäbisch >
als Vertreter von älterem a noch die Vervollständigung des Materials
und die Einzelerklärung. Dabei mag zuvor daran erinnert sein, daß
vor Nasalen sämmtliche «-Laute gescblossen erscheinen»
Bei Aufführung des Materials ergeben sich nun folgende Kate-
gorien: 1. Plural von Substantiven; 2. Adjective auf tgf, lieh,
erriy er; 3. die Deminutive; 4. die Nomina agentis auf er;
5. schwache Verba; 6. eine Anzahl Nomina, welche zunächst in
keinem näheren Zusammenhange zu stehen scheinen, 7. gewisse Orts-
namen.
Im Einzelnen gilt in Betreff des Plurals der Substantive,
daß, abgesehen vom neutralen Plural auf er und einigen wenigen For-
men mit ursprünglichem Umlaut des a zu ^ (wie Tcreft^ neg/y esp»)^ im
Plural der starken Declination der Übergang des a iu f Kegel
geworden ist. Die Ausnahme verschwinden ganz. £s sind in der
') Httoalers AoffAts in H^ft l d» B. koimte begmAielutr WaiiM ^iobt mtiu be-
rücksichtigt werden.
SCHWÄBISCH Q ALS VfiRTBETER VON ^ 195
Tübinger Gegend: hag (aber in Firn. Plural heg), halfter, bam, marter.
In der schwachen Declination sind die Plurale mit ^ bei Weitem
in der Minderheit^ Begel ist hier die Erhaltung des a. Es weisen f :
lade^) (msc.)i krage, möge, wage, halke.
Die Adjective auf ^^ wie die auf Ivch^ zeigen mehr Bei-
spiele mit a als solche mit f, doch sind die letzteren ebenfalls zahl-
reich. Eine ganz durchgehende Eintheilung ist hier nicht zu gewinnen
weder nach dem Gesichtspunkte der folgenden Laute, noch mit Be-
ziehung auf den Plural der zugehörigen Substantive. Zwar wiegen
unter den Adjectiven mit f solche vor, bei welchen dem Vocale Laute
folgen, welche nach Braune im Oberdeutschen den Umlaut des a auf-
hielten (schwfcMieh^ mfchJtigy nichtig, prechtigj trechiig, h^Uig, dermig,
erschig, hpi^ig, zfrtltch, ffrwig — daneben gchnfbelichy ffdig, teglieh
[kaum volksthttmlich], fschig, teschig, v)(ßerig), aber mehrere unter
diesen zeigen auch a {balkig^ kalkig, halmigj harzig, warzig). Und
mebr&ch fallen zwar die Plurale und die zugehörigen Adjective in
Anwendung oder Nichtanwendung des. Lautwandels zusammen, aber
gegenüber Plural mit f steht: saßig, kragich. Geschlossenes e
haben: kreßig, negelig, gef ellig, eckig, und vor Nasal: schemig, wemsig,
glenzig, schwenzig. Von den Adjectiven Anf-em zeigen ^: flf[ch]8ern,
Wfchsem, von denen auf -er: heller und in Ortsnamen -^cher, hecher.
Die Deminutive, jetzt auslautend auf ^, haben ohne Ausnahme
e-Laut, und zwar haben e die zu kraß, nagel, aap und die zu Sub-
stantiven, welche selbst e zeigen, alle übrigen aber e. Neben negale
(kleiner Nagel) steht nfg9l^ (Nelke).
Bei den Nomina agentis auf er wiegt ^ bei Weitem vor:
rauher, pfchter, wfchter, l^der, scheffer, h^fner, kluger, eeger, schl^ger,
trfger, w^gner, hfUer, ffrwer. Dagegen haben a: lacher, Schnarcher.
Geschlossenes e weisen auf: greber, spelter, Schmelzer, setzer.
Schwache Verba mit f durch die ganze Oonjugation sind:
fmen, ferwen, g^rwen, ^zen, schätzen, schwetzen, h^eren, dazu aus der
starken Conjugation waschen. Im Praesens zeigt fi d^f zu dürfen.
Die Nomina mit f, welche sich nicht unter die schon genannten
Kategorien stellen lassen, sind: fchte (octo), gelochter, dr^k, n^ket,
gesch^, ^lle (omnes), ^Is, kelter, rgw, frw^t (Arbeit), h^b, pf^rd, kfrl,
l^rm, fr(==: ahir), ^mt, mfrre, sch^ets, gfrte, f[r]«cA (= arm:;), spfrwer,
■) Einfachheitshalber sind gewöhnlich die Formeln der Umgangssprache,
mehrfaeh Auch die des mhd. bei Beispielsangabe gesetot und ist nur der in Betracht
kommende Laut in der Dialectform gegeben.
196. K. BOHNENBERGER
€8che, flusch, iesch (sampfige Bodenversenkung, und in maidtesch)^
mfßer, gfter, geschw^tz^ l^tz, VftZy h^weret.
Unter den Ortsnamen erscheint e besonders bei denen auf
'ingen, und zahkeich vor Umlaut aufhaltender Consonanz, wie (mit
Belegen aus dem württembergischen und färstenbergischen Urkunden-
buche): Gfchwgen, H^chingen (Hahingun 786, Hech. 1333), Elchingen
(Neresh.: Alchingen 1140; öünsb.: Alichingen 1234, Elchingin 1220),
MflcMngen (Malechingen 1154), Elfingen (Elv. 1252, Frank.?) N^llingen
(Eßl.: Nall. 12. u. 13. Jh. häufig), N^üingaheim (Nall. c. 1243), Der-
dingen (Tard. 1153, Terd. 1181), Ersingen (Ers. 1194), l^ingen (Ert.
1248), Erz (Arz. und Erz. 1246); durch eine Zwischensilbe vom Suffixe
'ingen getrennt: J^hterdingen (Ahttert. 1226), Sch^lklingen (Schalkel.
1248, Schelkel. 1291), D^llmensingen (Talmezz. 1237), /)frend%en(Tarod.
1098, Tered. c. 1204), Ergenzingen (Argaz. 1228, Ergoz. neben Argoz.
c. 1150), Mfrklingen (Marchel. 861, Merkel. 1275). Vor anderweitiger
Consonanz findet sich e bei ingen: B^sigheim (Basenkain 1231, Frank.?),
Ditzingen (Däz. 1263), Hedelfingen (Hadelv. und Haedelv. 1246), Pf^f-
fingen (Pfaff. c. 1243, PfeflF. 1229), Rexingm (Ragges. 1150, Rachs.
1228). Vor der Silbe -m zeigen ^: Ellenweiler (Aglinsw. 1245), Mecken-
hev/ren (Mechinburren 1155). Dazu kommen sonst noch: Sperwerseck
(Sparewarisegge c. 1050, Sperw. 1192), Hfslachy Vfsperweiler (Vasburw.
1150). Mit e vor Nasal scheinen erst in der Zeit des f-Umlauts (s. u.)
umgelautet zu sein: Emerkingen (Anemarch. 1241), Gemingheim (Gamer-
tinch. 1150, Frank.?), Memmingen (Manm. 1223, Memm. 1247), Schtoen-
ningen (Suuan. 1225, Swenn. 1212), Entringen (Anthr. 1240, Enthr.
1245), Benzingen (Banz. 1237). Vollständig ist diese Zusammenstellung
nicht, da mehrfach die Etymologie unsicher, oder die Aussprache des
Namens mir unbekannt ist. Von den Personennamen muß wohl
abgesehen werden. Als Vornamen sind sie verschwunden, und ihre
Verwendung als Geschlechtsnamen zu verfolgen, würde zu weit führen.
Handelt es sich nun darum zu bestimmen, wann der in den
angeführten Beispielen zu Tage tretende Lautwandel sich vollzog,
so ist zu beachten, daß sich vielfach darunter Formen mit einer
Lautfolge finden, welche nach Braune im Oberdeutschen den Umlaut
bis ins 12. oder 13. Jahrb. aufhielt. Da nun nicht anzunehmen ist,
daß diese Beispiele zunächst in e umlauteten und dann in e zurück-
gingen, so wird für diese wenigstens der Wandel des a in f ins 12.
und 13. Jahrh. zu setzen sein. Das Gleiche ergibt sieh aber auch für
die aufgeführten Ortsnamen auf -ingen. Berechnet man durch Schluß
aus den folgenden, bezw. vorangehenden Jahren sämmtliche, ftr die
1150 . .
. . 14
1160 . .
. . 11
1170 . .
. . 11
1180 . .
. . 11
1190 . .
. . 11
1200 . .
. . 11
a
«
. . . 11
5
. . . 11
7
. . . 8
7
. . . 5
11
. . . 1
12
SCHWÄBISCH ^ ALS VERTRETER VON a. 197
einzelnen Jahrzehnte nachzuweisenden Formen, so ist auf die Jahre
1150—1260 das Ergebniß folgendes:
a e
1 1210
1 1220
1 1230
2 1240
3 1260
4
Weiter, als es geschehen ist, kann die Zasammenstellnng nicht
geführt werden^ da das württembergische Urkundenbuch mit 1252 ab-
bricht.
Für alle übrigen Formen mit f im Einzelnen die Zeit des Laut-
wandels nachzuweisen, wäre sehr schwierig und durch mancherlisi
Voraussetzungen bedingt. Gelingt es aber darzuthun, daß die ganze
Erscheinung eine einheitliche ist, so ist mit der Zeitbestimmung eines
Theils der Formen auch die der übrigen gegeben. — Doch lassen sich
noch einige allgemeine Gesichtspunkte beiziehen. Die neutralen Plurale
auf -er zeigen stets geschlossenes e. Haben wir es nun, wie sich unten
zeigen wird, bei dem Übergange von a zu f ebenfalls mit einem
Umlaute zu thun, so ist kaum anzunehmen, daß beide Arten des-
selben gleichzeitig neben einander her gingen. Dürfen wir somit den
Übergang in f nicht zu weit hinaufsetzen, so kommt dazu, dafi das
aus a entstandene e, wo es gedehnt ^ ist, sich unterscheidet von dem
alten, bezw. durch Brechung entstandenen e, sofern ersteres als f,
letzteres als fa (^) erscheint. Somit mußte 'S sich schon zu fa hin
entwickelt haben, als a in f gewandelt wurde. Auf der anderen Seite
liegt aber auch ein Qrund vor, nicht zu weit herabzugehen. Es konnte
das unbetonte i noch nicht ganz mit e zusammengefallen sein, wenn
es noch in specifischer Weise auf die vorhergehenden Laute wirken
sollte. Nun ist i nach Behaghel*) (z. Frage n. einer mhd. Schriftspr.,
in Basler Festschrift fiir Heidelberg p. 48) zum Mindesten tief ins
13. Jahrb. hinein erbalten. Unter dem Schutze des nachfolgenden
') Im schwäbiflcheii Neckargebiete von Tübingen an abwärts ist die alte Kürze
nur erhalten vor Geminata, Affiricata (and deren Vertreter ch)y sonstiger Doppel-
consonans außer ^, m, rtj rst (dafür rsch\ rty r;^, rss, weiter snm Mindesten in einem
Theile des Gebietes auch yor <, p (fpae = ebehöUj lenis vor h zu fortis) — k findet
sich nicht nach ursprünglicher Kürze.
^ Wozu übrigens zu bemerken ist, daß im Schwäbischen t heute noch nicht
irrationaler Vocal (») geworden, sondern als e erhalten ist.
198 K. BOHNENBEKGER
ConsoDanten ist auch i bis heute noch erhalten im Adjectiv auf -ig*
Aber wir werden bei Erklärung des Lautwandels zu f auch die An-
Setzung des Einflusses selbst von auslautend i (z. B. in der t-Decl.)
nicht entbehren können. — Diese allgemeine Umgrenzung stimmt zu
der oben gegebenen Zeitbestimmung«
Was aber die Frage nach der Art und dem Grunde dieses
Lautwandels betrifft^ so hat Eau£Fmann denselben als späteren, vom
ersten geschiedenen Umlaut bezeichnet Daß es sich um einen Um-
laut handelt, ist für die Formen, welche unter Braunes oberdeutsches
Umlautgesetz fallen, schon gegeben, und daß dieser Umlaut vom
ersten geschieden ist, geht aus der oben gegebenen Zeitbestimmung
hervor. Somit ist Grund genug vorhanden, von Eaufimanns Bestim-
mung aus die Einzelerklärung zu versuchen« Aber dabei genfigt es
dann nicht, die ganze Erscheinung direct aus der immer größer
werdenden Unsicherheit und aus Analogiebildung zu den entsprechen-
den ursprünglich umgelauteten Formen abzuleiten. Damit ließe sich
nicht verstehen, warum f und nicht e auftritt. Bei organischer Ent-
wicklung liegt wohl f auf dem Wege von a zu e, für Analogiebildung
aber ist (? ein eigener, von e geschiedener Laut. — Nun bilden das
nöthige Mittelglied für die meisten der in Betracht kommenden Er-
scheinungen die Formen mit ursprünglich i nach Umlaut aufhaltender
Consonanz«
Im Einzelnen ist so für die Plurale der starken Declina-
tion mit e auszugehe|n von Formen wie mhd.: bctche^ nahte, halge.
Die hier im 12. und 13. Jahrb. durchdringende Palatalisierung ist
wegen des Widerstandes der Consonanz nur bis e gegangen. Sind
aber hiemit einmal einige Formen mit ^ erklärt, so lassen sich die
übrigen als Analogiebildungen zu diesen ansehen, zumal eine Differen-
zierung im Stammvocal gegenüber dem Singular wünschenswerth
wurde, als die unterscheidende Endung schwand (vgl. Eaufimaan,
§. 12 An.) Daher blieben nur wenig gebrauchte Plurale zurück. Von
der starken Declination aus ist der Umlaut durch Analogie auch in
die schwache eingeführt worden. Dabei bleibt offen, wie frtihe die
einzelnen Formen der Analogie unterlagen. Die Bewegung kann noch
in Zukunft weiter gehen. Die oben gegebene Zeitbestimmung ist also
für die Plurale nur als terminus a quo anzusehen.
Die Erklärung des f in den Adjectiven aufi^ scheint inso-
fern schwieriger, als in der ersten Umlautzeit im Allgemeinen auch
ohne Umlaut hindernde Consonanz der Umlaut unterblieb. Aber, wie
oben aufgeführt, gibt es doch auch Formen, welche seit der ersten
SCHWÄBISCH Q ALS VRHTRETEB VON tu 199
Umlaatzeit Umlaut seigen, oder bei denen dieser wenigstens ans dem
geschlossenen e folgt. Und zwar geht aus den Beispielen hervor, daß
oberdeutsch die Adjective auf ig in der ersten Umlautsseit umgelautet
wurden, wenn ihnen ganz oder in der Mehrheit ihrer Formen um-
gelautete Substantive zur Seite standen. Als dann vor Umlaut auf-
haltender Consonanz im Plural Umlaut zu f eintrat, wurden die zu-
gehörigen Adjective mitumgelautet Daher wiegen gerade diese unter
denen mit f vor. Weiterhin vollzog sich die Ausdehnung auf die
übrigen Adjective auf ig in Analogiebildung. Wie bort : b^ig^ so
Schnabel : schtifMig, und vor Nasal glänz : glenzig. So l&ßt sieh dieser
Umlaut im Adjective analog dem der Substantive erklären und Ein-
fluß des Zwischenvocals braucht nicht angenommen zu werden, wenn
auch zuzugeben ist, daß bei Beispielen wie schn^elig, Wffierig darauf
zurtlckg^riffen werden könnte (so Elauffinann, §. 12, Anm. fOr das
Deminut.). Aus dem Wechsel von Suffix ich = ig mit H erklärt
sich, daß auch nacket umgelautet wurde zu n^k9L
Ganz das bisher Gesagte gilt auch von den Adjectiven auf
Uch. An sehw^ckUch schließen sich die übrigen mit ff an. Über die
Adjective auf -em läßt sich wegen der geringen Zahl der Beispiele
nicht mit voller Bestimmtheit urtheilen. Die beiden ^f[ch]«e»*n, wächsern
zeigen f vor Umlaut aufhaltender Consonanz. Hier sei auch über die
Adjective auf -en^ schwäbisch -0, mhd. in^ obwohl sich unter den*
selben keine Formen mit f finden, bemerkt, daß der Umlaut bei ihnen
nicht weit durchgedrungen zu sein scheint und jetzt offenbar zurück-
geht. Ohne Umlaut erscheint stets tanneiif in Tübinger Oegend vor-
herrschend bouchen, neben fspen h&ufiger aspen, neben hihen mehrfach
hölzern, nur eschen ist allgemein gehalten durch die Substantivform
esehe. Über die Adjective auf -er s. bei den Substantiven gleicher
Endung.
Den gleichen Weg, wie bei den bisher erklärten Formen, hat
der Umlaut zu ^ wohl auch bei den Deminutivis gemacht. Auch
hier haben wir hreftUy n^U, eckte, esple und dann vor ch als Aus-
gangspunkt lür die übrige Bewegung mit e buchte. Nur ist für die
Deminutiva aus dem Sprachschätze des mhd. noch weniger zu ersehen,
da in diesem überhaupt wenig Deminutiva enthalten sind. Will man
den Umlaut zu e bei den Deminutiven auf einen Mittelvocal zurück-
führen, so stößt man bei Erklärung des Unterschiedes zwischen
kreßle und neg^' einerseits und bfchle anderseits auf Schwierigkeiten'
Die Form n^g^le (Nelke) zeigt gegenüber negdle den jüngeren Umlaut.
und erweist sich damit auch als jüngere Bildung, wobei aber auf-*
2ÖÖ K. BOHNENBERGER
fallend bleibt, daß im gleichen* Worte eine solche neben der älteren
soll aufgekommen sein.
Verwickelter wird die Frage bei den Nomina agentis auf
-eTj alt ari. Es stehen hier wohl auch neben Verbis mit e Nomina
mit solchem, wie decker, speüer, Schmelzer, setzet, aber man kann doch
fragen, ob die wenigen Beispiele mit Umlaut aufhaltender Consonanz
und offenem e {gerher, f^rwer) für sich allein den Ausgang zur allge-
meinen Umlautsbewegung zu f gegeben haben. Es empfiehlt sich hier
auch die Bildungen mit anderweitigen Vocalen beizuziehen, welche
von umgelauteten Verben abgeleitet sind und denen Substantive mit
umgelautetem Plurale und Singular ohne Umlaut zur Seite stehen,
wie flötzer : flotz : flötze, träumer : ti*aum : träume* Waren nun einmal
die Plurale h^fen und tofgen gebildet, so entstehen die Reihen hffner :
hafen : hffen, wfgner : wagm : wfgen. Dann folgten die ttbrigen nach,
auch die, welchen kein umgelauteter Plural zur Seite stand, wie
m^cher, schwer. Die zurückgebliebenen lacher und Schnarcher sind
wenig gebraucht. Bei anderweitigen Vocalen außer a, bei welchen
der Umlaut im Plural nicht so weit ausgedehnt ist, finden sich auch
Bildungen auf -er ohne Umlaut in verhältnißmäßig größerer Zahl. —
An die Substantive mögen sich die Adjective auf -er anreihen. Hier
findet sich aus der Zeit des Umlautes zu e stetter als Ableitung von
Ortsnamen auf -steti, -stetim (nicht auf -stat). Somit ist hier der Um-
laut nicht erst durch das Suffix -er gewirkt. Nach Analogie dieser
Derivate von alten Ortsnamen werden nun auch solche von neuen
gebildet: Weilrst^r (Weil der Stadt) gebildet, wie Mögstetr (Mggstet
= Magstadt). Als dann in der zweiten Umlautszeit vor dem Suffix
-er der Nomina agentis Umlaut zu f eintrat, bildete man von Orts-
namen auf -ach, -back die Derivate auf fcher, bfcher. Bei anderen
Vocalen tritt der Umlaut auf in -Äg/r (-hof), -derfr (-dorf), -aer (-au),
-h^isr (-hausen). Seit die Endsilbe der Ortsnamen verflüchtigt ist,
sind keine Neubildungen dieser Art mehr möglich, darüber sind auch
alte Bildungen mehrfach verloren gegangen, und wo bei erhaltenem
Vocal der Schluß silbe neue Derivate auf -er gebildet werden, fehlt
ihnen vielfach der Umlaut. — Hierher gehört auch hfüei\ bei dem aber
fraglich bleibt, ob es als selbständige schwäbische Bildung anzusehen,
oder aus dem Fränkiscken überkommen ist. — EIndlich schließt sich
noch an das Substantiv spfnoer (§pfrwl) gegenüber älterem spanocere^
welches dem Umlaut der Nomina agentis und der Adjective auf er
sich angeschlossen hat.
SCHWÄBISCH Q ALS VERTRETER VON a. SOI
unter den schwachen Verben eeigt der größere Theil derer
mit omlaatAufhaltender Gonsonantenfolge dennoch e and muß also in
Zasammenhang mit der ersten Umlautszeit umgelantet sein : verkeUm,
9peUen, «cAme&an, scherfenf sterken, verderben. Zurückgeblieben sind in
der ersten Zeit nnd leigen f nach der oben gegebenen Zosammen-
stellong je eines mit rf und m, dann swei mit rw^ wie auch nach
ArauBC rw den Umlaut ganz besonders aufhielt. Als späte Bildung
erklärt sich hfweren : hawer =^ffrwen :farto[Q]. Aber auffallend bleiben
die Verba mit f vor s und bcK Sie scheinen überhaupt die einsig
gebräuchlichen zu sein, in welchen diese Consonanten auf ursprünglich
a folgen. Ihnen gegenüber ist die Menge der übrigen schwachen Verba
zurückgeblieben und hat a erhalten. So kann man, zumal noch eine
Anzahl Substantive mit f vor seh hinzukommen und waaehen zur
starken Conjugation gehurt^ an Einfluß der dentalen Consonanten
denken. Aber dem steht wieder das methodische Bedenken gegen-
über, daß sonst dieser Lautwandel zu f stets auf vocalischen Einfluß
zurückzuführen ist.
Erproben muß sich die bisher angewandte Erklärungsweise an
dem Reste der Nomina^ Nun finden sich unter diesen wie unter den
Verben eine ziemliche Anzahl Formen mit e, also älterem Umlaute^
trotz umlautaufhaltender Consonantenfolge. Es sind dies außer den
Abstracten auf alt i (s. Braune, Beitr. 4, 555) erb[e]f msc. und
ntr.y der Positiv hert, sämmtliche Comparative und Superlative
und mit letzteren auch hsrbd. Dagegen haben vor ursprünglich umlaut-
aufhaltender Consonanz organisch gewirkten Umlaut zu f : fchte (oeto,
nach Kauffmann,, Beitr. 13, 394 neutr. plur., jedenfalls nicht zurück-
zuführen auf msc. mit % wie nbuni, weil das i des Nom. plur. der
t-DecL als kurz im schwäbischen abgefallen ist, z. B. gest^ das erhaltene
e im Auslaut aber frühere Länge oder früheren Diphthong voraus-
setzt), zw^l, Jifrby frnty mfrr, gfrte, f[r]«cA, wobei in dvxibila und
mariha einfaches h und r in der ersten Umlautszeit den Umlaut auf-
gehalten haben. In Analogiebildung schlössen sich an mit r + Cons.
kfrl (zugleich auch unter dem Einflüsse des Deminutivs), und frwH
(lautend wie h^w9r9t). Wenn weiter in sämmtlichen Formen von at,
auch in ah f erscheint, so mag der Umlaut hier vom Neutr. plur.
ausgegangen sein (Eauffinann, Voc. §. 12), wie bei ^chte. Solche Aus-
breitung ist wohl denkbar in einer Zeit, in der sich ^ weit aus-
dehnte. Bei Iftz^ fftz kann die inlautende Affricata nach Vocal als
aus doppelter Fortis verschoben auf geminierendes i hinweisen,, und
dann hat z^ wie im Verbum, so auch in diesen Nomina den Umlaut
202 K, BOHNENBERGER, SCHWÄBISCH ^ ALS VERTRETER VON a.
KU e gehindert. Aber nachzuweisen sind keine Formen mit zu Tage
tretendem i. Über die Substantive mit folgendem seh^ s. oben
beim Verbum. Das etwa mit a übrig bleibende masehe ist nicht volks-
thttmlich {AsL&ir Schlaufe). Auch bei m^ßer ist das Ausbleiben des Um-
lautes in der ersten Umlaatszeit höchst merkwürdig. Sollte das Wort
in alter Zeit im schwäbischen nicht yolksthümlich gewesen sein, oder
ist von der bei Kluge Wb. angeführten Form maa-sahs auszugehen und
der f-Laut später aus dem Fränkischen herübergenommen? Bm dreck
fehlt noch sichere Bestimmung der germ. Form. Wird g^f wie das
schriftdeutsche Gitter auf gegater zurückgeführt^ so ist damit noch
nicht alles erklärt. Die alten neutralen coUectiven ^a-Stämme mit
Praefix ge- zeigen regelrechten Umlaut zu ei grfejlj geheg, geheck.
Somit muü gfter eine Form jüngerer Bildung sein« Mit Umlaut auf-
haltender Consonanz und Umlaut zu f gegenüber einer Grundform
ohne Umlaut gibt es aber keine völlig gleichartige Bildung; nur das
ähnliche gdfchter^ in welchem die Länge des Vocals vor ch beweist,
daß dies = germ. h und die Form alt ist. Will man diese einzige
und nicht einmal ganz gleichartige Form nicht als Anlaß zur Analogie-
bildung ansehen, so kann man aber auch weiter ausholen und davon
ausgehen, daß bald f und nicht mehr e dem Bewußtsein als Umlaut
von a erscheinen mußte, als einmal der Umlaut zu f sich ausgedehnt
hatte. Denn die Bildungen mit e lagen äußerlich betrachtet so weit
ab von den zu Grunde liegenden Formen mit a, daß deren Zusammen-
gehörigkeit viel weniger nahe lag, als der Wandel von a zu f. Nun
konnte der Umlaut anderweitiger neutraler CoUective mit Praefix ge-
veranlassen, daß das CoUectiv zu gater mit dem damals als Umlaut
zu a geltenden f gebildet wurde. Dem läßt sich anreihen geschtv^z zu
swazj welches aber sein f auch unter dem Einfluß des zugehörigen
Verbums erhalten haben kann, wie hfw9r9t. Nicht volksthümlich ist
^ = ahd. ahir {wo&ir feaSy kolbey kife) und gesch^fU Über sp^noer
und h^ier s. oben bei den Nomina agentis, über nqcket bei den Ad-
jectiven auf ig. Unter den Fremdwörtern geht k^Uer zurück auf kaher^
und es wird wohl die Endung er Anlaß zu Umlaut aus Analogie
gegeben haben. Bei pf^d erklärt sich die Erhaltung des a in der
ersten Umlautszeit, wenn das Wort erst im 8. Jahrh. entlehnt wurde
(Kluge, Wb.) und als Fremdwort zunächst dem Umlaut widerstand.
Das Gleiche wird gelten für kr^ = mhd. krcUte (Korb), wofür übrigens
in Tübingen heute noch kratt In rfps muß das i der Form raptc[iumj
den Umlaut veranlaßt haben. Dies bleibt aber auffallend, wenn das
FRANZ. KRATOCHWIL, ÜBER DEN QEQEKWÄRTIQEN STAND «tc 203
Wort, wie Kluge will, erst nhd. entlehnt ist. Für l^rm ist vorans-
zusetzen lerman aus aUerman.
Einfacher liegt die Sache zum Schluß wieder bei den Orts-
namen. Die mit Umlaut aufhaltender Consonanz vor i, sowie Spfr-
werseek sind durch das bisherige erklärt. Bei Hfdelfingen, Bingen ist
in der ersten Umlautszeit der Umlaut durch die dazwischen liegende
Silbe aufgehalten, wobei dahingestellt sein mag, ob bei solchen Formen
der Umlaut ein organischer ist, oder durch Analogie gewirkt. Nöthig
ist die erstere Auffassungsweise nicht. Für B^sigheim könnte d anzu-
setzen sein, in Pf^ßngen wurde das a zunächst noch gehalten, weil
pfaffo als Bestandtheil deutlich zu Tage lag. Der gleiche Grund mag
für Afemmingen, Sehwenningen gelten. In Ditzingen hat wie auch sonst
z in der ersten Umlautszeit den Umlaut aufgehalten. Bei Hfslich er-
scheint der Umlaut vor der Endung ich = aeh = ahiy wie auch
sonst in jüngerer Zeit (z. B. Heckich = stockach). V^spertveiler ver-
dankt seinen Umlaut erklärender Umbildung.
TÜBINGEN, 13. December 1888. K. BOHNENBERQER.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER
SUCHEN WIRT - HANDSCHRIFTEN-
Mit zwein großen, bisher unbekannten Ergänzungen zu Suchenwirts Gedichten.
Seit Jahren war ich bemüht^ die in verschiedenen Bücher-
sammlungen zerstreuten Suchenwirt-Handschriften kennen zu lernen,
zu beschreiben und kritisch zu vergleichen, um so eine breite Basis
für eine möglichst vollständige, kritische Ausgabe der Gedichte
Suchenwirts zu schaffen. Daß ich bei diesem Streben nicht wenig
auf das Wohlwollen der Bibliotheksverwaltungen angewiesen war,
leuchtet ein; ich bin in der angenehmen Lage, berichten zu können,
daß ich freundliches Entgegenkommen nahezu überall, wo ich anklopfte,
gefunden habe. Ich danke hiefür öffentlich auf das Wärmste, besonders
dem Vorstande der kaiserlichen Hofbibliothek in Wien, Herrn Hof-
rath Dr. Ernst Ritter von Birk, und dem Scriptor daselbst, Herrn
Dr. A. Göldlin von Tiefenau, dem Herrn Dr. G. E. Friess, Pro-
fessor am Gymnasium des Benedictinerstiftes Seitenstetten, dem hoch-
würdigen Herrn P. Florian Schininger, Vorstand der Cistercienser-
abtei Schlierbach], dem Herrn Bibliothekar des Benedictinerstifte
204 FBANZ KRATOCHWIL
Eremsmünster; P. HugoSchmid, dem geehrten VerwaltunggausBchasse
des Böhmischen Museums in Prag, dem Qeheimen Hofrath Professor
Dr. W. Pertsch; Oberbibliothekar der herzoglichen öffentlichen Biblio-
thek zu Gotha, und Herrn Dr. Bender, Vorstand der Universitäts-
bibliothek zu Heidelberg [lange todt. 0. B.]. Den ehemaligen Ober-
bibliothekar der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden, Ge-
heimen Hofrath Professor Dr. E. W. Förstemann erreichen meine
Dankesworte nicht mehr im Amte, der frühere Director der königlichen
Hof- und Staatsbibliothek zu München^ Professor Dr. Karl Halm
vernimmt sie gar nicht
Auch allen Freunden und Bekannten, die mich in irgend einer
Weise gefördert haben, danke ich hiemit bestens, besonders den
Herren Universitätsprofessoren Dr. Richard Heinzel in Wien, Dr.
Hermann Paul in Freiburg im Breisgau und Dr. E. A. Barack,
Oberbibliothekar der Universitäts- und Landesbiblioth'ek zu Straßburg.
Es würde mich freuen, wenn durch die Veröffentlichung dieser
Arbeit eine Anregung gegeben würde, den Spuren Suchen wirtischer
Gedichte nachzugehen und etwa gefundene auf dem kürzesten Wege
bekannt zu machen. Ich glaube, es ließe sich^ besonders in Miscellan-
bandschriften, hie und da noch etwas finden. So habe ich erst jüngst,
freilich für diese Untersuchung zu spät, aus den Beiträgen zur Quellen-
kunde der altdeutschen Literatur von E. Bartsch ersehen, daß trotz
fleißiger Suche mir doch zwei Recensionen iSuchenwirtischer Gedichte
entgangen sind.
WIEN, im Juli 1888.
1. Handschriften.
L A.
Aus Katalogen und durch zahlreiche Anfragen auf verschiedenen
Bibliotheken sind mir einundzwanzig Handschriften, welche Gedichte
Suchen wirts enthalten, bekannt geworden. Die bedeutendste von
allen ist A, eine Papierhandschrift der k. k. Hofbibliothek in Wien,
Nr. 13045, 8^ Durch den erst in neuester Zeit erfolgten Einband
(rother Juchten, im Geschmacke des 14. Jahrhunderts gepreßt, mit
schön bronzierten stilvollen Schließen, auf dem Rücken mit Gold-
buchstaben „Peter Suchenwirt"} erhält die Handschrift ein quart-
förmiges Aussehen. Die drei leeren Blätter nach dem vorderen sowie
vor dem rückwärtigen Deckel sind eine Zuthat des außerordentlich
geschickten (bereits verstorbenen) Buchbinders Fr. Kraus s in Wien;
er hat es auch verstanden, die stellenweise an den Blattenden sehr
abgegriffene und ausgefranste Handschrift aufs Beste zu reparieren.
ÜBER D£N GEGBNWiBTIQEN STAND DER SUCHENWIBT-HSS. 205
Die Handschrift selbst besteht aus zweihundertzweiundfünfzig
Blättern. Die mit Blei angebrachte fortlaufende Paginierung ist bis
pag. 48 richtig, da aber die nächste Seite auch mit 48 bezeichnet
ist, so ist von hier an jede Zahl um eins zu niedrig. Um einerseits
den Fehler auszugleichen , anderseits aber nicht in dauernden Wider-
spruch mit der nun einmal vorhandenen Zählung zu gerathen, citiere
ich in der Folge 48* und 48^. Die Paginierung stammt aus unserer
Zeit; jedenfalls war sie schon vorgenommen, bevor die Handschrift
gebunden wurde; denn dadurch wurden die Zahlen von 421 ab mehr
oder minder weggeschnitten. Höchst wahrscheinlich rtthrt sie von Alois
Primi sser^) her, gewesenem Custos des k. k. Münz- und Antiken-
cabinetes und der k. k. Ambrasersammlung zu Wien; dafür spricht
auch, daß sie nur bis Seite 483 (richtig 484) reicht, denn Seite 1 bis
483 bringen ausschließlich Suchenwirtische Gedichte. Sie sind schon
1827 in seiner bekannten Ausgabe der Werke Peter Suchenwirts ver-
öffentlicht worden, jedoch abweichend von der in der Handschrift
eingehaltenen Aufeinanderfolge. Diese zu kennen, ist aber aus meh-
reren Gründen nöthig; sie ist aus nachstehender Tabelle ersichtlich.
Irl
Pri-
missers
Zählung
Von Seite ... der
Handschrift bis
Seite ...
Überschriften
der Gedichte
Geschrieben vom
1
1, Z. 1—7
Titel fehlt
2
I
1,Z.8— 9,ZaO
Von ChÄnik Indwig von
Ungerlant
3
n
9, Z. 11—12,
Z. 20
Von der Kayserin von Payrn
1. Schreiber
4
xxni
12, Z. 21 — 17,
Z. 12
Ein red von der Minne
5
IX
17, Z. 13—27,
Z. 24
Di von Elrwach vö hn
puppli
6
XLV
28 bis Ende der-
Ein red von habscher lug
7
XXIV
selben Seite
29, Z. 1—42,
Z. 12
Die Minne vor Gericht
NB. Der Titel stammt von P
2. Schreiber
8
XI
42, Z. 13—54,
Z. 10
Von Graff vlreich von Phfan-
berg
•) Dafür sowie für seine Suchenwirt-Ausgabe steht im Nachfolgenden gewöhn-
lich F.
GGBHAMIA. Neue Reihe. XXU. (XXXIV.) Jahrg. 14
206
FBANZ KRATOCHWn.
15
Pri-
missers
Zählung
Von Seite ... der
Handschrift bis
Seite . . .
Überschriften
der Gedichte
Geschrieben ▼om
9
X
54, Z. 11—64,
Von h'n pappily von EIrwach
10
XII
Z. 19
64, Z. 20—70,
Z. 19
NB. Zweite Bede
Von her herdegen yon
PetAw
2. Schreiber
11^)
—
70, Z. 20—80,
Von h'm vlreich yon wallsse
12
ra
Z. 18
80, Z. 19—89,
Z. 14
NB. Erste Fassung
Von h'tzog Albrecbt vo
Ostereich (H. f)
3. Schreiber
13
xm
89, Z. 15—99,
Z. 3
Von hn vir von walse
NB. Zweite Fassung
4. Schreiber
14
XIV
99, Z. 4—114,
Z. 3
Von h'm fridreichen dem
Chreuzzpekch
15
vu
114, Z. 4—124,
Z. 13
yon par^ Albrechten yon
Numberch
5. Schreiber
16
VI
124, Z. 14—134,
Z. 7
von kemden h^ezog hain-
reich
17
XXI
134, Z. 8-142,
Die reD haist D' brief
1 6. Schreiber |
1
Z. 20
18
XXV
143, Z. 1 — 166,
Z. 22
Die schon abeutewr
7. Schreiber
19
XXVI
167, Z. 1—159,
Z. 16
Daz geiaiD
20
xxvu
159, Z. 17—163,
Z. 14
D^ Rat von Dem yngelt
8. Schreiber
21
XV
163, Z. 15—171,
Z. 26
yon Lentolten yon Stadekk
22
vra
171, Z. 26—182,
Z. 5
Vö her pyrcharten eller-
back Dem alten
1
i 9. Schreiber .
1) Den Text dieses Gedichtes begleitet am linken Rande der Handschrift eine
mit Blei angebrachte Verszählung (von fünf zu fünf Versen). Sie stammt wahr-
scheinlich yon derselben Hand wie die Paginierung und findet sich auch in Nr. 14,
17, 20, 21, 24, 26, 27, 81, 35, 89 und 44.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 207
ps
Pri-
Von Seite ... der
in
missers
Zählung
Handschrift bis
Seite ...
Überschriften
der Gedichte
Geschrieben vom
23
XXVIII
182,
Z. 6—193,
Z. 28
die haist d^ widertail
24
XVI
193,
Z. 29—203,
Z. 20
von Graff vlreicben von
Tzili
25
XXIX
203,
Z. 21—213,
Z. 16
Von Dem phenig
10. Schreiber
26
XXX
213,
Z. 17—223,
Z. 20
Von D<^ mynn slaff
27
XVU
223,
Z. 21—231,
Von hern Pridreichen von
Z. 25
lochen
28
XXXI
232,
Z. 1—241,
Z. 20
Das ist Di verlegenbait
11. Schreiber
29
XXXIX
242,
Z. 1—252,
Z. 20
Daz sind Di tzehen gepot
12. Schreiber
30
XXXTT
253,
Z. 1—255,
Z. 20
Daz ist Di geitichait
31
XXXUI
256,
Z. 1 — 262,
Z. 10
Daz ist Der getrew rat
13. Schreiber
32
XIX
262,
Z. 11 — 266,
Z. 15
Daz ist Di red vom Teicbner
33
IV
267,
Z. 1 — 299,
Z. 7
Von ff tzog Albr» Ritterschaft
14. Schreiber
34
XXXIV
299,
Z. 8—305,
Z. 7
Von Der forsten tailung
15. Schreiber
35
xvm
305,
Z, 8-330,
Z. 12
Vonh^n Hansen Dem Trawn^
16. Schreiber
36
XTi
330,
Z. 13—342,
Z. 9^)
Daz sint Die fyben tod siind
17. Schreiber
') S. 348, Z. 10—343 Ende unbeschrieben.
14*
208
FRANZ KSATOCHWIL
Pri-
missers
Zfthlong
Von Seite ... der
Handschrift bis
Seite ...
1
Überschriften aescbrieben vom
der Gedichte
37
XLI
344,
Z. 1-418,
Z. 7')
Die siben frewd Mariae
NB. Vgl. S. 209.
18. Schreiber .
38
XTJI
420,
Z. 1—428,
Z. 4
Die red von Dem Jüngsten
gencht
39
XXXV
428,
Z. 5—482,
Z. 24
Von Zwain Päbsten
40
XXII
433,
Z. 1—442,
Z. 14
Die reD haizst D' new rat
41
xLin
442,
Z. 15—445,
Die reD haizzt Df frdmD sin
42
XLIV
445,
Z. 17
Z. 18—450,
Z. 21
Die reD ist Equinocnm
19. Schreiber
43
XXXVI
451,
Z. 1—454,
Z. 21
Die reD* haizzt D' vmbchert
wagn
44
XXXVII
455,
Z. 1—460,
Z. 3
Von Der färstn chneg vnD
von Des reiches stetfi
45
xxxvni
460^
Z. 4—477,
Z. 4
Daz sinD aristotiles r£t
46
V
477,
Z. 5—483,
Von h'rtzog albo seligen in
1
Z. 9
6st*reich
1 20. Schreiber
Der Raum nach der 9. Zeile auf Seite 483 ist unbeschrieben,
ebenso die nächsten 15 Seiten (vgl. S. 230) ; dann folgt auf zwein Seiten
ein Tob^assegen'), die letzten drei der Handschrift selbst ange-
hOrigen Seiten sind hie und da mit bereits abgeblaßten Wörtern be-
kritzelt.
Die Schrift des Tobiassegens stammt wohl noch aus dem
15. Jahrhunderte, jedenfalls ist sie jünger als die von A. Volumen
') S. 418, Z. 8—419 Ende unbeschrieben.
') Er ist mit keiner der beiden in der Ztschr. f. d. Alt, 24. Bd. (1880), S. 182 ff.
tnitgetheilten Fassungen identisch, doch zeigt er mit V. 1 — 50 des ersten dort ange-
führten Segens einige Ähnlichkeit.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 209
VII. (erschienen 1875) der Tabulae codieum manu scriptorum
praeter graecos et Orientale» in bibliotheka palatina vindobonensi
asservatorum setzt (pag. 180) ganz allgemein A in das 15. Jahr-
hundert; ich möchte die Handschrift dem Ende des 14. oder
doch spätestens dem Anfange des 15. Jahrhandertes zu-
weisen.
Freilich ist die Schrift in A nicht eine durchgehend gleich-
mäßige: es haben eben mehrere Hände daran gearbeitet. Für den in
einer Columne mit abgesetzten*) Versen — ihre Zahl ist auf keiner
Seite höher als dreißig und sinkt^ wenn man von den in der Tabelle
Nr, 36, 37 und 46 berührten Fällen absieht, nur selten bis fünfzehn
— gegebenen Text der Gedichte wurde ausschließlich schwarze Tinte
verwendet^ nur in Nr. 41 sind die vier letzten Zeilen mit rother
Tinte geschrieben. Roth sind auch die Überschriften der Gedichte
bis auf Nr. 23, deren Titel schwarz ist. Bei drein Gedichten fehlen
die Überschriften: bei IJr. 1 und 7 wegen Lückenhaftigkeit der
Handschrift, bei Nr. 37 durch den Schreiber, welcher den für den
Titel auf S. 343 reichlich vorhandenen Raum zu benützen unterließ.
Da aber Suchenwirt im fünften Verse vor Schluß dieses Gedichtes
sagt : Di siben frewd haizzt Daz getickt,
so läßt sich mit ziemlicher Sicherheit die fehlende Überschrift er-
setzen. — Als Gegenstück dient das Gedicht Nr. 44, dessen Titel
zweimal geschrieben wurde: Ende der S. 454 und zu Anfang der
S. 455.
Roth ist auch sehr häufig die Initiale der einzelnen Gedieh te,
und zwar in sechsunddreißig von sechsundvierzig Gedichten der
Handschrift, in Nr. 31; 33 und 35 ist sie roth verziert; nur in wenigen
Gedichten (Nr. 18, 22, 23, 34 und 36) entbehrt sie ganz der rothen
Farbe.
Der Anfangsbuchstabe jedes ersten Verses ist groß^)^
bei den Anfangsbuchstaben der übrigen Verse ist es meistens der
Fall; klein (mit nur wenigen Ausnahmen) sind sie blos in Nr. 19 und
21; in Nr. 35 beginnen (doch mit einzelnen Ausnahmen) die ungeraden
mit großen^ die geraden Verszeilen mit kleinen Anfangsbuchstaben,
in Nr. 18, 20, 34 und 36 wechseln sie ohne Regel, doch so, daß in
18 und 34 die großen, in 20 (stammt von demselben Schreiber wie
19 und 21) die kleinen Anfangsbuchstaben vorwiegen.
*) Einige Aasnabmen zeigen sich in Nr. 18 und zu Anfang von Nr. 37.
') In den Nummern 38 — 45 ist er sogar auffällig groß.
210 FRANZ KBATOGHWIL
Unbekannt ist mir, wie P in der Beschreibung von A (dieselbe
reicht, von einigen Zeilen der Einleitung auf S. XLIII, XLIV, LU
und LIU abgesehen, von S. XL V— XL VIII) zur Behauptung kam:
„Die Verse sind alle abgesondert gesehrieben, jeder mit einem rotb
durchstrichenen Anfangsbuchstaben^ (S. XLVI). Ein Blick in die
Handschrift zeigt die Unrichtigkeit der letzteren Behaup-
tung. Nur die vom ersten und vorletzten Schreiber herrührenden elf
Gedichte (Nr. 1-4 und 38—44 auf S. 1—17 und 420—460) zeigen
die großen Buchstaben am Anfange der Verse roth durchstrichen^ und
zwar vertical oder wagrecht die ersteren, die letzteren von oben
nach unten. In allen anderen Gedichten sind die Anfangsbuchstaben,
abgesehen von jedem ersten Verse und ganz vereinzelten Ausnahmen,
einfach schwarz ; nur in Nr. 37 wechseln schwarze Anfangsbuchstaben
ziemlich regelmäßig mit von oben nach unten roth durchstrichenen.
Ganz allein in diesem Gedicht begegnen auch rothe Anfangsbuch-
staben, fast auf jeder Seite einer, und zwar zu Beginn der Darstel-
lung einer jeden der sieben Freuden, gewöhnlich zu Anfang eines
Citates oder nach einem größeren Abschnitte.
Am Anfange der Verse herrscht somit der große Buch-
stabe ziemlich unbestritten. Seine Anwendung ist aber auch
im Innern der Verse ausgedehnter als in mhd. Zeit, aber
ganz inconsequent; letzteres ist schon aus den in der Tabelle
8. 205-— 208 angeftlhrten Überschriften ersichtlich, desgl. aus dem Texte
der Handschrift; welcher häufig genug (so in Nr. 2, 5, 9, 20; 22, 24
bis 27, 29, 33, 36—39, 41, 43—46) nicht einmal alle Orts- und Per-
sonennamen mit großen Anfangsbuchstaben bringt, wohl aber nicht
selten wenig bedeutende Wörter (besonders in Nr. 36 und 37); so
begegnet in Nr. 15 der Vers 239:
0 Edler 'purgraf albrecht
u. s.w. Anders in Primissers Ausgabe: denn diese ist kein diplo-
matisch treuer Abdruck von A; P hat sich vielmehr bezugs der
großen Anfangsbuchstaben für den Druck eine feste Norm gebildet
und schrieb alle Personen- und Ortsnamen, sowie alle persönlich oder
allegorisch gebrauchten Ausdrücke (Der Phenning sprach XIX 140,
in XXIV der Mai, der Winder, die Minne, Staete, Gerechti-
kait u. 8. w.) mit großen Anfangsbuchstaben, desgl. den Anfang der
directen Rede nach einem Doppelpimkte.
Letztere, sowie alle Anführungs- und Bindezeichen, kurz nahezu
sämmtliche Unterscheidungszeichen gehören dem Herausgeber
Ober den geqenwIbtiqen stand der suchenwirt-hss. 21 1
an. Nur die wenigsten der hier in Betracht kommenden Zeichen der
Handschrift lassen die Deutang eines mit Absicht gesetzten Unter-
scheidungszeichens zu; die meisten erscheinen als Spielereien der
Schreiber. So triffi; man den Punkt nach dem Titel eines Ge-
dichtes nur sehr selten (Nr. 2 und 6), zuweilen aber einem latei-
nischen e ähnliche Zeichen (Nr. 5 und 6) oder eine Kritzelei (Nr. 11),
meist mit zwein oder drein vorgesetzten Punkten (Nr. 33, 35, 39 und
nach dem ersten Titel von 44). Der Punkt findet sich auch am Ende
eines Gedichtes nur ausnahmsweise (Nr. 21), desgl. der Strich-
punkt (Nr. 13, hier wie in 21 vor dem Worte amen), öfter aber
Kritzeleien (Nr. 11; 12^ 18, 26, 36, 37, 40 und 45), oder Doppel-
punkte mit einem Striche oder Schnörkel (Nr. 4, 33--35). Durch
Verbindung von Doppelpunkten, Strichen und Schnörkeln bilden die
Schreiber ganze Zeilen; so unter dem letzten Verse von Nr. 27
(während in Nr. 41, 42, 44 und 45 auf den letzten Vers ein rother
Strich in der Länge einer Zeile folgt), aber auch innerhalb von
Nr. 37, und zwar roth nach V. 502, mit dem S. 367 schließt, und
einmal schwarz nach V. 1473 (Ende der S. 414). AmEnde der
Verse setzt der vorletzte Schreiber gerne einen schiefen Strich, be-
sonders in Nr. 38 und 39, nicht so häufig in den gleichfalls von
seiner Hand stammenden Gedichten 40—45; belanglose Punkte finden
sich in Nr. 21 nach den Versen 123, 199 und 220, in Nr. 36 fast
nach jedem Vers; in Nr. 22 nach V. 221 steht der Punkt am richtigen
Platz« Punkte oder wagrechte Striche setzt öfter am Ende der Verse
der Schreiber von Nr. 28, der von Nr. 5 — 9 mehr oder minder häufig
fast durchaus unberechtigte Doppelpunkte; Punkte, Doppelpunkte
oder Schnörkel (öfter Mehreres zugleich) begegnen an den Versenden
von Nr. 13 hie und da, von Nr. 37 aber ungemein häufig.
Durch die ganze Handschrift jedoch ausgedehnt ist der Ge-
brauch der Abkürzungszeichen. Hieher gehört 1.^ a) fbr in-
und auslautendes er : vgl. die Überschriften von Nr. 5, 9, 13 u. s. w. ;
besonders gerne wird so die Vorsilbe ver gekürzt. In dieser Ver-
wendung nimmt das Zeichen auch häufig die Gestalt an ^ (so in den
Überschriften zu den Nummern 23, 26, 35 u. s. w«), weit seltener
erscheint daftir ? (Überschrift zu Nr. 33); b) für e vor r: vgl. die
Überschrift von Nr. 46; für auslautendes r : Fo^ A S. 93 = P XHI,
103; d) für in- und auslautendes re : tw A S. 3 = P I, 70; e) ftlr
-echt und -recht: vgl. die Überschriften von Nr. 33 und 46;
f) für -reicÄ und -eicA : Frid>, himdro A S. 482 und 483 = P V,
123 und 147, In den beiden letzten Fällen wird das Zeichen öfter
212 FRANZ KRATOCHWIL
verschnörkelt; g) ausnahmßweiae für ur : antvPt A S. 445 = P
XLIII, 71.
2. In Verbindung mit p wird -er, -re und -ro öfter mit p gegeben :
pUin A S. 144 = P XXV, 38; einige Mal begegnet suchen und in
Nr. 37 pphetm\ nur einmal findet sich p = pre : rUf^cht A S. 430
= P XXXV, 57.
3. * = inlautendem ra : vgl. Überschrift zu Nr. 15, ttb, peht
A S. 20 und 22 = P IX, 71 und 108, ähnlich in Nr. 18, 22, 24
und 37.
4. Ganz ausnahmsweise wird inlautendes re und ro durch
einen e-förmigen Haken oder durch zwei Punkte bezeichnet : betten
= betrogen, spchen = sprechen A S. 139 und 140 = P XXI,
115 und 145, twen und tivn = trewen AS. 170 = P XV, 176
und 188.
5. ^ und zwar a) fUr fehlendes e vor n : chrenchn : bedenchen
A S. 4 = P I, 73; &) für in- und auslautendes n oder m : grüt : munt
A S. 4 = P I, 77, ungemein häufig vö, vrwpt : chumpt A S, 189 =
P^XXVIII 239, <te A S. 295 = P IV, 509; c) für inlautendes en :
tugt A S. 186 = P XXVIII, 143, mich öfter in Nr 36; d) allgemein
im = und oder unde*^ e) ausnahmsweise für fehlendes g in samptz^-
nacht (Nr. 46, V. 86); f) nur in Nr. 37 zur Abkürzung der Namen
Johannes (Johes) und Jerusalem (Jrlm).
6. 9 = t*« : Jeronim^ u. s. w., aber nur in Nr. 37.
7. Durch Combinierung des ersten und fünften Zeichens entsteht
^ : pchn = preehen (prehen) A S. 8 = P I, 183, kommt nur ver-
einzelt vor.
8. Durch Verdoppelung des fünften Zeichens entsteht ""^ : phe-
^ =z phenningj nur in Nr. 25. Allerdings erscheint dieses Zeichen
auch häufig in Nr. 37, aber dessen Schreiber verwendet es in allen
denjenigen Fällen, wo die anderen Schreiber das fünfte Zeichen ge-
brauchen.
Gewissermaßen lassen sich als Abkürzungszeichen auch die
Haken betrachten. Sie erscheinen oberhalb der Buchstaben (entweder
unmittelbar über denselben oder etwas seitlich) geradezu über-
raschend häufig, doch nicht immer in derselben Form.
Seite 1 der Handschrift zeigt allein folgende fünf Formen: 1. **;
2. *" ; 3. ^ ; 4. *■ und 5. ^ ; sonst begegnen noch 6. • oder • ' (sehr
häufig über ^); 7. > (nicht sehr oft und dann meist über «); 8. *- ein
deutliches e\ 9. ausnahmsweise, z. B. in Nr. 36 die Form ' , endlich
10. ein Punkt, aber nur über e und y und allein in Nr. 33; am
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHEN WIRT- HS8. 218
häufigsten findet sich die 1. und 4. Form, am wenigsten (abgesehen
von 9 and 10) die 2., 3. und 5.
Die Form ist übrigens gleichgiltig fflr die Bedeutung des
HakenB. Diese erhellt aus seiner Verwendung a) zur Bezeichnung
der Vocale, Diphtonge und deren Umlaute.
So wird der Umlaut des kurzen a auf mhd. Weise gegeben und
auch durch d : tageleich A S. 107 = P XIV, 197, ferner durch e ;
cJdegleieken A S. 457 = P XXXVII 56; daneben aber — S. 455 —
in V. 4 des nämlichen Oedichtes von derselben Hand ehaegleich.
ae ist die gewöhnliche Bezeichnung fär den Umlaut des ä, doch
wird ae (auch cb geschrieben) nicht selten durch e vertreten : an
gevaer : atver (swcsr) A S. 13 = P XXIII, 13, ehern = kcem A S. 293
= P IV, 470; in dem letzten Gedichte (A S. 267 ff.) erscheint das-
selbe Wort auch so geschrieben : ehern; P schreibt IV, 519 dafür
che/n. Allerdings findet sich diese Form des Hakens über einem e zur
Bezeichnung von os zuweilen, z. B. A S. 466 swere : leere = P
XXXVU, 36 oder A S. 470 wSret {warst) = P XXXVIII, 216 und
öfter, zumal in IV, aber gerade nicht an jener Stelle. — AS. 169 =
P XV, 175 begegnet 6 = ce in reten : steten (stceten), doch sind die
Fälle gar nicht häufig. Ausnahmsweise findet sich e und S = ce : A
S. 87 = P. III, 148 Idr (tere) : swer und A S. 334 f. = P. XL,
84 und 101 wSr und trSger.
d erscheint zuweilen auch für mhd. e : gewärt A S. 1 = P I, 16.
Mhd. S wird ausnahmsweise durch e gegeben : er : mer A S.
334 =z P XL, 79, und vereinzelt durch e : ern A S. 7 = P I, 171.
Die Flexions-6 werden häufig — besonders vom achten Schreiber,
dessen Text schön und genau ist — nur durch Haken angedeutet :
A S. 57 hörn = P X, 80 (unrichtig hom für hören oder hcßren)^ A
S. 216 warn = P XXX 75.
o' = (B und ö : höret und vrdmden (adj.) A S. 4 = P I, 86 f. ;
das letzte Wort begegnet A S. 445 auch in der Schreibung frömd,
wofür P XLIII, 51 fioind liest.
au wird oft durch au gegeben (ungemein oft a«^), sehr häufig
durch aio (wie denn überhaupt v und w, wenn sie als u zu lesen
sind, gewöhnlich den Haken tragen), nur ganz ausnahmsweise durch
ü im Reime prut : hut A S. 235 = P XXXI, 71 von dem elften
Schreiber, der auch noch durch andere Anzeichen seine alemanni-
sche Abkunft verräth. ^)
') Er hat eine unschöne, nicht besonders genaue Hand und gebraucht immer
oth (= auch), Jröden (Y. 164 fr'ölein) und hawt (= ?idit) ; er liebt auch Consonanten-
214 FBANZ KRATOCHWIL
eu = ew, sehr häafig ew, seltener eto (der 19. Schreiber hat
dafür Vorliebe); nicht so oft erscheint dw {Idwt A S. 258 = P
XXXIII, 44), du {vrduden A S. 216 = P XXX, 75) oder eu {leuchtet
: veucktet A S. 11 = P II, 65 [letzteres Wort hier ohne Haken]).
öu = ou und du : vroudenreichf vrduden A S. 215 und 219 =
P XXX, 52 und 143.
u mit und ohne Haken steht 1. für gewöhnliches u (A S. 86 =
P III, 135 rubein : doch sind diese Fälle im Ganzen nicht zahlreich,
wenn man von denjenigen absieht, die bei den Halbdiphthongen zu
besprechen sind).
2. Für t2, wo sich, solches in Eigennamen und Fremdwörtern
erhalten hat, z. B. lasur : figur A S. 183 = P XXVIII, 27, vPrich
(Ü^trieht) A S. 21 = P IX, 97.
3. Für üy uo (sehr häufig durch ue gegeben) und üe : mmi/m :
Hurn (mhd. wo : tt) A S. 95 = P XIII, 151, hingegen fürte : spurte
(mhd, uo : u oder ü) A S. 169 = P XV, 153, ebenso P VI, 89, 90
und XXX, 49, 50; siMel : vhel (mhd. «e : Ä) A S. 440 = P XXII,
176; wuffen : i^ffen (mhd. ite : öe) A S. 165 = P XV 53; chuele :
gestuele A S. 215 = P XXX, 53, seltenere Schreibweise, ebenso
früe : rue {ruawe) A S. 217 = P XXX, 89, fni = vruo A S. 337 =
P XL, 143 (A S. 477 = P V, 13 ohne Haken tw) und pehwtt (behüet)
A S. 482 = P V, 134. Ausnahmsweise begegnet bei dem aleman-
nischen Schreiber von Nr. 28 tu für il und üe : hiulff^ eiü, betriüben
V. 29, 135 und 132 (vgl. S. 213).
Für ei (= mhd. i) findet man auch i mit darüber gesetztem
Haken; dieser wird links oder rechts von i angebracht, wobei das i
seinen Punkt in der Regel verliert (min : vein A S. 2 = P I, 22).
Daneben begegnen nicht selten inconsequente Schreibweisen, wie
preisen : hufeysen A S. 8 = P I, 195, ja sogar chleine : staine (mhd.
ei : ei) A S. 260 = P XXHI, 82, obwohl A das alte organische ei
sonst gewöhnlich mit ai bezeichnet (vgl. alem. chli? 0. B.).
Der Haken ober % steht sehr häufig auch für den Diphthong ie,
wobei i meistens seinen Punkt verliert : geschidt (= geschiet) : beriet
A S. 10 = P II, 39.
Der Haken über i vertritt auch zuweilen die Stelle des I-Punktes,
auffallend häufig in Nr. 22 : m^neSy ehunig^ am u. s. w.; anderseits
wird der I-Punkt (abgesehen von i ^= ei und ie) oft weggelassen, wie
hSnfnngen wie thiachy tzhier, moffph u. s. w. , dagegen schreibt er wieder yHi^, zuht
(Y. 161); die Adjectivendung iu wendet er gerne an, aber auch im Acc. sing, fem*
V. 72, 92 u. s. w.) und im Nom. plur. masc. (V. 64).
ÜBER DEN GEGENWlBTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 215
aus manchen Übersohriften der Gedichte, besonders aber aus den
Gedichten Nr. 23—27 zu ersehen ist, deren Schreiber die Eigenthttm-
lichkeit hat, die I-Punkte, falls er sie anbringt, meistens etwas rechts
von % zu setzen.
b) Die Haken dienen aber auch oft zur Bezeichnung
der Svarabhakti (vgl. Johannes Schmidt, Zur Geschichte des
indogermanischen Vocalismus 1875, 2. Abtheilung, S. 382 ff.), sowohl
wenn sie metrisch gerechnet wird (Die arm leut dt sten da vor A S. 337
= P. XL, 148), als wenn dies nicht der Fall ist (armbruat A S. 166
= P XV, 65, zoni, gesworn A S. 217, wofür P XXX, 87 tzoren :
geswaren schrieb).
Übrigens gibt die Handschrift die Svarabhakti nicht selten durch
i, zuweilen durch e (vgl. J* Schmidt a. a. 0.); hie und da fehlt
auch jede graphische Bezeichnung der Svarabhakti, selbst wenn sie
metrische Geltung hat, so in P XXXVH, 34, 39, 54 und 102 (= A
S. 456 ff.), wo statt arm zu lesen ist arm (= XL, 148) oder armeriy
ebenso P XXXVIU, 85 und 294 (= A S. 464 und 474). P XXXIX,
41 (A S. 243) begegnet dem perige : herberge.
c) Interessant ist die ziemlich ausgedehnte Verwen-
dung der Haken zur Bezeichnung der Halbdiphthonge a',
a' oder d% e*, o" oder o*, i% u* oder t»*, iV besonders vor r mit fol-
gendem Consonanten, aber auch vor anderm Stammschluß (J. Schmidt
a. a. O. S. 375, 384 f.; hingegen findet Weinhold in den a% o', u'
unechten Umlaut: Bairische Grammatik §. 9 und 42, 25 und 57,
32 und 109).
Nicht aUe diese Laute waren den Schreibern in der Bezeichnung
gleich geläufig, am wenigsten die aus a entstandenen: da:;
und da? AS. 116 und 267, wofttr P VII, 51 de? und IV, 10 da?
setzt, lassen sich hier mit Sicherheit nicht anführen. Vgl. übrigens
verlaem = verldm aus verlorn im Reime auf hochgepom A S. 47 =
P XI, 124, vaem = vom aus vären im Reime auf jarn A S. 41 =
P XX, 316 und getzaemt = gezdmt aus gezamt gereimt auf erlamt A
S. 51 = P XI, 255.
Zahlreicher und in verschiedenen Theilen der Handschrift finden
sich Beispiele für e\ am häufigsten im Gedichte Nr. 29. er (subst.) •
«eV (adv.) A S. 248 und 251 = P XXXIX, 151 und 203; wer')
(Abwehr) : Aer (exercitus) A S. 307; 308; 312, 315; 323; 326 = P
XVm, 51; 77; 159, 221; 413; 479 : mer (mare) A S. 309; 310 =
») pie Schlierbacher HandspJ^nft pcjireibl; V. 93 lüeer, V. 413 Hwr,
216 FRANZ KRATOOHWIL
P XVIII, 93; 119; hiHze A S. 83 = P III, 65 und 68, phM A S.
434 = P XXII, 32, swert (schwört); hercz und werben : sterben A S.
247, 250, 252 = P XXXIX, 121, 177 und 219; mimt A S. 278,
292 = P IV, 194, 448; mt, mansch, A S. 336 = P XL, 125, 128,
atrebea : leben, das rdcht A S. 248, 251 = P XXXIX 131, 208; se
(pron.) A S. 308, 316 = P XVIII^ 76, 246. Vgl übrigens auch see
(subst.) A S. 109 = P XIV, 231, 249 (Weinhold, Bair. Gr. §. 75 b)
: ee (adv.) A S. 321 = P XVIII, 864 : ich gee A S. 89 f. = P XIII,
7, ee (adv.) A S. 152 = P XXV, 257 und ee (adv.) A S. 86 f. =
P III, 139, 162,
Belege für die übrigen Halbdiphthonge finden sich in den ver-
schiedensten Gedichten der Handschrift und sind sehr zahlreich, so
tzorn : hom, gepom : dorn, worten : orten A S. 55, 82, 248 = P X,
29, ni, 33, XXXIX, 133; in der chron : schon A S. 8 = P I, 189;
des todes A S. 81 = P III, 22, guten trdst : hat erlost A S. 10 =
P II, 43 (hingegen A S. 49 = P XI, 193, derselbe Reim ohne Haken),
flfrd^^e flust A S. 48" = P XI, 155; das in demselben Gedicht oft
wiederkehrende chldster (sing.) ist nur in V. 21 und 35 ohne Haken
geschrieben, not : tot A S. 13 = P XXIII, 15 ; in hochem mut A S. 2
= P I, 27; bei sämmtlichen hier angeführten Belegen für o' fehlt in
P der Haken.
gecziert : suehenwirt (der Haken wurde im zweiten Wort ver-
gessen), vir : begir A S. 299 und 160 = P IV, 569 und XXVII, 13,
überdies ungemein viele ähnliche Fälle außerhalb des Reimes; hieher
gehören auch die ohne Haken geschriebenen Belege: daz viech : siech
(mhd. i : ie) A S. 252 = P XXXIX 221, niender : winder A S. 237
= P XXXI, 109 (vgl. K I '), S. 22), ich siech (video) A S. 38 = P
XXIV, 246.
durch A S. 111 = P XIV, 287 u. o., churtzen (adj.) A S. 37 =
P XXIV, 222 u. ö.; P ließ in beiden Fällen den Haken weg}; nicht
selten haben ihn auch die Schreiber vergessen, z. B. snur : verlur
(mhd. t^o : t^) A S. 440 = P XXII, 170 (vgl. auch S. 214); Uns
A S. 10 f. = P H, 25, 50, 64 (bei P an allen drei Stellen ohne
Haken) und sonst ungemein oft, desgl. üntz und under, letzteres auch
in Zusammensetzungen; hieher gehört auch tun (inf.) : sun (== Sohnes)
A S. 44 = P XI, 53; prust (sing.) und czücht (subst.) A S. 86 und
250, beide Fälle bei P III, 133 und XXXIX, 184 ohne Haken.
') K I hier und im Folgenden für A. Ko berste! n, Über die Sprache des
österreichischen Dichters Peter Snchenwirt. Lautlehre.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER 8UCHENWIRT-HSS. 217
chum her för : du mich fv/r (mhd. ä : ä«) A S. 448 = P XLIV,
55, erßr : verUur (mhd. äa : ö) A S. 155 = P XXV, 326; vgl. auch
S. 214.
Einen verläßlichen Einblick in diese mannigfache Anwendung
des Hakens erhält man aus dem schon S. 210 angegebenen Grande
aus P nicht, am ehesten noch über die Gruppe a. Doch hat er aus
Versehen zuweilen die Form des Hakens geändert (frexoden XLIV^
109 und 118, wo A frewden hat u. s. w.) und den Haken ganz weg-
gelassen (I, 13 mir, II, 2 dir, 35 tr, XXIII, 66 diner, IX, 173 lichte
u. 8. w., WO A den Haken hat), wodurch manchmal das Metrum
leidet (so II, 12, wo trawm = trauern zu lesen ist u. s. w.). Ander-
seits hat er Haken gesetzt, wo A sie nicht hat, so II, 53 gebenty
während er dieselbe Form I, 147 und 204 mit A gebent schrieb.
Wichtiger ist die principielle Änderung, uo und ue mit tl, hingegen
ü mit u zu geben (Einleitung S. LH)« Ein Blick jedoch in Primisser's
Text genügt, zu zeigen, daß er sein Princip leider nicht strenge
durchgeführt hat.
Das P mehrere durch Haken angedeutete Svarabhakti in seinen
Text aufgenommen, kann uns ebenso sehr Wunder nehmen, als es
uns begreiflich erscheint, daß er sich gegentlber der Gruppe c ab-
lehnend verhielt: er erklärt derlei Haken durch die Nachlässigkeit
der Schreiber (Einleitung S. LHI).
Halten wir auch derzeit diesen Vorwurf nicht fClr gerechtfertigt,
so könnte man doch geneigt sein, ihn aus einem andern Grunde zu
erheben, wenn uns nämlich Formen begegnen, wie suchen^ mutesy
8ti8:^en (A S. 1, 5, 9 = P I, 5, 104 und II, 8) u, s. w., die noth-
wendig den Haken verlangen» oder wenn wir den Haken ungleich-
mäßig angewendet finden (vor : tor, erchom : gepom, vor eunden und
vor schänden A S. 2, 3, 4 = P I, 43, 44, 47, 48, 88 u. s. w.). Unser
Urtheil wird aber milder ausfallen, wenn wir bedenken, daß diese
Erscheinungen im Verhältniss zu dem bedeutenden Umfang der Hand-
schrift nicht zu zahlreich sind, dann daß an dieser großen Hand-
schrift mindestens zwanzig Schreiber gearbeitet haben, und zwar zu
einer Zeit, wo nicht nur die Quantität in starkem Schwanken, son-
dern die gesammten sprachlichen Verhältnisse in mehr oder minder
lebhaftem Flusse waren, so daß &Xr die schriftliche Fixierung mancher
neuen oder doch erst jetzt zum sichern Bewußtsein gelangenden Er-
scheinungen (z. B. der Halbdiphtonge a'j e') den Schreibern bereits
geläufige Behelfe nicht zur Verfügung standen.
218 FBANZ KRATOCHWIL
Aus denselben Gesichtspunkten werden auch die oft von einem
und demselben Schreiber herrührenden inconsequenten Schreibungen
der Consonanten, besonders der Geminationen und Couso-
nantenverbindungen zu beurtheilen sein (sei und seil {= sele) A
S. 245 und 251 = P XXXIX, 79 und 197 ; Ev^ und Efen A S. 388 f.
= P XLI, 922 und 933, phfat und phat A S. 139 und 142 = P
XXI, 126 und 189 5 wardt (verb.): ze Widerpart A S. 21 = P IX, 85,
gesait : laid (acc.) A S. 262 = P XXXIII, 117, unverslunten : über-
vmndm A S. 451 = P XXXVI, 22, gerittm : versnüm A S. 120 =
P VII, 153, das sehr oft, so A S. 143 S. (P XXV), hingegen wa^
(verb.) : gra:; (subst.) V. 33, V. 129 wieder toas, V. 123 wa^er^ V.
361 wasser, fleis : trei? V. 219, aber weis V. 186 und 208, Hessen :
stie:^en Y. 335, wie denn unter allen Schreibern gerade der siebente
die größten Inconsequenzen in der Schreibung der S-Laute zeigt;
erschrikchet : unvertzwicJiet A S. 259 = P XXXIII, 58, druktä : ver-
ruchte A S. 280 = P IV, 225, gyechen (inf.) : gesehen (part.) A S.
57 = P X, 83; hingegen begegnen beide Formen von demselben
Schreiber mit ch A S. 31 = P XXIV 50 und mit A A S. 65 = P
XII, 25 u. 8. w.; vgl. K I, 12 und UV), Note 11, I, 20, 34—37, 39,
42 und n, Note 8, ferner I, 50 und 51 u. s. w.); desgl. die ungemein
zahlreichen, oft recht auffälligen, zuweilen geradezu den Eindruck
von Willkür machenden Apocopen und Syncopen (z. B. reichs
und reiches im zweimal geschriebenen Titel zu Nr. 44), Erscheinungen,
welche selbst wieder auf die Schreibung der Vocale wie der Conso-
nanten vom großen Einflüsse sein mussten (vgl. Weinhold, Bair. Qr.
§. 14 und 15 und K I, 53, 2), aber wie schon aus Koberstein's
Untersuchungen (besonders I, 53—55, 11, §. 11—22, 49, 75 Punkt 1
und 2, 77 Punkt 3 und 4, m, §. 1—9, 36—39 u. s. w.) erhellt,
sicherlich nicht durchaus auf Rechnung der Schreiber zu setzen
sind. — Wenn wir überdies unsere Handschrift in Bezug auf genaue
Schreibung mit gleichzeitigen Urkunden und anderen größeren Schrift-
stücken vergleichen, dann wird unsere anfängliche Neigung zu einem
etwas abträglichen Gesammturtheil über die Schreiber von A bald
weichen, ja, wir werden ihnen sogar das Lob einer verhältniß-
mäßigen Sorgfalt nicht vorenthalten.
Dieses wird auch nicht geschmälert durch die in A vorkom-
menden Schreibfehler und Lücken. In Bezug auf erstere ver-
*) II für die zweite, III für die dritte Abtheilnng von Eoberstein's Unter-
suchnngen über Sacbenwirt*8 Sprache.
ÜBBR DEN GEQBNWlBTIOEN STAND DER SUCHEN WIRT- H88. 219
halten sich die yerschiedenen Theile der HandBchrift, je nach Be-
schaffenheit der Schreiber, sehr ungleichmäßig. Selbst in den einem
Schreiber angehOrigen Gedichten zeigt sich nicht immer der gleiche
Grad von Sorgfalt; das beste Beispiel bietet der 19. Schreiber: er
erscheint in Nr. 39, 40, 43 und 46 ziemlich genau, in 41 genau, in
38 und 42 sehr genau, hingegen in 44 nicht genau; in den vom
zehnten Schreiber herrührenden Gedichten hingegen ist eine immer
mehr zunehmende Genauigkeit nicht zu verkennen.
Die meisten Schreiber haben den von ihnen gelieferten Text
revidiert und so manche Irrthflmer verbessert'); so hat der 14. Schreiber
an seiner Arbeit (572 Verse) nahezu vierzig Correcturen vorgenommen ;
leider blieben noch über zwanzig Fehler in dem ebenso schön als
deutlich geschriebenen Gedichte zurück. — EBe und da (P XVI, 206,
'X'XX^ 181 und 182) findet sich auch eine Rasur.
An ungefähr 60 Stellen merkt man, daß die Verbesserungen
nicht vom Schreiber, sondern von anderer (aber alter) Hand her-
rühren; die meisten derartigen Correcturen entfallen auf die nicht
besonders deutliche, wohl aber recht fehlerhafte Abschrift des siebenten
Schreibers, fast ebensoviele kommen dem zehnten und zehn dem
vierzehnten Schreiber zu Gute.
Trotzdem finden sich noch über zwei und ein halbes Hun-
dert Verstoße. Aber die weitaus größere Hälfte davon ist
nicht nur gleich als Fehler erkennbar, sondern auch von dem halb-
wegs bewanderten Leser unschwer zu corrigieren. Bei mehr als
dreißig sinnlosen Stellen ist das nicht so leicht; verhältnißmäßig
participieren daran am meisten außer dem neunten Schreiber der
fElnfte, der sich überdies durch lange wagrechte Striche auszeichnet,
die er seinen g und t anfügt, mit Nr. 15*) und der 19. mit Nr. 44.
') P hat solche Änderungen auch dort, wo sie Beaehtong verdienen, nicht
immer gewürdigt; so schrieb er IX, S2 reyffet^ obwohl in A das • durchgestrichen
nnd über e ein wagrechter Strich gesetst ist, III, 128
VwotßrUkik und ummutes par,
trotsdem der Schreiber das sinnlose dritte Wort in nUUßt geändert hat , XYI, 191
gealaeJU, wiewohl an das a ein e angehängt worden ist u. s. w.-
') Für die auffällige Schreibung im Verse:
Wob er der wer helen §ehar
setzt PVU, 101 lierhelen, richtig wäre /«roAeZen, entsprechend XXXIX, 31 und 34;
die unsinnigen Verse:
sein edel herix im mer geriet
Von manhaU noch von müde
hat P VII, 124 zu bessern gesucht, indem er nimer setzte; das Richtige ist im nie,
was auch der Schlierbacher Codex hat.
220 FRANZ KRATOCHWIL
An circa achtzig Stellen wurde durch nicht beseitigte Schreib-
fehler der Beim getrübt, zuweilen auch gestört. Die Fälle vertheilen
sich durch die ganze Handschrift; doch größeren Antheil haben der
11. Schreiber, der 19. mit Nr. 43, der 10. mit Nr. 27 (vrowden : ver-
hawen wurde von P XVII, 32 in vrowen geändert, kommt somit nahe
dem richtigen frawen) und der siebente (über lamme : tamne, das
auch P XXI, 85 aufgenommen hat, vgl K I, 9 und 29, dann II,
Note 45; gewolkent im Reime auf geczirt P XXV, 48, läßt sich nach
cgm. 4871 leicht in gewolkeniert bessern, was auch schon K Ulf §. 67
angesetzt hat). — Nur zweimal (XXIV, 195 und XV, 107) trat Stö-
rung des Beimes ein, weil die Schreiber das Beimwort anzubringen
vergaßen, und dreimal, weil sie einen ganzen Vers übersahen,
nämlich in P XXXII nach V. 18 , in XXII nach V. 169 und in V
nach V. 41.
Im Innern der Verse fehlen einzelne Wörter öfter, aber auch
nicht häufig; neun von den sechzehn Fällen rühren allein vom fünften
Schreiber her. Neben diesen geringfügigen Lücken hat die
Handschrift leider auch größere; vier davon waren schon dem
Herausgeber bekannt. Gleich die erste Seite beginnt mit den sieben
Schlußzeilen eines satirischen Gedichtes (vgl. S. 238); mit S. 28
endet in A Vers 23 von Nr. 6; auf S. 29 ganz oben beginnt V. 2
von Nr. 7, es fehlen somit vom ersteren Gedichte 91 Verse, vom
letzteren der Titel und mindestens der erste Vers, somit im Ganzen
zwei Blätter; desgl. zwischen dem letzten Verse auf S. 85 und
dem ersten auf S. 86 (= P m, 116 und 117): es sind nämlich
(vgl. S. 238) 89 Verse abgängig, doch ist äußerlich nur der Mangel
eines Blattes zu erkennen. Ein Blatt fehlt nach S. 121: zwischen
V. 185 und 186 von P VH ist eine Lücke von 41 Versen (vgl. S. 238).
Außer diesen bemerkte ichnoch zwei größere Lücken von
je 52 Versen: in Nr. 9 nach S. 55 (P X. 34) und in Nr. 27 nach
S. 225 (P XVn, 52); beide sind äußerlich nicht auffällig (vgl. S. 238).
Keine dieser sechs größeren Lücken fällt den Schreibern zur Last,
sie erklären sich vielmehr aus der Geschichte der Handschrift.
Leider lässt sich dieselbe mit Sicherheit nicht einmal bis in das
vorige Jahrhundert verfolgen. 1820 erfuhr P von der Existenz derselben
durch Hofrath Josef von Hammer (nachmals Freiherrn von Hammer-
Purgstall), der ihn seinem Freunde, dem Fürsten Prosper von
Sinzendorf, dem Besitzer der Handschrift, empfahl. P sagt in
der Einleitung zu seiner Ausgabe nur, daß die Handschrift „seit
langer Zeit unerkannt*' unter den Büchern des kenntnißreichen
ÜBER DEN GEOENWÄRTIQEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 221
Fürsten Prosper von Sinsendorf gelegen, der sie ihm mit größter
Bereitwilligkeit zur literarischen Bentltzong ttberließ (S. XLIH).
Dieses hervorragende österreichische Adelsgeschlecht (vgl. Dr. Co n-
stant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Eaiserthums
Österreich, 35. Theil. Wien 1877. S. 12—27) reicht bis in das 11.
Jahrhundert zurück. Heinrich, welcher um 1044 lebte, nannte sich
nach dem in Oberösterreich gelegenen Orte Herr von Sinzen-
dorf^); das Geschlecht erhielt zu Anfang des 17. Jahrhundertes den
Freiherrn-, 1653 den Reichsgrafenstand. Zu Anfang des 16. Jahr-
hunderts erscheint es in zwei Hanptlinien gespalten: in die jfingere,
nach dem untersteierischen Schloß und Städtchen Friedau benannte
Fridauische oder Neuburgische Linie, welche 1767 im Mannesstamme
ausstarb, und in die ältere Feyereggische Linie, welche sich später
nach dem niederösterreichischen Schlosse Ernstbrunn nannte. Der
letzte männliche Sprosse dieser Linie und des ganzen Q-eschlechtes
ist der früher genannte Prosper von Sinzendorf, welcher 1803 die
Würde eines Reichsfürsten erhalten hatte. Er liebte die Wissenschaften
und den Umgang mit gelehrten, geistreichen Personen und legte eine
ansehnliche Bibliothek an, zu welcher auch unsere Handschrift ge-
hörte. Ob diese der Fürst erst erworben oder — was höchst wahr-
scheinlich ist — schon als altes Erbstück seines Geschlechtes
überkommen habe, hätte P leicht in Erfahrung bringen können ; aber
er berichtete darüber nur die oben angeführten Worte: ihn interes-
sierte vielmehr der Inhalt der Handschrift.
Bereits 1821 war er mit der Durcharbeitung der Handschrift
fertig, and noch im selben Jahre machte er von dem reichen Inhalte
derselben den Freanden der alten Literatur und Geschichtskunde um-
fassende Mittheilung im 14. Bande der Wiener Jahrbücher der
Literatur, Anzeigeblatt S. 10 — 51. Der Aufsatz erschien gleichzeitig
bei Carl Gerold in Wien, auch als Separatabdruck (aber nur in zwölf
Exemplaren) unter dem Titel: Nachricht von einer neuent-
deckten Handschrift mit deutschen Gedichten aus dem
14. Jahrhunderte, verfasst von Peter Suchenwirt aus
Österreich. Mitgetheilt von Alois Primisser. 44 Seiten 8^
Am ausführlichsten sind die Auszüge aus den historischen Ge-
dichten im engeren Sinne (den sogenannten Ehrenreden) ; sie umfassen
') Das Dofff ^° welchem sieb das Stammhaus dieses Qeschlechtes befand, lie^t
im Trannviertel , in der Nähe des Cistercienserstiftes Scblierbacb und gehört zn der
(1784 selbständig gewordenen) Pfarre Nußbach, vgl. B. Pill wein, Geschichte, Geo-
graphie und Stotistik des Erzhereogtbums ob der Enns (1827—1839), 2. Bd., S. 409.
asaiUNIA. Nm« Bailie XIII. (XXXIY.) Jahr;. 15
222 FRANZ KRATOCHWIL
nahezu dreißig Seiten; ungefähr acht Seiten sind den Sittengeraälden
und Lehrgedichten gewidmet, eine Seite den geistlichen Dichtungen
und Reimkünsten. Bemerkungen über des Dichters Leben und sonstige
dem Berichterstatter bekannt gewordene Handschriften, welche einzelne
Gedichte Suchenwirfs enthalten, erfüllen die drei letzten Seiten der
umfangreichen Anzeige.
Hat P gleich seit seiner ersten Kenntniß der Handschrift diese
vor Allem als eine wichtige geschichtliche Fundgrube betrachtet und
dem Nachweise dieser Anschauung den größten Theil seiner Mit-
theilungen gewidmet, so erscheint uns nicht auffallend, daß seine An-
zeige besonders bei Historikern das regste Interesse wachrief und
gerade von diesen zuerst der Wunsch geäußert wurde, P möge den
spannenden Inhaltsangaben der Gedichte Suchenwirt's ehebaldigst eine
vollständige Ausgabe dieser selbst folgen lassen. P erklärte sich be-
reit; aber bald wäre die Ausführung in Frage gestellt worden: Fürst
Prosper von Sinzendorf War auf einer Reise nach Karlsbad aus dem
Wagen gestürzt und in Folge davon im August 1822 gestorben. Er
war unvermählt geblieben; durch testamentarische Verfügung fiel mit
seinem Besitz auch die Bibliothek und somit auch unsere Handschrift
an den Sohn seiner Schwester Maria Anna, den Grafen Georg von
Thurn (Wurzbach a. a. O.). P sagt nur, daß er auch von ihm wie
von dem früheren Besitzer bezugs Benützung der Handschrift das
größte Wohlwollen erfuhr. Er rechtfertigte dasselbe vollkommen;
bereits 1827 erschien bei Wallishauser in Wien Primisser's Ausgabe:
„Peter Suchenwirt's Werke aus dem vierzehnten Jahrhunderte. Ein
Beitrag zur Zeit- und Sittengeschichte". LIV und 392
Seiten 8»i).
Unstreitig hat sich P dadurch ein wahres Verdienst erworben:
eine nicht unbedeutende Lücke der Literaturgeschichte ward hiemit
ausgefüllt und literarische Denkmäler, für die Geschichtsforschung
nicht weniger wichtig als für die Sprachwissenschaft, dadurch allge-
mein zugänglich gemacht. Daß P die historische Bedeutung der
Suchenwirtischen Gedichte gleich bei der ersten Durchnahme der
Handschrift richtig erkannte und in seiner Anzeige entsprechend
würdigte, ward bereits hervorgehoben. Es ist auch aus seiner Ausgabe,
*) Leider starb der unermüdlich thatige Mann bald nach dem Erscheinen seines
Werkes im 32. Lebensjahre; vgl. Bergmanns Anfsfitze: „Alois Primisser und sein
literarisches Wirken^ in Nr. 99 der Blätter für Literatur, Kunst und Kritik
vom 13. December 1837 and: ^Die fünf Gelehrten Primisser" im 6. Bande (1861) der
Berichte und Mittheilungen des Alterthnmsvereins zu Wien S. 177 — 244.
ÜBER DEN QEQENWÄSTIOEN STAND DER SUGHENWIRT-H8S. 223
auB dem Titel sowie aus der ganzen Anläge derselben ersichtlich.
Denkt er doch zunächst „den Freunden der Geschichte^ hiemit zu
dienen (Einleitung S. XLIV). Daß diese Dichtungen auch als Sprach-
denkmale einen bedeutenden Platz in Anspruch nehmen^ hat P
(S. XLIV) zwar behauptet, aber weder in der Anzeige noch in der
Ausgabe bewiesen. Man darf annehmen^ daß er den sprachlichen
Werth wohl geahnt, aber keineswegs klar erfaßt hat. Zu dieser An-
nahme berechtigt nicht nur das in der Einleitung S. LIII Gesagte^
sondern auch die im Anhange S. 389 und 390 gegebenen „Gram-
matischen Bemerkungen^, nicht minder das Wörterbuch und vor
Allem der Text.
Wären unsere mittelalterlichen Schreiber inmier und allerorten
vollkommen getreue Copisten gewesen, dann wäre es bei Ver-
ö£fentlickung einer Handschrift unnöthig, besondere Aufmerksamkeit
dem Schreiber zuzuwenden. Da aber die wirklichen Verhältnisse
aoders waren, kann sich der Herausgeber nicht der Mtthe entschlagen,
Antheil und Zuthat des Schreibers zu sondern von dem, was des
Dichters ist. Von einer solchen Arbeit findet sich bei P keine Spur,
denn daß er zweimal angibt, es seien an der Handschrift mehrere
Hände thätig gewesen, oder daß er einige der gröbsten Schreibfehler
anmerkt, kann man wohl nicht als solche gelten lassen. Es hat viel-
mehr den Anschein, daß er die Sprache der von verschiedenen
Schreibern herrührenden Gedichte für eine und dieselbe hielt und
überdies für identisch mit der Sprache des Dichters. Allerdings zeigt
die Sprache der einzelnen Gedichte nicht solche Unterschiede, wie sie
zwischen dem Ober- und Niederdeutschen bestehen, denn die
Schreiber von A gehören alle dem süddeutschen, und
zwar bis auf eine einzige nennenswerthe Ausnahme (vgl.
S. 213 u. 214) dem bairisch-österreichischen Sprachgebiete
an. F beachtete nicht die auffälligen, die großen süddeutschen Dialecte
charakterisierenden Kennzeichen, noch weniger die minder aufdring-
lichen Nuancierungen*) in den, verschiedenen Theilen des öster-
*) So gebraucht der zweite Schreiber (deutlich, aber nicht besonders genau)
mit Vorliebe die Adjectivendung eu und aeu im Nomin. plur. ; der dritte liebt b für w^
da für do, die Ableitungssilbe lieh (wo der vierte Schreiber -leich hat), gebraucht
lieber / als v, ist kein großer Freund der Haken, die er besonders über u und t,
wenn sie Diphthonge vertreten, oft wegläßt, wohl aber macht er gerne an den t lange
Querstriche, an h und ch lange Schnörkel. Der zehnte Schreiber unterläßt oft die
Bezeichnung des Umlautes bei u und au. Der 17. Schreiber (unschön und wenig
genau) setzt gerne to für tt, o für a (wie der siebente) und a für o, er hat Vorliebe
15*
224 FRANZ KRATOCHWIL
reichischen Sprachgebietes entstammenden Gedichten, oder er wollte
sie nicht beachten, wie man nach seiner Äußerung (S. LI): „Bloße
Schreibeformen und mundartliche Verschiedenheiten sind ein schlechter
Gewinn, wenn weiter nichts Neues von Bedeutung gefunden wird*^,
anzunehmen vielleicht berechtigt ist. Daraus erhellt jedoch, daß
Primisser's Text nicht auf einer kritischen Bearbeitung
beruht; er igt aber auch kein diplomatisch getreuer Ab-
druck wegen der bereits (S. 210 u. 217) angeführten Gründe sowohl
als auch wegen Auflösung sämmtlicher Abkürzungszeichen und ge-
sonderter Anwendung des u und v, des Gebrauches von z und tz für
cz und zz (Einleitung S. LII), wegen mancher Lesefehler, sowie endlich
wegen Änderungen, die er im guten Glauben zu bessern, hie und
da vornahm, die aber den Text nicht selten thatsächlich verschlech-
terten. Immerhin — und das steht außer Zweifel — hat P selbst
durch diesen Abdruck der Sache mehr gedient, als wenn er einen
kritisch bearbeiteten Text gegeben hätte; um eine solche Aufgabe
richtig zu lösen, dazu fehlten ihm die Kräfte.
So urtheilte bald nach dem Erscheinen der Ausgabe der damalige
Professor zu Pforta, August Koberstein, in der Einleitung (S. 2 u. 3)
zu seinem Werke: „Über die Sprache des österreichischen Dichters
Peter Suchenwirt^, das er auf Grundlage dieser Ausgabe begonnen
und von dem 1828 als erste Abtheilung die Lautlehre erschien
(Naumburg, 56 Seiten 4^)« Das Jahr 1842 brachte als zweite Abthei-
lung (lateinisch) die ganze Lehre von der Declination (Naumburg,
68 Seiten 4^); die Conjugation behandelte er in der 1852 erschie-
nenen dritten Abtheilung (Naumburg, 45 Seiten 4"). Koberstein hatte
sich überdies viel mit Vorarbeiten beschäftiget, um in gleicher Weise
auch die Lehre von der Wortbildung und Syntax zu behandeln, und
zuletzt sollte ein vollständiges System der metrischen Gesetze folgen,
für Wörter mit Svarabhakti, welche er häufig durch t ausdrückt; dadurch ist er ein
Seitenstück zum zwölften (nicht besonders sorgfältigen) Schreiber und auch darin,
daß wie dieser ^. und ', er ' und * oder ' ungemein oft über e, zuweilen selbst in
der Flexion setzt. In Bezug auf den letzten Punkt bildet der 18. (sehr genaue) Schreiber
einen Gegensatz, indem er außer t' keinen Halbdiphthong bezeichnet; er stimmt
aber mit seinem Vorgänger darin überein, daß er gleich ihm h für eh schreibt, selbst
im Reime; er behält h vor t^ wo die anderen Schreiber durchaus ch haben. Auch
dadurch unterscheidet er sich von allen anderen Schreibern, daß er im Gebrauche
der Haken einer bestimmten Regel folgt: er verwendet " über uiiituo (ue) und ' für
alle Umlaute und %e\ an den 16. Schreiber, der in seinem ebenso schönen als rich-
tigen Text sehr fleißig die Halbdiphthonge bezeichnet, erinnert er, daß er noch häu-
figer wie dieser im Anlaute k gebraucht u. s. w.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-H88. 225
an die Saofaenwirt sich gehalten (vgl. K III, S. 1); leider hat Eober-
stein diesen Plan nicht ausgeflElhrt. Hingegen schrieb er 1843 als An-
hang zur ersten und zweiten Abtheilung die Abhandlung: Über
die Betonung mehrsilbiger Wörter in Suchenwirt's Versen
(8 Seiten 4*). Damals wäre er der richtige Mann gewesen, einen
ordentlich kritischen Text von Suchenwirt's Gedichten zu liefern;
denn wenn auch zu keiner Zeit zu besorgen war, daß Eoberstein
unsern Dichter in die Schnürjacke mhd. Reime gezwängt hätte, wie
dies später Earajan mit Tei ebner wirklich that, das läßt sich
doch nicht leugnen, daß Eoberstein in dem Bestreben, möglichst genau
zu bestimmen, was dem Dichter und was den Schreibern gehört, noch
in der ersten Abtheilung einem etwas strengen Purismus gehuldigt
hat. Beispielsweise erinnere ich nur daran, mit welchem Aufgebot von
Scharfsinn und Überredung Eoberstein (I, S. 17 f.) unsern Dichter
vor dem Vorwurfe, er habe einige klingende Verse mit vier Hebungen
verbrochen, zu retten suchte. In 11, pag. 7, zeigte er sich in diesem
Punkte schon weit weniger rigoros u. s. w.
Wer wie Schreiber dieser Zeilen jedes einzelne von den Tau-
senden von Beispielen, die Eoberstein in langen, oft ganze Seiten
füllenden Reihen zusammenstellte, in P aufschlug, der kann eigentlich
erst ermessen, was Eoberstein, ganz abgesehen von seinem Wissen,
an Geduld und Ausdauer geleistet hat. Diese seltene Akribie
wirkte auf mich derart, daß ich auch nach absolvierter Universität
mich gerne mit Suchenwirt beschäftigte und als Gymnasiallehrer zu
Erems den Gedanken faßte, ein allseitiges getreues Bild von Suchen-
wirt's Leben und Wirken zu entwerfen, seine Bedeutung mit Rück-
sicht auf seine Zeitgenossen zu bestimmen und seinen absoluten Werth
festzustellen. Die Abhandlung sollte im Jahresberichte 1871 veröffent-
licht werden, da sie aber für eine Programmarbeit zu umfangreich
war, konnte nur die erste Hälfte gedruckt werden. Sie erschien auch
als Separatabdruck im Selbstverlag unter dem Titel: Der öster-
reichische Didaktiker Peter Suchenwirt, sein Leben und
seine Werke. 54 Seiten 8®.
Trotz mehrerer wohlwollenden Besprechungen konnte ich mich
nicht entschließen, auch die zweite Hälfte zu veröffentlichen: ich
dachte vielmehr daran, eine neue Ausgabe der Suchen wirtischen
Dichtungen zu veranstalten. Ende 1874 versuchte ich, mit dem Be-
sitzer der Handschrift durch gütige Vermittelung des bairischen Ge-
sandten am Wiener Hofe, des Herrn Grafen Otto Bray- Steinburg,
in Verbindung zu treten. Im Jänner 1875 erfuhr ich, daß der frühere
226 FRANZ KRATOCHWIL
Besitzer Graf Georg Thurn bereits 1866 gestorben sei; sein gleich-
namiger Sohn besitze aber die Handschrift nicht, sie sei
schon bei Lebzeiten seines Vaters gestohlen worden, sei
darauf in der Ankündigung eines Antiquars aufgetaucht;
wohin sie gekommen, sei ihm unbekannt. Alle meine Pläne
waren zerronnen.
Doch gab ich nicht Alles verloren und veröffentlichte darauf
gleichlautende Anfragen in Nr. 62 des Jahrganges 1875 des Leip-
ziger Börsenblattes für den deutschen Buchhandel und im
Literarischen Centralblatt (Nr. 12) sowie im vierten Hefte der
Zeitschrift für österreichische Gymnasien (S. 330); aber es
kam keine Antwort — auch nicht auf eine nochmalige Anfrage im
Leipziger Börsenblatt (Nr. 7 des Jahrganges 1876).
Da erhielt ich von meinem Freunde Dr. G. E. Friess , Professor
am Obergymnasium zu Seitenstetten, im März 1877 einen Brief, worin
er mir mittheilt, er sei durch eine Notiz im Nachlasse des ehemaligen
k. k. Staatsarchivars Dr. von Meiller auf einen im oberösterreichischen
Stifte Schlierbach befindlichen Codex gelenkt worden, welcher außer
dem Gesuchten auch eine bedeutende Anzahl Suchenwirtischer Ge-
dichte enthalte, darunter auch solche, welche in Primissers Ausgabe
sich nicht finden. Über letztere machte er mir einige Angaben mit
der Bitte, ihm bekannt zu geben, ob und wo diese ediert seien. Ich
schrieb, daß dies nicht der Fall sei, worauf er sich entschloß, einen
Abdruck derselben für die kaiserliche Akademie der Wissenschaften
in Wien zu besorgen.
Dieser Brief spornte mich an, noch einen Schritt bei dem Grafen
Georg Thurn zu thun. Da ich nicht ganz gewiß wußte, ob Graf Bray
die Nachforschung auch mit dem nothwendigen Nachdruck geführt
habe, so bat ich meinen damaligen Coliegen am Franz Joseph-Gym-
nasium in Wien, den in vielen aristokratischen Kreisen wohlbekannten
Professor Dr. FranzWeihrich, in dieser Angelegenheit Schritte zu
thun. Er war so freundlich, sich der Sache eifrig anzunehmen; der
Herr Graf*) übergab ihm ein an mich gerichtetes, vom 18. April 1877
datiertes Schreiben, worin er mir mittheilt, daß die Bibliothek seines
Vaters, bevor sie nach Blei bürg in Kärnten übertragen ward, sich
durch viele Jahre zu Wien in einer eigens zu diesem Zwecke ge-
mietheten Wohnung befunden habe. Dorthin wurde 1827 die durch
Primisser's Ausgabe berühmt gewordene Handschrift gestellt. Das
*) £r ist im Jani 1879 gestorben.
ÜBER DEN GEGEKWlRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 227
erfuhr ein Schreiber des grttflichen Wirthsohaftsrathes Pfosterschmied
Ritter von Hartenstein^ der, da der Graf in Folge seiner militärischen
Stellung von Wien abwesend war, den Schlüssel zur Bibliothek in
Verwahrung hatte. Der Schreiber wußte sich Zutritt zur Bibliothek
zu verschaffen und entwendete die Handschrift; doch kam man zur
Kenntniß des Diebstahls erst 1846; als die Handschrift in einer Zei-
tung zum Verkaufe angeboten wurde« Lange vorher war aber der
Dieb wegen anderer Unredlichkeiten bereits entlassen worden.
Ich war nicht weiter als im Jänner 1875: die Handschrift ist
gestohlen; aber wo wird sie verwahrt? — Bald sollte anf unerwartete
Weise die Frage gelöst werden. — Als der seither verstorbene Uni-
versitätsprofesBor Hofirath EarlTomaschek in der am 6. Juni 1877
abgehaltenen Sitzung der philosophisch-historischen Classe der kais.
Akad. d. Wiss. die Arbeit des Professors Friess vorlegte und betonte,
daß der Schlierbacher Codex um so höher im Werthe stehe , da die
Sinzendorf-Thüm'sche Handschrift seit langer Zeit verschollen sei, er-
klärte Hofrath Dr. Ernst Ritter von Birk, Vorstand der k. k. Hof-
bibliothek zu Wien, dieselbe sei nicht verschollen, sie befinde sich
seit 1846 in der Wiener Hofbibliothek.
Also dahin war sie gekommen! Aber um des Himmelswillen,
wie kann ein Laie in juridischen Dingen jemals auf den Gedanken
kommen, daß eine in Wien gestohlene, noch dazu einem alten
Adelsgeschlechte gestohlene Handschrift von der Wiener Hof*
bibliothek angekauft werde? Das geschah, wie Herr Hofrath Ritter
von Birk mir mitzutheilen die Güte hatte, so. — Der entlassene Schreiber
getraute sich mit seiner Beute nicht an die Öffentlichkeit; bald wäre
dieselbe gänzlich vernichtet worden. Er hatte sich nämlich nach
Wiener -Neustadt gezogen; daselbst war am 8. September 1834 bei
heftigem Sturmwind ein ungeheuerer Brand ausgebrochen, wel-
cher über 350 Scheunen und 600 Häuser zerstörte. Über vier Millionen
Gulden Conv.-Münze betrug der Schaden, 47 Menschen — nach anderen
Berichten 51 — verloren ihr Leben in den Flammen! Diese wütheten
derart, daß, wie ein gleichzeitiger Bericht (Darstellung der k. k.
Stadt Wiener-Neustadt, Wien 1834, S. 172 f.) sagt, „selbst
Kellergewölbe bis auf den Grund ausbrannten!**^) — Und
*) Vgl. darüber auch Sebastian Brunne r, Wiener -Neustadt. Wien 1842,
S. 40 f., ferner Rückblick auf den Brand von Wiener-Neustadt. Von einem
Augenzeugen im 3. Bande der österr. Zeitschrift für Oeschichts- und Staatskunde
Nr. 36 und 37. — Die Wiener-Zeitung vom 10* September 1834 spricht liur von
einem Gerüchte, daß die Stadt abgebrannt sei] erst am 13. September brachte
sie eine Darstellung des Brandes!
228 FRANZ KRATOCHWIL
damals lag die gestohlene Handschrift in einer dünnen
Cartonschachtel in einem Keller von Wiener-Neustadt!
Was mag sie da gelitten haben!
P, der, was Beschreibung und Geschichte der Handschrift betrifft,
sich stets der äußersten Kürze befleißt, gedenkt nur (Einleitung
S. XLIII) ^ihres unscheinbaren und schadhaften Äußeren^, das
ihm schon damals , als er sie zum ersten Male sah, auffiel. Hätte er
doch gesagt, worin letzteres bestand! Es muß schon sehr schad-
haft gewesen sein; offenbar war damals bereits die Handschrift mehr
oder minder in einzelne Lagen aufgelöst: wie ließen sich sonst
die verschiedenen bedeutenden Lücken zu Anfang und im
Innern erklären? Herausgerissen wurden die fehlenden Blätter
nicht, sie können nur herausgefallen sein, denn diese Lücken
waren alle schon zu Primisser's Zeit, wenn er auch nicht alle er-
kannte. — Zu seiner Zeit schon war ferner die Handschrift fast
unleserlich an manchen Stellen, weil sie verblaßt oder verlöscht
waren, ganz besonders S. l und 2, wahrscheinlich auch S. 153 (Nr. 18,
V. 280 ff.) in der unteren Hälfte, besonders in den Anfängen der
Verse. Ob die oberen Hälften der Seite 42 (Nr. 7, V. 330—341 und
der Seiten 450 — 461 (Schluß von Nr. 42, 43, Anfang von 45) schon
damals (wahrscheinlich durch eingedrungene Feuchtigkeit) verblaßt
waren, oder ob dies später geschah, läßt sich ebensowenig entscheiden,
als die Frage, aus welcher Zeit die ungemein zahlreichen Flecken
der Handschrift (am Rande, aber auch im Innern, z. B. S. 1 — 12,
15-17, 38, 42, 51, 86, 89, 113, 125, 134, 140, 144, 149—156, 175,
176, 203, 218—220, 231, 256—258, 300, 315, 322, 344, 367, 382,
398, 415 — 418 u. s. w.) sowie die Risse S. 211 und 305 stammen.
Gewiß ist nur, daß der Zustand der Handschrift während der Ver-
borgenheit sich verschlechterte.
Endlich — es waren fast zwei Decennien seit der Entwendung
vergangen — faßte der Dieb Muth und näherte sich dem Wiener Anti-
quar Johann Schratt. Dieser stellte dem Unterhändler Wilhelm
Gramerstädter, dem Sohne des Diebes, einen Revers aus, worin
er ihm bestätigte, ' die von P 1827 herausgegebene Handschrift am
10. Februar (?) 1846 zum Commissionsverkaufe tlbernommen zu haben,
und verspricht, diese durch die Wiener-Zeitung um 100 Stttck Ducaten
feilzubieten, das Manuscript, falls der Verkauf nicht gelinge, in dem-
selben Zustande, wie er es übernommen, zurückzustellen, im Verkaufs-
falle aber 50 Gulden nebst den für die Ankündigung ausgelegten
Gelderi) zu beanspruchen. — Schratt that seine Schuldigkeit ; er ließ
Ober den gegenwärtigen stand der suchenwirt-hss. 229
eine ausführliche^ im Vergleiche zum Revers ungewöhnlich gut ge-
haltene Ankündigung der Handschrift am 17. Mars in die Wiener-
Zeitung einrücken.
Das genügte. — Trotzdem die in einzelne Lagen aufgelöste
Handschrift, welcher eine gewöhnliche Schachtel aus
Pappe als Aufbewahrungsort diente^ nicht im Mindesten einen
imponierenden Eindruck machte ^ fanden sich doch Kauflustige; be-
sonders Ungarn, för dessen König Ludwig den Großen Suchenwirt
80 viele Worte des Lobes hatte, strebte nach dem Besitze der Hand-
schrift. In diesem entscheidenden Momente griff die Wiener Hof-
bibliothek ein und erwarb um den verlangten Preis die Handschrift^).
Und Graf Georg Thurn ? Dieser lebte damals als Feldmarschall-
lieutenant und Divisionär in Pest (vgl. Wurzbach a. a. 0, 45. Theil,
S. 120) und erfuhr erst aus der Wiener Zeitung, daß ihm seine werth-
volle Handschrift entwendet worden war; bevor er noch Schritte
thun konnte, war sie schon verkauft. Aber auch der Kecurs, den
er später wirklich ergriff, fiel nicht zu seinen Gunsten aus; die Hof-
bibliothek hatte mit der Handschrift auch den von Schratt ausge-
stellten Revers und einen Abdruck seiner Ankündigung in der Wiener-
Zeitung') erworben, und diese für einen rechtsünkundigen Menschen
höchst unbedeutenden Dinge schützten die Hofbibliothek in ihrem
kostbaren Erwerbe. Doch führte der Recurs zur Bestrafung des Diebes,
Schratt kam um seine Provision. — Dies die wahre Geschichte
einer verlorenen Handschrift
Wäre die Handschrift nicht gestohlen worden, so befinde sie
sich schon längst im fernen Bleiburg. Daß sie aber an ihrem jetzi-
gen Orte leichter zugänglich und ungleich besser ge-
borgen ist, unterliegt keinem Zweifel* Und dies ist bei dem sehr
') Und swar noch im Monate März, wie ich ans dem Zettelkataloge der Hand-
schriften ersah. Herr Scriptor Dr. A. Göldlin von Tiefenan, wie immer liebenswürdig
und gefällig, gestattete mir nämlich einen Einblick in denselben. Dadurch wurde es
erst möglich, die Ankündigung der Handschrift in der Wiener-Zeitung zu finden und
das Datum des Reverses richtigzustellen. Jedermann liest dieses mit 10. April. Das
kann es aber nicht bedeuten: Schratt kann nicht Anfangs April die Übernahme der
Handschrift zum Verkaufe bestätigen, nachdem dieselbe am 17. März bereits von ihm
in der Wiener-Zeitung zum Verkaufe angeboten und bald darnach von der Hof-
bibliothek angekauft worden war. £s kann somit die für den Monat gesetzte römische
Zahl nur 11 mit einem Schnörkel oder einen unvollendeten IH bedeuten.
') Beide wurden später der Handschrift vor dem rückwärtigen Deckel bei-
gebunden.
230 FRANZ KBATOGHWIL
hohen Werthe der Handschrift nicht gleichgiltig. Ihr Verlust wäre
unersetzlich selbst jetzt noch; sie ist die Suchenwirt-Hand-
schrift xccr' sJ^oxiiv. Ihr Werth wird erst klar durch die Betrachtung
der übrigen Handschriften.
IL af.
Die Tabulae codicum erwähnen nichts davon, daß A eine
andere Handschrift beigelegt ist, nämlich a, eine Abschrift des
Suchen wirtischen Gedichtes Von Der mynn slaff von unbekannter
Hand des vorigen Jahrhuhdertes, wie schon nach der Schrift
anzunehmen ist. Die Abschrift bestand ursprünglich aus einem
halben und einem Viertelbogen; man denke sich einen ganzen Papier-
bogen von oben nach unten in vier gleich breite Streifen zerschnitten
und jeden derselben auf beiden Seiten mit 46 — 50 abgesetzten Versen
beschrieben. Der halbe Bogen hatte zwei solche Columnen, er' wurde
Ende 1878 auf meine Anregung von dem seither verstorbenen Custos
J. Haupt in zwei Streifen zerschnitten; somit umfaßt jetzt die
Abschrift drei Streifen. Um sie vor Verlust zu sichern^ wurden
dieselben auf den drei ersten leeren Blättern nach dem letzten
Gedichte in A (vgl. S. 208) befestigt.
Da das Gedicht Von Der mynn slaff nvir in A erhalten ist
so liegt die Annahme, daß diese Handschrift als Vorlage für a
gedient habe, sehr nahe. Unterstützt .wird dieselbe noch durch Ver-
gleichung des Gedichtes in beiden Fassungen: sie zeigt
Übereinstimmung, oft sogar in den kleinsten Kleinigkeiten.
Abweichungen kommen wohl in a vor, doch erklären sie sich
fast sämmtlich aus dem Drange des Abschreibers, Schreibweisen und
Sprachformen der alten Fassung zu modernisieren. So hat er
Anfangs eine regelrechte Interpunction eingeführt und sämmtliche
Hauptwörter groß geschrieben, aber bald fügt er sich mehr und mehr
der alten Schreibweise. Nur die i" oder ^ gibt er durchaus mit i und
schreibt ie nur dort, wo es schon das Original bringt; u mit dem
Haken •' drückt er durch Umlaut des u aus {tut : gut : milt V. 163, 241
u. s* w.) , die durch den Haken angedeuteten Flexions-6 ignoriert er
gewöhnlich. V. 6 schreibt er ihrer für *r, 17 und 191 Dcu für des^
18 Hofmaisterin für hofTnaisterine, 83 cwalm für twalm, 128 um für
umb u. s. w.
t Dieses Zeiclien eeigt an, daß P die Handschrift nicht gekannt oder doch
in seiner Ausgabe der Qedichte Suchenwirt*s nicht benützt hat.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENW1RT-HS8. 231
Änderungen wie sie^^er für 9U^%er V. 13, wisie für weaie V. 23,
gortm für garten V. 5, Dar für dar V, 54 und 55, Auflösungen von
Abkürzungen wie in weinS puech V. 188 (ebenso in V. 5) mit dem
Accusatiy mag weniger der Drang zu modernisieren als des Schrei-
bers österreichische Mundart veranlaßt haben.
Einige Abweichungen sind durch unrichtiges Lesen entstan-
den, 80 V. 7 chreneel, 8 sprechen, 31 niemander wekchen (A hat
nieman U wekchen) ^ 76 tat, 91 no; aHera ain in V. 109 ließ er ganz
weg; offenbar war es ihm unverständlich.
Erscheint somit a im Oanzen für die Textkritik belanglos,
so kann man dieser jungen Handschrift als Beleg, daß Suchenwirt's
Dichtungen auch im vorigen Jahrhundert nicht ganz vergessen waren,
ein historisches Interesse nicht absprechen.
III. Bt.
Anders verhält es sich mit B. Diese Papierhandschrift gehört
der oberösterreichischen Cistercienserabtei Schlierbach, trägt dort
die Signatur I, 27 und wurde mir durch die Güte des hochwürdigen
Herrn Stifts Vorstandes Florian Schininger unter Bürgschaft des Pro-
fessors G. Friess in Seitenstetten (vgl. S. 226) zur Benützung über-
lassen. Sie stammt aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts und
zählt Alles in Allem 403 Blätter in Folio, von denen 54 unbe-
schrieben sind.
Ihre Entstehung verdankt sie dem gelehrten Job Hartmann
Enenkel von Albrechtsberg'), Freiherrn auf Hoheneck und
Goldeck. Das besonders in Niederosterreich begüterte Geschlecht läßt
sich bis 1009 zurück verfolgen ; es wurde 1477 ritterlich, in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhundertes freiherrlich. Der letzte des Mannesstammes,
der oben genannte Job Hartmann, 1576 geboren, wurde kaiserlicher
Rath und Kämmerer, Landrath von Oberösterreich, 1613 Regent der
niederösterreichischen Lande (d. i. n. ö. Regimentsrath) und starb in
seinem ÖO. Jahre am 9. Februar 1627 zu Wien. Vgl. Hoheneck,
Genealogische und historische Beschreibung der löblichen Stände in
dem Erzherzogthum Österreich ob der Enns, 3. Band (1748), S. 122 bis
154 und Zeitschrift f. d. Alt. 28. Band (1884), wo Philipp Strauch
in der Abhandlung: Studien über Jansen Enikel S. 35 — 64 die Frage,
ob der Verfasser der Weltchronik und des Fürstenbuches
aus demselbenGeschlecht wie derSchreiber vonB stammei
') An der Bielach bei Melk.
232 FRANZ KRATOCHWIL
verneint und die Literatur über Letzteren zusammenstellt. — Enenkel
war selbst dichterisch thätig; die Gelegenheitsdichtung war sein Feld
(vgl. unter andern die Nummern 21 — 25, 29 und 3S der Handschrift
lOlOO der Wiener Hof bibliothek) ; er war ein warmer Liebhaber deut-
scher Literatur, großer Bücherfreund und besaß eine reichhaltige
Sammlung von Handschriften, die aber nach seinem Tode nach allen
Richtungen zerstreut wurden. Vieles kam in die Wiener Hofbibliothek
(vgl. Strauch a. a. 0.)> zwei Bände Genealogien in das n. ö. Landes-
archiv, anderes in das Museum Francisco- Carolinum in Linz u. s. w.
Auf welche Weise B in das vom Kaiser Ferdinand H. 1620 den
Cisterciensern übergobene Stift Schlierbach kam, ist mir nicht bekannt.
Ein Jahrhundert darnach benützte wahrscheinlich Freiherr von
Hoheneck^) diese Handschrift zu seinem oben angeführten Geschichts-
werke (vgl. S. 244 f.) ; gewiß ist, daß sie Dr. von Meiller's Aufmerksam-
keit erregte und durch dessen Nachlaß das Interesse des Professors
6. Friess, welcher in seiner Abhandlung: Fünfunedierte Ehren-
reden Peter Suchenwirt' s, Wien 1878, 30 S. (Separatabdruck
aus dem Octoberhefte des Jahrganges 1877 der Sitzungsberichte der
philos.-histor. Classe d. kais. Akad. d. Wiss., LXXVHL Bd., S. 99 ffi)
der gelehrten Welt nebst Mittheilungen aus dem Codex auch eine
kurze Beschreibung desselben gab.
Es sind in demselben zwei Zählungen angebracht. Eine alte,
vom Schreiber Job Hartmann Freiherrn von Enenkel her-
rührende, die beim Einbinden des Codex in Pergamentdeckel durch
das Beschneiden des Papiers ganz oder theilweise wegfiel, zählt nach
Seiten, erreicht Seite 819 und rechnet die zwei letzten Blätter, die
zum Deckel gehören, nicht mit, wohl aber die zwei, die zum Vorder-
^) Ausdrücklich beruft sich Freiherr von Hoheneck an sehr zahlreichen
Stellen seines Werkes aaf in seinem Archive befindliche^ ans Baron Enenkers Feder
stammende genealogische Mannscripte. — Möglich ist es, daß unsere Handschrift
schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von Valentin Preueuhaeber sen.
benützt wurde. Dieser handelt unter Nr. 12 seines Catalogus supremorum capitaneo-
rum Austriae superioris von Hans von Traun und beruft sich dabei auf ein Manu-
script de rebus gestis D. Joan. Baronis a Traun (Preuenbueber, Annal.
Stjr. S. 416). Er gibt aber den Inhalt desselben leider nur in ganz allgemeinen
Zügen, die zwar zur höchst wahrscheinlichen Annahme, daß unter
dem angeführten Manuscript nichts anderes als SuchenwirVs Rede
auf Hans von Traun gemeint sei, völlig ausreichen, nicht aber zur
l^ntscheidung, ob Preuenhueber das Gedicht in der Fassung von A
oder B vor sich gehabt habe. Bis auf das Todesjahr passen seine An-
gaben eben zu beiden.
ÜBER DEN GEQENWÄRTIGBN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 233
decket gehören, von denen aber nur npch ein Blatt vorhanden ist.
Gegen den Schluß ist in Enenkels Zählung ein Fehler gekommen:
er sollte 804 Seiten erreichen. Stellenweise (wie bei den Gedichten
Suchenwirt's) ist die zum Theile weggesehnittene Zählung von neuerer
Hand mit Tinte angebracht* Außerdem findet sich eine Zählung nach
Blättern; sie stammt aus neuester Zeit, ist mit Blei hie und dia
angebracht, namentlich wenn ein neues Stück in der Handschrift
aniUngt. Das eine noch vorhandene Blatt nach dem Vorderdeckel ist
eingerechnet. Dort, wo 200 steht, sollte 201 stehen, es ist somit die
Zählung von hier an bis zum Schlüsse unrichtig.
Der Deckel ist namentlich an den unteren Ecken durch Wurm-
stich schadhaft; auf dem Rücken steht von älterer Hand geschrieben:
Historia de Sancto Severino.
Diese Vita nimmt aber nicht vielleicht den größten Raum der
Handschrift in Anspruch, mit ihr beginnt die Handschrift^ von ihr hat
sie die Aufschrift. Die übrigen Stücke sind gleichfalls historisch, stehen
mit der Geschichte Österreichs in engerer oder weiterer Beziehung
und sind nach den in der Wiener Hofbibliothek befindlichen Hand-
schriften geschrieben. Das größte Stück darunter und überhaupt der
Handschrift ist Fürsienbuch von Oesierreich und Sieyerland \ Beschriben
vor mehr als 350 Jahren \ von \ Hennen Jansen dem Enencheln. Der Ab-
schreiber macht unterhalb dieses Titels die Bemerkung, daß diese Ab-
schrift von Hieron. Megiser, dem er sie 1613 nur zum Anschauen
gegeben, 1618 zu Linz in Druck gelegt worden sei, erst 1623 habe
er sie wieder zurückerhalten^). Viereinhalb Blätter nach dem Fürsten-
buche, von Seite 434—485 nach Enenkel's Zählung, folgen
Gedichte Suchenwirt's, jener Theil des Codex, auf dem
allein aus später ersichtlichen Gründen der wahre Werth
dieser umfangreichen Handschrift beruht.
Der Titel steht S. 434 und lautet: Dises Heldenbuech oder beschrei-
bung ^KJLm Oesterreichischer umb die 1300. 1330. 1350 1380 berümbten
helden Bitterlicher Thaten Ist abgenommen vnd geschriben mit meines
vnderschribnes handen^ aus dem alt vor 200, Jahren geschribnen
buech bei Herren Wolf Christoffen Velderndorfer zum Neiden-
stein^) Zu befinden: vnd miers mitgetheilt Im 16 2 6* Jar. Dabei noch
') Megiser erwähut in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Fürstenbuches nichts
von dem, wohl aber beruft er sich auf zwei alte auf Pergament ge;9chriebene £xem».
plare des Fürstenbuches in der kaiserlichen Bibliothek zu Wien,
') Wolfgang Christoph Freiherr Ton Velderndorf (geboren 1672) gehört einem
niederösterreichischen Adelsgeschlechte an, das sich bis in das elfte Jahrhundert ver-
234
FRANZ KRATOCHWIL
andere mehr Poetische beschreibung oder geiichte^ samt eingemischten
historien von Oesterreiehen Sach^ absonderlich in ein buech geschriben.
Die näohste Seite ist leer. Von Seite 436 an folgen 21 Gedichte
Sachen wirt's in nachstehender Ordnung:
Zählung nach
Friess und
Primisser
Von Seite . . .
der Handschrift
bis Seite . . .
Überschriften der Qedichte
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
n
III
IV
V
I
II
IX
XIV
XVIII
XI
X
XII
XIII
436'^*)
436"-— 438'
438'— 439"
439"— 441'
441'— 442"
442''_444»»
444"— 445"
445"— 447'
447'— 450"
450"— 456"
456"- 460'
460'— 463'
463'-464"
464" -467'
Lobgedieht auf Moriz von Hawnfeld.
NB. Titel fehlt
Von Hern Hansen von Chappell
Von Herzog Albrechten von Oester-
reich
Von Hern Albreehten von Rawehenstein
Von Hern Sumolf Lappen von Ern-
wieht
Von Chünig Ludweigen von Ungernland
Von der Chaiserinn von Payern
Von Hern Puppli von Ellerbach
Zum Lobe Friedrichs von Chrewspekch.
NB. Titel fehlt
Von Herren Hansen von Traun
Von Graff Ulreichen von Phannberg
Von Hern Puppli von Ellerbach
Von Hern Hertweigen von Pettau
Von Hern Ulreichen von Waise
folgen läßt. Den Namen hat es von dem kleinen Orte Velderndorf, ehemals auch
Völlerndorf, Völderndorf, Felderndorf, jetzt Feilendorf, in der vom n. ö.
Landesausschasse 1882 herausgegebenen Obersichtskarte der Flußgebiete von Nieder-
österreich Fallendorf genannt; es liegt 9 Kilometer westlich von St. Polten zwischen
der Siming und Bielach. 1613 kam Wolf Christoph von Veldemdorf auch in den
Besitz der kleinen Herrschaft Neidenstein (auch Nentenstein genannt), die aus
dem Schlosse Neidenstein und dem Orte Unter-Grafendorf (am rechten Ufer der Persch-
ling zwischen Jeutendorf und Böheimkirchen) besteht. Seit Anfang des vorigen Jahr-
hunderts hat Neidenstein zu wiederholtenmalen seinen Besitzer gewechselt, so daß leider
„von dem alten Buch** keine Spur mehr zu finden ist. Vgl. J. Fr. Gau he, Des Heil.
Rom. Reichs genealogisch-historisches Adelslezikon, 1740, 1. Bd., S. 628f.; J.Seifert,
Hoch-Adeliche Stammtafeln, 1721, 1. Theil, Nr. 19, und Fr. Schweickhardt Ritter
vonSickingen, Darstellung des Erzherzogthu ms Österreich unter der Enns. Viertel
ober dem Wienerwald, 8. Bd. (1836), S. 15—17 und S. 100—101.
') a = linke, b sa rechte Spalte.
ÜBER DEN GEGENWlBTIGEN STAND DER 8UCHENWIRT-H88. 235
,2 oj
Sä®
Zählang nach
Friess nnd
Primisser
15
16
17
18
19
20
21
(vi)'),pm
(VII) ^), vu
VI
XV
vm
XVI
XVII
Von Seite . . .
der Handschrift
bii Seite . . .
467»— 470'
470'— 472**
473'— 475'
475'— 477»*
477t»_480»
480*»— 482**
482**— 485**
Überschriften der Gedichte
Von Hercaogen Albrechten yon Oester-
reich
Von Pnrchgraff Albrechten von Nnm-
berg
Von Herezog Hainreichen von Kemden
Von Hern Lewtolden von Stadekk
Von Herren Purkharten von Ellerbach
dem alten
Von Graven Ulreichen von Cyli
Von Hern Fridreiehen von Lochen
Während der erwähnte Titel eine undeutiiche, verzogene Carrent-
schrift^ zeigty sind die Gedichte in schöner, gut lesbarer lateinischer
Schrift des 17. Jahrhunderts geschrieben, auf jeder Seite zwei
Columnen, jede zu ungefähr fünfzig Zeilen. Die Verse sind abgesetzt
und beginnen bald mit großen bald mit kleinen Buch-
staben. Die Überschriften sind in größerer Schrift geschrieben; es
ist durchaus nur schwarze. Tinte verwendet.
Bei dem ersten Anblicke fallen die großen Anfangsbuch-
staben im Innern der Verse auf, deren Verwendung weit aus-
gedehnter, aber schon consequenter ist als in A. Im Übrigen ist jedoch
die Schreibweise der Handschrift mit der von A im Ganzen über-
einstimmend. Beide Handschriften sind nicht frei von Inconsequenz :
dasselbe Wort, sogar in demselben oder nächstem Verse, zeigt zu-
weilen verschiedene Schreibung. Unter den Buchstaben ist nur ^ neu,
wechselt aber häufig mit zz. Das Dehnungs-A nach dem t begegnet
öfter, so B S. 463 = P X, 242 thet, Friess VI, 52 that Während
in A ebenso oft tz wie cz verwendet wird, ist in B Vorliebe für ez
bemerkbar.
Von den in A zur Bezeichnung von Vocalen und Diphthongen
üblichen Haken kommen häufiger vor ^, dann ' und'', selten ^,
ausnahmsweise °; hingegen liebt unsere Handschrift beson-
») Vgl. S. 238.
*) Sie gleicht ganz Enenkel's Autograph in der Handschrift der Wiener Hof-
bihliothek Nr. 10100*, welche f. 165»* ein Gedicht von ihm bringt ^für Herrn Peter
von Scherenberg auf sein Dama einer Poplin za Siena in Toscana**.
236 FBINZ KRATOCHWIL
dera das Zeichen '". Dieses vertritt alle Haken von A, und zwar
in der Seite 213—217 dargelegten dreifachen Verwendung derselben.
Doch fehlt in B der Haken als Zeichen der Diphthonge öfter
als in A; so begegnen nicht wenige u für tio, ue und t = ie. Dar-
nach wird uns das häufige Fehlen des Hakens in B, wo es sich um
Halbdiphthonge oder gar um S varabhakti handelt, nicht so sehr
wundernehmen; sind doch selbst in A die durch Haken bezeichneten
Svarabhakti nicht besonders zahlreich. Immerhin ist aber nicht zu
leugnen, daß der Schreiber von B nur geringe Vorliebe ftlr Formen
mit Svarabhakti zeigt; denn selbst die in A durch e oder t ausge-
drückten gibt B nicht immer. Der Punkt ober i fehlt oft, doch, wenn
er gesetzt wird, befindet er sich meist über dem i und nicht (wie in
A oft) seitwärts davon, so daß die Schrift lesbarer ist.
Die Unterscheidungszeichen sind nur selten. Am Ende
des letzten Verses von Nr. 1, 2, 4 und 5 begegnet ein Punkt, desgl.
nach dem Titel von Nr. 3, 15 und 16; in Nr. 5 V. 96, Nr. 15 V. 25,
37, 42 und in Nr. 16 V. 3 finden sich auch Beistriche, in Nr. 9, 118»
(dieser Vers fehlt in A) ein Ausrufungszeichen. Ich glaube, selbst
diese wenigen Zeichen dürften von Enenkel herrühren.
Der Abkürzungszeichen sind zwei: ^ und s. Wie in A steht
ersteres bisweilen unnöthig, wird aber sonst nicht nur oft, sondern
auch in ausgedehnterer Weise verwendet als in A (vgl. S. 212),
indem es nicht selten für auslautendes e (ueind Nr. 1, 193, Nr. 8, 127),
einmal auch für auslautendes s (Nr. 14, 158 de) steht. B S. 468^ be-
gegnet ds {-= des)^ was Friess VI, 60 irrig mit das aufgelöst hat. n
= nn und m = mm findet sich oft {danen Nr. 19, 183 und 185,
Hawbtman in einem nach 448 eingeschobenen Verse von Nr. 10, czu-
saihe 10, 271 u. s. w.), 12, 166 u. ö. Ihn = Jesu, _ ^ hat eine etwas
engere Bedeutung als ' in A (vgl. S. 211 f.); es bezeichnet in der
Regel er, doch auch ur (sehr häufig d^ch\ ganz ausnahmsweise ar^ ir
{bewH : art Nr. 14, 169, wde = wirde^'Sr. 5, 3) und ert (hund^, dorffer
in Nr. 21, 18 Ergänzungsvers. Häufig begegnet Osterr" oder Oesterr\
selten Oster^,
Was die Schreibfehler (im Sinne von Versehen durch Eile
oder Vergessen) betrifft, so sind dieselben verhältniß mäßig häufiger
als in A. Höchst wahrscheinlich hat Enenkel seine umfangreiche Ab-
schrift, nachdem er sie fertig gebracht: nicht mehr mit der Vorlage
verglichen; manche Versehen hat er gebessert: sie mögen ihm gleich
beim Schreiben aufgefallen sein. Übrigens konnte ja auch seine Vor-
lage hie und da fehlerhaft sein.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT- H8S. 237
Unsweifelhaft iat es, daß durch manche solche Verstöße der Text
leidet; an nahezu dreißig Stellen erscheint dadurch der Sinn gestört.
In den Reimen begegnet selten Auffälliges. Von den zwanzig
hieher gehörigen Fällen zeigen fast alle nur ganz unbedeutende Ver-
sehen, wie sie leicht beim Abschreiben unterlaufen; sie lassen sich
auf den ersten Blick corrigieren, aber auch die paar anderen bedeu-
tenderen Reimstörungen sind unschwer zu beheben. Eine derselben:
voglaaneh noch mayen Lust
den herczen gaben wenig güst
in Nr 18^ 85 möchte ich auf EnenkeFs Rechnung setzen; seine Vor-
lage wird gleich A gehabt haben Ivft : guft. Da ihm letzteres Wort
vielleicht unverständlich war, hielt er es fUr Verderbniß und suchte
zu bessern ; er hat aber nur den Text verschlechtert. Dasselbe glaube
ich von einigen anderen verderbten Stellen außerhalb des Reimes.
So heißt es in Nr. 10, 508:
do woß der Winter recht eo chaü\
es stand schon (wie in A) nicht ; dieses wurde aber, da Enenkel den
Sinn nicht verstand, in recht geändert. Nr. 14, 56 schreibt er:
er was ein über holdes Kraft
(A über heldes), 14, 212 darin falsch (A vasch), 15, 31 Unschulden
A von schulden)^ 16, 184 Senuise graben (A Qen muse), 21, 89 be-
trogt (A bevogt).
Wie viel von all den Ungenauigkeiten auf Flttchtigkeit oder
Mißverständniß Enenkers, wie viel auf Uulesbarkeit oder Fehler-
haftigkeit seiner Vorlage zu setzen kommt, läßt sich nicht entscheiden.
Immerhin ist ihre Gesammtzahl im Verhältnisse zum Um-
fang der Handschrift gering. Eine sorgfältige Vergleichung zeigt
nicht nur Übereinstimmung unserer Handschrift mit A im
großen Ganzen, sondern oft in den kleinsten Details; ja, sie ist mit-
unter geradezu überraschend. So hat P XI, 158 f.:
Da von mein vrewd vergeUet^
Iv sü%^ikait ist worden sawer^
hingegen B mit A m, und V. 322 Got vater setze, B und A aber Got
herre vater; P VII, 51 leben, dezj A da? (vgl. S. 215), B das, V. 139
P Chriehen, AB chriechen, V. 190 P Waegen, AB wegen\ P VI 45
De^ ist da:; leben, A B der; P XV, 184 Oetrewer, AB getrewn; P
Vin, 32: Mit wort, gedanchen, guter tat^
A B mit vorgedankchen, V. 84 P erslagen, A hatte wie B geslagen,
doch hat der Schreiber in A nachträglich die erste Silbe geändert,
V. 137: Die flucht pracht er ze wal hemider,
ORBMAMU. N«a« a«Ui« XXII. (XXZIT.) Jahr?. lg
238 FRANZ KRATOCHWIL
A zemal, B zumal-, P XVII, 85 An der Oder, A B Ader, V. 127 Den,
von Maekelhurch, B mit dem Meklburg, A hatte mit dem, aber mit
sieht verlöscht aus, V. 131 P gewunn, B gewunnen, desgl. A, aber en
ist ausgestricheD. — Diese Stellen, die sich sehr leicht bedeutend ver-
mehren ließen, bezeugen nicht nur die große Übereinstimmung
zwischen B und A, sondern lassen auch die Annahme zu, daß
Enenkel seiner Vorlage, wo sie ihm keine Schwierigkeiten
bereitete, in der Regel getreu gefolgt ist Es ist also zu
schließen erlaubt, daß die oben berührten Ungenauigkeiten größten-
theils auf Rechnung der Vorlage zu setzen seien.
Dazu stimmt, daß die Sprach formen fast ausnahmslos mit
denen von A congruent sind. Doch zeigt unsere Handschrift keine
Vorliebe für den in A häufigen Wechsel von 6 und «?, hingegen findet
sich fast durchaus die, wo A dt hat, auch gebraucht Enenkel nie die
Formen schol, acholde, sondern immer mit dem einfachen Anlaute 8\
sonst steht seh statt 8 ganz vereinzelt in Nr. 12, 49 und 129, auch
die Form mancher begegnet nur ausnahmsweise.
Überhaupt macht EnenkePs Abschrift der Suchenwirtischen
Gedichte, von den Schriftzügen abgesehen, ganz den Eindruck einer
alten Handschrift, obwohl sie erst 1625 angelegt wurde. Früher kann
sie nach EnenkeFs Angabe auf dem schon beregten Titel nicht ent-
standen sein, aber auch nicht viel später, da Enenkel 1627 starb;
andere Theile des Codex sind freilich schon bedeutend früher (1613)
geschrieben worden. Wenn nun Jemand die Handschrift, auf deren
unbedeutendes Alter reflectierend, geringschätzig beurtheilen möchte,
so würde dies dem Werthe derselben widersprechen.
Dieser ist nach dem bisher Gesagten trotz ihrer Jugend sehr
bedeutend. Er wird noch dadurch erhöht, daß sie fünf neue Ge-
dichte bringt, von denen besonders vier historisch verwerthbar sind;
dadurch wird die große Lücke am Anfange von A nahezu ganz aus-
gefüllt. Aber auch vier andere Lücken in A fanden durch B
ihreErgänzung; davon waren zwei schon P bekannt, die eine von
89 Versen in A Nr. 12 nach dem V. 116, die andere von 41 Versen
in A Nr. 15 nach dem V, 185. Professor Friess veröflfentlichte zugleich
mit den fünf Ehrenreden unter Nr. VI und VII auch die Ergänzungs-
verse zu diesen beiden Lücken*) (a. a. O. S. 26 — 30). Zwei andere
') Zu findem sind folgende Stellen, und zwar in I, 17 firumde in firomde, 20 toey>
den in werdem, 25 mvUen in miillen, 45 «o in do, 84 numigen in maniger; in II ist zu
lesen: 1 pitt mit u. s. w. , 4 helffe, 8 inn. und^ in V. 18 hat B gemawre, in 25
loiUen: pillen, 48 wo. awert, 68 mendleiehy 86 wcu, 100 det% 104 geslagen, in 61 hat
ÜBER DEN GEGENWiBTIGEN STAND DER 8UCHENWIRT-HSS. 239
Lücken, jede zu 52 Versen, sind bisher unbemerkt geblieben, die
eine in Ä Nr. 9 nach V. 34, die andere in A Nr. 27 nach V. 52:
die Ergänzungsverse beider Lücken gebe ich im Anhange
zu dieser Untersuchung.
Daß aber diese fünf Gedichte und vier Ergänzungen
wirklich von Suchenwirt herrühren, unterliegt keinem
Zweifel. Allerdings sagt Enenkel ausdrücklich mit keinem Worte,
daß die von ihm abgeschriebenen Gedichte dem Suchenwirt ange-
hören; aber am Ende seiner Abschrift (S. 485 b) hängt er dem
Schlüsse des letzten Gedichtes noch die Bemerkung an: Hie habent
die rede uon den Wappen ein ende. Hier bringt also Enenkel
ein Ganzes, die fünf fraglichen Gedichte erscheinen in Verbindung
mit 16 anderen, welche unbestritten längst als Suchenwirt's Eigen-
tbum allgemein gelten. Zudem steht das fünfte dieser Gedichte wenig-
stens mit seinem Schlüsse in A, in jener Handschrift, welche aus-
schließlich Gedichte Suchenwirt's enthält. Es ist aber mehr als
wahrscheinlich, daß nicht nur der Anfang des fünften Gedichtes,
sondern auch die vier anderen Gedichte einmal in A gestanden haben
(vgl, S. 228 f.). Daß Suchenwirt sich in den fünf Gedichten nicht
nennt, ist kein Einwand; das Gegentheil wäre sogar auffällig»
da er dieses in keiner seiner Ehrenreden thut, diesen aber sind
die fünf Gedichte in allen Stücken conform. Wie dort han-
delt es sich auch hier um das Lob österreichischer Edlen: er
preist Moriz von Haunfeld, Jans von Chappell, Herzog Albrecht II.
den Lahmen und Albrecht von Rauhenstein. Alle bis auf den Herzog
sind todt; das fünfte Gedicht ist satirisch. — Auch die Ausführung
des Themas ist um kein Haar anders: er beginnt mit dem Bekennt-
nisse seiner poetischen Ohnmacht und der Anrufung der göttlichen
Hilfe und endet mit der Empfehlung der Seele des Verstorbenen an
die Gnade Gottes und mit der Beschreibung des Wappens seines
Helden. Auch was Diction, Sprache und metrischen Bau be-
trifft, gleichen die fünf Gedichte ganz den anderen Ehrenreden.
Letzteres gilt auch von den Ergänzungen. Daß sie echte, wesentliche
zu entfallen der, in 87 er; in III ist su lesen: 10 gwalt, 11 mein, 63 irewen, 65 ckrümbef
109 möden, 116 in, in 47 bat auszufallen die vor toewen; in IV ist zu lesen: 26 tr,
64/röW, 61 heldes, 82 moffd, 183 naget, 136 helle, 141 under; in V hat B V. 2
uemänst, 28 nu, 30 der^ 43 erd, 48 dem, 73 do er, 87 gOrtel, 92 einen, 93 im, 102
öphltremk, 106 geschehen, 110 glider, 111 toom, 142 ^te^; in VI: 21 gesach, M firewden-
reiche», 44 armew, 48 uö jugent, 57 nu dar, 60 det, 67 mir (nicht nur), 80 »childe,
88 waa-, in VII: 18 w>n dem^ 24 selbe» und 89 den (nicht der).
16*
240 FRANZ KRATOCHWIL
Theile, keine müßigen Erweiterungen der Gedichte sind, sieht
Jeder, der nur aufmerksam die Nummern 12, 15 und 27 in A mit
ihren Ergänzungen in B liest; dasselbe gilt von der Ergänzung zu A
Nr. 9 (Rede vom verstorbenen jungen EUerbach), deren Echtheit
und Nothwendigkeit am deutlichsten aus A Nr. 5 (Rede auf den
lebenden jungen EUerbach), V. 58—113 erhellt.
DerWerth von B zeigt sieh auch, wenn in A Wörter fehlen,
wie z. B. A Nr. 15, 75, 192; Nr. 16, 72, 75, 214; Nr. 27, 51, 178;
ferner wo A schwer leserlich oder unlesbar ist, wie A Nr. 1,
18, 43; Nr. 9, 144; Nr. 13, 111, 117 (zweite Recension); endlich
wo A fehlerhaft oder sinnlos ist, z. B. A Nr. 15, 199; Nr. 16,
66; Nr. 22, 182, 231, 243; Nr. 27, 53. — Es hat sieh nämlich als
unzweifelhaft herausgestellt, daß unsere Handschrift nicht selten dem
Sinne nach Besseres bietet als A.
Das Urtheil über den Werth der Handschrift wird keineswegs
dadurch umgestoßen, daß B zuweilen Verse versetzt, einen Vers
etwas früher oder später als A oder statt eines Verses in A
einen neuen bringt; so ist V. 119 von Nr. 13 in B = V. 120 von
Nr. 10 in A, V. 120 in B:
deraelb mit sterk un ehren geuast
ist ein neuer Vers, der in A nicht vorkommt. Letzteres gilt auch von
folgenden Versen in B:
Nr. 14, 30 wan er ye lobes chunde warten
V 14, 172 darnach der degen here
7i 19, 152 81 chomen ungeladen
71 21, 106 die was enuaUen swer
n 21, 107 wie wid^ in wer daz gancz lant.
Der Werth der Handschrift wird selbst dadurch nicht beein-
trächtigt, daß sie hie und da Lücken hat. Von den größeren gibt
Enenkel selber Rechenschaft. So schreibt er B S. 436 vor Beginn
von Nr. 1: J9tW Helden beschreibung ist ein abgang, wegen etlicher
aber nit gar uiler hsrausgerisßn&r bletter; B ist also gleich A zu Anfang
lückenhaft, von Nr. 1 fehlt Titel, Einleitung und ein Theil des Hittel-
stückes. Und nach V. 138 von Nr. 8 bemerkt er S. 447' der Hand-
schrift: Hier ist auch ein ahgang wegen eines oder zwaier herausgerußner
bletter. Die zweitnächste Zeile lautet:
do wart er zu derselben stunty
und es geht so fort, daß es für den oberflächlichen Beobachter den
Anschein hat, als ob nach der Lücke das Gedicht vom jungen EUer-
bach fortgesetzt werde. Aber das, was nach Enenkel's Bemerkung
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWERT-HSS. 241
folgt, ist ein ganz anderes Gedieht : es handelt von Kreuspeck. Somit
fehlt von Kr. 8 nach V. 139 alles bis zum Schlüsse, das sind 104
Verse, und von Nr. 9 der Anfang, nämlich V. 1 — 40.
Von den kleineren Lttcken ist die größte in Nr. 10 nach V. 124:
sie erstreckt sich auf zehn Verse. In Nr. 3 läßt die Unterbrechung
des Reimes nach V. 41 den Ausfall von mindestens einem Verse er-
kennen; ganz dasselbe zeigt sich noch an fttnf anderen Stellen: in
Nr. 9 fehlt V. 80, in 11 V. 150, in 12 V. 164, in 14 V. 28') und in
20 V. 136. — Andere Lücken umfassen nicht einmal einen ganzen
Vers. So sind die Verse 64 — 73 von Nr. 1 an ihren Enden mehr
oder weniger unvollständig. Enenkel hat das fehlende Stück des
Originals gezeichnet und in die Umrisse hineingeschrieben: War
hinweg gerissen. Dieselbe Zeichnung und die gleichen Worte darin
finden sich S. 436^ der Handschrift zu Beginn von Nr. 2; hier sind
die Verse 1 — 10 zu Anfang mehr oder minder verstümmelt In Nr. 9
fehlt das letzte Wort (und damit der Reim) des V. 311, desgleichen
im V. 206 von Nr. 16; in Nr. 18 V. 226 fehlt amen. — Die Gesämmt-
zahl der ganz oder theilweise fehlenden Verse in den verschiedenen
Lücken dieser Handschrift erreicht noch lange nicht die Höhe derer
in A.
Dieser Handschrift, welche nach Alter, verhältnißmäßiger
Sorgfalt in Sprache und Vers und in erster Linie durch den Umstand,
daß sie von allen Suchen wirt-Handschriften die größte Anzahl
von Oedichten enthält, den ersten Platz unter allen unbestritten
einnimmt, reiht sich zunächst dem Werthe nach B an. Es
ist dies gerechtfertigt durch das hohe Alter des Originals von B, durch
die im Ganzen vertrauenswürdige Wiedergabe desselben, durch sorg-
fältige Schonung der Sprachformen und metrischen Verhältnisse, sowie
endlich dadurch, daß sie die zweitgrößte Anzahl Suchenwirtischer
Gedichte, darunter bisher unbekannte Dichtungen und wichtige Er-
gänzungen zu den Lücken von A, bringt.
Ja, es ist begreiflich, daß bei so engen Beziehungen zwischen A
und B der Gedanke auftauchen könnte, es sei das von Enenkel auf
dem Titel zu Suchenwirt's Gedichten erwähnte j^alte huecV'^ das ihm
als Vorlage diente, kein anderes als die Handschrift A. Nehmen wir
diesen Gedanken als erwiesen an — daß in A die fünf ersten
Gedichte von B fehlen und A vier Lücken aufweist, die B ausfüllt,
') Hier ist keine Unterbrechung des Reimes, wohl aber eine Störang der
Reimordnnng, insoferne durch den Ausfall des V. 28 drei Verse aufeinander
reimen, während sonsl in den Ehrenreden die Reime gepaart sind.
242 FRANZ KBATOCHWIL
würde ihm am wenigsten widerstreben: die fünf Gedichte können ja in A
gestanden haben (gewiß ist dies in Bezug der Nr. 5 von B) und nach
EnenkeFs Benützung erst weggefallen sein, wie ja auch die Lücken
erst später entstanden sein können — so wäre damit die Frage nach
dem Original von B gelöst und für A das gewonnen , daß ihr bisher
aus verschiedenen Kriterien erschlossenes Alter nun bis 1425 zurück-
geführt und belegt wäre, und es würde sich dann, wie sich später
zeigen wird, dasselbe noch bis 1402 documentarisch hinaufrücken
lassen. Soviel dabei A gewänne , ebensoviel würde B dadurch ver-
lieren: B würde nicht mfehr eine verlorene selbst|ändige
Handschrift von 1425 oder 1402 repräsentieren, sondern
zu einer Copie von A herabsinken, die nur dadurch Werth
hätte, daß sie die in A im Laufe der Zeit entstandenen
Schäden zu reparieren geeignet ist.
Doch der Gedanke, daß A die Quelle von B gewesen,
ist gar nicht haltbar;
a) denn in A ist ja die erste Kede von Ellerbach dem Jungen
vollständig, während Enenkel nicht weiter als bis V. 138 schreiben
konnte, weil danach in seiner Vorlage eine Lücke war von einem
oder zwein Blättern, wie er meint. Da nun in B 104 Verse fehlen,
so käme das in A einer Lücke von zwein Blättern gleich.
h) In A ist die Kede von Kreuspeck vollständig, während in B
die Überschrift nebst den ersten 40 Versen fehlt. Dabei bleibt es
in hohem Grade auffällig, daß der Titel der Handschrift
von zwanzig Österreichischen Helden spricht, während
die Sammlung 21 Gedichte zählt. Es hat für das erste auf mich
den Eindruck gemacht, als ob Enenkel die Verse nach der Lücke
für eine Fortsetzung des vorausgehenden Gedichtes gehalten hätte;
dann allerdings wären es 20 Gedichte. Aber es heißt einem Enenkel
doch viel zumuthen, wenn man ihn eines solchen Irrthums fähig hält.
Konnte Enenkel diesen mit der Anzahl der Gedichte dis-
harmonierenden Titel nicht schon in seiner Quelle vor-
gefunden haben?
c) Es ist auch in A eine andere Folge der Gedichte.
Es muß in der Vorlage für B auf die erste Rede von Ellerbach dem
Jungen gleich die Rede von Kreuspeck gefolgt sein, während in A
die nächste Ehrenrede von Ulrich von Pfannberg handelt, der die
Reden von Ellerbach dem Jungen (zweite Rede), Herdegen von
Pettau, Ulrich von Waise, Herzog Albrecbt IL, Ulrich Waise (zweite
Recension) sich anreihen. Jetzt erst kommt die Rede von Kreuspeck.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIOEN STAND DER SUCHEN WTRT-HBS. 243
d) Nicht BO zwingend wie das Vorhergehende ist, daß in B auf
die Hede von Kreuspeck die tlber Hans von Traun folgt ^ welche
in A die vorletzte Ehrenrede ist. Die Folge der ttbrigen Ehrenreden
ist genau so wie in A.
e) Fraglich bleibt es, ob bei den großen Unterschieden zwischen
A und B in der Rede über Hans von Traan (zehn Verse von A fehlen,
dagegen weist B 24 neue Verse, an sieben verschiedenen Stellen ein-
geschoben'), auf, sonstiger zahlreicher Abweichungen nicht zu ge-
denken) A hiefdr die Vorlage gewesen sein konnte. An sich schon;
man weiß ja — und auch Suchenwirt-Handschriften bieten hiefür
Belege — wie die Abschreiber verfuhren. Aber bei der sonstigen
Genauigkeit Enenkers ist es — selbst bei seiner nahen Beziehung
*) Und Bwar nach dem Verse 431:
cu Herezog Budoif, ün ticA ergeü
in 9ein schirm mU git und hob;
nach dem Vers 484:
nach dem Verse 448:
nach dem Verse 486:
nach dem Verse 487:
samt OUen dem Hcuilauer frwl
und HezMn den JEnenehel guet
uil laidig wm irem Üben hie
dan aUo est im eiurm ergie;
der Bi»eholf wolt in nUhi erlan
er wurd dee ehriegee Hawbtman;
rait mü uiretig P/erdten aüe» fleia ;
ale der ehrieg ufid> mit Fraekreieh
angieng, ezog er gar Higentleieh
czu keif dem uon Engellant
chhnig, d"* in darosBu mit het heeant
der in schOcchl KcUeia zentsehütten
darzä er eich nicht lang Uee bitten
er half der etat, den Franczoye jagt
dee mcmheit manig wemd^ ehlagt
Do er nacher mit eighaßer hant\
nach dem Verse 498:
ein guidein chetten an halz im hankcht
darzue sechshundert march im schankcht
Sein zu denken der Princz im gab
ein chostleich Bing und ander Aa5;
Vers 445 ist dnrch folgende drei Verse ersetzt:
mit zwaihundert auf techahudH rait
slig si un jagt dew unu^^zait
zum land hinaue, wart aber vnmt.
244 FR. KBATOCHWIL, ÜBER DEN QEGENWÄRTIOEN STAND etc.
ZU dem Hause Traun^) — sehr zweifelhaft, daß wenn ihm A vor-
gelegen, er 8o geändert hätte.
Wenn nun A die Quelle für B nicht gewesen sein kann,
was hat es dann mit dem ^falten buech^ für ein Bewandtni ß?
(Fortsetzung folgt.)
FRANZ KRATOCHWIL.
Manche dieser Zusfitze geben für die Geschichte des Helden erwünschte Details,
sie wurden auch von dem Freiherrn von Hoheneck in dem 1732 erschienenen zweiten
Bande seines Werkes in der Geschichte des Hauses Traun (S. 678—717) verwerthet;
ob nach dem f^alten bueeh'* auf dem Neidenstein oder — .was mich viel wahrschein-
licher dflnkt — nach Enenkel's Abschrift, darüber berichtet er nichts. Hoheneck sagt
S. 687 nur, er finde es angezeigt, ein „uraltes'', nach Hans* von Traun Tod „yer-
faßtes Leichengedicht **, wenn auch „zum Theil nur summariter" aufzunehmen. Er
gibt dann S. 687 f. die Verse 1^14 und 37—40, die ebenso wie die S. 690 und 691
angeführten Verse 521—626, 643—663 (Beschreibung seines Wappens) und 560—570
(Schluß) mit B übereinstimmen. Der von Hoheneck S. 688 — 690 gebrachte Aus-
zug des Gedichtes harmoniert Yollständig mit den Varianten und Zu-
sätzen von B bis auf zwei Stellen. B und A nennen (V. 117) den Namen der
Festung, welche Traun während der Sperrung von Calais dem englischen Könige
wiedergewann, nicht, beide erzählen die Hilfe, welche Traun dem Bischöfe von Passan
gegen seine unruhigen Bürger leistet, fast mit denselben Worten (A V. 446—470,
B hat nur um zwei Verse mehr). Hoheneck aber nennt S. 688 den Namen derselben
Cadamum, ob auf Grund seiner Quelle oder nur als eigenen erklärenden
Zusatz, ist nicht zu ersehen; ebenso verhält es sich, wenn er S. 690 anführt,
der Bischof von Passau habe Albrecht vonWinckl geheißen; von den Auf-
ständischen, welche 700 Pferde gehabt haben, aber von der Feste Georgenberg hart
bedrängt wurden, seien 300 gefangen genommen worden. — In beiden Fällen,
glaube ich, hat Hoheneck die erwähnten Angaben nicht demGedichte
entnommen; die auf Passau bezughabenden Details wenigstens konnte er sehr
leicht aus den Annalen von Garsten in dem 1727 erschienenen ersten Bande der Ger-
mania Sacra (S. 475) von Hansiz erfahren haben.
') Er hatte sich 1617 in zweiter Ehe mit Barbara Herrin von Abens-
berg und Traun vermalt; vgl. Wiss grill, Schauplatz des landsäßigen niederöster-
reichischen Adels (6 Bände 1794—1804) 2. Bd., S. 410 ff.
O. BRENNER, LEUTE. 245
LEUTE.
Nicht alle mhd. iu sind ttber&ll gleich ausgesprochen worden.
Darauf weist die jetzige Aussprache des alten tu in schwäbischen
Gegenden. Behaghel hat mich gesprächsweise darauf aufmerksam
gemacht, daß der Unterschied durch den Ursprang bedingt sei. Ich
war durch Formen wie nui, drui, hruier und durch das längere Fort-
bestehen der Schreibung iu in den entsprechenden Formen in bairi-
schen und Würzburger Urkunden zu der Ansicht gebracht worden,
Stellung im Auslaut und vor Vocal sei Ursache der besonderen Aus-
sprache. An der richtigen Erkenn tniß hinderte mich vor Allem ein
Wort: Hute. Ich glaube nun allerdings, daß das umgelautete ü im
Oberdeutschen seine eigenen Wege gegangen ist, und daß die alten
iuy nachdem sie beim Eintritt der neuen Diphthonge getrennt wurden,
sich schließlich wieder meist zu einer Gruppe einigten. Die Unter-
scheidung zwischen u (so will ich den Umlaut des ü hier der Ein-
fachheit halber bezeichnen) und iu erhellt aus verschiedenen Um-
ständen« Einmal ist u an einzelnen Stellen eher eu geworden als iuy
oder eher als et« aufgefaßt worden denn tu, so in Kaiser Rudolfs
Landfrieden für Baiern vom Jahre 1281, wo paul^ hövser, drcevhen
steht, aber frivnty div^ iriv^ diup u. s, f. Sodann wird, nachdem eu
für iu durchgedrungen, sehr oft scharf zwischen altem u, nun esu,
und altem iuy nun eu unterschieden s. u. Endlich findet sich noch
zur Zeit des Monophthonges die Schreibung u für den Umlaut (im
oben erwähnten Landfrieden noch ein verspätetes huser^ 1286 in einer
Urkunde von Ried ehrutzes, in den Carmina burana im jüngeren Theil
fol. 110 v. lüt reimend mit müt), wo iu für den alten Diphthong steht.
Doch fehlen mir für letztere Thatsache genügend zahlreiche Belege.
Nur an Wort fügt sich der durch obige Auseinandersetzung
gebotenen Trennung nicht: das Wort leute ^). Niemand hat, so viel ich
weiß^ bisher bezweifelt, daß dasselbe zu den w-Stämmen zu zählen,
und doch stellt es sich selbst ganz unzweifelhaft zu den umgelauteten
ü-Stämmen. In den ober- und niederbairischen Urkunden von 1284
bis 1349, in denen ich das Wort gefunden habe, ist es nur in 3 — 4
') Auf das einmalige Vorkommen von dUevUch im Landfrieden von 1281 , ge-
rcevtte Urk. von 1297* lege ich so lange kein Gewicht, als ich keine weiteren Belege
finde. Die mit ^versehenen Jahreszahlen weisen aaf Urkunden , die ich selbst ge-
sehen, ** auf zwei verschiedene' solche Urkunden des gleichen Jahres.
246 O. BRENNER, LEUTE.
nicht TOD eu gesondert^ was kein Beweis für die Gleichheit des Lautes
ist. Sonst haben wir
1. leute\ für altes tu aber iu, so 1291* gezivchy nivmich, 1295*
diVf gezivk, nivntzicy ebenso 1296*, 1307*, 1309* (hier lewty leüy da-
gegen triuzehetiy nivntem, aber auch ncevn), 1313*.
2. Ivte, Ivte oder Ivte gegenüber tu 1300* 1306* 1307* 1309*,
1310*, 1314* 1314**, 1316*, 1318*, vielleicht auch 1315*, 1323*.
3. laut gegenüber iu 1307*, ISte und leut neben Heuserer einer-
seits, divy neinzckik (!) anderseits.
4. lernt, kevte, Iceüt, heut, läwt gegenüber iu oder eu 1293, 1294,
1295*, 1304*, 1306**, 1307*», 1309*, 1315* (ebd. haüfem), 1316*
1318* 1323* 1324 (ebd. chraeuz, Afaeufel), 1326**, 1331* 1335* 1338*,
1349 u. s. w.
5. Einzeln 1297* laut, pcevren : gerceute, 1328* levt ifrievnt, alliev,
baidiev.
Genug Beispiele dafür, daß sich leute von den übrigen Worten
mit iu sondert; wo Umlaute von ü neben leute belegbar sind, stellt
unser Wort in so gut wie allen Fällen zu diesen. Auch noch in
späteren Urkunden ist das Verhältniß dasselbe; um 1500 freilich ist
hieven nichts mehr erkennbar, da heißt es leite, durehlaichtiger, frain-
din, vertrailtch, Praiaen,
Die Scheidung ist aber nicht bloß bairisch im engeren Sinn
gewesen. Freilich so zahlreiche Belege wie aus München und Um-
gebung (die sich künftig noch vermehren lassen werden) weiß ich sonst
nicht beizubringen, aber doch genügende, um das Vorhandensein im
Süden und Norden zu beweisen. In zahlreichen Urkunden von Ober-
und Niederösterreich und Steiermark *) wird durchaus iu oder eu ge-
schrieben, also chreutz wie fremd und gezeuk, aber schon 1274 (Reins-
berg) levte : triwen, geziv^ge, 1278 (Wilden) laeut : vrivnt, niwen, 1278
(ebd.) laevt (oft) : vriuntlich, geziuge, lewen-, ebentiuren , 1281 (Kaiser
Rudolf, aber in Regensburg) Icevty paul, hovser, hvsei', drcevhen und
dcevtsch : frivnt, driv, diup u. s. w., 1292 (Wien) levte : geziuge, diu 1293
(Aychsperg) levt : getziu^gen , 1293 (Weidhouen) leutmiun, diu, 1292
(St. Paul in Kärnten) laeute : sev (eas), nevntzich, 1293 (Wien) leute:
ziug, 1295 (Lack) lauten : geziug , 1297 (Wien) laute, helaeuttet : ge-
ziugen, neunzigist u. s. w.
Im Schwäbischen habe ich alte Belegstellen nicht gesammelt.
In der Gegenwart stellt sich') in der Memminger Gegend, wie ich
') Belege in den Fontes rer. Anstr. II. bes. Band 1 nnd 31.
^) [H. Fischer theilt mir gütigst mit, daß in ganz Schwaben leute, deutsch
und gereute sich zu häuier stellen.]
O. BEHAGHEL, MHD. tu UND 6. 247
selbst gehört^ lait zu haüer; auch nach den Proben bei Firmenich ist
weithin lait, leut von den ttbrigen «tt-Stämmen getrennt In einem
fliegenden Blatt des vorigen Jahrhunderts (Frommann, Handarten
VII, 488) aus Schwaben finde ich : leit, tew aber tuiffel, /rvind, uyer
u. 8. w. Das alem. liu = finget muß durchaus nicht ursprünglicher
sein als die älteren bairiachen und die ostschwäbischen Formen.
Es wird also wohl neben liuti im Ahd. auch lütt anzusetzen sein.
Während man bei *duiacK wohl Einfluß der niederrheinischen Form
annehmen könnte, ist es doch gewagt, bei lute das Qleiche zu thun.
Es müßte denn — was noch zu beweisen wäre — das Wort in Baiern
und Schwaben einmal verloren gegangen sein. Die Namen, die mit
livJt' gebildet sind, stellen sich zu den iti*Stämmen; Liutold, Leutold
findet sich zugleich mit keute. Rein lautliche Entwicklung ist wohl
ausgeschlossen (trotzdem man wegen dcevtsch und gercevUe an Einfluß
des t glauben könnte). Anlehnung an den Stamm lüt ist ganz un-
wahrscheinlich. Woher kommt dann die Form *lüti?
MÜNCHEN, Juni 1889. O. BBENNEB
MHD. iu UND ü.
Um die interessante Thatsache, auf die Brenner im Vorstehen-
den hinweist, richtig beurtheilen zu können, wird es sich empfehlen,
die Untersuchung noch auf etwas breitere Grundlage zu stellen.
Daß der alte Diphthong iu und der aus 4 vor i entstandene
Laut keineswegs überall, wie man bis jetzt annahm, in einem Laute
zusammengefallen sind, ist zweifellos. Zu dieser Überzeugung bin ich
schon vor einiger Zeit geftlhrt worden, als ich meinen Beitrag fllr
Paul's Grundriß bearbeitete, und zwar durch den Thatbestand in den
heutigen Mundarten:
1. Schmoll er verzeichnet aus dem von ihm bearbeiteten Gebiete
sieben verschiedene Entsprechungen für nhd. du^ d. h. 6Xr den Umlaut
von ü, dessen ältere Stufe ich mit Brenner durch u wiedergeben will;
für den alten Diphthong tu zählt er 16 mundartliche Vertretungen
auf; vgl. die Mundarten Baierns N'' 164—170 und 246—261. Von
diesen lasse ich N* 168 bei Seite, das ich nicht recht zu beurtheilen
weiß; femer N* 251 und 256, weil u kaum unter den gleichen Bedin-
gungen auftreten dürfte, unter denen hier iu erschien. Dann bleiben
für iu 14t f fttr tt 6 Entsprechungen. Theilweise nun fallen diese
248 O. BEHAOHEL
beiden Reihen zusammen: alle die Laute, die altes u fortsetzen, be-
gegnen auch als Vertreter von altem iu; vgl. N* 164 mit 247,
165 mit 249, 166 mit 250/ 167 mit 252, 169 mit 253, 170 mit 255
und 261. Dagegen sind sieben heutige Laute nur Nachkommen von
iti, nicht von ü; vgl. N' 246, 248, 254, 257, 258, 269, 260.
2* Aus den Darlegungen von Kauffmann (der Voealismus des
Schwäbischen in der Mundart von Horb S. 23 und 24) ergibt sich,
daß altes ü im Schwäbischen durchaus zu ei geworden, während iu
theils als m, theils als ei erscheint.
3. In einem Theile des Westmitteldeutschen — keineswegs im
ganzen Mitteldeutschen, wie meist gelehrt wird — ist iu mehrfach
zu ü geworden und wird heute durch au vertreten; daneben erscheint
es in den gleichen Mundarten auch als äu {aiy ei). Für u begegnet
nur äu mit seinen Nebenformen.
2. und 3. ergeben sich theilweise schon aus dem von Schmelier
Gesagten.
Daß aus den Reimen der mhd. Dichter sich irgend ein Anhalt
gewinnen lasse, um das Verhältniß von iu und ü zu beurtheilcD,
möchte ich bezweifeln. Zur Probe habe ich darauf hin die ersten
10000 Verse Gotfrieds durchgesehen. Hier finden sich nur zwei Reime
von iu auf« (t^), nämlich stiure : aventiure 2419, tiure : aventiure 8660.
Daraus kann aber nichts geschlossen werden, denn Wörter mit iu
und u Bind im Reime überhaupt selten: u begegnet nur in dem Aus-
gang 'iure, und zwar wird dieser fast ausschließlich durch Substantiva
mit der französischen Endung -ure gebildet, vgl. v. 919, 1607, 1991,
1997, 3267-70, 4185, 4271, 4339, 4577, 6651*). Mit altem iu be-
gegnet der Ausgang -iure nur 1115, 8989, 9023. Ferner findet sich
'tu V. 1459, 2945, 7151; -iuhet 3431; -iute 2696, 2775, 6779, 8803,
9523; -iuwe 219, 1789-92, 4155, 5034, 9559.
Dagegen hat nun Brennet gezeigt, daß eine Scheidung von iu
und ü auch aus mittelalterlichen Schreibungen deutlich hervorgeht
Schon vor ihm aber, was Brenner entgangen ist, hat Leitzmann die
gleiche Wahrnehmung für das Alemanische des badischen Oberlandes
gemacht: in Grieshabers Predigten wird altes iu durch m, altes u
durch u* dargestellt (Beitr. 14, 493). Ich verweise femer auf zwei
umfangreiche bairische Texte. Erstens die von Schönbach heraus-
^) Wie Torsichtig man sein muß, wenn man fremde Eigennamen für laat-
geschichtliche Untersuchungen verwerthen will, zeigt der Gebrauch, den GK>tfi-Ied
▼on dem Namen Blancheflenr macht: es reimt meist auf -iure (9t9, 1607, 1991, 4185f
4217, 4329); daneben wird es gebunden auf amur 1369, auf erßtar IS83.
MHD. iu UND u. 249
gegebenen Oberaltacher Predigten. Hier wird tu durch das Zeichen
iu wiedergegeben, seltener durch eu, dies letztere meist im Pronomen
der 2. Pers. Plur.: es mag sein, daß im einsilbigen Worte sich tu
früher zu eu gewandelt als im mehrsilbigen. Für ü erscheint in dem
von mir durchgeprüften Stücke (S. 121 — 173) das Zeichen iu nur in '
diuehten 153, 3, gediuht 153, 40, eu nur in cheusch 129, 38; chreutz
1Ö3, 4; sonst werden für den Umlaut die beiden Zeichen ii und ceu
verwendet; einmal begegnet u: bedtäet 125, 26. Zweitens die von
Keller veröffentlichten Gesta Romanorum: iu erscheint hier als eu
(eiw)y ü als ceu.
Als Störenfried tritt nun das Wort Leute auf. Es wird, wie in
Brenners Quellen, so auch in den von mir genannten stets mit dem
Zeichen geschrieben, das sonst dem Umlaut gilt. Es gibt aber noch
einige andere Wörter, die in der älteren Sprache den Diphthong
iu aufweisen und doch die gleiche, anscheinend regelwidrige Schrei-
bung zeigen wie Leute. Leitzmann nennt aus Grieshabers Predigten
die Wörter hetuHeriy entu* sehen ^ erhöhtet. Für diutaeh bietet Brenner
selber einen Beleg der Schreibung doButsch^ ohne freilich Gewicht
darauf zu legen; beduien bezw. bedceuten ist in Schönbachs Predigten
oft genug belegt (z. B. 121,36; 122,21; 122,24; 122,27; 122,36.
37.41; 125,27; 129, 20; 130, 38; 139,16; 142,30), ebenso in den
Gesta (S. 7, Z. 2 v. u. ; 8, 3; 16, 15 v. u.; 31, 16 v. u.); auch luch-
tdn: Iceuhten begegnet in beiden Quellen: Predigten 144,27, Gesta
S. 2, Z. 19 V. u.; 8, 3 v. u.; 9, 21. Dazu kommt noch aus Brenners
Belegen geravtte. Eine eigenthümliche Stellung nimmt das Zahlwort
neun ein: Leitzmann gibt zwei Belege für die Schreibung niune, zwei
für nu*nej Brenner bietet ein nceun neben zahlreichen Belegen für den
alten Diphthongen; die Oberaltacher Predigten haben sieben Beispiele
mit iu {eu)f zwei mit u (6u) s. unten; die Gesta bieten nawnden (S. 17),
nawneehenden S. 31; also Belege für iu wie u. Ich bemerke noch, daß
in den von mir durchgesehenen Proben mitteldeutscher Mundart ich
weder ftlr Leide noch für ein anderes der genannten Wörter Formen
mit au begegnet bin ^). Wie sind nun diese auffallenden Abweichungen
zu erklären?
An Entlehnung ans irgend einer anderen Mundart kann unmög-
lich gedacht werden; ebensowenig ist anzunehmen, daß u für iu ein-
getreten nach Analogie irgend welcher danebenstehenden Wörter
') DurehiauelUf erUmeht kl^nnan Analogiebildungen »ein bo gut wie k^4 —
IdrU, gekdrt •- geldrt.
250 O. BEHAGHEL, MHD. iu UND ü.
mit ü. Daß der dem Vocal nachfolgende Consonant nicht die Ursache
der Veränderung sein kann, wird für bedeuten, deutsch^ Leute, Gereute
durch heute bewiesen, das stets mit dem Zeichen erscheint, das dem
alten Diphthong zukommt (vgl. Oberaltacher Predigten 121, 3; 124, 8;
131,23; 132,8; 132,20; 133,8; 144,5. 37; 156,23; 160,16; 161,6;
173, 24). Für neun durch Freund, von dem das Gleiche gilt (vgl. Ober-
altacher Pred. 124, 27; 125,9. 13. 14. 15. 24; 126,9. 11; 127, 16;
129, 7. 9). Für leuchten freilich stehen mir keine Gegenbeweise zu
Gebote. Daß das Nebeneinander von ein- und mehrsilbigen Formen
keinen Einfluß auf die Entwicklung des alten lu gehabt haben kann,
zeigt wieder 'die Form Mute neben heduten. Es bleibt anscheinend
nur der von Brenner vorgeschlagene Ausweg. Man müßte dann
überall ahd. Nebenformen mit 4 annehmen, die zu den Formen mit
lu im Ablautsverhältniß stünden. Aber auch dieser Auffassung stehen
große Bedenken im Wege. GraflF verzeichnet über 200 Belege für
den Stamm Hut-, für die Stämme diut- und ninn- je etwa 30, gegen
50 für den Stamm Huht-, gegen 20 für den Stamm riut-, zusammen
also etwa 330 Belege für iVStämme. Dem gegenüber steht ein Beleg
von lut-, den ich nicht nachprüfen kann, ein Beleg von dw<-, zwei
Belege für nun-, einer für luht-^ zwei für rut-, von denen ich einen
wieder nicht nachprüfen kann. Drei weitere Beispiele von luht- ge-
hören dem 12. Jahrh. an; für luhtenty das Graff aus Willeram anführt,
bietet Seemüller nur die Lesart luihtent. Macht zusammen 5 — 7 Bei-
spiele ftlr u als Stammvocal. Hätten nun im Ahd. wirklich die ü-
Formen bestanden, die später die tw- Formen gänzlich verdrängt
hätten, 80 wäre es ein unbegreiflicher Zufall, daß sie in unseren
Quellen nicht häufiger Bezeichnung gefunden hätten. Dazu kommt
ein eigenthümlicher, von mir bis jetzt übergangener Umstand, der
bei Brenners Annahme keine Erklärung findet: in den Oberaltacher
Predigten werden die Casus des Plurals Leute stets mit ti oder ceu
geschrieben; in dem von mir geprüften Stück zähle ich 69 Belege.
Dagegen der Sing, erscheint stets mit iu: 148, 36; 151, 15; 156, 25;
157, 23. 26; 162, 39; 165, 17; 172, 31 = 8 Beispiele; doch wohl genug,
um die Annahme eines Zufalls auszuschließen. Gerade so vertheilt
sind die iVFormen und die tJ-Formen bei der Zahl neun: es beißt
niune, niunzic: 124,24; 124,31; 125,4 (je zwei Beispiele); 125,29.
Dagegen die noun 158, 3; die nüne 158, 6*
Wollte man ü in den beiden Wörtern auf ahd. ü zurückführen,
so müßte ein uralter Wechsel des Aocents zwischen Singular und
Plural von Hut und niun angenommen werden. Einen solchen kennt
G. EHBISMANN, EINE HANDSCHRIFT DES PFAFFEN AMIS. 251
ja nun allerdings das Indogermanische beim Neutrum (Job. Scbmidt,
die Pluralbildungen der indogermanischen Neutra S. 147). Allein
erstens ist nicht erwiesen, daß Hut im Indogerm. Neutrum war;
zweitens ist zweifelhaft, ob es schon im Indogerm. einen Plural Leuie
gab, da das Wort als Collect! v ursprünglich wohl nur einen Singular
besaß (Schmidt a* a« O. S. 28); drittens wäre es höchst merkwürdig,
wenn jener vorgeschichtliche Wechsel sich bis in's Mhd. hinein be-
wahrt hätte, während im übrigen Germanischen keine Spur davon
erhalten ist.
Welche Eigenschaft ist denn nun den Wörtern bedeuten, deutsch,
Gereute, leuchten gemeinsam, welche Eigenthümlichkeit lag in Leute
und neune vor, während sie bei neun und dem Sing, von Leute fehlte?
Nichts Anderes als das ursprünglich der Stammsilbe folgende i (j):
diutjan, diutieCj gariuti etc. Und wir müssen offenbar annehmen, daß,
wie nicht nur u zu o gebrochen wurde, sondern auch iu vor folgendem
u sich zu io wandelte, so auch nicht nur u zu ü, sondern auch iu zu
iü umlautete. Daß aber iü sehr leicht zu ü werden und so mit ü aus ü
vor i zusammenfallen konnte, liegt auf der Hand.
Es kann nicht verwundern, wenn der lautgesetzliche Stand der
Dinge mehrfach durch Ausgleichungen zerstört ist. Z. B. sollte es
heißen ziuhu, aber ziühit, also bair. ziuhe — zceuhet] es hat aber
der Vocal von ziuhe und vom Imperativ ziuh den Sieg über den Vocal
von ziiihes — ziühet davongetragen. Ebenso hat. sich etwa tiüri nach
tiuresy tiuro umgestaltet.
QIE88EN, Juli 1889. O. BEHAGHEL.
EINE HANDSCHRIFT DES PFAFFEN AMIS.
Die Perg.-Hs., deren Eingang durch ein Versehen schon in Band 33,
S. 46 abgedruckt worden ist, wurde von den Herren Rector Schmid
und Professor Einert in Arnstadt gefunden als 'Umschlag einer
Rechnung des Amtes Clingen, Schwarzburg-Sondershausen, vom
Jahre 1513 — 14. Die genannten Herren hatten die Güte, mir eine
Abschrift zuzusenden. Mit ihrer Erlaubniß gebe ich die folgenden
Bemerkungen.
Der Dialect ist nd. Schon die Übertragung in eine andere
Mundart veranlaßte eine Menge Änderungen des ursprünglich obd.
252 G. EHRISMANN, EINE HANDSCHRIFT DES PFAFFEN AMIS,
Textes« Der Schreiber verfuhr aber auch sonst, wo jener Grund, nicht
vorlag, mit der Überlieferung sehr willkürlich und hat diese nach
Belieben umgestaltet. Die auffallendsten Änderungen bilden die drei-
fachen Reime, welche er da anbrachte, wo ihm in der Darstellung
eine Pause geboten schien. Zu dem vorhandenen Reimpaare machte
er einfach einen neuen Vers hinzu, den er entweder zwischen die
beiden ursprünglichen einfügte oder auf sie folgen ließ. Es sind nur
bedeutungslose Flickverse, die nicht für die dichterische Fähigkeit
ihres Verfassers sprechen.
Da die Außenseite der Blätter mehrfach verwischt igt, auch der
Verfertiger des Umschlags diese für seine Zwecke vielfach zerschnitten
unxl dann zusammengeklebt hat, so sind nur etwa 900 zum Theil
verstümmelte Verse vorhanden, die zwischen V. 1 und 2237 fallen.
Den Schwank von der Messe, Nr. X bei Lambel, hat der Abschreiber
wahrscheinlich schon in der Vorlage nicht mehr vorgefunden, da diese
Oeschichte in der Gruppe, welcher unsere Hs* angehört, übergangen
wurde. Die Hs. gehört nämlich zu jener Umarbeitung, welche Lambel
in der Einleitung (Erzählungen und Schwanke ^^ S. 15) bespricht.
Das ergibt sich schon aus der Stellung der Erzählung Nr. VIII, welche
auf Nr. V folgt. Ferner fehlen wie in GHK (Benecke's Bezeichnung):
V. 277 und 278, 709—714, 913 und 914; es stehen = GHK gegen
R: V^ 227 und 228 sowie 1552***. Auch die Übereinstimmungen im
Wortlaut zwischen unserer Hs. mit GHK gegen R sind so zahlreich,
daß an einer gemeinsamen Vorlage nicht gezweifelt werden kann.
Dagegen ist ihr Verhältniß innerhalb der Gruppe GHK nicht mit
Sicherheit zu bestimmen. An einigen Stellen stimmt sie mit R gegen
GHK; ein paarmal hat sie mit HK gemeinsame Fehler. Von Wichtig-
keit ist die Entscheidung dieser Frage nicht, da die Hs. überhaupt
für die Kritik entbehrlich ist; Lambels Text wird durch ihre Bei-
Ziehung nirgends geändert. Mit der Straßburger Hs. (v. d. Hagens
Grundr. S. 353) und den Drucken (Zs, 9, 400 und 30, 376) steht sie
in keinem Zusammenhang.
PFORZHEIM. GUSTAV EHMSMANN.
A. GOMBERT, BEMEBKUNOEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 253
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTER-
BUCHE.
Bd. VII, Lief. 10 {Pflaaterung bis Platz).
Die folgenden kleinen Bemerkungen zn einer der neueren Lieferungen
des Grimmseben Wörterbucbes bedürfen um so weniger einer längeren Recbt-
fertigung, als eine gleicbartige der folgenden Lieferung desseiben Bandes
gewidmete Betrachtung, zu Neujabr 1889 im Anzeiger der Zeitschrift für
deutsches Altertbum veröffentlicht, über Ziel und Zweck dieser Bemerkungen
das Erforderliche ausspricht. Beide Zusammenstellungen sind nach gleichen
Gesichtspunkten und unter Benutzung etwa derselben Quellen 'gemacht ; sie
werden sich daher in ihrem Werthe nicht von einander unterscheiden und
sich auch darin gleichen, daß sie neben erwünschten Ergänzungen oder
Berichtigungen manches Entbehrliche bringen. Daß in den Bemerkungen den
Fremdwörtern viel Platz eingeräumt ist, liegt hauptsäehlich an dem Buch-
staben P. Man wird aber finden, daß ich nur auf solche Fremdwörter ein-
gegangen bin, die entweder bei Lexer selber Erwähnung gefunden haben
oder eine Beachtung aus dem Grunde zn verdienen scheinen, weil sie, wenig-
stens nach meiner Überzeugung, dem weiteren Kreise der Gebildeten ge-
läufiger sind als andere sprachlich oder begrifflich naheliegende, welche
Lexer übergangen hat. Die mehrfach hervortretenden Hinweise auf den nord-
deutschen Sprachgebrauch wird man mir so wenig übel nehmen^ wie ich
Lexer einen Vorwurf daraus mache, daß er diesen Sprachgebrauch weniger
eingehend behandelt. Mit dem Landschaftlichen hängt das Yolksmäßige eng
zusammen, und wenn dies letztere ohne Schminke vorgeführt werden sollte,
so war einiges Derbe oder auch Schwankhafte nicht wohl zu vermeiden.
Abweichend von früheren Besprechungen des DWb. habe ich diesmal mehr-
fach auf Sanders hingewiesen, der im Grimmschen Werke wohl kaum
genannt wird. Seine und seiner Gehilfen Sammlungen sind offenbar zum
deutschen Wörterbuche ebensogut zu benutzen wie die anderer Sammler,
und es erscheint sogar als Pflicht^ das in seinen Wörterbüchern enthaltene
Brauchbare auch für das Grimmische Wörterbuch zu verwerthen. Am wirk-
samsten würde dies natürlich in der Art auszuführen sein, daß für die noch
nicht im DWb. bearbeiteten Buchstaben des .Alphabets ein einfach nach
den Anfangsbuchstaben geordnetes Yerzeichniß der bei Sanders aufgenom-
menen zusammengesetzten Wörter angelegt würde, die sich ja wegen der von
Sanders gewählten Anordnung nach dem Anlaut der Stammsilbe leicht verstecken.
Wem aber sollte man diese zeitraubende und vielfach durch dürres und werth-
loses Gestrüpp führende Wanderung zumuthen ? Die Bearbeiter des Deutschen
Wörterbuches haben in der That Besseres zu thun. Aber man beklagt ja,
wenigstens in Preußen, die Überzahl von jungen Philologen^ die bei einem
halben Dutzend wöchentlicher Lehrstunden immer noch viel Muße haben,
selbst wenn sie, wie ich annehmen will, daheim mit Eifer in die großen
Geheimnisse der Ziller-Stoyschen Lehrweisheit einzudringen suchen. Würde
GEBHANTA. Neue Seihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 17
354 Af ^OM^EBT
die bezeichnete Arbeit auf ein halbes Dutzend geeignete angehende Gym-
nasiallehrer vertheilt, so könnte sie rasch ausgeführt sein, vielleicht nnent-
geltÜDh, vielleicht gegjen eine in diesem Falle, wie ich glaube, ebenso will-
kommene wie wohlverdiente Entschädigung. Am Riemen lernt der Hund be-
kanntlich Leder fressen; es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß einer oder
der andere der so ziinäßhst in Handlangerdiensten für das Deutsche Wörter-
buch Beschäftigten später auf gleichem Felde selbständig fortarbeiten würde.
Doch das sind weiterführende Gedanken. Näher liegt es, daß ich mich
wegen der Breite entschuldige, die in der Vorführung mancher Belege herrscht.
Durch kurze Angabe von Stichwort und Fundstelle würde sich der Inhalt
dar foigendep Bemerkniigen auf sehr viel kleinerem Baume geben lassen;
aber es ist doch gewiß manchem Leser erwünscht, einen gebotenen Beleg
gleicib im Susgammenhange zu sehen, und die Wenigsten werden alle hier
genaiiaten Qudilen bequem zum Nachschlagen bei der Hand haben. Ich
wenigstens habe nicht selten b^ ähnlichen mir zugegangenen Sammlungen
den Zusammenhang einer kurz angedeuteten Stelle mit Bedauern vermißt,
zumal da sich gegen die richtige Auffassung und begriffliche Einordnung eines
Wortes öfters Badenkea erheben, die ohn^ Konntniß des Zusammenhanges
«CH^ht 4U lösen sind. Ein Beispiel für diesen Fall findet man später unter
Pichelei gegeben. DaA endlich allen im Folgenden gemachten Ausstellungen
die vollste und dankbarste Anerkennung der auch in der besprochenen Liefe-
rung des Wörterbuches vorzüglichen Leistung Lezers zu Grunde liegt, sei für
mit der Sache weniger bekannte Leser hiermit ausdrücklich ausgesprochen;
lür I/ezev selbst bediuf es solcher Versicherung nicht mehr*
Pflaume. Sachs im Encyd. Wb. 2, 1320^ erinnert, daß das Wort
bei Soldaten so viel wie Erinnerangszeichen oder Medaille bedente.
Dieser Sprachgebrauch ist mir aus früherer Zeit allerdings sehr be-
k(ipnt, doch eben nur in Anwendung auf die DenkmUnzen für 1813,
1814, 1815; die ent«prechepden Zeichen seit 1864 habe ich picht mehr
80 nennen hören. Pflaume im weiteren Sinne von Obstfrucht steht
in Fröhlicfas Gedicht Ellengröße:
Die Pappel sprach zum Bäumchen:
Was machst du dich so breit
Mit den gering^en Pfläumchenf
Pflaumenbauer (fehlt) ist eine in ganz Schlesien übliche als
beleidigend geltende Bezeichnung des Bauern. Dieselbe muß aus*
gegangen sein von den selbstbewußten Groß- oder Getreidebauern,
welche auf ihre geringeren Standesgenossen, die anstatt ausgedehnter
Getreidefelder nur einen beschrilnkten Fleck um ihr Haus zum Obst-
ader Gemüsebau besaßen, die sog. Gärtner (DWb. 4, 1, 1, 1422),
spottend herabsahen. Vgl. die entsprechenden Ausdrücke Kraut-
junker, Putenjunker (dies wird von Sanders nicht richtig erklärt)
und Zwiebeljunker (J. G. Müller {:mmerich 6, 330),
BElfERKÜKQEN ZUM DEUTSCHEN WÖBTEBBÜCHE. 255
Pflaamenkern als Sinnbild des Werthlosen bei Jean Paul
Hesperas 98 (HpL) : Dürfen mir denn die Kantianer aneiiinen^ daß ith
das kleine Büd der schönsten besten Gestalt .... zum Fenster hinausujerfe
wie Äpfelschalen und Pflaumenkernef Das mit Pflaamenkern
gleichbedeutende, in niederdeutseher Qegend sehr übliche Und dem-
entsprechend auch bei Campe (desgl. bei Heinsius, Heyse, Sattders>
Sachs -Villatte) rerzeichnete Wort Pflaumenstein wird übergangen.
Hierbei sei auch erw&hnt der in einfach ländlichen Verhältnissen
Norddeutschlands vorkommende Pflaumensteinbeutel odKf, wie
man ihn auch abkürzend nennt, Pflaumenbeutel, d. h. ein leinenes
Säckchen mit Pflaumensteinen, das erhitzt alten, kranken oder frie-
renden Leuten in Ermangelung oder anstatt der Wärmflasche ins
Bett gelegt wird. Übergangen ist auch der Pflaumen schmeiß er,
die Bezeichnung filr einen derben ungezogenen Jungen; ich habe das
Wort in der Provinz Sachsen und im westlichen Theile der Provinz
Brandenburg (Westharelland) gehört, gedruckt nur bei Sachs -Villatte
gefunden, der es übrigens mit bretailleur, fanfaron wiedergeben
will; ich müßte es hingegen durch polisson oder butor übersetzen.
Ob mit dem Worte ursprünglich der unbefugterweise in die Pflaumen«
bäume Werfende bezeichnet werden soll oder eine andere Bei^iehung zu
Grande liegt, weiß ich nicht zu sagen. Pflaumenschütteln gebraucht
Stoppe Parnaß im Sattler 384 (1735) in einem Gedicht 'auf die Ein-
weihung eines neuerbauten Zeltbettes eines guten Freundes^, als Bild
des sinnlichen Liebesgenusses:
Kein Wunder war es, daß dir hie
Van lanäer Pflaumenschütteln träumte.
Die voraufgehenden und folgenden Worte Stoppes lassen über deü
Sinn der Wendung keinen Zweifel; ihm ist das Bild überhaupt ge-
läufig; Tgl. Teutsche Gedichte 1, 9 (1728):
ja fliehet immerhin
In den vergnügten Stande um den ihr euch So dränget,
Der eurer Rechnung nach voll süßer Pflaumen hänget.
Der Pflaumentoffel, aus Stoppes Parnaß belegt, findet sich auch
einige Jahre vorher in dessen Teutschen Gedichten 2, 21:
Haf Pflaumentoffels Butte
War viel zu eng und schwach, von meiner Fröligkeit
Auch nur den vierdten Theil in ihren Raum zu nehmen.
Pflegamt, aus Hederich (1729) belegt, steht schon bei Schottel
495* (1663): Pflegamt^ so ein Reichspfleger oder Reichsvogt Vor diesem
in den Reiehsstädten gehest Das Wort wird wohl in die älteste ähd.
17*
256 ^ GOMBEKT
2ieit zoröckreicheD, während im mfad. dafür das auch später noch
fibliche einfache pflege gebraucht wird. Za pflegen mit d. Gen.
im Sinne von treiben, womit umgeben (I 1^ Sp. 1738) vermißt man
neben der Stelle aus Aventin die weit bekanntere aus 1 Mose 18,
12: nu ich aÜ bin^ äol ieJi noch woUust pflegeUj und mein Herr
auch aU ist?
Vermißt wird Pfleg[e]8tatt oder Pfleg[e]stättey ein heute
sehr beliebtes Wort, das, wie es scheint, ganz unentbehrlich ist^ wenn
eine höhere Schule eingeweiht oder ein ruckblickendes Erinnerungs-
fest. solcher Anstalt gefeiert wird; vgl. Zs. f. Gymn. Wesen 40, 700
r]887): Pflegstätte königstreuer, deutscher und christlicher Gesinnung;
Pflegstätte ernster WissenscJiafilichkeit; ebd. 701: Pflegstätte
geistiger Bildung und Gesittung und 704 Pflegstätte der Bildung und
Wissenschaß. Ebenso Grenzboten 1887, 4, 125 (vom 13. Oct. 1887):
Wenn noch Jemand daran zweifeln wollte, daß die deutschen Gymnasien
wahrhafte Pfleg statten des deutschen Geistes sind^ so wurde es erlaubt
sein^ sich auf das Ansehen des Reichskanzlers zu berufen, der mehr als
einmal der deutschen Jugend, und ganz besonders der studierenden, das
glänzendste Zeugnifi ausgestellt hat. Pflegeschwester fehlt in beiden
mir bekannten Bedeutungen: 1. eine zur Pflege von Leidenden verordnete
Schwester (eines geistlichen Ordens oder eines entsprechenden Vereins).
2. ein neben einem Sohne angenommenes weibliches Pflegekind; vgl.
Immermann Epigonen 201 (Becl.) Ihr Vetter Ferdinand hat, ohne es zu
wissen, sein Pflegeschwesterchen geliebt. Pflegewirth steht in
Günthers Lebensbeschr. 70 (1732): Mein neuer Pflege-Wirth erwieß
mir alle Güte. Zu pflegsweis wäre auch die übergangene von
Schottel 461* aus Goldast angeführte Form pflegersweis hinzuzu-
fögen.
Zu Pflicht im neueren Sinne des Wortes werden sehr reich-
liche Beispiele gegeben, mit Recht auch aus Kant; umsomehr ver-
misse ich Hauptsätze wie Kant Krit d. pr. Vern. 108 (Kehrbach):
die Ehrwürdigkeit der Pflicht hat nichts mit Lebensgenuß zu schaffen;
desgL Goethe 19, 20 (Spr. in Prosa 2 u. 3): Versuche deine Pflicht
zu thun, und du weißt gleich was an dir ist. Was aber ist deine Pf licht f
die Forderung des Tages. Die volksmäßigen Wendungen von der ver-
dammten oder verfluchten Pflicht und Schuldigkeit sind
vielleicht mit Absicht fortgelassen und dem Buchstaben V überwiesen;
wenigstens finde ich sie in dem bis jetzt neuesten Hefte des Wörter-
buches (Bd. 12, 2, Sp. 193 u. 344) von Wülcker verzeichnet, worauf
gelegentlich wird zurückzukommen sein. Auffällig aber ist, daß die
BEMERKUNOEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBÜCHE. 257
Verbindung «m^iy^icA^ abstatten nicht erwähnt wird; dementsprechend
fehlt auch das Wort Pflichtab stattung, das wir 1732 in J. U. Königs
Widmung vor seiner Ausgabe der Schriften Bessers finden: wenigen*
ein Geschencke, welcliea hier Euer ExcelL von mir gewiedmet wirdj als
vielmehr eine Pflichtahstattung, Das unbelegte Pf licht beflissen-
heit &teht bei Hermes Manch. Hermfton 2, 166. Pflichtarbeit ist
wohl ein neues Wort, doch heute zumal in der Mehrzahl nicht selten
im Sinne von Dienst- oder Amtsgeschäften. Ein Beleg bei
Wiese, Lebenserinnerungen und Amtserfahrungen 2, 126: Nach langer
Pflichtarbeit durfte ich mich noch eine gute Weile freigetvählten
Studien und Beschäftigungen hingeben, Pflichtbar, das aus d. J. 1653
nachgewiesen wird, steht auch in einer aus d. J. 1616 herrührenden
Schrift bei Londorp Acta publica 2, 270^: so sey der PfaUzgraff
pflichtbar sich des Richterlichen Ampts zu vnternemmen. Pflicht-
brüchig wird aus Ludwig (1716) und Frisch belegt; Pflicht-
brüchigkeit fehlt, findet sich aber schon 1619 in einem Schreiben
des Grafen Matth. von Thurn bei Londorp 2, 803: hat mir gebüren
wollen^ die Frag aufzugeben, wei' an solcher Pflicht Briichtigkeit
(so im Druck) schuldig. Pflichtbruch und pflichtbrüchig vor
Stieler und Ludwig schon bei Schottelius 517*. Pflichteifer (Ger-
vinus, G. Freytag) Niemeyer Grunds, der Erz. 3', 378 und 411 (1819):
^Jöge die beßer gewordene äußere Lage vieler Erzieher und Lehrer sie
nur nicht träger und bequ^emer machen, statt jenen unbedingten Pflicht-
eifer, der auch die Arbeit im Schweiße des Angesichts nicht scheut,
desto mehr zu beleben; das fehlende Pflichtenkunde bei Jahn Ges.
Wke. 1,278 = Volksthum 263 (1810): Schrißen, die zur Selbstbelehrung
und Bildungsvollendung oder zur weiblichen Pflichtenkunde gehören;
ebd. 2, 553 : die Gottesgelahrtheit war avf die Glaubenslehre . . . verküm-
mert^ auf Knifflickkeitslehre ( Casuistik) und auf Pfl ichtenkunde nach
ihrem Äinw. Pflichtergeben (Tiecks Übers, von Shakespeares Cym-
beline) in einem Gedichte Bessers aus d. J. 1687 S. 685:
Du hast sie erst erzeugt av^s Pflicht-ergebner Treu,
Avf daß nicht dein Geblüt dem Lande möchte fehlen.
Daß das wohl erst in unserer Zeit von Lehrern oder Schulaufsehern
gebildete Pflichtfach fehlt, ist kaum ein Mangel, wenn auch die
Absicht löblich ist, hier wie. in anderen Verbindungen das fremde Wort
obligatorisch durch Pflicht zu ersetzen. Beispiele wären zahl-
reich zu finden in den Schriften, die sich mit der angeblich dringend
nothwendigen Umgestaltung unserer Gymnasien beschäftigen ; im Hin-
blick auf solche Schriften wird das Wort dann auch in dep Grenze
258 A. GOMBERT
boten 1888, Nr. 9 (1. Viertelj., S. 466) gebraucht: Zeichenunterricht
bis Obei*s€cunda als Pflichtfach, in Prima nach freier Wahl; ebd.
Nr. 21 (2. Viertel)., S. 384 u. 385): inrfew die Mathematik noch uner-
heblich verstärkt, Englisch in den oberen Glossen und Zeichnen wenigstens
bis Obersecunda als Pflichtfach eingeführt werden muß. Vgl. später
Pflichtstunden. In diesem besonderen schalmäßigen Sinne haben
wir auch das Wort Pflichtleistungen (unerläßliche Leistungen in
den sog. Pflichtfächern), das von Lexer nur in seiner allgemeinen
Bedeutung aus Haltaus angefahrt wird, in den Grenzboten 1887 (4. Viertel-
jahrsschr., S. 125): Sicher ist es doch^ daß Anregung, Gelegenheit und
Muße wie für die Pflichtleistung en^ so auch für die Pflege besonderer
Neigungen gewahrt wird. Pflichtgehorsam und pflichtgehorsamst
als ein früher üblicher Ergebenheitsausdruck am Schluße von Briefen
hätte Aufnahme verdient; vgl. auch Wieland Horazens Br. 1' 71
(1782): als eine Art von unterthänigen pflichtgehorsamsten Freunden.
Pflichtgemäß (Rabener, Scheffel, G. Freytag) sollte nach dem Plane
des Wörterbuches auch aus Goethe belegt werden: pflichtgemäß,
befehlgemäß zu handeln, befördern das gemeine Glück. Maskenzüge,
Bd. 11, 1, 325 (HpL). Pflichtgeschäfte ist wohl ein nicht zu seltenes
Wort; ich begnüge mich mit einem Beispiel aus Johannes v. Müller,
Bd. 30, 182 der Ausg. v. 1834 (Brief vom 3. Juni 1788): Daß ich
die Briefe nicht emsiger beantwortet ^ kommt sowohl von Pflicht-
geschäften, als von der Nothwendigkeit, mich mit einer neuen Lauf bahn
bekannt zu machen. Pflichtgrundsätze fehlt, obwohl es Goethe in
Hans Wursts Hochzeit gebraucht:
Hab' ihn gelehrt nach Pflicht grundsätzen
Ein paar Stunden hintereinander schwätzen.
Pflicht lieh, zwar auch aus dem Mittelniederdeutschen belegt, ist
jetzt dem Norden Deutschlands fast fremdartig, im Süden aber, beson-
ders im Schwäbischen, wie die Beispiele aus S. Franko Lavater, Uhland,
Kurz, Mörike und der Schwäbischen Chronik (Sanders) zeigen, ganz
üblich. Ich füge hinzu Palmer Evangel. Pädagogik ^275: Menschen,
die pflichtlich auch in das schlechteste Lustspiel gehen zu müssen
meinen. Zu Pflichtliebe wäre auch pflichtliebend zu fügen
aus J. G. Müller Emmerich, 5. Theil, 372 (1788): wenn die etlichen
Dutzend Menschen auf den Thronen sammt und sondern gnügsamSj
pflichtliebende Menschen wären. Zu pflichtlos wäre auch das
freilich seltene, doch schon von Adelung verzeichnete Wort Pflicht-
losigkeit zu fügen, das Scherer in der Litteraturgeschichte 3 ge-
braucht: die Freiheit ihres Lebens^ ihre Pflicht- und Zuchtlos ig keit,
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 259
ihre Unfähigkeit den eigenen Willen zu verleugnen, (Freie Übers, von
Cäsi^: Cum a paeris nullo officio aut disciplina assuefacti nihil om-
nino contra volimtatem faciant.) Pflichtmäßig wird von Lexer aus-
drttcklich bis zum J. 1731 aufwärts belegt; darum sei auf Basilius Fabers
Thesaurus aus d. J. 1710, S. 1622 verwiesen, wo das Wort als Über-
setzung von obnoxie auftritt; ob es schon in den früheren Auflagen
des Buches steht, ist mir unbekannt. Pflichtmäßigkeit (aus
Schillers philos. Sehr, u. W. v. Humboldts Briefen au eine Freundin
belegt) steht 1763 bei Kant Träume eines Geistersehers 63 (Rehrbach):
die Annehmlichkeit, welche die Erweiterung des Wissens begleäet, wird
sehr leicht den Schein der Pfliehtmäßigkeit annehmen, Pflicht-
rücksicht fehlt; vgl. Hippel Ehe 159 (Brockh.): wenn ihr keine
Pflichtrücksichten zu hechachten habt. Pflichtschuldig: unter
den Wendungen kanzleimäßigen Briefstils wäre aus dem 17. Jhdt.
auch schon zu nennen: ich verharre pflichtschuldigst, was wir
z. B. am Schluße der aus dem April 1688 herrührenden Zuschrift
Ph. X Speners zu seinen Evangelienpredigten des J. 1687 finden.
Pflichtstrenge: Dahn, Kampf um Rom 2®, 311: Antonina überbietet
alle Frauen an Pflichtstrenge. Pflichtstunden, neues Schulwort,
bedeutet die Anzahl von Stunden, welche ein Lehrer während einer
Woche zu ertheilen verpflichtet ist. Man sagt also: In Preußen hat
ein Oberlehrer 20, ein ordentlicher Lehre9' 22 P/lichtstunden. Das
Wort wird in neueren amtlichen Verfügungen als allgemein bekannt
gebraucht, z. B. Centralblatt für die Unterrichtsverwaltung in Preußen
1878| S, 488: sofern über die Anzahl der P/lichtstunden nichts ent-
halten, so treten selbstverständlich die allgemein geltenden Bestimmungen
ein; ebenso CircnUrveif. vom 6. April 1880: wenn sämmtliche übrigen
Lehrer zur voüen Maximalzahl der Pflichtstunden herangezogen sind.
Ebenso steht bei Wiese Höheres Schulwesen, 3. Aufl., besorgt von
O. Kubier, das Wort als allgemein bekanntes Stichwort im Schluß-
verzeichniß und im Buche selbst Bd. 1, 34; 2, 260, 261, 263; aber
in der 2, 261 angezogenen Verfügung vom 13. Juli 1873 (CentralbL
1873, S. 457) wird der Ausdruck Pflichtstunden noch nicht ge-
braucht. Die Prägung und der häufige Gebrauch des Wortes ist be-
zeichnend für unsere Zeit, in welcher Rechte und Pflichten der Lehrer
bestimmter umgrenzt worden sind als früher. Herbere Beurtheiler
werden vielleicht schließen, daß seit dieser Zeit die Lehrer viel von
der ruhigen und behaglichen Berufs freudigkeit eingebüßt haben und
ihre Thätigkeit vorzugsweise als eine nicht gerade gern geübte
Pflicht betrachten, j^flichttheil im übertr. Sinne wird nur aus
260 A. GOMBEßT
Gutzkow belegt; früher steht es so bei Jahn 2, 629 (Volksthum 220) :
Jedermann im Volk muß sein Pflichttheil an der Landesehre hohen,
Lust nach Last und Freud nach Leid, Ttw. Pflichttreue (drei Beisp.
aus ö. Freytags Bildern) war doch zu bemerken, daß das Wort von
Adelung noch nicht verzeichnet, von Campe als ein neues aus Wolke
belegt wird. Pflichtverkennung gebraucht Vilmar Schulreden *2 15
als gelinderen Ausdruck gegenüber der Pflichtvergessenheit:
Zeugte es schon von Beschränktheit und Pflichtverkennung^ wenn
er,..: von weit schlimmerer Beschränktheit und Pflichtvergessen-
heit wik^de es zeugen, wollte er... Auffallend ist das Fehlen von
Pflichtversäumniß, da das Wort heute doch häufig von Lehrern
mit Beziehung auf ihre Schüler, von Behörden mit Beziehung auf
Beamte gebraucht wird. Die Insjtruction zum preuß. Kirchengesetz
vom 30. Juli 1880 unterscheidet ausdrücklich und richtig an mehreren
Stellen zwischen kirchlichen Pflichtversäumnissen und Pflicht-
verletzungen. Von Pflichtwegen verdiente immerhin Aufnahme,
sollte es auch nur eine Nachbildung des gewöhnlichen von Rechts-
wegen sein. s. Kortum Jobsiade 1, 104: wenn sie nicht etwa von
Pflichtswegen den alten Herrn mußte wärmen und pflegen. Auch
Pflichtwidrigkeit verdiente Erwähnung; es scheint in unserer Zeit
wenigstens häufiger gebraucht zu werden als das aus Schiller und
W. V. Humboldt belegte Gegentheil Pflichtmäßigkeit. Ein Beispiel
bietet eine in Löpers Anmerkungen zu Goethes Dichtung und Wahr-
heit (Bd. 20y 368 der Hempelschen Ausg.) abgedruckte Mittheilung
Kriegks: gewisse Pflichtwidrigkeiten, welche bei Concurssachen vor-
gekommen waren; desgl. Schleiermachers Predigt am Neujahrstage 1807
(Predigten *1, 282 : daß er nichts zu besorgen hätte von der Rache derei*^
die im Genuß ihrer Pflichtwidrigkeit durch seine geudssenhafte
Strenge gestört werden.
Zu pflücken entbehrt man ungern Usteris einst allgemein ge-
sungenes und noch jetzt nicht verklungenes
Freut euch des Lebens^ weil noch da^ Lämpchen glüht.
Pflücket die Böse, eh sie verblüht!
Rückerts Vers: Pflücke Lust, eh sie verblüht! ist sicher nur eine
Erinnerung an Usteri und konnte eher fehlen.
Pflug. Bei der Angabe der mehrfachen Verwendung des Pfluges
hätte es auch Erwähnung verdient, daß in früherer Zeit über die
Stätte eines völlig zerstörten Ortes der Pflug gezogen wurde zum
Zeichen, daß ein Wiederaufbau des Ortes nicht stattfinden sollte.
BEMERKUNOEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 261
Beispiele dazu wttren reichlich vorhanden; eins der schönsten ist
sicher das bekannte aus Chamissos Schloß Boncourt:
So stehst duy o Schloß meiner Väter,
Mir treu und fest in dem Sinn,
Und biet von der Erde verschwunden,
Der Pflug geht über dich hin.
Die Wendung hinter dem Pfluge wird durch mehrere passende
Beispiele belegt, doch für Rückerts in seiner Allgemeinheit zu wenig
besagendes Hinterm Pßug der Bauer sähe ich lieber die bekannten
Zeilen aus Uhlands Döffinger Schlacht :
Noch lange traf der Bauer, der hinterm Pfluge ging.
Auf rostge Degenklingen^ Speereisen, Panzerring,
Pflugart bei Bahrdt Lebensbeschr. 2, 331: Salis versuchte eine
leichtere Pflugart ihnen (den Graubündnern) bekannt zu machen^ aber
sie fuhren fort^ mit ihrem centnerschweren OeschiiT und vier Pferden
zu ackern. Pflugleine (tibergangen) nennt man die zur Leitung des
Pfluggespannes gebrauchte, etwa 16 Meter lange Leine, von der
Dicke einer schwächeren Zeug- oder Wäschleine. Sie unterscheidet
sich von der beim Fahren tlblichen Kreuzleine theils durch ihre größere
Länge, theils durch die Art der Befestigung am Gebisse des Leit-
thieres. Da das jedem Landmann oder Kenner ländlicher Verhältnisse
bekannte Wort auch bei Adelung, Campe, Heinsius, Heyse, Sanders
fehlt, so mag auf ein Beispiel hingewiesen werden. F* W. Ziegler
Ges. Novellen 1, 189^ schildert, wie Jemand in einem brandenburgi-
schen Fenn dem Ertrinken nahe ist, und läßt einen Dazukommenden
ausrufen: Hat denn nicht einer einen Strick oder eine Pflugleine, die
man ihm um den Hals schlingen und womit man ihn dann herausziehen
könnte? Pflug mann als dichterische Bezeichnung des Pflügers wird
aus neuerer Zeit nur durch eine Stelle Gleims belegt; vgl. Görres
Athanasius ^157 (1838): Erkennt ihr nicht den starken Pflug mann,
der die Pflugschar über seinen Acker in Mitte all dieses Unheils führt,
und ihn bestellt^ damit er tauglich werde, auch dort die neuen Saaten
aufzunehmen, die er ihm bestimmt? Hier ist natürlich Gott der Pflug-
mann. Pflugschar zur Bezeichnung der Friedensarbeit im Gegen-
satze zum Schwert, als dem Sinnbilde des Elrieges, wird mit passen-
den Beispielen belegt; ungern aber vermißt man Körners bekannte
und schöne Zeilen : .
Zerbrich diei Pflugschar, laß den Meißel fallen, ,
Die Leier Mill, den Webstuhl ruhig, stehn I
262 A. GOMBERT
Pflugwagen (fehlt) ist eine andere Bezeichnung des Pfluggestells;
s. Voß zu Vergils Landbau '25 (1789): Die buchene Stelze ßihrte der
Pflüger zur Lenkung des Pflugwagens, durch welchen die Pflugschar
flach und tief gestellt werden konnte, Pflug zeit (aus Voß und Stolberg)
steht schon 1663 bei Schottelius 440\ Pflugziehen wird aufgeführt;
doch ohne Beleg; ein solcher findet sich auch nicht unter Pflug 4,
Sp. 1777, wohin verwiesen wird. Unter den Arten des Pflugziehens
wünscht man auch das als Strafe verhängte verzeichnet zu sehen.
Vgl. Jahn Ges. Wke. 2, 370: Das Schwert mußte erst entscheiden^ und
als der Landgraf Sieger bliebe die Vornehmsten der Befehlshaber gefangen
nahm, da bestrafte er sie durch das Pflugziehen,
Ein Wort wie Pforte findet natürlich sehr mannigfache Anwen-
dung, so oft nur in eigentlichem oder übertragenem Sinne von einem
Zugange oder Eingange (gelegentlich auch vom Ausgange) geredet
wird. Neben Uhlands goldner Pforte des Lebens (d.h. dem glück-
verheißenden Eingange in das Leben) würde passend die dunkle
Pforte ihren Platz finden, eine nicht seltene Bezeichnung für Grab
und Tod. Besonders passend erscheinen hier die Zeilen von Salis
aus seinem einst vielgesungenen Liede *das Grab' (1783):
Sonst an keinem Orte
Wohnt die ersehnte Ruh;
Nur durch die dunkle Pforte
Geht man der Heimat zu.
Unter den Beispielen für Pforte im Allgemeinen fehlt es nicht an
bedeutungsschwachen; für dieselben böte besseren Ersatz Geibel Spät-
herbstbl. 151:
Wollt ihr in der Kirche Schoß
Wieder die Zerstreuten sammeln,
Macht die Pforten weit und groß,
Statt sie zu verrammeln.
Desgleichen würde ich für Pförtnerin anstatt des einzigen aus
Platens Abbassiden entnommenen nichtssagenden Beispiels das inhalt-
reichere aus Geibels Gedenkblättern ®198 gewählt haben:
Soll denn ewig als Pförtnerin
Am Kirchthor die Dogmatik stehen f
Gönnt endlich, jedem einzugehen,
Der sich bekennt zu seines Heilands Silin,
Wenn übrigens gegenüber dem aus dem J. 1482 belegten unumgelaa-
teten pfortner das umgelautete pförtner ausdrücklich erst aus
Stieler bezeugt wird, so ist an Helber (1593) 24,'^ 5 (Neudruck vom
B£M£BKUNO£N ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 263
J. 1883) zu erinnern, der uns *pförtner, sonst portner* bietet. In
seiner Bedeutung nicht klar ist mir das übergangene Wort Pfort-
stube, das ich im Ergänzungs Wörterbuch von Sanders 537 in der
Form portstube aus Stumpf nachgewiesen und auch mit einem
Fragezeichen versehen finde. Es kommt auch in neuerer Zeit noch
vor, so bei J. G. Müller in den Straußfedem 2, 21 (1790): Röschen
ließ die Ohren hängen und schlich hin wie der BausTy wenn er in die
Pfortstuhe kriechen soll Das in Zusammensetzungen vorkommende
•pfortig erscheint nicht bloß in Verbindung mit einem Zahlwort;
vgl. bei Geibel Gedenkbl. '263 die freilich kühne Bildung:
bildwerkp fortige Giebel entlang
mein Fuß die Stätten der Jugend,
die verwitternden^ sticht,
Pfosten ist auch der Pfahl, an den der zur Züchtigung Ver-
urtheilte gebunden wird:
Arme Bauern, an dem Pfosten
Werden blutig sie gestrichen.
Herder Volksl. 2, 99 (1779).
Pfote. Die Diphthongierung in Pfaute (aus Bebel 1589) findet
sich auch bei Londorp 2, 696® (um 1621): Teuschland in seine Pf auten
gänzlich bringen. Die Form Pfate ist über 1569 und 1572 hinaus
noch im J. 1598 zu finden bei Sebiz Feldbau ^739: wenn der Wolf
mit seiner Pfaten und Klawen irgends ein Thier schlägt, muß es gleich
dahin fallen,
Pfriem wird als Geräth des Schneiders erwähnt, doch auf-
fälliger Weise nicht als das des Schusters; eines Beleges hierfür be-
dürfte es eigentlich nicht, zumal da man ja auch die Fortsetzung
Schusterpfriem (-pfriemen) hat; doch möge hingewiesen werden
auf R. Reinicks hübsche Legende von der Berufung der Etlnstler^
Z. 42—44:
Der König sah nur an sein Scepter,
Grammaticam nur der Präceptei*,
Der Schuster seinen Pfriem und Leist,
Der Kriegesknecht sein Schwert zumeist.
Pfropf bildet auch gelegentlich die umgelautete Mehrheitsform
Pfropfe, so bei H. P. Sturz M, 199 (aus d. J. 1768): die Akademie
der Wissenschaften untersucht nicht immer Maschinen^ um Pfropfe aus
Bouteillen zu ziehen, desgl. Pröpfe bei Raabe Horacker 34: roth-
hehckte Pröpfe, doch ebd. 35: der Pfropfen wich. Zu den sehr
spärlich gegebenen Wendungen mit Pfropf und Pfropfen wäre
264 O. BEHAGHEL, MJSS8EB.
binzazufQgen : am Pfropfen riechen oder am Pfropfen riechen lassen.
Kinder hU^mlich, die unbescheidener Weise Antheil am Weine der
ErwachseAWn begehren^ werden, gelegentlich anter wirklicher Dar-
reichung des Pfropfens, mit der scherzenden Erinnerung abgefertigt:
Du kannst am Pfropfen riechen. Dann wird die Wendung überhaupt
gebraucht, wo von scheinbarer Betheiligung an einem Genüsse^ doch
thatsächlicher Ausschließung von demselben, gesprochen wird. In ihrem
Ursprünge undeutlich ist mir die in Norddeutschland wenigstens häufige
Wendung: auf den Pfropfen setzen = in schwere Verlegenheit
setzen, beschämen. So setzt der Lehrer den Schüler ^auf den
Pfropfen, wenn er durch eindringendes Fragen dessen Unwissenheit
nachweist; dieser sitzt dann auf dem Pfropfen. Beide hier ver-
mißte Wendungen bringt Sanders im Ergänzungswörterbuch. Unter
Pfropfenzieher wird auf Pfropfzi eher verwiesen. Soll damit
die letztere Form als die üblichere bezeichnet sein, so muß wenig-
stens für Norddeutschland das umgekehrte Verhältniß behauptet werden.
In der heutigen Zeit verdiente übrigens neben dem althergebrachten
Pfropfenzieher auch der neuere Pfropfenheber Aufnahme.
(Fortsetzung folgt.)
GßOSS-STRELITZ. A. GOMBERT.
MESSER.
Oben S. 202 denkt Bohnenberger daran, Messer sei, wegen des
offenen e, dem Schwäbischen vielleicht ursprünglich fremd. Aber da-
mit ist nichts gewonnen. Allerdings hat z« B. das Pfälzische hier
offenes e (Lenz, Handschuchsheimer Mundart) , ebenso das Hessische.
Aber hier ist die Schwierigkeit der Erklärung die gleiche. Zudem
bietet auch das Aleman. f, so in Ottenheim (Beitr. 13, 220), in Leerau
(Hunziker, Aargauisches Wörterbuch S. 180), in Basel (Seiler S. 204),
während für das Bairische allerdings e bezeugt wird (Beitr. 11, 499).
Verdankt das f sein Dasein einer Angleichung? Jedenfalls nicht an
metzgen, denn dieses hat in Leerau andern Vocal als Messer.
O. BEHAGHEL.
S. 213, 9 1. chlaegleich statt chaegleicL
^WIK-ä
Classiker-AuspbenKfgi
S&
WfnVi.
TacitI Germania. £d. I^. P ramm er. Adiecta eflt tabula, qua Qermaniae
antiquae »itus describitur. geh. M. — '50.
P. Virgilii Maronis Aeneidos epitome. Accedit ex Georgicis et Bucolicis
delectus. Scholarum in u9Uin ed. Em. Hoffm^nn. geh. M. 1*30.
g^ Diese Sammlnng griechischer und lateinischer Classiker" wird
fortgesetzt. "W
Verlag von Carl Gerold's Sohn in Wien.
Alt-Wi6n in Bild und Wort. Herausgegeben vom Wiener Alterthüms
verein und von der Redaction des ^Illustrirten Wiener Extrablatt"
Redigirt von Dr. Alb. Ilg. Lieferung I, II, III und IV. Folio
a M. 2.20.
Berichte und Mittheilungen des Altertbumsverelnes zu Wien. Bd. XV
Mit vielen Tafeln und in den Text gedruckten Holzschnitten, gr. 4^
[XVm. 200 S.] 1875. M. 18.-
Bd. XVI. 4".^ [XVI. 30 S.] und Plan der Stadt Wien. 1876
M. 18.—,
Bd. XVin. 4^ [XXX. 170 S.] 1879.
'-. Bd. XIX. 4». [XVII. 137 S.l 1880.
Bd. XX. 4»». [xvni. 151 S.] 1881.
Bd. XXL 40. [XVIII. 162 S.] 1882.
•Bd. XXIL 4^ [XX 219 S.] 1883.
Bd. XXIII. 1. Hälfte. 40. [76 S.] 1884,
'Bd. XXIIL 2. Hälfte. 4^ [Xlt. 70 S.] 1884.
Die früheren Bände der Berichte und Mittheilungen des Alterthüms
Vereines sind jetzt ebenfalls durch uns zu beziehen; Band I., IV.,
VIII., X. und XVII. sind vergriffen.
Germania. Vierteljahrsschrift für deutsche Alterthumskunde. Begründet
von Franz Pfeiffer, fortgesetzt von Karl Bartsch. VI.— XXIL
Jahrg. 1861—1877 je 4 Hefte jetzt k Jahrg. M. 8.—..
XXin. - XXXm. Jahrg. 1878 — 1888 je 4 Hefte
k Jahrg. M. 15. — .
NeUWirth) Dr. Jos., die Satzungen des Regensburger Steinmetzentages
im Jahre 1459 auf Grund der Klagenfurter Steinmetzen- und
Maurerordnung von 1628. 4 Bogen gr. 8". M. 2. — .
M. 10.—
M. 16.—
M. 16.
M. 16.—
M. 16.—
M. 8.—
M. 8.—
i
INHALT.
, ." *
Seite
Über den Ursprung des höfischen MinnesangeJ und sein Verhältniß zu|
. Volksdichtung. (Schluß.) Von E. Th. Walter .» lil
Capitel III. Werth de« Aufsatzes von A.* Berger über „die volks-
. thümlichen Grundlagen des Minnesanges'* für die Frage nach
dem Zusammenhangs »wischen diesem und der Volksdichtung 141
Capitel IV. Die Carmina Burana und ihr'Zuskmmenhing mit dem
höfischen Minpesatige 146
Capitel V. Schluß , , , \ .^. .*' 153
Zur Alexiuslegende. II. Von Max. Fr. Blau '.^ . ,. . . . . «I56-
Zur Tristansage. VonE. Kölbing \, J87
Schwäbisch ^ als Vertreter von a. Von K. Behnenl^er'ger . . . 494
Über den gegenwärtigen Stand der Suchenwirt-Handschriften. Von Franz
Kratochwil . . . ... , .' . , ^ . 203
Leute. Von O. Brenner ....#. ^. ,. 24ö
Mhd, m und ^. Von O. B'ehaghel.. ..'...*'.♦.... 247
ifine Handschrift des Pfaffen Amis. Von G. Ehftsmann . . . .261
Bemerkungen zum deutschen Wöperbuche .(Fortsefzung folgt.) Von
A. Gombert . . . , . . . . t . % . 253
Afetter. Von O. Behaghel ^ 264
4
,Buchdf«ckeret von Carl Gerold's Sohn In Wien.
'uiC lO '«..
<}ERMAN1A.
VIERTELJAHRSSCHRIFT
Fte
DEUTSCHE ALTERTHUM8KUNDE.
BEGRÜNDET VON FRANZ PFEIFFER.
FORTGESETZT VON KARL BARTSCH.
JBTZT H£RAUSO£G£BEir «
VON
OTTO BEHAGHEL.
VIERUNDDpEISSIGSTER JAHRGANG.
NEUE REIHE ZWSroNDZWANZiaSTER JAHRGANG.
DRITTES HEFT.
WIEN.
VERLAG VON CArL GEROLD'S SOHN.
1889.
Caesaris Commentarii de bello gallico. Iterum recogn. Ed. Em. Hoff mann.
geh. M. 1«50.
|e bello Clvili. Accedunt comment. de bello Alexandrino, Africano,
Hispaniensi. Iterum recogn. Em. Hoffmann. geh. ^ M. 1'50.
Ciceronis in L. Catilinam oratlones quattuor. Ed. AI. Komltzer. Mit Index
nom. geh. * M. — 'SO.
CatO maior de senectute. Ed. AI. Komltzer. Mit Index nom. geh.
• M. —-SO.
Laellus de amicitla. Ed. AI. Komltzer. Mit Index nom« geh. M. — «öO.
Oratlones pro T. Annio Milone, pro OL Llgarlo, pro rege Delotaro.
Ed. AI. Komltzer. Mit Index nom. geh. M. — '80.
pro Sex. Roscio Amerino Oratio. Ed. AI. Komltzer. Mit Index nom.
geh. • * * M. — -60.
r de Officiis librl tres. Ed. AI. Komltzer. Mit Index nom. geh. M. 1-10.
— »- in C. Verrem aoousMionIs über quartus. Ed. AI. Komltzer. Mit
Index nom geh. M. — .80.
Oratio de imperio Cn. Pompei. Ed. AI Kof nltzer. Mit Index nom.
geh. • , M. —'öO.
Oratio pro S. Sulla, pro A. LiQlnio Archia poeta. Ed. AI. Komltzer. Mit
Index nom.* geh. M. — 'TO,
Oratio pr^O Philippica secunda. Ed. ^1. Komltzer. Mit Index nom
geh. 4 M. — .60
Herodotl de bello persico llbrorum epitome. £d. Fr. Lauczlzky. Adlunctae
sunt Uhr. I^ — IV partes selectae. geh. M. 1 • 80.
Homerl lliadis epitome. Ed. Aug. Seh ein dl er. Pars prior Iliadis I— X. geh.
M. !•-.
Ed. Aug. Schelndler. Pars altera Iliadis XI— XXIV. geh. M. 1'40.
LIvii, T,, ab urbe condita llbrorum partes selectae. Ed. 0. J. Grysar.
Recogn. R. Bitschofsky. Mit Index nom. u. 4 Karten, geh. M. 1*90.
P. Ovldli Nasonis carmina seleota. Ed. C. J. Grysar. Recognovlt et auxlt
Carolus Zlwsa. geh. •
Piatons Lach es. Iterum ed. Ed. Jahn. geh.
Sallustl Crispi bellum Catilinae. Ed. pfill. Kllmscha. geh.
M. 1-40.
M. !•— .
M. — --50.
M. —-50.
Taclti ab excessu divi Augusti librl qui supersunt. Ed. Ig. Prammer.
bellum lugurthinum. ild. Phil. Kllmscha. geh.
Pars prior librl I — VI. geh.
— Ed. Ig. Prammer. Pars posterior librl XI — XVI.
geh.
M.
M.
1-70.
1-70.
CEC 10 1^:,.^
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDEN-
SAGE UND DIE ÄLTESTE GESTALT DER NIBE-
LUNGENSAGE.
In meinen Bemerkungen zur Wielandsage (Germ. 33, S. 480)
habe ich die Wanderang der meiner Ansicht nach in ihrem letzten
Grande fränkischen, fllr gewöhnlich als deutsch bezeichneten
Heldensage zu bestimmen versucht. In dem aufgestellten Schema trat
bereits meine Auffassung des Verhältnisses zwischen saddeutscher und
norddeutscher Heldensage zu Tage: die letztere gründet sich auf
süddeutsche Spielmannslieder, die im 11. und 12. Jahrhundert ge-
sungen wurden und in derselben Zeit nach Niederdeutschland, d. h.
Westphalen und Hannover gelangten, aus welchen auch unsere mhd.
Dichtungen hervorgingen. Im Folgenden will ich es versuchen, die
nur in Kürze gegebenen Andeutungen etwas weiter auszuführen und
mit Beweisgründen zu stützen, und die daraus mit Nothwendigkeit
sich darbietenden Folgerungen zu ziehen. Die erste Frage ist die
nach dem Vorhandensein einer niederdeutschen Heldensage,
d. h. von Liedern, welche in Niederdeutschland umgingen und in
niederdeutscher Sprache verfaßt waren, gleichviel aus welchen Vor-
lagen sie auch stammen mögen. Der Beweis, daß die Behauptung
des Prologes der t^idrekssaga, Dänen und Schweden hätten längst
nach den sächsischen Vorbildern eigene Lieder gedichtet, vollkommen
zu Recht besteht, darf als sicher erbracht gelten. Am meisten ein-
leuchtend ist er von Svend Qrundtvig und Bugge geführt worden ')♦
Wenn dänische Volkslieder dieselben Stoflfe behandeln wie die I^idreks-
saga, dabei aber die letztere an eigenartigen, echten und alten Sagen-
zügen übertreffen, so ist klar, daß sie nicht in der norwegischen Saga
ihre Quelle haben können, vielmehr erster Hand auf dieselben Vor-
lagen zurückweisen, aus denen auf der anderen Seite die I'iärekssaga
entstammt. Es erwächst hieraus die Aufgabe, durch Vergleichung der
beiden nordischen Quellen den Sageninhalt der zu Grunde liegenden
niederdeutschen Lieder zu erschließen. Weder die ridrekssaga noch
die dänischen Lieder (natürlich auch die aus ihnen geflossenen schwe-
*) Danmarks gamle folkeviger IV, p. 586—600; 602—678.
GBSMAMU. Heue Beihe. XXU. (XZZIY.) Jalirg. 18
266 W. GOLTHER
dischen, norwegischen^ fseröischen und isländischen , die ja nur als
Übertragungen zu betrachten sind^ als solche jedoch sehr bedeutsam
ftlr die Wiederherstellung des ursprünglichen dänischen Originales
werden, wie dies Grundtvig in seinen ausgezeichneten Untersuchungen
mehrfach darthut), dürfen einseitig zur Vergleichung mit der süd-
deutschen Sage herangezogen werden, sondern immer nur alle zu-
gleich im Hinblick auf ihre gemeinsame Quelle. Diese also gewonnenen
nds. Lieder zeigen in ihrem Inhalt einen genaueren Anschluß an die
süddeutschen, als man von einer gesonderten Betrachtung der Pidreks-
saga aus anzunehmen gewillt ist. Durch die Beachtung dieser That-
Sache wird die Auffassung des Verhältnisses süddeutscher und nord-
deutscher Heldensage sehr wesentlich beeinflußt. Was von einzelnen
Sagen gilt, insbesondere von der Nibelungensage, wo sich diese Er-
scheinung am deutlichsten verfolgen läßt^}, das zeigt sich auch bei
mehreren anderen und ist überhaupt auf die ganze Masse der in der
t^idrekssaga vereinigten Gedichte auszudehnen, da dieselben zusammen
als Sagenkreis von Dietrich von Bern eingewandert sind, nicht etwa
einzeln losgelöst und zu verschiedenen Zeiten. Das Alter deutscher,
d. h. nds. Heldensage läßt sich vorläufig jedenfalls für die erste Hälfte
des 12. Jahrhunderts (1131) durch die viel citierte Stelle des Saxo')
als gesichert annehmen. Um diese Zeit müssen zum Mindesten die
Vorläufer der in die I^idrekssaga und in die Volksweisen aufgegan-
genen nds. Lieder in Norddeutschland eingewandert gewesen sein. Zwei
Möglichkeiten bieten sich dar, um das Vorhandensein nds. Lieder zu
erklären : entweder hat sich im 8. oder 9. Jahrb., als die fränkischen
Sagen nach Deutschland wanderten, die nds. Sage abgezweigt, also:
y frfinklBch-deatsch 8./9« Jh.
südda. nds.
hürnen Seyfrid. Nibllied. {^idrekss. dän. Lieder.
In diesem Falle wären die nds. Lieder geradeso wie die südds. aus
der gemeinsamen Ursage entwickelt; oder es sind süddeutsche Spiel-
mannslieder nachmals wieder nach Norddeutschland zurückgewan-
dert also: 7^ fränkisch-deutsch 8./9. Jh.
y * süddentBche Weiterbildung. lO./ll. Jh.
südds. nds. (sp&testenB im Anfaog dM
1^ J 12. Jhs.)
hürnen SeyMd. Nibllied. {^idrekss. dän. Lieder.
*) Bugge in Danmarks gamle folkeviser IV, p. 600.
>) Lib. Xni, bei MüUer, p. 638 [bei Holder 427, 88. O. B].
N0BDDEUT8GHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 267
Wir haben die Oründe für tind wider einen der beiden Wege abzu-
wägen and danach die Entscheidang zu treffen.
Bei Betrachtung der in der t^idrekssaga überlieferten Ge-
schichten ist zunächst zu beachten^ daß dieselben, soweit sie zur
Nibelungensage gehören^ nicht in vollem Umfange auf niederdeutsche
Quellen zurflckgeftahrt werden dürfen. Die Sagen von Sigurd und
den Niflungen waren seit lange in isländisch-norwegischer Überliefe-
rung vorhanden. Daraus ergab sich natürlich von selber eine Ver-
einigung des einheimischen mit dem zugewanderten^). In
die Darstellung der norwegischen Saga gingen nordische Züge über,
welche in den nds. Liedern nicht vorhanden waren. Wenn man den
Inhalt der letzteren gewinnen will, müssen diese Bestandtheüe aus-
geschieden werden^ was sich zum Theile mit der größten Leichtigkeit
bewerkstelligen läßt Als nordisch ist zu bezeichnen die Bemer-
kung in Cap. 163, daß der Drache, den Sigurd erschlägt, Regin heißt
und ein Bruder des Schmiedes Mimir ist; Cap. 166, daß sich Sigurd
beim Kochen der Fleischstücke des Wurmes die Finger verbrennt,
daraufhin die Vogelstimmen versteht und in Folge dessen Mimir
tödtet; Cap. 167, daß das Schwert Signrde Gram genannt wird und
das Boß QriLni; ebenso Cap. 168, daß sich Sigurd bei Brynhild das
Roß Gräni holt. In Folge des in isländisch- norwegischer Sage be-
richteten Rittes durch den vafrlogi war man gewohnt, das Roß mit
Brynhild in Zusammenhang zu bringen; nur hieraus erklärt es sich,
daß man Gr&ni in die Sage einführte in einer Weise und an einer
Stelle, die im Zusammenhang des Ganzen geradewegs widersinnig
sind'). Cap. 227 ist nordisch, daß Sigurd und Brynhild einmal mit
>) Storm, Aarböger for nordisk oldkyndighed 1877, p. 320—21; Elockhoff,
Studier Öfver Thidrekssaga af Bern (Upsala universitets irsskrift 1880) p. 4. Auf
diesen Pankt ist dämm Gewicht bu legen, weil man ihn auch anders zu erklSren
Teraacht hat , freilich mit ziemlicher Erfolglosigkeit. Raszmann hält in seinen Schriften
Westphalen für die Urheimat der Nibelangensage. Von dort seien im 9. Jahrhundert
die Eddalieder ausgegangen, aber ein Grandstock blieb zurück. Damit vermischten
sich die später in Niederdentschland eingewanderten süddeutschen Sagen^ und darum
reten uns in der pB, scheinbare Entlehnungen aus der nordischen Sagenform ent-
gegen. Diese Auffassung rertritt Saszmann in seiner Schrift: Die Niflungasaga und
das Nibelungenlied (1877), namentlich p. d5 fiP., 66 ff., 79 ff., 81 ff. Nicht überall liegt
die Entlehnung aus dem Nordischen so klar am Tage wie in den hier aufgeführten
Fällen. Es bedarf oft sehr genauer Sichtung, die Zudichtungen den theilweise völlig
frei schaffenden Yerfassers der {^s. loszulösen, um nicht ungerechtfertigter Weise diese
Neuerungen der nds. Sage zu unterschieben.
') Abhandl d. I. Gl. d. Akad. d. Wiss. zu München, Bd. XYni, Abth« II, p. 454 f.
18*
268 W. GOLTHEB
einander verlobt waren ^); Cap. 226, daß Sigords und Gudruns Hoch-
zeit gefeiert wird, ehe Sigurd und Gunnar nach Brynhild ausfahren;
Cap. 348, daß Sigurds Leiche auf Gudruns Bett geworfen wird und
sie 80 y wie in der isländischen Version, neben dem todten Gemahl
erwacht; Cap. 383, daß Gunnar in den Wurmgarten geworfen wird;
Cap. 170 hat Oda vier Söhne, außer Gunnar, Gemoz und Gisler auch
noch Guthormr, der natttrlich aus dem Berichte der Edda tlbemommen.
Diese hier erwähnten nordischen Sageneinflüsse sind äußerlich und
von sehr untergeordneter Bedeutung; sie haben kaum eine wesentliche
Änderung an der überkommenen deutschen Form hervorgerufen und
stehen darin der ebenfalls rein äußerlichen Wiedergabe der über-
nommenen deutschen Namen durch die entsprechenden nordischen,
also Gunnar statt Günther, Gudnin statt Gh-imhild, Sigurd statt Sig-
frcadr. Gram statt Balmunc, Mimir statt Mime vollkommen gleich.
Solche nordische Einwirkungen konnten sich nur bei der Nibelungen-
sage und bei der Wielandsage bemerkbar machen, wo nordische Gegen-
stücke vorhanden waren. Die letztere scheint jedoch völlig davon frei
geblieben zu sein; es wurde auch kein Versuch gemacht, die nordi-
schen Namen der V9lundarkvida einzusetzen. Bei den übrigen Stoffen
der t^idrekssaga sind wir also der Mühe enthoben, einzelne Züge, die
in Norwegen eindrangen, vor der Zurückführung auf die nds. Vor-
lagen auszuscheiden. Fremdartige Neuerungen können aber auch in
anderer Hinsicht sich entwickelt haben. Dies gilt vornehmlich bei
Bestimmung der geographischen Verhältnisse in der t^idrekssaga.
Hiebei ist zu unterscheiden zwischen dem, was bereits in den nieder-
deutschen Vorlagen stand, und dem, was erst die norwegische Dar-
stellung verschuldet. Für das Vorhandensein einer niederdeutschen
Heldensage, welche in volksmäßigen Liedern lebte, spricht entschieden
auch der Umstand, daß Niederdeutschland selbst zum Schauplatz der
Ereignisse geworden ist^). Hunaland und Susat, Ättila's Eönigssitz,
sind meistens als Westphalen zu verstehen, außer in der Nibelungen-
sage, aus deren Darstellung mit Sicherheit hervorgeht, daß unter
Hunaland und Susat in diesem einzelnen, bestimmten Falle nur Ungarn
und Ofen entsprechend den süddeutschen Quellen verstanden sein
kann^). Hieraus ist aber zu entnehmen, daß einmal in den nieder-
deutschen Liedern die Geographie gerade so wie in den süddeutschen
*) W. Grimm, Heldensage p. 84.
') Storm, Nye studier over Thidrekssaga (Aarböger for nordisk oldkyndighed
1877, p. 329 ff. Zur Frage überhaupt: Holthansen, Stadien zur Thidrekssaga. 1884.
^) Döring, Ztschr. f. d. Phil. II, p. 22 ff. Holthausen a. a. O. p. 33.
NORDDEUTSCHE UND SODDEUTSGHE HELDENSAGE etc.
beschaffen war^ daß von Anfang an kein Unterschied bestand, sondern
erst nachmals ein solcher geschaffen wurde dadurch, daß Nieder-
deutschland als Schauplatz der Sage galt und deshalb dort mehrfache
Änderungen vorgenommen wurden. Sind diese Neuerungen zum großen
Theile der nds. Sagenentwicklung zuzuschreiben, so hat aber auch
die norwegische Saga einige Änderungen in dieser Richtung ver*
anlaßt, welche aus ungenflgender Eenntniß der deutschen örtlichkeiten
entsprangen. Doch sind auch diese nur äußerlicher Art und berühren
die Handlung der Sage wenig.
Wenn wir die in Form und Inhalt den sfiddeutschen so nahe
stehenden norddeutschen Nibelungenlieder mit den ersteren vergleichen,
80 müssen sich hiebei Anhaltspunkte auffinden lassen, welche auf die
ursprüngliche Heimat der Sage und damit wohl auch auf das Ab-
hängigkeitsverhältniß der Lieder hinweisen. Als die fränkische Sage
im 8. oder 9. Jahrhundert nach Deutschland kam, erfuhr sie dort
nachmals hn 10« und 11. Jahrhundert in den süddeutschen Gegenden
namhafte Zuthaten, welche unter dem Eindruck der Kämpfe an der
Ostmark mit ungarischen Stämmen sich vornehmlich auf die zweite
Hälfte, die Fahrt der Nibelungen zum Hunnenkönig und ihren Unter-
gang erstreckten. Anerkanntermaßen enthält die Darstellung des
Nibelungenliedes viele Züge, die sich erst in jenen Zeiten bilden
konnten , und die mit dieser Ausftlhrlichkeit in der ursprünglichen Sage
des 6. Jahrhs. und überhaupt bei dbn Franken nicht als vorhanden
gedacht werden dürfen. Mit sichtlicher Vorliebe und Saehkenntniß
ist die Beise der Burgunden von Worms den Main entlang durch
Ostfranken zur Donau und durch das Donauthal über Bechelarn
nach Etzelnburg geschildert Natürlich setzt diese Beschreibung vor-
aus^ daß die Sage in jene Gegenden gedrungen war. Dem ersten
Dichter der Nibelungen standen diese genauen örtlichen Angaben
nicht zu Gebote. Nun finden wir die Einzelheiten der Fahrt auch in
der I'idrekssaga vor, dort allerdings entstellt durch einen Fehler des
norwegischen Verfassers; der aber deutlich erkennen läßt^ daß
in der Vorlage, dem nds. Liede^ Alles in Ordnung war*). Bereits
hieraus ist zu entnehmen, daß die norddeutsche und süddeutsche Sage
unter einander näher verwandt sind, und daß zur Erklärung dieser
Verwandtschaft der Hinweis auf ihre alte gemeinsame Quelle in der
fränkischen Sage nicht ausreicht. Eine der anziehendsten Gestalten
*) Rhein nnd Donau fließen zusammen Cap. 362 ; ein Wasser hfA&t Moore, d. i.
Möringen.
270 W. GOLTHER
des zweiten Theiles ist Markgraf Büedeg6r ; dieser wurzelt aber gänz-
lich in den süddeutschen Verhältnissen. Die Markgrafen im Nibelungen-
lied entstammen aus der Ottonenzeit, wo es sich um die Festigung
der Grenzen handelte; sie sind undenkbar für die Zeit der Entstehung
der Sage. Mit Becht hat Thausing^) darauf hingewiesen, daß in den
Hunnenkämpfen eine Erinnerung an die Kriege Heinrichs HI. in
Ungarn 1042 — 1044 lebt; Vieles in diesen Schilderungen ist auf die
nationale Erhebung jener Zeiten zurückzuführen. In Volker^ dem
ritterlichen Spielmann und Kampfgenossen Hagens, ist auch unschwer
eine später erdichtete Gestalt zu erkennen; für welche in der alten
Sage kein Platz war. Betrachten wir die Nibelungensage im Ganzen,
so zeigt sich^ daß sie ebenso getreu die geschichtlichen Ereignisse
des 5. Jahrhs. und die Örtlichkeit des Bheines bewahrt hat, als
anderseits Widerspiegelungen späterer Zeiten und genaue Kenntniß
süddeutscher Gegenden hervortreten. Dadurch werden wir zur An-
nahme einer doppelten Hauptbearbeitung der Sage geftLhrt, oder jeden-
falls zu der einer tiefgreifenden Umarbeitung des Überkommenen in
Süddeutsohland. Daß die alte fränkische Sage nichts von alledem
wußte, läßt sich aus ihr selber, soweit sie in isländisch-norwegischem
Gewände sich erhielt, nachweisen. Die Eddagedichte sind von allen
diesen Ausführungen, welche nur die nach Deutschland ausgewanderte
Sage betrafen, völlig frei geblieben. Aber die Pidrekssaga faßt die-
selben in vollem Umfange in sich; und noch mehr als bei dieser
selbst oder ihren unmittelbaren niederdeutschen Quellen, in denen
sich ja das Bestreben der Localisation auf norddeutschem Boden kund-
gibt, war dies bei den älteren niederdeutschen Liedern der Fall^.
Es ergibt sich hieraus mit zwingender Nothwendigkeit die Abhängig-
keit der nds. Heldensage von der süddeutschen, die dem-
nach in späterer Zeit unter den lebhafter gestalteten Wechselbezie-
hungen wiederum nordwärts zurückwanderte. In der ersten Hälfte
des 12. Jahrhs. ist sie dort bezeugt; früher als in der zweiten Hälfte
des 11. Jahrhs. kann aber die Bückwanderung kaum erfolgt sein,
somit ergibt sich rund 1100 für die wahrscheinliche Zeit der Über-
nahme süddeutschen Heldensanges in Norddeutschland. Mit dieser
Zeitbestimmung vereinigt sich recht wohl, was wir von einheimischen
niederdeutschen Sagen wissen. Storm^) hat nachgewiesen, daß ein
*) Oerm. 4, p. 435 — 436. Die Nibelungen in der Geschichte und Dichtung.
*) Storm, Aarböger 336; die Dichtung, welche der Saga zu Grunde liegt, ist
in ihrem Ursprünge süddeutsch.
^) Aarböger p. 341 ff.
NOBDDEUTSCHE UND SODDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 271
Theil des Sagenstoffes nicht süddeutscher, sondern norddeutscher Ent-
stehung ist Die Kämpfe der Hunnen (d. h. der Sachsen und West-
phalen nach der Ausdrucksweise der Saga) mit Friesen und Wilkinen
(d. h. Wilzen^ Wenden, Dänen) stammen aus den Kriegen der Ottonen
gegen jene Völker im 10. Jahrhundert; Heinrich II. kriegt Anfang
des 11. Jahrhunderts im Osten von ^Saxland^ mit Polen und Russen.
Attila der Hunnenkönig trat an Stelle der deutschen Kaiser; d. h. der
einheimische nds. Heldensang schloß sich an den augewanderten sQd«
deutschen an, und das dort bemerkbare Bestreben, die Vereinigung
aller Sagen um einen gemeinsamen Mittelpunkt, König Dietrich von
Bern, kam im Verlaufe der Zeit immer mehr zur Geltung. Nieder-
deutsche Heldenlieder wurden gerade damals gesungen, als sttd*
deutsche einwanderten. So trafen die letzteren auf einen wohl ror-
bereiteten Boden, was ihre rasche Annahme und Ausbreitung durch
ihr Verwachsen mit dem bereits vorhandenen Grundstock wesentlich
erleichterte.
Die Nibelungensage in der J^idrekssaga entspricht dem Lied vom
hürnen Seyfrid^) und dem Nibelungenlied. Die Übereinstimmung mit
letzterem beginnt Cap. 228 mit Gunnars Brautnacht. So ist auch in
der t'iärekssaga scheinbar eine Trennung dieser beiden Denkmäler
anzuerkennen, und Döring^ versuchte die Benützung der beiden mhd.
Quellen nachzuweisen. Daß unser zwischen 1190 und 1205 entstan*
denes Nibelungenlied der Pidrekssaga und den dänischen Liedern
vorlag, verbietet sich von selber durch die Erwägung der Zeitver-
hältnisse. Die Frage darf also nur so gestellt werden, ob bereits in den
nach Norddeutschland gewanderten Liedern eine ähnliche Scheidung
des Stoffes eingetreten war, wie nachmals in den genannten zwei
mhd. Gedichten. Im Nibelungenliede ist die Spielmannsdichtung in höhere
und feinere Kreise emporgehoben; äußerliche und innerliche Vorzüge
zeichnen es demnach vor den übrigen Spielmannsgedichten aus.
Sigfrid wird in ritterlich höfischer Art erzogen, er wirbt um Kriem-
hildes Minne; glänzende Hoffeste und Trauerfeierlichkeiten im kirch-
lichen Sinne sind ausführlich beschrieben; die Charakteristik der
Personen ist psychologisch vertieft; und die Handlang dadurch ab-
gerundet; nicht wie in der Spielmannsdichtung herrscht die bloße
Freude am Erzählen vor. Bohe Züge sind getilgt oder wenigstens
derartig verfeinert, daß sie für eine gesittetere Anschauung nichts
*) Über das Alter der Sagenform des h. S. vgl. meine Ausgabe [Braunes Neu-
drucke Nr. 81 u. 82] 8. XIX ff.
") Ztschr. f. d. Phil. 2, p. 1—79; 266—292.
272 W. GOLTHER
Verletzendes enthalten. Es ist klar, daß die meisten derartigen Ände-
rungen dem mhd. Denkmal als solchem angehören und erst in diesem
auftraten, dagegen in den vorhergehenden Liedern nicht vorhanden
waren. Wenn uns der Unterschied zwischen dem httrnen Seyfrid und
dem Nibelungenlied in ihrer heutigen Gestalt allerdings sehr groß
erscheint^ so kommt dies bei ihren Quellen in Wegfall, weil das Nibe-
lungenlied auf dem Boden der älteren Spielmannsdichtung begreiflicher-
weise von allen den unterscheidenden Merkmalen wenig enthielt. Beim
hürnen Seifrid ist die rohe Form der späten Überlieferung in Abzug
zu bringen. Dann aber wird die Überlieferung in beiden Gedichten
eine einheitlichere sein und nicht mehr eine entschiedene Trennung
derselben nothwendig erscheinen lassen. Unter diesem Gesichtspunkte
muß die Nibelungensage in der t^idrekssaga aufgefaßt werden. Der
Bericht der Saga und die ihr zu Grunde liegenden nds. Lieder sind
durchaus einheitlich, die Spielmannsdichtung von den Nibelungen.
Ebenso verhielt es sich mit der süddeutschen Sage im 11. und 12. Jahr-
hundert; nur das Nibelungenlied ist aus ihrem Kreise herausgetreten.
Zwischen der Jugendgeschichte Sigfrids und den letzten Kämpfen
der Nibelungen ist in der Darstellung der Spielmannslieder und der
Piärekssaga keine Verschiedenheit bedingt. Die Vergleichung mit
der nds. Sage gibt ein vortreffliches Hilfsmittel an die Hand, den
Stand der älteren süddeutschen Sagenüberlieferi^ng uns wieder zu er-
schließen und die eigenartige Kunst des Nibelungenliedes namentlich
auch in' ästhetischer Hinsicht, insoferne es am Inhalte änderte, zu
bemessen. Es ist begreiflich, daß Sigfrids Abenteuer beim Schmied
als dessen Lehrling unmöglich war, sobald seine Erziehung den An-
sprüchen des höfischen Anstandes entsprechen mußte. Die Scene, wie
Sigfrid Brünhilde bezwingt, ist im Nibelungenlied offenbar umgebildet:
Sigfrid ringt mit ihr, nimmt ihr einen Ring und Gürtel ab, ohne
jedoch ihre Minne zu genießen^). Dagegen berichtet die I^idrekssaga
Cap. 229: ocpa teer kann Ul Brynüldar oc foer skiott hennar moßydom.
Das Aufgeben dieses in der rohen Auffassung der Spielmanns-
dichtung vorhandenen Zuges ist bedeutungsvoll für das ethische
Urtheil über Sigfrids Schuld oder Unschuld. Die Kämpfe bei den
Hunnen sind in den älteren Liedern viel wilder als im Nibelungen-
lied ; das letztere hat die furchtbare Grausamkeit Kriemhildes, die nach
der älteren Sage (£^b. Cap. 3.92) die Verwundeten zu Tode quält, mit
richtigem Gefühl getilgt. Daß in Süddeutschland Lieder vorhanden
') Bartsch Str. 640—681.
NOBDDEUTSCHE UND SODDEUTSGHE HELDENSAGE ete. 273
waren, gans im Geiste der Quellen der I^idrekssaga gehalten, von
denen sich aber das Nibelungenlied unterschied, zeigt sich anläßlich
des Auftritts zwischen Hagen und Ortliep, dem Kinde der Eriemhilt,
über welchen der Bericht der Saga (Cap. 379) und des prosaischen
Anhanges zum Heldenbuch (Heldensage p. 298 f.) gegen das Lied
zusammenstimmen; ebenso am Schlüsse, wenn Dietrich die Eriemhilt
erschlägt, während im Nibelungenlied dies von Hildebrand erzählt wird.
Auch die Betrachtung der übrigen in der t^iärekssaga vorhan-
denen Sagen läßt erkennen, daß die norddeutsche und süddeutsche
Heldensage gegenüber einer älteren süddeutschen des 8. und 9. Jahr-
hunderts im Allgemeinen und im Besonderen zusammengehen, und
zwar 80, daß jeder Gedanke, als hätten wir es mit einer jeweiligen
Weiterbildung einer gemeinschaftlichen Ursage im Norden und Süden
zu thnn, von Vorneherein ausgeschlossen wird. Wären süddeutsche
und norddeutsche Sagen, vom gleichen Ausgangspunkte beginnend,
ihre eigenen Wege gewandelt, so könnten nicht die im 13. Jahr-
hundert erfolgten Aufzeichnungen, die also 400 oder 500 Jahre von
der entlehnten fränkischen Sage entfernt sind, so genau überein-
stimmen, namentlich nicht, wenn es sich um auf beiden Seiten gleich-
mäßig durchgeführte Neuerungen handelt. In Bezug auf diese muß
natürlich die eine vorangegangen, die andere nachgefolgt sein. Unter
den in die Pidrekssaga übergegangenen süddeutschen stehen an erster
Stelle diejenigen, welchen mhd. Dichtungen entsprechen, wie Ecken-
lied und Rother; die Berührungen gehen vielfach bis zu wörtlicher
Übereinstimmung ^), was darauf hinweist, daß theilweise der Wortlaut
der Originale des 11. Jahrhunderts gewahrt blieb und in die nord-
deutschen und süddeutschen Dichtungen fiberging. Dies wäre eben-
falls unmöglich aus gemeinsamen Quellen des 8. oder 9. Jahrhunderts
zu erklären. Die sprachliche Entwicklung zwischen dem 8. und
13. Jahrhundert hätte tiefgreifende Änderungen veranlaßt. Die Über-
einstimmung muß aber sich sehr weit erstreckt haben, wenn sie noch
80 deutlich selbst aus der norwegischen Prosa ^ heraus an die mhd.
Werke anklingt. Von anderen Sagen läßt sich nachweisen, daß sie
im 11. Jahrhundert in älterer einfacherer Form vom Süden nach dem
Norden wanderten^ aber nachmals eigenartige Ausbildung erfuhren,
z. B. von den Gedichten, aus denen der Kampf der Dietrichsrecken
*) Edzardi Germ. 23, p. 99 ff.; 25, p. 48—67.
*) An einigen SteUen erkennt man noch denüieh den poetischen Stil der nds.
Lieder, der an den unserer mhd. Heldendichtnng sich anschließt*, einiges bei Ediardi,
Germ. 26, p. 66 Anm.
274 W. GOLTHER
mit Isungs SöhneD (^s. Cap. 45*-56) eiDerseits, der große Rosen-
garten (wohl auch Dietrichs siegreicher Zweikampf mit SigFrid in der
Babenschlacht Str. 672 — 683) anderseits hervorgingen. Nur sehr
Weniges von der älteren deutschen Sage, welche den Stand des
Fränkischen bewahrte, wo also jene süddeutschen Zuthaten noch nicht
vorhanden waren, hat sich erhalten, das Bruchstück des Hildebrands-
liedes aus dem 8. Jahrhundert. Aber auch aus dem Wenigen läßt
sich entnehmen, daß damals die Sage noch in anderen Bahnen lief.
Odovakar ist Dietrichs Gegner, ein Zug, der später gänzlich schwand,
dadurch, daß Sibich, welcher zu Ermenrich und den Harlungen ge-
hört, überhaupt die Verrätherrolle übernahm, und somit Dietrich
nachmals seinem Neide entfloh*). Die fränkische Sage hat, wie auch
aus der nordischen Gestalt des zweiten Theiles der Nibelungensage
ersichtlich ist, die geschichtlichen Grundzüge wohl gewahrt, welche
nachmals in der deutschen Fortbildung mehr und mehr zurücktraten.
Völlig verschieden vom alten Hildebrandslied ist die Darstellung der
Pidrekssaga (Cap. 406—409). Damit stimmt aber auch das deutsche
Hildebrandslied des Kaspar von der Böen zusammen. Edzardi') be-
hauptet für das letztere zwar niederdeutschen Ursprung, doch sind
die angeführten Gründe nicht völlig bestimmend, die Möglichkeit der
süddeutschen Herkunft ist nicht ausgeschlossen. Jedenfalls ist die Sage
auf einem ganz anderen Standpunkt als im alten Lied. In gleicher
Weise hat sich norddeutsche und süddeutsche Überlieferung vom Alten
entfernt, nicht jede gesondert für sich.
Nachdem wir erkannt haben, daß die t^idrekssaga und die mhd.
Gedichte auf gemeinsame Quellen zurückzuführen sind, darf der Ver-
such gewagt werden, den Stand der hochdeutschen Sage während
dem IL Jahrhundert zu ermitteln. Natürlich ist das den nord- und
süddeutschen Liedern Gemeinsame ohne weitere Fragen als alt zu
betrachten; dagegen ist bei allen eigenartigen Abweichungen auf der
einen Seite zu bestimmen, ob dieselben bereits in der alten Sage
standen und nur zufällig sich hier erhielten, dort aber vergessen
wurden, oder ob wir es mit Neubildungen, beziehungsweise mit Doppel-
berichten zu thun haben. So müssen einige Vorfragen zunächst ent-
schieden werden. Sehr wichtig ist Cap. 165 dert'idrekssaga: Sigurds
Besuch bei Brynhild. Wie ist überhaupt das Verhältniß Sigurds
und Brynhilds in der I^s. aufzufassen? Eine Verlobung fand nicht
^) Ähnliche Auffassung bei Storm, Sagnkredsene om Karl den störe og Diderik
af Bern p. 72.
') Germ. 19, p. 315 — 326: zum jüngeren Hildebrandsliede.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELUENSAaE etc. 275
statt; die Worte in Cap. 227 stammen aus der nordischen Sage.
Wenn dagegen Sigurd wenigstens bei Brynhild war^ ehe er sie Gunnar
zur Frau vorschlug, also sie kannte, ohne daß jedoch ein innigeres
Verhältniß sich daran angeknüpft hätte, so könnte man diesen Zug
als deutsche Sage auffassen und für die letztere wenigstens eine
vorhergehende Bekanntschaft Brtlnhildes und Sigfrids behaupten, wenn
auch eine Verlobung mit aller Entschiedenheit geleugnet werden muß.
Nach der I^s. weiß Sigurd nichts von seinen Eltern. Er nennt Bryn-
hild seinen Namen, aber vermochte über sein Geschlecht keine Aus-
kunft zu ertheilen ; da sprach Brynhild : tf pv veüz teigi aJt soegia mer,
pa kann ec at Bcegia per, at pv ert Sigvrär Sigmundar son konunga oc
Sisibe^ Wenn etwas echt und sinnvoll ist bei dieser Begegnung, so
ist es diese Mittheilung über Sigurds fierkunft. Sie wird als sagen-
mäßig bestätigt durch zwei Strophen des Seyfridliedes:
47 nun was der held Seyfride gewesen seyne jar,
das er ymb yatter vnd müter nicht west als ymb ein har.
er ward yil ferr yersendet inn eynen finstern than,
darinn zoch jn ein meyster, bisz er ward zu eym man.
48 er gwan vier vnd zwentzig stercke vnd yegklich sterck ein man.
do sprach zu jm das zwerge: will dir zu wissen thon,
deyn muter hiesz Siglinge ynd was von adel geporn,
deyn yatter künig Sigmunde yon den so bist da wordn.
Diese Strophen setzen dieselbe Sage voraus, wie die niederdeutschen
Lieder. Jedoch ertheilt der Zwerg Eugel Seyfrid Auskunft, nicht wie
in der ts. Brynhild. Was sonst im Cap. 168 enthalten ist, bedarf
einer genaueren Prüfung. Sigurd holt sich Qr&xii aus dem Gestüte
der Brynhild; als er zu ihrer Burg kommt, hat er mit den Wacht-
männern einen Kampf zu bestehen. Das Roß Gräni ist eine Zuthat
der nordischen Sage; aus dieser ist es in die t^s. eingedrungen , die
niederdeutschen Lieder wußten so wenig von ihm als die süddeutschen.
Die norddeutsche Sage erzählte, Studar^)^ des Heimir Vater, habe
ein Gestüt verwaltet, aus dem die berühmtesten Helden und Dietrich
selber ihre Rosse bezogen, daher stammten Falka, Skemmingr und
Rispa. Es ist wahrscheinlich, daß auch Sigfrid nicht zurückgesetzt
werden sollte und darum aus demselben Gestüt ein Roß bezog; natür-
lich konnte dies nach der l^idrekssaga nur Grdni sein. Die schwedische
Saga berichtet auch Cap. 16: i then skog, som Brynnilla ägher ther
^) In |>8. steht allerdings Studas, aber die schwedische Bearbeitung hat die
richtige Namensform Studar (68, 18), sonst Studder oder Studer = ahd. stuotUri, der
Stfiter, Verwalter eines Qestfits, gewahrt.
276 W. GOLTHEB
äre Uli hätta, en heter Orane, oe annar heter Skimling oc (ridie heter
Falke oc IUI. heter Bispa (das in I^s. entBprechende Gap. 188 hat
diesen Satz nicht). Brynhild besitst das Gestüte, aus welchem jene
Bosse stammen. Cap. 18 berichtet von ihr: ßrir nordan ßcdl i Svava
par er $u borg er heäir ScBgard. par red firir hin rika oc hin fagra
oh hin miküata BrynhiUdr^ er fegret er kveima i Sudrlondum ok sva
nordr af speki ok storvirkium er gor verda firir hennar sakir ok seint
munu fyrnaz\ fthnUch Nibelungenlied 326:
ez was ein küneginne gesezzen über s^:
ir geliche enheine man wesse Binder m^*
diu was onmftzen seoene, yil michel was ir kraft.
fii scoz mit snellen degenen nmbe minne den scaft.
Der Hinweis auf die großen Thaten, welche um Brynhildes willen
geschehen, spricht daftlr, daß auch in Bezug auf ihre Gewinnung in der
nds. Sage Ähnliches berichtet wurde, wie im Nibelungenlied, obwohl
die Ps. diese Dinge ausfallen ließ. Dann fährt die Ps. fort: i einum
skog eigi padan langt stendr bu mikit^ er atti BrynhiUdr ok red firir
sa madr er Studas het. Der Gestüthof wird dann ausführlich be-
schrieben. Es fragt sich, ob die nds. und damit früher auch die
süddeutsche Sage wirklich Brünhilt zur Besitzerin einer Pferdezucht
gemacht haben. Auch nicht der geringste Anlaß dazu liegt in ihrer
Geschichte selber vor. Aber eben ihr Gestüt ist der Grund, weßhalb
Sigurd sie aufsucht. Auch Cap. 168 ist völlig auf nordische Sage
gegründet; es beruht auf einer Einmischung nordischer Züge. Die
Einwirkungen der nordischen Sage sind hier etwas tiefer gehend als
in den oben namhaft gemachten Fällen; sie haben eine eigene neue
Scene veranlaßt. Des Studar Sohn ist Hei mir; Brynhild nach der
jungen nordischen Sage ist Heimirs Pflegetochter, und lebt auf
Heimirs Hofe. Dies war dem Verfasser der Ps. natürlich bekannt.
So brachte er auch einzig und allein in Folge der Namensgleichheit
Heimir, den Gesellen Dietrichs, mit Brynhild in Verbindung; er und
sein Vater standen in ihrem Dienste, und so wurde Brynhild zur
Besitzerin des Gestüts. Als solche wird sie ja gerade in Cap. 18,
wo von Heimir zum ersten Male die Bede ist, erwähnt. Ein weiterer,
ebenso äußerlicher Grund lag in Sigurds Geschichte. Es ist nicht
unmöglich, daß bereits nds. Lieder ihm wie dem Dietrich ein Roß
aus der edelsten Zucht zuschrieben. Dieser Zug wäre aber dann
bereits ein neugebildeter, nicht der alten deutschen Sage zugehöriger,
welcher entstand, als die übrigen Sagen immer mehr nur als Episoden
der Geschichte Dietrichs aufgefaßt wurden und sich deshalb auch
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 277
allerlei Änderungen gefallen lassen maßten. Die Pidrekssaga wies
ihm das Roß GriLni zu. Gräni aber steht in unlöslichem Zusammen-
hang mit dem Ritt durch den vafrlogi, den die jtlngere nordische
Sage auf Brynhild übertrug. Also auch auf diesem Wege brachte die
I^s. Brynhild und die Pferde mit einander in Verbindung. War einmal
Brynhild die Besitzerin der Rosse, so lag es fCLr den Sagaschreiber
nahe, Sigurd den Gräui bei Brynhild selber holen zu lassen, also die
in Cap. 168 erzählte Begegnung zu erfinden, da ja die ihm geläufige
nordische Sagenform von einer Verlobung und einem Zusammentreffen
Sigurds und Brynhilds wußte. Was die Kämpfe mit den Wachtmännern
anlangt, welche Sigurd zu bestehen hat, so erinnere ich an Oddrünar-
grdtr 17:
p& var vig vegit v^Uku sverdi
ok borg brotin sü er Brynhildr 4tti —
wo die Werbung um Brynhild mit Kämpfen verknttpft ist ^). Somit ist
Cap. 168 die Begegnung Sigurds und Brynhilds Erfindung
des Verfassers der Ps.; die nds. Lieder wußten nichts von
einer solchen zu erzählen; Cap. 168 stammt nicht aus der deut-
schen Sage und darf unter keinen Umständen verwendet werden, um
nachzuweisen, daß auch die deutsche Sage einmal berichtet habe,
Sigfrid und Brünhilt hätten sich gesehen, ehe Sigfrid mit Günther zu
ihr zog. Die deutsche Sage hat niemals etwas von einer Verlobung
erzählt, aber auch nicht einmal von einer Begegnung. Was sich
irgendwo davon vorfindet, ist nordische Erfindung und darf nicht
in die deutsche Sage zurückgetragen werden. Auch die letzte schein-
bare Stütze der Pidrekssaga für diese Annahme erweist sich als hin-
fällig. Allerdings bleibt din Zug des Capitels als echt und alt be-
stehen, nämlich daß Sigfrid über seine Herkunft Kunde erhält. Jedoch
war Brünhilt nicht von Anfang an dazu bestimmt, und es ist ein reiner
Zufall, daß die I^s. sie dazu ausersah, wahrscheinlich auch wiederum
auf Grund der nordischen Nibelungenlieder, in denen Brynhild mehr
als alle übrigen durch langathmige Weissagungen und Reden sich
auszeichnet, die ihrem ursprünglichen Charakter wenig anstehen.
Sobald die Sage voraussetzte, daß Sigfrid nichts von Vater und Mutter
wußte, so mußte ihn einmal später Jemand darüber aufklären, wie
Eugel in dem Seyfridsliede, Brynhild in der Ps. Die fränkische Sage
berichtete aber einmal ebenso, und die alte nordische Sage folgte ihr
^) Weiteres hierüber in meiner Abhandlung über die Nibelongensage (Abb. d.
Akad. d. Wiss. zu München, Bd. XVIII, p. 458),
278 W. GOLTHER
darin. Die Person des Gripir zeugt noch dafür. Man hat bereits mehr-
fach auf eine Ähnlichkeit zwischen Gripir und Eugel hingewiesen und
dieselbe mythologisch zu erklären versucht. In Wirklichkeit verhält sich
die Sache so, daß nach der fränkischen Sage ein Mann den Sigfrid
über seine Herkunft aufklärte, vielleicht sein Oheim* So lange er ihm
diese Mittheilung zu machen hatte , war seine Stellung in der oage
sehr wohl begründet. Nachmals aber fiel dieser Zug weg, indem die
Jugendgeschichte Sigurds im Norden gänzlich umgestaltet wurde;
Gripir jedoch blieb stehen und erhielt die unmotivierte Aufgabe, dem
Sigurä in prophetischer Weise sein Lebensschicksal aufs Genaueste
her zu erzählen. Die I^idrekssaga hat die im Nordischen als Gripir,
im Deutschen als Eugel erhaltene Gestalt überhaupt fallen lassen
und ihre Solle an Brynhild übertragen. Cap. 168 ist lehrreich ftir
die Beurtheilung der Thätigkeit des Sagaschreibers, die doch nicht
überall eine bloß mechanische Übersetzung war, sondern stellenweise
in selbständiger Erfindung hervortritt, aber vielleicht nur da, wo er
die zwei sehr verschiedenartig lautenden Berichte des Isländisch-nor-
wegischen und des Niederdeutschen zu vereinigen suchte. Cap. 168
löst sich somit befriedigend und einfach in seine Bestandtheile auf,
und damit ist für die Forschung festgestellt, wie sie dasselbe aufzu-
fassen hat. — Aus einer Vergleichung der fseröisch-däniscben Lieder
und der Pidrekssaga läßt sich die norddeutsche Sage in vollkommenerer
Weise wiederherstellen, als aus der letzteren allein. Aber bereits die
Auffassung der Handschriftenfrage bei der tidrekssaga trägt wesent-
lich dazu bei. Treutiers ^) Ansicht, die isländischen Handschriften
und die schwedische Übersetzung seien insgesammt auf die norwegische
Membrane (M) zurückzuführen, ist durch Storm^), Edzardi') und
Elockhofi*^) berichtigt. Das Wesentliche beruht darin, daß alle auf
uns gekommenen Handschriften, zuweilen durch Zwischenstufen ver-
mittelt, auf eine alte norwegische Bearbeitung der Piärekssaga zurück-
gehen. In der alten Pidrekssaga waren alle die Berührungen mit der
deutschen Sage bereits vorhanden, welche in den verschiedenen Hand-
schriften nicht imaner gleichmäßig häufig auftreten und die man darum
zum Theil auch als spätere neue Einwirkung deutscher Sagen aufzu-
fassen geneigt war. Daraus erhellt, daß im Ganzen der Anschluß der
») Germ. 20, p. 161-189.
') Nye studier over Thidrekssaga.
») Germ. 26, p. 47 flf. ; p. 142 ff.; 267 ff.
*) Studier öfver Thidrekssaga. Upsala uniyersitets aarskrift 1880. Zustimmend
zu dieser vortrefflichen Schrift Edsardi, Germ. 26, p. 242*- 248.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 279
Borwegischen Bearbeitnng an ihre niederdeutschen Vorlagen ein ziem-
lich genauer war, und daß diese nds. Lieder unseren süddeutschen
nahe standen und vielfach geradewegs gleich lauteten.
Bereits die alte I^idrekssaga enthielt Parallelberichte; eine und
dieselbe Scene wird zweimal erzählt. Zum Tbeil mögen die nds.
Quellen Schuld daran tragen, wie bei König Osantrix Tod (Cap. 144
und 292) , zum Theil aber auch die Darstellung der Saga (in Cap. 169
und 170). In den beiden letztgenannten wird H9gnis Geburt erzählt
und seine Erzeugung durch einen Alben. Der wirkliche Bericht der
nds. Vorlage wird nur durch Zusammenziehung der zwei Capitel
zu ^inem und mit Hilfe der deutschen Quellen erlangt. Die zwei
Berichte ergänzen sich mit Nothwendigkeit zu einem einzigen; fttr
sich allein genommen ist jeder unvollkommen. Die t^s. und damit
die nds« Sage hat allein den alten Zug gewahrt, der bereits der
fränkischen Sage eignete, daß Hagen der Sohn eines Alben war.
Ursprünglich war er der Stiefbruder der Gibichunge, denn nur so
erklärt es sich, daß die nordische Sage und die deutsche Spielmanns-
dichtung Hagen als Bruder der Nibelungen auffaßt. Damals natürlich
kam auch der Albe zu Gibichs Gattin. Bereits im 10. Jahrhundert,
im Waltharius aber ist Hagen Günthers Oheim; und so auch späterhin
Hagen Aldrians Sohn. Da auch die I^s. Aldrian als HQgnis Vater
kennt, so ist klar, daß die nds. Sage auf derselben Stufe stand wie
die süddeutsche, d. h. Hagen als Aldrians Sohn und demnach den
Oheim der Burgunden betrachtete. Cap. 169 berührt sich überdies
ganz auffallend mit dem Nibelungenlied 1734. Nun aber berichtete
die nordische Sage, H9gni sei Gunnars Bruder; der Verfasser der
1^8. half sich dadurch, daß er einmal Aldrian auch zum Vater der
Burgunden machte (Cap. 169), das andere Mal aber Hagen zum Sohne
der Oda (Uote) und damit zum Stiefsohne des Nibelungenkönigs Irung
(= Dancr&t, d. h. für Gibich ist ein anderer Name eingesetzt)
Cap. 170. Es ist in diesem Falle deutlich, daß die Thatsaehen der
Quellen unter nordischem Sageneinfluß geändert wurden; diese Ände-
rung ist leicht und einfach. Wenn also Hagen wiederum zufällig
dieses Mal mit vollem Recht in seine alte Stellung trat, so hat nicht
die nds. Sage darin einen uralten Zug erhalten, von dem aus wir
Weiteres schließen dürfen. Wir stünden sonst auf dem sehr schwanken
Boden der Erfindung des norwegischen Verfassers, und natürlich ist
es rein unmöglich, so lange man auf solche Voraussetzungen baut,
zu einem befriedigenden Ergebniß zu kommen. In der nds. Sage
verhielt sich also die Sache folgendermaßen: Aldrians Frau hatte
280 W- GOLTHER
von einem Alben einen Sohn* Das aber wußte Niemand, und darum
hieß Hagen auch Aldrian's Kind (Cap. 169). Dieser Hagen war der
Oheim der Nibelunge. Irung und Oda waren die Eltern des Günther,
Gislber, Ogmöt und der Grimhilt (Cap. 170).
Wenn bereits die älteste I^idrekssaga in vielen Einzelheiten sich
genauer an die nds. Sage anschloß, so ist dies bei den dänischen
Liedern und ihren Übersetzungen noch weit mehr der Fall. Um Ein-
sicht in den Stand der nds. Sage zu gewinnen, müssen also auch sie
berücksichtigt werden. Auf der Fahrt zu den Hunnen haben Hagen
und Dancwart mit Gelpfrat von Bayern einen Streit zu bestehen
(XXVI äventiurcy wie Oelßrdt erslagen wart van Danewarte). Die
I^idrekssaga weiß nichts davon, wohl aber das dänische Lied von
Grimhilds Rache ^); demnach fand sich diese Scene auch in den nds.
Liedern, und gerade dieser Zug, die Erwähnung eines bajerischen
Herrn, der die durchziehenden Burgunden belästigte, zeigt wiederum
deutlich die enge Verwandtschaft, beziehungsweise die Abstammung
norddeutscher von süddeutscher Sage. Der Rath Hagens, das Blut
der Erschlagenen zu trinken, fehlt zwar in Ps., aber im fseröischen
Högni 140, sowie in dän. B 32 findet er sich. Rüedegdr ist in der Ps.
etwas zu kurz gekommen; wir vermissen die ausführliche anziehende
Charakterzeichnung, welche im Nibelungenlied ihn in so schöner
Weise hervortreten läßt. Ober seine letzten Kämpfe und seinen, Fall
geht die I^s. sehr rasch hinweg. Aber sie kürzt auch hier die Quellen,
in denen beschrieben war, wie Rüedegdr und die Nibelungen mit ein-
ander reden und wie Rüedeg§r seinen eigenen Schild Hagen für dessen
zerhauenen hinbot "). Auch die nds. Sage kannte das Idealbild des
edlen und milden Markgrafen. — Es ist klar, daß in den nordischen
Ländern nur die niederdeutschen Lieder und die niederdeutsche Sage
bekannt sein konnte und daß hochdeutsche Gedichte nicht hinauf-
drangen. Man darf sich zu dieser Annahme nicht durch die Gleich-
heit norwegisch -isländischer und süddeutscher Sagenzüge verleiten
lassen. Wenn die Liedersammlung von 1240 [„SsBmundar-Edda^] von
deutscher Sage spricht (en P^iverskir menn $egja svä, Brot af
Sykv.) , so kann damit nur die niederdeutsche Sage|, dieselbe, die in
die t^idrekssaga und in die dänischen Lieder aufging, gemeint sein').
*) Bngge in Danmarks gamle folkeviser IV, p. 696/97.
») a. a. O. p. 698/99.
') Wenn in einigen Strophen der Edda Sigurds Tod geschildert wird, nnd swar
in einer dem Beriehte der deutschen Spielmansdichtnng (von Hans Sachs erhalten)
entsprechenden Weise, so kann dieser Zug unmöglich als sp&terer deutscher Sagen-
NORDDEUTSCHE UND SODDEUTBCHE HELDENSAGE etc. 281
Nun finden sich in den Eddaliedern vereinzelte Spuren vor, die man
als erneute, zweite deutsche Sageneinflüsse zu erklären pflegt^). Aus
ihnen kann unter Umständen auch hie und da etwas für den Stand
der nds. Sage Belangreiches erschlossen werden. Grfpisspä 43 be-
richtet deutscher Sagendarstellung gemäß, welcher natürlich auch die
nds. folgte, Sigurds und Gunnars Hochzeit sei zusammen in Gjiikis
Sälen gefeiert worden. Auf Grund hievon darf das Cap. 226 der t^s.
als unter nordischen Einwirkungen entstanden betrachtet werden.
Die Träume der Eriemhilt im Nibelungenlied av. I sind zwar von
der t^s. weggelassen worden, aber fanden sich höchst wahrs<^heinlich
in den nds. Liedern vor, was aus Vplsungasaga Cap. 25 zu ent-
nehmen ist
Wenn so die nordischen Quellen (t^iärekssaga) einer kritischen
Sichtung bedürfen, ehe sie zur Gewinnung des Inhaltes der nds. Lieder
verwerthbar werden, so können anderseits auch die mhd. Werke
nicht ohne Weiteres als Repräsentanten der im 11. Jahrhundert leben-
den süddeutschen, nach Norddeutschland verpflanzten Sage gelten.
Eigenartige Neuerungen sind in Abzug zu bringen. Als eine solche ist
zu betrachten die Geschichte vom Hort der Nibelunge und[seiner
Erwerbung^ wie sie im Nibelungenlied und im Biterolf dargestellt wird.
W. ]\füller*) hat überzeugend nachgewiesen, daß die Sage von Nibe-
lunc und seinen Söhnen Schilbunc und Nibelunc und damit von dem
Volke der Nibelungen, das Sigfrid beherrscht, späterer Bildung ist.
Nibelungen heißt das fränkisch-burgundische Eönigsgeschlecht der
Gibichungen, und daher leitet sich der Ausdruck: Hort der Nibe-
lungen. Dazu ist ein Heros eponymos und sein Volk gebildet worden.
Die Erwerbung des Hortes durch Sigfrid ist ein indisches Märchen'),
das ziemlich spät in die Sage Eingang fand, und zwar in die süd-
deutsche im 11. oder 12. Jahrhundert, nicht schon in die altfränkische.
Die Ps. und wahrscheinlich auch die niederdeutsche Sage erwähnen
einflnß bezeichnet werden; denn die dabei allein in Frage kommende nds. Spielmanns-
dichtung deckte sich ja mit dem Nibelungenliede, und demnach müßten wir den
Bericht des letzteren in den nordischen Quellen wiederfinden. Die Berechtigung,
Sigurds Tod draußen im Freien, beim pingritt als sehr alt in der Edda annehmen
zu dürfen, ist hiedurch erwiesen. Von spaterer deutscher Entlehnung kann keine
Rede sein.
') Meine Abhandlung über die Nibelungensage p. 486 ff.
') Mythologie der deutschen Heldensage 66/60.
") Im Tuti nameh (Papageienbach) ed. Bösen II, 249; Weiteres Kathi-sarit-sSgara,
übersetzt von Tawney I, p. 14 Anm.
aESMANU. Nene B«i]ie XXn. (XXZIY.) Jihrg. 19
282 W. GOLTHER
zwar nichts davon. Trotzdem scheint für die letztere bereits dieselbe
vorausgesetzt werden zu müssen, wie unten ausgeführt wird.
Als eine Abweichung des Nibelungenliedes ist bereits der Um-
stand geltend gemacht worden ; daß Sigfrid Brünhilt in Worms für
Qunther bezwang, ohne sie zu berühren, obwohl dies eigentlich wider-
sinnig ist. Denn an Brünhildes Jungfrauenthum ist ihre Stärke ge-
knüpft. Doch bricht im Nibelungenlied auch eine ältere Auffassung
in halbverwischten Spuren hervor. Beim Zanke sagt Brünhilt^ als «ie
Sigfrid und Günther zum ersten Male gesehen habe, also auf ihrer
Burg Isenstein selber, sei des Königs Wille an ihrem Leibe geschehen
(Str. 820):
ich hört* si jehen beide, de ih s' aller ^rste sach,
und dft des küneges wille an mime Itbe gescach.
Damit stimmt ts. Cap. 228 u. 229 überein. Der Stammvater der Bur-
gundenkönige hieß Qibich; daher fährten die Nibelungen auch den
Namen Gibichungen (im Altnord, und in der deutschen Spielmanns-
dichtung). Dagegen nennt das Nibelungenlied an Gibichs Stelle
Dancrät, die I^s. Irung und Aldrian. Also beide stimmen darin überein,
daß sie den richtigen alten Namen durch einen jüngeren und unrich-
tigen ersetzen. Dieser Zug kommt bereits ihren gemeinsamen Vor-
lagen zu. Das Lied vom 'hürnen Seyfrid' ist hochwichtig, weil es
über Sigfrids Jugendschicksale in den Strophen 47 — 48, 1 — 11 jeden-
falls die alte Sage gewahrt hat, die sonst in hochdeutschen Quellen
gänzlich verschollen ist. Dagegen ist der übrige Inhalt auf seinen
Werth zu prüfen*). Daß Sigfrid Herr des Zwergenvolkes wird und
ihren Hort gewinnt'), geht auf die jüngere Sage von den Nibelungen
als dem hört besitzenden Zwergvolke zurück. Nybling hinterläßt drei
Söhne, von denen nur der dritte, Eugel, bei Namen genannt ist. Sie
entsprechen Nibelunc, Schilbunc und Alberich, der sich ihnen als
Bruder zugesellt. Wie Albertch besitzt Eugel die Tarnkappe; wie
dieser greift Eugel allein thatkräftig in die Handlung ein, während
von den anderen nur die Namen genannt werden. Doch ist diese
„Nibelungensage** im Seyfridsliede umgebildet. Ungeschickt stehen die
Strophen 13 — 15 und 38 im Zusammenhang. Überhaupt wird bereits
von Anfang an das Zwergenvolk als Seyfrid unterthänig gedacht,
obwohl er erst mit dem Gewinn des Hortes (134 — 138) Gewalt über
*) Vgl. numnehr hierüber meine Ausgabe des Httmen Seyfrid S. XIX ff., wo-
nach einseines von hier Bemerktem eu berichtigen ist
*) Vgl. namentlich Strophe 18—15; 88; 134--138.
MORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 283
dasselbe gewinnt. Wir haben es demnach mit einer in Verwirrung
gerathenen Anwendung der Sage des Nibelungenliedes zu thun. Trotz-
dem liegt derselben eine alte richtige Auffassung zu Grunde: der
Gewinn des Hortes knüpft sich noch an den Drachen-
kainpf, nicht an das im Nibelungenlied verwerthete indische Mär-
chen. VgL Strophe 165 (ähnlich auch 140):
nun het er zwen gedancken, den ein auff Kuperan,
den andern auff den wurme, welcher den schätz het glan.
er meynt in het gesamlet der wurm nach menschen witz,
wenn er würd zu ejm menschen, thet er den schätz besitz.
Dieser alte Sagenzug veranlaßte für das Seyfridslied die Umgestaltung
der späten Hortsage. Die Lieder im 11. Jahrhundert haben jedenfalls
noch den Hergang in dieser Weise berichtet. Die I^s. weiß allerdings
in Cap. 166 nichts mehr davon, so wenig wie das Seyfridslied 1 — 11.
Der Satz I^s. Cap. 359 „Sigvrdr sveinn atte mikit guU^ }>at fyrst er
hann toc yndan )>eim mikla dreka^ dürfte sich eher aus der nordi-
schen Sage erklären als aus den niederdeutschen Liedern. — Nach
den Strophen 107, 108, 130, 131 des Seyfridliedes gibt es nur ein
Schwert y mit welchem der Wurm überwunden werden kann. Dieser
Zug gehörte bereits der ältesten fränkischen Sage an; auch im Nor-
dischen erhält Sigurä das Schwert Gram zu dem bestimmten Zwecke,
Fdfnir zu tödten. Nachmals aber ging dieses Schwert unter die
Wunschdinge über, welche Sigfrid mit dem Horte erhielt'). Wie der
Hort vom Drachenkampfe getrennt ward, so verlor auch das Schwert
seine besondere Bedeutung. Die Sage des Nibelungenliedes weiß von
keinem Schwert mehr zu erzählen, das dazu nöthig war. Auch im
Seyfridsliede zeigt sich beim ersten alten Wurmkampfe (Str. 6—11)
keine Spur mehr davon, da ja die neue Hortsage bereits Eingang
fand. Die I^iärekssaga Cap. 166 schließt sich genau an die Darstellung
im hürnen Seyfrid an; zum Kampfe braucht Sigurd kein Schwert.
Wohl berichtet Cap. 167, Mimir habe ihm Gram gegeben, aber darin
'} Bereits in der ältesten Sagenform war vielleicht beim Drachenhort ein
Schwert and ein Helm (Hrotti, cagisbjälmr, gullbrynja in den Fäfnismil). Das Schwert
war aber da ganz bedeutungslos, es zählte eben unter die Kleinodien des Hortes.
Um so leichter war nachmals die Anknüpfung: unter dem Schwerte des Hortes wurde
das Sigfridsschwert (Gramr oder Balmunc) verstanden. Übrigens Ifißt das Erscheinen
von Schwert und Helm beim Horte auch eine andere Deutung zu, nämlich daß wir
in dieser so vereinzelt stehenden Prosastelle zu dem FäfnismAl, die durch nichts als
alt erwiesen wird, eine späte deutsche Entlehnnng anzuerkennen haben, wodurch
wiederum das Vorhandensein der jüngeren Hortsage ftlr die nds. Lieder einei Stütze
erhält.
19*
284 W. GOLTHEB
zeigt sich nordische Sageneinwirkung, gerade so ungeschickt und
äußerlich herbeigezogen wie das Roß Gräni. Gramr hätte Sigurd genützt,
den Kampf zu bestehen, Gräni, um zu Brjnhild zu reiten. Aber
der Verfasser der Saga erzählt zunächst die Thaten seines Helden, und
erst nachher erhält derselbe Schwert und Pferd. Es liegt auf der Hand,
daß eine halbwegs vernünftige und organisch entwickelte Sage der-
artige Verkehrtheiten nicht zu Tage gefördert hätte, daß wir also die
nds. Quellen nicht dafür verantwortlich machen dürfen. Die nds. Sage
hatte wie die des Nibelungenliedes beim Drachenkampf die Bedeutung
des Schwertes vergessen, die nordische Sage dagegen hatte das -Richtige
gewahrt, und dieses ist unverständig vom Verfasser der Saga am
unrechten Orte wieder eingefügt worden. Wenn aber die nds. Quellen
der t^s. sich in diesem einen Zuge an die Form des Seyfridliedes an-
schlössen ^ so müssen sie auch in den übrigen dadurch bedingten
Änderungen mit dem letzteren übereingestimmt haben. Das Fehlen
des Schwertes setzt das Vorhandensein der jüngeren Hortsage voraus,
obwohl in der t^s. selber die letztere sonst nirgends erwähnt wird.
Das indische Märchen war also bereits in die nach Norddeutschland
gewanderten Lieder eingedrungen. In Bezug auf den Hort ist aber
auch in der nds. Sage eine eigenthümliche Weiterbildung erfolgt.
Die älteste Sage (Atlakvida 28) berichtete, daß der Nibelungen Hort
in den Rhein versenkt ward, und ebenso das Nibelungenlied und
das Seyfridslied (Str. 167). Dem gegenüber weiß die t^s. Cap. 393.
423—427 Anderes über den Verbleib desselben zu melden. Er wurde
in Sigfrids Keller verborgen, und Attila starb, indem er dort ein-
geschlossen wurde. Nach Ausweis der dänischen (die Hven'sche
Chronik vermittelt den Inhalt eines solchen) und fseröischen Lieder^)
gehört diese Erzählung der nds. Sage an, nicht etwa der I^s. Wir haben
es also mit einer späten Neuerung zu thun, die wahrscheinlich nicht
auf die süddeutschen Lieder zurückgeführt werden darf, wenigstens
nicht in ihrem gesammten Umfang. — Die Handlung des Seyfridliedes
ist sonst ganz klar und gibt zu keinen weiteren Bemerkungen Anlaß.
Sie stimmt in der Hauptsache zu dem, was wir auch aus dem Nibe-
lungenlied erfahren: Sigfrid kennt seine Eltern; er gewinnt den Hort
von den Zwergen; er wird erschlagen, als er sich zur Quelle nieder-
beugt. Ausführlicher ist nur die Jugendgesehichte behandelt; neu
hinzugetreten ist die Befreiung der Jungfrau aus der Gewalt des
Drachen und damit einige Änderungen an der Geschichte des Hortes.
^) Über die nordUehen Sigurdlieder vgl. Ztsehr. für yergleichende Lätterator-
geschichte, N. F. U, 269—297.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE eto. 285
Dagegen ist in dieser Spielmannsdichtung von Sigfrid noch eine ältere
Sagenform in vereinzelten Überresten erhalten, nach welcher Sigfrid
seine Eltern nicht kannte (Str. 47 — 48) , Sigfrid ein Schwert erhielt,
nm den sohätzehütenden Drachen zu tödten (Str. 107 — 108 und 165),
endlich Sigfrid erschlagen wurde, als er im Walde unter einer Linde
ausruhte (so in dem Seyfridsliede , das dem Hans Sachs vorlag) ^).
In Bezug auf das erste dieser drei Merkmale folgten die nach Nord-
deutschland gewanderten Lieder der alten Sagenform: Sigfrid wuchs
auf, ohne seine Eltern zu kennen (I^s. Cap. 154 — 161); in den zwei
letztgenannten dagegen enthielten sie die jfingere Sage. Daß das
Nibelungenlied und von ihm beeinflußt wohl auch das Seyfridslied
Sigfrids Jugend in der Weise einer Umgestaltung unterzogen, daß
er wenigstens sein Geschlecht weiß, hängt mit dem Bestreben zu-
sammen, die Geschichte des jungen Helden den Anschauungen eines
feineren Zeitgeschmackes gemäß darzustellen. Aber alt und echt ist
nur der Bericht der l^s. und der beiden Strophen des Seyfridliedes *).
Wir können demnach den Stand der Nibelungensage in Sfiddeutsch-
land für die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts aus einer Vereinigung
der mhd. und der nds. in dänischer und norwegischer Sprache auf
uns gekommenen Quellen nach Abzug der auf beiden Seiten anzu-
erkennenden eigenartigen Neuerungen mit ziemlicher Sicherheit be-
stimmen: Sigmund, König im Frankenland, hatte eine schöne Frau,
Siglind, Sighers Tochter. Als er einst auf einer Heerfahrt abwesend
war, da suchten zwei Grafen Siglind zur Untreue zu verführen. Da
ihnen dieses nicht gelang, verleumdeten sie Siglind bei ihrem Gemahl,
als er heimkehrte, sie habe sich mit einem Knechte vergangen. Im
Zorne befahl er, sie in einen wilden Wald zu fahren und dort um-
kommen zu lassen. Der eine der Grafen wollte sie retten; da ent-
brannte ein Kampf unter ihnen. In diesem Augenblick gab die Königin
einem überaus schönen Knaben das Leben; sie wickelte ihn in Tücher
und verschloß ihn in ein Glasgefäß, das sie mit sich fahrte. Beim
Kampfe stieß der eine der Grafen mit dem Fuße nach dem Glas-
fasse, so daß es hinab in den Rheinstrom rollte. Die Königin Siglind
aber starb vor Schrecken (ts. Cap. 252— -161). Nun trieb das Gefäß
mit dem Kinde den Fluß hinab; an einer Klippe am Ufer zerbrach
es, und der Knabe weinte. Da kam eine Hindin und säugte ihn und
*) Vgl. meine AbhandluDg p. 478 ff. und^' meine Ausgabe des Hüraen Seyfiid
8, xxin f.
^) Auch Edzardi, Germ. 23, p. 88 hSlt die Darstellung der |>s. Ton Sigurds
Geburt für die ursprünglichste, hat aber die Begründung nicht mehr ausgeführt.
286 W. GOLTHER
trug ihn heim zu ihrem Lager (I^s. 163). Mime der Schmied fuhr
eines Tages zum Wald^ um Kohlen zu brennen. Da lief ein wunder-
schöner Knabe auf ihn zu, der konnte nicht sprechen. Mime nahm
ihn bei sich auf, da er keine Kinder hatte, und beschloß, ihn als
seinen Sohn aufzuziehen, und gab ihm den Namen Sigfrid. Sigfrid
war wild und unbändig und schlug die Schmiedgesellen. Bei der
Lehre erwies er sich so überkräftig, daß er den Amboß in die Erde
schlug. Da sann Mime nach, wie er seiner ledig würde. Er sandte
ihn in den Wald, um Kohlen zu holen, und hoffte, der dort hausende
Wurm werde ihn tödten. Aber Sigfrid erschlug den Wurm und ver-
brannte ihn; aus dem Fette, das davon floß, gewann er seine Horn-
haut (ts. Cap. 164—166, Seyfridslied 4—11). Nun zog Sigfrid in die
weite Welt. Auf seinen Fahrten vernahm er, wober er stammte, und
wer ^ein Vater und seine Mutter sei (Seyfridslied 47 — 48; Ps. 168;
als uralt bezeugt durch die Gripisspd). Da gewann er auch den Hort,
den der alte Nibelunc seinen Söhnen hinterlassen hatte, das Schwert
und die Tarnkappe. An dem Hofe zu Worms, im Nibelungenland,
entspann sich sein Verbältniß zu Grimhild und ihren Brüdern. Diese
waren Günther, Gislh^r, Gfernot, ihr Oheim Hagen, der, übernatür-
licher Herkunft, von einem Alben erzeugt war. Sigfrid zog mit
ihnen aus, um die Königin Brünhilt für Günther zu gewinnen. £r
bestand die Kämpfe für Günther (Nibelungenlied) ; in der Nacht brach
er Brünhildes jungfräuliche Stärke, daß sie Günther völlig willfährig
war (I's. Cap. 229; Nibllied Str. 820). Ein Fest zu Worms beschloß
Günthers und Sigfrids Hochzeit. In der Königshalle brach der Streit
der Königinnen aus, und so ward Sigfrid von Hagen erschlagen, als
er sich zum Trinken zu einer Quelle niedergebeugt hatte. Was den
zweiten Theil, der Nibelunge Not, anlangt, so ist es unnöthig, den
Hergang zu besprechen. Das Nibelungenlied und die nds. Lieder
befinden sich hier in allen wesentlichen Punkten in völliger Überein-
stimmung. — Bemerkenswerth an dieser Sagengestalt ist, daß König
Sigmund am Leben bleibt, obwohl er in die Handlung gar nicht mehr
eingreift. Übrigens ist seine Theilnahme an den Ereignissen im Nibe-
lungenlied auch auf äußerliches, völlig bedeutungsloses Auftreten be-
schränkt. Wir könnten ihn leicht missen, ohne daß dadurch der
geringste Eintrag geschähe. Von einer Verlobung Sigfrids und Brün-
hildes oder auch nur von einer Begegnung weiß die Sage von 1100
nichts. Es ist also ganz falsch, wenn man annimmt, daß im Nibelungen-
liede eine frühere Begegnung vorausgesetzt werde und diese in den
Vorläufern des mhd. Gedichtes noch in ungeschmälertem Umfang zu
NORDDEUTSCHE UND BODDEUTSCHE HELDENSAGE ete. 2S1
Tage getreten sei. In der vorhergehenden Dichtung fand sich nicht
eine Spur davon* Brünhilt ttberlebte Sigfrid (^b. Cap, 427; auch in der
Klage empfängt sie die Trauerbotschafit). Die niederdeutschen Lieder und
die mhd. Gedichte haben an der Sage nur Weniges geändert, am meisten
jedenfalls das Nibelungenlied durch das Fallenlassen der Jugendgeschichte.
Einer älteren süddeutschen Sage gegenflber, die noch trttmmerhaft in
Spielmannsliedern hervortritt, geht die norddeutsche und süddeutsche
Form in Bezug auf gemeinsame Neuerungen zusammen. In die Thätig-
keit des Verfassers der I^idrekssaga eröflfnet sich uns ein lehrreicher
Einblick. Sicherlich hat er stellenweise seine niederdeutschen Vorlagen
fast wörtlich ttbersetzt. Dies läßt sich namentlich dort erkennen,
wo dieselben Lieder in dänische Weisen übergingen, wie bei Dietrich
und seinen Gesellen ')• An anderem Orte dagegen verfuhr er auf die
freieste Weise, und vornehmlich bei der Nibelungensage« Im zweiten
Theil kürzte er vielfach, weßhalb seine Darstellung im Vergleich zu
der des Nibelungenliedes lückenhaft erscheint. Nach Ausweis der
dänischen Weisen fällt dieser Vorwurf nicht auf die nds. Quellen,
Daß er im Allgemeinen norwegische Sitten schilderte und sich in
dieser Hinsicht freier den letzteren gegenüberstellte^), ist klar. Döring
räumte ihm auch ziemlich viel Freiheit ein. In besonderem Maße
aber trifft dies bei der Geschichte Sigurds zu. Hier ließ er nicht
bloß Vieles weg (z. B. die Kämpfe um Brynhild, die Sage vom Hort),
sondern er versuchte die einheimische norwegisch-isländische Sage
mit der niederdeutschen zu verschmelzen, theils dadurch, daß er nur
in äußerlicher WeisQ nordische Züge einflocht, theils aber auch, in-
dem er ganz neue Scenen erfand, wie Sigurds Begegnung mit Bryn-
hild. Die Verhältnisse liegen hier scheinbar verwickelt; sie lösen sich
aber leicht, wenn man mit aller Strenge sich bemüht, einerseits die
nordische und anderseits die deutsche, d. h. nord- und süddeutsche
Sage sich vorzuhalten. Von diesem Standpunkt aus, der einzig und
allein zur Lösung der Geschichte unserer Heldensage flihrt, zeigt sich
aber sofort, was auf einer Vermischung der beiden beruht, die einstens
freilich von derselben Wurzel, der altfränkischen Sage, entsprungen,
nach so verschiedenartigen Schicksalen und Wanderungen nach Norden
und Süden im 13. Jahrhundert in der Pidrekssaga wieder zusammen-
trafen. In Betreff der eigenartigen Darstellung der Nibelungen sage in
der 1^8. kommt auch der Umstand in Betracht, daß ihr Zusammen-
') Vgl. Svend Qrandtvig, DaDinarks gamle folkeviser IV, p. 623-678.
') Storm, Nye studier p. 317.
288 W. GOLTHEB
hang zerrissen wurde und ihre Abschnitte stückweise an verschiedenen
Stellen berichtet warden, wodurch natürlich die Einheit und der ruhige
Fluß der Erzählung merkliche Einbuße erlitt. Man denke sich in ent-
sprechender Weise im mhd. die Handlung des Nibelungenliedes in die
Dielrichsdichtungen als eine Episode eingertlckt; Lieder wie die vom
Rosengarten nehmen einen festen Platz in Sigfirids Geschichte ein.
Auch hier würden gewiß Unzuträglichkeiten genug entstehen und die
Klarheit der Geschichte empfindlich getrübt werden; und zumal, wenn
ein solches Unternehmen nicht einmal von einem auf diesem Gebiete
wohlgeübten Dichter ausgefährt wird, sondern von einem Ausländer
die Gesammtmasse des Stoffes zu einer umfassenden Erzählung, theil-
weise mit eigener Erfindung ausgeschmückt, verarbeitet wird. Der
Schöpfer der I^idrekssaga erhielt die nds« Stoffe etwa in ähnlicher
Art, wie unsere mhd. Spielmannsdichtungen geordnet. Dietrich war
der Mittelpunkt; aber nur lose schließen sich die einzelnen Sagen an
ihn an. In der Absicht der I^idrekssaga lag es, alles Einzelne unter
diesem Hauptgesichtspunkte zu vereinigen. Wenn man aus der I^s.
die nds. Quellen loslösen will, so müssen diese Eigenthümlichkeiten
des norwegischen Verfassers zunächst in Abzug gebracht werden;
hierauf ist die niederdeutsche Sage auf ihren Inhalt mit Bücksicht auf
etwaige Zuthaten zu prüfen; dann erst wird sich die Zusammen-
stellung mit dem mhd. Gegenstück fruchtbringend erweisen. Gewiß
wird aus einer genaueren Einzelbetrachtung der übrigen Stoffe auch
noch manches Licht auf die Arbeit des Sagaschreibers fallen, die sich
jedenfalls in der Nibelungensage am eigenartigsten bewährt.
In meiner Abhandlung über die nordische und deutsche Gestalt
der Nibelungensage habe ich im Nordischen mehrere Schichten von
einander geschieden. In der ältesten, nur noch trümmerbaft vorhan-
denen Form, die im 9. Jahrhundert, gleich nach der Entlehnung,
herrschend war, zeigte sich sehr große Übereinstimmung mit der
unserer süddeutschen Quellen, während später die Neuerungen platz-
griffen, welche der jüngeren Form in den isländisch-norwegischen
Quellen ein so verschiedenes Aussehen verliehen, welches man flllsch-
licherweise als uralt und einstens auch den deutschen Quellen zu
Grunde liegend betrachtete. Auch im Deutschen bemerken wir in
vereinzelten Spuren noch eine ältereÜberlieferung, welche sich
von der unserer ausführlichen Berichte des 13. Jahrhunderts in nordi-
scher und deutscher Sprache sehr wesentlich unterschied, dagegen
vielfach mit den ältesten nordischen Zügen sich deckt. Natürlich ist
die Annahme ausgeschlossen, als hätten wir es auf beiden Seiten mit
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE eto. 289
Ansätzen und Keimen zu neuer Entwicklung zu thun« Vielmehr be-
weist gerade diese merkwürdige Übereinstimmung die Richtigkeit unserer
Auffassung. Meine fiHheren Ausführungen waren negativer Art; sie
bezweckten an erster Stelle den Nachweis, daß die sogenannte nordische
Form nicht die Quelle unserer süddeutschen sein kann. Nun soll Positives
beigebracht werden, nämlich wie die altfränkische Sage beschaffen war,
welche die Grundlage für die nordische und die deutsche Sagenentwick-
lung abgab, und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert hat. Die
fränkische Sage kann am ehesten und sichersten aus einer Ver-
gleichung der ältesten nordischen und deutschen (d. h. natür-
lich hier süd- oder hochdeutschen, im Gegensatz zur ursprünglichen
altfränkischen) Form erschlossen werden. Zu diesem Behufe war es
nöthig, zu bestimmen, was auf beiden Seiten jüngere Bildung ist.
Da wir bereits mehrfach an der Sage des 11. Jahrhunderts ent-
schiedene Neuerungen bemerkten und auch ftar's 10. Jahrhundert
solche in einer besonderen Richtung anzuerkennen hatten, so wird
es nicht sehr schwer halten, mit Hilfe des in der Spielmannsdichtung
Überlieferten und nach Abzug eben dieser Neuerungen zu einer älteren
deutschen Sage vorzudringen. Die Jugendgeschichte Sigfrids war
ebenso geschildert wie in der Sage von 1100, d. h. Sigfrid kannte
seine Eltern nicht, bis ihm später auf seinen Fahrten Kunde von
seinem Geschlechte ward'). Der Schmid Mtme zog den Knaben auf.
Er schmiedete ihm ein Schwert (Balmunc oder Gram), damit er einen
Wurm erschlüge, der einen unermeßlichen Schatz hütete (Seyfridslied
Str. 107—108, 165 = nordische Sage. Vgl. auch Be6wulf 888, wo
der Wurm hordes hyrde genannt wird). Hierauf erfuhr er, daß er
aus dem Geschlecht der Wälsunge stamme (Seyfridslied Str. 47—48
= Gripisspä). Trotzigen Muthes zog Sigfrid an Gibichs Hof, um ihm
sein Reich abzugewinnen, das jener als Preis eines Zweikampfes aus-
*) Die BerechtiguDg, den Bericht der ^s. nnd der Sage von 1100 über Sigfrids
Jugend aJs uralt, bereits der fränkischen Sage angehörig zu betrachten, ergeben auch
allgemeine Erwägungen. Ist es wahrscheinlich, daß einmal Sigfrid seine Eltern kannte,
daß in einer späteren Zeit ohne Grund die Darstellung der {'s. entstand, nachmals
aber wieder fallen gelassen wurde? Dagegen begreift man leicht, wie die Sage dazu
kam , den ältesten Bericht zu Terändern. Außerdem spricht der Umstand entschieden
für unsere Annahme, daß gerade auf fränkischem Boden die Genovefa-Legende ganz
besonders verbreitet war und mehrfach in der afz. Dichtung in den verschieden-
artigsten Werken oft vielfach umgebildet zum Vorschein kommt, z. B. in Berte auz
grand pieds und im Tristan (Brangsene); vgl. Weiteres bei Svend Grundtvig, Dan-
marks gamle folkeviser I in der Einleitung zu Ravengaard og Memering, besonder«
p. 197 £f.; und Zacher, die Historie von der Pfalzgräfin Genovefa p. 27 f.
290 W. GOLTHER
gesetzt hatte ^). An Oibichs Hofe am Rhein, bei den burgundisch-
fränkischen Nibelungen, den Königen Günther, Giselher, Godomar und
ihrem von einem Alben erzeugten Stiefbruder Hagen wurde er mit
Guntrun vermählt. Er zog aus, um für Günther die Brünhilt zu ge-
winnen. In diesem Abschnitte der Sage ist die jüngere Form der
älteren ziemlich getreu geblieben. Von Hagen ward Sigfrid erschlagen,
als er unter einer Linde ruhte. Seine Gattin eilte auf die Kunde hin-
aus zum Todten und klagte um ihn (Hans Sachs = Brot af Sigurdar-
kvida 5 — 7, 9; Gudrdnarkvida II, 4—12). In der ältesten deutschen
Sage vor dem 10. Jahrhundert fielen für den zweiten Theil, den Unter-
gang der Nibelunge, alle die in Süddeutschi and entstandenen Neue-
rungen weg, also Rüedegdr, Volker, die Einzelheiten der Fahrt zu
Etzels Hofe. Damit sind wir denn auch mit ziemlicher Sicherheit zum
Stande der altfränkischen Sage vorgedrungen. Als eine spätere Ände-
rung, die vielleicht bereits auf fränkischem Boden stattfand, wäre die
Umgestaltung des zweiten Theiles der Sage anzuerkennen, wenn
Guntrun-Grimhild dort sich an ihren Brüdern rächte, wogegen die
auf fränkischem Gebiet verbliebene Sage, welche im 9. Jahrhundert
von den Nordleuten übernommen wurde, die ursprüngliche, mit den
sagengeschichtlichen Verhältnissen sich deckende Form beibehielt.
Doch ist nicht ausgeschlossen, daß Grimhild als Sigfrids Rächerin
eine spätere deutsche Dichtung ist und der fränkischen Sage stets
ferne blieb. Besondere Berücksichtigung erfordert noch die Bezwin-
gung der Brünhilt ftir Günther, wie sie von der ältesten Sage etwa
aufgefaßt wurde. Es läßt sich erwarten, daß die Sage von 1100 keine
Änderungen vornahm; Brünhildes Stärke mußte zuerst in den Wett-
kämpfen, dann in der Brautnacht gebrochen werden. Erst dann wurde
sie zur fügsamen Frau. Beide Thaten kamen nach der Spielmanns-
dichtung Sigfrid zu. Und dieser Zug entspricht wohl auch dem Ur
sprtinglichen. Gerade darin liegt der ärgste Trug, der Brünhilde an-
gethan wird , und so erklärt sich ihr tödtlicher Haß Sigfrid gegen-
über. Auch die älteste nordische Sage wußte, daß Brynhild durch
Kämpfe bezwungen wurde. Doch in der Brautnacht legt Sigfrid sein
Schwert zwischen sich und Brynhild. Die Sitte des Schwertlegens
begegnet in Märchen, und vornehmlich in Dichtungen, die auf fränki-
schem Boden erwuchsen, so im Tristan und in Amis et Amiles. Die
Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß erst im Norden dieser Zug
') Vgl. Edzardi, Germ. 26, p. 172-— 176, welcher aus SteUen im Rosengarten,
dem Nibelungenlied und in einzelnen Spnren der nordischen Sage einen solchen Her-
gang vermuthet.
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 291
in die Sigfridsage gekommen ist; aber wahrscheinlicher gehörte er
der entlehnten fränkischen bereits an. Das Verhältniß der deutschen
Sage zur fränkischen ist damit bereits bestimmt. Das Alte ist ziemlich
treu gewahrt geblieben. Zwar traten mit der Zeit natürlich Ände-
rungen ein; im 11. Jahrhundert sieht schon Vieles ganz anders aus
als im 9. oder 10. Jahrhundert; und noch weiter stehen die Gedichte
des 13. Jahrhunderts ab. Jedoch ist niemals eine von Grund aus
umbildende Umgestaltung eingetreten. Dazu fehlt die Veranlassung.
So sind die hochdeutschen Heldendichtungen treue Widerspiegelungen
der fränkischen Lieder. Wenn dem so ist, so fragt sich nur, was älter
ist: daß Sigfrid die EampQungfrau bezwang und zum Beweis seiner
Erwerbung mit ihr das Lager theilt, ohne sie zu berühren, oder ob
auch diese letzte Bezwingung ihm zukam, wie es im Deutschen er-
zählt wird. Im einen Fall wäre ein ursprünglich edler gedachter Zug
verwildert und verroht, im anderen dagegen zu Gunsten einer höheren
Denkart gemildert worden, und Beides ist möglich. An sich betrachtet
ist es etwas befremdlich, wenn Sigfrid Günthers Rolle spielt und ihm
gänzlich gleichen soll, und dabei das Schwert zwischen sich und die
Braut legt, deren Verdacht hierdurch doch jedenfalls wachgerufen
werden mußte, was gewiß im Sinne der Handlung eher zu vermeiden
gewesen wäre. Doch ist darin kein vollkommen zwingender Beweis für
die spätere Entstehung der Sage vom Schwertlegen bedingt. Ich ver-
mag vorerst hier kein bestimmtes Urtheil zu fällen; doch ist vielleicht
etwas anderes aus dieser Scene zu lernen, nämlich daß bereits im
Fränkischen Doppelberichte vorhanden waren, wie dann auch in Be-
zug auf den zweiten Theil der Sage, Grimhildes oder Guntruns Rache;
bei einer mehr als hundertjährigen Entwicklung ist das kein Wunder;
und weiterhin , daß dadurch auch einzelne Abweichungen der deut-
schen und nordischen Sage erklärt werden, welche bis in die älteste
Gestalt auf beiden Seiten zurückzuverfolgen sind. Denn die fränkische
Quelle, aus der die süddeutsche Sage floß, war nicht genau eben
dieselbe, aus der die nordische stammt, vielmehr sind sie wohl zeitlich
und örtlich getrennt gewesen und dadurch eröffnet sich nicht bloß
die Möglichkeit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, daß Einzel-
heiten, eventuell auch ganze Scenen, wie der Schluß verschieden
waren, während jedoch das Gesammtbild und namentlich die Auf-
fassung der Sigfridsage völlig gleichartig war und nur die nachmalige
Entwicklung auf oberdeutschem und isländisch-norwegischem Boden die
bis in die tiefsten Grundlagen der Sage eindringenden Umwandlungen
hervorrief, die uns aus einer Vergleich ung der beiderseits im 13. Jahr-
hundert und noch später niedergeschriebenen Quellen hervortreten*
292 W. GOLTHER
Iq Island und Norwegen waren die Schicksale der fränkischen Sage
völlig verschieden. Das neue Aufblühen des altheidnischen Glaubens
im 9. Jahrhundert^ die Mythen und Dichtungen^ welche die Wikinger-
zeit hervorgerufen, zogen Alles in ihren Bannkreis , und so prägte
sich ein neuer Geist allem dorthin Gewanderten mit unwiderstehlichem
Zwange auf* Zumal die isländischen Helden- und Götterlieder sind
Beispiele dafür; sie sind in ihrer Gesammtheit eigentlich vollkommene
Neuschöpfungen, und die verschiedenartigsten Elemente sind darin
aufgenommen. Man würde fehl geben, wollte man eines der darin ent-
haltenen Bestandtheile allein betonen und für die Erklärung und Deu-
tung maßgebend werden lassen. Die nach Island gewanderten Nor-
weger sind die Schöpfer jener Werke; so sind sie rein norrön in der
Auffassung und AusfUhrung, aber von wesentlichstem Einfluß sind
die Eindrücke und die Entlehnungen, welche die westfahrenden
Wikinger in Hülle und Fülle in sich aufnahmen. So finden wir in
den isländischen Sagen , vornehmlich den Eddaliedern , alte nor-
wegische Sagen, die aus der Heimat hinttbergeführt wurden, aber
daneben auch deutsche, englische, keltische (gaelische) , und Bestand-
theile antiker und christlicher Anschauungen und Werke. Eine Dich-
tung, aus so viel verschlungenen Wurzeln erwachsen, verdient unsere
Aufmerksamkeit in hohem Maße; aber man muß sich ihre Entstehung
und Entwicklung immer vor Augen halten, um davor bewahrt zu
bleiben, falsche und unhaltbare Schlüsse auf ein derartiges isländisches
Werk zu bauen, was bisher immer geschehen ist. Die altfränkische
Nibelungensage ist auf Island einer durchgreifenden Umgestaltung
unterzogen worden, theils durch Vermischung mit norwegischen, älteren
Sagen, theils durch das Eindringen des Odin- und ValhoUglaubens;
und diese Umarbeitung hat stetig bis ins 13. Jahrhundert zugenommen,
so daß schließlich die alte Gestalt in einer Weise verändert wurde,
daß es überhaupt schwer hält, sie wieder aufzufinden, indem vor-
sichtig die neu hinzugekommenen Stücke entfernt werden. Sigfrids
Geschichte hat vornehmlich solche Zuthaten in Menge erhalten. Die
Geschichte seiner Geburt ist aufgegeben, auch in der ältesten für
uns erreichbaren Form. Wie bereits bemerkt, blieb jedoch Grfpir
stehen, der, ursprünglich bestimmt Sigfrid über seine Herkunft auf-
zuklären, am Ende ein langweiliges Inhaltsverzeichniß seiner Lebens-
geschichte vorzutragen hatte. Sigmunds Tod und einzelne Züge in
Siguräs Jugend sind das Ergebniß einer Vermengung der Sigfridsage
mit der von Helgi. Die beiden Helgi der nordischen Sage, Helgi
HJ9rvarä8Son und Helgi Hundingsbani sind mit der Sigurdsage ver-
mischt worden. Des ersten Helgi Mutter heißt Sigrlinn (Siglint), wo-
NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc. 293
gegen die Sigurds Hjordis; der andere Helgi ist ein V9l8ungy Sig-
mands Sohn und damit Sigurds Bruder. Helgi Hjorvardsson ist der
Rächer seines Muttervaters ; daß Sigurds Zug gegen die Hundings-
söhne eine Entlehnung aus der Helgisage ist, wird kaum Jemand
leugnen wollen. Falls aber dieses anerkannt wird, muß nothwendig
auch noch Weiteres in Betracht gezogen werden. Sigurd rächt an
den Hundingssöhnen den Tod seines Vaters Sigmund. In der ältesten
süddeutschen Sagenform wurde nicht erzählt, daß Sigmund im Kampfe
gefallen sei; Sigmund trat gar nicht mehr auf, in die Geschichte Sig-
frids griff er nirgends thätig ein. Es ist kein Grund vorhanden, anzu-
nehmen, in der fränkischen Sage sei Sigmunds Fall und Sigfrids
Rache jemals dargestellt worden, die deutsche habe diesen Zug fallen
lassen, die nordische bewahrt. Im letzteren Falle müßte für das Nor-
dische jedenfalls Umgestaltung der Geschichte Sigmunds unter dem
Einfluß der Helgisage zugegeben werden. Wahrscheinlich ist Sig-
munds Fall und Sigurds Rache nordische Neüdichtung: wie Helgi
den Tod eines Ahnen (später Siglindes Vater) rächte, so wurde Sigurd
zum Rächer seines Vaters (Sigmund ist Siglindes Gatte, SighSr viel-
leicht ihr Vater gewesen, danach rächt Sigurd seinen Vater, nicht
wie Helgi seinen Muttervater), den Hundings Söhne erschlagen hatten.
Gerade an denjenigen Stellen, welche wir als nordische Zudichtungen
in Sigmunds und Sigfrids Geschichte erkennen, greift Odin selber ein.
Der deutschen und fränkischen Sage war die Theilnahme der Götter
gänzlich unbekannt. Also muß zum Mindesten ihr Auftreten, meistens
aber auch die damit zusammenhängende Scene nordische Neudichtung
sein. Der Bericht der Volsungasaga von Sigmunds Tod geht auf
Lieder zurück, die reich an ausschließlich nordischen Zügen sind.
Sigmunds Werbung um eine reiche und schöne Königstochter stammt
allein aus der fränkischen Sage und vergleicht sich I^idrekssaga
Cap. 152 — 154. Sein Nebenbuhler ist Lyngvi, Hundings Sohn; mit
Wikingschiffen macht er einen Einfall in Sigmunds Land. Sigmund
fällt, weil Odin ihm seinen Speer entgegenhält, woran das alte Götter-
schwert zerspringt (Vols. Cap. 11). Da fahren dänische Wikinger an
und nehmen Hjordis mit sich; in Dänemark bei Alf wird Sigurd ge-
boren. Man merkt der Dichtung deutlich an, daß sie zur Zeit des
Odinglaubens und der Wikingerfahrten entstanden ist, also jedenfalls
so, wie sie in der Überlieferung steht, unmöglich fränkisch sein kann.
Ebenso verhält es sich mit Sigurds Wikingfahrt gegen die Hundings-
söhne, bei welcher ihm Odin erscheint« Die fränkisch- hochdeutsche
Heldensage wußte von Schwertern und Waffen zu rühmen, daß Schmiede
294 W. GOLTHER
von ausgezeichneter Bedeutung, wie W^land und Mime, sie geschaffen
hätten. Dagegen wurde in der nordischen erzählt , daß sie von den
Göttern stammten'). So stand in der fränkischen SagC; Mime habe
dem Sigfrid ein Schwert geschmiedet , damit er den Drachen tödte.
Die nordische Sage blieb dabei nicht stehen. Gramr wurde ein Erb-
stück des VqlsungengeschlechteS; gleichwie das Tyrfingschwert der
HervararsagC; das Odin ihm verliehen hatte. Von der Vorgeschichte,
Sigurds Ahnen, sind nur die Abenteuer Sigmunds und Sini^otlis frän-
kischer Sage angehörig, wie aus dem Be6wulf hervorgeht. Das Übrige
ist fast durchweg nordisch. Es wird ja auch besonders viel von Odin
erzählt. So ist die fränkische Qestalt der Sigfridssage im nordischen
Gewände kaum wiederzuerkennen. Aber wir sehen deutlich, wo die
Umdichtung eingesetzt hat, während auf der anderen Seite es fast
unmöglich wäre, die fränkisch-deutsche Form aus der nordischen
abzuleiten. — Die Geschichte des Hortes ist im Norden ebenfalls
gänzlich erneuert worden; von den Wanderungen Odins, Höenirs und
Lokis konnte die alte Sage nichts wissen. Dieser Theil ging gerade-
wegs in die nordische Mythologie des 9. und 10. Jahrhunderts über.
Die alte fränkische Sage wußte nur, daß Sigfrid dem Wurme einen
Hort abgewann. Das Nibelungenlied sagt vom Horte noch 1124:
der wünsch der lac darunter, von golde ein rüetelin.
der daz het erkunnet, der möhte meister sin
wol in aller werlde über ietslichen man.
Die goldene Wünschelruthe, die den Schatz mehrte und vor dem
Schwinden bewahrte, ist wohl mit Recht mit dem Andvaranautr zu-
sammengestellt worden^. Auch von diesem sagt Snorra Edda: lez
mega cßxla ser fe af hauginum, Grimm meint, die Wünschelruthe sei
an Stelle des Ringes getreten. Ebenso leicht kann das Umgekehrte
der Fall gewesen sein. Dem Nordischen liegt ein schätzemehrender
Ring besonders nahe, da Odin den Ring Draupnir besitzt, von wel-
chem jede neunte Nacht acht ebenso schwere Ringe abtropfen. Ethisch
vertieft wurde die Sache dadurch, daß der Ring, welchen Sigurd der
Brynhild gibt, der Andvaranautr. ist. Was den Fluch anlangt, so ist
die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Hort von Alters her ver-
»; Vgl. z. B. Hyndluljöa 2:
bidjum Heijaf9dr { hugum sitja;
bann geldr ok gefr guU verdangu:
gaf hann Hermödi hjälm ok brynju,
en Sigmund! sverd at ))iggja.
') W. Grimm, Heldensage p. S86.
NORDDEUTSCHE UND SOdDEOTSCHE HELDENSAOE ete. 295
wdnscht war; sicherlich ist aber dieses Motiv erst von der nordischen
Sage recht ausgebildet worden, wie auch sonst in nordischen Ge-
schichten der einmal auf einen Gegenstand gelegte Fluch, z. B.
beim Tyrfingschwert sich durch Geschlechter hindurch erstreckt. Auf
zweierlei Art kam Odin in die Sage, mit dem Schwerte und mit dem
Hort, endlich auch mit der Valkyrje. Jede Gelegenheit, welche die
Sage für den Mythus zur Anknüpfung darbot, wurde ausgenützt, so
daß die nordische Form der Nibelungensage durchaus mythisch ist.
Aber alle die Mythen sind wiederum so ausschließlich nordisch, so
daß sie, abgesehen von allem Übrigen, unmöglich in die alte frän-
kische Form zurückgetragen werden können und damit das mytho-
logische Halbdunkel und alle darauf aufgebauten Folgerungen von
der letzteren ganz ferne gehalten werden müssen« Daß die nordische
Dichtung mit dem überkommenen Stoffe in freiester Weise geschaltet
hat, zeigt sich auch sonst, z. B. in der Verbindung der Ermanarich-
Sage mit der Nibelungensage, einer ausschließlich isländisch-norwegi-
schen Neuerung, zu welcher in den zu Grunde liegenden Vorlagen
nicht der geringste Anlaß gegeben war. — Die Vergleich ung der
nordischen Nibelungensage mit der fränkischen lehrt wieder recht ein-
dringlich den Satz, der nicht genug betont werden kann, der die Vor-
aussetzung einer richtigen Einsicht in die gesammte deutsche und
nordische Mythen- und Sagengeschichte recht eigentlich begründet, daß
die Nordleute aus einfachen Keimen glänzende, neue und phantasie-
reiche Gebilde schufen. Es soll durchaus nicht in Abrede gezogen
werden, daß bei dieser Umwandlung, die alten Vorlagen zum Theile
sehr gewonnen haben und viel schöner imd erhabener wirken als
zuvor; nur muß mit voller Offenheit und Klarheit anerkannt werden,
daß dieses Neue eine eigene Schöpfung des nordischen Geistes ist
und nicht des germanischen, und daß nimmermehr das ältere Ein-
fache aus dem Späteren, Großartigeren abgeleitet werden darf. Man
verwirrt mit einem solchen Versuche die Möglichkeit der klaren Er-
kenntniß der wirklichen Verhältnisse im stärksten Maße. Mit Recht
hatMüllenhoff^) bemerkt, die wissenschaftliche deutsche Mythologie sei
die unumgängliche, noth wendige Vorbedingung der nordischen; das-
selbe gilt von der Heldensage. Aber der Grundsatz muß mit voller,
rücksichtsloser Entschiedenheit überall durchgeführt werden, die Aus-
scheidung des nordischen Elementes in größerem Umfang vorgenommen
werden, als MüUenhoff selber sich hiezu verstehen konnte. Wenn der
*) Deutsche Literatnrzeitang II, 1224 f.
296 W. GOLTHER, NORDDEUTSCHE UND SÜDDEUTSCHE HELDENSAGE etc.
also Yorgezeichnete Weg eingehalten wird, so leiten uns auch all-
gemeinere Erwägungen zu der Ansicht; ^aß er der richtige, zur Lösung
führende sein muß. Man hat fast immer in der Ursage möglichst viel
unterzubringen versucht, so daß sich das Erhaltene eigentlich nur als
trümmerhafter Überrest herausstellte. Eine Sage, eine Dichtung ist
aber keineswegs allezeit in beständig fortschreitendem Verfalle be-
griffen, vielmehr hat sie Leben, Blühen und Wachsthum, zumal so
lange sie in mündlicher Überlieferung sich erhält und noch nicht zu
dem von Abschrift zu Abschrift übergehenden Literaturwerk erstarrt
ist. So liegt unsere Aufgabe darin, den Kern herauszufinden, und
weiterhin zu untersuchen , wie er sich im Verlaufe veränderte durch
vielfache, in Zeit und Umständen belegene Anwüchse. Dadurch
gelangen wir zu einem Einblick in die wirkliche geschichtliche Ent-
wicklung. Es wäre sicherlich auch verkehrt, wollte man alles Schöne
und Ergreifende einer Sage allein in ihrer ältesten Fassung suchen
und damit die Möglichkeit ausschließen, daß bei späteren Weiter-
bildungen Verbesserung und Vertiefung des Gedankens ebensowohl
einmal glücklich gelang, als dieser anderseits auch verschlechtert
und verflacht werden konnte. Nordische Dichtungen aus deutschen
Stoffen verhalten sich wie künstliche, oft auch glänzend und schön
ausgeführte Paraphrasen eines einfachen Themas. Weiterhin ist eine
genaue Berücksichtigung jeder einzelnen Quelle von höchster Wichtig-
keit. Es genügt nicht, vom Inhalt allein auszugehen, diesen zusammen-
zustellen und so Wiederherstellungsversuche zu machen. Jede Quelle
muß zunächst sorgfältig für sich allein geprüft werden in Rücksicht
auf die Umgebung, der sie entstammt. Von welch großer Bedeutung
dies ist, lehren die nordischen Quellen auf Schritt und Tritt. Erst
dann darf mit dem also kritisch gesichteten Inhalte gearbeitet werden.
Die Eenntniß der einzelnen Quellen ist aber heutzutage in ungleich
besserer und verlässigerer Weise ermöglicht; und daraus ist natürlich
Vieles für das Ganze richtigzustellen, und oft sind neue Erklärungsver-
suche an Stelle älterer, verfrühter zu setzen. — Für die hier vertretene
Auffassung über die Entwicklung der Nibelungensage darf wohl auch
der Umstand sprechen, daß die Geschichte der Verwandlungen, welche
die alte Sage erfuhr, in logisch richtiger Gliederung uns vor Augen
tritt. In den meisten Fällen sehen wir, warum und auf welche Art die
Veränderungen erfolgt sind, und wie sie das ältere umgebildet haben.
Auf diese Vorgänge fiel bei der Ansicht, welche die deutsche Form
aus der nordischen erklärte, kein Licht. RäthselvoU blieb, warum
dieser oder jener Zug auf einmal verschwand, diese oder jene Zuthat
FRANZ J0STE8, ZUR FRECKEN HORSTER HEBEROLLE. 297
hmznkam. Sicherlich beruht bei der lebendigen Dichtung Vieles auch
daf reinem Zufall und bloßer Willkür eines einzelnen Sängers ^ und
wir wQrden zu weit gehen, wenn wir für Alles und Jedes den Grund
ausfindig machen wollten. Aber so ganz blindlings ist darum das
Walten der in der Dichtung schöpferischen Kraft denn doch nicht^
und wo sich ungezwungen aus Zeit- und Ortsverhältnissen eine aus-
reichende Erklärung darbietet^ wie in unserem Falle die Wikingerzeit
im besonderen Maße dies vermag, daist sie gewiß auch die richtige;
die beste Gewähr ftlr die Richtigkeit der Gesammtheit ist, wenn sie
durch das Einzelne Bestätigung findet, wobei unter Umständen auch
verschiedene noch nicht völlig klare Punkte aufgehellt werden.
MÜNCHEN, December 1888. WOLFOANG OOLTHER.
ZUR FRECKENHORSTER HEBEROLLE.
Es ist schon früher versucht worden, mit Hilfe einer Urkunde
des Bischofs Erpho von Münster vom Jahre 1090^) das Älter der
Freckenhorster Heberolle zu bestimmen. Der Versuch ist als miß-
lungen von J. Grimm sofort abgewiesen worden'). Wenn ich nun
auch der Ansicht bin, daß Grimm im Rechte war, wenn er die bei-
gebrachten Gründe für nicht stichhaltig erklärte, so glaube ich doch
anderseits auch, daß die Urkunde an und für sich wohl mehr Licht
auf die Heberolle werfen könnte, ja daß sie durchaus die Ansicht
von Grimm's Gegnern über das Alter der Handschrift bestätigen würde,
wenn man sie, was noch nicht geschehen ist, mit dem Abschnitte
504 — 534 der Heberolle in Vergleich stellte*). Ich habe diesen Ver-
such durchgeführt, allein je näher ich dem Ende kam, desto mehr
überzeugte ich mich davon, daß ebenso wie die Stiftungsurkunde
auch diese eine Freckenhorster Fälschung sei und ich somit in die
Luft gebaut hatte. Herr Archivar Dr. Ilgen hatte die Güte, daraufhin
das Original zu untersuchen und kam dabei zu dem Ergebnisse, daß
die äußeren Verdachtsgründe ebenso stark seien wie die inneren.
Anordnung^ Schrift, Pergament und Siegel stimmen nicht zu den
übrigen Erpho'schen Urkunden und weisen eher nach Freckenhorst
^) Erhard, Cod. diplom. bistoriae Westfaliae I, S. 129 ff.
') Kleine Schriften V, S. 1 ff.
') Ich citiere die Heberolle nach der Ausgabe von Heyne: Kleinere altnieder-
deutsche Denkmäler. 2. Aafl. Paderborn 1877.
GERMANIA. Neae Reihe XIII. (IXXIY.) Jahrg. 20
298 FRANZ J0STE8
hin. Damit verliert sie zunächst jede Bedeutung ^) für die Datierung
der Heberolle. Aber da sie immerhin noch in die erste Hälfte des
12. Jahrhunderts fällt, so ist sie doch nicht ganz unbrauchbar, viel-
mehr gibt sie uns einen Fingerzeig für die richtige Erklärung des
Abschnittes 505 — 534, des dunkelsten in der ganzen Heberolle *). Ich
hebe hier gerade die Stelle heraus, welche sämmtliche drei dunkeln
Worte in sich schließt:
In anniversario sancte T/nedhildis td then neppenon^ ande tS then
alfndson ande to themo inganga therd iungerono twi malt.
Der Abschnitt 505 — 545 fällt, um das zunächst zu bemerken,
aus dem Charakter einer Heberolle insofern heraus, als hier nicht
Einkünfte, sondern Ausgaben, und zwar außerordentliche Ausgaben
{dne the rehton pravendi) der Abtei zum Besten der Stiftsmitglieder
verzeichnet werden.
Jacob Grimm hat sich mehrfach über die angeführte Stelle aus-
gesprochen^), ohne zu einer bestimmten Entscheidung zu gelangen:
„Wüßte man deutlich,' was hier jjungeron^ und was ihr „inganga
bedeutet! .. Sind das Novizen, ihr ingang die Reception?" ....
Friedländer nimmt dies an^ Heyne dagegen erklärt im Glossare:
„jungero Jünger, Schüler, Klosterschüler" und „ingang, Eingang,
Antritt".
Grimm hat schon bemerkt, daß bei einem Damenstifte höchstens
an Schülerinnen gedacht werden könne. Ob wir dann weiter aber
„Schülerinnen" oder „Novizen" übersetzen, ist bei der Identität der
Begriffe gleichgiltig. Allein auch diese Übersetzung trifft das Richtige
nicht; ich glaube nur das Wort „Junfer** nennen zu brauchen, um
wenigstens die Möglichkeit einer dritten Übersetzung darzuthun. Sie
ist indeß nicht nur möglich, sondern die einzig mögliche. Schüler
können nicht gemeint sein, Schülerinnen oder Novizen ebensowenig;
denn der ingang therd iungerond fand ungefähr dreißig Male im Jahre
statt. Nun gab es aber im 15. Jahrhundert erst neun Pfründen für
^) Den schulgerecbten Kachweis für die Unechtfaeit beizubringen mnß ich den
Diplomatikem von Fach überlassen.
*) Eine kleine Berichtigung, welche die Untersuchung ergab, möge hier doch
eine Stelle finden. Friedländer , Codex Traditonum Westfalicarum I, ä. 21 , und ihm
folgt Heyne, nimmt eine dreifache Entstehungszeit der Handschrift an. Das ist irrig;
bis De imperatore Heinrici hat dieselbe Hand geschrieben, von da ab eine andere,
nicht viel jüngere. Wilmans (Kaiserurkunden S. 404) hat die ganze Handschrift dem
12. Jahrhundert zugewiesen, dabei muß es auch nach der Ansicht Ilgens sein Bewenden
haben.
^) a. a. O. V, S. 1 flf.; VI, S. 362 flf.
ZUR FRECKENHORSTEB HEBEROLLE. 299
haushaltende Stiftsdamen '), und mehr hat auch die frühere Zeit nicht
gekannt^). Demnach können unmöglich dreißigmal im Jahre neue
Mitglieder aufgenommen worden sein. Ziehen wir aber zunächst das
Wort ingang in die Untersuchung hinein !
Der „Eingang" fand an folgenden Tagen statt: in Adventu^
Nat. Dom., Joh. Evang., in Octava, in Epiphania Domini, in anni-
versario abbatisse Thiedhildis, in Purific. S. Marie, in Coena Domini,
in Pascha, in Invent. S. Crucis, in Ascens. Dom., in Pentecoste,
Bonifatii, Joh. Bapt^ Petri et Pauli, assumptionis et nativitatis Sancte
Marie, Michaelis, Aeonii et Antonii, Cosm^ et Damiani, Maximi,
Omnium Sanctorum, [Martini], Andree').
Diese Anordnung nach dem Kalenderjahre rührt nicht von mir
her; ich habe sie aus der angeblichen Urkunde Erphos entlehnt, die
in der Angabe der Feste bis auf Martini mit der Heberolle (wo es
fehlt) übereinstimmt. Es ist interessant zu sehen, wie diese Feier
hinzugekommen ist. In einem Verzeichnisse des Goldenen Buches
(14. Jahrh.) *) heißt es: „/n vigilia beati Martini per agetur memoria
episcopi Erponis, qui dedit, ut dicitur, conventui officium de
Wartenhorst."' *) In Wirklichkeit war dieser Tag der Todestag des
Bischofs^), aber ihn im Jahre 1090 zu bestimmen, hätte doch wohl
schwer fallen dürfen!
Er ist der einzige Bischof, dessen Gedächtniß feierlich mit einem
Schmause begangen wurde, und er hatte das wahrhaftig um die Nönnchen
verdient !
Bei der Übereinstimmung der Festtage darf man schon ver-
muthen, daß auch die übrigen näheren Angaben zu einander stimmen,
d. h. daß dieser Theil der Urkunde den betreffenden Passus der Hebe-
rolle in anderer Form bietet.
Nun handelt es sich in der Urkunde um eine Erleichterung der
Lebensweise der adeligen Dämchen, die von der Äbtissin gar zu strenge
behandelt wurden. Bei dem immer mehr anwachsenden Beichthum
*) Friedländer a. a. O. S. 182, Anm. 2.
') Nordhoff, Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler der Provinz Westphalen II,
S. 101. Nordhoff gibt als ursprüngliche Zahl der Stiftsdamen zwölf an.
*) Von den sonst wenig bekannten Heiligen Mazimus, Aeonius und Antonius
hatte das Stift im Jahre 861 durch Schenkung des Bischofs Liutbert von Münster
Reliquien erhalten.
^) Herausgegeben von Friedländer a. a. O. S. 63 ff.
*) ibid. S. 102.
") Er starb am 9. November 1097; vgl. Erhard ^ Regesta historiae Westfaliae.
8. 210. Charakteristisch ist der in »ut dicitur'* liegende Zweifel an der Schenkung«
20*
300 FKANZ JOSTES
des Stiftes fühlten diese die Einfachheit der Beköstigung um so drücken-
der. Mit Hilfe des guten Bischofs Erpho, der eine Mitleid erregende
Schilderung ihrer erbärmlichen Lebensweise gibt, wurde dem ab-
geholfen und Alles in Bezug auf Speise und Trank bis in die Einzel-
heiten geregelt. In Bezug auf die oben genannten Tage heißt es nun
in der Urkunde:
Unde inito in commune consilio tempora constituimus , videlicet in
Adventu etc. cum plenum datur servicium Septem fercula, cum
pleniter non datur quinque dari, ad C^am^) vero genus cibi quod
vulgo struua didtur.
Es werden hier zwei verschiedene servicia unterschieden, plana
und non plena. Auch die Heberolle unterscheidet, insofern sie bald 4
bezw. 6 Müdde, bald IV2 oder 2 Malter Korns ansetzt.
Was ist nun unter servicium zu verstehen? Es ist das, was der
Convent an jenen Tagen „awe the rehton pravendi^ von der Äbtissin
zu beanspruchen hatte. Präbenden sind nach klösterlichem Sprach-
gebrauch die Bezüge aus Küche und Keller; diese waren an jenen
Tagen besonders reichhaltig und, was hier noch wichtiger ist, sie
wurden in der Abtei, am Tische der Äbtissin verabreicht. Ein Ver-
zeichniß aus der Mitte des 16. Jahrhunderts^), in dem die einzelnen
Speisen und Getränke genau vorgeschrieben sind, zeigt deutlich genug,
daß an diesen Tagen die Äbtissin die Junfern zu sich in die Abtei
lud utid sie dort bewirthete*). Was auf diesen ingang thero iungerono
verwendet werden mußte, das ist es, was die Heberolle feststellt.
War es zu wenig oder wurde Abbruch daran gethan? Genug, die
Tendenz der Urkunde ist es, hier ein- für allemal genaue Bestim-
mungen zu geben.
*) So ist zu schreiben, nicht eenam,
^) Abgedruckt bei Friedländer a. a. O. S. 149 ff. Der Heraasgeber setzt das
Stück ins 16. Jahrhundert; dagegen spricht schon die Schrift. Die Sprache aber —
es ist ein Mischmasch von Hoch- und Niederdeutschem — läßt eher auf die sweite
als auf die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts schließen.
') Daß im Laufe der Zeit mannigfache Veränderungen vorkamen, liegt auf der
Hand. Der Qrund dafür, der in dem Aufkommen neuer kirchlicher Feste, in neuen
Stiftungen, in Verlegungen u. s. w. liegt, ist fast überall noch zu erkennen. Bis-
weilen ist die Abweichung nur scheinbar und findet ihre Erklärung in der Kürze der
alten Aufzeichnung, welche mit der Zeit immer mehr ins Einzelne geht. Der Heraus-
geber hat freilich den Zusammenhang der einzelnen Stücke nicht erkannt, aber auf-
merksam gemacht kann ihn doch keiner verkennen. Daß in der Urkunde ebensowenig
wie in der Heberolle der Eirchweihetag genannt ist, läßt wohl darauf schließen, daß sie
vor Einweihung der jetzigen Stiftskirche (1129) entstanden sind. Der frühere Tag ist
nicht bekannt, steckt aber doch wohl in einem nach dem Heiligen bezeichneten Tage.
ZUR FRECKENH0B8TBR HEBEROLLE. 301
Nachdem nun festgestellt ist^ daß ingang die Bewirthung der
Junfem bedeutet, und da das Almosen der Bewirthung der Armen
diente y so liegt es nahe, bei td thin neppenon an eine ähnliche Be-
stimmung zu denken. Gegen wen konnte die Äbtissin sonst noch Ver-
pflichtungen haben? Gegen die „Herren''^ Canoniker, Pastore, Vicare.
Heyne erklärt im Glossare: „Die hnippena^ welche zum Weih-
nachtsabend, am Feste der heil. Thiadhildis, der Schutzpatronin des
Stiffcesy zu Ostern und zu Pfingsten stattfanden^ können nur geistliche
Spiele und Umzüge gewesen sein, ftir die die Zinspflichtigen Gerste
zur Bierbereitung lieferten.^ Von diesen Worten steht kaum eines
auf festem Fuße. Zunächst ist die Zahl der Tage falsch angegeben;
es sind Coena Domini, Inventio S. Crucis^) und Omnium Sanctorum
übersehen (vgl. Heyne S. 82, Z. 516 f.). Die Spiele müßten also nicht
vier-, sondern siebenmal im Jahre stattgefunden haben. Dann steht
nirgends, daß die Zinspflichtigen dieses Korn lieferten, und ebenso-
wenig irgendwo, daß es zur Bierbereitung verwendet wurde'). End-
lich sehe ich auch nicht ein, weßhalb knippma nicht auch Näpfe sein
können. Ich bin im Gegentheil sogar der Ansicht, daß es nur Näpfe
sein können, freilich Näpfe in einer anderen Form als unsere jetzigen.
Das unserem Abschnitte der Heberolle entsprechende Verzeichniß
des 16. Jahrhunderts hat zu all jenen Tagen, wo dort td thSn nep-
penon sich findet, den Zusatz „Heildienst^. Die weniger ausführliche
Aufzeichnung des 14. Jahrhunderts, wie auch die Erpho'sche Urkunde,
unterscheiden nicht im Besonderen; es war das ja auch allgemein
bekannt. Aber nach der Urkunde gab es zu den Heildiensten zwei
Gänge mehr als zu den Halbdiensten, und im 16. Jahrhundert wurde
zu diesen Festen ein Ochse geschlachtet, während man sonst ein
Rindchen (risebiter) nahm, oder gar sich mit Fleisch „aus der Peckel^
begnügte. Was hier aber wichtiger ist: an jenen Tagen erhielten
nach der Aufzeichnung des 14. Jahrhunderts die Junfem una crathera
vini^; an den Halbdiensten mußten sie sich mit dimidia crathera
begnügen. Doch auch hiermit dürfte die unverhältnißmäßig große
Ausgabe noch nicht genügend erklärt sein. Aber in eben dieser Auf-
zeichnung ist vorher (Friedländer S. 101) bemerkt: y^Qu/indocunque
1) Im 14. Jahrhunderte finden sich statt dessen zwei Halbdienste, für die Vigil
und den Tag selbst. An der Vigil wurde das Qedächtniß des Stifters Everword be-
gangen. Die Theilung hat demnach wohl der Ausbildung der Stiftungslegende ihren
Ursprung zu verdanken.
') £s sind bloße Werthbestimmungen.
*) Friedländer a. a. O. S. 103 f.
302 FRANZ JOSTES, ZUR FRECKENH0R8TER HEBEROLLE.
conventui dahitur planum servicium, tunc canonici debent procurari lauta
et honesta procuratione in mensa domine abhatisse'^; und in der Auf-
zeichnung des 16. Jahrhunderts heißt es zu allen Heildiensten „Heren
zu gaste^. Da nun die Zahl der Herren mindestens sechs betrug, also
hinter der der Junfern nicht weit zurtickblieb, so kann man sich
wohl denken ; daß an diesen Tagen das Weinfaß der Äbtissin ein
Loch bekam, zu dessen Ausfüllung es wohl eines Malter Korns be-
dürfen mochte.
Ich glaube demnach, daß wir in den cratherae des 14. Jahrhs.
die neppena des 12. Jahrhs. zu sehen haben. Freilich wird im Mnd.
Wb. keine Stelle angeführt, in der nap Becher, Pocal bedeutet, allein
damit ist nicht bewiesen, daß das Wort im Niederdeutschen die Be-
deutung auch nicht gehabt habe. Es möge hier eine Stelle für das
Qegentheil angeführt sein. Köchell erzählt in seiner Chronik (c. 1600)
von dem Bischof Werner von Münster [1132— 1151J, daß er jährlich
ein Fuder Wein für die Domherren und Andere und einen y^siJheren
nap uberhen verguldet^^ gestiftet habe. „Daruf steidt die historie von
S. Pauwel mit verlieben bild&i'en; und wordt noch heuthe zu dage ge-
nompt S, Paulus nap; man kan darin gedoen ungeferlich vif orth weins, *)
Dieser Pocal ist verschwunden, aber auch der Pocal des hiesigen
Großen Kalands, den jedes Mitglied bei seiner Aufnahme stehend in
einem Zuge leeren muß, führt noch jetzt den Namen „A'ap^, Der
Deutung der neppena als Poeale dürfte demnach kaum noch etwas
entgegenstehen. Daß die Ausgabe speciell zur Weinspende für die
„Herren'^ bestimmt war, möchte ich auch noch daraus schließen, daß
in der Heberolle auch der Grünedonnerstag angeführt ist; im 14. Jahr-
hunderte bekamen an diesem Tage die Junfern noch keinen Wein,
während es von den Herren heißt: „/w cena Domini ad mandatum
(Gastlocal) domina abbatissa ministrabit canonicis et cletncis suis species
propinando eisdem dabit etc,^^) Für die Schwestern wurde die Wein-
frage auch erst nach der Entstehung der Heberolle durch die Urkunde
geregelt; bis dahin hatten sie j^minus quam indigerent"' erhalten, dafür
^vilissima cerevisia, nulli fere quam indigentissimo potabilis^. Doch
kommt es darauf auch so sehr nicht an. Meine Übersetzung der
oben angeführten Stelle würde also folgendermaßen lauten:
„Am Gedächtnißtage der heil. Thiadhild für die Weinpoeale (der
Herren) und für Almosen und für den Besuch der Junfern zwei Malter/
MÜNSTER in Westfalen. FRANZ JOSTES.
^) Qescbichtsquellen des Bisthumes Münster III, S. 199 ff.
») Friedländer 8. 105.
FRANZ KRATOCHWIL, ÜBER DEN QEGENWlRTIOEN STAND etc. 30S
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER
SÜCHENWIRT - HANDSCHRIFTEN.
Mit zwein großen^ bisher unbekannten Ergänzungen zu Suchenwirt's Gedichten.
IV. c.
Vielleicht kann uns C, die Papierhandschrift der Wiener Hof-
bibliothek Nr. 10100* (Rec. 2201 nach der Eintragung auf der Innen-
seite des Vorderdeckels) darüber Aufschluß geben. — Die Ecken der
beiden Deckel und der Rücken sind mit Pergament überzogen; letz-
terer trägt ein schwarzes Schild mit der Inschrift in Goldbuchstaben :
Varia Poetica Coli. A O^) A. Pernberger.
Christoph Adam Freiherr von Fernberg gehörte dem
aus Mittelfranken stammenden Geschleohte der Fernberger an; der
Name rührt von dem in der Nähe von Ansbach gelegenen Stamm-
hause Fernberg. Ulrich Fernberger trat um 1470 in die Dienste des
Erzherzogs Sigismund von Tirol ; sein Sohn Johann ging nach Öster-
reich und kaufte sich 1531 Herrschaft und Schloß Egenberg in
Oberösterreich, wonach er und sein Geschlecht sich in der Folge
nannte. 1535 wurde er mit seinem ganzen Mannesstamme von König
Ferdinand I. mit dem Erbkämmereramte in Osterreich ob der Enns
belehnt. Sein Enkel ist Karl Ludwig Fernberger zu Egenberg, Hoch-
haus und Messenbach, Herr der Herrschaften Sitzenberg (im politi-
schen Bezirke St. Polten, also nicht sehr weit von Neiden-
Btein) und Fahrafeld in Niederösterreich. Obwohl Lutheraner wurde
er 1615 Regimentsrath in Niederösterreich. Aus seiner ersten 1594
geschlossenen Ehe stammten zwei Söhne; der ältere ist der Urheber
dieser Handschrift, Christoph Adam Fernberger von und zu Egenberg,
Herr zu Wiernitz (jetzt Würnitz im Gerichtsbezirke Korneuburg) in
Niederösterreich. Die Nachrichten über ihn lauten dürftig. Er lebte
der Wissenschaft und Kunst; dafür spricht deutlich genug sein hand-
schriftlicher Nachlaß. Auch dichterisch versuchte er sich, wie u. A.
aus C f.' 164' zu'ersehen ißt. 1650 — 1656 war er niederösterreichischer
Ritterstands- Verordneter; obwohl zweimal vermählt, hinterließ er keine
Kinder. Sein Bruder Christoph Karl war schon vor ihm aus dem Leben
geschieden; mit seinem Stiefbruder Christoph Ferdinand, der General
und Oberst eines kaiserlichen Regimentes war, starb 1671 der letzte
männliche Sprosse dieses Geschlechtes (vgl. Hoheneck a. a. O. 3. Bd.,
S. 159—164 und Wissgrill a. a. O. 3. Bd., S. 31-36).
*) £s soll richtig heißen C, wie schon aus pag. 139 des 6. Bandes der Tabulae
codicum zu ersehen ist.
304
FRANZ KRATOCHWIL
Christoph Adam Freiherr von Fernberg ist der Urheber von C
oder, nach dem Schilde und 6. Bande der Tabulae codicum; der
Sammler. Diese Bezeichnung ist aber keineswegs dahin zu ver-
stehen, als ob die sechsund vierzig Theile der Handschrift, nahezu
ausschließlich Dichtungen^) des Mittelalters und der
Neuzeit in deutscher, aber auch in lateinischer Sprache,
durchaus Originale wären, welche Fernberg gesammelt und zu
einem Bande vereinigt hätte. Gleich die ersten zwölf Nummern sind
es nicht, sondern sie sind Abschriften einer umfangreichen
Handschrift aus dem Jahre 1402, die ich im Folgenden N
nenne. Aber gerade sie erregen unser Interesse, da unter ihnen
zehn Suchenwirtische Gedichte vorkommen; es sind folgende:
Primisse r's
Zählang
Von Blatt . . .
der Handschrift
bis Blatt . . .
Überschriften der Gedichte
I
IV
XXXIV
XX
f. r— 6"*)
f. e^ — 7^
f. 7^— 10*
Von Herczog Albrechts Ritter] ^schafft
in Prewssenland | Anno Dni M*CCCL
XXVn {Schnörkel).
Von der Fürsten taylung in | Oster-
reich Herzog Albrecht | vnd Herzog
Lewppolt.
Von Fünf Fürsten von dem von Maylan |
Von Marchgraf Sigmund von Karlur {
Von Herczog wilhalm von Osterreich |
vnd von Herczog Lewppold von Oster-
reich (Schnörkel),
") Die Prosa ist nur durch wenige Stücke vertreten. — Zu den jüngsten Theilen
des Codex dürfte wohl Nr. 32 (f. 173**) gehören: „Cbürzweilige Soldatenlieder ....
so deß Herrn Oberst (?)-Leidenambt Fernbergerß Musterscbreiber gesungen hat
1645." Biese MittheiluDg wird sich auf Adams Bruder Christoph Karl bezieheo,
welcher kaiserlicher Oberst und von 1636 bis an seinen Tod im Jahre 1653 General-
Landoherstlieutenant im Erzheizogthum Österreich unter der Enns war.
') Die Handschrift zählt 242 Blätter in Folio. Eine Blattzählung ist oben
rechts mit Blei angebracht und stammt aus neuester Zeit; a bezeichnet die vordere,
b die rückwärtige Seite. Allerdings finden sich hie und da oben Zahlen von
alter Hand, aber diese beziehen sich nicht auf die Paginiernng, sondern sind
Nummern, womit einzelne Theile der Handschrift schon vor ihrer Vereinigung za
diesem Bande bezeichnet waren, die somit nicht immer gerade fortlaufend sind.
') Die senkrechten Striche bezeichnen die Brechung der Überschrift in zwei
oder mehrere Theile.
ÜBER DEN GEGEN WÄRTIOEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 305
Primisser's
Zählung
Von Blatt . . .
der Handschrift
bia Blatt . . .
Überschriften der Gedichte
XXXV
XXXVII
XIX
XLV
XLIII
f. lO»— 11»»»)
f. 23^—25'«)
f. 25»— 26'*
f. 26^—27^
f. 27*»— 29'
f. 29'— 29^
10
XXXVI
f. 30'— 30*»
Von Herczog Albrecht seeligen | Von
Osterreich.
Von zwayn Pabsten.
Von der Fürsten Chrieg | vnd von Reich-
stetten.
Daz ist die Red uon dem | Tey ebner
darnach und er | gestorben ist
Ein Red uon der hubseben Lug,
Die red hai^t der fremd Siß | Vn ist
mit vercherten werten | da:; merkbt
ye an der leczten Silben, die antwort
irm geno^l^en hinder sich ynd für sich
vnd I ist geticht chrewczweys.
Die Red hai^t der vmbgecberte Wagen
38 bis 56 abgesetzte Verse, die meisten mit großen
Buchstaben beginnend, bilden eine Columne auF jeder Seite.
Sowohl der Text wie die Überschriften sind mit schwarzer Tinte
geschrieben, die Überschriften durchaus mit größeren Zügen, und
zwar hat eine Hand die Überschrift zu Nr. 1 und die sechs ersten
Verse dieses Gedichtes lateinisch cursiv, von f. 23*» — 30*» die Über-
schriften lateinisch cursiv, den Text nahezu ausschließlich deutsch
cursiv geschrieben; eine zweite Hand schrieb von V. 7 auf
f. 1' — 11*» Text und Überschriften gothisch. So schön diese
Schrift ist, gar Manches, namentlich die großen Buchstaben, lassen
die jüngere Hand leicht erkennen. — Während aber bis f. 11
undeutlich geschriebene Wörter äußerst selten begegnen ^ läßt die
Schrift von f. 23*» an^ was Deutlichkeit betri£Ft, viel, stellenweise
wie in Nr. 8^ sehr viel zu wünschen übrig: nicht nur a und e,
auch r und ty p und / sind zuweilen mit Sicherheit nicht zu unter-
scheiden.
*) Darauf folgt f. 11*— 17**: Die Cbünigin von Frankreich | bat ge-
ticbt ein varunder man | der hie; Schöndoch und f. 17^ — 23^: Die Redt
hai:(t Ots vnd hat | geticht maister Chunrad von Wircz | purckh.
') Fol« 24** wurde durch Versehen zwischen f. 30 und 31 gebunden.
306 FRANZ KRATOCHWIL
Die Schreibweise der Handschrift erinnert vielfach
an By wenn auch C im Ganzen , besonders von f. 23^ an^ einen
Jüngern Eindruck macht. Was S. 235 über den Gebrauch der Ma-
juskel im Innern der Verse, die Anwendung des Dehnungs-^ (begehrtj
werthen C 3*» und 6' = P IV 278 und 567 u. ö.) und die Vorliebe von
z und cz für tz gesagt wurde, gilt auch von C. An Inconsequenz
lassen es auch die Schreiber von C nicht ganz fehlen; so begegnen
unter Andern in Nr. 1 V. 131, 133, 180, 187, 240, 241, 249 und 487,
in Nn 4, V. 33 u. s. w. die Eigennamen mit kleinen Anfangsbuchstaben.
Im Gebrauche der Haken jedoch zeigt unsere Hand-
schrift einen auffallenden Unterschied im Vergleiche zu
B. Wie in unserer Schreibart findet sich in C ober dem u ein Ring-
lein (^ ^ ^) und die Umlaute des kurzen und langen a*), o und u
werden durch zwei darüber gesetzte Punkte oder Striche (" ' " auch
^) angedeutet und dies so allgemein, daß man dort, wo in einem
der beiden Fälle die Bezeichnung unterblieb (z. B. chunig in Nr. 3,
fursten C 25' = P XXXVU, 13 u. o., fromd C 29» im Titel von Nr. 9)
ein Versehen der Schreiber annehmen darf. Sonst finden sich Haken
nur sporadisch angewendet, z. B. geschluckte C 7** = P XX 2,
Sit = scet C 9" =:V XX 75 (ähnlich im V. 167), chrüm C 6*» = P
XXXIV 11, ^wuchs (A wueehs) C 29' = P XLIII 59, stört C 30^ = P
XXXVI 67, vmchsen (= Ue) C 26' = P XXXVII 71, ttymel C 2*» z=
P IV 187 u. ö. (die Punkte auch schief übereinander). Man sieht
daraus, daß die Schreiber es geflissentlich unterließen, ihrer alten
Vorlage in der Wiedergabe der Haken getreu zu folgen. Wo letztere,
wie in den obigen Beispielen, sich dennoch finden, sind sie ihnen bei
dem mechanischen Abschreiben gegen ihren Willen mitunterlaufen.
Daraus erklären sich umgekehrt aber auch Fälle, in denen wohl der
Haken weggelassen, aber das Zeichen für den Vocal nach der den
Schreibern geläufigen Art zu transscribieren vergessen ward, wie be-
ruren {= ile) C 1* = P IV 33, vmchsen (= wo, ue) C 28* = P XLV 27
usw., yder C 4' = P IV 320 u. ö. Geradezu störend ist in Nr. 9, 65
die Schreibweise Süohenwirt, da nach dem ausgesprochenen Plane
dieses Gedichtes die Umkehrung der letzten Silbe auf treib reimen soll.
Darnach kann es nicht Wunder nehmen, daß sich in C Bezeich-
nungen von Halbdiphthongen durch Haken auffallend wenig, von
Svarabhakti gar nicht finden. Für erstere ließe sich anführen:
') Vereinzelt findet sich wete : tcTirke (sa ee) C 8^ = P XX, 98 und ee s= cb :
»eeligen O 10* im Titel zu Nr. 4.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHEN WIRT- H88. 307
w zz: u* C 7** und a** = P XX 11 und 101 chümer und pürg, vielleicht
noch e' = e' C 2"* = P IV 183 gUsein (das nach A richtig glefen
heißen soll). Bezugs der Svarabhakti macht es für das erste den
Eindruck, als ob die Schreiber sich vollkommen ablehnend dagegen
verhalten hätten, denn in C vermißt man selbst Svarabhakti, die in
A durch e oder i gegeben sind, so C 2» = P IV 104 Cherg, C 27^ =
P XIX, 71 Kirchen j sogar solche, die metrische Geltung haben, wie
C 3^ = P IV 264 gern, C 7»» und 9' = P XX 14, 158 ernst und atern,
C 2'^ = P IV 133, 192 perchtold und arheit. Aber dagegen finden sich
in C einige, wenn auch wenige Svarabhakti, die A nicht hat, so
Marschalieh C 4* = P IV 317, und in Nr. 8 V. 27 MariehfeU mit metri-
scher Geltung. Statt arm (richtig arem) in A hat C Nr. 6 = P
XXXVII 34, 39, 54, 102 armen.
Ebenso sparsam sind die Unterscheidungszeichen ange*
wendet; acht von den zehn Überschriften folgt ein Punkt (vgl.
S. 304 f.), desgl. dem letzten Wort in der Schlußzeile von Nr. 5 — 10.
Der Schreiber der ersten vier Nummern hingegen setzt nach dem
letzten Worte zwei Punkte und dazwischen einen Strich (7.).
Der Gebrauch der Abkürzungszeichen ist nicht nur gegen«
über A, sondern selbst im Vergleiche mit B sehr beschränkt. '^ wird
nur för auslautendes er gebraucht (zuweilen vergessen, wie in Nr. 1
V. 34 gancz, 131 dain = der ain u. s. w.), ~~ für e vor Z, n und r (C 7**
= P XXXIV 123 manchn, C 11»* = P V Ul himlreich, C 26» = P
XXXVIl 80 Ewr), für fehlendes n und m {dieste C 27* = P XIX 45,
Sin im Titel von Nr. 9; in manige C 2** = P IV 155 wurde das Ab-
kürzungszeichen fllr auslautendes m vergessen); wn noch nach alter
Weise für und oder unde.
Nach alledem erscheint es nicht auffällig, wenn in C auch die
Sprach formen vom Drange zu modernisieren nicht ganz unberührt
geblieben sind. So sucht man Formen mit auslautendem t in der
3. Person Pluralis im Indicativ des Präsens vergebens; neben was
zeigt sich auch C 11^ = P V 144 war; die gut österreichische Form
des Präteritums lewff^) von A wurde in C 29** = P XLIII 47 durch
lief ersetzt, hingegen wurde C 28** = P XLV 83 leuffet beibehalten.
Die 2. Person der Einzahl im Ind. des Prät starker Verba muß sich,
so schwer dies geht, Umänderungen gefallen lassen; so hat C in der
*) Vgl. Anton Schönbach, Erstes Stück der Mittheilungen aus altdeutschen
Handschriften, Wien 1878, Separatabdruck S. 7 und Zeitschrift für deutsches Alter-
thum und deutsche Literatur, 20. Band (1876): Über einige Breviarien von
St. Lambrecht S. 187 ff.
308 FRANZ KRATOCHWIL
Bede vom Teichner V. 84 du gepört (A gq^cter). Veraltet scheinende
Präterita starker Verba sollen schwache Form annehmen; so heißt es
in der Rede auf den verstorbenen Herzog Albrecht III:
Silber und gold er ringe wagt
und gab
manigem Eäter, der da p klagt
der rai^ V. 65 ff.
Sich für anlautendes 8 begegnet noch nicht häufig {schlecht, schlug C S"^
= P IV, 209, 295 u. s. w.) ; von soln werden stets Formen mit anlauten-
dem 8 verwendet; mancher findet sich nur vereinzelt (C 5* = P IV 452).
In diesen drei Punkten zeigt sich Übereinstimmung mit B (vgl. S. 238),
desgl. auch in der Abneigung, i fUr u; zu setzen; Beispiele finden
sich allenthalben, besonders auffällige in Nr. 9. Von zehn Eeimstö-
rungen in diesem Gedichte rühren sieben von dieser Abneigung. So
lautet V. 4 geh : weg, V. 8 sib : wis, V. 30 wag : gab, V. 53 war : Babj
V. 57 wer : reby V. 65 Süchenwirt : treib und V. 66 wol : hb. — P.
IV 131 hat nach A Hainreich, C 2* Hainrich^ tür das in A durch den
Reim auf pran gesicherte prewtigan bringt C 3*" = P IV 264 prewtigam,
T = V XXXIV 105 Ucztm (A Ustea) und 27^ = P XIX 92 niOin (A
nu). Nebenbei erwähne ich den ausgedehnten Gebrauch von k (kk)
im Anlaut, besonders aber im In- iind Auslaut für das in A so häufige
ch {kchf chk) , den Übergang von a in o {momer C 2** = P IV 190,
volsche C 6«» = P XXXIV, 11) und von i in t6 = w (C 1' = P IV, 7
Zichtig),
Daß N der Sprache nach identisch mit A war, er-
sieht man deutlich aus C trotz der eben besprochenen
Änderungen; diese berühren somit den eigentlichen
Sprachcharakter von C nicht. Sie konnten und wollten
ihn gar nicht alterieren, denn sie gingen von Leuten aus^ deren
Sprache, wie selbst mehrere der Änderungen bezeugen, dem öster-
reichischen Sprachgebiete angehörte, die aber manche alte
Formen des österreichischen Dialects, als nicht mehr zeitgemäß, durch
andere ihnen passendere ersetzen zu müssen glaubten. Damit hängt
es zusammen, daß durch diese Änderungen der Sinn der Hand-
schrift nicht oder doch nur unbedeutend entstellt wurde.
Ganz verschieden von diesen Änderungen bezwecken andere eine
Besserung des Versbaues, namentlich einen regelmäßigen Wechsel
von Hebung und Senkung, so durch Einsetzung einzelner Wörtlein:
Nr. 7 V. 67 er nach hiet (dadurch Unsinn!) und V. 68 und nach nain,
Nr. 10 V. 8 eins nach ich; durch Weglassung einsilbiger Wörter, z. B*
ÜBER DEN GEGENWiRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-H88: 309
und in Nr. 1 V. 25 und 364, die nach furgtm in Nr. 6 V. 13 und den
in demselben Gedichte V. 28 u. s. w.; durch Unterdrückung des VocaU
in der Vorsilbe ge- : glauben C 23^ = P XXXV, 13 u. s. w.; durch Ab-
werfung des Präfixes ge- : echrifft C l(y* = P V 29; durch Ausstoßung
von Silben: Nr. 1 V. 171 manig^lay] durch Apokope Nr. 1 V. 356
gut^^ und 388 tugend^^, in Nr. 5 V. 114 soW^^ wir u. s. w.; aber auch
durch Einftlhrung der vollen Formen, besonders statt der syn-
kopierten, so C 6* = P XXXIV, 25 armes, C lO* = P V 8 und 11
seinem (A seirn) und fronen^ C 26* = P XXX VII, 63 edlen u. s. w. —
Alle diese Änderungen erfüllen fast ausnahmslos ihren
Zweck.
Leider finden sich nicht selten ganz zwecklose Ände-
rungen gleicher Art; so begegnen in Nr. 1 allein 14 Verse, in wel-
chen ein kurzes Wort fehlt (V. 8 au6h^ 33 wier, 132 den, 172 tr,
234 und 471 die nach pferdj 295 und 469 das zweite da:;, 400 und
406 das zweite der und dem, 499 sowie 536 und, endlich 510 80\ in
Nr. 4, 93 der, in Nr. 5, 5 nicht [dadurch die Stelle sinnlos], in Nr. 7,
15 trann, in Nr. 8, 103 m, in Nr. 10, 10 in und V. 37 der), auch
sonst Verse, in welchen Vorsilben ganz unterdrückt werden (Nr. 5, 22
"""tHrret, Nr. 7, 65 «FpracÄ«), ferner Synkopen (Nr. 1, 12 und 490 ed.l
u. 8. w.) und besonders Apokopen (und® in Nr. 1, 7, 267 und Nr. 2, 5,
tisch^? Nr. 1, 392 u. s. w.), aber auch Einsetzung des unterdrückten
Vocals im Präfix be- {belaib Nr. 9, 53), Zusatz von Silben zu Anfang
oder am Ende der Wörter (gestain Nr. 1, 251 , geschrifft *) Nr. 7, 64,
meinem Nr. 1, 265, haben unr Nr. 5, 19, ähnlich Nr. 6, 69), sowie
Einfügung von überflüssigen einsilbigen Wörtlein (Nr. 7, 31 Allen
den, 51 e^i^en an, Nr. 9, 54 des todes, ähnlich Nr. 10, 28 und 53).
Manches dürfte auf Rechnung von N zu setzen sein;
denn mag dieselbe, was Verläßlichkeit des Textes betrifft, selbst A
gleich stehen ^, so kann man doch mit Sicherheit annehmen, daß sie
von ungleichmäßigen Schreibungen, mancherlei Versehen und Schreib-
*) Vgl. Schönbach a. a. O. S. 9, Anm. 3.
*) Die Übereinstimmnng zwischen A nnd C ist oft wirklich über-
raschend. So hat C in Nr. 1, V. 116:
Chlar Bainfal gehaucht man etn,
A hat Chlam, es stand aber ursprünglich Chlar\ V. 128 atn, auch A hatte anfäng-
lich so, dann wurde noch ein n über n geschrieben, daß es atnn heißt. V. 471:
Die pfird wurden hellicht
A hatte ebenfalls wurden, der Schreiber änderte es aber in wom; V. 473 gründen,
ebenso A, der Schreiber besserte aber in gründen (Graudens); V. 487 hat V den
310 FRANZ KRATOCHWIL
fehlem^ Willkürlichkeiten und verderbten Stellen nicht ganz frei war,
zumal bei ihrem großen Umfange mehrere Schreiber daran gearbeitet
haben werden. Auch konnten einzelne Theile schon ursprünglich
undeutlich geschrieben worden sein, wahrscheinlich aber hatte die
Vorlage im Laufe von mehr als 200 Jahren allerlei Schaden ge-
litten. — Daraus erklären sich Schreibfehler^), Trübungen und Stö-
rungen des Reimes^), sowie sinnlose Stellen^) in C, von denen
freilich ein guter Theil den Schreibern dieser Handschrift^
die auch in ihrem Drange , ihnen Unverständliches zu bessern, nicht
immer eine glückliche Hand hatten ^ zur Last fällt.
Das glaube ich auch von den Lücken in C, die allerdings zu-
sammen nur sieben Verse betragen; es fehlen nämlich ohne äußere
Unterbrechung in Nr. 1 die Verse 197 und 198, in Nr. 9 die Verse
25 — 27 und in Nr. 10 die Verse 75 und 76. Vielleicht stammt auch
von ihnen die Umstellung der Verse in Nr. 1, wo ohne jede
Reimstöruug auf V. 308 die Verse 311, 312, 377, 378, 309, 310, 313
und 314 folgen, dann geht es mit V. 315 in der Ordnung von A
weiter. Nr. 9 schließt mit V. 68, die in A noch folgenden vier Zeilen
stehen in C unmittelbar nach dem Titel, wohin sie auch mit Recht
gehören (vgl. S. 209).
Bas, A und C der und V. 496 Ber zeh&nt, A und C Da^- P schreibt XXXIV, 55
Hghafty C sigehafl, A desgleichen, aber das e ist durchgestrichen, doch steht ein
Punkt darunter; es dürfte also doch das e gelten. C hat in Nr. 9, V. 4 toeg und
V. 68 war, A ursprünglich auch so, der Schreiber änderte aber dann in beg und
bar um.
") Z. B. in Nr. 1, 66 den fursten, 120 reickart, 188 pogen8chii:^es, 200 an statt
am, 372 lehen für leben, 476 spruch, Nr. 2, 24 drünen (A Drümen), in Nr. 3, 8 Dax,
in Nr. 6, 47 schroten, 53 vergoi^i^en, in Nr. 8, 4 Die anstatt Do, 11 ober, 31 Singen
für Giengen (vgl. K II, §. 6 und III, §. 8), in Nr. 9, 4 chunstes ,\ und 46 in für im,
ferner in Nr. 10, V. 42, 67 u. 88.
*) In Nr. 1, 46 veracht (N veriach : gesach) , 412 lobesan {inam), in Nr. 3, 191
gedcm (: davKm), 238 hüte {: gute), in Nr. 4, 33 paris (A Pareis : weis), in Nr. 6, 86
erden (: werde), 112 hat der Schreiber anstatt des Reimes auf gemaine dieses Wort
nochmals geschrieben, in Nr. 8, 29 eselgarten {: narren), wofür wohl eselkarren zu
setzen ist (vgl. Leser I, S. 709, III, S. 167 und die zweite Ausgabe (1881) des
Taschenwörterbuches unter O und K) und 101 er gawen (: khann), wofür P mit Recht
gewan setzt (vgl. seine Ausgabe 170), in Nr. 9, 3 der frewden joch (A chor : roch), 17
niemen (: mein) und 20 og (: ge).
») In Nr. 1, 67, 76, 98, 127, 138, 141 (!), 146, 166, 167, 178, 187, 207 (!), 216^
239, 266, 282 (!), 284 (I), 304 (!I), 308, 317, 321 (dadurch auch Eeimstörung) , 436,'
474 (II) und 667, also 24 Fälle (vgl. PS. 164), in Nr. 2, 123 (vgl. PS. 162), in Nr. 3,
167 (vgl. PS. 166), in Nr. 6, 6 (vgl.- PS. 162), in Nr. 7, 6 u. 6 (vgl. PS. 169), in Nr.
10, 38 u. 84 (vgl. PS. 162 f.).
ÜBEE DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SÜCHENWIRT H8S. 311
Immerfaiu erscheint C, trotz aller RückBichtnahme
anf N, nicht mit ganz gleicher Sorgfalt abgefaßt wie B
(vgl. S. 237). Dieses sowie ihr unbedeutendes Alter ist keineswegs
geeignet, ein günstiges Vorurtheil bezugs ihres Werthes zu erwecken:
in Wirklichkeit aber ist derselbe durchaus nicht gering.
Sie hat zwar, wie wir gesehen, selbst mancherlei Gebrechen, aber
diese sind meist leicht oder doch durch Heranziehung von A zu be-
seitigen. Im Allgemeinen bringt C einen sehr guten Text.
Den besten Beweis liefert ein Blick in die Ausgabe von Suchenwirt's
Gedichten, wo P S. 154 ff. die verbesserungsbedürftigen Stellen aus
A anführt. Soweit diese Gedichten angehören, die auch in C vor-
kommen, sind sie fast ausnahmslos durch C zu bessern^). Und diese
Stellen ließen sich noch leicht vermehren, wie denn überhaupt
C in einer neuen Ausgabe eine größere Beachtung finden
muß. — Im Gedichte auf den verstorbenen Herzog Albrecht III. fehlt
in A V. 42; C hat diesen Vers, und dadurch ist die Reimstörung
in A behoben. Nichts, weder ein äußeres Zeichen noch der Sinn,
läßt in A erkennen, daß im Gedichte von Herzog Albrechts Ritter-
schaft nach V. 366 etwas fehlt: C bringt aber an dieser Stelle
sechs inhaltlich durchaus nicht bedeutungslose Verse,
die aller Wahrscheinlichkeit nach echt sind und daher von P mit
Recht in seiner Ausgabe als Verse 367 — 372 in den Text aufgenommen
sind. — In Bezug auf die Zahl der Gedichte wird diese Handschrift
nur von A und B tibertroffen, aber unter den zehn Gedichten von C
findet sich das Gedicht von fünf Fürsten, das in A gar nicht
vorkommt^). Von dem Gedichte von hübscher Lug besitzt A bloß
den Anfang (V. 1 — 23), in C nur allein findet sich das Gedicht ganz ®).
') Abgesehen yon den Nammern 3 nnd 8 liefern besonders 1, 2, 5, ß und 10
für die Textkritik recht Brauchbares.
') Dieser Umstand mag mit dazu beigetragen haben, daß P noch vor dem
Erscheinen seiner Ausgabe in Hör majr^s Archiv (Jahrgang 1822, S. 188 — 191) dieses
Gedicht, sowie das auf den verstorbenen Herzog Albrecht III. abdrucken ließ.
P setzte nicht einmal seinen Namen darunter, wohl aber unter den Titel die Bemer-
kung: ,,Nach einer Handschrift der k. k. Hofbibliothek.** Natürlich ist diese Hand-
schrift C. Später (aber noch in demselben Jahrgange des Archivs 8. 218 — 221) hat
er aus geschichtlichem Interesse, das bei ihm immer vorwog (vgl.
S. 221 f.), aus derselben Handschrift noch drei andere historische Gedichte, nämlich
von zwein Päpsten^ der Fürsten Theilnng und der Fürsten Krieg veröffentlicht.
') Ein ähnliches Quodlibet bietet das Liederbuch der Hätzlerin in Haltaus*
Ausgabe S. 201—203 mit dem Titel: Ain aubentewrliche rede vnd veilt von
ainem czu dem andern, ferner Lassberg im Liedersaal S. 383 f. des zweiten
312 FRANZ KRATOCHWIL
C iBt aber in Bezug anf dieses Gedicht ein Unicam, da
die Vorlage von C gänzlich verschollen ist.
Von dieser gibt C*) auf f. 31' folgende Nachricht: In disem
alten buechj^) daraus dise Reimen geschriben sein | dise getichte
zu finden samt der Tichter Nemen^):
1. Zwainzig Oesterreichischer Helden Bitter Thaten,
das in ein absonderlich buech vnder meinen histo-
ricis sub ^lit*) .... loc. . . lib... da Eitel authores
Manuscripti, eingeschriben worden
2. Die schön Abentewr. Des Peter Suchenwirt
3. Von der mynne und seim vrteil vnd slaff
4. Der Rat von dem Vngelt. Eiusd.
5. Von der geuticheit. Eiusd.
6. Von zweien Bäbsten Eiusd
7. von dem Würfelspil Eiusd
8. von der Fürsten chrieg und den Beichstetten Eiusd.
9. von der hübschen lug Eiusd
10. 11, 12. von dem Prie^ Jagd, Widertail. Eiusd.
13. 14. von dem Phenning, Verlegenheit Eiusd
15. von zehen geboten Eiusd
16. Der getrewe Rat. Eiusd
17. von dem Teychner Eiusd.
18. von herzog Albrecht Ritterschaft in Preissen 1377. Eiusd.
19. von herzog Albr. vnd Leupolt Tailung. Idem
20. von unser lieben Frauen 7. frewden Id
5. fürsten von Mailan, von Marchgraf Sigmund von Carlur,
von herzog Wilhelm vnd Lewp[olt] von Oesterreich
21. von den 7. todsünden
p-
66.
n
5.
n
9.
7)
2,
D
2.
D
n
r)
2.
n
H
n
H
7)
8.
17
6.
7?
3.
n
2.
n
H
n
8.
j)
2
7)
21.
j)
4
rt
3.
Bandes UDter der Überschrift nLuderei''. Das Gedicht ist aber hie und da anstößig,
es fängt an: Ich bin komm an die »tat
Da% ma/n rot tnecken wal u. s. w.
und endet:
Der hielt mir den toin Tier
So trinck ich nach mim hertzen ger (128 Verse).
') Dieselbe Hand, welche f. 6* unten am Rande rechts bemerkte: Peter
Suchenwiert hnjus descriptionis anthor, wahrscheinlich identisch mit dem
Schreiber von V. 1—6 f. V und f. 23*— 30^
*) So ist die Überschrift gebrochen.
') Die gesetzten Unterscheidungszeichen sind in der Handschrift.
^) Femberger hat vergessen, die Signaturen an den leer fgelassenen Stellen
nachzutragen.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SÜCHENWIRT-HSS. 313
22. Der firomb sinn mit vereherten worten Eiusd« p. 1.
23. Der ymbgecherte wagen einsd. n t
24. 25. von dem jüngsten gericht, Neuen Bath einsd. n 54-
26. von Aristotelis reden. Idem n 5
27. Von Herzog Albrechten von Oesterreich Id ;) 2.
28. Vnsers Herrn Wapen anthore Versweigseinnicht n 7.
29. von der Chanigin von Frankreich des Schöndoch n 10.
30. von Chaiser Ott Maister Chnnra? von Wirsbnrg n 10.
31. von vnser Frauen die gülden Smitte. Einsd. n 26-^.
32. vnser frawen Wappen des Härder') von Frankh (Franken?) t) 3j-
33. legend vom heiligen Chrenz Maister Heinrichs von Freiberg n 12.
34. Von 2. S. Jobansen Enangelisten vnd Baptisten geticht Chlein
Hansen von Ghostniz n 7.
35. von 7. färben geticht Jacoben Peterswald n 8.
36. Der Ritter mit dem Herzen Maister Gotfrid von Strasburch r» 7.
37. Vom chünig im Pade n 4.
38. Von Stet vnd Vnstette anth. Verschweigseinnit » 2^
Vnd dises alles geschriben Anno domini mcccc""
secnndo InVigilia SS. Vit! Modesti et Grescentiae
martyrum.
39. Von unser frauen Marien lob, geticht genant die guldin Arch,
Heinrich hunder Pfundts n 41.
40. Vom chenferen (?) von Orient w 6.
Für diese Mittheilungen über Inhalt und Zeit der Abfassung von
N sind wir Fernberg zu großem Danke verpflichtet: wir erhalten
dadurch werthvolle Anhaltspunkte für die Beurtheilung von C,
aber auch von B. Denn wem fiele nicht gleich bei der Leetüre der
ersten Nummer dieses Inhaltsverzeichnisses der Titel ein, welchen
Enenkel (vgl. S. 233"f.) B vorangestellt hat? Der Anfang des-
selben: „Dises Heldenbuech oder beschreibung XX. Oesterreichischer
umb die 1300. 1330. 1350 1380 berümbten beiden Ritterlicher Thatten
Ist abgenommen'' u. s. w. führt nur umständlicher aus^ was
*) Vgl. Germania 3. Bd., S. SOS^-SIS und K. Bartsch, Meisterlieder der
Kolmarer Handschrift, Stattgart 1862, S. 182, 192—198 und 628. Bartsch' aus den
Reimen erschlossene Annahme, Härder habe noch dem 14. Jahrhunderte
angehört, findet darch Nr. 32 des Inhaltsverzeichnisses volle Be-
stätignng. Härder kommt auch in der Wiltener Meistersänger-Hs. vor, ferner in
der von K. J. S ehr ö er im zweiten Bande der Germanistischen Studien (von K. Bartsch,
1875), S. 206 ff. behandelten, in der Privatbibliothek des Kaisers von Österreich be-
findlichen Meistersänger-Hs. ans Steier.
OEBMANIA. Nene Reihe. XXII. (XXXIT.) Jahrg. 21
314 FRANZ KRÄTOCHWIL
die erste Nummer dieses Inhaltsverzeichnisses kurz sagt.
Was Enenkel nnter diesem Titel lieferte, ist nun bekannt Aber schon
1827 schrieb P, ohne irgend eine Ahnung von B gehabt zu haben,
in der Einleitung seiner Ausgabe pag. LI über den'Anfang des Inhalts-
verzeichnisses: n^ie erste Nummer mit den Heldenthaten
zwanzig österreichischer Bitter ist offenbar die Samm-
lung historischer Gedichte unseres Suchenwirt, welche ..••,
wenngleich nicht mit Suchenwirt's Namen bezeichnet, doch durch
unverkennbare Ähnlichkeit der Sprache sowie durch Andeutung eines
Zeitgenossen, der Suchen wirt als den Dichter von denWappen
rühmt, ihren Verfasser bestimmt genug verrathen.^ Es ist somit
kein Zweifel, daß B und C aus derselben Quelle geflossen
sind*).
Auch die (schon S. 242 beregte) Dissonanz zwischen den ein-
undzwanzig Gedichten von B und Enenkel's Titel, der von zwanzig
Helden spricht, erhält ihre Lösung: er fand eben den Fehler
schon in der ersten Überschrift von N. Dieser Fehler entstand
offenbar zu einer Zeit, als N bereits schadhaft geworden war. Ein
flüchtiger Leser, der die gefeierten Helden zusammenzählen wollte,
mag, der Lücke am Ende des Gedichtes auf den jungen Ellerbach
und zu Beginn der Rede von Kreuspeck nicht achtend, über das
erste, gleich zu Anfang mangelhafte Gedicht diesen zusammenfassen-
den, aber mit der Zahl der gefeierten Helden nicht übereinstimmen-
den Titel geschrieben haben«
Dazu stimmt, daß keines von den 21 Gedichten, welche
B bringt, in den späteren Nummern des Inhaltsverzeich-
nisses von N erscheint. Die Nummern 3 und 15 in B lassen
sich dagegen nicht anführen, denn erstere verherrlichet den lebenden,
letztere den bereits verstorbenen Herzog Albrecht II. von Österreich,
^) Dazu stimmt auch die räumliche Ausdehnung yon EnenkePs
Abschrift und der ersten Nummer in N. Allerdings umfaßt erstere 60, letztere
66 Seiten; vergleicht man aber die den einzelnen Gedichten in N beigefügten An-
gaben über ihren Umfang mit dem Eaume, den sie in A, C u. s. w. einnehmen, so
ergibt sich die Noth wendigkeit, daß in N auf eine Seite durchschnittlich 76 Verse
(wahrscheinlich in zwei Spalten yertheilt) kamen. B hingegen hi^t auf jeder Seite
ungefähr 100 Verse; demnach kämen auf B 5000 Verse, auf die erste Nummer
von N 6016. — Daß in Wirklichkeit auf dem von B eingenommenen Räume nicht
viel über 4800 Verse, somit um fast 200 Verse weniger stehen, ist nicht befremdend,
da ja die Überschriften der Gedichte in großer Schrift gegeben sind und zwischen
dem Schluß der einen und der Überschrift der nachfolgenden Rede häufig Raum frei
gelassen wurde.
ÜBER DEN OEQENWlBTIOEN STAND DER SUCHEN WIRT-H88. 315
Nr. 27 des Inhaltsverzeichnisses von N dagegen enthält einen lobenden
Nachraf an Herzog Älbrecht IIL von Österreich.
Wenn überdies Enenkel sagt, daß in seiner Vorlage außerdem
„noch andere mehr Poetische beschreibung oder getichte, samt ein-
gemischten historien von Oesterreichen Sach" zu finden seien, so
stimmt das zu den folgenden Nummern des Inhaltsver-
zeichnisses von N so vollkommen wie seine Angabe, das
alt buech, welches ihm 1625 zur Benützung überlassen
worden, sei vor 200 Jahren geschrieben worden, mit der
in Nr. 38 d'es Inhaltsverzeichnisses beigefügten Zeit-
bestimmung, welche N in das Jahr 1402 setzt.
Durch EnenkeFs Bemerkung, die Handschrift gehöre dem Wolf
Christoph Velderndorfer zum Neidenstein, wird es erklär-
lich, daß bei der geringen Ortlichen Entfernung Enenkel leicht mit
dem Hause Velderndorf verkehren und so auf die werthvolle Hand-
schrift aufmerksam werden konnte. Vorausgesetzt, daß nicht ohnehin
schon freundschaftliche Verhältnisse auch zwischen Fernberg und
Velderndorf bestanden, konnten diese unschwer durch Enenkel her-
gestellt werden. Man muß sich gegenwärtig halten, daß zwischen
den Häusern Enenkel und Fernberg enge Beziehungen
schon lange herrschten. Besonders gilt dies zur Zeit des
JobHartmann Enenkel, der an allen Vorfällen des Hauses
Fernberg den regsten Antheil nahm*).
So konnte Fernberg das „alte buech" benutzen, und er that
es auch. Fernberg besorgte nicht nur von Nr. 1 eine Ab-
schrift, sondern auch von den Nummern 6 — 9, 17 — 19, 20 (aber
nur vom zweiten Theil), 22, 23 und 27. Wäre uns erstere er-
halten, so besäßen wir durch ihn allein 31 Abschriften
von Suchenwirt's Gedichten, deren N im Ganzen 50 ent-
hielt«).
*) So dichtet Enenkel 1693 „Phaleucium scriptum funeri Jani Fernbergii
Aastriaci** und 1597 Epitapbia duo in Georgium Cristophorum a Fernberg
(vgl. die Handschrift der Wiener Hofbibliothek 10100, Nr. 21 u. 25).
') Diese Zahl erhält man, da die erste Nummer 21, die dritte 3 Gedichte um-
faßt; letztere sind die in A als Nummer 4, 7 und 26 an geführten Gedichte: „Die
Rede von der Minne**, „Die Minne vor Gericht" und „Der Minne Schlaf**. — Doch
enthält N nicht alle Dichtungen Suchenwirt's, wie P in der Einleitung pag. XLIX
seiner Ausgabe angibt, denn es fehlt nicht nur Nr. 42 von A; Eqniuocum, sondern
auch das letzte Gedicht in P: Gar ain Schöne Bede uon der Liebin vnd der
SchoniU) wie sie kriegten mitt ainander.
21*
316 FRANZ KRATOCHWIL
Glücklicherweise besitzen wir Enenkel's Aufzeichnung. B und C,
welche durch eng befreundete Männer nahezu um die
gleiche Zeit aus derselben Quelle entstanden, repräsen-
tieren mehr als drei Fünftheile der Suchenwirtischen
Dichtungen in N^ sie ergänzen sich zu einer Abschrift,
zu einer im Ganzen ziemlich treuen Copie eines großen
Theiles von N, einer Handschrift, die nicht nur durch
ihren reichen Inhalt und die Güte der Überlieferung
hohen Werth besaß; sondern auch dadurch, daß ihre Ab-
fassung den letzten Lebenstagen Suchenwirt's nicht
ferne war.
V. s-
Dem 15. Jahrhunderte angehörig, aber jünger als N
i s t s, eine Papierhandschrift in Quart, Eigenthum des n. ö. Benedictiner-
stiftes Seitenstetten, wo sie die Nr. 286 führt. Herrn G. Friess,
Professor am dortigen Gymnasium, verdanke ich es, daß ich dieselbe
in meiner Wohnung bequem benutzen konnte.
Die Handschrift ist durch dicke, auswendig mit Leder überzogene
Holzdeckel geschützt, welche durch zwei Schließen zusammengehalten
werden. In das Leder sind auf beiden Deckeln je sechs Vierecke
gepreßt, welche ein Thier mit steinbockartigem Kopf und vorge-
streckter Zunge, eigenthümlichen Pranken und geringeltem Schweife
umgeben. Inwendig sind beide Deckel mit beschriebenem Pergament
beklebt. Die Handschrift stammt von verschiedenen Händen.
Sie enthält: 1. Homiliae variorum Doctorum; 2. Legenda trium
Magorum; 3. Aelredi tractatus de Jesu duodenni; 4. Exegetica V.
et N. Testamenti; 6. Carmen de Equite Chreu^pekchn (idio-
mate teutonico) et de laude mulierum: Da^ ist der vrawen lob^);
6. Jacobi de Cessolis^) liber Schachorum; 7. Theologica miscellanea
cum paraphrasi orationis Dominicae und 8. Stella clericorum.
Mehrere Blätter sind unbeschrieben, so vor Suchen wirt's
Gedicht, das so ziemlich in der Mitte des dicken, nicht
paginierten Codex auf sechs und einer halben Seite steht
') Anfang: Wa^ hoher wird und ere Qot hat geleit an raine weib,
Ende: Wai; slaffet oder wachet darob ewebt eins weibe$ nam
die vorcht hat und schäm.
Es Bind drei Strophen; ygl. Altdeutsche Blätter von Hanpt nnd Ho ff mann 1, 383
und E. Bartsch, Meisterlieder S. 486—487 u. 693.
') Französischer Dominikaner am Ende des 13. nnd zu Anfang des t4. Jahrhs.
ÜBEß DKN GEGENWÄRTIGEN STAND DEK SUCHENWIBT-HSS. 317
Hier ist kein Buchstabe roth, nicht einmal die Überschrift Die Verse,
ungeflthr fünfzig auf jeder Seite, sind fortlaufend geschrieben, aber
von einander meist durch zwei schiefe Striche (^) getrennt; sie be-
ginnen bald mit großen, bald mit kleinen Buchstaben.
Die Schrift ist der in A sehr ähnlich, doch gebraucht der
Schreiber im Anlaute nur z (t^), wo A es oder tz hat Die gewöhn-
liche Form der Haken ist *, sehr selten begegnet ^ und ', nur
einmal ^^ (V. 298 zypper)] über y steht meistens ein Punkt Die
Verwendung der Haken entspricht ganz der in A; dasselbe
gilt vom Gebrauche der Abkürzungszeichen; nam = namen
erinnert an den 18. Schreiber in A (vgl. S. 212), hingegen ist ^ =
eich (V. 202 vlei;!^ichl^) neu.
Auch die Sprachformen sind dieselben wie in A, doch
findet sich in s immer edeln (A edlen), meist die, wo A dt oder dy^
ze, wo A CSU, oder czu hat; auch zeigt sich häufig Neigung w f\Xv h
zu setzen, besonders im Präfix he-, hingegen erscheint nur zweimal
h für wi 308 siben bürgen und 322 gebert Fast ausnahmslos hat s
(in Übereinstimmung mit B) da (A do), auch sonst läßt sich oftmals
Übergang von o in a beachten: 14 warten, 215 erbarben, 13 und 317
wa, 165 dach (A doch). Letzteres läßt auf alemannischen Dialect
schließen (vgl. Weinhold, Alem. Gr. §. 11) [Nein! O. B.]. Dasselbe
gilt von dem fast durchstehenden Gebrauche des ouch (Weinhold a. a. O.
§. 51) und folgenden vereinzelten Stellen: 17 schumpfentum : gestivm
und 117 schumpfetwr (Verengung von tu zu w, a. a. O. §. 47), 339
stitvr : kobertiwr und 352 getiwrten (B getewrten, A getewerten, a. a. O.
§. 61 und 67), 139 prises (i = ei, a. a. O. §. 57), 236 schale (Nom.
masc, a. a. O. §. 20). Weniger Gewicht lege ich auf henegow : pow
V. 279 (a. a. O. §. 70) und auf einige Fälle von Widerstand gegen
den Umlaut: 6 wurd, 7 Österreich und (wie in B) fast immer /t«n/ (a. a. O.
§. 29), aber in Verbindung mit den übrigen Erscheinungen sind sie nicht
ohne Bedeutung; ebensowenig 351 der Imperativ vmnschent (a. a. O.
§. 342) und 332 ich tun bechant (a. a. O. §. 354). Die Form tuon ist
in der 1. Person sing. ind. des Präsens bei Suchenwirt allerdings sehr
häufig, aber vor der Partikel be- gebraucht er jedesmal tuo (tus), vgl. K
III, §. 63.
An 15 Stellen (vgl. die Lesarten von s in P S. 157 f.) lauten
die Orts- und Ländernamen in s mehr oder minder abweichend
von A; vielleicht ist Einzelnes auf Schreibfehler zurückzuführen,
so 47 pabat (da 66 das richtige past steht) , wahrscheinlich auch 20
318 FRANZ KRATOCHWIL
gestel, wohl aber nicht in demselben Verse 'purm^) (: dürm, A Goppel,
Prünn : dünn).
Es ist möglich, daß ein österreichischer Schreiber s nach
einer alemannischen Vorlage schrieb uod Einzelnes daraus (viel-
leicht weil unverstanden) im alemannischen Dialect wiedergab, aber
der fast durchstehende Gebrauch des oibch macht es mir wahrschein-
licher, daß 8 ein Alemanne geschrieben, der durch langen
Aufenthalt in Österreich (Seitenstetten?) der Österreichischen Sprache
mächtig war, dem aber unwillkürlich beim Abschreiben seiner öster-
reichischen Vorlage manches Alemannische in die Feder floß.
Ob diese Vorlage A oder N war, läßt sich nicht entscheiden.
Allerdings stimmen die Abweichungen der Handschrift s
von A vielfach mit B, öfter geradezu überraschend; so ist
ein Drittheil der oben beregten Orts- und Ländernamen in s und B
gleich (V. 64, 89, 186, 238 [Norwegen] und 248), aber daneben
bestehen denn doch solche Unterschiede zwischen s und B,
daß die Annahme, s sei aus N geflossen (natürlich bevor dort die
Rede auf Kreuspeck verstümmelt worden), wieder etwas wankend
wird. Jedenfalls ist der Text von s dem von B (in Bezug auf
Kreuspeck) vorzuziehen, denn s ist der alten Schreibweise getreu
und von Schreibfehlern freier als B.
Solcher (35 eren iperriy 241 Egelhnt u. s. w.) kommen in s acht
vor, außerdem fehlt 278 ein in, 342 er und wohl durch Schuld des
Schreibers die Verse 220—225. — Verderbt sind nur wenig Stellen:
215, 218, 241, 332 (vgl. P S. 157 f.) und 166 da? (A des); hingegen
erscheint der Rhythmu s einigemal gestört durch volle Formen (statt
der apokopierten und synkopierten in A) : 4 und 74 hertze, 31 veste,
bZnamen, 181 gewalt, Idßbehib, 2i6hai^:;et] noch mehr durch 22 Fälle
von Apokopen*) und 12 Synkopen^), die in A nicht vorkommen.
') Ist es vielleicht durch Umstellang des r und unechtes m für n am Ende
(a. a. O. §. 197 u. 168) aus Prünn zu erklären und dürm aus dünn durch Einschie-
bung eines unechten r (a. a. 0. §. 197) und Entwickelung eines unechten m am Ende?
Oder steht es für dümin (Lexer I, S. 496): er machte der Feinde Freude zu
Dornen? Oder für türm aus türmen = türmein schwindeln, taumeln (Lexer II, S. 1682)?
Vgl. M. J. Chr. von Schmid, Schwab. Wörterbuch, zweite Ausgabe (1844), 8, 149.
') P gibt nur an 90 undj 112 havf, 141 volchom^n und 182 tag^ die übrigen
sind: IS freiond^ 19 veind frawd^ 27 ganiZy 73 und 97 veinty 110 ra/nt, 119 gro:^^,
143 «eW, 146 tümyrt, 15S flucht, 166 u. 211 rüteraehefl, 197 taegleich, 263 land, 265
auf der ainn vert : hert, 334 golt und 347 ad»
^) Da P in den Lesarten nur 178 Katreyn anführt, gebe ich die übrigen an:
65 Streits, 97 taün : maün, 131 stvrms, 136 stürmt, 159 geschrim, 189 halbs^ 191 atnn,
330 gots und 348 rosenvarbs.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SÜCHENWIRT-HSS. 319
Wenn auch nach dem Gesagten s, trotzdem diese Handschrift
nach Schrift und Sprache nicht viel jünger als A ist, nicht auf
gleiche Stufe mit A zu setzen ist, so ist sie doch immerhin
eine gute Handschrift: sie liefert an nahezu 20 Stellen
mehr oder minder erhebliche Verbesserungen zu A.
VI. h^
Von weit minderem Belang für die Textkritik ist h^,
Papierhandschrift Nr. 182 (vormals 355) in Quart, der Universitäts-
Bibliothek in Heidelberg gehörig. Dankbar erwähne ich, daß der
damalige Bibliothekar, Herr Dr. Ben der , mit Bewilligung des groß-
herzoglichen badischen Ministeriums des Innern diesen Codex sowie
h' und h^ mit großer Bereitwilligkeit nach Wien zur Benützung auf der
k. k. Hofbibliothek übersandt hat.
Alle drei gehören zu jenen Handschriften, welche
1622 aus der kurpfälzischen Bibliothek nach Bom gewan-
dert sind. Als man 1815 von Frankreich die geraubten Kunst*
schätze, Handschriften und werthvollen Bücher zurückverlangte, wollte
auch Rom jene 500 Manuscripte (darunter 38 pfälzische), welche es
im Frieden von Tolentino (19. Februar 1797) an Frankreich abtreten
mußte, zurückbekommen. Durch Unterstützung der Verbündeten gelang
dies Rom vollständig, weßhalb die Curie das Ansuchen', die 38 pfäl-
zischen Handschriften Heidelberg zu überlassen, 1816 bereitwillig
erfüllte. Die Hoffnung jedoch, Rom, das durch die Verbündeten so
viele äußerst werthvoUe Handschriften zurückerhalten, werde auch
der weiteren Bitte, den andern Theil der pfälzischen Bibliothek der
Universität Heidelberg zurückzugeben, willfahren, war trügerisch:
nur die deutschen Handschriften und einige andere, zusammen 890,
wurden restituiert (vgl. Friedrich Wilken, Geschichte der Bildung,
Beraubung und Vernichtung der alten heidelbergischen Bücher-
sammlungen. Nebst einem meist beschreibenden Verzeichnisse der
im Jahre 1816 vom Papste Pius VII. der Universität Heidelberg zurück-
gegebenen Handschriften. Heidelberg 1817).
Das Äußere von h^ ist sehr schön; die beiden durch Schließen
zusammengehaltenen Deckel sind mit gepreßtem braunen Leder über-
zogen und an den Ecken beschlagen. Der vordere Deckel zeigt
Otto Heinrichs Bildniß in Gold; zu Häupten steht 0. if., unten
P. G. und die Zahl 1558.
Die Handschrift zählt 161 beschriebene und fünf unbeschriebene
Blätter und enthält fc ^—12'' Suchenwirt' s Räthe des Aristo-
320 FRANZ KRATOCHWIL
teles; von sonstigen Stücken erwähne ich f. 19 — 23* Dcls güldin
jar von Hans Zukunft und f. 28* — 114* Dichtungen von Meister
Altswert und zwar: Die Minnennot — f. 33**, der Kittel — f. 74, der
Schatz {ettliche Reimen von dem bwlen) f. 75 — 106* (1469 Verse) und
der Spiegel (366 Verse) f. 106*^—114*. Vergib Karl Bartsch: Die alt-
deutschen Handschriften der Universitäts-Bibliothek in Heidelberg.
Heidelberg 1887, S. 103 f.
Suchenwirt's Gedicht trägt die lange Überschrift: Hienach stett
geschriben vne der wifi arütotteUe:; Sinem herren Dem g^^osaem Icüng al-
lexandem sin getrüwm Sät wisß vnd ler hinder ihm geschiben ließ als
er von dieser weit scheiden müst <t — Jede Seite hat nur eine Columne,
diese besteht aus ungefähr 20 Versen; jeder ist abgesetzt und
beginnt mit einem großen, roth durchstrichenen Buch-
staben. Die Schrift ist gothisch, weicht von der in Ä ziem-
lich stark ab (so durch die jS), weist aber noch in das 15. Jahr-
hundert. Abkürzungen (durch "^ und ~ gegeben) begegnen nicht
häufig, Unterscheidungszeichen im Texte gar nicht. Die ge-
wöhnlichste Form des Hakens ist ', daneben ' (so immer kung)y
^ ", seltener ^ und vereinzelt * (241 schüchen = schiuhen). Sie werden
nicht nur zur Bezeichnung der Vocale (auch in der Flexion: 321 bübh
u. ö.), sondern auch der Halbdiphthonge verwendet; aber während
in A am seltensten die aus a entstandenen Halbdiphthonge begegneten
(vgl. S. 215), sind sie hier die zahlreichsten (341 zwar, 475 uff der
wäge, 431 rät ich, 310 disaem rät (ebenso 31 u. o.), 312 an m^nger statt,
52 eläffen (: schaffen). Svarabhakti (durch e, i oder Haken aus-
gedrückt) finden sich nicht.
Was ich in S als vereinzelte Spuren des alemanni-
schen Dialectes bezeichnete, findet sich hier ganz all-
gemein; überdies fast durchgehends au = ä 261 schlauff, A slaff^
305 hatU, A hat (vgl. Weinhold, Alemann. Grammatik §. 52), ie = e
in 244 niemen und 298 niem (a. a. O. §. 64), immer och^ frowt (verb.)
und frod (subst.), 116 der löff (A lauff), 257 höpt (A haubt)^ vgl. a.
a. O. §. 42 und 45; immer ü = au (43 tusent, 114 vff^ a. a. O. §. 51);
513 vrner und 433 numer (a. a. O. §. 32).
Immer hriß (a. a. O. §. 153 und 189 Ende); s in den Verbin-
dungen sp, sw, sty sl, sm und sn wird im Anlaut zu seh (4 verschwinden
u. 8. w., a. a. O. §. 190) ;" Einschiebung von n (a. a. O. §. 201) erscheint
74, 359 geschenhen : gesenhen und 292 senhent (3. Person pl. praes.),
142 begegnet mornentz (A morgen, a. a. O. §. 277). Vortritt eines un-
echten h (a. a. O. §. 230) zeigt sich in der Vorsilbe er- (184, 502 her-
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 321
barmen, 395 herfindeuj 396 herkennenj 499 herwerben), neben nikt er-
scheint meistens nit (a. a. O. §. 322).
In der 2. Person pl. des Präsens ist das Fehlen des t fast all-
gemein, selbst im Reime ^ so 410 ir haben : die knaben, ähnlich 437
(a. a. O. §. 342) ; in der 3. sing. ind. präs. und im Plural des Imperativ
zeigt es sich nur vereinzelt (267 krengk, 374 gedenck ir heisren, a. a. O.
§. 341), desgl. der Abfall des n im Infinitiv (118 trure^ a. a. O.
§. 370). In 17 erscheint bereits die Form schrieb (A hat noch schraibj
a. a. O. §. 333). Von sin finden sich die Conjunctivformen: 109 sigst^
153 65 sie, 294 si sigent (a. a. O. §. 353), von suln 214 sulst (a. a. O.
§. 379). V. 32 hat A sew, h' sie (Accus, pl. masc, a. a. O. §. 416);
durchgängig schreibt h* disse, disses usw. (a. a. O. §. 191) ; das starke
Adjectiv endet im Plural des Accus, neutr. auf u = ü (241 sehnödu
u)ip, a. a. O. §. 424) ; stets begegnet menk (A 104 manik) , 35 mengem
u. 8. w.
Zu dem jüngeren Alter der Handschrift stimmen nicht nur die
graphischen und sprachlichen Verhältnisse, sondern auch die Ver-
wilderung des Versbaues, h* zeigt bis V. 314 zahlreiche Ab-
weichungen, weniger durch Umstellung und Auslassung als durch
Einschiebung von Wörtern herbeigeführt. Häufig sind derlei
Änderungen überflüssig, nicht selten dem Satz- oder Versbau sogar
schädlich, aber aus Allem macht sich doch das Bestreben be-
merkbar, dem Verse einen jambischen oder anapästischen
Anfang zu geben*), „eine Rücksicht", von der P in seiner Aus-
gabe S. 163 in den Lesarten zu XXXVIII sagt, „daß sie dem Dichter
gewiß fremd war". — Diese Behauptung ist vollständig falsch, denn
eine genaue Beobachtung der Suchenwirtischen Verse zeigt, daß
das Verhältniß der mit Auftact beginnenden zu den tro-
chäisch anfangenden Versen durchschnittlich wie 10:1 ist.
Es wäre somit die in h* sich kundgebende Tendenz dem Dichter gerecht
zu nennen ; nur darf dies nicht so aufgefaßt werden, als ob Suchenwirt
nur Verse mit Auftact gedichtet hätte, oder gar vielleicht lauter rein
jambische nach unserer Auffassung. Dieser entsprechen übrigens die
Verse in h* gewiß in sehr vielen Fällen auch nicht.
So findet sich als Auftact häufig verwendet küng, und (137, 150,
245, 295 u. s. w.), so (146, 236), wenn (187 u. ö.), denn (211, 239 u. s. w.),
vil (222) und dergleichen mehr, im Innern eingeschoben, um Auftact
') Vgl. über die Bedeutung des AuftactQS in dieser ^eit Bartsch, Meisterliede^
S. 166.
322 FRANZ KBATOCHWIL
zu erhalten, och (41, 241, 242 u. s. w.), all (249), dick (275) u. a. w.
Mehrere dieser Änderungen (so in 150, 222, 236, 239, 241, 275)
sind gut und ohne Bedenken in eine neue Ausgabe auf-
zunehmen. Zu verwerfen sind sie, wenn dadurch Verse mit vier
Hebungen und klingendem Schluß entstehen
(wie 158: Und hör wa^ ich dir furha:^ schreibe^
168: mit leib und och mit gut nü schawCy
254, 264, 274, 288 u. ö.), mehr als vier Hebungen, mehrsilbiger Auf-
tact oder gar Mehr eres zugleich, z. B.
65: küng biß erengitig und rechter miUy
89: Aller bübischen wiß der hiß du gram,
93: Den armen und die sin notdurfftig sind,
208: Gerechtichait die trag in dinem munt, •
273: Und halt dich als ain kung und herre sol,
297: 0 herre Allexander ich hab sorg u. s. w.
Denn in 304 ist wohl auf einen Irrthum zurückzuführen, denn der
Vers bekommt dadurch trochäischen Anfang.
Aus Willkür oder durch Versehen wurden häufig
auch Wörter weggelassen; nicht selten entstanden dadurch Verse
mit nur drein Hebungen und stumpfem Schluß (118 fehlt vam, 120
geren, ISO paide^ 114, 178, 281 u. s.w.), desgleichen durch Contraction
der vollen Formen des unbestimmten Artikels und des Possessivpro-
nomens. Sicherlich ist es nur ein Versehen, wenn 179 du fehlt oder
203 vil, denn diese Verse bekommen dadurch trochäischen Rhythmus,
dem der Schreiber abgeneigt ist. Man sieht, dieser kennt für
Verse mit stumpfem und klingendem Schluß keinenUnter-
schied in der Anzahl der Hebungen.
In den Reimen begegnet nicht viel Auffälliges; einige Unge-
nauigkeiten kommen vor, so 98 pflichten : gericht, 109 sigst : frist,
133 kamen ifrömen, 321 wiß : brissen, 330 verniem : ungestem, 422 fro-
men : vemumen, 435 enden : erkennen. Nach den Versen 314 und 320
zeigt sich Reimstörung und zwar keineswegs zufällig. Während
das Gedicht in A 352 Verse hat, zählt es in h^ fünfhundert-
fünfzehn. Bis 314, also bis gegen den Schluß der eigentlichen
Räthe des Aristoteles (diese enden in A mit V. 324), ist zwischen A
und h^ wenigstens eine leidliche Übereinstimmung, die allerdings um
so kleiner wird, je weiter das Gedicht fortschreitet. So folgen in h*
nach V. 111 drei eingeschobene Verse (vgl, P S. 164, nur sind
die dort angegebenen Verszahlen unrichtig), dann geht es mit V. 112
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER 8UCHENWIRT-HS8. 323
von A weiter; ganze Verse, wenn auch dem Sinne nach verwandt,
lauten anders als in A:
A 140: It Zungen die chan pieten schock
h^ 140: Ir munt der stifftet mein und ach^
ebenso 171, 172, 200, 229, 249, 250, 253, 264, 260, 265, 309—311.
Man sieht daraus, wie Haltaus in der Einleitung zum Liederbuche
der Hätzlerin pag. XXXIII sagt, daß die Gedichte jener Zeit von den
Abschreibern oder Dichterlingen völlig paraphrasiert wurden.
Recht anschaulich wird dies vom V. 314 ab; obwohl in h^ noch
ttber 200 Verse folgen (vgl. P S. 165—168), umfaßt dieser Theil in-
haltlich doch nicht mehr als in A die Verse 315 — 324; hier hört
der Parallelismus zwischen A und h^ .auf. Dieser Theil ist
wahrhaft holperig; einigemal (V. 446 und 464) wird die in diesem
Gedichte eingehaltene gekreuzte Reimstellung verlassen. Es ist ein
ewiges Wiederkäuen eines und desselben Gedankens, oft in den plat-
testen Ausdrücken, das Ganze ein elendes Machwerk. Es wird
einem ekel, den Aristoteles durch 200 Verse so erbärmlich winseln
zu hören. Um dieser geistlosen Reimerei willen müssen wir auf die
Schlußverse von A (325 — 352), in welchen Suchenwirt die Zeit der
Abfassung und das secret secretoimm ^) als seine Quelle angibt , auf
König Wenzels Gefangennahme hinweist und seine Autorschaft be-
zeugt, verzichten.
Trotz aller dieser Abweichungen und einiger sinnlosen Stellen
(V. 16 der farw, 102 zweimal die filr dich, 67, 106, 251) könnte h*
aus A geflossen sein, doch ist es nicht wahrscheinlich. Für die
Herstellung des Textes liefert diese Handschrift ') bloß
unbedeutende Besserungen und dies nur an wenigen
Stellen.
*) Vgl. W. Toischer, Aristotilis Heimlichkeit. Separatabdruck aus dem Jahres-
berichte des k. k. Gymnasiums zu Wiener-Neustadt 1882. VI und 42 S. 8^, und yon
demselben: Die altdeutschen Bearbeitungen der pseudo-aristoteliscben Secreta-secreto-
rum. Separatabdruck aus dem Jahresberichte des k. k. Gymnasiums Prag-Neustadt
1884. 36 S. Vgl. noch S. 91 f. im 11. Bande des Anzeigers fttr deutsches Alterthum
und deutsche Literatur (1886).
'} S. 167 der Nachrichten von altdeutschen Gedichten, welche aus der Heidel-
bergischen Bibliothek in die Vatieanische gekommen sind (Königsberg 1796), sagt
Friedrich Adelung bei Besprechung unserer Handschrift, daß von den Räthen
des Aristoteles eine Abschrift zu Straßburg sich befinde. Auf eine diesbezügliche
Anfrage hatte der dortige Oberbibliothekar Herr Professor Barack die Güte, mir
zu antworten, daß von dieser Abschrift — falls Adelung*s Angabe überhaupt richtig
war — derzeit keine Spnr vorhanden ist.
324 FRANZ KRATOCHWIL
VIL h^
Ein wenig besser steht es mit h', der Papierhandschrift
Nr. 215 (vormals 393) in Quart aus dem 15. Jahrhunderte, Eigen-
thum der Heidelberger Üniversitäts-Bibliothek. Auf dem Rtlcken
des in Pergament gebundenen Codex steht: Poema in laudem Dei et
B, Virginia. 88 Blätter sind beschrieben^ 9 unbeschrieben. Von den
12 Stücken, welche die Handschrift enthält (vgl. Wilken a. a. O. S. 463
und [Friedr. Adelung, Fortgesetzte Nachrichten von Heidelbergischen
Handschriften in der Vaticanischen Biblioiihek, Königsberg 1799,
S. 305—309] Bartsch a. a. O. S. 128 f.) ist das erste das jüngste
Gericht^) von Suchenwirt f. 1* — 4^ Das neunte mit der Über-
schrift (roth): Der mynne gericht (Bl. 60 — 65), ein Gedicht von 222
Versen, beginnend:
Do der summer was da hin
Vnd da des winter vngewin
Wolt pringen den Main vogelin
und mit den Schluß versen :
Vrhh mir da gegeben ward
Vnd ließ die andern all clagen
Aber man sol der liehen von mir sagen
Rieht sie sich nit myt mir von dem tag
Das ich es fürbaß clagen mag
nahm P im 14. Bande der Wiener Jahrbücher der Literatur (Anzeige-
blatt S. 51) ebenfalls für Suchenwirt in Anspruch. Es hat
aber mit allen bei einer Vergleichung hier in Betracht kommenden
Gedichten Suchenwirt's: Bede von der Minne (124 V.), die Minne vor
Gericht (342 V.), die schöne Abenteuer (372 V.), der Widertail (364 V.)
und der Minne Schlaf (266 V.) nicht einmal entfernte Ähnlichkeit ^).
») Der Titel des Gedichtes fehlt in h*.
^) Auch nicht Der Minne Gericht (318 V.) im Liederbuche der Hätzlerin
Bl. 143''— 148* (in Haltaus' Ausgabe Nr. 65, S. 226 ff.) mit dem Anfange:
Ich atünd an ainem morgen frä
Uff in grosser vnrü,
Ende: Sag ditz allen guten weihen
Dm ay es in ir herlz achreiben
Vnd hüten sich vor diaer not
Sag jn daa aey mein ratt.
Dieses Gedicht ist gleich dem 12. Stücke in h' von Blatt 82 bis Ende, welches Wilken
(a. a. O. S. 463) unter dem Titel ,,Gespräch eines Gesellen mit einer Fran» die ihren
Ober den oeoenwIrtigen stand der suguenwirt-hss. 325
Auch nennt sich Saohenwirt darin nieht aU Autor. Offenbar hat P
sich eines Besseren besonnen, denn er nahm das Gedicht in seine
Aasgabe nicht auf, aber er widerrief dort auch nicht mit
einem Wörtchen seine früher in den Wiener Jahrbüchern gemachte
Behauptung. Sie ist daher wohl geeignet; Jemanden irrezufbhreii; der
die ganze Suchen wirt-Literatur durcharbeitet ^ um sämmtliche Hand-
schriften kennen zu lernen.
Das Gleiche gilt von dem Gedichte: Der em gerieht zwisehen der
gereehtygkeü vnd der minn und gewint die mtnn da^ recht von Bl. 72 — 78
der Heidelberger Handschrift Nr. 149 (vormals 314, vgl Bartsch
a. a. O. S. 72--75) mit dem Anfange:
Ich ereaeh an der selben Hund,
Ale ich fiocA awentür reyten begund
Durch da:^ hag ain enge tur
Da hett ich e geritten jur u. s. w.
Auch dieses Gedicht schrieb P. a. a. O. Suchenwirt zu, in
seiner Ausgabe aber lehnte er es stillschweigend ab; und zwar mit
Recht; denn wie mir der Herr Bibliothekar Dr. Bender freundlichst
mittheilte, stimmt es mit keinem Suchenwirtischen Gedichte ähnlichen
Inhaltes auch nur im Entferntesten überein; überdies nennt sich
Suchenwirt darin nicht. Nebenbei bemerke ich, daß P bei Anführung
dieses Gedichtes im Anzeigeblatt S. 51 sich auf Adelung's altdeutsche
Gedichte in Rom, ü; S. 313 und 316 bezieht. Dort macht aber
Adelung nirgends die leiseste Bemerkung, daß dieses
Gedicht von Suehenwirt herrühre.
Jede Seite bringt in einer ungespaltenen Columne ungefähr 24
Verse. Die Schrift ist der in A noch ähnlich, nicht schön, aber meist
deutlich. Was über die Schreibweise, die sprachlichen und
metrischen Verhältnisse in h^ gesagt wurde, gilt fast
ganz auch von h*.
Als Haken findet sich hier auch vereinzelt \ Bezeichnung von
Halbdiphthongen fiel mir nicht auf.
An einer Stelle: 25 eeehen : waschen zeigt sich unechter Umlaut
(Weinhold, Alemann. Gramm. §. 12 und 15) , dreimal Verdumpfung
von a zu 0 (a. a. O. §. 44) : 61 gon : underton und 66 on, je einmal i
in der Flexion (48 lidnn kind, a. a. O. §. 23), 011 = S (95 hxmch^ a. a.
Liebhaber kalt behandelt*' anfahrt, and von dem Adelang 11, S. 805 Anfang nnd
Ende gibt, die mit der Recension der Hätzlerin ziemlich gleichlantend sind. Vgl.
Bartsch a. a. O. S. 188 f.
326 FRANZ KBATOCHWIL
O. §.71) und o = u = ü (86 ir farehtend, a. a. O. §. 24 und 27), end-
lieh zweimal AuBstoßung von n (114 tuaet und 193 iug^^ a* a. O*
§. 200). — Sonst bieten die Beime wenig Bemerkenswerthes (31
nackt : krajßy 175 du verst : hatutt verzert)\ am meisten auffällig ist 105
du syegt : du leigt. Letzteres ist (wie 1 Ursprung : dink) ohne Zweifel
bloß Schreibfehler, da aber auch 2 weühait, 100 leyd (praes.), 3 durch-
faucht und 161 ungehewr vorkommt, so darf man diese Stellen als
Fingerzeig betrachten, daß dem Schreiber zur Abschrift eine Vorlage
im bairisch- österreichischen Dialecte diente, ans welcher durch Ver-
sehen einige Wörter ohne Anpassung an den alemannischen Lautstand
stehen blieben. — V. 172 fehlt ohne äußere Unterbrechung; dadurch
entsteht eine Beimstörung; daß V. 34 vor 33 kommt, hat auf den
Beim keinen Einfluß«
Die in h^ berührten metrischen Verhältnisse werden in h*
fast nur durch Umstellung und Einschiebung, nahezu gar nicht durch
Ausfall von Wörtern ^) herbeigefährt. Auch begegnen weit weniger
Apocopen und Sjncopen als in h^. Da zudem verhältnißmäßig nicht
so viele Verse paraphrasiert sind wie in h\ so schließt sich h*
auch inhaltlich mehr an A an: es ist nicht nur möglich,
sondern sogar wahrscheinlich, daß A zur Vorlage von h'
gedient hat.
Außer einigen Schreibfehlern (9 clare*y 60 dem, 116 jamers,
132 8chrit für schrib, wahrscheinlich 101 dem [nach richter, wenn nicht
dein = diu zu lesen ist] und 109 andrun) finden sich auch verderbte
Stellen: V. 4, 7, 92, 95, 122, 152 (vgl. darüber in P S. 169 die
Lesarten zam jüngsten Gericht) und 138 Wol gemut zu hymd var.
Diesen gegenüber bietet h' an nahezu zehn Stellen Besse-
rungen zu A.
vm. m't.
Suchenwirt's jüngstes Gericht kommt auch in m^ vor,
der Papierhandschrift Nr. 393 der königlichen Hof- und Staatsbiblio-
thek zu München. Der leider zu früh verstorbene Director dieser
Bibliothek, Dn Karl Halm, gestattete bereitwillig die Übersendung
dieser und vier anderer später zu besprechenden Codices nach Wien
zur Benützung auf der kaiserlichen Hof bibliothek.
m^ ist durch Holzdeckel, welche mit rothem gepreßten Leder
überzogen sind und ehemals durch zwei Schließen zusammengehalten
') Es fielen aas: 2 $ar^ 121 da, 187 du, 98 wie dann und 143 aelben -^ der.
Ober den gegenwärtigen stand der suchenwirt-hss. 327
waren ^ geschlitzt Die vier Ecken der Deckel sind beschlagen; der
Rücken trägt ein weißes Schild mit folgender Inschrift:
(Leonü Taich ehronieö)
Der geUtliche WcLgen,
Sibyllen Weissagung, etc.
Die Handschrift zählt 319 Blätter in Quart und enthält 13 Num-
mern verschiedenen Inhaltes, darunter Bl. 20—44 eine Chronik von
den Herzogen zu Baiem, Bl. 96 — 112^ den geistlichen Wagen
mit einer gereimten Vorrede des Suchenwirt, Bl. 127 — 136
Aristoteles' Lehr an Alexander (durchaus nicht identisch mit
Sachenwirt's gleichbetiteltem Gedichte) und Bl. 136 — 210 das größte
Stück der Handschrift, Bruder Philipps Marienleben.
Bl. 96* heißt es: Hie luht sich der geistlich wagen Vnd ist gar
nutz ze hören oder lesen dem menschen czue vnderweysung ( — BK 108^).
Das Ganze ist eine geistliche Allegorie, in der die vier Räder den
Tod, die Hölle, das Gericht (genau in dieser Ordnung!) und den
Himmel bedeuten, die zwei Gestelle die Betrachtung des Leidens
Christi und das Mitleid mit dem Menschen, die drei Pferde Glauben,
Hoffnung und Liebe; der Leiter aber ist Christus, die Deichsel stellt
die Gerechtigkeit vor. Den Schluß macht die Anrufung Gottes und
Marions. So der Gang dieses geschmacklosen, aber dem 15. Jahr-
hunderte sehr zusagenden ^) Machwerkes, das in Prosa abgefaßt, öfter
aber auch mit Reimen durchspickt und mit zahlreichen Belegstellen
aus Bibel und Kirchenvätern ausgestattet ist Der Verfasser nennt
sich nicht.
Daran schließt sich Bl. 109': Ein vorred diß geistlichen wagens
(roth). Dieses Stück entpuppte sich bald als Suchenwirt's
jüngstes Gericht^ nur beginnt es gleich mit V. 23:
0 (roth und groß) mensch gedenck das du pist.
Die Verse, ungefähr 27 auf jeder Seite, sind nicht abgesetzt, aber
häufig durch rothe Querstriche von einander geschieden, freilich oft
ganz fehlerhaft. Die Schrift ist weder schön noch deutlich, beson-
ders die r sind stark verschnörkelt. Doch gehört sie noch dem 15.
Jahrhunderte an; damit stimmt auch am Ende dieser vorred (Bl. 112')
die Bemerkung : L, T. Anno als man zaü nach christi gepurt
MCOCÖ'IXVIII jar an samb^tag nach Katherine virginis. Doch stammt
nicht der ganze Codex aus dem Jahre 1468, wie man nach dem
Katalog der deutschen Handschriften der königlichen Hof- und Staats-
') Unter Anderen hat auch Cod. germ. mon. Nr. 690 f. 244 — 352einen gaUtlich
Wagen.
328 FRANZ KRATOCHWIL
bibliothek zu München nach J. A. Schmeller's kürzerem Verzeich-
nisse, 1. Theil, München 1866, S. 63 annehmen muß, denn Bl. 131^ hat
Leonhard Taichstetter aus München, der Schreiber dieser
Handschrift, angemerkt: Anno Christi 1469 (roth) und Bl. 282"*:
geendt ä domini 1470.
Die Schreibweise weicht nicht unbedeutend von A ab; Haken
begegnen wenig und nur über u = uo, ue, ile und öfter auch über
einfachem u. In der Regel werden die Umlaute durch zwei neben-
oder übereinander gesetzte Punkte bezeichnet, nur selten (155 achafflifC)
mittelst Haken. Einmal findet sich durch e ausgedrückte Svarab-
hakti: 96 hören {: geporen). Abkürzungen werden äußerst selten
angewendet.
Sprachlich herrscht zwischen m^ und A Übereinstim-
mung. Sehr gerne gibt Taichstetter h zwischen zwein Vocalen durch
ch (vgl. Weinhold, Bair. Grammatik §. 183): 27 zacheren, 40 hocken,
74 zechen, und 134 gefiiechen, hingegen setzt er für nächsten im V. 62
(und so immer) nagsten^ 145 hat A zu der linkchen hant, h^ zu der
glinken hant, tq} zue der deneken hant (vgl. über das letzte Adjectiv
Schm eller, Bairisches Wörterbuch !•, S. 524 f.). 104 nemht (A nie-
mant, h^ niempt) ist wohl ungenaue Schreibung für niemht, — Etwas
auffällig — wie ein leiser Anklang an den alemannischen
Dialect — erscheint es, daß alle Adjectiva, welche in A auf -leich
endigen, in m^ auf -lieh ausgehen, ferner 43 «jtxln^Zin: t^^anjr^tn (a ist
nur ein Schreibfehler) und 155 schafflin (vgl. jedoch Weinhold a. a. O.
§. 19). Bei der großen Übereinstimmung, die dem Inhalte
nach zwischen m^ und h^ herrscht^), liegt nämlich die Ver-
muthung nahe, daß h' dem Taichstetter als Vorlage ge-
dient habe.
Damit stünde auch der verwilderte Versbau im Einklänge.
Er schreibt nicht nur nicht sorgfältig^), sondern er läßt einzelne
Wörter weg, z. B. 32 auch^ 61 du, 136 da^, 170 grimm, so daß dieser
stumpf schließende Vers nur drei Hebungen hat; 164 fehlt gar mit
allen teuf ein, so daß als Vers nur zwei Füße: ist berait übrig bleiben,
') Beide haben 33 Hhat» i BOtt ^ 62 hoffcart^ 63 leaua, 69 dir, 90 loMophat, 184
g^ieheUf 163 des, 169 da zu Anfang des Verses, 162 ewig vor fewr, 174 weder Tor
riUer, 180 gelrew, 181 dem zu Anfang des Verses; 94 aü nach miiex!^en, 131 «r nach
teuffei*, 143 fehlt der nach weg^
') 27 eele (: quel), 87 lewmbt (A lewt) , 67 mU zumen in (dadurch ReimstOmng)
für mit in ziimen, 141 wideretetUni heUe» Keime, wie den leteten, erklärt jedoch
Weinhold a, a. O. §. 167 aas dem durch Näselung bewirkten Abfall des n.
Ober den gegenwIrtiqen staih) der suchenwirt-hss. 329
54 fehlt ganz. Er Behaltet aber auch mit ebenso störender Wirkung
Wörter ein, so 35 auch , 66 und^ 80 doch nach stund ^ 90 selbs nach
da, 122 hat nach dich n. s. w. Die Verse werden dadurch ofk ttberftallt,
so lautet V. 75:
die nam und die wappen verswindent zu hant^
71 (soll vor 75 stehen!)
als 8y werdent dein ßrewnt des halt vil geschieht,
89: da^ er an dem jüngsten tag haben vnl u. s. w.
Paraphrasierte Verse finden sich wie in h' nicht häufig;
übrigens geht Taichstetter mit den Versen auch sonst willkttrlich
genug um; so lauten die Verse 104 und 105 in A:
Du hast auch niemant der da swer
Für dich da^ du unschuldig seist,
in m^: Du hast auch nembt, der da für dich swer
Dai^ du unschuldig seist;
in A 122 f. : Der plütvar swai^ fw dich geswitzt
Hat in seiner gro:^:^en not,
m^ setzt, wie früher für dich, jetzt hat aus 123 in V. 122, so daß 123
nur drei Hebungen mit stumpfem Schlüsse hat. In 166 läßt der
Schreiber das nicht am Ende weg (dadurch Störung des Reimes),
setzt es aber in den nächsten Vers, so daß dieser überfbUt wird.
Auch an sinnlosen Stellen fehlt es nicht. So sagt der
Dichter V. 73 — 76: Ganze Geschlechter vergehen, Namen und Wappen
schwinden so schnell, wie ein Gemälde an der Wand; statt des
letzten Gedankens * schreibt Taichstetter V. 76:
als da:^ mel an einer want!
V. 92 sagt A, bei dem jüngsten Gerichte sei es mit dem Glücke (A
saeld) der Ungerechten zu Ende; in m^ heißt es:
und aller ir solt ist gar verzert.
In 128 steht zweimal werdent (A wern) u, s. w.
Aus dem Ganzen ist ersichtlich, daß m^ der Hand-
schrift h^ sehr nahe steht, textkritisch aber noch gerin-
geren Werth besitzt als diese. Für den Text von A er-
geben sich aus m^ nur einige unbedeutende Besserungen.
IX. wf.
Zwei andere Sucfaenwirtische Gedichte religiösen Inhaltes finden
sich in w,* einer Papierhandscbrift des 15. Jahrhundertes Nr. 2969
(Novi 243) der k. k. Hofbibliothek in Wien (vgl. Ho ff mann von
aSRHANlA. N«u0 B«Ui« XXII. (XXXIY.) Jahrgr. 22
330 FRANZ KRATOCHWIL
Fallersleben^ Verzeichniß der altdeutschen Handschriften der k. k*
Hofbibliothek zu Wien, Leipzig 1841, S. 352 f.). Der Einband be-
steht aus dicken, auswendig mit Leder überzogenen Holzdeckebi;
innen sind dieselben zum Theil mit Pergament beklebt. Die Außen-
seiten zeigen Überreste von sehr schöner Pressung, aber das Leder
ist stark gebräunt, fast schwarz : das Buch scheint einem Brande aus-
gesetzt gewesen zu sein; noch jetzt wird man beim Befählen etwas
rußig. Die Schließe fehlt. Beim Einbinden wurden manche an den
Rändern einzelner Blätter angebrachte Bemerkungen durch das Be-
schneiden des Papiers verstümmelt. Nach dem 2. Bande der Tabulae
codicum, pag. 164 f., zählt die Handschrift 304 Blätter in Quart: es
sind aber 306; es sollte da, wo 20 und 110 geschrieben wurde, 21
und 112 stehen.
Über die Herkunft des Codex läßt sich vollkommen Sicheres
nicht angeben; gewiß aber entstand er in einem Kloster
(wahrscheinlich in Österreich). Dafür spricht der Inhalt.
Gleich das erste Stück (Bl. 1* — 192^) ist ein deutsches florilegium
asceticum. Daran reiht sich ( — Bl. 262^) die Summa virtutum da:^ ist
ein koch dei^ lugend (in diesem Theile kommen wiederholt Perga-
mentblätter vor); den Schluß des Buches machen zwei
Gedichte Suchenwirt' s. Das erste (fernerhin Nr. 1 benannt)
reicht von Bl. 269' — 274'; die Überschrift lautet: Da:^ sind Die czehen
pot vnsers herren; nach dem letzten Vers folgt in der nächsten
Zeile: amen amen amen. Bl. 274^ nimmt eine Federzeichnung ein:
sie stellt die h. Maria mit dem Jesusknaben und der h. Katharina
dar. Bl. 275' beginnt das zweite Gedicht (im Folgenden = Nr. 2)
mit dem Titel: Da? sind Die siben frewd unser lieben frown^ es reicht
bis Bl. 306\
Beide Überschriften sind mit rother Tinte geschrieben; die An-
fangsbuchstaben der Verse (meist über 20 auf einer Seite) sind
groß; die Initiale ist größer und ganz roth. Wie in Nr. 37 von A
(vgl. S. 210) sind in Nr. 1 und 2 von w auch andere Verse auf
gleiche Weise ausgezeichnet, wenn sie eine Bibelstelle oder einen
größeren Abschnitt beginnen. Auffällig genug sind es in Nr. 2
sehr häufig dieselben Verse wie in Nr. 37 von A. — Die in
der Begel sehr deutlichen Schriftzüge wie die ganze Schreib-
weise gemahnen an A. Als Haken werden gewöhnlich zwei
neben- oder schief übereinander stehende Punkte gebraucht, seltener
^ ^ und vereinzelt ' (2, 1134 chunig); i finden sich verhältnißmäßig
wenig; Halbdiphthonge werden seltener als in A durch Haken be-
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER 8ÜCHENWIRT-HSS. 331
zeichnet, Svarabhakti nur durch i ausgedrückt, begegnen aber häufig,
selbst inoi Reime.
Die etwas flüchtige Art des Schreibers zeigt sich in dem
häufigen Weglassen des I-Punktes sowie in dem Fehlen einzelner
Wörter, wodurch Sinn oder Rhythmus in Nr. 1 an acht, in 2 an
17 Stellen gestört und einige stumpf schließende Verse (1, 15, 57;
2, 709, 965) auf drei Hebungen reduciert werden. In 2, 1196 wurde
das Reimwort auf herren ganz vergessen, wie denn die übrigens nicht
zahlreichen Schreibfehler gerade in Reimen vorkommen (1, 112
vncheuseh^. : geteusche, 2, 23 florit : Suchenvnrt , 420 windl : chindel und
1384 rawen ipusaunen^ vngreyfleichait in 2, 252 halte ich für kein Ver-
sehen, sondern für absichtlich, freilich recht übel angebrachte Ände-
rung des Schreibers, hingegen beruhen zwei sinnlose Stellen in den
sieben Freuden (596 smekchen und 1312 daz) offenbar auf Schreib-
fehlern.
Die vielen u, we, o, für welche A ü, üe, ö oder oe schreibt,
möchte man auf den ersten Blick auch auf die Flüchtigkeit des
Schreibers zurückführen, sie sind aber vielmehr aus dessen Dialect
zu erklären; im Allgemeinen jedoch sind die sprachlichen
Unterschiede zwischen A und w gar nicht erheblich, w
liebt o = a und d; fast immer begegnet frowe (2, 1503 frowen : ge-
pawen)y wann (A wenn) und do; in mirkchet (2, 462) steht i= e = ia
(vgl. Weinhold, Bair. Qramm. §. 88 und 117). Besonders beliebt ist
h für w (1, 232 elig, 2, 1004 heheieet, 585 unUrdig) und «? für 6 (2,
562 Wakhaaar, 173 wisy 827 wegund, 955 ivebeist, vgl. a. a. O. §. 124
und 136) i Regelmäßig setzt unser Schreiber p zwischen stammschlie-
ßendem m und der Endung t (2, 924 zimpt^ a. a. O. §. 122); Einschub
des lingualen Nasals erscheint nur 1, 183 in jungent (: tibgent, a. a. 0.
§. 168), Ansatz von t öfter, so 1, 19 dennocht^ 56 u. ö. aptgot (a. a. O*
§. 133), Abfall des g nur 2, 989 in heylitum (a. a. 0. §. 176). Immer
schreibt er tumme, werlt (2, 911 im Reime auf gelt)^ wertleich und die
(A di); in 1 zieht er die Endung -e, in 2 die Endung -ew {m) vor,
selbst im Accus, sing. fem. (141 warew, 213 Kebew. 372 swangerew,
a. a. O. §. 368 und 370). sölher wechselt mit solher; die Grundzahlen
endigen auf -czig (A 37, 767 sibenzk). Mit ge- zusammengesetzten Sub-
stantiven ist der Schreiber von w nicht hold, hingegen zeigt er Vor-
liebe für t in der 3. Person p], ind. des Präsens.
Aus dem Gesagten würde die große Menge von Unterschieden
zwischen w und A erklärlich sein. Die meisten Abweichungen —
und das ist das Charakteristische für w --r rühren aber von
22*
332 FRANZ KRATOCHWIL
der Neigung des Schreibers zu Synkopen und Apokopen. Durch er-
stere fällt in 1 an 15, durch letztere an 20 Stellen die Senkung,
meistens vor der letzten Hebung, aus (wo sie in A bewahrt
wird); in 2 stehen circa 20 den Ausfall der Senkung bewirkenden
Synkopen nahezu viermal soviel Apokopen gegenüben Mehr als die
Hälfte der letzteren finden wir vor der letzten Hebung; einen
großen Beitrag dazu liefert und für unde in A. Durch Apocope im
Reime erhalten in 1 die Verse 4J, 42, 105, 106, 112, 137 und 138
stumpfen Schluß mit nur drein Hebungen, in 2 die Verse 685 und 686,
1409 und 1410.
Weitaus weniger häufig sind die Fälle, wo w die volle Form her-
stellt. Doch kann man sagen, es zeigt sich in w Neigung für die
volle Form des Possessivpronomens, des unbestimmten
Artikels und des Infinitivs. Eine verhältnißmäßig geringe
Zahl von Abweichungen wird herbeigeführt durch Um-
stellung der Wörter und durch inhaltliche Verschiedenheit.
Immerhin ist w, wenn auch in Bezug auf die beiden Geidichte
nicht gleichwerthig mit A, ein Gewinn für die Textkritik:
manche der von P in seiner Ausgabe S. 168 berührten Mängel in A
werden durch w behoben und viele von Eoberstein in seinen Abhand-
lungen gemachte Besserungsvorschläge erhalten durch w Bestätigung,
w könnte aus A entstanden sein.
X. mn.
Die beiden Gedichte finden sich auch noch in einer dritten, aus
dem 15. Jahrhundert stammenden, der königlichen Hof- und Staats-
bibliothek in München gehörigen Papierhandschrift. Sie führt die
Nr. 1113 und zählt 134 Blätter in Folio. Die Handschrift ist in Holz-
deckel gebunden, welche mit rothem Leder überzogen sind; die bei-
den Schließen fehlen. Der Rücken trägt ein Schild mit der Inschrift:
D(M Bwrgen^echt zu Wienn. — Thatsächlich enthält der Codex Bl. 1 — 42
verschiedene Rechte und Satzungen, magistratische Anordnungen u. s. w.
der Stadt Wien (aus dem Jahre 1375) und Bl. 43—74 das Stadt-
recht von Wien. Von den übrigen Stücken (vgl. Schmeller's Katalog
der deutschen Handschriften, 1. Theil, S. 169 f.) erwähne ich die
Ungeltordnung Rudolfs vom Jahre 1359 und eine Fischmarkt-
ordnung (Bl. 80 — 83). Bl. 93* befindet sich folgendes, mit rother
Tinte geschriebene Register: Hie hebent sich an siben püeh.
Von erst hebt sich an das puech und sagt die heiligen stet und
genad und den antlas in dem heiligen lant czü Jerusalem und darnach
ÜBER DEN GEGENWÄBTIOEN STAND DER SUCHENWIRT-USS. 333
Die czehen gepot un$ers Herren (Suchenwirt's Gedicht beginnt Bl. 96*
linke Spalte mit der Überschrift: Das sind die zehen pot unsers
Herren Jesu CHristi und endet Bl. 97^ rechte Spalte; dem letzten
Verse folgt Amen [mit rothverzierten großen Buchstaben], ein Doppel-
punkt und ein Schnörkel.)
Diis ander pueeH sagt Die siben frewd unser firawen und die newn
chör wie sy Darinn enpHangen ist (Suchenwirt's Qedicht folgt unmittel-
bar den zehn Geboten Bl. 98* linke Spalte^ hat dort die Überschrift:
Das ist das andei' puecH die siben frewd, uns fräwen Vnd Die newn eHör
Der engel und reicht bis Bl. 112^ linke Spalte.)
Das dritt pueeH sag von den fimff füo'ster^ van dB van Maylan und
von Margraff Sigmund vnd von Hern cHarlur Vnd van Herezag wüHdIm
vnd Herczog leupoUen seinem vater paidfUrsten in ÖsterreicH (das Gedicht
schließt sich an die sieben Freuden BL 112^ linke Spalte mit dem
Titel; Das ist Das Dritt puecH Vnd ist van den fllrsten, es endet Bi. 114^
rechte Spalte; alle drei Überschriften sind roth, desgleichen der An-
fangsbuchstabe jedes ersten Verses , aber auch anderer Verse, meist
zur äußeren Bezeichnung der logischen Gliederung. Die übrigen An-
fangsbuchstaben sind groß und roth durchstrichen.)
Das vierd puecH ist die regel der Heiligen cHristenHait vnd lert uns
rechten cHristenleicHen gelawben und becHennen unser sund (Bl. 115 — 1*25
befindet sich ein Gewissensspiegel, aber nicht mit der Bezeichnung
vierd puecH.)
Das fünft puecH sagt den antlas den man vint und verdient zu
ram vnd wer, ram gepäwt hat und von alter auf chomen ist mit swi-
pogen vnd mit säwUen
Das secHst puecH pliiemster cHunst czü stewr genannt Die schon
Auentewr
Das sibent puecH ist Hern fridreicHs Des khrew^pekeHen
rays Sech» veldstreit Die er geföchten hat an ander Auentewr Die im
geschehen sind
Das sechste und siebente Buch beziehen sich ohne Zweifel auf
die bekannten Gedichte Suchenwirt's, sie finden sich aber, gleich
dem fünften Buche^ leider in der Handschrift nicht vor; denn
BL 126 ist unbeschrieben, dann folgen Bl. 127—130 lateinische Hymnen,
BL 131—132 ein Gedicht Jacob Vetter's auf König Ladislaus
von Böhmen 1452 und BL 132 chronologische Notizen über Wiener
Begebenheiten aus den Jahren 1450-^1463. Daran reihen sich
26 leere Blätter; BL 133*" enthält Nachrichten über einen Kometen
vom Jahre 1402 und Bl. 134 Namen, die Österreich gehabt. Höchst
334 FRANZ KRATOCHWIL
wahrscheinlich waren die unbeschriebenen Blätter für die drei letzten
Bücher bestimmt. Da m' den Text in zwein Spalten bringt, jede durch-
schnittlich 2ö abgesetzte Verse enthält, so würden auf das sechste
und siebente Buch ly höchstens 8 Blätter gekommen sein, so daß
noch 18 Blätter für das fünfte Buch übrig geblieben wären.
Aus dem bisher Gresagten ergibt sich mit größter
Wahrscheinlichkeit^ daß m' in Österreich entstanden und
auf unbekannte Weise (vielleicht aus einem Kloster in ein anderes
desselben Ordens) nach Baiern kam und zwar nach Begensburg, wie
Docen in der Sammlung für altdeutsche Literatur und Kunst, 1. Band,
1. Stück, Breslau 1812, S. 152—160 angibt, und von da nach München.
Docen nennt das Gedicht von den zehn Geboten unbedeutend, wohl
aber gefällt ihm der Anfang von den sieben Freuden Mariens, den
er auch nach m^ mittheilt. Die ganze Anzeige dieser Handschrift
macht den Eindruck des Überstürzten und rasch Hingeworfenen. —
P kannte sie, wie aus pag. LH der Einleitung und einer Bemerkung
S. 1Ö9 seiner Ausgabe zu ersehen ist, aber m' selbst benützte er
nicht, gewiß nicht zum Vortheile der Ausgabe. Da er (gleich a, B
und m^) w nicht kannte, hätte er für letztere Handschrift in m^ Ersatz
gefunden, denn zwischen w und m* herrscht große Überein-
stimmung.
Nicht nur kehren die in w vorkommenden Synkopen und Apo-
kopen sowie die vollen Formen statt der in A synkopierten und apo-
kopierten in m^ fast regelmäßig wieder, sondern es zeigt sich
auch in anderen, oft ganz unbedeutenden Details nicht
selten eine geradezu überraschende Übereinstimmung.
Zum Beweise des zweiten Theiles dieser Behauptung führe ich nur
einige Stellen an, und zwar aus den zehn Geboten: 15 fehlt schulden
in w und m*, 32 w die fürten au:^ egippen lant, m^ die fiirten a. e. Z.,
34 wm^ czogten, wm^ pot im Titel, V. 44, 53, 71; 42 w was an her-
hergy m^ w, a. kerwergj wm^ 52 im der, 56 aptgot, 100 erparm und
107 nieman, 115 w chünße^ m^ chünfft, wm* 116 merch da^ ist, 141
nickte y 142 chanst, 165 vrt8{ä)gleichen , 172 in deinen, 188 Äa6, 190
chainSy 197 fehlt auch, 200 merkcht, 202 sein gut, 218 sund ver-
meiden, 222 fehlt und*^ ferner aus den sieben Freuden Marions: 13 w
wOi^icht, m* war cht, wm* 16 Saffir charfunchel seh. e., 57 flinse,
65 ew, 81 peste, 111 (und sonst) teuf eis, 152 aUe:^(8) sein(e)s gepotes,
155 henden, 292 muemen, 324 wovon chü(u)mpt, 339 geu)09*icht, 223
dei' vers der, 238 volloben, 252 begund ye, 256 u. 1214 beschermf,
272 fehlt groi^^n, 290 hie ndhent, 370 do pei e?r 404 schön umb-
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER 8UCHENWIRT-HSS. 336
wunden, 442. Ochs, 443 alU\, 471 u. 562 walcha8e{a)r, 491 stuUeiehen,
497 wo lema, 525 ISwcht, 574 ztoainczig, 591 Rew umby 622 vergehend,
687 ^mc/^e, 689 a/Z fehlt, 701 schilich : mt7icA, 855 dennoch^ 963
losophaiy 973 Ninivet, 1040 b(p)e8chriben , 1048 nemunderj 1090 je-
«ete^ 1108 frgwelein, 1203 nom*!», 1256 «dZfe/i, 1264 reguter, 1276
puc^ an vnderlae, 1282 ^ofe« müter, 1289 seind, 1322 jr«rü^ nacA,
1324 Ji%en, 1325 bestrewt, 1349 d^n (Ä dann), 1362 «aimon, 1403
yedie, 1418 w etatichleich, m^ stäüeich,- 1475 wm^ vOricht : unver-
b{w)Oricht, 1513 wann, 1529 tmt Ai// zu «^eu?9*.
Zudem gilt Alles, was ich ttber die Scfareibweise in w gesagt,
von m'. Es liegt daher die Annahme, daß w und m^ von einem und
demselben Schreiber herrühren, sehr nahe, aber derselben widerspricht
die Ungleichheit der Schrift Auf die zunächst sich aufdrängende
Frage, wie es komme, daß zwei verschiedene Schreiber so auffallend
gleiche Abweichungen sich erlaubten, gibt es nur die Antwort, daß
eine der beiden Handschriften aus der anderen geflossen sein muß,
und zwar halte ich w für die Vorlage von m^ Denn dieser
Codex, welcher im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts ent-
standen, sein mag, zeigt nicht nur jüngere Schriftzttge als w?
es fehlen in m* auch ganze Verse, so in Nr. 1 die Verse 48,
98, 112, in Nr. 2 die Verse 335 und 336.
Überhaupt scheint mir m^ etwas weniger sorgfältig abgefaßt zu
sein als w; es sind viele einzelne Wörter abgängig, in Nr, 1
an elf Stellen, in Nr» 2 fast zweimal so viel wie in w, wobei in Nr. 1
die Verse 15, 91 und 197, in Nr. 2 die Verse 946, 978, 1181 und
1317 nur drei Hebungen bei stumpfem Schlüsse haben. Ferner finden
sich in Nr. 2 von m'' folgende Reime: 11 mögt (A mait) : berait, 175
märbel : hermel, 309 siten : mit und 1504 gepawet : frawen. Aus der
Sorglosigkeit des Schreibers erklären sich daselbst auch die sinn-
losen Stellen: 110 erhört (A der hw^t), 124 gepot, 834 glavhen, 1310
er (A wer), 1344 ist (A ich), 1423 Met (A hie).
Bestünden aber auch die gegen die Identität des Schreibers er-
hobenen Einwände nicht, man könnte doch nicht w und m' dem-
selben Schreiber zuweisen, da m^ einige, wenn auch ganz
unbedeutende sprachliche Eigenthümlichkeiten zeigt.
So gebraucht der Schreiber von m* die und di, wie solche solch und
solich, immer zwelif (Weinhold, Bair. Gramm. §. 258) und weit, nahezu
ausnahmslos fraw, in Nr. 1 immer da, in Nr. 2 auch häufig do, wie
denn daselbst viel öfter als in Nr. 1 Vertauschung von a mit o be-
gegnet. Widerstand gegen den Umlaut zeigt in m' zuweilen a (2, 182
336 FRANZ KRATOCHWIL
den swciren last), in Verbindung mit einem Lingualen finden wir
6 für t£7 in 2, 236 sbebt — eine Erscheinung, die besonders in Tiroler
Denkmälern (a. a. O. §. 124, S. 128 unten) zu treffen ist. In Tirol
namentlich, aber auch in den anderen österreichischen Alpenländem,
wird gerne in der 3. Person sing. ind. des Präsens das t abgestoßen:
2, 630 schreib (a. a. O. §. 122) ; 2, 1036 begegnet orrdeicher (A ordm-
leicher).
Im Allgemeinen darf man wohl w und m^ in Bezug auf
die zwei besprochenen Gedichte als gleich betrachten,
es gilt daher auch das ttber den Werth und die Bedeutung
von w für die Textkritik Gesagte im Ganzen von m^.
Zum Schluß muß noch erwähnt werden, daß im Gedichte
von den sieben Freuden die Verse 1 — 358 in derselben
Weise aufeinanderfolgen wie in A, somit nicht in der Anord-
nung, die ihnen P in seiner Ausgabe S. 123 — 127 gegeben. In Awm'
verkündet der Erzengel Gabriel der heil. Maria, daß sie die Mutter
Jesu und ihre Muhme Elisabeth einen Sohn gebären werde. Maria
besucht sie, Elisabeth preist Maria selig, diese bleibt bei Elisabeth,
bis Johannes geboren wird und kehrt dann nach Nazareth zu Joseph.
Der Dichter achildert umständlich des Letzteren Traurigkeit, die ihm
Marions Zustand verursacht« Aber ein Engel erscheint ihm in der
Nacht und klärt ihn auf. Da wird der alte Joseph freudenreich und
sagt zu Maria: Mir ist Alles kund geworden, worauf Maria mit den
Worten des Magnificat antwortet. Nun kam die Zeit, wo Joseph und
Maria in Folge des kaiserlichen Gebotes, das Land zu beschreiben,
sich nach Betlehem begeben u. s. w. — Dieser Gang stimmt insoferne
nicht mit dem biblischen Bericht, als dort Maria das Magnificat nicht
vor Joseph, sondern bei dem Besuche Elisabeths spricht. P, dem zur
Veröffentlichung dieses Gedichtes nur A vorlag, glaubte nun daß
diese Verschiedenheit vom Abschreiber herrühre, „der ein paar Blätter
früher abschrieb, als sie der Folge nach eingeschaltet werden sollten'^
(PS. 168). Er stellte daher die Verse um, während in A auf
218 die Verse 291—358 und dann 219—290 folgen. Primisser's
Verfahren ist begreiflich. Wir aber, die jetzt denselben Gang wie in A
auch in w und m' wiederfinden, müßten glauben, daß die Schreiber
von w und m^ durch einen an's Wunderbare grenzenden Zufall gerade
dieselben Blätter zu früh abschrieben, oder daß w aus A entstanden
und m* aus w. Nun ist das zweite Glied der Disjunction allerdings
wahrscheinlich, aber nicht zu beweisen. Daher könnte ich
mich als Herausgeber zu der obigen Umstellung der Verse im Gegen-
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHE NWIRT-HS8. 337
satse zu allen Handschriften nur dann entsehließen, wenn diese
wirklich nothwendig ist Das ist sie aber, wie wir gesehen haben,
nicht. An sich ist es ja gar nicht auf&Uig und gewiß ebenso berech-
tiget, wenn Maria, als sie die Traurigkeit Josephs weichen sieht, in
die Dankesworte des Magnificat aasbricht« Ich halte daher die
handschriftliche Anordnung der Verse 1 — 358 für die ur-
sprüngliche, von Sachenwirt selbst herrührende'). Warum
er vom biblischen Bericht abwich, läßt sich nicht sagen; an einen
Irrthum ist nicht zu denken. Gewiß hat er die alttestamentliehe Reihen-
folge der zehn Gebote gekannt, und wie verschieden ist seine An-
ordnung der zehn Gebote! Übrigens finden wir solche Abweichungen
auch anderwärts, ich verweise hier nur auf den geistlichen wctgen
(vgl. S. 327).
Das dritte Suchenwirtische Gedicht in m^ führt uns
zu Nr. 3 in C. Die sprachlichen Unterschiede zwischen beiden
Fassungen- dieses Gedichtes erklären sich durch das höhere Alter von
m^, die metrischen durch Neigung in C, im Verse gleichmäßigen
Wechsel von Hebung und Senkung herzustellen (vgl. S. 308). — Eine
Vergleichung beider Handschriften fällt entschieden zu
Gunsten von m' aus. Trotz mancher Fehler, von denen bei anderer
Gelegenheit die Rede sein wird, liefert m^ im Vergleiche zu C nahezu
dreißig recht brauchbare Lesarten. Anderseits sind die Ver-
schiedenheiten zwischen m* und C keineswegs derartig,
daß nicht N die gemeinsame Quelle beider gewesen sein
könnte.
XL gt-
Höchst wahrscheinlich stammt aus derselben Quelle
auch g, ein der herzoglichen öflFentlichen Bibliothek zu Gotha ge-
höriger Papiercodex B, Nr. 271. Dankbar rühme ich hier die große
Liberalität, die mir der Herr Oberbibliothekar Geheimer Hofrath Pro-
fessor Dr. W, Pertsch durch Übersendung der werth vollen Hand-
schrift nach Wien bewiesen hat.
Diese, mittelquart, in starken Holzdeckeln, welche mit roth-
braunem, feingepreßtem, einstmals reich vergoldetem Leder überzogen
sind, hatte Schließen und zählt gegenwärtig 201 Blatt. Da aber die
an dem Codex in jüngster Zeit mit Tinte angebrachte Blattzählung
das erste Blatt nach dem Deckel nicht zählt, so kann mit demselben
}) In dieser Untersachung bin ich aber überall, wo aus den sieben Freuden
Verse citiert werden oder auf welche verwiesen wird, der Zählung Primisser^s gefolgt.
338 FRANZ KBATOCHWIL
Rechte auch das letzte nicht gerechnet werden, und es sind dann
199 Blätter. Übrigens ist, da das dritte Blatt aus Versehen nicht
eingezählt ward, die angebrachte Zählung von incl. 3 bis incl. 164
unrichtig; da aber nach Bl. 164 statt 165 gleich 166 gezählt ward,
so ist das frühere Versehen ausgeglichen und die Zählung von incl.
166 bis Ende correct.
Die Handschrift enthält, von dem letzten Stacke abgesehen, nur
Poetisches, uud zwar von Teichner BL 9 — 94^ Liber Sapientte (dieser
Titel stammt von dem ehemaligen Eigenthümer der Handschrift,
Augustinus von Hamersteten; er selbst schreibt sich Hamer-
stetenn, vgl. S. 339 ff.) und Bl. 94*»— 136** Von unser frawen en-
pJunknuss, 136** — 177** von Konrad von Würzburg die Quldein 8myt^
178* — 183' von Suchenwirt sprach von funff fursten (vollständig lautet
die rothe Überschrift: Den 'spruch hat gemacht peter der Suchen \vnrt
von fünf fursten), 183* — 188^ von Teichner: In der Römer puch man
las (Hamersteten bemerkt daneben: von ainer edlen Kaiserin).
Während die goldene Schmiede an das zweite Stück so un-
mittelbar sich fügt, daß an dessen Ende gleich der Titel von Kon-
rads Gedicht sich reiht, obwohl auf dieser Seite nur mehr ein Raum
von einigen Zeilen frei war, also (und so überall) die größte Aus-
nützung des Raumes sich zeigt: folgte auf das oben zuletzt
angeführte Stück Teichner's, obwohl noch die halbe Seite frei war,
ursprünglich nichts als die zwei Verse:
Also hat da:; puch ein ende
Got behüt vns vor missewende —
Es haben nämlich diese Stücke einmal für sich allein
einen Codex gebildet, welcher nicht vor 1386 beendet worden
sein kann, wohl aber auch nicht viel später: also zu Ende des
14. Jahrhundertes oder* im äußersten Falle zu Anfang des
15. Jahrhundertes.
Das sagt uns die Schrift, die nur auf einen Schreiber hinweist
und in den Zügen, der Gefälligkeit, Reiolichkeit und leichten Lesbar-
keit nach an die besten Theile von A erinnert. Auffallend ist, daß
in den meisten Fällen die Punkte über i fehlen. Als Abkürzungs-
zeichen erscheinen ^ = r und er^ '~ um inlautendes e anzuzeigen,
und rvÄ = reich in Osterreich] als Haken gebraucht der Schreiber
gewöhnlich ' ", sehr selten ' und nur über u {S3 für=fiir)j über y
einen Punkt; über aus ä entstandenem e (= ce) findet sich häufig
^ oder ^. Svarabhakti werden durch Haken nie bezeichnet, Halb-
diphthonge nur vereinzelt (31 rechte 34 gepürd, 2(X) schemleich), aber
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHEN WIRT-HSS. 339
auch die Diphthonge nicht consequent; beBonders bei den t^-Lauten'
fehlt der Haken oft, so steht ü =:i Uj üy uOy tie, dann kommt wieder
für alle diese Laute ein bloßes u vor. Sonstige Schreibfehler hin-
gegen (wie 58 smaikchen : czaichen) sind ganz selten.
Die äußere Anordnang der Verse ist sehr gleichmäßig; jede Seite
ist von vier schwarzen Strichen eingesäumt und enthält in einer un-
gespaltenen Columne 24 abgesetzte Verse. Zwischen der ersten und
zweiten Zeile befindet sich ein schwarzer Strich. Jeder Vers beginnt
mit einem großen Buchstaben> die der ungeraden Verszeilen sind
überdies roth durchstrichen. Dort, wo dem Sinne nach ein Ab-
schnitt beginnt; steht eine bedeutend größere ganz rothe Majuskel.
Sprachlich herrscht volle Übereinstimmung mit C
(wenn man .von einigen unbedeutenden Änderungen der Schreiber,
wie sohl = al u. s. w. absieht) und m' (nur liebt g nicht den Wechsel
von b und lo), und dies ist nicht auffällig , dag gleichfalls aus
Österreich stammt, und zwar höchst wahrscheinlich aus
Wien. Schon der Inhalt läßt das vermuthen: drei Viertheile der
Handschrift kommen auf den Wiener Dichter Teichner, fünf Blätter
auf den in Wien ansäßigen Suchenwirt, 40 auf Konrad von Würz«-
bürg. Aber auch die Zuthaten zu Anfang und Ende des
Codex stammen aus Wien, wenn auch aus späterer Zeit.
Die Handschrift war nämlich zu Ende des 15. Jahrhundertes
Eigenthum des Augustinus von Hamersteten in Wien. Dr. J. G.
Th. Gräße nennt ihn S. 1166 des Lehrbuches einer Literärgeschichte
der berühmtesten Völker des Mittelalters, 2. Bd., 2. Hälfte der 3. Ab-
theilung', 1843, einen österreichischen Meistersänger; Belege hie-
für bringt er nicht. In Ritter' s geographisch-statistischem Lexikon
(1. Bd., 6. Aufl., 1874) findet sich unter allen hier in Betracht kom-
menden Orten nur ein Hammerstetten, und zwar in Baiern, Kreis
Schwaben, Bezirksamt Günzburg. In Z edleres Universallexikon bei
gegnet S. 395 des 12. Bandes (1735) ein Hammerstaettl oder
Hamry,* Marktflecken im Czaslauer Kreise in Böhmen mit gutem
Eisenbergwerke. — Sicher ist, daß A. von Hamersteten sich 1496 in
Torgau aufhielt. Hier vollendete er seine Histori vom Hirs mit den
guldin ghwmVnd der Fürstin vom pronnen. Zu Ende derselben schrieb er:
A, de Hamersteten Cancellarim, Finitum Torga Sahato vigi^ palmarum
A° 1496, Dieser auf 36 Blätter Papier in Octav geschriebene und
aufs Schönste gebundene kleine Roman behandelt die Liebschaft des
Kurfürsten Friedrich des Weisen von Sachsen mit der Gräfin
Amalia von Schwarzburg, Q-emahlin des Qrafen Günther XXXIX«
340 FRANZ KBATOCHWIL
Das Büchlein widmete Hamersteten dem genannten Kur-
fürsten, der es nach einer am Schiasse desselben von jüngerer Hand
angebrachten Bemerkung sehr lieb hatte. Jetzt befindet sich dasselbe
als Handschrift M 279 auf der königlichen Bibliothek zu Dresden
(vgl. Dr. Franz Schnorr von Carolsfeld, Katalog der Hand-
schriften der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden, 2. Bd.^
Leipzig 1883, S. Ö18 f.). Der Bibliothekar Heinrich Jonathan
Clodius ließ nebst einigen einleitenden Bemerkungen das Büchlein
im Dresdnischen Magazin, Bd. 1 (Dresden 1760), S. 18 — 31 und
131 — 152 abdrucken. Auffällig ist, daß der Verfasser des Büchleins
sowohl S. 23 als 152 Hammerst^tn genannt wird, ebenso bei Ben-
jamin Gottfried Weinart, der diesen Aufsatz aus dem Dresd-
nischen Magazin, das nach 20 Jahren ziemlich vergriffen war^ im
zweiten zu Leipzig 1784 erschienenen Theil der Neuen sächsischen
historischen Handbibliothek S. 1—43 abgedruckt hat. In dem-
selben Jahre wurde zu Leipzig Hamerstetens Erzählung in der Sprache
modernisiert und mit Anmerkungen versehen, herausgegeben im dritten
Stück des ersten Jahrganges des Sammelwerkes: Für ältere Lite-
ratur und neuere Leetüre S. 107 — 138 vonCanzlerund Meißner.
Leider bieten die genannten drei Werke keinerlei Aufschluß über
Hamersteten's Lebensverhältnisse.
Im Jahre 1497 ist Hamersteten in Wien. Hier überreicht
er, unbestimmt ob zum Ankauf oder — was viel wahrcheinlicher ist —
als Geschenk dem damals mit seinem Bruder Johann in Wien weilen-
den Kurfürsten von Sachsen, Friedrich dem Weisen, einen Papiercodex,
der nunmehr in der herzoglichen öffBntlichen Bibliothek zu Gotha
unter der Bezeichnung B Nr. 50 verwahrt wird. Die Handschrift be-
steht aus 277 Blättern in Quart; jede Seite zählt 24 Verse (vgl. S. 339
oben) ; die Schrift ist sauber und stammt aus dem Ende des 15. Jahr-
hunderts. Auf der Rückseite des ersten Blattes heißt es: Dis€8 Puch
sagt von der Zwürctcht vnnsers Herrn Kaisefi^a vnd seinem Bruder Her-
czog albrecht vnd der lantsehaft Osterreich vnd dbfal der von wien vnd
stet das man es lesen mag als einen sprach oder singen als ein lied vnd
Michel Beham hat es gemacht vnd es haisst in seiner Angst weiss wan
er fieng es an zu wien In dei* fmrg do er In grossen Ängsten was wer
es singen woll der heb es in diesen noten hie also an. Auf der folgenden
Seite beginnt das Gedicht mit sechs Reihen Musiknoten. Wir haben
es also mit Michael Beheim's Buch von den Wienern zu
thun. In diesem erscheint aber Augustinus von Hamer-
steten selbst als handelnde Person, als Begleiter des kaiser-
Ober den oeqbnwIrtioen stand der suchenwirt-hss. 341
liehen Obersten von öraveneek, den die Wiener im Jahre 14M
niedergeworfen hatten; er vertheidigte ihn mit noch vier Änderen,
die Beheim mit Namen anfahrt;
Aifter genant was Asam schrantz
Des manlieit die toass vest vnd gavätz
Der stund neben dem Hern sein
Von Hammerstetten Augustein
Neben seinem Hern stunde
Ein Arm ward Im verwunde.
Die andern drey waren vor dem Thor n. 8..w.
Vgl. Th. G. y. Earajan, Michael Beheim's Buch von den Wienern.
Wien 1843, 8. LXXX f. und S- 53, Vers 7 ft, ferner Fr. Jacobs
und F. Ä. Ukert, Beiträge zur älteren Literatur oder Merkwürdig-
keiten der herzoglich öffentlichen Bibliothek zu Ootha, 3. Bd., 1838,
S. 94 — 98. — Die Handschrift hat Hamersteten mit mancherlei Rand-
bemerkungen versehen, so schrieb er auf der ersten Seite am
oberen Rande: 1496. Soli aüissimo. Idem vt infra. ii. ; daneben:
4. feria post palmamm in Torga (vgl. S. 339). A. . . .x Anno 1496 \
zu S. 53, V. 5 u. 6 (Ausgabe Karajan's): V nobiles stipendiarii Impera-
toris, wodurch er sich nach Earajan's Meinung als kaiserlicher Söldner
bezeichnet. Zum Vers 31 der Seite 33 machte Hamersteten am unteren
Rande der Seite folgenden auch mit Ebendorfer's Angaben (Pez
n, 974) stimmenden Zusatz:
An hohen markt hin dazumal
Der Wiener Henker Maister pal
Hett Ein längs swert an der Seiten
SneU richten an edles peilen
Schryen die pluthund alle
Daz tet gar vhel gevalle
Den gefangnen mitsambt Grafneken
Zesterben waz ser erschrecken.
Daz schreibt A von Hamersteten
Vil lieber wer Er getreten
Frey hin durch Doringer warde
Daz solt Ir Im glauben palde
Von gotz gnaden ward nichtz darauss
HoUtzer Hess füren in sein Haws.
Im October 1497 — also wahrscheinlich bei Gelegenheit der
Überreichung des Buches von den Wienern — geschah es, daß
Hamersteten die' Handschrift g, der er eine gereimte Wid-*
342 , FRANZ KRÄTOCHWIL
mang — wahrhaftig kein poetisches Meisterstück — vorangestellt
hatte (BL 1 — 8), dem genannten Kurfürsten von Sachsen anläßlich
des bevorstehenden Jahreswechsels zum Geschenke machte.
Oegen den Schluß seiner Zueignung sagt Hamersteten:
Ewr gnad nembs hin
Zu gefallen^ das pitt ich »er
Dann mecht ich hos, so tet ich mer
Seidmal ich Aurum wenig hob,
So geet mir auch Argentum ab.
Über den Inhalt des Codex spricht er auf den zwei letzten
Blättern der Widmung^); hiebei nennt er Teichner einen „berümbten
Tichter wol bekannt^. An seinen Dichtungen bringt er auch aller-
hand Änderungen an, während er Konrad von Würzburg und
Suchen wirt glücklicherweise verschont. Ja, er bemerkt rechts von
den neun ersten Versen des Suchenwirtischen Gedichtes ausdrücklich :
Ich hob die ding nii co^^igirt
Von dem peter süchenwiH
Laß beleiben in Irem wer dt
Als man dauon sagen hert seil, audit
Zum letzten Gedichte Teichner's schreibt er BL 188^:
Was der teichner hat gesetzt
Daz ist gut vnd vnuerletzt
In Syben vnd auch in Acht
Der Sillelb zal wol gemacht
Collatinirt, durch yettenn
Hat:^ A. von Hamerstenn (offenbar Schreibfehler!)
Vberal gerichtet gleich
Hie Zu Wienn in Osterreich»
Darauf Bl. 189' wieder eine Vorrede Hamersteten's zu dem letzten
Stücke der Handschrift, der Zuthat am Ende, Clenodium genannt
(Bl. ISO*— 199^). 190' unten steht mit rother Tinte:
Anno Domini zc. XLIir zc
per me — «? — p. scriptum ~
und Bl. 199^ unten ein Wappen, daneben: Clenodium venerabilis viri
Domini wolfgangi Clementis plebani Noueciuitatis et Canonici Ecclesie
ColUgiate Sancti steffany wienn zc Sub Anno domini zc XLIIt*. Die
Schrift ist eine andere als in der Vorrede und älter, aber jünger als
') Einige auf den Inhalt des Codex bezügliche Stellen dieser Zneignnng bat
Ten t sei in den Monatlichen Untersnchungen 1691, S. 928 f. Teröffentlicht.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIOEN STAND DEÄ SUCHENWIRT-HSS. 348
die des Codex; sie kann nur ans dem Jahre 1443^) stammen:
nicht von 1543 ^ da die Handschrift schon 1497 nach Sachsen kam,
und aus dem Jahre 1343 nicht, weil es damals eine Collegia^
kirche St. Stephan noch nicht gab. Das Jahr 1443 stimmt auch
giemz gut mit dem Lebensgange des genannten Wolfgang. Die Hand-
schrift Nr. 100*) des k. und k. Haus-^ Hof- und Staatsarchivs enthält
in Tom. 4, Bl. 278^—325^ die Series Canonicorum Ecclesiae S. Ste-
phani, Viennae 1365—1783 (vgl. Dr. Constantin Edler von
Böhm, Die Handschriften des k. und k. Haus-, Hof- und Staats*
archivs, Wien 1873, S. 32). Bl. 286»» findet sich zum Jahre 1424 be-
merkt: Dominus Wolfgangus Clementis^ Canonicus instaüatus in die
Saudi Jeronimi. 29^ {siel) Septembris. Obiit 1446, Während Wolfgang
sein Canonicat in Wien versah, war für ihn Pfarrverweser in
Wiener-Neustadt Niki as von Wien. Derselbe wird 1439 urkundlich
genannt; vgl. Ferd. Karl Boeheim, Qesammelte Schriften. Wien
1863, 2. Bd., S. 101 u. 210.
Was den Werth dieser Recension gegentlber C und m* betrifft,
so ist er so bedeutend, daß diese Handschrift des Gedichtes
von fünf Fürsten einem künftigen Neudrucke zu Grunde
zu legen sein wird.
Durch, die Bekanntschaft mit der Gothaer Handschrift hat sich
gezeigt, daß m* und g auf das Engste verwandt sind. Ich ver-
weise nur auf m'g 7 in hoh(ch)en wirden, % desy 11 grossen wandele
25 seim^ 29 m' aller st ^ g allrersty m^g 39 vil sery 43 do mly 49 und,
fehlt, 79, 141 u. 184 edlen y 87 gefueget, 89 marder, 94 ungeheft, 101
end er nam^ 110 fleisch da^ warty 113 trewen^ 125 und des werder^
129 wann, 131 eim, 133 und umb da:^^ 146 g la^ si, m' la sew, m*g
151 kronikeny 160g aine:; sullj m' aine schull^ m^g 162 oder tew-
rungy 168 nahent euch^ 167 m&rt (C maet), 169 chlage{u)nder (C chlag
TOwJ^), 176 der man, 182 do siw{si) , 200 sche{e)mleich^ 204 dem
rechten^ 205 vielriy 211 veinden do{da) zu^ 215 do wart, 238 huet{e).
So lange m* allein mit C verglichen wurde, standen die Ab-
weichungen der Mtlnchener Handschrift von C der S. 337 ausgespro-
') Jacobs' und Ukert's Beiträge sur älteren Literatur u. s. w. enthalten im
«weiten Bande 8. 312 — 318 manch Irrthümliches Über diese Handschrift. So trans-
scribieren die Herausgeber die Zahlenangaben Bl. 190' und 199^ in g auf folgende
Weise: nC.XLM-nC. und nCXLM^I
') Einst Eigenthum des Wiener Canonicus Franz Paul Edlen von
Smitmer.
') Seil, ßliui.
344 FR. KRATOCHWIL, ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND etc.
ebenen Annahme, daß m' aus derselben Quelle wie C geflossen,
durchaus nicbt binderlicb im Wege. Ganz anders gestaltet sich das
Verhältniß, nachdem sich gezeigt, daß auch g an denselben Stellen
von C abweicht wie m^. Denn soll der Zufall wirklich möglich sein,
daß der Schreiber von g und der um mehr als ein halbes Jahrhundert
später thätige Schreiber von m' gerade an denselben Stellen von N
abänderten, ja noch mehr, daß sie sich die gleichen Abänderungen
erlaubten ?
Allerdings unterscheidet sich m' auch hie und da von C, wäh-
rend g und C übereinstimmen. Dies erklärt sich daraus, daß m*, wie
schon früher bei Vergleichung von m' mit w gesagt wurde, weniger
sorgsam abgefaßt wurde; so fehlt in m* 2 rt/5, 33 ./ar, 46 mül, 207
veint und 165 und freud^ so daß dieser Vers nur drei Hebungen mit
stumpfem Schlüsse hat. Dieselbe Erscheinung wurde durch Apokope
im Reime in den Versen 126, 128, 162, 238 und 240 herbeigeführt.
Störung durch Apokope findet sich auch 144 dauckt und 154 halbj
durch Synkope 206 tratn, durch Verschreiben 2 geslachtSy 16 mit
ernst und 94 ""[gepunden, endlich durch Sinnlosigkeit 57 Österreich^
58 u. 59 in anstatt sey.
Es stimmen aber auch einige Mal C und m^ während g allein
steht; so hat g 31 rechte 60 weibes, 64 Süllen^ 122 untreun, 147 alle^
156 und prinnt recht als ein cherzeUf 181 dem lannde^ 194 wellen, 204
beleiben, 211 veinden da zu, 213 do si^ 228 tu sew, 201 fehlt und.
Diese wenigen Stellen ausgenommen, bietet g fast immer das
Richtige sowohl in Bezug auf den Inhalt und Ausdruck,
als auch in metrischer Hinsicht.
Trotz dieser Verschiedenheiten ist die Übereinstimmung zwischen
g und m^ eine in die Augen fallende; sie zwingt zur Annahme, daß
g die Vorlage für m' gebildet habe. Und g? g kann sehr
wohl nach N geschrieben worden sein. Dafür spricht, daß
beide in Österreich entstanden sind und der Zeit nach einander nicht
ferne stehen. In diesem Falle wäre g der Vorlage treuer gefolgt,
während C hie und da modernisierte; vielleicht war auch für den
Schreiber von C seine Vorlage bereits öfter schwer leserlich, oder er
las flüchtig, wie dies bei V. 51 winken für kroniken der Fall gewesen
sein dürfte. Dagegen spricht weniger der Einwand, warum, wenn
N die Vorlage war, der Schreiber von g daraus nur die goldene
Schmiede und das Gedicht von fünf Fürsten wählte, warum er nicht
noch andere zu dem Inhalte der bereits aufgenommenen vollkommen
passende Gedichte Suchen wirt's (z.B. religiösen Inhalts) abgeschrieben
L. FRÄNKEL, BIBUOGRAPfllE DER UHLlND-LITTERATUa 345
habe; vielmehr aber der Qedanke, daß g der Schrift nach höchst
wahrscheinlich noch vor 1402 zu setzen ist.
Doch schwerlich wird sich die Schrift bis auf ein Jahrzehnt
mit Sicherheit bestimmen lassen. Wer sich aber trotzdem darüber
nicht beruhigen kann, für den bleibt nur die Annahme , daß g nach
des Dichters Autograph oder nach einem zu dieser Zeit schon
üblichen fliegenden Blatte geschrieben worden sei.
Zum Schlüsse noch die Bemerkung, daß im Gedichte von fünf
Fürsten weder in C noch in m' und g eine Andeutung strophischer
Gliederung zu finden ist.
(Fortsetsniig^ and Schluß folgt.)
FRANZ KRATOCHWIL.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND - LITTERATÜR.
* Ludwig Uhland, dem zweifellos volksthümlicbsten Dichter deutscher
Zunge, dem erfolgreichen Erforscher unserer Vorzeit, dem rüstigen Vertreter
alter guter Sitte und Satzung und wackeren Streiter für des Gesammtvater-
landes Freiheit und Größe ein seiner würdiges litterarisches Denkmal zu
errichten, darin gipfelt mein in absehbarer Zeit zu verwirklichender Plan.
Um nun für diese Aufgabe in ihrem vollen Umfange einen sicheren Boden
zu gewinnen, hielt ich es für angebracht, vorerst eine Bibliographie der
gesammten mir erreichbaren Uhland-Litteratur zu entwerfen, deren Fehlen
ich bei Abfassung meiner Studie über Uhland als Romanist *) empfindlich
verspürt hatte. Die bescheidene -Sammlung wuchs mir aber unversehens
unter der Hand und entwickelte sich zu einer so beträchtlichen Ausdehnung,
daß sie einen gewissen selbständigen Werth wohl beanspruchen darf. Ich
lege dieselbe hier den Fachgenossen vor, indem ich zwar bitte, sie nicht
bloß als Vorstufe, sondern als einen Ausschnitt der Arbeit selbst zu be-
trachten, jedoch mit dem Geständniß nicht zurückhalten will, daG die mannig-
fache Un Vollkommenheit des Ergebnisses auf vielseitige Ergänzung durch
Kenner der Sache rechnen muß.
Einige Erläuterungen über die Anlage des Verzeichnisses seien voraus-
geschickt. Die rein durch die Zeitfolge bestimmte äußere Anordnung erwies
sich unter Anderem auch dadurch als die geeignetste, weil allein sie ge-
stattet, der wechselnden größeren oder geringeren Zuneigung der Kritik eine
Art Maßstab für die in verschiedenen Zeiten ungleiche Beliebtheit und
Werthschätzung Uhland's zu entnehmen. Was den Inhalt des Katalogs, wel-
cher vermöge der beigegebenen Andeutungen über Stoff und Seitenzahl der
angeführten Nummern und der Hinweise auf sachkundige Besprechungen
^) Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litterataren , herausgeg.
von L. Herrig, 80. Band (1888), S. 26--113, und 82. Band (1889), S. 233—236.
GERMANIA. Nene Beihe XIII. (XXXIY.) Jahrg. 23
346 L. FRANKEL
zugleich ein Wegweiser durch die zerstreute Litteratur sein möchte, hin-
sichtlich des Maßes des darin aufgenommenen Materials betrifft ^ so sei be-
merkt, daß nur für selbständig erschienene Bücher und Abhandlungen größt-
mögliche Vollständigkeit angestrebt wurde. Von Aufsätzen in Zeitschriften
und Tagesblättem, namentlich von den zahlreichen Nekrologen der Jahre 1862
und 1868 und den Jubiläumsartikeln von 1887, fanden hingegen meist nur die
Aufnahme, welche durch Hervorhebung eigenartiger Gresichtspunkte Anspruch
auf bleibende Bedeutung erheben dürfen. Aus letzterem Grunde werden auch
eine Anzahl von Einzelstellen aus Werken genannt, deren Absehen zunächst
nicht auf eine Würdigung Ublands gerichtet ist. Anfänglich beabsichtigte
ich auch eine möglichst erschöpfende Liste aller hervorragenden Charakte-
ristiken Uhlands in allgemein litterarhistorischen Schriften mitzutheilen. Aber
dies Vorhaben zeigte sich einerseits undurchführbar — denn wenn eine
Kategorie des deutschen Büchermarktes Legion ist, so ist es die Zahl der
litterargeschichtlichen Handbücher großen und kleinen Kalibers — anderer-
seits kaum zweckmäßig. Entweder nämlich wird an gedachter Stelle Uhland
nur ganz flüchtig berührt oder sonst sein Bild meist bloß in leichten Umriß-
linien gezeichnet, so daß die Erkenntniß seines menschlichen und schrift-
stellerischen Wesens hier keine Förderung empfangen kann; die wenigen
bemerkenswerthen Schilderungen, welche auf wirklich individueller Anschauungs-
weise beruhen, wie bei Gervinus, J. Hillebrand, Jul. Schmidt, Scherer, von
den Freunden Uhland's auch ohne besonderen Hinweis aufgesucht, bieten
dem Specialisten kein neues Licht.
Von Vorarbeiten kann eigentlich nicht die Rede sein. Dankbar wurde
benutzt, was Bartsch's mit 1862 einsetzende Bibliographien in der ^Ger-
mania **, Strauches Jahresübersichten in den letzten Bänden des „Anzeigers
für deutsches Alterthum und deutsche Litteratur^' und einige andere ähnliche
Zusammenstellungen allgemeinen Charakters ^) gewährten , wenn mir auch
nur sehr selten ein Titel oder eine Notiz entgangen war. Den einzigen
bibliographisch wie immer musterhaften Überblick gab (bis 1881 reichend)
K. Goedeke im Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung HI, S. 338 ff.,
woselbst er auch S. 320 ff. einen alles Wissenswerthe knapp zusammen-
fassenden Bericht über die gesammte Thätigkeit Uhlands geliefert hat;
Fasold's ''Verzeichniß der Uhland - Literatur in Herrig*s Archiv Band 72,
S. 411 — 414 ist eine unmethodisch angelegte, kritiklos durchgeführte und
im Einzelnen ungenaue und unzuverlässige Skizze, der Abriß Hassenstein*s in
der Einleitung seines unten zu 1887 genannten Buches im engsten Rahmen
gehalten. Daß sich die Fasold'schen Mängel bei mir nirgends fühlbar machen,
wage ich nicht zu behaupten, wo so manches Citat nicht nach eigener An-
schauung gegeben werdeif konnte, einige wenige Belege aber überhaupt
unzugänglich blieben. Möge jedoch diesem Versuche wenigstens das Verdienst
*) Z. B. der Jahresbericht über die Erscheinungen auf dem Gebiete der ger-
manischen Philologie, herausgeg. von der Gesellschaft für deutsche Philologie in
Berlin (9 Bände 1880—1888), das zur Bibliotheca philologica' gehörige 'Verzeichniß
aller neuen Erscheinungen auf dem Gebiete der Philologie' von Heyse und Blau u. A.
Dankbar erwähne ich für 1863 auch R. Gosche's Übersicht in seinem Jahrbuch für
Littgesch. (1865) 379 ff.
BIBLIOGRAPmE DER UHLAND-LITTERTUR. 347
nicht abgefiprochen werden, den Grand zu einer Sammlung von allem über
Uhland Geschriebenen zu legen and dies hier an einer Arbeitsstätte, in
deren erste Anbauzeit noch sein berathendes Wort, von eigener wackerer
That begleitet, verheißangsvoU hineingeklungen ist.
^1783. Auf die Uhlandische und Hoserische Verbindung am 20. März
1783. Tübingen. 4 Bl. (Diese ungemein seltene Festschrift zur Hochzeit von
L. Uhland's Eltern ist bisher sämmtlichen Bio- und Bibliographen entgangen;
mit dem Druckfehler ^Hoferische' ist sie im Antiquarkatalog 178, S. 47 der
Berliner Buchhandlung S. Calvary und Co. [1886] verzeichnet.)
1807. Morgenblatt für gebildete Stände (Stuttg.) 13. Jan., Nr. U,
S. 43 zur Veröffentlichung von U/s lyrischen Erstlingen; vgl. Intelligenz-
blatt zum Morgenblatt 1808, Nr. 3, S. 12.
1815. ühland's Gedichte (l.Aufl. ') Stuttgart, Cotta 1815) besprochen
in den Heidelbg. Jahrb. Bericht S. 168.
1818, ü/s 'Ernst, Herzog von Schwaben (Heidelberg, Winter 1817),
besprochen: Wünschelruthe S. 43 f., Leipziger Litteraturztg. Nr. 250 (vgl.
Wiener Jahrb. der Litteratur VH, 11 u. VIII, 255).
Studien. Ein Beitrag zur neuesten Dramaturgie, oder über Müllner*s
Schuld, Uhland's Ernst und Kotzebue's Rehbock (München).
1819. U. 's /Gedichte', besprochen in Kotzebae's Literar. Wochenblatt,
October, 4, 81, S. 246; desgl. in der Allgem. Litteraturztg., August, Nr. 205^
S. 785—789.
U.'s '^Vaterländische Gedichte', besprochen in der Allgem. Litteraturztg.,
October, Nr. 114 (Ergänzungsbl. S. 912).
Ernst, Herzog von Schwaben : Bericht über die erste Aufführung in
Stuttgart am 7. Mai im ^Gesellschafter' Nr. 124.
U/s Ludwig der Baier (Berlin, G. Reimer, 1819), besprochen: Litte-
ratorblatt zum Morgenblatt für gebildete Stände Nr. 37 j desgl. Eotzebue*s
Literar. Wochenblatt Nr. 3'9.
1821. '^ Ludwig der Baier , besprochen in der Leipziger Litteraturztg.
S. 2001.
^Gedichte. Zweite verm. Aufl.' (1820) besprochen: Leipz. Litteraturztg.
S. 2129.
1822. *^ Walther von der Vogelweide, ein altdeutscher Dichter, ge-
schildert von L. Uhland, besprochen Allgem. Litteraturztg. 2, 481; Leipz.
Repertorium 4, 269. (Vgl. Wiener Jahrbücher der Literatur XXV, 70;
XXX, 46; XCn A, Bl. 3.)
1823. L. Uhland, de constituenda re publica carmina, latine edidit
G. Schwab (Stuttgart) 4.
- 1826. Gustav Schwab, 'Ludwig Uhland als Dichter'. Mit U.*s Porträt.
Moosrosen, Taschenbuch, herausgegeben von W. Menzel, S. 1 — 37 (Schwab's
*) Die Ergebnisse einer von mir angestellten Vergleichung der verschiedenen
Ausgaben veröffentliche ich nicht, so lange noch die von Professor W. L. Holland,
dem die reichlichsten und gediegensten Quellen fließen, augekündigte kritische Abschluß-
aasgabe, mit vollständigem Variantenapparat ausgestattet, in Aussicht steht Doch soll
eine ausreichende Bibliographie sämmtlicher litterarischen Leistungen Uhland*s bald
folgen.
23*
348 L* FRiNKEL
^Kleine prosaische Schriften , herausgegeben von ELlüpfel [Tübingen 1882]
s. 1 ffO
Bericht über die Aufführung yon Ludwig der Baier in München : Abend-
zeitung Nr. 287.
Fr. Diez, Die Poesie der Troubadours, S. 195, A. 1 'über das alt-
franz. Epos' [2. Aufl. von Bartsch, 1883. S. 172, A. 1].
1827. Gedichte, 3. Aufl. (1826), besprochen: Allgem. Litteraturztg.
I. Halbband des Jahrgangs 8. 335.
'Bericht über die Aufführung von Ernst von Schwaben' in Wien : Abend-
zeitung Nr. 128.
Wilhelm Müller, Die neueste lyrische Poesie der Deutschen. Ludwig
Uhland (und Justinus Kerner): Hermes oder Leipziger kritisches Jahrbuch
der Literatur 28. Band, S. 94—114; vgl. W. Müller, Vermischte Schriften,
herausgeg. von G. Schwab (Leipzig 1830), IV, 95 ff.
W. Grimm in den Gott. Gel. Anzeigen IH, S. 2026 (über U.*s "^ Wal-
ther V. d. V.'): Abdruck in W. Grimm, Kleinere Schriften II (1882), S. 386.
1829. Fr. Diez, 'Leben und Werke der Troubadours* (Zwickau) S. 613 f.
1830. 'Ludwig Uhland unser Lebewohl'. (Gelegenheitsgedicht.) Stuttgart.
1831. M. W. Götzinger, Deutsche Dichter erläutert. I. (Leipzig.) S. 351 —
414 (2. Aufl. [1844], S. 471—545). (Ludwig Uhland nebst Erklärung von
10 bez. 16 Balladen.)
G. Schwab, Besprechung der 5. Aufl. von U.'s Gedichte* (besonders
über: der Mohn, Münstersage, Ver sacrum).
1833. K. Lachmann, 'Wolfram von Eschenbach' (Berlin) p. XL, Note
(U. über das altfiranzösische Epos).
K. Simrock, ^Walther von der Vogelweide übersetzt*, Vorrede S. IV
u. VI (6. Aufl. S. XXXIV f.).
Notiz über die 6. Auflage der Gedichte (1833) in Menzels Literatur-
blatt Nr. 52 (20. Mai).
1834. (Goethe im) ^Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter' (Berlin)
VI, 306 (Äußerung vom 4. October 1831).
1835. H. Viehoff, Programm des Gymnasiums zu Emmerich S. 13
(Des Sängers Fluch).
G. Schwab, Die deutschen Volksbücher wiedererzählt S. VI (Notiz zum
Fortunat).
1836. L. Börne ^ B^ranger et Uhland in seiner Xa Balance. Revue
allemande et fran^aise* (Paris) I, 17 — 46 (Abdruck in der Hamburger Aus-
gabe der Gesammelten Schriften VU, 314 ff. [Eine Stelle aus S. 19, sowie
S. 23 f. theilt Börne in deutscher t)l)ersetzung mit in ^Menzel der Franzosen-
fresser'. New- Yorker Ausg. von Jos. Wieck III, 37 f.])
Goethe's Gespräche mit Eckermann (Leipzig) I, 65 f. (Gespräch vom
21. October 1823); vgl. H, 358 f. (von 18<51; inhaltlich stimmt damit
genau die unter 1848 angeführte Äußerung Rückert's).
K. Gutzkow, Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur (Stnttg.)
I, S. 57-66.
H. Heine in: Die romantische Schule (Hamburg): Sämmtliche Werke,
Hamburg 1861, VI, 254—270.
BIBLIOGBAPHIE DER UHLAND-LITTERATUR. 349
H. Viehoff, Ausgewählte 8tücke deutscher Dichter erläutert und auf
ihre Quellen surtickgeführt (Emmerich): I, 248 Das Schloß am Meere, 251
Des Sängers Fluch, 261 König KarFs Meerfahrt.
1837. G. Pfizer, Uhland und Rackert. Ein kritischer Versuch (Stutt-
gart und Tübingen).
1838 (?). Uhland'sche Lieder und Balladen, übersetzt von Margaret
Füller bei George Ripley, Specimens of Foreign Literature (14 vols). Boston
1838—1842 (s. Goethe-Jahrbuch V, 232).
1838. C. C. Hense: Ludwig Uhland, Halle 'sehe Jahrbücher S. 893 ff.
Meleh. Meyer, Die poetischen Richtungen unserer Zeit [Heine. Piaten.
Uhland. Rackert. Das ,dunge" Deutschland.] (Erlangen.) S. 87—116.
Varnhagen von Ense, Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften
(Mannheim) H, 53 ff., 198; vgl. in der zweiten Auflage (Leipzig 1843 ff.)
VII, 65 u. 77, IX, 232 ff., 415, 426 f. (schon 1808 und 1810 geschrieben),
auch m, 96 f. 98 und 121.
W. Grimm in den Gott Gel. Anz. I, S. 491 f. (U. 'Über das altfran-
zösische Epos'). Abdruck in W. Grimm, Kleinere Schriften II (1882), S. 474.
1839. A. V. Chamisso, Sämmtliche Werke (Leipzig) V, 287, 291 u. 316 f.
(schon 1810 niedergeschriebene Charakteristik Uhland's und seiner Lyrik).
Th. Echtermeyer, Auswahl deutscher Gedichte (Halle) S. XXI f. (die
Uhland*sche Rhapsodie), S. XXX, Note („ Sängerfluch ^), zuerst in ,,HalHBche
Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst^ 1839, Nr. 96 ff.
H. Heine, der Schwabenspiegel im Jahrbuch der Literatur, L (einziger)
Jahrgang (Hamburg), S. 335—362 (Sämmtliche Werke, XIV, 81—108; 1862).
E. Gutzkow, Jahrbuch der Literatur S. 46 ff.
R. H. Hiecke, Über den Ideengehalt in Uhland's Ballade „Des Sängers
Fluch". Gymnasialprogr. Merseburg (26 S.).
W. B. Mönnich, Über L. Uhland's Herzog Ernst von Schwaben (Nürn-
berg).
I D. Fr. Strauß, Zwei friedliche Blätter (Altena) S. 31 ff. (U. und Kerner).
L. Wienbarg, Die Dramatiker der Jetztzeit (Altena) Nr. 1 (vgl. unter
1867 Hebbel).
Vangerow, Leitfaden der Pandektenvorlesungen (Marburg) I, S. 644
(über U.'s Doctordissertation).
J. A. X. Michiels, '^Etudes sur TAllemagne'. Darin (?) u. A. 'Des Sängers
Fluch' als "^la mal^diction du chanteur .
1842. A., Dem deutschen Sänger L. Uhland (Braunschweig).
R. H. Hiecke, Der deutsche Unterricht auf deutschen Gymnasien S. 153 f.
(Schwäbische Kunde) und S. 155 u. 159 f. (die Rache).
Fr. Netter in: Schwaben wie es war und ist, herausgeg. von L. Bauer
(Karlsruhe). L Abtheilung, 4. Aufsatz.
C. C. Hense, Deutsche Dichter der Gegenwart. Erläuternde und kri-
tische Betrachtungen (Sangerhausen) I, S. 1 ff.
F. de Roisin in der Notiz zu seiner in den *^Memoires de la Soci^te
des Antiquaires de la Morinie' abgedruckten Übersetzung ^Les Romans en
Prose des Cycles de la Table Ronde et de Charlemagne' (s. E. Stengel, Bei-
träge zur Geschichte der roman. Philologie in Deutschland 1886, S. 17).
p. 4 (U. als Romanist).
350 L. FRÄNKEL
1843. Kellner, Vorbereitungen auf höheren Sprachunterricht (Erfurt)
S. 140 (Das Glück von Edenhall), 149 (Tell's Tod), 157 (Des Sängers Fluch).
1844. R. H. Hiecke in ViehoflTs Archiv für den deutschen Unterricht
I, 40 ff. (U.'s 'Einkehr*). Vgl, ebenda U, 199,
W. B. Mönnich, Ludwig Uhland und seine Gedichte. Separatabdruck
aus dem Album des literarischen Vereins zu Nürnberg.
Joh. Scherr, Poeten der Jetztzeit (Stuttgart) ; der (zwe^Jte) Aufsatz über
schwäbische Dichter behandelt besonders Uhland.
1845. Mönnich, ÜberUhland's Schauspiel Ludwig der Baier (Nürnberg).
1846. Chr. Oeser (Schröer), Weihgeschenk für Frauen und Jungfrauen
(Leipzig) S. 447—452 (U. als Balladendichter).
Po^sies allemandes par J. P. Hebel, Th. Körner, L. Uhland, H. Heine
traduites par Max Buchen (Salins, Cornu); u. A. Le comte des greiers,
le jardin des roses, trois jeunes filles, la Fauch euse.
1847. J. V. Eichendorff, Über die ethische und religiöse Bedeutung
der neueren deutschen Poesie in Deutschland (Leipzig) S. 198 ff.
- R. Hiecke, Ästhetische Erläuterungen zu U.*s Bertran de Born. (Vie-
hoff-) Herrig's Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen
n, 303—317.
Ludwig Bauers Schriften (Stuttgart) p. XL VII (Brief von 1830: U.
als Professor).
Poesie di Luigi Uhland e di altri autori tedeschi^ imitate da Nie.
Negrelli, con note e prose (Venezia, Munster).
•1848. Uhland*s „Sängers Fluch", englisch: Herrig*s Archiv f. d. Stud.
d. neueren Sprachen IH^ 247.
- Briefe Uhlands in: Briefe an Friedrich Baron de la Motte Fouqu6.
Herausgeg. von Albertine de la Motte Fouqu^ (Berlin) S. 493 — 500; Äuße-
rungen Bückert's über Uhland aus den Jahren 1814 — 1817 in seinen Briefen
S. 316 ff.
Alexander Platt, The Poems of Ludwig Uhland. New for the ffrst time
translated from the German. Together with a biographical notice of the
author and necessary notes [Leipzig).
1849. R. Foß, Zur Erklärung deutscher, vorzüglich Uhland*scher Ge-
dichte. Progr. d. Friedrich -Wilhelms-Gymnasiums zu Berlin. (I. Elfenlieder.
II. Das Märchen.)
R. H. Hiecke, Ästhetische Erläuterungen zu zwölf Uhland'schen Ge-
dichten in: F. Low und F.Körner, Pädagogische Monatsschrift HI. (Abdruck
1864 in Hiecke's Aufsätzen s. u.)
1850. Th. Kriebitzsch, Deutsche Dichtungen, erläutert (Erfurt-Leipzig):
[S. 5 des Sängers Fluch, S. 20 Klein Roland, S. 22 Roland Schildträger,
S. 25 König Karls Meerfahrt, S. 26 Schwäbische Kunde, S. 63 Die Rache].
1851. M.Hertz, Karl Lachmann (Berlin) S. 239 (L.*s Verhältniß zu ü.).
J. Schenkel, Deutsche Dichterhalle des 19. Jahrhunderts (Mainz) HI,
S. 327 bis 339 Ludwig Uhland.
1852. A. Steudener, Zur Beurtheilung von L. Uhland's Dichtungen.
Progr. d. Gymnasiums zu Brandenburg a. d. Havel.
^ 1853. Nicolaus Lenau's Briefe an einen Freund. Herausgegeben mit
Erinnerungen an den Verstorbenen von K. Mayer (Stuttgart) S. 12, 30, 35 f.,
37, 40 f., 129 u. ö.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATÜR. 351
Emma von Niendorf, Lenau in Schwaben (Leips.) S. 129 (U.'s Volkslieder).
K. A. V. Reichlin-Meldegg, K. E. G. Paulus und seine Zeit (Stuttgart)
II, 271 f. (Brief U/s an Paulus vom 18. Dec. 1818.)
Sanders in: Der praktische Schulmann, herausgegeben von F. Körner
(Leipzig) II, S. 218 (Schwäbische Kunde).
Ludwig Uhland. Eine Biographie (Cassel, Bälde)* in : Moderne Classiker.
Deutsche Litteraturgeschichte der neueren Zeit (von W. Neumann).
(A. Teilkampf) Phantasus. Eine Auswahl aus erzählenden Dichtungen
der Bomantiker. Mit einleitenden Bemerkungen über die romantische Schule
(Hannover; Neudruck, Erfurt 1883) S. 47.
1854. J. Grosse, Über die Bedeutung der modernen Romantik mit
Rücksicht auf die bildende Kunst (Berlin) S. 4 u. 9 (vgl. auch S. 22 u. 30).
Wendt, Die dramatischen Dichtungen von Uhland: Herrig's Archiv
15, 1—16.
A. Steudener, (U.'s) Scheiden und Meiden: Herrig's Archiv l5, 412.
1855. Weimarisches Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und
Kunst, herausgeg. von Hoffmann v. Fallersieben und Oscar Schade (Han-
nover) HI, 215 f. Brief U.'s an Gustav Anton vom 27. Nov. 1842.
A. X. Schurz, Lenau*s Leben (Stuttgart) I, 124 u. 347.
Aus dem Leben von Johann Diederich Gries. Nebst seinen eigenen
und den Briefen seiner Zeitgenossen. Als Handschrift gedruckt o. 0. (Leipzig,
Brockhaus) S. 174 f. (Schwab über U.).
1856. K. Mayer^ Das Sonntagsblatt. Eine Erinnerung aus der roman-
tischen Literaturperiode: Weimar. Jahrbuch V, 33 — 51 (vgl. in Majer's
Ludwig Uhland und seine Zeitgenossen' 1867, I, 16 ff.).
R. Foß, Erläuterungen zu Uhland's Eberhard der Greiner (Berlin).
Joh. Scherr, Dichterfürsten (Leipzig) Nr. 3. Uhland.
Herrig's Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen 19, 123 u. 125
(U.*s Verdienste um die Popularisierung der älteren deutschen Literatur).
1857 G. Liebert, Ludwig Uhland. Eine Skizze (Hamburg). [2. Aufl.
1863].
• Uhland's „Einkehr" englisch: Herrig s Archiv 22, 221.
1858. K. Klüpfel, Gustav Schwab. Sein Leben und Wirken (Leipzig)
S. 30, 49, 108 f., 203 f., 226 f., 275 ff., 324 u. ö.
Seydel in: Der praktische Schulmann (Leipzig) VI, S. 90 (Der blinde
König).
C. Gude, Erläuterungen deutscher Dichtungen (Leipzig). Erste Reihe
(3. Aufl. 1870) S. 177 Des Sängers Fluch, 239 Klein Roland, 247 Der
blinde König, 251 Roland Schildträger, 262 Schenk von Limburg, 269 Lied
eines Armen, 277 Schäfers Sonntagslied. Dasselbe, dritte Reihe (2. Aufl. 1869)
S. 176 Des Knaben Berglied, 186 Schwäbische Kunde, 204 Bertran de Born,
211 Graf Eberhard der Rauschebart.
1859. K. Th. Kriebitzsch, Musterstäcke mit Erläuterungen (Glogau):
S. 41 Lied eines Armen, 93 Des Knaben Berglied, 99 Der gute Kamerad,
201 Der weiße Hirsch.
Rob. Prutz, 1. Auflage des unter 1860 genannten Buches (s. d.).
«Sachs, Herrigs' Archiv 26, 139 f. (U. und das Altfranzösische).
«-Jul. Schwenda, Schiller und Uhland. Eine Dichterparallele (Wien).
352 ^' FRÄNKEL
1860« O. Eiben, Das Schiller-Fest in SchiUer's Heimat S. 53.
^ B. Foß, Erklärung Uhland'scher Gedichte (Das Nothemd, Das Schwert,
Siegfried's Schwert, Die drei Lieder): Herrig's Archiv 28, 187 — 208.
H. R., Ludwig Uhland: Gartenlaube Nr. 41.
Hob. Pmtz, Die deutsche Literatur der Gegenwart. 1848 — 1858 (Leipzig)
I, S. 71 u. 83 (2. Aufl.).
1861. K. Mayer, Ludwig Uhland : Album schwäbischer Dichter (Tubingen)
1. Lief. (32 S.).
Julian Schmidt, Ludwig Uhland (Biographie und Charakteristik): Illu-
strirte Zeitung (Leipzig) Nr. 99 (9. Febr.).
^ G. Köhler, Die Vertreter der schwäbischen Dichterschule nach ihren
ethischen und religiösen Gesichtspunkten. Progr. (14 S.)
1862. I. vor dem Tode:
J. y. Laßberg, bei Sulpiz Boisseree (Stuttgart, Cotta) I, 570.
W. Petsch, Ludwig Uhland. Jubelschrift (Berlin).
A. Wolf im Jahrbuch für romanische und englische Literatur, heraus-
gegeben von Wolf und Ebert 4, 227 (U. und das altfranz. Epos).
G. Zimmermann , Uhland aw lyrischer und epischer Dichter (Progr,
Darmstadt).
L. Schücking, Annette von Droste. Ein Lebensbild (Hannover) S. 139
(U. und Freih. von Laßberg)*).
IL nach dem Tode: '
M. Georgii, Zum Andenken an Uhland (Leichenrede. Tübingen).
W. L. Holland, Chrestien's Chevalier au lion (Neuauflagen 1879 und
1885): Anmerkungen zu V. 2185, 4088, 5188, 5933 f. u. ö.
Otto Müller, An Uhland's Grab: Didaskalia (Frankfurt a. M.) Nr. 319
u. 320 (18. November).
Die Uhland-Feier des Liederkranzes: Didaskalia Nr. 319 u. 320, Nr. 326
u. 327 (K. W. 25. November) und 'Feuilleton der Neuen Frankfurter Zeitung*
Nr. 277 (25. November).
Theod. Creizenach, Gedächtnißrede auf L. Uhland: Didaskalia Nr. 328
bis 330^*).
(Fr. Notter), Ludwig Uhland, Nekrolog: Schwäbischer Merkur, Dec.
(Sonderabdruck von 12 S.).
Franz Pfeiffer, Ludwig Uhland. Ein Nachruf (Wien), Sonderabdruck
aus der 'Wiener Zeitung* vom 29. November, Nr. 44, Beilage. (Wiederabdruck
in Fr. Pfeiffer, Freie Forschung. Wien 1867, S. 397—412).
^) Vgl. L. Schflcking's Gedicht Die Meersburg 2. Str. 6—11 (s. z. B. Echter-
meyer's Auswahl deutscher Gedichte'^ S. 698 f.). Einzelne Mittheilungen der A. von
Droste-Hülehoff über U. in den neuesten Veröffentlichungen über sie, z. B. in den
1887 erschienenen Biographien von Hfiffer und von Kreiten. Eine Probe ans ihrem
Tagebuche ergänze den oben gegebenen Hinweis: „Auch Uhland war hier [bei Laß-
berg]; Gott, was ist das für ein gutes, schüchternes Männchen. **
') Die letzten drei Notizen verdanke ich Prof. Th. Creizenach's Witwe in Frank-
furt a. M., der ich dadurch ebenso verpflichtet bin wie Herrn Prof. W. Creisenach
in Krakau für seine freniidliche Benachrichtigung.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND- LITTER AT UR. 353
(Gust. Pfiser), Lndwig Uhland: Allgemeine Zeitung (Augsburg) Nr. 338
bis 345 des Jahrgangs.
A. Ruperti, Ludwig Uhland: Zeitung „Telegraph" vom 31. December.
L. Scherk, Erinnerungen an L. Uhland: Weserzeitung (Bremen) Nr. 5904,
vom 18. November.
LudwigUhland : Gedenkblätter auf das Grab des Dichters (Tübingen) 32 S.
Ludwig Uhland: Grenzboten (Leipzig) II. Theil des Jahrgangs S. 400 ff.
Der ühland^sche Stamm: Tübinger Chronik Nr. 228, S. 931 und Nr. 234,
S. 956.
"" 1863. Berthold Auerbach, Rede zum Gedächtnisse Ludwig Uhland's:
Jac. Grimmas Deutsche Blätter, October (Abdruck in Auerbach^s Deutschen
Abenden N.F, Stuttg. 1867, S. 121 — 140). VgL auch'Voßische Ztg.* Nr. 26,
Beil. 1 (Die UhlandFeier in Berlin) und 'Berliner Allgem. Ztg.* Nr. 53 ("Die
Ühland-Feier im Victoria-Theater* zu Berlin, mit Auerbach's Festrede).
Adolf Bacmeister, Rede zu Uhland*s Todtenfeier (Reutlingen). Vgl.
Ad. Bacmeister, Abhandlungen und Gedichte 1886.
(Reinhold Bechstein), Unsere Tage (Braunschweig) Heft 50, S. 686 — 704.
Auguste B^ranger, L. Uhland: (Genfer) Biblioth^que universelle,
20. Januar.
Ludwig Eckardt, L. Uhland. Gedächtnißrede (Karlsruhe). Abdruck in:
Eckardt, Wandervorträge aus Kunst und Geschichte (Stuttg. 1868) S. 1 59—178.
K. Foß, Ludwig Uhland. Ein öffentlicher Vortrag (Berlin) 38 S.
Ludwig August Frankl in: Die Presse (Wien) Nr. 23, 27, 36.
Joh. Gihr, Uhland's Leben. Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk
(Stuttgart) 381 S. *)•
Otto Jahn, Ludwig Uhland. Vortrag. Mit literarhistorischen Beilagen
(S. 217 — 231 'chronologisches Verzeichniß der Gedichte' von Michael Beinays)
231 S. (Bonn) Vgl. Literar. Centralblatt, herausgeg von Zarncke, Sp. 597.
(W. Jordan), Uhland als Sagenforscher: Deutsche Vierteljahrsschrift
XXVI, S. 172 — 198 (vgl. die Berichte des Frankfurter Freien deutschen
Hochstifts von demselben Jahre).
Ad. V. Keller, Urkundliches zu Uhland^s Leben: Staatsanzeiger für
Württemberg Nr. 25.
(K. Klüpfel), Johann Ludwig Uhland: Unsere Zeit (Leipzig) Bd. VII,
74. Heft, S. 81—108.
C. Koch^ Gedächtnißrede auf L. Uhland (Bräunschweig).
A. F. Krannhals, Ludwig Uhland: Baltische Monatsschrift VH, S. 392
bis 408.
Herm. Marggraff, Blätter für literar. Unterhaltung (Leipzig Nr. 28,
S. 513 f. (über Notter, Jahn, Gihr, Foß).
K. Mayer, LudwigUhland. Gedenkblätter (Tübingen) [2. Aufl. 1873*)].
') Nach der Angabe der Buchhändler-Nachschlagewerke, der meisten Litterar-
historiker und der mir vorliegenden Exemplare zu urtheilen, existiert wohl nur eine
Ausgabe von 1864. Es ist möglich, daß der Zahlenfehler aus einer Quelle stammt
und sich durch eine Reihe von abhängigen Schriften forterbte.
') Unter dem Titel : Ludwig Uhland, geschildert you seiDem Freunde Karl Mayer.
Festschrift zur Feier der Enthüllung des Uhland-Denkmals.
354 ^ FBlNKEL
Nägele, Ludwig Uhland (Rede im Mnrrhardter Liederkranz) : Der Beob-
achter (Stnt^art) Nr. 48.
« Friedrich Notter, Ludwig Uhland. Sein Leben und seine Dichtangen.
Mit zahlreichen ungedmckten Poesien aus dessen Nachlaß und einer Aaswahl
von Briefen (Stuttgart). (Vgl. Literar. Centralblatt Sp. 1076.)
Th. Paur, Zu Uhland's Gedächtniß (Görlitz) 10 S. Sonderabdmck aus
dem Neuen Lausitzischen Magazin.
« £. Petzholdt, Graf Eberhard der Rauschebart. Rhapsodie von Uhland:
Herrig's Archiv 3321—3344.
Franz Pfeiffer, Germania 8, 66 f. (Kurzer Nachruf und Notiz über seine
letzten Arbeiten.)
R. Prutz, Deutsches Museum (Leipzig) XIII, Nr. 1.
Jos. Rank, Aus meinen Wandeijahren (Wien). Vgl. Fr. Bommuller,
Biographisches Schriftstellerlexikon der Gegenwart (1882) S. 584; auch Jos.
Ranky Erinnerung an Berthold Auerbach: Saale-Ztg. (Halle) vom 22. April
1887.
Arnold Rüge, Aus früherer Zeit II, S. 108 ff.
J. W. Schäfer^ Zur Biographie Ludwig Uhland*s : Bremer Sonntagsblatt,
Nr. 25, S. 209—211.
« Ad. Scholl, Erinnerungen an Ludwig Uhland: Orion, Monatsschrift für
Litteratur und Kunst, herausgeg. von Ad. Strodtmann (Hamburg) I, 122 — 132.
(Abdruck in : Ad. Scholl, Gesammelte Aufsätze zur classischen Literatur alter
und neuer Zeit. Berlin 1884, S. 353—368.)
' Heinrich v. Treitschke, Zum Gedächtniß Ludwig Uhland's: Preußische
Jahrbücher, herausgeg. von R. Haym XI, S. 323—348 (vgl. S. 15 ff. Treitschke s
Charakteristik Wangenheim's) ; Abdruck: Tr., Historische und politische Auf-
sätze (Leipzig 1865) S- 278—312.
Fr. Yischer, *Ludwig Uhland' in seinen Kritischen Gängen, N, F. (Stutt-
gart) IV, 97—169.
W. Wackernagel, Gedächtnißrede auf Ludwig Uhland: Gelzer's Prote-
stantische Monatsblätter XXI, S. 1—20 (Abdruck: W. Wackernagers Kleine
Schiiften H (1873), S. 481—503).
» Franz Weber, Ein Besuch bei L. Uhland : Bremer Sonntagsblatt Nr. 35,
S. 289—291.
Heinr. Weismann, L. Uhland's dramatische Dichtungen. Für Schule
und Haus erläutert (Frankfurt a. M.). Vgl. Grenzboten 1864, S. 442.
Derselbe, Über Uhland's Ernst von Schwaben: Progr. Frankfurt a. M.
— 1 — , Uhland-Literatur (über Jahn, Notter, Gihr, Vischer): Österrei-
chische Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und öffentliches Leben (Nr. 45)
S. 594—598.
Über Ludwig Uhland: Evangelische Eirchenzeitung , herausgeg. von
Hengstenberg Nr. 9, Nr. 33 (S. 388—397).
Ludwig Uhland der Dichter und der Mensch: ebenda Nr. 46, Beilage
S. 564 f.
Noch eine Stimme für Uhland: ebenda Nr. 67, Beilage. S. 798 f.
Ludwig Uhland, ein deutscher Sänger. Des Dichters Leben und Wirken.
Nach den zuverlässigsten Quellen. (Mehrere Abdrücke. Meppen. 15 S.)
L. Uhland: Blackwood's Magazine, may Art. 3.
BIBLIOGRAPHIE DER ÜHLAND-LITTERATÜR. 355
L. Uhland: Quarterly Review, july Art. 2, p. 34 — 59.
Allgemeine Zeitung (Augsburg) 22. Februar, Beilage.
Charles Bielefeld, Ballads of Uhland, Goethe, Schiller. With intro-
duction to each poem, copious explanatory notes and biographical notices
(London. Bell and Daldy. Foreign Classics XII, 197).
1864.- R. Foß, Über ühland's Gedichte: Herrig's Archiv 35, 129 ff.
Karl Frenzel, Büsten und Bilder (Hannover) S. 136 — 149.
" R. H. Hiecke, Gesammelte Aufsätze zur deutschen Literatur, herausgeg.
von G. Wendt (Hamm); S. 1 — 27 Abdruck aus der Pädagogischen Monats-
schrift III (s. 1849), Erläuterungen zu: Schäfers Sonntagslied , Lied eines
Armen, Zimmerspruch, des Knaben Berglied, das Schwert, Siegfrieds Schwert,
der blinde König, Klein Roland, Roland Schildträger, König Karls Meer-
fahrt, Graf Richard ohne Furcht, Schwäbische Kunde; S. 27 — 42 Bertran
de Born (s. 1847), S. 42 f. Einkehr (s. 1843), S. 55-— 80 des Sängers
Fluch (s. 1838).
Ed. Hobein, Über Uhland's Dramen: Schaubühne, herausgeg. von
F. Wehl, Heft 5—6.
•^ Alex. Kaufmann, Herrig*s Archiv 35, 476 f. (mit Brief U.'s über die
Quellen seiner Rolandsgedichte).
Lüben und Nacke, Einführung in die deutsche Literatur (Leipzig) III
(3. Aufl. 1869) [S. 333 Einkehr, 335 Des Knaben Berglied, 341 Der weiße
Hirsch, 342 Die Rache, 343 Das Glück von Edenhall, 349 Schwäbische
Kunde, 360 Der gute Kamerad, 363 Klein Roland, 370 Schenk von Lim-
burg, 373 des Sängers Fluch, 387 Graf Eberhard der Rauschebart].
Frz. Sandvoß, Rede auf Uhland (Friedland i. M.).
F. Scholl, Reden zur Erinnerung an zwei Heroen im deutschen Liede,
Franz Schubert und Ludwig Uhland (Stuttgart).
Jos. Strobl, Quellen zu drei Romanzen Uhlands (Wien), Beilage zur
Wiener-Ztg. (über den Cyklus 'Sängerliebe*).
W. W. Skeat, The songs and ballads of Uhland (vgl. ebenders. in Gold-
schmidt's 'German poetry*).
Challemel-Lacour: s. unter 1866.
1865. Rieh. Gosche, Jahrbuch für Litteraturgeschichte I, 379 — 381
(Die Uhland-Literatur von 1883)
Fritz Ohnesorge , Ludwig Uhland. Biographisch - litterarische Skizze
(Dresden).
^ (Emilie Uhland) Ludwig Uhland. Eine Gabe für Freunde zum 26. April
1865. Als Handschrift gedruckt (s. unter 1874), Stuttgart. [Vgl. Gott Gel.
Anz. 1865, Nr. 24, S. 959 f.]
Uhland's Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage (Stuttgart)
I, S. in— VIII Vorwort von Holland, Keller und Pfeiffer; S. XI— XIV Vor-
wort von Keller.
1866. K. Bartsch, 'Uhland's Schriften zur Geschichte der Sage und
Dichtung. Erster Band*: Germania, herausgeg. von Pfeiffer (Wien) U, 453
bis 467,
356 L. FRÄNKEL
P. Challemel-Lacoar, Jean Lonis ühland: Novelle biographie g6n6rale
(Didot-Hoefer, Paris) 45, 773 — 777 (vgl. auch den Artikel eben desselben:
Revue gennanique, tome 31 (1864) p. 451 — 477)*).
A. W. Grabe, Ästhetische Vorträge n. (Iserlohn) Deutsche Volkslieder.
Vom Kehrreim des Volkslieds. Der Kehrreim bei Qoethe, Uhland und Rückert.
H. Prutz, Ludwig Uhland als Literarhistoriker: Deutsches Museum
Nr. 47 u. 48.
D. Fr. Strauß, Kleine Schriften N. F. (Berlin), S. 303 — 313 (Uhland und
Kerner): abgedruckt aus dem Nekrolog auf Kemer im Schwab. Merkur 1862.
Uhland's Schriften u. s. w. 11, S. IIT f. Vorwort von Holland.
Uhland's Schriften u. s. w. III, S. V — XII Vorwort von Pfeiffer.
1867. R. Bechstein, Ludwig Uhland's gelehrte Werke I— III: Blätter
für literarische Unterhaltung (Leipzig) Nr. 7, 14, 27.
(3) Briefe J. Grimmas' an Ludwig Uhland : Germania , herausgeg. von
Pfeiffer 12, 115 f.
Friedrich Hebbel, Sämmtliche Werke (Hamburg) XH, 214 (vgl. 208
ein Urtheil Wienbarg*s über Uhland). Vgl. auch unter 1888.
K. Mayer, Ludwig Uhland, seine Freunde und Zeitgenossen. Erinne-
rungen. 2 Bde. (Stuttgart). („Vgl Deutsches Museum 1867, Nr. 25; Allgem.
Ztg., Beil. Nr. 180; Wiener-Ztg. 142; Hamb. Nachrichten 133; Kölnische
Ztg. 241; „Über Land und Meer" Nr. 52; Dohm, Sonntagsblatt Nr. 36;
Volksblatt für Stadt und Land Nr. 94; Blätter für literar. Unterh. Nr. 52;
Weserzeitung 7444". Bartsch, Germania 13, 321.)
Ludwig Uhland und die deutsche Dichtkunst im 15. und 16. Jahr-
hundert: Magazin für die Literatur des Auslands Nr. 13.
Aufzeichnungen des schwedischen Dichters P. D. A. Atterbom über
berühmte Männer und Frauen. Übersetzt von Frz. Maurer (Berlin) S. 163,
173, 204, 216 (U. bei seinen Zeitgenossen 1817—1819).
1868. Dyckhoff, Die Bildsäule des Bacchus von Uhland, Nadowessische
Todtenklage von Schiller, Hochzeitlied von Goethe, für die Schule erklärt.
Progr. des Progymn. zu Bietberg (13 S.).
A. Freybe, Klopstock's Abschiedsrede über die epische Poesie be-
leuchtet, mit einer Darstellung der Theorie Uhland's über das Nibelungenlied
(Halle).
C. Gude, Erläuterungen deutscher Dichtungen. Vierte Reihe (Leipzig).
S. 139 Einkehr, 224 Das Glück von Edenhall.
Uhland*8 Schriften u. s. w. VI, S. HI f. Vorwort von Keller.
Uhland's Schriften u. s. w. VII, S. IH f. Vorwort von Keller.
D4sir6 Corbier, französische Übersetzung von U.'s 'Ständchen' (SSr^nade)
und der *Wirthin Töchterlein^ (La fiUe de THotesse): Herrig's Archiv f. d.
Studium d. neueren Sprachen 43, 463.
1869. Diez, Etudes litt^raires sur TAUemagne contemporaine (Paris,
Hachette): Uhland (Körner. Lee fröres Grimm. Goethe).
*) Vor Ch. L. urtheilten über Uhland den Gelehrten: Victor Ledere in 'Dis-
cours sur r^tat des lettres au 14** siöcle', S. R T. in der Biographie universelle,
nouv. id, 42, 338—342 (1864) und Lom^nie in der Galerie des contemporains illustres
par un homme de rien t. IX.
I
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATUR. 357
R. Foß, Zur Carls'Sage: Progr. der Victona-Schale zu Berlin (31 S.);
behandelt Klein Roland, Roland Schildträger, K^nig Karrs Meerfahrt (nament-
lich hinsichtlich der Quellen).
A.W. Grube, Biographische Miniaturbilder (Leipz.) 2. Aufl. I, 278 — 303.
Gustav Hauff, Über Uhland's Konradin: Herrig's Archiv 44, 382 f.
Fr. Notter, Ungedruckte Briefe von Ludwig Uhland: Westermann s
Illustrierte deutsche Monatshefte, November-Nummer.
E. Paulus, Ludwig Uhland und seine Heimat Tübingen. Eine Studie
(Berlin) 52 S. (Neue Ausgabe, Stuttgart 1887, 48 S.) Vgl. Kettner, Ztschr.
f. deutsche Philol. 20, 376, Magazin f. d. Lit. d. Ausl. Nr. 10, Schw&b.
Chronik 303, Wiener-Ztg. 298, Badische Landeszeitung 1868, Nr. 292 u. a.
(s. Bartsch, Germania 15, 464).
L. Uhland, Poems translated into English verse with a short biogra-
phical memoir of the poet, bj W. C. Sandars (London).
A. F. C. Yilmar, Lebensbilder deutscher Dichter (Frankfurt a. M.)
S. 149 — 158. Neuauflage von M. Koch, L. d. D. und Germanisten (1885),
Marburg) 15. Aufsatz: Uhland.
Feodor Wehl, Am sausenden Webstuhl der Zeit (Leipzig) U, 162 — 171.
W. Wilmanns, Walther von der Yogelweide herausgegeben und erklärt
(Halle) S. 27.
Tuiskon Ziller, Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik
1. Jahrg. (Leipzig) S. 107 (Das Schwert).
Uhland's Schriften u. s. w. IV, S. III— VL Vorwort von Holland.
1870. A. Goerth, Über Uhland's 'des Sängers Fluch V^ertrand de Born ,
*die verlorne Kirche, Ich hatt* einen Kameraden': Herrig's Archiv 46,
390—397.
R. V. Raumer, Geschichte der germanischen Philologie (München)
S. 566—579 und 671.
K. Simrock, Walther von der Vogelweide, herausgegeben und erläutert
(Bonn) S. 22 (1828 in 1822 zu ändern!).
^Weichelt, Uhland als Liederdichter: Progr. Demmin (vgl. Herrig*s
Archiv 47, 344).
Briefwechsel zwischen Joseph Freih. von Laßberg und Ludwig Uhland,
herausgegeben von Franz Pfeiffer. Mit Biographie Pfeiffer's von K. Bartsch
(Wien). Nachtrag Germania 30, 221 f. [Besprochen von Sachse in Herrig's
Archiv 46, 316 — 323; Magazin f. d. Lit. des Ausl. 32; Athenaenm vom
12. Febr.]
Rieh. Gosche, Archiv für Literaturgeschichte I, 561 (zu Uhland*s Sagen-
forschung; vgl. ebd. U, 590).
Uhland's Schriften u. s. w. V, S. III f. Vorwort von Keller.
_ 1871. Paul Eichholtz, Beiträge zur Erklärung Uhland'scher Balladen:
Zeitschrift f. d. Gjmnasialwesen (Berlin) 25, 1 — 10.
Fahle, Uhland's Balladendichtung: Masius* Jahrbücher für Pädagogik
104, 422.
W. Hoffner, Ludwig Uhland : Westermann's Ulustrirte deutsche Monats-
hefte, October, S. 94—99.
Karl Janicke, Joseph von Lafiberg und Ludwig Uhland: Historisch-
politische Blätter 4. Heft des Jahrgangs, S. 236—256.
358 L. FRiNKEL
Derselbe, Zur Geschichte der deutschen Philologie: Ergänznngsblätter
zur Kenntniß der Gegenwart S. 209—216 (knüpft an den Laßberg-Uhland-
schen Briefwechsel an).
A. V. Wnrzbach, Ludwig Uhland (Wien); Abdmck ans: Die Zeitgenossen I.
F. G. Sintenis, Goethe und Uhland (Dorpat). Vgl. Gott. Gel. Anz. 1872,
S. 278.
1872. Michael Bemays, Ludwig Uhland als Forscher germanischer
Sage und Dichtung: Im neuen Reich, herausgeg. von A. Dove 11, 81 — 96.
^ F. Sintenis, Goethe's Einfluß auf Uhland: Neue Jahrbucher für Philo-
logie und Pädagogik 106, 369—388 und 10«, 386 f.
, Bob. Boxberger, Die Quelle von U.'s Gedicht 'Schwäbische Kunde':
Archiv für Literaturgesch. II, 270—272.
1873. Uhland's Schriften u. s. w. VUI, S. III— VI Vorwort von Holland.
H. Dederich, Uhland als episch-lyrischer Dichter besonders im Ver-
gleich mit Schiller (Paderborn
K. Mayer, s. unter 1863.
" P. Eichholtz, Uhland*s schwäbische Balladen auf ihre Quellen zurück-
geführt (Progr. des Berliner Gymn. zum grauen Kloster, 28 S.)-
Das Uhlanddenkmal (in Tübingen): Im neuen Reich III, 2, 112 — 115:
Enthüllung des Standbildes von Ludwig Uhland in Tübingen, nebst
den Reden und Gedichten (v. Gerok, Notter, A. v. Keller u. A.). Tübingen.
L. Tobler (in ^Mythologie und Moral*): Im neuen Reich III, 2, 1G8 f.
(zu U.*s ^Ruhethal* und die verlorene Kirche*),
^ W, Wackernagel, Poetik, Rhetorik und Stilistik. Herausgegeben von
L. Sieber (Basel). S. 99 f. (U.'s Balladen und Romanzen), 123 (Lieder),
"127 ('mimische Poesie' in U/s Lyrik), 141 (Epigramme, besonders 'Ruhe-
thaO, 170 (einstrophige Lieder), 407 und 413 (*der Räuber*), 4i4 (Ernst
von Schwaben 1289 ff.), 424 ('Wir sind nicht mehr*), 434 (der gute Kamerad)
[2. Ausg. 1888].
^1874. P. Eichholtz, Uhland's französische Balladen auf ihre Quellen
zurückgeführt. (Abdruck aus der Festschrift zur dritten Säcularfeier des Ber-
liner Gymn. zum grauen Kloster).
Joseph von Görres, Gesammelte Briefe 2 und 3 Freundesbriefe (1802
bis 1845), herausgeg. vron Franz Binder (München; Der 'Gesammelten Schriften
8. und 9. Band): enthält auch Briefe von Uhland.
-W. L. Holland, Über Uhland's Gedicht: Die Mähderin (Tübingen) 8 S.
H. Kämmel, Ludwig Uhland (Zittau).
* Emilie Uhland, Ludwig Uhland's Leben. Aus dessen Nachlaß und aus
eigener Erinnerung zusammengestellt von seiner Witwe. (Stuttgart). Abdruck
des Manuscriptdrucks von 1865. (Eine größere Anzahl Besprechungen siehe
bei Bartsch, Germania 20, 451).
Ludwig Uhland. Studien zu seinem Leben: Allgemeine Zeitung (Augs-
burg) 213, Beilage.
H. Weismann, U.'s Ludwig der Baier. Schulausgabe mit (Einleitung
und) Anmerkungen (Stuttgart).
1875. (J. A. M.?) Schaepman, B. von Meurs over Ludwig Uhland,
Onze Wächter, Juli, S. 55—64.
BIBLIOGRAPHIE DER ÜHLAND-LITTERATÜR.
F. Sintenis, Über Immermann's Mänchhaasen (ein Vortrag) und Goethe
und Füret Pückler-Muskan (eine Stndie). Dorpat, S. 3 (U/s Verb<niß zu
seiner Gattin).
1876. Uhland's Gedicbte nnd Dramen (Stuttgart, Cotta): teztkritische
Vorreden von W. L. Holland. I, p. ÜI f . und HI, p. III f. nebst chrono-
logischen und alphabetischen Übersichten II, p. 316 — 340.
W. L. Holland, Über ü.'s Ballade: Merlin, der Wilde (Stuttgart).
Derselbe, Wettgesang s^ischen Uhland und Bückert (Tübingen).
Oskar Jäger, Ludwig Uhland. Vortrag. (Sonderabdruck, identisch mit
dem unter 1879 genannten) gehalten zu Koblenz. (Mannscript.)
A. V. Keller, Ein Gedicht Ludwig Uhland's, Freunden zum Gruß mit-
getbeilt (Tübingen).
Keinhold Köhler, Archiv für Literaturgeschichte 5, 4 f. ('Ach, Alm'
in U.'s Schlacht bei Beutlingen).
Beuter, Die Natur im Bereiche der dichterischen Stoffwelt (Progr. der
höheren Bürgerschule zu Saarlouis) S. 15 U/s 'Dichterwald*.
A. Schleusinger, Klein Boland, der sterbende Boland, der getreue
Eckart auf Quarta erklärt (Programm Ansbach, 28 S.).
W. Schleusner, Über die Nothwendigkeit und den Plan der Uhland-
Lectüre auf der höheren Schule (17 S. Progr. Höxter). Bielefeld. Vgl. unter
1878.
£d. Schmidts Weißenfels, Ferdinand Freiligrath. Ein biographisches Denk-
mal (Stuttgart) S. 45 f. (U. und Freiligrath).
H. Weismann ^ U.'s Herzog Ernst von Schwaben. Schulausgabe mit
(Einleitung und) Anmerkungen (Stuttgart).
1877. K. Frenzel, Berliner Dramaturgie (Hannover) II, S. 57 — 65
(^Emst von Schwaben' auf der Berliner Hofbühne am 31. Januar 1863),
S. 378 u. 415 (Grillparzer mit U. verglichen).
A. V. Keller, Uhland als Dramatiker. Mit Benutzung seines handschrift-
lichen Nachlasses (Stuttgart),
J. W. Schäfer, Ludwig Uhland*s ausgewählte Gedichte mit Anmer-
kungen (Stuttgart).
Th. Ziegler, Studien und Studienköpfe aus der neuen und neuesten
Litteratur (Schaffhausen) S. 193 ff.
1878. Bob. Bozberger, Uhland als Dramatiker. Zu A. v. Keller*s
gleichnamigem Buche: Archiv für Literaturgesch. 7, 216 — 224.
Derselbe, Briefe von Uhland: ebenda 225—235.
J. Hense, Bomanze und Ballade I. (Jahresbericht über das Gymnasium
zu Warburg), S. 7 (Das Typische in 'Des Sängers Fluch*).
Ad. Bümelin, L. Uhland als Dramatiker: Preußische Jahrbücher 42,
S. 121—159.
W. Schleusner, Zur Uhlandlectüre (Leipzig).
Erich Schmidt, Der Text der Uhland'schen Gedichte nach Holland*s
Bevision: Anzeiger für deutsches Alterthum und deutsche Litteratur, heraus-
gegeben von Steinmeyer 4, 224 — 231.
1879. Bob. Boxberger, Die Quellen von Uhland's Bomanze 'Don Mas-
sias': Archiv für Literaturgesch. 8, 137 — 142.
. H. Düntzer, Uhland's Balladen und Bomanzen, erläutert (Leipzig).
360 L. FBÄNKEL
P. Eichholtz, Quellenstudien zu Uhland's Balladen (herausgeg. von
G. Hinrichs, Berlin) enthält auch die unter 1871, 1873, 1874 aufgeführten
Aufsätze [besprochen von Bellermann: Zeitschr. f. d. Gymnasialwesen 34,
147—154].
J. Hense, Romanze und Ballade II. (Jahresbericht über das Grjmnasium
zu Warburg), S. 15—18, 'Uhland\
0. Jäger, *Ludwig Uhland' in der Festschrift zur Begrüßung der 34. Ver-
sammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu Trier (Bonn), S. 31 — 52.
A. E. Philipps, Zur Theorie des neuhochdeutschen Rhjthmus (Leipzig.
Diss.) S. 37 A. 2, 39 A. 3, 41 A , 49 A-, 60 f., 82 A. , 87—89 (zum
Rhythmus Uhland's).
F. J. Scherer, Die Kaiseridee des deutschen Volkes in Liedern seiner
Dichter seit dem Jahre 1806 (Jahresbericht des Laurentianum zu Arnsberg),
S. XVII f. (ü.'s deutsch-patriotische Gedichte).
Felix Liebrecht, Zur Volkskunde (Heilbronn) S. 54 ff. Die Todten von
Lustnau.
J« Schulzen, Mittelhochdeutsche Anklänge bei Uhland (17 S.) : Progr.
des Real-Progymn. in Thann i. E.
Camillus Wendeler, Fischartstudien des Freiherrn von Meusebach mit
einer Skizze seiner literarischen Bestrebungen (Halle a. d. S.) S. 1 , 4 — 8,
10, 14, 26—29.
- 1880. K. L. Leimbach, Ausgewählte deutsche Dichtungen erläutert
(2. Aufl. Kassel) IV, 280 Schwäbische Kunde, 286 Eberhard der Rausche-
bart, 306 Des Sängers Fluch, 315 Bertran de Born, 271 das Schloß am
Meer, 274 Der blinde König.
Anton Birlinger, Uhland's Schwäbische Kunde : Wochenschrift Im neuen
Reich XI, S. 193—196.
• Rob. Hein, Archiv für Literaturgeschichte 9, 244 (zu Uhland's *Auf
das Kind eines Dichters').
E. Koch, Die Sage vom Kaiser Friedrich im Kiffhäuser (Abhandlung
zum Jahresbericht Grimma) S. 23 A. 57 (Zu U.'s *Am 15. October 1816*
und Rückert's Verhältniß zu U.). Vgl. auch S. 30 A. 86 (schon 1875 ge-
schrieben).
Ed. KoBchwitz, Karls des Großen Reise nach Jerusalem und Constan-
tinopel (Alt-französische Bibliothek, herausgeg. von W. Förster. H. Heil-
bronn); Excurs 10: Dramatische nachgelassene Bearbeitung von Uhland.
H. Schults, Der Einfluß des Volksliedes und der älteren Dichtung auf
die Uhland'schc Poesie: Herrig^s Archiv 64, 11 — 24.
H. Steinthal, Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft
11, 32—36 (U.'s Der gute Kamerad).
•^ 1881. K. Bartsch, Romantiker und germanistische Studien in Heidel-
berg 1804 — 1808 (Heidelberger Prorectoratsrede) S. 13 (U. und Des Knaben
Wunderhorn).
J. G. Fischer, Die Natur in der Kunst (Jahresbericht, Stuttgart) S. 14 f.
(U.'s Naturanschauung).
H. Fischer, Eduard Mörike. Ein Lebensbild des Dichters (Stuttgart)
S. 17 und 27—29.
K. Fulda, Chamisso und seine Zeit (Leipzig) S. 102 (vgl. S. 70 f.):
U; und Chamisso's Fortunat.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLANDLITTERATUa 361
K. Goedeke, Gmndriß zur Geschichte der deutschen Dichtung III,
S. 320—339 (vgl. auch 8. 841, 879, 1019, 1401).
K. Klüpfel, Gustav Schwab als Dichter und Schriftsteller (Stuttgart)
S. 6, 10, 14 f., 22, 28 f.. 31—38, 39.
Ambros Mayr, Die Häupter des schwäbischen Dichterbnndes I. Ludwig
Uhland: Programm des Gymnasiums zu Kommotau.
Chr. Oeser, Briefe an eine Jungfrau Aber die Hanptge genstände der
Ästhetik. 23. Aufl. (vgl. 1846) S. 520—531 ühland.
H. Stöhn, Literarische Skizzen für die deutsche Frauenwelt (Leipzig)
5. 202-226 L. U.
1882. Bob. Boxberger, zu ü.'s „Der Wirthin Töchterlein" : Archiv
f. Literaturgesch. 11, 175 f.
Hermann Paul, Die Gedichte Walther's von der Vogelweide (Halle) S. 24.
W. Wilmanns, Leben und Dichten Walther s von der Vogelweide (Bonn)
s. xn— xviL
E. G. Fasnacht, Selections from Uhland's Ballads and Bomances With
biographical notices and historical and grammatical notes (London, Macmillan).
H. J. Wolstenholme , L. Uhland, Ernst von Schwaben. Trauerspiel in
fünf Aufzügen. With a Biographical and Historical Introduction , English
Notes, and an Index (London, Cambridge Warehouse).
J. Häußner, Die deutsche Kaisersage. (Progr. Bruchsal) S. 4 f. (U.'s
Ansicht über die Sage von Kaiser Friedrich).
1888. G. £. Barthel, N. Lenau's sämmtliche Werke (Leipzig) S. XLVI
und cxcvn.
P. Holzhausen, Zacher's Zeitschrift für deutsche Philologie 15, 843 f.
(ühland's romanische Balladen).
^Fr. Budloff, Über Uhland's dichterischen Entwicklungsgang (19 S.):
Programm Coburg.
K. Strackerjan, Zur Feier deutscher Dichter. Abend 13 und 14: Die
schwäbischen Dichter. Bückert (Progr. der Bealschule zu Oldenburg) S. 2 f.
und 15.
«- H. Fischer, Sieben Schwaben. Biographische Charakteristiken (München).
6. Uhland.
' A. Goerth, Einführung in das Studium der Dichtkunst. 1. S. 186 — 195
(U. als Balladendichter).
— Franz Muncker, Ludwig Uhland: „Vom Fels zum Meer" II, 556.
Ottiker von Leyk, Die deutsche Ljrik in der französischen Übersetzungs-
litteratur I. Uhland: Herrig*s Archiv 71, 49 (51) — 72.
Zur Erinnerung an Adelbert von Keller (Tübingen) S. 6 f., 17, 20, 22, 24.
Chamisso's Werke, mit Einleitung, herausgeg. von Max Koch (8tut^
gart) I, 83 u. 55 (Ch. u. U.).
Goethe-Jahrbuch, herausgeg. von L. Geiger, IV, 351 (Hinweis auf von
U. beigebrachtes Material zu einigen volksmäßigen Wendungen bei Goethe).
1884. A. Birlinger, 'Akademische Blätter. Beiträge zur Literaturwissen-
schaft, herausgeg. von 0. Sievers (Braunschweig)' S. 293 (zum Junker Bech-
berger).
Bob. Boxberger, Schnorr's Archiv für Literaturgesch. 12, 638 — 640
(zu Schwab's Aufsätzen über U.).
GERMANIA. N«n^ Reihe XXII. (XXXIV.) Jahrg. 24
362 !<• FRÄNKEL
^ Eich. Fasold, Altdeutsche nnd dialektisefae Anklänge in der Poesie
L. Uhland*8 nebst einem Verzeichniß der Uhland-Litteratar. £ine Skizze:
Herrig 8 Archiv 72, 405—414.
L. A. Frankl, Zur Biographie Friedrich Hebbers (Wien) S. 32 ff.
J. Lautenbacher, Ludwig Uhland: Zeitschrift für allgemeine Geschichte,
Cultnr-, Literatur- und Kunstgeschichte (Stuttgart) 4. Bd., 286 *).
Siegm. Levy, zu Uhland's Klein Roland : Archiv für Literaturgeschichte,
herausgeg. von Schnorr 12, 481 f.
G. V. Loeper, Goethe's Werke. Mit Einleitung und Anmerkungen III',
S. XVI (U/s. 'Gespräch').
Der deutsche Stil, von Dr. Karl Ferdinand Becker. Neu bearbeitet von
Dr. Otto Lyon. 3. Aufl. S. 137 u. 161 (ühland's alterthümliche Ausdrücke).
Marc-Monnier, Histoire g^n^rale de la litt^rature moderne (Paris) p. 241
(U. und Hans Sachs).
H. Steinthaly Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft
15, 479 (zu ü.*s Der gute Kamerad).
H. Welti, Geschichte des Sonettes in der deutschen Dichtung (Leipzig)
S. 223 f. und 228.
Zeitschrift für die österr. Gymnasien S. 438 f. (vgl. ebd. 1886, S. 920).
Goethe-Jahrbuch V, 357 f. (A. v. Keller's Verhältniß zu U.).
Kleinere Schriffcen von Jacob Grimm (Berlin) VII, 556 (ü. in Frank-
furt a. M. 1846).
1885. Wilh. Scherer, Jacob Grimm (2. Aufl.; 1. Aufl. 1865) S. 83—85,
87 f., 112 f. (vgl. auch S. 71, 79, 253, 307).
Ein Brief U.'s an Laßberg: Germ. 30, 221 f.
Abraham a Sancta Clara, Quelle für Uhland's 'Schwäbische Kunde'
(Notiz): Wiener Zeitung Nr. 244.
Eine bisher nngedruckte politische Äußerung Uhland's: poetische Zu-
schrift (fünf Strophen) an den Baron von Voerst, Berichterstatter der Militär-
und Budgetcommission von 1862 (27. August 1862, Darmstadt). Aus der
Königsberger Hartung'schen Zeitung wiederholt in der Frankf. Ztg. Nr. 227
(Morgenblatt) sowie im Berliner Tageblatt Nr. 403, 1. Beiblatt (dagegen ebenda
Nr. 409 das 1816 verfaßte *An die Volksvertreter', s. Gedichte und Dramen
1876, I, 110).
Friedr. Hebbers Tagebücher, herausgeg. von Bamberg (Berlin) I, 301
(H. und ü.).
^Biographische Einleitung zu Uhland's Gedichten und Dramen : U.'s
Gedichte und Dramen (Stuttgart, Cotta) L Theil, p. V— XXIV.
0. Böckel^ Deutsche Volkslieder aus Oberhessen (Marburg) p. CXXVIII
(Übergang Uhland'scher Lieder in den Volksmund).
1886. Herm. Dederich, Ludwig Uhland als Dichter und Patriot. Nebst
einem Anhang: Quellennachweise zu den episch-lyrischen Dichtungen und
litterar-historische Beilagen und Bemerkungen (Gotha). 2. Band von Perthes'
Biographien deutscher Dichter. [Vgl. dazu K. Geiger im Literarischen Merkur
7, 59 (10. December 1886)].
*) Nicht, wie Strauch Anseiger für deutsches Alterthum und deutsche Literatur
16, 132 angibt, erst 1887 erschienen.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-UTTERATUS. 363
W. L. Hollandy Zu Ludwig Uhland's Gedächtnis. Mittheilnngen ans
seiner akademischen Lehrthätigkeit (Leipzig). Inhaltsreiche Besprechungen:
K. Bechstein, 'Aus Uhland's akademischer Lehrthätigkeit in der wissen-
schaftlichen Beilage der Leipz. Ztg. Nr. 99 des Jahrgangs, und Schwäbische
Chronik S. 2017 desselben.
A. Landenbarger, Pädagogische Stadien (Ludwigsburg). 6. Capitel:
Uhland.
<-^ Ambros Mayr, Der schwäbische Dichterbund (Innsbruck) S. 1 ff.
Caroline Michaelis de Vasconcellos, Uhland*s „Lied aus dem Spanischen"
und sein Original: Schnorr's Archiv für Literaturgeschichte 14, 189 f.
Erich Schmidt, Charakteristiken (Berlin) S. 493 (U. und das alte
Volkslied).
Edm. Stengel, Beiträge zur Gesehichte der romanischen Philologie in
Deutschland. (Marburg) S. 1 5 [Ausgaben und Abhandlungen auf dem Gebiete
der roman. Philologie, Heft 63].
'Hamburger Nachrichten* 22. December^ Sonntagsbeilage (U.'s Ballade
Junker Rechberger und ihre Quellen).
Herrn. Ullrich, Archiv für Literaturgeschichte 14, 91 f. und 102 (zu
U.*s Königstochter).
G. Marengo, Versioni poetiche da Chamisso, Bürger, Kerner, Uhland etc.
nova ediz. (Firenze, Le Monnier).
A. Pariselle, 'Taillefer, d'apr^s Uhland' : Herrig's Archiv 75, 234—236.
Derselbe, 'L'ormeau de Hirsan, d'apr^s Uhland : ebenda 236.
J. H. Ward, Ballads of life. (Salt lake city, Utah. Hyrum, Parrj and
eie) : Übersetzungen aus Goethe, Schiller, Uhland u. A.
1887. R. Bechstein, Zu Ludwig Uhland's Gedächtniß. Festrede ge-
halten am 26. April 1887 in der Aula der Universität zu Rostock (Rostock).
Herm. Baumgart, Handbuch der Poetik (Stuttgart) S. 74 (U.'s Romanzen).
Oscar Erdmann, Jubiläumsfeuilleton der Breslauer Zeitung zum 26. April.
Herm. Fischer, Ludwig Uhland, Zur Jahrhundertfeier seiner Geburt:
Allgemeine Zeitung (München), Beilage vom 26. — 29. April (Nr. 11.5 — 118).
Derselbe, Uhland's Beziehungen zu auswärtigen Litteraturen nebst Über-
sicht der neuesten Uhland-Litteratur : Koches Zeitschrift für vergleichende
Litteraturgeschichte I, 365 — 391.
Derselbe, Ludwig Uhland. Eine Studie zu seiner Säcularfeier (Stutt-
gart)^). Vgl. Kettner in der Zeitschrift für deutsche Philologie 20, 374 ff.
Ferd. Ginzel, Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie: Grenz-
boten 46. Bd. II. Nr. 18 (vom 28. April) S. 206 ff.
Herm. Grimm, Zu Uhland's hundertjährigem Geburtstage: Deutsche
Rundschau, Aprilheft, S. 62 — 69.
Derselbe, Goethe -Vorlesungen. 4. Aufl. (Berlin) S. XXIX. (U.*s Jubi-
läums tag).
Fr. W. Grimme, Ludwig Uhland. Ein Gedenkblatt zu seinem 100. Ge-
burtstage (Frankf. a. M.) Bildet 'Frankfurter zeitgemäße Broschüren^ Bd. 8,
Heft 7.
*) Ehie Aneahl kürzerer Anzeigen werden angeführt von Strauch, Anz. f. d.
Alt. und deutsche Ut. 16, 131 auter Nr. 1489.
24*
364 L. FRÄNKEL
Rieh. Gosche, Jabiläumsfenilleton der Saale-Zeitnng (Halle) zam 21. April.
' Qeorg Hassenstein , Ludwig Uhland. Seine Darstellung der Volksdich-
tung und das Volksthümliche in seinen Gedichten (Leipzig) *).
Mor. Heyne, Jubiläumsfeuilleton der Weser-Ztg. (Bremen) zum 26. April
(Nr. 14493).
- Chr. Hönes , Ludwig Uhland der Dichter und der Patriot (Hamburg) :
Virchow-Holtzendorff, Sammlung von Vorträgen N. F. 2. Serie, Heft 3 (Vgl.
Liter. Centralbl. Nr« 49 vom 3. Dec).
Julius Klaiber, Zur Uhlandfeier. Eine Festrede: Schwäbische Kronik
vom 27. April (Nr. 98).
Ad. Kohut, L. Uhland. Lichtstrahlen aus seinen Werken. Nebst einer
biogi-aphischen Charakteristik (Dresden).
Derselbe, Professor Ludwig Uhland und seine Schüler: Die Gegen-
wart, herausgeg. von Th. Zolling, 31. Band, Nr. 17.
Derselbe , Ludwig Uhland in memoriam : Magazin f. d. Literatur des
In- u. Auslandes Nr. 17.
Derselbe, Ludwig Uhland und sein Verleger: Börsenblatt für den
deutschen Buchhandel, Nr. 93 (des Jahrgangs) S. '218 f.
A. Landenberger , Uhland*s Gedichte nach ihrer religiösen Seite be-
trachtet: Beweis des Glaubens, Aprilnummer (23. Bd., S. 121).
Derselbe, Der Charakter der Uhland'schen Dichtung: Didaskalia (Bei-
lage zum Frankfurter Journal) Nr. 97 u. 98.
Fr. MuBcogiuri, Nel centenario del poeta Luigi Uhland: Nuova Anto-
logia 3. s. 7. Fase. 5—29. (Vgl. Mahrenholtz in Herrig's Archiv 78. Bd.,
475: Ein italienisches Urtheil liber Uhland.)
Otto Neumann-Hofer, Ludwig Uhland der Sammler und Forscher:
Deutsches Montagsblatt (Berlin) vom 25. April.
Ant. Ohom, Ludwig Uhland. Zum hundertjährigen Gedächtnißtage seiner
Geburt. (Sammlung gemeinnütziger Vorträge, herausgeg. vom deutschen Verein
zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag, Nr. 119).
Pleibel, Ludwig Uhland, der Dichter für die deutsche Jugend, zum
26. April 1887 dargestellt: Neue Blätter aus Süddeutschland fCir Erziehung
und Unterricht, herausgeg. von Burk und Pfisterer (Stuttgart) 16, 130 — 151.
Ad. Rümelin, Ludwig Uhland* Zum hundertsten Gedenktage seiner
Geburt. (Württembergische Neujahrsblätter, herausgeg. von Hartmann. IV.)
Ludwig Salomon, Ludwig Uhland. Eine Biographie (Stuttgart): Aus
S.*s Geschichte der deutschen National-Litteratur des 19. Jahrhunderts.
Jos. Seemüller, akademische Festrede zum 26. April bei der Uhland-
feier der Universität Wien (ungedruckt; Referat in der Neuen Freien Presse
vom 28. April).
Ed. Sievers, Festrede zur Uhlandfeier der Universität Tübingen am
26. April (ungedruckt; Referat im Schwäbischen Merkur vom 27. April).
Ant. E. Schönbach, Jubiläumsfeuilleton der (Wiener) Deutschen Ztg.
vom 28. April, Nr. 5503. (Rede zur Uhland-Feier, gesprochen zu Graz am
26. April.)
Edm. Stengel in den Frankfurter nenphilologischen Beiträgen (Festschrift
*) Über Referate vgl. Strauch ebenda unter Nr. 1601.
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATÜR. 365
zur BegrüßuBg des sweiten allgem. deutachen Neuphilologe ntages) S. 69 (ver-
schiedene Mittheilangen über U.'s Charakter und wissenschaftliche Pläne).
J. Stöckle, H. W. Longfellow, der Uhland Nordamerikas. Eine literar-
historische Parallele: Rheinische Bl&tter für Erziehung u. Unterricht 61, 6.
Phil. Strauch, Zwei Briefe Uhland^s an Ad. v. Keller und ein Brief
U.'s an Professor Joachim Mejer: Anzeiger für deutsches Alterthum und
deutsche Litteratur 13, 392—398.
Derselbe, Briefe Uhland's: 'Deatsche Dichtung', herausgeg. von K. E.
Franzos (Stuttgart) III, 126. (Auch in erweitertem Separatabdruck erschienen.)
Ad. Tobler über U. als Romanist in der Uhlandfestsitzung der Berliner
Gesellschaft für neuere Sprachen am 26. April: Bericht in Herrig's Archiv
Archiv 79, 91 (ebenda auch M. Rödiger*s kurze Bemerkungen über U. als
Germanist bei derselben Gelegenheit gesprochen und ein Referat Zupitza's
über Holland's obgenanntes Buch).
E. Du BoiS'Rejmond, Reden. Zweite Folge. (Leipzig.) S. 43 (Castellan
von Coucy). 336 (Merlin der Wilde), 474 (Jagd von Winchester).
Wiersz Uhlanda do Mickiewicza (U.'s Mickiewicz) von R M. Werner:
Pami^tnik towarzystwa literackiego imienia Ad. Mickiewicza pod redakcya
Komana Pilata (Lemberg) I, S. 138 f. und Zipper S. 253.
Deutsche Wochenschrift (Wien) 23. April: 'Ludwig Uhland* von Armin,
25. Juni: 'Uhland's Charakter' von Ad. Eohnt.
Rob. König, Zu Uhland's lOOjährigem Geburtstage: Daheim (Leipzig)
Nr. 29.
Ein Stammbuchvers von Uhland (vom 19. August 1861): Daheim (Leipzig)
Nr. 32, S. 511.
Briefe von Ubland: Schwäbische Chronik S. 605.
H. Bauer, Zur Uhland-Feier. Uhland und die Neugestaltung Deutsch-
lands. Anecdoten und Reminiscenzen : Nationalzeitung (Berlin) Nr. 233.
Uhland und Hebbel von H. Fischer: Neue Zürcher Zeitung Nr. 64, 66
u. 67 (in einer Besprechung der von Bamberg herausgegebenen Tagebücher
Hebbers).
'L. Uhland und F. Hebber von K. Werner: Wiener Zeitung Nr. 94 u. 95.
K. v. Gerok, Festgruß zur Uhland-Feier am 26. April: Protestantische
Kirchenzeitung Nr. 19.
Bud. von Gottschall, Ludwig Uhland: Gartenlaube Nr, 17.
Th. Kerner, L. U. im Kernerhause: ebenda.
Martin Greif, Ludwig Uhland: Deutsche Zeitung (Wien) Nr. 5499
(Feuilleton). Vgl. ebenda 5501.
Gust. Karpeles, Ein modemer Sängerkrieg [zwischen U. und Rückert;
vgl. 1876 unter Holland]: Über Land und Meer Nr. 30.
K. Köstlin, Zum lOOj&hrigen Geburtstag L. Uhland's (Tübingen).
Heinr. Löbner, Ludwig Uhland. Ein Gedenkblatt zur Säcularfeier :
Litterar. Merkur, herausgeg. von Ebner, VII, 165.
F. Martin, Ludwig Uhland der Classiker der Volksschule : Pädagogische
Blätter 16, 273.
E. Peschier, zum 100jährigen Geburtstage L. Uhland's. Festgedicht bei
der Gedächtnißfeier des Gesangvereins Frohsinn zu Cannstadt a. N. (Cann-
stadt). Vgl. Strauch in Franzos' Deutsch. Dichtung II, 244.
366 L. FRÄNKEL
Rud. Pfleiderer, Ludwig ühland: Deutsches Litcraturblatt X, Nr. 4.
Joh. Prölß, Zu L. Uhland's Gedächtniß: Frankf. Ztg. Nr. 116 u. 117
(Feuilleton).
Jul. Riffert, Zu L. Uhland's lOOjährigem Geburtstage: Leipz. Zeitung
wissenschaftl. Beil. Nr. 32.
Ludw. Salomon, Zu Uhland's 100. Geburtstage: Illustr. Ztg (Leipzig)
Nr. 2286.
L. Schwabe, Prolog, gesprochen bei der Feier des 100. Geburtstags
Ludwig Uhland's in der Tübinger Sonntagsgesellschaft am 19. Februar 1887
(Tübingen; Manuscriptdruck).
Ludw. Speidel, Ludwig Uhland (zu seinem 100. Geburtstag): Neue
Freie Presse, Nr. 8140 (Feuilleton).
Franz Violet, Ludwig Uhland, Vossische Ztg. (Berlin), Sonntagsbeilage
Nr. 17.
F. Th. Vischer, Festspiel zur Uhland-Feier. Aufgeführt im kön. Hof-
theater zn Stuttgart 24. April 1887 (Stattgart).
(Frl. L. Weißer) Zur Erinnerung an L. Uhland. Von einer Verwandten
des Dichters: bes. Beil. des Staats anzeigers f. Württemberg Nr. 7, S. 97.
K. Weitbrecht, L. Uhland: Neue Zürcher Ztg. Nr. 112, 114, 115.
Willibald, L. ühland: Die Presse (Wien) Nr. 114.
R. Wolkan, L. Uhland: Bohemia (Prag), Beil. zu Nr. 115.
Rieh. Wulckow, L. Uhland: Didaskalia (Prankfurt a. M.) Nr. 97.
Zu Uhland's hundertjährigem Geburtstage : Leipziger Tageblatt 26. April.
Rieh. Gosche, Festrede gehalten bei der Uhland-Feier im alten Gewand-
haus zu Leipzig: Leipziger Tageblatt vom 4. Mai, 1. Beilage.
Zum Säculargedächtniß an L. Uhland: Schorer's Familienblatt Nr. 17.
Zu Uhland's Gedächtniß: Die kleine chron. Frankf. Wochenschr. , her-
ausgegeben von Holthof IX, Nr. 44 u. 45.
Bericht über die Uhland-Feier zu Tübingen: Tübinger Chtonik Nr. 97
und 98.
Bericht über Uhland-Gedächtnißfeiern: Schwäbische Chronik Nr. 96 —
101; Blätter für litterarische Unterhaltung Nr. 19, S. 303.
Über die Uhland- Ausstellung in Stuttgart und die Uhland-Feier in
Württemberg: Die Presse Nr. 116 u. 117,
Ludwig Uhland und die Schwaben: 'Zeitung für Literatur, Kunst und
Wisenschaft', Beilage des Hamburgischen Correspondenten Nr. 6.
Ludwig Uhland: Schlesische Zeitung (Breslau) Nr. 286 u. 289.
Ludwig Uhland: Evangelisch - lutherisches Gemeindeblatt, herausgeg.
von Rade, Nr. 18.
Etwas über Uhland: Tübinger Unterhaltungsblatt Nr. 20, S. 79.
Ein Beitrag zur Erinnerung an Ludwig Uhland: Sonntagsblatt, her-
ausgegeben von A. Philipps (Berlin) Nr. 17.
Zwei bisher unbekannte Anecdoten über Ludwig Uhland: Universum,
herausgeg. von Seemann und Puttkamer (Dresden) Nr. 24.
Uhland über biblische Dichtungen: Evangelisch-lutherisches Geroeinde-
blatt, herausgeg« von Rade, Nr. 30.
Uhland's Beziehungen zu Lenan. Nach Briefen geschildert: D. Buch-
händler-Akademie IV, 8 (Vgl. 1853 unter Mayer).
BIBLIOGRAPHIE DER UHLAND-LITTERATUR 367
Ludwig Uhland's Beden in der lS48er Nationalyersammlung. Ein
Gedenkblatt zum 26. April 1887: Dentscbe Worte, heransgeg. von E. Ferner-
storfer VII, 145 ff.
Ludwig Uhland nnd die Deutschen in Österreich: Deutsche Zeitung
(Wien) Nr. 6490.
Jean Fastenrath, Figures de TAllemagne contemporaine (Paris): enthält
p. 321 — 333 einen Aufsatz *Le centenaire de Louis Uhland* (vgl. Schwäbische
Chronik S. 1462).
Jacob Nover, L. Uhland: Berichte des freien deutschen Hochstiftes zu
Frankfurt a. M. N. F. 3. (1886—87) S. 172 ff.
Goethe's Willkommen und Abschied. Herrn Wilh. Hertz zum 1. Januar
1887 gewidmet von Richard Maria Werner. Als Handschrift gedruckt (Lem-
bergy 14 S.): Vergleich mit einigen den Ritt behandelnden Liedern von
Uhland, Heine, Geibel.
Deutsche Dichtung, herausgeg. von R. £. Franzos (Stuttgart) II, 38:
Uhlandnummer im 2. Aprilheft (enthält verschollene und unbekannte Ge-
dichte U.*s. Mittheilungen Karl Mayer s jnn. u. A.). Ebenda II, 66 Aus L. U/s
Briefwechsel. Mitgetheilt von K. £. Franzos.
Allgemeine Zeitung vom 28. März 8. 1276 theilt einen Brief U. 's, aus
Paris vom 29. Juni 1810 an eine junge Verwandte gerichtet, mit (aus dem
Staatsanzeiger für Württemberg Nr. 70, Beil.): Abdruck im Litterar. Merkur,
herausgeg. von Ebner VU, 172.
Ebenda, Nummer vom 21. Februar: Zu L. U/s Gedächtniß (Besprechung
von Holland's obgenannter Schrift).
Unsre Uhlandfeier: Eorrespondenzblatt des Vereins für siebenbürg.
Landeskunde 10 (4), 68 f.
Nachlese zu den Uhlandbiographien (zusammengestellt von J. Hartmann) :
Württemberger Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 10 (1), 1 — 16.
Zwei Uhlandische Gedichte,, erläutert für den Schulgebrauch: Neue
Blätter aus Süddeutschland für Erziehung und Unterricht, herausgeg. von
Burk und Pfisterer 16, 174 — 190 (Einkehr 176—180. Schwäbische Kunde
180—190).
J. Clark, Poesias liiicas alemanas de Heine^ Uhland, Zedlitz, Rückert,
Hoffmann, Platen, Hartmann y otros autores, vertidas en castellano (Paris,
Bouret, 158 p.).
1888. Ludwig Fränkel, Ludwig Uhland als Romanist I.: Herrig's
Archiv 80, 26—113 (Darin: S. 82—87 Excurs zu U/s Königstochtor, S. 87—
109 Uhland in seinem Verhältniß zur Romantik, namentlich als Romanist).
Friedrich Hebbel in seinem Verhältniß zu Uhland (Referat aus seinen
Tagebüchern): Deutsche Rundschau, Januarheft (14. Bd., H. 4) S. 166.
H. Hormel, Uhland's Graf Richard Ohnefarcht und seine altfranzösische
Vorlage: Franco-Gallia, herausgeg. von Kreßner V, S. 10 — 16.
Franz^ Kern, Zur Würdigung von Uhland's Gedichten: Vossische Ztg.
(Berlin) Nr. 6 u. 7 der Sonntagsbeilage (6. und 12. Februar).
Friedr. Rückert über Uhland 1836: Brief an Gustav Kühne, mitgetheilt
von Ad. Kohui, Die Gegenwart vom 14. Januar, S. 26 (mit dem merkwür-
digen Versehen, daß diese Äußerung als eine „Heinrich [sie!] Rückert's,
der damals Professor in Erlangen war** gegeben wird).
368 L. FBÄNKEL
Philipp Strauch, Briefe von Jacob und Wilhelm Grimm an Adelbert
von Keller: Anzeiger f. deutsches Alt. u. deutsche Litt. 14, 97 ff. (Darin auf
S. 98 f., 104, 107 f., 113 u. ö. interessante Beiträge über Uhland).
B. M. Werner, Neuere Uhlandlitteratnr : Anzeiger f. deutsches Alt. u.
deutsche Litt. 14, 153 — 202 (Eingehende kritische Besprechungen der vor-
stehend genannten Jubiläamschriften von Holland , Fischer , Hassenstein,
Dederich, Paulus [s. unter 1869], Ohorn, Kohut und Majr).
B. M. Werner, Des Sängers Fluch von Uhland: Seuffert's Vierteljahr-
schrift für Litteraturgeschichte I, 503 — 511 (S. 510 auch zu 'der Bing').
A. Biese, Die Entwickelung des Naturgefühls im Mittelalter und iu
der Neuzeit (Leipzig) S. 115 (U.*s 'Frühlingsglauben und Heinrich von Vel-
deke) und S. 453 (U.*s Naturljrik). Vgl. B. M. Werner's Becension: Deutsche
Literaturztg. 9, 596 (21. April).
K. Fulda, Ludwig Uhland ein deutscher Dichter (Barmen): Wiemann's
Sammlung ^Aus dem Beiche für das Beich', Heft 8.
Felix Liebrecht, in der Germania (herausgeg. von 0. Behaghel) 33,
252 ('Schlößlein in Uhland's „Graf Eberstein").
P. Ludwig, Eine Uhland-Beliquie : Allgemeine conservative Monats-
schrift für das christliche Deutschland, herausgeg. von v. Oertzen und Müller
45, 286 — 290 (über U.*s Gedichtschema vom heimkehrenden Wanderer bei
Holland, Zu Uhland's Gedächtniß S. 51.)
E. Strackerjan, Zur Feier deutscher Dichter: Progr. der Bealschule zu
Oldenburg: S. 11 — 16 'Uhland'.
Deutsche Bundschau, herausgeg. von J. Bodenberg 54, 399 (U. über
Berthold Auerbach).
Die Gesellschaft.. Monatsschrift für Literatur und Kunst. Jahrg. 1 888,
S. 1174 (Zu Uhland's Budello).
G. Gröber im 'Grundriß der roman. Philologie* T, S. 57 f. (U.'s Stel-
lung in der ^Geschichte der roman. Philologie ).
A. Birlinger, Das Hunno-Weisthum von Bodmann: Alemannia 14, 237
(Berichtigungen zu Uhland's Aufsatz Germ. 4, 50 ff).
Jahrbuch der deutschen Shakespearegesellschaft 23, 291 (Zupitza zu
U.'s In Gras und Blumen lag ich gern ).
1889, Felix Bamberg, Hebbel's Briefwechsel mit Freunden und bervor-
ragenden Zeitgenossen: Beilage zur „Allgem. Zeitung^ (München) 1. Januar
(auf S. 10 über Hebbel's Verhältniß zu U.).
Ludwig Fränkel, Uhland als Bomanist. Nachträge und Berichtigungen.
Herrig's Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen und Lit. 82, 233 — 235.
Frisch, über ein Originalmanuscript von ^Emst von Schwaben*: Zeit-
schrift für vergleichende Literaturgesch. u. Benaissancelit. N. F. H, 103.
0. Knoop. Das Glück von Edenhall. Eine polnische Sage: Zeitschrift
für Volkskunde I, S. 392.
K. Knortz, Die deutschen Volkslieder und Märchen (Zürich) S. 57 f.
(vgl. auch S. 56 u. 59) U. als Schüler des Volkslieds.
Karl Lucae. Aus deutscher Sprach- und Literaturgeschichte. Gesammelte
Vorträge (herausgeg. von Max Koch). S. 217 (U. als Balladendichter).
^ Pfeiffer, L. Uhland und seine Stellung im deutschen Geistesleben:
Correspondenzblatt für die Gelehrten- und Bealschulen Würtembergs 36, 6.
O. BRENNER, EIN BRIEF. 369
Jobann Schmidt, Die Apokope bei den neueren deutschen Dramatikern:
Zeitschrift t d. dsterr. Gymn. 40 (599 — 605), 604.
PhiL Strauch in seiner ^Übersicht der Erscheinungen des Jahres 1887
über neuere deutsehe Literatur: Anzeiger f. d. Alt. 15, 130 — 133.
Ludwig Fränkel, Neuere Uhlandliteratur: Literaturblatt f. german. u.
roman. Philologie X, Nr. 4, Sp. 125 — 134 (bespricht die oben unter 1886,
1887 u. 1888 genannten Schriften von Holland, Bechstein, Ohom, Salomon,
Bümelin, Fulda, Strackerjan).
Da ich mir wohl bewußt bin, dafi vorstehendem Verzeichnisse trotz
der größten Mühewaltung, der ich mich behufs möglichster Vollständigkeit
desselben unterzogen habe, mannigfache Mängel anhaften, richte ich hiermit
an die Fachgenossen sowie an alle Freunde und Kenner Uhland's die Bitte,
mich auf die Fehler und Lücken aufmerksam zu machen. Erst dann kann
meine Arbeit werden, wozu ich sie yergebens zu machen strebte, ein wirklich
vollständiges Repertorium der gesammten Uhlandlitteratur, würdig des großen
und verehrten Mannes, auf den es sich bezieht. In diesem Sinne suchte
ich auch einer rein schematischen Anordnung des Stoffes auszuweichen. Sie
ist nirgends eine willkürliche, sondern^ wo nicht durch alphabetische Zu-
sammengehörigkeit, durch gewisse innere Gründe bedingt.
LEIPZIG (Poniatowskystrasse 13), Frühjahr 1889.
LUDWIG FRÄNKEL.
■■ ■ ■ *
EIN BRIEF.
Ich elspet von psBierbrvne enpivt d'r lieben vH d'r getriwen d'r
cbastensBrein | getrawelich mine driwen dienst yH wizet daz mich gar
hart nach ivcb | petraget an mine mveterlin daz ich niemen waize
daz mvnch da mich | als hart nach pelange als nach dir liebiv diemvt
der en zwai prach mir | daz herze mine d'n lieze ich ivch vile liebiv
miten trine sehen mit iwern | pelzen vn mit iwer chvrsen allen vH
mit iwern grozen schvhen si mvzen | aver schon gewischet sin da mit
plege iwer d'r svze got grvzet mir div mvlhaus{8erein
(Rückseite)
der lieben sei der | prief«
Obiger Brief, wohl einer der allerältesten deutschen Privatbriefe,
liegt unter den Urkunden des Mttnchner Angerklosters in fasc. 9
J. 1303 — 1306 im Münchner Reichsarchiv. Er steht auf einem kleinen
Pergamentzettel (14^ Ctm. br., 5 Ctm. hoch), der ganz schwache
Spuren der Faltung aufweist. Ein kleiner Schnitt könnte zum Durch-
ziehen der SiegeUchnur gedient haben. Die Orthographie zeigt, daß
die Schreiberin nicht eben sehr geübt in deutscher Briefstellerei war.
370 O. BEHAGHEL, ZU MHD. tu UND ».
Die Scbriftzüge Bind äußerst zierlich und meist vollkommen deutlich;
auch die unrichtigen v statt v in mveterlin und minch sind unver-
kennbar. Die Form mvnch ist mir in keiner der zahllosen Münchener
Urkunden begegnet; prach sollte nach der Schreibgewohnheit der Zeit
prcech, präch geschrieben sein (das übergeschriebene e fehlt auch io
mvzen, grvzety mvlhavscerem , denen nach guten Münchner und Bayer-
brunner Urkunden durchweg v zukommt). Die Mutter der Elsbet,
Irmgart, erscheint 1309 als Wohlthäterin des Elaraklosters (Mon. boic.
XVIII, 57 f.), Diemüt die Kastn»rin schon 1302; 1307 wird sie in
einer Urkunde der Äbtissin 'vnaer servidaV genannt; 1309 wird sie
als Zeugin noch einmal erwähnt; 1302 war sie schon Witwe; später
war sie wohl Pfründnerin des Klosters.
O. BRENNER.
ZU MHD. iu UND ü.
Wilmanns macht mich freundlichst darauf aufmerksam, daß
bereits Sebastian Helber, der 1593 sein Syllabirbüchlein veröffentlicht,
den noch heute in Theilen des Oberdeutschen bestehenden Unter-
schied zwischen den genannten Lauten beobachtet hat. Halber gibt —
S. 32 von Koethes Ausgabe — ein Verzeichniß von Wörtern „mit
jenem EV, welliches sonst aber eü gedrucket wirdt** und er setzt
„zwei punctlein zu denen Worten, die bei den gemeinen Donawischea
auf jre eigne weis ausgesprochen werden, [gleichsam ot bei meererem
teil, bei andern m]^. Unter Donauischen versteht er „alle in den Alt
Baierischen und Schwebischen Landen ^ den Rein vnberflrt" (S. 24).
Mit dem Doppelpunkte nun versieht er 52 Wörter, von denen 43 ein
eu aus dem alten Diphthong iu enthalten; bei sechs Belegen geht eu
auf Umlaut von ü zurück (s. Roethe, Einl. S. XVI; Preußen rechne
ich nicht hierher) ; bei zweien liegt mhd. i zu Grunde {Tleuen (?)
durchgeraiittert) ; bei einem ist der Ursprung des eu zweifelhaft (Preußen).
In 74 Wörtern folgt ein Komma. Von ihnen ') haben neun ein eu
aus mhd. t; zu ihnen gehört als zehntes gewiß auch verheürathen,
Umlaut von mhd. ou zeigen kleuheln, teuglich; altes iie liegt vor in
Neuchtland (?). Fremdwort ist abenteürlic/i, dunkeln Ursprungs das eü
in reüsperen, Rot - Beüssen, acheüren, treüsch. Von den noch bleiben-
den 56 Beispielen besitzen 43 den Umlaut von ü, 12 altes im. Die
*) Bei eineelnen Wörtern ist nicht mit Sicherheit swischen Homonymen zu. unter-
scheiden.
A. GOMBERT, BEMERKUNGEN ZlIM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 371
letzteren sind deuten, heulen, vorleuekten, diensüeutf verleumdet y Reu,
ausgereuttet 8preur, sclieuhen, scheiieUehy teutseh, aUo mit Ausnahme von
verleumdet nnd Beu laater Wörter ^ wo der Stamm vocal ursprünglich
vor i (J) stand, also nach meinen Erörterungen oben S. 251 mit dem
Umlaut von ü zusammenfallen mußte. Beute kann auf «biUja oder
*btutja zurückgehen. Es ist somit unrichtig, daß Helber der Auf-
gabe, die beiden eu zu scheiden, erlegen sei (Boethe S. XV): auf
105 Beispiele kommen nur acht falsche Zuweisungen.
GIESSEN, 4. October 1889. O. BEHAOHEL.
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTER-
BUCHE.
Bd. VII, Lief. 10 (Pflatterung bis PlaU).
(Fortsetsnng.)
Pfrundbuch gebraucht Joh. y. Müller in einem Briefe vom
10. Juli 1778 Wke. 29. 250 (Ausg. von 1834); der Herausgeber hält
es aber für nöthig, zu dem allerdings nicht allgemein verständlichen
Worte die Erklärung zu fügen: Ein Mac,, worin alle Oeistltchen, und
welche Stellen sie bekleidet haben, aufgeschrieben werden. Pfrundkauf
(fehlt) ist etwas Anderes als der mit Simonie gleichbedeutende Pf rün den-
kaufy nämlich eine Art Leibrente , wie aus Schottel 528 (Beleg aus
Besold) hervorgeht: quando Fiscue certarn pecuniae summam a privato
accipit eique pensionem usuris vulgaribus maiorem ad dies vitae concedit.
Daß der Inhaber solcher Nutznießung neben Pf rund n er auch Pfrün-
der beißt, weist Lexer aus Maaler nach. Auch Schottel 339" hat
das Wort mit der Erklärung, welcher eine pf runde oder pfründ-
recht (nicht im Wb«) hat. Dazu kommt ebenda der Zusatz: Eine
pf runde ist contraetus emptionis annui reditus ad vitam ementis. Zu
Pfründe im Sinne von 4 (geistliches Amt und damit ver-
bundene Einkünfte) gehört das gegenwärtig in der preußischen
Kirchen Verwaltung häufig gebrauchte Wort Pfründen abgäbe, d.h.
der Abzug aus den Einkünften einer evangelischen Pfarre, den ein
neu anzustellender Q-eistlicher an den Staat oder eine öffentliche Gasse
auf eine Reihe von Jahren zahlen muß, weil er noch nicht die für
den Bezug des ganzen Einkommens bestimmte Anzahl von Dienst-
jahren hat.
Pfuhl ist auch, wie das aus Wiedemann beigebrachte Beispiel
zeigt, der Inhalt der Pfütze, die Jauche u* dgl. Das Wort wird in
372 A. OOMBERT
besonderem Sinne mehrfach genannt bei der Düngerlehre , wo Pfuhl
oder Pfui eine künstlich gesammelte, gehörig vergohrene und mit
Wasser versetzte Mistjauche bedeutet. Schwerz, Prakt. Acker-
bau^ 1, 116 verbreitet sich behaglich über den Pfui: Diese Brühe,
welche wir hier [an dieser Stelle im Buch oder in Hohenheim bei
Stuttgart?] unter dem Namen Pfui bezeichnen, ist darin von dem bloßen
Harne verschieden, daß sie außer letzterem noch einige der feineren Theile
defi^ festen Ausivürfe enthält] ebenda Pfulbehälter und S. 117 Pful-
düngung: eine Pfuldüngung ist wirksamer ah eine Düngung mit
Stallmist y allein sie ist nicht so nachhaltig wie diese'^ ebd. pfulen und
das Pfulen, z.B.: Man pfult auch die zu Runhein bestimmten Felder ;
auch auf Klee, Luzerne, Wiesen thut das Pfulen die herrlichste Wir-
kung\ ebd. 2, 134 wird pfulen erklärt durch die Worte: mit Jauche
überfahren; ein magerer Acker wird durch das Pfulen zu einer
reichlichen Kartoffelernte gebracht. Das Wort Pfuhl überhaupt ist nach
Lexer den oberdeutschen Mundarten fremd; Schwerz aber scheint es
nach 1, 116 doch in Hohenheim entweder vorgefunden oder wenig-
stens dort gewöhnlich gebraucht zu haben; auch am Mittelrhein muß
es in der besonderen Bedeutung =: Jauche üblich sein; vgl. National-
zeitung vom 11. Mai 1879, Nr. 217 in einer Mittheilung aus Darm-
stadt : Ein Heppenheimer Einwohner . . • wurde für überführt erachtet,
einem Na^ihbar 3 Ohm Wein dadurch ungenießbar gemacht zu haben,
daß er in den frisch gekelterten Most eine Quantität Pfuhl schüttete.
Pfudel, die mundartliche Nebenform von Pfuhl, ist vereinzelt
auch weiblich, z. B. in einer Anmerkung Wenzel Scher£Fers zu seinen
G-edichten S. 428 : Es haben böse Buben im nechsten Kriege arme Leute
zu martern auf die Erde gelegt und aus der Mistpfudel ihnen den
Leib mit Gewalt angefüllet und sie also bis zum Tode getrenket. Dieß
haben sie den Schwedischen Trunk genennet.
Das Hauptwort Pf uidichan steht schon bei Schottel 667, wahr-
scheinlich in der Bedeutung unfläthiger Geselle: Das wird ein
Pfuidichan werden und Ich habe mich für solchem Pfuidichan
alzeit gehütet. Rachel S. 80 (Ausgabe von 1742) gebraucht das Wort
in besonderer Bedeutung bei der Schilderung des unanständigen Poeten :
Wenn nun ein grobes HoUz ein Eulenspiegels-gleichen
Last einen Pfuy-dichran mit gutem Willen streichen
Bringt kahle Zoten vor, verschluckt ein gantzes Ey,
Und rültzet ins Oelach und schwätzet in den Brey.
Unter pfünder 4 ist doch zu erinnern, daß auch schon, ehe
die Geschütze nach der in Centimetern ausgedrückten Weite ihres
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 373
Calibers benannt worden, die verschiedenen Ausdrücke mit -pfünder
nicht mehr ein OeschfltB bezeichneten, das ein Geschoß der beseich-
neten Schwere schleuderte. Mit erklärlichem Batteriewits wurde ehe-
dem auch das preußische Viergroschenstück als Vierpfünder,
das Achtgroschenstück als Achtpfünder bezeichnet: Du kannst
einen Vierpfünder abladen (d. h. vier Groschen zum Besten
geben); mit einem Achtpfünder vorfahren u« dgl.
In Pfuscher, Pfuscherei und pfuschen (pfuschern) ist
heute der Begriff des Unberechtigten vor dem des Stümperhaften
zurückgetreten. Früher zeigt sich der erstere Begriff mehrfach ohne
jede Beimengung des letzteren; so wird in Günthers Lebensbeschrei-
bung S. 33 (1732) der verbotene Umgang mit einer Frau als Ehe-
stands'Pfuseherei und der Thäter als Pfuscher in der Liebe be-
zeichnet. Unter den Belegen für Pfuscher fehlt neben weniger be-
deutenden die classische Stelle aus Goethes Di van: Doch wer keinen
Leisten kennt, wird ein Pfuscher bleiben. (Man findet sie übrigens im
sechsten Bande des Wb. unter Leisten.) Die selbstverkennende
Überhebung als etwas für den Pfuscher gerade Bezeichnendes drückt
auch Platen 4, 86 (Schlußparabase zur Gabel) gut aus: Und der
Pfuscher meint, er k^ne das auch; doch irrt sich der Gute, so
scheint ch. Daß die norddeutsche Aussprache oft Fuscher u. s. w.
statt Pfuscher bietet^ ist bekannt. Ein Beispiel sei angeführt, weil
es uns zugleich eine andere von Lexer nicht hervorgehobene Seite
des Pfuschers zeigt: Für Stümper und Ungeübte gehet es wohl hin, daß
sie, wie es die Fuscher unter den Handwerkern machen^ sich mit was
geringem und wenigem behelffen; aber ein Mann, der seine Sache ver-
steht ^ kan sich damit, ohne Verdacht seiner eigenen Tugend, nicht ab-
weisen lassen. Besser Staats- und Lobschriften S. 161 in der Ausgabe
von 1732, vgl. auch fuschem bei Claudius im Liede für Schwind-
süchtige bei Gödeke, Elf Bücher 1, 735':
Die Ärzte thun zwar ihre Pflicht
Und fuschem drum und dran;
Allein sie haben leider nicht
Das, was mir helfen kann.
Pfuscherei war bekanntlich Goethen in allen ihren Erscheinungs-
formen verhaßt, und zu dem aus den Briefen an Zelter genommenen
Belege für diese Stimmung würde passend zu fügen sein die Mit-
theilung bei Eckermann ^ 2, 243: ich ha^se aUe Pfuscherei wie die
Sünde, besonders aber die Pfuscherei in Staatsangelegenheiten,
woraus fü/r Tausende und Millionen nichts als Unheil hervorgeht Pfu-
374 ^- GOMBERT
Sehern wird etwas kurz (in sechs Zeilen) behandelt. Die Form ist
die in der norddeutsohen Haus- und Umgangssprache bei Weitem
üblichere, während pfuschen dort bachmäßig klingt; insbesondere
nennt man das sonst unter der Bezeichnung Mogeln bekannte Be-
trügen beim Kartenspiel (öfters nac^ Verabredung erlaubt) pfuschern.
Lexer bringt zwei Beispiele für pfuschern mitderPräp. in und dem
Dativ; natürlich kommt so auch in mit dem Acc. vor (= hinein-
pfuschen), z. B. Jahn 1, 229 (Volksthum): Erziehung, die jedem
Menschen am nächsten liegt ^ von der Jedermomn spricht , in die Jeder-
mann pfuschertf ist das AUerunbekannteste, Endlich wäre hinzuweisen
auf pfuschern mit dem Acc. = pfuschend herstellen bei F. W.
Schmidt, Gedichte 304 (BerUn 1797) :
Rolle, eitler Tho9\ auf Schwanenhälsen
Stolz zu Prunkvisiten fern und nah,
Laß dir pfuschern einen. Park mit FeUen
Schön auf Holz gemahlt, und — gähne da!
Verpfuschern anstatt verpfuschen hat Hermes, Für Töchter
edler Herkunft 1, 15 (1787): Ich hätte es vielleicht in^Überweisheit sehr
gut machen wollen und hätte es dann nur verpfuechert. Unter den
Zusammensetzungen sei nachgetragen Pfuscherstrich aus Neukirchs
Sammlung ), 210 (Ausgabe von 1697):
Welch Momus hat iemahls hier fehler ausgesetzt^
Und wer will der natur noch pfuHcher- striche weisen?
Neben dem aus Bückert belegten Pfuschwerk sehen wir auch
Pfuscherwerk:
Da flohen sie vor ihm wie Eulen vor dem Lichte,
Und dieses Pfusch er 'Werk ward auf einmal zu nichte.
Poesie der Franken 1, 105 (1730).
Phänomenologie. Herder 4^ 69 spricht im Jahre 1768 schon
von einer ästhetischen Phänomenologie. Erwähnung verdiente
auch das Wort phänomenal, das eine Reihe von Jahren (wie vor-
her pyramidal) ein Modewort zur Bezeichnung des Außerordent-
lichen geworden war.
Zu Pfütze 2, das im Sinne von See und Meer aus Diefenbach
und besondere Stellen aus dem 16. Jahrh. belegt wird, könnte Jahn
2, 735 (jenseit der großen Pfütze) und ebd. 841 {über die große
Pfütze) gefügt werden, da hier die große Pfütze das Amerika
von Europa trennende Meer bedeutet. Vielleicht aber hat Jahn, ob-
wohl er sonst mit Vorliebe seine Wendungen an gesprochenes und
von ihm gehörtes Deutsch anknüpft , hier nur den Versuch gemacht,
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 375
einen ihm aufgeBtoßenen älterneuhochdeutschen Ausdruck wieder s&u
verjüngen.
Phantasie in der Bedeutung Tonspiel aus dem Stegereif
wird erst aus Millers Siegwart belegt, wof&r leicht ein früheres Bei-
spiel, etwa aus Zacbariäs Scherzhaften Poesien 403 (aus dem Jahre
1754) zu geben war:
Nun jauchzt das ganze Ciavier und feyret hohe Gesänge
In Phantasie voU Anmuth und Pracht.
Phantasieren als trans* wird aus Wieland und Bürger belegt
Da dieser Sprachgebrauch selten ist, möge ein weiteres Beispiel aus
den Frankf. Gel. Anzeigen vom Jahre 1772, S. 479 (Neudruck) ge-
geben werden, zumal da nach Scherers Einleitung LXXIX u. LXXXIII
die bezügliche Stelle vielleicht von Qoethe herrührt: So lange die
Wissenschaften in phantasierten Welten auf Seifenblasen herumfahren.
Von Zusammensetzungen mögen einige nachgetragen, einige auch
aus früherer Zeit nachgewiesen werden, als dies im Wb. geschieht.
Phantasiebegabung gebraucht Wiese Lebenserinnenmgen und
Amtaerfahrungen 2, 141: in keiner der anderen Provinzen sind mir so
viele Spuren von Phantasiebegabung vorgekommen [wie in Schlesien].
Phantasieberauscht (fehlt): phantasieberausehte Fülle Platen
1, 41. Phantasiebild (fehlt). Qoethe, Spr. in Prosa 932 (Bd. 19,
201 Hempel): Der denkende Mensch hat die wunderliche Eigenschaft, daß
er an die Stelle, wo das unaufgelöste Problem liegt ^ gerne ein Phan-
tasiebild hinfabeüy desgl. 28, 166 (Über den Dilettantismus):
[Zweck der Dilettanten,] Phantasie- Bilder vnmittelbar vorstellen
zu wollen. Ebd. S. 725 (1815) : Franz, Weislingens Knabe, kommt von
Bamberg und erregt alte Erinnerungen sowie ein neues Phantasiebild
der gefährlichen Adelheid von Walldorf Der physische Theil dieses
wilden Phantasiebildes [der Protogaea von Leibnitz] Humboldt,
Kosmos 2, 391. Überweg in der Gesch. der Philos. übersetzt q)avtd6-
fiata durch Phantasiebilder; Vischer, Ästhet. 3, 2, 5, 1182: die
Unbestimmtheit und Undeutlichkeit des Phantasiebildes ^ das sich noch
gar nicht erschlossen hat. Hase, Kirchengescbichte ^ 614 (1868): Da
legitime Fürsten der Gewalt weichen mußten und der Sieg gewonnen
wurde im Bunde mit dem ^Kronenräuber jenseits der Alpen, verschwand
das geistliche Phantasiebild des Herrschers von Gottes vbematüa^lichen
Gnaden, Früher steht schon Phantasieenbild bei Eberhard, Hand-
buch der Ästhetik 3, 13 (18()4): die Idee^ nach welcher ich mir die
äußere Darstellung der Phantasiebilder durch die wesentlichen Zeichen
der Kunst denke. Phantasiebildung (fehlt): In der gegmioärtigen
376 A- GOMBERT
Zeit warnt man vorzugsweUe vor der eineeitigen Phantasiethätiykeit und
versäumt dariAer die normale Fhantasiebildung, die dock ebenso
nothwendig ist als die Bildung jeder anderen Geistesthätigkeit. Deinhardt
in Schmids Encykl. d. Erziehung' 5, 782. Phantasieform (fehlt)
bei Vischer, Ästhetik 3, 2, 5, 1177: Poesie als Kunst der Darstellung
des bewußten Lebens in Phantasieform. Deinhardt a. a. O. 5, 789
unterscheidet dreierlei Phantasie formen (zurückssuführen auf Ge-
stalten, Töne und Worte). Phantasiefrisch (fehlt): Die besten Eigen-
schaften des Poeten (W. Raabe) treten uns ans den phantasie-
frischen Geschichten entgegen. A. Stern, die deutsche National-
litteratur seit Goethe, S. 154. Phantasiegelispel: Overbeck
Und blinkt denn noch der Mond herein
Mit dämmerUchem Silberscheiny
Und Phantasiegelispel sich
Herab ergießt so zauberlieh
in Vossens Musenalmanach für 1782, S. 111 bei Gödeke, Elf Bücher
1; 790\ Phantasiegemälde (fehlt) ist wohl ein nicht seltenes Wort;
ein Roman unter diesem Titel erschien von G. Döring im Jahre 1833.
Phantasiegestalt (Humboldt, Sonette) findet sich auch bei Goethe
28, 383 Hpl. (Verein der deutschen Bildhauer. 1817). Phantasie-
kranz und Phantasiestrauß werden in Goethes Faust 2. Theil,
Hempel 13, 18 genannt. Phantasiekönig bei H. Leo, Nominalistische
Gedankenspäne 57 : Alle Eide der conservcUiven Männer in ganz Preußen
gelten dem wahren lebendigen Könige von Preußen . . und nicht jenem
Phantasiekönige^ meinetwegen im Monde, Phantasielos (über-
gangen) ist ein nicht eben seltenes Wort; in etwas ungewöhnlicher
Verbindung hat es Rumohr, Geist der Kochkunst 36 (Reclam): Wer
seine Geschmacksnerven nicht durch häufiges Tabahrauchen abgestumpß
hat oder überhaupt ganz phantasielos ist^ dem wird schaudern vor
dieser Verbindung des Lieblichen und Widrigen. Mehrfach gebraucht
es Vischer in seiner Ästhetik, z. B. 3, 2, 5, 1463, ebenso das gleich-
falls übergangene Hauptwort Phantasielosigkeit ebd. 1232:
Manche Bilder Shakespeares^ welche die Phantasielosigkeit von heute
für geschmacklos erklärt^ . . . verdienen die höchste Bewunderung; ebd.
1439: die breite Phantasielosigkeit ^ die keinen ganzen Humor ver-
steht und nichts zu greifen meint y wenn ihre plumpen Finger nicht ein
soHdes Stück nackter Wahrheit fassen. Phantasiemäßig (fehlt): Soll
das Anschauen — sei es ein sinnliches oder ein phantasiemäßiges —
gut und ganz gelingen^ so dürfen die neuen Vorstellungen nicht als etwas
gänzlich Neues im Geiste Platz nehmen. Dörpfeld, didakt. Materialismus *
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 377
121 (1886); ebd. 218: Von der phantaiiemäßigen Ansekauungs^
vermitUlung. Phantasiemensch fehlt: ein gutes Beispiel böte
G. Schwab, Deutsche Ptosa' 2, 36 mit dem treffenden Urtheil über
Börne: Verstandesmenaeh ah Kritiker y Phantasiemensch als Politiker,
Phantasiereicb (Adj.) ist vor Klinger bei Herder 1, 83 (Suph«)
aus dem Jahre 1765 zu finden: die Phantasier eichen Araber; vgL
auch ebd. 13, 308 (178Ö, Ideen): überhaupt sind bei aUen Phantasie-
reichen Völkern die Träume umndei'bar mächtig. Natttrlich spricht man
auch von Phantasiereichthum, doch habe ich augenblicklich fbr
das Wort keinen besseren Gewährsmann als D. Stern, Gesch. d. deut-
schen Natienallitteratur seit Goethes Tode 137 u. 152. Phantasie-
reich als Hauptwort wird durch eine Stelle aus Gervinus belegt,
dem wohl das gleichbedeutende Schillersche Reich der Phantasie
(Ihr wildes Seich behauptet Phantasie) vorschwebte. Phantasie-
spiel brauchte nicht erst aus Auerbach belegt zu werden; am An-
fange des Jahrhunderts finden wir es in Eberhards Handbuch d. Ästh.
2, 41 (1803): Das gibt ihr [der christl. Religion] ihren hohen WeHh,
nicht ihre Poesie, nicht ihr Phantasiespiel; ebd. 4, 338 (1806): bald
starkes, bald liebliches Phantasiespiel [der deutschen lyrischen Poesie].
Das Wort wird wohl schon im 18. Jahrh. vorkommen; vgl. Wieland,
Agathon 1, 234: Das Spiel der Phantasie und des Witzes. Phan-
tasiesttlck. Wenn als Beleg nur der Titel der Weisflog^schen Er-
zählungen (seit 1824) gegeben wird, so mußte eher an Hofimanns
zehn Jahre früher erschienene und nicht bloß im Titel von Weisflog
nachgeahmte Phantasiestücke in Callots Manier (Leipz. 1814)
erinnert werden. Phantasiethätigkeit ist ein häufig von Deinhardt
gebrauchtes Wort; seine Abhandlung über Phantasie in Schmids
Encykl. d. Erziehung' 5, 782—798 enthält es mehr als dreißigmal.
Vischer in der Ästhetik gebraucht es ebenfalls nicht selten. Hegel,
Ästhet' 1, 417 hat Thätigkeit der Phantasie. Phantasievoll
ist wohl unter den von Lexer übergangenen Zusammensetzungen mit
Phantasie die in unserer Zeit am häufigsten gebrauchte und scheint
bei der Bearbeitung von Dichterwerken und Tonstücken gar nicht
mehr entbehrt werden zu können, doch kenne ich es erst aus Vilmars
Litteraturgesch. j z. B. ^^ 301: FHedrich von 8pee, der herzliche y an-
muthige und phantasievolle Lieder dichtete. Hettner und Scherer
brauchen das Wort häufig ; es fehlt aber bei Sanders in beiden Wörter-
büchern. Phantasie werk (fehlt): BeaUs wird als ein Phantasie-
werk behandelt Goethe 28, 179 (Über den Dilettantismus). Phantas-
magorie und auch phantasmagorisch verdienten wohl eher
Gfi&MANIA. N«a« Seihe* XIU. (XXXIY.) Jftlurg. 25
378 A. GOMBEBT
Auiiiahme als PhantasmiBt and Phantomist; man denkt zunächst
an Goethes Helena, claaaisch-romantüclie Phantasmagorie, und .einen
Beleg zu phantasmagorisch gibt Kehrein aus einem Briefe Goethes
an Reinhard. Wurden aber einmal die Phantasmisten erwähnt,
so durfte auch als hervorragender Vertreter der Gattung der aus
Goethes Faust bekannte Proktophantasmist nicht fehlen, in dem
wir wohl einen älteren Vetter des in den Vierziger Jahren auftauchen-
den und dann durch die Fliegenden Blätter rasch bekannt gewordenen
StaatshämorrhoidariuB erblicken ddrfen. Phantasma ist wohl
als ganz griechische Form übergangen, doch verdiente die in der
Endung deutsch gemachte Mehrheit Phantasmen wohl aufgenommen
zu werden, da das Wort in dieser Form seit dem Ende des vorigen
Jahrhunderts häufig begegnet. Ein Beispiel Goethes 28, 170 (Dilettantis-
mus). Eehrein im Fremdwörterbuch gibt für Phantasmen eine Stelle
aus Wieland 37, 56 in der Gruberschen Ausgabe , die mir nicht zur
Hand ist. Phantastik (übergangen) ist ein Lieblingswort Hettners
und bei ihm Dutzende von Malen zu finden, vielleicht eine Hegelscbe
Bildung, bei dem es u. A. Ästhetik' 1, 402 vorkommt. Die gcmze
Phantastik und Verwirrung, aUe Oährung und wild umhertaufnelnde
Vermischung der symbolischen Kunst. Phantom. Daß für die Mehrzahl
aus Schiller nur die schwache Form belegt wird, könnte irreleiten;
es wäre darum aus ihm auch ein Beispiel der starken Form zu
geben, etwa das bekannte aus Ideal und Leben:
Wie des Lebens schweigende Phantome
Glänzend wandeln an dem stygschen Strome.
Pharisäer, Pharisäerthum, pharisäisch sind lange und
häufig gebrauchte Ausdrücke für das Wesen der Leute, die sich selbst
vermessen, daß sie fromm seien. Luther hat phariseisch Gute
Werke B ij** (1Ö20): von den falschen, phariseischen vnglaubigen
guten wercken'^ ebenso H. Emser, Annotationes zu Luthers Neuem
Testament F iij* (lö2ö): dise Phariseisch entschuldigung, 3, Jonas
in der Übersetzung von Melanchthons Apologie (1525) schwankt zwi-
schen pharisäisch (7^, 9% 12^, 142^ u. ö.) und phariseisch
(145*, 149^ 167* u. ö,). phariseyer hat H. Emser a. a. O. G vij*,
übrigens im eigentlichen Sinne: schrifftgelerten und phariseyer.
Pharisäerei bietet Bode im Tristram 6, 35 (1774): 'ch glaube, daß
'n Soldat, wenn er Zeit zum Beten gewinnen kann, wohl ebenso herzlich
betet als 'n Pastor, obschon nicht mit so'n Haufen Handgebä/rden und
Pharisäerey.
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 379
Philanthrop sollte in seinen beiden Bedeutungen, sowohl der
allgemeinen wie der besonderen (Anhänger der Rousseau-Basedow-
schen Erziehungsgrundsätze) verzeichnet sein; beide Bedeutungen hat
auch das Eigenschaftswort philanthropisch; doch finden wir nach
der Einrichtung des Dessauer Philantropins (1774) und der gleich-
namigen Anstalten (Marschlins, Heidesheim, Schnepfenthal) zur Be-
zeichnung des engeren Begri£Fes auch vielfach philantropinisch
und philantropinistischy wie auch der Deutlichkeit wegen Phi-
lantropist und Philanthropinist von Philanthrop, desgl.
Philantropinismus von Philanthropie unterschieden wird.
Vgl. Goethe 22, 159 Hempel (Dichtung und Wahrheit 14. Buch):
Basedow hatte die Absicht, das Publicum durch seine PersMichkeit für
sein philanthropisches unternehmen zu gewinnen. Niemeyer, Grund-
sätze d. Erz.' 3, 368: philanthropische Unternehmungen^ ebd. 371:
die philanthropischen Institute, Philantropinisch erscheint als
ein Lieblingswort Bahrdts in dessen Lebensbeschreibung, z. B. 2, 305
(1790): Nach den großen Ideen, die ich von Philantropinischer
Feierlichkeit hatte; ebd. 271: Ich sähe den' glänzendsten Wirkungskreis
eines Directors philantropinischer Anstalten] ebd. 275: Ich bekam
auch nickt ein Tropf lein des pädagogisch-philantropini sehen Geistes,
den der große Basedow über mich hätte ausströmen sollen'^ ebd. 276:
Ich machte mich .. mit der philantropini sehen Lehr- und Erzie-
hungsart vertrauet. Ebd. 290: Balis erzählte von Basedows Thaten und
Philantropinischen Herrlichkeiten; ebd. 305: Ein Wirthshaus, welches
Herr von 8alis erbaut hatte und welches nun der philantropini sehe
Gasthof hieß. Hettner, Litteraturgesch. d. 18. Jahrhs." 3, 2, 321:
Keine dieser philantropini stischen Anstalten ist von langer Dauer
gewesen; ebd. 322: Der tüchtigste und kräfiigste Förderer dieser philan^
iropinistischen Erziehungsrichtung war Campe. Vgl. auch J. G.
MtlUer, Emmerich 2, 267: Lieber philantropinisier ender Leser,
Philantropinwäldchen Jean Paul, ünsichtb. Loge III (Hpl.) —
Für den Philister verweist Lexer auf einige von mir gegebene Nach-
weisungen, die doch das große Thema der Philisterei nur eben streifen.
Ich muß es mir aber auch hier versagen, durch Vorführung reich-
licher Beispiele den Philister in seinen so außerordentlich zahlreichen
Erscheinungsformen und oft täuschenden Verhüllungen darzustellen;
es möge nur gestattet sein, eine Vermuthung über den Ursprung der
Übertragung des Wortes auszusprechen. Die von Lexer nach Weigand
mitgetheilte Behauptung Wiedemanns, daß ein besonderer, dem letzten
Drittel des 17. Jahrhunderts zuzuweisender Vorfall auf der Universität
25*
380 A. GOBIBERT
Jena die BezeichnuDg des niohtstudentischen Bürgers durch Philister
veranlaßt habe, halte ich jetsst wie schon 1877 für sehr zweifelhaft,
doch mag in ihr nach Ort und Gedankeninhalt ein Kern von Wahr-
heit stecken. Daß die Studenten sich als Musensöhne bezeichneten,
konnte bei streng christlich biblischer Weltanschauung für heidnischen
Unfug gelten; und zumal für die Theologen der ausdrücklich als Ver-
treterin des reinen biblischen Lutherthums gegründeten Universität
Jena lag vielleicht der Gegensatz von Israeliten und Philistern
näher. Dann mögen die Studenten nach biblischer Sprechweise sich
als das auserwählte Volk, als Kinder Gottes im Gegensatze
zu dem unbegnadeten Volke der Heiden oder Philister gefühlt und
bezeichnet haben* Leicht konnte sich solcher Sprachgebrauch noch
im 17. Jahrhundert über die drei schon bestehenden sächsischen Uni-
versitäten und das seit 1694 hinzutretende preußische Halle ver-
breiten, wie ja in der That die Übertragung des Wortes Philister
sich zuerst in der geistig von diesen vier Hochschulen beherrschten
obersächsischen Gegend zeigt. Hierzu stimmt es, wenn ein in den
Neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts erfolgter Auszug der Halli-
schen Studenten in gleichzeitigem Bericht als Auszug der Kinder
Israel aus Ägypten dargestellt wird; hierzu stimmt es nicht weniger,
wenn Goethe, vielleicht in bewußter Erinnerung an überlieferten stu-
dentischen Sprachgebrauch y bald ausdrücklich, bald andeutend Phi-
lister und Kinder Gottes einander gegenüberstellt , so am deut-
lichsten Bd. 2, 290 Hempel (^Gedichte sind gemalte Fensterscheiben')
und erkennbar auch ebd. 2, 298 im Gedichte vom Regen und Regen-
bogen. So läßt sich die Sache wohl denken; doch bleibt die Ver-
muthung unsicher^ und wer sie zurückweist, kränkt mich nicht. Von
Zusammensetzungen und Ableitungen ^ die freilich zum Theile nicht
viel lehren und die zu erschöpfen nicht beabsichtigt wird, mögen hier
noch folgende Platz finden: Philisterbart (bestehend aus Backen-
bart und Kinnbart; soweit letzterer sich unter dem Kinn hinzieht»
während das Kinn selbst wie die Theile um den Mund rasiert sind)
steht gelegentlich im Gegensatz zum 1848er Demokratenbart,
dem heute allgemein üblichen sog. Vollbart; vgl. Fontane, Wande-
rungen' 1, 462: Lange genug habe ich einem hochlöblichen Publicum
gedient und einen Philisterbart getragen; nun will ich frei sein und
einen Demokratenbart tragen. Philisterbrut H. Leo, Volksbl. i.
St u. L. 1856, S. 821: Bekehre dich ordentlich, innerlich in Oeist und
Wesen^ theure Philisterbrut — oder laß es ganz bleiben — aber
fnache keinen Seifenschaum mü bunten Bilderche^i drin^ und vor AUem
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖBTEBBUCHE. 381
mcLche dir nickt weifi, du seist auch etwasj wenn du dich in den Seifen-
blasen als ein leidliches KerUhen abspiegelst Philisterdasein Scherer,
Lit.-Gesch. 646: Der Klempnermeister Konr. Oriibel in Nürnberg hatte
städtisches Philisterdasein poetisch abgeschildert. Philisterdumm
gebraucht Hoffmann v. Fallersleben, Oed. 256; ebenderselbe auch
Philistergeschmeiß (Spitzkugeln S. 30):
Besser du stirbst für eine Idee^ ais daß du bewußtlos
Lebst in den Tag hinein wie das Philist er ge schmeiß.
Philisterhaus. Wer denkt nicht an O. Schwabs viel-gesungenes
Lied: Bemooster Bursche zieh ich aus^
Behüt dich Qott, Philisterhausf
Philisterhimmel nennt H. Leo imVolksbl. f. St. u.L. 1858, S. 1069
den einem Philister erwünschten Zustand: zu diesem Philister-
himmel wären wir sicher angelangt /Philisterjoch Strachwitz, Oed. 41 :
Eh zwängt der Maulwurf in sein Loch
Den Adler stolzbeschwingt,
Eh Philisterwitz und Philisterjoch
Den Dichtemacken zwingt.
Philisterkanngießerei bei Jahn 1, 255 (Volksthum): Der Oe-
schichtschr eiber i wenn er nicht Kindermärchen schwatzen, Philister-
kanngieß er eien aufstützen^ Altweiberwäsche putzen will^ ist nichts
ohne Vaterland^ Volksthum und Muttersprache. Philisterland. Der
aus Börne beigebrachte Beleg klingt stark an eine Stelle des viel-
gesuDgenen Liedes „O alte Burschenherrlichkeit^ an:
Sie zogen mit gesenktem Blick
Sich ins Philisterland zurück.
Philisterlich steht in der Zusammensetzung dasUnphilisterliche
bei Heine 7, 68 der Campischen Ausgabe von 1887 (Deutschland von
Luther bis Kant). Philisterlein bei Strachwitz, Ged. 16:
Kann mir nichts die Harfe stimmen^
Nicht die Liebe, nicht der Wein^
Sei's das zornige Ergrimmen
Über die Philisterlein.
Philistermann für Philister hat Kopisch, Ges. W. 1, 247:
Stirbt im Hansjochemwinkel ein Philist er mann,
Ins Himmelreich er nicht so bald gelangen kann.
Philistermoral: die gewöhnliche hausbackene PhilistermoraL Phi-
listerpferd (^= Miethsgaul oder Gewohnheitsthier) ist durch
ein wenig bezeichnendes Beispiel aus Kotzebue belegt. Vgl. Gaudys
Gedicht ^Führ uns nicht in Versuchung**:
382 ^ GOMBKRT
Da stund ich wieder an der Ecke (nämlich dem Wein-
baus gegenüber)
Höchst wunderbar! Wie kam es nurf
Die Beine wollen nicht vom Flecke^
Becht nach Philisterpferde Natur.
Pbilisterrotte bei Strachwitas, Ged. 67 (RecL): Laßt uns zerbrechen
die Philisterrotte! Philittterseele: Was kann aus so platter Phi-
listerseele [Brockes] Hohes kommen? Hettner^ D. Litt. 3^ 1, 342.
Philisterscbaden bei Eicbendorf, Krieg den Philistern 161:
Erhalt der Herr euch lang erklecklich dumm^
Behüt die Blüthen voi' Geschmeiß und Maden,
Maif rösten^ Türken- und Philister schaden.
Ebd.51: Philisterschaar und 101: Philisterfähnlein. Philister-
staaten. Novalis 2, 237 unterscheidet genialische und Philister-
Staaten. Philisterunglück nennt H. Leo im Volksbl. f. St. u. L.
1857, S. 774 ein solches, das dem ersten besten Philister begegnen
kann. Philisterthum ist durch das etwas phrasenhafte Beispiel
aus Bettinas Briefen nicht ausreichend belegt. Statt vieler Belege
diene einer aus Wienbargs ästhetischen Feldzügen 79 (1835): Sie
werden entweder die Leibpoeten des Philist er thums, das unmittelbar
über dem Volk lagert, oder sie werden die Poeten der Gebildeten, d. h.
verschiedener unter sich streitiger Cliquen, welche die gesellschaftlichen
Culminationen der Macht, des Geistes, der Gelehrsamkeit u. s. w. repräsen-
tieren. Philisterium steht wohl wegen seiner lateinischen Endung
an der Grenze der Aufnahmefilhigkeit, doch ist es einmal in studen-
tischen Kreisen häufig gebraucht, theils als sinnverwandt mit Phi-
listerthum, theils als Sammelname zur Bezeichnung der Philister;
vgl. in letzter Bedeutung H. Leo, Volksbl. 1857, S. 774. Ein paar
hundert toUe Excesse von müßig gewordenen Fabrikarbeitern würden unser
süßes deutsches Philisterium weit rascher wieder ernüchtert und zu
einigem Conservatismus bekehrt haben. Philisterverstand W. Raabe,
Deutscher Adel in Westermanns Monatsheften 1878, November, S. 162:
Vögel aus demselben Nest der Lebensharmlosigkeit, nur daß den einen
sein phantastisches Gefieder allzu leicht zu hoch über den gesunden Men-
schen- und Philisterv er stand hinaustrug.
Philister Weisheit: Prinz Zerbino ist gegen die hausbackene
Aufklärungsmoral und Philist er Weisheit gerichtet. Hettner Litgesch.
3, 3, 2, 434. Philisterwelt ist verzeichnet, doch ohne Beleg ge-
lassen; man denkt zunächst an die bekannten Zeilen von Klamer
Schmidt:
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖBTERBUCHE. 383
Jeh labe mich lieber an Wein und am Kuß,
Bevor ich hinunter
Ine traurige Beich der Philisterwelt muß (Hier
sitz ich auf Rosen mit Veilchen bekränzt).
Vgl. aach Wienbarg Ästh. Feldz. 135 (1835) : In dieser wüsten küsten-
losen Litteratur, in welcher die Schriftsteller ohne Polarstern schiffen und
ihre großen und kleinen Bären nidit am Himmel, sondern in der Phi-
listerweit haben. Philisterwitz: Es steht mancher Weise in Erz
und Bronze auf unseren Märkten, aber Begenschauery Philisterwitz
und üble Nachrede gehen an keinem von ihnen so machtlos vorüber wie
an meinem Freund. W. Raabe, Deutscher Adel a. a. O. S. 287. Phi-
listern (und zwar trans.; also: in Philisterweise behandeln)
war durch das bei Sanders und Kehrein stehende Beispiel aus E. M.
Arndt zu belegen. Philistrieren in der Bed. zum Philister
(einer studentischen Vereinigung) machen ist doch wohl seltener
Sprachgebrauch; ich kenne es mehr in dem intr. Sinne: sich vom
Verbindungswesen fern halten. Philiströs wechselt mit
philiströs; letzteres wird von H. Leo bevorzugt, z. B. Volksbl. f.
St. u. L. 1856, S. 548: dies geistig armselige und philiströse Lumpen-
gesindel Die schlechte Form Philiströsität aber ist doch sicher
weniger üblich als das tlbergangene Philiströsität; übrigens wird
man leicht zugeben, daß beide fehlen könnten.
Philosoph und Philosophie verdienten eine eingehendere
Erklärung als ihnen bei Lexer zu Theil wird; wenigstens sollte aus-
drücklich an den eigenthümlichen Gebrauch erinnert werden, den
diese Wörter etwa seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts erleiden.
Dazu genügte schließlich ein Hinweis auf das 7. Buch von Goethes
Dichtung und Wahrheit, Wke. 21, 57 (Hempel), wo von dem Gegen-
satze des sich innerhalb des protestantischen Theils von Deutschland
und der Schweiz lebhaft regenden sogenannten Menschenverstandes
einerseits und der Schulphilosophie anderseits gesprochen wird: Man
glaubtey wenn man in seinem Kreis richtig wrtheile und handle, sich auch
wohl herausnehmen zu dürfen, iiber Anderes, was entfernter lag^ mit-
sprechen zu dürfen. Nach einer solchen Vorstellung war nun jeder be-
rechtiget, nicht allein zu philosophieren^ sondern sich auch nach und
nach fWr einen Philosophen zu halten. Die Philosophie war also ein
^ mehr oder weniger gesunder und geübter Menschenverstand, der es wagte
ins Allgemeine zu gehen und über innere und äußere Erfahrungen abzu-
sprechen .... und so fanden sich zuletzt Philosophen in allen Facul-
täten, ja in allen Ständen und Hantirungen. Damit werden wir in die
384 A. GOMBERT
Zeit der sogenannten Popularphilosophen geführt, die der Gefahr
nicht entgingen den Begriff der Philosophie zu verflachen, indem sie
gern jede von den überlieferten Vorstellungen freie oder sich frei
dünkende Betrachtung der Dinge als philosophisch bezeichneten;
man vergleiche nur in X J. Engels Philosophen für die Welt den
Titel des Buches mit der Mehrzahl der in demselben stehenden Ab-
handlungen. Goethe selbst bezeichnet im 8. Buch a. a. O. S. 99
seinen Gastfreund, den Dresdener Schuster, mit gutmüthigem Scherze
als praktischen Philosophen und bewußtlosen Weltweisen. Wie sich
diese Popularphilosophie allmälig überlebte und nicht zum wenigsten
durch das absprechende Wesen Nicolais an Ansehen verlor, gehört
freilich nicht ins Wörterbuch, ließe sich aber auch ohne große Er-
örterung an einigen wohlgewählten Beispielen klar machen. Philo-
sophaster, ein im 18. Jhdt. anscheinend nicht seltenes Wort, [VgL
Kritikaster, Poetaster, Theologaster, Medicaster, letzteres
in Günthers Lebensbeschreibung 76] (1732) gebraucht Job. v. Müller
in einem Briefe vom 12. August 1770 (Wke. 29, 79 der Ausg. v.
1831 ff.), ferner Wieland Horazens Sat. »1, 33 (1786); andere Bei-
spiele bringt Kehrein aus Herder. Verwandt mit dem Philoso-
p ha st er ist der Philosophant, den Sanders und Kehrein aus
Lichtenberg nachweisen; desgl. der Philosophist, den Jean Paul
Hesperus 281 (Hpl) vom Philosophen unterscheidet {so viele Phi-
losophen und Philosophisten). Philosophistisieren hat No-
valis 2, 177: Das Universalisieren und Philosophistisieren eines
speoißschen Begriffs oder Bildes ist nichts als ein Ätherisieren, ein Ver-
luftigen y Vergeistigen eines Specificums oder Individuums; ebd. 2, 117
auch Philosophismus: Philosophismus ist ein höheres Analogon
des Organismus; der Organismus wird durch den Philosophismus
completiert und umgekehrt. Philosophin. Zu dem Beispiele aus
Zimmermanns Einsamkeit füge man ein früheres aus Gellerts Lust-
spielen 130 (1748):
Ihr seid gelehrt,
Recht sehr gelehrt in allen Sachen,
Und wolU Ludnd&n gern zur Philosophin machen.
Philosophenbart bei Wieland Hör. Sat. % 73: er hat natürlich
auch nach Art dieser Leute den Philosophenbart (sapientens bar-
bam); vgl. ebd.: des Stertinius, eines philosophischen Marktschreiers,
dem sein stoischer Bart und Mantel (s. später Philosophen-
mantel) ... eine Art von Becht gaben; kürser zu Horaz Sat. 1, 3,
133: [der stoische Tugendschwätzer] hat natürlich auch nach Art jener
BEMERKUNGEN ZUM DEUT8CHEN WÖRTBRBUCHE. 3g5
Leute dm Philoiophenbart. Vgl. Friedländer Sittengesch. Roms 3,
5Ö9 (1871): ein langer Bart, hinaufgezogene Augenbrauen , ein grober
Mantel und bloße Füße seien einem genug ^ um sich für weise, mannhaft
und gerecht auszugeben. Philosophenbraten: Eine am Spieß gebratene
und mit Petersilie bedeckte Hammelbruet ist ebenfalls kein verächtliches
Gericht: es ist dies der sogenannte Philosophenbraten, La Beyni^re
Küchenkalender, flbersetzt und herausg. y. Habs (Reclam). Philo-
sophenkönig bei Gregorovius Athenais 121. Philosophenkaiser
bei Friedländer a. a. O. zur Bezeichnung des Kaisers Julian. Der
Philosophenmantel wird im Alterthum und dem entsprechend
auch häufig in deutschen Schriften erwähnt, theils im eigentlichen
Sinne, theils' übertragen. Vgl. Poesie der Franken 1, 215 (1730):
Hiermit ließ er die guten Aken
Die Philosophenmäntel falten.
Wir finden diesen Ausdruck desgleichen in euiom doch für weitere
Kreise berechneten Buche, das im Jahre 1786 zu Breslau unter dem
Titel Liebe und Ehe in der Narrenkappe und im Philosophenmantel
erschien (s. Verzeichn. des antiq. Bücherlagers von K. Th. Völcker
141, Mr. 67). Daß auch in unseren Tagen der Ausdruck als allge-
mein bekannt vorausgesetzt wird, sehen wir ans den Grenzboten, Jahrg.
1887, Nr. 52, S. 635, wo eine Abtheilung von Gedichten Albert Gehrkes
die zusammenfassende Überschrift: Im Prophetenmantel trägt.
Arndt Geist der Zeit ^1, 46 (1807): Selbst die Theologie ließ sich so
weit herab, den Philosophenmantel umzunehmen; nun ward sie bo"
thört, und die Philosophie stutzte und zierte und glättete an ihr, so lange
es etwas zu stutzen^ zu zieren und zu glätten gab. Friedländer a. a. O.
602: Ist es erforderlich ^ daß tausend Bänke aufgestellt^ Zuhörer einge-
laden werden, daß du in eleganter Kleidung oder im schäbigen Philo-
sophenmänt eichen auf das Katheder trittst und den Tod Achills be-
schreibst f Vgl. ebd. 569: Die Gegner ließen es sich nicht nehmen^ gerade
auf den Lebenswandel diesei* bloßen Bart- und Mantelphilosophen
hinzuweisen^ um die Unfruchtbarkeit der Philosophie für sittliche Ver-
vollkommnung darzuthun. Wieland Agathen 10, 3 (Sämmtl. Wke. 2,
273 der kl. Ausg. von 1794 ff.): Man mußte Metaphysik in geometri-
schen Ausdrücken reden, um sich dem Fürsten angenehm zu machen. Man
trug also am ganzen Hofe keine andere als philosophische Mäntel.
Frkf. Gel. Anz. 1, 147 (1772): So rathe ich keinem Dichter, in dem
Mantel der Philosophen aufzutreten, dessen Löcher so vielen ärger-
lich an denjenigen sindj die keinen besseren Mantel haben und ihn aus
Caprice auf einige Stunden von sieh legen, um zu sehen j wie sie der
386' A. GOMBERT
andere kleidet und wie weit er ihnen reicht, Philosophenbart und
Philosophenmantel findet man auch in mehreren deutsch -lat ein.
Wörterbüchern^ wie von G-eorges. Philosophenmaske bei Fried-
länder a. a. O. 573: dies iequeme und einträgliche Bettlerleben j das
ihnen zugleich die Möglichkeit gewährte, unter der Philosophenmaske
ihren bestialen Neigungen zu fröhnen; ebd. 561, 577 u. oft, übrigens
schon viel frtlher, Philosophenschule, 559: Philosophentracht.
Philosophensecte bei Seume 8, 200 (Weinlese): Professor und
Verfechter einer Philosophensecte. Philosophenthum bei Gre-
gorovius Athenais 80: fakirhaftes Mönchthum und das Bettelphiloso-
phenthum Griechenlands,
Phiole wird einfach als kugelförmige Glasflasche mit langem
Halse bezeichnet. Es wäre hinzuzufügen, daß nach dem heutigen
Sprachgebrauche das Wort ein ungewöhnliches und vornehmes ge-
worden ist, daher, so viel ich weiß, nicht zur Bezeichnung von all-
täglichen Gebrauchsgeräthen verwendet wird, sollten sie auch der
sonst richtig von Lexer gegebenen Begriffsbestimmung entsprechen;
man versteht vielmehr unter der Phiole die in der angegebenen
Weise gestaltete Glasflasche des Chemikers, der ja dem ge-
wöhnlichen Sterblichen leicht wie ein Hexenmeister erscheint, oder
ein als Heiligthum gezeigtes oder kirchlichem Gebrauche dienendes
Gefäß. Hierzu stimmen die von Lexer gegebenen drei Beispiele,
denen noch beizufügen wären zunächst die schon von Kehrein ange-
führte Stelle aus Faust 2. Theil (Hempel, 13, 69):
Schon in der innersten Phiole
Erglüht es wie lebendge Kohle;
ferner aus Lenaus Faust (S. 386 der Gesammtausgabe von Barthel):
Er riefe und hatte mit den Worten
Phiolen, Flaschen und Betorten
Zerschmettert schnell in tausend Scherben.
Diese Scherben heißen zum Überfluß ebd. 385
die Splitter
Vom alchymist' sehen Apparat-
Und wenn Rückert in dem von Sanders gebotenen Beispiele^ aus den
Makamen eine Trinkflasche als Phiole bezeichnet, so mag dies der
morgenländischen Einkleidung zuliebe geschehen sein, wird aber wohl
eher eine durch das vorhergehende Reim wort Viole nahe gelegte
unübliche Verwendung des Wortes Phiole sein, wie dergleichen bei
Rückert häufig zu finden ist. Dahn, im Kampf um Rom ^1, 277, ver-
wendet bei der Schilderung eines Gastmahls und Trinkgelages wieder
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 387
die ursprüngliche grieeh. Form Phiale, ich denke, weil ihm die
Phiole zu alchymistisch, apothekerhaft oder kirchlich vorkam: Laß
die Amphora hereinbringen; dazu die Phialen van gelbem Bernstein,
Hedio in der Übersetzung von Baptista Piatinas Papstgeschichte 32^
(1546) hat Phiel: ein guldin Phiel oder schal.
Phlegmatiker und phlegmatisch werden erst aus Kants
Anthropologie belegt. Wann ersteres Wort aufgekommen ist, weiß ich
nicht, will aber doch bemerken, daß die lateinische Form phleg-
maticus, die ja noch heute neben Phlegmatiker gebraucht wird«
schon von Sim. Roth (1572) als Fremdwort aufgenommen und erklärt
ist: ein rotziger, pfutziger, tostiger mensch. Phlegmatisch aber im
Sinne der alten Anthropologie ist schon im 16. Jhdt. ganz gewöhn-
lich, z. B. 1532 bei Fries, Spiegel der Arznei 106: von flegmatischem
Unwillen [Übelkeit]; Sebiz vom Feldbau 233 (1580): die Phlegma-
tische und Wasserige feuchtigkeyt, ebd. phlegmatische beulen ; aufi
Vermischung des phlegmatischen und Biliosi gd)lüts. New Distillir-
buch 2* u. 5^ (Fkft. 1597): ein rohe ungedäwete Flegmatische feuchte;
ebd. 3*: die Flegmatische vngeschmackte wässerigkeit. Cureus Schles.
Chron. übers, v. Rättel 2, 50 (1585): die Pituita und Flegmatische
Materi. Im übertragenen Sinne habe ich mir phlegmatisch erst aus
Abbt Liebe zum Vaterlande (1761), Vermischte Werke 2, 47 der Ausg.
von 1770 angemerkt: Wir werden Stützen des Vaterlandes durch unsern
Fall, anstatt demselben durch unsere phlegmatishe Lage zur Last zu
gereichen,
Phosphor in der Bed. Morgenstern findet sich vor Fr. Müller
bei Uz 1, 50 (Ausg. v, 1768):
Wie Phosphor glänzt^ der um den Morgenthau
Aus Thetis Armen sich entziehet,
Und ans gestirnte BlaU
Mit heitrem Lächeln tritt und vom Olymps stehet
In Phosphor wird die Abstammung nicht. mehr gefühlt, und so bildet
man auch Phosphorlicht:
Dünste, mein Junge, nur Phosphorlicht,
Vermoderte Quallen und Schnecken.
A. V. Droste Hülshoff 1, 247.
Ihr [der Sterne] Phosphorlicht wandelt die grünliche Fläche des uner-
meßlichen Oceans in ein Feuermeer um Humboldt, Ans. der Natur 175
(kl. Ausg. V. 1871); ebd. 139: zahllose Jnsecten gössen ihr rdthliches
Phosphorlicht über die krautbedeokte Erde, ebd. 204: ein schwaches
Phosphorlicht. Vgl. auch in Alfr. Meißners Gedicht Venezia: du
388 A. GOMBERT
hhsser Phosphorschimmer. Phospborisch wird aus Wielands
Clelia (1783) belegt; etwas früher sehen wir es bei Kant in Engels
Philosophen für d. Welt 2, 151 (1777): die Ausdünstung des phos-
porisch Sauren f womach alle Neger stinken, ebd. 156. Aach wäre
ein Beispiel aus Goethe 11, 1, 260 (Hempel) vom J. 1821 (Theater-
reden) beizubringen:
Und unter dem Kopfschmuck phosphorischer Schlangen
Weiß glühen die Augen und rothbraun die Wangen.
Gephosphortes Wasserstoffgas Humboldt, Ans. d. Natur 216.
Phrase. Zu den geschraubten Phrasen (Platen) wären auch die
gewundenen Phrasen anzuführen, z. B. aus Goethe 13, 22 (Faust,
2. Theil); femer Phrasen drehen und Phrasen drechseln^ auch
Phrasendrechsler; die geschwollene Phrase^ z. B. bei Geibel Ged.
u. Gedenkbl. 103:
Wann der Verfall anhebt f Wenn die Zeit die geschwollene Phrase
Von des empfundenen Worts Fülle zu scheiden verlernt.
Dazu gehört denn die nicht seltene Zusammensetzung Phrasen-
schwall. Phrasen flor Goethe 2, 382 Hempel (Zahme Xenien
5. Abth.): So zeiget Lesers düiftig Ohr
Mit vielgequirltem Phrasen- Flor.
Von weiteren übergangenen Zusammensetzungen seien genannt Phra-
sengewebe Vilmar Litgesch. *®444: Noch länger bekannt und beliebt
war das Phrasengewebe: die Fürstengruft; Phrasenheld Vilmar
Schulreden «217 (aus d. J. 1845); Phrasenherrschaft ebd. 336
(1849): die Begriffs- und Phrasenherrschaft hat zu einer Trägheit
und Feigheit geführt y die noch nie in t^o auffallenden Formen hervor-
getreten ist^ wie in unserer neuesten Zeit; ebd. 337 wird der Ausdruck
wiederholt; S. 335 dafür Phrasendespotismus: die Begriffe werden
zu Phrasen, und die Begriffsherrschafi wird zum Phrasendespotis-
mus\ Phrasentausch H. Leo, Gedankenspäne 115: den Dingen,
vor allen Dingen den Persönlichkeiten und deren Handlungen fest auf
die Nähte zu fühlen, haben wir un^ in diesem öden langweiligen Traum-
leben unseres Phrasentausches, den wir Unterhaltung und Belehrung
nennen, fast ganz entwöhnt. Phraseologie ist übergangen. Im Jahre
1610 gab J. R. Sattler zu Basel seine Teutsche Orthographey und
Phraseologey heraus. Seit wann das Wort auch im tadelnden
Sinne gebraucht wird, habe ich nicht angemerkt; ein Beispiel aus
dem Jahre 1790 gäbe J. G. Müller, Herr Thomas 2, 379: also kannten
seine Lieder nicht viel mehr enthalten als Gemeinplätze und dbgenutzü
erotische Phraseologie-^ ebd. 4, 353 (1791): er erschöpfte seine ganze
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHB. 3gg
poetische Phraseologie. Bekannter ist Platens Vers aus der Oabel
(Werke 4^ 30 der Ausg. von 1854): Phraseologie, die im Kopfe mir
blieb aus einem Tragödienrührei* Phraseologisch steht 1719 in Math.
Krämers Nider-Hoch-Teutscben Wörterbache, Vorrede ^ Bl. P: gute
phraseologische Dictionarien und ebd. 3*: ohne Nachtheil der zu
einem rechtschaffenen phraseologischen Lexico erforderten VoÜdändigkeit,
Physik. Auf Wolframs fisike folgt sogleich ein Beispiel aus
Kant, wahrend man doch einige Belege aus den zwischenliegenden
Jahrhunderten wünschte. Für das 16. Jhdt. wäre auf den doch häufig
von Lexer angezogenen S. Roth zu verweisen: Physie Wissen vnd
kunst oder verstandt der natürlichen dingen; dann etwa auf Pistorius
Anatomie Lutheri 3, 47 (1593): Daß Luther ein grober Saw Theologus
ist vnd in seiner Theologia aUzeit semsche Physich vnd stinckenden
Mist vndermischen muß. Physisch (belegt aus dem Jahre 1664) steht
1593 in Seb. Helbers Syllabierbüchlein 16, 28; ein zusammenhängendes
Beispiel bietet Harsdörffer in dem von ihm verfaßten 3. Theil von
D. Schwenters Mathematischen und Philosophischen Erquickstunden
S.. 227 (1653): Diese Strahlen aber sind keine Mathematische und künst-
Uche, sondern vielmehr Physische und natürliche Linien.
Physiognomik. Die gegebene umfassende Erklärung wird
leider durch das Beispiel aus Kant getrübt, welcher nur den Menschen
ins Auge faßt; längst aber redet man doch auch von einer Physio-
gnomik der Qewäcbse, wie ja in Humboldts Ansichten der Natur
ein Abschnitt sich als Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse be-
zeichnet (S. 173 ff. der kleinen Ausgabe von 1871); ebd. 155: auf-
fallend sind in aücastilischen Idiomen die vielen Ausdrücke für die
Physiognomik der Oebirgsmassen, für diyenigen ihrer OestaÜungen,
welche unter allen Himmelsstrichen wiederkehren und schon in weiter Ferne
die Natur des Gesteins offenbaren. Neben dem Physiognomisten ver-
diente auch der Physiognomiker Aufnahme; letzteres Wort ist heute
sogar das üblichere* Das Wort wurde wohl durch Lavaters bezügliche
Schriften (seit 1772 und besonders seit 1775) üblich. Vgl. auch
H. P. Sturz* 2, 205: wir sind AUe, mehr oder weniger, empirische
Physiognomiker.
Piano alsAdv. (Bürger) kommt schon 1702 vor bei Tbomasius^
Auserlesene Sehr. 2^ 36 (Ausgabe von 1714): 8o lange Fridericas Sapiens
und SpcUatinus Luthers allzu hitzigen Eyfer mit GUmpff swpprimierten,
vnd der Churfürst Gott reformieren und alles fein piano gehen ließen,
wenngleich Luther* noch so sehr scholt.
390 A. GOMBERT
Pi chel (als G-eiferläppchen kleiner Kinder) zeigt auch die Weiter-
bildung Pichelschttrze, d. h. Latzschürze, nur daß die Pichel-
schürze ebensogut von Erwachsenen getragen wird und in unserer
Zeit überhaupt die gewöhnliche Form der Schürzen ist. Das Wort gilt
für berlinisch^ gilt aber jetzt auch anderswo und wird wohl in ganz
Norddeutschland yerstanden.
Pichelei wird von Lexer mit Sanders nur im Sinne von Sau-
ferei gefaßt und durch eine Stelle aus der Karschin belegt. Ich habe
schon im Jahre 1877 darauf aufmerksam gemacht, daß die mir damals
nur aus Sanders bekannte Stelle keinen Sinn gäbe, wenn man sie auf
das Trinken bezöge , daß sie vielmehr auf harte Arbeit ginge, wozu
ich auch picheln = schwer arbeiten aus Butschkys persianischem
Rosenthal anführte. Genaue Einsicht in die genannte Stelle nimmt
jeden Zweifel an meiner damaligen Behauptung. In dem bezüglichen
Gedichte (Schlesisches Bauemgespräch, Gedichte von Luise KarschiD,
Berlin 1792 [Titelauflage von 1797], S. 376—388) schildert Bauer Hans
S. 380 und 381 sein einfaches Tagewerk vom frühen Morgen an, gibt
dabei an, wie seine Frau zuerst das Bette verläßt und fährt dann fort:
Ich fahr ihr hurtig nach, und bet a Morgen-Seegen,
So kurz als möglich iß; denn unsers Herr-Ooota wegen
Verwendt man nicht viel Zeit. Verzeih mirs Oott! wir seyn
Zum Flegel nur gemacht und zu den Picheleyn,
Der Bauer sagt also ganz einfach, daß er bei seiner harten Arbeit
keine Zeit zu einer längeren Morgenandacht habe ; er wirft nun einen
Seitenblick auf den Städter, der wohl den Schein der Frömmigkeit
annehme, dabei jedoch an seinen Wucher denke, und kehrt schließ-
lich zu sich zurück:
Wir Bauersleute thun, was unsre Väter thaten:
Wir beten kurz und gut und gehn zur Arbeit hin.
Das Mißverständniß der Stelle rührt wohl daher, daß Lexer sie auf
Treu und Glauben aus dem Wörterbuche von Sanders entnahm; dar-
auf deutet auch die nach Sanders gegebene Abtheilung der Zeilen,
aus der die Alexandriner der Karschin nicht zu erkennen sind.
Pickel in der Bed. Eiterbläschen auf der Haut, Blatter
wird ganz übergangen, während es doch wenigstens in ganz Nord-
deutschland ein alltägliches Wort ist und außer dem Adj. pick(e)lig
in mancherlei Zusammensetzungen auftritt. Fontane Wanderungen
4, 345 erzählt vom alten Schadow, daß zwei in Wachsmasse aus-
geführte Modellfiguren in der Nähe des warmen Ofens, weil das Wachs
an der Oberfläche schmolz, eine wie mit Pickeln übersäete Haut
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUGHE. 391
bekommen hätten. Ein Taasendkünstler will den Schaden beseitigen,
ffihrt dies aber so mangelhaft aus^ daß Schadow sagt (a. a. O. 346) :
Ja, die Pickeln sind weg, aber die Pelle ooch, Pickel als eine Art
Kraftwort zur Bezeichnung eines festen , seiner Arbeit gewachsenen
Mannes wird ans Schöpf, tirol. Idiot belegt. In Norddeutschland habe
ich diese Anwendung des Wortes nie gehört; daß sie im Süden auch
außerhalb Tirols vorkommt, sieht man aus J. Gotthelf, Ges. Sehr.
20, 175 (Berlin 1861. Käserei i. d. Vehfr.): Dae ist ein Buch, das ist
eins! Das muß Einer sein^ ders geschrieben haty e ganze Kerli, e wr-
fluchte Pickel! Pickelhart wird nur ans Wörterbüchern belegt;
vgl. darum Berlepsch, Alpen ^ 407 (1871): wenn drunten im Thal Alles
pickelhart gefroren ist, Pickelhaube. Es wird richtig angegeben,
wie das Wort allmälig seine Bedeutung gewechselt hat und heute
fast ausschließlich den metallbeschlagenen und mit einer Spitze yer-
sehenen Helm bezeichnet. Man vermißt aber einen bestimmten Hin-
weis darauf, daß seit der Einführung des griechischem Vorbilde ent-
lehnten mit der Spitze versehenen Helmes durch König Friedrich Wil-
helm IV. das Wort Pickelhaube nicht bloß stehende Bezeichnung
des preußischen Helmes, sondern auch der preußischen Heeres- und
Staatsmacht geworden ist. Bei den Wahlen zum Zollparlament (1867)
wurde in süddeutschen ultramontanen Blättern die schreckliche An-
klage erhoben, man wolle in Berlin ganz Deutschland unter die
Pickelhaube bringen. Gleichmüthiger empfand man es, daß vor
nicht langer Zeit durch Abschaffung des sogenannten historischen
Raupenhelmes und die Einführung des preußischen auch Baiern unter
die Pickelhaube gebracht wurde. Für die von Lexer erwähnte unrichtige
Ableitung, nach der man unter Pickel so viel wie Spitze verstand
und versteht, bietet H. Heine, Deutschland^ Cap. 3, ein bezeichnendes
Beispiel :
Nicht übel gefiel mir das neue Kostüm Ja, ja^ der Helm gefällt mir^ er zeugt
Der Reiter, das muß ich loben^ Vom allerhöchsten Witze!
Besonders die Pickelhaube, den Ein königlicher Einfall loars!
Es fehlt nicht die Pointe, die Spitze!
Mit der stählernen Spitze nach oben.
Nach dem Gesagten bedeutet Pickelhaube natürlich auch den Helm
der preußischen Polizei und den Polizeibeamten selber; vgl. Raabe,
Deutscher Adel in Westermanns Monatsheften, Dez. 1878, S. 311*:
Ist das eine Polizei! Keine Pickelhaube zu sehen, so weit das Auge
und der Tumult reicht. Pickelstein wird als gefrorner Erden-
kloß bezeichnet; besser ist die Erklärung Jahns 1, 536: Erde, die
392 ^' OOMBERT
tteinhart mit seharfen SpiUen gefroren ist. Übrigens gebrancht man
das Wort, wie Danneil an der von Lexer angesogenen Stelle bemerkt,
kaum anders als in der Wendung: es friert Pickehteine. Vgl. Jahn
l, 478: Biermährte ißt man in den Hundetagen; wenn es Pickeleteine
friert^ kann man sie nicht gebrauchen. Pickelstock wird nur im
Sinne von Pickel = Spitzhacke aus Rttdlein beigebracht, be-
deutet aber auch den mit metallener Spitse versehenen Wanderstock;
ygl Hoffmann y. Fallersleben Oed.^ 298:
Ein Paar gute Sohlen Ein Paar weite Hosen
Und ein heiler Rocky Und ein Pickelstock^
Dichtes Wachstuch tiberm Hut
Ist in Wind und Wetter gut.
Picker steht bei Lexer nur im Sinne von Picke nar heiter
und von dem Vogel Steinhauer oder Steinpicker. Schottel jedoch
334^ führt den Pick er an als denjenigen, der seinen Nutz von eines
Anderen Abgang und Schaden suchet, und ebenda: Pikken , abpikken
das ist jhm vortheilhaßig zuheimschen. Pieken ist in Norddeutschland,
besonders im Brandenburgischen, das gewöhnliche Haus- und Kinder-
wort fOr stechen (nd. peken) und wird von picken beatimmt
unterschieden. Floh und Nadel pieken; letztere heißt daher auch in
der Kindersprache die Pieknadel , so daß diese Bezeichnung nicht
etwa auf die Stecknadel beschrllnkt ist. Vgl. auch Kopisch, Oes.
Sehr. 2, 231:
Wird dir bei Nacht die Ruhe geraubt durch hüpfender Flöhe
Piekende Schar und sanft anschleichende Wans^n.
Piekentief (übergangen) führt Campe nach Frisch 2, 59^ als gleich-
bedeutend mit zwei Klafter tief an. Denselben Sinn hat offenbar
das in Bessers Schriften 1, 198 der Ausgabe von 1732 vorkommende
Picken-hoch:
Bey Landen hat es Carln, o strenge Schlacht bey Landen!
Viel eher an Oesckütz, als Gegenwehr gefehlt,
Der mit dem Degen nur, als mehr kein Kraut vorhanden^
Die Feinde Picken-hoch dem Tode zugezehlt.
Erwähnt sei auch das aus dem Osten Deutschlands weiter gedrungene
piekfein (auch pick fein), das im Munde von Handlungsreisenden
und sonst in gewöhnlicher Rede eine sehr übliche Verstärkung von
fein bedeutet. Es hängt schwerlich mit der Pieke oder Spitze za-
sanmien (obgleich es auch ein nadelfein, nähnadelfein gibt);
der erste Theil wird das polnische pi^kny (= schön) sein, so daß
piekfein denselben Begriff doppelt ausdrückt, vgl. Guerillakrieg
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 393
und ähnliche Bildungen. Dem piekfein ganz nahe steht wienerisch
pieksüß (picksüß); vglJ Pötzl, Rund um den Stephansthurm 111
(Reclam, Universalbibl. 2411, 2412)'. der Vogel singt Ihna, daß d'Leut
auf der Gass'n stehen hleiVn. Aufn ganzen Grund nennens'n nur 'spick-
süße Höhel. [Nach Pötzl ein Dialectwort für die Clarinette] An den
ebenfalls übergangenen Piekschlitten will ich hier nur erinnern,
um das Wort als ein allgemein norddeutsches in Anspruch zu nehmen,
das auch Sanders verzeichnet, während die Anführung bei Frischbier
den Gedanken erwecken könnte, als sei es auf die Provinz Preußen
beschränkt.
Piepbock (eigentlich piepender Bock) als passende Bezeich-
nung des Dudelsacks oder der Sackpfeife finde ich nur bei
Sachs- Villatte 2, 1327^ während das Wort doch wohl in weiten Stri-
chen Norddeutschlands nicht bloß volksmäßig (nd. in der Form
Pibuck) für Dudelsack, sondern auch verächtlich für andere Ton-
geräthe, so insbesondere für ein schlechtes sog. Positiv gebraucht
wird. Adelung, Campe, Heyse bringen für Sackpfeife die Bezeichnung
Piepsack. Der Piep bock erscheint selten in Druckwerken; einen
Beleg bietet die Schles. Zeitung vom 23. October 1885, Nr. 743 in
einem von einem Ungenannten aus dem Französischen übersetzten
Roman: Der Dudelsackpfeifer gab, seinen Pipbock aufblasend, das
Zeichen zum Aufbruch,
Piephahn kommt in der ersten von Lexer angegebenen Be-
deutung kaum noch vor, desto mehr norddeutsch in der zweiten,
und darum wird das Wort überhaupt in anständiger Rede ganz ge-
mieden. Ein Beispiel für die erste Bedeutung bietet Joh. Helwig,
Nymphe Noris bei Gödeke Elf Bücher deutscher Dichtung 1, 348^:
es gottert und klettert und schlottert
Der Piphan für Stoliz.
IVIit dem P. ist hier nach den lautmalenden Zeitwörtern der Truthahn
gemeint; man vergleiche auch das von Lexer nicht verzeichnete Wort
riephenne bei Harsdörffer, Frauenz.fGespr. 5, 469 (1645): Daher
hat jener eine Pipphenne, deme [lies der] eine Band ein rothes Tuch
vorhält^ in einem Sinnbild vorgeführt mit diesen Worten: der Wahn be-
trügt Weil besagter Vogel über die rothe Farbe, die ihn doch nicht be-
leidiget, zömet Piepmatz wird nur aus Albrechts Buch über die
Leipziger Mundart beigebracht, ist aber, so weit meine Kenntniß
reicht, überall in Norddeutschland Bezeichnung eines kleinen Vogels
(in Berlin insbesondere des Haussperlings) oder eines kleinen , ängst-
lichen oder weinerlichen Kindes, das man ja auch Vög eichen nennt.
GEKIfANIA. Neno Beib« IIU. (XXXIY.) Jahrg. 26
394 A. GOMBERT
Piepmeier (übergangen) war in den Jahren 1848 — 1*850 ein häufig
gebrauchter Ausdruck zur Bezeichnung einer Art von ängstlichen und
unentschlossenen Politikern, die indessen das lebhafte Bedürfniß hatten,
sich bei jeder Gelegenheit mit ihrer Meinung hören zu lassen.
Vgl. Jahn 2, 1061 in einem Briefe vom 20. März 1849: Nun gibt
es noch Leute, man nennt sie Piepmeiers, wahre Prachtkerle, die des
Abends mit einer anderen Meinung zu Bette gehen und des Morgens mit
einer anderen zum Vorj<chein kommen. Man bildete auch weiter Piep-
meierei und Piepmeier thum. Ein Beispiel für ersteres bietet Bis-
marck in seinem Petersburger Schreiben vom 12. Mai 1859 an den
Minister von Schleinitz, abgedruckt bei Hahn, Fürst Bismarck 1, 52:
Es ist so weit gekommen, daß kaum noch unter dem Mantel allgemeiner
deutscher Gesinnung ein preußisches Blatt sich zu preußincliem Patriotismus
zu bekenne?! wagt Die allgemeine Piepmeierei spielt dabei eine große
Bolle, nicht minder die Zwanziger^ die Osterreich zu diesem Zwecke nie-
mals fehlen. Bei Sachs- Villatte wird Piepmeier verzeichnet und
durch Prudhomme wiedergegeben. Piepstückel (übergangen)
steht bei Rumohr, Geist der Kochkunst (Reclam): Brüste von großem
Geflügel, ah indianischen Hühneim {KaUkuten, Kühnen oder Piepstückeln)
. . gerathen voi^üglich am Baumelspieß wie auf dem Roste. Auch Campe,
Heyse, Sanders und Sachs -Villatte im Encykl. Wb. führen Piep-
stückel in der Bedeutung von Pute(r) auf. Daß Piepvogel auch
den preußischen rothen Adlerorden bedeutet, brauchte kaum aus
Albrecht belegt zu werden, da doch die Bezeichnung unzweifelhaft
nicht aus Sachsen, sondern aus Preußen, bez. aus Berlin stammt.
Im Übrigen ist sie mehr gemüthlich als spöttisch zu fassen. Der
Brandenburger verbirgt gern seine Neigung und selbst Verehrung für
Dinge wie Personen unter einer dem Fremden achtungswidrig oder
spöttisch klingenden Bezeichnung, und so nennt dort gelegentlich
auch der unbedingteste Anhänger des Preußen- und Hohenzollernthums
den bewußten Orden, den er stolz als wohlerworbenen trägt, einen
Piepvogel.
Pieraas (Regenwurm) wird in der Berliner Volkssprache und
auch sonst im Brandenburgischen in Pieresel verwandelt; in der
Ukermark ist die stehende Bezeichnung Pieratz, auch Pieratze,
pl. Pieratzen, was mit der von Frischbier verzeichneten Angabe
des Westpreußen Treichel übereinstimmt.
Pietät wird erst aus Goethe belegt, während es doch schon
Sim. Roth M 7* (1572) als ein gebräuchliches Fremdwort aufnimmt.
Bietet vnd Pietantz Trewe pflicht, lieb vnd gehorsam, fürnemblich
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBÜCHE. 395
gegen Gott, darnach gegen Vatter vnd Mütter, Kinder vnd Gefreunden,
Gottsforcht^ warei* Gottsdienst. Vgl. auch Micrälius^ Vorrede zum
ersten Buche Vom alten Pommerlande: meine pietcet gegen vnser all-
gemeines Vaterland'^ Philander 6, 65 (Frankfurt 1646, Itinerarium) :
so vnerhörte kindliche pietet vnd Trewe. Einer Dichterstelle für das
Fremdwort bedurfte es eigentlich nicht; die einzige gegebene, aus
Heinrich Heines letzten Gedichten, ist höchst unglücklich gewählt.
Sie lautet: Der Deutsche wird die Majestät
Behandeln stets mit Pietät,*
Für denjenigen nämlich, welcher, unbekannt mit Heine, sie ernst
nimmt, klingt sie ziemlich nichtssagend; wer aber Heine kennt, weiß,
daß wenige Zeilen darauf diese Pietät darauf hinausläuft, einst den
deutschen Monarchen in sechsspänniger Hofcarosse auf den Richtplatz
zu kutschieren und ^unterthänigst zu (juillotiniereu . Das ist nicht mehr
gemüthliches Scherzen, wie wir es vorhin beim Piepvogel sahen;
das ist herzlos grinsende Frechheit, über welche Lexer sicher genau
so denkt wie ich. Ihm also mache ich wegen dieser Stelle keinen
Vorwurf; es ist ja unmöglich, bei der für jedes Heft des Wb. sich
ergebenden Arbeit mit vielen tausend Belegen jeden derselben nach
seinem Zusammenhange zu kennen und darnach über Aufnahme oder
Übergehung stets mit unanfechtbarem Urtheil zu entscheiden. Eher
nehme ich Anstoß daran, daü die seit Jahrzehnten so häufig ge-
brauchten und fast zu Modewörtern gewordenen Ausdrücke pietät-
los, Pietätlosigkeit, pietät(s) voll übergangen sind. Von Zu-
sammensetzungen vermisse ich vorzugsweise Pietätspflicht und
Pietätsrticksicht; vgl. G. Baur, Grundzüge der Erziehungslehre*
XIX (Vorrede): ich empfinde eine gewisse Pietätspf licht gegen die
ursprünglichen Grundzüge einer Jugendschmft^ G. Curtius, Rede auf
Friedrich VII. von Dänemark (1861) bei P. Cauer, Deutsches Lesebuch
für Prima 376: Man ist es gewohnt geworden^ die Pflichten y welche in
dem Gebote y du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren ^ begriffen
nnd, als die ausschließlichen Pietätspflichten zu betrachten^ Palmer,
Evang. Pädagogik'* 651 (1855): daß eine aufrichtige Geschichtsdar-
Stellung aus Pietätsiilcksichten oft unmöglich werde (angeführt aus
Ourtmann, Lehrbuch der Pädagogik). Pietist. Aus Gervinus ist die
Angabe aufgenommen, daß die Bezeichnung Pietist zuerst 1689 in
Leipzig in Umlauf gekommen sei, während doch schon Weigand 2, 350
ausdrücklich unter Bezugnahme auf Ph. J. Spener den Frankfurter
Ursprung des Wortes seit 1674 behauptet. Mir sind Speners Schriften
nicht zur Hand, so daß ich die Wahrheit von Weigands Angabe nicht
26*
396 A. GOMBERT, BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖBTERBUCBE.
erweisen kann; Spener aber gebraucht den Ausdruck in einem Briefe
aus dem Jahre 1680, mitgetheilt bei Wackernagel, Leseb. S, 1, 954
als einen damals schon üblichen: Was zwar die Namen der neuen
Christen, pietisten und dergleichen anlangt, ... hoffe ich nichts daß
jemand von uns oder von unseren hekanten freunden solchen jemahl von
sich selbst werde gebraiLcht haben , . . . sondern solche nahmen sind von
den iciedetnch-gesinnten und übel-wollenden uns zum schimpff auffgebracht
worden. Man bildete im Anfange des 18. Jhdts. auch, doch wohl nur
vereinzelt, das Wort Impietist, vgl Neukirchs Sammlung 4, 200:
Die Frommen weiß ich wohl, ich kenne deines gleichen.
Wo lehr und leben stets in gleicher waage gehn^
Da wohl vor diesem rühm der gröste teil muß welchen,
Und manch impietist beschämt zurücke stehn.
Pietistisch (belegt aus Nicolais Sebaldus Nothanker) wird bald
nach Pietist entstanden sein; einen Beleg aus dem Jahre 1698 haben
wir bei Leibniz, Deutsche Schriften, herausgeg. von Guhrauer 2, 80
(Brief an Jablonski): weil man es nicht nur als einen Pietistischen
Streich, sondern auch gar als eine Oppression der Evangelischen auf-
nehmen wil/rde,
(Fortsetzung und Schluß folgt.)
GROSS-STRELITZ. A. GOMBERT
Zu S. 370.
Auch V. Bahder verweist mich auf Helbers Litteraturbücblein , sowie
auf Literaturblatt 1888 , Sp. 340, wo er es ausgesprochen, daß in dem
Dialect Ulrichs von Liechtenstein der Zusammenfall von iu und ü nicht
eingetreten.
Mittheilungen.
Professor Dr. Fr. Vogt in Kiel ist als Nachfolger Weinbold's nach
Breslau berufen; Yogt's Nachfolger in Kiel wird 0. Erdmann, bis jetzt
in Breslau.
An die neu gegründete Universität in Freiburg i. S. sind berufen
Dr. Fr. Jostes in Münster und Dr. W. Streitberg, der sich eben erst
in Leipzig habilitiert.
Dr. A. Hauffen hat sich an der deutschen Universität in Prag für
deutsche Sprache und Literatur habilitiert.
gjSjjiiyi:»!^^^
[Classikep^usgalien
^
WIea*
1^
iiSi
Taciti Germania. Ed. Ig. P ramm er. Adiecta est tabnla, qua Germaniae
antiquae situs describitur. geh. M. — *50.
P. Virgilii Maronis Aeneidos epitome. Accedit ex GeorgicU et Bncolicis
deloctos. Scholarum in usam ed. Em. Ho ff mann. geh. M. 1*30.
p^ Diese Sammlung^ griechischer und lateinischer Classiker wird
fortgesetzt. ""^C
_^^^JVjer]agjv^^ Sohn in Wien.
Alt-Wion in Bild und Wort. Heransgegeben vom Wiener Alterthums
verein und von der ßedaction des „lUustrirten Wiener Extrablatt"
Redigirt voil ' Dr. Alb. Ilg.' Lieferung f, II, III und IV. Folio
k M. 2.20.
Berichte und Mittheilungen des Aiterthumsvereines zu Wien. Bd. xy<
Mit vielen Tafeln und in den Text gedruckten Holzschnittent gr. 4"
[XVIII. 200 S.] 1875. M. 18.-
Bd. XVI. 4^ [XVI. 3Ö S.] und Plan der Stadt Wien. 1876
M. 18.-
, Bd. XVIII. 40. [XXX. 170 S.] 1879. M. 10.—
Bd. XIX. 4«. [XVII. 137 S.] 1880. M. 16.—
Bd. XX. 4«. [xvni. 151 S.] 1881.^ M. 16."
Bd. XXI. 40. [XVm. 162 S.] 1882.' M. 16.—
Bd. XXII. 4^ [XX 219 S.] 1883. M. 16.—
Bd. XXIII. 1. Hälfte. 4^ [76 S.] 1884. M. 8.-
Bd. XXm. 2. Hälfte. 4^ [XIV. 70 S.] 1884. ' M. 8.—
Die früheren Bände der Berichte und Mittheilnngen des Alterthums
Vereines sind jetzt ebenfalls durch uns zu beziehen; Band I., IV.,
VIII., X. und XVII. sind vergriffen.
Germania. Vierteljahrsschrlft für deutsche Alterthumskunde. Begründet
von Franz Pfeiffer, fortgesetzt von Karl Bartsch. VI. — XXII.
Jahrg. 1861—1877 je 4 Hefte jetzt k Jahrg. M. 8.—.
XXin. — XXXni. Jahrg. 1878 — 1888 je 4 Hefte
k Jahrg. M. 15. — .
NeUWirth, Dr. Jos., die Satzungen des Begensburger Steinmetzentages
im Jahre 1459 auf Grund der Klagenfurter Steinmetzen- und
Maurerordnung von 1628. 4 Bogen gr. 8". M. 2. — .
INHALT.
Seite
Norddeutsche und süddeutsohe Heldensage und die älteste Gestalt der
Nibelungensage. Von W. Golther 266
Zur Freckenhorster Heberolle. Von Franz Jostes . . . . 297
Über den gegenwärtigen Stand der Suchenwirt-Handscfiriften. (Forts.)
Von Franz Kratochwil ...;.., 308
Bibliographie der Uhland-Litteratnr. Von Ludwig FrSnkel . . . 345
Ein Brief. Von O. Brenfier . 369
Zu mhd. ttf und M. Von O. Behaghel .......... 870
Bemerkungen zum deutschen Wörterbuche (Forta.). Von A. Gombert 871
Zu S. 370. Von O. B 396
Mittheilungen 396
Buchdruckerei von Carl Gerold's Sohn in Wien.
GERMANIA.
VIERTELJAHRSSCHRIFT
FÜR
J)BÜT8CHE ALTERTHÜMSKÜNDE.
BEGRÜNDET VON FRANZ PPEl'FFER.i
FORTGEftETZT VON KARL BARTSCH.
JETZT HJifiADBaEOEBEM
OTTO BEHAGHEL.
VIERUNDDREISSIGSTER JAHRGANG.
' NEUE REIHE ZWEIUNDZWANZIOSTER JAHRGANQ.
YIERTES HEFT.
WIEN.
VERLAG VON CARL G£ROLD*S SOHl^
1889.
OerÖLd^acht^ ^l^^^P^
Classikep4usgabBB
:ia£;T wie^^_|iiilB|
Caesaris Commentarii de bello gallico. Iterum recogn. Ed. Em. Ho ff mann.
167, Bogen, cart. * ^ * ; M. 1-60.
de bello civil!. Accedunt comment. de bello Alexandrino, Africano«
Hispaniensi. Iterum recogn. Em. Hoffmann. 20 Bog^. oart. M. l'BQ.
Ciceroni8 in L. Catilinam oratlones quattuor. Ed. AI. Korniuer. Mit Index
nom. 57^ Bogen, cart * M. — '70. .
CatO maior de senectute. Ed. *A1. Komitzer. * Mit Index* nom.
37j Bogen, cart. • M. -^'60.
Laellus de amicitia. Ed. AI. Komitzer. Mit Index nom. 372 Bogen. <Sart.*
* M. -=--60.
— — Orationes pro T. Annio Milone, pro Q. Ligario, pro rege Deiotaro.
Ed. AI. Komitzer. Mit Index nom. 77^ Bogen, cart. M. — ;90.
-^ T- pro Sex. Roscio Amerino Oratio. Ed. AI. Komitzer. Mit fndex nom.
47, Bogen, cart. ' , M. —-70.
de ofRciis libri tres. Ed. AI. Komitzer. Mitlpdexnom. 13 Bog^n. carfc.
4 M. 1-20.
in C. Verrem accusationis über quartus. Ed. AI. Kornit^er. Mit
Index nom. 874 Bogen, cart ^ M. — "^O.
in C. Verrem accusationis über quintus. Ed. AI, Komitzer., Mit
Indiex nom. 8 Bogen, cart. M. —'90.
^ Oratifl de imperia Cn. Pompei, -^d. AI. Komitzer. Mit Indei^ nom.'
♦ 37, Bogen, cart., M. — -60.
Oratiapro Si^Suilßi^proA.'Llcinio Archia poeta. Ed.vAl. Komitzer. Mit
Index nom. ^7^ Bogen, cart. " M. -^'80.
Oratio pro Phiiippica secunda. Ed. AI. Komitzer. Mit Index nom.
47^ Bogen, cart. M. —•70.
Cornelii Nepotis vitae selectae. Ed. Rad. Bitschofsky. Adiecta est tabula.
7 Bogen, cart. M. — '80.
Herodoti de bello persico librorum epltome. Ed. Fr. Lauczizky. Adiunctae
sunt libr. I — IV partes selectae. 21 74 Bogen, cart. M. 1'90.
Homeri lliadis epltome. Ed. Aug. Seh ein dl er. Pars prior Iliadis I — X.
12 Bogen, cart M. I'IO.
Ed. Aug. Scheindler. Pars altera Iliadis XI— XXIV. 17 7^ Bogen.
cart. M. 1^50.
Llvil, T., ab urbe condita librorum partes selectae. Ed. C. J. Grysar.
Becogn. B. Bitschofsky. Mit Index nom. u. 4 Karten. 2574 Bogen, cart.
M. 2-—.
P. Ovidii Nasonis carmina selecta. Ed. C. J. Grysar. Recognovit et aukit
Carolus Ziwsa. 20 Bogen, cart. M. 1.50.
Piatons Laches. Iterum ed. Ed. Jahn. 8 Bogen, /cart. M. 1.10.
Saliusti Crlspl bellum Catlllnae. Ed. Phil.!Klimscha. 37, Bogen, cart. M. —.60.
bellum lugurthlnum. Ed. Phil. Klimscha. 8 Bogen, cart. M. — .60.
Tacltl ab excessu divi AugustI librl» qui supersunt. Ed. Ig. P ramm er.
Pars prior libri I— VI. I874 Bogen, cart M. 1'80.
Ed. Ig. Pra^nmer. Pars posterior libri XI — XVI. 20 Bogen, cart.
M. 1-80.
•- Germania. Ed. Ig. P ramm er. Adiecta est tabiila, qua Germaniae
antiquae situs tdescribitur. 3 Bogen, cart. M. — *60.
P. Virgllii Maronis Aeneldos epitome. Accedit ex Georgicis et Bucolicis
delectus. ScHolarum in usum ed. Em. Ho ff mann. 17 Bogen, cart. M. 1 .40.
Diese Sammlung wird fortgesetzt.
ZUR KUNENLEHRE.
Das neueste Werk über Runen ist dasjenige von Ludv. F. A.
Wiinmer, dänische Runeskriftens oprindelse etc.^ 1874 ^ und deutsch:
Die Runenschrift etc., übersetzt von Dr. F. Holthausen, Berlin 1887.
Die Runenschrift ist hier genau und ausführlich behandelt, Ursprung
und Entwickelung des Runenalphabets wird überzeugend dargelegt
und an der Hand vieler Abbildungen die Erklärung und chrono-
logische Bestimmung der Runenschrift-Denkmäler gegeben. Aber mit
dem Titel: „Die Runenschrift^ ist diesem Werke auch die Grenze
gesteckt.
Über ein anderes Gebiet der Runenlehre hat schon W. Grimm,
„Über deutsche Runen", Anhang II, S. 296—320 unter der Über-
schrift „Weissagung aus Baumzweigen" wichtige Winke gegeben;
besonders aber gebührt Liliencron und Müllenhoff das Verdienst, hier
tiefer eingedrungen zu sein und die mystische Bedeutung der Runen
in den Vordergrund geBtellt zu haben in den zwei Abhandlungen zur
Runenlebre im XVI. Berichte der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen
Gesellschaft etc. 1852.
Jedoch auch von ihnen ist nur die Hälfte eines Feldes bebaut;
neben den mystischen Zeichen nehmen die persönlichen einen bedeuten-
den Rang und Raum ein. Über diese ist bis jetzt wohl das Beste die
Abhandlung von Dr. A. L. J. Michelsen, Die Hausmarke. Jena 1853.
Alle drei Gebiete, Runenschrift^ mystische Zeichen und Haus-
marken unserer Vorfahren von einem einheitlichen Gesichtspunkte
aufzufassen und gegenseitige Beziehungen derselben aufzudecken, ist
der Zweck der folgenden Arbeit
So einleuchtend auch Wimmer das Runenalphabet aus dem
lateinischen hergeleitet hat, so läßt er die selbständigen Eigenthümlich-
keiten desselben, auf die er S. 140 — 143 kurz eingeht, doch so ziemlich
auf der Seite liegen. Es sind 1. die abweichende Gestalt mancher
Zeichen, 2. ihre die bloße Lautbezeichnung überragende Function,
3. die abweichende Ordnung des Futhorks, 4. die deutschen Namen
der Buchstaben. Diese Eigenthümlichkeiten treten schon in den älteren
Runeudenkmätom zu Tage und haben sich im Ganzen so einhdtlicb,
GSKMANI^. N«a« OeUie IUI. (XXXIY.) Jftkry. 27
398 F. LOSCH
im Einzelnen so organisch-mannigfaltig bei den verschiedenen deut-
schen Völkern entwickelt , daß nach dieser Seite hin die Annahme
einer willkürlichen Umgestaltung des lateinischen Alphabets von Seiten
eines Erfinders der Runenschrift verfehlt ist. Denn weder im lateini-
schen Alphabet, noch in der deutschen Sprache, noch in der geringen
Anwendung der Runenschrift zu kurzen und litterarisch unbedeuten-
den Inschriften läßt sich ein zwingender oder auch nur hinreichender
Qrund für eine so durchgreifende, planmäßige Umgestaltung des ent-
lehnten Alphabets nachweisen. Der zureichende Grund muß deshalb
in einer bestimmten Richtung gesucht werden. Diesen Weg haben
Liiiencron und Müllenhoff eingeschlagen. Ersterer sagt in der oben-
genannten Abhandlung S. 17: ^ Alle Runenschriftsteller seit dem Mittel-
alter sind darüber einig, daß es eine eigene Classe der Runen gab,
welche zum Schreiben, d. h. zum buchstabiereniien Zusammensetzen
der Worte aus ihren Lautbestandtheilen gebraucht werden. Man pflegt
sie Malrunen zu nennen. — Wenn sie also zum Schreiben dienten,
so ward mithin mit anderen Runen, welchen sie entgegengesetzt sind,
nicht geschrieben. Diese Folgerung ist so bescheiden, daß Niemand
widersprechen wird; und dennoch ist sie nirgends gehörig festgehalten.
Jene eine Art bildet ein Runenalphabet in unserem heutigen Sinn,
die andere eine Reihe von — sagen wir getrost mystischen Zeichen.^
Es wird auch zugegeben werden, daß der Gebrauch mystischer Zei-
chen nicht vom lateinischen Alphabet abzuleiten ist, und doch hat
die Rune diesen Sinn in erster Linie. Müllenhoff sagt: „das Etymon
des Wortes hat Grimm (Myth. 1174) zuerst aus dem altnord. raun^
expe9*imentum ^ reyna^ temptare irichtig erkannt"; das ist aber zu be-
richtigen, denn Grimm vermuthet an jener Stelle als ursprüngliche
Bedeutung „das leise, feierlich Gesprochene, hernach erst Geheimniß'^
und sagt: „im ahd« Verbum rüneny susurrare^ rünazariy murmurare,
mhd. rüneuy nhd. raunen y ags« rünian dauert die Urbedeutung des
geheimen Flüsterns, ahd. drrüno ist ein Vertrauter, der ins Ohr raunt."
Bei Ulfilas hat rüna die Bedeutung von (ivati^QLov'^ sonst im Deut-
schen, Angelsächsischen und Nordischen die eines geheimnißvoll-
bedeutsamen Zeichens. Die lateinischen litteras erhielten also, indem
sie zu Runen wurden, eine Bereicherung ihrer Bedeutsamkeit in dem
Maße, als der deutsche Begriff den lateinischen übertrifft Das Be-
dttr&iß mystischer Zeichen kann nicht erst mit der Übernahme des
lateinischen Alphabets erwacht sein, ebensowenig als das Wort Rune
erst bei diesem Anlass entstanden sein kann; also ist anzunehmen,
4ftß die Deutschen schon vorher sowohl mystische Zeichen, als das
ZUR RUNENLEHKE. 399
Wort Rune hatten, und daß Bie mit diesem jene bezeichneten* Lilien-
CTon wirft die von ihm bejahte Frage auf: „ob es wirklich eine Zeit
gab, wo bei den germanisch-nordischen Stämmen die mystischen Runen-
zeichen im allgemeinen Gebrauche waren, ohne daß man mit ihnen
den Gedanken eines eigentlichen Alphabetes und den des Schreibens
verband ?** Diese Frage ist folgerichtig, nur bleibt sie auf halbem
Wege stehen ; denn Liliencron und Müllenhoff haben trotz der Unter-
scheidung von Malrunen und mystischen Runen doch diejenigen Runen
im Auge, welche in den überlieferten Runenalphabeten vorliegen.
£s muß noch eine weitergreifende Unterscheidung gemacht und der
Schluß gewagt werden, daß zwischen Rune und Alphabet einmal zu
trennen und analphabetische Runen anzunehmen seien. Wimmer sagt
S. 141: „Damit diese Verschiedenheiten zwischen dem Runenalphabet
und dem lateinischen Alphabet hinsichtlich der Reihenfolge und Be-
nennung der Buchstaben in irgend welcher Beziehung das Ergebniß
unserer Untersuchungen erschüttern könnten , müßte man auf jeden
Fall ein anderes, älteres Alphabet nachweisen, welches besser als das
lateinische den Grund dieser Abweichungen zu erklären vermöchte;
aber ein solches Alphabet findet sich nicht.^ Hier ist nur die Forde-
rung verfehlt, ein älteres Alphabet nachzuweisen, denn ein solches
findet sich freilich nicht, sondern analphabetische Zeichen; darum
erschüttert aber auch unser Ergebniß nicht im Geringsten dasjenige
Wimmers, sondern ergänzt es. Waren analphabetische Runen vor der
Bekanntschaft mit dem Alphabet vorhanden, so ist erklärlich, wie
aus dem bekannt gewordenen Alphabet ein Runenalphabet entstand,
indem es dem alten Systeme angepaßt wurde und dasselbe mit dem
neuen Principe der Lautbezeiohnung bereicherte ; umgekehrt ist damit
auch die Umgestaltung des übernommenen Alphabets natürlich und
hinreichend begründet.
Es erhebt sich nun die Frage, wie man sich die mystischen
Zeichen vor Einführung des Alphabets zu denken habe. Zur Ver«
anschaulichung derselben dienen eben die wesentlichen Unterschei-
dungsmerkmale des Futhork vom lateinischen Alphabete. 1. Es waren
Zeichen mit einem senkrechten Hauptstrich, welchem schräge Seiten-
striche angefügt wurden; 2. sie bezeichneten nicht Laute, sondern
Sachen; 3. zu besonderen Zwecken bildete eine bestimmte Anzahl
solcher Zeichen eine dreitheilige Gruppe; 4. jedes Zeichen trug den
Namen der Sache, die es bezeichnete, wodurch es belebt wurde.
Mystische Zeichen sind demnach solche, deren Name mystische Be^
deutung hatte.
27*
400 f; LOSCH
Das Ganze wird klarer bei Betrachtung der Losung, zu welcher
solche Zeichen verwendet wurden. Die Belege hat Müllenhoff zusam-
mengestellt; wir brauchen nur die zwei hauptsächlichsten.
Tacitus Germania X: Sortium consuetudo simplex. Virgam frugi-
ferae arbori decisam in surculos amputant, eosque notis quibusdam
discretos super candidam vestem temere ac fortuito spargunt. Mox,
si publice consuletur, sacerdos civitatis, sin privatim, ipse pater
familias precatus deos coelumque suspiciens ter singulos toUit, sub-
latos secundum impressam ante notam interpretatur.
Hrabanus Maurus de inventione linguarum (zum Runenalphabete) :
Cum quibus [litteris Marcomanni, quos nos Nordmannos vocamus]
carmina sua incantationesque ac divinationes significare procurant, qai
adhuc paganis ritibus involvuntur.
Sortes und divinatio mit Runen ist dasselbe. Wimmer bestreitet,
Müllenhoff behauptet, daß die notae des Tacitus Runen waren. Die
Frage ist eigentlich nur die, ob die Germanen zur Zeit des Tacitus
schon das Alphabet hatten oder nicht. Runen waren die notae jeden-
falls, nur ist nicht sicher, ob es alphabetische oder analphabetische
waren. Nimmt man mit Wimmer an, daß das Alphabet am Ende des
zweiten oder zu Anfang des dritten Jahrhunderts n. Chr. eingeführt
worden ist, so erhellt aus obigen Belegen, daß zur Zeit des Tacitus
die analphabetischen Runen zu dem gleichen Zwecke, wie zur Zeit
des Hrabanus die alphabetischen gebraucht wurden. Die Hauptsache
ist die Beschreibung der surculi notis quibusdam discreti, d. h. der
Runstäbe. Wort und Begriff des Runstabes war den deutschen Stämmen
gemein; er heißt altn. rünastafr, ags. rümtcef, ahd. rünstab. Wenn
W. Grimm S. 72 sagt: „stob wird nur aus dem Wesen und der Ent-
stehung des Schriftzeichens selbst zu erklären sein^, so ist die Stelle
des Tacitus hiefür höchst willkommen. Man scheute sich bis jetzt,
dieselbe auf Runen auszulegen, weil man das Wort Rune nur von
den bekannten alphabetischen Runen gebrauchtej; nunmehr aber ladet
uns Tacitus förmlich ein, aus seiner Stelle j weitere Ergebnisse zu
schöpfen. Die Runstäbe oder surculi notis quibusdam discreti sind
zum Auswerfen (spargere) bestimmt. W. Grimm sagt zur Stelle des
Tacitus S. 296: „Es scheint, daß jedem Zweige vorher ein Zeichen
eingedrückt wurde, die einzelnen aber nach der durch das Ausstreuen
zufällig entstandenen Lage herausgewählt und die darauf befindlichen
Zeichen von dem Priester als zusammenhängend betrachtet und er-
klärt wurden.^ Er mischt hier eine Vorstellung ein, gegen welche
der Wortlaut der Stelle (singulos und notam sing.) spricht. Aber
ZUR RUNENLEHRE. 401
doch ist anzunehmen^ daß durch das Hinwerfen die Lage des ein-
zelnen Runstabes irgendwie entschieden werden sollte, worüber Grimm
S. 298 treffend sagt: „Es liegt die Idee zu Grunde, daß in der
lebendigen und zitternden Bewegung des niederfallenden Zweiges,
weil sie frei von aller menschlichen Einwirkung ist, der göttliche Wille
thätig sein und sich offenbaren müsse." Soll nun der einzelne Zweig
durch das Auswerfen eine entscheidende Lage bekommen können,
so muß er auch die in diesem Falle einzig vorhandene Bedingung
dazu an sich haben, er muß durch die Mitte gespalten sein; dann
fällt er entweder auf den Rücken oder auf die Spaltseite. Die Spal-
tung gibt zugleich auch die Möglichkeit, ein Runenzeichen durch
bloße notaey got. vritsy nord. kännestrek herzustellen, indem der zu
Tage tretende Markstrich des Zweiges von selbst den senkrechten
Hauptstrich des Zeichens bildet. Und wie genau drückt sich Tacitus
aus! Was eingekerbt wurde, waren bloße notae] nur der Kundige
erfaßte im verbindenden Markstriche die Einheit des Zeichens. Durch
den Markstrich ist nunmehr auch das Princip des senkrechten Haupt-
striches der Runenzeichen, wodurch sie sich vom lateinischen Alpha-
bet unterscheiden, erklärt und begründet. Diejenigen Zeichen, welche
ihn aufweisen, reihen sich der Form nach den analphabetischen Run-
stäben gleichartig an ; ja es ist anzunehmen, daß die einfachsten alpha-
betischen Runen nach ihrer Form schon vor dem Alphabete da waren
und man ihnen nur den Lautwerth des entsprechenden Alphabet-
zeichens zu geben brauchte. Theilweise haben sich aber auch Alphabet-
runen ohne den Markstrich und zwar oft neben der Form mit Mark-
strich erhalten: A und P, X%, <K, H +i ♦ 4^, HsT, M Y (nord.),
5^ ^. Der Übergang der Formen H ^ M in + + und nord. Y erklärt
sich in ihrer Darstellung auf dem Stabe von selbst: Q S fi, je nach-
dem die beiden Eantenlinien oder der Markstrich zum Zeichen ge-
rechnet wurden. Zufällig oder absichtlich konnte bei der Spaltung
des Zweiges der Markstrich auch verdeckt bleiben oder ganz ab-
getrennt werden. Für die Malrunen war jedoch die Darstellung der
Stabform nicht immer nöthig und oft eine Unterscheidung der stab-
losen Rune für die Lautbezeichnung zweckmäßig, z. B. A und ^.
Wer sich für Formen wie fl A H M M $ H °^^* Stäben ohne Mark-
strich nicht beruhigen will, dem ist zu erwiedern, daß wir die Runen
nur in Form von Malrunen kennen und eben keine alten Runstäbe
mehr haben, und daß für Zeichen ohne Stabform einst doch eine
solche von besonderer Art vorhanden sein konnte; nur wäre es müßig,
sie ohne hinlängliche Anhaltspunkte zu reconstruieren.
402 F. LOSCH
Die zweite Eigenthümlicfakeit des Runenalphabets, daß der Bun-
stab nicht bloße Laute, sondern Begriffe bezeichnete, geht schon aus
Tacitus' Worten hervor: sublatos secundum impressam ante notam
interpretatur. Ein der Auslegung fähiges Zeichen ist mehr als bloßes
Lautzeichen. Darauf weist auch die Stelle in Skirnism&l 36: Thurs
rist ek ther ok thrid stafi, ergi ok oedi ok öpola. Zugleich erhellt hier-
aus ein weiterer Umstand: es gibt Glücksrunen und Unglücksrunen.
Auch bei der Losung handelt es sich darum, den glücklichen oder
unglücklichen Ausgang einer Sache , dazu auch das beste Mittel und
die Bedingungen zur Ausführung zu erforschen. Hiefür ist eine Nach-
richt Cäsars lehrreich: de hello Gallico I, 50: Quum ex captivis quae-
reret Caesar, quamobrem Ariovistus proelio non decertaret, hanc re-
periebat causam: quod apud Germanos ea consuetudo esset, ut matres
familias eorum sortibus et vaticinationibus declararent, utrum proe-
lium committi ex usu esset, necne. Eas ita dicere: non esse fas,
Germanos superare^ si ante novam lunam proelio contendissent.
Die Hausmütter erforschten also nicht bloß , ob das Gefecht günstig
oder ungünstig, sondern auch, unter welcher Bedingung es günstig
oder ungünstig ausschlagen werde. So mußten auch die zur Losung
verwendeten Runstäbe solche Auskunft geben können. Zur Erforschung
von Glück oder Unglück brauchte man nur zwei ; zur Erforschung der
Bedingung aber mehrere. Besonders zu diesem Zwecke mußten Stäbe
von ganz bestimmter sachlicher Bedeutung benützt werden.
Die dritte Eigenthümlichkeit des Runenalphabets, die besondere
Anordnung des Futhorks, bietet der Erklärung viele Schwierigkeit.
An die Dreitheilung desselben erinnert: ter siugulos toUit bei Tacitus;
und da es sich um Erforschung des Schicksals handelt, so dürfen
auch die drei Schicksalsgöttinnen verglichen werden. Auch Wimmer
bezieht S. 142 die Reihenfolge in drei Abtheilungen auf einen magischen
Gebrauch der Runen, fügt aber hinzu: „Weiter als zu dieser ganz
allgemeinen Einsicht können wir, glaube ich, nicht gelangen.^ Bei der
Eintheilung sind die ersten Runen der drei Reihen von besonderer
Wichtigkeit, denn nach ihnen wurden im Norden und entsprechend
sicher einst auch bei uns die Reihen benannt: Freys aett, Hagais aett,
T^8 aett Freyr oder -Feiist eine Glücksrune; Hagal wohl eine Unglücks-
rune; über Tyr spricht Grimm, Myth. S. 166: T = Tyr scheint ein
höchst feierliches Zeichen, der Name dieses Gottes besonders heilig
gewesen zu sein; beim Einritzen der Siegrunen auf das Schwert
sollte Tpr zweimal genannt werden — und in dem ags. Gedicht über
die Runen stellt ausdrücklich: iir hid fäcna sum (ttr ist ein gewisses
ZUR RUNENLEHRE. 403
Zeichen). Versohiedentlich reden die Dichter von tire täcnian und
tires io tdcne\ man darf es auslegen: glaria, decore inaignire^ in gloriae
ngnum und doch an das heidnische Zeichen des Gottes denken, etwa
wie es auch bei feierlichem Besegnen der Becher vorkam.*^ Der
Gedanke in den ersten Zeichen der drei Reihen des Futhorks scheint
zu sein: Glück — Unglück — Sieg, wonach sowohl die Glücks- als
die Unglücksrune unter der Herrschaft der höchsten Kune, der Sieg-
rune des Gottes Tljr oder Ziu stünden. Damit stünde das Futhork
im Gegensatz zur Weise der Nornen, von denen Grimm S. 338 sagt:
^Das scheint gerade charakteristisch in Nornen- und Feensagen^ daß,
was vorausgehende Begabungen Günstiges verheißen, durch eine nach-
folgende zum Theil wieder vereitelt wird.^ Umgekehrt scheint mir
im Futhork alles Unglück überwunden werden zu sollen. Damit
glaube ich die Untersuchung der Ursache der Futhorkordnung auf
eine zur Lösung führende Bahn zu leiten, besonders wenn ich frage,
wozu sich das Futhork auf den ältesten Denkmälern wie dem Brak-
•
teaten von Vadstena, der Spange von Charnay und dem Themse-
messer befinde? Einen bestimmten Zweck muß es doch gehabt haben,
und ich finde ihn in dem persönlichen Schutze des Trägers solcher
Stücke. Dann ist weiter zu schließen, daß die Glücksrunen im Futhork
so geordnet sein werden, um alle Unglücksrunen'^zu binden, damit der
Träger schon zum Voraus vor allen schlimmen Zufällen gesichert sei.
Über die vierte Eigenthümlichkeit, die Namen der Runen, geben
die vorhandenen Runenlieder nähere Auskunft, ein altnorwegisches
und isländisches. Wimmer, S. 275 — 288, und ein angelsächsisches,
W.Grimm, S. 21 7 ff., wo auch das norwegische zu finden ist. Wimmer
faßt diese Lieder als bloße Runenreimerei auf; ich glaube, daß darin
die inierpretatio der Stäbe bei den incantationea und divinationes oder
sortes angegeben ist. Im Futhork geben die Namen der Runen im
Anfangsbuchstaben zugleich den Lautwerth ihres Zeichens an. Das
ist Einfluß des Alphabets; denkt man sich diese Rücksicht auf den
Anlaut oder Buchstabenwerth weg, so dürfen noch mehrere Namen
für die einzelnen Zeichen angenommen werden. Das geht auch deut-
lich aus den Runennamen des isländischen Runenliedes hervor, welche
Wimmer S. 287 f. zusammenstellt. Diese Namen stehen unter dem
Gesetze der Synonjmität: Awrum gull, gull er fS^ fS er rünaatafr
u. s. w. Hier ist leicht erkennbar, daß die Bedeutung des Namens in
erster Linie, der Anlaut erst in zweiter maßgebend war.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist der: die Runennamen gelten nur
mittelbar dem Zeichen, denn sie besagen zunächst, welchem Gegen-
404 F. LOSCH
Stande das Zeichen zukommt, und wurden so erst mach Namen des
Zeichens: ß er runastafr. Dies muß beachtet werden, um die Stelle
von den kugrunar in Sigrdrifumdl 13 — 19 zu verstehen, die Wolzogen
richtig als die Bezeichnungen aller Dinge erklärt. Es ist der Gredanke,
wie alle Dinge einen Namen haben ^ so haben sie auch ihre Rune,
an der sie^ in ihrer Gesammtheit freilich nur von Wenigen^ wie Odhin
und Mimr, erkannt werden. Das war wohl auch das Ursprünglichste,
daß den Dingen oder Personen ihr bestimmtes Zeichen ganz so zu-
kam, wie ihr bestimmter Name.
Hiemit kommen wir auf das Gebiet der Hausmarken. Michelsen
sagt in seiner grundlegenden Abhandlung S. 11 f.: „Beschaut man
diese Zeichen (die Hausmarken) als solche genauer^ so drängt sich
sofort die Wahrnehmung auf, daß es ursprünglich sehr einfache, gerad-
linige Figuren waren, die leicht eingeschnitten oder eingegraben werden
konnten. Sie erinnern dadurch stark an die Bunen, welche ja ebenfalls
sehr einfach und geradlinig waren, und zwar^ wie die älteren Haus-
marken durchweg, mit einer senkrechten Linie, die bei der Bune der
Stab ist, und mit Eennstrichen nach den Seiten hin, die in verschie-
denem Winkel sich ansetzen. Deßungeachtet ginge man entschieden
viel zu weit, wollte man die Hypothese wagen, sie wären aus den
Bunen hervorgegangen: wozu Finn Magnusen in seinem umfänglichen
bekannten Bunenwerke, seiner Liebhaberei für die Binderunen zu sehr
nachgebend, sich gar sehr hinneigt. Allein dabei ist freilich auch nicht
zu leugnen, daß in schwedischen, norwegischen, isländischen Haus-
marken, älteren und neueren, manchmal wirkliche Bunen uns entgegen-
treten. Es kann das theils ein zufälliges Zusammentreffen sein, theils
aber auch Aufnahme des literalen Elementes in die Haus- und Personen-
zeichen, wie bei uns in Deutschland die Marke mit Buchstaben in
einen Ductus sich zusammenzog oder durch diese ganz verdrängt ward,
indem die monogrammatische Namenschiffer an die Stelle der ehe-
maligen Simpeln Marke trat. Jedenfalls sind die Hausmarken ur-
sprünglich kein Alphabet, sie gehören vielmehr originär einem analpha-
betischen Geschlechte an. Was das dänische und das preußische
Gesetzbuch in dieser Beziehung für analphabetische Individuen vor-
schreiben, das galt gewissermaßen einst im grauen Alterthum für das
gesammte lebende Geschlecht, welches des Schreibens ganz oder
großentheils unkundig war. Jenes Gesetzbuch verordnet, die Analpha-
beten sollen ihre Verschreibungen durch ihr Siegel oder nöthigenfalls
durch ihre bomaerke (Hauszeichen) bekräftigen; ebenso sprechen noch
das Landrecht und die allgemeine Gerichtsordnung Preußens in Rück-
ZUR RÜNENLEHRE. 405
sieht auf den Analphabeten von seinem gewöhnliehen Handzeichen
und bestimmen , daß er mit Kreuzen oder mit seinem sonstigen ge-
wöhnlichen Handzeichen unterschreiben solle. Solchergestalt vertritt
im hohen Alterthum die Marke als Personenzeichen den Namen ^ sie
dient als chirographum, sie vertritt Namensunterschrift und Wappen.^
Man ginge natürlich zu weit^ wollte man die Hypothese wagen,
die Hausmarken seien aus den alphabetischen Runen hervor-
gegangen. Nachdem wir aber den analphabetischen Hausmarken an-
alphabetische mystische Zeichen, d. h. Runen zur Seite stellen können,
erhellt die Verwandtschaft beider ziemlich deutlich. Der Unterschied
war nur der, daß die mystischen Zeichen für Götter , Elemente und
Natur, die persönlichen aber für die Leute und ihr Eigenthum fest-
gesetzt waren. Die Hausmarke scheint mir die ältere Schwester der
anal phabe tischen Runen zu sein, und diese vielleicht aus den Zei-
chen für die den Göttern geweihten Gegenstände zu Zeichen der
Götter und göttlichen Wesen geworden^ an welche sich dann nach und
nach eine größere Anzahl religiös- bedeutsamer Zeichen anschließen
konnte. Die spätere alphabetische Rune bereicherte wieder die Zahl
der mystischen und persönlichen Zeichen. Die Hausmarke steht mit
der Rune in übereinstimmender Beziehung zum Stabe. Beim Verkaufe
von Haus und Hofgut wurde zum Zeichen der Übergabe u. A. die
festuca notata sammt Messer eingehändigt, welche ein mit der Haus-
marke bezeichnetes Stäbchen ist, Michelsen S. 46 ff. Auch zur Losung
dient die Hausmarke, worüber eine Stelle aus dem Gesetze der Friesen,
Michelsen, S. 14 f , W. Grimm, S. 301 f., aufklärt: tali de virga
praecisi, quos tenos vocant, müssen von den Männern, über welche
gelost wirdy mit ihrer Hausmarke versehen werden: unusquisque
illorum Septem faciat suam sortem, id est tenum de virga, et signet
signo suo, ut eum tam ille quam caeteri, qui circumstant, cognoscere
possint. Der tahia weist noch entschiedener als der surculus des
Tacitus auf den gespaltenen Zweig hin. Nun erklärt sich auch das
Wort ^Marke^ dadurch ') , daß der Markstrich einen wesentlichen Be-
standtheil der Marke bildete, welchen Charakter die vorhandenen Haus-
marken wirklich erweisen. Eine spätere Abzweigung von den Haus-
marken sind die Steinmetzzeichen, vgl. die Arbeit von Klemm
im V. und dessen Bemerkungen zu meinem Aufsatz im VIII. Jahrg.
d. württemb. Vierteljahrshefte f. Landesgeschichte.
Schließlich ist noch ein Bauernkalender vom Jahre 1398 im
^) Unrichtig; die Wörter hatten ursprünglich yerschiedenen^Stammauslaut. O. B.
406 TH. ▼. GKIJBNBERGEK
germanischen Museum zu Nürnberg mit eigenthümlichen Zahlzeichen
zu erwähnen. Ein Theil desselben war in der vierten Auflage von
Königs Litteraturgeschichte S. 5 abgebildet. Die „runenartigen'' Zei-
chen sind römische Zahlen^ an senkrechte Striche gefügt, indem
X durch tj V durch f^, I durch f- bezeichnet ist, z. B. XVII
= "%, XIX = :f . Ohne Zweifel beruht diese Art der Zahlen auf
alter Überlieferung und bildet ein willkommenes Seitenstttck zu der
Art, wie das lateinische Alphabet zu Runstäben umgestaltet wurde.
Denn auch hier wird der Ursprung solcher Formen durch einen Stab
mit Markstrich, das alte Kerbholz, am einfachsten erklärt, besonders
da in der ältesten Zeit solche Stäbe wirklich zu Kalendern benützt
wurden.
Der Ausdruck „Stab" wurde für die Runen, „Marke** flir die
Haus- und Personalzeichen, „Zein^ (got. tains, ahn. teinuy ags. tän,
ahd. zein, plattd. teen) für die Loszweige, „Kerbe" für die Zahlstäbe
gebraucht; allen aber liegt der Abschnitt einer Kute zu Grunde.
F. LOSCH.
DIE VORFAHREN DES JORDANES.
Die Stelle, an welcher Jordanes von seiner Abstammung nähere
Kunde gibt, lautet nach der Ausgabe von Mommsen Mon. Oerm. bist.;
Auetor. V, p. 126:
Scyri vero et Sadagarii et certi Alanorum cum duce suo nomine
Candac Scythiam minorem inferioremque Moesiam acceperunt. cuius
Candacis Alanoviiamuthis patris mei genitor Paria, id est meus avus,
notarius, quousque Candac ipse viveret, fuit, eiusque germanae filio
Gunthicis (Gunthigis), qui etBaza dicebatur, mag. mil., filio Andages
(Andagis) fili Andele de prosapia Amalorum descendente, ego item
quamvis agramatus Jordannis ante conversionem meam notarius fiii.
Der Name des Vaters, im Texte als Genitiv, wäre also Alanovii-
amuth, woran Mommsen, Vorrede VI und Index p« 146, festhält,
indem er glaubt, Paria habe seinem Sohne etwa zu Ehren des alani-
schen Fürsten, dem er diente, einen Namen beigelegt „cum Alanorum
vocabulo nescio quomodo compositum". MüUenhoff aber, welcher
wohl 'sah, daß Alanoviiamuth ganz unmöglich 'ein gotischer Name
sein könne, hat an der bezogenen Stelle des Index zur Mommsen-
schen Ausgabe denselben in zwei Genitive, Alanovii und Amuthis,
zerlegt, von denen der erste auf Candac bezogen, während der zweite
als der Name des Vaters erklärt wird. Alanovius mit Verwendung
DIE VORFAHREN DES JORDANES. 407
des Blavischen Suffixes 0VÜ9 welches als avu ins Rumänische über-
nommen wurde und hier wie dort Adjective bildet, wäre demnach
^der aus alanischem Geschlecht Entsprossene^ und Amuth erinnert
Müllenhoff an gakamdths ivdvöäiisvog j wogegen Mommsen einwendet,
daß eine Ableitung Alanovius selbst in irgend einem verdorbenen
Volkslatein unmöglich sei.
Die Frage nun nach dem wahren Namen des Vaters findet ihre
gedeihliche Lösung weder mit Mommsen noch mit MtlUenhoff, denn
es ist zu trennen alano uiiamuthis, und Uiiamuth, d. i. got. Veiha-
möths, hat der Sohn des Paria geheißen.
Der erste Theil dieses Namens, in welchem das lange t mit
seltener Treue durch n gegeben ist, während das schwache gotische h
ausfiel, gehört ohne Zweifel zu got. veihan stv. kämpfen, genauer zu
einem Nomen entsprechend dem germ. viha n. Kampf, Streit bei Fick ^
III, 303, ein Element, welches in ahd. und ags. Namen so bekannt
ist, daß ich keine Beispiele vorzuführen brauche; der zweite Theil
aber, bei Jordanes selbst in den gotischen Namen Beremud, Evermud,
Thorismud wiederkehrend, ist augenscheinlich nichts Anderes als ein
dem ahd. -mot (Grafi* II, 687 £f.), as. -mod in gelmöd übermüthig u. a.
entsprechendes Adj. mdths gemuthet, erregt, von Leidenschaft bewegt,
und Veihamoths, dem bei Goldast Alaman. Antiqu. II, 151 eine weib-
liche Uuihmuot gegenübersteht, bedeutet mithin „der Kampfmuthige^.
An der Lesung uiiamuthis ist nicht zu zweifeln. Vier der von
Mommsen benützten Handschriften gewähren sie, darunter die drei
ältesten, nur ein i unterdrücken die drei Handschriften der dritten
Gruppe nach Mommsens Eintheilung, Vorrede LXXII, und bieten
uiarouthis gleich der ersten Niederschrift des Codex Palatinus, welche
aber vom Schreiber selbst noch in uiiamuthis corrigiert wurde, die
beiden ii in u verlesen haben der Cod. Breslaviensis uuamuthis und
der Atrebatensis mit einer weiteren Verderbung uuamocthis.
Das vorausgehende alano ist einstimmig dargeboten, nur der
Breslauer Codex hat alani, und es ist klar, daß der Schreiber des
letzteren mit seiner Form entweder einen selbstverschuldeten Fehler
oder eine Correctur auf eigene Rechnung überliefert, denn der Codex
Ottobonianus, welcher nach Mommsen von derselben Vorlage abge-
leitet ist wie der Breslauer, besitzt alano.
Um dieses alano zu erklären, muß ich mich auf das beziehen,
was Mommsen, Vorrede XLV über die Jordanes-Hss. mittheilt.
Sämmtliche Handschriften, sowohl diejenigen, welche das Mittel-
alter kannte, als auch die uns heute vorliegen, gehen auf einen
408 TH. y. GRIENBERQER
Archetypus zurück, welcher bereits Fehler enthält, die von ihm in
alle Abschriften übergingen und nachweislich allen gemeinsam sind.
Diese Lesefehler sind zum Theil aus den Verwechslungsmöglich-
keiten der Uncialis, zum Theil aus denen der schottischen (irischen)
Schrift zu erklären. Der Archetypus war in der scriptura continua
angelegt und enthielt einige, wenn auch nicht gerade zahlreiche Ab-
kürzungen, welche sich im Heidelberger Codex und den übrigen besseren
Handschriften wiederfinden.
Eine derartige Abkürzung muß alano sein.
Berücksichtigen wir nun, daß bei der Uncialis die Buchstaben
D und O verwechselt werden können, weßhalb schon Dietrich, Aus-
sprache des Gotischen den Anführer Thuruaro bei Jordanes als
Thuruard erklären wollte, so dürfen wir statt ALANOUiiAMUThlS ein
ursprüngliches ALAN . 5 . ullAMUThiS herstellen, d. i. aufgelöst Alanorum
ducis, eine Apposition, welche zum vorausgehenden Qenitiv Candacis
gehört und wohl nur deshalb gekürzt alin. d. geschrieben wurde, weil
die Bezeichnung des Candac als alanischen Herzogs schon in dem
unmittelbar vorausgehenden Alanorum cum duce suo ausgedrückt ist
Daß noch in demselben Satze die Kürzung mag. ml. für magistro
militum folgt, darf für diese Annahme als eine erwünschte Befestigung
in Anspruch genommen werden.
Ist nun der Name des Vaters gotisch und entfällt nach meiner
verbesserten Lesung jedweder Grund, wie noch Mommsen, Vorrede
VI, VII geneigt ist, aus dem Wortungethüme Alanoviiamuthis auf eine
alanische Abstammung des Jordanes zu schließen, entgegen seiner
bestimmten eigenen Aussage, mit welcher er sich bekanntlich am Ende
der Getica zur gotischen Herkunft bekennt, so werden wir uns an-
geregt finden, auch den Namen des Großvaters für das Gotische
gewinnen zu suchen.
Der Name des Großvaters lautet in den Handschriften der
ersten Ordnung nach Mommsens erwähnter Gruppierung paria und
so auch bei denen der zweiten, welche nur eine falsche Zusammen-
ziehung parialdemeus für paria id e. mens gewähren, bei den drei
Handschriften der dritten Ordnung ist er in patria entstellt.
Soll nun paria ein gotischer Name sein, so muß abermals ein
Fehler im gemeinsamen Archetypus angenommen werden, denn paria
läßt sich im germanischen Namenschatze kaum unterbringen.
Ich bin der Ansicht, daß der Name in faria herzustellen sei
und verlege auch hier den Ursprung des Fehlers in das Gebiet der
Uncialis, wo F und P verwechselt werden können. Möglich wäre frei-
DIE VORFAHREN DES JORDANES. 409
lieh auch^ daß der Name ursprünglich pharia gesehrieben war und
nur sein h verloren hat, aber Jordanes schreibt Romana p. 48 den
berulischen Feldherrn Fara mit /^ nicht mit pA, und somit darf auch
der Name des Großvaters mit / in Uncialis FARIA erwartet werden.
Faria ist aber offenbar ein swm. nom. agentis zu got. farjan^
ahd. /erren, vharferran transfretare , und entspricht genau dem ahd.
ferjoy swm. nauta der ferge, Viiamuth ist ein voller germanischer
Name, Farja aber nur ein Beiname , den der Großvater neben einem
anderen unbekannten Eigennamen geführt haben muß, sowie der
Gote aus dem amalischen Stamme, bei welchem Jordanes als Notar
bedienstet gewesen, zwei Namen führt: Gunthigis qui et Baza, von
denen der componierte der eigentliche ist
Sehr wahrscheinlich ist es, daß auch Jordanes vor seiner con-
versio einen nationalen Namen geführt hat, den wir nicht kennen,
wie ,z. B. die geistlichen Minnulus und Danihel der gotischen Kirche
Anastasia zu Ravenna in der bekannten Neapler Urkunde auch die
nationalen Namen Uuillienant und Igila führen und mit diesen Namen
die Urkunde fertigen. Für diesen nationalen Namen einen Anhalt in
der Form Jornandis zu suchen, welche an unserer Stelle die Hand-
schriften der zweiten Gruppe darbieten, wäre verfehlt, denn wenn
schon -nandis an das got. -nanths erinnert, so ist doch jor- nicht er-
klärbar, am allerwenigsten gewiß aus „Eber^, wie Grimm gewollt hat.
In welcher Form dieses Wort erscheinen müßte, wenn es als erster
Theil vorläge, das zeigen ja aufs deutlichste die gotischen Namen
Evermud und Euervulfus bei Jordanes selbst.
So merkwürdig auch der Irrtbum sei, es kann jornandis schließ-
lieh doch nichts Anderes sein als eine Buchstabenversetzung aus
jordannis, bei welcher die Zahl der Lettern die gleiche blieb und
nur das d und das zweite n ihre Plätze vertauscht haben. Ich möchte
dem noch hinzufügen, daß ich das quamvis agrammatus der aus-
gehobenen Stelle nicht mit Mommsen, Vorrede VI als den Ausdruck
einer in Anbetracht seines mangelhaften Lateins hinlänglich gerecht-
fertigten Bescheidenheit des Jordanes betrachte, denn ich beziehe das
quamvis agrammatus nicht auf die Zeit, da er seine Romana und
Getica schrieb, sondern auf jene, da er Notarius war und, so wie
ich den Passus verstehe, will Jordanes mit demselben nichts Anderes
sagen, als, daß er vor seiner conversio, welche ihm erst eine höhere
Bildung vermittelte, trotz seiner damaligen geringen Kenntnisse das
Amt eines Notarius bei Gunthigis versah.
SALZBURG, 18. Jänner 1889. THEODOR v. GRIENBERGER.
410 TH. ▼. QRIENBEROER, ^BILIVA.
^RILIVA.
Dem Urtbeile Müllenho£f8 nomen esse germanicum nemo pro-
babit', womit er im Index zur Mommsen'Behen Jordanesausgabe den
Namen der Mutter Theoderiks des Großen bei Seite schob, steht die
bestimmte Aussage des Anonymus Valesianus c. 58 gegenüber: mater
Ereriliva dicta Gothice catholica quidem erat, quae in baptismo
Eusebia dicta est.
Bei Jordanes heißt die Kebse Thiudimers, welche ihm den Theo-
derik gebar, Erelieua, und nur die zwei Handschriften der dritten
Ordnung nach Mommsens Eintheilung, der cod. Cantabrig. und Berolin.
bieten dazu die Varianten faerilieua und herili sua, von denen die
erste bloß um ein wohl unorganisches h vermehrt ist, die zweite aber
einer falschen Auffassung (d. i. adj. herilis + pron. suus) der schlecht
gelesenen Stelle quam vis de herilieua concubina ihre Entstehung verdankt.
Besehen wir uns die Angabe des Anon« Vales., so wird uns so-
fort klar, daß die Verdopplung des er von dem vorhergehenden Worte
mater herrührt, und daß wir mit Beseitigung dieser graphischen
Wucherbildung mater Eriliva zu lesen haben, wozu auch des Paulus
diac« Arileua stimmt. Wir erhalten demnach als Vocal des zweiten
Theiles den Wechsel von i und e und werden dadurch in den Stand
gesetzt, die Form Erelieua der Jordanes-Hss. auf ein ursprüngliches
ereliua zurückzuführen, bei welchem der Tilgungspunkt übersehen
und das übergeschriebene e in das Wort heruntergenommen wurde.
So entstand bei Keinz, Indicul. Arnonis ein p. n. heraliant aus dem
heralint, d. i. heralant der Hs., die ich selbst eingesehen habe.
Es ist also Ereleva mit Wechsel zu i Eriliva der authentische
Name der Kebse Thiudimers.
Was den ersten Theil des Namens anbelangt, der doch wohl
auch in Erarius rex Gothor. a. 541 bei Jordanes, Aerarius im catalog.
imperatorum etc. Farfensis. Mon. Germ. Scriptor. rer. Langobard.
p. Ö2I vorliegt, so wird eine andere Anknüpfung als germ. aira
f. Ehre, Fick^ III, 4 kaum möglich sein, und des Paulus diac. Ari-
leua wird dem Aerarius gemäß als Aerileua aufzufassen sein.
Das äi ist bei Jordanes in ä verengt und das r wird wohl auch
schon dem späteren Got. gemäß gewesen sein'). Wenn Förstemann^
') Vgl, die Glosse ^airu im cod. Ambros. zu 2. Cor. 12, 7 gegen geteitm,
W. GOLTHER, DIE SPRACHBEWEQUNG IN NORWEGEN. 411
Sprachstamm II, 199 für ahd. Sra ein got. aiza vermuthet und diese
Annahme auf den burgundischen Frauennainen Aisaberga vom Jahre
491 stützt , 80 brauchte man dies als zwingend zwar nicht anzuer-
kennen, denn Aisaberga ließe sich, wie schon Wackernagel gethan
hat, ganz leicht aus atz, Erz erklären. Aisaberga,. die das Erz birgt,
wäre ja ein trefflicher Frauenname, sei es, daß er in kriegerischer, sei
es in friedlicher Weise bezogen werde, aber allerdings kann mit Hin-
sicht auf die Wurzel aw Fick* III, 5, zu welcher era offenbar gehört,
an seiner germanischen Grundform aiza nicht gezweifelt werden, und
Ficks aira ist demgemäß zu berichtigen.
Der zweite Theil ist als sicheres gotisches Namenselement nach-
weisbar bei dem Diacon Gudilebus (dreimal), Gudiliuus (einmal) der
Urkunde von Arezzo, welcher in der eigenhändigen Fertigung des
lateinischen Urkundentextes sich nach Maßmanns Lesung schreibt
ik Gudilaib. dkn. sowie bei dem ustiarius der Gotenkirche S. Anastasia
zu Ravenna'Gudeljuus (zweimal), welcher in der bekannten Neapler
Urkunde erscheint. Die gotischen Wörterbücher, so z. B. das von
Heyne zu seiner Ulphilasausgabe, 5. Auflage, fähren den Diakon fälsch-
lich als Gudilub.
Dieses Gudilaib (*gudei swf. pietas?) kann aber nicht das be-
kannte Element "läifa enthalten, sondern in Ansehung der lateinischen
Transscription -lebtu, -Kuus nur ein Element laibs, und eben dieses
wird auch in dreleva anzusetzen sein. Gewiß gehört auch dieses
zum Verbum *leiban und darf vielleicht vivus, vigens bedeuten.
SALZBURG 1889. THEODOR y. GRIENBERGER.
DIE SPRACHBEWEGUNG IN NORWEGEN.
Germania 26 (1880) S. 1 — 33 hat mein hochverehrter Lehrer
Könrad Maurer in seiner gewohnten gründlichen und klaren Dar-
stellungsweise über die Sprachbewegung in Norwegen, das „M aal s tr se v*'^
berichtet. Im Anschluß an diesen Artikel sollen hier einige Nachträge
gegeben werden, welche diejenigen Erscheinungen hervorzuheben
beabsichtigen, die im Verlaufe der letzten Jahre sich herausbildeten,
und die dazu geeignet sind, das Urtheil über das Maalstrsev wesentlich
zu bestimmen. Ich nehme auf Maurers Ausführungen Bezug und sehe
darum billigerweise davon ab^ die Entstehung der Sprachbewegung
nochmals zu schildern. — Norwegen gebraucht die dänische Schrift*
412 W. GOLTHER
Sprache als Verkehrssprache; seit seiner politischen Loslösung von
Dänemark hat sich das Nationalgefühl lebhaft mit dem Gedanken
getragen, eine eigene norwegische Schrift- und Umgangssprache zu
schaffen y wodurch das Dänische völlig verdrängt werden sollte. Diese
Landessprache^ das Landsmaal, versuchte Ivar Aasen in Wirklichkeit
festzustellen, indem er auf Grund der lebenden, reichen norwegischen
Dialecte (bjgdemaal) die denselben zu Grunde liegende ideale Ein-
heit, gleichsam eine Normalsprache wiederzugewinnen suchte und
in seinen Schriften zur Anwendung brachte. Obwohl Aasen ein be-
wundernswertheS; auf tiefgehender Kenntniß beruhendes Kunstwerk
in seinem Landsmaal zu Stande brachte, so kann man sich doch nicht
verhehlen, daß eine solche Sprache zu künstlich und unnatürlich sein
muß, um ins Leben überzugehen, in Schrift und Bede benutzt zu
werden. Die Entstehung einer Schriftsprache ist äußeren Zufälligkeiten
unterworfen; sie gründet sich stets auf einen bestimmten Di&lect,
nimmt von anderen allenfalls Einzelheiten herüber; ihre Schöpfung
liegt in der Zeit selber begründet. Umstände besonderer Art wirken
zusammen, daß die in ihr verfaßten Schriften tonangebend werden
und die weitesten Kreise des Volkes durchdringen, das sich dadurch
gewöhnt, litterarische Werke auch in einer anderen als der engen
heimatlichen Sprachform zu verstehen und gegebenen Falles selber
in dieser Form thätig zu werden. Zum Anderen muß der erkorene
Dialect auch ein überall verständlicher sein, d. h. z. B. auf deutsche
Verhältnisse übertragen, wäre bayerisch oder alemannisch ebenso-
wenig wie niederdeutsch dazu geeignet, gewesen, den. Kern einer
lebensfähigen Schriftsprache abzugeben, wohl aber vermochte dies ein
Dialect des mittleren Deutschlands, der den beiden finden in der
Verständlichkeit entgegenkam. Ein Volksschriftsteller in des Wortes
wahrer und edler Bedeutung, sei er nun Dichter oder Gelehrter, kann
zum Schöpfer einer für alle anderen maßgebenden Sprache werden;
ob dies aber heutzutage noch ebenso möglich wäre wie in den ver-
gangenen Jahrhunderten, dürfte fraglich erscheinen. So lange der
litterarische Verkehr ein beschränkter ist, hält es nicht schwer, das
gesammte Gebiet zu beherrschen; doch bei der unermeßlichen Viel-
heit der litterarischen Erzeugnisse unserer Tage dürfte es schlechter-
dings unmöglich sein, ein ausschließliches Übergewicht zu gewinnen
und zu behaupten.
Die Schule vermöchte allerdings ein Machtwort zu sprechen und
eine neue Sprache einfach zwangsweise durchzuführen. Doch würden
sich für eine Reihe von Jahren die unerquicklichsten Unzuträglich-
DIE SPRACHBEWEGUNG IN NORWEGEN. 413
keiten ergebeD^ indem die geistigen Äusdrucksmittel der jungen Gene*
ration von denen der alten verschieden wären, die mittlere aber vor-
aussichtlich der willkürlichsten Regellosigkeit anheimfiele. Man denke
sich etwa, daß die Sprache unserer Reichshauptstadt plötzlich zur
alleingiltigen Schriftsprache erhoben würde und die seither gebrauchte
verdrängen müßte! — Aasens Landsmaal gründet eich aber auf ge-
lehrte Abstraction; die norwegischen Dialecte, deren es, die feineren
Unterschiede mit veranschlagt, über 400 gibt, haben allerdings einen
gemeinsamen Qrund, schließlich sogar eine gemeinsame, fest bestimmte
Ursprache, aus der sie hervorwuchsen. Wollten wir aber diese Einheit
wiederherstellen, so müßten wir folgerichtig geradewegs in vorhisto-
rische Zeiten zurückgreifen; dann ließe sich eine Normalform auf-
finden, von welcher alle Dialecte in genau bestimmbaren Übergangs-
stufen sich ableiteten. Um nun diese Form für den heutigen Qebrauch
zurecht zu machen, müssen die Lautverhältnisse der betreffenden Ur-
formen in der jetzt herrschenden Umbildung angesetzt werden, wobei
aber Worte entstehen können, die völlig unverständlich sind. Eigent-
lich müßte überall ein solches Verfahren strenge eingehalten werden,
damit man mit Recht und Fug behaupten könnte, das norwegische
Landsmaal vereinige alle Dialecte als die über ihnen stehende Einheit
in sich. Es liegt auf der Hand, daß aber in weitaus den meisten
Fällen das Verfahren in der gedachten Weise rein undenkbar ist,
da die älteren Belege fttr viele Worte fehlen; femer in Bezug auf
Syntax und Bedeutungswandel sich unübersteigbare Schwierigkeiten
erheben; mit anderen Worten: die Einheit der norwegischen Dialecte
in einer norwegischen Gesammtsprache bleibt stets eine rein wissen-
schaftliche Abstraction, genau so wie das Urgermanische oder Ur-
arische, deren Richtigkeit zwar nicht dem geringsten Zweifel unter-
steht, die aber nie in die Wirklichkeit übersetzt werden kann, zumal
nie in Bezug auf die zusammenhängende Rede, weil die einfachsten
Grundbedingungen hiezu fehlen. Angenommen aber, es gelänge wirk-
lich, die norwegische Einheitssprache in allseitig befriedigender Art
aus den Dialecten heraus zu gewinnen und sie von dem eben dadurch
mit Nothwendigkeit bedingten alten Entwicklungsstand auf den gegen-
wärtigen herunter zu führen, so daß die Grammatik nirgends mehr
auf Anstände stieße, so würde ein solches Landsmaal merkwürdig
genug und abgesondert neben den übrigen Schriftsprachen der Erde
sich ausnehmen, da es nicht auf natürliche Weise ins Leben gerufen
ward. Zu der principiell anfechtbaren Grundlage des Landsmaal
Aasens tritt aber der Umstand hinzu, daß die Einheit eine willkürliche
OEBMANU. Neu« Beihe. XXU. (XXXIY.) Jahrg. 28
414 W. GOLTHER
ist, d. h. trotz aller Bemtthung eben doch nicht auf allen norwegischen
Dialecten beruht, sondern auf dem von Söndmöre. So ist es nicht zu
verwundern, wenn bei den verschiedenen Verfassern, welche selbst-
thätig in die Frage eingriffen/ das Landsmaal Ivar Aasens, auch wenn
sie von Hochachtung für dasselbe erfüllt sind und ihm zu folgen die
Absicht haben, allerlei Veränderungen erleidet. Fj^rtoft sprach sich
dahin aus, daß die Sprachstreber sich so gut als möglich an Ivar zu
halten hätten; aber er wolle kein Czar und kein Papst sein, sondern
Jeder dürfe nach dem Rechten suchen. Ivar H0yem äußerte sich in
ähnlicher Weise in seiner Norsk mällsere (Nidaros 1880) : „Es versteht
sich von selber, daß Ivar Aasens norwegische Sprachlehre und Wörter-
buch bei der Ausarbeitung eines solchen Buches die Hauptquellen
für mich gewesen sind; und wenn ich in einzelnen Fällen etwas ab-
seits trete von dem Wege, den Aasen abgesteckt, so geschieht es in
der Hoffnung, daß der Menge damit besser gedient wird.^ Aasmund
Vinje schloß sich Aasen an, doch treten bei ihm die Sprachformen
von Thelemarken, seiner Heimat, so stark hervor, daß das Gesammt-
bild seines Landsmaal eine ausgeprägte thelemärkische Färbung
trägt. Aasen hatte eine Orthographie angewandt, welche auf der
Etymologie der Wörter beruhte, wie in den meisten Schriftsprachen,
und auf die Phonetik keine Rücksicht nahm. Dem gegenüber verlangt
FJ0rtoft engeren Anschluß an die wirklich gesprochenen Dialecte;
alles Künstliche, Fremde, Todte, Altnordische soll aus der Schreibweise
verschwinden. Obwohl Fjertoft wie Aasen aus Söndmöre stammt,
unterscheidet sich sein Landsmaal in Folge davon doch bedeutend
von dem Aasens. Die Consonanten im In- und Auslaute sind vielfach
weggefallen, so daß allerdings der Aussprache. damit ihr Recht ein-
geräumt wird, aber schwerlich zu Gunsten der Deutlichkeit. Man
denke sich das Dänische phonetisch geschrieben und entsprechend
norwegische Lands- oder Bygde^aal, so würde es sehr schwer sein,
überhaupt nur noch die Verwandtschaft der beiden Sprachen zu er-
kennen. Die phonetische Schreibart sollte thunlichst ausgeschlossen
bleiben; denn die Schriftsprache ist einmal zum Verkehrsmittel,
selbst mit dem Ausland, bestimmt. Phonetische Schreibung darf
angewendet werden, wo es sich um die Darstellung eines leben-
den und gesprochenen Dialectes handelt. Außerdem wird sie fast
immer von der subjectiven Sprechweise des Einzelnen beeinflußt,
eignet sich also wohl für diejenigen Fälle, wo er seinen Dialect
niederschreibt, kann aber nicht maßgebend für Landesangehörige aus
anderen Gegenden sein. An die ostländischen Dialecte macht Fj^rrtoft
DIE SPRACHBEWEGÜNG IN NORWEGEN. 415
einige Zugeständnisse, da diese natürlich der bislang auf das West-
land eingeschränkten Sprachbewegung ziemlich fremd gegenüber-
gestanden waren. Ähnlich verfuhr Steinar Schj^tt in einer Über-
setzung der Heimskringla. Die beiden Genannten nähern sich un-
streitig mehr einer wirklichen lebenskräftigen Sprache, indem sie in
den Dialecten ihre Stützen suchen, aber sie entfernen sich im selben
Verhältnisse vom Landsmaal, der historischen Einheit aller Bygdamaal,
auf welcher die norwegische Sprache sich aufbauen soll. Arne Garborg
und Ivar Mortenson verfaßten im Jahre 1885 eine „Lesebok i det
norske folkemäl for h^gre skular**. Auch sie entfernen sich von Aasens
Normalform und suchen einzelne Annäherungspunkte an das Ostland.
Ein hervorstechender Zug des neuen Landsmaal ist die Inconsequenz
in Hinsicht auf die Rechtschreibung und die Grammatik, die aller-
orts zu Tage tritt. Neben einander werden dieselben Wörter in ver-
schiedener Form gebraucht, z. B. moyer und meyar, menn und menner^
arbeid und arbeide und zahllose andere Beispiele. Die Schriftsprache
muß aber vor Allem auf ein strengstens durchgeführtes einheitliches
System dringen, sonst zerfällt sie in sich selber. Die nordländische
Sprache, der trondheimische Dialect hat nun unterdessen auch in den
Streit eingegriflFen durch die beiden H&yem, gebürtig aus Bynass,
westlich von Trondheim. Ivar Heyem verfaßte eine Norsk mallsere
(Niäaros 1880) und O. J. H^yem eine biblische Geschichte^ „den
heiige Saga og Kjarkjesaga" (Nidaros 1881), welche letztere mit
öffentlicher Unterstützung unter dem tröndischen Volke vertheilt wurde,
aber trotzdem wenig Anklang fand. Es stand zu erwarten, daß von
Trondheim die Landsmaalfrage jedenfalls vielfach neu beleuchtet wer-
den müßte, und in der That hat eine so wichtige Dialectgruppe wie
die tröndische bei der Schaffung einer gemeinsamen Schriftsprache
eine gewichtige Stimme. Da zeigt sich nun, daß Aasens Landsmaal,
überhaupt die gesammte seitherige wesentlich westländische Richtung
den tröndischen Dialecten sehr ferne steht; bei allem Bestreben der
Hi8yem, Anschluß an das erstere zu gewinnen, ergibt sich doch mit
Deutlichkeit, daß der Trönder nur ein auf seinen Dialect begründetes
Landsmaal annehmen kann, daß also das Landsmaal von diesem
Standpunkt aus betrachtet durchaus kein allgemein giltiges wird,
sondern ein stets an verschiedenen Theilen des Landes auch ver-
schieden aufgefaßtes. Mit demselben Rechte natürlich, wie der Trönder
auf dem seinigen, besteht der Bergenser und Thelemärker auf dem
westländischen, und keiner dürfte sich geneigt finden, zu Gunsten
des anderen Verzicht zu leisten. Dem Trönder Landsmaal kommt in
416 W. GOLTHER
diesem Sinne negative Entscheidung über die Möglichkeit eines all-
gemeinen Landsmaal zu. 0. J. Heyem machte den originellen Versuch,
auf Grund des neuen Landsmaal eine deutsche Grammatik zu
jichreiben unter dem Titel: ^Tysk gjort let ved norsk Bygdamäl og
Landsmäl" (Nidaros 1889). Er betont im Vorwort des kleinen, 101 Seiten
umfassenden Büchleins , daß vom Norwegischen aus die Erlernung
des Deutschen leichter sei als vom Dänischen und Schwedischen , in-
dem die beiden letzteren Sprachen vieles Altere verloren , das im
Norwegischen noch lebendig ist und darum mit dem Deutschen über-
einstimmt, wo jene nichts Entsprechendes mehr aufweisen. So besitzt
das Norwegische noch drei Geschlechter gegenüber den zweien im
Dänischen und Schwedischen; verschiedene Casusformen (Dativ)
haben sich im Norwegischen erhalten [freilich ging dafür der Genitiv
verloren und muß sich das Landsmaal mit umständlichen Umschrei-
bungen behelfen]. Diesen praktischen Vortheil hat aber der Norweger
in seinem Dialecte, und er vermag ihn auch von hier aus zu benutzen,
ohne daß er der Zwischenstufe des Landsmaal bedarf, so daß also
dieser Umstand gerade nicht sehr schwer in die Wagschale fällt.
Wenn wir das Landsmaal, seitdem es durch Aasen in die Wirk-
lichkeit übersetzt wurde, überblicken, so stellt es sich als ein keines-
wegs klarer und fester Begriff dar, sondern als ein wechselnder und
veränderlicher, der sich bei den verschiedenen Vertretern immer neu
gestaltet. Johan Storm, dessen Ansichten wir auch in den vorher-
gehenden Erörterungen zum großen Theil folgten, hat in einer kleinen,
höchst werthvollen und lesenswerthen Schrift „det njnorske Landsmaal"
Kjebenhavn 1888, 8", 116 Seiten, die ganze Frage nochmals zusammen-
fassend beleuchtet, und er weist an vielen Beispielen nach , wie richtig
sein alter Satz ist, daß das Landsmaal eine Sprache sei, „qui a le
malheur de ne pas exister". Von einer Einheit der grammatikalischen
Form ist gar keine Rede, und doch betonen die Maalstraever immer
mit besonderem Nachdruck, daß es gerade auf die Form ankomme,
nicht auf ein paar Norwagismen, welche man in die dänisch-nor-
wegische Schriftsprache einführe. Nicht einmal der Artikel hat eine
einheitliche Form bei den verschiedenen Schriftstellern; die gewöhn-
lichsten Begriffe erscheinen überall anders. Z. B. schreibt Aasen für
Hand (manus) händig Vinje hande und haanda^ 0. J. Hjeryem handa;
für Braut (sponsa) Aasen hrudi, Vinje brudri und brude und brura,
O. J. H^yem brudra. Bei den selteneren Ausdrücken ist die Regel-
losigkeit noch ärger. Nicht einmal ein und derselbe Schriftsteller,
Aasen nicht ausgenommen, hält an einer strengen Einheit fest. Wie
DIE SPRACHBEWEGUNG IN NORWEGEN. 417
kann man aber von einer derartigen Sprache, die in ihren allerein-
fachsten Qrandzügen nicht zur rechten Klarheit vorzudringen vermag,
verlangen, sie solle dem gesammten Volke als Verkehrsmittel dienen?
Sie kann eigentlich schlechterdings nicht einmal gelernt werden, son-
dern immer nur die individuelle Auffassung einzelner Verfasser, denen
es selbst an manchen unerläßlichen Vorbedingungen gebricht. Aasen
hat sicher verhältnißmäßig das denkbar Beste geleistet; ihm stand
ja auch die gründliche philologische Schulung und geschichtliche
SprachkenntniO zu Gebote, ohne welche ein Urtheil in sprachlichen
Sachen eben unmöglich ist. Trotzdem erwies sich sein Landsmaal
als ungenügend, weil es eben ein todtgeborenes Kind ist, dem keine
andere Macht den belebenden Herzschlag verleihen kann, als eben die
Natur selber, die hier versagt. Von den Nachfolgern Aasens läßt
sich das Gleiche nicht behaupten. Trotz des patriotischen Eifers ver-
mögen viele Maalstrffivere nicht einmal Danismen und Germanismen
zu vermeiden, was zur Genüge bekundet, daß es ihnen an einer
sicheren geschichtlichen Auffasung entschieden fehlt. Man darf bei
solchen Dingen nicht zu einseitig vom idealen patriotischen Stand-
punkte ausgehen, sondern muß der nüchternen Betrachtung und Er-
wägung Gehör schenken, um sich nicht in reine Unmöglichkeiten zu
versteigen. Storm urtheilt sicher als der berufendste Richter, und jeder
Unbefangene und Urtheilsfähige muß seinen Ansichten vollkommen
beipflichten. Von der praktischen Seite aus besehen ist das Landsmaal
hinfällig, und der Bauer wird sich nicht damit befreunden können.
Es dürfte sein Bewenden dabei haben, daß die norwegisch- dänische
Schriftsprache fortfährt, sich am nationalen Element zu kräftigen und
dadurch eigenartig genug dem Dänischen sich gegenüberzustellen.
So kommt das charakteristische Norwegische zu Recht, ohne daß das
äußerst nutzbringende gemeinsame sprachliche Ausdrucksmittel der
beiden nordischen Staaten aufgehoben zu werden braucht. Nicht zu
unterschätzen beim Landsmaal ist der Umstand, daß im täglichen
Verkehr und im litterarischen jedweder Gattung durch das letztere
sehr beträchtliche und durchaus unnöthige Schwierigkeiten geschaflen
würden. Die nordischen Sprachen stehen ohnehin schon außerhalb
der allbekannten und allgekannten europäischen, und es ist eine ver-
hältnißmäßig geringe Anzahl, zu der jene schönen Idiome unmittelbar
reden. Diese wird um ein Ziemliches vermindert, sobald wir mit drei
ausgesprochenen Einzelsprachen, statt wie bisher mit zweien zu rechnen
haben. Die modernen Zustände drängen aber zum Wechselverkehr
hin, nicht zur einseitigen Isolierung, durch welche ein Volk vielleicht
418 W. GOLTHEB, DIE SPBACHBEWEGUNG IN NOBWEGEN.
nicht unerheblich geschädigt werden würde. Man könnte davon gerne
absehen, wenn es sich darum handelte, eine ursprüngliche Sprache
zu erhalten. Denn die Erhaltung germanischer Eigenart, und sei es
im Geringsten nur, ist wichtig genug, um mit Opfern erkauft zu
werden. Aber im gegebenen Falle handelt es sich um willkürliche
künstliche Sprachgebilde, bei denen solche Rücksichten überhaupt gar
nicht zum Zuge kommen. Das Maalstrsev kann demnach nur als
dansk-norsk, d. h. als die naturgemäße, nicht gewaltsam vorwärts
getriebene Norwegisierung der bestehenden Schriftsprache thatsäch-
liehe Bedeutung gewinnen^). — Etwas Anderes als das künstliche Lands-
maal wäre die Heranbildung eines besonderen Dialectes zur Schriftsprache ;
eine derartige Erschaffung der letzteren ist die natürliche, organische
Entstehung, wie sich auch sonst Schriftsprachen entwickelten. Jedoch
fehlen die äußeren geschichtlichen, zwingenden Umstände, welche gerade
einen bestimmten Dialect zur Schriftsprache erheben, vollkommen, und
sind in der Gegenwart, wie bereits bemerkt, nimmer recht denkbar. Die
willkürliche, etwa auf sprachgeschichtliche Gründe gestützte Auswahl
eines norwegischen Dialectes würde bei der praktischen Durchführung
auf gerechtfertigte Widersprüche stoßen ; der Trönder würde sich fürs
Bergensische bedanken und umgekehrt. Dagegen kann die eingehende
Beschäftigung mit den einzelnen Bygdemaal aufs angelegentlichste
empfohlen werden. Gewiß bleiben diese in ihrer Reinheit um Vieles
ungestörter, wenn in der Schule und im öffentlichen Leben die dänische
Schriftsprache herrscht, weil diese nirgends das Einheimische ver-
drängt oder verbessert, sondern als eine zweite, gänzlich verschiedene
Sprache, wie im Grunde jede Schriftsprache, daneben steht. Wohl
aber könnte das unnatürliche Landsmaal die Dialecte empfindlich
stören, und darüber hätte der Patriotismus mehr Ursache zu klagen,
als über das Bestehen einer dänischen Schriftsprache. Die moderne
Sprachwissenschaft ist mehr denn je geneigt, dem Dialect volle Be-
rechtigung einzuräumen; der letztere gibt das reichste Material für
die Geschichte der Gesammtsprache an die Hand und lehrt noch
heutigen Tages die morphologischen Gesetze kennen, die vor Urzeiten
herrschend waren. Der norwegischen Sprache würde unendlich mehr
Förderung erwachsen, wollten sich die Bemühungen statt auf das
unfruchtbare Landsmaal auf die Bygdemaal selber und ihre genaue
Erforschung richten. Unstreitig sehr richtig ist auch der Gedanke,
*) Es verdient angemerkt zu werden, wie sich norwegische Schriftsteller zur
Frage stellen. Vgl. die Kritik, welche Ibsen im „Peer Gynt" durch die Gestalt „des
Sprachverbesserers Huhu*^ über die Sache ausspricht.
R. SPRENGER, ZU GERHARD VON MINDEN. 419
den Storm andeutet, die Schule solle neben der Erlernung der dänisch-
norwegischen Schriftsprache Gewicht darauf legen, daß die Schüler
aus einer entsprechend eingerichteten Chrestomathie die Bygdemaal
lesen und verstehen lernen. Nicht nur in Norwegen, sondern auch in
Deutschland wäre es von Werth, wenn die Schule wenigstens einige
Andeutungen und Winke dem Schüler über das Verhältniß der Schrift-
sprache und des Dialectes zukommen ließe, von dem die Wenigsten
auch nur die leiseste Ahnung haben; zumeist wird in Laienkreisen
der Dialect als Entartung der Schriftsprache heutigen Tages noch
aufgefaßt. Diesem Übelstand wäre so leicht abzuhelfen, wenn anders
nur der Unterricht in der Muttersprache auch überall endlich zu
gebührenden Ehren erhoben würde.
MÜNCHEN, 1. Mai 1889. W. GOLTHER.
ZU GERHARD VON MINDEN.
Bemerkungen zu Seelmanns Ausgabe der Gedichte Gerhards
theilte ich zuerst im Osterprogramm des hiesigen Realprogymnasiums
vom Jahre 1879 mit, worauf ein zweiter Aufsatz im Jahrbuche des
Vereins für niederdeutsche Sprachforschung IV, S. 98 folgte. Einen
längeren Aufsatz zur Kritik und Erklärung der Gedichte ließ sodann
Damköhler im Niederd. Jahrb. XIII, 75 erscheinen, nachdem er schon
vorher seine Meinung über einzelne Stellen im Korrespondenzblatt des
Vereins mit mir ausgetauscht hatte. Hieran schließen sich die nach-
stehenden Bemerkungen, welche bei wiederholter Lesung im Laufe
der letzten Jahre niedergeschrieben sind.
NORTHEIM. R. SPRENGER.
Prol. 54 in dumheit tU ist unverständlich. Es ist wohl in tU zu
lesen == ^zu rechter Zeit'; mhd. enztte. Darauf führt auch die an-
geführte Stelle des Cato: Insipiens esto quum tempus postulat. Vgl.
in half *zur Hälfte' IV, 50.
2, 21 De wulf 8fr dk: *Dat is schuU gendck
van di, dat dm drank mi gerdch,
de mit di moste sin ver dornet;
dut vlM drovet unde wlomet,
dat ik it drinken nicht enmach.
Die Verse sind unverständlich, und auch der Herausgeber hat sich
vergeblich um ihre Deutung bemüht. Zunächst ist es der Form nach
420 B. SPRENGER
UDmöglichi daü geröch za geruken^ riechen gehören soll; wie er in der
Wortlese annimmt; auch würde diese Bedeutung nicht in den Zu-
sammenhang passen. Sodann ist es auffällig, daß wlomen nur an dieser
Stelle in intransitiver Bedeutung vorkommen sollte, während es sonst
stets 'trübe machen' bedeutet. Dies ist um so auffälh'ger, als auch in
der entsprechenden Fabel des Wolfenbüttler Aesop 11, 13 der Hand-
schrift das Lamm spricht: we mochte ich wlomen dinen drank? Auch
für droven ist die Bedeutung 'trübe sein' durch keine weitere Stelle
belegt, seitdem es in v. Kellers Fastnachtspielen 967, 10 durch Seel-
mann richtig in doven gebessert ist. Ich glaube, daß die Stelle ver-
derbt und folgendermaßen 'zu bessern ist:
De wulf sprak: Dat ia schult genoch
van dl, dat dm drank mi gedrdch,
de mit di rtiOste ein ver dornet;
dut vlet he drovet unde wlomety
dat ik it drinken nicht enmach.
Dadurch, daß das Lamm angeblich das Wasser getrübt hat, will der
Wolf um seinen Trank betrogen sein. Er sagt von dem Lamme auch
V. 13 du dregest wulle unde hörn dorch drogene.
3, 100 unde worden vast aldus gebunden
mit einem vaden^ den se vunden
daraf geneget was ein hdt (: vlot).
Ich bleibe bei der handschriftlichen Lesart und übersetze: Mit einem
Faden, womit ein Hut genäht gewesen war. Seelmann hat dafür das
landschaftlich begrenzte bot ^Endchen' gesetzt, das sich im älteren
Niederdeutsch nicht belegen läßt, denn 17, 13, wo der Herausgeber
dieses Wort ebenfalls finden will, ist verderbt. Was geneget heißen
soll, hat er uns nicht gesagt. Man wird zunächst an neieUy neigen,
neggen nähen' denken, und dies ist denn auch das Richtige, während
Damköhler sich durch Seelmanns Conjectur verleiten läßt, ein, wie
er selbst gesteht, im Mnd. nicht belegtes nagen = gnagen^ knagen
'nagen' anzusetzen, was um so bedenklicher ist, als auch für das
hochdeutsche nagen der Umlaut nicht erwiesen ist.
6, 15 de weder sprak der bute vro.
Statt bute hat die Hs. kude 'Hut', welches richtig ist, da hude und
warde (V. 9), wie das Mnd. Wb. 2, 276 zeigt, synonym sind. Vgl.
die im Mnd. Wb. citierte Stelle Niederd. Rechts b. f. 181: unde holden
de hoede unde warde.
6, 14 Na sinem rechte he do on wrackte^
Die Hs. hat: to on^ und zu lesen ist: he to om wrackte *that er mit ihm'.
zu GERHARD VON MINDEN. 421
7, 13 De wise man sprak dusse mere,
dat it der sunnen wille were
6k wiSy dat he wolde nemen
ein echte wif . . .
Über diese Stelle hat zuletzt Damköhler im Niederd. Jahrbuch XIII, 75
gesprochen. Er wendet sich daselbst gegen meine frühere Erklärung,
welche in dem handschriftlichen ^^e eine Verbform sah, und hält
dagegen an des Herausgebers wis fest^ von dem er aber leider eben-
sowenig wie Jener sagt^ was es bedeuten soll. Auch seine Auflösung
in wis en, indem er ^n = *und' faßt, scheint mir nicht annehmbar.
Ich vermuthe, daß zu schreiben ist ok wes en 'und gab ihn (den Willen)
zu erkennen\ wSs ist starkes Praeteritum zu umen, welches selten
ist *), wodurch die Veranlassung zur Verderbniß gegeben wurde.
7, 31 Dit bispel wil de jene leren,
de gerne hedden vele heren^
dat se eik vorwandeln mochten
und ere des jdres vele besochten»
Diese Stelle scheint mir auch von Damköhler noch nicht richtig ge-
deutet* Im Aesop. moral. heißt es: Ista fdbula docet, quo melius est
habere unum principem quxim plures. nam si plures sint , quilibet sibi
vindicat servitium et honorem, quibus su/ficere nequeunt subditi. Das
läßt doch wohl darauf schließen, daß ere nicht als Pronom. poss.,
auch nicht als Qen. Plur. des Pronom. personale zu fassen ist, son-
dern = honor. Ich übersetzte: 'Diese Fabel will Diejenigen lehren,
die gern viele Herren hätten: daß siie (die Herren) sich in das Qegen-
theil (von dem was man erwartete) verkehren und das Jahr über
viele Ehre von ihnen beanspruchen möchten.* Auch die folgenden
Verse: Ein here is dk beter denne twe,
went men gelike jo nicht se
ne mach mit denste moden.
dürften mit näherem Anschluß an die Vorlage zu erklären sein: 'Ein
Herr ist auch besser als zwei, weil man ihnen nicht in gleicher Weise
(wie einem) mit Dienst Genüge leisten kann.' moden muß hier etwas
Ähnliches bedeuten, wie sufficere 'zu Willen sein', worauf ja die Glosse
im Mnd. Wb. III, 106 moden vel anmoden, insinuare führt.
8, 1 Ein wulf doreh sin girichede
grdt let to enem male dede
') Doch siehe die im Mnd. Wb. angeführte Stelle aas den Monum. Livou. 4',
195 tmde wis una alle aegel unde breue.
422 R- SPRENGER
Da let don nur hei£en kann ^Leid, Schmerz zufügen ^'^ so glaubt Dam*
köhler Jahrb. XIII; 76 , daß die Stelle entstellt sei. Ich glaube , daß
nichts zu ändern ist, und erkläre dorch als contrahierte Form von
^dorich „thöricht'^. Ein muü dann unäectierte Form des Dativs sein,
wie sie sich nach dem Mnd. Wb. z. B. in der Münster Chron. 1, 277
findet. Es ist also zu übersetzen: „Einem thörichten Wolfe fügte
einst seine Gier großes Leid zu^.
9, 19 Darna wol over seven wehen
hegunde se darumme spreken
unde bctt se harde gunstUken,
dat se ore wolde untwiken,
als an der not, se let darinne.
V. 23 erklärt Seelmann, indem er Ausfall des Relativums annimmt:
'in Anbetracht der Noth, welche sie darin litte'. Dies ist aber schon
deshalb falsch, weil die Hündin der Schwangeren ja ihre ganze Wohn-
stätte eingeräumt hat und erst jetzt wieder Einlaß verlangt. Es ist
zu schreiben:
dat se ore wolde untwiken,
alse an det* not se lit darinne.
„Daß sie ihr jetzt weichen möchte, da sie sie in der Noth darin ge-
litten hatte, alse steht für ake se, wie öfter; vgl. Mnd. Wb. I, 61.
9, 31 ff. ist zu lesen:
Darumme en schol gi nicht vorderven
mi nu. lotet mi hliven
hir so lange, of it ju geteme,
dat dusse winter ende neme,
dat doch unlanges wesen mot.
Die Hs. hat V. 35 dat er it doch. Es ist zu übersetzen: 'Was doch
bald geschehen muß*, unlanges wird auch von der Zukunft gebraucht,
was aber aus dem Mnd. Hdwb. nicht zu ersehen ist.
11, 18 unde it enhlift ok nicht dat Uste,
went se alle darna moten varen,
dat gi vil arme scolen bewaren.
Die in der Wortlese angegebene Bedeutung von bewaren = verhüten
paßt nicht für unsere Stelle, es ist hier vielmehr = 'behüten, be-
wahren'. Der Sinn ist demnach : „Es bleibt Euch, ärmste, auch nicht
das letzte Junge zu beschützen.^
11, 27 ff. sind in der Ausgabe unverständlich und folgender-
maßen zu bessern:
zu GERHARD VON MINDEN. 423
unde hcutliken ein blas
van vure, deU dar bernede was
he in dat droge holt do stak.
^Und schnell nahm er ein Scheit von einem Feuer , das da brannte^
und steckte es in das trockene Holz.^ bernede = bemende, wie Sünden-
fall 2054.
14, 35 De hogen werden landesheren
de mögen sik tein bi diLSsen meren,
dat se mit gnedeliken dingen
jo ore underdanen dwingen,
dat se mit vrede nickt bestän,
oft it an scholde missegän,
V. 39 ist zu lesen: dat se mit vreden icht bestän ^daß sie etwa in
Frieden bleiben'. Vgl. mit vrede taten 9, 54. 80, 37 und nnd. med
freen laten Schambach s. v.
15, 18 Do sin her van kerken gink
to hüs mit sinen besten kleden,
wolde de esel ummescheten^
mit sinem speie em to untmaten
V. 20 ttmmescheten erklärt der Herausgeber durch 'sich überschlagen',
welche Erklärung auch in das Mnd. Wb. übergegangen ist. Es ist
aber, wie schon der Reim beweist, entstellt aus unbescheden *unbe-
scheiden'. Es ist dann auch nichts weiter an der handschriftlichen
Lesart zu ändern, und zu schreiben:
wolde de esel umbescheden
mit sinem speie eme do entmoten,
'Da wollte der unbescheidene Esel ihn mit seinem Spiele begrüßen'.
16, 56. dat (starke strik) stof se entwe. stof wird in der Wortlese
erklärt = zerbiß. Diese Bedeutung kann aber stoven nicht haben;
es ist wohl zu lesen scdf — mhd. schtiof 'verursachte, bewirkte*.
17, 10 ff. ist zu lesen:
darmede we schalen in der vlucht
gevangen unvorwändes werden,
beslagen ane waier, up der erden
unde ok an allen hoUen gestricket.
Statt holten hat die Hs. holen y woraus der Herausgeber unpassend
boten gemacht hat. stricken hat hier die Bedeutung 'mit Stricken
fangen*. Vgl. Wolf. Aesop. 17, 16 {wi wille) uns nit in der vögele schär
holden y die vil dicke gevangen wirt mit stricke an allen hoüen 'in allen
Wäldern'.
424 B. SPBENGEK
18, 51 Du8 mdt ore vriheit sik vorkereUf
de under enem guden heren
jo wonetf de al mit duldiehede
an 18 in allen dingen mede,
unde dan na enem vromden stdt.
Statt vromden hat die Hs. vrede, d. i. wrSde *böse'; der letzte Vers ist
also zu schreiben:
unde dan na enem tvreden stät.
Die Frösche verlangen ja V. 37 einen Herren, „dem se dor angest
mosten denen.^
19, 6. Nach diesem Verse ist eine größere Lücke, in welcher^
wie die Vergleichung mit Wolfenbüttler Aesop 19 zeigte gesagt war,
daß der Habicht die Alten verfolgte, und daß diese dann die Jungen
im Neste verließen.
20, 11. br6twert ist wohl als Compositum zu fassen, wie penninc-
wert gebildet.
20y 29 ist besser zu ergänzen: dat was ome M dem tun unt-
Valien. Die Auslassung erklärt sich so leichter; auch ist in V. 26
von einem tun, nicht von einer want die Rede.
21, 1 ist zu interpungieren :
Ein verkenmoder seholde winnen
ir jungen, dar se lach enbinnen,
quam ein vmlf to ir
dar ist zeitlich zu fassen, wie R. V. 2346, 3544. inne ligen oder kindes
inne ligen bedeutet *im Kindbett liegen'; vgl. Lexer I, 1915.
22, 13 ist zu interpungieren:
ik bringe di dar sunder leide
ik weit se stän an guder weide.
'Ich bringe dich ohne Leid dahin, wo ich sie auf guter Weide stehen
weiß.'
23, 31 Dama hegunde an tomen dagen
de koninc den sulven lowen jagen.
Daß tomen nicht, wie die Wortlese angibt, Verbform sein kann, be-
merkte ich schon im Programm. Altsächsisch und angelsächsisch findet
sich ein Adjectiv in der Bedeutung 'bitter'. Dies in übertragener Be-
deutung = 'unangenehm' könnte hier vorliegen.
27, 37 Do wände dar ein kotse fer^
ein ridder, junk stolt unde her^
de was von art wol or geltke^
al ne was he nicht so rike.
zu GERHARD VON MINDEN. 425
Gegen diesen Text erhebt sich das Bedenken , daß ein Ritter, der
wegen seiner Armuth eine einfache Kotstelle bewohnen muß; deshalb
noch nicht ein koUe 'Eossäthe' genannt werden kann, womit durch-
weg ein Angehöriger des kleinen Banerstandes bezeichnet wird. Die Hs.
hat statt „kotse fSr^ y^hotze/Der^ , doch so geschrieben, „daß der Anlaut
durch Zusammenfluß der Tinte aus k entstanden sein^ das v auch als (
gelesen werden könnte". Das von Wiggert, 2. Scherflein 43 gelesene
kotzeber wollte J. Grimm erklären als y,einer, der eine kotze (eine Art
Mantel) trägt". Erinnern wir uns, daß wonen im Mnd. auch transitiv
in der Bedeutung 'bewohnen sich findet, so ergibt sich leicht die
Verbesserung: Do wdnde dar ein kotewere
ein ridder^ junk, stolt unde here,
kotewere ist eine Eotstelle, der Besitz eines Kossäten.
28, 36 mit niden mit Hassen', wie der Herausgeber übersetzt,
paßt nicht. Die Hs. hat mit syden, das ist wohl: mit üden — „mit der
Zeit". Vgl. nhd. 'beizeiten'.
28, 45 ist vom Herausgeber der Frau zugetheilt, gehört aber
zur Rede des Mannes, wie auch Wolfenb. Aes. 64, 24: hie sprach 'noch
Sprech, ein seisze wcei^e^ dar mit der wisch gemeyet wart' beweist. Es ist
danach zu schreiben:
'Noch spreky dat it ein segede were\
Se sprakf alse se da mochte schere
'ein chere^ ein chere\
schere in V. 46 ist nicht = forpix, sondern mhd. schiere 'alsbald', und
deshalb ist auch das Komma zu tilgen.
29, 32 lies dicke st, dicker.
31, 30. Die Hs. hat richtig: de (nämlich der Sang) mi vul na
was genomen.
32, 57 lies: weder den vmlven.
33, 20 ist zu übersetzen: 'Das thäte er ganz nach ihrem Rathe'.
34, 5 lese ich jetzt: De versmähede he genoch. Ein Substantiv
versma ist immer noch nicht nachgewiesen.
34, 7. Der Bauer, dem seine häßlichen Hände und breiten Füße
Schande däuchten, vernachlässigte sie:
de hande he io nicht ne dwoch,
De vote he vel seiden stode.
St. stode schreibt Seelmann scrode und denkt dabei an das Abschneiden
der Nägel an den Füßen, schroden hat aber die Bedeutung von 'zer-
kleinern, in kleine Stücke schneiden', z. B. Getreide zu grobem Mehl.
Lübben im Wb. 4, 418 bleibt deshalb bei der handschriftlichen Lesart
426 R. SPRENGER
und erklärt stode durch 'stieß, setzte nieder*. Auch diese Erklärung
ist unmöglich. Es ist zu schreiben scdde 'versah er mit Schuhen\ Über
schoen, schoien s. Mnd. Wb. 4, 110.
37, 35 lies: ter (= to der) st. der.
38, 80 lies: valsch man] ebenso 42, 29. 65, 124 wis man, 59, 70
wert man»
39, 70 lies: icktes wat.
41, 57 ist zu lesen {
min lif IS vaster den ju worde
klein oder grdt ei in der horde.
'Mein Leib ist fester als je ein kleines oder großes Ei wurde/ Der-
selbe Reim 48, 20.
46, 24 ff. lese ich jetzt folgendermaßen:
Se sin der morgenroden sunnen
ahe se erst upgeit, an done
geUk van schöner rode. Jedoch ilc wone . • .
Das heißt: ^Sie (die Federn) sind der Morgenröthe, wenn sie aufgeht,
an Aussehen gleich in Bezug auf ihre schöne Röthe.^
49, 195 do wüste he vorwär dat wol,
dat dar de wrede wevel trcw.
Dem Zusammenhange entspricht wunde Vermuthete*.
50, 6. dat lange vort em klene drdch ist zu übersetzen: 'was ihm
ange wenig nützte'.
56, 11 so wanne komet ein derve regen,
we schal di danne to schüre dregen.
dregen ist in der Wortlese nur in den beiden Bedeutungen *^tragen' und
trügen' angeführt, hier kann es nur = drogen, drugen 'trocknen' sein,
wie die Form noch jetzt mundartlich vorkommt.
59, 1 Ein vet schone ors van hogem prise
geziret wol na siner wise
mit hreidele unde mit gereide
lep ledich sunder jenich geleide,
dat wol dem rede mochte schaden.
Der letzte Vers ist unverständlich und statt dessen zu lesen : das wol
dem rede mochte staden 'das wohl zum Ritte passen mochte*, staden
und scaden konnte vom Schreiber leicht verwechselt werden.
61, 94. wänlik 'vermuthlich', wie die Hs. hat, war nicht in wärlik
zu ändern.
61, 123 ist das handschriftlich überlieferte anden, wohl weil ande
im Mnd. Wb, nicht verzeichnet war, in vianden geändert; doch ist
zu GERHARD VON MINDEN. 227
die bekannte Redensart stnen anden wreken nun auch für das Mittel-
niederdeutsche belegt in Strauchs Glossar zur Sachs. Weltchronik
(s. auch den Nachtrag zum Mnd. Wb. S. 16). Schon im Programm
S. 8 behandelte ich die Verse, lese dieselben aber jetzt etwas ab-
weichend: dan it mach lichte so gereken
dat 86 mit schaden mögen wreken
als sunder Stade oren anden
al oren vrunden to schänden,
Stade mhd. State = ,,alle8, was zu Statten kommt, Hilfe, Nutzen.^
Die Hs. hat statt dessen den leicht zu erklärenden Fehler schaden.
66; 9 ist entweder dm raven zu lesen, oder rave^ wie es im Mnd.
und noch mundartlich vorkommt, als Femin. zunehmen; dann müßte
aber V. 6 he in se geändert werden. Die Interpunktion ist wohl folgen-
dermaßen zu ändern:
Wu heft he dus gut se nu gevunden^
dat se de hunde lotet slapen,
de dar ligget hi den schapen.
dat se de raven nicht vorjaget,
dat si dem duvele geklaget,
de mi so gerne jaget na^
so wor ik in dem velde ga,
V. 11 ist natürlich auf die Hunde zu beziehen.
67, 27 f. schreibe ich:
Doch weit ik wol^ wat bestriket
dtn zagelj dat dar jo vorwiket
de der
*^Ich weiß, daß, was dein Schwanz bestreicht (wohin du kommst),
die Thiere stets entfliehen/ Statt vorwtken schreibt der Herausgeber
getrennt vor wiken.
67, 30 Mit stempne Sk lüt ünde unbehande
ddt al de der dk sere vlein
de mi gehören ofte sein.
Durch die Änderung von Mit in Min wird die Stelle verständlich.
unbehande ist '^incomitus, grob' und nicht mit Damköhler, Niederd.
Jahrb. XHI, 79 in behande zu ändern. Ebenso bedeutet umbehende
50, 25 auf grobe Weise*, nicht ^unklug', wie der Herausgeber meint.
69, 36 ist zu trennen vor (vorüber) gegän.
69, 54 f. ist zu lesen:
unde segge, wer de lowe wesen
dunket di wreder, ofte de man.
428 ^ SPRENGER
„Sage, ob dir der Löwe böser zu sein dünkt, oder der Mensch."
Vgl. V. 10 f.
72, 15 ist nach der Hs. mit folgender Interpunktion zu schreiben:
gl Bcholm weten: dat vorwär
gedregen hebhe ik ein jär
unde is mi leides alsd stcär u. s. w.
Die Verbesserung von Seelmann Indes st. des handschriftlichen It^yder
scheint geboten, dregen (Mnd. Wb. I, 563) auch vom ertragen von
Leid und Krankheit.
73, 17 lies: dede vele an aller schalkheit dornet 'die in aller Schalk-
heit schwelgen*.
SO, 57 ff. lese ich:
Do sprak de lowe: "^It mach wol wesen!
prove anders, wo ek möge genesen,
— De arzedie de is hin —
went ik nein vrunt van herten bin*
„Versuche, wie ich auf andere Weise genesen möge (Diese Arzenei ist
verloren), weil ich kein Freund von Herzen bin [mir nichts aus Herzen
mache].
81, 9. Statt minschen hat die Hs. wever sehen 'Weberfrauen', was
wohl richtig ist.
81, 70 lies: ofte de modink der truwe love Venn der Nichtsnutz
seine Treue gelobt'. Vgl. V. 48 ff.
83, 19. Die Hs. hat mei^ st. mor, und ersteres ist richtig.
91, 52 lies: in or laße dachten se vulherden 'bei ihrem Gelübde
gedachten sie zu verbleiben'. Vgl. Mnd. Wb. 5, 552.
92, 76 ist mi st. mm zu lesen. Über den Reim hin : mi s. Einl.
95, 29 lies:
Na des mules degedingen
al de dummen schevelingen
beginnen doven unde bogen
van den besten magen
unde de hdgest sin td allen itden.
95, 40 ist mit der Hs. dede zu schreiben, don steht hier an
Stelle des vorhergehenden Verbs.
95, 36 lies: Dat ifi dicke an on enket 'das wird oft an ihnen
offenbar'.
100, 43 leggen Verleihen'.
100, 107 lies We schippen hiran enen vdch, *Wir wollen hieran
unsere Schicklichkeit zeigen.'
zu OERHABD VON MINDEN. 429
101, 17 mit giricheit hehbe ek nenen gaden,
harne mochte mi geeehaden
ein grSt osae edder ein pert.
Das unverständliche geschaden ist in gesaden 'sättigen' zu verbessern.
101, 109, 110 sehen aus wie eine ungeschickte Interpolation.
Ich glaube, daß es ursprünglich gelautet hat:
To voren kan ek dk wol maken
awindicheit, Dorch Uvea not
ao late ek, To voren = ^besonders', s. Mnd. Wb. 4, 601 ;
ala ek were dat.
V. 126 f. lauten in der Hs.:
we is ao hoae, de ok gunde
den jungen, dat ae vorderven unde vorheren.
Die Stelle ist offenbar entstellt. S. schreibt: dat ae vordorven weren.
Ich glaube nicht, daß der Schreiber daran Anstoß genommen hätte,
glaube vielmehr, daß er ein Wort gefunden hat', welches ihm nicht
mehr geläufig war. Ich schreibe: dat ae vorworden weren. vorworden
entspricht nhd. Verkommen'.
V. 132 hat die Hs. brwuheren st. krunaberen wie S. schreibt.
Ich glaube nicht, daß Kronsberen (mnd. krdns-bere ^krdnahere Kranich-
heere) gemeint sind, sondern brüaberen *Wachholderbeeren*. Ich hörte
das Wort vor etwa zwölf Jahren von einem Märker. Vgl auch broa-
been im Mnd. Hdwb.
V. 156 fehlt das Verbum, dieses findet sich aber, wenn wir die
Interpunktion ändern und folgendermaßen lesen:
Ichtu enen oaaen ofte ein pert
togeat üt orem stalle
unde ore achap alle,
dat acholdeatu mit one herden.
Der Wolf meint, da der Fuchs mit den Menschen in offener Fehde
lebe, so sei er auch berechtigt, ihnen allen möglichen Abbruch zu
thun. Und wenn er ihnen einen Ochsen oder ein Pferd und alle ihre
Schafe aus dem Stalle zöge, so vermöchte er das wohl als sein Recht
gegen sie zu erweisen. Vgl. unser 'erhärten\
102, 63 lauten im Text:
Wo mochte tom konninge de gevogen,
den de lüde alao dot slogenf
In der Hs. steht dem st. tom und dat st. de.
Wo mochte dem konninge dat gevogen.
Daß dies richtig ist, beweist außer dem Zusammenhang die ent-
GBBHANIA. Nene Seih« XIII. (XXXIT.} Jahrg. 29
430 B* SPBENGEB, ZU GERHABD VON BONDEN.
sprechende Stelle des Wolfenb. Aesop 93, 27: wo mochte dass eyme
koninge voegen, dat ome (lies ene) sine keirle slogenf Es ist also zu
schreiben: Wo mochte dem konninge dat gevogen,
dat en de lüde also slogen?
gevSgen heißt ^angemessen, passend sein*, und diese Bedeutung hat es
auch 79, 18; nicht die in der Wortlese angegebene.
102, 69 busch = Buchsbaum, wofOr noch jetzt landschaftlich
buschbom.
102, 70 de ek wol gein. gein kann nur Infinitiv sein, daher ist
zu lesen: dee mach ek wol gein\ vgl. V. 103.
102, 96 ist das handschriftliche bekande nicht zu lindern.
102, 147 lies: diner schalkeseede,
102, 173 lies: Den (Guten) dvsse (die Dunkelguden) grote bosheit
deit. overgän ist = betrügen.
103, 1 ist zu lesen:
In dem mere ligget ein wolty
darinne hebbet ein hoü
de wilden apen ende sik vodet.
'Darin haben die Affen einen Aufenthalt und nähren sich darin.'
103, 48 ist zu lesen:
de ander ^dor nicht ne brak^
wente he ee gerne spreken wolte^
de wdrheit, wat dat kosten scheide.
'Der andere brach durch nichts die Wahrheit, weil er sie gerne
sprechen wollte, was es auch kosten mochte.'
103, 100 Oode levet de wärheit ane twivel
de logene jaget jo den duvel.
jaget verjagt' gibt keinen Sinn. Es ist haget 'behagt' zu lesen.
FB. KRiLTOCHWIL, ÜBEB DEN OEOENWlRTIOEN STAND ete. 431
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER
SÜCHENWIRT- HANDSCHRIFTEN.
Mit zwein großen, bisher unbekannten Ergänzungen zu Suchenwirt's Gedichten.
XII. dt.
In dem schon S. 324 aogezogenen 14. Bande der Wiener Jahr-
bücher der Literatur (Anzeigeblatt S. 50) behauptete P; daß von der
Oothaischen Recension des Gedichtes von fttnf Ftlrsten eine Abschrift
auf der Wiener Hofbibliothek sich befinde. Daselbst ist das genannte
Gedicht nur in C vorhanden, für diese Handschrift war aber N die
Vorlage« Primissers Angabe ist somit falsch; sie wurde auch
in seiner Ausgabe nicht wiederholt, wohl aber noch später von Jacobs
und Ukert im dritten Bande ihrer Beiträge zur älteren Literatur etc.
(S. V u. VI).
Nicht zu Wien, sondern in der königl. öffentlichen Bibliothek
zu Dresden findet sich eine Abschrift des Gedichtes von
fünf Fürsten nach g und zwar in dem Miscellancodex, der vor-
mals die Nr. 105 hatte, jetzt aber die Nr. M 203 führt (vgl. Falken-
stein, Karl, Beschreibung der königl. öffentL Bibliothek zu Dresden,
1839, S. 39ö und Prof. Dr. Franz Schnorr von Carolsfeld a. a. 0.
zweiter Band, S. 494 f.). Der damalige Herr Oberbibliotbekar Ge-
heimer Hofrath Professor Dr. E. W. Förstemann gestattete in be-
sonderer Güte bereitwilligst die Obersendung dieser Papierhandschrift
nach Wien. Sie zählt 83 Blätter in Quart ^), ist in steife, mit grauem
Papier überzogene Deckel gebunden und hat auf dem Bücken die
Aufschrift: Von den heil, drey Königen, Diese entspricht dem ersten
Stücke der Handschrift, das von der Überbringung der Körper der
heil, drei Könige handelt; wie das Titelblatt dazu besagt, wurde
dieses' Gedicht aus einem Manuscript (der Dresdner Handschrift
M 42) der königl. öffentl. Bibliothek in Dresden „abgeschrieben und
mit der Urschrift verglichen von Job. Christ. Gottscheden", dem
auch dieser ganze Band gehörte, wie aus der an der Innenseite des
Vorderdeckels angebrachten Vignette zu ersehen ist Nach seinem
Tode kam der Codex in die Bibliothek der Gesellschaft der freien
^) Im Jatire 1879 war weder eine Blatt- noch eine Seitenzfthliuig angebracht.
29*
432 FRANZ KRATOCHWIL
Künste und schönen Wissenschaften in Leipzig und von dort 1793 mit
132 gedruckten Büchern und 85 altdeutschen Handschriften (früher
Eigenthum des Professors Gottsched) für 300 Thaler in die königl.
Bibliothek zu Dresden (vgl. Dr. Julius Petzholdt, Adreßbuch der
Bibliotheken Deutschlands mit Einschluß von Österreich-Ungarn und
der Schweiz. Dresden 1875, S. 107).
Wie das erste sind auch die neun anderen Stücke von d
sämmtlich Abschriften von Manuscripten in Gotha, Dres-
den etc. Die Anzahl der Verse auf je einer Seite wechselt, aber stets
sind dieselben abgesetzt, immer in einer Columne, die Anfangs-
buchstaben der Verse groß, Unterscheidungszeichen nur
spärlich. Für einige Stücke wurde lateinische, für andere deutsche
Schrift gebraucht; ich glaube, daß mindestens drei Hände daran
geschrieben haben. Ob, wie Falkenstein (a. a. O.) bemerkt, Nr. 7 („Ein
verliebter Traum**, Bl. 61'— 64») und 9 („Gedicht vom Edelstein**,
Bl. 66* — 77**) von Gottscheds eigener Hand geschrieben wurden, ob
nur diese und nicht auch andere, ist hier nicht Gegenstand der Unter-
suchung; doch bemerken will ich, daß die Schrift des sechsten Ge-
dichtes (Bl. 54* — 60^) mit den Anfangsversen:
Ach mynne wie creßig ist dine craß
Wo man schleft adir wacht
ganz genau dieselbe ist wie die des siebenten, das statt nach Falken-
stein „Ein verliebter Traum** wohl besser mit den Worten der viert-
letzten Zeile des Gedichtes überschrieben würde: Des kranieh Halses
nun (9) grad. Damach schon erweist sich Falkensteins Behauptung
nicht stichhältig. Vgl. auch Schnorr a. a. O. S. 495, f, g und i.
Von den Stücken in d, die nach Gotha weisen, hebe ich das
vierte hervor, das von Bl. 42* — 47* reicht. Es hat die Überschrift:
Abschrift eines alten M8Cti, de anno 1397. aus der gothaischen Bibliothec.
Den Spruch hat gemacht peter der Süehenmrt von fünff ßirsten. — Das
alte Manuscript aus der gothaischen Bibliothek ist die uns wohl-
bekannte Handschrift; Nr. 271 oder g; doch befremdet in der obigen
Überschrift die Bemerkung, daß die Gothaer Handschrift aus dem
Jahre 1397 stamme. Woher wußte das der Schreiber? Schon früher
wurde betont, daß, von den Zusätzen zu Anfang und Ende abgesehen,
die Schrift der ursprünglichen Theile von g höchst wahrscheinlich
noch vor 1402 zu setzen sei. Aber ein bestimmtes Jahr ftir die Ent-
stehung von g anzugeben, dazu reicht die Schrift allein nicht aus;
andere Anhaltspunkte fehlen. Es drängt sich aber die Erklärung auf
ciaß der Schreiber von d die auf dem ersten Blat): iQ g
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRTHBS. 433
angebrachte Zahl 1497 falsch gelesen habe. Es stand übrigens
in d arsprttnglich nicht 1397; wo jetzt der Dreier ist, war radiert
worden y doch scheint er von derselben Hand zu sein, welche das
Qedicht von fünf Fürsten schrieb. Daß Falkenstein und Schnorr die
Zahl 1397 unbedenklich nachsehrieben, kann man begreiflich finden.
Die Abschrift selbst zeigt viele Abweichungen von g,
doch erklären sich manche durch geänderte Orthographie (Anwendung
des Dehnungs-A und des stummen a), durch Einführung des Um-
lautes {Ifürsten, desgl. 79, 95, 141, 163, 185, 192, 215, 224 und 234,
8 glüldc, 15 prüfen, 41 flühen^ 109 mörder^ 169 fügen) y andere durch
Unterlassung des Umlautes (73 chonigsj 124 und 171 o^^erretcA), durch
Modernisierung einzelner Wörter (56 ehOnikf 69 KarhSy 78 und 85
wenty 105 monad, 123 wähelm, 167 TnanscMeehtig , 177 Schwemczer
u. s. w.), sowie durch Schreibfehler (4 atarkeis, 35 eeeh*. u. s. w«).
Manches war dem Schreiber offenbar schwer leserlich oder^ unver-
ständlich; so schrieb er (statt verechriet : da ze miet) 89 vereehneli
91 Daz ennetf 98 were^ 100 schwere, 189 Man net, 191 gehan (g ge-
den) und 193 heÜ im (= nu). öfter wurden die Abkürzungen nicht
berücksichtigt: daraus erklärt sich 14 wordn, 17 yed mauj 41 da^
füaz^ u. s. w. Nur selten hat der Schreiber den Text willkürlich ge-
ändert und das sehr unbedeutend: 101 g zu der pürg, d in der pürg,
104 g geh, d gab. Im Übrigen stimmt g mit d, selbst die in g ge-
machten Absätze sind beibehalten; im Ganzen kann man die
Abschrift somit eine ziemlich leidliche nennen. Für die
Textkritik selbst ist sie aber belanglos, da ja ihr Original
vollständig erhalten ist.
Anders verhält es sich mit dem dritten Stücke von d mit der
Überschrift: Abschrift eines alten Manuscripts aus der Drefidner Bihlio'
thec. Peters des Suchenwirths — Bl. 36* — 41\ Falkenstein sagt dar-
über (a. a. O.): »Peters des Suchenwirt Lobspruch auf die Liebe^.
Damals war Primisser's Ausgabe längst erschienen; ein Blick in die*
selbe hätte Falkenstein belehrt, daß dieses Gedicht die schöne Ahen^
teuer ist*).
') Die von Falkenstein gebraaehte Beneimmig ist übrigens schon alt, sie findet
sich bereits in Adelnng's Fortgesetzten Nachrichten. Bei Besprechung der Handschrift
Nr. 216 (yormals 393 =5 h') führt dort S. 306 Adelong das jüngste Gericht von
Snohenwirt an, «einem Österreicher, wie er sagt, oder vielmehr Meisters&nger, der
um 1886 reimte. Von ihm befindet sich ein Lobsprnoh auf die Liebe in der
kurfürstlichen Bibliothek su Dresden**. Gar manche Irrthflmer befinden sich in diesem
wie in dem ersten von Adelung herausgegebenen BSndohen Über altdeutsche GMichte,
434 FRANZ KRATOCHWIL
Die Vorlage für das 3. Stück von d war die Dresdner Hand-
schrift M 42. Daß das 3. und 4. Stttck von d — das eine in lateini-
scher, dag andere in deutscher Cursivschrift abgefaßt — von derselben
Hand geschrieben sind, ist nicht unmöglich, ich halte es aber für
unwahrscheinlich. Stammen beide Abschriften von demselben
Schreiber, dann dürfen wir uns das Verhältniß zwischen d und
M 42 so vorstellen, wie es zwischen d und g früher dargelegt wurde;
rühren aber beide Abschriften nicht von derselben Hand, dann sind
wir außer Stande, dieses Verhältniß bestimmt anzugeben. Denn
eine Vergleichang der Abschrift mit dem Original wie bei dem Ge-
dicht von fünf Fürsten ist nicht möglich, weil bereits gegen die Mitte
des vorigen Jahrhunderts M 42 eine bedeutende Spoliierung erlitt,
wobei auch die schöne Abenteuer verschwunden ist. Über
die Verstümmelung der Handschrift ist zu vergleichen Adelung, Alt-
deutsche Gedichte in Rom, S. XVI, über die früher vorhanden ge-
wesenen Stücke der literarische Grundriß von v. d. Hagen und
Büsching, S. 105, 126, 341 und 444. Nach einer Bemerkung Ebert's
in dem Manuscripte der königl. Bibliothek zu Dresden R 174, S. 186
sind diese Stücke „noch vor Ca n zier' s Zeit^ abhanden gekommen^).
Als Götze, Merkwürdigkeiten der königlichen Bibliothek zu Dres-
den, 1744, 2. Band, S. 283 f. diese Handschrift beschrieb, war sie
noch bis auf einige wenige zu Anfang fehlende Blätter complet. —
Am Ende des Gedichtes von der Überbringung der Körper der heil,
drei Könige hat sie: Expliciunt dicta Eolandi tristrandi et trium regum
pe9' manua Nicolai swertfegir de dhamis anno domini M'^CCCO'XXXIIl
feria qv^rta po8t andree. Darauf folgten nach Götze a. a. O. II, S. 234
„drei kleine Gedichte von Träumen, und der Liebe, die nicht viel zu
bedeuten haben^; das wären also die Stücke 3, 6 und 7 in d, die in
M 42 jetzt fehlen"). Die oben angeführten Worte finden sich genau
welche aas der heidelbergischen Bibliothek in die yaticanisehe gekommen sind. Schon
Docen hat im ersten Jahrzehent unseres Jahrhunderts in seinen Miscellaneen zor
Geschichte der deutschen Literatur Adelung zu berichtigen gesucht. Aber Irrthümer
haben ein zähes Leben. Aus Adelung gingen nicht wenige in den Literarischen Grundriß
zur Geschichte der deutschen Poesie von der ältesten Zeit bis in das 16. Jahrhundert,
von Fr. H. von der Hagen und J. G. Büsching, Berlin 1S12, über; manche
sind wohl geeignet, irrezuführen oder tagelange nutzlose Mühe zu yerursachen.
') Canzler kam 1768 in die kursSchsische Bibliothek zu Dresden.
') K. Bartsch hingegen behauptet, das 6. und 7. Stück von d stammen aus
dem codex eh. A 985 (15. Jahrh.) in Gotha; 'vgl. Bartsch's ansführliche Bespreohong
des von Schnorr von Carolsfeld herausgegebenen Haudschriftenoataloges der königl.
Bibliothek zu Dresden in Germania 81. Jahrgang (1886), S. 233--238.
ÜBER DEN OEGENWlRTtGEN STAND DER 8UCHENWIRT-H88. 435
iD d nach Vollendung der ersten Nummer und zu dem Worte iarütrandi
noch die Bemerkung: In demselben Bande des dresdenischen
MSpts waren auch die groszen Oediehte von Karl dem
Großen oder Rolanden, und von Tristranden, und zwar
von eben derselben Hand dieses Nicol. Swertfe^irs, ge-
schrieben: wes wegen er diesen Schluß beygefoget hat.
Dem Titel des 7. Stückes in d ist die Bemerkung angehftngt: „Aus
einem Dresdener MSpte^, und am Ende des Gedichtes: Anno
Christi 1439 haec finita sunt. Ist nun dieses Manuscripty wie
man bisher annahm, M 42, so wäre die Vollendung der Handschrift
M 42 in dieses Jahr zu setzen. Der jetzige Inhalt derselben wird
genau von Schnorr a. a. O. II, S. 442—444 angegeben.
Durch die Spoliierung der Handschrift M 42 ist dieAbschrift
von Suchenwirt's schöner Abenteuer in d in den Rang einer
Handschrift vorgerückt, sie repräsentiert für ihren Theil M 42.
Was hat nun d für einen Werth? Das 3. Stück in d ist dem
Inhalte nach ein Mixtum compositum: wir hören zwei Frauen dar-
über streiten, ob man der Liebe Leiden im Hinblick auf ihre Freuden
ertragen oder der Liebe das Herz verschließen solle. Mitten in ihrer
Unterredung stört sie ein Jüngling, von dem man bisher nichts gehört
und gesehen; er ist derjenige, welcher das Ganze uns erzählt und
selbst von Liebespein geplagt wird. Eine der beiden Frauen gibt ihm
Auskunft, wie er weiter ^ehen solle. So kommt er in der Folge zur
schönen Abenteuer; das Übrige ist aus Suchen wirt's schönem Gedicht
bekannt.
Schon Bartsch hat a. a. O. die Bemerkung gemacht: ^Das (der
schönen Abenteuer) vorhergehende Gedicht soll nach Gottsched auch
von Suchenwirt sein, findet sich aber unter seinem Namen sonst nicht.^
Das ist richtig, die Sache verhält sich folgendermaßen. Die beiden
Theile im 3. Stück von d sind nur äußerlich, ganz lose mit
einander verbunden. Der erste Theil besteht aus 108 Versen,
sie sind der Schluß eines allegorischen, Suchenwirt nicht ange-
hörig en Gedichtes, das, abgesehen von einigen anderen Hand-
schriften^), auch in dem umfangreichen Codex I. G. 8 des böhmischen
Museunis in Prag Bl. 39^ — 4P vorkommt unter der Überschrift: Ain
Krieg von zwain frawen ob pesser sey Lieb ze haben oder on Lieb zu
bdeiben; es beginnt mit den Versen:
') Vgl. K. Bartsch, Beiträge zur Qaellenkunde der altdeutschen Literatur.
Straßbarg 1886, S. 177, Nr. 3.
436
FRANZ KRATOCHWIL
Ich was ains tags also frey
Das meines hertzen Amey u. s. w. *)
Der dialectischen Besonderheiten wegen setze ich diesen
ersten Theii vollständig aus d hieher'):
Bl. S6%
Es ist doch der beste anevang
AUir vroudin wer libes plegit.
Alle Sache he geringe wegit,
Wie mag der hogin müt gehan
5 Der kein hercze nj lip gewan
Wen reiner vranwin gute
Brengit, 'ejme Jczlichen hoch-
gemute
Wie mochte mir ymir bas gesin
Denne wen ich sehe den gesellin
myn
10 Der mynn herczin wo! behait,
Vnd he mir synen kumer clait,
So wirt vnsir vroude ahso gros
Das sie had keinen wedir stos
Manch üblich zcüchtig worden
15 Wird von vns beidin gehorden
Das sust nymanden konde ir-
denkin
Man sihet vns äuge blicke schen-
kein
Sich der vroudin bistu ein gast
Wen du keinen sunderlich lip hast,
20 Daz du redest weder mich,
Daran betrigestu selbir dich
Du Salt vorbas dine rede lan
Die ane libe sprach nu höre
mich an
Bl. 36*.
Du hast wol vroude daz ist War
25 Adir es ist seidin in dem Jar
Wen du bie dyme libe bist,
Vnd uch allir best ist,
So geschit von uch ein scheidin
Hy mede wirt uch beidin leide
30 Nod vnd clage
Dabie manche tage
Ein icEÜch hercze sieh dama senet,
Was man es vor hat gewenet,
Wen ich mir genügen laße
Ich bin von nichte andirs vro
Wen myn gemüte streit alzo
ffirolich stete in einer achte
Wen ich andirs nicht betrachte
40 Wen ich vroude irdenkin möge
Die myme herczin wol tögen
So ist dir we und leide
Wen dich din hercze irmanet beide
An die vnd gedenckest do hen
45 Do din hercze vnd din syn
Czumale ist vorborgin
So mustu doch besorgin
Din lip wo is in dem lande vert
Du weist nicht, wie is seine tage
vorczert
Bl. 37».
50 Mit vrouden vnd mit leide
Süst lebet ir in Jammer beide
So bin ich vro daz ganoz jar
So mustu dich senen dar
Nach dyme libe mit stetir pia
55 Die libes plag, die sprach la sin
Dine rede wedir mich
Wen sie ist vnvorfenglich
Ich sagpe dir werlichen das
Das mir ist eines tagis bas
60 Wen myn lip an sehe ich
Czu haut, so vro werde ich
Das ich vergesse myner nod
All myn truren daz ist tbd
<) Vgl. HhIUus, Liederbuch der Clara Hätzlerin, Nr. 9.
') Vgl. auch Job. Joach. Eschenburg, Denkm&ler altdeutscher Dichtkunst ,
Bremen 1799, S. 257: Oesprftch in platt deutschen Belmen über Glück und Unglück
der Liebe, besonders S. 260, 6. Zeile von unten — S. 264*
Obeb den geqemwäbtigen stand der SUCHENWIBT-HSS. 437
Das ich lange gehad han
65 Wen ich myn lieb sehe an
So ist myn leit geletczit
Wie schire he mich irgetczit
Alle myner sorgin swere
Und thnt mir allir sorgen lere
70 So hastu doch myr dycke gbseit
Du weist nicht vSie lip noch vme
leit
Ich wolde eczwan leides plegin
Er ich mich libes wolde irwegin
Do bleib ich stete an mynen mute
75 Do von weistu nicht, vme edil
adir vme gut
Idoch brengit eine gewonheit
Beide lip und leit,
Der wolle wir vnsir rede lan
Wen ich mich wol gewissen kan
80 Welch lebin bessir sy
Idoch ist lip min rechtir gü
Bl. 37*.
Bis an myn ende stetlich
Hie mede wordin sie glich
Mit en andir voreynt,
85 Ich armer vorborgen leit,
Das mich ir kein en sach
Czü myme hercain ich do sprach
Nu rat mir was ich möge thün
Is ryt mir daz ich ginge hinzcu
90 Ich qweme lichte mynes trurens
abe
Ich graste sie vil tummer knabe
De begunden sie sich scheidin
Lliplich nach ires herczin gir
Die eine frauwe sprach zcu mir
95 Vil tummer knabe, waz schaft
ir hie
Ich sprach gnade frauwe ich vorgee
Mich eines tagis also £e
Dorch myner vroudin gewinnen
Bin ich kommen aldo her
100 Do sprach zcu mir die wunen ber
Nu gang ein wenig vorbas
So kuSSestu uff eine rechte stras^
Der volge, sie treit dich nicht ab
Gar togentlich sie mir gab
105 Orlob zcu der seibin stunt
Daz mir scheidin ny wart kunt
Daz clage ich gote ich sondir man
Weme ich noch allir eren gan.
Hiermit schließt Bl. 37\ — Im Vorstehenden wurde die Handschrift
mit größter Treue wiedergegeben; sämmtliche Abkürzung»- und Unter-
scheidungszeichen rühren aus derselben. Auffällig sind die ungenauen
Reime 40 : 41, 44 : 45, 74 : 75, 80 : 81 und 84 : 85, noch mehr die
Unterbrechungen des Reimes. Schon der erste Vers ist reimlos; nach
den Versen 34, 92, 95 und 98 fehlt ebenfalls der Reim, doch ist nur
nach V« 34 eine äußere Lücke wahrnehmbar. Wahrscheinlich konnte
der Abschreiber den V. 35 der Vorlage nicht lesen, denn er schrieb
vom V. 36: Ich bin v, radierte das zum Theil weg und setzte als
V. 35 die Häkchen.
Nicht weniger mangelhaft ist der an den ersten Theil sich
unmittelbar anschließende zweite Theil des 3. Stückes in d: die
schöne Abenteuer, Bl. 38'— 4l^ Es fehlen die Verse 16—19, 49 u. 50,
61, 62, 89, 90, 101—104, 155, 156, 208-211, 219, 220, 239—244,
249, 250, 267—352, 360—368 u. 370- Der Text ist somit sehr mangel-
haft, da er 13 Lücken aufweist, von welchen die kleinste 6inen,
die größte 86 Verse beträgt, so daß von den 372 Versen, welche
das Gedicht in A zählt, in d 126 fehlen. Vermindert wird
letztere Zahl durch eine eigenthümliche Erscheinung,
438 FRANZ KRATOCHWIL
In dem schon erwähnten 6. Stücke von d, „Abschrift eines ver-
liebten Gedichtes, aus einem Dresdener Mspte* von einem
ungenannten Verfasser kommen nämlich, wie Goldtheilchen
in Quarz eingesprengt, einzelne Verse aus Suchenwirt's
schöner Abenteuer vor^); so Bl. 54** die Verse'):
267 Is kämet «cu hofe ein rytter' gut,
Der mit eren hat sin Blut
Gereret mit rytterlichen syt
270 Deme wichet nymanden ein tryt,
(gleich daran mit Weglassung von V. 271 u. 272)
273 Sie wenen sie sin vulkofnen gar
Ynd nemen keines Beddirmannes war
275 (nachgebildet) Do sprach fraw ere mit gedolt
278 (276 w. 277 fehlen) Sin sie abir uff dem ffelde dort
279 So rjsch alz bie den ffrawin
280 Wo man die rotten sal zcu hauwin
(nun folgen zwei fremde Verse, darauf)
288 Die ich bie £Praw6n han gesehn
(nach zwein anderen Versen und einer angedeuteten Lücke von einem
Verse)
287 Wo man der vinde solde nemen war
288 Do karten sie den rucken dar
290 Darnach man sie zcu hoffe sach
(nun kommt ein fremder Vers, dann)
291 Vnd hylt sie aU die veddriwe lute
292 Die do etczen können uff der hüte
(jetzt folgt gleich ein Sprung auf Vers)
') Ein Seitenstück yon Verwendung Snchenwiiüscher Verse in anderen Dich-
tungen liefert G. Sarrazin in „Wigamar, eine literarhistorische Untersuchung"
(Quellen und Forschungen Nr. XXXV. Straßburg 1879). Er wies nach, daß der vor-
liegende Text interpoliert sei, daß (mit Ausnahme von vieren) die Verse 4906—4944
verschiedenen Versen (awischen 166 und 222) in Suchenwirt's »chöner Äbenteuet voll-
kommen entsprechen, und nimmt au, daß der letzte Schreiber des Wigamnr die ihm
aus Suchenwirt bekannte Stelle cur Schilderung weiblicher Formenschönheit wahr-
scheinlich aus dem Gedächtnisse (da er soust die Reihenfolge der Suchenwirtischen
Verse wohl besser eingehalten hätte) eingeflickt habe. Sarrazin bezeichnet diese Verse
schon aus inneren Gründen als verdächtig; den Beweis hiefttr erbringt Ferd. Khnll
im Anzeiger f. deutsches Alt. u. deutsche Litt. , 6. Band , S. 358 — 368. In der von
Ri eh. M. W er n er in der Zeitschrift f. deutsches Alt. u. deutsche Lit., XXXIII, S. 100 ff.
abgedruckten Salzburger Fragmenten des Wigamur kommt denn auch diese Interpolation
nicht vor. — In der Schilderung weiblicher Schönheit ist Suchenwirt, auf dem von
ihm hochverehrten Konrad von Würzbarg fiißend, wirklieh sehr gewandt ; so erscheint
das Gedicht: Von guidin »tam im Liederbuche der Hätzlerin (Haltaas, 8. 219--221)
geradezu matt gegenüber der Suchenwirtischen Darstellung in der 9e?ionen Ahenieuer.
') SämmtUche Unterscheidungs- und Abkürzungszeichen stammen aus d.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 439
815 Word in sie a£P der flacht gevAngin
316 8o ist in schedelich irgangin,
(Sprung auf Vers)
319 Mit Bchandin haldin si den lip
320 Sie mochten libir sin die wip
(Sprung auf Vers)
323 Do sprach firaw ere mit gedult
Ich gebe iczlichir frauwen solt
325 Vnd melde (!) welche franwe da^ irfure
Da^ ir bule sin ere vorlore
Die solde den icagin hassin
Vnd US irem herczin laßin
Bl. 55* Vnd mit ihm redin nyffier wort
330 Vnd sencket in ires herczin hört
Einen werdin beddirman
Der falscher zcagheit ny gewan
Wo die fforsten vnd die franwin
334 Sich also lißen schauwin
(Sprung auf)
341 So dinte In beide dorch guten mut
Vnd lißen den lip vnd dar. gut
In frauwen dinste al uff die wage
344 Y ba^ y ba?*) zcu tage zcu tage
339 Ein herr mit gäbe ein frauwe mit gnnst
340 Die zcwei die rürten ritters kunst
Dies sind zusammen 38 Verse, sie fehlen im 3. Stücke
von d, so daß in der elften Lücke (V. 267 — 352) nur mehr
48 Verse fehlen und im ganzen Gedicht 88 Verse.
Die immer noch bedeutenden Lücken beeinträchtigen natürlich
den Werth dieser Recensiou; sie stehen mit den sprachlichen
Verhältnissen der Vorlage von d im engsten Zusammenhange. —
A. Lübben, welcher zu seiner Ausgabe des Zeno (Bremen 1869) auch
M 42 (das Gedicht von der Überbringung der Körper der h. drei Könige
= 1. Stück in d) benutzt hat, zählt in der Einleitung seines Baches
die Handschrift 42 nicht zu den niederdeutschen; er sagt, sie sei in
einem Miscbdialecte geschrieben. — Dasselbe gilt auch von der schönen
Ahmteuer \ die Sprache dieses Gedichtes ist ein Mischdialect, da der
Vocalismus mehr dem niederdeutschen ähnlich ist, während der Con-
spnantismus dem Süddeutschlands näher steht, kurz es ist die mittel-
deutsche Sprache, wie sie im 15. Jahrhunderte in den öst-
lichen Gegenden Mitteldeutschlands gesprochen wurde.
') Es steht: F ha») y 6m), vielleicht soll damit der Wegfall des einen y ha%
angedeutet werden.
440 FBANZ KRATOCHWIL
So steht vereinzelt a in d = hochd. d: 141 sal, 328 ab, desgL
für hochd. e: 288 karten sie] allgemein e = hochd. cb (171 mere) und
(besonders vor dy tj U^ m^ r^ s) ^ hochd. i: 40 gesnetin^ 124 ge-
sedeü^ 140 cle^r, 135 czemit^ vereinzelt fttr hochd. ä (207 wereUf 224
ehinturSf desgl. 159 u. 253) und hochd. ö (45 gewerchi^ aber 176 ^e-
tooreft^). In allen Conjugations- , Flexions- und Ableitungssilben ist e
durch t verdrängt (stets kegin), desgl. in den meisten Präfixen; immer
i = hochd. et (i) und ie (69 ging)\ im letzteren Falle steht in d
häufig y-j sehr oft o ^ hochd. ü (70 tagentlich^ 80 arkunde, immer
dorch) , allgemein = hochd. cß, vereinzelt = hochd. ou, au (66 knoff) ;
immer u = hochd. au (180 truren) , hochd. eu, ew (9 nuwe, 63 dutze
[Ä det^^JcAe]), hochd. üe {l grutien walt und hochd. wo, we (47 «^tin/,
immer zcw); fast immer ei = hochd. ai {11 beißen), häufig ie ^ hochd. t
= ei (79 bie) , stets ou für hochd. au (203 ouginy inmier ouch). Ab-
neigung gegen Umlaut ist erkennbar. — In Bezug auf die Con-
sonanten zeigt sich allgemein d fbr hochd. t im Auslaut (225 ich
sandf 264 thud^ 355 had) und öfter Verdoppelung des d im Inlaut
(274 Beddirmannes und 331), aber kein wat, dat, dit für wa^, da!^ und
di^] p = hochd. ph (39 placke)] öfter ^ für hochd. A (67 eag ichj
128 trogsesse, 143 in ^Oj/m werdin) und für A:^ c& (94 mar^ [medulla],
135 smag (acc.) : «o riehen behag^)^ 160 «üe zcoug = hochd. zdcA);
h wird abgeworfen in Aer vor ludper 237. Vgl. Wein hold, Mhd. Gr.,
2. Ausgabe, 1883, und zwar §. 30 u. 67, 101, 46 u. 56, 93, 67, 81,
108, 103 u. 134, 63, 116, 112, 108, 122 u. 132, 144, 140, 107, 124,
127, 27; 171, 190, 188, 152 u. 221, 226, endUch 243.
Aber noch in einem anderen Sinne ist die Sprache
der schönen Abenteuer ein Mischdialect. Lttbben fragte sich,
ob der Zeno ursprünglich in hoch- oder niederdeutscher Sprache ab-
gefaßt worden sei. Eingehendes Studium der ihm vorliegenden Hand-
schriften brachte ihn dahin, der niederdeutschen Aufzeichnung, trotz
mancher für die Priorität der hochdeutschen Fassung sprechenden
Umstände, den Vorzug zu geben, und zwar mit Recht. Anders bei
der schönen Abenteuer; hier war die Vorlage von M 42
gewiß nicht nieder-, sondern oberdeutsch. Abgesehen davon,
daß Suchenwirt in der österreichischen Sprache schrieb und uns
keine nieder- oder mitteldeutsche Recension seiner schönen Abenteuer
bekannt ist, sprechen für den hochdeutschen Charakter der
') Abo hehae stm.; im Mhd. Wöiierbnch und bei Lexer war bisher nur hehag€
stf. belegt und in Lezers Naohträgen be?iae als Adjectiv.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 441
Vorlage nicht wenige im Innern der Verse stehen ge-
bliebene Stellen derselben, welche mit dem mittel- oder
niederdentschen Lautsystem durchaus nicht harmonieren,
80 26 blumelein, 34 u. 42 grüne, 91 frauwe, ebenso 105^ 115; 117 und
immer, 126 zeü, 137 vraüwete, 159 dnnteure (224 aber ebinture)^ 174
hauhtlin, 196 die weiße.
Auch in den Reimen begegnet derlei: 9 behauwin : auwe, 107
zceit : nyt (A neu), 147 mit neyge (mitteld. Infinitiv ohne n)^): ewigin
(A neigen : eweigen). 188 lang blanek. Deutlich sieht man, da4
zwischen der Sprache der Vorlage von M 42 und des
Schreibers ein bedeutender Unterschied war, der leicht zu
ungenauen Reimen führte, so b9 ir hebin ^) ibuchstabin, lld ge-
touUin^) : gedroUen, 231 mit botsehaßen^) : in hrefftin. Die Vorliebe der
mitteldeutschen Sprache fUr volle Formen (vgl. Weinhold a. a. O.
§. 80) erklärt 93 iren : gehyme ( A iem : hiem) , sie fbhrte sogar su
Fehlerhaftem, wie 97 zu der stunte (A stunt) : do danckte mir ir roter
munde (Weinhold a. a. O. §. 85). Umgekehrt ist auch die Neigung
zu Reimen, wie 165 gesehn :jen {A jehen) aus dem Charakter des
Mitteldeutschen sehr begreiflich^). — Andere Unebenheiten mögen
durch bloße Nachlässigkeit des älteren (von M 42) oder jüngeren
Schreibers (von d) sich eingeschlichen haben, so 83 reiger : sunder
toegir (A toaiger); 197 gemenget : dri/nget^ 199 teil: ane mall, 215 ir-
czetterlen : u>eUem* Vielleicht gehört hieher auch die 163 und 175 vor-
kommende Assonanz gut (A ehkig) : trug.
Manche Stellen seiner Vorlage verstand der ältere Schreiber
gar nicht, oder es war ihm unmöglich, sie in seiner heimatlichen
Sprache genau wiederzugeben, so die Ausdrücke getzindelt (V. 15),
gechriepet, geehrindelt (V. 16) und überhaupt die nächsten Verse.
Er schrieb also statt des Reimes getzindelt in V. 15 den Reim von
dem V. 19 in blumen, ließ die Verse 16— 19 weg, so daß auf blumen
reimt grünen. Ahnlich kann man sich den Ausfall der meisten Verse
erklären ; so der Verse 155 und 156 u. s. w. Daß das Fehlen
dieser und anderer Verse nicht auf Zufall beruht, sieht
man schon daraus, daß die Reimordnung nirgends unter-
brochen ist^}. Daß der Schreiber von M 42 (und diesem folgt
*) Vgl. Weinhold a. a, O. §. 372. ^) Umstellangen vod Versen
') Vgl. Weinhold a. a. O. §. 30. treffen wir in d allerdings an, so steht
») Vgl. Weinhold a. a. O. §. 63. V. 88 vor 87, 100 Tor 99, 140 vor 139 und
*) Vgl. Weinhold a. a. O. §. 27. 246 vor 246.
') Vgl. Weinhold a. a. 0. §.62.
442 FRANZ KRATOCHWIL
ja d) eine ihm schwer verständliche, also oberdeutsche Vorlage hatte,
erhellt aas den Versen 53 nnd 54, wo er statt gilbet : gAilbH schreibt
gidpet : gMUUt, besonders aber ans den Versen 166 — 168. Er schreibt:
Ir fufidin {Main fehlt) hoge rt/He hoU
Ein wenig (A tteieel eich) vorbargen wol
Herte (A hiet) vndir iren ryeten.
In A heißt es 174, es sei ir hufei zart gedroOen^ d aber schreibt
hoMAtUnl V. 194 lautet in d: Ir munddin hinee (A feuere) flamen
flocket. — Die Verse 235 u. 236 verarsachten ihm viele Mühe; in
236 war dem nach bairisch-Osterreichischer Art verkflrzten Reimworte
leicht die volle Form zu geben: einen eamen, aber wie paüte es dann
auf den Nominativ echam? Der Schreiber änderte also:
Den foreten zeemit tool trwe fmd zeame
Nu hat gewoff/in einen eamen!
So verursachten mangelhaftes Verständniß der Vorlage, die Schwierig-
keit der Wiedergabe derselben in der heimatlichen Mundart selbst
sinnlose Stellen; besonders vom Auftreten der Abenteuer an (V. 150 iL)
häufen sich Textverderbnisse^} und Störungen des syntak-
tischen Zusammenhanges*). Möglich ist, daß die Vorlage selbst,
wenigstens stellenweise, schon einen corrupten Text bot.
Da ist es nun nicht zu wundem, daß unter solchen Verhältnissen
auch der metrische Bau der Verse mitunter erheblich litt. Dazu
trägt nicht wenig der ausgedehnte Gebraach der vollen Deminutiv-
endungen bei, so 160, 172, 184 u. o.; statt der bairisch-österreichischen
Formen hendd^ pruetd u« s. w. erscheinen die ungekürzten hendeltnj
bruetdin^ heledinj neckelin u. s. w. Sträubt sich der Vers dagegen, so
unterläßt d die Verkleinerung lieber ganz, z. B. 183 dime : Mm«.
Der Eiüfthrung der ungekürzten Formen^ in der Flexion
AU kegkk dex außen Umwet thor (A trar)
Kegin tat nch tu lißen,
die renuämme (A rtfntiMiiQ, 66: manch lusi (A leiHen),
Nach luH und nach ebuttinea (r) »etm (A atventewr)^
Eine June firawe rut ir wiße hont (A mit),
Ir houbt toa^ manch edU geHeine (A harpant),
Der Quff rede vnd auch nn lou/f
Sulchein kommet bie den hem uff,
*) Ich fahre nur den Schloß an:
Der rede eine bluende kämt »eu HiSre
Genant schone Mnture.
') Im V. 149 begegnet sogar der Acc. njfmande (Ich horU nymande)^ ent-
sprechend dem Acc. iemoßnde : lande, Jerotehm 19208; Y. 161 Werne entpha^ ir Ut
wohl Schreibfehler? A bat wm.
")
V. 24
u. 26:
43:
78:
116:
218:
247 1
a. 248:
ÜBER DEN GEGENWiRTXGEN STAND DEK SÜCHENWIRT-HSS. 443
und Conjugation statt der oberdeutschen, die durch Synkope
oder Apokope nicht selten ganz auffällig zusammengeschrumpft sind,
ist es besonders zuzuschreiben, daß in d nur wenige Verse sich findeQ,
die nicht an überschüssigen Senkungen leiden. Hätten wir
gar. keinen anderen Anhaltspunkt für den oberdeutschen
Charakter der Vorlage von M 42, eine aufmerksame Beob-
achtung der oben berührten metrischen Erscheinungen
müßte uns daraufführen, daß ein schon ursprünglich in
mittel- oder niederdeutscher Sprache abgefaßtes Gedicht
nicht zur Nachschrift gedient haben könne. Da hätten wir
diese Überfülle von Senkungen nicht. Diese aber fUhrt^ vielfach zu
Versen mit vier Hebungen und klingendem Schluß und zwar ge-
bunden auf solche mit vier und drei Hebungen. Beispiele der ersten
Art sind:
161 Daz was von vynem golde reine
Varinne lag ein ^dd ateyne^
femer die Verse 95, 96, 169, 170, 177, 178, 193, 194, 217, 218, 223,
224, 235, 236, 253, 254. Hingegen reimt der Vers
74 Der knabe wa^ antwort nickt zcu terege^)
auf einen Vers von drei Hebungen mit klingendem Schlüsse, ebenso
26, 106, 112, 216, 358 u. s. w. Selbst zu überlangen Versen führt
dies, so
114 Wo man sihet, do mane gerne tkut
154 Ingastis vnse vor der taffein stan
200 Ir neaelin was ane allia maU,
Daß durch diese überschüssigen Senkungen sowie durch Einsetzung
unnöthiger Wörtqhen auch der Rhythmus leidet, beweisen Verse, wie
93 Iczliche die esete den tren
253 Berichte mich Juncfraw ebintwre
ferner 113, 119 u, a. — Weitaus seltener finden sich Verse, die durch
Weglassung von Wörtern verstümmelt sind, wie
122 WH/pret vnd ffuche
oder 175, 176, 212, 230; Verse von drei Hebungen mit stum-
pf e|m Schlüsse begegnen nur sporadisch, so
41 Manch strich geumndin was
129 Ffraw zeucht was sie genannt.
Vereinzelt kommt es vor, daß in d die Senkung ausfilUt, während sie
in A steht, meistens geschieht dies durch rnrnich, wofür A manik hat.
*) Vgl, Weinhold a. a. O. §. 86.
444 FRANZ KRATOCHWIL
Daß die so beschaffene Fassung dieses Gedichtes in M 42 unter
den Händen des Schreibers von d mindestens nicht gewonnen hat,
ist selbstverständlich, auch wenn man des frQher dargelegten Ver-
hältnisses zwischen Suchenwirt's Gedicht von fänf Fürsten in d zum
Original in der Qothaer Handschrift B 271 nicht gedächte. Fttr die
Herstellung eines guten Textes hat somit die Recension
der schönen Abenteuer in d nur einen sehr untergeordneten
Werth, sie ist aber insoferne von Bedeutung, als sie unter
allen bisher bekannt gewordenen Suchenwirt-Handschriften die ein-
zige ist, welche ein Gedicht Suchenwirt's in mittel-
deatscher Einkleidung uns überliefert.
Xffl. m»t-
Nicht günstiger steht es mit Suchenwirt's schöner
Abenteuer in m^ Diese in der Münchner Hof- und Staatsbibliothek
befindliche Papierhandschrift mit der Nummer 487 H) umfaßt 146 Seiten
in Quart und enthält nur zwei Stücke: eine im Jahre 1461 für Ort elf
vonTrenbach durch dessen Gerichtsschreiber Johann Fritz von
P a s s a u gefertigte Abschrift des Lohengrin*) und darnach (S. 137
bis 146) von späterer Hand die schöne Abenteuer.
Die Trenbach fahrten ursprünglich den Namen Wackher und
waren in Ungarn ansäßig. Von dort zogen um 900 vier Brüder dieses
Geschlechtes nach Baiem, einer derselben , Azelius^ nannte sich und
seine Familie von dem in der neuen Heimat angekauften Schlosse
Trenbach (in Niederbaiem, Bezirksamt Eggenfelden; ehemals zum
Landshut' sehen Pfleggerichte Dingelfing gehörig'). Zu diesem Zweige
gehörte der genannte Ortolf. Er ist wohl derselbe , der sich in der
Handschrift des Lucidarius der Wiener Hofbibliothek (Nr. 2808)
als Ortolf Trenbekch der Elter — zum Unterschiede von seinem
gleichnamigen Sohne — unterschreibt und mittheilt, daß er die Hand-
schrift 1459 mit eigener Hand geschrieben habe (vgl. Hoffmann von
Fallersleben a. a« O. Nr. CXXl). — Der in der schönen Abenteuer
anstatt Suchenwirt's genannte Hans vonTrenbach (V« 131)
kann Ortolfs des Alteren Neffe oder — was mich weit wahrscheinlicher
') ^ifl* 8chmeller*s Katalog der deutschen Handachriften, 8. Theil, 8. 493.
') H. Bücke rt hat diese Handschrift in seiner Ausgabe des Lohengrin (Quedlin-
burg 1868) nicht berücksichtigt.
^ Vgl. Vollstfindiges Ortschaften-Yerseichniß des Königreichs
Baiern. München 1877, und J. M. Einsinger Ton Einzing, Baierisohe Adels-
historie, 2. Band (1768), S, 668.
OBEB den GEGENWlBTIGEN STAND DES SUGHENWIBT-HSS. 445
dünkt — sein Enkel sein, welcher (nach BucelinaS| Sacri rom&ni
imperii principum; comitum etc. stemata et probationes, MDCLXXU;
pag. 190) als Domprobst von Passau löö2 gestorben ist. DieNieder^
Schrift der schönen Abenteuer wird demnach in die erste
Hälfte des 16. Jahrhunderts zu setzen sein.
Nicht lange darnach dürfte die Handschrift nach Oberösterreich
in die Bücherei des Hauses Fernberg gekommen sein, denn auf der
ersten Seite von m^ steht oben: tl 1588 Hanü Ferenberg zu
Egenberg. Es ist dies wohl Johann Christoph Femberg; der sich
am 12. Juni 1Ö88 vermählte^ aber kinderlos starb (vgl. S. 316,
1. Anm.), ein Enkel jenes Johann Fernberg, der 1531 Schloß und
Herrschaft Egenberg erworben hat. — Darunter aber steht seitwärts :
Enenkel vidit. Bezieht sich diese Bemerkung auf das Jahr 1588|
dann dürfte sie nur schwer auf Job Hartmann Enenkel zu deuten
sein, da dieser 1676 geboren ward, wohl auch nicht auf seinen um
drei Jahre älteren Bruder Georg Achaz, den Hoheneck a. a. O. S. 151
„einen sehr gelehrten Herm^ nennt. Mit mehr Wahrscheinlichkeit
könnte man an deren Vater Freiherrn Albrecht Enenkel denken, wel-
cher 1647 geboren wurde, viele Reisen gemacht und fremde Länder
gesehen hat. Da aber gar kein zwingender Grund vorliegt, diese
Notiz in das Jahr 1588 zu verlegen, ist man nach Allem, was bei B
und C über Job Hartmann gesagt wurde, wohl berechtigt, diese Be-
merkung auf ihn zu beziehen. — Wie die Handschrift nach Baiern
zurückkam, ist unbekannt, auch nicht aus dem Äuüeren zu ent-
nehmen, da der alte Einband durch einen modernen ersetzt ward,
wobei die Überschrift des Suchenwirtischen Gedichtes weggeschnitten
ward, so daß nur die Worte übrig blieben: hat Düe Bed gemachtt
D|ie sprachlichenVerhältnisse inm^ weisen nachBaiern
und widersprechen der Annahme, die schotte Abenteuer sei in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts aufgezeichnet worden, nicht. Flexion und
Conjugation verrathen die jüngere Zeit (vereinzelt begegnet 259 der
Nomin. fem. sing, andrew), nicht nur in «c, auch in den Verbindungen
sl, «tu, m, 8w ist die breite Trübung fast vollständig durchgedrungen
(Weinhold, Bair. Gr. §. 154): 22 echwüngeU u. s. w., aber 323 sprach
u. ö«, 206 gestrichen. Adjective und Adverbien endigen nur auf -lieh,
statt 4 und -el wendet der Schreiber zur Verkleinerung -lein an:
167 fuesslein u* s. w«, einigemal auch -2en: 172 härmlen, 265 händlen
und 266 frewlen (a. a. 0. §• 244) ; 293 bgegnet bereits hirsch. —
Im Übrigen findet sich nebeneinander da und do, die und di, fast
durchaus zu, immer durch (A durich), gein (A gm) und nitt (A nicht,
OKRIUNU. Neue Beute XZII. (XXXIT.) Jahrg. ^
446 FRANZ KRATOCHWIL
Vgl. IL a. 0. §. 11); über 14B nembt vgl. S. 328. -- Apokope und
Synkope erscheinen in nahezu onbeschränkier Freiheit, und daraus
erklären sieh einerseits die sehr häufigen Störungen durch Mangel
der Senkung (V. 34, 179, 207, 211, 312 u. s. w.), besonders vor der
letzten Hebung (V. 29, 33, 34, 46, 63 u. s. w.) , anderseits das Vor-
kommen vieler Verse mit stumpfem Schluß und drein Hebungen
(V. 39, 40, 65, 66, 121, 275 u. s. w.)-
Für die Aufzeichnung des Gedichtes in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts sprechen auch die Schriftzüge. Dieselben sind
lateinisch (nicht cursiv), aber sehr undeutlich und schleuderhaft^).
Dadurch werden auch die Schreibfehler (280 durehsehateen^ A durich-
hawm)f die selbst in den Reimen zu finden sind ^20 aus jun [: blumen])^
leieht begreiflich, desgleichen der Ausfall vieler einzelnen Wörtchen:
38 atLch und das Reim wort vebi, 41 pewunden^ 59 veiUy 96 te, 175 do,
176 auchy 254 die, 257 ee, 301 und und maehm u. s. w. Überall
zeigt sich Mangel an Sorgfalt, dafür aber dasWalten der
Schreib er Willkür. Manche Verse sind so stark geändert, daß sie
den entsprechenden in A kaum mehr ähnlich sehen; so lautet V. 33:
Der Bitterlich heczeagt was,
die Verse 206—211:
Ir augpra schon gestrichen
Vnd warn darnach prawn gevar
Als obs mit einem pemsel dar
Dar czu hak dy mögt rain
Zweig crlein geschmückt und Jdain
Noch wünsch wol gewachst dar,
V» 353 Sag an viel lieber Trenbeckk,
ähnlich 59, 121, 199, 240, 311, 312, 318. —Ja, es sind ganz neue
Verse für solche in A eingesetzt; so für
V. 32 Als ob ein kayser lag sau veld
Y. 294 Vnd bei ritter spü verceagt
V. 302 By das in kain ßirst meü
V. 314 stirbt er sunst des toirt wol weü
V. 354 an adel vest an eren kechk-^
die Verse 131 u. 132 in A gibt m' durch folgende drei Verse:
Viel lieber hanns }>on Trenbach
der nie von /raupen vbeü sprach
Bett sy zu mir zu hanJt.
*) Die Verse sind abgesetzt, die Anfangsbuchstaben der Verse bald groß,
bald klein.
ÜBER DEN GEGENWiBTIGBN STAND DEB fiUCHENWIRT-HSS. 447
Nach Vera 314 von A indtt sich in vi* folgender Zusatz:
Wirt er an der ßucht wuntt
er iU üu Jdagfi als ein hundt\
als Gegenitttok daso fehlen in na' die Verse 183—186, und 221 u.
222 ohne jede äußere Unterbrechung. £b sind, abgesehen von Apo-
kopen und Synkopen oder Auflösungen von solchen, kaum 20 Verse
zu finden, in denen nicht geringere oder größere, oft sehr bedeutende
Änderungen vorkommen. Viele derselben sind schlecht, viele zwar
nicht, aber ganz willkürlich, nur wenige bieten wirklich Bease-
ruag (4S gewolkenirt, 99 fragten, Xö^fratven, 161 v^inem, 2S9 etleichen).
Aber nicht sämmiliiche Änderungen kommen auf Rechnung der
Schleuderhaftigkeit und Willkflr des Schreibers^ viele fanden sich
gewiß in seiner Vorlage* Diese war nicht A, das ergibt sich aus
einer Vergleichung von m* mit d, welche in folgenden Stellen,
übereinstinunen : 8 zu ainem (eyme) , 66 m^ knöpf, d knoff, 67 m^ $ach^
d sag, m^d 10 tuio)gentlich, 87 dm, 88 als noch, 96 ie fehlt, 100 m^
recht als ob, d reckt ab, m'd 107 wol, 111 toenn^ 114 mans, 119 ich,
142 do, 144 man fehlt, 148 lenge{t)r, 161 vei(y)nem, 165 nyevnantf 175
do fehlt, 176 auch fehlt, 181 nassen, 245 nemen, 258 mer wenn^ 274
pidermans {Bsddirmannes) , 323 do sprach, 328 irem, 372 ist fehlt« —
d kann nicht von m^ abgeschrieben worden sein, weil die Vorlage
von d, die Dresdner Handschrift M 42, schon 1433 oder doch 1439
fertig wurde, m^ aber erst nach 1461. m^ kann aber auch nicht
aus M 42 geflossen sein, denn läßt man auch die Verschiedenheit
des Dialectes unberücksichtigt, so sprechen doch dagegen vor Allem
die zahlreichen Lücken in M 42, während in m' nur sechs .Verse
fehlen. Aber aus derselben Quelle stammen M 42 (d) und m^,
and diese — derzeit unbekannt — war, wie schon S. 440 — 443 dar-
gethan wurde, eine oberdeutsche.
XIV. m*t-
Aus dieser Quelle schöpfte auch m^ Die in der Münch-
ner Hof- und Staatsbibliothek unter der Nummer 270 aufbewahrte
Papierhandschrift ^} hat Holzdeckel, die mit gepreßtem schwarzen Leder
überzogen sind , doch ist der Überzug auf jedem Deckel zur Hälfte
weggeschnitten; die Schließen fehlen. Auf 388 Blättern in Folio ent-
hält sie Sprüche, Abenteuer und Mären, darunter von Teichner und
drei Gedichte Suchenwirt's, rückwärts wieder Dichtungen Teich-
^) Vgl J. A. achmeller*» Katalogp der deutschen Handschriften, 1. TbeU, S. 81—87.
30*
448 FRANZ KBATOCHWIL
ner's und „Freidank's Sprüche'^. Die Verse sind abgesetzt und be-
ginnen meistens mit großen rothdurchstrichenen ^Buchstaben; jede
Seite enthält durchschnittlich 31 Verse in einer Columne. Die Schrift
ist außerordentlich deutlich und noch der in A ziemlich ähnlich, ob-
wohl m^ um mehr als ein halbes Jahrhundert jünger ist. Die Hand-
schrift stammt, wie auf der letzten Seite bemerkt ist, aus dem
Jahre 1464 und war zufolge der Eintragung auf der ersten Seite:
Sum B. V. Mariae in Bottenbtteeh Eigenthum eines Klosters im schwäbi-
schen Sprachgebiet^).
Dahin fahrt nämlich die Sprache, die unverkennbare Zeichen
des schwäbischen Dialectes aufweist Das letzte (f. 124^—130^}
der drei Gedichte Suchen wirt's hat die Überschrift: Die sehdn Anbenteür
(roth)*). Wie im Titel begegnet auch sonst au fdr ä: 236 haut u. b. w.
(vgl. Weinhold, Alemann. Gramm. §. 96), zuweilen äu: 71 Jräugt,
ebenso 99 (a. a. O. §. 97). Adjeotive und Adverbien zeigen nur das
Suffix 'Uch'y in 4in^ und py wurde t bewahrt, sonst aber ist dessen
Diphthongisierung fast allgemein: 38 u. 59 /ein, 66 ruietn, 191 metn,
236 sein^ 265 weissen j 270 weicht y 299 veinden^ 342 2et6, 194 sogar
rnündlein (a. a. O. §. 90 u. 99) ; ie für ile: 170 geschnieH (a. a. O. §. 102),
oe für üe: 34 grön and so immer (a. a. O. §. 92); u für iu (eu) ver-
einzelt: 33 erzugt^ 357 creatur: stur, ebenso tu für eu: 251 u. 252 ge-
hiwr, hingegen häufig eui 213 treubd, 259 newe, 260 newes, 344 u. ö.
euch (a. a. O. §. 100 u. 103); ü hat sich nur selten erhalten: 60 durch-
luckt, gewöhnlich steht au für ü und au: 67 oti/u. s. v^., immer fraw,
210 haupt, 260 lauf (a. a. O. §, 93 u. 96). In 183 dierelipirel (A
dirnl : piml) zeigt sich Abstoßung von auslautendem n (a. a. O. §. 202) ;
sehr häufig ist s diphthongisiert in den Verbindungen sl, sm, «n, aber
27 enispriessen , 105 sprach , desgleichen 112, 275 u. s. w., 27 u. 368
stund (subst.), 55, 57 stund (verb.), 262 stock, 188 swanck, aber 191
schwär (a. a. O. §. 190); gg = kk: 288 ruggen (a. a. O. §.209). Be-
*) Ich denke hier nicht so sehr an Baitenbnch im bairischen Begienmgs-
bezirke Schwaben (Bezirksamt Zosmarshausen) , als vielmehr an Bottenbnch im
Regierungsbezirke Oberbaiern (Bezirksamt Schongau), wo seit dem 11. Jahrhunderte
ein Angastiner-Convent bestand, einst auch ein Nonnenkloster und Hospital (vgl.
UniTersallezikon aller Wissenschaften nnd Kflnste, 30. Band (1 741), 8. 712, imd Ein-
zinger a. a. O. 2. Band, S. 467). Daß Rottenbach im Volksmnnde auch Raitenbnech
heißt, ist nebensächlich, da a, verdampft zn o, für ai (ei) nicht nar im Alemannischen,
sondern auch im Schwäbischen vorkommt (Weinhold, Alemann. Gramm, f. 34, 44,
87 and 94).
*) In der Folge als Nr. 3 oitiert
•) Die Verkleinenmg unterbleibt sehr häufig, so 186, 187, 198, 200 u. s. w.
Obeb den gegenwärtigen stand DEB SUCHENWIRTHSS. 449
merken will ich noch die nasalierte Form der 2. Person im Plural
des Präsens ind.: 151 ewpfacheni u. s. w., das Präsens 101 ich gen
und die nasalierten Präterita gieng und meng (a. a« O. §. 342 u. 336),
die Deminutive im Plural : 38 perlach (A perlein) und 210 armlach
(a. a. 0. §* 263), die Nominative sing« fem.: 325 welchu (entsprechend
dem disu, a. a. 0. §. 420) Und 127 edlu n. s. w. (a. a. O. §. 423), den
Accus, neutr. plur. 216 meinu und den Accus, fem. sing. 102 diasu
(a. a. O. §. 424, letzterer ein Seitensttlck zu w Nr. 2, 141 warew,
213 liebew u. s. w., vgl. S. 331). — Sonst findet sich nur dv/rch (A
durich) und die, fast ausschließlich zu, unterschiedslos da und do^
neben menig auch manigm — Apokopen und Synkopen treten noch
ungezügelter auf als in m^, daher der störende Mangel so vieler Sen-
kungen (5, 54, 63, 68, 172, 174, 187, 193, 195, 240, 262, 319, 331,
341 u. 8. w.), zumal vor der letzten Hebung (1, 29, 34, 86, 119, 185,
236, 265, 369 u. s. w.), daher nicht selten Verse mit drein Hebungen
und stumpfem Schlüsse (21 u. 22 [Umbildungen von 19 u. 20 in A],
47, 121, 180, 198, 231, 232, 261, 262 u. s. w.).
Von den letzteren Erscheinungen beruhen viele auf sprachlichem
Grunde; nicht wenige aber sind auf die Schleuderhaftigkeit und
Willkür des Schreibers, der in diesen ungünstigen Eigenschaften
noch den von m^ überbietet, zurückzuführen: daher die häufigen
Schreibfehler (10 da für der, 86 pald [A bayde] u. s. w.) und oftmaligen
Störungen des Rhythmus durch fehlende Wörter: 63 zu, 73 al, 74 ze,
78 nach, 154 vor, 202 u. 352 gar, 257 ee, 268 hat, 272 nu, -- Die
Verse 15 — 20 von A sind in m^ fast bis zur Unkenntlichkeit ver-
ändert. Statt A 44 hat m*:
Waren von guldin porten
statt A 68 hat m^: Dem ieh gar recht ehost trüg
I) ^ 136 7? n : Min herz noch nie so reich hehak (Unsinn!)
» » 167 » n : Ir ciain füß por(c) ist hol
71 n 168 » » : Aain tail sich verporgen wol
n 7i 169 7i n : hett tmder im rist (UnsinnI)
71 7) 210 77 n : zwai armlach nnd ain haupt ciain
I) 77 260 77 7) : Die ist newes laufs erkUr (Unsinn!).
Ähnlich 54^-61, 121, 170, 211, 213, 243, 299, 321, 333 (dadurch die
ganze Stelle sinnlos), 337^ 338. Die beiden Schlußverse lauten:
Die red Die plündent gunst stilr
Oenad ist Die schon auhentur.
Die Verse 67, 188, 306 und 344 in A werden durch folgende neue
Verse ersetat:
450 FRANZ KRATOCHWIL
Dts ich auf den zdt d&g
Ir zapf warent von manigem swanck
Nach prisz und nicht verzagen
für war ich euch das tiag.
Aus den Versen 261— 25S in A macht m* die »wei Verse:
Da sprach fraw lieb die gehiwr
Beschait mich fra/u) auheniwr;
die Verse 254 u. 255 in A verschmelzen in m* zu dem monströisen
Versö:
wie l^ent die da sitzent in der liehe glüt.
Durch diese willkürliche Behandlung des Textes wird auch der
Beim getrübt; so steht 45 hand : umbehank, 190 liebin für minne *). —
Auf 194 folgen die Verse 197, 198, 195, 196 m. 199, von da an in
der Ordnung von A weiter. Nach V. 270 folgen 273, 274, 271, 272,
dann 275, 276 u. s. w.; an V. 360 reihen sich 362, 361, 363 u. s. f. —
Von den Versen in A fehlen hier in acht Lücken folgende 20 Verse :
21—26, 49, 50, 103, 104, 156, 156, 161, 162, 303, 304, 335, 336,
345 u. 346.
„Es war das Schicksal der deutschen Dichter aus dieser Zeit,
daß sich die Abschreiber mit ihnen mehr als mit anderen Schriften
erlaubten. Jeder schaltete ein und änderte, wie es ihm gütdünkte oder
aus der Feder fiel. Es würde eine unendliche Arbeit fhr die Kritik sein,
die wahre Lesart des Verfassers wiederherzustellen, und oft wüßte ich
gar nicht, wie sie es anfangen wollte, wenn sie nicht das Autographon
des Verfassers bei der Hand hätte." Diese Worte Lessing's*) gelten
nicht nur von Boner's Edelstein, sondern auch von ml Aber die
Kritik verzagt nicht, selbst wenn nicht das Autograph zur Verfügung
steht, wie in unserem Fall. Wir haben ja A — ein Vergleich
mit d, m', m* zeigt erst ihren großen Werth; die drei letzt-
genannten aber, so gering ihre Bedeutung ist, sind selbst wieder nicht
gleich werthig. d gebührt trotz der vielen Lücken der Vorrang
vor m', m* aber steht zu unterst. und trotzdem liefert
auch m* einige gute Lesarten, wie 33 gar, 112 sprachen, 123
gechülef, 170 geschniert und mehrere, welche auch m* hat.
Überhaupt herrcht zwischen diesen beiden Recen-
sionen trotz vieler Verschiedenheiten doch eine gewisse Übe r-
^) In dem vorausgehenden Gedichte Suchenwirt's in dieser Handschrift wurde
V. 180 ff. der Baum für das Wort mirme leergelassen und nachträglich von anderer
Hand mit liebin ausgefüllt.
') Ausgabe Lachmann^s, Band 10, S. 336.
Ober den GEGENWÄRTiaicN stand der SUCHENWIRT-HSS. 451
einatimmang, wie aus folg^sden Stellen erfaellt: 29 der
42 ai$ (A alaam)f 47 $aimmat (samai), 52 kiMr^ 66 knöpf , 70 iugendichy
74 s^fehlty 84 i>^ cmder ainen (m^ am) waiger (Unsinn!), 96 ie feblt^
111 tomUf 114 mont (m^man^«), 121: Vnd satzte (mtzmt) sieh zu tische
144 iaan fehlt ^ 148 lenger^ 153 frawen^ 165 »i^emant, 175 <io fehlt,
229 vordem {vodenC) haken ^ 239 0^26tj(i)^^, 242 andern bu{o)11 lan^
245 nmien, 257 ee fehlt, 290 bei frawen, 291 pider ^ 310 »cAant Ä^otn
19^^ 315^€tM(n^6fi, 316 sehä(a)ntli^ ergangen^ 317 ab, 323 do{a) epraeh,
347 «tieft, 368 schied. — Diese Übereinstimmang wird nicht dadurch
erklärt, daß man m^ als Vorlage von m' annimmt, denn in m^ fehlen
ja^ von allem Anderen abgesehen, 20 Verse, die in m^ vorhanden sind.
Es kann auch nicht w^ von m^ abgenommen worden sein, weil letetere
Handschrift erst im 16. Jahrhundert abgefaßt wurde, m^ aber schon
1464. Und wttre aitch nicht diese Zeitdifferenz, so ließe sich doch
nieht absehen, wie der Schreiber von m^ an den Stellen, wo m* an-^
statt Suchenwirt's den Trenbach einflocht, den richtigen Text hätte
herstellen können. Es bleibt somit nur die Annahme einer
gemeinsamen Quelle übrig, aus welcher auch d (M 42)
geflossen ist*) (vgl. S. 447).
Pol. 107^ boginat unter der Überschrift : Ain ander sprach (roth)
/Stichenmrt's Widertaü und endet fol. 114''^), fol. 68*^ fängt Ain ander
^ast guter Spruch (roth) an und reicht bis fol. 71'. Es ist jenes Qer
dicht, welches P in seiner Ausgabe unter Nr. XL VI als Erieg der
Liebe und Schöne anführt^), es wird bei späterer Gelegenheit seine
Beeprechnng finden* — Was über Nr. 3 in m^ vom sprachlich metri-
schen Standpunkte gesagt wurde, gilt im Allgemeinen auch von Nr. 2;
ich m^ke hier nur noch ajx ä r= ou ^^ au (Weinhold, Alem. Gr.
§. 87) : 31Ö den sam, w für anlautendes v (a. a. O. §. 160, S. 125,
1. Anm«): 32 warb^ 132 wart^ endlich Abfall von auslautendem d
sammt Schlu&vocal (a. a. O« §. 183): 241 pal. Auch den Eindruck
der Flüchtigkeit macht Nr. 2, doch im minderen Grade als
Nr. 3. Schreibfehler begegnen im Innern der Verse (114 chumenty
279 stati 321, 329 u. s. w.), aber auch im Reime, so 31 plaw : c2a,
*) Daß m* und d (M 42) nach derselben Vorlage, geschrieben wur-
dea» be^weist direct die Übereinstimmung dieser Handaohriften an
folgenden Stellen: 48 geßoriert, 112 8prache(i)nf 115 junckß^av?(e)j 1 23 ff9ehü{u)ietf
143 iDi(e)rden, 160: Sie zuckt {zcoug) em mngerlin von der kernt, 164 6«, 173 gewoUeny
177 aide rain, 182 mitten^ 218 geatam (gesteine).
*) Fol. 108 ist unbeschrieben.
*) Ich beseichne diese Gedichte im Folgenden mit Nr. 2 und 1 in m\
452 FRANZ KRATOCHWIL
33 ander : wandd, 37 nievfumt : iemaUj 183 efnziihet ißUehet^ 269 jähen
: wagen^ 273 reo* (A anrurt) : verfiM, 313 iauile : c&^'dler; vom V. 58
hatte der Schreiber den Anfang gesehrieben, war dann wieder in
V. 57 gekommen und schrieb dessen Schlaß noch einmal, so daß
die Verse 57 und 58 mit heb du an schließen. Statt &i mit gaudeUj
schrieb er mit genaden, wodurch der Reim unterbrochen, die Stelle
sinnlos wird. Umstellung der Wörter nimmt er nicht selten vor, sie
ist meist nutzlos , in 361 {stan in dem garten : gethan) wird dadurch
der Reim gestört. Wörter fehlen nur wenige: 16 d«r, 18 ich^ 126 man^
Verse an sechs Stellen: 155—158, 203, 204, 245, 246, 297, 302 und
304 — 307, im Ganzen 14, eigentlich 13, da V. 297 durch einen neuen
ersetzt ist. Nach V. 308 findet sich der eingeschobene Vers:
Das was der plawen ungemach.
V. 188 geht 187 vor und 314 dem V. 313. Aber diese Umstel-
lungen und die vorher angegebenen fehlenden Verse kom-
men nicht auf Rechnung des Schreibers, sie fanden sich
schon in seiner Vorlage.
XV. m*t
Dazu diente ihm m^, das ist die Papierhandschrifl; Nr. 379
der Mtlnchner Hof- und Staatsbibliothek. An den mit braunem Leder
überzogenen Holzdeckeln befindet sich eine Messingschließe; auf dieser
ist noch zu lesen mar. Der Rttcken ist sehr schadhaft ; auf der Außen-
seite des Vorderdeckels ist ein alter Zettel aufgeklebt: mancherley
Spruch und gedickt, und das entspricht dem Inhalte der 225 Blätter
in Quart. Bis fol. 177 folgen verschiedene Qedichte, darunter die
als Nr. 1 und 2 bezeichneten Qedichte Suchenwirt's in m^;
fol. 178—- 219 nimmt Eduard Wahrens' Augsburger Chronik
der Jahre 1368 — 1444 ein. Der ganze Codex stammt nicht aus dem
Jahre 1454, wie man nach J. A. Schmeller's Katalog der deutschen
Handschriften, l.Theil, S. 56 — 61 annehmen könnte; es wird ja gegen
den Schluß noch das Jahr 1478 erwähnt.
Fol. 3P steht in der vierten Zeile von oben: Sequitur Älter,
daneben mit blasser Tinte : Da^ ist ain sprvch vö der scheny ufl vö der
lieby; derselbe endet fol. 34% fol. 72**— 74* befindet sich der Wider-
taiL Am Rande von 72** ist bemerkt : Der sprach vö den zwen farbn
von plawer und von gemegter vne *) sie wider einander worent. Die Verse
') Es steht nur: m wider ein
nder wormt, das andere ist weg^esohnitteo.
ÜBEB DEN GEGENi;viBTIOEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 453
sind abgesetzt, angefUfar 30 auf jeder Seite ; die Anfangsbuchstaben
derselben sind groß und roth durchstricheu. Die Besprechiing des
ersten Gedichtes folgt später ^ die Vergleichung des zweiten mit A
führt zu demselben Ergebnisse wie bei m*. Es erklärt sich dies dar-
aus, daß beide Handschriften bis auf wenige , meist belaDglose
Dinge so vollständig ttbereinstimmen, wie sich Ahnliches
bei keinem anderen Gedichte Suchenwirt's in zwein oder
mehreren Handschriften auch nur annäherungsweise bis-
her gezeigt hat. Zum Beweise ftlhre ich nur einige Stellen an:
2 hohen fräuden (fröden) , 14 durch, 15 u. 208 fehlt gar, 18 ich sach,
23 wann ich, 35 als ich, 36 gemengt da^ 40 das seih,
43: Das es soU wi:^^en iemant mer,
44: Wes ich in meinem hertzen ger
45: Das ich mit trewen han vers{ch)lossen,
52 oh ich, 56 hoher er{e)n,
71: Das es ain eh{k)ind wol mx>{o)cht verstan,
80: Sein hau{o)bt das ist im worden schwer (swär)^
82 p{h)ifi auf, 84 plaw die, 88 ob tischte) chan er, 102 ho{ö)ch8ten
und, 113 iren,
115: Sein fräu{ö)d paß da{e)nn ain(u) allain,
116 er niedert (m* nyndert), 117 gehh^ 119 mager, 122: Ich main
py {^^y) ''^a^en sollich sach,
123: Vnd sollich grossu misseiat,
125: Äin puest er an dem leib mit sucht,
130 liget, 131 enspart, 132 «?er Ate, 136 ir wolir, 138 Chain fal8ch{s)
noch Bwaches main, 141 von fehlt , 144 sich meret, 148 in hoh(ch)em
ritterlichem, 149 swencken, 153 pan gezogen, 167 sprach da{o), 168
chan der dir, 169 gemelich, 175: Ist alles waidenlieh gestalt, 177
als eSf 185 vei{i)ntlichen , 186 und fürt, 198 ich wi{ü)rt so, 199 so
geit, 210 gehört, 211 man die, 215 u. 296 frumen helt, 227 fru{o)men,
236 gar vil, 237 siecht in teufe, 240 er da{e)nn, 241 so wider umb,
242 allier) erst so, 252 preiß wol erben, 263 progt, 264 zogt, 268
der fordwnjf
275: Er ist das (der) erst von dannen zeit (Unsinn !),
276: Und hebt sich hin pald (bald hin) an die weit,
277 piß das, 288 ob fehlt, 288 mit im selb, 308 und was, 314 an
den rock, 318 frawet, 319 auß lachedem,
329: Oh du in deiner pläwer{n) wa{ä)t,
330: Leptest noch in gantzer stät,
339 die hand.
464 ■MANZ' KBATOCHWIL
347: Da(i)nn das er tei der tms^end am eberm{e),
S63 erwirhi und dae behept, 356 gespila ieh^ 360 kert auch^ 364 red
die. Endlich findeo »eh noch in beiden Handschriften die Sehreiber-
▼ense: leb woU Dae ich edU
Lieh hon wen ich u)alt
Vnd wem ich gelben söU
Dae er sein nicht en{i)woU.
Beide Handsehriftein stehen in Besag auf dieses Gedicht in Aller-
engster Verwandtschaft: man kann wohl mit Ausschluß jedea Irriht^ms
sagen, daß m^ (sum größten Theil 1454 geschrieben) die Vorlage für
m^ (beendet 1464) gebildet hat. Von demselben Schreiber können
sie nicht herrtthreD, weil m^ eine ganz andere , atark verschnörkelte;
auf deo ersten Blick undeutlich scheinende, bei genauerer Betrachtung
aber recht gut lesbare Schrift aufweist Auch niubl aus sprachlichem
Grunde; allerdings her|;scht hier wie dort schwäbischer Dialect,
aber an vereinzelten feinen Unterschieden fehlt es nicht: 102 hat
m^ nimtf m^ niemt (unechtes te für t, Weinhold^ Alem. Gr. §. 102),
183 m^ enzühet iflüchety tefi enzwhet ißwhet (also fi? =£ t« =: ju =n eu)^
186 m* veintlichen, m* vintlichen, 226 m** wir, m* mir (a. a. 0. §. 168 b),
239 m* frainden, m* f runden, 315 m* sam, m* söia (6 für ou = au^
a. a. O. §. 91) ; der Sdireiber von m^ gebraucht immer fräudcj der
von m^ stets fröde (a. a. O. §. 92) und fast ausschliefilieh da im Sinne
von da und do. Er ist kein Muster ven Genauigkeit , übertrifft aber
hierin gewiß den Schreiber von m^ Die Schreibfehler smd nicht zahl-
reich (147 die für dein^ 223 zo ftlr so oder Z0, 224 her^^enhy 3Ö8 hurchkn
od^T hurcktevd\ ungenaue Reime selten: 31 hlaw : da^ 97 verdrufiti oiaff'
eehtewßt und 313 haide : ehlaider; 105 fehlt eich. Daß sich die Um-
stellungen der V^se und Lücken im Wiedertail von m^ und in m^
finden, wurde bereits gesagt , aber äußerndem fehlen in m^ die Verse
30, 46 und 230 y so daß der Reim dreimal unterbrochen wird.
Und trotz dieser letzten dsei Lücken ist m^ nach
unserer Handschrift geschrieben worden? Allerdings zeigt
sich an diesen drein Stellen in m^ keine Unterbrechung ^ aber die
Verse 30, 46 und 230 lauten dort nicht wie in A, sondern
30: Dar ein was sie gesprenget,
46: Das ich mii tretoen han Verstössen,
230: Vnd mit listen ab stritten.
Man sieht sogleich, daß diese Verse eine Leistung des Schreibers von
m^ sind, der jene Lücken seiner Vorlage durch die Reimstörung be-
merkte und nach seinen Kräften ausfüllte. — So viel demnach
ÜBEB DEN GEGEKWlBTlOEN 8TAND DEB SUCHENWIBT-HSS. 45Ö
gegen die-Annabme; daß m^ und tti^ toh demselhen Sehreiber
herrühren, einsnwenden ist, so wenig Iftfit sich dagegen
anfahren, dafi m^ aus m^ geflossen ist. Und die Quelle
von Dtt*?
XVI. und XVn. ff. If.
Vielleicht nfthern wir uns derselben in f, der Papier-
hÄndschrift Kr. 362 der Freiburger üniveraitÄtabiWiotbek *)• Zui
wellen kommt dafür die Bezeichnung |,Hug'scber Codex^ vor; derselbe
gehörte nämlich früher dem Freiburger Professor, Domdekan und
Qeheimrath Dr. Leonhard Hug; nach dessen 1846 erfolgtem Ab*
leben k»m er mit anderen werthvoUen Handschriften und dem ganzen
Bücberschatze durch Schenkung an die Universitätsbibliothek in Frei-
burg, webhe alle diejenigen Werke der Sammlung, die phnahin bereits
vorbanden waren^ dem Lyoeum in Constanz überließ ')• — Die Hand-
schrift f um/aßt 93 Blätter in Folio, welche (zum Theile leer gelassen)
erst in neuester Zeit mit Bleistift gezählt worden sind. Die Ghedichte
sind in zwei Spalten gcAehrieben, jede besteht durchschnittlich aua
mehr als 40 Versen] diese beginnen mit großen Buchstaben. Nach
dem Schlüsse des achten Gedichtes findet sich die fUr die Alters*
bestimmupg der Handschrift wichtige Bemerkung; Anno domini
mccccxLY^ In die SancU avffre, jn kirchberff^) est hoc scripttun pm
Der Widertail beginnt foL 2, Spalte a und endet auf
fol. 4mit8palteb. Die Handschrift selbst habe ich nicht gesehen,
da Herr Professor Hermann Paul in Freiburg mir bereits 1879
eine. Abschrift des Gedichtes mit einigen die Handschrift betreffstiden
Notizen a^u übersenden die Güte hatte. Vor dem Anfangsbuchstaben
des ersten Verses wurde Raum für eine Initiale freigelassen, dann
ein S vorgesehrieben. Von den Haken gebraucht der Schreiber
- oder ''■' über u für uo und ue und zwei neben oder schräg überein-
ander gestellte Punkte zur Bezeichnung der Umlaute: /iSi;^, 5 süsscHf
49 hör, 75 möchten, 100 fru u. s. w., aber auch für a: 121 sprch
^==z sprach (isach), ebenso 308 und 328. Beine u (kurz oder iMig)
^) H. Amann, Praestantiörtua aliquot Codietim Mbb. qai Fribnrgi senrantar
notitia. FaBciealns I. Fribmrgi Brisigaviae 1886. Fasdicohis II. 1897.
>) Vgl. Dr. Jtdias PetsOioldt a. a. 0. 8. 87.
*) Von d«ii vielen Kircbberg könnten hier in Betracbt kommen die in der
alemanniscben Schweiz und zwar im Canton Thurgau, Bezirk Frauenfeld; im Canton
St. Gallen*, Bezirk Alt-Toggenburg; im Canton Aargau bei Aarau und im Canton
Bern, Bezirk Bargdorf; vgl. Ritter a. a. O. I, ß. 778.
456 FRANZ KBATOCHWIL
tragen keine Haken, wohl aber kommen sie ober*'^ vor, wo diese
als Halbdiphthonge zu lesen sind: IQO gesündert (: huwndert),
140 stund (nom. sing.) (: grund) u. s. w«; dasselbe zeigt sich bei o:
77 u. 260 frömt (: kompt), 302 not (accus, sing.) ( : rot) u. s. w., und
besonders zahlreich bei a: 17, 45 hän (verb.), 28 u. o. nach, 71 ver-
stän (: man), 91 gdt : den rat, 121 in der wat u. s. w. Letztere Er-
scheinung wurde schon bei h* (vgl. S. 320) beobachtet, mit welcher
Handschrift f sprachlich übereinstimmt; die dort sowie bei s und h'
angegebenen Kennzeichen des alemannischen Dialectes
finden sich im Allgemeinen auch hier wieder. Daran knüpfe
ich noch das öftere Vorkommen von ä für '4 (Weinhold, Alem. Gr.
§. 13) : 30 gäl, 149 u. 154 »pär, 271 zu fäcUea, von d ftlr au (a. a. O.
§. 34): 19 bam : 8am\ Verengung von oti zu 3 (a. a. O. §. 42): immer
frowen, Ausfall von g vor flexi vischem t (a. a. O. §. 212): 326 ge-
mente, Aus- und Abfall von t (a. a. O. §. 174 und 177): gemenge,
94 rech, Verdoppelung des t in- und auslautend (auch in Verbindung
mit anderen Consonanten) nicht nur nach Kürzen, sondern auch nach
Längen (a. a. O. §. 172 u. 176): 90 zitten, 194 rotti, 244 töUen u. o.;
Abstoß der ganzen Endung im Particip des Präteritums (a. a. O.
§. 372): 36 die gemeng, sp, st, sw sind allgemein, sl, sm, sn wechseln
mit schl, schm, sehn (323 schmugen, 324 smugen), Vereinfachung von
echtem seh zu ^ (a. a. O. §. 190) begegnet 96 in sympfs.
Apokopen und Synkopen sind nicht besonders auffällig, be-
wirken aber öfter den Verlust der Senkung, so 1, 9, 10, 16, 32, 33,
36, 88, 115, 122, 123, 129, 168, 178, 233, 237, 289, 301, 314 u. s. w.,
selbst vor der letzten Hebung: 10, 11, 194, 325 u. ö. Auch wird
der Rhythmus durch den Ausfall kleiner Wörter gestört, so 51 u.
365 nu, 60 dich, 100 u. 247 so, 107 er, 154 von, 198 recht, 202 aigen,
227 em, 287 u. 301 er; oft aber auch durch Einsetzung unnötbiger
Wörtlein: 49 hör wol, 88 durch mich aine, 104 vil ze<, 125 den
ainen, 150 dir, 222 all, 223 so gar, 278 man, 282 nit, 289 nu. —
Klingend schließende Verse von vier Hebungen reimen nicht nur auf
solche mit vier Hebungen (117, 143, 199 u. s. w.), sondern auch auf
solche mit drei Hebungen (33, 37, 75 u. ö.). Auch die Reime bieten
häufig Anstößiges, z. B. 5 stür : createur, 17 ich plick : geschickt, 21 ketten
: ungebitten, 31 blaw : da (begegnet in m^ und m^ ebenfalls an dieser
Stelle!), 37 niemen: yemant ^ 67 fröden : geuden, 77 frömt i kompt,
99 sunderbaur : war, 105 schäm ifaren, 115 aine : kain^ 131 spar : hin
fart, 135 begert : er . , . gewerte, 137 mich aine : noch böses maines,
151 schowenifrowe, 153 kompt : zerdrimbt , 161 geschehn : gesehen ^ 181
ÜBER DEN OEOENWlRTIGEN STAND DER SÜCHENWIRTHSS. 457
schimpf : miUf 183 eneüehet : fiühet ^ 191 erhucket : ßlget ^ 205 gemost
: ernst ^ 207 ertßdt hast (A hast erchom) : zom, 213 frucht (A fruet)
imütf 219 ere i mei'y 239 ßilmt : kompt ^ 241 gesechenijehenf 251 tag
mögt, 257 fröde : güden, 271 drät : bade, 275 &y zitten : tüat^e^n, 277 o&-
geleit : «i^, 289 m^^e : stoär, 291 2at(2 . seite, 813 claider : baidew^ 315
ZaucA^ i geduchty 359 i^areen : süchentmrt (ganz unnöthige Reimstörung!),
361 fehlt das Reimwort «ton und 362 steht ^arf^^i ^) auf getan. Man
sieht aus manchen dieser Beispiele, daß der Schreiber in den Reimen
seiner Vorlage hie und da einen Haken fand; der seinen sprach-
lichen Widerstand anregte; nicht immer hat er denselben aufgegeben.
Bei anderen aber zeigt sich deutlich Gedankenlosigkeit') als Ur-
sache; so schreibt er 209 zamayd statt ayd (der vorausgehende Vers
sehließt nämlich mit zom), und 324 setzte er das Reimwort von 323
nocbmal; andere mögen auf Willkür beruhen (ganz unnöthige Um-
stellungen der Wörter, wie 22 ich stund da, 23 haimlich körnen, ähnlich
77y 80, 235, 317, 343, 355 lassen dies vermuthen), andere schon in
der Vorlage gestanden haben.
Dort fand vielleicht auch der Schreiber einzelne Textver-
derbnisse') vor, sowie die LtLcken und Umstellungen der
Verse. Es sind genau dieselben wie in m* (vgl. S. 452), nur fehlt
in f überdies V. 319 (dadurch Beimunterbrechung), 224 steht vor 223
und 258 vor dem Verse 257. Das läßt auf enge Verwandtschaft von f
mit m^ und m^ schließen, zudem stehen sich die drei Handschriften
auch sprachlich sehr nahe. Die Übereinstimmung läßt sich
durch das ganze Gedicht verfolgen, wie aus nachfolgenden Stellen
erhellt: 3 m*m* vmnnee{k)lichen, f vmnnencliehen^ 7 sich s{ch)wingetj
8 erde, 9 m*m* lustic{jG)lichen, f Iwftlich, 10 gart, 11 hrutes, f hrwts,
12 gilgen. o{a)ne, 15 hin tsu^ 17 gehag, 18 liep{b)liehj 21 entladen^
*) Mi in garten ist verkleckst.
') Im Innern der Verse sind Schreibfehler nicht häufig, besonders nicht in den
ersten hundert Versen, die nahesu sorgfiUtig geschrieben sind.
*) 6 aller, 63 matn : erkaim, 66 hoiiietil)^ 82 9lauffeny 88 fehlt das Verbum,
102 hoefuten (: erHen), 169 toanekeU hob,
196 : Der der froden am vher Uat ;
276: 8o ist er der dewnüb hy zitterij
812^814: Er graif mit holden hemdn dar
In roek mantfil die baidew
In die gemengt wP elaider^f
846—847: Den ich su btden ertoelet hett
Der irü) aid er je eerteehriet
Von gantssen tagenden ain kern.
458 TUhJaZ KRATOCUWfh
22 ich 9tu{u)nd da, 27 phw gemischet y 2S ge^taft io(i8(z)y 31: Dar
under was swartz grö{ü)n' und plato (in f fehlt wm)j 32 ^emischet, f ge-
milscihty 33 getempert vnder ein, f getemperiert ^) , 41: Die bla(u>) sprach
durch ir staetichait^ 42 sicherlickmy 47 teanckeU, 57 die blauj (die)
sprach so heb, 74 verhaiß{s$)enj 75 machten (ge)lcUsten, 85: 3£ei(0«*
hertzen iru{au)t vil anders tut,
89 m*: ifi* züchten er schimpf waidenli^f
m^f : Mit ssu{ü)chien Schimpft er waidelich (f wirienolich)^
90: {Jiid a22e zi{eijt (t zu allen zitten) sicherlich^
immer weit (A werft), 107 Was fraudem (fröden^ fröwden) mdeht{e)y 108
nu{n) hör ich wil{l) erst, lOd p{b)ül, 111 er so mit^ 118 p(6)ä&ti,
119 t«< doch kainu ze (f docA kaine so), 120: ^ tourd ir eren bald
ein dieb, 121 wat die sprach^ 124 nHii)mer, 129 «cAoJi^^MrJtcAuY m^
schamperliche, i schamparlich^ 13Oa/(0^i i Mes, 142 «^ftn^fe»«^ 143^/14^1^^^,
145 und gewöhnlich p^tc; für Stiste^ 161: Dar um& must {müsz) im gar
we Geschehen (f geschehn\ 162 Ao»,
163: Dar umb (f wfil) «o chu{o)mpi er mir gesund,
173: In(m) hertzen deucht {dücht, f gede^ucht) er in gemait,
174 tzeug fehlt,
179: Ä? /er^ er her gar ritterlich,
182: In ritterlicher miU,
191 rofi{9sz),
192: G'ar (viJj ma(e)»5»<n <?aW er. füget,
197 in mei{i)nemf 207 p{b)ülen, 212 vnd man, 213 «o t^e, 216 ^äui
(A seit), 218 erwerben, 220 Ati» /ür p(&)a«, 221 ^(i^)^2en mr a{o)uch
heut (MO» 222 mä all, 226 besetz wir (m^ miV)>
232: Des{z) hau(a)t er sich da{e)nn sicher (f schier) versunnenj
233 schicket {i schickt) er, 236 mr^. versert^
238: Dos; menger da muß Ligen tot,
239 M/e, 243 roß(sz) muß (f mÄ««e«), 244 er töio)ten offenbe(m^ a)-
ren, 250 tin« i^, 251 di8(ss)en tag, 253 atecA (oc%^ otteh) edten^ 256
«t(;6i^ (und) /a««, 259 so er, 260 mwÄ, 261 truJt, 262 mf«, 265 da.
rttt fehlty 267 : Er mach{e)t sich zu{e) hindro{er)st an (m* in) die schar,
270 tö(p)rlichen, 271 zufe{ä)chten also t{d)rat, 278 ist das, 279 ^m«ef,
{geribbt, gerwbet m^, 280 werdu(e) hand, 281 recht als. springen reimt
auf 282 gelungen^ 284 ro/l, 285 schrei(jf)t,
286: 0 u?ie ZitteeZ er «tcA (m*m* da(ö)nn) «par<,
') Zwischen A nnd den drei Handschrifteo ee^en sich in den Versen 29—33
bedeutende Abweichungen, desgleichen später in den Vanien 121^128.
. ÜBER DEN GEOENWlBTIGEN STAND DKl SUCHENWIRT-HSS. 4&9
290 in sei{t)n, 291 Mkkerliohm, 292 ander ^ 294 groBsem, m^{ grösseren;
nacli V. 2d8 alt Ersato f&r den fehlenden V. 297:
Dein (din) tid ieh nidä ge&{ei)den (f gedulden) mag,
303 eehaf{t)j naob 308 folgt der eingeaehobene Vers:
DcL9{z) vot der plawen ungemaehy
309: Also stund {ir) zu aller stand,
316 wiäy 317 dar under sachsi, 321 ir sint (m* seit), 32S: Cu(e)8amm
si sieh s{eh)mugeny 324 ti7«i(t)/, 327 m' nider, 328 /lo», 336 md{i)nm,
386 sprach fra(p)w, 389 arfcafi^» 349 «tcA t^^n jugsnt,
352: ^0 tiK>Z jm (far (f dem) ain gut wart,
863 ward.
Unabweislich drängt sich da der Gedanke anf, daß
wir in f die Quelle von m^ gefanden haben* Freilieh fehlt in (
V. 819; m^ bat abweiebend von A an dieser Stelle:
3y sprach auß laehedem nmn'^
offenbar hat die Reimunterbrechung den Schreiber von m^ zu dieser
dichterischen Leistung veranlaßt Aber vielleicht erscheint Jemanden
auffallig, dafi im V. 324; wo f das Keimwort der früheren Zeile wie-
derholt, m'^ das richtige pagen hat, daß, wuhrend in f die Verse 329
und 380 an mangelhafter Satzconstruction leiden , m^ den V. 330
ander* als f und besser gibt, wie denn auch die Verse 345 — 847 in
m^ lesbarer sind. Aber zu diesen Änderungen oder dasn, daß er im
V. 859 das in f fehlende Reimwort herstellte, den in f vorgestellten
V. 368 an seinen richtigen Platz setzte, dazu gehört geringe Ge-
schieklichk^t, die wir dem Schreiber von m'^ wohl zutrauen können.
Bedenken könnte allenfalls V. 182 hervorrsfen, der in f lautet:
Oder vff ein letzte hin feai,
währetid m^ hat: Wer hie seine naeehetsn er vart,
sAsOf das Wörtlein hie abgerechnet, dasselbe wie A. Sollte der Schreiber
voii m^f vom Reime geführt, errathend das Richtige getroffen haben?
unmöglich wttre es nicht, vielleicht — das Gedieht war ja sehr be-
liebt — stand ihm zur Vergleiehung noch eine andere Handschrift
oder ein fliegendes Blatt zu Diensten« Wer dieses Bedenken nicht
zerstreuen, somit f nicht als Quelle von m^ anerkennen kann, ftlr
den bleibt nur die Annahme übrig, daß m^ und f nach der-
selben, uns unbekannten Vorlage geschrieben wurden. Da-^
gegen aber, daß m^ und f von einander unabhängig aus einer anderen
Handschrift geflossen sind, erhebt der Zweifel den Einwand mit Recht;
daß dann schwerlich zwischen m^ und f sich eine so durch*
stehende Übereinstimmung zeigen würde. «^ Allerdings ge-
460 FRANZ KRATOCHWIL
stattete sich der Schreiber von m^ Abweichungen von f (vgl. S. 453
und 454), aber dergleichen waren fftr diese Periode nicht ungewöhnlich;
erlaubte sich nicht auch der Schreiber von m^ manche Freiheiten
gegenüber von m^? Und doch muß man ihm nachsagen, daß er
seiner Vorlage (mit Rücksicht auf seine Zeit) ziemlich treu gefolgt ist.
Eines ist unanfechtbar, daß nämlich in Bezug auf
Suchenwirt's Widertail m^m^ und f gegenüber A eine
Qruppe bilden, von der die Freiburger Handschrift A
noch am nächsten steht und den meisten Werth besitzt,
dann folgt m^, zuletzt m^ Die Gruppe hat für die Herstellung
eines guten Textes keine geringe Bedeutung: m^m^f liefern jede an
denselben 26 Stellen Besserungen, m^f und m^f an je vier, m^m^
an acht, für sich allein m^, m^ an je zweien und f an acht Stellen.
Diese Besserungen sind um so mehr willkommen, als der Widertail in A
(das erste Gedicht des 10. Schreibers, vgl. S. 219) nicht fehlerfrei ist.
Die Gruppe m^m^f bildet somit für die Textkritik einen
erwünschten Gewinn.
Mit dem ehemaligen Besitzer von f war Josef Freiherr von
Laß borg auf das innigste befreundet; beide hutten eine außer-
ordentliche Vorliebe für alte Bücher und Handschriften. Natürlich
hielt keiner vor dem andern das Gewonnene geheim, sie thaten es
ja nicht einmal gegenüber der Außenwelt^). So entlieh Laßberg von
seinem Freunde die Handschrift und schrieb aus derselben zwölf
deutsche Gedichte ab; diese Abschrift ist heute noch in der fürstlich
Fürstenbergischen Bibliothek zu Donaueschingen in einem Halb-
lederbande mit der Nummer 72 verwahrt, er hat 340 Seiten in Folio,
von S. 289 — 340 stehen die oben erwähnten zwölf Gedichte, das
zweite davon ist Suchenwirt's Widertail, Barack') macht
dazu die Bemerkung: „abgedruckt im Liedersaal III, 57*^. — f ist
also schon seit 1825 veröffentlicht? Wie erklären sich aber die be-
deutenden Unterschiede zwischen f und ihrem Abdruck im Liedersaal?
Unnützes Kopfzerbrechen, an welchem einerseits Barack's Bemerkung
schuld ist, die ja nur sagen will, daß f das unter dem Namen ,, Wider-
tail"' bekannte Gedicht Suchenwirt's ist, das auch im Liedersaal an
der angegebenen Stelle zu lesen ist, anderseits Laßberg's ganz unbe-
stimmte Art, mit der er über das den drei ersten Bänden des Lieder-
saales zu Grunde liegende handschriftliche Material sich äußert.
') Vgl. den Artikel yon Franz Mnncker über Laßberg in der Allgemeinen
deatseben Biographie, 17. Band (1888), S. 780—784.
') Dr. K. A, Baraok, Dia Haadsobriften der fürstliob FarBtenbergiBchen Hof-
bibliothek SU DonaaeBchingen. Tübingen. 1866.
Ober d£n oegenwIbtioen stand der suchenwirt-hss. 461
Den 182Ü erscbienenen ersten Band widmete er in einer ale-
mannisch geschriebenen Vorrede (I— XXVIII) seinem Freunde Pro-
fessor Leonhard Hug; S. XV sagt er, er wolle hiemit verschiedene
Lieder alter Sänger abdrucken aus einem großen alten Buche, das
vor Älter und Unbilden übel aussehe, gegen Ende des 14. Jahr-
hunderts geschrieben sei^) und an die 300 Lieder enthalte; diese
seien aber nicht nur Minnelieder, sondern auch (S. XXI) „Mähren,
Sagen, geistliche und weltliche Lieder, Bispel und allerlei Schwank^.
Er sondere (S. XVII) diese Gedichte nicht nach dem Inhalte, sondern
gebe sie, wie sie in der Handschrift folgen; doch habe er jedem eine
Überschrift und Inhaltsangabe beigefügt, die Abkürzungen (S« XVIII)
aufgelöst, sonst aber die alte Schreibart vollkommen beibehalten, nur
habe er für ü (aus altem tu) ü gesetzt, dem es in der Aussprache
gleichkomme. Am Ende des ersten Bandes gibt Laßberg in dem
Format der alten Foliohandschrift eine Schriftprobe des in zwei Spalten
(jede ungefähr zu 40 Versen) geschriebenen Textes. In der Einleitung
des zweiten Bandes sagt er S. XII, er habe gerade diese Handschrift
herausgegeben, weil im Privatbesitz befindliche Handschriften leichter
zu Grunde gehen können, als solche^ welche der Staat verwahrt.
Er habe sie absichtlich so gedruckt, wie sie ist, selbst mit ihren
Fehlern. S. XIV verspricht er, am Ende des dritten Bandes über die
Handschrift und sein Verfahren mit derselben Auskunft zu geben,
aber daselbst findet sich nichts als ein Verzeichniß sämmtlicher Über-
schriften der Qedichte und die alphabetisch geordneten Anfänge der-
selben. Dem vierten Bande ist weder eine Enleitung noch ein Nach-
wort beigegeben; wer nun bedenkt, daß Laßberg die Lücken der
daselbst abgedruckten Nibelungenhandschrift C aus B ausfüllte, daß
er, wie aus seinem Briefwechsel mit Uhland (herausgegeben von
Franz Pfeiffer, Wien 1870) erhellt, im Liedersaal auch die Wein-
gartener Handschrift abdrucken wollte, der wird einräumen, daß auf
Barack's obige Bemerkung hin sehr leicht Jemand glauben könne,
Laßberg habe im Liedersaal außer seinem alten Buche auch hie und
da aus anderen Handschriften etwas aufgenommen, speciell aus f, aus
der er ja erwiesenermaßen viel abgeschrieben hatte.
Dem ist aber nicht so. Die in den drei ersten Bänden des
Liedersaales veröffentlichten 261 Gedichte sind thatsächhch ein Ab-
') In der Inhaltsangabe zn Nr. CXXXV sagt Laßberg (2. Band, S. 384), das
Gedicht stamme ans dem Jahre 1371; es ist aber nicht ersichtlich, ob diese Zeit-
bestimmung von der ganzen Handschrift gilt oder nur auf die erste Hälfte derselben
sich bezieht
GB&MAMIA. Nene Reihe XXII. (XXXIY.) Jahrg. 3X
462 FRANZ KRATOCHWIL
druck aus dem „großen alten Buch^, einem mit Leder überzogenen
Holzdeckelbande, welcher unter dem Namen ^Liedersaal-Codex"
(= 1) in der fürstlichen Bibliothek zu Donaueschingen aufbewahrt
wird, Laßberg hatte sich von dieser umfangreichen Papierhandschrift
zuerst eine Copie gemacht^ dann aber die Handschrift selbst erworben;
Original sammt Copie und allen anderen zahlreichen Handschriften
kamen nach Laßberg's Tode in die Fürstenbergische Bibliothek ; dort
führt der Liedersaal-Codex die Nr. 104^). Er zählt 269 Blätter und
ist zu Anfang und zu Ende lückenhaft;
Anfang: Daz tunt mir liebe frowe kunt,
Ende: Vnd bin frisch vnd vnuerzagt
Vnd waisz nieman wer mich jagt.
Der Widertail reicht von Bl. 196, 1. Spalte bis Bl. 198,
2, Spalte. Die Vergleichung geschah, da ich 1 selbst nicht gesehen,
auf Grundlage des von Laßberg gegebenen Abdruckes. Dieser hat
gleich A 364 Verse; da aber in 1 die Verse 91, 94, 305 u. 306 ohne
jede äußere Unterbrechung fehlen, so entsprechen von 91 an die
Verszahlen von 1 nicht mehr denen in A, sie sind um eins, von V. 93
um zwei, von 304 um vier niedriger als in A bis V. 350 (= 354
in A), dem die interpolierten Verse
351: Da:^ wirt got in dem himel schin
352 : Vnd lost in der E von helle pin
folgen. Von V. 352 ab in 1 beträgt die Diflferenz gegen A nur zwjei;
auch diese verschwindet, da der Schreiber zum Schlüsse noch zwei
Verse anfügt:
363: Vnd nimpt hie ain end
364: An alle mi:^:^ewend.
Alle Zahlen der nachfolgenden Citate sind mit Rücksicht auf A an-
gegeben.
Die Sprache ist wie in f alemannisch, doch zeigt sich in 1
keine so große Vorliebe für umgelautete Formen und den Gebrauch
von au = ä; dafür aber begegnet in den Flexionen sehr häufig u för
mhd. iu und niempt für nieman oder niemen. Vereinzelt findet sich
194 mundalin (Weinhold, Alemann. Gramm. §. 271), 296 bidarben
(a. a. 0. §. 10), 95 vachen für wachen (a. a. 0. §. 163), öfter in-
lautendes cÄ für Ä, z. B. 162 gesechen (a. a. 0. §. 222). Die Sprache
ist in den Reimen weitaus einheitlicher als in f; von der langen
Reihe der dort (vgl. S. 456 f.) angeführten Reimungenauigkeiten sind
') Vgl. Barack a. a. O. S. 100—101.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 463
in 1 nur 31 plaw : da (wie in m*m*f), 67 und 257 f roden : geuden,
241 frumt : kumpt ^(immerhin besser äIs f) und 251 tag : mögt zu
finden. Auf Rechnung von I kommen 83 haut : wart und 345 erzell
: woL
Es ist dies ein Zeichen größerer Sorgfalt, die sich auch
dadurch verräth, daß die Apokope und Synkope mehr beschränkt
ist und daher die fehlenden Senkungen weniger häufig sind. Fast
ausnahmslos ^) treffen wir in 1 dort das Richtige, wo in f ein Schreib-
fehler ist, ein Wort fehlt, eines zu viel steht oder der Text sinnlos ist.
Die in f nachgewiesenen Lücken und Umstellungen der Verse suchen
wir hier vergebens.
Aus all dem erhellt im Zusammenhalte mit dem S. 456 f. Gesagten,
daß wir 1 als Vorlage von f nicht ansehen dttrfen. Für die Zugehörig-
keit zur Gruppe m*m*f würde sprechen: 10 gart, 109 buol,
132: An siner nechsten herfart,
142 wenden, 191 u. 284 ros:;, 212 Vnd man, 218 ei-werhen, 237 sieht
in tief, 243 muo^, 270 torlich, 271 ze fechten und 363 ward, — Da-
gegen aber ließe sich mehr anführen, zunächst die Obereinstimmung
mit A gegen m*m*f (vgL S. 457 — 459): 9 fruchticklichen, 11 Jcrüter,
12 sunder, 17 hag, 18 zärtlich^ 21 geladen, 22 stuont ich, 27 gesmehe,
28 gestellet ^ 32 Getempert, 33 Oemischet, 52 Wann, öl stett, 85 Afin
buol, 111 gar, 124 nit, 129 schemliche, 153 gezieret, 163 kaim, 197
im hercen, 256 sprach, 271 gerad, 281 sprung : gelung, 289 seiher, 294
solichen, 318 fröt, 327 baide, 336 du, 339 beckant, 349 sich in; 15 hin,
das m*m^f haben, fehlt wie in A, ebenso 75 möchten, 121 die sprach,
130 aUs, 221 u. 253 mch, 222 aU-, die Verse 89, 90, 108, 119, 120,
123, 173, 179, 182, 192, 213, 220, 227, 232, 233, 236, 244, 250, 259,
260, 267, 278, 280, 284, 290, 309, 313—316, 321, 329, 330 u. 352
stimmen mit A und nicht mit der Gruppe m^m^f.
All das macht dieAnnahme, daß f aus 1 geflossen sei,
nicht wahrscheinlich. 1 kann aber gar nicht die Vorlage
für f gebildet haben, denn es fehlt in 1 im V. 56 hoher, und doch
hat es f gleich Am*m*; 60 schreibt 1 zert, f mit Am* m* treit, 63 Sizt,
f mit den anderen Handschriften sindl V. 78 lautet in 1:
Dez nachte:^ er selb ändert kumpt,
und den soll f zufällig so verbessert haben, wie er in Am*m* lautet?
*) Von auffälligen Sehreibfehlern habe ich angemerkt: 127 holden, 159 Wim-
9che^ hdlh, 196 Der sorgen, 228 hert ; störend ist ain vor lieb im V. 39 und hat nach
BwtfiU im y. 226.
31*
464 FRANZ KRATOCHWIL
Das wäre eine Kette von wunderbaren Zufällen. Dasselbe zeigt sich
an den nachfolgenden Versen:
261: Min buol vü anders ist gemuot
273: Wenn man du vimt erblicket
274: Vnd man du huffen schicket
288: Recht als e:^ sy ain wettumy
350: Wie tool er sich da:^ frowen mag —
ganz besonders aber an V. 360, welcher in 1 lautet: Ich yU von dan
mit sneUer giert* woher, wenn f aus 1 stammt, nahm denn der Schreiber
von f den Namen Suchenwirt? — Die Verse 91 u. 94 fehlen ganz
in 1, f hat aber die Verse gleich mit A! — Wäre 1 die Vorlage ge-
wesen, dann ist doch schwer anzunehmen, daß der Schreiber von f
in den Versen 313—316, die in 1 einen lesbaren Text bieten, einen
solchen Unsinn zusammenschrieb. Dasselbe gilt von den Versen 343
bis 354, die in f mehr oder minder verderbt sind.
f stammt somit nicht aus 1, 1 gehört nicht zur Gruppe m^m^f;
möglich ist, daß f aus N entstand. 1 aber schließt sich enge
an A und übertrifft f an Werth; 1 kommt zwar an Oüte des
Textes A nicht gleich, liefert aber doch eine Reihe guter Lesarten
(fttr sich allein an ungefähr 18 Stellen, zugleich mit m^m^f, mit
zwein derselben oder der ganzen Gruppe an mehr als 20 Stellen).
1 kann aus A entstanden sein: der Widertail ist nach der Reihenfolge
der Gedichte in A (vgl. S. 207) zu schließen, am Ende der Sechziger
Jahre des 14. Jahrhunderts entstanden ; dessen Abschrift in A gehört
zu den älteren Theilen dieser Handschrift.
xvm. h^
Schon bei h' wurde von dreien heidelbergischen Hand-
schriften gesprochen, zwei davon sind uns bereits bekannt, die dritte
ist h', ein in Pergament gebundener Codex in Folio, der auf dem
Rücken die Aufschrift: Astronomicum calendarium trägt, früher
die Nummer 4 hatte, jetzt aber die Nr. 3 führt (vgl. Bartsch, Hand-
schriftenkatalog S. 4 f.) und aus 230 beschriebenen und sechs leeren
Blättern besteht. Zu Anfang befinden sich drei Pergamentblätter, auf
dem dritten beginnt Rudolfs Wilhelm von Orlens (mit wundervollen
Initialen und schönen Bildern) und reicht bis fol. 197, wo Conrad
Schreyber von Ötingen bemerkt, daß er das Werk in Hoch-
stetten 1458 beendet habe. Das nächste Stück: Der Borte schrieb
er 1478 (er hielt sich damals zufolge einer Bemerkung auf Bl. 208
in Augsburg auf), das vierte: Rede von dem Studenten zu Pareyfi
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 465
tmd der Schönen Junck frawen etc. (f. 211^—225*') 1466; beim dritten
(Die Bede von ainer grcueryn f. 208^ — 210^) ist nur angegeben, daß es
1479 geschrieben ward. Beim filnften {Der kriege Des pülers und des
Spilers etc. f. 225''~2280 fehlt jede Bemerkung über die Zeit der
Abfassung und den Namen des Schreibers. Fol. 228* unten beginnt
Gar ain Schone Bede uon der Liebin vnd der Sehonin wie sie kriegten
miU ainander (roth) und reicht bis f. 230^ Dieses Gedicht wurde
von P in seiner Ausgabe der Gedichte Suchenwirt's als Nr. XL VI
mit einigen Änderungen abgedruckt
Der Raum fttr die Initiale ist freigelassen, die Verse sind fort-
laufend geschrieben, aber meistens geschieden durch das Zeichen 0;
nach V. 53 ist ein Raum von 22 Zeilen leergelassen (wahrscheinlich
für eine nachträglich anzubringende Illustration). Auf V. 160 folgt:
Amen 0 finitum est quinta feria ante Dominicam Inuocauit Anno Domini
Millesimo CCCCLXXIX. Gewiß stammt auch das letzte Stttck
der Handschrift aus der Feder Schreybers; es ist dieselbe
schöne y sehr deutliche Schrift , die aber in einigen Buchstaben, be-
sonders r, ;; und ß die spätere Zeit verräth; das Jahr 1479 bildet
kein Hindemiß, rührt ja doch die dritte Nummer der Handschrift
auch aus dieser Zeit. Auch die sprachlichen Verhältnisse im letzten
Stücke stehen mit dieser Annahme im Einklänge.
Stammt Schreyber aus öttingen an der Wörnitz, dann liegt
seine Heimat hart an der Scheide des schwäbischen und bairischen
Dialectes, überdies wissen wir bereits, daß er sich zeitweilig an Orten
aufhielt, die entschieden dem schwäbischen Sprachgebiete angehören.
Dem entspricht in h^ der herrschende bairische Laut-
stand einerseits und die hie und da auftretenden schwä-
bischen Anklänge andrerseits. So begegnet schon in der Über-
schrift LiAin, Sehonin, erstere Form auch in V. 86, letztere in 100,
sonst immer Liebe und Schöne; 80 <mch neben auch, durchaus nit,
gewöhnlich das Suffix -lieh, aber 59 taugenleych (: reich); Verschie-
bung des ä nach o (Weinhold, Aleman. Gramm. §. 91): 127, 129,
150 hon ich, 7 hondt (3. Pers. pl. präs.) und 41 phn; Antritt von
unechtem e an das Präteritum des Indicativ (a. a. 0. §. 345: 57 ich
Hesse) und den Nomin. des Sing. (137 der kriege\ sowie von unechtem t
an Pluralformen des Zeitwortes (a. a. 0. §. 178, 346 u. 348): 41 si
ziertent, 43 u. 60 wdrent, 44 erklungent, 75 kdment (conjunct.) und
146 giengeni. Einmal (V. 84) findet sich auch der Sing, des Imperativs
gang und 58 ich standt (a. a. 0. §. 336 b und 332 b). Einiges ist auch
in die Reime gedrungen : 9 gefaren : geporen, 33 kom : henam, 49 qwirt
466 FRANZ KKATOCHWIL
: man erhart {a =^ d^ k. a. O. §. 79 u. 87), 63 pryttn : wiseti (t = ei)»
77 aine sprach : aeh (= aueK)y 129 erleuekt : verflacht, 131 gepott : wit ratt.
Die zwei ersten Fälle und der vierte beruhen anf Sorglosigkeit
des Schreibers, die sich auch sonst in Schreibfehlem zeigt (18
fr&ndt, 34 ir, 41 so, 78 nem ich, 75 klement, 127 baid^^). Sie lassen
sich leicht beheben, ebenso der letzte und drittletzte (wo zwei andere
Handschriften Abhilfe gewähren'), desgleichen der vorletzte, dereiner
nicht ganz sicheren Stelle angehört^^). Somit bleibt nur der dritte Beim;
dieser ist allerdings eine Incidenz gegen Koberstein's allgemeinen
Satz: y^Von einer Berflhrung des d und d findet sich keine Spur im
Reim: ebensowenig darf man einen Übergang des o in a annehmen^
(I, S. 20). Unser Oedicht erscheint demnach Koberstein „wenn auch
nicht geradezu unecht, doch in einer Überarbeitung auf uns
gekommen, welche in Versmaß und Reimbindung zu sehr von
den in den übrigen Stücken beobachteten Regeln abweicht, als daß
man mit Sicherheit von den darin vorkommenden Formen auf Suchen-
wirt's Sprachgebrauch schließen könnte*' (I, S. 3).
Diese Behauptung geht, wenigstens was die Reime
betrifft, sicherlich zu weit; aber auch bezüglich des Vers-
maßes^). Fehlende Senkung stört in 89, 91, 115, 131; in 38, 70,
149 und 150 vermißt man die Senkung vor der letzten Hebung,
öfter begegnet zweisilbiger Auftakt; im Innern der Verse wäre zwei-
silbige Senkung nur zu beanständen in 5, 33, 82, 116, 117, 139 und
146. — Dieses kann nicht den Stein des Anstoßes gebildet haben
(denn Ahnliches kommt in A auch vor), vielmehr wird er in den
Versen mit vier Hebungen und klingendem Schlüsse (17, 18, 23, 24,
29, 30, 45, 46, 51, 52, 73, 74, 97, 98, 147, 148), sowie in den klingend
reimenden Versen von drei und vier Hebungen (27, 28, 41 und 42)
zu suchen sein. Nach dem Standpunkte, den Koberstein zu Anfang
seiner Untersuchungen einnahm, ist sein Verdict begreiflich; später
dachte er auch über klingend reimende Verse milder (vgl. S. 225).
') V. 62 schreibt P Tztnüf yratoen, h' bat aber z&n) nach seinem Text erscheint
V. 67 der Keim unterbrochen, aber h' hat erzaigtvn Da : pla,
') Diese haben:
77 Nu nenn dich mir wnd ich Dctr nachy
131 Dm er in mein (mim) gep(b)otte etcUf
132 Ich drinck billichen vor mit rat
') Auch der Anfang bis V. 16 ist hie und da unklar und verdcorbt.
*) Der stumpf schließende V. 136 mit fünf Hebungen entspricht, sobald man
die vom Schreiber scugesetzten Anfangsworte: Sie sprach wegläßt.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 467
Wir haben an Bei^ielen, wie h' oder Nr. 3 in m^, gesehen, was sich
die Schreiber dieser Zeit zuweilen erlaubten; ihre Thätigkeit konnte
mit Recht eine Überarbeitung genannt werden; bei h' scheint
mir aber dieser Ausdruck etwas zu stark, wobei nicht ge-
leugnet werden soll, daß der Schreiber sich seiner Vorlage gegenüber
gewiß allerlei Freiheiten gestattet haben wird. Den Vorgang Kober-
stein's aber, das Gedicht für unecht zu erklären, dem
Suchen wirt die Autorschaft abzusprechen, halteich für ungerecht-
fertigt. Gerade solche Stoffe, in solcher Einkleidung liebte Suchen-
wirt, auch die stilistischen Wendungen stechen nicht von denen seiner
anderen Gedichte ab. Daß sich Suchen wirt als Autor nennt, halte
ich nicht für ausschlaggebend, wenn uns das Gedicht in h' allein
überliefert worden wäre: denn es gibt Fälle, wo Gedichte, deren
Urheber mit aller Bestimmtheit feststehen, mittelst einiger angehängter
Verse einem anderen Dichter beigelegt wurdep. Aber in dieser Lage
sind wir nicht. Unser Gedicht findet sich ja auch in m^
und m^ (vgl. S. 451 f.); auch hier nennt sich Suchenwirt
als Dichter, und damit ist seine Autorschaft wohl gerettet.
Das im Allgemeinen über m^ und m^ Gesagte hat auch von der
Nr. 1 dieser beiden Handschriften, dem Krieg der Liebe und Schöne,
Geltung. Die beiden Recensionen dieses Gedichtes zeigen
eine durchgreifende Übereinstimmung, wie aus nachfolgenden
Stellen überzeugend erhellt: 2 die f{v)err(e). zu, 4 nuig nickt, 5 mit,
6: We{a)nn es der (weygen) maist&r mund,
7: Durch{t) suchet (hahent) über all,
9 und fehlt, geam, 10 ich dan dar under faren, 12 nymmer Die gdaß,
13 hertz sich sent,
17: hin in ain awe{ow) zu aine prunnen,
19 menigfalt, 20 so fehlt,
21 : Vnd dang (Da) ü(y)ber herten flins,
22 edlen, 23 er fehlt und 24 alhy
25: Die lüchten aufi ir plüenden gruf{t\
26 da fehlt, 27 gesprentzety
28: Der p{b)lümen Dolden glentzet;
für die Verse 29—31 von h* folgen fünf Verse:
(29) fr(p)ölich gen der(n) sunnen p{b)rehenf
(30) Als a{i)m^) kain laid nie war beschehen^
(31) Vnd erchucket Den im (erkukte gen ir) glast,
^) am = im, vgl. Weinhold, Alemann. Gramm. §. 415, S. 455; hieher gekört
auch das Possessivpronomen or = tr in m' 71.
468 FRANZ KEATOCHWIL
(32) wann (was) des tawes ü{v)berla8tf
(38) So sere menge{n) nider zwang,
dann weiter mit V. 32 von h^ ; 33 kam^ 34 in, 36 plümen Hecht Die
diirchf 37 sie fehlt, 38 gel rot grö(e)n prun ttnd; die Verse 39 und 40
fehlen; 41 plan si, 42 sie fehlt, 44 la{ä)nktenf 47 die sungen^ 47 plü-
(u) enden werden tal^ 49 mit ain, 52 zwo^ 53 gar hesunder, 55 wes,
56 hargf 57 ich ließ mich nield (nich)^ 51 vnd stund vnder ainer^
59 lügt in zu gar^ 63 ie, hoch geprisety
64: Des mich mein sinw Da wei{i)s8et,
71 dar oh gesch., 73 gar fehlt, 74 recht als si zwen^ 75 ch{k)ameny
76: So rieh was ir gewand^)^
80: Ich sag{e) Dir auch Den namen mein,
83 die fehlt, 84 nt^n wol^
86: D. lieb spr. z, d. schön hinw. (ganz sinnlose Umstellung),
87 welch{u) vnder uns pas^)y 88 prunnen frey{y\ 89 spi^ach die lieb^
90 trenck ich mich, 91 na in sprach, 96 von erst, 97 tantzen stechen
undy 98 pf, singen, 100 mmp^ auch, 101 nun acÄ, 102 des soll ich,
105 ^ar klaineriy
107: Wieder wet7 wocä k. fr,,
108 wa« tr{e)wej 109 ein fehlt, 110 da ch(k)an ich, und fehlt, 114
p(b)illichen mit, 115 allda y 116 m7 fehlt, diser^ 117 witze fehlt, 118
räu{o)b€rin, 119 ra«* (dadurch Reimstörung), 123 lieb die,
126: Da« si ain ander ^) nicht sind wild,
127 baider,
128: J9a« Da hie uor f, w.,
130: Das sich menger in mir vertücht,
131: Das er in mein (mim) gep(b)otte stat],
132 billichen, rat, 133 gedingen, 134 ch(k)am,
135: ZWe t^ard entpfangen und hiess äie fein^(mynn);
nun folgen die eingeschobenen Verse:
(136) Die nam (m* mam?) ir Disputieren ein (yn),
(137) Van in paiden on gewerr (m* ougener, Schreibfehler),
(138) Weicht pas zu preisen (ze briessent)^) wer]
') Hat nur drei Hebungen; dergleichen begegnet in beiden Handschriften öfter,
80 in m^ V. 6 u. 7, in m* 79:
S(ig mir den namen dein,
») m^ hat geadlot; vgl. a. a. O. §. 372, S. 880.
') m^ hat an ainder, dies muß nicht Schreibfehler sein: a für et, ot kommt
ebenso wie ai für a auch im schwäbischen Dialect vor; vgl. Weinhold a. a« O. §. 87
und 94.
*)AÜber solche flectierte Infinitive vgl. a. a. O. §, 871.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT- H8S. 469
darauf 136: Die vein (minn) die sprach begert ir mein,
137 krieg hie, 138 fehlt: zweite Lücke; 139 si p{b)utten paid, 142
da gewan, 147 nicht fehlt.
149: und cha(ko)men au(o)ch da nit h, w.^
152: Vnd auch dasselbig w. pr.y
153 seien, 154 hertz lieh hah, 156 und fehlt.
160: Also rett petter 8[8ch)uchenwirtt
Aus denselben Gründen, die ich schon bei anderer Gelegenheit
vorgebracht (vgl. S. 454 und 459) ist die Annahme, daß beide Fas-
sungen von der Hand desselben Schreibers herrühren, ausgeschlossen,
die, daß beide Schreiber von einander unabhängig aus einer und
derselben Quelle geschöpft, sehr unwahrscheinlich. Man geht nicht
fehl, wenn man m^ nicht nur als Quelle von Nr. 2, sondern
auch von Nr. 1 in m^ betrachtet. Daß zwischen beiden Hand-
schriften Abweichungen sich zeigen, ist nicht auffällig; sie sind
weniger zahlreich als im Widertaily aber etwas belangreicher. Das
erklärt sich aus zweien Gründen. Schon früher wurde bemerkt, daß
Nr. 2 in m^ nicht diesen argen Eindruck der Flüchtigkeit mache
wie Nr. 3 dieser Handschrift. Im Krieg der Liebe und Schöne
zeigt sich noch eine größere Sorgfalt als in Nr. 2, so daß
der Schreiber von m* ein vollkommenes Gegenstück zum 10. Schreiber
von A bildet. — Der gut lesbaren Schrift in m* wurde bereits ge-
dacht, der Krieg der Liebe und Schöne aber ist von V. 37 an
elend geschrieben und minder genau. Man sieht dies aus
Schreibfehlern, von denen ich nur anführe: 25 gi'uf, 37 da : blaw,
49 quart : erhört , 84 mir, 127 verspradt, 156 gefrawet. Ganz fehlen
sie auch nicht in m*; 1 cluge^ 21 herzen^ 51 zwieng, 120 unueru(yrren
und 145 die für der fallen auf. Im Übrigen hat der Schreiber von
m* manche Gebrechen seiner Vorlage glücklich gebessert. Daß in
m* die Verse 11—16 zu Anfang verstümmelt sind, trifft nicht den
Schreiber; das untere Eck von fol. 68 ist nämlich weggerissen.
Gegen einander gewogen, scheint m* den Vorzug vor
m^ zu verdienen: im Ganzen sind sie wohl gleichwerthig.
Die Quelle von m^ ist unbekannt, h^ kann es nicht gewesen sein schon
wegen der nicht unbedeutenden Textverschiedenheiten;
überdies ist h' erst 1479 geschrieben worden, m* aber 1464 und m*
1454. An Brauchbarkeit kommen sich alle drei Hand-
schriften ziemlich gleich; P benützte nur h^ eine neue Aus-
gabe wird die Gruppe m*m* nicht übergehen dürfen, sie liefert
an ungeftihr 25 Stellen, m* und m* an je zwein Verbesserungen zu h',
470 FRANZ KRATOCHWIL
Zu den guten Handschriften gehören m*, m* und h' nicht,
sie weisen metrische und sprachliche Ausartungen und Sinnlosigkeiten
genug auf. Ihr Werth aber liegt darin, daß durch sie ein
Gedicht, ein sicheres Eigenthum Suchenwirt's, welches
in A leider fehlt, uns erhalten wurde.
XIX-XXI. kf. Pt- rf.
Auch kpr bilden wie h^m*m* insoferne eine Gruppe,
als sie uns ebenfalls ein Gedicht Suchenwirt's überliefern,
das in der Reihenfolge seiner Gedichte in A nicht vorkommt:
das Würfelspiel. Daß Suchen wirt ein Gedicht unter dieser Über-
schrift dichtete, war schon aus dem Inhaltsverzeichnisse von N
bekannt, daß es noch existiere, erfuhr man erst 1829. Damals
berichtete Graff, Diutiska, 3. Bd., S. 267 flf. „über altdeutsche Denk-
mäler in Kloster-Neuburg bei Wien, in Melk, St. Florian, Kremsmünster
und Linz", S. 277 erwähnte er unter den handschriftlichen Schätzen
Kremsmünsters „ein Gedicht vom Würfelspiel, von Suchenwirt aus
dem 15. Jahrhunderte". Auf mein Ansuchen wurde mir der Codex
Nr. 69, welcher das Würfelspiel *) enthält, in wahrhaft liberaler Weise
nach Wien zur häuslichen Benützung geschickt.
Äußerlich ist diese Papierhandschrift mit ihren dicken über-
zogenen Holzdeckeln und eisernen Schließen sehr unansehnlich; sie
besteht aus 173 Blättern in Quart. Auf der Innenseite des Vorder-
deckels ist ein Pergamentstreifen aufgeklebt mit der Inschrift: Iste
Über est Sancti Agapiti martyris in Kremsmuster ^ quem nobis dedit
honorabilis presbyter Johannes Seid De lewbs . . . ; bei dem letzten Worte
ist oflfenbar an Leihen in Niederösterreich zwischen Dttrrenstein und
Stein zu denken. Der genannte Priester hat nicht nur diese, sondern
auch mehrere andere Handschriften dem Kloster Kremsmünster in
den Jahren 1440 und 1441 übergeben*). — Die Schlußworte des
*) Das Gedicht im Liede^saal, S. Band, S. 231 f., mit dem Anfange:
Mich hett ama tages dar zu hracht
Der würfet d<u ich toae foerdacht
und am Schluß: Vnd an den würfel heUben
Durch sine vaUehen minetat
Du er begat mit valachem rat,
(im Ganzen 82 Verse) ist von dem Suchenwirfs verschieden, wenn es auch dieselbe
Tendenz hat, die Schädlichkeit des Würfels darzustellen.
^) Vgl. über Seid und die üblichen Todtenverbrüderungen P. Hugo Schmid,
Catalogus codicum manuscriptorum in bibliotheca monasterii Cremifanensis ord.
S. Benedicti asservatorum. Tomi I. fasc. I. (187V) pag. 24.
ÜBER DEN GEGENWÄBTIOEN STAND DER SÜCHENWIRT-HSS. 471
Pergamentstreifens . ... et cantinet eoUeetionem tabularum de eqtiationibus
motuum Solu et lune compilcUam ex tabulys alphoncy regia hytpanie
charakterisieren den Inhalt der Handschrift; dieselbe handelt that-
sächlich zum größten Theile von astronomischen und astrologischen
Dingen.
Die Handschrift ist an mehreren Stellen , namentlich nach dem
Suchenwirt'schen Gedichte stark schadhaft. Dasselbe be-
ginnt fol. 167* oben ohne Überschrift und reicht bis 170*.
Die Schrift ist ziemlich deutlich, weist in die erste Hälfte des 15. Jahr-
hunderts und gemahnt an die Züge in w, doch dürfte letztere Hand-
schrift älter sein. Es wurde ausschließlich schwarze Tinte verwendet;
auf jeder Seite steht nur eine Columne, die Verse (durchschnittlich
28 auf jeder Seite) sind abgesetzt und beginnen meist mit großen
Buchstaben. Die zwei ersten Verse wurden mehr nach rechts ge-
schrieben, um Raum für eine größere Initiale zu reservieren, die
übrigens nicht nachgetragen wurde. Als Abkürzungszeichen gebraucht
der Schreiber ^, * und ^^, letzteres ist zuweilen unnöthig gesetzt,
dagegen fehlen häufig die i-Punkte'; zur Vocalbezeichnung verwendet
er ganz vereinzelt ", sonst ' und ', gewöhnlich aber ' . Fast regel-
mäßig finden sich diese Punkte über y^ hingegen werden Halb-
diphthonge damit nur selten angedeutet: 20 &' let (= ä = ae),
59 ich tümmeTf 81 gät (= ä) und 163 der zehen pdt^ Svarabhakti nie.
Diese werden vielmehr durch e und i gegeben; metrisch nicht ge-
rechnet ist sie in 58 czarerij 129 czorn und dem öfter vorkommenden
durich; metrischen Werth hat sie in 85 werichstat und 155 werich.
Das Lob der Sorgfalt kann man dem Schreiber von k
nicht ertheilen. Es kommen Sehreibfehler im Innern der Verse
und in den Reimen vor, so 35 set (die Prager Handschrift p hat
schneidt\ 41 se (p sein), 52 und 128 jnymt (p nymbt)^ 52 weil (p weib)^
57 fer (p ser) , 85 ewicht (p entwicht: Antritt von unechtem t nach
lingualem Auslaut, vgl. Weinhold, Alemann. Gramm. §. 178), 87 dat^
dem (p czu dem) und 109 tugenchaßen (p tugerdlichen) ; 1 ampt : schampt,
19 versiahen : v'^smacheny 29 vart : span (p spart), 61 entmcht : nit (p nicht),
69 prawtet (p praittet) : laitet, 125 v^nvß : cztichunß, 143 frawn : ge-
trawen\ 25 pmefet (p. prewet) : vernewet^ 39: JSr siez Den tag vnd Die
nascht: wag (p hingegen: Efr sitzt die nacht biw an den tag), 91 hat
: stet (p statt) ^ 109 vor : spar (p spor), 113 ir habet : waldet (p halten
: walten), 121 schulln : schulin (jp füllen : süllen); in V. 128 fehlt auch, in
71 spil, 121 der. Neben stumpfschließenden Versep mit drei Hebungen,
wie Vers
472 FRANZ KRATOCHWIL
3: Da^ phligt nicht chlug^ sinn
4: D«5 pin ich war den ynn
89: Noch ains Da:^ mut mich aer
finden sich überladene Verse; z, B.
37: De:^ nacht^ so hat oft ein^ gvien mut
62: Man geit yem Da:^ gelt hin wid^ nit
64 : wann er mit ainem fiie:;^ stet auf D* pankch ;
V. 151 mit vier Hebungen:
Mit fumf atigen^) czu den stunden
reimt auf V; 152 mit nur drein Hebungen:
Spott er Der fumf wunden u. s. w.
Die Verse 19 und 20 von p sind in k umgestellt (20 geht 19 voraus),
desgleichen 101 und 102, beidemale, wie ich glaube, nicht zum Vor-
theile des Sinnes. Nach V. 49:
ffUust er Dann Daz ist ein spot
fehlt ein Vers, p hat darnach:
So schilt er dann vnd swert hy gott;
nach 117: Frawen priest^ ritterschaft
weist die Unterbrechung des Reimes auf den Ausfall eines Verses hin;
p. hat als V. 118:
Den krencket er hohes crafft.
Nach V. 144 folgen die zwei nicht reimenden Verse:
Mit tau:; e^ Die Driuaüichait
Der vier ewangelisten;
vor dem ersten hat p als V. 145:
Er verlaugent als man saitt,
vor dem zweiten als V. 147:
Das merckt ir edeln cristen.
Auf den ersten Eindruck hin ist paan leicht geneigt ^ den häu-
figenMangel desUmlautes durch die Leichtfertigkeit des Schrei-
bers zu erklären. Aber dieser schreibt nicht nur 1 snodes^ 33 phlag^
74 mochty 122 vppichait, 175 schant, sondern auch 17 und 21 vber,
100, 124 und 160 sunt, 119 und 122 sunden und stets toutfel Wir
haben es also hier mit einer Eigenthümlichkeit der Sprache
des Schreibers zu^thun (vgl. S. 331), diese aber hat unver-
kennbar alle Me'rkmale des österreichisch-bairischen
Dialectes. Ich erwähne (um nicht bereits Gesagtes zu wiederholen)
nur den Einschub des lingualen Nasals in das Suffix: heiling (Wein-
^) äugen fehlt in p.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 473
hold, Bair. Gramm. §. 168), den Aus- und Abfall von d in 127 ofn
(p Orden) und 160 from (p framd, a. a. O. §. 148 u. 149) , sowie die
Vertretung von ü durch i in 180 chinnd (p kilnd^ a. a. 0. §. 19).
Die Papierhandschrift p, deren bereits im Vorstehenden öfter
gedacht wurde, hat die Signatur I. G. 8 (früher 325) und ist Eigen-
thum des Böhmischen Museums in Prag, dessen Verwaltungs-
ausschuß die Güte hatte, mir die Handschrift zur Benützung nach
Wien an die k. k. Universitätsbibliothek zu übersenden. — Sie war
ohne Zweifel einmal eine der schönsten Handschriften; die starken
Deckel sind mit rothem feingepreßtem Leder überzogen und waren
an den Ecken und in der Mitte mit schön gearbeiteten Messing-
buckeln versehen, von denen bereits vier fehlen, desgleichen eine
der Lederschließen, während die andere verstümmelt ist. Die auf
den Deckeln eingepreßten Worte lauten ^ave maria^, auf den
Messingbeschlägen des Vorderdeckels zum Einklappen der Schließen
^avet mariat gracia^, auf jenen des rückwärtigen Deckels, mit wel-
chen die Schließen befestigt waren 9,vns^, auf den Eckbeschlägen
„mariat graciat plenat a^. Der Rücken ist etwas schadhaft; er trägt
oben ein Schild mit den Worten „Versus germanici Scripti^ ; darunter
ein kleineres mit der Zahl 271 und darunter ein Zettelchen mit der
jetzigen Signatur.
Der Codex enthält zu Anfang fünf ungezählte Blätter in Folio,
denen 353 gezählte folgen; die Blattzahlen von 1 — 60 scheinen mir
in neuerer Zeit mit schwarzer Tinte aufgefrischt worden zu sein.
Die Überschriften sind mit rother Tinte geschrieben, der Anfangs-
buchstabe des ersten Verses ist roth und bedeutend größer als die
der anderen, welche mit einem rothen Striche durchzogen sind.
Während in der kleineren zweiten Hälfte der Handschrift nur die
Strophen abgesetzt sind, sind die Gedichte der ersten Hälfte in einer
Columne so geschrieben, daß mit jedem Vers eine neue Zeile beginnt;
deren sind auf einer Seite ungefähr 30 — 34. Der beschriebene Raum
ist mit vier auf einander senkrecht stehenden Linien eingesäumt, so
daß nach allen vier Richtungen breite Ränder frei bleiben.
Die Schrift verräth nur eine Hand und weist uns in die zweite
Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die i-Punkte — ich habe hier und im
Folgenden vor Allem Suchenwirt's Gedicht im Auge, das fol. 113**
unten mit der Überschrift: Was vheh ainem yeglichem ufi Spil chom
beginnt und fol. 116^ endet — fehlen häufig. Abkürzungszeichen
finden sich nicht, außer einem wagrechten Striche, um die Verdoppe-
lung des m oder n anzuzeigen. Die zur Bezeichnung des Umlautes
474 FRANZ KRATOCHWIL
üblichen Punkte *" oder * werden auch über w häufig gesetzt, wenn
sie als u gelesen werden sollen, z. B. V. 27 heiot. Doch kommen die
Punkte statt auf w auch auf das diesem vorausgehende e zu stehen,
so 25 prewet, 56 rewßt Um uo, %ie auszudrücken, wird das Zeichen ^*
angewendet oder "y welches manchmal einem Kreise ähnlich ist, wie
denn Dr. Karl Haltaus, welcher diese Handschrift unter dem Titel
„Liederbuch der Clara Hätzlerin" (= dem achten Bande der Bibliothek
der gesammten deutschen Nationalliteratur von der ältesten bis auf
die neuere Zeit) im Jahre 1840 veröffentlicht hat, immer dafür einen
kleinen Kreis setzt; s steht viel häufiger als in k dort, wo wir es
jetzt schreiben, 88 auch für 55, so 98 e88en8, 102 y88et\ 5 (in k noch
öfter als hier nach mhd. Weise an rechter Stelle) für z (namentlich
im Worte zu) und ;^; ^% ist nicht beliebt, dafür wie auch für 5
(64/a/f, 184 laßt) und «« (94 mißewend) kommt besonders häufig ß
vor. In- und auslautend hat die Handschrift immer t:^ (k cz)^ nur
anlautend einigemal c^, so 67 c:^ucht; k und ck begegnet viel öfter
als in k, so 10 kan, 16 kunst, 63 hranck, 120 vpptkait u. s. w. Unter-
scheidungszeichen finden sich nicht, der Gebrauch der Majuskel inner-
halb des Verses ist nicht häufig.
Zu obiger Altersbestimmung der Schrift stimmen die an dem
unteren Rande des letztgezählten Blattes (353^) von derselben Hand
angebrachten Worte: Anno Dm Augspurg ic^ LXXI^ darunter: Clara
Hät:^Win. Wir haben es also mit einem Autograph der Hätzlerin zu
thun, das sie 1471 zu Augsburg beendete, wahrscheinlich für Jörg
Roggenburg daselbst. Es steht nämlich auf der Innenseite des Vorder-
deckels : Iteva da:^ buch %8t jET . . . . ^) Roggenburg \ zu Aug8purg wer «5
hab der ki88 jms wider we^'den, daräber Ü, noch höher: Jhu8 1470
Christus, Auf dem leeren ungezählten Blatte vor dem rückwärtigen
Deckel steht oben: Jhus Maria 1470 Christus f tiefer: Item dac^ püch
jst Jörg Roggenburg wer eß hob der laß Ims wyder werden Anno Dom
M'QCCO'I^LX Jar^ daruntes II, was sicherlich der Namenszug Roggen-
burgs ist, dessen Wappen auf der Innenseite des rückwärtigen Deckels
unter dem Namen ROGEN BURG in primitivster Federzeichnung an-
gebracht ist. Daß die Hätzlerin die Handschrift 1471 beendet, Roggen-
burg aber an drei Stellen sie im Jahre 1470 schon als sein Eigen-
thum erklärt, ist insoferne vereinbar, als sie von ihm den Auftrag
') Die punktierte Stelle ist nicht mit Sicherheit zu lesen; beide Zeilen sind,
hie und da sogar mehrere Mal, mit Tinte durchstrichen. — Die Hätzlerin hält Haltaus
für eine Nonne zu Augsburg (S. IX) ; einen Beweis für diese Annahme bringt er nicht.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHEN WIRT- HSa. 475
zur Abfassung 1470 erhalten haben mag; damit aber erst 1471
fertig ward.
Jedenfalls ist die Schrift jünger als in der Handschrift von Krems-
münster^ welche auch ältere Sprachformen und zwar österreichisch-
bairischen Charakters aufweist, während der Prap^er Codex im schwä-
bischen Dialect geschrieben ist. Im Gedichte kommt immer vff
(meist mit zwei /) vor; 184 ußj V. 50 6y, hingegen 165 hey, nie
durick, sondern stets durch] im Innern der Verse nit^ mit Ausnahme
des V. 35, wo wie auch im Reime V. 62, 67, 86 nicht begegnet.
In den Verbindungen «?, sm, sn herrscht im Gegensatze zu k der
breite Laut sch^ hingegen werden die Formen des Verbums sollen nie
mit 8ch geschrieben. Während in k die Bezeichnung des Umlautes
sehr häufig unterbleibt, wird er hier regelmäßig durch zwei Punkte
angedeutet; diese finden sich auffallender Weise auch über mhd. e
öfter, so 29 mainswimj 50 swirtj wie sich auch über mhd. d häufig
ein Zeichen zeigt, das zuweilen wie das über u (= wo, w«: 30 war-
haü)y meist aber so aussieht ^^ oder so ' (60 Äaw, 179 wärhait). Haltaus
macht ein ▼ = t; daraus^), was allerdings dem schwäbischen Dialect
entspräche, welcher au = d setzt ; mir scheint aber wahrscheinlicher,
daß dadurch eine Verschiebung des d nach 0, ein Mittellaut a an-
gedeutet werden soll (vgl. Weinhold, Alemann. Gramm. §. 91).
Im Ganzen ist diese Recension für die Textkritik ein
bedeutender Gewinn; denn wenn auch die Handschrift k ihres
Alters und Dialectes wegen dem Texte zu Grunde gelegt werden mag,
so kann dies doch nur geschehen unter sorgfältiger Beachtung der
Prager Recension, welche die Lücken von k ausfüllt und an Stelle
von deren Fehlern fast immer das Richtige bietet. Nur an einigen
Stellen zeigt diese sauber und deutlich geschriebene Handschrift
Textverderbni ß. Ungenaue Reime sind: 3 synne : ynnen^ 11 er-
hangen : lange (k erhäng : lang) , 55 verliußt (k v'leust) : rewfit , 75 tat
: latty 165 holt (k held) : erweU, 179 verpirgt (k v^pirt) : Suechenwirt, —
In V. 5 fehlt vil, 15 auch, 54 der, 88 «0; die Verse 89 u. 90, 93 u. 94
haben drei Hebungen mit stumpfem Schluß, desgleichen V. 105, mit
dem der stumpf schließende V. 106 mit vier Hebungen durch Reim
gebunden ist.
^) SoDsst sind die Unterschiede zwischen p und dem Abdruck unseres
Gedichtes bei Haltaus nicht zahlreich: Y. 4 fehlt ganz bei Haltaus (es ist auch
in den rückwärts angehängten Bemerkungen S. 365 darüber nichts gesagt); V. 18 hat
p lerefU (Haltaus lernet), 29 mainswem (der Druck mainswere), 35 nicht (Haltaus nit),
126 9uhmfl (das Buch zükunfl), 162 der der (Haltaus ser der, er schlägt vor er der zu
lesen, k hat wirklich so).
476 FRANZ KRATOCHWIL
Eine ursächliche Beziehung zwischen k und p ist
wohl nicht anzunehmen; die Entstehung von k ist spätestens 1441,
die von p 1471 anzusetzen; p könnte aus k geflossen sein, aber es
spricht außer der Zeit gar nichts für eine solche Annahme. Verwandt-
schaft aber herrscht zwischen pundr, einer Liederhandschrift,
welche der Dichter Ludwig Bechstein bei einem Antiquar 1835 er-
worben hat Ich habe die Handschrift nicht gesehen, besitze leider auch
keine Abschrift des Suchenwirtischen Q-edichtes, das dort
Bl. 138^ steht; wohl aber war Haltaus in der Lage, die Handschrift
für die Ausgabe seines Liederbuches vergleichen zu können ; er nennt
sie eine „sehr nutzbare", mit p „auffallend" übereinstimmende Hand-
schrift, welche aber etwas jünger als p und in der Orthographie ver-
derbter sei. An bedeutenden Unterschieden zwischen p und r fehlt
es nicht; als solche verzeichnet Haltaus S. XL VII f.: 16 vil fehlt,
17 er ftdüy 19 er lösts, 20 verschahen, 21 — 24 fehlen, 25 Icuter^
44 leydty 85 entumest, 98 nach esses woll er, 102 also^ 104 obersten^
110 das statt der, 113 haltend : waltend^ 159 verleugent acht
Von den 21 Handschriften, die bisher beschrieben und verglichen
wurdet, hat P in seiner Ausgabe der Gedichte Suchenwirt's
sechs verwendet; wo und inwieferne die übrigen 15 Hand-
schriften für eine neue Ausgabe heranzuziehen sind, wurde
in der vorstehenden Untersuchung bereits angegeben. Die
Hälfte aller Handschriften (darunter die bedeutendsten), nämlich
A, a, B, C (N), w, m', g, k, m^ und m^ gehört dem österreichisch-
bairischen Sprachgebiete an ; österreichisch-bairischer Dialect mit
schwäbisch-alemannischen Anklängen zeigt sich in h^ und s; ale-
mannisch ist die Sprache in h^ h', f und 1; schwäbisch in m*, m*,
p und r (?) ; mitteld. in d.
Die ältesten von allen sind A, 1 und g; sie gehören dem
Ende des 14., A und g spätestens dem Anfange des 15. Jahrhunderts
an; N datiert aus dem Jahre 1402, etwas jünger sind s und w;
k wurde spätestens 1440 oder 1441 geschrieben, f 1445. Der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts gehören neun Handschriften an: m* (1454),
m* (1464), m* (1468), m« (1470), p (1471), h» (1479), h\ h« und r.
Aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammt m^, aus der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts B und C, aus dem 18. Jahrhundert a und d.
A übertrifft alle anderen durch die Zahl der Gedichte;
rechnet man das nur mit den letzten Versen in A erhaltene Gedicht
auf Gumolf Läpp mit, zählt aber die beiden Recensionen auf Ulrich
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SÜCHENWIRT-HSS. 477
von Waise nur als eine Nommer, so liefert A allein 45 Gedichte.
Keine der übrigen Handschriften kommt auch nur entfernt dieser
Zahl nahe; B bringt 21, C zehn, m' und m^ je drei, w, d und m^ je
zwei, von den übrigen 13 Handschriften hat jede ein Gedicht von
Suchen wirt. Den 45 Gedichten in A allein stehen somit 56 Gedichte
gegenüber in den übrigen 20 Handschriften zusammen. Sämmt-
liche Handschriften enthalten demnach hundert und eine
Suchenwirtische Dichtung.
DerWidertail kommt allein fünfmal vor, die schöne Abenteuer
und das Gedicht von fünf Fürsten treffen wir in je vier, die Rede
auf Ereuspeck, die zehn Gebote, die sieben Freuden Marions, das
jüngste Gericht, den Krieg der Liebe und Schöne, endlich das Würfel-
spiel in je drein Handschriften, die Reden auf Gumolf Läpp, den
König Ludwig von Ungarn, die Kaiserin von Baiern, auf EUerbach
Vater und Sohn (letzterer zweimal verherrlicht), auf die Edlen von
Pfannberg, Pettau , Waise, Stadeck, Cilli, Lochen und Traun, auf
die Herzoge Albrecht II. und Alb recht lU. von Österreich (beide todt)
und Heinrich von Kärnten, auf Albrecht von NürnV,erg und den
Teichner, die Gedichte von der Minne Schlaf, Albrechts Ritterschaft
und der Fürsten Theilung» von zwein Päpsten und von hübscher
Lug, vom umgekehrten Wagen, dem Kriege der Fürsten und Städte,
von den Räthen des Aristoteles, endlich der „fremde'' Sinn, also zu-
sammen 27 Dichtungen begegneten uns in je zwein Handschriften;
nur einmal finden wir die Reden auf Haunfeld, Chappell, Herzog
Albrecht II. von Österreich (noch am Leben) und Albrecht von Rauhen-
stein, das Gedicht von der Minne, der Minne Gericht, den Brief, die
Jagd, den Rath vom Ungelt, den Pfennig, die Verlegenheit und den
Geiz, den getreuen Rat und die sieben Todsünden, den neuen Rath
und Equivocum, das sind 16 Gedichte. Wir besitzen somit unter
den die Zahl hundert übersteigenden Suchenwirtischen
Dichtungen der einundzwanzig Handschriften zweiund-
fünfz.ig verschiedene Gedichte Suchenwirt' s.
Schon einmal (vgl. S. 466 f.) kam die Rede auf den Versuch,
Suchenwirt ein Gedicht abzusprechen. Aber auch gegentheilige Be-
strebungen können wir bemerken (vgl. S. 324 f. und 436 ff.) ; so sieht
Dr. Anton Mayer S. 235 f. seiner Geschichte der geistigen Cultur
in Niederösterreich von der ältesten Zeit bis in die Gegenwart, 1. Band,
Wien 1878, in Suchen wirt den Autor des Gedichtes auf die Schlacht
an der Leitha (1246); Gründe hiefür gibt der Verfasser nicht an,
er bezieht sich bloß auf die Stelle :
asaiUKIA. MMt Beibt UQ. (XXXIY.) Jthrg . 32
4t8 Ib'RANZ KRATOCHWit
Den atrit tiht ich iu gerne gar,
wie da bestuont diu schar di schar
und wie man kom übr di Leittd
und wie:^ di biderben täten dd
und wie der und der wart erslagen;
wan da:^ ichi^ dar umb wil verdagen
ß? i«< getihtet e vor mir,
dd von ich der niwe wol enbir
im Frauendienst des Ulrich von Liechtenstein (S. 527, 3 der von
Karajan mit Anmerkungen versehenen Ausgabe Lachmann' s,
Berlin 1841). Aber Mayer mag selbst in dieser Annahme sich nicht
ganz sicher fühlen, denn er verweist auf Wackernagel, der in
seiner Literaturgeschichte (2. Auflage, 1879, S. 285) das firagliche
Gedicht dem Liechtenstein selbst zuschreibt: vor (in 65 ist getihtet e
vor mir), sagt Wackernagpl, bessert sich gleichsam von selbst in von. —
Schwer in die Wagschale fällt der Umstand, daß die Schlacht an der
Leitha als dichterischer Vorwurf dem Suchenwirt, -wie eine Unter-
suchung seiner Dichtungen -vom historischen Standpunkte ergibt,
zeitlich viel zu ferne liegt.
Anders verhält es sich mit der in Laßberg's Liedersaal, 2. Band,
S. 321 — 326 abgedruckten Ehrenrede auf einen verstorbenen Grafen
Wernher von Hon(m)berg (194 Verse), von der Laßberg an-
nimmt, daß sie von einem der edlen Burgmänner des dahingeschiedenen
Grafen herrühre, während sie Ko berstein in seinem Grundriß der
Geschichte der deutschen Nationalliteratur, S. 308 des ersten Bandes
(5. Auflage) ^mit Zuversicht Suchenwirt zusprechen zu dürfen** glaubt.
Diese Annahme beruht offenbar a,uf der Ähnlichkeit dieses Gedichtes
in Anlage und Durchführung (weniger im Stile) mit einzelnen Dich-
tungen Suchenwirt's ; darnach könnte die Rede vielleicht von Suchen-
wirt sein. Auch über die Persönlichkeit des Grafen Wernher von H.
gehen die Ansichten auseinander. Laßberg, Koberstein und Wacker-
nagel (a. a. O. S. 288) sehen in ihm den um 1360 verstorbenen letzten
Grafen dieses Stammes ; von der Hagen (Minnesinger IV, S. 88 — 95)
setzt das Gedicht in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts ; für Bartsch
(Deutsche Liederdichter des 12. — 14. Jahrhunderts, Leipzig 1864,
Nr. LXXXVI) ist der in dieser Ehrenrede Gefeierte identisch mit dem
Dichter Wernher von Honberg, der am 21. März 1320 vor Genua
sein Leben beschließt und den der Verfasser des Gedichtes von den
sechs Farben (Müller, Sammlung deutscher Gedichte 3, XXIV) als
Gewährsmann nennt. Vgl« Wackernagel a. a. 0. S« 374 a und Dr.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 479
G. von Wyss, Graf Wernher von Homberg in den Mittheilungen
der antiquarischen Gesellschaft zu Zürich (1860) 13, 2, 1. — Der
Gedanke der Autorschaft Suchenwirt's fand keine oflfenen Gegner, aber
auch nicht ausgesprochene Anhänger. In der That läßt sich derselbe
nicht mit gleicher Bestimmtheit wie die Annahme Mayer's ablehnen,
aber faßt man alle in dieser Frage in Betracht kommenden Momente
ins Auge, so findet man, daß sie doch nicht derart ausreichende An-
haltspunkte geben, um zu mehr als einem problematischen Urtheil zu
kommen. Daraufhin aber das Gedicht in eine künftige Suchenwirt-
ausgabe aufzunehmen, halte ich nicht für angezeigt.
Es bleibt somit bei 52 Gedichten; von diesen besitzt A allein 45!
Da aber zu Anfang von A einst auch die vier ersten Gedichte von B
standen, so fehlen in A von allen Gedichten Suchen wirt's nur drei:
von fünf Fürsten, das Würfelspiel und der Krieg der Liebe und der
Schöne. Das erste hat 244 Verse, das zweite 184, das dritte in h*
160 Verse; alle drei Gedichte zählen somit 588 Verse. Da dem letzten
Qedichte in A ursprünglich zwanzig unbeschriebene Seiten folgten,
auf eine Seite aber in A 29 — 30 Verse gehen, so würden diese zehn
leeren Blätter -^ ganz abgesehen davon, daß auch der größere Theil
von S. 483 zur Verfügung stand, vollkommen für die Aufnahme der
erwähnten drei Gedichte ausgereicht haben. Da diese Gedichte zu
jenen gehören, die gerade am häufigsten vorkommen — und zudem
die beiden ersten in österreichischen Handschriften — , so ist wohl
die Annahme gestattet, daß die zehn Blätter am Schlüsse von A zur
Aufnahme dieser drei Gedichte bestimmt waren, die aber aus einem
uns unbekannten Grunde nicht mehr zu Stande kam. Wäre sie aus-
geführt worden, dann hätten wir in A eine vollständige Samm-
lung der Gedichte Suchenwirt's ! Ich meine Sammlung im wört-
lichen Sinne: denn ohne Zweifel verdankt die Handschrift A ihre
Entstehung einem Verehrer der Suchenwirtischen Muse, aber nicht in
der Art, wie das Liederbuch der Clara Hätzlerin, das auf einen be-
stimmten Antrag hin von einer Person in einem Jahre geschrieben
wurde. Bei A haben wir es vielmehr mit einer nach und nach an-
wachsenden Sammlung zu thun, daher die erweislich große Anzahl
Schreiber, die sich daran betheiligten, daher die so sehr verschiedene
Schreibweise und äußere Ausstattung der Gedichte (vgl. S. 209— 220) ;
von S. 1 — 28 inclusive steht jede Columne zwischen zwein von oben
bis unten reichenden schwarzen Strichen; der 14. Schreiber faßt jede
Seite seiner Abschrift von Herzog Albrechts Ritterschaft (bis S. 280)
32*
480 FRAKZ KSATOCHWIL
mit 7ier aufeinander senkrechten Linien ein, daß nach allen Richtungen
ein freier Raum bleibt. Ähnliches that nur noch der 18« Schreiber,
von dem die Abschrift des umfangreichsten Oedichtes, der sieben
Freuden Marions, herrührt. Dieses G-edicht zeigt auch deutlich, wie
die Sammlung entstand; nicht vielleicht so, daß wir uns den Codex
schon gebunden denken, in welchen die einzelnen Schreiber die Ge-
dichte eintragen, sondern er setzte sich allmählich aus einzelnen
Heften zusammen. Gewöhnlich fiel die Leistung eines Schreibers mit
dem Ende eines solchen Heftes (einer oder mehrerer Lagen) zusammen ;
bheb aber gegen das Ende des Heftes etwas unbeschrieben, so be-
nützte in der Regel der nächste Schreiber den freien Raum. Aber
nicht immer. So sah sich der 18. Schreiber das Format der bisherigen
Hefte an, arbeitete zu Hause an seiner Abschrift, unbekümmert darum,
daß vor derselben über anderthalb Seiten unbeschrieben blieben; er
achtete nicht der Gewohnheit der anderen Schreiber, jedem Gedichte
eine Überschrift zu geben, ja er trug sie nicht einmal auf dem freien
Räume vor seinem Hefte ein, — und doch ist er von allen Schreibern
einer der sorgfältigsten. Auch sein Nachfolger begann seine Arbeit
mit dem jüngsten Gericht, ohne Rücksicht, daß in dem Hefte seines
Vorgängers nahezu zwei Seiten unbeschrieben waren. Lieferte doch
der 4. Schreiber noch einmal eine Abschrift der Rede auf Ulrich von
Waise, trotzdem von dem 3. Schreiber 20 Seiten vorher bereits die-
selbe geschrieben stand. Und doch haben beide Recensionen ') die-
selbe Anzahl Verse, behandeln den Stoff in gleicher Ordnung, kurz
es ist, von einzelnen Abweichungen im Ausdrucke abgesehen, dem
Inhalte und der Form nach zwischen beiden kein wesentlicher
Unterschied.
A war, wie sich bisher ergab, ausschließlich zur Aufnahme Suchen-
wirtischer Dichtungen bestimmt; es war somit gerechtfertigt,
A die Suchenwirt-Handschrift xar' i^oxi^v zu nennen (vgl.
S. 230); die Handschriften a, h^ h*, m\ w, m* und 1 lassen sich mit
größerer oder geringerer Sicherheit darauf zurückführen. A zunächst
durch hohes Alter, reichen Inhalt und Güte der Überlie-
ferung steht N; in ihr standen 50 Gedichte Suchen wirt's ; davon
sind uns glücklicherweise in B und C, welche aus der nun leider
ganz verschollenen Handschrift unmittelbar schöpften, 31 erhalten.
') P hat die zweite Faasnng in seiner Ausgabe zu Grande gelegt und von
der ersten mehrere Lesarten abgedrackt; S. 157 seiner Ausgabe lautet es aber gerade
umgekehrt« B stimmt mit der ersten Recension in A.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRT-HSS. 481
Andere Handschriften^ wie s, g (?), m^und m* (für die schöne Abenteuer),
M 42 (d), f mit m* und m*, k, vielleicht auch p und r weisen auf N
zurück, während h^ und m* (Krieg der Liebe und Schöne) mit m*
eine selbständige Stellung einnehmen. Daß die aus N stammenden
Handschriften, z. B. B in der Rede auf Hans von Traun, im Texte öfter
von A abweichen, ist, selbst wenn man von den Schreibern ganz
absieht, nicht besonders auffällig. Zeigt sich nicht in A sogar Ähn-
liches? Man vergleiche doch die beiden Fassungen der Rede auf
Waise! — Gerade in den Ehrenreden mögen am frühesten, vielleicht
selbst zur Zeit Suchenwirt's schon, hie und da Änderungen vor-
genommen worden sein. Solche Reden entstanden aus einem bestimmten
Anlaß; wurden sie bei einer späteren Gelegenheit wieder benützt,
so konnte ja von Seite der Angehörigen des Gefeierten vielleicht ge-
wünscht werden, daß diese oder jene That in der Rede etwas mehr
in den Vordergrund trete u. s. w.
Ich erinnere an die zweite Rede auf den jungen EUerbach und
Albrecht TL, von Österreich.
Behufs Anordnung und Nummerierung der 52 Gedichte
Suchenwirt's stehen drei Wege offen. Es können die Gedichte
nach den Haupthandschriften, in denen sie vorkommen und
die dem Texte besonders zu Grunde gelegt werden, geordnet werden.
Darnach kämen die ftlnf ersten Gedichte aus B , die ja einmal auch
zu Anfang von A standen, zuerst, dann die Gedichte von A, dann
das von fünf Fürsten nach g, der Krieg der Liebe und Schöne nach
h^m*m* und endlich das Würfelspiel nach kpr. Dieser Vorgang er-
schiene als zu äußerlich.
Oder es könnten die Gedichte nach der Zeit ihrer Ent-
stehung aufeinander folgen. So berechtigt eine solche Anordnung
auch wäre, es steht als Hinderniß der Ausführung der Umstand im
Wege, daß nicht bei allen Gedichten sichere Anhaltspunkte für die
Zeit ihrer Abfassung vorhanden sind, bei einigen dieselbe nur ver-
muthet, bei anderen gar nichts über die Zeit ihrer Entstehung gesagt
werden kann.
Es empfiehlt sich somit der dritte Weg, die Gedichte nach
ihrem Inhalt zu gruppieren, in jeder Gruppe aber die ein-
zelnen Gedichte, so viel dies möglich, nach derZeit ihres
Entstehens aufeinander folgen zu lassen. Ähnliches hat schon P
versucht, aber nicht genau durchgeführt (denn sonst hätte wenigstens
dem Gedichte von fünf Fürsten das von zwein Päpsten , vom um-
gekehrten Wagen und der Krieg der Fürsten und Städte folgen müssen ;
482 FRANZ KBATOCHWIL
der Krieg der Liebe und Schöne wäre den anderen allegorischen Ge-
dichten eingereiht worden).
Nach dieser Anordnung sind in der nachfolgenden Tabelle die
dem Lobe (oder der Geißelung) einzeloer Personen gewidmeten Ge-
dichte an den Anfang gesetzt (24) und ihnen diejenigen, welche Ge-
schichtliches ohne allegorische Einkleidung bieten , angereiht (10),
worauf die allegorischen (9), didaktischen (2) und religiösen Dich-
tungen (4) und zum Schlüsse die possenhaften Gedichte (mit Aus-
nahme der Rede auf Gumolf Läpp) und die Reimkänsteleien folgen (3).
Von der in A eingehaltenen Anordnung der Gedichte weicht
diese Reihenfolge nur zweimal ab ; einmal, indem die Rede auf Ulrich
von Pfannberg, welche in A zwischen beiden Reden auf den jungen
Eilerbach steht, vor die erste Rede auf diesen gesetzt wurde, damit
der Rede auf den lebenden Ellerbach sogleich die auf den todten folge,
dann indem die Rede auf Hans von Traun der vom Teichner vor-
gestellt wurde, obwohl sie ihr in A folgt. Da aber beide so ziemlich
um dieselbe Zeit gedichtet worden sind, glaubte ich das thun zu können,
zumal es vom praktischen Werthe ist: es entsprechen dann die Num-
mern 1 — 24 der nachfolgenden Tabelle genau den in B befindlichen
Gedichten, nur daß diese Händschrift zweimal eine andere Aufeinander-
folge des Gedichtes hat.
Die Zählung von Friess und P ist beigefügt und angegeben, wie
oft und in welchen Handschriften ein Gedicht vorkommt. In den
Nummern 22 — 37 und 39 — 52 nennt sich der Dichter mit Namen.
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN ÖTAND DER SüCHENWIRT-HSS. 483
0
a
a
QO fl ,£]
kO flS «8
CO . ►^
o
o
1356)
1355)
. 1357)
7 oder 1
im Ged
t in das
•5
'S
todt (gest.
todt (gest.
todt (gest
(gest. 135
(die letzte
tsache fäll
1363)
Schon
Schon
Bereits
reits todt
hon todt
führte Tha
V o ©
PQ OQ bD
ja o
-^ 'S S
g-g-§
CO ^„ ©
o mS ® c^
^ ^i§ S
5 Ä .2
,ä 'S ÖD
o o ►
O CO
CQ ^
•'S.
60 fl
2 «
o M
ö ;ä 'S
o "^ ©
öQ ^ 'S
^
OD
™njo9ij^
«8
a
p p r: R 1:: R 1;:
04 09 04 C4 04 C9 94
04 04
pq PQ PQ «
o
d
ä
PQ ffi
« ? I « ?
r-«i
^
d ;:3
o o
2 ^
^<1
«>
o
a
o
ja
? 'S
w ö
N g
Ih od
w
►^ -
»^ 9
o o
s
M d
.2 «
o S
> §
£ 2
bo "^
o d
w w
d d
o o
> >
d
a
o
>
§
oS
r -d
«4-1 o
d
4> O
g §
d
'S «
^ OQ
'^ 'S
*S '^
^ §
d ^
O
>
bO c?
® S
> .2.
^ s
2 ^
t TS
> e
I «
bO >
2 ö '^
ö « «2
o d
!w
.15 d
© o
^ >
CS3
©
W
d
o
o o
• i-i 03
S OD
© d
o ^
© •g
ÖD ^
i g
o ©
w w
d d
o o
d ^
bp d
^ S
d ^
1 1
1
-« 'S
II
»-3 ©
ÖO
o
|b
« W
d d
o o
bDu3 ?
a <5 4*
2 jS -2
'-•sa>;>f^'-'ö^>3
«S|
a
>^
»H CQ CO -^ »O
CO t« GO C» O i-t 04
484
FRANZ KRATOCHWIL
M
u
o
B
CO
CO
m CO
H OS 00 ^^
® o CO bp «
'S « « §3
CD •
o "S
CO o
rH ^
ii
»O O
o
,d
o
OD
-^1
M
o
03
S! CO
2 -ö
«
cS §
d 'S
O 68
c? H
OD '^
o
o
o
Od
- CO
a § ^
• 'S ö •
-►^ .fe 2 S.
oQ *C n tio
3 g ^
*3 t- ^ o
2 'S ^
'S H5 ^"^
OQ
CO
08
O
.o I
CO ^
7 CO
' z
r-* d
CO 5
CO -g
S'i'
f 5S
00
- ,d CO
o ^
I
o
S
M
o
OD
tu t*
00
08
d
" Q
bo
I— •
o
»4
Q
OD M«
CO I ^
^ ' d
oo a
o f d
t^ :t3 CO
*^ 'S 'S
th d © 2
1-4 bo '^
a a o ►S
'^ 1 s
d fl
d fl
« es
d ca
9 9
to bo
.d M
o
-5 »o
ü := 13 w
3 3 3^
53 :ö
00 CD
d d
08 08
CO t«
CO oo
CO CO
CS fe
2 Jzi
i-ö t-3 h^
SCD CO
o8 08
Q Q Q
l nazavf)
g *: R R
C4 <M G4 09
KR R RR R RRRRRRrtR
s
TS
d
S S o
s 2 -e
pq
PQ PQ PQ ^
^ ^ ^ d
pq
o
,o
t3
I
o **
o 'S
4) S
§ g
.o o
> >
s
^ 'S
'S ^
o pq
^ d
o
d
o
►
d
9
CO
d
08
d
o
08
CP
&
12 'S
I
d
o
a <
o ^
d
o
2 -ö
o .2
o
i
»
d
o
9
I
pq ?
^1
4>
d
bo
II
-d S"
g .d
fe g
d
S g^ d
bo ^ «
fS 5 ^
« ÖD ^
fl a d
Q ®
5
'S I s
&
»o -< "^
S ^^
d « ©
<0 'D
9 d
'S © o
I s ^
^ *8 ®
fe Q3 »ö
® ® p^
^ 5
g ä^
•c
0»
a
i ®
K
t« CO Od O iH
«-^ *^ i-H (N (N
Hl l-(
04 CO
OQ C<l
> a
lO CO
Oü 09
09
oo Od O 1-4 04
04 04 00 CO CO
«O "^
CO CO
ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND DER SUCHENWIRTHSS. 485
'S «>
»O 1-1
CO
CA
pH 'S
1-» 0^
CO CD
CO CO
^ bO
o 'o
s ^
o o
CO CO
« 4>
bD bD
o o
TS TS
jd M
s s
^ 3
w 'S
'S QQ
o
a 0
S 'ö
2 fi
S S
B S
QQ
Q a
-■s 9 -r ^ 7 t- S
CO
CO CO
9
•4-)
'ö JL
d o
M CO
^ s
S .2
► %
,d o
o es
d S
« 'S
e8
«
bO
•S
d
o
d t-
o
08
d
o
rd CO
ä> i
*^ bD
u 'S
CO
^ CD
|S
CO ja
^ d
S «
fl ÜP
'S ►^
88
PQ
.9
d «B
II
«.2
bf>
»-^
o
Ö Ö
OB
QQ .^
•i-i
O V
^ N
>g
00
CO ja ^
rH O d
o ®
» w '^
•g §
08
d 9
® 'S
bo g
fe 8
S
w
ja
o
öS*
OOP
R i: R r: i::
1-t «^ iH lO ^
R R R
04 fH CO
»Hcoco»-"eocoo«©ii 1-*
§
2 fc-
g CO
S
6
B
B
a
^"^
(0
rd
d
2 s;
'S ^
ÜJ g
d
pd
73
« bO
:S 'S
^ 'S, ^ 'd
o 5 3^ ö g
2 d
d «>
d M
o
w ©
1-5 'ö
® .2
© ^ f^
3 I 'S
S ^ B
CQ g d
2 ® pS
d 'S 5
a t* ^
© ©
©
fcg
*®
»4
©
d
©
S ^ d
P4 ^ OQ
w © na
•S, O £
5 3
d
ja
©
08
.2 *• »o
•g ä .s
rK -Ö QQ
o ©
OD OD
5 5 '^
P jä d
bo '^ ©
o
s
^Sl^l
ä
CO t« CO O) o
CO 60 CO CO ^
»-M ©« CO
»O CO
o> o ^
•«^ kO o
i
C4
? ^ M
•"■■ s s?
§"ä s
.■§.9 1
s ". I -■
ja -^ 'S M
o o d o
'S «"ö -d
S 3 5 •§
'S • *>t
S 55 'ö 5
'S § § g
5 fl jd ^
5 ° s «
I §11
•§'■.•§'■8
9i ^ ^ o
« 'S CQ 3
•d S ja :S
Ä »H ^ P3
•C o
486 FßANZ KEATOCHWIL, ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN STAND etc.
30
35
2. TextergftDzuDgen.
Zur zweiten Rede auf Eilerbach den Jungen.
A hat nach V. 36 dieses Gedichtes eine Lücke von 52 Versen,
die ich nach B unverändert folgen lasse.
B, 8. 460, linke Spalte.
und rangk nach Gottes holden
ich mnz von waren schnlden
nrchond geben seiner tat
die er in Frawen dienste hat
5 mit BitterschafFt noUendet
der Manheit nngeblendet
faer er uon erst durch preys bejag
far Landaw da csn felde lag
der chaiser Lndweig genant
10 und wolte nemen reiche phant
dem Edlen Herzog Heinreieh
S. 460, rechte Spalte.
mit Streites ernst chreffdchleich
den Bitters Orden do enphie,
der hochgetewrt nu merket wie
1 5 es wart n ersucht das nicht geschach
der streit des maniger sich y^sach
darnach der Edel was berait
mit Chanig Johan gan unn^zait
gen Frankreich do mang hnndH lag
20 Ze tod erslagen auf ein tag
für tod belaib er auf dem wal
uon wunden was sein leben smal
daz man in sunder chreffte uand
daz leben waz des todes phant
25 die pheyl man aus im sneiden müst
Ach tod waz du czu laide tust
der hochgetewrten Bitterschaft
an leib und auch an lebens chraft
Maria Muetter und maid
in deinem dinst was er berait
drey stund in Prewßen landen
da man gar sund^ schänden
der uerte zwo czu schaden ccoch
den haiden daz si chlagent noch
Er tet nach Christenleicher ee
mit wer dem ungelauben w€
daz manig^ wart des lebens par
er nam der haidenscha£Ete war
mit wemden henden als im zam
40 In Holland für der Lobesam
mit manigem Bitter auserwelt
uor Utrecht uacht er als ein helt
uncz er uier wunden do enphie
wann es im Bitterleichen gie
daz man im hohen preises jach
in Brabant man den werden sach
uor Lüttich do der neinde schar
nam schänden un schaden war
ainer floch der ander uiel
in em glut sein hercze wiel
das es uon schänden nie erlasch
der ueinde schaden er do drasch
45
50
Zur Rede auf Priedri
Nach Vers 52 dieses Gedichtes
nach B unverändert wiedergebe.
B, S. 483, rechte Spalte,
gen Lubigk czu d^ guten Stat
die auch mit den Holczen hat
zu chriege chreftichleich gemaint
mit der Stat er sich ueraint
5 un rüst die schef mit frischer
kost
Westen, norden, Süden, Ost
die wind im wurdn wol bekant
er für hin in Holczen laut
10
15
ch von Lochen.
fehlen in A 52 Verse ^ die ich
in den Bosengarten
der neind si nicht sparten
in wurdn uest gewunen an
nu merkt was ein pid^ man
durch wird un er geleidn mag
daz im uncz an den dritte tag
nie haubn ab dem hawbt cham
zu slaffen im gar übel czam
die gegent wart gewunnen
uir hund^ dörffer uerprunnen
O. BEHAGHEL, ZU WOLFRAM.
487
Lewt an gut was gar n^lorn
20 die weil was uö d^ Holcz9 czom
der Chünig in Denenmarch v^triben
die Chünigin was chawm beliben
auf einer uest erpawen
mit allen Landes vrawen
25 gesamet auf der fluchte spor
da läge auch die neinde nor
mit starken heeres chrefften
die Chünigin mit potsche^ten
entbot dem Held uil gute
30 ob er uon guter müter
ye bechomen were
daz er aus großer swere
in hulf un rette si zehant
der öhunig auch zu im pottn sant
35 man solt sein selbs peiten
die Chünigin an den czeiten
sant aber ander poten dar
daz man recht oder ewen war
rett man si nicht si wer vUorn
40 von lande stiez der wolgepom
mit achczehe koken wolgeladen
and sigilt auf der aeinde schadn
der chünigin an dn frawS za trost
di wordn aö de besazz erlost
45 die Holcze czoge her gegen im
S. 484, linke Spalte,
daz Cham in da czu angewin
waz einer suecht daz oand er
si lagen gegen einander
bis an den czehenden morgS frü
50 di Heer do griffe baide czü
do hüb sich ein uil grozz^ streit
der werte biz auf Vesperzeit
FRANZ KRATOCHWIL.
ZU WOLFRAM.
L Die Zeit seines Thüringer Aufenthalts.
Die bei Wolfram so häufigen Reime wie stuont ifunt, «tuenden
i^ gebunden werden von Lachmann dadurch zu reinen Reimen gemacht,
daß er fuont und gebtionden schreibt. Die gleiche Anschauung vertritt
Weinhold: er meint; es sei u vor Liquida in Wolframs Dialekt zu tto
geworden (Bair. Gr. §. 114^ mhd. Gramm. ^ S. 353). Es ist mir jedoch
nicht bekannt, daß heutige Mundarten diese Auffassung bestätigten;
ein stuont (hora), ein gehuonden, gefaonden ist mir nirgends begegnet.
Aber noch aus einem andern Umstand geht hervor, daß die Reim-
bindung Wolfram nicht durch seine Mundart an die Hand gegeben
wurde. Dieselbe liegt nämlich in folgenden Stellen des Parcival vor
180, 7; 181, 11; 185, 25; 218, 17; 237, 13; 242, 17; 282, 1; 288, 25
326, 13; 352, 29; 379, 29; 385, 13; 398, 21; 405, 15; 417, 9; 437, 21
446, 1; 456, 25; 461, 3; 468, 21; 471, 15; 489, 25; 490, 23; 493, 17
516, 7; 560, 25; 565, 5; 568, 19; 581,27; 589, 29; 595, 25; 648, 15;
741,11; 752,21; 798,7. Mit andern Worten: in den drei ersten
Büchern des Parz. mit ihren 5352 Versen kein einziges Beispiel; auf
die 19458 Verse der folgenden Bücher 35 Belege, also auf je 555
Verse einer. Wären diese Reime Wolfram von Haus aus geläufig
488 O. BEHAGHEL
gewesen, so wäre diese merkwürdige Vertheilnng ein unbegreiflicher
Zufall. Es bleibt nur die Annahme, daß irgend ein fremder, während
der Abfassung des Parzival sich geltend machender Einfluß Wolfram
auf diese Reime geführt hat. Und was liegt näher, als die Ursache
in Wolframs Aufenthalt in Thüringen zu suchen, wo derartige Bin-
dungen durchaus gebräuchlich waren? Die drei ersten Bücher des
Parzival wären somit vor, die späteren nach dem Thüringer Aufenthalt
gedichtet.
Was man sonst noch in Wolframs Sprache auf thüringischen Einfluß
zurückführen möchte^ steht damit nicht im Widerspruch. Ich glaube
allerdings mit Einzel (Ztschr. f. d. Gymnasialw. 1877, 587), daß die
= der für Wollram anzuerkennen ist, aber keines der mir einiger-
maßen sicher erscheinenden Beispiele fällt in die drei ersten Bücher
(in Bezug auf P. 139, 16 kann ich Einzel nicht beistimmen). Zweifel
erregt das Verbum trecken , das schon P. 62, 29 steht. Seine heutige
Verbreitung ist mir unbekannt. Lexer weist seinen Gebrauch bei Meister
Eckart nach, der es doch schwerlich aus Wolfram entlehnt hat
n. Zum Titurel.
Im Titurel fehlen derartige Reime von uo : u. Daraus läßt sich
natürlich beim geringen Umfang derselben nicht schließen, daß er
vor den Thüringer Aufenthalt fliUt. Anderseits ist es kaum mehr
nöthig, noch weitere Beweise dafür beizubringen, daß der Titurel
nicht vor dem Parzival geschrieben ist. Ich will aber doch noch
einen kleinen Nachtrag geben zu Stosch's Bemerkungen Ztschr. f. d. A.
32, 471. Er weist darauf hin, daß der Baruc, der im Parzival des
Namens entbehrt, im Titurel Akherin genannt wird nach Bat. d' Alis-
cans V. 1653. Das gleiche Verhältniß liegt aber auch vor bei Ehkunat.
Er wird im Parzival dreimal erwähnt: 178, 19; 413, 15; 503, 16,
jedesmal ohne irgendwelche nähere Bezeichnung. Dagegen im Titurel
hat Wolfram eine Heimat für ihn gefunden, die er ihm bei seiner
bekannten Neigung für Namengebung gewiß auch im Parz. beigelegt
hätte, wenn dieser dem Titurel nachgefolgt wäre: Tit. 42, 1 Ehhunates
swester, den man nant uz der starken Berbester. Und zwar stammt
auch dieser Name, wie schon Bartsch bemerkt hat, aus der Quelle
des Willehalm, bat. d'Aliscenus v. 5404.
III. Zu den Liedern.
1. Das Lied, das Lachmann in der Einleitung S. XII mittheilt
und aus metrischen Gründen ohne Weiteres Wolfram abspricht, hat
seitdem allgemein, so viel ich sehe, unter Acht und Bann gelegen«
zu WOLFRAM. 489
Ich möchte aber doch darauf hinweisen, daß Lachmanns Verwerfdngs-
urtheil auf sehr schwachen Füßen steht. Er nimmt Anstoß an dem
Reimwort du maht^ das im Reime sonst nicht wiederkehre bei Wolfram.
Das ist der Irrthum, der in Lachmanns metrischen Ansichten eine so
große Rolle spielt: daß er etwas mit Bewußtsein gemieden glaubt,
das bei der Beschaffenheit des Sprachmaterials sich dem Dichter gar
nicht oder nicht leicht darbot. Auch in nhd. Versen würde man lange
nach Versen suchen können | die mit du magst schließen, wenn auch
die Reime darauf nicht so selten wären. So steht denn auch bei
Hartmann du mäht niemals im Reime, wie schon das mhd. Wb. be-
merkt. Ich füge hinzu, daß es auch in Minnesangs Frühling am Vers-
schluß ;,gemieden wird^, d. h. nicht vorkommt. Es wäre also bei
jedem andern Dichter die gleiche Rarität wie bei Wolfram.
Das Hauptverbrechen des Liedes ist aber der Versschluß spriche
ah ich V. 18. Den hartnäckigsten Verehrer von Lachmanns Versregeln
dürfte der Nachweis stutzig machen, daß auch Goethe und Schiller
die nach Lachmann verpönten Versausgänge „gemieden" haben (Litbl.
1881, 426). Was insbesondere den vorliegenden Fall betrifft, so be-
gegnet das Wörtchen ich bei Wolfram überhaupt nur lOmal im Vers-
ausgang, wenn Moldaenke (der Ausgang des stumpf reimenden Verses
bei W.) und San Harte (Reimregister zu Wolfram) nichts übersehen
haben (P. 238, 8; 272, 19; 342, 27; 369, 17; 440, 19; 554, 18; 747, 29;
749, 26. W. 67, 22; 224, 17). Da müßte es schon ein ganz besonderer
Zufall sein, wenn darunter sich ein Ausgang ab ich befände, dessen
Entsprechung wir auch in nhd. Versen wieder lange vergeblich suchen
würden. Daß das Fehlen dieses Ausgangs mit Lachmanns Regel nichts
zu thun hat, geht schon aus dem Umstände hervor, daß auch aber
ich nicht vorkommt, das nach Lachmann zulässig wäre.
Im Übrigen ist das Lied zwar nicht besonders originell, aber
ein anderer Grund, es Wolfram abzusprechen, liegt nicht vor. Zu
Wolframs Weise stimmt der Reim mäht : bräht v. 22, das starke En-
jambement V. 23, das Fehlen des Artikels bei baut v. 23, das Band
der Sorge und das Hinken der Freude v. 23. Unsinnig ist allerdings
V. 17, aber auch ein Anderer würde nicht so geschrieben haben.
Vermuthlich ist zu lesen: wer sol mich nu mieten ^ vgl. die bei Lexer
unter mieten verzeichneten Beispiele.
2. In 3, 25 — 26 ist Lachmanns wie Pauls Änderung (Beitr. 1, 202)
unnöthig, wenn man so schreibt:
aus der tac erschein:
weindiu cugen, süezer frouwen hus.
490 ^' REI8SENBER0ER
Das von mir zu En. 5260 belegte Fehlen des Verbs zeigt sich zwar
meist dann 9 wenn der Satz ans Subject und Prädikat gebildet ist;
aber auch eingliedrige Sätze ohneVerbum kommen vor: vgl. P. 44, 20;
681,29.
3. Betreffs des Liedes 9, 3 theile ich Pauls Ansicht (Beitr. 1,
203), daß die drei ersten Strophen Wolfram zugehören. Wenn MoUer
(Ztschr. f. d. Alt. 25, 50) gegen die Echtheit geltend macht, daß die
Strophen im Abhängigkeitsverhältnis zu 7, 11 — 40 stünden, so könnte
man ziemlich ebenso gut behaupten, daß das Lied 6, 10 ff. von dem
Lied 4, 8 ff. abhängig sei; vgl. 4, 28 mit 6, 40; 5, 14 mit 7, 6. Über-
haupt ist es ein Irrthum Müllers, daß Wolfram sich nicht selbst
wiederhole, vgl. z. B. P. 101, 9 mit Tit. 81, 2, P. 387, 2 mit T. 583, 8.
Aus den metrischen Düfteleien Müllers wird wohl schwerlich Jemand
einen Grund gegen die Echtheit der Strophen entnehmen.
CP^SSEN. O. BEHAOHEL.
FRAGMENTE AUS DER WELTCHRONIK
RUDOLFS VON EMS.
Die nachfolgenden Fragmente aas der Weltchronik Rudolfs von
Ems sind auf einem Pergamentstreifen, der dem Einbände eines Quar-
tanten diente, im steiermärkischen Landesarchive in Graz erhalten
and worden mir darch die Freandlichkeit des Herrn Landesarchiv-
directors Regierangsrath Dr. J. von Zahn zur Veröffentlichung über-
lassen. Der Streifen ist 36 Ctm. lang und 7 ütm. breit und gehörte
zwei Blättern der Handschrift an. Doch ist der zweite Theil schmäler
als der erste, da von jenem ein Stück abgeschnitten ist. Die Schrift
ist nur hie und da etwas verblaßt und unleserlich, im Ganzen deut-
lich und sauber. Nach dem Charakter der Schrift wäre der Codex
dem 13. Jahrhunderte zuzuweisen.
Aus dem Vorliegenden zu schließen, enthielt jede Seite drei
Reihen Verszeilen, doch war der Text mannigfach von größeren und
kleineren bunten Bildern unterbrochen.
Auf der zweiten Seite ist das initiale D in der Bemerkung Dcui
ander hmige bvch hat hie ane farbenreich und kunstvoll behandelt,
jedoch nur in seiner unteren Hälfte erhalten. Auf der dritten Seite,
die ganze Breite entlang, ist die Überreichung der Krone und des
Armgeschmeides durch den Amalekiter an David (2 Sam. 1, 10)
FRAGMENTE AUS DER WELTCHRONIK RUDOLFS VON EMS.
491
abgebildet Auf der vierten endlich sind
meist Köpfe darstellend. Wahrscheinlich war m
bung Davids (2 Sam. 2, 4) behandelt!
unten Reste eines Bildes,
demselben die Sal-
') Do dranc an der selbeB zit
Div groze heidenachaft
Mit ir werlichen kraft
Hin vf Savlen da er streit
Ynd mit wlicher manheit
Bi im siner svne dri
Die manliche im striten bi
Amminadab vnd Jonathas
Melchisve der dritte was
Die mit so frevelichen siten
Mit leidem wider kere
Fflohe er im was gach
Schwtzen iagten im do nach
von den ward er vaste want
vnd von den schvzzen vngesant
Nv was savl gescheiden
Mit fliehen von den beiden
vf monte Gelboe hin dan
Vnd mit im sin man
jy mit namen als ich es las
Slahen er spch ich tvn sin niht
Daz ich den gotes gewihten man
Grife also frevelich an
Daz er von mir lege tot
Do twanc des iamers not
Savlen daz er da fvr sich
Stiez sin swert vnd einen stich
Mit dvhen durch sich selben treib
Daz swert gie durch in er beleib
Tot von sin selbes hant alda
Daz tet sin geselle och iesa.
Durch ir manlich manheit
Gingen si mit ir mäht
Von Jabes Galaat die naht
Gem Bersam der veste hin')
dar komen si vnd stigen in
Vnd namen da die toten
Ane hobt vnd vschroten
Die si fvrten an der zit
von dannen vnd si begrvben sit
In Jabes Galaat mit klage
lebten si siben tage.
Wan ez bedencke gotes rvch
Hie ist daz erste kvnige bvch
FfoUesprochen voUegeseit
Mit vngelogener warheit.
Daz ander
kvnige
bvch hat
hie ane
*) Wer bistv wie bistv genant
Daz dir diz ist so reht erkant
Er spch von geschiht ich kam
Do d^ strit ein ende nam
vf monte Gelbö da sähe ich sach
Do div groze flvht geschach
Säulen vf dem schilte sin
Ligen d^ leit vil grozen pin
Von des todes vngemach
Do er gen im do nahen sach
^) e vnwandelbere.
e ob got wolde
dannen solde
oder war got wolde.
r varn solde
gote wart im do ^) geseit
gütlicher warheit
*) Vgl. Schütze, Die historischen Bücher des alten Testamentes etc. I.
barg 1779. S. 236 f.
'; Die ganze Zeile verschmiert, futen bei Schütze.
*) Schütze a. a. O H. Hamburg 1781. S. 112.
«) Schütze a. a. 0. S. 116 f.
'} Ein Loch,
Ham-
492 G. EHBISMANN, JÄPPB8STIFT.
Er solde varn in Juda In ebron vnd beleih alda
In ebron do kerte sa'^) Sin gesiebte von Jvda
D^ M enthafte degen dar kam mit grozer mäht da hin
vnd fvrte mit im sine schar zv im v'')nä wiht in
Beidiv kint wib und man ze kvnige vber al div diet
Ff&rt er allez mit im dan Die sins gesiebtes namen vz scbiet.
vnd lie des niht beliben
Er f&re mit sinen wiben
BIELITZ in Oest.-Schlesien. KARL REISSENBEftOER.
JÄPPESSTIFT
(König Tirol ed. Leitzmann 9, 5 und 48, 4).
Einzel in seiner Recension von Leitzmanns Ausgabe (Ztschr.
f. d. Pbilol. 22, 242—244) vehnuthet in jappe, indem er die Ober-
setzung des mhd. Wb. und Lexers ,,FußangeP mit Recht ablehnt,
einen Pflanzennamen. Ohne Zweifel jedoch wird damit eine Schlangen-
art bezeichnet. An beiden Stellen ist von dem Gift der Vipper die
Rede, und es ist eine geläufige Vorstellung des Mittelalters, daß der
Schwanz, bezw. der Stachel (stift) der Schlangen Oift enthalte (z. B.
bei Megenberg S. 260, 23, MSH. 2, 174*> Dies paßt auch gut zu dem
Bilde in Strophe 43, denn der Schlangenzagel gilt als ein Zeichen
der Falschheit, vgl. die von Lexer unter slangenzagel angeführten
Stellen: Benner V* 14126, Teichner Laßb. L. S. 3, 383, 14; ferner
MSH. 2, 174* und 2, 367*. ~ Eine Schlangenspecies Jappes (9, 5) oder
Jappe (43, 4) habe ich nicht finden können. Ähnlich lautet ipnappe
bei Megenberg S. 272, 3, entstellt aus hypncde. Aber am nächsten
kommt Jaspis, Nebenform von <Mpis, welch letzteres auch von Wolfram
im Parzival 481, 8 erwähnt wird. Da nun Str. 42 des Tirol sicher
aus jener Partie des Parzival geschöpft ist (Leitzmann S .4), so wird
man auch in jappes, bezw. jaspes eine Reminiscenz an aspis des Par-
zival annehmen dürfen.
PFORZHEIM. G. EHRISMANN.
^) Ober diese, die vorhergehende Zeile and das darüber befindliche SpaÜnm
iflt ein großer Buchstabe, der aber halb abgescbniUen ist, gedruckt
^) Ein Loch.
A. GOMBKRT, BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖBTEBBUCHE. 493
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTER-
BUCHE.
Bd. VII, Lief. 10 (PfloBterung bis Platt).
(Schluß.)
Piez (vorquellende Weiberbrust) ist wohl absichtlich über-
gangen, weil im Wb. 2, 7—8 unter Biez (Bietz) erledigt. Zu den An-
gaben a. a. O. habe ich einmal hinzuzufügen^ daß mir das Wort in der
märkischen Volkssprache sehr wenig, im Mitteldeutschen aber (Halle
und ganz Thüringen) häufig begegnet ist, dann aber, daß ich es
durchweg mit anlautendem p gehört habe, so weit nicht die ober-
sächsische Verwechslung zwischen P und B jede Sicherheit über den
Anlaut vernichtete. Mit diesem Worte hängt nicht zusammen das in
Zieglers Gesammelten Novellen vorkommende und deutlich erklärte
Piezloch; s. dort 1, 137: In der grünen Decke, in dem Netze, das
avf dem grundlosen Moder aufliegt, ist zuweilen hier und da eine Masche
gerissen^ nur ist ein solches einen halben bis zwei Fuß im Durchmesser
großes Loch gar nicht zu bemerken, weil das überhängende Oras und
Schilf es bedecken .... Nach wenigen Monaten wälzen sich die Wogen
über das Fenn, und schon im nächsten Frühjahr weiß der Jäger nicht
mehr genau abzugeben, wo das Loch, das in der Landessprache Piez-
loch heißt, sich befand, in welchem sein Freund versank. Ebenda 138:
Im Volke ist, wenn Jemand unter dem Verdachte^ daß er erschlagen
worden, verschwindet, gleich feststehend, daß der Mörder die Leiche in
ein Piezloch gesteckt habe. Eine haltbare Ableitung dieses Piez weiß
ich nicht zu geben. Der Ausdruck scheint übrigens auf die Mittel-
mark oder gar das Havelland beschränkt zu sein, wenigstens habe
ich ihn in der Ukermark nicht gefunden, obgleich dort die von Ziegler
beschriebenen Fenne und die Löcher in ihnen so gut wie in der Mittel-
mark vorkommen.
Pik als Bergspitze ist wohl mit Recht dem Fremdwörterbuche
überlassen; erwähnt sei, daß im 17. Jhdt. dafür auch die Pique
vorkommt bei Erasmus Franciscus, Ost- und Westindischer Lust- und
Staatsgarten, Vorbericht 116' (1668): Unsere Leute, so die Neue Welt
besuchen, geben die Canarische Pique für den höchsten Berg aus, den
man bißhero in der gantzen Welt gesehen.
Pikant wird erst aus dem Briefwechsel zwischen Schiller und
Goethe beigebracht, während es nach Weigand bereits im 17. Jhdt.
GBRMANIA. Neue Reihe XXJL (XXXIY.) Jahrg. 33
494 A. GOMBERT
aufgenommen ist. Für solche, welche etwa Weigands bloßer Behaup-
tung nicht glauben, verweise ich auf Joh. Christoph Nehring, Manuale
Juridico-Politicum 675 (1694), wo piquant durch stachelhaft,
stechend, stichelnd erläutert wird. Die gleiche Erklärung gibt
Sperander 472^ (1728) und führt dabei das Wort auch zur Bezeich-
nung des sinnlichen Geschmackes an: ein piquanter Wein heist^ der
einen scharfen auf die Zunge fallenden Geschmack hat Daß Pik an-
ter ie, wie Lexer aus Heynatz anführt, von Personen mit Handwerks-
burschengeschmack im Sinne von Feindschaft, oft auch von Stichelei
gebraucht wird, ist bekannt; diese Bedeutung scheint früher noch
allgemeiner gewesen zu sein, da Sperander a. a. O. 473* es ebenso
durch Groll, Anstechung, Beschimpfung erklärt. In der Ber-
liner Volkssprache verwandelt sich das Wort in Pinkaterie, eine
Form, deren häufige und zwar ernsthafte Verwendung in den ange-
deuteten Kreisen ich bezeugen kann.
Piketspiel wird nur aus Stieler (1691) belegt, doch haben
wir den substant. Inf. piketspielen schon aus dem Jahre 1625 bei
Londorp 2, 1207': seine LandsUxdh haben ihn d/rey Wochen in Parifi
aufgehalten , da er die Zeit mit Pickhetspielen zugebracht; ebenso
1, 1559'.
Pilger. Zum Begriffe des Pilgers gehört die mancherlei Notb
und Beschwerde, die er auf seinem Wege erduldet. Vgl. Geibel, Spät-
herbstbl. 9:
Laß den schwergeprüften Pilger (Odysseus)
Nicht am Ziel noch untergehn.
Noch deutlicher spricht dies F. L. Jahn, Ges. Werke 2, 403 (Neue
Runenblätter, aus dem Jahre 1828) bei der Erklärung des Wortes
pilgern aus: Pilgern ist mit selbstauferlegter Beschwerde, Mühe, An-
strengung und Entbehrung verbunden; gewählt als eine heilige Arbeit, um
drückende Gefühle loszuwerden, Leiden zu vergessen und das sturmbewegte
Lebensgewoge in einen Buhhafen zu retten. Von Zusammensetzungen
mit Pilger ist etwa ein Schock gegeben; ich füge einige hinzu, die
wohl ebenso berechtigt zur Aufnahme sind wie das verzeichnete
Pilgerbillet Pilgerb ahn kommt sicher in geistlicher Dichtung
mehrfach vor, so in der 15. Strophe von Gerh. Terstegens Liede
Kommt Kinder, laßt uns gehen; doch finde ich in dem mir vor-
liegenden Abdruck des geistlichen Blumengärtleins (Stuttgart 1884)
S. 331 die Lesart Liebesbahn statt Pilgerbahn. Pilgerbrot
nennt in leicht verständlicher Anwendung der Stuttgarter Prälat Gerok
eine Sammlung seiner Predigten. Pilger flor bei Goethe 11, 1, 322
Hempel (Maskenzüge zum 18. December 1818):
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 495
Treuer Genius der Zeiten
Leicht gehüllt in Pilgerflor,
Pilgerherberge findet sich neuerdings nicht gelten in Beschrei-
bungen von Reisen ins Morgenland, so wiederholt bei Ninck, Auf bib-
lischen Pfaden. Pilgerleben ist seit Elopstock belegt, zum Theil
durch wenig hervortretende Beispiele; man vermißt neben dem aus
Hölty gegebenen Belege den bekannteren aus dem Liede Üb immer
Treu' und Redlichkeit Z. 5 fg.:
Bann kannst du wie auf grünen Aun
Durchs Pil geriehen gehn.
Ferner aus demselben Dichter:
Die Freude winkt auf allen Wegen,
Die durch dies Pilge\rlehen gehn (Wer wollte sich
mit Grillen plagen Z. 5 fg.).
Neben der Form Pilgerleute (zwei Belege aus dem 16. Jahrhundert)
war auch die andere Pilgersleute (vgl. Pilgers mann) zu ver-
zeichnen :
Ein Fahrzeug dort im Meere häÜ,
Darauf ist mir ein Platz bestellt
Nebst andern wackern Pilgersleuten, Tieck, Kaiser
Octavianus 119.
Pilgerort: Constantin und Helena hatten das verfallene Jerusalem zu
der Bedeutung des heiligsten Pilgerortes [üblicherer Ausdruck: Wall-
fahrtsort] dei* Christenheit erhoben, Gregorovius Athenais 161. Pilger-
pfad bei G. Terstegen a. a. O. 328:
Es soll uns nicht gereuen
Der schmale Pilgerpfad.
Pilgerschritt bei Goethe 11, 1, 256 Hempel (Theaterreden aus
dem Jahre 1821):
Entsagung heiligt Kriegs- und Pilgerschritt;
Sie treibts, zu leiden, weil der Höchste litt,
Pilgerstätte: Der Weg zu den großen Pilgerstätten hat noch immer
durch die Wüste geführt. Fontane, Wanderungen 3, 45. Pilgersteoken
ist zwar seltener als Pilgerstab, findet sich jedoch mehrfach, z. B.
Dingelstedt, Am Grabe Chamissos (1838), abgedruckt in Echtermeyers
Auswahl«» 694:
Nun schläfst du in der fremden Erde schon,
Und die den Wandernden nicht ^konnte wiegen,
Beut ihm ein Grab mit Lorbeer* und mit Mohn,
Drauf soll gekreuzt sein Pilger stecken liegen
33*
496 ^ OOMBEBT
Und unser Banner, das denn Sängerheer
Voran er trug.
Vgl. aach Vilmar Schalreden über Fragen der Zeit* 297: mit dem
Hirtenstabe weiden und am Pilgers lecken wandeln, Pilgertham bei
Goethe 28, 383 Hempel (1817): Obgleich ein jeder Künstler, der sich
zum Piastisehen bestimmt fühlt, sieh diese Wallfahrt nach London [za den
Elginschen Marmoren] zuschwören und mit Gefahr des Pilger- und
Märtyrthums ausführen muß. Pilgertracht bei Groethe 11, 1, 316:
Genius in Pilgertracht (Bemerkung und Erklärung zum Maskenzuge
vom 18. Dec. 1818). Vgl. auch Scherer, Oesch. d. deutschen Litt.*
219: In späteren Jahren lauert ihr Hadlaub in Pilgertracht des Mor-
gens auf Sicher würden sich für dies gewöhnliche Wort viele bessere
Belege finden lassen, wenn es auch wie im DWb. bei Adelung, Campe,
Heinsius, Heyse und Sanders übergangen wird. Pilgerziel hat Gre-
gorovius Athenais 157 : Hellas war das gelobte Land und Athen das Pilger-
ziel der Heiden, Tai Pilgrim wird mit Recht bemerkt, daß es als
alterthümlich edel gilt und besonders in gehobener Rede Verwendung
findet. Dazu wäre ergänzend zu fftgen, daß Pilgrim mit seinen Zu-
sammensetzungen in der Sprache der Erbauung und des geistlichen
Liedes sehr beliebt ist. Einer Häufung von Belegen bedarf es nicht.
Es sei nur bemerkt, daß der erst nach einer Anführung bei Jung-
Stilling aus Fr. A. Lampe gegebene Beleg für Pilgrimstand den
Anfang eines in vielen evangelischen Gesangbüchern stehenden Liedes
des im Jahre 1729 gestorbenen Lampe bildet. Bekannter noch als diese
Stelle ist die in Gedanken und Wortlaut mit der genannten fast ganz
übereinstimmende aus B. Schmolkes Liede Himmelan geht unsre
Bahn: Hier ist unser Pilgrimstand.
Droben unser Vaterland,
Wurde das Pilgrim sjahr verzeichnet, so konnte auch der Pil-
grimstag Erwähnung finden:
Ein Pilger muß sich schicken y
Sich dulden und sich bücken
Den kurzen Pilgrimstag, G. Terstegen a. a.O. 329.
Pilgrimsväter oder Pilgerväter ist die ehemals von evangelischen
Nordamerikanem mit Stolz gebrauchte Bezeichnung ihrer unter Jacob I.
zuerst nach Holland geflüchteten und seit 1620 in Massachusetts ge-
landeten puritanischen Vorfahren. Pilgrimszeit bei üz 1, 224:
Von Misgunst, Unruh, Müh und Streif,
Den Plagen unsrer Pilgrimszeit,
Flieh ich dir freudig zu (Ode an die Weisheit).
BEMEftKTTNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBÜCHE. 497
Pille wird nicht selten als Arznei neben dem klangyerwandten
Pulver genannt, z. B. Immermann, Epigonen 558 Becl.: Wir (Ärzte)
'werden wm der antiken Bichttmg wieder näher anschließen. Lange genug
haben wir mit Pulvern und Pillen die Natur zu zwingen gewähnt
oder den lebendigen Leib an das Kreuz des Systeme geschlagen^ in Zukunft
werden unr mehr beobachten. Neben Pillendreher war auch Pillen-
drechsler aufzttftlhren; das entsprechende Pillen drechseln bringt
ja Lexer selbst wie schon W. Grimm 2, 1351 aus Günther, ebenso
hat es Liscow 450: Da man ohne Vemunß ganze Völker regieren, Länder
erobern, Schlachten gewinnen, Seelen bekehren, Rechtshändel entscheiden,
Pillen drechseln, Recepte verschreiben und ein Weltweiser sein kann:
so möchte ich wohl wissen, warum es nicht erlaubt sein sollte, ohne Ver-
nunft ein Buch zu schreiben f Pillenheld als höhnische Bezeichnung
des ungeschickten Arztes in Neukirchs Sammlung 6^ 242 (1709):
Du armer tod, so wirst du coujoniert!
Gelt! solche pillen- hei den
Die können dir den Abschied melden^
Der dich von uns in ferne grentzen fuhrt,
Pillen Schachtel als ein im Apothekerverkehr sehr gewöhnliches
Wort sollte nicht fehlen. Wer noch einen Beleg für dasselbe begehrt,
sei verwiesen auf Annette von Droste-Hülshoff 1, 229:
Wie Abendroth zog ins Gemach
Ein frischer Jugendodem
Und übcrhaiickte nach und nach
Der Pillenschachteln Brodem,
Endlich möge noch der Pillen staub erwähnt werden, den der Apo-
theker nöthig hat, um die in die Schachtel gethanen Pillen am Zu-
sammenkleben zu hindern.
Pilot. Daß das Wort im 17. Jhdt. aufgenommen sei, ist wohl
auf die Gewähr Weigands behauptet. Am Schlüsse des 16. Jhdts. finden
wir es bei Ägidius Albertinus Übers, von Guevaras Güld. Sendschr.
1, 62' (1598): Die jenige haben Gott höchlich zu dancken die er nicht
gibt unter die Händt eines hoffertigen Hauptmanns, eines frechen Piloten,
einis ungeschickten Rechtßgelehrten, eines ein fettigen Medici vnd eines vn*
erfarenen Richtei^s; vorher steht es bei Mathesius Sarepta (1562):
darnach sich die Piloten im urilden Meete zu richten haben. Für Pilot
in der Bedeutung Leit fisch steht gelegentlich auch Pilotenfisch
(naucrates ductor) bei J. J. Engel, Fürsten spiegel" 242 (1802): die
Matrosen, die bei Benennung dieser dirigirenden Fische im Kreise ihrer
gewohnten Begriffe blieben, haben sie Pilotenfische genannt; man
498 A. GOBIBERT
könnte sie sonst, mit gutem Fug und Rechte auch Ministerfische nennen.
Pilotieren, freilich ein sehr entbehrliches Wort, findet sich bei
H. P. Sturz* 2, 301: Da fuhr ich herum auf dem Sündenmeer y ohne
Ruder und Kompaß , und wäre sicherlich untergegangen im Strudel der
Verzweiflung, hätte mich der ehrtoürdige Herr nicht in den Hafen der
Gnade pilotirt Fi loten seh aft steht bei J. O« Müller, Herr Thomas
2f 380 in einer vom Verfasser selbst als 7eraltete Phrase bezeichneten
Wendung: Unter der Pilotenschaft ihrer Compassion,
Pilz. Entsprechend der ungewöhnlichen von Lexer angeführten
Nebenform die Pilze hat Herder auch den (von Lexer aus Zachariä
beigebrachten) Plural die Pilzen, z. B. 7, 304 Suph. (Fünfzehn
Provinzialblätter) : alle Pilzen auf einem Miste. Pilz nennt man auch
eine luftige Baulichkeit im Freien, die hauptsächlich aus einem starken
Mittelpfosten und einem von dessen oberem Ende nach allen Seiten
schräg oder rundlich wie ein Zeltdach oder ein Pilz sich herab-
senkenden, doch noch etwa auf Mannshöhe vom Boden fernbleiben-
den Dache besteht. Kleinere Pilze der Art errichtet man auf vor-
springender Waldhöhe, um den Genuß einer schönen Aussicht zu ver-
mehren; größere Pilze bekommen einen gedielten Boden^ auch wohl
Bänke rundum, und das Ganze dient als Tanzplatz bei Waldfesten.
Einen Pilz der ersten Gattung hat Jahn 2, 973 (Brief aus dem Jahre
1 840) im Auge : Ihr Franzosen seid schnell fertig geworden [mit dem
Staatsgebäude oder der Verfassung], habt auf hohen Siehdichum einen
schlanken Pilz gedellt mit wohlklingendem Schellengeläute , wo die Luft
nach der Windrose durchstreicht Von sprichwörtlichen Wendungen mit
Pilz führt Lexer nur aufschießen wie ein Pilz an und verweist
für andere auf Wanders Sprichwörterlexikon. Das wird nicht nach
Jedermanns Meinung sein, da die üblichen Wendungen doch auch
in das allgemeine Wörterbuch gehören; man will wohl eine Begrün-
dung einer sprachlichen Erscheinung gern anderswo suchen, nicht aber
den Sprachstoff selbst. Die Wendung in die Pilze gehen (belegt
DWb. 2, 514 unter Bülz) bedeutet, wie schon Campe angibt, nicht
bloß verloren gehen, sondern auch zu einem Liebesabenteuer
oder Stelldichein gehen. Diese zweite Bedeutung finde ich, und
zwar in der Fassung nach Pilzen gehen, zuerst bei Londorp 2^
77 P (aus dem Jahre 1619): Eben dieser Priester ist auch bald darauf
mit der fümemsten Klosterjungfrawen in den Wald nach Piltzen ge-
gangen^ und ebenda 772^: es were ja leider darzu kommen^ daß eoviel
Nonnenldöster so viel Hurenhäuser weren, da gehet dann der Pf äff mit
der Äbtissin j wie oben erwehnty in Wald nach Piltzen. In Kinds Ge-
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTBRBUCHE. 499
dicht: Der Gang in die Pilze wird mit der Wendung gespielt, indem
die ränkevolle Qeliebte den arglosen Liebhaber zuerst zu einem Stell-
dichein verlockt mit den Worten:
Doch werd ich abends 7iaeh Pilzen auegehen
Zur güldenen Aue^
dann ihn aber schimpflich behandelt und der Verhöhnung aussetzt,
so daß er nach dem Erlebten dergleichen Gänge zu meiden beschließt :
Drum einmal in die Pilze gegangen
Und — hol mich! nicht wieder.
Auch der Pilz als Mauerschwamm verdiente Erwähnung; vgl.
Annette v. Droste Htilshoff 2, 246:
in diese öden pilzbewachsnen Mauern.
Von Zusammensetzungen bringt Lexer nur Pilzengericht und
Pilzgeschlecht, die wenigstens nicht die zwei üblichsten sind;
häufiger ist sicherlich Pilzsammler (auch ein die Pilze behandelndes
Buch nennt sich der kleine Pilzsammler), noch häufiger das Adj.
pilz artig, theils im allgemeinen Sinne, theils mit Beziehung auf das
schnelle Wachsen der Pilze. Vgl. Humboldt Ansichten der Natur 274
(Ausg. V. 1871: Sie [eine Pflanze auf Sumatra] riecht p Hz artig thierisch
nach Rindfleisch'^ Strack, Süd und Ost 263 (1885): die Stadt H&rmw
polis hat sich p Hz artig geschwind und doch mit sichtbarem* Solidität ent-
wickelt.
Pimpeln ist schon, wie L. mit Recht bemerkt, ein Frequen-
tativum, doch wird dieser Begriff gelegentlich noch durch Wieder-
holung verstärkt; vgl. Edelmann, Lebensbeschr. 96: darüber erhob sich
dann ein continuierliches Pimpeln und Pimpeln der Madame bey dem
Herrn Lerchen^ daß er mich doch zu einem eingezogenen Leben ermahnen
möchte. Das nicht verzeichnete Pimplich(g)keit ist wenigstens in
Norddeutschland ungleich üblicher als das aus Heine beigebrachte
Pimperlichkeit. Ein Beispiel für jenes in E. M. Arndts Erinnerungen
bei Schwab und Klüpfel, Deutsche Prosa' 2, 87: Der Vater, noch jung
und kräftig, fühlte mit unserer Pimperlichkeit kein weichliches Mitleid.
Für Pimpelhans sagt man, um das Weibische des Pimpeins noch
mehr hervorzuheben, auch Pimpelhanne und Pimpelhenne, zur
Bezeichnung des pimpelnden Mädchens Pimpelliese. Gedruckte
Belege dafür vermag ich nicht zu geben, nur daß ich ich die Pimpel-
liese auch bei Frischbier angeführt finde.
Pink pink! ist natürlich auch die Bezeichnung für den Ton
des Feueranschlagens : Pink, pink! der Zunder glimmt, die Glut wird
aufgeblasen Stoppe, Parnaß i. Sättl. 269. Pink und pank ahmt den
500 A. OOMBEBT
Schlag der Schmiedehämmer nach; vgl. Annette v. Droste-Htdahoff
1, 231 (Die Schmiede):
Und draußen geht es Pink und Pank,
Man hört die Flammen pfeifen,
Es keucht der Balg aus hohler Flank'
Und bildet Asehenstreifen,
Pinkel fär Harn scheint in Oberschlesien wenig üblich zu sein;
sonst könnte nicht in Groß-Strelitzer Judenfamilien die kosende and
keineswegs spöttische Bezeichnung für Pinkus, Pinkel lauten (vgl.
Vattel, Muttel, Hetel [Hedwig], Eetel [Käthe]). Femer redet
man ebenda von gepinkeltem Kleiderstoff, indem man gepünk-
telten meint. Über die von Frau H. Davidis in ihrem Kochbuch^'
561 beschriebene^ von Lexer nicht erwähnte Pinkelwurst vergl.
Sanders Wb. 2, 5öl\ Die hier genannten Ausdrücke würden im
Brandenburgischen anstößig oder unmöglich sein, da dort Pinkel
und pinkeln ausschließlich Harn und harnen bedeuten. Daß der
Harn in der alten Heilkunde und Zauberweisheit vielfache Verwen-
dung fand, lehren zahlreiche Arzneibücher. Einen besonderen hier zu
erwähnenden Aberglauben verhöhnt Chr. Weise, Überfl. Gedanken,
9. Dutzend Nr. 7, Str. 4:
Die Leut^ mögen nun
Durch unsern Trauring Pinckeln,
So wollen wir doch ruhn^
Und alle die Quacksalherey
'Soll uns bei unsrer Löffeley
Doch keinen Schaden thun.
Bei Pinscher wäre eine Hindeutung darauf erwünscht , daü
das Wort im übertragenen Sinne etwas verhältnißmäßig Kleines oder
Oeringartiges ausdrückt. Vgl. Tenorpinscher bei Sanders im Er-
gänzungswörterbuch. Der berittene Soldat nennt in mitleidigem Selbst-
gefühl die auf strengen Märschen ermüdeten Fußsoldaten arme Pin-
scher, da sie zu aller Bewegung auf die eigenen Beine angewiesen
sind. Beim Kartenspiel heißen die geringen Karten gegenüber den
hohen oder Trümpfen die kleinen Pinscher. Pinschern, das
Lexer übergeht, führt Frischbier in der Bedeutung jagen an. Ich
habe das Wort häufig gehört, doch ohne Beziehung auf die Jagd,
lediglich als herabsetzendes Kraftwort für herumlaufen oder auch
als Fußsoldat marschieren: Ich bin durch halb Frankreich gepin-
schert und habe nicht viel Schönes gesehen; er muß einmal überaü
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 501
her umpins ehern u. dgl. Heine braucht bekanntlich in den Hebräi-
schen Melodien vom AlltagBJuden das entsprechende allgemeine kötern:
Hund mit hündischen Gedanken
Kot er t er die ganze Woche
Durch des Lehens Koth und Kehricht.
Pinsel. Ein eilfertiges und achtloses Malen, besonders aber die
aufflällige Buntheit eines Gemäldes bezeichnet man mit der Wendung :
Hier hat der Maler {alle) seine Pinsel ausgewischt; vgl. auch Castellis
Gedicht Der Stieglitz:
So hat der liebe Gott
Mit Färb den Stieglitz aufgefrischt,
An ihm die Pinsel ausgewischt.
Pinsel in der unter 4 gegebenen Bedeutung wird gelegentlich von
Förstern und mehr noch in der Kraftsprache städtischer Jäger auch
auf den Menschen angewendet. Pinselei im übertragenen Sinne
wird aus Bflrger; Enigge, Elopstock belegt; ein etwas früheres Bei-
spiel bietet Ch. D. v. Böhlau, Poet. Jugendfrüchte 390 (in einem
Gedichte des Jahres 1730):
So sitzest du zu Haus und schmierest ein Gedicht
Und willst des Abends dich nicht vor der [so!] Thüre trauen.
Um dich zur blosen Last einmal herum zu hauen.
Ist dies nicht Pinseleyf
Auf Zusammensetzungen mit Pinsel ist Lexer nicht gerade ängstlich
bedacht gewesen. So hat er das heute so häufig gebrauchte Wort
Pinselführung nicht aufgenommen^ obwohl er es auf Sp. 1862 in
der dort gegebenen Erklärung selber gebraucht. Neben Pinselstiel
und Pinselstock hätte sonst auch der Pinselstecken genannt
werden können ; s. Forster, Ansichten vom Niederrh. 3, 83 (Anhang) :
er malte in einem halbdunkeln Zimmer mit sehr langen Pinselstecken,
weit von der Staffelei^ und daher wirkten seine Gemälde erst in ein&i*
gewissen Entfernung. Ebenda 3, 67 auch Pinselspitze: der 2jauber^
der in Correggios Pinselspitze entzückt.
Pionier sollte nicht fehlen, zumal da das Wort über seinen
engeren Begriff hinausgewachsen und zur Bezeichnung eines Bahn-
brechers oder Pfadweisers überhaupt geworden ist. Das auch
von Weigand übergangene Wort findet sich schon bei Nehring (1694)
und darnach bei Sperander (1728) mit der Erklärung Schantz-
graber. Spielhagen nennt bekanntlich eine seiner früheren Erzäh-
lungen Pioniere des Westens; Pioniere der Bildung, des
Deutschthumsu. dgl. sind uns heute geläufige Ausdrücke; vgl. auch
502 A. OOMBERT
Ziegler, Novellen 1, 90: Wo ich immer gekonnt, habe ich mich auf
Beißen an diese Pioniere der CuUur [die HandlangareiBenden] an-
geschlossen.
Pipi wird übergangen, sowohl als Lockruf für Vögel (Goethe
1, 169 Hempel) wie als die der norddeutschen Einderstabe ange-
hörende, jedoch in Schlesien weniger übliche und in Oberschlesien
zum Theil nicht einmal bekannte Bezeichnung für Harn. Diese letztere
Bedeutung hat das Wort (häufig in der Verbindung Pipi machen)
im Norden Deutschlands so überwiegend und fast ausschließlich, daß
hier der in Goethes Gedichten 1, 14 erwähnte Prinz Pipi über die
Absicht des Dichters hinaus komisch wirkt. Da man nun in Nord-
deutschland die ganz kleinen Kinder abrichtet« für den Fall des an-
gedeuteten Bedürfnisses zu rufen: Pipi, Pipi! so ist es auch für ein
ernsthaftes und der Jagd auf Zweideutigkeiten abholdes branden-
burgisches oder pommersches Gemüth befremdlich und störend, in
der zuerst genannten Stelle Goethes zu lesen:
Aber der Blick auch, der Ton,
Wenn sie ruft: Pipi! Pipi!
Zöge den Adler Jupiters vom Thron.
Man durfte die Aufnahme des Wortes Pipi um so eher erwarten,
als Jac. Grimm das entsprechende Aa der Eindersprache nicht bloß
verzeichnet, sondern ziemlich ausführlich erörtert hat.
Pips (die bekannte Hühnerkrankheit) findet sich auch in der
Nebenform Pnips bei Valentin Apelles (Apel) in der deutschen aus
dem Jahre 1580 herrührenden Bearbeitung eines Terenzischen Stückes,
herausg. v. Fr. Straumer in der Beigabe zum Progr. des Gymn. zu
Chemnitz vom J. 1888, S. 30\-
darzu weyß sie ein sundere weyse
den sichen henen den pnips zu reyssen.
Die hier gebrauchte Wendung (seit Adelung in den Wbb.) hätte ver-
zeichnet werden sollen, zumal da sie in weiten Strichen Norddeutsch-
lands auch übertragen gebraucht wird und so viel bedeutet wie
Jemandem in empfindlicher Weise seine Fehler oder Un-
arten abgewöhnen.
Pirat wird aus der Zimmerschen Chronik belegt; vgl. auch
Nidas V. Wyle 307 (1470) : der andern schiffung vnd parthie houptman,
nämlich der pirraten\ ebd.: von den hir raten zu allen orten beikriegt
und angegriffen. Damit will ich für Lexer nichts Neues sagen, der ja
in den Nachträgen zu seinem mhd. Handwörterbuch selber aus Hein-
rich von Neustadts ApoUonius (um 1300) den (allerdings erst aus dem
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBÜCHE. 608
handschriftlichen beratten von Strobl hergestellten) Plur. pird,ten
bringt. Von den leicht zusammenzubringenden Zusammensetzungen
sei hier nur die Piratenflagge erwähnt und aus Ziegler 3, 94 (Brief
aus Florenz vom J. 1861) durch ein auch heute noch der Erinnerung
werthes Beispiel belegt: die Impertinem Englands, die sie [die dreifarbige
Flagge Deutschlands 1848] als Piratenflagge behandeln wollte, steht
noch aufrecht da.
Pirr gebraucht Kopisch (Des kleinen Volkes Überfahrt)
als Naturlaut vom Getrippel vieler kleinen Füße:
Tack, tück! ßels in den Knig hinab ^
Wie jeder seinen Heuer gab.
Pirr! trippelts heran
Und stapft zum Kahn.
Übrigens finde ich hier Kopisch nicht gerade glücklich; denn pirr!
würde (etwa in Stellvertretung von burr!) besser das Aufsteigen eines
Fluges Lerchen oder eines Volkes Bebhühner andeuten.
Pissen wird nach Eehrein als weidmännische Bezeichnung des
Tones der Haselhühner angegeben; vgl. dazu HarsdöriSer, Frauenz.
Gesprechsp. 1, Schutzschriffc S. 13: es rissen und pissen die Vögel*
Pistazie. Über die Einführung des Baumes in Frankreich meldet
Sebiz, Vom Feldbau 273 (1580): Der Pistacienbäum ist inn vnseren
Landen gar seltzam gewesen, eh das er durch die zween Ehrwürdigen
Herren^ den Herrn Cardinal von Bellay [f 1560] und Herrn Renate
Bischof von Mans [bis 1546] beyde gebrüder . • zum aller ersten inn
vnser Franchreieh ist gebracht, vnnd in disen Landen nit allein sein
Name, welcher vns gantz vnbekant gewesen; sondern auch die pflantzung,
die gestaU als eines fremden gewächß^ dessen wir vns hoch veiivundem,
vn so hoch vnd inn grossen ehren halten, aber doch von seinem herkommen
gar wenig wissen, vns ist bekant gemacht worden.
Pistolet als Goldmünze findet sich vor Bürster schon bald nach
1610 bei Londorp 2, 116': die PfäÜzische Bawrm allein seynd nun ein
lange Zeit hero in Kriegssachen abgerichtet worden vnd erwarten ewer
doppel Pistolletten mit verlangen. Daß die Bezeichnung nicht erst
im 17. Jahrhundert in Deutschland aufgekommen ist; sehen wir aus
Fischart, Gegenbadstub (1568, Kurz 3, 368): mit jhren Pistolet-
Kronen.
PitBch(e)naß kommt neben dem von Lexer verzeichneten
platschnaß wie im Preußischen (s. Frischbier) auch in der Berliner
Haussprache vor; noch nachdrücklicher und malender ist das dort
ebenfalls übliche pitsche-patsche-pladdernaß.
504 A. OOMBEBT
Pitschel führt F. L. Jahn 1. 448 (Deoknisse 42) als ein Gubener
Biermaß an: In Ouben an der Neiße in der Niederlausitz war sonst
Pitschel ein gewöhnliches Biermaß. Das Wort ist mir unbekannt;
Jahns Zusamen Stellung desselben mit dem englischen pitcher (Krug)
erscheint als Verfehlt, eher ist wohl, schon wegen der Gegend, an
das slav. pic = trinken zu denken.
Pitzeln (= schnitzeln) bes. in der Zusammensetzung ver-
pitzeln (s. Weinhold, Beiträge 70^) ist nicht aufgenommen. Ver-
pitzelungin Rättels Übersetzung von Cureus 2, 24 (1585): in solcher
vielf eltigen zertheilung und verpitzelung der Fürstenihümher. Das bei Wein-
hold a. a. O. aufgeführte Pitzel (abgeschnitzeltes Stück) das
in Schlesien neben dem dort noch gewöhnlicheren Brinkel auch in
der Verkleinerungsform Pitzerle vorkommt, lautet im brandenb.
Niederdeutsch Pritzel und dementsprechend auch das Zeitwort ver-
pritzeln.
Plackerei. Der aus Liliencrons histor. Volksliedern gegebene
Beleg gehört nicht in das Jahr 1572, wie in Folge eines Druck- oder
Schreibfehlers angegeben wird, sondern in das Jahr 1512.
Plageteufel (aus Hederich 1729) steht schon bei Londorp
2, 86^: haben auch newlich in ohgedachte Länder die schändlichen vn-
ruhigen Plageteuf fei die Jesuiter geschickt^ die den Weg bereiten soUen.
Plaid fehlt, während es doch sicher heute weiteren Kreisen
geläufig ist als das aufgenommene stets gelehrt klingende Plagiat.
Geibel gebraucht Plaid unbedenklich auch in der Dichtung, freilich
wo er uns nach Schottland führt; so Gedichte u. Gedenkbl.^ 59:
Schön Ellen lehnt auf des Feldstücks Rand
Vom bunten Plaid umflossen,
und ebd. 52: Und da kams in Geschuxidem gezogen
Mit gewürfeltem Plaid und mit Federn vom Aar^
Und Englands Banner flogen,
Plagge wird von Lexer als männlich bezeichnet; ich kenne es
mit Adelung, Campe, Heinsius, Heyse, Sanders nur als weiblich, mei-
stentheils aber steht das Wort in der Mehrzahl, so daß das Geschlecht
nicht erkennbar ist. Ausführlich über den Plaggen dünger spricht
Schwerz, prakt. Ackerbau 1, 140 ff., der auch folgende nicht bei Lexer
stehenden Zusammensetzungen bietet: Plaggendung, Plaggen-
mist, Plaggeneinstreuung, Plaggen streu, Plaggenlager,
Plaggenschicht.
Plakat ist vor Stieler nachzuweisen aus Erasmus Franciscns,
West- und Ostindischer Lust- und Staatsgarten 3, 1631' (1668): Hie-
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 505
benebenst werden öffentliche Placaten angeschienen] ebd. 1632*:) a^J^
durch das kaiserliche Placat dtirte grosse Herren. Plakatenpresse
gebraucht Bismarck am 21. März 1849 als Abgeordneter der zweiten
Kammer: Wenn das Feuer der Berliner Straßenpolitik durch den Wind
der Plakatenpresse und der Klubs angefacht umrde, so gab es Auf-
tritte, die zu den schmachvollsten in der preußischen Geschichte gehören.
Plan als Kampfplatz wird mit mancherlei , auch wenig be-
deutsamen Beispielen belegt, doch vergebens sucht man die bekannten
Zeilen aus Luthers Hauptliede:
Er ist bei uns wohl auf dem Plan
Mit seinem Geist und Gaben,
Auch durfte man wohl erwarten, aus E. M. Arndts immer noch frischem
Liede vom Feldmarschall die Verse zu finden:
Bei Leipzig auf dem Plane, o herrliche Schlacht?
Da brach er den Franzosen das Glück und die Macht.
Im Anschluß an Weinhold wird besonders hervorgehoben, daß Plan
im Schlesischen auch eine Ackerstrecke bedeute. Dieser Sprach-
gebrauch wird wohl in der Volkssprache ziemlich verbreitet gewesen
sein, wenigstens ist er mir aus meiner ukermärkischen Heimat als
ganz gewöhnlich bekannt. Die Bezeichnung Plan stößt dort mit der
nach dem Westen Deutschlands hin häufigeren Kamp zusammen,
so daß nach Lage und Beschaffenheit der Ackerbreiten kein Unter-
schied zwischen dem Kamp und dem Plan zu finden ist; indessen
wird der Ackerbesitz Jemandes durchweg als Plan mit dem voran-
gesetzten Namen des Eigen thümers bezeichnet, also etwa Eberts
Plan, wogegen das dem Dorfschulzen für seine Mühewaltung überlassene
Ackerstück dort nd. stets Schultenkamp heißt, nie Schulten-
plan. Schwerz, Prkt. Ackerbau 1, 344, 346, 347, 348 bezeichnet die
zur Überrieselung bestimmten Wiesenflächen als Rasenstücke oder
Plane, Auffallend ist das Fehlen von Plankammer, das man
freilich, zu geschweigen der früheren Wörterbücher, auch bei Campe,
Heinsius, Heyse, Sanders nicht findet. Nach Müllers Verdeutsch-
wörterbuch der Kriegssprache 279 (1814) ist das Wort zuerst in
Sachsen aufgekommen: Topographisches Bureau ist Plankammer,
eine in Dresden gebräuchliche Benennung dieses Bureaus. In Berlin
gehört die Plankammer zum Nebenetat des Großen Generalstabes.
Die in dieser Abtheilung mit der Landesaufnahme und anderen Ver-
messungsarbeiten beschäftigten Officiere geben einen Theil ihrer Karten
für den Verkauf heraus, so daß es wenigstens früher einen Verlag
der Plankammer gab. Planwagen wird durch Albrechts Buch
506 A. GOMBERT
über die Leipziger Mundart gestützt. Das Wort ist doch in ganz
Norddeutschland üblich, wenn es auch gelegentlich noch durch Be-
Schreibung verdeutlicht wird, wie Spielhagen, Angela 216: Der Wagen,
der ein mit einer Plane bedeckter und zwei tüchtigen Gäulen bespannter
Karren ii?ar; dann ebd. 264 heißt es einfach: der Planwagen war
davongefahren. Fontane, Wanderungen 4, 166 traut die Kenntniß des
Wortes jedem seiner Leser zu*. Krippen lehnen sieh an die Wand, ein
Planwagen steht zur Seite^ darauf ein Spitz die Wache hält.
Pläne für Ebene oder Fläche hätte durch die Bemerkung
gekennzeichnet werden sollen, daß es zu denjenigen Fremdwörtern
gehöre, welche, in der edleren Sprache absterbend, jetzt nur noch oder
wenigstens vorzugsweise in den niederen Kreisen der Bevölkerung
üblich sind (vgl. retour, Parasol, Bouteille u. a.)*
Der PI an et ist genau entsprechend seiner Grundbedeutung, auch
ein Sinnbild der Unbeständigkeit, vgl. v. L. in Neukirchs Sammlung
2, 111 (Leipzig 1697):
Wundre dich nichts daß die liebe meistens unbeständig ist;
Venus die hat eine stelle beyn planeten ihr erkiest.
Zu den Beispielen, welche den ehemals mächtigen Wahn der Stern-
deuterei veranschaulichen, wäre des Gegensatzes halber der Spruch
aus Neukirchs Sammlung 6, 31ö (1709) zu setzen:
Christen führet kein planete,
Gott allein ist ihr prophete [Überschrift: Christen kann man
keine Nativität stellen].
Die Verse sind wohl nur eine Abänderung aus Logau, Zugabe zum
zweiten Tausend, Nr. 195:
Christen dörffen nicht Plane ten,
Ihre Wercke sind Propheten,
Jetzt zu Segen^ jetzt zu Nöthen.
Statt Thümmels wortreicher Umschreibung für Erde {der frostige
Planet, den wir bewohnen) wird später in geschmückter Bede das
kürzere unser Planet gebraucht, so bei Wieland 37, 136 Eutha-
nasia, zweites Gespräch); femer bei Humboldt, Ans. d. Natur 1, 7,
42, 132, 185, 186 u. ö.). Planetarisch wird nur ans Humboldts
Kosmos und aus Börne belegt, kommt jedoch schon früh im 17. Jhdt.
vor, z. B. 1622 bei Jac. Böhme, Sign, rerum 38 (Ausg. v. 1682):
darumb ist die Sonne das Centrum in dem planetarischen Bade [in
dem Kreise, den die Planeten in ihrer Bahn um die Sonne beschreibenj
und in aUen wachsenden und lebendigen Dingen, Aus Humboldt wäre
besonders die Verbindung planetarisches Licht zu bemerkeo;
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE. 507
vgl. außer der von Eehrein angeführten Stelle Kosmos 1, 8 auch Ans.
d. Nat. 13 : selbst die scheitelrechten Gestirne des Adlers und des Schlangen-
trägers leuchten mit zitterndem, minder planetarischem, Lichte \ ebd.
175: wenn aus der dußigen Himmelsbläue das hohe Sternbild des Schiffes
und das gesenkt untergehende Kreuz ihr mildes planetarisches Licht
ausgössen; ebd. 3, 420: die Planeten haben im ganzen eine schuxiche
ScintiUation y weil sie von reflectiertem, Sonnenlichte leuchten und ihr
planetarisches Licht aus Scheiben emaniert. Das erst aus Äler (1728)
belegte planetisch bietet Jac. Böhme, Signat. rerum 30: une das
planetische Rad sein Instehen hat, also ist auch die Oeburth jedes
Bings; desgl. steht das Wort Aurora im Aufgang 7, 44 (in der Ausg.
V. 1780) und sonst bei Böhme.
Planieren. Daß das Wort vor Stieler vorkommen muß, weiß
Lexer selber, da er das Hauptwort Planierer aus den Jahren 1429
und 1445 belegt. Für das Zeitwort wäre anstatt auf Stieler schon
auf Sim. Roth (1572) M 7' zu verweisen: Planirn Eben vnd hal
machen. Item die Bücher waschen^ schlagen und einpressen^ das sie ge-
leytiget werden, das nennen die Buchbinder Planirn. Laur. Müller
Übers, von Cureus C iij* (1585): wie die Buchbinder ihr Papier pla-
niren. Duez, Nomenciator 163 (1662): laver planieren.
Plänkeln ist allerdings weitaus üblicher als plänkern, das
nur durch eine Stelle aus Musäus belegt wird; doch findet sich letzteres
auch sonst, namentlich bei Schriftstellern norddeutscher Sprachfär-
bung; vgl. Jahn, 2, 371: die Franzosen kamen bis zu dem Engpaß von
Rothenstein, wo sie mit den Preußen plänkerten; K. W. Krüger in
seinem Wörterbuch zu Xenophons Anabasis übersetzt dxQoßoUis^d'aL
durch plänkern, desgleichen dxQoß6h0Ls Plänkergefecht. Rost
im deutsch- griech. Wörterbuch hat plänkeln oder plänk er n, Plän-
keln oder Plänkerei. Plänklergefecht ,im eigentlichen und im
übertragenden Sinne ist wohl häufig genug, um Aufnahme im Wb.
zu verdienen; vgl. Hettner, D. Litt.^ 3, 1, 371: die ersten Plänkler-
gef echte gegen Gottscheds unbedingte Oberherrschaft gingen von derselben
Frau Neuberin aus^ welche u. s. w.
Planke t (nicht aufgenommen) wird bei Schotte! 285 ohne nähere
Erklärung verzeichnet, doch wohl im Sinne von Blankett (planchette).
Duez, Nomenciator 61 (1663) hat: die planschett^ das ßschbein.
Plapperdipapp ist der Ton der Windmühle (Plappermühle)
bei Kopisch, Ges. Wke. 2, 245:
Am Arendsee eine Windmühle stund,
Die ging da plapperdipapp.
508 A. GOMBERT
Plapperdeutsch gebraucht Jahn 2, 604 fg.: Rechnet man zur Voll-
kommenheit einer Sprache, wenn sie viel Fremdes hat und immerfort
welschen kann, so muß die Rede des schabigen Betteljuden über Luther
und Klopstock, über Schiller und Goethe stehen, und wir müssen alle noch
in die polnische Judenschule, um Pia pp er deutsch zu lernen. Derselbe
1, 237 hat auch Plappermäuligkeit: Fremde Sprachen sind für
den, der sie nur aus Liebhaberei und Plappermäuligkeit treibt, ein
heimliches Oift (Volktshum). Plapperwerk steht in der Cabinets-
ordre an Wöllner vom 7. Januar 1798: ich weiß, daß sie [die Religion]
Sa4ihe des Herzens, des Gefühls und der eigenen Überzeugung sein und
bleiben muß und nicht durch einen methodischen Zwang zu einem gedanken-
losen Plapperwerk herabgewürdigt werden darf wenn sie Tugend und
Rechtschaffenheit unter den Menschen befördern soll.
Zu Pläntern vgl. auch Plänterschlag bei Berlepsch, Alpen
*76: Durch diesen impi^omsiei^ten Natur- PI unterschlag weiter vorzu-
dringen ist unmöglich. B. meint eine durch Lawinensturz gelichtete
Waldstraße im Hochgebirge.
Pläsir wird erst aus Goethes Mitschuldigen^ pläsierlich
nur aus Albrecht, Leipziger Mundart belegt, doch steht das Hauptwort
bei G. Arnold, Kirchen- und Ketzerhistorien 1, 236^ der Ausg. v. 1740:
alle weltlichen plaisiren\ femer niederdeutsch schon 1593 bei Herzog
Julius von Braunschweig 239: guden Plesier maken. Auch Pläsir
gehört zu den vorhin bei Pläne bezeichneten ehemals edleren, jetzt
heruntergekommenen Fremdwörtern. Gh. Terstegen gebraucht es noch
in ernster^ frommer Dichtung, Geistl. Blumengärtl.'' 326:
Die Welt mag traurig leben,
Wir, die uns ganz ergeben
Dem Vater zum Pläsir^
Wie selig leben wir!
und ebd. 380: Solch kränkeln ist mir schlecht Pläsir. Pläsier lieh
finden wir Döbel, Jägerpractica 4, 103"* (1754): Mit den Klitzsch-
Angeln zu angeln ist auch plai sirlich j und früher bei Erasmus Fran-
ciscus 1, 427^ 496', 506^ (1668). Den Gegensatz des älteren] und
neueren Sprachgebrauches in dem Worte Pläsir bringt Immermann
gut zur Anschauung, wenn er im Mtinchhausen 4, 117 fg. (Berl. Ausg.
v. 1858) dem alten Hofschulzen, wo dieser ernst und nachdrucksvoll
redet, dieses Wort in den Mund legt, während es doch für den Leser
schon etwas fremdartig klingt: Wie ein ordentlichei* Mensch dem lieben
Gott nicht um jede Bagatelle Molesten macht, . . . also soll der König
nicht angeschrieen werden um jeden Groschen, der mangelt, sondern in
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBÜCHE. 509
der reckten echten Not allein, und zu allen übrigen Tagen soll man nur
sein Herze erfreuen und erquicken an dem Könige; denn er ist das Ab-
bild Gottes auf Erden. Zum Pläsir ist uns hauptsächlich der König
gesetzet und nicht zum Hans in aUen Ecken. In dem uns heute geläufigen
Sinne steht das Wort in K. A. Mayers Gedicht Spatz und Spätzin,
mitgetheilt bei Bernd, Deutsche Lyrik* 350 (1886):
Spricht der Spatz: ich will dich hier
Mit zwei Worten kurz berichten :
Für den Spatz ist das Pläsir^
Für die Spätzin sind die Pflichten.
Plesirligkeit und plesirlich bei Nehring a. a. O. 676 (1694).
Wenn Pläsirvergntlgen mit Berufung auf Eehrein als nassauisch
und das sprichwörtliche Jedes Thierchen hat sein Pläsierchen unter
Hinweis auf Albrecht als sächsisch angegeben werden ; so kann ich
das nicht widerlegen, muß jedoch bemerken, daß ich beide Wen-
dungen seit meiner Knabenzeit in der Ukermark und zwar von Leuten
gehört habe, die keinerlei sprachliche Einwirkung aus Nassau oder
Obersachsen erfahren hatten. Pläsieren hat die Nebenform plesi-
nieren nicht bloß im späten mhd., sondern auch noch 1565 bei
Mathesius, Psalm 130, Bl. xiiij': das die andern nicht drüber in der
faulst lachen vn solches bey menniglich ausplesiniren vnd verun-
glimpffen helffen. Man sieht zugleich, daß hier ausplesiniren nicht
in dem sonst üblichen lobenden Sinne des Wortes, sondern im herab-
setzenden gebraucht wird.
Platonisch. Im scharfen Gegensatze dazu^ daß das Wort vor-
zugsweise den Begriff des Unsinnlichen, rein Geistigen enthält, steht
H. Müller, Übers, von Cureus 2, 36 (1585); [Widertäufer] begaben sich
hernach in Mehren^ allda haben sie vnderschleiff kriegt vnd eine sonder-
liche Platonische Policey voUer vnsaubrigkeit vnd vnreinigkeit auß-
gerichtet. Gemeint ist hier wohl die von Cureus mit der von Plato
vorgeschlagenen Weibergemeinschaft der höheren Stände zusammen-
gebrachte praktische, schon von Münster her bekannte Vielweiberei
der Widertäufer, schwerlich die Ausartung der platonischen Elnaben-
liebe. Platonische Philosophie finde ich zuerst bei Hedio, Übers, von
Bapt. Piatina 53' (1546), doch wird die Verbindung sicher früher
vorkommen. Platonischer Wohlklang, H.P. Sturz^ 1,161 (1768):
[In Italien] ward ihr [der Angelika Kaufmann] empfänglicher Geist,
unter Kunstwerken und in der guten Gesellschaft^ ganz zum platoni-
schen Wohlklang gestimmt Platonisieren im allgemeinen Sinne
steht bei Herder 1, 41 Suph. (1764): Die Machtsäzze Johannes erklM;
GBSMANIA. N«U6 Beihe. XXU. (XXXHT.) Jalurg. 34
510 A. QOMBEBT
man aus der Bedeutung der Platonisirenden Chri8tm\ mit Beziehung
auf die platonische Liebe bei Wieland 9, 125 (Aepasia):
Wenn ihr je hei Mondenlicht im Grünen
Platonisieren wollty platonisiert allein!
ebd. 36: Zu den Zeiten det^ Gnastiker und der Platonisier enden
ersten Christen; ebd. 38: Welch ein Jude kann diese Platonisirende
Erklärung ausstehen? Pia tonist steht ebenfalls bei Herder 3, 115
Suph. im allgemeinen Sinne von Platoniker, d. h. Anhänger der
Lehre Plato's: solche feine Meiajphysik vher die Natur der Götter ge-
hört in den Kreis der späteren Platonisten und Pythagoräer und in
das heilige Murmeln ihrer Geheimnisse; Wieland wieder nennt den
Kombabus mit Beziehung auf seine Entsagung in der Liebe den armen
Platonisten (10, 274); vgl. auch 9, 93 (Musarion 3): die Schwärmerei
der Platonisten.
Plätschern gebraucht Jean Paul Quintus Fixlein 61 Hempel
mit Übertragung auf den Ton: damit er durch ein plätscherndes
Murki den Kirchensprengel tanzend die Treppe niederfiihrte. Zu dem
Belege aus Harsdörffer fttr das unumgelautete platschern füge man
einen zweiten aus demselben Schriftsteller, abgedr. in den Mathemat.
Erquickst. 3, 351 (1653): der platschrende bach. Platschig wird
erst aus Weinhold und Hegel beigebracht, doch haben wir ein ent-
sprechendes platschecht schon bei Sebiz Feldbau 754: die Wölffin
macht ihren kath mitten in den weg, ist darzu weich und platschecht.
Platte. Eine besondere und wenn auch selbst bei Sanders nicht
verzeichnete, so doch wohl in ganz Deutschland vorkommende Ver-
wendung erfährt das Wort zur Bezeichnung der zur Aussaat ge-
schnittenen Kartoffel; vgl. Schwerz, Prakt. Ackerbau 2, 447: Man
pflanzt ganze, kalbe, viertel, einäugige Würfel, Platten {Kartoff el--
köpfe\ ausgebohrte Augen, Schaben.
Plätte (Wasserfahrzeug mit plattem Boden) ist ein in Nord-
deutschland weniger bekannter, in Österreich dagegen um so häufigerer
Ausdruck) der auch schon früh seinen Weg nach Schlesien gefunden
hat. Die Plätte wird öfters gleichbedeutend mit Fähre gebraucht.
Vgl. in der Schles. Ztg. vom 20. Juni 1887 (Abendbl.) den aus der
Wiener Presse entnommenen Bericht über ein kurz vorher auf der
Donau vorgekommenes Unglück: Bei der Donau angelangt, bestiegen
etwa 150 Wallfahrer die bereitstehende Plätte^ um über die Donau zu
setzen. Kaum hatte die Fähre da>s Ufer verlassen, . . . verlor das Fahrzeug
in Folge der heftigen Bewegung {Orkan) das Gleichgewicht und kippte
um. Es haben sich 280 — 300 Menschen auf der Plätte befunden.
BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTEBBUCHE. 511
Pötzl, Rund um den Stephansthurm 136 (Heclams UniversalbibL 2411
und 2412) scheint unter der Plätte nicht gerade die Fähre zu ver-
stehen : Andere Pilger^ welche den edlen Sport des Angelna treiben^ sitzen
reihenweise auf Flößen und leeren Plätten. Man vgl. auch das bei
Sanders Ergänzungswb. 389'' verzeichnete absichtlich unterscheidende
Wort Überfuhr -Plätte. Die übergangenen und auch sehr entbehr*
liehen Zusammensetzungen Plattenabsonderung, Platten art,
Plattenbildung und Plattenbasalt seien hier genannt, weil
sie bei Goethe vorkommen; s. Goethes Werke 33, 417, 436, 437.
Plattenabdruck steht ebenfalls bei Goethe 23, 63 Hempel (Dich-
tung und Wahrheit, Buch 18) und das nur aus Dannenberg-Frantz
belegte plattenförmig bei Goethe 33, 448 (1824). Neben Platten-
hengst kommt auch Plattenpriester vor; vgl. Luther, Ref.-hist.
Sehr. 1, 215: So St. Petrus Spruch, da er zu allen Christen sagt: Ihr
seid ein koniklich Priesterthum, kann den Vorstand geben, daß er leiblich
beschäme und geschmierte Priester bedeute, daß also alle Christen j zu
denen es saget ist Mann, Weih, Kind, Jung und Alt Platten und Ole-
priest er sind: wan^mb sollt niht auch jemand dem Spruch St, Pauli
ein solche Nasen stellen kunnten [so]? Plattform steht früher als bei
Eggers (1756) in Duez, Nomenciator 237 (1663): Une platte forme
eine platform, una piatta formay plana forma ; desgleichen Plat former
bei Schotelius 532. Im Sinne von Hochfläche belegt es Lexer aus Oken ;
vgl. darum Kant bei Engel, Philos. f. d. Welt 2, 163 (1777): Du
Länder in diesem Striche sind das, was Büache Platte form nennt,
nehmlich hohe und mehrentheils waagerecht gestellte Ebenen y in denen die
daselbst befindlichen Gebürge nirgend einen weitgestreckten Abhang hohen,
indem ihr Fuß unter horizontal-liegendem Lande vergraben ist.
Plattheit. Von den Belegen gehen drei in das 18. Jahrhunder
zurttck; der älteste ist der Wielandische (Bunkliade aus dem Jahr-
gange 1778 des deutschen Merkur), sofern der angeführte Satz nicht
emt 1798 in der Gesamtausgabe seine jetzige Fassung erhalten hat.
Da nun Wieland das Wort Plattheit im geistigen Sinne auch im
Jahre 1782 (Hör. Epist. 1, S. 69) hat, Adelung aber (1777) dasselbe
noch nicht verzeichnet, so werden wir es einstweilen auf Wieland
zurtlckführen müssen. Unter Plattkammer wird auf Kammer im
fünften Bande des Wb. verwiesen, wo Hildebrand Sp. 111 darauf
aufmerksam macht, daß es in herrschaftlichen, fürstlichen Haushalten
eine besondere Plattkammer gebe, wo Wäsche geplättet werde.
Solche Plättkammer (denn außerhalb Leipzigs, bez. Obersachsens
spricht man das Wort mit dem Umlaut) kommt doch auch in durch-
34*
512 A. OOMBERT, BEMERKUNGEN ZUM DEUTSCHEN WÖRTERBUCHE.
auB unffirBtlichen Haushaltungen, z. B. in geräumigen ländlichen Pfarr-
häusern vor, oft freilich muß auch der Flur zur Aushilfe dienen;
vgl. Fontane, Wanderungen 4, 235: Der Pfarrfittr war in eine große
Plättkammer umgewandelt worden, Plattkopf im übertragenen
Sinne als Oegensatz zu Spitzkopf gebraucht Seume mit Vorliebe;
man vergleiche außer den drei von Lexer beigebrachten Stellen noch
Werke 2^ 1 58 : j Demut und die mit ihr verwandte Geduld sind Esels-
tugenden, die die Spitzköpfe den Plattköpfen gar zu gern ein-
prägen] 2, 212: Zeitvertreibe sind die Erfindung der Spitzköpf f für
die Platiköpfe. Plattköpfig wird nur aus Oken belegt. Hier denkt
man, auch wenn man kein Verehrer Heines ist und dessen häufige
Anführung im Wörterbuche nicht billigt; doch sogleich an die bekannten
Verse aus dem Buche der Lieder:
In Lappland sind schmutzige Leute,
Plattköpfig, breitmäulig und klein.
Plattnasig, das übergangen wird, steht bei Bode, Tristram Schandj
2j 61: Stellen Sie sich eine Meine quappelichte platnasige Figur von
einem Doctor Slop vor, Plattnasicht findet sich schon bei Schottel
347\ Plattschnur (im Gegensatz zur rundgeflochtenen Schnur) ist
heute ein bei Schneidern, Schneiderinnen und Posamentierern gewöhn-
liches Wort, das aber in den Wörterbüchern vor Sanders nicht vor-
kommt. Sanders bietet auch die entsprechende Plattlitze. Plätt-
stein als SteUvertreter des gewöhnlich eisernen Plättbolzens haben
wir bei Jean Paul, Quintus Fixlein 60, Hempel (Werke Bd. 3): Sie
konnte vor Vergnügen den Plättstein nicht in die Plätte schütteln.
Platz fehlt als Übersetzung des lat. locus = Stelle in einem
Buche; vgL Belustigungen des Verstandes und Witzes 1, S. 23
(1741): Daß diese gelehrten Helden an der Poesie und Beredsamkeit einen
Geschmack finden sollten^ weil sie große Plätze aus den aüen Dichtem
und Rednern auswendig können ^ das wäre falsch geschlossen. Daß diese
Übersetzung von locus wenig Anklang gefunden hat und eigentlich
nur noch in dem Worte Gemeinplatz (früher auch mit Gemeinort
wechselnd) fortlebt, ist bekannt. Übrigens braucht der Gemeinplatz
nicht unmittelbar aus dem Lateinischen herzurühren, sondern kann
aus dem Holländischen entnommen sein, da in L. Meijers Woorden-
schat' 452 (Amsterd. 1698, wann zuerst erschienen?) für loci com-
munes ghemeene plaatsen gegeben wird. Oder ist umgekehrt der
holländische Ausdruck nur die Übersetzung eines noch älteren, nur
bisher nicht nachgewiesenen deutschen? Zu Platze wird nur in der
Wendung zu Platze legen = erlegen, niederstrecken vor-
LITTBRATÜR: H. 8WEET, A HI8TOBT OP ENGLI8H SOUNDS. 513
geführt; doch sind mir aus norddeutscher (vielleicht auch weiter ver-
breiteter) Umgangssprache die Verbindungen etwas zu Platze
bringen oder womit zu Platze kommen geläufig in dem Sinne
des lat. in medio proponere, also zu Markte bringen, öffent-
lich mittheilen. Vgl. Wb. 4, 1, 90 (unter fräuleinen) den nd,
Beleg aus Fr. Reuter.
QB088-STBEUTZ. A. GOHBEBT.
Berichtigung zu S. 259: Der Ausdruck: Pflichtstunden
in der S. 259 angegebenen Bedeutung findet sich schon 1868 in der
amtlichen Instruction für die Lehrer an höheren Schulen der Provinz
Brandenburg §. 4: Die 2jdhl der Pfliehtstunden beträgt u. s. w.
Gbt.
LITTERATÜR.
A History of English Sounds firom the earliest period with fall word-listo.
By Henry Sweet, M. A. BalHol Coli., Oxford; Hon. Ph. D. Heidelberg.
Oxford, Clarendon Press 1888. XYI u. 409 S. 8^ 14 sh.
Als der junge englische Gelehrte Henry Sweet in den Transactions
der Londoner Philological Society für 1873 — 74 einen Anfsatz von 163 Seiten
unter dem Titel „The History of English Sounds '^ erscheinen ließ, ahnte
er wohl kaum den Erfolg , den das unscheinbare Schriftchen haben sollte,
das auch noch für die English Dialect Society ausgegeben und außerdem
bald in einer Sonderausgabe rapid ausverkauft wurde.
In Deutschland verdanken wir u. A. der Anregung, eine Anzeige des
Bnches zu schreiben, dem schwerwiegenden Aufsatz ten Brinks «Zum eng-
lischen Yocalismns^ im 19. Bande der Zs. f. deutsches Alt. und deutsche
Litt. 1876 (1875).
Seither hat die englische Philologie manchen Schritt weiter gethan,
und immer noch spielte das Büchlein eine wichtige Rolle auch in der lebenden
Forschung; doch auch Sweet selbst war indessen nicht nur mit, sondern
auch vielfach bahnbrechend vorangegangen, und dieser gewaltige Fortschritt
in unserer Erkenntniß der englischen Sprachgeschichte tritt uns deutlich aus
einem Vergleiche des nun vorliegenden neuen Werkes mit seinem ersten
Entwürfe entgegen.
Die „historische Grammatik der englischen Sprache^, und zwar zunächst
Laut- und Flexionslehre, hatte seit der vor mehr als einem Vierteljahrhundert
erschienenen bist. Gramm, d. engl. Spr. von C. Friedr. Koch keine wissen«
schaftlich befriedigende Gesammtdarstellung gefunden; das Bedürfriiß nach
einer solchen mußte ein um so größeres sein, als einerseits den Germanisten,
denen das Altengiische (Angelsächsische) ein mit jedem Jahre bedeutsameres
Arbeitsfeld wurde, der weitere Verlauf desselben von zunehmender Wichtig-
keit wurde, und andererseits die zahllosen sogenannten „ Neuphilologen ** einer
wirklich wissenschaftlichen Aufhellung des Neuenglischen dringend bedurften.
514 UTTERATUB: H. SWEET, A HI8T0RT OF ENGLI8H SOUNDS.
Dm Altengliflche oder AngelsftchsiBche wurde zuerst im Jahre
1882 doreh BieverB epochemachende AngelsächsiBche Grammatik in
helleres Licht gerückt; wohl waren in Zeitschriften, besonders in Paul-Braunes
Beitragen, eine Beihe grundlegender Untersuchungen namentlich von Paul und
Slevers selbst niedergelegt worden, die eine Menge Fragen der vergleichend-
germanischen Grammatik in wesentlich neuem Lichte erscheinen ließen. Die
Yerwerthung dieses vielfach zerstreuten Materiales aber au einer zusammen-
hängenden Darstellung des Angelsftchsischen war ein nicht hoch genug anzu-
schlagendes Verdienst Sievers', was man aus den Wirkungen auf die Arbeiten
der Folgezeit ersehen konnte. Von dem Standpunkte der neuen Erkenntniß
des Altenglischen mußten die Ausblicke auf die darauf folgenden Perioden
der englischen Sprachentwicklung zwar auch wesentlich neue sein, doch war
f&r diese das Dunkel noch lange nicht gelichtet, und die Dinge lagen hier
deshalb meist sehr im Argen, weil viele Forscher den mannigfach r&thsel-
haften graphischen ErscheiDungen kritiklos gegenüberstanden, anstatt festen
Gesetzen lautlicher Entwicklang einerseits und graphischen Traditionen anderer-
seits nachzuspüren. So entstand viel£sich die Anschauung, die Zmschenstufen
zwischen Altenglisch und Neuenglisch, das Mittelenglische, seien ein
buntes Chaos, aus dem alles Mögliche werden konnte, so entstand u. A.
Stratmanns Mittelenglisehe Grammatik, so noch in jüngster Zeit die ein-
schlftgigen Partien in dem unglücklichen Buche „Encyklopädie und Methodo-
logie der englischen Philologie^ von G. Körting.
Daß das Mittelenglische kein Chaos von sprachlichen Zufällen und
Willkürlichkeiten ist, zeigte außer einigen feinen Einzelarbeiten im Zusammen-
hange einer Gesammtdarstellung der Sprache des größten mittelenglischen
Dichters ten Brink in seinem grundlegenden Werke über Chaucers
Sprache und Verskunst, 1884.
MitSievers einerseits und ten Brink andererseits waren Ausgangs-
und Mittelpunkte geboten, an die die Einzelforschung sich zielbewußt und
erfolgreich anschließen konnte, und die letzten Jahre haben auch auf dem
Gebiete des Mittelenglischen ganz andere, dauernde Ergebnisse gebracht als
vordem; namentlich sei hier Lorenz Morsbachs trotz der mindestens an-
fechtbaren Grundanschauung lehrreiches Büchlein: „Über den Ursprung der
neuenglischen Schriftsprache^ 1888 genannt.
Wenn nun weitgehende methodische Einzelarbeit auf dem Gebiete des
Mittelenglischen und den verschiedenen Stufen des Neuenglischen das drin-
gendste Erfordemiß für die Zukunft ist, so war eine Zusammenfassung der
lautlichen Entwicklungsreihen nach großen Gesichtspunkten, und die Dar-
stellung dieser selbst nicht weniger ein Bedürfniß. Eine solche wird uns in
der vorliegenden neuen Bearbeitung der „History of English Sounds ^ geboten,
einer „histor, Gramm, d. engl. Spr. erster Theil^, die Lautlehre um-
fzssend, aus der begreiflicherweise eine Fülle werthvoUer Streiflichter auch
auf flexi vische Erscheinungen fallen muß.
Die erste Auflage von 1873 — 74 ist dem neuen Werke gegenüber ein
kühner Entwurf, der nun nur mehr historisches Interesse hat; das neue
Werk ist ein abgeschlossenes Lehrbuch, das sowohl dem Germanisten
und Studierenden der englischen Philologie, als auch dem Schulmann, sofem
er Lehrer des Englischen ist, unentbehrlich sein wird.
LITTERATÜR: H. SWEET, A HISTORY OF ENGLISH SOUNDS. 515
Der Plan des Werkes ist ein äußerst glücklicher, indem der Dar^
stellang der einzelnen englischen Sprachperioden einige Capitel sprach-
geschichtlicher Principienlehre vorangeschickt werden, die Sweet's, Sievers',
Faul's u. A. Forschungen in der hei Sweet bekannten klaren und ein&chen
Ausdrucksweise auch Anfängern und Fernerstehenden näher bringen werden.
Es umfaßt diese Einleitung folgende Abschnitte: l.Phonetics; 2. Sound-
Chan ge, und zwar Intemal-Isolative, Internal-Combinative, Acoustic Changes,
Extemal Changes, General Principles; 3. Origin of Speech-Sounds;
4. Origin of Dialects; 5. Sound Representation. Es ist von diesen
einleitenden Capiteln ein weit und tiefgreifender Einfluß auf die sprach-
geschichtlichen Studien zu erwarten, und wenn vielleicht auch Manche jetzt
glauben werden, sie hätten all das längst vorher schon gewußt, so wird es
wenigstens erfreulich sein, daß man in künftigen einschlägigen Arbeiten
diese Principien verwerthet finden wird, die vorher in der Regel nicht
vorwalteten.
Nebenbei bemerkt wird es Vielen willkommen sein, hier in Kürze und
doch mit nöthiger Vollständigkeit Sweet's phonetisches System und sein
Organic Alphabet, das im Verlaufe des Buches beständig zur Tranescription
verwendet wird, dargestellt zu finden.
Den Inhalt der eigentlichen History of English Sounds mögen die
Überschriften der einzelnen Abschnitte veranschaulichen.
Arian Sounds. Germanic Sounds, kurze, klare Übersicht auf
Grund der neuesten grammatischen Forschungen. Run es. Old English
Sounds, hierin die Sievers'schen metrischen Untersuchungen mitverwerthet.
Scandinavian Sounds, sehr werthvoU, doch leider nur vier Seiten;
der Einfluß des Skandinavischen auf das Englische und zwar namentlich das
Mittelenglische ist ja bekanntlich noch eines der peinlichsten Probleme, deren
Lösung immer dringlicher wird. (In gleicher Weise gilt dies vom nieder-
deutschen Einflüsse, beziehungsweise Einflüssen, die Sweet nicht besonders
heranzieht, deren Bedeutung aber namentlich durch Skeat und ten Brink
eindringlichst nahegelegt wurde. Am besten sind wir bekanntlich mit den
romanischen Lehnwörtern daran ^ die im englischen Sprachkörper am
leichtesten als fremde An- und Einwüchse erkannt wurden und deren Durch-
forschung von Seite hervorragender Romanisten schon deshalb nicht ver-
säumt wurde, weil die rührige romanische Sprachwissenschaft ihrer nicht
entrathen konnte. Sweet geht nur nebenbei auf die romanischen Laute im
Englischen ein, und zwar bei Besprechung der mittelenglischen Orthographie.
Soviel läßt sich freilich für das Englische daraus nicht gewinnen, wie um-
gekehrt aus dem Englischen für das Französische, doch wären einige wenige
Seiten nach den trefflichen Arbeiten von ten Brink, Sturmfels, Behrens ebenso
leicht einer nächsten Auflage einzufügen, als sie unentbehrlich sind. Die
bunten Doppelformen, in denen französische Lehnwörter je nach Stamm- oder
Endungsbetontheit im Französischen ins Englische treten, spiegeln sich im
Mittel- und Neuenglischen zwar mehr in der Orthographie^ die sich auch
auf Einheimisches übertrug, als in der Aussprache wieder, doch erscheint mir
ein zusammenhängendes französisch-lautgeschichtliches Capitel vor dem ortho-
graphischen wünsch enswerth , zumal da ja Sweet gerade die seltene Gabe
besitzt, scheinbar Verwickeltes in treffender Kürze klarzulegen. Fälle, wie z. B.
516 UTTERATÜB: H. SWEET, A HISTORY OF ENGLI8H SOUNDS.
revenge von den endungsbetonten Formen des Verbs gegenüber dem fräs.
revanche können gewissermaßen als feste Werthe übernommen werden, nicht
so z.B. die Resultate von firz. o vor nnd nach dem Tone n. A. m.) Middle
English Sounds. Hier, sowie bei den Old Engl. Bounds als Einleitung:
Dialeets und Texts, Orthography, Metre and Stress, Qaantity. Beachtens-
werth ist die Periodisierung : 1050—1160 Old Transition, — 1300 Early
Middle English, 1300— Late Middle Engl., 1450—1500 Middle Transition.
Dabei scheidet Sweet jene Gruppe von Denkmälern, für die ich kürzlich
(in der Einleitung zu meiner Ausgabe der Winteney -Version der Regula
S. Benedicti) den Ausdruck „Neuangelsäohsisch^ zu vindicieren versuchte,
treffend ab: „such texts do not represent any actual language^. Bei den
Modern English Sounds tritt begreiflicherweise das dialectische Moment
zurück, und auch eine Übersicht der Denkmäler macht der Aufzählung der
Phonetic Authorities, der Orthographisten , Orthoepisten und Grammatiker
von Palsgrave bis Sheridan (nach EUis* großem Werke On Early English
Pronunoiation) Platz. Das Modern English, was wir auf deutseh meist
„Neuenglisch^ nennen, periodisiert Sweet folgendermaßen: 1500 — 1600 First
Modem English, 1600—1700 Second Mod. Engl., 1700—1800 Third Mod.
Engl., 1800—1850 Early Living English, 1850—1900 Late Liv. Engl.
Schon bei der Besprechung der Middle English Sounds wurden die
nordenglischen Dialecte zu Gunsten der süd- und mittelländischen zurück-
gesetzt; bei Sweet, der praktisch und klar ein Ziel vor Augen hat, handelt
es sich zunächst darum, das was wir heute englische Schriftsprache oder
besser Gemeinsprache nennen , geschichtlich in seinen Hauptzügen zu
begründen, und so stehen für das Mittelenglische die südenglischen und
mittelländischen Quellen, soweit sie für die Bildung der xoM^f in Betracht
kommen, im Vordergrunde. Es ist keineswegs versucht, die altenglischen
Laute durch alle litterarisch bezeugten Dialecte gleichmäßig zu verfolgen
oder, was in diesem Falle gleichbedeutend wäre, Parallelgrammatiken der
einzelnen Dialecte zu liefern. Für das Modem English treten naturgemäß
die nordenglischen Dialecte gänzlich zurück, und ihr litterarischer Reprä-
sentant, das sogenannte „Schottische^, wird überhaupt nicht weiter berück-
sichtigt. Nicht als Tadel, sondern nur als Wunsch für eine nächste Auflage
des Buches, das doch bestimmt ist, in Aller Händen zu sein, sei dem Ver-
fasser nahegelegt, ein Capitel über das ^Schottische^ anhangsweise beizu-
fügen. Das bahnbrechende, doch leider immer noch einzig dastehende Werk
über die schottischen Dialecte, Murray*s Dialect of the Southern Counties
of Scotland ist lange vergriffen und so selten, daß die Wenigsten Gelegenheit
haben, sich über die richtige Sachlage bezüglich des Schottischen zu be-
lehren, über das die abenteuerlichsten Ansichten noch nicht ausgestorben
sind. Wenn nun aber auch das Nordenglische zur Zeit, wo es sich „Schot-
tisch^ anstatt „Inglis^' nannte, viel mehr vom Südenglischen beeinflußt wurde
wie vorher, so sind dennoch eine Reihe namentlich orthographischer Sonder-
entwickelungen zu wichtig, um von einer History of English Sounds aus-
geschlossen zu werden; beispielsweise sei nur auf Eigennamen wie Laing,
Dalziel, Mackenzie u. A. hingewiesen.
Living English Sounds, nur wenige Seiten, weil in dem Vorher-
gehenden eine Menge vorweggenommen, doch trefflich ; beachtenswerth dabei
LITTERATUR: H. SWEET, A HISTORY OF ENGLISH SOUNDS. 517
u. A. die Andeatungen über levelstresSy und unter Quantity der quantitative
Ausgleich zweier Silben, wie in better.
Es folgen nun: PirstWord-List (Old-Middle-Modern) und Second-
Word-List (Living-Old). Erstere Liste enthält 2143 (gegen 1751 der ersten
Auflage) Wörter, nach den altenglischen Yocalen angeordnet, in altenglischer,
bez. skandinavischer Form mit ihren mittelenglischen und neuenglischen Ent-
sprechungen, die neuenglischen in moderner Orthographie und daneben in
phonetischer Transscription. Hiebei sind die Ansätze nicht etwa — was bei
der ersten Auflage für das Mittelenglische mit Becht beanstandet wurde —
bloß theoretisch construiert, sondern reichlich für alle Perioden mit Belegen
versehen. Man kann da wieder sehen, was Sweet seit der ersten Auflage
gearbeitet haben muß. Die Anlage ist außerordentlich praktisch, wie Jeder
aus dem Gebrauche, der durch den Index to first Word-List wesentlich er-
leichtert wird, ersehen wird. Mit einem Blicke sind die lautlichen und gra*
phischen Entsprechungen klar zu übersehen, und die vierte Columne, die
phonetische Transscription des Modemenglischen, wird sich nicht nur für
sprachgeschichtliche Zwecke, sondern auch allen denen, die sich über die
moderne Aussprache belehren wollen, nützlich erweisen. Mit unbarmherziger
Consequenz werden nämlich die Wörter dargestellt, wie sie wirklich
lauten, und so enthält diese Liste thatsächlich das beste und erste phone-
tische Pronouncing dictionary, soweit es sich um „the majority of
the words of Old English or Scandinavian origin still in common use** handelt.
Ebenso dankenswerth ist die Second Word-List, die, den umgekehrten
Weg einschlagend, die neuenglischen Wörter voranstellend, drei Columnen
enthält: die phonetische Transscription, die moderne Orthographie und die
altenglische Entsprechung (das Mittelenglische und die Belege brauchten hier
nicht wiederholt zu werden). Die Anordnung geschieht hier nach den Vocalen
der lebenden Aussprache.
Zum Schlüsse finden sich Tables über I. Sound Change, U. Form of
Letters, III. English Vowels (Alt-, Mittel-, Neuenglisch), ebenso übersichtlich
IV. Old-English Dialects, V. Middle-English Dialects (doch nur Südlich,
Ostmittelländisch , Kentisch , Chaucer , dem Altenglischen gegenübergestellt,
entsprechend der oben angedeuteten Behandlungsweise im Texte), VI. Modern
English Vowels. — Contractions.
Dies der Inhalt des in seiner Behandlungsweise durchaus originellen
Werkes. Es ist echt englisch, nicht nur in der energisch und praktisch
auf die Hauptsache losgehenden Methode, sondern auch in der etwas an-
fechtbaren Kühnheit y nicht viel links noch rechts zu sehen, sondern aus
dem Ganzen selbständig zu gestalten. Die hauptsächlichsten Leistungen
Anderer, besonders aber Derer, die ihm congenial erschienen, hat Sweet
verwerthet, wie er ja auch zum Schlüsse der Vorrede seine bescheidene Dank-
barkeit gegenüber fremder Forschung in die schöne Huldigung ausklingen
läßt: „If I had to dedicate this book, it would receive on its title-page the
four names of Bell, Ellis, Paul, and Sievers.'' Ja, man wird sich oft
fragen müssen, ob man da und dort einen Paul'schen oder Sweet'schen Ge-
danken wieder zu erkennen hat. Im Einzelnen aber wird man gewiß Manches
vermissen, was anderswo schon gesagt worden ist. Freilich dürfte Niemand
es Sweet verargen, wenn er über die zahllosen deutschen Einzelarbeiten
618 UTTERATÜR: H. SWEET, A HI8T0BY OF ENGLI8H SOUNDS.
abermals wie in seiner Vorrede zu den Oldest English Tezts in Unmatb
ausgebrochen wäre, denn die Art, wie dieselben in die Öffentlichkeit dringen
oder vielmehr häufig lange verborgen bleiben, ist eine unsägliche Misere.
Am ehesten sollten die Docenten an deutschen Universitäten doch in der
Lage sein, über wirklich Erschienenes oder im Erscheinen begriffenes orien-
tiert zu sein. Doch wie es damit steht , dürfte bekannt sein. Wie viele
Specialarbeiten müssen, nahe der Vollendung, aufgegeben werden, weil
plötzlich das gleiche Thema anderswo bearbeitet erscheint! Wie viel ver-
lorene Arbeit und Verdruß wäre alljährlich da zu ersparen, wo doch das
Arbeitsfeld noch genügend Baum für alle hat! Wenn dies an deutschen
Universitäten der Fall ist, wie mag es dann Dr. Sweet in Bath damit er-
gehen! So darf man sich nicht wundem, wenn er endlich auf diese Einzel-
heiten verzichtete und entschlossen seinen eigenen Weg ging. Freilich, was
Sweet ten Brink verdankt, wird nicht gesagt, und wo er dessen Arbeiten
nicht verwerthet, ist es für sein Buch gewiß nicht von Vortheil.
Sweet ist durch und durch Engländer und mit Bewußtsein ; aus seiner
Eigenart heraus wollte er seine History of English Sounds darstellen, und
wer sich der daraus erwachsenden Vortheile erfreut, muß sich eben anch
damit zuMeden geben. Er hat einmal bei Besprechung von Job. Storm's
englischer Philologie (in den Gott. Gel. Anz. 1881, St 44, p. 1407) diesen
Gelehrten folgendermaßen charakterisiert: „Storm's Geist ist vor Allem
praktisch und conservativ; auch darin ist er echt englisch, daß er sich
öfter scheut, seine eigenen Principien vollständig durchzuführen.^'
Es ist merkwürdig, wie diese Charakteristik auf Sweet selbst anzuwenden
ist, vor Allem eine Scheu, alle Consequenzen seiner Aufstellungen selbst
zu ziehen.
Wir Deutsche, die wir leicht in den umgekehrten Fehler verfallen,
/ Theorien und Systeme aufzustellen, ehe uns die Beobachtung der Thatsachen
die volle Berechtigung dazu gibt, werden in Sweet^s Buch die zusammen-
hängende Darstellung mancher Lautgesetze vermissen, mit denen Sweet an
verschiedenen Stellen operierte, ohne ihren Umfang fest abzugrenzen. So
wäre es beispielsweise von Interesse, über die Frage der Vocaldehnung und
Vocalverkürzung Sweet' 8 Ansicht im Zusammenhange zu hören. W. Fick*s
Aufsatz: Vocalverkürzung in englischen Wörtern germanischen Ursprungs
(Engl. Studien VIII, 502—510), Ferd. Brück's Dissertation „Die Consonanten-
doppelung in den mittel englischen Comparativen und Superlativen (Bonn 1886)
haben werthvolle Zusammenstellungen ergeben; die Hauptschwierigkeit liegt
biebei freilich in der Chronologisierung der Lautgesetze.
Oder die wichtige Erscheinung, die Sweet group-lengthening nennt,
namentlich die Längungen und späteren Kürzungen vor nd, ng. Sweet berührt
diese Punkte an verschiedenen Stellen verstreut, ohne daß man ein klares
Bild darüber gewinnt, welche Vocale vor nd und ng gelängt wurden, welche
gekürzt wurden, und in welche Zeit die einzelnen Erscheinungen zu setzen sind.
In §.694 erklärt er ö in Ipng^ hpndf comb entstanden aus gronp-lengthened
Angl. ä; warum haben wir aber heute hand^ landy sand^ lamb n. s. w. gegen-
über strong, long, wrong, comb^ Die lebend-englische Lautform, die einzige
über die wir mit völliger Sicherheit urtheilen können, bietet, als die Besul-
tierende der verschiedensten Kräfte, meist den sichersten Ausgangspunkt
lilTTEBATUR: G. SWEET, A HISTORY OF BNQLISH SOUNDS. 519
besonders in Fällen wie der vorliegende, in denen hente der Unterschied
zwischen a and 0 weit größer ist als zu einer Zeit, wo a noch a lautete.
Der im Wesentlichen durchgeführte Gegensatz von land : long u. s. w. dürfte
doch wohl auf alte Quantitätsunterschiede zurückgehen, indem die a-Formen
die Kürze, die o-Formen die Länge wiederspiegeln; warum wir dement-
sprechend aber z. B. lamb auf kurze oder verkürzte Vocalform zurückzuführen
haben, ergibt sich aus der Analogie der dem Verkürzungsgesetze unter-
worfenen Composita (Deminutiva) wie lamhhiny lambsivool u. a., wogegen
comb zugleich als Verb dem Einfluß etwaiger Compositionen widerstehen
konnte und womb auch kaum viel componiert erscheinen dürfte. Aus dem
Verkürzungsgesetze in Compositis erklärt sich ebenso hang {hangman u. a.)
statt hong ; nicht hieher gehört trotz dem Anscheine seines Zusammenhanges
mit band das Wort bondy bondman u. a. m. , denn dies ist etymologisch
davon zu scheiden.
Für die Frage, wie lange die Lautgruppe -end lang war, könnte das Ver-
bum AE iSnany NE lend vielleicht einen brauchbaren Wink geben, ten Brink
(Chaucers Sprache und Vk. §. 50) erwähnt bei Besprechung AE schw. Verba
mit (B im Stammvocal, deren Prät. und Particip. neben seltenerem e ein a
zeigen, „nur niente, lente, weil in der ersten Hälfte der ME Periode
mende, lende mit langem oder doch schwebendem f galt/ Aus diesem
lende, lende muß sich mit Noth wendigkeit ergeben, daß T^ lend nicht
nach Analogie der Präterita Spante, wente, bente, sente oder des Partie,
ent sich zu seinem länte einen Infinitiv lende bilden konnte, wenn nicht
auch noch nach der ersten Hälfte der ME Periode die Infinitive spende,
wende, bende, sende, ende dem Inf. lene auf halbem Wege entgegen-
gekommen wären, d. h. also langes e bewahrt hätten. Nur nach langem be-
tonten Yocal wird nämlich die Lautverbindung ^nd unfest, d. h« wechselt in
Folge flexivischer Einflüsse (s des Genitivs, des Plurals^ der 8. Sing. Präs.
bei Verben u. ähnl.) mit n, wie schon früh ME in spene für spende], Owl
a. Night. 1549, u. a. m. und in NE tine, woodbine, line : Urne, lawn und
hind, round (Verb, neben roun), sound, astound goton{d) u. a. m. Unbetontes
and oder Composita wie handkerchief, brawnew zählen natürlich nicht mit.
Es konnte also ein lene nur an Formen wie wende, bende, ende sich an-
schließen ; es würde demnach nicht, wie früher meist behauptet wurde, lend
sein d und damit seine Kürze seinem Prät. und Partie, lent verdanken, welches
nach bent, went u. a. den Infinitiv mit einem gewaltigen Sprunge von lene
zu lende gemacht haben müßte, sondern umgekehrt der Inf. len{d)e, nach-
dem er einmal sich bende, wende u. a. angeschlossen, mit weit weniger
Schwierigkeit sein ßnt zu lent angeglichen haben. Wenn dies richtig ist,
und da sich lend neben dem älteren lene erst recht spät festzusetzen scheint
— nach Stratmann und K. Oliphant, The New English, erst im Promptorium
Parvulorum um 1440 — würde die ganze Lautgruppe ^end noch um diese
Zeit als -end anzusetzen sein, während man sich meist mit dem Hinweis auf
einige Doppelschreibungen {eende) bei Wiclif begnügte.
Ich muß gestehen, daß mir die Fragen nach dem Umfang und den
Zeiten der Längungen und späteren Verkürzungen vor Consonantenverbin-
dungen, über die ich noch manche Vermuthungen und Zweifel vorbringen
könnte, die aber besser diese Anzeige nicht belasten, noch sehr der syste-
520 E. STEINMEYBR. ÜBBB EINIGE EPITHETA D. MHD. POB8IE-M5DE etc.
matischeii Untersnehung bedürfen. Wie weit Sweet selbst darüber zu. festen
Ergebnissen gelangt ist, läßt sieb ans seinem Buche ans den genannten
Ghründen durchauB nicht erkennen. Es liegt mir auch ferne, ihm daraus einen
Vorwurf zu machen, denn sein Buch enthält so massenhafte Anregungen
und kurze Hinweise, die zur Einzelarbeit anreizen, daß man dafor allein
dankbar sein muß. Welche Streiflichter feillen nicht auf die Flexionslehre 1
So sei nur beispielsweise darauf hingewiesen, daß Sweet's feine Functions-
theorie der stimmlosen und stimmhaften Consonanten als starke und schwache
Formen eine Beihe von flezivischen Erscheinungen naturgemäß erklärt; so
haben wir auch im Obigen die t in lent, went u. a. aufzufassen. Vgl. Sweet
§. 46, 754.
Auf weitere Einzelheiten einzugehen, gestattet der Baum hier nicht, und
es ist auch hier nicht nöthig. Mit freudiger Dankbarkeit sei das Buch dem
Sprachforscher und Schulmanne empfohlen, nicht weniger den Studenten,
denen allen es hoffentlich gar viel des „tedious toil and groping after light",
das der berühmte Verfasser daran gewendet, ersparen wird.
FREIBURG i. Br., Januar 1889. A. SCHRÖER.
Elias Steinmeyer, Über einige Epitheta der mhd. Poesie. Bede beim An-
tritt des Proreetorats. Erlangen 1889. 20 S. 4.
Eine trotz ihres geringen Umfangs sehr lehrreiche und anregende
Abhandlung. St. zeigt, daß manche Adjective in der mhd. Dichtung zu
gewissen Zeiten vornehmlich im Reime vorkommen. Sie gehören somit nicht
dem lebendigen Sprachschatze des betreffenden Dichters an, sondern sind
entweder im Veralten oder erst im Aufkommen begriffen. Die erstere Classe
fuhrt zur Erörterung der sogenannten unhöüschen Wörter, die St. im Ganzen
wie Bötticher beurtheilt (Germ. XXI, 277). Von Vertretern der zweiten Classe
behandelt St. hauptsächlich die Adjectiva klar, Muoc, wert, gehiure. Er macht
es wahrscheinlich, daß sie aus dem Md. in den oberdeutschen Sprachsehatz
eingedrungen, und daß insbesondere Wolfram den Vermittler gespielt.
Warum wird Veldekes Dichtung immer wieder als Eneü citiert, während
sie doch Eneide hieß (vgl. v. 13510 und meine Einl. S. 88)?
eiESSEN, den 31. December 1889. O. BEHAGHEL.
Mittheilimg.
Die Fortführung von Bartsch's Bibliographie durch Dr. Gustav Ehris-
mann wird im ersten Hefte des nächsten Jahrgangs ihren Anfang nehmen.
Durch alle BuchhandluDgen kann auf Verlangen unentgeltlich
bezogen werden:
■V"erzeicla.2n.iss
von
im Preise bedeutend ermässigten Werken aus den Gebieten der
Archäologie ~ Bauwissenschaft— Geographie—Geschichte
— Jurisprudenz — Kriegswissenschaft — Mathematik —
liaturwissenschaft — Philologie — Technologie u. Theologie,
Verkg von Carl Gerold' 8 Sohn in Wien.
Spfftck?erglelcktmg uad Vrgesehickte.
Linguistisch-historische Beiträge
zur
ErforsehODg des indogermanisehen Alterthoois
von
O. Sohrader.
Zweite vollstäHdig umgearbeitete und beträchtlich vermehrte Auflage.
Ein sehr starker Band yon 43 Bogen gr. 8". 14 M.
Dieses Bach, dessen günf tige Anfnabme in gelehrten nnd weiteren Kreisen bekannt
ist, erscheint hier znm zweiten Mal, und swar in fiast Tftllig nener Gestalt. Verarbeitet
ist in dasselbe alles, was die seitherigen Stndien des Verfassers nnd der Anfschwnng der
▼ergleichenden Alterthumskande wUhrend der letzten Jahre an neuen Thatsachen und
Gesichtspunkten hervorgebracht haben. Der Verfasser nimmt nanmehr eine feste Stellung
zu der Tielbesprochenen Frage nach der Vorheimat der Indogermanen ein.
In • meinem Verlage ist erschienen und durch alle Buchhandlungen zu
beziehen:
' Fortfletsuns: von
"Tl^^lllielra V^7"aic3s:eriiaigrel'6
Geschichte der Deutschen Litteratup.
Zweite vermehrte und verbesserte Auflage, fortgesetzt von Ernst Martin.
II. Band, zweite Lieferung. Siebzehntes Jahrhundert. 8^ geh. M. 2 '40.
Preis för den I. Band M. 10—; Preis fftr des IL Bandes 1. Lieferung M. 8 —
Benno Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
Soeben ist erschienen:
nnmanin Ifarl Der vK16«enaeire*' WaltherB von
UUIIIalllU, IVdn, der IToffelweide. SeitiQ Bedeutung für
die Heimatfrage des Dichters. 45 Seiten gr. 8^ broch. Mk. 1.20.
Verlag von Perd. Schöningli in Paderl)orn.
1
Beilagen von Wilhelm Herz (Besser*sche Bnchhandlang) in Berlin and
Carl Gerold's Sohn in Wien.
Uuchdruckcrei von Carl Gerold'* Sohn in Wien.
INHALT.
S«ite
Zur Ronenlehre. Von F. Lpsch 397
Die Vorfahren des Jordanes. Von Tb-, t. Orieub^rgtr 406
flriliva. Von Demselben 410
Die Sprachbewegong in Norwegen. Von W. Qolther... . 411
Zu Gerhard von Minden. Von R. Sprenger .419
Über dea gegenwärtigen Stand der Sucbenwirt-Handschriften. (SehlniS.)
Von Fr. Kratochwil 431
Zu Wolfram. Von O. Behaghel 487
I. Die Zeit seines Thüringer Aufenthalts 487
II. Zum Titurel 488
UI. Zu den Liedern 488
Fragmente aua der Weltchronik Rudolfs von Ems. Von K. Reißen-
berger 490
Jappeatift, Von G. Ehrismann -492
Bemerkungen zum deutschen Wörterbuohe (Schluß). Von A. Gombert 493
Litteratur:
H. Sweet, A history of English Sounds. Von K. Schraer . . . . 613 1
Elias Steinmeyer, Ober einige Epitheta der mhd. Poeai«* Reie Mm M»- |i
tritt des Prorectorats. Von O. Behaghel 620
Mittheilung 620
PV
Uli
3 2044
'Mi II
ii.:i!|!M.iM"lill
637 770
^ ^
" ^ vr
^1t ?Aly
<^^
■% -^
^A-»
V J.
•/ 4SAk«
^ r
*« J^ <c
" ■*»►