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Full text of "Germania; Vierteljahrsschrift für deutsche alterthumskunde .."

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THE    GIFT   OF 


GEORGE    W.     WALES, 


OF  BOSTON. 


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GEEMANIA.   ^. 

VIERTEUAHRSSCHRIFT    ^^ 

PUB 

DEUTSCHE  ALTERTHUM8KÜNDE. 


BEGRÜNDET   VON  FRANZ    PFEIFFER. 
FORTGESETZT  VON  KARL  BARTSCH. 

JETZT  HERAUSQBOEBEN 
VOM 

OTTO  BEHAGHEL. 


VIERUNDDBEISSIOSTER  JAHBGANG. 
NEUE  REIHE  ZWEIDNDZWAMZIGH9TER  JAHROANO. 


WIEN. 

VEBLAQ  VON  CARL  OEROLD'S  SOHN. 

1889. 


f^vJe^.  so 


INHALT. 


Mit 
Über    den  Ursprung   des   hofisehen  Minnesanges   und   sein  Verhlltniß   rar  Volks- 

dichtong.   Von  Ed.  Theodor  Walter 1 

Einleitung 1 

Capitel  I.    WMUodi,    Liebesgrflße,   trotiiUet,    Kflrenberglieder,  ptMarum 

eanUea  .     » ^  •     .  S 

Capitel  n.    Der  Versuch  B.  M.  Mejers,   Termittelst   einer  Sammlnng  Ton 
Parallelstellen  aus  hofisehen  Diehtem  den  Minnesang  als  Entwickelnngs- 

product   einer  ^Terloren  gegangenen*  Volksljrik  hinrastellen     ...  9 

Der  Minnesinger  Albrecbt  von  Johansdorf.  Von  J.  Hörn  off.  (Schluß)      *     .     .  76 

V.  Gedankenwelt 76 

VI.  Zeitliche  Anordnung 106 

Vn.  Fremde  Einflösse 109 

Znr  Lantfomi  des  Alemanischen.    Von  A.  Hensler. 112 

Zu  den  ^drei  Mareien".    Von  H.  v.  Wlislocki 180 

Über   den  Ursprung   des  höfischen  Minnesanges   und  sein  VerhJUtniß  sur  Volks- 
dichtung. (Schluß.)    Von  E.  Th.  Walter 141 

Capitel  m.  Werth  des  Anfsatses  von  A.  Berger  über  «die  volksthümlichen 
Omndlagen  des  Minnesanges**  für  die  Frage  nach  dem  Zusammenhange 

swischen  diesem  und  der  Volksdichtung 141 

Capitel  IV.  Die  Oarmina  Burana  und  ihr  Zusammenhang  mit  dem  höfischen 

Minnesänge 146 

Capitel  V.  Schluß 1Ö3 

0  Zur  Aleziuslegende.   II.    Von  Max  Fr.  B^lau 166 

Zur  Tristansage.    Von  E.JCölbing    .  T     .      .      .    ...  . ., ^.  .^     .     ,      .     .     .  187 

Schwäbisch  e  als  Vertreter  von  a.   Von  K.  Bohne  über  g  er -i  194 

Über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Snchenwirt-Handschriften.  (Forts,  und  Schluß.) 

Von  Fran«  Kratochwil 208.  808.  481 

Leute.   Von  O.  Brenner 246 

Mhd.  tu  und  d.    Von  O.  Behaghel 247 

Eine  Handschrift  des  Pfaffen  Amis.    Von  Q.  Ehrismann 261 

Bemerkungen    zum  deutschen  Wörterbuche    ^Forts,  und  Schluß.)   Von  A.  Gom- 

bert «W-  871-  *98 

AfetMT.    Von  O.  Behaghel 264 

Norddeutsche  und   süddeutsche   Heldensage   und   die   älteste  Gestalt   der  Nibe- 
lungensage.   Von  W.  Golther 266 

Zur  Freckenhorster  Heberolle.    Von  Franz  Jostes 297 


Seite 

Bibliographie  der  Uhland-Litteratur.    Von  Ludwig  FrSnkel 345 

Ein  Brief.    Von  O.  Brenner 369 

Zu  mhd.  iu  und  u.    Von  O.  Behaghel  .      .      .      .  370 

Zu  S.  370.    Von  O.  B 396 

Zur  Runenlehre.    Von  F.  Losch 397 

Die  Vorfahren  des  Jordanes.    Von  Th.  v.  Grienberger 406 

firiliva.    Von  Demselben 411 

Die  Sprachbewegung  in  Norwegen.    Von  W.  Golther 41. 

Zu  Gerhard  von  Minden.    Von  R.  Sprenger 419 

Zu  Wolfram.    Von  O.  Behaghel 481 

I.  Die  Zeit  seines  Thüringer  Aufenthalts 487 

II.  Zum  Titurel 488 

III.  Zu  den  Liedern 488 

Fragmente  aus  der  Weltchronik  Rudolfs  von  Ems.    Von  K.  Reißeuberger      .  490 
Jappeaatift,    Von  G.  Ehrismann 492 

LITTERATÜR. 

H.  Sweet,  A  Historj  of  English  Sounds.    Von  E.  Schröer 513 

Elias  Steinmeyer,  Über  einige  Epitheta   der  mhd.   Poesie.  Rede   beim  Antritt  des 

Prorectorats.    Von  O.  Behaghel 520 

Mittheilungen 140.  396.  620 


GERMANIA. 

VIERTELJAHRSSCHRIFT 

FÜH 

DEUTSCHE  ALTERTHÜMSKÜNDE. 

BEGRÜNDET   VON   FRANZ   PFEIFFER. 
FORTGESETZT  VON  KARL  BARTSCH. 

JETZT  HSBAUSOEOEBEN 
VON 

OTTO   BEHAGHEL. 


VIERUNDDREISSIGSTER  JAHRGANG. 
NEUE  REIHE  ZWEIUNDZWANZIQSTER  JAHRGANG. 

EBSTES  HEFT. 


WIEN. 

VERLAG  VON  CARL  GEROLD'S  SOHN. 

1889. 


Teiiflg  TOD  Friedrieli  Yiew^  k.  Sofai  In  Bmvnsebwei^. 

(Z«  WxkhcA  darek  jede  Badkaadln«.) 
Böt%tn  erseliUft  TollsIftBdif : 

H  an  db  ach 

der  deutschen  Alterthumskunde. 

Ueberridit  der  Denkmale  and  Gräberfande  frfibgescfaidttliclier  nnd  Toigesdddit- 

Mdier  Zeit. 

Von  L.  Lindenselmiit. 

In  drei  Theilen.  Rqyal-OctaT.  gelu 

Erster  Tlteil«  IHe  Alterthlaer  der  meroTiasiiehea  Zett. 

XU  nUrriehen  IMnIielMB.  Preis  30  Kark. 


GemiAnia«  yierteljahniclinft  fSr  denteehe  Alterthnmskiinde.  Begrfindet 
von  Franz  Pfeiffer,  fortgesetzt  von  Elarl  Bartsch.  VL — ^XXIL 
Jahrg.  1861—1877  je  4  Hefte  jetzt  1^  Jahrg.  M.     8.—. 


Germania,  xxm.  —  xxxni.  Jahrg.  1878 


1888  je  4  Hefte 

1^  Jahrg.  M.  15. — . 


NeUWirthy  Dr.  Jos.,  die  Satzangen  des  Begensbarger  Steinmetzentages 
im  Jahre  1459  aaf  Grand  der  Elagenfarter  Steinmetzen-  nnd 
Maarerordnang  von  1628.  4  Bogen  gr.  8^  M.  2. — . 

Wiener  Communaikaiender  und  städt.  Jalirbucli  1889.  Der  ganzen 

Folge  27.,  der  neaen  17.  Jahrg.  350  S.  kl.  8®.  cart.  M.  4.—. 
Inhalt:  I.  Kalendariam.  —  IL  GesehäiUkalender:  1.  Verkehrsanstalten.  — 
2.  Strassen  and  Plätze  des  Wiener  Gemeindegebietes.  —  3.  Städtische 
Gebäade.  —  4.  Wiener  Jahr-  und  Wochenmärkte.  —  6.  Gebühren- 
Yerzeichniss  für  den  Centralfriedhof.  —  6.  Wiener  Dienstboten- Kranken- 
casse.  —  7.  Taxe  für  die  Aufnahme  in  den  Gemeindeverband  der  Stadt 
Wien.  — -  8.  Niederösterreichische  Advocatenkammer.  —  IlL  Städtisches 
Jahrbuch:  1.  Gemeindevertretung  und  Verwaltung.  —  2.  Commissionen 
des  Gemeinderathes.  —  8.  Bureau  und  Kanzlei  des  Gemeinderathes.  — . 
4.  Magistrat.  —  6.  Bezirksvorstände  und  Bezirksausschüsse.  —  6.  Buch- 
haltung. —  7.  Städtische  Hilfs-  und  Nebenämter.  —  8.  Städtische 
Humanitätsanstalten.  —  9.  Unterrichtsanstalten.  —  10.  Anhang  zu  den 
Unterrichtsanstalten.  —  11.  Gewerbeschulen.  —  12.  Anhenbezirke.  — 
18.  Gremial-  und  Genossenschafts-Vorstehungen.  —  IV.  Geschichtliche 
Beiträge:  —  1.  Mayer,  S.,  Handwerk  und  Gross-Industrie  in  Wien 
1700—1860.  —  2.  Weiss,  E.,  Die  Entwickelung  Wiens  in  den  letzten 
zwei  Jahrhunderten.  -*  8.  Benner,  V.  v.,  Bericht  aus  dem  Nicolai- 
kloster über  die  Belagerung  von  Wien  1683.  —  4.  Mayer,  Dr.  A.,  Ueber 
die  historisohe  Ethnographie  Wiens.  —  V.  Chronik  der  Stadt  Wien: 
1.  Thätigkelt  des  Gemeinderathes  und  des  Magistrates.  —  2.  Local-Chronik. 
—  8.  Todesfälle.  —  VI.  Allgemeine  Anzeigen. 


JUL  15   IBS^vi 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HOFISCHEN  MINNE- 
SANGES UND  SEIN  VERHÄLTNISS  ZUR  VOLKS- 
DICHTUNG. 


Einleitung. 

Wilmanns  stellt  in  seinem  ^Leben  und  Dichten  Walthers  von 
der  Vogelweide"  das  Vorhandensein  einer  deutschen  Volksliebeslyrik 
vor  der  Mitte  des  zwölften  Jahrhunderts,  also  vor  dem  Emporblühen 
des  höfischen  Minnesanges  auf  deutschem  Boden  schlechthin  in  Ab- 
rede*). 

Seine  Ansicht  fand  entschiedene  Gegner;  zunächst  in  Konrad 
Burdach*),  dann  in  Richard  M.  Meyer ^),  welche  beide  eine  weit  ver- 
breitete Liebeslyrik  vor  der  genannten  Zeit  nachzuweisen  bemüht 
sind.  Beide  beantworten  aber  bei  dieser  Gelegenheit  zugleich  auch 
die  Frage  nach  dem  Zusammenhange  der  deutschen  Volkslyrik  mit 
dem  höfischen  Minnesänge  in  der  Weise,  daß  sie  diesen  als  die  oberste 
Stufe  einer  allmählichen  steten  Entwickelung ,  als  die  volle  Blüthe 
einer  seit  Jahrhunderten  gepflegten  und  ausgebildeten  Volkslyrik  hin- 
stellen *). 


*)  Wilmanns,  Leben  und  Dichten  Walthers  von  der  Vogelweide.  Bonn  1882. 
S.  16:  „Da5  es  vor  der  Mitte  des  zwölften  Jahrhunderts  eine  weit  verbreitete  Liebes- 
lyrik gegeben  habe,  glaube  ich  nicht[;  durch  Zeugnisse  ist  sie  nicht  zu  belegen,  die 
allgemeine  Entwickelung  des  Volkes  spricht  nicht  dafür.« 

')  Burdach,  das  volksthümliche  deutsche  Liebeslied.  Zeitschrift  für  deutsches 
Alterthum  etc.  XXVIL  S.  343—367. 

')  Meyer,   alte  deutsche  Volksliedchen.  Zs.  XXIX.  121—236. 

^)  cf.  vor  Allem  Meyer  a.  a.  O.  S.  226:  „Wichtiger  ...  ist  das  Gesammt- 
resultat ,  welches  aus  dieser  Betrachtung  sich  ergibt :  ...  weiter  gibt  uns  die  Ver- 
arbeitung der  Verse  und  Lieder  ein  Bild  von  der  Art,  wie  dieEunstdichtung 
sich  aus  der  bäurischen  Stegreifdichtung  erhob:  zuerst  noch  ganz  die  alte 
Art  fortsetzend,  nur  feilend,  glättend,  viel  mehr  formell  ändernd  als  inhaltlich,  viel 
mehr  vermuthlich  noch  in  der  Melodie  als  im  Text  sich  von  der  einfachsten  Kunst- 
übung absondernd." 

OEBMANIA.    Neve  Reihe  XXU.  (XXXIY.)  Jahrg.  1 


2  E.  TH.  WALTER 

Zu  gleichem  Resultate  kommt  auch  Arnold  Berger  in  seiner 
Abhandlung  über  „die  volksthümlichen  Grundlagen  des  Minnesangs"  *), 
wenigstens  erklärt  er  sich  ausdrtlcklich  einverstanden  mit  den  „scharf- 
sinnigen Untersuchungen  von  Richard  M.  Meyer**,  dessen  Standpunkt 
er  in  allem  Wesentlichen  theile'). 

Ich  meinerseits  halte  diese  Untersuchungen  und  somit  ihr  Resultat 
fttr  völlig  verfehlt.  Gern  will  ich  zugeben,  daß  der  Standpunkt^  von 
dem  aus  sie  unternommen  sind,  auf  den  ersten  Blick  viel  Verlockendes 
hat;  Berechtigung  jedoch   kann  ich  ihm  in  keiner  Weise  zusprechen. 

Nicht  daß  ich  Wilmanns  beitreten  wollte,  wenn  er  geradezu 
behauptet:  daß  die  Liebe  vor  der  Mitte  des  zwölften  Jahrhunderts 
als  „Ausdruck  persönlicher  Empfindung"  in  der  Lyrik  nirgends  sich 
ausgesprochen  habe;  daß  sie  „wie  alle  andere  Empfindung"  nur  in 
der  epischen  Poesie  laut  geworden  sei®);  solcher  Ansicht  stehe  ich 
fern.  Nur  einen  Zusammenhang  zwischen  dem  höfischen  Minnesänge 
und  der  ihm  vorausgehenden  Volkspoesie,  wie  ihn  Burdach,  vor  Allem 
aber  Meyer  und  mit  ihm  Berger  —  ich  weiß  nicht,  ob  in  Überein- 
stimmung mit  der  allgemein  herrschenden  Ansicht,  jedenfalls  aber  bis 
heute  ohne  wesentlichen  lauten  Widerspruch  —  nachzuweisen  ver- 
suchten, muß  ich  entschieden  in  Abrede  stellen. 

Soll  der  höfische  Minnesang  die  Blüthe  der  Volksdichtung  sein 
—  nach  Meyer  wäre  er  überhaupt  nur  ein  Abklatsch  derselben  — 
so  genügt  es  keineswegs,  eine  solche  vor  den  Jahren  1150 — 1180 
nachzuweisen;  auch  nicht,  wenn  in  derselben  die  Liebe  oiSFenbar  in 
irgend  welcher  Weise  einen  Ausdruck  gefunden  hat;  vielmehr  muß 
gezeigt  werden,  daß  es  bereits  vor  den  ersten  Kundgebungen  der 
höfischen  Minnepoesie  eine  Volkslyrik  und  zwar  Volksliebeslyrik  ge- 
geben habe,  so  geartet  und  ausgebildet,  daß  dieser  auch  wirklich  als 
die  nächste  und  nun  allerdings  höchste  Stufe  der  Weiterentwickelung 
angesehen  werden  könne,  ohne  aber  selbstverständlich  aUch  auf  dieser 
Höhe  als  Kind  der  vorigen  Periode  sich  verläugnen  zu  lassen*). 


^)  A.  Berger,  die  volksthümlichen  Grundlagen  des  Minnesangs.  Zeitschrift  für 
deutsche  Philol  XIX.  S.  440—486. 

')  Berger  a.  a.  O.  S.  441  unten. 

=»)  Wilmanns  a.  a.  O.  S.  16. 

*)  Der  Nothweiidigkeit  einer  solchen  Forderung  ist  sich  übrigens  Richard 
M.  Meyer  offenbar  bewußt,  wenn  er  von  der  ältesten  höfischen  Kunstdichtung  — 
allerdings  ohne  einen  Beweis  folgen  zu  lassen  —  behauptet,  sie  habe  sich  aus 
der  „bäurischen  Stegreifdichtung"  erhoben,  „zuerst  noch  ganz  die 
alte  Art  fortsetzend," 


ÜB£R  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  8 

Sind  nun  Burdach,  Meyer  und  Berger  im  Stande,  eine  solche 
volksthümliche  Poesie  als  Vorläuferin  und  Vorbild  des  höfischen  Minne- 
sanges nachzuweisen  und  so  „das  oft  bestaunte  Räthsel  des  plötz- 
lichen Aufbruchs  der  ganzen  mittelhochdeutschen  Lyrik^^)  zu  lösen? 

Capitel  I. 

Winileodif  Liebesgrüße,  troutliet^  Kiirnbergliedery 
puellarum  cantica. 

Das  erste  Zeügniß,  auf  welches  sich  Meyer  beruft,  sind  die 
Worte  des  Eapitulars  aus  dem  Jahre  789,  durch  welche  den  Nonnen 
verboten  wird: 

winileodos  scribere  vel  mittere. 
Was  in  Wirklichkeit  diese  winileodi  gewesen  sein  mögen,  darüber 
will  ich  mich  hier  nicht  weiter  auslassen,  betonen  möchte  ich  nur, 
daß  es  mir  keinesfalls  darum  zU  thun  ist,  den  «verliebten  Inhalt" 
derselben  in  Abrede  zu  stellen;  von  Liebe,  ja  sogar  meist  und  vor- 
wiegend von  Liebe  ist  gewiß  in  ihnen  die  Rede  gewesen;  was  aber 
die  Auffährung  dieser  Lieder  für  den  Ursprung  des  Minnesanges  in 
ritterlichen  Kreisen  und  für  dessen  Zusammenhang  mit  einer  ihm 
direct  voraufgehenden  Volksliebeslyrik  bedeuten  soll,  ist  mir  nicht 
recht  erfindlich. 

Es  handelt  sich  hier  doch  lediglich  um  den  Nlichweis  einer 
unmittelbaren  Vorstufe  zu  der  höfischen  Dichtung.  Eine  solche  in 
jenen  von  den  Nonnen  gesandten  Gedichten  des  achten  Jahrhunderts, 
über  deren  Wesen  und  Inhalt  wir  uns  nur  Vermulhungen  hingeben 
können,  finden  zu  wollen,  erscheint  mir  ganz  und  gar  unstatthaft. 

Einzuwenden:  diese  winileodi  könnten  sich  ja  in  der  Zeit  vom 
achten  bis  zwölften  Jahrhunderte  derartig  weiter  entwickelt  haben, 
daß  sie  unseren  Anforderungen  entsprächen,  wäre  ebenfalls  sehr  wenig 
angebracht.  Wir  wissen  eben  von  einer  solchen  Entwickelung  nichts, 
erfahren  überhaupt  eine  lange  Zeit  hindurch  über  winileodi  nicht  das 
Geringste;  und  in  späterer  Zeit,  da  wir  sie  wieder  genannt  finden^ 
treten  sie  uns  in  einer  Bedeutung  entgegen,  die  viel  mehr  auf  Lieder, 
wie   sie   beim  Tanze   oder   bei  Spielen   gebräuchlich   sein   mochten^), 


^)  Meyer  a.  a.  O.  S.  225. 

*)  cf.  Neidhard  ed.  Haupt  62,  82 : 

durch  minen  haz  von  Bttge  yaste  n&ch  den  blaomen  spranger  , 

in  einer  höhen  wise  sSnin  wineliet  diu  sanger. 
und  96,  U: 

unde  in  h6her  wlse  ainiu  wineliedel  sanger. 

1* 


4  E.  TH.  WALTER 

als    auf  Liebeslieder    schließen    läßt    und    damit  für   unseren  Zweck 
jeden  sonderlichen  Werth  verliert. 
f  Ich   lehne    daher    die    mnileodi   als    nicht   hierher    gehörig  von 

vornherein  ab. 

Auch  dem  aus  dem  elften  Jahrhunderte  stammenden  Liebesgruße 
im  Ruodlieb^)   kann  ich  keine  Beweiskraft  zugestehen.    Er  lautet: 
Die  Südes  illi  nunc  de  me  corde   fideli 
tantundem  liebes,  yeniat  quantummodo  loubes, 
et  yolucmm  wurma  quot  sint,  tot  die  sibi  minna 
graminis  et  florum  quantum  sit,  die  et  bonorum. 
Daß   die   den  Vers   hier   durchbrechenden  deutschen  Beimworte 
einem    weit    verbreiteten ,     allbekannten    Liebesgruße    zuzuschreiben 
seien,  daß  es  solcher  Liebesgrüße  viele  im  elften,  ja  schon  im  zehnten 
Jahrhunderte  gegeben  habe'*),  räume  ich  ohne  Weiteres  ein.    Jedoch 
—  mögen  diese  Grüße  sangbar  gewesen  oder  gesungen  worden  sein; 
mag   man    sie   nur   als  Formeln   fUr    die  Einleitung    mündlicher  Bot- 
schaften;   später,  ausgebildet,  für  den  Briefanfang  allenthalben  gäng 
und  gäbe  gehabt  haben ^):  für  einen  Zusammenhang  zwischen  diesen 
Strophen   und   dem   höfischen  Minnesänge    des  zwölften  Jahrhunderts 
\    spricht  nicht  das  Geringste. 

Solche  Liebesgrüße  sind  ja  gewiß  ein  Zeichen  von  einer  gewissen 
Lust  am  Überschwänglichen ,  am  poetischen  Vergleichen  und  Über- 
treiben; zugleich  aber  auch  ein  Zeugniß  für  den  noch  herrschenden 
Mangel  an  Beweglichkeit  und  Übung,  der  immer  und  immer  wieder 
das  Zurückgreifen  nach  der  alten  Formel  nöthig  macht  und  sich  mit 
ihr  begnügt.  Von  der  Fähigkeit  zu  einer  über  die  engen  Grenzen 
des  Grußes  hinausgehenden  Entwickelung  ist  gleichfalls  nichts  zu 
finden;  Anzeichen  einer  Dichtungsart,  in  welcher  der  Minnesang  sein 
Vorbild  oder  auch  nur  seine  Vorbereitung  gefunden  hätte,  werden 
nirgends  bemerkbar. 

Auch  die  Berufung  auf  die  trouüiet^),  die  in  den  Kreisen  der 
österreichischen  Ritter  offenbar  schon  vor  1163  geübt  wurden*),  gibt 
uns  keinen  Beweis  für  das  Hervorwachsen  des  Minnesanges  aus  einer 
„verloren  gegangenen**  Volkspoesie. 

*)  Ruodlieb  ed.  Seiler  XVII.  U— 14. 

')  Dümmler)    Mittheilungen    der  Züricher    antiquarischen  Gesellschaft    12,  228. 
»)  Meyer  a.  a.  O.  S.  129. 
*)  Burdach  a.  a.  O.  S.  354. 

')  Heinrich  von  Melk  ed.  Heinzel,  Erinnerung^  610—613  und  Priestefleben  670 
bis  671. 


ÜBEB  DBN  URSPRUNG  DES  HOFISCHEK  MINNESANGES  ate.  5 

Zwar  halte  ich  diese  trauütet  nieht  für  |,Ersfthlangeii  erotischen 
Inhaltes";  Liebesgeschichten  oder  Gesänge ;  „die  dem  epischen  Ge- 
halte  den  Ausdruck  einer  augenblicklichen  und  subjectiven  Stimmung 
beigesellten^  ^),  sondern  glaube  in  ihnen  Dichtungen  sehen  zu  dürfen, 
die  weit  mehr  lyrischen  als  epischen  Charakter  trugen ;  doch  sind  ja 
alle  diese  Lieder^  so  weit  wir  unterrichtet  sind^  allein  in  ritter- 
lichen Kreisen  y  obendrein  nur  Österreichs  gedichtet  und  gesungen 
worden^  haben  also  mit  Volkslyrik  von  vornhereio  gar  nichts  zu  thun. 

Den  stärksten  Nachdruck  jedoch  glaubt  Burdach  auf  dieEtirn- 
berglieder  legen  zu  müssen'). 

Um  dies  zu  können,  ist  er  natürlich  gezwungen,  die  Autorschaft 
eines  einzigen  Mannes  für  die  Männer-  und  Frauenstrophen  in  Ab- 
rede zu  stellen  und  dieselben  verschiedenen  Verfassern:  Männern 
und  Frauen^)  zuzuschreiben. 

Leider  bringt  er  von  neuen  Gründen  für  seine  Behauptung  gar 
nichts. 

Mit  den  widerlegenden  Auseinandersetzungen  Pauls  ^)  befaßt  er 
sich  unbegreiflicher  Weise  überhaupt  nicht,  sondern  begnügt  sich 
damit,  es  für  unmöglich  zu  erklären,  daß  derselbe  Mann,  der  in  den 
Männerstrophen  so  stolz  und  hart,  roh  und  begehrlich  sich  zeige, 
die  zarten  Frauenstrophen  gedichtet  haben  könne.  Aber  wie  steht  es 
in  Wirklichkeit  mit  diesen  so  stolzen,  rohen  und  begehrlichen  Männer- 
strophen, wie  mit  den  so  zarten  Frauenliedern? 

Ich  kann  nur  mit  PauP)  fragen:  ist  eine  Frauenstrophe,  die 
mit  den  Worten 

er  muoz  mir  diu  lant  rümen 

ald  ich  geniete  mich  sin^) 
schließt,  wirklich  so  überaus  zart  und  weich;   und  hinwiederum  eine 
Männerstrophe,  in  der  es  heißt: 

wtp  vile  schoene, 

nu  var  dn  sam  mir. 

lieb  und  leide 

teile  ich  sament  dir  ...  ^) 


*)  Wackeraagel  a.  a.  O.  S.  291. 

3)  Burdach  a.  a.  O.  S.  366  f.    cf.  Meyer  a.  a.  O.  S.  127. 

*)  cf.  Scherer,  Der  Kflmherger,  Ztschr.  f.  d.  Alt.  XVII,  S.  661—581. 

♦)  cf.  Paul  in  P.  u.  Br.  Beitr.  11,  406—418. 

»)  a.  a.  O.  S.  414. 

•)  MF.  8,  7—8. 

')  MF.  9,  21—28. 


6  E.  TH.  WALTER 

SO  hart  und  roh^  daß  man  sie  Dicht  beide  einem  Verfasser  zuschreiben 
könnte? 

Oder  ist  es  etwa  als  Thatsacbe  anzuerkennen,  wie  Scherer*) 
behauptet,  daß  die  Männer  im  XII.  Jahrhunderte  wirklich  aller  wei- 
cheren Empfindungen  unfähig  gewesen  wären,  wenn  unter  Dietmar 
von  Eist  der  Bitter  klagt: 

Seneder  friundinne  böte, 

na  sage  dem  schoenen  wibe, 

daz  mir  tuot  äne  mäze  w^, 

daz  ich  si  so  lange  mide: 

lieber  bete  i*r  minne 

dan  al  der  vögele  singen^). 

Oder  wenn  der  Dichter  das  Verhalten  des  Ritters  folgender- 
maßen charakterisieret: 

J6  stuont  ich  nehtint  späte 

vor   dinem  bette: 
do  getorst  ich  dich  frouwe 
niuwet  wecken  ...'*) 

und  das  der  Dame  mit  den  Worten: 

*des  gehazze 

got  den  dinen  lip; 
jö  enwas  ich  niht  ein  her 
wilde/    so  sprach  das  wip. 
Wer  ist  hier  zaghaft,  zart  und  voller  Rücksicht? 
Ferner!    Haben  wir  in  der  Strophe*) 
Nu  brinc  mir  her  vil  balde 
min  rosy  min  isengwant. 
wan  ich  muoz  einer  frouwen 
rümen  diu  lant. 
diu  wil  mich  des  betwingen 
daz  ich  ir  holt  si. 
si  muoz  der  miner  minne 
immer  darbende  sin  . ,  ,  . 
wirklich,    wie    Burdach    behauptet^),    das    wilde    Zurückstoßen    des 
Ritters  gegenüber  derselben  Frau  zu  erblicken,  deren  Liebe  und  Hin- 
gebung er  sich  vorher  gewünscht  habe,  oder  nicht  vielmehr  (vielleicht 
mit  humoristischer  Färbung)    das  Fliehen   vor   einem  Weibe,    dessen 


»)  a.  a.  O.  8.  677. 
')  MF.  32,  13. 
»)  MF.  8,  9. 
*)  MF.  9,  29. 
»)  a.  a.  O.  S.   356. 


ÜBEB  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  ^ 

ungewüuschte,  aufdringliche  Liebe  ihm  bereits  unbehaglich  zu  werden 
anfängt? 

Ebensowenig  ist  Burdachs  Behauptung  stichhaltig:  ^man  wünscht 
nicht,  was  man  nicht  selbst  kennt"",  oder  ,,Gefilhle  lassen  sich  nicht 
darstellen,  wenn  man  sie  nicht  aus  eigener  Erfahrung  kennt^.  Er 
spricht  damit  kurzweg  jedem  Dichter  die  Fähigkeit  ab,  Frauen  zu 
zeichnen.  Seine  diesbezüglichen  Auslassungen  eingehender  zu  wider- 
legen, halte  ich  für  unnöthig. 

Diesen  allgemeinen  Betrachtungen  Burdachs  ist  in  Wirklichkeit 
kein  Werth  beizumessen ;  nicht  viel  mehr  seinen  folgenden  Auseinander- 
setzungen^), Air  deren  Gegenstand  er  übrigens  „sorgfältige  Berück- 
sichtigung" in  Anspruch  nimmt. 

Er  verbreitet  sich  in  ihnen  über  die  Thatsache,  daß  „wo  ur- 
sprüngliche, volksthümliche  Liebespoesie  blüht^,  „wir  auch  sonst  die 
Frauen  hervorragend  als  Dichterinnen  thfttig^  finden. 

Aber  ganz  abgesehen  davon ,  daß  wir  in  unserem  Falle  ja  erst 
die  volksthümliche  Natur  der  Kürnberglieder  beweisen  wollen,  er 
also  die  Behauptung  zum  Beweise  als  Voraussetzung  benutzt  —  ab- 
gesehen davon:  kann  er  damit  doch  nur  beweisen  wollen,  daß  es 
überhaupt  dichtende  Frauen  gegeben  habe,  keineswegs  aber,  daß 
diese  Strophen,  die  uns  unter  Kürnbergers  Namen  überliefert  sind, 
Frauen  zu  Verfassern  gehabt  haben  müßten;  zumal  da*  ebenfalls  aus 
älterer  Zeit  Frauenstrophen,  von  einem  Manne  gedichtet,  unter  Diet- 
mar von  Eist  überliefert  sind*). 

Wie  Burdach  sich  übrigens  mit  der  oben  erwähnten  Strophe 
MF.  8,  9  glaubt  abfinden  zu  können,  in  der  zuerst  der  Mann  spricht: 

Jö  stuont  ich  nehtint  späte 

vor  dinem  bette : 

do  getorste  ich  dich,  frouwe, 

niwet  wecken  . . . 

dann  die  Frau  antwortet: 

des  gehazze 

got  den  dfnen  l!p! 

jö  enwas  ich  niht  ein  her 

wilde  . . . 
und  zum  Schlüsse  der  Dichter  anfügt: 

80  sprach  daz  wip. 

kann  ich  mir  bei  seiner  Ansicht   durchaus  nicht  vorstellen.    Er  läßt 


»)  a.  Ä.  O.  8.  366—367. 
')  MF.  37,  4—17.  IS— 29. 


8  E.  TH.  WALTER 

yoD  dieser  Strophe  überhaupt  nichts  yerlauten:  sie  ist  ihm  offenbar 
im  Wege. 

Endlich  möchte  ich  noch  darauf  hinweisen,  daß  einige  der  in 
Frage  kommenden  Strophen  schon  ohne  Weiteres  durch  ihren  Inhalt 
der  ritterlichen  Poesie  zugewiesen  werden.  Dazu  gehören  auf  jeden 
Fall  die  Strophen  Ich  atuont  mir  nehtint  späte  \  an  einer  zinnen^). 
Ich  zöch  mir  einen  valken^),  Nu  brinc  mir  her  vil  holde  \  min  roB, 
mm  tsengwant^)  und  die  letzte  der  ganzen  Sammlung  Wtp  unde 
vederspil  \  die  werdent  Rhte  zam:^)\  doch  glaube  ich,  daß  man  wohl 
auch  die  beiden  Strophen  Leu  machet  sorge^)  und  Swenne  ich  stän 
alkine^)  wird  herbeiziehen  dürfen. 

Alles  in  Allem  halte  ich  den  abermaligen  Versuch,  aus  den  Kürn- 
bergliedem  Volksdichtungen  machen  zu  wollen,  für  gründlich  ver- 
fehlt und  betone  ausdrücklich,  daß  ich  außer  Stande  bin,  jene  Lieder 
fftr  Producte  volksthüm lieber  Lyrik  zu  betrachten,  sie  vielmehr  für 
alte  Zeugnisse  ritterlicher  Poesie  ansehen  muß''). 

Über  die  puellarum  cantica  läßt  sich  bei  den  überaus  geringen 
Nachrichten,  die  wir  von  denselben  haben,  gar  nichts  sagen. 

Daß  sie  mit  dem  höfischen  Minnesänge  ifi  näherer  Beziehung 
gestanden  hätten,  wird  auch  wohl  kaum  Jemand  zu  behaupten  ver- 
suchen. 

Damit  hätten  wir  den  Kreis  dessen  durchlaufen,  was  von  that- 
sächlich  Überliefertem  oder  sicher  Bezeugtem  für  die  Existenz  einer 
so  gearteten  und  so  weit  verbreiteten  Volksliebeslyrik  vorgebracht 
worden  ist,  daß  der  Minnesang  als  ihre  nächste  Entwickelungsstufe 
angesehen  werden  könnte. 

Einen  Beleg  von  beweisender  Kraft  haben  wir  aber  nirgends 
finden  können. 


»)  MF.  8,  1—8.  *)  MF.  10,  17—24. 

•)  MF.  8,  33—9,  12.  ^)  MF.  7,  19-26. 

»)  MF.  9,  29—36.  «)  MF.  8,  17—24. 

')  Wegen  des  Weiteren  in  der  Eümbergfrage ,    sofern  sie  hierher  gehört,    ver- 
weise ich  auf  die  oben  citierte  Abhandlnng  Pauls  in  den  Beiträgen. 


ÜBER  DEN  UB8PRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  eie.  9 

Capitel  n. 

Der  Versuch    R.  M.   Meyers,   vermittelst   einer    Sammlung 

von  Parallelstellen  aus  höfischen  Dichtern  den  Minnesang 

als    Entwickelungsproduct    einer    „verloren    gegangenen^ 

Volkslyrik  hinzustellen. 

Ganz  abgesehen  von  den  bisher  besprochenen;  entweder  that- 
sächlich  varhandenen  oder  sicher  bezeugten  dichterischen  Erzeugnissen 
glaubt"  R.  M.  Meyer  noch  andere  Belege  daftbr  zu  haben ,  daß  der 
höfische  Minnesang  das  unmittelbare  Entwickelungsproduct  einer 
„verloren  gegangenen '^  Volksliebeslyrik  sei'). 

Er  stellt  nämlich  über  1000  ähnliche  Verse  aus  den  ältesten 
Stücken  von  des  Minnesanges  Frtihling,  den  deutschen  Strophen  der 
Carmina  Burana,  aus  Walther  von  der  Vogelweide,  Wolfram  und 
Neithart  zusammen'),  und  zieht  dann  den  Schluß:  alten  diesen  Versen 
hätten  bereits  poetisch  bearbeitete  Muster  vorgelegen*);  deren  sich 
die  betreffenden  Dichter  bedient  hätten,  die  sie,  gleichsam  als  Bau- 
steine in  ihre  Gedichte  einfügend,  nur  insoweit  behauen  hätten,  als 
es  der  Bau  ihrer  Strophen  erforderte*). 

Damit  macht  er  also  den  höfischen  Minnesang  geradezu  zu  einem 
Abklatsch;  und  zwar  zu  dem  Abklatsch  einer  Poesie;  wie  sie  sich 
einstweilen  nur  in  seiner  Einbildung  findet. 

Und  in  dieser  Einbildung  ist  Meyer  so  befangen,  daß  er  „aus 
einzelnen  Stücken  und  Stückchen*^  zwar  „kein  einzelnes  Lied^  wie- 
der so  aufbauen  zu  können  glaubt,  „daß  wir  es  wirklich  in  seiner 
alten  Gestalt  zu  besitzen  überzeugt  sein  könnten;  wohl  aber  „mit 
Deutlichkeit  die  Existenz^,  ja  sogar  ^klar  den  Charakter  einer  großen 
Zahl  alter  Liedchen^  nachweisen  zu  können  sich  getraut'^). 

Er  geht  aber  noch  weiter ;  er  unterscheidet  sogar  drei  Abschnitte 
der  Entwickelung: 

eine  Zeit  der  größeren  Abhängigkeit  von  den  Vorbildern, 

eine  Zeit  „des  Aufstrebens  von  den  Anfängen  zur  Blüthe^  mit 
dem  „bemerkbaren  Bestreben,  sich  von  den  alten  Vorbildern  frei  zu 
machen^  •). 

und    endlich    die    Zeit    der    Erweiterung    und    Verfeinerung^), 


*)  Meyer  gebraucht,  wie  schon  Bein  Citat  aus  Wilmanns*  Walthers  Leben  seigt, 
immer  „Lyrik"  in  dem  Sinne  von  Liebeslyrik. 

*)  a.  a.  O.  8.  133—164.  «)  a.  a.  O.  S.  131  u.  132. 

»)  a.  a.  O.  8.  167.  •)  a.  a.  O.  8.  169  f. 

*)  a.  a.  O.  8.  167—168.  7)  a.  a.  O.  8.  171. 


10  E.  TH.  WALTER 

„welche  Formeln  der  alten  Art,  formelhaft  verwandte  Verse  also 
überhaupt  kaum  noch  hervorbringt  oder  vielmehr  ohne  ältere  Bei- 
spiele kaum  noch  zeigt  und  die  alten  wiederholt  verdichtet  und  bricht^ 

Er  schließt  dann  seine  Beweisführung  mit  den  Worten:  „Wir 
haben  nun,  wie  ich  glaube,  die  Existenz  einer  großen  Anzahl  von 
Versen ,  die  in  der  verloren  gegangenen  Volksdichtung  gerade  wie 
noch  in  den  ältesten  erhaltenen  Liedern  zu  neuen  Liedern  zusammen- 
gefdgt  wurden,  für  alle  an  der  litterarischen  Cultur  Deutschlands  be- 
theiligten Länder  nachgewiesen;  gegen  Wilmanns  also  eine  weit  ver- 
breitete Volkslyrik  (Volksliebeslyrik)  vor  der  Mitte  des  zwölften  Jahr- 
hunderts festgestellt.^  '). 

Von  dieser  selben  nach  seiner  Ansicht  nun  erschlossenen  Volks- 
lyrik sagt  er  an  einer  anderen  Stelle,  wie^schon  erwähnt:')  aus  ihr 
hätte  sich  die  Kunstdichtung  in  der  Weise  erhoben,  daß  sie  „zuerst 
ganz  die  alte  Art  fortgesetzt^,  „viel  mehr  vermuthlich  noch  in  der 
Melodie  als  im  Text  sich  von  der  einfachsten  Kunstübung^  abge- 
sondert hätte. 

Das  heißt,  vom  entgegengesetzten  Standpunkte  aus  betrachtet, 
nichts  anderes,  als: 

Jene  „verloren  gegangene"  Volksdichtung  bot  im 
Großen  und  Ganzen  so  ziemlich  denselben  Anblick,  den 
uns  die  älteren  Zeugnisse  der  höfischen  Kun  stdichtung  ge- 
währen. 

Wäre  es  also  Meyer  gelungen,  dies  thatsächlich  zu  erweisen,  so 
wäre  auch  die  Forderung  erfüllt,  die  wir  am  Eingange  unserer  Ab- 
handlung glaubten  stellen  zu  müssen:  ^)  somit  der  Zusammenhang 
zwischen  höfischem  Minnesang  und  der  Volksdichtung  als  ein  solcher 
dargethan,  wie  ihn  Burdach,  Meyer  und  Berger  annehmen. 

Sehen  wir  nun  zu,  ob  die  Sammlung  Meyers  in  Wirklichkeit 
zu  den  Resultaten  führt,  die  wir  von  ihm  behauptet  fanden. 

L 

Will  man  aus  einer  Zusammenstellung  von  Versen,  die  gleiche 
oder  ähnliche  Gedanken,  gleiche  oder  ähnliche  Ausdrücke  enthalten, 
auch  nur  irgendwie  auf  den  Umstand  schließen,  daß  die  betreffenden 
Dichter,    denen  jene  Verse  entnommen   sind,    vorhandene  Vorbilder 


*)  a.  a.  O.  8.  174. 

3)  Vgl.  oben  8.  1,  Anm.  4  und  8.  2,  Anm.  4. 

»)  Vgl.  oben  8.  2. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  H 

gemeinsam  benatzt  haben:  so  ist  es  vor  Allem  durchaus  unzulässig, 
solche  ähnliche  oder  gleiche  Gedanken  oder  Ausdrücke  desselben 
Dichters  zusammenzustellen. 

Daß  nicht  nur  jeder  Dichter ,  sondern  überhaupt  jeder  Mensch 
einen  ganz  bestimmten  Schatz  von  Worten  besitzt^  aus  dem  allein  er 
zu  schöpfen  pflegt,  ist  doch  wohl  Jedem  bekannt. 

*  Ein  solcher  Schatz  wird,  natürlich  entsprechend  dem  Bildungs- 
grade eines  jeden ,  bei  dem  einen  größer,  bei  dem  andern  kleiner 
vorhanden,  an  jedem  aber  bei  einigermaßen  aufmerksamer  Beobach- 
tung bemerkbar  sein;  schon  in  der  Alltagssprache  der  ungebundenen 
Rede.  Wie  viel  mehr  muß  er  sich  zeigen  bei  dem  Dichter,  dessen 
Bewegung,  wenn  nicht  gehemmt;  so  doch  mit  einer  gewissen  Regel- 
mäßigkeit geleitet  und  beeinflußt  wird  durch  die  Rücksicht ,  die  er 
dem  Verse:  dem  Rhythmus  und  dem  Reime  schuldig  ist. 

Dazu  kommt  hoch  die  allseits  vorhandene  Neigung  zu  ganz  be- 
stimmten LiebliDgsgedanken  -Wendungen  und  -Worten  bei  ein  und 
derselben  Persönlichkeit;  oft  nur  zeitweilig,  dann  aber  um  so  auf- 
fallender. 

Beides  können  wir  an  allen  unsern  Dichtern,  selbst  unsern 
größten  wahrnehmen. 

Solche  Parallelstellen,  einer  Persönlichkeit  entnommen,  beweisen 
selbstverständlich  für  die  Annahme  einer  Entlehnung  aus  „verloren 
gegangenen"  Dichtungen  nicht  das  Geringste.  Ebensowenig  hat  es 
Bedeutung,  wenn  den  Stellen  eines  Dichters  Parallelen  aus  der 
späteren  Volkslyrik  beigefügt  werden. 

Soll  denn  einmal  Entlehnung  angenommen  werden,  so  läge  es 
wohl  weit  Daher,  bei  derartigen  Stellen  daran  zu  denken,  daß  sie 
unter  dem  Einflüsse  des  vor  auf  gehenden  Minnesanges  gestanden 
hätten. 

Tritt  zu  solchen,  wie  wir  sahen  ganz  bedeutungslosen,  Zusam- 
menstellungen eine  einzige  irgend  einem  andern  Dichter  entnommene 
Parallele  hinzu,  so  wird  man  dadurch  wohl  kaum  die  Beweiskraft  der 
Gruppe  für  erhöht  halten  können,  denn  eine  einzelne  Entsprechung 
weist  doch  zu  sehr  auf  den  Zufall  hin,  als  daß  man  ihr  Werth  bei- 
legen könnte. 

Dasselbe  gilt  natürlich  auch  für  die  Fälle,  in  denen  eine  Pa- 
rallele, entnommen  einem  Dichter,  zu  einer  einzelnen  Stelle  aus  einem 
andern  hinzutritt. 

Ich  scheide  also  aus  der  Sammlung  Meyers  von  vornherein  als 
untauglich  zum  Beweise  au9: 


12 


E.  TH.  WALTER 


1.  Gruppen,  deren  Parallelstellen  nur  ein  und  demselben  Dichter 
entnommen  sind. 

2.  Gruppen,  zu  deren,  einem  Dichter  entnommenen  Parallelen 
nur  Entsprechungen  aus  der  späteren  Volkslyrik  hinsugeftlgt  sind. 

3.  Gruppen,  zu  deren,  einem  Dichter  entnommenen  Parallel- 
stellen nur  eine  einzige  Stelle  aus  einem  andern  Dichter  gefügt  ist, 

a)  ohne  Volksliedentsprechung, 
h)  mit  Volksliedentsprechung. 

4.  Gruppen,  in  denen  zu  einer  einzigen  Stelle  eines  Dichters 
nur  Parallelen  aus  späterer  Volkslyrik  gesetzt  sind. 

5.  Gruppen,  die  überhaupt  nur  aus  zwei  Stellen  bestehen,  d.  h. 
in  denen  zu  einer  einzigen  Stelle  irgend  eines  Dichters  nur  eine  ein- 
zige aus  einem  anderen  Dichter  hinzugefügt  ist. 

Hierbei  berücksichtige  ich  zunächst  nur  diejenigen  Fälle,  in  denen 
meine  Ausstellungen  die  ganzen  Gruppen  treffen,  nicht  nur  Theile 
derselben. 

1.  Gruppen,  deren  Parallelstellen  nur  ein  und  demselben  Dichter 
entnommen  sind. 


Kürenberc 

:             daz  ist  schedelich 
daz  ist  lobelich 
daz  ist  Bchedelieh 

MF.  7,  2 
T7      7,  4. 
«     8,  30  '). 

Meinloh : 
Walther: 

Ich  bin  holt  einer  fronwen 
86  weiz  ich  eine  fronwen 
ichn  sach  nie  eine  frouwen 

.  .  und  weiz  noch  m6 
. .  86  wist  Ichs  gerne  me 
noch   klagte  ich  gerne  m^ 

MF.  13,  1 
71     15,  3 
«     16,  13  2). 

W.  24,  2. 
D     69,  2 
rj   102,  28*). 

Walther : 

ob  er  wolte 
ob  er  wolde 
swie  er  wolte 
swie  si  wolde 
und  wilt  du  daz 
ob  sis  willen  hat 

W.   61,  28 
r?      105,  28 
n     94,  34 
n     109,  15 
7)     82,  14 
j)     121,17*). 

Bein  mar: 

und  waerez  al  der  weite  leit 
waere  ez  al  der  werlte  leit 

MF.  6,  12 
ji     164,  12*) 

Walther: 

waz  wil  0i  möre? 

»     59,  35 

waz  wil  dus  m6« 
Meyer  a.  a.  0.  8.  144  u.                       *) 

ib. 

8. 

»     60,22«) 

Ocf, 

168.  * 

»)  ib. 

8.  148  «.                                                 *) 

ib. 

8. 

148. 

»)ib. 

8.  162—168.                                             •)  Ib. 

fi. 

1«8  0. 

ÜBER  DEN  UB8PBUN0  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  ate. 


IS 


2.  Orappen,   zu  deren,    eineni  Dichter  entnommenen  Parallelen 
nur  Entsprecbungen  aas  der  späteren  Volkslyrik  hinzugefügt  sind. 

Kürenberc:  Ich  stuont  mir  nehtint  tpftte  MF.  8,  1 

16  stuont  ich  nehtint  späte  n  8,  9, 

dazu  Ausdrücke,   in  denen  neckten  späte  wiederkehrt ,  sonst  übrigens 
keine  Übereinstimmung  herrscht,  aus  der  spftteren 


Volkslyrik:  es    (ein   kleines  WaldvOgelein)   flog 

wol  nechten  spftte 
Was  sah  ich  nechten  spftte 
ich  fond  si  nechten  spftte 
"^er  reit  nechten  ganz  spftte 
[mit  hnnden  auf  die  jagd']*) 

Walther:  Ich  hdrte  ein  wasser  diesen 

Wan  daz  daz  wazzer  flinzet 
Volkslyrik:  Ich  hört  ein  waszer  flieszen 

Neithart :  so!  ich  im  des  niht  danken  . .  . 

,  von  Beiem  nnz  in  Tranken 

. . .  daz  in  die  Beier  danken, 

die  Swftbe  und  die  Vranken 
Yolksljrik :  ...  ich  solt  euch  danken 

mit  Schwaben  and  mit  Franken 
Desgl.:  Sie  sagt,  sie  war'  aus  Franken: 

Ich  will  mich  schön  bedanken 
Desgl.:  Jungfrau,  ich  sollt'  euch  danken 

mit  Schwaben  und  mit  Franken! 
Desgl.:  So  woll'n  wir  euch  nun  danken 

mit  Sachsen  und  mit  Franken 


Uhl.  29,  2 
*  r)     49,  3 
n     90,  A.  10 

7t     123,  A.  6  *). 

W.  8,  28 
n      124,11 
Uhl.  85,  2«). 

N.  4,  28.  30 

n    16,  2—3. 

Uhl.  8,  9. 

Simrok  YHI,  S.  334. 

Uhl.  Sehr.  III,  S.  262. 


Wenig  hierher  gehören ^  da  ihnen  auch 
dem  anderen  Zusammenhange  —  das  Band 
Stellen 


Bttsching,  der  Deutsch 

Leben  etc.  II,  400, 

Str.   7. 

noch  —  abgesehen  von 

des   Reimes    fehlt;    die 


Desgl.: 

und  noch  mehr: 


auss  welchem  land  er  kommen  war, 
auss  Franken  oder  aus  Schwaben 


swer  sanc,  daz  der  strüz  ste  dri  tage 

an  sin  eier 
der  sanc  nnreht,  er  si  ein  Swftbe  oder 

ein  Beier. 


Uhl.   100  B.,  6. 


cf.  Mamer  ed.  Strauch 
S.  8»). 


*)  Ich  werde  an  Tielen  Stellen  genöthigt  sein,  die  Citate  Meyers  wieder  in  den 
Zusammenhang  einzufügen;  ich  werde  meine  Zusätze  in  [  ]  einschließen. 
*)  ib.  8.  146.  ")  ib.  S,  162  u. 

')  ib.  S.  163.    Auffallend  ist  es  übrigens  gewiß,  daß  gerade  eine  so  acht  Tolks- 


14  E.  TH.  WALTER 

3.  Gruppen,    zu   deren,    einem   Dichter   entnommenen  Parallel- 

stellen  nur  eine  einzige  Stelle  aus  einem  anderen  Dichter  zugefügt  ist. 

a)  Ohne  Volksliedentsprechung. 

y eidegge:               als  siz  gebiut,  ich  bin  ir  tote:  MF.  67,  1 

dan  ich  durch  si  gelige  tot,  n     66,  3 

Dazu:                     gebiutet  si,  ich  lige  tdt.  CB.  94*  (3) '). 

Meinloh:                  er  hat  dur  dinen  willen  MF.   11,  24 

iemer  durch  ir  willen  n  12,  88 

Dazu:                     gedienet  nach  dem  willen  mtn  n     6,  6*) 

Meinloh:                 Swer  werden  wiben  dienen  sol,  MF.   12,  1 

swer  biderber  dienet  wiben,  n     12,  9 

Dazu:                      der  wol  wiben  dienen  chan  CB.   141*').  '■ 

Dietmar:                frouwe  biderbe  unde  guot  MF.  33,  24 

Man  sol  die  biderben  und  die  frnmen  n     33,  3  t 

Dazu  Meinloh:      Vil  schoene  unde  biderbe,  r>     15,  1^). 

Meinloh:                 dar  zuo  edel  unde  guot,  MF.  15,  2 

sist  edel  und  ist  schoene,  n     15,  11 

Dazu  Veldegge :     sie  ist  edel  und  fruot  n     60,  25 

der  schoenen  vrowen  und  der  guoten  r?      66,  29  *) 

Hierher  ziehe  ich  auch  die  Verse') 

Neithart:                den  kinden  singe  ich  niuwen  sanc  N.  41,  39 

ich  gesunge  ir  niuwen  sanc  n    79,  31 

deich  ir  kinden    singe  niuwen  sanc  7i    87,  14. 

Dz.  Morungen:      daz  ich  singe  ir  niuwen  sanc  MF.   124,  7. 

Denn  der  noch  angeführte  Vers  des 

Rietenb. :  [noch  ist  mtn  guot  rät]  daz  ich  niuwe 

minen  sanc  MF.   19,  13. 
paßt  weder  im  Sinne  noch  in  der  Form  zu  den  übrigen. 

Kürenberc:              er  muoz  mir  diu  lant  rümen  MF.  8,  7 

rümen  diu  lant  n     9,  32 

Dz.  An.  Sperv.:      . .  so  der  gast  muoz  |  die  herberge  rt     27,  9^). 

rümen  . . 


thümliche  Formel   sich   außer  bei  Neithart,    der  zugestandenermaßen  sich  der  Yolks- 

poesie  zuneigte,   unter  den  Minnesingern  nicht  gebraucht  findet.    Dergleichen  Beob- 
achtungen sprechen  recht  gegen  Meyer. 

*)  ib.  S.   136.  ')  ib.  8.  161  o. 

«)  ib.  S.  147.  *)  ib.  8.  161. 

*)  ib.    8.    147;     für    volksthümlich  *)  ib.  8.  168. 

möchte  ich  übrigens  den  Ausdruck  fMen  ^)  ib.  8.  146. 
dienen  nicht  halten. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc. 


15 


Dietmar : 

Dazu  Rietenb. : 
Neithart : 

DazuVeldegge: 
Walther: 

Dazu  Fenis: 
Reinmar : 


waz  hilfet  zorn  ?  .  .  . 

Ich  solde  zürneii)  hülfe  ez  iet 

waz  frumte,   ob  ich  von  zorne  jaehe 

.  • .  deist  diu  wolget&ne 
daz  ist  diu  wolgetäne 
ez  ist  diu  wolget&ne 

si  sint  mir  ze  hSr: 
so  wirt  er  ze  hSre 
ja  ist  si  mir  ein  teil  ze  h^re 


tuot  si  mir  ze  lange  w^ 
daz  tuot  mir  vil  lange  w6 
. . . :  ez  tuot  ze  w€ 
Dazu  Morungen:  si  tuot  mir  ze  lange  w^ 


MF.  35,  30 
7)  40,  11 
7)      18,4'). 

N.  42,  38 
n  62,  33. 
MF.  58,  19*). 

W.  56,  27 
n     81,  25 
MF.  85,  12^) 

MF.  174,  1 
n     174,  29 
n     197,  18 
r?      146,  10*). 


Morungen : 


dö  tagete  ez. 


MF.143,29.  37;144, 

8,  16. 

(viermal  als  Refrain  in  ein  und  demselben  Gedichte!) 
Dazu  Walther:      [do    ich    so    wünnecliche    |    was   in 

troume  rtche] 
dö  taget  ez 


Walther: 


Dazu  Reinmar: 
Walther: 


Dz.  Hartmann : 


Neithart: 


swaz  so  mir  geschiht 

.  .  swaz  mir  da  von  geschiht 

. .  swaz  liebes  dir  da  von  geschiht 

.  .  so  mir  daz   geschiht 

swaz  dar  umbe  mir  geschiht 

. .  .  swie  si  dir  tuot 
swaz  si  mii*  getuot 
[swer  für  guot  hat]  swaz  er  tuot 
swaz  si  mir  tuot    [ich    hän    mich  ir 
ergeben] 


Uf  dem  berge  und  in  dem  tal 
in  dem  tal  [hebt  sich  aber  der  vögele 
schal] 
D&zu  Wolfram :     [nu    wache   abr  ich   und   singe]    üf 

berge  und  in  dem  tal 

Neithart:  ich  hän  vemomen^ 

. .  als  ir  wol  habt  vernomen 
. .  als  ich  hftn  vernomen 

Dazu  Meinloh:      Ich  hän  vernomen   ein  maere 


W.   75,  24*). 

n     42,  30 
n     84,  4 
n      101,  84 
7»     113,88 
MF.  202,  10  •). 

W.  91,  34 

w      116,20 
7)      107,  9 
MF.  206,  27'). 


N.  4,  31 
w  6,  19 
Wolfr.   7,  22  8). 

N.  14,  6 
7)    15,  35 
7J    31,  8 
MF.   14,  26*). 


')  ib.  S.  156. 
«)  ib.  S.  158. 
»)  ib.  8.  169. 


*)  ib.  S.  161. 
5)  ib.  S.  162. 
)  ib.  S.  162. 


')  ib.  S.  162. 
■)  ib.  S.  163. 
»)  ib.  S.  163. 


16 


E.  TH.  WALTER 


An  dieser  Stelle  ftlhre  ich  auch  noch  zwei  Gruppen  auf,  in  denen 
mehrere  Parallelen  aus  je  zwei  Dichtern  zusammengestellt  sind;  es 
gilt  von  ihnen  dasselbe,  wie  von  den  vorstehenden  Gruppen. 


Guotenborc : 


DasTi  Walther: 


[schöne  |  von  ir  min   herze]    swiez 

ergät 
[ichn  singes  alleine]   swiez  mir  ergät 
[. .  muoz  bt  fröiden  sin  |  durch  die 

lieben,]  swiez  dar  under  mir 

ergät 
[got  der  waldes,]  swies  ergß ;  [schoener 

troum  enwart  ni  m6. 


Walther: 


Dazu  Reinmar: 


MF. 

.  75,  9 

r? 

78,34 

W. 

98,  8 

7) 

94,  36 1). 

w. 

40,  30 

n 

56,  15 

MF. 

197,  27 

7i 

202,  8^). 

[der  ie  streit  nmb  iuwer  6re  |  wider 

unstsBte  liute,]  daz  was  ich. 
[der  iu  maere  bringet,]  daz  bin  ich 
[war  zuo  sol  ein  unstaeter  man  ?  daz 

was    ich  ^  :]    nu    bin    ichz 

nicht 
[Weste  ich  waz  ir  wille  waere,  |  daz 

taet  ich]  nu  enweiz  ichs  nicht 

Diese  Gruppe  ist  wirklich  ein  sprechendes  Beispiel  für  die  con- 
fuse  Art  Meyers.  Man  betrachte  sich  nur  einmal  die  vier  vorstehenden 
Stellen :  die  ersten  beiden  sind  ein  und  demselben  Dichter  entnommen 
und  enthalten  den  Gedanken  ich  bin  es,  der  ...  in  umgekehrter  Folge ; 
die  dritte  Stelle,  Reinmar  entnommen,  hat  schon  absolut  nichts  Über- 
einstimmendes weiter  als  den  Gebrauch  der  Form  &in;  und  nun  gar 
die  vierte  Reihe  hat  mit  den  beiden  ersten  gar  nichts  mehr,  mit  der 
dritten  nur  noch  das  Wörtchen  nu  gemeinsam,  und  eine  solche  Zu- 
sammenstellung soll  dazu  dienen  oder  wenigstens  mit  dazu  dienen, 
einen  Zusammenhang  zwischen  Volkslyrik  und  Minnesang  zu  erweisen ! 

l)  Mit  Volksliedentsprechung. 


Wolfram:  nu  gib  im  urloup,  süezez  wip 

. .  urloup  gap  . . 
Dazu  Meinloh:      [mines    herzen    leide]    si    ein    urlop 

gegeben 
und  Volkslyrik:     gib  mir  urlob,  du  roter  mundl 


Wolfr. 


4,  80 

7,  10 


? 
Dazu  ? 
und  Volkslyrik : 


er  viench  si  bi  der  wizen  hant 
er  nam  mich  bi  der  wizen  hant 
Er  nam  sie  bei  der  hende, 
bei  ir  schneeweiszen  hand, 


MF.   14,  31 

ühl.  29,  5»). 

OB.  145 
7)     146,  3 

ühl.    81,  4;     90,  10; 
106,  2;    330,  2 


*)  ib.  S.  169. 


•)  ib.  S.  161—162. 


»)  ib.  S.  160-161. 


ÜBER  DEN  UB8PRUNQ  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  ate. 


17 


Walther: 

Dazu  Beinmar: 
und  Volkslyrik: 

Neithart: 


Do  nam  ers  bei  der  hende 

bei  ir  schneeweissen   band 

Er  nahm  sie  bei  ihrer  scbneeweißeii 
Hand 

[. .  er  griff  sie]  Bei  ihrer  schnee- 
weißen Hand 

mit  iren  schneweiszen  henden 


an  ir  schneweisze  hende 
[Si  rank]  ir  weisse  hende 
si  bot  im  ir  schneweisze  band 
stirbe  ab  ich,  so  bin  ich  sanfte  tot 
[ir    leben    h&t    mins    lebennes    ^re] 
sterbet  sie  mich,  so  ist  si  tot 
stirbet  si,  sd  bin  ich  tot 
Und  stirb  ich  dann,  so  bin  ich  tot 
sterbe  ich  nun,  so  bin  ich  todt 


Uhl.  256,  8 

Simrock  84  u. 

n         121 
Uhl.  20,  2.  9 

n     109;  l;cf.  110,1 

»     2,  1 

7)      115,8 

n      128,  18 

n     147,  6  etc.') 
W.  86,  34 

n     73,  16 
MF.  158,  28 
ühl.  160,  8 
Wundh.  I,  77«). 


Die  selben  wolden  gerne  mich  ver- 
dringen 

disen  sumer  habent  si  mich  von  ir 
verdningen 

mich   von    minen   vröuden  und  von 
lieber  stat  verdringen 

.  • .  der  mich    hat   von    lieber    stat 
verdningen 
Dz.  Ps.  - Walth. :     wirde  ich  hie  vordrangen 
und  Volkslyrik:     von  im  bin  ich  verdrungen 

er  bleibt  wol  nnverdrangen 

ain  andrer  hat  in  verdrungen. 

4.  Gruppen,    in  denen   su   einer  einzigen  Stelle  eines  Dichters 
nur  Parallelen  aus  späterer  Volkslyrik  gesetzt  sind* 
Kürenberc:  got  sende  si  zesamene  |  die   gerne 

geliebe  wellen  sin  MF.  9,  12*) 

Dazu  Volkslyrik :  schein  uns  zwei  lieb  zusammen,  {  ei 

die  gerne  bei  einander  wollen  sein!     Uhl.  81,  A.  1^). 

Die  Beifügung  der  Verse 

got  bhüt  die  fimmen  knaben,  |  die 

allzeii  vol  wöln  sein  Uhl.  233,  11 

erscheint  mir  doch  sehr  wenig  berechtigt^). 


N.  43,  35 

n    77,  17 

V    89,  38 

«    91,  21 
W.   182,  60 
Uhl.  50,  1 

n     60,  7 

7>     271,  1*). 


*)  Sehr    beliebt   ist    dies   Qedicht   allerdings   und   dadurch  volksthümlich   ge- 
worden; das  Folgende  könnte  unter  seinem  Einflüsse  stehen. 

>)  ib.  .8.  139.            »)  ib.  8.  161.            »)  ib.  S.  168—164.  *)  ib.  S.  146. 

^)  Bemerken   möchte  ich  bei  dieser  Gelegenheit,    daß  für  einen  Zweck,   wie 

GSRMAMIA.    Neue  Beilie.  XIU.  (XXXIY.)  Jabrg.  2 


18  E.  TH.  WALTER 

Meinloh:  [na    hoehe   im    sin    gemtiete]    gegen 

dirre  snmerzit  MF.    14,  10 

Dazu  Volkslyrik  :   [Dat  geit  hir  jegen  den  samer]  jegen 

de  leye  samertit,  Uhl.  37,  1 

Wann   es  get   (Es   get   wol)    gegen 

dem  sommer  n      116,  4.   6') 

Johansdorf :  Swft  zwei  herzeliep  gefriundent  sich  | 

. .  .  die  sol  niemen  scheiden,  dunket 

mich  MF.  91,  29.   31 

Dazu  Volkslyrik :  Wo  zwei  herzlieb  beinander  sind  |  die 

zwei  sol  niemant   scheiden  Uhl.   101,  4. 

Geradezu  entgegengesetzt  ist  der  Oedanke  in  den  beiden  folgen- 
den Stellen: 

Wo  nnn  zwei  lieb  bei  einander  sein, 
die  scheiden  sich  bald!  Uhl.  80,  1 

nnd  Wo  nun  zwei  lieb  bei  einander  sein, 

die  scheiden  sich  bald  von  hier!  n     98,  1. 

So  gut  wie  gar  keinen  Werth  hat  endlich  der  Zusatz  der  letzten 
Parallele,    wie  sofort  kenntlich  wird,   wenn  man  die  Stelle  wieder  in 
den  Zusammenhang  einfügt,  aus  dem  sie  gerissen  ist: 
Wo    zwei    herzenliebe    |    an    einem 

danze  gan 
die  laszen  ir  eigelin  schieszen,  . .        Uhl.  86,  5  ^) 

Neithart:  ich  hoere  ein  vogelin  singen  N.   31,  19 

Dazu  Volkslyrik :  ich  hoere  ein  vogelken  singen  Uhl.   164,5.  35^). 

Ich  komme  endlich 

5.  zu  den  Gruppen,  die  überhaupt  nur  aus  zwei  Stellen  be- 
stehen ^  d.  h.  in  denen  zu  einer  einzigen  Stelle  eines  Dichters  nur 
eine  einzige  Parallele  aus  einem  anderen  Dichter  zugefügt  wird. 

Namenl.  L. :  Tongen  minne  diu  ist  guot,  MF.  3,  12 

Dazu:  Swer    tongenlichen    minnet,    |    wie 

tugentlich  daz  stat,  CB.   144*^) 

Namenl.  L.  :  der  sol  man  sich  vlizen  MF.  3,  12^ 

Dazu  Meinloh:       durch  daz  wil  ich  mich  flizen  MF.   15,  15^) 


der  unHerige  ist,  j^parodistische**  Stellen  vollkommen  unbrauchbar  sind,  da  ihnen 
ja  jede  selbständige  Bedeutung  mangelt. 

*)  ib.  8.  150.  »)  ib.  S.  169-.160. 

')  ib.  8.  163.  Die  Volksliedstelle  ist  an  dem  angegebenen  Orte  nicht  su  finden ; 
doch  sind  Parallelen  häufig,  cf.  Uhl.  16,  2. 

*)  ib.  8.  184.  *)  iU  8.  184. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc. 


19 


Dazu  Neithart: 


Dazu: 


Dazu  Beinmar: 


Dazn: 


Dazu: 


Dazu: 


Dazu: 


[Her  meie,    in  ist  der  bris  gezalt,] 

der  winder  si  gebönet 
der   winder  ei  gon6ret    [der   brach 

uns  ze  leide  |  blnomen  an 

der  beide] 

[Ib    ban    geseben]    das    mir  in  dem 

berzen  sanfte  tut 
[bi  dir  swer  lit]  sanfte  dem  daz  tut 

nacb  mine  gesellen  ist  mir  w6 
.  .  mir  ist  nacb  ir  so  we 

[Yil  reine  wip,  din  scboner  lip  {],  wil 

micb  ze  s^re  scbiezen 
Venus  wil  micb  scbiezen 

[nu   woldib    diner  minne] ,    vil  suze 

minne,  niezen 
[Nu  la  mib,  cbuniginne]  diner  minne 

niezen 

rosen,  lilien  si  [diu  sumerzit]  uns  git     CB.  133* 
gras,   blumen,  cble,  loup  uns  si  git        n      143«  ^) 

[ein  stolzer  man,  {]    der  wol  wiben 

dienen  chan 
wie  wol  er  frowen  dienen  kan 


CB. 

101* 

N. 

21,  37>) 

CB. 

107* 

ti 

140*«) 

CB. 

112* 

MF. 

182,  25«) 

CB. 

116* 

fi 

124*  *) 

CB. 

116* 

71 

124**) 

Dazu  Veldegge: 

Dazu  Dietmar: 

Namenl.  L.: 
Dazu   Meinlob: 

Namenl.  L. : 

Dazu: 

»)  ib.  S.  186. 
«)  ib.  S.  136. 


CB.  141' 
MF.  14,  37'^) 

Din  micb  singen  tut,    [getörste  icb 

si  nennen]  CB.  163' 

Diu  scboene,  diu  micb  singen  tuot,     MF.  60,  21  ^) 


[si  bat  mir  min  ungemaeb] 

mit  ir  gute  gar  benomen  CB.   165| 

[waz  bilfet  zorn  ?  swenn  er  mich  siht] 

den  hat  er  schiere  mir  benomen  MF.  35,  31 ') 

[got  wizze  wol  die  wärbeit]  daz  ich 

ime  diu  holdeste  bin  MF.  4,  8 

[wan  ob  ich  hän  gedienet]  daz  ich 

diu  liebeste  bin  r?      13,  32*") 

Sie    enkunnen    niewan    triegen    [vil 

menegen  kindeschen  man]      MF.  4,  9 
so  sol  man  si  triegen  n      12,  24**) 

»)  ib.  8.  136.  •)  ib.  S.  137. 

')  ib.  S.  137.  «)  ib.  S.  139. 


^  ib.  S.  139;  für  volksthümlich  möchte  ich  den  Ausdrack  von  vornherein  nicht 


halten. 


«)  ib.   S.  139. 


•)  ib,  8.  140. 


")  ib.  S.  141. 


")  ib.  S.  141. 

2» 


20  E.  TH,  WALTEB 

Namenl.  L. :  d&  moht  anders  niht  geschehen  [wan 

daz  si  minnecliche  sprach] 
Dazu  Morungen:  mir  ist  anders  niht  geschehen 

Kürenberc:  Sit   sach   ich    den   valken  |  schöne 

fliegen 
Ps.  Dietmar:         so  gesach  si  valken  fliegen 

Ir  roter  rosenvarwer  munt 
Dazu:  Suzer  rosenvarwer  munt 

Namenl.  L. :  swenn  ich  in  umbevangen  hän 

Dz.  Begensburc:  swenn  ich  in  umbevangen  hän 


Kürenberc : 
Dazu  Meinloh: 

Kürenberc : 

Dazu  Husen: 
Meinloh: 

Dazu  Dietmar: 
Meinloh : 

Dazu: 

Meinloh: 
Dazu  Walther: 

Meinloh : 
Dazu  Rugge; 

Meinloh : 


als  tuo  du,  frouwe  schoene 
weist  du,  schoene  frouwe, 

[Wip    unde    vederspil]    die   werdent 

lihte  zam 
Einer  frowen  was  ich  zam 

[Do  ich  dich  loben  horte,]  do  hete 
ich  dich  gerne  erkant. 

gerne  daz  min  herze  erkande,  [wan 
ez  so  bedwungen  stät] 

[er  h4t  dur  dinen  willen  [  eine  ganze 
fröide  |  gar  umbe  ein  trü- 
ren  gegeben 

[Ir  schöner  lip]  hat  mir  vroude  vil 
gegeben 

ichn  sach  mit  mtnen  ougen 
ich  sach  mit  minen  ougen 

nu    wizzen    algeliche    [daz    ich    sin 

friundinne  bin] 
nu  wünschent  algeliche  [heiles  umbe 

den  riehen  got] 


MF. 

n 

6,22 
128,  27') 

MF. 

n 

9,  5.  6 
37,7«) 

CB. 

94*,  2 
136*3) 

MF. 

6,  11 
16,  4  ^ 

MF. 

7) 

10,8 
14,3^) 

MF. 

7) 

10,  18 
46,  29  «) 

MF. 

11,2 

n 

32,  2') 

MF. 

11,  25 

CB. 

127'») 

MF. 
W.  ! 

12,  33 
9,16^ 

MF. 

13,  20 

n 

97,  9  «") 

MF. 

13,  27 

n 

37,  14*') 

Mir  weiten  miniu  ougen  |  [einen  kin- 
deschen man] 
Dz.  Ps. -Dietmar:   [ich    erkös    mir    selbe    man:]   |   den 

weiten  miniu  ougen 

>)  ib.  S.  144. 

^)  ib.  S.  146.  Auch  diese  Stellen  halte  ich  entschieden  nicht  für  volksthümlich. 

')  ib.  S.  136.  *)  ib.  8.  143.  «)  ib.  S.  146.  «)  ib.  S.  146. 

^  ib.  S.  147.  ")  ib.  S.  147.  Wie  sich  Meyer  aus  Ewei  derartigen  Parallelen, 

iD  denen  die  Übereinstimmung,  wenn  man  eine  solche  überhaupt  finden  will,  so  äußer- 
lich wie  nur  möglich  ist,  eine  Urstelle  construiren  würde,  wäre  wirklich  interessaDt 
zu  erfahren. 

«)  ib.  S.  148.  *•)  ib.  8.  449.  '*)  ib.  8.  149. 


OBER  DEN  US8PRUNQ  DES  HÖPISGHEN  MINNEBANGEB  ete. 


31 


Meinloh:  das  ich  ▼!!  staeter  minne  pflege 

Dazu  Neithart:      er  pfliget  niht  staeter  minne 

Begensburc:  und   laegen  b\  tot  leide  tdt  |   [ich 

wil  im  iemer  wesen  holt] 
Ps.  Reinmar:         stürben  si  von  leide,  [s6  enwart  mir 

6  nie  bas] 

Rietenbnrc :  si  fliesent   alle  ir  arebeit :]   er  kan 

mir  niemer  werden  leit 

Daza  Dietmar:      si  kan  mir  niemer  werden  leit  [des 

biute  ich  mine  Sicherheit] 

Rietenbnrc :  stt  ich  hftn  von  rehter  schnlde  [also 

wol  gedient  ir  hnlde] 

Dazu  Dietmar :      Ich  mnoz  von  rehten  schulden  ho  | 

[tragen  daz  herze  und  al 
die  sinne] 

Dietmar:  [an    ein    ende   ich    des    wol   koeme] 

wan  diu  hnote 

Dazu  Momngen:   w6  der  hnote  [. . .  diu  mir  h&t  be- 

nomen] 

Ps.-Dietmar:  Swer  m^ret  die  gewizzen  mtn,  [dem 

wil  ich  dienen,  obe  ich  kan ;] 
Dazu  Kngge:         si  m^ret  vil  der  vröide  min 


MF.  14,88 
N.  3,  10*) 

MF.   16,  12 

»     301,6«) 

MF.  18,  8 

1»     36,  18») 

MF.  18,  11 

7t     38,5*) 

MF.  32,  8 

7)     136,27*) 

MF.  35,  32 
w     103,6«) 


MF.  38,  11 
n     203,  U') 


MF.  5,  12 


Dietmar:  ich  wil  im  iemer  staete  sin 

Dazu  Reinmar:     ich  wil  im  iemer  holder  sin  [danne 

deheinem  mäge  mm] 

Die  Heranziehung  des  Verses 
Namenl.  L.:  unde  bist  mir  dar  zuo  holt 

halte  ich  für  ganz  unberechtigt,  ja  fllr  unverständlich;  die  Worte, 
welche  die  ersten  beiden  Stellen  gemeinsam  haben,  finden  sich  in 
dieser  Zeile  gar  nicht;  das  Vorkommen  des  Wortes  holt  [zu  liolder] 
kann  man  unmöglich  als  Grund  gelten  lassen. 

Dietmar:  der  dich  hat  erweit  |  üz  al  der  werlte 

in  sin  gemüete 
Dazu  Hnsen:         86  hat  iedoch  daz  herze  erweit  ein 

wip  I  vor  al  der  werlt 


MF.  38,  16.   17 

MF.  47,  12.   13  ®) 


Husen : 

Dazu  Neithart: 


•)  ib.  8.  161. 
«)  ib.  S.  161. 
•)  ib.  8.  162. 


min  herze  ist  ir  ingesinde 
st  ist  mines  herzen  ingesinde 

*)  ib.  8.  162. 
•)  ib.  S.  164. 
•)  ib.  8.  166. 


MF.   50,  15 

N.  56,  13^ 


')  ib.  S.  166. 
•)  ib.  S.  166. 
^  ib.  8.  168. 


22  E.  TH.  WALTER 

Morungen:  Mtme  kinde  wil  ich  erben  dise  ndt     MF.   125,  10 

Dz.  Ps.  Wolfir.:     üf  wen  erbe  ich  danne  diese  not        Wolfr.  XII,  20') 

Morangen:  mäht  du  doch  etswan  sprechen  ja 

[ja  ja  ja  ja  ja  ja  ja?]  MF.  137,  24 

Dazu  Reinmar:      mac  si  sprechen  eht  mit  triuwen  ja, 
[als  si  6  sprach  nein,    so  wirt  min 

Wille  sä,]  T)     189,  18«)  • 

Walther:  so  ist  euch  min  frowe  wandelbaere     W.  59,  22 

Dazu  Neithart:      Min  vronwe  ist  wandelbaere.  N.  82,  39^) 

Damit  bin  ich  ans  Ende  derjenigen  Gruppen  gelangt,  die  ich  schon 
von  vornherein  aus  rein  äußerlichen  Gründen  auszuscheiden  genöthigt 
war;  aus  Gründen,  die  nicht  nur  für  die  vorliegende,  sondern  viel- 
mehr Air  jede  derajrtige  Sammlung  maßgebend  sein  müssen, 
wenn  diese  nicht  —  wie  hier  geschehen  ist  —  ernstlich  Gefahr  laufen 
will,  auf  jeden  Fall  ihre  Beweiskraft  zu  schwächen. 

II. 

Doch  betrachten  wir  die  Sammlung  Meyers  in  ihrem  nunmehrigen, 
nicht  unwesentlich  verringerten  Umfange  noch  einmal,  und  prüfen  wir 
von  Neuem  ihre  Beweiskraft. 

Ich  wiederhole:  es  handelt  sich  darum,  das  Vorhandensein  einer 
Volksliebeslyrik  darzuthun,  die  so  ziemlich  den  Anblick  bot, 
den  der  älteste  Kunstgesang  uns  zeigt;  denn  der  älteste 
Kunstgesang  hat  ja  nach  Meyer  „zuerst  ganz  die  alte  Art  fortgesetzt''  ^); 
er  hat  „eine  große  Anzahl  von  Versen**  „der  verloren  gegangenen 
Volksdichtung**  einfach  „zu  neuen  Liedern  zusammengefügt'* ;  die  von 
Meyer  zusammengestellten  Verse  sind  nicht  Erzeugnisse  der  betreffen- 
den Dichter:  der  höfische  Minnesang  ist  vielmehr  ein  Abklatsch  der 
„verloren  gegangenen  Volksdichtung"  *). 

Das  wäre  also  zu  beweisen. 


Soll  man  aus  einer  Zusammenstellung,  wie  die  Meyer'sche  es 
bezweckt,  zunächst  überhaupt  nur  auf  poetisch  verarbeitetes  Material 
mit  nur  einiger  Gewißheit  zu  schließen  im  Stande  sein,  so  dürfen  die 
angeführten  Parallelstellen  weder  allein  in  Bezug  auf  die  Form,  noch 
auch  allein  in  Bezug  auf  den  Gedanken,  den  Sinn  einander  nahe 
stehen:  vielmehr  müssen  sie  in  Form  und  Inhalt  Übereinstimmung 
zeigen. 


')  ib.  S.  160.  «)  ib.  S.  160.  »)  ib.  8.  163. 

*)  cf.  oben  S.  1,  Anm.  4;    S.  2,  Addi.  4;   S.  10.  ^)  cf.  oben  S.  9  u.  10. 


ÜBER  DE^  UR8PBUNG  DE8  HÖPI8CHBN  MINNESANGES  etc.  28 

Denn  alleinige  Übereinstimmang  in  der  Form  kann  nnr  zu  leicht 
und  wird  meistens  ihren  Grund  im  Walten  der  Sprache  selbst  haben; 
alleinige  Übereinstimmung  des  Inhalts  in  der  wenigstens  innerhalb 
eines  Volkes  [oder  noch  vielmehr  einer  socialen  Oemeinschaft]  sich 
gleich  oder  doch  sehr  ähnlich  bleibenden  Art  des  Geistes-  und  Ge- 
müthslebens. 

Doch  selbst  wenn  Form  und  Inhalt  der  benutzten  Parallelstellen 
übereinstimmen,  so  wird  man  ihnen  einen  wirklichen  Werth  doch 
wohl  erst  dann  beimessen  dürfen,  wenn  die  Übereinstimmung  ganze 
Wendungen,  und  zwar  solche  Wendungen  betrifft,  die  nicht  gerade 
zu  den  alltäglichen  und  jedem  leicht  in  den  Mund  kommenden  gehören. 

Wir  wollen  aber  zweitens  nicht  nur  auf  poetisch  verarbeitetes 
Material  überhaupt  schließen  können;  dieses  Material  soll  einer  Volks* 
liebeslyrik  angehört  haben:  die  angeführten  Parallelen  müssen  also 
auch  noch  einvolksthümliches  Gepräge  tragen  oder  doch  wenigstens 
nichts  an  sich  haben,  was  uns  verwehrt,  sie  der  Volkslyrik  zuzu- 
rechnen; sie  müssen  endlich  auch  noch  an  Liebeslyrik  erinnern,  da 
sie  ja  sonst  —  wenn  überhaupt  —  einer  anderen  Dichtungaart,  deren 
Vorhandensein  niemand  in  Frage  stellt,  entnommen  sein  können. 

Alle  diese  Bedingungen,  deren  Folgerichtigkeit  wohl  für  jeden 
in  die  Augen  springend  ist,  erfllllen  aber  die  Gruppen  der  uns  vor- 
liegenden Stellensammlnng  durchaus  nicht. 

Denn  ihre  Entsprechungen  beruhen  einerseits  nur  auf  einem 
einzigen  Worte,  welches  dann  noch  meistens  entweder  ganz  alltäglich 
ist,  oder  an  den  verschiedenen  Stellen  in  verschiedenem  Zusammen- 
hange oder  Sinne  gebraucht  wird;  oder  endlich  wohl  im  Sinne,  nicht 
aber  in  der  Form  sich  mit  den  beigesellten  Parallelen  übereinstim- 
mend zeigt;  —  anderntheils  dienen  aU  Bindeglieder  innerhalb  einer 
Gruppe  oft  ganz  alltägliche  Wendungen,  die  entweder  der  Umgangs- 
sprache überhaupt  entnommen  sein  mögen,  oder  doch  bei  einer  den 
Liebesverkehr  behandelnden  Dichtung  kaum  umgehbar  erscheinen. 

Noch  andere  Stellen,  deren  Übereinstimmung  vielleicht  auffallen- 
der sein  dürfte,  lassen  im  besten  Falle  auf  Spruchpoesie  u.  dergl., 
keineswegs  aber  auf  Liebeslyrik  schließen;  oder  sie  tragen  ein  so 
offenbar  ritterliches  Gepräge,  dass  man  sie  auf  volksthümliche  Dich- 
tung von  vornherein  nicht  zurückfahren  darf,  sondern  ihren  Ursprung 
in  höfischen  Kreisen  allein  zu  suchen  hat 

Ein  gut  Theil  des  imposanten  Eindrucks,  den  die  Sammlung 
zweifelsohne  beim  ersten  kritiklosen  Anblicke  macht,  geht  übrigens 
bereits  verloren,  wenn  wir  —  wie  es  nothwendig  geboten  ist  —  jetzt 


24  E.  TH.  WALTER 

innerhalb  der  einzelnen  Gh*appen  theilweise  dasselbe  Verfahren  an- 
wenden, mit  dem  wir  gleich  Anfangs  an  die  ganze  Sammlung  heran- 
traten; ich  meine:  wenn  wir  die  beigefügten  Parallelen  aus  der 
späteren^  Volkslyrik  für  untauglich  zum  Beweise  erklären  und 
ausscheiden;  und  diejenigen^  welche  ein  und  demselben  Dichter 
entnommen  sind,  im  Werthe  einer  einzigen  Stelle  gleichsetzen. 

Auf  den  vorstehenden  Bemerkungen    fußend,    wende    ich    mich 
jetzt  von  Neuem  zu  der  Sammlung,  und  hebe  zunächst  heraus 

1.  diejenigen  Parallelstellen,  deren  Entsprechung  nur  auf  einem 
einzigen  Worte  beruht. 
Ans  dem    3.  lat. 

Liebesbr.:  wände  da  mir  daz  vercheret  hast        MF.  224,  25 

Dazu  Meinloh:      du    hast   im    näh    verk^ret  |  beidin 

sin  unde  leben  n      11,  22 

Dz.  2mal  Husen:  [wan    als    ich    ir   min    angest    sage] 

daz  kan  si  leider  wol  ver- 

k^ren  n     44,  34 

BUS   kan  si  mir  wol  daz  herze  ver- 

k€ren  t)     53,  9 

Dazu  Morungen:  die  verk^rent  underwilent  mir  den  sin        n     138,  1^) 

Die  Übereinstimmung  beruht  nur  auf  der  Anwendung  des  Wortes 

Aus  dem    3.  lat. 

Liebesbr.:  diu  nemach  dir  gescaden  nieth  MF.   224,  27 

Dazu  Kürenbere:  [j6   würbe   ichz    gerne    selbe]    waer 

ez  ir  schade  niet  n      10,  14 

Dazu  Morungen:  [ich  fluoche  in]  unde  schadet  in  niht        d      131,  13 
Dazu  Hartmann :   daz  schät  ir  niht  [und  ist  mir  iemer 

guot]  n      215,  18*) 

Schon  in  den  vorstehenden  Stellen  beruht  die  Übereinstimmung 
nur  auf  dem  Gebrauche  des  Verbums  schaden  (einmal  sogar  nur  das 
Substantivum)  in  den  verschiedensten  Formen  und  dem  verschiedensten 
Zusammenhange.  Welchen  seiner  drei  Perioden  Meyer  diese  Verse 
zuschreiben  würde,  weiß  ich  nicht;  doch  denke  ich  mir,  nach  seinen 
eigenen  Auseinandersetzungen  müßten  doch  wohl  die  Zeilen  des  lat. 
Liebesbriefes  der  ersten  Periode  ebenso  wie  die  des  Kürenberg  an- 
gehören; sie  müßten  also  von  dem  zu  erschließenden  Urverse  nur 
insofern    sich    unterscheiden,    an    ihm    nur    so    viel    geändert    haben, 


*)  ib.  S.  133. 

•)  ib.  S.  134»  Ich  muß  Anfangs  «twas  ausführlicher  werden,  um  die  Qesichtg- 
punkte  deutlich  zu  machen,  von  denen  aus  ich  die  einzelnen  Gruppen  betrachtet 
sehen  möchte. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  25 

„als  die  Einfügung  in  die  Strophe  verlangt'' 0»  ^^^  Übrigen  aber  die 
alte  Formel  bewahren:  ich  überlasBe  es  Jedem  selbst,  die  beiden 
Verse  dahin  zu  prüfen.  Ich  möchte  meinerseits  es  hier  nicht  unter- 
nehmen, eine  weitere  Periodisierung  an  den  vorliegenden  und  folgen- 
den Versen  der  Gruppe  nach  Meyers  Vorschrift  zu  versuchen;  doch 
er  selbst  rechnet  wohl  die  mit  „vgl.**  oder  gar  mit  „vgl.  auch**  be- 
zeichneten") zu  der  dritten  Periode;  dahin  würde  also  auch  die  Stelle 
Dietmars:  mir  wirret  niht  [stn  boeser  ktp]  MF.  41,  5 

gehören;  wie  kommt  aber  Dietmar  in  die  dritte  Periode  der  Zeit  nach? 

Oder  wenn  ich  mich  nach  seinen  Ausftihrungen  auf  S.  171  richte, 
in  denen  es  hieißt  „ebenso  wird  die  Ersetzung  der  alten  volksthüm- 
lichen  Ausdrücke,  schon  vorher  zuweilen  vorkommend,  jetzt  geradezu 
System",  wie  zum  Beispiel  „schaden  statt  werren^]  wie  paßt  dazu,  daß 
gleich  in  den  beiden  ältesten  Stücken  diu  nemach  dir  gescaden  nieth 
(MF.  224,  27)  und  waer  ez  ir  schade  niet  (Kür.)  das  Wort  schaden 
(resp.  schade)^  hingegen  bei  Walther 

[sei   er   mir  büezen]    des    mir   niht 

enwirret  W.  83,  19 

wieder  toirren  steht? 

Der  VoUstftndigkeit   halber   füge   ich  die   beiden    noch  übrigen 
Stellen  hinzu: 
Meinloh:  [daz  ich  dich  nu  gesehen  h&n]    das 

enwirret  dir  niet 
und  Dietmar:         [Ich  solde  zürnen,  hülfe  ez  iet] 

Es  folgen  Stellen  mit  liep^): 

3.  lat.  Liebesbr. :  wände  wärest  du  mir  nieth  liep 

f  Dz.  Rärenberc :  so  bist  du  mir  vil  liep 

I  und  mir  wart  nie  wip  also  liep 

(  Dazu  Meinloh :  im  wart  liebers  nie  niet 

\  und  den  du  wilt  frowe  haben  liep 

De.  Rietenburc:  daz  mir  st  iemen  alse  liep? 

Dazu  Dietmar:  der  ich  gerne  waere  liep 

Gemäß  unserem  Grundsatze  fällt  bei  Seite  die  Stelle  aus  der 
Volkslyrik:  Und  war'  mein  Herr  Vater  mir  nicht 

so  lieb  Talyj,  S.  437*). 

Die  Übereinstimmung  ist  vollständig  auf  das  eine  Wort  liep,  dessen 
Vorkommen  in  einer  ausgesprochenen  Liebeslyrik  mir  eben  nicht  sehr 


MF. 

11,6 

MF. 

40,11(11) 

MF. 

224,  27 

rj 

9,  26 

7) 

10,  16 

n 

14,6 

n 

11,8 

T) 

18,  5 

n 

32,  10. 

»)  ib.  8.  171  unten.  »)  ib.  S.  133.  ')  ib.  S.  184. 

*)  Daß  ein  iolcher  Vers  wie  dieser  überhaupt  als  Parallele  zu  den  vorauf- 
gehenden  beigefügt,  zeiget  deutlich,  wie  sehr  ins  Blaue  sich  die  Bemühungen  M/a 
Terlieren. 


26  E.  TH.  WALTER 

seltsam  erscheint,  beschränkt;  einen  zu  Grunde  liegenden  Original- 
vers kann  ich  mir  absolut  nicht  vorstellen.  Was  wird  nun  hier  aus 
einer  Periodisierung  ? 

Auch  in  der  folgenden  Gruppe')   ist  nur  ein  einziges  Wort  als 
Bindeglied   zu   betrachten;  das   in   den    beiden    ersten  Versen    außer 
phliget  sich  findende   triuwen  gewährt  nur  auf  den  ersten  Blick  den 
Anschein  engerer  Übereinstimmung,  denn  in  der  Zeile 
Namenl.  L. :  swer  mit  triawen  der  niht  phliget       MF.  3,  15 

ist  mit  triuwen  nur  adverbiale  Bestimmung  zu  pJdigen^  als  Object  zu 
diesem  ist  der,  das  ist  tougen  minn^  beigefügt,  während  in  dem  anderen 
Verse 

Spervogel:  ist  danne  daz  er  triawen  phliget         MF.  20,  21 

triuwen  als  Object  anzusehen  und  in  ganz  allgemeinem  Sinne,  wie  der 
Zusammenhang  der  ganzen  Strophe  lehrt,  aufzufassen  ist. 
Daß  bei  der  dritten  Stelle 

Swer  des  biderben  swache  phliget       MF.  245,  25 
eine  innigere  Übereinstimmung  nicht  vorliegt;  ist  offenbar;  man  müßte 
denn    etwa   das    swer  aus  diesem    und    dem   ersten  Verse    auffallend 
finden  wollen. 

Desgleichen  mangelt  es  an  engerer  Zusammengehörigkeit  in  der 
Gruppe  mit  dem  Reimworte  wizen^): 

Namenl.  L. :  dem  sol  man  daz  verwizen  MF.   3,  16 

Dazn  Meinloh :      der  wil  ich  nu  niht  wfzen  [sihe  ichs 

unfroelichen  stan]  n     13,  38 

Dz.   Rietenburc:    Nu  endarf  mir  nieman  wizen  77      18,  1. 

Auch   haben   die  Verse  speciell   mit  Liebeslyrik  nichts  zu  thun. 
Nur  das  Wort  giiete  weisen  als  gemeinsam  auf  die  Verse: 
[vröde  han  ich  manichvalt]  von  eines 

wibes  gute  CB.  102' 

Dz.  Bietenburc:     [Mir  gestnont  min  gemüete]    nie  so 

h6he  von  ir  güete  MF.   18,  10 

Dazu  Dietmar:      [Ich  bin  ein  böte  hergesant,  frowe] 

üf  mange  dine  güete  n     38,  15 

Dz.  i  Reinmar:       [daz  er  die  rede  vermite]  iemer  dur 

sin  selbes  güete  n     187,  3 

Ders. :  ...  [daz    sich    sent  |  min   gemüete] 

nach  siner  güete,  n     199,  29. 

Von  der  folgenden  Zusammenstellung^)  mögen  die  beiden  ersten 
Verse : 

ich  weiz  wiez  *^ir'  gevalle  CB.  103* 

Dazu  Kürenberg :  in  weiz  wiech  ir  gevalle  MF.   10,  15 

')  ib.  8.  134.  ')  ib.  S.   134.  »)  ib.  S.  136. 


ÜBER  DEN  UB8PRUN0  DBS  HÖnSCHEN  MINNESANGES  etc.  27 

auffallendere  ÜbereioBtimmung  zeigen;    sie  stehen  aber  damit  so  ver- 
einzelt da,  daß  wir  ihnen  weiteren  Werth  nicht  beilegen  können;  die 
übrigen  Verse    haben    außer    dem  Verbum    gevaUen   nichts   gemein- 
sam.    cf. 
Meinloh:  [und   sol  die   merkaere   reden   l&n], 

8waz  in  gevalle  MF.  14,  18 

Ps.-Dietmar :  ...  [in  dem  walde  |  ein  boum ,]  der 

dir  geyalle  n     37,  11 

Dazu:  [Seht  mich  an  |,  jungen  man!]  L&t 

mich  eu  geyallen  CB.  8.  97  o. 

Dazu  Neithart :      [sin  (winders)  getwanc  |  wendet  man- 

gen  stiesen  sanc  |  nns  allen] 

wem   8ol  das  wol  gefallen     N.  14,  31. 
Auszuschließen  ist  die  Stelle  aus  der  Volkslyrik 
VolkslTrik:  wenn   ich  dir  nit   gefalle  |  [gib  mir 

urlob,  du  roter  mund]  Uhl.  29,  5. 

Es  folgen  Stellen  mit  dem  Verbum  liän  als  Reimwort  ^): 
Nu  suln  wir  alle  fronde  hftn  CB.   103* 

Namenl.  L.:  loh  wil  weinen  von  dir  h&n  MF.  6,  26 

Dz.  Rietenbnrc:    gedinge  |  den  ich  von  einer  frowen 

h&n  71     18,  21. 

In  14  Stellen  finden  wir  ferner*)  das  im  Mhd.  überaus  häufige 
geniezen  Idn;  dazu  gefügt  sind  8  Verse  mit  geniezen  allein.  Beide  Aus- 
drücke, die  übrigens  durchaus  nicht  auf  Liebeslyrik  ausschließlich 
hinweisen,  tragen  nichts  Auffallendes  an  sich. 

Ebenso  steht  es  mit  der  nächsten  Gruppe,  deren  Verse  den 
Gebrauch  des  Verbums  verdriezen  im  verschiedensten  Zusammenhange 
gemeinsam  haben  ^). 

Es  folgen  4  resp.  3  Verse  (zwei  gehören  demselben  Dichter  an) 
mit  dem  Verbum  singen^): 

Ich  wolde  gerne  singen,  [der  werlde 

yrovde  bringen]  CB.     126* 

Morungen:  Ich  wil   immer  singen    [dine  höhen 

wirdekeit]  MF.  146,   11 

Kunde  ich  nü  gesingen  [daz  die  jun- 

Neithart:^  T  .  -,.    T  ^*"'  7"^*"^       «•       ^'^^'^^ 

Ich  wil  aber  singen  [swie  ez  vür  ir 

oren  gö]  »    67,  7. 


»)  ib.  S.  186. 

')  ib.  S.  137;  obendrein  schmilzt  die  Gruppe  etwas  zusammen,  da  von  den 
angefahrten  Stellen  mehrere  einem  Dichter  an^i^ehOren;  nämlich:  5  Rugge,  3  Kein- 
mar,  3  Walther  und  1  der  späteren  Volksljrik. 

»)  ib.  S.  137.  *)  ib.  8.  138. 


28  E.  TR  WALTER 

Das  Vorkommen  des  Verbnms  singen,  obendrein  in  so  Terschie* 
denem  Zusammenhange,  hat  bei  berufsmäßigen  Dichtern  doch  sicher- 
lich nichts  Befremdendes. 

Bedeutungslos  ist  auch  die  Gruppe  mit  trüaic  ^) ;  man  wird  wohl 
kaum  zwischen  dem  Verse: 

[Vrowe,  wesent  vro !  Wie  tut  ir  nur 

so,]    daz  ir  so  trürech  sit?     CB   133'* 
und 

Dietmar:  also  trüric  wart  ich  nie,  [swenn  ich 

die  wolget&nen    sach  |  min 
senedez  ungemach  zergie]       MF.  36,  20 
eine  auf  Entlehnung  deutende  Übereinstimmung  finden  können«  Auch 
der  beigefügte  Vers  Reinmars: 
Reinmar:  Alse    rehte    unfr6    enwart    ich    nie. 

[daz  solte  eht  sin  :  nust  ez 
geschehen]  MF.  185,  20 

darf  nicht  auffallend  erscheinen;  denn  außer  dem  Wechsel  des  Aus- 
drucks —  unfrd  statt  trüric  —  raubt  auch  der  verschiedene  Zusam- 
menhang der  Stelle  den  Werth. 

Horheim:  [.  .  ,  üf  minen  eit  ( ]  noch  niene 

wart  so  trüric  man  MF*   115,  15. 

Ein  ziemliches  Durcheinander  bietet  die  Zusammenstellung  der 
Verse  mit  henemen^  das  in  den  verschiedensten  Verbindungen  aufge- 
führt wird  "). 

Selbst  bei  den  Stellen,   die  ungefähr  ähnlichen  Sinn  haben,  wie 

Eürenberc:  [eines    hühschen  ritters  |  gewan  ich 

künde]  |  daz  mir  den  henomen  hän 

[die  merker  und  ir  nit]  MF.   7,  23 

Begensburc :  Sin  mugen  alle  mir  benemen  |  [den 

ich  mir  lange   hän    erweit]        n      16,  8 

Husen:  [In  minem  troume  ich  sach  {  ein  harte 

schoene  wip  {  . . .  •  do  er- 
wachet ich  ^  zit]  do  wart  si 
mir  benomen  v     48,  27 

und  Wolfram :  du  (wahtaer)  hast  in  dicke  mir  be- 
nomen I  [von  blanken  armen, 
und  üz  herzen  nicht]    ,  Wolfr.  5,  4 — 5 

oder: 

Reinmar:  [Der  mir  gaebe   stnen  rät!   |  konde 

ich  ie  deheinen,]  der  ist  mir 
benomen  MF.   194,  34—85 


•)  ib.  8.  188—139.  •)  ib.  8.  140. 


ÜBEB  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  eto.  29 

ist  die  Ausdruoksweise  eine  bo  verschiedene,  die  Verwendang  des 
benemen  so  mannigfaltig,  daß  man  an  einen  gemeinsamen  Orundvers 
nicht  wohl  denken  darf. 

Auch  aus  den  ferner  enger  zusammengehörigen  Versen: 

Gnotenborc:  din   gnote,    diu  mir  h4t  benomen  | 

Minen  sin  MF.  71,  28 

Bugge :  [daz  tuot  diu  minne]  :  diu  nimt  mir 

die  sinne  »     101,  19 

Morungen:  swenne  ir  schoene  mir  nimt  so  gar 

minen  sin  n     135,  23 

Namenl.  L. :  [Vil  ist  unstaeter   wibe  :  |]    diu  be- 

nement  ime  den  sin  n     4,  6 

und  Spervogel:      [Sd  wS  dir   armüete!]    du   benimest 

dem  man  |  beidiu  witze  und 

euch  den  sin,  [der  niht  en- 

kan]  n     22,  9 

—  auch  aus  diesen  Versen  können  wir  nur  auf  eine  der  Umgangs- 
sprache —  vielleicht  ziemlich  fest  —  zu  eigen  gewordene  formelhafte 
Ausdrucksweise,  keinesfalls  aber  auf  einen  der  „eigentlichen  Lyrik^ 
zugehörigen  poetisch  bearbeiteten  „Baustein''  schließen ,  das  zeigt 
schon  die  Verwendung  des  Verses  bei  Spervogel 

Geradezu  auffallend  ist  hier  übrigens ,    daß   gerade    die  Verse, 
deren  Übereinstimmung  etwas  weiter  geht,  ein  und  demselben  Dichter 
angehören,  wie  dies  der  Fall  ist  mit  den  Zeilen 
Walthers:  die  mir  in  dem   winter   fröide  h&nt 

benomen  W.  73,  23 

und:  die  mir  dicke  fröide  h&nt  benomen      n     98,  15 

und  in  ähnlicher  Weise  mit  den  Versen 
Neitharts:  manegem  senedem  herzen  trüren  ist 

benomen  N.   14,  7 

und:  manegen   herzen  ist  benomen  |  leit 

und  ungemüete  n    ^3,  8.  9. 

Das  HinfiÜlige  einer  Gruppe ,  wie  die  folgende  ist:  ^) 
Namenl.  L.:  [das  der  sumer  komen   sol.  |]    seht 

wie  wol  das  menegen  herzen 

tuot  MF.  4,  16 

Dazu:  [bi  dir  swer  lit]  sanfte  dem  daz  tut     CB.  140* 

und  Johansdorf:    seht  wie  maneger  ez  doch  tuot  MF.  86,  8  . 

brauche  ich  nicht  erst  auseinanderzusetzen;    es  liegt   auf  der  Hand. 
Von  den  angeführten  zwölf  Stellen  mit  dem  Reimwort  gemuot ') 
gehört  die  Hälfte  Walther  an^   hat  also  den  Werth  einer  einzigen 
Stelle;  das  gleiche  gilt  von  den  zwei  oitierten  Versen  des  Johansdorf. 

«)  ib.  8.  141.  «)  ib.  8.  142. 


30  E.  TH.  WALTER 

In  den  übrigen  Stellen: 
NamenL  L.:  [daz  ist  also  verendet]    daz  ich  bin 

wol  gemuot  MF.  4,  29 

Bugge  l  [daz  ich  durch  ieman  si  vermeit]  des 

wirde    ich    selten    wol    ge- 
muot V     106,  21 
Bligger :                   [ .  .  sw^me  d&  gelinge  J    der  si  wol 

gemuot  n     118,  18 

Dazu:  swer  gegen  den  hat  hohen  mut  CB,  132* 

und  Eürenberc :     [als  ich  daran  gedenke]  so  stSt  wol 

höhe  min  muot  MF.   10,  23 

bangt  die  Übereinstimmung  einzig  an  dem  Worte  gemuot'^  ja  in  den 
beiden  letzten  Stellen  sogar  nur  noch  an  dem  Reime  mtiot;  obendrein 
wechselt  der  Sinn. 

Bei  Versen  wie 
NamenL  L. :  [Ich  hän  den  lip  gewendet]  an  einen 

ritter  guot  MF.  4,  27 

Dietmar :  [j4  hoere  ich  vil  der  tugende  sagen] 

von  eime  ritter  guot  71     39,  4 

Dz.  Eürenberc:     [als  warb    ein    schoene   ritter]    umb 

ein  frouwen  guot  n     10,  22*) 

eine  Entlehnung  annehmen  zu  wollen  ^  möchte  einem  doch  wirklich 
schwer  werden.  Man  könnte  fast  der  Meinung  werden,  Meyer  trete 
an  die  mittelhochdeutschen  Ausdrücke  und  Wendungen  mit  ganz  nen- 
hoolideutscliem  Sprachgefühle  heran;  denn  nur  so  läßt  es  sich  eigent- 
lich erklären,  daß  er  in  Stellen  wie  in  den  obigen  irgendwie  Beson* 
derliches  finden  kann. 
Die  vierte  Zeile 
Dietmar:  ein  schoene  wip  so  rehte  guot  MF.  36,  26 

fällt  für  uns  obendrein  fort,  da  sie  einem  in  der  gleichen  Grruppe 
schon  citierten  Dichter  angehört« 

Es  folgt  eine  Gruppe  von  drei  Stellen  mit  entstän  als  Reim  wort:  ^) 
Rürenbere:  so  läz  ich  die  Hute  |  harte  wol  ent- 

stän MF.  7,  15 

Dz.  Begensburc:  des  mac  sich  min  herze  wol  entstin        n     17,  6 
und  Guotenburc:  ichn  mac  mich  schiere  niht  entstän        r?      76,  14. 
Man  sieht,  eine  nähere  Übereinstimmung  ist  nicht  vorhanden. 

Von   den   fünf  Versen   mit  getan  ®)   sind  es  eigentlich  nur  zwei, 
welche  in  Betracht  kommen  können: 
Meinloh:  ich  hän  in  anders   niht  getän[    wän 

ob  ich  hau  gedienet]  MF.   13,  30 

und  ßeinmar:        In  habe  in  anders  niht  getan  [wan 

daz  ich  sire  sinne]  n     194,  4. 


»)  ib.  S.  142.  »)  ib.  S.  144-14&  *)  ib.  S.  149. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  ete.  31 

Die  übrigen  haben  außer  der  Verbalform  habe  getan  nichts  Oe- 
meinsames;  außerdem  fallen  noch  zwei  Stellen  als  unbrauchbar  fort: 
die  zweite  Stelle  Meinlohs  (einem  schon  citierten  Dichter  zugehörig) 
und  die  der  Volkslyrik  entnommene,  so  daß  eigentlich  überhaupt 
außer  den  oben  angefahrten  nur  noch  die  eine  bei 
Dietmar:  [Waz  wizet  mir  der  beste  man?]  ich 

habe  im  leides  niht  get&n  :     MF.  40,  36 
ZU  beachten  ist,  und  diese  bezeichnet  Meyer  wohl  sehr  mit  Recht  nur 
als  „entfernteren  Anklang*^. 

Daß  in  den  folgenden  Versen  ^) 
Meinloh :  im  trüret  sin  herze  |  [sit  er  nu  jun- 

gest von  dir  schiet]  MF.   14,  7 

und  Dietmar:         [nu  muoz  ich  von  ir  gescheiden  sin] 

trüric  ist  mir  al  daz  herze 
min  n      32,  20 

die  beiden  betreffenden  Dichter  nöthig  gehabt  haben  sollten^  den  Ge- 
danken: daß  ihr  Herz  durch  das  Scheiden  traurig  geworden  sei, 
( —  die  Form  ist  ja  verschieden  genug  — )  zu  entlehnen,  wird  wohl 
kaum  Glauben  finden.  Und  noch  viel  weniger  dürfte  dies  der  Fall 
sein  bei  den  Versen: 
Yeldegge:  tr6ric   ist   daz    herze   min  :  [wan  ez 

wil  nu  Winter  sin,]  MF.   59,  15 

und  Rürenberc:     [Swenne   ich    stän   alleine  |.  ..  und 

ich    gedenke     ane     dich  | 
so  .  .  .  ] 
.  .  .  gwinnet    mir    daz    herze    |    vil 

manegen  trürigen  muot  n     8,  23. 

Am  Schlüsse  des  Verses  die  beiden  zu  einem  Begriffe  verschmol- 
zenen  Wörter  alze  lanc  weisen  die  folgenden  Stellen  auf:  •) 
Rietenburc  :  ez  ist  leider  alze  lanc  [daz  die  bluo- 

men  rdt   {   begunden    liden 
not]  MF.   19,  13 

Dietmar:  [sit   was  mir  min  fröide   kurz]    und 

euch  der  jämer  alze  lanc  n     34,  18 

Beinmar:  miret    beidiu  winter  und  der  sumer 

alze  lanc  n     155,  4 

Hartman:  die  swaeren  tage  sint  alze  lanc  n     207,  4 

und  noch  zweimal  bei   demselben. 

Man  sieht,  außer  den  beiden  zusammengehörigen  Wörtern  ver- 
bindet die  angeführten  Verse  nichts;  der  Zusammenhang  und  die  ganze 
Verseinfdgung  lassen  an  keine  Entlehnung  denken. 

•)  ib.  S.  160.  »)  ib.  S.  163. 


32  B.  TH.  WALTER 

Ähnlich  verhält  es  eich  mit  *) 
Meinloh:  [im  trüret  sin  herze]  sit  er  nn  jun- 

gest von  dir  schiet  MF.   14,  8 

Dietmar:  do  ich  aller  nachest  von  dir  schiet 

[sit   hat  ich  groze   swaere]        n     40,  13» 
Nur  noch  Gedankenähnlichkeit  liegt  vor  in 
Husen:  Deich  von    der   guoten    schiet    [des 

lide  ich  Ungemach]  MF.  48,  32. 

Die  Heranziehung  des  Verses 
Namenl.  L. :  [Ein    winken   und  ein  umbe  sehen  { 

wart  mir]  do  ich  si  nähest 
sach  MF.  6y  21 

nur  wegen  des  vorkommenden  nähest  ist  wirklich  recht  unnütz. 

Es  folgen  Stellen  mit  tiuren^)  oder  Ausdrücken  ähnlicher  Be- 
deutung; von  den  acht  Parallelen  gehören  bereits  vier,  und  zwar 
ditrunter  gerade  die  drei  auffallender  übereinstimmenden  einem  Dichter, 
nämlich  Walther')  an.  Die  Ähnlichkeit  der  übrigen  ist  so  wenig 
ausgeprägt,  daß  an  Entlehnung  nicht  gedacht  werden  kann: 
Dietmar:  du  hast  getiuret  mir  den  muot  MF.  33,  26 

Dazu  Kugge :  si   tiuret  vil  der  sinne  min.  n     103,  24 

Dazu  Morungen :    [dine  redegesellen  |  die  sint  swie  wir 

wellen  |  guoter  worte  und 
guoter  alte.]  da  bist  du  ge- 
tiuret mite.  n     146,  26 

und  gar 

Johansdorf :  daz  ir  deste  werder  sint  [und  da  bi 

hochgemuot]  »      94,  14. 

Die  folgende  Gruppe*) 
Ps,  Dietmar:         und  wil  doch  mannen  fremede  sin       MF.   35,  34 
Dietmar:  sol  ich  im  lange  vrömede  sin  w      36,  11 

Ders. :  [so  höh  owi]  sol  ich  ir  lange  frömde 

sin  n      39,  17 

Morungen:  [ich  fluoche  in  unde  schadet  in  niht,|] 

dur  die  ich  ir  muoz  frömede 
sin  n      131,  17 

weist  als  gemeinschaftlich  nur  das  Wort  fremede  in  vier  Stellen ,  von 
denen  drei  auf  einen  und  denselben  Dichter  kommen,  auf*). 


»)  ib.  S.  löO.  ')  ib.  S.  156. 

*)  Wenigstens  ist  zu  dem  Verbnm  tiuren  resp.  einmal  toirden  jedesmal  derselbe 
Zusatz  %  gefügt. 

*)  ib.  S.  1Ö5. 

»)  Wieder  gehören  gerade  die  beiden  Verse,  die  größere  Entsprechung  haben: 
aol  ich  im  lange  frömMe  ««w  (D.  36,  11)  und  aol  ich  ir  lange  frömede  «$n  (ib.  39,  17) 
demselben  Dichter  an. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHES  MINNESANGES  etc.  33 

Angefügt  sind  drei  weitere  Verse  mit  dem  Zeitwort  fremeden: 
Dietmar:  [snnder  äne  mine  schult  |]  fremedet 

er  mich  managen  tao  MF.  34,  14 

Husen:  aleine  frömdet  mich  ir  lip,  |  [si  h&t 

iedoch    des    herzen    mich  | 

beroubet  gar  für  elliu  wip]        n      42,  7 
Kugge:  sin  langez  fremeden  muoz  ich  klagen        »      107,  23. 

Die  Stellen  haben  außer  dem  noch  dazu  in  verschiedenen  Formen 
gebrauchten  einzigen  Worte  durchaus  keine  weitere  Übereinstimmung. 
Auch  haben   Ausdrucke   mit  fremede    sowohl    als    mit  fremeden 
etwas  Absonderliches   nur  für  den  mit  neuhochdentscliem  Sprach- 
gefühle an  sie  Herantretenden. 

Ebensowenig  ist  etwas  anzufangen  mit  den  Versen:  ') 
Dietmar:  [höhe  stät  min  muot  :]    wan  al  diu 

werlt  noch  nie  gewan  [ein 

schoene  wip  so  rehte  guot] 
Husen:  got  weiz  wol,   daz  ich  nie  gewan  { 

[in    al   der   werlt   sd   liebe 

enkeine] 
Namenl.  L. :  [du  bist  in  minen   sinnen]    für  alle 

die  ich  ie  gewan 

Auch  in  den  Parallelen  mit   gedagen  ^)    tritt    zu    dem    einfachen 
Verbum  nirgends    etwas   hinzu,    was  eine  Entlehnung  wahrscheinlich 
machen  könnte: 
Husen:  [deich   lide   umbe   ir  hulde    seren  |] 

daz    ich    niemer    mac    ver- 

dagen  MF.  44,  39 

Momngen:  [Sin  hiez  mir  nie  widersagen ^  •••] 

desn  mac   ich   langer  niht 

verdagen  n     ISO,  12 

Hartmann:  nieman  sol  ir  lobes  gedagen  »     214,  8 

Neithart:  Hie  mit  sul  wir  des  gedagen  N.  36,  38 

Bngge :  [unser  leit  daz  ist  ir  spil :]   wir  mugen 

wol  stille  dagen  MF.  97,  84 

die  drei  übrigen  Stellen  gehören  Beinmar,  haben  also  den  Werth  einer 
einzigen. 

Ganz  werthlos  ist  die  Zusammenstellung  der  Veree  mit  gw>t^. 
Von  den  zehn  angeführten  Stellen  sind  allein  sieben  Walther  ent- 
nommen, zwei  kommen  auf  Neithart,  eine  auf  Horheim,  so  daß  wir 
eigentlich  nur  drei  Parallelen  vor  uns  sehen,  die  nichts  Anderes  als 
das  Wörtchen  guot  mit  einander  gemein  haben.  Es  berührt  höchst 
eigenthümlich ,  wenn  man  bedenkt,  daß  einem  hier  Verse  oder  Vers- 


MF. 

36, 

25 

n 

44, 

19 

n 

5,1 

, 

")  ib.  S.  16Ö— 166.  ^)  ib.  S.  1Ö8.  »)  ib.  S.  160. 

OESMAMIA.    Neue  Reihe  XXII.  (XXXIY.)  Jahrg^ 


34  E.  TH.  WALTER 

Stückchen  wie:  siat  guot;  du  enbist  niht  guot;  sd  sU  ir  niht  guot;  dctz 
wdere  guöt  etc.  geboten  werden  in  der  Absicht,  den  Glauben  an  eine 
Entlehnung  aus  alten  Liedern  zu  erwecken. 

Nicht  anders  fühlt  man  sich  berührt  von  der  folgenden  Gruppe  *)  : 
Bligger:  so  ist  aber  menger  so  gemuot  [daz 

er  der  geste  baz  bejaget]        MF.    119,  23 
Waltber:  der  lantgräve  ist  so  gemuot  W.   20,  10 

Neitbart:  erst  ein  knappe  so  gemuot  N.  3,  9 

(Ders. :  minne  ist  so  gemuot  n    97,  6) 

Reinmar :  min  muot  stuont  mir  eteswenne  alsd 

[daz  icb  was  mit  den  andern 
fro]  MF.   174,  7. 

Wie  sollte  wohl  hier  etwa  der  Originalvers  zu  allen  diesen  Variationen 
gelautet  habend 

Ein  Gleiches  gilt  von  den  Versen   mit  awachen  ^) ;    zu   den   drei 
Stellen  aus  Walther:  ^)   die  sich  selben  sd  verswachent  (23,21);    ...diu 
sd  swachet  (47,  5);   ..wie  du  dich  swachest  (51,  37)  treten 
Momngen:  sä  zebant  bin  ich  geswacbet  MF.   135,  22 

und  Neitbart:        daz  du  micb  sd  swacbest  N.  23,  39. 

Es  bedarf  nicht  erst  der  Mühe,  die  Verse  in  ihren  übrigens 
überall  ganz  verschiedenen  Zusammenhang  einzufügen;  man  wird  ihnen 
auch  so  schon  keinen  Werth  beilegen  können. 

Ganz  dasselbe,  was  ich  oben  über  die  Gruppe  guot*)  bemerkte, 
muß  ich  von  den  folgenden  beiden  Zusammenstellungen  wiederholen, 
in  denen  die  Verbalform  kan  und  das  Verbum  tuon  als  Bindeglieder 
dienen  ^).  Ein  Blick  auf  die  beiden  Gruppen  genügt^  um  ihre  Be- 
deutungslosigkeit zu  erkennen. 

Die  im  vorstehenden  Abschnitte  besprocheneu  Gruppen  fanden 
oder  suchten  ihre  Übereinstimmung  nur  in  einzelnen  Worten,  im  fol- 
genden werde  ich 

2.  diejenigen  Parallelstellen  zu  behandeln  haben,  deren  Ent- 
sprechung auf  einem  etwas  umfangreicheren  Ausdrucke  oder  einer 
Wendung  beruht,  wie  sie  die  Umgangssprache  des  täglichen  Lebens 
gewiß  schon  geformt  hatte  und  leicht  dem  Dichter  in  den  Mund  ge- 
geben haben  mag. 

')  ib.  S.  160.  »)  ib.  S.  160. 

")  Es  sind  nicht  einmal  ganze  Verse,  die  in  Betracht  kommen. 

«)  ib.  p.  6S.(,). 

^)  ib.  S.  161.  In  der  Gruppe  kan  fallen  wieder  von  9  Stellen  6  Reinmar  und  2 
Walther  zu:  desgleichen  in  der  Gruppe  tuon  von  9  Stellen  5  auf  Walther  und  2  auf 
Reinmar,  so  daß  schon  ganz  äußerlich  die  beiden  Zusammenstellungen  an  Werth 
recht  beträchtlich  einbüßen. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  35 

Fast  mit  in  die  vorige  Abtheilung  hätte  ich  verweisen  können 
die  Zusammenstellung  ^) 

3.  lat.  Liebesbr. :  desne  soltu  dün  niem^re  MF.  224,  26 

Husen:  d^swär  tudn  i'n  niht  m^re  n     51,  11 

Walther:  l&tz  iu  geschehen  niht  m^re  W.   18,  4. 

Eine  Menge  Stellen  liefert  das  Verbum  zergän^  das  in  verschie- 
denen Verbindungen  aufgeführt  wird  ^) 

davon  mag  uns  frovde  nimmer  mer 

zergan  CB.  98' 

Meinloh:  [wan  er  ist   kernen    ze  lande,]    von 

dem  min  trüren  sei  zergftn 
Morungen:  [swer  da  enzwischen  danne  stdt  und 

irret   mich,]    dem  müez  al 

sin  wünne  gar  zergen 
Walther:  [mich  müet],  sol  min  trost  zerg&n 

[s6  enwirde  ich  anders    niht  erldst] 
Ders.:  sol  der  (kumber)  mit  fröide  an  mir 

zergan], 
Ders. :  [der    ist    eht   manger    fröiden    rieh] 

80  jenes    fröide  gar  zergät 
Keinmar:  so  ist   min  trüren  gar  zergan    [und 

bindie  Wochen  wol  getan]*)     MF.   203,21 
Ders. :  [anders  s6  gestuont  ez  nie,]  wan  daz 

beidiu  liep  und  leit  zergie        »      172,  29*) 
Ps.-Neithart :  [der  anger  lit  |  bevangen.]  min  trü- 

ren  deist  zergangen  N.   1 30,  7  ^). 

In  allen  diesen  Versen  liegt  die  Übereinstimmung  eigentlich  nur 
darin,  daß  das  Verbum  zergan  zur  Bildung  von  Redensarten  verwandt 
ist.  Was  uns  zwingen  sollte,  Versentlehnungen  anzunehmen,  sehe  ich 
nicht.  Warum  soll  denn  außer  den  vielen  anderen  Ausdrücken,  zu 
denen  sich  das  Wort  mit  Substantiven  auch  sonst  noch  verbunden 
hat,  nicht  auch  ein  frovde  zergan^  trUren  zergan ^  vmnne  zergm^  trdst 
zergen,   leit  zergen   in  der  Umgangssprache  sich  gebildet  haben? 


MF 

•  14 

,29 

n 

126,  35 

W. 

14, 

13 

n 

72, 

1") 

n 

92, 

38») 

»)  ib.  S.  133.    .        »)  ib.  S.  135. 

*)  Ich  führe  diese  Verse,  obschon  sie  bereits  citierten  Dichtem  angeboren,  nnr 
deshalb  mit  an,  weil  sie  gerade  die  Verschiedenheit  des  Gebrauches  von  zergan  au 
zeigen  geeignet  sind. 

^)  So  und  nicht  wie  Meyer  schreibt:  sol  mtn /röiuie  nu  wrgän  lautet  der  Vers 
an  der  angegebenen  Stelle. 

•)  Der  am  Schlüsse  der  Gruppe  noch  angefügte  Vers: 
Namenl.  L.:  [OwS  mir  siner  jugende!]  diu  muoz  mir 

al  ze  sorgen  erglin  MF.  4,  12 

wäre  besser  weggeblieben. 

3* 


CB. 

104' 

n 

123' 

n 

133 

MF. 

6,  24 

36  E.  TH.  WALTKR 

Daß  in  den  folgenden  Versen  der  Ausdruck  des  „Frohseins^  ^) 
auf  Entlehnung  deuten  soll^  zumal  da  er  in  den  vier  Zeilen  dreimal 
in  verschiedener  Fassung  erscheint: 

[stoke  meide  {]   wesent  palt! 
[gmne   etat  der  schöne  walt  :]    des 

suln  wir  nu  wesen  halt 
Vrowe,  wesent  vro 
Namenl.  L. :  vriunt,  du  wis  vil  hochgemuot 

hat  wenig  Wahrscheinlichkeit  für  sich. 

Das  Gleiche  gilt  von  den  folgenden  Zeilen  ^) ;  Wendungen  mit 
tragen  sind  dem  Mittelhochdeutschen  geläufig,  h^her  muot  ist  ebenfalls 
ein  vielgebrauchter  Ausdruck :  warum  sollte  die  Verbindung  Mhen  muot 
tragen  sich  also  nicht  hier  und  da  einstellen?  In  den  angefilhrten 
Parallelen  findet  sie  sich  überhaupt  nur  zweimal: 
Beinmar:  [War    umbe   vüeget   diu   mir  leit  |] 

von  der  ich  hohe  solte  tra- 
gen den  muot  MF.   162,  17 
und  Begensburc :  [der  i^ich  mit  manegen  tugenden  guot  | 

gemachet  al  der  werlte  liep] 
der  mac  wol  hohe  tragen 
den  muot  77     16,  7. 

An  den  übrigen  Stellen  ziemlich  stark  variiert,  wenn   man  überhaupt 
von  Variation  sprechen  will.     So  bei 
Dietmar:  Ich  muoz  von  rehten  schulden  ho  | 

[tragen  daz  herze  und  al  die 
sinne]  MF.  38,  5 

und  nochmals  bei 

Reinmar:  [gnoten    trost    wil    ich    mir    selben 

geben]  |  und  min  gemüete 
tragen  hd  rt      185,  30. 

In  beiden  Stellen  ist  nicht  einmal  das  Reimwort  dasselbe  ge- 
blieben,  worauf  Meyer  doch  sonst  mit  Recht  Werth  legt.  Der  Vers 
Walthers :  [edel  unde  riche  |  sint  si  sumeliche,]  { 

dar  zuo  tragent  si  höhen 
muot :  W.  51,  3 

will  mir  endlich  seiner  Bedeutung  wegen  nicht  hierher  gehörig  er- 
scheinen; das  höher  muot  bedeutet  hier  gewiß  nicht  nur  so  viel  wie 
„gehobene  Stimmung  =  Fröhlichkeit"^  was  man  bei  den  obigen  Stellen 
MF.  38,  5  und  185,  30  wohl  anzunehmen  hat,  sondern  drückt  aus 
„hohen  stolzen  Sinn"  '). 

')  ib.  S.  136.  •)  ib.  S.  188. 

')  Für  volksthümlich,  d.  h.  volksthümliclien  Ursprungs  mochte  ich  —  beiläufig 
erwähnt  —  den  Ausdruck  auch  nicht  halten. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DB8  HÖFI8CHEN  MINNESANGES  etc.  37 

Es  folgen  vierzehn  Stellen  mit  der  Wendang  sanfte  tuci'^)  (vier 
davon  gehören  Walther  an).  Die  Übereinstimmung  beruht  nur  auf 
diesem  Ausdrucke,  der,  allgemein  gebräuchlich,  Schlüsse  auf  Entleh- 
nung nicht  erlaubt. 

Nicht  mehr  besagt  die  umfangreiche  Sammlung  mit  /rt'),  das 
in  den  verschiedensten  Verbindungen  aufgeführt  wird.  Man  findet 
zusammengestellt:  frt  machen  oder /rt  tibon,  frt  «m,  fri  beliben^  fri 
werden,  fri  läsBeUj  auch  absolut /rt  in  wechselnder  Verbindung  mit 
leides j  sorgen^  von  leide^  van  seneder  ndt,  lobes'^  dazugefägt  sind  sinn- 
verwandte Wendungen,  wie  von  sorgen  scheiden^  von  sorgen  ledere  tuen; 
kurz:  was  wiederkehrt,  ist  meistens  nur  der  Gedanke;  Zusammenhang 
und  Form  sind  verschieden  genug,  jedenfalls  nicht  dazu  angethan, 
einem  die  Annahme  einer  Versentlehnung  aus  vorhandener  Poesie 
nahe  zu  legen  ^. 

Die  Redensart  den  Ivp  Verliesen  ist  an   sich  eine  ganz  geläufige, 
deren  Anwendung  nicht  befremden  kann;   die  Stellen,    an  denen  sie 
vorkommt,  haben  durchaus  nichts  Formelhaftes,   obendrein  findet  sie 
sich  nur  bei  drei  verschiedenen  Dichtern  ^),  nämlich  außer  in  den 
Namenl.  L. :  [kämest  du  mir  niht  schiere  J  86  ver- 

liuse  ich  minen  lip  MF.  5,  8 

nur  noch  zweimal  bei 

Momngen:  [ich   mac   mich  langer  niht  erwem] 

den  lip  mnoz   ich  verloren 
hän  I)      137,  13 

und  in  demselben  Liede 

[frouwe,  mine  swaere  sich,  |]  ^  ich 

Verliese  minen  lip  n     137,  18 

und  zweimal  bei  Neithart: 

jft  verliuse  ich  den  lip  |  [ist  si  mir 

niht  beschert]  N.   61,  34 

[daz  was  ein  henne  guot  |  und  gienc 
staete  unbehuot]  dft  von  sie 
verlos  den  Ifp  7)    181,  18^). 

oder  vielmehr  Ps.  N. 


»)  ib.  S.  139.  •)  ib.  S.  141. 

')  6  Stellen  fallen  übrigens  aus  der  Sammlung  heraus,  da  von  den  augezogenen 
3  Reiumar,  2  Walther  und  4  Neithart  zukommen. 

*)  ib.  S.  142. 

*)  Man  könnte  den  Vers  eher  gegen  Meyer  zum  Beweise  dafttr  anwenden,  daß 
die  Redensart  eine  allgemein  verbreitete  war;  aonst  könnte  sie  nicht  hier  in  so  völlig 
verschiedenem  Zusammenhange  stehen. 


38  E.  TH.  WALTER 

In   den   folgenden  Versen  *)    hängt    die  Übereinstimmung    über- 
haupt nur  an  der  ganz  unzweifelhaft  bereits  von  der  Umgangssprache 
geformten  Wendung  al  der  werke;  im  Übrigen  sind  die  Stellen  grund- 
verschieden : 
Namenl.  L.:  den   möhte   in  al  der    weite   |    [got 

niemer  mir  vergelten]  MF.   5,  4*) 

Dietmar:  nu  muoz    ich  al  der  werlte    [haben 

dur  sinen  willen  rät]  tj     39,  8 

Namenl.  L. :  [und  waerez  al  der  weite  leitj  n     6,  12. 

Ebenso    gewagt    ist    es,    an  das    zweimalige  Vorkommen^)   von 
nach  dem  willen  mm  in  den  Versen: 
Namenl.  L. :  [Mir   hat   ein  ritter  •..•!]    gedienet 

nach  dem  willen  min  MF.  6^  6 

und  Dietmar:         [er  kan  wol  grdzer  arebeit]  gelönen 

nach  dem  willen  min  n      38,  13 

weitere  Folgerungen  zu  knüpfen,  dazu  ist  Ausdruck  und  Zusammen- 
hang doch  gar  nicht  geeignet.  Die  Zufügung  des  nicht  einmal  gleich- 
lautenden 

Beinmar:  sage  im  durch  den  willen  min  MF.   178,  5 

erhöht  den  Werth  der  Gruppe  nicht. 

Eine  der  reichsten  Zusammenstellungen  gründet  sich  auf  die 
Redensart  rdi  werden  ^) ;  sie  wird  in  24  Versen  aufgeführt.  Diese 
schmelzen  nun  allerdings  im  Werthe  zu  9  zusammen,  denn  von  ihnen 
fallen  allein  7  auf  Walther,  4  auf  Reinmar,  4  auf  Rugge,  2  auf  Neit- 
hart,  2  auf  Dietmar,  2  auf  Husen.  Aber  ganz  abgesehen  davon: 
Meyer  kann  doch  unmöglich  im  Zweifel  darüber  sein,  ob  hier  ein 
Ausdruck  der  Alltagsrede  oder  ein  rein  lyrischer,  ja  überhaupt  lyri- 
scher Vers  zu  Grunde  liegt.  Für  die  letztere  Annahme  bietet  sich 
doch  nirgends  der  geringste  Anhaltspunkt.  Die  Gruppe  ist  bezeich- 
nend für  die  Natur  der  ganzen  Sammlung.  Der  eigentliche  Zweck 
derselben  ist  gänzlich  außer  Acht  gelassen;  Ähnliches  wird  eben 
zusammengestellt,  UDbekümmert,  ob  es  die  Sache  fördert 
oder  nicht. 

Die  beiden  Verse :  *) 
Namenl.  L. :  swie  du  wilt,  so  wil  ich  sin  [lache, 

liebez  frowelin]  MF.   6,  30 

und  Walther:         swie  si  sint  sd  wil  ich  sin  W.  48,  7 

verlieren  das  auffallend  Übereinstimmende,  das  ihnen  der  erste  Blick 
zuerkennt,  sobald  man  sie  im  Zusammenhange  betrachtet. 


')  ib.  S.  142.  «)  nicht  5,  11.  »)  ib.  8.  143.  *)  ib.  S.  148-.U4. 

■)  ib.  S.  144. 


ÜBEK  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  ett-,  39 

In  der  Strophe  der  Namenlosen  hat  die  Frau  mit  jenem  Verse 
die  Versicherung  völliger  Ergebenheit  von  Seite  des  Mannes  erhalten; 
bei  Walther  will  die  Wendung  besagen,  daß  er  so  viel  fuogt  besitze, 
die  Leute  nicht  zu  verdriezen,  daß  er  darum  sich  nach  ihnen  richte, 
mit  ihnen  fröhlich  und  traurig  sei.  Der  Ausdruck  ist  an  beiden 
Stellen  ganz  vom  Augenblicke  eingegeben;  seine  Übereinstimmung 
gewiß  eine  zufällige.  Die  dritte  angeführte  Entsprechung 
RietenbuTc:  als  wil  ich  iemer  m^re  sin  MF.  18,  24 

ähnelt  zu  wenig  dem  Wortlaute  den  beiden  anderen,  als  daß  man  sie 
in  Betracht  ziehen  könnte. 

Nichts  als  einen  ganz  alltäglichen  Ausdruck  haben  wir  auch  in 
dem  die  unle  ^)  =  derweile  zu  sehen,  das  uns  in  neun  Versen  ^)  (dar- 
unter viermal  Reinmar  und  zweimal  Neidhart,  so  daß  vier  Stellen 
ungiltig  werden)  entgegentritt.  Das  regelmäßig  hinzutretende  ich  lebe 
oder  daz  M>en  hän  oder  ick  habe  den  lip  beweist  nichts  mehr,  als  daß 
der  ganze  Ausdruck  im  gewöhnlichen  Leben  eben  gerade  so  gebrauch* 
lieh  war,  wie  heutzutage  unser  „so  lange  ich  lebe^  oder  „mein  Leben 
lang".    Von  lyrischem  Verse  haftet  an  der  Wendung  nichts. 

Was  die  Stellen  mit  hdhe  stän  ^)  in  Verbindung  mit  mttoty  gemüete, 
herze  angeht,  so  kann  ich  nur  wiederholen,  was  ich  schon  bei  sanße 
tuon')  und  anderen  zu  bemerken  hatte:  es  liegt  nichts  als  eine  be- 
nutzte Redensart  der  Umgangssprache  vor,  deren  Verwendung  im 
Verse  Variation  genug  zeigt,  ja  nicht  einmal  ein  bestimmtes  Reimwort 
zu  Tage  treten  läßt,  so  daß  man  dem  Gedanken  an  einen  zu  Grunde 
liegenden  formelhaflen  Vers  nicht  Raum  geben  darf*). 

Dasselbe  gilt  in  noch  höherem  Maße  von  der  Zusammenstellung 
mit  inne  werden'^)  und  inne  bringen,  nur  daß  das  Reim  wort  das- 
selbe bleibt. 

Vergleicht  man  ferner  die  Verse  mit   umbe  waz^)   näher  im  Zu- 
sammenhange, so  verlieren  sie  von  ihrer  Ähnlichkeit  wesentlich. 
Meinlob:  [Ich    bin    holt    einer    frcuwen  :]     ih 

weis  vil  wol  umbe  waa  MF.   13,  2 

Momngen:  [. .  €  ich  ir  iemer  diende]  ine  wisse 

umbe  waz  »     142,  18. 

Die  übrigen  Stellen,  von  denen  zwei  einander  ähnlicher  lauten, 
gehören  einem  und  demselben  Dichter,  nämlich  Neithart  zu: 


>)  ib.  S.  146.  »)  ib.  S.  146.             »)  oben  S.  87  o. 

^  Die  16  Stellen  redacieren   sieb  auf  9;   6  gehören  schon  angesogenen  Dich- 
tern zu. 

»)  ib.  8.  147.  «)  ib.  S.  149. 


40  E.  TH.  WOLTER 

Neithart:  [Si  sint  mir  unwaege]     sine  wizzen 

umbe  waz  N.  68,  17 

[er    ist   dir  gehaz]    ich    enweiz    niht 

umbe  waz  w    75,  22. 

Der  folgende  Vers  erhält  den  Anschein  der  Ähnlichkeit  nur  durch 
die  Verkürzung,  die  ihm  im  Citate  der  Zusammenstellung  zu  Theil 
geworden  ist: 

ich  weiz    rehte   niht   war  umbe    [si 

daz  liez]  N.   97,  3. 

Doch  wäre  auch  die  Zahl  der  Parallelen  (3)  größer,  ihr  Zu- 
sammenhang gleichartiger,  so  berechtigten  sie  doch  ihrer  Natur  nach 
niemals  zu  dem  Schluß  auf  einen  geformten  Vers,  höchstens  auf  einen 
geläufigen  Ausdruck  der  gewöhnlichen  Rede. 

Es  folgt  eine  Gruppe  mit  hoehen  oder  besser  mit  dem  gemein- 
schaftlichen Gedanken  „einen  in  frohe  Stimmung  versetzen**  *). 

Größere  Ähnlichkeit  zeigen  von  den  angeführten  Stellen  in  der 
Form  nur  zwei: 

Rugge:  [Ein  wiser  man  vil  dicke  tuet  |  des 

ein  tumber  nicht  enkan.] 
als  ime  daz  hoehet  einen 
muot,  [so  muoz  ich  leider 
trüric  stan]  MF.    103,  37 

Beinmar:  [sit  daz  er  mir   getriuwet   wol,]    s6 

wil  ich  hoehen  sinen   muot.        77      151,  28 
allenfalls  noch  '') 

Meinloh:  im  trüret  sin  herze  !•...]  nu  hoehe 

im  sin  gemüete  [gegen  dirre 
sumerztt]  n     14,  9 

Die  übrigen  Stellen  verdienen  nicht  herangezogen  zu  werden.  Der  Vers : 

er  erfreut  mir  mein  gemüete  Uhl.  61,  3 

kommt  schon  zufolge  seines  Ursprunges  aus  der  späteren  Volkslyrik 
nicht  in  Betracht,  und  die  beiden  übrigen: 

[gelobet   stät    der  grüne  walt,]    des 

froet  sih  min  gemüte  OB.   102^ 

und  Kürenberc:     so  stöt  wol  hohe  min  muot  MF.   10,  23 

haben  doch  formell  gar  zu  wenig  Ähnlichkeit,  als  daß  man  sie  neben 
die  obigen  stellen  dürfte.  Obendrein  ist  der  Gedanke  (der  in  den 
letzteren  Stellen  auch  durchaus  nicht  genau  mit  den  zuerst  ange- 
führten paßt)  durchaus  nicht  auffallend,  so  wenig,  wie  die  Art  ihn 
auszudrücken  selten  erscheint. 


»)  ib.  S.  160.  ')  Der  Vers 

daz  ir  gäete  mich  gehoehet  h&t  MF.  110,  32 

gehört  Rugge,  also  einem  schon  verwendeten  Dichter  an. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  ete.  41 

In  der  folgenden  Ornppe:  0 
BietcBbnrc:  [taet  ich  selbe   nicht   also]    der  be- 

twungen  stAt  MF.  19,  11 

Dietmar:  [gerne  daz  min  herse  erkande]  wan 

ez  so  bedwungen  stat  n     32,  2 

Morungen:  [sit  daz  diu  werlt  mit  sorgen]    also 

gar  betwungen  stät  n     143,  8 

ist  vor  allen  Dingen  die  gleichmäßige  Verbindung  mit  stdt  als  irgend- 
wie auffällige  Übereinstimmung  zurttckzuweisen.  Die  Anwendung  von 
sidn  ist  nicht  anders  zu  betrachten  als  die  einer  Kopula ;  das  Verbum 
wird  ebenso  häufig  gebraucht  und  ist  in  seiner  Bedeutung  ebenso 
abgeblaßt,  wie  eine  solche. 

Über  den  häufigen  redensartlichen  Gebrauch  von   betwungen  be- 
lehrt   uns    schon    der  Zusammenhang;    in    dem   das  Verbum   in   den 
obigen  Stellen  und  in  der  folgenden  erscheint: 
Regensburc:  [ich    wil  im  iemer   wesen    holt.]    si 

sint  betwungen  ftne  not  MF.   16,  14 

d.  h.   „sie  machen  sich  ohne  Noth  Kummer  und  Sorge". 

Die  Bemerkungen  Haupts  zu  der  letzteren  Stelle  bekräftigen 
nur,  daß  dergleichen  Wendungen  schon  frühe  und  allgemein  gebräuch- 
lich waren. 

Die  Ähnlichkeit  des  Verses: 

der  minne  wil  mich  twingen  OB.  126 

ist  formell  zu  gering,  als  daß  man  auf  ihn  Rücksicht  zu  nehmen 
hätte.     Dietmar  endlich  (40,  15)  ist  bereits  citiert. 

Die  folgende  Gruppe  mit  ze  oder  an  ein  ende  bringen  oder 
komen^  hat  ja  an  sich  schon  darum  wenig  Werth,  weil  einmal  von 
den  angeführten  fünf  Stellen  drei  ein  und  demselben  Dichter  entnommen 
sind,  dann  aber  ihnen  nicht  einmal  dasselbe  Reim  wort  eigen  ist.  Aber 
davon  ganz  abgesehen ^  darf  man  die  Wendung  durchaus  nicht  als 
etwas  vielleicht  nur  der  Liebeslyrik  oder  der  Lyrik  überhaupt  Eigen- 
thümliches  betrachten.  Sie  war  mit  verschiedenen  kleinen  Änderungen 
ganz  gebräuchlich  und  gewiß  nicht  nur  der  poetischen,  sondern  auch 
der  alltäglichen  Umgangssprache  ^). 

Daß  von  guot  dünken  das  Gleiche  gilt  ^),  bedarf  keiner  weiteren 
Erörterung. 

Bei  der  folgenden  Zusammenstellung  mit  nie  geschach  ^)  ist  der 
Zusammenhang    in    den    drei    zur  Geltung    kommenden  Versen    doch 

*)  ib.  S.  163.  »)  ib.  8.  164. 

')  Ich  brauche  nur  auf  das  Mhd.  Wb.  za  rerweisen. 

*)  ib.  S.  164—166.  *)  ib.  S.  166. 


42 


E.  TH.  WALTER 


nicht  derart,  daß  wir  an  einen  za  Grande  liegenden  festgeformten  Vers 

denken  müßten: 

Dietmar :  [si  hat  daz  herze  mir  benomen ;]  daz 

mir  gescbach  von  wibe  ö  nie 
Husen:  [ze  fiöiden  muos  ich  urlop  nemen;] 

daz    mir    da  vor  %  nie  ge- 

Schach 
Reinmar :  [waene   ich  des    daz    mir  diu  ange- 

16net  läze]  se  geschaebe  an 

mir  daz  nie  gescbach 
Es  folgen  die  Stellen  ')  : 
Dietmar : 


MF.  35,  4 


n      43,  27 


u      189,  36. 


Neitbart : 


Rute: 


[ich  weiz  wol  daz  tuot  ime  we]  daz 

ist  diu  meiste  sorge  min  .  .      MF.   36,  13 
doch  ist  daz  diu  meiste  sorge  mine 
[daz  nibt  langer  dienest  lie- 
ben 16n  erworben  babe]  N.   58^  29 
[da  manic  man  der  Sünden  sin  ver- 
jach^]  do  was  daz  min  aller 
meistiu  swaere  [daz  .  .  •]         MF.   116,20; 
Die  übrigen  Verse  verdienen  nicht   angeführt  zu  werden;    denn 
der   eine  gehört   dem   schon   oben   herangezogenen  Neitbart  zu;    der 
andere  aber 

Husen:  [des  ist  er  min  leitvertrip]  und  diu 

boebste  wunne  min 

begründet  seine  Zugehörigkeit  nur  dadurch ,  daß  er  von  den  obigen 
das  Gegentheil  bedeutet. 

Ob  nun  diese  zu  dem  Schlüsse  auf  Entlehnung  aus  einer  Liebes- 
lyrik, ja  auf  Entlehnung  überhaupt  berechtigen,  erscheint  mir  mehr 
als  zweifelhaft.  Hat  hier  nicht  bloßer  Zufall  gewaltet,  so  könnte  man 
höchstens  an  eine  im  gewöhnlichen  Leben  gebrauchte  Wendung  denken. 

Recht  aus  der  Umgangssprache  herausgegriffen,  aber  nur  durch- 
aus nicht  auf  Lyrik  zurückzuftlhren,  ist  die  Redensart  mit  ein  heiden^ 
wie  sie  sich  in  den  Versen 


Dietmar  ^) : 


Waltber: 


findet. 


40,  24 


ja  bin  icb   nibt   ein   beiden    [si  sol 

genäde  an  mir  begän]  MF. 

[swelcb    kristen    kristentuomes    gibt 

an  Worten   und  an  werken 

nibt  |]  der  ist  wol  balp  ein 

beiden  W.   7,  13*). 


')  ib.  S.  166.  »)  ib.  S.  1Ö7. 

')  Auf  eine  Stufe   mit  den  übrigen  Versen  läßt  sich  dieser  <lQch  Qicht  stellen, 
denn  in  ihm  ist  das  Wort  heiden  bedeutungsvoller  als  in  jenen. 


ÜBER  1>EN  UKSFRUNG  DEö  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  43 

Weitere  Parallelen  gibt  Haupt  zu  40,  24: 
Gliers:  ja  enbin   ich    ein   beiden  :    [so  be- 

scheiden .  ist  ir  roinnicUcher 

ISp.]  MSH.  1,  lOd»*    (Z.  6) 

Winterstetten :       diu    mich    in    senden    leiden  —  nu 

lange  l&t  als  einen  wilden 

beiden  n      1,   152*    (Z.   8 

T.  u.) 
Stredingen:  si  tet  als  ich  waere  ein  beiden  M8.  1,45^  (Z. 3  v.u.)* 

Der  Vergleich  mit  den  heiden  ist  gewiß  —  wie  ja  auch  in  der 
damaligen  Zeit  der  Ereuzzüge  leicht  erklärlich  —  in  Jedermanns 
Munde  gewesen. 

In  den  beiden  Versen  *) : 
Reinmar:  daz    ist  an   minen   fröiden    mir    ein 

angeslicber  slac  MF.  197,  21 

Walter:  und  waere  an  fröide  ein  angeslicber 

slac  W.   115,  1 

mag  man  wohl  etwas  Auffallendes  an  ihrer  Übereinstimmung  finden. 
Will  man  hier  aber  auf  Entlehnung  (was  bei  so  geringer  Zahl  von 
Versen  nicht  sehr  rathsam  erscheinen  will)  schließen,  so  wäre  man 
doch  viel  eher  berechtigt,  eine  Benutzung  des  Reinmarschen  Verses 
von  Seite  Walthers  anzunehmen,  als  auf  Nichtvorhandenes  zu  fahnden. 

Wenn  die  Redensart  ez  ist  ein  slac  auch  noch  bei 
Dietmar:  es  waere  an  miner  fröide  ein  slac       MF.  40,  33 

sich  findet,  so  ist  dies  nicht  seltsam.  Wendungen  mit  slac  gehören 
zu  den  sehr  gebräuchlichen.  Das  Wort  findet  sich  in  gleicher  Bedeu^ 
tung  in  den  mannigfachsten  Verbindungen  ^) ,  warum  soll  es  nicht  auch 
ein  oder  das  andere  Mal  mit  fröide  verbunden  vorkonunen? 

Die  Gruppe  mit  schtn  tuen  hat  gar  keine  Bedeutung  ^).  Der 
Ausdruck  ist  ganz  verbreitet;  die  Reimübereinstimmung  kann  auch 
nicht  befremden;  denn  —  wie  sich  aus  einigermaßen  sorgfältiger  Be- 
obachtung ergibt  —  wird  bei  Anwendung  zusammengesetzter  Aus- 
drücke in  derselben  Verszeile  gewöhnlich  eines  der  beiden  zusammen- 
gehörigen Glieder  Reimwort;  und  zwar  trifi't  dies,  je  nachdem  wir  es 
mit  einem  Haupt-  oder  Nebensatze  zu  thun  haben,  das  Beiwort  oder 
das  Verbum. 

Werthlos  ist  auch  die  Aufzählung  der  wenigen  Stellen  (5,  davon 
3    bei   Neithart)  mit    wol   im  Ausruft),    umsomehr,    da    es    sich    hier 


*)  ib.  S.  167.  «)  cf.  d.  Mhd.  Wb.  S.  361  ^  ib.  S.  158. 

T  ib.  8.  158. 


44  E-  TH.  WALTER 

nicht  einmal  um  ganze  Verse,  sondern  nur  um  einen  herausgerissenen 
Ausdruck  handelt.  Daß  derartige  Verbindungen  mit  wol^  unpersön- 
liche Sätze,  namentlich  imperativischer  Natur,  vollkommen  zu  dem 
mhd.  Sprachgebrauche  gehören;  daß  ihr  Vorkommen  nicht  viel  anders 
zu  betrachten  ist;  als  das  der  gebräuchlichsten  Interjectionen ,  sollte 
ich  kaum  zu  erwähnen  brauchen.  Ich  führe  die  betreffenden  Stellen 
nur  an,  um  zu  zeigen,  in  welcher  Weise  zuweilen  die  Qruppen 
der  uns  vorliegenden  Sammlung  zu  Stande  kommen: 
GuotenbuTc:  Nu  wol    hin    [(ez    muoz    eht    sin)]  | 

und  Stic  üf,  daz  herze  min]     MF.   70,  19 
Walther:  Nu    wol    dan    [weit   ir  die    wärheit 

schouwen!  |  gen  wir.  .  .  .]       W.   46,  21 
Neithart:  [Diu  muoter  sprach]  "wol  hin!  ver- 

stü  übel  oder  wol,  sich  daz 

ist  din  gewin'*  N.   21,  27 

Bei  dems.:  [Do    spräche   ein   alte  in  ir  geile,  j 

trütgespil,]  wol  dan  mit  mir !     N.  3,  16 
Bei  dems. :  'Wol  dan  mit  mir  |  [zuo  der  linden, 

trütgespil]  7)    10,  32^). 

Die  Gruppe  mit  war  nemen^)  ist  auf  20  Stellen  gebracht,  von 
denen  sieben  auf  Reinmar,  sechs  auf  Walther  und  vier  auf  Neithart 
kommen,  so  daß  die  ganze  Sammlung  nur  den  Werth  von  fiinf  Versen 
besitzt.  Im  Übrigen  gilt  dasselbe ,  was  ich  zuletzt  von  schin  tuon^) 
zu  bemerken  hatte. 

Ebenso  steht  es  mit  der  Stellensammlung  mit  leit^);  sie  schmilzt 
auch  ähnlich  wie  die  vorige  zusammen;  es  sind  angeführt:  Reinmar 
viermal,  Walther  viermal,  Neidhart  fünfmal. 

Auch  folgende  Stellen,    die  alle  das  Sätzchen  ich  wetz  wol   auf- 
weisen, haben  keine  Bedeutung: 
Johansdorf :  [Wie  sich  minne  hebt]  daz  weiz  ich 

wol  MF.  91,  21 

Wolfram:  [••.  diu  sorge  ist  mir  ze  vruo]  ich 

weiz  vil  wol,  [daz  ist  euch     Wolfir.  8,  3 

ime] 
Ps.-Neithart:  ich  weiz  wol,  [und  het  ich  .  .  .]  N.  170,  76 

und  dreimal  bei 
Walther:  [swaz  ir  in  tuet,  daz  rechent  iuwer 

jungen]    daz   weiz   ich  wol 

[und  weiz  noch  mö]  W.  24,  2 

etc. 


^)  Wie  ich  schon  mehrfach  bu  zeigen  bemüht  war,  so  tritt  auch  hier  wieder 
zu  Tage,  daß  gerade  nähere  Übereinstimmangen  meist  nur  bei  demseibeo  Dichter 
sich  finden. 

«)  ib.  8.  168.  »)  oben  S.  43.  ')  ib.  S.  169. 


ObEB  den  UBSBPUNa  DES  HÖPI8CHEN  MIN1IE8ANOE8  etc.  46 

Daß  diese  Verse  auf  Entlehnang  deuteten ,  obendrein  ans  lyri- 
scher Poesie y  läßt  sich  gewiß  nicht  ernstlich  behaupten;  wir  haben 
hier  nur  ein  zufiilliges  Zusammentreffen  auch  sonst  gewiß  gans  ge- 
bräuchlicher Redewendungen,  die  sich  natttrlich  jedem  ungezwungen 
zur  Benutzung  darboten. 

Die  zwölf  Verse,  deren  Übereinstimmung  auf  der  Wendung  daz 
herze  ist  vol  beruht  *),  haben  Air  uns  nur  den  Werth  von  drei  Stellen: 
achtmal  wird  die  Volkslyrik  der  späteren  Zeit  herangezogen,  and 
zweimal  Neithart  angeführt  Daß  die  Ausdrucksweise  selbst  etwas 
Befremdliches,  auf  Entlehnung  Deutendes  haben  sollte,  kann  ich 
schlechterdings  nicht  finden.  Das  herze  als  Sitz  des  Oefdhls,  und 
demgemäß  mit  leit^  fröiden,  trauren,  unmut,  jdmer  angefüllt  zu  denken, 
war  gewiß  eine  sehr  gewöhnliche  Vorstellung. 

Bei  der  Redensart  waz  dar  umbe?^)  was  liegt  daran?  an  Lyrik 
zu  denken,  erscheint  mir  mehr  als  gewagt;  die  Wendung  entstammt 
natürlich  nur  der  Umgangssprache. 

'  Aus  der  folgenden  Gruppe  mit  dem  Reimworte  getdn^)  kommen 
nur  die  drei  ersten  angeführten  Verse  in  Betracht.  Die  übrigen  vier 
erhalten  durch  die  Zufügung  von  wol  eine  so  verschiedene  Bedeutung, 
daß  sie  höchstens  gesondert  berücksichtigt  werden  dürften.  Dies 
jedoch  wäre  unnöthig;  denn  von  den  vier  Stellen  mit  wol  getan  ge- 
hören allein  drei  Walther,  die  vierte  —  mit  guot  statt  wol  —  Neit- 
hart an^). 

Die  Verse  mit  getan  allein  sind: 
Reinmar :  swer  in  6ret  {  unde  im  m^ret  |  fröide,] 

daz  ist  mir  get&n  MF.  200,  13 

Neithart :  [daz  si  dft  mit  ir  gerünent]  deist  min 

angewin]  unde  ist  mir  getan     N.  77,  24 
Walther:  [.  .  .  daz  ich  die  getiuret  h&n  |  und 

mit  lobe  gekroenet  |  diu 
mich  wider  hoenet]  frouwe 
Minne,  daz  si  iu  getftn  W.  40,  26. 

Auch  in  diesen  Stellen  kann  ich  nichts  finden  ^  was  den  Schluß 
auf  einen  zu  Grunde,  liegenden  Originalvers  erlaubte.  Warum  soll  die 
Wendung  nicht  schon  im  gewöhnlichen  Leben  sich  geformt  haben? 

Eine  für  die  ganze  Sammlung  recht  bezeichnende  Zu- 
sammenstellung ist  die  auf  den  beiden  Ausdrücken  tttotu)e  und  tuot 
wol  beruhende  *).  Von  den  15  im  Ganzen  aufgezählten  Versen  fallen 
allein  acht  auf  Walther^  vier  auf  Neidhart^   zwei  auf  Hartmann ,  eine 

")  ib.  S.  159.  «)  ib.  S.  161.  »)  ib.  S.  162.  *)  cf.  oben  S.  80  (3*) 

*)  ib.  S.  162. 


46  B    TH.  WALTER 

auf  Morongen:  wir  haben  also  eigentlich  nur  vier  brauchbare  Stellen 
vor  uns^  und  in  diesen  nichts  als  eine  zweifelsohne  ganz  gewöhnliche 
Redewendung,  die  obendrein  weder  einen  ganzen  Vers  einnimmt  noch 
einen  solchen  mit  einem  regelmäßig  wiederkehrenden  Reimworte  ver- 
siehty  so  daß  wir  nicht  einmal  von  einem  formelhaften  Eindruck 
reden  können. 

Ganz  dasselbe  gilt  von  dem  Gebrauche  der  Wendung  äne  danc  '), 
sie  kann  nur  fttr  neuhochdeutsches  Gefähl  etwas  Befremdliches 
haben:  der  mittelhochdeutschen  Sprache  war  sie  offenbar  ganz  zu 
eigen.  Geltung  haben  fttr  uns  übrigens  von  Vornherein  nicht  die  beiden 
Stellen  aus  der  späteren  Volkslyrik,  so  daß  uns  nur  der  Wert  von 
drei  Parallelen  bleibt  (Neidhart  dreimal  citiert). 


Aus  dem  bisher  Gesagten  wird  wohl  deutlich  und  klar  schon 
die  Natur  der  ganzen  Sammlung  Meyers  zu  Tage  getreten  sein.  Es 
fand  sich  nirgends  auch  nur  eine  Schwierigkeit  bei  dem  Versuche, 
alles  was  uns  als  auffallende  Übereinstimmungen  vorgebracht  war, 
auf  alltäglichen  Wortgebrauch  und  Ausdrucksschatz   zurttckzuftlhren. 

3.  Doch  die  Gruppen  der  Sammlung  haben  wir  erst  zur  Hälfte 
durchlaufen.  Ich  überging  zunächst  noch  diejenigen  Stellen,  in  denen 
die  Übereinstimmungen  einen  etwas  auffallenderen  Eindruck  zu  machen 
schienen ;  insofern  die  den  einzelnen  Versen  gemeinsamen  Worte  oder 
Wendungen  nicht  so  ohne  Weiteres  es  verriethen ,  dem  Sprachschatze 
entnommen  zu  sein ,  sondern  durch  ihren  Gebrauch  in  einer  Liebes- 
lyrik einen  etwas  bestimmteren,  eigenartigeren  Charakter  angenom- 
men hatten. 

Groß  und  häufig  ist  dergleichen  eigenartigeres  Zusammentreffen 
aber  nicht^  jedenfalls  überall  ohne  Bedeutung.  Denn  daß  eine  Liebes- 
poesie sich  an  ihr  eigenes  Lexikon  hält,  ist  doch  nur  natürlich;  und 
daß  Wendungen  und  Worte,  sonst  keineswegs  auffallend,  durch  gleiche 
Verhältnisse  ins  Leben  gerufen,  in  ähnlichen  Zusammenhang  einge- 
fügt einander  ähnlicher  werden  müssen,  wird  wohl  Jedem  einleuchten, 
ohne  daß  ihm  darum  gleich  der  Gedanke  an  die  Nothwendigkeit  einer 
Entlehnung  aus  einer  verloren  gegangenen  Volkslyrik  berechtigt  zu 
sein  scheinen  dürfte. 

Die  folgenden  Gruppen  haben  in  Wirklichkeit  nicht  größeren 
Werth  als  die  oben  bereits  besprochenen. 

')  ib.  S.  162. 


ÜBER  DEN  UB8PRUNO  DES  HÖFISCHEN  MINNESANOES  etc.  47 

Kann  es  bei  einer  Poesie^  die  den  Frauendienst  zum  GegenBtande 
hat,  befremden,  wenn  der  Ansspraeh  einigemal  sieh  findet,  daß  kein 
Weib  dem  Dichter  besser  gefallen  habe,  als  eben  das,  welches  er  be- 
singt; zumal  wenn  der  Gedanke  durchaus  nicht  in  formelhafter  Weise 
zum  Ausdrucke  gelangt? 
So  haben  wir  bei^) 
Meinloh:  [sit  ich  ir  gunde  dienen,  |]  si  geviel 

mir  ie  baz  und  ie  bac  MF.  13,  4 

und   Reinmar:         [got  weia  wol  daz  ich  ir  nie  vergaz  {] 

und  daz  mir  wip  geviel  nie 
baz  7>     174,  36. 

Füge    ich    noch    die   Stelle    hinzu,    wo    der    Dichter    die    Frau 
sprechen  läßt 

Rugge:  [son   sach   ich    nie   deheinen   man  {] 

der  mir  ze  rehte  geviele  ie 
baz  MF.  106,  21 

so  sind  wir  eigentlich  mit  den   Parallelen,    deren  jede    noch    immer 
genug  Individuelles  trägt,  zu  Ende.  Was  Mejer  zufilgt,  enthält  nichts 
Übereinstimmendes  außer  dem  Worte  gevallen.    Der  Vers 
Walthers  :  [so  I&ze  ir  mine  rede  .  . .  .]  ein  wSnic 

baz  gevallen  W.  71,  9 

hat  dem  Sinne  nach  gar  nichts,  der  Form  nach  wenig  (nicht  einmal 
gleiches  Beimwort)  mit  den  oben  angeführten  Stellen  gemein;  ebenso 
steht  es  mit  dem  Verse: 

[min  vrowe  ist  ganzer  tngende  vol,  |] 

ih  weiz  wiez   *ir    gevalle         CB.   103'. 
Die  Worte  der  Tegernseer  Briefschreiberin  sagen  gerade  das  Qegen- 
theil  zu  jenen: 

ich  mohte  dir  deste  wirs  gevalle  MF.   224,  24^ 

Daß  zum  Lobe  der  Frau  gesagt  wird  ^)  an  einer  Stelle : 
[si  ist   ganzer   tugende  ein  adamas] 
und  schöner  ;EÜhte  ist  si  so 
vol,*)  CB.  94%  1 

und  an  einer  zweiten: 

min  vrowe  ist  ganzer  tugende  vol         »     103* 

«)  ib,  8.  133. 

')  Rechte  Übereinstimmung  des  Gedankens  herrscht  eigentlich  auch  unter  den 
ersten  drei  Stellen  nicht;  sie  findet  sich  nur  lo  den  beiden  Versen  Meinlohs,  dem 
obigen  und  dem  folgenden: 

ie  lieber  und  ie  lieber  j  so  ist  si  z  allen  ziten  mir,  j 
ie  schoeuer  und  ie  schoener  |  :  vil  wol  gevallet  si  mir.  | 
»)  ib.  S.  134. 
^)  Für  Yolksthümlich  halte  ich  den  Vers  auch  durchaus  nichL 


48  E.  TH.  WALTER 

und  endlich  mit  gewiß  nicht  der  gleichen  Bedeutung  von 
Walther:  der  herze  ist  ganzer  tugende  vol         W.   115,  15 

wird  doch  wohl  kaum  zur  Annahme  einer  Entlehnung  verführen  können. 
Wenn  ich  die  folgenden  Stellen  mit  twingen  ^)  erst  hier  anf&hre 
und  nicht  schon  in  der  ersten  Abtheilung  behandelt  habe,  so  hat  das 
seinen  Grund  darin  ^  daß  sie  so  ziemlich  ähnlichen  Sinn  haben  und 
dieser  auf  Liebeslyrik  hinweist.  Beweisen  läßt  sich  mit  diesen  Versen 
nichts;  denn  Redensarten  mit  twingen  sind  so  allgemein  gebräuchlich 
in  den  mannigfachsten  Verbindungen  wie  *) :  Kriemhilde  twanc  groz 
jdmer  Nbl.  988,  1;  waz  mich  leides  twinget  MS.  1.  53';  si  twanc  ein  ndt 
Trist.  11896;  Stfrit  twanc  des  durstes  ndt  Nbl.  911,  1  u.  a.  m.,  daß  man 
sich  nicht  wundern  darf,  das  Wort  mit  dem  Subject  minne  anzutreffen^ 
wie  in  den  Versen  *): 

[der  ih  diene  alle  mine  tage  \,]  der 

minne  wil  mich  twingen  CB.   126* 

und  diu  minne  twanch  sere  den  man  n     146 

oder  Veldegge :     [Diu  Minne  twanc  ^  Salomone :  . . . .  ] 

si  twunge  euch  mich  ge- 
waltecliche  MF.  66,  20. 

Formelhaftes  haben   die    drei  Verse  gewiß   nichts   an  sich;    sie 

weisen  nicht  einmal  das  gleiche  Reimwort  auf. 

Die  anderen  Stellen  bringen  nur  das  einzelne  Wort  ohne  sonstige 

Übereinstimmungen  wieder,  so 

Guotenburc:  äne  die  diu  so  betwungen  mich  hat     MF.   79,  3 

und  Husen:  wie  s^re  si  min  herze  twinget  77     45,  20 

mit  wenigstens  noch  ähnlichem  Sinne  sind  endlich 

Dietmar:  [sit    hat    ich    groze    swaere.  |]    be- 

twungen was  daz  herze  min 
[nu  wil  ez  aber  mit  fröiden 
sin]  MF.  40,  15 

Eürenberc :  diu  wil  mich  des  betwingen  [daz  ich 

ir  holt  si]  77      9,  33, 

wo  der  Zusammenhang  im  Grunde  doch  eine  Parallelstellung  mit  den 

obigen  Versen  verbietet. 

Wir    kommen   an    die   Verse   mit    im  herzen  tragen  ^).     ^Einfach 

undenkbar",  sagt  Meyer  *),  „ist  es,  daß  die  Damen  des  zwölften  Jahr- 

hundertSy  die  doch  keine  Molifere'schen  Pr^cieusen  waren,  oder  gar  die 

„eisernen  Ritter"  in  ihrer  Unterhaltung  gesagt  hätten:  in  mmem  herzen 


*)  ib.  S.  138.  163.  167.  169.  «)  ib.  S.  138.  »)  ib.  S.  138. 

*)  ib.  S.  167. 


ÜBEB  DEN  ÜBSPRÜNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  «te.  49 

ich  st  trage  oder  s&ne  mrde  ich  niemer  frd.  Das  ist  nicht  der  Ton  des 
Tagesgesprächs.'  Diese  Bemerkung  ist  in  mehr  als  einer  Beziehung 
nicht  stichhaltig«  Der  Ton  des  Tagesgesprächs?  Natflrlich  ist  er 
das  nicht.  Das  wird  auch  Niemand  behaupten  wollen;  gedichtet  wird 
ja  überhaupt  nicht  im  „Ton  des  Tagesgesprächs^.  Und  mir^  wenn  ich 
leugne,  daß  der  genannte  Vers  aus  einer  verlorenen  Volksliebesljrik 
als  „Baustein '^  entnommen  sei,  wird  es  durchaus  nicht  einfallen  zu 
behaupten,  der  Vers  sei,  so  wie  er  ist,  aus  der  Umgangssprache 
geholt  worden.  Aber:  die  Umgangssprache  hat  offenbar  vielerlei 
Wendungen  mit  tragen  (in  ganz  anderer  Weise  freilich  als  wir  im 
Nbd.)  gehabt;  sie  hat  auch  das  herze  als  Sitz  der  Gefühle  betrachtet; 
die  Ritter  ihrerseits  —  die  „eisernen  Ritter^  haben  doch  Fähigkeit 
und  weiche  Stimmung  zum  Dichten  gehabt,  sie  waren  sogar  zu  Zeiten 
so  wenig  „eisern ^^^  daß  sie  ihre  Lieder  zum  Saitenklange  vortrugen: 
sollten  sie  nicht  vielleicht  doch  einen  Ausdruck  wie  ich  trage  im  herzen 
selbständig  haben  zu  Stande  bringen  können;  oder  sollte  man  Der- 
artiges wirklich  nur  einem  Bauern  zumuthen  dttrfen,  der  das  dann 
freilich  aus  dem  „Stegreife*^  fertig  brachte?  Doch  der  Ausdruck  mag 
immerhin  existiert  haben,  er  wird  es  sogar  ganz  gewiß;  es  ging 
ja  der  ritterlichen  Liebespoesie  genug  Sang  und  Klang  voraus;  die 
Wendung  ist  keine  solche,  daß  sie  nur  in  der  Liebespoesie  sich  hätte 
bilden  kOnnen:  es  handelt  sich  hier  nur  darum,  ob  die  ganzen  Verse 
einen  volksthümlichen  Original vers  vorauszusetzen  zwingen,  und  das 
wird  man  —  glaube  ich  —  aus  ihnen  nicht  schließen  können.  Ich 
führe  die  Verse  auf: 

[der   minne   wil  mich  twingen :]   in 

mime  herzen   ich  si  trage,     OB.  126^ 
R.  Heinrich:  Sit   daz   ich  si    [sd  gar   herselichen 

minne  |   und   si   ftne   wanc 
zallen  ztten]  trage  beide  in 
herzen  und  onch  in  sinne,     MF.  5,  30 
Fems:  daz   si  mich    hiez   in    deme   herzen 

tragen  |   [diu  mir  wol  mac 
min  leit  ze  vröuden  k^ren]        n     81,  38 
Reinmar :  sit  ichs  [ftne  ir  danc]  in  minem  her- 

zen trage  n      171,  27 

und  bei  demselben ') : 


*)  Ich  föhre  die  Stelle  nnr  an,  weil  sie  Zeugniß  daron  ablegt,  dzß  der  Ge- 
branch  des  Ausdrucks  jedesfalls  keiner  gedankenlosen  Entlebnung  lUBUSohreiben  ist, 
▼ielmehr  ein  liebevoUes  Ausspinnen  einer  offenbar  geläufigen  VorsteUnng  von  Seiten 
eines  ^eisernen"  Kitters  seigt. 

GEKMANIA.    Men«  Bailie  XXII.  (XXXIY.)  Jftbrg.  4 


50  E.  TEL  WALTJSB 

[si  gie  mir  alse  sanfte  dar  min  ougen»  | 

daz  si  sich  in  der  enge  niene 

stiez]    in  minem   herzen  si 

sich  nider  liez  :  dft  trage  ich 

noch  die  werden  inne  tougen  MF.  194,24 — 25'). 
Wo  ist  in  diesen  Versen  Formelhaftes?  Wo  ein  Zeichen  von 
dem  Zugrundeiiegen  eines  bestimmten  Verses?  Nur  die  Redensart 
im  herzen  tragen  haben  sie  gemeinsam ;  und  da  wir  es  mit  Liebespoesie 
zu  thun  haben,  tritt  natürlich  in  ein  paar  Stellen  als  Object  auch 
einmal  die  minne  oder  die  frouwe  ein;  andere  Verbindungen  mit  tragen 
sind  übrigens  auch  vorhanden*). 

Es  folgt  eine  Gruppe  mit  Übereinstimmung  in  der  Anwendung 
des  Wortes  gedinge  ^ : 

[möhte  mir  an  ir  gelingen,  | ] 

noh  lebe  ich  des  gedingen     CB.   126^ 
Rietenburc :  [Din  nahtegal  ist  gesweiget  j ] 

doch    tnot  mir  sanfte  guot 

gedinge  [den  ich  von  einer 

frowen  h&n]  MF.   18,  20 

Gnotenburc:  [Swiech    mich    erhol,]    der    gedinge 

tuet  mir  wol,  [Daz  ich  wol 

weiz  . . .]  T)     76,  35 

Walther:  doch  tuot  mir  der  gedinge  wol  [der 

wile,  den  ich  hän ,    deichz 

noch  erwerben  sol]  W.  92,  7 

Beinmar:  [guot    gedinge    üz    lönes    rehte    nie 

gebrach.]  des  habe  ich  hin 

zir  hulden  ie  gedinge  MF.  189,  39. 

Über  diese  Zusammenstellung  gilt  genau  dasselbe,  was  ich  über 
die  vorige  bemerkte.  Meyer  jedoch  legt  offenbar  besonderes  Gewicht 
auf  sie,  denn  er  greift  sie  zum  Beweise  seiner  Ansicht  als  Beispiel 
heraus.  „Sicher  sagte  man  auch  in  Prosa  einmal  'diese  Hoffnung 
thut  mir  wohl'",  bemerkt  er*),  „aber  wenn  Guotenburc  und  Walther, 
die  weder  in  der  Art  noch  in  der  Form  der  Dichtung  viel]  gemein 
haben,  diese  Phrase  beide  anwandten  —  wie  kam  da  fast  genau  der- 
selbe Vers  heraus?    Lag   aber   beiden   derselbe  Vers  schon   vor,    so 

^)  seneliche  swaere  tragen  ...  in  dem  herzen  MF.  12,  6 

bestätigt  mir  das  oben  über  tragen  Gesagte. 

«)  cf.  oben  S.  36. 

")  ib.  S.  188. 

*)  ib.  S.  167.  Natürlich  sagte  man  mbd.  nicht  so,  sondern  der  gedinge  tuol 
mir  wol;  das  meinte  Meyer  doch  wohl  auch;  wie  kommt  er  dann  aber  dasu,  ein 
paar  Zeilen  weiter  unten  genan  das  Gegentheil  sn  behaupten,  indem  er  die  Aus- 
drucksform  der  gedinge  tuot  ir  wol  recht  wenig  wahrscheinlich  ftlr  die  Prosa  nennt. 


Ober  den  ursprunq  des  höfischen  Minnesanges  etc.       51 

erklärt  das  Bedfirfniß  des  Liedes  aUerdings  leicht  die  geringe  Modi- 
fication.'' 

Ich  möchte  der  Frage  Meyers  mit  einer  Frage  meinerseits  ant- 
worten: wenn  Walther  den  Gedanken  „diese  Hoffnnng  thut  mir  wohP, 
der  doch  an  sich  nichts  Seltsames  hat,  zum  Ausdruck  bringen  wollte; 
wenn  ihm  seine  Sprache  die  Wendung  wöl  tuan  und  das  Wort  gedinge 
dazu  bot,  wenn  endlich  der  Bau  seiner  Strophe  einen  vierhebigen 
Vers  verlangte:  wie  hätte  er  dann  wohl  mit  aller  Mühe  es  fertig 
bringen  sollen,  einen  von  Guotenburc  mehr  abweichenden  Vers  zu 
liefern,  als  er  es  gethan  hat? 

Er  wundert  sich  dann  darüber,  daß  man  ihm  zumuthen  könnte, 
^enen  einfachen  Gedanken  ganz  allgemein  etwa  in  der  Form  der  ge- 
dinge tuot  mir  wol^  wie  einen  regelmäßigen  Vers  von  vier  Hebungen 
ansehen^  zu  sollen.  Dabei  vergißt  er  aber  ganz,  daß  man,  sobald 
man  nicht,  wie  er,  aus  einem  verlorenen  Liede  die  Verse  in  fester 
Gestalt  übernommen  glaubt,  nie  an  eine  Entlehnung  ganzer  Sätze 
aus  der  Umgangssprache  denkt,  sondern  nur  an  die  Benutzung  der 
der  gewöhnlichen  Rede  eigenen  Worte  und  Phrasen;  daß  man  die 
Gestaltung  dieser  aber  ebenso  gut  dem  dichtenden  Ritter  überläßt, 
wie  es  Meyer  doch  jedenfalls  bei  dem  „Stegreif  dichtenden^  Bauern 
thut;  denn  woher  sollten  denn  diese  ihre  Verse  sonst  haben? 

Ebenso  steht  es  mit  den  folgenden  Versen  '): 
Mir  ist  ein  wip  s^re  in  min  gemüte 

chomen  OB.   127^ 

Dietmar :  der  ist  mir  ftne  mkze  komen  in  mtnen 

Staaten  mnot,  MF.  39,  5  *) 

Monmgen:  wie  waere  si  mir  danne  also  ze  her- 

zen komen?  n      124,  34^ 

Reinmar:  mirst  komen  an  daz  berze  min  |  ein 

wlp  n     157,  15. 

Dabei  herrscht  weder  Übereinstimmung  im  Reimwort  noch  genau 
im  Ausdruck;  nur  das  Wort  komen  und  der  Sinn  der  Stellen  treffen 
zusammen. 

Im  Folgenden  greife  ich  zwei  Gruppen  zusammen,  da  Meyer 
in  der  ersten  auf  den  Vers  an  der  Spitze  der  zweiten  hinweist  *). 


»)  ib.  8.  138. 

')  Die  andere  Stelle  lantet: 

der  an  mtn  berze  ist  nftbe  komen  MF.  36,  29. 

3)  Die  andere  Stelle: 

dem  ein  wip  so  n&hen  an  sSn  herze  g%         n    138,  6. 
')  S.  138  nnd  141. 

4* 


52  E-  TH.  WALTER 

[Solde  ich  nach  dem  willen  min  diu 
zit  geleben]  daz  ih  ir  ge- 
lege  bi!  CB.  127' 

Namenl.  L. :  so  so  gfietliche  diu  guote  bi  mir  lit.     MF.  4,  20  ^) 

Neithart:  si  getno    mich    sorgen    vri]    der  ich 

gerne  laege  bi  N.  52,  32 

Meinloh:  [na    wixzen    algeliche  |  daz  ich  sin 

frinndinne  |bin;j    kae  nfthe 
bi  gelegen  MF.  13,  22*) 

Regensbnrc:  [swenn  ich  daran  gedenke  |]  daz  ich 

80  güetlichen  lac  |  [verholne 
an  sinem  arme  r»      17,  3 

Namenl*  L. :  daz     din    könegin     von    Engellant  { 

laege  an  minen  armen  »     3,  10 — 11 

Beinmar:  [Diu  wile  schöne  mir  zergat]  swenn 

er  an  minem  arme  lit  jt     203,  18 

Wolfram :  [Den    morgenblic  ....  erkos    |    ein 

frone,]    da  si  tongen  an  ir 
werden  friundes  arme  lac       Wolfr.  3,  3 
Neithart:  daz  diu  gnote  an  minem  arme  niht 

enlit  N.   78,  19*). 

Daß  in  einer  Poesie,  wie  sie  der  höfische  Minnesang  ist,  Stellen 
wie  die  beigebrachten  in  größerer  Zahl  sich  aufzählen  lassen;  daß  der 
darin  enthaltene  Gedanke  wiederkehrt  —  liegt  gerade  in  dem  Wesen 
des  höfischen  Minnesanges  begründet;  doch  davon  ganz  abgesehen 
bieten  die  Verse  durchaus  nichts  Formelhaftes;  es  ist  immer  wieder 
nur  der  Gedanke  und  mit  ihm  der  nicht  gut  zu  umgehende  gleiche 
Ausdruck,  nie  aber  der  ganze  Vers,  was  uns  entgegentritt,  nicht 
einmal  das  Reim  wort  ist  gewahrt. 

Nur  auf  das  gemeinsame  bi  in  Verbindung  mit  wesen  grtlndet 
sich  die  Zusammenstellung  der  folgenden  Stellen^),  und  zwar  kommt 
ein  doppelter  Gedanke  zum  Ausdruck,  in  den  einen  Versen:  das  treue 
Gedenken  an  die  Geliebte;  in  den  andern  das  örtliche  Beisammen- 
sein.    Im  ersteren  Sinne 

Namenl.  L. :  im  waer  min  staetez  herze  ie  nähe  bi     MF.  4,  25 

Bngge:  min  herze  ist  ir  mit  triuwen  bi  n     110,  23 


>)  Der  miteitierte  Vers  MF.  4,  25 

im  waer  m!n  staetez  herze  ie  n&he  bi 
paßt  doch  wohl  kanm  hierher. 

')  Die  bisher  angeführten  Stellen  sind  ib.  S.  138  verzeichnet.  Der  andere  Vers 
Meinlohs:  [frd   enwirt  er  nimmer,  |  ]d  er  an  dinem 

arme  |  so  rehte  güetliche  gelit  MF.  14,  IS 

•)  ib.  S.  141. 
*)  ib.  S.  141—142. 


ÜBER  DEN  UBSPBUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  53 

Walther:  [Er  saelic  man^    si  saelic  wip]   der 

herze  einander  sint  mit  triu- 
wen  bi  W*  95,  38. 

Ich  kann  mich  nicht  zu  der  Überzeugung  bringen,  daß  es  etwas 
Auffallendes  wäre^  wenn  in  einer  ausgesprochenen  Liebespoesie  drei 
mal  der  gleiche  und  zwar  dieser  gleiche  Gredanke  auch  in  ähnlicher 
Form  zum  Ausdruck  gelangt. 

Ebenso  halte  ich  doch  gewiß  nicht  mit  Unrecht  den  Wunsch^ 
bei  der  Geliebten  zu  sein,  für  so  natürlich,  daß  es  viel  eher  befrem- 
den dürfte,  wenn  man  ihn  vergeblich  suchen  müßte.  Daß  die  Verse 
nähere  Übereinstimmung  nicht  haben,  zeigt  ein  einziger  Blick  auf  die 
folgenden  Reihen: 

Dietmar:  dar  zuo  waere  ich  dir  vil  gerne  bi     MF.   37,  1 

Guotenburc:  ich  solde  ir  ofte  wesen  bi  [waer  ez 

an  mime  heile]  n     74,  19 

Morungen:  [hei    wan    solt    ich  ir  noch    so   ge- 

vangen    sin  |]    daz    si    mir 
mit  triuwen  waere  bi  [gan- 
zer tage  dri] 
Bei  dems. :  [waeren  nur  die  hüetaere  algemeine  | 

tonp  und  blint,]  swenn  ich 
ir  waere  bi,  n      181,  28 

Neithart:  [geto erste  ich]  ja  waer  ich  ir  zallen 

ziten  gerne  bi  K.  46,  13 

Bei  dems.'  [herzekünegin]    ich  was    dir   ie  mit 

triuwen  bi  n    66,  26. 

Wenig  hierzu  passen  die  beiden  folgenden  Verse: 
Rute:  [ich  enmac  |  niht  geruowen]  ich  en- 

kome  ir  nähe  bi  [so  daz  ich 
ir  gesagen  müeze  waz  min 
Wille  si]  MF.  117,  10 

und  Reinmar:        [och   weste    ich   gerne  ....  |  ob  er 

iht  pflaege  wunneclicher 
staete]  diu  sol  im  rehte 
wesen  bi.  »     153,  20. 

Über  die  zwölf  Parallelen  mit  gemeinschaftlichem  hoU  brauche 
ich  wohl  nicht  weitere  Worte  zu  verlieren  ^).  Die  Versicherung,  daß 
Eins  das  Andere  liebe,  ihm  gut  sei,  liegt  doch  für  eine  Liebeslyrik 
so  nahe,  daß  ihr  häufigeres  Vorkommen  für  eine  Entlehnung  in  keiner 
Weise  sprechen  kann.  Wenn  dazu  noch  Verse,  wie 
Walther:  Ich  bin  dem  Bogenaere  holt  W.  80,  27 

angeführt  werden,  so  kann  das  wirklich  nur  komisch  berühren. 

*)  ib.  S.  142. 


54  E.  TH.  WALTER 

Die  Sammlung,  an  deren  Spitze  der  Vers  MF.  6,  13  sd  muoz 
sin  wille  an  mir  ergdn  steht  ^)y  bietet  ein  recht  buntes  Durcheinander, 
aus  dem  einen  zu  Grunde  liegenden  Originalvers  doch  wohl  kaum  einer 
so  leicht  möchte  herausklügeln  können. 

Die  ersten  acht  Stellen  (=  sechs ,  Dietmar  und  Meinloh  sind 
je  zweimal  vertreten)  haben  wenigstens  ungefähr  ähnlichen  Grund- 
gedanken, die  Form  ist  überall  gründlich  verschieden,  bald  heißt  es 
wille  ergdn,  bald  vnlle  getan;  die  Reim  Wörter  wechseln,  man  fühlt  deut- 
lich, daß  es  nur  die  gemeinsame  Anschauung  ist,  die  überall  zu 
Grunde  liegt  —  und  diese  Anschauung  ist  offenbar  in  der  Weise,  wie 
sie  sich  im  Zusammenhange  gibt,  höfisch  conventionell.  Doch 
gleichviel,  ob  dem  so  sein  mag  oder  nicht,  auf  geformte  Verse  lassen 
diese  Stellen  nicht  schließen,  dazu  bieten  sie  äußerlich  zu  wenig  Über- 
einstimmung. 

Zu  diesen  dem  Liebesverkehre  eigenen  Versen  eine  Stelle  wie 
die  folgende 

Walthers :j  [daz  man  da  ze  himel]  ir  willen  tuot     W.  78,  36 

hinzuzufügen    (es    ist   die  Rede    von   der   Jungfrau  Maria)    erscheint 
mindestens  recht  seltsam,  vielleicht  liegt  ein  Versehen  vor. 

Ebenso  befremdlich  ist^die  Heranziehung  der  Stelle: 
Walther:  [Herzoge  uz  Osterricbe,]    ez    ist  in 

wol  ergangen  W.   28,  11; 

sowie  der  übrigen  Stellen  mit  ergangen  überhaupt,  von  denen  ich  nur 

noch  erwähne: 

Neithart:  [nü  sage   mir,    liebez   tohterlin]    ist 

anders  iht  ergangen?  N.  17,  28. 

Die  übrigen    fünf  Stellen  sind   der  späteren  Volksljrik    entnommen, 
somit  für  uns  ohne  Bedeutung. 

Daß  das  Epitheton  saelic  bei  man  und  vnp  viel  gebräuchlich  war, 
zeigen  die  mit  diesen  Verbindungen  versehenen  Verse  gewiß,  weiter 
aber  auch  nichts«  Ich  fahre  von  den  dreizehn  Stellen  (von  denen 
übrigens  sechs,  schon  genannten  Dichtern  zugehörige,  in  Wegfall 
kommen)  einige  auf): 
Husen:  Wol  ir,  si  ist  ein  saelic  wtp  |  [diu 

von  sender  arebeit  nie 

leit  gewan]  MF.  54,  1 

Veldegge :  [Swer   zer  minne  ist  so  fruot  |  . . . .  ] 

wol  im,  derst  ein  saelic  man       n     61,  36 
Johansdorf :  Wol  si  saelic  wip  [diu  mit  ir  wibes 

güete  daz  gemachen  kan]  n     95,  6 

')  ib.  S.  143.  ')  ib.  S.  144. 


ÜBER  DEN  UBSPHUNO  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc. 


55 


Reinmar : 
Walther  : 
Hartman : 


Neithart: 


MF.  109,  33 
n      153,  16 
W.  46,  84 


MF.  207,  10 
N.  89,  21. 


Bagge:  und  wirde  ich  noch  bö  saelic  man, 

[daz  sich  min  leit  verendet] 
er  saelic  man,  [dA  fröit  er  sich] 
er  saelic  man,  [der  iuwer  Idre  hit] 
[swer  seihen  strit  |  . .  • .  verlftsen 
künde  | .  •  •  •  ]  der  waere  ein 
saelic  man 
waer  ich  saelic  man 
Ich  habe  die  übereinstimmendsten  Verse  ausgewählt;  doch  zeigen 
sie  alle  nur  Übereinstimmung  in  der  einfachen  Wendung  saelic  mp 
saelic  man;  auf  Entlehnung  von  ganzen  Versen  wird  der  Schluß  über- 
haupt nicht  ermöglicht.  Formelhaft  ist  die  Verbindung  jedoch  ganz 
gewiß,  auch  glaube  ich  keinesfalls,  die  Formel  werde  sich  so  in  der 
Umgangssprache  gebildet  haben:  vielmehr  schreibe  ich  sie  —  wenn 
überhaupt  dies  nöthig  sein  sollte  —  der  höfischen  Poesie  in  ihrer 
Conventionellen  Art  zu. 

Es  folgen  Stellen  mit  sehen  ^): 


Namenl.  L.: 


[Ein  winken  und  ein  umbe  sehen 
wart  mir]  do  ich  si  nähest 
sach. 
[ . . .  man  in  waz  wir  redeten,  ]    dö 

ich  in  ze  jungest  sach. 
do  du  mich   erst  saehe,    [dö  dühte 

ich  dich  zewftre  . . .  ] 
[euch   sol  si  min    vergessen    niet,  | 
wiech   von   ir   schiet]    und 
ich  si  jungest  ane  sach 
[sist  noch  hiute  vor  den  ougen  min 
als  si  was  do  |  dö  si  minnec- 
licfae  mir  zuo  sprach  {]  und 
ich  si  an  sach« 
[Min  ougen  wurden  liebes  also  volj 
dö  ich  die  minneclichen  erst 
gesach 

Außer  in  den  beiden  Versen  von  Husen  und  Morungen  beruht 
die  Übereinstimmung  einzig  auf  dem  Verbum  sehen]  der  Zusammen- 
hang ist  überall  anders,  so  auch  bei  den  beiden  eben  ausgeschlosse- 
nen Stellen,  die  statt  sehen  die  Zusammensetzung  an  sehen  aufweisen. 
Daß  so  oft  von  dem  sehen,  von  dem  an  sehen  die  Rede  ist,  erklärt 
sich  wohl  leicht  aus  der  Natur  der  Liebeslyrik. 

Auch  bei  den  Versen :  *) 
Meinloh :  frd  enwirt  er  nimmer  [e  er  an  dinem 

arme  gelit]  MF.  14,  11 


Kürenberc : 


Dietmar : 


Hasen : 


Morungen : 


Beinmar : 


MF.  6,  21 

n  7,  9 

j)  37,  26 

n  43,  25 

7>  132,  33 

n  194,  19. 


»)  ib.  S.  144. 


')  ib.  8.  146. 


66  E.  TH.  WALTER 

Johansdorf:  [verlöre  ich  minen  Munt]   seht,    sd 

wurde  ich  niemer  m^re  irö     MF.  91,  35 
Beinmar:  [Läze]   ich    minen    dienest 

80,  . .]  BÖne  wirde  ich  nie- 
mer fro 
Walther:  [ja  enwirde    ich    niemer    rehte  firö :        n      171,34 

[mines  herzen  tiefin  wnnde.]  W.  74,  13 
erscheint  mir  der  ganze  Gedanke  viel  zu  selbstverständlich,  als  daß 
ich  an  Entlehnung  aus  einer  früheren  Volksljrik  zu  denken  mich 
gezwungen  sehen  könnte.  Daß  die  Verse  natürlich  nicht  den  „Ton 
des  Tagesgesprächs^,  wie  Meyer  meint,  darbieten  sollen,  liegt  auf 
der  Hand.  Ich  wiederhole,  was  ich  schon  oben  sagte:  den  gemein- 
samen Gedanken  mußten  sie  wohl  haben,  da  gleicher  Gegenstand  sie 
beschäftigte;  sehr  viel  verschiedene  Ausdrücke  bot  die  Sprache  ihnen 
nicht:  was  Wunder  also,  wenn  Anklänge  oder  größere  Übereinstim- 
mungen zu  Tage  traten? 

Die  paar  folgenden  Stellen  mit  andern  man  etc.  ')  verdienen 
weiter  gar  keine  Beachtung;  die  Übereinstimmung  beruht  ofifenbar 
nur  auf  einem  zufälligen  Zusammentreffen;  man  sieht  dies  gleich, 
wenn  man  die  Verse  im  Zusammenhange  betrachtet. 

Was  hat  das  an  einen  andern  man  in  den  Zeilen: 
Kürenberc:  sd  du  sehest  mich,  |  so  lä  du  diniu 

ougen   g^n  |]    an   einen 
andern  man.  [son  weiz  doch 
lützel  ieman  |  wiez  undr  uns 
zwein  ist  getan]  MF.   10,  6 

mit  dem  entsprechenden  Ausdrucke  bei 
Meinloh :  [mir  r&tent  mine  sinne]  an  deheinen 

andern  man  rt     13^  26. 

zu  thun? 

Was  mit  den  eben  genannten  die  folgenden  Verse  verknüpft,  ist 
wiederum  nur  der  ähnliche  Sinn: 
Guotenbnrc:  [deich  niemer  md  die   sinne  |  noch 

minen  11p  bekere]  an  dehein 
ander  wip  MF.   76,  33 

Horheim:  [Si  darf  des    niht   denken   daz   ich 

minen  muot  iemer  bekere] 
an  dehein  ander  wip  n     113,  13. 

Die  Übereinstimmung  erscheint  leicht  genug,  da  wir  es  eben 
mit  einer  Poesie  zu  thun  haben,  die  immer  und  immer  wieder  um 
denselben  Gegenstand  sich  dreht,  und  zwar  in  um  so  engerem  Kreise, 

')  ib.  S.  146. 


OB£fi  DEN  UB8PBUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  57 

als  es  sich  um  einen  Gegenstand   handelt,    den  die  Mode  mit  ihren 
Schranken  nmgeben  hatte. 

Die  folgende  Gruppe  ^)  bietet  uns  als  Grund  für  ihre  Zusammen- 
stellung nur  das  Vorkommen  des  Verbums  gedenken  in  den  ihr  ange- 
hörigen  Versen:  zu  der  einfachen  Wortfibereinstimmung  tritt  nichts 
sonst  hinzu  y  was  uns  bewegen  könnte  an  Entlehnung  zu  denken. 
Die  Gruppe  ist  werthlos. 

Nicht  mehr  Bedeutung  dürfen  wir  dem  Umstände  beilegen,  daß 
in  einigen  Versen  flbereinstimmend  der  Gedanke,  daß  der  Dichter 
seine  Geliebte  lieber  als  alle  andern  Frauen  habe,  Ausdruck  gefunden 
hat  ■).  Solche  Gedanken ,  solche  Versicherungen  werden  wohl  jedem 
einmal  in  Sinn  und  Mund  gekommen  sein;  nicht  daß  nur  einer  sie 
gehabt  haben  könnte  oder  gar  keiner,  und  sie  alle  aus  alten  Versen 
hätten  schöpfen  müssen.  Die  Form  ist  in  jedem  Verse  eine  verschiedene. 
Kürenberc:  [in  weiz  wiech  ir  gevslle   mir  wart 

nie  wip  also  liep  MF.  10,  16 

Husen :  [er  hat   gesprochen  dicke  wol ,    ich 

solto  im  6in]  immer  liep  für 
alliu  wip  7)     54^  34 

Reinmar:  Wart  ie  manne  ein  wip  so  liep  [als 

si  mir  ist,  so  müez  ich  ver- 
teilet sin]  71     178,  27') 
Ps.-Veldegge:        [ir  vil   minneclicher   lip]    der   liebet 

mir  für  elliu  wip.  n     261,  8. 

Die  Gruppe,  deren  Verse  den  Ausdruck  aU  der  lip  zur  Bezeich- 
nung des  höchsten  Grades  von  Liebe  enthalten,  führe  ich  erst  hier 
auf  [ich  hätte  sie  schon  bei  Gelegenheit  des  vorigen  Abschnittes  bringen 
können],  weil  vielleicht  der  überschwänglichen  Liebespoesie  ein  sol- 
cher Vergleich  am  nächsten  liegt  *).  Daß  der  Gebrauch  der  Wendung 
nicht  auf  eine  verlorene  Volksdichtung  zurückzufahren,  vielmehr  sprich- 
wörtlich geformt  schon  lange  der  Zunge  eines  jeden  herzlich  Beteuern- 
den geläufig  gewesen  sei:  dessen  wird  man  wohl  gewiß  sein  dürfen. 
Daß  zu  Versen  wie  diu  mir  ist  ah  der  Ivp  (und  ungefähr  so 
lauten  die  übrigen  alle)  die  Stelle 
fieinmar:  [ein   ritter   minen  willen   tuet]    der 

hat  geliebet  mir  den  lip         MF.  203,  13 
herzlich  wenig  paßt,  leuchtet  wohl  auf  den  ersten  Blick  ein;  dennoch 


»)  ib.  S.  146.  ')  ib.  S.  146. 

')  Die  andere  Stelle: 

daz  8i  mir  lieber  si,  den  elliu  wip  MF.  197,  4. 

')  ib.  8.  147. 


58  E.  TH.  WALTER 

fbgt  sie  Meyer  bei^  sollte  ihn  wirklich  das  Wort  Itp  allein  dazu  ver- 
führt haben? 

Es  schließen  sich  an  die  Verse :  ^) 
Meioloh:  [so    muoz  er  under    wilen]    senelihe    ^ 

swaere    tragen    |    verholne 

in  dem  herzen  MF.   12,  6  —  7 

Dietmar:  [sit  mich    der    allerbeste    man]    ver- 

-^  holn  in  sime  herzen  minne        n     38,  8 

Neithart^  [daz  ist  mines  lieben  herzen  swaere] 

der   ich    tougenliche  vil  in 

minem  herzen  trage  N.  94,  16. 

Vers  für  Vers  finden  wir  anderen  Sinn,  anderen  Ausdruck,  anderes 
Reim  wort;  das  einzige  Gemeinschaftliche  ist  der  Gedanke,  daß  etwas 
im  Herzen  verborgen  ruht  oder  geschieht.  Eine  Entlehnung  ist  ganz 
undenkbar. 

In  den  Stellen  mit  gähen,  vergähen  und  gäch  ^)  sind  außer  diesen 
Wörtern  weder  formelle  noch  inhaltliche  Übereinstimmungen  vorhan- 
den.    Die  Gruppe  hat  für  uns  keine  Bedeutung. 

Von  den  folgenden  Versen  ^)  sind  zunächst  drei,  welche  der 
Volkslyrik  angehören,  auszuschließen;  die  übrigen  sieben  schrumpfen 
auf  vier  zusammen,  da  Neithart  dreimal,  Fenis  zweimal  citiert  ist. 
Ich  greife  von  diesen  diejenigen  Stellen  heraus,  die  sich  am  meisten 
entsprechen : 
Meinloh:  dft  ist  gnuogen  ane  gelungen,    [die 

daz  selbe  hftnt  get&n] 
Fenis:  [yil  lihte  gefiröuwent  si  die  liehten 

tage,]  den  d&  vor  ist  n&ch 

ir  willen  gelungen. 
Morungen:  deswär    mim   ist  nach    werde    niht 

gelungen 
Neithart:  [.  .  .  nüne  lät  |  jener  Irenber  {]  mir 

niht  wol  an  ir  gelingen 
Was  bei  allen  diesen  Versen  übereinstimmend  zu  Grunde  liegt, 
ist  der  Gedanke:  Glück  bei  der  Frau.  Dieser  Gedanke  aber  — 
ohnedies  höchst  natürlich  in  Anbetracht  des  Vorstellungskreises,  in 
dem  wir  uns  bewegen  —  findet  seinen  Ausdruck  vom  verschiedensten 
Standpunkte  aus  und  im  mannigfaltigsten  Zusammenhange,  so  daß 
an  einen  Originalvers,  der  nachgeahmt  sein  könnte,  von  Vornherein 
gar  nicht  zu  denken  ist.  Das  Wort  gelingen  in  dem  hier  angewandten 
Sinne  ist  unzweifelhaft  schon  in  der  Umgangssprache  gebraucht 
gewesen. 

«)  ib.  S.  147.  ^  ib.  S.  147— 148.  »)  ib.  S.  148. 


MF 

.  12, 

25 

7) 

88, 

30 

T) 

186 

,22 

% 

100, 

28. 

ÜBEK  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  59 

Nor  der  gemeinschaftliche,  aus  dem  Wesen  der  uns  vorliegenden 
Poesie  ganz  ungezwungen  sich  ergebende  Qedanke:    ich  bin  traurig 
—  nur  die  Greliebte  kann  mich  trösten,  findet  sich  in  seinem  zweiten 
Theile  als  Übereinstimmung  in  den  Versen :  ^) 
Meinloh :  [ich   trure   mit  gedanken  :   |  niemen 

kan  erwenden  daz,]  ez  tue 
ein  edeliu  frouwe  MF.  12,  31 

Regenshurc:      '     [des  ist  min  herze  wunt  J   ez  heile 

mir  ein  frowe  mit  ir  minne       »     16^  21 
Husen:  [Wer    möhte   mir   den    muot    |    ge- 

troesten,]   wan  ein  schoene 
frouwe  n     49,  30. 

Wie  sollte  man  hier  auf  einen  zu  Grunde  liegenden  Vers,  der 
nachgeahmt  worden  wäre,   denken? 

Über  die  Gruppe  mit  sehen  oder  besser  mit  min  ouge  oder  mine 
ougen,  siht  oder  sehen  oder  fthnlich  ")  verweise  ich  auf  das  schon  oben 
bei  demselben  Verbum  Gesagte  ^.  Der  Zusatz  von  ouge  ändert  nichts 
an  der  Bedeutungslosigkeit  der  Übereinstimmung;  dergleichen  weist 
doch  nimmermehr  auf  Liebeslyrik  hin. 

Was  ich  oben  von  manchen  Versgruppen  schon  bemerkte*),  gilt 
auch  bei  der  folgenden :  *) 

Meinloh :  stürbe  ich  nach  ir  minne  [und  wurde 

ich  danne  lebende,  so  würbe 
ich  aber  umb  daz  wip]  MF.  13,  11 

Wolfram:  ich  stirb,  mir  werde  ir  minne  Wolfr.  10,  8 

Neithart:  nÄch  siner  minne  bin  ich  tot  N.  3,  13. 

Die  formelle  Verschiedenheit  der  Verse  liegt  auf  der  Hand;  nur 
die  Vorstellung  ist  dieselbe. 

Über  die  Verse  mit  nähe  ligen  etc.  *)  gilt,  was  ich  ttber  den  ent- 
sprechenden Ausdruck  schon  frtther  zu  sagen  hatte '').  Die  Reim- 
wörter wechseln  obendrein  mehrfach,  und  von  den  elf  Stellen  werden 
sechs  aus  den  schon  mehrfach  angegebenen  Grtlnden  untauglich. 

Für  den  Gebrauch  des  Ausdrucks  herze  wunt  ^)  wird  man  wohl 
kaum  einen  andern  Ursprung  als  die  Sprache  nöthig  haben;  daß  er 
sich  so  oft  findet,  liegt  in  der  Natur  der  Sache. 

In  den  Stellen  mit  miden  haben  wir  nur  Wortentsprechung '). 
Der  Zusammenhang  ist  immer  ein  anderer,  wie  aus  der  folgenden 
Auswahl  ")  ersichtlich  ist: 


')  ib.  S.  US.  ')  oben  S.  68  u.  ö.  ')  oben  S.  62. 

»)  ib.  S.  148.  »)  ib.  S.  149.  ")  ib.  8.  161. 

»)  oben  S.  66.  •)  ib.  S.  149.  »)  ib.  S.  161—162. 

'*)  Fortgelassen  sind  je  zwei  Stellen  Dietmars  und  Reinmars. 


60 

E.  TH.  WALTER 

Begensburc : 

Nu   heizent   si  mich   miden   |  einen 

ritter. 

MF. 

16,  23 

Dietmar : 

Si  wellent  daz  ich  mide  [den  besten 

friunt,   den  ieman  hat] 

n 

36,  8 

Walther: 

[..:   swenn  ich  si  solte  sehen,]    so 

muoz  ich  si  miden 

W. 

98,  21 

Beinmar : 

[mir  waere  |  lip  und  guot  unmaere] 

het  ich  si  vermiten 

MF. 

1.79,  20 

Eugge: 

[nu  wil  ich  trüren  iemerme]  die  wile 

ich  si  vermiden  muoz 

77 

108,  2. 

Die  Wendung  gerne  sehen  liefert  eine  bedeutende  Gruppe  ^).  Daß 
sie  zu  den  geläufigsten  Redensarten  gehört  haben  wird  und  somit  gar 
kein  Recht  zur  Annahme  einer  Versentlehnung  giebt,  zumal  weitere 
Übereinstimmungen  nicht  hinzutreten,  leuchtet  ein.  Ihr  Vorkommen 
überhaupt  ist  für  eine  Liebeslyrik  besonders  wenig  auffallend  *). 

Vollkommen  verfehlt  ist  die  Sammlung  der  Stellen  mit^ro  ^). 
Ganz  abgesehen  von  der  Hinfälligkeit  der  Übereinstimmung  —  sie 
hängt  nur  an  dem  einzigen  Wörtchen  frd  —  schrumpft  die  große 
Zahl  von  Versen ;  es  sind  einundzwanzig ^  auf  sieben  zusammen^). 
Was  soll  nun  das  beweisen,  wenn  wir  bei  sieben  verschiedenen  Dich- 
tern das  Wörtchen  frd  so  verwerthet  finden ,  daß  es  das  Reimwort 
abgibt? 

Auch  die  Redensart  holdez  herze  tragen  ^)  ist  gewiß  schon  in  der 
Umgangssprache  geformt  vorhanden  gewesen.     Daß   sie  auch  durch- 
aus nicht  etwa  nur  in  den  Minnesang  gehört ,    zeigt    schon    die   Art 
ihrer  Verwendung  bei 
Spervogel:  [ob  man  dem  herren  widersage]  daz 

er  im  holdez  herze  trage        MF.  22,  4 

und  wohl  auch  bei 

Hosen  [den  (got)  wil  ich  iemer  vor  in  allen 

haben,]  und  in  da  nach  ein 
holdez  herze  tragen  n     47,  8. 

Die  zwei  Stellen,    welche   wirklich   auffallendere  Ähnlichkeit  zeigen, 
gehören  leider  ein  und  demselben  Dichter  an,   nämlich 
Beinmar:  deich  im  holdez  herze  trage  MF.   178,  16 

deich  ir  so  holdez  herze  trage  n      104,  24. 

Die  Stellen  mit  vergezzen  *)  würde  ich  schon  bei  Gelegenheit  der 


')  ib.  S.  152.  >)  Vgl.   oben  S.  56  u.  59.  Fast  die  Hälfte  der  Stellen  gehört 

Reinmar.  *)  ib.  S.  162. 

*)  Es  kommen  allein  8  Stellen  auf  Waltfaer,  3  auf  Reinmar,  3  auf  Morun^en, 
2  auf  Dietmar,  2  auf  Rietenburc. 

*)  ib.  S.  164.  Vgl.  dazu  das  oben  S.  36  über  tragen  Gesagte. 

•)  ib.  S.  154. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  «ie.  61 

bloßen  Wortentsprechungen  behandelt  haben ,  wenn  nicht  insofern 
eine  engere  Übereinstimmung  obwaltete^  als  in  allen  den  aufgeführten 
Versen  von  dem  gegenseitigen  Vergessen  oder  Niehtvergessen  im 
Sinne  von  „treu  bleiben**  der  Oeliebten  die  Rede  wäre.  Das  ist  aber 
auch  Alles;  formelhaft  sind  die  Verse  nirgends.  Die  mehrmalige 
Wiederholung  des  Gedankens ,  der  ttbrigens  durch  den  jedesmaligen 
Zusammenhang  entsprechend  verändert  wird,  kann  nicht  befremden; 
dazu  liegt  er  dem  den  Liebesverkehr  behandelnden  Dichter  viel  zu 
nahe.  Obendrein  sind  es  nur  fünf  Dichter,  aus  deren  Liedern  Paral- 
lelen beigebracht  sind  ^). 

Die  folgende  Zusammenstellung  mit  fr&ide  stät  oder  tU^  mag 
auf  den  ersten  Blick,  zumal  wenn  derselbe  [mit  den  mittel- 
hochdeutschen Wendungen  weniger  vertraut  ist,  einer  ge- 
wissen auffallenden  Übereinstimmung  nicht  entbehren.  Wenn  man  aber 
bedenkt:  daß  die  Redensarten  mit  stän  und  ligen  in  den  mannig- 
faltigsten Verbindungen  gebräuchlich  sind,  daß  durch  das  Conven- 
tionelle,  das  dem  Minnesang  nun  einmal  anhaftete,  der 
Dichter  unwillktlrlich  immer  wieder  zum  Ausdruck  ähnlicher  Gedanken 
gedrängt  wurde,  daß  endlich  eine  wörtliche  Übereinstimmung  nir- 
gends vorliegt,  vielmehr  die  Stellen  mit  Itt  recht  bedeutende  Ab- 
weichungen zeigen :  so  wird  man  trotz  der  Ähnlichkeit  in  Form  und 
Gedanken  der  Vermuthung  einer  Entlehnung  nicht  viel  Raum  geben 
können. 

Daß  gescheiden  im  einigemal  vorkommt  ^),  will  doch  gewiß  wenig 
besagen;   man  vergleiche  nur  die  Verse  im  Zusammenhang: 
Dietmar:  na  maoz  ich  von  ir  gescheiden  sin     MF.  32,  19 

Ders.:  [des   werdent  mir   diu  jftr  sd  lanc] 

sei  ich  von  der  gescheiden 

sin  J7     34,  26 

Husen:  ich  waene  an  mir  wol  werde  ßchin] 

daz  ich  von  der  gescheiden 
bin  [die  ich  erkds  für  elliu  wip]  r)     43,  13 

Walther:  [und   engdts  uns  beiden,]    wir  zwei 

sin  gescheiden  W.  41,  11 

Reinmar:  [daz  er  iemer  solhes  iht  getno]    dft 

von  wir  gescheiden  sin  MF.   178,  7. 

Die  Übereinstimmung  beruht  in  Wirklichkeit  nur  auf  dem  einen 
Ausdrucke  gescheiden  und  gestattet  gar  keine  weiteren  Schlüsse. 

Betrachten  wir  die  Gruppe  mit  eigen  ^)  genauer,    so  werden  wir 


*)  ib.    S.  164.  *)  Smal  Neithart,  2mal  Walther,  2mal  Dietmar,  2mal  Rein- 

mar, Imal  Rugge.  »)  ib.  S.  164.  ^)  ib.  8^  166. 


62  B-  TH.  WALTER 

bei   einigen  Stellen   gewiß   eine  weitergehende   Entsprechung  finden; 

so  bei 

Dietmar:  der   ich    den  lip  |  hfin    gegeben  für 

eigen  MF.  40^  20.  21 

Fenis:  Lip  unde  sinne  die  gap  ich  für  eigen 

[ir  uf  genäde]  t)     82,  34 

Walther :  eime   sult  ir  in  wem  lip  |  geben  für 

eigen,  [nement  den  sinen]  W.  86,  19.  20. 
Daß  aber  diese  Übereinstimmung  nicht  etwa  auf  einer  Versent- 
lehnung beruht,  sondern  der  Anschauungs-  und  Gemüthswelt  der  be- 
treffenden Dichter  unbewußt  entsprungen  ist,  zeigt  wohl  mehr  noch 
als  der  eben  citierte,  durchaus  nicht  formelhaft  zu  den  beiden  ersten 
Parallelen  stimmende  Vers  Walthers,  die  Stelle  aus 
Reinmar:  Ich    hän   ir   niht   ze  gebenne]    wan 

min  selbes  lip  ;der8tir  eigen.     MF.  182,  18,  19. 
So  drückt  man  sich  nicht    aus,    wenn    man    au    eine    alte    feste 
Formel  denkt,  sondern  nur  wenn  die  Vorstellung,  die  in  den  Worten 
sich  zeigt,  einem  ganz  geläufig  ist. 

Eine  Wendung,  die  ebenfalls  in  einer  Liebeslyrik  kaum  ent- 
behrlich scheinen  möchte,  so  wenig  sie  auch  einer  solchen  ausschließ- 
lich eigen  ist,  enthalten  die  Verse  mit  gedanc  *).  Was  ist  natürlicher, 
als  daß  dem  Gedanken  hier  und  da  Ausdruck  gegeben  wird:  all' 
mein  Sinnen  und  Denken  steht  bei  der  Geliebten,  treibt  mich  zu  ihr 
hin;  ich  denke  gern  an  sie,  ich  kann  nur  noch  an  sie  denken  u.  s.  w. 
Auch  die  bei  drei  verschiedenen  Dichtern  gleichartige  Formung 
der  Wendung  aller  ndn  gedanc  stet  darf  nicht  befremden;  wir  haben 
es  nur  mit  einer  allgemein  üblichen,  gewiß  auch  schon  in  der  Um- 
gangssprache gebrauchten  Redeformel  zu  thun.  Das  zeigt  uns  schon 
der  verschiedenartige,  keineswegs  nur  in  den  Bereich  der  Liebeslyrik 
gehörige  Zusammenhang;  dem  die  Stellen  angehören: 
Dietmar:  [frouwe,  mines  libes  frouwe]  an  dir 

st^t  aller  min  gedanc  MF.  36,  35 

Rngge:  ie  noch  stSt  aller  min  gedanc    [mit 

triuwen  an  ein  echoene  wip        d     99,  36. 
In  ähnlichem  Zusammenhange  stehen  die  verwandten  Ausdrücke: 
Morungen:     *         nach  der  mtn  gedanc  |  s6re  ranc  MF.   139,  23.   24 

Husen :  . .  daz   ich    niene    kan    |    gedenken 

wan  an  si  alleine  n     44,  15.  16. 

Daß  diesen  Versen  mit  den  vorhergehenden  gleiche  Originalverse 
zur  Nachahmung  vorgelegen  haben  sollten,   ist  eine  Behauptung,  die 

»)  ib.  S.  166. 


ÜB£R  DEN  URSPRUNQ  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  ete.  63 

Meyer   wohl    selbst   nicht   recht   glanben  wird,   ebensowenig  wie  er 

ernstlich  meinen  kann,  daß  ein  Vers  wie  der  folgende 

Neithart:  yon  im  b6  treit  mieh  aller  mtn  gedanc     N*  45,  22 

der  genau  den  entgegengesetzten  Sinn  hat^   oder  die  übrigen ,   die  in 

ihrer  Anwendung   der  fraglichen  Redensart  nichts   mit  jenen  bereits 

genannten  Stellen   gemein    haben ,    in  einem  andern  Zusammenhange 

stehen  als  wie  ihn  die  Sprache  selbst  an  und  Air  sich  zu  bieten  pflegt. 

Ich  fahre  den  Best  der  Stellen  auf: 

Bugge:  üf  besser  16n  st6t  aller  min  gedane     MF.  103,  26 

Neithart:  umbe  ein  scheiden,  so  st^t  aller  mtn 

gedane  N.  87,  17 

Gaotenburc:  [bete  ich  funden   deheine  so  gnote] 

dft    nftch    k6rt    ich    gerne 

mtnen  gedane  MF.  78,  18. 

Es  finden  sich  ferner  zusammengestellt:  *) 
Dietmar:  als  wirs  uns  beide  hftn  gedAht,  |  sd 

hAt  ers  an  ein  ende  brÄht 

mit  maneger  fröide  und  liebes 

viL]  MF.  40,  7.  8 

Dazu  Rugge:         [mit  ir  ze  redenne   ftne   strit]   nftch 

mlnem  willen  alsen  ich  h&n 

gedftht,  j)     109,  21 

Walther:  ezn  kome  als  ich  mirz   hftn  gedftht 

[umb  ir  vil  minneclichen  Itp]     W.   72,  8. 
In   welcher  Absicht    fügt   nun   Mejer  'diesen    drei    Stellen    als 
Parallele  bei: 
Nibelungenl. :         'du  hftst  ez  z'eime  ende  nach  dtme 

willen  brftht, 
und  ist  euch  rehte  ergangen  als  ich 

mir  h6te  ged&ht  V.  2307,  3.  4. 

Könnte  er  wirklich  meinen,  jenen  drei  Minnesingern  und  dem  Dichter 
der  Nibelungenliedesstelle  habe  ein  Vers  aus  der  Volksliebespoesie 
vorgelegen,  den  sie  nun  pflichtschuldigst  nachgeahmt  hätten?  Ich 
mö^chte  doch  wohl  eher  Recht  haben,  wenn  ich  gerade  im  Hinblick 
auf  die  obigen  Entsprechungen  besondern  Nachdruck  auf  meine  schon 
oft  ausgesprochene  Ansicht  lege,  daß  die  Sprache  wie  heute  so  da- 
mals dem  Dichter  viel  mehr  an  die  Hand  gab,  als  es  beim  ersten 
Blicke  scheinen  will :  nicht  nur  Wörter,  nicht  nur  Wendungen,  sondern 
oft  genug  ganze  Vorstellungen,  geformt  und  ungeformt;  sprich- 
wörtliche Redensarten  u.  dergl.  so  gut  wie  das  heute  und  jeder- 
zeit geschieht'). 


')  ib.  S.  156.  >)  Dasselbe  gilt  aach  fttr  die  Stellen  auf  S.  164. 


64  E.  TH.  WALTER 

In  der  folgenden  Gruppe  ^)  beruht  die  Entsprechung  auf  den 
beiden  Worten  aUiu  wip  oder  ähnlich  mit  geringen  Abänderungen. 
Bei  einer  Anzahl  von  Stellen  tritt  wenigstens  noch  ein  ähnlicher  Sinn 
hinzu,  nämlich  daß  der  Dichter  der  Geliebten  den  Vorzug  vor  allen 
Frauen  einräumt;  in  anderen  fehlt  diese  Beziehung.  Aber  auch  wo 
sie  vorhanden  ist,  läßt  sich  mit  den  Stellen  nichts  erweisen.  Daß  die 
zwei  nebeneinander  stehenden  Worte  aUiu  wip  entlehnt  sein  sollen, 
kann  Niemand  behaupten,  ohne  sich  lächerlich  zu  machen.  Daß  der 
Gedanke  „ich  bin  Dir  vor  Allen  ergeben^,  ausgedrückt  in  der  aller- 
verschiedensten  Weise  in  einer  Liebeslyrik  nicht  gerade  mit  Verwun- 
derung aufzunehmen  ist,  wird  mir  wohl  auch  keiner  bestreiten.  Die 
Zusammenstellung  hat  durchaus  keine  Bedeutung.  Ebensowenig 
die  folgende  ') ,  die  ihre  Übereinstimmung  in  dem  Verbum  erkorn  oder 
erkSs  mit  entsprechender  Ähnlichkeit  des  Sinnes  findet.  Wie  in  der 
vorigen  Gruppe,  so  ist  auch  in  dieser  der  Gedanke  durch  die  Art 
der  Poesie,  in  deren  Kreis  wir  uns  befinden,  nothwendig  gegeben. 
Daß  die  Wörter  erkos  oder  erkorn  und  wip  vorkommen  mtlssen,  ist 
ja  klar;  im  Übrigen  unterscheiden  sich  die  Verse  sammt  und  sonders 
so  gründlich  von  einander,  als  es  nur  möglich  ist.  An  eine  Versent- 
lehnung kann  gar  nicht  gedacht  werden. 

Den  Schluß   dieser  Abtheilüng  bilde   die  Gruppe    mit   gesach^)^ 

von  der  zum  Theil  dasselbe   sich    sagen    läßt;    was   von   den   beiden 

vorhergehenden  galt.     Es  sind  die  Stellen: 

Momngen:  wan  in  gesach  nie  wip  ad  rehte  guot     MF.  142,  25 

Beinmar:  Ich  ensach  nie  wip  so  staete  [. .  •  diu 

so  harte  missetaete,  |  ad  si 
tuet]  7)     202,  19 

Neithart:  ich  gesach  nie  jungez  wip  so  grim- 

meclich  gealahen  N.  47,  32 

Ders. :  Ich   gesach  nie  jnngez  wip  sd  lose 

[diu  ir  lip  den  mannen  künde 
baz  versagen]  n    48,  29. 

Daß  bei  den  folgenden  Stellen  blos  die  drei  ersten  Worte 
der  Verse  angeführt  sind^  macht  allein  ihre  Heranziehung  möglich; 
denn  wer  sollte  wohl  auch  nur  einen  Augenblick  an  eine  Beziehung 
zwischen  den  oben  angeßlhrten  Versen  und 


*)  ib.  S.  157.  ')  ib.  S.  167.   Bemerken  will  ich  hierbei  doch,  daß  in  dieser 

Gnippe  drei  Stellen,  die  bereits  in  der  vorigen  ang^eftlhrt  sind  (N.  43,  14;  N.  60,  81 ; 
Mor.  130,  31.  82),  nochmals  voll  citiert  werden.  '>  ib.  S.  161. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFI8CHEN  MINNESANGES  ete.  65 

Ich  gesach  den  Bnmer  nie^)  CB.   115* 

oder  Walther:  In  gesaoh  nie  hoabet  bas  gesogen  W.  62,  31 
glaaben  wollen;  wenn  er  die  vollen  Verse  eu  Qesicht  bekommen  hat? 
Eine  Anzahl  von  Gruppen  habe  ich  bisher  von  der  Besprechung 
ausgeschlossen  y  weil  mir  die  Übereinstimmung ,  die  ihre  Verse  unter- 
einander verbindet,  weitgehender  erschien,  als  es  fiir  gewöhnlich  der 
Fall  war 

Entweder  sind  es  hier  die  ganzen  Verse,  die  eine  formelhafte 
Gleichheit  eines  nicht  gerade  durch  den  Zusammenhang  nothwendig 
bedingten  Gedankens  zeigen,  oder  es  sind  Theile  von  Versen,  die 
oft  nur  wie  zur  Ftlllung  erscheinen,  oder  auch  nur  regelmäßig  in 
einigen  Stellen  wiederkehrende  Gedanken,  Vorstellungen  oder  Wort- 
verbindungen,  von  denen  man  nicht  so  ohne  Weiteres  vermuthen 
dürfte,  daß  sie  den  verschiedenen  Dichtem  durch  den  Zufall  allein 
eingegeben  worden  seien. 

Gleichwohl  haben   auch  diese  Gruppen  für  uns  keinen  Werth. 

Wir  werden  bei  ihrer  Besprechung  zu  der  Einsicht  kommen, 
daß  sie  auf  alles  Andere,  nur  nicht  auf  die  nothwendige  Existenz 
einer  Liebeslyrik  schließen  lassen,  die  der  Natur  des  Minnesanges 
entspräche,  ja  nicht  einmal  auf  eine  Liebeslyrik  überhaupt'). 

Sie  mögen  aus  sprichwörtlichen  Redensarten  der  Umgangssprache, 
festen  Formeln  anderer  Dichtungsarten  hervorgegangen  und  so  in 
ganz  natürlicher  Weise  in  die  Lieder  der  ritterlichen  Poesie  —  ohne- 
bin nicht  in  bedeutender  Anzahl  —  übergegangen  sein. 

Ich  wende  mich  also  nunmehr 

4.  zu  denjenigen  Gruppen ,  die  trotz  größerer  Übereinstimmungen 
doch  nicht  auf  eine  Liebeslyrik  schließen  lassen  infolge  ihres  ent- 
weder nicht  auf  eine  solche  beschränkten  oder  sogar  ihr  fern  stehen- 
den Inhaltes. 

Es  begegnet  mir  zuerst  die  Ghnppe  mit  volcfe  du  mtner  lere^). 
Die  Wendung,  die  doch  gewiß  den  echt  lehrhaft -spruchartigen  Cha- 
rakter nicht  verleugnen  kann,  findet  sich  in  ziemlich  unveränderter 
Form  nur 


')  Übrigens  hat  Meyer  in  dieser  Stelle  eine  gröfiere  Ähnlichkeit  dadnroh  er- 
reicht, daß  er  —  ohne  es  anzudeuten  —  das  die  Übereinstimmnng  störende  Wort 
dm  mtmer  einfach  ansgelassen  hat  II 

^)  Damit  wird  natürlich  eine  solche  nicht  bezweifelt;  es  handelt  sich  hier  nnr 
nm  den  Schloß,  den  uns  die  folgenden  Stellen  erlauben. 

»)  ib.  S.  133-134. 
GERMANIA.    Neue  Beihe.  XXU.  (XXXIV.)  Jalirg.  5 


66  B.  TH.  TV  ALTER 

3.  lat.  Liebesbr.:  frinnt  volge  dn  miner  l^re  MF.  224,  26 

Spervogel:  [. .  . .  neme   ae   wisem    manne   rät] 

und  volge   ouch  einer  l^re        n      20^  16 
Walther :  da  von  volge  miner  l^re  [leg  üf  die 

wäge  ein  rehtez   16t]  W.  23,  7 

Ders.:  doch  volg  ich  der  alten  16re:  n     65,  12*) 

Neithart:  [die  rätent  und  prüevent  daz  ich  ftne 

Ion  belibe]  niht  en volge  ir  Ure  N.  54,  21 
Ist  66  nicht  hierbei  auffallend,  oder  vielmehr  recht  bezeichnend, 
daß  die  Wendung  gerade  bei  den  Vertretern  der  Spruchdichtung 
Spervogel  und  Walther  und  sonst  nur  bei  dem  späteren  Neithart 
in  ihrer  festeren  Form  sich  findet?  Denn  die  Stelle  aus  dem  Liebes- 
briefe ist  ja  auf  keinen  bestimmten  Ursprung  zurückzuführen,  sie  hat 
in  dieser  Beziehung  keine  Bedeutung^).! 

Eine  vollere  Wendung,  deren  Gebrauch  ebenfalls  ganz  unzweifel- 
haft der  Umgangssprache  bereits  eigen  gewesen  ist^  bieten  dann  die 
Verse®):  Solde  ih  noh  den  tach  geleben  CB.  99' 

solde    ih  nah    dem    willen    min    die 

zit  geleben  rt     127* 

Johansdorf:  Und  solde  ich  iemer  daz  geleben        MF.  92,  28 

Husen:  Gelebt  ich  noch  die  lieben  zit  n     45,  1 

Walther :  Müeste  ich  noch  geleben  .  .  W.   11 2,  3  *) 

Neithart:  Ow6,  gelebte  ich  noch  den  tac  N.   80,  9. 

Nicht  eben  auf's  beste  paßt  dazu 

Solde    aver  ich  mit    sorgen  iemmer 
leben  [swenne  ander  Itite  weren  fr6  ?]     CB.   1 28* 
Hierher  gehören  auch  die  vier  Stellen,  die  den  Ausdruck  hoher 
Freude  ziemlich  übereinstimmend  wiedergeben*): 

so  wolde  ih  in  wunne  sweben  CB.  99* 

Johansdorf:  so  mües  min  herze  in  fröiden  sweben     MF.   92,  30 

Walther:  [wi    wie    tuont    die  jungen    so]    die 

von    fröiden    solten  in  den 
lüften  sweben  W.  42,  34*) 

Neithart:  der  waenet  in  den  lüften  sweben        N.   93,  31. 


')  Die  anderen  beiden  Stellen  schon  ganz  anders: 

[Welt ]  volge  wiser  liute  tugent  W.  60,  26 

min  frinnt,  nu  volge  mir  n   89,  13. 

*)  Nicht  wörtlich  stimmen  bu  den  aufgeführten  Stellen 
Johansdorf:  volgent  miner  raete  MF.  9i,  5 

Neithart:  ja  volge  ich  iuwer  raete  N.  21,   19 

')  ib.  S.  135.  *)  Die  beiden  anderen  SteUen  Walthers: 

noch  müeze  ich  geleben  W.  31,  27 

doch  müeze  ich  noch  die  zit  geleben         W.  98,  22. 

*)  ib.  S.  136.  *)  Der  andere  Vers: 

min  herze  swebt  in  snnnen  hö  W.  76,  13. 


ÜBER  DKN  URSPRUNG  DE6  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  67 

Auch  mögen  hier  ihren  Platz  finden  die.  Verse  *): 

laz2e  mich  mit  fröuden  werden  alt,     CB.  94^ 
Neithart:  mit  yröuden  sul  wir  alten  N.   16,  16 

Bligger:  [Er   fünde    guotcn    kouf  an   minen 

j&ren,]  der  ftne  vröude  wolte 
werden  alt,  [wan  si  mir  lei- 
der ie  unnütze  w&ren]  MF.  118,  20 
Walther:                 [Swer  sich  so  behaltet  |  daz  im  nie- 

men  niht  gesprochen  mac  {] 
wünnecliche    er  altet,    [im 
*  en wirret  niht  ein  halber  tac] 

Daß  die  Verse  nur  einer  allgemeinen  Redeweise  oder  Vorstellung 
ihre  Ähnlichkeit  verdanken^  ist  wohl  ebenso  leicht  einzusehen,  als  es 
offen  auf  der  Hand  liegt,  daß  bei  ihnen  an  eine  Entlehnung  aus  einer 
Liebeslyrik  gar  nicht  zu  denken  ist;  an  eine  Entlehnung  überhaupt, 
jedenfalls  wohl  nicht  bei  Bligger  und  Walther.  Verse;  die  so  wie  bei 
diesen  im  engsten  und  keineswegs  formelhaften,  sondern  eigenthüm- 
liehen  Zusammenhange  stehen,  sind  sicherlich  nicht  entlehnt,  sondern 
selbständig  —  höchstens  mit  unbewußter  Anlehnung  an  in  der  Sprache 
liegende  Ausdrücke  oder  Vorstellungen  —  entstanden« 
Dasselbe  gilt  von  den  folgenden  drei  Versen*): 
.  .  wer  were  alt,  [da  sih  diu  zit  so 

schönet?]  CB.  101' 

Nieman  chan  nu  werden  alt,  n     102^ 

Walther:  [swar  er  vert  in  sin  er  wünne,]   d&n 

ist  nieman  alt  W.   51,  20. 

Der  Gedanke  ist  ganz  gewiß  volksthümlich,  aber  beweisen  läßt  sich 
darum  noch  nichts  damit.  Ich  möchte  sogar  geradezu  behaupten, 
daß  er  recht  eigentlich  den  volksthümlichen  Frühlingsliedern  ange- 
höre, daß  er  die  Kunde  von  der  Ankunft  des  meien  gewiß  recht 
regelmäßig  in  dergleichen  Liedlein  begleitet  haben  mag.  Mit  einer 
dem  ritterlichen  Minnesang  als  Vorstufe  dienenden  Liebeslyrik  hat  er 
aber  nichts  zu  thun.  Findet  er  sich  doch  auch  sonst  kaum  wieder 
in  der  höfischen  Poesie  früherer  Zeit;  nur  Walther  hat  ihn,  und  bei 
diesem  dürfen  solche  Anklänge  nicht  befremden. 

Ganz  unpassend  ist  die  Heranziehung  der  Stellen,  welche  eine 
Umschreibung  des  Namens  Gottes  enthalten  ^) ;  sie  haben  flir  unsere 
Frage  auch  nicht  den  leisesten  Werth  und  geben  nur  ein  Zeugniß 
davon,  wie  unklar  das  Bewußtsein  von  dem  Zwecke  der  ganzen  Samm- 
lung gewesen  ist. 

•)  ib.  8.  136.  ')  ib.  S.  135.  >)  ib.  8    189. 


68  E.  TH.  WALTER 

Es  sind  die  Verse: 

der  al  der  werlt  ein  meister  si,  CB.  165* 

Dietmar:                 der  al  die  weit  geschaffen  hat  MF.  38,  23 

Ders. :                      der  nns  alle  werden  hiez,   wie  ...  n  36,  28.   29 

Johansdorf:            der  al  der  werlte  fröude  git  n  92,  14. 

Was  bei  der  Stelle  ^) 
Namenl.  Lied:  *nü  entgilte  ich  des  ich  nie  genoz  MF.  4,  4 
der  Hinweis  auf  Anm.  4,  4  im  Minnes.  Fr.  bedeuten  soll,  ist  mir  höchst 
unklar.  Die  Anmerkung  mitsammt  ihren  mannigfachen  Parallelen  be- 
sagt gerade  gegen  Meyer,  daß  die  ganze  Wendung  allgemein  ge- 
bräuchlich gewesen  sein  muß,  jedenfalls  weder  auf  Liebeslyrik  noch 
auch  auf  Lyrik  überhaupt  beschränkt  werden  darf. 

Die  Gruppe,  deren  Verse  Redensarten  mit  maere  enthalten'), 
hätte  ihren  Platz  vielleicht  schon  in  einer  der  früheren  Abtheilungen 
erhalten  könneä.  Nur  der  in  einer  Anzahl  von  Stellen  ziemlich  er- 
sichtliche formelhafte  Charakter  der  Verbindungen  hat  mich  dazu  ver- 
anlaßt, die  Zusammenstellung  erst  hier  zu  erörtern.  Es  gilt  von  ihr 
dasselbe,  was  ich  schon  mehrmals  betont  habe:  einen  Schluß  auf 
Liebeslyrik  erlaubt  sie  nicht,  im  besten  Falle  mag  man  sie  auf  an- 
dere Dichtungsarten  zurückführen. 

Auch  die  Stellen  mit  der  Redensart  äine  arebeit  Verliesen^)  hätte 
ich  schon  andernorts  behandelt,  wenn  nicht  bei  zwei  Dichtern  je  ein- 
mal ganz  genau  derselbe  Vers  sich  fände,  nämlich: 
Rietenburc:  sie  fliesent  alle  ir  arebeit  MF.   18,  7 

Reinmar:  sie  fliesent  alle  ir  arebeit  n     184,  27 

und  noch  einmal  bei  demselben  wenigstens  ähnlich: 

der  y erlinset  al  sin  arebeit  n     172,  31. 

Ich  glaube  zwar  durchaus  nicht,  dieser  Übereinstimmung  irgend 
welchen  bedeutenden  Werth  beimessen  zu  müssen;  vielmehr  besteht 
für  mich  gar  kein  Zweifel  darüber,  daß  hier  Zufall  gewaltet  habe; 
bei  einer  Redensart,  die  schon  selbst  aus  drei  Wörtern  besteht,  kann 
ja  naturgemäß  zur  Bildung  eines  vierhebigen  Verses  nicht  viel  mehr 
hinzutreten:  wie  leicht  ist  da  also  eine  Übereinstimmung  möglich. 
Indessen  sind  noch  zwei  andere  Stellen  angeführt: 
Walther:  [daz  er  den  (dorn)  furder  leite]  von 

siner  arebeite  :  sist  anders 
gar  verlorn  W.   103,  27.  28. 

Neithart:  min  verloren  arebeit  .•  N.  64,  2 

um  derentwillen  ich  die  Gruppe  hier  behandelt  habe.     Daß  mit  ihrer 

*)  ib.  8.  140.  ')  ib.  S.   160.  =*)  ib.  S.  152. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  69 

Zuhilfenahme  eine  Versentiehnung  nicht  bewiesen  werden  kann,  be- 
darf keines  Wortes;  dasn  ist  ihre  formelle  Verschiedenheit  von  den 
oben  angezogenen  Stellen  zu  groß.  Darauf  möchte  ich  hier  nur  noch 
aufmerksam  machen,  daß  auch  die  Redensart  selbst  nicht  etwa  einer 
poetischen  Bildung  zu  verdanken  sei,  sondern  offenbar  in  der  Um- 
gangssprache ihren  Ursprung  hat. 

Unzweifelhaft  eine  feste,  wenn  auch  höchst  einfache  Formel,  liegt 
uns  in  den  Versen  mit  ist  min  rät  vor  *).  Daß  sie  mit  Liebeslyrik 
nichts  zu  thun  hat,  bedarf  nicht  der  Erörterung. 

Dasselbe  gilt  auch  von  den  Stellen  mit  daz  ist  war  ')  (wenn  man 
nicht  von  vornherein  den  Zufall  will  gelten  lassen). 

Ebenso  ist  die  Wendung  senfier  waere  mir  der  tot  *)  gewiß  als 
sprichwörtliche  Redensart  allgemein  gebräuchlich  gewesen,  um  etwas 
ganz  besonders  Unerträgliches  auszudrücken;  jedenfalls  hat  sie  nichts 
an  sich,  was  sie  nothwendig  einer  Liebeslyrik  allein  zuwiese. 

Es  folgen  die  Stellen  *) : 
Rngge :  du  hat  er  beidinthalb  verlorn,  [wände 

er  vorhte  daz  got  im  gebot,  I 
durch  in  ze  liden  die  not 
und  den  tot]  MF.  98^  39 

Hartmann:  [Die   friunde    babent   mir  ein  spil  { 

geteilet  vor,]  d^st  beident- 
halp  nibt  wan  verlorn  :  n     216,  9 

Ps.-Spervogel :       [Swer  des  biderben  swache  phliget,  | 

d&  bi  des  boesen  wol]  der 
hat  si  beide  verlorn  »     245,  27. 

Ich  weiß  nicht  ^  ob  Meyer  das  Wort  beidinthalp  auffallend  vor- 
kommt, was  es  ja  durchaus  nicht  ist,  oder  ob  er  die  Verbindung  mit 
verlorn  als  etwas  Besonderes  betrachtet:  hätte  er  die  Verse  im  Zu- 
sammenhange betrachtet,  so  würde  er  wohl  kaum  in  einer  offenbar 
zufälligen  Übereinstimmung  —  obendrein  eigentlich  doch  nur  in  zwei 
Stellen  —  den  Grund  für  eine  Entlehnung  haben  finden  können. 
Sollte  übrigens  wirklich  eine  Entlehnung  irgendwoher  stattgefunden 
haben^  so  wäre  man  jedenfalls  weder  auf  Liebeslyrik  noch  auf  Lyrik 
überhaupt  —  fast  möchte  ich  sagen:  noch  auf  poetisch  gestaltetes 
Material  Oberhaupt  angewiesen,  sondern  dürfte  sich  vielmehr  richtiger 
im  Formelschatze  der  Umgangssprache  umsehen. 

Auffallender  sind  entschieden  die  folgenden  Verse:*) 


>)  ib.  S.  168.  *)  ib.  8.  1«0. 

")  ib.  S.  168.  *)  ib.  8.  160. 

^)  ib.  8.  164. 


70  E.  TH.  WALTER 

Bligger:  Min   alte    swaere  die  klage  ich  für 

ninwe  [wan  sie  getwanc 
mich  so  harte  nie  m^]  MF.   118,  1 

Morungen :  [Leitliche  blicke  and {  hänt 

mir  daz  herze verlorn] 

min  alte  not,  die  klagte  ich 

für  niuwe  n      138,  15 

Guotenburc :  [daz  lenget  mir  die  kurzen  tage]  und 

niuwet  mir  die  alten  klage, 
[von  der  ich  wände  sin  er- 
löst] n      70,  35 

Reinmar:  Nu  muoz  ich  ie  min  alten  n6t  |  mit 

sänge  niuwen  unde  klagen, 
wan  si  mir  also  nähen  lit]        t)      187,  31.  32 

und  ders, :  ich  klag  iemer  minen  alten  kumber, 

der  mir  iedoch  so  niuwer 
ist  [den  si  mir  gap  dö  si 
mir  fröide  nam]  n      189,  11.   12. 

Eine  feste  Formel  liegt  uns  auch  unstreitig  vor  in  den  Versen :  ') 
Morungen:  ow^  war  umbe  tuot  er  daz?  MF.   143,  1 

Walther:  w6  war  umbe  tuot  si  daz?  W.   112,  33 

Ders. :  [die  kunnen  niuwan  sorgen  :]  we  wie 

tuont  si  so?  77      124,  20 

Neithart:  w^  warumbe  tuont  si  daz?  N.  89,  17 

Reinmar:  w^  wie  tuest  du  s6?  R.   190^  32 

Ders.:  wß  warumbe  spriche  ich  daz?  77    193,  17. 

Aber  die  Herleitung  dieser  Formeln  aus  der  Liebeslyrik  ist  nicht 
begründet.  Darum,  daß  sie  jetzt  in  einer  solchen  gebraucht  sind^ 
darf  man  natürlich  noch  lange  nicht  rückwärts  schließend  sagen,  sie 
wftren  darin  entstanden.  Entweder  war  die  Wendung  allgemein 
verbreitet,  oder  sie  hatte  sich  in  ii^end  einer  der  vorhandenen  Dich- 
tnngsarten  geprägt.  Bestimmtes  läßt  sich  über  dergleichen  Vorgänge 
natürlich  selten  sagen,  umsomehr  muß  man  sich  hüten  darauf  Be> 
hauptüDgen  zu  gründen. 

Damit  ist  auch  diese  Abtheilung  geschlossen,  und  es  bleiben  mir 
nur  noch  einige  Stellen  übrig,  welche 

5.  Ausdrücke  enthalten,  die  ich  darum  für  unsern  Zweck  als 
unbrauchbar  zurückweisen  muß,  weil  sie  offenbar  nicht  volks- 
thümlich  sind. 

Hierher  gehört  zunächst  die  Gruppe  mit  hohen  muob^).  Für 
volksthümlich  halte  ich  diesen  Ausdruck,  wie  er  im  Minnesang  vor- 
kommt,   nicht.     Er    ist    durchaus    nicht    etwa    identisch    mit    unserm 

»)  ib.  S.  161.  «)  ib.  S.  134. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.  71 

„Fröhlichkeit^  sofaleehthia,  Tielmehr  bexeichnei  es  den  stolz  gehobe- 
nen   Sinn,    der   den  Ritter   im  Dienste  der  Fraa  erfüllte ^    wenn   ihm 
Gewährung  winkte.     Man  vergleiche  die  Stelle  bei 
Momngen:  liebe  diu  git  mir  höhen  mnot,  [dar 

stto  freud  unde  wännej  MF.  132,  23. 

Der  Zusatz  freud  unde  wünne  verlangt  notbwendig  eine  andere  Be- 
deutung für  hdhen  muot 

Man  beachte  femer  die  Stelle  bei 
Walther :  edel  ande  riche  |  sint  si  (d.  frouwen) 

lameliche,  {  daz  zuo  tragent 
si  hdhen  muot  W.  51,  1  — 4, 

Auch  hier  ist  der  Sinn  des  Ausdrucks  deutlich  erkennbar;  edeln,  hohen 
Sinn  rühmt  Walther  an  den  Frauen,  nicht  Fröhlichkeit,  frohen  Sinn 
oder  dergleichen. 

hoher  muct  ist  ein  Ausdruck,  der  wohl  in  dem  höheren  gesell- 
schaftlichen  Kreise,  dem  der  Minnesang  zugehört,  seine  Stätte  hatte, 
nicht  aber  in  dem  „bäuerischen  Stegreifdichten",  von  dem  Meyer 
spricht,  seinen  Ursprung  suchen  darf). 

Dasselbe  urtheile  ich  über  den  Qebrauch  des  Verbums  undertäriy 
das  eine  nicht  geringe  Gruppe  bildet'). 

Ich  fasse  mit  dem  Ausdruck  undertän  gleich  die  Wendung  swciz 
sie  gebitUetf  daz  aUez  st  getan  und  ähnlich  ^)  zusammen. 

Beide  Ausdrücke  halte  ich  in  ihrem  Gebrauche  innerhalb  der 
höfischen  Poesie  für  echt  höfisch  und  von  vornherein  nicht  für 
volksthümlich.  Diese  dienstbare  Ergebenheit  unter  den  Willen  der 
Frau  ist  ein  charakteristisches  Merkmal  für  den  conventionellen 
Frauendienst  und  die  denselben  feiernde  Poesie:  den  ritterlichen 
Minnesang.  Volksthümlich  ist  ein  solches  Verhältniß,  wie  es  sich  aus 
jenen  Wendungen  kundgibt,  durchaus  nicht. 

Das  Gleiche  darf  ich  wohl,  ohne  noch  weitere  Worte  zu  verlieren, 
von  den  Stellen  mit  dienen  behaupten  ^). 

Auch  die  Stellen  mit  edel  unde  guot  etc.^)  bleiben  der  höfischen 
Poesie  unweigerlich  au  eigen,  edel  wird  zur  damaligen  Zeit  von  Men- 
schen immer  nur  mit  Bezug  auf  vornehme  Abkunft  gebraucht; 
wir  dürfen  noch  nicht  mit  einer  verallgemeinerten  Bedeutung  des 
Wortes  rechnen.  Dieser  Sinn  des  Wortes  verbietet  aber,  dasselbe  einer 


')  Übrigens  sind  nnr  vier  Dichter  mit  dem  Ausdrucke  vertreten :  Namenl.  Lied 
einmal,  Momngen  und  Reinmar  je  aweimal  und  Walther  viermal. 

»)  ib.  &  136—137.  *)  ib.  S.  161.  *)  ib.  S.  149-  150.  »)  ib.  S.  161. 


72  E.  TH.  WALTER 

volksthümlichen  Lyi*ik    noch   früherer  Zeit   als  Epitheton   für  die 
Frau  zuzusprechen. 

Ebenfalls   der  ritterlichen  Poesie    weise  ich   die  Stellen    mit 
riten  zu  '). 

Jedenfalls  nicht  volksthümlich  sind  endlich  Verse  wie 
VenuB  schiuzet  iren  bolz  CB.    111* 

Venus  wil  mi  schiezen  n      124* 

die  Meyer  ebenfalls  heranzieht  *). 


Damit  habe  ich  die  Stellengruppen  der  Meyer'schen  Sammlung 
vollzählig  besprochen.  Nur  zwei  Gruppen  habe  ich  absichtlich  bis- 
lang übergangen,  weil  ich  später  auf  sie  noch  werde  eingehender  zu 
sprechen  kommen.  Es  sind  dies  die  Parallelen  zu  MF.  3,  1  —  4*) 
und  diejenigen  zu  CB  136**). 

Es  bleibt  mir  nur  noch  übrig,  kurz  das  Ergebniß  meiner  Unter- 
suchung zusammenzufassen . 

Fragen  wir  uns  zunächst  noch  einmal:  was  beansprucht  Keyer 
durch  die  vorliegende  Sammlung  bewiesen  zu  haben;  und 
welche  Gonseqnenzen  knüpft  er  an  das  angeblich  erlangte 
Eesultat? 

Wir  sind  in  der  Lage,  mit  seinen  eigenen  Worten  zu  ant- 
worten^): „Wir  haben  nun,  wie  ich  glaube,  die  Existenz 
einer  großen  Anzahl  von  Versen,  die  in  der  verloren  gegan- 
genen Volksdichtung  gerade  wie  noch  in  den  ältesten  er- 
haltenen Liedern  zu  neuen  Liedern  zusammengefügt  wur- 
den, für  alle  an  der  litterarischen  Cultur  Deutschlands 
betheiligten  Länder  nachgewiesen.'*  Er  sagt  ferner  von  diesen 
Versen®):  die  betreflfenden  Dichter  hätten  dieselben  gleichsam  als 
Bausteine  in  ihre  Gedichte  eingefügt  und  sie  nur  insoweit 
behauen,  als  es  der  Bau  ihrer  Strophen  erfordert  hätte. 

Aus  diesen  Worten  folgt  mit  voller  Nothwendigkeit ,  daß  die 
„verloren  gegangene**  Volkslyrik  so  ziemlich  den  älteren  Zeugnissen 
der  höfischen  Dichtung  muß  gleich  gewesen  sein;  daß  der  ritterliche 
Minnesang  ein  Abklatsch  der  „bäuerischen  Stegreifdichtung**  sei,  eine 
Folgerung,  die  er  selbst  vollkommen  als  die  seinige  anerkennt,  wenn 
er  äußert'):  die  Eunstdichtung  h-abe  sich  zunächst  so  wenig 

»)  ib.  S.  136.     ')  ib.  S.  136.     »)  ib.  S.  133.     *)   ib.  S.  139. 

»)  a.  a.  O.  S.  174.  cf.  oben  S.  10. 

^)   Meyer  a.  a.  O.  S.  167—168.  cf.  oben  8.  9. 

')  Meyer  a.  a.  O.  S.  226.  cf.  oben  S.  1,  Anm.  4;  S.  2,  Anm.  4;  S.  10. 


Ober  d£K  ursprumo  des  höfischen  Minnesanges  etc.        73 

von  der  ^bäuerischen  Stegreifdichtung"  entfernt,  d»ß  sie 
„luerst  gans  die  alte  Art  fortgeietst*'  habe. 

Fragen  wir  nun  weiter:  inwieweit  hat  tick  die  Meyer'sohe 
Sammlung  beweiskraftig  erwiesen! 

Wir  haben  zunächst  von  aiemlich  äufierliehem  Gesichtspunkte 
aus  eine  Anzahl  der  Gruppen  von  Parallelen  ausscheiden  müsseDi 
nachdem  wir  die  Überzeugung  gewonnen  hatten,  daß  zum  Beweise 
einer  Entlehnung  von  Versen  aus  früherer  Zeit  von  Seiten  späterer 
Dichter  solche  Stellen  nicht  tauglich  wären^  die  entweder  einem 
Dichter  allein  entnommen  wären  oder  nur  eine  einzige  Paral* 
lele  aufwiesen;  das  Gleiche  behaupteten  wir  von  den  Stellen,  die  einer 
Volkslyrik  späterer  Zeit  (also  nach  den  entlehnenden  [?]  Dich- 
tem) angehörten  ^). 

Wir  gingen  dann  auf  die  einzelnen  Gruppen  näher  ein  und 
fanden,  daß  die  Übereinstimmungen  in  den  zusammengestellten  Versen 
entweder  auf  einem  einzigen  Worte  beruhten,  oder  auf  Wen- 
dungen^  zusammengesetzteren  Ausdrücken,  die  zweifelsohne 
der  täglichen  Umgangssprache  entstammen;  oder  auf  solchen, 
die  so  noth wendig  dem  Kreise  jeder  Liebeslyrik  angehören,  daß 
ihr  wiederholtes  Auftreten  nicht  befremden  darf« 

Es  blieben  uns  darnach  noch  eine  Anzahl  anderer  Gruppen 
übrig,  bei  denen  wir  oft  nicht  umhin  konnten,  dem  Gedanken  an  eine 
Entlehnung  Baum  zu  geben.  Suchten  wir  aber  nach  einer  Quelle, 
aus  der  solche  formelhafte  Verse  geflossen  sein  mochten,  so  fanden 
wir,  daß  jede  andere  Dichtungsart  mehr  dafür  zu  gelten 
geeignet  sei,  als  gerade  die  Liebeslyrik;  daß  man  selbst  der 
Alltagsspracfae  des  Umgangs  die  Fähigkeit  zur  Bildung  der- 
artiger Formeln   nicht  absprechen  dürfe.    Die  lyrische  Form,   in   der 


')  Verwahren  möchte  ich  mieh  hier  gegen  einen  etwaigen  Vorwarf.  Man  kOnnte 
mir  vorhalten,  ich  hätte  dieae  Stellen  ansgesehieden ,  weil  sie  aus  den  Minnesingern 
entlehnt  sein  müßten.  Das  aber  au  behaupten  liegt  mir  ferne.  Ich  würde  nöthigen- 
falls  gerne  zugeben,  daß  die  spätere  Volkslyrik  aus  der  früheren,  d.  h.  vor  dem 
Minnesänge  vorhandenen,  Allerlei  bewahrt  oder  übernommen  haben  mag  und  wird; 
ich  leugne  nur,  daß  sich  irgendwie  von  bestimmten  Stellen,  die  uns  die  Sammlung 
bietet,  behaupten  lasse,  sie  müßten  der  Volkslyrik  entstammen;  sie  könnten  nicht 
auch  dem  höfischen  Minnesauge  ihre  Entstehung  oder  auch  Anregung  verdanken. 
Dem  gegenüber  zu  sag^i:  dann  müßten  diese  Volksljrikstellen  wenigstens  mit  gleichem 
Rechte  wie  die  späteren  Minnesinger  zugelassen  werden,  ist  werthlos.  Die  späteren 
Minnesinger  haben  natürlich  für  den  Ursprung  der  höfischen  Dichtung  ebenfalls  nicht 
die  geringste  Bedeutung;  die  Heranziehung  Neitharts  ist  schon  das  äußerste,  was 
man  sich  gefallen  lassen  kann. 


74       E.  TH.  WALTER,  ÜBER  D.  URSPRUNG  D.  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc. 

sie  uns ,  wie  Meyer  bemerkt,  entgegentreten  (meist  in  vierhebigen  Ver- 
sen), durfte  uns  natürlich  nicht  anders  stimmen.  Liegt  uns  doch  eine 
lyrische  Poesie  vor;  was  also  ihr  entnommen  ist,  muß  doch  selbst- 
redend lyrisches  Gewand  tragen. 

Endlich  fanden  wir  auch  die  Sammlung  nicht  frei  von  solchen 
Stellen,  die  ganz  offenbar  nicht  auf  einen  volksthümlichen  Ur- 
sprung zurückgeführt  werden  durften,  weil  ihr  ganzer  Cha- 
rakter einer  solchen  widersprach. 

Wir  haben  in  dieser  Weise  die  ganze  Sammlung  durchgeprüfte 
Stelle  für  Stelle,  ohne  anscheinenden  Schwierigkeiten  auszuweichen 
oder  sie  todtzuschweigen;  wir  haben  bei  unserer  Prüfung  noch  nicht 
einmal  den  strengsten  Maßstab  angelegt;  sonst  hätten  wir  Dichter 
der  späteren  Zeit,  die  doch  bereits  mit  dem  vollen  überlieferten  con- 
ventioneilen Materiale  der  höfischen  Poesie  arbeiteten,  die  aber  auch, 
wo  sie  unzweifelhaft  sich  mit  der  Volkspoesie  berührten,  nicht  für 
den  Ursprung  des  Minnesangs  in  Anrechnung  gebracht  werden 
durften  -^  ebenfalls  ausscheiden  müssen;  wir  hätten  auch  noch  auf 
die  gegenseitigen  Entlehnungen  der  ritterlichen  Sänger  selbst  auf- 
merksam machen,  wir  hätten  ein  Wort  von  der  allmähligen  Bildung 
eines  höfischen  conventioneilen  Kreises,  aus  dem  die  Minnesinger  mit 
wenigen'  Ausnahmen  nicht  herauszutreten  vermochten,  mit  einfließen 
lassen  müssen. 

Umsomehr  halten  wir  uns  jetzt  für  berechtigt,  unsere  Ansicht, 
die  wir  durch  die  voraufgegangene  Untersuchung  gewonnen  haben, 
dahin  auszusprechen: 

Die  Meyer*8che  Sammlung  hält  nicht»  was  sie  verspricht. 
Zum  Theil  ist  sie  nur  auf  eine  wenig  berechtigte  Weise  zu 
einer  bedeutenden  Stärke  angewachsen.  Im  Übrigen  be- 
weist sie  auf  keinen  Fall,  daß  die  zusammengestellten 
Verse  einer  Liebespoesie  entstammen:  sie  beweist  also 
nicht  einmal  die  Existenz  einer  Volks  liebeslyrik  über- 
haupt^), geschweige  denn  einen  Znsammenhang  zwischen 
einer  solchen  und  der  höfischen  Minnepoesie,  wieeroben^) 
verschiedentlich  mit  Meyers  Worten  als  Behauptung  auf- 
gestellt worden  ist. 

(Schluß  folgt.) 

L£IPZia  B.  TH.  WALTER. 


')  Wie  schon  oben  bemerkt,  leugnen  wir  eine  solche  durchaus  nicht. 
*)  Oben  Ö.  9  ff.  und  öfter. 


J.  HORNOFF,  DER  MINNESÄNQBR  ALBRECHT  VON  JORAN^DORF.      %i 

DER  MINNESÄNGER  ALBRECHT  VON 
JOHANSDORF- 

(Seblnft.) 


V.  Oedankenwelt. 
1.  Minne. 

Liebesbekenntniß.  Job.  88,9  Ich  minne  tie  v^  aUiu  uüp 
und  9wer  ir  de»  In  gote.  90,  14  Ith  mitme  ein  toip  vor  al  der  tverlte  in 
mxnem  muote*    87^  7   Wand  ich  zeiner  vröude  »i  mir  han  erkom. 

Haus.  45,  27  der  si  vor  al  der  werlte  hat  50,  31  ich  häns  er- 
kom vz  allen  mben»  Veld.  56,  17  die  ich  zer  besten  hän  erkom  odr  in 
der  werlte  mohte  echouwen,  £ugge  103,  5  dur  die  ich  elliu  wtp  verhir, 
103,  12.  dt  ichs  üz  al  der  werlie  erkds.  Mor.  122,  11  daz  ich  die  mine 
für  alliu  andriu  utp  hän  zeiner  kröne  geeetzet  sd  hd  und  ich  der  dehein 
üz  gnomen  hän.  130,  31  Ich  hän  ei  für  alliu  wvp  mir  ze  frouwen  und 
ze  liep  erkom.  147,  6  ...  und  iuch  so  herzeliche  minne  zewäre  frouwe 
gar  für  elliu  unpf  Beiom.  150,  3  die  solmir  iemer  sin  vor  allen  wiben. 
160,  9  got  weiz  wol,  sU  ichs  Srste  sacht  sd  hei  ich  ie  den  muot,  daz  ich 
vür  si  nie  kein  vnp  erkos.  183,  24  diu  midi  troesten  mac  fü»  elliu  wtp. 
197,  4  Wüz  unmäxe  ist  daz,  ob  ich  des  hän  geeiDom,  daz  si  mir  lieber 
n  dan  elUu  luip? 

Job.  90, 16  Ich  wil  gesehen,  die  ich  von  kinde  her  geminnet  hän 
für  alliu  vAp. 

Der  Ausdruck  ^von  kinde  hei*  minnen  berubt  auf  dicbterisehor 
Übertreibung.  Das  beweist  Hartm.  215,  29  si  wa^  von  kinde  und  muoz 
me  sin  wnn  krüne^  verglichen  mit  dem  Anfange  des  Liedea,  ivonacb 
die  erste  Bekanntschaft  der  bereits  herangewachsenen  Schönen  gilt '). 

Hartm,  206,  17  der  ich  gedienet  hän  mit  stcetekeit  sit  der  stvnt 
deich  üfem  stabe  reit  Mor.  136,  10  Ich  bin  noch  alee  si  miqh  hat 
vefi'län  vil  stceie  her  von  einem  kleinen  kinde.  184,  81  si  ist  mir  liep 
gewesi  da  her  von  kinde.     Hausen  50,  11. 

Auch  bei  den  Troubadours,  besonders  Ventadorn  häufig^). 

Eigenschaften  der  Geliebten.  Mit  welchen  Eigenschaften 
die  Geliebte  von  den  älteren  Minnesängern  dargestellt  ist ,  hat  Gott- 
schau (Beitr.  7,  380  flF.,    Johansdorf  besonders  S.  388)   gezeigt.  Her- 

^)  Lehfeld,  Friedrich  yon  HaoseD,  Beitr.  IT,  398. 

')  Vgl.  F.  Michel,  Heinrich  von  Moniogen  und  die  Troubadours.  Straßburg  1880. 
S.  128  f. 


76  J.  HOBNOPF 

vorgehoben  zu  werden  verdient  nur,  daß  Johansdorf  die  Güte  seiner 
Dame  mehr  betont  als  die  Schöne.  Der  Ausdruck  achoene  findet 
sich  nur  in  zwei  unechten  Liedern:  *92,  16  der  vil  schoenen  und  *93,  2 
die  vil  schoenen,  in  den  echten  Liedern  nur  einmal  diu  wolgetäne  87,  13. 
—  wolgebom  87,  11  heißt  nicht,  wie  G.  Preytag*)  übersetzt,  ^schön", 
sondern  ^hohen  Standes^. 

Ausdrücke  für  Güte  sind:  91,  3  der  guoten,  95,  9  ir  vil  guoten  lip. 
95,  7  diu  mit  ir  vnbes  güete  gemachen  kan,  daz  man  ei  vüeret  über  se, 
90,  22  diu  tugende  nie  verlie.  Aus  den  unechten  Liedern  kommen  noch 
hinzu:  *93,  14  diu  guote.  *94,  13  frouwe  guoU  *93,  4  eist  aller  güete  ein 
gimme.    *92,  10  wcbt  sie  vil  reine  niet  und  alles  wandele  frt. 

In  dieser  Hinsicht  steht  Johansdorf  besonders  mit  Rugge  und 
Reinmar  zusammen.  Rugge  101,  15  got  hat  mir  armen  ze  leide  getan, 
daz  er  ein  wvp  ie  geschuof  als^  guote.  103,  6  si  mSret  vil  der  vro'ide 
min  und  kan  mit  güete  sich  erwern,  daz  man  ir  valschheU  niht  engiht. 
y.  17  der  schoenen  dei*  sol  man  den  strU  vil  gar  an  gurten  dingen  lein, 
V.  19  mm  Itp  vor  liebe  muoz  ertoben,  swenne  ich  daz  allerbeste  tbtp  sd 
gar  ze  guote  hoere  loben.  Die  Güte  wird  über  die  Schönheit  erhoben: 
105,  22  ichn  wetz,  ob  ieman  schoener  ^,  ezn  lebt  niht  vribes  alse  guot. 
107,  27  nach  frouwen  schoene  nieman  sol  ze  vil  gef ragen,    sint  si  guot. 

Reinm.  151,  19  alse  guoten  Itp,  165,  30  ez  wart  nie  niht  sd  lobe- 
sam,  swä  duz  an  rehte  güete  kSrest,  sd  du  bist  (:=  wie  es  deinem  Wesen 
entspricht).  169,  29  ein  tmp,  diu  hat  sich  underwunden  guoten*  dmge 
und  anders  niet.  183,  22  diust  an  güete  ein  üzerweüer  Up.  183,  27  wir 
suln  alle  frouwen  ^'en  umb  ir  güete,  184,  14  ir  güete  wendet  miniu  leit, 
190,  3  wie  tuot  diu  vil  reine  guote  s6f  y,  9  si  ist  vil  guoi,  198,  22  si 
ist  sd  guot   Die  Güte  erscheint  hier  als  das  eigentliche  Wesen  der  Frau. 

Dienst  und  Lohn.  Dienst:  91,5  der  ich  diene  und  iemer 
dienen  wil. 

Den  Ausdruck  ^dienen'  haben  seit  Meinloh  alle  Minnesänger. 

Joh.  88,  12  m  ir  geböte  sten, 

Reinm.  168,  84  von  ir  geböte  wil  ich  niemer  werden  frx. 

Das  Bemühen  um  die  Huld  der  Dame  wird  als  ein  Ringen 
bezeichnet: 

Joh.  90,  24  iah  hän  also  her  gerungen, 

Hausen  46,  19  Mit  grdzen  sorgen  hat  min  Itp  gerungen  alle  sine  zvt. 
Gutenburc  78,  15  daz  er  (=  der  muoi)  ie  sd  nach  ir  minne  geranc. 
Fenis  85,  17  der  müez  als  unsenfte  ringen,  als  ich  tuon  mit  seneden 


*)  Bilder  deutscher  Vergangenheit  I,  639. 


DER  MINNESÄNGER  ALBBEOHT  VON  JOHANSDORF.  77 

dingen.  Horheim  114,  1  aiwM  ie,  näeh  der  min  herze  rane  und  iemer 
muoz.  Mor.  135,  9  We,  wie  lange  sol  ick  ringenf  139,  23.  27.  Reimö, 
158,  18  dar  nach  ich  ie  mit  triuwen  ranc.  190,  2.  Harim.  209,  7  nach 
der  ie  min  herze  ranc.    218,  27. 

Indem  die  Dame  das  kecke  Werben  abzuwehren  sacht,  ent- 
brennt der  Streit  zwischen  den  Liebenden. 

Job,  87,  29  ich  unde  ein  vsiip  wir  haben  geatriien  nu  vil  manege 
z%    ich  hän  van  ir  zame  vil  erliten.    noch  heUet  $i  den  strtU 

Hausen  46,  9  m^  herze  unsanfte  sünen  strit  lät,  den  ez  nu  manege 
ztt  behabet  wider  daz  aller  beste  mp.  Gutenb.  75,  36  mir  ist  verseit, 
dar  nach  ich  streit.  Rugge  106,  36.  ßeinm.  200,  39.  Hartm.  207,  7. 
17  etc. 

Die  Dame  gestattet  den  Dienst. 

Job.  92,  11  Si  sol  mir  erlauben,  daz  ich  von  ir  tugenden  spreche. 
Gutenb.  76,  35  der  gedinge  tuot  mir  wol,  daz  ich  wol  weiz  daz  si 
mir  gan  ze  dienen  umbe  ir  hulde. 

Der  Kitter  stellt  seine  ganze  Persönlichkeit  in  den 
Dienst  der  Dame. 

Job.  88,  11  alle  mine  sinne  und  ouch  der  Itp  daz  stSt  in  ir 
geböte. 

Horheim  114,  15  sit  ich  ir  gap  heidiu  herze  unde  lip  üf  ir 
genäde.  Fenis  82,  34  Z«p  unde  sinne  die  gap  ich  für  eigen  ir  üf 
gendde,  der  hat  si gewaU.  Reinm.  152,  5  ich  hän  vil  ledecliche  bräht 
in  ir  gendde  mtnen  Itp. 

Der  Dichter  rechnet  dabei  auf  Lohn. 

Job.  90,  37  noch  gedinge  ich,    der  ich  vil  gedienet  hän  da»  si  mir 


Hausen  49,  21  &tt  ich  daz  herze  hän  verläzen  an  der  besten  eine, 
des  sol  ich  Idn  enpfän.  Gutenb.  70,  17  doch  var  ich  gern  hin  an.  daz 
zilf  da  si  da  sol  und  Idnen  wil.  i70,  37  nu  wil  ich  noch  ir  gnaden  irdst 
erbeiten.  71,  1  ff.  77,  25  dö  tcÄ  si  mir  erJcSs  —  'ßf  guoten  riche  Schemen 
Idn.  Horheim  114,  18  ich  hoffe  des^  daz  mki  reht  iht  sii  sd  guot^  daz  si 
mir  schier  ein  vil  liebez  ende  gtt.  Reinm.  183, 13  mir  ist  liebes  niht  geschSn  : 
ich  gedinge  ab ,  ob  ich  ez  verdiene,  ez  müge  mir  wol  ergSn.  189,  37  guot 
gedinge  üz  Idnes  rehte  nie  gebrach,  des  habe  ich  hin  zir  hulden  guot 
gedivge.  191,  37  mit  fuoge  ichz  tougenlichen  trage  und  gedenke  ^es  wirdet 
rät\  äls8  hob  ich  gelebet  lier,  daz  mir  min  dinc  noch  schöne  stät. 

Der  Dichter  bittet  um  Lohn. 

Job.  '"^92,  18  scheide  frouwe   disen   strit,    der  in  mtnem  herzen  tk, 


78  J.  HOHNOFF 

mtt  reines  unbee  giieU,    *93,  36  länt  mich  noch  geniezen^  daz  ich  tu  von 
herzen  ie  weis  holt.    Negativ:  *92,  25  du  lä  gein  mir  den  dtnen  haz. 

Rttgge  190^  27  frouwe  tuo  des  ich  dich  bite,  daz  ich  iemer  A  d^nes 
heiles  vro,    v.  37  troeste  mir  den  Itp. 

Der  Dichter  überläßt  Bicb  ganz  der  Hald  seiner  Dame. 

Job.  91,  18  ich  wil  ez  allez  an  ir  güete  lan»  ir  genäden  der  be- 
darf ich  wo^.    "^92,  33  tV  genäde  stänt  däU. 

Eist  37,  2  du  nim  mich  in  düne  genäde.  38,  14.  40,  25.  Hausen 
46,  35  dd  sich  verlie  min  herze  üf  genäde  an  sie.  Gutenb.  71,  22  oh 
si  min  ld)en^  deich  hän  gegeben  an  ir  genäde  ^  nceme.  11  y  32.  Fenis 
82,  34  Ltp  nnde  sinne  die  gap  ich  für  eigen  ir  üf  genäde  :  der  hat  si 
gewalt.  Rugge  106,  36  nach  rehte  liez  ich  minen  siril,  daz  mir  ir  miruie 
lones  gnade  teste.  Hör  heim  114,  15  sU  ich  ir  gap  heidi  a  herze  ynde  ftp 
üf  ir  genäde.  Keinm.  158,  31  genäde  ist  endeliche  da.  diu  'rzeige  sich 
ah  ez  an  mtnem  heile  A.  193,  19.  194,  33.  Mor.  134,  25  ich  darf  vil 
wol^  daz  ich  genäde  vinde.  Hartm.  214,  38  der  wil  dur  dinen  willen 
disen  sumer  sin  vil  hohes  muotes  verre  üf  die  genäde  dtn. 

Die  Dame    treibt   ein    falsches  Spiel  mit  dem  Dichter. 

Job.  86,  9  ich  wil  ir  rSUen  6i  der  sele  min  durch  keine  liebe,  niht 
wan  durch  daz  reht.  waz  möht  ir  an  ir  tutenden  hezzer  sin^  dan  obes 
ir  umberede  lieze  sieht,  tcete  an  mir  einvaltecUche,  als  ich  ir  einvaUec  bin. 

Gutenb.  76,  3  si  giht  alrerst,  wan  sU  dernäch  versaget  si  mir  in 
spotes  «?&.  V.  12  «i  sprichet  dicke  deich  erschricke  frömdiu  wort  von 
schimpfe,  si  tuot  verirett,  swaz  si  gerett  vor  liuten  mit  gelimpfe.  Mor. 
128,  25  Lachen  unde  schoenez  sehen  und  guot  gelceze  hat  ertoeret  lange 
mich,  mir  ist  anders  niht  geschehen.  Reinm.  195,  23  nieman  weiz,  ob  si 
mich  wert  od  wiez  ergät:  nein  oder  ja,  ich  enweiz  enwederz  da.  171,  11 
Jri  ist  liep,  daz  man  si  stceteclichen  bite^  und  tuot  in  doch  s$  lool^  daz  si 
nersagent  hei,  wie  manegen  wunderUchen  site  si  tougenliche  in  ir  herzen 
tragent !    . 

Die  Dame  belohnt  den  Dichter  durch  einen  Kuß. 

Job.  *93,  5  geprüevet  hat  ir  r&ter  munt,  daz  ich  muoz  iemer  mere 
mit  fröuden  leiben  zaüer  stu^nt,  awar  ich  des  landes  kere.  alsd  hat  si 
gelSnet  mir.    gescheiden  hat  mich  niht  von  ir  frou  Zuht  mit  siiezer  Wre. 

Der  Lohn  besteht  in  gesellschaftlicher  Veredlung  des 
Ritters. 

Job.  *94,  11  ^Ju  sol  wol  gelingen,  dne  Idn  sS  sidi  ir  nikt  hestänj" 
Wie  meint  ir  daz^  frouwe  guotf  Dax  ir  deete  werder  sint  imd  däbt 
hdchgemuoK* 


DER  MINNESINGER  ALBHECHT  VON  J0HAN8D0RF.  79 

Eist  33,  26  si  hat  pethtret  mir  den  muot  ReiDiii.  ]80,  20  nu  Idne 
ir  got^  ich  bin  von  ir  gendden  wol  gezogen  r 

Mag  nun  aber  die  Dame  lohnen  oder  nicht  lohnen, 
der  Dichter  lobt  sie  dennoch« 

Joh.  90;  18  nnd  ist^  daz  ich  gendde  vindey  $6  gesach  ich  nie  8d 
guoten  lip,  ob  ab  ich  ^ir  wcere  ml  gar  unmc&r^y  so  ist  si  doch,  diu 
tugende  nie  verlie. 

Hausen  47,  1  Swaz  schaden  ich  da  von  geumnnen  hän,  sd  friesch 
nie  manj  deich  ir  iht  sprceche  warte  guot^  noch  mm  munt  von  frowen  nie- 
mer  iuot.  Gutenb.  76,  8  Swaz  si  mir  tuot^  dost  allez  gttot^  ichn  Tnac 
ir  niht  entwenken.  77,  29.  Mor.  140,  27  des  muaz  ich  ringen  mit  der 
klage  unde  mit  der  nüt,  dieeh  selbe  mir  geschaffet  hän,  so  ist  siz  doch 
diu  frouwe  mm  :  ich  binzj  der  ir  dienen  sol  und  wünsche  ir  deSy  dazs 
iemer  scelic  müeze  sin.  Reinm.  184,  8  ez  sol  mich  (Haupt  mit  C:  ich) 
aUez  dünken  guot^  swaz  si  mir  tuM,  Hartm.  207,  29  SU  ich  mich  rechen 
sol,  deswdr  daz  si  und  doch  niht  anders  wan  alsQ^  daz  ich  ir  heiles 
gan  baz  dan  ein  ander  man,  und  hin  däbH  ir  leides  gram  ir  liebes  frd, 
208,  4  ich  spriche  ir  niuuHin  guat  e  ich  beswoBre  ir  muot,  so  w'd  ich 
i  die  schulde  zuo  dem  schaden  hän. 

Vergeblicher  Dienst. 

Joh.  87,  29  ich  und  ein  wtp  wir  haben  gestriten  nu  vil  manege  ztt 
ich  hän  von  ir  zome  vil  erliten.  89,  9  Swaz  ich  nu  gesinge,  deist  aUez 
umbe  niht :  mir  weiz  arin  niemen  danc  :  ez  wiget  allez  ringe,  dar  ich  Iiän 
gedienety  da  ist  mm  Idn  vil  kranc,  ez  ist  hiure  an  genäde  unnasher  danne 
vert ,  und  loirt  über  ein  jär  vil  Uhte  kleines  IQnes  wert  *93,  24  Neinä, 
kUneginne!  daz  min  dienest  sd  iht  «$  verlorn! 

Gutenb.  75,  86  Mir  ist  verseit^  dar  nach  ich  streit.  76,  1  min  ISn 
der  ist  noch  unbereit  Fenis  81^  2  si  wil,  daz  ich  femer  dien  an  solhe 
stat,  da  noch  mm  dienest  ie  vil  kleine  wac.  Rugge  101,  23  k^nde  ich 
die  mäze,  sd  lieze  ich  den  strit,  der  mich  da  müeget  und  Utteel  vervähet. 
101;  28.  Horheim  114,  3  Mich  hat  daz  Jurze  und  ein  unwiser  rät  ze 
verre  verleitet  an  tumpliehen  muot,  da  doch  min  dienest  vil  kleine  vervcU. 
Mor.  136,  12  dSswär  mir  ist  nach  werde  niht  gelungen*  133,  6  sisl  mit 
lügenden  und  mit  werdekeit  sd  behux)t  vor  aüer  slahie  unfröuwdieher  täi, 
wan  des  einen,  daz  si  mir  verseif,  ir  genäde  und  mmen  dienest  sd  ver- 
derben lät.  Reinm.  164,  7  ich  diende  ir  ie  :  mim  Idhde  niemen.  175,  16 
ich  bin  maller  dinge  ein  seelic  man^  wan  des  einen  da  man  länen  sol. 
Hart.  206,  24  daz  kan  mich  niht  vervän  an  einer  stat^  da  ich  noch  ie 
genäden  bat  208,  3  si  wil  mich  ungeldnet  län.  209,  7  wan,  nach  der 
ie  mtn  herze  ranc,  diu  lät  mich  trdstes  äne* 


80  J.  HORNOPF 

Die  Dame  weist  den  Dichter  ab. 

Joh.  *94,  6  Idnt  die  bete,  die  memer  mac  geschehen.  *93y  23  so 
wil  ich  in  tüsent  jären  niemer  iuch  gewem. 

cf«  Gutenb.  75,  31  j&  hat  si  mines  Idnea  zil  geseizet  an  wol  tül^entjär. 

Die  Dame  weist  ihn  an  andere  Frauen. 

Joh.  ^4;  8  got  der  wer   iueh  ander swä,    des  ir  an  mich  dd  gert. 

Sie  verweigert  dem  Dichter  sogar  den  G-ruß. 

Joh.  86,  19  nu  hott  mich  gar  ir  friundes  gruoz  vermiten. 

Hausen  53^  7  wäfen,  waz  habe  ich  getan  sd  zandren,  das  mir  diu 
guote  ir  gruozes  erhunde?  Fenis  80,  22  ir  schoener  (Haupts  Conjectur 
swacher)  gruoz  scheidet  mich  von  ir  Übe.  Rugge  102,  5  Nu  scheidet 
mich  davon  (von  Liebessorgen)  ein  ungemach&r  gruoz* 

Der  Dichter  verzweifelt  an  der  Erfüllung  seiner 
Hoffnung. 

Joh.  86,  23  herre,  wan  ist  daz  mm  Wien,  daz  mir  niemer  leit  ge- 
schihtf    Der  Lohn  als  Lehen  bezeichnet. 

Ähnliche  verzweifelnde  Ausrufe  bei  Morungen  und  Reinmar. 

Mor.  126,  39  wenne  sol  mir  iemer  liep  geschSnf  13ö,  9  we,  wie 
lange  sol  ich  ringen  f  128,  1  Owe,  daz  ich  ie  so  vil  gebat  und  geflöhte 
an  eine  etat,  da  ich  gnaden  nienen  se!  Reinm.  156,  32  wenne  sol  mir 
iemer  spihdiu  fräide  komen?  165,  22  gewinne  ab  ich  nu  niemer  guoten 
tac?  188,  38  v}^y  wanne  kamt  mir  heiles  tacf  199,  16  wenne  sol  ich 
liehen  tac  an  dem  geleben  f 

Der  Dichter  sieht  sich  in  seiner  Hoffnung  getäuscht. 

Joh.  86,  17  Ich  wände,  daz  min  kiJtme  wcer  erbiten.  dar  uf  het 
ich  ge  dingen  manege  zit,  nu  hat  mich  gaa*  ir  vriundes  gruoz  vermiten, 
mm  bester  trdst  der  woen  da  nider  geltt.  Ich  muoz  alse  wilen  vlehen  und 
noch  harter»    hülfe  pz  ihtl 

Mor.  143,  10  Ich  was  eteswenne  frd,  dd  min  herze  wände  neben 
der  sunne  stän.  dur  die  wölken  sach  ich  hd  :  nu  muoz  ich  mm  ouge  nider 
zer  erde  län.  mich  trivget  alze  sere  ein  vil  minnecVkher  wän,  sit  daz 
ich  von  ir  niht  wan  leit  und  herzeswcere  hän.  138,  10  ff.  (besonders 
V.  14).  Mor.  145,  29  Öwe  leider,  jQ  wand  ichs  ein  ende  hän  ir  vil  tüünnec- 
Uchen  werden  minne.  nu  bin  ich  vil  küme  an  dem  beginne,  des  ist  hin 
mtn  wunne  und  ottch  min  gemder  wän.  Gutenb.  70,  30  Nu  ist  ze  lanc 
ir  habedanc,  daz  tuot  mich  kränc,  des  hän  ich  mengen  ungedanc,  daz 
lenget  mir  die  kurzen  tage  und  niuwet  mir  die  alten  klage,  vor^  der  ich 
wände  «tn  erlöst.  Reinm.  153,  36  dd  wand  ich  ie,  si  woU  ez  wenden, 
boet  ich  si  noe/i,  ich  künde  ez  niht  verenden.  Reinm.  158,  37.  190,  11 
lieber  wän  ist  äne  troesten  dd. 


DER  MIKNESÄNGEB  ALBRBCHT  VON  JOHANSDORF.  gl 

Oetfaeilter  Dienst. 

Job.  89y  16  des  frag  ick,  ob  ez  mit  fuoge  müge  geschehen^  wcer  ez 
niht  unatcBie^  der  zw  ein  mben  weite  sin  für  eigen  jehenf 

Es  ist  dies  die  einzige  Stelle  in  den  Liedern  der  älteren  Minne- 
sänger, wo  der  Dichter  durch  das  Vergebliche  seines  Werbend  um 
die  Huld  der  einen  Dame  sich  veranlaßt  fühlt,  nach  der  Zulässigkeit 
eines  doppelten  Dienstes  zii  fragen.  Die  übrigen  Minnesänger  spre- 
chen in  diesem  Falle  meist  nur  den  Wunsch  aus,  sich  einer  anderen 
Dame  zuzuwenden,  welchem  dann  häufig  aber  die  Revocatio  folgt. 
So  vor  Allem  Beinmar,  z.  B.  160,  35  möht  ich  mich  noch  bedenken 
baz  unde  nceme  von  ir  gar  den  muot!  Neina^  herre!  j&  ist  si  s$  guot. 
173,  1  ff.  194,  15  ff.  etc.  Fenis  81,  5  ff.  v.  14.  v.  22.  Hartm.  208,  37  ff. 

Lust  und  Leid. 

Der  Ausdruck  der  Freude  ist  seltener  als  der  Ausdruck  des 
Schmerzes,  zumal  wenn  wir  die  unechten  Lieder  *92,  14  und  *92,  35 
nicht  berücksichtigen. 

Alle  Freude  geht  von  der  Geliebten  aus. 

Job«  87,  8  wand  ich  zeiner  wöude  si  mir  hän  erkom. 

Reinm.  175,  29  die  ich  mir  ze  fröuden  het  erkorn.  Meinloh  14,  26 
toan  diu  guote  ist  fröiden  rieh,  des  wil  ich  iemer  fröuwen  mich*  Eist 
32,  11  a»  der  al  mtn  fröide  lit  Hausen  43,  28  an  der  genäden  al  min 
fröide  stät,  45,  3.  Veld.  59,  32  ich  wil  frd  sin  durch  ir  dre,  diu  mir 
daz  hat  getan  y  daz  ich  von  der  riuwe  kere.  Gutenb.  78,  19  si  schuof 
daz  ich  fröiden  mich  underwant,  die  ich  mir  hän  zeiner  frouwen  erkant. 
Fenis  83,  2  diu  mich  sol  machen  wd,  vroelich  gemuot,  82,  4  diu  mac 
mich  wol  ze  vröuden  hüs  geladen,  Rugge  lOOj^  3  in  der  gewaU  mm 
fröide  stät.  103,6  si  meret  vil  der  fröide  min,  110,  31  si  kctn  verkeren 
sorgen,  der  ich  wafde.  Mor.  123,  4  des  wirde  ich  stceter  vröide  vil  rieh 
(=  von  ihrer  tugende).  131,  38  und  an  der  ist  al  min  wünne  behalten, 
Keinm.  154,  25  {got)  hat  ze  vröiden  mir  gegeben  an  einem  wibe  liebes  vil. 
158,  23  daz  beste  geü  der  fröiden  min  daz  lit  an  ir.  202,  13.  Verall- 
gemeinert: von  den  Frauen  kommt  alle  unsere  Freude.  183,  31  elUu 
fröide  uns  von  in  kumt  und  al  der  werüe  hört  uns  an  ir  trost  ze  nihte 
frutht.  195,  6  an  in  lit.  der  werke  wunne  und  ouch  ir  lieiL  Wol  im, 
ei'st  ein  scelic  man ,  der  wol  an  in  erwirbet  phliht  der  fröiden ,  der  ir 
giiete  wunder  geben  kan, 

Job.  90,  23  vröude  und  sumer  ist  noch  allez  hie  (in  der  Person 
der  Geliebten  vereinigt)» 

Gutenb.  69^  12  si  ist  min  sumerwünne.  Namenloses  Lied  6,  9  mich 
diinket    winter   unde  sne  schoene    bluomen   unde  kW,    swenn  ich  in  um- 

aEKHANJA.    Nene  Keihe  XIII.  (XXXIY.)  Jahrg.  6 


82  J.  HOBNOPP 

bevangen  hän'^  anklingend  an  90,23.  Die  Frau  empfindet  Sommerlust, 
wenn  sie  ihren  Bitter  umfaßt  hält. 

Auffallend  reich  sind  in  den  beiden  unechten  Liedern  (*92;  14. 
36)  die  Freudenergüsse.  *92,  16  min  fröide  an  der  vä  sehoenen  lit, 
fläch  der  min  herze  wüetet.  *93,  2  Swenne  ich  die  vil  sehoenen  hdn,  sdn 
mae  mir  niemer  mieeegdn. 

Die  Erhörung  mit  den  Freuden  des  Himmels  verglichen:  *92;  25 
du  lä  gein  mir  den  dünen  haz,  $<m  mac  mir  niemer  werden  haz,  wan  in 
dem  himelriche. 

Die  Gewährung  des  Kusses  erscheint  dem  Dichter  als  y,cine 
Krönung  durch  die  S«lde".  *92,  35  diu  Scelde  hat  gekroenet  mich  gein 
der  vil  süezen  minne.  *93,  7  geprüevet  hat  ir  r&ter  munt^  daz  ich  muaz 
iemer  mSre  mit  fröuden  leben  zaUer  stunt,  ewar  ich  des  landes  kire. 
*92,  28  Und  solde  ich  iemer  daz  geleben,  daz  ich  si  umbevienge^  s6  mües 
mtn  herze  in  fröuden  swehen.  stvenn  daz  alsd  ergienge,  sd  wurde  ich  von 
sorgen  fn  etc. 

Die  Freude  äußert  sich  im  Gesänge. 

Joh.  90,  28  JVol  micli   singe  ich  geme^  swenn  ichz  geleme. 

Einen  geradezu  überschwänglichen  Ausdruck  verleiht  der  Dichter 
seiner  Freude,  indem  er  sich  das  Erscheinen  eines  Liebesboten  vor- 
stellt, 91,  36.  In  drei  analogen  Sätzen  spricht  er  den  Gedanken  aus, 
daß  der  Bote,  wie  auch  immer  er  persönlich  zu  ihm  stehen  möge,  doch 
als  von  der  Geliebten  gesendet  hochwillkommen  sein  solle. 

Seehe  ich  ieman ,  der  jcehCf  er  wcere  von  ir  komen ,  wcere  ich  dem, 
inni^  ich  wok  in  grüezen.  \  aüez,  daz  ich  ie  gewan,  het  er  mir  daz  ge- 
nomen,  daz  möht  er  mir  mit  sinen  mceren  büezen,  \  swer  si  vor  mir 
nennet  ^  der  hat  gar  mich  ze  friunde  ein  ganzez  jdr,  het  er  mich  Joch 
verbrennet. 

Viel  einfacher  geben  die  übrigen  Minnesänger  ihre  Freude  kund, 
wenn  sie  auf  die  mcere^  liebiu  mcere  oder  den  boten  zu  sprechen  kommen. 
Meinloh  14,  26  Ich  hän  vemomen  ein  mcere.  mtn  muot  sol  aber  hdhe 
stän.  Bugge  107,  15  mtn  wurde  rät,  wolde  si  mir  künden  liebiu  mosre, 
110,  17  Mich  fröit  an  alle  swcere  wol^  daz  ich  sd  liebiu  mcere  hän  ver- 
nomen^  der  ich  mich  gerne  troesten  soL  mir  ist  der  muot  von  grSzen 
sorgen  komen.  Mor.  147,  19  nu  hat  man  mir  mcere  bräht,  der  ist  frd 
mtn  herze  inbinnen.  Beinmar  175,  13  gescehe  ich  wider  äbent  einen  kleinen 
boten^  sd  gesanc  nie  man  von  fröiden  baz.  196,  15  ^weete  icÄ,  ob  ez  alsd 
Wfxre^  sd  engehdrte  ich  nie  vor  maneger  uMe  ein  lieber  mceri  (Frauenstr.). 
162,  14  wan  ir  (=  der  werUe)  ntden  moht  ich  nie  sd  wol  erliden.  ein 
liebez  mcere  ist  mir  gesaget.    Hartm.  215,  2  (Bote  zur  Frau:)  daz  soU 


DER  MINNESINGER  ALBRBCHT  VON  JOHANdDORF,  88 

du  minneeäehe  enpfän^  daz  ich  mü  guoien  mceren  var,  $6  bin  ich  wiüe- 
körnen  danr» 

Umgekehrt  liegt  anoh  die  Freude  der  Frau  andern 
Ritter. 

Job.  94,  38  (Fraaenstrophe)  vröudeldser  Up^  wie  wü  du  dich  ge- 
hären, swenne  er  hinnen  vert,  durch  den  du  wcere  ie  hdchgemuotf 

Eist  39^  29  (Tagelied)  ßwS,  du  füerst  min  fröide  eament  dir 
(nach  Pfeiffer  Germ.  III,  489).  Hausen  54,35  dee  iet  er  mtn  leii- 
veririp  und  diu  hoehste  wunne  mtn.*  Reinm.  199,  39  ^man  sd  guoien, 
haz  gemuoten  hän  ich  selten  noch  gesehen,  im  geUehen  noch  so  gemelUchen^ 
In  dem  vür  die  swasre  bezzer  fröide  wcere^  200,  20  ^wcl  dem  Ube,  der 
dem  mbe  seihe  fröide  machen  kan,*  Hartm.  217,  22  dd  ich  sin  pflae, 
do  freite  er  mich.* 

Bedingte  Freude. 

Job.  91,  5  ich  sol  ze  mäze  lachen,  unz  ich  sin  gendde  erkenne, 
als  ich  danne  bemnde,  wie  ez  allez  stät,  da  nach  lache  ich  denne. 

Reinm.  156,  34  Michn  scheide  ein  vnp  von  dirre  klage  und  spreche 
ein  wort,  als  ich  ir  sage^  mir  ist  anders  iemer  we.  168,  32  michn  be- 
swcere  ein  rehte  herzelichiu  n6t,  min  sorge  ist  anders  Jcleine.  8d  daz 
danne  an  mir  ergätj  sd  kamt  aber  hoher  muot,  der  mich  niht  trüren  lät. 

Leid.  Grund  zu  Trauer  und  Klage  findet  der  Dichter  in  der 
abweisenden  Haltung  der  Geliebten,  in  ihrem  zweideutigen  Benehmen, 
der  Versagung  ihres  Grußes,  der  Trennung  von  ihr. 

Sprödigkeit  der  Geliebten. 

Job.  *93,  28  frouwe  iur  haz  tuot  mir  den  töt  —  Der  Entschluß, 
trotz  der  Erfolglosigkeit  seines  Werbens  der  Geliebten  treu  zu  bleiben, 
kostet  dem  Dichter  Überwindung.  86,  1  min  erste  liebe  ^  der  ich  ie 
began^  diu  selbe  muoz  an  mir  diu  leste  sin*  an  vröuden  ich  des  dicke 
schaden  hän. 

Die  Koketterie  der  Dame  schmerzt  den  Dichter  weniger 
um  seinetwillen,  als  aus  dem  Grunde,  weil  die  Dame  damit  einen 
Verstoß  gegen  Recht  und  feine  Sitte  begebt. 

Job.  86,  9  Ich  wil  ir  raten  bi  der  sele  min  durch  keine  liebe^  niht 
loan  durch  daz  reht :  waz  mäht  ir  an  ir  tagenden  bezzer  «In,  dan  obes 
ir  umberede  lieze  sieht,  tcete  an  mir  einvaüediche,  als  ich  ir  einvaUec  bin, 
an  vr&uden  wirde  ich  niemer  viche,  es  enwer  ir  beste  sin. 

cf.  Gutenb.  76,  9  ff.  Mor.  123,  29  wie  stSt  miner  frouwen  daz, 
daz  si  sich  vergaz  und  verseite  mir  ir  huldef  owi  des^  wie  rehte  unsanfte 
ich  dulde  beide  ir  spot  und  otteh  ir  haz. 

6* 


84  J.  HORNOFP 

Reinmar  hat  nicht  den  Muth,  die  Koketterie  der  Damen  geradezu 
zu  tadeln,  er  bezeichnet  sie  nur  als  eine  wunderliche  Sitte.  17 1,  11 
In  ist  liep,  daz  man  si  atcetecKchen  hite,  und  tuot  in  doch  8^  wol,  daz  »i 
vpi*8agent.  hei,  wie  managen  muot  und  wunderliche  site  si  tougentiche  in 
ir  herzen  tragent!    cf.  187,  9. 

Verweigerter  Qriiß« 

Joh.  86,  19  nu  hat  mich  gar  irfriundes  gruoz  vermifen,  nan  bester 
röst  der  warn  da  nider  gellt    cf.  Hausen  53,  7. 

Getrenntsein  von  der  Geliebten. 

Joh.  9J,  1  Ez  ist  manic  wile,  daz  ich  niht  von  vröuden  sanc  und 
enweiz  och  rekte  nild,  wes  ich  mich  vröuwen  mac.  daz  ich  der  guoten 
niht  ensac/i,  des  danket  mich  vil  lanc.  Gleichzeitig  liegt  darin  die  Klage 
über  die  lange  Dauer  des  Dienstes,  die  auch  aus  90,  24  spricht. 
Ich  hdn  alsS  her  gerungen,  daz  vil  trürecliche  stux)nt  min  leben,  dicke 
hän  ich  we  gesungen. 

Schmerz  über  die  lange  Trennung  finden  wir  auch  bei  Eist: 
32,  13  Seneder  friundinne  bäte,  nu  sage  dem  schoenen  w2be,  daz  mir  tuot 
äne  mäze  we,  daz  ich  si  sd  lange  mtde.  34,  25  des  werdent  mir  diu  jär 
sd  laue,  sol  ich  von  der  gescheiden  sin.  Reinm.  199,  31  sol  ich  Itden 
von  ir  langez  miden,  daz  milet  mich  wöl  sere.    Gut.  74,  21. 

Reichlicher  fließt  die  Klage  über  den  allzu  langen  Dienst: 
Gutenb.  70,  30  nu  ist  ze  lanc  ir  habedanc.  daz  tuot  mich  kranc.  des 
hdn  ich  mengen  ungedanc,  daz  lenget  mir  die  kurzen  tage  und  niuwet 
mir  die  alten  klage  y  von  der  ich  wände  sin  erWst.  Reinm.  185,  85  ich 
wcen  iemen  lebe,  der  nir  beneme  ein  trttren,  daz  nu  menegen  tac  in 
mtnem  herzen  lit  begraben.  186,  1  Sst  nu  lanc,  daz  mir  diu  ougen  min 
ze  fröweden  nie  gestuonden  wol.  Hartm.  207,  4  die  swceren  tage  sint  alze 
lanc  die  ich  si  gnaden  bite  und  si  mir  doch  verseil.  209,  5  mtn  dienest 
der  ist  alze  lanc  bi  Ungewissem  wäne:  wan,  nach  der  ie  mtn  herze  ranc, 
diu  lät  mich  trdstes  dne.  ich  möht  iu  klagen  und  wunder  sagen  von 
maneger  swceren  zit.  sU  ich  erkande  ir  strity  sil  ist  mir  geioesen  vür  war 
ein  stunde  ein  tac,  ein  tac  ein  woclie,  ein  woehe  ein  ganzez  jär. 

Furcht  vor  der  Trennung. 

Joh.  91,  10  dd  daz  ende  denne  unsanfte  tuo,  ich  wcene  des  wol,  daz 
en»i  niht  guot.  91,  22  Wie  sich  minne  hebt,  daz  weiz  ick  wol;  wie  si 
ende  nimt,  des  weiz  ich  niht  ist  daz  ich  es  inne  werden  sol,  wie  dem 
herzen  herzeliep  geschiht,  s^  hewar  mich  vor  dem  scheiden,  got,  daz  wem 
bitter  ist  diesen  kumber  fürhte  ich  äne  spot.  91,  34  vei'tor  ich  mtnen 
friuntj  seht  sd  wurde  ich  niemer  mere  frS.  *92,  23  unsanfte  mir  daz  tuot, 
und  sol  ich  von  dir  wichen. 


DER  MINNESiNOEB  ALBBECHT  VON  JOHANSDORF.  85 

Horheim  114,  26  der  (=  der  künic)  wil  mich  scheiden  van  liebe 
in  die  noty  der  ich  gewinne  vil  michelen  riuwen.  Besonders  häufig  bei 
Reinmar:  150,  7  fvciz  darf  ich  leides  mdre  wan  swenn  ekt  ich  si  ndden 
sol,  155,  36  got  helfe  mir,  deiz  wol  ergSj  daz  ich  Hz  ir  tnuwen  kome 
niemerme.  173,  36  zallen  ztten  fürhte  ieh,  daz  simich  vergS.  sd  wcer  ich 
an  vröuden  tdt.    176,  5-    197,  20. 

Die  Dame  beklagt  die  bevorstehende  Trennung.' 

Joh.  94,  35  ^Owe",  sprach  ein  v)ip^  ju)ie  vil  mir  doch  von  liebe 
leides  ist  beschert!  Waz  mir  diu  liehe  leides  tuot!  Vrömleldse^'  /Ip,  loie 
wil  du  dich  gebären,  swenne  er  hinnen  verty  durch  den  du  woBre  ie  hoch- 
gemuot?    Wie  sol  ich  der  werlde  und  miner  klage  geleben  f 

Kürenb.  7,  10  ^Wes  maned  du  mich  leides ^  min  vil  liebez  liepf 
Unser  zweier  scheiden  müez  ich  geleben  niet  Verliuse  ich  dine  minne^ 
sd  läz  ich  die  Hute  haHe  wol  entstän^  daz  min  fröide  dez  minnist  ist 
umb  alle  ander  man^  Reinm.  200,  22  rnima  heile  ich' gar  verteile,  midet 
mich  der  beste  man* 

Der  Dichter  fordert  die  Geliebte  auf,  das  Trauern  zu 
lassen. 

Joh.  87,  21  wu  min  herzevrowe  nu  entrüre  niht  sere*  daz  wil  ich 
iemer  zeim  liebe  haben, 

Mor.  131,  1  Owe  des  scheidens^  des  er  tete  von  mir^  dö  er  mich 
senende  lie,  wol  aber,  mich  der  lieben  bete  und  des  weinens,  des  er  dö 
begie,  dö  er  mich  trüren  Idzen  bat  und  hiez  mich  in  fröiden  sin. 

Aller  frühere  Schmerz  reicht  an  den  gegenwärtigen 
nicht  heran. 

Joh.  87,  20  e  was  mir  we  :  dö  geschach  mir  nie  s6  leide. 

Hausen  52,  23  erkennen  wand  in  e  (=  den  kumber) ,  nu  hän  in 
baz  befunden,  mir  was  ddheime  we  und  hie  wol  dristunt  me,  Fenis 
83,  34  wan  miner  swasre  enwart  nie  mere,  Horheim  112,  9  s6  kumber- 
liehe  gelebte  ich  nie.  113,  16  mir  wart  nie  vrirs.  114,  34  dö  was  mir 
we  unde  nu  michels  me,  Mor.  138,  7  ich  erkande  mäze  vil  der  sorgen  e. 
disiu  soiye  get  mir  über  der  mäze  zily  Mute  ba  ^  und  ab&t*  dun  über 
morgen  me.  Reinm.  164,  18  noch  daz  mir  nie  s6  we  geschach.  179,  5 
mir  ist  unsanfter  nu  dan  S.  185,  20  alse  reht  unfrö  enwart  ich  nie. 
188,  5  von  herzeUides  schulden  hat  min  lip  vil  kumberliche  not,  daz  si 
nien  künde  groezer  sin.  198,  6  von  siner  schulde  ich  hän  erliteny  daz 
ich  nie  groezer  not  erleit'  ( Frauen str.). 

Beides,  Freude  und  Schmerz  des  Dichters  liegt  in 
der  Gewalt  der  Geliebten. 

Joh.  91,  20  und  wil  si,  ich  bin  vrö,  und  wil  siy  so  ist  min  herze 
leides  vol. 


86  J.  HORNOPP 

Reinm.  197,  31  mir  enmac  ein  herzeleit  noch  gröziu  liehe  niemer 
dne  n  geschehen,  199,20  diu  mir  fröide  hat  gegeben  unde  sorge 
manicfoaüy  der  dien  ich  die  selben  tage,  mtniu  jär  diu  müezen  mit  ir 
ende  nemen,  so  mit  fröiden,  s6  mit  klage,  Hartm.  215,  32  si  mae 
wir  leben  und  fröide  wol  leiden,  dd  M  alle  mtne  swcere  vertriben  :  an  ir 
Itt  beide  min  liep  und  min  leit,  swaz  si  min  wil,  deist  ir  iemer  bereit  y 
waH  ieh  ic  vrö,  daz  schuof  niht  wan  ir  güete,  cf,  Mor,  138,  33  ich  warne, 
si  ist  ein  VSnus  h$re,  diech  dd  minne,  wan  si  kan  so  viL 

2.  Außenwelt« 
Es  fällt  auf,  daß  Johansdorf  im  Gegensatze  zu  der  Mehrzahl 
der  zeitgenössischen  Minnesänger  nie  Klagen  über  huote  und  merkcere 
laut  werden  läßt.  Das  Wort  huote  findet  sich  nur  in  dem  unechten 
Liede  *93,  12  (v,  12  ich  vant  si  dne  huote) ,  wo  dne  huote  nur  ganz 
allgemein  ^allein'  bedeutet.  Von  merkcere  wird  überhaupt  nicht  ge- 
sprochen. Und  doch  möchte  man  auf  das  Vorhandensein  von  Auf- 
passern und  ZwischentrUgern  *)  schließen.  Mit  einem  gewissen  Nach- 
druck ist  87,  7  gesagt:  er  ist  min  friunt  niht,  der  mir  si  wil  leiden 
und  91,  29  Swd  zwei  herzeliep  gefriundent  sich  und  ir  beider  minne  ein 
triuwe  wirt,  die  sol  niemen  scheiden^  dunket  mich,  dl  die  wile  unz  si  der 
der  tdt  verUrt.  Geradezu  auffällig  aber  erscheint  das  Widerspruchs- 
volle in  den  beiden  Liedern  91,  8  und  91,  22,  welche  darauf  angelegt 
erscheinen,  den  wahren  Sachverhalt,  d.  h.  den  Abschluß  des  Verhält- 
nisses zu  verdecken,  oder  wenigstens  die  Aufpasser  darüber  im  Un- 
gewissen zu  lassen.  Auf  einen  Abschluß  des  Verhältnisses  deutet  der 
Anfang  von  91,  8  Dd  gehoeret  manic  stunde  zu^,  S  daz  sich  gesamene 
ir  zweier  muoU  dd  daz  ende  denne  unsanfte  tuo,  ich  wcene  des  wol,  daz 
ensi  niht  guot  Lange  si  ez  mir  vil  unbekant.  Es  wäre  doch  merk- 
würdig, wollte  der  Dichter  für  die  Trennung  Sorge  tragen,  bevor 
noch  die  Vereinigung  stattgefunden  hätte.  Der  Gedanke  aber,  daß 
dieselbe  erfolgt  sei,  wird  durch  die  beiden  nächsten  Verse,  wie  durch 
die  folgende  Strophe  zurückgewiesen.  Die  Worte:  und  werde  ich 
iemen  liep,  der  si  siner  triuwe  an  mir  gemant  etc.  rücken  das  Zustande- 
kommen des  Verhältnisses  in  die  Zukunft.  Derselbe  Widerspruch  findet 
sich  in  dem  folgenden  Liede  91,  22.  Wieder  diese  merkwürdige  Sorge 
für  die  Zukunft.  Der  Dichter  fürchtet  den  Bruch  eines  Verhältnisses, 
das  noch  nicht  geknüpft  ist:  Ist  daz  ich  es  inne  werden  sol,  wie 
dem  herzen  herzeliep  geschiht^  sd  bewar  mich  vor  dem  scheiden  goty  daz 
warn  bitter  ist'^   ebenso  in  der  zweiten  Strophe:   swd  zwei  herzeliep  ge- 


')  Miohel  a.  a.  O.  S.  141.  U6  ff. 


DER  MINNESINGER  ALBRECHT  VON  J0HAN8D0RF.  87 

friundent  sich  unde  ir  beider  tninne  ein  iriuwe  wirt^  die  eol  niemen 
scheiden  ete.  Dieses  wirt*  aber  ist  schon  sweideutig,  indem  es  das 
Geschehen  in  der  Gegenwart  wie  in  der  Zaknnft  aasdrflcken  kann. 
Nimmt  man  nun  noch  das  Folgende  hinzu:  wcer  diu  rede  mtn^  ich  tcete 
aUd  :  verlüre  ich  minen  friunif  seht,  e6  wurde  ich  niemer  mSre  fröy  so 
bleibt  kein  Zweifei,  daß  der  Abschluß  der  friuntechaft  wirklich  erfolgt 
ist ;  denn  über  die  Person  des  friundes  (=  der  Freundin)  kann  man 
nicht  im  Unklaren  sein;  verlieren  aber  kann  man  nur  einen  Freund, 
wenn  man  schon  einen  hat.  —  Für  diese  Ansicht  spricht  auch  die 
geflissentliche  Anwendung  von  Bedingungssätaen,  welche  die  Sache 
nur  als  möglich  hinstellen  sollen,  und  das  Bestreben,  die  persönlichen 
Bezüge  durch  allgemeine  Sätse  zu  yerwischen«  Wir  werden  also  nicht 
irren,  wenn  wir  annehmen,  das  Ganze  sei  darauf  angelegt,  die  Auf- 
passer über  den  Abschluß  des  Verhältnisses  zu  täuschen.  Gedichtet 
aber  sind  die  Strophen  zu  dem  Zwecke,  die  Geliebte  zum  treuen 
Festhalten  an  dem  Bunde  zu  ermahnen. 

8.  Natur. 

Naturgefühl  ist  bei  unserem  Dichter  yorhanden,  wenn  es  auch 
nur  ganz  vereinzelt  hervorbricht,  dann  aber  auch  mit  großer  Stärke. 
In  dem  zweistrophigen  Liede  90,  32  nimmt  der  Natureingang  fänf 
von  den  sieben  Zeilen  der  ersten  Strophe  ein.  Blumen  unter  der 
Linde  und  Vogelsang  auf  der  Linde,  wie  auch  sonst.  Was  aber  sonst 
nicht  zu  finden  ist,  das  ist  die  hier  geschilderte  Farbenpracht  der 
Blumen:  Wtze  röte  rdsen,  bläuoe  bluomen,  grüene  grae^  brüne  gel  und 
aber  rdty  dar  zuo  des  klewes  blatj  von  dirre  varwe  wunder  under  einer 
Unden  was.  dar  üfe  sungen  vögele,  daz  was  ein  schoeniu  etat,  kurz 
gewahsen  bi  ein  ander  stuont  ez  schone. 

Ganz  ähnlich  wie  bei  Eist  34,  3  üf  der  linden  obene  dd  $anc  ein 
kleinez  vogelltn.  vor  dem  waide  wart  ez  lüt :  dd  huop  sieh  aber  daz  herze 
min  an  eine  etat,  da  'z  S  dd  was.  ich  sach  die  rdsebluomen  stän  :  die 
maneni  mich  der  gedanke  vily  die  ich  hin  zeiner  frouwen  hdn\  nur  daß 
bei  Eist  die  innere  Verbindung,  die  zwischen  den  Naturerscheinungen, 
eventuell  Vorgängen  in  der  Natur  und  der  Liebesempfindung  besteht, 
auch  äußerlich  hergestellt  ist,  ihren  sprachlichen  Ausdruck  findet. 
Von  dem  Vogelsang  wird  das  Herz  zur  Geliebten  entrückt,  von  den 
Rosen  an  die  Geliebte  gemahnt.  Bei  Johansdorf  fehlt  die  äußere  Ver- 
knüpfung. An  die  Schilderung  der  Natur  schließt  sich  der  Satz:  noch 
gedinge  ich  der  ich  vil  gedienet  hän,  daz  si  mir  es  Idne.  Dieser  Fall 
kommt  sonst  im  älteren  Minnesänge  nur  noch  einmal  vor,  wo  aber 
die  innere  Verknüpfung  eine  stärkere  ist. 


88  J.  HORNOFF 

Namenl.  Lied  4,  1  diu  linde  ist  an  dem  ende  nu  jdrlanc  sieht  und 
blöz.  mich  vehet  min  geselle.  Beide  Thatsachen  lassen  bich  vergleichen : 
die  Linde  ist  ihres  Laubes  beraubt^  ich  des  Geliebten. 

Auch  in  einer  zweiten  Stelle  bei  Johansdorf  zeigt  sich,  wie  eng 
er  selbst  den  Zusammenhang  zwischen  Natitr-  und  Liebesleben  empfindet. 
t)er  Sommer  mit  seinen  Freuden  erscheint  ihm  in  der  Geliebten  ver- 
körpert: 90,  23.  31  vröude  und  sumer  ist  noch  allez  hie  (nämlich  bei 
der  Geliebten). 

4.  Gott 

Religiöse  Anschauungen.  Gott  wird  vom  Dichter  Bi&heilic 
87y  12  und  als  allmächtig  94,  17  bezeichnet:  der  al  der  werlte  hat 
gewalt. 

Kolmas  120,  24  der  vil  miUe  got^  den  ir  Itp  umbeoief  der  hat  be- 
vangen  die  weit  umbe  gar,    sin  kraft  mac  langen   nx>ch  verrer   dan   dar. 

Er  wird  als  gütiger  Herr,  der  uns  die  ewige  Seligkeit  schenkt, 
vorgestellt:  94,  15  guoteliute,  holt  die  gäbe,  die  got  unser  herre  selbe  git\ 
ferner  als  einer,  der  uns  Leib  and  Seele  gegeben  hat,  aber  die  Rück- 
erstattung des  ersteren  zum  Heile  der  letzteren  fordert:  94,  22  got 
hat  iu  beide  seU  und  Itp  gegeben,  geht  ime  des  libes  tot  daz  wirt  der 
sele  ein  iemerleben. 

Etwas  verändert  ist  das  Bild  bei  Eolmas  (121,  3).  Er  macht 
Gott  zum  Wirthe  an  der  Landstraße,  der  den  Pilgern  zwar  etwas 
borgt,  dasselbe  aber  bei  der  Wiederkehr  ihnen  wieder  abverlangt: 
Wir  sin  bilgerine  und  zogen  vaste  hin,  in  der  Sünden  Urne  stecket  min 
sin,  daz  ich  sin  druz  niht  gebrechen  enmac,  wir  vam  eine  strdze,  die 
nieman  verbirt,  wir  suln  durch  niht  enläzen^  wir  bereiten  den  wirt,  de^' 
uns  hat  geborget  da  her  mangen  tac,    gelt  im. 

Gott  aufgefaßt  als  Kriegsherr,  in  dessen  Sold  wir  uns  zu 
begeben  aufgefordert  werden:  94,  18  dienet  einen  solt,  der  den  vil 
sceldehaften  dort  behalten  lit  mit  vröuden  ierner  manecvaU, 

Das  Verhältniß  zu  Gott  ist  bei  unserem  Dichter  ein 
enges.  Nicht  selten  erhebt  er  den  Blick  nach  oben,  um  bei  Gott 
Beistand  und  Hilfe  zu  erflehen. 

Um  Nachsicht  wegen  seiner  unerlaubten  Liebe  bittet  er  Gott 
90,  14:  ich  tninne  ein  wip  vor  al  der  werlte  in  minem  muote»  got  herrej 
daz  verväch  ze  guote. 

Hausen  46,  14  Ich  bin  ir  holt  :  swenn  ich  vor  gote  getar ,  so  ge- 
denke ich  ir,    daz  i^och  ouch  er  vergeben  mir. 


DKH  MINNESINGER  ALBBECHT  VON  JOHANSDORF.  gg 

AIb  Beschütser  beider  Liebenden  wird  Oott  angerufen  87,  12: 
heileger  gat^  wU  gencMe  uns  beiden. 

Um  Schuts  vor  Trennung  91,  24:  IH  daz  ich  es  inne  werden  eol, 
wie  dem  herzen  herzeliep  geschiht,  $d  bewar  mich  vot*  dem  scheiden,  got, 
daz  warn  bitter  ist. 

Er  wird  gebeten,  die  Ehre  der  Geliebten  zu  bewahren:  86,  27 
nu  helfe  er  mir,  ob  ich  herwider  kome,  ein  wip,  diu  grdzen  kumber  von 
mir  hat,  daz  ich  si  vinde  an  tr  eren:  sd  wert  er  mich  der  bete  gar. 
9ül  aber  ei  «r  kiben  verkSren,  s6  gebe  got,  daz  ich  vervar.  88,  13  ine 
erweiche  nimer,  ezn  ei  min  Srete  eegea,  daz  got  ir  eren  mileze  pUegeti  und 
laze  ir  Itp  mit  lobe  hie  gesten. 

Horheim  114,  28  ich  wil  beuMhen  ir  Up  und  «r  ere  got  und  da 
nach  allen  engelen  ein.  Hart«  207,  25  $6  ruoche  got,  daz  ez  der  echoentn 
mileze  gän  nach  eren  unde  wol.  215,  37  got  ei,  der  ir  Rp  und  ir  $re 
bekiiete.  Bietenburc  und  Morungen  bitten  nur  um  das  Leben  der  Ge- 
liebten. Bietenbure  19,  31  ewar  ich  dawM  landes  var,  ir  Üp  der  hoeliete 
got  bewar.    Mor.  122,  19  got  läze  ei  mir  ml  lange  geeunt. 

Umgekehrt  läßt  der  Dichter  die  Geliebte  für  sein  Wohl  während 
der  Kreuzfahrt  flehen:  95,  14  ^d  müeze  ein  der  pflegen,  durch  den  er 
süezer  Üp  eich  dirre  weite  hat  bewegen*. 

Reinmar  187,  24.    201,  1.    Hartm.  217,  23. 

Weiter  erbittet  Johansdorf  für  sich  und  die  Geliebte  die  ewige 
Seligkeit:  88,  16  dar  nach  ewecUche  gip  ir,  hen*e,  vröude  in  dime  riche. 
daz  ir  geschehe^  aled  müeze  auch  mir  ergen. 

Reinmar  läßt  die  Geliebte  darum  bitten:  168,27  uns  ime  genasdic^ 
herre  got,  v>an  tugent/iafter  gast  kam  in  din  ingednde  nie.  Eolmas 
(120,  21)  fordert  zu  gemeinsamer  liitte  auf:  Des  biten  unser  frouwen 
ze  hilfe  an  der  ger,  daz  wirz  beschouwen,  daz  uns  des  (=  das  ewige 
Leben)  gewer  der  vil  miüt  got,  den  ir  lip  umbtvie. 

Bei  Versicherungen  und  in  der  Sohwurform  wird  der  Name  Gottes 
öfter  gebraucht:  *92,  7  got  wetz  woL  87,  9  swenne  ich  von  schulden 
erame  ir  zorn,  sd  bin  ich  veroluochet  vor  gote  als  ein  heiden,  87,  35  got 
vor  der  heUe  niemer  mich  bewar,  ob  daz  min  wille  si.  88,  10  und  swer 
ir  des  bi  gote. 

Veld.  68,  1  got  wetz  wol.  Ebenso  Hausen  44,  19.  —  weiz  got 
Reinm.  161,  14.  175,  25.  181,  11.  203,  33.  —  sem  mir  got  157,  13.  — 
170,  21  daz  weiz  er  wolj  dem  nieman  wM  erliegen  kan.  —  173,  19  dd 
vor  müeze  mich  got  hüeten  aüe  tage.  ^  186,  32  sd  mich  iemer  got  behüete. 

Auch  beim  bloßen  Stoßseufzer  fehlt  der  Name  Gottes  nicht:  Job« 
86,  23  herre j  wan  ist  daz  min  leben,  daz  mir  niemer  leit  geschiht  f 


90  J.  HORNOFF 

Bemerkens wertb  erscheint,  daß  Johansdorf  sich  stets  direct  an 
Gott  wendet^  sich  nie  der  Vermittlung  der  heiligen  Jungfrau  bedient, 
wie  Eolmas  (120,  21  f.),  Reinmar  (181,  31);  so  hoch  er  auch  dieselbe 
verehrt  (90,  1  ff.). 

Die  religiösen  Erwägungen,  welche  den  Dichter  zur  Kreuzfahrt 
antreiben,  und  welche  sich  als  sämmtlichen  Kreuzfahrern  gemeinsame 
darstellen,  hat  bereits  Wolfram  in  seinem  schon  angeführten  Aufsatze 
Zs.  f.  d«  Alt.  30,  97  ff.  zusammengestellt  und  zu  den  gleichzeitigen 
Kreuzpredigten  in  Beziehung  gesetzt.  Es  sind  die  folgenden: 
I.  Gott  hat  far  uns  gelittenr 
II.  Wir  milssen's  ihm  vergelten. 

III.  Auch  unsere  Sünden  fordern  eine  Sühne. 

IV.  Wir  erwerben  durch  unseren  Dienst  die  ewige  Seligkeit. 
Als  V.  Beweggrund    kommt   bei  Johansdorf  noch   der  Wunsch 

hinzu,  der  Beschimpfung  der  Mutter  Gottes  durch  die  Heiden  ein 
Ende  zu  machen.  90,  1  die  heiden  wellmt  einer  rede  an  uns  gesigen, 
daz  gotes  mtioter  nikt  enst  ein  maget. 

Auch  sonst  läßt  sich  bei  Johansdorf  christliches  Denken  und 
Empfinden  beobachten.  In  dem  Schicksale  der  Völker  und  Menschen 
erkennt  der  Dichter  das  Walten  Gottes.  88,  27  wir  hoben  in  eime 
järe  der  Hute  vil  verlorn,    da  bt  «8  merket  gotes  zom. 

Die  Welt  sieht  er  als  unbeständig  an.  Die  Treulosen,  die  ihr 
folgen,  trifft  als  Lohn  die  Verdammniß.  88,  30  diu  werU  ist  unstcete, 
ich  meine,  die  da  miunent  vakche  roste,  den  vdrt  ze  jungest  ecMn,  wies 
an  dem  ende  tuot 

Wie  aber  der  Dichter  Andere  zum  Insichgehen  auffordert  (88,  29 
nu  erkenne  sich  ein  ieglich  herze  guot)^  so  arbeitet  er  auch  an  seiner 
eigenen  sittlichen  Vervollkommnung  und  überwindet  die  Regungen 
natürlicher  Schwachheit,  die  sich  seinem  Entschlüsse,  das  Kreuz  zu 
nehmen^  entgegenstellen.  90,5  Mich  habent  die  sorge  üf  daz  hräht, 
daz  ich  vil  gerne  kranken  muot  von  mir  vertrtbe,  des  was 
min  herze  her  niht  frt.  Ich  denke  alsd  vil  manege  naht:  waz  sol 
ich  wider  got  nu  tuon,  ob  ich  beltbe,  daz  er  mir  gencedic  Af 

Ein  merkwürdiger  Widerspruch  scheint  sich  in  der  religiösen 
Weltanschauung  Johansdorfs  vorzufinden.  Der  Gott,  dem  er  alle  Ge- 
walt über  die  ganze  Welt  zuschreibt  (94,  17),  dessen  Zorn  die  Men- 
schen hinsterben  läßt  (88,  28),  während  seine  Gnade  im  Stande  wäre 
sie  zu  erretten,  der  die  Ehre  der  Geliebten  zu  hüten  vermag  (86,  27. 
88,  15),  und  unter  dessen  Schutz  er  die  Geliebte  auch  sein  eigenes 
Leben  stellen  läßt  (95, 14),  dieser  Gott  scheint  Johansdorf  nicht  mächtig 


DER  MINNESÄNGER  ALBRECHT  VON  JOHANSDORF.  91 

genug,  das  heilige  Land  von  den  Heiden  zu  befreien,  er  bedarf  dazu 
der  menschlichen  Hilfe  (89,  27),  Nicht  ist  etwa  der  Gedanke  der,  wie 
bei  Coelestin^)  (1195),  daß  Gott  durch  die  Befreiung  des  heiligen 
Landes  dem  Menschen  ein  Mittel  in  die  Hand  gebe,  für  seine  Sünde 
Vergebung  zu  erhalten,  nein,  Gott  hat  die  menschliche  Hilfe  nöthig. 
Wollte  man  den  ersteren  Gedanken  auch  der  Strophe  94, 15  zu  Grunde 
legen,  was  sehr  wohl  anginge,  so  würde  dieser  doch  in  Widerspruch 
gerathen  mit  89,21  ff.,  wo  Johansdorf  die  Spottreden  der  Daheim- 
bleibenden, der  die  Ereuzpredigt  Bekämpfenden  anführt:  „Wäre  es 
für  Gott  eine  Beschimpfung,  er  würde  dieselbe  ohne  Hilfe  der  Kreuz- 
fahrer rächen."  Johansdorf  widerlegt  diesen  Einwand  nicht,  er  sucht 
vielmehr  andere  Motive  hervor,  um  die  verstockten  Herzen  zu  be- 
wegen, er  sucht  Dankbarkeit,  Mitleid  mit  Gott,  Furcht  vor  der  Strafe, 
christliches  Selbstgefühl  den  Heiden  gegenüber  zu  erwecken.  „Gott 
hat  so,  wie  Ihr  jetzt,  einst  nicht  gedacht,  als  er  Euch  durch  seine 
große  Marter  vom  Falle  errettete.  Wie  wird  es  Euch  an  Euerem  Ende 
ergehen,  wenn  Ihr  Gott  helfen  könnt  und  es  nicht  thut?  Immerhin! 
Laßt  Grab  und  Kreuz,  dann  werden  die  Heiden  mit  ihrem  Spotte 
siegen!"  Die  Thatsache  bleibt  jedenfalls  bestehen:  ohne  die  Kreuz- 
fahrer wird  das  heilige  Land  nicht  befreit,  auch  Gott  vermag  es  nicht 
zu  befreien.  Dazu  stimmen  nun  auch  86,  25  ich  hän  durch  got  daz 
hriuze  an  mich  genomen.  87,  23  wir  suln  vam  durch  des  riehen  gotes 
Sre.  89,  21  die  hinnen  vam,  die  sagen  durch  got,  daz  Jersalem  etc. 
Der  Widerspruch  scheint  indeß  nur  ein  äußerer  zu  sein.  Der 
Dichter  will  sich  offenbar  ein  wirkungsvolles  Motiv  im  Kreuzlied  nicht 
entgehen  lassen.  Denn  wirkungsvoller  ist  die  Aufforderung  allerdings, 
wenn  es  heißt:  „Gott  selbst  in  Noth'',  als  wenn  es  heißt:  „Gott  hat 
die  Noth  geschaffen  oder  zugelassen,  damit  ihr  durch  Aufhebung  der- 
selben euere  Sünden  sühnt.  ^  Aber  der  Dichter  trägt  auch  kein  Be- 
denken —  und  daran  erkennen  wir  eben,  daß  der  Widerspruch  nur 
ein  äußerer  ist  —  den  letzteren  Gedanken  an  anderer  Stelle,  wo  er 
ihn  gerade  braucht,  wenigstens  verhüllt  auszusprechen.  88,  27  heißt  es: 
wir  haben  in  eime  järe  der  liute  vil  verlorn,  da  ht  sd  merket  gotes  zorn. 
Bezieht  sich  der  erstere  Satz,  wie  Wolfram  vermuthet,  auf  die  Schlacht 
von  Hattin,  so  folgt  aus  dem  zweiten  Satze,  daß  Gott  nur  um  seines 


^)  Zs.  f.  d.  Alt.  SO,  103  veramtamen  misericordiam  in  ira  sna  non  continens,  qui 
nunquam  obliviscitar  misereri  cum  popnlo  suo  —  mnlta  fidelium  milia ....  ad  agendam 
poenitentiam  de  commissis  plures  eorum  ad  yitam  praesentem  termino  laudabili  con- 
cludendam  terre  illius  amissionis  occasione  dem  enter  invitans  (ähnlich  auch  Gregor 
und  Innocenz  1213). 


92  J.  HOBNOPF 

Zornes  willen  die  Feinde  der  Christenheit  siegen  läOt^  um  die  Christen 
damit  zu  strafen,  und  daraus  folgt  wieder,  daß  er  sehr  wohl  mächtig 
wäre,  ohne  der  Letzteren  Hilfe  sein  Land  zu  befreien. 

£s  läßt  sich  nun  erwarten,  daß  des  Dichters  tiefes  religiöses 
Empfinden  auch  auf  seine  übrigen  Anschauungen  von  Einfluß  ist, 
vor  allen  Dingen  auf  seine  Auffassung  der  Liebe.  Wir  glauben  diese 
am  besten  darstellen  zu  können,  wenn  wir 

die  sittlichen  Begriffe 
der   älteren  Minnesänger   bis   auf  Walther,    soweit  dieselben  sich  auf 
die  Minne  beziehen,  im  Zusammenhange  untersuchen. 

Die  von  Frankreich  nach  Deutschland  verpflanzte  Sitte  des 
Frauendienstes,  welche  dem  heimischen  Minnesänge  einen  neuen,  von 
da  ab  ständigen  Charakter  verleiht,  hat  nicht  nur  einen  Wandel  der 
Sitte^  eine  Verfeinerung  der  Umgangsformen  im  Qefolge,  sie  arbeitet 
auch  an  der  Umgestaltung  der  sittlichen  Anschauungen,  allerdings, 
wie  dies  nach  der  unsittlichen  Grundlage  des  Frauendienstes  zu  er- 
warten stfeht,  nicht  zu  deren  Verbesserung. 

Einen  Anstoß  zur  Umkehr  oder  wenigstens  ein  augenblickliches 
Besinnen  bewirkt;  die  Kreuzzugsidee  und  die  Kreuzpredigt,  welche 
die  Seelen  der  Menschen  mächtig  erschüttert  und  auch  im  Herzen 
d6r  ritterlichen  Sänger  den  Kampf  zwischen  der  conventioneilen  Auf- 
fassung der  Liebe  umd  dem  natürlichen  Sittlichkeitsbewußtsein  entfacht. 

Ich  will  versuchen,  zunächst  den  durch  den  Frauendienst  ge- 
schaffenen Wandel  der  sittlichen  Anschauung  und  sodann  den  durch 
die  Ki'euzpredigt  hervorgerufenen  inneren  Kampf  mit  seinem  Ausgange, 
wie  derselbe  sich  in  den  Minneliedern  spiegelt,  zu  schildern. 

Da  im  Frauendienst  die  Huldigung  des  Kitters  einer  verheirateten 
Frau  galt,  so  war  Verschwiegenheit  Ehrenpflicht.  Sie  gilt  bereits 
Meinloh,  der  als  einer  der  ersten  die  neuen  Ideen  in  seinen  Liedern 
vertritt,  als  die  vornehmste  ritterliche  Tugend  (MF.  14,  22).  Der  sitt- 
liche Einfluß,  den  die  Liebe  auf  das  Gemüth  des  Menschen  ausübt, 
erscheint  verflacht.  Sie  vermag  den  Ritter  nur  in  gesellschaftlicher 
Hinsicht  zu  veredeln,  ihm  jene  stolze  Freudigkeit  zu  verleihen,  die 
der  Umgang  mit  feinen  Damen  erfordert  (Eist  33,  26.  Job.  *94,  14, 
Mor.  142,  30.  Reinmar  151,  12.  183,  20  etc.). 

Die  Begriffe  von  Treue  und  Untreue  sind  vollständig 
vertauscht. 

Als  Treue  wird  von  dem  Anbeter  die  ihm  seitens  der  Dame 
bewiesene  anhaltende  Zuneigung  mit  allen  ihren  Consequenzen  be- 
zeichnet, welche  natürlich  die  Treulosigkeit  gegen  den  Gatten  bedingt. 


DEB  ftINNE8lNGER  ALBRECHT  VON  JOHANSDOBF.  93 

Dagegen  nennt  derselbe  die  Standhaftigkeit  gegen  seine  Liebes- 
werbungen Sünde  und  Unrecht  (Eist  38,  30.  Gutenb.  78,  25.  79,  4. 
Rugge  100,  18.  Horb.  116,  29.  Mor.  130,  4.  Reinmar  160,  33.  165,  15. 
180,  18.  176,  38),  wenn  er  daneben  auch  sich  selbst  als  den  Urheber 
seiner  Leiden  ansieht  (Fenis  83,  11.  24.  Mor.  126,  3.  134,  13.  Reinmar 
171,  26.  174,  10.  191,  23).  Als  Treue  des  Ritters  wird  die  der  Dame 
gewidmete  andauernde  Verehrung  gepriesen,  welche  doch  nach  so 
vielen  Zurückweisungen  und  Demüthigungen  als  erbärmliche  Schwäche 
und  als  unmännliches  Oebahren  erscheint  Reinmar  sieht  dies  ein: 
160,  22  ff.,  besonders  v.  32  tceie  ez  danne  ein  kudy  deiz  su9  iemer  Ubete 
nach  wibey  dem  sok  ich  wol  wtzen.  daz.  173,  3  ich  tomn  mich  Hn  ge- 
louhen  wü.  neiriy  sd  verlUr  idi  a^ze  vil,  ist  daz  alsdy  seht  weich  ein 
kindes  spiL 

Einmal  (Reinmar  177,  37)  scheint  staste  in  doppeltem  Sinne  ge- 
braucht zu  sein,  was  der  geistreichen  Manier  Reinmars  entsprechen 
würde,  zuerst  als  Treue  gegen  den  Qatten,  dann  als  Treue  gegen  den 
Freund:  /fem  wir  toip  niht  mugen  gewinnen  friunJt  mit  redcj  si  enwelien 
dan  noch  me.  daz  müet  mieh,  ich  wil  niht  minnen'  Begründung:  denn 
sdcßten  wihen  tuot  unstcste  wi,  geht  auf  die  Pflicht  gegen  den  Qatten. 
Nun  aber  kommt  die  Höflichkeit  gegen  den  Freund:  wasre  ichj  des  ich 
niene  bin,  unstcete,  lieze  er  danne  mich,  sS  lieze  ich  in.  Hier  ist  natürlich 
nur  an  die  Entziehung  der  Neigung,  nicht  etwa  eines  vertraulicheren 
Verkehrs  zu  denken. 

Die  Lage,  in  welche  die  Dame  geräth,  ist  in  der  That  eine  schlimme; 
denn  einerseits  möchte  sie  sich  di6  schmeichelhaften  Huldigungen  des 
Ritters  und  die  Verherrlichung  im  Gesänge  nicht  entgehen  lassen, 
andererseits  wünscht  sie  ihre  Frauenehre  zu  bewahren  (Reinmar  171,  11, 
187,  9).  Sie  verflällt  darum  meist  auf  ein  heuchlerisches  Spiel,  indem 
sie  sich  anfangs  dem  ritterlichen  Sänger  gewogen  zeigt  und  ihm  Lohn 
verheißt,  später  aber,  wenn  derselbe  eingefordert  wird,  die  Ertheilung 
desselben  in  die  Ferne  rückt  oder  gänzlich  verweigert  (Gutenb. 
76,  3).  Daher  dann  die  ungemessenen  Riagen  der  Dichter  über  unauf- 
richtiges Wesen  der  Herrin,  über  getäuschte  Hoffnung  (Job.  86,  11. 
Mor.  128,25.  138,10.  143,10.  145,29.  Reinmar  158,37.  171,11 
[cf.  187,  9]  195,  23). 

Auch  der  Begriff  der  Ehre  muß  sich  eigenthümliche  Ver- 
änderungen gefallen  lassen,  zunächst  der  Begriff  der  Frauenehre, 
wobei  die  Auffassung  des  Mannes  von  der  der  Frau  zu  unterscheiden  ist. 

In  den  Frauenstrophen  ist  gewöhnlich  die  natürliche  und  ur- 
sprüngliche Auffassung  vertreten,   insofern  Sre  die  Treue  gegen 


94  J.  HOBNOFP 

den  Gatten    und    den    darauf  gegründeten   guten   Ruf  be- 
seichnet. 

So  Hausen  54,  14  t<>r$t  ich  genenden ,  96  toold  ich  im  enden  t^ne 
klage  y  wan  daz  ich  vil  sendez  totp  erfärhten  muaz  der  eren  min. 

Damit  stimmt  auch  die  Auffassung  des  Weibes  bei  Veldegge, 
wenn  er  sich  auch  des  Wortes  Sre  nicht  bedient,  57,  5  ff.,  auch  Eist 
40,  35  ff.  Das  Weib  hält  die  völlige  Hingabe  an  den  Freund  f&r  ein 
Unrecht. 

Rugge  110,  8  dem  ich  aUolher  iren  eol  getrüwen,  ah  ich  her  be- 
halten  hdn^  den  muoz  ich  S  bekennen  wol,  sin  wille  vtac  sd  Ithte  niht  an 
mir  ergän,    ire  ist  hier  der  gute  Ruf. 

Reinmar  178,  19  meine  er  wol  mit  triuwen  mich,  swaz  im  danne 
müge  ze  fröuden  kamen,  daz  min  er  est,  daz  sprich*,  sagt  die  Frau  zum 
Boten.  Zur  Erklärung  des  Begriffes  Sre  tragen  v.  10  f.  und  v.  24  ff. 
bei.  V.  10  f.  ^swd  du  milgest,  da  leite  in  abe,  daz  er  mich  der  rede  be- 
gebe . .'  y.  24  ff.  ^«6  bit  in  daz  er  vei*bir  rede^  die  er  jungest  sprach  ze 
mir.  s6  mac  ich  in  an  gesehen,  wes  wil  er  da  mite  beswceren  mich,  daz 
doch  niemer  moAi  geschehen  f  Die  Frau  wünscht  also  den  Boten  daran 
zu  hindern,  daß  er  dem  Ritter  Aussicht  auf  Lohn  eröffne,  er  soll  nur 
insoweit  freudige  Botschaft  bringen,  als  es  die  Ehre  der  Dame  zuläßt. 
Reinmar  186,  25  ^der  mir  ist  von  herzen-  hoüy  dem  versprich  ich  sere 
niht  durch  ungefäegen  hat,  wan  durch  mtnes  Itbes  $r^.  192,  37  nu  wil 
er  {daz  ist  mir  ein  n^t),  daz  ich  durch  in  die  ere  wäge  und  auch 
den  Up*. 

Hartm.  217,  19  ^wand  ich  wägen  wil  durch  in  den  Up,  die  Sre 
und  al  den  sin. 

Bisweilen  treffen  wir  aber  auch  bei  der  Frau  auf  andere  An- 
schauungen. Die  dem  Gatten  zu  wahrende  Treue  wird  auf  den  Freund 
übertragen  und  dementsprechend  der  Begriff  gewandelt. 

Reinmar  200,  33  er  srhiet  hinnen  mit  den  sinnen,  daz  ich  niht  ver- 
gizze  stn.  totp  mit  gileten  sol  ir  e^e  hüeten,  wider  ir  friunt  niht  striten, 
alsd  wil  ich  stn  mit  eren  Uten,  Das  Bewahren  der  Ehre  kann  hier 
nur  gleichbedeutend  mit  der  Treue  gegen  den  Freund  sein. 

Öfter  begegnet  uns  die  letztere  Auffassung  beim 
Manne.  Für  ehrenvoll  gilt  die  Hingabe  an  den  Qeliebten  bei 
Veldegge  67,  8:  joch  ist  diu  minne  als  siwas  WÜen  ere.  Aus  dem  vor- 
hergehenden Verse:  und  wil  doch  daz  ich  klage  mtne  sdte  ergibt  sich, 
daß  unter  Minne  die  Entgegennahme  der  Huldigung  einschließlich 
des  Lohnes  zu  verstehen  ist;  denn  durch  diesen  allein  kann  die  sire 
des  Dichters   gestillt  werden.  Auch  59,  32  hat   man  an  keine  andere 


DER  MINNESÄNGER  ALBBEOHT  VON  JOHANSDOKF.  95 

Erklttrung  zu  denken:  ich  tvil  frd  sin  durch  ir  ire,  diu  mir  daz  hete 
getan  y  daz  ich  tion  der  riuwe  hircy  diu  mich  uMent  irte  sSre,  daz  iet 
mich  nti  ^  vergaUj  daz  ich  bin  rieh  und  grdz  hSre,  stt  ich  ei  muoate 
al  umbevdn^  diu  mir  gap  rehte  minne  eunder  vAch  und  äne  wan. 

Vgl.  auch  Rugge  105,  6,  wo  die  Erhörung  von  der  tugent  der 
Frau  gefordert  wird.  110,  30  mtn  heil  in  ir  genäden  etat,  ei  Tcan  ver- 
kSren  sorge,  der  ich  walde,  ir  güete  mich  gehoehet  hat.  daz  eol  ei  meren 
nach  ir  Sre  manicvalde. 

AU  Treue  gegen  den  Geliebten  fassen  Johansdorf  und 
Horheim  den  Ehrbegriff. 

Job.  86|  27  Nu  helfe  er  mir,  ob  ich  herwider  kerne j  ein  i^,  diu 
grSzen  humber  von  mir  hat,  daz  ich  si  mnde  an  ir  Sren.  88,  13  Ine 
erwache  nimer  ezn  si  mtn  Srste  segen,  daz  got  ir  eren  mileze  phlegen 
(nämlich  während  seiner  Entfernung  auf  dem  Kreuseuge). 

Horheim  114,  28  Ich  wü  bevelhen  ir  lip  und  ir  ere  got  und  da 
nach  allen  engelen  ein,  si  sol  toisszen^  stoar  ich  landes  kSre^  daz  ich  ie 
bin  und  muoz  iemer  sin,  als  ich  S  was.  Das  G^löbniÜ  der  eigenen  Treue 
steht  hier  dem  Wunsche,  die  treue  Liebe  der  Dame  zu  behalten, 
gegenüber.  —  Der  Vorwurf  der  Treulosigkeit  g^en  die  Freunde  ist 
mit  eingeschlossen,  wenn  es  Hausen  als  6ren  slac  (48,  16),  als  laster 
(48, 22)  der  Frauen  bezeichnet,  wtlrden  sie  sich  während  der  Ab- 
wesenheit der  Kreuzritter  den  zurückgebliebenen  feigen  Männern  hin- 
geben. 

Aber  nicht  nur  dem  treuen  Freunde  sich  hinzugeben  und  ihrer- 
seits die  Treue  zu  wahren,  gilt  als  ehrenvoll  fQr  die  Frau,  sondern 
auch  den  treulosen  Anbeter  zu  verstoßen.  Hartm.  205,24 
grdz  was  min  wandel.  dd  si  den  enteaz,  s6  meit  si  mich^  vil  wol  gelcbe 
ich  daZj  me  dur  ir  ere,  dan  üf  minen  haz*). 

Reinmar  macht  eine  Ausnahme.  Wohl  beklagt  auch  er  sich  über 
die  Hartherzigkeit  seiner  Dame,  über  ihr  zweideutiges  Benehmen, 
dann  aber  widerruft  er  plötzlich  und  rechtfertigt  ihr  Verfahren  als 
ein  ehrenvolles.  195,  25  vfar  umbe  rede  ich  seihen  nttf  si  endähte  an 
mich  ze  keiner  zit,  wan  die  ein  wip  gedenket  ^  an  der  triuwe  und  Sre 
lit.  Damit  stimmt  denn  auch  165,  37  Ich  hdn  ein  dinc  mir  für  geUit 
und  strite  mit  gedanken  in  dem  herzen  min  :  ob  ich  ir  höhen  werde- 
keit  mit  minem  willen  woüe  läzen  minre  sin,  ode  oh  ich  daz  weUe,  daz 
si  groezer  si  und  si  vil  scelic   wip   ste   min   und  aller  m'anne 


*)  Der  Interpretation  Naomanns  (Reihenfolge  der  Werke  Hartmanns  Ztschr.  f.  d. 
Alt,  22,  47),  welcher  die  Ehre  all  Standesehre  faßt,  kann  ich  mich  nicht  anschließen. 


96  J*  HOKNOFP 

vrt.  die  tuont  mir  bede  wL  ine  wirde  ir  last  er  s  mem&i-  vrÖ  :  vergit  st 
mich,  daz  klage  ich  iemer  mi.  £ininai  wendet  auch  er  die  conveDtionelle 
Bedeutung  an:  189,  34  an  der  ich  aber  ttiuwe  und  ire  erkenne,  tccene 
ich  des,  daz  mir  diu  ungeldnet  Idze,  so  geschcehe  an  mir,  daz  nie  ge- 
schach. 

Wie  in  den  meisten  der  angeführten  Stellen  der  Begriff  der 
Frauenehre,  so  ist  nun  auch  weiter  derBegriff  derMannesehre, 
soweit  diese  sich  auf  die  Minne  bezieht,  verschoben.  Was  das  natür- 
lich-sittliche Bewußtsein  als  unehrenhaft  verurtheilt,  die  aus  dauernde 
Liebe  zur  Gattin  des  fremden  Ritters,  das  Hegen  und  Pflegen 
dieser  Liebe  gilt  nach  der  neuen  Auffassung  als  ehrenvoll,  sowohl 
im  Munde  der  Frau,  wie  des  Mannes.  Veldegge  geht  hierin  voran. 
Er  stellt  freilieh  diese  Treue  als  eine  alte  gute  Sitte  der  Flatter- 
haftigkeit als  einer  neuen  Unsitte  gegenüber,  ohne  daran  zu  denken, 
daß  die  alte  Treue  der  noch  unverheirateten  Frau  oder  doch  wenig- 
stens nicht  der  Gattin  eines  Anderen  galt.  61,  18  cfö  man  der  rehten 
minne  'pfiac,  dd  pflac  man  auch  der  eren,  nu  mac  man  naht  unde  tac 
die  boesen  siie  iSren.  Die  ehrenvolle  Gesinnung  ist  an  die  rehte  minne 
geknüpft.  Was  aber  Veldegge    unter   dieser  versteht,    besagt  59,  30. 

60,  2:  stver  hat  rehte  minne  mnder  riuwe  und  äne  voanc,  und:  diu  mir 
gofp  rehfe  minne  sunder  riuwe  und  äne  teanc*   Die  boesen  säe  sind  nach 

61,  ].  ö  Uhtekeit  und  losheit;  ihnen  gegenüber  kann  rehte  minne  nur 
„treue  Hingabe^  bezeichnen,  treue  Liebe,  die  sich  auch  durch  Miß- 
erfolge nicht  abschrecken  läßt:  60,11  diu  mich  durch  rehte  minne 
lange  pine  dolen  Uet  (um  die  Treue  zu  erproben).  Danach  würde  auch 
60,  14.  18.  26  ere  auf  treue  Liebe  zu  beziehen  sein:  cJet*  blitschaft 
sunder  riuwe  hcU  mit  eren,  he  ist  riche.  —  Sioer  mit  iren  kan  gemeren 
sine  blitschaft,  daz  ist  guof  (Refrain). 

Derselben  Anschauung  huldigt  Reinmar:  199,  34  (Franenstrophe) 
Jch  sprich  im  niht  mere,  wan  daz  er  mich  siht,  daz  sint  sin  ere*.  Die 
Ehre  des  Ritters  verlangt  es,  daß  er  der  Dame  nicht  lange  seine 
Gesellsciiaft  entzieht,  ihr  eine  treue  Pflege  angedeihen  läßt.  cf.  v.  31  ff. 
sol  ich  lidf-n  von  im  langez  miden,  daz  müet  mich  wol  sere. 

Das  Werben  um  Frauengunst  einschließlich  ihres 
letzten  Zieles  ist  gleichbedeutend  mit  der  jiorge  umb  eri, 
dem  gerben  umb  %re, 

Reinmar  198,  30  der  ie  gern  umb  ere  warp  und  dar  an  ist  tin- 
verzngt,  deme  tuot  vil  menegez  to^,  des  sich  jener  getroestety  . . .  der  dir 
ist  verdorben  e.  Man  sol  sorgen,  sorge  ist  guot,  dne  sorge  ist  nieman 
wert.    Das  ^umb  en*e  werben    ist  gleich  ^sorgen,  sorgen  gleich  um  Liebe 


DEE  IflNNESlNGER  ALBRBOHT  VON  JOHANSDORF.  97 

ringen  trotz  aller  ZarückweisungeD,  cf.  199;  8  wer  Mt  liep  an  arAeitf 
192;  20  Mere  umb  ere  9ol  ein  man  gesorgen  danne  umb  ander  guot, 
R.  stellt  sich  in  dem  Liede  seinen  Spöttern  gegentlber,  indem  er 
sich  seines  Werbens  nach  Frauengunst  und  des  Anstandes,  mit 
dem  er  seinen  Liebesschmerz  zu  tragen  weiß,  rühmt.  Auch  202,  30 
dürfte  ere  in  dem  bezeichneten  Sinne  zu  fassen  sein.  v.  25  Mir  igt 
der  werlde  unstcete  von  genuogen  dingen  leit.  Swie  gerne  ich  rehte  teste 
{wände  ez  wcere  ein  aadekeit),  sd  enldt  mich  manie  man^  der  umb  ere 
noch  um  fröude  nie  deheinen  muot  gewan. 

die  sorge  umb  Sre  bei  Rugge  110;  7  bezeichnet  schon  mehr  die 
Besorgniß;  des  Lohnes  nicht  theilhaftig  zu  werden.  Swes  muot  iedoch 
zer  werke  als  der  mSne  stät,  ich  wcene  er  manege  sorge  unib  Sre  hat. 
Vgl.  den  Anfang  der  Strophe:  ich  hdn  nach  wäne  dicke  wol  gesungen^ 
des  mich  anders  mht  bestuont^). 

Die  entgegengesetzte  Beurtheilung,  welche  dieselbe  Handlangs- 
weise  (Gew&hrung  bez.  Erringen  des  höchsten  Lohnes)  bei  beiden 
Geschlechtern  erfährt;  spiegelt  sich  in  Joh.  *93;  25,  wo  die  Dame  zu 
ihrem  Ritter  sagt:  wert  ich  iuchy  des  hetet  ir  Sre,  s8  waer  min  der  spot. 

Es  handelt  sich  nun  darum,  zu  untersuchen;  ob  dem  Einzelnen 
die  unsittliche  Grundlage  der  Zeitsitte  zum  Bewußtsein  kommt.  Nur 
bei  den  Wenigsten,  finden  wir  in  den  Liedern  eine  Andeutung.  Wenn 
auch  anzunehmen  ist,  daß  Viele  in  ihrem  späteren  Leben;  wie  Wal- 
ther; Wolfram  und  Hartmann  dem  Minnedienste  den  Rücken  zu- 
kehrten, um  wie  Wolfram  (wahrscheinlich  auch  Hartmann)*)  Befriedi- 
gung im  ehelichen  Leben  zu  suchen;  so  hat  doch  dieser  Wandel  in 
ihren  Liedern  keinen  Ausdruck  gefunden.  Dieser  Gedanke  gehörte 
eben  nicht  in  den  Rahmen  des  Conventionellen  Liebesliedes.  Andeu- 
tungen aber;  daß  Einzelnen  die  sittliche  Erwägung  nahegetreten  ist, 
finden  wir  doch.  Gerade  gegen  sie  kämpft  Rute  mit  seinem  trotzigen 
und  leidenschaftlichen  Sinne  an  und  stellt  sich  denen  gegenttber;  die 
in  der  Todesstunde  ihre  Sünde  bereuen  und  beichten:  116;  15  Swie 
mir  der  tdt  vast  üf  dem  rugge  wcere  unde  dar  zuo  manic  ungemachy  s8 
wart  mm  wille  nie,  deich  si  verheere,  swie  nähen  ich  den  tdt  la  mir  ge- 
sach.  do  manic  man  der  siinden  sin  verjach,  d$  war  daz  mm  allermeistiu 
meerej  daz  mir  genäde  nie  von  ir  geschach.  Auch  Adeinburc  hat  sich 
die  Frage  nach  der  Zulässigkeit  der  Conventionellen  Liebe  vorgelegt. 
Das  Lied  148,  25  erscheint  als  eine  Antwort  auf  diese  Frage :   Swer 

')  Erich  Schmidt  versteht  unter  ^0  hier  ^Lob  der  Welt*.  Heinrich  von  Rugge 
and  Reinmar  von  Hagenau.    S.  28. 
')  Naumann  Zs.  22,  59  f.  74. 
«IRMianA.    N«««  Bellia  XTU.  (XXXTV.)  .lahrf.  7 


98  J.  HORNOFF 

mit  triuwen  umbe  ein  vnp  tvirhet,  als  noch  maneger  tuoty  waz  schadet  der 
siU  ein  werder  lip?  —  Ich  swüere  wol,  ez  wcsre  guot.  üt  aber  ez  ze 
himele  zorn^  sd  kommt  die  boesen  alle  dar  und  sint  die  biderben  gar 
verlorn.  Wie  Anderen  scheint  auch  ihm  die  unsittliche  Grundlage  ver- 
deckt durch  die  scheinbare  Tugend  der  Treue,  sodann  aber  durch 
die  Liebe  zu  einem  würdigen  Gegenstande  (waz  schadet  der  sele  ein 
werder  Upf).  Dieselben  Gedanken,  die  wir  bei  Johansdorf  wiederfinden 
werden!  cf.  auch  Mor.  142,  26  gerne  sol  ein  riter  ziehen  sich  ze  guoten 
vnbeny  d^st  min  rät.  boesiu  vnp  diu  sol  man  vliehen  etc.  Als  dritte  Ent- 
schuldigung kommt  bei  Adelnburc  noch  die  Autorität  aller  trefilichen 
Männer  hinzu,  welche  der  gleichen  Sitte  huldigen  (149,  2).  Wann 
dieses  Lied  abgefaßt  ist,  ob  Adelnburc  vielleicht  im  Ausgange  der 
achtziger  Jahre  unter  dem  Einflüsse  der  Ereuzpredigt  sich  diese  sitt- 
liche Frage  vorgelegt  hat,  läßt  sich  nicht  bestimmen,  wäre  aber 
möglich.  Das  aber  ist  gewiß,  daß  die  fttr  die  Christenheit  so  er- 
schütternden Vorgänge  im  Morgenlande  vom  Jahre  1187  (Schlacht 
bei  Hattin,  Einzug  Saladins  in  Jerusalem),  die  wiederaufgenommene 
und  aller  Orten  gepredigte  Kreuzzugsidee  Viele  zur  Selbstschau,  zum 
stillen  Insichgehen  veranlaßte.  Suchte  doch  der  Ereuzprediger  die 
Menschen  zur  Kreuznahme  gerade  dadurch  zu  bewegen,  daß  er  sie 
einerseits  an  ihre  Sünden  erinnerte,  anderseits  auf  den  himmlischen 
Lohn  hinwies.  Und  so  werden  wir  eine  ganze  Gruppe  von  Sängern 
kennen  lernen,  in  welchen  diese  Idee  zündend  wirkt,  und  welche  nun 
entweder  einen  Bruch  oder  einen  Ausgleich  mit  ihrer  bisherigen  An- 
schauung herbeizuführen  bemüht  sind:  ich  meine  die  Minnesänger 
Hausen,  Johansdorf,  Rugge,  Reinmar  und  Hartmann. 

Das  diesen  Männern,  etwa  mit  Ausnahme  von  Rugge,  Gemein- 
same ist  das  Bewußtsein,  daß  die  conventioneile  Liebe  eine  Sünde  sei. 

Hausen  46,  14  Ich  bin  ir  holt :  swenne  ich  [vor  gote  getar^  so  ge- 
denke ich  ir.    daz  ruoch  auch  er  vergeben  mir, 

Joh.  90,  8  Ich  gedenke  manege  naht :  waz  sol  ich  wider  got  nu  tuon, 
ob  ich  belthe,  daz  er  mir  genoedic  sif  «ö  weiz  ich  niht  vil  groze 
schulde,  die  ich  habCy  niuwan  eine,  der  enkume  ich  niemer 
abe»  'alle  sünde  lieze  ich  wol  wan  die  :  ich  minne  ein  wtp  vor  al 
der  werüe  in  minem  muote,  got  herre  daz  verväch  ze  guote. 

Reinmar  181,  35  In  erlaube  in  (nämlich  den  gedanken)  eteswenne 
dar  (nämlich  zur  Geliebten)  und  aber  wider  sä  zehant,  sos  unser  beidei- 
friwent^)  dort  gegrüezenj  so  keren  dan  und  helfen  mir  die  sünde  büezen. 


^)  So  Becker  S.  139,  Haupt  friunde. 


DER  MINNESANG  KR  ALHREOHT  VON  JOHANSDORF. 


99 


Hartm.  209,  25  dem  hrkize  zimt  wol  reiner  rmtof  und  kitische  9Üp.»  so  mae 
man  s^dde  und  allez  guot  erwf^'ben  mite,  wich  ist  ez  niht  ein  kleiner  haß 
dem  iumhen  matt,  der  shne  Uhe  Tneisferschaft  niht  hauen  han.  ez  unl  niht, 
daz  man  sü  dei*  werke  di^mder  frt.  210,  11  diu  werü  mich  lachet  trie^ 
gent  an  und  winket  mir,  nu  hdn  ich  ala  ein  fumber  man  gevolget  ir. 
der  [hacken  hdn  ich  manegen  tac  gelaufen  nach,  da  nieman  starte  vinden 
kany  dar  was  mir  gäch,  nu  hilf  mir  herre  kr  tat  ^  der  min  da  värend 
istj  daz  ich  mich  dem  entsage  mit  dmem  zeichen y  deich  hie  trage. 
Die  Reue  über  das  weltliche  Treiben  bezieht  sich  natürlich  auf  das 
vorangeganf^ene  erste  Minneverhftltniß  Hartmanns  ^). 

Unklar  bleibt  nur  die  Stellung  von  Rugge.  Die  Stelle  im  Kreuz- 
laiche  ist  zu  allgemein  gehalten,  als  daß  aus  ihr  ein  Schluß  gezogen 
werden  könnte.  97,  2  ob  ich  verbir  die  bheden  gir,  die  noch  min  herze 
treity  so  wirt  mir  hin  ze  den  fröweAen  gäch.  Die  blcßde  gir  kann  sich 
auf  alles  Mögliche  beziehen.  98, 33  wendet  sich  der  Dichter  nicht 
^egen  die  conventionelle  Liebe  im  Allgemeinen,  sondern  gegen  die- 
jenigen, welche  sie  der  Pflicht  der  Kreuznahme  nieht  opfern  wollen. 
Nach  105,  33  ff.  scheint  er  sie  mehr  f)ir  eine  Thorheit  als  eine  Sünde 
zu  halten:  Jch  hdn  dei*  werlie  ir  reht  getan  ie  nach  der  mäze  als  ez 
mir  stuonty  der  volge  ich  noch  vf  guoten  wdn,  als  am  die  toren  alle 
tuont.  Leicht  möglich,  daß  Rugge  zu  der  Zeit,  als  er  den  Leich  dichtete, 
seinen  Minnedienst  beendet  und  so  nicht  mehr  nöthig  hatte,  persönlich 
Stellung  zu  der  Frage  zu  nehmen,  möglich  aber  auch,  daß  er,  der 
an  leichtem  und  fröhlichem  Muthe  Veldegge  gleicht,  ebenso  wie  jener 
den  inneren  Widerspruch  nicht  empfand. 

Es  handelt  sich  nun  um  die  Stellungnahme,  um  den  sittlichen 
Kampf  der  Übrigen  und  um  dessen  Ausgang.  Herauszuheben  ist  zu* 
nächst  Hartmann,  der  allein  von  Allen  mit  seiner  bisherigen  An- 
schauung bricht.  Er  hat  dieselbe  als  unrichtig  anerkannt  und  ver- 
sucht keinen  Ausgleich.  Im  November-December  des  Jahres  1195  hat 
Hartmann  das  Kreuz  genommen*).  In  demselben  Winter  folgen  die 
Lieder  209,  25  dem  kriuze  zimt  wol  reiner  muot  etc.  und  210,  35  Mtn 
fröide  wart  nie  sorgelos  etc.,  in  denen  er  seinem  früheren  weltlichen 
Treiben  entsagt.  Wenn  er  nun  im  Frühling  des  folgenden  Jahres  sich 
abermals  verliebt,  so  ist  dies  keine  Inconsequenz ,  kein  Rückfall  in 
die  alte  Anschauung,  mit  dem  sich  zugleich  der  Widerspruch  mit 
seiner  Würde   als  Kreuzträger    hätte    einstellen   müssen.    Nein,    diese 


')  Naumann  Zs.  22,  74. 

')  Naumann  Zs.  22.  60.  43  ff. 


100  J-  HOBNOFF 

zweite  Liebe  hat  eine  ernste  Neigung  zum  Hintergrunde ,  sie  sucht 
eine  dauernde  Verbindung  mit  der  Geliebten*,  die  dann  nach  dem 
Ereuzzuge  wahrscheinlich  auch  erfolgt.  Bei  Hartmann  löst  sich  also 
der  Conflict  klar  und  einfach. 

Nicht  80  bei  den  Übrigen.  Hausen,  Johansdorf,  Reinmar  wollen 
von  ihrer  Liebe  nicht  lassen,  und  sie  suchen  deshalb  einen  Ausgleich 
zwischen  ihrer  Liebesempfindung  und  ihrem  religiösen  Gefühle  herbei- 
zuflihren,  jeder  auf  andere  Weise  und  mit  verschiedenem  Erfolge. 

Hausen,  der  von  den  Dreien  am  meisten  weltmännischen  Sinn 
zeigt,  weiß  am  leichtesten  über  den  Conflict  hinwegzukommen.  46,  14 
Ich  hin  ir  hoü :  swenn  ich  vor  gote  getaVy  so  gedenke  ich  ir,  daz  ruoch  ouch 
er  vergeben  mir;  tüan  ob  ich  des  sünde  silie  hän,  ztoiu  schuof  er  si  so 
rehte  wol  getan  f  Er  rechnet  auf  Gottes  Nachsicht,  indem  er  ihm  vor- 
wirft, daß  er  ja  die  Geliebte  so  schön  geschaffen  habe,  und  meint, 
daß  damit  eigentlich  seine  Sünde  wegfalle:  eine  mehr  geistreiche 
Wendung,  als  wirklich  ernste  Erwägung.  Am  Schlüsse  trifl%  er  den 
Ausgleich,  daß  er  Gott  den  ersten,  den  Frauen  den  zweiten  Platz  in 
seinem  Herzen  einräumen  wolle.  47,  7  d&n  (nämlich  got)  wil  ich  vor 
in  allen  haben,  und  in  (=  den  frouwen)  da  nach  ein  holdez  herze  tragen. 
Die  Buhe,  die  er  damit  gewinnt,  ist  darum  keine  nachhaltende.  Er 
hat  sich  getäuscht,  wenn  er  geglaubt  hat,  daß  mit  der  einfachen 
Thatsache  der  Kreuznahrae  auch  der  innere  Streit  entschieden  sei 
(47,  17.  23).  Von  Neuem  kämpfen  seine  Empfindungen  gegen  den 
gefaßten  Entschluß  an,  kämpft  sein  herze  gegen  den  Itp  (47,9).  Er 
ist  nicht  stark  genug,  die  ersteren  zu  unterdrücken,  und  läßt  ihnen 
darum  freien  Lauf.  Religiöse  Empfindung  und  Liebesgeftthl  stehen  unver- 
mittelt nebeneinander,  und  das  letztere  hat  sogar  die  Oberhand  (47, 25  ff.). 

Weit  ernster  nimmt  es  Reinmar  mit  diesem  Widerstreit  der  Ideen. 
Auch  er  hat  den  kühnen  Entschluß  gefaßt,  das  Kreuz  zu  nehmen 
und  den  Frauen  zu  entsagen,  und  wie  schwer  ihm  dies  auch  gefallen 
ist  (180,28  ff.),  er  sucht  sich  im  Hinblick  auf  die  zu  erwartende 
weltliche  Ehre  und  auf  die  Gnade  Gottes  zur  Freude  durchzuringen, 
wie  er  denn  auch  die  Anderen  zur  Freude  ermahnt  (180,  36  ff.). 
Aber  freilich  der  Wille  ist  zu  schwach,  wie  bei  Hausen  und  vielen 
Anderen  (181,  22),  um  die  einmal  als  unberechtigt  anerkannten 
Gedanken  völlig  zu  bannen.  Und  so  gestattet  auch  er  ihnen  (181,  33), 
weil  ihm  nichts  Anderes  übrig  bleibt,  den  gewohnten  Weg  vom  Herzen 
zur  Geliebten,  aber  —  und  hier  zeigt  sich  der  Unterschied  von 
Hausen  —  während  jener  sie  dort  ruhig  weilen  läßt  (47,  25),  ruft 
sie  Reinmar    gebieterisch    zurück,    damit    sie    die    begangene  Sünde 


DER  MINNESINGER  ALBRECHT  TON  J0HAN8D0RF.  IQl 

büßen  helfen  und  Vergebang  erlangen  (181,  38).  Kleinlaut  schließt 
Reinmar  mit  der  Befürcbtang^  daß  ihn  die  Qedanken  noch  recht  oft 
betrügen  werden  (182^2).  Der  Widerspruch  bleibt  also  bestehen^  aber 
die  religiöse  Empfindung  überwiegt. 

Ohne  Beimischung  religiöser  Ideen  wird  uns  der  sittliche  Kampf 
165,  37  ff.  geschildert.  Nachdem  Reinmar  drei  Strophen  hindurch  in 
der  conventioneilen  Anschauung  sich  bewegt  hat,  bricht  plötzlich  das 
sittliche  Bewußtsein  durch :  Ich  hän  ein  dinc  mir  für  geleit  und  strite 
mit  gedanken  in  dem  herzen  mtn^  ob  ich  ir  hShen  werdekeit  mit  minem 
willen  woüe  Idzen  minre  sin^  ode  ob  ich  daz  welle,  daz  si  groezer  in  und 
si  ml  scelic  tvip  ste  min  und  aller  manne  vru  die  tuont  mir  bede  wS. 
ine  wirde  ir  lästere  niemer  vro.  verget  si  mich,  daz  Idage  ich  iemerme. 
Es  handelt  sich  also  um  die  Frage,  ob  Reinmar  seine  Dame  zu  einer 
Handlungsweise  veranlassen  soll;  die  sie  in  seiner  eigenen  sittlichen 
WerthschätzuDg  herabsetzt,  ihm  aber  Befriedigung  seines  Herzens- 
dranges verschaffi,  oder  ob  er  sie  lieber  sittlich  rein,  befreit  von  seiner 
und  aller  übrigen  Männer  Liebe  zu  sehen  wünschen  soll.  Reinmar 
schwankt;  ohne  zu  einer  Entscheidung  zu  kommen;  ihren  Schimpf 
mag  er  nicht  mitansehen,  aber  ihr  entsagen  kann  er  nicht.  Die  letzte 
Strophe  des  Liedes,  die  nur  in  E  überliefert  ist  (die  übrigen  in  ABC) 
und  mit  der  eben  besprochenen  in  durchaus  keinem  Zusammenhange 
steht,  ist  wahrscheinlich  eine  Zusatzstrophe.  Das  Lied  schließt,  wie 
das  Kreuzlied;  unbefriedigt. 

Auch  die  Bevocatio  in  195,  25  weist  diesen  Widerstreit  der  Ideen 
auf.  nieman  weiz,  ob  si  mich  wert  oder  wiez  ergät^  nein  oder  jä^  ich 
enweiz  enwederz  da,  warumbe  red  ich  solhen  nitf  si  endähte  an 
mich  ze  keiner  zit^  wan  als  ein  wtp  gedenket,  an  der  triuwe 
und  ere  liU 

Ganz  anders  als  bei  Hausen  und  Reinmar  steht  die  Sache  bei 
Johansdorf.  Auch  er  hat  einen  harten  Kampf  durchzumachen  (90,  5  ff.) : 
schlaflos  wälzt  er  sich  die  Nacht  auf  seinem  Lager  und  überlegt, 
ob  er  das  Kreuz  nehmen  soll;  zwar  drücken  ihn  nicht  viele,  schwere 
Sünden,  aber  die  eine,  die  Liebe  zu  einer  Frau  erfordert  eine  Sühne. 
Nicht  aber,  wie  Reinmar,  beschließt  er  darum,  dieselbe  zu  lassen,  dazu 
ist  seine  Empfindung  zu  mächtig ;  er  bittet  Gott  um  Nachsicht  (90,  15), 
wie  Hausen  darauf  rechnet  (46,  16  ff.).  Einmal  (94,  25  ff.)  versucht 
auch  er  die  Minne  von  sich  zu  weisen,  aber  im  nächsten  Augenblicke 
gestattet  er  ihr,  in  seinem  Herzen  die  Reise  nach  dem  heiligen  Lande 
mit  ihm  zu  unternehmen,   und  wagt  es  sogar,    für  die  Geliebte  den 


102  J-  HORNOFF 

halben  Lohn  der  Fahrt  bei  Gott  zu  erbitten.  Nichts  von  Unruhe  und 
Widerspruch  mehr  in  seinem  Herzen.  Noch  mehr  erstaunen  wir, 
wenn  der  Dichter  dieser  Liebe  zuschreibt,  daß  sie  von  Sünden  vor 
Gott  freimache  (88,  33  ff.) :  Swer  minne  muinecltche  treu  gar  äne 
valschen  muoty  des  siinde  loirt  v(yr  gote  niht  geseit  si  Huret  und  ist  guot. 
Johansdorf  muß  einen  Ausgleich  in  seinem  Herzen  getroffen  haben. 
Was  aber  ermöglichte  diesen?  Er  betont  die  reine  Liebe  {swer 
minne  minnecltche  treu  gar  dne  valscheti  muot)  und  die  Empfin- 
dung ftlr  reine  Frauen  (88,  37  man  sol  miden  boesen  kranc  und 
minnen  reiniu  vnp),  Sie  veredelt  den  Menschen  nicht  nur  nach  der 
geselligen  Seite  hin,  wie  das  die  übrigen  Minnesänger  hervorheben, 
sie  heiligt  auch  das  Innere  des  Menschen  (v.  88,  35  des  siinde  wirt 
vor  gote  niht  geseit,  si  tiuret  und  ist  guot).  Dazu  kommt  die  Treue, 
die  starke,  die  anhaltende  Empfindung.  86,  1  Min  erste 
liebe,  der  ichiebegan,  diu  selbe  muoz  an  mir  diu  leste  sin,  an  vröu- 
den  ich  des  dicke  schaden  hau;  iedoch  so  ratet  mir  daz  herze  min  :  solde 
ich  minnen  mer  dan  eine,  daz  enwcere  mir  niht  guotj  söne  tninnet  ich 
deheine*  seht,  wie  maneger  ez  doch  tuöt!  87,  5  Mich  mac  der  t/jt  von 
ir  minnen  wol  scheiden,  anders  nieman,  des  hdn  ich  gesworn,  89,  1 
tuo  erz  (=  minne  er  ein  reinez  wtp)  mit  triuwen,  so  hob  iemer  danc 
sin  tugentlicher  lip.  künden  si  ze  rehte  beidiu  sich  bewarn,  für  die  wil 
ich  ze  helle  vam  ,.,.  ich  meine  die  da  minnent  äne  gallen,  als  ich  mit 
triuwen  tuon  die  lieben  frouwen  mm,  91,  29  Swä  zwei  herzeliep  ge- 
friundent  sich  und  ir  beider  minne  ein  triuwe  wirt,  die  sol  niemeii 
scheiden,  dunket  mich,  al  die  wile  unz  si  der  tot  verbirt,  91,  24  ist 
daz  ich  es  inne  werden  solf  wie  dem  herzen  herzeliep  geschiht,  so  he  war 
mich  vor  dem  scheiden  got,  dazwoen  bitter  ist.  Vgl.  auch  91,  13» 
In  89,  15  liegt  eine  Polemik  gegen  die  getheilte  Liebe.  Reine  und 
starke,  anhaltende  Empfindung,  sie  beherrschen  das  Herz  des  Dichters 
in  so  hohem  Grade,  daß  er  über  die  unsittliche  Grundlage  seiner 
Liebe  hinwegsieht,  und  daß  eine  Vereinigung  der  Liebesempfindung 
mit  dem  religiösen  Gefühle  ermöglicht  ist. 

Psychologisch  interessant  ist  es  nun  weiter,  denGründon  nach- 
zugehen, welche  den  Einzelnen  direot  oder  indirect  zur 
Erkenntniß  seines  unsittlichen  Handelns  und  damit  zur 
Kreuznahme  bewegen.  Zwei  Motive  treten  hierbei  in  den  Vorder- 
grund: einmal  die  Furcht  vor  dem  Tode,  welcher  dem  Gemüthe 
nahegebracht  wird  durch  die  großen  Verluste  der  Christenheit  im 
Orient,  und  sodann  die  Erfolglosigkeit  in  der  Liebe. 

Das  erste  Motiv  erscheint  bei  Hausen,  Rugge,  Johansdorf. 


DER  MINNESÄNGER  ALBSEGHT  VON  J0HAN8DORF.  103 

Hausen  46,  28  nieman  wetz,  wie  nähe  im  tat  der  tot  Rugge  99,  15 
nie  man  weizy  wie  lange  er  lehet, 

Johansdorf  wird  erschttttert  durch  das  Massensterben  der  Men- 
schen :  er  sieht  darin  eine  Folge  des  Zornes  Gottes.  88,  27  Wir  haben 
in  eime  jdre  der  Hute  vil  verlorn,    da  In  eo  merket  gates  zom. 

Das  zweite  Motiv,  die  Erfolglosigkeit  der  Liebe,  bat  Hausen. 
46,  29  einer  frouwen  was  ich  zam,  diu  äne  lön  min  dienest  nam,  von 
der  sprich  ich  niht  wan  allez  guot,  wan  daz  ir  tnuot  zunmilte  ist  wider 
mich  gewesen,  vor  aUer  not  ich  wände  sin  genesen,  dö  sich  verlie  min 
herze  üf  genäde  an  sie,  der  ich  da  leider  niene  funden  hdn.  nu 
loil  ich  dienen  dem,  der  Ionen  kan, 

Reinm.  103,  22.  Do  Sprechens  zU  was  wider  diu  wvp,  do  warp  ich 
als  ein  ander  man,  do  wart  mir  einiu  als  der  lip,  von  der  ich  niuwan 
leit  gewan,  do  wände  ich  ie,  si  wolde  ez  wenden,  hast  ich  si  noch,  ich 
künde  ez  niht  verenden,  nu  hän  ich  mir  ein  leben  genomen, 
daz  sol,  ob  got  von  himele  wil,  mir  noch  ze  staten  komen. 
Indirect  spricht  Reinmar  den  Gedanken  auch  180,  28  ff.  aus. 

Hartm.  211,  8  ff.  Mich  hat  diu  werlt  also  gewent,  daz  mir 
der  muot  sich  z einer  mäze  nach  ir  sent.  desi  mir  nu  guot  got 
hat  vil  wol  ze  mir  getan,  als  ez  nu  stät,  daz  ich  der  sorgen  bin  erlän, 
diu  manegen  hat  gebunden  an  den  fuoz,  daz  er  beliben  muoz,  swenn  ich 
in  Kristes  schar  mit  fröiden  wünneclichen  vor. 

Bei  Hartmann  häufen  sich  die  Motive.  Der  Tod  seines'  Herrn 
hat  ihm  alle  irdische  Freude  geraubt,  so  da(^  er  nur  noch  an  sein 
Seelenheil  zu  denken  wünscht.  210,  23  SU  mich  der  tot  beroubet  hat 
des  herren  min,  swie  nü  diu  weidt  nach  im  geatät,  daz  Idz  ich  sin,  der 
fröide  min  den  besten  teil  hat  er  da  hin^  und  schliefe  ich  nu  der  sele. 
heil^  daz  wcere  ein  sin.  Freilich  hält  das  erste  Motiv,  wonach  Hart- 
mann  auf  die  Liebe  verzichtet,  nicht  nach.  Noch  vor  dem  Kreuzzuge 
(1197)  verliebt  sich  der  Dichter  zum  zweiten  Male,  ohne  daß  freilich 
dies  für  ihn  die  Veranlassung  würde,  in  der  Heimat  zu  bleiben.  Im 
Gegentheil  ist  es  gerade  die  Geliebte,  die  ihn  antreibt,  dem  geleisteten 
Versprechen  nachzukommen,  und  so  für  ihn  ein  neues  Motiv  zur 
Kreuzfahrt  hinzufügt.  217,  20.  8welch  frouwe  sendet  lieben  man  mit 
rehtem  mUot  üf  dise  vart^  diu  . . .  218,  10  Nu  hat  si  mir  enboten  bi  ir 
liebe  j  daz  ich  var.  v.  11  ez  ist  geminnety  der  sich  dur  die  Minne  eilen- 
den muoz. 

Mit  den  genannten  Dichtern  vergleiche  man  Morungen,  welcher 
durch  die  Erfolglosigkeit  seines  Minnewerbens  nicht  zu  religiösem 
Denken,  sondern  nur  zur  Todessehnsucht  geleitet  wird.    139,  11  ff. 


104  J.  HOENOFF 

A'uch  die  Zwecke^  die  der  Einzelne  durch  die  Kreuzfahrt  zu 
erreichen  hoffli;  sind  nicht  die  gleichen. 

Reinmar  und  Hartmann  betonen  neben  dem  ewigen  auch  den 
zeitlichen  Lohn,  neben  der  Seligkeit  den  irdischen  Ruhm. 

Reinmar  180,  38  wir  selten  hiure  wesen  frder  danne  verL  söne 
(Regel,  yS  Haupt)  mae  ein  man  erwerben  des  er  gert,  lop  und  ere  und 
darzuo  gotes  hulde. 

Hartm.  210,  7  wan  swem  daz  ist  beschert  ^  daz  er  dd  wol  gevert, 
daz  giltet  beidiu  teilj  der  werlte  lopj  der  sele  heiL 

Hausen,  Johansdorf,   Rugge  kennen  nur  den  himmlischen  Lohn. 

Hausen  46,  38  jiu  wil  ich  dienen  dem^  der  ISnen  hau.  Er  denkt 
hierbei  gewiß  nicht  an  den  irdischen  Ruhm,  mit  dem  ja  Gott  eben- 
falls lohnen  könnte.  Dafltr  spricht  53,  35:  8werz  kriuze  nam  Und  wider 
warpy  dem  wirt  doch  got  ze  jungest  schm,  swann  im  diu  porte  ist 
vor  verspart^  die  er  tuot  üf  den  Hüten  sin. 

Johansdorf  87,  23  wir  buln  vam  durch  des  riehen  gotes  ere  gerne 
ze  helfe  dem  heilegen  grabe,  swer  daz  bestrüchet,  der  mae  wol  be- 
snaben,  däne  mae  niemen  gevallen  ze  sere^  daz  meine  ioh, 
sd  die  sile  werden  gevage,  so  si  mit  schalle  ze  himele  keren. 
94,  15  Guote  Hute,  hoU  die  gäbe,  die  got  unser  herre  selbe  gßty  der  al 
der  weite  hat  gewalt.  dienet  stnen  solt^  der  den  vil  sceldehaften 
dort  behalten  Itt  mit  vröuden  iemer  manicvalt  etc.  Vgl.  auch 
89,  32 'ff. 

Rugge  96,  19  ez  wurde  ein  langer  wemder  hört,  swer  got  nu  dienen 
künde,  daz  wcere  guot  und  ouch  mm  rät^  daz  wizzent  algeltche,  vil 
maneger  drumbe  enphangen  hat  daz  frdne  himelr%che\  und 
sonst  öfter. 

Bei  Johansdorf  und  Hartmann  kommt  aber  noch  der  Wunsch  hinzu, 
den   halben  Lohn   für  die  Fahrt  der  Geliebten   zukommen  zu  lassen. 

Joh.  94,  31  Wilt  ab  du  (=  Minne)  üz  minem  herzen  scheiden  niht, 
...,  vüer  ich  dich  dan  mit  mir  in  gotes  lant,  so  si  er  umbe  halben 
Idn  der  guoten  hie  gemant. 

Hartm.  211,  20  Swelch  frouwe  sendet  lieben  man  mit  rehtem  muote 
üf  dise  varty  diu  koufet  halben  Ion  daran,  ob  si  sich  heime  also 
bewart,  daz  st  verdienet  kiu^chiu  wort,  si  bete  für  si  beidiu  hie,  sd  vert 
er  für  st  beidiu  dort 

Ursprünglich  freilich  hat  Hartmann  den  halben  Lohn  seinem 
verstorbenen  Herrn  zugedacht.  210,  31  mae  ime  (=  dem.  herren)  ze  helfe 
kamen  min  vart,  diech  hdn  genomen,  ich  wil  irm  halber  jehen^  vor 
gote  müeze  ich  in  gesehen. 


DBB  MINNESlNGEB  ALBRECHT  VON  JORANSDOBF.  |06 

Überblicken  wir  nochmals  den  Inhalt  der  Gedankenwelt  Johans- 
dorfs,  80  ist  es  das  Sittliche  seines  Denkens  und  Empfin- 
den s^  was  vor  Allem  hervortritt,  und  wodurch  er  sich  vor  sämmt- 
lichenl  Minnesängern  der  älteren  Zeit  auszeichnet.  Er  ist  ein  vor- 
zttgsweise  sittlicher  Charakter.  Die  Unsitte  seiner  Zeit  vermag  auch 
er  nicht  zu  durchbrechen^  aber  die  Stärke  und  Reinheit  seiner  Empfin- 
dung hilft  ihm  darüber  hinweg,  das  Unsittliche  fernerhin  noch  als 
Unrecht  zu  empfinden.  Reinmar  gegenüber,  der  ihm  an  sittlicher  Fein- 
ftihligkeit  am  nächsten  steht,  ist  er  Realist.  Jener  erkennt  sehr  wohl 
das  Unzuträgliche  seines  Handelns.  Er  stellt  sich  (165,  37)  vor  die 
Wahl  zwischen  dem  Rechten  aber  Unangenehmen  einerseits  und  dem 
Unrechten  aber  Angenehmen  anderseits.  Aber  er  entscheidet  sich 
nicht.  An  anderer  Stelle  (181,  13),  wo  er  sich  für  das  Rechte  ent- 
schieden hat,  vermag  er  mit  dem  Unrecht  nicht  vollständig  zu  brechen, 
nicht  Meister  seiner  Gedanken  zu  werden.  Die  Kluft  zwischen  Denken 
und  Handeln  bleibt  bei  ihm  bestehen,  während  Johansdorf  Beides  zu 
verschmelzen  weiß  und  in  sich  befriedigt  ist. 

Was  die  Form  der  Gedanken  anlangt,  so  berühren  sich  natürlich 
einzelne  Ausdrücke  und  Wendungen  in  den  Minneliedom  mit  denen 
anderer  Minnesänger,  und  doch  fehlt  auch  hier  das  Originelle  nicht, 
was  zum  Theil  durch  das  Sittliche  von  Johansdorfs  Empfinden, 
zum  Theil  durch  die  Stärke  seines  Naturgefühles  bedingt  ist.  Auf 
letzterem  beruht  die  Beschreibung  der  Blumenpracht  90,  32  und  der 
herrliche  Refrain  (90,  23.  31):  fröude  und  sumer  ist  noch  allez  hie^  auf 
ersterem  die  Betonung  des  Unrechts,  was  die  Dame  durch  ihr  falsches 
Spiel  an  dem  Dichter  begeht :  86,  9  Ich  wil  ir  raten  bi  der  sele  mtn 
durch  keine  liebe  niht  wan  durch  daz  reht  etc. 

Auch  durch  Entlehnung  aus  fremdem  Gebiete  führt  derselbe 
neue  Wendungen  und  Formen  in  den  Minnesang  ein.  In  den  Schatz 
der  Volkspo^sie  greift  er,  um  den  vollklingenden,  im  älteren  Minne- 
sänge einzig  dastehenden  Ausdruck  der  Freude  über  die  vorgestellte 
Ankunft  eines  Liebesbotens  zu  gewinnen.    91,  36  cf.  S.  111. 

Als  den  ersten  Versuch,  die  romanische  Form  des  jeu  parti  in 
freier  Weise  nachzuahmen,  sehe  ich  das  Lied  89,  9  an.  cf.  S.  110. 

VI.  Zeitliche  Anordnung. 
Auf  formelle   und   inhaltliche  Gesichtspunkte  gestützt,   versuche 
ich   eine  Anordnung   der  Lieder  zu  geben,    indem   ich  dabei  von  der 
Voraussetzung  ausgehe,  daß  die  Lieder  eines  Tones  zeitlich  nicht  allzu- 
fern auseinanderliegen   und  vor  oder   nach    denjenigen   eines  anderen 


106  J.  HOBNOFF 

Tones  entstanden  sind.  Nur  86,  1  und  86,  25  trenne  ich  zeitlich,  da  der 
Ton  der  letzteren  Strophe  eine  Modification  von  dem  der  ersteren  ist. 
Einen  Anhaltspunkt  bei  Bestimmung  der  Reihenfolge  gewinnt 
man  zunächst  durch  den  Kreuzzug,  wodurch  sich  diejenigen  Lieder, 
welche  eine  Andeutung  desselben  enthalten  (=  Kreuzlieder)  von  den 
übrigen  (den  Minueliedern)  als  besondere  Gruppe  abheben.  Man  wird 
sie  zeitlich  hinter  die  Minnelieder  stellen  müssen,  da  sie  der  conven- 
tioneilen Formeln,  die  in  diesen  noch  ziemlich  häufig  sind,  entbehren 
und  eine  höhere  Stufe  der  Technik  aufweisen.  Ausschließlich  in  den 
Kreuzliedern  findet  sich  die  Form  der  Ausrufe  (90, 4.  94,  35  ff. 
95,  6  ff.),  der  Anrede  an  die  Dame  (87,  21),  an  die  Minne  (94,  25), 
an  die  eigene  Person  (Rede  der  Frau  94,  38),  die  Schwur-  und  Fluch- 
form (87,  5.  88,  9.  87,  37.  87,  9.  35.  89,  30),  Personification  (94,  25), 
Chiasmus  (94,  23.  86,  17),  die  ungemein  kühne  Parenthese  (89,  5), 
die  wirkungsvolle  doppelte  Antithese  (94,  21.  22.  94,  24)  oder  die  in 
zwei  benachbarten  Versen  wiederholte  Antithese  (94,  36  f.),  der  Dialog 
(87,  15  ff.),  die  Einführung  anderer  Personen  als  redend  (87,  14. 
94,  35.  95,  13.  89,  25).  Mit  Absichtlichkeit  wiederholt  der  Dichter 
bestimmte  Satzformen  (88,  19.  94,  15.  Haupt-  mit  Relativsatz  wieder- 
holt oder  einfache  Parataxe),  um  seine  Rede  ernst  und  eindringlich 
zu  gestalten.  —  Auch  die  complicirteren  Töne  gehören  den  Kreuz- 
liedern an  (Stollen  mit  drei  Versen:   89,  21.  94,  15;   mit  vier  Versen: 

87,  29).  —  Was  die  Formelhaftigkeit  der  Minnelieder  anlangt,  so  lese 
man  nur  89,  9.  90,  16.  92,  7. 

Innerhalb  der  Kreuzlieder  werden  die  wenigen  Anspielungen  auf 
die  Kreuzfahrt  und  auf  die  Bulle  Gregors,  welche  Wolfram  in  der 
angeführten  Abhandlung^)  aufgedeckt  hat,  maßgebend  sein.  89,  21 
fällt  mit  seiner  Hindeutung  auf  den  ersten  Zug  der  Kreuzfahrer  unter 
Friedrich  {„die  hinnen  varn^)  in  den  Sommer  1189').   87,  29  (speciell 

88,  19  ff.),  86,  25  und  94,  15  enthalten  Anklänge  an  die  Bulle  Gregors; 
welche  am  27.  März  1188  auf  dem  Reichstage  von  Mainz  zur  Ver- 
lesung kam,  fallen  also  hinter  diesen  Termin.  Weiter  sind  87,  29  und 
87, 5  entstanden ,  nachdem  der  Dichter  das  Kreuz  genommen  hat* 
In  der  dritten  Strophe  von  89,  21  dagegen  schwankt  der  Dichter  noch, 
ob  er  in  der  Heimat  bleiben  oder  sich  am  Zuge  betheiligen  soll.  Ent- 
weder ist  also  die  Kreuznahme  noch  nicht  erfolgt^  oder  sie  ist  erfolgt, 
und  der  Dichter  denkt  trotzdem  an  die  Möglichkeit  des  Zurückbleibens. 


>)  Ztichr.  f.  d.  Alt.  30,   111. 
^  Ztschr.  f.  d.  Alt.  30,  114. 


DER  MINNESÄNGER  ALBRECHT  VON  JOHANSDORF.  107 

Freilich  würde  er  sich  in  letzterem  Falle  eines  Wortbruchs  Gott  gegen- 
über schuldig  machen.  Dieser  Gedanke  tritt  aber  bei  seinen  nächt- 
lichen Erwägungen  nicht  auf^  es  peinigt  ihn  nur  die  Schuld  seiner 
unerlaubten  Liebe.  Ich  nehme  demnach  das  Erstere  an:  die  Kreuz- 
nähme  ist  noch  nicht  erfolgt.  Dann  aber  fallen  87,  5  und  87,  29  nach 
89,  21,  also  zwischen  den  Sommer  1189  und  den  Aufbruch  Leopolds 
von  Osterreich  Sommer  1190*),  mit  dessen  Heere  Johansdorf  den  Zug 
antrat.  Innerhalb  dieses  Zeitraumes  muß  der  Dichter  das  Kreuz  ge- 
nommen haben. 

Kurz  vor  dem  Aufbruche  sind  86,  25  und  94,  15  entstanden. 
In  94,  15  (v.  35  ff.)  ist  der  Streit  mit  der  Geliebten  wegen  der  Kreuz- 
nähme  ausgeglichen,  welcher  in  87,5  und  87,29  noch  eine  große 
Rolle  spielt.  Der  Dichter  bittet  die  Minne  (94,  25),  ihn  bis  zu  seiner 
Rückkehr  freizulassen.  Die  Geliebte  zittert  vor  dem  nahen  Tage  der 
Abfahrt  (95,  5  ez  nähet,  er  wil  hinnen  varn).  In  86,  25  bittet  der  Dichter 
Gott,  über  die  Ehre  der  Geliebten  bis  zu  seiner  Rückkehr  zu  wachen- 
94,  15  fällt  wohl  noch  etwas  später  als  86,  25,  da  sich  der  Dichter 
in  der  zweiten  Strophe  schon  in  der  Ferne  wähnt. 

Die  Ordnung  der  Lieder  ist  also  folgende: 
89,  21  Sommer  1189. 

8775717729     Sommer  1189  bis  Sommer  1190. 
86,  25.  94,  15  Sommer  1190. 

Mit  geringerer  Sicherheit  lassen  sich  die  Minnelieder  ordnen. 

Ich  habe  schon  früher  wahrscheinlich  zu  machen  gesucht,  daß 
die  beiden  Lieder  91,  8  und  91,  22  den  Abschluß  des  Minneverhält- 
nisses zur  Voraussetzung  haben;  sie  würden  wir  demnach  an  das 
Ende  der  Reihe  stellen  müssen. 

89,  9.  90,  16.  90,  32  enthalten  viel  conventioneile  Phrasen: 
Schmerz  über  die  Entfernung  von  der  Geliebten  und  über  ihre  Hart- 
herzigkeit, Freude  über  den  erhofften  Anblick. 

92,  7  ist  geradezu   stümperhaft   und  erscheint  als  Erstlingswerk. 

91,  36  ist  ein  Virtuosenstückchen,  welches  des  schlichten  Aus- 
druckes wahrer  Empfindung,  wie  ihn  die  späteren  Lieder  aufweisen, 
entbehrt.  Alle  die  genannten  werden  wir  aus  den  bezeichneten  Grün- 
den an  den  Anfang  zu  stellen  haben,  etwa  in  der  Reihenfolge:  92,  7. 
-  (89,  9.  90,  16.  90,  32)  —  91,  36. 

86,  1  schlägt  plötzlich  einen  neuen  Ton  an.  Das  conventioneile 
Minnetreiben   scheint   unserem  Dichter  lästig,    das  Kokettieren  seiner 

•)  Wolfram  a.  a.  O.  S.  114. 


108  J.  HOBNOPP 

Dame  widerlich;  die  Eigenart  Johansdorfs^  der  speciell  sittliche  Cha- 
rakter kommt  zum  Durchbruch,  er  verlangt  nicht  um  der  Liebe,  son- 
dern um  des  Bechten  willen  Offenheit  von  der  Dame^  bestimmte 
Zusage  oder  Absage  ohne  Umschweife  (86,  9).  Das  dürfte  der  Anlaß 
zu  dem  folgenden  Abschluß  des  Verhältnisses  gewesen  sein,  und  so 
schließt  sich  der  Kreis.   Das  Bild  der  Beihenfolge  würde  dieses  sein: 

I.  92,7.      89,  9.  90,  16.  90,  32.      91,36. 

II.  86,  1. 

III.  9l78r"9l7^2. 

Prüfen  wir  nun  noch,  wie  sich  die  Strophenzahl  der  Lieder  zu 
der  aufgestellten  Anordnung  verhält. 

Die  Strophenzahl  kann  nur  insoweit  als  Kriterium  gelten,  als 
man  annehmen  darf,  daß  der  Entstehung  mehrstrophiger  Lieder  die 
einstrophiger  vorangegangen  sein  muß,  in  unserem  Falle,  daß  die 
Entstehung  der  dreistrophigen  Lieder  den  Vorgang  mindestens  eines 
zweistrophigen,  die  Entstehung  der  zweistrophigen  den  Vorgang  minde* 
stens  eines  einstrophigen  Liedes  voraussetzt. 

Falsch  dagegen  wäre  die  Annahme,  daß  sämmtliche  ein- 
strophigen vor  den  zweistrophigen,  sämmtliche  zweistrophigen 
vor  den  dreistrophigen  gedichtet  seien,  dem  Dichter  mithin  die  Mög- 
lichkeit benommen  gewesen  wäre,  vom  dreistrophigen  Liede  zum  zwei- 
und  einstrophigen  zurückzukehren. 

Die  Strophenzahl  der  Lieder  stellt  sich  nun  folgendermaßen: 

Von  den  Minneliedern  sind  die  meisten  zweistrophig:  89,  9. 
90,  16.  90,  32.  91,  8.  9J,  22;  nur  eines  dreistrophig:  86,  1;  zwei  ein- 
strophig:  91,  36.  92,  7. 

Unter  den  Kreuzliedern  finden  sich  zwei  dreistrophige:  87, 5 
und  89,  21,  zwei  zweistrophige:  87,  29.  94,  35.  Die  übrigen  sind  ein- 
strophig:  86,  25.  88,  19.  88,  33.  94,  15.  94,  25.  —  Daß  gerade  unter 
den  Kreuzliedern,  deren  Entstehung  später  angesetzt  wird,  als  die 
der  Minnelieder,  so  viel  einstrophige  erscheinen,  darf  nicht  wunder 
nehmen,  da  drei  von  den  fünf  Liedern  sich  der  Spruchform  nähern, 
zu  deren  Charakter  ja  die  Einstrophigkeit  gehört:  88,  19  (indirecte 
Ermahnung  zum  Kreuzzuge).  94,  15  (directe).  88,  33  (allgemeine  Er- 
mahnung zur  Treue,  an  Liebende  gerichtet). 

Betrachten  wir  nun  die  Aufeinanderfolge  der  Lieder  mit  Rück- 
sicht auf  ihre  Strophenzahl,  so  beginnt  ein  einstrophiges  die  Reihe 
der  Minnelieder:  92,  7.  Es  folgen  die  zweistrophigen:  89,  9.  90,  16. 
90,32,  mit  Unterbrechung   durch   ein  einstrophiges  (91,36)  das  drei- 


DER  MINNESÄNGER  ALBRECHT  VON  JOHAN8DORF.  109 

strophige  86, 1.  Den  Beschluß  bilden  swei  zweistrophige  Lieder  91,  8. 
91,  22, 

Die  höchste  Strophenzahl  ist  bereits  innerhalb  der  Minnelieder 
erreicht.  Die  Reihe  der  Ereuzlieder  beginnt  gleich  mit  zwei  drei- 
strophigen:  89,21.  87,5  und  wird  fortgesetzt  mit  zwei-  und  ein- 
strophigen«    Ton  87,  29  enthält   ein  zweistrophiges:    87,  29,  und  zwei 

einstropbige  Lieder:    88,  19.    88,  33.  86,  25   ist    einstrophig.   — 

Ton  94,  15  setzt  sich  aus  zwei  einstrophigen  (94,  15.  94, 25)  und 
einem  zweistrophigen  Liede  (94,  35)  zusammen. 

Wir  haben  also  thatsächlich  ein  Fortschreiten  rom  ein-  bis  zum 
dreistrophigen  Liede  festzustellen.  —  Auch  von  diesem  Gesichtspunkte 
aus  läßt  sich  die  Möglichkeit  wenigstens  der  obigen  Anordnung  nicht 
bestreiten. 

Haben  wir  die  Minnelieder  vor  die  Ereuzlieder  zu  setzen,  so 
sind  sie  etwa  in  der  Zeit  1187 — 1188  entstanden.  In  das  Jahr  1189, 
wo  Johansdorf  der  Entschluß  der  Ereuznahme  nahetritt,  dürfte  keines 
der  Minnelieder  fallen,  da  ja  sonst  ein  Hinweis  auf  den  Ereuzzug 
nicht  zu  umgehen  gewesen  wäre^). 

VU.  Fremd«  Einflüsse. 

Am  deutlichsten  tritt  der  Einfluß  der  romanischen  Dichtung  her- 
vor, welcher  durchaus  kein  directer  zu  sein  braucht,  sondern  von  den 
romanisierenden  Standesgenossen  Johansdorfs  übermittelt  sein  kann. 
Dieses  gilt  vor  allen  Dingen  von  den  Phrasen  der  conventioneilen 
Minnepoösie,  die  auch  Johansdorf  im  Anfange  seines  Dichtens  häufig 
verwendet  (89,  9  ff.  90,  16  ff.  91,  1  ff.),  die  aber  später,  je  näher  ihm 
der  Entschluß  zur  Kreuznahme  tritt,  um  so  mehr  verschwinden  und 
einem  warmen  Tone  der  Empfindung  Platz  machen. 

Romanisch  ist  die  Durchführung  zweier  Reime  durch  Stollen  und 
Abgesang  (87,  5)  und  die  Verknüpfung  zweier  Strophen  durch  den 
Reim  (87,  5  erste  und  zweite  Strophe).  Die  Anwendung  vocalischen 
Gleichlautes  in  den  Reimen  der  Stollenverse  und  in  der  Waise  des 
Abgesangs  innerhalb  der  beiden  Strophen  von  90,  32  haben  wir  auf 
eine  freie  Behandlung  des  romanischen  Princips  der  Reimhänfung 
und  Reimentsprechung  zurückzuführen  gesucht.  —  Der  umschließende 
Reim^),  wie  die  Verbindung  kurzer  und  langer  Verse*),  die  bei  Johans- 
dorf sich  nicht  selten  findet,  deuten  auf  denselben  Ursprung. 

')  Nach  Becker  (a.  a.  O.  S.  229)  hat  J.  nicht  ror  1189  gedichtet. 
^)  Becker  a.  a.  O.  S.  126. 
*)  Bartsch  Germ.  II,  282. 


110  J»  HOBNOFF 

Einen  Ansatz  zu  dem  jeu  parti  (prov.  jocx  partitz,  partimens  oder 
partia^),  dem  geteilten  spil  (ef.  Hartm.  216,  8)  möchte  ich  in  89,  9 
finden.  Der  Dichter  richtet  hiet,  nachdem  er  über  das  Vergebliche 
seines  Dienstes  geklagt  hat,  an  einen  Standesgenossen  {herre)  die 
Frage,  ob  es  erlaubt  sei,  zwei  Frauen  heimlich  zu  dienen  (oder 
nicht)?  An  die  Antwort  desselben  müßte  sich,  wenn  das  Lied  ein 
durchgeführter  yew  paHi  wäre,  eine  Discussion  schließen,  in  welcher 
der  Fragesteller  die  Gegnerschaft  übernimmt.  Diese  Discussion  erfolgt 
nicht,  ist  aber  doch  in  der  Antwort  andeutungsweise  enthalten.  Der 
Gefragte  gibt  die  Zulässigkeit  des  doppelten  Dienstes  stillschweigend 
zu,  läßt  aber  den  zu  erwartenden  Einwand  des  Gegners:  daß  man 
dann  auch  den  Frauen  die  Entgegennahme  mehrseitiger  Huldigung 
gestatten  müsse,  nicht  gelten.  Der  Dichter  erspart  sich  eine  weitere 
Entgegnung,  da  diese  Entscheidung  sich  als  einseitig  und  damit  als 
unzulässig  für  jeden  gerecht  ürtheilenden  ergibt.  Der  Antwortende 
erscheint  somit  gleichsam  als  der  Geschlagene.  Es  ist,  wie  gesagt, 
nur  ein  Ansatz  zum  jeu  parti,  aber  als  solcher  nicht  zu  verkennen. 
Man  vergleiche  hierzu  Rubin  MSH.  I,  314%  vierte  Strophe  des  Kreuz- 
liedes VII,  wo  die  umgekehrte  Frage  an  eine  Frau  gerichtet  ist. 

Das  Lied  *93,  12  mit  einem  der  lang  ausgesponnenen  höfischen 
Wechselgespräche,  deren  Ursprung  bereits  W.  Grimm  (Athis  und  Pro- 
philias  S.  19)^)  als  romanisch  nachgewiesen  hat,  fällt  als  unecht 
außer  Betracht. 

Eine  zweite  Quelle,  aus  der  Johansdorf  wie  überhaupt  der  ganze 
Minnesang  schöpft,  ist  die  Volkspoesie.  Richard  Meyer ^)  hat  die  in 
Minnesangs  Frühling,  Carmina  Burana,  bei  Walther,  Wolfram,  Neit- 
hart  häufig  wiederkehrenden,  gleichartigen  Wendungen,  wo  nicht  an 
gegenseitige  Entlehnung  zu  denken  ist,  als  volksthümliche  Bestand- 
theile  des  Minnesangs  aufgefaßt.  Es  sind  dies  bei  Johansdorf  die  fol- 
genden :  *94,  5  volgent  mmer  raste.  —  *92,  28  und  solde  ich  iemer  daz 
geleben,  —  *92,  30  so  mües  min  herze  in  fröiden  sweb&n,  —  *93,  36 
länt  mich  noch  geniezen.  —  *93,  38  iuch  mac  wol  verdHezen,  —  *92,  23 
unsanfte  mir  daz  tuot,  —  *92,  14  der  al  der  loerlte  fröide  git  —  86,  8 
seht,  wie  maneger  ez  doch  tuot,  —  *92,  32  so  umrde  ich  von  sorgen  frt. 
—  95,  1  durch  den  du  wcere  ie  hochgemuoL  —  *94,  14  und  ddbi  hdch- 
gemuot,  —  *93,  37  daz  ich  iu  von  herzen  ie  was  holt,  — ^  95,  6  wol  si 
scelic  wip,  —  91,  35  seht,  so  wu/rde  ich  niemer  mere  vro,  —  *94,  14  daz 

*)  Diez,  Poesio  der  Troubadours  2.  Aufl.  von  K.  Bartsch.  Leipzig  1883.  S.  98  f. 

')  Burdach  a.  a.  O.  S.  82. 

')  B.  Meyer,  Alte  deutsche  Volkslieder.    Ztschr.  f.  d.  Alt.  XXIX,  134  ff. 


DER  MINNESÄNGER  ALBRECHT  VON  J0HAN8D0RF.  Hl 

ir  deste  werder  nnt.  —  89,  19  wurre  ez  iht.  —  86,  22  hülfe  ez  ihi.  — 
88,  9  für  aüiu  mp.  —  87,  21  nu  entrure  nihi  %ere.  —  91,  22  daz  toeiz 
ich  woL  —  91,  21  w>  tat  mta  herze  leides  vol.  —  91,  29.  31  aicd  zwei 
herzeliep  gefriundent  sich,   . .  die  sol  wiemen  scheiden  dunket  mich. 

Als  sprichwörtliche  Redensarten  sind  bezeichnet:  86,  5«  7  solde 
ich  minnen  mer  dan  eine,  sone  minnet  ich  deheine.  95,  14  so  miieze  sin 
der  pflegen  {,  durch  den  etc.). 

Berger')  fiigt  noch  hinza:  91,  37  wcere  ich  dem  vtnt,  ich  wolt  in 
grilezen. 

Als  gnomische,  dem  Volksliede  entstammende  Elemente:  87,  5 
Mich  mae  der  tot  von  ir  minnen  %ool  scheiden.  Zu  91,  29  ff.  vgl.  Uhland, 
Volkslieder  80,  1.  98,  1.  101,  4.  Schriften  111,  442.  —  94,  36  f.  wie 
vil  mir  doch  von  liehe  leides  ist  beschert,  waz  mir  diu  liebe  leides  tuof. 
—  95,  13  lebt  mm  herzeliep  od  ist  er  tot.  cf.  Uhland  150,  3.  Schriften 
III,  428.  524.    IV,  179. 

Als  Wünsche  und  Verwünschungen  volksthümlieher  Art  führt  B. 
auf  (S.  453):  88,  13  Ine  erwache  nimer  ezn  «*  fntn  ei\^te  segen,  daz  got 
ir  ereil  miieze  phlegen  und  Idze  ir  Itp  mit  hbe  hie  gelten  etc.  87,  12 
heileger  got,  wis  gencedic  uns  beiden.  91,  26  so  beivar  mich  vor  dem 
scheiden  got, 

Verwünschungen:  87,  9  swenne  ich  von  schulden  erarne  ir  zom^ 
sd  bin  ich  vervluochet  vor  gote  als  ein  heiden.  —  87,  35  got  üw  der  helle 
niemer  mich  bewar,  ob  daz  mtn  wille  st. 

Die  Umschreibung  der  Negation  durch  Ausdrücke,  die  etwas 
Unmögliches  bezeichnen,  wird  als  volksthüraliches  Element  in  An- 
spruch genommen  (S.  455).  92,  3  swer  si  vor  mir  nennet,  der  hat  gar 
mich  zefriunde  ein  ganzez  jär,  het  er  mich  joch  verbrennet.  —  Verglichen 
wird  damit  MSH.  II,  17 1*'  lieber  het  ich  Rome  und  Engellant  verbrennet. 
Von  der  Volkspo^sie  hat  der  Dichter  auch  geborgt,  wenn  er  andere 
Personen  als  redend  einführt  cf.  Germ.  XXXIII,  S.  431. 

Unbedeutender  als  romanische  Kunst-  und  deutsche  Volkspoäsie 
wirkt  die  geistliche  Dichtung  auf  Johansdorf  ein.  Das  aus  ihr  ent- 
lehnte Bild  für  die  Geliebte  ^93,  4  eist  aller  gilete  ein  gimme  fällt  mit 
dem  ganzen,  als  unecht  erkannten  Liede  hinweg.  Die  Form  des 
Gebetes  87,  12.  88,  17.  90,  15.  95,  14,  die  Berger  zum  Theil  zu  der 
volksthümlichen  Grundlage  zieht,  ließe  sich  etwa  noch  hierher  rechnen. 
Besonders  dürfte  der  Schluß  von  87,  29  (88,  18)  daz  ir  geschehe,   also 


*)  Arnold    Berger,    Volkstbüiuliche  Qrandlagen    des    Minnesangs.    Ztschr.    f.    d. 
Phil.  XIX,  440. 


112  A.  HEUSLEB 

müeze  auch  mir  erg^  an  die  Schlüsse  geistlicher  Epen  erinnern,  wo 
der  Verfasser  ftir  sein  Seelenheil  bittet,  oder  den  Leser  auffordert, 
dies  zu  thun.  Burdach  findet  weiter  in  der  Neigung  zum  Parallelismus, 
in  der  Anknüpfung  der  Sätze  mit  nu,  in  der  Voranstellung  des  Haupt- 
begriffs (cf.  a.  a.  O.  S.  92.  93) ,  in  der  Anwendung  der  rhetorischen 
Frage  mit  negativem  Sinne  (S.  73)  einen  Einfluß  der  geistlichen  Lite- 
ratur. Hinsichtlich  der  Anrede  der  Zuhörer  läßt  er  die  Möglichkeit 
geistlicher  oder  volksthümlicfaer  Einwirkung  gelten.  —  Die  religiösen 
Anschauungen  und  Empfindungen  aber,  die  Johansdorfs  Lieder  durch- 
ziehen, haben  mit  der  geistlichen  Dichtung  nichts  zu  thun;  sie  sind 
auf  des  Verfassers  Naturell  und  persönliche  Beziehungen  zu  geist- 
lichen Herren  zurückzuführen. 

LEIPZIG,  im  Mai  1888.  J.  HOBNOFF. 


ZUR  LAUTFORM  DES  ALEMANISCHEN. 


L  Die  e-Laute 

In  dem  Aufsatze  über  die  umlauthindemden  Consonanten  des 
Ahd.,  Beitr.  4,  542  f.,  549,  hatte  Braune  die  Ansicht  aufgestellt,  das 
erst  im  12.  Jahrb.  an  Stelle  eines  frühern  unumgelauteten  a  auftre- 
tende Umlauts -e  dürfe  nicht  als  ein  auf  rein  lautlichem  Wege  ent- 
standener Laut  aufgefaßt  werden;  „denn  die  Zeit,  wo  der  Umlaut 
des  a  zu  e  lautlich  herbeigeführt  wurde,  war  das  8.  und  9.  Jahrb." 
Jene  später  auftauchenden  e  seien  vielmehr  analogisch  nach  dem 
Muster  der  altem,  echten  Umlauts -e  gebildet  worden. 

Franck,  der  Zs.  f.  d.  A.  25  auf  die  doppelte  Vertretung  des 
Umlauts -e  in  modernen  Maa.  aufmerksam  machte,  geht,  ohne  sich 
doch  zu  Braune's  Auffassung  in  bestimmten  Gegensatz  zu  stellen, 
o£fenbar  von  der  umgekehrten  Anschauung  aus,  wenn  er  S.  224  sagt : 
„die  Fälle,  in  denen  der  Umlaut  nur  durch  die  Beschaffenheit  der 
zwischen  dem  a  und  dem  i  der  folgenden  Silbe  befindlichen  Conso- 
nanz  aufgehalten  war,  scheinen  den  geschlossenen  Laut  noch  zu 
erreichen."  Auch  seine  Worte  „die  Mouillierung  hatte  nicht  mehr 
die  Kraft,  so  viel  i- Farbe  in  die  zweitvorhergehende  Silbe  abzu- 
geben, als  in  die  unmittelbar  vorhergehende"  zeigen  klar,  daß  er 
auch  in  Fällen  wie  mhd.  menege,  megede  den  einer  jüngeren  Periode 
angehörenden  Umlaut  des  stammbaften  a  auf  lautmechanisohem  Wege 
entstanden  sein  läßt. 


ZUB  LAUTFOBM  DE8  ALEMANNISCHEN.  113 

Im  Anschluß  an  Franck  spricht  Kanflänann,  der  die  beiden  zeit- 
lich getrennten  Umlaute  im  Schwäbischen  genaner  nachweist  (Voca- 
lismus  des  Schwftb.  §.  9)^  von  einem  ^flngem  Lautwandel*'  des  a  >•  e. 
Besonders  die  Ortsnamen,  die  er  als  Beispiele  dafilr  anfahrt,  beweisen 
vollkommen,  daß  dieses  secundäre  Umlautsprodnct  auf  rein  lautlichem 
Wege  entstanden  sein  muß ;  kann  doch  von  analogischem  Eindringen 
des  e  bei  den  außerhalb  jedes  Formensystems  stehenden  Ortsnamen 
nicht  die  Bede  sein. 

Anderseits  bemerkt  jedoch  Franck  a.  a.  O.  S.  224:  ,,Zugleich 
scheint  sich  das  grammatische  Bewußtsein  für  den  Umlaut  geltend 
gemacht  zu  haben,  und  es  ist  zu  begreifen^  daß  Wörter^  die  ihn  bloß 
der  Analogie  zufolge  bekonmien,  kein  e  mehr,  sondern  nur  e*  er- 
halten." 

Hier  scheint  mir  nun  ein  Irrthum  zu  liegen»  Wo  das  Sprach- 
gefühl bloß  an  ein  Gegenüber  von  sack  —  secke,  blat  —  bleter  ge- 
wohnt ist,  wird  zweifellos  ein  neugeschaffener  Umlautplural  —  nehmen 
wir  z.  B.  die  im  Aleman.  verbreiteten  secundären  Plurale  zu  Tag, 
Fahne  —  ebenfalls  geschlossenes  e  enthalten  müssen.  Es  ist  ganz 
undenkbar^  daß  die  Analogieschöpfung  ihr  Muster  nicht  genau  be- 
folgt hätte.  Da  die  in  Frage  kommenden  Maa.  die  Scheidang  ver- 
schiedener e- Qualitäten  mit  vülliger  Sicherheit  durchführen  ^  können 
sie  nicht  aus  irgend  einem  Grunde  bei  den  Neubildungen  nach  der 
Proportion  a  :  e  =  a  :  x  fehl  gegangen  sein  und  für  x  ein  e  statt 
eines  e  eingesetzt  haben.  Auch  dürfen  wir  doch  nicht  glauben  ^  der 
Sprechende  habe  ein  Gefühl  davon  ^  daß  geschlossenes  e  weiter  von 
a  abliege  als  offenes  ^^  und  könne  deshalb  bei  jener  jungen  Plural- 
bildung nur  zu  einer  Form  mit  e,  nicht  zu  einer  mit  e  sich  ent- 
schließen. 

Wenn  also  die  erwähnten  Plurale  t|g  und  {^n9  mit  offenem  ^ 
lauten y  wie  dieß  thatsächlich  der  Fall  ist,  so  müssen  sie  sich  nach 
einem  altern  Muster  a :  ^  gerichtet  haben.  Dieses  Muster  wurde  nun 
eben  dargeboten  von  den  zahlreichen  Substantiven,  deren  0instiges 
Endungs-i  wegen  der  bekannten  hemmenden  Consonanten  und  Con- 
sonantenverbindungen  oder  wegen  einer  zwischenliegenden  Silbe  erst 
in  einer  spätem  Zeit  umlautend  gewirkt  und  demgemäß  lautgesetzlich 
offenes  Q  erzeugt  hatte.  Wörter  wie  mhd.  becbe,  nehte,  beige  stellten 
in  den  aleman.  Maa.  lautgesetzlicher  Weise  ein  offenes  e  des  Plurals 
dem  a  des  Singulars  gegenüber.  Diese  häufigen  Wörter  konnten 
naturgemäß  in  eine  Art  von  Concurrenz  mit  jenen  Wörtern  wie  sack 
—  secke,   blat  —  bleter  treten.     Es  war  eine  Machtfrage,  ob  ein  neu 

OEBMANIA.    Neu«  Baili«  XXII.  (XXXIY.)  Jahr;.  8 


114  A.  HEÜSLER 

gebildeter  ümlauto- Plural  das  geschlossene  e  der  letzten  oder  aber 
das  offene  §  der  erstem  annehmen  würde. 

Bevor  ich  dieß  an  der  Hand  einer  lebenden  aleman.  Mundart 
näher  ausfahre^  möchte'  ich  die  Frage  berühren:  wie  alt  ist  der  Um- 
laut in  beche  nehte  belgC;  menege  megede,  kurz  in  all  den  Stellungen 
vor  umlauthindemden  oder  besser  ^unüautverzögernden'  Consonanten 
bezw.  vor  einer  zwischenliegenden  Mittelsilbe? 

Braune  a.  a.  O.  weist  ihn  dem  12.  Jahrh.  zu.    Kauffinann  a.  a.  O. 
bemerkt:    „In  späterer  (mhd.)  Zeit  ist  hier  ein  neuer  Umlaut  einge- 
treten.^   Dieß  gründet   sich   auf  das   erste   Auftreten   geschriebener 
Formen  mit  e  in  den  bewußten  Stellungen.    Allein ,   sobald  man  an- 
nimmty  daß  auch  diese  spätere  Schicht  nmgelanteter  a  lautmechanisch 
entstanden  sei^  stellt  sich  die  Schwierigkeit  entgegen:   im  12.  Jahiii. 
war  das  ahd.  kurze  i  der  meisten  Endsilben  längst  zu  e  geschwächt. 
Wie  konnte  aus  Notker'schem  n4hte^  äher,  chälber,  4rmer,  färeuuen, 
m&gede  ein  Jahrhundert  später  nehte,  eher^  chelber^  ermer^  ferwen^ 
megede  werden?  —  Man  könnte  zunächst  einwenden^  daß  zahlreiche 
Endsilben  jener  Schwächung  nicht  unterlagen;   daß  in  mahtig^  chalti^ 
haising  auch  im   12.  Jahrh.   noch   das  erhaltene  Endungs^i   Umlaut 
wirken   konnte.    Allein  wie    sollten  von    diesen  Formen   die  Plurale 
oder  die  Comparative  beeinflußt  worden  sein  ?  ^)    Durch  ein  mäht  : 
m^htigy   ehalt :  chelti  konnte  doch  die  völlig  verschiedene,  unabhän- 
gige Beziehung  von  bach  :  bache   oder   arm  :  armer  unmöglich    den 
Anstoß  erhalten  y  einen  neuen  Plural  beche ,  einen  neuen  Comparativ 
frmer  zu  formen.    Mit  andern  Worten:  eine  Proportion  mäht :  mehtig 
=  naht :  n^hte  wäre  für  das  Sprachgefühl  ein  Unding.    Das  ^gram- 
matische Bewußtsein^  für  den  Umlaut  d.  h.  für  den  mit  einem  iunc« 
tionellen  Wechsel   Hand  in  Hand  gehenden  lautlichen  Wechsel  von 
a  und  e  bezw.  q  ist  nur  innerhalb  der  einzelnen  grammatischen  Reihen 
lebendig.   Der  Plural  der  Substantive^  der  Comparativ,  die  Ableitungen 
auf  -ig  u.  s.  f.  haben  je  ihr  eigenes  selbständiges  ^Bewußtsein  für  den 
Umlaut^:    die  eine  Reihe  kann  die  andere  nicht  beeinflussen.    Dieß 
zeigen  uns  klar  die  lebenden  Mundarten  (s.  u.).    So  müssen  wir  auch 
annehmen,  daß  die  Plurale  wie  mhd.  n^hte,  die  Comparative  wie  mhd. 
ermer  selbständig,  aus  rein  lautlichen  Bedingungen  erwachsen  sind. 


')  Ein  theilweise  analogisches  Eindringen  des  späteren  Umlauts  wird  auch 
Gramm.  I|  804  (Neudruck)  angenommen;  doch  wird  hier  noch  nicht  mit  der  doppelten 
Klangfarbe  der  Umlauts-e  gerechnet,  so  daß  eine  Einwirkung  der  älteren  Umlaute 
auf  die  jflngeren  als  möglich  erscheint.    S.  o. 


ZUR  LAÜTFOBM  DES  ALEMANNISCHEN.  115 

Zudem  zeigen  ans  die  Dialecte  eine  Ansaht  Wörter  mit  e,  in 
denen  dieser  UnÜMitsvocal  isoliert  ist,  d.  h.  in  keinem  bewegliehen 
Wechsel  mit  dem  onumgelauteten  a  steht;  so  z.  B.  heehel  Hechel 
(mhd.  heehel),  g'schlecht  Geschlecht  (mhd.  geslehte),  werze  Warze 
(mhd.  warze),  viele  Sahst,  and  Verben  mit  -etsch*  (s.  Winteler  S.  49) : 
hier  war  eine  analogische  Einwirkung  von  irgend  einer  Formreihe 
her  nicht  möglich;  der  Umlaut  muß  hier  trotz  der  im  12.  Jahrh. 
längst  geschehenen  Schwächung  des  i  lautmechanisch  eingetreten  sein. 

Es  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  auch  diesen  secundären  Um- 
laut des  a  in  eine  beträchtlich  frühere  Periode  au  rücken^  in  eine 
Zeit,  da  das  kurze  i  der  End-  oder  Mittelsilbe  noch  nicht  zu  e  ge- 
schwächt war.  Schon  Notkers  Sprache  muß  diesen  Umlaut  besessen 
haben.  In  dem  a  seiner  n&hte,  m4hte,  m&ht^,  chälber,  ch&ltf,  Armer, 
mAnegi,  mÄgede  muß  sich  ein  anderer  Laut  bergen  als  in  dem  a  von 
niht,  miht,  chälb,  ch&lt,  irm,  miged.  Diese  Annahme  ist  keineswegs 
abenteuerlich*  Hat  man  doch  für  die  Notker'schen  4,  o  6,  u,  üo, 
DU,  an  deren  Stelle  das  spätre  Alemanisch  die  Umlaute  86,  ö  oe,  ü, 
üe,  öü  zeigt,  längst  annehmen  müssen,  daß  sie  schon  von  der  i- Fär- 
bung aificiert  waren,  nur  nicht  genugsam,  um  den  Schreiber  zur 
Wahl  eines  neuen  Zeichens  zu  drängen  (Braune  ahd.  Or.  §.  51,  auch 
Kögel  Lit.  Blatt  1887»  109).  Dem  &  ist  das  a  vor  umlauthindernden 
Consonanten  durchaus  gleich  zu  stellen.  Inwieweit  hiebei  schon  der 
Vocal  selbst,  inwieweit  bloß  der  folgende  Consonant  die  Moullierung 
angenommen  hatte,  läßt  sich  nicht  entscheiden.  Jedenfalls  war  der 
erst  später  (12.  Jahrh.)  als  e  auftretende  Laut  in  Notkers  Sprache 
dem  a  noch  sehr  nahestehend,  ofTener  als  sein  e  =  mhd.  ä;  sonst 
ließe  sich  die  Schreibung  n4hte,  mihtig  etc.  nicht  verstehen.  Wir 
haben  guten  Grund  anzunehmen,  daß  dieses  a  bei  Notker  gleiche 
Qualität  hatte  wie  sein  ä  in  st&te,  sälig,  du  uuäre,  räzi  (s.  u.)* 

Dieses  a*  des  10.  11*  Jahrh.  muß  sich  nun,  sei  es  spontan,  sei 
es  unter  fortdauernder  Einwirkung  der  folgenden  mouUierten  Conso* 
nanz,  zu  etwas  mehr  geschlossener  Qualität  entwickelt  haben,  bis  es 
endlich  im  12.  Jahrh.  den  andern  e-Vocalen  so  nahe  stand,  daß  der 
Buchstabe  e  an  die  Stelle  des  Buchstaben  a  eintreten  konnte.  Doch 
wird  auch  in  jener  Zeit  noch  das  Alemanische  das  e  in  nehte,  beche, 
beige  offener  gesprochen  haben  als  in  rSht,  bräche,  hall  u.  s.  f. 

Nachdem  auf  diese  Weise  viele  e-Plurale  neben  die  älteren 
6-PluraIe  getreten  waren,  konnte  auf  die  Länge  ihr  beiderseitiges 
Gebiet  nicht  reinlich  gesondert  bleiben.  Es  mußte  sich  allmählig 
entscheiden,  ob  das  Gegenüber  von  e  zu  a  oder  aber  von  e  zu  a  von 

8* 


116  A.  HEUSLEB 

dem  Sprechenden  als  das  lebendige,  productive  empfunden  wurde. 
Oanz  dieselbe  Frage  trat  aber  nicht  nur  beim  Subsi,  sondern  bei 
einer  ganzen  Reihe  anderer  Formsysteme  ein.  Wir  müssen  uns  hier 
ganz  an  die  lebenden  Mundarten  halten.  Dieselben  zeigten  bei  ge- 
nauer Betrachtung  eine  auffallende  Buntscheckigkeit  in  der  Vertretung 
des  mhd.  Umlauts -e.  Es  blieben  trotz  sorgfältiger  Ermittlung  der 
consonantischen  Einflüsse  immer  noch  eine  große  Reihe  von  Aus- 
nahmen übrig.  Dieß  rührt  eben  daher ,  daß  der  lautlich  berechtigte 
Zustand  durch  zahlreiche  Analogieschöpfungen  aufgehoben  worden  ist. 
Die  e  und  e  der  aleman.  Mundarten  lagern  sich  in  der  großen  Mehr- 
zahl der  Fälle  nicht  mehr  nach  den  ursprünglichen  lautlichen  Be- 
dingungen,  sondern  nach  einem  Jüngern  gruppenbildenden  Formgefähl. 

Man  that  daher  Unrecht^  wo  es  sich  um  Ermittlung  der  direct 
lautlichen  Fortsetzung  von  mhd.  e  handelte,  immer  wieder  mund- 
artliche Beispiele  heranzuziehen ,  die  innerhalb  eines  Formsystems 
stehen.  So  sind  die  von  Franck  S.  224  angezogenen  kelber,  kelte, 
wechst  als  nicht  isolierte  Formen  wenig  beweisend.  So  wird  Stickel- 
berger  durch  die  massenhaften  Plurale^  Diminutive,  Comparative^  die 
er  Schaff h.  Mundart  §.  9  anführt ,  zu  falschen  Schlüssen  geleitet: 
1  und  r  haben  nicht  Vorliebe  für  den  geschlossenen  Vocal;  Offen- 
heit des  e  vor  Nasalverbindungen  ist  strenges  Lautgesetz.  Kauffmann, 
der  doch  in  der  Anmerkung  zu  §.12  a.  a.  O.  auf  das  Besondere  des 
^angelehnten^  Umlautes  aufmerksam  macht,  bringt  dennoch  §.  11  f. 
zahlreiche  nicht  isolierte  Formen  als  Belege  und  gründet  auf  solche 
(wermr^  ^\^%tf  west^  k'elbr;  ne%t)  §.14  die  Annahme,  daß  die  Regel 
von  den  umlauthindernden  Consonanten  zu  modifioieren  sei ;  daß  ^meist 
durch  Systemzwang  sich  im  einen  Falle  der  nicht  umgelautete  Vocal 
gehalten  hat^  während  bei  anderen  Kategorien  der  Umlaut  einge- 
treten ist".  — 

Außer  dem  Gegensatze  von  erster  und  zweiter  Umlautsperiode 
und  den  daran  sich  knüpfenden  analogisohen  Neubildungen  giebt  es 
noch  einen  Umstand,  der  auf  dem  ganzen  aleman.  Gebiete,  wie  es 
scheint^  auf  die  Qualität  des  Umlauts -e  einwirkte:  die  dem  e  folgen* 
den  Nasale  oder  Nasalverbindungen.  In  entschiedenem  Gegensatze 
zum  Schwäbischen  (Kauffmann  §.  18)  wie  auch  zum  Österreichischen 
(Luick,  Beitr.  11,  499)  hat  e  in  diesen  Stellungen  ausgesprochen  offe- 
nen Klang  bekommen.  Im  Einzelnen  weichen  die  Mundarten  von 
einander  ab :  in  Baselstadt^  Leerau,  Beromünster  ist  dieses  ^  nur  vor 
Nasal  4-  CoQS.  (wozu  aber  auch  £i  aus  einstigem  ng ,  mhd.  ng  zu 
rechnen  ist)  eingetreten,   in  Ottenheim  und  Schaff  hausen   auch  vor 


ZUR  LAUTFOBM  DES  ALEMANNISCHEN.  117 

bloßer  Nasalfortis  (hier  also  brenna,  fiwemmd,  dort  brenno^  äwemm» 
resp.  das  daraus  weiter  entwickelte) ;  Eerenzen  endlich  zeigt  den  betr. 
offenen  Laut  aucb  vor  Nasallenis. 

Da  sich  so  vor  Nasalen  der  Unterschied  von  älterem  und  jttn* 
gerem  Umlautproduct  in  dem  einen  offenen  e  verwischt  ^  könnte  man 
auf  den  Gedanken  verfallen ,  das  offene  Umlauts -e  im  Allgemeinen 
sei  überhaupt  bloß  vor  Nasalen  lautmechanisch  erwachsen  und  habe 
von  hier  aus  sein  Gebiet  analogisch  erweitert;  also  etwa  bach  — 
beche  zu  bach  —  beche  umgeformt  nach  dem  Muster  von  bank  — 
benke  u.  s.  f.  Dann  wflrde  natürlich  die  oben  versuchte  Zurück- 
fährung des  secundären  Umlauts  ins  10.  Jahrh.  hinfilllig.  Allein  außer 
den  isolierten  Formen  mit  e,  die  einem  Einfluß  von  bank  —  benke 
nicht  ausgesetzt  waren^  spricht  mit  entscheidender  Bestimmtheit  gegen 
diese  Annahme  der  Lautstand  der  Toggenburger  und  der  Appenzeller 
Mundart:  hier  ist  nftmlich  das  einstige  o  vor  Nasalen  nicht  mit  dem 
secundären  Umlauts -e  zusammengefallen,  sondern  zeigt  eine  geschlos- 
senere Klangfarbe  als  dieses,  z.  B.  k^eno,  gwemo,  hefik^o  gegen 
brextOy  k^erli,  ferbe,  tseno.  Hier  muß  dieser  spätere  Umlauts vocal 
unabhängig,  ohne  Zuthun  des  e  vor  Nasalen,  seine  offene  Farbe  er- 
halten haben.  Dasselbe  dürfen  wir  für  die  übrigen  aleman,  Mund- 
arten annehmen. 

Ich  erwähne  kurz,  daß  es  eine  dritte  Quelle  f(ir  offenes  e  in 
den  aleman.  Mundarten  giebt:  in  der  Lautverbindung  -asch-  (=  aäd) 
wurde  a  regelmäßig  zu  e  (Brandstetter  §.  19)  ^):  e§§9  Asche,  weSSe 
waschen,  d^SSe  Tasche,  fleääd  Flasche.  Dieses  e  hat  seine  eigene 
Genesis,  hat  mit  dem  Umlauts -e  nichts  zu  schaffen.  — 

Das  Nebeneinander  von  e  und  e,  soweit  sie  älteres  und  jüngeres 
Umlautproduct  sind,  hat  nun  in  meiner  eigenen  Mundart,  der  basel- 
städtischen, zu  folgenden  Resultaten  gefährt.  Ich  kann  sechs  Fälle 
aufstellen,  in  denen  der  Umlaut  noch  heutzutage  als  productives 
Sprachmittel  im  Dienste  bestimmter  Functionen  empfunden  wird.  Es 
sind  1.  der  Plural  von  Substantiven;  2.  die  Diminutive  auf  -li;  3.  die 
abstracten  Feminina  auf  -i;  4.  die  Comparative  und  Superlative; 
5.  Weiterbildungen  von  Adjectiven  durch  das  Suffix  -lig;  6.  diminu- 
tive Weiterbildungen  von  Verben. 

In  der  Reihe  1*  ist  der  offene  Vocal  e  zum  Sieg  gekommen«  Ich 
kann  die  vielen  e-Plurale  hier  nicht  aufzählen.    Bezeichnend  ist  das 


')  In  den  Wörtern  ögsa  Esche  und  öggsba^^jr  Esohenbach  müht  sich  Brandstetter 
mit  einer  gar  nicht  vorhandenen  Schwierigkeit:  hier  liegt  alter  Umlaut  vor.  Die 
Wörter  lauteten  schon  esche,  eschenbach)  als  die  labialisierende  Wirkung  des  §§  begann. 


118  A.  HEÜSLER 

e  der  modernen  Bildungen  wie  wego  die  Wagen,  erm  Arme,  kspess 
Spaße.  Daneben  findet  sich  eine  nicht  ganz  geringe  Zahl  von  e-Pla- 
ralen.  Sie  sind  als  Reste  eines  frühern  formativen  Prinoips  zu  be- 
trachten, die  von  dem  neuem  Princip  nicht  weggeräumt  werden 
konnten.  Die  Fälle  sind  bletor  Blätter,  stet  Städte,  est  Aeste,  gest 
Gäste,  sek  Säcke,  k^eft  Kräfte;  red9r  Räder,  gleser  Gläser,  k;|^eB9r 
Gräser,  tsen  Zähne,  negl  Nägel,  sieg  (Baum)schläge,  k^ebar  Gräber  ^). 
Es  sind  lauter  Wörter,  die  ihr  e  in  der  ersten  Umlautsperiode  er- 
hielten. Andrerseits  haben  seft  Schäfte  (ahd.  scefti),  gteb  Stäbe  (ahd. 
stebi)  ihr  primäres  e  der  neuern  Bildungsweise  aufgeopfert.  Beleh- 
rend ist  der  doppelte  Plural  von  Sats  Schatz:  gets  im  Sinne  von 
,thesauri^  g^ts  im  Sinne  von  ,amoresS  deutlich  die  alte  und  die  neue 
Bildung  nebeneinander.  —  Der  Angehörige  der  Mundart  hat  ein  schwer 
zu  beschreibendes  aber  untrügliches  Gefühl,  daß  in  den  e-pluralen 
die  eigentlich  lebendige  Pluralbildung  steckt.  Äußerlich  zeigt  sich 
dieß  daran,  daß  er  zu  einem  ihm  das  erste  Mal  begegnenden  Worte 
mit  a  den  Umlautsplural  auf  e,  nicht  auf  e  bilden  würde. 

In  der  zweiten  Reihe,  den  Diminutiven,  hat  gleichfalls  das  offene 
q  die  Oberhand  bekommen.  Vgl.  die  modernen  Bildungen  benli  kl. 
Eisenbahn,  e;i;p9dli  kl.  Handarbeit.  Unter  den  paar  Fällen  mit  be- 
wahrtem e  finden  wir  dieselben  Substantive,  die  auch  den  Plur.  mit 
e  bilden :  gestl^  kl.  Gast,  glesli  kl.  Glas  u.  s.  w. 

Dagegen  ist  in  der  dritten  Gruppe^  bei  den  zu  Adj.  gebildeten 
abstr.  Fem.,  die  Form  mit  geschlossenem  e  vorbildlich  geworden. 
Wir  haben  leMi  Länge,  8we%\  Schwäche,  nessi  Nässe,  blessi  Blässe; 
stejrki  Stärke,  wermi  Wärme,  swe^tsi  Schwärze,  hext\  Härte;  p;uSfJ 
Bravheit,  smelf  Schmalheit.  Formen  mit  e  sind  mir  hier  überhaupt 
nicht  bekannt  Trotzdem  im  Ahd.  häufig  das  Umlauts -e  dieser  Wörter 
dem  a  des  zugehörigen  Adjectivs  weichen  mußte  (Braune  ahd.  Gr. 
§.  26  Anm.  1),  hat  später  der  primäre  Umlautsvocal  von  den  Wörtern 
aus,  die  ihm  geblieben  waren,  das  ganze  Feld  zurückgewinnen  können. 

Ebenso  zeigen  die  Comparative  und  Superlative  ausnahmslos 
geschlossen  e  dem  a  des  Positivs  gegenüber.  Zu  den  Adj.,  die  wir 
in  der  vorigen  Reihe  fanden,  kommen  noch  elitär  älter,  belldor  bälder, 
ermor  ärmer.  Hier  wie  bei  den  abstr.  Fem.  ist  besonders  beachtens- 
werth,  daß  das  Formgefühl  für  den  geschlossenen  Laut  sich  stark 
genug  entwickelt  hat,   um   selbst  in  der  Stellung  vor  Nasal  4**  Cons. 

^)  Geschlossenes  e  spaltet  sich  in  Baselstadt  in  die  Kürze  e  und  die  Ung^e  ef 
d.  h.  die  Länge  ist  um  einen  Grad  geschlossener.  Nur  vor  r  hat  die  Länge  den  halb- 
geschlossenen fiUang  5.   Für  offenes  e,  Kürae  wie  Länge,   erscheint  gleicbmäfiig  e  e. 


ZUR  LAUTFORM  DES  ALEMANNISCHEN.  119 

das  lautlich  geforderte  offene  e  su  verdrtogen.  Es  heißt  leüftor  leftö&t 
länger  längste,  k^efiAkdr  k^efiflkst  kränker  kränkste.  Dagegen  spricht 
man  ^M9r  efifist  zu  efifi  eng,  weil  hier  der  Positiv  kein  a  zeigt ^  das 
Wort  also  nicht  derselben  Gleichung  a :  e  verfilllt. 

Femer  haben  wir  die  Adj.  auf  -Ijg  (mhd.  -Itch),  die  ihrerseits 
von  Adjectiven  abgeleitet  sein  müssen.  Nach  dem  ahd.  Stande  der 
Dinge  sollten  wir  hier  das  offene,  secundäre  e  erwarten  (s.  Braune 
ahd.  Or.  §.  27  Anm.  5).  Statt  dessen  zeigen  uns  äwe^lig  schwächlich, 
lefifilig  länglich,  elltl|g  ältlich,  8wS);tslig  schwärzlich,  Srmlig  ärmlich 
den  geschlossenen  Vocal  —  also  wiederum  der  ältere  Zustand  von 
einigen  wenigen  Wörtern  aus  analogisch  umgestaltet.  Doch  sind 
diese  Bildungen  nicht  zahlreich,  das  Formgeftthl  daher  nicht  völlig 
bestimmt:  neben  k^efiftklig  kränklich  geht  k^eüfiklig  mit  dem  hier 
spec.  durch  die  Nasalgruppe  bedingten  offenen  e.  Nicht  hieher  ge- 
hören die  (übrigens  der  Schriftsprache  nachgebildeten)  Wörter  S^nntUg 
schändlich,  gleglig  kläglidi,  degl|g  täglich:  diese  sind  von  Subst. 
abgeleitet,  und  das  begriffliche  Verhältniß  der  Ableitung  zum  Grund- 
wort ist  bei  ihnen  ein  ganz  anderes  als  bei  lefifilig  :  laftfi.  Darum 
anterliegen  sie  auch  nicht  dem  gleichen  Formgefahl. 

Endlich  kommen  verbale  Wortbildungen  meist  diminutiver  Func- 
tion, z.  B.  lepolo  zu  lapo  läppen,  schlürfen,  depolo  zu  dapo  tappen, 
schleichen,  (üs-)tsekld  zu  (u8-)tsako  mit  Zacken  versehen,  fiefforle  zu 
saffo  arbeiten,  blemmpora  zu  blammpa  baumeln  u.  a.  Hier  herrscht 
durchweg  der  offene  Vocal  e. 

Was  im  Einzelnen  die  Begünstigung  des  einen  oder  des  andern 
Typus  veranlaßt  hat,  was  insbesondere  beim  Subst.  Plur.  das  offene 
e,  beim  Comparativ  das  geschlossene  e  zur  Geltung  gebracht  hat, 
ist  hier  wie  in  so  manchen  Fällen  analogischer  Neuschöpfung  kaum 
zu  bestimmen.  Doch  glaube  ich,  das  lautlich  nicht  zu  erklärend« 
Durcheinander  von  e-  und  e- Formen  in  aleman.  Mundarten  verliert 
bei  obiger  Betrachtung  sein  Auffallendes.  Verkehrt  wäre  es,  wie 
man  beim  ersten  Blick  zu  thun  geneigt  ist,  schriftsprachlichen  Ein- 
fluß heranzuziehen.  Mag  auch  das  eine  und  andre  der  hergehörigen 
Wörter  nach  schriftsprachlich^tn  Muster  gebildet  sein:  so  lange  die 
betr.  Bildungsweise  der  Mundart  noch  geläufig  ist,  könnte  sie  nicht 
dem  Schriftbild  zu  Liebe  eine  gewohnte  Klangfarbe  durch  eine  andre 
ersetzen.  Überdieß  wäre  es  wunderbar,  daß  gerade  der  Comparativ 
von  all  den  ä  der  Schriftsprache  unbeeinflußt  geblieben  wäre,  und 
daß  all  die  modernen  Bildungen  wie  wego  die  Wagen,  feno  die  Fah- 
nen, e^podlji  kl.  Handarbeit,    denen  im  Nhd.  gar  kein   umgelauteter 


120  A.  HEUSLER 

Vocal  gegenüber  steht  ^  das  offene  e  bekommen  haben.  Vollends  be- 
weisend ist  der  Umstand,  daß  sogar  auf  die  Aussprache  des  Schrift- 
deutschen in  aleman.  Munde  der  Einfluß  der  Schule,  woselbst  fiir 
geschriebenes  ä  die  Aussprache  e  gelehrt  wird,  nur  sehr  beschränkt 
ist.  Der  Basler  spricht  meinen  Beobachtungen  nach  für  das  kurze 
nhd.  ft  stets  den  geschlossenen  Laut,  wenn  die  Mundart  dazu  stimmt, 
also  nhd.  Säcke  Säckchen  Blätter  Städte  Äste  Schwäche  länger 
kränklich  als  Secke  u.  s.  f.  Umgekehrt  wird  für  das  e  der  Schrift- 
sprache durchaus  e  gesprochen^  wo  dieser  Klang  den  betr.  mundart- 
lichen Wörtern  zukommt;  also  Stecken  brechen  Wetter  hell  mit  e, 
Weg  stehlen  nehmen  gern  mit  e.  Dagegen  wird  gewöhnlich  beim 
Gutdeutschsprechen  die  mundartliche  Länge  e  durch  ^  ersetzt,  wo 
die  Schriftsprache  ä  schreibt;  also  Zähne  Räder  Nägel  Gläs-chen  mit 
e.  Der  Orund  liegt  offenbar  darin,  daß  das  sehr  geschlossene  e  von 
Baselstadt  zu  auffällig  von  dem  unter  ä  gelehrten  Laute  abliegt.  Da- 
mit stimmt,  daß  das  lange  geschlossene  e  vor  r  in  seiner  der  Mund- 
art eigenen  halbgeschlossenen  Qualität  beibehalten  wird:  nhd.  Wärme 
schärfer  ärmlich  werden  mit  e,  dem  Mittellaute  zwischen  e  und  e, 
gesprochen.  Wo  das  schriftsprachliche  ä  keinen  mundartlichen  e- Vocal 
sich  gegenüber  hat^  wird  es  der  officiellen  Aussprache  nach  als  ee 
gesprochen:  so  in  wächst  gräbt  schlägt  fährt  (mundartlich  mit  un- 
umgelauteten  a).  Auch  zählen  schälen  hört  man  häufig  mit  e  ge- 
sprechen;  die  mundartl.  tsello  sello,  die  alten  Formen  mit  -11-  fort- 
setzend, liegen  von  dem  Schriftbild  zu  weit  ab.  —  Wenn  also  selbst 
beim  Schriftdeutschsprechen  nur  in  einem  Falle  die  dialectische 
e- Qualität  preisgegeben  wird;  die  kurzen  e  und  e  der  Mundart 
aber,  der  nhd.  Schreibung  e  und  ä  zum  Trotz ,  immer  beibehalten 
sind,  so  kann  das  Verhältniß  von  e  und  e,  e  innerhalb  der  Mund- 
art sich  unmöglich  nach  der  ^nhd.  Orthographie  oder  Normalaus- 
sprache gerichtet  haben.  (Man  vergleiche  die  Behandlung  des  schrift- 
sprachlichen e,  ä  in  anderen  Mundarten,  Braune  Beitr.  13,  579^  Luick 
Beitr.  14,  139  ff.) 

Soviel  ich  aus  den  Darstellungen  alemanischer  Dialecte  ersehe, 
zeigt  die  Vertheilung  des  primären  und  des  seeundären  Umlauts -e 
auf  dem  ganzen  Gebiet  große  Verwandtschaft  mit  der  oben  für  Basel- 
Stadt  kurz  angedeuteten.  Zumal  für  den  Subst.  Flur,  scheint  offen  e, 
für  den  Comparativ  geschlossen  e  überall  Geltung  erlangt  zu  haben. 
Ich  erwähne  hier  nur  aus  Winteler  KM.  S.  181  die  charakteristischen 
Fälle,  die  unserm  §ets  —  sets  entsprechen:  neben  dem  altem  Plural 
Telor,  der  als  geographische  Benennung  erstarrt  ist^  steht  die  jüngere 


ZUR  LAUTFORM  DES  ALEMANNISCHEN.  121 

Bildung  teldr  ,Thäler^  im  Allgemeinen,  deren  späte  Entstehung  außer 
durch  das  offene  e  auch  durch  die  Vocaiiänge  bezeugt  wird;  ganz 
entsprechend  verhält  es  sich  mit  fed  Pfade  neben  dem  altem  und 
isolierten  feda.  —  Aus  der  beträchtlichen  Übereinstimmung  der  ver- 
schiedenen weit  entlegenen  Mundarten  darf  man  wohl  den  Schluß 
ziehen,  daß  die  Ausgleichung  zwischen  e  und  e  schon  seit  Jahrhun- 
derten zu  dem  Resultat  gekommen  ist,  das  uns  heute  entgegentritt: 
ohne  langedauernden  Verkehr  und  Austausch  zwischen  den  Einzel* 
dialecten  wäre  jene  Gleichheit  nicht  zu  verstehen.  Doch  wäre  die 
Annahme  wohl  unberechtigt,  daß  schon  in  früh  mhd.  Zeit  die  laut- 
gesetzlichen Verhältnisse  durch  Analogie  in  der  heutigen  Weise  um- 
gestaltet waren. 

Bei  der  obigen  Beschränkung  auf  diejenigen  Umlauts- e,  die  in 
lebendigem  Wechsel  mit  unumgelautetem  a  stehen^  blieben  die  Wörter 
unberücksichtigt,  deren  secundäres  Umlauts -e  außerhalb  eines  Systems 
steht  und  daher  für  jeden  Einzelfall  eine  rein  lautliche  Erklärung 
fordert.  Es  bieten  sich  hier  manche  Schwierigkeiten.  Ich  möchte 
hier  nur  auf  einen  Punkt  hindeuten.  Für  das  häufige  secundäre  Um- 
lauts-e  vor  der  Lautverbindung  ts  (Beispiele  bei  Winteler  S.  49) 
können  wir  wohl  die  Endung  ahd.  -ezzen  (<:  atjan),  in  welcher  i  von 
dem  a  des  Stammes  durch  eine  Silbe  getrennt  war,  verantwortlich 
machen.  Wo  die  Gruppe  ets  geschlossenes  e  zeigt,  möchte  dagegen 
an  ahd.  -isön  zu  denken  sein.  Offen  e  kann  aber  auch  durch  ein 
einstiges  ch,  das  sich  in  dem  ts  birgt,  gegen  den  primären  Umlaut 
geschützt  worden  sein.  — 

Luick  hat,  Beitr.  14,  127  ff.,  im  Anschluß  an  seinen  frühern 
Aufsatz  Beitr.  11,  497  ff.,  eine  verdienstliche  Übersicht  über  die 
e-Vocale  des  Bairisch- Österreichischen  gegeben.  Er  zeigt, 
was  sich  für  die  Qualität  der  e- Laute  in  mhd.  Zeit,  zum  Mindesten 
auf  bair.-österr.  Gebiet,  erschließen  läßt.  Da  er  S.  138  f.  über  das 
Aleman.  nur  eine  kurze  Bemerkung  gibt,  und  da  auch  das  Beitr. 
11,  515  f.  über  die  schweizerischen  e-Vocale  Geäußerte  nicht  über- 
sichtlich und  großen  Theils  unzutreffend  ist,  möchte  ich  hier  eine 
Betrachtung  der  verschiedenen  e- Laute  im  Alemanischen  —  aus- 
schließlich des  Schwäbischen  —  folgen  lassen.  Dabei  gehe  ich  nicht 
auf  einzelne  Wortformen  und  specielle  einzelmundartliohe  oonsonan- 
tische  Einflüsse  ein.     Ich  fuße  auf  den  vorliegenden  ')  Dialectdarstel- 

')  Titu0  Tobler,  AppeniellUcher  Sprachschata  (behandelt  vier  Dialectgrappen, 
die  hiDBichtlich  der  Vertretung  der  mhd.  e-Laate  unter  sich  nicht  wesentlich  diffe- 
rieren, vgl.  Einl,  S.  XXIX  ff.);    Winteler,   Kerenzer  Mundart  (behandelt   auch   ehie 


122  A.  HEÜSLER 

langQDy  die  zum  Theil  selbst  schon  die  e- Laute  etymologisch  grup- 
piert haben,  ssum  Theil  aber  durch  das  da  und  dort  verstreute,  fi^enati 
transscribierte  Wortmaterial  auch  dem  Nichtkenner  der  Mundart  ein 
Aufsüßen  der  Gesetze  ermögHehen. 

So  durchsichtig  im  Großen  und  Ganzen  die  Verhältnisse  inner- 
halb einer  Mundart  liegen,  so  sehr  weichen  die  verschiedenen  unter 
sich  ab.  Man  sehe  z.  B.  die  Statistik  der  hellen  e-Vocale,  die  Joh. 
Meyer  F.  DM.  VII  177  ff.  aus  einem  Theilgebiet  des  Nordostaleman. 
geliefert  hat.  Ein  klarer  Einblick  in  die  gesammte  aleman.  Entwick- 
lung, eine  geographische  Abgrenzung  der  Verschiedenheiten  ist  noch 
nicht  möglich.  Ich  verhehle  mir  nicht,  wie  sehr  die  folgende  Zusam- 
menfassung Stückwerk  bleiben  muß.  Doch  kann  sich  schon  jetzt 
einiges  Beachtenswerthe  ergeben. 

Inwiefern  die  absolute  Qualität  der  e- Laute  der  verschiedenen 
Mundarten  unter  einander  differiert,  glaube  ich  hier,  ohne  Schaden 
außer  Betracht  lassen  zu  dürfen.  So  fehlt  z.  B.  in  Basel  und  in 
Schaff  hausen  völlig  jenes  bekannte,  überaus  offene  e  (vgl.  Rapp,  F. 
DM.  II  481).  Das  offenste  e  dieser  zwei  Mundarten  ist  merklich  ge- 
schlossener als  das  offenste  e  von  Ottenheim,  von  Beromünster  oder 
von  Kerenzen:  es  wird  dort  nicht,  wie  hier,  gleich  dem  engl,  a  in 
bad,  happy  gesprochen  (im  elsäß.  Münsterthal  ist  dieser  Laut  sogar 
=:  a  in  nhd.  satt,  Hase).  Dennoch  kann  ich  diese  Laute  einander 
gleichstellen  und  mit  demselben  Zeichen  e  versehen,  weil  sie  eben 
innerhalb  ihrer  eigenen  Mundart  eine  analoge  Stellung  einnehmen. 
Sie  bilden  nach  Wintelers  schöner  Darlegung  EM.  S.  92  ff.  die  i- Basis 
ihres  jeweiligen  mundartlichen  Vocalsystems.  Nur  auf  die  proportio- 
nelle  Lagerung  der  ,  gegensätzlich^  (nach  Wintelers  Ausdruck  ,  dyna- 
misch^) geschiedenen  e  -  Klangfarben  innerhalb  der  einzelnen  Mundart 
kommt  es  hier  an. 


Mundart  des  Toggenburgs) ;  Hanziker,  Aargauer  Wörterbach  in  der  Lautform  dar 
Leerauer  Mundart;  Stick elberger,  Schaffhauser  Mundart;  Brandstetter,  Zischlaute  der 
Mundart  von  Beromünster  (im  nördlichen  Kanton  Luzern);  Mankel,  Mundart  des 
elsässischen  Münsterthals  (unweit  Colmar.  Die  Darstellung  des  Etjmologischen  bleibt 
hinter  den  bescheidensten  Ansprächen  zurück;  die  Beobaohtung  der  Laute  scheint 
gut  «a  sein,  so  daß  man  sich  dem  Materiale  aaTertranen  kann) ;  Heimburger,  Mundart 
von  Ottenheim  (Baden,  unweit  Offenburg).  Die  mundartlichen  Darstellungen  von  Schott, 
Bühler,  Birlinger  lassen  in  ihrer  Transscription  das  Einzelne  nicht  in  der  Genauigkeit 
erkennen,  wie  es  hier  für  uns  erforderlich  ist.  Es  liegen  alao,  meine  eigene  Mundart^ 
die  baselstfidtisehe)  dazu  gMiommen,  neun  verschiedene .Dialecte,  sechs  hochalemanische, 
drei  niederalemanisehe  vor. 


ZUR  LAUTFOSM  DES  ALEMANNISCHEN.  128 

Die  MehrsahP)  der  aleman.  Mundarten  besitst  drei  versehiedene 
e-Schattierangen  ^  —  e  *•  e.  Schaff  hausen  und  Ottenheim  *)  stehen 
mit  ihren  zwei  Sehattiemngen  e  -~-  e  allein. 

Allen  gemeinsam  ist,  daß  die  am  meisten  nach  a  hin  liegende 
Nuance  das  mhd.  »  fortsetzt').  Und  die  nämliche  Lautung  zeigt 
tiberall  das  secundäre  Umlauts  «e. 

Während  nun  ferner,  wie  wir  oben  sahen,  in  fast  allen  Mnod* 
arten  eben  dieselbe  offenste  Qualität  e  auch  dem  e  Tor  Nasalen  (bezw. 
Nasalyerbindungen)  zukommt,  sondern  bloß  Toggenburg  und  Appen- 
zell sich  hier  ab,  indem  sie  hiefür  ihre  mittlere  Nuance  einsetzen. 

Sodann  treten  Toggenburg  und  Appenzell  mit  Kerenzen  zusam« 
men  in  einen  weitern  markanten  Gegensatz  zu  den  sechs  ttbrigen. 
Diese  letztern  nämlich  lassen  in  dem  gleichen  offensten  ^  auch  das 
mhd.  e,  seis  kurz  erhalten,  seis  gedehnt,  zusammenfallen.  App.-Togg.- 
Ker.  dagegen  sprechen  für  mhd.  6  eine  geschlossnere  Qualität,  und 
zwar  App.-Togg.  durchgängig,  Ker.  theilweise  (s.  u.)  die  mittlere 
ihrer  drei  Klangfarben. 

Beispiele^)  hiefür:  allgemein  wird  gesprochen  nem  (mhd. 
naBme) ;  nef^  adv.  vorige  Nacht  (mhd.  nehte.  Gen.  oder  Dat.  sg.  ?), 
fei  FäUe  (mhd.  feile); 

dagegen  in  App.-Togg.:  in  den  übrigen: 

ennd  (mhd.  ende),  le&fia  ennd,  lefina. 

langen  (mhd.  lengen); 

endlich  in  App.-Togg.-Ker.:  in  den  ttbrigen: 

ste^o  (mhd.  stachen),  [m6l  (mhd.  möl)]*);  ^^%  niel. 

(Die  Mundarten,  welche  mhd.  @  und  sec  Umlauts «e  auseinandei«^ 
halten,   können  bisweilen  über  fragliche  Wortformen  entscheiden;   so 


*)  Hier  wie  im  Folgenden  spreche  ich  nHtflrlich  bloß  von  den  neun  erwähnten 
alemanischen  Mundarten. 

')  Ottenheim  seigt  eine  dritte,  mittlere  Klangfarbe  vor  r:  da  sie  nur  in  dieser 
Stellung  vorkommt,  also  von  speciellem  coasonantischem  Einfluß  bedingt  ist,  kann 
sie  hier  unberücksichtigt  bleiben. 

')  Es  gibt  auch  Schweizer  Mundarten,  die  mhd.  sß  zu  geschlossenem  e  ge- 
wandelt haben  (s.  Seiler,  Basler  Mundart  S.  94  f.,  Brandstetter  8.  208>  Leider  liegt 
keiner  dieser  Dialeote  in  genauer  Einzeldarstellung  Tor. 

*)  Man  möge  sie  nicht  nrgieren.  Da  und  dort  mag  eines  der  angefübrtea 
Wörter  in  einer  Mundart  nicht  yorkommeli  oder  einem  Speciallaatgesetz  unterliegen. 
Ich  möchte  sie  nur  als  ideelle  Vertreter  der  betreffenden  e-Schattierungen  betrachtet 
wissen* 

*)  Das  in  [  ]  stehende  trifft  nur  fttr  App.-Togg.  «i;  K«r.  weicht  hier  noch 
weiter  ab;  s.  d.  F. 


124  A.  HKU8LBR 

steckt  z.  6.  in  äleman.  mert  Markt  nicht  das  ^  von  lat.  mercatus, 
wi^  man  wohl  angenommen  hat:  Eer.  mert  beweist,  daß  wir  es  mit 
secundärem  Umlaut  zu  thun  haben,  mhd.  merket  aus  *markit.) 

Umgekehrt  setzt  in  allen  neun  Mundarten  die  am  meisten  nach 
i  hin  liegende  e  -  Schattierung  das  mhd.  6  fort.  Während  nun  aber 
in  sechs  Mundarten  mit  diesem  nämlichen  e  auch  das  gedehnte  mhd. 
(primäre)  Umlauts -e  zusammenfällt,  hat  der  letztere  Laut  in  Bero- 
münster,  Leerau,  elsäß.  Münsterthal  einen  etwas  offnereji  Klang,  den 
mittlem  zwischen  den  zwei  Extremen.  Also  allgemein  ^)  wird  ge- 
sprochen se  (mhd.  s§,  sSwes)  —  aber  nur  von  dem  größern  Theile 
red  (mhd.  diu  rede),  von  den  drei  genannten  Mundarten  aber  red. 

Ganz  eigenartig,  abweichend  von  allen  andern  Mundarten,  zeigt 
sich  Kerenzen,  indem  es  mhd.  6  mit  dem  (primären)  Umlauts- e, 
mhd.  e,  zusammenfallen  läßt,  mögen  sie  nun  als  Kürze  bewahrt 
oder  gedehnt  worden  sein.  Beispiele:  kleg9  (mhd.  gelegen)  —  lega 
(mhd.  legen),  Snek  (mhd.  snöcke)  —  ätreko  (mhd.  strecken),  fress9 
(mhd.  vrözzen)  —  besser  (mhd.  bezzer),  hellflfo  (mhd.  hälfen)  —  wello 
(mhd.  wellen,  wollen);  weg  (mhd.  wec)  —  red  (mhd.  rede),  berg  (mhd. 
borg)  — '  erb  (mhd.  erbe),    stema  (mhd.  stßrn)  —  erml  (mhd.  ermel). 

—  Nicht  das  ganze  aleman.  Qebiet  hält  also  BrechungS"  und  Um- 
lauts-e  auseinander. 

Fassen  wir  endlich  das  Verhältniß  von  Kürze  zu  Länge  ins 
Auge,  so  zeigt  sich,  daß  in  sämmtlichen  Mundarten  das  secundäre 
Umlauts -e,  ob  kurz  oder  gelängt,  gleichen  Klang  besitzt:  he^t  vorige 
Nacht  —  fei  Fälle.  Kurzgebliebenes  mhd.  ä  stimmt  in  allen  Mundarten 
außer  Kerenzen  qualitativ  zu  gelängtem  mhd.  ä,  kurzgebliebenes 
(primäres)  Umlauts -e  in  allen  außer  Kerenzen  und  Baselstadt  zu  ge- 
längtem e.  Basel  gibt  hier  der  Länge  die  geschlossenste  Klangfarbe 
e,  während  dieselbe  als  Kürze  der  Mundart  überhaupt  mangelt  und 
durch  die  mittlere  Schattierung  e  ersetzt  wird;  also   red  (mhd.  rede) 

—  bessor  (mhd.  bezzer).  In  Ker.  liegt  die  Sache  einfach  so:  mhd. 
6  und  e,  als  Kürzen  bewahrt,  fallen  in  e,  der  mittlem  Färbung,  zu- 
sammen; mhd.  6  und  e,  gelängt,  vereinigen  sich  in  e.  Auch  in  Ker. 
kommt  also  die  geschlossenste  e- Qualität  nur  als  Länge  vor. 

Während  also  im  Österr.  die  Längung  den  Gegensatz  von^  e  —  e 
vielfach  aufhebt  (Beitr.  14,  134),  wird  im  Aleman.  jene  Differenz  von 
der   Dehnung  als    solcher   nicht   angetastet.     Denn  in  Ker.    sind  ja 


*)  Die   nächsten  Nachbaren   Ton  Kerensen    weichen   nach  Winteler   S.  124   in 
diesem  Punkte  von  den  uns  ▼erliegenden  neun  Mundarten  ab. 


ZUR  LAUTFORM  DES  ALEMANNISCHEN.  126 

gleichwie  die  gelängten  «  und  e,    so  auch  die  kurzen  ^  and  e  unter 
sich  zusammengefallen. 

Wir  können  die  behandelten  neun  Mundarten  in  folgende  engere 
Gruppen  ordnen. 

I.  £s  stimmen  zu  einander  die  weit  entlegenen  Schaffhausen 
und  Ottenheim,  die  Mundarten  mit  bloß  zwei  Klangfarben.  Sie 
sprechen  ihre  offene  e- Qualität  (e)  fflr  mhd.  le,  6,  e  vor  Nasal, 
seeundäres  Umlauts- e;  die  geschlossene  (e)  erscheint  für  mhd.  d, 
prim&res  Umlauts -e. 

II.  Übereinstimmend  sind  die  e- Laute  ferner  ^ertheilt  in  den 
eng  benachbarten  Beromünster  und  Leerau  und  in  dem  elsäß.  Mttnster- 
thal.  Alle  drei  sprechen  ihr  offenstes  e  (e)  für  die  gleichen  vier 
etymologischen  Fälle  wie  die  Mundarten  unter  I.  Das  geschlos- 
senste e  (e)  gibt  mhd.  ^,  die  mittlere  Schattierung  (e)  das  pri- 
märe Umlautsproducty  mhd.  e^  wieder. 

ni.  Appenzell  und  Toggenburg  geben  gleichmäßig  ihre  offen- 
ste EJangfarbe  (e)  dem  mhd.  se  und  dem  secundären  Umlauts-e;  die 
geschlossenste  (e)  dem  mhd.  %  und  (primären)  e;  die  mittlere 
(e)  dem  e  vor  Nasalen  und  dem  mhd.  ^. 

Die  zwei  übrigen,  Kerenzen  (IV)  und  Baselstadt  (V),  stimmen 
weder  unter  sich  noch  mit  einer  der  obigen  drei  Ghtippen  flberein. 
Wir  haben  also  in  dem  uns  yorliegenden  Material  mit  fttnf  verschieden 
entwickelten  Typen  zu  rechnen. 

Auf  welchen  mhd.  Lautstand  werden  wir  sie  zurttckftthren? 
Wollten  wir  annehmen  ^  daß  all  die  heut  bestehenden  Differenzen  in 
das  ältere  Mhd.  zurückgehen  und  damals  in  einer  nach  dieser  Seite 
hin  einheitlichen»  gemein -alemanischen  Mundart  sich  beisammen  ge^ 
fanden  hätten,  so  erhielten  wir  folgendes  Bild.  Am  meisten  gegen 
i  hin  liegt  mhd.  §.  Einen  Schritt  weiter  nach  a  zu  (so  fordert  es 
Gruppe  II)  liegt  die  Kürze  e^  das  primäre  Umlauts-e.  Dann  folgt 
auf  der  Linie  nach  a  hin  das  ^rechungs'-^.  Eine  weitere  Stufe 
offener  (nach  Ausweis  von  Ker.)  ist  e  vor  Nasalgruppen.  Und  die 
Grenze  gegen  a  zu  wird  (hiefür  ist  besonders  Qruppe  III  beweisend) 
durch  mhd.  8e  und  durch  das  secundäre  Umlauts -e  eingenommen. 
Wir  hätten  also  fünf  verschiedene  e- Klangfarben ,  die  sich^  an  ein- 
zelnen Wörtern  veranschaulicht ,  in  folgender  Linie  lagerten: 
1.  2.  3.  4.  5. 

s@;  rede;  stachen;  ende;  nffime, 

nehte 
megede. 


126  A.  HBJUSLBR 

Unmöglich  ist  es  nicht,  daß  thatsäcUich  einst  das  Gemein- 
aleman.  diese  fünf  rerschiedenen  e- Qualitäten  besaß,  und  daß  die 
Einzeldialecte  in  ihrer  äonderentwicklong  durch  Vermischen  hier  der 
einen  y  dort  der  andern  Doppelheit  endlich  zu  ihren  drei  bezw.  zwei 
Klangfarben  gelangten.  Aber  jenes  Additionsverfahren  ist  willkttrlich. 
Wir  müssen  vieimehr  fragen,  welche  der  heute  vorhandenen  Doppel- 
heiten  aus  secundärer  Entwicklung  haben  entstehen  können.  Da 
sehen  wir  zunächst,  daß,  solange  die  quantitative  Scheidung  zwischen 
ursprünglicher  Länge  und  ursprünglicher  Kürze  streng  innegehalten 
wurde  (was  bekanntlich  in  keiner  aleman.  Mundart  heute  mehr  der 
Fall  ist),  die  Länge  sich  ungehindert  nach  einer  Seite  hin  fortent- 
wickeln konnte,  ohne  die  Kürze  mit  sich  zu  reißen,  und  umgekehrt 
Mhd.  s§  kann  z.  B.  leicht  auf  dem  ganzen  Gebiete  gleiche  e- Schat- 
tierung'gehabt  haben  wie  rede,  bezzer;  in  der  Gruppe  II  hat  es  sich 
zu  geschlossenerem  Klange  secundär  entwickelt,  doch  jedenfalls  be- 
vor rede  sein  e  dehnte;  daher  lautet  es  nun  in  dieser  Gruppe 
se  —  red,  besser.  —  Ebenso  kann  das  e  vor  Nasalen,  als  unter  einem 
bestimmten  combinatorischen  Einfluß  stehend,  seine  Qualität  in  den 
einzelnen  Mundarten  geändert  haben,  ohne  daß  die  nicht  vor  Nasal 
stehenden  e  seiner  Entwicklung  folgen  mußten.  Vielleicht  besaß 
denchen  bei  Notker  noch  gleiche  Geschlossenheit  wie  reda;  erst  im 
Laufe  der  Zeit  erhielt  es  in  den  Mundarten  den  Klang  von  stächen 
bezw.  von  nseme. 

Zi^en  wir  diese  Möglichkeiten  späterer  Entwicklung  in  Betracht, 
so  können  wir  für  die  aleman.  e-Laute  in  mhd.  Zeit  nur  Fol- 
gendes mit  Bestimmtheit  aussagen: 

1.  Es  gab  zwei  Längen^  eine  mehr  geschlossene ,  mhd.  e,  und 
eine  mehr, offene,  mhd.  m. 

2.  Es  gab  drei  Kürzen,  eine  geschlossene  in  mhd.  rede,  eine 
offene  in  mhd.  nehte,  eine  mi(itlere  in  mhd.  stechen. 

Diese  Dreikeit  wird  durch  die  Mundarten  App.,  Togg.,  Ken 
erwiesen«  Denn  es  ist  klar  und  bedarf  keiner  weitem  Worte,  daß 
der  Unterschied  zwischen  re^t  (mhd.  röht)  —  n^xt  (mhd*  nehte);  fei, 
Ker.  fäl  (mhd.  föl)  —  f^l  (mhd*  feile  pL  zu  fal),  wie  er  uns  in  diesen 
Mundarten  entgegentritt,  nicht  aus  einer  altern  einheitlichen  Lau- 
tung erwachsen  konnte.  Wohl  aber  konnte  in  den  andern  Mundarten 
die  ursprüngliche  Doppelheit  sich  leicht  in  einem  Laute  secundär 
verschmelzen.  Nur  ist  zuzugeben,  daß  diese  Verschmelzung  sehr  früh 
geschehen  konnte:  möglich,  daß  schon  um  1200  nehte  zu  der  Ge- 
schlossenheit von  räht  gelangt  war  in  all  den  Mundarten,    die  heute 


ZUB  LAUTFORU  DBS  ALEMANNISCHEN.  127 

die  beiden  Laute  nidht  mehr  ontersclieiden  ').  In  diesem  Falle  könnten 
wir  nur  für  die  früheste  mhd.  Zeit  von  gemein  «alemanischer  drei- 
facher e- Qualität  sprechen. 

Es  bleibt  endlich  die  Frage ,  wie  diesem  dreifachen  Klang  der 
kurzen  e  die  beiden  langen  e*  Vocale  (mhd.  2b  und  %)  sich  g^enttber- 
stellten.  Daß  »  gleich  secundärem  Umlauts -e  klang,  also  die  offenste 
Schattierung  ^  besaß,  ist  mehr  als  wahrscheinlich;  Eauffmann  a.  a.  O« 
S.  9  weist  mit  Recht  auf  die  gleichen  Bedingungen  ihrer  Entstehung* 
Fraglich  ist  dagegen,  ob  dem  mhd.  S  die  geschlossenste  Qualität,  die 
von  den  lebenden  Mundarten  bezeugt  wird,  schon  zu  Beginn  der  mhd. 
Zeit  zukam;  ob  es  also  qualitativ  =z:  e  (in  rede)  oder  aber  =  '6  (in 
stachen)  anzusetzen  ist.  Nach  Luicks  Bemerkungen,  Beitr.  14,  133, 
wird  man  nicht  mehr  dem  %  gemeinmhd.  geschlossenste  Qualität  zu- 
schreiben wollen.  Auch  im  Aleman.  hat  gesä(h)en,  gesche(h)en  den 
gleichen  Laut  ergeben  wie  altes  e.  Wenn  anderseits  mhd.  h^rre 
aleman.  nicht  durchweg  zu  harre  sondern  zu  herre  gekürzt  wird,  wie 
Martin  Anz.  f.  d.  A.  14,  287  richtig  hervorhebt,  so  mag  dieß  viel: 
leicht  nur  auf  eine  spätere  Zeit  dieses  Lautvorgangs  deuten,  als  eben 
^  schon  geschlossen  geworden  war. 

Wenn  wir  annehmen  dürfen,  daß  mhd.  6  im  Aleman»  den  ge- 
schlossenen Klang,  den  die  Mundarten  ihm  zutheilen,  schon  zu  der 
Zeit  erhalten  hatte,  als  noch  das  ganze  aleman.  Gebiet  die  drei  kurzen 
e- Laute  unterschied,  so  können  wir  uns  von  der  Lagerung  der 
e-Vocale  im  Gemein -Alemanischen  der  mhd.  Zeit  folgendes  hypothe-» 
tische  Bild  entwerfen: 

1.  (geschlossener  Klang:  e)  2.  (mittlerer  Klang:  e) 

mhd.  s&;  rede,  bezzer.  mhd.  m&l,  stächen;  ende, 

3.  (offenster  Kiang:  e) 
mhd.  nseme;  nehte,  megede. 
Auf  diese  Gruppierung  lassen  sich  die  vorhandenen  mundart« 
lieben  Typen  sehr  leicht  und  ungezwungen  zurückleiten. 

Die  Gruppe  III  (App.-Togg.)  ist  dem  hier  angesetzten  Stande 
der  Dinge  treu  geblieben. 

Von  den  übrigen  verfährt  am  einfachsten  Gruppe  I.  (Schaff h. - 
Oltenh.):  sie  läßt  2.  und  3.,  den  mittlem  Klang  mit  dem  offensten, 
zusammenfallen;  und  zwar  scheint  es,  wenn  wir  nun  die  absolute 
Qualität  ihrer  e- Laute  mit  in  Betracht  ziehen,  daß  Schaff h.  das  ein- 

')  Doch  ist  zu  beachten,  daß  auch  das  Schwäbische  das  mhd.  @  von  dem 
secundfiren  Umlauts-e  in  manchen  Lautumgebungen  bis  heute  auseinanderhält  (Kaaff- 
mann  a.  a.  O.  S.  10  f.). 


128  A.  HEÜSLEB 

stige  e  dem  e  ennäherte;  denn  ihm  fehlt  heute  jener  bewußte  sehr 
offene  e- Klang,  daß  aber  Ottenh.  umgekehrt  das  einstige  e  in  e  auf- 
gehen ließ;  denn  in  dieser  Mundart  lauten  die  offenen  e  heute  a- ähnlich. 

Auch  Qruppe  II  (Berom.  -  Leerau  •  eis.  Mflnsterth.)  ließ  die  Schat- 
tierungen 2.  und  3.  zusammenfließen  und  zwar  unzweifelhaft  in  e, 
dem  prononciert  offenen  Klange  (eis.  Mü.  ging  dann  sogar  weiter  bis 
zu  a);  dann  wurde  die  Kürze  e  von  der  Lllnge  e  geschieden,  indem 
jene  die  mittlere  Klangfarbe  e  bekam,  und  zwar  bevor  ein  Theil 
der  Kürzen  Dehnung  erfahren  hatte. 

Auch  in  Baselstadt  fielen  2.  und  3.  zusammen  (vermuthlich  in 
einer  Mittelnuance  zwischen  e  und  e);  1.  blieb  zunächst  einheitlich, 
bis  r^de  zu  red  gedehnt  war;  dann  ließ  die  Mundart  die  noch  als 
Kürze  übrigen  e  (in  bessor  etc.)  eine  Stufe  offener  werden  ^  also  die 
Mittelstufe  zwischen  se  red  und  mel  dtex^  etc.  einnehmen. 

In  Kerenzen  endlich  entwickelte  e  vor  Nasalen  die  offenste 
Schattierung  e;  außerdem  mischten  sich  1.  und  2.,  nach  Vollzug  der 
partiellen  Vocaldehnung,  in  der  Weise,  daß  alle  als  Kürze  bewahrten 
e  (in  bezzer  etc.,  stachen  etc.)  in  der  mittlem  Klangfarbe,  alle  ur- 
sprünglich langen  oder  später  gelängten  e  (in  se;  rede,  m@l)  in  der 
geschlossensten  Klangfarbe  sich  einigten.  — 

Es  würde  dem  Entwicklungsgange,  den  wir  hier  für  die  ver- 
schiedenen Mundarten  angesetzt  haben,  um  ihren  heutigen  e  •  Vocalis- 
mus  mit  einem  frühern  gemein -alemanischen  Zustande  in  lautgeschicht- 
lichen Zusammenhang  zu  bringen,  zur  Bestätigung  dienen,  wenn  in 
andern  Theilen  ihres  Vocalsystems  ein  ähnlicher  Gang  der  Bewegung 
sich  auffinden  ließe.  Es  fehlt  zum  Theil  nicht  an  derartigen  Über- 
einstimmungen.   Doch  möchte  ich  sie  mit  allem  Vorbehalt  vorbringen. 

Zunächst  die  Parallele  mit  den  o- Lauten.  Sehr  wahrscheinlich 
hatten  im  Aleman.  der  mhd.  Zeit  kurz  o  wie  lang  d  die  gleiche  ge- 
schlossene Qualität.  Nun  finden  wir  in  der  Dialectgruppe  I  (Schaffh.- 
Ottenh«),  welche  den  mhd.  s^  —  rede,  bezzer  ihre  geschlossenste  Schat- 
tierung e  bewahrt  hat,  entsprechend  auch  mhd.  o,  ob  kurz  erhalten 
oder  gelängt,  in  derselben  geschlossensten  Klangfarbe  wie  die  Fort- 
setzung von  mhd.  d.  So  hat  auch  Baselstadt  nach  Ablauf  der  Vocal- 
dehnung  die  kurzgebliebenen  o  zu  offenerer  Stufe  geführt,  während 
die  ursprünglich  langen  und  die  gelängten  ö  geschlossen  blieben,  gan« 
wie  bei  e;  also  hö^  (mhd.  hdch),  wol  (mhd.  wol)  —  rpss  (mhd.  ros, 
rosses)  wie  se,  red  —  besser. 

In  Gruppe  III  (Berom.-Leerau-els.  Münsterth.)  ist  o  gleichwie  e 
um  eine  Stufe  offener  geworden,    bevor   die   partielle  Vocaldehnung 


ZUR  LAÜTFORM  DES  ALEMANNISCHEN.  129 

eintrat:  das  secundär  gelängte  w5l  zeigt  daber  mit  dem  kurz  geblie- 
benen ross  die  offenere  Qualität  als  das  ursprünglicb  lange  box« 

Dagegen  trifft  für  Rerenzen  diese  Parallele  nicbt  zu;  Wir  sollten 
bier  geschlossene  Länge,  offene  Kürze  erwarten.  Statt  dessen  zeigt 
die  Mundart  nur  noch  geschlossenes  o,  o.  —  In  App.-Togg.  ist  die 
Anordnung  der  o- Laute  compHcierter.  Bei  der  Vertretung  von  mbd. 
kurz  o  scheint  sich  der  Gegensatz  von  gedeckter  und  ungedeckter 
Silbe  geltend  zu  machen,  vgl.  xof(,  sota,  ross,  rokjj,  khiqxx^  gegen 
tobl,  ofe,  holo,  molo  (Molch),  Die  Parallele  zu  den  e- Lauten  ist 
also  jedenfalls  keine  vollständige. 

Eine  andere  Erscheinung  tritt  uns  in  der  Gruppe  II  (Berom.- 
Leerau-els.  Münsterth.)  entgegen.  Unsere  Annahme,  dass  diese  Mund- 
arten ihre  einstigen  e  mittlerer  Schattierung  (in  mhd.  m^l,  stächen; 
ende)  einzelmundartlich  zu  ihrem  heutigen  sehr  offenen  e- Laute  ge- 
wandelt haben,  steht  in  gutem  Einklang  mit  der  Thatsache,  daß  in 
den  nämlichen  drei  Mundarten  mhd.  i  und  u  eine  Stufe  offener  ge- 
worden sind:  fürs  Gemein -Aleman.  der  mhd.  Zeit  sind  diese  Laute 
als  }  und  i^  anzusetzen;  jene  drei  Dialecte  sprechen  sie  heute  als 
e  (e)  und  o  (ö),  d.  h.  geben  ihnen  den  gleichen  Klang  wie  der  Fort- 
setzung von  mhd.  6  und  ö.  Daß  auch  in  dieser  Eigenthümlichkeit 
das  weit  entlegene  elsäß.  Münsterthal  mit  Beromünster-Leerau  sich 
begegnet,   ist  jedenfalls  bemerkenswerth. 

Anderseits  hat  in  Ottenheim,  welches  doch  auch  seine  mittlem 
e  zu  e  gesenkt  hat,  das  mhd.  i  und  u  nicht  diese  Annäherung  an 
e  und  o  erfahren.  Und  umgekehrt  finden  wir  in  dem  größern  Theile 
der  appenzellischen  Dialecte  mhd.  i>e,  u>o,  ü>ö  entwickelt, 
obwohl  hier  die  mittlere  e- Nuance  unverändert  blieb.  Es  ist  also 
fraglich,  ob  nicht  auch  jene  scheinbar  zusammenhängenden  Lautwan- 
delungen in  den  andern  Mundarten  thatsächlich  ganz  unabhängig  sich 
vollzogen  haben.  Schwerlich  wird  man  a  priori  erwarten  dürfen,  daß 
eine  Bewegung  innerhalb  der  e- Laute  einer  Mundart  andere  Tbeile 
ihres  Vocalismus  in  Mitleidenschaft  ziehen  müsse. 

Für  die  Reime  alemanischer  Dichter  mhd.  Zeit  ergiebt  sich 
Folgendes.  —  Wo  sich  die  Bindung  e  :  ö  fand,  dachte  man  schon  früh 
an  consonantischen  Einfluß,  der  dem  e,  bezw.  dem  6,  eine  andere 
Qualität  gab,  als  sie  ursprünglich  hatten.  Franck  präcisierte  es  da- 
hin, daß  das  vor  ht  erscheinende  offene  Umlauts -e  überhaupt  nie  ge- 
schlossen gewesen  war.  Man  setzte  dabei  stillschweigend  voraus,  daß 
jene  offene  Sorte  von  Umlauts -e  gleichlautend  mit  6,  die  betr.  Reime 
also  rein  waren. 

GBBM4NIA.    Neue  Beihe.  XXU.  (XXXIY.)  Jahrg.  9 


130  H.  ▼.  WUSLOCKI 

Oben  hat  sich  nun  gezeigt,  daß  ein  Theil  des  Äleman.  (und  das 
Schwäbische  in  gewissen  Lautumgebungen)  das  secundftre  Umlauts -e 
nie  so  weit  von  a  sich  entfernen  ließ^  daß  es  mit  @  gleichen  Klang 
bekommen  hätte.  Finden  sich  also  bei  aleman.  Dichtern  Reime ,  wie 
sie  Gram.  I  279  flf.  (Neudruck)  gesammelt  sind  (frevel :  wövel,  eflfen  : 
tröffen,  weide  :  völde,  gesiebte  :  knöhte,  ehte  :  rehte,  gebrehte  :  knöhte, 
ehtent :  vöhtent ;  ich  habe  mir  notiert  aus  dem  Lanzelet:  vghten  : 
wehten  [doch  s.  die  Anm.  von  Hahn  zu  V.  1774],  aus  Hadloub:  ge- 
siebte (Schlachten)  :  rehte,  erne.-görne,  aus  K.  v.  Ammenhausen: 
tonrslegen  :  rögen),  so  mtlssen  entweder  die  Reime  nicht  völlig  genau 
sein,  oder  aber  das  Theilgebiet  des  Alemanischen,  dem  die  betr.  Ver- 
fasser angehören,  muß  schon  die  Lautschattierungen  2.  und  3.  (s.  o.) 
zusammengeschmelzt  haben.  In  dem  Falle  siegen  :  rögen,  wofern  wir 
es  als  genauen  Reim  aufzufassen  haben,  zeigt  sich  auch  schon  ein 
analogisches  Umsichgreifen  des  secundären  offenen  Umlauts -e,  wie  es 
in  den  lebenden  Mundarten  uns  entgegentrat.  , 

BERLIN,  November  1888.  ANDREAS  HEUSLER. 


ZU  DEN  „DREI  MAREIEN". 


Ernst  Ludwig  Rochholz  hat  in  seinem  trefflichen  Werke:  „Ale- 
mannisches Einderlied  und  Einderspiel  aus  der  Schweiz^'  (Leipzig 
1857),  S.  139  ff.  unter  den  größeren  Spieltexten  auch  ^die  drei  Mareien" 
nach  Abkunft  und  Inhalt  erklärt.  Diese  drei  verhängnißvoUen  Spinne- 
rinnen leben  aber  nicht  nur  in  den  Sagen,  Märchen  und  Liedern  der 
germanischen  Völker  fort,  sondern  auch  im  Glauben  anderer 
Völkerschaften  finden  sich  Anklänge  an  diese  mythischen  Vorstel- 
lungen. Ich  erlaube  mir  nun  zu  den  Erörterungen  Rochholz'  einige 
hiehergehörige  Einderlieder  und  Sagen  aus  Siebenbürgen  und  Ungarn 
mitzutheilen^  die  vielleicht  bei  einer  ausführlichen  Erklärung  nicht 
gerade  unbeachtet  bei  Seite  geschoben  werden  dürfen. 

Daß  diese  drei  spinnenden  Mareien  ursprünglich  die  dem  Men- 
schen bei  seiner  Geburt  den  Schicksalsfaden  spinnenden  Nornen  unserer 
germanischen  Mythen  sind,  das  bezeugen  alle  die  einschlägigen  Einder- 
lieder aus  Siebenbürgen,  —  aber  was  noch  mehr,  sie  liefern  uns  neben- 
bei auch  den  Beweis,  daß  dieser  Glaube  indogermanisches  Gemein, 
gut  ist  In  beiden  Beziehungen  interessant  ist  das  folgende  Einderlied 
der  Siebenbürger  Rumänen,  das  ich  1886  im  Südwesten  Siebenbürgens 


Zu  DEM  «DREI  MABEIEM««  181 

gehört   und    aufgezeichnet   habe.    In  genauer   deutscher  Übersetzung 
lautet  es: 

Heida  ihr  Lieben,  Dean    die    dritte    aus    ihrem    dicken 

Wir  reiten  ins  Land!  Fnft 

Haben  ein  gold'nes  Seil  in  der  Hand!      Viel  Kröten  und   Schlangen   gebären 
Zwei  Frauen,  die  haben  es  gemacht,  muß, 

Haben  es  gesponnen  über  Nacht;  Auf  jeden  Schritt  wohl  dreißig; 

Aus  der  Nabelschnur  zart  und  klein,      Drum  reiten  wir,  reiten  wir  fleißig, 
Spannen  sie  das  Seil,  so  golden  und      Sonst      kommen      die     Kröten      und 

fein !  Schlangen 

Die    dritte    Frau,    die    will    os    zer-      Und  nehmen  uns  Bübchen  gefangen! 

schneiden,  — 
Drum    müssen   wir  reiten,  immer  nur 

reiten, 

Wie  es  im  Deutschen  eine  weiße,  schwarze  und  eine  eiserne 
Hertha  gibt,  eine  gute  Spinnerin  und  eine  verfluchte,  eine  Frau  Breite 
mit  der  eisernen  Nase^  im  Französischen  eine  Reine  pSdauque,  regina 
peds  auca,  die  mit  dem  Platsoh-  und  Gänsefuß,  Berthe  au  grand  pied^ 
und  wie  auch  die  drei  Mareien  ein  Ähnliches  Maß  von  Körperschönheit 
und  Herzensgüte  und  hinwieder  von  Häßlichkeit  und  Hexenhaftigkeit 
einhalten,  so  spinnen  die  beiden  „  Outen  ^  auch  im  rumänischen  Liede 
„aus  der  Nabelschnur^  des  Kleinen  das  goldene  wOlttcksseiP,  das  die 
dritte,  „die  Böse*^,  die  mit  „ihrem  dicken  Fuß^,  zerschneiden  will, 
die  aus  ihrem  Bein  Schlangen  und  Kröten  zur  Welt  bringt  (Über 
Beingeburten  s.  Liebrecht,  Zur  Volkskunde ,  S.  490  ff.).  Auch  den 
ungarischen  Märchen  ist  diese  Unholdin  unter  dem  Namen  „a  vasarrü*^ 
(„die  mit  der  eisernen  Nase")  bekannt  (s.  Katona,  Zur  Litteratur  und 
Charakteristik  des  ungarischen  Folklore  in  der  Ztschr.  f.  vergl.  Litt, 
und  Renaissance-Litteratur  Bd.  I,  S.  31).  Zwei  dieser  drei  Frauen 
Bind,  dem  rumänischen  Volksglauben  gemäß ,  auch  bei  Qeburten  be- 
hilflich; die  dritte  aber,  die  „mit  dem  dicken  Fuß*^,  bewirkt  — 
sobald  sie  sich  der  Gebärerin  nähern  kann  —  den  Tod  des  Kindes. 
Um  sie  daher  von  der  Geburtsstätte  ferne  zu  halten,  wird  Haf^rstroh 
zu  einem  Bündel  gewunden  ins  Herdfeuer  geworfen.  Dieser  Brauch 
hängt  wohl  mit  dem  deutschen  „Weidendrehen*^  zusammen.  „Im 
Aargau  löst  man  diejenigen  Knoten  sorgfältig  auf,  die  man  an  den 
Ruthen  einer  dem  Wohnhause  zunächst  stehenden  Weide  gewahrt; 
auch  das  Weidenband  einer  jeden  Strohgarbe,  die  man  im  Stalle 
streuen  will,  wird  erlesen  und  aus  gleichem  Grunde  nicht  mitgestreut. 
Es  könnte  ein  Hexenschaden  mit  darin  Verknüpft'  sein^  (Rochholz 
a.  a.  O.  S.  146).  Ein  Strohwisch  war  in  früheren  Zeiten  in  den  säch- 
sischen Gemeinden  das  Schandzeichen  gefallener  Mädchen,  und  noch 

9* 


H.  T.  WLISLOCKI 

bis  in  die  Mitte  dieses  Jahrhunderts  wurden  „fremde  Dirnen*'  mit 
„Schub"  (Strohschaub)  aus  der  Gemeinde  abgeführt,  d.  h.  auf  einen 
zweirädrigen  Karren  wurde  ein  Strohbund  gelegt,  die  Dirne  hinauf- 
gesetzt und  vom  Wasenmeister  über  die  Grenze  der  Stadt  geschajBPt. 
Hafer-  und  Erbsenstroh  verscheucht  auch  nach  siebenbtirgisch-säch- 
sischem  Volksglauben  die  bösen  Geister,  und  unter  dem  Sterbenden 
wird  dieserwegen  das  Federbett  behutsam  weggezogen,  denn  auf  dem 
Strohsack  stirbt  man  leichter,  namentlich  aber  auf  einem  Polster  mit 
Erbsenstroh  gefüllt,  das  sofort  unter  den  Kopf  geschoben  wird 
(s.  Fronius,  Bilder  aus  dem  sächsischen  Bauernleben  in  Siebenbürgen, 
S.  255)  und  „stin  dekel  kalt  drbes"  (Steindeckel,  kalt  Erbsen)  klingt 
die  Glocke,  wenn  Jemand  begraben  wird. 

Auffallend  ist  es,  daß  das  rumänische  Kinderlied  zweier,  nicht 
nur  dem  deutschen  Volke ,  sondern  auch  den  Liedern  anderer  Völker 
gemeinsamer  Züge  entbehrt,  nämlich  der  Erwähnung  der  „Weiden*'  und 
Anführung  der  Grenzen,  welche  das  „goldene  Seil"  umspannt  In  den 
deutschen  Varianten  sind  stets  die  Orte  angeführt,  „von  welchen  aus 
und  bis  zu  welchen  das  Wiegenseil  oder  Deichselseil  für  den  Neu- 
geborenen gesponnen  und  gespannt  wird,  damit  dieser  Glücksfaden 
schirmend  um  die  ganze  Heimat  herum  reiche'^  (Rochholz  a.  a.  O. 
S.  142).  In  einem  Kinderliede  der  oberungarischen  Slovaken  —  das 
mir  Herr  Kr&lik  aus  seiner  unedirten  Sammlung  zu  überlassen  die 
Güte  hatte  —  finden  sich  auch  diese  zwei  Züge  wieder.  Das  Lied 
lautet  in  genauer  Übersetzung  also: 

0  du  gold'nes  Halfterband,  Eine  lange  Gerte  flicht 

Führe  uns  durch's  ganze  Land,  Eine  eich  aus  grünen  Weiden,  — 

Führ*  du  uns  von  Dobschau  Schlägt    dich,    wenn    du    folgst    mir 

Hin  zum  schönen  Kaschau  nicht!  — 

Und  von  da  nach  Leutschau,  Und  die  dritte  spinnt  aus  Seiden 

Wo  drei  Frauen  wohnen,  Dir  ein  schönes,  neues  Kleid, 

Die  uns  strafen  und  belohnen:  Darum  Bübchen  reite,  reit', 

Einen  gold'nen  Apfel  rund  Hopß,  hopp,  hopp,  reite,  reit'! 

Hält  die  eine  in  dem  Mund; 

Der  Zug  ^mit  den  Weiden"  ist  hier  gänzlich  verwischt,  dafür  aber 
entspricht  die  Frau  „mit  dem  goldenen  Apfel  im  Mund"  der  fünften 
Frau  bei  Rochholtz  a,  a.  O.  S.  140,  wo  es  von  ihr  heißt: 

„de  feuft'  isch  eusi  liebi  Frau, 

sie  sitzt  ennet  a  der  Wand, 

hat  en  Oepfel  i  der  Hand, 

sie  goht  durh-ab  zum  Sunnehüs 

und  Idt  die  heilig  Sunne  üs, 

und  16t  die  Schatten  tue 

für  ihre  liebe  Chline**   u.  s.  w. 


Zu  DBN  ,DBEI  MARSIEN^  188 

Daß  flherhaapt  den  Nornen  auch  ein  Einfloß  auf  die  Witterung  sa- 
geschrieben wirdy  zeigt  das  rumänische  Lied,  das  die  Kinder  singen, 
wenn  sich  der  Hinunel  umwölkt;  es  lautet  deutsch  also: 

Weisse  Matter,  öffne  Thür  and  Thor, 

Lass'  die  liebe  Sonn'  henror; 

Vor  der  lieben  Sonne  maß 

Rasch  entfliehen  Frau  Klumpfdß. 
Durch    die  Erwähnung   des    ^goldenen   Fadens*^    steht   ein  Lied   der 
deutschen  Kinder  in  der  Zips,    das    sie   bei  Regenwetter  zu  singen 
pflegen y   noch  näher  zum  Kreis   „der  drei  Mareien";   es  lautet  also: 

Liabe  Frau,  mach's  Thürl  aaf^ 

Bring*  die  liabe  Sann  herauf, 

Lass*  de  Bogen  drinne, 

Lass'  de  Schnee  verrinne; 

Komm'  aus  danem  Brftnnchen, 

Briang'  dan  goldig  Kindchen, 

Briang'  a  goldnen  Faden 

Behüete  uns  vor  Schaden! 
Ganz  verwischt  sind  diese  Beziehungen  im  folgenden  siebenbürgisch- 
sächsischen  Kinderliede    (s.  Schuster  Fr.  W.,    Siebenb.-sftchs.  Volks- 
lieder, S.  337): 

Et  fed  im  ee  rSnen,  Es  f&agt  an  zu  regnen, 

God  kid  enkenen;  Gott  kommt  entgegen, 

di  de  ren  aßäli,  Der  den  Regen  aufhält, 

ddd  äs  e  selich  man,  Das  ist  ein  seliger  Haan, 

di  ed  uch  weder  mäche  kän,  Der  es  auch  wieder  machen  kann, 

di  ed  uch  weder  eerdr'emere  kän.  Der  es  auch  wieder  zertrümmern  kann. 
Einen  viel  deutlicheren  Bezug  auf  die  drei  Nornen  und  „das  goldene 
Seil"  finden  wir  in  den  folgenden  siebenbürgisch-sächsischen  ELinder- 
liedern : 

Ich    läsz    mer  a  reszken    guor    wol     Ich  lasz   mir  ein  Rößchen   gar    wohl 
beschloß  beschlagen, 

ich  läse  et  an  der  sailgasz  gd.  Ich  lass'  es  in  die  Seilgass'  gehn. 

Dö  et  na  küm  for  Katiche  sai  dir^  Da  es  nun  kam  vor  Käthchens  (seine) 
dö  wör  en  golden  hräk  Thür, 

dö  wör  och  mai  gläck.  Da  war  eine  goldene  Brücke, 

Da  war  auch  mein  Glück. 
Bei  Schuster  a*  a.  0.  S.  327  steht  wohl  zailgasz  (Zeilgasse);  doch 
glaube  ich  „Seilgasse"  lesen  zu  dürfen,  besonders  da  im  Siebenbürgisch- 
sächsischen  „Zeile**  fllr  „Gasse**  gebraucht  wird  und  somit  „Zeil- 
gasse" eine  Art  Tautologie  wäre;  „Seilgasse"  hingegen  —  so  wie  ich 
es  im  Volksmunde  hersagen  hörte  —  mag  vielleicht  einen  verwischten 
Bezug  auf  das  „Glücksseil«  haben.  Das  folgende  Lied  der  siebenb.- 
sächs.  Kinder  nimmt  auch  Bezug  auf  die  drei  Nornen;  es  lautet: 


134  H.  ▼.  WLISLOCKI 

Brä  Ndne^  kun  am  rür  eraf.  Drei  Nane  (Nomen)  kommen  im  Bohr 

se  branjen  e  käinjt  gefangen;  hervor, 

se  lochten  et  an  en  trigeltchen,  Sie  bringen  ein  Kind  gefangen; 

et  schlift  wä  e  rene  figeltchen.  Sie  legten  es  in  ein  Trögelchen, 

Es  schläft  wie  ein  Regen -Vögelchen, 

Vgl.  auch  das  von  Fr.  Fr.  Fronius  a.  a.  0.  S.  34  mitgetheilte  siebenb.- 

sächs.  Kinderlied: 

Sif  si  sigelchen  Si,  si  Siegelchen, 

Der  tuewe  fleckt  e  figelchen,  Dort  oben  fliegt  ein  Vögelchen, 

Hae  nidde  flaegen  de  Nonnen^  Hier  unten  fliegen  die  Nonnen, 

Se  hatten  e  Kaendj  gefangen,  Sie  hatten  ein  Kind  gefangen, 

Se  schmiesßent  en  de  back,  Sie  warfen*8  in  den  Bach, 

DcU  et  alles  eehrdch.  Daß  es  Alles  zerbrach. 

Die  nächste  Verwandtschaft  mit  den  deutschen  „Mareien-Liedern"  zeigt 
unter  den  hiehergehörigen  Kinderliedem  der  Siebenbürger  Sachsen 
wohl  das  folgende  —  meines  Wissens  bislang  unedirte  —  Liedchen: 

Zußu,  euzu,  reddjen;  Zuasu,  znzu  reiten; 

De  Baschfrd  af  den  wedjen  Die  Buschfrau  auf  den  Weiden 

Wdl  dser  reseken  geht  beschlön.  Will  unser  Rößchen  gut  beschlagen, 

Dat  wer  hedj  nö  Krüne  gön,  Daß  wir  heut'  nach  Kronstadt  gehn, 

Dö  äs  en  hisch  gdlden  bräck,  Da  ist  eine  hübsche  goldne  Brück', 

Do  fandj  Rani  uch  se  gläck;  Da  find't  Hanchen  auch  ihr  Glück; 

Baschfrd  git  ds  sejeltcher,  Buschfrau  gibt  uns  Schüchen, 

Uch  en  seddn  kereUchen.  Auch  ein  seid'nes  Kittelchen. 

Nach  dem  Einderglauben  kommen  die  Kinder  von  der  Baschmoter, 
Baschfrd,  die  sie  unter  einem  großen,  dicken  Baum  im  Walde  hervor- 
gräbt oder  aus  ihrem  Brunnen,  der  unter  einem  großen  Baume  sich 
befindet,  herauszieht  und  oft  —  besonders  wenn  die  Kinder  nicht 
fromm  sind  —  wieder  zu  sich  nimmt.  Darum  werden  auch  die  Heb- 
ammen selbst  häufig  —  wenn  auch  nur  scherzweise  —  Bäschmatter 
(Buschmutter)  genannt.  Das  sind  Alles  auf  Hei  zurückweisende  An- 
schauungen (s.  Fr.  W.  Schuster,  Deutsche  Mythen  aus  siebenb.-sächs. 
Quellen  im  Archiv  d.  Ver.  f.  siebenb.  Landeskunde  Bd»  IX  und  X, 
S.  251  und  281  ff.;  dies  Werk  ist  für  die  siebenbürgische  und  ver- 
gleichende Mythenforschung  unentbehrlich.  Über  die  drei  Mareien, 
Nomen  überhaupt,  die  im  Siebenb.-sächsischen  neben  y,Nane,  Nonne^ 
auch  „Wäinjken^  heißen^  s.  ebenfalls  Schuster  a.  a.  O.  S.  76  ff.). 

Der  Ort,  an  dem  diese  Wesen  wohnen,  liegt  nach  dem  Volks- 
glauben in  der  Nähe  einer  Quelle^  eines  Brunnens  oder  Baches.  Diesen 
Zug  finden  wir  auch  in  einem  ungarischen  Kinderliede,  das  unter  den 
Sieben bürger  Szeklern  verbreitet  ist;  es  lautet  in  genauer  Über- 
setzung also: 


zu  DEN  ^DREI  HASEIEN«*.  135 

Heida,  heida  auf  nach  Kronstadt!  Und  gans  nah'  in  Angjalos 

Haben  nnser  Roß  yerloren.  Fließt  ein  klares  Brfinnlein,  — 

Wollen  nns  ein  neues  kaufen,  Sitsen  dort  drei  Frftulein, 

Und   dazu  auch  gold'ne  Sporen,  Hält  das  eine  ein  Kindchen, 

Dann  wird*s  rascher  laufen!  Das  andre  schneidet  Weiden 

Heida,  heida  auf  nach  Kronstadt!  Ffir  den  Hintern,   hopp,  hopp,  hopp! 

Hei !   da  steht  ein  Schlößlein,  Und  das  dritte  spinnet  Seide, 
Und  nicht  weit  in  Sepsi-Szent-GjSrgy      Spinnt  fflr  dich   den  neuen   Rock! 

Steht  ein  gold*nes  Häuschen,  Hopp,  hopp,  hopp! 

Merkwürdig  ist  der  Umstand,  daß  in  der  ungarischen  Volksdichtung 
überhaupt  drei  Nomen  als  solche  nicht  erwähnt  werden,  und  ich  bin 
geneigt^  obiges  Kinderlied  der  Szekler  eben  deswegen  für  eine  Ent- 
lehnung aus  dem  Deutschen,  resp.  Sächsischen  zu  halten.  Vielleicht 
ist  dies  Lied  einem  verlorenen  sächsischen  nachgebildet  worden. 
Immerhin  bleibt  seine  Zusammenstellung  recht  interessant,  der  eben 
nur  der  Zug  vom  „Seil,  goldener  Brücke^  abgeht.  Diese  drei  Fräulein 
glaube  ich  auch  in  folgender  Sage  der  Siebenbttrger  Szekler  wieder- 
zufinden. 

„Vor  vielen,  vielen  Jahren  lebte  ein  Ritter,  der  war  gegen  seine 
Untei^ebenen  gar  strenge  und  hartherzig.  Seine  eigene  Gattin  hatte 
er  einmal  in  seinem  Zorn  zu  Tode  geprttgelt,  und  seine  drei  wunder- 
schönen Töchter  behandelte  er  schlechter  denn  Hunde.  Da  traf  es 
sich  einmal,  daß  der  böse  Ritter  in  eine  gar  ferne  Stadt  zog,  um  sich 
von  da  eine  Gattin  zu  holen.  Bevor  er  abzog,  sprach  er  zu  seinen 
Töchtern:  „Allen  Hanf,  der  sich  am  Aufboden  des  Hauses  befindet, 
müßt  ihr  bis  zu  meiner  Rückkehr  gesponnen  haben,  sonst  lasse  ich 
jede  von  euch  an  einen  Baum  binden  und  dann  zersägen.^  Also 
sprach  der  Rittersmann  und  zog  von  dannen.  Seine  armen  Töchter 
weinten  nun  Tag  und  Nacht,  denn  sie  wußten  nicht,  wie  sie  den 
vielen  Hanf  aufspinnen  sollten.  Da  traf  es  sich  einmal,  daß  die  drei 
Fräulein  spät  in  der  Nacht  noch  spannen  und  weinten,  als  sich  die 
Thüre  der  Stube  öffnete  und  ein  riesiger  schwarzer  Stier  hereintrabte. 
Mitten  im  Hanfstoß,  der  am  Boden  lag,  blieb  er  stehen,  nahm  einen 
Bund  nach  dem  andern  auf  seine  Hörner,  und  während  er  seinen 
Hals  von  rechts  nach  links  beständig  bewegte,  verwandelte  sich  der 
Hanf  sofort  in  die  schönste  Leinwand.  Das  eine  der  drei  Fräulein 
stieg  nun  schnell  auf  den  Aufboden  hinauf  und  reichte  ihrer  Schwester, 
die  auf  der  Leiter  stand,  einen  Hanfbund  nach  dem  andern  herab. 
Die  mittlere  Schwester  reichte  den  Hanf  der  Jüngsten,  die  unten  in 
der  Stube  stand,  und  diese  warf  ihn  vor  den  Stier ^  der  mit  seinen 
Hörnern  so  rasch  spann,  daß  die  Schwestern  kaum  Zeit  hatten,  ein- 


136  H.  V.  WLISLOCKI 

ander  den  Hanf  zu  überreichen.  Die  eine  rief  stets  der  andern^  diese 
wieder    der    dritten    zu:    y^Nyujtod-e   mar?''    („Reichst  du  ihn    einmal 
her"),   um    sich   gegenseitig  zur  Eile  anzufeuern.    Als  es  dämmerte, 
spann  der  Stier  noch  immer.    Aber  er  war   auch   schon   sehr  milde, 
denn  so  oft  er  den  Hals  von  rechts  nach  links  bog^  da  flog  ihm  stets 
der  Speichel  in  langen  Fäden  zum  offenen  Fenster  hinaus  und  schwebte 
als  glänzender  Faden  in  der  Luft  fort.    Diese  Fäden  sieht  man  auch 
jetzt  noch  im  Herbste  in  der  Luft  schweben,  und  wir  nennen  sie  eben : 
„ökömydl^  (Ochsenspeichel).    Gegen  Mittag  war  der  gesammte  Hanf 
aufgesponnen,    und  da  stürmte   der  Stier  auf  die  drei  Jungfrauen  los 
und  warf  sie  in  die  Luft;    die  eine  fiel  oben  auf  dem  Gebirge  neben 
einer  Quelle  auf  die  Erde,    die  andere  fiel  auf  einen  Acker,  und  die 
dritte  fiel  auf  einen   hohen  Baum.    Jede  sitzt  nun  seit  vielen  Jahren 
auf  ihrer  Stelle  und  spinnt  den  „Ochsenspeichel";   aus  dem  Gespinst 
verfertigen   sie   dann  Hemden,    und    wer   ein    solches  findet   und  am 
Leibe  trägt,  der  ist  in  Allem  glücklich.  An  der  Stätte,    wo  das  Haus 
des  Ritters  gestanden,    hörte  man  lange  Jahre  hindurch  allnächtlich 
den  Ruf  erschallen:  „Nyujtod?  nyujtod-e  md/r?^  Und  als  mit  der  Zeit 
sieh  daselbst  Leute  ansiedelten,  nannten  sie  das  Dorf  „Ny  uj  tod"*  ^) . . .  '^ 
Diese  Sage    erinnert   uns   an  das  Zauberhemde  und  Kothhemde 
der   deutschen  Mythe,  das  Jungfrauen  woben,    um  Kämpfer  fest  and 
unverwimdbar  zu  machen.  In  solchem  Zusammenhange  nennt  man  in 
Deutschland  die  im  Herbste   über    das  Feld   schillernden  Fäden   der 
Feldspinne  noch  den  Marienfaden,  den  Altenweibersommer,  in  West- 
phalen   Unser   laiwe   Frauen  Suemer,    und    die  Spinneweben   in    der 
Stube   heißen    sogar  Friggers,    der  Göttin   Frta  Gewebe"    (Rochholz 
a.  a.  0.  S.  142;  s.  Woeste  in  Wolfs  Ztschr.  2,  96).  Dem  Volksglauben 
der  Siebenbürger  Armenier  gemäß  webt  die  „Glttcksfrau**  dem  Kinde, 
das  in  der  Stunde  geboi'en   wird,    wo   sie  ihr  eigenes  Kindlein,    den 
^ZufalP,  säugt,  aus  ihrem  Speichel  ein  Glückshemd.  Man  legt  daher 
jedes  Kind  vor  der  Taufe  an  einen  Ort,  wohin  der  Mond  scheint,  und 
entfernt  sich  aus  dem  Zimmer,    damit  die  Glücksfrau  ihm  ungestört 
das   ^unsichtbare  Glückshemd*^    anziehe,    das  es  dann   sein  Lebelang 
unbewußt  an  hat,   um  nun  in  allen   seinen  Handlungen   vom  Glücke 
begünstigt  zu  werden.   Nach  dem  Glauben  der  Siebenbürger  Rumänen 
ist  es  gut,  wenn  man   von  der  Nabelschnur  des  Kindes  ein  Stückchen 
bei  zunehmendem  Mond  in  den  Garten  wirftf  dann  kommen  die  ^ guten 
Frauen **  und  weben  das  Stückchen  zu  einem  „Glücksfaden'';  sie  weben 


*)  Im  Südosten  Siebenbür^eos. 


zu  DEN  ^DREI  MARE1EN^  137 

ihn  80  lange,  bis  daß  ihn  die  ,,dritte*^  abschneidet:  ^dann  ist  es  aas 
mit  dem  Glücke  des  Menschen!'' 

Auch  ein  Kinderlied  der  Siebenbürger  Zeltzigeuner  gehört  in  den 
Kreis  der  „drei  Mareien^.  Das  „goldene  Seil"  umspannt  auch  hier 
die  Orenzen  der  engeren  Heimat.  Der  unedirte  Originaltext  dieses 
Kinderliedes  lautet  —  so  wie  ich  denselben  1883  in  der  Oegend  von 
Hermannstadt  aufgezeichnet  habe  —  also: 
Andro  bäro  Sünneske  Keshälyi  les  kerelds, 

Stukdr  cercd  hin  dädeske;  Riciye  Itsperpelds. 

Andrdl  e  certd  hfshda,  Päl  sheloro  Orldfaros 

Vdsh  Beshndre  grÖMtdrdn;  Sdr  e  bdrvdl  grdgtdrds; 

Pol  Reshndre  sheloro  Te  o  phdnro  uripen 

Hin  shukdr  somndkuno;  Odoy  yon  den  sik  amen. 

Sheloro  hin  may  shukdvy  Kiyd  sheloro  shukdr, 

Oh  grdiyd,  tu  sityärl  Oh  grdiyd,  tu  eitydrP) 

Die  genaue  Übersetzung  desselben  lautet: 
Anf  der  Haid'  von  Hermannstadt,  Keschalyi  hat  es  gemacht, 

Schönes  Zelt  dein  Vater  hat;  Es  gewoben  über  Nacht. 

Vor  dem  Zelte  sitsen  wir.  Auf  dem  Seil  nach  Orlat  hin 

Reiten,  reiten  weg  von  hier,  Mit  den  Winden  wir  dann  ziehn, 

Reiten,  hin  nach  Reschinar,  Kleider  schön  aus  Seiden 

Dort  gemacht  aus  Gold^  so  klar,  Schenkt  man  uns  dort  Beiden. 

Ist  ein  langes,  langes  Seil;  Wollen  hin  zum  gold'nen  Seil, 

Hopp,  mein  Pferdchen,  eile,  eil'!  Hopp,  mein  Pferdchen,  eile,  eil'! 

Die  Keschalyi  sind  Feen,  die  verdammt  sind  kinderlos  zu  leben. 
Sobald  eine  Keschalyi  ein  Ejnd  zur  Welt  bringt,  so  stirbt  dasselbe 
auch  gar  bald.  Dann  flieht  die  trostlose  Mutter  hinauf  ins  Gebirge, 
wo  sie  auf  einsamen  Felsen  in  unzugänglichen  Schluchten  regungslos 
sitzt  und  ihr  meilenlanges  Haar  im  Winde  wehen  litfit,  wodurch  der 
Nebel  entsteht,  der  zigeunerisch  neben  nebulo  auch  yfidl  Keschdlytücri^ 
(Haar  der  Eesch&lyi)  heißt  Stirbt  ein  Mann,  den  eine  Keschalyi  be- 
günstigt hat,  da  reißt  sie  sich  in  ihrem  Grame  Haare  vom  Kopfe^ 
die  dann  als  Sommerfäden  (zig.  brigd  Kesehdlydkri,  Gram  der  Keschalyi) 
über  die  Gefilde  schweben»  Eanderlose  Weiber  der  Zigeuner,  die  sich 
Kinder  wünschen,  sammeln  solche  Fäden  und  verzehren  sie  mit  ihrem 
Gatten  zusammen,  und  zwar  bei  zunehmendem  Monde,  wobei  der 
Spruch  gemurmelt  wird; 


')  Was  die  Orthographie  anbelangt,  so  entspricht  c  =  tsch,  c  =  ch,  j  =  dach, 
n  ==  nj,  sh  =  seh,  y  =e  f  (s.  meine  „Sprache  der  transsilvanischen  Zigeuner",  Leipzig 
1884,  S.  3). 

9** 


138  H.  V.  WLISLOCKI 

Keshälyiyd  lisperpen,  Ihr  Keschalyi  spinnet,  spinnt, 

Cin  pdni  hin  andre  len !  Bis  noch  Wasser  in  den  Bächen  rinnt ! 

Mdngdvds  pdl  holyipen,  Euch  zur  Kindstauf  wir  einladen, 

Kdnd  lolo  sheloro  Wenn  den  rothen  Glücksfaden 

Mende  turnen  Ksperpen  Ihr  gesponnen,  ihr  gesponnen 

Vdsh  rdkleske,  ko  dvld  Für  das  Kind,  das  wir  gewonnen 

Mende,  oh  Keshälyiyd!  Haben  von  eurer  Gnad*,  ihr  Keschalyi. 

Der  hier  erwähnte  „rothe  Glücksfaden"  ist  nicht  identisch  mit 
dem  im  vorhergehenden  Kinderliede  erwähnten  nlang®^»  goldenen 
Seil".  Letzteres  erscheint  nur  dem  Geliebten  der  Keschalyi  und  zeigt 
ihm  den  Weg  zu  derjenigen,  die  in  Liebe  zu  ihm  entbrannt  ist.  Wenn 
aber  eine  Keschalyi  einem  Kinde  „Glück  für  das  ganze  Leben"  ver- 
leihen will,  so  spinnt  sie  den  „rothen  Glücksfaden**,  den  sie  dann  als 
rothes  Striemchen  am  Halse  des  Bevorzugten  erscheinen  läßt  (vgl. 
Rochholz  a.  a.  O.  S.  147).  Ein  solches  rothes  Striemchen  brachte 
auch  der  Stammvater  eines  der  vier  Zeltzigeunerstämme  Sieben- 
bürgens, des  Leila-Stammes,  bei  seiner  Geburt  mit  auf  die  Welt, 
woher  er  den  Beinamen  „Lofo"  (der  Rothe)  erhielt.  Die  Stammsage 
der  Leila,  die  in  mancher  Beziehung  zum  Kreis  der  ,,drei  Mareien" 
zu  rechnen  ist,  lautet  im  Originaltext,  so  wie  ich  denselben  nach  der 
Erzählung  des  gegenwärtigen  Wojwoden  des  Stammes,  Namens  Paul 
Csutak,  zubenannt  ^der  Großfuß",  im  Jahre  1886  gehört  habe,  also: 

y^Andre  but  sei  bershd  jideläs  pdl  yek  bes  yekd  mdy  shukdr  rdklyt. 
Yoyrdklyi  bdre  thdgdreskro  dvld^.  Kdnd  leskre  ddd  mereUs,  leskre  perdl 
tfi  leskro  romni  Id  trddend;  e  romni  nd  kdmelds,  the  andre  them  shukd- 
reder  romni  the  dvlds  sdr  yoy.  E  shukdr  rdklyi  gelyds  dnd/ro  cdtdro 
themäkri^  te  odoy  pdl  yek  bdro  bes  dndre  eigne  cev  beshMs,  Bibdctäles 
jideläs  yevensd  besheshro  te  buter  dndre  bokh  mdy  merelds.  Vucoyes  dndre 
besh  beshend  trin  Keshälyiyd^  ke  butvär  pro  besh  dikhend  te  dikkend,  so 
e  rdklyi  kerel  Atunci  peneUs  yekd  Keshdlyi  kiyd  leskre  pcenenge:  j^Core 
rdklydke  hin  misec  jidipen;  yoy  may  bokhdles!  Mire  bald  dnd/re  them 
felebicdv;  yoy  bdld  cdl  te  kerel  yek  rdkles,  ko  pro  Idke  gindiadrel!^  Te 
Keshdlyi  bdld  telebicelds  te  ddd  cdvelas  sik  e  rdklyi;  dtunci  penelds: 
duyte  Keshdlyi:  ^Me  kerel,  hoy  yekd  somndkune  lenori  the  dvelds  dngdl  cm 
te  yek  somnakuno  ruk  odoy  th'  dvelds,  ko  sdke  yevd  limdkri  bdrel!^  — 
„Te  me",  penelds  trite  Keshdlyi,  „me  kerel,  hoy  rdhUske,  kdnd  yov  md- 
nush  hin,  nd  tdysd  bdct  hin!""  May  voyikereUs  e  core  rdklyi,  kdnd  dvre 
jivese  dngdl  cev  somndkune  lenori  te  yek  somndkune  ruk  dikhelds.  Atunci 
Idke  dvlds  bute  cabe-nd  te  e  pdhi  somndkune  lenordkri  dvlds  legfeder  mol. 
Te  dtunci  e  rdklyi  kerelds  yek  rdkles,  kdske  pro  kor  yek  Mo  sheloro 
ävlas.    Te  e  rdklyi  jdnelds,    ko  Idke   rdklds   kerdyds!    Kdnd  yoy  rdkles 


zu  DEN  ^DREI  MAB£IEN^  139 

andre  päni  aomnakime  lenoräkri  tavelas,  yekvdr  shukär  rdklo  ävlds.  Te 
nd  hutvdr  voyipen  dvlds!  0  perdl  rdMydkri  dshtmelds,  hoy  e  pcen  Leäa 
heshd  kiyd  somndkune  lenori  te  somndkuno  ruk,  Yov  bicelds  ketdnd  oday 
U  ddd  pdl  mol  somndkune  lenordkri  mdtovend,  Te  mdtes  muddrend  Leüa; 
leskre  rdklo  may  merelds,  Yov  dndre  Urne  jidlds  te  romni  lelda  te  rdklen; 
yov  dtunci  penelds  kiyd  mdnushenge:  „Kdmdv,  the  men  Leäa  dndphenen^ 
hoy  dndvd  ddydkri  tdysd  jidel!^  Te  dmen  kdde  kerds  te  djes  dndphenen 
men:  e  Leild " 

Die  genaue  deutsche  Übersetzung  lautet: 

f,Vor  vielen  hundert  Jahren  lebte  am  Rande  eines  Waldes  eine 
wunderschöne  Maid.  Sie  war  die  Tochter  eines  mächtigen  Königs 
gewesen.  Als  ihr  Vater  starb,  da  verstieß  sie  ihr  Bruder  und  dessen 
böse  Frau 9  die  es  nicht  haben  wollte,  daß  im  Lande  ein  schöneres 
Weib  als  sie  lebe.  Die  schöne  Maid  floh  also  an  die  Grenze  des 
Landes,  wo  sie  am  Rande  eines  großen  Waldes  in  einer  kleinen  Höhle 
wohnte.  Kümmerlich  ernährte  sie  sich  von  den  Frtlchten  des  Waldes 
imd  war  oft  nahe  daran,  vor  Hunger  zu  sterben.  Hoch  oben  im  Ge- 
birge da  wohnten  auch  drei  Keschalyi,  die  oft  ins  Thal  hinabblickten 
and  dem  Treiben  der  Maid  zusahen.  Da  sprach  einmal  die  eine 
Keschalji  zu  ihren  Schwestern:  „Die  arme  Maid  hat  ein  gar  schlechtes 
Leben;  sie  ist  sehr  hungrig!  Ich  werde  einige  meiner  Haare  zu  ihr 
hinab  ins  Thal  fallen  lassen;  sie  wird  diese  Haare  verzehren  und 
dann  einen  Sohn  zur  Welt  bringen,  der  wird  für  sie  sorgen!"  Wäh- 
rend die  Keschalyi  einige  Haare  hinabfallen  ließ,  welche  von  der 
Maid  sogleich  verzehrt  wurden,  sprach  die  zweite  Keschalyi:  „Ich 
werde  bewirken,  daß  ein  goldenes  Bächlein  vor  ihrer  Höhle  fließe 
und  ein  goldener  Baum  ebenda  wachse^  der  alle  Früchte  der  Welt 
tragen  soll."  —  „Und  ich",  sprach  die  dritte  Keschalyi,  „werde  schon 
sorgen,  daß  es  dem  Kinde,  wenn  es  zum  Manne  erwachsen,  nicht 
immer  gut  ergehe!**  Wie  freute  sich  die  arme  Maid,  als  sie  am 
nächsten  Morgen  ein  goldenes  Bächlein  vor  ihrer  Höhle  fließen  und 
einen  goldenen  Baum  stehen  sah.  Nun  hatte  sie  Speisen  in  Fülle,  und 
das  Wasser  des  goldenen  Bächleins  schmeckte  wie  der  allerbeste 
Wein.  Da  gebar  eines  Tages  die  Maid  ein  Knäblein,  das  ein  rothes 
Striemchen  am  Halse  hatte.  Nun  wußte  die  Maid,  wer  ihr  das  Kind 
bescheert  habe !  Als  sie  es  im  Wasser  des  goldenen  Bächleins  badete, 
da  wuchs  es  auf  einmal  zu  einem  schönen  Jüngling  heran.  Doch 
nicht  lange  sollte  die  Freude  der  Beiden  dauern!  Der  Bruder  der 
Maid  hatte  erfahren,  daß  seine  Schwester  Le'ila  in  einer  Höhle  wohne, 
wo  ein  goldenes  Bächlein    fließe    und   ein   goldener  Baum    stehe.    Er 


140  MITTHEILUNGEN. 

schickte  seine  Soldaten  hin,  und  diese  berauschten  sich  vom  Weine 
des  goldenen  Bächleins*  In  ihrem  Rausche  tödteten  sie  Le'ila,  deren 
Sohn  nur  mit  Mtlhe  dem  Tode  entrann.  Er  floh  in  die  Welt,  und  als 
er  geheiratet  hatte  und  Kinder  besaß ^  sprach  er  zu  seinen  Leuten: 
„Wir  wollen  uns  Le^la  nennen  lassen,  damit  der  Name  meiner  Mutter 
ewig  lebe!"  Und  wir  haben  es  gehalten,  denn  auch  noch  heute  heißen 

wir  die  LeYla ** 

Dies  die  Stammsage  der  Le'ila,  die  —  wie  schon  bemerkt  —  durch 
die  Züge,  die  sie  eben  enthält  und  die  sich  leicht  aus  der  ganzen 
Darstellung  herausschälen  lassen,  mit  in  den  Kreis  von  den  ^^drei 
Mareien"  zu  zählen  ist. 

Zum  Schlüsse  erlaube  ich  mir  nur  noch  eine  kleine  Bemerkung. 
In  den  von  Rochholz  mitgetheilten  Liedern  heißt  es  zum  Schlüsse: 

z'morge-n-am  drü 

chömmet  drei  Mareie, 

die  eint  spinnt  Side, 

die  ander  schnäflet  Chride, 

die  dritt  schnidet  Haberstrau: 

s'hüet  mer  Gott  mis  Chindli  au! 
Rochholz  hat  nun  das  Wort  Chride  als  =  Falschheit  und  Streit  ge- 
deutet (a.  a.  0.  S.  148)  und,  wie  ich  glaube,  wohl  ganz  richtig.  „Die 
Chrideschnatzlerin  bringt  Hader  und  Verdruß  zwischen  die  Freunde." 
In  meiner  Schtilerzeit  am  Honterusgymnasium  zu  Kronstadt  nannten 
wir  einen  feigen,  unverträglichen  Jungen  einen  „Kreidenscheißer"; 
im  Siebenbürgisch-sächsischen  bedeutet  sech  bekriden  =  sich  ängstigen, 
bekümmern. 

MÜHLBACH  (Siebenbürgen),  20.  Februar  1888. 

Dr.  HEINRICH  v.  WLISLOCKI. 


Mittheilnngen. 

Karl  Wein  hold  ist  als  Nachfolger  Müllenhoffs  nach  Berlin  berufen, 
Eduard  Schröder  in  Berlin  zum  Nachfolger  Zuche's  in  Starburg  ernannt 
worden* 

Prof.  H.  vonWaldberg  in  Czernowitz  ist  an  die  Univerrsität  Heidel- 
berg übergesiedelt;  ebenda  hat  sich  Herrn.  Wunderlich  als  Priyatdocent 
für  deutsche  Sprache  und  Literatur   habilitiert. 

f  am  17.  Januar  zu  Lichtenfelde  bei  Berlin  im  Alter  von  72  Jahren 
Prof.  Dr.  Ludwig  Herr  ig;  am  22.  Januar  in  Halle  Prof.  Dr.  Karl  Elze 
im  Alter  von  67  Jahren;  f  am  31.  Januar  in  Oxford  Prof.  Dr.  Gudbrand 
VigfuBBon  im  Alter  von   58  Jahren. 


Caesaris  Commentarii  de  bello  gallioo.  Itemm  recogn.  Ed.  Em.  Hoff  mann. 

geh.  M.  1*50. 
de  bello  Clvlll.     Aeeednnt   comment    de   bello    Alezandrino,    Africano, 

Hispaniensi.  Itemm  recogn.  Em.  Hoff  mann.    geh.  M.     1*50. 

CJoeronis  in  L.  Catillnam  oratlones  quattuor.  Ed.  AI.  Kornitzer.  Mit  Index 

nom.    geh.  M.  —  *60. 

—  —   CatO  maior  de  senectste.    Ed.  AI.  Ko  mite  er.    Mit  Index  nom.    geh. 

M.  —-50. 

Laellus  de  amioltia.  Ed.  AI.  Kornitzer.  Mit  Index  nom.  geh.  M.  —-60. 

-<-  —  Oratlones  pro  T.  Annio  Rfllone,  pro  Q.  Ligarlo,  pro  rege  Delotaro. 

Ed.  AI.  Kornitzer.  Mit  Index  nom.  geh.  M.  — *80. 
pro  Sex.  RoscIO  Amerlno  Oratio.  Ed.  AI.  Kornitzer.  Mit  Index  nom. 

geh.  M.  — -60. 

de  Offloiis  llbri  tres.  Ed.  AL  Kornitzer.  Mit  Index  nom.  geh.  M.     1*10. 

•^ —  Oratio  de  imperio  Cn.  Pompel.    Ed.  AL  Kornitzer.    Mit  Index   nom. 

geh.  M.  — -ÖO. 
Oratio  pro  S.  Sulla,  pro  A.  Licinio  Archia  poeta.  Ed.  AI.  Kornitzer.  Mit 

Index  nom.  geh.  M.  — '70. 

Herodotl  de  bello  persloo  ilbrorum  epltome.  Ed.  Fr.  Lanczizkj.  Adinnctae 

sunt  libr.  I — lY  partes  seleetae.     geh.  M.     1*80« 

Homerl  iliadis  epltome.  Ed.  Aug.  Scheindler.  Pars  prior  Iliadis  I— X.     geh. 

M.     !•-. 

Ed.  Aug.  Scheindler.  Pars  altera  Iliadis  XI— XXIV.     geh.  M.     1-40. 

LIvli,  T.,   ab  urbe   condita  Ilbrorum   partes  seleetae.    Ed.  C.  J.  Grysar. 

Recogn.  B.  Bitschofsky.  Mit  Index  nom.  u.  4  Karten,  geh.  M.  1*90. 
P.  Ovidli   Nasonis  oarmina  selecta.    Ed.  C.  J.  Grjsar.   Becognoyit  et  auxit 

Carolas  Ziwsa.    geh.  M.     1*40. 

Piatons  Laches.  Itemm  ed.  Ed.  Jahn.     geh.  M.     1*—. 

Sallusti  Crispl  bellum  Catllinae.  Ed.  Phil.  Klimscha.    geh.  M.  —-so. 

bellum  lugurthlnum.  Ed.  Phil.  Klimscha.     geh.  M.  —-50. 

Taciti  ab  exoessu  divi  AugustI  librl  qui  supersuni    Ed.   Ig.  Prammer. 

Pars  prior  libri  I— VI.    geh.  M.     1-70. 

Ed.  Ig.  Prammer.    Pars  posterior  libri  XI — XVI.     geh.         M.     1*70. 

Germania.    Ed.   Ig.  Prammer.    Adiecta    est   tabula,    qua    Germaniae 

antiquae  situs  describitur.     geh.  M.  — *60. 

P.  YIrgllll  Maronis  Aeneldos  epltome.    Accedit  ex  Georgicls  ex  Bucolicis 

delectus.     Scholarum  in  usum  ed.  Em.  Ho  ff  mann.    geh.  M.     1*30. 

S^'  Diese  Sammlnng  griechisclier  nnd  lateinischer  Classiker  wird 

fortgesetzt.  ''W 


INHALT. 


Seite 
Über  den  Ursprung  des  höfischen  Minnesanges  und  sein  Verhältniß  zur 

Volksdichtung.   Von  Ed.  Theodor  Walter 1 

Einleitung 1 

Capitel  I.    Wimleodit    Liebesgrüße,     trauiliety    Kürenberglieder, 

puellarum  earUiea .., 3 

Capitel  IL  Der  Versuch  R.  M.  Meyers,  vermittelst  einer  Samm- 
lung Yon  Parallelstellen  aus  höfischen  Dichtem  den  Minne- 
sang als  Entwickelangsproduct   einer  ^^doroQ  gegangenen** 

Volkslyrik  hinzustellen 9 

Der  Minnesänger  Albrecht  yon  Johansdorf.    Von  J.  Hörn  off.  (Schluß)     76 

.V.  Gedankenwelt 75 

VI.  Zeitliche  Anordnung 105 

VII.  Fremde  Einflüsse 109 

Zur  Lautform  des  Alemanischen.    Von  A.Heusler    .      .     .     .     .      .    112 

Zu  den  «drei  Mareien".    Von  H.  v.  Wlislocki 130 

Mittheilungen 140 


Bnchdruckerei  von  Carl  G«rold*s  Sohn  In  Wien. 


•^liv- 


SEP  23  ibi;y 


GERMANIA. 


VIERTELJAHRSSCHRIFT 


FÜK 


DEUTSCHE  ALTERTHUM8KUNDE. 


BEGRÜNDET   VON   FRANZ    PFEIFFER. 


FORTGESETZT  VON  KARL  BARTSCH. 


JETZT  BERADSGEOEBEl« 


OTTO   BEHAGHEL. 


•   VIERUNDDREISSIGSTER  JAHRGANG. 
NEUE  REIHE  ZWEIUNDZWANZIGSTER  JAHRGANG. 

ZWEITES  HEFT. 


V-  WIEN. 

VERLAG  VON  CARL  GEROLD'S  SOHN. 

1889. 


-jjff ^1  Classikep-Ausg 


Caesaris  Commentarii  de  hello  gallico.  Iterum  recogn.  £d.  Em.  Hoff  mann. 

geh.  M.     l'öO. 
de  hello  Clvili.     Accedunt    comment.    de    hello    Alexandrino,    Africano, 

Hispaniensi.  Iterum  recogn.  Em.  Hoff  mann.    geh.  M.     l'.^O. 

Ciceronis  in  L.  Catilinam  orationes  quattuor.  Ed.  AI.  Körniger.  Mit  Index 
nom.     geh.  M.  — '60. 

CatO  maior  de  senectute.    Ed.  AI.  Kornitzer.     Mit  Index  nom.    geh. 

M.  —-50. 

—  —  LaelluS  de  amicitia.  Ed.  AI.  Kornitzer.  Mit  Index  nom.  geh.  M.  —'50. 

Oratlones  pro  T.  Annio   Milone,   pro  Q.  Ligario,  pro   rege  Delotaro. 

Ed.  AI.  Kornitzer.  Mit  Index  nom.     geh.  M.  — '80. 

pro  Sex.  Roscio  Amerino  Oratio.  Ed.  AI.  Kornitzer.  Mit  Index  nom. 

geh.  M.  — -60. 
de  Offleiis  libri  tres.  Ed.  AI.  Kornitzer.  Mit  Index  nom.  geh.  M.     1-10. 

In  C.  Verrem  accusatlenis  liber  quartue.    Ed.  AI  Kornitzer.    Mit 

Index  nom  geh.  .  M.  — .80. 

—  ~  Oratio   de   imperlo  Cn.  Pompel.     Ed.  AI.  Kornitzer.     Mit  Index    nom. 

geh.  ,  M.  — -60. 

Oratio  pro  S.  Sulla,  pro  A.  Licinio  Archia poetaf  Ed.  AI.  Kornitzer.  Mit 

Index  nom.  geh.  M.  — '10, 

Oratio  pro  Phllipplca  seeunda.     Ed.  AI.  Kornitzer.     Mit  Index   nom 

geh.  M.  —.60 

Herodotl  de  hello  persico  lihrorum  epitome.  Ed'.  Fr.  Lauczizky.  Adiunctae 
sunt  llbr.  I — IV  partes  selectae.     geh.  M.     1*80. 

Homeri  lliadis  epitome.  Ed.  Aug.  Scheindler.  Pars  prior  Iliadis  I— X.     geh. 

M.     1-. 

Ed.  Aug.  Scheindler.  Pars  altera  Iliadis  XI— XXIV.     geh.  M.     1-40. 

Livii,  T.,  ab  urhe  condita  lihrorum  partes  selectae.  Ed.  C.  J.  Grysar. 
Becogn.  R.  Bitschofsky.  Mit  Index  nom.  u.  4  Karten,  geh.     M.     1*90. 

P.  Ovidii   Nasonis  carmina  selecta.    Ed.  C.  J.  Grysar.   Recognovit  et  auxit 

Carolus  Ziwsa.     geh.  M.     1'40. 

Piatons  Laches.  Iterum  ed.  Ed.  Jahn.     geh.  M.     1* — . 

Sallusti  Crispl  bellum  Catilinae.  Ed.  Phil.  Klimscha.    geh.  M.  -;.-50. 

bellum  lugurthinum.  Ed.  Phil.  Klimscha.     geh.  M.  —  50. 

Taciti  ah   excessu  divi  AugustI  libri   qui   supersunt.     Ed.   Ig.  Prammer. 

Pars  prior  libri  I — VI.    geh.  M,     1*70. 

Ed.  Ig.  Prammer.     Pars  posterior  libri  XI — XVI.     geh.  M.     1;70. 


\ 


*  '^  '   '   '^^'-  .^"^  .  V 


SlP  23    ]8.^9 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNE- 
SANGES UND  SEIN  VERHÄLTNISS  ZUR  VOLKS- 
DICHTUNG. 

(Schluß.) 


Capitel  III. 

Werth   des  Aufsatzes   von  A.  Berger  über  „die  volksthüm- 
liehen  Grundlagen   des  Minnesanges^    für   die  Frage   nach 
dem    Zusammenhange    zwischen    diesem    und    der  Volks- 
dichtung. 

Wenn  ich  der  Meyer'schen  Sammlung  eine  so  eingehende  Be- 
handlung habe  zukommen  lassen ,  wie  es  geschehen  ist;  so  hat  mich 
dazu  vor  Allem  der  Umstand  bewogen,  daß  ich  fdrchtete,  Mancher 
möchte  sich  durch  den  imponierenden  Umfang  derselben  vielleicht 
bei  nachlässiger  Prüfung  der  Einzelheiten  dazu  bestimmen  lassen,  der 
Ansicht  Meyers  beizutreten,  ohne  sich  selbst  recht  klar  über  die  Con- 
Sequenzen  zu  werden,  die  er  damit  zu  den  seinigen  macht. 

Ich  hatte  zu  dieser  Befürchtung  umsomehr  Recht,  als  es  in 
dem  so  umfangreichen  Aufsatze  Meyers  durchaus  an  einer  Überein- 
stimmung unter  dem  anfangs  Behaupteten,  dem  beim  versuchten  Be- 
weise ins  Auge  Gefaßten  und  dem  Resultate  fehlt. 

Obendrein  zeigte  mir  der  Aufsatz  A.  Bergers  ^)  bereits  die  ersten 
schädlichen  Folgen  oder  Einflüsse  der  Meyer'schen  Arbeit. 

Berger  sagt  selbst,  er  theile  die  Ansichten,  die  den  „scharf- 
sinnigen Untersuchungen  von  Richard  M.  Meyer" ')  zu  Grunde  lägen ; 
er  schließe  sich  ihnen  „vollständig"^)  an;  er  theile  den  Standpunkt 
jenes  „in  allem  Wesentlichen"*).  Nun:  zu  „allem  Wesentlichen^  ge- 
hört doch  jedenfalls  auch  das  Gesammtresultat;  welches  dies  ist, 
haben  wir  bereits  mehrfach  bestimmt  zum  Ausdruck  gebracht. 

Daß  Berger  sich  zu  ihm  bekenne,  erfahren  wir  eigentlich  nur 
daraus,  daß  er  uns  dessen  verschiedentlich  am  Anfange  und  Ende 
seiner  Untersuchungen    versichert.    Aus   diesen   selbst,    aus   den  zum 


>)  Ztschr.  f.  d.  Phil.  XIX,  S.  44Q— 486.  »)  ib.  S.  441.  »)  ib.  S.  473. 

*)  ib.  8.  441. 
QBBMANIA.    Nene  Reihe  XXII.  (XXXIY.)  Jahrg.  10 


142  E.  TH.  WALTER 

Beweise  verwandten  Mitteln  müßte  man  auf  eine  andere  Behauptung 
schließen.  Er  vergißt  offenbar  —  ganz  wie  oft  Meyer  —  im  Gange 
seiner  Abhandlung  zu  Zeiten,  was  er  sich  zum  Ziele  gesetzt  hat. 
Er  beweist;  aber  er  beweist  nicht  mehr,  was  er  behauptet  hat. 
Er  gibt  uns  sein  Resultat;  aber  dieses  ist  in  Wahrheit  nicht  dasselbe, 
zu  welchem  ihn  seine  Untersuchungen  geführt  haben. 

Doch  ich  habe  dies  im  Einzelnen  darzuthun. 

Fragen  wir  uns  zunächst  nochmals :  Was  wollte  Meyer  mit  seiner 
Stellensammlung,  was  will  jetzt  A.  Berger,  sich  ihm  „vollständig*' 
anschließend,  beweisen?  Nicht  nur,  daß  es  „eine  große  Menge  lyrischer 
Verse,  die  durch  ganz  Deutschland  im  Volke  fortlebten,  *ßlumen,  wie 
sie  überall  aus  der  Erde  hervorbrachen  und  nur  zu  Sträußen  zu- 
sammengebunden zu  werden  brauchten'",^)  gegeben  habe;  sondern 
auch,  daß  eben  die  Vertreter  des  Minnesanges  diese  „Blumen^  zu 
den  „Sträußen^  zusammengewunden  haben,  die  wir  in  ihren  Liedern 
besitzen;  daß  also  jene  Sträuße  der  Volksdichtung  denen  der 
ritterlichen  Poesie  ähnlich  oder  gleich  gewesen  seien:  d.  h.  daß 
Charakter  und  Aussehen  der  „verloren  gegangenen  Volksdichtung" 
im  Großen  und  Ganzen  dieselben  gewesen  seien. 

Das  ist  in  bestimmter  Fassung  das,  was  Meyers  Untersuchungen 
und  somit  auch  Bergers  als  Ziel  aufstellen. 

Während  nun  Meyer  in  seinem  Aufsatze  gewöhnlich  von  Liebes- 
lyrik oder  wenigstens  Lyrik,  worunter  er  dasselbe  versteht,  spricht, 
ist  bei  Berger  zum  großen  Theile  nur  von  Volksdichtung  über- 
haupt die  Rede. 

Er  verspricht  „eine  Reihe  von  charakteristischen  Eigenthümlich- 
keiten  der  Volkspoesie,  die  sich  im  Minnesang  wiederfinden"  zu  be- 
handeln, dann  „eine  Anzahl  von  Vorstellungen,  Bildern  und  Gleich- 
nissen" zusammenzustellen,  „die  aus  volksthümlicher  Dichtung  stam- 
men" und  endlich  „gnomische  Elemente"  und  eine  Reihe  syntaktischer, 
stilistischer  und  metrischer  Beobachtungen  „uns  vorzuführen,  an  denen 
ein  Einfluß  der  Volkspoesie  deutlich  wird"*). 

Schon  dies  Programm  zeigt  zur  Genüge,  daß  das  anfangs  ge- 
steckte Ziel  bereits  ein  sehr  verschwommenes  geworden  ist,  was  uns 
die  Prüfung  der  einzelnen  Abtheilungen  noch  deutlicher  darthun  soll. 

Zunächst  sehen  wir  die  „Epische  Situation"^),  die  sich  im 
Minnesänge  wieder  findet,  als  Beweis  aufgeführt.  Was  läßt  sich  aber 
damit  anfangen? 

')  cf.  Berger  a.  a.  O.  S.  472  and  B.  Bf.  Meyer  a.  a.  O.  S.  208. 
«)  Berger  a.  a.  O.  S.  442.  «)  ib.  443—444. 


ÜB£R  DEN  ÜRSPRUNQ  DES  HÖFISCHEN  MINNESANOES  etc.  143 

Soll  daraus ;  daß  auch  in  unseren  Volksliedersammlungen  „die 
episch-lyrische"  Form  als  Lieblingsfonn  der  Volksdichtung  zur  Gel- 
tung kommt,  etwa  geschlossen  werden,  daß  der  höfische  Minnesang 
eben  dies  aus  volksthQmlichen  Liebesliedem  geschöpft,  gerade 
solche  in  diesem  Punkte  nachgeahmt  haben  mQsse? 

Soll  daraus  dann  weiter  gefolgert  werden  können,  daß  es  eine 
derartige  Volksliebeslyrik  gegeben  haben  müsse,  daß  der  höfische 
Minnesang  als  naturgemäßes  nächstes  Entwickelungs- 
product  zu  demselben  zu  betrachten  sei? 

Beides  sollte  doch  schwerlich  möglich  sein.  Dem  Minnesang 
gaben  natürlich  ebenso  gut  wie  den  späteren  Volksliedern  die  lange 
bestehende  epische  Dichtung  und  ihre  dem  Lyrischen  sich  zuneigen- 
den Weiterbildungen  ein  Mittel  an  die  Hand,  welches  naturgemäß 
in  der  Volkspoesie  wie  der  Kunstdichtung  angewendet,  von  jener 
bevorzugt,  von  dieser  mehr  vernachlässigt  worden  ist. 

Den  höfischen  £pen  ihr  Theil  an  dieser  Einwirkung  abzusprechen, 
haben  wir  natürlich  durchaus  kein  Recht,  ohne  daß  wir  jedoch  bean- 
spruchen wollten,  ihren  Einfluß  in  den  Vordergrund  gestellt  zu  sehen. 

Es  mag  immerhin  die  Volkslyrik  in  diesem  Punkte  vorangegangen 
sein,  durch  ihr  Beispiel  gewirkt  haben:  Schlüsse,  wie  Meyer-Berger 
sie  sammt  den  nothwendigen  Folgerungen  zu  einem  Gesammtresultate 
zusammenfassen,  gewinnen  dadurch  keine  Berechtigung. 

Mit  der  Besprechung  dessen,  was  Borger^)  über  die  „Natur- 
eiDgänge**  bemerkt,  darf  ich  wohl  die  der  Auseinandersetzungen 
Meyers  über  den  gleichen  Gegenstand  verbinden. 

Vor  Allem  wiederhole  ich:  „daß  es  Lieder  gegeben  habe  — 
Frühlings-,  Sommer-,  Winter-  und  Tanzlieder  —  habe  ich  nirgends 
bestritten;  daß  in  diesen  Liedern  der  Volkspoesie  Natureingänge 
üblich  gewesen  seien,  gebe  ich  gleichfalls  zu  (sichergestellt  ist  es  aber 
vorläufig  durch  nichts!),  daß  den  Minnesingern  solche  Lieder  bekannt 
gewesen  sein  werden,  läßt  sich  gewiß  nicht  in  Abrede  stellen:  daß 
aber  diese  Lieder  sammt  ihren  Natureingängen  dem  Minnesang  als 
Muster,  als  Vorbilder  gedient  haben  sollen;  daß  durch  sie  der 
«plötzliche  Aufbruch"  der  höfischen  Poesie  sich  sollte  erklären  lassen  — 
das  leugne  ich  entschieden. 

VtTenn  dies  der  Fall  sein  sollte,  so  müßten  es  nicht  gerade  die 
späteren  Dichter  sein,  nicht  gerade  die  Dichter,  die  sich  geflissentlich 


')  a.  a.  O.  S.  444  f.  ')  Meyer  a.  a.  O.  8.  192  f. 

10' 


144  £.  TH.  WALTER 

der  Volkspoeaie  näherten,  wie  Walther  and  Neithart,  bei  denen  die 
Natureingänge  vornehmlich  sich  ftnden. 

Daß  natürlich  dem  Minnesinger,  dem  die  Poesie  des  Volkes  auch 
an  die  Ohren  drang,  die  leichten  Verse,  die  er  gehört  hatte,  im  Be- 
wußtsein blieben;  daß  er  in  gleicher  Weise  gelegentlich  auch  selbst 
einmal  sein  Lied  begann,  obgleich  er  dazu  gewiß  der  Vorlage  nicht 
bedurft  haben  wQrde,  ist  ganz  denkbar. 

Daß  aber  gerade  in  den  Anfängen  des  Minnesanges,  also  zu  der 
Zeit,  da  er  noch  der  „bäurischen  Stegreifdichtung**  —  wie  Meyer 
will  —  gleich  war;  da  er  ihre  Verse  noch  zu  Liedern  zusammen- 
setzte; da  er  sich,  noch  „die  alte  Art  fortsetzend,  langsam  aus  ihr 
erhob^:  daß  gerade  damals  der  Natureingang  selten  genug  ist; 
daß  gerade  dies  als  charakteristisch  für  gewisse  Volkslyriksarten  Be- 
zeichnete nicht  überwiegt,  sondern  gleich  im  ersten  Anbeginn  dem 
Conventionellen  Frauen dienste  weicht:  scheint  mir  gerade  ein  Beweis 
dafür  zu  sein,  daß  der  Minnesaug  als  Entwickelungsproduct  der  Volks- 
lyrik nicht  zu  betrachten  sei^). 

Was  Berger  dann  weiter  über  das  „Naturgleichniß"^),  über 
„Mytholojgisches"^),  „Liebesgrüße"  und  „Wunschlieder"*), 
„Verwünschungen***),  „Onomisches"®),  „Einzelne  Bilder  und 
Anschauungen^*^)  und  „Rechtsalterthümer^)  sagt,  führt  uns 
auch  zu  keinem  Resultate. 

Er  beweist  damit  nur,  daß  der  ritterliche  Dichter  ein  Kind 
seines  Volkes  war,  mit  den  herkömmlichen  Anschauungen,  den  Ge- 
bräuchen und  Sitten  des  Volkes,  auch  seinem  Sänge  bekannt;  daß 
in  ihm  auch  der  ganze  im  Laufe  der  Jahrhunderte  gesammelte  Schatz 
von  Wendungen,  Bildern  und  sprichwörtlichen  Redensarten  lebte; 
keineswegs  aber,  daß  der  ritterlichen  Dichtung  eine  ihr  ganz  ähnliche 
Volkspoesie  vorausgegangen  sei  (wie  sie  Meyer  bestehen  lassen  will), 
aus  deren  Versen  die  ersten  Lieder  der  Minnesinger  zusammen- 
gesetzt seien. 

Von  Bergers  sonstigen  Ausführungen  habe  ich  nur  noch  des 
„Metrischen"  zu  gedenken. 

Wir  finden  bei  ihm  ®)  eine  größere  Menge  von  Versen  der  älteren 


')  Über  die  Entlehnung  der  Natureingänge  ans  classischen  Mustern  hier  zu 
handeln  würde  mich  zu  weit  führen. 

>)  Berger  a.  a.  O.  S.  446—448. 

•)  ib.  S.  449—461.  ')  ib.  S.  461—453.  *)  ib.  S.  468.  •)  ib.  S.  457 

bis  464.  ')  ib.  S.  464-466.  »)  ib.  S.  467. 

»)  Berger  a.  a.  O.  S.  473  ff. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.         145 

Minnesinger    und    der  CB    als    „stabreimende  Langzeilen    und  Halb- 
zeilen*' zusammengestellt. 

Wie  er  selbst  sagt,  will  er  damit  dartbun,  daß  der  Sinn  ftlr  die 
Alliteration  noch  nicht  bei  den  ritterlichen  Dichtem  erloschen  war. 
Er  macht  gar  keinen  Anspruch  darauf,  daß  die  angeführten  Zeilen 
als  mit  den  „feineren  Regeln"  der  bewußten  Kunstform  tiberein- 
stimmend angesehen  werden  sollen;  er  gibt  zu,  daß  solche  allitterie- 
renden  Zeilen  sich  dem  Dichter  unbewußt  eingestellt  hätten.  Er  will 
nur,  daß  man  die  Thatsache  bestehen  lasse. 

Ich  muß  gestehen,  daß  es  mir  recht  wahrscheinlich  dünkt,  wenn 
man  annimmt,  daß  nach  der  Jahrhunderte  langen  Übung  das  Ohr 
noch  fernerhin  das  feine  Gefühl  für  den  Stabreim  bewahrt  habe ;  daß 
das  Wohlgefallen  an  demselben  gelegentlich  auch  zur  bewußten 
Anwendung  geführt  haben  mag. 

In  den  meisten  Fällen  jedoch  —  denke  ich  mir  —  wird  die 
AUitteration  unbewußt  sich  eingestellt  haben;  recht  oft  auch  nur 
auf  zufälligem  Zusammentreffen  beruhen. 

Doch  selbst  für  den  Fall,  den  wir  übrigens  kaum  für  sehr  wahr- 
scheinlich halten,  daß  die  Anwendung  der  AUitteration  zur  damaligen 
Zeit  wirklich  aus  bewußtem  Streben  hervorgegangen  wäre,  so  würde 
doch  dadurch  nichts  weiter  dargethan,  als  daß  eben  eine  alte,  vor- 
vornehmlich epische  Eunstform  noch  in  der  Sprache  sich  lebendig 
erhalten  hätte. 

Was  hat  aber  dies  mit  dem  „plötzlichen  Aufbruche**  des  höfi- 
schen Minnesanges  zu  thun? 

Mir  scheint^  nicht  das  Geringste.  In  einer  Hinsicht  hält  die 
Berger'sche  Abhandlung,  was  sie  verspricht:  sie  legt  Beziehungen 
zwischen  höfischem  Minnesang  und  volksthümlichem  Denken,  Wesen 
und  Dichten  ganz  im  Allgemeinen  und  ziemlich  ohne  Abgrenzung 
der  Zeit  dar.  Solche  Beziehungen  aber  hat  —  meines  Wissens  — 
noch  Niemand  ernstlich  bestritten. 

In  Bezug  auf  die  Frage  nach  dem  Ursprünge  des  höfischen 
Minnesanges  bleibt  uns  Berger  dagegen  die  Antwort  schul- 
dig ;oder,  woersieunsgibt,  indemer  sich  Meyer  anschließt^ 
geschieht  dies  ohne  innert  Begründung  und  erwiesene  Be- 
rechtigung. 


146  E.  TH.  WALTER 

Gapitel  IV. 

Die  Carmina  Burana  und  ihr  Zusammenhang  mit  dem 
höfischen  Minnesänge. 

Was  Meyer  sowohl  wie  Berger  durch  ihre  Verszusammenstel- 
lungen —  wie  wir  glauben  nachgewiesen  zu  haben  —  vergeblich  als 
Thatsache  hinzustellen  versuchten:  nämlich  daß  der  älteste  Minnesang 
als  ein  Entwickelungsproduct  der  „verloren  gegangenen"  Volksliebes- 
lyrik,  dieser  in  seinen  ersten  Anfängen  also  gleich,  erst  später  all- 
mälig  von  ihr  sich  abwendend,  aufzufassen  sei;  daß  wir  uns  dem- 
nach von  dieser  verlorenen  Volksdichtung,  oder  vielmehr  Volksliebes- 
lyrik ein  richtiges  und  ziemlich  deutliches  Bild  dadurch  machen 
könnten,  daß  wir  eben  den  Minnesang  in  seiner  Anfangsgestalt  uns 
vor  Augen  führten:  das  alles  soll  sich  endlich  aus  den  Carmina 
Burana  erweisen  lassen. 

In  ihnen  glaubt  nämlich  Meyer  eine  ergiebige  Fundgrube  für 
solche  Liedlein  zu  besitzen^),  wie  sie  ihm  als  Vorstufe  für  den 
höfischen  Minnesang  nöthig  scheinen;  das  heißt:  Lieder,  Liebes- 
lieder ähnlich  oder  gleich  den  Erzeugnissen  des  Minne- 
sanges und  dabei  volksthümlichen  Charakters. 

Von  den  erhaltenen  deutschen  Strophen  weist  er  selbst  als  für 
seinen  Zweck  nicht  brauchbar  eine  Anzahl  zurück*). 

Zunächst  129'',  da  es  nicht  lyrisch  sei')  und  auch  keine  latei- 
nische Entsprechung  habe*);  ferner  98*,  100%  101%  102%  103%  104% 
116%  126%  132%  133%  139%  143%  165%  166*  als  nicht  altvolksthümlich 
wegen  Reinheit  der  Reime  oder  Reimkünstelei;  ferner  109%  117% 
125%  140%  163*  als  nicht  formelhaft;  ferner  111%  124%  135%  144*  als 
nicht  volksthümlich  wegen  ihres  Inhaltes;  endlich  105*  gleichfalls 
wegen  seines  Inhaltes. 

Es  bleiben  also  zunächst  noch  folgende  mit  dem  Ansprüche  auf 
Alter  und  Volksthümlichkeit  versehen   übrig   und   kommen   demnach 
zur  Besprechung  ungefähr  chronologisch  geordnet: 
vor  1160:  108% 
vor  1180:  112% 
vor  1190:  127%  134; 

')  ib.  S.  177.  »)  ib.  S.  179. 

^)  Wie  Meyer  dieses  Gedicht  —  es  ist  das  bekannte  Stoass  hie  gat  umht  — 
„nicht  lyrisch^  nennen  kann,  ist  mir  ganz  unfaßbar.  Sollte  er  Yielleicht  hier  mit  *lyrisch 
ritterliche  Lyrik  meinen?  Dann  müßte  ich  ihm  allerdings  sehr  Recht  geben» 

*)  Er  prüft  nämlich  die  Strophen  zugleich  auf  ihre  Originalität  gegenüber  dem 
Lateinischen. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.         147 

unbestimmt  aber  möglicherweise  älter  sind  ferner  die  Strophen  107% 
136*;  jünger  y  aber  nicht  über  den  Rietenburger  hinauszuweisen  sind 
141',  lOO*,  115%  142\ 

Ich  beginne  mit  108'  =  MF.  3,  7 ») : 
Were  diu  werlt  alle  min 
von  deme  mere  unze  an  den  Rin, 
des  wolt  ih  mih  darben, 
daz  diu  ohünegin  von  Engellant 
lege  an  minen  armen. 
Meyer   hält   diese  Strophe  mit  Martin')   „wegen   der  Anspielung  auf 
die  Königin  von  England^  und  „der  Frechheit  der  ganzen  Stelle  zwar 
nicht  für  ein  altes  Volksliedchen,   sondern  vielmehr  ftlr  die  Original- 
dichtung eines  Fahrenden^); 

doch  aus  den  darüber  verzeichneten  lateinischen  Strophen  108 
glaubt  er  eine,  108,  4,  als  Umbildung  eines  alten  Liedchens  erweisen 
zu  können. 

Die  Strophe  lautet: 

Late  pandit  tilia 
frondes,  ramos,  folia, 
thymuB  est  sub  ea 
viridi  cum  gramine, 
in  '^quo'  fit  chorea. 
Heyer  reißt  diese  Verse  aus  ihrem  Zusammenhange  heraus,    erklärt 
sie  für  die  lateinische  Umbildung  eines  deutschen  Tanzliedchens,  und 
das  ganze  Gedicht  fllr  eine  Compilation. 

Stichhaltige  Gründe  für  seine  Behauptung  bringt  er  freilich  nicht. 
Ihm  erscheint  die  Strophenfolge  innerhalb  des  Gedichtes  un- 
richtig. „Auf  Frühlingseingang  und  Aufforderung  zum  Gesänge  folgen 
zwei  Strophen  voll  Nachahmungen  von  Vogelstimmen;  danach  heißt 
es  dann :  Pulchre  tantant  volucfrea  —  eine  unmögliche  Zusammenfassung 
dieser  zwei  Strophen  in  eine  Zeile.  Die  beste  Ordnung  entsteht  da- 
gegen, wenn  wir  Strophe  4  (Schmeller:  Strophe  3)  an  Strophe  1 
anrücken:  die  formelhafte  Angabe  des  Vogelgesangs  setzt  den  Natur- 
eingang  in  ganz  regelrechter  Weise  fort.^  &>  sagt  Meyer.  Daß  er 
Recht  hat,  glaube  ich  nicht. 

Ich  halte  die  überlieferte  Strophenfolge  für  die  einzig  rich- 
tige. Gedanke  schließt  sich  leicht  an  Gedanke:  Kommt,  laßt  uns  singen, 


')  Meyer  a.  a.  O.  S.  180  ff. 

')  Nach  mündlicher  Besprechung,  wie  er  sagt. 

*)  Seherer,  Deutsche  Studien  II,  7  (441). 


148  E.  TH.  WALTER 

denn  Alles  ist  wieder  grün  geworden*).  Schon  in  der  Morgenfrühe 
singt  die  Lerche  etc.').  Ja!  die  Vögel  singen  schön,  die  Erde  strahlt 
in  farbigem  Glänze,  von  Wohlgeruch  ist  Alles  erfüllt*),  die  Linde 
breitet  ihre  Äste  aus,  unter  dem  Grase  sprießen  die  Blumen  hervor, 
ein  Tanz  hebt  sich  an^);  dazu  rieselt  mit  lieblichem  Murmeln  ein 
Bach  durch  das  Gras:  kurz  der  Platz  ist  ganz  herrlich,  zumal  ein 
sanfter  Wind  sich  gerade  recht  angenehm  erhebt*). 

Was  an  diesem  Zusammenhange  nicht  in  Ordnung  sei,  in  wiefern 
man  nach  Strophe  2  (bei  Schmeller)  j^Pukhre  cantant  volikcres'*  als 
„eine  unmögliche  Zusammenfassung*^  der  zwei  voraufgegangenen  Stro- 
phen ansehen  soll,  leuchtet  mir  nicht  ein,  urosoweniger,  da  Meyer 
nicht  ein  einziges  beweisendes  Wörtchen  seiner  kurzgefaßten  Be- 
hauptung anzufügen  für  nöthig  hält. 

Recht  klar  ist  mir  dagegen  geworden,  daß  Meyers  Anordnung 
ganz  zwecklos  ist  und  weit  eher  der  Erklärung  bedürftige  Gedanken- 
sprünge  zumuthet.  Er  will  also  die  Strophe  3  (bei  Schmeller)  an 
Strophe  1  (also  hinter  prata,  rus  et  nemus)  angefügt  haben  und  dann 
die  Strophen  mane  garrit  alandula  und  hirundo  jam  finsat  folgen  lassen. 

Was  gibt  aber  das  für  einen  Zusammenhang?  Der  vorhandene 
wird  geradezu  zerrissen: 

Strophe  1:  Kommt  laßt  uns  singen,  Alles  ist  grün, 

Strophe  2:  Sehen  singen  die  Vögel,    die  Erde  steht  in  Farben- 

pracht,   Wohlgeruch  überall. 
Strophe  3  u.  4:      Es  singt  die  Lerche  in  der  Frühe  etc. 
Strophe  5:  Die  Linde  breitet  ihre  Äste  aus  etc.  etc. 

Ich  denke,  das  Gezwungene  dieser  Ordnung  liegt  auf  der  Hand.  Das, 
was  zusammengehört,  Naturschilderung  und  Naturschilderung,  Vogel- 
sang und  Vogelsang  sind  glücklich  getrennt;  das  ganze  Gedicht,  um 
seinen  einheitlichen  Charakter  gebracht,  macht  nun  einen  unfertigen 
Eindruck. 

Und  wozu  das  Alles?  Um  die  Strophe  late  pandit  tilia  heraus- 
reißen und  für  Nachbildung  erklären  zu  können.  Die  Strophe  ge- 
hört fest  in  den  Zusammenhang  hinein.  Grund,  sie  fttr  Neubil- 
dung zu  halten,  ist  nicht  vorhanden. 

So  wenig  wie  viridi  gramine^)  etwas  beweist,   hat  die  Nennung 

*)  Mnsa  venit  —  rus  et  nemas.    Strophe  1,  Vers  1 — 6. 

')  Mane  garrit  —  nemora  yemata.    Strophe  1,  Vers  6  —  10  und  Strophe  2. 

*)  Strophe  3.  ^)  Strophe  4.  »)  Strophe  5. 

')  VSTenn  Meyer  übrigens  selbst  weiß,  daß  die  Formel  mride  gratnen  sich  ,,aach 
iu  ursprünglichen  Vagantenliedem  (so  65,  5)^  findet,  so  hätte  er  sie  nicht  erst  sum 
Beweise  für  den  deutschen  Ursprung  anführen  sollen.   Es  ist  doch  yöllig  zwecklos. 


ÜBER  DEN  URSPRUNG  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.         149 

der  tilia  irgend  welchen  Werth,  sobald  dadurch  Nachbildung  darzu- 
thun  beansprucht  wird.  Man  kann  daraus  nur  erkennen,  daß  der 
Vagant  nicht  immer  sklavisch  und  gedankenlos  seinem  herkömm- 
lichen Phrasenschatze  sich  anbequemte,  sondern  daß  er  auch  —  was 
doch  so  ungemein  natürlich  ist  —  gelegentlich  seiner  Umgebung, 
dem  Volksbewußtsein  Rechnung  zu  tragen  verstand  *). 

Nun  ist  freilich  Meyer  auch  nicht  entgangen,  daß  Strophe  2 
(1^  Schmeller)  und  3  (2  Schmeller)  nach  seiner  Umstellung  nicht 
roebr  in  den  Zusammenhang  passen;  darum  müssen  sie  interpoliert 
sein.  Es  würde  mich  viel  zu  weit  fähren,  wollte  ich  mich  hier  mit 
den  weiteren  Auseinandersetzungen  Meyers  befassen*),  zumal  dadurch 
im  besten  Falle  nur  bewiesen  werden  könnte,  daß  der  Autor  allerlei 
Reminiscenzen  verwerthet,  nicht  aber  daß  er  ein  Tanzliedchen  (näm- 
lich V.  4)  nachgebildet  hätte. 

Doch  hätte  selbst  Meyer  in  allen  seinen  Behauptungen  über  das 
Gedicht  108  vollkommen  Recht,  was  ich  bestreite,  so  würde  er  damit 
nur  die  Existenz  eines  alten  Tanzlied  eben  s  zur  Thatsache  gemacht 
haben. 

Solch  ein  Tanzliedchen  bedeutet  aber  nichts  für  die  Behauptung, 
daß  der  Minnesang  aus  der  Volkslyrik  entstanden  sei; 
solch  ein  Tanzliedchen  hat  auch  mit  den  ältesten  erhaltenen  Stücken 
des  höfischen  Minnesanges  nicht  so  viel  gemeinsam,  daß  man  sagen 
könnte,  solche  Liedlein  wären  die  Vorstufe  für  eine  Poesie 
wie  die  ritterliche  Dichtung  gewesen. 

Bestritten  haben  wir,  das  sei  nachdrücklich  bemerkt,  das 
Vorhandensein  von  Tanzliedern  nirgends;  ikn  Oegentheil, 
wir  legen  auf  sie  einen  ganz  besonderen  Werth,  wie  wir  später  noch 
eingehender  berichten  werden. 

Wir  kommen  zu  dem  zweiten  von  Meyer  behandelten  Stücke 
CB.  112») 

Refl.     floret  silva  undiqne, 

nach  mime  gesellen  ist  mir  we. 
Gruonet  der  walt  allenthalben: 
wa  ist  min  geselle  '^alselange' ? 
Der  ist  geriten  hinnen, 
owi,  wer  sol  mich  minnen? 

*)  Deutsche  Tanslieder  werden  den  Vaganten  wohl  auch  genug  um  die  Ohren 
geschwirrt  sein,  so  daß  sie  ihnen  die  Linde  geläufig  machen  konnten,  ohne  directe 
Nachahmung. 

')  Ich  gedenke  ttber  die  Corm.  Bur,  in  Kürze  eingehend  au  handeln. 

*)  cf.  Meyer  a.  a.  O.  8.  186. 


150  £•  TH.  WALT£R 

Gegen  die  ürsprttnglichkeit  der  deutschen  Strophe  gegenüber  dem 
Lateinischen  und  ihren  offenbar  lyrischen  Charakter  habe  ich  nichts 
einzuwenden. 

Für  entschieden  im  Volke  entstanden  kann  ich  die  Strophe  aber 
nicht  erklären;  daran  hindert  mich  sowohl  das  Latei[n  als  auch  die 
Anwendung  des  Verbums  geriten  in  dem  gegebenen  Zusammenhange^). 

Zum  Beweise  kann  ich  sie  jedenfalls  nicht  gelten 
lassen. 

Es  folgen  die  Strophen  127*  und  134*.  Daß  sie  hier  nicht  zum 
Beweise  angeführt  werden  dürfen  ^  hat  Meyer  richtig  erkannt.  Sie 
stehen  beide  bereits  vollkommen  im  Kreise  des  Minnesangs"). 

Die  Strophen  107  und  107*  fördern  unsere  Untersuchung  eben- 
falls nicht  ^). 

107*  ist  von  Vornherein  aus  demselben  Grunde,  wie  die  vorigen 
127*  und  134*  auszuscheiden. 

Meyers  Beobachtung  aber,  daß  das  lateinische  Gedicht  so  viel 
Formelhaftes  zeige,  daß  man  es  nicht  für  eine  Originaldichtung  halten 
könne ;  was  durch  eine  Zusammenstellung  ähnlicher  Verse  darzuthun 
versucht  wird^  läßt,  Alles  zugegeben,  höchstens  auf  einen  gewissen 
Formelschatz  des  Vaganten  schließen,  wie  man  ihn  si<^  immerhin 
recht  gut  vorhanden  denken  mag,  ohne  daraus  einen  Vortheil  fiir 
unsere  Besprechung  nehmen  zu  können. 

Iq  136*  sieht  Meyer  wieder  ein  altes  Volksliedchen  ^),  und  zwar 
eines  der  ältesten  Art.  Damit  hat  er  gewiß  Recht  Wenn  er  aber  auch 
diese  beiden  Strophen  zu  Überarbeitungen  stempeln  will,  so  bat  er 
meiner  Ansicht  nach   sich  auf  einen   gänzlich  falschen  Weg  begeben. 

Seiner  Ansicht  nach  hat  das  Lied  ursprünglich  nicht  aus  den 
beiden  Strophen: 

chumej  ehume  geselle  min,  Suzer  rosenvarwer  nxunt, 

ich  enbite  harte  din,  chum  un  mache  mich  gesunt, 

ich  enbite  harte  din,  chum  uii  mache  mich  gesunt 

chum,   chum  geselle  min.  snzer  rosenvarwer  munt. 

bestanden;  ihn  stört  die  Wiederkehr  der  Zeilen,  obgleich  er  sich  der 
Analogie  Walthers  (W.  87,  1)  wohl  bewußt  ist. 

Der  Dichter  habe  sich  die  Beime  leicht  gemacht,  sagt  Martin; 
ich  glaube  nicht  darin  den  Grand  der  Verswiederholung  finden  zu 
dürfen;  vielmehr  scheint  mir  dieser  in  der  Melodie  gele|gen 


')  ef.  oben  6.  122  unten.  Übrigens  bin  ich  mit  der  Fisderung  des  Gedichtes 
auf  die  Zeit  vor  1180  wegen  mangelnder  Scheidung  stumpfer  und  klingender  Beime 
durchaus  nicht  einverstanden.    Ich  halte  das  Gedicht  für  iri«l  spftter  entstanden. 

•')  Meyer  ib.  S.  186—186.  =»)  ib.  S.  186-188.  *)  ib.  S.  188—189. 


ÜBER  DEN  URSPRUNQ  DES  HÖFISCHEN  MINNESANGES  etc.         151 

ZU  haben  und  jn  der  BeBtimmung  des  Liedleins,  beim  Spiel  oder 
Tans  von  Paaren  gesungen  zu  werden. 

Gerade  diese  Wiederholung  der  Verse  gibt  dem  Liede  den 
charakteristisehen  BeisB,  der  es  zu  einem  unbeschreiblich  anmutfaigen, 
schlichten  Erzeugnisse  der  frühen  Volkspoesie  macht. 

Durch    die    unmotivierte    Meyer'sche   Verftnderung    geht    dieser 
Reiz  ganz  verloren.  Was  liegt  denn  wohl  noch  von  der  lockenden  und 
fliehenden  Bewegung  des  Spieles  in  der  eiQen  Strophe,  die  uns  Meyer 
läßt,  nachdem  er  beide  Strophen  halbiert  und  die  Hälften  zusammen- 
gesetzt hat:  Chume,  chume  geselle  min 
ich  enbite  harte  dio, 
suzer  rosenvarwer  rnunt 
chum  und  mache  mich  gesunt. 

Der  herzige  Schalk,  der  aus  jenen  beiden  Strophen  hervorlugt, 
ist  wenigstens  glücklich  vertrieben. 

Ob  nun  Jemand  sich  dazu  verstehen  dürfte,  zwischen  diesem 
jugendfrischen  Tanz-  oder  Spielliedchen,  dieser  neckischen  Improvi- 
sation einerseits  und  dem  Minnesänge  der  ritterlichen  Kreise  auch 
mit  Rücksicht  auf  seine  ältesten  Zeugnisse  anderseits  einen  der- 
artigen Zusammenhang  zu  sehen  oder  auch  nur  zu  empfinden,  wie 
Meyer  es  verlangt,  und  wie  wir  es  von  seinem  einmal  eingenommenen 
Standpunkte  aus  ja  auch  zu  fordern  ftir  nöthig  fanden,  erscheint 
doch  sehr  zweifelhaft. 

Ich  kann  das  Gedicht  nicht  für  unsere  Besprechung 
gelten  lassen. 

Besonderes  Gewicht  wird  auf  141*  gelegt^).  Es  soll  wiederum 
ein  altes  deutsches  Volksliedchen  sein^). 

An  eine  Nachbildung  des  lateinischen  Gedichtes  —  wie  Martin  — 
denke  ich  hier  nicht.  Eher  würde  mir  ein  umgekehrtes  Verfaältniß 
einleuchten.  Ich  halte  das  Gedicht  gleichfalls  für  ein  Originallied, 
und  auch  der  Zeitbestimmung  1175 — 1180  habe  ich  nicht  gerade  mit 
ausdrücklichem  Widerspruche  zu  begegnen. 

Jedoch  in  einem  Punkte  bin  ich  anderer  Ansicht:  ich  halte  es 
Air  entstanden  unter  der  Voraussetzung  der  Einführung  und 
des  Einflusses  des  höfischen  Minnesanges.  Das  zeigt  ganz 
deutlich  der  Schluß  des  Gedichtes: 

daz  sol  tragen  ein  stolzer  man, 
der  wol  wiben  dienen  chan^). 
Damit  verliert  das  Lied  aber  fiir  uns  ebenfalls  seine  Beweiskraft. 


>)  ib.  S.  189—190.  ^)  cf.  K.  Bardacb,  Reinmar  der  Alte  und  Walther  Ton 

der  Vogelweide  S,  163.  ^)  Vgl.  oben  S.  71. 


152  E.  TH.  WALTER 

Dies  war  die  letzte  der  Strophen,  von  denen  behauptet  wurde, 
daß  sie  in  ihrer  jetzigen  Form  ursprüngliche  Volksliedchen  darstellen 
könnten. 

Von  den  Stücken,  deren  Alterthümlichkeit  in  der  vorliegenden 
Gestalt  nicht  anzunehmen  ist,  muß  ich  das  erste  100*  gleich  zurück- 
weisen'), weil  es  unzweifelhaft  ein  Tanzliedchen  ist.  Beginnt  es  doch 
gleich  mit  den  Worten: 

'^Springewir  den  reigen/ 

Das  folgende  115*')  ist  ein  einfaches  Frühlingslied  ohne  jede 
Hindeutung  auf  Liebeslyrik.  Es  gehört  jedenfalls  nicht  zu  der  Lyrik, 
als  deren  Entwickelungsproduct  der  Minnesang  gelten  soll. 

Ganz  dasselbe  gilt  von  dem  Herbstliede  142%  es  hat  für  unseren 
Gegenstand  keinen  Werth'). 

Somit  wären  wir  mit  unserer  Besprechung  der  deutschen  Stro- 
phen in  den  Carm.  Buran.  zu  Ende*). 

Ich  fasse  unser  Resultat  zusammen: 

Nr.  108*  blieb  unbeachtet  als  Originaldichtung  eines  Fahrenden; 
108  dagegen  führte  uns  nur  auf  ein  Tanzliedchen;  Nr.  112  glaubten 
wir  nicht  volksthümlich  nennen  zu  dürfen;  Nr.  127*  und  134*  mußten 
wir  als  nicht  alterthümlicb,  vielmehr  bereits  unter  Einfluß  des  Minne- 
sanges stehend  ausscbiieüen;  Nr.  107  wies  uns  nur  auf  einen  Formel- 
schatz des  Vaganten  hin;  Nr.  136*  war  ein  Spiel-  oder  Tanzlied;  bei 
dem  letzten  der  von  Meyer  als  alterthümlicb  bezeichneten  Strophen: 
Nr.  141*  blieb  uns  wiederum  der  Einfluß  des  Minnesanges  nicht  ver- 
borgen. Von  den  übrigen,  in  der  jetzigen  Gestalt  offenbar  nicht  alter- 
thümlichen  Gedichten  erkannten  wir  in  Nr.  100*  wiederum  nur  ein 
Tanzliedchen;  bei  dem  Frühlingsliede  Nr.  115*  und  ebenso  dem  Herbst- 
oder Winterliede  Nr.  142*  fehlt  jede,  auch  die  leiseste  Hindeutung 
auf  Liebeslyrik. 

Mit  einem  Worte:  wir  haben  auch  nicht  eine  einzige 
Strophe  gefunden,  die  uns  das  geboten  hätte,  was  wir  such- 
ten: ein  Lied,  ein  Liebeslied  ähnlich  oder  gleich  den  Er- 
zeugnissen des  Minnesangs  und  dabei  volksthümlichen 
Charakters  und  Ursprungs. 


')  Meyer  a.  a.  O.  8.  191 ;  166*  glaube  ich  mit  Hinweis  auf  Meyers  Zugeständniß 
schlechtweg  übergehen  zu  können.  *)  Meyer  a.  a.  O.  S.  216.  *)  ib.  S.  217. 

0  Von  den  übrigen  Liedern  sind  98,  103'  (Meyer  a.  a.  O.  S.  218)  und  139* 
(ib.  2i9)  Tanzlieder;  bei  allen  anderen  liegt  Nachahmung  lateinischer  Muster  vor. 


Ober  den  Ursprung  des  höfischen  Minnesanges  etc.      153 

Capitel  V. 

Schluß. 

Wir  glauben  im  Laufe  unserer  vorstehenden  Untersuchung  nun- 
mehr gezeigt  zu  haben,  daß  die  Versuche ,  den  höjßschen  Minnesang 
als  ein  Entwickelungsproduct,  als  die  höchste  Blüthe  einer  Volksliebes- 
lyrik hinzustellen,  nicht  zu  dem  gewflnschten  Resultate  gefdhrt  haben. 

In  den  winileodi,  den  „Liebesgrüßen*^  und  pueUarum  cantica  fanden 
wir  keine  directe  Vorstufe  für  eine  derartige  Dichtung,  wie  die  ritter- 
liche es  war:  die  troutlieb  begegneten  uns  nur  in  den  ritterlichen 
Kreisen  Österreichs;  in  den  „Kürenbergliedern''  Volkslieder  zu  er- 
blicken, wollte  uns  nicht  gelingen;  der  Versuch  Meyers,  durch  Vers- 
zusammenstellungen eine  dem  höfischen  Sänge  entsprechende  .„bäue- 
rische Stegreifdichtung"  zu  erweisen,  stellte  sich  als  verfehlt  heraus; 
die  Berger'sche  Untersuchung  fiel  einestheils  mit  der  Meyer'schen, 
anderseits  bestand  ein  Widerspruch  zwischen  des  Verfassers  Behaup- 
tung und  Beweisführung;  auch  die  Erörterung  Meyers  in  Betreff  der 
Carmina  Burana  ließ  uns  ohne  Erfolg;  wir  kommen  somit  zu  dem 
Schlüsse ; 

Der  höfische  Minnesang  ist  nicht  als  ein  Entwicke- 
lungsproduct  der  Volksliebeslyrik  zu  betrachten;  er  hat  sich 
nicht  „zuerst  noch  ganz  die  alte  Art  fortsetzend",  „ans  der 
bäuerischen  Stegreifdichtung"  erhoben;  die  ihm  zugehörigen 
Lieder  sind  nicht  „Sträuße",  die  von  den  höfischen  Dichtern 
einfach  aus  den  „Blumen"  der  Volkslyrik  „nur  zusammen- 
gebunden zu  werden  brauchten^'  und  zusammengebunden 
wurden. 

Aus  diesem  Schlüsse  ergibt  sich  unmittelbar  die  Behauptung, 
deren  Beweis  zugleich  in  der  vorstehenden  Abhandlung  zu  sehen  ist: 
die  dem  höfischen  Minnesänge  vorausgehende  Volkslyrik 
trug  nicht  einen  ähnlichen  Charakter,  wie  die  ritterliche 
Dichtung,  vielmehr  war  sie  ihrem  ganzen  Wesen  nach  von 
dieser  verschieden. 

Es  ist  nicht  der  Zweck  dieser  Arbeit,  den  gewonnenen  negativea 
Resultaten  ausftlhrliche  positive  Erörterungen  folgen  zu  lassen.  Waf 
ich  hinzufüge,  soll  nur.  dazu  dienen,  meinen  .Standpunkt  in  den  hier 
behandelten  Fragen  und  den  sich  nothwendig  anschließenden  weiteren 
deutlich  zu  machen  und  die]Ansichten  über  die  Entwickelung  der  mittel- 
hochdeutschen Poesie  des  vorliegenden  Zeitraumes  so  anzudeul;en^  wie 
ich  sie  binnen  Kurzem  ausführlich  darzuthun  Gelegenheit  nehmen  werder 


154  E.  TH.  WALTER 

Daß  eine  reiche  Volkspoesie  aach  die  Zeit  lange  vor  dem  höfi- 
schen Minnesänge  belebt  habe,  ist  genügend  belegt  und  nicht  zu  be- 
zweifeln. Gebete^  Klage-  und  Spott-,  Lob-  und  Scheit-,  Fabel-,  Räthsel-, 
Wunsch-  und  Gruß-,  besonders  aber  Tanzlieder  werden  hinreichend 
bezeugt  Sie  geben  Kunde  von  dem  poetischen  Triebe>  von  dem  poeti- 
schen Können  der  Jahrhunderte  und  ihrer  Kinder.  Alle  Empfindungen 
werden  in  der  Dichtung  auch  der  damaligen  Zeit  ihren  Ausdruck 
gefunden  haben;  auch  die  Liebe  wird  selbstverständlich  nicht  stumm 
geblieben  sein.  Wohl  am  meisten  bei  Spiel  und  Tanz  wird 
sie  laut  geworden  sein. 

Daß  unendlich  viel  verloren  gegangen  ist,  unterliegt  keinem 
Zweifel.  Doch  genug  —  meine  ich  —  ist  entweder  vorhanden  oder 
läßt  sich  erschließen,  um  wenigstens  ein  ungefähres  Bild  von  dem 
uns  zu  gewähren,  was  vielleicht  in  reicher  Blüthe  vorhanden  war. 

Ich  muß  hierbei  vor  Allem  auf  die  Carmina  Burana   hinweisen. 

Die  deutschen  Strophen  derselben  haben  wir  bei  Gelegenheit  der 
Meyer'schen  Erörterung  bereits  zu  betrachten  gehabt  und  auf  die 
lateinischen  einen  Blick  geworfen.  Wo  uns  Lieder  entgegentreten,  die 
volksthümlichen  Ursprungs  und  nicht  unter  Einfluß  des  höfischen 
Minnesanges  entstanden  sind,  da  erkennen  wir  in  ihnen  Tanz-  und 
Spiel-  oder  Jahreszeiteniieder;  selbst  wo  uns  aus  dem  lateinischen 
Liede,  ich  will  nicht  sagen  ein  deutsches  Originalgedicht  —  sondern 
auch  nur  das  lebendige  Bewußtsein  des  Vaganten,  ein  Kind  seines 
Volkes  mit  seinem  Wesen  und  Sänge  zu  sein,  entgegenschaut,  sind  es 
nur  derartige  Lieder,  die  uns  verrathen  werden. 

Ich  erinnere  an  die  Strophe  108,  4,  ferner  an  136*,  ebenso  100'; 
ferner  115',  142*  und  füge  hinzu  das  bekannte  Gedichtchen  CB.  129': 

Swaz  bie  gat  umbe, 
daz  sint  allez  megede, 
die  wellent  an  man 
alle  disen  sumer  gftn. 
Gewiß    ist   in  dieser  Strophe    eine  Art  Blindekuhspiel    oder   der- 
gleichen zu  sehen. 

Solche  Lieder  mögen  wohl  „wie  Sommerftlden*^  auf  den  „grflnen 
Wiesen,  auf  denen  die  Bauern  tanzten^,  umhergeflogen  sein  ^) ;  solche 
Lieder  und  wohl  auch  andere,  wie  das  herzlich  schlichte 
Du  bist  mtn,  ich  bin  din^. 


*)  Scherer,  Gesch.  d.  d.  Lit.  S.  202. 

*)  Bordacb  meint  von  dergleichen  liedern  Ztschr.  XXVII,  S.  346 :  ^Sie  bringt 
hervor  nnd  rerweht  der  Angenbliok*«  Ich  glaube,  damit  verkennt  er  das  Wesen  der 


Ober  den  urspbuno  üeb  h<>fi8CHen  Minnesanges  et«.      155 

Wftre  der  Minnetang  ans  solchen  Fäden  gesponnen^  die  an  „den 
Schlössern  des  Adels^  hängen  geblieben  wären,  so  müßten  seine  ältesten 
Lieder  dies  rerratfaen.    Daß  dem  nicht  so  ist,  haben  wir  gesehen*). 

Die  höfiselie  Diohtang  ist  nnd  bleibt  mit  ibrem  ganten 
conventioneilen  Charakter  einProdnctder  gesellsebaftlioben 
Erhebung  des  ritterlichen  Standes'). 

Neben  seiner  Entwickelung  und  Ausbreitung  lebte  der  Volks- 
gesang ungestört  weiter  fort:  in  derselben  Art  und  Weise,  denselben 
Gattungen  wie  zuvor,  Spiel  und  Tanz  vor  Allem  bevorzugend. 

Ihr  Einfluß  wird  erst  fühlbar  in  den  Liedern  Walthers,  haupt- 
sächlich aber  Neitharts  und  seiner  Nachfolger.  Und  was  finden  diese 
in  dem  Volksgesange  noch  jetzt,  nachdem  er  sich  ein  Jahrhundert 
lang  hätte  entwickeln  können,  vor? 

Dasselbe,  was  wir  in  den  Carmina  Burana  vertreten  und  lebendig 
sahen:  Spiel-  und  Tanz-  und  Jahreszeitenlieder. 

Ihnen  wandten  sich  die  Dichter  der  sogenannten  höfischen 
Dorfpoesie,  ausgerüstet  mit  dem  überkommenen  höfischen  Eunst- 
material  zu. 


Volkspoesie.  Es  ist  eine  von  Bardach  selbst  nicht  nnr  zugegebene,  sondern  sogar 
(8.  362)  benatste  Beobachtilng ,  daß  in  Volksliedern  mehr  die  dritte  als  die  erste 
Person  sich  findet,  cf.  das  oben  erwähnte  Syrern  hie  gai  funSbt  (die  „Schnadahüpfle" 
▼enrenden  freilich  auoh  oft  die  evate  Person).  Daraus  Ibigt  schon,  daß  solche  Lieder 
den  Charakter  einer  gewissen  Allgemeinheit  und  augleich  die  JplUiigkeit  an  «ic)i 
tragen 9  Yon  mehreren  verschiedenen  Individaen  angewendet  zu  werden«  Freilich 
aufgezeichnet  auf  Pergament  dürfen  wir  sie  nicht  suchen,  sondern  wir  müssen  ihre 
Gestalt  in  dem  Laufe  der  Zeiten  zu  verfolgen  trachten,  wie  sie  die  mdndliche  Tradition 
bewahrt  hat  [Ich  erinnere  mich  bei  dieser  Qelegenheit  noch  einer  anderen,  das 
Wesen  dw  Volkes  mißTerstehenden  Bemerkung  Burdachs:  „l>ie  culturlosen  Menschen 
haben  wie  die  Kinder  ein  schlechtes  Ged&ditniß  für  die  Vergangenheit.''  Und  doch 
ist  es  nicht  eine  Behauptung,  sondern  allbekannte  Thatsache,  daß  mit  dem  Wachsen 
der  Cnltur,  mit  dem  Oberwiegen  der  schriftlichen  Fixierung  die  Abnahme  der  Fähig- 
keit, Thatsachen  der  Vergangenheit  durch  das  GedSchtniß  festzuhalten,  Hand  in 
Hand  geht.] 

*)  Ich  komne  hierbei  noch  einmal  auf  die  Meycr*sobe  Sammlung  zurfick. 
Gerade  zu  den  in  der  späteren  Volkslyrik  so  viel  sich  wisderholendea  scbliehten, 
herzlichen  Versen  MF.  3,  1  £  fehlen  die  Parallelen  im  höfischen  Minnesänge;  außer 
dem  Verse  bei 

Veldegge:  Ift  mich  wesen  din  |  nnde  wis  du  min        MF.  159,  9—10 

bringt  kein  Gedicht  mehr  den  treuherzigen  Vers.    Die  Entsprechung 
Veldegge:  des  sol  si  süi  von  mir  gewis  MF.  64,  15 

kann  man  bei  ihrem  allgemeinen  Sinne  nicht  wohl  auf  Entlehnung  deuten. 

')  Positives  über  den  Ursprung  des  hSfiscfaen  Mhinesanges  zu  erörtern,  behalte 
ieh  mir  vor.  Es  Iftßt  sich  doch  bei  genauer  Untenruchung  einer  Lösung  niahe  kommen. 


156  M^^  ^^  BLAU 

Es  beginnt  eine  Zeit  der  Wechselwirkung  zwischen  höfischer 
Poesie  und  Volksdichtung.  Und  wenn  schon  vor  Neithart  der  Einfluß 
des  Minnesangs  auf  die  Volkspoesie  sich  vereinzelt  mag  gezeigt  haben : 
so  wirkt  er  jetzt  allseitig,  hier  und  da  das  Gepräge  dieser  verändernd, 
allmälig  sogar  theilweise  sie  in  neue  Bahnen  lenkend^). 

E.  TH.  WALTHER 

0 

ZUR  ALEXIUSLEGENDE.   IL 


Im  zweiten  Theile  meiner  Arbeit')  will  ich  mich  mit  der  von 
Maßmann  in  „Sanct  Alexius  Leben  etc.^  Quedlinburg  u.  Leipzig  1843 
(Band  9  der  Bibl.  der  ges.  deutschen  Nat-Lit.)  als  B  herausgegebenen 
Darstellung  der  Alexiuslegende  beschäftigen.  Bisher  war  nur  eine  Hs. 
dieses  mhd.  Gedichtes  bekannt,  die  bei  Maßmann  p.  68 — 76  abge- 
druckte Wiener  Hs.,  die  wir  mit  V  bezeichnen  wollen;  dieselbe  steht 
auf  Bl.  243*— 253*  der  Papierhs.  Nr.  XC  der  altdeutschen  Hss.  der 
Wiener  Hofbibliothek  (vgl.  Hoffmann  v.  Fallersleben:  Verzeichniß  der 
altd.  Hss.  der  k.  k.  Hofbibliothek  zu  Wien  1841,  wo  p.  176—181 
die  aus  dem  Jahre  1472  stammende  Hs.^  allerlei,  als:  Gebete,  Recepte, 
Legenden,  einen  Lucidarius  u,  s.  w.,  am  Schlüsse  als  14.  Stück  den 
Alexius  enthaltend,  eingehend  beschrieben  ist). 

Durch  die  Güte  des  Herrn  Prof.  Dr.  Meltzer,  Directors  des  Wettiner 
Gymnasiums  in  Dresden ,  habe  ich  eine  von  diesem  Gelehrten  selbst 
genommene  Abschrift  einer  zweiten  Hs.  erhalten.  Über  die  ganze  Hs. 
theilte  mir  Hr.  Prof.  Meltzer  Folgendes  mit: 

„Die  Hs.  gehört  der  Kirchenbibliothek  zu  Annaberg  im  Erz- 
gebirge an  und  trägt  gegenwärtig  die  Signatur  D  187.  Sie  ist  von 
Papier,  in  Folio;  die  Schrift  ist  in  der  zeitüblichen  Minuskel  von 
einer  und  derselben  Hand  sehr  sauber  und  leserlich  ohne  erhebliche 
Abkürzungen  ausgeführt,  und  zwar  per  manua  Johannis  Pauli  noiarii 
civücUis  Mime  im  Jahre  1447.  Der  Band  enthält  auf  den  ersten  154 
Blättern  vier  prosaische  Schriften  geistlichen  Inhalts.  Am  Ende  des 
ersten  unter  diesen  Tractaten  ist  der  Name  des  Schreibers  und  die 
Jahreszahl  nebst  Datum  (sabbato  Divisionis  apostolorum  =  15.  Juli)^ 

'}  Ich  habe  absichtlich  bisher  nicht  des  französisch en  Einflusses  ElrwÜhnung 
gethan,  da  ich  nicht  Behauptungen  ohne  Beweise  —  und  sa  solchen  war  hier  nicht 
der  Ort  •—  bringen  woUte.  —  Das  was  bereits  über  Nachahmungen  deutscher  Dichter 
aus  der  französischen  Poesie  erörtert  worden  ist,  trifft  im  Grunde  doch  sieht  die 
eigentliche  Frage  nach  dem  Ursprünge  des  höfischen  Minnesanges,  so  daß  ich  mir 
einen. Hinweis  darauf  glaubte  ersparen  zu  dUrfen. 

?)  Vgl  Jahrgang  33  (1888)  dieser  ZeiUohrift,  S.  181  [vgl.  dazu  Q.  Paris,  Eo- 
mania  18,  299.    O.  B] 


ZUR  ALEXIUSLEOENDE.    II.  157 

am  £ode  des  vierten  abermals  die  Jahreszahl  und  das  Datum  (feria 
2*  post  Sy.  et  Jade  =  30.  Oetober)  angegeben.  Drei  Gedichte  bilden 
den  Schluß:        1.  BL  155'— 159*^^  Von  der  messe, 

2.  BL  159**— 163'  de  sancto  Cristofero, 

3.  Bl.  163»»— 166»»  de  sancto  Allexio.« 
Diese  zweite  Hs.  heiße  A. 

Von  einer  dritten  Hs«  erfuhr  ich  aas  Franke:  ^Veterbuch  1.  Lfg.^ 
Leipzig  1880",  wo  wir  auf  p.  38  ff.  eine  eingehende  Beschreibung  der- 
selben finden:  Franke  kommt  zu  dem  Resultate,  daß  die  unseren 
Alexius  als  Anhang  zu  dem  den  ganzen  Band  fttllenden  „Väter- 
buch''  enthaltende  Pergamenths.  Nr.  900  der  kön.  Universitätsbibliothek 
zu  Königsberg,  im  15.  Jahrhundert  geschrieben,  aus  dem  nördlichen 
Theile  Osthessens  stammt.  Unser  Qedicht,  das,  wie  gesagt,  den  Schluß 
der  Sammlung  bildet,  steht  auf  Bl.  103*--105\  Da  mir  die  Eönigs- 
berger  Bibliotheksverwaltung  in  zuvorkommendster  Weise  die  Hs.  zur 
Verfügung  stellte,  so  war  es  mir  möglich,  das  mich  interessirende 
Gedicht  abzuschreiben.  Es  heiße  diese  Hs.  R.  —  Die  Angabe  Walter 
Müllers,  Germania  XXXI,  p,  323,  nach  welcher  man  noch  drei  weitere 
Hss.  unseres  Gedichtes  vermuthen  müßte,  beruht  auf  einem  Irrthume, 
da  die  Eönigsberger  Hs.  des  „Buches  der  Väter^  durchaus  nicht  der 
Hambnrger,  Hildesheimer  und  Straßburger  nebenzureihen  ist:  die 
von  den  drei  letztgenannten  Hss.  gebildete  Gruppe  des  Väterbuches 
hat  zwar  auch  einen  Alexius,  es  ist  das  aber  der  von  Maß  mann  mit 
E  bezeichnete  (vgl.  a.  a.  O.  p.  105—117). 

Während  V  und  A  vollständige  Texte  bieten,  haben  wir  in  R, 
entsprechend  der  Eigenart  oder  vielmehr  Unart  des  Schreibers  der 
ganzen  Hs.^)  nur  eine  starke  Verkürzung  desselben  vor  uns:  R  zählt 
265  Verse,  gegen  518  in  A  und  517  inV.  (Maßmann  hat  die  in  der 
Hs.  wirklich  fehlenden  Verse  V  144.  164.  232.  242.  426  mitgerechnet, 
vgl.  ebenda  p.  3,  Anm.  1.)  Der  Schreiber  von  R  eilt,  damit  er  sein 
finito  libro  sit  laus  et  ghria  Chi^isio  hinter  diese  Legende  setzen 
kann.  Übrigens  hat  die  große  Flüchtigkeit  des  Schreibers  wohl  dem 
Inhalte,  aber  nicht  der  Schrift  geschadet,  denn  diese  ist  sauber  und  klar, 
auf  jeder  Abtheilung  der  zweigespaltenen  Seite  stehen  24  Verse  in  schöner 
Schrift,  die  vielleicht  noch  auf  das  Ende  des  14.  Jahrhunderts  weist. 
Da  bereits  Franke  die  naheliegende  Vermuthung,  unsere  Redaction  B 
gehöre  zum  „Väterbuche**,  auf  Grund  dichterisch-technischer  Eigen- 
thümlichkeiten ,  betreffend  Reim  und  Versbau,  zurückgewiesen  (p.  18) 


*)  leb  Terweise  auf  Frsnke  p.  42. 
aBKMAlfU.    Nm«  Keihe  XXII.  (XXXIV.)  J&hrg.  J  J 


158 


MAX  FR.  BLAU 


und  anderseits  Jos.  Haupt:  ^Über  das  md.  Buch  der  Väter,  Wien 
1871"  nachgewiesen  hat,  daß  der  Alexius  E,  wenn  nicht  vom  Dichter 
des  Väter buches,  so  doch  von  einem  Zeitgenossen  und  Landsmanne 
desselben  stammt  (p.  73),  habe  ich  auf  diese  Frage  nicht  näher  einzu- 
gehen. Der  von  J.  Haupt  (a.  a.  O.  p.  62)  gemuthmaßte  Grund  für  die  Wahl 
von  B  in  der  Königsberger  Hs.  des  Väterbuches  ist  wohl  nicht  zu- 
treffend; warum  sollte  der  kürzende  Schreiber  Skrupel  gehabt  haben, 
in  E  große  Stücke  fortzulassen,  wie  er  es  ja  auch  in  B  that?  Da  „das 
buch  von  sinte  Allexio"  am  Schlüsse  der  Hs.  steht,  so  ist  wohl  eher 
zu  vermuthen,  daß  in  seiner  Vorlage  ein  Alexius  gefehlt  und  er  eine 
zufällig  vorhandene  Darstellung  (eben  unser  B)  vorgenommen  und  nach- 
getragen hat. 

Daß  B  nicht  etwa  zu  der  anderen  großen  Sammlung  von  Hei- 
ligenleben, dem  „PassionaP  gehört,  geht  —  ganz  abgesehen  davon, 
daß  keine  Hs.  des  letzteren  dieses  Alexiusleben  gibt  —  auch  daraus 
hervor,  daß  die  Darstellung  in  B  wesentlich  von  der  des  Jacob us 
a  Voragine  abweicht,  dessen  „Legenda  aurea"  ja  Vorlage  für  diesen 
Theil  des  Passionais  war  (vgl.  J.  Haupt  a.  a.  O.  p.  45  ff.).  Doch 
zurück  zu  den  Hss.  unseres  B! 

Alle  drei  Hss.  zeigen  ausgesprochen  md.  Charakter:  ich  ver- 
weise auf  die  Angaben,  die  sich  bei  Maßmann  p.  3  und  bei  Franke 
p.  38  ff.«  finden.  Für  A,  dessen  Schreiber  ja  notarius  civitatis  Misne 
ist,  genüge  anzuführen  ^) :  19/20  hyz  :  lyz,  21/22  geste  :  touste,  23/24 
gnug  :  ttmg,  39/40  mut  :  gut,  49.  lyh  vnd  leiL  Ferner  123/124  aedet'  : 
weder,  133/134  seien  :  bitten,  183/184  gebin  (conj.  praet.)  :  lebin,  397/ 
398  hlebin  :  beschreben  u.  s.  w. 

Den  Stammbaum  der  drei  Hss.  haben  wir  folgendermaßen  anzu- 
setzen: O    (Original). 


z     (yerderbte  gemeinsame  Vorlage). 


*)  Ich  citire  im  Folgenden  nach  der  beigegebenen  Nenansgabe  von  B,  da  Maß- 
mann zu  gewaltthätig  mit  dem  Gedicht  verfahren  ist  und  die  beiden  nengefundenen 
Handschriften  vieles  su  ändern  zwingen. 


ZUR  ALEXIUSLfiGENDE.    II.  159 

Also  V  und  R  bilden  die  eine  Gbnppet  A  ist  Vertreter  einer 
zweiten.  Diese  Eintheilung  grdndet  sich  auf  folgende  Beobachtungen: 

V  und  R  seigen  die  gleiche  Verderbniß  des  Namens  Euphemian : 
y.  27.  fmnan  V,  femmn  R,  171.  V  fennam  V,  her  femian  R,  280.  hf  re 
her  femian  V.  f.  R.,  386.  ffemiam  V  (R  liest  den  Vers  anders) ;  A  liest 
immer  Eufemian. 

Ebenso  ist  f&r  V  R  noch  ein  Fehler  nachzuweisen  in  v.  199,  wo 
beide  daz  eibende  jär  lesen ,  während  es  nach  der  Legende  mit  A 
heilen  muß:  daz  eibenzehende  jär.  Dieser  Fehler  von  y  hat  in  V 
dann  einen  andern  nach  sich  gezogen:  dieses  verbösert  —  entspre- 
chend der  Angabe  in  v.  199.  —  v.  398.  vier  und  drtzee  zu  vier  vnd 
czwenceig  (Jär).    (Vgl.  auch  noch  unten  zu  w.  107.  108). 

Eine  andere  Gruppierung  der  Hss.  ist  nicht  möglich:  denn  wenn 
wir  etwa  auf  Grund  des  ▼.  10  und  des  Schlußgebetes  v.  511  ff., 
welche  beide  in  V  stark  von  RA  abweichen,  V  eine  besondere  Stel- 
lung zuweisen  wollten  gegenüber  den  dann  zu  einer  Gruppe  gehören- 
den R  und  A,  so  ließen  sich  die  gemeinsamen  Fehler  von  R  und  V 
bei  richtiger  Angabe  in  A  nur  dadurch  erklären,  daß  ein  der  Legende 
bis  aufs  Einzelnste  kundiger  Schreiber  in  A  den  gleichen  Fehler  ge- 
tilgt habe.  Nun  beweist  aber  die  Variante  von  A  zu  v.  208  (wieder- 
holt V.  332),  daß  der  Schreiber  nicht  einmal  das  sprechende  Mutter- 
gottesbild der  Legende  kennt ,  und  wir  haben  demnach  die  oben  ge- 
gebene Anordnung  der].Hss.  als  diejenige  zu  betrachten,  die  bei  mög- 
lichster Einfachheit  des  Stammbaumes  ohne  Mühe  die  verschiedenen 
Abweichungen  und  Übereinstimmungen  der  Hss.  unter  einander  erklärt. 

Für  eine  gemeinsame  verderbte  Vorlage  (x)  aller  drei  Hss., 
welche  also  zwischen  diese  und  das  Original  einzuschieben  wäre^ 
spricht  das  ganze  letzte  Drittheil  des  Gedichtes,  wo  die  Hss.  in  auf- 
fallender Weise  auseinander  gehen,  und  um  Einzelnes  anzuführen,  vort 
V.  151  in  allen  drei  Hss.,  während  nur  port  möglich  ist,  und  v.  138  ff.^ 
wo  die  verschiedenen  Hss.  sichtlich  einen  alten  Fehler  der  Vorlage 
zu  bessern  versuchen.  (Vgl.  auch  zu  v.  140—146.  256.  377  ff.  431.  432.) 

Damit  ist  also  fttr  die  Constituierung  eines  kritischen  Textes 
der  richtunggebende  Grundsatz  geboten:  sobald  A  mit  einem  der 
beiden  Vertreter  von  y  zusammenstimmt,  ist  dieser  Übereinstimmung 
entsprechend  der  Text  anzusetzen* 

Wie  verhält  es  sich  aber,  wenn  j^)  gegen  A  steht? 

^)  Es  ist  gleich  ToraosEOschicken,  daß  bei  der  kläglichen  Überlieferong  Yon  B 
Öfter  V  f{ir  sich  als  Vertreter  von  7  wird  za  gelten  haben :  gebe  ich  nicht  ausdrücklich 
die  Lesart  Ton  B,  so  ist  die  betreffende  Stelle  in  B  nicht  belegt 

11* 


160  ^AX  FB.  BLAU 

Zur  Bestimmung  des  Wertfaes  der  beiden  Gruppen  gehen  wir 
wohl  am  besten  von  denjenigen  Versen  aus,  die  nur  in  einer  derselben 
nachzuweisen  sind;  je  nachdem  sie  als  dem  Original  gehörig  zu  er- 
kennen sind  oder  nicht,  werden  sie  ffir  oder  gegen  die  sie  bietende 
Gruppe  sprechen. 

An  Stelle  von  v.  24.  25  finden  sich  in  A  folgende  vor: 

22.  swenne  der  herre  daz  wol  weate 

23.  daz  81  heten  alle  gniioc] 

24.  V.  *)  So  gieng  er  hin  an  allen  gefug  A  Daz  man  weder  von  en  trag 

Er  ging  hen  alz  er  wol  woste 
Noch  alle  syme  luste, 

25.  V.   Vnd  az  mit  dem  alV  erste  den  er  vant     Vnd  az  mit  den  ermesten  dy 

er  fand. 
Die  beiden  Plusverse  von  A  sind  ohne  Zweifel  unecht.  Eben,  d,  h. 
vv.  21.  22  begegnet  der  Reim  geste  :  we8te\  wenn  nun  hier  wieder  der 
Reim  mit  dem  gleichen  Worte,  diesmal  aber  in  dialektischer  Form 
vorkommt,  so  kann  das  nicht  Arbeit  ein  und  desselben  Verfassers 
sein:*  einen  solchen  Grad  der  Geschmacklosigkeit  dürfen  wir  keinem 
Dichter  ohne  dringendste  Veranlassung  zutrauen.  Auch  inhaltlich 
sind  beide  vv.  durchaus  flach  und  werthlos,  elendes  G^reimsel;  mit 
ihnen  ist  auch  die  Variante  zu  v.  24  zu  verwerfen,  da  dieselbe,  an 
und  für  sich  ansprechend,  nicht  in  die  Construction  paßt,  wenn  die 
beiden  in  A  folgenden  gestrichen  werden. 

Zum  Verständnisse  der  Lesung  von  v.  24  bei  V  möchte  ich  die 
beiden  Stellen  bei  Maßmann  p.  165  ')  anziehen:  j^sponsa  pectus  et  genas 
indigne  lacerabat^  und  ^sponsa  quoque  , ,  capillos  indecenter  evellens" 
u.  s.  w. ,  aus  der  lateinischen  Redaction  9[. 

Der  durch  die  ganze  Art  der  Erziehung  besonders  kräftig  aus- 
geprägte Sinn  für  äußere  Wofalanständigkeit  wurde  ebenso  durch  den 
unverhüllten  Ausdruck  mächtiger  Gemüthsbewegungen,  wie  durch  die 
Vernachlässigung  jener  Exclusivität  verletzt,  welche  der  Vornehme, 
der  Ritterbürtige  den  andern  Ständen  gegenüber  zu  wahren  pflegte. 
Gegen  den  Gedanken,  daß  der  hochgeborene  Herr  mit  dem  ersten 
Besten,  den  er  findet,  sich  zu  Tische  setzte,  empört  sich  die  Wohl- 
erzogenheit des  Dichters. 


')  Ich  gebe  V  nach  der  Schreibung  von  Maßmann  und  ändere  nnr  nach  den 
dort  unterm  Drucke  gebotenen  Abweichungen  der  Ha.  selbst;  freilich  fällt  ein  Ver- 
gleich der  Lesarten  der  ersten  21  Verse  mit  dem  auf  p.  8  bei  MalSmann  gegebenen 
buchstäblich  treuen  Abdruck  dieses  Theiles  der  Hs.  nicht  gerade  zu  Gunsten  der  Zu- 
verlässigkeit M.*s  betreffs  der  Einzelheiten  aus.  Ich  selbst  habe  mich  vergeblich  nach 
Wien  wegen  der  Hs.  gewandt.  A  und  R  werden  handschriftengetreu  wiedergegeben. 


ZUR  ALEXIUSLEGENDE.    n.  16t 

Die  nächste  Stelle^  wo  wiederum  A  zwei  vv.  mehr  bietet,  finden 
wir  V.  106  ß. 

106.  V  iSi  sprach,  daz  muoz  vns  A  Sy  sprach  daß  mufie  vna  kundig  wenn 

czukilnfiec  sey. 

107.  So  höre  lihe  frawe  myn 

108.  Du  sali  kusch  lis  an  dyn  ende  syn 

109.  V.  Den  selbigin  orden  wil  ich 

tragen  Denselben  orden  wil  ich  tra^in. 

Der  Zusammenhang  verlangt  unbedingt  die  beiden  Plusverse  in  A. 
Wenn  wir  mit  Maßmann  v.  109  als  directe  Fortsetzung  von  v.  106  an- 
sehen, so  ist  der  Vers  unverständlich:  welchem  Stande  will  sie  sich 
denn  anschließen?  Erst  durch  v.  107.  108  erhält  er  seine  Erklärung : 
der  Mann,  welcher  von  seinem  Weibe  Keuschheit  verlangt,  verspricht 
ihr  seinerseits  die  gleiche  Enthaltsamkeit. 

Ein  Orund  für  den  Ausfall  der  Zeilen  in  V  ist  leicht  zu  finden. 
V  hatte  V.  106  ftti*  wesen  sey  geschrieben,  das  Auge  glitt  deshalb  beim 
Hinüberblioken  auf  die  Vorlage  leicht  über  die  folgenden  zwei  vv., 
die  ja  mit  sin  schließen. 

Betr.  V.  117.  118  müssen  wir  auf  die  lateinische  Legende  Bezug 
nehmen;  die  vv.  sind  nur  in  V  überliefert  und  lauten:  (M^)  115.  116). 
Er  nam  daz  vingerlin  von  seyn^  hant 
Vnd  gap  ys  der  junefrowen  alzehant 
Die  w.  sind  weder  für  den  Zusammenhang  unbedingt  nöthig,  noch 
zeigen  sie  besonders  glatten  Rhythmus;  auch  der  hier  allein  belegte 
rührende  Reim  ist  auffallend,  aber  da  es  ja  in  So  'lautet :  „deinde  tra- 
didii  ei  anntdum  suum  aureum^  (Maßmann  p.  167  Z.  1  v.  u.),  so  wird 
sich  gegen  die  Plusverse  in  V  nichts  einwenden  lassen. 

Es  folgt  nun  eine  Stelle,  bei  welcher  die  Gruppe  y  in  beiden 
Hßs.  vertreten  ist. 

135.  d^  sie  getrunken  unde  gäzen 

136.  unde  alle  in  fröuden  säzen, 

137.  beidiu  frouwen  unde  man^ 

138.  V  Allexivs  neig  sein^  Üben  hrawt     R.  Allexius  neik  syn^  hrut  gynk 

Vnd  schit  von  dan  dan 

139.  DcLs  das  nymant  wart  gewar  daz  des  nymant  wart  gewan  (!) 

140.  Wenne  seyne  Übe  fraw  clar  wen  «i**  Hb  alleyne  gar 


')  M  bedeutet  im  Folgenden  immer  die  Maßmann^sche  AaBgabe  von  Y  a.  a.  O. 
p.  68—76. 


162  MAX  FR.  BLAU 

138.  A  Do  ging  ayne  iuvge  hrut  an 

Das  sy  vil  heiß  weynen  began 

139.  Daz  des  nymant  wart  gewar 

140.  Wenn  eyn  Itb  aUeyne  ga/r* 

Hier  zeigt  sich,  daß  y  zuverlässiger  ist  als  A.  Was  das  letztere 
bietet,  ist  inhaltlich  ganz  unmöglich :  wenn  die  Braut  beim  Weggänge 
des  Bräutigams  angesichts  aller  Gäste  in  Thränen  ausbricht,  so  wird 
doch  die  Flucht  einfach  vereitelt;  warum  sollte  die  Braut  auf  die 
theilnahmsvollen  Fragen,  die  ihre  plötzliche  Trauer  doch  hervorrufen 
würde,  die  Ursache  ihres  Kummers  verschweigen?  Dem  Schreiber  A 
machte  jedenfalls  der  in  seiner  Vorlage,  wie  in  y  schlecht  überlieferte 
V.  138  Beschwerde,  und  so  dichtete  er  keck  bessernd  darauf  los^  was 
ihm  in  die  Situation  zu  passen  schien,  bekam  dabei  aber  neben  der 
UnWahrscheinlichkeit  des  von  ihm  Erzählten  auch  noch  einen  drei- 
fachen Reim,  deren  sonst  keine  im  Gedichte  zu  finden  sind.  Auch 
der  Anschluß  seiner  Sonderverse  an  das  Folgende  ist  durchaus  ver- 
fehlt. Der  Fehler  liegt  also  in  x,  und  wir  werden  mit  y  eine  Besse- 
rung zu  finden  suchen.  Da  gegen  eine  Lesung:  Er  neic  der  Mute  unt 
gie  dan  spricht,  daß  Alexius  doch  zu  lange  nicht  genannt  ist,  um  ihn 
hier  einfach  mit  er  wieder  einzuführen,  und  auch  der  briiäe  wegen 
des  V.  140  folgenden  sin  liep  kaum  brauchbar  erscheint,  so  wird  wohl 
zu  setzen  sein: 

Alexiue  neic  und  gie  dan^ 
wennschon  der  Rhythmus  bei  der  ersten  Lesung  glatter  ist. 

V.  140  ist  mit  AR  zu  lesen  gegen  V,  das  hier  geändert  hat. 
Das  lib  beider  Hss.  wird  man  wohl  nicht  mit  lip  wiederzugeben  haben, 
denn  es  ist  doch  unsinnig  erzählen  zu  wollen,  daß  Alexius  selbst  sein 
Fortgehen  bemerkt. 

Hinter  v.  140  finden  wir  nun  einige  vv.,  die  nur  in  V  belegt  sind: 

141.  V  Vnt  eines  herzen  grosse  not 

142.  Silber  unde  ouch  golt  rot 

143.  Nam  er  vil  ze  einer  zer 

144.  Er  ilde  balde  uf  daz  mer 

145.  Daz  sin  der  vater  ich  war  de  gewar    (bei  M.  v.  139 — 143). 
Sß  (Maßmann  p.  168,  Z.  4):   j^post  haec  accepit  de  substantia  sua 

et  discessit  ad  mare^  beweist,  daß  die  vv.  für  das  Original  in  An- 
spruch zu  nehmen  sind.  Wir  können  Maßmanns  Lesung  annehmen; 
nur  der  erste  Vers  ist  zu  ändern.  Dieser  könnte  höchstens  eine  Um- 
schreibung für  die  Braut  sein,  aber  diese  ist  ja  im  Verse  vorher  aus- 
drücklich genannt.    Wir  werden  etwa  lesen  müssen: 


ZUR  ALEXIUSLEQENDE.    IL  163 

des  betwanc  sie  grdziu  notj 
oder  in  eogerem  Anschluß  an  die  gegebene  Lesart: 
in  sines  herzen  ffrdzer  nSt 

Der  Grund,  warum  diese  vv.  in  A  fehlen  —  bei  R  muß  man 
sich  mit  dem  Factum  als  solchem  begnügen,  das  seine  allgemeine 
Ursache  in  der  Hastigkeit  des  Schreibers  findet  —  ist  mit  einer  ge- 
wissen Sicherheit  anzugeben.  Der  Schreiber  hatte  eben  gewar  :  gar 
gehabt,  sein  Auge  glitt  auf  das  nächste  gewar  und  dort  setzte  er  die 
Arbeit  fort.  Dieses  Abgleiten  ist  aber  nur  erklärlich  unter  der  An- 
nahme von  X,  welches  bereits  den  Reimvers  zum  zweiten  gewar  ver- 
loren haben  mußte;  denn  stand  der  entsprechende  Vers  noch  in  der 
allen  gemeinsamen  Vorlage,  so  ist  dessen  Verlust  in  V  und  A  kaum 
erklärlich.  Wir  dürfen  wohl  die  Ergänzung  von  M  (v.  144)  anneh- 
men: 146.  als  er  7m  quam  zem  urvar^  oder  etwa  mit  Flore  3512:  als 
er  nu  qttam  an  daz  vor. 

V.  166  hat  in  V  keine  Entsprechung,  aber  da  er  in  R  und  A 
belegt  ist,  so  gehört  er  dem  Originale: 

R   her  duerte  do  leng*  wen  ym  gezcä 

A    Er  truerte  do  lenger  wenn  ym  geczam. 

A  muthet  dem  athleta  (vgl.  Maßmann  p.  163  Z.  11)  eine  Schwäche 
zu,  die  durch  nichts  gerechtfertigt  erscheint. 

R  gibt  dem  Gedanken  Ausdruck,  daß  er  —  der  Sohn  des  „ge- 
waltigen und  reichen**  Euphemian  — ,  wenn  er  schon,  um  Gott  zu 
dienen,  seiner  hohen  Stellung  in  der  Welt  entsagt  habe,  doch  nicht 
immer  in  solch  schmählicher  Armuth  hätte  verweilen,  sondern  wieder 
in  Glanz  und  Reichthum  hätte  zurückkehren  sollen.  Derselbe  Geist 
spricht  aus  dieser  Zeile,  der  v.  24  dem  Euphemian  den  Vorwurf 
nicht  ersparte,  daß  es  gegen  Sitte  and  Wohlanständigkeit  verstoße, 
mit  den  Bettlern  sein  Mahl  einzunehmen. 

Wie  im  eben  genannten  Falle  fehlt  auch  der  folgende  v.  234 
in  V,  ist  aber  auch  in  R  nicht  tiberliefert. 

230.  der  Hute  giengen  im  vil  nd 

231.  unt  truogen  im  alsd  vil  zuo. 

232.  V  Das  ys  icz  en  verdrocz  de  A  Daz  en  vorduchte  do 

233.  Er  sprach  ä*  leip  daz  ist  ze  vil  Er  sprach  leib  es  ist  zcu  vil 

234.  Daz  ich  von  dir  nickten  wil 

235.  Ich  vril  Puch  füre  ausz  der  vnmoszp.        Ich  loil  dich  füren  uß  der 

maßen, 
V.  232.  lesen   wir  wohl  am  besten  mit  A ,    dessen  viel  selteneres  voi-- 
duchte  —  das  Mhd.  Wb.   gibt  nur  ein,  Lexer  zwei  Beispiele  —  flir  diese 
Wahl  spricht:  daz  in  des  verdühte  dd  bessw.  duo\ 


164  MAX  FR  BLAU 

freilich  läßt  sich  gegen  die  Lesung  von  V:  daz  es  in  verdröz  do  nichts 
einwenden.  Und  für  v.  233  werden  wir  wohl  sicher  V's  her  leip  in  den 
Text  aufnehmen.  In  dem  nun  von  A  gebotenen  v.  ^34,  den  wir  dem 
Originale  zuzuweisen  haben,  ist  außer  daz  in  des  nichts  zu  ändern, 
wenn  man  nicht  entsprechend  dem  euch  in  V  (zu  v.  235)  auch  hier 
lieber  tu  für  dir  setzen  will,  was  ja  auch  der  förmlichen  Anrede  mit 
her  mehr  angemessen  ist« 

V.  235  ist  in  A  sicher  schlecht  überliefert,  V  gibt  wohl  einen 
erträglichen  Sinn,  aber  eine  durchaus  unrhythmische  Zeile.  Wir  neh- 
men am  besten  einen  Fehler  in  x  an,  so  daß  im  Original  gestanden 
hätte:  man  wil  iuch  fUeren  uz  der  tndze. 

Betr.  des  Ausfalles  von  v.  234  in  V  ist  möglicherweise  wieder 
einfach  Übergleiten  des  Auges  von  „m7^  auf  y^wiV"  anzunehmen,  umso- 
mehr,  als  ja  im  13.  — 15.  Jahrhundert  im  Mhd.  recht  häufig  uu  (w) 
für  V  ^=  f  geschrieben  wird  (vgl.  Weinhold:  Mhd.  Gr.*  §.  174). 

Wir  haben  jetzt  die  Stelle  v.  240  flf.  zu  betrachten: 
240.  da  woJde  er  »inen  idt  emphdn 

241.  V    Vnd  sins  endes  da  erbeiten 

242.  Do  begnde  W  sin  anders  czu  leiten 

243.  A    Seet  das  mochte  nicht  gesehen 
244.  in  sluoc  ein  wint  (daz  sult  ir  spehen). 

Die  Vergleichung  mit  ©  (Maßmann  p.  169,  Z.  3  u.  4):  ^^Deo  itaque 
dispensante  rapta  est  navis  vento^  etc.  gibt  zu  gleicher  Zeit  die  Mög- 
lichkeit, den  Sinn  des  nur  in  V  überlieferten  v.  242  zu  bestimmen, 
und  sichert  v.  241.  242  dem  Original.  Schon  M  hat  eine  Besserung 
des  ganz  verderbten  Verses  nach  Sß  versucht,  und  wir  können  uns 
mit  kleinen  Änderungen  seiner  Lesung  anschließen: 

241.  unt  sines  endes  da  erbeiten^ 

242.  got  begunde  ez  anders  leiten. 

V.  243  darf  wohl  ohne  Anstoß  aus  A  aufgenommen  werden;    der  In- 
halt ist  zwar  nicht  bedeutend,  aber  durchaus  passend  und  sinngemäß. 
Die  nunmehr  zu  untersuchenden  vv.  sind  für  y  durch  V  und  R 
gesichert,  fehlen  aber  in  A. 

(einen  brief)  v.  328  daran  sin  leben  wart  bekant 

329.  R  wi  daz  eyn  megetyn  syn  brut  war   V  Daz  sin  brat  ein  maget  wcer 

330.  vnd  er  eyn  degen  unwandel  w\  Vnd  er  ein  dege  vnwande  toe\ 
Wieder  können  wir  diese  vv.  durch  ©  stützen,  wo  es  (Maßmann  p.  169, 
Z.  25  fi^.)  lautet:  „sanpsit  per  ordinem  ömnem  vitam  stuimj  qualiter 
respuerit  nuptias  et  qualiter  conversatus  fuerit  in  peregrinatione  qua- 
liierte    contra   voluntatem    suxim  redierit   ßomam  et  in  domo  patris  sui 


ZUR  ALCXIU8LEGENDE.    IL  165 

opprobria  multa  iuBÜnueriL^  Denn  darch  den  Satz  y^qualiter  respuerit 
nuptias*^  wurde  ja  die  Erwähnung  der  Braut  als  maget  ganz  direct 
yeranlaßt.    Die  vv.  sind  also  zu  lesen: 

329.  das  An  hrüt  ein  maget  wcere 

330.  unde  er  ein  degen  unwandetbcere. 

Zum  Schluß  führe  ich  noch  die  vv.  427.  428  an,  die  für  y  in 
Anspruch  zu  nehmen  sind,  da  sie  sich  in  V  finden:  (M.  421.  422) 

423.  8i  zestarte  ir  frewlich  gehende 

424.  Ir  czoppe  beyde  nä  yn  dy  henJe, 

Ein  Vergleich  mit  der  Darstellung  in  9  (Maß  mann  p.  170,  Z.  11 
y.  u.)  „Mater  vero  ejus  haec  audiens  quasi  leaena  rumpene  rete  ita 
ncissia  vestihus  exiens  coma  dissoluta  ad  coelum  oeulos  leoabat*^  zeigt 
uns,  daß  die  beiden  vt.  dem  Originale  zuzuweisen  sind. 

Das  bisher  Oebotene  genügt  wohl,  um  darzuthun,  daß  im  All- 
gemeinen y  vor  A  den  Vorzug  verdient:  y  stellt  eine  bessere,  vor 
allem  eine  vollständigere  Hs.  dar.  Freilich  fehlen  einzelne  Verse  in 
V;  das  haben  wir  aber  wahrscheinlich  —  mehr  dürfen  wir,  da  ja  R 
bei  seiner  großen  Lückenhaftigkeit  uns  oft  im  Stiche  läßt,  nicht 
sagen  —  V  allein  zuzuschreiben  (siehe  o.  zu  v.  166),  für  dessen  Aus- 
lassungen sich  zumeist  ein  bestimmter  Gh^und  angeben  läßt. 

A  hat  sich  nicht  frei  von  Interpolationen  und  von  —  wenig 
glücklichen  —  Besserungsversuchen  gezeigt:  ich  führe  hier  noch  eine 
recht  auffallende  Stelle  dafttr  an.  v.  208  und  dementsprechend  v.  332 
lesen  die  beiden  Vertreter  von  y,  bezw.  V  allein: 
208.  R  do  rief  eyn  bilde  lut*  ttyme.  V  Do  rief  ein  bilde  mit  lavoter  styme. 
332.  V  Vnt  wy  ym  des  bädee  hülle  wae, 

also  entsprechend  dem  Codex  der  Legende,  in  die  bereits  der  byzan- 
tinische Bearbeiter  das  sprechende  Muttergottesbild  eingeführt  hatte. 
A  verwässerte  diese  directe  Beziehung  auf  die  Legende  zu  den  vv. 
Do  riff  dy  gotie  siymme,  bezw. 
Wy  em  gotie  hulffe  wart  bereit 
Außerdem  aber  zeigt  A  auch  einige  Lücken. 

Ehe  wir  zu  der  Frage  übergehen^  welcher  Hs.  wir  bei  völligem 
Auseinandergehen  der  Lesungen  zu  folgen  haben,  ist  noch  auf  einige 
Sonderverse,  bezw.  wohl  besser  Sonderzeilen  in  V  und  in  R  hinzu- 
weisen. 

Die  in  V  nach  v.  426  8i  sprach:  nu  ist  min  ungemaeh 
stehende  Zeile  Vil  gar  czu  irgangin 

ist  nur  hier  belegt  und  ermangelt  auch  in  V  selbst  des  entsprechen- 
den Beimverses.    Wenn  wir  nun  nicht  wegen  dieser  einen  Stelle  — 


166  MAX  FB.  BLAU 

bei  A  erwies  sich  die  eine  Stelle  nach  v.  24  von  selbst  als  Inter- 
polation —  annehmen  wollen ,  daß  in  V  interpoliert  oder  doch  herum- 
gebessert sei,  so  müssen  wir  sie  in  eine  brauchbare  Form  zu  bringen 
suchen.   Es  wäre  also  etwa  zu  lesen: 

harte  gar  ergangen. 
Schon  X  muß  dann  den  zugehörigen  Reimvers  verloren  haben. 

Für  R  haben  wir  allerdings  nur  im  letzten,  überhaupt  stark  ver- 
derbten Drittel  des  Gedichtes  die  Thatsache  festzustellen,  daß  es  eine 
Reihe  von  Sonderversen  bietet,  die  aber  entweder  sicher  unecht  oder 
höchst  verdächtig  sind:  Für  den  bereits  angegebenen 
V.  328  daran  dn  leben  wart  beJcant, 

—  V  und  A  lesen  fast  gleich  —  hat  R  gesetzt: 

d?  hrief  cP  waz  geBchriben  so, 
was  natürlich,    da  der  Reim  fehlt  und  V  und  A  zusammenstimmen, 
zu  verwerfen  ist.     Die  ganze  Stelle  in  R: 
cT  brief  cT  waz  geachriben  so  vnd  euch  diz  alwar 

wi  daz  eyn  megetyn  syn  brut  war        ganczer  vier  vnd  drisie  iar 
vnd  er  eyn  degen  vnwandel  w^  hatte  er  di  almtua  numen 

biz  zcu  dem  tode  waz  kumen, 
ist   aus   zwei  verschiedenen  Theilen  des  Gedichtes,   v.  328 — 330  und 
V.  397—400,  zusammengesetzt  und  nach  Wortstellung  und  Rhythmus 
für  Prosa  zu  halten. 

Statt  V.  366.  der  iuwem  iranc  unde  iuwer  brot 
367.  sibenzehen  idr  hat  gnomen, 
wie  A  und  —  mit  unwesentlichen  Abweichungen  —  V  liest,  steht  in  R: 

der  sibenczen  almuze  genun  hoty 
was  natürlich  ganz  verderbt  ist,  zumal  der  Schreiber  hot  mit  tot  von 
V.  365  reimen  zu  wollen  scheint. 

Einen  eigenen  Zusatz  (zwei  vv.  für  einen  des  Originals)  finden 
wir  an  der  Stelle  von 

V.  394.  dirre  heilec  man  ist  iuwer  kint 

—  so  im  Wesentlichen  nach  V,  A  stimmt  bis  auf  das  fehlende  man 
mit  V  überein  — ;   R  liest  hier: 

iz  ist  Allead  di  liber  dy  son 
dem  dyn  alemuze  ist  geton; 
der  Reim  son  :  geton  sagt  genug! 

Einfach  Unsinn  ist  die  Zeile  nach  v.  408: 
408.  er  hete  leide  unt  unsinne 

—  nach  V,  R;  A  weicht  etwas  ab  — .  R  ftlhrt  dann  fort: 

durch  den  lieblich  mi^nne. 


ZUR  ALBXnTSLEGENDE.    II.  167 

Gegen  Ende  des  Gedichtes  faßt  also  den  kürzenden  Schreiber 
von  R,  bezw.  seine  Vorlage,  die  Laune,  das  Gedicht  noch  zu  erwei- 
tem.   Auch  nach  y.  434: 

daz  ir  beginnet  mit  mir  weinen, 
dem  in  V  und  A  auch  ein  Reimvers  mit  gutem  Sinne  nicht  fehlt,  liest 
R  wieder  ganz  unverständig: 

meynei  Üben  kyndes  reynen 

den  tot  vnd  elenedeeehafi  (!) 

d*  Juit  ü*  hm  syne  traft. 
Der  erste  Vers^  der  an  sich  brauchbar  und  gut  ist,  wird  durch  das 
Zusammenstimmen  von  V  und  A  dem  Originale  mit  Erfolg  streitig 
gemacht,  der  2.  und  3.  bilden  wieder  eine  ganz  unglückliche  Zu- 
dichterei  eines  Schreibers,  der  denn  auch  noch  nach  v.  522,  am 
Schlüsse  des  Gebetes,  eine  Probe  seiner  poetischen  Begabung  liefert 
mit  den  folgenden  vv.,  die  eine  Beachtung  nicht  verdienen: 

521.  der  ein  ungemaehez  leben 

522.  kan  um  lange  fröttde  geben] 
alt  dirre  eelig  meneche  ta 
syn  hülfe  keyn  gote 

wegen  syn  heileges  gebet. 
—  Der  Rubricator  hat  diesem  Zusätze  dadurch  eine  treffende  Censur 
ertheilt,  daß  er  den  letzten  Vers  roth  ausgestrichen  hat.  — 

Also  R's  Plusverse  sind  sammt  und  sonders  werthlos  und  dem 
Originale  abzusprechen. 

Von  V  ist  noch  eine  Stelle  nachzutragei) : 
V.  490.         darzuo  haif  der  bähest  8Sre\ 

491.  y  Dax  ez  also  wol  ezam^    (falls  M  mit  Recht  die  Va- 

492.  V  Dax  ez  dem  heiligen  zam,  riante  zu  V  489  gibt). 
491.  492  fehlen  in  A  und  R,  geben  aber  einen  ganz  verständigen 
Sinn  —  mit  der  Änderung  von  M.  ^)  — ,  und  so  sind  sie  wohl  dem 
Originale  zuzuweisen. 

An  Stelle  dieser  zwei  w.  finden  wir  in  A  wieder  einen  Besse- 
rungsversuch : 

D(u  noch  alldo  gecziret  steetf 
Do  manch  hundert  menschen  hen  geet, 
und  alsdann 

493.  Do  lyt  syn  heiliger  lip  begraben. 

*)  VioUeicht  lesen  wir  besser: 

da9  et  aUo  volleqtuun, 
dam  es  den  heUigen  mm. 
Der  Sinn  wird  dadnreli  etwas  weniger  flaeb  nnd  die  ^ Verse  gUtter. 


168  MAX  FR.  BLAU 

Die  ersten  beiden  vv.  sind  nicht  nöthig,  und  der  zweite  mit  seinem 
Singular  des  Verbs  nach  manch  hundert  menschen  wenig  ansprechend, 
außerdem  unrhythmisch:  da  wir  bei  A  bereits  einmal  eine  Interpolation 
fanden  (vgL  Variante  zu  v.  24) ,  so  setzen  wir  am  besten  diese  beiden 
yy.  dem  Interpolator  auch  auf  die  Rechnung.  Anders  yerhält  es  sich 
mit  dem  dritten  y.;  der  freilich  auch  nur  in  A  belegt  ist,  aber  dessen 
Reimyers  494: 

welch  Idn  sol  nu  diu  sele  haben 
auch  in  V  yorliegt.    Wir  haben  bei  V  Auslassungen  constatiert;  hier 
yerlangt    der  Gegensatz  zu  sele  dringend  den  in  A.  erhaltenen  Vers, 
der  also  dem  Originale  angehört. 

Es  ist  nun  noch  die  Frage  zu  untersuchen;  welcher  Hs.  wir  den 
Vorzug  zu  geben  haben ,  wenn  keine  Übereinstimmung  unter  den 
dreien ;  bezw.  unter  zweien  yon  ihaen  herrscht.  Nach  dem  bisher 
Gefundenen  ist  es  klar,  daß  es  sich  dabei  nur  um  V  oder  R  handeln 
kann;  A  hat  ja  nachweislich  den  mindest  getreuen  und  zuyerlässigen 
Test,  was  natürlich  nicht  ausschließt,  daß  ihm  in  einzelnen  Fällen, 
wie  z.  B.  in  y.  160.  161,  der  Vorzug  vor  V  R  gegeben  werden  darf. 

Trotz  der  ausführlicher  dargelegten  Mängel  yon  R  ist  nun  sicher 
diese  Hs,  diejenige,  die  in  yielen  Fällen  noch  Älteres  bietet,  während 
in  V  und  A  öfter  moderne  Formen  eingedrungen  sind;  so  z.  B.  ist 
R  noch  yöllig  frei  yon  dem  Gebrauch  yon  ee  (bezw.  zu)  beim  Infinitiy, 
das  bei  V  und  A  nicht  selten  begegnet  >  wo  der  Rhythmus  deutlich 
zeigt,  daß  es  fehlen  muß,  ygl.  zu  v.  110  (V),  216  (V,  A)^  224  (V), 
268  (V,  A),  besonders  auoh  zu  y»  183,  wo  A  den  bloßen  inf.  der  Vor- 
lage als  conj.  gefaßt  und  demnach  den  Vers  gebildet  hat: 

Vaz  sy  em  das  almosin  gebin  :  lebin. 
V  ist  gerade;  was  Syntax  betrifft;  noch  weniger  treu  als  A;  ich  yer- 
weise  dazu  auch  auf  y.  84: 

Der  herre  seynB  sune  hiez, 
wo  sune  wohl  deutlich  für  den  dat.  spricht,  den  Maßmann  auch  in  den 
Text  aufgenommen  hat  —  R  und  A  haben  richtige  Lesung  ^)  — ;  ferner 
auf  y.  251:  Ich  werde  ich  sulde  also  irsterben, 

wo  A  und  R  den  einfachen  inf.  bieten;  auf  y.  299: 

Vil  manege  schände  die  er  leit, 
statt  dessen  in  A  steht: 

Vil  mancher  schände  er  do  leyt 

Von  einzelnen  Wörtern  und  Wendungen,  die  in  R  erhalten  sind, 

')  hmasm  mit  dat.  ist  onanstomg,  ygL  Ztscbr.  t  d.  Phil.  XII,  217.  O.  B. 


EÜR  ALEXIU8LEGENDE.    O.  169 

Während  sie  in  A  oder  V,  oder  in  beiden  durch  jüngere,  den  Schrei- 
bern geläufigere  ersetst  wurden,  fUhre  ich  folgende  an : 
y.  46:  daz  wart  dUo  vletie  synt   gegen 
A  Daz  wart  en  also  Icbdich  sind   und 
V  Daz  wart  in  gegeben  sint, 
Y.  89:  ze  bette  quam  mit  A  gegen  för  daz  bette  in  V. 
V.  127«  128:  nu  enwl  ich  nym'me  gedagen 
ichen  welle  schrien  vfi  elagen, 
V  und  A  haben  in  ▼.  128  den  nicht  verneinten  ind.  wil,  und  man  muß 
zugeben,  daß  derselbe  durchaus  gut  und  richtig  ist.    Indeß  hat  doch 
gerade  die  eigenthümliche  Construction  in  R  ihren  Reiz,    wennschon 
sie  wohl  zu  den  allerseltensten  gehört.    Kinzel  führt  in  seinem  Auf- 
satze:   „Zur  Charakteristik  des  Wolfram'schen  Stils**  Zs.  f.  d.  Ph.  V 
p.  5  ff.  gedagen  zwar  nicht  unter  denjenigen  Verben   auf,    bei   denen 
Wolfram  antiphasis  liebt,    aber  es  ist  wohl  nicht  schwer,    dieses  ge- 
dagen so  zu  erklären,    daß  die   specielle  Beziehung,    Welche  ein  ver- 
miden,  verbem,  vergezzen  u.  s.  w.  hier  auf  das  Reden  hat,  durch  gedagen 
ausgedrückt  ward.     Daß  unserm  Dichter  die  antiphasis  durchaus  ge- 
läufig war,  geht  besonders  aus  v.  294.  296  hervor: 
Hn  phlegeman  des  niht  vergaz 
er  enbrcehte  im  ätne  phründe  dar^ 
wo  freilich  auch  wieder  nur  R  den  negierten  conj.  bietet  gegen  A  und  V. 
V.  131 :  des  morgens  do  der  tag  ufbra/ch  gegen  anbrach  in  A  und  V. 
V.  159:   den  lichtenlozen  syn  rotes  goü  gegen  blinden  in  A  und  V. 
V.  170:  her  volgete  syn  seiden  straaen\  Y  liest  auch  ganz  gut  Vnt 
volgete  einer  tiuren  strazen,    aber  R  ist  unvergleichlich  besser.     A  hat 
die  Stelle  ganz  verwässert:  Er  volgete  syner  atraßen. 

V.  208:  do  rief  eyn  bilde  luf  styme  gegen  V  mit  lawter  styme,  A 
hat  wieder  geändert. 

V.  268:  do  begonde  er  weyn  sa  czuhant  gegen  V  und  A.  In  den 
folgenden  sechs  Stellen  bietet  R  mit  V,  also  y,  gegen  A  das  Richtige : 
V.  72:  holte,  v.  204:  ruogte,  v.  276:  aenic,  v.  290:  leides  vil,  v.  341: 
karfritage,  v.  468:  wie! 

Wir  haben  demnach  als  Grundsätze  für  die  Gewinnung  eines 
kritischen  Textes  von  B  die  folgenden  erhalten: 

1.  Stimmt  A  mit  einem  Vertreter  von  y,  sei  es  V  oder  R,  über- 
ein, so  ist  diese  gemeinsame  Lesung  anzunehmen  (doch  s«  4.). 

2.  Stehen  sich  die  beiden  Oruppen  y  und  A  gegenüber,  so  ver- 
dient fast  durchgängig  y  den  Vorzug;  die  Annahme  des  Textes  von 
A  in  solchem  Falle  bedarf  besonderer  Begründung  z.  B.  durch  das 
lateinische  9. 


170  ^AX  FB,  BLAU 

3.  Liest  jede  der  Uss.  verschieden,  so  ist  in  erster  Linie  auf 
den  Text  von  R  Rücksicht  zu  nehmen. 

4.  Die  Übereinstimmung  von  V  und  A  beweist  noch  nichts  gegen 
Ry  wenn  es  sich  um  in  jenen  beiden  vorliegende  Modernisierungen  des 
Auedruckes  u.  dergl.  handelt. 

5.  Alle  w.  in  V  sind  echt;  R  zeigt  einige  unbrauchbare  Reim- 
versuche eines  Schreibers  im  letzten  Drittel  des  Gedichtes  und  A  ein 
paar  leicht  erkennbare  Interpolationen. 

6.  In  allen  Fällen,  wo  y  nur  durch  V  vertreten  wird,  ist  zuerst 
mit  der  Lesung  von  V  ein  Versuch  zu  machen:  oft  bietet  allerdings 
auch  A  in  einem  solchen  Falle  den  bessern  Text, 

Vergleichen  wir  den  so  gewonnenen  Text  mit  dem  bei  M  gebo- 
tenen, so  fällt  die  außerordentlich  starke  Zahl  viermal  gehobener 
klingender  Reimpaare  auf.  Maßmann  ging  von  der  Meinung  aus,  daß 
die  beiden  in  der  Darstellung  der  lateinischen  Redaction  91  folgenden 
deutschen  Gedichte  A  und  B  in  der  ungefähren  Zeitfolge  vor  die- 
jenigen zu  stellen  seien  ^  die  den  Text  der  lateinischen  Redaotion  SS 
bieten  (vgl.  a   a.  0.  p.  1). 

Ich  muß  es  mir  versagen,  an  dieser  Stelle  den  Nachweis  zu  ver- 
suchen, daß  das  deutsche  A  mit  seinen  vocalisch  unreinen  Reimen 
(besonders  zwischen  langem  und  kurzem  Vocal  im  klingenden  Reime), 
mit  seinen  starken  Apokopen,  mit  seiner  großen  Anzahl  viermal  ge- 
hobener klingender  Verse  wohl  schwerlich  dem  12.  Jahrhundert  an- 
gehört, sondern  eher  der  zweiten  Hälfte  des  13.  zuzuweisen  ist: 
jedenfalls  aber  kann  man,  auch  ohne  diesen  Beweis  erbracht  zu  haben, 
behaupten,  daß  Maßmann  sich  von  seiner  einmal  vorgefaßten  Ansicht 
auch  bei  der  Construction  des  Textes  von  B  hat  leiten  lassen.  Da- 
her erklärt  sich  die  unbedingte  Scheu  vor  dem  viermal  gehobenen 
Verse  mit  klingendem  Ausgange,  den  ihm  seine  Wiener  Hs.  oft  genug 
nahe  legte:  B  sollte  möglichst  den  Stempel  des  Alterthümlichen  oder 
doch  des  Nichtjungen  erhalten. 

Wenn  wir  ohne  Voreingenommenheit  jeder  Art  an  die  Gewinnung 
des  Textes  gehen,  zeigt  sich,  daß  ungefähr  ein  Fünftel  aller  Reimpaare 
bei  vier  Hebungen  den  von  Maß  mann  verpönten^)  klingenden  Aus- 
gang haben;  hingegen  sind  für  den  dreimal  gehobenen  Vers  mit  klin- 
gendem Ausgange  nur  sehr  wenige  sichere  Beispiele  zu  erbringen, 
nämlich  nur  vv.  163/164.    177/178.    219/220.   251/252.   427.   479/480. 


')  Schon.  Franke  bat  in  seiner  Arbeit  (p.  18  und  19)  anf  dl%  von  M.  fewagte 
Verc^ewaltigong  des  Textes  hingewiesen. 


ZUR  AtEXIURLEGENDE.    U.  171 

Die  Reime  des  Gedichtes  sind  yerhältnißmftßig  rein:  einzig  auf- 
fallend ist  wirklich  nur  13/14  geviel :  enthielt  —  denn  vv.  14.  15;  die 
beide  nur  in  V  und  A  und  nur  in  mangelhafter  Gestalt  überliefert 
sind 9  können  doch  allein  einen  Sinn  geben,  wenn  wir  mit  antiphasis 
lesen:  ouch  ffiac  er  das  er  sieh  niht  enthiel{t) 

eme  machte  die  armen  dicke  frd  — , 
Da  nun  Abfall  des  auslautenden  t  im  md.  beliebt  ist  (vgl.  Weinhold 
Mhd.  Gr.*  §  200  —  p.  194  zwei  Beispiele  dafttr  nach  Z  — ),  so  ist  uns 
bereits  ein  Anhalt  für  den  Dialekt  des  Dichters  gegeben  ^).  Md.  ist 
aach  das  zweimal  im  Reime  auf  gezogen  belegte  gepflogen  (v.  73/74  und 
V.  363/364)  leichter  zu  erklären.  Denn  die  Analogieform  gepflogen. ") 
ist  entschieden  in  Mitteldeutschland  früher  und  öfter  nachweisbar  als 
in  Oberdeutschland  (vgl.  Weinhold  a.  a.  O.  §  348) ;  das  mhd.  Wb.  bietet 
freilich  nur  drei  obd.  Beispiele  dafttr. 

Aus  md.  Dialekt  erhalten  auch  die  Reime  gebet :  anetrit  201/202 
und  gebete  :  anetrite  217/218  ihre  Berechtigung,  anetrit  etm.  Tritt,  Stufe, 
Schemel  ist  im  Mhd.  Wb.  als  in  £hingen  belegt  angegeben,  bei  anetret 
stehen  unsere  beiden  Stellen:  wir  haben  hier  den  im  md.  so  häufigen 
Wechsel  zwischen  e  und  t  anzunehmen. 

Die  Reime  gen  iflen  ^83/84^,  gän  :  emphän  57/58,  etän  :  emphän 
239/240,  empha  :  da  187/188,  {al)dd  :  nd  229/230,  315/316  und  613/514 
sprechen  sicherlich  nicht  gegen  einen  md.  Verfasser,  in  dessen  Dialekt 
solche  Contractionen  Tiel  häufiger  waren,  als  im  obd.  Aus  dem  Vers- 
innern  ftthre  ich  noch  an:  79.  trüte  für  trüwete^  303.  sptten  für  epteten, 
489.  bün  für  büwen]  diese  drei  contrahierten  Formen  sind  wir  durch 
den  Rhythmus  gezwungen  anzusetzen.  Ebenso  sind  die  Bindungen 
stiUe  :  willen  95/96  und  263/264  und  ende :  henden  453/454  bei  einem 
md.  Dichter  eher  zu  vermuthen,  als  bei  einem  obd.,  freilich  könnte 
henden  (für  hende)  454  erst  vom  Schreiber  stammen. 

Von  sonstigen  Reimen  ist  noch  bemerkenswerth :  gap:  ap  167/168, 
ferner  reht :  ge^Uht  69/70,  man  :  hän  269/270,  an  :  Eufemidn  279/280, 
Lateran  :  man  347/848,  aus  denen  allen  sich  nichts  Weiteres  schlie- 
ßen läßt. 

Der  Reim  herren :  9ren  31/32  ist  md.  durchaus  ohne  Anstoß, 
freilich  begegnet  er  auch  im  obd. 


*)  Ein  kiel  für  hieU  soheint  mir  luOant  sweifelhaft,  so  lange  nieht  andere  a]s 
Reimbelege  Torliegen.    O.  B, 

*)  Sollte  dies  nicht  die  alte  lantgesetEliche  Form  sein?    O.  B. 

')  Aus  dem  Schlußgebet  ist  noch  nachzutragen ,  v.  617/518:  ergkiißdn  mit  R, 
während  A  guchin  iflk^  bietet.  Y  hat,  wie  wir  sehen  werden,  ein  anderes  SchlulSgebet. 


172  M4X  FR.  BLAU 

Die  Form  duo  fflr  d$,  im  Reime  auf  zuo  (231/232.  261/262. 
287/28S)  ist  md.  ebenfalls  beliebt  (vgl.  Weinhold  a.  a.  O.  §  139). 
vv.  335/336  sind  wohl  am  besten  mit  Apokope  zu  reimen  nach  V, 
denn  intervocalisch  reimen  s  und  z  im  md.  nicht,  also  spia  :  fltz. 

Zum  Schlüsse  ftthre  ich  aus  dem  Gedichte  selbst  noch  eine  Reihe 
von  Ausdrücken  an,  die  entweder  speciell  md.;  oder  doch  md.  häufiger 
als  obd«,  für  den  md.  Ursprung  des  Gedichtes  sprechen^  das  uns  ja 
auch  nur  in  drei  md.  Hss.  überliefert  ist. 

V.  70.  /riete,  nach  dem  Mhd.  Wb.  nur  in  md.  Denkmälern  be- 
legt, ebenso  nach  den  im  Lexer  gegebenen  Stellen,  vgl.  auch  DWB 
IV,  I  105. 

V.  79.  trüte;  die  für  dieses  Wort ')  im  Mhd.  Wb.  gegebenen 
Beispiele  stammen  aus  dem  md.  Passional  und  Hermann  v.  Fritslar; 
der  Beleg  aus  M.  S.  H.  3,  75^  beweist  nichts  für  obd.  Gebrauch ,  denn 
die  das  Wort  bietende  Strophe  nr.  38  ist  als  Randschrift  bezeichnet, 
und  Zingerle  spricht  in  seiner  Ausgabe  des  Friedrich  von  Sonnenburc 
dem  Dichter  auch  diese  —  nur  in  der  Jenaer  Hs.  überlieferte  — 
Strophe  ab. 

V.  129.  anderweide  (vgl.  z.  B.  Weinhold  a.  a.  O.  §  339). 

V.  499.  erkreic, 

v.  502.  guoter  im  Reime,  also  durchaus  gesichert,  st.  Form  des 
masc.  für  das  ntr.  (vgl.  dazu  z.  B.  Das  hohe  lied  des  Brun  v.  Schone- 
beck von  Arwed  Fischer  (Germanist.  Abhandl.  v.  K.  Weinhold  VI) 
p.  41).   [Vgl.  Literaturblatt  1877,  Sp.  7.     O.  B.] 

Aus  allem  Angeführten  ergibt  sich  wohl  so  viel,  daß  wir  das 
Gedicht  mit  Recht  in  das  Gebiet  des  Md.  weisen  werden;  eine  ge- 
nauere Localisierung  ist  nicht  möglich,  ebensowenig  wie  eine  genauere 
Datierung.  Jedenfalls  dürfte  der  Dialekt  des  Verfassers  dem  ost- 
fränkischen nicht  zu  ferne  gestanden  haben.  (?  0.  B.)  Unmöglich 
freilich  ist  es  auch  nicht,  daß  wir  ihn  mehr  nach  Norden,  unter  den 
Einfluß  niederdeutscher  Sprachgesetze,  zu  verlegen  haben.  Ich  verweise 
auf  die  interessanten  Formen  in  R:  70.  siecht  für  gesteht  217.  bete 
für  gehete  (auch  344.  schach  für  geschach)^  durch  die  allerdings  der 
Versbau  an  den  betreffenden  Stellen  bedeutend  gewinnt,  und  nach 
deren  Analogie  man  dann  etwa  auch  in  73.  pflogen  für  gepflogen.  201. 
bet  für  gebet.  359.  bdt  für  gebdt.  380.  stalt  für  gestalt  zu  setzen  ver- 
sucht sein  könnte,  um  die  Überlastung  der  letzten  Senkung  zu  ver- 
meiden, [bit  306  ist  wohl  =  bit  d.  h.  biret,  weist  also  auf  das  Nd. 
0.  B.] 

*)  In  der  Bodeatang  „ehelich  susAmmengeben''« 


ZUB  ALßXIUSLEOBNDE.   n.  178 

Gleich  im  Anschlüsse  hieran  bemerke  ich,  daß  der  Rhythmus 
sonst  im  Allgemeinen  ein  glatter  ist  Aosfall  der  Senkung  begegnet 
noch  öfter  (vgl.  9.  sidin.  34.  ii^ren.  55.  199.  jär  quam,  63.  geistHiche. 
65.  zweinzigest  jär  trat.  138.  Aleanus  neic  ünt  gie  ddn.  158.  krümben. 
346.  ein  ander.    348.  heiligen  u.  s.  w.). 

Synkope  findet  sich  in  den  gewöhnlicheren  Formen  gar  nicht 
selten^  so  z.  B.  fllllt  das  e  der  Vorsatzsilbe  ge-  and  be-  vor  n,  m,  l,  w 
häufig  aus  (vgl.  23.  gnuoc.  54.  80.  gnant  105.  gnesen.  145.  gwar, 
157.  gwant,  352.  gmeine.  395.  bliben  u.  s.  w.  Auch  in  Flexionssilben 
finden  wir  bei  Nachbarschaft  von  n,  r  Synkope  des  e  vgl.  8.  16.  29. 
wärti.  180.  nnn.  265.  mmn.  411.  mtn$.  496.  w^rf.  Vgl.  auch  79.  377. 
443.  bäbst.  258.  phennings.  306.  iriucA«.  352.  fragten.  355.  jfrt/i. 
380.  endlich  u.  s.  w. 

Apokope  begegnet  in  den  Formen  wie  207.  zittert.  215.  350. 
wundert.  342.  minnert.  Ferner  in  stm  173.  217.  379.  eim  341.  und 
in  der  adv.-Endung  liehe:  418.  bermltch.   505.  stoeteclteh.  520.  khiocltch. 

Für  Überfdllung  der  Senkung  sind  die  schwersten  Fälle 

195.  järe  ze  järe^ 

198.  quceme  ze  gdote. 
wo  man  auch  an  Apokope  denken  könnte,  ferner  die  oben  erwähnten 
Fälle  (v.  70  u.  s.  w.),  dann  etwa 

2.  uAlen  ein  hSrre  ze  R,     25.  dz  mit  den  ersten. 

108.  kiüsche  biz  an.  (unz  begegnet  nie  im  Gedichte,  deshalb  ist 
auch  wohl  hier  die  naheliegende  Besserung  nicht  gestattet.) 

176.  quämen  die  knehte,  188  liezen  in  da,  201.  kirchen  an  sin. 
216.  sliezen  begdn.  271.  ere  so  iz.  274.  vergtzzestu  dtner.  276.  länge 
8ol  ich  (vgl.  442).  286.  dntlitzes  bilde  (wo  vielleicht  auch  sin  im  Verse 
zu  streichen  ist).  291.  treppen  begünde.  303.  üf  in  unt  spieten.  323. 
stSrben  am  dritten.  353.  möhte  gestn.  375.  künde  mit  allen.  508.  viere 
ze  himel.    514.  Kbe  die  sele. 

Man  sieht,  die  meisten  dieser  Fälle,  die  ich  vollzählig  gegeben 
habe,  sind  durch  die  Annahme  von  leichten  Synkopen  u.  dergl.  ohne 
Mühe  zu  entfernen  [aber  unnöthig.    0.  B.] 

Über  den  viermal  gehobenen  Vers  mit  klingendem  Ausgange 
habe  ich  bereits  oben  gehandelt:  Beispiele  finden  sich  so  zahlreich, 
daß  es  nicht  lohnt,  einzelne  aufzuführen. 

Ebenso  macht  der  Dichter  ausgiebigen  Gebrauch  vom  zwei- 
silbigen Auftacte,  der  einige  Dutzendraal  begegnet,  ich  verweise  auf 
Fälle,  wie  v.  65.  199:   do  er  anz.   85.  92.  102.  108.  163.  178.  u.  s.  w. 

GERMANIA.    Nene  Baihe  XXH.  (IXXIY.)  Jahrg.  12 


174  MAX  Fa  BLAU 

Zum  Dachstehenden  Texte  habe  ich  zu  bemerken,  daß  ich  in 
den  Lesarten  selbstverständlich  nicht  alle  orthographischen  Abwei- 
chungen der  Handschriften  gegeben  habe.  Im  Übrigen  ist  bei  der 
späten  Entstehung  der  Hss.  nicht  zu  verwundern^  daß  in  der  Flexion 
durchaus  nhd.  Formen  herrschen,  auch  in  B,  das  freilich  sonst  noch 
einiges  Ältere  erhalten  hat,  z.  B.  v.  99  atoaz,  ferner  einige  Male  da, 
während  in  V  und  A  do  und  da  ungeschieden  als  do  geht.. 

Im  letzten  Drittel  habe  ich  mich  zu  einigen  Anmerkungen  ver- 
anlaßt gesehen,  da  die  betreffenden  Stellen  im  zweiten  Theile  meiner 
Arbeit  —  um  ihn  nicht  zu  breit  werden  zu  lassen  —  keine  Bespre- 
chung finden  konnten. 

Über  die  Beibehaltung  des  auslautenden  e  (vgl.  3/4.  29/30.  71/72. 
209/210.  227/228.  311/312.  329/330.  351/352.  389/392.  413/414.  449/ 
450.  461/462)  ließe  sich  vielleicht  streiten,  zumal  ich  v.  335/336  spis: 
ßiz  (dat.)  angesetzt  habe  und  auch  101.  102  reht  (adv«)  :  kneht  steht 
(69.  70  könnte  man  ebenso  gut  rehte  :  geslekte^  wie  reht :  gesieht  lesen) ; 
indeß  glaube  icb^  würde  die  Streichung  des  auslautenden  e  nach  langer 
Silbe  dem  Gedichte  einen  so  jugendlichen  Anstrich  geben,  wie  er  ihm 
nach  allem  Übrigen  (vgl.  nur  die  nicht  geringe  Zahl  der  Fälle,  wo 
wir  Ausfall  der  Senkung  feststellten)  nicht  zukommt,  und  ich  habe 
deshalb  mich  nicht  zur  Streichung  des  e,  das  in  den  Hss.  bald  er- 
halten ist,  bald  nicht,  entschließen  können. 

Über  die  Hss.  selbst  ist  noch  nachzutragen,  daß  die  einzelnen 
Versanfänge  in  allen  durch  große  Buchstaben  hervorgehoben  werden. 

In  eime  bnoche  man  uns  las,  al  ir  gewant  was  sidin, 

daz    wilen    ein    herre    ze    B6me  10  er  tete  in  Ion  mit  triuwen  schln. 

was,  da  bi  bete  er  solbe  tugent, 

gewaltec  unde  vollen  riebe,  daz  sin  alter  nnt  sin  jugent 

er  lebete  scbone  unt  tugentlicbe.  den  gerebten  wol  geviel. 

5  driu  tüsent  dienten  ime  für  oucb  pflac  er  daz  er  sich  nibt  ent 

nach  sines  herzen  willekür,  h]el(t), 

swaz  er  si  hiez  unt  gebdt.  15  eme  machte  die  armen  dicke  frö: 
ir  gürtel  w&rn  von  golde  rot,  drt  tische  w&rn  gesazt  also, 

Überschrift:  f  V.,  daz  buch  von  sinte  AUexio  R,  de  sancto  AUexio  Ä. 
1  ich  daz  laß  Ä,  2  [wilen]  Ä.  d.  by  vor  czu  rome  ef  b.  w.  F. 
3  [vollen]  AV,  4  des  lebins  seh.  F.  [schöne  unt]  tognntlicben  Ä. 
5  man  dinten  yn  v.  F.      man  di  R,      dry  hundert  Ä.  7   en  gebot  F. 

8  w.  en  vor  g.  F.        9  w.  edil  vnd  s.  F.        10  1.  vnd  hulffe  seh.  Ä.     do 
worn  sy  gepreyset  eyn  F.        11 — 26  f.  Ä.        13  d.  g.  leiten  A.       14  onch 
phag   h^  das   das   h^    nicht   hil  F.       o.  tat   er   [sieb]  A,         16  [ne]  VA, 
16  beleyt  A, 


ZUR  ALEXIUSLEQENDE.    n. 


175 


20 


25 


daz   man  die  spise  mnose  reisen, 
{mit  M) 
der  ein  der  diente  den  armen  weisen, 
der  ander  den  witewen,  als  er  hiez, 
der  dritte  des  rehten  niht  enliez: 
dar  sazte  er  pilgerin  nnt  geste. 
swenne  der  herre  daz  wol  weste^ 
daz  sie  beten  alle  gnuocy 
BÖ  gienc  er  hin  äne  allen  fnoc 
unde  az  mit   dem^sten,    den   er 

vant: 
dar  was  sin  diemnot  gewant. 
Eufemiftn  biez  er  mit  dem  namen, 
Aglais  sin  wip  mit  grözen  schämen, 
geistlicher  liebe  wdm  si  riebe, 

30  sie  lebeten  beide  tugentliche. 
stn  hof  stuont  mit  grdzen  ^ren, 
iedocb  gebrach  dem  selben  herren 
eines  Schatzes,  des  er  Ißit  gewan. 
wie  dicke  er  trüren  began 

35  nnt  sin  schoene  fronwe  angespart,. 
daz  ein  kindlin  in  niht  wart! 
des  bete  er  dieke   swaoren   muot. 
er  sprach :  „waz  sol  mir  al  min  guot, 


Silber,  golt  nnt  richin  wftt, 

40  sint  unser  ger  niht  enhftt 

eines  erben,  der  daz  gnot  besitze«'' 
des  trüreten  alle  sine  witze 
unt  siner  frouwen  oucb  alsam. 
sie  bäten  dicke,   als  in  wol  zam, 

45  daz  in  got  bescherte  ein  kint; 
daz  wart  in  also  vlsstec  sint. 
daz  si  liebe  nnt  leide  an  im  sähen, 
dd  die  ammen  des  verjAhen, 
daz  daz  kindlin  wart  gebom, 

50  dö  zegienc  sin  trüren  unt  sin  zom 
unt  siner  frouwen  ouch  als6: 
ir  beider  herze  daz  wart  frd. 
er  liez  ez  toufen  alzehant, 
Alexius  wart  sin  name  gnant. 

55  do  er  in  daz  sehste  iär  quam, 
daz  im  diu  16re  wol  anzam, 
er  liez  in  zuo  der  schuole  gän. 
dd  begunde  er  an  sin  herze  emphän 
sd  grdzen  sin  al  ungespart, 

60  daz  er  der  schrift  so  wise  wart, 
daz  er  die  werlt  begunde  hazzen 
unt  solhe  liebe  zuo  im  yazzen, 


17  setczin  F.      nejsen  Ä.       18  dem  a.  weyszS  F.      eyne  [der]  Ä. 

21  dorob^  satczte  her  dy  pilgerä  y.  g.  F.      der  erste  der  p.  v.  der  g.  Ä, 

22  wenn  denn  das  d.  b.  wüste  Ä,     23  alle  hatten  A,         24  gefdg  F,    für 
diesen  Vers  liest  Ä:  daz  man  weder  von  en  trug   |    er  ging  hen  alz  er  wol 
woste  I  noch    alle   sjme  luste.  25  d«  all^  e.  F.     den   ermesten   dy  A. 
26  dorczu  w.  em  s.  mut  g.  A,      27  fennan  F.     femian  R,     by  d.  n.  A. 
28  Agles  F.    Aglas  A.    Agalest  s.  w.  genamen  R.     31 — 36  f.  R,     32  ydoch 
zo  g.  d.  selbigy  h.  F.         33  syns  seh.  daz  A,        34  vil  d,  A.        35  [unt] 

.  •  . .  al  ungesp.  F.  36  daz   in  nie    kein   kint   w.  F«  37  [bete]  R, 

hatten  sy  A.      37.  38  in  B  umgestellt.      38  [al  min]  B.     m.  groz  g.  A. 
39   s.  unt  g.  u,  r.  war  F.     40  sint  daz  R.     sit  daz  er  vnser  nichten  h*  F. 
sint  mir  got  nicht  geföget  h.  ^.     41   eyn  erbe  jß.     ein  e,  d.  d.  riebe  b.  F. 
eynen  e.  d.  min  g.  b.  ^.         42  witczin  F.     truren  mir  alle  myne  w.  A, 
43  min  fr.  A.     [ouch]  F.     44  baten  beide  als  F.     als  dicke  boten  als  R, 
geczam  A,        46  [in]  B.     in  gegeben  s.  F.     also  lobelich  s.  A.        47  leit 
yii  lib  R.        48  daz  y.  F.     das  yernamen  A»        49  do  daz  AV.        50  daz 
yorging  s.  tr*  unde  z.  V,      51  rehte  also  F.       52  herze  warn  A.     53  tew- 
rin?  F  (nach  M).       hyß    touffen    den    son   zcuh.  A.     54  w.  her  gen.  R. 
was  VA.     Allezius  alle  drei  Hss.^  und  so  immer.     55  an  daz  A.      57  zcur 
seh.  R.     do  liez  em  F.  58  in  sin  h.  F.     begondes  an  R,      so  begunde 

an^.  59  grose  synnS  F.  syn  so  nng.  ^.  60  daz  is  R.  61  czuh  .F^. 
daz  is  gegunde  di  wUt  h.  R.  62  [unt]  al  sulche  R.  1.  ym  czn  f.  F. 
an  sich  y«  A. 

12* 


176 


MAX  FR  BLAU 


die  man  heizet  geistliche  minDe. 
got  gap  im  solhe  sinne. 

65  Do  er  anz  zweinzigest  jftr  trat, 
Bin  vater  in  mit  Worten  bat: 
„sun,  da  solt  ein  megetin  nemen, 
diu  dir  ktinne  wol  anzemen 
unt  dir  an  £ren  füege  reht**. 

70  dö  Mete  er  im  ein  keisers  ge- 
steht, 
schoene,  zfichtec  unde  richei 
unt  holte  si  im  togentliche, 
daz  groezer  frönde  nie  wart  ge- 
pflogen, 
Alexins  was  alsd  gezogen, 

75  er  wolde  den  vater  niht  beträeben 
noch  sinen  willen  an  im  üeben. 
er  liez  sie  dö  zesamene  geben, 
daz  sich  frönte  ir  beider  leben, 
sie  trüte  ein  bftbst  mit  siner  hant, 

80  Innoeentins  was  er  gnant. 
dd  diu  naht  den  tac  verstiez, 
der  herre  sinen  snn  hiez: 
„Alexi,  du  solt  slftfen  g6n, 
du  solt  triuten  unde  fi6n 

85  dine  brüt,  daz  ez  ir  wol  behage, 
daz  gib  et  iu  fröude  ftne  dage. 


dis  ist  zit  an  dirre  stont.'' 
er  ensträfte  niht  des  vater  munt. 
do  er  mit  ir  ze  bette  quam, 
90  als  in  beiden  wol  gezam, 
nnt  bi  ir  aleine  saz, 
sine  16re  er  mit  dem  munde  maz: 
er  sprach :  „vil  liebiu  frouwe  min, 
wilt  du  also  mit  mir  sin, 
95  daz  du  tuost  ai  minen  willen? 
si  sprach  ,fjk^  sunder  stille: 
„herre,  swaz  so  dir  behaget, 
ich  bin  diu  frouwe  nnt  din  maget. 
ich  sol  dir  undertfienic  sin, 

100  daz  gebieten t  mir  die  sinne  min." 
Alexins  sprach :  „so  redest  du  reht, 
jft  bin  ich  din  herre  unt  ^n  knefat. 
frouwe,  ich  bitte  dich  niht  me, 
wan  alles,  daz  dir  wol  anste, 

105  daz  lip  unt  sSle  müeze  gnesen." 
si  sprach :  „daz  müeze  uns  künftec 
wesen.** 
„sd  hoere,  liebiu  frouwe  min, 
du  solt  kiusche  blz  an  din  ende  sin, 
denselben  orden  wil  ich  tragen." 

110  daz    begunde    der    frouwen   wol 

behagen. 


63  d.  m.    nu    heiseit   g.    übe  F.       daz  m.  Ä*         64  al   snlche  B. 
synnen  F.       gap  ich  em  ^.  65  daz  er  ^.  67  mayt  F.       wyb  A. 

68  kume  R.     dir  wol  kan  an  cz.  F.     dir  wol  mag  gecz.  Ä.     69  friget  Ä. 
f.  R,       70  eynes  k.  siecht  R.      des  k.  F.      er  vreyte  em  Ä.       71   dy  was 
seh.  Ä.  72  er  holte  im  si  t.  F.      dy  gap  man  ym  gar  t.  Ä,  73  ge- 

hört F.     groze  R.       74  so  ^.        75  seynen  v.  F.     f.  R,        76  noch  keyn 
em  s.  w.  üb.  A.     LR,         77  do  liez  er  si  z«  F.      dazcus.  R.      [dö]  A, 
78  [ir]  R.     so  daz  F.         81  also  F.     vorlyß  A.        82  do  her  syn  s.  R, 
seynß  sune  F.         81.  82  in  A  umgestellt,         83  Allexius  VA,        84  vnd 
du  A,       85  [ez]  V,     br.  das  ir  b.  A.     din  VR,       86  daz  is  uch  vr.  sund^ 
cl.  R.     87  daz  A,     das  ist  nu  z.  an  der  st.  F.      88  [en-]  VA.     syns  A, 
89  für  daz  b.  F.        90  anzam  F.     Dahinter  in  B  nochmals:  vii  yn  beide 
wol  ge.      91  unt  er  b.  F,     al.  do  was  ^.      92  die  1.  F.     sin  1.  R.      94  by 
mir  R.     95  den  w.  mey  F.     alle  m.  w.  A.     [al]  R.     96  [j&]  s.  stillen  R. 
alsunder  F.        97  h^re  wy  so   ys  d.  behayt  F.     swaz  ....  behalt  R.     herre 
was  uch  b.  A.        98  di  vr.  v.  d.  mait  R.       99.   100  f.   R.       99  wil  A, 
100   gernenoch    dem   willen   dyn  A.  101  nv  redistu  F.     spr.    du   redest 

r.  A,      102  so  bin  R,     ich  b.  d.  h.  u.   euch  d.  k.  A.      103  ich  b.  d.  frawe 
n.  m.  A.      104  [wan]  Ä,  wan  waz  F.       105—118  f.  Ä.       105  [müeze]  F. 
106  muoz  unsczukünftec  sey  F.     kundig  A.       107.  108  f.  F.        108  etm 
unz  für  biz  su  setzen?     109  selbigin  F.     110   fr.  czu  b.  F. 


ZUR  ALÜXIUSLEGENDE.    II. 


177 


si  sprach  ze  ime  al  überlfit: 
„min  sdle  werde  gotes  brüt 
unt  din  alsam,  als  wir  verschei- 
den." 
daz  wart  gelobet  von  in  beiden. 

115  daz  gelobete  ir  beider  mnnt  also, 
daz  brähte  in  sorge  unt  frdude  dö. 
er  nam'i  vingerlin  von  siner  hant 
nnt  gap  ez  der  juncfroun  alzehant. 
er  sprach :  ^  vil  liebin  frouwe  min, 

120  so  nim  daz  gäldin  vingerlin, 

wan  ich  morgen  von  dir  scheide^ 
ez  si  mit  liebe  oder  mit  leide; 
kume  ich   niemer  zno  dir  sider, 
BÖ  gip  mir'z  in  dem  himel  wider." 

125  si  sprach  „gerne**  nnd  weinte  s^re^ 
als  ir  gap  ir  herzen  l€re: 
,,nu  enwil  ich  niemer  m^  gedagen, 
ich  enwelle  schrien  nnde  klagen, 
biz  ich  dich  anderweide  ersehe 

130  oder  dinen  tdt  genzliche  erspehe. " 
des  morgens  do  der  tac  üf  brach, 
daz  alte  reht  aldft  geschach: 
man  begienc  mit  in  der  briute  siten, 
man  begunde  alt  unt  junge  biten. 


135  Dd  sie  ge tranken  unde  gftzen 
unde  alle  in  fröuden  sftzen, 
beidin  frouwen  unde  man, 
Alezias  neic  unt  gie  dan, 
daz  des  nieman  wart  gewar, 

140  wan  sin  liep  aleine  gar 
in  sines  herzen  grdzer  not. 
Silber  unde  euch  golt  r6t 
nam  er  vil  ze  siner  zer. 
er  ilte  balde  üf  daz  mer, 

145  daz  sin  der  vatör  iht  wurde  gwar. 
[als  er  nu  quam  an  daz  var], 
{nach  M) 
ze  eime  schiffe  er  da  stiez, 
daz  in  beliben  niht  enliez: 
ez  truoc  in  in  ein  ander  lant, 

150  dftrinne  er  niemen  was  bekant, 
fürbaz  in  einen  grdzen  port 
daz  was  sin  wille  unt  sin  wort, 
dd  sach  er  eine  gröze  stat, 
da  er  sint  daz  almuosen  bat, 

155  unt  mitten  dinne  ein  münster  sten, 
dar  quam  er  für  die  tür  g^n. 
er  gap  sin  gwant  der  armen  diet, 
daz  Silber  den  krumben  beschiet. 


111  vnd  spr.  weder  en  obirlut  Ä.      112  trut  Ä.     113  wenn  w.  Ä. 

115.  116  in  A  umgestellt.         115  es  g aldo  Ä.     [ir]  F.         116  fr. 

u.  surge  nv  F.  so  A.  117.  118  f.  A.  119  [vil]  Ä.  120  [so]  F. 
[so]    nim   hen  A.  121  wen   ich  v.  d.   scheide   morne  F.  122  libe  vn 

mit  R.  123  ich  czu  dir  niht  sedir  F.  ich  nicht  zcu  A,  125  vil  z*e  F. 
126  also  F.  ires  Ä.  eres  F.  irs  -4.  127  [m%]  F.  [en]  ...  [m6]  A. 
128  ich  wil  F.  ich  wil  weynen  A.  129  andirwit  s.  F.  anderweit  s.  A, 
130  vnt  F.       genczlichen  spee  A.  131   anbrach  VA,      do  des  m.  A, 

132  alda  reht  Ä.     do -4.     133  begunde  F.     de"  brut-4.     brut  Ä.      134  das 
junge  vnd  aide  F.     jung  v.  ald  A.     zuo  b.  in  allen  drei  ITss.,  wohl  Fehler 
in  X,        136—137  f.  B.        135  aßen  A.        138  n.  syn*  br.  gynk  dan  R 
n.  seyn^  liben  brawt  |  vnd  schit  von  dan  F.      do  ging  syne  iunge  brut  an  | 
das  sy  vil  heiß  weynen  began  A.      139  gewan  E,     das  das  F.     140  Wh  RA, 
wenne  seyne  libe  fraw  dar  F.     141—145  f.  A.     141—150  f.  R.     141   vnt 
8.  h.  grosse  n.  F.      1 45  ich  worde  F.     146  f.  in  allen  drei  Hss,     147  lyff  A, 
148  nichte  hys  F.     en  do  nicht  bl.  \,  A.     150  do  ynne  bek?  (nach  M)  F. 
do  er  nymande  A.  151  vort  alle  drei  Hss,       vnt  fürbaz  F.       her  gync 

in  R.        152  [was]  R,      unde  wort  F.         153  guote  st.  F.        154  do  synt 
er  R,      dorynne  er  A  155  [unt]  F.       dorinne  A,      stet  F.      da  vant  er 

ynne  R,        156  türe  F.       stan  :  gan  in  A.      do  alle  drei  Hss.        157  den 
armen  F.       s.  gew.  gap  er  den  a.  d.  A,  158  [er]  d.  kr«  gi't  B*      teilte 

h^  d.  kr.  F. 


178 


MAX  FB.  BLAU 


den  liehtelosen'x  rote  golt: 

160  alsus  verzerte  er  sinen  solt 
unde  er  von  der  richeit  liez. 
in  einen  hader  er  sich  stiei, 
der  was  boese  ant  gar  ungaoter.       185 
do  enweste  vater  noch  mnoter 

165  noch  sin  brüt,  war  er  quam, 
dft  dürte  er  lenger,  wan  im  zam. 
swaz  man  ime  durch  got  d&  gap, 
d&  schiet  er  ie  das  haipteil  ap 
nnt    gap'z    den    armen,    die    da      190 

sftzen : 

170  er  volgete  stner  saBlde  strftzen. 
Yil  trürec  was  her  £afemi&n, 
er  hiei  üz  riten  unde  g&n 
üf  alle  strAzen  nftch  sim  kinde.      195 
nnt  sin  mnoter  weinte  swinde, 

175  onch  sin  schoenin  jnnge  brüt. 
dd  qu&men  die  knehte  überlüt 
dar  d&  sie  in  fanden 
nnt  sin  niht  erkennen  kmiden,        200 
vor  einer  kirchen,  dft  er  saz 

180  unt  sinn  dienst  gegen  gote  maz. 


sie  giengen  für  in  unbekant  (sie  0 
er  racte  gegen  in  sine  hant 
unt  bat  im  daz  almuosen  geben, 
dd  lobete  er  sin  selbes  leben: 
„ich  lobe  dich,  herre,  durch  den 

sin, 
daz  ich  d&  zno  worden  bin, 
deich  miner  knehte  g&be  emphä." 
sie  gftben  im  unt  liezen  in  d4 
unt  griffen  an  ein  ander  pfliht, 
er  kantes  wol  unt  sie  sin  niht! 
sie  schiften  in  ein  ander  lant, 
d&  er  ze  sehenne  wart  genant, 
dft  leit  er  tac  unde  naht, 
er  diente  gote  mit  ganzer   mäht 
von  jftre  ze  j&re  manege  zit. 
er  hete  müede  unt  grozen   strit 
daz  dolte  er  allez  in  dem  muote, 
daz  ez  der  s^le  qaaame  ze  guote. 
Do  er  anz  sibenzehende  jftr  quam, 
do  gienc  er  hin,  als  im  gezam, 
ffir  die  kirchen  an  sin  gebet, 
dft  kniete  er  an  der  swelle  antret 


159  sin  r.  g.  £F.  blinden  VA.  bl.  gap  er  daz  ^.  160  ver- 
teilte RV.  [er]  R.  also  VA.  s.  reichin  s.  V.  161  reichit  F.  daz 
et  VR.  163  [gar]  F.  vnuuget^  R.  das  w.  eyne  g.  boze  war  A. 
164  mu  enw.  noch  v.  F.  syn  v.  noch  syn  m.  R.  daz  enw.  w^der  v.  n.  m« 
zwar  A.  165  wa  R.  wo  h^  hy  qw.  F.  wo  er  hen  qu«  A,  166  her  d. 
do  1.  w.  i.  gezcä  R,  ebenso  A^  nur  truerte  für  durete.  f.  F.  167  was 
her  F.  [dft]  VA.  daz  man  R.  168  yo  sneid  her  ys  yo  halp  ap  F. 
das  sneyt  er  das  A.  169  gap  den  armen  A,  dy  by  ym  s.  VR,  170  syn 
seiden  R,        unt  v.    einer    tiuren    str.  F.       [sselde]  A.  171  femiftn  R, 

fennam  F.     wart  F.     waz  der  vater  E.  ^.       172  liez  VA.       174  so  w.  diu 
m.  gar  sw.  F.     ouch  w.  s.  m.  sw.  A.       175 — 178  f.  JB.       175  unt  s.  F. 
176  oberlant  A.       sine    kn.    in   VA    ist    wohl  Fehler    in  x.         177   [dar] 
do  sy  F.        [dar]  do  hen  do  ^.  178  vnd  en  F.       sy  en  erk.   nicht  en- 

kunden  A,  179  k.  her  do  s.  ^.  180  [unt]  sin  d.  key  g.  was  F.  syn 
A.  RA.  l82  [gegen]  F.  reichte  A.  183  czu  g.  F.  daz  sy  em  d.  a. 
gebinX  184  seynes  F.  syns  ^i.  185— 198  f.  iS.  185  dur  minen  s.  F. 
herre  ich  lobe  dich  A.  187  [knehte]  A.  daz  ich  VA.  188  sy  gobins 
en  V.  lissen  ys  yn  do  F.  189  yn  für  ein  F.  sy  gr.  ^.  190  [unt]  ßy 
en  nichts.  189.  190  in  A  umgestellt.  191  vnde  ritten^.  192  in  ze 
suochene  was  ben.  F.         193  daz  1.  F.         194  gantz  seyn^  m.  V.         193. 

194  AUezius   dynete  mit  aller  macht   1   vil  manchen  tag  vnd  nacht  in  A. 

195  vil  manche  A.      196  h.  leit  v.  gr.  A.      197  daz  tat  A.      199  sibende 
VR.     yn  das  A.     200  em  wol  g.  A.      201  kirche  A.     202  als  di  sw.  R. 
nedir  an  der  kirche  antrit  F.     vnd  kn.  vor  d.  A. 


ZUR  ALEXIUSLEGENDE.    IL 


179 


von  mitternaht  bis  gegen  tage, 
dd  mogte  er  siner  Sünden  klage 

*20b  unt  tete  dem  libe  s^re  wS, 
dö  quam  ein  regen  nnde  snS^ 
daz  er  zittert  von  grimme , 
dö  rief  ein  bilde  lüter  stimme: 
nstant  üf,  du  trssger  glockenaere 

210  unt    ringe    dem    menschen    sine 

swaare, 
der  uzen  üf  der  swelle  liget, 
§  im  die  kelte  angesiget 
unde  dft  ersterbe  tot. 
läz  in  hin  in,  es  ist  im  not.* 

215  daz  wunderte  s6re  den  huoteman, 
die  tör  er  üf  sliezen  began. 
dö  vant  er  in  ligen  an  stme  gebete 
üf  der  swelle  anetrete. 
er  sprach  im  zuo  mit  gmoze 

220  unt  viel  im  d6  ze  faoze: 

„wol  her  in,  du  saslec  man, 
d&  dirz  weter  niht  geschaden  kau. 
ein  bilde  h&t  für  dich  gebeten.^ 
dö   begunde   er   in  daz   münster 

treten 


225  ze  Winkel,  da  in  nieman  sach, 
dft  er  aber  sin  geztt  sprach, 
daz   merkte  dö  der  glockensBre, 
er  sagete  s  morgens  niuwe  mare, 
ein  heilec  mensche  wsere  aldä. 

230  der  Hute  gi engen  im  vil  nd. 
unt  truogen  im  also  vil  zuo, 
daz  in  des  verdühte  duo: 
er  sprach :  „her  lip,  des  ist  ze  vil, 
des  ich  von  iu  niht  enwil.' 

235  man  wil  iuch  füeren  üz  der  mftze.^ 
er  k^rte  üf  eine  ander  strftze, 
üf  daz  mer  al  nngewant; 
er  wolde  in  Cilicien  laut: 
dft  hete  santPaul  ein  münster  stftn, 

240  da  wolde  er  sinen  tOt  emphftn 
unt  sines  endes  dft  erbeiten. 
Got  begunde  ez  anders  leiten, 
sehty  daz  mohte  niht  geschehen : 
in  sluoc  ein  wint,  daz  sult  ir  spehen, 

245  daz  er  quam  ze  Röme  wider, 
daz  beweinte  er  harte  sider. 
do  er  wider  gegen  Börne  quam, 
eine  rede  er  ze  munde  nam: 


203.  204  in  A  umgestellt,         203  von   der  m.  U.       zcu   dem  A. 
vor  m.  biz  hin  gein  t.  F.         204  sunde  F.       vnd  rurte  s,  sunde  cl.  A. 
205  er  tet  F.     tat  er  d.  1.  so  w.  A.      206  fein]  JBF.     reyn  VA.      207  so 
das  A,     mit  gr.  F.       208  mit  1.  st.  A.     riff  dj  gotis  st.  A.       209  kirche- 
ner  A,       210  ring?  F  {nach  M).     lychte  den  m.  A.       211   duze  .  . .  swel- 
len  F.       d.  draußen  vor  der  kirche  lyt  A.  212  kaltheit  Ä.       dy  k.  ym 

ang.  F.       213  V.  her  erstorbe  t.  F.     v.  eer  denn  erstirbet  t.  A,     214  her 
in  F.       laz   es  hen,  es  A,     iz  ist  It,        215  [sere]  F.    denselbin  m.  A,     hut- 
man  B.       216  czu  süssen  F.     [er]   uf  beslisen  gan  JR.     do  er  zcu  slyssen  uf 
began  A.       217  bete  B      do  er  in  vant  an  F.        218  sweUen  antrit  F. 
swellen  an  tret  A,     antrete  B,       219 — 246  i.  B»       219  [mit]  A,       220  al- 
do  F.        221   gang  h.  F,       seliger  VA.        222  daz  dyr  d.  F.        223  eyne 
stymme  A,     224  czu  tr.  F.     225  in  ein  winkel  daz  F.      227  marcte  F. 
offenbarte  d.  kirchener  A.     228  markte  F.     e.  s.  den  luten  gute  mere  A. 
229    heiliger  F.  230  do  g.    em  dy  lute   alle  na  A.       (aldo  :)  noe  F. 

231   so  ^.       232  das  ys  isz  en  verdrossz  de  F.     [des]  A,       233  daz  F. 
[her]  leib  es  A.      234  daz  ich  von  dir  A,     f.  F.       235  wohl  Fehler  in  X; 
ich  w.  i.  f.  u.  d.    vnmosze  F.     ich    w.    dich  A,     236  do  körte  her  sich  F. 
sich  A.       237   off  F.        238   cecilian  F.     Cecilien  A.       239  synte  p.  F. 
sente  pawel  A.     241.  242  {,  A.     242   do  begnde  h*  sin  anders  czu  1.  F. 
243  f.  F.     245  d.  der  q.  keyn  R.  w.  A.      246  dicke  A.      247.  248  in  B 
umgestellt,       247  keyn  r.  weder  qu.  A.     da?  e*  w-   zu  r.  qu,  /?,       t?48  £u 
l^ue  nam  B, 


180 


MAX  FB.  BLAU 


herre,    daz  ist  äne  mine  schult, 

250  din  wille  werde  an  mir  erftilt! 
ich  waBnte  alsd  ersterben, 
deich  niht  endurfte  werben 
ze  Röme  um  keine  spise  m^.  275 

ditz  widerkomen  tuot  mir  we. 

255  sint  ez  niht  anders  mac  gesin, 
so  muoz  ich  suochen  die  phründe 

min 
ze  minem  vater  als  ein  man, 
der  phennings  wert  nie  gewan. 
er  gienc  üf  eine  sträze  st^n,  280 

260  do  quam  sin  vater  fär  in  gen. 
er  rief  im  eine  stimme  zuo 
mit  jimerlichen  werten  duo 
offenbare  unt  niht  ze  stille: 
„berre,  gip  mir  durch  Alezi  willen      285 

265  din  brot  biz  an  mtnn  lesten  tac.^ 
der  vater  do  s€re  erschrac^ 
do  er  den  sun  hete  genant; 
do  begunde  er  weinen  sä  zehant 
er    sprach:     „vil    gerne,    lieber      290 

man, 

270  die    wile    ichz    von    gote    mac 

hän, 


durch  sine  ^re  so  iz  min  bröt, 
er  si  lebende  oder  tot. 
Alezi,  min  vil  liebez  trüt, 
wie  vergizzest  du  diner  jungen  brüt 
des  vater  unt  der  muoter  din ! 
wie  lange  sol  ich  din  sBnec  sin." 
ditz  clagete  er,  daz  sin  sun   an- 
hörte, 
der    im    sin    trüren    doch     niht 

stdrte. 
da  muget  ir  wunder  prüeven  an, 
daz  der  herre  Eufemiän 
sines  kindes  niht  erkante, 
bleiche  unt  armuot  daz  verwante, 
langer  hart  unt  horwege  kleider: 
also  verstalt  was  er  leider , 
daz  er  dem  vater  was  ze  wilde, 
als  gel  was  im  sin  antlitzes  bilde, 
er  sazte  im  einen  schaffer  zuo, 
der  fuorte  in  ze  hüse  duo 
unde  schuof  im  solch  gemach, 
daz  im  leides  vil  geschach. 
under  einer  treppen  begunde  er 

ligen, 
er  hete  sich  fröuden  gar  verzigen. 


249  dis  ist  R.     er  sprach,  h.  A.        250  deruult  R,       251  wente   ich 
snlde  a.  F.         252  erwerben  Ä.     dorfte  niemer  w.  F.     [en-]  Ä.         253  in 
r.  R,  [um]  F.     deheine?  F.     254  das  w.  das  tut  w.  -4.     255  gewesi  B. 
niht  nu  mac  F.       sint  das  n.  m.    anders   gesyn  A,  256  freunde  AR. 

spise  F.    Wohl  in  den  verschiedenen  Hss.  verderbt',  noch  wahrscheinlicher 
bereits  in  x  durch  friunde  ersetet.        257  e.  ander  m.  F.        258  ph.  w.  er 
nie  g.  F.     260  zu  ym  R.     gegan  A.     261   her  spch  ym  myneclichen  zu  R, 
r.  em  in  einer  st.  F.     eyne   st.  em  A.       262  ju  A.     du  R,       263   [ze]  A. 
264  gebet  R,     allexius  VA.     wille  VA.        265  \fn  br.  Ä.       266  sin  R. 
d.  herre  [do]  F.     do  vil  s.  A.        267  daz  er  F.        268  czu  w.  alzeh.   F. 
er  b.  zcu  w.  alczuh.  A,      269  spr.  gerne  vil  guoter  m.  F.     vnd  spr.  g.   du 
vil  1.  m.  A,         270  mac  von  gote  h.  F.     gehan  A,         271   [so]  F.     sinen 
willen  VA,     so  iß  durch  s.  w.  myn  br.  A,       272  er  lebe  ader  sey  t.  A. 
273  Ach  AUexius  F.     AUexius  A.     274  [jungen]  Ä.     lieben  F.     275  vaters 
VA,       276  enic  R,     eynig  F.     ene  A,       211  son  horte  F.     der  son  A. 
278   [sin]  Ä.     der  nie  doch  trurens  st.  F.     s.   leit  d.  n.  enst.  A,         279 — 

286  f.  R.  279  da  merket  alle  wunder  an  F.  280  h^re  her  femian  F. 
282  irwante  A,  vorwante  F.  283  clengir  b.  höre  cl.  F.  bofe  cl.  A, 
285  dws  her  F.      [vater]  A,         286  also  F.       vil  bleich  w.  em  syns  A. 

287  suchte  A.  288  her  R,      du  R,     ju  A,  290  do  ym  R,      zculeide 
vil  ^.       291  unde  e.  tr.  muste  er  1.  R.     her  begude  czu  1.  F.     czu  \.  A. 
292  fröude  g.  vorcz  egin  V,     der  frawen  hatte  er  sich  v.  A, 


ZUR  ALBXIU8LE0ENDE.    IL 


181 


8wen  sin  yater  k6  tische  aas. 
Bin  pflegeman  des  niht  vergas, 

295  er  enbrashte  im  sine  pfrttnde  dar. 
er  was  gar  j&merliohe  var, 
als  mflBsUehe  as  er  nnde  träne: 
gegen  gote  stnont  al  sin  gedanc. 
yil  maneger  sehande   er  d6  leit 

300  yon  boeser  knehte  kttodekeit: 
swenne  sie  die  schfizseln  df  ge- 
n&men 
unt  für  sin  gemachelin  qn&men, 
sie  gnzzen  üf  in  unt  spieten  an. 
das  leit  der  vi!  saalige  man 

305  rehte  als  man    einen   wnrm  trity 
der  dt  krineht  nnt  niemen  bit. 
vil  dieke  sach  er  für  in  gftn 
sinen  yater  nnt  sine  mvoter  stftn 
nnt  sine  scboene  junge  brüt. 

310  doch  wart  der  munt  des  nie  lüt, 
daz  er  iht  sagete   wer  er  wäre.' 
nn  merket*s  j&mer]iche  masre: 
also  liep  als  er  in  was, 
daz  er  die  herte  zuo  im  las. 

315  daz  leit  er  also   lange  da, 


bis  im  ein  sinche  yolgte  n&. 
Als  uns  sin  büechlin  hftt  gelesen, 
das  er  zem  Ersten  was  gewesen, 
da  er  sibenzßn  i4rz  almnosen  nam, 

320  seBdme  als  lange,  bis  daz  rol- 

quam 
nach  sines  herzen  wiUekfir. 
dd  qnam  im  eines  nahtes  für, 
er  solde  sterben  am  dritten  tage, 
got  wolde  kürzen  sine  clage, 

325  daz  er  des  wnrde  wol  gewar, 
dd  quam   ein  engel   nnt  brähte 
im  dar 
einen  brief  nnt  legete  in  in  die 

hant, 
daran  sin  leben  wart  bekmnt, 
daz  sin  brüt  ein  megettn  wasre 

330  nnde  er  ein  degen  nnwandelbasre, 
nnt  was  er  dort  sibenz^n  jftr  leit, 
wie  im's  bildes  helfe  wart  bereit 
unde  allez  daz  er  ie  begienc 
nnt  wie  er  ze  Börne  eint  emphienc 

335  sines  yater  tranc  nnt  spis. 

onch  was  daran  geschriben  mit  fliz 


293  wen  RA,      wan  F.     294  sjner  pflege  man  do  n.  y.  A.      295  er 
brahtem  VA.     296  so  iemUich  was  er  genar  R.     yetnmerllehen  czworcz  F. 
[gar]  yemmerlieber  v.  A,     297—314  f.  R,     297  also  F.     so  A,     298  kein 
gote    stunden    ym    alle    seyne    g.  F.       czn    g.   stunden    alle    syne    g.  A» 
299  manege  seh.  die  er  1.  F.     300  v.  snoder  kn.  boßheit  A.     301  wan  F. 
wenn  A.  802  gemach  A.         803  speit?    en  an  F.     do   begossen    sy  en 

vnd  A,         305  als  eyn  worm  den  man  tretit  A.         305  ynd  nymant  nicht 
en  bittit  A,  307   ynt   d.  h*  vor   en  sach    g.   F.       v.  d.    weynende  s.  c. 

geen  A.      308  sin  ...  sin  F.     steen  A,     809  u.  ouch  F.      310  das    syn  m. 
do  n.  A.  811   d.    er  s.  ny  w.  A.  312  hie    beert   d.  yemerliche  F. 

deze  A. .     313  so  als  Hp  er  en  allen  w.  -4.       814  syn  hercze  A,       316 — 

322  in  A  folgendermaßen  geordnet:   317.    318.  319.  320.  315.  316,  322. 

321.       316  ditz  F.     treib dar  ^.       816  daz  ym  R.     dy  sycheit  A. 

do  :  noe  F.       317   eyn  b.  F.     buch  A.      318  genesyn  Ä.     319  di  allemuse 
[nam]  R,     820  rome  alz  do  qw.  F.     r.  ouch  das  also  y,  A.     322   [do]  R. 

323  an  dem  R.       daz    er    snlde    st.    an    dem    mittage  A.         324  ym    kur- 
czen  S,     325  er  daz  F.     daz  wol  werde  g.  -4.         826  brach  ym  [dar]  Ä. 

0  A.         327  en  ym  in  F.      1.  ym    yn  d.  A.     [unt  legete  in]  R.         328  dor 
asn  was  s.  1.  b.  F.     d^  brief  d*  waz  geschriben  so  Ä.        829.    330  f.  A. 
320  wi  daz  e.  megetyn    s.  br.  w.  Ä.  330  dege  vn wände  we*  F.  vn- 

wandel    w*  R  331 — 340  f.  Ä.  331   u.    alles    daz    e.  y.    geleid  A. 

332  vnt  w.  ,i.  d.  b.  hülle   was    [bereit]  F.        em  gotis  h.  w.  b.   A,  334 

[sint]  F.       385  u.  sine  speise  :  fleisse  F.     speyae  A,       336  ouch  stund  do 
geschreben  vil  leyse  A. 


182 


MAX  FR.  BLAU 


sin  name  ande  ouch  sin  kninber 

groz. 
sin  hant  den  brief  zesamene  sldz, 
biz  daz  in  der  töt  zefiiorte, 

340  daz  sich  sin  leben  niemer  morte. 
An  eim  karfritage  daz  geschach, 
daz  sich  minnert  sin  nngemach, 
daz  got  die  s^le  von  im  nam. 
dö  geschach  ein  zeichen,  daz  wol 

zam: 

345  dö  lüten  sich  die  glocken  alle 
gegen  einander  mit  sehalle 
in  Borne  nnt  ouch  ze  Laterfin 
nmme  disen  beilegen  man, 
daz  nieman  die  strenge  zoch. 

350  daz  wundert  manegen  herren  hoch, 
rieh  nnde  arme,  grdz  unt  kleine, 
die  frftgten  um  ditz  wunder  gmeine, 
waz  daz  löten  mohte  sin. 
dö  sprach    ein  kleinez  kindelin: 

355   „ir  griffc  ein  tnmbez  fragen  an, 
ez  ist  lihte  ein  heilec  man, 
den  die  glocken  baz  erkennen^ 
wan  die  liute,  die  in  mit  namen 
nennen. 


der  b&best  unt  der  keiser  gebot, 
360  daz  man  in  suohte  durch  die  not, 

daz  er  der  werlde  quame  für. 

dd  stuont  fftr  sines  vater  tür 

der    schaffer,    der    sin    hete    ge- 
pflogen. 

der  gie  für  in  gar  gezogen: 
365   „herre,  der  arme  der  ist  tdt, 

der  iuwem  tranc  unde  iuwer  brot 

sibenzehen  jär  h&t  gnomen.^ 

daz    begunde   im    an    sin    herze 
komen, 

er  sprach:  «ich  wil  in  sehen  ze- 

hant.* 
370  er  vant  in  toten  unde  vant 

bt  im  einen  brief  vil  wol  get&n. 

das  yemämen  die  ze  Lateran 

unt  die  Bdmer  alsam. 

swer  über  in  gienc  oder  quam, 
375  der  künde  mit  allen  sinen  sinnen 

den    brief   üz    sfner    hant    niht 
gwinnen. 

vater^  muoter,  bäbst  noch  keiser 

duo^ 

unt  alle,  die  da  liefen  zuo, 

340  vnd  sich  s.  1.  nichten  r.  A, 

344  Schach  e.  z.  [daz] 
a.  Ä.  346  weder  e.  m. 
347  —  351  f.  Ä.  347  czu 
hem  ouch  A,     351   riebe 


337  [ouch]  Ä.       339  [daz]  A, 
341  an  eyn  k.  B.     fritage  A.        343  zuo  im  F. 
w.  z.  R.     z.  lobesam  A.      345  das  sich  dy  gl.  1. 
großem  seh.  A,     dez  quamen  di  rom^  m.  seh.  R. 
Borne  A.     349  d.  dj  glocken  n.  geczoch  A»     350 
arm  V.  352  si  fr.  al  um  disiu  maBr  F.     si  fr.  mittenand^  di  sache  R. 

353  daz  wunder  F.  w.  d.  bedute  m.  s.  R.  gesin  VA,  354 — 362  f.  R. 
356  heiliger  F.  ist  eczwa  e.  heiliger  m.  ^.  358  [mit  namen]  do  n.  A» 
359  d.  kejser  y.  d.  babist  g*  A.  361   der  er  F.      das  er  den  luten  qu. 

y,  A.       362   ajn  scheffer  gnug  balde  dar  A,     363  syn  seh.  d.  da  h..  geflogn 
syn  R.     [der  schaffer]  A,     364  h^  gienc  wolgezogen  hyn  R.     Vnd  sprach  vil 
wol  gecz.  A,     365  d^  armensch  ist  t  R,     366  der  sibenczen  almuze  genuii 
bot  R.      367 — 369  f.  R.      367  bot  zo  lange  hie  g.  F.       368  yn  s.  h.  A. 
czu  k.  F.  369  ich  sehe  in  zcuh.  A.  370  er  in  tot  vant  unde  unge- 

want  F.  want  den  t.  v.  want  A.  er  gienc  zu  ym  vn  vant  yn  tot  R, 
371—375  f.  Ä.  371  unt  bi  F.  synen  br.  gar  w.  g.  A.  372  dy  von 
h  A.  373  R.  als  in  gezam  F.  374  adir  wer  ob^  en  qwä  F.  375  allen 
erin  s.  F.  alle  s.  s.  ^.  376  d.  b.  ny  ausz  s.  h.  g.  F.  her  künde  den 
brief  nie  g.  Ä.  377  [noch]  A,  duo  f.  in  allen  drei  Hss.  377**)  dy 
waren  alle  sulcher  gäbe  heyßer  nur  A,  378—380  f.  R.  378*')  den 
waz  der  brif  vil  tu  er  ju  nur  A, 


^)  Nach  Allem,  was  wir  ron  A  wissen,  liegt  für  die  in  y  anbelegten  Verse  der 
Verdacht  der  Interpolation  vor,  und  ich  kann  mich  deshalb  nicht  entschließen,  diese 


züB  aleziüsleoehde.  n.  18S 

in  ze  gwiimen  üs  stm  gwalt,  S95  AleiinSy  der  bie  tot  ist  bliben. 

380  als  endlich  was  nieman  gestalt:  sfn  leben  ist  hie  oncb  beschriben 

bis  sin  megettn  sno  im  quam,  nnt  stn  name,  das  ist  wir. 

diu  greif  dar,  als  ir  wol  sam,  ganzer ')  vier  und  drtsec  jftr 

der  viel  der  brief  in  die  hant  bftt  er  die  almno&en  gnomeni 

Enfemiftn  He  in  lesen  sebant  400  bis  er  soo  dem  t6de  ist  komen. 

385  einen   man,    der  d&  sno  witzee  das  jftmert  mich  an  disme  lesen, 

waSy  min  rehter  berre  ist  er  gewesen.^ 

der  stn  leben  dar  an  las  »Owö  mir,  nnde  ist  das  war**, 

nnde  alles,  das  er  ie  geleit  sprach  der  yater  nnt  ronfte's  bär, 

üf  von  stner  kintbeit.  405  er  sarte  din  kleider  Ton  der  siten, 
do  weinte  der  sebriber  harte  s6re  er  knnde  der  stände  nibt  erbiten, 

390  Eniemiftn  bat  in  durch  sine  dre,  er   enpfincte   den   hart   an   sime 

das  er  im  sagete,  was  dran  wasre.  kinne. 

,,  berre,  es  sint  diu  leiteten  mare^  er  bete  leide  nnde  nnsinne. 

din  alhie  verjehen  sint.  mit  den  nageln  reiz  er  sine  hüt : 

dirre  heilee  man  ist  iuwer  kint  410   „Alexi,  min  yil  liebes  trüt^ 

379  im  s.  VA.  siner  hant  VA.  380  also  V.  so  erlich  was  er  ein 
gewant  A.  381  jnncfrowe  über  in  k.  F,  sjrne  brat  A,  382  sy  gr.  also  i.  w. 
an  czam  A.  f.  B.  883  do  vil  ir  d.  b.  i«  ire  h.  A,  384  £Eemiam  F.  her 
wart  gelesen  so  scnb.  R.  alseh.  VA.  385—896  t  B,  wo  nur  etwa  v.  394. 
395  entsprechend  steht:  Iz  ist  Allexi  di  über  dy  son  |  dem  dyn  alemnze 
ist  geton.  885  do  so  wise  F.  e.  schriber  d.  d.  s.  nutze  w.  A.  Fehler 
in  X?  389  keiser  F.  sebriber  sere  A.  890  b^  femiam  F.  890.  891 
Eufemian  fragete  was  daran  were  A^  893  lengsten  F.  er  spraeh  e.  s. 
leydige  m.  A.  893  d.  mir  ie  für  komen  sint  F.  yemuwet  A,  Fehler 
in  X?  394  disir  heiliger  m.  F.  der  heilige  [man]  A.  395  blieben  F? 
(nach  M).  39&  s.  name  steet  alhy  b.  A.  397*)  gants  nnt  F?  {nach 
M).     B.  leben  A.     md  euch  dis  alwar  R.       898  vier  vnd  czwencsig  F. 

399  das  alm.  F.     hatte  e.  d.  a.  numen  B.      400  bis  das  F.     b.  [er] 

waz  k.  B.  401 — 407  f.  B.  401  lebin  A.  402  syn  recht  heymet  ist 
hy  gewefin  A.  Dahinter  in  A^  ynd  dy  em  habin  getan  |  leyt  vnd  aller 
slachte  wan*  404  do  spr.  sin  y.  v.  reffte  sey  bor  F.  405.  406  in  A 
umgestellt.  405  d.  cl.  reiß  er  A.  406  ny  irbeitin  F.  irbeiten  A. 
407  [en]  VA.  ronfte  d.  b.  ulS  A.  408  leit  BV.  u.  gar  gross  F.  1.  ußen 
vnd  ynne  A.  (B  setzt  fort:  durch  den  lieblich  mynne).  409—483  f.  B, 
409  nelyn  F.     m.  [ddb]  n.  r.  e.  dy  h.  A.     410  Allezins  VA. 


Verse  in  den  Text  anfzunehmen.  Ich  sehließe  mich  an  dieser  Stelle,  die  uns  gans 
besonders  die  UnyolUtSndigkeit  ron  R  bedauern  läßt,  der  Lesung  von  M  au.  Im 
Übrigen  ist  gerade  diese  Stelle  geeignet,  die  Ansetzun^  von  x  im  Stamme  sn  recht- 
fertigen.  Die  verderbten  Verse  besserte  A  in  seiner  Weise  auf,  während  V  sie  jedenfalls 
ziemlich  getreu  und  ohne  bessern  wollende  Änderungen  wiedergab. 

^)  Wohl  einer  der  ältesten  Belege  fflr  diesen  Gebrauch  von  gimz  im  gen.  plur. 
mit  einer  Zahl. 

^  Die  Verse  397—400  stehen  in  R  unmittelbar  hinter  v.  330. 

•)  Wohl  wie  Vers  377*.  378'  als  wenig  brauchbare  Interpolation  von  A  zu  be- 
trachten. 


184  MAX  FR.  BLAU 

min    ougen    lieht,    mins    hersen  430  wie  h&sta  mir  armen  wibe 

trost,  al8U8  betrüebet  mine  witsef 

wie  b&stu  dich  von  mir  erlost,  si  twuoc  im  sin  scboene  antlitze 

daz  dn  s6  lange  bi  mir  wsBre  mit   den    sehem    nnt   kästen  üf 

unt  nie  dieb  machtest  ofiPenbaBre  sine  brüst. 

415  durch  sxmviot  dhiQm  vater,  kintl  »^^  Bdmer,   habet  al  die  gelust, 

des  muoz  ich  lange  trfiren  sint  435  daz  ir  beginnet  mit  mir  weinen«** 
unt  leidec  sin  biz  an  min  ende!^  do  enliez  si  sin  er  yinger  keinen, 

er  want  gar  bermlich  stne  hende  si  <?^legete  in  sundern  an  ir  munt. 

unt  viel  von  ämaht  üf  die  erden,  si  tete  do  grdz  jämer  kunt. 

420  dd  mnose  er  gelabet  werden.  si  sluoo  sich  ze  dem  herzen  dicke 

Dö  sin  muoter  daz  vernam,  440  unt  viel  üf  in  mit  manegem  blicke 
wer  er  was  nnde  über  in  quam,  unt  trüte  in,  al«  ez  ir  behagete, 

si  zestorte  ir  frouwelich  gebende  so  lange  biz  daz  si  gar  verzagete, 

unt    eefuorte    ir  eöpfe    mit  ir  daz  si  der  b&bst  hiez  danne  leiten. 

hende.  Dd  quam  mit  grdzen  arbeiten '), 

425  daz  golt  si  von  den  brüsten  brach,  445  diu  dannoch  was  ein  megeün. 
si  sprach:  „nu  ist  min  ungemach  si  sprach:   ,,friunt  unt  herre  min, 

harte  gar  ergangen.  waz   hftt  din   herte   an   uns   ge- 

rochen?*) 

ein  kint,  geborn  von  minem  libe !  min  ougen  Spiegel  ist  zebrochen, 

411  minr  o.  F.        417  von  m.  warist  X     werist  F»        414  mochtist 
o£finbam  F.     v.  du  dich  mir  nicht  offenbarist  A^         415  dinr  a.  unt  dejn 
V.  k.  F?  {nach  M)»     vmme  ermut  myn  vil  libes  k.  -4.     416  triurec  sin  F. 
417  jilier  bis   an  das   ende   meyn  F.         418  zo  yemerlich  F.         419  vor 
amechtikeit  F.     unmacht  zcu  der  e.  A.       423*  424  f.  A,       424  Ir  czoppe 
beide  nä  yn  dy  h«      425  der  brüst  A,      426  ist  F.     was  A.     427  vil  gar 
czu    irgangin  F.       f.  A.         428  f.  in   allen   drei  Hss.         429  [ein]  F. 
431   alsis  A»     betrüebet  also  m.  w«  itcze  F«     432  wuosch  F.     beschawteui. 
433  ire  trene  vylen  em  uf  s.  br.  A.        434  [die]  F.        435  ir  mit  m.  beg. 
czu  w.  F.       beg.  alle  m.  m.  zcuw.  A.         436  — 448  f.  jß,    das   aber  nach 
435  folgende  Fortsetzung  gibt:   meynes  liben  kyndes   reynen  {  den  tot  vnd 
elenedeschaft  |  d^  hat  v^lom  syne  craft.        436  koyne  F«     [do]  sy  lyß  A, 
437   [en]  1.  en  bes.  a,  eren  m.  F.     [en]  1.  eo  besunder  a.  den  m.  A.       438 
tet  vil   groz  A,         440  mit   ganczem  bl.  A,         441   trewgete    en   alz  h^  ir 
b.  F.     druckte  en  als  irs  b.  A,        442  das  ir  gar  v.  F.       [so  lange]  A, 
443  von   danne  F.      h.  von   em  L  -4,         444 — 446»  m  A  geordnet:    445. 
446.    444.        444    sin    brut    m.    gr.    erbeite  F.     syne    brut    m.    großem   ir- 
bebin  A.        445  do  noch  A,     dene   noch  [was]  F.         446  herre  unt  friunt 
m.  F.       447  heil  F.     herlyn  A,     gebrochin  F.       448  ein  sp.  minr  owgen 
ist  nu  czubrochin  F.       mynn  A, 


^)  Hier  ist  wohl  wieder  eine  Spar  von  x,  dem  die  Beziehung  zu  undeutlich 
war,  da  ja  das  Subject  erst  durch  den  Relativsatz  gegeben  wurde;  x  seilte  tun  hrüt 
ein,  was  einen  ungeschickten  Vers  (gr6z]en  ar[beUen  in  der  letzten  Senkung!)  gab. 
Vielleicht  könnte  man  auch  lesen:  dS  quam  «$n  brüt  dne  erbeiUn. 

^)  Zu  lesen:  voax  hat  m\n  herre  an  uns  gerochen,  wie  ich  ursprünglich  wollte, 
hindert  wohl  das  gerade  vorhergehende  herre. 


ZUR  ALEXIU8LE0ENDK    II.  Ig5 

den  ich  verwinde  ntemer  mßre.  wie  das  stn  heilekeit  seftiorte !  — 

450  ich  bitte  dich,  mtn  eehepfer  hdre,  er  wnre  lam  oder  »kramp 

l&s  mich   alhie  b!  im   ersterben,  470  nnt  wsere  blint  oder  etamp, 

€  mtne  sinne  gar  verderben,  die  wurden  alsehant  gesnnt. 

das  mfn  swflere  habe  ein  ende.*  das  tete  die  gotheit  durch  in  kunt 

der  habest  nam  si  bi  den  henden :  nnde  durch  sf n  heilec  leben. 

455   „jnncfronwe,  lät  die  ungeharCy ')  sint  wart  im  grdser  wnnsch  ge- 

wir  8uln  den  tdten  df  gehören.  gehen, 

als  einer  heilekeit  geseme;  475  wir  saln  des  jftmers  nn  verdagen! 

got  stnen  diener  sno  im  neme/  man  liec  in  in  das  m Ans ter  tragen, 

Dd  dax  schöne  ald&  geschach,  d&  der  bähest  über  im  sanc 

460  der  b&best  nnt  der  ketser  sprach,  nnt  manee  phaffen  annge  erklanc 

dar  zno  die  Bömer  algemeine:  nnde  ouch  der  karden&Ie. 

es  wiere  ein  mensche  sflnden  reine.  480  die  Römer  alsem&le, 

man  tmoc  in  hin  mit  grösem  sänge,  die  lebeten  got  nm  disen  man. 

im  Yolgete  eine  werlt  mit  gange,  der  b&best  selber  das  began, 

465  als  siner  heilekeit  wol  sam.  das  er  in  bestate  suo  der  erden, 

dd  er  för  das  mfinster  qnam,  sint   mnose    den   linten   von   im 

swer  sieeh  was  nnde  an  in  morte,  —  werden 

449  das  F«  450  schepp^  F,  [min]  scheffer  sere  R.  %j  sprach  seh. 
über  herre  A,  451  [alhie]  R.  hy  irsterben  Ä,  452  [gar]  RV.  anders 
m.  s.  V.  F.  453—464  f.  R.  453  nnt    m.    frdade    nimt    e.  e.  F. 

455.  456  jnncfironwe  ir  snlt  iuch  niht  verwem  |  bis  das  wir  in  nf  ge- 
bern«  F.  er  sprach  :*  frawe  ir  sult  nicht  verczagen  |  bis  wir  en  begraben  Ä. 
457  simt  F.  wol  angeczeme^i.  458  sine  d.  s.  i.  nimt  F.  wil  nemen  ^. 
459  do  allis  das  do  y  g.  Ä.  461  vnd  d.  r.  alle  g.  A.  462  von  s.  r. 
VA.  463  den  trag  man  hen  A,  464  werlit  noch  m.  F.  vnd  volgeten 
em  mit  reynem  g.  A,  465  —  466  in  B  umgestellL  465  wirdikeit  wol 
ancz.  A,  als  ym  wol  gesam  R,  467  wer  sich  w.  VR,  an  ym  R.  Vnd 
wer  sich  do  an  e.  r.  A,  468  syne  h.  das  zcu  fürte  A.  469.  470  waz 
er  stam  waz  er  krum  |  waz  er  blynt  waz  er  tarn')  R,  er  were  hokericht 
ader  kramp  |  vnd  were  blint  ader  stump  A,  er  waere  blint  oder  lam  |  adir 
mit  weichin   sinchen  er  dar  kam.  471   w.  alle  gemeynlich    sunt  R.       der 

wart   aldo   alcz.    g.  A.  472—500  f.  Ä.  473  heiligis  A.  474  gr. 

fröude  F.  475  w.  s.  nw  des  y.  vord.  F.       w.  wollen   syn  y.  nicht   ver- 

dagen A,        477  sang  A.     gesang  F.         478  m.  herren  z.  F.     manch  pf. 
czunge  ober  em  ird.  A.      479  dar  zno  die  k.  F.      480  ouch  dy  romer  cza 
mole  F.         481   [die]  F.     vnde  deain  m.  A,     483  d.  sy  en  bestaten  A. 
484  do  für  sint  A. 


')  Eine  ganz  versweifelte  Stelle I  Was  M  bietet,  ist  doch  aach  gänzlich  an- 
braaehbar.  Man  sieht  wieder  das  verderbte  t,  und  ich  gebe,  wn  nicht  zwei  Zeilen 
gaoz  fortzulasseD,  einen  Versneh,  der  sich  —  wie  dies  das  Verbältniß  der  Hss.  ver- 
langt —  mehr  an  V  anschließt,  wenigstens  io  dem  Reime,  denn  gebm^  bei  M  kann 
doch  nnr  gthartn  sein,  das  „auf  die  Bahre  legen**  bedeutet  (vgl.  Mbd.  Wb.  I,  145^ 
h(Brt),  Für  V.  455  könnte  man  auch ,  nm  den  rtibrenden  Keim  zu  meiden,  lesen  junc- 
froüwe,  wir  auki  des  «tn  gewßre,  (=  eifrig  bedacht)  daa  loir  den  t,  u.  s.  w. 

')  Unter  dem  jüngeren  Ann  sind  Spuren  eines  fortradirten  Wortes  wahrzunehmen , 
aber  nicht  mehr  zu  bestimmen. 


186  ^^^  ^K-  BLAU,  ZUR  ALEXIUSLEGENDE.    II. 

485  gnaden  smac  unde  edel  nich  daz  si  gotes  dieme  wolde  sin 

öz  sime  grabe  äne  allen  brach  ^),  505  stseteclicb  biz  an  ir  ende, 
daz  hittteges  tages  ze  Bdme  wert.  si  worden  beilec  ftne  wende, 

von  sime  vater  wart  begert  daz  erwarp  der  zweier  Hute  kint, 

ein  münater  büwen  in  siner  6re,  daz  die  viere  ze  bimel  sint. 

490  dar  zuo  half  der  bäbest  s^re,  liten  si  jämer  uf  der  erden, 

daz  ez  also  volle  quam,  510  daz  muose  in  ze  fröuden  werden, 
daz  ez  dem  heiligen  zam:  Nu  mane  wir  den  guoten  man, 

dft  liget  sin  heilec  lip  begraben.  der  dises  lebens  sd  began,') 

Welch  Idn  sol  nu  diu  s^le  haben  ?  daz  er  für  uns  bitte  da, 

495  da  von  wü  ich  iu  iezuo   sagen:  sint  sie  für,  daz  wir  hin  nft 

ir  fröude  m^rt  sich  alle  tage.  515  mit  gotes  helfe  müezen  komen, 
si  hat  des  himelriches  smac,  so   dem   libe    die    s61e   wirt    be- 

da  si  niem^r  getrüren  mac.  nomen. 

daz    erkreic    sin    herter   kumber  Amen!  daz  daz  müeze  erg^n, 

groz,  darumme  suln  wir  gote  fl^n. 

500  daz  er  ist  den  engein  gnoz.  er  ist  ein  wiser  koufman, 

sint  gwan  sin  vater  unt  sin  muoter  520  der  also  kluoclich  wehsein  kan, 
ein  reinez  leben  so  vil  guoter  der  ein  ungemachez  leben  ^) 

unt  sin  liebiu  trutin,  kan  um  lange  frÖude  geben! 

485  gnade  swag  ....  räch  F.     v.  guter  grüß  Ä.         486  brach  F. 
das  werde  vns  allen  büß  Ä         487  hüte  des  tagis  A,        488  gewert  F. 
489  seyn  m,   gebawt  yn  F.     zcu  b.  Ä.     490  half  em  Ä*     491   wol  czam  F? 
{nach  M).         491.  492  sind  in  Ä  ersetist  durch:    das  noch   aldo   gecziret 
steet  I  do  manch  hundert  menschen  hen  geet.  493  f.  F.       heiliger  A. 

495 — 498    {woJü   infolge    eines    alten  Fehlers   in  x)   in  VA   so   geordnet: 
495.  497.  498.  496.  495  itczut  F.        do  wil  ich    nicht   sagin  von  A. 

496  sich  nacht  vnd  tag  A*  497  hymelreich  sm.  F.       den  hymmelischen 
won  A.         498  do  F.     das  A.         499  irkrigke  F.     irwarp  A.         500   der 
engel  F.     502  leben  do  hatte  F.     lebin  gut  A,         503  und  ouch  sin  brut 
czarte  F.     504  dyn*  wurden  s.  B,     brut  ist  wordin  F.     weide  A.     505  stetec- 
liehen  Ä.     bas  F.     vil  stetlich  A.       506  f.  F.     ä.  alle  w.  RA,  wohl  Fehler 
in  X.     bOl  daz  der  warp  E,     508  zcu  dem  h.  JB.     509   [der]  F.     deser  A. 
510  czu   zelikeit  w.  F.     vreude  -B.     in  dort  ze  -4.      511  f.  IL     bete  F. 
512  sey  lebin   also  F.     synes  -4.     Dahinter  in  A:    daz  er  zcu  einem  guten 
ende    brachte  |  wenn   er  sich    selber   daran    bedachte.     Wohl   interpoliert. 
514  vor  hen  daz  wir  darna  A.     515  muzen  w^  mit  g.  h.  k.  i2.     516  wen  dy 
zele  d.  1.  w.  b.  A,     517  das  vnd  das  allen  muße  gesehen  A.     519  clug^  R, 
520  welschen  R,      so  kl.  geuolgen  A,    Dahinter   in  R  nochmals:    w*  also 
cluclich  welschen  kan.       521  kusch  gemachsam  1.  A.     vngemaches  1.  R. 
522  vmme  eyne  1.  fr.  kan  g.  A.     v.  1.  m.  kan  g.  R* 


')  M  liest  rü^h  :  br^h. 

*)  Hieran  schließt  sich  in  V  ein  anderes  Gebet,  das  ich  weiter  unten  gebe. 

')  Dann  ist  also  das  ungemache  leben  der  Eutgelt  für  die  lange  fröude. 


E.  KOLBING,  zur  TR18TAN8AGS.  187 

In  F  finden  wir  nach  51f  folgende  Vorse'): 

dM  wir  sey  massen  genissen  Tnd  mit  jm  lebin  an  e.  •  •  • 

an  allia  wedir  drissen  an  allis  misse  wende 

also  das  wir  an  arge  list  das  ms  das  gesehen  mn . .  • 

morgen  kom9  do  byn  • .  .  •  •  258*      das  helfe  vns  Alexius  der  •  •  • 

rnde  besitzen  das  eiß in  allir  heiligen  namen 

das  ym  got  hat  gege nii  spreehit  allir  Amen. 

Nach  522  folgt  in  S: 

als  dirre  selig  mensche  tet 
syn  hülfe  keyn  gote 
wegen  syn  heileges  gebet. 

In  A  steht  nach  eben  diesem  Verse: 

hj  endit  sich  das  lyde  von  sente  Aliezio 
got  mache  vns  armen  sunder  fro 
daz  yns  das  allen  maße  gesehen 
nn  sprechet  alle  Amen. 
Wir  haben   wohl   keinen  Gmnd,    diese  Verse  von  Ä  fflr  das  Original 
in  Anspruch  in    nehmen,  aber  Entscheidendes  dagegen  läßt  sich  auch  nicht 
anfahren,  wennschon  freilieh  der  dritte  Vers  erst  v.  517,  wenigstens  in  A 
selbst^  begegnete. 

BERCHTESGADEN.  MAX  FR.  BLAU. 


ZUR  TRISTANSAGE. 


In  dieser  Zeitschrift,  Jahrg.  XXXIII,  p.  17  ff.,  hat  O.  Ghlöde 
einen  Aufsatz  veröffentlicht  u.  d.  T.:  „Der  nordische  Tristanroman 
und  die  ästhetische  Würdigung  Oottfrieds  von  Straßbarg**,  welcher 
gegen  meine  Anffassung  von  Gottfrieds  Verhältniß  zu  seiner  altfrz. 
Vorlage  gerichtet  ist.  Es  ist  das  die  erste,  angebliche  Widerlegung 
der  Resultate,  welche  ich  vor  nunmehr  elf  Jahren  in  meiner  Abhand- 
lung: „Zur  Überlieferung  der  Tristansage **  (Die  nord.  und  die  engl. 
Version  der  Tristansage.  Erster  Theil.  Heilbronn  1878,  p.  IX  ff.) 
gewonnen  hatte.  Sicherlich  wäre  ich  nun  meinerseits  der  erste  gewesen^ 
der  freudig  zugestimmt  hätte,  wenn  es  Herrn  Glöde  wirklich  gelungen 
wäre,  zu  zeigen,  daß  Gottfried  in  der  That  „Unebenheiten  des  Ori- 
ginals bessert  oder  ausgleicht,  die  Darstellung  modernen  Verhältnissen 
näher  bringt,  sich  volksthümlicher  zeigt,  aus  bewußter  Welt-  und 
Menschenkenntniß  ändert,  Charaktere  veredelt  u.  s.  w.^;  ich  muß 
aber  energisch  bestreiten,  daß  dies  der  Fall  ist;  den  Wiasenden  brauche 


^)  Vgl.  Maftmann  p.  3,  der  auch  angibt,  daß  Bi.  263'  reehts  abgerissen  ist 


188  S.  KÖLBINO 

ich  das  freilich  nicht  erat  sa  sagen;  bei  flüchtigeren  Lesern  jedoch 
mag  das  sichere  and  selbstbewaßte  Auftreten  Glödes  den  Eindruck 
erwecken,  als  ob  das  Recht  auf  seiner  Seite  wftre,  und  darum  darf 
ich  im  Interesse  der  Sache  wohl  nicht  ganz  schweigen. 

Die  zehn  Seiten  lange  Abhandlung  ist  ein  literarisches  Curiosum. 
Die  Erwartungen,  die  der  Verf.  selbst  ttber  seine  Leistung  erregt, 
werden  auf  das  Kläglichste  enttäuscht;  so  heißt  es  p.  18^):  „Über 
HeinzePs  Arbeiten  werde  ich  später  sprechen^.  Wo  geschieht  das? 
p.  21 :  ,,Ich  will  nun  in  der  folgenden  Untersuchung  Eölbing's  Einlei- 
tung genau  (!)  durchprüfen  und  sehen,  ob  seine  Resultate  als  endgiltig 
entscheidende  anzusehen  sind.^  „Kölbings  Urtbeil,  das  er  sich  durch 
gründliches  philologisches  Studium  erworben  hat,  ist  da,  es  muß  von 
allen  Seiten  angesehen  werden. '^  p.  28:  „Im  Folgenden  will  ich  die 
Vergleichung  der  (!)  Prosabearbeitung  mit  dem  (!)  G-edicht  Gottfried's 
vornehmen  und  die  Schlüsse  Kölbings  prüfen,  die  dieser  aus  der  Ver- 
gleichung gezogen  hat.''  *)  Danach  wird  doch  Jedermann  eine  grCind- 
liche  und  detaillierte  Erörterung  meines  ziemlich  compreß  gedruckten, 
140  Seiten  langen  Aufsatzes  erwarten;  Herr  Glöde  beschäftigt  sieh 
mit  demselben  aber  nur  auf  circa  3 — 4  Seiten  und  zieht  nicht  mehr 
wie  15  Verse  Gottfried's  und  vier  Zeilen  der  nordischen  Prosa,  nach 
meiner  Ausgabe  gerechnet'),  zu  genauerer  Vergleichung  heran.  Was 
diese  anlangt,  so  muß  ich  sein  Verfahren  wenigstens  ganz  kurz  be- 
leuchten. Glöde  geht  nämlich  nicht  ganz  redlich  zu  Werke;  um  den 
nordischen  Text  dürftiger  erscheinen  zu  lassen,  wie  er  in  Wirklichkeit 
ist,  druckt  er  ein  kürzeres  Stück  davon  ab,  als  wie  thatsächlich  dem 
dazu  in  Parallele  gestellten  Abschnitt  aus  G/s  Gedicht  entspricht. 
Gottfrieds  milte  entspricht  S.  p.  5^^:  hinn  vildasti  i  gjöfum.  Zu  seinen 
Worten:  Er  was  der  werlds  ein  wunne  stellt  sich  etwa  das.  dateamasti 
i  sinum   medferdum;    zu:   Der  riUerschefU    ein   ISre:  fuUg&rr  at  öllum 


^)  Hieher  gehört  anch  folgender  Sats  auf  p.  21 :  «Es  soll  dämm  hier  eine  Dar> 
legang  folgen,  inwieweit  auch  die  Form,  in  der  uns  Gottfried  sein  Gedicht  hinter- 
lassen hat,  sein  indiridaelles  Gepräge  tr&gf  Diese  aas  Lttth  und  Bechstein  zusammen- 
gestöppelte 'Darlegung*  ist  netto  21  Zeilen  lang. 

')  GlGde  bemerkt  p.  26'):  riictk  gebe  den  Text  hier  ganz  genau  nach  Kölbings 
Ausgabe ;  einzelne  Bemerkungen  fiber  Stellen,  wo  meiner  Ansicht  nach  anders  zu 
lesen  ist,  werde  ich  am  anderen  (sie!)  Orte  bringen."  Wirkliche  Besserungen  meines 
Sagatextes  werde  ich  jederzeit  mit  aufrichtigem  Danke  acceptieren;  aber  nach  der 
Probe,  die  der  Verf.  in  dem  bei  ihm  abgedruckten  Satze  Ton  seiner  Kenntniß  des 
Altnordischen  geliefert  hat  (mangrar  ffir  margrar  und  die  Abtheilung  rid\dara9kap 
und  nun  gar  aU\9konar),  wird  er  mir  es  nicht  Übel  nehmen  können,  wenn  ich,  yor- 
läufig  wenigstens,  von  seinen  „Bemerkungen'  nicht  allzu  hohe  Erwartungen  hege. 


ZUR  TRISTANSAGE  189 

atgarvum  yfir  alla  menriy  er  i  pann  Hma  vdru  i  pvi  rikü  Außerdem  wird 
er  aber  von  dem  Sagaschreiber  noch  genannt:  vür  ok  varr  i  rada- 
gerdum,  forsjäü  ok  framaynn  .  .  .  hinn  hardasti  höräum  ok  hinn  g^nmm- 
asti  gtimmum.  Daß  die  in,, gebundener  Rede  verfaßte  Version  denselben 
Gedanken  ein  anderes  Gewand  gibt;  wie  die  Prosadichtung,  versteht 
sich  ganz  von  selbst^  wie  denn  ja  der  mhd.  Dichter  der  Blütheperiode 
bei  der  Yergleichung  mit  einem  Producte  aus  der  Zeit  der  Nacb- 
blüthe  nordischer  Sagaschreibung  von  Anfang  an  im  Vortheil  ist. 
Das  führt  mich  auf  einen  zweiten  Punkt  in  Glödes  Argumentation; 
es  heißt  dort  p.  23:  „Der  nordische  Prosaroman  ist  1226  aus  dem 
Französischen  übertragen,  uns  nur  in  wenigen  Bruchstücken  in  einer 
Membrane  des  15.  Jhd.  erhalten,  während  die  Sage  vollständig  nur 
in  einer  Papierhs.  des  17.  Jhd.  aufbewahrt  ist.  Diese  Thatsache  hat 
Kölbing  nicht  berücksichtigt,  aber  bei  der  Wichtigkeit  der  Frage  .  •  . 
darf  man  sie  nicht  aus  den  Augen  lassen,  um  gerecht  zu  urtheilen.^' 
Und  dabei  habe  ich  mich  p.  XIV  f.  über  diesen  Sachverhalt  wörtlich 
so  ausgesprochen:  „Freilich  dürfen  wir  uns  eines  dabei  nicht  ver- 
schweigen, was  den  Werth  dieser  Quelle  (sc.  der  Saga)  etwas  herab- 
mindert: wir  besitzen  dieselbe  nicht  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt, 
wie  etwa  die  Elissaga  und  die  Strengleikar,  sondern  nur  in  einer  durch 
die  mehrfachen  Abschriften  nicht  unbedeutend  verschlechterten,  nicht  nur 
was  die  Sprache  anlangt  ....  sondern  auch  was  den  Inhalt  betrifft, 
der^  wie  eine  Yergleichung  mit  den  Membranfragmenten  ergibt,  zwar 
keine  directen  sachlichen  Änderungen,  wohl  aber  vielleicht  nicht  unbe- 
deutende Ktirzungen  erlitten  hat.  Immerhin  müssen  wir  noch  sehr 
froh  sein,  daß  von  diesem  werthvoUen  Denkmal  überhaupt  eine  Hs. 
auf  uns  gekommen  ist.^'  p.  21  f.  stellt  Glöde  es  so  dar,  als  ob  ich 
die  Form  von  Gottfrieds  Dichtung,  die  derselben  ihr  individuelles 
Gepräge  gebe,  dem  Stil,  der  zu  solcher  Vollendung  nur  durch  jahre- 
lange Übung  heranreife,  keine  Beachtung  geschenkt  habe:  „Dies 
alles  erwähnt  Kölbing  mit  keiner  Silbe,  als  ob  jeder  beliebige  Mensch 
der  mhd.  Periode  dies  auch  hätte  ausfilhren  können.^  Gewiß  spreche 
ich  darüber  im  Verlaufe  meiner  Untersuchung  nicht,  weil  ich  es^  dort 
nur  mit  den  sachlichen  Momenten  seines  Berichtes  zu  thun  habe; 
leider  aber  hat  mein  Gegner  in  der  Hitze  des  Gefechtes  einen  von  ihm 
selbst  (p.  18)  citierten  Passus  aus  dem  Schlüsse  meines  Aufsatzes  ver- 
gessen, wo  ich  dazu  mahne,  in  Zukunft  bei  Vergleichung  von  mhd.  Epen 
mit  ihren  afrz.  Quellen,  das  Augenmerk  in  höherem  Grade  wie  bisher 
auf  die  stilistischen  Unterschiede  zu  richten,  wodurch  die  Vorzüge 

aE&HANU.   Neae  Reihe  XXII.  (XXXIY.)  Jahrg.  13 


190  E.  KÖLBING 

wie  die  Schwächen  der  deutschen  Dichtungen  in  ein  neues  und  helleres 
Licht  treten  würden. 

Für  welche  Gattung  von  Lesern  der  Verf.  Gottfrieds  Einleitung 
hervorhebt  (p.  23  f.)  und  sogar  Citate  daraus  abdruckt  und  weiter  die 
Schwertleite  und  die  Minnegrotte  als  sein  dichterisches  Eigenthum 
bezeichnet,  ist  mir  nicht  recht  klar;  das  Publicum  der  Germania  dürfte 
sich  ob  dieser  geringen  Taxierung  seines  Wissens  schwerlich  sehr 
geschmeichelt  fühlen.  Brauche  ich  den  daraus  gezogenen  Schlüssen 
gegenüber  noch  besonders  zu  betonen,  daß  ich  geradeso  wie  Heinzel  in 
seinem  Aufsatz  in  der  Ztschr.  f.  d.  A.  XIV  einzig  und  allein  auf  die 
Theile  des  Gedichtes  Rücksicht  nehmen  wollte  und  konnte,  zu  denen 
sich  in  den  anderen  Versionen  der  Sage  Parallelen  fanden,  und  daß 
auf  sie  allein  das  am  Schlüsse  ausgesprochene  Gesammturtheil  sich 
bezieht? 

Ich  will  nicht  entscheiden,  ob  Leichtfertigkeit  oder  Böswillig- 
keit Herrn  Glöde  bei  seinen  Behauptungen  und  Argumentationen  die 
Feder  geführt  hat.  Nur  einen  Grundirrthum  von  ihm  möchte  ich  noch 
betonen:  „Daß  Gottfrieds  feinfühlige  Art  der  Darstellung  und  sein 
poetischer  Sinn  überall  die  Sage  übertreffen",  worauf  Glöde  besonderes 
Gewicht  legt,  ist  mir  nie  eingefallen,  zu  bestreiten.  Worauf  es  mir 
vielmehr  ankam,  war  dies.  Heinzel  ging  seinerzeit  von  der  Ansicht 
aus,  die  vielen  Unebenheiten,  welche  die  Darstellung  der  Tristansage  in 
dem  englischen  Sir  Tristrem  aufweist,  hätten  schon  der  gemeinsamen 
Vorlage  des  englischen  Dichters  und  Gottfrieds  angehört  und  es  sei 
dem  Letzteren  als  Verdienst  anzurechnen,  daß  er  Bie  getilgt  habe.  Die 
Hinzunahme  der  nordischen  Saga  lehrt  dagegen,  daß  diese  Schwächen 
fast  ausnahmslos  nur  dem  Sir  Tristrem  anhaften,  während  Gottfiried 
das  Richtige  bereits  in  seiner  Quelle  fand  und  somit  zu  geschmack- 
vollen Besserungen  keine  Veranlassung  hatte.  Dann  erscheint  aber 
seine  ganze  Persönlichkeit  als  Mensch  und  Dichter  in  einem  erheblich 
weniger  idealen  Lichte,  wie  nach  HeinzeFs  Ausführungen.  Dies 
Ergebniß  aber  hat  Glöde  durch  seinen  Aufsatz  nicht  im  AUermindesten 
umgestalten  können^). 

Um  jedoch  die  Leser  dieses  Blattes  nicht  nur  mit  Wiederholung 
von  Bekanntem  zu  langweilen,  benütze  ich  diese  Gelegenheit,  um  auf 
eine,  bisher,  so  viel  ich  sehe,  unbeachtet  gebliebene  Parallele  zu  einem 
interessanten  Zuge  in  Tristans  Zweikampf  mit  Morolt  hinzuweisen.  Dali 


*)  Vgl.  auch  Golthers  Urtheil    über  Glödes  Aafsate,   Ztschr.  f.  rom.  Phil.  XII, 
368 »). 


ZUB  TSI8TANSAQE.  191 

derselbe  das  AbbUd  eines  skandinavischen  Heimgangs  ist,  haben  in 
neuester  Zeit  Sarrazin  (Ztschr.  f.  vergL  Litt.*Gtesch.,  1.  Band,  p.  263) 
und  Golther  (Die  Sage  von  Tristan  und  Isolde^  Mllnchen  1887,  p.  24) 
mit  Recht  betont  Anf  zwei  Parallelen  dazu  innerhalb  der  englischen 
romantischen  Dichtung  hat  £.  Adam  (Torrent  of  Portyngale.  London 
1887,  p.  107,  Anm.  zu  V.  1268)  hingewiesen:  den  Kampf  zwischen 
den  Riesen  Gate  und  Torrent  und  den  zwischen  Colbrond  und  Guy 
of  Warwick;  Beide  haben  vor  Allem  das  Motiv  gemeinsam,  daß  der 
Riese  es  ablehnt,  zu  Pferde  zu  kämpfen,  weil  er  zu  schwer  ist,  als 
daß  ein  Reitthier  ihn  tragen  könnte. 

Was  die  Localisierung  beider  Kämpfe  auf  einer  Insel  im  Meere 
anlangt,  so  findet  sie  sich  ausdrtlcklich  erwähnt  in  der  jüngeren,  in 
Reimpaaren  verfaßten  englischen  Version  des  Guy  of  Warwick  (ed. 
Zupitza,  London  1876/76  =  Guy  B)  v.  10133 f.: 

In  a  place,  tohere  pey  sehUde  bee, 

Yn  an  yle  wythynne  thee  9ee. 
Im  weiteren  Verlaufe   des  Berichtes   freilich   wird   dies  Moment 
auffallenderweise   gar  nicht  mehr  betont;    Guy  gelangt  an  den  fest- 
gesetzten Platz  zu  Pferde,  v.  10188  fiF.:| 

And  touHirde  the  baieU  was  rydande, 

When  he  into  pe  place  eome, 

Of  hye  stede  he  lyght  anone. 
In  der   älteren  Fassung,   enthalten    in    der  Auchinleck-Hs.    (ed. 
TumbuU,  Edinburgh  1840  =  Guy  A)  fehlt  diese  Angabe  p.  390  über- 
haupt In  Sir  Torrent  werden  beide  Kämpfer  in  Booten  nach  der  Insel 
übergesetzt,  deren  Führer  dann  sofort  wieder  zurüekkehren;  v.  1284  ff.: 

Whan  sir  Torrent  in  to  the  üe  was  brtmght 

The  shipmen  lenger  wold  tary  nought, 

But  hied  hem  aone  ageyn* 
Nach  Tödtung  des  Riesen  wird  Torrent  dann  wieder  mit  dem  Boote 
abgeholt  und  an  das  Festland  zurückgebracht. 

Dagegen  möchte  ich  aufioierksam  machen,  auf  eine  bisher  über- 
haupt wenig  beachtete^)  Darstellung  des  Zweikampfes  zwischen  Gny 
und  Colbronde,  in  Bishop  Percy's  Folio  Manuscript.  Edited  by  Haies 
and  Fumivall,  Vol.  II,  p.  509  ff.,  ein  Gedicht  in  der  12 zeiligen 
Schweifreimstrophe;  dort  heißt  es  v.  202  ff.: 


*)  A.  Tanner,  Die  Sage  ron  Qnj  von  Warwick,  Bonn  1877,  p.  52  f.  erwähnt 
diese  Fassung  ganz  kors  als  enthalten  in  einem  MS.»  ,)da8  sich  im  Besitse  Perey*s 
befand  und  wie  es  scheint  (I)  raria  enthielt*  —  eine  etwas  merkwürdige  Umschrei- 
bung des  bekannten  Percy  Folio  liS. 

13» 


192  £.  KÖLBING 

Then  the  gyant  loud  did  crye, 

To  the  hing  of  Denmarke  these  words  say9  hee: 

„Behold  &  take  good  heede! 
205    Yarider  iß  an  iland  in  the  eea: 

From  me  he  can  not  acape  away 

Nor  passe  my  hands  indeed; 

But  I  shaU  either  slay  him  with  my  brand 

Or  drowne  him  in  yonder  sali  strande 
210    Fro  me  he  ahaü  not  scape  away. 

Then  I  will  with  my  oume  hand 

Crowne  thee  hing  of  litte  England 

For  euer  and  for  aye> 
That  was  true,  as  the  kmg  of  Denmarke  thought, 
215    Comanded  2  barges  forth  to  he  brovght, 

And  either  into  one  was  dorn* 

The  palmer  was  the  first,  that  ore  did  passe^ 

And  as  soone  as  hee  to  the  iland  come  wa^, 

Eis  bärge  there  he  thrust  him  from. 
220    With  his  foote  and  with  his  hand 

He  thrusit  his  borge  from  the  land, 

With  the  water  he  lett  itt  goe, 

He  let  itt  passe  from  him  dornte  the  streame. 

Then  att  him  the  gyant  wold  freane, 
225    Why  he  wold  doe  soe, 

Then  bespake  the  palmer  anon  right: 

„Hither  wee  he  come  for  to  fght, 

Till  the  tone  of  vs  be  slaine: 

2  botes  brought  vs  hither 
230    And  therfo^^e  came  not  both  together, 

But  one  will  bring  vs  home* 

For  thy  böte  thou  hast  yonder  tyde, 

Otter  in  thy  böte  I  irust  to  ryde. 

And  therfore,  gyant,  be  ware!^ 
235    Trumpetts  blew  and  bade  them  goe  toote^ 

The  one  on  lurrsbacke,  the  other  on  foote^ 

Bvi  Ouy  to  god  was  darre. 


217  palmer]  gyant  M».  236  on]  om.  M». 


ZUB  TB18TAN8A6E.  193 

Za  diesem  Zuge  stimmt  inhaltlich  ganas  genau  Sir  Tristrem 
(Heilbronn  1882)  v.  1013  tf.: 

Pai  seylden  into  pe  toide  „Our  on  schal  here  (Aide, 

Wip  her  schippea  tvo;  No  he  pau  neuer  eo  pro^ 

Moraunt  bond  his  bieide  Twia! 

And  Trüirem  lete  hü  go;  Wheper  <mr  to  liue  gOy 

Moraunt  eeyd  pat  tide:  He  hap  anou^  of  pie.^ 

j^Trigtrem^  whi  dos  law  sof^ 

Die  genan  entsprechende,  bekannte  SteUe  aus  Gottfrieds  Tristan 
(y.  6795  ff.)  brauche  ich  nicht  erst  auszuschreiben. 

Nun  geht  aber  das  oben  erwähnte  strophische  Qedicht,  welches 
diese  Zweikampfepisode  aus  dem  Ganzen  der  Guysage  herausgreift, 
unzweifelhaft  auf  eine  Quelle  zurück,  welche  mit  derjenigen,  die  dem 
Dichter  des  Guy  der  Auchinleck-Hs.  vorlag,  nahe  verwandt  war;  man 
vgl.  z.  B.  Guys  Gebet  vor  der  Schlacht  in  beiden  Texten: 

Guy  A  V.  9903  (Tumb.  p.  391  f.:)  Guy  and  Col.  v.  157  ff.: 

Lordf  seyd  Griij  pat  rered  Lazeroun      Crist^  that  suffered  wounds  6 
And  far  man  poled  passioun  And  raised  Lazams  fram  deth  io 

And  on  pe  rode  gan  hlede,  liffe, 

Pat  saued  Sussan  from  the  feloun  To  (1.  Do)  grant  me  speech  and  stght^ 
And  halp  Daniel  from  pe  lyoun^  And  saued  Danyell  the  lyons  froe^ 
To  day  wisse  me  and  rede  etc.  And  borrowed  Susanna  out  ofwoe^ 

To   (1.  Do)   grant  vs  sirength  and 

might  etc. 

Ähnlich  auch  Guy  B  v.  10193  ff. 

Aus  alledem  möchte  ich  folgern^  daß  in  der  frz.  Guydichtung 
ursprünglich  die  Scene  so  dargesteUt  war,  wie  wir  sie  in  der  Fassung 
der  Percy  Fol.-Hs.  finden.  Die  Tendenz  eines  Abschreibers  oder  Über- 
arbeiters —  was  bekanntlich  oft  auf  dasselbe  herauskommt  —  ging 
nun  dahin,  die  Localisierung  dieses  Holmganges  auf  einer  Insel  zu 
beseitigen ;  was  ftlr  eine  Erwägung  ihn  dabei  leitete^  ist  freilich  schwer 
zu  sagen').  Dabei  ließ  er  jedoch  aus  Versehen  ein  Yerspaar  stehen*), 


')  Ein  merkwürdiger  Parallelfall  ist,  daß  die  altnordische  Tristramssaga  oder 
ihre  fraosösieehe  Vorlage  an  der  betreffenden  Stelle  dasselbe  Moment  gestrichen  bat ; 
▼gl.  Zur  Überliefening  etc.  p.  XLVII. 

')  Dergleichen  ist  in  der  Qesohichte  der  Überliefening  der  franaösisohen  Epen 
keineswegs  unerhört;  in  der  des  Partonopens  of  Blois  habe  ich  einen  ähnlichen  Fall 
nachgewiesen,  Oermanistische  Studien,  herausgegeben  von  K.  Bartsch.  'Zweiter  Band, 
p.  104. 


194  K.  BOHNENBERQER 

welchem  in  der  jüngeren  englischen  Übertragung  v.  10133  f.  (s.  o. 
p.  191)  entsprechen.  Ein  weiterer  Überarbeiter  entfernte  auch  noch 
diesen  letzten  Rest,  und  eine  Hs.  dieser  ülasse  lag  dem  Verf.  von 
Guy  A  vor.  Zu  ihr  gehören  —  wie  ich  einer  freundlichen  Mit- 
theilung von  O.  Winneberger,  der  uns  soeben  mit  einer  dankens- 
werthen  Arbeit  ilber  das  Handscbriftenverhältniß  des  frz.  Guy  erfreut 
hat,  entnehme  —  ferner  sämmtliche  auf  uns  gekommene  frz.  Hs. 
des  Epos. 

Ob  der  frz.  Dichter  diesen  echt  skandinavischen  Zug  von  Todes- 
verachtung aus  der  Tristansage  entnommen  hat  oder  ob  beide  aus 
einer  gemeinschaftlichen  Quelle  schöpften,  bleibt  vorläufig  eine  offene 
Frage.  Sicherlich  wird  man  hier  nicht  von  „zufllUiger  Änlichkeit" 
i^prechen  können. 

BRESLAU,  den  18.  April  1889.  E.  KÖLBING. 


SCHWÄBISCH  e  ALS  VERTRETER  VON  a. 


Nach  den  Arbeiten  von  Franck  (Ztschr.  f.  d.  A.  25,  218  ff.)> 
Luick  (Beiträge  11,  492  ff.)  und  besonders  Kauffmann  (Der  Vocalism. 
d.  Schwab,  in  d.  Mundart  v.  Horb,  Marb.  Habil.-Schr.  1887),  sowie 
meinem  eigenen  Aufsatze  (Corresp.-Bl.  f.  d.  Gel.  u.  Realsch.  Württem- 
bergs 1887,  502  SS.)  bleibt  0  für  eine  Untersuchung  über  schwäbisch  > 
als  Vertreter  von  älterem  a  noch  die  Vervollständigung  des  Materials 
und  die  Einzelerklärung.  Dabei  mag  zuvor  daran  erinnert  sein,  daß 
vor  Nasalen  sämmtliche  «-Laute  gescblossen  erscheinen» 

Bei  Aufführung  des  Materials  ergeben  sich  nun  folgende  Kate- 
gorien: 1.  Plural  von  Substantiven;  2.  Adjective  auf  tgf,  lieh, 
erriy  er;  3.  die  Deminutive;  4.  die  Nomina  agentis  auf  er; 
5.  schwache  Verba;  6.  eine  Anzahl  Nomina,  welche  zunächst  in 
keinem  näheren  Zusammenhange  zu  stehen  scheinen,  7.  gewisse  Orts- 
namen. 

Im  Einzelnen  gilt  in  Betreff  des  Plurals  der  Substantive, 
daß,  abgesehen  vom  neutralen  Plural  auf  er  und  einigen  wenigen  For- 
men mit  ursprünglichem  Umlaut  des  a  zu  ^  (wie  Tcreft^  neg/y  esp»)^  im 
Plural  der  starken  Declination  der  Übergang  des  a  iu  f  Kegel 
geworden  ist.    Die  Ausnahme   verschwinden  ganz.    £s   sind  in  der 


')  Httoalers  AoffAts  in  H^ft  l  d»  B.  koimte  begmAielutr  WaiiM  ^iobt  mtiu  be- 
rücksichtigt werden. 


SCHWÄBISCH  Q  ALS  VfiRTBETER  VON  ^  195 

Tübinger  Gegend:  hag  (aber  in  Firn.  Plural  heg),  halfter,  bam,  marter. 
In  der  schwachen  Declination  sind  die  Plurale  mit  ^  bei  Weitem 
in  der  Minderheit^  Begel  ist  hier  die  Erhaltung  des  a.  Es  weisen  f : 
lade^)  (msc.)i  krage,  möge,  wage,  halke. 

Die  Adjective  auf  ^^  wie  die  auf  Ivch^  zeigen  mehr  Bei- 
spiele mit  a  als  solche  mit  f,  doch  sind  die  letzteren  ebenfalls  zahl- 
reich. Eine  ganz  durchgehende  Eintheilung  ist  hier  nicht  zu  gewinnen 
weder  nach  dem  Gesichtspunkte  der  folgenden  Laute,  noch  mit  Be- 
ziehung auf  den  Plural  der  zugehörigen  Substantive.  Zwar  wiegen 
unter  den  Adjectiven  mit  f  solche  vor,  bei  welchen  dem  Vocale  Laute 
folgen,  welche  nach  Braune  im  Oberdeutschen  den  Umlaut  des  a  auf- 
hielten (schwfcMieh^  mfchJtigy  nichtig,  prechtigj  trechiig,  h^Uig,  dermig, 
erschig,  hpi^ig,  zfrtltch,  ffrwig  —  daneben  gchnfbelichy  ffdig,  teglieh 
[kaum  volksthttmlich],  fschig,  teschig,  v)(ßerig),  aber  mehrere  unter 
diesen  zeigen  auch  a  {balkig^  kalkig,  halmigj  harzig,  warzig).  Und 
mebr&ch  fallen  zwar  die  Plurale  und  die  zugehörigen  Adjective  in 
Anwendung  oder  Nichtanwendung  des.  Lautwandels  zusammen,  aber 
gegenüber  Plural  mit  f  steht:  saßig,  kragich.  Geschlossenes  e 
haben:  kreßig,  negelig,  gef ellig,  eckig,  und  vor  Nasal:  schemig,  wemsig, 
glenzig,  schwenzig.  Von  den  Adjectiven  Anf-em  zeigen  ^:  flf[ch]8ern, 
Wfchsem,    von  denen  auf  -er:   heller  und  in  Ortsnamen  -^cher,    hecher. 

Die  Deminutive,  jetzt  auslautend  auf  ^,  haben  ohne  Ausnahme 
e-Laut,  und  zwar  haben  e  die  zu  kraß,  nagel,  aap  und  die  zu  Sub- 
stantiven, welche  selbst  e  zeigen,  alle  übrigen  aber  e.  Neben  negale 
(kleiner  Nagel)  steht  nfg9l^  (Nelke). 

Bei  den  Nomina  agentis  auf  er  wiegt  ^  bei  Weitem  vor: 
rauher,  pfchter,  wfchter,  l^der,  scheffer,  h^fner,  kluger,  eeger,  schl^ger, 
trfger,  w^gner,  hfUer,  ffrwer.  Dagegen  haben  a:  lacher,  Schnarcher. 
Geschlossenes  e  weisen  auf:  greber,  spelter,  Schmelzer,  setzer. 

Schwache  Verba  mit  f  durch  die  ganze  Oonjugation  sind: 
fmen,  ferwen,  g^rwen,  ^zen,  schätzen,  schwetzen,  h^eren,  dazu  aus  der 
starken  Conjugation  waschen.  Im  Praesens  zeigt  fi  d^f  zu  dürfen. 

Die  Nomina  mit  f,  welche  sich  nicht  unter  die  schon  genannten 
Kategorien  stellen  lassen,  sind:  fchte  (octo),  gelochter,  dr^k,  n^ket, 
gesch^,  ^lle  (omnes),  ^Is,  kelter,  rgw,  frw^t  (Arbeit),  h^b,  pf^rd,  kfrl, 
l^rm,  fr(==:  ahir),  ^mt,  mfrre,  sch^ets,  gfrte,  f[r]«cA  (=  arm:;),  spfrwer, 


■)  Einfachheitshalber  sind  gewöhnlich  die  Formeln  der  Umgangssprache, 
mehrfaeh  Auch  die  des  mhd.  bei  Beispielsangabe  gesetot  und  ist  nur  der  in  Betracht 
kommende  Laut  in  der  Dialectform  gegeben. 


196.  K.  BOHNENBERGER 

€8che,  flusch,  iesch  (sampfige  Bodenversenkung,  und  in  maidtesch)^ 
mfßer,  gfter,  geschw^tz^  l^tz,  VftZy  h^weret. 

Unter  den  Ortsnamen  erscheint  e  besonders  bei  denen  auf 
'ingen,  und  zahkeich  vor  Umlaut  aufhaltender  Consonanz,  wie  (mit 
Belegen  aus  dem  württembergischen  und  färstenbergischen  Urkunden- 
buche): Gfchwgen,  H^chingen  (Hahingun  786,  Hech.  1333),  Elchingen 
(Neresh.:  Alchingen  1140;  öünsb.:  Alichingen  1234,  Elchingin  1220), 
MflcMngen  (Malechingen  1154),  Elfingen  (Elv.  1252,  Frank.?)  N^llingen 
(Eßl.:  Nall.  12.  u.  13.  Jh.  häufig),  N^üingaheim  (Nall.  c.  1243),  Der- 
dingen  (Tard.  1153,  Terd.  1181),  Ersingen  (Ers.  1194),  l^ingen  (Ert. 
1248),  Erz  (Arz.  und  Erz.  1246);  durch  eine  Zwischensilbe  vom  Suffixe 
'ingen  getrennt:  J^hterdingen  (Ahttert.  1226),  Sch^lklingen  (Schalkel. 
1248,  Schelkel.  1291),  D^llmensingen  (Talmezz.  1237),  /)frend%en(Tarod. 
1098,  Tered.  c.  1204),  Ergenzingen  (Argaz.  1228,  Ergoz.  neben  Argoz. 
c.  1150),  Mfrklingen  (Marchel.  861,  Merkel.  1275).  Vor  anderweitiger 
Consonanz  findet  sich  e  bei  ingen:  B^sigheim  (Basenkain  1231, Frank.?), 
Ditzingen  (Däz.  1263),  Hedelfingen  (Hadelv.  und  Haedelv.  1246),  Pf^f- 
fingen  (Pfaff.  c.  1243,  PfeflF.  1229),  Rexingm  (Ragges.  1150,  Rachs. 
1228).  Vor  der  Silbe  -m  zeigen  ^:  Ellenweiler  (Aglinsw.  1245),  Mecken- 
hev/ren  (Mechinburren  1155).  Dazu  kommen  sonst  noch:  Sperwerseck 
(Sparewarisegge  c.  1050,  Sperw.  1192),  Hfslachy  Vfsperweiler  (Vasburw. 
1150).  Mit  e  vor  Nasal  scheinen  erst  in  der  Zeit  des  f-Umlauts  (s.  u.) 
umgelautet  zu  sein:  Emerkingen  (Anemarch.  1241),  Gemingheim  (Gamer- 
tinch.  1150,  Frank.?),  Memmingen  (Manm.  1223,  Memm.  1247),  Schtoen- 
ningen  (Suuan.  1225,  Swenn.  1212),  Entringen  (Anthr.  1240,  Enthr. 
1245),  Benzingen  (Banz.  1237).  Vollständig  ist  diese  Zusammenstellung 
nicht,  da  mehrfach  die  Etymologie  unsicher,  oder  die  Aussprache  des 
Namens  mir  unbekannt  ist.  Von  den  Personennamen  muß  wohl 
abgesehen  werden.  Als  Vornamen  sind  sie  verschwunden,  und  ihre 
Verwendung  als  Geschlechtsnamen  zu  verfolgen,  würde  zu  weit  führen. 

Handelt  es  sich  nun  darum  zu  bestimmen,  wann  der  in  den 
angeführten  Beispielen  zu  Tage  tretende  Lautwandel  sich  vollzog, 
so  ist  zu  beachten,  daß  sich  vielfach  darunter  Formen  mit  einer 
Lautfolge  finden,  welche  nach  Braune  im  Oberdeutschen  den  Umlaut 
bis  ins  12.  oder  13.  Jahrb.  aufhielt.  Da  nun  nicht  anzunehmen  ist, 
daß  diese  Beispiele  zunächst  in  e  umlauteten  und  dann  in  e  zurück- 
gingen, so  wird  für  diese  wenigstens  der  Wandel  des  a  in  f  ins  12. 
und  13.  Jahrh.  zu  setzen  sein.  Das  Gleiche  ergibt  sieh  aber  auch  für 
die  aufgeführten  Ortsnamen  auf  -ingen.  Berechnet  man  durch  Schluß 
aus  den  folgenden,    bezw.  vorangehenden  Jahren  sämmtliche,   ftr  die 


1150  .  . 

.  .  14 

1160  .  . 

.  .  11 

1170  .  . 

.  .  11 

1180  .  . 

.  .  11 

1190  .  . 

.  .  11 

1200  .  . 

.  .  11 

a 

« 

.  .  .  11 

5 

.  .  .  11 

7 

.  .  .  8 

7 

.  .  .  5 

11 

.  .  .  1 

12 

SCHWÄBISCH  ^  ALS  VERTRETER  VON  a.  197 

einzelnen  Jahrzehnte  nachzuweisenden  Formen,    so  ist  auf  die  Jahre 
1150—1260  das  Ergebniß  folgendes: 
a           e 

1  1210 

1  1220 

1  1230 

2  1240 

3  1260 
4 

Weiter,  als  es  geschehen  ist,  kann  die  Zasammenstellnng  nicht 
geführt  werden^  da  das  württembergische  Urkundenbuch  mit  1252  ab- 
bricht. 

Für  alle  übrigen  Formen  mit  f  im  Einzelnen  die  Zeit  des  Laut- 
wandels nachzuweisen,  wäre  sehr  schwierig  und  durch  mancherlisi 
Voraussetzungen  bedingt.  Gelingt  es  aber  darzuthun,  daß  die  ganze 
Erscheinung  eine  einheitliche  ist,  so  ist  mit  der  Zeitbestimmung  eines 
Theils  der  Formen  auch  die  der  übrigen  gegeben.  —  Doch  lassen  sich 
noch  einige  allgemeine  Gesichtspunkte  beiziehen.  Die  neutralen  Plurale 
auf  -er  zeigen  stets  geschlossenes  e.  Haben  wir  es  nun,  wie  sich  unten 
zeigen  wird,  bei  dem  Übergange  von  a  zu  f  ebenfalls  mit  einem 
Umlaute  zu  thun,  so  ist  kaum  anzunehmen,  daß  beide  Arten  des- 
selben gleichzeitig  neben  einander  her  gingen.  Dürfen  wir  somit  den 
Übergang  in  f  nicht  zu  weit  hinaufsetzen,  so  kommt  dazu,  dafi  das 
aus  a  entstandene  e,  wo  es  gedehnt  ^  ist,  sich  unterscheidet  von  dem 
alten,  bezw.  durch  Brechung  entstandenen  e,  sofern  ersteres  als  f, 
letzteres  als  fa  (^)  erscheint.  Somit  mußte  'S  sich  schon  zu  fa  hin 
entwickelt  haben,  als  a  in  f  gewandelt  wurde.  Auf  der  anderen  Seite 
liegt  aber  auch  ein  Qrund  vor,  nicht  zu  weit  herabzugehen.  Es  konnte 
das  unbetonte  i  noch  nicht  ganz  mit  e  zusammengefallen  sein,  wenn 
es  noch  in  specifischer  Weise  auf  die  vorhergehenden  Laute  wirken 
sollte.  Nun  ist  i  nach  Behaghel*)  (z.  Frage  n.  einer  mhd.  Schriftspr., 
in  Basler  Festschrift  fiir  Heidelberg  p.  48)  zum  Mindesten  tief  ins 
13.  Jahrb.   hinein   erbalten.    Unter   dem  Schutze    des   nachfolgenden 


')  Im  schwäbiflcheii  Neckargebiete  von  Tübingen  an  abwärts  ist  die  alte  Kürze 
nur  erhalten  vor  Geminata,  Affiricata  (and  deren  Vertreter  ch)y  sonstiger  Doppel- 
consonans  außer  ^,  m,  rtj  rst  (dafür  rsch\  rty  r;^,  rss,  weiter  snm  Mindesten  in  einem 
Theile  des  Gebietes  auch  yor  <,  p  (fpae  =  ebehöUj  lenis  vor  h  zu  fortis)  —  k  findet 
sich  nicht  nach  ursprünglicher  Kürze. 

^  Wozu  übrigens  zu  bemerken  ist,  daß  im  Schwäbischen  t  heute  noch  nicht 
irrationaler  Vocal  (»)  geworden,  sondern  als  e  erhalten  ist. 


198  K.  BOHNENBEKGER 

ConsoDanten  ist  auch  i  bis  heute  noch  erhalten  im  Adjectiv  auf  -ig* 
Aber  wir  werden  bei  Erklärung  des  Lautwandels  zu  f  auch  die  An- 
Setzung  des  Einflusses  selbst  von  auslautend  i  (z.  B.  in  der  t-Decl.) 
nicht  entbehren  können.  —  Diese  allgemeine  Umgrenzung  stimmt  zu 
der  oben  gegebenen  Zeitbestimmung« 

Was  aber  die  Frage  nach  der  Art  und  dem  Grunde  dieses 
Lautwandels  betrifft^  so  hat  Eau£Fmann  denselben  als  späteren,  vom 
ersten  geschiedenen  Umlaut  bezeichnet  Daß  es  sich  um  einen  Um- 
laut handelt,  ist  für  die  Formen,  welche  unter  Braunes  oberdeutsches 
Umlautgesetz  fallen,  schon  gegeben,  und  daß  dieser  Umlaut  vom 
ersten  geschieden  ist,  geht  aus  der  oben  gegebenen  Zeitbestimmung 
hervor.  Somit  ist  Grund  genug  vorhanden,  von  Eaufimanns  Bestim- 
mung aus  die  Einzelerklärung  zu  versuchen«  Aber  dabei  genfigt  es 
dann  nicht,  die  ganze  Erscheinung  direct  aus  der  immer  größer 
werdenden  Unsicherheit  und  aus  Analogiebildung  zu  den  entsprechen- 
den ursprünglich  umgelauteten  Formen  abzuleiten.  Damit  ließe  sich 
nicht  verstehen,  warum  f  und  nicht  e  auftritt.  Bei  organischer  Ent- 
wicklung liegt  wohl  f  auf  dem  Wege  von  a  zu  e,  für  Analogiebildung 
aber  ist  (?  ein  eigener,  von  e  geschiedener  Laut.  —  Nun  bilden  das 
nöthige  Mittelglied  für  die  meisten  der  in  Betracht  kommenden  Er- 
scheinungen die  Formen  mit  ursprünglich  i  nach  Umlaut  aufhaltender 
Consonanz« 

Im  Einzelnen  ist  so  für  die  Plurale  der  starken  Declina- 
tion  mit  e  auszugehe|n  von  Formen  wie  mhd.:  bctche^  nahte,  halge. 
Die  hier  im  12.  und  13.  Jahrb.  durchdringende  Palatalisierung  ist 
wegen  des  Widerstandes  der  Consonanz  nur  bis  e  gegangen.  Sind 
aber  hiemit  einmal  einige  Formen  mit  ^  erklärt,  so  lassen  sich  die 
übrigen  als  Analogiebildungen  zu  diesen  ansehen,  zumal  eine  Differen- 
zierung im  Stammvocal  gegenüber  dem  Singular  wünschenswerth 
wurde,  als  die  unterscheidende  Endung  schwand  (vgl.  Eaufimaan, 
§.  12  An.)  Daher  blieben  nur  wenig  gebrauchte  Plurale  zurück.  Von 
der  starken  Declination  aus  ist  der  Umlaut  durch  Analogie  auch  in 
die  schwache  eingeführt  worden.  Dabei  bleibt  offen,  wie  frtihe  die 
einzelnen  Formen  der  Analogie  unterlagen.  Die  Bewegung  kann  noch 
in  Zukunft  weiter  gehen.  Die  oben  gegebene  Zeitbestimmung  ist  also 
für  die  Plurale  nur  als  terminus  a  quo  anzusehen. 

Die  Erklärung  des  f  in  den  Adjectiven  aufi^  scheint  inso- 
fern schwieriger,  als  in  der  ersten  Umlautzeit  im  Allgemeinen  auch 
ohne  Umlaut  hindernde  Consonanz  der  Umlaut  unterblieb.  Aber,  wie 
oben  aufgeführt,    gibt  es  doch  auch  Formen,    welche    seit  der  ersten 


SCHWÄBISCH  Q  ALS  VRHTRETEB  VON  tu  199 

Umlaatzeit  Umlaut  seigen,  oder  bei  denen  dieser  wenigstens  ans  dem 
geschlossenen  e  folgt.  Und  zwar  geht  aus  den  Beispielen  hervor,  daß 
oberdeutsch  die  Adjective  auf  ig  in  der  ersten  Umlautsseit  umgelautet 
wurden,  wenn  ihnen  ganz  oder  in  der  Mehrheit  ihrer  Formen  um- 
gelautete  Substantive  zur  Seite  standen.  Als  dann  vor  Umlaut  auf- 
haltender Consonanz  im  Plural  Umlaut  zu  f  eintrat,  wurden  die  zu- 
gehörigen Adjective  mitumgelautet  Daher  wiegen  gerade  diese  unter 
denen  mit  f  vor.  Weiterhin  vollzog  sich  die  Ausdehnung  auf  die 
übrigen  Adjective  auf  ig  in  Analogiebildung.  Wie  bort  :  b^ig^  so 
Schnabel  :  schtifMig,  und  vor  Nasal  glänz  :  glenzig.  So  l&ßt  sieh  dieser 
Umlaut  im  Adjective  analog  dem  der  Substantive  erklären  und  Ein- 
fluß des  Zwischenvocals  braucht  nicht  angenommen  zu  werden,  wenn 
auch  zuzugeben  ist,  daß  bei  Beispielen  wie  schn^elig,  Wffierig  darauf 
zurtlckg^riffen  werden  könnte  (so  Elauffinann,  §.  12,  Anm.  fOr  das 
Deminut.).  Aus  dem  Wechsel  von  Suffix  ich  =  ig  mit  H  erklärt 
sich,  daß  auch  nacket  umgelautet  wurde  zu  n^k9L 

Ganz  das  bisher  Gesagte  gilt  auch  von  den  Adjectiven  auf 
Uch.  An  sehw^ckUch  schließen  sich  die  übrigen  mit  ff  an.  Über  die 
Adjective  auf  -em  läßt  sich  wegen  der  geringen  Zahl  der  Beispiele 
nicht  mit  voller  Bestimmtheit  urtheilen.  Die  beiden  ^f[ch]«e»*n,  wächsern 
zeigen  f  vor  Umlaut  aufhaltender  Consonanz.  Hier  sei  auch  über  die 
Adjective  auf  -en^  schwäbisch  -0,  mhd.  in^  obwohl  sich  unter  den* 
selben  keine  Formen  mit  f  finden,  bemerkt,  daß  der  Umlaut  bei  ihnen 
nicht  weit  durchgedrungen  zu  sein  scheint  und  jetzt  offenbar  zurück- 
geht. Ohne  Umlaut  erscheint  stets  tanneiif  in  Tübinger  Oegend  vor- 
herrschend bouchen,  neben  fspen  h&ufiger  aspen,  neben  hihen  mehrfach 
hölzern,  nur  eschen  ist  allgemein  gehalten  durch  die  Substantivform 
esehe.  Über  die  Adjective  auf  -er  s.  bei  den  Substantiven  gleicher 
Endung. 

Den  gleichen  Weg,  wie  bei  den  bisher  erklärten  Formen,  hat 
der  Umlaut  zu  ^  wohl  auch  bei  den  Deminutivis  gemacht.  Auch 
hier  haben  wir  hreftUy  n^U,  eckte,  esple  und  dann  vor  ch  als  Aus- 
gangspunkt lür  die  übrige  Bewegung  mit  e  buchte.  Nur  ist  für  die 
Deminutiva  aus  dem  Sprachschätze  des  mhd.  noch  weniger  zu  ersehen, 
da  in  diesem  überhaupt  wenig  Deminutiva  enthalten  sind.  Will  man 
den  Umlaut  zu  e  bei  den  Deminutiven  auf  einen  Mittelvocal  zurück- 
führen, so  stößt  man  bei  Erklärung  des  Unterschiedes  zwischen 
kreßle  und  neg^' einerseits  und  bfchle  anderseits  auf  Schwierigkeiten' 
Die  Form  n^g^le  (Nelke)  zeigt  gegenüber  negdle  den  jüngeren  Umlaut. 
und    erweist   sich    damit  auch  als  jüngere  Bildung,    wobei  aber  auf-* 


2ÖÖ  K.  BOHNENBERGER 

fallend  bleibt,    daß  im  gleichen* Worte   eine  solche  neben  der  älteren 
soll  aufgekommen  sein. 

Verwickelter  wird  die  Frage  bei  den  Nomina  agentis  auf 
-eTj  alt  ari.  Es  stehen  hier  wohl  auch  neben  Verbis  mit  e  Nomina 
mit  solchem,  wie  decker,  speüer,  Schmelzer,  setzet,  aber  man  kann  doch 
fragen,  ob  die  wenigen  Beispiele  mit  Umlaut  aufhaltender  Consonanz 
und  offenem  e  {gerher,  f^rwer)  für  sich  allein  den  Ausgang  zur  allge- 
meinen Umlautsbewegung  zu  f  gegeben  haben.  Es  empfiehlt  sich  hier 
auch  die  Bildungen  mit  anderweitigen  Vocalen  beizuziehen,  welche 
von  umgelauteten  Verben  abgeleitet  sind  und  denen  Substantive  mit 
umgelautetem  Plurale  und  Singular  ohne  Umlaut  zur  Seite  stehen, 
wie  flötzer  :  flotz  :  flötze,  träumer  :  ti*aum  :  träume*  Waren  nun  einmal 
die  Plurale  h^fen  und  tofgen  gebildet,  so  entstehen  die  Reihen  hffner  : 
hafen  :  hffen,  wfgner  :  wagm  :  wfgen.  Dann  folgten  die  ttbrigen  nach, 
auch  die,  welchen  kein  umgelauteter  Plural  zur  Seite  stand,  wie 
m^cher,  schwer.  Die  zurückgebliebenen  lacher  und  Schnarcher  sind 
wenig  gebraucht.  Bei  anderweitigen  Vocalen  außer  a,  bei  welchen 
der  Umlaut  im  Plural  nicht  so  weit  ausgedehnt  ist,  finden  sich  auch 
Bildungen  auf  -er  ohne  Umlaut  in  verhältnißmäßig  größerer  Zahl.  — 
An  die  Substantive  mögen  sich  die  Adjective  auf  -er  anreihen.  Hier 
findet  sich  aus  der  Zeit  des  Umlautes  zu  e  stetter  als  Ableitung  von 
Ortsnamen  auf  -steti,  -stetim  (nicht  auf  -stat).  Somit  ist  hier  der  Um- 
laut nicht  erst  durch  das  Suffix  -er  gewirkt.  Nach  Analogie  dieser 
Derivate  von  alten  Ortsnamen  werden  nun  auch  solche  von  neuen 
gebildet:  Weilrst^r  (Weil  der  Stadt)  gebildet,  wie  Mögstetr  (Mggstet 
=  Magstadt).  Als  dann  in  der  zweiten  Umlautszeit  vor  dem  Suffix 
-er  der  Nomina  agentis  Umlaut  zu  f  eintrat,  bildete  man  von  Orts- 
namen auf  -ach,  -back  die  Derivate  auf  fcher,  bfcher.  Bei  anderen 
Vocalen  tritt  der  Umlaut  auf  in  -Äg/r  (-hof),  -derfr  (-dorf),  -aer  (-au), 
-h^isr  (-hausen).  Seit  die  Endsilbe  der  Ortsnamen  verflüchtigt  ist, 
sind  keine  Neubildungen  dieser  Art  mehr  möglich,  darüber  sind  auch 
alte  Bildungen  mehrfach  verloren  gegangen,  und  wo  bei  erhaltenem 
Vocal  der  Schluß  silbe  neue  Derivate  auf  -er  gebildet  werden,  fehlt 
ihnen  vielfach  der  Umlaut.  —  Hierher  gehört  auch  hfüei\  bei  dem  aber 
fraglich  bleibt,  ob  es  als  selbständige  schwäbische  Bildung  anzusehen, 
oder  aus  dem  Fränkiscken  überkommen  ist.  —  EIndlich  schließt  sich 
noch  an  das  Substantiv  spfnoer  (§pfrwl)  gegenüber  älterem  spanocere^ 
welches  dem  Umlaut  der  Nomina  agentis  und  der  Adjective  auf  er 
sich  angeschlossen  hat. 


SCHWÄBISCH  Q  ALS  VERTRETER  VON  a.  SOI 

unter  den  schwachen  Verben  eeigt  der  größere  Theil  derer 
mit  omlaatAufhaltender  Gonsonantenfolge  dennoch  e  and  muß  also  in 
Zasammenhang  mit  der  ersten  Umlautszeit  umgelantet  sein :  verkeUm, 
9peUen,  «cAme&an,  scherfenf  sterken,  verderben.  Zurückgeblieben  sind  in 
der  ersten  Zeit  nnd  leigen  f  nach  der  oben  gegebenen  Zosammen- 
stellong  je  eines  mit  rf  und  m,  dann  swei  mit  rw^  wie  auch  nach 
ArauBC  rw  den  Umlaut  ganz  besonders  aufhielt.  Als  späte  Bildung 
erklärt  sich  hfweren  :  hawer  =^ffrwen  :farto[Q].  Aber  auffallend  bleiben 
die  Verba  mit  f  vor  s  und  bcK  Sie  scheinen  überhaupt  die  einsig 
gebräuchlichen  zu  sein,  in  welchen  diese  Consonanten  auf  ursprünglich 
a  folgen.  Ihnen  gegenüber  ist  die  Menge  der  übrigen  schwachen  Verba 
zurückgeblieben  und  hat  a  erhalten.  So  kann  man,  zumal  noch  eine 
Anzahl  Substantive  mit  f  vor  seh  hinzukommen  und  waaehen  zur 
starken  Conjugation  gehurt^  an  Einfluß  der  dentalen  Consonanten 
denken.  Aber  dem  steht  wieder  das  methodische  Bedenken  gegen- 
über,  daß  sonst  dieser  Lautwandel  zu  f  stets  auf  vocalischen  Einfluß 
zurückzuführen  ist. 

Erproben  muß  sich  die  bisher  angewandte  Erklärungsweise  an 
dem  Reste  der  Nomina^  Nun  finden  sich  unter  diesen  wie  unter  den 
Verben  eine  ziemliche  Anzahl  Formen  mit  e,  also  älterem  Umlaute^ 
trotz  umlautaufhaltender  Consonantenfolge.  Es  sind  dies  außer  den 
Abstracten  auf  alt  i  (s.  Braune,  Beitr.  4,  555)  erb[e]f  msc.  und 
ntr.y  der  Positiv  hert,  sämmtliche  Comparative  und  Superlative 
und  mit  letzteren  auch  hsrbd.  Dagegen  haben  vor  ursprünglich  umlaut- 
aufhaltender Consonanz  organisch  gewirkten  Umlaut  zu  f :  fchte  (oeto, 
nach  Kauffmann,,  Beitr.  13,  394  neutr.  plur.,  jedenfalls  nicht  zurück- 
zuführen auf  msc.  mit  %  wie  nbuni,  weil  das  i  des  Nom.  plur.  der 
t-DecL  als  kurz  im  schwäbischen  abgefallen  ist,  z.  B.  gest^  das  erhaltene 
e  im  Auslaut  aber  frühere  Länge  oder  früheren  Diphthong  voraus- 
setzt), zw^l,  Jifrby  frnty  mfrr,  gfrte,  f[r]«cA,  wobei  in  dvxibila  und 
mariha  einfaches  h  und  r  in  der  ersten  Umlautszeit  den  Umlaut  auf- 
gehalten haben.  In  Analogiebildung  schlössen  sich  an  mit  r  +  Cons. 
kfrl  (zugleich  auch  unter  dem  Einflüsse  des  Deminutivs),  und  frwH 
(lautend  wie  h^w9r9t).  Wenn  weiter  in  sämmtlichen  Formen  von  at, 
auch  in  ah  f  erscheint,  so  mag  der  Umlaut  hier  vom  Neutr.  plur. 
ausgegangen  sein  (Eauffinann,  Voc.  §.  12),  wie  bei  ^chte.  Solche  Aus- 
breitung ist  wohl  denkbar  in  einer  Zeit,  in  der  sich  ^  weit  aus- 
dehnte. Bei  Iftz^  fftz  kann  die  inlautende  Affricata  nach  Vocal  als 
aus  doppelter  Fortis  verschoben  auf  geminierendes  i  hinweisen,,  und 
dann  hat  z^   wie  im  Verbum,    so  auch  in  diesen  Nomina  den  Umlaut 


202       K,  BOHNENBERGER,  SCHWÄBISCH  ^  ALS  VERTRETER  VON  a. 

KU  e  gehindert.  Aber  nachzuweisen  sind  keine  Formen  mit  zu  Tage 
tretendem  i.  Über  die  Substantive  mit  folgendem  seh^  s.  oben 
beim  Verbum.  Das  etwa  mit  a  übrig  bleibende  masehe  ist  nicht  volks- 
thttmlich  {AsL&ir  Schlaufe).  Auch  bei  m^ßer  ist  das  Ausbleiben  des  Um- 
lautes in  der  ersten  Umlaatszeit  höchst  merkwürdig.  Sollte  das  Wort 
in  alter  Zeit  im  schwäbischen  nicht  yolksthümlich  gewesen  sein,  oder 
ist  von  der  bei  Kluge  Wb.  angeführten  Form  maa-sahs  auszugehen  und 
der  f-Laut  später  aus  dem  Fränkischen  herübergenommen?  Bm  dreck 
fehlt  noch  sichere  Bestimmung  der  germ.  Form.  Wird  g^f  wie  das 
schriftdeutsche  Gitter  auf  gegater  zurückgeführt^  so  ist  damit  noch 
nicht  alles  erklärt.  Die  alten  neutralen  coUectiven  ^a-Stämme  mit 
Praefix  ge-  zeigen  regelrechten  Umlaut  zu  ei  grfejlj  geheg,  geheck. 
Somit  muü  gfter  eine  Form  jüngerer  Bildung  sein«  Mit  Umlaut  auf- 
haltender Consonanz  und  Umlaut  zu  f  gegenüber  einer  Grundform 
ohne  Umlaut  gibt  es  aber  keine  völlig  gleichartige  Bildung;  nur  das 
ähnliche  gdfchter^  in  welchem  die  Länge  des  Vocals  vor  ch  beweist, 
daß  dies  =  germ.  h  und  die  Form  alt  ist.  Will  man  diese  einzige 
und  nicht  einmal  ganz  gleichartige  Form  nicht  als  Anlaß  zur  Analogie- 
bildung ansehen,  so  kann  man  aber  auch  weiter  ausholen  und  davon 
ausgehen,  daß  bald  f  und  nicht  mehr  e  dem  Bewußtsein  als  Umlaut 
von  a  erscheinen  mußte,  als  einmal  der  Umlaut  zu  f  sich  ausgedehnt 
hatte.  Denn  die  Bildungen  mit  e  lagen  äußerlich  betrachtet  so  weit 
ab  von  den  zu  Grunde  liegenden  Formen  mit  a,  daß  deren  Zusammen- 
gehörigkeit viel  weniger  nahe  lag,  als  der  Wandel  von  a  zu  f.  Nun 
konnte  der  Umlaut  anderweitiger  neutraler  CoUective  mit  Praefix  ge- 
veranlassen,  daß  das  CoUectiv  zu  gater  mit  dem  damals  als  Umlaut 
zu  a  geltenden  f  gebildet  wurde.  Dem  läßt  sich  anreihen  geschtv^z  zu 
swazj  welches  aber  sein  f  auch  unter  dem  Einfluß  des  zugehörigen 
Verbums  erhalten  haben  kann,  wie  hfw9r9t.  Nicht  volksthümlich  ist 
^  =  ahd.  ahir  {wo&ir  feaSy  kolbey  kife)  und  gesch^fU  Über  sp^noer 
und  h^ier  s.  oben  bei  den  Nomina  agentis,  über  nqcket  bei  den  Ad- 
jectiven  auf  ig.  Unter  den  Fremdwörtern  geht  k^Uer  zurück  auf  kaher^ 
und  es  wird  wohl  die  Endung  er  Anlaß  zu  Umlaut  aus  Analogie 
gegeben  haben.  Bei  pf^d  erklärt  sich  die  Erhaltung  des  a  in  der 
ersten  Umlautszeit,  wenn  das  Wort  erst  im  8.  Jahrh.  entlehnt  wurde 
(Kluge,  Wb.)  und  als  Fremdwort  zunächst  dem  Umlaut  widerstand. 
Das  Gleiche  wird  gelten  für  kr^  =  mhd.  krcUte  (Korb),  wofür  übrigens 
in  Tübingen  heute  noch  kratt  In  rfps  muß  das  i  der  Form  raptc[iumj 
den  Umlaut  veranlaßt  haben.    Dies  bleibt  aber  auffallend,   wenn  das 


FRANZ.  KRATOCHWIL,  ÜBER  DEN  QEQEKWÄRTIQEN  STAND  «tc    203 

Wort,    wie  Kluge  will,   erst  nhd.  entlehnt  ist.    Für    l^rm  ist  vorans- 
zusetzen  lerman  aus  aUerman. 

Einfacher  liegt  die  Sache  zum  Schluß  wieder  bei  den  Orts- 
namen. Die  mit  Umlaut  aufhaltender  Consonanz  vor  i,  sowie  Spfr- 
werseek  sind  durch  das  bisherige  erklärt.  Bei  Hfdelfingen,  Bingen  ist 
in  der  ersten  Umlautszeit  der  Umlaut  durch  die  dazwischen  liegende 
Silbe  aufgehalten,  wobei  dahingestellt  sein  mag,  ob  bei  solchen  Formen 
der  Umlaut  ein  organischer  ist,  oder  durch  Analogie  gewirkt.  Nöthig 
ist  die  erstere  Auffassungsweise  nicht.  Für  B^sigheim  könnte  d  anzu- 
setzen sein,  in  Pf^ßngen  wurde  das  a  zunächst  noch  gehalten,  weil 
pfaffo  als  Bestandtheil  deutlich  zu  Tage  lag.  Der  gleiche  Grund  mag 
für  Afemmingen,  Sehwenningen  gelten.  In  Ditzingen  hat  wie  auch  sonst 
z  in  der  ersten  Umlautszeit  den  Umlaut  aufgehalten.  Bei  Hfslich  er- 
scheint der  Umlaut  vor  der  Endung  ich  =  aeh  =  ahiy  wie  auch 
sonst  in  jüngerer  Zeit  (z.  B.  Heckich  =  stockach).  V^spertveiler  ver- 
dankt seinen  Umlaut  erklärender  Umbildung. 

TÜBINGEN,  13.  December  1888.  K.  BOHNENBERQER. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER 
SUCHEN  WIRT  -  HANDSCHRIFTEN- 

Mit  zwein  großen,  bisher  unbekannten  Ergänzungen  zu  Suchenwirts  Gedichten. 


Seit  Jahren  war  ich  bemüht^  die  in  verschiedenen  Bücher- 
sammlungen zerstreuten  Suchenwirt-Handschriften  kennen  zu  lernen, 
zu  beschreiben  und  kritisch  zu  vergleichen,  um  so  eine  breite  Basis 
für  eine  möglichst  vollständige,  kritische  Ausgabe  der  Gedichte 
Suchenwirts  zu  schaffen.  Daß  ich  bei  diesem  Streben  nicht  wenig 
auf  das  Wohlwollen  der  Bibliotheksverwaltungen  angewiesen  war, 
leuchtet  ein;  ich  bin  in  der  angenehmen  Lage,  berichten  zu  können, 
daß  ich  freundliches  Entgegenkommen  nahezu  überall,  wo  ich  anklopfte, 
gefunden  habe.  Ich  danke  hiefür  öffentlich  auf  das  Wärmste,  besonders 
dem  Vorstande  der  kaiserlichen  Hofbibliothek  in  Wien,  Herrn  Hof- 
rath  Dr.  Ernst  Ritter  von  Birk,  und  dem  Scriptor  daselbst,  Herrn 
Dr.  A.  Göldlin  von  Tiefenau,  dem  Herrn  Dr.  G.  E.  Friess,  Pro- 
fessor am  Gymnasium  des  Benedictinerstiftes  Seitenstetten,  dem  hoch- 
würdigen Herrn  P.  Florian  Schininger,  Vorstand  der  Cistercienser- 
abtei    Schlierbach],    dem    Herrn   Bibliothekar    des    Benedictinerstifte 


204  FBANZ  KRATOCHWIL 

Eremsmünster;  P.  HugoSchmid,  dem  geehrten  VerwaltunggausBchasse 
des  Böhmischen  Museums  in  Prag,  dem  Qeheimen  Hofrath  Professor 
Dr.  W.  Pertsch;  Oberbibliothekar  der  herzoglichen  öffentlichen  Biblio- 
thek zu  Gotha,  und  Herrn  Dr.  Bender,  Vorstand  der  Universitäts- 
bibliothek zu  Heidelberg  [lange  todt.  0.  B.].  Den  ehemaligen  Ober- 
bibliothekar der  königlichen  öffentlichen  Bibliothek  zu  Dresden,  Ge- 
heimen Hofrath  Professor  Dr.  E.  W.  Förstemann  erreichen  meine 
Dankesworte  nicht  mehr  im  Amte,  der  frühere  Director  der  königlichen 
Hof-  und  Staatsbibliothek  zu  München^  Professor  Dr.  Karl  Halm 
vernimmt  sie  gar  nicht 

Auch  allen  Freunden  und  Bekannten,  die  mich  in  irgend  einer 
Weise  gefördert  haben,  danke  ich  hiemit  bestens,  besonders  den 
Herren  Universitätsprofessoren  Dr.  Richard  Heinzel  in  Wien,  Dr. 
Hermann  Paul  in  Freiburg  im  Breisgau  und  Dr.  E.  A.  Barack, 
Oberbibliothekar  der  Universitäts-  und  Landesbiblioth'ek  zu  Straßburg. 

Es  würde  mich  freuen,  wenn  durch  die  Veröffentlichung  dieser 
Arbeit  eine  Anregung  gegeben  würde,  den  Spuren  Suchen  wirtischer 
Gedichte  nachzugehen  und  etwa  gefundene  auf  dem  kürzesten  Wege 
bekannt  zu  machen.  Ich  glaube,  es  ließe  sich^  besonders  in  Miscellan- 
bandschriften,  hie  und  da  noch  etwas  finden.  So  habe  ich  erst  jüngst, 
freilich  für  diese  Untersuchung  zu  spät,  aus  den  Beiträgen  zur  Quellen- 
kunde der  altdeutschen  Literatur  von  E.  Bartsch  ersehen,  daß  trotz 
fleißiger  Suche  mir  doch  zwei  Recensionen  iSuchenwirtischer  Gedichte 
entgangen  sind. 

WIEN,  im  Juli  1888. 

1.  Handschriften. 

L  A. 

Aus  Katalogen  und  durch  zahlreiche  Anfragen  auf  verschiedenen 
Bibliotheken  sind  mir  einundzwanzig  Handschriften,  welche  Gedichte 
Suchen wirts  enthalten,  bekannt  geworden.  Die  bedeutendste  von 
allen  ist  A,  eine  Papierhandschrift  der  k.  k.  Hofbibliothek  in  Wien, 
Nr.  13045,  8^  Durch  den  erst  in  neuester  Zeit  erfolgten  Einband 
(rother  Juchten,  im  Geschmacke  des  14.  Jahrhunderts  gepreßt,  mit 
schön  bronzierten  stilvollen  Schließen,  auf  dem  Rücken  mit  Gold- 
buchstaben „Peter  Suchenwirt"}  erhält  die  Handschrift  ein  quart- 
förmiges  Aussehen.  Die  drei  leeren  Blätter  nach  dem  vorderen  sowie 
vor  dem  rückwärtigen  Deckel  sind  eine  Zuthat  des  außerordentlich 
geschickten  (bereits  verstorbenen)  Buchbinders  Fr.  Kraus s  in  Wien; 
er  hat  es  auch  verstanden,  die  stellenweise  an  den  Blattenden  sehr 
abgegriffene  und  ausgefranste  Handschrift  aufs  Beste  zu  reparieren. 


ÜBER  D£N  GEGBNWiBTIQEN  STAND  DER  SUCHENWIBT-HSS.      205 


Die  Handschrift  selbst  besteht  aus  zweihundertzweiundfünfzig 
Blättern.  Die  mit  Blei  angebrachte  fortlaufende  Paginierung  ist  bis 
pag.  48  richtig,  da  aber  die  nächste  Seite  auch  mit  48  bezeichnet 
ist,  so  ist  von  hier  an  jede  Zahl  um  eins  zu  niedrig.  Um  einerseits 
den  Fehler  auszugleichen ,  anderseits  aber  nicht  in  dauernden  Wider- 
spruch mit  der  nun  einmal  vorhandenen  Zählung  zu  gerathen,  citiere 
ich  in  der  Folge  48*  und  48^.  Die  Paginierung  stammt  aus  unserer 
Zeit;  jedenfalls  war  sie  schon  vorgenommen,  bevor  die  Handschrift 
gebunden  wurde;  denn  dadurch  wurden  die  Zahlen  von  421  ab  mehr 
oder  minder  weggeschnitten.  Höchst  wahrscheinlich  rtthrt  sie  von  Alois 
Primi sser^)  her,  gewesenem  Custos  des  k.  k.  Münz-  und  Antiken- 
cabinetes  und  der  k.  k.  Ambrasersammlung  zu  Wien;  dafür  spricht 
auch,  daß  sie  nur  bis  Seite  483  (richtig  484)  reicht,  denn  Seite  1  bis 
483  bringen  ausschließlich  Suchenwirtische  Gedichte.  Sie  sind  schon 
1827  in  seiner  bekannten  Ausgabe  der  Werke  Peter  Suchenwirts  ver- 
öffentlicht worden,  jedoch  abweichend  von  der  in  der  Handschrift 
eingehaltenen  Aufeinanderfolge.  Diese  zu  kennen,  ist  aber  aus  meh- 
reren Gründen  nöthig;    sie  ist  aus  nachstehender  Tabelle   ersichtlich. 


Irl 

Pri- 

missers 
Zählung 

Von  Seite  ...    der 

Handschrift  bis 

Seite  ... 

Überschriften 
der  Gedichte 

Geschrieben  vom 

1 



1,  Z.  1—7 

Titel  fehlt 

2 

I 

1,Z.8— 9,ZaO 

Von    ChÄnik     Indwig    von 
Ungerlant 

3 

n 

9,    Z.    11—12, 
Z.  20 

Von  der  Kayserin  von  Payrn 

1.  Schreiber 

4 

xxni 

12,    Z.    21  —  17, 
Z.   12 

Ein  red  von  der  Minne 

5 

IX 

17,    Z.    13—27, 
Z.  24 

Di     von     Elrwach     vö     hn 
puppli 

6 

XLV 

28  bis  Ende  der- 

Ein red   von    habscher  lug 

7 

XXIV 

selben  Seite 
29,    Z.    1—42, 
Z.   12 

Die  Minne  vor  Gericht 
NB.  Der  Titel  stammt  von  P 

2.   Schreiber 

8 

XI 

42,    Z.    13—54, 
Z.  10 

Von  Graff  vlreich  von  Phfan- 
berg 

•)  Dafür   sowie  für  seine  Suchenwirt-Ausgabe  steht  im  Nachfolgenden  gewöhn- 
lich F. 

GGBHAMIA.    Neue  Reihe.  XXU.  (XXXIV.)  Jahrg.  14 


206 


FBANZ  KRATOCHWn. 


15 

Pri- 
missers 
Zählung 

Von  Seite  ...  der 

Handschrift  bis 

Seite  . . . 

Überschriften 
der  Gedichte 

Geschrieben  ▼om 

9 

X 

54,    Z.    11—64, 

Von  h'n  pappily  von  EIrwach 

10 

XII 

Z.   19 
64,    Z.    20—70, 
Z.   19 

NB.  Zweite  Bede 

Von     her     herdegen     yon 

PetAw 

2.  Schreiber 

11^) 

— 

70,    Z.   20—80, 

Von  h'm  vlreich  yon  wallsse 

12 

ra 

Z.   18 

80,    Z.    19—89, 

Z.  14 

NB.  Erste  Fassung 

Von     h'tzog    Albrecbt    vo 

Ostereich  (H.  f) 

3.  Schreiber 

13 

xm 

89,    Z.   15—99, 
Z.  3 

Von     hn     vir    von    walse 
NB.  Zweite  Fassung 

4.  Schreiber 

14 

XIV 

99,    Z.    4—114, 
Z.  3 

Von    h'm    fridreichen   dem 
Chreuzzpekch 

15 

vu 

114,    Z.   4—124, 
Z.  13 

yon  par^  Albrechten    yon 
Numberch 

5.   Schreiber 

16 

VI 

124,  Z.  14—134, 
Z.  7 

von   kemden   h^ezog  hain- 
reich 

17 

XXI 

134,    Z.    8-142, 

Die  reD  haist  D'  brief 

1      6.  Schreiber     | 

1 

Z.  20 

18 

XXV 

143,    Z.    1  —  166, 
Z.  22 

Die  schon  abeutewr 

7.  Schreiber 

19 

XXVI 

167,    Z.    1—159, 
Z.  16 

Daz  geiaiD 

20 

xxvu 

159,  Z.  17—163, 
Z.  14 

D^  Rat  von  Dem  yngelt 

8.   Schreiber 

21 

XV 

163,  Z.  15—171, 
Z.  26 

yon  Lentolten  yon  Stadekk 

22 

vra 

171,  Z.  26—182, 
Z.   5 

Vö    her    pyrcharten    eller- 
back  Dem  alten 

1 

i      9.  Schreiber     . 

1)  Den  Text  dieses  Gedichtes  begleitet  am  linken  Rande  der  Handschrift  eine 
mit  Blei  angebrachte  Verszählung  (von  fünf  zu  fünf  Versen).  Sie  stammt  wahr- 
scheinlich yon  derselben  Hand  wie  die  Paginierung  und  findet  sich  auch  in  Nr.  14, 
17,  20,  21,  24,  26,  27,  81,  35,  89  und  44. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      207 


ps 

Pri- 

Von  Seite  ...   der 

in 

missers 
Zählung 

Handschrift  bis 
Seite  ... 

Überschriften 
der  Gedichte 

Geschrieben  vom 

23 

XXVIII 

182, 

Z.    6—193, 
Z.  28 

die  haist  d^  widertail 

24 

XVI 

193, 

Z.  29—203, 
Z.  20 

von    Graff    vlreicben    von 
Tzili 

25 

XXIX 

203, 

Z.  21—213, 
Z.   16 

Von  Dem  phenig 

10.  Schreiber 

26 

XXX 

213, 

Z.  17—223, 
Z.  20 

Von  D<^  mynn  slaff 

27 

XVU 

223, 

Z.  21—231, 

Von   hern  Pridreichen  von 

Z.  25 

lochen 

28 

XXXI 

232, 

Z.    1—241, 
Z.  20 

Das  ist  Di  verlegenbait 

11.  Schreiber 

29 

XXXIX 

242, 

Z.    1—252, 
Z.  20 

Daz    sind  Di  tzehen  gepot 

12.   Schreiber 

30 

XXXTT 

253, 

Z.    1—255, 
Z.  20 

Daz  ist  Di  geitichait 

31 

XXXUI 

256, 

Z.   1  —  262, 
Z.   10 

Daz  ist  Der   getrew  rat 

13.  Schreiber 

32 

XIX 

262, 

Z.  11  —  266, 
Z.  15 

Daz  ist  Di  red  vom  Teicbner 

33 

IV 

267, 

Z.    1  —  299, 
Z.  7 

Von  ff  tzog  Albr»  Ritterschaft 

14.  Schreiber 

34 

XXXIV 

299, 

Z.   8—305, 
Z.   7 

Von  Der  forsten  tailung 

15.  Schreiber 

35 

xvm 

305, 

Z,    8-330, 
Z.  12 

Vonh^n  Hansen  Dem  Trawn^ 

16.   Schreiber 

36 

XTi 

330, 

Z.  13—342, 
Z.  9^) 

Daz  sint  Die  fyben  tod  siind 

17.  Schreiber 

')  S.  348,  Z.  10—343  Ende  unbeschrieben. 


14* 


208 


FRANZ  KSATOCHWIL 


Pri- 
missers 
Zfthlong 

Von  Seite  ...   der 

Handschrift  bis 

Seite  ... 

1 

Überschriften              aescbrieben  vom 
der  Gedichte 

37 

XLI 

344, 

Z.    1-418, 
Z.   7') 

Die  siben  frewd  Mariae 
NB.  Vgl.  S.  209. 

18.   Schreiber    . 

38 

XTJI 

420, 

Z.    1—428, 
Z.  4 

Die  red  von  Dem  Jüngsten 
gencht 

39 

XXXV 

428, 

Z.    5—482, 
Z.  24 

Von  Zwain  Päbsten 

40 

XXII 

433, 

Z.    1—442, 
Z.  14 

Die  reD  haizst  D'  new  rat 

41 

xLin 

442, 

Z.  15—445, 

Die  reD  haizzt  Df  frdmD  sin 

42 

XLIV 

445, 

Z.   17 

Z.  18—450, 

Z.  21 

Die  reD  ist  Equinocnm 

19.   Schreiber 

43 

XXXVI 

451, 

Z.    1—454, 
Z.  21 

Die  reD*  haizzt  D'  vmbchert 
wagn 

44 

XXXVII 

455, 

Z.    1—460, 
Z.  3 

Von  Der  färstn  chneg  vnD 
von  Des  reiches  stetfi 

45 

xxxvni 

460^ 

Z.    4—477, 
Z.  4 

Daz  sinD  aristotiles  r£t 

46 

V 

477, 

Z.   5—483, 

Von  h'rtzog  albo  seligen  in 

1 

Z.  9 

6st*reich 

1     20.  Schreiber 

Der  Raum  nach  der  9.  Zeile  auf  Seite  483  ist  unbeschrieben, 
ebenso  die  nächsten  15  Seiten  (vgl.  S.  230) ;  dann  folgt  auf  zwein  Seiten 
ein  Tob^assegen'),  die  letzten  drei  der  Handschrift  selbst  ange- 
hOrigen  Seiten  sind  hie  und  da  mit  bereits  abgeblaßten  Wörtern  be- 
kritzelt. 

Die  Schrift  des  Tobiassegens  stammt  wohl  noch  aus  dem 
15.  Jahrhunderte,  jedenfalls  ist  sie  jünger  als  die    von   A.    Volumen 

')  S.  418,  Z.  8—419  Ende  unbeschrieben. 

')  Er  ist  mit  keiner  der  beiden  in  der  Ztschr.  f.  d.  Alt,  24.  Bd.  (1880),  S.  182  ff. 
tnitgetheilten  Fassungen  identisch,  doch  zeigt  er  mit  V.  1 — 50  des  ersten  dort  ange- 
führten Segens  einige  Ähnlichkeit. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      209 

VII.  (erschienen  1875)  der  Tabulae  codieum  manu  scriptorum 
praeter  graecos  et  Orientale»  in  bibliotheka  palatina  vindobonensi 
asservatorum  setzt  (pag.  180)  ganz  allgemein  A  in  das  15.  Jahr- 
hundert; ich  möchte  die  Handschrift  dem  Ende  des  14.  oder 
doch  spätestens  dem  Anfange  des  15.  Jahrhandertes  zu- 
weisen. 

Freilich  ist  die  Schrift  in  A  nicht  eine  durchgehend  gleich- 
mäßige: es  haben  eben  mehrere  Hände  daran  gearbeitet.  Für  den  in 
einer  Columne  mit  abgesetzten*)  Versen  —  ihre  Zahl  ist  auf  keiner 
Seite  höher  als  dreißig  und  sinkt^  wenn  man  von  den  in  der  Tabelle 
Nr,  36,  37  und  46  berührten  Fällen  absieht,  nur  selten  bis  fünfzehn 
—  gegebenen  Text  der  Gedichte  wurde  ausschließlich  schwarze  Tinte 
verwendet^  nur  in  Nr.  41  sind  die  vier  letzten  Zeilen  mit  rother 
Tinte  geschrieben.  Roth  sind  auch  die  Überschriften  der  Gedichte 
bis  auf  Nr.  23,  deren  Titel  schwarz  ist.  Bei  drein  Gedichten  fehlen 
die  Überschriften:  bei  IJr.  1  und  7  wegen  Lückenhaftigkeit  der 
Handschrift,  bei  Nr.  37  durch  den  Schreiber,  welcher  den  für  den 
Titel  auf  S.  343  reichlich  vorhandenen  Raum  zu  benützen  unterließ. 
Da  aber  Suchenwirt  im  fünften  Verse  vor  Schluß  dieses  Gedichtes 
sagt :  Di  siben  frewd  haizzt  Daz  getickt, 

so  läßt  sich  mit  ziemlicher  Sicherheit  die  fehlende  Überschrift  er- 
setzen. —  Als  Gegenstück  dient  das  Gedicht  Nr.  44,  dessen  Titel 
zweimal  geschrieben  wurde:  Ende  der  S.  454  und  zu  Anfang  der 
S.  455. 

Roth  ist  auch  sehr  häufig  die  Initiale  der  einzelnen  Gedieh te, 
und  zwar  in  sechsunddreißig  von  sechsundvierzig  Gedichten  der 
Handschrift,  in  Nr.  31;  33  und  35  ist  sie  roth  verziert;  nur  in  wenigen 
Gedichten  (Nr.  18,  22,  23,  34  und  36)  entbehrt  sie  ganz  der  rothen 
Farbe. 

Der  Anfangsbuchstabe  jedes  ersten  Verses  ist  groß^)^ 
bei  den  Anfangsbuchstaben  der  übrigen  Verse  ist  es  meistens  der 
Fall;  klein  (mit  nur  wenigen  Ausnahmen)  sind  sie  blos  in  Nr.  19  und 
21;  in  Nr.  35  beginnen  (doch  mit  einzelnen  Ausnahmen)  die  ungeraden 
mit  großen^  die  geraden  Verszeilen  mit  kleinen  Anfangsbuchstaben, 
in  Nr.  18,    20,    34  und  36  wechseln  sie  ohne  Regel,    doch  so,  daß  in 

18  und  34  die  großen,    in  20    (stammt  von   demselben  Schreiber  wie 

19  und  21)  die  kleinen  Anfangsbuchstaben  vorwiegen. 


*)  Einige  Aasnabmen  zeigen  sich  in  Nr.  18  und  zu  Anfang  von  Nr.  37. 
')  In  den  Nummern  38 — 45  ist  er  sogar  auffällig  groß. 


210  FRANZ  KBATOGHWIL 

Unbekannt  ist  mir,  wie  P  in  der  Beschreibung  von  A  (dieselbe 
reicht,  von  einigen  Zeilen  der  Einleitung  auf  S.  XLIII,  XLIV,  LU 
und  LIU  abgesehen,  von  S.  XL V— XL VIII)  zur  Behauptung  kam: 
„Die  Verse  sind  alle  abgesondert  gesehrieben,  jeder  mit  einem  rotb 
durchstrichenen  Anfangsbuchstaben^  (S.  XLVI).  Ein  Blick  in  die 
Handschrift  zeigt  die  Unrichtigkeit  der  letzteren  Behaup- 
tung. Nur  die  vom  ersten  und  vorletzten  Schreiber  herrührenden  elf 
Gedichte  (Nr.  1-4  und  38—44  auf  S.  1—17  und  420—460)  zeigen 
die  großen  Buchstaben  am  Anfange  der  Verse  roth  durchstrichen^  und 
zwar  vertical  oder  wagrecht  die  ersteren,  die  letzteren  von  oben 
nach  unten.  In  allen  anderen  Gedichten  sind  die  Anfangsbuchstaben, 
abgesehen  von  jedem  ersten  Verse  und  ganz  vereinzelten  Ausnahmen, 
einfach  schwarz ;  nur  in  Nr.  37  wechseln  schwarze  Anfangsbuchstaben 
ziemlich  regelmäßig  mit  von  oben  nach  unten  roth  durchstrichenen. 
Ganz  allein  in  diesem  Gedicht  begegnen  auch  rothe  Anfangsbuch- 
staben, fast  auf  jeder  Seite  einer,  und  zwar  zu  Beginn  der  Darstel- 
lung einer  jeden  der  sieben  Freuden,  gewöhnlich  zu  Anfang  eines 
Citates  oder  nach  einem  größeren  Abschnitte. 

Am  Anfange  der  Verse  herrscht  somit  der  große  Buch- 
stabe ziemlich  unbestritten.  Seine  Anwendung  ist  aber  auch 
im  Innern  der  Verse  ausgedehnter  als  in  mhd.  Zeit,  aber 
ganz  inconsequent;  letzteres  ist  schon  aus  den  in  der  Tabelle 
8.  205-— 208  angeftlhrten  Überschriften  ersichtlich,  desgl.  aus  dem  Texte 
der  Handschrift;  welcher  häufig  genug  (so  in  Nr.  2,  5,  9,  20;  22,  24 
bis  27,  29,  33,  36—39,  41,  43—46)  nicht  einmal  alle  Orts-  und  Per- 
sonennamen mit  großen  Anfangsbuchstaben  bringt,  wohl  aber  nicht 
selten  wenig  bedeutende  Wörter  (besonders  in  Nr.  36  und  37);  so 
begegnet  in  Nr.  15  der  Vers  239: 

0  Edler  'purgraf  albrecht 
u.  s.w.  Anders  in  Primissers  Ausgabe:  denn  diese  ist  kein  diplo- 
matisch treuer  Abdruck  von  A;  P  hat  sich  vielmehr  bezugs  der 
großen  Anfangsbuchstaben  für  den  Druck  eine  feste  Norm  gebildet 
und  schrieb  alle  Personen-  und  Ortsnamen,  sowie  alle  persönlich  oder 
allegorisch  gebrauchten  Ausdrücke  (Der  Phenning  sprach  XIX  140, 
in  XXIV  der  Mai,  der  Winder,  die  Minne,  Staete,  Gerechti- 
kait  u.  8.  w.)  mit  großen  Anfangsbuchstaben,  desgl.  den  Anfang  der 
directen  Rede  nach  einem  Doppelpimkte. 

Letztere,  sowie  alle  Anführungs-  und  Bindezeichen,  kurz  nahezu 
sämmtliche   Unterscheidungszeichen    gehören    dem  Herausgeber 


Ober  den  geqenwIbtiqen  stand  der  suchenwirt-hss.    21 1 

an.  Nur  die  wenigsten  der  hier  in  Betracht  kommenden  Zeichen  der 
Handschrift  lassen  die  Deutang  eines  mit  Absicht  gesetzten  Unter- 
scheidungszeichens zu;  die  meisten  erscheinen  als  Spielereien  der 
Schreiber.  So  triffi;  man  den  Punkt  nach  dem  Titel  eines  Ge- 
dichtes nur  sehr  selten  (Nr.  2  und  6),  zuweilen  aber  einem  latei- 
nischen e  ähnliche  Zeichen  (Nr.  5  und  6)  oder  eine  Kritzelei  (Nr.  11), 
meist  mit  zwein  oder  drein  vorgesetzten  Punkten  (Nr.  33,  35,  39  und 
nach  dem  ersten  Titel  von  44).  Der  Punkt  findet  sich  auch  am  Ende 
eines  Gedichtes  nur  ausnahmsweise  (Nr.  21),  desgl.  der  Strich- 
punkt (Nr.  13,  hier  wie  in  21  vor  dem  Worte  amen),  öfter  aber 
Kritzeleien  (Nr.  11;  12^  18,  26,  36,  37,  40  und  45),  oder  Doppel- 
punkte mit  einem  Striche  oder  Schnörkel  (Nr.  4,  33--35).  Durch 
Verbindung  von  Doppelpunkten,  Strichen  und  Schnörkeln  bilden  die 
Schreiber  ganze  Zeilen;  so  unter  dem  letzten  Verse  von  Nr.  27 
(während  in  Nr.  41,  42,  44  und  45  auf  den  letzten  Vers  ein  rother 
Strich  in  der  Länge  einer  Zeile  folgt),  aber  auch  innerhalb  von 
Nr.  37,  und  zwar  roth  nach  V.  502,  mit  dem  S.  367  schließt,  und 
einmal  schwarz  nach  V.  1473  (Ende  der  S.  414).  AmEnde  der 
Verse  setzt  der  vorletzte  Schreiber  gerne  einen  schiefen  Strich,  be- 
sonders in  Nr.  38  und  39,  nicht  so  häufig  in  den  gleichfalls  von 
seiner  Hand  stammenden  Gedichten  40—45;  belanglose  Punkte  finden 
sich  in  Nr.  21  nach  den  Versen  123,  199  und  220,  in  Nr.  36  fast 
nach  jedem  Vers;  in  Nr.  22  nach  V.  221  steht  der  Punkt  am  richtigen 
Platz«  Punkte  oder  wagrechte  Striche  setzt  öfter  am  Ende  der  Verse 
der  Schreiber  von  Nr.  28,  der  von  Nr.  5 — 9  mehr  oder  minder  häufig 
fast  durchaus  unberechtigte  Doppelpunkte;  Punkte,  Doppelpunkte 
oder  Schnörkel  (öfter  Mehreres  zugleich)  begegnen  an  den  Versenden 
von  Nr.  13  hie  und  da,  von  Nr.  37  aber  ungemein  häufig. 

Durch  die  ganze  Handschrift  jedoch  ausgedehnt  ist  der  Ge- 
brauch der  Abkürzungszeichen.  Hieher  gehört  1.^  a)  fbr  in- 
und  auslautendes  er :  vgl.  die  Überschriften  von  Nr.  5,  9,  13  u.  s.  w. ; 
besonders  gerne  wird  so  die  Vorsilbe  ver  gekürzt.  In  dieser  Ver- 
wendung nimmt  das  Zeichen  auch  häufig  die  Gestalt  an  ^  (so  in  den 
Überschriften  zu  den  Nummern  23,  26,  35  u.  s.  w«),  weit  seltener 
erscheint  daftir  ?  (Überschrift  zu  Nr.  33);  b)  für  e  vor  r:  vgl.  die 
Überschrift  von  Nr.  46;  für  auslautendes  r  :  Fo^  A  S.  93  =  P  XHI, 
103;  d)  für  in-  und  auslautendes  re  :  tw  A  S.  3  =  P  I,  70;  e)  ftlr 
-echt  und  -recht:  vgl.  die  Überschriften  von  Nr.  33  und  46; 
f)  für  -reicÄ  und  -eicA  :  Frid>,  himdro  A  S.  482  und  483  =  P  V, 
123  und  147,    In    den   beiden    letzten  Fällen  wird  das  Zeichen  öfter 


212  FRANZ  KRATOCHWIL 

verschnörkelt;   g)   ausnahmßweiae   für  ur  :  antvPt  A  S.  445  =  P 
XLIII,  71. 

2.  In  Verbindung  mit  p  wird  -er,  -re  und  -ro  öfter  mit  p  gegeben : 
pUin  A  S.  144  =  P  XXV,  38;  einige  Mal  begegnet  suchen  und  in 
Nr.  37  pphetm\  nur  einmal  findet  sich  p  =  pre  :  rUf^cht  A  S.  430 
=  P  XXXV,  57. 

3.  *  =  inlautendem  ra  :  vgl.  Überschrift  zu  Nr.  15,  ttb,  peht 
A  S.  20  und  22  =  P  IX,  71  und  108,  ähnlich  in  Nr.  18,  22,  24 
und  37. 

4.  Ganz  ausnahmsweise  wird  inlautendes  re  und  ro  durch 
einen  e-förmigen  Haken  oder  durch  zwei  Punkte  bezeichnet  :  betten 
=  betrogen,  spchen  =  sprechen  A  S.  139  und  140  =  P  XXI, 
115  und  145,  twen  und  tivn  =  trewen  AS.  170  =  P  XV,  176 
und  188. 

5.  ^  und  zwar  a)  fUr  fehlendes  e  vor  n  :  chrenchn  :  bedenchen 
A  S.  4  =  P  I,  73;  &)  für  in-  und  auslautendes  n  oder  m  :  grüt :  munt 
A  S.  4  =  P  I,  77,  ungemein  häufig  vö,  vrwpt  :  chumpt  A  S,  189  = 
P^XXVIII  239,  <te  A  S.  295  =  P  IV,  509;  c)  für  inlautendes  en  : 
tugt  A  S.  186  =  P  XXVIII,  143,  mich  öfter  in  Nr  36;  d)  allgemein 
im  =  und  oder  unde*^  e)  ausnahmsweise  für  fehlendes  g  in  samptz^- 
nacht  (Nr.  46,  V.  86);  f)  nur  in  Nr.  37  zur  Abkürzung  der  Namen 
Johannes  (Johes)  und  Jerusalem  (Jrlm). 

6.  9  =  t*«  :  Jeronim^  u.  s.  w.,  aber  nur  in  Nr.  37. 

7.  Durch  Combinierung  des  ersten  und  fünften  Zeichens  entsteht 
^ :  pchn  =  preehen  (prehen)  A  S.  8  =  P  I,  183,  kommt  nur  ver- 
einzelt vor. 

8.  Durch  Verdoppelung  des  fünften  Zeichens  entsteht  ""^  :  phe- 
^  =z  phenningj  nur  in  Nr.  25.  Allerdings  erscheint  dieses  Zeichen 
auch  häufig  in  Nr.  37,  aber  dessen  Schreiber  verwendet  es  in  allen 
denjenigen  Fällen,  wo  die  anderen  Schreiber  das  fünfte  Zeichen  ge- 
brauchen. 

Gewissermaßen  lassen  sich  als  Abkürzungszeichen  auch  die 
Haken  betrachten.  Sie  erscheinen  oberhalb  der  Buchstaben  (entweder 
unmittelbar  über  denselben  oder  etwas  seitlich)  geradezu  über- 
raschend häufig,  doch  nicht  immer  in  derselben  Form. 
Seite  1  der  Handschrift  zeigt  allein  folgende  fünf  Formen:  1.  **; 
2.  *"  ;  3.  ^ ;  4.  *■  und  5.  ^ ;  sonst  begegnen  noch  6.  •  oder  •  '  (sehr 
häufig  über  ^);  7.  >  (nicht  sehr  oft  und  dann  meist  über  «);  8.  *-  ein 
deutliches  e\  9.  ausnahmsweise,  z.  B.  in  Nr.  36  die  Form  ' ,  endlich 
10.  ein  Punkt,    aber    nur    über    e    und    y    und    allein  in  Nr.  33;    am 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHEN  WIRT- HS8.      218 

häufigsten  findet  sich  die  1.  und  4.  Form,  am  wenigsten  (abgesehen 
von  9  and  10)  die  2.,  3.  und  5. 

Die  Form  ist  übrigens  gleichgiltig  fflr  die  Bedeutung  des 
HakenB.  Diese  erhellt  aus  seiner  Verwendung  a)  zur  Bezeichnung 
der  Vocale,  Diphtonge  und  deren  Umlaute. 

So  wird  der  Umlaut  des  kurzen  a  auf  mhd.  Weise  gegeben  und 
auch  durch  d  :  tageleich  A  S.  107  =  P  XIV,  197,  ferner  durch  e  ; 
cJdegleieken  A  S.  457  =  P  XXXVII  56;  daneben  aber  —  S.  455  — 
in  V.  4  des  nämlichen  Oedichtes  von  derselben  Hand  ehaegleich. 

ae  ist  die  gewöhnliche  Bezeichnung  fär  den  Umlaut  des  ä,  doch 
wird  ae  (auch  cb  geschrieben)  nicht  selten  durch  e  vertreten  :  an 
gevaer  :  atver  (swcsr)  A  S.  13  =  P  XXIII,  13,  ehern  =  kcem  A  S.  293 
=  P  IV,  470;  in  dem  letzten  Gedichte  (A  S.  267  ff.)  erscheint  das- 
selbe Wort  auch  so  geschrieben  :  ehern;  P  schreibt  IV,  519  dafür 
che/n.  Allerdings  findet  sich  diese  Form  des  Hakens  über  einem  e  zur 
Bezeichnung  von  os  zuweilen,  z.  B.  A  S.  466  swere  :  leere  =  P 
XXXVU,  36  oder  A  S.  470  wSret  {warst)  =  P  XXXVIII,  216  und 
öfter,  zumal  in  IV,  aber  gerade  nicht  an  jener  Stelle.  —  AS.  169  = 
P  XV,  175  begegnet  6  =  ce  in  reten  :  steten  (stceten),  doch  sind  die 
Fälle  gar  nicht  häufig.  Ausnahmsweise  findet  sich  e  und  S  =  ce  :  A 
S.  87  =  P.  III,  148  Idr  (tere)  :  swer  und  A  S.  334  f.  =  P.  XL, 
84  und  101  wSr  und  trSger. 

d  erscheint  zuweilen  auch  für  mhd.  e  :  gewärt  A  S.  1  =  P  I,  16. 

Mhd.  S  wird  ausnahmsweise  durch  e  gegeben  :  er  :  mer  A  S. 
334  =z  P  XL,  79,  und  vereinzelt  durch  e  :  ern  A  S.  7  =  P  I,    171. 

Die  Flexions-6  werden  häufig  —  besonders  vom  achten  Schreiber, 
dessen  Text  schön  und  genau  ist  —  nur  durch  Haken  angedeutet  : 
A  S.  57  hörn  =  P  X,  80  (unrichtig  hom  für  hören  oder  hcßren)^  A 
S.  216  warn  =  P  XXX  75. 

o'  =  (B  und  ö  :  höret  und  vrdmden  (adj.)  A  S.  4  =  P  I,  86  f. ; 
das  letzte  Wort  begegnet  A  S.  445  auch  in  der  Schreibung  frömd, 
wofür  P  XLIII,  51  fioind  liest. 

au  wird  oft  durch  au  gegeben  (ungemein  oft  a«^),  sehr  häufig 
durch  aio  (wie  denn  überhaupt  v  und  w,  wenn  sie  als  u  zu  lesen 
sind,  gewöhnlich  den  Haken  tragen),  nur  ganz  ausnahmsweise  durch 
ü  im  Reime  prut  :  hut  A  S.  235  =  P  XXXI,  71  von  dem  elften 
Schreiber,  der  auch  noch  durch  andere  Anzeichen  seine  alemanni- 
sche Abkunft  verräth.  ^) 


')  Er  hat   eine  unschöne,    nicht  besonders  genaue  Hand  und  gebraucht  immer 
oth  (=  auch),  Jröden  (Y.  164  fr'ölein)  und  hawt  (=  ?idit) ;  er  liebt  auch  Consonanten- 


214  FBANZ  KRATOCHWIL 

eu  =  ew,  sehr  häafig  ew,  seltener  eto  (der  19.  Schreiber  hat 
dafür  Vorliebe);  nicht  so  oft  erscheint  dw  {Idwt  A  S.  258  =  P 
XXXIII,  44),  du  {vrduden  A  S.  216  =  P  XXX,  75)  oder  eu  {leuchtet 
:  veucktet  A  S.  11  =  P  II,  65  [letzteres  Wort  hier  ohne  Haken]). 

öu  =  ou  und  du  :  vroudenreichf  vrduden  A  S.  215  und  219  = 
P  XXX,  52  und  143. 

u  mit  und  ohne  Haken  steht  1.  für  gewöhnliches  u  (A  S.  86  = 
P  III,  135  rubein  :  doch  sind  diese  Fälle  im  Ganzen  nicht  zahlreich, 
wenn  man  von  denjenigen  absieht,  die  bei  den  Halbdiphthongen  zu 
besprechen  sind). 

2.  Für  t2,  wo  sich,  solches  in  Eigennamen  und  Fremdwörtern 
erhalten  hat,  z.  B.  lasur  :  figur  A  S.  183  =  P  XXVIII,  27,  vPrich 
(Ü^trieht)  A  S.  21  =  P  IX,  97. 

3.  Für  üy  uo  (sehr  häufig  durch  ue  gegeben)  und  üe  :  mmi/m  : 
Hurn  (mhd.  wo  :  tt)  A  S.  95  =  P  XIII,  151,  hingegen  fürte  :  spurte 
(mhd,  uo  :  u  oder  ü)  A  S.  169  =  P  XV,  153,  ebenso  P  VI,  89,  90 
und  XXX,  49,  50;  siMel  :  vhel  (mhd.  «e  :  Ä)  A  S.  440  =  P  XXII, 
176;  wuffen  :  i^ffen  (mhd.  ite  :  öe)  A  S.  165  =  P  XV  53;  chuele  : 
gestuele  A  S.  215  =  P  XXX,  53,  seltenere  Schreibweise,  ebenso 
früe  :  rue  {ruawe)  A  S.  217  =  P  XXX,  89,  fni  =  vruo  A  S.  337  = 
P  XL,  143  (A  S.  477  =  P  V,  13  ohne  Haken  tw)  und  pehwtt  (behüet) 
A  S.  482  =  P  V,  134.  Ausnahmsweise  begegnet  bei  dem  aleman- 
nischen Schreiber  von  Nr.  28  tu  für  il  und  üe  :  hiulff^  eiü,  betriüben 
V.  29,  135  und  132  (vgl.  S.  213). 

Für  ei  (=  mhd.  i)  findet  man  auch  i  mit  darüber  gesetztem 
Haken;  dieser  wird  links  oder  rechts  von  i  angebracht,  wobei  das  i 
seinen  Punkt  in  der  Regel  verliert  (min  :  vein  A  S.  2  =  P  I,  22). 
Daneben  begegnen  nicht  selten  inconsequente  Schreibweisen,  wie 
preisen  :  hufeysen  A  S.  8  =  P  I,  195,  ja  sogar  chleine  :  staine  (mhd. 
ei  :  ei)  A  S.  260  =  P  XXHI,  82,  obwohl  A  das  alte  organische  ei 
sonst  gewöhnlich  mit  ai  bezeichnet  (vgl.  alem.  chli?    0.  B.). 

Der  Haken  ober  %  steht  sehr  häufig  auch  für  den  Diphthong  ie, 
wobei  i  meistens  seinen  Punkt  verliert  :  geschidt  (=  geschiet)  :  beriet 
A  S.  10  =  P  II,  39. 

Der  Haken  über  i  vertritt  auch  zuweilen  die  Stelle  des  I-Punktes, 
auffallend  häufig  in  Nr.  22  :  m^neSy  ehunig^  am  u.  s.  w.;  anderseits 
wird  der  I-Punkt  (abgesehen  von  i  ^=  ei  und  ie)  oft  weggelassen,  wie 

hSnfnngen  wie  thiachy  tzhier,  moffph  u.  s.  w. ,  dagegen  schreibt  er  wieder  yHi^,  zuht 
(Y.  161);  die  Adjectivendung  iu  wendet  er  gerne  an,  aber  auch  im  Acc.  sing,  fem* 
V.  72,  92  u.  s.  w.)  und  im  Nom.  plur.  masc.  (V.  64). 


ÜBER  DEN  GEGENWlBTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      215 

aus  manchen  Übersohriften  der  Gedichte,  besonders  aber  aus  den 
Gedichten  Nr.  23—27  zu  ersehen  ist,  deren  Schreiber  die  Eigenthttm- 
lichkeit  hat,  die  I-Punkte,  falls  er  sie  anbringt,  meistens  etwas  rechts 
von  %  zu  setzen. 

b)  Die  Haken  dienen  aber  auch  oft  zur  Bezeichnung 
der  Svarabhakti  (vgl.  Johannes  Schmidt,  Zur  Geschichte  des 
indogermanischen  Vocalismus  1875,  2.  Abtheilung,  S.  382  ff.),  sowohl 
wenn  sie  metrisch  gerechnet  wird  (Die  arm  leut  dt  sten  da  vor  A  S.  337 
=  P.  XL,  148),  als  wenn  dies  nicht  der  Fall  ist  (armbruat  A  S.  166 
=  P  XV,  65,  zoni,  gesworn  A  S.  217,  wofür  P  XXX,  87  tzoren  : 
geswaren  schrieb). 

Übrigens  gibt  die  Handschrift  die  Svarabhakti  nicht  selten  durch 
i,  zuweilen  durch  e  (vgl.  J*  Schmidt  a.  a.  0.);  hie  und  da  fehlt 
auch  jede  graphische  Bezeichnung  der  Svarabhakti,  selbst  wenn  sie 
metrische  Geltung  hat,  so  in  P  XXXVH,  34,  39,  54  und  102  (=  A 
S.  456  ff.),  wo  statt  arm  zu  lesen  ist  arm  (=  XL,  148)  oder  armeriy 
ebenso  P  XXXVIU,  85  und  294  (=  A  S.  464  und  474).  P  XXXIX, 
41  (A  S.  243)  begegnet  dem  perige  :  herberge. 

c)  Interessant  ist  die  ziemlich  ausgedehnte  Verwen- 
dung der  Haken  zur  Bezeichnung  der  Halbdiphthonge  a', 
a'  oder  d%  e*,  o"  oder  o*,  i%  u*  oder  t»*,  iV  besonders  vor  r  mit  fol- 
gendem Consonanten,  aber  auch  vor  anderm  Stammschluß  (J.  Schmidt 
a.  a.  O.  S.  375,  384  f.;  hingegen  findet  Weinhold  in  den  a%  o',  u' 
unechten  Umlaut:  Bairische  Grammatik  §.  9  und  42,  25  und  57, 
32  und  109). 

Nicht  aUe  diese  Laute  waren  den  Schreibern  in  der  Bezeichnung 
gleich  geläufig,  am  wenigsten  die  aus  a  entstandenen:  da:; 
und  da?  AS.  116  und  267,  wofttr  P  VII,  51  de?  und  IV,  10  da? 
setzt,  lassen  sich  hier  mit  Sicherheit  nicht  anführen.  Vgl.  übrigens 
verlaem  =  verldm  aus  verlorn  im  Reime  auf  hochgepom  A  S.  47  = 
P  XI,  124,  vaem  =  vom  aus  vären  im  Reime  auf  jarn  A  S.  41  = 
P  XX,  316  und  getzaemt  =  gezdmt  aus  gezamt  gereimt  auf  erlamt  A 
S.  51  =  P  XI,  255. 

Zahlreicher  und  in  verschiedenen  Theilen  der  Handschrift  finden 
sich  Beispiele  für  e\  am  häufigsten  im  Gedichte  Nr.  29.  er  (subst.)  • 
«eV  (adv.)  A  S.  248  und  251  =  P  XXXIX,  151  und  203;  wer') 
(Abwehr)  :  Aer  (exercitus)  A  S.  307;  308;  312,  315;  323;  326  =  P 
XVm,  51;  77;  159,  221;  413;  479  :  mer  (mare)  A  S.  309;   310  = 


»)  pie  Schlierbacher  HandspJ^nft  pcjireibl;  V.  93  lüeer,  V.  413  Hwr, 


216  FRANZ  KRATOOHWIL 

P  XVIII,  93;  119;  hiHze  A  S.  83  =  P  III,  65  und  68,  phM  A  S. 
434  =  P  XXII,  32,  swert  (schwört);  hercz  und  werben  :  sterben  A  S. 
247,  250,  252  =  P  XXXIX,  121,  177  und  219;  mimt  A  S.  278, 
292  =  P  IV,  194,  448;  mt,  mansch,  A  S.  336  =  P  XL,  125,  128, 
atrebea  :  leben,  das  rdcht  A  S.  248,  251  =  P  XXXIX  131,  208;  se 
(pron.)  A  S.  308,  316  =  P  XVIII^  76,  246.  Vgl  übrigens  auch  see 
(subst.)  A  S.  109  =  P  XIV,  231,  249  (Weinhold,  Bair.  Gr.  §.  75  b) 
:  ee  (adv.)  A  S.  321  =  P  XVIII,  864  :  ich  gee  A  S.  89  f.  =  P  XIII, 
7,  ee  (adv.)  A  S.  152  =  P  XXV,  257  und  ee  (adv.)  A  S.  86  f.  = 
P  III,  139,  162, 

Belege  für  die  übrigen  Halbdiphthonge  finden  sich  in  den  ver- 
schiedensten Gedichten  der  Handschrift  und  sind  sehr  zahlreich,  so 
tzorn  :  hom,  gepom  :  dorn,  worten  :  orten  A  S.  55,  82,  248  =  P  X, 
29,  ni,  33,  XXXIX,  133;  in  der  chron  :  schon  A  S.  8  =  P  I,  189; 
des  todes  A  S.  81  =  P  III,  22,  guten  trdst  :  hat  erlost  A  S.  10  = 
P  II,  43  (hingegen  A  S.  49  =  P  XI,  193,  derselbe  Reim  ohne  Haken), 
flfrd^^e  flust  A  S.  48"  =  P  XI,  155;  das  in  demselben  Gedicht  oft 
wiederkehrende  chldster  (sing.)  ist  nur  in  V.  21  und  35  ohne  Haken 
geschrieben,  not  :  tot  A  S.  13  =  P  XXIII,  15 ;  in  hochem  mut  A  S.  2 
=  P  I,  27;  bei  sämmtlichen  hier  angeführten  Belegen  für  o'  fehlt  in 
P  der  Haken. 

gecziert  :  suehenwirt  (der  Haken  wurde  im  zweiten  Wort  ver- 
gessen), vir  :  begir  A  S.  299  und  160  =  P  IV,  569  und  XXVII,  13, 
überdies  ungemein  viele  ähnliche  Fälle  außerhalb  des  Reimes;  hieher 
gehören  auch  die  ohne  Haken  geschriebenen  Belege:  daz  viech  :  siech 
(mhd.  i  :  ie)  A  S.  252  =  P  XXXIX  221,  niender  :  winder  A  S.  237 
=  P  XXXI,  109  (vgl.  K  I '),  S.  22),  ich  siech  (video)  A  S.  38  =  P 
XXIV,  246. 

durch  A  S.  111  =  P  XIV,  287  u.  o.,  churtzen  (adj.)  A  S.  37  = 
P  XXIV,  222  u.  ö.;  P  ließ  in  beiden  Fällen  den  Haken  weg};  nicht 
selten  haben  ihn  auch  die  Schreiber  vergessen,  z.  B.  snur  :  verlur 
(mhd.  t^o  :  t^)  A  S.  440  =  P  XXII,  170  (vgl.  auch  S.  214);  Uns 
A  S.  10  f.  =  P  H,  25,  50,  64  (bei  P  an  allen  drei  Stellen  ohne 
Haken)  und  sonst  ungemein  oft,  desgl.  üntz  und  under,  letzteres  auch 
in  Zusammensetzungen;  hieher  gehört  auch  tun  (inf.)  :  sun  (==  Sohnes) 
A  S.  44  =  P  XI,  53;  prust  (sing.)  und  czücht  (subst.)  A  S.  86  und 
250,  beide  Fälle  bei  P  III,  133  und  XXXIX,  184  ohne  Haken. 


')  K  I  hier   und   im  Folgenden    für  A.  Ko berste! n,    Über   die  Sprache    des 
österreichischen  Dichters  Peter  Snchenwirt.    Lautlehre. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  8UCHENWIRT-HSS.       217 

chum  her  för  :  du  mich  fv/r  (mhd.  ä  :  ä«)  A  S.  448  =  P  XLIV, 
55,  erßr  :  verUur  (mhd.  äa  :  ö)  A  S.  155  =  P  XXV,  326;  vgl.  auch 
S.  214. 

Einen  verläßlichen  Einblick  in  diese  mannigfache  Anwendung 
des  Hakens  erhält  man  aus  dem  schon  S.  210  angegebenen  Grande 
aus  P  nicht,  am  ehesten  noch  über  die  Gruppe  a.  Doch  hat  er  aus 
Versehen  zuweilen  die  Form  des  Hakens  geändert  (frexoden  XLIV^ 
109  und  118,  wo  A  frewden  hat  u.  s.  w.)  und  den  Haken  ganz  weg- 
gelassen (I,  13  mir,  II,  2  dir,  35  tr,  XXIII,  66  diner,  IX,  173  lichte 
u.  8.  w.,  WO  A  den  Haken  hat),  wodurch  manchmal  das  Metrum 
leidet  (so  II,  12,  wo  trawm  =  trauern  zu  lesen  ist  u.  s.  w.).  Ander- 
seits hat  er  Haken  gesetzt,  wo  A  sie  nicht  hat,  so  II,  53  gebenty 
während  er  dieselbe  Form  I,  147  und  204  mit  A  gebent  schrieb. 
Wichtiger  ist  die  principielle  Änderung,  uo  und  ue  mit  tl,  hingegen 
ü  mit  u  zu  geben  (Einleitung  S.  LH)«  Ein  Blick  jedoch  in  Primisser's 
Text  genügt,  zu  zeigen,  daß  er  sein  Princip  leider  nicht  strenge 
durchgeführt  hat. 

Das  P  mehrere  durch  Haken  angedeutete  Svarabhakti  in  seinen 
Text  aufgenommen,  kann  uns  ebenso  sehr  Wunder  nehmen,  als  es 
uns  begreiflich  erscheint,  daß  er  sich  gegentlber  der  Gruppe  c  ab- 
lehnend verhielt:  er  erklärt  derlei  Haken  durch  die  Nachlässigkeit 
der  Schreiber  (Einleitung  S.  LHI). 

Halten  wir  auch  derzeit  diesen  Vorwurf  nicht  fClr  gerechtfertigt, 
so  könnte  man  doch  geneigt  sein,  ihn  aus  einem  andern  Grunde  zu 
erheben,  wenn  uns  nämlich  Formen  begegnen,  wie  suchen^  mutesy 
8ti8:^en  (A  S.  1,  5,  9  =  P  I,  5,  104  und  II,  8)  u,  s.  w.,  die  noth- 
wendig  den  Haken  verlangen»  oder  wenn  wir  den  Haken  ungleich- 
mäßig angewendet  finden  (vor  :  tor,  erchom  :  gepom,  vor  eunden  und 
vor  schänden  A  S.  2,  3,  4  =  P  I,  43,  44,  47,  48,  88  u.  s.  w.).  Unser 
Urtheil  wird  aber  milder  ausfallen,  wenn  wir  bedenken,  daß  diese 
Erscheinungen  im  Verhältniss  zu  dem  bedeutenden  Umfang  der  Hand- 
schrift nicht  zu  zahlreich  sind,  dann  daß  an  dieser  großen  Hand- 
schrift mindestens  zwanzig  Schreiber  gearbeitet  haben,  und  zwar  zu 
einer  Zeit,  wo  nicht  nur  die  Quantität  in  starkem  Schwanken,  son- 
dern die  gesammten  sprachlichen  Verhältnisse  in  mehr  oder  minder 
lebhaftem  Flusse  waren,  so  daß  &Xr  die  schriftliche  Fixierung  mancher 
neuen  oder  doch  erst  jetzt  zum  sichern  Bewußtsein  gelangenden  Er- 
scheinungen (z.  B.  der  Halbdiphtonge  a'j  e')  den  Schreibern  bereits 
geläufige  Behelfe  nicht  zur  Verfügung  standen. 


218  FBANZ  KRATOCHWIL 

Aus  denselben  Gesichtspunkten  werden  auch  die  oft  von  einem 
und  demselben  Schreiber  herrührenden  inconsequenten  Schreibungen 
der  Consonanten,  besonders  der  Geminationen  und  Couso- 
nantenverbindungen  zu  beurtheilen  sein  (sei  und  seil  {=  sele)  A 
S.  245  und  251  =  P  XXXIX,  79  und  197 ;  Ev^  und  Efen  A  S.  388  f. 
=  P  XLI,  922  und  933,  phfat  und  phat  A  S.  139  und  142  =  P 
XXI,  126  und  189  5  wardt  (verb.):  ze  Widerpart  A  S.  21  =  P  IX,  85, 
gesait  :  laid  (acc.)  A  S.  262  =  P  XXXIII,  117,  unverslunten  :  über- 
vmndm  A  S.  451  =  P  XXXVI,  22,  gerittm  :  versnüm  A  S.  120  = 
P  VII,  153,  das  sehr  oft,  so  A  S.  143  S.  (P  XXV),  hingegen  wa^ 
(verb.)  :  gra:;  (subst.)  V.  33,  V.  129  wieder  toas,  V.  123  wa^er^  V. 
361  wasser,  fleis  :  trei?  V.  219,  aber  weis  V.  186  und  208,  Hessen  : 
stie:^en  Y.  335,  wie  denn  unter  allen  Schreibern  gerade  der  siebente 
die  größten  Inconsequenzen  in  der  Schreibung  der  S-Laute  zeigt; 
erschrikchet  :  unvertzwicJiet  A  S.  259  =  P  XXXIII,  58,  druktä  :  ver- 
ruchte A  S.  280  =  P  IV,  225,  gyechen  (inf.)  :  gesehen  (part.)  A  S. 
57  =  P  X,  83;  hingegen  begegnen  beide  Formen  von  demselben 
Schreiber  mit  ch  A  S.  31  =  P  XXIV  50  und  mit  A  A  S.  65  =  P 
XII,  25  u.  8.  w.;  vgl.  K  I,  12  und  UV),  Note  11,  I,  20,  34—37,  39, 
42  und  n,  Note  8,  ferner  I,  50  und  51  u.  s.  w.);  desgl.  die  ungemein 
zahlreichen,  oft  recht  auffälligen,  zuweilen  geradezu  den  Eindruck 
von  Willkür  machenden  Apocopen  und  Syncopen  (z.  B.  reichs 
und  reiches  im  zweimal  geschriebenen  Titel  zu  Nr.  44),  Erscheinungen, 
welche  selbst  wieder  auf  die  Schreibung  der  Vocale  wie  der  Conso- 
nanten  vom  großen  Einflüsse  sein  mussten  (vgl.  Weinhold,  Bair.  Qr. 
§.  14  und  15  und  K  I,  53,  2),  aber  wie  schon  aus  Koberstein's 
Untersuchungen  (besonders  I,  53—55,  11,  §.  11—22,  49,  75  Punkt  1 
und  2,  77  Punkt  3  und  4,  m,  §.  1—9,  36—39  u.  s.  w.)  erhellt, 
sicherlich  nicht  durchaus  auf  Rechnung  der  Schreiber  zu  setzen 
sind.  —  Wenn  wir  überdies  unsere  Handschrift  in  Bezug  auf  genaue 
Schreibung  mit  gleichzeitigen  Urkunden  und  anderen  größeren  Schrift- 
stücken vergleichen,  dann  wird  unsere  anfängliche  Neigung  zu  einem 
etwas  abträglichen  Gesammturtheil  über  die  Schreiber  von  A  bald 
weichen,  ja,  wir  werden  ihnen  sogar  das  Lob  einer  verhältniß- 
mäßigen  Sorgfalt  nicht  vorenthalten. 

Dieses  wird  auch  nicht  geschmälert  durch  die  in  A  vorkom- 
menden  Schreibfehler   und   Lücken.    In  Bezug  auf  erstere  ver- 


*)  II  für    die   zweite,   III   für    die   dritte  Abtheilnng   von  Eoberstein's  Unter- 
suchnngen  über  Sacbenwirt*8  Sprache. 


ÜBBR  DEN  GEQBNWlBTIOEN  STAND  DER  SUCHEN  WIRT- H88.      219 

halten  sich  die  yerschiedenen  Theile  der  HandBchrift,  je  nach  Be- 
schaffenheit der  Schreiber,  sehr  ungleichmäßig.  Selbst  in  den  einem 
Schreiber  angehOrigen  Gedichten  zeigt  sich  nicht  immer  der  gleiche 
Grad  von  Sorgfalt;  das  beste  Beispiel  bietet  der  19.  Schreiber:  er 
erscheint  in  Nr.  39,  40,  43  und  46  ziemlich  genau,  in  41  genau,  in 
38  und  42  sehr  genau,  hingegen  in  44  nicht  genau;  in  den  vom 
zehnten  Schreiber  herrührenden  Gedichten  hingegen  ist  eine  immer 
mehr  zunehmende  Genauigkeit  nicht  zu  verkennen. 

Die  meisten  Schreiber  haben  den  von  ihnen  gelieferten  Text 
revidiert  und  so  manche  Irrthflmer  verbessert');  so  hat  der  14.  Schreiber 
an  seiner  Arbeit  (572  Verse)  nahezu  vierzig  Correcturen  vorgenommen ; 
leider  blieben  noch  über  zwanzig  Fehler  in  dem  ebenso  schön  als 
deutlich  geschriebenen  Gedichte  zurück.  —  EBe  und  da  (P  XVI,  206, 
'X'XX^  181  und  182)  findet  sich  auch  eine  Rasur. 

An  ungefähr  60  Stellen  merkt  man,  daß  die  Verbesserungen 
nicht  vom  Schreiber,  sondern  von  anderer  (aber  alter)  Hand  her- 
rühren; die  meisten  derartigen  Correcturen  entfallen  auf  die  nicht 
besonders  deutliche,  wohl  aber  recht  fehlerhafte  Abschrift  des  siebenten 
Schreibers,  fast  ebensoviele  kommen  dem  zehnten  und  zehn  dem 
vierzehnten  Schreiber  zu  Gute. 

Trotzdem  finden  sich  noch  über  zwei  und  ein  halbes  Hun- 
dert Verstoße.  Aber  die  weitaus  größere  Hälfte  davon  ist 
nicht  nur  gleich  als  Fehler  erkennbar,  sondern  auch  von  dem  halb- 
wegs bewanderten  Leser  unschwer  zu  corrigieren.  Bei  mehr  als 
dreißig  sinnlosen  Stellen  ist  das  nicht  so  leicht;  verhältnißmäßig 
participieren  daran  am  meisten  außer  dem  neunten  Schreiber  der 
fElnfte,  der  sich  überdies  durch  lange  wagrechte  Striche  auszeichnet, 
die  er  seinen  g  und  t  anfügt,   mit  Nr.  15*)    und  der  19.  mit  Nr.  44. 

')  P  hat  solche  Änderungen  auch  dort,  wo  sie  Beaehtong  verdienen,  nicht 
immer  gewürdigt;  so  schrieb  er  IX,  S2  reyffet^  obwohl  in  A  das  •  durchgestrichen 
nnd  über  e  ein  wagrechter  Strich  gesetst  ist,  III,  128 

VwotßrUkik  und  ummutes  par, 
trotsdem    der  Schreiber   das  sinnlose    dritte  Wort  in   nUUßt  geändert  hat ,   XYI,  191 
gealaeJU,  wiewohl  an  das  a  ein  e  angehängt  worden  ist  u.  s.  w.- 
')  Für  die  auffällige  Schreibung  im  Verse: 

Wob  er  der  wer  helen  §ehar 
setzt  PVU,  101  lierhelen,  richtig  wäre /«roAeZen,  entsprechend  XXXIX,  31  und  34; 
die  unsinnigen  Verse: 

sein  edel  herix  im  mer  geriet 
Von  manhaU  noch  von  müde 
hat  P  VII,   124  zu  bessern  gesucht,   indem  er  nimer  setzte;  das  Richtige  ist  im  nie, 
was  auch  der  Schlierbacher  Codex  hat. 


220  FRANZ  KRATOCHWIL 

An  circa  achtzig  Stellen  wurde  durch  nicht  beseitigte  Schreib- 
fehler der  Beim  getrübt,  zuweilen  auch  gestört.  Die  Fälle  vertheilen 
sich  durch  die  ganze  Handschrift;  doch  größeren  Antheil  haben  der 
11.  Schreiber,  der  19.  mit  Nr.  43,  der  10.  mit  Nr.  27  (vrowden  :  ver- 
hawen  wurde  von  P  XVII,  32  in  vrowen  geändert,  kommt  somit  nahe 
dem  richtigen  frawen)  und  der  siebente  (über  lamme  :  tamne,  das 
auch  P  XXI,  85  aufgenommen  hat,  vgl  K  I,  9  und  29,  dann  II, 
Note  45;  gewolkent  im  Reime  auf  geczirt  P  XXV,  48,  läßt  sich  nach 
cgm.  4871  leicht  in  gewolkeniert  bessern,  was  auch  schon  K  Ulf  §.  67 
angesetzt  hat).  —  Nur  zweimal  (XXIV,  195  und  XV,  107)  trat  Stö- 
rung des  Beimes  ein,  weil  die  Schreiber  das  Beimwort  anzubringen 
vergaßen,  und  dreimal,  weil  sie  einen  ganzen  Vers  übersahen, 
nämlich  in  P  XXXII  nach  V.  18 ,  in  XXII  nach  V.  169  und  in  V 
nach  V.  41. 

Im  Innern  der  Verse  fehlen  einzelne  Wörter  öfter,  aber  auch 
nicht  häufig;  neun  von  den  sechzehn  Fällen  rühren  allein  vom  fünften 
Schreiber  her.  Neben  diesen  geringfügigen  Lücken  hat  die 
Handschrift  leider  auch  größere;  vier  davon  waren  schon  dem 
Herausgeber  bekannt.  Gleich  die  erste  Seite  beginnt  mit  den  sieben 
Schlußzeilen  eines  satirischen  Gedichtes  (vgl.  S.  238);  mit  S.  28 
endet  in  A  Vers  23  von  Nr.  6;  auf  S.  29  ganz  oben  beginnt  V.  2 
von  Nr.  7,  es  fehlen  somit  vom  ersteren  Gedichte  91  Verse,  vom 
letzteren  der  Titel  und  mindestens  der  erste  Vers,  somit  im  Ganzen 
zwei  Blätter;  desgl.  zwischen  dem  letzten  Verse  auf  S.  85  und 
dem  ersten  auf  S.  86  (=  P  m,  116  und  117):  es  sind  nämlich 
(vgl.  S.  238)  89  Verse  abgängig,  doch  ist  äußerlich  nur  der  Mangel 
eines  Blattes  zu  erkennen.  Ein  Blatt  fehlt  nach  S.  121:  zwischen 
V.  185  und  186  von  P  VH  ist  eine  Lücke  von  41  Versen  (vgl.  S.  238). 
Außer  diesen  bemerkte  ichnoch  zwei  größere  Lücken  von 
je  52  Versen:  in  Nr.  9  nach  S.  55  (P  X.  34)  und  in  Nr.  27  nach 
S.  225  (P  XVn,  52);  beide  sind  äußerlich  nicht  auffällig  (vgl.  S.  238). 
Keine  dieser  sechs  größeren  Lücken  fällt  den  Schreibern  zur  Last, 
sie  erklären  sich  vielmehr  aus  der  Geschichte  der  Handschrift. 

Leider  lässt  sich  dieselbe  mit  Sicherheit  nicht  einmal  bis  in  das 
vorige  Jahrhundert  verfolgen.  1820  erfuhr  P  von  der  Existenz  derselben 
durch  Hofrath  Josef  von  Hammer  (nachmals  Freiherrn  von  Hammer- 
Purgstall),  der  ihn  seinem  Freunde,  dem  Fürsten  Prosper  von 
Sinzendorf,  dem  Besitzer  der  Handschrift,  empfahl.  P  sagt  in 
der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  nur,  daß  die  Handschrift  „seit 
langer  Zeit  unerkannt*'    unter  den  Büchern  des   kenntnißreichen 


ÜBER  DEN  GEOENWÄRTIQEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      221 

Fürsten  Prosper  von  Sinsendorf  gelegen,    der   sie   ihm   mit   größter 
Bereitwilligkeit  zur  literarischen  Bentltzong  ttberließ  (S.  XLIH). 

Dieses  hervorragende  österreichische  Adelsgeschlecht  (vgl.  Dr.  Co n- 
stant  von  Wurzbach,  Biographisches  Lexikon  des  Eaiserthums 
Österreich,  35.  Theil.  Wien  1877.  S.  12—27)  reicht  bis  in  das  11. 
Jahrhundert  zurück.  Heinrich,  welcher  um  1044  lebte,  nannte  sich 
nach  dem  in  Oberösterreich  gelegenen  Orte  Herr  von  Sinzen- 
dorf^);  das  Geschlecht  erhielt  zu  Anfang  des  17.  Jahrhundertes  den 
Freiherrn-,  1653  den  Reichsgrafenstand.  Zu  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts erscheint  es  in  zwei  Hanptlinien  gespalten:  in  die  jfingere, 
nach  dem  untersteierischen  Schloß  und  Städtchen  Friedau  benannte 
Fridauische  oder  Neuburgische  Linie,  welche  1767  im  Mannesstamme 
ausstarb,  und  in  die  ältere  Feyereggische  Linie,  welche  sich  später 
nach  dem  niederösterreichischen  Schlosse  Ernstbrunn  nannte.  Der 
letzte  männliche  Sprosse  dieser  Linie  und  des  ganzen  Q-eschlechtes 
ist  der  früher  genannte  Prosper  von  Sinzendorf,  welcher  1803  die 
Würde  eines  Reichsfürsten  erhalten  hatte.  Er  liebte  die  Wissenschaften 
und  den  Umgang  mit  gelehrten,  geistreichen  Personen  und  legte  eine 
ansehnliche  Bibliothek  an,  zu  welcher  auch  unsere  Handschrift  ge- 
hörte. Ob  diese  der  Fürst  erst  erworben  oder  —  was  höchst  wahr- 
scheinlich ist  —  schon  als  altes  Erbstück  seines  Geschlechtes 
überkommen  habe,  hätte  P  leicht  in  Erfahrung  bringen  können ;  aber 
er  berichtete  darüber  nur  die  oben  angeführten  Worte:  ihn  interes- 
sierte vielmehr  der  Inhalt  der  Handschrift. 

Bereits  1821  war  er  mit  der  Durcharbeitung  der  Handschrift 
fertig,  and  noch  im  selben  Jahre  machte  er  von  dem  reichen  Inhalte 
derselben  den  Freanden  der  alten  Literatur  und  Geschichtskunde  um- 
fassende Mittheilung  im  14.  Bande  der  Wiener  Jahrbücher  der 
Literatur,  Anzeigeblatt  S.  10 — 51.  Der  Aufsatz  erschien  gleichzeitig 
bei  Carl  Gerold  in  Wien,  auch  als  Separatabdruck  (aber  nur  in  zwölf 
Exemplaren)  unter  dem  Titel:  Nachricht  von  einer  neuent- 
deckten Handschrift  mit  deutschen  Gedichten  aus  dem 
14.  Jahrhunderte,  verfasst  von  Peter  Suchenwirt  aus 
Österreich.  Mitgetheilt  von  Alois  Primisser.  44  Seiten  8^ 
Am  ausführlichsten  sind  die  Auszüge  aus  den  historischen  Ge- 
dichten im  engeren  Sinne  (den  sogenannten  Ehrenreden) ;  sie  umfassen 


')  Das  Dofff  ^°  welchem  sieb  das  Stammhaus  dieses  Qeschlechtes  befand,  lie^t 
im  Trannviertel ,    in  der  Nähe  des  Cistercienserstiftes  Scblierbacb   und  gehört  zn  der 
(1784  selbständig  gewordenen)  Pfarre  Nußbach,  vgl.  B.  Pill  wein,  Geschichte,  Geo- 
graphie und  Stotistik  des  Erzhereogtbums  ob  der  Enns  (1827—1839),   2.  Bd.,  S.  409. 
asaiUNIA.    Nm«  Bailie  XIII.  (XXXIY.)  Jahr;.  15 


222  FRANZ  KRATOCHWIL 

nahezu  dreißig  Seiten;  ungefähr  acht  Seiten  sind  den  Sittengeraälden 
und  Lehrgedichten  gewidmet,  eine  Seite  den  geistlichen  Dichtungen 
und  Reimkünsten.  Bemerkungen  über  des  Dichters  Leben  und  sonstige 
dem  Berichterstatter  bekannt  gewordene  Handschriften,  welche  einzelne 
Gedichte  Suchenwirfs  enthalten,  erfüllen  die  drei  letzten  Seiten  der 
umfangreichen  Anzeige. 

Hat  P  gleich  seit  seiner  ersten  Kenntniß  der  Handschrift  diese 
vor  Allem  als  eine  wichtige  geschichtliche  Fundgrube  betrachtet  und 
dem  Nachweise  dieser  Anschauung  den  größten  Theil  seiner  Mit- 
theilungen gewidmet,  so  erscheint  uns  nicht  auffallend,  daß  seine  An- 
zeige besonders  bei  Historikern  das  regste  Interesse  wachrief  und 
gerade  von  diesen  zuerst  der  Wunsch  geäußert  wurde,  P  möge  den 
spannenden  Inhaltsangaben  der  Gedichte  Suchenwirt's  ehebaldigst  eine 
vollständige  Ausgabe  dieser  selbst  folgen  lassen.  P  erklärte  sich  be- 
reit; aber  bald  wäre  die  Ausführung  in  Frage  gestellt  worden:  Fürst 
Prosper  von  Sinzendorf  War  auf  einer  Reise  nach  Karlsbad  aus  dem 
Wagen  gestürzt  und  in  Folge  davon  im  August  1822  gestorben.  Er 
war  unvermählt  geblieben;  durch  testamentarische  Verfügung  fiel  mit 
seinem  Besitz  auch  die  Bibliothek  und  somit  auch  unsere  Handschrift 
an  den  Sohn  seiner  Schwester  Maria  Anna,  den  Grafen  Georg  von 
Thurn  (Wurzbach  a.  a.  O.).  P  sagt  nur,  daß  er  auch  von  ihm  wie 
von  dem  früheren  Besitzer  bezugs  Benützung  der  Handschrift  das 
größte  Wohlwollen  erfuhr.  Er  rechtfertigte  dasselbe  vollkommen; 
bereits  1827  erschien  bei  Wallishauser  in  Wien  Primisser's  Ausgabe: 
„Peter  Suchenwirt's  Werke  aus  dem  vierzehnten  Jahrhunderte.  Ein 
Beitrag  zur  Zeit-  und  Sittengeschichte".  LIV  und  392 
Seiten  8»i). 

Unstreitig  hat  sich  P  dadurch  ein  wahres  Verdienst  erworben: 
eine  nicht  unbedeutende  Lücke  der  Literaturgeschichte  ward  hiemit 
ausgefüllt  und  literarische  Denkmäler,  für  die  Geschichtsforschung 
nicht  weniger  wichtig  als  für  die  Sprachwissenschaft,  dadurch  allge- 
mein zugänglich  gemacht.  Daß  P  die  historische  Bedeutung  der 
Suchenwirtischen  Gedichte  gleich  bei  der  ersten  Durchnahme  der 
Handschrift  richtig  erkannte  und  in  seiner  Anzeige  entsprechend 
würdigte,  ward  bereits  hervorgehoben.  Es  ist  auch  aus  seiner  Ausgabe, 


*)  Leider  starb  der  unermüdlich  thatige  Mann  bald  nach  dem  Erscheinen  seines 
Werkes  im  32.  Lebensjahre;  vgl.  Bergmanns  Anfsfitze:  „Alois  Primisser  und  sein 
literarisches  Wirken^  in  Nr.  99  der  Blätter  für  Literatur,  Kunst  und  Kritik 
vom  13.  December  1837  and:  ^Die  fünf  Gelehrten  Primisser"  im  6.  Bande  (1861)  der 
Berichte  und  Mittheilungen  des  Alterthnmsvereins  zu  Wien  S.  177 — 244. 


ÜBER  DEN  QEQENWÄSTIOEN  STAND  DER  SUGHENWIRT-H8S.      223 

auB  dem  Titel  sowie  aus  der  ganzen  Anläge  derselben  ersichtlich. 
Denkt  er  doch  zunächst  „den  Freunden  der  Geschichte^  hiemit  zu 
dienen  (Einleitung  S.  XLIV).  Daß  diese  Dichtungen  auch  als  Sprach- 
denkmale einen  bedeutenden  Platz  in  Anspruch  nehmen^  hat  P 
(S.  XLIV)  zwar  behauptet,  aber  weder  in  der  Anzeige  noch  in  der 
Ausgabe  bewiesen.  Man  darf  annehmen^  daß  er  den  sprachlichen 
Werth  wohl  geahnt,  aber  keineswegs  klar  erfaßt  hat.  Zu  dieser  An- 
nahme berechtigt  nicht  nur  das  in  der  Einleitung  S.  LIII  Gesagte^ 
sondern  auch  die  im  Anhange  S.  389  und  390  gegebenen  „Gram- 
matischen Bemerkungen^,  nicht  minder  das  Wörterbuch  und  vor 
Allem  der  Text. 

Wären  unsere  mittelalterlichen  Schreiber  inmier  und  allerorten 
vollkommen  getreue  Copisten  gewesen,  dann  wäre  es  bei  Ver- 
ö£fentlickung  einer  Handschrift  unnöthig,  besondere  Aufmerksamkeit 
dem  Schreiber  zuzuwenden.  Da  aber  die  wirklichen  Verhältnisse 
aoders  waren,  kann  sich  der  Herausgeber  nicht  der  Mtthe  entschlagen, 
Antheil  und  Zuthat  des  Schreibers  zu  sondern  von  dem,  was  des 
Dichters  ist.  Von  einer  solchen  Arbeit  findet  sich  bei  P  keine  Spur, 
denn  daß  er  zweimal  angibt,  es  seien  an  der  Handschrift  mehrere 
Hände  thätig  gewesen,  oder  daß  er  einige  der  gröbsten  Schreibfehler 
anmerkt,  kann  man  wohl  nicht  als  solche  gelten  lassen.  Es  hat  viel- 
mehr den  Anschein,  daß  er  die  Sprache  der  von  verschiedenen 
Schreibern  herrührenden  Gedichte  für  eine  und  dieselbe  hielt  und 
überdies  für  identisch  mit  der  Sprache  des  Dichters.  Allerdings  zeigt 
die  Sprache  der  einzelnen  Gedichte  nicht  solche  Unterschiede,  wie  sie 
zwischen  dem  Ober-  und  Niederdeutschen  bestehen,  denn  die 
Schreiber  von  A  gehören  alle  dem  süddeutschen,  und 
zwar  bis  auf  eine  einzige  nennenswerthe  Ausnahme  (vgl. 
S.  213  u.  214)  dem  bairisch-österreichischen  Sprachgebiete 
an.  F  beachtete  nicht  die  auffälligen,  die  großen  süddeutschen  Dialecte 
charakterisierenden  Kennzeichen,  noch  weniger  die  minder  aufdring- 
lichen Nuancierungen*)  in  den,    verschiedenen  Theilen   des  öster- 


*)  So  gebraucht  der  zweite  Schreiber  (deutlich,  aber  nicht  besonders  genau) 
mit  Vorliebe  die  Adjectivendung  eu  und  aeu  im  Nomin.  plur. ;  der  dritte  liebt  b  für  w^ 
da  für  do,  die  Ableitungssilbe  lieh  (wo  der  vierte  Schreiber  -leich  hat),  gebraucht 
lieber  /  als  v,  ist  kein  großer  Freund  der  Haken,  die  er  besonders  über  u  und  t, 
wenn  sie  Diphthonge  vertreten,  oft  wegläßt,  wohl  aber  macht  er  gerne  an  den  t  lange 
Querstriche,  an  h  und  ch  lange  Schnörkel.  Der  zehnte  Schreiber  unterläßt  oft  die 
Bezeichnung  des  Umlautes  bei  u  und  au.  Der  17.  Schreiber  (unschön  und  wenig 
genau)   setzt  gerne  to  für  tt,  o  für  a  (wie  der  siebente)  und  a  für  o,  er  hat  Vorliebe 

15* 


224  FRANZ  KRATOCHWIL 

reichischen  Sprachgebietes  entstammenden  Gedichten,  oder  er  wollte 
sie  nicht  beachten,  wie  man  nach  seiner  Äußerung  (S.  LI):  „Bloße 
Schreibeformen  und  mundartliche  Verschiedenheiten  sind  ein  schlechter 
Gewinn,  wenn  weiter  nichts  Neues  von  Bedeutung  gefunden  wird*^, 
anzunehmen  vielleicht  berechtigt  ist.  Daraus  erhellt  jedoch,  daß 
Primisser's  Text  nicht  auf  einer  kritischen  Bearbeitung 
beruht;  er  igt  aber  auch  kein  diplomatisch  getreuer  Ab- 
druck wegen  der  bereits  (S.  210  u.  217)  angeführten  Gründe  sowohl 
als  auch  wegen  Auflösung  sämmtlicher  Abkürzungszeichen  und  ge- 
sonderter Anwendung  des  u  und  v,  des  Gebrauches  von  z  und  tz  für 
cz  und  zz  (Einleitung  S.  LII),  wegen  mancher  Lesefehler,  sowie  endlich 
wegen  Änderungen,  die  er  im  guten  Glauben  zu  bessern,  hie  und 
da  vornahm,  die  aber  den  Text  nicht  selten  thatsächlich  verschlech- 
terten. Immerhin  —  und  das  steht  außer  Zweifel  —  hat  P  selbst 
durch  diesen  Abdruck  der  Sache  mehr  gedient,  als  wenn  er  einen 
kritisch  bearbeiteten  Text  gegeben  hätte;  um  eine  solche  Aufgabe 
richtig  zu  lösen,  dazu  fehlten  ihm  die  Kräfte. 

So  urtheilte  bald  nach  dem  Erscheinen  der  Ausgabe  der  damalige 
Professor  zu  Pforta,  August  Koberstein,  in  der  Einleitung  (S.  2  u.  3) 
zu  seinem  Werke:  „Über  die  Sprache  des  österreichischen  Dichters 
Peter  Suchenwirt^,  das  er  auf  Grundlage  dieser  Ausgabe  begonnen 
und  von  dem  1828  als  erste  Abtheilung  die  Lautlehre  erschien 
(Naumburg,  56  Seiten  4^)«  Das  Jahr  1842  brachte  als  zweite  Abthei- 
lung (lateinisch)  die  ganze  Lehre  von  der  Declination  (Naumburg, 
68  Seiten  4^);  die  Conjugation  behandelte  er  in  der  1852  erschie- 
nenen dritten  Abtheilung  (Naumburg,  45  Seiten  4").  Koberstein  hatte 
sich  überdies  viel  mit  Vorarbeiten  beschäftiget,  um  in  gleicher  Weise 
auch  die  Lehre  von  der  Wortbildung  und  Syntax  zu  behandeln,  und 
zuletzt  sollte  ein  vollständiges  System  der  metrischen  Gesetze  folgen, 


für  Wörter  mit  Svarabhakti,  welche  er  häufig  durch  t  ausdrückt;  dadurch  ist  er  ein 
Seitenstück  zum  zwölften  (nicht  besonders  sorgfältigen)  Schreiber  und  auch  darin, 
daß  wie  dieser  ^.  und  ',  er  '  und  *  oder  '  ungemein  oft  über  e,  zuweilen  selbst  in 
der  Flexion  setzt.  In  Bezug  auf  den  letzten  Punkt  bildet  der  18.  (sehr  genaue)  Schreiber 
einen  Gegensatz,  indem  er  außer  t'  keinen  Halbdiphthong  bezeichnet;  er  stimmt 
aber  mit  seinem  Vorgänger  darin  überein,  daß  er  gleich  ihm  h  für  eh  schreibt,  selbst 
im  Reime;  er  behält  h  vor  t^  wo  die  anderen  Schreiber  durchaus  ch  haben.  Auch 
dadurch  unterscheidet  er  sich  von  allen  anderen  Schreibern,  daß  er  im  Gebrauche 
der  Haken  einer  bestimmten  Regel  folgt:  er  verwendet  "  über  uiiituo  (ue)  und  '  für 
alle  Umlaute  und  %e\  an  den  16.  Schreiber,  der  in  seinem  ebenso  schönen  als  rich- 
tigen Text  sehr  fleißig  die  Halbdiphthonge  bezeichnet,  erinnert  er,  daß  er  noch  häu- 
figer wie  dieser  im  Anlaute  k  gebraucht  u.  s.  w. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-H88.      225 

an  die  Saofaenwirt  sich  gehalten  (vgl.  K  III,  S.  1);  leider  hat  Eober- 
stein  diesen  Plan  nicht  ausgeflElhrt.  Hingegen  schrieb  er  1843  als  An- 
hang zur  ersten  und  zweiten  Abtheilung  die  Abhandlung:  Über 
die  Betonung  mehrsilbiger  Wörter  in  Suchenwirt's  Versen 
(8  Seiten  4*).  Damals  wäre  er  der  richtige  Mann  gewesen,  einen 
ordentlich  kritischen  Text  von  Suchenwirt's  Gedichten  zu  liefern; 
denn  wenn  auch  zu  keiner  Zeit  zu  besorgen  war,  daß  Eoberstein 
unsern  Dichter  in  die  Schnürjacke  mhd.  Reime  gezwängt  hätte,  wie 
dies  später  Earajan  mit  Tei ebner  wirklich  that,  das  läßt  sich 
doch  nicht  leugnen,  daß  Eoberstein  in  dem  Bestreben,  möglichst  genau 
zu  bestimmen,  was  dem  Dichter  und  was  den  Schreibern  gehört,  noch 
in  der  ersten  Abtheilung  einem  etwas  strengen  Purismus  gehuldigt 
hat.  Beispielsweise  erinnere  ich  nur  daran,  mit  welchem  Aufgebot  von 
Scharfsinn  und  Überredung  Eoberstein  (I,  S.  17  f.)  unsern  Dichter 
vor  dem  Vorwurfe,  er  habe  einige  klingende  Verse  mit  vier  Hebungen 
verbrochen,  zu  retten  suchte.  In  11,  pag.  7,  zeigte  er  sich  in  diesem 
Punkte  schon  weit  weniger  rigoros  u.  s.  w. 

Wer  wie  Schreiber  dieser  Zeilen  jedes  einzelne  von  den  Tau- 
senden von  Beispielen,  die  Eoberstein  in  langen,  oft  ganze  Seiten 
füllenden  Reihen  zusammenstellte,  in  P  aufschlug,  der  kann  eigentlich 
erst  ermessen,  was  Eoberstein,  ganz  abgesehen  von  seinem  Wissen, 
an  Geduld  und  Ausdauer  geleistet  hat.  Diese  seltene  Akribie 
wirkte  auf  mich  derart,  daß  ich  auch  nach  absolvierter  Universität 
mich  gerne  mit  Suchenwirt  beschäftigte  und  als  Gymnasiallehrer  zu 
Erems  den  Gedanken  faßte,  ein  allseitiges  getreues  Bild  von  Suchen- 
wirt's Leben  und  Wirken  zu  entwerfen,  seine  Bedeutung  mit  Rück- 
sicht auf  seine  Zeitgenossen  zu  bestimmen  und  seinen  absoluten  Werth 
festzustellen.  Die  Abhandlung  sollte  im  Jahresberichte  1871  veröffent- 
licht werden,  da  sie  aber  für  eine  Programmarbeit  zu  umfangreich 
war,  konnte  nur  die  erste  Hälfte  gedruckt  werden.  Sie  erschien  auch 
als  Separatabdruck  im  Selbstverlag  unter  dem  Titel:  Der  öster- 
reichische Didaktiker  Peter  Suchenwirt,  sein  Leben  und 
seine  Werke.    54  Seiten  8®. 

Trotz  mehrerer  wohlwollenden  Besprechungen  konnte  ich  mich 
nicht  entschließen,  auch  die  zweite  Hälfte  zu  veröffentlichen:  ich 
dachte  vielmehr  daran,  eine  neue  Ausgabe  der  Suchen  wirtischen 
Dichtungen  zu  veranstalten.  Ende  1874  versuchte  ich,  mit  dem  Be- 
sitzer der  Handschrift  durch  gütige  Vermittelung  des  bairischen  Ge- 
sandten am  Wiener  Hofe,  des  Herrn  Grafen  Otto  Bray- Steinburg, 
in  Verbindung  zu  treten.  Im  Jänner  1875   erfuhr  ich,  daß  der  frühere 


226  FRANZ  KRATOCHWIL 

Besitzer  Graf  Georg  Thurn  bereits  1866  gestorben  sei;  sein  gleich- 
namiger Sohn  besitze  aber  die  Handschrift  nicht,  sie  sei 
schon  bei  Lebzeiten  seines  Vaters  gestohlen  worden,  sei 
darauf  in  der  Ankündigung  eines  Antiquars  aufgetaucht; 
wohin  sie  gekommen,  sei  ihm  unbekannt.  Alle  meine  Pläne 
waren  zerronnen. 

Doch  gab  ich  nicht  Alles  verloren  und  veröffentlichte  darauf 
gleichlautende  Anfragen  in  Nr.  62  des  Jahrganges  1875  des  Leip- 
ziger Börsenblattes  für  den  deutschen  Buchhandel  und  im 
Literarischen  Centralblatt  (Nr.  12)  sowie  im  vierten  Hefte  der 
Zeitschrift  für  österreichische  Gymnasien  (S.  330);  aber  es 
kam  keine  Antwort  —  auch  nicht  auf  eine  nochmalige  Anfrage  im 
Leipziger  Börsenblatt  (Nr.  7  des  Jahrganges  1876). 

Da  erhielt  ich  von  meinem  Freunde  Dr.  G.  E.  Friess ,  Professor 
am  Obergymnasium  zu  Seitenstetten,  im  März  1877  einen  Brief,  worin 
er  mir  mittheilt,  er  sei  durch  eine  Notiz  im  Nachlasse  des  ehemaligen 
k.  k.  Staatsarchivars  Dr.  von  Meiller  auf  einen  im  oberösterreichischen 
Stifte  Schlierbach  befindlichen  Codex  gelenkt  worden,  welcher  außer 
dem  Gesuchten  auch  eine  bedeutende  Anzahl  Suchenwirtischer  Ge- 
dichte enthalte,  darunter  auch  solche,  welche  in  Primissers  Ausgabe 
sich  nicht  finden.  Über  letztere  machte  er  mir  einige  Angaben  mit 
der  Bitte,  ihm  bekannt  zu  geben,  ob  und  wo  diese  ediert  seien.  Ich 
schrieb,  daß  dies  nicht  der  Fall  sei,  worauf  er  sich  entschloß,  einen 
Abdruck  derselben  für  die  kaiserliche  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Wien  zu  besorgen. 

Dieser  Brief  spornte  mich  an,  noch  einen  Schritt  bei  dem  Grafen 
Georg  Thurn  zu  thun.  Da  ich  nicht  ganz  gewiß  wußte,  ob  Graf  Bray 
die  Nachforschung  auch  mit  dem  nothwendigen  Nachdruck  geführt 
habe,  so  bat  ich  meinen  damaligen  Coliegen  am  Franz  Joseph-Gym- 
nasium in  Wien,  den  in  vielen  aristokratischen  Kreisen  wohlbekannten 
Professor  Dr.  FranzWeihrich,  in  dieser  Angelegenheit  Schritte  zu 
thun.  Er  war  so  freundlich,  sich  der  Sache  eifrig  anzunehmen;  der 
Herr  Graf*)  übergab  ihm  ein  an  mich  gerichtetes,  vom  18.  April  1877 
datiertes  Schreiben,  worin  er  mir  mittheilt,  daß  die  Bibliothek  seines 
Vaters,  bevor  sie  nach  Blei  bürg  in  Kärnten  übertragen  ward,  sich 
durch  viele  Jahre  zu  Wien  in  einer  eigens  zu  diesem  Zwecke  ge- 
mietheten  Wohnung  befunden  habe.  Dorthin  wurde  1827  die  durch 
Primisser's   Ausgabe    berühmt    gewordene   Handschrift   gestellt.     Das 


*)  £r  ist  im  Jani  1879  gestorben. 


ÜBER  DEN  GEGEKWlRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      227 

erfuhr  ein  Schreiber  des  grttflichen  Wirthsohaftsrathes  Pfosterschmied 
Ritter  von  Hartenstein^  der,  da  der  Graf  in  Folge  seiner  militärischen 
Stellung  von  Wien  abwesend  war,  den  Schlüssel  zur  Bibliothek  in 
Verwahrung  hatte.  Der  Schreiber  wußte  sich  Zutritt  zur  Bibliothek 
zu  verschaffen  und  entwendete  die  Handschrift;  doch  kam  man  zur 
Kenntniß  des  Diebstahls  erst  1846;  als  die  Handschrift  in  einer  Zei- 
tung zum  Verkaufe  angeboten  wurde«  Lange  vorher  war  aber  der 
Dieb  wegen  anderer  Unredlichkeiten  bereits  entlassen  worden. 

Ich  war  nicht  weiter  als  im  Jänner  1875:  die  Handschrift  ist 
gestohlen;  aber  wo  wird  sie  verwahrt?  —  Bald  sollte  anf  unerwartete 
Weise  die  Frage  gelöst  werden.  —  Als  der  seither  verstorbene  Uni- 
versitätsprofesBor  Hofirath  EarlTomaschek  in  der  am  6.  Juni  1877 
abgehaltenen  Sitzung  der  philosophisch-historischen  Classe  der  kais. 
Akad.  d.  Wiss.  die  Arbeit  des  Professors  Friess  vorlegte  und  betonte, 
daß  der  Schlierbacher  Codex  um  so  höher  im  Werthe  stehe ,  da  die 
Sinzendorf-Thüm'sche  Handschrift  seit  langer  Zeit  verschollen  sei,  er- 
klärte Hofrath  Dr.  Ernst  Ritter  von  Birk,  Vorstand  der  k.  k.  Hof- 
bibliothek zu  Wien,  dieselbe  sei  nicht  verschollen,  sie  befinde  sich 
seit  1846  in  der  Wiener  Hofbibliothek. 

Also  dahin  war  sie  gekommen!  Aber  um  des  Himmelswillen, 
wie  kann  ein  Laie  in  juridischen  Dingen  jemals  auf  den  Gedanken 
kommen,  daß  eine  in  Wien  gestohlene,  noch  dazu  einem  alten 
Adelsgeschlechte  gestohlene  Handschrift  von  der  Wiener  Hof* 
bibliothek  angekauft  werde?  Das  geschah,  wie  Herr  Hofrath  Ritter 
von  Birk  mir  mitzutheilen  die  Güte  hatte,  so.  —  Der  entlassene  Schreiber 
getraute  sich  mit  seiner  Beute  nicht  an  die  Öffentlichkeit;  bald  wäre 
dieselbe  gänzlich  vernichtet  worden.  Er  hatte  sich  nämlich  nach 
Wiener -Neustadt  gezogen;  daselbst  war  am  8.  September  1834  bei 
heftigem  Sturmwind  ein  ungeheuerer  Brand  ausgebrochen,  wel- 
cher über  350  Scheunen  und  600  Häuser  zerstörte.  Über  vier  Millionen 
Gulden  Conv.-Münze  betrug  der  Schaden,  47  Menschen  —  nach  anderen 
Berichten  51  —  verloren  ihr  Leben  in  den  Flammen!  Diese  wütheten 
derart,  daß,  wie  ein  gleichzeitiger  Bericht  (Darstellung  der  k.  k. 
Stadt  Wiener-Neustadt,  Wien  1834,  S.  172  f.)  sagt,  „selbst 
Kellergewölbe  bis  auf  den  Grund  ausbrannten!**^)  —  Und 

*)  Vgl.  darüber  auch  Sebastian  Brunne  r,  Wiener -Neustadt.  Wien  1842, 
S.  40  f.,  ferner  Rückblick  auf  den  Brand  von  Wiener-Neustadt.  Von  einem 
Augenzeugen  im  3.  Bande  der  österr.  Zeitschrift  für  Oeschichts-  und  Staatskunde 
Nr.  36  und  37.  —  Die  Wiener-Zeitung  vom  10*  September  1834  spricht  liur  von 
einem  Gerüchte,  daß  die  Stadt  abgebrannt  sei]  erst  am  13.  September  brachte 
sie  eine  Darstellung  des  Brandes! 


228  FRANZ  KRATOCHWIL 

damals  lag  die  gestohlene  Handschrift  in  einer  dünnen 
Cartonschachtel  in  einem  Keller  von  Wiener-Neustadt! 
Was  mag  sie  da  gelitten  haben! 

P,  der,  was  Beschreibung  und  Geschichte  der  Handschrift  betrifft, 
sich  stets  der  äußersten  Kürze  befleißt,  gedenkt  nur  (Einleitung 
S.  XLIII)  ^ihres  unscheinbaren  und  schadhaften  Äußeren^,  das 
ihm  schon  damals ,  als  er  sie  zum  ersten  Male  sah,  auffiel.  Hätte  er 
doch  gesagt,  worin  letzteres  bestand!  Es  muß  schon  sehr  schad- 
haft gewesen  sein;  offenbar  war  damals  bereits  die  Handschrift  mehr 
oder  minder  in  einzelne  Lagen  aufgelöst:  wie  ließen  sich  sonst 
die  verschiedenen  bedeutenden  Lücken  zu  Anfang  und  im 
Innern  erklären?  Herausgerissen  wurden  die  fehlenden  Blätter 
nicht,  sie  können  nur  herausgefallen  sein,  denn  diese  Lücken 
waren  alle  schon  zu  Primisser's  Zeit,  wenn  er  auch  nicht  alle  er- 
kannte. —  Zu  seiner  Zeit  schon  war  ferner  die  Handschrift  fast 
unleserlich  an  manchen  Stellen,  weil  sie  verblaßt  oder  verlöscht 
waren,  ganz  besonders  S.  l  und  2,  wahrscheinlich  auch  S.  153  (Nr.  18, 
V.  280  ff.)  in  der  unteren  Hälfte,  besonders  in  den  Anfängen  der 
Verse.  Ob  die  oberen  Hälften  der  Seite  42  (Nr.  7,  V.  330—341  und 
der  Seiten  450 — 461  (Schluß  von  Nr.  42,  43,  Anfang  von  45)  schon 
damals  (wahrscheinlich  durch  eingedrungene  Feuchtigkeit)  verblaßt 
waren,  oder  ob  dies  später  geschah,  läßt  sich  ebensowenig  entscheiden, 
als  die  Frage,  aus  welcher  Zeit  die  ungemein  zahlreichen  Flecken 
der  Handschrift  (am  Rande,  aber  auch  im  Innern,  z.  B.  S.  1 — 12, 
15-17,  38,  42,  51,  86,  89,  113,  125,  134,  140,  144,  149—156,  175, 
176,  203,  218—220,  231,  256—258,  300,  315,  322,  344,  367,  382, 
398,  415 — 418  u.  s.  w.)  sowie  die  Risse  S.  211  und  305  stammen. 
Gewiß  ist  nur,  daß  der  Zustand  der  Handschrift  während  der  Ver- 
borgenheit sich  verschlechterte. 

Endlich  —  es  waren  fast  zwei  Decennien  seit  der  Entwendung 
vergangen  —  faßte  der  Dieb  Muth  und  näherte  sich  dem  Wiener  Anti- 
quar Johann  Schratt.  Dieser  stellte  dem  Unterhändler  Wilhelm 
Gramerstädter,  dem  Sohne  des  Diebes,  einen  Revers  aus,  worin 
er  ihm  bestätigte,  '  die  von  P  1827  herausgegebene  Handschrift  am 
10.  Februar  (?)  1846  zum  Commissionsverkaufe  tlbernommen  zu  haben, 
und  verspricht,  diese  durch  die  Wiener-Zeitung  um  100  Stttck  Ducaten 
feilzubieten,  das  Manuscript,  falls  der  Verkauf  nicht  gelinge,  in  dem- 
selben Zustande,  wie  er  es  übernommen,  zurückzustellen,  im  Verkaufs- 
falle aber  50  Gulden  nebst  den  für  die  Ankündigung  ausgelegten 
Gelderi)  zu  beanspruchen.  —  Schratt  that  seine  Schuldigkeit ;  er  ließ 


Ober  den  gegenwärtigen  stand  der  suchenwirt-hss.     229 

eine  ausführliche^  im  Vergleiche  zum  Revers  ungewöhnlich  gut  ge- 
haltene Ankündigung  der  Handschrift  am  17.  Mars  in  die  Wiener- 
Zeitung  einrücken. 

Das  genügte.  —  Trotzdem  die  in  einzelne  Lagen  aufgelöste 
Handschrift,  welcher  eine  gewöhnliche  Schachtel  aus 
Pappe  als  Aufbewahrungsort  diente^  nicht  im  Mindesten  einen 
imponierenden  Eindruck  machte ^  fanden  sich  doch  Kauflustige;  be- 
sonders Ungarn,  för  dessen  König  Ludwig  den  Großen  Suchenwirt 
80  viele  Worte  des  Lobes  hatte,  strebte  nach  dem  Besitze  der  Hand- 
schrift. In  diesem  entscheidenden  Momente  griff  die  Wiener  Hof- 
bibliothek ein  und  erwarb  um  den  verlangten  Preis  die  Handschrift^). 

Und  Graf  Georg  Thurn  ?  Dieser  lebte  damals  als  Feldmarschall- 
lieutenant  und  Divisionär  in  Pest  (vgl.  Wurzbach  a.  a.  0,  45.  Theil, 
S.  120)  und  erfuhr  erst  aus  der  Wiener  Zeitung,  daß  ihm  seine  werth- 
volle  Handschrift  entwendet  worden  war;  bevor  er  noch  Schritte 
thun  konnte,  war  sie  schon  verkauft.  Aber  auch  der  Kecurs,  den 
er  später  wirklich  ergriff,  fiel  nicht  zu  seinen  Gunsten  aus;  die  Hof- 
bibliothek hatte  mit  der  Handschrift  auch  den  von  Schratt  ausge- 
stellten Revers  und  einen  Abdruck  seiner  Ankündigung  in  der  Wiener- 
Zeitung')  erworben,  und  diese  für  einen  rechtsünkundigen  Menschen 
höchst  unbedeutenden  Dinge  schützten  die  Hofbibliothek  in  ihrem 
kostbaren  Erwerbe.  Doch  führte  der  Recurs  zur  Bestrafung  des  Diebes, 
Schratt  kam  um  seine  Provision.  —  Dies  die  wahre  Geschichte 
einer  verlorenen  Handschrift 

Wäre  die  Handschrift  nicht  gestohlen  worden,  so  befinde  sie 
sich  schon  längst  im  fernen  Bleiburg.  Daß  sie  aber  an  ihrem  jetzi- 
gen Orte  leichter  zugänglich  und  ungleich  besser  ge- 
borgen ist,   unterliegt  keinem  Zweifel*    Und  dies  ist  bei  dem  sehr 


')  Und  swar  noch  im  Monate  März,  wie  ich  ans  dem  Zettelkataloge  der  Hand- 
schriften ersah.  Herr  Scriptor  Dr.  A.  Göldlin  von  Tiefenan,  wie  immer  liebenswürdig 
und  gefällig,  gestattete  mir  nämlich  einen  Einblick  in  denselben.  Dadurch  wurde  es 
erst  möglich,  die  Ankündigung  der  Handschrift  in  der  Wiener-Zeitung  zu  finden  und 
das  Datum  des  Reverses  richtigzustellen.  Jedermann  liest  dieses  mit  10.  April.  Das 
kann  es  aber  nicht  bedeuten:  Schratt  kann  nicht  Anfangs  April  die  Übernahme  der 
Handschrift  zum  Verkaufe  bestätigen,  nachdem  dieselbe  am  17.  März  bereits  von  ihm 
in  der  Wiener-Zeitung  zum  Verkaufe  angeboten  und  bald  darnach  von  der  Hof- 
bibliothek  angekauft  worden  war.  £s  kann  somit  die  für  den  Monat  gesetzte  römische 
Zahl  nur  11  mit  einem  Schnörkel  oder  einen  unvollendeten  IH  bedeuten. 

')  Beide  wurden  später  der  Handschrift  vor  dem  rückwärtigen  Deckel  bei- 
gebunden. 


230  FRANZ  KBATOGHWIL 

hohen  Werthe  der  Handschrift  nicht  gleichgiltig.  Ihr  Verlust  wäre 
unersetzlich  selbst  jetzt  noch;  sie  ist  die  Suchenwirt-Hand- 
schrift xccr'  sJ^oxiiv.  Ihr  Werth  wird  erst  klar  durch  die  Betrachtung 
der  übrigen  Handschriften. 

IL   af. 

Die  Tabulae  codicum  erwähnen  nichts  davon,  daß  A  eine 
andere  Handschrift  beigelegt  ist,  nämlich  a,  eine  Abschrift  des 
Suchen  wirtischen  Gedichtes  Von  Der  mynn  slaff  von  unbekannter 
Hand  des  vorigen  Jahrhuhdertes,  wie  schon  nach  der  Schrift 
anzunehmen  ist.  Die  Abschrift  bestand  ursprünglich  aus  einem 
halben  und  einem  Viertelbogen;  man  denke  sich  einen  ganzen  Papier- 
bogen von  oben  nach  unten  in  vier  gleich  breite  Streifen  zerschnitten 
und  jeden  derselben  auf  beiden  Seiten  mit  46 — 50  abgesetzten  Versen 
beschrieben.  Der  halbe  Bogen  hatte  zwei  solche  Columnen,  er' wurde 
Ende  1878  auf  meine  Anregung  von  dem  seither  verstorbenen  Custos 
J.  Haupt  in  zwei  Streifen  zerschnitten;  somit  umfaßt  jetzt  die 
Abschrift  drei  Streifen.  Um  sie  vor  Verlust  zu  sichern^  wurden 
dieselben  auf  den  drei  ersten  leeren  Blättern  nach  dem  letzten 
Gedichte  in  A  (vgl.  S.  208)  befestigt. 

Da  das  Gedicht  Von  Der  mynn  slaff  nvir  in  A  erhalten  ist 
so  liegt  die  Annahme,  daß  diese  Handschrift  als  Vorlage  für  a 
gedient  habe,  sehr  nahe.  Unterstützt  .wird  dieselbe  noch  durch  Ver- 
gleichung  des  Gedichtes  in  beiden  Fassungen:  sie  zeigt 
Übereinstimmung,  oft  sogar  in  den  kleinsten  Kleinigkeiten. 
Abweichungen  kommen  wohl  in  a  vor,  doch  erklären  sie  sich 
fast  sämmtlich  aus  dem  Drange  des  Abschreibers,  Schreibweisen  und 
Sprachformen  der  alten  Fassung  zu  modernisieren.  So  hat  er 
Anfangs  eine  regelrechte  Interpunction  eingeführt  und  sämmtliche 
Hauptwörter  groß  geschrieben,  aber  bald  fügt  er  sich  mehr  und  mehr 
der  alten  Schreibweise.  Nur  die  i"  oder  ^  gibt  er  durchaus  mit  i  und 
schreibt  ie  nur  dort,  wo  es  schon  das  Original  bringt;  u  mit  dem 
Haken  •'  drückt  er  durch  Umlaut  des  u  aus  {tut :  gut :  milt  V.  163,  241 
u.  s*  w.) ,  die  durch  den  Haken  angedeuteten  Flexions-6  ignoriert  er 
gewöhnlich.  V.  6  schreibt  er  ihrer  für  *r,  17  und  191  Dcu  für  des^ 
18  Hofmaisterin  für  hofTnaisterine,  83  cwalm  für  twalm,  128  um  für 
umb  u.  s.  w. 


t  Dieses  Zeiclien   eeigt  an,  daß  P  die  Handschrift  nicht  gekannt  oder   doch 
in  seiner  Ausgabe  der  Qedichte  Suchenwirt*s  nicht  benützt  hat. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENW1RT-HS8.      231 

Änderungen  wie  sie^^er  für  9U^%er  V.  13,  wisie  für  weaie  V.  23, 
gortm  für  garten  V.  5,  Dar  für  dar  V,  54  und  55,  Auflösungen  von 
Abkürzungen  wie  in  weinS  puech  V.  188  (ebenso  in  V.  5)  mit  dem 
Accusatiy  mag  weniger  der  Drang  zu  modernisieren  als  des  Schrei- 
bers österreichische  Mundart  veranlaßt  haben. 

Einige  Abweichungen  sind  durch  unrichtiges  Lesen  entstan- 
den, 80  V.  7  chreneel,  8  sprechen,  31  niemander  wekchen  (A  hat 
nieman  U  wekchen) ^  76  tat,  91  no;  aHera  ain  in  V.  109  ließ  er  ganz 
weg;  offenbar  war  es  ihm  unverständlich. 

Erscheint  somit  a  im  Oanzen  für  die  Textkritik  belanglos, 
so  kann  man  dieser  jungen  Handschrift  als  Beleg,  daß  Suchenwirt's 
Dichtungen  auch  im  vorigen  Jahrhundert  nicht  ganz  vergessen  waren, 
ein  historisches  Interesse  nicht  absprechen. 

III.  Bt. 

Anders  verhält  es  sich  mit  B.  Diese  Papierhandschrift  gehört 
der  oberösterreichischen  Cistercienserabtei  Schlierbach,  trägt  dort 
die  Signatur  I,  27  und  wurde  mir  durch  die  Güte  des  hochwürdigen 
Herrn  Stifts  Vorstandes  Florian  Schininger  unter  Bürgschaft  des  Pro- 
fessors G.  Friess  in  Seitenstetten  (vgl.  S.  226)  zur  Benützung  über- 
lassen. Sie  stammt  aus  dem  ersten  Viertel  des  17.  Jahrhunderts  und 
zählt  Alles  in  Allem  403  Blätter  in  Folio,  von  denen  54  unbe- 
schrieben sind. 

Ihre  Entstehung  verdankt  sie  dem  gelehrten  Job  Hartmann 
Enenkel  von  Albrechtsberg'),  Freiherrn  auf  Hoheneck  und 
Goldeck.  Das  besonders  in  Niederosterreich  begüterte  Geschlecht  läßt 
sich  bis  1009  zurück  verfolgen ;  es  wurde  1477  ritterlich,  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhundertes  freiherrlich.  Der  letzte  des  Mannesstammes, 
der  oben  genannte  Job  Hartmann,  1576  geboren,  wurde  kaiserlicher 
Rath  und  Kämmerer,  Landrath  von  Oberösterreich,  1613  Regent  der 
niederösterreichischen  Lande  (d.  i.  n.  ö.  Regimentsrath)  und  starb  in 
seinem  ÖO.  Jahre  am  9.  Februar  1627  zu  Wien.  Vgl.  Hoheneck, 
Genealogische  und  historische  Beschreibung  der  löblichen  Stände  in 
dem  Erzherzogthum  Österreich  ob  der  Enns,  3.  Band  (1748),  S.  122  bis 
154  und  Zeitschrift  f.  d.  Alt.  28.  Band  (1884),  wo  Philipp  Strauch 
in  der  Abhandlung:  Studien  über  Jansen  Enikel  S.  35 — 64  die  Frage, 
ob  der  Verfasser  der  Weltchronik  und  des  Fürstenbuches 
aus  demselbenGeschlecht  wie  derSchreiber  vonB  stammei 


')  An  der  Bielach  bei  Melk. 


232  FRANZ  KRATOCHWIL 

verneint  und  die  Literatur  über  Letzteren  zusammenstellt.  —  Enenkel 
war  selbst  dichterisch  thätig;  die  Gelegenheitsdichtung  war  sein  Feld 
(vgl.  unter  andern  die  Nummern  21 — 25,  29  und  3S  der  Handschrift 
lOlOO  der  Wiener  Hof bibliothek) ;  er  war  ein  warmer  Liebhaber  deut- 
scher Literatur,  großer  Bücherfreund  und  besaß  eine  reichhaltige 
Sammlung  von  Handschriften,  die  aber  nach  seinem  Tode  nach  allen 
Richtungen  zerstreut  wurden.  Vieles  kam  in  die  Wiener  Hofbibliothek 
(vgl.  Strauch  a.  a.  0.)>  zwei  Bände  Genealogien  in  das  n.  ö.  Landes- 
archiv, anderes  in  das  Museum  Francisco- Carolinum  in  Linz  u.  s.  w. 
Auf  welche  Weise  B  in  das  vom  Kaiser  Ferdinand  H.  1620  den 
Cisterciensern  übergobene  Stift  Schlierbach  kam,  ist  mir  nicht  bekannt. 

Ein  Jahrhundert  darnach  benützte  wahrscheinlich  Freiherr  von 
Hoheneck^)  diese  Handschrift  zu  seinem  oben  angeführten  Geschichts- 
werke (vgl.  S.  244  f.) ;  gewiß  ist,  daß  sie  Dr.  von  Meiller's  Aufmerksam- 
keit erregte  und  durch  dessen  Nachlaß  das  Interesse  des  Professors 
6.  Friess,  welcher  in  seiner  Abhandlung:  Fünfunedierte  Ehren- 
reden Peter  Suchenwirt' s,  Wien  1878,  30  S.  (Separatabdruck 
aus  dem  Octoberhefte  des  Jahrganges  1877  der  Sitzungsberichte  der 
philos.-histor.  Classe  d.  kais.  Akad.  d.  Wiss.,  LXXVHL  Bd.,  S.  99  ffi) 
der  gelehrten  Welt  nebst  Mittheilungen  aus  dem  Codex  auch  eine 
kurze  Beschreibung  desselben  gab. 

Es  sind  in  demselben  zwei  Zählungen  angebracht.  Eine  alte, 
vom  Schreiber  Job  Hartmann  Freiherrn  von  Enenkel  her- 
rührende, die  beim  Einbinden  des  Codex  in  Pergamentdeckel  durch 
das  Beschneiden  des  Papiers  ganz  oder  theilweise  wegfiel,  zählt  nach 
Seiten,  erreicht  Seite  819  und  rechnet  die  zwei  letzten  Blätter,  die 
zum  Deckel  gehören,  nicht  mit,  wohl  aber  die  zwei,  die  zum  Vorder- 


^)  Ausdrücklich  beruft  sich  Freiherr  von  Hoheneck  an  sehr  zahlreichen 
Stellen  seines  Werkes  aaf  in  seinem  Archive  befindliche^  ans  Baron  Enenkers  Feder 
stammende  genealogische  Mannscripte.  —  Möglich  ist  es,  daß  unsere  Handschrift 
schon  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  von  Valentin  Preueuhaeber  sen. 
benützt  wurde.  Dieser  handelt  unter  Nr.  12  seines  Catalogus  supremorum  capitaneo- 
rum  Austriae  superioris  von  Hans  von  Traun  und  beruft  sich  dabei  auf  ein  Manu- 
script  de  rebus  gestis  D.  Joan.  Baronis  a  Traun  (Preuenbueber,  Annal. 
Stjr.  S.  416).  Er  gibt  aber  den  Inhalt  desselben  leider  nur  in  ganz  allgemeinen 
Zügen,  die  zwar  zur  höchst  wahrscheinlichen  Annahme,  daß  unter 
dem  angeführten  Manuscript  nichts  anderes  als  SuchenwirVs  Rede 
auf  Hans  von  Traun  gemeint  sei,  völlig  ausreichen,  nicht  aber  zur 
l^ntscheidung,  ob  Preuenhueber  das  Gedicht  in  der  Fassung  von  A 
oder  B  vor  sich  gehabt  habe.  Bis  auf  das  Todesjahr  passen  seine  An- 
gaben eben  zu  beiden. 


ÜBER  DEN  GEQENWÄRTIGBN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      233 

decket  gehören,  von  denen  aber  nur  npch  ein  Blatt  vorhanden  ist. 
Gegen  den  Schluß  ist  in  Enenkels  Zählung  ein  Fehler  gekommen: 
er  sollte  804  Seiten  erreichen.  Stellenweise  (wie  bei  den  Gedichten 
Suchenwirt's)  ist  die  zum  Theile  weggesehnittene  Zählung  von  neuerer 
Hand  mit  Tinte  angebracht*  Außerdem  findet  sich  eine  Zählung  nach 
Blättern;  sie  stammt  aus  neuester  Zeit,  ist  mit  Blei  hie  und  dia 
angebracht,  namentlich  wenn  ein  neues  Stück  in  der  Handschrift 
aniUngt.  Das  eine  noch  vorhandene  Blatt  nach  dem  Vorderdeckel  ist 
eingerechnet.  Dort,  wo  200  steht,  sollte  201  stehen,  es  ist  somit  die 
Zählung  von  hier  an  bis  zum  Schlüsse  unrichtig. 

Der  Deckel  ist  namentlich  an  den  unteren  Ecken  durch  Wurm- 
stich schadhaft;  auf  dem  Rücken  steht  von  älterer  Hand  geschrieben: 
Historia  de  Sancto  Severino. 

Diese  Vita  nimmt  aber  nicht  vielleicht  den  größten  Raum  der 
Handschrift  in  Anspruch,  mit  ihr  beginnt  die  Handschrift^  von  ihr  hat 
sie  die  Aufschrift.  Die  übrigen  Stücke  sind  gleichfalls  historisch,  stehen 
mit  der  Geschichte  Österreichs  in  engerer  oder  weiterer  Beziehung 
und  sind  nach  den  in  der  Wiener  Hofbibliothek  befindlichen  Hand- 
schriften geschrieben.  Das  größte  Stück  darunter  und  überhaupt  der 
Handschrift  ist  Fürsienbuch  von  Oesierreich  und  Sieyerland  \  Beschriben 
vor  mehr  als  350  Jahren  \  von  \  Hennen  Jansen  dem  Enencheln.  Der  Ab- 
schreiber macht  unterhalb  dieses  Titels  die  Bemerkung,  daß  diese  Ab- 
schrift von  Hieron.  Megiser,  dem  er  sie  1613  nur  zum  Anschauen 
gegeben,  1618  zu  Linz  in  Druck  gelegt  worden  sei,  erst  1623  habe 
er  sie  wieder  zurückerhalten^).  Viereinhalb  Blätter  nach  dem  Fürsten- 
buche, von  Seite  434—485  nach  Enenkel's  Zählung,  folgen 
Gedichte  Suchenwirt's,  jener  Theil  des  Codex,  auf  dem 
allein  aus  später  ersichtlichen  Gründen  der  wahre  Werth 
dieser  umfangreichen  Handschrift  beruht. 

Der  Titel  steht  S.  434  und  lautet:  Dises  Heldenbuech  oder  beschrei- 
bung  ^KJLm  Oesterreichischer  umb  die  1300.  1330.  1350  1380  berümbten 
helden  Bitterlicher  Thaten  Ist  abgenommen  vnd  geschriben  mit  meines 
vnderschribnes  handen^  aus  dem  alt  vor  200,  Jahren  geschribnen 
buech  bei  Herren  Wolf  Christoffen  Velderndorfer  zum  Neiden- 
stein^)  Zu  befinden:  vnd  miers  mitgetheilt  Im  16 2 6*  Jar.  Dabei  noch 


')  Megiser  erwähut  in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  des  Fürstenbuches  nichts 
von  dem,  wohl  aber  beruft  er  sich  auf  zwei  alte  auf  Pergament  ge;9chriebene  £xem». 
plare  des  Fürstenbuches  in  der  kaiserlichen  Bibliothek  zu  Wien, 

')  Wolfgang  Christoph  Freiherr  Ton  Velderndorf  (geboren  1672)  gehört  einem 
niederösterreichischen  Adelsgeschlechte  an,  das  sich  bis  in  das  elfte  Jahrhundert  ver- 


234 


FRANZ  KRATOCHWIL 


andere    mehr   Poetische   beschreibung    oder  geiichte^    samt   eingemischten 
historien  von  Oesterreiehen  Sach^  absonderlich  in  ein  buech  geschriben. 

Die  näohste  Seite  ist  leer.  Von  Seite  436  an  folgen  21  Gedichte 
Sachen wirt's  in  nachstehender  Ordnung: 


Zählung  nach 
Friess  und 
Primisser 


Von  Seite  . . . 

der  Handschrift 

bis  Seite   . . . 


Überschriften  der  Qedichte 


4 
5 

6 
7 
8 
9 

10 
11 
12 
13 
14 


n 

III 

IV 
V 

I 
II 
IX 
XIV 

XVIII 

XI 

X 
XII 
XIII 


436'^*) 

436"-— 438' 
438'— 439" 

439"— 441' 
441'— 442" 

442''_444»» 
444"— 445" 
445"— 447' 
447'— 450" 

450"— 456" 
456"- 460' 
460'— 463' 
463'-464" 
464" -467' 


Lobgedieht  auf  Moriz  von  Hawnfeld. 

NB.  Titel  fehlt 

Von  Hern  Hansen  von  Chappell 

Von  Herzog  Albrechten  von  Oester- 

reich 

Von  Hern  Albreehten  von  Rawehenstein 

Von  Hern  Sumolf  Lappen  von  Ern- 

wieht 

Von  Chünig  Ludweigen  von  Ungernland 

Von  der  Chaiserinn  von  Payern 

Von  Hern  Puppli  von  Ellerbach 

Zum  Lobe  Friedrichs  von  Chrewspekch. 

NB.  Titel  fehlt 

Von  Herren  Hansen  von  Traun 

Von  Graff  Ulreichen  von  Phannberg 

Von  Hern  Puppli  von  Ellerbach 

Von  Hern  Hertweigen  von  Pettau 

Von  Hern  Ulreichen  von  Waise 


folgen  läßt.  Den  Namen  hat  es  von  dem  kleinen  Orte  Velderndorf,  ehemals  auch 
Völlerndorf,  Völderndorf,  Felderndorf,  jetzt  Feilendorf,  in  der  vom  n.  ö. 
Landesausschasse  1882  herausgegebenen  Obersichtskarte  der  Flußgebiete  von  Nieder- 
österreich Fallendorf  genannt;  es  liegt  9  Kilometer  westlich  von  St.  Polten  zwischen 
der  Siming  und  Bielach.  1613  kam  Wolf  Christoph  von  Veldemdorf  auch  in  den 
Besitz  der  kleinen  Herrschaft  Neidenstein  (auch  Nentenstein  genannt),  die  aus 
dem  Schlosse  Neidenstein  und  dem  Orte  Unter-Grafendorf  (am  rechten  Ufer  der  Persch- 
ling zwischen  Jeutendorf  und  Böheimkirchen)  besteht.  Seit  Anfang  des  vorigen  Jahr- 
hunderts hat  Neidenstein  zu  wiederholtenmalen  seinen  Besitzer  gewechselt,  so  daß  leider 
„von  dem  alten  Buch**  keine  Spur  mehr  zu  finden  ist.  Vgl.  J.  Fr.  Gau  he,  Des  Heil. 
Rom. Reichs  genealogisch-historisches  Adelslezikon,  1740,  1.  Bd.,  S. 628f.;  J.Seifert, 
Hoch-Adeliche  Stammtafeln,  1721,  1.  Theil,  Nr.  19,  und  Fr.  Schweickhardt  Ritter 
vonSickingen,  Darstellung  des  Erzherzogthu  ms  Österreich  unter  der  Enns.  Viertel 
ober  dem  Wienerwald,  8.  Bd.  (1836),  S.  15—17  und  S.  100—101. 
')  a  =  linke,  b  sa  rechte  Spalte. 


ÜBER  DEN  GEGENWlBTIGEN  STAND  DER  8UCHENWIRT-H88.      235 


,2  oj 

Sä® 


Zählang  nach 
Friess  nnd 
Primisser 


15 

16 

17 
18 
19 

20 
21 


(vi)'),pm 

(VII)  ^),  vu 

VI 
XV 

vm 

XVI 
XVII 


Von  Seite  . . . 

der  Handschrift 

bii  Seite  . . . 


467»— 470' 

470'— 472** 

473'— 475' 
475'— 477»* 
477t»_480» 

480*»— 482** 
482**— 485** 


Überschriften  der  Gedichte 


Von  Hercaogen  Albrechten  yon  Oester- 

reich 
Von  Pnrchgraff  Albrechten  von  Nnm- 

berg 
Von  Herezog  Hainreichen  von  Kemden 

Von  Hern  Lewtolden  von  Stadekk 

Von  Herren  Purkharten  von  Ellerbach 

dem  alten 

Von  Graven  Ulreichen  von  Cyli 

Von  Hern  Fridreiehen  von  Lochen 


Während  der  erwähnte  Titel  eine  undeutiiche,  verzogene  Carrent- 
schrift^  zeigty  sind  die  Gedichte  in  schöner,  gut  lesbarer  lateinischer 
Schrift  des  17.  Jahrhunderts  geschrieben,  auf  jeder  Seite  zwei 
Columnen,  jede  zu  ungefähr  fünfzig  Zeilen.  Die  Verse  sind  abgesetzt 
und  beginnen  bald  mit  großen  bald  mit  kleinen  Buch- 
staben. Die  Überschriften  sind  in  größerer  Schrift  geschrieben;  es 
ist  durchaus  nur  schwarze.  Tinte  verwendet. 

Bei  dem  ersten  Anblicke  fallen  die  großen  Anfangsbuch- 
staben im  Innern  der  Verse  auf,  deren  Verwendung  weit  aus- 
gedehnter,  aber  schon  consequenter  ist  als  in  A.  Im  Übrigen  ist  jedoch 
die  Schreibweise  der  Handschrift  mit  der  von  A  im  Ganzen  über- 
einstimmend. Beide  Handschriften  sind  nicht  frei  von  Inconsequenz : 
dasselbe  Wort,  sogar  in  demselben  oder  nächstem  Verse,  zeigt  zu- 
weilen verschiedene  Schreibung.  Unter  den  Buchstaben  ist  nur  ^  neu, 
wechselt  aber  häufig  mit  zz.  Das  Dehnungs-A  nach  dem  t  begegnet 
öfter,  so  B  S.  463  =  P  X,  242  thet,  Friess  VI,  52  that  Während 
in  A  ebenso  oft  tz  wie  cz  verwendet  wird,  ist  in  B  Vorliebe  für  ez 
bemerkbar. 

Von  den  in  A  zur  Bezeichnung  von  Vocalen  und  Diphthongen 
üblichen  Haken  kommen  häufiger  vor  ^,  dann  '  und'',  selten  ^, 
ausnahmsweise   °;    hingegen  liebt  unsere  Handschrift  beson- 


»)  Vgl.  S.  238. 

*)  Sie  gleicht  ganz  Enenkel's  Autograph  in  der  Handschrift  der  Wiener  Hof- 
bihliothek  Nr.  10100*,  welche  f.  165»*  ein  Gedicht  von  ihm  bringt  ^für  Herrn  Peter 
von  Scherenberg  auf  sein  Dama  einer  Poplin  za  Siena  in  Toscana**. 


236  FBINZ  KRATOCHWIL 

dera  das  Zeichen  '".  Dieses  vertritt  alle  Haken  von  A,  und  zwar 
in  der  Seite  213—217  dargelegten  dreifachen  Verwendung  derselben. 
Doch  fehlt  in  B  der  Haken  als  Zeichen  der  Diphthonge  öfter 
als  in  A;  so  begegnen  nicht  wenige  u  für  tio,  ue  und  t  =  ie.  Dar- 
nach wird  uns  das  häufige  Fehlen  des  Hakens  in  B,  wo  es  sich  um 
Halbdiphthonge  oder  gar  um  S  varabhakti  handelt,  nicht  so  sehr 
wundernehmen;  sind  doch  selbst  in  A  die  durch  Haken  bezeichneten 
Svarabhakti  nicht  besonders  zahlreich.  Immerhin  ist  aber  nicht  zu 
leugnen,  daß  der  Schreiber  von  B  nur  geringe  Vorliebe  ftlr  Formen 
mit  Svarabhakti  zeigt;  denn  selbst  die  in  A  durch  e  oder  t  ausge- 
drückten gibt  B  nicht  immer.  Der  Punkt  ober  i  fehlt  oft,  doch,  wenn 
er  gesetzt  wird,  befindet  er  sich  meist  über  dem  i  und  nicht  (wie  in 
A  oft)  seitwärts  davon,  so  daß  die  Schrift  lesbarer  ist. 

Die  Unterscheidungszeichen  sind  nur  selten.  Am  Ende 
des  letzten  Verses  von  Nr.  1,  2,  4  und  5  begegnet  ein  Punkt,  desgl. 
nach  dem  Titel  von  Nr.  3,  15  und  16;  in  Nr.  5  V.  96,  Nr.  15  V.  25, 
37,  42  und  in  Nr.  16  V.  3  finden  sich  auch  Beistriche,  in  Nr.  9,  118» 
(dieser  Vers  fehlt  in  A)  ein  Ausrufungszeichen.  Ich  glaube,  selbst 
diese  wenigen  Zeichen  dürften  von  Enenkel  herrühren. 

Der  Abkürzungszeichen  sind  zwei:  ^  und  s.  Wie  in  A  steht 
ersteres  bisweilen  unnöthig,  wird  aber  sonst  nicht  nur  oft,  sondern 
auch  in  ausgedehnterer  Weise  verwendet  als  in  A  (vgl.  S.  212), 
indem  es  nicht  selten  für  auslautendes  e  (ueind  Nr.  1,  193,  Nr.  8,  127), 
einmal  auch  für  auslautendes  s  (Nr.  14,  158  de)  steht.  B  S.  468^  be- 
gegnet ds  {-=  des)^  was  Friess  VI,  60  irrig  mit  das  aufgelöst  hat.  n 
=  nn  und  m  =  mm  findet  sich  oft  {danen  Nr.  19,  183  und  185, 
Hawbtman  in  einem  nach  448  eingeschobenen  Verse  von  Nr.  10,  czu- 
saihe  10,  271  u.  s.  w.),  12,  166  u.  ö.  Ihn  =  Jesu,  _  ^  hat  eine  etwas 
engere  Bedeutung  als  '  in  A  (vgl.  S.  211  f.);  es  bezeichnet  in  der 
Regel  er,  doch  auch  ur  (sehr  häufig  d^ch\  ganz  ausnahmsweise  ar^  ir 
{bewH  :  art  Nr.  14,  169,  wde  =  wirde^'Sr.  5,  3)  und  ert  (hund^,  dorffer 
in  Nr.  21,  18  Ergänzungsvers.  Häufig  begegnet  Osterr"  oder  Oesterr\ 
selten  Oster^, 

Was  die  Schreibfehler  (im  Sinne  von  Versehen  durch  Eile 
oder  Vergessen)  betrifft,  so  sind  dieselben  verhältniß mäßig  häufiger 
als  in  A.  Höchst  wahrscheinlich  hat  Enenkel  seine  umfangreiche  Ab- 
schrift, nachdem  er  sie  fertig  gebracht:  nicht  mehr  mit  der  Vorlage 
verglichen;  manche  Versehen  hat  er  gebessert:  sie  mögen  ihm  gleich 
beim  Schreiben  aufgefallen  sein.  Übrigens  konnte  ja  auch  seine  Vor- 
lage hie  und  da  fehlerhaft  sein. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-  H8S.       237 

Unsweifelhaft  iat  es,  daß  durch  manche  solche  Verstöße  der  Text 
leidet;  an  nahezu  dreißig  Stellen  erscheint  dadurch  der  Sinn  gestört. 
In  den  Reimen  begegnet  selten  Auffälliges.     Von  den  zwanzig 
hieher  gehörigen  Fällen  zeigen  fast  alle  nur   ganz  unbedeutende  Ver- 
sehen,   wie  sie   leicht   beim  Abschreiben  unterlaufen;    sie  lassen  sich 
auf  den  ersten  Blick  corrigieren,   aber  auch  die  paar  anderen  bedeu- 
tenderen Reimstörungen  sind  unschwer  zu  beheben.     Eine   derselben: 
voglaaneh  noch  mayen  Lust 
den  herczen  gaben  wenig  güst 
in  Nr  18^  85  möchte  ich  auf  EnenkeFs  Rechnung  setzen;   seine  Vor- 
lage wird  gleich  A  gehabt  haben  Ivft  :  guft.    Da  ihm  letzteres  Wort 
vielleicht    unverständlich  war,    hielt  er  es  fUr  Verderbniß   und  suchte 
zu  bessern ;  er  hat  aber  nur  den  Text  verschlechtert.  Dasselbe  glaube 
ich    von    einigen    anderen    verderbten  Stellen    außerhalb  des  Reimes. 
So  heißt  es  in  Nr.  10,  508: 

do  woß  der  Winter  recht  eo  chaü\ 
es  stand  schon  (wie  in  A)  nicht ;  dieses  wurde  aber,  da  Enenkel  den 
Sinn  nicht  verstand,  in  recht  geändert.  Nr.  14,  56  schreibt  er: 

er  was  ein  über  holdes  Kraft 
(A  über  heldes),    14,  212  darin  falsch  (A  vasch),    15,  31  Unschulden 
A  von  schulden)^    16,  184    Senuise  graben  (A  Qen  muse),    21,  89  be- 
trogt (A  bevogt). 

Wie  viel  von  all  den  Ungenauigkeiten  auf  Flttchtigkeit  oder 
Mißverständniß  Enenkers,  wie  viel  auf  Uulesbarkeit  oder  Fehler- 
haftigkeit seiner  Vorlage  zu  setzen  kommt,  läßt  sich  nicht  entscheiden. 
Immerhin  ist  ihre  Gesammtzahl  im  Verhältnisse  zum  Um- 
fang der  Handschrift  gering.  Eine  sorgfältige  Vergleichung  zeigt 
nicht  nur  Übereinstimmung  unserer  Handschrift  mit  A  im 
großen  Ganzen,  sondern  oft  in  den  kleinsten  Details;  ja,  sie  ist  mit- 
unter geradezu  überraschend.  So  hat  P  XI,  158  f.: 

Da  von  mein  vrewd  vergeUet^ 

Iv  sü%^ikait  ist  worden  sawer^ 
hingegen  B  mit  A  m,  und  V.  322  Got  vater  setze,  B  und  A  aber  Got 
herre  vater;  P  VII,  51  leben,  dezj  A  da?  (vgl.  S.  215),  B  das,  V.  139 
P  Chriehen,  AB  chriechen,  V.  190  P  Waegen,  AB  wegen\  P  VI  45 
De^  ist  da:;  leben,  A  B  der;  P  XV,  184  Oetrewer,  AB  getrewn;  P 
Vin,  32:  Mit  wort,  gedanchen,  guter  tat^ 

A  B  mit  vorgedankchen,  V.  84  P  erslagen,  A  hatte  wie  B  geslagen, 
doch  hat  der  Schreiber  in  A  nachträglich  die  erste  Silbe  geändert, 
V.  137:  Die  flucht  pracht  er  ze  wal  hemider, 

ORBMAMU.    N«a«  a«Ui«  XXII.  (XXZIT.)  Jahr?.  lg 


238  FRANZ  KRATOCHWIL 

A  zemal,  B  zumal-,  P  XVII,  85  An  der  Oder,  A  B  Ader,  V.  127  Den, 
von  Maekelhurch,  B  mit  dem  Meklburg,  A  hatte  mit  dem,  aber  mit 
sieht  verlöscht  aus,  V.  131  P  gewunn,  B  gewunnen,  desgl.  A,  aber  en 
ist  ausgestricheD.  —  Diese  Stellen,  die  sich  sehr  leicht  bedeutend  ver- 
mehren ließen,  bezeugen  nicht  nur  die  große  Übereinstimmung 
zwischen  B  und  A,  sondern  lassen  auch  die  Annahme  zu,  daß 
Enenkel  seiner  Vorlage,  wo  sie  ihm  keine  Schwierigkeiten 
bereitete,  in  der  Regel  getreu  gefolgt  ist  Es  ist  also  zu 
schließen  erlaubt,  daß  die  oben  berührten  Ungenauigkeiten  größten- 
theils  auf  Rechnung  der  Vorlage  zu  setzen  seien. 

Dazu  stimmt,  daß  die  Sprach  formen  fast  ausnahmslos  mit 
denen  von  A  congruent  sind.  Doch  zeigt  unsere  Handschrift  keine 
Vorliebe  für  den  in  A  häufigen  Wechsel  von  6  und  «?,  hingegen  findet 
sich  fast  durchaus  die,  wo  A  dt  hat,  auch  gebraucht  Enenkel  nie  die 
Formen  schol,  acholde,  sondern  immer  mit  dem  einfachen  Anlaute  8\ 
sonst  steht  seh  statt  8  ganz  vereinzelt  in  Nr.  12,  49  und  129,  auch 
die  Form  mancher  begegnet  nur  ausnahmsweise. 

Überhaupt  macht  EnenkePs  Abschrift  der  Suchenwirtischen 
Gedichte,  von  den  Schriftzügen  abgesehen,  ganz  den  Eindruck  einer 
alten  Handschrift,  obwohl  sie  erst  1625  angelegt  wurde.  Früher  kann 
sie  nach  EnenkeFs  Angabe  auf  dem  schon  beregten  Titel  nicht  ent- 
standen sein,  aber  auch  nicht  viel  später,  da  Enenkel  1627  starb; 
andere  Theile  des  Codex  sind  freilich  schon  bedeutend  früher  (1613) 
geschrieben  worden.  Wenn  nun  Jemand  die  Handschrift,  auf  deren 
unbedeutendes  Alter  reflectierend,  geringschätzig  beurtheilen  möchte, 
so  würde  dies  dem  Werthe  derselben  widersprechen. 

Dieser  ist  nach  dem  bisher  Gesagten  trotz  ihrer  Jugend  sehr 
bedeutend.  Er  wird  noch  dadurch  erhöht,  daß  sie  fünf  neue  Ge- 
dichte bringt,  von  denen  besonders  vier  historisch  verwerthbar  sind; 
dadurch  wird  die  große  Lücke  am  Anfange  von  A  nahezu  ganz  aus- 
gefüllt. Aber  auch  vier  andere  Lücken  in  A  fanden  durch  B 
ihreErgänzung;  davon  waren  zwei  schon  P  bekannt,  die  eine  von 
89  Versen  in  A  Nr.  12  nach  dem  V.  116,  die  andere  von  41  Versen 
in  A  Nr.  15  nach  dem  V,  185.  Professor  Friess  veröflfentlichte  zugleich 
mit  den  fünf  Ehrenreden  unter  Nr.  VI  und  VII  auch  die  Ergänzungs- 
verse zu  diesen  beiden  Lücken*)  (a.  a.  O.  S.  26 — 30).     Zwei   andere 


')  Zu  findem  sind  folgende  Stellen,  und  zwar  in  I,  17  firumde  in  firomde,  20  toey> 
den  in  werdem,  25  mvUen  in  miillen,  45  «o  in  do,  84  numigen  in  maniger;  in  II  ist  zu 
lesen:  1  pitt  mit  u.  s.  w. ,  4  helffe,  8  inn.  und^  in  V.  18  hat  B  gemawre,  in  25 
loiUen:  pillen,  48  wo.   awert,  68  mendleiehy  86  wcu,  100  det%  104  geslagen,    in  61  hat 


ÜBER  DEN  GEGENWiBTIGEN  STAND  DER  8UCHENWIRT-HSS.       239 

Lücken,  jede  zu  52  Versen,  sind  bisher  unbemerkt  geblieben,  die 
eine  in  Ä  Nr.  9  nach  V.  34,  die  andere  in  A  Nr.  27  nach  V.  52: 
die  Ergänzungsverse  beider  Lücken  gebe  ich  im  Anhange 
zu  dieser  Untersuchung. 

Daß  aber  diese  fünf  Gedichte  und  vier  Ergänzungen 
wirklich  von  Suchenwirt  herrühren,  unterliegt  keinem 
Zweifel.  Allerdings  sagt  Enenkel  ausdrücklich  mit  keinem  Worte, 
daß  die  von  ihm  abgeschriebenen  Gedichte  dem  Suchenwirt  ange- 
hören; aber  am  Ende  seiner  Abschrift  (S.  485  b)  hängt  er  dem 
Schlüsse  des  letzten  Gedichtes  noch  die  Bemerkung  an:     Hie   habent 

die  rede  uon  den  Wappen  ein  ende. Hier  bringt  also  Enenkel 

ein  Ganzes,  die  fünf  fraglichen  Gedichte  erscheinen  in  Verbindung 
mit  16  anderen,  welche  unbestritten  längst  als  Suchenwirt's  Eigen- 
tbum  allgemein  gelten.  Zudem  steht  das  fünfte  dieser  Gedichte  wenig- 
stens mit  seinem  Schlüsse  in  A,  in  jener  Handschrift,  welche  aus- 
schließlich Gedichte  Suchenwirt's  enthält.  Es  ist  aber  mehr  als 
wahrscheinlich,  daß  nicht  nur  der  Anfang  des  fünften  Gedichtes, 
sondern  auch  die  vier  anderen  Gedichte  einmal  in  A  gestanden  haben 
(vgl,  S.  228  f.).  Daß  Suchenwirt  sich  in  den  fünf  Gedichten  nicht 
nennt,  ist  kein  Einwand;  das  Gegentheil  wäre  sogar  auffällig» 
da  er  dieses  in  keiner  seiner  Ehrenreden  thut,  diesen  aber  sind 
die  fünf  Gedichte  in  allen  Stücken  conform.  Wie  dort  han- 
delt es  sich  auch  hier  um  das  Lob  österreichischer  Edlen:  er 
preist  Moriz  von  Haunfeld,  Jans  von  Chappell,  Herzog  Albrecht  II. 
den  Lahmen  und  Albrecht  von  Rauhenstein.  Alle  bis  auf  den  Herzog 
sind  todt;  das  fünfte  Gedicht  ist  satirisch.  —  Auch  die  Ausführung 
des  Themas  ist  um  kein  Haar  anders:  er  beginnt  mit  dem  Bekennt- 
nisse seiner  poetischen  Ohnmacht  und  der  Anrufung  der  göttlichen 
Hilfe  und  endet  mit  der  Empfehlung  der  Seele  des  Verstorbenen  an 
die  Gnade  Gottes  und  mit  der  Beschreibung  des  Wappens  seines 
Helden.  Auch  was  Diction,  Sprache  und  metrischen  Bau  be- 
trifft, gleichen  die  fünf  Gedichte  ganz  den  anderen  Ehrenreden. 
Letzteres  gilt  auch  von  den  Ergänzungen.  Daß  sie  echte,  wesentliche 


zu  entfallen  der,  in  87  er;  in  III  ist  su  lesen:  10  gwalt,  11  mein,  63  irewen,  65  ckrümbef 
109  möden,  116  in,  in  47  bat  auszufallen  die  vor  toewen;  in  IV  ist  zu  lesen:  26  tr, 
64/röW,  61  heldes,  82  moffd,  183  naget,  136  helle,  141  under;  in  V  hat  B  V.  2 
uemänst,  28  nu,  30  der^  43  erd,  48  dem,  73  do  er,  87  gOrtel,  92  einen,  93  im,  102 
öphltremk,  106  geschehen,  110  glider,  111  toom,  142  ^te^;  in  VI:  21  gesach,  M  firewden- 
reiche»,  44  armew,  48  uö  jugent,  57  nu  dar,  60  det,  67  mir  (nicht  nur),  80  »childe, 
88  waa-,  in  VII:  18  w>n  dem^  24  selbe»  und  89  den  (nicht  der). 

16* 


240  FRANZ  KRATOCHWIL 

Theile,  keine  müßigen  Erweiterungen  der  Gedichte  sind,  sieht 
Jeder,  der  nur  aufmerksam  die  Nummern  12,  15  und  27  in  A  mit 
ihren  Ergänzungen  in  B  liest;  dasselbe  gilt  von  der  Ergänzung  zu  A 
Nr.  9  (Rede  vom  verstorbenen  jungen  EUerbach),  deren  Echtheit 
und  Nothwendigkeit  am  deutlichsten  aus  A  Nr.  5  (Rede  auf  den 
lebenden  jungen  EUerbach),  V.  58—113  erhellt. 

DerWerth  von  B  zeigt  sieh  auch,  wenn  in  A  Wörter  fehlen, 
wie  z.  B.  A  Nr.  15,  75,  192;  Nr.  16,  72,  75,  214;  Nr.  27,  51,  178; 
ferner  wo  A  schwer  leserlich  oder  unlesbar  ist,  wie  A  Nr.  1, 
18,  43;  Nr.  9,  144;  Nr.  13,  111,  117  (zweite  Recension);  endlich 
wo  A  fehlerhaft  oder  sinnlos  ist,  z.  B.  A  Nr.  15,  199;  Nr.  16, 
66;  Nr.  22,  182,  231,  243;  Nr.  27,  53.  —  Es  hat  sieh  nämlich  als 
unzweifelhaft  herausgestellt,  daß  unsere  Handschrift  nicht  selten  dem 
Sinne  nach  Besseres  bietet  als  A. 

Das  Urtheil  über  den  Werth  der  Handschrift  wird  keineswegs 
dadurch  umgestoßen,  daß  B  zuweilen  Verse  versetzt,  einen  Vers 
etwas  früher  oder  später  als  A  oder  statt  eines  Verses  in  A 
einen  neuen  bringt;  so  ist  V.  119  von  Nr.  13  in  B  =  V.  120  von 
Nr.  10  in  A,  V.  120  in  B: 

deraelb  mit  sterk  un  ehren  geuast 
ist  ein  neuer  Vers,  der  in  A  nicht  vorkommt.  Letzteres  gilt  auch  von 
folgenden  Versen  in  B: 

Nr.  14,  30      wan  er  ye  lobes  chunde  warten 

V     14,  172    darnach  der  degen  here 

7i     19,  152    81  chomen  ungeladen 

71     21,  106    die  was  enuaUen  swer 

n     21,    107    wie  wid^  in  wer  daz  gancz  lant. 

Der  Werth  der  Handschrift  wird  selbst  dadurch  nicht  beein- 
trächtigt, daß  sie  hie  und  da  Lücken  hat.  Von  den  größeren  gibt 
Enenkel  selber  Rechenschaft.  So  schreibt  er  B  S.  436  vor  Beginn 
von  Nr.  1:  J9tW  Helden  beschreibung  ist  ein  abgang,  wegen  etlicher 
aber  nit  gar  uiler  hsrausgerisßn&r  bletter;  B  ist  also  gleich  A  zu  Anfang 
lückenhaft,  von  Nr.  1  fehlt  Titel,  Einleitung  und  ein  Theil  des  Hittel- 
stückes. Und  nach  V.  138  von  Nr.  8  bemerkt  er  S.  447'  der  Hand- 
schrift: Hier  ist  auch  ein  ahgang  wegen  eines  oder  zwaier  herausgerußner 
bletter.    Die  zweitnächste  Zeile  lautet: 

do  wart  er  zu  derselben  stunty 
und  es  geht  so  fort,    daß  es  für   den  oberflächlichen  Beobachter   den 
Anschein  hat,  als  ob  nach  der  Lücke  das  Gedicht  vom  jungen  EUer- 
bach  fortgesetzt   werde.    Aber   das,    was  nach  Enenkel's  Bemerkung 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWERT-HSS.       241 

folgt,  ist  ein  ganz  anderes  Gedieht :  es  handelt  von  Kreuspeck.  Somit 
fehlt  von  Kr.  8  nach  V.  139  alles  bis  zum  Schlüsse,  das  sind  104 
Verse,  und  von  Nr.  9  der  Anfang,  nämlich  V.  1 — 40. 

Von  den  kleineren  Lttcken  ist  die  größte  in  Nr.  10  nach  V.  124: 
sie  erstreckt  sich  auf  zehn  Verse.  In  Nr.  3  läßt  die  Unterbrechung 
des  Reimes  nach  V.  41  den  Ausfall  von  mindestens  einem  Verse  er- 
kennen; ganz  dasselbe  zeigt  sich  noch  an  fttnf  anderen  Stellen:  in 
Nr.  9  fehlt  V.  80,  in  11  V.  150,  in  12  V.  164,  in  14  V.  28')  und  in 
20  V.  136.  —  Andere  Lücken  umfassen  nicht  einmal  einen  ganzen 
Vers.  So  sind  die  Verse  64 — 73  von  Nr.  1  an  ihren  Enden  mehr 
oder  weniger  unvollständig.  Enenkel  hat  das  fehlende  Stück  des 
Originals  gezeichnet  und  in  die  Umrisse  hineingeschrieben:  War 
hinweg  gerissen.  Dieselbe  Zeichnung  und  die  gleichen  Worte  darin 
finden  sich  S.  436^  der  Handschrift  zu  Beginn  von  Nr.  2;  hier  sind 
die  Verse  1 — 10  zu  Anfang  mehr  oder  minder  verstümmelt  In  Nr.  9 
fehlt  das  letzte  Wort  (und  damit  der  Reim)  des  V.  311,  desgleichen 
im  V.  206  von  Nr.  16;  in  Nr.  18  V.  226  fehlt  amen.  —  Die  Gesämmt- 
zahl  der  ganz  oder  theilweise  fehlenden  Verse  in  den  verschiedenen 
Lücken  dieser  Handschrift  erreicht  noch  lange  nicht  die  Höhe  derer 
in  A. 

Dieser  Handschrift,  welche  nach  Alter,  verhältnißmäßiger 
Sorgfalt  in  Sprache  und  Vers  und  in  erster  Linie  durch  den  Umstand, 
daß  sie  von  allen  Suchen wirt-Handschriften  die  größte  Anzahl 
von  Oedichten  enthält,  den  ersten  Platz  unter  allen  unbestritten 
einnimmt,  reiht  sich  zunächst  dem  Werthe  nach  B  an.  Es 
ist  dies  gerechtfertigt  durch  das  hohe  Alter  des  Originals  von  B,  durch 
die  im  Ganzen  vertrauenswürdige  Wiedergabe  desselben,  durch  sorg- 
fältige Schonung  der  Sprachformen  und  metrischen  Verhältnisse,  sowie 
endlich  dadurch,  daß  sie  die  zweitgrößte  Anzahl  Suchenwirtischer 
Gedichte,  darunter  bisher  unbekannte  Dichtungen  und  wichtige  Er- 
gänzungen zu  den  Lücken  von  A,  bringt. 

Ja,  es  ist  begreiflich,  daß  bei  so  engen  Beziehungen  zwischen  A 
und  B  der  Gedanke  auftauchen  könnte,  es  sei  das  von  Enenkel  auf 
dem  Titel  zu  Suchenwirt's  Gedichten  erwähnte  j^alte  huecV'^  das  ihm 
als  Vorlage  diente,  kein  anderes  als  die  Handschrift  A.  Nehmen  wir 
diesen  Gedanken  als  erwiesen  an  —  daß  in  A  die  fünf  ersten 
Gedichte   von  B  fehlen  und  A  vier  Lücken  aufweist,    die  B  ausfüllt, 


')  Hier  ist  keine  Unterbrechung  des  Reimes,  wohl  aber  eine  Störang  der 
Reimordnnng,  insoferne  durch  den  Ausfall  des  V.  28  drei  Verse  aufeinander 
reimen,  während  sonsl   in  den  Ehrenreden  die  Reime  gepaart  sind. 


242  FRANZ  KBATOCHWIL 

würde  ihm  am  wenigsten  widerstreben:  die  fünf  Gedichte  können  ja  in  A 
gestanden  haben  (gewiß  ist  dies  in  Bezug  der  Nr.  5  von  B)  und  nach 
EnenkeFs  Benützung  erst  weggefallen  sein,  wie  ja  auch  die  Lücken 
erst  später  entstanden  sein  können  —  so  wäre  damit  die  Frage  nach 
dem  Original  von  B  gelöst  und  für  A  das  gewonnen ,  daß  ihr  bisher 
aus  verschiedenen  Kriterien  erschlossenes  Alter  nun  bis  1425  zurück- 
geführt und  belegt  wäre,  und  es  würde  sich  dann,  wie  sich  später 
zeigen  wird,  dasselbe  noch  bis  1402  documentarisch  hinaufrücken 
lassen.  Soviel  dabei  A  gewänne ,  ebensoviel  würde  B  dadurch  ver- 
lieren: B  würde  nicht  mfehr  eine  verlorene  selbst|ändige 
Handschrift  von  1425  oder  1402  repräsentieren,  sondern 
zu  einer  Copie  von  A  herabsinken,  die  nur  dadurch  Werth 
hätte,  daß  sie  die  in  A  im  Laufe  der  Zeit  entstandenen 
Schäden  zu  reparieren  geeignet  ist. 

Doch  der  Gedanke,  daß  A  die  Quelle  von  B  gewesen, 
ist  gar  nicht  haltbar; 

a)  denn  in  A  ist  ja  die  erste  Kede  von  Ellerbach  dem  Jungen 
vollständig,  während  Enenkel  nicht  weiter  als  bis  V.  138  schreiben 
konnte,  weil  danach  in  seiner  Vorlage  eine  Lücke  war  von  einem 
oder  zwein  Blättern,  wie  er  meint.  Da  nun  in  B  104  Verse  fehlen, 
so  käme  das  in  A  einer  Lücke  von  zwein  Blättern  gleich. 

h)  In  A  ist  die  Kede  von  Kreuspeck  vollständig,  während  in  B 
die  Überschrift  nebst  den  ersten  40  Versen  fehlt.  Dabei  bleibt  es 
in  hohem  Grade  auffällig,  daß  der  Titel  der  Handschrift 
von  zwanzig  Österreichischen  Helden  spricht,  während 
die  Sammlung  21  Gedichte  zählt.  Es  hat  für  das  erste  auf  mich 
den  Eindruck  gemacht,  als  ob  Enenkel  die  Verse  nach  der  Lücke 
für  eine  Fortsetzung  des  vorausgehenden  Gedichtes  gehalten  hätte; 
dann  allerdings  wären  es  20  Gedichte.  Aber  es  heißt  einem  Enenkel 
doch  viel  zumuthen,  wenn  man  ihn  eines  solchen  Irrthums  fähig  hält. 
Konnte  Enenkel  diesen  mit  der  Anzahl  der  Gedichte  dis- 
harmonierenden Titel  nicht  schon  in  seiner  Quelle  vor- 
gefunden haben? 

c)  Es  ist  auch  in  A  eine  andere  Folge  der  Gedichte. 
Es  muß  in  der  Vorlage  für  B  auf  die  erste  Rede  von  Ellerbach  dem 
Jungen  gleich  die  Rede  von  Kreuspeck  gefolgt  sein,  während  in  A 
die  nächste  Ehrenrede  von  Ulrich  von  Pfannberg  handelt,  der  die 
Reden  von  Ellerbach  dem  Jungen  (zweite  Rede),  Herdegen  von 
Pettau,  Ulrich  von  Waise,  Herzog  Albrecbt  IL,  Ulrich  Waise  (zweite 
Recension)  sich  anreihen.  Jetzt  erst  kommt  die  Rede  von  Kreuspeck. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIOEN  STAND  DER  SUCHEN WTRT-HBS.      243 

d)  Nicht  BO  zwingend  wie  das  Vorhergehende  ist,  daß  in  B  auf 
die  Hede  von  Kreuspeck  die  tlber  Hans  von  Traun  folgt  ^  welche 
in  A  die  vorletzte  Ehrenrede  ist.  Die  Folge  der  ttbrigen  Ehrenreden 
ist  genau  so  wie  in  A. 

e)  Fraglich  bleibt  es,  ob  bei  den  großen  Unterschieden  zwischen 
A  und  B  in  der  Rede  über  Hans  von  Traan  (zehn  Verse  von  A  fehlen, 
dagegen  weist  B  24  neue  Verse,  an  sieben  verschiedenen  Stellen  ein- 
geschoben'), auf,  sonstiger  zahlreicher  Abweichungen  nicht  zu  ge- 
denken) A  hiefdr  die  Vorlage  gewesen  sein  konnte.  An  sich  schon; 
man  weiß  ja  —  und  auch  Suchenwirt-Handschriften  bieten  hiefür 
Belege  —  wie  die  Abschreiber  verfuhren.  Aber  bei  der  sonstigen 
Genauigkeit  Enenkers  ist  es  —  selbst  bei  seiner  nahen  Beziehung 

*)  Und  Bwar  nach  dem  Verse  431: 

cu  Herezog  Budoif,  ün  ticA  ergeü 
in  9ein  schirm  mU  git  und  hob; 


nach  dem  Vers  484: 

nach  dem  Verse  448: 

nach  dem  Verse  486: 
nach  dem  Verse  487: 


samt  OUen  dem  Hcuilauer  frwl 
und  HezMn  den  JEnenehel  guet 
uil  laidig  wm  irem  Üben  hie 
dan  aUo  est  im  eiurm  ergie; 

der  Bi»eholf  wolt  in  nUhi  erlan 
er  wurd  dee  ehriegee  Hawbtman; 

rait  mü  uiretig  P/erdten  aüe»  fleia ; 

ale  der  ehrieg  ufid>  mit  Fraekreieh 
angieng,  ezog  er  gar  Higentleieh 
czu  keif  dem  uon  Engellant 
chhnig,  d"*  in  darosBu  mit  het  heeant 
der  in  schOcchl  KcUeia  zentsehütten 
darzä  er  eich  nicht  lang  Uee  bitten 
er  half  der  etat,  den  Franczoye  jagt 
dee  mcmheit  manig  wemd^  ehlagt 
Do  er  nacher  mit  eighaßer  hant\ 

nach  dem  Verse  498: 

ein  guidein  chetten  an  halz  im  hankcht 
darzue  sechshundert  march  im  schankcht 
Sein  zu  denken  der  Princz  im  gab 
ein  chostleich  Bing  und  ander  Aa5; 

Vers  445  ist  dnrch  folgende  drei  Verse  ersetzt: 

mit  zwaihundert  auf  techahudH  rait 

slig  si  un  jagt  dew  unu^^zait 

zum  land  hinaue,  wart  aber  vnmt. 


244        FR.  KBATOCHWIL,  ÜBER  DEN  QEGENWÄRTIOEN  STAND  etc. 

ZU  dem  Hause  Traun^)  —  sehr  zweifelhaft,  daß  wenn  ihm  A  vor- 
gelegen,  er  8o  geändert  hätte. 

Wenn  nun  A  die  Quelle  für  B  nicht  gewesen  sein  kann, 
was  hat  es  dann  mit  dem  ^falten  buech^  für  ein  Bewandtni  ß? 

(Fortsetzung  folgt.) 

FRANZ  KRATOCHWIL. 


Manche  dieser  Zusfitze  geben  für  die  Geschichte  des  Helden  erwünschte  Details, 
sie  wurden  auch  von  dem  Freiherrn  von  Hoheneck  in  dem  1732  erschienenen  zweiten 
Bande  seines  Werkes  in  der  Geschichte  des  Hauses  Traun  (S.  678—717)  verwerthet; 
ob  nach  dem  f^alten  bueeh'*  auf  dem  Neidenstein  oder  —  .was  mich  viel  wahrschein- 
licher dflnkt  —  nach  Enenkel's  Abschrift,  darüber  berichtet  er  nichts.  Hoheneck  sagt 
S.  687  nur,  er  finde  es  angezeigt,  ein  „uraltes'',  nach  Hans*  von  Traun  Tod  „yer- 
faßtes  Leichengedicht **,  wenn  auch  „zum  Theil  nur  summariter"  aufzunehmen.  Er 
gibt  dann  S.  687  f.  die  Verse  1^14  und  37—40,  die  ebenso  wie  die  S.  690  und  691 
angeführten  Verse  521—626,  643—663  (Beschreibung  seines  Wappens)  und  560—570 
(Schluß)  mit  B  übereinstimmen.  Der  von  Hoheneck  S.  688 — 690  gebrachte  Aus- 
zug des  Gedichtes  harmoniert  Yollständig  mit  den  Varianten  und  Zu- 
sätzen von  B  bis  auf  zwei  Stellen.  B  und  A  nennen  (V.  117)  den  Namen  der 
Festung,  welche  Traun  während  der  Sperrung  von  Calais  dem  englischen  Könige 
wiedergewann,  nicht,  beide  erzählen  die  Hilfe,  welche  Traun  dem  Bischöfe  von  Passan 
gegen  seine  unruhigen  Bürger  leistet,  fast  mit  denselben  Worten  (A  V.  446—470, 
B  hat  nur  um  zwei  Verse  mehr).  Hoheneck  aber  nennt  S.  688  den  Namen  derselben 
Cadamum,  ob  auf  Grund  seiner  Quelle  oder  nur  als  eigenen  erklärenden 
Zusatz,  ist  nicht  zu  ersehen;  ebenso  verhält  es  sich,  wenn  er  S.  690  anführt, 
der  Bischof  von  Passau  habe  Albrecht  vonWinckl  geheißen;  von  den  Auf- 
ständischen, welche  700  Pferde  gehabt  haben,  aber  von  der  Feste  Georgenberg  hart 
bedrängt  wurden,  seien  300  gefangen  genommen  worden.  —  In  beiden  Fällen, 
glaube  ich,  hat  Hoheneck  die  erwähnten  Angaben  nicht  demGedichte 
entnommen;  die  auf  Passau  bezughabenden  Details  wenigstens  konnte  er  sehr 
leicht  aus  den  Annalen  von  Garsten  in  dem  1727  erschienenen  ersten  Bande  der  Ger- 
mania Sacra  (S.  475)  von  Hansiz  erfahren  haben. 

')  Er  hatte  sich  1617  in  zweiter  Ehe  mit  Barbara  Herrin  von  Abens- 
berg und  Traun  vermalt;  vgl.  Wiss grill,  Schauplatz  des  landsäßigen  niederöster- 
reichischen Adels  (6  Bände  1794—1804)  2.  Bd.,  S.  410  ff. 


O.  BRENNER,  LEUTE.  245 

LEUTE. 


Nicht  alle  mhd.  iu  sind  ttber&ll  gleich  ausgesprochen  worden. 
Darauf  weist  die  jetzige  Aussprache  des  alten  tu  in  schwäbischen 
Gegenden.  Behaghel  hat  mich  gesprächsweise  darauf  aufmerksam 
gemacht,  daß  der  Unterschied  durch  den  Ursprang  bedingt  sei.  Ich 
war  durch  Formen  wie  nui,  drui,  hruier  und  durch  das  längere  Fort- 
bestehen der  Schreibung  iu  in  den  entsprechenden  Formen  in  bairi- 
schen  und  Würzburger  Urkunden  zu  der  Ansicht  gebracht  worden, 
Stellung  im  Auslaut  und  vor  Vocal  sei  Ursache  der  besonderen  Aus- 
sprache. An  der  richtigen  Erkenn tniß  hinderte  mich  vor  Allem  ein 
Wort:  Hute.  Ich  glaube  nun  allerdings,  daß  das  umgelautete  ü  im 
Oberdeutschen  seine  eigenen  Wege  gegangen  ist,  und  daß  die  alten 
iuy  nachdem  sie  beim  Eintritt  der  neuen  Diphthonge  getrennt  wurden, 
sich  schließlich  wieder  meist  zu  einer  Gruppe  einigten.  Die  Unter- 
scheidung zwischen  u  (so  will  ich  den  Umlaut  des  ü  hier  der  Ein- 
fachheit halber  bezeichnen)  und  iu  erhellt  aus  verschiedenen  Um- 
ständen« Einmal  ist  u  an  einzelnen  Stellen  eher  eu  geworden  als  iuy 
oder  eher  als  et«  aufgefaßt  worden  denn  tu,  so  in  Kaiser  Rudolfs 
Landfrieden  für  Baiern  vom  Jahre  1281,  wo  paul^  hövser,  drcevhen 
steht,  aber  frivnty  div^  iriv^  diup  u.  s,  f.  Sodann  wird,  nachdem  eu 
für  iu  durchgedrungen,  sehr  oft  scharf  zwischen  altem  u,  nun  esu, 
und  altem  iuy  nun  eu  unterschieden  s.  u.  Endlich  findet  sich  noch 
zur  Zeit  des  Monophthonges  die  Schreibung  u  für  den  Umlaut  (im 
oben  erwähnten  Landfrieden  noch  ein  verspätetes  huser^  1286  in  einer 
Urkunde  von  Ried  ehrutzes,  in  den  Carmina  burana  im  jüngeren  Theil 
fol.  110  v.  lüt  reimend  mit  müt),  wo  iu  für  den  alten  Diphthong  steht. 
Doch   fehlen   mir  für  letztere  Thatsache  genügend  zahlreiche  Belege. 

Nur  an  Wort  fügt  sich  der  durch  obige  Auseinandersetzung 
gebotenen  Trennung  nicht:  das  Wort  leute  ^).  Niemand  hat,  so  viel  ich 
weiß^  bisher  bezweifelt,  daß  dasselbe  zu  den  w-Stämmen  zu  zählen, 
und  doch  stellt  es  sich  selbst  ganz  unzweifelhaft  zu  den  umgelauteten 
ü-Stämmen.  In  den  ober-  und  niederbairischen  Urkunden  von  1284 
bis  1349,  in  denen  ich  das  Wort  gefunden  habe,    ist  es  nur  in  3 — 4 


')  Auf  das  einmalige  Vorkommen  von  dUevUch  im  Landfrieden  von  1281 ,  ge- 
rcevtte  Urk.  von  1297*  lege  ich  so  lange  kein  Gewicht,  als  ich  keine  weiteren  Belege 
finde.  Die  mit  ^versehenen  Jahreszahlen  weisen  aaf  Urkunden ,  die  ich  selbst  ge- 
sehen, **  auf  zwei  verschiedene' solche  Urkunden  des  gleichen  Jahres. 


246  O.  BRENNER,  LEUTE. 

nicht  TOD  eu  gesondert^  was  kein  Beweis  für  die  Gleichheit  des  Lautes 
ist.    Sonst  haben  wir 

1.  leute\  für  altes  tu  aber  iu,  so  1291*  gezivchy  nivmich,  1295* 
diVf  gezivk,  nivntzicy  ebenso  1296*,  1307*,  1309*  (hier  lewty  leüy  da- 
gegen triuzehetiy  nivntem,  aber  auch  ncevn),  1313*. 

2.  Ivte,  Ivte  oder  Ivte  gegenüber  tu  1300*  1306*  1307*  1309*, 
1310*,  1314*   1314**,  1316*,  1318*,  vielleicht  auch  1315*,  1323*. 

3.  laut  gegenüber  iu  1307*,  ISte  und  leut  neben  Heuserer  einer- 
seits, divy  neinzckik  (!)  anderseits. 

4.  lernt,  kevte,  Iceüt,  heut,  läwt  gegenüber  iu  oder  eu  1293,  1294, 
1295*,  1304*,  1306**,  1307*»,  1309*,  1315*  (ebd.  haüfem),  1316* 
1318*  1323*  1324  (ebd.  chraeuz,  Afaeufel),  1326**,  1331*  1335*  1338*, 
1349  u.  s.  w. 

5.  Einzeln  1297*  laut,  pcevren  :  gerceute,  1328*  levt  ifrievnt,  alliev, 
baidiev. 

Genug  Beispiele  dafür,  daß  sich  leute  von  den  übrigen  Worten 
mit  iu  sondert;  wo  Umlaute  von  ü  neben  leute  belegbar  sind,  stellt 
unser  Wort  in  so  gut  wie  allen  Fällen  zu  diesen.  Auch  noch  in 
späteren  Urkunden  ist  das  Verhältniß  dasselbe;  um  1500  freilich  ist 
hieven  nichts  mehr  erkennbar,  da  heißt  es  leite,  durehlaichtiger,  frain- 
din,  vertrailtch,  Praiaen, 

Die  Scheidung  ist  aber  nicht  bloß  bairisch  im  engeren  Sinn 
gewesen.  Freilich  so  zahlreiche  Belege  wie  aus  München  und  Um- 
gebung (die  sich  künftig  noch  vermehren  lassen  werden)  weiß  ich  sonst 
nicht  beizubringen,  aber  doch  genügende,  um  das  Vorhandensein  im 
Süden  und  Norden  zu  beweisen.  In  zahlreichen  Urkunden  von  Ober- 
und  Niederösterreich  und  Steiermark  *)  wird  durchaus  iu  oder  eu  ge- 
schrieben, also  chreutz  wie  fremd  und  gezeuk,  aber  schon  1274  (Reins- 
berg)  levte  :  triwen,  geziv^ge,  1278  (Wilden)  laeut :  vrivnt,  niwen,  1278 
(ebd.)  laevt  (oft)  :  vriuntlich,  geziuge,  lewen-,  ebentiuren ,  1281  (Kaiser 
Rudolf,  aber  in  Regensburg)  Icevty  paul,  hovser,  hvsei',  drcevhen  und 
dcevtsch  :  frivnt,  driv,  diup  u.  s.  w.,  1292  (Wien)  levte  :  geziuge,  diu  1293 
(Aychsperg)  levt :  getziu^gen ,  1293  (Weidhouen)  leutmiun,  diu,  1292 
(St.  Paul  in  Kärnten)  laeute  :  sev  (eas),  nevntzich,  1293  (Wien)  leute: 
ziug,  1295  (Lack)  lauten  :  geziug ,  1297  (Wien)  laute,  helaeuttet  :  ge- 
ziugen,  neunzigist  u.  s.  w. 

Im  Schwäbischen  habe  ich  alte  Belegstellen  nicht  gesammelt. 
In  der  Gegenwart    stellt    sich')  in  der  Memminger  Gegend,    wie  ich 


')  Belege  in  den  Fontes  rer.  Anstr.  II.  bes.  Band  1  nnd  31. 
^)  [H.  Fischer    theilt    mir    gütigst    mit,    daß  in  ganz  Schwaben    leute,    deutsch 
und  gereute  sich  zu  häuier  stellen.] 


O.  BEHAGHEL,  MHD.  tu  UND  6.  247 

selbst  gehört^  lait  zu  haüer;  auch  nach  den  Proben  bei  Firmenich  ist 
weithin  lait,  leut  von  den  ttbrigen  «tt-Stämmen  getrennt  In  einem 
fliegenden  Blatt  des  vorigen  Jahrhunderts  (Frommann,  Handarten 
VII,  488)  aus  Schwaben  finde  ich  :  leit,  tew  aber  tuiffel,  /rvind,  uyer 
u.  8.  w.  Das  alem.  liu  =  finget  muß  durchaus  nicht  ursprünglicher 
sein  als  die  älteren  bairiachen  und  die  ostschwäbischen  Formen. 

Es  wird  also  wohl  neben  liuti  im  Ahd.  auch  lütt  anzusetzen  sein. 
Während  man  bei  *duiacK  wohl  Einfluß  der  niederrheinischen  Form 
annehmen  könnte,  ist  es  doch  gewagt,  bei  lute  das  Qleiche  zu  thun. 
Es  müßte  denn  —  was  noch  zu  beweisen  wäre  —  das  Wort  in  Baiern 
und  Schwaben  einmal  verloren  gegangen  sein.  Die  Namen,  die  mit 
livJt'  gebildet  sind,  stellen  sich  zu  den  iti*Stämmen;  Liutold,  Leutold 
findet  sich  zugleich  mit  keute.  Rein  lautliche  Entwicklung  ist  wohl 
ausgeschlossen  (trotzdem  man  wegen  dcevtsch  und  gercevUe  an  Einfluß 
des  t  glauben  könnte).  Anlehnung  an  den  Stamm  lüt  ist  ganz  un- 
wahrscheinlich.   Woher  kommt  dann  die  Form  *lüti? 

MÜNCHEN,  Juni  1889.  O.  BBENNEB 


MHD.  iu  UND  ü. 


Um  die  interessante  Thatsache,  auf  die  Brenner  im  Vorstehen- 
den hinweist,  richtig  beurtheilen  zu  können,  wird  es  sich  empfehlen, 
die  Untersuchung  noch  auf  etwas  breitere  Grundlage  zu  stellen. 

Daß  der  alte  Diphthong  iu  und  der  aus  4  vor  i  entstandene 
Laut  keineswegs  überall,  wie  man  bis  jetzt  annahm,  in  einem  Laute 
zusammengefallen  sind,  ist  zweifellos.  Zu  dieser  Überzeugung  bin  ich 
schon  vor  einiger  Zeit  geftlhrt  worden,  als  ich  meinen  Beitrag  fllr 
Paul's  Grundriß  bearbeitete,  und  zwar  durch  den  Thatbestand  in  den 
heutigen  Mundarten: 

1.  Schmoll  er  verzeichnet  aus  dem  von  ihm  bearbeiteten  Gebiete 
sieben  verschiedene  Entsprechungen  für  nhd.  du^  d.  h.  6Xr  den  Umlaut 
von  ü,  dessen  ältere  Stufe  ich  mit  Brenner  durch  u  wiedergeben  will; 
für  den  alten  Diphthong  tu  zählt  er  16  mundartliche  Vertretungen 
auf;  vgl.  die  Mundarten  Baierns  N''  164—170  und  246—261.  Von 
diesen  lasse  ich  N*  168  bei  Seite,  das  ich  nicht  recht  zu  beurtheilen 
weiß;  femer  N*  251  und  256,  weil  u  kaum  unter  den  gleichen  Bedin- 
gungen auftreten  dürfte,  unter  denen  hier  iu  erschien.  Dann  bleiben 
für    iu    14t  f    fttr   tt   6  Entsprechungen.     Theilweise   nun    fallen    diese 


248  O.  BEHAOHEL 

beiden  Reihen  zusammen:  alle  die  Laute,  die  altes  u  fortsetzen,  be- 
gegnen auch  als  Vertreter  von  altem  iu;  vgl.  N*  164  mit  247, 
165  mit  249,  166  mit  250/  167  mit  252,  169  mit  253,  170  mit  255 
und  261.  Dagegen  sind  sieben  heutige  Laute  nur  Nachkommen  von 
iti,  nicht  von  ü;  vgl.  N'  246,  248,  254,  257,  258,  269,  260. 

2*  Aus  den  Darlegungen  von  Kauffmann  (der  Voealismus  des 
Schwäbischen  in  der  Mundart  von  Horb  S.  23  und  24)  ergibt  sich, 
daß  altes  ü  im  Schwäbischen  durchaus  zu  ei  geworden,  während  iu 
theils  als  m,  theils  als  ei  erscheint. 

3.  In  einem  Theile  des  Westmitteldeutschen  —  keineswegs  im 
ganzen  Mitteldeutschen,  wie  meist  gelehrt  wird  —  ist  iu  mehrfach 
zu  ü  geworden  und  wird  heute  durch  au  vertreten;  daneben  erscheint 
es  in  den  gleichen  Mundarten  auch  als  äu  {aiy  ei).  Für  u  begegnet 
nur  äu  mit  seinen  Nebenformen. 

2.  und  3.  ergeben  sich  theilweise  schon  aus  dem  von  Schmelier 
Gesagten. 

Daß  aus  den  Reimen  der  mhd.  Dichter  sich  irgend  ein  Anhalt 
gewinnen  lasse,  um  das  Verhältniß  von  iu  und  ü  zu  beurtheilcD, 
möchte  ich  bezweifeln.  Zur  Probe  habe  ich  darauf  hin  die  ersten 
10000  Verse  Gotfrieds  durchgesehen.  Hier  finden  sich  nur  zwei  Reime 
von  iu  auf«  (t^),  nämlich  stiure  :  aventiure  2419,  tiure  :  aventiure  8660. 
Daraus  kann  aber  nichts  geschlossen  werden,  denn  Wörter  mit  iu 
und  u  Bind  im  Reime  überhaupt  selten:  u  begegnet  nur  in  dem  Aus- 
gang 'iure,  und  zwar  wird  dieser  fast  ausschließlich  durch  Substantiva 
mit  der  französischen  Endung  -ure  gebildet,  vgl.  v.  919,  1607,  1991, 
1997,  3267-70,  4185,  4271,  4339,  4577,  6651*).  Mit  altem  iu  be- 
gegnet der  Ausgang  -iure  nur  1115,  8989,  9023.  Ferner  findet  sich 
'tu  V.  1459,  2945,  7151;  -iuhet  3431;  -iute  2696,  2775,  6779,  8803, 
9523;  -iuwe  219,  1789-92,  4155,  5034,  9559. 

Dagegen  hat  nun  Brennet  gezeigt,  daß  eine  Scheidung  von  iu 
und  ü  auch  aus  mittelalterlichen  Schreibungen  deutlich  hervorgeht 
Schon  vor  ihm  aber,  was  Brenner  entgangen  ist,  hat  Leitzmann  die 
gleiche  Wahrnehmung  für  das  Alemanische  des  badischen  Oberlandes 
gemacht:  in  Grieshabers  Predigten  wird  altes  iu  durch  m,  altes  u 
durch  u*  dargestellt  (Beitr.  14,  493).  Ich  verweise  femer  auf  zwei 
umfangreiche    bairische  Texte.     Erstens    die   von  Schönbach    heraus- 


^)  Wie  Torsichtig  man  sein  muß,  wenn  man  fremde  Eigennamen  für  laat- 
geschichtliche  Untersuchungen  verwerthen  will,  zeigt  der  Gebrauch,  den  GK>tfi-Ied 
▼on  dem  Namen  Blancheflenr  macht:  es  reimt  meist  auf  -iure  (9t9,  1607,  1991,  4185f 
4217,  4329);  daneben  wird  es  gebunden  auf  amur  1369,  auf  erßtar  IS83. 


MHD.  iu  UND  u.  249 

gegebenen  Oberaltacher  Predigten.  Hier  wird  tu  durch  das  Zeichen 
iu  wiedergegeben,  seltener  durch  eu,  dies  letztere  meist  im  Pronomen 
der  2.  Pers.  Plur.:  es  mag  sein,  daß  im  einsilbigen  Worte  sich  tu 
früher  zu  eu  gewandelt  als  im  mehrsilbigen.  Für  ü  erscheint  in  dem 
von  mir  durchgeprüften  Stücke  (S.  121 — 173)  das  Zeichen  iu  nur  in  ' 
diuehten  153,  3,  gediuht  153,  40,  eu  nur  in  cheusch  129,  38;  chreutz 
1Ö3,  4;  sonst  werden  für  den  Umlaut  die  beiden  Zeichen  ii  und  ceu 
verwendet;  einmal  begegnet  u:  bedtäet  125,  26.  Zweitens  die  von 
Keller  veröffentlichten  Gesta  Romanorum:  iu  erscheint  hier  als  eu 
(eiw)y  ü  als  ceu. 

Als  Störenfried  tritt  nun  das  Wort  Leute  auf.  Es  wird,  wie  in 
Brenners  Quellen,  so  auch  in  den  von  mir  genannten  stets  mit  dem 
Zeichen  geschrieben,  das  sonst  dem  Umlaut  gilt.  Es  gibt  aber  noch 
einige  andere  Wörter,  die  in  der  älteren  Sprache  den  Diphthong 
iu  aufweisen  und  doch  die  gleiche,  anscheinend  regelwidrige  Schrei- 
bung zeigen  wie  Leute.  Leitzmann  nennt  aus  Grieshabers  Predigten 
die  Wörter  hetuHeriy  entu* sehen  ^  erhöhtet.  Für  diutaeh  bietet  Brenner 
selber  einen  Beleg  der  Schreibung  doButsch^  ohne  freilich  Gewicht 
darauf  zu  legen;  beduien  bezw.  bedceuten  ist  in  Schönbachs  Predigten 
oft  genug  belegt  (z.  B.  121,36;  122,21;  122,24;  122,27;  122,36. 
37.41;  125,27;  129,  20;  130,  38;  139,16;  142,30),  ebenso  in  den 
Gesta  (S.  7,  Z.  2  v.  u. ;  8,  3;  16,  15  v.  u.;  31,  16  v.  u.);  auch  luch- 
tdn:  Iceuhten  begegnet  in  beiden  Quellen:  Predigten  144,27,  Gesta 
S.  2,  Z.  19  V.  u.;  8,  3  v.  u.;  9,  21.  Dazu  kommt  noch  aus  Brenners 
Belegen  geravtte.  Eine  eigenthümliche  Stellung  nimmt  das  Zahlwort 
neun  ein:  Leitzmann  gibt  zwei  Belege  für  die  Schreibung  niune,  zwei 
für  nu*nej  Brenner  bietet  ein  nceun  neben  zahlreichen  Belegen  für  den 
alten  Diphthongen;  die  Oberaltacher  Predigten  haben  sieben  Beispiele 
mit  iu  {eu)f  zwei  mit  u  (6u)  s.  unten;  die  Gesta  bieten  nawnden  (S.  17), 
nawneehenden  S.  31;  also  Belege  für  iu  wie  u.  Ich  bemerke  noch,  daß 
in  den  von  mir  durchgesehenen  Proben  mitteldeutscher  Mundart  ich 
weder  ftlr  Leide  noch  für  ein  anderes  der  genannten  Wörter  Formen 
mit  au  begegnet  bin  ^).  Wie  sind  nun  diese  auffallenden  Abweichungen 
zu  erklären? 

An  Entlehnung  ans  irgend  einer  anderen  Mundart  kann  unmög- 
lich gedacht  werden;  ebensowenig  ist  anzunehmen,  daß  u  für  iu  ein- 
getreten   nach    Analogie    irgend    welcher    danebenstehenden    Wörter 


')  DurehiauelUf    erUmeht   kl^nnan  Analogiebildungen   »ein   bo  gut    wie   k^4  — 
IdrU,  gekdrt  •-  geldrt. 


250  O.  BEHAGHEL,  MHD.  iu  UND  ü. 

mit  ü.  Daß  der  dem  Vocal  nachfolgende  Consonant  nicht  die  Ursache 
der  Veränderung  sein  kann,  wird  für  bedeuten,  deutsch^  Leute,  Gereute 
durch  heute  bewiesen,  das  stets  mit  dem  Zeichen  erscheint,  das  dem 
alten  Diphthong  zukommt  (vgl.  Oberaltacher  Predigten  121,  3;  124,  8; 
131,23;  132,8;  132,20;  133,8;  144,5.  37;  156,23;  160,16;  161,6; 
173,  24).  Für  neun  durch  Freund,  von  dem  das  Gleiche  gilt  (vgl.  Ober- 
altacher Pred.  124,  27;  125,9.  13.  14.  15.  24;  126,9.  11;  127,  16; 
129,  7.  9).  Für  leuchten  freilich  stehen  mir  keine  Gegenbeweise  zu 
Gebote.  Daß  das  Nebeneinander  von  ein-  und  mehrsilbigen  Formen 
keinen  Einfluß  auf  die  Entwicklung  des  alten  lu  gehabt  haben  kann, 
zeigt  wieder  'die  Form  Mute  neben  heduten.  Es  bleibt  anscheinend 
nur  der  von  Brenner  vorgeschlagene  Ausweg.  Man  müßte  dann 
überall  ahd.  Nebenformen  mit  4  annehmen,  die  zu  den  Formen  mit 
lu  im  Ablautsverhältniß  stünden.  Aber  auch  dieser  Auffassung  stehen 
große  Bedenken  im  Wege.  GraflF  verzeichnet  über  200  Belege  für 
den  Stamm  Hut-,  für  die  Stämme  diut-  und  ninn-  je  etwa  30,  gegen 
50  für  den  Stamm  Huht-,  gegen  20  für  den  Stamm  riut-,  zusammen 
also  etwa  330 Belege  für  iVStämme.  Dem  gegenüber  steht  ein  Beleg 
von  lut-,  den  ich  nicht  nachprüfen  kann,  ein  Beleg  von  dw<-,  zwei 
Belege  für  nun-,  einer  für  luht-^  zwei  für  rut-,  von  denen  ich  einen 
wieder  nicht  nachprüfen  kann.  Drei  weitere  Beispiele  von  luht-  ge- 
hören dem  12.  Jahrh.  an;  für  luhtenty  das  Graff  aus  Willeram  anführt, 
bietet  Seemüller  nur  die  Lesart  luihtent.  Macht  zusammen  5 — 7  Bei- 
spiele ftlr  u  als  Stammvocal.  Hätten  nun  im  Ahd.  wirklich  die  ü- 
Formen  bestanden,  die  später  die  tw- Formen  gänzlich  verdrängt 
hätten,  80  wäre  es  ein  unbegreiflicher  Zufall,  daß  sie  in  unseren 
Quellen  nicht  häufiger  Bezeichnung  gefunden  hätten.  Dazu  kommt 
ein  eigenthümlicher,  von  mir  bis  jetzt  übergangener  Umstand,  der 
bei  Brenners  Annahme  keine  Erklärung  findet:  in  den  Oberaltacher 
Predigten  werden  die  Casus  des  Plurals  Leute  stets  mit  ti  oder  ceu 
geschrieben;  in  dem  von  mir  geprüften  Stück  zähle  ich  69  Belege. 
Dagegen  der  Sing,  erscheint  stets  mit  iu:  148,  36;  151,  15;  156,  25; 
157,  23.  26;  162, 39;  165, 17;  172,  31  =  8  Beispiele;  doch  wohl  genug, 
um  die  Annahme  eines  Zufalls  auszuschließen.  Gerade  so  vertheilt 
sind  die  iVFormen  und  die  tJ-Formen  bei  der  Zahl  neun:  es  beißt 
niune,  niunzic:  124,24;  124,31;  125,4  (je  zwei  Beispiele);  125,29. 
Dagegen  die  noun  158,  3;  die  nüne  158,  6* 

Wollte  man  ü  in  den  beiden  Wörtern  auf  ahd.  ü  zurückführen, 
so  müßte  ein  uralter  Wechsel  des  Aocents  zwischen  Singular  und 
Plural  von    Hut   und  niun  angenommen  werden.    Einen  solchen  kennt 


G.  EHBISMANN,  EINE  HANDSCHRIFT  DES  PFAFFEN  AMIS.  251 

ja  nun  allerdings  das  Indogermanische  beim  Neutrum  (Job.  Scbmidt, 
die  Pluralbildungen  der  indogermanischen  Neutra  S.  147).  Allein 
erstens  ist  nicht  erwiesen,  daß  Hut  im  Indogerm.  Neutrum  war; 
zweitens  ist  zweifelhaft,  ob  es  schon  im  Indogerm.  einen  Plural  Leuie 
gab,  da  das  Wort  als  Collect! v  ursprünglich  wohl  nur  einen  Singular 
besaß  (Schmidt  a*  a«  O.  S.  28);  drittens  wäre  es  höchst  merkwürdig, 
wenn  jener  vorgeschichtliche  Wechsel  sich  bis  in's  Mhd.  hinein  be- 
wahrt  hätte,  während  im  übrigen  Germanischen  keine  Spur  davon 
erhalten  ist. 

Welche  Eigenschaft  ist  denn  nun  den  Wörtern  bedeuten,  deutsch, 
Gereute,  leuchten  gemeinsam,  welche  Eigenthümlichkeit  lag  in  Leute 
und  neune  vor,  während  sie  bei  neun  und  dem  Sing,  von  Leute  fehlte? 
Nichts  Anderes  als  das  ursprünglich  der  Stammsilbe  folgende  i  (j): 
diutjan,  diutieCj  gariuti  etc.  Und  wir  müssen  offenbar  annehmen,  daß, 
wie  nicht  nur  u  zu  o  gebrochen  wurde,  sondern  auch  iu  vor  folgendem 
u  sich  zu  io  wandelte,  so  auch  nicht  nur  u  zu  ü,  sondern  auch  iu  zu 
iü  umlautete.  Daß  aber  iü  sehr  leicht  zu  ü  werden  und  so  mit  ü  aus  ü 
vor  i  zusammenfallen  konnte,  liegt  auf  der  Hand. 

Es  kann  nicht  verwundern,  wenn  der  lautgesetzliche  Stand  der 
Dinge  mehrfach  durch  Ausgleichungen  zerstört  ist.  Z.  B.  sollte  es 
heißen  ziuhu,  aber  ziühit,  also  bair.  ziuhe  —  zceuhet]  es  hat  aber 
der  Vocal  von  ziuhe  und  vom  Imperativ  ziuh  den  Sieg  über  den  Vocal 
von  ziiihes  —  ziühet  davongetragen.  Ebenso  hat. sich  etwa  tiüri  nach 
tiuresy  tiuro  umgestaltet. 

QIE88EN,  Juli  1889.  O.  BEHAGHEL. 


EINE  HANDSCHRIFT  DES  PFAFFEN  AMIS. 


Die  Perg.-Hs.,  deren  Eingang  durch  ein  Versehen  schon  in  Band  33, 
S.  46  abgedruckt  worden  ist,  wurde  von  den  Herren  Rector  Schmid 
und  Professor  Einert  in  Arnstadt  gefunden  als  'Umschlag  einer 
Rechnung  des  Amtes  Clingen,  Schwarzburg-Sondershausen,  vom 
Jahre  1513 — 14.  Die  genannten  Herren  hatten  die  Güte,  mir  eine 
Abschrift  zuzusenden.  Mit  ihrer  Erlaubniß  gebe  ich  die  folgenden 
Bemerkungen. 

Der  Dialect  ist  nd.  Schon  die  Übertragung  in  eine  andere 
Mundart    veranlaßte    eine  Menge  Änderungen    des   ursprünglich   obd. 


252  G.  EHRISMANN,  EINE  HANDSCHRIFT  DES  PFAFFEN  AMIS, 

Textes«  Der  Schreiber  verfuhr  aber  auch  sonst,  wo  jener  Grund,  nicht 
vorlag,  mit  der  Überlieferung  sehr  willkürlich  und  hat  diese  nach 
Belieben  umgestaltet.  Die  auffallendsten  Änderungen  bilden  die  drei- 
fachen Reime,  welche  er  da  anbrachte,  wo  ihm  in  der  Darstellung 
eine  Pause  geboten  schien.  Zu  dem  vorhandenen  Reimpaare  machte 
er  einfach  einen  neuen  Vers  hinzu,  den  er  entweder  zwischen  die 
beiden  ursprünglichen  einfügte  oder  auf  sie  folgen  ließ.  Es  sind  nur 
bedeutungslose  Flickverse,  die  nicht  für  die  dichterische  Fähigkeit 
ihres  Verfassers  sprechen. 

Da  die  Außenseite  der  Blätter  mehrfach  verwischt  igt,  auch  der 
Verfertiger  des  Umschlags  diese  für  seine  Zwecke  vielfach  zerschnitten 
unxl  dann  zusammengeklebt  hat,  so  sind  nur  etwa  900  zum  Theil 
verstümmelte  Verse  vorhanden,  die  zwischen  V.  1  und  2237  fallen. 
Den  Schwank  von  der  Messe,  Nr.  X  bei  Lambel,  hat  der  Abschreiber 
wahrscheinlich  schon  in  der  Vorlage  nicht  mehr  vorgefunden,  da  diese 
Oeschichte  in  der  Gruppe,  welcher  unsere  Hs*  angehört,  übergangen 
wurde.  Die  Hs.  gehört  nämlich  zu  jener  Umarbeitung,  welche  Lambel 
in  der  Einleitung  (Erzählungen  und  Schwanke  ^^  S.  15)  bespricht. 
Das  ergibt  sich  schon  aus  der  Stellung  der  Erzählung  Nr.  VIII,  welche 
auf  Nr.  V  folgt.  Ferner  fehlen  wie  in  GHK  (Benecke's  Bezeichnung): 
V.  277  und  278,  709—714,  913  und  914;  es  stehen  =  GHK  gegen 
R:  V^  227  und  228  sowie  1552***.  Auch  die  Übereinstimmungen  im 
Wortlaut  zwischen  unserer  Hs.  mit  GHK  gegen  R  sind  so  zahlreich, 
daß  an  einer  gemeinsamen  Vorlage  nicht  gezweifelt  werden  kann. 
Dagegen  ist  ihr  Verhältniß  innerhalb  der  Gruppe  GHK  nicht  mit 
Sicherheit  zu  bestimmen.  An  einigen  Stellen  stimmt  sie  mit  R  gegen 
GHK;  ein  paarmal  hat  sie  mit  HK  gemeinsame  Fehler.  Von  Wichtig- 
keit ist  die  Entscheidung  dieser  Frage  nicht,  da  die  Hs.  überhaupt 
für  die  Kritik  entbehrlich  ist;  Lambels  Text  wird  durch  ihre  Bei- 
Ziehung  nirgends  geändert.  Mit  der  Straßburger  Hs.  (v.  d.  Hagens 
Grundr.  S.  353)  und  den  Drucken  (Zs,  9,  400  und  30,  376)  steht  sie 
in  keinem  Zusammenhang. 

PFORZHEIM.  GUSTAV  EHMSMANN. 


A.  GOMBERT,  BEMEBKUNOEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.     253 

BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTER- 
BUCHE. 

Bd.  VII,  Lief.  10  {Pflaaterung  bis  Platz). 


Die  folgenden  kleinen  Bemerkungen  zn  einer  der  neueren  Lieferungen 
des  Grimmseben  Wörterbucbes  bedürfen  um  so  weniger  einer  längeren  Recbt- 
fertigung,  als  eine  gleicbartige  der  folgenden  Lieferung  desseiben  Bandes 
gewidmete  Betrachtung,  zu  Neujabr  1889  im  Anzeiger  der  Zeitschrift  für 
deutsches  Altertbum  veröffentlicht,  über  Ziel  und  Zweck  dieser  Bemerkungen 
das  Erforderliche  ausspricht.  Beide  Zusammenstellungen  sind  nach  gleichen 
Gesichtspunkten  und  unter  Benutzung  etwa  derselben  Quellen  'gemacht ;  sie 
werden  sich  daher  in  ihrem  Werthe  nicht  von  einander  unterscheiden  und 
sich  auch  darin  gleichen,  daß  sie  neben  erwünschten  Ergänzungen  oder 
Berichtigungen  manches  Entbehrliche  bringen.  Daß  in  den  Bemerkungen  den 
Fremdwörtern  viel  Platz  eingeräumt  ist,  liegt  hauptsäehlich  an  dem  Buch- 
staben P.  Man  wird  aber  finden,  daß  ich  nur  auf  solche  Fremdwörter  ein- 
gegangen bin,  die  entweder  bei  Lexer  selber  Erwähnung  gefunden  haben 
oder  eine  Beachtung  aus  dem  Grunde  zn  verdienen  scheinen,  weil  sie,  wenig- 
stens nach  meiner  Überzeugung,  dem  weiteren  Kreise  der  Gebildeten  ge- 
läufiger sind  als  andere  sprachlich  oder  begrifflich  naheliegende,  welche 
Lexer  übergangen  hat.  Die  mehrfach  hervortretenden  Hinweise  auf  den  nord- 
deutschen Sprachgebrauch  wird  man  mir  so  wenig  übel  nehmen^  wie  ich 
Lexer  einen  Vorwurf  daraus  mache,  daß  er  diesen  Sprachgebrauch  weniger 
eingehend  behandelt.  Mit  dem  Landschaftlichen  hängt  das  Yolksmäßige  eng 
zusammen,  und  wenn  dies  letztere  ohne  Schminke  vorgeführt  werden  sollte, 
so  war  einiges  Derbe  oder  auch  Schwankhafte  nicht  wohl  zu  vermeiden. 
Abweichend  von  früheren  Besprechungen  des  DWb.  habe  ich  diesmal  mehr- 
fach auf  Sanders  hingewiesen,  der  im  Grimmschen  Werke  wohl  kaum 
genannt  wird.  Seine  und  seiner  Gehilfen  Sammlungen  sind  offenbar  zum 
deutschen  Wörterbuche  ebensogut  zu  benutzen  wie  die  anderer  Sammler, 
und  es  erscheint  sogar  als  Pflicht^  das  in  seinen  Wörterbüchern  enthaltene 
Brauchbare  auch  für  das  Grimmische  Wörterbuch  zu  verwerthen.  Am  wirk- 
samsten würde  dies  natürlich  in  der  Art  auszuführen  sein,  daß  für  die  noch 
nicht  im  DWb.  bearbeiteten  Buchstaben  des  .Alphabets  ein  einfach  nach 
den  Anfangsbuchstaben  geordnetes  Yerzeichniß  der  bei  Sanders  aufgenom- 
menen zusammengesetzten  Wörter  angelegt  würde,  die  sich  ja  wegen  der  von 
Sanders  gewählten  Anordnung  nach  dem  Anlaut  der  Stammsilbe  leicht  verstecken. 
Wem  aber  sollte  man  diese  zeitraubende  und  vielfach  durch  dürres  und  werth- 
loses  Gestrüpp  führende  Wanderung  zumuthen  ?  Die  Bearbeiter  des  Deutschen 
Wörterbuches  haben  in  der  That  Besseres  zu  thun.  Aber  man  beklagt  ja, 
wenigstens  in  Preußen,  die  Überzahl  von  jungen  Philologen^  die  bei  einem 
halben  Dutzend  wöchentlicher  Lehrstunden  immer  noch  viel  Muße  haben, 
selbst  wenn  sie,  wie  ich  annehmen  will,  daheim  mit  Eifer  in  die  großen 
Geheimnisse  der  Ziller-Stoyschen  Lehrweisheit  einzudringen  suchen.  Würde 
GEBHANTA.    Neue  Seihe  XXII.  (XXXIV.)  Jahrg.  17 


354  Af  ^OM^EBT 

die  bezeichnete  Arbeit  auf  ein  halbes  Dutzend  geeignete  angehende  Gym- 
nasiallehrer vertheilt,  so  könnte  sie  rasch  ausgeführt  sein,  vielleicht  nnent- 
geltÜDh,  vielleicht  gegjen  eine  in  diesem  Falle,  wie  ich  glaube,  ebenso  will- 
kommene wie  wohlverdiente  Entschädigung.  Am  Riemen  lernt  der  Hund  be- 
kanntlich Leder  fressen;  es  ist  daher  nicht  unwahrscheinlich,  daß  einer  oder 
der  andere  der  so  ziinäßhst  in  Handlangerdiensten  für  das  Deutsche  Wörter- 
buch Beschäftigten  später  auf  gleichem  Felde  selbständig  fortarbeiten  würde. 
Doch  das  sind  weiterführende  Gedanken.  Näher  liegt  es,  daß  ich  mich 
wegen  der  Breite  entschuldige,  die  in  der  Vorführung  mancher  Belege  herrscht. 
Durch  kurze  Angabe  von  Stichwort  und  Fundstelle  würde  sich  der  Inhalt 
dar  foigendep  Bemerkniigen  auf  sehr  viel  kleinerem  Baume  geben  lassen; 
aber  es  ist  doch  gewiß  manchem  Leser  erwünscht,  einen  gebotenen  Beleg 
gleicib  im  Susgammenhange  zu  sehen,  und  die  Wenigsten  werden  alle  hier 
genaiiaten  Qudilen  bequem  zum  Nachschlagen  bei  der  Hand  haben.  Ich 
wenigstens  habe  nicht  selten  b^  ähnlichen  mir  zugegangenen  Sammlungen 
den  Zusammenhang  einer  kurz  angedeuteten  Stelle  mit  Bedauern  vermißt, 
zumal  da  sich  gegen  die  richtige  Auffassung  und  begriffliche  Einordnung  eines 
Wortes  öfters  Badenkea  erheben,  die  ohn^  Konntniß  des  Zusammenhanges 
«CH^ht  4U  lösen  sind.  Ein  Beispiel  für  diesen  Fall  findet  man  später  unter 
Pichelei  gegeben.  DaA  endlich  allen  im  Folgenden  gemachten  Ausstellungen 
die  vollste  und  dankbarste  Anerkennung  der  auch  in  der  besprochenen  Liefe- 
rung des  Wörterbuches  vorzüglichen  Leistung  Lezers  zu  Grunde  liegt,  sei  für 
mit  der  Sache  weniger  bekannte  Leser  hiermit  ausdrücklich  ausgesprochen; 
lür  I/ezev  selbst  bediuf  es  solcher  Versicherung  nicht  mehr* 


Pflaume.  Sachs  im  Encyd.  Wb.  2,  1320^  erinnert,  daß  das  Wort 
bei  Soldaten  so  viel  wie  Erinnerangszeichen  oder  Medaille  bedente. 
Dieser  Sprachgebrauch  ist  mir  aus  früherer  Zeit  allerdings  sehr  be- 
k(ipnt,  doch  eben  nur  in  Anwendung  auf  die  DenkmUnzen  für  1813, 
1814,  1815;  die  ent«prechepden  Zeichen  seit  1864  habe  ich  picht  mehr 
80  nennen  hören.  Pflaume  im  weiteren  Sinne  von  Obstfrucht  steht 
in  Fröhlicfas  Gedicht  Ellengröße: 

Die  Pappel  sprach  zum  Bäumchen: 
Was  machst  du  dich  so  breit 
Mit  den  gering^en  Pfläumchenf 

Pflaumenbauer  (fehlt)  ist  eine  in  ganz  Schlesien  übliche  als 
beleidigend  geltende  Bezeichnung  des  Bauern.  Dieselbe  muß  aus* 
gegangen  sein  von  den  selbstbewußten  Groß-  oder  Getreidebauern, 
welche  auf  ihre  geringeren  Standesgenossen,  die  anstatt  ausgedehnter 
Getreidefelder  nur  einen  beschrilnkten  Fleck  um  ihr  Haus  zum  Obst- 
ader Gemüsebau  besaßen,  die  sog.  Gärtner  (DWb.  4,  1,  1,  1422), 
spottend  herabsahen.  Vgl.  die  entsprechenden  Ausdrücke  Kraut- 
junker, Putenjunker  (dies  wird  von  Sanders  nicht  richtig  erklärt) 
und  Zwiebeljunker  (J.  G.  Müller  {:mmerich  6,  330), 


BElfERKÜKQEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖBTEBBÜCHE.  255 

Pflaamenkern  als  Sinnbild  des  Werthlosen  bei  Jean  Paul 
Hesperas  98  (HpL) :  Dürfen  mir  denn  die  Kantianer  aneiiinen^  daß  ith 
das  kleine  Büd  der  schönsten  besten  Gestalt  ....  zum  Fenster  hinausujerfe 
wie  Äpfelschalen  und  Pflaumenkernef  Das  mit  Pflaamenkern 
gleichbedeutende,  in  niederdeutseher  Qegend  sehr  übliche  Und  dem- 
entsprechend auch  bei  Campe  (desgl.  bei  Heinsius,  Heyse,  Sattders> 
Sachs -Villatte)  rerzeichnete  Wort  Pflaumenstein  wird  übergangen. 
Hierbei  sei  auch  erw&hnt  der  in  einfach  ländlichen  Verhältnissen 
Norddeutschlands  vorkommende  Pflaumensteinbeutel  odKf,  wie 
man  ihn  auch  abkürzend  nennt,  Pflaumenbeutel,  d.  h.  ein  leinenes 
Säckchen  mit  Pflaumensteinen,  das  erhitzt  alten,  kranken  oder  frie- 
renden Leuten  in  Ermangelung  oder  anstatt  der  Wärmflasche  ins 
Bett  gelegt  wird.  Übergangen  ist  auch  der  Pflaumen  schmeiß  er, 
die  Bezeichnung  filr  einen  derben  ungezogenen  Jungen;  ich  habe  das 
Wort  in  der  Provinz  Sachsen  und  im  westlichen  Theile  der  Provinz 
Brandenburg  (Westharelland)  gehört,  gedruckt  nur  bei  Sachs -Villatte 
gefunden,  der  es  übrigens  mit  bretailleur,  fanfaron  wiedergeben 
will;  ich  müßte  es  hingegen  durch  polisson  oder  butor  übersetzen. 
Ob  mit  dem  Worte  ursprünglich  der  unbefugterweise  in  die  Pflaumen« 
bäume  Werfende  bezeichnet  werden  soll  oder  eine  andere  Bei^iehung  zu 
Grande  liegt,  weiß  ich  nicht  zu  sagen.  Pflaumenschütteln  gebraucht 
Stoppe  Parnaß  im  Sattler  384  (1735)  in  einem  Gedicht  'auf  die  Ein- 
weihung eines  neuerbauten  Zeltbettes  eines  guten  Freundes^,  als  Bild 
des  sinnlichen  Liebesgenusses: 

Kein  Wunder  war  es,  daß  dir  hie 
Van  lanäer  Pflaumenschütteln  träumte. 
Die  voraufgehenden   und   folgenden  Worte    Stoppes   lassen  über  deü 
Sinn  der  Wendung  keinen  Zweifel;    ihm   ist   das  Bild  überhaupt  ge- 
läufig; Tgl.  Teutsche  Gedichte  1,  9  (1728): 
ja  fliehet  immerhin 
In  den  vergnügten  Stande  um  den  ihr  euch  So  dränget, 
Der  eurer  Rechnung  nach  voll  süßer  Pflaumen  hänget. 
Der  Pflaumentoffel,  aus  Stoppes  Parnaß  belegt,   findet  sich  auch 
einige  Jahre  vorher  in  dessen  Teutschen  Gedichten  2,  21: 
Haf  Pflaumentoffels  Butte 
War  viel  zu  eng  und  schwach,  von  meiner  Fröligkeit 
Auch  nur  den  vierdten  Theil  in  ihren  Raum  zu  nehmen. 
Pflegamt,  aus  Hederich  (1729)  belegt,  steht  schon  bei  Schottel 
495*  (1663):  Pflegamt^  so  ein  Reichspfleger  oder  Reichsvogt  Vor  diesem 
in  den  Reiehsstädten  gehest    Das  Wort  wird  wohl  in  die  älteste  ähd. 

17* 


256  ^  GOMBEKT 

2ieit  zoröckreicheD,  während  im  mfad.  dafür  das  auch  später  noch 
fibliche  einfache  pflege  gebraucht  wird.  Za  pflegen  mit  d.  Gen. 
im  Sinne  von  treiben,  womit  umgeben  (I  1^  Sp.  1738)  vermißt  man 
neben  der  Stelle  aus  Aventin  die  weit  bekanntere  aus  1  Mose  18, 
12:  nu  ich  aÜ  bin^  äol  ieJi  noch  woUust  pflegeUj  und  mein  Herr 
auch  aU  ist? 

Vermißt  wird  Pfleg[e]8tatt  oder  Pfleg[e]stättey  ein  heute 
sehr  beliebtes  Wort,  das,  wie  es  scheint,  ganz  unentbehrlich  ist^  wenn 
eine  höhere  Schule  eingeweiht  oder  ein  ruckblickendes  Erinnerungs- 
fest. solcher  Anstalt  gefeiert  wird;  vgl.  Zs.  f.  Gymn.  Wesen  40,  700 
r]887):  Pflegstätte  königstreuer,  deutscher  und  christlicher  Gesinnung; 
Pflegstätte  ernster  WissenscJiafilichkeit;  ebd.  701:  Pflegstätte 
geistiger  Bildung  und  Gesittung  und  704  Pflegstätte  der  Bildung  und 
Wissenschaß.  Ebenso  Grenzboten  1887,  4,  125  (vom  13.  Oct.  1887): 
Wenn  noch  Jemand  daran  zweifeln  wollte,  daß  die  deutschen  Gymnasien 
wahrhafte  Pfleg  statten  des  deutschen  Geistes  sind^  so  wurde  es  erlaubt 
sein^  sich  auf  das  Ansehen  des  Reichskanzlers  zu  berufen,  der  mehr  als 
einmal  der  deutschen  Jugend,  und  ganz  besonders  der  studierenden,  das 
glänzendste  Zeugnifi  ausgestellt  hat.  Pflegeschwester  fehlt  in  beiden 
mir  bekannten  Bedeutungen:  1.  eine  zur  Pflege  von  Leidenden  verordnete 
Schwester  (eines  geistlichen  Ordens  oder  eines  entsprechenden  Vereins). 
2.  ein  neben  einem  Sohne  angenommenes  weibliches  Pflegekind;  vgl. 
Immermann  Epigonen  201  (Becl.)  Ihr  Vetter  Ferdinand  hat,  ohne  es  zu 
wissen,  sein  Pflegeschwesterchen  geliebt.  Pflegewirth  steht  in 
Günthers  Lebensbeschr.  70  (1732):  Mein  neuer  Pflege-Wirth  erwieß 
mir  alle  Güte.  Zu  pflegsweis  wäre  auch  die  übergangene  von 
Schottel  461*  aus  Goldast  angeführte  Form  pflegersweis  hinzuzu- 
fögen. 

Zu  Pflicht  im  neueren  Sinne  des  Wortes  werden  sehr  reich- 
liche Beispiele  gegeben,  mit  Recht  auch  aus  Kant;  umsomehr  ver- 
misse ich  Hauptsätze  wie  Kant  Krit  d.  pr.  Vern.  108  (Kehrbach): 
die  Ehrwürdigkeit  der  Pflicht  hat  nichts  mit  Lebensgenuß  zu  schaffen; 
desgL  Goethe  19,  20  (Spr.  in  Prosa  2  u.  3):  Versuche  deine  Pflicht 
zu  thun,  und  du  weißt  gleich  was  an  dir  ist.  Was  aber  ist  deine  Pf  licht  f 
die  Forderung  des  Tages.  Die  volksmäßigen  Wendungen  von  der  ver- 
dammten oder  verfluchten  Pflicht  und  Schuldigkeit  sind 
vielleicht  mit  Absicht  fortgelassen  und  dem  Buchstaben  V  überwiesen; 
wenigstens  finde  ich  sie  in  dem  bis  jetzt  neuesten  Hefte  des  Wörter- 
buches (Bd.  12,  2,  Sp.  193  u.  344)  von  Wülcker  verzeichnet,  worauf 
gelegentlich  wird    zurückzukommen  sein.    Auffällig  aber  ist,   daß  die 


BEMERKUNOEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBÜCHE.  257 

Verbindung  «m^iy^icA^  abstatten  nicht  erwähnt  wird;  dementsprechend 
fehlt  auch  das  Wort  Pflichtab stattung,  das  wir  1732  in  J.  U.  Königs 
Widmung  vor  seiner  Ausgabe  der  Schriften  Bessers  finden:  wenigen* 
ein  Geschencke,  welcliea  hier  Euer  ExcelL  von  mir  gewiedmet  wirdj  als 
vielmehr  eine  Pflichtahstattung,  Das  unbelegte  Pf  licht  beflissen- 
heit  &teht  bei  Hermes  Manch.  Hermfton  2,  166.  Pflichtarbeit  ist 
wohl  ein  neues  Wort,  doch  heute  zumal  in  der  Mehrzahl  nicht  selten 
im  Sinne  von  Dienst-  oder  Amtsgeschäften.  Ein  Beleg  bei 
Wiese,  Lebenserinnerungen  und  Amtserfahrungen  2,  126:  Nach  langer 
Pflichtarbeit  durfte  ich  mich  noch  eine  gute  Weile  freigetvählten 
Studien  und  Beschäftigungen  hingeben,  Pflichtbar,  das  aus  d.  J.  1653 
nachgewiesen  wird,  steht  auch  in  einer  aus  d.  J.  1616  herrührenden 
Schrift  bei  Londorp  Acta  publica  2,  270^:  so  sey  der  PfaUzgraff 
pflichtbar  sich  des  Richterlichen  Ampts  zu  vnternemmen.  Pflicht- 
brüchig wird  aus  Ludwig  (1716)  und  Frisch  belegt;  Pflicht- 
brüchigkeit  fehlt,  findet  sich  aber  schon  1619  in  einem  Schreiben 
des  Grafen  Matth.  von  Thurn  bei  Londorp  2,  803:  hat  mir  gebüren 
wollen^  die  Frag  aufzugeben,  wei'  an  solcher  Pflicht  Briichtigkeit 
(so  im  Druck)  schuldig.  Pflichtbruch  und  pflichtbrüchig  vor 
Stieler  und  Ludwig  schon  bei  Schottelius  517*.  Pflichteifer  (Ger- 
vinus,  G.  Freytag)  Niemeyer  Grunds,  der  Erz.  3',  378  und  411  (1819): 
^Jöge  die  beßer  gewordene  äußere  Lage  vieler  Erzieher  und  Lehrer  sie 
nur  nicht  träger  und  bequ^emer  machen,  statt  jenen  unbedingten  Pflicht- 
eifer,  der  auch  die  Arbeit  im  Schweiße  des  Angesichts  nicht  scheut, 
desto  mehr  zu  beleben;  das  fehlende  Pflichtenkunde  bei  Jahn  Ges. 
Wke.  1,278  =  Volksthum  263  (1810):  Schrißen,  die  zur  Selbstbelehrung 
und  Bildungsvollendung  oder  zur  weiblichen  Pflichtenkunde  gehören; 
ebd.  2,  553 :  die  Gottesgelahrtheit  war  avf  die  Glaubenslehre  . . .  verküm- 
mert^ auf  Knifflickkeitslehre  ( Casuistik)  und  auf  Pfl ichtenkunde  nach 
ihrem  Äinw.  Pflichtergeben  (Tiecks  Übers,  von  Shakespeares  Cym- 
beline)  in  einem  Gedichte  Bessers  aus  d.  J.  1687  S.  685: 

Du  hast  sie  erst  erzeugt  av^s  Pflicht-ergebner  Treu, 
Avf  daß  nicht  dein  Geblüt  dem  Lande  möchte  fehlen. 
Daß  das  wohl  erst  in  unserer  Zeit  von  Lehrern  oder  Schulaufsehern 
gebildete  Pflichtfach  fehlt,  ist  kaum  ein  Mangel,  wenn  auch  die 
Absicht  löblich  ist,  hier  wie.  in  anderen  Verbindungen  das  fremde  Wort 
obligatorisch  durch  Pflicht  zu  ersetzen.  Beispiele  wären  zahl- 
reich zu  finden  in  den  Schriften,  die  sich  mit  der  angeblich  dringend 
nothwendigen  Umgestaltung  unserer  Gymnasien  beschäftigen ;  im  Hin- 
blick  auf  solche  Schriften   wird  das  Wort  dann  auch  in  dep  Grenze 


258  A.  GOMBERT 

boten  1888,  Nr.  9  (1.  Viertelj.,  S.  466)  gebraucht:  Zeichenunterricht 
bis  Obei*s€cunda  als  Pflichtfach,  in  Prima  nach  freier  Wahl;  ebd. 
Nr.  21  (2.  Viertel).,  S.  384  u.  385):  inrfew  die  Mathematik  noch  uner- 
heblich verstärkt,  Englisch  in  den  oberen  Glossen  und  Zeichnen  wenigstens 
bis  Obersecunda  als  Pflichtfach  eingeführt  werden  muß.  Vgl.  später 
Pflichtstunden.  In  diesem  besonderen  schalmäßigen  Sinne  haben 
wir  auch  das  Wort  Pflichtleistungen  (unerläßliche  Leistungen  in 
den  sog.  Pflichtfächern),  das  von  Lexer  nur  in  seiner  allgemeinen 
Bedeutung  aus  Haltaus  angefahrt  wird,  in  den  Grenzboten  1887  (4.  Viertel- 
jahrsschr.,  S.  125):  Sicher  ist  es  doch^  daß  Anregung,  Gelegenheit  und 
Muße  wie  für  die  Pflichtleistung  en^  so  auch  für  die  Pflege  besonderer 
Neigungen  gewahrt  wird.  Pflichtgehorsam  und  pflichtgehorsamst 
als  ein  früher  üblicher  Ergebenheitsausdruck  am  Schluße  von  Briefen 
hätte  Aufnahme  verdient;  vgl.  auch  Wieland  Horazens  Br.  1'  71 
(1782):  als  eine  Art  von  unterthänigen  pflichtgehorsamsten  Freunden. 
Pflichtgemäß  (Rabener,  Scheffel,  G.  Freytag)  sollte  nach  dem  Plane 
des  Wörterbuches  auch  aus  Goethe  belegt  werden:  pflichtgemäß, 
befehlgemäß  zu  handeln,  befördern  das  gemeine  Glück.  Maskenzüge, 
Bd.  11,  1,  325  (HpL). Pflichtgeschäfte  ist  wohl  ein  nicht  zu  seltenes 
Wort;  ich  begnüge  mich  mit  einem  Beispiel  aus  Johannes  v.  Müller, 
Bd.  30,  182  der  Ausg.  v.  1834  (Brief  vom  3.  Juni  1788):  Daß  ich 
die  Briefe  nicht  emsiger  beantwortet ^  kommt  sowohl  von  Pflicht- 
geschäften,  als  von  der  Nothwendigkeit,  mich  mit  einer  neuen  Lauf  bahn 
bekannt  zu  machen.  Pflichtgrundsätze  fehlt,  obwohl  es  Goethe  in 
Hans  Wursts  Hochzeit  gebraucht: 

Hab'  ihn  gelehrt  nach  Pflicht grundsätzen 
Ein  paar  Stunden  hintereinander  schwätzen. 
Pflicht  lieh,  zwar  auch  aus  dem  Mittelniederdeutschen  belegt,  ist 
jetzt  dem  Norden  Deutschlands  fast  fremdartig,  im  Süden  aber,  beson- 
ders im  Schwäbischen,  wie  die  Beispiele  aus  S.  Franko  Lavater,  Uhland, 
Kurz,  Mörike  und  der  Schwäbischen  Chronik  (Sanders)  zeigen,  ganz 
üblich.  Ich  füge  hinzu  Palmer  Evangel.  Pädagogik  ^275:  Menschen, 
die  pflichtlich  auch  in  das  schlechteste  Lustspiel  gehen  zu  müssen 
meinen.  Zu  Pflichtliebe  wäre  auch  pflichtliebend  zu  fügen 
aus  J.  G.  Müller  Emmerich,  5.  Theil,  372  (1788):  wenn  die  etlichen 
Dutzend  Menschen  auf  den  Thronen  sammt  und  sondern  gnügsamSj 
pflichtliebende  Menschen  wären.  Zu  pflichtlos  wäre  auch  das 
freilich  seltene,  doch  schon  von  Adelung  verzeichnete  Wort  Pflicht- 
losigkeit  zu  fügen,  das  Scherer  in  der  Litteraturgeschichte  3  ge- 
braucht: die  Freiheit  ihres  Lebens^  ihre  Pflicht-  und  Zuchtlos  ig  keit, 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  259 

ihre  Unfähigkeit  den  eigenen  Willen  zu  verleugnen,  (Freie  Übers,  von 
Cäsi^:  Cum  a  paeris  nullo  officio  aut  disciplina  assuefacti  nihil  om- 
nino  contra  volimtatem  faciant.)  Pflichtmäßig  wird  von  Lexer  aus- 
drttcklich  bis  zum  J.  1731  aufwärts  belegt;  darum  sei  auf  Basilius  Fabers 
Thesaurus  aus  d.  J.  1710,  S.  1622  verwiesen,  wo  das  Wort  als  Über- 
setzung von  obnoxie  auftritt;  ob  es  schon  in  den  früheren  Auflagen 
des  Buches  steht,  ist  mir  unbekannt.  Pflichtmäßigkeit  (aus 
Schillers  philos.  Sehr,  u.  W.  v.  Humboldts  Briefen  au  eine  Freundin 
belegt)  steht  1763  bei  Kant  Träume  eines  Geistersehers  63  (Rehrbach): 
die  Annehmlichkeit,  welche  die  Erweiterung  des  Wissens  begleäet,  wird 
sehr  leicht  den  Schein  der  Pfliehtmäßigkeit  annehmen,  Pflicht- 
rücksicht  fehlt;  vgl.  Hippel  Ehe  159  (Brockh.):  wenn  ihr  keine 
Pflichtrücksichten  zu  hechachten  habt.  Pflichtschuldig:  unter 
den  Wendungen  kanzleimäßigen  Briefstils  wäre  aus  dem  17.  Jhdt. 
auch  schon  zu  nennen:  ich  verharre  pflichtschuldigst,  was  wir 
z.  B.  am  Schluße  der  aus  dem  April  1688  herrührenden  Zuschrift 
Ph.  X  Speners  zu  seinen  Evangelienpredigten  des  J.  1687  finden. 
Pflichtstrenge:  Dahn,  Kampf  um  Rom  2®,  311:  Antonina  überbietet 
alle  Frauen  an  Pflichtstrenge.  Pflichtstunden,  neues  Schulwort, 
bedeutet  die  Anzahl  von  Stunden,  welche  ein  Lehrer  während  einer 
Woche  zu  ertheilen  verpflichtet  ist.  Man  sagt  also:  In  Preußen  hat 
ein  Oberlehrer  20,  ein  ordentlicher  Lehre9'  22  P/lichtstunden.  Das 
Wort  wird  in  neueren  amtlichen  Verfügungen  als  allgemein  bekannt 
gebraucht,  z.  B.  Centralblatt  für  die  Unterrichtsverwaltung  in  Preußen 
1878|  S,  488:  sofern  über  die  Anzahl  der  P/lichtstunden  nichts  ent- 
halten, so  treten  selbstverständlich  die  allgemein  geltenden  Bestimmungen 
ein;  ebenso  CircnUrveif.  vom  6.  April  1880:  wenn  sämmtliche  übrigen 
Lehrer  zur  voüen  Maximalzahl  der  Pflichtstunden  herangezogen  sind. 
Ebenso  steht  bei  Wiese  Höheres  Schulwesen,  3.  Aufl.,  besorgt  von 
O.  Kubier,  das  Wort  als  allgemein  bekanntes  Stichwort  im  Schluß- 
verzeichniß  und  im  Buche  selbst  Bd.  1,  34;  2,  260,  261,  263;  aber 
in  der  2,  261  angezogenen  Verfügung  vom  13.  Juli  1873  (CentralbL 
1873,  S.  457)  wird  der  Ausdruck  Pflichtstunden  noch  nicht  ge- 
braucht. Die  Prägung  und  der  häufige  Gebrauch  des  Wortes  ist  be- 
zeichnend für  unsere  Zeit,  in  welcher  Rechte  und  Pflichten  der  Lehrer 
bestimmter  umgrenzt  worden  sind  als  früher.  Herbere  Beurtheiler 
werden  vielleicht  schließen,  daß  seit  dieser  Zeit  die  Lehrer  viel  von 
der  ruhigen  und  behaglichen  Berufs freudigkeit  eingebüßt  haben  und 
ihre  Thätigkeit  vorzugsweise  als  eine  nicht  gerade  gern  geübte 
Pflicht   betrachten,     j^flichttheil    im   übertr.  Sinne  wird  nur  aus 


260  A.  GOMBEßT 

Gutzkow  belegt;  früher  steht  es  so  bei  Jahn  2,  629  (Volksthum  220) : 
Jedermann  im  Volk  muß  sein  Pflichttheil  an  der  Landesehre  hohen, 
Lust  nach  Last  und  Freud  nach  Leid,  Ttw.  Pflichttreue  (drei  Beisp. 
aus  ö.  Freytags  Bildern)  war  doch  zu  bemerken,  daß  das  Wort  von 
Adelung  noch  nicht  verzeichnet,  von  Campe  als  ein  neues  aus  Wolke 
belegt  wird.  Pflichtverkennung  gebraucht  Vilmar  Schulreden  *2 15 
als  gelinderen  Ausdruck  gegenüber  der  Pflichtvergessenheit: 
Zeugte  es  schon  von  Beschränktheit  und  Pflichtverkennung^  wenn 
er,..:  von  weit  schlimmerer  Beschränktheit  und  Pflichtvergessen- 
heit wik^de  es  zeugen,  wollte  er...  Auffallend  ist  das  Fehlen  von 
Pflichtversäumniß,  da  das  Wort  heute  doch  häufig  von  Lehrern 
mit  Beziehung  auf  ihre  Schüler,  von  Behörden  mit  Beziehung  auf 
Beamte  gebraucht  wird.  Die  Insjtruction  zum  preuß.  Kirchengesetz 
vom  30.  Juli  1880  unterscheidet  ausdrücklich  und  richtig  an  mehreren 
Stellen  zwischen  kirchlichen  Pflichtversäumnissen  und  Pflicht- 
verletzungen. Von  Pflichtwegen  verdiente  immerhin  Aufnahme, 
sollte  es  auch  nur  eine  Nachbildung  des  gewöhnlichen  von  Rechts- 
wegen sein.  s.  Kortum  Jobsiade  1,  104:  wenn  sie  nicht  etwa  von 
Pflichtswegen  den  alten  Herrn  mußte  wärmen  und  pflegen.  Auch 
Pflichtwidrigkeit  verdiente  Erwähnung;  es  scheint  in  unserer  Zeit 
wenigstens  häufiger  gebraucht  zu  werden  als  das  aus  Schiller  und 
W.  V.  Humboldt  belegte  Gegentheil  Pflichtmäßigkeit.  Ein  Beispiel 
bietet  eine  in  Löpers  Anmerkungen  zu  Goethes  Dichtung  und  Wahr- 
heit (Bd.  20y  368  der  Hempelschen  Ausg.)  abgedruckte  Mittheilung 
Kriegks:  gewisse  Pflichtwidrigkeiten,  welche  bei  Concurssachen  vor- 
gekommen waren;  desgl.  Schleiermachers  Predigt  am  Neujahrstage  1807 
(Predigten  *1,  282 :  daß  er  nichts  zu  besorgen  hätte  von  der  Rache  derei*^ 
die  im  Genuß  ihrer  Pflichtwidrigkeit  durch  seine  geudssenhafte 
Strenge  gestört  werden. 

Zu  pflücken  entbehrt  man  ungern  Usteris  einst  allgemein  ge- 
sungenes und  noch  jetzt  nicht  verklungenes 

Freut  euch  des  Lebens^  weil  noch  da^  Lämpchen  glüht. 

Pflücket  die  Böse,  eh  sie  verblüht! 
Rückerts  Vers:    Pflücke  Lust,    eh   sie   verblüht!   ist   sicher  nur  eine 
Erinnerung  an  Usteri  und  konnte  eher  fehlen. 

Pflug.  Bei  der  Angabe  der  mehrfachen  Verwendung  des  Pfluges 
hätte  es  auch  Erwähnung  verdient,  daß  in  früherer  Zeit  über  die 
Stätte  eines  völlig  zerstörten  Ortes  der  Pflug  gezogen  wurde  zum 
Zeichen,    daß    ein  Wiederaufbau    des   Ortes    nicht    stattfinden    sollte. 


BEMERKUNOEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  261 

Beispiele  dazu  wttren  reichlich  vorhanden;  eins  der  schönsten  ist 
sicher  das  bekannte  aus  Chamissos  Schloß  Boncourt: 

So  stehst  duy  o  Schloß  meiner  Väter, 

Mir  treu  und  fest  in  dem  Sinn, 

Und  biet  von  der  Erde  verschwunden, 

Der  Pflug  geht  über  dich  hin. 

Die  Wendung  hinter  dem  Pfluge  wird  durch  mehrere  passende 
Beispiele  belegt,  doch  für  Rückerts  in  seiner  Allgemeinheit  zu  wenig 
besagendes  Hinterm  Pßug  der  Bauer  sähe  ich  lieber  die  bekannten 
Zeilen  aus  Uhlands  Döffinger  Schlacht  : 

Noch  lange  traf  der  Bauer,  der  hinterm  Pfluge  ging. 
Auf  rostge  Degenklingen^  Speereisen,  Panzerring, 
Pflugart  bei  Bahrdt  Lebensbeschr.  2,  331:  Salis  versuchte  eine 
leichtere  Pflugart  ihnen  (den  Graubündnern)  bekannt  zu  machen^  aber 
sie  fuhren  fort^  mit  ihrem  centnerschweren  OeschiiT  und  vier  Pferden 
zu  ackern.  Pflugleine  (tibergangen)  nennt  man  die  zur  Leitung  des 
Pfluggespannes  gebrauchte,  etwa  16  Meter  lange  Leine,  von  der 
Dicke  einer  schwächeren  Zeug-  oder  Wäschleine.  Sie  unterscheidet 
sich  von  der  beim  Fahren  tlblichen  Kreuzleine  theils  durch  ihre  größere 
Länge,  theils  durch  die  Art  der  Befestigung  am  Gebisse  des  Leit- 
thieres.  Da  das  jedem  Landmann  oder  Kenner  ländlicher  Verhältnisse 
bekannte  Wort  auch  bei  Adelung,  Campe,  Heinsius,  Heyse,  Sanders 
fehlt,  so  mag  auf  ein  Beispiel  hingewiesen  werden.  F*  W.  Ziegler 
Ges.  Novellen  1,  189^  schildert,  wie  Jemand  in  einem  brandenburgi- 
schen Fenn  dem  Ertrinken  nahe  ist,  und  läßt  einen  Dazukommenden 
ausrufen:  Hat  denn  nicht  einer  einen  Strick  oder  eine  Pflugleine,  die 
man  ihm  um  den  Hals  schlingen  und  womit  man  ihn  dann  herausziehen 
könnte?  Pflug  mann  als  dichterische  Bezeichnung  des  Pflügers  wird 
aus  neuerer  Zeit  nur  durch  eine  Stelle  Gleims  belegt;  vgl.  Görres 
Athanasius  ^157  (1838):  Erkennt  ihr  nicht  den  starken  Pflug  mann, 
der  die  Pflugschar  über  seinen  Acker  in  Mitte  all  dieses  Unheils  führt, 
und  ihn  bestellt^  damit  er  tauglich  werde,  auch  dort  die  neuen  Saaten 
aufzunehmen,  die  er  ihm  bestimmt?  Hier  ist  natürlich  Gott  der  Pflug- 
mann. Pflugschar  zur  Bezeichnung  der  Friedensarbeit  im  Gegen- 
satze zum  Schwert,  als  dem  Sinnbilde  des  Elrieges,  wird  mit  passen- 
den Beispielen  belegt;  ungern  aber  vermißt  man  Körners  bekannte 
und  schöne  Zeilen :        . 

Zerbrich  diei  Pflugschar,   laß  den  Meißel  fallen,    , 
Die  Leier  Mill,  den  Webstuhl  ruhig,  stehn  I 


262  A.  GOMBERT 

Pflugwagen  (fehlt)  ist  eine  andere  Bezeichnung  des  Pfluggestells; 
s.  Voß  zu  Vergils  Landbau  '25  (1789):  Die  buchene  Stelze  ßihrte  der 
Pflüger  zur  Lenkung  des  Pflugwagens,  durch  welchen  die  Pflugschar 
flach  und  tief  gestellt  werden  konnte,  Pflug  zeit  (aus  Voß  und  Stolberg) 
steht  schon  1663  bei  Schottelius  440\  Pflugziehen  wird  aufgeführt; 
doch  ohne  Beleg;  ein  solcher  findet  sich  auch  nicht  unter  Pflug  4, 
Sp.  1777,  wohin  verwiesen  wird.  Unter  den  Arten  des  Pflugziehens 
wünscht  man  auch  das  als  Strafe  verhängte  verzeichnet  zu  sehen. 
Vgl.  Jahn  Ges.  Wke.  2,  370:  Das  Schwert  mußte  erst  entscheiden^  und 
als  der  Landgraf  Sieger  bliebe  die  Vornehmsten  der  Befehlshaber  gefangen 
nahm,  da  bestrafte  er  sie  durch  das  Pflugziehen, 

Ein  Wort  wie  Pforte  findet  natürlich  sehr  mannigfache  Anwen- 
dung, so  oft  nur  in  eigentlichem  oder  übertragenem  Sinne  von  einem 
Zugange  oder  Eingange  (gelegentlich  auch  vom  Ausgange)  geredet 
wird.  Neben  Uhlands  goldner  Pforte  des  Lebens  (d.h.  dem  glück- 
verheißenden Eingange  in  das  Leben)  würde  passend  die  dunkle 
Pforte  ihren  Platz  finden,  eine  nicht  seltene  Bezeichnung  für  Grab 
und  Tod.  Besonders  passend  erscheinen  hier  die  Zeilen  von  Salis 
aus  seinem  einst  vielgesungenen  Liede  *das  Grab'  (1783): 

Sonst  an  keinem  Orte 
Wohnt  die  ersehnte  Ruh; 
Nur  durch  die  dunkle  Pforte 
Geht  man  der  Heimat  zu. 
Unter    den    Beispielen    für  Pforte  im  Allgemeinen    fehlt  es  nicht  an 
bedeutungsschwachen;  für  dieselben  böte  besseren  Ersatz  Geibel  Spät- 
herbstbl.  151: 

Wollt  ihr  in  der  Kirche  Schoß 
Wieder  die  Zerstreuten  sammeln, 
Macht  die  Pforten  weit  und  groß, 
Statt  sie  zu  verrammeln. 
Desgleichen    würde    ich    für   Pförtnerin    anstatt    des    einzigen   aus 
Platens  Abbassiden  entnommenen  nichtssagenden  Beispiels  das  inhalt- 
reichere aus  Geibels  Gedenkblättern  ®198  gewählt  haben: 
Soll  denn  ewig  als  Pförtnerin 
Am  Kirchthor  die  Dogmatik  stehen  f 
Gönnt  endlich,  jedem  einzugehen, 
Der  sich  bekennt  zu  seines  Heilands  Silin, 
Wenn  übrigens  gegenüber  dem  aus  dem  J.  1482  belegten  unumgelaa- 
teten    pfortner   das   umgelautete    pförtner   ausdrücklich    erst  aus 
Stieler  bezeugt  wird,    so  ist  an  Helber  (1593)  24,'^  5  (Neudruck  vom 


B£M£BKUNO£N  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  263 

J.  1883)  zu  erinnern,   der  uns  *pförtner,  sonst  portner*  bietet.    In 
seiner  Bedeutung    nicht    klar   ist  mir  das    übergangene  Wort  Pfort- 
stube,   das   ich   im  Ergänzungs Wörterbuch   von  Sanders  537  in  der 
Form   portstube    aus    Stumpf  nachgewiesen   und   auch  mit   einem 
Fragezeichen    versehen    finde.     Es  kommt  auch  in  neuerer  Zeit  noch 
vor,   so  bei  J.  G.  Müller  in  den  Straußfedem  2,  21  (1790):    Röschen 
ließ  die  Ohren  hängen   und   schlich  hin  wie  der  BausTy    wenn  er  in  die 
Pfortstuhe  kriechen  soll    Das  in  Zusammensetzungen  vorkommende 
•pfortig    erscheint   nicht    bloß   in  Verbindung  mit  einem  Zahlwort; 
vgl.  bei  Geibel  Gedenkbl.  '263  die  freilich  kühne  Bildung: 
bildwerkp fortige  Giebel  entlang 
mein  Fuß  die  Stätten  der  Jugend, 
die  verwitternden^  sticht, 
Pfosten  ist  auch  der  Pfahl,  an  den  der  zur  Züchtigung  Ver- 
urtheilte  gebunden  wird: 

Arme  Bauern,  an  dem  Pfosten 
Werden  blutig  sie  gestrichen. 

Herder  Volksl.  2,  99  (1779). 
Pfote.  Die  Diphthongierung  in  Pfaute  (aus  Bebel  1589)  findet 
sich  auch  bei  Londorp  2,  696®  (um  1621):  Teuschland  in  seine  Pf  auten 
gänzlich  bringen.  Die  Form  Pfate  ist  über  1569  und  1572  hinaus 
noch  im  J.  1598  zu  finden  bei  Sebiz  Feldbau  ^739:  wenn  der  Wolf 
mit  seiner  Pfaten  und  Klawen  irgends  ein  Thier  schlägt,  muß  es  gleich 
dahin  fallen, 

Pfriem  wird  als  Geräth  des  Schneiders  erwähnt,  doch  auf- 
fälliger Weise  nicht  als  das  des  Schusters;  eines  Beleges  hierfür  be- 
dürfte es  eigentlich  nicht,  zumal  da  man  ja  auch  die  Fortsetzung 
Schusterpfriem  (-pfriemen)  hat;  doch  möge  hingewiesen  werden 
auf  R.  Reinicks  hübsche  Legende  von  der  Berufung  der  Etlnstler^ 
Z.  42—44: 

Der  König  sah  nur  an  sein  Scepter, 
Grammaticam  nur  der  Präceptei*, 
Der  Schuster  seinen  Pfriem  und  Leist, 
Der  Kriegesknecht  sein  Schwert  zumeist. 
Pfropf  bildet  auch  gelegentlich  die  umgelautete  Mehrheitsform 
Pfropfe,  so  bei  H.  P.  Sturz  M,  199  (aus  d.  J.  1768):  die  Akademie 
der  Wissenschaften  untersucht  nicht  immer  Maschinen^  um  Pfropfe  aus 
Bouteillen   zu   ziehen,    desgl.    Pröpfe   bei    Raabe  Horacker  34:    roth- 
hehckte  Pröpfe,    doch  ebd.  35:    der    Pfropfen   wich.     Zu  den  sehr 
spärlich   gegebenen  Wendungen   mit   Pfropf  und   Pfropfen   wäre 


264  O.  BEHAGHEL,  MJSS8EB. 


binzazufQgen :  am  Pfropfen  riechen  oder  am  Pfropfen  riechen  lassen. 
Kinder  hU^mlich,  die  unbescheidener  Weise  Antheil  am  Weine  der 
ErwachseAWn  begehren^  werden,  gelegentlich  anter  wirklicher  Dar- 
reichung des  Pfropfens,  mit  der  scherzenden  Erinnerung  abgefertigt: 
Du  kannst  am  Pfropfen  riechen.  Dann  wird  die  Wendung  überhaupt 
gebraucht,  wo  von  scheinbarer  Betheiligung  an  einem  Genüsse^  doch 
thatsächlicher  Ausschließung  von  demselben,  gesprochen  wird.  In  ihrem 
Ursprünge  undeutlich  ist  mir  die  in  Norddeutschland  wenigstens  häufige 
Wendung:  auf  den  Pfropfen  setzen  =  in  schwere  Verlegenheit 
setzen,  beschämen.  So  setzt  der  Lehrer  den  Schüler ^auf  den 
Pfropfen,  wenn  er  durch  eindringendes  Fragen  dessen  Unwissenheit 
nachweist;  dieser  sitzt  dann  auf  dem  Pfropfen.  Beide  hier  ver- 
mißte Wendungen  bringt  Sanders  im  Ergänzungswörterbuch.  Unter 
Pfropfenzieher  wird  auf  Pfropfzi  eher  verwiesen.  Soll  damit 
die  letztere  Form  als  die  üblichere  bezeichnet  sein,  so  muß  wenig- 
stens für  Norddeutschland  das  umgekehrte  Verhältniß  behauptet  werden. 
In  der  heutigen  Zeit  verdiente  übrigens  neben  dem  althergebrachten 
Pfropfenzieher  auch  der  neuere  Pfropfenheber  Aufnahme. 

(Fortsetzung  folgt.) 
GßOSS-STRELITZ.  A.  GOMBERT. 


MESSER. 


Oben  S.  202  denkt  Bohnenberger  daran,  Messer  sei,  wegen  des 
offenen  e,  dem  Schwäbischen  vielleicht  ursprünglich  fremd.  Aber  da- 
mit ist  nichts  gewonnen.  Allerdings  hat  z«  B.  das  Pfälzische  hier 
offenes  e  (Lenz,  Handschuchsheimer  Mundart) ,  ebenso  das  Hessische. 
Aber  hier  ist  die  Schwierigkeit  der  Erklärung  die  gleiche.  Zudem 
bietet  auch  das  Aleman.  f,  so  in  Ottenheim  (Beitr.  13,  220),  in  Leerau 
(Hunziker,  Aargauisches  Wörterbuch  S.  180),  in  Basel  (Seiler  S.  204), 
während  für  das  Bairische  allerdings  e  bezeugt  wird  (Beitr.  11,  499). 
Verdankt  das  f  sein  Dasein  einer  Angleichung?  Jedenfalls  nicht  an 
metzgen,  denn  dieses  hat  in  Leerau  andern  Vocal  als  Messer. 

O.  BEHAGHEL. 

S.  213,  9  1.  chlaegleich  statt  chaegleicL 


^WIK-ä 


Classiker-AuspbenKfgi 


S& 


WfnVi. 


TacitI  Germania.    £d.   I^.  P  ramm  er.    Adiecta    eflt    tabula,    qua    Qermaniae 
antiquae  »itus  describitur.     geh.  M.  — '50. 

P.  Virgilii  Maronis  Aeneidos   epitome.    Accedit  ex  Georgicis  et  Bucolicis 
delectus.     Scholarum  in  u9Uin  ed.  Em.  Hoffm^nn.     geh.  M.     1*30. 

g^   Diese  Sammlnng  griechischer  und  lateinischer  Classiker"  wird 

fortgesetzt.  "W 


Verlag  von  Carl  Gerold's  Sohn  in  Wien. 


Alt-Wi6n  in  Bild  und  Wort.  Herausgegeben  vom  Wiener  Alterthüms 
verein  und  von  der  Redaction  des  ^Illustrirten  Wiener  Extrablatt" 
Redigirt    von    Dr.    Alb.  Ilg.     Lieferung  I,  II,    III   und  IV.     Folio 

a  M.  2.20. 

Berichte  und  Mittheilungen  des  Altertbumsverelnes  zu  Wien.  Bd.  XV 
Mit  vielen  Tafeln  und  in  den  Text  gedruckten  Holzschnitten,  gr.  4^ 
[XVm.  200  S.]  1875.  M.  18.- 

Bd.  XVI.  4".^  [XVI.  30  S.]   und  Plan   der   Stadt  Wien.      1876 

M.   18.—, 

Bd.  XVin.  4^  [XXX.  170  S.]  1879. 

'-.  Bd.  XIX.  4».  [XVII.  137  S.l  1880. 

Bd.  XX.  4»».  [xvni.  151  S.]  1881. 

Bd.  XXL  40.  [XVIII.  162  S.]  1882. 

•Bd.  XXIL  4^  [XX  219  S.]  1883. 

Bd.  XXIII.  1.  Hälfte.  40.  [76  S.]  1884, 

'Bd.  XXIIL  2.  Hälfte.  4^  [Xlt.  70  S.]   1884. 

Die  früheren  Bände  der  Berichte  und  Mittheilungen  des  Alterthüms 
Vereines  sind  jetzt  ebenfalls  durch  uns  zu  beziehen;  Band  I.,  IV., 
VIII.,  X.  und  XVII.  sind  vergriffen. 

Germania.  Vierteljahrsschrift  für  deutsche  Alterthumskunde.  Begründet 
von  Franz  Pfeiffer,  fortgesetzt  von  Karl  Bartsch.  VI.— XXIL 
Jahrg.   1861—1877  je  4  Hefte  jetzt  k  Jahrg.  M.     8.—.. 

XXin.  -  XXXm.  Jahrg.  1878  —  1888  je  4  Hefte 

k  Jahrg.  M.  15. — . 

NeUWirth)  Dr.  Jos.,  die  Satzungen  des  Regensburger  Steinmetzentages 
im  Jahre  1459  auf  Grund  der  Klagenfurter  Steinmetzen-  und 
Maurerordnung  von   1628.  4  Bogen  gr.  8".  M.  2. — . 


M.  10.— 
M.  16.— 
M.  16. 
M.  16.— 
M.  16.— 
M.  8.— 
M.     8.— 


i 


INHALT. 


,  ."  *  

Seite 
Über  den  Ursprung  des  höfischen  MinnesangeJ  und  sein  Verhältniß  zu| 

.  Volksdichtung.  (Schluß.)    Von  E.  Th.  Walter     .» lil 

Capitel  III.  Werth  de«  Aufsatzes  von  A.*  Berger  über  „die  volks- 
.  thümlichen  Grundlagen  des  Minnesanges'*  für  die  Frage  nach 
dem  Zusammenhangs  »wischen  diesem  und  der  Volksdichtung  141 
Capitel  IV.  Die  Carmina  Burana  und  ihr'Zuskmmenhing  mit  dem 

höfischen  Minpesatige 146 

Capitel  V.  Schluß      ,     ,     ,    \     .^.      .*' 153 

Zur  Alexiuslegende.   II.    Von  Max.  Fr.  Blau  '.^   .     ,.  .      .     .      .  «I56- 

Zur  Tristansage.    VonE.  Kölbing \, J87 

Schwäbisch  ^  als  Vertreter  von  a.  Von  K.  Behnenl^er'ger  .  .  .  494 
Über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Suchenwirt-Handschriften.    Von  Franz 

Kratochwil      .     .     .     ...      ,     .'    .      ,  ^  . 203 

Leute.    Von  O.  Brenner    ....#.    ^.      ,. 24ö 

Mhd,  m  und  ^.  Von  O.  B'ehaghel..  ..'...*'.♦....  247 
ifine  Handschrift  des  Pfaffen  Amis.  Von  G.  Ehftsmann  .  .  .  .261 
Bemerkungen    zum    deutschen  Wöperbuche    .(Fortsefzung    folgt.)    Von 

A.  Gombert      .      .      . ,  .      .      .      .     t      . %  .  253 

Afetter.    Von  O.  Behaghel ^  264 


4 

,Buchdf«ckeret  von  Carl  Gerold's  Sohn  In  Wien. 


'uiC    lO   '«.. 


<}ERMAN1A. 

VIERTELJAHRSSCHRIFT 

Fte 

DEUTSCHE  ALTERTHUM8KUNDE. 

BEGRÜNDET   VON   FRANZ   PFEIFFER. 
FORTGESETZT  VON  KARL  BARTSCH. 

JBTZT  H£RAUSO£G£BEir  « 

VON 

OTTO   BEHAGHEL. 


VIERUNDDpEISSIGSTER  JAHRGANG. 
NEUE  REIHE  ZWSroNDZWANZiaSTER  JAHRGANG. 

DRITTES  HEFT. 


WIEN. 

VERLAG  VON  CArL  GEROLD'S  SOHN. 

1889. 


Caesaris  Commentarii  de  bello  gallico.  Iterum  recogn.  Ed.  Em.  Hoff  mann. 

geh.  M.  1«50. 
|e  bello  Clvili.     Accedunt    comment.    de    bello    Alexandrino,    Africano, 

Hispaniensi.  Iterum  recogn.  Em.  Hoffmann.    geh.       ^  M.     1'50. 

Ciceronis  in  L.  Catilinam  oratlones  quattuor.  Ed.  AI.  Komltzer.  Mit  Index 

nom.     geh.  *  M.  — 'SO. 

CatO  maior  de  senectute.    Ed.  AI.  Komltzer.     Mit  Index  nom.    geh. 

•  M.  —-SO. 
Laellus  de  amicitla.  Ed.  AI.  Komltzer.  Mit  Index  nom«  geh.  M.  — «öO. 

Oratlones   pro  T.  Annio   Milone,   pro  OL  Llgarlo,  pro  rege  Delotaro. 

Ed.  AI.  Komltzer.  Mit  Index  nom.     geh.  M.  — '80. 

pro  Sex.  Roscio  Amerino  Oratio.  Ed.  AI.  Komltzer.  Mit  Index  nom. 

geh.  •  *  *         M.  — -60. 

r de  Officiis  librl  tres.  Ed.  AI.  Komltzer.  Mit  Index  nom.  geh.  M.     1-10. 

— »-  in  C.  Verrem  aoousMionIs  über  quartus.    Ed.  AI.  Komltzer.    Mit 
Index  nom  geh.  M.  — .80. 

Oratio  de  imperio  Cn.  Pompei.    Ed.  AI  Kof  nltzer.    Mit  Index  nom. 

geh.  •  ,         M.  —'öO. 

Oratio  pro  S.  Sulla,  pro  A.  LiQlnio  Archia  poeta.  Ed.  AI.  Komltzer.  Mit 

Index  nom.* geh.  M.  — 'TO, 

Oratio  pr^O  Philippica  secunda.     Ed.  ^1.  Komltzer.     Mit  Index   nom 

geh.  4  M.  —  .60 

Herodotl  de  bello  persico  llbrorum  epitome.  £d.  Fr.  Lauczlzky.  Adlunctae 
sunt  Uhr.  I^ — IV  partes  selectae.     geh.  M.     1  •  80. 

Homerl  lliadis  epitome.  Ed.  Aug.  Seh  ein  dl  er.  Pars  prior  Iliadis  I— X.     geh. 

M.     !•-. 
Ed.  Aug.  Schelndler.  Pars  altera  Iliadis  XI— XXIV.     geh.  M.     1'40. 

LIvii,  T,,    ab   urbe    condita   llbrorum    partes  selectae.    Ed.  0.  J.  Grysar. 

Recogn.  R.  Bitschofsky.  Mit  Index  nom.  u.  4  Karten,  geh.     M.     1*90. 
P.  Ovldli    Nasonis  carmina  seleota.    Ed.   C.  J.  Grysar.    Recognovlt  et  auxlt 

Carolus  Zlwsa.     geh.  • 

Piatons  Lach  es.  Iterum  ed.  Ed.  Jahn.     geh. 
Sallustl  Crispi  bellum  Catilinae.  Ed.  pfill.  Kllmscha.    geh. 


M.  1-40. 
M.  !•— . 
M.  — --50. 
M.  —-50. 
Taclti   ab   excessu  divi  Augusti  librl   qui   supersunt.    Ed.   Ig.  Prammer. 


bellum  lugurthinum.  ild.  Phil.  Kllmscha.    geh. 


Pars  prior  librl  I — VI.    geh. 
—  Ed.  Ig.  Prammer.     Pars  posterior  librl  XI — XVI. 


geh. 


M. 
M. 


1-70. 
1-70. 


CEC  10  1^:,.^ 


NORDDEUTSCHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELDEN- 
SAGE UND  DIE  ÄLTESTE  GESTALT  DER  NIBE- 
LUNGENSAGE. 


In  meinen  Bemerkungen  zur  Wielandsage  (Germ.  33,  S.  480) 
habe  ich  die  Wanderang  der  meiner  Ansicht  nach  in  ihrem  letzten 
Grande  fränkischen,  fllr  gewöhnlich  als  deutsch  bezeichneten 
Heldensage  zu  bestimmen  versucht.  In  dem  aufgestellten  Schema  trat 
bereits  meine  Auffassung  des  Verhältnisses  zwischen  saddeutscher  und 
norddeutscher  Heldensage  zu  Tage:  die  letztere  gründet  sich  auf 
süddeutsche  Spielmannslieder,  die  im  11.  und  12.  Jahrhundert  ge- 
sungen wurden  und  in  derselben  Zeit  nach  Niederdeutschland,  d.  h. 
Westphalen  und  Hannover  gelangten,  aus  welchen  auch  unsere  mhd. 
Dichtungen  hervorgingen.  Im  Folgenden  will  ich  es  versuchen,  die 
nur  in  Kürze  gegebenen  Andeutungen  etwas  weiter  auszuführen  und 
mit  Beweisgründen  zu  stützen,  und  die  daraus  mit  Nothwendigkeit 
sich  darbietenden  Folgerungen  zu  ziehen.  Die  erste  Frage  ist  die 
nach  dem  Vorhandensein  einer  niederdeutschen  Heldensage, 
d.  h.  von  Liedern,  welche  in  Niederdeutschland  umgingen  und  in 
niederdeutscher  Sprache  verfaßt  waren,  gleichviel  aus  welchen  Vor- 
lagen sie  auch  stammen  mögen.  Der  Beweis,  daß  die  Behauptung 
des  Prologes  der  t^idrekssaga,  Dänen  und  Schweden  hätten  längst 
nach  den  sächsischen  Vorbildern  eigene  Lieder  gedichtet,  vollkommen 
zu  Recht  besteht,  darf  als  sicher  erbracht  gelten.  Am  meisten  ein- 
leuchtend ist  er  von  Svend  Qrundtvig  und  Bugge  geführt  worden  ')♦ 
Wenn  dänische  Volkslieder  dieselben  Stoflfe  behandeln  wie  die  I^idreks- 
saga,  dabei  aber  die  letztere  an  eigenartigen,  echten  und  alten  Sagen- 
zügen übertreffen,  so  ist  klar,  daß  sie  nicht  in  der  norwegischen  Saga 
ihre  Quelle  haben  können,  vielmehr  erster  Hand  auf  dieselben  Vor- 
lagen zurückweisen,  aus  denen  auf  der  anderen  Seite  die  I'iärekssaga 
entstammt.  Es  erwächst  hieraus  die  Aufgabe,  durch  Vergleichung  der 
beiden  nordischen  Quellen  den  Sageninhalt  der  zu  Grunde  liegenden 
niederdeutschen  Lieder  zu  erschließen.  Weder  die  ridrekssaga  noch 
die  dänischen  Lieder  (natürlich  auch  die  aus  ihnen  geflossenen  schwe- 


*)  Danmarks  gamle  folkeviger  IV,  p.  586—600;  602—678. 
GBSMAMU.    Heue  Beihe.  XXU.  (XZZIY.)  Jalirg.  18 


266  W.  GOLTHER 

dischen,  norwegischen^  fseröischen  und  isländischen ,  die  ja  nur  als 
Übertragungen  zu  betrachten  sind^  als  solche  jedoch  sehr  bedeutsam 
ftlr  die  Wiederherstellung  des  ursprünglichen  dänischen  Originales 
werden,  wie  dies  Grundtvig  in  seinen  ausgezeichneten  Untersuchungen 
mehrfach  darthut),  dürfen  einseitig  zur  Vergleichung  mit  der  süd- 
deutschen Sage  herangezogen  werden,  sondern  immer  nur  alle  zu- 
gleich im  Hinblick  auf  ihre  gemeinsame  Quelle.  Diese  also  gewonnenen 
nds.  Lieder  zeigen  in  ihrem  Inhalt  einen  genaueren  Anschluß  an  die 
süddeutschen,  als  man  von  einer  gesonderten  Betrachtung  der  Pidreks- 
saga  aus  anzunehmen  gewillt  ist.  Durch  die  Beachtung  dieser  That- 
Sache  wird  die  Auffassung  des  Verhältnisses  süddeutscher  und  nord- 
deutscher Heldensage  sehr  wesentlich  beeinflußt.  Was  von  einzelnen 
Sagen  gilt,  insbesondere  von  der  Nibelungensage,  wo  sich  diese  Er- 
scheinung am  deutlichsten  verfolgen  läßt^},  das  zeigt  sich  auch  bei 
mehreren  anderen  und  ist  überhaupt  auf  die  ganze  Masse  der  in  der 
t^idrekssaga  vereinigten  Gedichte  auszudehnen,  da  dieselben  zusammen 
als  Sagenkreis  von  Dietrich  von  Bern  eingewandert  sind,  nicht  etwa 
einzeln  losgelöst  und  zu  verschiedenen  Zeiten.  Das  Alter  deutscher, 
d.  h.  nds.  Heldensage  läßt  sich  vorläufig  jedenfalls  für  die  erste  Hälfte 
des  12.  Jahrhunderts  (1131)  durch  die  viel  citierte  Stelle  des  Saxo') 
als  gesichert  annehmen.  Um  diese  Zeit  müssen  zum  Mindesten  die 
Vorläufer  der  in  die  I^idrekssaga  und  in  die  Volksweisen  aufgegan- 
genen nds.  Lieder  in  Norddeutschland  eingewandert  gewesen  sein.  Zwei 
Möglichkeiten  bieten  sich  dar,  um  das  Vorhandensein  nds.  Lieder  zu 
erklären :  entweder  hat  sich  im  8.  oder  9.  Jahrb.,  als  die  fränkischen 
Sagen  nach  Deutschland  wanderten,  die  nds.  Sage  abgezweigt,  also: 

y    frfinklBch-deatsch  8./9«  Jh. 
südda.  nds. 


hürnen  Seyfrid.  Nibllied.  {^idrekss.  dän.  Lieder. 

In  diesem  Falle  wären  die  nds.  Lieder  geradeso  wie  die  südds.  aus 
der  gemeinsamen  Ursage  entwickelt;  oder  es  sind  süddeutsche  Spiel- 
mannslieder nachmals  wieder  nach  Norddeutschland  zurückgewan- 
dert   also:  7^    fränkisch-deutsch  8./9.  Jh. 

y *    süddentBche  Weiterbildung.  lO./ll.  Jh. 

südds.                                                              nds.     (sp&testenB    im   Anfaog  dM 
1^ J 12.  Jhs.) 


hürnen  SeyMd.  Nibllied.  {^idrekss.  dän.  Lieder. 


*)  Bugge  in  Danmarks  gamle  folkeviser  IV,  p.  600. 

>)  Lib.  Xni,  bei  MüUer,  p.  638  [bei  Holder  427,  88.    O.  B]. 


N0BDDEUT8GHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELDENSAGE  etc.     267 

Wir  haben  die  Oründe  für  tind  wider  einen  der  beiden  Wege  abzu- 
wägen and  danach  die  Entscheidang  zu  treffen. 

Bei  Betrachtung  der  in  der  t^idrekssaga  überlieferten  Ge- 
schichten ist  zunächst  zu  beachten^  daß  dieselben,  soweit  sie  zur 
Nibelungensage  gehören^  nicht  in  vollem  Umfange  auf  niederdeutsche 
Quellen  zurflckgeftahrt  werden  dürfen.  Die  Sagen  von  Sigurd  und 
den  Niflungen  waren  seit  lange  in  isländisch-norwegischer  Überliefe- 
rung vorhanden.  Daraus  ergab  sich  natürlich  von  selber  eine  Ver- 
einigung des  einheimischen  mit  dem  zugewanderten^).  In 
die  Darstellung  der  norwegischen  Saga  gingen  nordische  Züge  über, 
welche  in  den  nds.  Liedern  nicht  vorhanden  waren.  Wenn  man  den 
Inhalt  der  letzteren  gewinnen  will,  müssen  diese  Bestandtheüe  aus- 
geschieden werden^  was  sich  zum  Theile  mit  der  größten  Leichtigkeit 
bewerkstelligen  läßt  Als  nordisch  ist  zu  bezeichnen  die  Bemer- 
kung in  Cap.  163,  daß  der  Drache,  den  Sigurd  erschlägt,  Regin  heißt 
und  ein  Bruder  des  Schmiedes  Mimir  ist;  Cap.  166,  daß  sich  Sigurd 
beim  Kochen  der  Fleischstücke  des  Wurmes  die  Finger  verbrennt, 
daraufhin  die  Vogelstimmen  versteht  und  in  Folge  dessen  Mimir 
tödtet;  Cap.  167,  daß  das  Schwert  Signrde  Gram  genannt  wird  und 
das  Boß  QriLni;  ebenso  Cap.  168,  daß  sich  Sigurd  bei  Brynhild  das 
Roß  Gräni  holt.  In  Folge  des  in  isländisch- norwegischer  Sage  be- 
richteten Rittes  durch  den  vafrlogi  war  man  gewohnt,  das  Roß  mit 
Brynhild  in  Zusammenhang  zu  bringen;  nur  hieraus  erklärt  es  sich, 
daß  man  Gr&ni  in  die  Sage  einführte  in  einer  Weise  und  an  einer 
Stelle,  die  im  Zusammenhang  des  Ganzen  geradewegs  widersinnig 
sind').    Cap.  227  ist  nordisch,    daß  Sigurd  und  Brynhild  einmal  mit 


>)  Storm,  Aarböger  for  nordisk  oldkyndighed  1877,  p.  320—21;  Elockhoff, 
Studier  Öfver  Thidrekssaga  af  Bern  (Upsala  universitets  irsskrift  1880)  p.  4.  Auf 
diesen  Pankt  ist  dämm  Gewicht  bu  legen,  weil  man  ihn  auch  anders  zu  erklSren 
Teraacht  hat ,  freilich  mit  ziemlicher  Erfolglosigkeit.  Raszmann  hält  in  seinen  Schriften 
Westphalen  für  die  Urheimat  der  Nibelangensage.  Von  dort  seien  im  9.  Jahrhundert 
die  Eddalieder  ausgegangen,  aber  ein  Grandstock  blieb  zurück.  Damit  vermischten 
sich  die  später  in  Niederdentschland  eingewanderten  süddeutschen  Sagen^  und  darum 
reten  uns  in  der  pB,  scheinbare  Entlehnungen  aus  der  nordischen  Sagenform  ent- 
gegen. Diese  Auffassung  rertritt  Saszmann  in  seiner  Schrift:  Die  Niflungasaga  und 
das  Nibelungenlied  (1877),  namentlich  p.  d5  fiP.,  66  ff.,  79  ff.,  81  ff.  Nicht  überall  liegt 
die  Entlehnung  aus  dem  Nordischen  so  klar  am  Tage  wie  in  den  hier  aufgeführten 
Fällen.  Es  bedarf  oft  sehr  genauer  Sichtung,  die  Zudichtungen  den  theilweise  völlig 
frei  schaffenden  Yerfassers  der  {^s.  loszulösen,  um  nicht  ungerechtfertigter  Weise  diese 
Neuerungen  der  nds.  Sage  zu  unterschieben. 

')  Abhandl  d.  I.  Gl.  d.  Akad.  d.  Wiss.  zu  München,  Bd.  XYni,  Abth«  II,  p.  454  f. 

18* 


268  W.  GOLTHEB 

einander  verlobt  waren  ^);  Cap.  226,  daß  Sigords  und  Gudruns  Hoch- 
zeit gefeiert  wird,  ehe  Sigurd  und  Gunnar  nach  Brynhild  ausfahren; 
Cap.  348,  daß  Sigurds  Leiche  auf  Gudruns  Bett  geworfen  wird  und 
sie  80 y  wie  in  der  isländischen  Version,  neben  dem  todten  Gemahl 
erwacht;  Cap.  383,  daß  Gunnar  in  den  Wurmgarten  geworfen  wird; 
Cap.  170  hat  Oda  vier  Söhne,  außer  Gunnar,  Gemoz  und  Gisler  auch 
noch  Guthormr,  der  natttrlich  aus  dem  Berichte  der  Edda  tlbemommen. 
Diese  hier  erwähnten  nordischen  Sageneinflüsse  sind  äußerlich  und 
von  sehr  untergeordneter  Bedeutung;  sie  haben  kaum  eine  wesentliche 
Änderung  an  der  überkommenen  deutschen  Form  hervorgerufen  und 
stehen  darin  der  ebenfalls  rein  äußerlichen  Wiedergabe  der  über- 
nommenen deutschen  Namen  durch  die  entsprechenden  nordischen, 
also  Gunnar  statt  Günther,  Gudnin  statt  Gh-imhild,  Sigurd  statt  Sig- 
frcadr.  Gram  statt  Balmunc,  Mimir  statt  Mime  vollkommen  gleich. 
Solche  nordische  Einwirkungen  konnten  sich  nur  bei  der  Nibelungen- 
sage  und  bei  der  Wielandsage  bemerkbar  machen,  wo  nordische  Gegen- 
stücke vorhanden  waren.  Die  letztere  scheint  jedoch  völlig  davon  frei 
geblieben  zu  sein;  es  wurde  auch  kein  Versuch  gemacht,  die  nordi- 
schen Namen  der  V9lundarkvida  einzusetzen.  Bei  den  übrigen  Stoffen 
der  t^idrekssaga  sind  wir  also  der  Mühe  enthoben,  einzelne  Züge,  die 
in  Norwegen  eindrangen,  vor  der  Zurückführung  auf  die  nds.  Vor- 
lagen auszuscheiden.  Fremdartige  Neuerungen  können  aber  auch  in 
anderer  Hinsicht  sich  entwickelt  haben.  Dies  gilt  vornehmlich  bei 
Bestimmung  der  geographischen  Verhältnisse  in  der  t^idrekssaga. 
Hiebei  ist  zu  unterscheiden  zwischen  dem,  was  bereits  in  den  nieder- 
deutschen Vorlagen  stand,  und  dem,  was  erst  die  norwegische  Dar- 
stellung verschuldet.  Für  das  Vorhandensein  einer  niederdeutschen 
Heldensage,  welche  in  volksmäßigen  Liedern  lebte,  spricht  entschieden 
auch  der  Umstand,  daß  Niederdeutschland  selbst  zum  Schauplatz  der 
Ereignisse  geworden  ist^).  Hunaland  und  Susat,  Ättila's  Eönigssitz, 
sind  meistens  als  Westphalen  zu  verstehen,  außer  in  der  Nibelungen- 
sage, aus  deren  Darstellung  mit  Sicherheit  hervorgeht,  daß  unter 
Hunaland  und  Susat  in  diesem  einzelnen,  bestimmten  Falle  nur  Ungarn 
und  Ofen  entsprechend  den  süddeutschen  Quellen  verstanden  sein 
kann^).  Hieraus  ist  aber  zu  entnehmen,  daß  einmal  in  den  nieder- 
deutschen Liedern  die  Geographie  gerade  so  wie  in  den  süddeutschen 


*)  W.  Grimm,  Heldensage  p.  84. 

')  Storm,    Nye  studier  over  Thidrekssaga  (Aarböger  for  nordisk  oldkyndighed 
1877,  p.  329  ff.   Zur  Frage  überhaupt:    Holthansen,   Stadien  zur  Thidrekssaga.  1884. 
^)  Döring,  Ztschr.  f.  d.  Phil.  II,  p.  22  ff.    Holthausen  a.  a.  O.  p.  33. 


NORDDEUTSCHE  UND  SODDEUTSGHE  HELDENSAGE  etc. 

beschaffen  war^  daß  von  Anfang  an  kein  Unterschied  bestand,  sondern 
erst  nachmals  ein  solcher  geschaffen  wurde  dadurch,  daß  Nieder- 
deutschland als  Schauplatz  der  Sage  galt  und  deshalb  dort  mehrfache 
Änderungen  vorgenommen  wurden.  Sind  diese  Neuerungen  zum  großen 
Theile  der  nds.  Sagenentwicklung  zuzuschreiben,  so  hat  aber  auch 
die  norwegische  Saga  einige  Änderungen  in  dieser  Richtung  ver* 
anlaßt,  welche  aus  ungenflgender  Eenntniß  der  deutschen  örtlichkeiten 
entsprangen.  Doch  sind  auch  diese  nur  äußerlicher  Art  und  berühren 
die  Handlung  der  Sage  wenig. 

Wenn  wir  die  in  Form  und  Inhalt  den  sfiddeutschen  so  nahe 
stehenden  norddeutschen  Nibelungenlieder  mit  den  ersteren  vergleichen, 
80  müssen  sich  hiebei  Anhaltspunkte  auffinden  lassen,  welche  auf  die 
ursprüngliche  Heimat  der  Sage  und  damit  wohl  auch  auf  das  Ab- 
hängigkeitsverhältniß  der  Lieder  hinweisen.  Als  die  fränkische  Sage 
im  8.  oder  9.  Jahrhundert  nach  Deutschland  kam,  erfuhr  sie  dort 
nachmals  hn  10«  und  11.  Jahrhundert  in  den  süddeutschen  Gegenden 
namhafte  Zuthaten,  welche  unter  dem  Eindruck  der  Kämpfe  an  der 
Ostmark  mit  ungarischen  Stämmen  sich  vornehmlich  auf  die  zweite 
Hälfte,  die  Fahrt  der  Nibelungen  zum  Hunnenkönig  und  ihren  Unter- 
gang erstreckten.  Anerkanntermaßen  enthält  die  Darstellung  des 
Nibelungenliedes  viele  Züge,  die  sich  erst  in  jenen  Zeiten  bilden 
konnten ,  und  die  mit  dieser  Ausftlhrlichkeit  in  der  ursprünglichen  Sage 
des  6.  Jahrhs.  und  überhaupt  bei  dbn  Franken  nicht  als  vorhanden 
gedacht  werden  dürfen.  Mit  sichtlicher  Vorliebe  und  Saehkenntniß 
ist  die  Beise  der  Burgunden  von  Worms  den  Main  entlang  durch 
Ostfranken  zur  Donau  und  durch  das  Donauthal  über  Bechelarn 
nach  Etzelnburg  geschildert  Natürlich  setzt  diese  Beschreibung  vor- 
aus^ daß  die  Sage  in  jene  Gegenden  gedrungen  war.  Dem  ersten 
Dichter  der  Nibelungen  standen  diese  genauen  örtlichen  Angaben 
nicht  zu  Gebote.  Nun  finden  wir  die  Einzelheiten  der  Fahrt  auch  in 
der  I'idrekssaga  vor,  dort  allerdings  entstellt  durch  einen  Fehler  des 
norwegischen  Verfassers;  der  aber  deutlich  erkennen  läßt^  daß 
in  der  Vorlage,  dem  nds.  Liede^  Alles  in  Ordnung  war*).  Bereits 
hieraus  ist  zu  entnehmen,  daß  die  norddeutsche  und  süddeutsche  Sage 
unter  einander  näher  verwandt  sind,  und  daß  zur  Erklärung  dieser 
Verwandtschaft  der  Hinweis  auf  ihre  alte  gemeinsame  Quelle  in  der 
fränkischen  Sage   nicht  ausreicht.    Eine  der  anziehendsten  Gestalten 


*)  Rhein  nnd  Donau  fließen  zusammen  Cap.  362 ;  ein  Wasser  hfA&t  Moore,  d.  i. 
Möringen. 


270  W.  GOLTHER 

des  zweiten  Theiles  ist  Markgraf  Büedeg6r ;  dieser  wurzelt  aber  gänz- 
lich in  den  süddeutschen  Verhältnissen.  Die  Markgrafen  im  Nibelungen- 
lied entstammen  aus  der  Ottonenzeit,  wo  es  sich  um  die  Festigung 
der  Grenzen  handelte;  sie  sind  undenkbar  für  die  Zeit  der  Entstehung 
der  Sage.  Mit  Becht  hat  Thausing^)  darauf  hingewiesen,  daß  in  den 
Hunnenkämpfen  eine  Erinnerung  an  die  Kriege  Heinrichs  HI.  in 
Ungarn  1042 — 1044  lebt;  Vieles  in  diesen  Schilderungen  ist  auf  die 
nationale  Erhebung  jener  Zeiten  zurückzuführen.  In  Volker^  dem 
ritterlichen  Spielmann  und  Kampfgenossen  Hagens,  ist  auch  unschwer 
eine  später  erdichtete  Gestalt  zu  erkennen;  für  welche  in  der  alten 
Sage  kein  Platz  war.  Betrachten  wir  die  Nibelungensage  im  Ganzen, 
so  zeigt  sich^  daß  sie  ebenso  getreu  die  geschichtlichen  Ereignisse 
des  5.  Jahrhs.  und  die  Örtlichkeit  des  Bheines  bewahrt  hat,  als 
anderseits  Widerspiegelungen  späterer  Zeiten  und  genaue  Kenntniß 
süddeutscher  Gegenden  hervortreten.  Dadurch  werden  wir  zur  An- 
nahme einer  doppelten  Hauptbearbeitung  der  Sage  geftLhrt,  oder  jeden- 
falls zu  der  einer  tiefgreifenden  Umarbeitung  des  Überkommenen  in 
Süddeutsohland.  Daß  die  alte  fränkische  Sage  nichts  von  alledem 
wußte,  läßt  sich  aus  ihr  selber,  soweit  sie  in  isländisch-norwegischem 
Gewände  sich  erhielt,  nachweisen.  Die  Eddagedichte  sind  von  allen 
diesen  Ausführungen,  welche  nur  die  nach  Deutschland  ausgewanderte 
Sage  betrafen,  völlig  frei  geblieben.  Aber  die  Pidrekssaga  faßt  die- 
selben in  vollem  Umfange  in  sich;  und  noch  mehr  als  bei  dieser 
selbst  oder  ihren  unmittelbaren  niederdeutschen  Quellen,  in  denen 
sich  ja  das  Bestreben  der  Localisation  auf  norddeutschem  Boden  kund- 
gibt, war  dies  bei  den  älteren  niederdeutschen  Liedern  der  Fall^. 
Es  ergibt  sich  hieraus  mit  zwingender Nothwendigkeit  die  Abhängig- 
keit der  nds.  Heldensage  von  der  süddeutschen,  die  dem- 
nach in  späterer  Zeit  unter  den  lebhafter  gestalteten  Wechselbezie- 
hungen wiederum  nordwärts  zurückwanderte.  In  der  ersten  Hälfte 
des  12.  Jahrhs.  ist  sie  dort  bezeugt;  früher  als  in  der  zweiten  Hälfte 
des  11.  Jahrhs.  kann  aber  die  Bückwanderung  kaum  erfolgt  sein, 
somit  ergibt  sich  rund  1100  für  die  wahrscheinliche  Zeit  der  Über- 
nahme süddeutschen  Heldensanges  in  Norddeutschland.  Mit  dieser 
Zeitbestimmung  vereinigt  sich  recht  wohl,  was  wir  von  einheimischen 
niederdeutschen   Sagen  wissen.    Storm^)   hat  nachgewiesen,    daß   ein 

*)  Oerm.  4,  p.  435 — 436.    Die  Nibelungen  in  der  Geschichte  und  Dichtung. 
*)  Storm,  Aarböger  336;    die  Dichtung,   welche  der  Saga  zu  Grunde  liegt,  ist 
in  ihrem  Ursprünge  süddeutsch. 
^)  Aarböger  p.  341  ff. 


NOBDDEUTSCHE  UND  SODDEUTSCHE  HELDENSAGE  etc.     271 

Theil  des  Sagenstoffes  nicht  süddeutscher,  sondern  norddeutscher  Ent- 
stehung ist  Die  Kämpfe  der  Hunnen  (d.  h.  der  Sachsen  und  West- 
phalen  nach  der  Ausdrucksweise  der  Saga)  mit  Friesen  und  Wilkinen 
(d.  h.  Wilzen^  Wenden,  Dänen)  stammen  aus  den  Kriegen  der  Ottonen 
gegen  jene  Völker  im  10.  Jahrhundert;  Heinrich  II.  kriegt  Anfang 
des  11.  Jahrhunderts  im  Osten  von  ^Saxland^  mit  Polen  und  Russen. 
Attila  der  Hunnenkönig  trat  an  Stelle  der  deutschen  Kaiser;  d.  h.  der 
einheimische  nds.  Heldensang  schloß  sich  an  den  augewanderten  sQd« 
deutschen  an,  und  das  dort  bemerkbare  Bestreben,  die  Vereinigung 
aller  Sagen  um  einen  gemeinsamen  Mittelpunkt,  König  Dietrich  von 
Bern,  kam  im  Verlaufe  der  Zeit  immer  mehr  zur  Geltung.  Nieder- 
deutsche Heldenlieder  wurden  gerade  damals  gesungen,  als  sttd* 
deutsche  einwanderten.  So  trafen  die  letzteren  auf  einen  wohl  ror- 
bereiteten  Boden,  was  ihre  rasche  Annahme  und  Ausbreitung  durch 
ihr  Verwachsen  mit  dem  bereits  vorhandenen  Grundstock  wesentlich 
erleichterte. 

Die  Nibelungensage  in  der  J^idrekssaga  entspricht  dem  Lied  vom 
hürnen  Seyfrid^)  und  dem  Nibelungenlied.  Die  Übereinstimmung  mit 
letzterem  beginnt  Cap.  228  mit  Gunnars  Brautnacht.  So  ist  auch  in 
der  t'iärekssaga  scheinbar  eine  Trennung  dieser  beiden  Denkmäler 
anzuerkennen,  und  Döring^  versuchte  die  Benützung  der  beiden  mhd. 
Quellen  nachzuweisen.  Daß  unser  zwischen  1190  und  1205  entstan* 
denes  Nibelungenlied  der  Pidrekssaga  und  den  dänischen  Liedern 
vorlag,  verbietet  sich  von  selber  durch  die  Erwägung  der  Zeitver- 
hältnisse. Die  Frage  darf  also  nur  so  gestellt  werden,  ob  bereits  in  den 
nach  Norddeutschland  gewanderten  Liedern  eine  ähnliche  Scheidung 
des  Stoffes  eingetreten  war,  wie  nachmals  in  den  genannten  zwei 
mhd.  Gedichten.  Im  Nibelungenliede  ist  die  Spielmannsdichtung  in  höhere 
und  feinere  Kreise  emporgehoben;  äußerliche  und  innerliche  Vorzüge 
zeichnen  es  demnach  vor  den  übrigen  Spielmannsgedichten  aus. 
Sigfrid  wird  in  ritterlich  höfischer  Art  erzogen,  er  wirbt  um  Kriem- 
hildes  Minne;  glänzende  Hoffeste  und  Trauerfeierlichkeiten  im  kirch- 
lichen Sinne  sind  ausführlich  beschrieben;  die  Charakteristik  der 
Personen  ist  psychologisch  vertieft;  und  die  Handlang  dadurch  ab- 
gerundet; nicht  wie  in  der  Spielmannsdichtung  herrscht  die  bloße 
Freude  am  Erzählen  vor.  Bohe  Züge  sind  getilgt  oder  wenigstens 
derartig   verfeinert,    daß   sie  für   eine  gesittetere  Anschauung    nichts 

*)  Über  das  Alter  der  Sagenform  des  h.  S.  vgl.  meine  Ausgabe  [Braunes  Neu- 
drucke Nr.  81  u.  82]  8.  XIX  ff. 

")  Ztschr.  f.  d.  Phil.  2,  p.  1—79;  266—292. 


272  W.  GOLTHER 

Verletzendes  enthalten.  Es  ist  klar,  daß  die  meisten  derartigen  Ände- 
rungen dem  mhd.  Denkmal  als  solchem  angehören  und  erst  in  diesem 
auftraten,  dagegen  in  den  vorhergehenden  Liedern  nicht  vorhanden 
waren.  Wenn  uns  der  Unterschied  zwischen  dem  httrnen  Seyfrid  und 
dem  Nibelungenlied  in  ihrer  heutigen  Gestalt  allerdings  sehr  groß 
erscheint^  so  kommt  dies  bei  ihren  Quellen  in  Wegfall,  weil  das  Nibe- 
lungenlied auf  dem  Boden  der  älteren  Spielmannsdichtung  begreiflicher- 
weise von  allen  den  unterscheidenden  Merkmalen  wenig  enthielt.  Beim 
hürnen  Seifrid  ist  die  rohe  Form  der  späten  Überlieferung  in  Abzug 
zu  bringen.  Dann  aber  wird  die  Überlieferung  in  beiden  Gedichten 
eine  einheitlichere  sein  und  nicht  mehr  eine  entschiedene  Trennung 
derselben  nothwendig  erscheinen  lassen.  Unter  diesem  Gesichtspunkte 
muß  die  Nibelungensage  in  der  t^idrekssaga  aufgefaßt  werden.  Der 
Bericht  der  Saga  und  die  ihr  zu  Grunde  liegenden  nds.  Lieder  sind 
durchaus  einheitlich,  die  Spielmannsdichtung  von  den  Nibelungen. 
Ebenso  verhielt  es  sich  mit  der  süddeutschen  Sage  im  11.  und  12.  Jahr- 
hundert; nur  das  Nibelungenlied  ist  aus  ihrem  Kreise  herausgetreten. 
Zwischen  der  Jugendgeschichte  Sigfrids  und  den  letzten  Kämpfen 
der  Nibelungen  ist  in  der  Darstellung  der  Spielmannslieder  und  der 
Piärekssaga  keine  Verschiedenheit  bedingt.  Die  Vergleichung  mit 
der  nds.  Sage  gibt  ein  vortreffliches  Hilfsmittel  an  die  Hand,  den 
Stand  der  älteren  süddeutschen  Sagenüberlieferi^ng  uns  wieder  zu  er- 
schließen und  die  eigenartige  Kunst  des  Nibelungenliedes  namentlich 
auch  in' ästhetischer  Hinsicht,  insoferne  es  am  Inhalte  änderte,  zu 
bemessen.  Es  ist  begreiflich,  daß  Sigfrids  Abenteuer  beim  Schmied 
als  dessen  Lehrling  unmöglich  war,  sobald  seine  Erziehung  den  An- 
sprüchen des  höfischen  Anstandes  entsprechen  mußte.  Die  Scene,  wie 
Sigfrid  Brünhilde  bezwingt,  ist  im  Nibelungenlied  offenbar  umgebildet: 
Sigfrid  ringt  mit  ihr,  nimmt  ihr  einen  Ring  und  Gürtel  ab,  ohne 
jedoch  ihre  Minne  zu  genießen^).  Dagegen  berichtet  die  I^idrekssaga 
Cap.  229:  ocpa  teer  kann  Ul  Brynüldar  oc  foer  skiott  hennar  moßydom. 
Das  Aufgeben  dieses  in  der  rohen  Auffassung  der  Spielmanns- 
dichtung vorhandenen  Zuges  ist  bedeutungsvoll  für  das  ethische 
Urtheil  über  Sigfrids  Schuld  oder  Unschuld.  Die  Kämpfe  bei  den 
Hunnen  sind  in  den  älteren  Liedern  viel  wilder  als  im  Nibelungen- 
lied ;  das  letztere  hat  die  furchtbare  Grausamkeit  Kriemhildes,  die  nach 
der  älteren  Sage  (£^b.  Cap.  3.92)  die  Verwundeten  zu  Tode  quält,  mit 
richtigem  Gefühl   getilgt.    Daß    in  Süddeutschland  Lieder    vorhanden 


')  Bartsch  Str.  640—681. 


NOBDDEUTSCHE  UND  SODDEUTSGHE  HELDENSAGE  ete.     273 

waren,  gans  im  Geiste  der  Quellen  der  I^idrekssaga  gehalten,  von 
denen  sich  aber  das  Nibelungenlied  unterschied,  zeigt  sich  anläßlich 
des  Auftritts  zwischen  Hagen  und  Ortliep,  dem  Kinde  der  Eriemhilt, 
über  welchen  der  Bericht  der  Saga  (Cap.  379)  und  des  prosaischen 
Anhanges  zum  Heldenbuch  (Heldensage  p.  298  f.)  gegen  das  Lied 
zusammenstimmen;  ebenso  am  Schlüsse,  wenn  Dietrich  die  Eriemhilt 
erschlägt,  während  im  Nibelungenlied  dies  von  Hildebrand  erzählt  wird. 
Auch  die  Betrachtung  der  übrigen  in  der  t^iärekssaga  vorhan- 
denen Sagen  läßt  erkennen,  daß  die  norddeutsche  und  süddeutsche 
Heldensage  gegenüber  einer  älteren  süddeutschen  des  8.  und  9.  Jahr- 
hunderts im  Allgemeinen  und  im  Besonderen  zusammengehen,  und 
zwar  80,  daß  jeder  Gedanke,  als  hätten  wir  es  mit  einer  jeweiligen 
Weiterbildung  einer  gemeinschaftlichen  Ursage  im  Norden  und  Süden 
zu  thnn,  von  Vorneherein  ausgeschlossen  wird.  Wären  süddeutsche 
und  norddeutsche  Sagen,  vom  gleichen  Ausgangspunkte  beginnend, 
ihre  eigenen  Wege  gewandelt,  so  könnten  nicht  die  im  13.  Jahr- 
hundert erfolgten  Aufzeichnungen,  die  also  400  oder  500  Jahre  von 
der  entlehnten  fränkischen  Sage  entfernt  sind,  so  genau  überein- 
stimmen, namentlich  nicht,  wenn  es  sich  um  auf  beiden  Seiten  gleich- 
mäßig durchgeführte  Neuerungen  handelt.  In  Bezug  auf  diese  muß 
natürlich  die  eine  vorangegangen,  die  andere  nachgefolgt  sein.  Unter 
den  in  die  Pidrekssaga  übergegangenen  süddeutschen  stehen  an  erster 
Stelle  diejenigen,  welchen  mhd.  Dichtungen  entsprechen,  wie  Ecken- 
lied und  Rother;  die  Berührungen  gehen  vielfach  bis  zu  wörtlicher 
Übereinstimmung  ^),  was  darauf  hinweist,  daß  theilweise  der  Wortlaut 
der  Originale  des  11.  Jahrhunderts  gewahrt  blieb  und  in  die  nord- 
deutschen und  süddeutschen  Dichtungen  fiberging.  Dies  wäre  eben- 
falls unmöglich  aus  gemeinsamen  Quellen  des  8.  oder  9.  Jahrhunderts 
zu  erklären.  Die  sprachliche  Entwicklung  zwischen  dem  8.  und 
13.  Jahrhundert  hätte  tiefgreifende  Änderungen  veranlaßt.  Die  Über- 
einstimmung muß  aber  sich  sehr  weit  erstreckt  haben,  wenn  sie  noch 
80  deutlich  selbst  aus  der  norwegischen  Prosa  ^  heraus  an  die  mhd. 
Werke  anklingt.  Von  anderen  Sagen  läßt  sich  nachweisen,  daß  sie 
im  11.  Jahrhundert  in  älterer  einfacherer  Form  vom  Süden  nach  dem 
Norden  wanderten^  aber  nachmals  eigenartige  Ausbildung  erfuhren, 
z.  B.  von  den  Gedichten,   aus  denen  der  Kampf  der  Dietrichsrecken 

*)  Edzardi  Germ.  23,  p.  99  ff.;  25,  p.  48—67. 

*)  An  einigen  SteUen  erkennt  man  noch  denüieh  den  poetischen  Stil  der  nds. 
Lieder,  der  an  den  unserer  mhd.  Heldendichtnng  sich  anschließt*,  einiges  bei  Ediardi, 
Germ.  26,  p.  66  Anm. 


274  W.  GOLTHER 

mit  Isungs  SöhneD  (^s.  Cap.  45*-56)  eiDerseits,  der  große  Rosen- 
garten (wohl  auch  Dietrichs  siegreicher  Zweikampf  mit  SigFrid  in  der 
Babenschlacht  Str.  672 — 683)  anderseits  hervorgingen.  Nur  sehr 
Weniges  von  der  älteren  deutschen  Sage,  welche  den  Stand  des 
Fränkischen  bewahrte,  wo  also  jene  süddeutschen  Zuthaten  noch  nicht 
vorhanden  waren,  hat  sich  erhalten,  das  Bruchstück  des  Hildebrands- 
liedes aus  dem  8.  Jahrhundert.  Aber  auch  aus  dem  Wenigen  läßt 
sich  entnehmen,  daß  damals  die  Sage  noch  in  anderen  Bahnen  lief. 
Odovakar  ist  Dietrichs  Gegner,  ein  Zug,  der  später  gänzlich  schwand, 
dadurch,  daß  Sibich,  welcher  zu  Ermenrich  und  den  Harlungen  ge- 
hört, überhaupt  die  Verrätherrolle  übernahm,  und  somit  Dietrich 
nachmals  seinem  Neide  entfloh*).  Die  fränkische  Sage  hat,  wie  auch 
aus  der  nordischen  Gestalt  des  zweiten  Theiles  der  Nibelungensage 
ersichtlich  ist,  die  geschichtlichen  Grundzüge  wohl  gewahrt,  welche 
nachmals  in  der  deutschen  Fortbildung  mehr  und  mehr  zurücktraten. 
Völlig  verschieden  vom  alten  Hildebrandslied  ist  die  Darstellung  der 
Pidrekssaga  (Cap.  406—409).  Damit  stimmt  aber  auch  das  deutsche 
Hildebrandslied  des  Kaspar  von  der  Böen  zusammen.  Edzardi')  be- 
hauptet für  das  letztere  zwar  niederdeutschen  Ursprung,  doch  sind 
die  angeführten  Gründe  nicht  völlig  bestimmend,  die  Möglichkeit  der 
süddeutschen  Herkunft  ist  nicht  ausgeschlossen.  Jedenfalls  ist  die  Sage 
auf  einem  ganz  anderen  Standpunkt  als  im  alten  Lied.  In  gleicher 
Weise  hat  sich  norddeutsche  und  süddeutsche  Überlieferung  vom  Alten 
entfernt,  nicht  jede  gesondert  für  sich. 

Nachdem  wir  erkannt  haben,  daß  die  t^idrekssaga  und  die  mhd. 
Gedichte  auf  gemeinsame  Quellen  zurückzuführen  sind,  darf  der  Ver- 
such gewagt  werden,  den  Stand  der  hochdeutschen  Sage  während 
dem  IL  Jahrhundert  zu  ermitteln.  Natürlich  ist  das  den  nord-  und 
süddeutschen  Liedern  Gemeinsame  ohne  weitere  Fragen  als  alt  zu 
betrachten;  dagegen  ist  bei  allen  eigenartigen  Abweichungen  auf  der 
einen  Seite  zu  bestimmen,  ob  dieselben  bereits  in  der  alten  Sage 
standen  und  nur  zufällig  sich  hier  erhielten,  dort  aber  vergessen 
wurden,  oder  ob  wir  es  mit  Neubildungen,  beziehungsweise  mit  Doppel- 
berichten zu  thun  haben.  So  müssen  einige  Vorfragen  zunächst  ent- 
schieden werden.  Sehr  wichtig  ist  Cap.  165  dert'idrekssaga:  Sigurds 
Besuch  bei  Brynhild.  Wie  ist  überhaupt  das  Verhältniß  Sigurds 
und  Brynhilds   in   der  I^s.    aufzufassen?    Eine  Verlobung   fand    nicht 

^)  Ähnliche  Auffassung  bei  Storm,  Sagnkredsene  om  Karl  den  störe  og  Diderik 
af  Bern  p.  72. 

')  Germ.  19,  p.  315 — 326:  zum  jüngeren  Hildebrandsliede. 


NORDDEUTSCHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELUENSAaE  etc.     275 

statt;  die  Worte  in  Cap.  227  stammen  aus  der  nordischen  Sage. 
Wenn  dagegen  Sigurd  wenigstens  bei  Brynhild  war^  ehe  er  sie  Gunnar 
zur  Frau  vorschlug,  also  sie  kannte,  ohne  daß  jedoch  ein  innigeres 
Verhältniß  sich  daran  angeknüpft  hätte,  so  könnte  man  diesen  Zug 
als  deutsche  Sage  auffassen  und  für  die  letztere  wenigstens  eine 
vorhergehende  Bekanntschaft  Brtlnhildes  und  Sigfrids  behaupten,  wenn 
auch  eine  Verlobung  mit  aller  Entschiedenheit  geleugnet  werden  muß. 
Nach  der  I^s.  weiß  Sigurd  nichts  von  seinen  Eltern.  Er  nennt  Bryn- 
hild seinen  Namen,  aber  vermochte  über  sein  Geschlecht  keine  Aus- 
kunft zu  ertheilen ;  da  sprach  Brynhild :  tf  pv  veüz  teigi  aJt  soegia  mer, 
pa  kann  ec  at  Bcegia  per,  at  pv  ert  Sigvrär  Sigmundar  son  konunga  oc 
Sisibe^  Wenn  etwas  echt  und  sinnvoll  ist  bei  dieser  Begegnung,  so 
ist  es  diese  Mittheilung  über  Sigurds  fierkunft.  Sie  wird  als  sagen- 
mäßig bestätigt  durch  zwei  Strophen  des  Seyfridliedes: 

47  nun  was  der  held  Seyfride         gewesen  seyne  jar, 

das  er  ymb  yatter  vnd  müter         nicht  west  als  ymb  ein  har. 
er  ward  yil  ferr  yersendet         inn  eynen  finstern  than, 
darinn  zoch  jn  ein  meyster,         bisz  er  ward  zu  eym  man. 

48  er  gwan  vier  vnd  zwentzig  stercke         vnd  yegklich  sterck  ein  man. 
do  sprach  zu  jm  das  zwerge:         will  dir  zu  wissen  thon, 

deyn  muter  hiesz  Siglinge         ynd  was  von  adel  geporn, 
deyn  yatter  künig  Sigmunde         yon  den  so  bist  da  wordn. 

Diese  Strophen  setzen  dieselbe  Sage  voraus,  wie  die  niederdeutschen 
Lieder.  Jedoch  ertheilt  der  Zwerg  Eugel  Seyfrid  Auskunft,  nicht  wie 
in  der  ts.  Brynhild.  Was  sonst  im  Cap.  168  enthalten  ist,  bedarf 
einer  genaueren  Prüfung.  Sigurd  holt  sich  Qr&xii  aus  dem  Gestüte 
der  Brynhild;  als  er  zu  ihrer  Burg  kommt,  hat  er  mit  den  Wacht- 
männern  einen  Kampf  zu  bestehen.  Das  Roß  Gräni  ist  eine  Zuthat 
der  nordischen  Sage;  aus  dieser  ist  es  in  die  t^s.  eingedrungen ,  die 
niederdeutschen  Lieder  wußten  so  wenig  von  ihm  als  die  süddeutschen. 
Die  norddeutsche  Sage  erzählte,  Studar^)^  des  Heimir  Vater,  habe 
ein  Gestüt  verwaltet,  aus  dem  die  berühmtesten  Helden  und  Dietrich 
selber  ihre  Rosse  bezogen,  daher  stammten  Falka,  Skemmingr  und 
Rispa.  Es  ist  wahrscheinlich,  daß  auch  Sigfrid  nicht  zurückgesetzt 
werden  sollte  und  darum  aus  demselben  Gestüt  ein  Roß  bezog;  natür- 
lich konnte  dies  nach  der  l^idrekssaga  nur  Grdni  sein.  Die  schwedische 
Saga   berichtet   auch  Cap.  16:    i  then  skog,  som  Brynnilla   ägher  ther 


^)  In  |>8.  steht  allerdings  Studas,  aber  die  schwedische  Bearbeitung  hat  die 
richtige  Namensform  Studar  (68,  18),  sonst  Studder  oder  Studer  =  ahd.  stuotUri,  der 
Stfiter,  Verwalter  eines  Qestfits,  gewahrt. 


276  W.  GOLTHEB 

äre  Uli  hätta,  en  heter  Orane,  oe  annar  heter  Skimling  oc  (ridie  heter 
Falke  oc  IUI.  heter  Bispa  (das  in  I^s.  entBprechende  Gap.  188  hat 
diesen  Satz  nicht).  Brynhild  besitst  das  Gestüte,  aus  welchem  jene 
Bosse  stammen.  Cap.  18  berichtet  von  ihr:  ßrir  nordan  ßcdl  i  Svava 
par  er  $u  borg  er  heäir  ScBgard.  par  red  firir  hin  rika  oc  hin  fagra 
oh  hin  miküata  BrynhiUdr^  er  fegret  er  kveima  i  Sudrlondum  ok  sva 
nordr  af  speki  ok  storvirkium  er  gor  verda  firir  hennar  sakir  ok  seint 
munu  fyrnaz\  fthnUch  Nibelungenlied  326: 

ez  was  ein  küneginne         gesezzen  über  s^: 

ir  geliche  enheine         man  wesse  Binder  m^* 

diu  was  onmftzen  seoene,         yil  michel  was  ir  kraft. 

fii  scoz  mit  snellen  degenen         nmbe  minne  den  scaft. 

Der  Hinweis  auf  die  großen  Thaten,  welche  um  Brynhildes  willen 
geschehen,  spricht  daftlr,  daß  auch  in  Bezug  auf  ihre  Gewinnung  in  der 
nds.  Sage  Ähnliches  berichtet  wurde,  wie  im  Nibelungenlied,  obwohl 
die  Ps.  diese  Dinge  ausfallen  ließ.  Dann  fährt  die  Ps.  fort:  i  einum 
skog  eigi  padan  langt  stendr  bu  mikit^  er  atti  BrynhiUdr  ok  red  firir 
sa  madr  er  Studas  het.  Der  Gestüthof  wird  dann  ausführlich  be- 
schrieben. Es  fragt  sich,  ob  die  nds.  und  damit  früher  auch  die 
süddeutsche  Sage  wirklich  Brünhilt  zur  Besitzerin  einer  Pferdezucht 
gemacht  haben.  Auch  nicht  der  geringste  Anlaß  dazu  liegt  in  ihrer 
Geschichte  selber  vor.  Aber  eben  ihr  Gestüt  ist  der  Grund,  weßhalb 
Sigurd  sie  aufsucht.  Auch  Cap.  168  ist  völlig  auf  nordische  Sage 
gegründet;  es  beruht  auf  einer  Einmischung  nordischer  Züge.  Die 
Einwirkungen  der  nordischen  Sage  sind  hier  etwas  tiefer  gehend  als 
in  den  oben  namhaft  gemachten  Fällen;  sie  haben  eine  eigene  neue 
Scene  veranlaßt.  Des  Studar  Sohn  ist  Hei  mir;  Brynhild  nach  der 
jungen  nordischen  Sage  ist  Heimirs  Pflegetochter,  und  lebt  auf 
Heimirs  Hofe.  Dies  war  dem  Verfasser  der  Ps.  natürlich  bekannt. 
So  brachte  er  auch  einzig  und  allein  in  Folge  der  Namensgleichheit 
Heimir,  den  Gesellen  Dietrichs,  mit  Brynhild  in  Verbindung;  er  und 
sein  Vater  standen  in  ihrem  Dienste,  und  so  wurde  Brynhild  zur 
Besitzerin  des  Gestüts.  Als  solche  wird  sie  ja  gerade  in  Cap.  18, 
wo  von  Heimir  zum  ersten  Male  die  Bede  ist,  erwähnt.  Ein  weiterer, 
ebenso  äußerlicher  Grund  lag  in  Sigurds  Geschichte.  Es  ist  nicht 
unmöglich,  daß  bereits  nds.  Lieder  ihm  wie  dem  Dietrich  ein  Roß 
aus  der  edelsten  Zucht  zuschrieben.  Dieser  Zug  wäre  aber  dann 
bereits  ein  neugebildeter,  nicht  der  alten  deutschen  Sage  zugehöriger, 
welcher  entstand,  als  die  übrigen  Sagen  immer  mehr  nur  als  Episoden 
der  Geschichte  Dietrichs    aufgefaßt   wurden   und   sich  deshalb    auch 


NORDDEUTSCHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELDENSAGE  etc.     277 

allerlei  Änderungen  gefallen  lassen  maßten.  Die  Pidrekssaga  wies 
ihm  das  Roß  GriLni  zu.  Gräni  aber  steht  in  unlöslichem  Zusammen- 
hang mit  dem  Ritt  durch  den  vafrlogi,  den  die  jtlngere  nordische 
Sage  auf  Brynhild  übertrug.  Also  auch  auf  diesem  Wege  brachte  die 
I^s.  Brynhild  und  die  Pferde  mit  einander  in  Verbindung.  War  einmal 
Brynhild  die  Besitzerin  der  Rosse,  so  lag  es  fCLr  den  Sagaschreiber 
nahe,  Sigurd  den  Gräui  bei  Brynhild  selber  holen  zu  lassen,  also  die 
in  Cap.  168  erzählte  Begegnung  zu  erfinden,  da  ja  die  ihm  geläufige 
nordische  Sagenform  von  einer  Verlobung  und  einem  Zusammentreffen 
Sigurds  und  Brynhilds  wußte.  Was  die  Kämpfe  mit  den  Wachtmännern 
anlangt,  welche  Sigurd  zu  bestehen  hat,  so  erinnere  ich  an  Oddrünar- 
grdtr  17: 

p&  var  vig  vegit         v^Uku  sverdi 

ok  borg  brotin  sü  er  Brynhildr  4tti  — 

wo  die  Werbung  um  Brynhild  mit  Kämpfen  verknttpft  ist  ^).  Somit  ist 
Cap.  168  die  Begegnung  Sigurds  und  Brynhilds  Erfindung 
des  Verfassers  der  Ps.;  die  nds.  Lieder  wußten  nichts  von 
einer  solchen  zu  erzählen;  Cap.  168  stammt  nicht  aus  der  deut- 
schen Sage  und  darf  unter  keinen  Umständen  verwendet  werden,  um 
nachzuweisen,  daß  auch  die  deutsche  Sage  einmal  berichtet  habe, 
Sigfrid  und  Brünhilt  hätten  sich  gesehen,  ehe  Sigfrid  mit  Günther  zu 
ihr  zog.  Die  deutsche  Sage  hat  niemals  etwas  von  einer  Verlobung 
erzählt,  aber  auch  nicht  einmal  von  einer  Begegnung.  Was  sich 
irgendwo  davon  vorfindet,  ist  nordische  Erfindung  und  darf  nicht 
in  die  deutsche  Sage  zurückgetragen  werden.  Auch  die  letzte  schein- 
bare Stütze  der  Pidrekssaga  für  diese  Annahme  erweist  sich  als  hin- 
fällig. Allerdings  bleibt  din  Zug  des  Capitels  als  echt  und  alt  be- 
stehen, nämlich  daß  Sigfrid  über  seine  Herkunft  Kunde  erhält.  Jedoch 
war  Brünhilt  nicht  von  Anfang  an  dazu  bestimmt,  und  es  ist  ein  reiner 
Zufall,  daß  die  I^s.  sie  dazu  ausersah,  wahrscheinlich  auch  wiederum 
auf  Grund  der  nordischen  Nibelungenlieder,  in  denen  Brynhild  mehr 
als  alle  übrigen  durch  langathmige  Weissagungen  und  Reden  sich 
auszeichnet,  die  ihrem  ursprünglichen  Charakter  wenig  anstehen. 
Sobald  die  Sage  voraussetzte,  daß  Sigfrid  nichts  von  Vater  und  Mutter 
wußte,  so  mußte  ihn  einmal  später  Jemand  darüber  aufklären,  wie 
Eugel  in  dem  Seyfridsliede,  Brynhild  in  der  Ps.  Die  fränkische  Sage 
berichtete  aber  einmal  ebenso,  und  die  alte  nordische  Sage  folgte  ihr 


^)  Weiteres  hierüber  in  meiner  Abhandlung  über   die  Nibelongensage  (Abb.  d. 
Akad.  d.  Wiss.  zu  München,  Bd.  XVIII,  p.  458), 


278  W.  GOLTHER 

darin.  Die  Person  des  Gripir  zeugt  noch  dafür.  Man  hat  bereits  mehr- 
fach auf  eine  Ähnlichkeit  zwischen  Gripir  und  Eugel  hingewiesen  und 
dieselbe  mythologisch  zu  erklären  versucht.  In  Wirklichkeit  verhält  sich 
die  Sache  so,  daß  nach  der  fränkischen  Sage  ein  Mann  den  Sigfrid 
über  seine  Herkunft  aufklärte,  vielleicht  sein  Oheim*  So  lange  er  ihm 
diese  Mittheilung  zu  machen  hatte ,  war  seine  Stellung  in  der  oage 
sehr  wohl  begründet.  Nachmals  aber  fiel  dieser  Zug  weg,  indem  die 
Jugendgeschichte  Sigurds  im  Norden  gänzlich  umgestaltet  wurde; 
Gripir  jedoch  blieb  stehen  und  erhielt  die  unmotivierte  Aufgabe,  dem 
Sigurä  in  prophetischer  Weise  sein  Lebensschicksal  aufs  Genaueste 
her  zu  erzählen.  Die  I^idrekssaga  hat  die  im  Nordischen  als  Gripir, 
im  Deutschen  als  Eugel  erhaltene  Gestalt  überhaupt  fallen  lassen 
und  ihre  Solle  an  Brynhild  übertragen.  Cap.  168  ist  lehrreich  ftir 
die  Beurtheilung  der  Thätigkeit  des  Sagaschreibers,  die  doch  nicht 
überall  eine  bloß  mechanische  Übersetzung  war,  sondern  stellenweise 
in  selbständiger  Erfindung  hervortritt,  aber  vielleicht  nur  da,  wo  er 
die  zwei  sehr  verschiedenartig  lautenden  Berichte  des  Isländisch-nor- 
wegischen und  des  Niederdeutschen  zu  vereinigen  suchte.  Cap.  168 
löst  sich  somit  befriedigend  und  einfach  in  seine  Bestandtheile  auf, 
und  damit  ist  für  die  Forschung  festgestellt,  wie  sie  dasselbe  aufzu- 
fassen hat.  —  Aus  einer  Vergleichung  der  fseröisch-däniscben  Lieder 
und  der  Pidrekssaga  läßt  sich  die  norddeutsche  Sage  in  vollkommenerer 
Weise  wiederherstellen,  als  aus  der  letzteren  allein.  Aber  bereits  die 
Auffassung  der  Handschriftenfrage  bei  der  tidrekssaga  trägt  wesent- 
lich dazu  bei.  Treutiers ^)  Ansicht,  die  isländischen  Handschriften 
und  die  schwedische  Übersetzung  seien  insgesammt  auf  die  norwegische 
Membrane  (M)  zurückzuführen,  ist  durch  Storm^),  Edzardi')  und 
Elockhofi*^)  berichtigt.  Das  Wesentliche  beruht  darin,  daß  alle  auf 
uns  gekommenen  Handschriften,  zuweilen  durch  Zwischenstufen  ver- 
mittelt, auf  eine  alte  norwegische  Bearbeitung  der  Piärekssaga  zurück- 
gehen. In  der  alten  Pidrekssaga  waren  alle  die  Berührungen  mit  der 
deutschen  Sage  bereits  vorhanden,  welche  in  den  verschiedenen  Hand- 
schriften nicht  imaner  gleichmäßig  häufig  auftreten  und  die  man  darum 
zum  Theil  auch  als  spätere  neue  Einwirkung  deutscher  Sagen  aufzu- 
fassen geneigt  war.  Daraus  erhellt,  daß  im  Ganzen  der  Anschluß  der 


»)  Germ.  20,  p.  161-189. 
')  Nye  studier  over  Thidrekssaga. 
»)  Germ.  26,  p.  47  flf. ;  p.  142  ff.;  267  ff. 

*)  Studier  öfver  Thidrekssaga.    Upsala  uniyersitets  aarskrift  1880.    Zustimmend 
zu  dieser  vortrefflichen  Schrift  Edsardi,  Germ.  26,  p.  242*- 248. 


NORDDEUTSCHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELDENSAGE  etc.     279 

Borwegischen  Bearbeitnng  an  ihre  niederdeutschen  Vorlagen  ein  ziem- 
lich genauer  war,  und  daß  diese  nds.  Lieder  unseren  süddeutschen 
nahe  standen  und  vielfach  geradewegs  gleich  lauteten. 

Bereits  die  alte  I^idrekssaga  enthielt  Parallelberichte;  eine  und 
dieselbe  Scene  wird  zweimal  erzählt.  Zum  Tbeil  mögen  die  nds. 
Quellen  Schuld  daran  tragen,  wie  bei  König  Osantrix  Tod  (Cap.  144 
und  292) ,  zum  Theil  aber  auch  die  Darstellung  der  Saga  (in  Cap.  169 
und  170).  In  den  beiden  letztgenannten  wird  H9gnis  Geburt  erzählt 
und  seine  Erzeugung  durch  einen  Alben.  Der  wirkliche  Bericht  der 
nds.  Vorlage  wird  nur  durch  Zusammenziehung  der  zwei  Capitel 
zu  ^inem  und  mit  Hilfe  der  deutschen  Quellen  erlangt.  Die  zwei 
Berichte  ergänzen  sich  mit  Nothwendigkeit  zu  einem  einzigen;  fttr 
sich  allein  genommen  ist  jeder  unvollkommen.  Die  t^s.  und  damit 
die  nds«  Sage  hat  allein  den  alten  Zug  gewahrt,  der  bereits  der 
fränkischen  Sage  eignete,  daß  Hagen  der  Sohn  eines  Alben  war. 
Ursprünglich  war  er  der  Stiefbruder  der  Gibichunge,  denn  nur  so 
erklärt  es  sich,  daß  die  nordische  Sage  und  die  deutsche  Spielmanns- 
dichtung Hagen  als  Bruder  der  Nibelungen  auffaßt.  Damals  natürlich 
kam  auch  der  Albe  zu  Gibichs  Gattin.  Bereits  im  10.  Jahrhundert, 
im  Waltharius  aber  ist  Hagen  Günthers  Oheim;  und  so  auch  späterhin 
Hagen  Aldrians  Sohn.  Da  auch  die  I^s.  Aldrian  als  HQgnis  Vater 
kennt,  so  ist  klar,  daß  die  nds.  Sage  auf  derselben  Stufe  stand  wie 
die  süddeutsche,  d.  h.  Hagen  als  Aldrians  Sohn  und  demnach  den 
Oheim  der  Burgunden  betrachtete.  Cap.  169  berührt  sich  überdies 
ganz  auffallend  mit  dem  Nibelungenlied  1734.  Nun  aber  berichtete 
die  nordische  Sage,  H9gni  sei  Gunnars  Bruder;  der  Verfasser  der 
1^8.  half  sich  dadurch,  daß  er  einmal  Aldrian  auch  zum  Vater  der 
Burgunden  machte  (Cap.  169),  das  andere  Mal  aber  Hagen  zum  Sohne 
der  Oda  (Uote)  und  damit  zum  Stiefsohne  des  Nibelungenkönigs  Irung 
(=  Dancr&t,  d.  h.  für  Gibich  ist  ein  anderer  Name  eingesetzt) 
Cap.  170.  Es  ist  in  diesem  Falle  deutlich,  daß  die  Thatsaehen  der 
Quellen  unter  nordischem  Sageneinfluß  geändert  wurden;  diese  Ände- 
rung ist  leicht  und  einfach.  Wenn  also  Hagen  wiederum  zufällig 
dieses  Mal  mit  vollem  Recht  in  seine  alte  Stellung  trat,  so  hat  nicht 
die  nds.  Sage  darin  einen  uralten  Zug  erhalten,  von  dem  aus  wir 
Weiteres  schließen  dürfen.  Wir  stünden  sonst  auf  dem  sehr  schwanken 
Boden  der  Erfindung  des  norwegischen  Verfassers,  und  natürlich  ist 
es  rein  unmöglich,  so  lange  man  auf  solche  Voraussetzungen  baut, 
zu  einem  befriedigenden  Ergebniß  zu  kommen.  In  der  nds.  Sage 
verhielt   sich  also   die  Sache   folgendermaßen:    Aldrians  Frau  hatte 


280  W-  GOLTHER 

von  einem  Alben  einen  Sohn*  Das  aber  wußte  Niemand,  und  darum 
hieß  Hagen  auch  Aldrian's  Kind  (Cap.  169).  Dieser  Hagen  war  der 
Oheim  der  Nibelunge.  Irung  und  Oda  waren  die  Eltern  des  Günther, 
Gislber,  Ogmöt  und  der  Grimhilt  (Cap.  170). 

Wenn  bereits  die  älteste  I^idrekssaga  in  vielen  Einzelheiten  sich 
genauer  an  die  nds.  Sage  anschloß,  so  ist  dies  bei  den  dänischen 
Liedern  und  ihren  Übersetzungen  noch  weit  mehr  der  Fall.  Um  Ein- 
sicht in  den  Stand  der  nds.  Sage  zu  gewinnen,  müssen  also  auch  sie 
berücksichtigt  werden.  Auf  der  Fahrt  zu  den  Hunnen  haben  Hagen 
und  Dancwart  mit  Gelpfrat  von  Bayern  einen  Streit  zu  bestehen 
(XXVI  äventiurcy  wie  Oelßrdt  erslagen  wart  van  Danewarte).  Die 
I^idrekssaga  weiß  nichts  davon,  wohl  aber  das  dänische  Lied  von 
Grimhilds  Rache  ^);  demnach  fand  sich  diese  Scene  auch  in  den  nds. 
Liedern,  und  gerade  dieser  Zug,  die  Erwähnung  eines  bajerischen 
Herrn,  der  die  durchziehenden  Burgunden  belästigte,  zeigt  wiederum 
deutlich  die  enge  Verwandtschaft,  beziehungsweise  die  Abstammung 
norddeutscher  von  süddeutscher  Sage.  Der  Rath  Hagens,  das  Blut 
der  Erschlagenen  zu  trinken,  fehlt  zwar  in  Ps.,  aber  im  fseröischen 
Högni  140,  sowie  in  dän.  B  32  findet  er  sich.  Rüedegdr  ist  in  der  Ps. 
etwas  zu  kurz  gekommen;  wir  vermissen  die  ausführliche  anziehende 
Charakterzeichnung,  welche  im  Nibelungenlied  ihn  in  so  schöner 
Weise  hervortreten  läßt.  Ober  seine  letzten  Kämpfe  und  seinen, Fall 
geht  die  I^s.  sehr  rasch  hinweg.  Aber  sie  kürzt  auch  hier  die  Quellen, 
in  denen  beschrieben  war,  wie  Rüedegdr  und  die  Nibelungen  mit  ein- 
ander reden  und  wie  Rüedeg§r  seinen  eigenen  Schild  Hagen  für  dessen 
zerhauenen  hinbot ").  Auch  die  nds.  Sage  kannte  das  Idealbild  des 
edlen  und  milden  Markgrafen.  —  Es  ist  klar,  daß  in  den  nordischen 
Ländern  nur  die  niederdeutschen  Lieder  und  die  niederdeutsche  Sage 
bekannt  sein  konnte  und  daß  hochdeutsche  Gedichte  nicht  hinauf- 
drangen. Man  darf  sich  zu  dieser  Annahme  nicht  durch  die  Gleich- 
heit norwegisch -isländischer  und  süddeutscher  Sagenzüge  verleiten 
lassen.  Wenn  die  Liedersammlung  von  1240  [„SsBmundar-Edda^]  von 
deutscher  Sage  spricht  (en  P^iverskir  menn  $egja  svä,  Brot  af 
Sykv.) ,  so  kann  damit  nur  die  niederdeutsche  Sage|,  dieselbe,  die  in 
die  t^idrekssaga  und  in  die  dänischen  Lieder  aufging,  gemeint  sein'). 


*)  Bngge  in  Danmarks  gamle  folkeviser  IV,  p.  696/97. 

»)  a.  a.  O.  p.  698/99. 

')  Wenn  in  einigen  Strophen  der  Edda  Sigurds  Tod  geschildert  wird,  nnd  swar 
in  einer  dem  Beriehte  der  deutschen  Spielmansdichtnng  (von  Hans  Sachs  erhalten) 
entsprechenden  Weise,   so  kann  dieser  Zug  unmöglich  als  sp&terer  deutscher  Sagen- 


NORDDEUTSCHE  UND  SODDEUTBCHE  HELDENSAGE  etc.     281 

Nun  finden  sich  in  den  Eddaliedern  vereinzelte  Spuren  vor,  die  man 
als  erneute,  zweite  deutsche  Sageneinflüsse  zu  erklären  pflegt^).  Aus 
ihnen  kann  unter  Umständen  auch  hie  und  da  etwas  für  den  Stand 
der  nds.  Sage  Belangreiches  erschlossen  werden.  Grfpisspä  43  be- 
richtet deutscher  Sagendarstellung  gemäß,  welcher  natürlich  auch  die 
nds.  folgte,  Sigurds  und  Gunnars  Hochzeit  sei  zusammen  in  Gjiikis 
Sälen  gefeiert  worden.  Auf  Grund  hievon  darf  das  Cap.  226  der  t^s. 
als  unter  nordischen  Einwirkungen  entstanden  betrachtet  werden. 
Die  Träume  der  Eriemhilt  im  Nibelungenlied  av.  I  sind  zwar  von 
der  t^s.  weggelassen  worden,  aber  fanden  sich  höchst  wahrs<^heinlich 
in  den  nds.  Liedern  vor,  was  aus  Vplsungasaga  Cap.  25  zu  ent- 
nehmen ist 

Wenn  so  die  nordischen  Quellen  (t^iärekssaga)  einer  kritischen 
Sichtung  bedürfen,  ehe  sie  zur  Gewinnung  des  Inhaltes  der  nds.  Lieder 
verwerthbar  werden,  so  können  anderseits  auch  die  mhd.  Werke 
nicht  ohne  Weiteres  als  Repräsentanten  der  im  11.  Jahrhundert  leben- 
den süddeutschen,  nach  Norddeutschland  verpflanzten  Sage  gelten. 
Eigenartige  Neuerungen  sind  in  Abzug  zu  bringen.  Als  eine  solche  ist 
zu  betrachten  die  Geschichte  vom  Hort  der  Nibelunge  und[seiner 
Erwerbung^  wie  sie  im  Nibelungenlied  und  im  Biterolf  dargestellt  wird. 
W.  ]\füller*)  hat  überzeugend  nachgewiesen,  daß  die  Sage  von  Nibe- 
lunc  und  seinen  Söhnen  Schilbunc  und  Nibelunc  und  damit  von  dem 
Volke  der  Nibelungen,  das  Sigfrid  beherrscht,  späterer  Bildung  ist. 
Nibelungen  heißt  das  fränkisch-burgundische  Eönigsgeschlecht  der 
Gibichungen,  und  daher  leitet  sich  der  Ausdruck:  Hort  der  Nibe- 
lungen. Dazu  ist  ein  Heros  eponymos  und  sein  Volk  gebildet  worden. 
Die  Erwerbung  des  Hortes  durch  Sigfrid  ist  ein  indisches  Märchen'), 
das  ziemlich  spät  in  die  Sage  Eingang  fand,  und  zwar  in  die  süd- 
deutsche im  11.  oder  12.  Jahrhundert,  nicht  schon  in  die  altfränkische. 
Die  Ps.   und   wahrscheinlich   auch  die  niederdeutsche  Sage  erwähnen 


einflnß  bezeichnet  werden;  denn  die  dabei  allein  in  Frage  kommende  nds.  Spielmanns- 
dichtung  deckte  sich  ja  mit  dem  Nibelungenliede,  und  demnach  müßten  wir  den 
Bericht  des  letzteren  in  den  nordischen  Quellen  wiederfinden.  Die  Berechtigung, 
Sigurds  Tod  draußen  im  Freien,  beim  pingritt  als  sehr  alt  in  der  Edda  annehmen 
zu  dürfen,  ist  hiedurch  erwiesen.  Von  spaterer  deutscher  Entlehnung  kann  keine 
Rede  sein. 

')  Meine  Abhandlung  über  die  Nibelungensage  p.  486  ff. 

')  Mythologie  der  deutschen  Heldensage  66/60. 

")  Im  Tuti  nameh  (Papageienbach)  ed.  Bösen  II,  249;  Weiteres  Kathi-sarit-sSgara, 
übersetzt  von  Tawney  I,  p.  14  Anm. 

aESMANU.   Nene  B«i]ie  XXn.  (XXZIY.)  Jihrg.  19 


282  W.  GOLTHER 

zwar  nichts  davon.  Trotzdem  scheint  für  die  letztere  bereits  dieselbe 
vorausgesetzt  werden  zu  müssen,  wie  unten  ausgeführt  wird. 

Als  eine  Abweichung  des  Nibelungenliedes  ist  bereits  der  Um- 
stand geltend  gemacht  worden ;  daß  Sigfrid  Brünhilt  in  Worms  für 
Qunther  bezwang,  ohne  sie  zu  berühren,  obwohl  dies  eigentlich  wider- 
sinnig ist.  Denn  an  Brünhildes  Jungfrauenthum  ist  ihre  Stärke  ge- 
knüpft. Doch  bricht  im  Nibelungenlied  auch  eine  ältere  Auffassung 
in  halbverwischten  Spuren  hervor.  Beim  Zanke  sagt  Brünhilt^  als  «ie 
Sigfrid  und  Günther  zum  ersten  Male  gesehen  habe,  also  auf  ihrer 
Burg  Isenstein  selber,  sei  des  Königs  Wille  an  ihrem  Leibe  geschehen 
(Str.  820): 

ich  hört*  si  jehen  beide,  de  ih  s'  aller  ^rste  sach, 

und  dft  des  küneges  wille         an  mime  Itbe  gescach. 

Damit  stimmt  ts.  Cap.  228  u.  229  überein.  Der  Stammvater  der  Bur- 
gundenkönige  hieß  Qibich;    daher   fährten    die  Nibelungen   auch    den 
Namen  Gibichungen    (im  Altnord,    und  in  der  deutschen  Spielmanns- 
dichtung).    Dagegen     nennt     das    Nibelungenlied    an    Gibichs    Stelle 
Dancrät,  die  I^s.  Irung  und  Aldrian.  Also  beide  stimmen  darin  überein, 
daß  sie  den  richtigen  alten  Namen  durch  einen  jüngeren  und  unrich- 
tigen   ersetzen.    Dieser  Zug  kommt  bereits   ihren  gemeinsamen  Vor- 
lagen zu.    Das  Lied    vom    'hürnen  Seyfrid'    ist  hochwichtig,    weil  es 
über  Sigfrids  Jugendschicksale  in  den  Strophen  47 — 48,  1 — 11  jeden- 
falls  die  alte  Sage  gewahrt  hat,    die  sonst  in  hochdeutschen  Quellen 
gänzlich    verschollen  ist.    Dagegen   ist  der    übrige  Inhalt    auf  seinen 
Werth   zu  prüfen*).    Daß  Sigfrid  Herr  des  Zwergenvolkes    wird    und 
ihren  Hort  gewinnt'),  geht  auf  die  jüngere  Sage  von  den  Nibelungen 
als  dem  hört  besitzenden  Zwergvolke  zurück.  Nybling  hinterläßt  drei 
Söhne,  von  denen  nur  der  dritte,  Eugel,  bei  Namen  genannt  ist.    Sie 
entsprechen  Nibelunc,    Schilbunc    und  Alberich,    der    sich   ihnen   als 
Bruder    zugesellt.    Wie  Albertch    besitzt   Eugel    die  Tarnkappe;    wie 
dieser   greift  Eugel   allein   thatkräftig  in  die  Handlung  ein,    während 
von    den   anderen   nur   die  Namen    genannt    werden.    Doch   ist  diese 
„Nibelungensage**  im  Seyfridsliede  umgebildet.  Ungeschickt  stehen  die 
Strophen  13 — 15  und  38  im  Zusammenhang.    Überhaupt  wird  bereits 
von  Anfang    an    das   Zwergenvolk    als   Seyfrid    unterthänig    gedacht, 
obwohl  er  erst  mit  dem  Gewinn  des  Hortes  (134 — 138)  Gewalt  über 


*)  Vgl.  numnehr  hierüber  meine  Ausgabe  des  Httmen  Seyfrid  S.  XIX  ff.,   wo- 
nach einseines  von  hier  Bemerktem  eu  berichtigen  ist 

*)  Vgl.  namentlich  Strophe  18—15;  88;   134--138. 


MORDDEUTSCHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELDENSAGE  etc.  283 

dasselbe  gewinnt.  Wir  haben  es  demnach  mit  einer  in  Verwirrung 
gerathenen  Anwendung  der  Sage  des  Nibelungenliedes  zu  thun.  Trotz- 
dem liegt  derselben  eine  alte  richtige  Auffassung  zu  Grunde:  der 
Gewinn  des  Hortes  knüpft  sich  noch  an  den  Drachen- 
kainpf,  nicht  an  das  im  Nibelungenlied  verwerthete  indische  Mär- 
chen.   VgL  Strophe  165  (ähnlich  auch  140): 

nun  het  er  zwen  gedancken,  den  ein  auff  Kuperan, 

den  andern  auff  den  wurme,  welcher  den  schätz  het  glan. 
er  meynt  in  het  gesamlet  der  wurm  nach  menschen  witz, 
wenn  er  würd  zu  ejm  menschen,  thet  er  den  schätz  besitz. 

Dieser  alte  Sagenzug  veranlaßte  für  das  Seyfridslied  die  Umgestaltung 
der  späten  Hortsage.  Die  Lieder  im  11.  Jahrhundert  haben  jedenfalls 
noch  den  Hergang  in  dieser  Weise  berichtet.  Die  I^s.  weiß  allerdings 
in  Cap.  166  nichts  mehr  davon,  so  wenig  wie  das  Seyfridslied  1 — 11. 
Der  Satz  I^s.  Cap.  359  „Sigvrdr  sveinn  atte  mikit  guU^  }>at  fyrst  er 
hann  toc  yndan  )>eim  mikla  dreka^  dürfte  sich  eher  aus  der  nordi- 
schen Sage  erklären  als  aus  den  niederdeutschen  Liedern.  —  Nach 
den  Strophen  107,  108,  130,  131  des  Seyfridliedes  gibt  es  nur  ein 
Schwert  y  mit  welchem  der  Wurm  überwunden  werden  kann.  Dieser 
Zug  gehörte  bereits  der  ältesten  fränkischen  Sage  an;  auch  im  Nor- 
dischen erhält  Sigurä  das  Schwert  Gram  zu  dem  bestimmten  Zwecke, 
Fdfnir  zu  tödten.  Nachmals  aber  ging  dieses  Schwert  unter  die 
Wunschdinge  über,  welche  Sigfrid  mit  dem  Horte  erhielt').  Wie  der 
Hort  vom  Drachenkampfe  getrennt  ward,  so  verlor  auch  das  Schwert 
seine  besondere  Bedeutung.  Die  Sage  des  Nibelungenliedes  weiß  von 
keinem  Schwert  mehr  zu  erzählen,  das  dazu  nöthig  war.  Auch  im 
Seyfridsliede  zeigt  sich  beim  ersten  alten  Wurmkampfe  (Str.  6—11) 
keine  Spur  mehr  davon,  da  ja  die  neue  Hortsage  bereits  Eingang 
fand.  Die  I^iärekssaga  Cap.  166  schließt  sich  genau  an  die  Darstellung 
im  hürnen  Seyfrid  an;  zum  Kampfe  braucht  Sigurd  kein  Schwert. 
Wohl  berichtet  Cap.  167,  Mimir  habe  ihm  Gram  gegeben,  aber  darin 


'}  Bereits  in  der  ältesten  Sagenform  war  vielleicht  beim  Drachenhort  ein 
Schwert  and  ein  Helm  (Hrotti,  cagisbjälmr,  gullbrynja  in  den  Fäfnismil).  Das  Schwert 
war  aber  da  ganz  bedeutungslos,  es  zählte  eben  unter  die  Kleinodien  des  Hortes. 
Um  so  leichter  war  nachmals  die  Anknüpfung:  unter  dem  Schwerte  des  Hortes  wurde 
das  Sigfridsschwert  (Gramr  oder  Balmunc)  verstanden.  Übrigens  Ifißt  das  Erscheinen 
von  Schwert  und  Helm  beim  Horte  auch  eine  andere  Deutung  zu,  nämlich  daß  wir 
in  dieser  so  vereinzelt  stehenden  Prosastelle  zu  dem  FäfnismAl,  die  durch  nichts  als 
alt  erwiesen  wird,  eine  späte  deutsche  Entlehnnng  anzuerkennen  haben,  wodurch 
wiederum  das  Vorhandensein  der  jüngeren  Hortsage  ftlr  die  nds.  Lieder  einei  Stütze 
erhält. 

19* 


284  W.  GOLTHEB 

zeigt  sich  nordische  Sageneinwirkung,  gerade  so  ungeschickt  und 
äußerlich  herbeigezogen  wie  das  Roß  Gräni.  Gramr  hätte  Sigurd  genützt, 
den  Kampf  zu  bestehen,  Gräni,  um  zu  Brjnhild  zu  reiten.  Aber 
der  Verfasser  der  Saga  erzählt  zunächst  die  Thaten  seines  Helden,  und 
erst  nachher  erhält  derselbe  Schwert  und  Pferd.  Es  liegt  auf  der  Hand, 
daß  eine  halbwegs  vernünftige  und  organisch  entwickelte  Sage  der- 
artige Verkehrtheiten  nicht  zu  Tage  gefördert  hätte,  daß  wir  also  die 
nds.  Quellen  nicht  dafür  verantwortlich  machen  dürfen.  Die  nds.  Sage 
hatte  wie  die  des  Nibelungenliedes  beim  Drachenkampf  die  Bedeutung 
des  Schwertes  vergessen,  die  nordische  Sage  dagegen  hatte  das -Richtige 
gewahrt,  und  dieses  ist  unverständig  vom  Verfasser  der  Saga  am 
unrechten  Orte  wieder  eingefügt  worden.  Wenn  aber  die  nds.  Quellen 
der  t^s.  sich  in  diesem  einen  Zuge  an  die  Form  des  Seyfridliedes  an- 
schlössen ^  so  müssen  sie  auch  in  den  übrigen  dadurch  bedingten 
Änderungen  mit  dem  letzteren  übereingestimmt  haben.  Das  Fehlen 
des  Schwertes  setzt  das  Vorhandensein  der  jüngeren  Hortsage  voraus, 
obwohl  in  der  t^s.  selber  die  letztere  sonst  nirgends  erwähnt  wird. 
Das  indische  Märchen  war  also  bereits  in  die  nach  Norddeutschland 
gewanderten  Lieder  eingedrungen.  In  Bezug  auf  den  Hort  ist  aber 
auch  in  der  nds.  Sage  eine  eigenthümliche  Weiterbildung  erfolgt. 
Die  älteste  Sage  (Atlakvida  28)  berichtete,  daß  der  Nibelungen  Hort 
in  den  Rhein  versenkt  ward,  und  ebenso  das  Nibelungenlied  und 
das  Seyfridslied  (Str.  167).  Dem  gegenüber  weiß  die  t^s.  Cap.  393. 
423—427  Anderes  über  den  Verbleib  desselben  zu  melden.  Er  wurde 
in  Sigfrids  Keller  verborgen,  und  Attila  starb,  indem  er  dort  ein- 
geschlossen wurde.  Nach  Ausweis  der  dänischen  (die  Hven'sche 
Chronik  vermittelt  den  Inhalt  eines  solchen)  und  fseröischen  Lieder^) 
gehört  diese  Erzählung  der  nds.  Sage  an,  nicht  etwa  der  I^s.  Wir  haben 
es  also  mit  einer  späten  Neuerung  zu  thun,  die  wahrscheinlich  nicht 
auf  die  süddeutschen  Lieder  zurückgeführt  werden  darf,  wenigstens 
nicht  in  ihrem  gesammten  Umfang.  —  Die  Handlung  des  Seyfridliedes 
ist  sonst  ganz  klar  und  gibt  zu  keinen  weiteren  Bemerkungen  Anlaß. 
Sie  stimmt  in  der  Hauptsache  zu  dem,  was  wir  auch  aus  dem  Nibe- 
lungenlied erfahren:  Sigfrid  kennt  seine  Eltern;  er  gewinnt  den  Hort 
von  den  Zwergen;  er  wird  erschlagen,  als  er  sich  zur  Quelle  nieder- 
beugt. Ausführlicher  ist  nur  die  Jugendgesehichte  behandelt;  neu 
hinzugetreten  ist  die  Befreiung  der  Jungfrau  aus  der  Gewalt  des 
Drachen  und  damit  einige  Änderungen  an  der  Geschichte  des  Hortes. 

^)  Über  die  nordUehen  Sigurdlieder  vgl.  Ztsehr.  für  yergleichende  Lätterator- 
geschichte,  N.  F.  U,  269—297. 


NORDDEUTSCHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELDENSAGE  eto.     285 

Dagegen  ist  in  dieser  Spielmannsdichtung  von  Sigfrid  noch  eine  ältere 
Sagenform  in  vereinzelten  Überresten  erhalten,  nach  welcher  Sigfrid 
seine  Eltern  nicht  kannte  (Str.  47 — 48) ,  Sigfrid  ein  Schwert  erhielt, 
nm  den  sohätzehütenden  Drachen  zu  tödten  (Str.  107 — 108  und  165), 
endlich  Sigfrid  erschlagen  wurde,  als  er  im  Walde  unter  einer  Linde 
ausruhte  (so  in  dem  Seyfridsliede ,  das  dem  Hans  Sachs  vorlag)  ^). 
In  Bezug  auf  das  erste  dieser  drei  Merkmale  folgten  die  nach  Nord- 
deutschland gewanderten  Lieder  der  alten  Sagenform:  Sigfrid  wuchs 
auf,  ohne  seine  Eltern  zu  kennen  (I^s.  Cap.  154 — 161);  in  den  zwei 
letztgenannten  dagegen  enthielten  sie  die  jfingere  Sage.  Daß  das 
Nibelungenlied  und  von  ihm  beeinflußt  wohl  auch  das  Seyfridslied 
Sigfrids  Jugend  in  der  Weise  einer  Umgestaltung  unterzogen,  daß 
er  wenigstens  sein  Geschlecht  weiß,  hängt  mit  dem  Bestreben  zu- 
sammen, die  Geschichte  des  jungen  Helden  den  Anschauungen  eines 
feineren  Zeitgeschmackes  gemäß  darzustellen.  Aber  alt  und  echt  ist 
nur  der  Bericht  der  l^s.  und  der  beiden  Strophen  des  Seyfridliedes  *). 
Wir  können  demnach  den  Stand  der  Nibelungensage  in  Sfiddeutsch- 
land  für  die  zweite  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts  aus  einer  Vereinigung 
der  mhd.  und  der  nds.  in  dänischer  und  norwegischer  Sprache  auf 
uns  gekommenen  Quellen  nach  Abzug  der  auf  beiden  Seiten  anzu- 
erkennenden eigenartigen  Neuerungen  mit  ziemlicher  Sicherheit  be- 
stimmen: Sigmund,  König  im  Frankenland,  hatte  eine  schöne  Frau, 
Siglind,  Sighers  Tochter.  Als  er  einst  auf  einer  Heerfahrt  abwesend 
war,  da  suchten  zwei  Grafen  Siglind  zur  Untreue  zu  verführen.  Da 
ihnen  dieses  nicht  gelang,  verleumdeten  sie  Siglind  bei  ihrem  Gemahl, 
als  er  heimkehrte,  sie  habe  sich  mit  einem  Knechte  vergangen.  Im 
Zorne  befahl  er,  sie  in  einen  wilden  Wald  zu  fahren  und  dort  um- 
kommen zu  lassen.  Der  eine  der  Grafen  wollte  sie  retten;  da  ent- 
brannte ein  Kampf  unter  ihnen.  In  diesem  Augenblick  gab  die  Königin 
einem  überaus  schönen  Knaben  das  Leben;  sie  wickelte  ihn  in  Tücher 
und  verschloß  ihn  in  ein  Glasgefäß,  das  sie  mit  sich  fahrte.  Beim 
Kampfe  stieß  der  eine  der  Grafen  mit  dem  Fuße  nach  dem  Glas- 
fasse, so  daß  es  hinab  in  den  Rheinstrom  rollte.  Die  Königin  Siglind 
aber  starb  vor  Schrecken  (ts.  Cap.  252— -161).  Nun  trieb  das  Gefäß 
mit  dem  Kinde  den  Fluß  hinab;  an  einer  Klippe  am  Ufer  zerbrach 
es,  und  der  Knabe  weinte.    Da  kam  eine  Hindin  und  säugte  ihn  und 

*)  Vgl.  meine  AbhandluDg  p.  478  ff.  und^' meine  Ausgabe  des  Hüraen  Seyfiid 
8,  xxin  f. 

^)  Auch  Edzardi,  Germ.  23,  p.  88  hSlt  die  Darstellung  der  |>s.  Ton  Sigurds 
Geburt  für  die  ursprünglichste,  hat  aber  die  Begründung  nicht  mehr  ausgeführt. 


286  W.  GOLTHER 

trug  ihn  heim  zu  ihrem  Lager  (I^s.  163).  Mime  der  Schmied  fuhr 
eines  Tages  zum  Wald^  um  Kohlen  zu  brennen.  Da  lief  ein  wunder- 
schöner Knabe  auf  ihn  zu,  der  konnte  nicht  sprechen.  Mime  nahm 
ihn  bei  sich  auf,  da  er  keine  Kinder  hatte,  und  beschloß,  ihn  als 
seinen  Sohn  aufzuziehen,  und  gab  ihm  den  Namen  Sigfrid.  Sigfrid 
war  wild  und  unbändig  und  schlug  die  Schmiedgesellen.  Bei  der 
Lehre  erwies  er  sich  so  überkräftig,  daß  er  den  Amboß  in  die  Erde 
schlug.  Da  sann  Mime  nach,  wie  er  seiner  ledig  würde.  Er  sandte 
ihn  in  den  Wald,  um  Kohlen  zu  holen,  und  hoffte,  der  dort  hausende 
Wurm  werde  ihn  tödten.  Aber  Sigfrid  erschlug  den  Wurm  und  ver- 
brannte ihn;  aus  dem  Fette,  das  davon  floß,  gewann  er  seine  Horn- 
haut (ts.  Cap.  164—166,  Seyfridslied  4—11).  Nun  zog  Sigfrid  in  die 
weite  Welt.  Auf  seinen  Fahrten  vernahm  er,  wober  er  stammte,  und 
wer  ^ein  Vater  und  seine  Mutter  sei  (Seyfridslied  47 — 48;  Ps.  168; 
als  uralt  bezeugt  durch  die  Gripisspd).  Da  gewann  er  auch  den  Hort, 
den  der  alte  Nibelunc  seinen  Söhnen  hinterlassen  hatte,  das  Schwert 
und  die  Tarnkappe.  An  dem  Hofe  zu  Worms,  im  Nibelungenland, 
entspann  sich  sein  Verbältniß  zu  Grimhild  und  ihren  Brüdern.  Diese 
waren  Günther,  Gislh^r,  Gfernot,  ihr  Oheim  Hagen,  der,  übernatür- 
licher Herkunft,  von  einem  Alben  erzeugt  war.  Sigfrid  zog  mit 
ihnen  aus,  um  die  Königin  Brünhilt  für  Günther  zu  gewinnen.  £r 
bestand  die  Kämpfe  für  Günther  (Nibelungenlied) ;  in  der  Nacht  brach 
er  Brünhildes  jungfräuliche  Stärke,  daß  sie  Günther  völlig  willfährig 
war  (I's.  Cap.  229;  Nibllied  Str.  820).  Ein  Fest  zu  Worms  beschloß 
Günthers  und  Sigfrids  Hochzeit.  In  der  Königshalle  brach  der  Streit 
der  Königinnen  aus,  und  so  ward  Sigfrid  von  Hagen  erschlagen,  als 
er  sich  zum  Trinken  zu  einer  Quelle  niedergebeugt  hatte.  Was  den 
zweiten  Theil,  der  Nibelunge  Not,  anlangt,  so  ist  es  unnöthig,  den 
Hergang  zu  besprechen.  Das  Nibelungenlied  und  die  nds.  Lieder 
befinden  sich  hier  in  allen  wesentlichen  Punkten  in  völliger  Überein- 
stimmung. —  Bemerkenswerth  an  dieser  Sagengestalt  ist,  daß  König 
Sigmund  am  Leben  bleibt,  obwohl  er  in  die  Handlung  gar  nicht  mehr 
eingreift.  Übrigens  ist  seine  Theilnahme  an  den  Ereignissen  im  Nibe- 
lungenlied auch  auf  äußerliches,  völlig  bedeutungsloses  Auftreten  be- 
schränkt. Wir  könnten  ihn  leicht  missen,  ohne  daß  dadurch  der 
geringste  Eintrag  geschähe.  Von  einer  Verlobung  Sigfrids  und  Brün- 
hildes oder  auch  nur  von  einer  Begegnung  weiß  die  Sage  von  1100 
nichts.  Es  ist  also  ganz  falsch,  wenn  man  annimmt,  daß  im  Nibelungen- 
liede eine  frühere  Begegnung  vorausgesetzt  werde  und  diese  in  den 
Vorläufern  des  mhd.  Gedichtes   noch  in  ungeschmälertem  Umfang  zu 


NORDDEUTSCHE  UND  BODDEUTSCHE  HELDENSAGE  ete.     2S1 

Tage   getreten   sei.    In  der   vorhergehenden  Dichtung   fand  sich  nicht 
eine  Spur  davon*  Brünhilt  ttberlebte  Sigfrid  (^b.  Cap,  427;  auch  in  der 
Klage  empfängt  sie  die  Trauerbotschafit).  Die  niederdeutschen  Lieder  und 
die  mhd.  Gedichte  haben  an  der  Sage  nur  Weniges  geändert,  am  meisten 
jedenfalls  das  Nibelungenlied  durch  das  Fallenlassen  der  Jugendgeschichte. 
Einer  älteren  süddeutschen  Sage  gegenflber,  die  noch  trttmmerhaft  in 
Spielmannsliedern  hervortritt,  geht  die  norddeutsche  und  süddeutsche 
Form  in  Bezug  auf  gemeinsame  Neuerungen  zusammen.  In  die  Thätig- 
keit  des  Verfassers  der  I^idrekssaga   eröflfnet  sich  uns  ein  lehrreicher 
Einblick.  Sicherlich  hat  er  stellenweise  seine  niederdeutschen  Vorlagen 
fast    wörtlich    ttbersetzt.    Dies    läßt    sich    namentlich   dort    erkennen, 
wo  dieselben  Lieder  in  dänische  Weisen  übergingen,  wie  bei  Dietrich 
und  seinen  Gesellen  ')•  An  anderem  Orte  dagegen  verfuhr  er  auf  die 
freieste  Weise,  und  vornehmlich  bei  der  Nibelungensage«    Im  zweiten 
Theil  kürzte  er  vielfach,   weßhalb  seine  Darstellung  im  Vergleich  zu 
der    des   Nibelungenliedes    lückenhaft    erscheint.    Nach    Ausweis    der 
dänischen  Weisen    fällt    dieser  Vorwurf   nicht    auf   die   nds.  Quellen, 
Daß    er   im  Allgemeinen    norwegische  Sitten    schilderte    und    sich   in 
dieser  Hinsicht  freier  den  letzteren  gegenüberstellte^),  ist  klar.  Döring 
räumte    ihm    auch    ziemlich    viel  Freiheit    ein.    In   besonderem  Maße 
aber    trifft    dies    bei    der  Geschichte  Sigurds   zu.    Hier    ließ   er  nicht 
bloß  Vieles  weg  (z.  B.  die  Kämpfe  um  Brynhild,  die  Sage  vom  Hort), 
sondern    er    versuchte    die    einheimische    norwegisch-isländische  Sage 
mit  der  niederdeutschen  zu  verschmelzen,  theils  dadurch,  daß  er  nur 
in  äußerlicher  WeisQ  nordische  Züge  einflocht,   theils  aber  auch,   in- 
dem er  ganz  neue  Scenen  erfand,  wie  Sigurds  Begegnung  mit  Bryn- 
hild. Die  Verhältnisse  liegen  hier  scheinbar  verwickelt;  sie  lösen  sich 
aber  leicht,    wenn  man  mit  aller  Strenge  sich  bemüht,    einerseits  die 
nordische   und   anderseits   die  deutsche,    d.  h.  nord-  und  süddeutsche 
Sage   sich  vorzuhalten.    Von  diesem  Standpunkt  aus,   der  einzig  und 
allein  zur  Lösung  der  Geschichte  unserer  Heldensage  flihrt,  zeigt  sich 
aber  sofort,  was  auf  einer  Vermischung  der  beiden  beruht,  die  einstens 
freilich  von  derselben  Wurzel,   der  altfränkischen  Sage,  entsprungen, 
nach  so  verschiedenartigen  Schicksalen  und  Wanderungen  nach  Norden 
und  Süden  im  13.  Jahrhundert  in  der  Pidrekssaga  wieder  zusammen- 
trafen. In  Betreff  der  eigenartigen  Darstellung  der  Nibelungen  sage  in 
der  1^8.   kommt  auch  der  Umstand  in  Betracht,    daß  ihr  Zusammen- 

')  Vgl.  Svend  Qrandtvig,  DaDinarks  gamle  folkeviser  IV,  p.  623-678. 
')  Storm,  Nye  studier  p.  317. 


288  W.  GOLTHEB 

hang  zerrissen  wurde  und  ihre  Abschnitte  stückweise  an  verschiedenen 
Stellen  berichtet  warden,  wodurch  natürlich  die  Einheit  und  der  ruhige 
Fluß  der  Erzählung  merkliche  Einbuße  erlitt.  Man  denke  sich  in  ent- 
sprechender Weise  im  mhd.  die  Handlung  des  Nibelungenliedes  in  die 
Dielrichsdichtungen  als  eine  Episode  eingertlckt;  Lieder  wie  die  vom 
Rosengarten  nehmen  einen  festen  Platz  in  Sigfirids  Geschichte  ein. 
Auch  hier  würden  gewiß  Unzuträglichkeiten  genug  entstehen  und  die 
Klarheit  der  Geschichte  empfindlich  getrübt  werden;  und  zumal,  wenn 
ein  solches  Unternehmen  nicht  einmal  von  einem  auf  diesem  Gebiete 
wohlgeübten  Dichter  ausgefährt  wird,  sondern  von  einem  Ausländer 
die  Gesammtmasse  des  Stoffes  zu  einer  umfassenden  Erzählung,  theil- 
weise  mit  eigener  Erfindung  ausgeschmückt,  verarbeitet  wird.  Der 
Schöpfer  der  I^idrekssaga  erhielt  die  nds«  Stoffe  etwa  in  ähnlicher 
Art,  wie  unsere  mhd.  Spielmannsdichtungen  geordnet.  Dietrich  war 
der  Mittelpunkt;  aber  nur  lose  schließen  sich  die  einzelnen  Sagen  an 
ihn  an.  In  der  Absicht  der  I^idrekssaga  lag  es,  alles  Einzelne  unter 
diesem  Hauptgesichtspunkte  zu  vereinigen.  Wenn  man  aus  der  I^s. 
die  nds.  Quellen  loslösen  will,  so  müssen  diese  Eigenthümlichkeiten 
des  norwegischen  Verfassers  zunächst  in  Abzug  gebracht  werden; 
hierauf  ist  die  niederdeutsche  Sage  auf  ihren  Inhalt  mit  Bücksicht  auf 
etwaige  Zuthaten  zu  prüfen;  dann  erst  wird  sich  die  Zusammen- 
stellung mit  dem  mhd.  Gegenstück  fruchtbringend  erweisen.  Gewiß 
wird  aus  einer  genaueren  Einzelbetrachtung  der  übrigen  Stoffe  auch 
noch  manches  Licht  auf  die  Arbeit  des  Sagaschreibers  fallen,  die  sich 
jedenfalls  in  der  Nibelungensage  am  eigenartigsten  bewährt. 

In  meiner  Abhandlung  über  die  nordische  und  deutsche  Gestalt 
der  Nibelungensage  habe  ich  im  Nordischen  mehrere  Schichten  von 
einander  geschieden.  In  der  ältesten,  nur  noch  trümmerbaft  vorhan- 
denen Form,  die  im  9.  Jahrhundert,  gleich  nach  der  Entlehnung, 
herrschend  war,  zeigte  sich  sehr  große  Übereinstimmung  mit  der 
unserer  süddeutschen  Quellen,  während  später  die  Neuerungen  platz- 
griffen, welche  der  jüngeren  Form  in  den  isländisch-norwegischen 
Quellen  ein  so  verschiedenes  Aussehen  verliehen,  welches  man  flllsch- 
licherweise  als  uralt  und  einstens  auch  den  deutschen  Quellen  zu 
Grunde  liegend  betrachtete.  Auch  im  Deutschen  bemerken  wir  in 
vereinzelten  Spuren  noch  eine  ältereÜberlieferung,  welche  sich 
von  der  unserer  ausführlichen  Berichte  des  13.  Jahrhunderts  in  nordi- 
scher und  deutscher  Sprache  sehr  wesentlich  unterschied,  dagegen 
vielfach  mit  den  ältesten  nordischen  Zügen  sich  deckt.  Natürlich  ist 
die  Annahme  ausgeschlossen,  als  hätten  wir  es  auf  beiden  Seiten  mit 


NORDDEUTSCHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELDENSAGE  eto.     289 

Ansätzen  und  Keimen  zu  neuer  Entwicklung  zu  thun«  Vielmehr  be- 
weist gerade  diese  merkwürdige  Übereinstimmung  die  Richtigkeit  unserer 
Auffassung.  Meine  fiHheren  Ausführungen  waren  negativer  Art;  sie 
bezweckten  an  erster  Stelle  den  Nachweis,  daß  die  sogenannte  nordische 
Form  nicht  die  Quelle  unserer  süddeutschen  sein  kann.  Nun  soll  Positives 
beigebracht  werden,  nämlich  wie  die  altfränkische  Sage  beschaffen  war, 
welche  die  Grundlage  für  die  nordische  und  die  deutsche  Sagenentwick- 
lung abgab,  und  wie  sie  sich  im  Laufe  der  Zeit  verändert  hat.  Die 
fränkische  Sage  kann  am  ehesten  und  sichersten  aus  einer  Ver- 
gleichung  der  ältesten  nordischen  und  deutschen  (d.  h.  natür- 
lich hier  süd-  oder  hochdeutschen,  im  Gegensatz  zur  ursprünglichen 
altfränkischen)  Form  erschlossen  werden.  Zu  diesem  Behufe  war  es 
nöthig,  zu  bestimmen,  was  auf  beiden  Seiten  jüngere  Bildung  ist. 
Da  wir  bereits  mehrfach  an  der  Sage  des  11.  Jahrhunderts  ent- 
schiedene Neuerungen  bemerkten  und  auch  ftar's  10.  Jahrhundert 
solche  in  einer  besonderen  Richtung  anzuerkennen  hatten,  so  wird 
es  nicht  sehr  schwer  halten,  mit  Hilfe  des  in  der  Spielmannsdichtung 
Überlieferten  und  nach  Abzug  eben  dieser  Neuerungen  zu  einer  älteren 
deutschen  Sage  vorzudringen.  Die  Jugendgeschichte  Sigfrids  war 
ebenso  geschildert  wie  in  der  Sage  von  1100,  d.  h.  Sigfrid  kannte 
seine  Eltern  nicht,  bis  ihm  später  auf  seinen  Fahrten  Kunde  von 
seinem  Geschlechte  ward').  Der  Schmid  Mtme  zog  den  Knaben  auf. 
Er  schmiedete  ihm  ein  Schwert  (Balmunc  oder  Gram),  damit  er  einen 
Wurm  erschlüge,  der  einen  unermeßlichen  Schatz  hütete  (Seyfridslied 
Str.  107—108,  165  =  nordische  Sage.  Vgl.  auch  Be6wulf  888,  wo 
der  Wurm  hordes  hyrde  genannt  wird).  Hierauf  erfuhr  er,  daß  er 
aus  dem  Geschlecht  der  Wälsunge  stamme  (Seyfridslied  Str.  47—48 
=  Gripisspä).  Trotzigen  Muthes  zog  Sigfrid  an  Gibichs  Hof,  um  ihm 
sein  Reich  abzugewinnen,  das  jener  als  Preis  eines  Zweikampfes  aus- 


*)  Die  BerechtiguDg,  den  Bericht  der  ^s.  nnd  der  Sage  von  1100  über  Sigfrids 
Jugend  aJs  uralt,  bereits  der  fränkischen  Sage  angehörig  zu  betrachten,  ergeben  auch 
allgemeine  Erwägungen.  Ist  es  wahrscheinlich,  daß  einmal  Sigfrid  seine  Eltern  kannte, 
daß  in  einer  späteren  Zeit  ohne  Grund  die  Darstellung  der  {'s.  entstand,  nachmals 
aber  wieder  fallen  gelassen  wurde?  Dagegen  begreift  man  leicht,  wie  die  Sage  dazu 
kam ,  den  ältesten  Bericht  zu  Terändern.  Außerdem  spricht  der  Umstand  entschieden 
für  unsere  Annahme,  daß  gerade  auf  fränkischem  Boden  die  Genovefa-Legende  ganz 
besonders  verbreitet  war  und  mehrfach  in  der  afz.  Dichtung  in  den  verschieden- 
artigsten Werken  oft  vielfach  umgebildet  zum  Vorschein  kommt,  z.  B.  in  Berte  auz 
grand  pieds  und  im  Tristan  (Brangsene);  vgl.  Weiteres  bei  Svend  Grundtvig,  Dan- 
marks gamle  folkeviser  I  in  der  Einleitung  zu  Ravengaard  og  Memering,  besonder« 
p.  197  £f.;  und  Zacher,  die  Historie  von  der  Pfalzgräfin  Genovefa  p.  27  f. 


290  W.  GOLTHER 

gesetzt  hatte ^).  An  Oibichs  Hofe  am  Rhein,  bei  den  burgundisch- 
fränkischen  Nibelungen,  den  Königen  Günther,  Giselher,  Godomar  und 
ihrem  von  einem  Alben  erzeugten  Stiefbruder  Hagen  wurde  er  mit 
Guntrun  vermählt.  Er  zog  aus,  um  für  Günther  die  Brünhilt  zu  ge- 
winnen. In  diesem  Abschnitte  der  Sage  ist  die  jüngere  Form  der 
älteren  ziemlich  getreu  geblieben.  Von  Hagen  ward  Sigfrid  erschlagen, 
als  er  unter  einer  Linde  ruhte.  Seine  Gattin  eilte  auf  die  Kunde  hin- 
aus zum  Todten  und  klagte  um  ihn  (Hans  Sachs  =  Brot  af  Sigurdar- 
kvida  5 — 7,  9;  Gudrdnarkvida  II,  4—12).  In  der  ältesten  deutschen 
Sage  vor  dem  10.  Jahrhundert  fielen  für  den  zweiten  Theil,  den  Unter- 
gang der  Nibelunge,  alle  die  in  Süddeutschi  and  entstandenen  Neue- 
rungen weg,  also  Rüedegdr,  Volker,  die  Einzelheiten  der  Fahrt  zu 
Etzels  Hofe.  Damit  sind  wir  denn  auch  mit  ziemlicher  Sicherheit  zum 
Stande  der  altfränkischen  Sage  vorgedrungen.  Als  eine  spätere  Ände- 
rung, die  vielleicht  bereits  auf  fränkischem  Boden  stattfand,  wäre  die 
Umgestaltung  des  zweiten  Theiles  der  Sage  anzuerkennen,  wenn 
Guntrun-Grimhild  dort  sich  an  ihren  Brüdern  rächte,  wogegen  die 
auf  fränkischem  Gebiet  verbliebene  Sage,  welche  im  9.  Jahrhundert 
von  den  Nordleuten  übernommen  wurde,  die  ursprüngliche,  mit  den 
sagengeschichtlichen  Verhältnissen  sich  deckende  Form  beibehielt. 
Doch  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  Grimhild  als  Sigfrids  Rächerin 
eine  spätere  deutsche  Dichtung  ist  und  der  fränkischen  Sage  stets 
ferne  blieb.  Besondere  Berücksichtigung  erfordert  noch  die  Bezwin- 
gung der  Brünhilt  ftir  Günther,  wie  sie  von  der  ältesten  Sage  etwa 
aufgefaßt  wurde.  Es  läßt  sich  erwarten,  daß  die  Sage  von  1100  keine 
Änderungen  vornahm;  Brünhildes  Stärke  mußte  zuerst  in  den  Wett- 
kämpfen, dann  in  der  Brautnacht  gebrochen  werden.  Erst  dann  wurde 
sie  zur  fügsamen  Frau.  Beide  Thaten  kamen  nach  der  Spielmanns- 
dichtung Sigfrid  zu.  Und  dieser  Zug  entspricht  wohl  auch  dem  Ur 
sprtinglichen.  Gerade  darin  liegt  der  ärgste  Trug,  der  Brünhilde  an- 
gethan  wird ,  und  so  erklärt  sich  ihr  tödtlicher  Haß  Sigfrid  gegen- 
über. Auch  die  älteste  nordische  Sage  wußte,  daß  Brynhild  durch 
Kämpfe  bezwungen  wurde.  Doch  in  der  Brautnacht  legt  Sigfrid  sein 
Schwert  zwischen  sich  und  Brynhild.  Die  Sitte  des  Schwertlegens 
begegnet  in  Märchen,  und  vornehmlich  in  Dichtungen,  die  auf  fränki- 
schem Boden  erwuchsen,  so  im  Tristan  und  in  Amis  et  Amiles.  Die 
Möglichkeit  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  erst  im  Norden  dieser  Zug 

')  Vgl.  Edzardi,  Germ.  26,  p.  172-— 176,  welcher  aus  SteUen  im  Rosengarten, 
dem  Nibelungenlied  und  in  einzelnen  Spnren  der  nordischen  Sage  einen  solchen  Her- 
gang vermuthet. 


NORDDEUTSCHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELDENSAGE  etc.     291 

in  die  Sigfridsage  gekommen  ist;  aber  wahrscheinlicher  gehörte  er 
der  entlehnten  fränkischen  bereits  an.  Das  Verhältniß  der  deutschen 
Sage  zur  fränkischen  ist  damit  bereits  bestimmt.  Das  Alte  ist  ziemlich 
treu  gewahrt  geblieben.  Zwar  traten  mit  der  Zeit  natürlich  Ände- 
rungen ein;  im  11.  Jahrhundert  sieht  schon  Vieles  ganz  anders  aus 
als  im  9.  oder  10.  Jahrhundert;  und  noch  weiter  stehen  die  Gedichte 
des  13.  Jahrhunderts  ab.  Jedoch  ist  niemals  eine  von  Grund  aus 
umbildende  Umgestaltung  eingetreten.  Dazu  fehlt  die  Veranlassung. 
So  sind  die  hochdeutschen  Heldendichtungen  treue  Widerspiegelungen 
der  fränkischen  Lieder.  Wenn  dem  so  ist,  so  fragt  sich  nur,  was  älter 
ist:  daß  Sigfrid  die  EampQungfrau  bezwang  und  zum  Beweis  seiner 
Erwerbung  mit  ihr  das  Lager  theilt,  ohne  sie  zu  berühren,  oder  ob 
auch  diese  letzte  Bezwingung  ihm  zukam,  wie  es  im  Deutschen  er- 
zählt wird.  Im  einen  Fall  wäre  ein  ursprünglich  edler  gedachter  Zug 
verwildert  und  verroht,  im  anderen  dagegen  zu  Gunsten  einer  höheren 
Denkart  gemildert  worden,  und  Beides  ist  möglich.  An  sich  betrachtet 
ist  es  etwas  befremdlich,  wenn  Sigfrid  Günthers  Rolle  spielt  und  ihm 
gänzlich  gleichen  soll,  und  dabei  das  Schwert  zwischen  sich  und  die 
Braut  legt,  deren  Verdacht  hierdurch  doch  jedenfalls  wachgerufen 
werden  mußte,  was  gewiß  im  Sinne  der  Handlung  eher  zu  vermeiden 
gewesen  wäre.  Doch  ist  darin  kein  vollkommen  zwingender  Beweis  für 
die  spätere  Entstehung  der  Sage  vom  Schwertlegen  bedingt.  Ich  ver- 
mag vorerst  hier  kein  bestimmtes  Urtheil  zu  fällen;  doch  ist  vielleicht 
etwas  anderes  aus  dieser  Scene  zu  lernen,  nämlich  daß  bereits  im 
Fränkischen  Doppelberichte  vorhanden  waren,  wie  dann  auch  in  Be- 
zug auf  den  zweiten  Theil  der  Sage,  Grimhildes  oder  Guntruns  Rache; 
bei  einer  mehr  als  hundertjährigen  Entwicklung  ist  das  kein  Wunder; 
und  weiterhin ,  daß  dadurch  auch  einzelne  Abweichungen  der  deut- 
schen und  nordischen  Sage  erklärt  werden,  welche  bis  in  die  älteste 
Gestalt  auf  beiden  Seiten  zurückzuverfolgen  sind.  Denn  die  fränkische 
Quelle,  aus  der  die  süddeutsche  Sage  floß,  war  nicht  genau  eben 
dieselbe,  aus  der  die  nordische  stammt,  vielmehr  sind  sie  wohl  zeitlich 
und  örtlich  getrennt  gewesen  und  dadurch  eröffnet  sich  nicht  bloß 
die  Möglichkeit,  sondern  auch  die  Wahrscheinlichkeit,  daß  Einzel- 
heiten, eventuell  auch  ganze  Scenen,  wie  der  Schluß  verschieden 
waren,  während  jedoch  das  Gesammtbild  und  namentlich  die  Auf- 
fassung der  Sigfridsage  völlig  gleichartig  war  und  nur  die  nachmalige 
Entwicklung  auf  oberdeutschem  und  isländisch-norwegischem  Boden  die 
bis  in  die  tiefsten  Grundlagen  der  Sage  eindringenden  Umwandlungen 
hervorrief,  die  uns  aus  einer  Vergleich  ung  der  beiderseits  im  13.  Jahr- 
hundert und  noch    später   niedergeschriebenen  Quellen   hervortreten* 


292  W.  GOLTHER 

Iq  Island  und  Norwegen  waren  die  Schicksale  der  fränkischen  Sage 
völlig  verschieden.  Das  neue  Aufblühen  des  altheidnischen  Glaubens 
im  9.  Jahrhundert^  die  Mythen  und  Dichtungen^  welche  die  Wikinger- 
zeit hervorgerufen,  zogen  Alles  in  ihren  Bannkreis ,  und  so  prägte 
sich  ein  neuer  Geist  allem  dorthin  Gewanderten  mit  unwiderstehlichem 
Zwange  auf*  Zumal  die  isländischen  Helden-  und  Götterlieder  sind 
Beispiele  dafür;  sie  sind  in  ihrer  Gesammtheit  eigentlich  vollkommene 
Neuschöpfungen,  und  die  verschiedenartigsten  Elemente  sind  darin 
aufgenommen.  Man  würde  fehl  geben,  wollte  man  eines  der  darin  ent- 
haltenen Bestandtheile  allein  betonen  und  für  die  Erklärung  und  Deu- 
tung maßgebend  werden  lassen.  Die  nach  Island  gewanderten  Nor- 
weger sind  die  Schöpfer  jener  Werke;  so  sind  sie  rein  norrön  in  der 
Auffassung  und  AusfUhrung,  aber  von  wesentlichstem  Einfluß  sind 
die  Eindrücke  und  die  Entlehnungen,  welche  die  westfahrenden 
Wikinger  in  Hülle  und  Fülle  in  sich  aufnahmen.  So  finden  wir  in 
den  isländischen  Sagen ,  vornehmlich  den  Eddaliedern ,  alte  nor- 
wegische Sagen,  die  aus  der  Heimat  hinttbergeführt  wurden,  aber 
daneben  auch  deutsche,  englische,  keltische  (gaelische) ,  und  Bestand- 
theile antiker  und  christlicher  Anschauungen  und  Werke.  Eine  Dich- 
tung, aus  so  viel  verschlungenen  Wurzeln  erwachsen,  verdient  unsere 
Aufmerksamkeit  in  hohem  Maße;  aber  man  muß  sich  ihre  Entstehung 
und  Entwicklung  immer  vor  Augen  halten,  um  davor  bewahrt  zu 
bleiben,  falsche  und  unhaltbare  Schlüsse  auf  ein  derartiges  isländisches 
Werk  zu  bauen,  was  bisher  immer  geschehen  ist.  Die  altfränkische 
Nibelungensage  ist  auf  Island  einer  durchgreifenden  Umgestaltung 
unterzogen  worden,  theils  durch  Vermischung  mit  norwegischen,  älteren 
Sagen,  theils  durch  das  Eindringen  des  Odin-  und  ValhoUglaubens; 
und  diese  Umarbeitung  hat  stetig  bis  ins  13.  Jahrhundert  zugenommen, 
so  daß  schließlich  die  alte  Gestalt  in  einer  Weise  verändert  wurde, 
daß  es  überhaupt  schwer  hält,  sie  wieder  aufzufinden,  indem  vor- 
sichtig die  neu  hinzugekommenen  Stücke  entfernt  werden.  Sigfrids 
Geschichte  hat  vornehmlich  solche  Zuthaten  in  Menge  erhalten.  Die 
Geschichte  seiner  Geburt  ist  aufgegeben,  auch  in  der  ältesten  für 
uns  erreichbaren  Form.  Wie  bereits  bemerkt,  blieb  jedoch  Grfpir 
stehen,  der,  ursprünglich  bestimmt  Sigfrid  über  seine  Herkunft  auf- 
zuklären, am  Ende  ein  langweiliges  Inhaltsverzeichniß  seiner  Lebens- 
geschichte  vorzutragen  hatte.  Sigmunds  Tod  und  einzelne  Züge  in 
Siguräs  Jugend  sind  das  Ergebniß  einer  Vermengung  der  Sigfridsage 
mit  der  von  Helgi.  Die  beiden  Helgi  der  nordischen  Sage,  Helgi 
HJ9rvarä8Son  und  Helgi  Hundingsbani  sind  mit  der  Sigurdsage  ver- 
mischt worden.  Des  ersten  Helgi  Mutter  heißt  Sigrlinn  (Siglint),  wo- 


NORDDEUTSCHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELDENSAGE  etc.     293 

gegen  die  Sigurds  Hjordis;  der  andere  Helgi  ist  ein  V9l8ungy  Sig- 
mands  Sohn  und  damit  Sigurds  Bruder.  Helgi  Hjorvardsson  ist  der 
Rächer  seines  Muttervaters ;  daß  Sigurds  Zug  gegen  die  Hundings- 
söhne  eine  Entlehnung  aus  der  Helgisage  ist,  wird  kaum  Jemand 
leugnen  wollen.  Falls  aber  dieses  anerkannt  wird,  muß  nothwendig 
auch  noch  Weiteres  in  Betracht  gezogen  werden.  Sigurd  rächt  an 
den  Hundingssöhnen  den  Tod  seines  Vaters  Sigmund.  In  der  ältesten 
süddeutschen  Sagenform  wurde  nicht  erzählt,  daß  Sigmund  im  Kampfe 
gefallen  sei;  Sigmund  trat  gar  nicht  mehr  auf,  in  die  Geschichte  Sig- 
frids  griff  er  nirgends  thätig  ein.  Es  ist  kein  Grund  vorhanden,  anzu- 
nehmen, in  der  fränkischen  Sage  sei  Sigmunds  Fall  und  Sigfrids 
Rache  jemals  dargestellt  worden,  die  deutsche  habe  diesen  Zug  fallen 
lassen,  die  nordische  bewahrt.  Im  letzteren  Falle  müßte  für  das  Nor- 
dische jedenfalls  Umgestaltung  der  Geschichte  Sigmunds  unter  dem 
Einfluß  der  Helgisage  zugegeben  werden.  Wahrscheinlich  ist  Sig- 
munds Fall  und  Sigurds  Rache  nordische  Neüdichtung:  wie  Helgi 
den  Tod  eines  Ahnen  (später  Siglindes  Vater)  rächte,  so  wurde  Sigurd 
zum  Rächer  seines  Vaters  (Sigmund  ist  Siglindes  Gatte,  SighSr  viel- 
leicht ihr  Vater  gewesen,  danach  rächt  Sigurd  seinen  Vater,  nicht 
wie  Helgi  seinen  Muttervater),  den  Hundings  Söhne  erschlagen  hatten. 
Gerade  an  denjenigen  Stellen,  welche  wir  als  nordische  Zudichtungen 
in  Sigmunds  und  Sigfrids  Geschichte  erkennen,  greift  Odin  selber  ein. 
Der  deutschen  und  fränkischen  Sage  war  die  Theilnahme  der  Götter 
gänzlich  unbekannt.  Also  muß  zum  Mindesten  ihr  Auftreten,  meistens 
aber  auch  die  damit  zusammenhängende  Scene  nordische  Neudichtung 
sein.  Der  Bericht  der  Volsungasaga  von  Sigmunds  Tod  geht  auf 
Lieder  zurück,  die  reich  an  ausschließlich  nordischen  Zügen  sind. 
Sigmunds  Werbung  um  eine  reiche  und  schöne  Königstochter  stammt 
allein  aus  der  fränkischen  Sage  und  vergleicht  sich  I^idrekssaga 
Cap.  152 — 154.  Sein  Nebenbuhler  ist  Lyngvi,  Hundings  Sohn;  mit 
Wikingschiffen  macht  er  einen  Einfall  in  Sigmunds  Land.  Sigmund 
fällt,  weil  Odin  ihm  seinen  Speer  entgegenhält,  woran  das  alte  Götter- 
schwert zerspringt  (Vols.  Cap.  11).  Da  fahren  dänische  Wikinger  an 
und  nehmen  Hjordis  mit  sich;  in  Dänemark  bei  Alf  wird  Sigurd  ge- 
boren. Man  merkt  der  Dichtung  deutlich  an,  daß  sie  zur  Zeit  des 
Odinglaubens  und  der  Wikingerfahrten  entstanden  ist,  also  jedenfalls 
so,  wie  sie  in  der  Überlieferung  steht,  unmöglich  fränkisch  sein  kann. 
Ebenso  verhält  es  sich  mit  Sigurds  Wikingfahrt  gegen  die  Hundings- 
söhne,  bei  welcher  ihm  Odin  erscheint«  Die  fränkisch- hochdeutsche 
Heldensage  wußte  von  Schwertern  und  Waffen  zu  rühmen,  daß  Schmiede 


294  W.  GOLTHER 

von  ausgezeichneter  Bedeutung,  wie  W^land  und  Mime,  sie  geschaffen 
hätten.  Dagegen  wurde  in  der  nordischen  erzählt ,  daß  sie  von  den 
Göttern  stammten').  So  stand  in  der  fränkischen  SagC;  Mime  habe 
dem  Sigfrid  ein  Schwert  geschmiedet ,  damit  er  den  Drachen  tödte. 
Die  nordische  Sage  blieb  dabei  nicht  stehen.  Gramr  wurde  ein  Erb- 
stück des  VqlsungengeschlechteS;  gleichwie  das  Tyrfingschwert  der 
HervararsagC;  das  Odin  ihm  verliehen  hatte.  Von  der  Vorgeschichte, 
Sigurds  Ahnen,  sind  nur  die  Abenteuer  Sigmunds  und  Sini^otlis  frän- 
kischer Sage  angehörig,  wie  aus  dem  Be6wulf  hervorgeht.  Das  Übrige 
ist  fast  durchweg  nordisch.  Es  wird  ja  auch  besonders  viel  von  Odin 
erzählt.  So  ist  die  fränkische  Qestalt  der  Sigfridssage  im  nordischen 
Gewände  kaum  wiederzuerkennen.  Aber  wir  sehen  deutlich,  wo  die 
Umdichtung  eingesetzt  hat,  während  auf  der  anderen  Seite  es  fast 
unmöglich  wäre,  die  fränkisch-deutsche  Form  aus  der  nordischen 
abzuleiten.  —  Die  Geschichte  des  Hortes  ist  im  Norden  ebenfalls 
gänzlich  erneuert  worden;  von  den  Wanderungen  Odins,  Höenirs  und 
Lokis  konnte  die  alte  Sage  nichts  wissen.  Dieser  Theil  ging  gerade- 
wegs in  die  nordische  Mythologie  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  über. 
Die  alte  fränkische  Sage  wußte  nur,  daß  Sigfrid  dem  Wurme  einen 
Hort  abgewann.  Das  Nibelungenlied  sagt  vom  Horte  noch  1124: 

der  wünsch  der  lac  darunter,         von  golde  ein  rüetelin. 
der  daz  het  erkunnet,         der  möhte  meister  sin 
wol  in  aller  werlde         über  ietslichen  man. 

Die  goldene  Wünschelruthe,  die  den  Schatz  mehrte  und  vor  dem 
Schwinden  bewahrte,  ist  wohl  mit  Recht  mit  dem  Andvaranautr  zu- 
sammengestellt worden^.  Auch  von  diesem  sagt  Snorra  Edda:  lez 
mega  cßxla  ser  fe  af  hauginum,  Grimm  meint,  die  Wünschelruthe  sei 
an  Stelle  des  Ringes  getreten.  Ebenso  leicht  kann  das  Umgekehrte 
der  Fall  gewesen  sein.  Dem  Nordischen  liegt  ein  schätzemehrender 
Ring  besonders  nahe,  da  Odin  den  Ring  Draupnir  besitzt,  von  wel- 
chem jede  neunte  Nacht  acht  ebenso  schwere  Ringe  abtropfen.  Ethisch 
vertieft  wurde  die  Sache  dadurch,  daß  der  Ring,  welchen  Sigurd  der 
Brynhild  gibt,  der  Andvaranautr.  ist.  Was  den  Fluch  anlangt,  so  ist 
die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  daß  der  Hort  von  Alters  her  ver- 


»;  Vgl.  z.  B.  Hyndluljöa  2: 

bidjum  Heijaf9dr        {  hugum  sitja; 
bann  geldr  ok  gefr        guU  verdangu: 
gaf  hann  Hermödi        hjälm  ok  brynju, 
en  Sigmund!        sverd  at  ))iggja. 

')  W.  Grimm,  Heldensage  p.  S86. 


NORDDEUTSCHE  UND  SOdDEOTSCHE  HELDENSAOE  ete.     295 

wdnscht  war;  sicherlich  ist  aber  dieses  Motiv  erst  von  der  nordischen 
Sage    recht   ausgebildet    worden,    wie   auch   sonst  in  nordischen  Ge- 
schichten   der    einmal    auf   einen    Gegenstand    gelegte    Fluch,    z.  B. 
beim  Tyrfingschwert  sich  durch  Geschlechter  hindurch  erstreckt.   Auf 
zweierlei  Art  kam  Odin  in  die  Sage,  mit  dem  Schwerte  und  mit  dem 
Hort,    endlich  auch  mit  der  Valkyrje.    Jede  Gelegenheit,   welche  die 
Sage  für  den  Mythus  zur  Anknüpfung  darbot,  wurde  ausgenützt,  so 
daß    die   nordische  Form   der  Nibelungensage   durchaus  mythisch  ist. 
Aber   alle   die  Mythen    sind   wiederum  so  ausschließlich  nordisch,    so 
daß    sie,    abgesehen  von  allem  Übrigen,    unmöglich  in  die  alte  frän- 
kische Form   zurückgetragen  werden   können   und  damit  das  mytho- 
logische Halbdunkel    und    alle   darauf  aufgebauten  Folgerungen   von 
der  letzteren  ganz  ferne  gehalten  werden  müssen«  Daß  die  nordische 
Dichtung  mit  dem  überkommenen  Stoffe  in  freiester  Weise  geschaltet 
hat,  zeigt  sich  auch  sonst,  z.  B.  in  der  Verbindung  der  Ermanarich- 
Sage  mit  der  Nibelungensage,  einer  ausschließlich  isländisch-norwegi- 
schen Neuerung,    zu  welcher  in  den  zu  Grunde  liegenden   Vorlagen 
nicht    der    geringste  Anlaß    gegeben    war.  —  Die  Vergleich ung    der 
nordischen  Nibelungensage  mit  der  fränkischen  lehrt  wieder  recht  ein- 
dringlich den  Satz,  der  nicht  genug  betont   werden  kann,  der  die  Vor- 
aussetzung   einer    richtigen  Einsicht  in  die    gesammte    deutsche    und 
nordische  Mythen-  und  Sagengeschichte  recht  eigentlich  begründet,  daß 
die  Nordleute  aus  einfachen  Keimen   glänzende,    neue  und  phantasie- 
reiche Gebilde  schufen.    Es  soll    durchaus   nicht  in  Abrede    gezogen 
werden,  daß  bei  dieser  Umwandlung,  die  alten  Vorlagen  zum  Theile 
sehr    gewonnen   haben    und   viel   schöner  imd   erhabener   wirken  als 
zuvor;  nur  muß  mit  voller  Offenheit  und  Klarheit  anerkannt  werden, 
daß    dieses  Neue    eine    eigene  Schöpfung    des   nordischen  Geistes  ist 
und    nicht   des   germanischen,    und   daß  nimmermehr  das  ältere  Ein- 
fache aus  dem  Späteren,  Großartigeren  abgeleitet  werden  darf.    Man 
verwirrt  mit  einem  solchen  Versuche  die  Möglichkeit  der  klaren  Er- 
kenntniß   der  wirklichen  Verhältnisse  im  stärksten  Maße.    Mit  Recht 
hatMüllenhoff^)  bemerkt,  die  wissenschaftliche  deutsche  Mythologie  sei 
die  unumgängliche,  noth wendige  Vorbedingung  der  nordischen;    das- 
selbe gilt  von  der  Heldensage.    Aber  der  Grundsatz  muß  mit  voller, 
rücksichtsloser  Entschiedenheit  überall  durchgeführt  werden,  die  Aus- 
scheidung des  nordischen  Elementes  in  größerem  Umfang  vorgenommen 
werden,  als  MüUenhoff  selber  sich  hiezu  verstehen  konnte.  Wenn  der 


*)  Deutsche  Literatnrzeitang  II,  1224  f. 


296  W.  GOLTHER,  NORDDEUTSCHE  UND  SÜDDEUTSCHE  HELDENSAGE  etc. 

also  Yorgezeichnete  Weg  eingehalten  wird,  so  leiten  uns  auch  all- 
gemeinere Erwägungen  zu  der  Ansicht;  ^aß  er  der  richtige,  zur  Lösung 
führende  sein  muß.  Man  hat  fast  immer  in  der  Ursage  möglichst  viel 
unterzubringen  versucht,  so  daß  sich  das  Erhaltene  eigentlich  nur  als 
trümmerhafter  Überrest  herausstellte.  Eine  Sage,  eine  Dichtung  ist 
aber  keineswegs  allezeit  in  beständig  fortschreitendem  Verfalle  be- 
griffen,  vielmehr  hat  sie  Leben,  Blühen  und  Wachsthum,  zumal  so 
lange  sie  in  mündlicher  Überlieferung  sich  erhält  und  noch  nicht  zu 
dem  von  Abschrift  zu  Abschrift  übergehenden  Literaturwerk  erstarrt 
ist.  So  liegt  unsere  Aufgabe  darin,  den  Kern  herauszufinden,  und 
weiterhin  zu  untersuchen ,  wie  er  sich  im  Verlaufe  veränderte  durch 
vielfache,  in  Zeit  und  Umständen  belegene  Anwüchse.  Dadurch 
gelangen  wir  zu  einem  Einblick  in  die  wirkliche  geschichtliche  Ent- 
wicklung. Es  wäre  sicherlich  auch  verkehrt,  wollte  man  alles  Schöne 
und  Ergreifende  einer  Sage  allein  in  ihrer  ältesten  Fassung  suchen 
und  damit  die  Möglichkeit  ausschließen,  daß  bei  späteren  Weiter- 
bildungen Verbesserung  und  Vertiefung  des  Gedankens  ebensowohl 
einmal  glücklich  gelang,  als  dieser  anderseits  auch  verschlechtert 
und  verflacht  werden  konnte.  Nordische  Dichtungen  aus  deutschen 
Stoffen  verhalten  sich  wie  künstliche,  oft  auch  glänzend  und  schön 
ausgeführte  Paraphrasen  eines  einfachen  Themas.  Weiterhin  ist  eine 
genaue  Berücksichtigung  jeder  einzelnen  Quelle  von  höchster  Wichtig- 
keit. Es  genügt  nicht,  vom  Inhalt  allein  auszugehen,  diesen  zusammen- 
zustellen und  so  Wiederherstellungsversuche  zu  machen.  Jede  Quelle 
muß  zunächst  sorgfältig  für  sich  allein  geprüft  werden  in  Rücksicht 
auf  die  Umgebung,  der  sie  entstammt.  Von  welch  großer  Bedeutung 
dies  ist,  lehren  die  nordischen  Quellen  auf  Schritt  und  Tritt.  Erst 
dann  darf  mit  dem  also  kritisch  gesichteten  Inhalte  gearbeitet  werden. 
Die  Eenntniß  der  einzelnen  Quellen  ist  aber  heutzutage  in  ungleich 
besserer  und  verlässigerer  Weise  ermöglicht;  und  daraus  ist  natürlich 
Vieles  für  das  Ganze  richtigzustellen,  und  oft  sind  neue  Erklärungsver- 
suche an  Stelle  älterer,  verfrühter  zu  setzen.  —  Für  die  hier  vertretene 
Auffassung  über  die  Entwicklung  der  Nibelungensage  darf  wohl  auch 
der  Umstand  sprechen,  daß  die  Geschichte  der  Verwandlungen,  welche 
die  alte  Sage  erfuhr,  in  logisch  richtiger  Gliederung  uns  vor  Augen 
tritt.  In  den  meisten  Fällen  sehen  wir,  warum  und  auf  welche  Art  die 
Veränderungen  erfolgt  sind,  und  wie  sie  das  ältere  umgebildet  haben. 
Auf  diese  Vorgänge  fiel  bei  der  Ansicht,  welche  die  deutsche  Form 
aus  der  nordischen  erklärte,  kein  Licht.  RäthselvoU  blieb,  warum 
dieser  oder  jener  Zug  auf  einmal  verschwand,  diese  oder  jene  Zuthat 


FRANZ  J0STE8,  ZUR  FRECKEN HORSTER  HEBEROLLE.  297 

hmznkam.  Sicherlich  beruht  bei  der  lebendigen  Dichtung  Vieles  auch 
daf  reinem  Zufall  und  bloßer  Willkür  eines  einzelnen  Sängers  ^  und 
wir  wQrden  zu  weit  gehen,  wenn  wir  für  Alles  und  Jedes  den  Grund 
ausfindig  machen  wollten.  Aber  so  ganz  blindlings  ist  darum  das 
Walten  der  in  der  Dichtung  schöpferischen  Kraft  denn  doch  nicht^ 
und  wo  sich  ungezwungen  aus  Zeit-  und  Ortsverhältnissen  eine  aus- 
reichende Erklärung  darbietet^  wie  in  unserem  Falle  die  Wikingerzeit 
im  besonderen  Maße  dies  vermag,  daist  sie  gewiß  auch  die  richtige; 
die  beste  Gewähr  ftlr  die  Richtigkeit  der  Gesammtheit  ist,  wenn  sie 
durch  das  Einzelne  Bestätigung  findet,  wobei  unter  Umständen  auch 
verschiedene  noch  nicht  völlig  klare  Punkte  aufgehellt  werden. 
MÜNCHEN,  December  1888.  WOLFOANG  OOLTHER. 


ZUR  FRECKENHORSTER  HEBEROLLE. 


Es  ist  schon  früher  versucht  worden,  mit  Hilfe  einer  Urkunde 
des  Bischofs  Erpho  von  Münster  vom  Jahre  1090^)  das  Älter  der 
Freckenhorster  Heberolle  zu  bestimmen.  Der  Versuch  ist  als  miß- 
lungen von  J.  Grimm  sofort  abgewiesen  worden').  Wenn  ich  nun 
auch  der  Ansicht  bin,  daß  Grimm  im  Rechte  war,  wenn  er  die  bei- 
gebrachten Gründe  für  nicht  stichhaltig  erklärte,  so  glaube  ich  doch 
anderseits  auch,  daß  die  Urkunde  an  und  für  sich  wohl  mehr  Licht 
auf  die  Heberolle  werfen  könnte,  ja  daß  sie  durchaus  die  Ansicht 
von  Grimm's  Gegnern  über  das  Alter  der  Handschrift  bestätigen  würde, 
wenn  man  sie,  was  noch  nicht  geschehen  ist,  mit  dem  Abschnitte 
504 — 534  der  Heberolle  in  Vergleich  stellte*).  Ich  habe  diesen  Ver- 
such durchgeführt,  allein  je  näher  ich  dem  Ende  kam,  desto  mehr 
überzeugte  ich  mich  davon,  daß  ebenso  wie  die  Stiftungsurkunde 
auch  diese  eine  Freckenhorster  Fälschung  sei  und  ich  somit  in  die 
Luft  gebaut  hatte.  Herr  Archivar  Dr.  Ilgen  hatte  die  Güte,  daraufhin 
das  Original  zu  untersuchen  und  kam  dabei  zu  dem  Ergebnisse,  daß 
die  äußeren  Verdachtsgründe  ebenso  stark  seien  wie  die  inneren. 
Anordnung^  Schrift,  Pergament  und  Siegel  stimmen  nicht  zu  den 
übrigen  Erpho'schen  Urkunden   und  weisen   eher   nach  Freckenhorst 


^)  Erhard,  Cod.  diplom.  bistoriae  Westfaliae  I,  S.  129  ff. 
')  Kleine  Schriften  V,  S.  1  ff. 

')  Ich  citiere  die  Heberolle  nach  der  Ausgabe  von  Heyne:   Kleinere  altnieder- 
deutsche Denkmäler.    2.  Aafl.    Paderborn  1877. 

GERMANIA.    Neae  Reihe  XIII.  (IXXIY.)  Jahrg.  20 


298  FRANZ  J0STE8 

hin.  Damit  verliert  sie  zunächst  jede  Bedeutung  ^)  für  die  Datierung 
der  Heberolle.  Aber  da  sie  immerhin  noch  in  die  erste  Hälfte  des 
12.  Jahrhunderts  fällt,  so  ist  sie  doch  nicht  ganz  unbrauchbar,  viel- 
mehr gibt  sie  uns  einen  Fingerzeig  für  die  richtige  Erklärung  des 
Abschnittes  505 — 534,  des  dunkelsten  in  der  ganzen  Heberolle  *).  Ich 
hebe  hier  gerade  die  Stelle  heraus,  welche  sämmtliche  drei  dunkeln 
Worte  in  sich  schließt: 

In  anniversario  sancte  T/nedhildis  td  then  neppenon^  ande  tS  then 
alfndson  ande  to  themo  inganga  therd  iungerono  twi  malt. 

Der  Abschnitt  505 — 545  fällt,  um  das  zunächst  zu  bemerken, 
aus  dem  Charakter  einer  Heberolle  insofern  heraus,  als  hier  nicht 
Einkünfte,  sondern  Ausgaben,  und  zwar  außerordentliche  Ausgaben 
{dne  the  rehton  pravendi)  der  Abtei  zum  Besten  der  Stiftsmitglieder 
verzeichnet  werden. 

Jacob  Grimm  hat  sich  mehrfach  über  die  angeführte  Stelle  aus- 
gesprochen^), ohne  zu  einer  bestimmten  Entscheidung  zu  gelangen: 
„Wüßte  man  deutlich,'  was  hier  jjungeron^  und  was  ihr  „inganga 
bedeutet!  ..  Sind  das  Novizen,  ihr  ingang  die  Reception?"  .... 
Friedländer  nimmt  dies  an^  Heyne  dagegen  erklärt  im  Glossare: 
„jungero  Jünger,  Schüler,  Klosterschüler"  und  „ingang,  Eingang, 
Antritt". 

Grimm  hat  schon  bemerkt,  daß  bei  einem  Damenstifte  höchstens 
an  Schülerinnen  gedacht  werden  könne.  Ob  wir  dann  weiter  aber 
„Schülerinnen"  oder  „Novizen"  übersetzen,  ist  bei  der  Identität  der 
Begriffe  gleichgiltig.  Allein  auch  diese  Übersetzung  trifft  das  Richtige 
nicht;  ich  glaube  nur  das  Wort  „Junfer**  nennen  zu  brauchen,  um 
wenigstens  die  Möglichkeit  einer  dritten  Übersetzung  darzuthun.  Sie 
ist  indeß  nicht  nur  möglich,  sondern  die  einzig  mögliche.  Schüler 
können  nicht  gemeint  sein,  Schülerinnen  oder  Novizen  ebensowenig; 
denn  der  ingang  therd  iungerond  fand  ungefähr  dreißig  Male  im  Jahre 
statt.    Nun    gab  es  aber   im  15.  Jahrhundert   erst  neun  Pfründen  für 


^)  Den  schulgerecbten  Kachweis  für  die  Unechtfaeit  beizubringen  mnß  ich  den 
Diplomatikem  von  Fach  überlassen. 

*)  Eine  kleine  Berichtigung,  welche  die  Untersuchung  ergab,  möge  hier  doch 
eine  Stelle  finden.  Friedländer ,  Codex  Traditonum  Westfalicarum  I,  ä.  21 ,  und  ihm 
folgt  Heyne,  nimmt  eine  dreifache  Entstehungszeit  der  Handschrift  an.  Das  ist  irrig; 
bis  De  imperatore  Heinrici  hat  dieselbe  Hand  geschrieben,  von  da  ab  eine  andere, 
nicht  viel  jüngere.  Wilmans  (Kaiserurkunden  S.  404)  hat  die  ganze  Handschrift  dem 
12.  Jahrhundert  zugewiesen,  dabei  muß  es  auch  nach  der  Ansicht  Ilgens  sein  Bewenden 
haben. 

^)  a.  a.  O.  V,  S.  1  flf.;  VI,  S.  362  flf. 


ZUR  FRECKENHORSTEB  HEBEROLLE.  299 

haushaltende  Stiftsdamen '),  und  mehr  hat  auch  die  frühere  Zeit  nicht 
gekannt^).  Demnach  können  unmöglich  dreißigmal  im  Jahre  neue 
Mitglieder  aufgenommen  worden  sein.  Ziehen  wir  aber  zunächst  das 
Wort  ingang  in  die  Untersuchung  hinein ! 

Der  „Eingang"  fand  an  folgenden  Tagen  statt:  in  Adventu^ 
Nat.  Dom.,  Joh.  Evang.,  in  Octava,  in  Epiphania  Domini,  in  anni- 
versario  abbatisse  Thiedhildis,  in  Purific.  S.  Marie,  in  Coena  Domini, 
in  Pascha,  in  Invent.  S.  Crucis,  in  Ascens.  Dom.,  in  Pentecoste, 
Bonifatii,  Joh.  Bapt^  Petri  et  Pauli,  assumptionis  et  nativitatis  Sancte 
Marie,  Michaelis,  Aeonii  et  Antonii,  Cosm^  et  Damiani,  Maximi, 
Omnium  Sanctorum,  [Martini],  Andree'). 

Diese  Anordnung  nach  dem  Kalenderjahre  rührt  nicht  von  mir 
her;  ich  habe  sie  aus  der  angeblichen  Urkunde  Erphos  entlehnt,  die 
in  der  Angabe  der  Feste  bis  auf  Martini  mit  der  Heberolle  (wo  es 
fehlt)  übereinstimmt.  Es  ist  interessant  zu  sehen,  wie  diese  Feier 
hinzugekommen  ist.  In  einem  Verzeichnisse  des  Goldenen  Buches 
(14.  Jahrh.) *)  heißt  es:  „/n  vigilia  beati  Martini  per agetur  memoria 
episcopi  Erponis,  qui  dedit,  ut  dicitur,  conventui  officium  de 
Wartenhorst."'  *)  In  Wirklichkeit  war  dieser  Tag  der  Todestag  des 
Bischofs^),  aber  ihn  im  Jahre  1090  zu  bestimmen,  hätte  doch  wohl 
schwer  fallen  dürfen! 

Er  ist  der  einzige  Bischof,  dessen  Gedächtniß  feierlich  mit  einem 
Schmause  begangen  wurde,  und  er  hatte  das  wahrhaftig  um  die  Nönnchen 
verdient ! 

Bei  der  Übereinstimmung  der  Festtage  darf  man  schon  ver- 
muthen,  daß  auch  die  übrigen  näheren  Angaben  zu  einander  stimmen, 
d.  h.  daß  dieser  Theil  der  Urkunde  den  betreffenden  Passus  der  Hebe- 
rolle in  anderer  Form  bietet. 

Nun  handelt  es  sich  in  der  Urkunde  um  eine  Erleichterung  der 
Lebensweise  der  adeligen  Dämchen,  die  von  der  Äbtissin  gar  zu  strenge 
behandelt    wurden.    Bei  dem   immer   mehr    anwachsenden  Beichthum 


*)  Friedländer  a.  a.  O.  S.  182,  Anm.  2. 

')  Nordhoff,  Die  Kunst-  und  Geschichtsdenkmäler  der  Provinz  Westphalen  II, 
S.  101.    Nordhoff  gibt  als  ursprüngliche  Zahl  der  Stiftsdamen  zwölf  an. 

*)  Von  den  sonst  wenig  bekannten  Heiligen  Mazimus,  Aeonius  und  Antonius 
hatte  das  Stift  im  Jahre  861  durch  Schenkung  des  Bischofs  Liutbert  von  Münster 
Reliquien  erhalten. 

^)  Herausgegeben  von  Friedländer  a.  a.  O.  S.  63  ff. 

*)  ibid.  S.  102. 

")  Er  starb  am  9.  November  1097;  vgl.  Erhard  ^  Regesta  historiae  Westfaliae. 
8.  210.    Charakteristisch  ist  der  in  »ut  dicitur'*   liegende  Zweifel  an  der  Schenkung« 

20* 


300  FKANZ  JOSTES 

des  Stiftes  fühlten  diese  die  Einfachheit  der  Beköstigung  um  so  drücken- 
der. Mit  Hilfe  des  guten  Bischofs  Erpho,  der  eine  Mitleid  erregende 
Schilderung  ihrer  erbärmlichen  Lebensweise  gibt,  wurde  dem  ab- 
geholfen und  Alles  in  Bezug  auf  Speise  und  Trank  bis  in  die  Einzel- 
heiten geregelt.  In  Bezug  auf  die  oben  genannten  Tage  heißt  es  nun 
in  der  Urkunde: 

Unde  inito  in  commune  consilio  tempora  constituimus ,  videlicet  in 
Adventu  etc.  cum  plenum  datur  servicium  Septem  fercula,  cum 
pleniter  non  datur  quinque  dari,  ad  C^am^)  vero  genus  cibi  quod 
vulgo  struua  didtur. 

Es  werden  hier  zwei  verschiedene  servicia  unterschieden,  plana 
und  non  plena.  Auch  die  Heberolle  unterscheidet,  insofern  sie  bald  4 
bezw.  6  Müdde,  bald  IV2  oder  2  Malter  Korns  ansetzt. 

Was  ist  nun  unter  servicium  zu  verstehen?  Es  ist  das,  was  der 
Convent  an  jenen  Tagen  „awe  the  rehton  pravendi^  von  der  Äbtissin 
zu  beanspruchen  hatte.  Präbenden  sind  nach  klösterlichem  Sprach- 
gebrauch die  Bezüge  aus  Küche  und  Keller;  diese  waren  an  jenen 
Tagen  besonders  reichhaltig  und,  was  hier  noch  wichtiger  ist,  sie 
wurden  in  der  Abtei,  am  Tische  der  Äbtissin  verabreicht.  Ein  Ver- 
zeichniß  aus  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts^),  in  dem  die  einzelnen 
Speisen  und  Getränke  genau  vorgeschrieben  sind,  zeigt  deutlich  genug, 
daß  an  diesen  Tagen  die  Äbtissin  die  Junfern  zu  sich  in  die  Abtei 
lud  utid  sie  dort  bewirthete*).  Was  auf  diesen  ingang  thero  iungerono 
verwendet  werden  mußte,  das  ist  es,  was  die  Heberolle  feststellt. 
War  es  zu  wenig  oder  wurde  Abbruch  daran  gethan?  Genug,  die 
Tendenz  der  Urkunde  ist  es,  hier  ein-  für  allemal  genaue  Bestim- 
mungen zu  geben. 

*)  So  ist  zu  schreiben,  nicht  eenam, 

^)  Abgedruckt  bei  Friedländer  a.  a.  O.  S.  149  ff.  Der  Heraasgeber  setzt  das 
Stück  ins  16.  Jahrhundert;  dagegen  spricht  schon  die  Schrift.  Die  Sprache  aber  — 
es  ist  ein  Mischmasch  von  Hoch-  und  Niederdeutschem  —  läßt  eher  auf  die  sweite 
als  auf  die  erste  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  schließen. 

')  Daß  im  Laufe  der  Zeit  mannigfache  Veränderungen  vorkamen,  liegt  auf  der 
Hand.  Der  Qrund  dafür,  der  in  dem  Aufkommen  neuer  kirchlicher  Feste,  in  neuen 
Stiftungen,  in  Verlegungen  u.  s.  w.  liegt,  ist  fast  überall  noch  zu  erkennen.  Bis- 
weilen ist  die  Abweichung  nur  scheinbar  und  findet  ihre  Erklärung  in  der  Kürze  der 
alten  Aufzeichnung,  welche  mit  der  Zeit  immer  mehr  ins  Einzelne  geht.  Der  Heraus- 
geber hat  freilich  den  Zusammenhang  der  einzelnen  Stücke  nicht  erkannt,  aber  auf- 
merksam gemacht  kann  ihn  doch  keiner  verkennen.  Daß  in  der  Urkunde  ebensowenig 
wie  in  der  Heberolle  der  Eirchweihetag  genannt  ist,  läßt  wohl  darauf  schließen,  daß  sie 
vor  Einweihung  der  jetzigen  Stiftskirche  (1129)  entstanden  sind.  Der  frühere  Tag  ist 
nicht  bekannt,  steckt  aber  doch  wohl  in  einem  nach  dem  Heiligen  bezeichneten  Tage. 


ZUR  FRECKENH0B8TBR  HEBEROLLE.  301 

Nachdem  nun  festgestellt  ist^  daß  ingang  die  Bewirthung  der 
Junfem  bedeutet,  und  da  das  Almosen  der  Bewirthung  der  Armen 
diente y  so  liegt  es  nahe,  bei  td  thin  neppenon  an  eine  ähnliche  Be- 
stimmung zu  denken.  Gegen  wen  konnte  die  Äbtissin  sonst  noch  Ver- 
pflichtungen haben?  Gegen  die  „Herren''^  Canoniker,  Pastore,  Vicare. 

Heyne  erklärt  im  Glossare:  „Die  hnippena^  welche  zum  Weih- 
nachtsabend,  am  Feste  der  heil.  Thiadhildis,  der  Schutzpatronin  des 
Stiffcesy  zu  Ostern  und  zu  Pfingsten  stattfanden^  können  nur  geistliche 
Spiele  und  Umzüge  gewesen  sein,  ftir  die  die  Zinspflichtigen  Gerste 
zur  Bierbereitung  lieferten.^  Von  diesen  Worten  steht  kaum  eines 
auf  festem  Fuße.  Zunächst  ist  die  Zahl  der  Tage  falsch  angegeben; 
es  sind  Coena  Domini,  Inventio  S.  Crucis^)  und  Omnium  Sanctorum 
übersehen  (vgl.  Heyne  S.  82,  Z.  516  f.).  Die  Spiele  müßten  also  nicht 
vier-,  sondern  siebenmal  im  Jahre  stattgefunden  haben.  Dann  steht 
nirgends,  daß  die  Zinspflichtigen  dieses  Korn  lieferten,  und  ebenso- 
wenig irgendwo,  daß  es  zur  Bierbereitung  verwendet  wurde').  End- 
lich sehe  ich  auch  nicht  ein,  weßhalb  knippma  nicht  auch  Näpfe  sein 
können.  Ich  bin  im  Gegentheil  sogar  der  Ansicht,  daß  es  nur  Näpfe 
sein  können,  freilich  Näpfe  in  einer  anderen  Form  als  unsere  jetzigen. 

Das  unserem  Abschnitte  der  Heberolle  entsprechende  Verzeichniß 
des  16.  Jahrhunderts  hat  zu  all  jenen  Tagen,  wo  dort  td  thSn  nep- 
penon  sich  findet,  den  Zusatz  „Heildienst^.  Die  weniger  ausführliche 
Aufzeichnung  des  14.  Jahrhunderts,  wie  auch  die  Erpho'sche  Urkunde, 
unterscheiden  nicht  im  Besonderen;  es  war  das  ja  auch  allgemein 
bekannt.  Aber  nach  der  Urkunde  gab  es  zu  den  Heildiensten  zwei 
Gänge  mehr  als  zu  den  Halbdiensten,  und  im  16.  Jahrhundert  wurde 
zu  diesen  Festen  ein  Ochse  geschlachtet,  während  man  sonst  ein 
Rindchen  (risebiter)  nahm,  oder  gar  sich  mit  Fleisch  „aus  der  Peckel^ 
begnügte.  Was  hier  aber  wichtiger  ist:  an  jenen  Tagen  erhielten 
nach  der  Aufzeichnung  des  14.  Jahrhunderts  die  Junfem  una  crathera 
vini^;  an  den  Halbdiensten  mußten  sie  sich  mit  dimidia  crathera 
begnügen.  Doch  auch  hiermit  dürfte  die  unverhältnißmäßig  große 
Ausgabe  noch  nicht  genügend  erklärt  sein.  Aber  in  eben  dieser  Auf- 
zeichnung  ist   vorher  (Friedländer  S.  101)   bemerkt:    y^Qu/indocunque 


1)  Im  14.  Jahrhunderte  finden  sich  statt  dessen  zwei  Halbdienste,  für  die  Vigil 
und  den  Tag  selbst.  An  der  Vigil  wurde  das  Qedächtniß  des  Stifters  Everword  be- 
gangen. Die  Theilung  hat  demnach  wohl  der  Ausbildung  der  Stiftungslegende  ihren 
Ursprung  zu  verdanken. 

')  £s  sind  bloße  Werthbestimmungen. 

*)  Friedländer  a.  a.  O.  S.  103  f. 


302  FRANZ  JOSTES,  ZUR  FRECKENH0R8TER  HEBEROLLE. 

conventui  dahitur  planum  servicium,  tunc  canonici  debent  procurari  lauta 
et  honesta  procuratione  in  mensa  domine  abhatisse'^;  und  in  der  Auf- 
zeichnung des  16.  Jahrhunderts  heißt  es  zu  allen  Heildiensten  „Heren 
zu  gaste^.  Da  nun  die  Zahl  der  Herren  mindestens  sechs  betrug,  also 
hinter  der  der  Junfern  nicht  weit  zurtickblieb,  so  kann  man  sich 
wohl  denken ;  daß  an  diesen  Tagen  das  Weinfaß  der  Äbtissin  ein 
Loch  bekam,  zu  dessen  Ausfüllung  es  wohl  eines  Malter  Korns  be- 
dürfen mochte. 

Ich  glaube  demnach,  daß  wir  in  den  cratherae  des  14.  Jahrhs. 
die  neppena  des  12.  Jahrhs.  zu  sehen  haben.  Freilich  wird  im  Mnd. 
Wb.  keine  Stelle  angeführt,  in  der  nap  Becher,  Pocal  bedeutet,  allein 
damit  ist  nicht  bewiesen,  daß  das  Wort  im  Niederdeutschen  die  Be- 
deutung auch  nicht  gehabt  habe.  Es  möge  hier  eine  Stelle  für  das 
Qegentheil  angeführt  sein.  Köchell  erzählt  in  seiner  Chronik  (c.  1600) 
von  dem  Bischof  Werner  von  Münster  [1132— 1151J,  daß  er  jährlich 
ein  Fuder  Wein  für  die  Domherren  und  Andere  und  einen  y^siJheren 
nap  uberhen  verguldet^^  gestiftet  habe.  „Daruf  steidt  die  historie  von 
S.  Pauwel  mit  verlieben  bild&i'en;  und  wordt  noch  heuthe  zu  dage  ge- 
nompt  S,  Paulus  nap;  man  kan  darin  gedoen  ungeferlich  vif  orth  weins,  *) 
Dieser  Pocal  ist  verschwunden,  aber  auch  der  Pocal  des  hiesigen 
Großen  Kalands,  den  jedes  Mitglied  bei  seiner  Aufnahme  stehend  in 
einem  Zuge  leeren  muß,  führt  noch  jetzt  den  Namen  „A'ap^,  Der 
Deutung  der  neppena  als  Poeale  dürfte  demnach  kaum  noch  etwas 
entgegenstehen.  Daß  die  Ausgabe  speciell  zur  Weinspende  für  die 
„Herren'^  bestimmt  war,  möchte  ich  auch  noch  daraus  schließen,  daß 
in  der  Heberolle  auch  der  Grünedonnerstag  angeführt  ist;  im  14.  Jahr- 
hunderte bekamen  an  diesem  Tage  die  Junfern  noch  keinen  Wein, 
während  es  von  den  Herren  heißt:  „/w  cena  Domini  ad  mandatum 
(Gastlocal)  domina  abbatissa  ministrabit  canonicis  et  cletncis  suis  species 
propinando  eisdem  dabit  etc,^^)  Für  die  Schwestern  wurde  die  Wein- 
frage auch  erst  nach  der  Entstehung  der  Heberolle  durch  die  Urkunde 
geregelt;  bis  dahin  hatten  sie  j^minus  quam  indigerent"'  erhalten,  dafür 
^vilissima  cerevisia,  nulli  fere  quam  indigentissimo  potabilis^.  Doch 
kommt  es  darauf  auch  so  sehr  nicht  an.  Meine  Übersetzung  der 
oben  angeführten  Stelle  würde  also  folgendermaßen  lauten: 

„Am  Gedächtnißtage  der  heil.  Thiadhild  für  die  Weinpoeale  (der 
Herren)  und  für  Almosen  und  für  den  Besuch  der  Junfern  zwei  Malter/ 

MÜNSTER  in  Westfalen.  FRANZ  JOSTES. 

^)  Qescbichtsquellen  des  Bisthumes  Münster  III,  S.  199  ff. 
»)  Friedländer  8.  105. 


FRANZ  KRATOCHWIL,  ÜBER  DEN  QEGENWlRTIOEN  STAND  etc.     30S 

ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER 
SÜCHENWIRT  -  HANDSCHRIFTEN. 

Mit  zwein  großen^  bisher  unbekannten  Ergänzungen  zu  Suchenwirt's  Gedichten. 

IV.   c. 

Vielleicht  kann  uns  C,  die  Papierhandschrift  der  Wiener  Hof- 
bibliothek Nr.  10100*  (Rec.  2201  nach  der  Eintragung  auf  der  Innen- 
seite des  Vorderdeckels)  darüber  Aufschluß  geben.  —  Die  Ecken  der 
beiden  Deckel  und  der  Rücken  sind  mit  Pergament  überzogen;  letz- 
terer trägt  ein  schwarzes  Schild  mit  der  Inschrift  in  Goldbuchstaben : 
Varia  Poetica  Coli.  A  O^)  A.  Pernberger. 

Christoph  Adam  Freiherr  von  Fernberg  gehörte  dem 
aus  Mittelfranken  stammenden  Geschleohte  der  Fernberger  an;  der 
Name  rührt  von  dem  in  der  Nähe  von  Ansbach  gelegenen  Stamm- 
hause Fernberg.  Ulrich  Fernberger  trat  um  1470  in  die  Dienste  des 
Erzherzogs  Sigismund  von  Tirol ;  sein  Sohn  Johann  ging  nach  Öster- 
reich und  kaufte  sich  1531  Herrschaft  und  Schloß  Egenberg  in 
Oberösterreich,  wonach  er  und  sein  Geschlecht  sich  in  der  Folge 
nannte.  1535  wurde  er  mit  seinem  ganzen  Mannesstamme  von  König 
Ferdinand  I.  mit  dem  Erbkämmereramte  in  Osterreich  ob  der  Enns 
belehnt.  Sein  Enkel  ist  Karl  Ludwig  Fernberger  zu  Egenberg,  Hoch- 
haus und  Messenbach,  Herr  der  Herrschaften  Sitzenberg  (im  politi- 
schen Bezirke  St.  Polten,  also  nicht  sehr  weit  von  Neiden- 
Btein)  und  Fahrafeld  in  Niederösterreich.  Obwohl  Lutheraner  wurde 
er  1615  Regimentsrath  in  Niederösterreich.  Aus  seiner  ersten  1594 
geschlossenen  Ehe  stammten  zwei  Söhne;  der  ältere  ist  der  Urheber 
dieser  Handschrift,  Christoph  Adam  Fernberger  von  und  zu  Egenberg, 
Herr  zu  Wiernitz  (jetzt  Würnitz  im  Gerichtsbezirke  Korneuburg)  in 
Niederösterreich.  Die  Nachrichten  über  ihn  lauten  dürftig.  Er  lebte 
der  Wissenschaft  und  Kunst;  dafür  spricht  deutlich  genug  sein  hand- 
schriftlicher Nachlaß.  Auch  dichterisch  versuchte  er  sich,  wie  u.  A. 
aus  C  f.'  164'  zu'ersehen  ißt.  1650 — 1656  war  er  niederösterreichischer 
Ritterstands- Verordneter;  obwohl  zweimal  vermählt,  hinterließ  er  keine 
Kinder.  Sein  Bruder  Christoph  Karl  war  schon  vor  ihm  aus  dem  Leben 
geschieden;  mit  seinem  Stiefbruder  Christoph  Ferdinand,  der  General 
und  Oberst  eines  kaiserlichen  Regimentes  war,  starb  1671  der  letzte 
männliche  Sprosse  dieses  Geschlechtes  (vgl.  Hoheneck  a.  a.  O.  3.  Bd., 
S.  159—164  und  Wissgrill  a.  a.  O.  3.  Bd.,  S.  31-36). 

*)  £s  soll  richtig  heißen  C,  wie  schon  aus  pag.  139  des  6.  Bandes  der  Tabulae 
codicum  zu  ersehen  ist. 


304 


FRANZ  KRATOCHWIL 


Christoph  Adam  Freiherr  von  Fernberg  ist  der  Urheber  von  C 
oder,  nach  dem  Schilde  und  6.  Bande  der  Tabulae  codicum;  der 
Sammler.  Diese  Bezeichnung  ist  aber  keineswegs  dahin  zu  ver- 
stehen, als  ob  die  sechsund vierzig  Theile  der  Handschrift,  nahezu 
ausschließlich  Dichtungen^)  des  Mittelalters  und  der 
Neuzeit  in  deutscher,  aber  auch  in  lateinischer  Sprache, 
durchaus  Originale  wären,  welche  Fernberg  gesammelt  und  zu 
einem  Bande  vereinigt  hätte.  Gleich  die  ersten  zwölf  Nummern  sind 
es  nicht,  sondern  sie  sind  Abschriften  einer  umfangreichen 
Handschrift  aus  dem  Jahre  1402,  die  ich  im  Folgenden  N 
nenne.  Aber  gerade  sie  erregen  unser  Interesse,  da  unter  ihnen 
zehn  Suchenwirtische  Gedichte  vorkommen;  es  sind  folgende: 


Primisse  r's 
Zählang 


Von  Blatt  . . . 

der  Handschrift 

bis  Blatt  . . . 


Überschriften  der  Gedichte 


I 


IV 


XXXIV 


XX 


f.  r— 6"*) 


f.  e^ — 7^ 


f.  7^— 10* 


Von  Herczog  Albrechts  Ritter]  ^schafft 
in    Prewssenland  |  Anno  Dni  M*CCCL 

XXVn  {Schnörkel). 
Von    der  Fürsten    taylung    in   |   Oster- 
reich   Herzog   Albrecht    |    vnd    Herzog 

Lewppolt. 
Von  Fünf  Fürsten  von  dem  von  Maylan  | 
Von  Marchgraf  Sigmund  von  Karlur  { 
Von  Herczog  wilhalm  von  Osterreich  | 
vnd  von  Herczog  Lewppold  von  Oster- 
reich (Schnörkel), 


")  Die  Prosa  ist  nur  durch  wenige  Stücke  vertreten.  —  Zu  den  jüngsten  Theilen 
des    Codex   dürfte   wohl  Nr.  32  (f.  173**)   gehören:    „Cbürzweilige  Soldatenlieder  .... 

so  deß  Herrn  Oberst  (?)-Leidenambt  Fernbergerß  Musterscbreiber   gesungen  hat 

1645."  Biese  MittheiluDg  wird  sich  auf  Adams  Bruder  Christoph  Karl  bezieheo, 
welcher  kaiserlicher  Oberst  und  von  1636  bis  an  seinen  Tod  im  Jahre  1653  General- 
Landoherstlieutenant  im  Erzheizogthum  Österreich  unter  der  Enns  war. 

')  Die  Handschrift  zählt  242  Blätter  in  Folio.  Eine  Blattzählung  ist  oben 
rechts  mit  Blei  angebracht  und  stammt  aus  neuester  Zeit;  a  bezeichnet  die  vordere, 
b  die  rückwärtige  Seite.  Allerdings  finden  sich  hie  und  da  oben  Zahlen  von 
alter  Hand,  aber  diese  beziehen  sich  nicht  auf  die  Paginiernng,  sondern  sind 
Nummern,  womit  einzelne  Theile  der  Handschrift  schon  vor  ihrer  Vereinigung  za 
diesem  Bande  bezeichnet  waren,  die  somit  nicht  immer  gerade  fortlaufend  sind. 

')  Die  senkrechten  Striche  bezeichnen  die  Brechung  der  Überschrift  in  zwei 
oder  mehrere  Theile. 


ÜBER  DEN  GEGEN WÄRTIOEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      305 


Primisser's 
Zählung 


Von  Blatt  . . . 

der  Handschrift 

bia  Blatt  . . . 


Überschriften  der  Gedichte 


XXXV 
XXXVII 

XIX 

XLV 
XLIII 


f.  lO»— 11»»») 

f.  23^—25'«) 
f.  25»— 26'* 

f.  26^—27^ 

f.  27*»— 29' 
f.  29'— 29^ 


10 


XXXVI 


f.  30'— 30*» 


Von  Herczog  Albrecht   seeligen  |  Von 

Osterreich. 

Von  zwayn  Pabsten. 

Von  der  Fürsten  Chrieg  |  vnd  von  Reich- 

stetten. 
Daz   ist  die  Red  uon  dem  |  Tey ebner 
darnach  und  er  |  gestorben  ist 
Ein  Red  uon  der  hubseben  Lug, 
Die  red  hai^t  der  fremd  Siß  |  Vn  ist 
mit    vercherten    werten   |  da:;    merkbt 
ye  an  der  leczten  Silben,  die  antwort 
irm  geno^l^en  hinder  sich  ynd  für  sich 

vnd  I  ist  geticht  chrewczweys. 
Die  Red  hai^t  der  vmbgecberte  Wagen 


38  bis  56  abgesetzte  Verse,  die  meisten  mit  großen 
Buchstaben  beginnend,  bilden  eine  Columne  auF  jeder  Seite. 
Sowohl  der  Text  wie  die  Überschriften  sind  mit  schwarzer  Tinte 
geschrieben,  die  Überschriften  durchaus  mit  größeren  Zügen,  und 
zwar  hat  eine  Hand  die  Überschrift  zu  Nr.  1  und  die  sechs  ersten 
Verse  dieses  Gedichtes  lateinisch  cursiv,  von  f.  23*» — 30*»  die  Über- 
schriften lateinisch  cursiv,  den  Text  nahezu  ausschließlich  deutsch 
cursiv  geschrieben;  eine  zweite  Hand  schrieb  von  V.  7  auf 
f.  1' — 11*»  Text  und  Überschriften  gothisch.  So  schön  diese 
Schrift  ist,  gar  Manches,  namentlich  die  großen  Buchstaben,  lassen 
die  jüngere  Hand  leicht  erkennen.  —  Während  aber  bis  f.  11 
undeutlich  geschriebene  Wörter  äußerst  selten  begegnen ^  läßt  die 
Schrift  von  f.  23*»  an^  was  Deutlichkeit  betri£Ft,  viel,  stellenweise 
wie  in  Nr.  8^  sehr  viel  zu  wünschen  übrig:  nicht  nur  a  und  e, 
auch  r  und  ty  p  und  /  sind  zuweilen  mit  Sicherheit  nicht  zu  unter- 
scheiden. 


*)  Darauf  folgt  f.  11*— 17**:  Die  Cbünigin  von  Frankreich  |  bat  ge- 
ticbt  ein  varunder  man  |  der  hie;  Schöndoch  und  f.  17^  —  23^:  Die  Redt 
hai:(t  Ots  vnd  hat  |  geticht  maister  Chunrad  von  Wircz  |  purckh. 

')  Fol«  24**  wurde  durch  Versehen  zwischen  f.  30  und  31  gebunden. 


306  FRANZ  KRATOCHWIL 

Die  Schreibweise  der  Handschrift  erinnert  vielfach 
an  By  wenn  auch  C  im  Ganzen ,  besonders  von  f.  23^  an^  einen 
Jüngern  Eindruck  macht.  Was  S.  235  über  den  Gebrauch  der  Ma- 
juskel im  Innern  der  Verse,  die  Anwendung  des  Dehnungs-^  (begehrtj 
werthen  C  3*»  und  6'  =  P  IV  278  und  567  u.  ö.)  und  die  Vorliebe  von 
z  und  cz  für  tz  gesagt  wurde,  gilt  auch  von  C.  An  Inconsequenz 
lassen  es  auch  die  Schreiber  von  C  nicht  ganz  fehlen;  so  begegnen 
unter  Andern  in  Nr.  1  V.  131,  133,  180,  187,  240,  241,  249  und  487, 
in  Nn  4,  V.  33  u.  s.  w.  die  Eigennamen  mit  kleinen  Anfangsbuchstaben. 

Im  Gebrauche  der  Haken  jedoch  zeigt  unsere  Hand- 
schrift einen  auffallenden  Unterschied  im  Vergleiche  zu 
B.  Wie  in  unserer  Schreibart  findet  sich  in  C  ober  dem  u  ein  Ring- 
lein (^  ^  ^)  und  die  Umlaute  des  kurzen  und  langen  a*),  o  und  u 
werden  durch  zwei  darüber  gesetzte  Punkte  oder  Striche  ("  '  "  auch 
^)  angedeutet  und  dies  so  allgemein,  daß  man  dort,  wo  in  einem 
der  beiden  Fälle  die  Bezeichnung  unterblieb  (z.  B.  chunig  in  Nr.  3, 
fursten  C  25'  =  P  XXXVU,  13  u.  o.,  fromd  C  29»  im  Titel  von  Nr.  9) 
ein  Versehen  der  Schreiber  annehmen  darf.  Sonst  finden  sich  Haken 
nur  sporadisch  angewendet,  z.  B.  geschluckte  C  7**  =  P  XX  2, 
Sit  =  scet  C  9"  =:V  XX  75  (ähnlich  im  V.  167),  chrüm  C  6*»  =  P 
XXXIV  11,  ^wuchs  (A  wueehs)  C  29'  =  P  XLIII  59,  stört  C  30^  =  P 
XXXVI  67,  vmchsen  (=  Ue)  C  26'  =  P  XXXVII  71,  ttymel  C  2*»  z= 
P  IV  187  u.  ö.  (die  Punkte  auch  schief  übereinander).  Man  sieht 
daraus,  daß  die  Schreiber  es  geflissentlich  unterließen,  ihrer  alten 
Vorlage  in  der  Wiedergabe  der  Haken  getreu  zu  folgen.  Wo  letztere, 
wie  in  den  obigen  Beispielen,  sich  dennoch  finden,  sind  sie  ihnen  bei 
dem  mechanischen  Abschreiben  gegen  ihren  Willen  mitunterlaufen. 
Daraus  erklären  sich  umgekehrt  aber  auch  Fälle,  in  denen  wohl  der 
Haken  weggelassen,  aber  das  Zeichen  für  den  Vocal  nach  der  den 
Schreibern  geläufigen  Art  zu  transscribieren  vergessen  ward,  wie  be- 
ruren  {=  ile)  C  1*  =  P  IV  33,  vmchsen  (=  wo,  ue)  C  28*  =  P  XLV  27 
usw.,  yder  C  4'  =  P  IV  320  u.  ö.  Geradezu  störend  ist  in  Nr.  9,  65 
die  Schreibweise  Süohenwirt,  da  nach  dem  ausgesprochenen  Plane 
dieses  Gedichtes  die  Umkehrung  der  letzten  Silbe  auf  treib  reimen  soll. 

Darnach  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  daß  sich  in  C  Bezeich- 
nungen von  Halbdiphthongen  durch  Haken  auffallend  wenig,  von 
Svarabhakti    gar    nicht   finden.    Für   erstere  ließe  sich   anführen: 


')  Vereinzelt  findet  sich  wete  :  tcTirke  (sa  ee)  C  8^  =  P  XX,  98   und  ee  s=  cb  : 
»eeligen  O  10*  im  Titel  zu  Nr.  4. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHEN  WIRT- H88.      307 

w  zz:  u*  C  7**  und  a**  =  P  XX  11  und  101  chümer  und  pürg,  vielleicht 
noch  e'  =  e'  C  2"*  =  P  IV  183  gUsein  (das  nach  A  richtig  glefen 
heißen  soll).  Bezugs  der  Svarabhakti  macht  es  für  das  erste  den 
Eindruck,  als  ob  die  Schreiber  sich  vollkommen  ablehnend  dagegen 
verhalten  hätten,  denn  in  C  vermißt  man  selbst  Svarabhakti,  die  in 
A  durch  e  oder  i  gegeben  sind,  so  C  2»  =  P  IV  104  Cherg,  C  27^  = 
P  XIX,  71  Kirchen j  sogar  solche,  die  metrische  Geltung  haben,  wie 
C  3^  =  P  IV  264  gern,  C  7»»  und  9'  =  P  XX  14,  158  ernst  und  atern, 
C  2'^  =  P  IV  133,  192  perchtold  und  arheit.  Aber  dagegen  finden  sich 
in  C  einige,  wenn  auch  wenige  Svarabhakti,  die  A  nicht  hat,  so 
Marschalieh  C  4*  =  P  IV  317,  und  in  Nr.  8  V.  27  MariehfeU  mit  metri- 
scher Geltung.  Statt  arm  (richtig  arem)  in  A  hat  C  Nr.  6  =  P 
XXXVII  34,  39,  54,  102  armen. 

Ebenso  sparsam  sind  die  Unterscheidungszeichen  ange* 
wendet;  acht  von  den  zehn  Überschriften  folgt  ein  Punkt  (vgl. 
S.  304  f.),  desgl.  dem  letzten  Wort  in  der  Schlußzeile  von  Nr.  5 — 10. 
Der  Schreiber  der  ersten  vier  Nummern  hingegen  setzt  nach  dem 
letzten  Worte  zwei  Punkte  und  dazwischen  einen  Strich  (7.). 

Der  Gebrauch  der  Abkürzungszeichen  ist  nicht  nur  gegen« 
über  A,  sondern  selbst  im  Vergleiche  mit  B  sehr  beschränkt.  '^  wird 
nur  för  auslautendes  er  gebraucht  (zuweilen  vergessen,  wie  in  Nr.  1 
V.  34  gancz,  131  dain  =  der  ain  u.  s.  w.),  ~~  für  e  vor  Z,  n  und  r  (C  7** 
=  P  XXXIV  123  manchn,  C  11»*  =  P  V  Ul  himlreich,  C  26»  =  P 
XXXVIl  80  Ewr),  für  fehlendes  n  und  m  {dieste  C  27*  =  P  XIX  45, 
Sin  im  Titel  von  Nr.  9;  in  manige  C  2**  =  P  IV  155  wurde  das  Ab- 
kürzungszeichen fllr  auslautendes  m  vergessen);  wn  noch  nach  alter 
Weise  für  und  oder  unde. 

Nach  alledem  erscheint  es  nicht  auffällig,  wenn  in  C  auch  die 
Sprach  formen  vom  Drange  zu  modernisieren  nicht  ganz  unberührt 
geblieben  sind.  So  sucht  man  Formen  mit  auslautendem  t  in  der 
3.  Person  Pluralis  im  Indicativ  des  Präsens  vergebens;  neben  was 
zeigt  sich  auch  C  11^  =  P  V  144  war;  die  gut  österreichische  Form 
des  Präteritums  lewff^)  von  A  wurde  in  C  29**  =  P  XLIII  47  durch 
lief  ersetzt,  hingegen  wurde  C  28**  =  P  XLV  83  leuffet  beibehalten. 
Die  2.  Person  der  Einzahl  im  Ind.  des  Prät  starker  Verba  muß  sich, 
so  schwer  dies  geht,  Umänderungen  gefallen  lassen;  so  hat  C  in  der 

*)  Vgl.  Anton  Schönbach,  Erstes  Stück  der  Mittheilungen  aus  altdeutschen 
Handschriften,  Wien  1878,  Separatabdruck  S.  7  und  Zeitschrift  für  deutsches  Alter- 
thum  und  deutsche  Literatur,  20.  Band  (1876):  Über  einige  Breviarien  von 
St.  Lambrecht  S.  187  ff. 


308  FRANZ  KRATOCHWIL 

Bede  vom  Teichner  V.  84  du  gepört  (A  gq^cter).  Veraltet  scheinende 
Präterita  starker  Verba  sollen  schwache  Form  annehmen;  so  heißt  es 
in  der  Rede  auf  den  verstorbenen  Herzog  Albrecht  III: 

Silber  und  gold  er  ringe  wagt 

und  gab  

manigem  Eäter,  der  da  p klagt 

der  rai^  V.  65  ff. 
Sich  für  anlautendes  8  begegnet  noch  nicht  häufig  {schlecht,  schlug  C  S"^ 
=  P  IV,  209,  295  u.  s.  w.) ;  von  soln  werden  stets  Formen  mit  anlauten- 
dem 8  verwendet;  mancher  findet  sich  nur  vereinzelt  (C  5*  =  P  IV  452). 
In  diesen  drei  Punkten  zeigt  sich  Übereinstimmung  mit  B  (vgl.  S.  238), 
desgl.  auch  in  der  Abneigung,  i  fUr  u;  zu  setzen;  Beispiele  finden 
sich  allenthalben,  besonders  auffällige  in  Nr.  9.  Von  zehn  Eeimstö- 
rungen  in  diesem  Gedichte  rühren  sieben  von  dieser  Abneigung.  So 
lautet  V.  4  geh  :  weg,  V.  8  sib  :  wis,  V.  30  wag  :  gab,  V.  53  war :  Babj 
V.  57  wer  :  reby  V.  65  Süchenwirt :  treib  und  V.  66  wol :  hb.  —  P. 
IV  131  hat  nach  A  Hainreich,  C  2*  Hainrich^  tür  das  in  A  durch  den 
Reim  auf  pran  gesicherte  prewtigan  bringt  C  3*"  =  P  IV  264  prewtigam, 
T  =  V  XXXIV  105  Ucztm  (A  Ustea)  und  27^  =  P  XIX  92  niOin  (A 
nu).  Nebenbei  erwähne  ich  den  ausgedehnten  Gebrauch  von  k  (kk) 
im  Anlaut,  besonders  aber  im  In-  iind  Auslaut  für  das  in  A  so  häufige 
ch  {kchf  chk) ,  den  Übergang  von  a  in  o  {momer  C  2**  =  P  IV  190, 
volsche  C  6«»  =  P  XXXIV,  11)  und  von  i  in  t6  =  w  (C  1'  =  P  IV,  7 
Zichtig), 

Daß  N  der  Sprache  nach  identisch  mit  A  war,  er- 
sieht man  deutlich  aus  C  trotz  der  eben  besprochenen 
Änderungen;  diese  berühren  somit  den  eigentlichen 
Sprachcharakter  von  C  nicht.  Sie  konnten  und  wollten 
ihn  gar  nicht  alterieren,  denn  sie  gingen  von  Leuten  aus^  deren 
Sprache,  wie  selbst  mehrere  der  Änderungen  bezeugen,  dem  öster- 
reichischen Sprachgebiete  angehörte,  die  aber  manche  alte 
Formen  des  österreichischen  Dialects,  als  nicht  mehr  zeitgemäß,  durch 
andere  ihnen  passendere  ersetzen  zu  müssen  glaubten.  Damit  hängt 
es  zusammen,  daß  durch  diese  Änderungen  der  Sinn  der  Hand- 
schrift nicht  oder  doch  nur  unbedeutend  entstellt  wurde. 

Ganz  verschieden  von  diesen  Änderungen  bezwecken  andere  eine 
Besserung  des  Versbaues,  namentlich  einen  regelmäßigen  Wechsel 
von  Hebung  und  Senkung,  so  durch  Einsetzung  einzelner  Wörtlein: 
Nr.  7  V.  67  er  nach  hiet  (dadurch  Unsinn!)  und  V.  68  und  nach  nain, 
Nr.  10  V.  8  eins  nach  ich;  durch  Weglassung  einsilbiger  Wörter,  z.  B* 


ÜBER  DEN  GEGENWiRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-H88:      309 

und  in  Nr.  1  V.  25  und  364,  die  nach  furgtm  in  Nr.  6  V.  13  und  den 
in  demselben  Gedichte  V.  28  u.  s.  w.;  durch  Unterdrückung  des  VocaU 
in  der  Vorsilbe  ge-  :  glauben  C  23^  =  P  XXXV,  13  u.  s.  w.;  durch  Ab- 
werfung des  Präfixes  ge-  :  echrifft  C  l(y*  =  P  V  29;  durch  Ausstoßung 
von  Silben:  Nr.  1  V.  171  manig^lay]  durch  Apokope  Nr.  1  V.  356 
gut^^  und  388  tugend^^,  in  Nr.  5  V.  114  soW^^  wir  u.  s.  w.;  aber  auch 
durch  Einftlhrung  der  vollen  Formen,  besonders  statt  der  syn- 
kopierten, so  C  6*  =  P  XXXIV,  25  armes,  C  lO*  =  P  V  8  und  11 
seinem  (A  seirn)  und  fronen^  C  26*  =  P  XXX VII,  63  edlen  u.  s.  w.  — 
Alle  diese  Änderungen  erfüllen  fast  ausnahmslos  ihren 
Zweck. 

Leider  finden  sich  nicht  selten  ganz  zwecklose  Ände- 
rungen gleicher  Art;  so  begegnen  in  Nr.  1  allein  14  Verse,  in  wel- 
chen ein  kurzes  Wort  fehlt  (V.  8  au6h^  33  wier,  132  den,  172  tr, 
234  und  471  die  nach  pferdj  295  und  469  das  zweite  da:;,  400  und 
406  das  zweite  der  und  dem,  499  sowie  536  und,  endlich  510  80\  in 
Nr.  4,  93  der,  in  Nr.  5,  5  nicht  [dadurch  die  Stelle  sinnlos],  in  Nr.  7, 
15  trann,  in  Nr.  8,  103  m,  in  Nr.  10,  10  in  und  V.  37  der),  auch 
sonst  Verse,  in  welchen  Vorsilben  ganz  unterdrückt  werden  (Nr.  5,  22 
"""tHrret,  Nr.  7,  65  «FpracÄ«),  ferner  Synkopen  (Nr.  1,  12  und  490  ed.l 
u.  8.  w.)  und  besonders  Apokopen  (und®  in  Nr.  1,  7,  267  und  Nr.  2,  5, 
tisch^?  Nr.  1,  392  u.  s.  w.),  aber  auch  Einsetzung  des  unterdrückten 
Vocals  im  Präfix  be-  {belaib  Nr.  9,  53),  Zusatz  von  Silben  zu  Anfang 
oder  am  Ende  der  Wörter  (gestain  Nr.  1,  251 ,  geschrifft  *)  Nr.  7,  64, 
meinem  Nr.  1,  265,  haben  unr  Nr.  5,  19,  ähnlich  Nr.  6,  69),  sowie 
Einfügung  von  überflüssigen  einsilbigen  Wörtlein  (Nr.  7,  31  Allen 
den,  51  e^i^en  an,  Nr.  9,  54  des  todes,  ähnlich  Nr.  10,  28  und  53). 

Manches  dürfte  auf  Rechnung  von  N  zu  setzen  sein; 
denn  mag  dieselbe,  was  Verläßlichkeit  des  Textes  betrifft,  selbst  A 
gleich  stehen  ^,  so  kann  man  doch  mit  Sicherheit  annehmen,  daß  sie 
von  ungleichmäßigen  Schreibungen,  mancherlei  Versehen  und  Schreib- 


*)  Vgl.  Schönbach  a.  a.  O.  S.  9,  Anm.  3. 

*)  Die  Übereinstimmnng  zwischen  A  nnd  C  ist  oft  wirklich  über- 
raschend.   So  hat  C  in  Nr.  1,  V.  116: 

Chlar  Bainfal  gehaucht  man  etn, 
A  hat  Chlam,  es  stand  aber  ursprünglich  Chlar\   V.  128  atn,  auch  A  hatte  anfäng- 
lich so,  dann  wurde  noch  ein  n  über  n  geschrieben,  daß  es  atnn  heißt.    V.  471: 

Die  pfird  wurden  hellicht 
A  hatte  ebenfalls  wurden,  der  Schreiber  änderte  es  aber  in  wom;  V.  473  gründen, 
ebenso  A,    der  Schreiber   besserte   aber   in  gründen  (Graudens);    V.  487   hat  V  den 


310  FRANZ  KRATOCHWIL 

fehlem^  Willkürlichkeiten  und  verderbten  Stellen  nicht  ganz  frei  war, 
zumal  bei  ihrem  großen  Umfange  mehrere  Schreiber  daran  gearbeitet 
haben  werden.  Auch  konnten  einzelne  Theile  schon  ursprünglich 
undeutlich  geschrieben  worden  sein,  wahrscheinlich  aber  hatte  die 
Vorlage  im  Laufe  von  mehr  als  200  Jahren  allerlei  Schaden  ge- 
litten. —  Daraus  erklären  sich  Schreibfehler^),  Trübungen  und  Stö- 
rungen des  Reimes^),  sowie  sinnlose  Stellen^)  in  C,  von  denen 
freilich  ein  guter  Theil  den  Schreibern  dieser  Handschrift^ 
die  auch  in  ihrem  Drange ,  ihnen  Unverständliches  zu  bessern,  nicht 
immer  eine  glückliche  Hand  hatten ^  zur  Last  fällt. 

Das  glaube  ich  auch  von  den  Lücken  in  C,  die  allerdings  zu- 
sammen nur  sieben  Verse  betragen;  es  fehlen  nämlich  ohne  äußere 
Unterbrechung  in  Nr.  1  die  Verse  197  und  198,  in  Nr.  9  die  Verse 
25 — 27  und  in  Nr.  10  die  Verse  75  und  76.  Vielleicht  stammt  auch 
von  ihnen  die  Umstellung  der  Verse  in  Nr.  1,  wo  ohne  jede 
Reimstöruug  auf  V.  308  die  Verse  311,  312,  377,  378,  309,  310,  313 
und  314  folgen,  dann  geht  es  mit  V.  315  in  der  Ordnung  von  A 
weiter.  Nr.  9  schließt  mit  V.  68,  die  in  A  noch  folgenden  vier  Zeilen 
stehen  in  C  unmittelbar  nach  dem  Titel,  wohin  sie  auch  mit  Recht 
gehören  (vgl.  S.  209). 


Bas,  A  und  C  der  und  V.  496  Ber  zeh&nt,  A  und  C  Da^-  P  schreibt  XXXIV,  55 
Hghafty  C  sigehafl,  A  desgleichen,  aber  das  e  ist  durchgestrichen,  doch  steht  ein 
Punkt  darunter;  es  dürfte  also  doch  das  e  gelten.  C  hat  in  Nr.  9,  V.  4  toeg  und 
V.  68  war,  A  ursprünglich  auch  so,  der  Schreiber  änderte  aber  dann  in  beg  und 
bar  um. 

")  Z.  B.  in  Nr.  1,  66  den  fursten,  120  reickart,  188  pogen8chii:^es,  200  an  statt 
am,  372  lehen  für  leben,  476  spruch,  Nr.  2,  24  drünen  (A  Drümen),  in  Nr.  3,  8  Dax, 
in  Nr.  6,  47  schroten,  53  vergoi^i^en,  in  Nr.  8,  4  Die  anstatt  Do,  11  ober,  31  Singen 
für  Giengen  (vgl.  K  II,  §.  6  und  III,  §.  8),  in  Nr.  9,  4  chunstes ,\  und  46  in  für  im, 
ferner  in  Nr.  10,  V.  42,  67  u.  88. 

*)  In  Nr.  1,  46  veracht  (N  veriach  :  gesach) ,  412  lobesan  {inam),  in  Nr.  3,  191 
gedcm  (:  davKm),  238  hüte  {:  gute),  in  Nr.  4,  33  paris  (A  Pareis  :  weis),  in  Nr.  6,  86 
erden  (:  werde),  112  hat  der  Schreiber  anstatt  des  Reimes  auf  gemaine  dieses  Wort 
nochmals  geschrieben,  in  Nr.  8,  29  eselgarten  {:  narren),  wofür  wohl  eselkarren  zu 
setzen  ist  (vgl.  Leser  I,  S.  709,  III,  S.  167  und  die  zweite  Ausgabe  (1881)  des 
Taschenwörterbuches  unter  O  und  K)  und  101  er  gawen  (:  khann),  wofür  P  mit  Recht 
gewan  setzt  (vgl.  seine  Ausgabe  170),  in  Nr.  9,  3  der  frewden  joch  (A  chor  :  roch),  17 
niemen  (:  mein)  und  20  og  (:  ge). 

»)  In  Nr.  1,  67,  76,  98,  127,  138,  141  (!),  146,  166,  167,  178,  187,  207  (!),  216^ 
239,  266,  282  (!),  284  (I),  304  (!I),  308,  317,  321  (dadurch  auch  Eeimstörung) ,  436,' 
474  (II)  und  667,  also  24  Fälle  (vgl.  PS.  164),  in  Nr.  2,  123  (vgl.  PS.  162),  in  Nr.  3, 
167  (vgl.  PS.  166),  in  Nr.  6,  6  (vgl.- PS.  162),  in  Nr.  7,  6  u.  6  (vgl.  PS.  169),  in  Nr. 
10,  38  u.  84  (vgl.  PS.  162  f.). 


ÜBEE  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SÜCHENWIRT  H8S.      311 

Immerfaiu  erscheint  C,  trotz  aller  RückBichtnahme 
anf  N,  nicht  mit  ganz  gleicher  Sorgfalt  abgefaßt  wie  B 
(vgl.  S.  237).  Dieses  sowie  ihr  unbedeutendes  Alter  ist  keineswegs 
geeignet,  ein  günstiges  Vorurtheil  bezugs  ihres  Werthes  zu  erwecken: 
in  Wirklichkeit  aber  ist  derselbe  durchaus  nicht  gering. 
Sie  hat  zwar,  wie  wir  gesehen,  selbst  mancherlei  Gebrechen,  aber 
diese  sind  meist  leicht  oder  doch  durch  Heranziehung  von  A  zu  be- 
seitigen. Im  Allgemeinen  bringt  C  einen  sehr  guten  Text. 
Den  besten  Beweis  liefert  ein  Blick  in  die  Ausgabe  von  Suchenwirt's 
Gedichten,  wo  P  S.  154  ff.  die  verbesserungsbedürftigen  Stellen  aus 
A  anführt.  Soweit  diese  Gedichten  angehören,  die  auch  in  C  vor- 
kommen, sind  sie  fast  ausnahmslos  durch  C  zu  bessern^).  Und  diese 
Stellen  ließen  sich  noch  leicht  vermehren,  wie  denn  überhaupt 
C  in  einer  neuen  Ausgabe  eine  größere  Beachtung  finden 
muß.  —  Im  Gedichte  auf  den  verstorbenen  Herzog  Albrecht  III.  fehlt 
in  A  V.  42;  C  hat  diesen  Vers,  und  dadurch  ist  die  Reimstörung 
in  A  behoben.  Nichts,  weder  ein  äußeres  Zeichen  noch  der  Sinn, 
läßt  in  A  erkennen,  daß  im  Gedichte  von  Herzog  Albrechts  Ritter- 
schaft nach  V.  366  etwas  fehlt:  C  bringt  aber  an  dieser  Stelle 
sechs  inhaltlich  durchaus  nicht  bedeutungslose  Verse, 
die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  echt  sind  und  daher  von  P  mit 
Recht  in  seiner  Ausgabe  als  Verse  367 — 372  in  den  Text  aufgenommen 
sind.  —  In  Bezug  auf  die  Zahl  der  Gedichte  wird  diese  Handschrift 
nur  von  A  und  B  tibertroffen,  aber  unter  den  zehn  Gedichten  von  C 
findet  sich  das  Gedicht  von  fünf  Fürsten,  das  in  A  gar  nicht 
vorkommt^).  Von  dem  Gedichte  von  hübscher  Lug  besitzt  A  bloß 
den  Anfang  (V.  1 — 23),  in  C  nur  allein  findet  sich  das  Gedicht  ganz  ®). 


')  Abgesehen  yon  den  Nammern  3  nnd  8  liefern  besonders  1,  2,  5,  ß  und  10 
für  die  Textkritik  recht  Brauchbares. 

')  Dieser  Umstand  mag  mit  dazu  beigetragen  haben,  daß  P  noch  vor  dem 
Erscheinen  seiner  Ausgabe  in  Hör majr^s  Archiv  (Jahrgang  1822,  S.  188 — 191)  dieses 
Gedicht,  sowie  das  auf  den  verstorbenen  Herzog  Albrecht  III.  abdrucken  ließ. 
P  setzte  nicht  einmal  seinen  Namen  darunter,  wohl  aber  unter  den  Titel  die  Bemer- 
kung: ,,Nach  einer  Handschrift  der  k.  k.  Hofbibliothek.**  Natürlich  ist  diese  Hand- 
schrift C.  Später  (aber  noch  in  demselben  Jahrgange  des  Archivs  8.  218 — 221)  hat 
er  aus  geschichtlichem  Interesse,  das  bei  ihm  immer  vorwog  (vgl. 
S.  221  f.),  aus  derselben  Handschrift  noch  drei  andere  historische  Gedichte,  nämlich 
von  zwein  Päpsten^  der  Fürsten  Theilnng  und  der  Fürsten  Krieg  veröffentlicht. 

')  Ein  ähnliches  Quodlibet  bietet  das  Liederbuch  der  Hätzlerin  in  Haltaus* 
Ausgabe  S.  201—203  mit  dem  Titel:  Ain  aubentewrliche  rede  vnd  veilt  von 
ainem   czu  dem    andern,    ferner  Lassberg    im  Liedersaal  S.  383  f.  des  zweiten 


312  FRANZ  KRATOCHWIL 

C  iBt  aber  in  Bezug   anf  dieses  Gedicht   ein  Unicam,    da 
die  Vorlage  von  C  gänzlich  verschollen  ist. 

Von  dieser  gibt  C*)  auf  f.  31'  folgende  Nachricht:  In  disem 
alten  buechj^)  daraus  dise  Reimen  geschriben  sein  |  dise  getichte 
zu  finden  samt  der  Tichter  Nemen^): 

1.  Zwainzig  Oesterreichischer   Helden  Bitter  Thaten, 

das  in  ein  absonderlich  buech  vnder  meinen  histo- 
ricis  sub  ^lit*)  ....  loc. .  .  lib...  da  Eitel  authores 
Manuscripti,   eingeschriben  worden 

2.  Die  schön  Abentewr.     Des  Peter  Suchenwirt 

3.  Von  der  mynne  und  seim  vrteil  vnd  slaff 

4.  Der  Rat  von  dem  Vngelt.     Eiusd. 

5.  Von  der  geuticheit.    Eiusd. 

6.  Von  zweien  Bäbsten    Eiusd 

7.  von  dem  Würfelspil    Eiusd 

8.  von  der  Fürsten  chrieg  und  den  Beichstetten     Eiusd. 

9.  von  der  hübschen  lug    Eiusd 
10.   11,  12.  von  dem  Prie^  Jagd,  Widertail.    Eiusd. 
13.  14.  von  dem  Phenning,  Verlegenheit    Eiusd 

15.  von  zehen  geboten    Eiusd 

16.  Der  getrewe  Rat.    Eiusd 

17.  von  dem  Teychner    Eiusd. 

18.  von  herzog  Albrecht  Ritterschaft  in  Preissen   1377.  Eiusd. 

19.  von  herzog  Albr.  vnd  Leupolt  Tailung.    Idem 

20.  von  unser  lieben  Frauen    7.  frewden    Id 

5.  fürsten  von  Mailan,  von  Marchgraf  Sigmund  von  Carlur, 
von  herzog  Wilhelm  vnd  Lewp[olt]  von  Oesterreich 

21.  von  den  7.  todsünden 


p- 

66. 

n 

5. 

n 

9. 

7) 

2, 

D 

2. 

D 

n 

r) 

2. 

n 

H 

n 

H 

7) 

8. 

17 

6. 

7? 

3. 

n 

2. 

n 

H 

n 

8. 

j) 

2 

7) 

21. 

j) 

4 

rt 

3. 

Bandes  UDter  der  Überschrift  nLuderei''.    Das  Gedicht  ist  aber  hie  und  da  anstößig, 
es  fängt  an:  Ich  bin  komm  an  die  »tat 

Da%  ma/n  rot  tnecken  wal  u.  s.  w. 
und  endet: 

Der  hielt  mir  den  toin  Tier 

So  trinck  ich  nach  mim  hertzen  ger    (128  Verse). 
')  Dieselbe  Hand,    welche   f.  6*   unten    am  Rande   rechts  bemerkte:    Peter 
Suchenwiert  hnjus   descriptionis   anthor,    wahrscheinlich  identisch  mit  dem 
Schreiber  von  V.  1—6  f.  V  und  f.  23*— 30^ 
*)  So  ist  die  Überschrift  gebrochen. 

')  Die  gesetzten  Unterscheidungszeichen  sind  in  der  Handschrift. 
^)  Femberger   hat   vergessen,   die  Signaturen   an  den   leer  fgelassenen  Stellen 
nachzutragen. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SÜCHENWIRT-HSS.      313 

22.  Der  firomb  sinn  mit  vereherten  worten    Eiusd«  p.     1. 

23.  Der  ymbgecherte  wagen    einsd.  n     t 

24.  25.  von  dem  jüngsten  gericht,  Neuen  Bath  einsd.  n     54- 

26.  von  Aristotelis  reden.    Idem  n  5 

27.  Von  Herzog  Albrechten  von  Oesterreich  Id  ;)  2. 

28.  Vnsers  Herrn  Wapen  anthore  Versweigseinnicht  n  7. 

29.  von  der  Chanigin  von  Frankreich  des  Schöndoch  n  10. 

30.  von  Chaiser  Ott  Maister  Chnnra?  von  Wirsbnrg  n  10. 

31.  von  vnser  Frauen  die  gülden  Smitte.    Einsd.  n  26-^. 

32.  vnser  frawen  Wappen  des  Härder')  von  Frankh  (Franken?)  t)  3j- 

33.  legend  vom  heiligen  Chrenz  Maister  Heinrichs  von  Freiberg  n  12. 

34.  Von  2.  S.  Jobansen  Enangelisten  vnd  Baptisten  geticht  Chlein 

Hansen  von  Ghostniz  n  7. 

35.  von  7.  färben  geticht  Jacoben  Peterswald  n  8. 

36.  Der  Ritter  mit  dem  Herzen  Maister  Gotfrid  von  Strasburch           r»  7. 

37.  Vom  chünig  im  Pade  n  4. 

38.  Von  Stet  vnd  Vnstette  anth.  Verschweigseinnit  »  2^ 

Vnd  dises  alles  geschriben  Anno  domini  mcccc"" 
secnndo  InVigilia  SS.  Vit!  Modesti  et  Grescentiae 
martyrum. 

39.  Von  unser  frauen  Marien  lob,  geticht  genant  die  guldin  Arch, 

Heinrich  hunder  Pfundts  n  41. 

40.  Vom  chenferen  (?)  von  Orient  w     6. 

Für  diese  Mittheilungen  über  Inhalt  und  Zeit  der  Abfassung  von 
N  sind  wir  Fernberg  zu  großem  Danke  verpflichtet:  wir  erhalten 
dadurch  werthvolle  Anhaltspunkte  für  die  Beurtheilung  von  C, 
aber  auch  von  B.  Denn  wem  fiele  nicht  gleich  bei  der  Leetüre  der 
ersten  Nummer  dieses  Inhaltsverzeichnisses  der  Titel  ein,  welchen 
Enenkel  (vgl.  S.  233"f.)  B  vorangestellt  hat?  Der  Anfang  des- 
selben: „Dises  Heldenbuech  oder  beschreibung  XX.  Oesterreichischer 
umb  die  1300.  1330.  1350  1380  berümbten  beiden  Ritterlicher  Thatten 
Ist    abgenommen''  u.  s.  w.    führt    nur    umständlicher    aus^    was 


*)  Vgl.  Germania  3.  Bd.,  S.  SOS^-SIS  und  K.  Bartsch,  Meisterlieder  der 
Kolmarer  Handschrift,  Stattgart  1862,  S.  182,  192—198  und  628.  Bartsch'  aus  den 
Reimen  erschlossene  Annahme,  Härder  habe  noch  dem  14.  Jahrhunderte 
angehört,  findet  darch  Nr.  32  des  Inhaltsverzeichnisses  volle  Be- 
stätignng.  Härder  kommt  auch  in  der  Wiltener  Meistersänger-Hs.  vor,  ferner  in 
der  von  K.  J.  S  ehr ö  er  im  zweiten  Bande  der  Germanistischen  Studien  (von  K.  Bartsch, 
1875),  S.  206  ff.  behandelten,  in  der  Privatbibliothek  des  Kaisers  von  Österreich  be- 
findlichen Meistersänger-Hs.  ans  Steier. 

OEBMANIA.    Nene  Reihe.  XXII.  (XXXIT.)  Jahrg.  21 


314  FRANZ  KRÄTOCHWIL 

die  erste  Nummer  dieses  Inhaltsverzeichnisses  kurz  sagt. 
Was  Enenkel  nnter  diesem  Titel  lieferte,  ist  nun  bekannt  Aber  schon 
1827  schrieb  P,  ohne  irgend  eine  Ahnung  von  B  gehabt  zu  haben, 
in  der  Einleitung  seiner  Ausgabe  pag.  LI  über  den'Anfang  des  Inhalts- 
verzeichnisses:  n^ie  erste  Nummer  mit  den  Heldenthaten 
zwanzig  österreichischer  Bitter  ist  offenbar  die  Samm- 
lung historischer  Gedichte  unseres  Suchenwirt,  welche  ..••, 
wenngleich  nicht  mit  Suchenwirt's  Namen  bezeichnet,  doch  durch 
unverkennbare  Ähnlichkeit  der  Sprache  sowie  durch  Andeutung  eines 
Zeitgenossen,  der  Suchen wirt  als  den  Dichter  von  denWappen 
rühmt,  ihren  Verfasser  bestimmt  genug  verrathen.^  Es  ist  somit 
kein  Zweifel,  daß  B  und  C  aus  derselben  Quelle  geflossen 
sind*). 

Auch  die  (schon  S.  242  beregte)  Dissonanz  zwischen  den  ein- 
undzwanzig Gedichten  von  B  und  Enenkel's  Titel,  der  von  zwanzig 
Helden  spricht,  erhält  ihre  Lösung:  er  fand  eben  den  Fehler 
schon  in  der  ersten  Überschrift  von  N.  Dieser  Fehler  entstand 
offenbar  zu  einer  Zeit,  als  N  bereits  schadhaft  geworden  war.  Ein 
flüchtiger  Leser,  der  die  gefeierten  Helden  zusammenzählen  wollte, 
mag,  der  Lücke  am  Ende  des  Gedichtes  auf  den  jungen  Ellerbach 
und  zu  Beginn  der  Rede  von  Kreuspeck  nicht  achtend,  über  das 
erste,  gleich  zu  Anfang  mangelhafte  Gedicht  diesen  zusammenfassen- 
den, aber  mit  der  Zahl  der  gefeierten  Helden  nicht  übereinstimmen- 
den Titel  geschrieben  haben« 

Dazu  stimmt,  daß  keines  von  den  21  Gedichten,  welche 
B  bringt,  in  den  späteren  Nummern  des  Inhaltsverzeich- 
nisses von  N  erscheint.  Die  Nummern  3  und  15  in  B  lassen 
sich  dagegen  nicht  anführen,  denn  erstere  verherrlichet  den  lebenden, 
letztere  den  bereits  verstorbenen  Herzog  Albrecht  II.  von  Österreich, 


^)  Dazu  stimmt  auch  die  räumliche  Ausdehnung  yon  EnenkePs 
Abschrift  und  der  ersten  Nummer  in  N.  Allerdings  umfaßt  erstere  60,  letztere 
66  Seiten;  vergleicht  man  aber  die  den  einzelnen  Gedichten  in  N  beigefügten  An- 
gaben über  ihren  Umfang  mit  dem  Eaume,  den  sie  in  A,  C  u.  s.  w.  einnehmen,  so 
ergibt  sich  die  Noth wendigkeit,  daß  in  N  auf  eine  Seite  durchschnittlich  76  Verse 
(wahrscheinlich  in  zwei  Spalten  yertheilt)  kamen.  B  hingegen  hi^t  auf  jeder  Seite 
ungefähr  100  Verse;  demnach  kämen  auf  B  5000  Verse,  auf  die  erste  Nummer 
von  N  6016.  —  Daß  in  Wirklichkeit  auf  dem  von  B  eingenommenen  Räume  nicht 
viel  über  4800  Verse,  somit  um  fast  200  Verse  weniger  stehen,  ist  nicht  befremdend, 
da  ja  die  Überschriften  der  Gedichte  in  großer  Schrift  gegeben  sind  und  zwischen 
dem  Schluß  der  einen  und  der  Überschrift  der  nachfolgenden  Rede  häufig  Raum  frei 
gelassen  wurde. 


ÜBER  DEN  OEQENWlBTIOEN  STAND  DER  SUCHEN WIRT-H88.   315 

Nr.  27  des  Inhaltsverzeichnisses  von  N  dagegen  enthält  einen  lobenden 
Nachraf  an  Herzog  Älbrecht  IIL  von  Österreich. 

Wenn  überdies  Enenkel  sagt,  daß  in  seiner  Vorlage  außerdem 
„noch  andere  mehr  Poetische  beschreibung  oder  getichte,  samt  ein- 
gemischten historien  von  Oesterreichen  Sach"  zu  finden  seien,  so 
stimmt  das  zu  den  folgenden  Nummern  des  Inhaltsver- 
zeichnisses von  N  so  vollkommen  wie  seine  Angabe,  das 
alt  buech,  welches  ihm  1625  zur  Benützung  überlassen 
worden,  sei  vor  200  Jahren  geschrieben  worden,  mit  der 
in  Nr.  38  d'es  Inhaltsverzeichnisses  beigefügten  Zeit- 
bestimmung, welche  N  in  das  Jahr  1402  setzt. 

Durch  EnenkeFs  Bemerkung,  die  Handschrift  gehöre  dem  Wolf 
Christoph  Velderndorfer  zum  Neidenstein,  wird  es  erklär- 
lich, daß  bei  der  geringen  Ortlichen  Entfernung  Enenkel  leicht  mit 
dem  Hause  Velderndorf  verkehren  und  so  auf  die  werthvolle  Hand- 
schrift aufmerksam  werden  konnte.  Vorausgesetzt,  daß  nicht  ohnehin 
schon  freundschaftliche  Verhältnisse  auch  zwischen  Fernberg  und 
Velderndorf  bestanden,  konnten  diese  unschwer  durch  Enenkel  her- 
gestellt werden.  Man  muß  sich  gegenwärtig  halten,  daß  zwischen 
den  Häusern  Enenkel  und  Fernberg  enge  Beziehungen 
schon  lange  herrschten.  Besonders  gilt  dies  zur  Zeit  des 
JobHartmann  Enenkel,  der  an  allen  Vorfällen  des  Hauses 
Fernberg  den  regsten  Antheil  nahm*). 

So  konnte  Fernberg  das  „alte  buech"  benutzen,  und  er  that 
es  auch.  Fernberg  besorgte  nicht  nur  von  Nr.  1  eine  Ab- 
schrift, sondern  auch  von  den  Nummern  6 — 9,  17 — 19,  20  (aber 
nur  vom  zweiten  Theil),  22,  23  und  27.  Wäre  uns  erstere  er- 
halten, so  besäßen  wir  durch  ihn  allein  31  Abschriften 
von  Suchenwirt's  Gedichten,  deren  N  im  Ganzen  50  ent- 
hielt«). 


*)  So  dichtet  Enenkel  1693  „Phaleucium  scriptum  funeri  Jani  Fernbergii 
Aastriaci**  und  1597  Epitapbia  duo  in  Georgium  Cristophorum  a  Fernberg 
(vgl.  die  Handschrift  der  Wiener  Hofbibliothek  10100,  Nr.  21  u.  25). 

')  Diese  Zahl  erhält  man,  da  die  erste  Nummer  21,  die  dritte  3  Gedichte  um- 
faßt; letztere  sind  die  in  A  als  Nummer  4,  7  und  26  an  geführten  Gedichte:  „Die 
Rede  von  der  Minne**,  „Die  Minne  vor  Gericht"  und  „Der  Minne  Schlaf**.  —  Doch 
enthält  N  nicht  alle  Dichtungen  Suchenwirt's,  wie  P  in  der  Einleitung  pag.  XLIX 
seiner  Ausgabe  angibt,  denn  es  fehlt  nicht  nur  Nr.  42  von  A;  Eqniuocum,  sondern 
auch  das  letzte  Gedicht  in  P:  Gar  ain  Schöne  Bede  uon  der  Liebin  vnd  der 
SchoniU)  wie  sie  kriegten  mitt  ainander. 

21* 


316  FRANZ  KRATOCHWIL 

Glücklicherweise  besitzen  wir  Enenkel's  Aufzeichnung.  B  und  C, 
welche  durch  eng  befreundete  Männer  nahezu  um  die 
gleiche  Zeit  aus  derselben  Quelle  entstanden,  repräsen- 
tieren mehr  als  drei  Fünftheile  der  Suchenwirtischen 
Dichtungen  in  N^  sie  ergänzen  sich  zu  einer  Abschrift, 
zu  einer  im  Ganzen  ziemlich  treuen  Copie  eines  großen 
Theiles  von  N,  einer  Handschrift,  die  nicht  nur  durch 
ihren  reichen  Inhalt  und  die  Güte  der  Überlieferung 
hohen  Werth  besaß;  sondern  auch  dadurch,  daß  ihre  Ab- 
fassung den  letzten  Lebenstagen  Suchenwirt's  nicht 
ferne  war. 

V.    s- 

Dem  15.  Jahrhunderte  angehörig,  aber  jünger  als  N 
i  s  t  s,  eine  Papierhandschrift  in  Quart,  Eigenthum  des  n.  ö.  Benedictiner- 
stiftes  Seitenstetten,  wo  sie  die  Nr.  286  führt.  Herrn  G.  Friess, 
Professor  am  dortigen  Gymnasium,  verdanke  ich  es,  daß  ich  dieselbe 
in  meiner  Wohnung  bequem  benutzen  konnte. 

Die  Handschrift  ist  durch  dicke,  auswendig  mit  Leder  überzogene 
Holzdeckel  geschützt,  welche  durch  zwei  Schließen  zusammengehalten 
werden.  In  das  Leder  sind  auf  beiden  Deckeln  je  sechs  Vierecke 
gepreßt,  welche  ein  Thier  mit  steinbockartigem  Kopf  und  vorge- 
streckter Zunge,  eigenthümlichen  Pranken  und  geringeltem  Schweife 
umgeben.  Inwendig  sind  beide  Deckel  mit  beschriebenem  Pergament 
beklebt.    Die  Handschrift  stammt  von  verschiedenen  Händen. 

Sie  enthält:  1.  Homiliae  variorum  Doctorum;  2.  Legenda  trium 
Magorum;  3.  Aelredi  tractatus  de  Jesu  duodenni;  4.  Exegetica  V. 
et  N.  Testamenti;  6.  Carmen  de  Equite  Chreu^pekchn  (idio- 
mate  teutonico)  et  de  laude  mulierum:  Da^  ist  der  vrawen  lob^); 
6.  Jacobi  de  Cessolis^)  liber  Schachorum;  7.  Theologica  miscellanea 
cum  paraphrasi  orationis  Dominicae  und  8.  Stella  clericorum. 

Mehrere  Blätter  sind  unbeschrieben,  so  vor  Suchen wirt's 
Gedicht,  das  so  ziemlich  in  der  Mitte  des  dicken,  nicht 
paginierten  Codex  auf  sechs  und  einer  halben  Seite  steht 


')  Anfang:     Wa^  hoher  wird  und  ere        Qot  hat  geleit  an  raine  weib, 
Ende:     Wai;  slaffet  oder  wachet        darob  ewebt  eins  weibe$  nam 
die  vorcht  hat  und  schäm. 
Es  Bind   drei  Strophen;    ygl.  Altdeutsche  Blätter  von  Hanpt  nnd  Ho  ff  mann  1,  383 
und  E.  Bartsch,  Meisterlieder  S.  486—487  u.  693. 

')  Französischer  Dominikaner  am  Ende  des  13.  nnd  zu  Anfang  des  t4.  Jahrhs. 


ÜBEß  DKN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DEK  SUCHENWIBT-HSS.      317 

Hier  ist  kein  Buchstabe  roth,  nicht  einmal  die  Überschrift  Die  Verse, 
ungeflthr  fünfzig  auf  jeder  Seite,  sind  fortlaufend  geschrieben,  aber 
von  einander  meist  durch  zwei  schiefe  Striche  (^)  getrennt;  sie  be- 
ginnen bald  mit  großen,  bald  mit  kleinen  Buchstaben. 
Die  Schrift  ist  der  in  A  sehr  ähnlich,  doch  gebraucht  der 
Schreiber  im  Anlaute  nur  z  (t^),  wo  A  es  oder  tz  hat  Die  gewöhn- 
liche Form  der  Haken  ist  *,  sehr  selten  begegnet  ^  und  ',  nur 
einmal  ^^  (V.  298  zypper)]  über  y  steht  meistens  ein  Punkt  Die 
Verwendung  der  Haken  entspricht  ganz  der  in  A;  dasselbe 
gilt  vom  Gebrauche  der  Abkürzungszeichen;  nam  =  namen 
erinnert  an  den  18.  Schreiber  in  A  (vgl.  S.  212),  hingegen  ist  ^  = 
eich  (V.  202  vlei;!^ichl^)  neu. 

Auch  die  Sprachformen  sind  dieselben  wie  in  A,  doch 
findet  sich  in  s  immer  edeln  (A  edlen),  meist  die,  wo  A  dt  oder  dy^ 
ze,  wo  A  CSU,  oder  czu  hat;  auch  zeigt  sich  häufig  Neigung  w  f\Xv  h 
zu  setzen,  besonders  im  Präfix  he-,  hingegen  erscheint  nur  zweimal 
h  für  wi  308  siben  bürgen  und  322  gebert  Fast  ausnahmslos  hat  s 
(in  Übereinstimmung  mit  B)  da  (A  do),  auch  sonst  läßt  sich  oftmals 
Übergang  von  o  in  a  beachten:  14  warten,  215  erbarben,  13  und  317 
wa,  165  dach  (A  doch).  Letzteres  läßt  auf  alemannischen  Dialect 
schließen  (vgl.  Weinhold,  Alem.  Gr.  §.  11)  [Nein!  O.  B.].  Dasselbe 
gilt  von  dem  fast  durchstehenden  Gebrauche  des  ouch  (Weinhold  a.  a.  O. 
§.  51)  und  folgenden  vereinzelten  Stellen:  17  schumpfentum  :  gestivm 
und  117  schumpfetwr  (Verengung  von  tu  zu  w,  a.  a.  O.  §.  47),  339 
stitvr  :  kobertiwr  und  352  getiwrten  (B  getewrten,  A  getewerten,  a.  a.  O. 
§.  61  und  67),  139  prises  (i  =  ei,  a.  a.  O.  §.  57),  236  schale  (Nom. 
masc,  a.  a.  O.  §.  20).  Weniger  Gewicht  lege  ich  auf  henegow  :  pow 
V.  279  (a.  a.  O.  §.  70)  und  auf  einige  Fälle  von  Widerstand  gegen 
den  Umlaut:  6  wurd,  7  Österreich  und  (wie  in  B)  fast  immer /t«n/  (a.  a.  O. 
§.  29),  aber  in  Verbindung  mit  den  übrigen  Erscheinungen  sind  sie  nicht 
ohne  Bedeutung;  ebensowenig  351  der  Imperativ  vmnschent  (a.  a.  O. 
§.  342)  und  332  ich  tun  bechant  (a.  a.  O.  §.  354).  Die  Form  tuon  ist 
in  der  1.  Person  sing.  ind.  des  Präsens  bei  Suchenwirt  allerdings  sehr 
häufig,  aber  vor  der  Partikel  be-  gebraucht  er  jedesmal  tuo  (tus),  vgl.  K 
III,  §.  63. 

An  15  Stellen  (vgl.  die  Lesarten  von  s  in  P  S.  157  f.)  lauten 
die  Orts-  und  Ländernamen  in  s  mehr  oder  minder  abweichend 
von  A;  vielleicht  ist  Einzelnes  auf  Schreibfehler  zurückzuführen, 
so  47  pabat   (da  66  das  richtige  past  steht) ,    wahrscheinlich  auch  20 


318  FRANZ  KRATOCHWIL 

gestel,  wohl  aber  nicht  in  demselben  Verse  'purm^)  (:  dürm,  A  Goppel, 
Prünn  :  dünn). 

Es  ist  möglich,  daß  ein  österreichischer  Schreiber  s  nach 
einer  alemannischen  Vorlage  schrieb  uod  Einzelnes  daraus  (viel- 
leicht weil  unverstanden)  im  alemannischen  Dialect  wiedergab,  aber 
der  fast  durchstehende  Gebrauch  des  oibch  macht  es  mir  wahrschein- 
licher, daß  8  ein  Alemanne  geschrieben,  der  durch  langen 
Aufenthalt  in  Österreich  (Seitenstetten?)  der  Österreichischen  Sprache 
mächtig  war,  dem  aber  unwillkürlich  beim  Abschreiben  seiner  öster- 
reichischen Vorlage  manches  Alemannische  in  die  Feder  floß. 

Ob  diese  Vorlage  A  oder  N  war,  läßt  sich  nicht  entscheiden. 
Allerdings  stimmen  die  Abweichungen  der  Handschrift  s 
von  A  vielfach  mit  B,  öfter  geradezu  überraschend;  so  ist 
ein  Drittheil  der  oben  beregten  Orts-  und  Ländernamen  in  s  und  B 
gleich  (V.  64,  89,  186,  238  [Norwegen]  und  248),  aber  daneben 
bestehen  denn  doch  solche  Unterschiede  zwischen  s  und  B, 
daß  die  Annahme,  s  sei  aus  N  geflossen  (natürlich  bevor  dort  die 
Rede  auf  Kreuspeck  verstümmelt  worden),  wieder  etwas  wankend 
wird.  Jedenfalls  ist  der  Text  von  s  dem  von  B  (in  Bezug  auf 
Kreuspeck)  vorzuziehen,  denn  s  ist  der  alten  Schreibweise  getreu 
und  von  Schreibfehlern  freier  als  B. 

Solcher  (35  eren  iperriy  241  Egelhnt  u.  s.  w.)  kommen  in  s  acht 
vor,  außerdem  fehlt  278  ein  in,  342  er  und  wohl  durch  Schuld  des 
Schreibers  die  Verse  220—225.  —  Verderbt  sind  nur  wenig  Stellen: 
215,  218,  241,  332  (vgl.  P  S.  157  f.)  und  166  da?  (A  des);  hingegen 
erscheint  der  Rhythmu  s  einigemal  gestört  durch  volle  Formen  (statt 
der  apokopierten  und  synkopierten  in  A) :  4  und  74  hertze,  31  veste, 
bZnamen,  181  gewalt,  Idßbehib,  2i6hai^:;et]  noch  mehr  durch  22  Fälle 
von  Apokopen*)  und  12  Synkopen^),    die  in  A  nicht  vorkommen. 

')  Ist  es  vielleicht  durch  Umstellang  des  r  und  unechtes  m  für  n  am  Ende 
(a.  a.  O.  §.  197  u.  168)  aus  Prünn  zu  erklären  und  dürm  aus  dünn  durch  Einschie- 
bung  eines  unechten  r  (a.  a.  0.  §.  197)  und  Entwickelung  eines  unechten  m  am  Ende? 
Oder  steht  es  für  dümin  (Lexer  I,  S.  496):  er  machte  der  Feinde  Freude  zu 
Dornen?  Oder  für  türm  aus  türmen  =  türmein  schwindeln,  taumeln  (Lexer  II,  S.  1682)? 
Vgl.  M.  J.  Chr.  von  Schmid,  Schwab.  Wörterbuch,  zweite  Ausgabe  (1844),  8,  149. 

')  P  gibt  nur  an  90  undj  112  havf,  141  volchom^n  und  182  tag^  die  übrigen 
sind:  IS  freiond^  19  veind  frawd^  27  ganiZy  73  und  97  veinty  110  ra/nt,  119  gro:^^, 
143  «eW,  146  tümyrt,  15S  flucht,  166  u.  211  rüteraehefl,  197  taegleich,  263  land,  265 
auf  der  ainn  vert  :  hert,  334  golt  und  347  ad» 

^)  Da  P  in  den  Lesarten  nur  178  Katreyn  anführt,  gebe  ich  die  übrigen  an: 
65  Streits,  97  taün  :  maün,  131  stvrms,  136  stürmt,  159  geschrim,  189  halbs^  191  atnn, 
330  gots  und  348  rosenvarbs. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SÜCHENWIRT-HSS.       319 

Wenn  auch  nach  dem  Gesagten  s,  trotzdem  diese  Handschrift 
nach  Schrift  und  Sprache  nicht  viel  jünger  als  A  ist,  nicht  auf 
gleiche  Stufe  mit  A  zu  setzen  ist,  so  ist  sie  doch  immerhin 
eine  gute  Handschrift:  sie  liefert  an  nahezu  20  Stellen 
mehr  oder  minder  erhebliche  Verbesserungen  zu  A. 

VI.  h^ 

Von  weit  minderem  Belang  für  die  Textkritik  ist  h^, 
Papierhandschrift  Nr.  182  (vormals  355)  in  Quart,  der  Universitäts- 
Bibliothek  in  Heidelberg  gehörig.  Dankbar  erwähne  ich,  daß  der 
damalige  Bibliothekar,  Herr  Dr.  Ben  der ,  mit  Bewilligung  des  groß- 
herzoglichen badischen  Ministeriums  des  Innern  diesen  Codex  sowie 
h'  und  h^  mit  großer  Bereitwilligkeit  nach  Wien  zur  Benützung  auf  der 
k.  k.  Hofbibliothek  übersandt  hat. 

Alle  drei  gehören  zu  jenen  Handschriften,  welche 
1622  aus  der  kurpfälzischen  Bibliothek  nach  Bom  gewan- 
dert sind.  Als  man  1815  von  Frankreich  die  geraubten  Kunst* 
schätze,  Handschriften  und  werthvollen  Bücher  zurückverlangte,  wollte 
auch  Rom  jene  500  Manuscripte  (darunter  38  pfälzische),  welche  es 
im  Frieden  von  Tolentino  (19.  Februar  1797)  an  Frankreich  abtreten 
mußte,  zurückbekommen.  Durch  Unterstützung  der  Verbündeten  gelang 
dies  Rom  vollständig,  weßhalb  die  Curie  das  Ansuchen',  die  38  pfäl- 
zischen Handschriften  Heidelberg  zu  überlassen,  1816  bereitwillig 
erfüllte.  Die  Hoffnung  jedoch,  Rom,  das  durch  die  Verbündeten  so 
viele  äußerst  werthvoUe  Handschriften  zurückerhalten,  werde  auch 
der  weiteren  Bitte,  den  andern  Theil  der  pfälzischen  Bibliothek  der 
Universität  Heidelberg  zurückzugeben,  willfahren,  war  trügerisch: 
nur  die  deutschen  Handschriften  und  einige  andere,  zusammen  890, 
wurden  restituiert  (vgl.  Friedrich  Wilken,  Geschichte  der  Bildung, 
Beraubung  und  Vernichtung  der  alten  heidelbergischen  Bücher- 
sammlungen. Nebst  einem  meist  beschreibenden  Verzeichnisse  der 
im  Jahre  1816  vom  Papste  Pius  VII.  der  Universität  Heidelberg  zurück- 
gegebenen Handschriften.  Heidelberg  1817). 

Das  Äußere  von  h^  ist  sehr  schön;  die  beiden  durch  Schließen 
zusammengehaltenen  Deckel  sind  mit  gepreßtem  braunen  Leder  über- 
zogen und  an  den  Ecken  beschlagen.  Der  vordere  Deckel  zeigt 
Otto  Heinrichs  Bildniß  in  Gold;  zu  Häupten  steht  0.  if.,  unten 
P.  G.  und  die  Zahl  1558. 

Die  Handschrift  zählt  161  beschriebene  und  fünf  unbeschriebene 
Blätter   und    enthält  fc  ^—12''  Suchenwirt' s  Räthe    des  Aristo- 


320  FRANZ  KRATOCHWIL 

teles;  von  sonstigen  Stücken  erwähne  ich  f.  19 — 23*  Dcls  güldin 
jar  von  Hans  Zukunft  und  f.  28* — 114*  Dichtungen  von  Meister 
Altswert  und  zwar:  Die  Minnennot  —  f.  33**,  der  Kittel  —  f.  74,  der 
Schatz  {ettliche  Reimen  von  dem  bwlen)  f.  75 — 106*  (1469  Verse)  und 
der  Spiegel  (366  Verse)  f.  106*^—114*.  Vergib  Karl  Bartsch:  Die  alt- 
deutschen Handschriften  der  Universitäts-Bibliothek  in  Heidelberg. 
Heidelberg  1887,  S.  103  f. 

Suchenwirt's  Gedicht  trägt  die  lange  Überschrift:  Hienach  stett 
geschriben  vne  der  wifi  arütotteUe:;  Sinem  herren  Dem  g^^osaem  Icüng  al- 
lexandem  sin  getrüwm  Sät  wisß  vnd  ler  hinder  ihm  geschiben  ließ  als 
er  von  dieser  weit  scheiden  müst  <t  —  Jede  Seite  hat  nur  eine  Columne, 
diese  besteht  aus  ungefähr  20  Versen;  jeder  ist  abgesetzt  und 
beginnt  mit  einem  großen,  roth  durchstrichenen  Buch- 
staben. Die  Schrift  ist  gothisch,  weicht  von  der  in  Ä  ziem- 
lich stark  ab  (so  durch  die  jS),  weist  aber  noch  in  das  15.  Jahr- 
hundert. Abkürzungen  (durch  "^  und  ~  gegeben)  begegnen  nicht 
häufig,  Unterscheidungszeichen  im  Texte  gar  nicht.  Die  ge- 
wöhnlichste Form  des  Hakens  ist  ',  daneben  '  (so  immer  kung)y 
^  ",  seltener  ^  und  vereinzelt  *  (241  schüchen  =  schiuhen).  Sie  werden 
nicht  nur  zur  Bezeichnung  der  Vocale  (auch  in  der  Flexion:  321  bübh 
u.  ö.),  sondern  auch  der  Halbdiphthonge  verwendet;  aber  während 
in  A  am  seltensten  die  aus  a  entstandenen  Halbdiphthonge  begegneten 
(vgl.  S.  215),  sind  sie  hier  die  zahlreichsten  (341  zwar,  475  uff  der 
wäge,  431  rät  ich,  310  disaem  rät  (ebenso  31  u.  o.),  312  an  m^nger  statt, 
52  eläffen  (:  schaffen).  Svarabhakti  (durch  e,  i  oder  Haken  aus- 
gedrückt) finden  sich  nicht. 

Was  ich  in  S  als  vereinzelte  Spuren  des  alemanni- 
schen Dialectes  bezeichnete,  findet  sich  hier  ganz  all- 
gemein; überdies  fast  durchgehends  au  =  ä  261  schlauff,  A  slaff^ 
305  hatU,  A  hat  (vgl.  Weinhold,  Alemann.  Grammatik  §.  52),  ie  =  e 
in  244  niemen  und  298  niem  (a.  a.  O.  §.  64),  immer  och^  frowt  (verb.) 
und  frod  (subst.),  116  der  löff  (A  lauff),  257  höpt  (A  haubt)^  vgl.  a. 
a.  O.  §.  42  und  45;  immer  ü  =  au  (43  tusent,  114  vff^  a.  a.  O.  §.  51); 
513  vrner  und  433  numer  (a.  a.  O.  §.  32). 

Immer  hriß  (a.  a.  O.  §.  153  und  189  Ende);  s  in  den  Verbin- 
dungen sp,  sw,  sty  sl,  sm  und  sn  wird  im  Anlaut  zu  seh  (4  verschwinden 
u.  8.  w.,  a.  a.  O.  §.  190) ;"  Einschiebung  von  n  (a.  a.  O.  §.  201)  erscheint 
74,  359  geschenhen  :  gesenhen  und  292  senhent  (3.  Person  pl.  praes.), 
142  begegnet  mornentz  (A  morgen,  a.  a.  O.  §.  277).  Vortritt  eines  un- 
echten h  (a.  a.  O.  §.  230)  zeigt  sich  in  der  Vorsilbe  er-  (184,  502  her- 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      321 

barmen,  395  herfindeuj  396  herkennenj  499  herwerben),  neben  nikt  er- 
scheint meistens  nit  (a.  a.  O.  §.  322). 

In  der  2.  Person  pl.  des  Präsens  ist  das  Fehlen  des  t  fast  all- 
gemein, selbst  im  Reime ^  so  410  ir  haben  :  die  knaben,  ähnlich  437 
(a.  a.  O.  §.  342) ;  in  der  3.  sing.  ind.  präs.  und  im  Plural  des  Imperativ 
zeigt  es  sich  nur  vereinzelt  (267  krengk,  374  gedenck  ir  heisren,  a.  a.  O. 
§.  341),  desgl.  der  Abfall  des  n  im  Infinitiv  (118  trure^  a.  a.  O. 
§.  370).  In  17  erscheint  bereits  die  Form  schrieb  (A  hat  noch  schraibj 
a.  a.  O.  §.  333).  Von  sin  finden  sich  die  Conjunctivformen:  109  sigst^ 
153  65  sie,  294  si  sigent  (a.  a.  O.  §.  353),  von  suln  214  sulst  (a.  a.  O. 
§.  379).  V.  32  hat  A  sew,  h'  sie  (Accus,  pl.  masc,  a.  a.  O.  §.  416); 
durchgängig  schreibt  h*  disse,  disses  usw.  (a.  a.  O.  §.  191) ;  das  starke 
Adjectiv  endet  im  Plural  des  Accus,  neutr.  auf  u  =  ü  (241  sehnödu 
u)ip,  a.  a.  O.  §.  424) ;  stets  begegnet  menk  (A  104  manik) ,  35  mengem 
u.  8.  w. 

Zu  dem  jüngeren  Alter  der  Handschrift  stimmen  nicht  nur  die 
graphischen  und  sprachlichen  Verhältnisse,  sondern  auch  die  Ver- 
wilderung des  Versbaues,  h*  zeigt  bis  V.  314  zahlreiche  Ab- 
weichungen, weniger  durch  Umstellung  und  Auslassung  als  durch 
Einschiebung  von  Wörtern  herbeigeführt.  Häufig  sind  derlei 
Änderungen  überflüssig,  nicht  selten  dem  Satz-  oder  Versbau  sogar 
schädlich,  aber  aus  Allem  macht  sich  doch  das  Bestreben  be- 
merkbar, dem  Verse  einen  jambischen  oder  anapästischen 
Anfang  zu  geben*),  „eine  Rücksicht",  von  der  P  in  seiner  Aus- 
gabe S.  163  in  den  Lesarten  zu  XXXVIII  sagt,  „daß  sie  dem  Dichter 
gewiß  fremd  war".  —  Diese  Behauptung  ist  vollständig  falsch,  denn 
eine  genaue  Beobachtung  der  Suchenwirtischen  Verse  zeigt,  daß 
das  Verhältniß  der  mit  Auftact  beginnenden  zu  den  tro- 
chäisch anfangenden  Versen  durchschnittlich  wie  10:1  ist. 
Es  wäre  somit  die  in  h*  sich  kundgebende  Tendenz  dem  Dichter  gerecht 
zu  nennen ;  nur  darf  dies  nicht  so  aufgefaßt  werden,  als  ob  Suchenwirt 
nur  Verse  mit  Auftact  gedichtet  hätte,  oder  gar  vielleicht  lauter  rein 
jambische  nach  unserer  Auffassung.  Dieser  entsprechen  übrigens  die 
Verse  in  h*  gewiß  in  sehr  vielen  Fällen  auch  nicht. 

So  findet  sich  als  Auftact  häufig  verwendet  küng,  und  (137,  150, 
245,  295  u.  s.  w.),  so  (146,  236),  wenn  (187  u.  ö.),  denn  (211,  239  u.  s.  w.), 
vil  (222)  und  dergleichen  mehr,  im  Innern  eingeschoben,  um  Auftact 


')  Vgl.  über  die  Bedeutung  des  AuftactQS  in  dieser  ^eit  Bartsch,   Meisterliede^ 
S.  166. 


322  FRANZ  KBATOCHWIL 

zu  erhalten,  och  (41,  241,  242  u.  s.  w.),  all  (249),  dick  (275)  u.  a.  w. 
Mehrere  dieser  Änderungen  (so  in  150,  222,  236,  239,  241,  275) 
sind  gut  und  ohne  Bedenken  in  eine  neue  Ausgabe  auf- 
zunehmen. Zu  verwerfen  sind  sie,  wenn  dadurch  Verse  mit  vier 
Hebungen  und  klingendem  Schluß  entstehen 

(wie  158:   Und  hör  wa^  ich  dir  furha:^  schreibe^ 
168:  mit  leib  und  och  mit  gut  nü  schawCy 
254,  264,  274,  288  u.  ö.),  mehr  als  vier  Hebungen,  mehrsilbiger  Auf- 
tact  oder  gar  Mehr  eres  zugleich,  z.  B. 

65:  küng  biß  erengitig  und  rechter  miUy 
89:  Aller  bübischen  wiß  der  hiß  du  gram, 
93:  Den  armen  und  die  sin  notdurfftig  sind, 
208:  Gerechtichait  die  trag  in  dinem  munt,    • 
273:  Und  halt  dich  als  ain  kung  und  herre  sol, 
297:  0  herre  Allexander  ich  hab  sorg  u.  s.  w. 
Denn  in  304  ist  wohl  auf  einen  Irrthum  zurückzuführen,    denn    der 
Vers  bekommt  dadurch  trochäischen  Anfang. 

Aus  Willkür  oder  durch  Versehen  wurden  häufig 
auch  Wörter  weggelassen;  nicht  selten  entstanden  dadurch  Verse 
mit  nur  drein  Hebungen  und  stumpfem  Schluß  (118  fehlt  vam,  120 
geren,  ISO  paide^  114,  178,  281  u.  s.w.),  desgleichen  durch  Contraction 
der  vollen  Formen  des  unbestimmten  Artikels  und  des  Possessivpro- 
nomens. Sicherlich  ist  es  nur  ein  Versehen,  wenn  179  du  fehlt  oder 
203  vil,  denn  diese  Verse  bekommen  dadurch  trochäischen  Rhythmus, 
dem  der  Schreiber  abgeneigt  ist.  Man  sieht,  dieser  kennt  für 
Verse  mit  stumpfem  und  klingendem  Schluß  keinenUnter- 
schied  in  der  Anzahl  der  Hebungen. 

In  den  Reimen  begegnet  nicht  viel  Auffälliges;  einige  Unge- 
nauigkeiten  kommen  vor,  so  98  pflichten  :  gericht,  109  sigst :  frist, 
133  kamen  ifrömen,  321  wiß  :  brissen,  330  verniem  :  ungestem,  422  fro- 
men  :  vemumen,  435  enden  :  erkennen.  Nach  den  Versen  314  und  320 
zeigt  sich  Reimstörung  und  zwar  keineswegs  zufällig.  Während 
das  Gedicht  in  A  352  Verse  hat,  zählt  es  in  h^  fünfhundert- 
fünfzehn. Bis  314,  also  bis  gegen  den  Schluß  der  eigentlichen 
Räthe  des  Aristoteles  (diese  enden  in  A  mit  V.  324),  ist  zwischen  A 
und  h^  wenigstens  eine  leidliche  Übereinstimmung,  die  allerdings  um 
so  kleiner  wird,  je  weiter  das  Gedicht  fortschreitet.  So  folgen  in  h* 
nach  V.  111  drei  eingeschobene  Verse  (vgl,  P  S.  164,  nur  sind 
die  dort  angegebenen  Verszahlen  unrichtig),  dann  geht  es  mit  V.  112 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  8UCHENWIRT-HS8.       323 

von  A  weiter;  ganze  Verse,  wenn  auch  dem  Sinne  nach  verwandt, 
lauten  anders  als  in  A: 

A  140:  It  Zungen  die  chan  pieten  schock 
h^  140:  Ir  munt  der  stifftet  mein  und  ach^ 
ebenso  171,  172,  200,  229,  249,  250,  253,  264,  260,  265,  309—311. 
Man    sieht   daraus,    wie  Haltaus   in  der  Einleitung  zum  Liederbuche 
der  Hätzlerin  pag.  XXXIII  sagt,  daß  die  Gedichte  jener  Zeit  von  den 
Abschreibern  oder  Dichterlingen  völlig  paraphrasiert  wurden. 

Recht  anschaulich  wird  dies  vom  V.  314  ab;  obwohl  in  h^  noch 
ttber  200  Verse  folgen  (vgl.  P  S.  165—168),  umfaßt  dieser  Theil  in- 
haltlich doch  nicht  mehr  als  in  A  die  Verse  315 — 324;  hier  hört 
der  Parallelismus  zwischen  A  und  h^  .auf.  Dieser  Theil  ist 
wahrhaft  holperig;  einigemal  (V.  446  und  464)  wird  die  in  diesem 
Gedichte  eingehaltene  gekreuzte  Reimstellung  verlassen.  Es  ist  ein 
ewiges  Wiederkäuen  eines  und  desselben  Gedankens,  oft  in  den  plat- 
testen Ausdrücken,  das  Ganze  ein  elendes  Machwerk.  Es  wird 
einem  ekel,  den  Aristoteles  durch  200  Verse  so  erbärmlich  winseln 
zu  hören.  Um  dieser  geistlosen  Reimerei  willen  müssen  wir  auf  die 
Schlußverse  von  A  (325 — 352),  in  welchen  Suchenwirt  die  Zeit  der 
Abfassung  und  das  secret  secretoimm  ^)  als  seine  Quelle  angibt ,  auf 
König  Wenzels  Gefangennahme  hinweist  und  seine  Autorschaft  be- 
zeugt, verzichten. 

Trotz  aller  dieser  Abweichungen  und  einiger  sinnlosen  Stellen 
(V.  16  der  farw,  102  zweimal  die  filr  dich,  67,  106,  251)  könnte  h* 
aus  A  geflossen  sein,  doch  ist  es  nicht  wahrscheinlich.  Für  die 
Herstellung  des  Textes  liefert  diese  Handschrift ')  bloß 
unbedeutende  Besserungen  und  dies  nur  an  wenigen 
Stellen. 


*)  Vgl.  W.  Toischer,  Aristotilis  Heimlichkeit.  Separatabdruck  aus  dem  Jahres- 
berichte des  k.  k.  Gymnasiums  zu  Wiener-Neustadt  1882.  VI  und  42  S.  8^,  und  yon 
demselben:  Die  altdeutschen  Bearbeitungen  der  pseudo-aristoteliscben  Secreta-secreto- 
rum.  Separatabdruck  aus  dem  Jahresberichte  des  k.  k.  Gymnasiums  Prag-Neustadt 
1884.  36  S.  Vgl.  noch  S.  91  f.  im  11.  Bande  des  Anzeigers  fttr  deutsches  Alterthum 
und  deutsche  Literatur  (1886). 

'}  S.  167  der  Nachrichten  von  altdeutschen  Gedichten,  welche  aus  der  Heidel- 
bergischen Bibliothek  in  die  Vatieanische  gekommen  sind  (Königsberg  1796),  sagt 
Friedrich  Adelung  bei  Besprechung  unserer  Handschrift,  daß  von  den  Räthen 
des  Aristoteles  eine  Abschrift  zu  Straßburg  sich  befinde.  Auf  eine  diesbezügliche 
Anfrage  hatte  der  dortige  Oberbibliothekar  Herr  Professor  Barack  die  Güte,  mir 
zu  antworten,  daß  von  dieser  Abschrift  —  falls  Adelung*s  Angabe  überhaupt  richtig 
war  —  derzeit  keine  Spnr  vorhanden  ist. 


324  FRANZ  KRATOCHWIL 

VIL  h^ 

Ein  wenig  besser  steht  es  mit  h',  der  Papierhandschrift 
Nr.  215  (vormals  393)  in  Quart  aus  dem  15.  Jahrhunderte,  Eigen- 
thum  der  Heidelberger  Üniversitäts-Bibliothek.  Auf  dem  Rtlcken 
des  in  Pergament  gebundenen  Codex  steht:  Poema  in  laudem  Dei  et 
B,  Virginia.  88  Blätter  sind  beschrieben^  9  unbeschrieben.  Von  den 
12  Stücken,  welche  die  Handschrift  enthält  (vgl.  Wilken  a.  a.  O.  S.  463 
und  [Friedr.  Adelung,  Fortgesetzte  Nachrichten  von  Heidelbergischen 
Handschriften  in  der  Vaticanischen  Biblioiihek,  Königsberg  1799, 
S.  305—309]  Bartsch  a.  a.  O.  S.  128  f.)  ist  das  erste  das  jüngste 
Gericht^)  von  Suchenwirt  f.  1* — 4^  Das  neunte  mit  der  Über- 
schrift (roth):  Der  mynne  gericht  (Bl.  60 — 65),  ein  Gedicht  von  222 
Versen,  beginnend: 

Do  der  summer  was  da  hin 
Vnd  da  des  winter  vngewin 
Wolt  pringen  den  Main  vogelin 
und  mit  den  Schluß versen : 

Vrhh  mir  da  gegeben  ward 
Vnd  ließ  die  andern  all  clagen 
Aber  man  sol  der  liehen  von  mir  sagen 
Rieht  sie  sich  nit  myt  mir  von  dem  tag 
Das  ich  es  fürbaß  clagen  mag 

nahm  P  im  14.  Bande  der  Wiener  Jahrbücher  der  Literatur  (Anzeige- 
blatt S.  51)  ebenfalls  für  Suchenwirt  in  Anspruch.  Es  hat 
aber  mit  allen  bei  einer  Vergleichung  hier  in  Betracht  kommenden 
Gedichten  Suchenwirt's:  Bede  von  der  Minne  (124  V.),  die  Minne  vor 
Gericht  (342  V.),  die  schöne  Abenteuer  (372  V.),  der  Widertail  (364  V.) 
und   der  Minne  Schlaf  (266  V.)  nicht  einmal    entfernte  Ähnlichkeit  ^). 


»)  Der  Titel  des  Gedichtes  fehlt  in  h*. 

^)  Auch   nicht  Der  Minne  Gericht   (318  V.)   im   Liederbuche   der  Hätzlerin 
Bl.  143''— 148*  (in  Haltaus'  Ausgabe  Nr.  65,  S.  226  ff.)  mit  dem  Anfange: 
Ich  atünd  an  ainem  morgen  frä 
Uff  in  grosser  vnrü, 
Ende:     Sag  ditz  allen  guten  weihen 

Dm  ay  es  in  ir  herlz  achreiben 

Vnd  hüten  sich  vor  diaer  not 
Sag  jn  daa  aey  mein  ratt. 
Dieses  Gedicht  ist  gleich  dem  12.  Stücke  in  h'  von  Blatt  82  bis  Ende,  welches  Wilken 
(a.  a.  O.  S.  463)  unter  dem  Titel  ,,Gespräch  eines  Gesellen  mit  einer  Fran»  die  ihren 


Ober  den  oeoenwIrtigen  stand  der  suguenwirt-hss.    325 

Auch  nennt  sich  Saohenwirt  darin  nieht  aU  Autor.  Offenbar  hat  P 
sich  eines  Besseren  besonnen,  denn  er  nahm  das  Gedicht  in  seine 
Aasgabe  nicht  auf,  aber  er  widerrief  dort  auch  nicht  mit 
einem  Wörtchen  seine  früher  in  den  Wiener  Jahrbüchern  gemachte 
Behauptung.  Sie  ist  daher  wohl  geeignet;  Jemanden  irrezufbhreii;  der 
die  ganze  Suchen wirt-Literatur  durcharbeitet  ^  um  sämmtliche  Hand- 
schriften kennen  zu  lernen. 

Das  Gleiche  gilt  von  dem  Gedichte:  Der  em  gerieht  zwisehen  der 
gereehtygkeü  vnd  der  minn  und  gewint  die  mtnn  da^  recht  von  Bl.  72 — 78 
der  Heidelberger  Handschrift  Nr.  149  (vormals  314,  vgl  Bartsch 
a.  a.  O.  S.  72--75)  mit  dem  Anfange: 

Ich  ereaeh  an  der  selben  Hund, 
Ale  ich  fiocA  awentür  reyten  begund 
Durch  da:^  hag  ain  enge  tur 
Da  hett  ich  e  geritten  jur  u.  s.  w. 
Auch   dieses  Gedicht  schrieb  P.  a.  a.  O.  Suchenwirt  zu,    in 
seiner  Ausgabe  aber  lehnte  er  es  stillschweigend  ab;   und   zwar   mit 
Recht;    denn  wie  mir  der  Herr  Bibliothekar  Dr.  Bender  freundlichst 
mittheilte,  stimmt  es  mit  keinem  Suchenwirtischen  Gedichte  ähnlichen 
Inhaltes   auch   nur    im   Entferntesten    überein;    überdies   nennt   sich 
Suchenwirt  darin  nicht.    Nebenbei  bemerke  ich,  daß  P  bei  Anführung 
dieses  Gedichtes  im  Anzeigeblatt  S.  51  sich  auf  Adelung's  altdeutsche 
Gedichte  in  Rom,  ü;  S.  313  und  316  bezieht.    Dort   macht   aber 
Adelung   nirgends   die   leiseste    Bemerkung,    daß    dieses 
Gedicht  von  Suehenwirt  herrühre. 

Jede  Seite  bringt  in  einer  ungespaltenen  Columne  ungefähr  24 
Verse.  Die  Schrift  ist  der  in  A  noch  ähnlich,  nicht  schön,  aber  meist 
deutlich.  Was  über  die  Schreibweise,  die  sprachlichen  und 
metrischen  Verhältnisse  in  h^  gesagt  wurde,  gilt  fast 
ganz  auch  von  h*. 

Als  Haken  findet  sich  hier  auch  vereinzelt  \  Bezeichnung  von 
Halbdiphthongen  fiel  mir  nicht  auf. 

An  einer  Stelle:  25  eeehen  :  waschen  zeigt  sich  unechter  Umlaut 
(Weinhold,  Alemann.  Gramm.  §.  12  und  15) ,  dreimal  Verdumpfung 
von  a  zu  0  (a.  a.  O.  §.  44) :  61  gon  :  underton  und  66  on,  je  einmal  i 
in  der  Flexion  (48  lidnn  kind,  a.  a.  O.  §.  23),  011  =  S  (95  hxmch^  a.  a. 


Liebhaber  kalt  behandelt*'  anfahrt,  and  von  dem  Adelang  11,  S.  805  Anfang  nnd 
Ende  gibt,  die  mit  der  Recension  der  Hätzlerin  ziemlich  gleichlantend  sind.  Vgl. 
Bartsch  a.  a.  O.  S.  188  f. 


326  FRANZ  KBATOCHWIL 

O.  §.71)  und  o  =  u  =  ü  (86  ir  farehtend,  a.  a.  O.  §.  24  und  27),  end- 
lieh  zweimal  AuBstoßung  von  n  (114  tuaet  und  193  iug^^  a*  a.  O* 
§.  200).  —  Sonst  bieten  die  Beime  wenig  Bemerkenswerthes  (31 
nackt :  krajßy  175  du  verst :  hatutt  verzert)\  am  meisten  auffällig  ist  105 
du  syegt :  du  leigt.  Letzteres  ist  (wie  1  Ursprung  :  dink)  ohne  Zweifel 
bloß  Schreibfehler,  da  aber  auch  2  weühait,  100  leyd  (praes.),  3  durch- 
faucht und  161  ungehewr  vorkommt,  so  darf  man  diese  Stellen  als 
Fingerzeig  betrachten,  daß  dem  Schreiber  zur  Abschrift  eine  Vorlage 
im  bairisch- österreichischen  Dialecte  diente,  ans  welcher  durch  Ver- 
sehen einige  Wörter  ohne  Anpassung  an  den  alemannischen  Lautstand 
stehen  blieben.  —  V.  172  fehlt  ohne  äußere  Unterbrechung;  dadurch 
entsteht  eine  Beimstörung;  daß  V.  34  vor  33  kommt,  hat  auf  den 
Beim  keinen  Einfluß« 

Die  in  h^  berührten  metrischen  Verhältnisse  werden  in  h* 
fast  nur  durch  Umstellung  und  Einschiebung,  nahezu  gar  nicht  durch 
Ausfall  von  Wörtern  ^)  herbeigefährt.  Auch  begegnen  weit  weniger 
Apocopen  und  Sjncopen  als  in  h^.  Da  zudem  verhältnißmäßig  nicht 
so  viele  Verse  paraphrasiert  sind  wie  in  h\  so  schließt  sich  h* 
auch  inhaltlich  mehr  an  A  an:  es  ist  nicht  nur  möglich, 
sondern  sogar  wahrscheinlich,  daß  A  zur  Vorlage  von  h' 
gedient  hat. 

Außer  einigen  Schreibfehlern  (9  clare*y  60  dem,  116  jamers, 
132  8chrit  für  schrib,  wahrscheinlich  101  dem  [nach  richter,  wenn  nicht 
dein  =  diu  zu  lesen  ist]  und  109  andrun)  finden  sich  auch  verderbte 
Stellen:  V.  4,  7,  92,  95,  122,  152  (vgl.  darüber  in  P  S.  169  die 
Lesarten  zam  jüngsten  Gericht)  und  138  Wol  gemut  zu  hymd  var. 
Diesen  gegenüber  bietet  h'  an  nahezu  zehn  Stellen  Besse- 
rungen zu  A. 

vm.  m't. 

Suchenwirt's  jüngstes  Gericht  kommt  auch  in  m^  vor, 
der  Papierhandschrift  Nr.  393  der  königlichen  Hof-  und  Staatsbiblio- 
thek zu  München.  Der  leider  zu  früh  verstorbene  Director  dieser 
Bibliothek,  Dn  Karl  Halm,  gestattete  bereitwillig  die  Übersendung 
dieser  und  vier  anderer  später  zu  besprechenden  Codices  nach  Wien 
zur  Benützung  auf  der  kaiserlichen  Hof  bibliothek. 

m^  ist  durch  Holzdeckel,  welche  mit  rothem  gepreßten  Leder 
überzogen  sind  und  ehemals  durch  zwei  Schließen  zusammengehalten 


')  Es  fielen  aas:  2  $ar^  121  da,  187  du,  98  wie  dann  und  143  aelben  -^  der. 


Ober  den  gegenwärtigen  stand  der  suchenwirt-hss.     327 

waren ^  geschlitzt    Die  vier  Ecken  der  Deckel  sind  beschlagen;  der 
Rücken  trägt  ein  weißes  Schild  mit  folgender  Inschrift: 
(Leonü  Taich  ehronieö) 
Der  geUtliche  WcLgen, 
Sibyllen  Weissagung,    etc. 

Die  Handschrift  zählt  319  Blätter  in  Quart  und  enthält  13  Num- 
mern verschiedenen  Inhaltes,  darunter  Bl.  20—44  eine  Chronik  von 
den  Herzogen  zu  Baiem,  Bl.  96 — 112^  den  geistlichen  Wagen 
mit  einer  gereimten  Vorrede  des  Suchenwirt,  Bl.  127 — 136 
Aristoteles'  Lehr  an  Alexander  (durchaus  nicht  identisch  mit 
Sachenwirt's  gleichbetiteltem  Gedichte)  und  Bl.  136 — 210  das  größte 
Stück  der  Handschrift,  Bruder  Philipps  Marienleben. 

Bl.  96*  heißt  es:  Hie  luht  sich  der  geistlich  wagen  Vnd  ist  gar 
nutz  ze  hören  oder  lesen  dem  menschen  czue  vnderweysung  ( —  BK  108^). 
Das  Ganze  ist  eine  geistliche  Allegorie,  in  der  die  vier  Räder  den 
Tod,  die  Hölle,  das  Gericht  (genau  in  dieser  Ordnung!)  und  den 
Himmel  bedeuten,  die  zwei  Gestelle  die  Betrachtung  des  Leidens 
Christi  und  das  Mitleid  mit  dem  Menschen,  die  drei  Pferde  Glauben, 
Hoffnung  und  Liebe;  der  Leiter  aber  ist  Christus,  die  Deichsel  stellt 
die  Gerechtigkeit  vor.  Den  Schluß  macht  die  Anrufung  Gottes  und 
Marions.  So  der  Gang  dieses  geschmacklosen,  aber  dem  15.  Jahr- 
hunderte sehr  zusagenden  ^)  Machwerkes,  das  in  Prosa  abgefaßt,  öfter 
aber  auch  mit  Reimen  durchspickt  und  mit  zahlreichen  Belegstellen 
aus  Bibel  und  Kirchenvätern  ausgestattet  ist  Der  Verfasser  nennt 
sich  nicht. 

Daran  schließt  sich  Bl.  109':  Ein  vorred  diß  geistlichen  wagens 
(roth).  Dieses  Stück  entpuppte  sich  bald  als  Suchenwirt's 
jüngstes  Gericht^    nur  beginnt  es  gleich  mit  V.  23: 

0  (roth  und  groß)  mensch  gedenck  das  du  pist. 
Die  Verse,  ungefähr  27  auf  jeder  Seite,  sind  nicht  abgesetzt,  aber 
häufig  durch  rothe  Querstriche  von  einander  geschieden,  freilich  oft 
ganz  fehlerhaft.  Die  Schrift  ist  weder  schön  noch  deutlich,  beson- 
ders die  r  sind  stark  verschnörkelt.  Doch  gehört  sie  noch  dem  15. 
Jahrhunderte  an;  damit  stimmt  auch  am  Ende  dieser  vorred  (Bl.  112') 
die  Bemerkung  :  L,  T.  Anno  als  man  zaü  nach  christi  gepurt 
MCOCÖ'IXVIII  jar  an  samb^tag  nach  Katherine  virginis.  Doch  stammt 
nicht  der  ganze  Codex  aus  dem  Jahre  1468,  wie  man  nach  dem 
Katalog  der  deutschen  Handschriften  der  königlichen  Hof-  und  Staats- 

')  Unter  Anderen  hat  auch  Cod.  germ.  mon.  Nr.  690  f.  244 — 352einen  gaUtlich 
Wagen. 


328  FRANZ  KRATOCHWIL 

bibliothek  zu  München  nach  J.  A.  Schmeller's  kürzerem  Verzeich- 
nisse, 1.  Theil,  München  1866,  S.  63  annehmen  muß,  denn  Bl.  131^  hat 
Leonhard  Taichstetter  aus  München,  der  Schreiber  dieser 
Handschrift,  angemerkt:  Anno  Christi  1469  (roth)  und  Bl.  282"*: 
geendt  ä  domini  1470. 

Die  Schreibweise  weicht  nicht  unbedeutend  von  A  ab;  Haken 
begegnen  wenig  und  nur  über  u  =  uo,  ue,  ile  und  öfter  auch  über 
einfachem  u.  In  der  Regel  werden  die  Umlaute  durch  zwei  neben- 
oder  übereinander  gesetzte  Punkte  bezeichnet,  nur  selten  (155  achafflifC) 
mittelst  Haken.  Einmal  findet  sich  durch  e  ausgedrückte  Svarab- 
hakti:  96  hören  {:  geporen).  Abkürzungen  werden  äußerst  selten 
angewendet. 

Sprachlich  herrscht  zwischen  m^  und  A  Übereinstim- 
mung. Sehr  gerne  gibt  Taichstetter  h  zwischen  zwein  Vocalen  durch 
ch  (vgl.  Weinhold,  Bair.  Grammatik  §.  183):  27  zacheren,  40  hocken, 
74  zechen,  und  134  gefiiechen,  hingegen  setzt  er  für  nächsten  im  V.  62 
(und  so  immer)  nagsten^  145  hat  A  zu  der  linkchen  hant,  h^  zu  der 
glinken  hant,  tq}  zue  der  deneken  hant  (vgl.  über  das  letzte  Adjectiv 
Schm eller,  Bairisches  Wörterbuch  !•,  S.  524  f.).  104  nemht  (A  nie- 
mant,  h^  niempt)  ist  wohl  ungenaue  Schreibung  für  niemht,  —  Etwas 
auffällig  —  wie  ein  leiser  Anklang  an  den  alemannischen 
Dialect  —  erscheint  es,  daß  alle  Adjectiva,  welche  in  A  auf  -leich 
endigen,  in  m^  auf  -lieh  ausgehen,  ferner  43  «jtxln^Zin:  t^^anjr^tn  (a  ist 
nur  ein  Schreibfehler)  und  155  schafflin  (vgl.  jedoch  Weinhold  a.  a.  O. 
§.  19).  Bei  der  großen  Übereinstimmung,  die  dem  Inhalte 
nach  zwischen  m^  und  h^  herrscht^),  liegt  nämlich  die  Ver- 
muthung  nahe,  daß  h'  dem  Taichstetter  als  Vorlage  ge- 
dient habe. 

Damit  stünde  auch  der  verwilderte  Versbau  im  Einklänge. 
Er  schreibt  nicht  nur  nicht  sorgfältig^),  sondern  er  läßt  einzelne 
Wörter  weg,  z.  B.  32  auch^  61  du,  136  da^,  170  grimm,  so  daß  dieser 
stumpf  schließende  Vers  nur  drei  Hebungen  hat;  164  fehlt  gar  mit 
allen  teuf  ein,  so  daß  als  Vers  nur  zwei  Füße:  ist  berait  übrig  bleiben, 


')  Beide  haben  33  Hhat»  i  BOtt ^  62  hoffcart^  63  leaua,  69  dir,  90  loMophat,  184 
g^ieheUf  163  des,  169  da  zu  Anfang  des  Verses,  162  ewig  vor  fewr,  174  weder  Tor 
riUer,  180  gelrew,  181  dem  zu  Anfang  des  Verses;  94  aü  nach  miiex!^en,  131  «r  nach 
teuffei*,  143  fehlt  der  nach  weg^ 

')  27  eele  (:  quel),  87  lewmbt  (A  lewt) ,  67  mU  zumen  in  (dadurch  ReimstOmng) 
für  mit  in  ziimen,  141  wideretetUni  heUe»  Keime,  wie  den  leteten,  erklärt  jedoch 
Weinhold  a,  a.  O.  §.  167  aas  dem  durch  Näselung  bewirkten  Abfall  des  n. 


Ober  den  gegenwIrtiqen  staih)  der  suchenwirt-hss.    329 

54  fehlt  ganz.  Er  Behaltet  aber  auch  mit  ebenso  störender  Wirkung 
Wörter  ein,  so  35  auch  ,  66  und^  80  doch  nach  stund ^  90  selbs  nach 
da,  122  hat  nach  dich  n.  s.  w.  Die  Verse  werden  dadurch  ofk  ttberftallt, 
so  lautet  V.  75: 

die  nam  und  die  wappen  verswindent  zu  hant^ 
71  (soll  vor  75  stehen!) 

als  8y  werdent  dein  ßrewnt  des  halt  vil  geschieht, 
89:  da^  er  an  dem  jüngsten  tag  haben  vnl  u.  s.  w. 
Paraphrasierte  Verse   finden    sich    wie   in   h'   nicht   häufig; 
übrigens   geht  Taichstetter  mit  den  Versen  auch   sonst  willkttrlich 
genug  um;  so  lauten  die  Verse  104  und  105  in  A: 
Du  hast  auch  niemant  der  da  swer 
Für  dich  da^  du  unschuldig  seist, 
in  m^:  Du  hast  auch  nembt,  der  da  für  dich  swer 
Dai^  du  unschuldig  seist; 
in  A  122  f. :    Der  plütvar  swai^  fw  dich  geswitzt 

Hat  in  seiner  gro:^:^en  not, 
m^  setzt,  wie  früher  für  dich,  jetzt  hat  aus  123  in  V.  122,  so  daß  123 
nur    drei    Hebungen    mit   stumpfem    Schlüsse    hat.     In  166  läßt   der 
Schreiber   das   nicht   am    Ende    weg    (dadurch  Störung  des  Reimes), 
setzt  es  aber  in  den  nächsten  Vers,  so  daß  dieser  überfbUt  wird. 

Auch  an  sinnlosen  Stellen  fehlt  es  nicht.  So  sagt  der 
Dichter  V.  73 — 76:  Ganze  Geschlechter  vergehen,  Namen  und  Wappen 
schwinden  so  schnell,  wie  ein  Gemälde  an  der  Wand;  statt  des 
letzten  Gedankens  *  schreibt  Taichstetter  V.  76: 

als  da:^  mel  an  einer  want! 
V.  92  sagt  A,  bei  dem  jüngsten  Gerichte  sei  es  mit  dem  Glücke  (A 
saeld)  der  Ungerechten  zu  Ende;  in  m^  heißt  es: 

und  aller  ir  solt  ist  gar  verzert. 
In  128  steht  zweimal  werdent  (A  wern)  u,  s.  w. 

Aus  dem  Ganzen  ist  ersichtlich,  daß  m^  der  Hand- 
schrift h^  sehr  nahe  steht,  textkritisch  aber  noch  gerin- 
geren Werth  besitzt  als  diese.  Für  den  Text  von  A  er- 
geben sich  aus  m^  nur   einige   unbedeutende  Besserungen. 

IX.    wf. 
Zwei  andere  Sucfaenwirtische  Gedichte  religiösen  Inhaltes  finden 
sich    in   w,*  einer  Papierhandscbrift   des   15.  Jahrhundertes   Nr.  2969 
(Novi  243)   der  k.  k.  Hofbibliothek  in  Wien   (vgl.  Ho  ff  mann  von 

aSRHANlA.    N«u0  B«Ui«  XXII.  (XXXIY.)  Jahrgr.  22 


330  FRANZ  KRATOCHWIL 

Fallersleben^  Verzeichniß  der  altdeutschen  Handschriften  der  k.  k* 
Hofbibliothek  zu  Wien,  Leipzig  1841,  S.  352  f.).  Der  Einband  be- 
steht aus  dicken,  auswendig  mit  Leder  überzogenen  Holzdeckebi; 
innen  sind  dieselben  zum  Theil  mit  Pergament  beklebt.  Die  Außen- 
seiten zeigen  Überreste  von  sehr  schöner  Pressung,  aber  das  Leder 
ist  stark  gebräunt,  fast  schwarz :  das  Buch  scheint  einem  Brande  aus- 
gesetzt gewesen  zu  sein;  noch  jetzt  wird  man  beim  Befählen  etwas 
rußig.  Die  Schließe  fehlt.  Beim  Einbinden  wurden  manche  an  den 
Rändern  einzelner  Blätter  angebrachte  Bemerkungen  durch  das  Be- 
schneiden des  Papiers  verstümmelt.  Nach  dem  2.  Bande  der  Tabulae 
codicum,  pag.  164  f.,  zählt  die  Handschrift  304  Blätter  in  Quart:  es 
sind  aber  306;  es  sollte  da,  wo  20  und  110  geschrieben  wurde,  21 
und  112  stehen. 

Über  die  Herkunft  des  Codex  läßt  sich  vollkommen  Sicheres 
nicht  angeben;  gewiß  aber  entstand  er  in  einem  Kloster 
(wahrscheinlich  in  Österreich).  Dafür  spricht  der  Inhalt. 
Gleich  das  erste  Stück  (Bl.  1* — 192^)  ist  ein  deutsches  florilegium 
asceticum.  Daran  reiht  sich  ( —  Bl.  262^)  die  Summa  virtutum  da:^  ist 
ein  koch  dei^  lugend  (in  diesem  Theile  kommen  wiederholt  Perga- 
mentblätter vor);  den  Schluß  des  Buches  machen  zwei 
Gedichte  Suchenwirt' s.  Das  erste  (fernerhin  Nr.  1  benannt) 
reicht  von  Bl.  269' — 274';  die  Überschrift  lautet:  Da:^  sind  Die  czehen 
pot  vnsers  herren;  nach  dem  letzten  Vers  folgt  in  der  nächsten 
Zeile:  amen  amen  amen.  Bl.  274^  nimmt  eine  Federzeichnung  ein: 
sie  stellt  die  h.  Maria  mit  dem  Jesusknaben  und  der  h.  Katharina 
dar.  Bl.  275'  beginnt  das  zweite  Gedicht  (im  Folgenden  =  Nr.  2) 
mit  dem  Titel:  Da?  sind  Die  siben  frewd  unser  lieben  frown^  es  reicht 
bis  Bl.  306\ 

Beide  Überschriften  sind  mit  rother  Tinte  geschrieben;  die  An- 
fangsbuchstaben der  Verse  (meist  über  20  auf  einer  Seite)  sind 
groß;  die  Initiale  ist  größer  und  ganz  roth.  Wie  in  Nr.  37  von  A 
(vgl.  S.  210)  sind  in  Nr.  1  und  2  von  w  auch  andere  Verse  auf 
gleiche  Weise  ausgezeichnet,  wenn  sie  eine  Bibelstelle  oder  einen 
größeren  Abschnitt  beginnen.  Auffällig  genug  sind  es  in  Nr.  2 
sehr  häufig  dieselben  Verse  wie  in  Nr.  37  von  A.  —  Die  in 
der  Begel  sehr  deutlichen  Schriftzüge  wie  die  ganze  Schreib- 
weise gemahnen  an  A.  Als  Haken  werden  gewöhnlich  zwei 
neben-  oder  schief  übereinander  stehende  Punkte  gebraucht,  seltener 
^  ^  und  vereinzelt  '  (2,  1134  chunig);  i  finden  sich  verhältnißmäßig 
wenig;    Halbdiphthonge   werden    seltener   als  in  A  durch  Haken  be- 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  8ÜCHENWIRT-HSS.      331 

zeichnet,  Svarabhakti  nur  durch  i  ausgedrückt,  begegnen  aber  häufig, 
selbst  inoi  Reime. 

Die  etwas  flüchtige  Art  des  Schreibers  zeigt  sich  in  dem 
häufigen  Weglassen  des  I-Punktes  sowie  in  dem  Fehlen  einzelner 
Wörter,  wodurch  Sinn  oder  Rhythmus  in  Nr.  1  an  acht,  in  2  an 
17  Stellen  gestört  und  einige  stumpf  schließende  Verse  (1,  15,  57; 
2,  709,  965)  auf  drei  Hebungen  reduciert  werden.  In  2,  1196  wurde 
das  Reimwort  auf  herren  ganz  vergessen,  wie  denn  die  übrigens  nicht 
zahlreichen  Schreibfehler  gerade  in  Reimen  vorkommen  (1,  112 
vncheuseh^.  :  geteusche,  2,  23  florit :  Suchenvnrt ,  420  windl :  chindel  und 
1384  rawen  ipusaunen^  vngreyfleichait  in  2,  252  halte  ich  für  kein  Ver- 
sehen, sondern  für  absichtlich,  freilich  recht  übel  angebrachte  Ände- 
rung des  Schreibers,  hingegen  beruhen  zwei  sinnlose  Stellen  in  den 
sieben  Freuden  (596  smekchen  und  1312  daz)  offenbar  auf  Schreib- 
fehlern. 

Die  vielen  u,  we,  o,  für  welche  A  ü,  üe,  ö  oder  oe  schreibt, 
möchte  man  auf  den  ersten  Blick  auch  auf  die  Flüchtigkeit  des 
Schreibers  zurückführen,  sie  sind  aber  vielmehr  aus  dessen  Dialect 
zu  erklären;  im  Allgemeinen  jedoch  sind  die  sprachlichen 
Unterschiede  zwischen  A  und  w  gar  nicht  erheblich,  w 
liebt  o  =  a  und  d;  fast  immer  begegnet  frowe  (2,  1503  frowen  :  ge- 
pawen)y  wann  (A  wenn)  und  do;  in  mirkchet  (2,  462)  steht  i=  e  =  ia 
(vgl.  Weinhold,  Bair.  Qramm.  §.  88  und  117).  Besonders  beliebt  ist 
h  für  w  (1,  232  elig,  2,  1004  heheieet,  585  unUrdig)  und  «?  für  6  (2, 
562  Wakhaaar,  173  wisy  827  wegund,  955  ivebeist,  vgl.  a.  a.  O.  §.  124 
und  136)  i  Regelmäßig  setzt  unser  Schreiber  p  zwischen  stammschlie- 
ßendem m  und  der  Endung  t  (2,  924  zimpt^  a.  a.  O.  §.  122);  Einschub 
des  lingualen  Nasals  erscheint  nur  1,  183  in  jungent  (:  tibgent,  a.  a.  0. 
§.  168),  Ansatz  von  t  öfter,  so  1,  19  dennocht^  56  u.  ö.  aptgot  (a.  a.  O* 
§.  133),  Abfall  des  g  nur  2,  989  in  heylitum  (a.  a.  0.  §.  176).  Immer 
schreibt  er  tumme,  werlt  (2,  911  im  Reime  auf  gelt)^  wertleich  und  die 
(A  di);  in  1  zieht  er  die  Endung  -e,  in  2  die  Endung  -ew  {m)  vor, 
selbst  im  Accus,  sing.  fem.  (141  warew,  213  Kebew.  372  swangerew, 
a.  a.  O.  §.  368  und  370).  sölher  wechselt  mit  solher;  die  Grundzahlen 
endigen  auf  -czig  (A  37,  767  sibenzk).  Mit  ge-  zusammengesetzten  Sub- 
stantiven ist  der  Schreiber  von  w  nicht  hold,  hingegen  zeigt  er  Vor- 
liebe für  t  in  der  3.  Person  p],  ind.  des  Präsens. 

Aus  dem  Gesagten  würde  die  große  Menge  von  Unterschieden 
zwischen  w  und  A  erklärlich  sein.  Die  meisten  Abweichungen  — 
und  das  ist  das  Charakteristische  für  w  --r  rühren  aber  von 

22* 


332  FRANZ  KRATOCHWIL 

der  Neigung  des  Schreibers  zu  Synkopen  und  Apokopen.  Durch  er- 
stere  fällt  in  1  an  15,  durch  letztere  an  20  Stellen  die  Senkung, 
meistens  vor  der  letzten  Hebung,  aus  (wo  sie  in  A  bewahrt 
wird);  in  2  stehen  circa  20  den  Ausfall  der  Senkung  bewirkenden 
Synkopen  nahezu  viermal  soviel  Apokopen  gegenüben  Mehr  als  die 
Hälfte  der  letzteren  finden  wir  vor  der  letzten  Hebung;  einen 
großen  Beitrag  dazu  liefert  und  für  unde  in  A.  Durch  Apocope  im 
Reime  erhalten  in  1  die  Verse  4J,  42,  105,  106,  112,  137  und  138 
stumpfen  Schluß  mit  nur  drein  Hebungen,  in  2  die  Verse  685  und  686, 
1409  und  1410. 

Weitaus  weniger  häufig  sind  die  Fälle,  wo  w  die  volle  Form  her- 
stellt. Doch  kann  man  sagen,  es  zeigt  sich  in  w  Neigung  für  die 
volle  Form  des  Possessivpronomens,  des  unbestimmten 
Artikels  und  des  Infinitivs.  Eine  verhältnißmäßig  geringe 
Zahl  von  Abweichungen  wird  herbeigeführt  durch  Um- 
stellung der  Wörter  und  durch  inhaltliche  Verschiedenheit. 

Immerhin  ist  w,  wenn  auch  in  Bezug  auf  die  beiden  Geidichte 
nicht  gleichwerthig  mit  A,  ein  Gewinn  für  die  Textkritik: 
manche  der  von  P  in  seiner  Ausgabe  S.  168  berührten  Mängel  in  A 
werden  durch  w  behoben  und  viele  von  Eoberstein  in  seinen  Abhand- 
lungen gemachte  Besserungsvorschläge  erhalten  durch  w  Bestätigung, 
w  könnte  aus  A  entstanden  sein. 

X.   mn. 

Die  beiden  Gedichte  finden  sich  auch  noch  in  einer  dritten,  aus 
dem  15.  Jahrhundert  stammenden,  der  königlichen  Hof-  und  Staats- 
bibliothek in  München  gehörigen  Papierhandschrift.  Sie  führt  die 
Nr.  1113  und  zählt  134  Blätter  in  Folio.  Die  Handschrift  ist  in  Holz- 
deckel gebunden,  welche  mit  rothem  Leder  überzogen  sind;  die  bei- 
den Schließen  fehlen.  Der  Rücken  trägt  ein  Schild  mit  der  Inschrift: 
D(M  Bwrgen^echt  zu  Wienn.  —  Thatsächlich  enthält  der  Codex  Bl.  1 — 42 
verschiedene  Rechte  und  Satzungen,  magistratische  Anordnungen  u.  s.  w. 
der  Stadt  Wien  (aus  dem  Jahre  1375)  und  Bl.  43—74  das  Stadt- 
recht von  Wien.  Von  den  übrigen  Stücken  (vgl.  Schmeller's  Katalog 
der  deutschen  Handschriften,  1.  Theil,  S.  169  f.)  erwähne  ich  die 
Ungeltordnung  Rudolfs  vom  Jahre  1359  und  eine  Fischmarkt- 
ordnung (Bl.  80 — 83).  Bl.  93*  befindet  sich  folgendes,  mit  rother 
Tinte  geschriebene  Register:  Hie  hebent  sich  an  siben  püeh. 

Von  erst  hebt  sich  an  das  puech  und  sagt  die  heiligen  stet  und 
genad  und  den  antlas  in  dem   heiligen  lant  czü  Jerusalem  und  darnach 


ÜBER  DEN  GEGENWÄBTIOEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-USS.      333 

Die  czehen  gepot  un$ers  Herren  (Suchenwirt's  Gedicht  beginnt  Bl.  96* 
linke  Spalte  mit  der  Überschrift:  Das  sind  die  zehen  pot  unsers 
Herren  Jesu  CHristi  und  endet  Bl.  97^  rechte  Spalte;  dem  letzten 
Verse  folgt  Amen  [mit  rothverzierten  großen  Buchstaben],  ein  Doppel- 
punkt und  ein  Schnörkel.) 

Diis  ander  pueeH  sagt  Die  siben  frewd  unser  firawen  und  die  newn 
chör  wie  sy  Darinn  enpHangen  ist  (Suchenwirt's  Qedicht  folgt  unmittel- 
bar den  zehn  Geboten  Bl.  98*  linke  Spalte^  hat  dort  die  Überschrift: 
Das  ist  das  andei'  puecH  die  siben  frewd,  uns  fräwen  Vnd  Die  newn  eHör 
Der  engel  und  reicht  bis  Bl.  112^  linke  Spalte.) 

Das  dritt  pueeH  sag  von  den  fimff  füo'ster^  van  dB  van  Maylan  und 
von  Margraff  Sigmund  vnd  von  Hern  cHarlur  Vnd  van  Herezag  wüHdIm 
vnd  Herczog  leupoUen  seinem  vater  paidfUrsten  in  ÖsterreicH  (das  Gedicht 
schließt  sich  an  die  sieben  Freuden  BL  112^  linke  Spalte  mit  dem 
Titel;  Das  ist  Das  Dritt  puecH  Vnd  ist  van  den  fllrsten,  es  endet  Bi.  114^ 
rechte  Spalte;  alle  drei  Überschriften  sind  roth,  desgleichen  der  An- 
fangsbuchstabe jedes  ersten  Verses ,  aber  auch  anderer  Verse,  meist 
zur  äußeren  Bezeichnung  der  logischen  Gliederung.  Die  übrigen  An- 
fangsbuchstaben sind  groß  und  roth  durchstrichen.) 

Das  vierd  puecH  ist  die  regel  der  Heiligen  cHristenHait  vnd  lert  uns 
rechten  cHristenleicHen  gelawben  und  becHennen  unser  sund  (Bl.  115 — 1*25 
befindet  sich  ein  Gewissensspiegel,  aber  nicht  mit  der  Bezeichnung 
vierd  puecH.) 

Das  fünft  puecH  sagt  den  antlas  den  man  vint  und  verdient  zu 
ram  vnd  wer,  ram  gepäwt  hat  und  von  alter  auf  chomen  ist  mit  swi- 
pogen  vnd  mit  säwUen 

Das  secHst  puecH  pliiemster  cHunst  czü  stewr  genannt  Die  schon 
Auentewr 

Das  sibent  puecH  ist  Hern  fridreicHs  Des  khrew^pekeHen 
rays  Sech»  veldstreit  Die  er  geföchten  hat  an  ander  Auentewr  Die  im 
geschehen  sind 

Das  sechste  und  siebente  Buch  beziehen  sich  ohne  Zweifel  auf 
die  bekannten  Gedichte  Suchenwirt's,  sie  finden  sich  aber,  gleich 
dem  fünften  Buche^  leider  in  der  Handschrift  nicht  vor;  denn 
BL  126  ist  unbeschrieben,  dann  folgen  Bl.  127—130  lateinische  Hymnen, 
BL  131—132  ein  Gedicht  Jacob  Vetter's  auf  König  Ladislaus 
von  Böhmen  1452  und  BL  132  chronologische  Notizen  über  Wiener 
Begebenheiten  aus  den  Jahren  1450-^1463.  Daran  reihen  sich 
26  leere  Blätter;  BL  133*"  enthält  Nachrichten  über  einen  Kometen 
vom  Jahre  1402  und  Bl.  134  Namen,  die  Österreich  gehabt.  Höchst 


334  FRANZ  KRATOCHWIL 

wahrscheinlich  waren  die  unbeschriebenen  Blätter  für  die  drei  letzten 
Bücher  bestimmt.  Da  m'  den  Text  in  zwein  Spalten  bringt,  jede  durch- 
schnittlich 2ö  abgesetzte  Verse  enthält,  so  würden  auf  das  sechste 
und  siebente  Buch  ly  höchstens  8  Blätter  gekommen  sein,  so  daß 
noch  18  Blätter  für  das  fünfte  Buch  übrig  geblieben  wären. 

Aus  dem  bisher  Gresagten  ergibt  sich  mit  größter 
Wahrscheinlichkeit^  daß  m'  in  Österreich  entstanden  und 
auf  unbekannte  Weise  (vielleicht  aus  einem  Kloster  in  ein  anderes 
desselben  Ordens)  nach  Baiern  kam  und  zwar  nach  Begensburg,  wie 
Docen  in  der  Sammlung  für  altdeutsche  Literatur  und  Kunst,  1.  Band, 
1.  Stück,  Breslau  1812,  S.  152—160  angibt,  und  von  da  nach  München. 
Docen  nennt  das  Gedicht  von  den  zehn  Geboten  unbedeutend,  wohl 
aber  gefällt  ihm  der  Anfang  von  den  sieben  Freuden  Mariens,  den 
er  auch  nach  m^  mittheilt.  Die  ganze  Anzeige  dieser  Handschrift 
macht  den  Eindruck  des  Überstürzten  und  rasch  Hingeworfenen.  — 
P  kannte  sie,  wie  aus  pag.  LH  der  Einleitung  und  einer  Bemerkung 
S.  1Ö9  seiner  Ausgabe  zu  ersehen  ist,  aber  m'  selbst  benützte  er 
nicht,  gewiß  nicht  zum  Vortheile  der  Ausgabe.  Da  er  (gleich  a,  B 
und  m^)  w  nicht  kannte,  hätte  er  für  letztere  Handschrift  in  m^  Ersatz 
gefunden,  denn  zwischen  w  und  m*  herrscht  große  Überein- 
stimmung. 

Nicht  nur  kehren  die  in  w  vorkommenden  Synkopen  und  Apo- 
kopen  sowie  die  vollen  Formen  statt  der  in  A  synkopierten  und  apo- 
kopierten  in  m^  fast  regelmäßig  wieder,  sondern  es  zeigt  sich 
auch  in  anderen,  oft  ganz  unbedeutenden  Details  nicht 
selten  eine  geradezu  überraschende  Übereinstimmung. 
Zum  Beweise  des  zweiten  Theiles  dieser  Behauptung  führe  ich  nur 
einige  Stellen  an,  und  zwar  aus  den  zehn  Geboten:  15  fehlt  schulden 
in  w  und  m*,  32  w  die  fürten  au:^  egippen  lant,  m^  die  fiirten  a.  e.  Z., 
34  wm^  czogten,  wm^  pot  im  Titel,  V.  44,  53,  71;  42  w  was  an  her- 
hergy  m^  w,  a.  kerwergj  wm^  52  im  der,  56  aptgot,  100  erparm  und 
107  nieman,  115  w  chünße^  m^  chünfft,  wm*  116  merch  da^  ist,  141 
nickte y  142  chanst,  165  vrt8{ä)gleichen ,  172  in  deinen,  188  Äa6,  190 
chainSy  197  fehlt  auch,  200  merkcht,  202  sein  gut,  218  sund  ver- 
meiden, 222  fehlt  und*^  ferner  aus  den  sieben  Freuden  Marions:  13  w 
wOi^icht,  m*  war  cht,  wm*  16  Saffir  charfunchel  seh.  e.,  57  flinse, 
65  ew,  81  peste,  111  (und  sonst)  teuf  eis,  152  aUe:^(8)  sein(e)s  gepotes, 
155  henden,  292  muemen,  324  wovon  chü(u)mpt,  339  geu)09*icht,  223 
dei'  vers  der,  238  volloben,  252  begund  ye,  256  u.  1214  beschermf, 
272  fehlt   groi^^n,    290  hie   ndhent,    370  do  pei  e?r   404   schön    umb- 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  8UCHENWIRT-HSS.      336 

wunden,  442.  Ochs,  443  alU\,  471  u.  562  walcha8e{a)r,  491  stuUeiehen, 
497  wo  lema,  525  ISwcht,  574  ztoainczig,  591  Rew  umby  622  vergehend, 
687  ^mc/^e,  689  a/Z  fehlt,  701  schilich  :  mt7icA,  855  dennoch^  963 
losophaiy  973  Ninivet,  1040  b(p)e8chriben ,  1048  nemunderj  1090  je- 
«ete^  1108  frgwelein,  1203  nom*!»,  1256  «dZfe/i,  1264  reguter,  1276 
puc^  an  vnderlae,  1282  ^ofe«  müter,  1289  seind,  1322  jr«rü^  nacA, 
1324  Ji%en,  1325  bestrewt,  1349  d^n  (Ä  dann),  1362  «aimon,  1403 
yedie,  1418  w  etatichleich,  m^  stäüeich,-  1475  wm^  vOricht :  unver- 
b{w)Oricht,  1513  wann,   1529  tmt  Ai//  zu  «^eu?9*. 

Zudem  gilt  Alles,  was  ich  ttber  die  Scfareibweise  in  w  gesagt, 
von  m'.  Es  liegt  daher  die  Annahme,  daß  w  und  m^  von  einem  und 
demselben  Schreiber  herrühren,  sehr  nahe,  aber  derselben  widerspricht 
die  Ungleichheit  der  Schrift  Auf  die  zunächst  sich  aufdrängende 
Frage,  wie  es  komme,  daß  zwei  verschiedene  Schreiber  so  auffallend 
gleiche  Abweichungen  sich  erlaubten,  gibt  es  nur  die  Antwort,  daß 
eine  der  beiden  Handschriften  aus  der  anderen  geflossen  sein  muß, 
und  zwar  halte  ich  w  für  die  Vorlage  von  m^  Denn  dieser 
Codex,  welcher  im  letzten  Viertel  des  15.  Jahrhunderts  ent- 
standen, sein  mag,  zeigt  nicht  nur  jüngere  Schriftzttge  als  w? 
es  fehlen  in  m*  auch  ganze  Verse,  so  in  Nr.  1  die  Verse  48, 
98,  112,  in  Nr.  2  die  Verse  335  und  336. 

Überhaupt  scheint  mir  m^  etwas  weniger  sorgfältig  abgefaßt  zu 
sein  als  w;  es  sind  viele  einzelne  Wörter  abgängig,  in  Nr,  1 
an  elf  Stellen,  in  Nr»  2  fast  zweimal  so  viel  wie  in  w,  wobei  in  Nr.  1 
die  Verse  15,  91  und  197,  in  Nr.  2  die  Verse  946,  978,  1181  und 
1317  nur  drei  Hebungen  bei  stumpfem  Schlüsse  haben.  Ferner  finden 
sich  in  Nr.  2  von  m''  folgende  Reime:  11  mögt  (A  mait)  :  berait,  175 
märbel  :  hermel,  309  siten  :  mit  und  1504  gepawet :  frawen.  Aus  der 
Sorglosigkeit  des  Schreibers  erklären  sich  daselbst  auch  die  sinn- 
losen Stellen:  110  erhört  (A  der  hw^t),  124  gepot,  834  glavhen,  1310 
er  (A  wer),  1344  ist  (A  ich),  1423  Met  (A  hie). 

Bestünden  aber  auch  die  gegen  die  Identität  des  Schreibers  er- 
hobenen Einwände  nicht,  man  könnte  doch  nicht  w  und  m'  dem- 
selben Schreiber  zuweisen,  da  m^  einige,  wenn  auch  ganz 
unbedeutende  sprachliche  Eigenthümlichkeiten  zeigt. 
So  gebraucht  der  Schreiber  von  m*  die  und  di,  wie  solche  solch  und 
solich,  immer  zwelif  (Weinhold,  Bair.  Gramm.  §.  258)  und  weit,  nahezu 
ausnahmslos  fraw,  in  Nr.  1  immer  da,  in  Nr.  2  auch  häufig  do,  wie 
denn  daselbst  viel  öfter  als  in  Nr.  1  Vertauschung  von  a  mit  o  be- 
gegnet. Widerstand  gegen  den  Umlaut  zeigt  in  m'  zuweilen  a  (2,  182 


336  FRANZ  KRATOCHWIL 

den  swciren  last),  in  Verbindung  mit  einem  Lingualen  finden  wir 
6  für  t£7  in  2,  236  sbebt  —  eine  Erscheinung,  die  besonders  in  Tiroler 
Denkmälern  (a.  a.  O.  §.  124,  S.  128  unten)  zu  treffen  ist.  In  Tirol 
namentlich,  aber  auch  in  den  anderen  österreichischen  Alpenländem, 
wird  gerne  in  der  3.  Person  sing.  ind.  des  Präsens  das  t  abgestoßen: 
2,  630  schreib  (a.  a.  O.  §.  122) ;  2,  1036  begegnet  orrdeicher  (A  ordm- 
leicher). 

Im  Allgemeinen  darf  man  wohl  w  und  m^  in  Bezug  auf 
die  zwei  besprochenen  Gedichte  als  gleich  betrachten, 
es  gilt  daher  auch  das  ttber  den  Werth  und  die  Bedeutung 
von  w  für  die  Textkritik  Gesagte  im  Ganzen  von  m^. 

Zum  Schluß  muß  noch  erwähnt  werden,  daß  im  Gedichte 
von  den  sieben  Freuden  die  Verse  1 — 358  in  derselben 
Weise  aufeinanderfolgen  wie  in  A,  somit  nicht  in  der  Anord- 
nung, die  ihnen  P  in  seiner  Ausgabe  S.  123 — 127  gegeben.  In  Awm' 
verkündet  der  Erzengel  Gabriel  der  heil.  Maria,  daß  sie  die  Mutter 
Jesu  und  ihre  Muhme  Elisabeth  einen  Sohn  gebären  werde.  Maria 
besucht  sie,  Elisabeth  preist  Maria  selig,  diese  bleibt  bei  Elisabeth, 
bis  Johannes  geboren  wird  und  kehrt  dann  nach  Nazareth  zu  Joseph. 
Der  Dichter  achildert  umständlich  des  Letzteren  Traurigkeit,  die  ihm 
Marions  Zustand  verursacht«  Aber  ein  Engel  erscheint  ihm  in  der 
Nacht  und  klärt  ihn  auf.  Da  wird  der  alte  Joseph  freudenreich  und 
sagt  zu  Maria:  Mir  ist  Alles  kund  geworden,  worauf  Maria  mit  den 
Worten  des  Magnificat  antwortet.  Nun  kam  die  Zeit,  wo  Joseph  und 
Maria  in  Folge  des  kaiserlichen  Gebotes,  das  Land  zu  beschreiben, 
sich  nach  Betlehem  begeben  u.  s.  w.  —  Dieser  Gang  stimmt  insoferne 
nicht  mit  dem  biblischen  Bericht,  als  dort  Maria  das  Magnificat  nicht 
vor  Joseph,  sondern  bei  dem  Besuche  Elisabeths  spricht.  P,  dem  zur 
Veröffentlichung  dieses  Gedichtes  nur  A  vorlag,  glaubte  nun  daß 
diese  Verschiedenheit  vom  Abschreiber  herrühre,  „der  ein  paar  Blätter 
früher  abschrieb,  als  sie  der  Folge  nach  eingeschaltet  werden  sollten'^ 
(PS.  168).  Er  stellte  daher  die  Verse  um,  während  in  A  auf 
218  die  Verse  291—358  und  dann  219—290  folgen.  Primisser's 
Verfahren  ist  begreiflich.  Wir  aber,  die  jetzt  denselben  Gang  wie  in  A 
auch  in  w  und  m'  wiederfinden,  müßten  glauben,  daß  die  Schreiber 
von  w  und  m^  durch  einen  an's  Wunderbare  grenzenden  Zufall  gerade 
dieselben  Blätter  zu  früh  abschrieben,  oder  daß  w  aus  A  entstanden 
und  m*  aus  w.  Nun  ist  das  zweite  Glied  der  Disjunction  allerdings 
wahrscheinlich,  aber  nicht  zu  beweisen.  Daher  könnte  ich 
mich  als  Herausgeber  zu  der  obigen  Umstellung  der  Verse  im  Gegen- 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHE  NWIRT-HS8.       337 

satse  zu  allen  Handschriften  nur  dann  entsehließen,  wenn  diese 
wirklich  nothwendig  ist  Das  ist  sie  aber,  wie  wir  gesehen  haben, 
nicht.  An  sich  ist  es  ja  gar  nicht  auf&Uig  und  gewiß  ebenso  berech- 
tiget, wenn  Maria,  als  sie  die  Traurigkeit  Josephs  weichen  sieht,  in 
die  Dankesworte  des  Magnificat  aasbricht«  Ich  halte  daher  die 
handschriftliche  Anordnung  der  Verse  1 — 358  für  die  ur- 
sprüngliche, von  Sachenwirt  selbst  herrührende').  Warum 
er  vom  biblischen  Bericht  abwich,  läßt  sich  nicht  sagen;  an  einen 
Irrthum  ist  nicht  zu  denken.  Gewiß  hat  er  die  alttestamentliehe  Reihen- 
folge der  zehn  Gebote  gekannt,  und  wie  verschieden  ist  seine  An- 
ordnung der  zehn  Gebote!  Übrigens  finden  wir  solche  Abweichungen 
auch  anderwärts,  ich  verweise  hier  nur  auf  den  geistlichen  wctgen 
(vgl.  S.  327). 

Das  dritte  Suchenwirtische  Gedicht  in  m^  führt  uns 
zu  Nr.  3  in  C.  Die  sprachlichen  Unterschiede  zwischen  beiden 
Fassungen- dieses  Gedichtes  erklären  sich  durch  das  höhere  Alter  von 
m^,  die  metrischen  durch  Neigung  in  C,  im  Verse  gleichmäßigen 
Wechsel  von  Hebung  und  Senkung  herzustellen  (vgl.  S.  308).  —  Eine 
Vergleichung  beider  Handschriften  fällt  entschieden  zu 
Gunsten  von  m' aus.  Trotz  mancher  Fehler,  von  denen  bei  anderer 
Gelegenheit  die  Rede  sein  wird,  liefert  m^  im  Vergleiche  zu  C  nahezu 
dreißig  recht  brauchbare  Lesarten.  Anderseits  sind  die  Ver- 
schiedenheiten zwischen  m*  und  C  keineswegs  derartig, 
daß  nicht  N  die  gemeinsame  Quelle  beider  gewesen  sein 
könnte. 

XL    gt- 

Höchst  wahrscheinlich  stammt  aus  derselben  Quelle 
auch  g,  ein  der  herzoglichen  öflFentlichen  Bibliothek  zu  Gotha  ge- 
höriger Papiercodex  B,  Nr.  271.  Dankbar  rühme  ich  hier  die  große 
Liberalität,  die  mir  der  Herr  Oberbibliothekar  Geheimer  Hofrath  Pro- 
fessor Dr.  W,  Pertsch  durch  Übersendung  der  werth vollen  Hand- 
schrift nach  Wien  bewiesen  hat. 

Diese,  mittelquart,  in  starken  Holzdeckeln,  welche  mit  roth- 
braunem, feingepreßtem,  einstmals  reich  vergoldetem  Leder  überzogen 
sind,  hatte  Schließen  und  zählt  gegenwärtig  201  Blatt.  Da  aber  die 
an  dem  Codex  in  jüngster  Zeit  mit  Tinte  angebrachte  Blattzählung 
das  erste  Blatt  nach  dem  Deckel  nicht  zählt,  so  kann  mit  demselben 


})  In  dieser  Untersachung   bin   ich   aber  überall,   wo  aus  den  sieben  Freuden 
Verse  citiert  werden  oder  auf  welche  verwiesen  wird,  der  Zählung  Primisser^s  gefolgt. 


338  FRANZ  KBATOCHWIL 

Rechte  auch  das  letzte  nicht  gerechnet  werden,  und  es  sind  dann 
199  Blätter.  Übrigens  ist,  da  das  dritte  Blatt  aus  Versehen  nicht 
eingezählt  ward,  die  angebrachte  Zählung  von  incl.  3  bis  incl.  164 
unrichtig;  da  aber  nach  Bl.  164  statt  165  gleich  166  gezählt  ward, 
so  ist  das  frühere  Versehen  ausgeglichen  und  die  Zählung  von  incl. 
166  bis  Ende  correct. 

Die  Handschrift  enthält,  von  dem  letzten  Stacke  abgesehen,  nur 
Poetisches,  uud  zwar  von  Teichner  BL  9 — 94^  Liber  Sapientte  (dieser 
Titel  stammt  von  dem  ehemaligen  Eigenthümer  der  Handschrift, 
Augustinus  von  Hamersteten;  er  selbst  schreibt  sich  Hamer- 
stetenn,  vgl.  S.  339  ff.)  und  Bl.  94*»— 136**  Von  unser  frawen  en- 
pJunknuss,  136** — 177**  von  Konrad  von  Würzburg  die  Quldein  8myt^ 
178* — 183'  von  Suchenwirt  sprach  von  funff  fursten  (vollständig  lautet 
die  rothe  Überschrift:  Den  'spruch  hat  gemacht  peter  der  Suchen  \vnrt 
von  fünf  fursten),  183* — 188^  von  Teichner:  In  der  Römer  puch  man 
las  (Hamersteten  bemerkt  daneben:    von  ainer  edlen  Kaiserin). 

Während  die  goldene  Schmiede  an  das  zweite  Stück  so  un- 
mittelbar sich  fügt,  daß  an  dessen  Ende  gleich  der  Titel  von  Kon- 
rads Gedicht  sich  reiht,  obwohl  auf  dieser  Seite  nur  mehr  ein  Raum 
von  einigen  Zeilen  frei  war,  also  (und  so  überall)  die  größte  Aus- 
nützung des  Raumes  sich  zeigt:  folgte  auf  das  oben  zuletzt 
angeführte  Stück  Teichner's,  obwohl  noch  die  halbe  Seite  frei  war, 
ursprünglich  nichts  als  die  zwei  Verse: 

Also  hat  da:;  puch  ein  ende 

Got  behüt  vns  vor  missewende  — 

Es    haben    nämlich    diese  Stücke    einmal    für    sich    allein 

einen  Codex   gebildet,    welcher  nicht   vor  1386  beendet   worden 

sein  kann,  wohl    aber  auch  nicht  viel  später:    also    zu  Ende    des 

14.  Jahrhundertes   oder*  im  äußersten  Falle  zu  Anfang  des 

15.  Jahrhundertes. 

Das  sagt  uns  die  Schrift,  die  nur  auf  einen  Schreiber  hinweist 
und  in  den  Zügen,  der  Gefälligkeit,  Reiolichkeit  und  leichten  Lesbar- 
keit nach  an  die  besten  Theile  von  A  erinnert.  Auffallend  ist,  daß 
in  den  meisten  Fällen  die  Punkte  über  i  fehlen.  Als  Abkürzungs- 
zeichen erscheinen  ^  =  r  und  er^  '~  um  inlautendes  e  anzuzeigen, 
und  rvÄ  =  reich  in  Osterreich]  als  Haken  gebraucht  der  Schreiber 
gewöhnlich  '  ",  sehr  selten  '  und  nur  über  u  {S3  für=fiir)j  über  y 
einen  Punkt;  über  aus  ä  entstandenem  e  (=  ce)  findet  sich  häufig 
^  oder  ^.  Svarabhakti  werden  durch  Haken  nie  bezeichnet,  Halb- 
diphthonge nur  vereinzelt  (31  rechte  34  gepürd,  2(X)  schemleich),   aber 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHEN WIRT-HSS.   339 

auch  die  Diphthonge  nicht  consequent;  beBonders  bei  den  t^-Lauten' 
fehlt  der  Haken  oft,  so  steht  ü  =:i  Uj  üy  uOy  tie,  dann  kommt  wieder 
für  alle  diese  Laute  ein  bloßes  u  vor.  Sonstige  Schreibfehler  hin- 
gegen (wie  58  smaikchen  :  czaichen)  sind  ganz  selten. 

Die  äußere  Anordnang  der  Verse  ist  sehr  gleichmäßig;  jede  Seite 
ist  von  vier  schwarzen  Strichen  eingesäumt  und  enthält  in  einer  un- 
gespaltenen Columne  24  abgesetzte  Verse.  Zwischen  der  ersten  und 
zweiten  Zeile  befindet  sich  ein  schwarzer  Strich.  Jeder  Vers  beginnt 
mit  einem  großen  Buchstaben>  die  der  ungeraden  Verszeilen  sind 
überdies  roth  durchstrichen.  Dort,  wo  dem  Sinne  nach  ein  Ab- 
schnitt beginnt;   steht  eine  bedeutend  größere  ganz  rothe  Majuskel. 

Sprachlich  herrscht  volle  Übereinstimmung  mit  C 
(wenn  man  .von  einigen  unbedeutenden  Änderungen  der  Schreiber, 
wie  sohl  =  al  u.  s.  w.  absieht)  und  m'  (nur  liebt  g  nicht  den  Wechsel 
von  b  und  lo),  und  dies  ist  nicht  auffällig ,  dag  gleichfalls  aus 
Österreich  stammt,  und  zwar  höchst  wahrscheinlich  aus 
Wien.  Schon  der  Inhalt  läßt  das  vermuthen:  drei  Viertheile  der 
Handschrift  kommen  auf  den  Wiener  Dichter  Teichner,  fünf  Blätter 
auf  den  in  Wien  ansäßigen  Suchenwirt,  40  auf  Konrad  von  Würz«- 
bürg.  Aber  auch  die  Zuthaten  zu  Anfang  und  Ende  des 
Codex  stammen  aus  Wien,  wenn  auch  aus  späterer  Zeit. 

Die  Handschrift  war  nämlich  zu  Ende  des  15.  Jahrhundertes 
Eigenthum  des  Augustinus  von  Hamersteten  in  Wien.  Dr.  J.  G. 
Th.  Gräße  nennt  ihn  S.  1166  des  Lehrbuches  einer  Literärgeschichte 
der  berühmtesten  Völker  des  Mittelalters,  2.  Bd.,  2.  Hälfte  der  3.  Ab- 
theilung', 1843,  einen  österreichischen  Meistersänger;  Belege  hie- 
für bringt  er  nicht.  In  Ritter' s  geographisch-statistischem  Lexikon 
(1.  Bd.,  6.  Aufl.,  1874)  findet  sich  unter  allen  hier  in  Betracht  kom- 
menden Orten  nur  ein  Hammerstetten,  und  zwar  in  Baiern,  Kreis 
Schwaben,  Bezirksamt  Günzburg.  In  Z edleres  Universallexikon  bei 
gegnet  S.  395  des  12.  Bandes  (1735)  ein  Hammerstaettl  oder 
Hamry,*  Marktflecken  im  Czaslauer  Kreise  in  Böhmen  mit  gutem 
Eisenbergwerke.  —  Sicher  ist,  daß  A.  von  Hamersteten  sich  1496  in 
Torgau  aufhielt.  Hier  vollendete  er  seine  Histori  vom  Hirs  mit  den 
guldin  ghwmVnd  der  Fürstin  vom  pronnen.  Zu  Ende  derselben  schrieb  er: 
A,  de  Hamersteten  Cancellarim,  Finitum  Torga  Sahato  vigi^  palmarum 
A°  1496,  Dieser  auf  36  Blätter  Papier  in  Octav  geschriebene  und 
aufs  Schönste  gebundene  kleine  Roman  behandelt  die  Liebschaft  des 
Kurfürsten  Friedrich  des  Weisen  von  Sachsen  mit  der  Gräfin 
Amalia   von    Schwarzburg,    Q-emahlin    des   Qrafen  Günther  XXXIX« 


340  FRANZ  KBATOCHWIL 

Das  Büchlein  widmete  Hamersteten  dem  genannten  Kur- 
fürsten, der  es  nach  einer  am  Schiasse  desselben  von  jüngerer  Hand 
angebrachten  Bemerkung  sehr  lieb  hatte.  Jetzt  befindet  sich  dasselbe 
als  Handschrift  M  279  auf  der  königlichen  Bibliothek  zu  Dresden 
(vgl.  Dr.  Franz  Schnorr  von  Carolsfeld,  Katalog  der  Hand- 
schriften der  königlichen  öffentlichen  Bibliothek  zu  Dresden,  2.  Bd.^ 
Leipzig  1883,  S.  Ö18  f.).  Der  Bibliothekar  Heinrich  Jonathan 
Clodius  ließ  nebst  einigen  einleitenden  Bemerkungen  das  Büchlein 
im  Dresdnischen  Magazin,  Bd.  1  (Dresden  1760),  S.  18 — 31  und 
131 — 152  abdrucken.  Auffällig  ist,  daß  der  Verfasser  des  Büchleins 
sowohl  S.  23  als  152  Hammerst^tn  genannt  wird,  ebenso  bei  Ben- 
jamin Gottfried  Weinart,  der  diesen  Aufsatz  aus  dem  Dresd- 
nischen  Magazin,  das  nach  20  Jahren  ziemlich  vergriffen  war^  im 
zweiten  zu  Leipzig  1784  erschienenen  Theil  der  Neuen  sächsischen 
historischen  Handbibliothek  S.  1—43  abgedruckt  hat.  In  dem- 
selben Jahre  wurde  zu  Leipzig  Hamerstetens  Erzählung  in  der  Sprache 
modernisiert  und  mit  Anmerkungen  versehen,  herausgegeben  im  dritten 
Stück  des  ersten  Jahrganges  des  Sammelwerkes:  Für  ältere  Lite- 
ratur und  neuere  Leetüre  S.  107 — 138  vonCanzlerund  Meißner. 
Leider  bieten  die  genannten  drei  Werke  keinerlei  Aufschluß  über 
Hamersteten's  Lebensverhältnisse. 

Im  Jahre  1497  ist  Hamersteten  in  Wien.  Hier  überreicht 
er,  unbestimmt  ob  zum  Ankauf  oder  —  was  viel  wahrcheinlicher  ist  — 
als  Geschenk  dem  damals  mit  seinem  Bruder  Johann  in  Wien  weilen- 
den Kurfürsten  von  Sachsen,  Friedrich  dem  Weisen,  einen  Papiercodex, 
der  nunmehr  in  der  herzoglichen  öffBntlichen  Bibliothek  zu  Gotha 
unter  der  Bezeichnung  B  Nr.  50  verwahrt  wird.  Die  Handschrift  be- 
steht aus  277  Blättern  in  Quart;  jede  Seite  zählt  24  Verse  (vgl.  S.  339 
oben) ;  die  Schrift  ist  sauber  und  stammt  aus  dem  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts. Auf  der  Rückseite  des  ersten  Blattes  heißt  es:  Dis€8  Puch 
sagt  von  der  Zwürctcht  vnnsers  Herrn  Kaisefi^a  vnd  seinem  Bruder  Her- 
czog  albrecht  vnd  der  lantsehaft  Osterreich  vnd  dbfal  der  von  wien  vnd 
stet  das  man  es  lesen  mag  als  einen  sprach  oder  singen  als  ein  lied  vnd 
Michel  Beham  hat  es  gemacht  vnd  es  haisst  in  seiner  Angst  weiss  wan 
er  fieng  es  an  zu  wien  In  dei*  fmrg  do  er  In  grossen  Ängsten  was  wer 
es  singen  woll  der  heb  es  in  diesen  noten  hie  also  an.  Auf  der  folgenden 
Seite  beginnt  das  Gedicht  mit  sechs  Reihen  Musiknoten.  Wir  haben 
es  also  mit  Michael  Beheim's  Buch  von  den  Wienern  zu 
thun.  In  diesem  erscheint  aber  Augustinus  von  Hamer- 
steten   selbst  als  handelnde  Person,   als  Begleiter  des  kaiser- 


Ober  den  oeqbnwIrtioen  stand  der  suchenwirt-hss.    341 

liehen  Obersten  von  öraveneek,  den  die  Wiener  im  Jahre  14M 
niedergeworfen  hatten;  er  vertheidigte  ihn  mit  noch  vier  Änderen, 
die  Beheim  mit  Namen  anfahrt; 

Aifter  genant  was  Asam  schrantz 

Des  manlieit  die  toass  vest  vnd  gavätz 

Der  stund  neben  dem  Hern  sein 

Von  Hammerstetten  Augustein 

Neben  seinem  Hern  stunde 

Ein  Arm  ward  Im  verwunde. 

Die  andern  drey  waren  vor  dem  Thor  n.  8..w. 
Vgl.  Th.  G.  y.  Earajan,  Michael  Beheim's  Buch  von  den  Wienern. 
Wien  1843,  8.  LXXX  f.  und  S-  53,  Vers  7  ft,  ferner  Fr.  Jacobs 
und  F.  Ä.  Ukert,  Beiträge  zur  älteren  Literatur  oder  Merkwürdig- 
keiten der  herzoglich  öffentlichen  Bibliothek  zu  Ootha,  3.  Bd.,  1838, 
S.  94 — 98.  —  Die  Handschrift  hat  Hamersteten  mit  mancherlei  Rand- 
bemerkungen versehen,  so  schrieb  er  auf  der  ersten  Seite  am 
oberen  Rande:  1496.  Soli  aüissimo.  Idem  vt  infra.  ii. ;  daneben: 
4.  feria  post  palmamm  in  Torga  (vgl.  S.  339).  A. . .  .x  Anno  1496 \ 
zu  S.  53,  V.  5  u.  6  (Ausgabe  Karajan's):  V  nobiles  stipendiarii  Impera- 
toris,  wodurch  er  sich  nach  Earajan's  Meinung  als  kaiserlicher  Söldner 
bezeichnet.  Zum  Vers  31  der  Seite  33  machte  Hamersteten  am  unteren 
Rande  der  Seite  folgenden  auch  mit  Ebendorfer's  Angaben  (Pez 
n,  974)  stimmenden  Zusatz: 

An  hohen  markt  hin  dazumal 

Der  Wiener  Henker  Maister  pal 

Hett  Ein  längs  swert  an  der  Seiten 

SneU  richten  an  edles  peilen 

Schryen  die  pluthund  alle 

Daz  tet  gar  vhel  gevalle 

Den  gefangnen  mitsambt  Grafneken 

Zesterben  waz  ser  erschrecken. 

Daz  schreibt  A  von  Hamersteten 

Vil  lieber  wer  Er  getreten 

Frey  hin  durch  Doringer  warde 

Daz  solt  Ir  Im  glauben  palde 

Von  gotz  gnaden  ward  nichtz  darauss 

HoUtzer  Hess  füren  in  sein  Haws. 
Im  October  1497  —  also   wahrscheinlich   bei  Gelegenheit  der 
Überreichung   des  Buches    von    den  Wienern  —  geschah  es,    daß 
Hamersteten  die' Handschrift  g,    der  er  eine  gereimte  Wid-* 


342  ,    FRANZ  KRÄTOCHWIL 

mang  —  wahrhaftig  kein  poetisches  Meisterstück  —  vorangestellt 
hatte  (BL  1 — 8),  dem  genannten  Kurfürsten  von  Sachsen  anläßlich 
des  bevorstehenden  Jahreswechsels  zum  Geschenke  machte. 
Oegen  den  Schluß  seiner  Zueignung  sagt  Hamersteten: 

Ewr  gnad  nembs  hin 

Zu  gefallen^  das  pitt  ich  »er 

Dann  mecht  ich  hos,  so  tet  ich  mer 

Seidmal  ich  Aurum  wenig  hob, 

So  geet  mir  auch  Argentum  ab. 
Über  den  Inhalt  des  Codex  spricht  er  auf  den  zwei  letzten 
Blättern  der  Widmung^);  hiebei  nennt  er  Teichner  einen  „berümbten 
Tichter  wol  bekannt^.  An  seinen  Dichtungen  bringt  er  auch  aller- 
hand Änderungen  an,  während  er  Konrad  von  Würzburg  und 
Suchen wirt  glücklicherweise  verschont.  Ja,  er  bemerkt  rechts  von 
den  neun  ersten  Versen  des  Suchenwirtischen  Gedichtes  ausdrücklich : 

Ich  hob  die  ding  nii  co^^igirt 

Von  dem  peter  süchenwiH 

Laß  beleiben  in  Irem  wer  dt 

Als  man  dauon  sagen  hert  seil,  audit 
Zum  letzten  Gedichte  Teichner's  schreibt  er  BL  188^: 

Was  der  teichner  hat  gesetzt 

Daz  ist  gut  vnd  vnuerletzt 

In  Syben  vnd  auch  in  Acht 

Der  Sillelb  zal  wol  gemacht 

Collatinirt,  durch  yettenn 

Hat:^  A.  von  Hamerstenn  (offenbar  Schreibfehler!) 

Vberal  gerichtet  gleich 

Hie  Zu  Wienn  in  Osterreich» 
Darauf  Bl.  189'  wieder  eine  Vorrede  Hamersteten's  zu  dem  letzten 
Stücke    der  Handschrift,    der  Zuthat   am  Ende,    Clenodium  genannt 
(Bl.  ISO*— 199^).    190'  unten  steht  mit  rother  Tinte: 

Anno  Domini  zc.  XLIir  zc 

per  me  —  «?  —  p.  scriptum  ~ 
und  Bl.  199^  unten  ein  Wappen,  daneben:    Clenodium  venerabilis  viri 
Domini   wolfgangi  Clementis  plebani  Noueciuitatis   et  Canonici  Ecclesie 
ColUgiate  Sancti   steffany   wienn  zc  Sub  Anno    domini  zc  XLIIt*.    Die 
Schrift  ist  eine  andere  als  in  der  Vorrede  und  älter,  aber  jünger  als 


')  Einige   auf  den  Inhalt   des  Codex    bezügliche  Stellen  dieser  Zneignnng  bat 
Ten t sei  in  den  Monatlichen  Untersnchungen  1691,  S.  928  f.  Teröffentlicht. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIOEN  STAND  DEÄ  SUCHENWIRT-HSS.      348 

die  des  Codex;  sie  kann  nur  ans  dem  Jahre  1443^)  stammen: 
nicht  von  1543  ^  da  die  Handschrift  schon  1497  nach  Sachsen  kam, 
und  aus  dem  Jahre  1343  nicht,  weil  es  damals  eine  Collegia^ 
kirche  St.  Stephan  noch  nicht  gab.  Das  Jahr  1443  stimmt  auch 
giemz  gut  mit  dem  Lebensgange  des  genannten  Wolfgang.  Die  Hand- 
schrift Nr.  100*)  des  k.  und  k.  Haus-^  Hof-  und  Staatsarchivs  enthält 
in  Tom.  4,  Bl.  278^—325^  die  Series  Canonicorum  Ecclesiae  S.  Ste- 
phani,  Viennae  1365—1783  (vgl.  Dr.  Constantin  Edler  von 
Böhm,  Die  Handschriften  des  k.  und  k.  Haus-,  Hof-  und  Staats* 
archivs,  Wien  1873,  S.  32).  Bl.  286»»  findet  sich  zum  Jahre  1424  be- 
merkt: Dominus  Wolfgangus  Clementis^  Canonicus  instaüatus  in  die 
Saudi  Jeronimi.  29^  {siel)  Septembris.  Obiit  1446,  Während  Wolfgang 
sein  Canonicat  in  Wien  versah,  war  für  ihn  Pfarrverweser  in 
Wiener-Neustadt  Niki as  von  Wien.  Derselbe  wird  1439  urkundlich 
genannt;  vgl.  Ferd.  Karl  Boeheim,  Qesammelte  Schriften.  Wien 
1863,  2.  Bd.,  S.  101  u.  210. 

Was  den  Werth  dieser  Recension  gegentlber  C  und  m*  betrifft, 
so  ist  er  so  bedeutend,  daß  diese  Handschrift  des  Gedichtes 
von  fünf  Fürsten  einem  künftigen  Neudrucke  zu  Grunde 
zu  legen  sein  wird. 

Durch,  die  Bekanntschaft  mit  der  Gothaer  Handschrift  hat  sich 
gezeigt,  daß  m*  und  g  auf  das  Engste  verwandt  sind.  Ich  ver- 
weise nur  auf  m'g  7  in  hoh(ch)en  wirden,  %  desy  11  grossen  wandele 
25  seim^  29  m'  aller  st  ^  g  allrersty  m^g  39  vil  sery  43  do  mly  49  und, 
fehlt,  79,  141  u.  184  edlen y  87  gefueget,  89  marder,  94  ungeheft,  101 
end  er  nam^  110  fleisch  da^  warty  113  trewen^  125  und  des  werder^ 
129  wann,  131  eim,  133  und  umb  da:^^  146  g  la^  si,  m'  la  sew,  m*g 
151  kronikeny  160g  aine:;  sullj  m'  aine  schull^  m^g  162  oder  tew- 
rungy  168  nahent  euch^  167  m&rt  (C  maet),  169  chlage{u)nder  (C  chlag 
TOwJ^),  176  der  man,  182  do  siw{si) ,  200  sche{e)mleich^  204  dem 
rechten^   205  vielriy  211  veinden  do{da)  zu^  215  do  wart,   238  huet{e). 

So  lange  m*  allein  mit  C  verglichen  wurde,  standen  die  Ab- 
weichungen der  Mtlnchener  Handschrift  von  C  der  S.  337  ausgespro- 


')  Jacobs'  und  Ukert's  Beiträge  sur  älteren  Literatur  u.  s.  w.  enthalten  im 
«weiten  Bande  8.  312 — 318  manch  Irrthümliches  Über  diese  Handschrift.  So  trans- 
scribieren  die  Herausgeber  die  Zahlenangaben  Bl.  190'  und  199^  in  g  auf  folgende 
Weise:  nC.XLM-nC.  und  nCXLM^I 

')  Einst  Eigenthum  des  Wiener  Canonicus  Franz  Paul  Edlen  von 
Smitmer. 

')  Seil,  ßliui. 


344       FR.  KRATOCHWIL,  ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  etc. 

ebenen  Annahme,  daß  m'  aus  derselben  Quelle  wie  C  geflossen, 
durchaus  nicbt  binderlicb  im  Wege.  Ganz  anders  gestaltet  sich  das 
Verhältniß,  nachdem  sich  gezeigt,  daß  auch  g  an  denselben  Stellen 
von  C  abweicht  wie  m^.  Denn  soll  der  Zufall  wirklich  möglich  sein, 
daß  der  Schreiber  von  g  und  der  um  mehr  als  ein  halbes  Jahrhundert 
später  thätige  Schreiber  von  m'  gerade  an  denselben  Stellen  von  N 
abänderten,  ja  noch  mehr,  daß  sie  sich  die  gleichen  Abänderungen 
erlaubten  ? 

Allerdings  unterscheidet  sich  m'  auch  hie  und  da  von  C,  wäh- 
rend g  und  C  übereinstimmen.  Dies  erklärt  sich  daraus,  daß  m*,  wie 
schon  früher  bei  Vergleichung  von  m'  mit  w  gesagt  wurde,  weniger 
sorgsam  abgefaßt  wurde;  so  fehlt  in  m*  2  rt/5,  33  ./ar,  46  mül,  207 
veint  und  165  und  freud^  so  daß  dieser  Vers  nur  drei  Hebungen  mit 
stumpfem  Schlüsse  hat.  Dieselbe  Erscheinung  wurde  durch  Apokope 
im  Reime  in  den  Versen  126,  128,  162,  238  und  240  herbeigeführt. 
Störung  durch  Apokope  findet  sich  auch  144  dauckt  und  154  halbj 
durch  Synkope  206  tratn,  durch  Verschreiben  2  geslachtSy  16  mit 
ernst  und  94  ""[gepunden,  endlich  durch  Sinnlosigkeit  57  Österreich^ 
58  u.  59  in  anstatt  sey. 

Es  stimmen  aber  auch  einige  Mal  C  und  m^  während  g  allein 
steht;  so  hat  g  31  rechte  60  weibes,  64  Süllen^  122  untreun,  147  alle^ 
156  und  prinnt  recht  als  ein  cherzeUf  181  dem  lannde^  194  wellen,  204 
beleiben,  211  veinden  da  zu,  213  do  si^  228  tu  sew,  201  fehlt  und. 
Diese  wenigen  Stellen  ausgenommen,  bietet  g  fast  immer  das 
Richtige  sowohl  in  Bezug  auf  den  Inhalt  und  Ausdruck, 
als  auch  in  metrischer  Hinsicht. 

Trotz  dieser  Verschiedenheiten  ist  die  Übereinstimmung  zwischen 
g  und  m^  eine  in  die  Augen  fallende;  sie  zwingt  zur  Annahme,  daß 
g  die  Vorlage  für  m'  gebildet  habe.  Und  g?  g  kann  sehr 
wohl  nach  N  geschrieben  worden  sein.  Dafür  spricht,  daß 
beide  in  Österreich  entstanden  sind  und  der  Zeit  nach  einander  nicht 
ferne  stehen.  In  diesem  Falle  wäre  g  der  Vorlage  treuer  gefolgt, 
während  C  hie  und  da  modernisierte;  vielleicht  war  auch  für  den 
Schreiber  von  C  seine  Vorlage  bereits  öfter  schwer  leserlich,  oder  er 
las  flüchtig,  wie  dies  bei  V.  51  winken  für  kroniken  der  Fall  gewesen 
sein  dürfte.  Dagegen  spricht  weniger  der  Einwand,  warum,  wenn 
N  die  Vorlage  war,  der  Schreiber  von  g  daraus  nur  die  goldene 
Schmiede  und  das  Gedicht  von  fünf  Fürsten  wählte,  warum  er  nicht 
noch  andere  zu  dem  Inhalte  der  bereits  aufgenommenen  vollkommen 
passende  Gedichte  Suchen  wirt's  (z.B.  religiösen  Inhalts)  abgeschrieben 


L.  FRÄNKEL,  BIBUOGRAPfllE  DER  UHLlND-LITTERATUa  345 

habe;    vielmehr   aber  der  Qedanke,    daß  g  der  Schrift   nach  höchst 
wahrscheinlich  noch  vor  1402  zu  setzen  ist. 

Doch  schwerlich  wird  sich  die  Schrift  bis  auf  ein  Jahrzehnt 
mit  Sicherheit  bestimmen  lassen.  Wer  sich  aber  trotzdem  darüber 
nicht  beruhigen  kann,  für  den  bleibt  nur  die  Annahme ,  daß  g  nach 
des  Dichters  Autograph  oder  nach  einem  zu  dieser  Zeit  schon 
üblichen  fliegenden  Blatte  geschrieben  worden  sei. 

Zum  Schlüsse  noch  die  Bemerkung,  daß  im  Gedichte  von  fünf 
Fürsten  weder  in  C  noch  in  m' und  g  eine  Andeutung  strophischer 
Gliederung  zu  finden  ist. 

(Fortsetsniig^  and  Schluß  folgt.) 

FRANZ  KRATOCHWIL. 


BIBLIOGRAPHIE    DER  UHLAND  -  LITTERATÜR. 


*  Ludwig  Uhland,  dem  zweifellos  volksthümlicbsten  Dichter  deutscher 
Zunge,  dem  erfolgreichen  Erforscher  unserer  Vorzeit,  dem  rüstigen  Vertreter 
alter  guter  Sitte  und  Satzung  und  wackeren  Streiter  für  des  Gesammtvater- 
landes  Freiheit  und  Größe  ein  seiner  würdiges  litterarisches  Denkmal  zu 
errichten,  darin  gipfelt  mein  in  absehbarer  Zeit  zu  verwirklichender  Plan. 
Um  nun  für  diese  Aufgabe  in  ihrem  vollen  Umfange  einen  sicheren  Boden 
zu  gewinnen,  hielt  ich  es  für  angebracht,  vorerst  eine  Bibliographie  der 
gesammten  mir  erreichbaren  Uhland-Litteratur  zu  entwerfen,  deren  Fehlen 
ich  bei  Abfassung  meiner  Studie  über  Uhland  als  Romanist  *)  empfindlich 
verspürt  hatte.  Die  bescheidene  -Sammlung  wuchs  mir  aber  unversehens 
unter  der  Hand  und  entwickelte  sich  zu  einer  so  beträchtlichen  Ausdehnung, 
daß  sie  einen  gewissen  selbständigen  Werth  wohl  beanspruchen  darf.  Ich 
lege  dieselbe  hier  den  Fachgenossen  vor,  indem  ich  zwar  bitte,  sie  nicht 
bloß  als  Vorstufe,  sondern  als  einen  Ausschnitt  der  Arbeit  selbst  zu  be- 
trachten, jedoch  mit  dem  Geständniß  nicht  zurückhalten  will,  daG  die  mannig- 
fache Un Vollkommenheit  des  Ergebnisses  auf  vielseitige  Ergänzung  durch 
Kenner  der  Sache  rechnen  muß. 

Einige  Erläuterungen  über  die  Anlage  des  Verzeichnisses  seien  voraus- 
geschickt. Die  rein  durch  die  Zeitfolge  bestimmte  äußere  Anordnung  erwies 
sich  unter  Anderem  auch  dadurch  als  die  geeignetste,  weil  allein  sie  ge- 
stattet, der  wechselnden  größeren  oder  geringeren  Zuneigung  der  Kritik  eine 
Art  Maßstab  für  die  in  verschiedenen  Zeiten  ungleiche  Beliebtheit  und 
Werthschätzung  Uhland's  zu  entnehmen.  Was  den  Inhalt  des  Katalogs,  wel- 
cher vermöge  der  beigegebenen  Andeutungen  über  Stoff  und  Seitenzahl  der 
angeführten   Nummern    und    der   Hinweise    auf    sachkundige    Besprechungen 


^)  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen  und  Litterataren ,   herausgeg. 
von  L.  Herrig,  80.  Band  (1888),  S.  26--113,  und  82.  Band  (1889),  S.  233—236. 
GERMANIA.    Nene  Beihe  XIII.  (XXXIY.)  Jahrg.  23 


346  L.  FRANKEL 

zugleich  ein  Wegweiser  durch  die  zerstreute  Litteratur  sein  möchte,  hin- 
sichtlich des  Maßes  des  darin  aufgenommenen  Materials  betrifft  ^  so  sei  be- 
merkt, daß  nur  für  selbständig  erschienene  Bücher  und  Abhandlungen  größt- 
mögliche Vollständigkeit  angestrebt  wurde.  Von  Aufsätzen  in  Zeitschriften 
und  Tagesblättem,  namentlich  von  den  zahlreichen  Nekrologen  der  Jahre  1862 
und  1868  und  den  Jubiläumsartikeln  von  1887,  fanden  hingegen  meist  nur  die 
Aufnahme,  welche  durch  Hervorhebung  eigenartiger  Gresichtspunkte  Anspruch 
auf  bleibende  Bedeutung  erheben  dürfen.  Aus  letzterem  Grunde  werden  auch 
eine  Anzahl  von  Einzelstellen  aus  Werken  genannt,  deren  Absehen  zunächst 
nicht  auf  eine  Würdigung  Ublands  gerichtet  ist.  Anfänglich  beabsichtigte 
ich  auch  eine  möglichst  erschöpfende  Liste  aller  hervorragenden  Charakte- 
ristiken Uhlands  in  allgemein  litterarhistorischen  Schriften  mitzutheilen.  Aber 
dies  Vorhaben  zeigte  sich  einerseits  undurchführbar  —  denn  wenn  eine 
Kategorie  des  deutschen  Büchermarktes  Legion  ist,  so  ist  es  die  Zahl  der 
litterargeschichtlichen  Handbücher  großen  und  kleinen  Kalibers  —  anderer- 
seits kaum  zweckmäßig.  Entweder  nämlich  wird  an  gedachter  Stelle  Uhland 
nur  ganz  flüchtig  berührt  oder  sonst  sein  Bild  meist  bloß  in  leichten  Umriß- 
linien gezeichnet,  so  daß  die  Erkenntniß  seines  menschlichen  und  schrift- 
stellerischen Wesens  hier  keine  Förderung  empfangen  kann;  die  wenigen 
bemerkenswerthen  Schilderungen,  welche  auf  wirklich  individueller  Anschauungs- 
weise beruhen,  wie  bei  Gervinus,  J.  Hillebrand,  Jul.  Schmidt,  Scherer,  von 
den  Freunden  Uhland's  auch  ohne  besonderen  Hinweis  aufgesucht,  bieten 
dem  Specialisten  kein  neues  Licht. 

Von  Vorarbeiten  kann  eigentlich  nicht  die  Rede  sein.  Dankbar  wurde 
benutzt,  was  Bartsch's  mit  1862  einsetzende  Bibliographien  in  der  ^Ger- 
mania **,  Strauches  Jahresübersichten  in  den  letzten  Bänden  des  „Anzeigers 
für  deutsches  Alterthum  und  deutsche  Litteratur^'  und  einige  andere  ähnliche 
Zusammenstellungen  allgemeinen  Charakters  ^)  gewährten ,  wenn  mir  auch 
nur  sehr  selten  ein  Titel  oder  eine  Notiz  entgangen  war.  Den  einzigen 
bibliographisch  wie  immer  musterhaften  Überblick  gab  (bis  1881  reichend) 
K.  Goedeke  im  Grundriß  zur  Geschichte  der  deutschen  Dichtung  HI,  S.  338  ff., 
woselbst  er  auch  S.  320  ff.  einen  alles  Wissenswerthe  knapp  zusammen- 
fassenden Bericht  über  die  gesammte  Thätigkeit  Uhlands  geliefert  hat; 
Fasold's  ''Verzeichniß  der  Uhland  -  Literatur  in  Herrig*s  Archiv  Band  72, 
S.  411  —  414  ist  eine  unmethodisch  angelegte,  kritiklos  durchgeführte  und 
im  Einzelnen  ungenaue  und  unzuverlässige  Skizze,  der  Abriß  Hassenstein*s  in 
der  Einleitung  seines  unten  zu  1887  genannten  Buches  im  engsten  Rahmen 
gehalten.  Daß  sich  die  Fasold'schen  Mängel  bei  mir  nirgends  fühlbar  machen, 
wage  ich  nicht  zu  behaupten,  wo  so  manches  Citat  nicht  nach  eigener  An- 
schauung gegeben  werdeif  konnte,  einige  wenige  Belege  aber  überhaupt 
unzugänglich  blieben.  Möge  jedoch  diesem  Versuche  wenigstens  das  Verdienst 


*)  Z.  B.  der  Jahresbericht  über  die  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  ger- 
manischen Philologie,  herausgeg.  von  der  Gesellschaft  für  deutsche  Philologie  in 
Berlin  (9  Bände  1880—1888),  das  zur  Bibliotheca  philologica'  gehörige  'Verzeichniß 
aller  neuen  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  Philologie'  von  Heyse  und  Blau  u.  A. 
Dankbar  erwähne  ich  für  1863  auch  R.  Gosche's  Übersicht  in  seinem  Jahrbuch  für 
Littgesch.  (1865)  379  ff. 


BIBLIOGRAPmE  DER  UHLAND-LITTERTUR.  347 

nicht  abgefiprochen  werden,  den  Grand  zu  einer  Sammlung  von  allem  über 
Uhland  Geschriebenen  zu  legen  and  dies  hier  an  einer  Arbeitsstätte,  in 
deren  erste  Anbauzeit  noch  sein  berathendes  Wort,  von  eigener  wackerer 
That  begleitet,   verheißangsvoU  hineingeklungen  ist. 

^1783.  Auf  die  Uhlandische  und  Hoserische  Verbindung  am  20.  März 
1783.  Tübingen.  4  Bl.  (Diese  ungemein  seltene  Festschrift  zur  Hochzeit  von 
L.  Uhland's  Eltern  ist  bisher  sämmtlichen  Bio-  und  Bibliographen  entgangen; 
mit  dem  Druckfehler  ^Hoferische'  ist  sie  im  Antiquarkatalog  178,  S.  47  der 
Berliner  Buchhandlung  S.  Calvary  und  Co.    [1886]  verzeichnet.) 

1807.  Morgenblatt  für  gebildete  Stände  (Stuttg.)  13.  Jan.,  Nr.  U, 
S.  43  zur  Veröffentlichung  von  U/s  lyrischen  Erstlingen;  vgl.  Intelligenz- 
blatt zum  Morgenblatt  1808,  Nr.   3,  S.  12. 

1815.  ühland's  Gedichte  (l.Aufl. ')  Stuttgart,  Cotta  1815)  besprochen 
in  den  Heidelbg.  Jahrb.  Bericht  S.   168. 

1818,  ü/s  'Ernst,  Herzog  von  Schwaben  (Heidelberg,  Winter  1817), 
besprochen:  Wünschelruthe  S.  43  f.,  Leipziger  Litteraturztg.  Nr.  250  (vgl. 
Wiener  Jahrb.  der  Litteratur  VH,  11  u.  VIII,  255). 

Studien.  Ein  Beitrag  zur  neuesten  Dramaturgie,  oder  über  Müllner*s 
Schuld,  Uhland's  Ernst  und  Kotzebue's  Rehbock  (München). 

1819.  U. 's /Gedichte',  besprochen  in  Kotzebae's  Literar.  Wochenblatt, 
October,  4,  81,  S.  246;  desgl.  in  der  Allgem.  Litteraturztg.,  August,  Nr.  205^ 
S.  785—789. 

U.'s  '^Vaterländische  Gedichte',  besprochen  in  der  Allgem.  Litteraturztg., 
October,  Nr.   114  (Ergänzungsbl.  S.   912). 

Ernst,  Herzog  von  Schwaben  :  Bericht  über  die  erste  Aufführung  in 
Stuttgart  am  7.  Mai  im  ^Gesellschafter'  Nr.   124. 

U/s  Ludwig  der  Baier  (Berlin,  G.  Reimer,  1819),  besprochen:  Litte- 
ratorblatt  zum  Morgenblatt  für  gebildete  Stände  Nr.  37  j  desgl.  Eotzebue*s 
Literar.  Wochenblatt  Nr.  3'9. 

1821.  '^ Ludwig  der  Baier  ,  besprochen  in  der  Leipziger  Litteraturztg. 
S.  2001. 

^Gedichte.  Zweite  verm.  Aufl.'  (1820)  besprochen:  Leipz.  Litteraturztg. 
S.   2129. 

1822.  *^ Walther  von  der  Vogelweide,  ein  altdeutscher  Dichter,  ge- 
schildert von  L.  Uhland,  besprochen  Allgem.  Litteraturztg.  2,  481;  Leipz. 
Repertorium  4,  269.  (Vgl.  Wiener  Jahrbücher  der  Literatur  XXV,  70; 
XXX,  46;  XCn  A,  Bl.  3.) 

1823.  L.  Uhland,  de  constituenda  re  publica  carmina,  latine  edidit 
G.   Schwab  (Stuttgart)  4. 

-  1826.  Gustav  Schwab,  'Ludwig  Uhland  als  Dichter'.  Mit  U.*s  Porträt. 
Moosrosen,  Taschenbuch,  herausgegeben  von  W.  Menzel,  S.  1 — 37  (Schwab's 


*)  Die  Ergebnisse  einer  von  mir  angestellten  Vergleichung  der  verschiedenen 
Ausgaben  veröffentliche  ich  nicht,  so  lange  noch  die  von  Professor  W.  L.  Holland, 
dem  die  reichlichsten  und  gediegensten  Quellen  fließen,  augekündigte  kritische  Abschluß- 
aasgabe, mit  vollständigem  Variantenapparat  ausgestattet,  in  Aussicht  steht  Doch  soll 
eine  ausreichende  Bibliographie  sämmtlicher  litterarischen  Leistungen  Uhland*s  bald 
folgen. 

23* 


348  L*  FRiNKEL 

^Kleine    prosaische  Schriften ,    herausgegeben    von  ELlüpfel  [Tübingen    1882] 

s.  1  ffO 

Bericht  über  die  Aufführung  yon  Ludwig  der  Baier  in  München :  Abend- 
zeitung Nr.  287. 

Fr.  Diez,  Die  Poesie  der  Troubadours,  S.  195,  A.  1  'über  das  alt- 
franz.  Epos'  [2.  Aufl.  von  Bartsch,   1883.  S.   172,  A.   1]. 

1827.  Gedichte,  3.  Aufl.  (1826),  besprochen:  Allgem.  Litteraturztg. 
I.  Halbband  des  Jahrgangs  8.  335. 

'Bericht  über  die  Aufführung  von  Ernst  von  Schwaben'  in  Wien :  Abend- 
zeitung Nr.   128. 

Wilhelm  Müller,  Die  neueste  lyrische  Poesie  der  Deutschen.  Ludwig 
Uhland  (und  Justinus  Kerner):  Hermes  oder  Leipziger  kritisches  Jahrbuch 
der  Literatur  28.  Band,  S.  94—114;  vgl.  W.  Müller,  Vermischte  Schriften, 
herausgeg.  von  G.  Schwab  (Leipzig  1830),  IV,   95  ff. 

W.  Grimm  in  den  Gott.  Gel.  Anzeigen  IH,  S.  2026  (über  U.*s  "^ Wal- 
ther V.  d.  V.'):  Abdruck  in  W.  Grimm,  Kleinere  Schriften  II  (1882),  S.  386. 

1829.  Fr.  Diez,  'Leben  und  Werke  der  Troubadours*  (Zwickau)  S.  613  f. 

1830.  'Ludwig  Uhland  unser  Lebewohl'.  (Gelegenheitsgedicht.)  Stuttgart. 

1831.  M.  W.  Götzinger,  Deutsche  Dichter  erläutert.  I.  (Leipzig.)  S.  351 — 
414  (2.  Aufl.  [1844],  S.  471—545).  (Ludwig  Uhland  nebst  Erklärung  von 
10  bez.   16  Balladen.) 

G.  Schwab,  Besprechung  der  5.  Aufl.  von  U.'s  Gedichte*  (besonders 
über:  der  Mohn,  Münstersage,  Ver  sacrum). 

1833.  K.  Lachmann,  'Wolfram  von  Eschenbach'  (Berlin)  p.  XL,  Note 
(U.   über  das  altfiranzösische  Epos). 

K.  Simrock,  ^Walther  von  der  Vogelweide  übersetzt*,  Vorrede  S.  IV 
u.  VI    (6.  Aufl.    S.  XXXIV  f.). 

Notiz  über  die  6.  Auflage  der  Gedichte  (1833)  in  Menzels  Literatur- 
blatt Nr.   52   (20.  Mai). 

1834.  (Goethe  im)  ^Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  Zelter'  (Berlin) 
VI,  306  (Äußerung  vom  4.  October  1831). 

1835.  H.  Viehoff,  Programm  des  Gymnasiums  zu  Emmerich  S.  13 
(Des  Sängers  Fluch). 

G.  Schwab,  Die  deutschen  Volksbücher  wiedererzählt  S.  VI  (Notiz  zum 
Fortunat). 

1836.  L.  Börne ^  B^ranger  et  Uhland  in  seiner  Xa  Balance.  Revue 
allemande  et  fran^aise*  (Paris)  I,  17 — 46  (Abdruck  in  der  Hamburger  Aus- 
gabe der  Gesammelten  Schriften  VU,  314  ff.  [Eine  Stelle  aus  S.  19,  sowie 
S.  23  f.  theilt  Börne  in  deutscher  t)l)ersetzung  mit  in  ^Menzel  der  Franzosen- 
fresser'. New- Yorker  Ausg.  von  Jos.  Wieck  III,  37  f.]) 

Goethe's  Gespräche  mit  Eckermann  (Leipzig)  I,  65  f.  (Gespräch  vom 
21.  October  1823);  vgl.  H,  358  f.  (von  18<51;  inhaltlich  stimmt  damit 
genau  die  unter  1848  angeführte  Äußerung  Rückert's). 

K.  Gutzkow,  Beiträge  zur  Geschichte  der  neuesten  Literatur  (Stnttg.) 
I,  S.  57-66. 

H.  Heine  in:  Die  romantische  Schule  (Hamburg):  Sämmtliche  Werke, 
Hamburg  1861,  VI,  254—270. 


BIBLIOGBAPHIE  DER  UHLAND-LITTERATUR.  349 

H.  Viehoff,  Ausgewählte  8tücke  deutscher  Dichter  erläutert  und  auf 
ihre  Quellen  surtickgeführt  (Emmerich):  I,  248  Das  Schloß  am  Meere,  251 
Des  Sängers  Fluch,  261  König  KarFs  Meerfahrt. 

1837.  G.  Pfizer,  Uhland  und  Rackert.  Ein  kritischer  Versuch  (Stutt- 
gart und  Tübingen). 

1838  (?).  Uhland'sche  Lieder  und  Balladen,  übersetzt  von  Margaret 
Füller  bei  George  Ripley,  Specimens  of  Foreign  Literature  (14  vols).  Boston 
1838—1842  (s.  Goethe-Jahrbuch  V,  232). 

1838.  C.  C.  Hense:  Ludwig  Uhland,  Halle 'sehe  Jahrbücher  S.  893  ff. 
Meleh.  Meyer,  Die  poetischen  Richtungen  unserer  Zeit  [Heine.  Piaten. 

Uhland.  Rackert.  Das   ,dunge"   Deutschland.]  (Erlangen.)  S.  87—116. 

Varnhagen  von  Ense,  Denkwürdigkeiten  und  vermischte  Schriften 
(Mannheim)  H,  53  ff.,  198;  vgl.  in  der  zweiten  Auflage  (Leipzig  1843  ff.) 
VII,  65  u.  77,  IX,  232  ff.,  415,  426  f.  (schon  1808  und  1810  geschrieben), 
auch  m,   96  f.  98  und   121. 

W.  Grimm  in  den  Gott  Gel.  Anz.  I,  S.  491  f.  (U.  'Über  das  altfran- 
zösische Epos').  Abdruck  in  W.  Grimm,  Kleinere  Schriften  II    (1882),  S.  474. 

1839.  A.  V.  Chamisso,  Sämmtliche  Werke  (Leipzig)  V,  287,  291  u.  316  f. 
(schon  1810    niedergeschriebene  Charakteristik  Uhland's    und    seiner  Lyrik). 

Th.  Echtermeyer,  Auswahl  deutscher  Gedichte  (Halle)  S.  XXI  f.  (die 
Uhland*sche  Rhapsodie),  S.  XXX,  Note  („ Sängerfluch ^),  zuerst  in  ,,HalHBche 
Jahrbücher  für  deutsche  Wissenschaft  und  Kunst^    1839,  Nr.   96  ff. 

H.  Heine,  der  Schwabenspiegel  im  Jahrbuch  der  Literatur,  L  (einziger) 
Jahrgang  (Hamburg),  S.  335—362  (Sämmtliche  Werke,  XIV,  81—108;  1862). 

E.  Gutzkow,  Jahrbuch  der  Literatur  S.  46  ff. 

R.  H.  Hiecke,  Über  den  Ideengehalt  in  Uhland's  Ballade  „Des  Sängers 
Fluch".  Gymnasialprogr.  Merseburg  (26  S.). 

W.  B.  Mönnich,  Über  L.  Uhland's  Herzog  Ernst  von  Schwaben  (Nürn- 
berg). 

I    D.  Fr.  Strauß,  Zwei  friedliche  Blätter  (Altena)  S.  31  ff.  (U.  und  Kerner). 

L.  Wienbarg,  Die  Dramatiker  der  Jetztzeit  (Altena)  Nr.  1  (vgl.  unter 
1867  Hebbel). 

Vangerow,  Leitfaden  der  Pandektenvorlesungen  (Marburg)  I,  S.  644 
(über  U.'s  Doctordissertation). 

J.  A.  X.  Michiels,  '^Etudes  sur  TAllemagne'.  Darin  (?)  u.  A.  'Des  Sängers 
Fluch'   als  "^la  mal^diction  du  chanteur . 

1842.  A.,  Dem  deutschen  Sänger  L.  Uhland  (Braunschweig). 

R.  H.  Hiecke,  Der  deutsche  Unterricht  auf  deutschen  Gymnasien  S.  153  f. 
(Schwäbische  Kunde)   und  S.   155  u.   159  f.  (die  Rache). 

Fr.  Netter  in:  Schwaben  wie  es  war  und  ist,  herausgeg.  von  L.  Bauer 
(Karlsruhe).  L  Abtheilung,  4.  Aufsatz. 

C.  C.  Hense,  Deutsche  Dichter  der  Gegenwart.  Erläuternde  und  kri- 
tische Betrachtungen  (Sangerhausen)  I,  S.  1  ff. 

F.  de  Roisin  in  der  Notiz  zu  seiner  in  den  *^Memoires  de  la  Soci^te 
des  Antiquaires  de  la  Morinie'  abgedruckten  Übersetzung  ^Les  Romans  en 
Prose  des  Cycles  de  la  Table  Ronde  et  de  Charlemagne'  (s.  E.  Stengel,  Bei- 
träge zur  Geschichte  der  roman.  Philologie  in  Deutschland  1886,  S.  17). 
p.   4  (U.  als  Romanist). 


350  L.  FRÄNKEL 

1843.  Kellner,  Vorbereitungen  auf  höheren  Sprachunterricht  (Erfurt) 
S.  140  (Das  Glück  von  Edenhall),   149  (Tell's  Tod),  157  (Des  Sängers  Fluch). 

1844.  R.  H.  Hiecke  in  ViehoflTs  Archiv  für  den  deutschen  Unterricht 

I,  40  ff.  (U.'s  'Einkehr*).  Vgl,  ebenda  U,  199, 

W.  B.  Mönnich,  Ludwig  Uhland  und  seine  Gedichte.  Separatabdruck 
aus  dem  Album  des  literarischen  Vereins  zu  Nürnberg. 

Joh.  Scherr,  Poeten  der  Jetztzeit  (Stuttgart) ;  der  (zwe^Jte)  Aufsatz  über 
schwäbische  Dichter  behandelt  besonders  Uhland. 

1845.  Mönnich,  ÜberUhland's  Schauspiel  Ludwig  der  Baier  (Nürnberg). 

1846.  Chr.  Oeser  (Schröer),  Weihgeschenk  für  Frauen  und  Jungfrauen 
(Leipzig)  S.  447—452   (U.  als  Balladendichter). 

Po^sies  allemandes  par  J.  P.  Hebel,  Th.  Körner,  L.  Uhland,  H.  Heine 
traduites  par  Max  Buchen  (Salins,  Cornu);  u.  A.  Le  comte  des  greiers, 
le  jardin  des  roses,   trois  jeunes  filles,  la  Fauch euse. 

1847.  J.  V.  Eichendorff,  Über  die  ethische  und  religiöse  Bedeutung 
der  neueren  deutschen  Poesie  in  Deutschland  (Leipzig)  S.   198  ff. 

-  R.  Hiecke,  Ästhetische  Erläuterungen  zu  U.*s  Bertran  de  Born.  (Vie- 
hoff-) Herrig's  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen  und  Litteraturen 
n,   303—317. 

Ludwig  Bauers  Schriften  (Stuttgart)  p.  XL VII  (Brief  von  1830:  U. 
als  Professor). 

Poesie  di  Luigi  Uhland  e  di  altri  autori  tedeschi^  imitate  da  Nie. 
Negrelli,   con  note  e  prose  (Venezia,  Munster). 

•1848.    Uhland*s   „Sängers  Fluch",  englisch:  Herrig*s  Archiv  f.  d.  Stud. 
d.  neueren  Sprachen  IH^  247. 

-  Briefe  Uhlands  in:  Briefe  an  Friedrich  Baron  de  la  Motte  Fouqu6. 
Herausgeg.  von  Albertine  de  la  Motte  Fouqu^  (Berlin)  S.  493 — 500;  Äuße- 
rungen Bückert's  über  Uhland  aus  den  Jahren  1814 — 1817  in  seinen  Briefen 
S.  316  ff. 

Alexander  Platt,  The  Poems  of  Ludwig  Uhland.  New  for  the  ffrst  time 
translated  from  the  German.  Together  with  a  biographical  notice  of  the 
author  and  necessary  notes  [Leipzig). 

1849.  R.  Foß,  Zur  Erklärung  deutscher,  vorzüglich  Uhland*scher  Ge- 
dichte.   Progr.  d.  Friedrich -Wilhelms-Gymnasiums   zu  Berlin.    (I.  Elfenlieder. 

II.  Das  Märchen.) 

R.  H.  Hiecke,  Ästhetische  Erläuterungen  zu  zwölf  Uhland'schen  Ge- 
dichten in:  F.  Low  und  F.Körner,  Pädagogische  Monatsschrift  HI.  (Abdruck 
1864  in  Hiecke's  Aufsätzen  s.  u.) 

1850.  Th.  Kriebitzsch,  Deutsche  Dichtungen,  erläutert  (Erfurt-Leipzig): 
[S.  5  des  Sängers  Fluch,  S.  20  Klein  Roland,  S.  22  Roland  Schildträger, 
S.  25  König  Karls  Meerfahrt,   S.  26   Schwäbische  Kunde,   S.  63  Die  Rache]. 

1851.  M.Hertz,  Karl  Lachmann  (Berlin)  S.  239  (L.*s  Verhältniß  zu  ü.). 
J.  Schenkel,   Deutsche  Dichterhalle  des    19.  Jahrhunderts  (Mainz)  HI, 

S.  327  bis  339  Ludwig  Uhland. 

1852.  A.  Steudener,  Zur  Beurtheilung  von  L.  Uhland's  Dichtungen. 
Progr.   d.  Gymnasiums  zu  Brandenburg  a.  d.  Havel. 

^  1853.  Nicolaus  Lenau's  Briefe  an  einen  Freund.  Herausgegeben  mit 
Erinnerungen  an  den  Verstorbenen  von  K.  Mayer  (Stuttgart)  S.  12,  30,  35  f., 
37,  40  f.,   129  u.  ö. 


BIBLIOGRAPHIE  DER  UHLAND-LITTERATÜR.  351 

Emma  von  Niendorf,  Lenau  in  Schwaben  (Leips.)  S.  129  (U.'s  Volkslieder). 

K.  A.  V.  Reichlin-Meldegg,  K.  E.  G.  Paulus  und  seine  Zeit  (Stuttgart) 
II,   271  f.  (Brief  U/s  an  Paulus  vom  18.  Dec.   1818.) 

Sanders  in:  Der  praktische  Schulmann,  herausgegeben  von  F.  Körner 
(Leipzig)  II,  S.  218  (Schwäbische  Kunde). 

Ludwig  Uhland.  Eine  Biographie  (Cassel,  Bälde)*  in :  Moderne  Classiker. 
Deutsche  Litteraturgeschichte  der  neueren  Zeit  (von  W.  Neumann). 

(A.  Teilkampf)  Phantasus.  Eine  Auswahl  aus  erzählenden  Dichtungen 
der  Bomantiker.  Mit  einleitenden  Bemerkungen  über  die  romantische  Schule 
(Hannover;   Neudruck,  Erfurt  1883)  S.  47. 

1854.  J.  Grosse,  Über  die  Bedeutung  der  modernen  Romantik  mit 
Rücksicht  auf  die  bildende  Kunst  (Berlin)  S.  4  u.  9  (vgl.  auch  S.  22  u.  30). 

Wendt,  Die  dramatischen  Dichtungen  von  Uhland:  Herrig's  Archiv 
15,   1—16. 

A.  Steudener,   (U.'s)  Scheiden  und  Meiden:    Herrig's  Archiv  l5,  412. 

1855.  Weimarisches  Jahrbuch  für  deutsche  Sprache,  Literatur  und 
Kunst,  herausgeg.  von  Hoffmann  v.  Fallersieben  und  Oscar  Schade  (Han- 
nover) HI,  215  f.  Brief  U.'s  an  Gustav  Anton  vom  27.  Nov.  1842. 

A.  X.  Schurz,  Lenau*s  Leben  (Stuttgart)  I,  124  u.   347. 

Aus  dem  Leben  von  Johann  Diederich  Gries.  Nebst  seinen  eigenen 
und  den  Briefen  seiner  Zeitgenossen.  Als  Handschrift  gedruckt  o.  0.  (Leipzig, 
Brockhaus)  S.   174  f.  (Schwab  über  U.). 

1856.  K.  Mayer^  Das  Sonntagsblatt.  Eine  Erinnerung  aus  der  roman- 
tischen  Literaturperiode:    Weimar.    Jahrbuch  V,    33 — 51    (vgl.    in    Majer's 

Ludwig  Uhland  und  seine  Zeitgenossen'   1867,  I,  16  ff.). 

R.  Foß,  Erläuterungen  zu  Uhland's  Eberhard  der  Greiner  (Berlin). 

Joh.  Scherr,  Dichterfürsten  (Leipzig)  Nr.  3.  Uhland. 

Herrig's  Archiv  f.  d.  Studium  d.  neueren  Sprachen  19,  123  u.  125 
(U.*s  Verdienste  um  die  Popularisierung  der  älteren  deutschen  Literatur). 

1857  G.  Liebert,  Ludwig  Uhland.  Eine  Skizze  (Hamburg).  [2.  Aufl. 
1863]. 

•  Uhland's   „Einkehr"   englisch:  Herrig s  Archiv   22,   221. 

1858.  K.  Klüpfel,  Gustav  Schwab.  Sein  Leben  und  Wirken  (Leipzig) 
S.  30,  49,  108  f.,  203  f.,  226  f.,   275  ff.,  324  u.  ö. 

Seydel  in:  Der  praktische  Schulmann  (Leipzig)  VI,  S.  90  (Der  blinde 
König). 

C.  Gude,  Erläuterungen  deutscher  Dichtungen  (Leipzig).  Erste  Reihe 
(3.  Aufl.  1870)  S.  177  Des  Sängers  Fluch,  239  Klein  Roland,  247  Der 
blinde  König,  251  Roland  Schildträger,  262  Schenk  von  Limburg,  269  Lied 
eines  Armen,  277  Schäfers  Sonntagslied.  Dasselbe,  dritte  Reihe  (2.  Aufl.  1869) 
S.  176  Des  Knaben  Berglied,  186  Schwäbische  Kunde,  204  Bertran  de  Born, 
211    Graf  Eberhard  der  Rauschebart. 

1859.  K.  Th.  Kriebitzsch,  Musterstäcke  mit  Erläuterungen  (Glogau): 
S.  41  Lied  eines  Armen,  93  Des  Knaben  Berglied,  99  Der  gute  Kamerad, 
201   Der  weiße  Hirsch. 

Rob.  Prutz,   1.  Auflage  des  unter  1860  genannten  Buches  (s.  d.). 
«Sachs,  Herrigs'  Archiv  26,  139  f.  (U.  und  das  Altfranzösische). 
«-Jul.  Schwenda,  Schiller  und  Uhland.  Eine  Dichterparallele  (Wien). 


352  ^'  FRÄNKEL 

1860«    O.  Eiben,  Das  Schiller-Fest  in  SchiUer's  Heimat  S.  53. 
^  B.  Foß,  Erklärung  Uhland'scher  Gedichte  (Das  Nothemd,  Das  Schwert, 
Siegfried's  Schwert,  Die  drei  Lieder):  Herrig's  Archiv  28,   187 — 208. 

H.  R.,  Ludwig  Uhland:  Gartenlaube  Nr.  41. 

Hob.  Pmtz,  Die  deutsche  Literatur  der  Gegenwart.  1848 — 1858  (Leipzig) 
I,  S.  71   u.   83   (2.  Aufl.). 

1861.  K.  Mayer,  Ludwig  Uhland :  Album  schwäbischer  Dichter  (Tubingen) 
1.  Lief.  (32  S.). 

Julian  Schmidt,  Ludwig  Uhland  (Biographie  und  Charakteristik):  Illu- 
strirte  Zeitung  (Leipzig)  Nr.  99  (9.  Febr.). 

^  G.  Köhler,    Die  Vertreter   der   schwäbischen  Dichterschule  nach   ihren 
ethischen  und  religiösen  Gesichtspunkten.   Progr.  (14  S.) 

1862.  I.  vor  dem   Tode: 

J.  y.  Laßberg,  bei  Sulpiz  Boisseree  (Stuttgart,  Cotta)  I,   570. 

W.  Petsch,  Ludwig  Uhland.  Jubelschrift  (Berlin). 

A.  Wolf  im  Jahrbuch  für  romanische  und  englische  Literatur,  heraus- 
gegeben von  Wolf  und  Ebert  4,  227  (U.  und  das  altfranz.  Epos). 

G.  Zimmermann ,  Uhland  aw  lyrischer  und  epischer  Dichter  (Progr, 
Darmstadt). 

L.  Schücking,  Annette  von  Droste.  Ein  Lebensbild  (Hannover)  S.  139 
(U.  und  Freih.  von  Laßberg)*). 

IL  nach  dem  Tode:  ' 

M.  Georgii,  Zum  Andenken  an  Uhland  (Leichenrede.  Tübingen). 

W.  L.  Holland,  Chrestien's  Chevalier  au  lion  (Neuauflagen  1879  und 
1885):  Anmerkungen  zu  V.   2185,  4088,  5188,  5933  f.  u.  ö. 

Otto  Müller,  An  Uhland's  Grab:  Didaskalia  (Frankfurt  a.  M.)  Nr.  319 
u.  320  (18.  November). 

Die  Uhland-Feier  des  Liederkranzes:  Didaskalia  Nr.  319  u.  320,  Nr.  326 
u.  327  (K.  W.  25.  November)  und  'Feuilleton  der  Neuen  Frankfurter  Zeitung* 
Nr.  277   (25.  November). 

Theod.  Creizenach,  Gedächtnißrede  auf  L.  Uhland:  Didaskalia  Nr.  328 
bis  330^*). 

(Fr.  Notter),  Ludwig  Uhland,  Nekrolog:  Schwäbischer  Merkur,  Dec. 
(Sonderabdruck  von   12   S.). 

Franz  Pfeiffer,  Ludwig  Uhland.  Ein  Nachruf  (Wien),  Sonderabdruck 
aus  der  'Wiener  Zeitung*  vom  29.  November,  Nr.  44,  Beilage.  (Wiederabdruck 
in  Fr.  Pfeiffer,  Freie  Forschung.  Wien  1867,   S.   397—412). 


^)  Vgl.  L.  Schflcking's  Gedicht  Die  Meersburg  2.  Str.  6—11  (s.  z.  B.  Echter- 
meyer's  Auswahl  deutscher  Gedichte'^  S.  698  f.).  Einzelne  Mittheilungen  der  A.  von 
Droste-Hülehoff  über  U.  in  den  neuesten  Veröffentlichungen  über  sie,  z.  B.  in  den 
1887  erschienenen  Biographien  von  Hfiffer  und  von  Kreiten.  Eine  Probe  ans  ihrem 
Tagebuche  ergänze  den  oben  gegebenen  Hinweis:  „Auch  Uhland  war  hier  [bei  Laß- 
berg]; Gott,  was  ist  das  für  ein  gutes,  schüchternes  Männchen. ** 

')  Die  letzten  drei  Notizen  verdanke  ich  Prof.  Th.  Creizenach's  Witwe  in  Frank- 
furt a.  M.,  der  ich  dadurch  ebenso  verpflichtet  bin  wie  Herrn  Prof.  W.  Creisenach 
in  Krakau  für  seine  freniidliche  Benachrichtigung. 


BIBLIOGRAPHIE  DER  UHLAND- LITTER  AT  UR.  353 

(Gust.  Pfiser),  Lndwig  Uhland:  Allgemeine  Zeitung  (Augsburg)  Nr.  338 
bis   345  des  Jahrgangs. 

A.  Ruperti,  Ludwig  Uhland:  Zeitung   „Telegraph"   vom  31.  December. 

L.  Scherk,  Erinnerungen  an  L.  Uhland:  Weserzeitung  (Bremen)  Nr.  5904, 
vom   18.  November. 

LudwigUhland :  Gedenkblätter  auf  das  Grab  des  Dichters  (Tübingen)  32  S. 

Ludwig  Uhland:  Grenzboten  (Leipzig)  II.  Theil  des  Jahrgangs  S.  400  ff. 

Der  ühland^sche  Stamm:  Tübinger  Chronik  Nr.  228,  S.  931  und  Nr.  234, 
S.   956. 

""  1863.  Berthold  Auerbach,  Rede  zum  Gedächtnisse  Ludwig  Uhland's: 
Jac.  Grimmas  Deutsche  Blätter,  October  (Abdruck  in  Auerbach^s  Deutschen 
Abenden  N.F,  Stuttg.  1867,  S.  121  — 140).  VgL  auch'Voßische  Ztg.*  Nr.  26, 
Beil.  1  (Die  UhlandFeier  in  Berlin)  und  'Berliner  Allgem.  Ztg.*  Nr.  53  ("Die 
Ühland-Feier  im  Victoria-Theater*  zu  Berlin,  mit  Auerbach's  Festrede). 

Adolf  Bacmeister,  Rede  zu  Uhland*s  Todtenfeier  (Reutlingen).  Vgl. 
Ad.   Bacmeister,  Abhandlungen  und  Gedichte   1886. 

(Reinhold  Bechstein),  Unsere  Tage  (Braunschweig)  Heft  50,  S.  686 — 704. 

Auguste  B^ranger,  L.  Uhland:  (Genfer)  Biblioth^que  universelle, 
20.  Januar. 

Ludwig  Eckardt,  L.  Uhland.  Gedächtnißrede  (Karlsruhe).  Abdruck  in: 
Eckardt,  Wandervorträge  aus  Kunst  und  Geschichte  (Stuttg.  1868)  S.  1 59—178. 

K.  Foß,  Ludwig  Uhland.  Ein  öffentlicher  Vortrag  (Berlin)  38   S. 

Ludwig  August  Frankl  in:  Die  Presse  (Wien)  Nr.   23,   27,   36. 

Joh.  Gihr,  Uhland's  Leben.  Ein  Gedenkbuch  für  das  deutsche  Volk 
(Stuttgart)  381    S.  *)• 

Otto  Jahn,  Ludwig  Uhland.  Vortrag.  Mit  literarhistorischen  Beilagen 
(S.  217 — 231  'chronologisches  Verzeichniß  der  Gedichte'  von  Michael  Beinays) 
231   S.  (Bonn)  Vgl.  Literar.  Centralblatt,  herausgeg  von  Zarncke,  Sp.   597. 

(W.  Jordan),  Uhland  als  Sagenforscher:  Deutsche  Vierteljahrsschrift 
XXVI,  S.  172 — 198  (vgl.  die  Berichte  des  Frankfurter  Freien  deutschen 
Hochstifts  von  demselben  Jahre). 

Ad.  V.  Keller,  Urkundliches  zu  Uhland^s  Leben:  Staatsanzeiger  für 
Württemberg  Nr.  25. 

(K.  Klüpfel),  Johann  Ludwig  Uhland:  Unsere  Zeit  (Leipzig)  Bd.  VII, 
74.  Heft,  S.   81—108. 

C.  Koch^  Gedächtnißrede  auf  L.  Uhland  (Bräunschweig). 

A.  F.  Krannhals,  Ludwig  Uhland:  Baltische  Monatsschrift  VH,  S.  392 
bis   408. 

Herm.  Marggraff,  Blätter  für  literar.  Unterhaltung  (Leipzig  Nr.  28, 
S.   513  f.  (über  Notter,  Jahn,  Gihr,  Foß). 

K.  Mayer,  LudwigUhland.  Gedenkblätter  (Tübingen)  [2.  Aufl.  1873*)]. 


')  Nach  der  Angabe  der  Buchhändler-Nachschlagewerke,  der  meisten  Litterar- 
historiker  und  der  mir  vorliegenden  Exemplare  zu  urtheilen,  existiert  wohl  nur  eine 
Ausgabe  von  1864.  Es  ist  möglich,  daß  der  Zahlenfehler  aus  einer  Quelle  stammt 
und  sich  durch  eine  Reihe  von  abhängigen  Schriften  forterbte. 

')  Unter  dem  Titel :  Ludwig  Uhland,  geschildert  you  seiDem  Freunde  Karl  Mayer. 
Festschrift  zur  Feier  der  Enthüllung  des  Uhland-Denkmals. 


354  ^  FBlNKEL 

Nägele,  Ludwig  Uhland  (Rede  im  Mnrrhardter  Liederkranz) :  Der  Beob- 
achter (Stnt^art)  Nr.  48. 

«  Friedrich  Notter,  Ludwig  Uhland.  Sein  Leben  und  seine  Dichtangen. 
Mit  zahlreichen  ungedmckten  Poesien  aus  dessen  Nachlaß  und  einer  Aaswahl 
von  Briefen  (Stuttgart).  (Vgl.  Literar.  Centralblatt  Sp.  1076.) 

Th.  Paur,  Zu  Uhland's  Gedächtniß  (Görlitz)  10  S.  Sonderabdmck  aus 
dem  Neuen  Lausitzischen  Magazin. 

«  £.  Petzholdt,  Graf  Eberhard  der  Rauschebart.  Rhapsodie  von  Uhland: 
Herrig's  Archiv  3321—3344. 

Franz  Pfeiffer,  Germania  8,  66  f.  (Kurzer  Nachruf  und  Notiz  über  seine 
letzten  Arbeiten.) 

R.  Prutz,  Deutsches  Museum  (Leipzig)  XIII,  Nr.  1. 

Jos.  Rank,  Aus  meinen  Wandeijahren  (Wien).  Vgl.  Fr.  Bommuller, 
Biographisches  Schriftstellerlexikon  der  Gegenwart  (1882)  S.  584;  auch  Jos. 
Ranky  Erinnerung  an  Berthold  Auerbach:  Saale-Ztg.  (Halle)  vom  22.  April 
1887. 

Arnold  Rüge,  Aus  früherer  Zeit  II,  S.  108  ff. 

J.  W.  Schäfer^  Zur  Biographie  Ludwig  Uhland*s :  Bremer  Sonntagsblatt, 
Nr.    25,  S.   209—211. 

«  Ad.  Scholl,  Erinnerungen  an  Ludwig  Uhland:  Orion,  Monatsschrift  für 
Litteratur  und  Kunst,  herausgeg.  von  Ad.  Strodtmann  (Hamburg)  I,  122 — 132. 
(Abdruck  in :  Ad.  Scholl,  Gesammelte  Aufsätze  zur  classischen  Literatur  alter 
und  neuer  Zeit.  Berlin   1884,  S.  353—368.) 

'  Heinrich  v.  Treitschke,  Zum  Gedächtniß  Ludwig  Uhland's:  Preußische 
Jahrbücher,  herausgeg.  von  R.  Haym  XI,  S.  323—348  (vgl.  S.  15  ff.  Treitschke  s 
Charakteristik  Wangenheim's) ;  Abdruck:  Tr.,  Historische  und  politische  Auf- 
sätze (Leipzig  1865)  S-  278—312. 

Fr.  Yischer,  *Ludwig  Uhland'  in  seinen  Kritischen  Gängen,  N,  F.  (Stutt- 
gart) IV,  97—169. 

W.  Wackernagel,  Gedächtnißrede  auf  Ludwig  Uhland:  Gelzer's  Prote- 
stantische Monatsblätter  XXI,  S.  1—20  (Abdruck:  W.  Wackernagers  Kleine 
Schiiften  H  (1873),  S.  481—503). 

»  Franz  Weber,  Ein  Besuch  bei  L.  Uhland :  Bremer  Sonntagsblatt  Nr.  35, 
S.  289—291. 

Heinr.  Weismann,  L.  Uhland's  dramatische  Dichtungen.  Für  Schule 
und  Haus  erläutert  (Frankfurt  a.  M.).  Vgl.  Grenzboten  1864,  S.  442. 

Derselbe,  Über  Uhland's  Ernst  von  Schwaben:  Progr.  Frankfurt  a.  M. 

— 1 — ,  Uhland-Literatur  (über  Jahn,  Notter,  Gihr,  Vischer):  Österrei- 
chische Monatsschrift  für  Wissenschaft,  Kunst  und  öffentliches  Leben  (Nr.  45) 
S.  594—598. 

Über  Ludwig  Uhland:  Evangelische  Eirchenzeitung ,  herausgeg.  von 
Hengstenberg  Nr.   9,  Nr.  33  (S.   388—397). 

Ludwig  Uhland  der  Dichter  und  der  Mensch:  ebenda  Nr.  46,  Beilage 
S.  564  f. 

Noch  eine  Stimme  für  Uhland:  ebenda  Nr.  67,  Beilage.  S.   798  f. 

Ludwig  Uhland,  ein  deutscher  Sänger.  Des  Dichters  Leben  und  Wirken. 
Nach  den  zuverlässigsten  Quellen.  (Mehrere  Abdrücke.  Meppen.   15  S.) 

L.  Uhland:  Blackwood's  Magazine,  may  Art.  3. 


BIBLIOGRAPHIE  DER  ÜHLAND-LITTERATÜR.  355 

L.  Uhland:  Quarterly  Review,  july  Art.  2,  p.  34 — 59. 

Allgemeine  Zeitung  (Augsburg)  22.  Februar,  Beilage. 

Charles  Bielefeld,  Ballads  of  Uhland,  Goethe,  Schiller.  With  intro- 
duction  to  each  poem,  copious  explanatory  notes  and  biographical  notices 
(London.  Bell  and  Daldy.  Foreign  Classics  XII,    197). 

1864.- R.  Foß,  Über  ühland's  Gedichte:  Herrig's  Archiv  35,  129  ff. 
Karl  Frenzel,  Büsten  und  Bilder  (Hannover)  S.  136 — 149. 
"  R.  H.  Hiecke,  Gesammelte  Aufsätze  zur  deutschen  Literatur,  herausgeg. 
von  G.  Wendt  (Hamm);  S.  1  —  27  Abdruck  aus  der  Pädagogischen  Monats- 
schrift III  (s.  1849),  Erläuterungen  zu:  Schäfers  Sonntagslied ,  Lied  eines 
Armen,  Zimmerspruch,  des  Knaben  Berglied,  das  Schwert,  Siegfrieds  Schwert, 
der  blinde  König,  Klein  Roland,  Roland  Schildträger,  König  Karls  Meer- 
fahrt, Graf  Richard  ohne  Furcht,  Schwäbische  Kunde;  S.  27 — 42  Bertran 
de  Born  (s.  1847),  S.  42  f.  Einkehr  (s.  1843),  S.  55-— 80  des  Sängers 
Fluch   (s.   1838). 

Ed.  Hobein,  Über  Uhland's  Dramen:  Schaubühne,  herausgeg.  von 
F.  Wehl,  Heft  5—6. 

•^  Alex.  Kaufmann,    Herrig*s  Archiv  35,  476  f.  (mit  Brief  U.'s  über  die 
Quellen   seiner  Rolandsgedichte). 

Lüben  und  Nacke,  Einführung  in  die  deutsche  Literatur  (Leipzig)  III 
(3.  Aufl.  1869)  [S.  333  Einkehr,  335  Des  Knaben  Berglied,  341  Der  weiße 
Hirsch,  342  Die  Rache,  343  Das  Glück  von  Edenhall,  349  Schwäbische 
Kunde,  360  Der  gute  Kamerad,  363  Klein  Roland,  370  Schenk  von  Lim- 
burg, 373  des  Sängers  Fluch,  387  Graf  Eberhard  der  Rauschebart]. 
Frz.  Sandvoß,  Rede  auf  Uhland  (Friedland  i.  M.). 
F.  Scholl,  Reden  zur  Erinnerung  an  zwei  Heroen  im  deutschen  Liede, 
Franz  Schubert  und  Ludwig  Uhland  (Stuttgart). 

Jos.  Strobl,  Quellen  zu  drei  Romanzen  Uhlands  (Wien),  Beilage  zur 
Wiener-Ztg.  (über  den  Cyklus  'Sängerliebe*). 

W.  W.  Skeat,  The  songs  and  ballads  of  Uhland  (vgl.  ebenders.  in  Gold- 
schmidt's   'German  poetry*). 

Challemel-Lacour:  s.  unter   1866. 

1865.  Rieh.  Gosche,  Jahrbuch  für  Litteraturgeschichte  I,  379 — 381 
(Die  Uhland-Literatur  von   1883) 

Fritz  Ohnesorge ,  Ludwig  Uhland.  Biographisch  -  litterarische  Skizze 
(Dresden). 

^  (Emilie  Uhland)  Ludwig  Uhland.  Eine  Gabe  für  Freunde  zum  26.  April 
1865.  Als  Handschrift  gedruckt  (s.  unter  1874),  Stuttgart.  [Vgl.  Gott  Gel. 
Anz.   1865,  Nr.   24,  S.   959  f.] 

Uhland's  Schriften  zur  Geschichte  der  Dichtung  und  Sage  (Stuttgart) 
I,  S.  in— VIII  Vorwort  von  Holland,  Keller  und  Pfeiffer;  S.  XI— XIV  Vor- 
wort von  Keller. 

1866.  K.  Bartsch,  'Uhland's  Schriften  zur  Geschichte  der  Sage  und 
Dichtung.  Erster  Band*:  Germania,  herausgeg.  von  Pfeiffer  (Wien)  U,  453 
bis    467, 


356  L.  FRÄNKEL 

P.  Challemel-Lacoar,  Jean  Lonis  ühland:  Novelle  biographie  g6n6rale 
(Didot-Hoefer,  Paris)  45,  773 — 777  (vgl.  auch  den  Artikel  eben  desselben: 
Revue  gennanique,  tome  31   (1864)  p.  451 — 477)*). 

A.  W.  Grabe,  Ästhetische  Vorträge  n.  (Iserlohn)  Deutsche  Volkslieder. 
Vom  Kehrreim  des  Volkslieds.  Der  Kehrreim  bei  Qoethe,  Uhland  und  Rückert. 

H.  Prutz,  Ludwig  Uhland  als  Literarhistoriker:  Deutsches  Museum 
Nr.  47  u.   48. 

D.  Fr.  Strauß,  Kleine  Schriften  N.  F.  (Berlin),  S.  303 — 313  (Uhland  und 
Kerner):  abgedruckt  aus  dem  Nekrolog  auf  Kemer  im  Schwab.  Merkur  1862. 

Uhland's  Schriften  u.  s.  w.  11,  S.  IIT  f.  Vorwort  von  Holland. 

Uhland's  Schriften  u.  s.  w.  III,  S.  V — XII  Vorwort  von  Pfeiffer. 

1867.  R.  Bechstein,  Ludwig  Uhland's  gelehrte  Werke  I— III:  Blätter 
für  literarische  Unterhaltung  (Leipzig)  Nr.   7,   14,  27. 

(3)  Briefe  J.  Grimmas'  an  Ludwig  Uhland :  Germania ,  herausgeg.  von 
Pfeiffer  12,  115  f. 

Friedrich  Hebbel,  Sämmtliche  Werke  (Hamburg)  XH,  214  (vgl.  208 
ein  Urtheil  Wienbarg*s  über  Uhland).   Vgl.  auch  unter  1888. 

K.  Mayer,  Ludwig  Uhland,  seine  Freunde  und  Zeitgenossen.  Erinne- 
rungen. 2  Bde.  (Stuttgart).  („Vgl  Deutsches  Museum  1867,  Nr.  25;  Allgem. 
Ztg.,  Beil.  Nr.  180;  Wiener-Ztg.  142;  Hamb.  Nachrichten  133;  Kölnische 
Ztg.  241;  „Über  Land  und  Meer"  Nr.  52;  Dohm,  Sonntagsblatt  Nr.  36; 
Volksblatt  für  Stadt  und  Land  Nr.  94;  Blätter  für  literar.  Unterh.  Nr.  52; 
Weserzeitung  7444".  Bartsch,  Germania  13,   321.) 

Ludwig  Uhland  und  die  deutsche  Dichtkunst  im  15.  und  16.  Jahr- 
hundert: Magazin  für  die  Literatur  des  Auslands  Nr.   13. 

Aufzeichnungen  des  schwedischen  Dichters  P.  D.  A.  Atterbom  über 
berühmte  Männer  und  Frauen.  Übersetzt  von  Frz.  Maurer  (Berlin)  S.  163, 
173,  204,   216   (U.  bei  seinen  Zeitgenossen  1817—1819). 

1868.  Dyckhoff,  Die  Bildsäule  des  Bacchus  von  Uhland,  Nadowessische 
Todtenklage  von  Schiller,  Hochzeitlied  von  Goethe,  für  die  Schule  erklärt. 
Progr.  des  Progymn.  zu  Bietberg  (13  S.). 

A.  Freybe,  Klopstock's  Abschiedsrede  über  die  epische  Poesie  be- 
leuchtet, mit  einer  Darstellung  der  Theorie  Uhland's  über  das  Nibelungenlied 
(Halle). 

C.  Gude,  Erläuterungen  deutscher  Dichtungen.  Vierte  Reihe  (Leipzig). 
S.   139  Einkehr,   224  Das  Glück  von  Edenhall. 

Uhland*8  Schriften  u.  s.  w.  VI,  S.  HI  f.  Vorwort  von  Keller. 

Uhland's  Schriften  u.  s.  w.  VII,  S.  IH  f.  Vorwort  von  Keller. 

D4sir6  Corbier,  französische  Übersetzung  von  U.'s  'Ständchen'  (SSr^nade) 
und  der  *Wirthin  Töchterlein^  (La  fiUe  de  THotesse):  Herrig's  Archiv  f.  d. 
Studium  d.  neueren  Sprachen  43,   463. 

1869.  Diez,  Etudes  litt^raires  sur  TAUemagne  contemporaine  (Paris, 
Hachette):  Uhland  (Körner.  Lee  fröres  Grimm.  Goethe). 


*)  Vor  Ch.  L.  urtheilten  über  Uhland  den  Gelehrten:  Victor  Ledere  in  'Dis- 
cours sur  r^tat  des  lettres  au  14**  siöcle',  S.  R  T.  in  der  Biographie  universelle, 
nouv.  id,  42,  338—342  (1864)  und  Lom^nie  in  der  Galerie  des  contemporains  illustres 
par  un  homme  de  rien  t.  IX. 


I 


BIBLIOGRAPHIE  DER  UHLAND-LITTERATUR.  357 

R.  Foß,  Zur  Carls'Sage:  Progr.  der  Victona-Schale  zu  Berlin  (31  S.); 
behandelt  Klein  Roland,  Roland  Schildträger,  K^nig  Karrs  Meerfahrt  (nament- 
lich hinsichtlich  der  Quellen). 

A.W.  Grube,  Biographische  Miniaturbilder  (Leipz.)  2.  Aufl.  I,  278 — 303. 

Gustav  Hauff,    Über  Uhland's   Konradin:    Herrig's  Archiv    44,  382  f. 

Fr.  Notter,  Ungedruckte  Briefe  von  Ludwig  Uhland:  Westermann  s 
Illustrierte  deutsche  Monatshefte,  November-Nummer. 

E.  Paulus,  Ludwig  Uhland  und  seine  Heimat  Tübingen.  Eine  Studie 
(Berlin)  52  S.  (Neue  Ausgabe,  Stuttgart  1887,  48  S.)  Vgl.  Kettner,  Ztschr. 
f.  deutsche  Philol.  20,  376,  Magazin  f.  d.  Lit.  d.  Ausl.  Nr.  10,  Schw&b. 
Chronik  303,  Wiener-Ztg.  298,  Badische  Landeszeitung  1868,  Nr.  292  u.  a. 
(s.  Bartsch,  Germania  15,  464). 

L.  Uhland,  Poems  translated  into  English  verse  with  a  short  biogra- 
phical  memoir  of  the  poet,  bj  W.  C.  Sandars  (London). 

A.  F.  C.  Yilmar,  Lebensbilder  deutscher  Dichter  (Frankfurt  a.  M.) 
S.  149 — 158.  Neuauflage  von  M.  Koch,  L.  d.  D.  und  Germanisten  (1885), 
Marburg)  15.  Aufsatz:  Uhland. 

Feodor  Wehl,  Am  sausenden  Webstuhl  der  Zeit  (Leipzig)  U,  162 — 171. 

W.  Wilmanns,  Walther  von  der  Yogelweide  herausgegeben  und  erklärt 
(Halle)  S.  27. 

Tuiskon  Ziller,  Jahrbuch  des  Vereins  für  wissenschaftliche  Pädagogik 
1.  Jahrg.  (Leipzig)  S.   107  (Das  Schwert). 

Uhland's  Schriften  u.  s.  w.  IV,  S.  III— VL  Vorwort  von  Holland. 

1870.  A.  Goerth,  Über  Uhland's  'des  Sängers  Fluch  V^ertrand  de  Born  , 
*die  verlorne  Kirche,  Ich  hatt*  einen  Kameraden':  Herrig's  Archiv  46, 
390—397. 

R.  V.  Raumer,  Geschichte  der  germanischen  Philologie  (München) 
S.   566—579  und  671. 

K.  Simrock,  Walther  von  der  Vogelweide,  herausgegeben  und  erläutert 
(Bonn)  S.  22   (1828  in   1822  zu  ändern!). 

^Weichelt,    Uhland    als    Liederdichter:    Progr.    Demmin    (vgl.  Herrig*s 
Archiv  47,   344). 

Briefwechsel  zwischen  Joseph  Freih.  von  Laßberg  und  Ludwig  Uhland, 
herausgegeben  von  Franz  Pfeiffer.  Mit  Biographie  Pfeiffer's  von  K.  Bartsch 
(Wien).  Nachtrag  Germania  30,  221  f.  [Besprochen  von  Sachse  in  Herrig's 
Archiv  46,  316 — 323;  Magazin  f.  d.  Lit.  des  Ausl.  32;  Athenaenm  vom 
12.  Febr.] 

Rieh.  Gosche,  Archiv  für  Literaturgeschichte  I,  561  (zu  Uhland*s  Sagen- 
forschung; vgl.  ebd.  U,  590). 

Uhland's  Schriften  u.  s.  w.  V,  S.  III  f.  Vorwort  von  Keller. 
_  1871.    Paul  Eichholtz,  Beiträge  zur  Erklärung  Uhland'scher  Balladen: 
Zeitschrift  f.  d.  Gjmnasialwesen  (Berlin)  25,   1  — 10. 

Fahle,  Uhland's  Balladendichtung:  Masius*  Jahrbücher  für  Pädagogik 
104,   422. 

W.  Hoffner,  Ludwig  Uhland :  Westermann's  Ulustrirte  deutsche  Monats- 
hefte,  October,  S.   94—99. 

Karl  Janicke,  Joseph  von  Lafiberg  und  Ludwig  Uhland:  Historisch- 
politische Blätter  4.  Heft  des  Jahrgangs,  S.  236—256. 


358  L.  FRiNKEL 

Derselbe,  Zur  Geschichte  der  deutschen  Philologie:  Ergänznngsblätter 
zur  Kenntniß  der  Gegenwart  S.  209—216  (knüpft  an  den  Laßberg-Uhland- 
schen  Briefwechsel  an). 

A.  V.  Wnrzbach,  Ludwig  Uhland  (Wien);  Abdmck  ans:  Die  Zeitgenossen  I. 

F.  G.  Sintenis,  Goethe  und  Uhland  (Dorpat).  Vgl.  Gott.  Gel.  Anz.  1872, 
S.   278. 

1872.  Michael  Bemays,  Ludwig  Uhland  als  Forscher  germanischer 
Sage  und  Dichtung:  Im  neuen  Reich,  herausgeg.  von  A.  Dove  11,  81 — 96. 

^  F.  Sintenis,  Goethe's  Einfluß  auf  Uhland:  Neue  Jahrbucher  für  Philo- 
logie und  Pädagogik  106,  369—388  und  10«,  386  f. 

,  Bob.  Boxberger,  Die  Quelle  von  U.'s  Gedicht  'Schwäbische  Kunde': 
Archiv  für  Literaturgesch.  II,  270—272. 

1873.  Uhland's  Schriften  u.  s.  w.  VUI,  S.  III— VI  Vorwort  von  Holland. 
H.  Dederich,    Uhland    als    episch-lyrischer  Dichter   besonders   im   Ver- 
gleich mit  Schiller  (Paderborn 

K.  Mayer,  s.  unter  1863. 
"  P.  Eichholtz,   Uhland*s  schwäbische  Balladen  auf  ihre  Quellen  zurück- 
geführt (Progr.  des  Berliner  Gymn.  zum  grauen  Kloster,   28   S.)- 

Das  Uhlanddenkmal   (in  Tübingen):  Im  neuen  Reich  III,  2,   112 — 115: 

Enthüllung  des  Standbildes  von  Ludwig  Uhland  in  Tübingen,  nebst 
den  Reden  und  Gedichten  (v.  Gerok,  Notter,  A.  v.  Keller  u.  A.).  Tübingen. 

L.  Tobler  (in  ^Mythologie  und  Moral*):  Im  neuen  Reich  III,  2,  1G8  f. 
(zu  U.*s  ^Ruhethal*  und    die  verlorene  Kirche*), 

^  W,  Wackernagel,  Poetik,  Rhetorik  und  Stilistik.  Herausgegeben  von 
L.  Sieber  (Basel).  S.  99  f.  (U.'s  Balladen  und  Romanzen),  123  (Lieder), 
"127  ('mimische  Poesie'  in  U/s  Lyrik),  141  (Epigramme,  besonders  'Ruhe- 
thaO,  170  (einstrophige  Lieder),  407  und  413  (*der  Räuber*),  4i4  (Ernst 
von  Schwaben  1289  ff.),  424  ('Wir  sind  nicht  mehr*),  434  (der  gute  Kamerad) 
[2.  Ausg.  1888]. 

^1874.  P.  Eichholtz,  Uhland's  französische  Balladen  auf  ihre  Quellen 
zurückgeführt.  (Abdruck  aus  der  Festschrift  zur  dritten  Säcularfeier  des  Ber- 
liner Gymn.  zum  grauen  Kloster). 

Joseph  von  Görres,  Gesammelte  Briefe  2  und  3  Freundesbriefe  (1802 
bis  1845),  herausgeg.  vron  Franz  Binder  (München;  Der  'Gesammelten  Schriften 
8.  und  9.  Band):  enthält  auch  Briefe  von  Uhland. 

-W.  L.  Holland,  Über  Uhland's  Gedicht:  Die  Mähderin  (Tübingen)   8  S. 

H.  Kämmel,  Ludwig  Uhland  (Zittau). 
*     Emilie  Uhland,  Ludwig  Uhland's  Leben.  Aus  dessen  Nachlaß  und  aus 
eigener  Erinnerung  zusammengestellt  von  seiner  Witwe.  (Stuttgart).  Abdruck 
des  Manuscriptdrucks  von  1865.   (Eine  größere  Anzahl  Besprechungen  siehe 
bei  Bartsch,  Germania  20,  451). 

Ludwig  Uhland.  Studien  zu  seinem  Leben:  Allgemeine  Zeitung  (Augs- 
burg) 213,  Beilage. 

H.  Weismann,  U.'s  Ludwig  der  Baier.  Schulausgabe  mit  (Einleitung 
und)  Anmerkungen  (Stuttgart). 

1875.  (J.  A.  M.?)  Schaepman,  B.  von  Meurs  over  Ludwig  Uhland, 
Onze  Wächter,  Juli,  S.  55—64. 


BIBLIOGRAPHIE  DER  ÜHLAND-LITTERATÜR. 

F.  Sintenis,  Über  Immermann's  Mänchhaasen  (ein  Vortrag)  und  Goethe 
und  Füret  Pückler-Muskan  (eine  Stndie).  Dorpat,  S.  3  (U/s  Verb&ltniß  zu 
seiner  Gattin). 

1876.  Uhland's  Gedicbte  nnd  Dramen  (Stuttgart,  Cotta):  teztkritische 
Vorreden  von  W.  L.  Holland.  I,  p.  ÜI  f .  und  HI,  p.  III  f.  nebst  chrono- 
logischen und  alphabetischen  Übersichten  II,  p.  316 — 340. 

W.  L.  Holland,  Über  ü.'s  Ballade:  Merlin,  der  Wilde  (Stuttgart). 

Derselbe,  Wettgesang  s^ischen  Uhland  und  Bückert  (Tübingen). 

Oskar  Jäger,  Ludwig  Uhland.  Vortrag.  (Sonderabdruck,  identisch  mit 
dem   unter  1879  genannten)  gehalten  zu  Koblenz.  (Mannscript.) 

A.  V.  Keller,  Ein  Gedicht  Ludwig  Uhland's,  Freunden  zum  Gruß  mit- 
getbeilt  (Tübingen). 

Keinhold  Köhler,  Archiv  für  Literaturgeschichte  5,  4  f.  ('Ach,  Alm' 
in  U.'s  Schlacht  bei  Beutlingen). 

Beuter,  Die  Natur  im  Bereiche  der  dichterischen  Stoffwelt  (Progr.  der 
höheren  Bürgerschule  zu  Saarlouis)  S.  15  U/s  'Dichterwald*. 

A.  Schleusinger,  Klein  Boland,  der  sterbende  Boland,  der  getreue 
Eckart  auf  Quarta  erklärt  (Programm  Ansbach,  28  S.). 

W.  Schleusner,  Über  die  Nothwendigkeit  und  den  Plan  der  Uhland- 
Lectüre  auf  der  höheren  Schule  (17  S.  Progr.  Höxter).  Bielefeld.  Vgl.  unter 
1878. 

£d.  Schmidts  Weißenfels,  Ferdinand  Freiligrath.  Ein  biographisches  Denk- 
mal (Stuttgart)  S.  45  f.  (U.  und  Freiligrath). 

H.  Weismann  ^  U.'s  Herzog  Ernst  von  Schwaben.  Schulausgabe  mit 
(Einleitung  und)  Anmerkungen  (Stuttgart). 

1877.  K.  Frenzel,  Berliner  Dramaturgie  (Hannover)  II,  S.  57 — 65 
(^Emst  von  Schwaben'  auf  der  Berliner  Hofbühne  am  31.  Januar  1863), 
S.  378  u.   415   (Grillparzer  mit  U.  verglichen). 

A.  V.  Keller,  Uhland  als  Dramatiker.  Mit  Benutzung  seines  handschrift- 
lichen Nachlasses  (Stuttgart), 

J.  W.  Schäfer,  Ludwig  Uhland*s  ausgewählte  Gedichte  mit  Anmer- 
kungen (Stuttgart). 

Th.  Ziegler,  Studien  und  Studienköpfe  aus  der  neuen  und  neuesten 
Litteratur  (Schaffhausen)  S.  193  ff. 

1878.  Bob.  Bozberger,  Uhland  als  Dramatiker.  Zu  A.  v.  Keller*s 
gleichnamigem  Buche:  Archiv  für  Literaturgesch.   7,  216 — 224. 

Derselbe,  Briefe  von  Uhland:  ebenda  225—235. 

J.  Hense,  Bomanze  und  Ballade  I.  (Jahresbericht  über  das  Gymnasium 
zu   Warburg),  S.  7  (Das  Typische  in  'Des  Sängers  Fluch*). 

Ad.  Bümelin,  L.  Uhland  als  Dramatiker:  Preußische  Jahrbücher  42, 
S.    121—159. 

W.  Schleusner,  Zur  Uhlandlectüre  (Leipzig). 

Erich  Schmidt,  Der  Text  der  Uhland'schen  Gedichte  nach  Holland*s 
Bevision:  Anzeiger  für  deutsches  Alterthum  und  deutsche  Litteratur,  heraus- 
gegeben von  Steinmeyer  4,  224 — 231. 

1879.  Bob.  Boxberger,  Die  Quellen  von  Uhland's  Bomanze  'Don  Mas- 
sias':  Archiv  für  Literaturgesch.  8,   137  —  142. 

.  H.  Düntzer,  Uhland's  Balladen  und  Bomanzen,  erläutert  (Leipzig). 


360  L.  FBÄNKEL 

P.  Eichholtz,  Quellenstudien  zu  Uhland's  Balladen  (herausgeg.  von 
G.  Hinrichs,  Berlin)  enthält  auch  die  unter  1871,  1873,  1874  aufgeführten 
Aufsätze  [besprochen  von  Bellermann:  Zeitschr.  f.  d.  Gymnasialwesen  34, 
147—154]. 

J.  Hense,  Romanze  und  Ballade  II.  (Jahresbericht  über  das  Grjmnasium 
zu  Warburg),  S.   15—18,   'Uhland\ 

0.  Jäger,  *Ludwig  Uhland'  in  der  Festschrift  zur  Begrüßung  der  34.  Ver- 
sammlung deutscher  Philologen  und  Schulmänner  zu  Trier  (Bonn),  S.  31  —  52. 

A.  E.  Philipps,  Zur  Theorie  des  neuhochdeutschen  Rhjthmus  (Leipzig. 
Diss.)  S.  37  A.  2,  39  A.  3,  41  A  ,  49  A-,  60  f.,  82  A. ,  87—89  (zum 
Rhythmus  Uhland's). 

F.  J.  Scherer,  Die  Kaiseridee  des  deutschen  Volkes  in  Liedern  seiner 
Dichter  seit  dem  Jahre  1806  (Jahresbericht  des  Laurentianum  zu  Arnsberg), 
S.  XVII  f.  (ü.'s  deutsch-patriotische  Gedichte). 

Felix  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  (Heilbronn)  S.  54  ff.  Die  Todten  von 
Lustnau. 

J«  Schulzen,  Mittelhochdeutsche  Anklänge  bei  Uhland  (17  S.) :  Progr. 
des  Real-Progymn.  in  Thann  i.  E. 

Camillus  Wendeler,  Fischartstudien  des  Freiherrn  von  Meusebach  mit 
einer  Skizze  seiner  literarischen  Bestrebungen    (Halle  a.  d.  S.)   S.   1 ,   4 — 8, 

10,  14,    26—29. 

-  1880.  K.  L.  Leimbach,  Ausgewählte  deutsche  Dichtungen  erläutert 
(2.  Aufl.  Kassel)  IV,  280  Schwäbische  Kunde,  286  Eberhard  der  Rausche- 
bart, 306  Des  Sängers  Fluch,  315  Bertran  de  Born,  271  das  Schloß  am 
Meer,   274  Der  blinde  König. 

Anton  Birlinger,  Uhland's  Schwäbische  Kunde :  Wochenschrift  Im  neuen 
Reich  XI,  S.   193—196. 

•  Rob.  Hein,  Archiv  für  Literaturgeschichte  9,  244  (zu  Uhland's  *Auf 
das  Kind   eines  Dichters'). 

E.  Koch,  Die  Sage  vom  Kaiser  Friedrich  im  Kiffhäuser  (Abhandlung 
zum  Jahresbericht  Grimma)  S.  23  A.  57  (Zu  U.'s  *Am  15.  October  1816* 
und  Rückert's  Verhältniß  zu  U.).  Vgl.  auch  S.  30  A.  86  (schon  1875  ge- 
schrieben). 

Ed.  KoBchwitz,  Karls  des  Großen  Reise  nach  Jerusalem  und  Constan- 
tinopel  (Alt-französische  Bibliothek,  herausgeg.  von  W.  Förster.  H.  Heil- 
bronn); Excurs   10:  Dramatische  nachgelassene  Bearbeitung  von  Uhland. 

H.  Schults,  Der  Einfluß  des  Volksliedes  und  der  älteren  Dichtung  auf 
die  Uhland'schc  Poesie:  Herrig^s  Archiv  64,   11 — 24. 

H.  Steinthal,   Zeitschrift  für  Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft 

11,  32—36   (U.'s  Der  gute  Kamerad). 

•^  1881.    K.  Bartsch,  Romantiker  und  germanistische  Studien  in  Heidel- 

berg 1804 — 1808  (Heidelberger  Prorectoratsrede)  S.  13  (U.  und  Des  Knaben 
Wunderhorn). 

J.  G.  Fischer,  Die  Natur  in  der  Kunst  (Jahresbericht,  Stuttgart)  S.  14  f. 
(U.'s  Naturanschauung). 

H.  Fischer,  Eduard  Mörike.  Ein  Lebensbild  des  Dichters  (Stuttgart) 
S.  17  und  27—29. 

K.  Fulda,  Chamisso  und  seine  Zeit  (Leipzig)  S.  102  (vgl.  S.  70  f.): 
U;  und  Chamisso's  Fortunat. 


BIBLIOGRAPHIE  DER  UHLANDLITTERATUa  361 

K.  Goedeke,  Gmndriß  zur  Geschichte  der  deutschen  Dichtung  III, 
S.   320—339   (vgl.  auch  8.  841,  879,  1019,  1401). 

K.  Klüpfel,  Gustav  Schwab  als  Dichter  und  Schriftsteller  (Stuttgart) 
S.   6,   10,   14  f.,  22,  28  f..  31—38,  39. 

Ambros  Mayr,  Die  Häupter  des  schwäbischen  Dichterbnndes  I.  Ludwig 
Uhland:  Programm  des  Gymnasiums  zu  Kommotau. 

Chr.  Oeser,  Briefe  an  eine  Jungfrau  Aber  die  Hanptge genstände  der 
Ästhetik.  23.  Aufl.  (vgl.   1846)  S.  520—531  ühland. 

H.  Stöhn,    Literarische  Skizzen  für  die  deutsche  Frauenwelt  (Leipzig) 

5.  202-226  L.  U. 

1882.  Bob.  Boxberger,  zu  ü.'s  „Der  Wirthin  Töchterlein" :  Archiv 
f.  Literaturgesch.   11,  175  f. 

Hermann  Paul,  Die  Gedichte  Walther's  von  der  Vogelweide  (Halle)  S.  24. 
W.  Wilmanns,  Leben  und  Dichten  Walther  s  von  der  Vogelweide  (Bonn) 

s.  xn— xviL 

E.  G.  Fasnacht,  Selections  from  Uhland's  Ballads  and  Bomances  With 
biographical  notices  and  historical  and  grammatical  notes  (London,  Macmillan). 

H.  J.  Wolstenholme ,  L.  Uhland,  Ernst  von  Schwaben.  Trauerspiel  in 
fünf  Aufzügen.  With  a  Biographical  and  Historical  Introduction ,  English 
Notes,  and  an  Index  (London,  Cambridge  Warehouse). 

J.  Häußner,  Die  deutsche  Kaisersage.  (Progr.  Bruchsal)  S.  4  f.  (U.'s 
Ansicht  über  die  Sage  von  Kaiser  Friedrich). 

1888.    G.  £.  Barthel,  N.  Lenau's  sämmtliche  Werke  (Leipzig)  S.  XLVI 

und  cxcvn. 

P.  Holzhausen,  Zacher's  Zeitschrift  für  deutsche  Philologie  15,  843  f. 
(ühland's  romanische  Balladen). 

^Fr.  Budloff,    Über  Uhland's    dichterischen  Entwicklungsgang    (19  S.): 
Programm  Coburg. 

K.  Strackerjan,  Zur  Feier  deutscher  Dichter.  Abend  13  und  14:  Die 
schwäbischen  Dichter.  Bückert  (Progr.  der  Bealschule  zu  Oldenburg)  S.  2  f. 
und   15. 

«-  H.  Fischer,  Sieben  Schwaben.  Biographische  Charakteristiken  (München). 

6.  Uhland. 

'  A.  Goerth,  Einführung  in  das  Studium  der  Dichtkunst.  1.   S.  186 — 195 
(U.   als  Balladendichter). 

—   Franz  Muncker,  Ludwig  Uhland:   „Vom  Fels  zum  Meer"   II,   556. 

Ottiker  von  Leyk,  Die  deutsche  Ljrik  in  der  französischen  Übersetzungs- 
litteratur  I.  Uhland:  Herrig*s  Archiv   71,   49  (51)  — 72. 

Zur  Erinnerung  an  Adelbert  von  Keller  (Tübingen)  S.  6  f.,  17,  20,  22,  24. 

Chamisso's  Werke,  mit  Einleitung,  herausgeg.  von  Max  Koch  (8tut^ 
gart)  I,   83  u.   55  (Ch.  u.   U.). 

Goethe-Jahrbuch,  herausgeg.  von  L.  Geiger,  IV,  351  (Hinweis  auf  von 
U.  beigebrachtes  Material  zu  einigen  volksmäßigen  Wendungen  bei  Goethe). 

1884.  A.  Birlinger,  'Akademische  Blätter.  Beiträge  zur  Literaturwissen- 
schaft, herausgeg.  von  0.  Sievers  (Braunschweig)'  S.  293  (zum  Junker  Bech- 
berger). 

Bob.  Boxberger,  Schnorr's  Archiv  für  Literaturgesch.  12,  638 — 640 
(zu  Schwab's  Aufsätzen  über  U.). 

GERMANIA.    N«n^  Reihe  XXII.  (XXXIV.)  Jahrg.  24 


362  !<•  FRÄNKEL 

^  Eich.  Fasold,  Altdeutsche  nnd  dialektisefae  Anklänge  in  der  Poesie 
L.  Uhland*8  nebst  einem  Verzeichniß  der  Uhland-Litteratar.  £ine  Skizze: 
Herrig  8  Archiv  72,  405—414. 

L.  A.  Frankl,  Zur  Biographie  Friedrich  Hebbers  (Wien)  S.  32  ff. 

J.  Lautenbacher,  Ludwig  Uhland:  Zeitschrift  für  allgemeine  Geschichte, 
Cultnr-,  Literatur-  und  Kunstgeschichte  (Stuttgart)   4.  Bd.,   286  *). 

Siegm.  Levy,  zu  Uhland's  Klein  Roland :  Archiv  für  Literaturgeschichte, 
herausgeg.   von  Schnorr   12,  481  f. 

G.  V.  Loeper,  Goethe's  Werke.  Mit  Einleitung  und  Anmerkungen  III', 
S.  XVI   (U/s.  'Gespräch'). 

Der  deutsche  Stil,  von  Dr.  Karl  Ferdinand  Becker.  Neu  bearbeitet  von 
Dr.  Otto  Lyon.   3.  Aufl.   S.   137   u.   161   (ühland's  alterthümliche  Ausdrücke). 

Marc-Monnier,  Histoire  g^n^rale  de  la  litt^rature  moderne  (Paris)  p.  241 
(U.  und  Hans  Sachs). 

H.  Steinthaly  Zeitschrift  für  Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft 
15,  479  (zu  ü.*s  Der  gute  Kamerad). 

H.  Welti,  Geschichte  des  Sonettes  in  der  deutschen  Dichtung  (Leipzig) 
S.   223  f.  und  228. 

Zeitschrift  für  die  österr.  Gymnasien  S.  438  f.  (vgl.  ebd.  1886,  S.  920). 

Goethe-Jahrbuch  V,  357  f.  (A.  v.  Keller's  Verhältniß  zu  U.). 

Kleinere  Schriffcen  von  Jacob  Grimm  (Berlin)  VII,  556  (ü.  in  Frank- 
furt a.  M.   1846). 

1885.  Wilh.  Scherer,  Jacob  Grimm  (2.  Aufl.;  1.  Aufl.  1865)  S.  83—85, 
87  f.,   112  f.  (vgl.  auch  S.   71,   79,  253,  307). 

Ein  Brief  U.'s  an  Laßberg:  Germ.  30,  221   f. 

Abraham  a  Sancta  Clara,  Quelle  für  Uhland's  'Schwäbische  Kunde' 
(Notiz):  Wiener  Zeitung  Nr.   244. 

Eine  bisher  nngedruckte  politische  Äußerung  Uhland's:  poetische  Zu- 
schrift (fünf  Strophen)  an  den  Baron  von  Voerst,  Berichterstatter  der  Militär- 
und  Budgetcommission  von  1862  (27.  August  1862,  Darmstadt).  Aus  der 
Königsberger  Hartung'schen  Zeitung  wiederholt  in  der  Frankf.  Ztg.  Nr.  227 
(Morgenblatt)  sowie  im  Berliner  Tageblatt  Nr.  403,  1.  Beiblatt  (dagegen  ebenda 
Nr.  409  das  1816  verfaßte  *An  die  Volksvertreter',  s.  Gedichte  und  Dramen 
1876,  I,   110). 

Friedr.  Hebbers  Tagebücher,  herausgeg.  von  Bamberg  (Berlin)  I,  301 
(H.  und  ü.). 

^Biographische  Einleitung  zu  Uhland's  Gedichten  und  Dramen  :  U.'s 
Gedichte  und  Dramen  (Stuttgart,  Cotta)  L  Theil,  p.  V— XXIV. 

0.  Böckel^  Deutsche  Volkslieder  aus  Oberhessen  (Marburg)  p.  CXXVIII 
(Übergang  Uhland'scher  Lieder  in  den  Volksmund). 

1886.  Herm.  Dederich,  Ludwig  Uhland  als  Dichter  und  Patriot.  Nebst 
einem  Anhang:  Quellennachweise  zu  den  episch-lyrischen  Dichtungen  und 
litterar-historische  Beilagen  und  Bemerkungen  (Gotha).  2.  Band  von  Perthes' 
Biographien  deutscher  Dichter.  [Vgl.  dazu  K.  Geiger  im  Literarischen  Merkur 
7,  59   (10.  December   1886)]. 


*)  Nicht,  wie  Strauch  Anseiger  für  deutsches  Alterthum  und  deutsche  Literatur 
16,  132  angibt,  erst  1887  erschienen. 


BIBLIOGRAPHIE  DER  UHLAND-UTTERATUS.  363 

W.  L.  Hollandy  Zu  Ludwig  Uhland's  Gedächtnis.  Mittheilnngen  ans 
seiner  akademischen  Lehrthätigkeit  (Leipzig).  Inhaltsreiche  Besprechungen: 
K.  Bechstein,  'Aus  Uhland's  akademischer  Lehrthätigkeit  in  der  wissen- 
schaftlichen Beilage  der  Leipz.  Ztg.  Nr.  99  des  Jahrgangs,  und  Schwäbische 
Chronik  S.   2017   desselben. 

A.  Landenbarger,  Pädagogische  Stadien  (Ludwigsburg).  6.  Capitel: 
Uhland. 

<-^  Ambros  Mayr,  Der  schwäbische  Dichterbund  (Innsbruck)   S.  1  ff. 

Caroline  Michaelis  de  Vasconcellos,  Uhland*s  „Lied  aus  dem  Spanischen" 
und  sein  Original:  Schnorr's  Archiv  für  Literaturgeschichte   14,  189  f. 

Erich  Schmidt,  Charakteristiken  (Berlin)  S.  493  (U.  und  das  alte 
Volkslied). 

Edm.  Stengel,  Beiträge  zur  Gesehichte  der  romanischen  Philologie  in 
Deutschland.  (Marburg)  S.  1 5  [Ausgaben  und  Abhandlungen  auf  dem  Gebiete 
der  roman.  Philologie,  Heft  63]. 

'Hamburger  Nachrichten*  22.  December^  Sonntagsbeilage  (U.'s  Ballade 
Junker  Rechberger    und  ihre  Quellen). 

Herrn.  Ullrich,  Archiv  für  Literaturgeschichte  14,  91  f.  und  102  (zu 
U.*s  Königstochter). 

G.  Marengo,  Versioni  poetiche  da  Chamisso,  Bürger,  Kerner,  Uhland  etc. 
nova  ediz.   (Firenze,  Le  Monnier). 

A.  Pariselle,  'Taillefer,  d'apr^s  Uhland' :  Herrig's  Archiv  75,   234—236. 

Derselbe,  'L'ormeau  de  Hirsan,  d'apr^s  Uhland  :  ebenda  236. 

J.  H.  Ward,  Ballads  of  life.  (Salt  lake  city,  Utah.  Hyrum,  Parrj  and 
eie) :    Übersetzungen  aus  Goethe,   Schiller,  Uhland  u.  A. 

1887.  R.  Bechstein,  Zu  Ludwig  Uhland's  Gedächtniß.  Festrede  ge- 
halten am  26.  April   1887   in  der  Aula  der  Universität  zu  Rostock  (Rostock). 

Herm.  Baumgart,  Handbuch  der  Poetik  (Stuttgart)  S.  74  (U.'s  Romanzen). 

Oscar  Erdmann,  Jubiläumsfeuilleton  der  Breslauer  Zeitung  zum  26.  April. 

Herm.  Fischer,  Ludwig  Uhland,  Zur  Jahrhundertfeier  seiner  Geburt: 
Allgemeine  Zeitung  (München),  Beilage  vom  26. — 29.  April  (Nr.  11.5 — 118). 

Derselbe,  Uhland's  Beziehungen  zu  auswärtigen  Litteraturen  nebst  Über- 
sicht der  neuesten  Uhland-Litteratur :  Koches  Zeitschrift  für  vergleichende 
Litteraturgeschichte  I,   365 — 391. 

Derselbe,  Ludwig  Uhland.  Eine  Studie  zu  seiner  Säcularfeier  (Stutt- 
gart)^).   Vgl.  Kettner  in  der  Zeitschrift   für  deutsche  Philologie  20,  374  ff. 

Ferd.  Ginzel,  Ludwig  Uhland  und  die  altfranzösische  Poesie:  Grenz- 
boten  46.  Bd.    II.  Nr.   18   (vom   28.  April)  S.  206  ff. 

Herm.  Grimm,  Zu  Uhland's  hundertjährigem  Geburtstage:  Deutsche 
Rundschau,  Aprilheft,  S.   62  —  69. 

Derselbe,  Goethe -Vorlesungen.  4.  Aufl.  (Berlin)  S.  XXIX.  (U.*s  Jubi- 
läums tag). 

Fr.  W.  Grimme,  Ludwig  Uhland.  Ein  Gedenkblatt  zu  seinem  100.  Ge- 
burtstage (Frankf.  a.  M.)  Bildet  'Frankfurter  zeitgemäße  Broschüren^  Bd.  8, 
Heft   7. 


*)  Ehie  Aneahl    kürzerer  Anzeigen    werden    angeführt  von  Strauch,    Anz.   f.  d. 
Alt.  und  deutsche  Ut.  16,  131  auter  Nr.  1489. 

24* 


364  L.  FRÄNKEL 

Rieh.  Gosche,  Jabiläumsfenilleton  der  Saale-Zeitnng  (Halle)  zam  21.  April. 
'     Qeorg  Hassenstein ,    Ludwig  Uhland.   Seine  Darstellung  der  Volksdich- 
tung und  das  Volksthümliche  in  seinen  Gedichten  (Leipzig)  *). 

Mor.  Heyne,  Jubiläumsfeuilleton  der  Weser-Ztg.  (Bremen)  zum  26.  April 
(Nr.   14493). 

-  Chr.  Hönes ,  Ludwig  Uhland  der  Dichter  und  der  Patriot  (Hamburg) : 
Virchow-Holtzendorff,  Sammlung  von  Vorträgen  N.  F.  2.  Serie,  Heft  3  (Vgl. 
Liter.   Centralbl.  Nr«  49  vom  3.  Dec). 

Julius  Klaiber,  Zur  Uhlandfeier.  Eine  Festrede:  Schwäbische  Kronik 
vom  27.  April  (Nr.   98). 

Ad.  Kohut,  L.  Uhland.  Lichtstrahlen  aus  seinen  Werken.  Nebst  einer 
biogi-aphischen  Charakteristik  (Dresden). 

Derselbe,  Professor  Ludwig  Uhland  und  seine  Schüler:  Die  Gegen- 
wart, herausgeg.  von  Th.  Zolling,  31.  Band,  Nr.   17. 

Derselbe ,  Ludwig  Uhland  in  memoriam :  Magazin  f.  d.  Literatur  des 
In-  u.  Auslandes  Nr.  17. 

Derselbe,  Ludwig  Uhland  und  sein  Verleger:  Börsenblatt  für  den 
deutschen  Buchhandel,  Nr.  93   (des  Jahrgangs)  S. '218  f. 

A.  Landenberger ,  Uhland*s  Gedichte  nach  ihrer  religiösen  Seite  be- 
trachtet: Beweis  des  Glaubens,  Aprilnummer  (23.  Bd.,   S.    121). 

Derselbe,  Der  Charakter  der  Uhland'schen  Dichtung:  Didaskalia  (Bei- 
lage zum  Frankfurter  Journal)  Nr.   97   u.  98. 

Fr.  MuBcogiuri,  Nel  centenario  del  poeta  Luigi  Uhland:  Nuova  Anto- 
logia  3.  s.  7.  Fase.  5—29.  (Vgl.  Mahrenholtz  in  Herrig's  Archiv  78.  Bd., 
475:  Ein  italienisches  Urtheil  liber  Uhland.) 

Otto  Neumann-Hofer,  Ludwig  Uhland  der  Sammler  und  Forscher: 
Deutsches  Montagsblatt  (Berlin)  vom  25.  April. 

Ant.  Ohom,  Ludwig  Uhland.  Zum  hundertjährigen  Gedächtnißtage  seiner 
Geburt.  (Sammlung  gemeinnütziger  Vorträge,  herausgeg.  vom  deutschen  Verein 
zur  Verbreitung  gemeinnütziger  Kenntnisse  in  Prag,   Nr.    119). 

Pleibel,  Ludwig  Uhland,  der  Dichter  für  die  deutsche  Jugend,  zum 
26.  April  1887  dargestellt:  Neue  Blätter  aus  Süddeutschland  fCir  Erziehung 
und  Unterricht,  herausgeg.  von  Burk  und  Pfisterer  (Stuttgart)   16,   130  — 151. 

Ad.  Rümelin,  Ludwig  Uhland*  Zum  hundertsten  Gedenktage  seiner 
Geburt.    (Württembergische  Neujahrsblätter,    herausgeg.  von  Hartmann.  IV.) 

Ludwig  Salomon,  Ludwig  Uhland.  Eine  Biographie  (Stuttgart):  Aus 
S.*s  Geschichte  der  deutschen  National-Litteratur  des   19.  Jahrhunderts. 

Jos.  Seemüller,  akademische  Festrede  zum  26.  April  bei  der  Uhland- 
feier der  Universität  Wien  (ungedruckt;  Referat  in  der  Neuen  Freien  Presse 
vom  28.  April). 

Ed.  Sievers,  Festrede  zur  Uhlandfeier  der  Universität  Tübingen  am 
26.  April  (ungedruckt;  Referat  im  Schwäbischen  Merkur  vom   27.  April). 

Ant.  E.  Schönbach,  Jubiläumsfeuilleton  der  (Wiener)  Deutschen  Ztg. 
vom  28.  April,  Nr.  5503.  (Rede  zur  Uhland-Feier,  gesprochen  zu  Graz  am 
26.  April.) 

Edm.  Stengel  in  den  Frankfurter  nenphilologischen  Beiträgen  (Festschrift 


*)  Über  Referate  vgl.  Strauch  ebenda  unter  Nr.  1601. 


BIBLIOGRAPHIE  DER  UHLAND-LITTERATÜR.  365 

zur  BegrüßuBg  des  sweiten  allgem.  deutachen  Neuphilologe ntages)  S.  69  (ver- 
schiedene Mittheilangen  über  U.'s  Charakter  und  wissenschaftliche  Pläne). 

J.  Stöckle,  H.  W.  Longfellow,  der  Uhland  Nordamerikas.  Eine  literar- 
historische Parallele:  Rheinische  Bl&tter  für  Erziehung  u.  Unterricht  61,   6. 

Phil.  Strauch,  Zwei  Briefe  Uhland^s  an  Ad.  v.  Keller  und  ein  Brief 
U.'s  an  Professor  Joachim  Mejer:  Anzeiger  für  deutsches  Alterthum  und 
deutsche  Litteratur   13,  392—398. 

Derselbe,  Briefe  Uhland's:  'Deatsche  Dichtung',  herausgeg.  von  K.  E. 
Franzos  (Stuttgart)  III,   126.   (Auch  in  erweitertem  Separatabdruck  erschienen.) 

Ad.  Tobler  über  U.  als  Romanist  in  der  Uhlandfestsitzung  der  Berliner 
Gesellschaft  für  neuere  Sprachen  am  26.  April:  Bericht  in  Herrig's  Archiv 
Archiv  79,  91  (ebenda  auch  M.  Rödiger*s  kurze  Bemerkungen  über  U.  als 
Germanist  bei  derselben  Gelegenheit  gesprochen  und  ein  Referat  Zupitza's 
über  Holland's  obgenanntes  Buch). 

E.  Du  BoiS'Rejmond,  Reden.  Zweite  Folge.  (Leipzig.)  S.  43  (Castellan 
von   Coucy).   336  (Merlin  der  Wilde),   474  (Jagd  von  Winchester). 

Wiersz  Uhlanda  do  Mickiewicza  (U.'s  Mickiewicz)  von  R  M.  Werner: 
Pami^tnik  towarzystwa  literackiego  imienia  Ad.  Mickiewicza  pod  redakcya 
Komana  Pilata  (Lemberg)  I,  S.   138  f.  und   Zipper  S.  253. 

Deutsche  Wochenschrift  (Wien)  23.  April:  'Ludwig  Uhland*  von  Armin, 
25.  Juni:   'Uhland's  Charakter'  von  Ad.  Eohnt. 

Rob.  König,  Zu  Uhland's  lOOjährigem  Geburtstage:  Daheim  (Leipzig) 
Nr.    29. 

Ein  Stammbuchvers  von  Uhland  (vom  19.  August  1861):  Daheim  (Leipzig) 
Nr.   32,  S.  511. 

Briefe  von  Ubland:  Schwäbische  Chronik  S.  605. 

H.  Bauer,  Zur  Uhland-Feier.  Uhland  und  die  Neugestaltung  Deutsch- 
lands. Anecdoten  und  Reminiscenzen :  Nationalzeitung  (Berlin)  Nr.  233. 

Uhland  und  Hebbel  von  H.  Fischer:  Neue  Zürcher  Zeitung  Nr.  64,  66 
u.  67  (in  einer  Besprechung  der  von  Bamberg  herausgegebenen  Tagebücher 
Hebbers). 

'L.  Uhland  und  F.  Hebber  von  K.  Werner:  Wiener  Zeitung  Nr.  94  u.  95. 

K.  v.  Gerok,  Festgruß  zur  Uhland-Feier  am  26.  April:  Protestantische 
Kirchenzeitung  Nr.   19. 

Bud.  von  Gottschall,  Ludwig  Uhland:  Gartenlaube  Nr,   17. 

Th.  Kerner,  L.  U.  im  Kernerhause:  ebenda. 

Martin  Greif,  Ludwig  Uhland:  Deutsche  Zeitung  (Wien)  Nr.  5499 
(Feuilleton).  Vgl.  ebenda  5501. 

Gust.  Karpeles,  Ein  modemer  Sängerkrieg  [zwischen  U.  und  Rückert; 
vgl.   1876  unter  Holland]:   Über  Land  und  Meer  Nr.  30. 

K.  Köstlin,  Zum   lOOj&hrigen  Geburtstag  L.  Uhland's  (Tübingen). 

Heinr.  Löbner,  Ludwig  Uhland.  Ein  Gedenkblatt  zur  Säcularfeier : 
Litterar.  Merkur,  herausgeg.  von  Ebner,  VII,   165. 

F.  Martin,  Ludwig  Uhland  der  Classiker  der  Volksschule :  Pädagogische 
Blätter  16,   273. 

E.  Peschier,  zum  100jährigen  Geburtstage  L.  Uhland's.  Festgedicht  bei 
der  Gedächtnißfeier  des  Gesangvereins  Frohsinn  zu  Cannstadt  a.  N.  (Cann- 
stadt).   Vgl.  Strauch  in  Franzos'  Deutsch.  Dichtung  II,  244. 


366  L.  FRÄNKEL 

Rud.  Pfleiderer,    Ludwig  ühland:    Deutsches  Litcraturblatt  X,    Nr.   4. 

Joh.  Prölß,  Zu  L.  Uhland's  Gedächtniß:  Frankf.  Ztg.  Nr.  116  u.  117 
(Feuilleton). 

Jul.  Riffert,  Zu  L.  Uhland's  lOOjährigem  Geburtstage:  Leipz.  Zeitung 
wissenschaftl.  Beil.  Nr.   32. 

Ludw.  Salomon,  Zu  Uhland's  100.  Geburtstage:  Illustr.  Ztg  (Leipzig) 
Nr.   2286. 

L.  Schwabe,  Prolog,  gesprochen  bei  der  Feier  des  100.  Geburtstags 
Ludwig  Uhland's  in  der  Tübinger  Sonntagsgesellschaft  am  19.  Februar  1887 
(Tübingen;  Manuscriptdruck). 

Ludw.  Speidel,  Ludwig  Uhland  (zu  seinem  100.  Geburtstag):  Neue 
Freie  Presse,  Nr.   8140  (Feuilleton). 

Franz  Violet,  Ludwig  Uhland,  Vossische  Ztg.  (Berlin),  Sonntagsbeilage 
Nr.   17. 

F.  Th.  Vischer,  Festspiel  zur  Uhland-Feier.  Aufgeführt  im  kön.  Hof- 
theater zn  Stuttgart  24.  April   1887   (Stattgart). 

(Frl.  L.  Weißer)  Zur  Erinnerung  an  L.  Uhland.  Von  einer  Verwandten 
des  Dichters:    bes.  Beil.  des  Staats anzeigers  f.  Württemberg  Nr.   7,    S.   97. 

K.  Weitbrecht,  L.  Uhland:  Neue  Zürcher  Ztg.  Nr.   112,   114,   115. 

Willibald,  L.   ühland:  Die  Presse  (Wien)  Nr.   114. 

R.  Wolkan,  L.  Uhland:  Bohemia  (Prag),  Beil.  zu  Nr.    115. 

Rieh.  Wulckow,  L.  Uhland:  Didaskalia  (Prankfurt  a.  M.)  Nr.    97. 

Zu  Uhland's  hundertjährigem  Geburtstage :  Leipziger  Tageblatt  26.  April. 

Rieh.  Gosche,  Festrede  gehalten  bei  der  Uhland-Feier  im  alten  Gewand- 
haus zu  Leipzig:  Leipziger  Tageblatt  vom  4.  Mai,   1.  Beilage. 

Zum  Säculargedächtniß  an  L.  Uhland:   Schorer's  Familienblatt  Nr.    17. 

Zu  Uhland's  Gedächtniß:  Die  kleine  chron.  Frankf.  Wochenschr. ,  her- 
ausgegeben von  Holthof  IX,  Nr.   44  u.   45. 

Bericht  über  die  Uhland-Feier  zu  Tübingen:  Tübinger  Chtonik  Nr.  97 
und  98. 

Bericht  über  Uhland-Gedächtnißfeiern:  Schwäbische  Chronik  Nr.  96 — 
101;   Blätter  für  litterarische  Unterhaltung  Nr.    19,  S.   303. 

Über  die  Uhland- Ausstellung  in  Stuttgart  und  die  Uhland-Feier  in 
Württemberg:  Die  Presse  Nr.   116  u.   117, 

Ludwig  Uhland  und  die  Schwaben:  'Zeitung  für  Literatur,  Kunst  und 
Wisenschaft',  Beilage  des  Hamburgischen  Correspondenten  Nr.   6. 

Ludwig  Uhland:  Schlesische  Zeitung  (Breslau)  Nr.  286  u.   289. 

Ludwig  Uhland:  Evangelisch  -  lutherisches  Gemeindeblatt,  herausgeg. 
von  Rade,  Nr.  18. 

Etwas  über  Uhland:  Tübinger  Unterhaltungsblatt  Nr.   20,  S.   79. 

Ein  Beitrag  zur  Erinnerung  an  Ludwig  Uhland:  Sonntagsblatt,  her- 
ausgegeben von  A.  Philipps  (Berlin)  Nr.    17. 

Zwei  bisher  unbekannte  Anecdoten  über  Ludwig  Uhland:  Universum, 
herausgeg.  von   Seemann  und  Puttkamer  (Dresden)  Nr.   24. 

Uhland  über  biblische  Dichtungen:  Evangelisch-lutherisches  Geroeinde- 
blatt,   herausgeg«  von  Rade,  Nr.   30. 

Uhland's  Beziehungen  zu  Lenan.  Nach  Briefen  geschildert:  D.  Buch- 
händler-Akademie IV,  8  (Vgl.  1853  unter  Mayer). 


BIBLIOGRAPHIE  DER  UHLAND-LITTERATUR  367 

Ludwig  Uhland's  Beden  in  der  lS48er  Nationalyersammlung.  Ein 
Gedenkblatt  zum  26.  April  1887:  Dentscbe  Worte,  heransgeg.  von  E.  Ferner- 
storfer  VII,   145  ff. 

Ludwig  Uhland  nnd  die  Deutschen  in  Österreich:  Deutsche  Zeitung 
(Wien)  Nr.  6490. 

Jean  Fastenrath,  Figures  de  TAllemagne  contemporaine  (Paris):  enthält 
p.  321 — 333  einen  Aufsatz  *Le  centenaire  de  Louis  Uhland*  (vgl.  Schwäbische 
Chronik  S.   1462). 

Jacob  Nover,  L.  Uhland:  Berichte  des  freien  deutschen  Hochstiftes  zu 
Frankfurt  a.  M.  N.  F.  3.  (1886—87)  S.   172  ff. 

Goethe's  Willkommen  und  Abschied.  Herrn  Wilh.  Hertz  zum  1.  Januar 
1887  gewidmet  von  Richard  Maria  Werner.  Als  Handschrift  gedruckt  (Lem- 
bergy  14  S.):  Vergleich  mit  einigen  den  Ritt  behandelnden  Liedern  von 
Uhland,  Heine,  Geibel. 

Deutsche  Dichtung,  herausgeg.  von  R.  £.  Franzos  (Stuttgart)  II,  38: 
Uhlandnummer  im  2.  Aprilheft  (enthält  verschollene  und  unbekannte  Ge- 
dichte U.*s.  Mittheilungen  Karl  Mayer  s  jnn.  u.  A.).  Ebenda  II,  66  Aus  L.  U/s 
Briefwechsel.  Mitgetheilt  von  K.  £.  Franzos. 

Allgemeine  Zeitung  vom  28.  März  8.  1276  theilt  einen  Brief  U. 's,  aus 
Paris  vom  29.  Juni  1810  an  eine  junge  Verwandte  gerichtet,  mit  (aus  dem 
Staatsanzeiger  für  Württemberg  Nr.  70,  Beil.):  Abdruck  im  Litterar.  Merkur, 
herausgeg.  von  Ebner  VU,   172. 

Ebenda,  Nummer  vom  21.  Februar:  Zu  L.  U/s  Gedächtniß  (Besprechung 
von  Holland's   obgenannter  Schrift). 

Unsre  Uhlandfeier:  Eorrespondenzblatt  des  Vereins  für  siebenbürg. 
Landeskunde   10  (4),  68  f. 

Nachlese  zu  den  Uhlandbiographien  (zusammengestellt  von  J.  Hartmann) : 
Württemberger  Vierteljahrshefte  für  Landesgeschichte   10  (1),   1 — 16. 

Zwei  Uhlandische  Gedichte,,  erläutert  für  den  Schulgebrauch:  Neue 
Blätter  aus  Süddeutschland  für  Erziehung  und  Unterricht,  herausgeg.  von 
Burk  und  Pfisterer  16,  174  —  190  (Einkehr  176—180.  Schwäbische  Kunde 
180—190). 

J.  Clark,  Poesias  liiicas  alemanas  de  Heine^  Uhland,  Zedlitz,  Rückert, 
Hoffmann,  Platen,  Hartmann  y  otros  autores,  vertidas  en  castellano  (Paris, 
Bouret,    158  p.). 

1888.  Ludwig  Fränkel,  Ludwig  Uhland  als  Romanist  I.:  Herrig's 
Archiv  80,  26—113  (Darin:  S.  82—87  Excurs  zu  U/s  Königstochtor,  S.  87— 
109  Uhland  in  seinem  Verhältniß  zur  Romantik,    namentlich  als  Romanist). 

Friedrich  Hebbel  in  seinem  Verhältniß  zu  Uhland  (Referat  aus  seinen 
Tagebüchern):   Deutsche  Rundschau,  Januarheft  (14.  Bd.,  H.   4)  S.    166. 

H.  Hormel,  Uhland's  Graf  Richard  Ohnefarcht  und  seine  altfranzösische 
Vorlage:   Franco-Gallia,  herausgeg.   von  Kreßner  V,  S.    10 — 16. 

Franz^  Kern,  Zur  Würdigung  von  Uhland's  Gedichten:  Vossische  Ztg. 
(Berlin)  Nr.   6  u.   7  der  Sonntagsbeilage  (6.  und   12.  Februar). 

Friedr.  Rückert  über  Uhland  1836:  Brief  an  Gustav  Kühne,  mitgetheilt 
von  Ad.  Kohui,  Die  Gegenwart  vom  14.  Januar,  S.  26  (mit  dem  merkwür- 
digen Versehen,  daß  diese  Äußerung  als  eine  „Heinrich  [sie!]  Rückert's, 
der  damals  Professor  in  Erlangen  war**  gegeben  wird). 


368  L.  FBÄNKEL 

Philipp  Strauch,  Briefe  von  Jacob  und  Wilhelm  Grimm  an  Adelbert 
von  Keller:  Anzeiger  f.  deutsches  Alt.  u.  deutsche  Litt.  14,  97  ff.  (Darin  auf 
S.   98  f.,   104,    107   f.,   113  u.  ö.  interessante  Beiträge  über  Uhland). 

B.  M.  Werner,  Neuere  Uhlandlitteratnr :  Anzeiger  f.  deutsches  Alt.  u. 
deutsche  Litt.  14,  153 — 202  (Eingehende  kritische  Besprechungen  der  vor- 
stehend genannten  Jubiläamschriften  von  Holland ,  Fischer ,  Hassenstein, 
Dederich,  Paulus  [s.  unter  1869],  Ohorn,  Kohut  und  Majr). 

B.  M.  Werner,  Des  Sängers  Fluch  von  Uhland:  Seuffert's  Vierteljahr- 
schrift für  Litteraturgeschichte  I,  503 — 511   (S.   510  auch  zu  'der  Bing'). 

A.  Biese,  Die  Entwickelung  des  Naturgefühls  im  Mittelalter  und  iu 
der  Neuzeit  (Leipzig)  S.  115  (U.*s  'Frühlingsglauben  und  Heinrich  von  Vel- 
deke)  und  S.  453  (U.*s  Naturljrik).  Vgl.  B.  M.  Werner's  Becension:  Deutsche 
Literaturztg.  9,  596  (21.  April). 

K.  Fulda,  Ludwig  Uhland  ein  deutscher  Dichter  (Barmen):  Wiemann's 
Sammlung  ^Aus  dem  Beiche  für  das  Beich',  Heft  8. 

Felix  Liebrecht,  in  der  Germania  (herausgeg.  von  0.  Behaghel)  33, 
252  ('Schlößlein    in  Uhland's   „Graf  Eberstein"). 

P.  Ludwig,  Eine  Uhland-Beliquie :  Allgemeine  conservative  Monats- 
schrift für  das  christliche  Deutschland,  herausgeg.  von  v.  Oertzen  und  Müller 
45,  286 — 290  (über  U.*s  Gedichtschema  vom  heimkehrenden  Wanderer  bei 
Holland,  Zu  Uhland's  Gedächtniß  S.  51.) 

E.  Strackerjan,  Zur  Feier  deutscher  Dichter:  Progr.  der  Bealschule  zu 
Oldenburg:  S.   11  —  16  'Uhland'. 

Deutsche  Bundschau,  herausgeg.  von  J.  Bodenberg  54,  399  (U.  über 
Berthold  Auerbach). 

Die  Gesellschaft..  Monatsschrift  für  Literatur  und  Kunst.  Jahrg.  1 888, 
S.   1174  (Zu  Uhland's  Budello). 

G.  Gröber  im  'Grundriß  der  roman.  Philologie*  T,  S.  57  f.  (U.'s  Stel- 
lung in  der  ^Geschichte  der  roman.  Philologie  ). 

A.  Birlinger,  Das  Hunno-Weisthum  von  Bodmann:  Alemannia  14,  237 
(Berichtigungen  zu  Uhland's  Aufsatz  Germ.  4,  50  ff). 

Jahrbuch  der  deutschen  Shakespearegesellschaft  23,  291  (Zupitza  zu 
U.'s   In  Gras  und  Blumen  lag  ich  gern ). 

1889,  Felix  Bamberg,  Hebbel's  Briefwechsel  mit  Freunden  und  bervor- 
ragenden  Zeitgenossen:  Beilage  zur  „Allgem.  Zeitung^  (München)  1.  Januar 
(auf  S.   10  über  Hebbel's  Verhältniß  zu  U.). 

Ludwig  Fränkel,  Uhland  als  Bomanist.  Nachträge  und  Berichtigungen. 
Herrig's  Archiv  f.  d.   Studium  d.   neueren  Sprachen  und  Lit.   82,  233 — 235. 

Frisch,  über  ein  Originalmanuscript  von  ^Emst  von  Schwaben*:  Zeit- 
schrift für  vergleichende  Literaturgesch.  u.  Benaissancelit.  N.  F.  H,    103. 

0.  Knoop.  Das  Glück  von  Edenhall.  Eine  polnische  Sage:  Zeitschrift 
für  Volkskunde  I,    S.  392. 

K.  Knortz,  Die  deutschen  Volkslieder  und  Märchen  (Zürich)  S.  57  f. 
(vgl.  auch  S.   56  u.   59)  U.  als  Schüler  des   Volkslieds. 

Karl  Lucae.  Aus  deutscher  Sprach-  und  Literaturgeschichte.  Gesammelte 
Vorträge  (herausgeg.  von  Max  Koch).   S.   217  (U.  als   Balladendichter). 

^     Pfeiffer,    L.  Uhland    und    seine    Stellung    im    deutschen  Geistesleben: 
Correspondenzblatt   für  die  Gelehrten-  und  Bealschulen  Würtembergs  36,  6. 


O.  BRENNER,  EIN  BRIEF.  369 

Jobann  Schmidt,  Die  Apokope  bei  den  neueren  deutschen  Dramatikern: 
Zeitschrift  t   d.  dsterr.  Gymn.  40  (599  —  605),  604. 

PhiL  Strauch  in  seiner  ^Übersicht  der  Erscheinungen  des  Jahres  1887 
über  neuere  deutsehe  Literatur:  Anzeiger  f.  d.  Alt.    15,    130 — 133. 

Ludwig  Fränkel,  Neuere  Uhlandliteratur:  Literaturblatt  f.  german.  u. 
roman.  Philologie  X,  Nr.  4,  Sp.  125 — 134  (bespricht  die  oben  unter  1886, 
1887  u.  1888  genannten  Schriften  von  Holland,  Bechstein,  Ohom,  Salomon, 
Bümelin,  Fulda,  Strackerjan). 

Da  ich  mir  wohl  bewußt  bin,  dafi  vorstehendem  Verzeichnisse  trotz 
der  größten  Mühewaltung,  der  ich  mich  behufs  möglichster  Vollständigkeit 
desselben  unterzogen  habe,  mannigfache  Mängel  anhaften,  richte  ich  hiermit 
an  die  Fachgenossen  sowie  an  alle  Freunde  und  Kenner  Uhland's  die  Bitte, 
mich  auf  die  Fehler  und  Lücken  aufmerksam  zu  machen.  Erst  dann  kann 
meine  Arbeit  werden,  wozu  ich  sie  yergebens  zu  machen  strebte,  ein  wirklich 
vollständiges  Repertorium  der  gesammten  Uhlandlitteratur,  würdig  des  großen 
und  verehrten  Mannes,  auf  den  es  sich  bezieht.  In  diesem  Sinne  suchte 
ich  auch  einer  rein  schematischen  Anordnung  des  Stoffes  auszuweichen.  Sie 
ist  nirgends  eine  willkürliche,  sondern^  wo  nicht  durch  alphabetische  Zu- 
sammengehörigkeit, durch  gewisse  innere  Gründe  bedingt. 

LEIPZIG  (Poniatowskystrasse  13),  Frühjahr  1889. 

LUDWIG  FRÄNKEL. 

■■  ■     ■  * 

EIN  BRIEF. 


Ich  elspet  von  psBierbrvne  enpivt  d'r  lieben  vH  d'r  getriwen  d'r 
cbastensBrein  |  getrawelich  mine  driwen  dienst  yH  wizet  daz  mich  gar 
hart  nach  ivcb  |  petraget  an  mine  mveterlin  daz  ich  niemen  waize 
daz  mvnch  da  mich  |  als  hart  nach  pelange  als  nach  dir  liebiv  diemvt 
der  en  zwai  prach  mir  |  daz  herze  mine  d'n  lieze  ich  ivch  vile  liebiv 
miten  trine  sehen  mit  iwern  |  pelzen  vn  mit  iwer  chvrsen  allen  vH 
mit  iwern  grozen  schvhen  si  mvzen  |  aver  schon  gewischet  sin  da  mit 
plege  iwer  d'r  svze  got  grvzet  mir  div  mvlhaus{8erein 

(Rückseite) 
der  lieben  sei  der  |  prief« 

Obiger  Brief,  wohl  einer  der  allerältesten  deutschen  Privatbriefe, 
liegt  unter  den  Urkunden  des  Mttnchner  Angerklosters  in  fasc.  9 
J.  1303 — 1306  im  Münchner  Reichsarchiv.  Er  steht  auf  einem  kleinen 
Pergamentzettel  (14^  Ctm.  br.,  5  Ctm.  hoch),  der  ganz  schwache 
Spuren  der  Faltung  aufweist.  Ein  kleiner  Schnitt  könnte  zum  Durch- 
ziehen der  SiegeUchnur  gedient  haben.  Die  Orthographie  zeigt,  daß 
die  Schreiberin  nicht  eben  sehr  geübt  in  deutscher  Briefstellerei  war. 


370  O.  BEHAGHEL,  ZU  MHD.  tu  UND  ». 

Die  Scbriftzüge  Bind  äußerst  zierlich  und  meist  vollkommen  deutlich; 
auch  die  unrichtigen  v  statt  v  in  mveterlin  und  minch  sind  unver- 
kennbar. Die  Form  mvnch  ist  mir  in  keiner  der  zahllosen  Münchener 
Urkunden  begegnet;  prach  sollte  nach  der  Schreibgewohnheit  der  Zeit 
prcech,  präch  geschrieben  sein  (das  übergeschriebene  e  fehlt  auch  io 
mvzen,  grvzety  mvlhavscerem ,  denen  nach  guten  Münchner  und  Bayer- 
brunner  Urkunden  durchweg  v  zukommt).  Die  Mutter  der  Elsbet, 
Irmgart,  erscheint  1309  als  Wohlthäterin  des  Elaraklosters  (Mon.  boic. 
XVIII,  57  f.),  Diemüt  die  Kastn»rin  schon  1302;  1307  wird  sie  in 
einer  Urkunde  der  Äbtissin  'vnaer  servidaV  genannt;  1309  wird  sie 
als  Zeugin  noch  einmal  erwähnt;  1302  war  sie  schon  Witwe;  später 
war  sie  wohl  Pfründnerin  des  Klosters. 

O.  BRENNER. 


ZU  MHD.  iu  UND  ü. 


Wilmanns  macht  mich  freundlichst  darauf  aufmerksam,  daß 
bereits  Sebastian  Helber,  der  1593  sein  Syllabirbüchlein  veröffentlicht, 
den  noch  heute  in  Theilen  des  Oberdeutschen  bestehenden  Unter- 
schied zwischen  den  genannten  Lauten  beobachtet  hat.  Halber  gibt  — 
S.  32  von  Koethes  Ausgabe  —  ein  Verzeichniß  von  Wörtern  „mit 
jenem  EV,  welliches  sonst  aber  eü  gedrucket  wirdt**  und  er  setzt 
„zwei  punctlein  zu  denen  Worten,  die  bei  den  gemeinen  Donawischea 
auf  jre  eigne  weis  ausgesprochen  werden,  [gleichsam  ot  bei  meererem 
teil,  bei  andern  m]^.  Unter  Donauischen  versteht  er  „alle  in  den  Alt 
Baierischen  und  Schwebischen  Landen  ^  den  Rein  vnberflrt"  (S.  24). 
Mit  dem  Doppelpunkte  nun  versieht  er  52  Wörter,  von  denen  43  ein 
eu  aus  dem  alten  Diphthong  iu  enthalten;  bei  sechs  Belegen  geht  eu 
auf  Umlaut  von  ü  zurück  (s.  Roethe,  Einl.  S.  XVI;  Preußen  rechne 
ich  nicht  hierher) ;  bei  zweien  liegt  mhd.  i  zu  Grunde  {Tleuen  (?) 
durchgeraiittert) ;  bei  einem  ist  der  Ursprung  des  eu  zweifelhaft  (Preußen). 
In  74  Wörtern  folgt  ein  Komma.  Von  ihnen ')  haben  neun  ein  eu 
aus  mhd.  t;  zu  ihnen  gehört  als  zehntes  gewiß  auch  verheürathen, 
Umlaut  von  mhd.  ou  zeigen  kleuheln,  teuglich;  altes  iie  liegt  vor  in 
Neuchtland  (?).  Fremdwort  ist  abenteürlic/i,  dunkeln  Ursprungs  das  eü 
in  reüsperen,  Rot  -  Beüssen,  acheüren,  treüsch.  Von  den  noch  bleiben- 
den 56  Beispielen    besitzen  43   den  Umlaut  von  ü,    12  altes  im.    Die 


*)  Bei  eineelnen  Wörtern  ist  nicht  mit  Sicherheit  swischen  Homonymen  zu.  unter- 
scheiden. 


A.  GOMBERT,  BEMERKUNGEN  ZlIM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.     371 

letzteren  sind  deuten,  heulen,  vorleuekten,  diensüeutf  verleumdet y  Reu, 
ausgereuttet  8preur,  sclieuhen,  scheiieUehy  teutseh,  aUo  mit  Ausnahme  von 
verleumdet  nnd  Beu  laater  Wörter  ^  wo  der  Stamm vocal  ursprünglich 
vor  i  (J)  stand,  also  nach  meinen  Erörterungen  oben  S.  251  mit  dem 
Umlaut  von  ü  zusammenfallen  mußte.  Beute  kann  auf  «biUja  oder 
*btutja  zurückgehen.  Es  ist  somit  unrichtig,  daß  Helber  der  Auf- 
gabe, die  beiden  eu  zu  scheiden,  erlegen  sei  (Boethe  S.  XV):  auf 
105  Beispiele  kommen  nur  acht  falsche  Zuweisungen. 

GIESSEN,  4.  October  1889.  O.  BEHAOHEL. 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTER- 
BUCHE. 

Bd.  VII,  Lief.  10  (Pflatterung  bis  PlaU). 
(Fortsetsnng.) 


Pfrundbuch  gebraucht  Joh.  y.  Müller  in  einem  Briefe  vom 
10.  Juli  1778  Wke.  29.  250  (Ausg.  von  1834);  der  Herausgeber  hält 
es  aber  für  nöthig,  zu  dem  allerdings  nicht  allgemein  verständlichen 
Worte  die  Erklärung  zu  fügen:  Ein  Mac,,  worin  alle  Oeistltchen,  und 
welche  Stellen  sie  bekleidet  haben,  aufgeschrieben  werden.  Pfrundkauf 
(fehlt)  ist  etwas  Anderes  als  der  mit  Simonie  gleichbedeutende  Pf  rün  den- 
kaufy  nämlich  eine  Art  Leibrente ,  wie  aus  Schottel  528  (Beleg  aus 
Besold)  hervorgeht:  quando  Fiscue  certarn  pecuniae  summam  a  privato 
accipit  eique  pensionem  usuris  vulgaribus  maiorem  ad  dies  vitae  concedit. 
Daß  der  Inhaber  solcher  Nutznießung  neben  Pf  rund  n  er  auch  Pfrün- 
der beißt,  weist  Lexer  aus  Maaler  nach.  Auch  Schottel  339"  hat 
das  Wort  mit  der  Erklärung,  welcher  eine  pf runde  oder  pfründ- 
recht  (nicht  im  Wb«)  hat.  Dazu  kommt  ebenda  der  Zusatz:  Eine 
pf  runde  ist  contraetus  emptionis  annui  reditus  ad  vitam  ementis.  Zu 
Pfründe  im  Sinne  von  4  (geistliches  Amt  und  damit  ver- 
bundene Einkünfte)  gehört  das  gegenwärtig  in  der  preußischen 
Kirchen  Verwaltung  häufig  gebrauchte  Wort  Pfründen  abgäbe,  d.h. 
der  Abzug  aus  den  Einkünften  einer  evangelischen  Pfarre,  den  ein 
neu  anzustellender  Q-eistlicher  an  den  Staat  oder  eine  öffentliche  Gasse 
auf  eine  Reihe  von  Jahren  zahlen  muß,  weil  er  noch  nicht  die  für 
den  Bezug  des  ganzen  Einkommens  bestimmte  Anzahl  von  Dienst- 
jahren hat. 

Pfuhl  ist  auch,  wie  das  aus  Wiedemann  beigebrachte  Beispiel 
zeigt,  der  Inhalt  der  Pfütze,  die  Jauche  u*  dgl.    Das  Wort  wird  in 


372  A.  OOMBERT 

besonderem  Sinne  mehrfach  genannt  bei  der  Düngerlehre ,  wo  Pfuhl 
oder  Pfui  eine  künstlich  gesammelte,  gehörig  vergohrene  und  mit 
Wasser  versetzte  Mistjauche  bedeutet.  Schwerz,  Prakt.  Acker- 
bau^ 1,  116  verbreitet  sich  behaglich  über  den  Pfui:  Diese  Brühe, 
welche  wir  hier  [an  dieser  Stelle  im  Buch  oder  in  Hohenheim  bei 
Stuttgart?]  unter  dem  Namen  Pfui  bezeichnen,  ist  darin  von  dem  bloßen 
Harne  verschieden,  daß  sie  außer  letzterem  noch  einige  der  feineren  Theile 
defi^  festen  Ausivürfe  enthält]  ebenda  Pfulbehälter  und  S.  117  Pful- 
düngung:  eine  Pfuldüngung  ist  wirksamer  ah  eine  Düngung  mit 
Stallmist y  allein  sie  ist  nicht  so  nachhaltig  wie  diese'^  ebd.  pfulen  und 
das  Pfulen,  z.B.:  Man  pfult  auch  die  zu  Runhein  bestimmten  Felder ; 
auch  auf  Klee,  Luzerne,  Wiesen  thut  das  Pfulen  die  herrlichste  Wir- 
kung\  ebd.  2,  134  wird  pfulen  erklärt  durch  die  Worte:  mit  Jauche 
überfahren;  ein  magerer  Acker  wird  durch  das  Pfulen  zu  einer 
reichlichen  Kartoffelernte  gebracht.  Das  Wort  Pfuhl  überhaupt  ist  nach 
Lexer  den  oberdeutschen  Mundarten  fremd;  Schwerz  aber  scheint  es 
nach  1,  116  doch  in  Hohenheim  entweder  vorgefunden  oder  wenig- 
stens dort  gewöhnlich  gebraucht  zu  haben;  auch  am  Mittelrhein  muß 
es  in  der  besonderen  Bedeutung  =:  Jauche  üblich  sein;  vgl.  National- 
zeitung vom  11.  Mai  1879,  Nr.  217  in  einer  Mittheilung  aus  Darm- 
stadt :  Ein  Heppenheimer  Einwohner  . .  •  wurde  für  überführt  erachtet, 
einem  Na^ihbar  3  Ohm  Wein  dadurch  ungenießbar  gemacht  zu  haben, 
daß  er  in  den  frisch   gekelterten  Most   eine  Quantität  Pfuhl  schüttete. 

Pfudel,  die  mundartliche  Nebenform  von  Pfuhl,  ist  vereinzelt 
auch  weiblich,  z.  B.  in  einer  Anmerkung  Wenzel  Scher£Fers  zu  seinen 
G-edichten  S.  428 :  Es  haben  böse  Buben  im  nechsten  Kriege  arme  Leute 
zu  martern  auf  die  Erde  gelegt  und  aus  der  Mistpfudel  ihnen  den 
Leib  mit  Gewalt  angefüllet  und  sie  also  bis  zum  Tode  getrenket.  Dieß 
haben  sie  den  Schwedischen  Trunk  genennet. 

Das  Hauptwort  Pf  uidichan  steht  schon  bei  Schottel  667,  wahr- 
scheinlich   in   der  Bedeutung    unfläthiger  Geselle:    Das  wird  ein 
Pfuidichan    werden    und   Ich    habe    mich  für    solchem  Pfuidichan 
alzeit  gehütet.  Rachel  S.  80  (Ausgabe  von  1742)  gebraucht  das  Wort 
in  besonderer  Bedeutung  bei  der  Schilderung  des  unanständigen  Poeten : 
Wenn  nun  ein  grobes  HoUz  ein  Eulenspiegels-gleichen 
Last  einen  Pfuy-dichran  mit  gutem  Willen  streichen 
Bringt  kahle  Zoten  vor,  verschluckt  ein  gantzes  Ey, 
Und  rültzet  ins  Oelach  und  schwätzet  in  den  Brey. 

Unter  pfünder  4  ist  doch  zu  erinnern,  daß  auch  schon,  ehe 
die  Geschütze   nach    der  in  Centimetern    ausgedrückten  Weite   ihres 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  373 

Calibers  benannt  worden,  die  verschiedenen  Ausdrücke  mit  -pfünder 
nicht  mehr  ein  OeschfltB  bezeichneten,  das  ein  Geschoß  der  beseich- 
neten  Schwere  schleuderte.  Mit  erklärlichem  Batteriewits  wurde  ehe- 
dem auch  das  preußische  Viergroschenstück  als  Vierpfünder, 
das  Achtgroschenstück  als  Achtpfünder  bezeichnet:  Du  kannst 
einen  Vierpfünder  abladen  (d.  h.  vier  Groschen  zum  Besten 
geben);  mit  einem  Achtpfünder  vorfahren  u«  dgl. 

In  Pfuscher,  Pfuscherei  und  pfuschen  (pfuschern)  ist 
heute  der  Begriff  des  Unberechtigten  vor  dem  des  Stümperhaften 
zurückgetreten.  Früher  zeigt  sich  der  erstere  Begriff  mehrfach  ohne 
jede  Beimengung  des  letzteren;  so  wird  in  Günthers  Lebensbeschrei- 
bung S.  33  (1732)  der  verbotene  Umgang  mit  einer  Frau  als  Ehe- 
stands'Pfuseherei  und  der  Thäter  als  Pfuscher  in  der  Liebe  be- 
zeichnet. Unter  den  Belegen  für  Pfuscher  fehlt  neben  weniger  be- 
deutenden die  classische  Stelle  aus  Goethes  Di  van:  Doch  wer  keinen 
Leisten  kennt,  wird  ein  Pfuscher  bleiben.  (Man  findet  sie  übrigens  im 
sechsten  Bande  des  Wb.  unter  Leisten.)  Die  selbstverkennende 
Überhebung  als  etwas  für  den  Pfuscher  gerade  Bezeichnendes  drückt 
auch  Platen  4,  86  (Schlußparabase  zur  Gabel)  gut  aus:  Und  der 
Pfuscher  meint,  er  k^ne  das  auch;  doch  irrt  sich  der  Gute,  so 
scheint  ch.  Daß  die  norddeutsche  Aussprache  oft  Fuscher  u.  s.  w. 
statt  Pfuscher  bietet^  ist  bekannt.  Ein  Beispiel  sei  angeführt,  weil 
es  uns  zugleich  eine  andere  von  Lexer  nicht  hervorgehobene  Seite 
des  Pfuschers  zeigt:  Für  Stümper  und  Ungeübte  gehet  es  wohl  hin,  daß 
sie,  wie  es  die  Fuscher  unter  den  Handwerkern  machen^  sich  mit  was 
geringem  und  wenigem  behelffen;  aber  ein  Mann,  der  seine  Sache  ver- 
steht ^  kan  sich  damit,  ohne  Verdacht  seiner  eigenen  Tugend,  nicht  ab- 
weisen lassen.  Besser  Staats-  und  Lobschriften  S.  161  in  der  Ausgabe 
von  1732,  vgl.  auch  fuschem  bei  Claudius  im  Liede  für  Schwind- 
süchtige bei  Gödeke,  Elf  Bücher  1,  735': 

Die  Ärzte  thun  zwar  ihre  Pflicht 

Und  fuschem  drum  und  dran; 

Allein  sie  haben  leider  nicht 

Das,  was  mir  helfen  kann. 
Pfuscherei  war  bekanntlich  Goethen  in  allen  ihren  Erscheinungs- 
formen verhaßt,  und  zu  dem  aus  den  Briefen  an  Zelter  genommenen 
Belege  für  diese  Stimmung  würde  passend  zu  fügen  sein  die  Mit- 
theilung bei  Eckermann ^  2,  243:  ich  ha^se  aUe  Pfuscherei  wie  die 
Sünde,  besonders  aber  die  Pfuscherei  in  Staatsangelegenheiten, 
woraus  fü/r  Tausende  und  Millionen   nichts  als  Unheil  hervorgeht    Pfu- 


374  ^-  GOMBERT 

Sehern  wird  etwas  kurz  (in  sechs  Zeilen)  behandelt.  Die  Form  ist 
die  in  der  norddeutsohen  Haus-  und  Umgangssprache  bei  Weitem 
üblichere,  während  pfuschen  dort  bachmäßig  klingt;  insbesondere 
nennt  man  das  sonst  unter  der  Bezeichnung  Mogeln  bekannte  Be- 
trügen beim  Kartenspiel  (öfters  nac^  Verabredung  erlaubt)  pfuschern. 
Lexer  bringt  zwei  Beispiele  für  pfuschern  mitderPräp.  in  und  dem 
Dativ;  natürlich  kommt  so  auch  in  mit  dem  Acc.  vor  (=  hinein- 
pfuschen), z.  B.  Jahn  1,  229  (Volksthum):  Erziehung,  die  jedem 
Menschen  am  nächsten  liegt ^  von  der  Jedermomn  spricht ,  in  die  Jeder- 
mann pfuschertf  ist  das  AUerunbekannteste,  Endlich  wäre  hinzuweisen 
auf  pfuschern  mit  dem  Acc.  =  pfuschend  herstellen  bei  F.  W. 
Schmidt,  Gedichte  304  (BerUn  1797) : 

Rolle,  eitler  Tho9\  auf  Schwanenhälsen 
Stolz  zu  Prunkvisiten  fern  und  nah, 
Laß  dir  pfuschern  einen.  Park  mit  FeUen 
Schön  auf  Holz  gemahlt,  und  —  gähne  da! 
Verpfuschern    anstatt   verpfuschen    hat   Hermes,    Für   Töchter 
edler  Herkunft  1,  15  (1787):  Ich  hätte  es  vielleicht  in^Überweisheit  sehr 
gut   machen   wollen  und   hätte  es  dann  nur  verpfuechert.    Unter  den 
Zusammensetzungen  sei  nachgetragen  Pfuscherstrich  aus  Neukirchs 
Sammlung  ),  210  (Ausgabe  von  1697): 

Welch  Momus  hat  iemahls  hier  fehler  ausgesetzt^ 
Und  wer  will  der  natur  noch  pfuHcher- striche  weisen? 
Neben    dem    aus    Bückert    belegten    Pfuschwerk    sehen    wir    auch 
Pfuscherwerk: 

Da  flohen  sie  vor  ihm  wie  Eulen  vor  dem  Lichte, 
Und  dieses  Pfusch  er 'Werk  ward  auf  einmal  zu  nichte. 
Poesie  der  Franken  1,  105  (1730). 

Phänomenologie.  Herder  4^  69  spricht  im  Jahre  1768  schon 
von  einer  ästhetischen  Phänomenologie.  Erwähnung  verdiente 
auch  das  Wort  phänomenal,  das  eine  Reihe  von  Jahren  (wie  vor- 
her pyramidal)  ein  Modewort  zur  Bezeichnung  des  Außerordent- 
lichen geworden  war. 

Zu  Pfütze  2,  das  im  Sinne  von  See  und  Meer  aus  Diefenbach 
und  besondere  Stellen  aus  dem  16.  Jahrh.  belegt  wird,  könnte  Jahn 
2,  735  (jenseit  der  großen  Pfütze)  und  ebd.  841  {über  die  große 
Pfütze)  gefügt  werden,  da  hier  die  große  Pfütze  das  Amerika 
von  Europa  trennende  Meer  bedeutet.  Vielleicht  aber  hat  Jahn,  ob- 
wohl er  sonst  mit  Vorliebe  seine  Wendungen  an  gesprochenes  und 
von  ihm  gehörtes  Deutsch  anknüpft ,   hier  nur  den  Versuch  gemacht, 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  375 

einen   ihm  aufgeBtoßenen  älterneuhochdeutschen  Ausdruck  wieder  s&u 
verjüngen. 

Phantasie  in  der  Bedeutung  Tonspiel  aus  dem  Stegereif 
wird  erst  aus  Millers  Siegwart  belegt,  wof&r  leicht  ein  früheres  Bei- 
spiel,  etwa  aus  Zacbariäs  Scherzhaften  Poesien  403  (aus  dem  Jahre 
1754)  zu  geben  war: 

Nun  jauchzt  das  ganze  Ciavier  und  feyret  hohe  Gesänge 
In  Phantasie  voU  Anmuth  und  Pracht. 
Phantasieren  als  trans*  wird  aus  Wieland  und  Bürger  belegt 
Da  dieser  Sprachgebrauch  selten  ist,  möge  ein  weiteres  Beispiel  aus 
den  Frankf.  Gel.  Anzeigen  vom  Jahre  1772,  S.  479  (Neudruck)  ge- 
geben werden,  zumal  da  nach  Scherers  Einleitung  LXXIX  u.  LXXXIII 
die  bezügliche  Stelle  vielleicht  von  Qoethe  herrührt:  So  lange  die 
Wissenschaften  in  phantasierten  Welten  auf  Seifenblasen  herumfahren. 
Von  Zusammensetzungen  mögen  einige  nachgetragen,  einige  auch 
aus  früherer  Zeit  nachgewiesen  werden,  als  dies  im  Wb.  geschieht. 
Phantasiebegabung  gebraucht  Wiese  Lebenserinnenmgen  und 
Amtaerfahrungen  2,  141:  in  keiner  der  anderen  Provinzen  sind  mir  so 
viele  Spuren  von  Phantasiebegabung  vorgekommen  [wie  in  Schlesien]. 
Phantasieberauscht  (fehlt):  phantasieberausehte  Fülle  Platen 
1,  41.  Phantasiebild  (fehlt).  Qoethe,  Spr.  in  Prosa  932  (Bd.  19, 
201  Hempel):  Der  denkende  Mensch  hat  die  wunderliche  Eigenschaft,  daß 
er  an  die  Stelle,  wo  das  unaufgelöste  Problem  liegt ^  gerne  ein  Phan- 
tasiebild  hinfabeüy  desgl.  28,  166  (Über  den  Dilettantismus): 
[Zweck  der  Dilettanten,]  Phantasie- Bilder  vnmittelbar  vorstellen 
zu  wollen.  Ebd.  S.  725  (1815) :  Franz,  Weislingens  Knabe,  kommt  von 
Bamberg  und  erregt  alte  Erinnerungen  sowie  ein  neues  Phantasiebild 
der  gefährlichen  Adelheid  von  Walldorf  Der  physische  Theil  dieses 
wilden  Phantasiebildes  [der  Protogaea  von  Leibnitz]  Humboldt, 
Kosmos  2,  391.  Überweg  in  der  Gesch.  der  Philos.  übersetzt  q)avtd6- 
fiata  durch  Phantasiebilder;  Vischer,  Ästhet.  3,  2,  5,  1182:  die 
Unbestimmtheit  und  Undeutlichkeit  des  Phantasiebildes ^  das  sich  noch 
gar  nicht  erschlossen  hat.  Hase,  Kirchengescbichte ^  614  (1868):  Da 
legitime  Fürsten  der  Gewalt  weichen  mußten  und  der  Sieg  gewonnen 
wurde  im  Bunde  mit  dem  ^Kronenräuber  jenseits  der  Alpen,  verschwand 
das  geistliche  Phantasiebild  des  Herrschers  von  Gottes  vbematüa^lichen 
Gnaden,  Früher  steht  schon  Phantasieenbild  bei  Eberhard,  Hand- 
buch der  Ästhetik  3,  13  (18()4):  die  Idee^  nach  welcher  ich  mir  die 
äußere  Darstellung  der  Phantasiebilder  durch  die  wesentlichen  Zeichen 
der  Kunst  denke.    Phantasiebildung   (fehlt):    In   der  gegmioärtigen 


376  A-  GOMBERT 

Zeit  warnt  man  vorzugsweUe  vor  der  eineeitigen  Phantasiethätiykeit  und 
versäumt  dariAer  die  normale  Fhantasiebildung,  die  dock  ebenso 
nothwendig  ist  als  die  Bildung  jeder  anderen  Geistesthätigkeit.  Deinhardt 
in  Schmids  Encykl.  d.  Erziehung'  5,  782.  Phantasieform  (fehlt) 
bei  Vischer,  Ästhetik  3,  2,  5,  1177:  Poesie  als  Kunst  der  Darstellung 
des  bewußten  Lebens  in  Phantasieform.  Deinhardt  a.  a.  O.  5,  789 
unterscheidet  dreierlei  Phantasie  formen  (zurückssuführen  auf  Ge- 
stalten, Töne  und  Worte).  Phantasiefrisch  (fehlt):  Die  besten  Eigen- 
schaften des  Poeten  (W.  Raabe)  treten  uns  ans  den  phantasie- 
frischen Geschichten  entgegen.  A.  Stern,  die  deutsche  National- 
litteratur  seit  Goethe,  S.  154.    Phantasiegelispel:  Overbeck 

Und  blinkt  denn  noch  der  Mond  herein 

Mit  dämmerUchem  Silberscheiny 

Und  Phantasiegelispel  sich 

Herab  ergießt  so  zauberlieh 
in  Vossens  Musenalmanach  für  1782,  S.  111  bei  Gödeke,  Elf  Bücher 
1;  790\  Phantasiegemälde  (fehlt)  ist  wohl  ein  nicht  seltenes  Wort; 
ein  Roman  unter  diesem  Titel  erschien  von  G.  Döring  im  Jahre  1833. 
Phantasiegestalt  (Humboldt,  Sonette)  findet  sich  auch  bei  Goethe 
28,  383  Hpl.  (Verein  der  deutschen  Bildhauer.  1817).  Phantasie- 
kranz und  Phantasiestrauß  werden  in  Goethes  Faust  2.  Theil, 
Hempel  13, 18  genannt.  Phantasiekönig  bei  H.  Leo,  Nominalistische 
Gedankenspäne  57 :  Alle  Eide  der  conservcUiven  Männer  in  ganz  Preußen 
gelten  dem  wahren  lebendigen  Könige  von  Preußen  . .  und  nicht  jenem 
Phantasiekönige^  meinetwegen  im  Monde,  Phantasielos  (über- 
gangen) ist  ein  nicht  eben  seltenes  Wort;  in  etwas  ungewöhnlicher 
Verbindung  hat  es  Rumohr,  Geist  der  Kochkunst  36  (Reclam):  Wer 
seine  Geschmacksnerven  nicht  durch  häufiges  Tabahrauchen  abgestumpß 
hat  oder  überhaupt  ganz  phantasielos  ist^  dem  wird  schaudern  vor 
dieser  Verbindung  des  Lieblichen  und  Widrigen.  Mehrfach  gebraucht 
es  Vischer  in  seiner  Ästhetik,  z.  B.  3,  2,  5,  1463,  ebenso  das  gleich- 
falls übergangene  Hauptwort  Phantasielosigkeit  ebd.  1232: 
Manche  Bilder  Shakespeares^  welche  die  Phantasielosigkeit  von  heute 
für  geschmacklos  erklärt^  . . .  verdienen  die  höchste  Bewunderung;  ebd. 
1439:  die  breite  Phantasielosigkeit ^  die  keinen  ganzen  Humor  ver- 
steht und  nichts  zu  greifen  meint  y  wenn  ihre  plumpen  Finger  nicht  ein 
soHdes  Stück  nackter  Wahrheit  fassen.  Phantasiemäßig  (fehlt):  Soll 
das  Anschauen  —  sei  es  ein  sinnliches  oder  ein  phantasiemäßiges  — 
gut  und  ganz  gelingen^  so  dürfen  die  neuen  Vorstellungen  nicht  als  etwas 
gänzlich  Neues  im  Geiste  Platz  nehmen.  Dörpfeld,  didakt.  Materialismus  * 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  377 

121  (1886);  ebd.  218:  Von  der  phantaiiemäßigen  Ansekauungs^ 
vermitUlung.  Phantasiemensch  fehlt:  ein  gutes  Beispiel  böte 
G.  Schwab,  Deutsche  Ptosa'  2,  36  mit  dem  treffenden  Urtheil  über 
Börne:  Verstandesmenaeh  ah  Kritiker y  Phantasiemensch  als  Politiker, 
Phantasiereicb  (Adj.)  ist  vor  Klinger  bei  Herder  1,  83  (Suph«) 
aus  dem  Jahre  1765  zu  finden:  die  Phantasier  eichen  Araber;  vgL 
auch  ebd.  13,  308  (178Ö,  Ideen):  überhaupt  sind  bei  aUen  Phantasie- 
reichen Völkern  die  Träume  umndei'bar  mächtig.  Natttrlich  spricht  man 
auch  von  Phantasiereichthum,  doch  habe  ich  augenblicklich  fbr 
das  Wort  keinen  besseren  Gewährsmann  als  D.  Stern,  Gesch.  d.  deut- 
schen Natienallitteratur  seit  Goethes  Tode  137  u.  152.  Phantasie- 
reich als  Hauptwort  wird  durch  eine  Stelle  aus  Gervinus  belegt, 
dem  wohl  das  gleichbedeutende  Schillersche  Reich  der  Phantasie 
(Ihr  wildes  Seich  behauptet  Phantasie)  vorschwebte.  Phantasie- 
spiel brauchte  nicht  erst  aus  Auerbach  belegt  zu  werden;  am  An- 
fange des  Jahrhunderts  finden  wir  es  in  Eberhards  Handbuch  d.  Ästh. 
2,  41  (1803):  Das  gibt  ihr  [der  christl.  Religion]  ihren  hohen  WeHh, 
nicht  ihre  Poesie,  nicht  ihr  Phantasiespiel;  ebd.  4,  338  (1806):  bald 
starkes,  bald  liebliches  Phantasiespiel  [der  deutschen  lyrischen  Poesie]. 
Das  Wort  wird  wohl  schon  im  18.  Jahrh.  vorkommen;  vgl.  Wieland, 
Agathon  1,  234:  Das  Spiel  der  Phantasie  und  des  Witzes.  Phan- 
tasiesttlck.  Wenn  als  Beleg  nur  der  Titel  der  Weisflog^schen  Er- 
zählungen (seit  1824)  gegeben  wird,  so  mußte  eher  an  Hofimanns 
zehn  Jahre  früher  erschienene  und  nicht  bloß  im  Titel  von  Weisflog 
nachgeahmte  Phantasiestücke  in  Callots  Manier  (Leipz.  1814) 
erinnert  werden.  Phantasiethätigkeit  ist  ein  häufig  von  Deinhardt 
gebrauchtes  Wort;  seine  Abhandlung  über  Phantasie  in  Schmids 
Encykl.  d.  Erziehung'  5,  782—798  enthält  es  mehr  als  dreißigmal. 
Vischer  in  der  Ästhetik  gebraucht  es  ebenfalls  nicht  selten.  Hegel, 
Ästhet'  1,  417  hat  Thätigkeit  der  Phantasie.  Phantasievoll 
ist  wohl  unter  den  von  Lexer  übergangenen  Zusammensetzungen  mit 
Phantasie  die  in  unserer  Zeit  am  häufigsten  gebrauchte  und  scheint 
bei  der  Bearbeitung  von  Dichterwerken  und  Tonstücken  gar  nicht 
mehr  entbehrt  werden  zu  können,  doch  kenne  ich  es  erst  aus  Vilmars 
Litteraturgesch.  j  z.  B.  ^^  301:  FHedrich  von  8pee,  der  herzliche  y  an- 
muthige  und  phantasievolle  Lieder  dichtete.  Hettner  und  Scherer 
brauchen  das  Wort  häufig ;  es  fehlt  aber  bei  Sanders  in  beiden  Wörter- 
büchern. Phantasie  werk  (fehlt):  BeaUs  wird  als  ein  Phantasie- 
werk  behandelt  Goethe  28,  179  (Über  den  Dilettantismus).  Phantas- 
magorie    und    auch    phantasmagorisch    verdienten    wohl    eher 

Gfi&MANIA.    N«a«  Seihe*  XIU.  (XXXIY.)  Jftlurg.  25 


378  A.  GOMBEBT 

Auiiiahme  als  PhantasmiBt  and  Phantomist;  man  denkt  zunächst 
an  Goethes  Helena,  claaaisch-romantüclie  Phantasmagorie,  und  .einen 
Beleg  zu  phantasmagorisch  gibt  Kehrein  aus  einem  Briefe  Goethes 
an  Reinhard.  Wurden  aber  einmal  die  Phantasmisten  erwähnt, 
so  durfte  auch  als  hervorragender  Vertreter  der  Gattung  der  aus 
Goethes  Faust  bekannte  Proktophantasmist  nicht  fehlen,  in  dem 
wir  wohl  einen  älteren  Vetter  des  in  den  Vierziger  Jahren  auftauchen- 
den und  dann  durch  die  Fliegenden  Blätter  rasch  bekannt  gewordenen 
StaatshämorrhoidariuB  erblicken  ddrfen.  Phantasma  ist  wohl 
als  ganz  griechische  Form  übergangen,  doch  verdiente  die  in  der 
Endung  deutsch  gemachte  Mehrheit  Phantasmen  wohl  aufgenommen 
zu  werden,  da  das  Wort  in  dieser  Form  seit  dem  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts  häufig  begegnet.  Ein  Beispiel  Goethes  28,  170  (Dilettantis- 
mus). Eehrein  im  Fremdwörterbuch  gibt  für  Phantasmen  eine  Stelle 
aus  Wieland  37,  56  in  der  Gruberschen  Ausgabe ,  die  mir  nicht  zur 
Hand  ist.  Phantastik  (übergangen)  ist  ein  Lieblingswort  Hettners 
und  bei  ihm  Dutzende  von  Malen  zu  finden,  vielleicht  eine  Hegelscbe 
Bildung,  bei  dem  es  u.  A.  Ästhetik'  1,  402  vorkommt.  Die  gcmze 
Phantastik  und  Verwirrung,  aUe  Oährung  und  wild  umhertaufnelnde 
Vermischung  der  symbolischen  Kunst.  Phantom.  Daß  für  die  Mehrzahl 
aus  Schiller  nur  die  schwache  Form  belegt  wird,  könnte  irreleiten; 
es  wäre  darum  aus  ihm  auch  ein  Beispiel  der  starken  Form  zu 
geben,  etwa  das  bekannte  aus  Ideal  und  Leben: 

Wie  des  Lebens  schweigende  Phantome 
Glänzend  wandeln  an  dem  stygschen  Strome. 
Pharisäer,  Pharisäerthum,  pharisäisch  sind  lange  und 
häufig  gebrauchte  Ausdrücke  für  das  Wesen  der  Leute,  die  sich  selbst 
vermessen,  daß  sie  fromm  seien.  Luther  hat  phariseisch  Gute 
Werke  B  ij**  (1Ö20):  von  den  falschen,  phariseischen  vnglaubigen 
guten  wercken'^  ebenso  H.  Emser,  Annotationes  zu  Luthers  Neuem 
Testament  F  iij*  (lö2ö):  dise  Phariseisch  entschuldigung,  3,  Jonas 
in  der  Übersetzung  von  Melanchthons  Apologie  (1525)  schwankt  zwi- 
schen pharisäisch  (7^,  9%  12^,  142^  u.  ö.)  und  phariseisch 
(145*,  149^  167*  u.  ö,).  phariseyer  hat  H.  Emser  a.  a.  O.  G  vij*, 
übrigens  im  eigentlichen  Sinne:  schrifftgelerten  und  phariseyer. 
Pharisäerei  bietet  Bode  im  Tristram  6,  35  (1774):  'ch  glaube,  daß 
'n  Soldat,  wenn  er  Zeit  zum  Beten  gewinnen  kann,  wohl  ebenso  herzlich 
betet  als  'n  Pastor,  obschon  nicht  mit  so'n  Haufen  Handgebä/rden  und 
Pharisäerey. 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  379 

Philanthrop  sollte  in  seinen  beiden  Bedeutungen,  sowohl  der 
allgemeinen  wie  der  besonderen  (Anhänger  der  Rousseau-Basedow- 
schen Erziehungsgrundsätze)  verzeichnet  sein;  beide  Bedeutungen  hat 
auch  das  Eigenschaftswort  philanthropisch;  doch  finden  wir  nach 
der  Einrichtung  des  Dessauer  Philantropins  (1774)  und  der  gleich- 
namigen Anstalten  (Marschlins,  Heidesheim,  Schnepfenthal)  zur  Be- 
zeichnung des  engeren  Begri£Fes  auch  vielfach  philantropinisch 
und  philantropinistischy  wie  auch  der  Deutlichkeit  wegen  Phi- 
lantropist  und  Philanthropinist  von  Philanthrop,  desgl. 
Philantropinismus  von  Philanthropie  unterschieden  wird. 
Vgl.  Goethe  22,  159  Hempel  (Dichtung  und  Wahrheit  14.  Buch): 
Basedow  hatte  die  Absicht,  das  Publicum  durch  seine  PersMichkeit  für 
sein  philanthropisches  unternehmen  zu  gewinnen.  Niemeyer,  Grund- 
sätze d.  Erz.'  3,  368:  philanthropische  Unternehmungen^  ebd.  371: 
die  philanthropischen  Institute,  Philantropinisch  erscheint  als 
ein  Lieblingswort  Bahrdts  in  dessen  Lebensbeschreibung,  z.  B.  2,  305 
(1790):  Nach  den  großen  Ideen,  die  ich  von  Philantropinischer 
Feierlichkeit  hatte;  ebd.  271:  Ich  sähe  den' glänzendsten  Wirkungskreis 
eines  Directors  philantropinischer  Anstalten]  ebd.  275:  Ich  bekam 
auch  nickt  ein  Tropf  lein  des  pädagogisch-philantropini  sehen  Geistes, 
den  der  große  Basedow  über  mich  hätte  ausströmen  sollen'^  ebd.  276: 
Ich  machte  mich  ..  mit  der  philantropini sehen  Lehr-  und  Erzie- 
hungsart  vertrauet.  Ebd.  290:  Balis  erzählte  von  Basedows  Thaten  und 
Philantropinischen Herrlichkeiten;  ebd.  305:  Ein  Wirthshaus,  welches 
Herr  von  8alis  erbaut  hatte  und  welches  nun  der  philantropini  sehe 
Gasthof  hieß.  Hettner,  Litteraturgesch.  d.  18.  Jahrhs."  3,  2,  321: 
Keine  dieser  philantropini stischen  Anstalten  ist  von  langer  Dauer 
gewesen;  ebd.  322:  Der  tüchtigste  und  kräfiigste  Förderer  dieser  philan^ 
iropinistischen  Erziehungsrichtung  war  Campe.  Vgl.  auch  J.  G. 
MtlUer,  Emmerich  2,  267:  Lieber  philantropinisier ender  Leser, 
Philantropinwäldchen  Jean  Paul,  ünsichtb.  Loge  III  (Hpl.)  — 
Für  den  Philister  verweist  Lexer  auf  einige  von  mir  gegebene  Nach- 
weisungen, die  doch  das  große  Thema  der  Philisterei  nur  eben  streifen. 
Ich  muß  es  mir  aber  auch  hier  versagen,  durch  Vorführung  reich- 
licher Beispiele  den  Philister  in  seinen  so  außerordentlich  zahlreichen 
Erscheinungsformen  und  oft  täuschenden  Verhüllungen  darzustellen; 
es  möge  nur  gestattet  sein,  eine  Vermuthung  über  den  Ursprung  der 
Übertragung  des  Wortes  auszusprechen.  Die  von  Lexer  nach  Weigand 
mitgetheilte  Behauptung  Wiedemanns,  daß  ein  besonderer,  dem  letzten 
Drittel  des  17.  Jahrhunderts  zuzuweisender  Vorfall  auf  der  Universität 

25* 


380  A.  GOBIBERT 

Jena  die  BezeichnuDg  des  niohtstudentischen  Bürgers  durch  Philister 
veranlaßt  habe,  halte  ich  jetsst  wie  schon  1877  für  sehr  zweifelhaft, 
doch  mag  in  ihr  nach  Ort  und  Gedankeninhalt  ein  Kern  von  Wahr- 
heit stecken.  Daß  die  Studenten  sich  als  Musensöhne  bezeichneten, 
konnte  bei  streng  christlich  biblischer  Weltanschauung  für  heidnischen 
Unfug  gelten;  und  zumal  für  die  Theologen  der  ausdrücklich  als  Ver- 
treterin des  reinen  biblischen  Lutherthums  gegründeten  Universität 
Jena  lag  vielleicht  der  Gegensatz  von  Israeliten  und  Philistern 
näher.  Dann  mögen  die  Studenten  nach  biblischer  Sprechweise  sich 
als  das  auserwählte  Volk,  als  Kinder  Gottes  im  Gegensatze 
zu  dem  unbegnadeten  Volke  der  Heiden  oder  Philister  gefühlt  und 
bezeichnet  haben*  Leicht  konnte  sich  solcher  Sprachgebrauch  noch 
im  17.  Jahrhundert  über  die  drei  schon  bestehenden  sächsischen  Uni- 
versitäten und  das  seit  1694  hinzutretende  preußische  Halle  ver- 
breiten, wie  ja  in  der  That  die  Übertragung  des  Wortes  Philister 
sich  zuerst  in  der  geistig  von  diesen  vier  Hochschulen  beherrschten 
obersächsischen  Gegend  zeigt.  Hierzu  stimmt  es,  wenn  ein  in  den 
Neunziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  erfolgter  Auszug  der  Halli- 
schen Studenten  in  gleichzeitigem  Bericht  als  Auszug  der  Kinder 
Israel  aus  Ägypten  dargestellt  wird;  hierzu  stimmt  es  nicht  weniger, 
wenn  Goethe,  vielleicht  in  bewußter  Erinnerung  an  überlieferten  stu- 
dentischen Sprachgebrauch y  bald  ausdrücklich,  bald  andeutend  Phi- 
lister und  Kinder  Gottes  einander  gegenüberstellt ,  so  am  deut- 
lichsten Bd.  2,  290  Hempel  (^Gedichte  sind  gemalte  Fensterscheiben') 
und  erkennbar  auch  ebd.  2,  298  im  Gedichte  vom  Regen  und  Regen- 
bogen. So  läßt  sich  die  Sache  wohl  denken;  doch  bleibt  die  Ver- 
muthung  unsicher^  und  wer  sie  zurückweist,  kränkt  mich  nicht.  Von 
Zusammensetzungen  und  Ableitungen  ^  die  freilich  zum  Theile  nicht 
viel  lehren  und  die  zu  erschöpfen  nicht  beabsichtigt  wird,  mögen  hier 
noch  folgende  Platz  finden:  Philisterbart  (bestehend  aus  Backen- 
bart und  Kinnbart;  soweit  letzterer  sich  unter  dem  Kinn  hinzieht» 
während  das  Kinn  selbst  wie  die  Theile  um  den  Mund  rasiert  sind) 
steht  gelegentlich  im  Gegensatz  zum  1848er  Demokratenbart, 
dem  heute  allgemein  üblichen  sog.  Vollbart;  vgl.  Fontane,  Wande- 
rungen' 1,  462:  Lange  genug  habe  ich  einem  hochlöblichen  Publicum 
gedient  und  einen  Philisterbart  getragen;  nun  will  ich  frei  sein  und 
einen  Demokratenbart  tragen.  Philisterbrut  H.  Leo,  Volksbl.  i. 
St  u.  L.  1856,  S.  821:  Bekehre  dich  ordentlich,  innerlich  in  Oeist  und 
Wesen^  theure  Philisterbrut  —  oder  laß  es  ganz  bleiben  —  aber 
fnache  keinen  Seifenschaum  mü  bunten  Bilderche^i  drin^   und  vor  AUem 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖBTEBBUCHE.       381 

mcLche  dir  nickt  weifi,  du  seist  auch  etwasj  wenn  du  dich  in  den  Seifen- 
blasen  als  ein  leidliches  KerUhen  abspiegelst  Philisterdasein  Scherer, 
Lit.-Gesch.  646:  Der  Klempnermeister  Konr.  Oriibel  in  Nürnberg  hatte 
städtisches  Philisterdasein  poetisch  abgeschildert.  Philisterdumm 
gebraucht  Hoffmann  v.  Fallersleben,  Oed.  256;  ebenderselbe  auch 
Philistergeschmeiß  (Spitzkugeln  S.  30): 

Besser  du  stirbst  für  eine  Idee^  ais  daß  du  bewußtlos 
Lebst  in  den  Tag  hinein  wie  das  Philist  er  ge  schmeiß. 
Philisterhaus.    Wer   denkt   nicht  an   O.  Schwabs   viel-gesungenes 
Lied:  Bemooster  Bursche  zieh  ich  aus^ 

Behüt  dich  Qott,  Philisterhausf 
Philisterhimmel  nennt  H.  Leo  imVolksbl.  f.  St.  u.L.  1858,  S.  1069 
den    einem    Philister   erwünschten   Zustand:    zu   diesem  Philister- 
himmel wären  wir  sicher  angelangt  /Philisterjoch  Strachwitz,  Oed.  41 : 
Eh  zwängt  der  Maulwurf  in  sein  Loch 
Den  Adler  stolzbeschwingt, 
Eh  Philisterwitz  und  Philisterjoch 
Den  Dichtemacken  zwingt. 
Philisterkanngießerei    bei  Jahn    1,  255    (Volksthum):    Der   Oe- 
schichtschr eiber i    wenn   er   nicht   Kindermärchen    schwatzen,    Philister- 
kanngieß  er  eien    aufstützen^    Altweiberwäsche  putzen   will^    ist   nichts 
ohne    Vaterland^  Volksthum   und  Muttersprache.    Philisterland.    Der 
aus  Börne    beigebrachte  Beleg   klingt   stark  an  eine  Stelle   des   viel- 
gesuDgenen  Liedes  „O  alte  Burschenherrlichkeit^  an: 
Sie  zogen  mit  gesenktem  Blick 
Sich  ins  Philisterland  zurück. 
Philisterlich  steht  in  der  Zusammensetzung  dasUnphilisterliche 
bei  Heine  7,  68  der  Campischen  Ausgabe  von  1887  (Deutschland  von 
Luther  bis  Kant).  Philisterlein  bei  Strachwitz,  Ged.  16: 
Kann  mir  nichts  die  Harfe  stimmen^ 
Nicht  die  Liebe,  nicht  der  Wein^ 
Sei's  das  zornige  Ergrimmen 
Über  die  Philisterlein. 
Philistermann  für  Philister  hat  Kopisch,  Ges.  W.  1,  247: 
Stirbt  im  Hansjochemwinkel  ein  Philist  er  mann, 
Ins  Himmelreich  er  nicht  so  bald  gelangen  kann. 
Philistermoral:  die  gewöhnliche  hausbackene  PhilistermoraL   Phi- 
listerpferd (^=  Miethsgaul  oder  Gewohnheitsthier)  ist  durch 
ein  wenig  bezeichnendes  Beispiel  aus  Kotzebue  belegt.    Vgl.  Gaudys 
Gedicht  ^Führ  uns  nicht  in  Versuchung**: 


382  ^  GOMBKRT 

Da  stund  ich  wieder  an  der  Ecke  (nämlich  dem  Wein- 
baus gegenüber) 

Höchst  wunderbar!  Wie  kam  es  nurf 

Die  Beine  wollen  nicht  vom  Flecke^ 

Becht  nach  Philisterpferde  Natur. 
Pbilisterrotte  bei  Strachwitas,  Ged.  67  (RecL):  Laßt  uns  zerbrechen 
die  Philisterrotte!  Philittterseele:  Was  kann  aus  so  platter  Phi- 
listerseele [Brockes]  Hohes  kommen?  Hettner^  D.  Litt.  3^  1,  342. 
Philisterscbaden  bei  Eicbendorf,  Krieg  den  Philistern  161: 
Erhalt  der  Herr  euch  lang  erklecklich  dumm^ 
Behüt  die  Blüthen  voi'  Geschmeiß  und  Maden, 
Maif rösten^  Türken-  und  Philister  schaden. 
Ebd.51:  Philisterschaar  und  101:  Philisterfähnlein.  Philister- 
staaten. Novalis  2,  237  unterscheidet  genialische  und  Philister- 
Staaten.  Philisterunglück  nennt  H.  Leo  im  Volksbl.  f.  St.  u.  L. 
1857,  S.  774  ein  solches,  das  dem  ersten  besten  Philister  begegnen 
kann.  Philisterthum  ist  durch  das  etwas  phrasenhafte  Beispiel 
aus  Bettinas  Briefen  nicht  ausreichend  belegt.  Statt  vieler  Belege 
diene  einer  aus  Wienbargs  ästhetischen  Feldzügen  79  (1835):  Sie 
werden  entweder  die  Leibpoeten  des  Philist  er  thums,  das  unmittelbar 
über  dem  Volk  lagert,  oder  sie  werden  die  Poeten  der  Gebildeten,  d.  h. 
verschiedener  unter  sich  streitiger  Cliquen,  welche  die  gesellschaftlichen 
Culminationen  der  Macht,  des  Geistes,  der  Gelehrsamkeit  u.  s.  w.  repräsen- 
tieren. Philisterium  steht  wohl  wegen  seiner  lateinischen  Endung 
an  der  Grenze  der  Aufnahmefilhigkeit,  doch  ist  es  einmal  in  studen- 
tischen Kreisen  häufig  gebraucht,  theils  als  sinnverwandt  mit  Phi- 
listerthum, theils  als  Sammelname  zur  Bezeichnung  der  Philister; 
vgl.  in  letzter  Bedeutung  H.  Leo,  Volksbl.  1857,  S.  774.  Ein  paar 
hundert  toUe  Excesse  von  müßig  gewordenen  Fabrikarbeitern  würden  unser 
süßes  deutsches  Philisterium  weit  rascher  wieder  ernüchtert  und  zu 
einigem  Conservatismus  bekehrt  haben.  Philisterverstand  W.  Raabe, 
Deutscher  Adel  in  Westermanns  Monatsheften  1878,  November,  S.  162: 
Vögel  aus  demselben  Nest  der  Lebensharmlosigkeit,  nur  daß  den  einen 
sein  phantastisches  Gefieder  allzu  leicht  zu  hoch  über  den  gesunden  Men- 
schen- und  Philisterv  er  stand  hinaustrug. 

Philister  Weisheit:  Prinz  Zerbino  ist  gegen  die  hausbackene 
Aufklärungsmoral  und  Philist  er  Weisheit  gerichtet.  Hettner  Litgesch. 
3,  3,  2,  434.  Philisterwelt  ist  verzeichnet,  doch  ohne  Beleg  ge- 
lassen; man  denkt  zunächst  an  die  bekannten  Zeilen  von  Klamer 
Schmidt: 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖBTERBUCHE.       383 

Jeh  labe  mich  lieber  an  Wein  und  am  Kuß, 

Bevor  ich  hinunter 

Ine  traurige  Beich  der  Philisterwelt  muß  (Hier 
sitz  ich  auf  Rosen  mit  Veilchen  bekränzt). 
Vgl.  aach  Wienbarg  Ästh.  Feldz.  135  (1835) :  In  dieser  wüsten  küsten- 
losen Litteratur,  in  welcher  die  Schriftsteller  ohne  Polarstern  schiffen  und 
ihre  großen  und  kleinen  Bären  nidit  am  Himmel,  sondern  in  der  Phi- 
listerweit  haben.  Philisterwitz:  Es  steht  mancher  Weise  in  Erz 
und  Bronze  auf  unseren  Märkten,  aber  Begenschauery  Philisterwitz 
und  üble  Nachrede  gehen  an  keinem  von  ihnen  so  machtlos  vorüber  wie 
an  meinem  Freund.  W.  Raabe,  Deutscher  Adel  a.  a.  O.  S.  287.  Phi- 
listern (und  zwar  trans.;  also:  in  Philisterweise  behandeln) 
war  durch  das  bei  Sanders  und  Kehrein  stehende  Beispiel  aus  E.  M. 
Arndt  zu  belegen.  Philistrieren  in  der  Bed.  zum  Philister 
(einer  studentischen  Vereinigung)  machen  ist  doch  wohl  seltener 
Sprachgebrauch;  ich  kenne  es  mehr  in  dem  intr.  Sinne:  sich  vom 
Verbindungswesen  fern  halten.  Philiströs  wechselt  mit 
philiströs;  letzteres  wird  von  H.  Leo  bevorzugt,  z.  B.  Volksbl.  f. 
St.  u.  L.  1856,  S.  548:  dies  geistig  armselige  und  philiströse  Lumpen- 
gesindel Die  schlechte  Form  Philiströsität  aber  ist  doch  sicher 
weniger  üblich  als  das  tlbergangene  Philiströsität;  übrigens  wird 
man  leicht  zugeben,  daß  beide  fehlen  könnten. 

Philosoph  und  Philosophie  verdienten  eine  eingehendere 
Erklärung  als  ihnen  bei  Lexer  zu  Theil  wird;  wenigstens  sollte  aus- 
drücklich an  den  eigenthümlichen  Gebrauch  erinnert  werden,  den 
diese  Wörter  etwa  seit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  erleiden. 
Dazu  genügte  schließlich  ein  Hinweis  auf  das  7.  Buch  von  Goethes 
Dichtung  und  Wahrheit,  Wke.  21,  57  (Hempel),  wo  von  dem  Gegen- 
satze des  sich  innerhalb  des  protestantischen  Theils  von  Deutschland 
und  der  Schweiz  lebhaft  regenden  sogenannten  Menschenverstandes 
einerseits  und  der  Schulphilosophie  anderseits  gesprochen  wird:  Man 
glaubtey  wenn  man  in  seinem  Kreis  richtig  wrtheile  und  handle,  sich  auch 
wohl  herausnehmen  zu  dürfen,  iiber  Anderes,  was  entfernter  lag^  mit- 
sprechen zu  dürfen.  Nach  einer  solchen  Vorstellung  war  nun  jeder  be- 
rechtiget, nicht  allein  zu  philosophieren^  sondern  sich  auch  nach  und 
nach  fWr  einen  Philosophen  zu  halten.  Die  Philosophie  war  also  ein 
^  mehr  oder  weniger  gesunder  und  geübter  Menschenverstand,  der  es  wagte 
ins  Allgemeine  zu  gehen  und  über  innere  und  äußere  Erfahrungen  abzu- 
sprechen ....  und  so  fanden  sich  zuletzt  Philosophen  in  allen  Facul- 
täten,  ja  in  allen  Ständen  und  Hantirungen.     Damit  werden  wir  in  die 


384  A.  GOMBERT 

Zeit  der  sogenannten  Popularphilosophen  geführt,  die  der  Gefahr 
nicht  entgingen  den  Begriff  der  Philosophie  zu  verflachen,  indem  sie 
gern  jede  von  den  überlieferten  Vorstellungen  freie  oder  sich  frei 
dünkende  Betrachtung  der  Dinge  als  philosophisch  bezeichneten; 
man  vergleiche  nur  in  X  J.  Engels  Philosophen  für  die  Welt  den 
Titel  des  Buches  mit  der  Mehrzahl  der  in  demselben  stehenden  Ab- 
handlungen. Goethe  selbst  bezeichnet  im  8.  Buch  a.  a.  O.  S.  99 
seinen  Gastfreund,  den  Dresdener  Schuster,  mit  gutmüthigem  Scherze 
als  praktischen  Philosophen  und  bewußtlosen  Weltweisen.  Wie  sich 
diese  Popularphilosophie  allmälig  überlebte  und  nicht  zum  wenigsten 
durch  das  absprechende  Wesen  Nicolais  an  Ansehen  verlor,  gehört 
freilich  nicht  ins  Wörterbuch,  ließe  sich  aber  auch  ohne  große  Er- 
örterung an  einigen  wohlgewählten  Beispielen  klar  machen.  Philo- 
sophaster, ein  im  18.  Jhdt.  anscheinend  nicht  seltenes  Wort,  [VgL 
Kritikaster,  Poetaster,  Theologaster,  Medicaster,  letzteres 
in  Günthers  Lebensbeschreibung  76]  (1732)  gebraucht  Job.  v.  Müller 
in  einem  Briefe  vom  12.  August  1770  (Wke.  29,  79  der  Ausg.  v. 
1831  ff.),  ferner  Wieland  Horazens  Sat.  »1,  33  (1786);  andere  Bei- 
spiele bringt  Kehrein  aus  Herder.  Verwandt  mit  dem  Philoso- 
p  ha  st  er  ist  der  Philosophant,  den  Sanders  und  Kehrein  aus 
Lichtenberg  nachweisen;  desgl.  der  Philosophist,  den  Jean  Paul 
Hesperus  281  (Hpl)  vom  Philosophen  unterscheidet  {so  viele  Phi- 
losophen und  Philosophisten).  Philosophistisieren  hat  No- 
valis 2,  177:  Das  Universalisieren  und  Philosophistisieren  eines 
speoißschen  Begriffs  oder  Bildes  ist  nichts  als  ein  Ätherisieren,  ein  Ver- 
luftigen y  Vergeistigen  eines  Specificums  oder  Individuums;  ebd.  2,  117 
auch  Philosophismus:  Philosophismus  ist  ein  höheres  Analogon 
des  Organismus;  der  Organismus  wird  durch  den  Philosophismus 
completiert  und  umgekehrt.  Philosophin.  Zu  dem  Beispiele  aus 
Zimmermanns  Einsamkeit  füge  man  ein  früheres  aus  Gellerts  Lust- 
spielen 130  (1748): 

Ihr  seid  gelehrt, 

Recht  sehr  gelehrt  in  allen  Sachen, 

Und  wolU  Ludnd&n  gern  zur  Philosophin  machen. 
Philosophenbart  bei  Wieland  Hör.  Sat.  %  73:  er  hat  natürlich 
auch  nach  Art  dieser  Leute  den  Philosophenbart  (sapientens  bar- 
bam);  vgl.  ebd.:  des  Stertinius,  eines  philosophischen  Marktschreiers, 
dem  sein  stoischer  Bart  und  Mantel  (s.  später  Philosophen- 
mantel) ...  eine  Art  von  Becht  gaben;  kürser  zu  Horaz  Sat.  1,  3, 
133:  [der  stoische  Tugendschwätzer]  hat  natürlich  auch  nach  Art  jener 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUT8CHEN  WÖRTBRBUCHE.  3g5 

Leute  dm  Philoiophenbart.  Vgl.  Friedländer  Sittengesch.  Roms  3, 
5Ö9  (1871):  ein  langer  Bart,  hinaufgezogene  Augenbrauen ,  ein  grober 
Mantel  und  bloße  Füße  seien  einem  genug  ^  um  sich  für  weise,  mannhaft 
und  gerecht  auszugeben.  Philosophenbraten:  Eine  am  Spieß  gebratene 
und  mit  Petersilie  bedeckte  Hammelbruet  ist  ebenfalls  kein  verächtliches 
Gericht:  es  ist  dies  der  sogenannte  Philosophenbraten,  La  Beyni^re 
Küchenkalender,  flbersetzt  und  herausg.  y.  Habs  (Reclam).  Philo- 
sophenkönig bei  Gregorovius  Athenais  121.  Philosophenkaiser 
bei  Friedländer  a.  a.  O.  zur  Bezeichnung  des  Kaisers  Julian.  Der 
Philosophenmantel  wird  im  Alterthum  und  dem  entsprechend 
auch  häufig  in  deutschen  Schriften  erwähnt,  theils  im  eigentlichen 
Sinne,  theils' übertragen.    Vgl.  Poesie  der  Franken  1,  215  (1730): 

Hiermit  ließ  er  die  guten  Aken 

Die  Philosophenmäntel  falten. 
Wir  finden  diesen  Ausdruck  desgleichen  in  euiom  doch  für  weitere 
Kreise  berechneten  Buche,  das  im  Jahre  1786  zu  Breslau  unter  dem 
Titel  Liebe  und  Ehe  in  der  Narrenkappe  und  im  Philosophenmantel 
erschien  (s.  Verzeichn.  des  antiq.  Bücherlagers  von  K.  Th.  Völcker 
141,  Mr.  67).  Daß  auch  in  unseren  Tagen  der  Ausdruck  als  allge- 
mein bekannt  vorausgesetzt  wird,  sehen  wir  ans  den  Grenzboten,  Jahrg. 
1887,  Nr.  52,  S.  635,  wo  eine  Abtheilung  von  Gedichten  Albert  Gehrkes 
die  zusammenfassende  Überschrift:  Im  Prophetenmantel  trägt. 
Arndt  Geist  der  Zeit  ^1,  46  (1807):  Selbst  die  Theologie  ließ  sich  so 
weit  herab,  den  Philosophenmantel  umzunehmen;  nun  ward  sie  bo" 
thört,  und  die  Philosophie  stutzte  und  zierte  und  glättete  an  ihr,  so  lange 
es  etwas  zu  stutzen^  zu  zieren  und  zu  glätten  gab.  Friedländer  a.  a.  O. 
602:  Ist  es  erforderlich ^  daß  tausend  Bänke  aufgestellt^  Zuhörer  einge- 
laden werden,  daß  du  in  eleganter  Kleidung  oder  im  schäbigen  Philo- 
sophenmänt eichen  auf  das  Katheder  trittst  und  den  Tod  Achills  be- 
schreibst f  Vgl.  ebd.  569:  Die  Gegner  ließen  es  sich  nicht  nehmen^  gerade 
auf  den  Lebenswandel  diesei*  bloßen  Bart-  und  Mantelphilosophen 
hinzuweisen^  um  die  Unfruchtbarkeit  der  Philosophie  für  sittliche  Ver- 
vollkommnung darzuthun.  Wieland  Agathen  10,  3  (Sämmtl.  Wke.  2, 
273  der  kl.  Ausg.  von  1794  ff.):  Man  mußte  Metaphysik  in  geometri- 
schen Ausdrücken  reden,  um  sich  dem  Fürsten  angenehm  zu  machen.  Man 
trug  also  am  ganzen  Hofe  keine  andere  als  philosophische  Mäntel. 
Frkf.  Gel.  Anz.  1,  147  (1772):  So  rathe  ich  keinem  Dichter,  in  dem 
Mantel  der  Philosophen  aufzutreten,  dessen  Löcher  so  vielen  ärger- 
lich an  denjenigen  sindj  die  keinen  besseren  Mantel  haben  und  ihn  aus 
Caprice  auf  einige  Stunden  von  sieh  legen,   um   zu  sehen j   wie   sie   der 


386'  A.  GOMBERT 

andere  kleidet  und  wie  weit  er  ihnen  reicht,  Philosophenbart  und 
Philosophenmantel  findet  man  auch  in  mehreren  deutsch -lat ein. 
Wörterbüchern^  wie  von  G-eorges.  Philosophenmaske  bei  Fried- 
länder a.  a.  O.  573:  dies  iequeme  und  einträgliche  Bettlerleben  j  das 
ihnen  zugleich  die  Möglichkeit  gewährte,  unter  der  Philosophenmaske 
ihren  bestialen  Neigungen  zu  fröhnen;  ebd.  561,  577  u.  oft,  übrigens 
schon  viel  frtlher,  Philosophenschule,  559:  Philosophentracht. 
Philosophensecte  bei  Seume  8,  200  (Weinlese):  Professor  und 
Verfechter  einer  Philosophensecte.  Philosophenthum  bei  Gre- 
gorovius  Athenais  80:  fakirhaftes  Mönchthum  und  das  Bettelphiloso- 
phenthum  Griechenlands, 

Phiole  wird  einfach   als   kugelförmige  Glasflasche  mit  langem 
Halse   bezeichnet.     Es   wäre  hinzuzufügen,    daß   nach   dem  heutigen 
Sprachgebrauche   das  Wort   ein   ungewöhnliches   und   vornehmes   ge- 
worden ist,  daher,  so  viel  ich  weiß,    nicht  zur  Bezeichnung  von  all- 
täglichen Gebrauchsgeräthen  verwendet  wird,    sollten    sie    auch    der 
sonst  richtig  von  Lexer  gegebenen  Begriffsbestimmung  entsprechen; 
man  versteht  vielmehr   unter    der    Phiole    die  in   der    angegebenen 
Weise    gestaltete    Glasflasche  des   Chemikers,    der  ja  dem  ge- 
wöhnlichen Sterblichen   leicht  wie  ein   Hexenmeister    erscheint,    oder 
ein  als  Heiligthum  gezeigtes   oder  kirchlichem   Gebrauche   dienendes 
Gefäß.     Hierzu    stimmen    die    von    Lexer    gegebenen    drei   Beispiele, 
denen  noch  beizufügen  wären  zunächst  die  schon  von  Kehrein  ange- 
führte Stelle  aus  Faust  2.  Theil  (Hempel,  13,  69): 
Schon  in  der  innersten  Phiole 
Erglüht  es  wie  lebendge  Kohle; 
ferner  aus  Lenaus  Faust  (S.  386  der  Gesammtausgabe  von  Barthel): 
Er  riefe  und  hatte  mit  den  Worten 
Phiolen,  Flaschen  und  Betorten 
Zerschmettert  schnell  in  tausend  Scherben. 
Diese  Scherben  heißen  zum  Überfluß  ebd.  385 

die  Splitter 
Vom  alchymist' sehen  Apparat- 
Und  wenn  Rückert  in  dem  von  Sanders  gebotenen  Beispiele^  aus  den 
Makamen  eine  Trinkflasche  als  Phiole  bezeichnet,  so  mag  dies  der 
morgenländischen  Einkleidung  zuliebe  geschehen  sein,  wird  aber  wohl 
eher  eine  durch  das  vorhergehende  Reim  wort  Viole  nahe  gelegte 
unübliche  Verwendung  des  Wortes  Phiole  sein,  wie  dergleichen  bei 
Rückert  häufig  zu  finden  ist.  Dahn,  im  Kampf  um  Rom  ^1,  277,  ver- 
wendet bei  der  Schilderung  eines  Gastmahls  und  Trinkgelages  wieder 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  387 

die  ursprüngliche  grieeh.  Form  Phiale,  ich  denke,  weil  ihm  die 
Phiole  zu  alchymistisch,  apothekerhaft  oder  kirchlich  vorkam:  Laß 
die  Amphora  hereinbringen;  dazu  die  Phialen  van  gelbem  Bernstein, 
Hedio  in  der  Übersetzung  von  Baptista  Piatinas  Papstgeschichte  32^ 
(1546)  hat  Phiel:  ein  guldin  Phiel  oder  schal. 

Phlegmatiker  und  phlegmatisch  werden  erst  aus  Kants 
Anthropologie  belegt.  Wann  ersteres  Wort  aufgekommen  ist,  weiß  ich 
nicht,  will  aber  doch  bemerken,  daß  die  lateinische  Form  phleg- 
maticus,  die  ja  noch  heute  neben  Phlegmatiker  gebraucht  wird« 
schon  von  Sim.  Roth  (1572)  als  Fremdwort  aufgenommen  und  erklärt 
ist:  ein  rotziger,  pfutziger,  tostiger  mensch.  Phlegmatisch  aber  im 
Sinne  der  alten  Anthropologie  ist  schon  im  16.  Jhdt.  ganz  gewöhn- 
lich, z.  B.  1532  bei  Fries,  Spiegel  der  Arznei  106:  von  flegmatischem 
Unwillen  [Übelkeit];  Sebiz  vom  Feldbau  233  (1580):  die  Phlegma- 
tische und  Wasserige  feuchtigkeyt,  ebd.  phlegmatische  beulen ;  aufi 
Vermischung  des  phlegmatischen  und  Biliosi  gd)lüts.  New  Distillir- 
buch  2*  u.  5^  (Fkft.  1597):  ein  rohe  ungedäwete  Flegmatische  feuchte; 
ebd.  3*:  die  Flegmatische  vngeschmackte  wässerigkeit.  Cureus  Schles. 
Chron.  übers,  v.  Rättel  2,  50  (1585):  die  Pituita  und  Flegmatische 
Materi.  Im  übertragenen  Sinne  habe  ich  mir  phlegmatisch  erst  aus 
Abbt  Liebe  zum  Vaterlande  (1761),  Vermischte  Werke  2,  47  der  Ausg. 
von  1770  angemerkt:  Wir  werden  Stützen  des  Vaterlandes  durch  unsern 
Fall,  anstatt  demselben  durch  unsere  phlegmatishe  Lage  zur  Last  zu 
gereichen, 

Phosphor  in  der  Bed.  Morgenstern  findet  sich  vor  Fr.  Müller 
bei  Uz  1,  50  (Ausg.  v,  1768): 

Wie  Phosphor  glänzt^  der  um  den  Morgenthau 

Aus  Thetis  Armen  sich  entziehet, 

Und  ans  gestirnte  BlaU 

Mit  heitrem  Lächeln  tritt  und  vom  Olymps  stehet 
In  Phosphor  wird  die  Abstammung  nicht. mehr  gefühlt,  und  so  bildet 
man  auch  Phosphorlicht: 

Dünste,  mein  Junge,  nur  Phosphorlicht, 
Vermoderte  Quallen  und  Schnecken. 

A.  V.  Droste  Hülshoff  1,  247. 
Ihr  [der  Sterne]  Phosphorlicht  wandelt  die  grünliche  Fläche  des  uner- 
meßlichen Oceans  in  ein  Feuermeer  um  Humboldt,  Ans.  der  Natur  175 
(kl.  Ausg.  V.  1871);  ebd.  139:  zahllose  Jnsecten  gössen  ihr  rdthliches 
Phosphorlicht  über  die  krautbedeokte  Erde,  ebd.  204:  ein  schwaches 
Phosphorlicht.    Vgl.  auch  in  Alfr.  Meißners  Gedicht  Venezia:    du 


388  A.  GOMBERT 

hhsser  Phosphorschimmer.  Phospborisch  wird  aus  Wielands 
Clelia  (1783)  belegt;  etwas  früher  sehen  wir  es  bei  Kant  in  Engels 
Philosophen  für  d.  Welt  2,  151  (1777):  die  Ausdünstung  des  phos- 
porisch  Sauren  f  womach  alle  Neger  stinken,  ebd.  156.  Aach  wäre 
ein  Beispiel  aus  Goethe  11,  1,  260  (Hempel)  vom  J.  1821  (Theater- 
reden) beizubringen: 

Und  unter  dem  Kopfschmuck  phosphorischer  Schlangen 
Weiß  glühen  die  Augen  und  rothbraun  die  Wangen. 
Gephosphortes  Wasserstoffgas  Humboldt,  Ans.  d.  Natur  216. 

Phrase.  Zu  den  geschraubten  Phrasen  (Platen)  wären  auch  die 
gewundenen  Phrasen  anzuführen,  z.  B.  aus  Goethe  13,  22  (Faust, 
2.  Theil);  femer  Phrasen  drehen  und  Phrasen  drechseln^  auch 
Phrasendrechsler;  die  geschwollene  Phrase^  z.  B.  bei  Geibel  Ged. 
u.  Gedenkbl.  103: 

Wann  der  Verfall  anhebt f  Wenn  die  Zeit  die  geschwollene  Phrase 
Von  des  empfundenen  Worts  Fülle  zu  scheiden  verlernt. 
Dazu   gehört   denn    die   nicht    seltene    Zusammensetzung   Phrasen- 
schwall.     Phrasen flor    Goethe   2,   382   Hempel    (Zahme   Xenien 
5.  Abth.):  So  zeiget  Lesers  düiftig  Ohr 

Mit  vielgequirltem  Phrasen- Flor. 
Von  weiteren  übergangenen  Zusammensetzungen  seien  genannt  Phra- 
sengewebe Vilmar  Litgesch.  *®444:  Noch  länger  bekannt  und  beliebt 
war  das  Phrasengewebe:  die  Fürstengruft;  Phrasenheld  Vilmar 
Schulreden  «217  (aus  d.  J.  1845);  Phrasenherrschaft  ebd.  336 
(1849):  die  Begriffs-  und  Phrasenherrschaft  hat  zu  einer  Trägheit 
und  Feigheit  geführt y  die  noch  nie  in  t^o  auffallenden  Formen  hervor- 
getreten ist^  wie  in  unserer  neuesten  Zeit;  ebd.  337  wird  der  Ausdruck 
wiederholt;  S.  335  dafür  Phrasendespotismus:  die  Begriffe  werden 
zu  Phrasen,  und  die  Begriffsherrschafi  wird  zum  Phrasendespotis- 
mus\  Phrasentausch  H.  Leo,  Gedankenspäne  115:  den  Dingen, 
vor  allen  Dingen  den  Persönlichkeiten  und  deren  Handlungen  fest  auf 
die  Nähte  zu  fühlen,  haben  wir  un^  in  diesem  öden  langweiligen  Traum- 
leben unseres  Phrasentausches,  den  wir  Unterhaltung  und  Belehrung 
nennen,  fast  ganz  entwöhnt.  Phraseologie  ist  übergangen.  Im  Jahre 
1610  gab  J.  R.  Sattler  zu  Basel  seine  Teutsche  Orthographey  und 
Phraseologey  heraus.  Seit  wann  das  Wort  auch  im  tadelnden 
Sinne  gebraucht  wird,  habe  ich  nicht  angemerkt;  ein  Beispiel  aus 
dem  Jahre  1790  gäbe  J.  G.  Müller,  Herr  Thomas  2,  379:  also  kannten 
seine  Lieder  nicht  viel  mehr  enthalten  als  Gemeinplätze  und  dbgenutzü 
erotische  Phraseologie-^  ebd.  4,  353  (1791):    er  erschöpfte  seine  ganze 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHB.       3gg 

poetische  Phraseologie.  Bekannter  ist  Platens  Vers  aus  der  Oabel 
(Werke  4^  30  der  Ausg.  von  1854):  Phraseologie,  die  im  Kopfe  mir 
blieb  aus  einem  Tragödienrührei*  Phraseologisch  steht  1719  in  Math. 
Krämers  Nider-Hoch-Teutscben  Wörterbache,  Vorrede ^  Bl.  P:  gute 
phraseologische  Dictionarien  und  ebd.  3*:  ohne  Nachtheil  der  zu 
einem  rechtschaffenen  phraseologischen  Lexico  erforderten  VoÜdändigkeit, 

Physik.  Auf  Wolframs  fisike  folgt  sogleich  ein  Beispiel  aus 
Kant,  wahrend  man  doch  einige  Belege  aus  den  zwischenliegenden 
Jahrhunderten  wünschte.  Für  das  16.  Jhdt.  wäre  auf  den  doch  häufig 
von  Lexer  angezogenen  S.  Roth  zu  verweisen:  Physie  Wissen  vnd 
kunst  oder  verstandt  der  natürlichen  dingen;  dann  etwa  auf  Pistorius 
Anatomie  Lutheri  3,  47  (1593):  Daß  Luther  ein  grober  Saw  Theologus 
ist  vnd  in  seiner  Theologia  aUzeit  semsche  Physich  vnd  stinckenden 
Mist  vndermischen  muß.  Physisch  (belegt  aus  dem  Jahre  1664)  steht 
1593  in  Seb.  Helbers  Syllabierbüchlein  16,  28;  ein  zusammenhängendes 
Beispiel  bietet  Harsdörffer  in  dem  von  ihm  verfaßten  3.  Theil  von 
D.  Schwenters  Mathematischen  und  Philosophischen  Erquickstunden 
S..  227  (1653):  Diese  Strahlen  aber  sind  keine  Mathematische  und  künst- 
Uche,  sondern  vielmehr  Physische  und  natürliche  Linien. 

Physiognomik.  Die  gegebene  umfassende  Erklärung  wird 
leider  durch  das  Beispiel  aus  Kant  getrübt,  welcher  nur  den  Menschen 
ins  Auge  faßt;  längst  aber  redet  man  doch  auch  von  einer  Physio- 
gnomik der  Qewäcbse,  wie  ja  in  Humboldts  Ansichten  der  Natur 
ein  Abschnitt  sich  als  Ideen  zu  einer  Physiognomik  der  Gewächse  be- 
zeichnet (S.  173  ff.  der  kleinen  Ausgabe  von  1871);  ebd.  155:  auf- 
fallend sind  in  aücastilischen  Idiomen  die  vielen  Ausdrücke  für  die 
Physiognomik  der  Oebirgsmassen,  für  diyenigen  ihrer  OestaÜungen, 
welche  unter  allen  Himmelsstrichen  wiederkehren  und  schon  in  weiter  Ferne 
die  Natur  des  Gesteins  offenbaren.  Neben  dem  Physiognomisten  ver- 
diente auch  der  Physiognomiker  Aufnahme;  letzteres  Wort  ist  heute 
sogar  das  üblichere*  Das  Wort  wurde  wohl  durch  Lavaters  bezügliche 
Schriften  (seit  1772  und  besonders  seit  1775)  üblich.  Vgl.  auch 
H.  P.  Sturz*  2,  205:  wir  sind  AUe,  mehr  oder  weniger,  empirische 
Physiognomiker. 

Piano  alsAdv.  (Bürger)  kommt  schon  1702  vor  bei  Tbomasius^ 
Auserlesene  Sehr.  2^  36  (Ausgabe  von  1714):  8o  lange  Fridericas  Sapiens 
und  SpcUatinus  Luthers  allzu  hitzigen  Eyfer  mit  GUmpff  swpprimierten, 
vnd  der  Churfürst  Gott  reformieren  und  alles  fein  piano  gehen  ließen, 
wenngleich  Luther*  noch  so  sehr  scholt. 


390  A.  GOMBERT 

Pi  chel  (als  G-eiferläppchen  kleiner  Kinder)  zeigt  auch  die  Weiter- 
bildung Pichelschttrze,  d.  h.  Latzschürze,  nur  daß  die  Pichel- 
schürze ebensogut  von  Erwachsenen  getragen  wird  und  in  unserer 
Zeit  überhaupt  die  gewöhnliche  Form  der  Schürzen  ist.  Das  Wort  gilt 
für  berlinisch^  gilt  aber  jetzt  auch  anderswo  und  wird  wohl  in  ganz 
Norddeutschland  yerstanden. 

Pichelei  wird  von  Lexer  mit  Sanders  nur  im  Sinne  von  Sau- 
ferei gefaßt  und  durch  eine  Stelle  aus  der  Karschin  belegt.  Ich  habe 
schon  im  Jahre  1877  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  mir  damals 
nur  aus  Sanders  bekannte  Stelle  keinen  Sinn  gäbe,  wenn  man  sie  auf 
das  Trinken  bezöge ,  daß  sie  vielmehr  auf  harte  Arbeit  ginge,  wozu 
ich  auch  picheln  =  schwer  arbeiten  aus  Butschkys  persianischem 
Rosenthal  anführte.  Genaue  Einsicht  in  die  genannte  Stelle  nimmt 
jeden  Zweifel  an  meiner  damaligen  Behauptung.  In  dem  bezüglichen 
Gedichte  (Schlesisches  Bauemgespräch,  Gedichte  von  Luise  KarschiD, 
Berlin  1792  [Titelauflage  von  1797],  S.  376—388)  schildert  Bauer  Hans 
S.  380  und  381  sein  einfaches  Tagewerk  vom  frühen  Morgen  an,  gibt 
dabei  an,  wie  seine  Frau  zuerst  das  Bette  verläßt  und  fährt  dann  fort: 
Ich  fahr  ihr  hurtig  nach,  und  bet  a  Morgen-Seegen, 
So  kurz  als  möglich  iß;  denn  unsers  Herr-Ooota  wegen 
Verwendt  man  nicht  viel  Zeit.  Verzeih  mirs  Oott!  wir  seyn 
Zum  Flegel  nur  gemacht  und  zu  den  Picheleyn, 
Der  Bauer  sagt  also  ganz  einfach,  daß  er  bei  seiner  harten  Arbeit 
keine  Zeit  zu  einer  längeren  Morgenandacht  habe ;  er  wirft  nun  einen 
Seitenblick  auf  den  Städter,  der  wohl  den  Schein  der  Frömmigkeit 
annehme,  dabei  jedoch  an  seinen  Wucher  denke,  und  kehrt  schließ- 
lich zu  sich  zurück: 

Wir  Bauersleute  thun,  was  unsre  Väter  thaten: 
Wir  beten  kurz  und  gut  und  gehn  zur  Arbeit  hin. 
Das  Mißverständniß  der  Stelle  rührt  wohl  daher,   daß  Lexer  sie  auf 
Treu  und  Glauben  aus  dem  Wörterbuche  von  Sanders  entnahm;  dar- 
auf deutet   auch  die   nach  Sanders   gegebene  Abtheilung  der  Zeilen, 
aus  der  die  Alexandriner  der  Karschin  nicht  zu  erkennen  sind. 

Pickel  in  der  Bed.  Eiterbläschen  auf  der  Haut,  Blatter 
wird  ganz  übergangen,  während  es  doch  wenigstens  in  ganz  Nord- 
deutschland ein  alltägliches  Wort  ist  und  außer  dem  Adj.  pick(e)lig 
in  mancherlei  Zusammensetzungen  auftritt.  Fontane  Wanderungen 
4,  345  erzählt  vom  alten  Schadow,  daß  zwei  in  Wachsmasse  aus- 
geführte Modellfiguren  in  der  Nähe  des  warmen  Ofens,  weil  das  Wachs 
an  der  Oberfläche   schmolz,    eine   wie  mit  Pickeln  übersäete  Haut 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUGHE.  391 

bekommen  hätten.  Ein  Taasendkünstler  will  den  Schaden  beseitigen, 
ffihrt  dies  aber  so  mangelhaft  aus^  daß  Schadow  sagt  (a.  a.  O.  346) : 
Ja,  die  Pickeln  sind  weg,  aber  die  Pelle  ooch,  Pickel  als  eine  Art 
Kraftwort  zur  Bezeichnung  eines  festen ,  seiner  Arbeit  gewachsenen 
Mannes  wird  ans  Schöpf,  tirol.  Idiot  belegt.  In  Norddeutschland  habe 
ich  diese  Anwendung  des  Wortes  nie  gehört;  daß  sie  im  Süden  auch 
außerhalb  Tirols  vorkommt,  sieht  man  aus  J.  Gotthelf,  Ges.  Sehr. 
20,  175  (Berlin  1861.  Käserei  i.  d.  Vehfr.):  Dae  ist  ein  Buch,  das  ist 
eins!  Das  muß  Einer  sein^  ders  geschrieben  haty  e  ganze  Kerli,  e  wr- 
fluchte  Pickel!  Pickelhart  wird  nur  ans  Wörterbüchern  belegt; 
vgl.  darum  Berlepsch,  Alpen  ^  407  (1871):  wenn  drunten  im  Thal  Alles 
pickelhart  gefroren  ist,  Pickelhaube.  Es  wird  richtig  angegeben, 
wie  das  Wort  allmälig  seine  Bedeutung  gewechselt  hat  und  heute 
fast  ausschließlich  den  metallbeschlagenen  und  mit  einer  Spitze  yer- 
sehenen  Helm  bezeichnet.  Man  vermißt  aber  einen  bestimmten  Hin- 
weis darauf,  daß  seit  der  Einführung  des  griechischem  Vorbilde  ent- 
lehnten mit  der  Spitze  versehenen  Helmes  durch  König  Friedrich  Wil- 
helm IV.  das  Wort  Pickelhaube  nicht  bloß  stehende  Bezeichnung 
des  preußischen  Helmes,  sondern  auch  der  preußischen  Heeres-  und 
Staatsmacht  geworden  ist.  Bei  den  Wahlen  zum  Zollparlament  (1867) 
wurde  in  süddeutschen  ultramontanen  Blättern  die  schreckliche  An- 
klage erhoben,  man  wolle  in  Berlin  ganz  Deutschland  unter  die 
Pickelhaube  bringen.  Gleichmüthiger  empfand  man  es,  daß  vor 
nicht  langer  Zeit  durch  Abschaffung  des  sogenannten  historischen 
Raupenhelmes  und  die  Einführung  des  preußischen  auch  Baiern  unter 
die  Pickelhaube  gebracht  wurde.  Für  die  von  Lexer  erwähnte  unrichtige 
Ableitung,  nach  der  man  unter  Pickel  so  viel  wie  Spitze  verstand 
und  versteht,  bietet  H.  Heine,  Deutschland^  Cap.  3,  ein  bezeichnendes 
Beispiel : 

Nicht  übel  gefiel  mir  das  neue  Kostüm  Ja,  ja^  der  Helm  gefällt  mir^  er  zeugt 
Der  Reiter,  das  muß  ich  loben^  Vom  allerhöchsten  Witze! 

Besonders  die  Pickelhaube,   den     Ein  königlicher  Einfall  loars! 

Es  fehlt  nicht  die  Pointe,  die  Spitze! 


Mit  der  stählernen  Spitze  nach  oben. 
Nach  dem  Gesagten  bedeutet  Pickelhaube  natürlich  auch  den  Helm 
der  preußischen  Polizei  und  den  Polizeibeamten  selber;  vgl.  Raabe, 
Deutscher  Adel  in  Westermanns  Monatsheften,  Dez.  1878,  S.  311*: 
Ist  das  eine  Polizei!  Keine  Pickelhaube  zu  sehen,  so  weit  das  Auge 
und  der  Tumult  reicht.  Pickelstein  wird  als  gefrorner  Erden- 
kloß  bezeichnet;    besser  ist  die  Erklärung  Jahns  1,  536:   Erde,   die 


392  ^'  OOMBERT 

tteinhart  mit  seharfen  SpiUen  gefroren  ist.  Übrigens  gebrancht  man 
das  Wort,  wie  Danneil  an  der  von  Lexer  angesogenen  Stelle  bemerkt, 
kaum  anders  als  in  der  Wendung:  es  friert  Pickehteine.  Vgl.  Jahn 
l,  478:  Biermährte  ißt  man  in  den  Hundetagen;  wenn  es  Pickeleteine 
friert^  kann  man  sie  nicht  gebrauchen.  Pickelstock  wird  nur  im 
Sinne  von  Pickel  =  Spitzhacke  aus  Rttdlein  beigebracht,  be- 
deutet aber  auch  den  mit  metallener  Spitse  versehenen  Wanderstock; 
ygl  Hoffmann  y.  Fallersleben  Oed.^  298: 
Ein  Paar  gute  Sohlen  Ein  Paar  weite  Hosen 

Und  ein  heiler  Rocky  Und  ein  Pickelstock^ 

Dichtes  Wachstuch  tiberm  Hut 
Ist  in  Wind  und  Wetter  gut. 

Picker  steht  bei  Lexer  nur  im  Sinne  von  Picke nar heiter 
und  von  dem  Vogel  Steinhauer  oder  Steinpicker.  Schottel  jedoch 
334^  führt  den  Pick  er  an  als  denjenigen,  der  seinen  Nutz  von  eines 
Anderen  Abgang  und  Schaden  suchet,  und  ebenda:  Pikken ,  abpikken 
das  ist  jhm  vortheilhaßig  zuheimschen.  Pieken  ist  in  Norddeutschland, 
besonders  im  Brandenburgischen,  das  gewöhnliche  Haus-  und  Kinder- 
wort fOr  stechen  (nd.  peken)  und  wird  von  picken  beatimmt 
unterschieden.  Floh  und  Nadel  pieken;  letztere  heißt  daher  auch  in 
der  Kindersprache  die  Pieknadel ,  so  daß  diese  Bezeichnung  nicht 
etwa  auf  die  Stecknadel  beschrllnkt  ist.  Vgl.  auch  Kopisch,  Oes. 
Sehr.  2,  231: 

Wird  dir  bei  Nacht  die  Ruhe  geraubt  durch  hüpfender  Flöhe 
Piekende  Schar  und  sanft  anschleichende  Wans^n. 
Piekentief  (übergangen)  führt  Campe  nach  Frisch  2,  59^  als  gleich- 
bedeutend mit  zwei  Klafter  tief  an.    Denselben  Sinn  hat  offenbar 
das  in  Bessers  Schriften  1,  198  der  Ausgabe  von  1732  vorkommende 
Picken-hoch: 

Bey  Landen  hat  es  Carln,  o  strenge  Schlacht  bey  Landen! 

Viel  eher  an  Oesckütz,  als  Gegenwehr  gefehlt, 

Der  mit  dem  Degen  nur,  als  mehr  kein  Kraut  vorhanden^ 

Die  Feinde  Picken-hoch  dem  Tode  zugezehlt. 
Erwähnt  sei  auch  das  aus  dem  Osten  Deutschlands  weiter  gedrungene 
piekfein  (auch  pick  fein),  das  im  Munde  von  Handlungsreisenden 
und  sonst  in  gewöhnlicher  Rede  eine  sehr  übliche  Verstärkung  von 
fein  bedeutet.  Es  hängt  schwerlich  mit  der  Pieke  oder  Spitze  za- 
sanmien  (obgleich  es  auch  ein  nadelfein,  nähnadelfein  gibt); 
der  erste  Theil  wird  das  polnische  pi^kny  (=  schön)  sein,  so  daß 
piekfein  denselben  Begriff  doppelt  ausdrückt,  vgl.  Guerillakrieg 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  393 

und  ähnliche  Bildungen.  Dem  piekfein  ganz  nahe  steht  wienerisch 
pieksüß  (picksüß);  vglJ  Pötzl,  Rund  um  den  Stephansthurm  111 
(Reclam,  Universalbibl.  2411,  2412)'.  der  Vogel  singt  Ihna,  daß  d'Leut 
auf  der  Gass'n  stehen  hleiVn.  Aufn  ganzen  Grund  nennens'n  nur  'spick- 
süße  Höhel.  [Nach  Pötzl  ein  Dialectwort  für  die  Clarinette]  An  den 
ebenfalls  übergangenen  Piekschlitten  will  ich  hier  nur  erinnern, 
um  das  Wort  als  ein  allgemein  norddeutsches  in  Anspruch  zu  nehmen, 
das  auch  Sanders  verzeichnet,  während  die  Anführung  bei  Frischbier 
den  Gedanken  erwecken  könnte,  als  sei  es  auf  die  Provinz  Preußen 
beschränkt. 

Piepbock  (eigentlich  piepender  Bock)  als  passende  Bezeich- 
nung des  Dudelsacks  oder  der  Sackpfeife  finde  ich  nur  bei 
Sachs- Villatte  2,  1327^  während  das  Wort  doch  wohl  in  weiten  Stri- 
chen Norddeutschlands  nicht  bloß  volksmäßig  (nd.  in  der  Form 
Pibuck)  für  Dudelsack,  sondern  auch  verächtlich  für  andere  Ton- 
geräthe,  so  insbesondere  für  ein  schlechtes  sog.  Positiv  gebraucht 
wird.  Adelung,  Campe,  Heyse  bringen  für  Sackpfeife  die  Bezeichnung 
Piepsack.  Der  Piep  bock  erscheint  selten  in  Druckwerken;  einen 
Beleg  bietet  die  Schles.  Zeitung  vom  23.  October  1885,  Nr.  743  in 
einem  von  einem  Ungenannten  aus  dem  Französischen  übersetzten 
Roman:  Der  Dudelsackpfeifer  gab,  seinen  Pipbock  aufblasend,  das 
Zeichen  zum  Aufbruch, 

Piephahn  kommt  in  der  ersten  von  Lexer  angegebenen  Be- 
deutung kaum  noch  vor,  desto  mehr  norddeutsch  in  der  zweiten, 
und  darum  wird  das  Wort  überhaupt  in  anständiger  Rede  ganz  ge- 
mieden. Ein  Beispiel  für  die  erste  Bedeutung  bietet  Joh.  Helwig, 
Nymphe  Noris  bei  Gödeke  Elf  Bücher  deutscher  Dichtung  1,  348^: 
es  gottert  und  klettert  und  schlottert 
Der  Piphan  für  Stoliz. 
IVIit  dem  P.  ist  hier  nach  den  lautmalenden  Zeitwörtern  der  Truthahn 
gemeint;  man  vergleiche  auch  das  von  Lexer  nicht  verzeichnete  Wort 
riephenne  bei  Harsdörffer,  Frauenz.fGespr.  5,  469  (1645):  Daher 
hat  jener  eine  Pipphenne,  deme  [lies  der]  eine  Band  ein  rothes  Tuch 
vorhält^  in  einem  Sinnbild  vorgeführt  mit  diesen  Worten:  der  Wahn  be- 
trügt Weil  besagter  Vogel  über  die  rothe  Farbe,  die  ihn  doch  nicht  be- 
leidiget, zömet  Piepmatz  wird  nur  aus  Albrechts  Buch  über  die 
Leipziger  Mundart  beigebracht,  ist  aber,  so  weit  meine  Kenntniß 
reicht,  überall  in  Norddeutschland  Bezeichnung  eines  kleinen  Vogels 
(in  Berlin  insbesondere  des  Haussperlings)  oder  eines  kleinen ,  ängst- 
lichen oder  weinerlichen  Kindes,  das  man  ja  auch  Vög eichen  nennt. 

GEKIfANIA.    Neno  Beib«  IIU.  (XXXIY.)  Jahrg.  26 


394  A.  GOMBERT 

Piepmeier  (übergangen)  war  in  den  Jahren  1848 — 1*850  ein  häufig 
gebrauchter  Ausdruck  zur  Bezeichnung  einer  Art  von  ängstlichen  und 
unentschlossenen  Politikern,  die  indessen  das  lebhafte  Bedürfniß  hatten, 
sich  bei  jeder  Gelegenheit  mit  ihrer  Meinung  hören  zu  lassen. 
Vgl.  Jahn  2,  1061  in  einem  Briefe  vom  20.  März  1849:  Nun  gibt 
es  noch  Leute,  man  nennt  sie  Piepmeiers,  wahre  Prachtkerle,  die  des 
Abends  mit  einer  anderen  Meinung  zu  Bette  gehen  und  des  Morgens  mit 
einer  anderen  zum  Vorj<chein  kommen.  Man  bildete  auch  weiter  Piep- 
meierei und  Piepmeier thum.  Ein  Beispiel  für  ersteres  bietet  Bis- 
marck  in  seinem  Petersburger  Schreiben  vom  12.  Mai  1859  an  den 
Minister  von  Schleinitz,  abgedruckt  bei  Hahn,  Fürst  Bismarck  1,  52: 
Es  ist  so  weit  gekommen,  daß  kaum  noch  unter  dem  Mantel  allgemeiner 
deutscher  Gesinnung  ein  preußisches  Blatt  sich  zu  preußincliem  Patriotismus 
zu  bekenne?!  wagt  Die  allgemeine  Piepmeierei  spielt  dabei  eine  große 
Bolle,  nicht  minder  die  Zwanziger^  die  Osterreich  zu  diesem  Zwecke  nie- 
mals fehlen.  Bei  Sachs- Villatte  wird  Piepmeier  verzeichnet  und 
durch  Prudhomme  wiedergegeben.  Piepstückel  (übergangen) 
steht  bei  Rumohr,  Geist  der  Kochkunst  (Reclam):  Brüste  von  großem 
Geflügel,  ah  indianischen  Hühneim  {KaUkuten,  Kühnen  oder  Piepstückeln) 
. .  gerathen  voi^üglich  am  Baumelspieß  wie  auf  dem  Roste.  Auch  Campe, 
Heyse,  Sanders  und  Sachs -Villatte  im  Encykl.  Wb.  führen  Piep- 
stückel in  der  Bedeutung  von  Pute(r)  auf.  Daß  Piepvogel  auch 
den  preußischen  rothen  Adlerorden  bedeutet,  brauchte  kaum  aus 
Albrecht  belegt  zu  werden,  da  doch  die  Bezeichnung  unzweifelhaft 
nicht  aus  Sachsen,  sondern  aus  Preußen,  bez.  aus  Berlin  stammt. 
Im  Übrigen  ist  sie  mehr  gemüthlich  als  spöttisch  zu  fassen.  Der 
Brandenburger  verbirgt  gern  seine  Neigung  und  selbst  Verehrung  für 
Dinge  wie  Personen  unter  einer  dem  Fremden  achtungswidrig  oder 
spöttisch  klingenden  Bezeichnung,  und  so  nennt  dort  gelegentlich 
auch  der  unbedingteste  Anhänger  des  Preußen-  und  Hohenzollernthums 
den  bewußten  Orden,  den  er  stolz  als  wohlerworbenen  trägt,  einen 
Piepvogel. 

Pieraas  (Regenwurm)  wird  in  der  Berliner  Volkssprache  und 
auch  sonst  im  Brandenburgischen  in  Pieresel  verwandelt;  in  der 
Ukermark  ist  die  stehende  Bezeichnung  Pieratz,  auch  Pieratze, 
pl.  Pieratzen,  was  mit  der  von  Frischbier  verzeichneten  Angabe 
des  Westpreußen  Treichel  übereinstimmt. 

Pietät  wird  erst  aus  Goethe  belegt,  während  es  doch  schon 
Sim.  Roth  M  7*  (1572)  als  ein  gebräuchliches  Fremdwort  aufnimmt. 
Bietet  vnd  Pietantz  Trewe   pflicht,    lieb  vnd  gehorsam,   fürnemblich 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBÜCHE.  395 

gegen  Gott,  darnach  gegen  Vatter  vnd  Mütter,  Kinder  vnd  Gefreunden, 
Gottsforcht^  warei*  Gottsdienst.  Vgl.  auch  Micrälius^  Vorrede  zum 
ersten  Buche  Vom  alten  Pommerlande:  meine  pietcet  gegen  vnser  all- 
gemeines Vaterland'^  Philander  6,  65  (Frankfurt  1646,  Itinerarium) : 
so  vnerhörte  kindliche  pietet  vnd  Trewe.  Einer  Dichterstelle  für  das 
Fremdwort  bedurfte  es  eigentlich  nicht;  die  einzige  gegebene,  aus 
Heinrich  Heines  letzten  Gedichten,  ist  höchst  unglücklich  gewählt. 
Sie  lautet:  Der  Deutsche  wird  die  Majestät 

Behandeln  stets  mit  Pietät,* 
Für  denjenigen  nämlich,  welcher,  unbekannt  mit  Heine,  sie  ernst 
nimmt,  klingt  sie  ziemlich  nichtssagend;  wer  aber  Heine  kennt,  weiß, 
daß  wenige  Zeilen  darauf  diese  Pietät  darauf  hinausläuft,  einst  den 
deutschen  Monarchen  in  sechsspänniger  Hofcarosse  auf  den  Richtplatz 
zu  kutschieren  und  ^unterthänigst  zu  (juillotiniereu  .  Das  ist  nicht  mehr 
gemüthliches  Scherzen,  wie  wir  es  vorhin  beim  Piepvogel  sahen; 
das  ist  herzlos  grinsende  Frechheit,  über  welche  Lexer  sicher  genau 
so  denkt  wie  ich.  Ihm  also  mache  ich  wegen  dieser  Stelle  keinen 
Vorwurf;  es  ist  ja  unmöglich,  bei  der  für  jedes  Heft  des  Wb.  sich 
ergebenden  Arbeit  mit  vielen  tausend  Belegen  jeden  derselben  nach 
seinem  Zusammenhange  zu  kennen  und  darnach  über  Aufnahme  oder 
Übergehung  stets  mit  unanfechtbarem  Urtheil  zu  entscheiden.  Eher 
nehme  ich  Anstoß  daran,  daü  die  seit  Jahrzehnten  so  häufig  ge- 
brauchten und  fast  zu  Modewörtern  gewordenen  Ausdrücke  pietät- 
los, Pietätlosigkeit,  pietät(s)  voll  übergangen  sind.  Von  Zu- 
sammensetzungen vermisse  ich  vorzugsweise  Pietätspflicht  und 
Pietätsrticksicht;  vgl.  G.  Baur,  Grundzüge  der  Erziehungslehre* 
XIX  (Vorrede):  ich  empfinde  eine  gewisse  Pietätspf licht  gegen  die 
ursprünglichen  Grundzüge  einer  Jugendschmft^  G.  Curtius,  Rede  auf 
Friedrich  VII.  von  Dänemark  (1861)  bei  P.  Cauer,  Deutsches  Lesebuch 
für  Prima  376:  Man  ist  es  gewohnt  geworden^  die  Pflichten y  welche  in 
dem  Gebote  y  du  sollst  deinen  Vater  und  deine  Mutter  ehren  ^  begriffen 
nnd,  als  die  ausschließlichen  Pietätspflichten  zu  betrachten^  Palmer, 
Evang.  Pädagogik'*  651  (1855):  daß  eine  aufrichtige  Geschichtsdar- 
Stellung  aus  Pietätsiilcksichten  oft  unmöglich  werde  (angeführt  aus 
Ourtmann,  Lehrbuch  der  Pädagogik).  Pietist.  Aus  Gervinus  ist  die 
Angabe  aufgenommen,  daß  die  Bezeichnung  Pietist  zuerst  1689  in 
Leipzig  in  Umlauf  gekommen  sei,  während  doch  schon  Weigand  2,  350 
ausdrücklich  unter  Bezugnahme  auf  Ph.  J.  Spener  den  Frankfurter 
Ursprung  des  Wortes  seit  1674  behauptet.  Mir  sind  Speners  Schriften 
nicht  zur  Hand,  so  daß  ich  die  Wahrheit  von  Weigands  Angabe  nicht 

26* 


396     A.  GOMBERT,  BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖBTERBUCBE. 

erweisen  kann;  Spener  aber  gebraucht  den  Ausdruck  in  einem  Briefe 
aus  dem  Jahre  1680,   mitgetheilt  bei  Wackernagel,  Leseb.  S,  1,  954 
als    einen    damals    schon    üblichen:    Was  zwar  die  Namen  der  neuen 
Christen,   pietisten    und   dergleichen   anlangt,  ...  hoffe  ich  nichts    daß 
jemand  von  uns  oder  von  unseren  hekanten  freunden  solchen  jemahl  von 
sich  selbst  werde  gebraiLcht  haben ,  . . .  sondern  solche  nahmen  sind  von 
den  iciedetnch-gesinnten  und  übel-wollenden  uns  zum  schimpff  auffgebracht 
worden.  Man  bildete  im  Anfange  des  18.  Jhdts.  auch,  doch  wohl  nur 
vereinzelt,   das  Wort  Impietist,    vgl  Neukirchs  Sammlung  4,  200: 
Die  Frommen  weiß  ich  wohl,  ich  kenne  deines  gleichen. 
Wo  lehr  und  leben  stets  in  gleicher  waage  gehn^ 
Da  wohl  vor  diesem  rühm  der  gröste  teil  muß  welchen, 
Und  manch  impietist  beschämt  zurücke  stehn. 
Pietistisch    (belegt   aus    Nicolais    Sebaldus   Nothanker)    wird    bald 
nach  Pietist  entstanden  sein;  einen  Beleg  aus  dem  Jahre  1698  haben 
wir  bei  Leibniz,  Deutsche  Schriften,  herausgeg.  von  Guhrauer  2,  80 
(Brief  an  Jablonski):    weil  man  es  nicht  nur  als  einen  Pietistischen 
Streich,    sondern   auch  gar  als   eine  Oppression   der  Evangelischen  auf- 
nehmen wil/rde, 

(Fortsetzung  und  Schluß  folgt.) 
GROSS-STRELITZ.  A.  GOMBERT 


Zu  S.  370. 


Auch  V.  Bahder  verweist  mich  auf  Helbers  Litteraturbücblein ,  sowie 
auf  Literaturblatt  1888 ,  Sp.  340,  wo  er  es  ausgesprochen,  daß  in  dem 
Dialect  Ulrichs  von  Liechtenstein  der  Zusammenfall  von  iu  und  ü  nicht 
eingetreten. 

Mittheilungen. 

Professor  Dr.  Fr.  Vogt  in  Kiel  ist  als  Nachfolger  Weinbold's  nach 
Breslau  berufen;  Yogt's  Nachfolger  in  Kiel  wird  0.  Erdmann,  bis  jetzt 
in  Breslau. 

An  die  neu  gegründete  Universität  in  Freiburg  i.  S.  sind  berufen 
Dr.  Fr.  Jostes  in  Münster  und  Dr.  W.  Streitberg,  der  sich  eben  erst 
in  Leipzig  habilitiert. 

Dr.  A.  Hauffen  hat  sich  an  der  deutschen  Universität  in  Prag  für 
deutsche  Sprache  und  Literatur  habilitiert. 


gjSjjiiyi:»!^^^ 


[Classikep^usgalien 


^ 


WIea* 


1^ 


iiSi 


Taciti  Germania.    Ed.   Ig.  P  ramm  er.    Adiecta    est   tabnla,    qua    Germaniae 
antiquae  situs  describitur.     geh.  M.  — *50. 

P.  Virgilii  Maronis  Aeneidos   epitome.    Accedit  ex  GeorgicU  et  Bncolicis 
deloctos.     Scholarum  in  usam  ed.  Em.  Ho  ff  mann.     geh.  M.     1*30. 

p^  Diese  Sammlung^  griechischer  und  lateinischer  Classiker  wird 

fortgesetzt.  ""^C 


_^^^JVjer]agjv^^  Sohn  in  Wien. 

Alt-Wion  in  Bild  und  Wort.  Heransgegeben  vom  Wiener  Alterthums 
verein  und  von  der  ßedaction  des  „lUustrirten  Wiener  Extrablatt" 
Redigirt    voil '  Dr.    Alb.  Ilg.'    Lieferung  f,  II,    III  und  IV.     Folio 

k  M.  2.20. 

Berichte  und  Mittheilungen  des  Aiterthumsvereines  zu  Wien.  Bd.  xy< 

Mit  vielen  Tafeln  und  in  den  Text  gedruckten  Holzschnittent  gr.  4" 
[XVIII.  200  S.]  1875.  M.  18.- 

Bd.  XVI.  4^  [XVI.  3Ö  S.]   und  Plan   der   Stadt  Wien.     1876 

M.   18.- 

, Bd.  XVIII.  40.  [XXX.  170  S.]  1879.  M.  10.— 

Bd.  XIX.  4«.  [XVII.  137  S.]  1880.  M.  16.— 

Bd.  XX.  4«.  [xvni.  151  S.]  1881.^  M.  16." 

Bd.  XXI.  40.  [XVm.  162  S.]  1882.'  M.  16.— 

Bd.  XXII.  4^  [XX  219  S.]  1883.  M.   16.— 

Bd.  XXIII.  1.  Hälfte.  4^  [76  S.]  1884.  M.     8.- 

Bd.  XXm.  2.  Hälfte.  4^  [XIV.  70  S.]  1884.    '        M.     8.— 

Die  früheren  Bände  der  Berichte  und  Mittheilnngen  des  Alterthums 
Vereines  sind  jetzt  ebenfalls  durch  uns  zu  beziehen;  Band  I.,  IV., 
VIII.,  X.  und  XVII.  sind  vergriffen. 

Germania.  Vierteljahrsschrlft  für  deutsche  Alterthumskunde.  Begründet 
von  Franz  Pfeiffer,  fortgesetzt  von  Karl  Bartsch.  VI. — XXII. 
Jahrg.    1861—1877  je  4  Hefte  jetzt  k  Jahrg.  M.     8.—. 

XXin.  —  XXXni.  Jahrg.  1878  —  1888  je  4  Hefte 

k  Jahrg.  M.  15. — . 

NeUWirth,  Dr.  Jos.,  die  Satzungen  des  Begensburger  Steinmetzentages 
im  Jahre  1459  auf  Grund  der  Klagenfurter  Steinmetzen-  und 
Maurerordnung  von   1628.  4  Bogen  gr.  8".  M.  2. — . 


INHALT. 


Seite 
Norddeutsche  und  süddeutsohe  Heldensage  und  die  älteste  Gestalt  der 

Nibelungensage.    Von  W.  Golther 266 

Zur  Freckenhorster  Heberolle.    Von  Franz  Jostes     .      .  .  .  297 

Über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Suchenwirt-Handscfiriften.    (Forts.) 

Von  Franz  Kratochwil  ...;.., 308 

Bibliographie  der  Uhland-Litteratnr.    Von  Ludwig  FrSnkel       .      .      .  345 

Ein  Brief.    Von  O.  Brenfier .   369 

Zu  mhd.  ttf  und  M.    Von  O.  Behaghel  ..........  870 

Bemerkungen  zum  deutschen  Wörterbuche  (Forta.).    Von  A.  Gombert  871 

Zu  S.  370.    Von  O.  B 396 

Mittheilungen 396 


Buchdruckerei  von  Carl  Gerold's  Sohn  in  Wien. 


GERMANIA. 


VIERTELJAHRSSCHRIFT 


FÜR 

J)BÜT8CHE  ALTERTHÜMSKÜNDE. 


BEGRÜNDET   VON   FRANZ    PPEl'FFER.i 


FORTGEftETZT  VON  KARL  BARTSCH. 


JETZT  HJifiADBaEOEBEM 


OTTO   BEHAGHEL. 


VIERUNDDREISSIGSTER  JAHRGANG. 

'  NEUE  REIHE  ZWEIUNDZWANZIOSTER  JAHRGANQ. 

YIERTES  HEFT. 


WIEN. 

VERLAG  VON  CARL  G£ROLD*S  SOHl^ 

1889. 


OerÖLd^acht^  ^l^^^P^ 


Classikep4usgabBB 


:ia£;T   wie^^_|iiilB| 


Caesaris  Commentarii  de  bello  gallico.  Iterum  recogn.  Ed.  Em.  Ho  ff  mann. 

167,  Bogen,    cart.  *         ^  *  ;  M.     1-60. 
de  bello  civil!.     Accedunt    comment.    de    bello    Alexandrino,    Africano« 

Hispaniensi.  Iterum  recogn.  Em.  Hoffmann.  20  Bog^.  oart.     M.     l'BQ. 
Ciceroni8  in  L.  Catilinam  oratlones  quattuor.  Ed.  AI.  Korniuer.  Mit  Index 

nom.  57^  Bogen,  cart  *  M.  — '70. . 
CatO    maior    de    senectute.      Ed.  *A1.    Komitzer.  *  Mit    Index*    nom. 

37j  Bogen,    cart.  •  M.  -^'60. 

Laellus  de  amicitia.  Ed.  AI.  Komitzer.  Mit  Index  nom.  372  Bogen.  <Sart.* 

*  M.  -=--60. 
—  —  Orationes   pro  T.  Annio   Milone,   pro  Q.  Ligario,  pro  rege  Deiotaro. 

Ed.  AI.  Komitzer.  Mit  Index  nom.     77^  Bogen,     cart.  M.  — ;90. 

-^  T-  pro  Sex.  Roscio  Amerino  Oratio.  Ed.  AI.  Komitzer.  Mit  fndex  nom. 

47,  Bogen,     cart.    '  ,  M.  —-70. 

de  ofRciis  libri  tres.  Ed.  AI.  Komitzer.  Mitlpdexnom.  13  Bog^n.  carfc. 

4  M.     1-20. 
in  C.  Verrem  accusationis  über  quartus.    Ed.  AI.  Kornit^er.    Mit 

Index  nom.     874  Bogen,     cart  ^  M.  — "^O. 
in  C.  Verrem  accusationis  über  quintus.  Ed.  AI,  Komitzer.,  Mit 

Indiex  nom.  8  Bogen,  cart.  M.  —'90. 

^ Oratifl  de   imperia  Cn.  Pompei,  -^d.  AI.  Komitzer.     Mit  Indei^    nom.' 

♦       37,  Bogen,     cart.,  M.  — -60. 
Oratiapro  Si^Suilßi^proA.'Llcinio  Archia  poeta.  Ed.vAl.  Komitzer.  Mit 

Index  nom.    ^7^   Bogen,     cart.  "  M.  -^'80. 
Oratio  pro  Phiiippica  secunda.    Ed.  AI.  Komitzer.     Mit  Index  nom. 

47^  Bogen,    cart.  M.  —•70. 

Cornelii  Nepotis  vitae  selectae.   Ed.  Rad.  Bitschofsky.  Adiecta  est  tabula. 

7  Bogen,     cart.  M.  — '80. 

Herodoti  de  bello  persico  librorum  epltome.  Ed.  Fr.  Lauczizky.  Adiunctae 

sunt  libr.  I — IV  partes  selectae.     21 74  Bogen,     cart.  M.     1'90. 

Homeri   lliadis    epltome.     Ed.    Aug.    Seh  ein  dl  er.     Pars    prior    Iliadis    I — X. 

12  Bogen,     cart  M.     I'IO. 
Ed.  Aug.    Scheindler.     Pars   altera   Iliadis  XI— XXIV.     17 7^  Bogen. 

cart.  M.    1^50. 

Llvil,  T.,    ab  urbe   condita   librorum   partes  selectae.    Ed.  C.  J.  Grysar. 

Becogn.  B.  Bitschofsky.  Mit  Index  nom.  u.  4  Karten.  2574  Bogen,  cart. 

M.  2-—. 
P.  Ovidii    Nasonis  carmina  selecta.     Ed.  C.  J.  Grysar.    Recognovit  et  aukit 

Carolus  Ziwsa.    20  Bogen,     cart.  M.     1.50. 

Piatons  Laches.  Iterum  ed.  Ed.  Jahn.     8  Bogen,    /cart.  M.     1.10. 

Saliusti  Crlspl  bellum  Catlllnae. Ed. Phil.!Klimscha.  37,  Bogen,  cart.  M.  —.60. 

bellum  lugurthlnum.  Ed.  Phil.  Klimscha.    8  Bogen,    cart.      M.  — .60. 

Tacltl   ab  excessu  divi  AugustI  librl»  qui  supersunt.    Ed.  Ig.  P  ramm  er. 

Pars  prior  libri  I— VI.    I874  Bogen,    cart  M.     1'80. 

Ed.   Ig.  Pra^nmer.     Pars  posterior  libri  XI — XVI.     20  Bogen,     cart. 

M.     1-80. 
•- Germania.    Ed.   Ig.  P  ramm  er.    Adiecta   est    tabiila,    qua    Germaniae 

antiquae  situs  tdescribitur.     3  Bogen,    cart.  M.  —  *60. 

P.  Virgllii  Maronis  Aeneldos   epitome.    Accedit  ex  Georgicis  et  Bucolicis 

delectus.  ScHolarum  in  usum  ed.  Em.  Ho  ff  mann.  17  Bogen,  cart.  M.     1 .40. 


Diese  Sammlung  wird  fortgesetzt. 


ZUR  KUNENLEHRE. 


Das  neueste  Werk  über  Runen  ist  dasjenige  von  Ludv.  F.  A. 
Wiinmer,  dänische  Runeskriftens  oprindelse  etc.^  1874 ^  und  deutsch: 
Die  Runenschrift  etc.,  übersetzt  von  Dr.  F.  Holthausen,  Berlin  1887. 
Die  Runenschrift  ist  hier  genau  und  ausführlich  behandelt,  Ursprung 
und  Entwickelung  des  Runenalphabets  wird  überzeugend  dargelegt 
und  an  der  Hand  vieler  Abbildungen  die  Erklärung  und  chrono- 
logische Bestimmung  der  Runenschrift-Denkmäler  gegeben.  Aber  mit 
dem  Titel:  „Die  Runenschrift^  ist  diesem  Werke  auch  die  Grenze 
gesteckt. 

Über  ein  anderes  Gebiet  der  Runenlehre  hat  schon  W.  Grimm, 
„Über  deutsche  Runen",  Anhang  II,  S.  296—320  unter  der  Über- 
schrift „Weissagung  aus  Baumzweigen"  wichtige  Winke  gegeben; 
besonders  aber  gebührt  Liliencron  und  Müllenhoff  das  Verdienst,  hier 
tiefer  eingedrungen  zu  sein  und  die  mystische  Bedeutung  der  Runen 
in  den  Vordergrund  geBtellt  zu  haben  in  den  zwei  Abhandlungen  zur 
Runenlebre  im  XVI.  Berichte  der  Schleswig-Holstein-Lauenburgischen 
Gesellschaft  etc.  1852. 

Jedoch  auch  von  ihnen  ist  nur  die  Hälfte  eines  Feldes  bebaut; 
neben  den  mystischen  Zeichen  nehmen  die  persönlichen  einen  bedeuten- 
den Rang  und  Raum  ein.  Über  diese  ist  bis  jetzt  wohl  das  Beste  die 
Abhandlung  von  Dr.  A.  L.  J.  Michelsen,  Die  Hausmarke.  Jena  1853. 

Alle  drei  Gebiete,  Runenschrift^  mystische  Zeichen  und  Haus- 
marken unserer  Vorfahren  von  einem  einheitlichen  Gesichtspunkte 
aufzufassen  und  gegenseitige  Beziehungen  derselben  aufzudecken,  ist 
der  Zweck  der  folgenden  Arbeit 

So  einleuchtend  auch  Wimmer  das  Runenalphabet  aus  dem 
lateinischen  hergeleitet  hat,  so  läßt  er  die  selbständigen  Eigenthümlich- 
keiten  desselben,  auf  die  er  S.  140 — 143  kurz  eingeht,  doch  so  ziemlich 
auf  der  Seite  liegen.  Es  sind  1.  die  abweichende  Gestalt  mancher 
Zeichen,  2.  ihre  die  bloße  Lautbezeichnung  überragende  Function, 
3.  die  abweichende  Ordnung  des  Futhorks,  4.  die  deutschen  Namen 
der  Buchstaben.  Diese  Eigenthümlichkeiten  treten  schon  in  den  älteren 
Runeudenkmätom  zu  Tage  und  haben  sich  im  Ganzen  so  einhdtlicb, 

GSKMANI^.    N«a«  OeUie  IUI.  (XXXIY.)  Jftkry.  27 


398  F.  LOSCH 

im  Einzelnen  so  organisch-mannigfaltig  bei  den  verschiedenen  deut- 
schen Völkern  entwickelt ,  daß  nach  dieser  Seite  hin  die  Annahme 
einer  willkürlichen  Umgestaltung  des  lateinischen  Alphabets  von  Seiten 
eines  Erfinders  der  Runenschrift  verfehlt  ist.  Denn  weder  im  lateini- 
schen Alphabet,  noch  in  der  deutschen  Sprache,  noch  in  der  geringen 
Anwendung  der  Runenschrift  zu  kurzen  und  litterarisch  unbedeuten- 
den Inschriften  läßt  sich  ein  zwingender  oder  auch  nur  hinreichender 
Qrund  für  eine  so  durchgreifende,  planmäßige  Umgestaltung  des  ent- 
lehnten Alphabets  nachweisen.  Der  zureichende  Grund  muß  deshalb 
in  einer  bestimmten  Richtung  gesucht  werden.  Diesen  Weg  haben 
Liiiencron  und  Müllenhoff  eingeschlagen.  Ersterer  sagt  in  der  oben- 
genannten Abhandlung  S.  17:  ^  Alle  Runenschriftsteller  seit  dem  Mittel- 
alter sind  darüber  einig,  daß  es  eine  eigene  Classe  der  Runen  gab, 
welche  zum  Schreiben,  d.  h.  zum  buchstabiereniien  Zusammensetzen 
der  Worte  aus  ihren  Lautbestandtheilen  gebraucht  werden.  Man  pflegt 
sie  Malrunen  zu  nennen.  —  Wenn  sie  also  zum  Schreiben  dienten, 
so  ward  mithin  mit  anderen  Runen,  welchen  sie  entgegengesetzt  sind, 
nicht  geschrieben.  Diese  Folgerung  ist  so  bescheiden,  daß  Niemand 
widersprechen  wird;  und  dennoch  ist  sie  nirgends  gehörig  festgehalten. 
Jene  eine  Art  bildet  ein  Runenalphabet  in  unserem  heutigen  Sinn, 
die  andere  eine  Reihe  von  —  sagen  wir  getrost  mystischen  Zeichen.^ 
Es  wird  auch  zugegeben  werden,  daß  der  Gebrauch  mystischer  Zei- 
chen nicht  vom  lateinischen  Alphabet  abzuleiten  ist,  und  doch  hat 
die  Rune  diesen  Sinn  in  erster  Linie.  Müllenhoff  sagt:  „das  Etymon 
des  Wortes  hat  Grimm  (Myth.  1174)  zuerst  aus  dem  altnord.  raun^ 
expe9*imentum ^  reyna^  temptare  irichtig  erkannt";  das  ist  aber  zu  be- 
richtigen, denn  Grimm  vermuthet  an  jener  Stelle  als  ursprüngliche 
Bedeutung  „das  leise,  feierlich  Gesprochene,  hernach  erst  Geheimniß'^ 
und  sagt:  „im  ahd«  Verbum  rüneny  susurrare^  rünazariy  murmurare, 
mhd.  rüneuy  nhd.  raunen  y  ags«  rünian  dauert  die  Urbedeutung  des 
geheimen  Flüsterns,  ahd.  drrüno  ist  ein  Vertrauter,  der  ins  Ohr  raunt." 
Bei  Ulfilas  hat  rüna  die  Bedeutung  von  (ivati^QLov'^  sonst  im  Deut- 
schen, Angelsächsischen  und  Nordischen  die  eines  geheimnißvoll- 
bedeutsamen  Zeichens.  Die  lateinischen  litteras  erhielten  also,  indem 
sie  zu  Runen  wurden,  eine  Bereicherung  ihrer  Bedeutsamkeit  in  dem 
Maße,  als  der  deutsche  Begriff  den  lateinischen  übertrifft  Das  Be- 
dttr&iß  mystischer  Zeichen  kann  nicht  erst  mit  der  Übernahme  des 
lateinischen  Alphabets  erwacht  sein,  ebensowenig  als  das  Wort  Rune 
erst  bei  diesem  Anlass  entstanden  sein  kann;  also  ist  anzunehmen, 
4ftß  die  Deutschen  schon  vorher  sowohl  mystische  Zeichen,  als  das 


ZUR  RUNENLEHKE.  399 

Wort  Rune  hatten,  und  daß  Bie  mit  diesem  jene  bezeichneten*  Lilien- 
CTon  wirft  die  von  ihm  bejahte  Frage  auf:  „ob  es  wirklich  eine  Zeit 
gab,  wo  bei  den  germanisch-nordischen  Stämmen  die  mystischen  Runen- 
zeichen  im  allgemeinen  Gebrauche  waren,  ohne  daß  man  mit  ihnen 
den  Gedanken  eines  eigentlichen  Alphabetes  und  den  des  Schreibens 
verband ?**  Diese  Frage  ist  folgerichtig,  nur  bleibt  sie  auf  halbem 
Wege  stehen ;  denn  Liliencron  und  Müllenhoff  haben  trotz  der  Unter- 
scheidung von  Malrunen  und  mystischen  Runen  doch  diejenigen  Runen 
im  Auge,  welche  in  den  überlieferten  Runenalphabeten  vorliegen. 
£s  muß  noch  eine  weitergreifende  Unterscheidung  gemacht  und  der 
Schluß  gewagt  werden,  daß  zwischen  Rune  und  Alphabet  einmal  zu 
trennen  und  analphabetische  Runen  anzunehmen  seien.  Wimmer  sagt 
S.  141:  „Damit  diese  Verschiedenheiten  zwischen  dem  Runenalphabet 
und  dem  lateinischen  Alphabet  hinsichtlich  der  Reihenfolge  und  Be- 
nennung der  Buchstaben  in  irgend  welcher  Beziehung  das  Ergebniß 
unserer  Untersuchungen  erschüttern  könnten ,  müßte  man  auf  jeden 
Fall  ein  anderes,  älteres  Alphabet  nachweisen,  welches  besser  als  das 
lateinische  den  Grund  dieser  Abweichungen  zu  erklären  vermöchte; 
aber  ein  solches  Alphabet  findet  sich  nicht.^  Hier  ist  nur  die  Forde- 
rung verfehlt,  ein  älteres  Alphabet  nachzuweisen,  denn  ein  solches 
findet  sich  freilich  nicht,  sondern  analphabetische  Zeichen;  darum 
erschüttert  aber  auch  unser  Ergebniß  nicht  im  Geringsten  dasjenige 
Wimmers,  sondern  ergänzt  es.  Waren  analphabetische  Runen  vor  der 
Bekanntschaft  mit  dem  Alphabet  vorhanden,  so  ist  erklärlich,  wie 
aus  dem  bekannt  gewordenen  Alphabet  ein  Runenalphabet  entstand, 
indem  es  dem  alten  Systeme  angepaßt  wurde  und  dasselbe  mit  dem 
neuen  Principe  der  Lautbezeiohnung  bereicherte ;  umgekehrt  ist  damit 
auch  die  Umgestaltung  des  übernommenen  Alphabets  natürlich  und 
hinreichend  begründet. 

Es  erhebt  sich  nun  die  Frage,  wie  man  sich  die  mystischen 
Zeichen  vor  Einführung  des  Alphabets  zu  denken  habe.  Zur  Ver« 
anschaulichung  derselben  dienen  eben  die  wesentlichen  Unterschei- 
dungsmerkmale des  Futhork  vom  lateinischen  Alphabete.  1.  Es  waren 
Zeichen  mit  einem  senkrechten  Hauptstrich,  welchem  schräge  Seiten- 
striche angefügt  wurden;  2.  sie  bezeichneten  nicht  Laute,  sondern 
Sachen;  3.  zu  besonderen  Zwecken  bildete  eine  bestimmte  Anzahl 
solcher  Zeichen  eine  dreitheilige  Gruppe;  4.  jedes  Zeichen  trug  den 
Namen  der  Sache,  die  es  bezeichnete,  wodurch  es  belebt  wurde. 
Mystische  Zeichen  sind  demnach  solche,  deren  Name  mystische  Be^ 
deutung  hatte. 

27* 


400  f;  LOSCH 


Das  Ganze  wird  klarer  bei  Betrachtung  der  Losung,  zu  welcher 
solche  Zeichen  verwendet  wurden.  Die  Belege  hat  Müllenhoff  zusam- 
mengestellt; wir  brauchen  nur  die  zwei  hauptsächlichsten. 

Tacitus  Germania  X:  Sortium  consuetudo  simplex.  Virgam  frugi- 
ferae  arbori  decisam  in  surculos  amputant,  eosque  notis  quibusdam 
discretos  super  candidam  vestem  temere  ac  fortuito  spargunt.  Mox, 
si  publice  consuletur,  sacerdos  civitatis,  sin  privatim,  ipse  pater 
familias  precatus  deos  coelumque  suspiciens  ter  singulos  toUit,  sub- 
latos  secundum  impressam  ante  notam  interpretatur. 

Hrabanus  Maurus  de  inventione  linguarum  (zum  Runenalphabete) : 
Cum  quibus  [litteris  Marcomanni,  quos  nos  Nordmannos  vocamus] 
carmina  sua  incantationesque  ac  divinationes  significare  procurant,  qai 
adhuc  paganis  ritibus  involvuntur. 

Sortes  und  divinatio  mit  Runen  ist  dasselbe.  Wimmer  bestreitet, 
Müllenhoff  behauptet,  daß  die  notae  des  Tacitus  Runen  waren.  Die 
Frage  ist  eigentlich  nur  die,  ob  die  Germanen  zur  Zeit  des  Tacitus 
schon  das  Alphabet  hatten  oder  nicht.  Runen  waren  die  notae  jeden- 
falls, nur  ist  nicht  sicher,  ob  es  alphabetische  oder  analphabetische 
waren.  Nimmt  man  mit  Wimmer  an,  daß  das  Alphabet  am  Ende  des 
zweiten  oder  zu  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  n.  Chr.  eingeführt 
worden  ist,  so  erhellt  aus  obigen  Belegen,  daß  zur  Zeit  des  Tacitus 
die  analphabetischen  Runen  zu  dem  gleichen  Zwecke,  wie  zur  Zeit 
des  Hrabanus  die  alphabetischen  gebraucht  wurden.  Die  Hauptsache 
ist  die  Beschreibung  der  surculi  notis  quibusdam  discreti,  d.  h.  der 
Runstäbe.  Wort  und  Begriff  des  Runstabes  war  den  deutschen  Stämmen 
gemein;  er  heißt  altn.  rünastafr,  ags.  rümtcef,  ahd.  rünstab.  Wenn 
W.  Grimm  S.  72  sagt:  „stob  wird  nur  aus  dem  Wesen  und  der  Ent- 
stehung des  Schriftzeichens  selbst  zu  erklären  sein^,  so  ist  die  Stelle 
des  Tacitus  hiefür  höchst  willkommen.  Man  scheute  sich  bis  jetzt, 
dieselbe  auf  Runen  auszulegen,  weil  man  das  Wort  Rune  nur  von 
den  bekannten  alphabetischen  Runen  gebrauchtej;  nunmehr  aber  ladet 
uns  Tacitus  förmlich  ein,  aus  seiner  Stelle j  weitere  Ergebnisse  zu 
schöpfen.  Die  Runstäbe  oder  surculi  notis  quibusdam  discreti  sind 
zum  Auswerfen  (spargere)  bestimmt.  W.  Grimm  sagt  zur  Stelle  des 
Tacitus  S.  296:  „Es  scheint,  daß  jedem  Zweige  vorher  ein  Zeichen 
eingedrückt  wurde,  die  einzelnen  aber  nach  der  durch  das  Ausstreuen 
zufällig  entstandenen  Lage  herausgewählt  und  die  darauf  befindlichen 
Zeichen  von  dem  Priester  als  zusammenhängend  betrachtet  und  er- 
klärt wurden.^  Er  mischt  hier  eine  Vorstellung  ein,  gegen  welche 
der  Wortlaut   der  Stelle    (singulos    und   notam   sing.)    spricht.    Aber 


ZUR  RUNENLEHRE.  401 

doch  ist  anzunehmen^  daß  durch  das  Hinwerfen  die  Lage  des  ein- 
zelnen Runstabes  irgendwie  entschieden  werden  sollte,  worüber  Grimm 
S.  298  treffend  sagt:  „Es  liegt  die  Idee  zu  Grunde,  daß  in  der 
lebendigen  und  zitternden  Bewegung  des  niederfallenden  Zweiges, 
weil  sie  frei  von  aller  menschlichen  Einwirkung  ist,  der  göttliche  Wille 
thätig  sein  und  sich  offenbaren  müsse."  Soll  nun  der  einzelne  Zweig 
durch  das  Auswerfen  eine  entscheidende  Lage  bekommen  können, 
so  muß  er  auch  die  in  diesem  Falle  einzig  vorhandene  Bedingung 
dazu  an  sich  haben,  er  muß  durch  die  Mitte  gespalten  sein;  dann 
fällt  er  entweder  auf  den  Rücken  oder  auf  die  Spaltseite.  Die  Spal- 
tung gibt  zugleich  auch  die  Möglichkeit,  ein  Runenzeichen  durch 
bloße  notaey  got.  vritsy  nord.  kännestrek  herzustellen,  indem  der  zu 
Tage  tretende  Markstrich  des  Zweiges  von  selbst  den  senkrechten 
Hauptstrich  des  Zeichens  bildet.  Und  wie  genau  drückt  sich  Tacitus 
aus!  Was  eingekerbt  wurde,  waren  bloße  notae]  nur  der  Kundige 
erfaßte  im  verbindenden  Markstriche  die  Einheit  des  Zeichens.  Durch 
den  Markstrich  ist  nunmehr  auch  das  Princip  des  senkrechten  Haupt- 
striches der  Runenzeichen,  wodurch  sie  sich  vom  lateinischen  Alpha- 
bet unterscheiden,  erklärt  und  begründet.  Diejenigen  Zeichen,  welche 
ihn  aufweisen,  reihen  sich  der  Form  nach  den  analphabetischen  Run- 
stäben gleichartig  an ;  ja  es  ist  anzunehmen,  daß  die  einfachsten  alpha- 
betischen Runen  nach  ihrer  Form  schon  vor  dem  Alphabete  da  waren 
und  man  ihnen  nur  den  Lautwerth  des  entsprechenden  Alphabet- 
zeichens zu  geben  brauchte.  Theilweise  haben  sich  aber  auch  Alphabet- 
runen ohne  den  Markstrich  und  zwar  oft  neben  der  Form  mit  Mark- 
strich erhalten:  A  und  P,  X%,  <K,  H  +i  ♦  4^,  HsT,  M  Y  (nord.), 
5^  ^.  Der  Übergang  der  Formen  H  ^  M  in  +  +  und  nord.  Y  erklärt 
sich  in  ihrer  Darstellung  auf  dem  Stabe  von  selbst:  Q  S  fi,  je  nach- 
dem die  beiden  Eantenlinien  oder  der  Markstrich  zum  Zeichen  ge- 
rechnet wurden.  Zufällig  oder  absichtlich  konnte  bei  der  Spaltung 
des  Zweiges  der  Markstrich  auch  verdeckt  bleiben  oder  ganz  ab- 
getrennt werden.  Für  die  Malrunen  war  jedoch  die  Darstellung  der 
Stabform  nicht  immer  nöthig  und  oft  eine  Unterscheidung  der  stab- 
losen Rune  für  die  Lautbezeichnung  zweckmäßig,  z.  B.  A  und  ^. 
Wer  sich  für  Formen  wie  fl  A  H  M  M  $  H  °^^*  Stäben  ohne  Mark- 
strich nicht  beruhigen  will,  dem  ist  zu  erwiedern,  daß  wir  die  Runen 
nur  in  Form  von  Malrunen  kennen  und  eben  keine  alten  Runstäbe 
mehr  haben,  und  daß  für  Zeichen  ohne  Stabform  einst  doch  eine 
solche  von  besonderer  Art  vorhanden  sein  konnte;  nur  wäre  es  müßig, 
sie  ohne  hinlängliche  Anhaltspunkte  zu  reconstruieren. 


402  F.  LOSCH 

Die  zweite  Eigenthümlicfakeit  des  Runenalphabets,  daß  der  Bun- 
stab  nicht  bloße  Laute,  sondern  Begriffe  bezeichnete,  geht  schon  aus 
Tacitus'  Worten  hervor:  sublatos  secundum  impressam  ante  notam 
interpretatur.  Ein  der  Auslegung  fähiges  Zeichen  ist  mehr  als  bloßes 
Lautzeichen.  Darauf  weist  auch  die  Stelle  in  Skirnism&l  36:  Thurs 
rist  ek  ther  ok  thrid  stafi,  ergi  ok  oedi  ok  öpola.  Zugleich  erhellt  hier- 
aus ein  weiterer  Umstand:  es  gibt  Glücksrunen  und  Unglücksrunen. 
Auch  bei  der  Losung  handelt  es  sich  darum,  den  glücklichen  oder 
unglücklichen  Ausgang  einer  Sache ,  dazu  auch  das  beste  Mittel  und 
die  Bedingungen  zur  Ausführung  zu  erforschen.  Hiefür  ist  eine  Nach- 
richt Cäsars  lehrreich:  de  hello  Gallico  I,  50:  Quum  ex  captivis  quae- 
reret  Caesar,  quamobrem  Ariovistus  proelio  non  decertaret,  hanc  re- 
periebat  causam:  quod  apud  Germanos  ea  consuetudo  esset,  ut  matres 
familias  eorum  sortibus  et  vaticinationibus  declararent,  utrum  proe- 
lium  committi  ex  usu  esset,  necne.  Eas  ita  dicere:  non  esse  fas, 
Germanos  superare^  si  ante  novam  lunam  proelio  contendissent. 
Die  Hausmütter  erforschten  also  nicht  bloß ,  ob  das  Gefecht  günstig 
oder  ungünstig,  sondern  auch,  unter  welcher  Bedingung  es  günstig 
oder  ungünstig  ausschlagen  werde.  So  mußten  auch  die  zur  Losung 
verwendeten  Runstäbe  solche  Auskunft  geben  können.  Zur  Erforschung 
von  Glück  oder  Unglück  brauchte  man  nur  zwei ;  zur  Erforschung  der 
Bedingung  aber  mehrere.  Besonders  zu  diesem  Zwecke  mußten  Stäbe 
von  ganz  bestimmter  sachlicher  Bedeutung  benützt  werden. 

Die  dritte  Eigenthümlichkeit  des  Runenalphabets,  die  besondere 
Anordnung  des  Futhorks,  bietet  der  Erklärung  viele  Schwierigkeit. 
An  die  Dreitheilung  desselben  erinnert:  ter  siugulos  toUit  bei  Tacitus; 
und  da  es  sich  um  Erforschung  des  Schicksals  handelt,  so  dürfen 
auch  die  drei  Schicksalsgöttinnen  verglichen  werden.  Auch  Wimmer 
bezieht  S.  142  die  Reihenfolge  in  drei  Abtheilungen  auf  einen  magischen 
Gebrauch  der  Runen,  fügt  aber  hinzu:  „Weiter  als  zu  dieser  ganz 
allgemeinen  Einsicht  können  wir,  glaube  ich,  nicht  gelangen.^  Bei  der 
Eintheilung  sind  die  ersten  Runen  der  drei  Reihen  von  besonderer 
Wichtigkeit,  denn  nach  ihnen  wurden  im  Norden  und  entsprechend 
sicher  einst  auch  bei  uns  die  Reihen  benannt:  Freys  aett,  Hagais  aett, 
T^8  aett  Freyr  oder  -Feiist  eine  Glücksrune;  Hagal  wohl  eine  Unglücks- 
rune; über  Tyr  spricht  Grimm,  Myth.  S.  166:  T  =  Tyr  scheint  ein 
höchst  feierliches  Zeichen,  der  Name  dieses  Gottes  besonders  heilig 
gewesen  zu  sein;  beim  Einritzen  der  Siegrunen  auf  das  Schwert 
sollte  Tpr  zweimal  genannt  werden  —  und  in  dem  ags.  Gedicht  über 
die  Runen  stellt  ausdrücklich:    iir  hid  fäcna  sum  (ttr  ist  ein  gewisses 


ZUR  RUNENLEHRE.  403 

Zeichen).  Versohiedentlich  reden  die  Dichter  von  tire  täcnian  und 
tires  io  tdcne\  man  darf  es  auslegen:  glaria,  decore  inaignire^  in  gloriae 
ngnum  und  doch  an  das  heidnische  Zeichen  des  Gottes  denken,  etwa 
wie  es  auch  bei  feierlichem  Besegnen  der  Becher  vorkam.*^  Der 
Gedanke  in  den  ersten  Zeichen  der  drei  Reihen  des  Futhorks  scheint 
zu  sein:  Glück  —  Unglück  —  Sieg,  wonach  sowohl  die  Glücks-  als 
die  Unglücksrune  unter  der  Herrschaft  der  höchsten  Kune,  der  Sieg- 
rune des  Gottes  Tljr  oder  Ziu  stünden.  Damit  stünde  das  Futhork 
im  Gegensatz  zur  Weise  der  Nornen,  von  denen  Grimm  S.  338  sagt: 
^Das  scheint  gerade  charakteristisch  in  Nornen-  und  Feensagen^  daß, 
was  vorausgehende  Begabungen  Günstiges  verheißen,  durch  eine  nach- 
folgende zum  Theil  wieder  vereitelt  wird.^  Umgekehrt  scheint  mir 
im  Futhork  alles  Unglück  überwunden  werden  zu  sollen.  Damit 
glaube  ich  die  Untersuchung  der  Ursache  der  Futhorkordnung  auf 
eine  zur  Lösung  führende  Bahn  zu  leiten,  besonders  wenn  ich  frage, 

wozu  sich  das  Futhork  auf  den  ältesten  Denkmälern  wie  dem  Brak- 

• 

teaten  von  Vadstena,  der  Spange  von  Charnay  und  dem  Themse- 
messer  befinde?  Einen  bestimmten  Zweck  muß  es  doch  gehabt  haben, 
und  ich  finde  ihn  in  dem  persönlichen  Schutze  des  Trägers  solcher 
Stücke.  Dann  ist  weiter  zu  schließen,  daß  die  Glücksrunen  im  Futhork 
so  geordnet  sein  werden,  um  alle  Unglücksrunen'^zu  binden,  damit  der 
Träger  schon  zum  Voraus  vor  allen  schlimmen  Zufällen   gesichert  sei. 

Über  die  vierte  Eigenthümlichkeit,  die  Namen  der  Runen,  geben 
die  vorhandenen  Runenlieder  nähere  Auskunft,  ein  altnorwegisches 
und  isländisches.  Wimmer,  S.  275 — 288,  und  ein  angelsächsisches, 
W.Grimm,  S.  21 7  ff.,  wo  auch  das  norwegische  zu  finden  ist.  Wimmer 
faßt  diese  Lieder  als  bloße  Runenreimerei  auf;  ich  glaube,  daß  darin 
die  inierpretatio  der  Stäbe  bei  den  incantationea  und  divinationes  oder 
sortes  angegeben  ist.  Im  Futhork  geben  die  Namen  der  Runen  im 
Anfangsbuchstaben  zugleich  den  Lautwerth  ihres  Zeichens  an.  Das 
ist  Einfluß  des  Alphabets;  denkt  man  sich  diese  Rücksicht  auf  den 
Anlaut  oder  Buchstabenwerth  weg,  so  dürfen  noch  mehrere  Namen 
für  die  einzelnen  Zeichen  angenommen  werden.  Das  geht  auch  deut- 
lich aus  den  Runennamen  des  isländischen  Runenliedes  hervor,  welche 
Wimmer  S.  287  f.  zusammenstellt.  Diese  Namen  stehen  unter  dem 
Gesetze  der  Synonjmität:  Awrum  gull,  gull  er  fS^  fS  er  rünaatafr 
u.  s.  w.  Hier  ist  leicht  erkennbar,  daß  die  Bedeutung  des  Namens  in 
erster  Linie,  der  Anlaut  erst  in  zweiter  maßgebend  war. 

Ein  weiterer  Gesichtspunkt  ist  der:  die  Runennamen  gelten  nur 
mittelbar  dem  Zeichen,   denn  sie  besagen  zunächst,   welchem  Gegen- 


404  F.  LOSCH 

Stande  das  Zeichen  zukommt,  und  wurden  so  erst  mach  Namen  des 
Zeichens:  ß  er  runastafr.  Dies  muß  beachtet  werden,  um  die  Stelle 
von  den  kugrunar  in  Sigrdrifumdl  13 — 19  zu  verstehen,  die  Wolzogen 
richtig  als  die  Bezeichnungen  aller  Dinge  erklärt.  Es  ist  der  Gredanke, 
wie  alle  Dinge  einen  Namen  haben  ^  so  haben  sie  auch  ihre  Rune, 
an  der  sie^  in  ihrer  Gesammtheit  freilich  nur  von  Wenigen^  wie  Odhin 
und  Mimr,  erkannt  werden.  Das  war  wohl  auch  das  Ursprünglichste, 
daß  den  Dingen  oder  Personen  ihr  bestimmtes  Zeichen  ganz  so  zu- 
kam, wie  ihr  bestimmter  Name. 

Hiemit  kommen  wir  auf  das  Gebiet  der  Hausmarken.  Michelsen 
sagt  in  seiner  grundlegenden  Abhandlung  S.  11  f.:  „Beschaut  man 
diese  Zeichen  (die  Hausmarken)  als  solche  genauer^  so  drängt  sich 
sofort  die  Wahrnehmung  auf,  daß  es  ursprünglich  sehr  einfache,  gerad- 
linige Figuren  waren,  die  leicht  eingeschnitten  oder  eingegraben  werden 
konnten.  Sie  erinnern  dadurch  stark  an  die  Bunen,  welche  ja  ebenfalls 
sehr  einfach  und  geradlinig  waren,  und  zwar^  wie  die  älteren  Haus- 
marken durchweg,  mit  einer  senkrechten  Linie,  die  bei  der  Bune  der 
Stab  ist,  und  mit  Eennstrichen  nach  den  Seiten  hin,  die  in  verschie- 
denem Winkel  sich  ansetzen.  Deßungeachtet  ginge  man  entschieden 
viel  zu  weit,  wollte  man  die  Hypothese  wagen,  sie  wären  aus  den 
Bunen  hervorgegangen:  wozu  Finn  Magnusen  in  seinem  umfänglichen 
bekannten  Bunenwerke,  seiner  Liebhaberei  für  die  Binderunen  zu  sehr 
nachgebend,  sich  gar  sehr  hinneigt.  Allein  dabei  ist  freilich  auch  nicht 
zu  leugnen,  daß  in  schwedischen,  norwegischen,  isländischen  Haus- 
marken, älteren  und  neueren,  manchmal  wirkliche  Bunen  uns  entgegen- 
treten. Es  kann  das  theils  ein  zufälliges  Zusammentreffen  sein,  theils 
aber  auch  Aufnahme  des  literalen  Elementes  in  die  Haus-  und  Personen- 
zeichen, wie  bei  uns  in  Deutschland  die  Marke  mit  Buchstaben  in 
einen  Ductus  sich  zusammenzog  oder  durch  diese  ganz  verdrängt  ward, 
indem  die  monogrammatische  Namenschiffer  an  die  Stelle  der  ehe- 
maligen Simpeln  Marke  trat.  Jedenfalls  sind  die  Hausmarken  ur- 
sprünglich kein  Alphabet,  sie  gehören  vielmehr  originär  einem  analpha- 
betischen Geschlechte  an.  Was  das  dänische  und  das  preußische 
Gesetzbuch  in  dieser  Beziehung  für  analphabetische  Individuen  vor- 
schreiben, das  galt  gewissermaßen  einst  im  grauen  Alterthum  für  das 
gesammte  lebende  Geschlecht,  welches  des  Schreibens  ganz  oder 
großentheils  unkundig  war.  Jenes  Gesetzbuch  verordnet,  die  Analpha- 
beten sollen  ihre  Verschreibungen  durch  ihr  Siegel  oder  nöthigenfalls 
durch  ihre  bomaerke  (Hauszeichen)  bekräftigen;  ebenso  sprechen  noch 
das  Landrecht  und  die  allgemeine  Gerichtsordnung  Preußens  in  Rück- 


ZUR  RÜNENLEHRE.  405 

sieht  auf  den  Analphabeten  von  seinem  gewöhnliehen  Handzeichen 
und  bestimmen ,  daß  er  mit  Kreuzen  oder  mit  seinem  sonstigen  ge- 
wöhnlichen Handzeichen  unterschreiben  solle.  Solchergestalt  vertritt 
im  hohen  Alterthum  die  Marke  als  Personenzeichen  den  Namen  ^  sie 
dient  als  chirographum,  sie  vertritt  Namensunterschrift  und  Wappen.^ 

Man  ginge  natürlich  zu  weit^  wollte  man  die  Hypothese  wagen, 
die  Hausmarken  seien  aus  den  alphabetischen  Runen  hervor- 
gegangen. Nachdem  wir  aber  den  analphabetischen  Hausmarken  an- 
alphabetische mystische  Zeichen,  d.  h.  Runen  zur  Seite  stellen  können, 
erhellt  die  Verwandtschaft  beider  ziemlich  deutlich.  Der  Unterschied 
war  nur  der,  daß  die  mystischen  Zeichen  für  Götter ,  Elemente  und 
Natur,  die  persönlichen  aber  für  die  Leute  und  ihr  Eigenthum  fest- 
gesetzt waren.  Die  Hausmarke  scheint  mir  die  ältere  Schwester  der 
anal phabe tischen  Runen  zu  sein,  und  diese  vielleicht  aus  den  Zei- 
chen für  die  den  Göttern  geweihten  Gegenstände  zu  Zeichen  der 
Götter  und  göttlichen  Wesen  geworden^  an  welche  sich  dann  nach  und 
nach  eine  größere  Anzahl  religiös- bedeutsamer  Zeichen  anschließen 
konnte.  Die  spätere  alphabetische  Rune  bereicherte  wieder  die  Zahl 
der  mystischen  und  persönlichen  Zeichen.  Die  Hausmarke  steht  mit 
der  Rune  in  übereinstimmender  Beziehung  zum  Stabe.  Beim  Verkaufe 
von  Haus  und  Hofgut  wurde  zum  Zeichen  der  Übergabe  u.  A.  die 
festuca  notata  sammt  Messer  eingehändigt,  welche  ein  mit  der  Haus- 
marke bezeichnetes  Stäbchen  ist,  Michelsen  S.  46  ff.  Auch  zur  Losung 
dient  die  Hausmarke,  worüber  eine  Stelle  aus  dem  Gesetze  der  Friesen, 
Michelsen,  S.  14  f ,  W.  Grimm,  S.  301  f.,  aufklärt:  tali  de  virga 
praecisi,  quos  tenos  vocant,  müssen  von  den  Männern,  über  welche 
gelost  wirdy  mit  ihrer  Hausmarke  versehen  werden:  unusquisque 
illorum  Septem  faciat  suam  sortem,  id  est  tenum  de  virga,  et  signet 
signo  suo,  ut  eum  tam  ille  quam  caeteri,  qui  circumstant,  cognoscere 
possint.  Der  tahia  weist  noch  entschiedener  als  der  surculus  des 
Tacitus  auf  den  gespaltenen  Zweig  hin.  Nun  erklärt  sich  auch  das 
Wort  ^Marke^  dadurch ') ,  daß  der  Markstrich  einen  wesentlichen  Be- 
standtheil  der  Marke  bildete,  welchen  Charakter  die  vorhandenen  Haus- 
marken wirklich  erweisen.  Eine  spätere  Abzweigung  von  den  Haus- 
marken sind  die  Steinmetzzeichen,  vgl.  die  Arbeit  von  Klemm 
im  V.  und  dessen  Bemerkungen  zu  meinem  Aufsatz  im  VIII.  Jahrg. 
d.  württemb.  Vierteljahrshefte  f.  Landesgeschichte. 

Schließlich    ist    noch    ein   Bauernkalender    vom    Jahre  1398    im 


^)  Unrichtig;  die  Wörter  hatten  ursprünglich  yerschiedenen^Stammauslaut.  O.  B. 


406  TH.  ▼.  GKIJBNBERGEK 

germanischen  Museum  zu  Nürnberg  mit  eigenthümlichen  Zahlzeichen 
zu  erwähnen.  Ein  Theil  desselben  war  in  der  vierten  Auflage  von 
Königs  Litteraturgeschichte  S.  5  abgebildet.  Die  „runenartigen''  Zei- 
chen sind  römische  Zahlen^  an  senkrechte  Striche  gefügt,  indem 
X  durch  tj  V  durch  f^,  I  durch  f-  bezeichnet  ist,  z.  B.  XVII 
=  "%,  XIX  =  :f .  Ohne  Zweifel  beruht  diese  Art  der  Zahlen  auf 
alter  Überlieferung  und  bildet  ein  willkommenes  Seitenstttck  zu  der 
Art,  wie  das  lateinische  Alphabet  zu  Runstäben  umgestaltet  wurde. 
Denn  auch  hier  wird  der  Ursprung  solcher  Formen  durch  einen  Stab 
mit  Markstrich,  das  alte  Kerbholz,  am  einfachsten  erklärt,  besonders 
da  in  der  ältesten  Zeit  solche  Stäbe  wirklich  zu  Kalendern  benützt 
wurden. 

Der  Ausdruck  „Stab"  wurde  für  die  Runen,  „Marke**  flir  die 
Haus-  und  Personalzeichen,  „Zein^  (got.  tains,  ahn.  teinuy  ags.  tän, 
ahd.  zein,  plattd.  teen)  für  die  Loszweige,  „Kerbe"  für  die  Zahlstäbe 
gebraucht;  allen  aber  liegt  der  Abschnitt  einer  Kute  zu  Grunde. 

F.  LOSCH. 


DIE  VORFAHREN  DES  JORDANES. 


Die  Stelle,  an  welcher  Jordanes  von  seiner  Abstammung  nähere 
Kunde  gibt,  lautet  nach  der  Ausgabe  von  Mommsen  Mon.  Oerm.  bist.; 
Auetor.  V,  p.  126: 

Scyri  vero  et  Sadagarii  et  certi  Alanorum  cum  duce  suo  nomine 
Candac  Scythiam  minorem  inferioremque  Moesiam  acceperunt.  cuius 
Candacis  Alanoviiamuthis  patris  mei  genitor  Paria,  id  est  meus  avus, 
notarius,  quousque  Candac  ipse  viveret,  fuit,  eiusque  germanae  filio 
Gunthicis  (Gunthigis),  qui  etBaza  dicebatur,  mag.  mil.,  filio  Andages 
(Andagis)  fili  Andele  de  prosapia  Amalorum  descendente,  ego  item 
quamvis   agramatus  Jordannis   ante  conversionem   meam  notarius  fiii. 

Der  Name  des  Vaters,  im  Texte  als  Genitiv,  wäre  also  Alanovii- 
amuth,  woran  Mommsen,  Vorrede  VI  und  Index  p«  146,  festhält, 
indem  er  glaubt,  Paria  habe  seinem  Sohne  etwa  zu  Ehren  des  alani- 
schen Fürsten,  dem  er  diente,  einen  Namen  beigelegt  „cum  Alanorum 
vocabulo  nescio  quomodo  compositum".  MüUenhoff  aber,  welcher 
wohl  'sah,  daß  Alanoviiamuth  ganz  unmöglich  'ein  gotischer  Name 
sein  könne,  hat  an  der  bezogenen  Stelle  des  Index  zur  Mommsen- 
schen  Ausgabe  denselben  in  zwei  Genitive,  Alanovii  und  Amuthis, 
zerlegt,  von  denen  der  erste  auf  Candac  bezogen,  während  der  zweite 
als   der  Name   des  Vaters   erklärt  wird.    Alanovius  mit  Verwendung 


DIE  VORFAHREN  DES  JORDANES.  407 

des  Blavischen  Suffixes  0VÜ9  welches  als  avu  ins  Rumänische  über- 
nommen wurde  und  hier  wie  dort  Adjective  bildet,  wäre  demnach 
^der  aus  alanischem  Geschlecht  Entsprossene^  und  Amuth  erinnert 
Müllenhoff  an  gakamdths  ivdvöäiisvog  j  wogegen  Mommsen  einwendet, 
daß  eine  Ableitung  Alanovius  selbst  in  irgend  einem  verdorbenen 
Volkslatein  unmöglich  sei. 

Die  Frage  nun  nach  dem  wahren  Namen  des  Vaters  findet  ihre 
gedeihliche  Lösung  weder  mit  Mommsen  noch  mit  MtlUenhoff,  denn 
es  ist  zu  trennen  alano  uiiamuthis,  und  Uiiamuth,  d.  i.  got.  Veiha- 
möths,  hat  der  Sohn  des  Paria  geheißen. 

Der  erste  Theil  dieses  Namens,  in  welchem  das  lange  t  mit 
seltener  Treue  durch  n  gegeben  ist,  während  das  schwache  gotische  h 
ausfiel,  gehört  ohne  Zweifel  zu  got.  veihan  stv.  kämpfen,  genauer  zu 
einem  Nomen  entsprechend  dem  germ.  viha  n.  Kampf,  Streit  bei  Fick  ^ 
III,  303,  ein  Element,  welches  in  ahd.  und  ags.  Namen  so  bekannt 
ist,  daß  ich  keine  Beispiele  vorzuführen  brauche;  der  zweite  Theil 
aber,  bei  Jordanes  selbst  in  den  gotischen  Namen  Beremud,  Evermud, 
Thorismud  wiederkehrend,  ist  augenscheinlich  nichts  Anderes  als  ein 
dem  ahd.  -mot  (Grafi*  II,  687  £f.),  as.  -mod  in  gelmöd  übermüthig  u.  a. 
entsprechendes  Adj.  mdths  gemuthet,  erregt,  von  Leidenschaft  bewegt, 
und  Veihamoths,  dem  bei  Goldast  Alaman.  Antiqu.  II,  151  eine  weib- 
liche Uuihmuot  gegenübersteht,  bedeutet  mithin  „der  Kampfmuthige^. 

An  der  Lesung  uiiamuthis  ist  nicht  zu  zweifeln.  Vier  der  von 
Mommsen  benützten  Handschriften  gewähren  sie,  darunter  die  drei 
ältesten,  nur  ein  i  unterdrücken  die  drei  Handschriften  der  dritten 
Gruppe  nach  Mommsens  Eintheilung,  Vorrede  LXXII,  und  bieten 
uiarouthis  gleich  der  ersten  Niederschrift  des  Codex  Palatinus,  welche 
aber  vom  Schreiber  selbst  noch  in  uiiamuthis  corrigiert  wurde,  die 
beiden  ii  in  u  verlesen  haben  der  Cod.  Breslaviensis  uuamuthis  und 
der  Atrebatensis  mit  einer  weiteren  Verderbung  uuamocthis. 

Das  vorausgehende  alano  ist  einstimmig  dargeboten,  nur  der 
Breslauer  Codex  hat  alani,  und  es  ist  klar,  daß  der  Schreiber  des 
letzteren  mit  seiner  Form  entweder  einen  selbstverschuldeten  Fehler 
oder  eine  Correctur  auf  eigene  Rechnung  überliefert,  denn  der  Codex 
Ottobonianus,  welcher  nach  Mommsen  von  derselben  Vorlage  abge- 
leitet ist  wie  der  Breslauer,  besitzt  alano. 

Um  dieses  alano  zu  erklären,  muß  ich  mich  auf  das  beziehen, 
was  Mommsen,  Vorrede  XLV  über  die  Jordanes-Hss.  mittheilt. 

Sämmtliche  Handschriften,  sowohl  diejenigen,  welche  das  Mittel- 
alter   kannte,    als    auch  die  uns  heute    vorliegen,    gehen    auf   einen 


408  TH.  y.  GRIENBERQER 

Archetypus   zurück,    welcher   bereits  Fehler  enthält,    die  von  ihm  in 
alle   Abschriften   übergingen   und  nachweislich    allen  gemeinsam  sind. 

Diese  Lesefehler  sind  zum  Theil  aus  den  Verwechslungsmöglich- 
keiten der  Uncialis,  zum  Theil  aus  denen  der  schottischen  (irischen) 
Schrift  zu  erklären.  Der  Archetypus  war  in  der  scriptura  continua 
angelegt  und  enthielt  einige,  wenn  auch  nicht  gerade  zahlreiche  Ab- 
kürzungen, welche  sich  im  Heidelberger  Codex  und  den  übrigen  besseren 
Handschriften  wiederfinden. 

Eine  derartige  Abkürzung  muß  alano  sein. 

Berücksichtigen  wir  nun,  daß  bei  der  Uncialis  die  Buchstaben 
D  und  O  verwechselt  werden  können,  weßhalb  schon  Dietrich,  Aus- 
sprache des  Gotischen  den  Anführer  Thuruaro  bei  Jordanes  als 
Thuruard  erklären  wollte,  so  dürfen  wir  statt  ALANOUiiAMUThlS  ein 
ursprüngliches  ALAN .  5 .  ullAMUThiS  herstellen,  d.  i.  aufgelöst  Alanorum 
ducis,  eine  Apposition,  welche  zum  vorausgehenden  Qenitiv  Candacis 
gehört  und  wohl  nur  deshalb  gekürzt  alin.  d.  geschrieben  wurde,  weil 
die  Bezeichnung  des  Candac  als  alanischen  Herzogs  schon  in  dem 
unmittelbar  vorausgehenden  Alanorum  cum  duce  suo  ausgedrückt  ist 

Daß  noch  in  demselben  Satze  die  Kürzung  mag.  ml.  für  magistro 
militum  folgt,  darf  für  diese  Annahme  als  eine  erwünschte  Befestigung 
in  Anspruch  genommen  werden. 

Ist  nun  der  Name  des  Vaters  gotisch  und  entfällt  nach  meiner 
verbesserten  Lesung  jedweder  Grund,  wie  noch  Mommsen,  Vorrede 
VI,  VII  geneigt  ist,  aus  dem  Wortungethüme  Alanoviiamuthis  auf  eine 
alanische  Abstammung  des  Jordanes  zu  schließen,  entgegen  seiner 
bestimmten  eigenen  Aussage,  mit  welcher  er  sich  bekanntlich  am  Ende 
der  Getica  zur  gotischen  Herkunft  bekennt,  so  werden  wir  uns  an- 
geregt finden,  auch  den  Namen  des  Großvaters  für  das  Gotische 
gewinnen  zu  suchen. 

Der  Name  des  Großvaters  lautet  in  den  Handschriften  der 
ersten  Ordnung  nach  Mommsens  erwähnter  Gruppierung  paria  und 
so  auch  bei  denen  der  zweiten,  welche  nur  eine  falsche  Zusammen- 
ziehung parialdemeus  für  paria  id  e.  mens  gewähren,  bei  den  drei 
Handschriften  der  dritten  Ordnung  ist  er  in  patria  entstellt. 

Soll  nun  paria  ein  gotischer  Name  sein,  so  muß  abermals  ein 
Fehler  im  gemeinsamen  Archetypus  angenommen  werden,  denn  paria 
läßt  sich  im  germanischen  Namenschatze  kaum  unterbringen. 

Ich  bin  der  Ansicht,  daß  der  Name  in  faria  herzustellen  sei 
und  verlege  auch  hier  den  Ursprung  des  Fehlers  in  das  Gebiet  der 
Uncialis,  wo  F  und  P  verwechselt  werden  können.  Möglich  wäre  frei- 


DIE  VORFAHREN  DES  JORDANES.  409 

lieh  auch^  daß  der  Name  ursprünglich  pharia  gesehrieben  war  und 
nur  sein  h  verloren  hat,  aber  Jordanes  schreibt  Romana  p.  48  den 
berulischen  Feldherrn  Fara  mit  /^  nicht  mit  pA,  und  somit  darf  auch 
der  Name   des  Großvaters   mit  /  in  Uncialis  FARIA   erwartet  werden. 

Faria  ist  aber  offenbar  ein  swm.  nom.  agentis  zu  got.  farjan^ 
ahd. /erren,  vharferran  transfretare ,  und  entspricht  genau  dem  ahd. 
ferjoy  swm.  nauta  der  ferge,  Viiamuth  ist  ein  voller  germanischer 
Name,  Farja  aber  nur  ein  Beiname ,  den  der  Großvater  neben  einem 
anderen  unbekannten  Eigennamen  geführt  haben  muß,  sowie  der 
Gote  aus  dem  amalischen  Stamme,  bei  welchem  Jordanes  als  Notar 
bedienstet  gewesen,  zwei  Namen  führt:  Gunthigis  qui  et  Baza,  von 
denen  der  componierte  der  eigentliche  ist 

Sehr  wahrscheinlich  ist  es,  daß  auch  Jordanes  vor  seiner  con- 
versio  einen  nationalen  Namen  geführt  hat,  den  wir  nicht  kennen, 
wie  ,z.  B.  die  geistlichen  Minnulus  und  Danihel  der  gotischen  Kirche 
Anastasia  zu  Ravenna  in  der  bekannten  Neapler  Urkunde  auch  die 
nationalen  Namen  Uuillienant  und  Igila  führen  und  mit  diesen  Namen 
die  Urkunde  fertigen.  Für  diesen  nationalen  Namen  einen  Anhalt  in 
der  Form  Jornandis  zu  suchen,  welche  an  unserer  Stelle  die  Hand- 
schriften der  zweiten  Gruppe  darbieten,  wäre  verfehlt,  denn  wenn 
schon  -nandis  an  das  got.  -nanths  erinnert,  so  ist  doch  jor-  nicht  er- 
klärbar, am  allerwenigsten  gewiß  aus  „Eber^,  wie  Grimm  gewollt  hat. 
In  welcher  Form  dieses  Wort  erscheinen  müßte,  wenn  es  als  erster 
Theil  vorläge,  das  zeigen  ja  aufs  deutlichste  die  gotischen  Namen 
Evermud  und  Euervulfus  bei  Jordanes  selbst. 

So  merkwürdig  auch  der  Irrtbum  sei,  es  kann  jornandis  schließ- 
lieh doch  nichts  Anderes  sein  als  eine  Buchstabenversetzung  aus 
jordannis,  bei  welcher  die  Zahl  der  Lettern  die  gleiche  blieb  und 
nur  das  d  und  das  zweite  n  ihre  Plätze  vertauscht  haben.  Ich  möchte 
dem  noch  hinzufügen,  daß  ich  das  quamvis  agrammatus  der  aus- 
gehobenen Stelle  nicht  mit  Mommsen,  Vorrede  VI  als  den  Ausdruck 
einer  in  Anbetracht  seines  mangelhaften  Lateins  hinlänglich  gerecht- 
fertigten Bescheidenheit  des  Jordanes  betrachte,  denn  ich  beziehe  das 
quamvis  agrammatus  nicht  auf  die  Zeit,  da  er  seine  Romana  und 
Getica  schrieb,  sondern  auf  jene,  da  er  Notarius  war  und,  so  wie 
ich  den  Passus  verstehe,  will  Jordanes  mit  demselben  nichts  Anderes 
sagen,  als,  daß  er  vor  seiner  conversio,  welche  ihm  erst  eine  höhere 
Bildung  vermittelte,  trotz  seiner  damaligen  geringen  Kenntnisse  das 
Amt  eines  Notarius  bei  Gunthigis  versah. 

SALZBURG,  18.  Jänner  1889.  THEODOR  v.  GRIENBERGER. 


410  TH.  ▼.  QRIENBEROER,  ^BILIVA. 

^RILIVA. 


Dem  Urtbeile  Müllenho£f8  nomen  esse  germanicum  nemo  pro- 
babit',  womit  er  im  Index  zur  Mommsen'Behen  Jordanesausgabe  den 
Namen  der  Mutter  Theoderiks  des  Großen  bei  Seite  schob,  steht  die 
bestimmte  Aussage  des  Anonymus  Valesianus  c.  58  gegenüber:  mater 
Ereriliva  dicta  Gothice  catholica  quidem  erat,  quae  in  baptismo 
Eusebia  dicta  est. 

Bei  Jordanes  heißt  die  Kebse  Thiudimers,  welche  ihm  den  Theo- 
derik  gebar,  Erelieua,  und  nur  die  zwei  Handschriften  der  dritten 
Ordnung  nach  Mommsens  Eintheilung,  der  cod.  Cantabrig.  und  Berolin. 
bieten  dazu  die  Varianten  faerilieua  und  herili  sua,  von  denen  die 
erste  bloß  um  ein  wohl  unorganisches  h  vermehrt  ist,  die  zweite  aber 
einer  falschen  Auffassung  (d.  i.  adj.  herilis  +  pron.  suus)  der  schlecht 
gelesenen  Stelle  quam  vis  de  herilieua  concubina  ihre  Entstehung  verdankt. 

Besehen  wir  uns  die  Angabe  des  Anon«  Vales.,  so  wird  uns  so- 
fort klar,  daß  die  Verdopplung  des  er  von  dem  vorhergehenden  Worte 
mater  herrührt,  und  daß  wir  mit  Beseitigung  dieser  graphischen 
Wucherbildung  mater  Eriliva  zu  lesen  haben,  wozu  auch  des  Paulus 
diac«  Arileua  stimmt.  Wir  erhalten  demnach  als  Vocal  des  zweiten 
Theiles  den  Wechsel  von  i  und  e  und  werden  dadurch  in  den  Stand 
gesetzt,  die  Form  Erelieua  der  Jordanes-Hss.  auf  ein  ursprüngliches 
ereliua  zurückzuführen,  bei  welchem  der  Tilgungspunkt  übersehen 
und  das  übergeschriebene  e  in  das  Wort  heruntergenommen  wurde. 
So  entstand  bei  Keinz,  Indicul.  Arnonis  ein  p.  n.  heraliant  aus  dem 
heralint,  d.  i.  heralant  der  Hs.,  die  ich  selbst  eingesehen  habe. 

Es  ist  also  Ereleva  mit  Wechsel  zu  i  Eriliva  der  authentische 
Name  der  Kebse  Thiudimers. 

Was  den  ersten  Theil  des  Namens  anbelangt,  der  doch  wohl 
auch  in  Erarius  rex  Gothor.  a.  541  bei  Jordanes,  Aerarius  im  catalog. 
imperatorum  etc.  Farfensis.  Mon.  Germ.  Scriptor.  rer.  Langobard. 
p.  Ö2I  vorliegt,  so  wird  eine  andere  Anknüpfung  als  germ.  aira 
f.  Ehre,  Fick^  III,  4  kaum  möglich  sein,  und  des  Paulus  diac.  Ari- 
leua wird  dem  Aerarius  gemäß  als  Aerileua  aufzufassen  sein. 

Das  äi  ist  bei  Jordanes  in  ä  verengt  und  das  r  wird  wohl  auch 
schon  dem  späteren  Got.  gemäß  gewesen  sein').   Wenn  Förstemann^ 


')  Vgl,    die   Glosse  ^airu   im    cod.  Ambros.   zu   2.  Cor.    12,  7    gegen   geteitm, 


W.  GOLTHER,  DIE  SPRACHBEWEQUNG  IN  NORWEGEN.  411 

Sprachstamm  II,  199  für  ahd.  Sra  ein  got.  aiza  vermuthet  und  diese 
Annahme  auf  den  burgundischen  Frauennainen  Aisaberga  vom  Jahre 
491  stützt ,  80  brauchte  man  dies  als  zwingend  zwar  nicht  anzuer- 
kennen, denn  Aisaberga  ließe  sich,  wie  schon  Wackernagel  gethan 
hat,  ganz  leicht  aus  atz,  Erz  erklären.  Aisaberga,.  die  das  Erz  birgt, 
wäre  ja  ein  trefflicher  Frauenname,  sei  es,  daß  er  in  kriegerischer,  sei 
es  in  friedlicher  Weise  bezogen  werde,  aber  allerdings  kann  mit  Hin- 
sicht auf  die  Wurzel  aw  Fick*  III,  5,  zu  welcher  era  offenbar  gehört, 
an  seiner  germanischen  Grundform  aiza  nicht  gezweifelt  werden,  und 
Ficks   aira  ist   demgemäß  zu  berichtigen. 

Der  zweite  Theil  ist  als  sicheres  gotisches  Namenselement  nach- 
weisbar bei  dem  Diacon  Gudilebus  (dreimal),  Gudiliuus  (einmal)  der 
Urkunde  von  Arezzo,  welcher  in  der  eigenhändigen  Fertigung  des 
lateinischen  Urkundentextes  sich  nach  Maßmanns  Lesung  schreibt 
ik  Gudilaib.  dkn.  sowie  bei  dem  ustiarius  der  Gotenkirche  S.  Anastasia 
zu  Ravenna'Gudeljuus  (zweimal),  welcher  in  der  bekannten  Neapler 
Urkunde  erscheint.  Die  gotischen  Wörterbücher,  so  z.  B.  das  von 
Heyne  zu  seiner  Ulphilasausgabe,  5.  Auflage,  fähren  den  Diakon  fälsch- 
lich als  Gudilub. 

Dieses  Gudilaib  (*gudei  swf.  pietas?)  kann  aber  nicht  das  be- 
kannte Element  "läifa  enthalten,  sondern  in  Ansehung  der  lateinischen 
Transscription  -lebtu,  -Kuus  nur  ein  Element  laibs,  und  eben  dieses 
wird  auch  in  dreleva  anzusetzen  sein.  Gewiß  gehört  auch  dieses 
zum  Verbum  *leiban  und  darf  vielleicht  vivus,  vigens  bedeuten. 

SALZBURG  1889.  THEODOR  y.  GRIENBERGER. 


DIE  SPRACHBEWEGUNG  IN  NORWEGEN. 


Germania  26  (1880)  S.  1 — 33  hat  mein  hochverehrter  Lehrer 
Könrad  Maurer  in  seiner  gewohnten  gründlichen  und  klaren  Dar- 
stellungsweise über  die  Sprachbewegung  in  Norwegen,  das  „M  aal  s  tr  se  v*'^ 
berichtet.  Im  Anschluß  an  diesen  Artikel  sollen  hier  einige  Nachträge 
gegeben  werden,  welche  diejenigen  Erscheinungen  hervorzuheben 
beabsichtigen,  die  im  Verlaufe  der  letzten  Jahre  sich  herausbildeten, 
und  die  dazu  geeignet  sind,  das  Urtheil  über  das  Maalstrsev  wesentlich 
zu  bestimmen.  Ich  nehme  auf  Maurers  Ausführungen  Bezug  und  sehe 
darum  billigerweise  davon  ab^  die  Entstehung  der  Sprachbewegung 
nochmals  zu  schildern.  —  Norwegen  gebraucht  die  dänische  Schrift* 


412  W.  GOLTHER 

Sprache  als  Verkehrssprache;  seit  seiner  politischen  Loslösung  von 
Dänemark  hat  sich  das  Nationalgefühl  lebhaft  mit  dem  Gedanken 
getragen,  eine  eigene  norwegische  Schrift-  und  Umgangssprache  zu 
schaffen  y  wodurch  das  Dänische  völlig  verdrängt  werden  sollte.  Diese 
Landessprache^  das  Landsmaal,  versuchte  Ivar  Aasen  in  Wirklichkeit 
festzustellen,  indem  er  auf  Grund  der  lebenden,  reichen  norwegischen 
Dialecte  (bjgdemaal)  die  denselben  zu  Grunde  liegende  ideale  Ein- 
heit,  gleichsam  eine  Normalsprache  wiederzugewinnen  suchte  und 
in  seinen  Schriften  zur  Anwendung  brachte.  Obwohl  Aasen  ein  be- 
wundernswertheS;  auf  tiefgehender  Kenntniß  beruhendes  Kunstwerk 
in  seinem  Landsmaal  zu  Stande  brachte,  so  kann  man  sich  doch  nicht 
verhehlen,  daß  eine  solche  Sprache  zu  künstlich  und  unnatürlich  sein 
muß,  um  ins  Leben  überzugehen,  in  Schrift  und  Bede  benutzt  zu 
werden.  Die  Entstehung  einer  Schriftsprache  ist  äußeren  Zufälligkeiten 
unterworfen;  sie  gründet  sich  stets  auf  einen  bestimmten  Di&lect, 
nimmt  von  anderen  allenfalls  Einzelheiten  herüber;  ihre  Schöpfung 
liegt  in  der  Zeit  selber  begründet.  Umstände  besonderer  Art  wirken 
zusammen,  daß  die  in  ihr  verfaßten  Schriften  tonangebend  werden 
und  die  weitesten  Kreise  des  Volkes  durchdringen,  das  sich  dadurch 
gewöhnt,  litterarische  Werke  auch  in  einer  anderen  als  der  engen 
heimatlichen  Sprachform  zu  verstehen  und  gegebenen  Falles  selber 
in  dieser  Form  thätig  zu  werden.  Zum  Anderen  muß  der  erkorene 
Dialect  auch  ein  überall  verständlicher  sein,  d.  h.  z.  B.  auf  deutsche 
Verhältnisse  übertragen,  wäre  bayerisch  oder  alemannisch  ebenso- 
wenig wie  niederdeutsch  dazu  geeignet,  gewesen,  den.  Kern  einer 
lebensfähigen  Schriftsprache  abzugeben,  wohl  aber  vermochte  dies  ein 
Dialect  des  mittleren  Deutschlands,  der  den  beiden  finden  in  der 
Verständlichkeit  entgegenkam.  Ein  Volksschriftsteller  in  des  Wortes 
wahrer  und  edler  Bedeutung,  sei  er  nun  Dichter  oder  Gelehrter,  kann 
zum  Schöpfer  einer  für  alle  anderen  maßgebenden  Sprache  werden; 
ob  dies  aber  heutzutage  noch  ebenso  möglich  wäre  wie  in  den  ver- 
gangenen Jahrhunderten,  dürfte  fraglich  erscheinen.  So  lange  der 
litterarische  Verkehr  ein  beschränkter  ist,  hält  es  nicht  schwer,  das 
gesammte  Gebiet  zu  beherrschen;  doch  bei  der  unermeßlichen  Viel- 
heit der  litterarischen  Erzeugnisse  unserer  Tage  dürfte  es  schlechter- 
dings unmöglich  sein,  ein  ausschließliches  Übergewicht  zu  gewinnen 
und  zu  behaupten. 

Die  Schule  vermöchte  allerdings  ein  Machtwort  zu  sprechen  und 
eine  neue  Sprache  einfach  zwangsweise  durchzuführen.  Doch  würden 
sich   für   eine  Reihe   von  Jahren   die  unerquicklichsten  Unzuträglich- 


DIE  SPRACHBEWEGUNG  IN  NORWEGEN.  413 

keiten  ergebeD^  indem  die  geistigen  Äusdrucksmittel  der  jungen  Gene* 
ration  von  denen  der  alten  verschieden  wären,  die  mittlere  aber  vor- 
aussichtlich der  willkürlichsten  Regellosigkeit  anheimfiele.  Man  denke 
sich  etwa,  daß  die  Sprache  unserer  Reichshauptstadt  plötzlich  zur 
alleingiltigen  Schriftsprache  erhoben  würde  und  die  seither  gebrauchte 
verdrängen  müßte!  —  Aasens  Landsmaal  gründet  eich  aber  auf  ge- 
lehrte Abstraction;  die  norwegischen  Dialecte,  deren  es,  die  feineren 
Unterschiede  mit  veranschlagt,  über  400  gibt,  haben  allerdings  einen 
gemeinsamen  Qrund,  schließlich  sogar  eine  gemeinsame,  fest  bestimmte 
Ursprache,  aus  der  sie  hervorwuchsen.  Wollten  wir  aber  diese  Einheit 
wiederherstellen,  so  müßten  wir  folgerichtig  geradewegs  in  vorhisto- 
rische Zeiten  zurückgreifen;  dann  ließe  sich  eine  Normalform  auf- 
finden, von  welcher  alle  Dialecte  in  genau  bestimmbaren  Übergangs- 
stufen  sich  ableiteten.  Um  nun  diese  Form  für  den  heutigen  Qebrauch 
zurecht  zu  machen,  müssen  die  Lautverhältnisse  der  betreffenden  Ur- 
formen in  der  jetzt  herrschenden  Umbildung  angesetzt  werden,  wobei 
aber  Worte  entstehen  können,  die  völlig  unverständlich  sind.  Eigent- 
lich müßte  überall  ein  solches  Verfahren  strenge  eingehalten  werden, 
damit  man  mit  Recht  und  Fug  behaupten  könnte,  das  norwegische 
Landsmaal  vereinige  alle  Dialecte  als  die  über  ihnen  stehende  Einheit 
in  sich.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  aber  in  weitaus  den  meisten 
Fällen  das  Verfahren  in  der  gedachten  Weise  rein  undenkbar  ist, 
da  die  älteren  Belege  fttr  viele  Worte  fehlen;  femer  in  Bezug  auf 
Syntax  und  Bedeutungswandel  sich  unübersteigbare  Schwierigkeiten 
erheben;  mit  anderen  Worten:  die  Einheit  der  norwegischen  Dialecte 
in  einer  norwegischen  Gesammtsprache  bleibt  stets  eine  rein  wissen- 
schaftliche Abstraction,  genau  so  wie  das  Urgermanische  oder  Ur- 
arische, deren  Richtigkeit  zwar  nicht  dem  geringsten  Zweifel  unter- 
steht, die  aber  nie  in  die  Wirklichkeit  übersetzt  werden  kann,  zumal 
nie  in  Bezug  auf  die  zusammenhängende  Rede,  weil  die  einfachsten 
Grundbedingungen  hiezu  fehlen.  Angenommen  aber,  es  gelänge  wirk- 
lich, die  norwegische  Einheitssprache  in  allseitig  befriedigender  Art 
aus  den  Dialecten  heraus  zu  gewinnen  und  sie  von  dem  eben  dadurch 
mit  Nothwendigkeit  bedingten  alten  Entwicklungsstand  auf  den  gegen- 
wärtigen herunter  zu  führen,  so  daß  die  Grammatik  nirgends  mehr 
auf  Anstände  stieße,  so  würde  ein  solches  Landsmaal  merkwürdig 
genug  und  abgesondert  neben  den  übrigen  Schriftsprachen  der  Erde 
sich  ausnehmen,  da  es  nicht  auf  natürliche  Weise  ins  Leben  gerufen 
ward.  Zu  der  principiell  anfechtbaren  Grundlage  des  Landsmaal 
Aasens  tritt  aber  der  Umstand  hinzu,  daß  die  Einheit  eine  willkürliche 

OEBMANU.    Neu«  Beihe.  XXU.  (XXXIY.)  Jahrg.  28 


414  W.  GOLTHER 

ist,  d.  h.  trotz  aller  Bemtthung  eben  doch  nicht  auf  allen  norwegischen 
Dialecten  beruht,  sondern  auf  dem  von  Söndmöre.  So  ist  es  nicht  zu 
verwundern,  wenn  bei  den  verschiedenen  Verfassern,  welche  selbst- 
thätig  in  die  Frage  eingriffen/  das  Landsmaal  Ivar  Aasens,  auch  wenn 
sie  von  Hochachtung  für  dasselbe  erfüllt  sind  und  ihm  zu  folgen  die 
Absicht  haben,  allerlei  Veränderungen  erleidet.  Fj^rtoft  sprach  sich 
dahin  aus,  daß  die  Sprachstreber  sich  so  gut  als  möglich  an  Ivar  zu 
halten  hätten;  aber  er  wolle  kein  Czar  und  kein  Papst  sein,  sondern 
Jeder  dürfe  nach  dem  Rechten  suchen.  Ivar  H0yem  äußerte  sich  in 
ähnlicher  Weise  in  seiner  Norsk  mällsere  (Nidaros  1880) :  „Es  versteht 
sich  von  selber,  daß  Ivar  Aasens  norwegische  Sprachlehre  und  Wörter- 
buch bei  der  Ausarbeitung  eines  solchen  Buches  die  Hauptquellen 
für  mich  gewesen  sind;  und  wenn  ich  in  einzelnen  Fällen  etwas  ab- 
seits trete  von  dem  Wege,  den  Aasen  abgesteckt,  so  geschieht  es  in 
der  Hoffnung,  daß  der  Menge  damit  besser  gedient  wird.^  Aasmund 
Vinje  schloß  sich  Aasen  an,  doch  treten  bei  ihm  die  Sprachformen 
von  Thelemarken,  seiner  Heimat,  so  stark  hervor,  daß  das  Gesammt- 
bild  seines  Landsmaal  eine  ausgeprägte  thelemärkische  Färbung 
trägt.  Aasen  hatte  eine  Orthographie  angewandt,  welche  auf  der 
Etymologie  der  Wörter  beruhte,  wie  in  den  meisten  Schriftsprachen, 
und  auf  die  Phonetik  keine  Rücksicht  nahm.  Dem  gegenüber  verlangt 
FJ0rtoft  engeren  Anschluß  an  die  wirklich  gesprochenen  Dialecte; 
alles  Künstliche,  Fremde,  Todte,  Altnordische  soll  aus  der  Schreibweise 
verschwinden.  Obwohl  Fjertoft  wie  Aasen  aus  Söndmöre  stammt, 
unterscheidet  sich  sein  Landsmaal  in  Folge  davon  doch  bedeutend 
von  dem  Aasens.  Die  Consonanten  im  In-  und  Auslaute  sind  vielfach 
weggefallen,  so  daß  allerdings  der  Aussprache. damit  ihr  Recht  ein- 
geräumt wird,  aber  schwerlich  zu  Gunsten  der  Deutlichkeit.  Man 
denke  sich  das  Dänische  phonetisch  geschrieben  und  entsprechend 
norwegische  Lands-  oder  Bygde^aal,  so  würde  es  sehr  schwer  sein, 
überhaupt  nur  noch  die  Verwandtschaft  der  beiden  Sprachen  zu  er- 
kennen. Die  phonetische  Schreibart  sollte  thunlichst  ausgeschlossen 
bleiben;  denn  die  Schriftsprache  ist  einmal  zum  Verkehrsmittel, 
selbst  mit  dem  Ausland,  bestimmt.  Phonetische  Schreibung  darf 
angewendet  werden,  wo  es  sich  um  die  Darstellung  eines  leben- 
den und  gesprochenen  Dialectes  handelt.  Außerdem  wird  sie  fast 
immer  von  der  subjectiven  Sprechweise  des  Einzelnen  beeinflußt, 
eignet  sich  also  wohl  für  diejenigen  Fälle,  wo  er  seinen  Dialect 
niederschreibt,  kann  aber  nicht  maßgebend  für  Landesangehörige  aus 
anderen  Gegenden  sein.  An  die  ostländischen  Dialecte  macht  Fj^rrtoft 


DIE  SPRACHBEWEGÜNG  IN  NORWEGEN.  415 

einige  Zugeständnisse,  da  diese  natürlich  der  bislang  auf  das  West- 
land eingeschränkten  Sprachbewegung  ziemlich  fremd  gegenüber- 
gestanden waren.  Ähnlich  verfuhr  Steinar  Schj^tt  in  einer  Über- 
setzung der  Heimskringla.  Die  beiden  Genannten  nähern  sich  un- 
streitig mehr  einer  wirklichen  lebenskräftigen  Sprache,  indem  sie  in 
den  Dialecten  ihre  Stützen  suchen,  aber  sie  entfernen  sich  im  selben 
Verhältnisse  vom  Landsmaal,  der  historischen  Einheit  aller  Bygdamaal, 
auf  welcher  die  norwegische  Sprache  sich  aufbauen  soll.  Arne  Garborg 
und  Ivar  Mortenson  verfaßten  im  Jahre  1885  eine  „Lesebok  i  det 
norske  folkemäl  for  h^gre  skular**.  Auch  sie  entfernen  sich  von  Aasens 
Normalform  und  suchen  einzelne  Annäherungspunkte  an  das  Ostland. 
Ein  hervorstechender  Zug  des  neuen  Landsmaal  ist  die  Inconsequenz 
in  Hinsicht  auf  die  Rechtschreibung  und  die  Grammatik,  die  aller- 
orts zu  Tage  tritt.  Neben  einander  werden  dieselben  Wörter  in  ver- 
schiedener Form  gebraucht,  z.  B.  moyer  und  meyar,  menn  und  menner^ 
arbeid  und  arbeide  und  zahllose  andere  Beispiele.  Die  Schriftsprache 
muß  aber  vor  Allem  auf  ein  strengstens  durchgeführtes  einheitliches 
System  dringen,  sonst  zerfällt  sie  in  sich  selber.  Die  nordländische 
Sprache,  der  trondheimische  Dialect  hat  nun  unterdessen  auch  in  den 
Streit  eingegriflFen  durch  die  beiden  H&yem,  gebürtig  aus  Bynass, 
westlich  von  Trondheim.  Ivar  Heyem  verfaßte  eine  Norsk  mallsere 
(Niäaros  1880)  und  O.  J.  H^yem  eine  biblische  Geschichte^  „den 
heiige  Saga  og  Kjarkjesaga"  (Nidaros  1881),  welche  letztere  mit 
öffentlicher  Unterstützung  unter  dem  tröndischen  Volke  vertheilt  wurde, 
aber  trotzdem  wenig  Anklang  fand.  Es  stand  zu  erwarten,  daß  von 
Trondheim  die  Landsmaalfrage  jedenfalls  vielfach  neu  beleuchtet  wer- 
den müßte,  und  in  der  That  hat  eine  so  wichtige  Dialectgruppe  wie 
die  tröndische  bei  der  Schaffung  einer  gemeinsamen  Schriftsprache 
eine  gewichtige  Stimme.  Da  zeigt  sich  nun,  daß  Aasens  Landsmaal, 
überhaupt  die  gesammte  seitherige  wesentlich  westländische  Richtung 
den  tröndischen  Dialecten  sehr  ferne  steht;  bei  allem  Bestreben  der 
Hi8yem,  Anschluß  an  das  erstere  zu  gewinnen,  ergibt  sich  doch  mit 
Deutlichkeit,  daß  der  Trönder  nur  ein  auf  seinen  Dialect  begründetes 
Landsmaal  annehmen  kann,  daß  also  das  Landsmaal  von  diesem 
Standpunkt  aus  betrachtet  durchaus  kein  allgemein  giltiges  wird, 
sondern  ein  stets  an  verschiedenen  Theilen  des  Landes  auch  ver- 
schieden aufgefaßtes.  Mit  demselben  Rechte  natürlich,  wie  der  Trönder 
auf  dem  seinigen,  besteht  der  Bergenser  und  Thelemärker  auf  dem 
westländischen,  und  keiner  dürfte  sich  geneigt  finden,  zu  Gunsten 
des  anderen  Verzicht  zu  leisten.   Dem  Trönder  Landsmaal  kommt  in 


416  W.  GOLTHER 

diesem  Sinne  negative  Entscheidung  über  die  Möglichkeit  eines  all- 
gemeinen Landsmaal  zu.  0.  J.  Heyem  machte  den  originellen  Versuch, 
auf  Grund  des  neuen  Landsmaal  eine  deutsche  Grammatik  zu 
jichreiben  unter  dem  Titel:  ^Tysk  gjort  let  ved  norsk  Bygdamäl  og 
Landsmäl"  (Nidaros  1889).  Er  betont  im  Vorwort  des  kleinen,  101  Seiten 
umfassenden  Büchleins ,  daß  vom  Norwegischen  aus  die  Erlernung 
des  Deutschen  leichter  sei  als  vom  Dänischen  und  Schwedischen ,  in- 
dem die  beiden  letzteren  Sprachen  vieles  Altere  verloren ,  das  im 
Norwegischen  noch  lebendig  ist  und  darum  mit  dem  Deutschen  über- 
einstimmt, wo  jene  nichts  Entsprechendes  mehr  aufweisen.  So  besitzt 
das  Norwegische  noch  drei  Geschlechter  gegenüber  den  zweien  im 
Dänischen  und  Schwedischen;  verschiedene  Casusformen  (Dativ) 
haben  sich  im  Norwegischen  erhalten  [freilich  ging  dafür  der  Genitiv 
verloren  und  muß  sich  das  Landsmaal  mit  umständlichen  Umschrei- 
bungen behelfen].  Diesen  praktischen  Vortheil  hat  aber  der  Norweger 
in  seinem  Dialecte,  und  er  vermag  ihn  auch  von  hier  aus  zu  benutzen, 
ohne  daß  er  der  Zwischenstufe  des  Landsmaal  bedarf,  so  daß  also 
dieser  Umstand  gerade  nicht  sehr  schwer  in  die  Wagschale  fällt. 

Wenn  wir  das  Landsmaal,  seitdem  es  durch  Aasen  in  die  Wirk- 
lichkeit übersetzt  wurde,  überblicken,  so  stellt  es  sich  als  ein  keines- 
wegs klarer  und  fester  Begriff  dar,  sondern  als  ein  wechselnder  und 
veränderlicher,  der  sich  bei  den  verschiedenen  Vertretern  immer  neu 
gestaltet.  Johan  Storm,  dessen  Ansichten  wir  auch  in  den  vorher- 
gehenden Erörterungen  zum  großen  Theil  folgten,  hat  in  einer  kleinen, 
höchst  werthvollen  und  lesenswerthen  Schrift  „det  njnorske  Landsmaal" 
Kjebenhavn  1888,  8",  116  Seiten,  die  ganze  Frage  nochmals  zusammen- 
fassend beleuchtet,  und  er  weist  an  vielen  Beispielen  nach ,  wie  richtig 
sein  alter  Satz  ist,  daß  das  Landsmaal  eine  Sprache  sei,  „qui  a  le 
malheur  de  ne  pas  exister".  Von  einer  Einheit  der  grammatikalischen 
Form  ist  gar  keine  Rede,  und  doch  betonen  die  Maalstraever  immer 
mit  besonderem  Nachdruck,  daß  es  gerade  auf  die  Form  ankomme, 
nicht  auf  ein  paar  Norwagismen,  welche  man  in  die  dänisch-nor- 
wegische Schriftsprache  einführe.  Nicht  einmal  der  Artikel  hat  eine 
einheitliche  Form  bei  den  verschiedenen  Schriftstellern;  die  gewöhn- 
lichsten Begriffe  erscheinen  überall  anders.  Z.  B.  schreibt  Aasen  für 
Hand  (manus)  händig  Vinje  hande  und  haanda^  0.  J.  Hjeryem  handa; 
für  Braut  (sponsa)  Aasen  hrudi,  Vinje  brudri  und  brude  und  brura, 
O.  J.  H^yem  brudra.  Bei  den  selteneren  Ausdrücken  ist  die  Regel- 
losigkeit noch  ärger.  Nicht  einmal  ein  und  derselbe  Schriftsteller, 
Aasen   nicht  ausgenommen,  hält  an  einer  strengen  Einheit  fest.    Wie 


DIE  SPRACHBEWEGUNG  IN  NORWEGEN.  417 

kann  man  aber  von  einer  derartigen  Sprache,  die  in  ihren  allerein- 
fachsten  Qrandzügen  nicht  zur  rechten  Klarheit  vorzudringen  vermag, 
verlangen,  sie  solle  dem  gesammten  Volke  als  Verkehrsmittel  dienen? 
Sie  kann  eigentlich  schlechterdings  nicht  einmal  gelernt  werden,  son- 
dern immer  nur  die  individuelle  Auffassung  einzelner  Verfasser,  denen 
es  selbst  an  manchen  unerläßlichen  Vorbedingungen  gebricht.  Aasen 
hat  sicher  verhältnißmäßig  das  denkbar  Beste  geleistet;  ihm  stand 
ja  auch  die  gründliche  philologische  Schulung  und  geschichtliche 
SprachkenntniO  zu  Gebote,  ohne  welche  ein  Urtheil  in  sprachlichen 
Sachen  eben  unmöglich  ist.  Trotzdem  erwies  sich  sein  Landsmaal 
als  ungenügend,  weil  es  eben  ein  todtgeborenes  Kind  ist,  dem  keine 
andere  Macht  den  belebenden  Herzschlag  verleihen  kann,  als  eben  die 
Natur  selber,  die  hier  versagt.  Von  den  Nachfolgern  Aasens  läßt 
sich  das  Gleiche  nicht  behaupten.  Trotz  des  patriotischen  Eifers  ver- 
mögen viele  Maalstrffivere  nicht  einmal  Danismen  und  Germanismen 
zu  vermeiden,  was  zur  Genüge  bekundet,  daß  es  ihnen  an  einer 
sicheren  geschichtlichen  Auffasung  entschieden  fehlt.  Man  darf  bei 
solchen  Dingen  nicht  zu  einseitig  vom  idealen  patriotischen  Stand- 
punkte ausgehen,  sondern  muß  der  nüchternen  Betrachtung  und  Er- 
wägung Gehör  schenken,  um  sich  nicht  in  reine  Unmöglichkeiten  zu 
versteigen.  Storm  urtheilt  sicher  als  der  berufendste  Richter,  und  jeder 
Unbefangene  und  Urtheilsfähige  muß  seinen  Ansichten  vollkommen 
beipflichten.  Von  der  praktischen  Seite  aus  besehen  ist  das  Landsmaal 
hinfällig,  und  der  Bauer  wird  sich  nicht  damit  befreunden  können. 
Es  dürfte  sein  Bewenden  dabei  haben,  daß  die  norwegisch- dänische 
Schriftsprache  fortfährt,  sich  am  nationalen  Element  zu  kräftigen  und 
dadurch  eigenartig  genug  dem  Dänischen  sich  gegenüberzustellen. 
So  kommt  das  charakteristische  Norwegische  zu  Recht,  ohne  daß  das 
äußerst  nutzbringende  gemeinsame  sprachliche  Ausdrucksmittel  der 
beiden  nordischen  Staaten  aufgehoben  zu  werden  braucht.  Nicht  zu 
unterschätzen  beim  Landsmaal  ist  der  Umstand,  daß  im  täglichen 
Verkehr  und  im  litterarischen  jedweder  Gattung  durch  das  letztere 
sehr  beträchtliche  und  durchaus  unnöthige  Schwierigkeiten  geschaflen 
würden.  Die  nordischen  Sprachen  stehen  ohnehin  schon  außerhalb 
der  allbekannten  und  allgekannten  europäischen,  und  es  ist  eine  ver- 
hältnißmäßig  geringe  Anzahl,  zu  der  jene  schönen  Idiome  unmittelbar 
reden.  Diese  wird  um  ein  Ziemliches  vermindert,  sobald  wir  mit  drei 
ausgesprochenen  Einzelsprachen,  statt  wie  bisher  mit  zweien  zu  rechnen 
haben.  Die  modernen  Zustände  drängen  aber  zum  Wechselverkehr 
hin,  nicht  zur  einseitigen  Isolierung,  durch  welche  ein  Volk  vielleicht 


418  W.  GOLTHEB,  DIE  SPBACHBEWEGUNG  IN  NOBWEGEN. 

nicht  unerheblich  geschädigt  werden  würde.  Man  könnte  davon  gerne 
absehen,  wenn  es  sich  darum  handelte,  eine  ursprüngliche  Sprache 
zu  erhalten.  Denn  die  Erhaltung  germanischer  Eigenart,  und  sei  es 
im  Geringsten  nur,  ist  wichtig  genug,  um  mit  Opfern  erkauft  zu 
werden.  Aber  im  gegebenen  Falle  handelt  es  sich  um  willkürliche 
künstliche  Sprachgebilde,  bei  denen  solche  Rücksichten  überhaupt  gar 
nicht  zum  Zuge  kommen.  Das  Maalstrsev  kann  demnach  nur  als 
dansk-norsk,  d.  h.  als  die  naturgemäße,  nicht  gewaltsam  vorwärts 
getriebene  Norwegisierung  der  bestehenden  Schriftsprache  thatsäch- 
liehe  Bedeutung  gewinnen^).  —  Etwas  Anderes  als  das  künstliche  Lands- 
maal  wäre  die  Heranbildung  eines  besonderen  Dialectes  zur  Schriftsprache ; 
eine  derartige  Erschaffung  der  letzteren  ist  die  natürliche,  organische 
Entstehung,  wie  sich  auch  sonst  Schriftsprachen  entwickelten.  Jedoch 
fehlen  die  äußeren  geschichtlichen,  zwingenden  Umstände,  welche  gerade 
einen  bestimmten  Dialect  zur  Schriftsprache  erheben,  vollkommen,  und 
sind  in  der  Gegenwart,  wie  bereits  bemerkt,  nimmer  recht  denkbar.  Die 
willkürliche,  etwa  auf  sprachgeschichtliche  Gründe  gestützte  Auswahl 
eines  norwegischen  Dialectes  würde  bei  der  praktischen  Durchführung 
auf  gerechtfertigte  Widersprüche  stoßen ;  der  Trönder  würde  sich  fürs 
Bergensische  bedanken  und  umgekehrt.  Dagegen  kann  die  eingehende 
Beschäftigung  mit  den  einzelnen  Bygdemaal  aufs  angelegentlichste 
empfohlen  werden.  Gewiß  bleiben  diese  in  ihrer  Reinheit  um  Vieles 
ungestörter,  wenn  in  der  Schule  und  im  öffentlichen  Leben  die  dänische 
Schriftsprache  herrscht,  weil  diese  nirgends  das  Einheimische  ver- 
drängt oder  verbessert,  sondern  als  eine  zweite,  gänzlich  verschiedene 
Sprache,  wie  im  Grunde  jede  Schriftsprache,  daneben  steht.  Wohl 
aber  könnte  das  unnatürliche  Landsmaal  die  Dialecte  empfindlich 
stören,  und  darüber  hätte  der  Patriotismus  mehr  Ursache  zu  klagen, 
als  über  das  Bestehen  einer  dänischen  Schriftsprache.  Die  moderne 
Sprachwissenschaft  ist  mehr  denn  je  geneigt,  dem  Dialect  volle  Be- 
rechtigung einzuräumen;  der  letztere  gibt  das  reichste  Material  für 
die  Geschichte  der  Gesammtsprache  an  die  Hand  und  lehrt  noch 
heutigen  Tages  die  morphologischen  Gesetze  kennen,  die  vor  Urzeiten 
herrschend  waren.  Der  norwegischen  Sprache  würde  unendlich  mehr 
Förderung  erwachsen,  wollten  sich  die  Bemühungen  statt  auf  das 
unfruchtbare  Landsmaal  auf  die  Bygdemaal  selber  und  ihre  genaue 
Erforschung   richten.    Unstreitig   sehr   richtig   ist   auch  der  Gedanke, 

*)  Es  verdient  angemerkt  zu  werden,  wie  sich  norwegische  Schriftsteller  zur 
Frage  stellen.  Vgl.  die  Kritik,  welche  Ibsen  im  „Peer  Gynt"  durch  die  Gestalt  „des 
Sprachverbesserers  Huhu*^  über  die  Sache  ausspricht. 


R.  SPRENGER,  ZU  GERHARD  VON  MINDEN.  419 

den  Storm  andeutet,  die  Schule  solle  neben  der  Erlernung  der  dänisch- 
norwegischen Schriftsprache  Gewicht  darauf  legen,  daß  die  Schüler 
aus  einer  entsprechend  eingerichteten  Chrestomathie  die  Bygdemaal 
lesen  und  verstehen  lernen.  Nicht  nur  in  Norwegen,  sondern  auch  in 
Deutschland  wäre  es  von  Werth,  wenn  die  Schule  wenigstens  einige 
Andeutungen  und  Winke  dem  Schüler  über  das  Verhältniß  der  Schrift- 
sprache und  des  Dialectes  zukommen  ließe,  von  dem  die  Wenigsten 
auch  nur  die  leiseste  Ahnung  haben;  zumeist  wird  in  Laienkreisen 
der  Dialect  als  Entartung  der  Schriftsprache  heutigen  Tages  noch 
aufgefaßt.  Diesem  Übelstand  wäre  so  leicht  abzuhelfen,  wenn  anders 
nur  der  Unterricht  in  der  Muttersprache  auch  überall  endlich  zu 
gebührenden  Ehren  erhoben  würde. 

MÜNCHEN,  1.  Mai  1889.  W.  GOLTHER. 


ZU  GERHARD  VON  MINDEN. 


Bemerkungen  zu  Seelmanns  Ausgabe  der  Gedichte  Gerhards 
theilte  ich  zuerst  im  Osterprogramm  des  hiesigen  Realprogymnasiums 
vom  Jahre  1879  mit,  worauf  ein  zweiter  Aufsatz  im  Jahrbuche  des 
Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung  IV,  S.  98  folgte.  Einen 
längeren  Aufsatz  zur  Kritik  und  Erklärung  der  Gedichte  ließ  sodann 
Damköhler  im  Niederd.  Jahrb.  XIII,  75  erscheinen,  nachdem  er  schon 
vorher  seine  Meinung  über  einzelne  Stellen  im  Korrespondenzblatt  des 
Vereins  mit  mir  ausgetauscht  hatte.  Hieran  schließen  sich  die  nach- 
stehenden Bemerkungen,  welche  bei  wiederholter  Lesung  im  Laufe 
der  letzten  Jahre  niedergeschrieben  sind. 

NORTHEIM.  R.  SPRENGER. 

Prol.  54  in  dumheit  tU  ist  unverständlich.  Es  ist  wohl  in  tU  zu 
lesen  ==  ^zu  rechter  Zeit';  mhd.  enztte.  Darauf  führt  auch  die  an- 
geführte Stelle  des  Cato:  Insipiens  esto  quum  tempus  postulat.  Vgl. 
in  half  *zur  Hälfte'  IV,  50. 

2,  21    De  wulf  8fr dk:  *Dat  is  schuU  gendck 

van  di,  dat  dm  drank  mi  gerdch, 

de  mit  di  moste  sin  ver dornet; 

dut  vlM  drovet  unde  wlomet, 

dat  ik  it  drinken  nicht  enmach. 
Die  Verse    sind  unverständlich,  und  auch  der  Herausgeber  hat  sich 
vergeblich  um  ihre  Deutung  bemüht.  Zunächst  ist  es  der  Form  nach 


420  B.  SPRENGER 

UDmöglichi  daü  geröch  za  geruken^  riechen  gehören  soll;  wie  er  in  der 
Wortlese  annimmt;  auch  würde  diese  Bedeutung  nicht  in  den  Zu- 
sammenhang passen.  Sodann  ist  es  auffällig,  daß  wlomen  nur  an  dieser 
Stelle  in  intransitiver  Bedeutung  vorkommen  sollte,  während  es  sonst 
stets  'trübe  machen'  bedeutet.  Dies  ist  um  so  auffälh'ger,  als  auch  in 
der  entsprechenden  Fabel  des  Wolfenbüttler  Aesop  11,  13  der  Hand- 
schrift das  Lamm  spricht:  we  mochte  ich  wlomen  dinen  drank?  Auch 
für  droven  ist  die  Bedeutung  'trübe  sein'  durch  keine  weitere  Stelle 
belegt,  seitdem  es  in  v.  Kellers  Fastnachtspielen  967,  10  durch  Seel- 
mann richtig  in  doven  gebessert  ist.  Ich  glaube,  daß  die  Stelle  ver- 
derbt und  folgendermaßen 'zu  bessern  ist: 

De  wulf  sprak:  Dat  ia  schult  genoch 

van  dl,  dat  dm  drank  mi  gedrdch, 

de  mit  di  rtiOste  ein  ver dornet; 

dut  vlet  he  drovet  unde  wlomety 
dat  ik  it  drinken  nicht  enmach. 
Dadurch,  daß  das  Lamm  angeblich  das  Wasser  getrübt  hat,  will  der 
Wolf  um  seinen  Trank  betrogen  sein.  Er  sagt  von  dem  Lamme  auch 
V.  13  du  dregest  wulle  unde  hörn  dorch  drogene. 
3,  100    unde  worden  vast  aldus  gebunden 

mit  einem  vaden^  den  se  vunden 

daraf  geneget  was  ein  hdt  (:  vlot). 
Ich  bleibe  bei  der  handschriftlichen  Lesart  und  übersetze:  Mit  einem 
Faden,  womit  ein  Hut  genäht  gewesen  war.  Seelmann  hat  dafür  das 
landschaftlich  begrenzte  bot  ^Endchen'  gesetzt,  das  sich  im  älteren 
Niederdeutsch  nicht  belegen  läßt,  denn  17,  13,  wo  der  Herausgeber 
dieses  Wort  ebenfalls  finden  will,  ist  verderbt.  Was  geneget  heißen 
soll,  hat  er  uns  nicht  gesagt.  Man  wird  zunächst  an  neieUy  neigen, 
neggen  nähen'  denken,  und  dies  ist  denn  auch  das  Richtige,  während 
Damköhler  sich  durch  Seelmanns  Conjectur  verleiten  läßt,  ein,  wie 
er  selbst  gesteht,  im  Mnd.  nicht  belegtes  nagen  =  gnagen^  knagen 
'nagen'  anzusetzen,  was  um  so  bedenklicher  ist,  als  auch  für  das 
hochdeutsche  nagen  der  Umlaut  nicht  erwiesen  ist. 

6,  15    de  weder  sprak  der  bute  vro. 
Statt  bute  hat   die  Hs.   kude  'Hut',    welches  richtig  ist,    da  hude  und 
warde  (V.  9),   wie  das  Mnd.  Wb.  2,  276  zeigt,    synonym  sind.    Vgl. 
die  im  Mnd.  Wb.  citierte  Stelle  Niederd.  Rechts  b.  f.  181:  unde  holden 
de  hoede  unde  warde. 

6,  14    Na  sinem  rechte  he  do  on  wrackte^ 
Die  Hs.  hat:  to  on^  und  zu  lesen  ist:  he  to  om  wrackte  *that  er  mit  ihm'. 


zu  GERHARD  VON  MINDEN.  421 

7,  13    De  wise  man  sprak  dusse  mere, 

dat  it  der  sunnen  wille  were 

6k  wiSy  dat  he  wolde  nemen 

ein  echte  wif  . . . 
Über  diese  Stelle  hat  zuletzt  Damköhler  im  Niederd.  Jahrbuch  XIII,  75 
gesprochen.  Er  wendet  sich  daselbst  gegen  meine  frühere  Erklärung, 
welche  in  dem    handschriftlichen   ^^e    eine  Verbform  sah,    und  hält 
dagegen  an  des  Herausgebers  wis  fest^  von  dem  er  aber  leider  eben- 
sowenig wie  Jener  sagt^  was  es  bedeuten  soll.  Auch  seine  Auflösung 
in  wis  en,  indem  er  ^n  =  *und'  faßt,  scheint  mir  nicht  annehmbar. 
Ich  vermuthe,  daß  zu  schreiben  ist  ok  wes  en  'und  gab  ihn  (den  Willen) 
zu  erkennen\    wSs    ist  starkes  Praeteritum    zu  umen,    welches    selten 
ist  *),   wodurch  die  Veranlassung  zur  Verderbniß  gegeben  wurde. 
7,  31    Dit  bispel  wil  de  jene  leren, 
de  gerne  hedden  vele  heren^ 
dat  se  eik  vorwandeln  mochten 
und  ere  des  jdres  vele  besochten» 
Diese  Stelle   scheint  mir  auch  von  Damköhler  noch  nicht  richtig  ge- 
deutet*   Im  Aesop.  moral.   heißt  es:   Ista  fdbula  docet,   quo  melius  est 
habere   unum  principem   quxim   plures.    nam  si  plures  sint ,    quilibet  sibi 
vindicat  servitium  et  honorem,   quibus  su/ficere  nequeunt  subditi.    Das 
läßt   doch    wohl   darauf  schließen,    daß  ere  nicht  als  Pronom.  poss., 
auch  nicht  als  Qen.  Plur.  des  Pronom.  personale  zu  fassen  ist,    son- 
dern =  honor.    Ich   übersetzte:    'Diese  Fabel   will  Diejenigen  lehren, 
die  gern  viele  Herren  hätten:  daß  siie  (die  Herren)  sich  in  das  Qegen- 
theil    (von    dem    was   man   erwartete)    verkehren    und  das  Jahr  über 
viele  Ehre    von    ihnen    beanspruchen    möchten.*    Auch   die   folgenden 
Verse:  Ein  here  is  dk  beter  denne  twe, 

went  men  gelike  jo  nicht  se 

ne  mach  mit  denste  moden. 
dürften  mit  näherem  Anschluß  an  die  Vorlage  zu  erklären  sein:  'Ein 
Herr  ist  auch  besser  als  zwei,  weil  man  ihnen  nicht  in  gleicher  Weise 
(wie  einem)  mit  Dienst  Genüge  leisten  kann.'  moden  muß  hier  etwas 
Ähnliches  bedeuten,  wie  sufficere  'zu  Willen  sein',  worauf  ja  die  Glosse 
im  Mnd.  Wb.  III,  106  moden  vel  anmoden,  insinuare  führt. 
8,  1    Ein  wulf  doreh  sin  girichede 

grdt  let  to  enem  male  dede 


')  Doch   siehe  die  im  Mnd.  Wb.   angeführte  Stelle  aas  den  Monum.  Livou.  4', 
195  tmde  wis  una  alle  aegel  unde  breue. 


422  R-  SPRENGER 

Da  let  don  nur  hei£en  kann  ^Leid,  Schmerz  zufügen ^'^  so  glaubt  Dam* 
köhler  Jahrb.  XIII;  76 ,  daß  die  Stelle  entstellt  sei.  Ich  glaube ,  daß 
nichts  zu  ändern  ist,  und  erkläre  dorch  als  contrahierte  Form  von 
^dorich  „thöricht'^.  Ein  muü  dann  unäectierte  Form  des  Dativs  sein, 
wie  sie  sich  nach  dem  Mnd.  Wb.  z.  B.  in  der  Münster  Chron.  1,  277 
findet.  Es  ist  also  zu  übersetzen:  „Einem  thörichten  Wolfe  fügte 
einst  seine  Gier  großes  Leid  zu^. 

9,  19    Darna  wol  over  seven  wehen 
hegunde  se  darumme  spreken 
unde  bctt  se  harde  gunstUken, 
dat  se  ore  wolde  untwiken, 
als  an  der  not,  se  let  darinne. 
V.  23  erklärt  Seelmann,   indem  er  Ausfall  des  Relativums   annimmt: 
'in  Anbetracht  der  Noth,  welche  sie  darin  litte'.    Dies  ist  aber  schon 
deshalb  falsch,  weil  die  Hündin  der  Schwangeren  ja  ihre  ganze  Wohn- 
stätte  eingeräumt  hat   und  erst  jetzt  wieder  Einlaß  verlangt.    Es  ist 
zu  schreiben: 

dat  se  ore  wolde  untwiken, 
alse  an  det*  not  se  lit  darinne. 
„Daß  sie  ihr  jetzt  weichen  möchte,   da  sie  sie  in  der  Noth  darin  ge- 
litten hatte,  alse  steht  für  ake  se,  wie  öfter;  vgl.  Mnd.  Wb.  I,  61. 
9,  31  ff.  ist  zu  lesen: 

Darumme  en  schol  gi  nicht  vorderven 
mi  nu.    lotet  mi  hliven 
hir  so  lange,  of  it  ju  geteme, 
dat  dusse  winter  ende  neme, 
dat  doch  unlanges  wesen  mot. 
Die  Hs.   hat  V.  35  dat  er  it  doch.    Es  ist  zu  übersetzen:   'Was  doch 
bald  geschehen  muß*,  unlanges  wird  auch  von  der  Zukunft  gebraucht, 
was  aber  aus  dem  Mnd.  Hdwb.  nicht  zu  ersehen  ist. 
11,  18    unde  it  enhlift  ok  nicht  dat  Uste, 
went  se  alle  darna  moten  varen, 
dat  gi  vil  arme  scolen  bewaren. 
Die  in  der  Wortlese  angegebene  Bedeutung  von  bewaren  =  verhüten 
paßt   nicht    für   unsere    Stelle,    es  ist  hier  vielmehr  =  'behüten,  be- 
wahren'. Der  Sinn  ist  demnach :  „Es  bleibt  Euch,  ärmste,  auch  nicht 
das  letzte  Junge  zu  beschützen.^ 

11,  27  ff.    sind   in   der  Ausgabe   unverständlich   und    folgender- 
maßen zu  bessern: 


zu  GERHARD  VON  MINDEN.  423 

unde  hcutliken  ein  blas 

van  vure,  deU  dar  bernede  was 

he  in  dat  droge  holt  do  stak. 
^Und  schnell  nahm  er  ein  Scheit  von  einem  Feuer ,    das  da  brannte^ 
und  steckte  es  in  das  trockene  Holz.^  bernede  =  bemende,  wie  Sünden- 
fall  2054. 

14,  35    De  hogen  werden  landesheren 

de  mögen  sik  tein  bi  diLSsen  meren, 

dat  se  mit  gnedeliken  dingen 

jo  ore  underdanen  dwingen, 

dat  se  mit  vrede  nickt  bestän, 

oft  it  an  scholde  missegän, 
V.  39  ist  zu  lesen:    dat  se  mit   vreden   icht   bestän  ^daß    sie   etwa  in 
Frieden  bleiben'.    Vgl.   mit  vrede  taten  9,  54.    80,  37    und   nnd.  med 
freen  laten  Schambach  s.  v. 

15,  18    Do  sin  her  van  kerken  gink 

to  hüs  mit  sinen  besten  kleden, 

wolde  de  esel  ummescheten^ 

mit  sinem  speie  em  to  untmaten 
V.  20  ttmmescheten  erklärt  der  Herausgeber  durch  'sich  überschlagen', 
welche  Erklärung  auch  in  das  Mnd.  Wb.  übergegangen  ist.  Es  ist 
aber,  wie  schon  der  Reim  beweist,  entstellt  aus  unbescheden  *unbe- 
scheiden'.  Es  ist  dann  auch  nichts  weiter  an  der  handschriftlichen 
Lesart  zu  ändern,  und  zu  schreiben: 

wolde  de  esel  umbescheden 

mit  sinem  speie  eme  do  entmoten, 
'Da  wollte  der  unbescheidene  Esel  ihn  mit  seinem  Spiele  begrüßen'. 

16,  56.  dat  (starke  strik)  stof  se  entwe.  stof  wird  in  der  Wortlese 
erklärt  =  zerbiß.  Diese  Bedeutung  kann  aber  stoven  nicht  haben; 
es  ist  wohl  zu  lesen  scdf  —  mhd.  schtiof  'verursachte,  bewirkte*. 

17,  10  ff.  ist  zu  lesen: 

darmede  we  schalen  in  der  vlucht 

gevangen  unvorwändes  werden, 

beslagen  ane  waier,  up  der  erden 

unde  ok  an  allen  hoUen  gestricket. 
Statt  holten  hat  die  Hs.  holen  y  woraus  der  Herausgeber  unpassend 
boten  gemacht  hat.  stricken  hat  hier  die  Bedeutung  'mit  Stricken 
fangen*.  Vgl.  Wolf.  Aesop.  17,  16  {wi  wille)  uns  nit  in  der  vögele  schär 
holden  y  die  vil  dicke  gevangen  wirt  mit  stricke  an  allen  hoüen  'in  allen 
Wäldern'. 


424  B.  SPBENGEK 

18,  51  Du8  mdt  ore  vriheit  sik  vorkereUf 

de  under  enem  guden  heren 

jo  wonetf  de  al  mit  duldiehede 

an  18  in  allen  dingen  mede, 

unde  dan  na  enem  vromden  stdt. 
Statt  vromden  hat  die  Hs.  vrede,  d.  i.  wrSde  *böse';  der  letzte  Vers  ist 
also  zu  schreiben: 

unde  dan  na  enem  tvreden  stät. 
Die  Frösche   verlangen  ja  V.  37   einen  Herren,    „dem  se  dor  angest 
mosten  denen.^ 

19,  6.  Nach  diesem  Verse  ist  eine  größere  Lücke,  in  welcher^ 
wie  die  Vergleichung  mit  Wolfenbüttler  Aesop  19  zeigte  gesagt  war, 
daß  der  Habicht  die  Alten  verfolgte,  und  daß  diese  dann  die  Jungen 
im  Neste  verließen. 

20,  11.  br6twert  ist  wohl  als  Compositum  zu  fassen,  wie  penninc- 
wert  gebildet. 

20y  29  ist  besser  zu  ergänzen:  dat  was  ome  M  dem  tun  unt- 
Valien.  Die  Auslassung  erklärt  sich  so  leichter;  auch  ist  in  V.  26 
von  einem  tun,  nicht  von  einer  want  die  Rede. 

21,  1  ist  zu  interpungieren : 

Ein  verkenmoder  seholde  winnen 

ir  jungen,    dar  se  lach  enbinnen, 

quam  ein  vmlf  to  ir 

dar  ist  zeitlich  zu  fassen,  wie  R.  V.  2346,  3544.  inne  ligen  oder  kindes 
inne  ligen  bedeutet  *im  Kindbett  liegen';  vgl.  Lexer  I,  1915. 

22,  13    ist  zu  interpungieren: 

ik  bringe  di  dar  sunder  leide 

ik  weit  se  stän  an  guder  weide. 
'Ich  bringe  dich  ohne  Leid  dahin,  wo  ich  sie  auf  guter  Weide  stehen 
weiß.' 

23,  31    Dama  hegunde  an  tomen  dagen 

de  koninc  den  sulven  lowen  jagen. 
Daß  tomen  nicht,  wie  die  Wortlese  angibt,  Verbform  sein  kann,    be- 
merkte ich  schon  im  Programm.  Altsächsisch  und  angelsächsisch  findet 
sich  ein  Adjectiv  in  der  Bedeutung  'bitter'.  Dies  in  übertragener  Be- 
deutung =  'unangenehm'  könnte  hier  vorliegen. 
27,  37    Do  wände  dar  ein  kotse  fer^ 

ein  ridder,  junk  stolt  unde  her^ 

de  was  von  art  wol  or  geltke^ 

al  ne  was  he  nicht  so  rike. 


zu  GERHARD  VON  MINDEN.  425 

Gegen  diesen  Text  erhebt  sich  das  Bedenken ,  daß  ein  Ritter,  der 
wegen  seiner  Armuth  eine  einfache  Kotstelle  bewohnen  muß;  deshalb 
noch  nicht  ein  koUe  'Eossäthe'  genannt  werden  kann,  womit  durch- 
weg ein  Angehöriger  des  kleinen  Banerstandes  bezeichnet  wird.  Die  Hs. 
hat  statt  „kotse  fSr^  y^hotze/Der^ ,  doch  so  geschrieben,  „daß  der  Anlaut 
durch  Zusammenfluß  der  Tinte  aus  k  entstanden  sein^  das  v  auch  als  ( 
gelesen  werden  könnte".  Das  von  Wiggert,  2.  Scherflein  43  gelesene 
kotzeber  wollte  J.  Grimm  erklären  als  y,einer,  der  eine  kotze  (eine  Art 
Mantel)  trägt".  Erinnern  wir  uns,  daß  wonen  im  Mnd.  auch  transitiv 
in  der  Bedeutung  'bewohnen  sich  findet,  so  ergibt  sich  leicht  die 
Verbesserung:     Do  wdnde  dar  ein  kotewere 

ein  ridder^  junk,  stolt  unde  here, 
kotewere    ist  eine  Eotstelle,  der  Besitz  eines  Kossäten. 

28,  36  mit  niden  mit  Hassen',  wie  der  Herausgeber  übersetzt, 
paßt  nicht.  Die  Hs.  hat  mit  syden,  das  ist  wohl:  mit  üden  —  „mit  der 
Zeit".  Vgl.  nhd.  'beizeiten'. 

28,  45  ist  vom  Herausgeber  der  Frau  zugetheilt,  gehört  aber 
zur  Rede  des  Mannes,  wie  auch  Wolfenb.  Aes.  64,  24:  hie  sprach  'noch 
Sprech,  ein  seisze  wcei^e^  dar  mit  der  wisch  gemeyet  wart'  beweist.  Es  ist 
danach  zu  schreiben: 

'Noch  spreky  dat  it  ein  segede  were\ 

Se  sprakf  alse  se  da  mochte  schere 

'ein  chere^  ein  chere\ 
schere  in  V.  46  ist  nicht  =  forpix,  sondern  mhd.  schiere  'alsbald',  und 
deshalb  ist  auch  das  Komma  zu  tilgen. 

29,  32  lies  dicke  st,  dicker. 

31,  30.  Die  Hs.  hat  richtig:  de  (nämlich  der  Sang)  mi  vul  na 
was  genomen. 

32,  57  lies:  weder  den  vmlven. 

33,  20  ist  zu  übersetzen:  'Das  thäte  er  ganz  nach  ihrem  Rathe'. 

34,  5  lese  ich  jetzt:  De  versmähede  he  genoch.  Ein  Substantiv 
versma  ist  immer  noch  nicht  nachgewiesen. 

34,  7.  Der  Bauer,  dem  seine  häßlichen  Hände  und  breiten  Füße 
Schande  däuchten,  vernachlässigte  sie: 

de  hande  he  io  nicht  ne  dwoch, 

De  vote  he  vel  seiden  stode. 
St.  stode  schreibt  Seelmann  scrode  und  denkt  dabei  an  das  Abschneiden 
der  Nägel  an  den  Füßen,  schroden  hat  aber  die  Bedeutung  von  'zer- 
kleinern, in  kleine  Stücke  schneiden',  z.  B.  Getreide  zu  grobem  Mehl. 
Lübben  im  Wb.  4,  418  bleibt  deshalb  bei  der  handschriftlichen  Lesart 


426  R.  SPRENGER 

und  erklärt  stode  durch  'stieß,  setzte  nieder*.  Auch  diese  Erklärung 
ist  unmöglich.  Es  ist  zu  schreiben  scdde  'versah  er  mit  Schuhen\  Über 
schoen,  schoien  s.  Mnd.  Wb.  4,  110. 

37,  35  lies:  ter  (=  to  der)  st.  der. 

38,  80  lies:  valsch  man]  ebenso  42,  29.  65,  124  wis  man,  59,  70 
wert  man» 

39,  70  lies:  icktes  wat. 
41,  57  ist  zu  lesen  { 

min  lif  IS  vaster  den  ju  worde 
klein  oder  grdt  ei  in  der  horde. 
'Mein  Leib   ist  fester  als  je  ein  kleines  oder  großes  Ei  wurde/    Der- 
selbe Reim  48,  20. 

46,  24  ff.  lese  ich  jetzt  folgendermaßen: 
Se  sin  der  morgenroden  sunnen 
ahe  se  erst  upgeit,  an  done 
geUk  van  schöner  rode.    Jedoch  ilc  wone  .  • . 
Das  heißt:  ^Sie  (die  Federn)  sind  der  Morgenröthe,  wenn  sie  aufgeht, 
an  Aussehen  gleich  in  Bezug  auf  ihre  schöne  Röthe.^ 
49,  195    do  wüste  he  vorwär  dat  wol, 
dat  dar  de  wrede  wevel  trcw. 
Dem  Zusammenhange  entspricht  wunde  Vermuthete*. 

50,  6.  dat  lange  vort  em  klene  drdch  ist  zu  übersetzen:  'was  ihm 
ange  wenig  nützte'. 

56,  11    so  wanne  komet  ein  derve  regen, 

we  schal  di  danne  to  schüre  dregen. 
dregen  ist  in  der  Wortlese  nur  in  den  beiden  Bedeutungen  *^tragen'  und 
trügen'  angeführt,  hier  kann  es  nur  =  drogen,  drugen  'trocknen'  sein, 
wie  die  Form  noch  jetzt  mundartlich  vorkommt. 
59,  1     Ein  vet  schone  ors  van  hogem  prise 
geziret  wol  na  siner  wise 
mit  hreidele  unde  mit  gereide 
lep  ledich  sunder  jenich  geleide, 
dat  wol  dem  rede  mochte  schaden. 
Der  letzte  Vers  ist  unverständlich  und  statt  dessen  zu  lesen :  das  wol 
dem  rede  mochte  staden  'das   wohl  zum  Ritte  passen  mochte*,    staden 
und  scaden  konnte  vom  Schreiber  leicht  verwechselt  werden. 

61,  94.  wänlik  'vermuthlich',  wie  die  Hs.  hat,  war  nicht  in  wärlik 
zu  ändern. 

61,  123  ist  das  handschriftlich  überlieferte  anden,  wohl  weil  ande 
im  Mnd.  Wb,   nicht   verzeichnet  war,  in  vianden  geändert;    doch  ist 


zu  GERHARD  VON  MINDEN.  227 

die  bekannte  Redensart  stnen  anden  wreken  nun  auch  für  das  Mittel- 
niederdeutsche belegt  in  Strauchs  Glossar  zur  Sachs.  Weltchronik 
(s.  auch  den  Nachtrag  zum  Mnd.  Wb.  S.  16).  Schon  im  Programm 
S.  8  behandelte  ich  die  Verse,  lese  dieselben  aber  jetzt  etwas  ab- 
weichend: dan  it  mach  lichte  so  gereken 

dat  86  mit  schaden  mögen  wreken 

als  sunder  Stade  oren  anden 

al  oren  vrunden  to  schänden, 
Stade  mhd.  State  =  ,,alle8,  was  zu  Statten  kommt,  Hilfe,  Nutzen.^ 
Die  Hs.  hat  statt  dessen  den  leicht  zu  erklärenden  Fehler  schaden. 
66;  9  ist  entweder  dm  raven  zu  lesen,  oder  rave^  wie  es  im  Mnd. 
und  noch  mundartlich  vorkommt,  als  Femin.  zunehmen;  dann  müßte 
aber  V.  6  he  in  se  geändert  werden.  Die  Interpunktion  ist  wohl  folgen- 
dermaßen zu  ändern: 

Wu  heft  he  dus  gut  se  nu  gevunden^ 

dat  se  de  hunde  lotet  slapen, 

de  dar  ligget  hi  den  schapen. 

dat  se  de  raven  nicht  vorjaget, 

dat  si  dem  duvele  geklaget, 

de  mi  so  gerne  jaget  na^ 

so  wor  ik  in  dem  velde  ga, 
V.  11  ist  natürlich  auf  die  Hunde  zu  beziehen. 
67,  27  f.  schreibe  ich: 

Doch  weit  ik  wol^  wat  bestriket 

dtn  zagelj  dat  dar  jo  vorwiket 

de  der 
*^Ich   weiß,    daß,    was   dein  Schwanz    bestreicht  (wohin  du  kommst), 
die  Thiere   stets  entfliehen/    Statt  vorwtken  schreibt  der  Herausgeber 
getrennt  vor  wiken. 

67,  30    Mit  stempne  Sk  lüt  ünde  unbehande 

ddt  al  de  der  dk  sere  vlein 

de  mi  gehören  ofte  sein. 
Durch  die  Änderung  von  Mit  in  Min  wird  die  Stelle  verständlich. 
unbehande  ist  '^incomitus,  grob'  und  nicht  mit  Damköhler,  Niederd. 
Jahrb.  XHI,  79  in  behande  zu  ändern.  Ebenso  bedeutet  umbehende 
50,  25  auf  grobe  Weise*,  nicht  ^unklug',  wie  der  Herausgeber  meint. 
69,  36  ist  zu  trennen  vor  (vorüber)  gegän. 
69,  54  f.  ist  zu  lesen: 

unde  segge,  wer  de  lowe  wesen 

dunket  di  wreder,  ofte  de  man. 


428  ^  SPRENGER 

„Sage,    ob   dir   der  Löwe   böser  zu  sein  dünkt,    oder   der  Mensch." 
Vgl.  V.  10  f. 

72,  15  ist  nach  der  Hs.  mit  folgender  Interpunktion  zu  schreiben: 
gl  Bcholm  weten:  dat  vorwär 
gedregen  hebhe  ik  ein  jär 
unde  is  mi  leides  alsd  stcär  u.  s.  w. 
Die  Verbesserung  von  Seelmann  Indes  st.  des  handschriftlichen  It^yder 
scheint  geboten,    dregen  (Mnd.  Wb.  I,   563)    auch   vom   ertragen  von 
Leid  und  Krankheit. 

73, 17  lies:  dede  vele  an  aller  schalkheit  dornet  'die  in  aller  Schalk- 
heit  schwelgen*. 

SO,  57  ff.  lese  ich: 

Do  sprak  de  lowe:  "^It  mach  wol  wesen! 
prove  anders,  wo  ek  möge  genesen, 
—  De  arzedie  de  is  hin  — 
went  ik  nein  vrunt  van  herten  bin* 
„Versuche,  wie  ich  auf  andere  Weise  genesen  möge  (Diese  Arzenei  ist 
verloren),  weil  ich  kein  Freund  von  Herzen  bin  [mir  nichts  aus  Herzen 
mache]. 

81,  9.  Statt  minschen  hat  die  Hs.  wever sehen  'Weberfrauen',  was 
wohl  richtig  ist. 

81,  70  lies:    ofte  de  modink  der  truwe  love  Venn  der  Nichtsnutz 
seine  Treue  gelobt'.    Vgl.  V.  48  ff. 

83,  19.  Die  Hs.  hat  mei^  st.  mor,  und  ersteres  ist  richtig. 

91,  52  lies:    in  or  laße  dachten  se  vulherden  'bei  ihrem  Gelübde 
gedachten  sie  zu  verbleiben'.  Vgl.  Mnd.  Wb.  5,  552. 

92,  76  ist  mi  st.  mm  zu  lesen.   Über  den  Reim  hin  :  mi  s.  Einl. 
95,  29  lies: 

Na  des  mules  degedingen 
al  de  dummen  schevelingen 
beginnen  doven  unde  bogen 
van  den  besten  magen 
unde  de  hdgest  sin  td  allen  itden. 
95,  40   ist   mit   der  Hs.    dede  zu  schreiben,    don   steht    hier  an 
Stelle  des  vorhergehenden  Verbs. 

95,  36    lies:    Dat  ifi  dicke  an  on  enket    'das    wird    oft  an  ihnen 
offenbar'. 

100,  43  leggen  Verleihen'. 

100,  107   lies    We  schippen   hiran  enen   vdch,  *Wir  wollen  hieran 
unsere  Schicklichkeit  zeigen.' 


zu  OERHABD  VON  MINDEN.  429 

101,  17    mit  giricheit  hehbe  ek  nenen  gaden, 
harne  mochte  mi  geeehaden 
ein  grSt  osae  edder  ein  pert. 
Das  unverständliche  geschaden  ist  in  gesaden  'sättigen'  zu  verbessern. 

101,  109,  110  sehen  aus  wie  eine  ungeschickte  Interpolation. 
Ich  glaube,  daß  es  ursprünglich  gelautet  hat: 

To  voren  kan  ek  dk  wol  maken 
awindicheit,    Dorch  Uvea  not 

ao  late  ek,  To  voren  =  ^besonders',  s.  Mnd.  Wb.  4,  601 ; 

ala  ek  were  dat. 
V.  126  f.  lauten  in  der  Hs.: 

we  is  ao  hoae,  de  ok  gunde 
den  jungen,  dat  ae  vorderven  unde  vorheren. 
Die  Stelle  ist  offenbar  entstellt.  S.  schreibt:  dat  ae  vordorven  weren. 
Ich  glaube  nicht,  daß  der  Schreiber  daran  Anstoß  genommen  hätte, 
glaube  vielmehr,  daß  er  ein  Wort  gefunden  hat',  welches  ihm  nicht 
mehr  geläufig  war.  Ich  schreibe:  dat  ae  vorworden  weren.  vorworden 
entspricht  nhd.  Verkommen'. 

V.  132  hat  die  Hs.  brwuheren  st.  krunaberen  wie  S.  schreibt. 
Ich  glaube  nicht,  daß  Kronsberen  (mnd.  krdns-bere  ^krdnahere  Kranich- 
heere) gemeint  sind,  sondern  brüaberen  *Wachholderbeeren*.  Ich  hörte 
das  Wort  vor  etwa  zwölf  Jahren  von  einem  Märker.  Vgl  auch  broa- 
been  im  Mnd.  Hdwb. 

V.  156  fehlt  das  Verbum,  dieses  findet  sich  aber,  wenn  wir  die 
Interpunktion  ändern  und  folgendermaßen  lesen: 
Ichtu  enen  oaaen  ofte  ein  pert 
togeat  üt  orem  stalle 
unde  ore  achap  alle, 
dat  acholdeatu  mit  one  herden. 
Der  Wolf  meint,   da  der  Fuchs  mit  den  Menschen  in  offener  Fehde 
lebe,    so  sei  er  auch   berechtigt,    ihnen    allen  möglichen  Abbruch  zu 
thun.  Und  wenn  er  ihnen  einen  Ochsen  oder  ein  Pferd  und  alle  ihre 
Schafe  aus  dem  Stalle  zöge,  so  vermöchte  er  das  wohl  als  sein  Recht 
gegen  sie  zu  erweisen.    Vgl.  unser  'erhärten\ 

102,  63  lauten  im  Text: 

Wo  mochte  tom  konninge  de  gevogen, 

den  de  lüde  alao  dot  slogenf 
In  der  Hs.  steht  dem  st.  tom  und  dat  st.  de. 

Wo  mochte  dem  konninge  dat  gevogen. 
Daß    dies   richtig   ist,   beweist   außer   dem  Zusammenhang  die  ent- 

GBBHANIA.    Nene  Seih«  XIII.  (XXXIT.}  Jahrg.  29 


430  B*  SPBENGEB,  ZU  GERHABD  VON  BONDEN. 

sprechende  Stelle  des  Wolfenb.  Aesop  93,  27:  wo  mochte  dass  eyme 
koninge  voegen,  dat  ome  (lies  ene)  sine  keirle  slogenf  Es  ist  also  zu 
schreiben:  Wo  mochte  dem  konninge  dat  gevogen, 

dat  en  de  lüde  also  slogen? 
gevSgen  heißt  ^angemessen,  passend  sein*,  und  diese  Bedeutung  hat  es 
auch  79,  18;  nicht  die  in  der  Wortlese  angegebene. 

102,  69  busch  =  Buchsbaum,    wofOr   noch  jetzt  landschaftlich 
buschbom. 

102,  70  de  ek  wol  gein.    gein  kann  nur  Infinitiv  sein,    daher  ist 
zu  lesen:  dee  mach  ek  wol  gein\  vgl.  V.  103. 

102,  96  ist  das  handschriftliche  bekande  nicht  zu  lindern. 

102,  147  lies:  diner  schalkeseede, 

102,  173  lies:  Den  (Guten)  dvsse  (die  Dunkelguden)  grote  bosheit 
deit.    overgän  ist  =  betrügen. 

103,  1  ist  zu  lesen: 

In  dem  mere  ligget  ein  wolty 

darinne  hebbet  ein  hoü 

de  wilden  apen  ende  sik  vodet. 
'Darin  haben  die  Affen  einen  Aufenthalt  und  nähren  sich  darin.' 
103,  48  ist  zu  lesen: 

de  ander ^dor  nicht  ne  brak^ 

wente  he  ee  gerne  spreken  wolte^ 

de  wdrheit,  wat  dat  kosten  scheide. 
'Der    andere   brach    durch   nichts   die  Wahrheit,    weil  er   sie   gerne 
sprechen  wollte,  was  es  auch  kosten  mochte.' 
103,  100    Oode  levet  de  wärheit  ane  twivel 

de  logene  jaget  jo  den  duvel. 
jaget   verjagt'  gibt  keinen  Sinn.  Es  ist  haget  'behagt'  zu  lesen. 


FB.  KRiLTOCHWIL,  ÜBEB  DEN  OEOENWlRTIOEN  STAND  ete.       431 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER 
SÜCHENWIRT-  HANDSCHRIFTEN. 

Mit  zwein  großen,  bisher  unbekannten  Ergänzungen  zu  Suchenwirt's  Gedichten. 


XII.  dt. 

In  dem  schon  S.  324  aogezogenen  14.  Bande  der  Wiener  Jahr- 
bücher der  Literatur  (Anzeigeblatt  S.  50)  behauptete  P;  daß  von  der 
Oothaischen  Recension  des  Gedichtes  von  fttnf  Ftlrsten  eine  Abschrift 
auf  der  Wiener  Hofbibliothek  sich  befinde.  Daselbst  ist  das  genannte 
Gedicht  nur  in  C  vorhanden,  für  diese  Handschrift  war  aber  N  die 
Vorlage«  Primissers  Angabe  ist  somit  falsch;  sie  wurde  auch 
in  seiner  Ausgabe  nicht  wiederholt,  wohl  aber  noch  später  von  Jacobs 
und  Ukert  im  dritten  Bande  ihrer  Beiträge  zur  älteren  Literatur  etc. 
(S.  V  u.  VI). 

Nicht  zu  Wien,  sondern  in  der  königl.  öffentlichen  Bibliothek 
zu  Dresden  findet  sich  eine  Abschrift  des  Gedichtes  von 
fünf  Fürsten  nach  g  und  zwar  in  dem  Miscellancodex,  der  vor- 
mals die  Nr.  105  hatte,  jetzt  aber  die  Nr.  M  203  führt  (vgl.  Falken- 
stein, Karl,  Beschreibung  der  königl.  öffentL  Bibliothek  zu  Dresden, 
1839,  S.  39ö  und  Prof.  Dr.  Franz  Schnorr  von  Carolsfeld  a.  a.  0. 
zweiter  Band,  S.  494  f.).  Der  damalige  Herr  Oberbibliotbekar  Ge- 
heimer Hofrath  Professor  Dr.  E.  W.  Förstemann  gestattete  in  be- 
sonderer Güte  bereitwilligst  die  Obersendung  dieser  Papierhandschrift 
nach  Wien.  Sie  zählt  83  Blätter  in  Quart  ^),  ist  in  steife,  mit  grauem 
Papier  überzogene  Deckel  gebunden  und  hat  auf  dem  Bücken  die 
Aufschrift:  Von  den  heil,  drey  Königen,  Diese  entspricht  dem  ersten 
Stücke  der  Handschrift,  das  von  der  Überbringung  der  Körper  der 
heil,  drei  Könige  handelt;  wie  das  Titelblatt  dazu  besagt,  wurde 
dieses' Gedicht  aus  einem  Manuscript  (der  Dresdner  Handschrift 
M  42)  der  königl.  öffentl.  Bibliothek  in  Dresden  „abgeschrieben  und 
mit  der  Urschrift  verglichen  von  Job.  Christ.  Gottscheden",  dem 
auch  dieser  ganze  Band  gehörte,  wie  aus  der  an  der  Innenseite  des 
Vorderdeckels  angebrachten  Vignette  zu  ersehen  ist  Nach  seinem 
Tode   kam   der  Codex  in   die  Bibliothek   der  Gesellschaft  der  freien 


^)  Im  Jatire  1879   war  weder  eine  Blatt-  noch  eine  Seitenzfthliuig  angebracht. 

29* 


432  FRANZ  KRATOCHWIL 

Künste  und  schönen  Wissenschaften  in  Leipzig  und  von  dort  1793  mit 
132  gedruckten  Büchern  und  85  altdeutschen  Handschriften  (früher 
Eigenthum  des  Professors  Gottsched)  für  300  Thaler  in  die  königl. 
Bibliothek  zu  Dresden  (vgl.  Dr.  Julius  Petzholdt,  Adreßbuch  der 
Bibliotheken  Deutschlands  mit  Einschluß  von  Österreich-Ungarn  und 
der  Schweiz.  Dresden  1875,  S.  107). 

Wie  das  erste  sind  auch  die  neun  anderen  Stücke  von  d 
sämmtlich  Abschriften  von  Manuscripten  in  Gotha,  Dres- 
den etc.  Die  Anzahl  der  Verse  auf  je  einer  Seite  wechselt,  aber  stets 
sind  dieselben  abgesetzt,  immer  in  einer  Columne,  die  Anfangs- 
buchstaben der  Verse  groß,  Unterscheidungszeichen  nur 
spärlich.  Für  einige  Stücke  wurde  lateinische,  für  andere  deutsche 
Schrift  gebraucht;  ich  glaube,  daß  mindestens  drei  Hände  daran 
geschrieben  haben.  Ob,  wie  Falkenstein  (a.  a.  O.)  bemerkt,  Nr.  7  („Ein 
verliebter  Traum**,  Bl.  61'— 64»)  und  9  („Gedicht  vom  Edelstein**, 
Bl.  66* — 77**)  von  Gottscheds  eigener  Hand  geschrieben  wurden,  ob 
nur  diese  und  nicht  auch  andere,  ist  hier  nicht  Gegenstand  der  Unter- 
suchung; doch  bemerken  will  ich,  daß  die  Schrift  des  sechsten  Ge- 
dichtes (Bl.  54* — 60^)  mit  den  Anfangsversen: 

Ach  mynne  wie  creßig  ist  dine  craß 

Wo  man  schleft  adir  wacht 
ganz  genau  dieselbe  ist  wie  die  des  siebenten,  das  statt  nach  Falken- 
stein „Ein  verliebter  Traum**  wohl  besser  mit  den  Worten  der  viert- 
letzten Zeile  des  Gedichtes  überschrieben  würde:  Des  kranieh  Halses 
nun  (9)  grad.  Damach  schon  erweist  sich  Falkensteins  Behauptung 
nicht  stichhältig.    Vgl.  auch  Schnorr  a.  a.  O.  S.  495,  f,  g  und  i. 

Von  den  Stücken  in  d,  die  nach  Gotha  weisen,  hebe  ich  das 
vierte  hervor,  das  von  Bl.  42* — 47*  reicht.  Es  hat  die  Überschrift: 
Abschrift  eines  alten  M8Cti,  de  anno  1397.  aus  der  gothaischen  Bibliothec. 
Den  Spruch  hat  gemacht  peter  der  Süehenmrt  von  fünff  ßirsten.  —  Das 
alte  Manuscript  aus  der  gothaischen  Bibliothek  ist  die  uns  wohl- 
bekannte Handschrift;  Nr.  271  oder  g;  doch  befremdet  in  der  obigen 
Überschrift  die  Bemerkung,  daß  die  Gothaer  Handschrift  aus  dem 
Jahre  1397  stamme.  Woher  wußte  das  der  Schreiber?  Schon  früher 
wurde  betont,  daß,  von  den  Zusätzen  zu  Anfang  und  Ende  abgesehen, 
die  Schrift  der  ursprünglichen  Theile  von  g  höchst  wahrscheinlich 
noch  vor  1402  zu  setzen  sei.  Aber  ein  bestimmtes  Jahr  ftir  die  Ent- 
stehung von  g  anzugeben,  dazu  reicht  die  Schrift  allein  nicht  aus; 
andere  Anhaltspunkte  fehlen.  Es  drängt  sich  aber  die  Erklärung  auf 
ciaß   der  Schreiber   von  d  die   auf  dem   ersten  Blat):   iQ  g 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRTHBS.      433 

angebrachte  Zahl  1497  falsch  gelesen  habe.  Es  stand  übrigens 
in  d  arsprttnglich  nicht  1397;  wo  jetzt  der  Dreier  ist,  war  radiert 
worden y  doch  scheint  er  von  derselben  Hand  zu  sein,  welche  das 
Qedicht  von  fünf  Fürsten  schrieb.  Daß  Falkenstein  und  Schnorr  die 
Zahl  1397  unbedenklich  nachsehrieben,  kann  man  begreiflich  finden. 

Die  Abschrift  selbst  zeigt  viele  Abweichungen  von  g, 
doch  erklären  sich  manche  durch  geänderte  Orthographie  (Anwendung 
des  Dehnungs-A  und  des  stummen  a),  durch  Einführung  des  Um- 
lautes {Ifürsten,  desgl.  79,  95,  141,  163,  185,  192,  215,  224  und  234, 
8  glüldc,  15  prüfen,  41  flühen^  109  mörder^  169  fügen) y  andere  durch 
Unterlassung  des  Umlautes  (73  chonigsj  124  und  171  o^^erretcA),  durch 
Modernisierung  einzelner  Wörter  (56  ehOnikf  69  KarhSy  78  und  85 
wenty  105  monad,  123  wähelm,  167  TnanscMeehtig ,  177  Schwemczer 
u.  s.  w.),  sowie  durch  Schreibfehler  (4  atarkeis,  35  eeeh*.  u.  s.  w«). 
Manches  war  dem  Schreiber  offenbar  schwer  leserlich  oder^  unver- 
ständlich; so  schrieb  er  (statt  verechriet :  da  ze  miet)  89  vereehneli 
91  Daz  ennetf  98  were^  100  schwere,  189  Man  net,  191  gehan  (g  ge- 
den)  und  193  heÜ  im  (=  nu).  öfter  wurden  die  Abkürzungen  nicht 
berücksichtigt:  daraus  erklärt  sich  14  wordn,  17  yed  mauj  41  da^ 
füaz^  u.  s.  w.  Nur  selten  hat  der  Schreiber  den  Text  willkürlich  ge- 
ändert und  das  sehr  unbedeutend:  101  g  zu  der  pürg,  d  in  der  pürg, 
104  g  geh,  d  gab.  Im  Übrigen  stimmt  g  mit  d,  selbst  die  in  g  ge- 
machten Absätze  sind  beibehalten;  im  Ganzen  kann  man  die 
Abschrift  somit  eine  ziemlich  leidliche  nennen.  Für  die 
Textkritik  selbst  ist  sie  aber  belanglos,  da  ja  ihr  Original 
vollständig  erhalten  ist. 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  dritten  Stücke  von  d  mit  der 
Überschrift:  Abschrift  eines  alten  Manuscripts  aus  der  Drefidner  Bihlio' 
thec.  Peters  des  Suchenwirths  —  Bl.  36* — 41\  Falkenstein  sagt  dar- 
über (a.  a.  O.):  »Peters  des  Suchenwirt  Lobspruch  auf  die  Liebe^. 
Damals  war  Primisser's  Ausgabe  längst  erschienen;  ein  Blick  in  die* 
selbe  hätte  Falkenstein  belehrt,  daß  dieses  Gedicht  die  schöne  Ahen^ 
teuer  ist*). 


')  Die  von  Falkenstein  gebraaehte  Beneimmig  ist  übrigens  schon  alt,  sie  findet 
sich  bereits  in  Adelnng's  Fortgesetzten  Nachrichten.  Bei  Besprechung  der  Handschrift 
Nr.  216  (yormals  393  =5  h')  führt  dort  S.  306  Adelong  das  jüngste  Gericht  von 
Snohenwirt  an,  «einem  Österreicher,  wie  er  sagt,  oder  vielmehr  Meisters&nger,  der 
um  1886  reimte.  Von  ihm  befindet  sich  ein  Lobsprnoh  auf  die  Liebe  in  der 
kurfürstlichen  Bibliothek  su  Dresden**.  Gar  manche  Irrthflmer  befinden  sich  in  diesem 
wie  in  dem  ersten  von  Adelung  herausgegebenen  BSndohen  Über  altdeutsche  GMichte, 


434  FRANZ  KRATOCHWIL 

Die  Vorlage  für  das  3.  Stück  von  d  war  die  Dresdner  Hand- 
schrift M  42.  Daß  das  3.  und  4.  Stttck  von  d  —  das  eine  in  lateini- 
scher, dag  andere  in  deutscher  Cursivschrift  abgefaßt  —  von  derselben 
Hand  geschrieben  sind,  ist  nicht  unmöglich,  ich  halte  es  aber  für 
unwahrscheinlich.  Stammen  beide  Abschriften  von  demselben 
Schreiber,  dann  dürfen  wir  uns  das  Verhältniß  zwischen  d  und 
M  42  so  vorstellen,  wie  es  zwischen  d  und  g  früher  dargelegt  wurde; 
rühren  aber  beide  Abschriften  nicht  von  derselben  Hand,  dann  sind 
wir  außer  Stande,  dieses  Verhältniß  bestimmt  anzugeben.  Denn 
eine  Vergleichang  der  Abschrift  mit  dem  Original  wie  bei  dem  Ge- 
dicht von  fünf  Fürsten  ist  nicht  möglich,  weil  bereits  gegen  die  Mitte 
des  vorigen  Jahrhunderts  M  42  eine  bedeutende  Spoliierung  erlitt, 
wobei  auch  die  schöne  Abenteuer  verschwunden  ist.  Über 
die  Verstümmelung  der  Handschrift  ist  zu  vergleichen  Adelung,  Alt- 
deutsche Gedichte  in  Rom,  S.  XVI,  über  die  früher  vorhanden  ge- 
wesenen Stücke  der  literarische  Grundriß  von  v.  d.  Hagen  und 
Büsching,  S.  105,  126,  341  und  444.  Nach  einer  Bemerkung  Ebert's 
in  dem  Manuscripte  der  königl.  Bibliothek  zu  Dresden  R  174,  S.  186 
sind  diese  Stücke  „noch  vor  Ca n zier' s  Zeit^  abhanden  gekommen^). 
Als  Götze,  Merkwürdigkeiten  der  königlichen  Bibliothek  zu  Dres- 
den, 1744,  2.  Band,  S.  283  f.  diese  Handschrift  beschrieb,  war  sie 
noch  bis  auf  einige  wenige  zu  Anfang  fehlende  Blätter  complet.  — 
Am  Ende  des  Gedichtes  von  der  Überbringung  der  Körper  der  heil, 
drei  Könige  hat  sie:  Expliciunt  dicta  Eolandi  tristrandi  et  trium  regum 
pe9'  manua  Nicolai  swertfegir  de  dhamis  anno  domini  M'^CCCO'XXXIIl 
feria  qv^rta  po8t  andree.  Darauf  folgten  nach  Götze  a.  a.  O.  II,  S.  234 
„drei  kleine  Gedichte  von  Träumen,  und  der  Liebe,  die  nicht  viel  zu 
bedeuten  haben^;  das  wären  also  die  Stücke  3,  6  und  7  in  d,  die  in 
M  42  jetzt  fehlen").    Die  oben  angeführten  Worte  finden  sich  genau 


welche  aas  der  heidelbergischen  Bibliothek  in  die  yaticanisehe  gekommen  sind.  Schon 
Docen  hat  im  ersten  Jahrzehent  unseres  Jahrhunderts  in  seinen  Miscellaneen  zor 
Geschichte  der  deutschen  Literatur  Adelung  zu  berichtigen  gesucht.  Aber  Irrthümer 
haben  ein  zähes  Leben.  Aus  Adelung  gingen  nicht  wenige  in  den  Literarischen  Grundriß 
zur  Geschichte  der  deutschen  Poesie  von  der  ältesten  Zeit  bis  in  das  16.  Jahrhundert, 
von  Fr.  H.  von  der  Hagen  und  J.  G.  Büsching,  Berlin  1S12,  über;  manche 
sind  wohl  geeignet,  irrezuführen  oder  tagelange  nutzlose  Mühe  zu  yerursachen. 

')  Canzler  kam  1768  in  die  kursSchsische  Bibliothek  zu  Dresden. 

')  K.  Bartsch  hingegen  behauptet,  das  6.  und  7.  Stück  von  d  stammen  aus 
dem  codex  eh.  A  985  (15.  Jahrh.)  in  Gotha; 'vgl.  Bartsch's  ansführliche  Bespreohong 
des  von  Schnorr  von  Carolsfeld  herausgegebenen  Haudschriftenoataloges  der  königl. 
Bibliothek  zu  Dresden  in  Germania  81.  Jahrgang  (1886),  S.  233--238. 


ÜBER  DEN  OEGENWlRTtGEN  STAND  DER  8UCHENWIRT-H88.       435 

iD  d  nach  Vollendung  der  ersten  Nummer  und  zu  dem  Worte  iarütrandi 
noch  die  Bemerkung:  In  demselben  Bande  des  dresdenischen 
MSpts  waren  auch  die  groszen  Oediehte  von  Karl  dem 
Großen  oder  Rolanden,  und  von  Tristranden,  und  zwar 
von  eben  derselben  Hand  dieses  Nicol.  Swertfe^irs,  ge- 
schrieben: wes  wegen  er  diesen  Schluß  beygefoget  hat. 
Dem  Titel  des  7.  Stückes  in  d  ist  die  Bemerkung  angehftngt:  „Aus 
einem  Dresdener  MSpte^,  und  am  Ende  des  Gedichtes:  Anno 
Christi  1439  haec  finita  sunt.  Ist  nun  dieses  Manuscripty  wie 
man  bisher  annahm,  M  42,  so  wäre  die  Vollendung  der  Handschrift 
M  42  in  dieses  Jahr  zu  setzen.  Der  jetzige  Inhalt  derselben  wird 
genau  von  Schnorr  a.  a.  O.  II,  S.  442—444  angegeben. 

Durch  die  Spoliierung  der  Handschrift  M  42  ist  dieAbschrift 
von  Suchenwirt's  schöner  Abenteuer  in  d  in  den  Rang  einer 
Handschrift  vorgerückt,  sie  repräsentiert  für  ihren  Theil  M  42. 
Was  hat  nun  d  für  einen  Werth?  Das  3.  Stück  in  d  ist  dem 
Inhalte  nach  ein  Mixtum  compositum:  wir  hören  zwei  Frauen  dar- 
über streiten,  ob  man  der  Liebe  Leiden  im  Hinblick  auf  ihre  Freuden 
ertragen  oder  der  Liebe  das  Herz  verschließen  solle.  Mitten  in  ihrer 
Unterredung  stört  sie  ein  Jüngling,  von  dem  man  bisher  nichts  gehört 
und  gesehen;  er  ist  derjenige,  welcher  das  Ganze  uns  erzählt  und 
selbst  von  Liebespein  geplagt  wird.  Eine  der  beiden  Frauen  gibt  ihm 
Auskunft,  wie  er  weiter  ^ehen  solle.  So  kommt  er  in  der  Folge  zur 
schönen  Abenteuer;  das  Übrige  ist  aus  Suchen wirt's  schönem  Gedicht 
bekannt. 

Schon  Bartsch  hat  a.  a.  O.  die  Bemerkung  gemacht:  ^Das  (der 
schönen  Abenteuer)  vorhergehende  Gedicht  soll  nach  Gottsched  auch 
von  Suchenwirt  sein,  findet  sich  aber  unter  seinem  Namen  sonst  nicht.^ 
Das  ist  richtig,  die  Sache  verhält  sich  folgendermaßen.  Die  beiden 
Theile  im  3.  Stück  von  d  sind  nur  äußerlich,  ganz  lose  mit 
einander  verbunden.  Der  erste  Theil  besteht  aus  108  Versen, 
sie  sind  der  Schluß  eines  allegorischen,  Suchenwirt  nicht  ange- 
hörig en  Gedichtes,  das,  abgesehen  von  einigen  anderen  Hand- 
schriften^), auch  in  dem  umfangreichen  Codex  I.  G.  8  des  böhmischen 
Museunis  in  Prag  Bl.  39^ — 4P  vorkommt  unter  der  Überschrift:  Ain 
Krieg  von  zwain  frawen  ob  pesser  sey  Lieb  ze  haben  oder  on  Lieb  zu 
bdeiben;  es  beginnt  mit  den  Versen: 


')  Vgl.  K.  Bartsch,    Beiträge   zur  Qaellenkunde   der  altdeutschen  Literatur. 
Straßbarg  1886,  S.  177,  Nr.  3. 


436 


FRANZ  KRATOCHWIL 


Ich  was  ains  tags  also  frey 
Das  meines  hertzen  Amey  u.  s.  w.  *) 
Der    dialectischen   Besonderheiten    wegen    setze    ich    diesen 
ersten  Theii  vollständig  aus  d  hieher'): 


Bl.  S6% 
Es  ist  doch  der  beste  anevang 
AUir  vroudin  wer  libes  plegit. 
Alle  Sache  he  geringe  wegit, 
Wie  mag  der  hogin  müt  gehan 
5  Der  kein  hercze  nj  lip  gewan 
Wen  reiner  vranwin  gute 
Brengit,    'ejme    Jczlichen    hoch- 
gemute 
Wie  mochte  mir  ymir  bas  gesin 
Denne  wen  ich  sehe  den  gesellin 
myn 
10  Der  mynn  herczin  wo!  behait, 
Vnd  he  mir  synen  kumer  clait, 
So  wirt  vnsir  vroude  ahso  gros 
Das  sie  had  keinen  wedir  stos 
Manch  üblich  zcüchtig  worden 
15  Wird  von  vns  beidin  gehorden 
Das    sust    nymanden    konde    ir- 

denkin 
Man  sihet  vns  äuge  blicke  schen- 
kein 
Sich  der  vroudin  bistu  ein  gast 
Wen  du  keinen  sunderlich  lip  hast, 
20  Daz  du  redest  weder  mich, 
Daran  betrigestu  selbir  dich 
Du  Salt  vorbas  dine  rede  lan 
Die    ane    libe    sprach    nu    höre 
mich  an 

Bl.  36*. 
Du  hast  wol  vroude  daz  ist  War 
25  Adir  es  ist  seidin  in  dem  Jar 
Wen  du  bie  dyme  libe  bist, 
Vnd  uch  allir  best  ist, 
So  geschit  von  uch  ein  scheidin 
Hy  mede  wirt  uch  beidin  leide 


30  Nod  vnd  clage 
Dabie  manche  tage 
Ein  icEÜch  hercze  sieh  dama  senet, 
Was  man  es  vor  hat  gewenet, 
Wen  ich  mir  genügen  laße 

Ich  bin  von  nichte  andirs  vro 
Wen  myn  gemüte  streit  alzo 
ffirolich  stete  in  einer  achte 
Wen  ich  andirs  nicht  betrachte 

40  Wen  ich  vroude  irdenkin  möge 
Die  myme  herczin  wol  tögen 
So  ist  dir  we  und  leide 
Wen  dich  din  hercze  irmanet  beide 
An  die  vnd  gedenckest  do  hen 

45  Do  din  hercze  vnd  din  syn 
Czumale  ist  vorborgin 
So  mustu  doch  besorgin 
Din  lip  wo  is  in  dem  lande  vert 
Du  weist  nicht,  wie  is  seine  tage 
vorczert 

Bl.  37». 

50  Mit  vrouden  vnd  mit  leide 
Süst  lebet  ir  in  Jammer  beide 
So  bin  ich  vro  daz  ganoz  jar 
So  mustu  dich  senen  dar 
Nach  dyme  libe  mit  stetir  pia 

55  Die  libes  plag,  die  sprach  la  sin 
Dine  rede  wedir  mich 
Wen  sie  ist  vnvorfenglich 
Ich  sagpe  dir  werlichen  das 
Das  mir  ist  eines  tagis  bas 

60  Wen  myn  lip  an  sehe  ich 
Czu  haut,  so  vro  werde  ich 
Das  ich  vergesse  myner  nod 
All  myn  truren  daz  ist  tbd 


<)  Vgl.  HhIUus,  Liederbuch  der  Clara  Hätzlerin,  Nr.  9. 

')  Vgl.  auch  Job.  Joach.  Eschenburg,  Denkm&ler  altdeutscher  Dichtkunst , 
Bremen  1799,  S.  257:  Oesprftch  in  platt  deutschen  Belmen  über  Glück  und  Unglück 
der  Liebe,  besonders  S.  260,  6.  Zeile  von  unten  —  S.  264* 


Obeb  den  geqemwäbtigen  stand  der  SUCHENWIBT-HSS.     437 


Das  ich  lange  gehad  han 

65  Wen  ich  myn  lieb  sehe  an 
So  ist  myn  leit  geletczit 
Wie  schire  he  mich  irgetczit 
Alle  myner  sorgin  swere 
Und  thnt  mir  allir  sorgen  lere 

70  So  hastu  doch  myr  dycke  gbseit 
Du  weist  nicht  vSie  lip  noch  vme 

leit 
Ich  wolde  eczwan  leides  plegin 
Er  ich  mich  libes   wolde  irwegin 
Do  bleib  ich  stete  an  mynen  mute 

75  Do    von   weistu   nicht,    vme  edil 
adir  vme  gut 
Idoch  brengit  eine  gewonheit 
Beide  lip  und  leit, 
Der  wolle  wir  vnsir  rede  lan 
Wen  ich  mich  wol  gewissen  kan 

80  Welch  lebin  bessir  sy 

Idoch  ist  lip  min  rechtir  gü 

Bl.  37*. 
Bis  an  myn  ende  stetlich 
Hie  mede  wordin  sie  glich 
Mit  en  andir  voreynt, 

85  Ich  armer  vorborgen  leit, 


Das  mich  ir  kein  en  sach 
Czü  myme  hercain  ich  do  sprach 
Nu  rat  mir  was  ich  möge   thün 
Is  ryt  mir  daz  ich  ginge  hinzcu 
90  Ich  qweme  lichte  mynes  trurens 
abe 
Ich  graste  sie  vil  tummer  knabe 
De  begunden  sie  sich  scheidin 
Lliplich  nach  ires  herczin  gir 
Die  eine  frauwe  sprach  zcu  mir 
95  Vil   tummer   knabe,   waz   schaft 
ir  hie 
Ich  sprach  gnade  frauwe  ich  vorgee 
Mich  eines  tagis  also  £e 
Dorch    myner  vroudin  gewinnen 
Bin  ich  kommen  aldo  her 

100  Do  sprach  zcu  mir  die  wunen  ber 
Nu  gang  ein  wenig  vorbas 
So  kuSSestu  uff  eine  rechte  stras^ 
Der  volge,  sie  treit  dich  nicht  ab 
Gar  togentlich  sie  mir  gab 

105  Orlob  zcu  der  seibin  stunt 

Daz  mir  scheidin  ny  wart  kunt 
Daz  clage  ich  gote  ich  sondir  man 
Weme  ich  noch   allir   eren  gan. 


Hiermit  schließt  Bl.  37\  —  Im  Vorstehenden  wurde  die  Handschrift 
mit  größter  Treue  wiedergegeben;  sämmtliche  Abkürzung»-  und  Unter- 
scheidungszeichen rühren  aus  derselben.  Auffällig  sind  die  ungenauen 
Reime  40  :  41,  44  :  45,  74  :  75,  80  :  81  und  84  :  85,  noch  mehr  die 
Unterbrechungen  des  Reimes.  Schon  der  erste  Vers  ist  reimlos;  nach 
den  Versen  34,  92,  95  und  98  fehlt  ebenfalls  der  Reim,  doch  ist  nur 
nach  V«  34  eine  äußere  Lücke  wahrnehmbar.  Wahrscheinlich  konnte 
der  Abschreiber  den  V.  35  der  Vorlage  nicht  lesen,  denn  er  schrieb 
vom  V.  36:  Ich  bin  v,  radierte  das  zum  Theil  weg  und  setzte  als 
V.  35  die  Häkchen. 

Nicht  weniger  mangelhaft  ist  der  an  den  ersten  Theil  sich 
unmittelbar  anschließende  zweite  Theil  des  3.  Stückes  in  d:  die 
schöne  Abenteuer,  Bl.  38'— 4l^  Es  fehlen  die  Verse  16—19,  49  u.  50, 
61,  62,  89,  90,  101—104,  155,  156,  208-211,  219,  220,  239—244, 
249,  250,  267—352,  360—368  u.  370-  Der  Text  ist  somit  sehr  mangel- 
haft, da  er  13  Lücken  aufweist,  von  welchen  die  kleinste  6inen, 
die  größte  86  Verse  beträgt,  so  daß  von  den  372  Versen,  welche 
das  Gedicht  in  A  zählt,  in  d  126  fehlen.  Vermindert  wird 
letztere    Zahl    durch    eine    eigenthümliche    Erscheinung, 


438  FRANZ  KRATOCHWIL 

In  dem  schon  erwähnten  6.  Stücke  von  d,    „Abschrift  eines  ver- 
liebten Gedichtes,   aus   einem  Dresdener  Mspte*   von  einem 
ungenannten   Verfasser    kommen    nämlich,    wie   Goldtheilchen 
in  Quarz    eingesprengt,    einzelne  Verse  aus  Suchenwirt's 
schöner  Abenteuer  vor^);  so  Bl.  54**  die  Verse'): 
267    Is  kämet  «cu  hofe  ein  rytter'  gut, 
Der  mit  eren  hat  sin  Blut 
Gereret  mit  rytterlichen  syt 
270    Deme  wichet  nymanden  ein  tryt, 
(gleich  daran  mit  Weglassung  von  V.  271  u.  272) 
273    Sie  wenen  sie  sin  vulkofnen  gar 

Ynd  nemen  keines  Beddirmannes  war 
275     (nachgebildet)  Do  sprach  fraw  ere  mit  gedolt 

278  (276  w.  277  fehlen)  Sin  sie  abir  uff  dem  ffelde  dort 

279  So  rjsch  alz  bie  den  ffrawin 

280  Wo  man  die  rotten  sal  zcu  hauwin 
(nun  folgen  zwei  fremde  Verse,  darauf) 

288    Die  ich  bie  £Praw6n  han  gesehn 
(nach  zwein  anderen  Versen  und  einer  angedeuteten  Lücke  von  einem 
Verse) 

287  Wo  man  der  vinde  solde  nemen  war 

288  Do  karten  sie  den  rucken  dar 

290  Darnach  man  sie  zcu  hoffe  sach 
(nun  kommt  ein  fremder  Vers,  dann) 

291  Vnd  hylt  sie  aU  die  veddriwe  lute 

292  Die  do  etczen  können  uff  der  hüte 
(jetzt  folgt  gleich  ein  Sprung  auf  Vers) 

')  Ein  Seitenstück  yon  Verwendung  Snchenwiiüscher  Verse  in  anderen  Dich- 
tungen liefert  G.  Sarrazin  in  „Wigamar,  eine  literarhistorische  Untersuchung" 
(Quellen  und  Forschungen  Nr.  XXXV.  Straßburg  1879).  Er  wies  nach,  daß  der  vor- 
liegende Text  interpoliert  sei,  daß  (mit  Ausnahme  von  vieren)  die  Verse  4906—4944 
verschiedenen  Versen  (awischen  166  und  222)  in  Suchenwirt's  »chöner  Äbenteuet  voll- 
kommen entsprechen,  und  nimmt  au,  daß  der  letzte  Schreiber  des  Wigamnr  die  ihm 
aus  Suchenwirt  bekannte  Stelle  cur  Schilderung  weiblicher  Formenschönheit  wahr- 
scheinlich aus  dem  Gedächtnisse  (da  er  soust  die  Reihenfolge  der  Suchenwirtischen 
Verse  wohl  besser  eingehalten  hätte)  eingeflickt  habe.  Sarrazin  bezeichnet  diese  Verse 
schon  aus  inneren  Gründen  als  verdächtig;  den  Beweis  hiefttr  erbringt  Ferd.  Khnll 
im  Anzeiger  f.  deutsches  Alt.  u.  deutsche  Litt. ,  6.  Band ,  S.  358 — 368.  In  der  von 
Ri  eh.  M.  W  er  n  er  in  der  Zeitschrift  f.  deutsches  Alt.  u.  deutsche  Lit.,  XXXIII,  S.  100  ff. 
abgedruckten  Salzburger  Fragmenten  des  Wigamur  kommt  denn  auch  diese  Interpolation 
nicht  vor.  —  In  der  Schilderung  weiblicher  Schönheit  ist  Suchenwirt,  auf  dem  von 
ihm  hochverehrten  Konrad  von  Würzbarg  fiißend,  wirklieh  sehr  gewandt ;  so  erscheint 
das  Gedicht:  Von  guidin  »tam  im  Liederbuche  der  Hätzlerin  (Haltaas,  8.  219--221) 
geradezu  matt  gegenüber  der  Suchenwirtischen  Darstellung  in  der  9e?ionen  Ahenieuer. 

')  SämmtUche  Unterscheidungs-  und  Abkürzungszeichen  stammen  aus  d. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      439 

815    Word  in  sie  a£P  der  flacht  gevAngin 
316    8o  ist  in  schedelich  irgangin, 
(Sprung  auf  Vers) 

319  Mit  Bchandin  haldin  si  den  lip 

320  Sie  mochten  libir  sin  die  wip 
(Sprung  auf  Vers) 

323    Do  sprach  firaw  ere  mit  gedult 

Ich  gebe  iczlichir  frauwen  solt 
325    Vnd  melde  (!)  welche  franwe  da^  irfure 

Da^  ir  bule  sin  ere  vorlore 

Die  solde  den  icagin  hassin 

Vnd  US  irem  herczin  laßin 
Bl.   55*  Vnd  mit  ihm  redin  nyffier  wort 

330    Vnd  sencket  in  ires  herczin  hört 

Einen  werdin  beddirman 

Der  falscher  zcagheit  ny  gewan 

Wo  die  fforsten  vnd  die  franwin 
334     Sich  also  lißen  schauwin 
(Sprung  auf) 

341     So  dinte  In  beide  dorch  guten  mut 

Vnd  lißen  den  lip  vnd  dar.  gut 

In  frauwen  dinste  al  uff  die  wage 
344    Y  ba^  y  ba?*)  zcu  tage  zcu  tage 

339  Ein  herr  mit  gäbe  ein  frauwe  mit  gnnst 

340  Die  zcwei  die  rürten  ritters  kunst 

Dies  sind  zusammen  38  Verse,  sie  fehlen  im  3.  Stücke 
von  d,  so  daß  in  der  elften  Lücke  (V.  267 — 352)  nur  mehr 
48  Verse  fehlen  und  im  ganzen  Gedicht  88  Verse. 

Die  immer  noch  bedeutenden  Lücken  beeinträchtigen  natürlich 
den  Werth  dieser  Recensiou;  sie  stehen  mit  den  sprachlichen 
Verhältnissen  der  Vorlage  von  d  im  engsten  Zusammenhange.  — 
A.  Lübben,  welcher  zu  seiner  Ausgabe  des  Zeno  (Bremen  1869)  auch 
M  42  (das  Gedicht  von  der  Überbringung  der  Körper  der  h.  drei  Könige 
=  1.  Stück  in  d)  benutzt  hat,  zählt  in  der  Einleitung  seines  Baches 
die  Handschrift  42  nicht  zu  den  niederdeutschen;  er  sagt,  sie  sei  in 
einem  Miscbdialecte  geschrieben.  —  Dasselbe  gilt  auch  von  der  schönen 
Ahmteuer  \  die  Sprache  dieses  Gedichtes  ist  ein  Mischdialect,  da  der 
Vocalismus  mehr  dem  niederdeutschen  ähnlich  ist,  während  der  Con- 
spnantismus  dem  Süddeutschlands  näher  steht,  kurz  es  ist  die  mittel- 
deutsche Sprache,  wie  sie  im  15.  Jahrhunderte  in  den  öst- 
lichen  Gegenden  Mitteldeutschlands   gesprochen   wurde. 

')  Es  steht:  F  ha»)  y  6m),  vielleicht  soll  damit  der  Wegfall  des  einen  y  ha% 
angedeutet  werden. 


440  FBANZ  KRATOCHWIL 

So  steht  vereinzelt  a  in  d  =  hochd.  d:  141  sal,  328  ab,  desgL 
für  hochd.  e:  288  karten  sie]  allgemein  e  =  hochd.  cb  (171  mere)  und 
(besonders  vor  dy  tj  U^  m^  r^  s)  ^  hochd.  i:  40  gesnetin^  124  ge- 
sedeü^  140  cle^r,  135  czemit^  vereinzelt  fttr  hochd.  ä  (207  wereUf  224 
ehinturSf  desgl.  159  u.  253)  und  hochd.  ö  (45  gewerchi^  aber  176  ^e- 
tooreft^).  In  allen  Conjugations- ,  Flexions-  und  Ableitungssilben  ist  e 
durch  t  verdrängt  (stets  kegin),  desgl.  in  den  meisten  Präfixen;  immer 
i  =  hochd.  et  (i)  und  ie  (69  ging)\  im  letzteren  Falle  steht  in  d 
häufig  y-j  sehr  oft  o  ^  hochd.  ü  (70  tagentlich^  80  arkunde,  immer 
dorch) ,  allgemein  =  hochd.  cß,  vereinzelt  =  hochd.  ou,  au  (66  knoff) ; 
immer  u  =  hochd.  au  (180  truren) ,  hochd.  eu,  ew  (9  nuwe,  63  dutze 
[Ä  det^^JcAe]),  hochd.  üe  {l  grutien  walt  und  hochd.  wo,  we  (47  «^tin/, 
immer  zcw);  fast  immer  ei  =  hochd.  ai  {11  beißen),  häufig  ie  ^  hochd.  t 
=  ei  (79  bie) ,  stets  ou  für  hochd.  au  (203  ouginy  inmier  ouch).  Ab- 
neigung gegen  Umlaut  ist  erkennbar.  —  In  Bezug  auf  die  Con- 
sonanten  zeigt  sich  allgemein  d  fbr  hochd.  t  im  Auslaut  (225  ich 
sandf  264  thud^  355  had)  und  öfter  Verdoppelung  des  d  im  Inlaut 
(274  Beddirmannes  und  331),  aber  kein  wat,  dat,  dit  für  wa^,  da!^  und 
di^]  p  =  hochd.  ph  (39  placke)]  öfter  ^  für  hochd.  A  (67  eag  ichj 
128  trogsesse,  143  in  ^Oj/m  werdin)  und  für  A:^  c&  (94  mar^  [medulla], 
135  smag  (acc.)  :  «o  riehen  behag^)^  160  «üe  zcoug  =  hochd.  zdcA); 
h  wird  abgeworfen  in  Aer  vor  ludper  237.  Vgl.  Wein  hold,  Mhd.  Gr., 
2.  Ausgabe,  1883,  und  zwar  §.  30  u.  67,  101,  46  u.  56,  93,  67,  81, 
108,  103  u.  134,  63,  116,  112,  108,  122  u.  132,  144,  140,  107,  124, 
127,  27;  171,  190,  188,  152  u.  221,  226,  endUch  243. 

Aber  noch  in  einem  anderen  Sinne  ist  die  Sprache 
der  schönen  Abenteuer  ein  Mischdialect.  Lttbben  fragte  sich, 
ob  der  Zeno  ursprünglich  in  hoch-  oder  niederdeutscher  Sprache  ab- 
gefaßt worden  sei.  Eingehendes  Studium  der  ihm  vorliegenden  Hand- 
schriften brachte  ihn  dahin,  der  niederdeutschen  Aufzeichnung,  trotz 
mancher  für  die  Priorität  der  hochdeutschen  Fassung  sprechenden 
Umstände,  den  Vorzug  zu  geben,  und  zwar  mit  Recht.  Anders  bei 
der  schönen  Abenteuer;  hier  war  die  Vorlage  von  M  42 
gewiß  nicht  nieder-,  sondern  oberdeutsch.  Abgesehen  davon, 
daß  Suchenwirt  in  der  österreichischen  Sprache  schrieb  und  uns 
keine  nieder-  oder  mitteldeutsche  Recension  seiner  schönen  Abenteuer 
bekannt  ist,  sprechen  für  den  hochdeutschen  Charakter  der 


')  Abo  hehae  stm.;  im  Mhd.  Wöiierbnch  und  bei  Lexer  war  bisher  nur  hehag€ 
stf.  belegt  und  in  Lezers  Naohträgen  be?iae  als  Adjectiv. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      441 

Vorlage  nicht  wenige  im  Innern  der  Verse  stehen  ge- 
bliebene Stellen  derselben,  welche  mit  dem  mittel-  oder 
niederdentschen  Lautsystem  durchaus  nicht  harmonieren, 
80  26  blumelein,  34  u.  42  grüne,  91  frauwe,  ebenso  105^  115;  117  und 
immer,  126  zeü,  137  vraüwete,  159  dnnteure  (224  aber  ebinture)^  174 
hauhtlin,  196  die  weiße. 

Auch  in  den  Reimen  begegnet  derlei:  9  behauwin  :  auwe,  107 
zceit :  nyt  (A  neu),  147  mit  neyge  (mitteld.  Infinitiv  ohne  n)^):  ewigin 
(A  neigen  :  eweigen).  188  lang  blanek.  Deutlich  sieht  man,  da4 
zwischen  der  Sprache  der  Vorlage  von  M  42  und  des 
Schreibers  ein  bedeutender  Unterschied  war,  der  leicht  zu 
ungenauen  Reimen  führte,  so  b9  ir hebin ^)  ibuchstabin,  lld  ge- 
touUin^)  :  gedroUen,  231  mit  botsehaßen^)  :  in  hrefftin.  Die  Vorliebe  der 
mitteldeutschen  Sprache  fUr  volle  Formen  (vgl.  Weinhold  a.  a.  O. 
§.  80)  erklärt  93  iren  :  gehyme  ( A  iem  :  hiem) ,  sie  fbhrte  sogar  su 
Fehlerhaftem,  wie  97  zu  der  stunte  (A  stunt)  :  do  danckte  mir  ir  roter 
munde  (Weinhold  a.  a.  O.  §.  85).  Umgekehrt  ist  auch  die  Neigung 
zu  Reimen,  wie  165  gesehn  :jen  {A  jehen)  aus  dem  Charakter  des 
Mitteldeutschen  sehr  begreiflich^).  —  Andere  Unebenheiten  mögen 
durch  bloße  Nachlässigkeit  des  älteren  (von  M  42)  oder  jüngeren 
Schreibers  (von  d)  sich  eingeschlichen  haben,  so  83  reiger  :  sunder 
toegir  (A  toaiger);  197  gemenget :  dri/nget^  199  teil:  ane  mall,  215  ir- 
czetterlen  :  u>eUem*  Vielleicht  gehört  hieher  auch  die  163  und  175  vor- 
kommende Assonanz  gut  (A  ehkig)  :  trug. 

Manche  Stellen  seiner  Vorlage  verstand  der  ältere  Schreiber 
gar  nicht,  oder  es  war  ihm  unmöglich,  sie  in  seiner  heimatlichen 
Sprache  genau  wiederzugeben,  so  die  Ausdrücke  getzindelt  (V.  15), 
gechriepet,  geehrindelt  (V.  16)  und  überhaupt  die  nächsten  Verse. 
Er  schrieb  also  statt  des  Reimes  getzindelt  in  V.  15  den  Reim  von 
dem  V.  19  in  blumen,  ließ  die  Verse  16— 19  weg,  so  daß  auf  blumen 
reimt  grünen.  Ahnlich  kann  man  sich  den  Ausfall  der  meisten  Verse 
erklären ;  so  der  Verse  155  und  156  u.  s.  w.  Daß  das  Fehlen 
dieser  und  anderer  Verse  nicht  auf  Zufall  beruht,  sieht 
man  schon  daraus,  daß  die  Reimordnung  nirgends  unter- 
brochen  ist^}.    Daß   der  Schreiber  von  M  42    (und    diesem    folgt 


*)  Vgl.  Weinhold  a.  a,  O.   §.  372.  ^)  Umstellangen     vod     Versen 

')  Vgl.  Weinhold  a.  a.  O.   §.  30.  treffen  wir  in  d  allerdings   an,    so   steht 

»)  Vgl.  Weinhold  a.  a.  O.  §.  63.  V.  88  vor  87,  100  Tor  99,  140  vor  139  und 

*)  Vgl.  Weinhold  a.  a.  O.  §.  27.  246  vor  246. 

')  Vgl.  Weinhold  a.  a.  0.  §.62. 


442  FRANZ  KRATOCHWIL 

ja  d)  eine  ihm  schwer  verständliche,  also  oberdeutsche  Vorlage  hatte, 
erhellt  aas  den  Versen  53  nnd  54,  wo  er  statt  gilbet :  gAilbH  schreibt 
gidpet :  gMUUt,  besonders  aber  ans  den  Versen  166 — 168.  Er  schreibt: 

Ir  fufidin  {Main  fehlt)  hoge  rt/He  hoU 

Ein  wenig  (A  tteieel  eich)  vorbargen  wol 

Herte  (A  hiet)  vndir  iren  ryeten. 
In  A  heißt  es  174,  es  sei  ir  hufei  zart  gedroOen^  d  aber  schreibt 
hoMAtUnl  V.  194  lautet  in  d:  Ir  munddin  hinee  (A  feuere)  flamen 
flocket.  —  Die  Verse  235  u.  236  verarsachten  ihm  viele  Mühe;  in 
236  war  dem  nach  bairisch-Osterreichischer  Art  verkflrzten  Reimworte 
leicht  die  volle  Form  zu  geben:  einen  eamen,  aber  wie  paüte  es  dann 
auf  den  Nominativ  echam?  Der  Schreiber  änderte  also: 

Den  foreten  zeemit  tool  trwe  fmd  zeame 

Nu  hat  gewoff/in  einen  eamen! 
So  verursachten  mangelhaftes  Verständniß  der  Vorlage,  die  Schwierig- 
keit der  Wiedergabe  derselben  in  der  heimatlichen  Mundart  selbst 
sinnlose  Stellen;  besonders  vom  Auftreten  der  Abenteuer  an  (V.  150  iL) 
häufen  sich  Textverderbnisse^}  und  Störungen  des  syntak- 
tischen Zusammenhanges*).  Möglich  ist,  daß  die  Vorlage  selbst, 
wenigstens  stellenweise,  schon  einen  corrupten  Text  bot. 

Da  ist  es  nun  nicht  zu  wundem,  daß  unter  solchen  Verhältnissen 
auch  der  metrische  Bau  der  Verse  mitunter  erheblich  litt.  Dazu 
trägt  nicht  wenig  der  ausgedehnte  Gebraach  der  vollen  Deminutiv- 
endungen  bei,  so  160,  172,  184  u.  o.;  statt  der  bairisch-österreichischen 
Formen  hendd^  pruetd  u«  s.  w.  erscheinen  die  ungekürzten  hendeltnj 
bruetdin^  heledinj  neckelin  u.  s.  w.  Sträubt  sich  der  Vers  dagegen,  so 
unterläßt  d  die  Verkleinerung  lieber  ganz,  z.  B.  183  dime  :  Mm«. 
Der  Eiüfthrung   der   ungekürzten   Formen^    in    der   Flexion 

AU  kegkk  dex  außen  Umwet  thor  (A  trar) 

Kegin  tat  nch  tu  lißen, 

die  renuämme  (A  rtfntiMiiQ,    66:  manch  lusi  (A  leiHen), 

Nach  luH  und  nach  ebuttinea  (r)  »etm  (A  atventewr)^ 

Eine  June  firawe  rut  ir  wiße  hont  (A  mit), 

Ir  houbt  toa^  manch  edU  geHeine  (A  harpant), 

Der  Quff  rede  vnd  auch  nn  lou/f 

Sulchein  kommet  bie  den  hem  uff, 
*)  Ich  fahre  nur  den  Schloß  an: 

Der  rede  eine  bluende  kämt  »eu  HiSre 

Genant  schone  Mnture. 
')  Im  V.  149   begegnet  sogar   der  Acc.  njfmande  (Ich   horU  nymande)^   ent- 
sprechend dem  Acc.  iemoßnde :  lande,  Jerotehm  19208;  Y.  161  Werne  entpha^  ir  Ut 
wohl  Schreibfehler?   A  bat  wm. 


") 

V.  24 

u.  26: 

43: 

78: 

116: 

218: 

247  1 

a.  248: 

ÜBER  DEN  GEGENWiRTXGEN  STAND  DEK  SÜCHENWIRT-HSS.      443 

und  Conjugation  statt  der  oberdeutschen,  die  durch  Synkope 
oder  Apokope  nicht  selten  ganz  auffällig  zusammengeschrumpft  sind, 
ist  es  besonders  zuzuschreiben,  daß  in  d  nur  wenige  Verse  sich  findeQ, 
die  nicht  an  überschüssigen  Senkungen  leiden.  Hätten  wir 
gar. keinen  anderen  Anhaltspunkt  für  den  oberdeutschen 
Charakter  der  Vorlage  von  M  42,  eine  aufmerksame  Beob- 
achtung der  oben  berührten  metrischen  Erscheinungen 
müßte  uns  daraufführen,  daß  ein  schon  ursprünglich  in 
mittel-  oder  niederdeutscher  Sprache  abgefaßtes  Gedicht 
nicht  zur  Nachschrift  gedient  haben  könne.  Da  hätten  wir 
diese  Überfülle  von  Senkungen  nicht.  Diese  aber  fUhrt^  vielfach  zu 
Versen  mit  vier  Hebungen  und  klingendem  Schluß  und  zwar  ge- 
bunden auf  solche  mit  vier  und  drei  Hebungen.  Beispiele  der  ersten 
Art  sind: 

161    Daz  was  von  vynem  golde  reine 
Varinne  lag  ein  ^dd  ateyne^ 
femer  die  Verse  95,  96,  169,  170,  177,  178,  193,  194,  217,  218,  223, 
224,  235,  236,  253,  254.  Hingegen  reimt  der  Vers 

74    Der  knabe  wa^  antwort  nickt  zcu  terege^) 
auf  einen  Vers  von  drei  Hebungen  mit  klingendem  Schlüsse,   ebenso 
26,  106,  112,  216,  358  u.  s.  w.    Selbst  zu  überlangen  Versen  führt 
dies,  so 

114    Wo  man  sihet,  do  mane  gerne  tkut 
154    Ingastis  vnse  vor  der  taffein  stan 
200    Ir  neaelin  was  ane  allia  maU, 
Daß   durch  diese  überschüssigen  Senkungen  sowie  durch  Einsetzung 
unnöthiger  Wörtqhen  auch  der  Rhythmus  leidet,  beweisen  Verse,  wie 
93    Iczliche  die  esete  den  tren 
253    Berichte  mich  Juncfraw  ebintwre 
ferner  113,  119  u,  a.  — Weitaus  seltener  finden  sich  Verse,  die  durch 
Weglassung  von  Wörtern  verstümmelt  sind,  wie 

122    WH/pret  vnd  ffuche 
oder  175,  176,  212,  230;  Verse  von  drei  Hebungen  mit  stum- 
pf e|m  Schlüsse  begegnen  nur  sporadisch,  so 
41    Manch  strich  geumndin  was 
129    Ffraw  zeucht  was  sie  genannt. 
Vereinzelt  kommt  es  vor,  daß  in  d  die  Senkung  ausfilUt,  während  sie 
in  A  steht,  meistens  geschieht  dies  durch  rnrnich,  wofür  A  manik  hat. 


*)  Vgl,  Weinhold  a.  a.  O.  §.  86. 


444  FRANZ  KRATOCHWIL 

Daß  die  so  beschaffene  Fassung  dieses  Gedichtes  in  M  42  unter 
den  Händen  des  Schreibers  von  d  mindestens  nicht  gewonnen  hat, 
ist  selbstverständlich,  auch  wenn  man  des  frQher  dargelegten  Ver- 
hältnisses zwischen  Suchenwirt's  Gedicht  von  fänf  Fürsten  in  d  zum 
Original  in  der  Qothaer  Handschrift  B  271  nicht  gedächte.  Fttr  die 
Herstellung  eines  guten  Textes  hat  somit  die  Recension 
der  schönen  Abenteuer  in  d  nur  einen  sehr  untergeordneten 
Werth,  sie  ist  aber  insoferne  von  Bedeutung,  als  sie  unter 
allen  bisher  bekannt  gewordenen  Suchenwirt-Handschriften  die  ein- 
zige ist,  welche  ein  Gedicht  Suchenwirt's  in  mittel- 
deatscher  Einkleidung  uns  überliefert. 

Xffl.   m»t- 

Nicht  günstiger  steht  es  mit  Suchenwirt's  schöner 
Abenteuer  in  m^  Diese  in  der  Münchner  Hof-  und  Staatsbibliothek 
befindliche  Papierhandschrift  mit  der  Nummer  487  H)  umfaßt  146  Seiten 
in  Quart  und  enthält  nur  zwei  Stücke:  eine  im  Jahre  1461  für  Ort  elf 
vonTrenbach  durch  dessen  Gerichtsschreiber  Johann  Fritz  von 
P a s s a u  gefertigte  Abschrift  des  Lohengrin*)  und  darnach  (S.  137 
bis  146)  von  späterer  Hand  die  schöne  Abenteuer. 

Die  Trenbach  fahrten  ursprünglich  den  Namen  Wackher  und 
waren  in  Ungarn  ansäßig.  Von  dort  zogen  um  900  vier  Brüder  dieses 
Geschlechtes  nach  Baiem,  einer  derselben ,  Azelius^  nannte  sich  und 
seine  Familie  von  dem  in  der  neuen  Heimat  angekauften  Schlosse 
Trenbach  (in  Niederbaiem,  Bezirksamt  Eggenfelden;  ehemals  zum 
Landshut' sehen  Pfleggerichte  Dingelfing  gehörig').  Zu  diesem  Zweige 
gehörte  der  genannte  Ortolf.  Er  ist  wohl  derselbe ,  der  sich  in  der 
Handschrift  des  Lucidarius  der  Wiener  Hofbibliothek  (Nr.  2808) 
als  Ortolf  Trenbekch  der  Elter  —  zum  Unterschiede  von  seinem 
gleichnamigen  Sohne  —  unterschreibt  und  mittheilt,  daß  er  die  Hand- 
schrift 1459  mit  eigener  Hand  geschrieben  habe  (vgl.  Hoffmann  von 
Fallersleben  a.  a«  O.  Nr.  CXXl).  —  Der  in  der  schönen  Abenteuer 
anstatt  Suchenwirt's  genannte  Hans  vonTrenbach  (V«  131) 
kann  Ortolfs  des  Alteren  Neffe  oder  —  was  mich  weit  wahrscheinlicher 


')  ^ifl*  8chmeller*s  Katalog  der  deutschen  Handachriften,  8.  Theil,  8.  493. 

')  H.  Bücke rt  hat  diese  Handschrift  in  seiner  Ausgabe  des  Lohengrin  (Quedlin- 
burg 1868)  nicht  berücksichtigt. 

^  Vgl.  Vollstfindiges  Ortschaften-Yerseichniß  des  Königreichs 
Baiern.  München  1877,  und  J.  M.  Einsinger  Ton  Einzing,  Baierisohe  Adels- 
historie,  2.  Band  (1768),  S,  668. 


OBEB  den  GEGENWlBTIGEN  STAND  DES  SUGHENWIBT-HSS.      445 

dünkt  —  sein  Enkel  sein,  welcher  (nach  BucelinaS|  Sacri  rom&ni 
imperii  principum;  comitum  etc.  stemata  et  probationes,  MDCLXXU; 
pag.  190)  als  Domprobst  von  Passau  löö2  gestorben  ist.  DieNieder^ 
Schrift  der  schönen  Abenteuer  wird  demnach  in  die  erste 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu  setzen  sein. 

Nicht  lange  darnach  dürfte  die  Handschrift  nach  Oberösterreich 
in  die  Bücherei  des  Hauses  Fernberg  gekommen  sein,  denn  auf  der 
ersten  Seite  von  m^  steht  oben:  tl  1588  Hanü  Ferenberg  zu 
Egenberg.  Es  ist  dies  wohl  Johann  Christoph  Femberg;  der  sich 
am  12.  Juni  1Ö88  vermählte^  aber  kinderlos  starb  (vgl.  S.  316, 
1.  Anm.),  ein  Enkel  jenes  Johann  Fernberg,  der  1531  Schloß  und 
Herrschaft  Egenberg  erworben  hat.  —  Darunter  aber  steht  seitwärts : 
Enenkel  vidit.  Bezieht  sich  diese  Bemerkung  auf  das  Jahr  1588| 
dann  dürfte  sie  nur  schwer  auf  Job  Hartmann  Enenkel  zu  deuten 
sein,  da  dieser  1676  geboren  ward,  wohl  auch  nicht  auf  seinen  um 
drei  Jahre  älteren  Bruder  Georg  Achaz,  den  Hoheneck  a.  a.  O.  S.  151 
„einen  sehr  gelehrten  Herm^  nennt.  Mit  mehr  Wahrscheinlichkeit 
könnte  man  an  deren  Vater  Freiherrn  Albrecht  Enenkel  denken,  wel- 
cher 1647  geboren  wurde,  viele  Reisen  gemacht  und  fremde  Länder 
gesehen  hat.  Da  aber  gar  kein  zwingender  Grund  vorliegt,  diese 
Notiz  in  das  Jahr  1588  zu  verlegen,  ist  man  nach  Allem,  was  bei  B 
und  C  über  Job  Hartmann  gesagt  wurde,  wohl  berechtigt,  diese  Be- 
merkung auf  ihn  zu  beziehen.  —  Wie  die  Handschrift  nach  Baiern 
zurückkam,  ist  unbekannt,  auch  nicht  aus  dem  Äuüeren  zu  ent- 
nehmen, da  der  alte  Einband  durch  einen  modernen  ersetzt  ward, 
wobei  die  Überschrift  des  Suchenwirtischen  Gedichtes  weggeschnitten 
ward,    so  daß  nur  die  Worte  übrig  blieben:    hat  Düe  Bed  gemachtt 

D|ie  sprachlichenVerhältnisse  inm^  weisen  nachBaiern 
und  widersprechen  der  Annahme,  die  schotte  Abenteuer  sei  in  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  aufgezeichnet  worden,  nicht.  Flexion  und 
Conjugation  verrathen  die  jüngere  Zeit  (vereinzelt  begegnet  259  der 
Nomin.  fem.  sing,  andrew),  nicht  nur  in  «c,  auch  in  den  Verbindungen 
sl,  «tu,  m,  8w  ist  die  breite  Trübung  fast  vollständig  durchgedrungen 
(Weinhold,  Bair.  Gr.  §.  154):  22  echwüngeU  u.  s.  w.,  aber  323  sprach 
u.  ö«,  206  gestrichen.  Adjective  und  Adverbien  endigen  nur  auf  -lieh, 
statt  4  und  -el  wendet  der  Schreiber  zur  Verkleinerung  -lein  an: 
167  fuesslein  u*  s.  w«,  einigemal  auch  -2en:  172  härmlen,  265  händlen 
und  266  frewlen  (a.  a.  0.  §•  244) ;  293  bgegnet  bereits  hirsch.  — 
Im  Übrigen  findet  sich  nebeneinander  da  und  do,  die  und  di,  fast 
durchaus  zu,  immer  durch  (A  durich),  gein  (A  gm)  und  nitt  (A  nicht, 

OKRIUNU.   Neue  Beute  XZII.  (XXXIT.)  Jahrg.  ^ 


446  FRANZ  KRATOCHWIL 

Vgl.  IL  a.  0.  §.  11);  über  14B  nembt  vgl.  S.  328.  --  Apokope  und 
Synkope  erscheinen  in  nahezu  onbeschränkier  Freiheit,  und  daraus 
erklären  sieh  einerseits  die  sehr  häufigen  Störungen  durch  Mangel 
der  Senkung  (V.  34,  179,  207,  211,  312  u.  s.  w.),  besonders  vor  der 
letzten  Hebung  (V.  29,  33,  34,  46,  63  u.  s.  w.) ,  anderseits  das  Vor- 
kommen vieler  Verse  mit  stumpfem  Schluß  und  drein  Hebungen 
(V.  39,  40,  65,  66,  121,  275  u.  s.  w.)- 

Für  die  Aufzeichnung  des  Gedichtes  in  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  sprechen  auch  die  Schriftzüge.  Dieselben  sind 
lateinisch  (nicht  cursiv),  aber  sehr  undeutlich  und  schleuderhaft^). 
Dadurch  werden  auch  die  Schreibfehler  (280  durehsehateen^  A  durich- 
hawm)f  die  selbst  in  den  Reimen  zu  finden  sind  ^20  aus  jun  [:  blumen])^ 
leieht  begreiflich,  desgleichen  der  Ausfall  vieler  einzelnen  Wörtchen: 
38  atLch  und  das  Reim  wort  vebi,  41  pewunden^  59  veiUy  96  te,  175  do, 
176  auchy  254  die,  257  ee,  301  und  und  maehm  u.  s.  w.  Überall 
zeigt  sich  Mangel  an  Sorgfalt,  dafür  aber  dasWalten  der 
Schreib  er  Willkür.  Manche  Verse  sind  so  stark  geändert,  daß  sie 
den  entsprechenden  in  A  kaum  mehr  ähnlich  sehen;  so  lautet  V.  33: 

Der  Bitterlich  heczeagt  was, 
die  Verse  206—211: 

Ir  augpra  schon  gestrichen 

Vnd  warn  darnach  prawn  gevar 

Als  obs  mit  einem  pemsel  dar 

Dar  czu  hak  dy  mögt  rain 

Zweig  crlein  geschmückt  und  Jdain 

Noch  wünsch  wol  gewachst  dar, 
V»  353    Sag  an  viel  lieber  Trenbeckk, 
ähnlich  59,  121,  199,  240,  311,  312,  318.  —Ja,  es  sind  ganz  neue 
Verse  für  solche  in  A  eingesetzt;  so  für 
V.     32    Als  ob  ein  kayser  lag  sau  veld 
Y.  294    Vnd  bei  ritter  spü  verceagt 
V.  302    By  das  in  kain  ßirst  meü 
V.  314    stirbt  er  sunst  des  toirt  wol  weü 
V.  354    an  adel  vest  an  eren  kechk-^ 
die  Verse  131  u.  132  in  A  gibt  m'  durch  folgende  drei  Verse: 

Viel  lieber  hanns  }>on  Trenbach 

der  nie  von  /raupen  vbeü  sprach 

Bett  sy  zu  mir  zu  hanJt. 

*)  Die  Verse  sind  abgesetzt,  die  Anfangsbuchstaben  der  Verse  bald  groß, 
bald  klein. 


ÜBER  DEN  GEGENWiBTIGBN  STAND  DEB  fiUCHENWIRT-HSS.      447 

Nach  Vera  314  von  A  indtt  sich  in  vi*  folgender  Zusatz: 
Wirt  er  an  der  ßucht  wuntt 
er  iU  üu  Jdagfi  als  ein  hundt\ 
als  Gegenitttok   daso  fehlen  in  na'  die  Verse  183—186,    und  221  u. 
222  ohne  jede  äußere  Unterbrechung.   £b  sind,  abgesehen  von  Apo- 
kopen  und  Synkopen  oder  Auflösungen  von  solchen,  kaum  20  Verse 
zu  finden,  in  denen  nicht  geringere  oder  größere,  oft  sehr  bedeutende 
Änderungen   vorkommen.  Viele  derselben   sind   schlecht,    viele  zwar 
nicht,  aber  ganz  willkürlich,  nur  wenige  bieten  wirklich  Bease- 
ruag  (4S  gewolkenirt,  99  fragten,  Xö^fratven,  161  v^inem,  2S9  etleichen). 

Aber  nicht  sämmiliiche  Änderungen  kommen  auf  Rechnung  der 
Schleuderhaftigkeit  und  Willkflr  des  Schreibers^  viele  fanden  sich 
gewiß  in  seiner  Vorlage*  Diese  war  nicht  A,  das  ergibt  sich  aus 
einer  Vergleichung  von  m*  mit  d,  welche  in  folgenden  Stellen, 
übereinstinunen :  8  zu  ainem  (eyme) ,  66  m^  knöpf,  d  knoff,  67  m^  $ach^ 
d  sag,  m^d  10  tuio)gentlich,  87  dm,  88  als  noch,  96  ie  fehlt,  100  m^ 
recht  als  ob,  d  reckt  ab,  m'd  107  wol,  111  toenn^  114  mans,  119  ich, 
142  do,  144  man  fehlt,  148  lenge{t)r,  161  vei(y)nem,  165  nyevnantf  175 
do  fehlt,  176  auch  fehlt,  181  nassen,  245  nemen,  258  mer  wenn^  274 
pidermans  {Bsddirmannes) ,  323  do  sprach,  328  irem,  372  ist  fehlt«  — 
d  kann  nicht  von  m^  abgeschrieben  worden  sein,  weil  die  Vorlage 
von  d,  die  Dresdner  Handschrift  M  42,  schon  1433  oder  doch  1439 
fertig  wurde,  m^  aber  erst  nach  1461.  m^  kann  aber  auch  nicht 
aus  M  42  geflossen  sein,  denn  läßt  man  auch  die  Verschiedenheit 
des  Dialectes  unberücksichtigt,  so  sprechen  doch  dagegen  vor  Allem 
die  zahlreichen  Lücken  in  M  42,  während  in  m'  nur  sechs  .Verse 
fehlen.  Aber  aus  derselben  Quelle  stammen  M  42  (d)  und  m^, 
and  diese  —  derzeit  unbekannt  —  war,  wie  schon  S.  440 — 443  dar- 
gethan  wurde,  eine  oberdeutsche. 

XIV.  m*t- 
Aus  dieser  Quelle  schöpfte  auch  m^  Die  in  der  Münch- 
ner Hof-  und  Staatsbibliothek  unter  der  Nummer  270  aufbewahrte 
Papierhandschrift  ^}  hat  Holzdeckel,  die  mit  gepreßtem  schwarzen  Leder 
überzogen  sind ,  doch  ist  der  Überzug  auf  jedem  Deckel  zur  Hälfte 
weggeschnitten;  die  Schließen  fehlen.  Auf  388  Blättern  in  Folio  ent- 
hält sie  Sprüche,  Abenteuer  und  Mären,  darunter  von  Teichner  und 
drei  Gedichte  Suchenwirt's,  rückwärts  wieder  Dichtungen  Teich- 


^)  Vgl  J.  A.  achmeller*»  Katalogp  der  deutschen  Handschriften,  1.  TbeU,  S.  81—87. 

30* 


448  FRANZ  KBATOCHWIL 

ner's  und  „Freidank's  Sprüche'^.  Die  Verse  sind  abgesetzt  und  be- 
ginnen meistens  mit  großen  rothdurchstrichenen  ^Buchstaben;  jede 
Seite  enthält  durchschnittlich  31  Verse  in  einer  Columne.  Die  Schrift 
ist  außerordentlich  deutlich  und  noch  der  in  A  ziemlich  ähnlich,  ob- 
wohl m^  um  mehr  als  ein  halbes  Jahrhundert  jünger  ist.  Die  Hand- 
schrift stammt,  wie  auf  der  letzten  Seite  bemerkt  ist,  aus  dem 
Jahre  1464  und  war  zufolge  der  Eintragung  auf  der  ersten  Seite: 
Sum  B.  V.  Mariae  in  Bottenbtteeh  Eigenthum  eines  Klosters  im  schwäbi- 
schen Sprachgebiet^). 

Dahin  fahrt  nämlich  die  Sprache,  die  unverkennbare  Zeichen 
des  schwäbischen  Dialectes  aufweist  Das  letzte  (f.  124^—130^} 
der  drei  Gedichte  Suchen wirt's  hat  die  Überschrift:  Die  sehdn  Anbenteür 
(roth)*).  Wie  im  Titel  begegnet  auch  sonst  au  fdr  ä:  236  haut  u.  b.  w. 
(vgl.  Weinhold,  Alemann.  Gramm.  §.  96),  zuweilen  äu:  71  Jräugt, 
ebenso  99  (a.  a.  O.  §.  97).  Adjeotive  und  Adverbien  zeigen  nur  das 
Suffix  'Uch'y  in  4in^  und  py  wurde  t  bewahrt,  sonst  aber  ist  dessen 
Diphthongisierung  fast  allgemein:  38  u.  59 /ein,  66  ruietn,  191  metn, 
236  sein^  265  weissen  j  270  weicht y  299  veinden^  342  2et6,  194  sogar 
rnündlein  (a.  a.  O.  §.  90  u.  99) ;  ie  für  ile:  170  geschnieH  (a.  a.  O.  §.  102), 
oe  für  üe:  34  grön  and  so  immer  (a.  a.  O.  §.  92);  u  für  iu  (eu)  ver- 
einzelt: 33  erzugt^  357  creatur:  stur,  ebenso  tu  für  eu:  251  u.  252  ge- 
hiwr,  hingegen  häufig  eui  213  treubd,  259  newe,  260  newes,  344  u.  ö. 
euch  (a.  a.  O.  §.  100 u.  103);  ü  hat  sich  nur  selten  erhalten:  60  durch- 
luckt,  gewöhnlich  steht  au  für  ü  und  au:  67  oti/u.  s.  v^.,  immer  fraw, 
210  haupt,  260  lauf  (a.  a.  O.  §,  93  u.  96).  In  183  dierelipirel  (A 
dirnl :  piml)  zeigt  sich  Abstoßung  von  auslautendem  n  (a.  a.  O.  §.  202) ; 
sehr  häufig  ist  s  diphthongisiert  in  den  Verbindungen  sl,  sm,  «n,  aber 
27  enispriessen  ,  105  sprach ,  desgleichen  112,  275  u.  s.  w.,  27  u.  368 
stund  (subst.),  55,  57  stund  (verb.),  262  stock,  188  swanck,  aber  191 
schwär  (a.  a.  O.  §.  190);  gg  =  kk:  288  ruggen  (a.  a.  O.  §.209).    Be- 


*)  Ich  denke  hier  nicht  so  sehr  an  Baitenbnch  im  bairischen  Begienmgs- 
bezirke  Schwaben  (Bezirksamt  Zosmarshausen) ,  als  vielmehr  an  Bottenbnch  im 
Regierungsbezirke  Oberbaiern  (Bezirksamt  Schongau),  wo  seit  dem  11.  Jahrhunderte 
ein  Angastiner-Convent  bestand,  einst  auch  ein  Nonnenkloster  und  Hospital  (vgl. 
UniTersallezikon  aller  Wissenschaften  nnd  Kflnste,  30.  Band  (1 741),  8.  712,  imd  Ein- 
zinger  a.  a.  O.  2.  Band,  S.  467).  Daß  Rottenbach  im  Volksmnnde  auch  Raitenbnech 
heißt,  ist  nebensächlich,  da  a,  verdampft  zn  o,  für  ai  (ei)  nicht  nar  im  Alemannischen, 
sondern  auch  im  Schwäbischen  vorkommt  (Weinhold,  Alemann.  Gramm,  f.  34,  44, 
87  and  94). 

*)  In  der  Folge  als  Nr.  3  oitiert 

•)  Die  Verkleinenmg  unterbleibt  sehr  häufig,  so  186,  187,  198,  200  u.  s.  w. 


Obeb  den  gegenwärtigen  stand  DEB  SUCHENWIRTHSS.     449 

merken  will  ich  noch  die  nasalierte  Form  der  2.  Person  im  Plural 
des  Präsens  ind.:  151  ewpfacheni  u.  s.  w.,  das  Präsens  101  ich  gen 
und  die  nasalierten  Präterita  gieng  und  meng  (a.  a«  O.  §.  342  u.  336), 
die  Deminutive  im  Plural :  38  perlach  (A  perlein)  und  210  armlach 
(a.  a.  0.  §*  263),  die  Nominative  sing«  fem.:  325  welchu  (entsprechend 
dem  disu,  a.  a.  0.  §.  420)  Und  127  edlu  n.  s.  w.  (a.  a.  O.  §.  423),  den 
Accus,  neutr.  plur.  216  meinu  und  den  Accus,  fem.  sing.  102  diasu 
(a.  a.  O.  §.  424,  letzterer  ein  Seitensttlck  zu  w  Nr.  2,  141  warew, 
213  liebew  u.  s.  w.,  vgl.  S.  331).  —  Sonst  findet  sich  nur  dv/rch  (A 
durich)  und  die,  fast  ausschließlich  zu,  unterschiedslos  da  und  do^ 
neben  menig  auch  manigm  —  Apokopen  und  Synkopen  treten  noch 
ungezügelter  auf  als  in  m^,  daher  der  störende  Mangel  so  vieler  Sen- 
kungen (5,  54,  63,  68,  172,  174,  187,  193,  195,  240,  262,  319,  331, 
341  u.  8.  w.),  zumal  vor  der  letzten  Hebung  (1,  29,  34,  86,  119,  185, 
236,  265,  369  u.  s.  w.),  daher  nicht  selten  Verse  mit  drein  Hebungen 
und  stumpfem  Schlüsse  (21  u.  22  [Umbildungen  von  19  u.  20  in  A], 
47,  121,  180,  198,  231,  232,  261,  262  u.  s.  w.). 

Von  den  letzteren  Erscheinungen  beruhen  viele  auf  sprachlichem 
Grunde;  nicht  wenige  aber  sind  auf  die  Schleuderhaftigkeit  und 
Willkür  des  Schreibers,  der  in  diesen  ungünstigen  Eigenschaften 
noch  den  von  m^  überbietet,  zurückzuführen:  daher  die  häufigen 
Schreibfehler  (10  da  für  der,  86  pald  [A  bayde]  u.  s.  w.)  und  oftmaligen 
Störungen  des  Rhythmus  durch  fehlende  Wörter:  63  zu,  73  al,  74  ze, 
78  nach,  154  vor,  202  u.  352  gar,  257  ee,  268  hat,  272  nu,  --  Die 
Verse  15 — 20  von  A  sind  in  m^  fast  bis  zur  Unkenntlichkeit  ver- 
ändert.   Statt  A  44  hat  m*: 

Waren  von  guldin  porten 
statt  A     68  hat  m^:  Dem  ieh  gar  recht  ehost  trüg 
I)      ^    136     7?     n  :  Min  herz  noch  nie  so  reich  hehak    (Unsinn!) 
»      »    167     »     n  :  Ir  ciain  füß  por(c)  ist  hol 
71      n    168     »     »  :  Aain  tail  sich  verporgen  wol 
n      7i    169     7i     n  :  hett  tmder  im  rist    (UnsinnI) 
71      7)   210     77     n  :  zwai  armlach  nnd  ain  haupt  ciain 
I)      77   260     77     7)  :  Die  ist  newes  laufs  erkUr    (Unsinn!). 
Ähnlich  54^-61,  121,  170,  211,  213,  243,  299,  321,  333  (dadurch  die 
ganze  Stelle  sinnlos),  337^  338.    Die  beiden  Schlußverse  lauten: 
Die  red  Die  plündent  gunst  stilr 
Oenad  ist  Die  schon  auhentur. 
Die  Verse  67,  188,  306  und  344  in  A  werden  durch  folgende  neue 
Verse  ersetat: 


450  FRANZ  KRATOCHWIL 

Dts  ich  auf  den  zdt  d&g 

Ir  zapf  warent  von  manigem  swanck 

Nach  prisz  und  nicht  verzagen 

für  war  ich  euch  das  tiag. 
Aus  den  Versen  261— 25S  in  A  macht  m*  die  »wei  Verse: 

Da  sprach  fraw  lieb  die  gehiwr 

Beschait  mich  fra/u)  auheniwr; 
die  Verse  254  u.  255  in  A  verschmelzen   in  m*  zu  dem    monströisen 
Versö: 

wie  l^ent  die  da  sitzent  in  der  liehe  glüt. 
Durch  diese  willkürliche  Behandlung  des  Textes  wird  auch  der 
Beim  getrübt;  so  steht  45  hand  :  umbehank,  190  liebin  für  minne  *).  — 
Auf  194  folgen  die  Verse  197,  198,  195,  196  m.  199,  von  da  an  in 
der  Ordnung  von  A  weiter.  Nach  V.  270  folgen  273,  274,  271,  272, 
dann  275,  276  u.  s.  w.;  an  V.  360  reihen  sich  362,  361,  363  u.  s.  f.  — 
Von  den  Versen  in  A  fehlen  hier  in  acht  Lücken  folgende  20  Verse : 
21—26,  49,  50,  103,  104,  156,  156,  161,  162,  303,  304,  335,  336, 
345  u.  346. 

„Es  war  das  Schicksal  der  deutschen  Dichter  aus  dieser  Zeit, 
daß  sich  die  Abschreiber  mit  ihnen  mehr  als  mit  anderen  Schriften 
erlaubten.  Jeder  schaltete  ein  und  änderte,  wie  es  ihm  gütdünkte  oder 
aus  der  Feder  fiel.  Es  würde  eine  unendliche  Arbeit  fhr  die  Kritik  sein, 
die  wahre  Lesart  des  Verfassers  wiederherzustellen,  und  oft  wüßte  ich 
gar  nicht,  wie  sie  es  anfangen  wollte,  wenn  sie  nicht  das  Autographon 
des  Verfassers  bei  der  Hand  hätte."  Diese  Worte  Lessing's*)  gelten 
nicht  nur  von  Boner's  Edelstein,  sondern  auch  von  ml  Aber  die 
Kritik  verzagt  nicht,  selbst  wenn  nicht  das  Autograph  zur  Verfügung 
steht,  wie  in  unserem  Fall.  Wir  haben  ja  A  —  ein  Vergleich 
mit  d,  m',  m*  zeigt  erst  ihren  großen  Werth;  die  drei  letzt- 
genannten aber,  so  gering  ihre  Bedeutung  ist,  sind  selbst  wieder  nicht 
gleich werthig.  d  gebührt  trotz  der  vielen  Lücken  der  Vorrang 
vor  m',  m*  aber  steht  zu  unterst.  und  trotzdem  liefert 
auch  m*  einige  gute  Lesarten,  wie  33  gar,  112  sprachen,  123 
gechülef,  170  geschniert  und  mehrere,  welche  auch  m*  hat. 

Überhaupt  herrcht  zwischen  diesen  beiden  Recen- 
sionen    trotz    vieler  Verschiedenheiten  doch   eine   gewisse  Übe r- 


^)  In  dem  vorausgehenden  Gedichte  Suchenwirt's  in  dieser  Handschrift  wurde 
V.  180  ff.  der  Baum  für  das  Wort  mirme  leergelassen  und  nachträglich  von  anderer 
Hand  mit  liebin  ausgefüllt. 

')  Ausgabe  Lachmann^s,  Band  10,  S.  336. 


Ober  den  GEGENWÄRTiaicN  stand  der  SUCHENWIRT-HSS.     451 


einatimmang,  wie  aus  folg^sden  Stellen  erfaellt:  29  der 
42  ai$  (A  alaam)f  47  $aimmat  (samai),  52  kiMr^  66  knöpf  ,  70  iugendichy 
74  s^fehlty  84  i>^  cmder  ainen  (m^  am)  waiger  (Unsinn!),  96  ie  feblt^ 
111  tomUf  114  mont  (m^man^«),  121:  Vnd  satzte  (mtzmt)  sieh  zu  tische 
144  iaan  fehlt  ^  148  lenger^  153  frawen^  165  »i^emant,  175  <io  fehlt, 
229  vordem  {vodenC)  haken ^  239  0^26tj(i)^^,  242  andern  bu{o)11  lan^ 
245  nmien,  257  ee  fehlt,  290  bei  frawen,  291  pider ^  310  »cAant  Ä^otn 
19^^  315^€tM(n^6fi,  316  sehä(a)ntli^  ergangen^  317  ab,  323  do{a)  epraeh, 
347  «tieft,  368  schied.  —  Diese  Übereinstimmang  wird  nicht  dadurch 
erklärt,  daß  man  m^  als  Vorlage  von  m'  annimmt,  denn  in  m^  fehlen 
ja^  von  allem  Anderen  abgesehen,  20  Verse,  die  in  m^  vorhanden  sind. 
Es  kann  auch  nicht  w^  von  m^  abgenommen  worden  sein,  weil  letetere 
Handschrift  erst  im  16.  Jahrhundert  abgefaßt  wurde,  m^  aber  schon 
1464.  Und  wttre  aitch  nicht  diese  Zeitdifferenz,  so  ließe  sich  doch 
nieht  absehen,  wie  der  Schreiber  von  m^  an  den  Stellen,  wo  m*  an-^ 
statt  Suchenwirt's  den  Trenbach  einflocht,  den  richtigen  Text  hätte 
herstellen  können.  Es  bleibt  somit  nur  die  Annahme  einer 
gemeinsamen  Quelle  übrig,  aus  welcher  auch  d  (M  42) 
geflossen  ist*)  (vgl.  S.  447). 

Pol.  107^  boginat  unter  der  Überschrift :  Ain  ander  sprach  (roth) 
/Stichenmrt's  Widertaü  und  endet  fol.  114''^),  fol.  68*^  fängt  Ain  ander 
^ast  guter  Spruch  (roth)  an  und  reicht  bis  fol.  71'.  Es  ist  jenes  Qer 
dicht,  welches  P  in  seiner  Ausgabe  unter  Nr.  XL  VI  als  Erieg  der 
Liebe  und  Schöne  anführt^),  es  wird  bei  späterer  Gelegenheit  seine 
Beeprechnng  finden*  —  Was  über  Nr.  3  in  m^  vom  sprachlich  metri- 
schen Standpunkte  gesagt  wurde,  gilt  im  Allgemeinen  auch  von  Nr.  2; 
ich  m^ke  hier  nur  noch  ajx  ä  r=  ou  ^^  au  (Weinhold,  Alem.  Gr. 
§.  87) :  31Ö  den  sam,  w  für  anlautendes  v  (a.  a.  O.  §.  160,  S.  125, 
1.  Anm«):  32  warb^  132  wart^  endlich  Abfall  von  auslautendem  d 
sammt  Schlu&vocal  (a.  a.  O«  §.  183):  241  pal.  Auch  den  Eindruck 
der  Flüchtigkeit  macht  Nr.  2,  doch  im  minderen  Grade  als 
Nr.  3.  Schreibfehler  begegnen  im  Innern  der  Verse  (114  chumenty 
279  stati  321,  329  u.  s.  w.),    aber  auch  im  Reime,    so  31  plaw  :  c2a, 


*)  Daß  m*  und  d  (M  42)  nach  derselben  Vorlage,  geschrieben  wur- 
dea»  be^weist  direct  die  Übereinstimmung  dieser  Handaohriften  an 
folgenden  Stellen:  48  geßoriert,  112  8prache(i)nf  115  junckß^av?(e)j  1 23  ff9ehü{u)ietf 
143  iDi(e)rden,  160:  Sie  zuckt  {zcoug)  em  mngerlin  von  der  kernt,  164  6«,  173  gewoUeny 
177  aide  rain,  182  mitten^  218  geatam  (gesteine). 

*)  Fol.  108  ist  unbeschrieben. 

*)  Ich  beseichne  diese  Gedichte  im  Folgenden  mit  Nr.  2  und  1  in  m\ 


452  FRANZ  KRATOCHWIL 

33  ander  :  wandd,  37  nievfumt :  iemaUj  183  efnziihet  ißUehet^  269  jähen 
:  wagen^  273  reo*  (A  anrurt)  :  verfiM,  313  iauile :  c&^'dler;  vom  V.  58 
hatte  der  Schreiber  den  Anfang  gesehrieben,  war  dann  wieder  in 
V.  57  gekommen  und  schrieb  dessen  Schlaß  noch  einmal,  so  daß 
die  Verse  57  und  58  mit  heb  du  an  schließen.  Statt  &i  mit  gaudeUj 
schrieb  er  mit  genaden,  wodurch  der  Reim  unterbrochen,  die  Stelle 
sinnlos  wird.  Umstellung  der  Wörter  nimmt  er  nicht  selten  vor,  sie 
ist  meist  nutzlos ,  in  361  {stan  in  dem  garten  :  gethan)  wird  dadurch 
der  Reim  gestört.  Wörter  fehlen  nur  wenige:  16  d«r,  18  ich^  126  man^ 
Verse  an  sechs  Stellen:  155—158,  203,  204,  245,  246,  297,  302  und 
304 — 307,  im  Ganzen  14,  eigentlich  13,  da  V.  297  durch  einen  neuen 
ersetzt  ist.  Nach  V.  308  findet  sich  der  eingeschobene  Vers: 

Das  was  der  plawen  ungemach. 
V.  188  geht  187  vor  und  314   dem  V.  313.    Aber   diese  Umstel- 
lungen und  die  vorher  angegebenen  fehlenden  Verse  kom- 
men  nicht   auf  Rechnung   des  Schreibers,    sie  fanden  sich 
schon  in  seiner  Vorlage. 

XV.   m*t 

Dazu  diente  ihm  m^,  das  ist  die  Papierhandschrifl;  Nr.  379 
der  Mtlnchner  Hof-  und  Staatsbibliothek.  An  den  mit  braunem  Leder 
überzogenen  Holzdeckeln  befindet  sich  eine  Messingschließe;  auf  dieser 
ist  noch  zu  lesen  mar.  Der  Rttcken  ist  sehr  schadhaft ;  auf  der  Außen- 
seite des  Vorderdeckels  ist  ein  alter  Zettel  aufgeklebt:  mancherley 
Spruch  und  gedickt,  und  das  entspricht  dem  Inhalte  der  225  Blätter 
in  Quart.  Bis  fol.  177  folgen  verschiedene  Qedichte,  darunter  die 
als  Nr.  1  und  2  bezeichneten  Qedichte  Suchenwirt's  in  m^; 
fol.  178—- 219  nimmt  Eduard  Wahrens'  Augsburger  Chronik 
der  Jahre  1368 — 1444  ein.  Der  ganze  Codex  stammt  nicht  aus  dem 
Jahre  1454,  wie  man  nach  J.  A.  Schmeller's  Katalog  der  deutschen 
Handschriften,  l.Theil,  S.  56 — 61  annehmen  könnte;  es  wird  ja  gegen 
den  Schluß  noch  das  Jahr  1478  erwähnt. 

Fol.  3P  steht  in  der  vierten  Zeile  von  oben:  Sequitur  Älter, 
daneben  mit  blasser  Tinte :  Da^  ist  ain  sprvch  vö  der  scheny  ufl  vö  der 
lieby;  derselbe  endet  fol.  34%  fol.  72**— 74*  befindet  sich  der  Wider- 
taiL  Am  Rande  von  72**  ist  bemerkt :  Der  sprach  vö  den  zwen  farbn 
von  plawer  und  von  gemegter  vne  *)  sie  wider  einander  worent.  Die  Verse 


')  Es  steht  nur:    m  wider  ein 

nder  wormt,  das  andere  ist  weg^esohnitteo. 


ÜBEB  DEN  GEGENi;viBTIOEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.     453 

sind  abgesetzt,   angefUfar  30  auf  jeder  Seite ;   die  Anfangsbuchstaben 
derselben    sind    groß    und   roth  durchstricheu.    Die  Besprechiing  des 
ersten  Gedichtes    folgt    später  ^    die  Vergleichung   des  zweiten  mit  A 
führt  zu  demselben  Ergebnisse  wie  bei  m*.  Es  erklärt  sich  dies  dar- 
aus,   daß  beide  Handschriften  bis  auf  wenige ,   meist  belaDglose 
Dinge  so  vollständig  ttbereinstimmen,    wie  sich  Ahnliches 
bei   keinem  anderen  Gedichte  Suchenwirt's  in  zwein  oder 
mehreren  Handschriften   auch  nur  annäherungsweise  bis- 
her gezeigt  hat.    Zum  Beweise  ftlhre  ich  nur  einige  Stellen  an: 
2  hohen  fräuden  (fröden) ,  14  durch,  15  u.  208  fehlt  gar,  18  ich  sach, 
23  wann  ich,  35  als  ich,  36  gemengt  da^  40  das  seih, 
43:  Das  es  soU  wi:^^en  iemant  mer, 
44:   Wes  ich  in  meinem  hertzen  ger 
45:  Das  ich  mit  trewen  han  vers{ch)lossen, 
52  oh  ich,  56  hoher  er{e)n, 

71:  Das  es  ain  eh{k)ind  wol  mx>{o)cht  verstan, 
80:  Sein  hau{o)bt  das  ist  im  worden  schwer  (swär)^ 
82  p{h)ifi  auf,  84  plaw  die,  88  ob  tischte)  chan  er,  102  ho{ö)ch8ten 
und,  113  iren, 

115:  Sein  fräu{ö)d  paß  da{e)nn  ain(u)  allain, 
116  er  niedert  (m*  nyndert),  117  gehh^  119  mager,  122:  Ich  main 
py  {^^y)  ''^a^en  sollich  sach, 

123:   Vnd  sollich  grossu  misseiat, 

125:  Äin  puest  er  an  dem  leib  mit  sucht, 
130  liget,  131  enspart,  132  «?er  Ate,  136  ir  wolir,  138  Chain  fal8ch{s) 
noch  Bwaches  main,  141  von  fehlt ,  144  sich  meret,  148  in  hoh(ch)em 
ritterlichem,  149  swencken,  153  pan  gezogen,  167  sprach  da{o),  168 
chan  der  dir,  169  gemelich,  175:  Ist  alles  waidenlieh  gestalt,  177 
als  eSf  185  vei{i)ntlichen ,  186  und  fürt,  198  ich  wi{ü)rt  so,  199  so 
geit,  210  gehört,  211  man  die,  215  u.  296  frumen  helt,  227  fru{o)men, 
236  gar  vil,  237  siecht  in  teufe,  240  er  da{e)nn,  241  so  wider  umb, 
242  allier)  erst  so,  252  preiß  wol  erben,  263  progt,  264  zogt,  268 
der  fordwnjf 

275:  Er  ist  das  (der)  erst  von  dannen  zeit  (Unsinn !), 

276:   Und  hebt  sich  hin  pald  (bald  hin)  an  die  weit, 
277  piß  das,   288  ob  fehlt,   288  mit  im  selb,   308  und  was,  314  an 
den  rock,  318  frawet,  319  auß  lachedem, 

329:  Oh  du  in  deiner  pläwer{n)  wa{ä)t, 

330:  Leptest  noch  in  gantzer  stät, 
339  die  hand. 


464  ■MANZ' KBATOCHWIL 

347:  Da(i)nn  das  er  tei  der  tms^end  am  eberm{e), 
S63  erwirhi  und  dae  behept,   356  gespila  ieh^   360  kert  auch^  364  red 
die.  Endlich  findeo  »eh  noch  in  beiden  Handschriften  die  Sehreiber- 
▼ense:  leb  woU  Dae  ich  edU 

Lieh  hon  wen  ich  u)alt 
Vnd  wem  ich  gelben  söU 
Dae  er  sein  nicht  en{i)woU. 
Beide  Handsehriftein  stehen  in  Besag  auf  dieses  Gedicht  in  Aller- 
engster  Verwandtschaft:  man  kann  wohl  mit  Ausschluß  jedea  Irriht^ms 
sagen,  daß  m^  (sum  größten  Theil  1454  geschrieben)  die  Vorlage  für 
m^  (beendet  1464)  gebildet  hat.  Von  demselben  Schreiber  können 
sie  nicht  herrtthreD,  weil  m^  eine  ganz  andere ,  atark  verschnörkelte; 
auf  deo  ersten  Blick  undeutlich  scheinende,  bei  genauerer  Betrachtung 
aber  recht  gut  lesbare  Schrift  aufweist  Auch  niubl  aus  sprachlichem 
Grunde;  allerdings  her|;scht  hier  wie  dort  schwäbischer  Dialect, 
aber  an  vereinzelten  feinen  Unterschieden  fehlt  es  nicht:  102  hat 
m^  nimtf  m^  niemt  (unechtes  te  für  t,  Weinhold^  Alem.  Gr.  §.  102), 
183  m^  enzühet  iflüchety  tefi  enzwhet  ißwhet  (also  fi?  =£  t«  =:  ju  =n  eu)^ 
186  m*  veintlichen,  m*  vintlichen,  226  m**  wir,  m*  mir  (a.  a.  0.  §.  168  b), 
239  m*  frainden,  m*  f runden,  315  m*  sam,  m*  söia  (6  für  ou  =  au^ 
a.  a.  O.  §.  91) ;  der  Sdireiber  von  m^  gebraucht  immer  fräudcj  der 
von  m^  stets  fröde  (a.  a.  O.  §.  92)  und  fast  ausschliefilieh  da  im  Sinne 
von  da  und  do.  Er  ist  kein  Muster  ven  Genauigkeit ,  übertrifft  aber 
hierin  gewiß  den  Schreiber  von  m^  Die  Schreibfehler  smd  nicht  zahl- 
reich (147  die  für  dein^  223  zo  ftlr  so  oder  Z0,  224  her^^enhy  3Ö8  hurchkn 
od^T  hurcktevd\  ungenaue  Reime  selten:  31  hlaw  :  da^  97  verdrufiti  oiaff' 
eehtewßt  und  313  haide :  ehlaider;  105  fehlt  eich.  Daß  sich  die  Um- 
stellungen der  V^se  und  Lücken  im  Wiedertail  von  m^  und  in  m^ 
finden,  wurde  bereits  gesagt ,  aber  äußerndem  fehlen  in  m^  die  Verse 
30,  46  und  230  y   so  daß  der  Reim  dreimal  unterbrochen  wird. 

Und  trotz  dieser  letzten  dsei  Lücken  ist  m^  nach 
unserer  Handschrift  geschrieben  worden?  Allerdings  zeigt 
sich  an  diesen  drein  Stellen  in  m^  keine  Unterbrechung ^  aber  die 
Verse  30,  46  und  230  lauten  dort  nicht  wie  in  A,  sondern 

30:  Dar  ein  was  sie  gesprenget, 

46:  Das  ich  mii  tretoen  han  Verstössen, 
230:   Vnd  mit  listen  ab  stritten. 
Man  sieht  sogleich,  daß  diese  Verse  eine  Leistung  des  Schreibers  von 
m^  sind,  der  jene  Lücken  seiner  Vorlage  durch  die  Reimstörung  be- 
merkte  und    nach   seinen  Kräften   ausfüllte.  —  So   viel    demnach 


ÜBEB  DEN  GEGEKWlBTlOEN  8TAND  DEB  SUCHENWIBT-HSS.      45Ö 

gegen  die-Annabme;  daß  m^  und  tti^  toh  demselhen  Sehreiber 
herrühren,  einsnwenden  ist,  so  wenig  Iftfit  sich  dagegen 
anfahren,  dafi  m^  aus  m^  geflossen  ist.  Und  die  Quelle 
von  Dtt*? 

XVI.  und  XVn.  ff.  If. 
Vielleicht  nfthern  wir  uns  derselben  in  f,  der  Papier- 
hÄndschrift  Kr.  362  der  Freiburger  üniveraitÄtabiWiotbek *)•  Zui 
wellen  kommt  dafür  die  Bezeichnung  |,Hug'scber  Codex^  vor;  derselbe 
gehörte  nämlich  früher  dem  Freiburger  Professor,  Domdekan  und 
Qeheimrath  Dr.  Leonhard  Hug;  nach  dessen  1846  erfolgtem  Ab* 
leben  k»m  er  mit  anderen  werthvoUen  Handschriften  und  dem  ganzen 
Bücberschatze  durch  Schenkung  an  die  Universitätsbibliothek  in  Frei- 
burg, webhe  alle  diejenigen  Werke  der  Sammlung,  die  phnahin  bereits 
vorbanden  waren^  dem  Lyoeum  in  Constanz  überließ  ')•  —  Die  Hand- 
schrift f  um/aßt  93  Blätter  in  Folio,  welche  (zum  Theile  leer  gelassen) 
erst  in  neuester  Zeit  mit  Bleistift  gezählt  worden  sind.  Die  Ghedichte 
sind  in  zwei  Spalten  gcAehrieben,  jede  besteht  durchschnittlich  aua 
mehr  als  40  Versen]  diese  beginnen  mit  großen  Buchstaben.  Nach 
dem  Schlüsse  des  achten  Gedichtes  findet  sich  die  fUr  die  Alters* 
bestimmupg  der  Handschrift  wichtige  Bemerkung;  Anno  domini 
mccccxLY^    In   die  SancU   avffre,  jn   kirchberff^)   est   hoc   scripttun  pm 

Der  Widertail  beginnt  foL  2,  Spalte  a  und  endet  auf 
fol.  4mit8palteb.  Die  Handschrift  selbst  habe  ich  nicht  gesehen, 
da  Herr  Professor  Hermann  Paul  in  Freiburg  mir  bereits  1879 
eine.  Abschrift  des  Gedichtes  mit  einigen  die  Handschrift  betreffstiden 
Notizen  a^u  übersenden  die  Güte  hatte.  Vor  dem  Anfangsbuchstaben 
des  ersten  Verses  wurde  Raum  für  eine  Initiale  freigelassen,  dann 
ein  S  vorgesehrieben.  Von  den  Haken  gebraucht  der  Schreiber 
-  oder  ''■'  über  u  für  uo  und  ue  und  zwei  neben  oder  schräg  überein- 
ander gestellte  Punkte  zur  Bezeichnung  der  Umlaute:  /iSi;^,  5  süsscHf 
49  hör,  75  möchten,  100  fru  u.  s.  w.,  aber  auch  für  a:  121  sprch 
^==z  sprach   (isach),    ebenso  308  und  328.    Beine  u  (kurz    oder  iMig) 

^)  H.  Amann,  Praestantiörtua  aliquot  Codietim  Mbb.  qai  Fribnrgi  senrantar 
notitia.  FaBciealns  I.    Fribmrgi  Brisigaviae  1886.    Fasdicohis  II.    1897. 

>)  Vgl.  Dr.  Jtdias  PetsOioldt  a.  a.  0.  8.  87. 

*)  Von  d«ii  vielen  Kircbberg  könnten  hier  in  Betracbt  kommen  die  in  der 
alemanniscben  Schweiz  und  zwar  im  Canton  Thurgau,  Bezirk  Frauenfeld;  im  Canton 
St.  Gallen*,  Bezirk  Alt-Toggenburg;  im  Canton  Aargau  bei  Aarau  und  im  Canton 
Bern,  Bezirk  Bargdorf;  vgl.  Ritter  a.  a.  O.  I,  ß.  778. 


456  FRANZ  KBATOCHWIL 

tragen  keine  Haken,  wohl  aber  kommen  sie  ober*'^  vor,  wo  diese 
als  Halbdiphthonge  zu  lesen  sind:  IQO  gesündert  (:  huwndert), 
140  stund  (nom.  sing.)  (:  grund)  u.  s.  w«;  dasselbe  zeigt  sich  bei  o: 
77  u.  260  frömt  (:  kompt),  302  not  (accus,  sing.)  (  :  rot)  u.  s.  w.,  und 
besonders  zahlreich  bei  a:  17,  45  hän  (verb.),  28  u.  o.  nach,  71  ver- 
stän  (:  man),  91  gdt :  den  rat,  121  in  der  wat  u.  s.  w.  Letztere  Er- 
scheinung wurde  schon  bei  h*  (vgl.  S.  320)  beobachtet,  mit  welcher 
Handschrift  f  sprachlich  übereinstimmt;  die  dort  sowie  bei  s  und  h' 
angegebenen  Kennzeichen  des  alemannischen  Dialectes 
finden  sich  im  Allgemeinen  auch  hier  wieder.  Daran  knüpfe 
ich  noch  das  öftere  Vorkommen  von  ä  für  '4  (Weinhold,  Alem.  Gr. 
§.  13) :  30  gäl,  149  u.  154  »pär,  271  zu  fäcUea,  von  d  ftlr  au  (a.  a.  O. 
§.  34):  19  bam  :  8am\  Verengung  von  oti  zu  3  (a.  a.  O.  §.  42):  immer 
frowen,  Ausfall  von  g  vor  flexi vischem  t  (a.  a.  O.  §.  212):  326  ge- 
mente,  Aus-  und  Abfall  von  t  (a.  a.  O.  §.  174  und  177):  gemenge, 
94  rech,  Verdoppelung  des  t  in-  und  auslautend  (auch  in  Verbindung 
mit  anderen  Consonanten)  nicht  nur  nach  Kürzen,  sondern  auch  nach 
Längen  (a.  a.  O.  §.  172  u.  176):  90  zitten,  194  rotti,  244  töUen  u.  o.; 
Abstoß  der  ganzen  Endung  im  Particip  des  Präteritums  (a.  a.  O. 
§.  372):  36  die  gemeng,  sp,  st,  sw  sind  allgemein,  sl,  sm,  sn  wechseln 
mit  schl,  schm,  sehn  (323  schmugen,  324  smugen),  Vereinfachung  von 
echtem  seh  zu  ^  (a.  a.  O.  §.  190)  begegnet  96  in  sympfs. 

Apokopen  und  Synkopen  sind  nicht  besonders  auffällig,  be- 
wirken aber  öfter  den  Verlust  der  Senkung,  so  1,  9,  10,  16,  32,  33, 
36,  88,  115,  122,  123,  129,  168,  178,  233,  237,  289,  301,  314  u.  s.  w., 
selbst  vor  der  letzten  Hebung:  10,  11,  194,  325  u.  ö.  Auch  wird 
der  Rhythmus  durch  den  Ausfall  kleiner  Wörter  gestört,  so  51  u. 
365  nu,  60  dich,  100  u.  247  so,  107  er,  154  von,  198  recht,  202  aigen, 
227  em,  287  u.  301  er;  oft  aber  auch  durch  Einsetzung  unnötbiger 
Wörtlein:  49  hör  wol,  88  durch  mich  aine,  104  vil  ze<,  125  den 
ainen,  150  dir,  222  all,  223  so  gar,  278  man,  282  nit,  289  nu.  — 
Klingend  schließende  Verse  von  vier  Hebungen  reimen  nicht  nur  auf 
solche  mit  vier  Hebungen  (117,  143,  199  u.  s.  w.),  sondern  auch  auf 
solche  mit  drei  Hebungen  (33,  37,  75  u.  ö.).  Auch  die  Reime  bieten 
häufig  Anstößiges,  z.  B.  5  stür  :  createur,  17  ich  plick  :  geschickt,  21  ketten 
:  ungebitten,  31  blaw  :  da  (begegnet  in  m^  und  m^  ebenfalls  an  dieser 
Stelle!),  37  niemen:  yemant  ^  67  fröden  :  geuden,  77  frömt  i  kompt, 
99  sunderbaur  :  war,  105  schäm  ifaren,  115  aine  :  kain^  131  spar  :  hin 
fart,  135  begert  :  er  . , .  gewerte,  137  mich  aine  :  noch  böses  maines, 
151  schowenifrowe,   153  kompt :  zerdrimbt ,  161  geschehn  :  gesehen ^  181 


ÜBER  DEN  OEOENWlRTIGEN  STAND  DER  SÜCHENWIRTHSS.      457 

schimpf :  miUf  183  eneüehet :  fiühet  ^  191  erhucket :  ßlget  ^  205  gemost 
:  ernst  ^  207  ertßdt  hast  (A  hast  erchom)  :  zom,  213  frucht  (A  fruet) 
imütf  219  ere  i  mei'y  239  ßilmt :  kompt  ^  241  gesechenijehenf  251  tag 
mögt,  257  fröde  :  güden,  271  drät :  bade,  275  &y  zitten  :  tüat^e^n,  277  o&- 
geleit :  «i^,  289  m^^e  :  stoär,  291  2at(2  .  seite,  813  claider  :  baidew^  315 
ZaucA^  i  geduchty  359  i^areen  :  süchentmrt  (ganz  unnöthige  Reimstörung!), 
361  fehlt  das  Reimwort  «ton  und  362  steht  ^arf^^i  ^)  auf  getan.  Man 
sieht  aus  manchen  dieser  Beispiele,  daß  der  Schreiber  in  den  Reimen 
seiner  Vorlage  hie  und  da  einen  Haken  fand;  der  seinen  sprach- 
lichen Widerstand  anregte;  nicht  immer  hat  er  denselben  aufgegeben. 
Bei  anderen  aber  zeigt  sich  deutlich  Gedankenlosigkeit')  als  Ur- 
sache; so  schreibt  er  209  zamayd  statt  ayd  (der  vorausgehende  Vers 
sehließt  nämlich  mit  zom),  und  324  setzte  er  das  Reimwort  von  323 
nocbmal;  andere  mögen  auf  Willkür  beruhen  (ganz  unnöthige  Um- 
stellungen der  Wörter,  wie  22  ich  stund  da,  23  haimlich  körnen,  ähnlich 
77y  80,  235,  317,  343,  355  lassen  dies  vermuthen),  andere  schon  in 
der  Vorlage  gestanden  haben. 

Dort  fand  vielleicht  auch  der  Schreiber  einzelne  Textver- 
derbnisse') vor,  sowie  die  LtLcken  und  Umstellungen  der 
Verse.  Es  sind  genau  dieselben  wie  in  m*  (vgl.  S.  452),  nur  fehlt 
in  f  überdies  V.  319  (dadurch  Beimunterbrechung),  224  steht  vor  223 
und  258  vor  dem  Verse  257.  Das  läßt  auf  enge  Verwandtschaft  von  f 
mit  m^  und  m^  schließen,  zudem  stehen  sich  die  drei  Handschriften 
auch  sprachlich  sehr  nahe.  Die  Übereinstimmung  läßt  sich 
durch  das  ganze  Gedicht  verfolgen,  wie  aus  nachfolgenden  Stellen 
erhellt:  3  m*m*  vmnnee{k)lichen,  f  vmnnencliehen^  7  sich  s{ch)wingetj 
8  erde,  9  m*m*  lustic{jG)lichen,  f  Iwftlich,  10  gart,  11  hrutes,  f  hrwts, 
12  gilgen.    o{a)ne,    15  hin   tsu^  17  gehag,    18   liep{b)liehj    21  entladen^ 


*)  Mi  in  garten  ist  verkleckst. 

')  Im  Innern  der  Verse  sind  Schreibfehler  nicht  häufig,  besonders  nicht  in  den 
ersten  hundert  Versen,  die  nahesu  sorgfiUtig  geschrieben  sind. 

*)  6  aller,  63  matn :  erkaim,   66  hoiiietil)^  82  9lauffeny   88  fehlt  das  Verbum, 
102  hoefuten  (:  erHen),  169  toanekeU  hob, 

196 :     Der  der  froden  am  vher  Uat ; 
276:     8o  ist  er  der  dewnüb  hy  zitterij 
812^814:    Er  graif  mit  holden  hemdn  dar 
In  roek  mantfil  die  baidew 
In  die  gemengt  wP  elaider^f 
846—847:    Den  ich  su  btden  ertoelet  hett 
Der  irü)  aid  er  je  eerteehriet 
Von  gantssen  tagenden  ain  kern. 


458  TUhJaZ  KRATOCUWfh 

22  ich  9tu{u)nd  da,  27  phw  gemischet y  2S  ge^taft  io(i8(z)y  31:  Dar 
under  was  swartz  grö{ü)n'  und  plato  (in  f  fehlt  wm)j  32  ^emischet,  f  ge- 
milscihty  33  getempert  vnder  ein,  f  getemperiert  ^) ,  41:  Die  bla(u>)  sprach 
durch  ir  staetichait^  42  sicherlickmy  47  teanckeU,  57  die  blauj  (die) 
sprach  so  heb,  74  verhaiß{s$)enj  75  machten  (ge)lcUsten,  85:  3£ei(0«* 
hertzen  iru{au)t  vil  anders  tut, 

89  m*:  ifi*  züchten  er  schimpf  waidenli^f 

m^f :  Mit  ssu{ü)chien  Schimpft  er  waidelich  (f  wirienolich)^ 

90:  {Jiid  a22e  zi{eijt  (t  zu  allen  zitten)  sicherlich^ 

immer  weit  (A  werft),  107  Was  fraudem  (fröden^  fröwden)  mdeht{e)y  108 
nu{n)  hör  ich  wil{l)  erst,  lOd  p{b)ül,  111  er  so  mit^  118  p(6)ä&ti, 
119  t«<  doch  kainu  ze  (f  docA  kaine  so),  120:  ^  tourd  ir  eren  bald 
ein  dieb,  121  wat  die  sprach^  124  nHii)mer,  129  «cAoJi^^MrJtcAuY  m^ 
schamperliche,  i  schamparlich^  13Oa/(0^i  i  Mes,  142  «^ftn^fe»«^  143^/14^1^^^, 
145  und  gewöhnlich  p^tc;  für  Stiste^  161:  Dar  um&  must  {müsz)  im  gar 
we  Geschehen  (f  geschehn\  162  Ao», 

163:  Dar  umb  (f  wfil)  «o  chu{o)mpi  er  mir  gesund, 

173:  In(m)  hertzen  deucht  {dücht,  f  gede^ucht)  er  in  gemait, 
174  tzeug  fehlt, 

179:  Ä?  /er^  er  her  gar  ritterlich, 

182:  In  ritterlicher  miU, 
191  rofi{9sz), 

192:  G'ar  (viJj  ma(e)»5»<n  <?aW  er. füget, 
197  in  mei{i)nemf    207  p{b)ülen,  212  vnd  man,   213  «o  t^e,  216  ^äui 
(A  seit),  218  erwerben,  220  Ati»  /ür  p(&)a«,  221  ^(i^)^2en  mr  a{o)uch 
heut  (MO»  222  mä  all,  226  besetz  wir  (m^  miV)> 
232:  Des{z)  hau(a)t  er  sich  da{e)nn  sicher  (f  schier)  versunnenj 
233  schicket  {i  schickt)  er,  236  mr^.  versert^ 

238:  Dos;  menger  da  muß  Ligen  tot, 
239  M/e,  243  roß(sz)  muß  (f  mÄ««e«),  244  er  töio)ten  offenbe(m^  a)- 
ren,  250  tin«  i^,  251  di8(ss)en  tag,  253  atecA  (oc%^  otteh)  edten^  256 
«t(;6i^  (und)  /a««,  259  so  er,  260  mwÄ,  261  truJt,  262  mf«,  265  da. 
rttt  fehlty  267 :  Er  mach{e)t  sich  zu{e)  hindro{er)st  an  (m*  in)  die  schar, 
270  tö(p)rlichen,  271  zufe{ä)chten  also  t{d)rat,  278  ist  das,  279  ^m«ef, 
{geribbt,  gerwbet  m^,  280  werdu(e)  hand,  281  recht  als.  springen  reimt 
auf  282  gelungen^  284  ro/l,  285  schrei(jf)t, 

286:  0  u?ie  ZitteeZ  er  «tcA  (m*m*  da(ö)nn)  «par<, 


')  Zwischen  A  nnd  den  drei  Handschrifteo   ee^en  sich  in  den  Versen  29—33 
bedeutende  Abweichungen,  desgleichen  später  in  den  Vanien  121^128. 


.  ÜBER  DEN  GEOENWlBTIGEN  STAND  DKl  SUCHENWIRT-HSS.      4&9 

290  in  sei{t)n,  291  Mkkerliohm,  292  ander ^  294  groBsem,  m^{ grösseren; 
nacli  V.  2d8  alt  Ersato  f&r  den  fehlenden  V.  297: 

Dein  (din)  tid  ieh  nidä  ge&{ei)den  (f  gedulden)  mag, 
303  eehaf{t)j  naob  308  folgt  der  eingeaehobene  Vers: 
DcL9{z)  vot  der  plawen  ungemaehy 

309:  Also  stund  {ir)  zu  aller  stand, 
316  wiäy  317  dar  under  sachsi,  321  ir  sint  (m*  seit),  32S:  Cu(e)8amm 
si  sieh  s{eh)mugeny  324  ti7«i(t)/,  327  m'  nider,  328  /lo»,  336  md{i)nm, 
386  sprach  fra(p)w,  389  arfcafi^»  349  «tcA  t^^n  jugsnt, 

352:  ^0  tiK>Z  jm  (far  (f  dem)  ain  gut  wart, 
863  ward. 

Unabweislich  drängt  sich  da  der  Gedanke  anf,  daß 
wir  in  f  die  Quelle  von  m^  gefanden  haben*  Freilieh  fehlt  in  ( 
V.  819;  m^  bat  abweiebend  von  A  an  dieser  Stelle: 

3y  sprach  auß  laehedem  nmn'^ 
offenbar  hat  die  Reimunterbrechung  den  Schreiber  von  m^  zu  dieser 
dichterischen  Leistung  veranlaßt  Aber  vielleicht  erscheint  Jemanden 
auffallig,  dafi  im  V.  324;  wo  f  das  Keimwort  der  früheren  Zeile  wie- 
derholt, m'^  das  richtige  pagen  hat,  daß,  wuhrend  in  f  die  Verse  329 
und  380  an  mangelhafter  Satzconstruction  leiden ,  m^  den  V.  330 
ander*  als  f  und  besser  gibt,  wie  denn  auch  die  Verse  345 — 847  in 
m^  lesbarer  sind.  Aber  zu  diesen  Änderungen  oder  dasn,  daß  er  im 
V.  859  das  in  f  fehlende  Reimwort  herstellte,  den  in  f  vorgestellten 
V.  368  an  seinen  richtigen  Platz  setzte,  dazu  gehört  geringe  Ge- 
schieklichk^t,  die  wir  dem  Schreiber  von  m'^  wohl  zutrauen  können. 
Bedenken  könnte  allenfalls  V.  182  hervorrsfen,  der  in  f  lautet: 

Oder  vff  ein  letzte  hin  feai, 
währetid  m^  hat:  Wer  hie  seine  naeehetsn  er  vart, 
sAsOf  das  Wörtlein  hie  abgerechnet,  dasselbe  wie  A.  Sollte  der  Schreiber 
voii  m^f  vom  Reime  geführt,  errathend  das  Richtige  getroffen  haben? 
unmöglich  wttre  es  nicht,  vielleicht  —  das  Gedieht  war  ja  sehr  be- 
liebt —  stand  ihm  zur  Vergleiehung  noch  eine  andere  Handschrift 
oder  ein  fliegendes  Blatt  zu  Diensten«  Wer  dieses  Bedenken  nicht 
zerstreuen,  somit  f  nicht  als  Quelle  von  m^  anerkennen  kann,  ftlr 
den  bleibt  nur  die  Annahme  übrig,  daß  m^  und  f  nach  der- 
selben, uns  unbekannten  Vorlage  geschrieben  wurden.  Da-^ 
gegen  aber,  daß  m^  und  f  von  einander  unabhängig  aus  einer  anderen 
Handschrift  geflossen  sind,  erhebt  der  Zweifel  den  Einwand  mit  Recht; 
daß  dann  schwerlich  zwischen  m^  und  f  sich  eine  so  durch* 
stehende  Übereinstimmung  zeigen  würde.  «^  Allerdings  ge- 


460  FRANZ  KRATOCHWIL 

stattete  sich  der  Schreiber  von  m^  Abweichungen  von  f  (vgl.  S.  453 
und  454),  aber  dergleichen  waren  fftr  diese  Periode  nicht  ungewöhnlich; 
erlaubte  sich  nicht  auch  der  Schreiber  von  m^  manche  Freiheiten 
gegenüber  von  m^?  Und  doch  muß  man  ihm  nachsagen,  daß  er 
seiner  Vorlage  (mit  Rücksicht  auf  seine  Zeit)  ziemlich  treu  gefolgt  ist. 

Eines  ist  unanfechtbar,  daß  nämlich  in  Bezug  auf 
Suchenwirt's  Widertail  m^m^  und  f  gegenüber  A  eine 
Qruppe  bilden,  von  der  die  Freiburger  Handschrift  A 
noch  am  nächsten  steht  und  den  meisten  Werth  besitzt, 
dann  folgt  m^,  zuletzt  m^  Die  Gruppe  hat  für  die  Herstellung 
eines  guten  Textes  keine  geringe  Bedeutung:  m^m^f  liefern  jede  an 
denselben  26  Stellen  Besserungen,  m^f  und  m^f  an  je  vier,  m^m^ 
an  acht,  für  sich  allein  m^,  m^  an  je  zweien  und  f  an  acht  Stellen. 
Diese  Besserungen  sind  um  so  mehr  willkommen,  als  der  Widertail  in  A 
(das  erste  Gedicht  des  10.  Schreibers,  vgl.  S.  219)  nicht  fehlerfrei  ist. 
Die  Gruppe  m^m^f  bildet  somit  für  die  Textkritik  einen 
erwünschten  Gewinn. 

Mit  dem  ehemaligen  Besitzer  von  f  war  Josef  Freiherr  von 
Laß  borg  auf  das  innigste  befreundet;  beide  hutten  eine  außer- 
ordentliche Vorliebe  für  alte  Bücher  und  Handschriften.  Natürlich 
hielt  keiner  vor  dem  andern  das  Gewonnene  geheim,  sie  thaten  es 
ja  nicht  einmal  gegenüber  der  Außenwelt^).  So  entlieh  Laßberg  von 
seinem  Freunde  die  Handschrift  und  schrieb  aus  derselben  zwölf 
deutsche  Gedichte  ab;  diese  Abschrift  ist  heute  noch  in  der  fürstlich 
Fürstenbergischen  Bibliothek  zu  Donaueschingen  in  einem  Halb- 
lederbande mit  der  Nummer  72  verwahrt,  er  hat  340  Seiten  in  Folio, 
von  S.  289 — 340  stehen  die  oben  erwähnten  zwölf  Gedichte,  das 
zweite  davon  ist  Suchenwirt's  Widertail,  Barack')  macht 
dazu  die  Bemerkung:  „abgedruckt  im  Liedersaal  III,  57*^.  —  f  ist 
also  schon  seit  1825  veröffentlicht?  Wie  erklären  sich  aber  die  be- 
deutenden Unterschiede  zwischen  f  und  ihrem  Abdruck  im  Liedersaal? 
Unnützes  Kopfzerbrechen,  an  welchem  einerseits  Barack's  Bemerkung 
schuld  ist,  die  ja  nur  sagen  will,  daß  f  das  unter  dem  Namen  ,,  Wider- 
tail"'  bekannte  Gedicht  Suchenwirt's  ist,  das  auch  im  Liedersaal  an 
der  angegebenen  Stelle  zu  lesen  ist,  anderseits  Laßberg's  ganz  unbe- 
stimmte Art,  mit  der  er  über  das  den  drei  ersten  Bänden  des  Lieder- 
saales zu  Grunde  liegende  handschriftliche  Material  sich  äußert. 

')  Vgl.  den  Artikel  yon  Franz  Mnncker  über  Laßberg  in  der  Allgemeinen 
deatseben  Biographie,  17.  Band  (1888),  S.  780—784. 

')  Dr.  K.  A,  Baraok,  Dia  Haadsobriften  der  fürstliob  FarBtenbergiBchen  Hof- 
bibliothek SU  DonaaeBchingen.   Tübingen.    1866. 


Ober  d£n  oegenwIbtioen  stand  der  suchenwirt-hss.    461 

Den  182Ü  erscbienenen  ersten  Band  widmete  er  in  einer  ale- 
mannisch geschriebenen  Vorrede  (I— XXVIII)  seinem  Freunde  Pro- 
fessor Leonhard  Hug;  S.  XV  sagt  er,  er  wolle  hiemit  verschiedene 
Lieder  alter  Sänger  abdrucken  aus  einem  großen  alten  Buche,  das 
vor  Älter  und  Unbilden  übel  aussehe,  gegen  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts geschrieben  sei^)  und  an  die  300  Lieder  enthalte;  diese 
seien  aber  nicht  nur  Minnelieder,  sondern  auch  (S.  XXI)  „Mähren, 
Sagen,  geistliche  und  weltliche  Lieder,  Bispel  und  allerlei  Schwank^. 
Er  sondere  (S.  XVII)  diese  Gedichte  nicht  nach  dem  Inhalte,  sondern 
gebe  sie,  wie  sie  in  der  Handschrift  folgen;  doch  habe  er  jedem  eine 
Überschrift  und  Inhaltsangabe  beigefügt,  die  Abkürzungen  (S«  XVIII) 
aufgelöst,  sonst  aber  die  alte  Schreibart  vollkommen  beibehalten,  nur 
habe  er  für  ü  (aus  altem  tu)  ü  gesetzt,  dem  es  in  der  Aussprache 
gleichkomme.  Am  Ende  des  ersten  Bandes  gibt  Laßberg  in  dem 
Format  der  alten  Foliohandschrift  eine  Schriftprobe  des  in  zwei  Spalten 
(jede  ungefähr  zu  40  Versen)  geschriebenen  Textes.  In  der  Einleitung 
des  zweiten  Bandes  sagt  er  S.  XII,  er  habe  gerade  diese  Handschrift 
herausgegeben,  weil  im  Privatbesitz  befindliche  Handschriften  leichter 
zu  Grunde  gehen  können,  als  solche^  welche  der  Staat  verwahrt. 
Er  habe  sie  absichtlich  so  gedruckt,  wie  sie  ist,  selbst  mit  ihren 
Fehlern.  S.  XIV  verspricht  er,  am  Ende  des  dritten  Bandes  über  die 
Handschrift  und  sein  Verfahren  mit  derselben  Auskunft  zu  geben, 
aber  daselbst  findet  sich  nichts  als  ein  Verzeichniß  sämmtlicher  Über- 
schriften der  Qedichte  und  die  alphabetisch  geordneten  Anfänge  der- 
selben. Dem  vierten  Bande  ist  weder  eine  Enleitung  noch  ein  Nach- 
wort beigegeben;  wer  nun  bedenkt,  daß  Laßberg  die  Lücken  der 
daselbst  abgedruckten  Nibelungenhandschrift  C  aus  B  ausfüllte,  daß 
er,  wie  aus  seinem  Briefwechsel  mit  Uhland  (herausgegeben  von 
Franz  Pfeiffer,  Wien  1870)  erhellt,  im  Liedersaal  auch  die  Wein- 
gartener Handschrift  abdrucken  wollte,  der  wird  einräumen,  daß  auf 
Barack's  obige  Bemerkung  hin  sehr  leicht  Jemand  glauben  könne, 
Laßberg  habe  im  Liedersaal  außer  seinem  alten  Buche  auch  hie  und 
da  aus  anderen  Handschriften  etwas  aufgenommen,  speciell  aus  f,  aus 
der  er  ja  erwiesenermaßen  viel  abgeschrieben  hatte. 

Dem  ist  aber  nicht  so.  Die  in  den  drei  ersten  Bänden  des 
Liedersaales   veröffentlichten  261  Gedichte   sind   thatsächhch  ein  Ab- 


')  In  der  Inhaltsangabe  zn  Nr.  CXXXV  sagt  Laßberg  (2.  Band,  S.  384),  das 
Gedicht  stamme  ans  dem  Jahre  1371;  es  ist  aber  nicht  ersichtlich,  ob  diese  Zeit- 
bestimmung von  der  ganzen  Handschrift  gilt  oder  nur  auf  die  erste  Hälfte  derselben 
sich  bezieht 

GB&MAMIA.   Nene  Reihe  XXII.  (XXXIY.)  Jahrg.  3X 


462  FRANZ  KRATOCHWIL 

druck  aus  dem  „großen  alten  Buch^,  einem  mit  Leder  überzogenen 
Holzdeckelbande,  welcher  unter  dem  Namen  ^Liedersaal-Codex" 
(=  1)  in  der  fürstlichen  Bibliothek  zu  Donaueschingen  aufbewahrt 
wird,  Laßberg  hatte  sich  von  dieser  umfangreichen  Papierhandschrift 
zuerst  eine  Copie  gemacht^  dann  aber  die  Handschrift  selbst  erworben; 
Original  sammt  Copie  und  allen  anderen  zahlreichen  Handschriften 
kamen  nach  Laßberg's  Tode  in  die  Fürstenbergische  Bibliothek ;  dort 
führt  der  Liedersaal-Codex  die  Nr.  104^).  Er  zählt  269  Blätter  und 
ist  zu  Anfang  und  zu  Ende  lückenhaft; 
Anfang:     Daz  tunt  mir  liebe  frowe  kunt, 

Ende:     Vnd  bin  frisch  vnd  vnuerzagt 

Vnd  waisz  nieman  wer  mich  jagt. 

Der  Widertail  reicht  von  Bl.  196,  1.  Spalte  bis  Bl.  198, 
2,  Spalte.  Die  Vergleichung  geschah,  da  ich  1  selbst  nicht  gesehen, 
auf  Grundlage  des  von  Laßberg  gegebenen  Abdruckes.  Dieser  hat 
gleich  A  364  Verse;  da  aber  in  1  die  Verse  91,  94,  305  u.  306  ohne 
jede  äußere  Unterbrechung  fehlen,  so  entsprechen  von  91  an  die 
Verszahlen  von  1  nicht  mehr  denen  in  A,  sie  sind  um  eins,  von  V.  93 
um  zwei,  von  304  um  vier  niedriger  als  in  A  bis  V.  350  (=  354 
in  A),  dem  die  interpolierten  Verse 

351:  Da:^  wirt  got  in  dem  himel  schin 
352 :    Vnd  lost  in  der  E  von  helle  pin 
folgen.  Von  V.  352  ab  in  1  beträgt  die  Diflferenz  gegen  A  nur  zwjei; 
auch   diese  verschwindet,    da  der  Schreiber  zum  Schlüsse  noch  zwei 
Verse  anfügt: 

363:   Vnd  nimpt  hie  ain  end 
364:  An  alle  mi:^:^ewend. 
Alle  Zahlen   der  nachfolgenden  Citate   sind  mit  Rücksicht  auf  A  an- 
gegeben. 

Die  Sprache  ist  wie  in  f  alemannisch,  doch  zeigt  sich  in  1 
keine  so  große  Vorliebe  für  umgelautete  Formen  und  den  Gebrauch 
von  au  =  ä;  dafür  aber  begegnet  in  den  Flexionen  sehr  häufig  u  för 
mhd.  iu  und  niempt  für  nieman  oder  niemen.  Vereinzelt  findet  sich 
194  mundalin  (Weinhold,  Alemann.  Gramm.  §.  271),  296  bidarben 
(a.  a.  0.  §.  10),  95  vachen  für  wachen  (a.  a.  0.  §.  163),  öfter  in- 
lautendes cÄ  für  Ä,  z.  B.  162  gesechen  (a.  a.  0.  §.  222).  Die  Sprache 
ist  in  den  Reimen  weitaus  einheitlicher  als  in  f;  von  der  langen 
Reihe  der  dort  (vgl.  S.  456  f.)  angeführten  Reimungenauigkeiten  sind 


')  Vgl.  Barack  a.  a.  O.  S.  100—101. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      463 

in  1  nur  31  plaw  :  da  (wie  in  m*m*f),  67  und  257  f roden  :  geuden, 
241  frumt :  kumpt  ^(immerhin  besser  äIs  f)  und  251  tag  :  mögt  zu 
finden.  Auf  Rechnung  von  I  kommen  83  haut :  wart  und  345  erzell 
:  woL 

Es  ist  dies  ein  Zeichen  größerer  Sorgfalt,  die  sich  auch 
dadurch  verräth,  daß  die  Apokope  und  Synkope  mehr  beschränkt 
ist  und  daher  die  fehlenden  Senkungen  weniger  häufig  sind.  Fast 
ausnahmslos  ^)  treffen  wir  in  1  dort  das  Richtige,  wo  in  f  ein  Schreib- 
fehler ist,  ein  Wort  fehlt,  eines  zu  viel  steht  oder  der  Text  sinnlos  ist. 
Die  in  f  nachgewiesenen  Lücken  und  Umstellungen  der  Verse  suchen 
wir  hier  vergebens. 

Aus  all  dem  erhellt  im  Zusammenhalte  mit  dem  S.  456  f.  Gesagten, 
daß  wir  1  als  Vorlage  von  f  nicht  ansehen  dttrfen.  Für  die  Zugehörig- 
keit zur  Gruppe  m*m*f  würde  sprechen:  10  gart,  109  buol, 

132:  An  siner  nechsten  herfart, 
142  wenden,  191  u.  284  ros:;,  212  Vnd  man,  218  ei-werhen,  237  sieht 
in  tief,  243  muo^,  270  torlich,  271  ze  fechten  und  363  ward,  —  Da- 
gegen aber  ließe  sich  mehr  anführen,  zunächst  die  Obereinstimmung 
mit  A  gegen  m*m*f  (vgL  S.  457 — 459):  9  fruchticklichen,  11  Jcrüter, 
12  sunder,  17  hag,  18  zärtlich^  21  geladen,  22  stuont  ich,  27  gesmehe, 
28  gestellet ^  32  Getempert,  33  Oemischet,  52  Wann,  öl  stett,  85  Afin 
buol,  111  gar,  124  nit,  129  schemliche,  153  gezieret,  163  kaim,  197 
im  hercen,  256  sprach,  271  gerad,  281  sprung  :  gelung,  289  seiher,  294 
solichen,  318  fröt,  327  baide,  336  du,  339  beckant,  349  sich  in;  15  hin, 
das  m*m^f  haben,  fehlt  wie  in  A,  ebenso  75  möchten,  121  die  sprach, 
130  aUs,  221  u.  253  mch,  222  aU-,  die  Verse  89,  90,  108,  119,  120, 
123,  173,  179,  182,  192,  213,  220,  227,  232,  233,  236,  244,  250,  259, 
260,  267,  278,  280,  284,  290,  309,  313—316,  321,  329,  330  u.  352 
stimmen  mit  A  und  nicht  mit  der  Gruppe  m^m^f. 

All  das  macht  dieAnnahme,  daß  f  aus  1  geflossen  sei, 
nicht  wahrscheinlich.  1  kann  aber  gar  nicht  die  Vorlage 
für  f  gebildet  haben,  denn  es  fehlt  in  1  im  V.  56  hoher,  und  doch 
hat  es  f  gleich  Am*m*;  60  schreibt  1  zert,  f  mit  Am* m*  treit,  63  Sizt, 
f  mit  den  anderen  Handschriften  sindl  V.  78  lautet  in  1: 

Dez  nachte:^  er  selb  ändert  kumpt, 
und  den  soll  f  zufällig  so  verbessert  haben,  wie  er  in  Am*m*  lautet? 


*)  Von  auffälligen  Sehreibfehlern  habe  ich  angemerkt:  127  holden,  159  Wim- 
9che^  hdlh,  196  Der  sorgen,  228  hert ;  störend  ist  ain  vor  lieb  im  V.  39  und  hat  nach 
BwtfiU  im  y.  226. 

31* 


464  FRANZ  KRATOCHWIL 

Das  wäre  eine  Kette  von  wunderbaren  Zufällen.   Dasselbe  zeigt  sich 
an  den  nachfolgenden  Versen: 

261:  Min  buol  vü  anders  ist  gemuot 

273:   Wenn  man  du  vimt  erblicket 

274:   Vnd  man  du  huffen  schicket 

288:  Recht  als  e:^  sy  ain  wettumy 

350:  Wie  tool  er  sich  da:^  frowen  mag  — 
ganz  besonders  aber  an  V.  360,  welcher  in  1  lautet:  Ich  yU  von  dan 
mit  sneUer  giert*  woher,  wenn  f  aus  1  stammt,  nahm  denn  der  Schreiber 
von  f  den  Namen  Suchenwirt?  —  Die  Verse  91  u.  94  fehlen  ganz 
in  1,  f  hat  aber  die  Verse  gleich  mit  A!  —  Wäre  1  die  Vorlage  ge- 
wesen, dann  ist  doch  schwer  anzunehmen,  daß  der  Schreiber  von  f 
in  den  Versen  313—316,  die  in  1  einen  lesbaren  Text  bieten,  einen 
solchen  Unsinn  zusammenschrieb.  Dasselbe  gilt  von  den  Versen  343 
bis  354,  die  in  f  mehr  oder  minder  verderbt  sind. 

f  stammt  somit  nicht  aus  1,  1  gehört  nicht  zur  Gruppe  m^m^f; 
möglich  ist,  daß  f  aus  N  entstand.  1  aber  schließt  sich  enge 
an  A  und  übertrifft  f  an  Werth;  1  kommt  zwar  an  Oüte  des 
Textes  A  nicht  gleich,  liefert  aber  doch  eine  Reihe  guter  Lesarten 
(fttr  sich  allein  an  ungefähr  18  Stellen,  zugleich  mit  m^m^f,  mit 
zwein  derselben  oder  der  ganzen  Gruppe  an  mehr  als  20  Stellen). 
1  kann  aus  A  entstanden  sein:  der  Widertail  ist  nach  der  Reihenfolge 
der  Gedichte  in  A  (vgl.  S.  207)  zu  schließen,  am  Ende  der  Sechziger 
Jahre  des  14.  Jahrhunderts  entstanden ;  dessen  Abschrift  in  A  gehört 
zu  den  älteren  Theilen  dieser  Handschrift. 

xvm.  h^ 

Schon  bei  h'  wurde  von  dreien  heidelbergischen  Hand- 
schriften gesprochen,  zwei  davon  sind  uns  bereits  bekannt,  die  dritte 
ist  h',  ein  in  Pergament  gebundener  Codex  in  Folio,  der  auf  dem 
Rücken  die  Aufschrift:  Astronomicum  calendarium  trägt,  früher 
die  Nummer  4  hatte,  jetzt  aber  die  Nr.  3  führt  (vgl.  Bartsch,  Hand- 
schriftenkatalog S.  4  f.)  und  aus  230  beschriebenen  und  sechs  leeren 
Blättern  besteht.  Zu  Anfang  befinden  sich  drei  Pergamentblätter,  auf 
dem  dritten  beginnt  Rudolfs  Wilhelm  von  Orlens  (mit  wundervollen 
Initialen  und  schönen  Bildern)  und  reicht  bis  fol.  197,  wo  Conrad 
Schreyber  von  Ötingen  bemerkt,  daß  er  das  Werk  in  Hoch- 
stetten  1458  beendet  habe.  Das  nächste  Stück:  Der  Borte  schrieb 
er  1478  (er  hielt  sich  damals  zufolge  einer  Bemerkung  auf  Bl.  208 
in  Augsburg  auf),   das  vierte:    Rede  von  dem  Studenten  zu  Pareyfi 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      465 

tmd  der  Schönen  Junck  frawen  etc.  (f.  211^—225*')  1466;  beim  dritten 
(Die  Bede  von  ainer  grcueryn  f.  208^ — 210^)  ist  nur  angegeben,  daß  es 
1479  geschrieben  ward.  Beim  filnften  {Der  kriege  Des  pülers  und  des 
Spilers  etc.  f.  225''~2280  fehlt  jede  Bemerkung  über  die  Zeit  der 
Abfassung  und  den  Namen  des  Schreibers.  Fol.  228*  unten  beginnt 
Gar  ain  Schone  Bede  uon  der  Liebin  vnd  der  Sehonin  wie  sie  kriegten 
miU  ainander  (roth)  und  reicht  bis  f.  230^  Dieses  Gedicht  wurde 
von  P  in  seiner  Ausgabe  der  Gedichte  Suchenwirt's  als  Nr.  XL  VI 
mit  einigen  Änderungen  abgedruckt 

Der  Raum  fttr  die  Initiale  ist  freigelassen,  die  Verse  sind  fort- 
laufend geschrieben,  aber  meistens  geschieden  durch  das  Zeichen  0; 
nach  V.  53  ist  ein  Raum  von  22  Zeilen  leergelassen  (wahrscheinlich 
für  eine  nachträglich  anzubringende  Illustration).  Auf  V.  160  folgt: 
Amen  0  finitum  est  quinta  feria  ante  Dominicam  Inuocauit  Anno  Domini 
Millesimo  CCCCLXXIX.  Gewiß  stammt  auch  das  letzte  Stttck 
der  Handschrift  aus  der  Feder  Schreybers;  es  ist  dieselbe 
schöne y  sehr  deutliche  Schrift ,  die  aber  in  einigen  Buchstaben,  be- 
sonders r,  ;;  und  ß  die  spätere  Zeit  verräth;  das  Jahr  1479  bildet 
kein  Hindemiß,  rührt  ja  doch  die  dritte  Nummer  der  Handschrift 
auch  aus  dieser  Zeit.  Auch  die  sprachlichen  Verhältnisse  im  letzten 
Stücke  stehen  mit  dieser  Annahme  im  Einklänge. 

Stammt  Schreyber  aus  öttingen  an  der  Wörnitz,  dann  liegt 
seine  Heimat  hart  an  der  Scheide  des  schwäbischen  und  bairischen 
Dialectes,  überdies  wissen  wir  bereits,  daß  er  sich  zeitweilig  an  Orten 
aufhielt,  die  entschieden  dem  schwäbischen  Sprachgebiete  angehören. 
Dem  entspricht  in  h^  der  herrschende  bairische  Laut- 
stand einerseits  und  die  hie  und  da  auftretenden  schwä- 
bischen Anklänge  andrerseits.  So  begegnet  schon  in  der  Über- 
schrift LiAin,  Sehonin,  erstere  Form  auch  in  V.  86,  letztere  in  100, 
sonst  immer  Liebe  und  Schöne;  80  <mch  neben  auch,  durchaus  nit, 
gewöhnlich  das  Suffix  -lieh,  aber  59  taugenleych  (:  reich);  Verschie- 
bung des  ä  nach  o  (Weinhold,  Aleman.  Gramm.  §.  91):  127,  129, 
150  hon  ich,  7  hondt  (3.  Pers.  pl.  präs.)  und  41  phn;  Antritt  von 
unechtem  e  an  das  Präteritum  des  Indicativ  (a.  a.  0.  §.  345:  57  ich 
Hesse)  und  den  Nomin.  des  Sing.  (137  der  kriege\  sowie  von  unechtem  t 
an  Pluralformen  des  Zeitwortes  (a.  a.  0.  §.  178,  346  u.  348):  41  si 
ziertent,  43  u.  60  wdrent,  44  erklungent,  75  kdment  (conjunct.)  und 
146  giengeni.  Einmal  (V.  84)  findet  sich  auch  der  Sing,  des  Imperativs 
gang  und  58  ich  standt  (a.  a.  0.  §.  336  b  und  332  b).  Einiges  ist  auch 
in  die  Reime  gedrungen :  9  gefaren  :  geporen,  33  kom  :  henam,  49  qwirt 


466  FRANZ  KKATOCHWIL 

:  man  erhart  {a  =^  d^  k.  a.  O.  §.  79  u.  87),  63  pryttn  :  wiseti  (t  =  ei)» 
77  aine  sprach  :  aeh  (=  aueK)y  129  erleuekt :  verflacht,  131  gepott :  wit  ratt. 
Die  zwei  ersten  Fälle  und  der  vierte  beruhen  anf  Sorglosigkeit 
des  Schreibers,  die  sich  auch  sonst  in  Schreibfehlem  zeigt  (18 
fr&ndt,  34  ir,  41  so,  78  nem  ich,  75  klement,  127  baid^^).  Sie  lassen 
sich  leicht  beheben,  ebenso  der  letzte  und  drittletzte  (wo  zwei  andere 
Handschriften  Abhilfe  gewähren'),  desgleichen  der  vorletzte,  dereiner 
nicht  ganz  sicheren  Stelle  angehört^^).  Somit  bleibt  nur  der  dritte  Beim; 
dieser  ist  allerdings  eine  Incidenz  gegen  Koberstein's  allgemeinen 
Satz:  y^Von  einer  Berflhrung  des  d  und  d  findet  sich  keine  Spur  im 
Reim:  ebensowenig  darf  man  einen  Übergang  des  o  in  a  annehmen^ 
(I,  S.  20).  Unser  Oedicht  erscheint  demnach  Koberstein  „wenn  auch 
nicht  geradezu  unecht,  doch  in  einer  Überarbeitung  auf  uns 
gekommen,  welche  in  Versmaß  und  Reimbindung  zu  sehr  von 
den  in  den  übrigen  Stücken  beobachteten  Regeln  abweicht,  als  daß 
man  mit  Sicherheit  von  den  darin  vorkommenden  Formen  auf  Suchen- 
wirt's  Sprachgebrauch  schließen  könnte*'  (I,  S.  3). 

Diese  Behauptung  geht,  wenigstens  was  die  Reime 
betrifft,  sicherlich  zu  weit;  aber  auch  bezüglich  des  Vers- 
maßes^). Fehlende  Senkung  stört  in  89,  91,  115,  131;  in  38,  70, 
149  und  150  vermißt  man  die  Senkung  vor  der  letzten  Hebung, 
öfter  begegnet  zweisilbiger  Auftakt;  im  Innern  der  Verse  wäre  zwei- 
silbige Senkung  nur  zu  beanständen  in  5,  33,  82,  116,  117,  139  und 
146.  —  Dieses  kann  nicht  den  Stein  des  Anstoßes  gebildet  haben 
(denn  Ahnliches  kommt  in  A  auch  vor),  vielmehr  wird  er  in  den 
Versen  mit  vier  Hebungen  und  klingendem  Schlüsse  (17,  18,  23,  24, 
29,  30,  45,  46,  51,  52,  73,  74,  97,  98,  147,  148),  sowie  in  den  klingend 
reimenden  Versen  von  drei  und  vier  Hebungen  (27,  28,  41  und  42) 
zu  suchen  sein.  Nach  dem  Standpunkte,  den  Koberstein  zu  Anfang 
seiner  Untersuchungen  einnahm,  ist  sein  Verdict  begreiflich;  später 
dachte  er  auch    über   klingend   reimende  Verse  milder   (vgl.  S.  225). 


')  V.  62  schreibt  P  Tztnüf  yratoen,  h'  bat  aber  z&n)  nach  seinem  Text  erscheint 
V.  67  der  Keim  unterbrochen,  aber  h'  hat  erzaigtvn  Da  :  pla, 
')  Diese  haben: 

77     Nu  nenn  dich  mir  wnd  ich  Dctr  nachy 

131  Dm  er  in  mein  (mim)  gep(b)otte  etcUf 

132  Ich  drinck  billichen  vor  mit  rat 

')  Auch  der  Anfang  bis  V.  16  ist  hie  und  da  unklar  und  verdcorbt. 
*)  Der  stumpf  schließende  V.  136  mit  fünf  Hebungen  entspricht,   sobald  man 
die  vom  Schreiber  scugesetzten  Anfangsworte:  Sie  sprach  wegläßt. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.   467 

Wir  haben  an  Bei^ielen,  wie  h'  oder  Nr.  3  in  m^,  gesehen,  was  sich 
die  Schreiber  dieser  Zeit  zuweilen  erlaubten;  ihre  Thätigkeit  konnte 
mit  Recht  eine  Überarbeitung  genannt  werden;  bei  h'  scheint 
mir  aber  dieser  Ausdruck  etwas  zu  stark,  wobei  nicht  ge- 
leugnet werden  soll,  daß  der  Schreiber  sich  seiner  Vorlage  gegenüber 
gewiß  allerlei  Freiheiten  gestattet  haben  wird.  Den  Vorgang  Kober- 
stein's  aber,  das  Gedicht  für  unecht  zu  erklären,  dem 
Suchen  wirt  die  Autorschaft  abzusprechen,  halteich  für  ungerecht- 
fertigt. Gerade  solche  Stoffe,  in  solcher  Einkleidung  liebte  Suchen- 
wirt, auch  die  stilistischen  Wendungen  stechen  nicht  von  denen  seiner 
anderen  Gedichte  ab.  Daß  sich  Suchen  wirt  als  Autor  nennt,  halte 
ich  nicht  für  ausschlaggebend,  wenn  uns  das  Gedicht  in  h' allein 
überliefert  worden  wäre:  denn  es  gibt  Fälle,  wo  Gedichte,  deren 
Urheber  mit  aller  Bestimmtheit  feststehen,  mittelst  einiger  angehängter 
Verse  einem  anderen  Dichter  beigelegt  wurdep.  Aber  in  dieser  Lage 
sind  wir  nicht.  Unser  Gedicht  findet  sich  ja  auch  in  m^ 
und  m^  (vgl.  S.  451  f.);  auch  hier  nennt  sich  Suchenwirt 
als  Dichter,  und  damit  ist  seine  Autorschaft  wohl  gerettet. 
Das  im  Allgemeinen  über  m^  und  m^  Gesagte  hat  auch  von  der 
Nr.  1  dieser  beiden  Handschriften,  dem  Krieg  der  Liebe  und  Schöne, 
Geltung.  Die  beiden  Recensionen  dieses  Gedichtes  zeigen 
eine  durchgreifende  Übereinstimmung,  wie  aus  nachfolgenden 
Stellen  überzeugend  erhellt:  2  die  f{v)err(e).  zu,  4  nuig  nickt,  5  mit, 
6:  We{a)nn  es  der  (weygen)  maist&r  mund, 
7:  Durch{t)  suchet  (hahent)  über  all, 
9  und  fehlt,  geam,  10  ich  dan  dar  under  faren,  12  nymmer  Die  gdaß, 
13  hertz  sich  sent, 

17:  hin  in  ain  awe{ow)  zu  aine  prunnen, 
19  menigfalt,  20  so  fehlt, 

21 :   Vnd  dang  (Da)  ü(y)ber  herten  flins, 
22  edlen,  23  er  fehlt  und  24  alhy 

25:  Die  lüchten  aufi  ir  plüenden  gruf{t\ 
26  da  fehlt,  27  gesprentzety 

28:  Der  p{b)lümen  Dolden  glentzet; 
für  die  Verse  29—31  von  h*  folgen  fünf  Verse: 

(29)  fr(p)ölich  gen  der(n)  sunnen  p{b)rehenf 

(30)  Als  a{i)m^)  kain  laid  nie  war  beschehen^ 

(31)  Vnd  erchucket  Den  im  (erkukte  gen  ir)  glast, 

^)  am  =  im,  vgl.  Weinhold,  Alemann.  Gramm.  §.  415,  S.  455;   hieher  gekört 
auch  das  Possessivpronomen  or  =  tr  in  m'  71. 


468  FRANZ  KEATOCHWIL 

(32)  wann  (was)  des  tawes  ü{v)berla8tf 

(38)  So  sere  menge{n)  nider  zwang, 
dann  weiter  mit  V.  32  von  h^ ;  33  kam^  34  in,  36  plümen  Hecht  Die 
diirchf  37  sie  fehlt,  38  gel  rot  grö(e)n  prun  ttnd;  die  Verse  39  und  40 
fehlen;  41  plan  si,  42  sie  fehlt,  44  la{ä)nktenf  47  die  sungen^  47  plü- 
(u) enden  werden  tal^  49  mit  ain,  52  zwo^  53  gar  hesunder,  55  wes, 
56  hargf  57  ich  ließ  mich  nield  (nich)^  51  vnd  stund  vnder  ainer^ 
59  lügt  in  zu  gar^  63  ie,    hoch  geprisety 

64:  Des  mich  mein  sinw  Da  wei{i)s8et, 
71  dar  oh  gesch.,    73  gar  fehlt,  74  recht  als  si  zwen^    75  ch{k)ameny 
76:  So  rieh  was  ir  gewand^)^ 
80:  Ich  sag{e)  Dir  auch  Den  namen  mein, 
83  die  fehlt,  84  nt^n  wol^ 

86:  D.  lieb  spr.  z,  d.  schön  hinw.  (ganz  sinnlose  Umstellung), 

87  welch{u)  vnder  uns  pas^)y  88  prunnen  frey{y\  89  spi^ach  die  lieb^ 

90  trenck  ich  mich,  91  na  in  sprach,   96  von  erst,  97  tantzen  stechen 

undy   98  pf,  singen,    100  mmp^  auch,    101  nun  acÄ,    102  des  soll  ich, 

105  ^ar  klaineriy 

107:   Wieder  wet7  wocä  k.  fr,, 
108  wa«   tr{e)wej    109  ein  fehlt,    110  da  ch(k)an   ich,    und  fehlt,    114 
p(b)illichen  mit,    115  allda y    116  m7  fehlt,  diser^    117  witze  fehlt,  118 
räu{o)b€rin,  119  ra«*  (dadurch  Reimstörung),  123  lieb  die, 

126:  Da«  si  ain  ander  ^)  nicht  sind  wild, 
127  baider, 

128:  J9a«  Da  hie  uor  f,  w., 

130:  Das  sich  menger  in  mir  vertücht, 

131:  Das  er  in  mein  (mim)  gep(b)otte  stat], 
132  billichen,    rat,  133  gedingen,  134  ch(k)am, 

135:  ZWe  t^ard  entpfangen  und  hiess  äie  fein^(mynn); 
nun  folgen  die  eingeschobenen  Verse: 

(136)  Die  nam  (m*  mam?)  ir  Disputieren  ein  (yn), 

(137)  Van  in  paiden  on  gewerr  (m*  ougener,  Schreibfehler), 

(138)  Weicht  pas  zu  preisen  (ze  briessent)^)  wer] 

')  Hat  nur  drei  Hebungen;  dergleichen  begegnet  in  beiden  Handschriften  öfter, 
80  in  m^  V.  6  u.  7,  in  m*  79: 

S(ig  mir  den  namen  dein, 
»)  m^  hat  geadlot;  vgl.  a.  a.  O.  §.  372,  S.  880. 

')  m^  hat  an  ainder,  dies  muß  nicht  Schreibfehler  sein:  a  für  et,  ot  kommt 
ebenso  wie  ai  für  a  auch  im  schwäbischen  Dialect  vor;  vgl.  Weinhold  a.  a«  O.  §.  87 
und  94. 

*)AÜber  solche  flectierte  Infinitive  vgl.  a.  a.  O.  §,  871. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT- H8S.      469 

darauf  136:    Die  vein  (minn)  die  sprach  begert  ir  mein, 

137  krieg  hie,    138  fehlt:    zweite  Lücke;    139  si  p{b)utten  paid,    142 

da  gewan,  147  nicht  fehlt. 

149:  und  cha(ko)men  au(o)ch  da  nit  h,  w.^ 

152:   Vnd  auch  dasselbig  w.  pr.y 
153  seien,  154  hertz  lieh  hah,  156  und  fehlt. 

160:  Also  rett  petter  8[8ch)uchenwirtt 
Aus  denselben  Gründen,  die  ich  schon  bei  anderer  Gelegenheit 
vorgebracht  (vgl.  S.  454  und  459)  ist  die  Annahme,  daß  beide  Fas- 
sungen von  der  Hand  desselben  Schreibers  herrühren,  ausgeschlossen, 
die,  daß  beide  Schreiber  von  einander  unabhängig  aus  einer  und 
derselben  Quelle  geschöpft,  sehr  unwahrscheinlich.  Man  geht  nicht 
fehl,  wenn  man  m^  nicht  nur  als  Quelle  von  Nr.  2,  sondern 
auch  von  Nr.  1  in  m^  betrachtet.  Daß  zwischen  beiden  Hand- 
schriften Abweichungen  sich  zeigen,  ist  nicht  auffällig;  sie  sind 
weniger  zahlreich  als  im  Widertaily  aber  etwas  belangreicher.  Das 
erklärt  sich  aus  zweien  Gründen.  Schon  früher  wurde  bemerkt,  daß 
Nr.  2  in  m^  nicht  diesen  argen  Eindruck  der  Flüchtigkeit  mache 
wie  Nr.  3  dieser  Handschrift.  Im  Krieg  der  Liebe  und  Schöne 
zeigt  sich  noch  eine  größere  Sorgfalt  als  in  Nr.  2,  so  daß 
der  Schreiber  von  m*  ein  vollkommenes  Gegenstück  zum  10.  Schreiber 
von  A  bildet.  —  Der  gut  lesbaren  Schrift  in  m*  wurde  bereits  ge- 
dacht, der  Krieg  der  Liebe  und  Schöne  aber  ist  von  V.  37  an 
elend  geschrieben  und  minder  genau.  Man  sieht  dies  aus 
Schreibfehlern,  von  denen  ich  nur  anführe:  25  gi'uf,  37  da  :  blaw, 
49  quart :  erhört ,  84  mir,  127  verspradt,  156  gefrawet.  Ganz  fehlen 
sie  auch  nicht  in  m*;  1  cluge^  21  herzen^  51  zwieng,  120  unueru(yrren 
und  145  die  für  der  fallen  auf.  Im  Übrigen  hat  der  Schreiber  von 
m*  manche  Gebrechen  seiner  Vorlage  glücklich  gebessert.  Daß  in 
m*  die  Verse  11—16  zu  Anfang  verstümmelt  sind,  trifft  nicht  den 
Schreiber;   das  untere  Eck  von  fol.  68  ist  nämlich  weggerissen. 

Gegen  einander  gewogen,  scheint  m*  den  Vorzug  vor 
m^  zu  verdienen:  im  Ganzen  sind  sie  wohl  gleichwerthig. 
Die  Quelle  von  m^  ist  unbekannt,  h^  kann  es  nicht  gewesen  sein  schon 
wegen  der  nicht  unbedeutenden  Textverschiedenheiten; 
überdies  ist  h'  erst  1479  geschrieben  worden,  m*  aber  1464  und  m* 
1454.  An  Brauchbarkeit  kommen  sich  alle  drei  Hand- 
schriften ziemlich  gleich;  P  benützte  nur  h^  eine  neue  Aus- 
gabe wird  die  Gruppe  m*m*  nicht  übergehen  dürfen,  sie  liefert 
an  ungeftihr  25  Stellen,  m*  und  m*  an  je  zwein  Verbesserungen  zu  h', 


470  FRANZ  KRATOCHWIL 

Zu  den  guten  Handschriften  gehören  m*,  m*  und  h'  nicht, 
sie  weisen  metrische  und  sprachliche  Ausartungen  und  Sinnlosigkeiten 
genug  auf.  Ihr  Werth  aber  liegt  darin,  daß  durch  sie  ein 
Gedicht,  ein  sicheres  Eigenthum  Suchenwirt's,  welches 
in  A  leider  fehlt,  uns  erhalten  wurde. 

XIX-XXI.   kf.   Pt-   rf. 

Auch  kpr  bilden  wie  h^m*m*  insoferne  eine  Gruppe, 
als  sie  uns  ebenfalls  ein  Gedicht  Suchenwirt's  überliefern, 
das  in  der  Reihenfolge  seiner  Gedichte  in  A  nicht  vorkommt: 
das  Würfelspiel.  Daß  Suchen wirt  ein  Gedicht  unter  dieser  Über- 
schrift dichtete,  war  schon  aus  dem  Inhaltsverzeichnisse  von  N 
bekannt,  daß  es  noch  existiere,  erfuhr  man  erst  1829.  Damals 
berichtete  Graff,  Diutiska,  3.  Bd.,  S.  267  flf.  „über  altdeutsche  Denk- 
mäler in  Kloster-Neuburg  bei  Wien,  in  Melk,  St.  Florian,  Kremsmünster 
und  Linz",  S.  277  erwähnte  er  unter  den  handschriftlichen  Schätzen 
Kremsmünsters  „ein  Gedicht  vom  Würfelspiel,  von  Suchenwirt  aus 
dem  15.  Jahrhunderte".  Auf  mein  Ansuchen  wurde  mir  der  Codex 
Nr.  69,  welcher  das  Würfelspiel  *)  enthält,  in  wahrhaft  liberaler  Weise 
nach  Wien  zur  häuslichen  Benützung  geschickt. 

Äußerlich  ist  diese  Papierhandschrift  mit  ihren  dicken  über- 
zogenen Holzdeckeln  und  eisernen  Schließen  sehr  unansehnlich;  sie 
besteht  aus  173  Blättern  in  Quart.  Auf  der  Innenseite  des  Vorder- 
deckels ist  ein  Pergamentstreifen  aufgeklebt  mit  der  Inschrift:  Iste 
Über  est  Sancti  Agapiti  martyris  in  Kremsmuster  ^  quem  nobis  dedit 
honorabilis  presbyter  Johannes  Seid  De  lewbs  . . . ;  bei  dem  letzten  Worte 
ist  oflfenbar  an  Leihen  in  Niederösterreich  zwischen  Dttrrenstein  und 
Stein  zu  denken.  Der  genannte  Priester  hat  nicht  nur  diese,  sondern 
auch  mehrere  andere  Handschriften  dem  Kloster  Kremsmünster  in 
den  Jahren   1440  und  1441    übergeben*).  —  Die  Schlußworte  des 


*)  Das  Gedicht  im  Liede^saal,  S.  Band,  S.  231  f.,  mit  dem  Anfange: 

Mich  hett  ama  tages  dar  zu  hracht 

Der  würfet  d<u  ich  toae  foerdacht 
und  am  Schluß:  Vnd  an  den  würfel  heUben 

Durch  sine  vaUehen  minetat 

Du  er  begat  mit  valachem  rat, 
(im  Ganzen  82  Verse)  ist  von  dem  Suchenwirfs  verschieden,    wenn  es  auch  dieselbe 
Tendenz  hat,  die  Schädlichkeit  des  Würfels  darzustellen. 

^)  Vgl.  über  Seid  und  die  üblichen  Todtenverbrüderungen  P.  Hugo  Schmid, 
Catalogus  codicum  manuscriptorum  in  bibliotheca  monasterii  Cremifanensis  ord. 
S.  Benedicti  asservatorum.    Tomi  I.  fasc.  I.  (187V)  pag.  24. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄBTIOEN  STAND  DER  SÜCHENWIRT-HSS.      471 

Pergamentstreifens  . ...  et  cantinet  eoUeetionem  tabularum  de  eqtiationibus 
motuum  Solu  et  lune  compilcUam  ex  tabulys  alphoncy  regia  hytpanie 
charakterisieren  den  Inhalt  der  Handschrift;  dieselbe  handelt  that- 
sächlich  zum  größten  Theile  von  astronomischen  und  astrologischen 
Dingen. 

Die  Handschrift  ist  an  mehreren  Stellen ,  namentlich  nach  dem 
Suchenwirt'schen  Gedichte  stark  schadhaft.  Dasselbe  be- 
ginnt fol.  167*  oben  ohne  Überschrift  und  reicht  bis  170*. 
Die  Schrift  ist  ziemlich  deutlich,  weist  in  die  erste  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts und  gemahnt  an  die  Züge  in  w,  doch  dürfte  letztere  Hand- 
schrift älter  sein.  Es  wurde  ausschließlich  schwarze  Tinte  verwendet; 
auf  jeder  Seite  steht  nur  eine  Columne,  die  Verse  (durchschnittlich 
28  auf  jeder  Seite)  sind  abgesetzt  und  beginnen  meist  mit  großen 
Buchstaben.  Die  zwei  ersten  Verse  wurden  mehr  nach  rechts  ge- 
schrieben, um  Raum  für  eine  größere  Initiale  zu  reservieren,  die 
übrigens  nicht  nachgetragen  wurde.  Als  Abkürzungszeichen  gebraucht 
der  Schreiber  ^,  *  und  ^^,  letzteres  ist  zuweilen  unnöthig  gesetzt, 
dagegen  fehlen  häufig  die  i-Punkte';  zur  Vocalbezeichnung  verwendet 
er  ganz  vereinzelt  ",  sonst  '  und  ',  gewöhnlich  aber  ' .  Fast  regel- 
mäßig finden  sich  diese  Punkte  über  y^  hingegen  werden  Halb- 
diphthonge damit  nur  selten  angedeutet:  20  &'  let  (=  ä  =  ae), 
59  ich  tümmeTf  81  gät  (=  ä)  und  163  der  zehen  pdt^  Svarabhakti  nie. 
Diese  werden  vielmehr  durch  e  und  i  gegeben;  metrisch  nicht  ge- 
rechnet ist  sie  in  58  czarerij  129  czorn  und  dem  öfter  vorkommenden 
durich;  metrischen  Werth  hat  sie  in  85  werichstat  und  155  werich. 

Das  Lob  der  Sorgfalt  kann  man  dem  Schreiber  von  k 
nicht  ertheilen.  Es  kommen  Sehreibfehler  im  Innern  der  Verse 
und  in  den  Reimen  vor,  so  35  set  (die  Prager  Handschrift  p  hat 
schneidt\  41  se  (p  sein),  52  und  128  jnymt  (p  nymbt)^  52  weil  (p  weib)^ 
57  fer  (p  ser) ,  85  ewicht  (p  entwicht:  Antritt  von  unechtem  t  nach 
lingualem  Auslaut,  vgl.  Weinhold,  Alemann.  Gramm.  §.  178),  87  dat^ 
dem  (p  czu  dem)  und  109  tugenchaßen  (p  tugerdlichen) ;  1  ampt  :  schampt, 
19  versiahen  :  v'^smacheny  29  vart :  span  (p  spart),  61  entmcht :  nit  (p  nicht), 
69  prawtet  (p  praittet)  :  laitet,  125  v^nvß  :  cztichunß,  143  frawn  :  ge- 
trawen\  25  pmefet  (p.  prewet)  :  vernewet^  39:  JSr  siez  Den  tag  vnd  Die 
nascht:  wag  (p  hingegen:  Efr  sitzt  die  nacht  biw  an  den  tag),  91  hat 
:  stet  (p  statt)  ^  109  vor  :  spar  (p  spor),  113  ir  habet  :  waldet  (p  halten 
:  walten),  121  schulln  :  schulin  (jp  füllen  :  süllen);  in  V.  128  fehlt  auch,  in 
71  spil,  121  der.  Neben  stumpfschließenden  Versep  mit  drei  Hebungen, 
wie  Vers 


472  FRANZ  KRATOCHWIL 

3:  Da^  phligt  nicht  chlug^  sinn 
4:  D«5  pin  ich  war  den  ynn 
89:  Noch  ains  Da:^  mut  mich  aer 
finden  sich  überladene  Verse;  z,  B. 

37:  De:^  nacht^  so  hat  oft  ein^  gvien  mut 
62:  Man  geit  yem  Da:^  gelt  hin  wid^  nit 
64 :  wann  er  mit  ainem  fiie:;^  stet  auf  D*  pankch ; 
V.  151  mit  vier  Hebungen: 

Mit  fumf  atigen^)  czu  den  stunden 
reimt  auf  V;  152  mit  nur  drein  Hebungen: 

Spott  er  Der  fumf  wunden  u.  s.  w. 
Die  Verse  19  und  20  von  p  sind  in  k  umgestellt  (20  geht  19  voraus), 
desgleichen  101  und  102,  beidemale,  wie  ich  glaube,  nicht  zum  Vor- 
theile  des  Sinnes.  Nach  V.  49: 

ffUust  er  Dann  Daz  ist  ein  spot 
fehlt  ein  Vers,  p  hat  darnach: 

So  schilt  er  dann  vnd  swert  hy  gott; 
nach  117:       Frawen  priest^  ritterschaft 

weist  die  Unterbrechung  des  Reimes  auf  den  Ausfall  eines  Verses  hin; 
p.  hat  als  V.  118: 

Den  krencket  er  hohes  crafft. 
Nach  V.  144  folgen  die  zwei  nicht  reimenden  Verse: 

Mit  tau:;  e^  Die  Driuaüichait 

Der  vier  ewangelisten; 
vor  dem  ersten  hat  p  als  V.  145: 

Er  verlaugent  als  man  saitt, 
vor  dem   zweiten  als  V.  147: 

Das  merckt  ir  edeln  cristen. 
Auf  den  ersten  Eindruck  hin  ist  paan  leicht  geneigt  ^  den  häu- 
figenMangel  desUmlautes  durch  die  Leichtfertigkeit  des  Schrei- 
bers zu  erklären.  Aber  dieser  schreibt  nicht  nur  1  snodes^  33  phlag^ 
74  mochty  122  vppichait,  175  schant,  sondern  auch  17  und  21  vber, 
100,  124  und  160  sunt,  119  und  122  sunden  und  stets  toutfel  Wir 
haben  es  also  hier  mit  einer  Eigenthümlichkeit  der  Sprache 
des  Schreibers  zu^thun  (vgl.  S.  331),  diese  aber  hat  unver- 
kennbar alle  Me'rkmale  des  österreichisch-bairischen 
Dialectes.  Ich  erwähne  (um  nicht  bereits  Gesagtes  zu  wiederholen) 
nur  den  Einschub  des  lingualen  Nasals  in  das  Suffix:    heiling  (Wein- 


^)  äugen  fehlt  in  p. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      473 

hold,  Bair.  Gramm.  §.  168),  den  Aus-  und  Abfall  von  d  in  127  ofn 
(p  Orden)  und  160  from  (p  framd,  a.  a.  O.  §.  148  u.  149) ,  sowie  die 
Vertretung  von  ü  durch  i  in  180  chinnd  (p  kilnd^  a.  a.  0.  §.  19). 

Die  Papierhandschrift  p,  deren  bereits  im  Vorstehenden  öfter 
gedacht  wurde,  hat  die  Signatur  I.  G.  8  (früher  325)  und  ist  Eigen- 
thum  des  Böhmischen  Museums  in  Prag,  dessen  Verwaltungs- 
ausschuß die  Güte  hatte,  mir  die  Handschrift  zur  Benützung  nach 
Wien  an  die  k.  k.  Universitätsbibliothek  zu  übersenden.  —  Sie  war 
ohne  Zweifel  einmal  eine  der  schönsten  Handschriften;  die  starken 
Deckel  sind  mit  rothem  feingepreßtem  Leder  überzogen  und  waren 
an  den  Ecken  und  in  der  Mitte  mit  schön  gearbeiteten  Messing- 
buckeln  versehen,  von  denen  bereits  vier  fehlen,  desgleichen  eine 
der  Lederschließen,  während  die  andere  verstümmelt  ist.  Die  auf 
den  Deckeln  eingepreßten  Worte  lauten  ^ave  maria^,  auf  den 
Messingbeschlägen  des  Vorderdeckels  zum  Einklappen  der  Schließen 
^avet  mariat  gracia^,  auf  jenen  des  rückwärtigen  Deckels,  mit  wel- 
chen die  Schließen  befestigt  waren  9,vns^,  auf  den  Eckbeschlägen 
„mariat  graciat  plenat  a^.  Der  Rücken  ist  etwas  schadhaft;  er  trägt 
oben  ein  Schild  mit  den  Worten  „Versus  germanici  Scripti^ ;  darunter 
ein  kleineres  mit  der  Zahl  271  und  darunter  ein  Zettelchen  mit  der 
jetzigen  Signatur. 

Der  Codex  enthält  zu  Anfang  fünf  ungezählte  Blätter  in  Folio, 
denen  353  gezählte  folgen;  die  Blattzahlen  von  1 — 60  scheinen  mir 
in  neuerer  Zeit  mit  schwarzer  Tinte  aufgefrischt  worden  zu  sein. 
Die  Überschriften  sind  mit  rother  Tinte  geschrieben,  der  Anfangs- 
buchstabe des  ersten  Verses  ist  roth  und  bedeutend  größer  als  die 
der  anderen,  welche  mit  einem  rothen  Striche  durchzogen  sind. 
Während  in  der  kleineren  zweiten  Hälfte  der  Handschrift  nur  die 
Strophen  abgesetzt  sind,  sind  die  Gedichte  der  ersten  Hälfte  in  einer 
Columne  so  geschrieben,  daß  mit  jedem  Vers  eine  neue  Zeile  beginnt; 
deren  sind  auf  einer  Seite  ungefähr  30 — 34.  Der  beschriebene  Raum 
ist  mit  vier  auf  einander  senkrecht  stehenden  Linien  eingesäumt,  so 
daß  nach  allen  vier  Richtungen  breite  Ränder  frei  bleiben. 

Die  Schrift  verräth  nur  eine  Hand  und  weist  uns  in  die  zweite 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts.  Die  i-Punkte  —  ich  habe  hier  und  im 
Folgenden  vor  Allem  Suchenwirt's  Gedicht  im  Auge,  das  fol.  113** 
unten  mit  der  Überschrift:  Was  vheh  ainem  yeglichem  ufi  Spil  chom 
beginnt  und  fol.  116^  endet  —  fehlen  häufig.  Abkürzungszeichen 
finden  sich  nicht,  außer  einem  wagrechten  Striche,  um  die  Verdoppe- 
lung  des  m  oder  n  anzuzeigen.    Die   zur  Bezeichnung   des  Umlautes 


474  FRANZ  KRATOCHWIL 

üblichen  Punkte  *"  oder  *  werden  auch  über  w  häufig  gesetzt,  wenn 
sie  als  u  gelesen  werden  sollen,  z.  B.  V.  27  heiot.  Doch  kommen  die 
Punkte  statt  auf  w  auch  auf  das  diesem  vorausgehende  e  zu  stehen, 
so  25  prewet,  56  rewßt  Um  uo,  %ie  auszudrücken,  wird  das  Zeichen  ^* 
angewendet  oder  "y  welches  manchmal  einem  Kreise  ähnlich  ist,  wie 
denn  Dr.  Karl  Haltaus,  welcher  diese  Handschrift  unter  dem  Titel 
„Liederbuch  der  Clara  Hätzlerin"  (=  dem  achten  Bande  der  Bibliothek 
der  gesammten  deutschen  Nationalliteratur  von  der  ältesten  bis  auf 
die  neuere  Zeit)  im  Jahre  1840  veröffentlicht  hat,  immer  dafür  einen 
kleinen  Kreis  setzt;  s  steht  viel  häufiger  als  in  k  dort,  wo  wir  es 
jetzt  schreiben,  88  auch  für  55,  so  98  e88en8,  102  y88et\  5  (in  k  noch 
öfter  als  hier  nach  mhd.  Weise  an  rechter  Stelle)  für  z  (namentlich 
im  Worte  zu)  und  ;^;  ^%  ist  nicht  beliebt,  dafür  wie  auch  für  5 
(64/a/f,  184  laßt)  und  ««  (94  mißewend)  kommt  besonders  häufig  ß 
vor.  In-  und  auslautend  hat  die  Handschrift  immer  t:^  (k  cz)^  nur 
anlautend  einigemal  c^,  so  67  c:^ucht;  k  und  ck  begegnet  viel  öfter 
als  in  k,  so  10  kan,  16  kunst,  63  hranck,  120  vpptkait  u.  s.  w.  Unter- 
scheidungszeichen finden  sich  nicht,  der  Gebrauch  der  Majuskel  inner- 
halb des  Verses  ist  nicht  häufig. 

Zu  obiger  Altersbestimmung  der  Schrift  stimmen  die  an  dem 
unteren  Rande  des  letztgezählten  Blattes  (353^)  von  derselben  Hand 
angebrachten  Worte:  Anno  Dm  Augspurg  ic^  LXXI^  darunter:  Clara 
Hät:^Win.  Wir  haben  es  also  mit  einem  Autograph  der  Hätzlerin  zu 
thun,  das  sie  1471  zu  Augsburg  beendete,  wahrscheinlich  für  Jörg 
Roggenburg  daselbst.  Es  steht  nämlich  auf  der  Innenseite  des  Vorder- 
deckels :  Iteva  da:^  buch  %8t  jET . . . .  ^)  Roggenburg  \  zu  Aug8purg  wer  «5 
hab  der  ki88  jms  wider  we^'den,  daräber  Ü,  noch  höher:  Jhu8  1470 
Christus,  Auf  dem  leeren  ungezählten  Blatte  vor  dem  rückwärtigen 
Deckel  steht  oben:  Jhus  Maria  1470  Christus f  tiefer:  Item  dac^  püch 
jst  Jörg  Roggenburg  wer  eß  hob  der  laß  Ims  wyder  werden  Anno  Dom 
M'QCCO'I^LX  Jar^  daruntes  II,  was  sicherlich  der  Namenszug  Roggen- 
burgs  ist,  dessen  Wappen  auf  der  Innenseite  des  rückwärtigen  Deckels 
unter  dem  Namen  ROGEN  BURG  in  primitivster  Federzeichnung  an- 
gebracht ist.  Daß  die  Hätzlerin  die  Handschrift  1471  beendet,  Roggen- 
burg aber  an  drei  Stellen  sie  im  Jahre  1470  schon  als  sein  Eigen- 
thum   erklärt,    ist  insoferne  vereinbar,    als   sie  von  ihm  den  Auftrag 


')  Die  punktierte  Stelle  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  lesen;  beide  Zeilen  sind, 
hie  und  da  sogar  mehrere  Mal,  mit  Tinte  durchstrichen.  —  Die  Hätzlerin  hält  Haltaus 
für  eine  Nonne  zu  Augsburg  (S.  IX) ;  einen  Beweis  für  diese  Annahme  bringt  er  nicht. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER   SUCHEN  WIRT- HSa.      475 

zur  Abfassung  1470  erhalten  haben  mag;  damit  aber  erst  1471 
fertig  ward. 

Jedenfalls  ist  die  Schrift  jünger  als  in  der  Handschrift  von  Krems- 
münster^  welche  auch  ältere  Sprachformen  und  zwar  österreichisch- 
bairischen  Charakters  aufweist,  während  der  Prap^er  Codex  im  schwä- 
bischen Dialect  geschrieben  ist.  Im  Gedichte  kommt  immer  vff 
(meist  mit  zwei  /)  vor;  184  ußj  V.  50  6y,  hingegen  165  hey,  nie 
durick,  sondern  stets  durch]  im  Innern  der  Verse  nit^  mit  Ausnahme 
des  V.  35,  wo  wie  auch  im  Reime  V.  62,  67,  86  nicht  begegnet. 
In  den  Verbindungen  «?,  sm,  sn  herrscht  im  Gegensatze  zu  k  der 
breite  Laut  sch^  hingegen  werden  die  Formen  des  Verbums  sollen  nie 
mit  8ch  geschrieben.  Während  in  k  die  Bezeichnung  des  Umlautes 
sehr  häufig  unterbleibt,  wird  er  hier  regelmäßig  durch  zwei  Punkte 
angedeutet;  diese  finden  sich  auffallender  Weise  auch  über  mhd.  e 
öfter,  so  29  mainswimj  50  swirtj  wie  sich  auch  über  mhd.  d  häufig 
ein  Zeichen  zeigt,  das  zuweilen  wie  das  über  u  (=  wo,  w«:  30  war- 
haü)y  meist  aber  so  aussieht  ^^  oder  so  '  (60  Äaw,  179  wärhait).  Haltaus 
macht  ein  ▼  =  t;  daraus^),  was  allerdings  dem  schwäbischen  Dialect 
entspräche,  welcher  au  =  d  setzt ;  mir  scheint  aber  wahrscheinlicher, 
daß  dadurch  eine  Verschiebung  des  d  nach  0,  ein  Mittellaut  a  an- 
gedeutet werden  soll  (vgl.  Weinhold,  Alemann.  Gramm.  §.  91). 

Im  Ganzen  ist  diese  Recension  für  die  Textkritik  ein 
bedeutender  Gewinn;  denn  wenn  auch  die  Handschrift  k  ihres 
Alters  und  Dialectes  wegen  dem  Texte  zu  Grunde  gelegt  werden  mag, 
so  kann  dies  doch  nur  geschehen  unter  sorgfältiger  Beachtung  der 
Prager  Recension,  welche  die  Lücken  von  k  ausfüllt  und  an  Stelle 
von  deren  Fehlern  fast  immer  das  Richtige  bietet.  Nur  an  einigen 
Stellen  zeigt  diese  sauber  und  deutlich  geschriebene  Handschrift 
Textverderbni  ß.  Ungenaue  Reime  sind:  3  synne  :  ynnen^  11  er- 
hangen :  lange  (k  erhäng  :  lang) ,  55  verliußt  (k  v'leust)  :  rewfit ,  75  tat 
:  latty  165  holt  (k  held)  :  erweU,  179  verpirgt  (k  v^pirt)  :  Suechenwirt,  — 
In  V.  5  fehlt  vil,  15  auch,  54  der,  88  «0;  die  Verse  89  u.  90,  93  u.  94 
haben  drei  Hebungen  mit  stumpfem  Schluß,  desgleichen  V.  105,  mit 
dem  der  stumpf  schließende  V.  106  mit  vier  Hebungen  durch  Reim 
gebunden  ist. 

^)  SoDsst  sind  die  Unterschiede  zwischen  p  und  dem  Abdruck  unseres 
Gedichtes  bei  Haltaus  nicht  zahlreich:  Y.  4  fehlt  ganz  bei  Haltaus  (es  ist  auch 
in  den  rückwärts  angehängten  Bemerkungen  S.  365  darüber  nichts  gesagt);  V.  18  hat 
p  lerefU  (Haltaus  lernet),  29  mainswem  (der  Druck  mainswere),  35  nicht  (Haltaus  nit), 
126  9uhmfl  (das  Buch  zükunfl),  162  der  der  (Haltaus  ser  der,  er  schlägt  vor  er  der  zu 
lesen,  k  hat  wirklich  so). 


476  FRANZ  KRATOCHWIL 

Eine  ursächliche  Beziehung  zwischen  k  und  p  ist 
wohl  nicht  anzunehmen;  die  Entstehung  von  k  ist  spätestens  1441, 
die  von  p  1471  anzusetzen;  p  könnte  aus  k  geflossen  sein,  aber  es 
spricht  außer  der  Zeit  gar  nichts  für  eine  solche  Annahme.  Verwandt- 
schaft aber  herrscht  zwischen  pundr,  einer  Liederhandschrift, 
welche  der  Dichter  Ludwig  Bechstein  bei  einem  Antiquar  1835  er- 
worben hat  Ich  habe  die  Handschrift  nicht  gesehen,  besitze  leider  auch 
keine  Abschrift  des  Suchenwirtischen  Q-edichtes,  das  dort 
Bl.  138^  steht;  wohl  aber  war  Haltaus  in  der  Lage,  die  Handschrift 
für  die  Ausgabe  seines  Liederbuches  vergleichen  zu  können ;  er  nennt 
sie  eine  „sehr  nutzbare",  mit  p  „auffallend"  übereinstimmende  Hand- 
schrift, welche  aber  etwas  jünger  als  p  und  in  der  Orthographie  ver- 
derbter sei.  An  bedeutenden  Unterschieden  zwischen  p  und  r  fehlt 
es  nicht;  als  solche  verzeichnet  Haltaus  S.  XL VII  f.:  16  vil  fehlt, 
17  er  ftdüy  19  er  lösts,  20  verschahen,  21 — 24  fehlen,  25  Icuter^ 
44  leydty  85  entumest,  98  nach  esses  woll  er,  102  also^  104  obersten^ 
110  das  statt  der,  113  haltend  :  waltend^  159  verleugent  acht 


Von  den  21  Handschriften,  die  bisher  beschrieben  und  verglichen 
wurdet,  hat  P  in  seiner  Ausgabe  der  Gedichte  Suchenwirt's 
sechs  verwendet;  wo  und  inwieferne  die  übrigen  15  Hand- 
schriften für  eine  neue  Ausgabe  heranzuziehen  sind,  wurde 
in  der  vorstehenden  Untersuchung  bereits  angegeben.  Die 
Hälfte  aller  Handschriften  (darunter  die  bedeutendsten),  nämlich 
A,  a,  B,  C  (N),  w,  m',  g,  k,  m^  und  m^  gehört  dem  österreichisch- 
bairischen  Sprachgebiete  an ;  österreichisch-bairischer  Dialect  mit 
schwäbisch-alemannischen  Anklängen  zeigt  sich  in  h^  und  s;  ale- 
mannisch ist  die  Sprache  in  h^  h',  f  und  1;  schwäbisch  in  m*,  m*, 
p  und  r  (?) ;  mitteld.  in  d. 

Die  ältesten  von  allen  sind  A,  1  und  g;  sie  gehören  dem 
Ende  des  14.,  A  und  g  spätestens  dem  Anfange  des  15.  Jahrhunderts 
an;  N  datiert  aus  dem  Jahre  1402,  etwas  jünger  sind  s  und  w; 
k  wurde  spätestens  1440  oder  1441  geschrieben,  f  1445.  Der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  gehören  neun  Handschriften  an:  m*  (1454), 
m*  (1464),  m*  (1468),  m«  (1470),  p  (1471),  h»  (1479),  h\  h«  und  r. 
Aus  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  stammt  m^,  aus  der  ersten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  B  und  C,  aus  dem  18.  Jahrhundert  a  und  d. 

A  übertrifft  alle  anderen  durch  die  Zahl  der  Gedichte; 
rechnet  man  das  nur  mit  den  letzten  Versen  in  A  erhaltene  Gedicht 
auf  Gumolf  Läpp  mit,  zählt  aber  die  beiden  Recensionen  auf  Ulrich 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SÜCHENWIRT-HSS.      477 

von  Waise  nur  als  eine  Nommer,  so  liefert  A  allein  45  Gedichte. 
Keine  der  übrigen  Handschriften  kommt  auch  nur  entfernt  dieser 
Zahl  nahe;  B  bringt  21,  C  zehn,  m'  und  m^  je  drei,  w,  d  und  m^  je 
zwei,  von  den  übrigen  13  Handschriften  hat  jede  ein  Gedicht  von 
Suchen wirt.  Den  45  Gedichten  in  A  allein  stehen  somit  56  Gedichte 
gegenüber  in  den  übrigen  20  Handschriften  zusammen.  Sämmt- 
liche  Handschriften  enthalten  demnach  hundert  und  eine 
Suchenwirtische  Dichtung. 

DerWidertail  kommt  allein  fünfmal  vor,  die  schöne  Abenteuer 
und  das  Gedicht  von  fünf  Fürsten  treffen  wir  in  je  vier,  die  Rede 
auf  Ereuspeck,  die  zehn  Gebote,  die  sieben  Freuden  Marions,  das 
jüngste  Gericht,  den  Krieg  der  Liebe  und  Schöne,  endlich  das  Würfel- 
spiel in  je  drein  Handschriften,  die  Reden  auf  Gumolf  Läpp,  den 
König  Ludwig  von  Ungarn,  die  Kaiserin  von  Baiern,  auf  EUerbach 
Vater  und  Sohn  (letzterer  zweimal  verherrlicht),  auf  die  Edlen  von 
Pfannberg,  Pettau ,  Waise,  Stadeck,  Cilli,  Lochen  und  Traun,  auf 
die  Herzoge  Albrecht  II.  und  Alb  recht  lU.  von  Österreich  (beide  todt) 
und  Heinrich  von  Kärnten,  auf  Albrecht  von  NürnV,erg  und  den 
Teichner,  die  Gedichte  von  der  Minne  Schlaf,  Albrechts  Ritterschaft 
und  der  Fürsten  Theilung»  von  zwein  Päpsten  und  von  hübscher 
Lug,  vom  umgekehrten  Wagen,  dem  Kriege  der  Fürsten  und  Städte, 
von  den  Räthen  des  Aristoteles,  endlich  der  „fremde''  Sinn,  also  zu- 
sammen 27  Dichtungen  begegneten  uns  in  je  zwein  Handschriften; 
nur  einmal  finden  wir  die  Reden  auf  Haunfeld,  Chappell,  Herzog 
Albrecht  II.  von  Österreich  (noch  am  Leben)  und  Albrecht  von  Rauhen- 
stein, das  Gedicht  von  der  Minne,  der  Minne  Gericht,  den  Brief,  die 
Jagd,  den  Rath  vom  Ungelt,  den  Pfennig,  die  Verlegenheit  und  den 
Geiz,  den  getreuen  Rat  und  die  sieben  Todsünden,  den  neuen  Rath 
und  Equivocum,  das  sind  16  Gedichte.  Wir  besitzen  somit  unter 
den  die  Zahl  hundert  übersteigenden  Suchenwirtischen 
Dichtungen  der  einundzwanzig  Handschriften  zweiund- 
fünfz.ig  verschiedene  Gedichte  Suchenwirt' s. 

Schon  einmal  (vgl.  S.  466  f.)  kam  die  Rede  auf  den  Versuch, 
Suchenwirt  ein  Gedicht  abzusprechen.  Aber  auch  gegentheilige  Be- 
strebungen können  wir  bemerken  (vgl.  S.  324  f.  und  436  ff.) ;  so  sieht 
Dr.  Anton  Mayer  S.  235  f.  seiner  Geschichte  der  geistigen  Cultur 
in  Niederösterreich  von  der  ältesten  Zeit  bis  in  die  Gegenwart,  1.  Band, 
Wien  1878,  in  Suchen  wirt  den  Autor  des  Gedichtes  auf  die  Schlacht 
an  der  Leitha  (1246);  Gründe  hiefür  gibt  der  Verfasser  nicht  an, 
er  bezieht  sich  bloß  auf  die  Stelle : 

asaiUKIA.   MMt  Beibt  UQ.  (XXXIY.)  Jthrg .  32 


4t8  Ib'RANZ  KRATOCHWit 

Den  atrit  tiht  ich  iu  gerne  gar, 

wie  da  bestuont  diu  schar  di  schar 

und  wie  man  kom  übr  di  Leittd 

und  wie:^  di  biderben  täten  dd 

und  wie  der  und  der  wart  erslagen; 

wan  da:^  ichi^  dar  umb  wil  verdagen 

ß?  i«<  getihtet  e  vor  mir, 

dd  von  ich  der  niwe  wol  enbir 
im  Frauendienst  des  Ulrich  von  Liechtenstein  (S.  527,  3  der  von 
Karajan  mit  Anmerkungen  versehenen  Ausgabe  Lachmann' s, 
Berlin  1841).  Aber  Mayer  mag  selbst  in  dieser  Annahme  sich  nicht 
ganz  sicher  fühlen,  denn  er  verweist  auf  Wackernagel,  der  in 
seiner  Literaturgeschichte  (2.  Auflage,  1879,  S.  285)  das  firagliche 
Gedicht  dem  Liechtenstein  selbst  zuschreibt:  vor  (in  65  ist  getihtet  e 
vor  mir),  sagt  Wackernagpl,  bessert  sich  gleichsam  von  selbst  in  von.  — 
Schwer  in  die  Wagschale  fällt  der  Umstand,  daß  die  Schlacht  an  der 
Leitha  als  dichterischer  Vorwurf  dem  Suchenwirt,  -wie  eine  Unter- 
suchung seiner  Dichtungen  -vom  historischen  Standpunkte  ergibt, 
zeitlich  viel  zu  ferne  liegt. 

Anders  verhält  es  sich  mit  der  in  Laßberg's  Liedersaal,  2.  Band, 
S.  321 — 326  abgedruckten  Ehrenrede  auf  einen  verstorbenen  Grafen 
Wernher  von  Hon(m)berg  (194  Verse),  von  der  Laßberg  an- 
nimmt, daß  sie  von  einem  der  edlen  Burgmänner  des  dahingeschiedenen 
Grafen  herrühre,  während  sie  Ko berstein  in  seinem  Grundriß  der 
Geschichte  der  deutschen  Nationalliteratur,  S.  308  des  ersten  Bandes 
(5.  Auflage)  ^mit  Zuversicht  Suchenwirt  zusprechen  zu  dürfen**  glaubt. 
Diese  Annahme  beruht  offenbar  a,uf  der  Ähnlichkeit  dieses  Gedichtes 
in  Anlage  und  Durchführung  (weniger  im  Stile)  mit  einzelnen  Dich- 
tungen Suchenwirt's ;  darnach  könnte  die  Rede  vielleicht  von  Suchen- 
wirt sein.  Auch  über  die  Persönlichkeit  des  Grafen  Wernher  von  H. 
gehen  die  Ansichten  auseinander.  Laßberg,  Koberstein  und  Wacker- 
nagel (a.  a.  O.  S.  288)  sehen  in  ihm  den  um  1360  verstorbenen  letzten 
Grafen  dieses  Stammes ;  von  der  Hagen  (Minnesinger  IV,  S.  88 — 95) 
setzt  das  Gedicht  in  die  erste  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts ;  für  Bartsch 
(Deutsche  Liederdichter  des  12. — 14.  Jahrhunderts,  Leipzig  1864, 
Nr.  LXXXVI)  ist  der  in  dieser  Ehrenrede  Gefeierte  identisch  mit  dem 
Dichter  Wernher  von  Honberg,  der  am  21.  März  1320  vor  Genua 
sein  Leben  beschließt  und  den  der  Verfasser  des  Gedichtes  von  den 
sechs  Farben  (Müller,  Sammlung  deutscher  Gedichte  3,  XXIV)  als 
Gewährsmann   nennt.   Vgl«  Wackernagel   a.  a.  0.  S«  374  a   und  Dr. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      479 

G.  von  Wyss,  Graf  Wernher  von  Homberg  in  den  Mittheilungen 
der  antiquarischen  Gesellschaft  zu  Zürich  (1860)  13,  2,  1.  —  Der 
Gedanke  der  Autorschaft  Suchenwirt's  fand  keine  oflfenen  Gegner,  aber 
auch  nicht  ausgesprochene  Anhänger.  In  der  That  läßt  sich  derselbe 
nicht  mit  gleicher  Bestimmtheit  wie  die  Annahme  Mayer's  ablehnen, 
aber  faßt  man  alle  in  dieser  Frage  in  Betracht  kommenden  Momente 
ins  Auge,  so  findet  man,  daß  sie  doch  nicht  derart  ausreichende  An- 
haltspunkte geben,  um  zu  mehr  als  einem  problematischen  Urtheil  zu 
kommen.  Daraufhin  aber  das  Gedicht  in  eine  künftige  Suchenwirt- 
ausgabe  aufzunehmen,  halte  ich  nicht  für  angezeigt. 

Es  bleibt  somit  bei  52  Gedichten;  von  diesen  besitzt  A  allein  45! 
Da  aber  zu  Anfang  von  A  einst  auch  die  vier  ersten  Gedichte  von  B 
standen,  so  fehlen  in  A  von  allen  Gedichten  Suchen wirt's  nur  drei: 
von  fünf  Fürsten,  das  Würfelspiel  und  der  Krieg  der  Liebe  und  der 
Schöne.  Das  erste  hat  244  Verse,  das  zweite  184,  das  dritte  in  h* 
160  Verse;  alle  drei  Gedichte  zählen  somit  588  Verse.  Da  dem  letzten 
Qedichte  in  A  ursprünglich  zwanzig  unbeschriebene  Seiten  folgten, 
auf  eine  Seite  aber  in  A  29 — 30  Verse  gehen,  so  würden  diese  zehn 
leeren  Blätter  -^  ganz  abgesehen  davon,  daß  auch  der  größere  Theil 
von  S.  483  zur  Verfügung  stand,  vollkommen  für  die  Aufnahme  der 
erwähnten  drei  Gedichte  ausgereicht  haben.  Da  diese  Gedichte  zu 
jenen  gehören,  die  gerade  am  häufigsten  vorkommen  —  und  zudem 
die  beiden  ersten  in  österreichischen  Handschriften  — ,  so  ist  wohl 
die  Annahme  gestattet,  daß  die  zehn  Blätter  am  Schlüsse  von  A  zur 
Aufnahme  dieser  drei  Gedichte  bestimmt  waren,  die  aber  aus  einem 
uns  unbekannten  Grunde  nicht  mehr  zu  Stande  kam.  Wäre  sie  aus- 
geführt worden,  dann  hätten  wir  in  A  eine  vollständige  Samm- 
lung der  Gedichte  Suchenwirt's !  Ich  meine  Sammlung  im  wört- 
lichen Sinne:  denn  ohne  Zweifel  verdankt  die  Handschrift  A  ihre 
Entstehung  einem  Verehrer  der  Suchenwirtischen  Muse,  aber  nicht  in 
der  Art,  wie  das  Liederbuch  der  Clara  Hätzlerin,  das  auf  einen  be- 
stimmten Antrag  hin  von  einer  Person  in  einem  Jahre  geschrieben 
wurde.  Bei  A  haben  wir  es  vielmehr  mit  einer  nach  und  nach  an- 
wachsenden Sammlung  zu  thun,  daher  die  erweislich  große  Anzahl 
Schreiber,  die  sich  daran  betheiligten,  daher  die  so  sehr  verschiedene 
Schreibweise  und  äußere  Ausstattung  der  Gedichte  (vgl.  S.  209— 220) ; 
von  S.  1 — 28  inclusive  steht  jede  Columne  zwischen  zwein  von  oben 
bis  unten  reichenden  schwarzen  Strichen;  der  14.  Schreiber  faßt  jede 
Seite  seiner  Abschrift  von  Herzog  Albrechts  Ritterschaft  (bis  S.  280) 

32* 


480  FRAKZ  KSATOCHWIL 

mit  7ier  aufeinander  senkrechten  Linien  ein,  daß  nach  allen  Richtungen 
ein  freier  Raum  bleibt.  Ähnliches  that  nur  noch  der  18«  Schreiber, 
von  dem  die  Abschrift  des  umfangreichsten  Oedichtes,  der  sieben 
Freuden  Marions,  herrührt.  Dieses  G-edicht  zeigt  auch  deutlich,  wie 
die  Sammlung  entstand;  nicht  vielleicht  so,  daß  wir  uns  den  Codex 
schon  gebunden  denken,  in  welchen  die  einzelnen  Schreiber  die  Ge- 
dichte eintragen,  sondern  er  setzte  sich  allmählich  aus  einzelnen 
Heften  zusammen.  Gewöhnlich  fiel  die  Leistung  eines  Schreibers  mit 
dem  Ende  eines  solchen  Heftes  (einer  oder  mehrerer  Lagen)  zusammen ; 
bheb  aber  gegen  das  Ende  des  Heftes  etwas  unbeschrieben,  so  be- 
nützte in  der  Regel  der  nächste  Schreiber  den  freien  Raum.  Aber 
nicht  immer.  So  sah  sich  der  18.  Schreiber  das  Format  der  bisherigen 
Hefte  an,  arbeitete  zu  Hause  an  seiner  Abschrift,  unbekümmert  darum, 
daß  vor  derselben  über  anderthalb  Seiten  unbeschrieben  blieben;  er 
achtete  nicht  der  Gewohnheit  der  anderen  Schreiber,  jedem  Gedichte 
eine  Überschrift  zu  geben,  ja  er  trug  sie  nicht  einmal  auf  dem  freien 
Räume  vor  seinem  Hefte  ein,  —  und  doch  ist  er  von  allen  Schreibern 
einer  der  sorgfältigsten.  Auch  sein  Nachfolger  begann  seine  Arbeit 
mit  dem  jüngsten  Gericht,  ohne  Rücksicht,  daß  in  dem  Hefte  seines 
Vorgängers  nahezu  zwei  Seiten  unbeschrieben  waren.  Lieferte  doch 
der  4.  Schreiber  noch  einmal  eine  Abschrift  der  Rede  auf  Ulrich  von 
Waise,  trotzdem  von  dem  3.  Schreiber  20  Seiten  vorher  bereits  die- 
selbe geschrieben  stand.  Und  doch  haben  beide  Recensionen  ')  die- 
selbe Anzahl  Verse,  behandeln  den  Stoff  in  gleicher  Ordnung,  kurz 
es  ist,  von  einzelnen  Abweichungen  im  Ausdrucke  abgesehen,  dem 
Inhalte  und  der  Form  nach  zwischen  beiden  kein  wesentlicher 
Unterschied. 

A  war,  wie  sich  bisher  ergab,  ausschließlich  zur  Aufnahme  Suchen- 
wirtischer  Dichtungen  bestimmt;  es  war  somit  gerechtfertigt, 
A  die  Suchenwirt-Handschrift  xar'  i^oxi^v  zu  nennen  (vgl. 
S.  230);  die  Handschriften  a,  h^  h*,  m\  w,  m*  und  1  lassen  sich  mit 
größerer  oder  geringerer  Sicherheit  darauf  zurückführen.  A  zunächst 
durch  hohes  Alter,  reichen  Inhalt  und  Güte  der  Überlie- 
ferung steht  N;  in  ihr  standen  50  Gedichte  Suchen wirt's ;  davon 
sind  uns  glücklicherweise  in  B  und  C,  welche  aus  der  nun  leider 
ganz    verschollenen  Handschrift  unmittelbar    schöpften,    31  erhalten. 


')  P  hat  die  zweite  Faasnng  in  seiner  Ausgabe  zu  Grande  gelegt  und  von 
der  ersten  mehrere  Lesarten  abgedrackt;  S.  157  seiner  Ausgabe  lautet  es  aber  gerade 
umgekehrt«  B  stimmt  mit  der  ersten  Recension  in  A. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRT-HSS.      481 

Andere  Handschriften^  wie  s,  g  (?),  m^und  m*  (für  die  schöne  Abenteuer), 
M  42  (d),  f  mit  m*  und  m*,  k,  vielleicht  auch  p  und  r  weisen  auf  N 
zurück,  während  h^  und  m*  (Krieg  der  Liebe  und  Schöne)  mit  m* 
eine  selbständige  Stellung  einnehmen.  Daß  die  aus  N  stammenden 
Handschriften,  z.  B.  B  in  der  Rede  auf  Hans  von  Traun,  im  Texte  öfter 
von  A  abweichen,  ist,  selbst  wenn  man  von  den  Schreibern  ganz 
absieht,  nicht  besonders  auffällig.  Zeigt  sich  nicht  in  A  sogar  Ähn- 
liches? Man  vergleiche  doch  die  beiden  Fassungen  der  Rede  auf 
Waise!  —  Gerade  in  den  Ehrenreden  mögen  am  frühesten,  vielleicht 
selbst  zur  Zeit  Suchenwirt's  schon,  hie  und  da  Änderungen  vor- 
genommen worden  sein.  Solche  Reden  entstanden  aus  einem  bestimmten 
Anlaß;  wurden  sie  bei  einer  späteren  Gelegenheit  wieder  benützt, 
so  konnte  ja  von  Seite  der  Angehörigen  des  Gefeierten  vielleicht  ge- 
wünscht werden,  daß  diese  oder  jene  That  in  der  Rede  etwas  mehr 
in  den  Vordergrund  trete  u.  s.  w. 

Ich  erinnere  an  die  zweite  Rede  auf  den  jungen  EUerbach  und 
Albrecht  TL,  von  Österreich. 

Behufs  Anordnung  und  Nummerierung  der  52  Gedichte 
Suchenwirt's  stehen  drei  Wege  offen.  Es  können  die  Gedichte 
nach  den  Haupthandschriften,  in  denen  sie  vorkommen  und 
die  dem  Texte  besonders  zu  Grunde  gelegt  werden,  geordnet  werden. 
Darnach  kämen  die  ftlnf  ersten  Gedichte  aus  B ,  die  ja  einmal  auch 
zu  Anfang  von  A  standen,  zuerst,  dann  die  Gedichte  von  A,  dann 
das  von  fünf  Fürsten  nach  g,  der  Krieg  der  Liebe  und  Schöne  nach 
h^m*m*  und  endlich  das  Würfelspiel  nach  kpr.  Dieser  Vorgang  er- 
schiene als  zu  äußerlich. 

Oder  es  könnten  die  Gedichte  nach  der  Zeit  ihrer  Ent- 
stehung aufeinander  folgen.  So  berechtigt  eine  solche  Anordnung 
auch  wäre,  es  steht  als  Hinderniß  der  Ausführung  der  Umstand  im 
Wege,  daß  nicht  bei  allen  Gedichten  sichere  Anhaltspunkte  für  die 
Zeit  ihrer  Abfassung  vorhanden  sind,  bei  einigen  dieselbe  nur  ver- 
muthet,  bei  anderen  gar  nichts  über  die  Zeit  ihrer  Entstehung  gesagt 
werden  kann. 

Es  empfiehlt  sich  somit  der  dritte  Weg,  die  Gedichte  nach 
ihrem  Inhalt  zu  gruppieren,  in  jeder  Gruppe  aber  die  ein- 
zelnen Gedichte,  so  viel  dies  möglich,  nach  derZeit  ihres 
Entstehens  aufeinander  folgen  zu  lassen.  Ähnliches  hat  schon  P 
versucht,  aber  nicht  genau  durchgeführt  (denn  sonst  hätte  wenigstens 
dem  Gedichte  von  fünf  Fürsten  das  von  zwein  Päpsten ,  vom  um- 
gekehrten Wagen  und  der  Krieg  der  Fürsten  und  Städte  folgen  müssen ; 


482  FRANZ  KBATOCHWIL 

der  Krieg  der  Liebe  und  Schöne  wäre  den  anderen  allegorischen  Ge- 
dichten eingereiht  worden). 

Nach  dieser  Anordnung  sind  in  der  nachfolgenden  Tabelle  die 
dem  Lobe  (oder  der  Geißelung)  einzeloer  Personen  gewidmeten  Ge- 
dichte an  den  Anfang  gesetzt  (24)  und  ihnen  diejenigen,  welche  Ge- 
schichtliches ohne  allegorische  Einkleidung  bieten ,  angereiht  (10), 
worauf  die  allegorischen  (9),  didaktischen  (2)  und  religiösen  Dich- 
tungen (4)  und  zum  Schlüsse  die  possenhaften  Gedichte  (mit  Aus- 
nahme der  Rede  auf  Gumolf  Läpp)  und  die  Reimkänsteleien  folgen  (3). 

Von  der  in  A  eingehaltenen  Anordnung  der  Gedichte  weicht 
diese  Reihenfolge  nur  zweimal  ab ;  einmal,  indem  die  Rede  auf  Ulrich 
von  Pfannberg,  welche  in  A  zwischen  beiden  Reden  auf  den  jungen 
Eilerbach  steht,  vor  die  erste  Rede  auf  diesen  gesetzt  wurde,  damit 
der  Rede  auf  den  lebenden  Ellerbach  sogleich  die  auf  den  todten  folge, 
dann  indem  die  Rede  auf  Hans  von  Traun  der  vom  Teichner  vor- 
gestellt wurde,  obwohl  sie  ihr  in  A  folgt.  Da  aber  beide  so  ziemlich 
um  dieselbe  Zeit  gedichtet  worden  sind,  glaubte  ich  das  thun  zu  können, 
zumal  es  vom  praktischen  Werthe  ist:  es  entsprechen  dann  die  Num- 
mern 1 — 24  der  nachfolgenden  Tabelle  genau  den  in  B  befindlichen 
Gedichten,  nur  daß  diese  Händschrift  zweimal  eine  andere  Aufeinander- 
folge des  Gedichtes  hat. 

Die  Zählung  von  Friess  und  P  ist  beigefügt  und  angegeben,  wie 
oft  und  in  welchen  Handschriften  ein  Gedicht  vorkommt.  In  den 
Nummern  22 — 37  und  39 — 52  nennt  sich  der  Dichter  mit  Namen. 


ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  ÖTAND  DER  SüCHENWIRT-HSS.      483 


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ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  DER  SUCHENWIRTHSS.      485 


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486    FßANZ  KEATOCHWIL,  ÜBER  DEN  GEGENWÄRTIGEN  STAND  etc. 


30 


35 


2.  TextergftDzuDgen. 
Zur  zweiten  Rede  auf  Eilerbach  den  Jungen. 

A  hat  nach  V.  36  dieses  Gedichtes  eine  Lücke  von  52  Versen, 
die  ich  nach  B  unverändert  folgen  lasse. 

B,  8.  460,  linke  Spalte. 

und  rangk  nach  Gottes  holden 

ich  mnz  von  waren  schnlden 

nrchond  geben  seiner  tat 

die  er  in  Frawen  dienste  hat 
5  mit  BitterschafFt  noUendet 

der  Manheit  nngeblendet 

faer  er  uon  erst  durch  preys  bejag 

far  Landaw  da  csn  felde  lag 

der  chaiser  Lndweig  genant 
10  und  wolte  nemen  reiche  phant 

dem  Edlen  Herzog  Heinreieh 
S.  460,  rechte  Spalte. 

mit  Streites  ernst  chreffdchleich 

den  Bitters  Orden  do  enphie, 

der  hochgetewrt  nu  merket  wie 
1 5  es  wart  n ersucht  das  nicht  geschach 

der  streit  des  maniger  sich  y^sach 

darnach  der  Edel  was  berait 

mit  Chanig  Johan  gan  unn^zait 

gen  Frankreich  do  mang  hnndH  lag 
20  Ze  tod  erslagen  auf  ein  tag 

für  tod  belaib  er  auf  dem  wal 

uon  wunden  was  sein  leben  smal 

daz  man  in  sunder  chreffte   uand 

daz  leben  waz  des  todes  phant 
25  die  pheyl  man  aus  im  sneiden  müst 

Ach  tod  waz  du  czu  laide  tust 


der  hochgetewrten  Bitterschaft 
an  leib  und  auch  an  lebens  chraft 
Maria  Muetter  und  maid 
in  deinem  dinst  was  er  berait 
drey  stund  in  Prewßen  landen 
da  man  gar  sund^  schänden 
der  uerte  zwo  czu  schaden  ccoch 
den  haiden  daz  si  chlagent  noch 
Er  tet  nach  Christenleicher  ee 
mit  wer  dem  ungelauben  w€ 
daz  manig^  wart  des  lebens  par 
er  nam  der  haidenscha£Ete  war 
mit  wemden  henden  als  im  zam 
40  In  Holland  für  der  Lobesam 
mit  manigem  Bitter  auserwelt 
uor  Utrecht  uacht  er  als  ein  helt 
uncz  er  uier  wunden  do  enphie 
wann  es  im  Bitterleichen  gie 
daz  man  im  hohen  preises  jach 
in  Brabant  man  den  werden  sach 
uor  Lüttich  do  der  neinde   schar 
nam  schänden  un  schaden  war 
ainer  floch  der  ander  uiel 
in  em  glut  sein  hercze  wiel 
das  es  uon   schänden  nie  erlasch 
der  ueinde  schaden  er  do  drasch 


45 


50 


Zur  Rede  auf  Priedri 
Nach  Vers  52  dieses  Gedichtes 
nach  B  unverändert  wiedergebe. 

B,  S.  483,  rechte  Spalte, 
gen  Lubigk  czu  d^  guten  Stat 
die  auch  mit  den  Holczen  hat 
zu  chriege  chreftichleich   gemaint 
mit  der  Stat  er  sich  ueraint 
5  un    rüst    die    schef    mit    frischer 

kost 
Westen,  norden,  Süden,  Ost 
die  wind  im  wurdn  wol  bekant 
er  für  hin  in  Holczen  laut 


10 


15 


ch  von  Lochen. 

fehlen  in  A  52  Verse  ^    die  ich 

in  den  Bosengarten 
der  neind  si  nicht  sparten 
in  wurdn  uest  gewunen  an 
nu  merkt  was  ein  pid^  man 
durch  wird  un  er  geleidn  mag 
daz  im  uncz  an  den  dritte  tag 
nie  haubn  ab  dem  hawbt  cham 
zu  slaffen  im  gar  übel  czam 
die  gegent  wart  gewunnen 
uir  hund^  dörffer  uerprunnen 


O.  BEHAGHEL,  ZU  WOLFRAM. 


487 


Lewt  an  gut  was  gar  n^lorn 

20  die  weil  was  uö  d^  Holcz9  czom 
der  Chünig  in  Denenmarch  v^triben 
die  Chünigin  was  chawm  beliben 
auf  einer  uest  erpawen 
mit  allen  Landes  vrawen 

25  gesamet  auf  der  fluchte  spor 
da  läge  auch  die  neinde  nor 
mit  starken  heeres  chrefften 
die  Chünigin  mit  potsche^ten 
entbot  dem  Held  uil  gute 

30  ob  er  uon  guter  müter 
ye  bechomen  were 
daz  er  aus  großer  swere 
in  hulf  un  rette  si  zehant 
der  öhunig  auch  zu  im  pottn  sant 

35  man  solt  sein  selbs  peiten 
die  Chünigin  an  den  czeiten 


sant  aber  ander  poten  dar 
daz  man  recht  oder  ewen  war 
rett  man  si  nicht  si  wer  vUorn 

40  von  lande  stiez  der  wolgepom 
mit  achczehe  koken  wolgeladen 
and  sigilt  auf  der  aeinde  schadn 
der  chünigin  an  dn  frawS  za  trost 
di  wordn  aö  de  besazz  erlost 

45  die  Holcze  czoge  her  gegen  im 
S.  484,  linke  Spalte, 
daz  Cham  in  da  czu  angewin 
waz  einer  suecht  daz  oand  er 
si  lagen  gegen  einander 
bis  an  den   czehenden  morgS  frü 

50  di  Heer  do  griffe  baide  czü 
do  hüb  sich  ein  uil  grozz^  streit 
der  werte  biz  auf  Vesperzeit 

FRANZ  KRATOCHWIL. 


ZU  WOLFRAM. 


L   Die  Zeit  seines  Thüringer  Aufenthalts. 
Die  bei  Wolfram  so  häufigen  Reime  wie  stuont  ifunt,    «tuenden 
i^ gebunden  werden  von   Lachmann  dadurch  zu  reinen  Reimen  gemacht, 
daß  er  fuont  und  gebtionden  schreibt.  Die  gleiche  Anschauung  vertritt 
Weinhold:  er  meint;  es  sei  u  vor  Liquida  in  Wolframs  Dialekt  zu  tto 
geworden  (Bair.  Gr.  §.  114^  mhd.  Gramm.  ^  S.  353).  Es  ist  mir  jedoch 
nicht  bekannt,    daß  heutige  Mundarten  diese  Auffassung  bestätigten; 
ein  stuont  (hora),  ein  gehuonden,  gefaonden  ist  mir  nirgends  begegnet. 
Aber  noch  aus   einem  andern  Umstand  geht  hervor,    daß  die  Reim- 
bindung Wolfram  nicht  durch  seine  Mundart  an  die  Hand  gegeben 
wurde.    Dieselbe  liegt  nämlich  in  folgenden  Stellen  des  Parcival  vor 
180,  7;   181,  11;   185,  25;  218,  17;  237,  13;  242,  17;  282,  1;  288,  25 
326, 13;  352,  29;  379,  29;  385,  13;  398,  21;  405,  15;  417,  9;  437,  21 
446,  1;   456,  25;   461,  3;  468,  21;  471,  15;  489,  25;  490,  23;  493,  17 
516,  7;  560,  25;   565,  5;   568,  19;  581,27;  589,  29;  595,  25;  648,  15; 
741,11;    752,21;    798,7.    Mit   andern  Worten:    in   den   drei   ersten 
Büchern  des  Parz.  mit  ihren  5352  Versen  kein  einziges  Beispiel;  auf 
die    19458  Verse    der   folgenden  Bücher  35  Belege,    also   auf  je  555 
Verse   einer.    Wären    diese  Reime  Wolfram  von  Haus   aus   geläufig 


488  O.  BEHAGHEL 

gewesen,  so  wäre  diese  merkwürdige  Vertheilnng  ein  unbegreiflicher 
Zufall.  Es  bleibt  nur  die  Annahme,  daß  irgend  ein  fremder,  während 
der  Abfassung  des  Parzival  sich  geltend  machender  Einfluß  Wolfram 
auf  diese  Reime  geführt  hat.  Und  was  liegt  näher,  als  die  Ursache 
in  Wolframs  Aufenthalt  in  Thüringen  zu  suchen,  wo  derartige  Bin- 
dungen durchaus  gebräuchlich  waren?  Die  drei  ersten  Bücher  des 
Parzival  wären  somit  vor,  die  späteren  nach  dem  Thüringer  Aufenthalt 
gedichtet. 

Was  man  sonst  noch  in  Wolframs  Sprache  auf  thüringischen  Einfluß 
zurückführen  möchte^  steht  damit  nicht  im  Widerspruch.  Ich  glaube 
allerdings  mit  Einzel  (Ztschr.  f.  d.  Gymnasialw.  1877,  587),  daß  die 
=  der  für  Wollram  anzuerkennen  ist,  aber  keines  der  mir  einiger- 
maßen sicher  erscheinenden  Beispiele  fällt  in  die  drei  ersten  Bücher 
(in  Bezug  auf  P.  139,  16  kann  ich  Einzel  nicht  beistimmen).  Zweifel 
erregt  das  Verbum  trecken  ,  das  schon  P.  62,  29  steht.  Seine  heutige 
Verbreitung  ist  mir  unbekannt.  Lexer  weist  seinen  Gebrauch  bei  Meister 
Eckart  nach,  der  es  doch  schwerlich  aus  Wolfram  entlehnt  hat 

n.  Zum  Titurel. 
Im  Titurel  fehlen  derartige  Reime  von  uo  :  u.  Daraus  läßt  sich 
natürlich  beim  geringen  Umfang  derselben  nicht  schließen,  daß  er 
vor  den  Thüringer  Aufenthalt  fliUt.  Anderseits  ist  es  kaum  mehr 
nöthig,  noch  weitere  Beweise  dafür  beizubringen,  daß  der  Titurel 
nicht  vor  dem  Parzival  geschrieben  ist.  Ich  will  aber  doch  noch 
einen  kleinen  Nachtrag  geben  zu  Stosch's  Bemerkungen  Ztschr.  f.  d.  A. 
32,  471.  Er  weist  darauf  hin,  daß  der  Baruc,  der  im  Parzival  des 
Namens  entbehrt,  im  Titurel  Akherin  genannt  wird  nach  Bat.  d' Alis- 
cans V.  1653.  Das  gleiche  Verhältniß  liegt  aber  auch  vor  bei  Ehkunat. 
Er  wird  im  Parzival  dreimal  erwähnt:  178,  19;  413,  15;  503,  16, 
jedesmal  ohne  irgendwelche  nähere  Bezeichnung.  Dagegen  im  Titurel 
hat  Wolfram  eine  Heimat  für  ihn  gefunden,  die  er  ihm  bei  seiner 
bekannten  Neigung  für  Namengebung  gewiß  auch  im  Parz.  beigelegt 
hätte,  wenn  dieser  dem  Titurel  nachgefolgt  wäre:  Tit.  42,  1  Ehhunates 
swester,  den  man  nant  uz  der  starken  Berbester.  Und  zwar  stammt 
auch  dieser  Name,  wie  schon  Bartsch  bemerkt  hat,  aus  der  Quelle 
des  Willehalm,  bat.  d'Aliscenus  v.  5404. 

III.  Zu  den  Liedern. 
1.  Das  Lied,   das  Lachmann  in  der  Einleitung  S.  XII  mittheilt 
und  aus  metrischen  Gründen  ohne  Weiteres  Wolfram  abspricht,  hat 
seitdem    allgemein,    so  viel  ich  sehe,   unter  Acht  und  Bann  gelegen« 


zu  WOLFRAM.  489 

Ich  möchte  aber  doch  darauf  hinweisen,  daß  Lachmanns  Verwerfdngs- 
urtheil  auf  sehr  schwachen  Füßen  steht.  Er  nimmt  Anstoß  an  dem 
Reimwort  du  maht^  das  im  Reime  sonst  nicht  wiederkehre  bei  Wolfram. 
Das  ist  der  Irrthum,  der  in  Lachmanns  metrischen  Ansichten  eine  so 
große  Rolle  spielt:  daß  er  etwas  mit  Bewußtsein  gemieden  glaubt, 
das  bei  der  Beschaffenheit  des  Sprachmaterials  sich  dem  Dichter  gar 
nicht  oder  nicht  leicht  darbot.  Auch  in  nhd.  Versen  würde  man  lange 
nach  Versen  suchen  können |  die  mit  du  magst  schließen,  wenn  auch 
die  Reime  darauf  nicht  so  selten  wären.  So  steht  denn  auch  bei 
Hartmann  du  mäht  niemals  im  Reime,  wie  schon  das  mhd.  Wb.  be- 
merkt. Ich  füge  hinzu,  daß  es  auch  in  Minnesangs  Frühling  am  Vers- 
schluß ;,gemieden  wird^,  d.  h.  nicht  vorkommt.  Es  wäre  also  bei 
jedem  andern  Dichter  die  gleiche  Rarität  wie  bei  Wolfram. 

Das  Hauptverbrechen  des  Liedes  ist  aber  der  Versschluß  spriche 
ah  ich  V.  18.  Den  hartnäckigsten  Verehrer  von  Lachmanns  Versregeln 
dürfte  der  Nachweis  stutzig  machen,  daß  auch  Goethe  und  Schiller 
die  nach  Lachmann  verpönten  Versausgänge  „gemieden"  haben  (Litbl. 
1881,  426).  Was  insbesondere  den  vorliegenden  Fall  betrifft,  so  be- 
gegnet das  Wörtchen  ich  bei  Wolfram  überhaupt  nur  lOmal  im  Vers- 
ausgang,  wenn  Moldaenke  (der  Ausgang  des  stumpf  reimenden  Verses 
bei  W.)  und  San  Harte  (Reimregister  zu  Wolfram)  nichts  übersehen 
haben  (P.  238,  8;  272,  19;  342,  27;  369,  17;  440,  19;  554,  18;  747,  29; 
749,  26.  W.  67,  22;  224,  17).  Da  müßte  es  schon  ein  ganz  besonderer 
Zufall  sein,  wenn  darunter  sich  ein  Ausgang  ab  ich  befände,  dessen 
Entsprechung  wir  auch  in  nhd.  Versen  wieder  lange  vergeblich  suchen 
würden.  Daß  das  Fehlen  dieses  Ausgangs  mit  Lachmanns  Regel  nichts 
zu  thun  hat,  geht  schon  aus  dem  Umstände  hervor,  daß  auch  aber 
ich  nicht  vorkommt,  das  nach  Lachmann  zulässig  wäre. 

Im  Übrigen  ist  das  Lied  zwar  nicht  besonders  originell,  aber 
ein  anderer  Grund,  es  Wolfram  abzusprechen,  liegt  nicht  vor.  Zu 
Wolframs  Weise  stimmt  der  Reim  mäht :  bräht  v.  22,  das  starke  En- 
jambement V.  23,  das  Fehlen  des  Artikels  bei  baut  v.  23,  das  Band 
der  Sorge  und  das  Hinken  der  Freude  v.  23.  Unsinnig  ist  allerdings 
V.  17,  aber  auch  ein  Anderer  würde  nicht  so  geschrieben  haben. 
Vermuthlich  ist  zu  lesen:  wer  sol  mich  nu  mieten ^  vgl.  die  bei  Lexer 
unter  mieten  verzeichneten  Beispiele. 

2.  In  3,  25 — 26  ist  Lachmanns  wie  Pauls  Änderung  (Beitr.  1,  202) 
unnöthig,  wenn  man  so  schreibt: 

aus  der  tac  erschein: 

weindiu  cugen,  süezer  frouwen  hus. 


490  ^'  REI8SENBER0ER 

Das  von  mir  zu  En.  5260  belegte  Fehlen  des  Verbs  zeigt  sich  zwar 
meist  dann 9  wenn  der  Satz  ans  Subject  und  Prädikat  gebildet  ist; 
aber  auch  eingliedrige  Sätze  ohneVerbum  kommen  vor:  vgl.  P.  44,  20; 
681,29. 

3.  Betreffs  des  Liedes  9,  3  theile  ich  Pauls  Ansicht  (Beitr.  1, 
203),  daß  die  drei  ersten  Strophen  Wolfram  zugehören.  Wenn  MoUer 
(Ztschr.  f.  d.  Alt.  25,  50)  gegen  die  Echtheit  geltend  macht,  daß  die 
Strophen  im  Abhängigkeitsverhältnis  zu  7,  11 — 40  stünden,  so  könnte 
man  ziemlich  ebenso  gut  behaupten,  daß  das  Lied  6,  10  ff.  von  dem 
Lied  4,  8  ff.  abhängig  sei;  vgl.  4,  28  mit  6,  40;  5,  14  mit  7,  6.  Über- 
haupt ist  es  ein  Irrthum  Müllers,  daß  Wolfram  sich  nicht  selbst 
wiederhole,  vgl.  z.  B.  P.  101,  9  mit  Tit.  81,  2,  P.  387,  2  mit  T.  583,  8. 
Aus  den  metrischen  Düfteleien  Müllers  wird  wohl  schwerlich  Jemand 
einen  Grund  gegen  die  Echtheit  der  Strophen  entnehmen. 

CP^SSEN.  O.  BEHAOHEL. 


FRAGMENTE  AUS  DER  WELTCHRONIK 
RUDOLFS  VON  EMS. 


Die  nachfolgenden  Fragmente  aas  der  Weltchronik  Rudolfs  von 
Ems  sind  auf  einem  Pergamentstreifen,  der  dem  Einbände  eines  Quar- 
tanten  diente,  im  steiermärkischen  Landesarchive  in  Graz  erhalten 
and  worden  mir  darch  die  Freandlichkeit  des  Herrn  Landesarchiv- 
directors  Regierangsrath  Dr.  J.  von  Zahn  zur  Veröffentlichung  über- 
lassen. Der  Streifen  ist  36  Ctm.  lang  und  7  ütm.  breit  und  gehörte 
zwei  Blättern  der  Handschrift  an.  Doch  ist  der  zweite  Theil  schmäler 
als  der  erste,  da  von  jenem  ein  Stück  abgeschnitten  ist.  Die  Schrift 
ist  nur  hie  und  da  etwas  verblaßt  und  unleserlich,  im  Ganzen  deut- 
lich und  sauber.  Nach  dem  Charakter  der  Schrift  wäre  der  Codex 
dem  13.  Jahrhunderte  zuzuweisen. 

Aus  dem  Vorliegenden  zu  schließen,  enthielt  jede  Seite  drei 
Reihen  Verszeilen,  doch  war  der  Text  mannigfach  von  größeren  und 
kleineren  bunten  Bildern  unterbrochen. 

Auf  der  zweiten  Seite  ist  das  initiale  D  in  der  Bemerkung  Dcui 
ander  hmige  bvch  hat  hie  ane  farbenreich  und  kunstvoll  behandelt, 
jedoch  nur  in  seiner  unteren  Hälfte  erhalten.  Auf  der  dritten  Seite, 
die  ganze  Breite  entlang,  ist  die  Überreichung  der  Krone  und  des 
Armgeschmeides    durch    den  Amalekiter   an   David    (2  Sam.   1,  10) 


FRAGMENTE  AUS  DER  WELTCHRONIK  RUDOLFS  VON  EMS. 


491 


abgebildet    Auf  der  vierten   endlich    sind 
meist  Köpfe  darstellend.    Wahrscheinlich  war  m 
bung  Davids  (2  Sam.  2,  4)  behandelt! 


unten  Reste  eines  Bildes, 
demselben  die  Sal- 


')  Do  dranc  an  der  selbeB  zit 
Div  groze  heidenachaft 
Mit  ir  werlichen  kraft 
Hin  vf  Savlen  da  er  streit 
Ynd  mit  wlicher  manheit 
Bi  im  siner  svne  dri 
Die  manliche  im  striten  bi 
Amminadab  vnd  Jonathas 
Melchisve  der  dritte  was 
Die  mit  so  frevelichen  siten 

Mit  leidem  wider  kere 
Fflohe  er  im  was  gach 
Schwtzen  iagten  im  do  nach 
von  den  ward  er  vaste  want 
vnd  von  den  schvzzen  vngesant 
Nv  was  savl  gescheiden 
Mit  fliehen  von  den  beiden 
vf  monte  Gelboe  hin  dan 
Vnd  mit  im  sin  man 
jy  mit  namen  als  ich  es  las 

Slahen  er  spch  ich  tvn  sin  niht 
Daz  ich  den  gotes  gewihten  man 
Grife  also  frevelich  an 
Daz  er  von  mir  lege  tot 
Do  twanc  des  iamers  not 
Savlen  daz  er  da  fvr  sich 
Stiez  sin  swert  vnd  einen  stich 
Mit  dvhen  durch  sich  selben  treib 
Daz  swert  gie  durch  in  er  beleib 
Tot  von  sin  selbes  hant  alda 
Daz  tet  sin  geselle  och  iesa. 

Durch  ir  manlich  manheit 
Gingen  si  mit  ir  mäht 
Von  Jabes  Galaat  die  naht 


Gem  Bersam  der  veste  hin') 
dar  komen  si  vnd  stigen  in 
Vnd  namen  da  die  toten 
Ane  hobt  vnd  vschroten 
Die  si  fvrten  an  der  zit 
von  dannen  vnd  si  begrvben  sit 
In  Jabes  Galaat  mit  klage 
lebten  si  siben  tage. 


Wan  ez  bedencke  gotes  rvch 
Hie  ist  daz  erste  kvnige  bvch 
FfoUesprochen  voUegeseit 
Mit  vngelogener  warheit. 

Daz  ander 

kvnige 

bvch  hat 

hie  ane 
*)  Wer  bistv  wie  bistv  genant 
Daz  dir  diz  ist  so  reht  erkant 
Er  spch  von  geschiht  ich  kam 
Do  d^  strit  ein  ende  nam 
vf  monte  Gelbö  da  sähe       ich  sach 
Do  div  groze  flvht  geschach 
Säulen  vf  dem  schilte  sin 
Ligen  d^  leit  vil  grozen  pin 
Von  des  todes  vngemach 
Do  er  gen  im  do  nahen  sach 

^)  e  vnwandelbere. 
e  ob  got  wolde 
dannen  solde 
oder  war  got  wolde. 
r  varn  solde 
gote  wart  im  do  ^)  geseit 
gütlicher  warheit 


*)  Vgl.  Schütze,  Die  historischen  Bücher  des  alten  Testamentes  etc.   I. 
barg  1779.    S.  236  f. 

';  Die  ganze  Zeile  verschmiert,  futen  bei  Schütze. 
*)  Schütze  a.  a.  O    H.   Hamburg  1781.  S.  112. 
«)  Schütze  a.  a.  0.  S.  116  f. 
'}  Ein  Loch, 


Ham- 


492  G.  EHBISMANN,  JÄPPB8STIFT. 

Er  solde  varn  in  Juda  In  ebron  vnd  beleih  alda 

In  ebron  do  kerte  sa'^)  Sin  gesiebte  von  Jvda 

D^  M enthafte  degen  dar  kam  mit  grozer  mäht  da  hin 

vnd  fvrte  mit  im  sine  schar  zv  im  v'')nä  wiht  in 

Beidiv  kint  wib  und  man  ze  kvnige  vber  al  div  diet 

Ff&rt  er  allez  mit  im  dan  Die  sins  gesiebtes  namen  vz  scbiet. 

vnd  lie  des  niht  beliben 

Er  f&re  mit  sinen  wiben 

BIELITZ  in  Oest.-Schlesien.  KARL  REISSENBEftOER. 


JÄPPESSTIFT 

(König  Tirol  ed.  Leitzmann  9,  5  und  48,  4). 


Einzel  in  seiner  Recension  von  Leitzmanns  Ausgabe  (Ztschr. 
f.  d.  Pbilol.  22,  242—244)  vehnuthet  in  jappe,  indem  er  die  Ober- 
setzung des  mhd.  Wb.  und  Lexers  ,,FußangeP  mit  Recht  ablehnt, 
einen  Pflanzennamen.  Ohne  Zweifel  jedoch  wird  damit  eine  Schlangen- 
art bezeichnet.  An  beiden  Stellen  ist  von  dem  Gift  der  Vipper  die 
Rede,  und  es  ist  eine  geläufige  Vorstellung  des  Mittelalters,  daß  der 
Schwanz,  bezw.  der  Stachel  (stift)  der  Schlangen  Oift  enthalte  (z.  B. 
bei  Megenberg  S.  260,  23,  MSH.  2,  174*>  Dies  paßt  auch  gut  zu  dem 
Bilde  in  Strophe  43,  denn  der  Schlangenzagel  gilt  als  ein  Zeichen 
der  Falschheit,  vgl.  die  von  Lexer  unter  slangenzagel  angeführten 
Stellen:  Benner  V*  14126,  Teichner  Laßb.  L.  S.  3,  383,  14;  ferner 
MSH.  2,  174*  und  2,  367*.  ~  Eine  Schlangenspecies  Jappes  (9,  5)  oder 
Jappe  (43,  4)  habe  ich  nicht  finden  können.  Ähnlich  lautet  ipnappe 
bei  Megenberg  S.  272,  3,  entstellt  aus  hypncde.  Aber  am  nächsten 
kommt  Jaspis,  Nebenform  von  <Mpis,  welch  letzteres  auch  von  Wolfram 
im  Parzival  481,  8  erwähnt  wird.  Da  nun  Str.  42  des  Tirol  sicher 
aus  jener  Partie  des  Parzival  geschöpft  ist  (Leitzmann  S  .4),  so  wird 
man  auch  in  jappes,  bezw.  jaspes  eine  Reminiscenz  an  aspis  des  Par- 
zival annehmen  dürfen. 

PFORZHEIM.  G.  EHRISMANN. 


^)  Ober  diese,    die  vorhergehende  Zeile  and  das  darüber  befindliche  SpaÜnm 
iflt  ein  großer  Buchstabe,  der  aber  halb  abgescbniUen  ist,  gedruckt 
^)  Ein  Loch. 


A.  GOMBKRT,  BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖBTEBBUCHE.     493 

BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTER- 
BUCHE. 

Bd.  VII,  Lief.  10  (PfloBterung  bis  Platt). 
(Schluß.) 


Piez  (vorquellende  Weiberbrust)  ist  wohl  absichtlich  über- 
gangen, weil  im  Wb.  2,  7—8  unter  Biez  (Bietz)  erledigt.  Zu  den  An- 
gaben a.  a.  O.  habe  ich  einmal  hinzuzufügen^  daß  mir  das  Wort  in  der 
märkischen  Volkssprache  sehr  wenig,  im  Mitteldeutschen  aber  (Halle 
und  ganz  Thüringen)  häufig  begegnet  ist,  dann  aber,  daß  ich  es 
durchweg  mit  anlautendem  p  gehört  habe,  so  weit  nicht  die  ober- 
sächsische Verwechslung  zwischen  P  und  B  jede  Sicherheit  über  den 
Anlaut  vernichtete.  Mit  diesem  Worte  hängt  nicht  zusammen  das  in 
Zieglers  Gesammelten  Novellen  vorkommende  und  deutlich  erklärte 
Piezloch;  s.  dort  1,  137:  In  der  grünen  Decke,  in  dem  Netze,  das 
avf  dem  grundlosen  Moder  aufliegt,  ist  zuweilen  hier  und  da  eine  Masche 
gerissen^  nur  ist  ein  solches  einen  halben  bis  zwei  Fuß  im  Durchmesser 
großes  Loch  gar  nicht  zu  bemerken,  weil  das  überhängende  Oras  und 
Schilf  es  bedecken  ....  Nach  wenigen  Monaten  wälzen  sich  die  Wogen 
über  das  Fenn,  und  schon  im  nächsten  Frühjahr  weiß  der  Jäger  nicht 
mehr  genau  abzugeben,  wo  das  Loch,  das  in  der  Landessprache  Piez- 
loch heißt,  sich  befand,  in  welchem  sein  Freund  versank.  Ebenda  138: 
Im  Volke  ist,  wenn  Jemand  unter  dem  Verdachte^  daß  er  erschlagen 
worden,  verschwindet,  gleich  feststehend,  daß  der  Mörder  die  Leiche  in 
ein  Piezloch  gesteckt  habe.  Eine  haltbare  Ableitung  dieses  Piez  weiß 
ich  nicht  zu  geben.  Der  Ausdruck  scheint  übrigens  auf  die  Mittel- 
mark oder  gar  das  Havelland  beschränkt  zu  sein,  wenigstens  habe 
ich  ihn  in  der  Ukermark  nicht  gefunden,  obgleich  dort  die  von  Ziegler 
beschriebenen  Fenne  und  die  Löcher  in  ihnen  so  gut  wie  in  der  Mittel- 
mark vorkommen. 

Pik  als  Bergspitze  ist  wohl  mit  Recht  dem  Fremdwörterbuche 
überlassen;  erwähnt  sei,  daß  im  17.  Jhdt.  dafür  auch  die  Pique 
vorkommt  bei  Erasmus  Franciscus,  Ost-  und  Westindischer  Lust-  und 
Staatsgarten,  Vorbericht  116'  (1668):  Unsere  Leute,  so  die  Neue  Welt 
besuchen,  geben  die  Canarische  Pique  für  den  höchsten  Berg  aus,  den 
man  bißhero  in  der  gantzen  Welt  gesehen. 

Pikant  wird  erst  aus  dem  Briefwechsel  zwischen  Schiller  und 
Goethe  beigebracht,   während  es  nach  Weigand  bereits  im  17.  Jhdt. 

GBRMANIA.    Neue  Reihe  XXJL  (XXXIY.)  Jahrg.  33 


494  A.  GOMBERT 

aufgenommen  ist.  Für  solche,  welche  etwa  Weigands  bloßer  Behaup- 
tung nicht  glauben,  verweise  ich  auf  Joh.  Christoph  Nehring,  Manuale 
Juridico-Politicum  675  (1694),  wo  piquant  durch  stachelhaft, 
stechend,  stichelnd  erläutert  wird.  Die  gleiche  Erklärung  gibt 
Sperander  472^  (1728)  und  führt  dabei  das  Wort  auch  zur  Bezeich- 
nung des  sinnlichen  Geschmackes  an:  ein  piquanter  Wein  heist^  der 
einen  scharfen  auf  die  Zunge  fallenden  Geschmack  hat  Daß  Pik  an- 
ter ie,  wie  Lexer  aus  Heynatz  anführt,  von  Personen  mit  Handwerks- 
burschengeschmack im  Sinne  von  Feindschaft,  oft  auch  von  Stichelei 
gebraucht  wird,  ist  bekannt;  diese  Bedeutung  scheint  früher  noch 
allgemeiner  gewesen  zu  sein,  da  Sperander  a.  a.  O.  473*  es  ebenso 
durch  Groll,  Anstechung,  Beschimpfung  erklärt.  In  der  Ber- 
liner Volkssprache  verwandelt  sich  das  Wort  in  Pinkaterie,  eine 
Form,  deren  häufige  und  zwar  ernsthafte  Verwendung  in  den  ange- 
deuteten Kreisen  ich  bezeugen  kann. 

Piketspiel  wird  nur  aus  Stieler  (1691)  belegt,  doch  haben 
wir  den  substant.  Inf.  piketspielen  schon  aus  dem  Jahre  1625  bei 
Londorp  2,  1207':  seine  LandsUxdh  haben  ihn  d/rey  Wochen  in  Parifi 
aufgehalten ,  da  er  die  Zeit  mit  Pickhetspielen  zugebracht;  ebenso 
1,  1559'. 

Pilger.  Zum  Begriffe  des  Pilgers  gehört  die  mancherlei  Notb 
und  Beschwerde,  die  er  auf  seinem  Wege  erduldet.  Vgl.  Geibel,  Spät- 
herbstbl.  9: 

Laß  den  schwergeprüften  Pilger  (Odysseus) 
Nicht  am  Ziel  noch  untergehn. 
Noch  deutlicher  spricht  dies  F.  L.  Jahn,  Ges.  Werke  2,  403  (Neue 
Runenblätter,  aus  dem  Jahre  1828)  bei  der  Erklärung  des  Wortes 
pilgern  aus:  Pilgern  ist  mit  selbstauferlegter  Beschwerde,  Mühe,  An- 
strengung und  Entbehrung  verbunden;  gewählt  als  eine  heilige  Arbeit,  um 
drückende  Gefühle  loszuwerden,  Leiden  zu  vergessen  und  das  sturmbewegte 
Lebensgewoge  in  einen  Buhhafen  zu  retten.  Von  Zusammensetzungen 
mit  Pilger  ist  etwa  ein  Schock  gegeben;  ich  füge  einige  hinzu,  die 
wohl  ebenso  berechtigt  zur  Aufnahme  sind  wie  das  verzeichnete 
Pilgerbillet  Pilgerb ahn  kommt  sicher  in  geistlicher  Dichtung 
mehrfach  vor,  so  in  der  15.  Strophe  von  Gerh.  Terstegens  Liede 
Kommt  Kinder,  laßt  uns  gehen;  doch  finde  ich  in  dem  mir  vor- 
liegenden Abdruck  des  geistlichen  Blumengärtleins  (Stuttgart  1884) 
S.  331  die  Lesart  Liebesbahn  statt  Pilgerbahn.  Pilgerbrot 
nennt  in  leicht  verständlicher  Anwendung  der  Stuttgarter  Prälat  Gerok 
eine  Sammlung  seiner  Predigten.  Pilger flor  bei  Goethe  11,  1,  322 
Hempel  (Maskenzüge  zum  18.  December  1818): 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  495 

Treuer  Genius  der  Zeiten 
Leicht  gehüllt  in  Pilgerflor, 
Pilgerherberge  findet  sich  neuerdings  nicht  gelten  in  Beschrei- 
bungen von  Reisen  ins  Morgenland,  so  wiederholt  bei  Ninck,  Auf  bib- 
lischen Pfaden.  Pilgerleben  ist  seit  Elopstock  belegt,  zum  Theil 
durch  wenig  hervortretende  Beispiele;  man  vermißt  neben  dem  aus 
Hölty  gegebenen  Belege  den  bekannteren  aus  dem  Liede  Üb  immer 
Treu'  und  Redlichkeit  Z.  5  fg.: 

Bann  kannst  du  wie  auf  grünen  Aun 
Durchs  Pil geriehen  gehn. 
Ferner  aus  demselben  Dichter: 

Die  Freude  winkt  auf  allen   Wegen, 
Die  durch  dies  Pilge\rlehen  gehn  (Wer  wollte  sich 
mit  Grillen  plagen  Z.  5  fg.). 

Neben  der  Form  Pilgerleute  (zwei  Belege  aus  dem  16.  Jahrhundert) 
war  auch  die  andere  Pilgersleute  (vgl.  Pilgers  mann)  zu  ver- 
zeichnen : 

Ein  Fahrzeug  dort  im  Meere  häÜ, 
Darauf  ist  mir  ein  Platz  bestellt 

Nebst  andern  wackern  Pilgersleuten,   Tieck,   Kaiser 

Octavianus  119. 
Pilgerort:  Constantin  und  Helena  hatten  das  verfallene  Jerusalem  zu 
der  Bedeutung  des  heiligsten  Pilgerortes  [üblicherer  Ausdruck:  Wall- 
fahrtsort] dei*  Christenheit  erhoben,  Gregorovius  Athenais  161.  Pilger- 
pfad bei  G.  Terstegen  a.  a.  O.  328: 

Es  soll  uns  nicht  gereuen 
Der  schmale  Pilgerpfad. 
Pilgerschritt   bei   Goethe    11,  1,  256    Hempel    (Theaterreden    aus 
dem  Jahre  1821): 

Entsagung  heiligt  Kriegs-  und  Pilgerschritt; 
Sie  treibts,  zu  leiden,  weil  der  Höchste  litt, 
Pilgerstätte:  Der  Weg  zu  den  großen  Pilgerstätten  hat  noch  immer 
durch  die  Wüste  geführt.  Fontane,  Wanderungen  3,  45.  Pilgersteoken 
ist  zwar  seltener  als  Pilgerstab,  findet  sich  jedoch  mehrfach,  z.  B. 
Dingelstedt,  Am  Grabe  Chamissos  (1838),  abgedruckt  in  Echtermeyers 
Auswahl«»  694: 

Nun  schläfst  du  in  der  fremden  Erde  schon, 
Und  die  den   Wandernden  nicht  ^konnte  wiegen, 
Beut  ihm  ein  Grab  mit  Lorbeer*  und  mit  Mohn, 
Drauf  soll  gekreuzt  sein  Pilger  stecken  liegen 

33* 


496  ^  OOMBEBT 

Und  unser  Banner,  das  denn  Sängerheer 
Voran  er  trug. 
Vgl.    aach  Vilmar  Schalreden   über  Fragen    der  Zeit*  297:    mit  dem 
Hirtenstabe  weiden  und  am  Pilgers  lecken  wandeln,  Pilgertham  bei 
Goethe  28,  383  Hempel  (1817):    Obgleich  ein  jeder  Künstler,    der  sich 
zum  Piastisehen  bestimmt  fühlt,  sieh  diese  Wallfahrt  nach  London  [za  den 
Elginschen  Marmoren]   zuschwören    und   mit  Gefahr  des  Pilger-    und 
Märtyrthums  ausführen  muß.   Pilgertracht  bei  Groethe  11,   1,  316: 
Genius  in  Pilgertracht  (Bemerkung  und  Erklärung  zum  Maskenzuge 
vom  18.  Dec.  1818).    Vgl.  auch  Scherer,  Oesch.  d.  deutschen  Litt.* 
219:  In  späteren  Jahren  lauert  ihr  Hadlaub  in  Pilgertracht  des  Mor- 
gens auf  Sicher  würden  sich  für  dies  gewöhnliche  Wort  viele  bessere 
Belege  finden  lassen,  wenn  es  auch  wie  im  DWb.  bei  Adelung,  Campe, 
Heinsius,  Heyse  und  Sanders  übergangen  wird.  Pilgerziel  hat  Gre- 
gorovius  Athenais  157 :  Hellas  war  das  gelobte  Land  und  Athen  das  Pilger- 
ziel der  Heiden,    Tai  Pilgrim  wird  mit  Recht  bemerkt,    daß  es  als 
alterthümlich  edel  gilt  und  besonders  in  gehobener  Rede  Verwendung 
findet.  Dazu  wäre  ergänzend  zu  fftgen,  daß  Pilgrim  mit  seinen  Zu- 
sammensetzungen in  der  Sprache  der  Erbauung  und   des   geistlichen 
Liedes  sehr  beliebt  ist.    Einer  Häufung  von  Belegen  bedarf  es  nicht. 
Es  sei  nur  bemerkt,    daß   der   erst  nach    einer  Anführung  bei  Jung- 
Stilling  aus  Fr.  A.  Lampe   gegebene  Beleg  für  Pilgrimstand   den 
Anfang  eines  in  vielen  evangelischen  Gesangbüchern  stehenden  Liedes 
des  im  Jahre  1729  gestorbenen  Lampe  bildet.  Bekannter  noch  als  diese 
Stelle  ist  die  in  Gedanken  und  Wortlaut  mit  der  genannten  fast  ganz 
übereinstimmende  aus  B.  Schmolkes  Liede  Himmelan  geht  unsre 
Bahn:  Hier  ist  unser  Pilgrimstand. 

Droben  unser   Vaterland, 
Wurde    das   Pilgrim sjahr   verzeichnet,    so   konnte    auch    der  Pil- 
grimstag  Erwähnung  finden: 

Ein  Pilger  muß  sich  schicken  y 
Sich  dulden  und  sich  bücken 

Den  kurzen  Pilgrimstag,  G.  Terstegen  a.  a.O.  329. 
Pilgrimsväter  oder  Pilgerväter  ist  die  ehemals  von  evangelischen 
Nordamerikanem  mit  Stolz  gebrauchte  Bezeichnung  ihrer  unter  Jacob  I. 
zuerst  nach  Holland  geflüchteten  und  seit  1620  in  Massachusetts  ge- 
landeten puritanischen  Vorfahren.  Pilgrimszeit  bei  üz  1,  224: 
Von  Misgunst,   Unruh,  Müh  und  Streif, 
Den  Plagen  unsrer  Pilgrimszeit, 
Flieh  ich  dir  freudig  zu  (Ode  an  die  Weisheit). 


BEMEftKTTNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBÜCHE.  497 

Pille  wird  nicht  selten  als  Arznei  neben  dem  klangyerwandten 
Pulver  genannt,  z.  B.  Immermann,  Epigonen  558  Becl.:  Wir  (Ärzte) 
'werden  wm  der  antiken  Bichttmg  wieder  näher  anschließen.  Lange  genug 
haben  wir  mit  Pulvern  und  Pillen  die  Natur  zu  zwingen  gewähnt 
oder  den  lebendigen  Leib  an  das  Kreuz  des  Systeme  geschlagen^  in  Zukunft 
werden  unr  mehr  beobachten.  Neben  Pillendreher  war  auch  Pillen- 
drechsler aufzttftlhren;  das  entsprechende  Pillen  drechseln  bringt 
ja  Lexer  selbst  wie  schon  W.  Grimm  2,  1351  aus  Günther,  ebenso 
hat  es  Liscow  450:  Da  man  ohne  Vemunß  ganze  Völker  regieren,  Länder 
erobern,  Schlachten  gewinnen,  Seelen  bekehren,  Rechtshändel  entscheiden, 
Pillen  drechseln,  Recepte  verschreiben  und  ein  Weltweiser  sein  kann: 
so  möchte  ich  wohl  wissen,  warum  es  nicht  erlaubt  sein  sollte,  ohne  Ver- 
nunft ein  Buch  zu  schreiben f  Pillenheld  als  höhnische  Bezeichnung 
des  ungeschickten  Arztes  in  Neukirchs  Sammlung  6^  242  (1709): 

Du  armer  tod,  so  wirst  du  coujoniert! 

Gelt!  solche  pillen- hei  den 

Die  können  dir  den  Abschied  melden^ 

Der  dich  von  uns  in  ferne  grentzen  fuhrt, 
Pillen  Schachtel    als    ein  im  Apothekerverkehr    sehr   gewöhnliches 
Wort  sollte  nicht  fehlen.  Wer  noch  einen  Beleg  für  dasselbe  begehrt, 
sei  verwiesen  auf  Annette  von  Droste-Hülshoff  1,  229: 
Wie  Abendroth  zog  ins  Gemach 
Ein  frischer  Jugendodem 
Und  übcrhaiickte  nach  und  nach 
Der  Pillenschachteln  Brodem, 
Endlich  möge  noch  der  Pillen  staub  erwähnt  werden,  den  der  Apo- 
theker nöthig  hat,    um  die  in  die  Schachtel  gethanen  Pillen  am  Zu- 
sammenkleben zu  hindern. 

Pilot.  Daß  das  Wort  im  17.  Jhdt.  aufgenommen  sei,  ist  wohl 
auf  die  Gewähr  Weigands  behauptet.  Am  Schlüsse  des  16.  Jhdts.  finden 
wir  es  bei  Ägidius  Albertinus  Übers,  von  Guevaras  Güld.  Sendschr. 
1,  62'  (1598):  Die  jenige  haben  Gott  höchlich  zu  dancken  die  er  nicht 
gibt  unter  die  Händt  eines  hoffertigen  Hauptmanns,  eines  frechen  Piloten, 
einis  ungeschickten  Rechtßgelehrten,  eines  ein  fettigen  Medici  vnd  eines  vn* 
erfarenen  Richtei^s;  vorher  steht  es  bei  Mathesius  Sarepta  (1562): 
darnach  sich  die  Piloten  im  urilden  Meete  zu  richten  haben.  Für  Pilot 
in  der  Bedeutung  Leit fisch  steht  gelegentlich  auch  Pilotenfisch 
(naucrates  ductor)  bei  J.  J.  Engel,  Fürsten spiegel"  242  (1802):  die 
Matrosen,  die  bei  Benennung  dieser  dirigirenden  Fische  im  Kreise  ihrer 
gewohnten   Begriffe    blieben,    haben    sie   Pilotenfische   genannt;    man 


498  A.  GOBIBERT 

könnte  sie  sonst,  mit  gutem  Fug  und  Rechte  auch  Ministerfische  nennen. 
Pilotieren,  freilich  ein  sehr  entbehrliches  Wort,  findet  sich  bei 
H.  P.  Sturz*  2,  301:  Da  fuhr  ich  herum  auf  dem  Sündenmeer y  ohne 
Ruder  und  Kompaß ,  und  wäre  sicherlich  untergegangen  im  Strudel  der 
Verzweiflung,  hätte  mich  der  ehrtoürdige  Herr  nicht  in  den  Hafen  der 
Gnade  pilotirt  Fi  loten  seh  aft  steht  bei  J.  O«  Müller,  Herr  Thomas 
2f  380  in  einer  vom  Verfasser  selbst  als  7eraltete  Phrase  bezeichneten 
Wendung:  Unter  der  Pilotenschaft  ihrer  Compassion, 

Pilz.  Entsprechend  der  ungewöhnlichen  von  Lexer  angeführten 
Nebenform  die  Pilze  hat  Herder  auch  den  (von  Lexer  aus  Zachariä 
beigebrachten)  Plural  die  Pilzen,  z.  B.  7,  304  Suph.  (Fünfzehn 
Provinzialblätter) :  alle  Pilzen  auf  einem  Miste.  Pilz  nennt  man  auch 
eine  luftige  Baulichkeit  im  Freien,  die  hauptsächlich  aus  einem  starken 
Mittelpfosten  und  einem  von  dessen  oberem  Ende  nach  allen  Seiten 
schräg  oder  rundlich  wie  ein  Zeltdach  oder  ein  Pilz  sich  herab- 
senkenden, doch  noch  etwa  auf  Mannshöhe  vom  Boden  fernbleiben- 
den Dache  besteht.  Kleinere  Pilze  der  Art  errichtet  man  auf  vor- 
springender Waldhöhe,  um  den  Genuß  einer  schönen  Aussicht  zu  ver- 
mehren; größere  Pilze  bekommen  einen  gedielten  Boden^  auch  wohl 
Bänke  rundum,  und  das  Ganze  dient  als  Tanzplatz  bei  Waldfesten. 
Einen  Pilz  der  ersten  Gattung  hat  Jahn  2,  973  (Brief  aus  dem  Jahre 
1 840)  im  Auge :  Ihr  Franzosen  seid  schnell  fertig  geworden  [mit  dem 
Staatsgebäude  oder  der  Verfassung],  habt  auf  hohen  Siehdichum  einen 
schlanken  Pilz  gedellt  mit  wohlklingendem  Schellengeläute ,  wo  die  Luft 
nach  der  Windrose  durchstreicht  Von  sprichwörtlichen  Wendungen  mit 
Pilz  führt  Lexer  nur  aufschießen  wie  ein  Pilz  an  und  verweist 
für  andere  auf  Wanders  Sprichwörterlexikon.  Das  wird  nicht  nach 
Jedermanns  Meinung  sein,  da  die  üblichen  Wendungen  doch  auch 
in  das  allgemeine  Wörterbuch  gehören;  man  will  wohl  eine  Begrün- 
dung einer  sprachlichen  Erscheinung  gern  anderswo  suchen,  nicht  aber 
den  Sprachstoff  selbst.  Die  Wendung  in  die  Pilze  gehen  (belegt 
DWb.  2,  514  unter  Bülz)  bedeutet,  wie  schon  Campe  angibt,  nicht 
bloß  verloren  gehen,  sondern  auch  zu  einem  Liebesabenteuer 
oder  Stelldichein  gehen.  Diese  zweite  Bedeutung  finde  ich,  und 
zwar  in  der  Fassung  nach  Pilzen  gehen,  zuerst  bei  Londorp  2^ 
77 P  (aus  dem  Jahre  1619):  Eben  dieser  Priester  ist  auch  bald  darauf 
mit  der  fümemsten  Klosterjungfrawen  in  den  Wald  nach  Piltzen  ge- 
gangen^ und  ebenda  772^:  es  were  ja  leider  darzu  kommen^  daß  eoviel 
Nonnenldöster  so  viel  Hurenhäuser  weren,  da  gehet  dann  der  Pf  äff  mit 
der  Äbtissin j  wie  oben  erwehnty  in  Wald  nach  Piltzen.   In  Kinds  Ge- 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTBRBUCHE.       499 

dicht:  Der  Gang  in  die  Pilze  wird  mit  der  Wendung  gespielt,  indem 
die  ränkevolle  Qeliebte  den  arglosen  Liebhaber  zuerst  zu  einem  Stell- 
dichein verlockt  mit   den  Worten: 

Doch  werd  ich  abends  7iaeh  Pilzen  auegehen 

Zur  güldenen  Aue^ 
dann   ihn   aber   schimpflich   behandelt  und  der  Verhöhnung  aussetzt, 
so  daß  er  nach  dem  Erlebten  dergleichen  Gänge  zu  meiden  beschließt : 
Drum  einmal  in  die  Pilze  gegangen 
Und  —  hol  mich!  nicht  wieder. 
Auch   der   Pilz    als   Mauerschwamm    verdiente   Erwähnung;    vgl. 
Annette  v.  Droste  Htilshoff  2,  246: 

in  diese  öden  pilzbewachsnen  Mauern. 
Von  Zusammensetzungen  bringt  Lexer  nur  Pilzengericht  und 
Pilzgeschlecht,  die  wenigstens  nicht  die  zwei  üblichsten  sind; 
häufiger  ist  sicherlich  Pilzsammler  (auch  ein  die  Pilze  behandelndes 
Buch  nennt  sich  der  kleine  Pilzsammler),  noch  häufiger  das  Adj. 
pilz artig,  theils  im  allgemeinen  Sinne,  theils  mit  Beziehung  auf  das 
schnelle  Wachsen  der  Pilze.  Vgl.  Humboldt  Ansichten  der  Natur  274 
(Ausg.  V.  1871:  Sie  [eine  Pflanze  auf  Sumatra]  riecht  p  Hz  artig  thierisch 
nach  Rindfleisch'^  Strack,  Süd  und  Ost  263  (1885):  die  Stadt  H&rmw 
polis  hat  sich  p  Hz  artig  geschwind  und  doch  mit  sichtbarem*  Solidität  ent- 
wickelt. 

Pimpeln  ist  schon,  wie  L.  mit  Recht  bemerkt,  ein  Frequen- 
tativum,  doch  wird  dieser  Begriff  gelegentlich  noch  durch  Wieder- 
holung verstärkt;  vgl.  Edelmann,  Lebensbeschr.  96:  darüber  erhob  sich 
dann  ein  continuierliches  Pimpeln  und  Pimpeln  der  Madame  bey  dem 
Herrn  Lerchen^  daß  er  mich  doch  zu  einem  eingezogenen  Leben  ermahnen 
möchte.  Das  nicht  verzeichnete  Pimplich(g)keit  ist  wenigstens  in 
Norddeutschland  ungleich  üblicher  als  das  aus  Heine  beigebrachte 
Pimperlichkeit.  Ein  Beispiel  für  jenes  in  E.  M.  Arndts  Erinnerungen 
bei  Schwab  und  Klüpfel,  Deutsche  Prosa'  2,  87:  Der  Vater,  noch  jung 
und  kräftig,  fühlte  mit  unserer  Pimperlichkeit  kein  weichliches  Mitleid. 
Für  Pimpelhans  sagt  man,  um  das  Weibische  des  Pimpeins  noch 
mehr  hervorzuheben,  auch  Pimpelhanne  und  Pimpelhenne,  zur 
Bezeichnung  des  pimpelnden  Mädchens  Pimpelliese.  Gedruckte 
Belege  dafür  vermag  ich  nicht  zu  geben,  nur  daß  ich  ich  die  Pimpel- 
liese auch  bei  Frischbier  angeführt  finde. 

Pink  pink!  ist  natürlich  auch  die  Bezeichnung  für  den  Ton 
des  Feueranschlagens :  Pink,  pink!  der  Zunder  glimmt,  die  Glut  wird 
aufgeblasen  Stoppe,  Parnaß  i.  Sättl.  269.  Pink  und  pank  ahmt  den 


500  A.  OOMBEBT 

Schlag  der  Schmiedehämmer  nach;   vgl.  Annette  v.  Droste-Htdahoff 
1,  231  (Die  Schmiede): 

Und  draußen  geht  es  Pink  und  Pank, 

Man  hört  die  Flammen  pfeifen, 

Es  keucht  der  Balg  aus  hohler  Flank' 

Und  bildet  Asehenstreifen, 

Pinkel  fär  Harn  scheint  in  Oberschlesien  wenig  üblich  zu  sein; 
sonst  könnte  nicht  in  Groß-Strelitzer  Judenfamilien  die  kosende  and 
keineswegs  spöttische  Bezeichnung  für  Pinkus,  Pinkel  lauten  (vgl. 
Vattel,  Muttel,  Hetel  [Hedwig],  Eetel  [Käthe]).  Femer  redet 
man  ebenda  von  gepinkeltem  Kleiderstoff,  indem  man  gepünk- 
telten  meint.  Über  die  von  Frau  H.  Davidis  in  ihrem  Kochbuch^' 
561  beschriebene^  von  Lexer  nicht  erwähnte  Pinkelwurst  vergl. 
Sanders  Wb.  2,  5öl\  Die  hier  genannten  Ausdrücke  würden  im 
Brandenburgischen  anstößig  oder  unmöglich  sein,  da  dort  Pinkel 
und  pinkeln  ausschließlich  Harn  und  harnen  bedeuten.  Daß  der 
Harn  in  der  alten  Heilkunde  und  Zauberweisheit  vielfache  Verwen- 
dung fand,  lehren  zahlreiche  Arzneibücher.  Einen  besonderen  hier  zu 
erwähnenden  Aberglauben  verhöhnt  Chr.  Weise,  Überfl.  Gedanken, 
9.  Dutzend  Nr.  7,  Str.  4: 

Die  Leut^  mögen  nun 

Durch  unsern  Trauring  Pinckeln, 

So  wollen  wir  doch  ruhn^ 

Und  alle  die  Quacksalherey 

'Soll  uns  bei  unsrer  Löffeley 

Doch  keinen  Schaden  thun. 

Bei  Pinscher  wäre  eine  Hindeutung  darauf  erwünscht ,  daü 
das  Wort  im  übertragenen  Sinne  etwas  verhältnißmäßig  Kleines  oder 
Oeringartiges  ausdrückt.  Vgl.  Tenorpinscher  bei  Sanders  im  Er- 
gänzungswörterbuch. Der  berittene  Soldat  nennt  in  mitleidigem  Selbst- 
gefühl die  auf  strengen  Märschen  ermüdeten  Fußsoldaten  arme  Pin- 
scher, da  sie  zu  aller  Bewegung  auf  die  eigenen  Beine  angewiesen 
sind.  Beim  Kartenspiel  heißen  die  geringen  Karten  gegenüber  den 
hohen  oder  Trümpfen  die  kleinen  Pinscher.  Pinschern,  das 
Lexer  übergeht,  führt  Frischbier  in  der  Bedeutung  jagen  an.  Ich 
habe  das  Wort  häufig  gehört,  doch  ohne  Beziehung  auf  die  Jagd, 
lediglich  als  herabsetzendes  Kraftwort  für  herumlaufen  oder  auch 
als  Fußsoldat  marschieren:  Ich  bin  durch  halb  Frankreich  gepin- 
schert   und    habe   nicht   viel  Schönes   gesehen;    er  muß   einmal  überaü 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  501 

her umpins ehern  u.  dgl.    Heine  braucht  bekanntlich  in  den  Hebräi- 
schen Melodien  vom  AlltagBJuden  das  entsprechende  allgemeine  kötern: 
Hund  mit  hündischen  Gedanken 
Kot  er  t  er  die  ganze  Woche 
Durch  des  Lehens  Koth  und  Kehricht. 
Pinsel.  Ein  eilfertiges  und  achtloses  Malen,  besonders  aber  die 
aufflällige  Buntheit  eines  Gemäldes  bezeichnet  man  mit  der  Wendung : 
Hier  hat  der  Maler  {alle)  seine  Pinsel  ausgewischt;  vgl.  auch  Castellis 
Gedicht  Der  Stieglitz: 

So  hat  der  liebe  Gott 
Mit  Färb  den  Stieglitz  aufgefrischt, 
An  ihm  die  Pinsel  ausgewischt. 
Pinsel  in  der    unter  4  gegebenen  Bedeutung    wird    gelegentlich   von 
Förstern  und  mehr  noch  in  der  Kraftsprache  städtischer  Jäger  auch 
auf   den   Menschen    angewendet.    Pinselei    im    übertragenen   Sinne 
wird  aus  Bflrger;  Enigge,  Elopstock  belegt;   ein  etwas  früheres  Bei- 
spiel  bietet   Ch.   D.   v.  Böhlau,    Poet.   Jugendfrüchte  390    (in    einem 
Gedichte  des  Jahres  1730): 

So  sitzest  du  zu  Haus  und  schmierest  ein  Gedicht 
Und  willst  des  Abends  dich  nicht  vor  der  [so!]  Thüre  trauen. 
Um  dich  zur  blosen  Last  einmal  herum  zu  hauen. 
Ist  dies  nicht  Pinseleyf 
Auf  Zusammensetzungen  mit  Pinsel  ist  Lexer  nicht  gerade  ängstlich 
bedacht    gewesen.    So  hat  er   das    heute  so  häufig    gebrauchte  Wort 
Pinselführung  nicht  aufgenommen^    obwohl  er  es  auf  Sp.  1862  in 
der  dort  gegebenen  Erklärung  selber  gebraucht.  Neben   Pinselstiel 
und  Pinselstock   hätte   sonst    auch    der  Pinselstecken    genannt 
werden  können ;  s.  Forster,  Ansichten  vom  Niederrh.  3,  83  (Anhang) : 
er  malte  in  einem  halbdunkeln  Zimmer  mit  sehr  langen  Pinselstecken, 
weit   von   der  Staffelei^    und   daher   wirkten   seine  Gemälde   erst  in  ein&i* 
gewissen  Entfernung.    Ebenda  3,  67  auch  Pinselspitze:   der  2jauber^ 
der  in  Correggios  Pinselspitze  entzückt. 

Pionier  sollte  nicht  fehlen,  zumal  da  das  Wort  über  seinen 
engeren  Begriff  hinausgewachsen  und  zur  Bezeichnung  eines  Bahn- 
brechers oder  Pfadweisers  überhaupt  geworden  ist.  Das  auch 
von  Weigand  übergangene  Wort  findet  sich  schon  bei  Nehring  (1694) 
und  darnach  bei  Sperander  (1728)  mit  der  Erklärung  Schantz- 
graber.  Spielhagen  nennt  bekanntlich  eine  seiner  früheren  Erzäh- 
lungen Pioniere  des  Westens;  Pioniere  der  Bildung,  des 
Deutschthumsu.  dgl.  sind  uns  heute  geläufige  Ausdrücke;  vgl.  auch 


502  A.  OOMBERT 

Ziegler,  Novellen  1,  90:  Wo  ich  immer  gekonnt,  habe  ich  mich  auf 
Beißen  an  diese  Pioniere  der  CuUur  [die  HandlangareiBenden]  an- 
geschlossen. 

Pipi   wird  übergangen,    sowohl  als  Lockruf  für  Vögel  (Goethe 
1,  169  Hempel)    wie    als    die   der   norddeutschen  Einderstabe   ange- 
hörende, jedoch  in  Schlesien    weniger   übliche  und  in  Oberschlesien 
zum  Theil  nicht  einmal  bekannte  Bezeichnung  für  Harn.  Diese  letztere 
Bedeutung  hat  das  Wort    (häufig  in  der  Verbindung  Pipi  machen) 
im  Norden  Deutschlands  so  überwiegend  und  fast  ausschließlich,  daß 
hier  der  in  Goethes  Gedichten  1,  14  erwähnte  Prinz  Pipi  über  die 
Absicht  des  Dichters   hinaus  komisch  wirkt.    Da  man  nun  in  Nord- 
deutschland die  ganz   kleinen  Kinder  abrichtet«  für  den  Fall  des  an- 
gedeuteten Bedürfnisses  zu  rufen:  Pipi,  Pipi!  so  ist  es  auch  für  ein 
ernsthaftes   und   der  Jagd   auf  Zweideutigkeiten    abholdes  branden- 
burgisches  oder   pommersches  Gemüth    befremdlich  und  störend,    in 
der  zuerst  genannten  Stelle  Goethes  zu  lesen: 
Aber  der  Blick  auch,  der  Ton, 
Wenn  sie  ruft:  Pipi!  Pipi! 
Zöge  den  Adler  Jupiters  vom  Thron. 
Man  durfte    die  Aufnahme   des  Wortes  Pipi    um   so  eher   erwarten, 
als  Jac.  Grimm  das  entsprechende  Aa  der  Eindersprache  nicht  bloß 
verzeichnet,  sondern  ziemlich  ausführlich  erörtert  hat. 

Pips  (die  bekannte  Hühnerkrankheit)  findet  sich  auch  in  der 
Nebenform  Pnips  bei  Valentin  Apelles  (Apel)  in  der  deutschen  aus 
dem  Jahre  1580  herrührenden  Bearbeitung  eines  Terenzischen  Stückes, 
herausg.  v.  Fr.  Straumer  in  der  Beigabe  zum  Progr.  des  Gymn.  zu 
Chemnitz  vom  J.  1888,  S.  30\- 

darzu  weyß  sie  ein  sundere  weyse 
den  sichen  henen  den  pnips  zu  reyssen. 
Die  hier  gebrauchte  Wendung  (seit  Adelung  in  den  Wbb.)  hätte  ver- 
zeichnet werden  sollen,  zumal  da  sie  in  weiten  Strichen  Norddeutsch- 
lands auch  übertragen  gebraucht  wird  und  so  viel  bedeutet  wie 
Jemandem  in  empfindlicher  Weise  seine  Fehler  oder  Un- 
arten abgewöhnen. 

Pirat  wird  aus  der  Zimmerschen  Chronik  belegt;  vgl.  auch 
Nidas  V.  Wyle  307  (1470) :  der  andern  schiffung  vnd  parthie  houptman, 
nämlich  der  pirraten\  ebd.:  von  den  hir raten  zu  allen  orten  beikriegt 
und  angegriffen.  Damit  will  ich  für  Lexer  nichts  Neues  sagen,  der  ja 
in  den  Nachträgen  zu  seinem  mhd.  Handwörterbuch  selber  aus  Hein- 
rich von  Neustadts  ApoUonius  (um  1300)  den  (allerdings  erst  aus  dem 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBÜCHE.       608 

handschriftlichen  beratten  von  Strobl  hergestellten)  Plur.  pird,ten 
bringt.  Von  den  leicht  zusammenzubringenden  Zusammensetzungen 
sei  hier  nur  die  Piratenflagge  erwähnt  und  aus  Ziegler  3,  94  (Brief 
aus  Florenz  vom  J.  1861)  durch  ein  auch  heute  noch  der  Erinnerung 
werthes  Beispiel  belegt:  die Impertinem  Englands,  die  sie  [die  dreifarbige 
Flagge  Deutschlands  1848]  als  Piratenflagge  behandeln  wollte,  steht 
noch  aufrecht  da. 

Pirr  gebraucht  Kopisch  (Des    kleinen  Volkes  Überfahrt) 
als  Naturlaut  vom  Getrippel  vieler  kleinen  Füße: 
Tack,  tück!  ßels  in  den  Knig  hinab ^ 
Wie  jeder  seinen  Heuer  gab. 
Pirr!  trippelts  heran 
Und  stapft  zum  Kahn. 
Übrigens    finde  ich  hier  Kopisch  nicht  gerade  glücklich;    denn  pirr! 
würde  (etwa  in  Stellvertretung  von  burr!)  besser  das  Aufsteigen  eines 
Fluges  Lerchen  oder  eines  Volkes  Bebhühner  andeuten. 

Pissen  wird  nach  Eehrein  als  weidmännische  Bezeichnung  des 
Tones  der  Haselhühner  angegeben;  vgl.  dazu  HarsdöriSer,  Frauenz. 
Gesprechsp.  1,  Schutzschriffc  S.  13:  es  rissen  und  pissen  die  Vögel* 
Pistazie.  Über  die  Einführung  des  Baumes  in  Frankreich  meldet 
Sebiz,  Vom  Feldbau  273  (1580):  Der  Pistacienbäum  ist  inn  vnseren 
Landen  gar  seltzam  gewesen,  eh  das  er  durch  die  zween  Ehrwürdigen 
Herren^  den  Herrn  Cardinal  von  Bellay  [f  1560]  und  Herrn  Renate 
Bischof  von  Mans  [bis  1546]  beyde  gebrüder  .  •  zum  aller  ersten  inn 
vnser  Franchreieh  ist  gebracht,  vnnd  in  disen  Landen  nit  allein  sein 
Name,  welcher  vns  gantz  vnbekant  gewesen;  sondern  auch  die  pflantzung, 
die  gestaU  als  eines  fremden  gewächß^  dessen  wir  vns  hoch  veiivundem, 
vn  so  hoch  vnd  inn  grossen  ehren  halten,  aber  doch  von  seinem  herkommen 
gar  wenig  wissen,  vns  ist  bekant  gemacht  worden. 

Pistolet  als  Goldmünze  findet  sich  vor  Bürster  schon  bald  nach 
1610  bei  Londorp  2,  116':  die  PfäÜzische  Bawrm  allein  seynd  nun  ein 
lange  Zeit  hero  in  Kriegssachen  abgerichtet  worden  vnd  erwarten  ewer 
doppel  Pistolletten  mit  verlangen.  Daß  die  Bezeichnung  nicht  erst 
im  17.  Jahrhundert  in  Deutschland  aufgekommen  ist;  sehen  wir  aus 
Fischart,  Gegenbadstub  (1568,  Kurz  3,  368):  mit  jhren  Pistolet- 
Kronen. 

PitBch(e)naß  kommt  neben  dem  von  Lexer  verzeichneten 
platschnaß  wie  im  Preußischen  (s.  Frischbier)  auch  in  der  Berliner 
Haussprache  vor;  noch  nachdrücklicher  und  malender  ist  das  dort 
ebenfalls  übliche  pitsche-patsche-pladdernaß. 


504  A.  OOMBEBT 

Pitschel  führt  F.  L.  Jahn  1.  448  (Deoknisse  42)  als  ein  Gubener 
Biermaß  an:  In  Ouben  an  der  Neiße  in  der  Niederlausitz  war  sonst 
Pitschel  ein  gewöhnliches  Biermaß.  Das  Wort  ist  mir  unbekannt; 
Jahns  Zusamen Stellung  desselben  mit  dem  englischen  pitcher  (Krug) 
erscheint  als  Verfehlt,  eher  ist  wohl,  schon  wegen  der  Gegend,  an 
das  slav.  pic  =  trinken  zu  denken. 

Pitzeln  (=  schnitzeln)  bes.  in  der  Zusammensetzung  ver- 
pitzeln  (s.  Weinhold,  Beiträge  70^)  ist  nicht  aufgenommen.  Ver- 
pitzelungin  Rättels  Übersetzung  von  Cureus  2,  24  (1585):  in  solcher 
vielf eltigen  zertheilung  und  verpitzelung  der  Fürstenihümher.  Das  bei  Wein- 
hold a.  a.  O.  aufgeführte  Pitzel  (abgeschnitzeltes  Stück)  das 
in  Schlesien  neben  dem  dort  noch  gewöhnlicheren  Brinkel  auch  in 
der  Verkleinerungsform  Pitzerle  vorkommt,  lautet  im  brandenb. 
Niederdeutsch  Pritzel  und  dementsprechend  auch  das  Zeitwort  ver- 
pritzeln. 

Plackerei.  Der  aus  Liliencrons  histor.  Volksliedern  gegebene 
Beleg  gehört  nicht  in  das  Jahr  1572,  wie  in  Folge  eines  Druck-  oder 
Schreibfehlers  angegeben  wird,  sondern  in  das  Jahr  1512. 

Plageteufel  (aus  Hederich  1729)  steht  schon  bei  Londorp 
2,  86^:  haben  auch  newlich  in  ohgedachte  Länder  die  schändlichen  vn- 
ruhigen  Plageteuf  fei  die  Jesuiter  geschickt^  die  den  Weg  bereiten  soUen. 

Plaid   fehlt,    während   es  doch    sicher   heute    weiteren  Kreisen 
geläufig  ist  als  das  aufgenommene  stets   gelehrt  klingende  Plagiat. 
Geibel  gebraucht  Plaid  unbedenklich  auch  in  der  Dichtung,   freilich 
wo  er  uns  nach  Schottland  führt;  so  Gedichte  u.  Gedenkbl.^  59: 
Schön  Ellen  lehnt  auf  des  Feldstücks  Rand 
Vom  bunten  Plaid  umflossen, 
und  ebd.  52:   Und  da  kams  in  Geschuxidem  gezogen 

Mit  gewürfeltem  Plaid  und  mit  Federn  vom  Aar^ 
Und  Englands  Banner  flogen, 

Plagge  wird  von  Lexer  als  männlich  bezeichnet;  ich  kenne  es 
mit  Adelung,  Campe,  Heinsius,  Heyse,  Sanders  nur  als  weiblich,  mei- 
stentheils  aber  steht  das  Wort  in  der  Mehrzahl,  so  daß  das  Geschlecht 
nicht  erkennbar  ist.  Ausführlich  über  den  Plaggen dünger  spricht 
Schwerz,  prakt.  Ackerbau  1,  140  ff.,  der  auch  folgende  nicht  bei  Lexer 
stehenden  Zusammensetzungen  bietet:  Plaggendung,  Plaggen- 
mist, Plaggeneinstreuung,  Plaggen  streu,  Plaggenlager, 
Plaggenschicht. 

Plakat  ist  vor  Stieler  nachzuweisen  aus  Erasmus  Franciscns, 
West-  und  Ostindischer  Lust-  und  Staatsgarten  3,  1631'  (1668):  Hie- 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  505 

benebenst  werden  öffentliche  Placaten  angeschienen]  ebd.  1632*:)  a^J^ 
durch  das  kaiserliche  Placat  dtirte  grosse  Herren.  Plakatenpresse 
gebraucht  Bismarck  am  21.  März  1849  als  Abgeordneter  der  zweiten 
Kammer:  Wenn  das  Feuer  der  Berliner  Straßenpolitik  durch  den  Wind 
der  Plakatenpresse  und  der  Klubs  angefacht  umrde,  so  gab  es  Auf- 
tritte, die  zu  den  schmachvollsten  in  der  preußischen  Geschichte  gehören. 
Plan  als  Kampfplatz  wird  mit  mancherlei ,  auch  wenig  be- 
deutsamen Beispielen  belegt,  doch  vergebens  sucht  man  die  bekannten 
Zeilen  aus  Luthers  Hauptliede: 

Er  ist  bei  uns  wohl  auf  dem  Plan 
Mit  seinem  Geist  und  Gaben, 
Auch  durfte  man  wohl  erwarten,  aus  E.  M.  Arndts  immer  noch  frischem 
Liede  vom  Feldmarschall  die  Verse  zu  finden: 

Bei  Leipzig  auf  dem  Plane,  o  herrliche  Schlacht? 

Da  brach  er  den  Franzosen  das  Glück  und  die  Macht. 
Im  Anschluß  an  Weinhold  wird  besonders  hervorgehoben,  daß  Plan 
im  Schlesischen  auch  eine  Ackerstrecke  bedeute.  Dieser  Sprach- 
gebrauch wird  wohl  in  der  Volkssprache  ziemlich  verbreitet  gewesen 
sein,  wenigstens  ist  er  mir  aus  meiner  ukermärkischen  Heimat  als 
ganz  gewöhnlich  bekannt.  Die  Bezeichnung  Plan  stößt  dort  mit  der 
nach  dem  Westen  Deutschlands  hin  häufigeren  Kamp  zusammen, 
so  daß  nach  Lage  und  Beschaffenheit  der  Ackerbreiten  kein  Unter- 
schied zwischen  dem  Kamp  und  dem  Plan  zu  finden  ist;  indessen 
wird  der  Ackerbesitz  Jemandes  durchweg  als  Plan  mit  dem  voran- 
gesetzten Namen  des  Eigen thümers  bezeichnet,  also  etwa  Eberts 
Plan,  wogegen  das  dem  Dorfschulzen  für  seine  Mühewaltung  überlassene 
Ackerstück  dort  nd.  stets  Schultenkamp  heißt,  nie  Schulten- 
plan.  Schwerz,  Prkt.  Ackerbau  1,  344,  346,  347,  348  bezeichnet  die 
zur  Überrieselung  bestimmten  Wiesenflächen  als  Rasenstücke  oder 
Plane,  Auffallend  ist  das  Fehlen  von  Plankammer,  das  man 
freilich,  zu  geschweigen  der  früheren  Wörterbücher,  auch  bei  Campe, 
Heinsius,  Heyse,  Sanders  nicht  findet.  Nach  Müllers  Verdeutsch- 
wörterbuch der  Kriegssprache  279  (1814)  ist  das  Wort  zuerst  in 
Sachsen  aufgekommen:  Topographisches  Bureau  ist  Plankammer, 
eine  in  Dresden  gebräuchliche  Benennung  dieses  Bureaus.  In  Berlin 
gehört  die  Plankammer  zum  Nebenetat  des  Großen  Generalstabes. 
Die  in  dieser  Abtheilung  mit  der  Landesaufnahme  und  anderen  Ver- 
messungsarbeiten beschäftigten  Officiere  geben  einen  Theil  ihrer  Karten 
für  den  Verkauf  heraus,  so  daß  es  wenigstens  früher  einen  Verlag 
der  Plankammer    gab.    Planwagen    wird   durch  Albrechts  Buch 


506  A.  GOMBERT 

über  die  Leipziger  Mundart  gestützt.  Das  Wort  ist  doch  in  ganz 
Norddeutschland  üblich,  wenn  es  auch  gelegentlich  noch  durch  Be- 
Schreibung  verdeutlicht  wird,  wie  Spielhagen,  Angela  216:  Der  Wagen, 
der  ein  mit  einer  Plane  bedeckter  und  zwei  tüchtigen  Gäulen  bespannter 
Karren  ii?ar;  dann  ebd.  264  heißt  es  einfach:  der  Planwagen  war 
davongefahren.  Fontane,  Wanderungen  4,  166  traut  die  Kenntniß  des 
Wortes  jedem  seiner  Leser  zu*.  Krippen  lehnen  sieh  an  die  Wand,  ein 
Planwagen  steht  zur  Seite^  darauf  ein  Spitz  die  Wache  hält. 

Pläne  für  Ebene  oder  Fläche  hätte  durch  die  Bemerkung 
gekennzeichnet  werden  sollen,  daß  es  zu  denjenigen  Fremdwörtern 
gehöre,  welche,  in  der  edleren  Sprache  absterbend,  jetzt  nur  noch  oder 
wenigstens  vorzugsweise  in  den  niederen  Kreisen  der  Bevölkerung 
üblich  sind  (vgl.  retour,  Parasol,  Bouteille  u.  a.)* 

Der  PI  an  et  ist  genau  entsprechend  seiner  Grundbedeutung,  auch 
ein  Sinnbild  der  Unbeständigkeit,  vgl.  v.  L.  in  Neukirchs  Sammlung 
2,  111  (Leipzig  1697): 

Wundre  dich  nichts  daß  die  liebe  meistens  unbeständig  ist; 
Venus  die  hat  eine  stelle  beyn  planeten  ihr  erkiest. 
Zu  den  Beispielen,   welche   den  ehemals  mächtigen  Wahn  der  Stern- 
deuterei  veranschaulichen,    wäre  des  Gegensatzes  halber  der  Spruch 
aus  Neukirchs  Sammlung  6,  31ö  (1709)  zu  setzen: 
Christen  führet  kein  planete, 

Gott  allein  ist  ihr  prophete    [Überschrift:    Christen    kann    man 

keine  Nativität  stellen]. 
Die  Verse  sind  wohl  nur  eine  Abänderung  aus  Logau,  Zugabe  zum 
zweiten  Tausend,  Nr.  195: 

Christen  dörffen  nicht  Plane  ten, 
Ihre   Wercke  sind  Propheten, 
Jetzt  zu  Segen^  jetzt  zu  Nöthen. 
Statt  Thümmels    wortreicher  Umschreibung    für   Erde    {der  frostige 
Planet,    den  wir  bewohnen)    wird    später  in  geschmückter  Bede  das 
kürzere    unser  Planet   gebraucht,    so  bei  Wieland  37,  136  Eutha- 
nasia,  zweites  Gespräch);   femer  bei  Humboldt,  Ans.  d.  Natur  1,  7, 
42,  132,   185,   186  u.  ö.).    Planetarisch    wird   nur   ans  Humboldts 
Kosmos  und  aus  Börne  belegt,  kommt  jedoch  schon  früh  im  17.  Jhdt. 
vor,    z.  B.  1622   bei   Jac.  Böhme,    Sign,   rerum  38  (Ausg.  v.  1682): 
darumb  ist  die  Sonne  das  Centrum  in  dem  planetarischen    Bade  [in 
dem  Kreise,  den  die  Planeten  in  ihrer  Bahn  um  die  Sonne  beschreibenj 
und  in  aUen   wachsenden  und   lebendigen  Dingen,    Aus  Humboldt  wäre 
besonders    die  Verbindung    planetarisches   Licht    zu    bemerkeo; 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE.  507 

vgl.  außer  der  von  Eehrein  angeführten  Stelle  Kosmos  1,  8  auch  Ans. 
d.  Nat.  13 :  selbst  die  scheitelrechten  Gestirne  des  Adlers  und  des  Schlangen- 
trägers  leuchten  mit  zitterndem,  minder  planetarischem,  Lichte \  ebd. 
175:  wenn  aus  der  dußigen  Himmelsbläue  das  hohe  Sternbild  des  Schiffes 
und  das  gesenkt  untergehende  Kreuz  ihr  mildes  planetarisches  Licht 
ausgössen;  ebd.  3,  420:  die  Planeten  haben  im  ganzen  eine  schuxiche 
ScintiUation  y  weil  sie  von  reflectiertem,  Sonnenlichte  leuchten  und  ihr 
planetarisches  Licht  aus  Scheiben  emaniert.  Das  erst  aus  Äler  (1728) 
belegte  planetisch  bietet  Jac.  Böhme,  Signat.  rerum  30:  une  das 
planetische  Rad  sein  Instehen  hat,  also  ist  auch  die  Oeburth  jedes 
Bings;  desgl.  steht  das  Wort  Aurora  im  Aufgang  7,  44  (in  der  Ausg. 
V.  1780)  und  sonst  bei  Böhme. 

Planieren.  Daß  das  Wort  vor  Stieler  vorkommen  muß,  weiß 
Lexer  selber,  da  er  das  Hauptwort  Planierer  aus  den  Jahren  1429 
und  1445  belegt.  Für  das  Zeitwort  wäre  anstatt  auf  Stieler  schon 
auf  Sim.  Roth  (1572)  M  7'  zu  verweisen:  Planirn  Eben  vnd  hal 
machen.  Item  die  Bücher  waschen^  schlagen  und  einpressen^  das  sie  ge- 
leytiget  werden,  das  nennen  die  Buchbinder  Planirn.  Laur.  Müller 
Übers,  von  Cureus  C  iij*  (1585):  wie  die  Buchbinder  ihr  Papier  pla- 
niren.  Duez,  Nomenciator  163  (1662):  laver  planieren. 

Plänkeln  ist  allerdings  weitaus  üblicher  als  plänkern,  das 
nur  durch  eine  Stelle  aus  Musäus  belegt  wird;  doch  findet  sich  letzteres 
auch  sonst,  namentlich  bei  Schriftstellern  norddeutscher  Sprachfär- 
bung; vgl.  Jahn,  2,  371:  die  Franzosen  kamen  bis  zu  dem  Engpaß  von 
Rothenstein,  wo  sie  mit  den  Preußen  plänkerten;  K.  W.  Krüger  in 
seinem  Wörterbuch  zu  Xenophons  Anabasis  übersetzt  dxQoßoUis^d'aL 
durch  plänkern,  desgleichen  dxQoß6h0Ls  Plänkergefecht.  Rost 
im  deutsch- griech.  Wörterbuch  hat  plänkeln  oder  plänk er n,  Plän- 
keln oder  Plänkerei.  Plänklergefecht  ,im  eigentlichen  und  im 
übertragenden  Sinne  ist  wohl  häufig  genug,  um  Aufnahme  im  Wb. 
zu  verdienen;  vgl.  Hettner,  D.  Litt.^  3,  1,  371:  die  ersten  Plänkler- 
gef echte  gegen  Gottscheds  unbedingte  Oberherrschaft  gingen  von  derselben 
Frau  Neuberin  aus^  welche  u.  s.  w. 

Planke t  (nicht  aufgenommen)  wird  bei  Schotte!  285  ohne  nähere 
Erklärung  verzeichnet,  doch  wohl  im  Sinne  von  Blankett  (planchette). 
Duez,  Nomenciator  61  (1663)  hat:  die  planschett^  das  ßschbein. 

Plapperdipapp  ist  der  Ton  der  Windmühle  (Plappermühle) 
bei  Kopisch,  Ges.  Wke.  2,  245: 

Am  Arendsee  eine  Windmühle  stund, 
Die  ging  da  plapperdipapp. 


508  A.  GOMBERT 

Plapperdeutsch  gebraucht  Jahn  2,  604  fg.:  Rechnet  man  zur  Voll- 
kommenheit einer  Sprache,  wenn  sie  viel  Fremdes  hat  und  immerfort 
welschen  kann,  so  muß  die  Rede  des  schabigen  Betteljuden  über  Luther 
und  Klopstock,  über  Schiller  und  Goethe  stehen,  und  wir  müssen  alle  noch 
in  die  polnische  Judenschule,  um  Pia  pp  er  deutsch  zu  lernen.  Derselbe 
1,  237  hat  auch  Plappermäuligkeit:  Fremde  Sprachen  sind  für 
den,  der  sie  nur  aus  Liebhaberei  und  Plappermäuligkeit  treibt,  ein 
heimliches  Oift  (Volktshum).  Plapperwerk  steht  in  der  Cabinets- 
ordre  an  Wöllner  vom  7.  Januar  1798:  ich  weiß,  daß  sie  [die  Religion] 
Sa4ihe  des  Herzens,  des  Gefühls  und  der  eigenen  Überzeugung  sein  und 
bleiben  muß  und  nicht  durch  einen  methodischen  Zwang  zu  einem  gedanken- 
losen Plapperwerk  herabgewürdigt  werden  darf  wenn  sie  Tugend  und 
Rechtschaffenheit  unter  den  Menschen  befördern  soll. 

Zu  Pläntern  vgl.  auch  Plänterschlag  bei  Berlepsch,  Alpen 
*76:  Durch  diesen  impi^omsiei^ten  Natur- PI  unterschlag  weiter  vorzu- 
dringen ist  unmöglich.  B.  meint  eine  durch  Lawinensturz  gelichtete 
Waldstraße  im  Hochgebirge. 

Pläsir    wird  erst  aus  Goethes  Mitschuldigen^    pläsierlich 
nur  aus  Albrecht,  Leipziger  Mundart  belegt,  doch  steht  das  Hauptwort 
bei  G.  Arnold,  Kirchen-  und  Ketzerhistorien  1,  236^  der  Ausg.  v.  1740: 
alle  weltlichen  plaisiren\  femer  niederdeutsch  schon  1593  bei  Herzog 
Julius   von  Braunschweig  239:    guden  Plesier  maken.    Auch  Pläsir 
gehört  zu  den  vorhin  bei  Pläne  bezeichneten  ehemals  edleren,  jetzt 
heruntergekommenen  Fremdwörtern.  Gh.  Terstegen  gebraucht  es  noch 
in  ernster^  frommer  Dichtung,  Geistl.  Blumengärtl.''  326: 
Die  Welt  mag  traurig  leben, 
Wir,  die  uns  ganz  ergeben 
Dem   Vater  zum  Pläsir^ 
Wie  selig  leben  wir! 
und  ebd.  380:    Solch  kränkeln  ist  mir  schlecht  Pläsir.    Pläsier  lieh 
finden    wir   Döbel,    Jägerpractica  4,  103"*    (1754):    Mit   den   Klitzsch- 
Angeln  zu  angeln  ist  auch  plai sirlich j  und  früher  bei  Erasmus  Fran- 
ciscus  1,  427^    496',    506^   (1668).    Den  Gegensatz    des    älteren]  und 
neueren  Sprachgebrauches  in  dem  Worte  Pläsir  bringt  Immermann 
gut  zur  Anschauung,  wenn  er  im  Mtinchhausen  4,  117  fg.   (Berl.  Ausg. 
v.  1858)  dem  alten  Hofschulzen,  wo  dieser  ernst  und  nachdrucksvoll 
redet,  dieses  Wort  in  den  Mund  legt,  während  es  doch  für  den  Leser 
schon  etwas  fremdartig  klingt:   Wie  ein  ordentlichei*  Mensch  dem  lieben 
Gott   nicht  um  jede  Bagatelle  Molesten   macht,  . . .  also  soll    der  König 
nicht    angeschrieen   werden  um  jeden  Groschen,    der  mangelt,    sondern  in 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBÜCHE.  509 

der  reckten  echten  Not  allein,  und  zu  allen  übrigen  Tagen  soll  man  nur 
sein  Herze  erfreuen  und  erquicken  an  dem  Könige;  denn  er  ist  das  Ab- 
bild Gottes  auf  Erden.  Zum  Pläsir  ist  uns  hauptsächlich  der  König 
gesetzet  und  nicht  zum  Hans  in  aUen  Ecken.  In  dem  uns  heute  geläufigen 
Sinne  steht  das  Wort  in  K.  A.  Mayers  Gedicht  Spatz  und  Spätzin, 
mitgetheilt  bei  Bernd,  Deutsche  Lyrik*  350  (1886): 

Spricht  der  Spatz:  ich  will  dich  hier 

Mit  zwei  Worten  kurz  berichten : 

Für  den  Spatz  ist  das  Pläsir^ 

Für  die  Spätzin  sind  die  Pflichten. 
Plesirligkeit  und  plesirlich  bei  Nehring  a.  a.  O.  676  (1694). 
Wenn  Pläsirvergntlgen  mit  Berufung  auf  Eehrein  als  nassauisch 
und  das  sprichwörtliche  Jedes  Thierchen  hat  sein  Pläsierchen  unter 
Hinweis  auf  Albrecht  als  sächsisch  angegeben  werden ;  so  kann  ich 
das  nicht  widerlegen,  muß  jedoch  bemerken,  daß  ich  beide  Wen- 
dungen seit  meiner  Knabenzeit  in  der  Ukermark  und  zwar  von  Leuten 
gehört  habe,  die  keinerlei  sprachliche  Einwirkung  aus  Nassau  oder 
Obersachsen  erfahren  hatten.  Pläsieren  hat  die  Nebenform  plesi- 
nieren  nicht  bloß  im  späten  mhd.,  sondern  auch  noch  1565  bei 
Mathesius,  Psalm  130,  Bl.  xiiij':  das  die  andern  nicht  drüber  in  der 
faulst  lachen  vn  solches  bey  menniglich  ausplesiniren  vnd  verun- 
glimpffen  helffen.  Man  sieht  zugleich,  daß  hier  ausplesiniren  nicht 
in  dem  sonst  üblichen  lobenden  Sinne  des  Wortes,  sondern  im  herab- 
setzenden gebraucht  wird. 

Platonisch.  Im  scharfen  Gegensatze  dazu^  daß  das  Wort  vor- 
zugsweise den  Begriff  des  Unsinnlichen,  rein  Geistigen  enthält,  steht 
H.  Müller,  Übers,  von  Cureus  2,  36  (1585);  [Widertäufer]  begaben  sich 
hernach  in  Mehren^  allda  haben  sie  vnderschleiff  kriegt  vnd  eine  sonder- 
liche Platonische  Policey  voUer  vnsaubrigkeit  vnd  vnreinigkeit  auß- 
gerichtet.  Gemeint  ist  hier  wohl  die  von  Cureus  mit  der  von  Plato 
vorgeschlagenen  Weibergemeinschaft  der  höheren  Stände  zusammen- 
gebrachte praktische,  schon  von  Münster  her  bekannte  Vielweiberei 
der  Widertäufer,  schwerlich  die  Ausartung  der  platonischen  Elnaben- 
liebe.  Platonische  Philosophie  finde  ich  zuerst  bei  Hedio,  Übers,  von 
Bapt.  Piatina  53'  (1546),  doch  wird  die  Verbindung  sicher  früher 
vorkommen.  Platonischer  Wohlklang,  H.P.  Sturz^  1,161  (1768): 
[In  Italien]  ward  ihr  [der  Angelika  Kaufmann]  empfänglicher  Geist, 
unter  Kunstwerken  und  in  der  guten  Gesellschaft^  ganz  zum  platoni- 
schen Wohlklang  gestimmt  Platonisieren  im  allgemeinen  Sinne 
steht  bei  Herder  1,  41  Suph.  (1764):  Die  Machtsäzze  Johannes  erklM; 

GBSMANIA.    N«U6  Beihe.  XXU.  (XXXHT.)  Jalurg.  34 


510  A.  QOMBEBT 

man  aus  der  Bedeutung  der  Platonisirenden  Chri8tm\  mit  Beziehung 
auf  die  platonische  Liebe    bei  Wieland  9,  125  (Aepasia): 
Wenn  ihr  je  hei  Mondenlicht  im   Grünen 
Platonisieren  wollty  platonisiert  allein! 
ebd.    36:    Zu    den  Zeiten    det^    Gnastiker    und    der  Platonisier enden 
ersten  Christen;    ebd.  38:   Welch  ein  Jude  kann  diese  Platonisirende 
Erklärung   ausstehen?    Pia  tonist    steht   ebenfalls   bei   Herder  3,  115 
Suph.    im   allgemeinen  Sinne   von  Platoniker,    d.  h.  Anhänger   der 
Lehre  Plato's:    solche  feine  Meiajphysik   vher   die  Natur  der  Götter  ge- 
hört in  den  Kreis    der    späteren  Platonisten  und  Pythagoräer    und  in 
das    heilige   Murmeln    ihrer   Geheimnisse;    Wieland    wieder    nennt    den 
Kombabus  mit  Beziehung  auf  seine  Entsagung  in  der  Liebe  den  armen 
Platonisten  (10,  274);  vgl.  auch  9,  93  (Musarion  3):  die  Schwärmerei 
der  Platonisten. 

Plätschern  gebraucht  Jean  Paul  Quintus  Fixlein  61  Hempel 
mit  Übertragung  auf  den  Ton:  damit  er  durch  ein  plätscherndes 
Murki  den  Kirchensprengel  tanzend  die  Treppe  niederfiihrte.  Zu  dem 
Belege  aus  Harsdörffer  fttr  das  unumgelautete  platschern  füge  man 
einen  zweiten  aus  demselben  Schriftsteller,  abgedr.  in  den  Mathemat. 
Erquickst.  3,  351  (1653):  der  platschrende  bach.  Platschig  wird 
erst  aus  Weinhold  und  Hegel  beigebracht,  doch  haben  wir  ein  ent- 
sprechendes platschecht  schon  bei  Sebiz  Feldbau  754:  die  Wölffin 
macht  ihren  kath  mitten  in  den  weg,  ist  darzu  weich  und  platschecht. 

Platte.  Eine  besondere  und  wenn  auch  selbst  bei  Sanders  nicht 
verzeichnete,  so  doch  wohl  in  ganz  Deutschland  vorkommende  Ver- 
wendung erfährt  das  Wort  zur  Bezeichnung  der  zur  Aussaat  ge- 
schnittenen Kartoffel;  vgl.  Schwerz,  Prakt.  Ackerbau  2,  447:  Man 
pflanzt  ganze,  kalbe,  viertel,  einäugige  Würfel,  Platten  {Kartoff el-- 
köpfe\  ausgebohrte  Augen,  Schaben. 

Plätte  (Wasserfahrzeug  mit  plattem  Boden)  ist  ein  in  Nord- 
deutschland weniger  bekannter,  in  Österreich  dagegen  um  so  häufigerer 
Ausdruck)  der  auch  schon  früh  seinen  Weg  nach  Schlesien  gefunden 
hat.  Die  Plätte  wird  öfters  gleichbedeutend  mit  Fähre  gebraucht. 
Vgl.  in  der  Schles.  Ztg.  vom  20.  Juni  1887  (Abendbl.)  den  aus  der 
Wiener  Presse  entnommenen  Bericht  über  ein  kurz  vorher  auf  der 
Donau  vorgekommenes  Unglück:  Bei  der  Donau  angelangt,  bestiegen 
etwa  150  Wallfahrer  die  bereitstehende  Plätte^  um  über  die  Donau  zu 
setzen.  Kaum  hatte  die  Fähre  da>s  Ufer  verlassen,  . . .  verlor  das  Fahrzeug 
in  Folge  der  heftigen  Bewegung  {Orkan)  das  Gleichgewicht  und  kippte 
um.    Es   haben   sich    280 — 300  Menschen    auf  der    Plätte    befunden. 


BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTEBBUCHE.  511 

Pötzl,  Rund  um  den  Stephansthurm  136  (Heclams  UniversalbibL  2411 
und  2412)  scheint  unter  der  Plätte  nicht  gerade  die  Fähre  zu  ver- 
stehen :  Andere  Pilger^  welche  den  edlen  Sport  des  Angelna  treiben^  sitzen 
reihenweise  auf  Flößen  und  leeren  Plätten.  Man  vgl.  auch  das  bei 
Sanders  Ergänzungswb.  389''  verzeichnete  absichtlich  unterscheidende 
Wort  Überfuhr -Plätte.  Die  übergangenen  und  auch  sehr  entbehr* 
liehen  Zusammensetzungen  Plattenabsonderung,  Platten art, 
Plattenbildung  und  Plattenbasalt  seien  hier  genannt,  weil 
sie  bei  Goethe  vorkommen;  s.  Goethes  Werke  33,  417,  436,  437. 
Plattenabdruck  steht  ebenfalls  bei  Goethe  23,  63  Hempel  (Dich- 
tung und  Wahrheit,  Buch  18)  und  das  nur  aus  Dannenberg-Frantz 
belegte  plattenförmig  bei  Goethe  33,  448  (1824).  Neben  Platten- 
hengst kommt  auch  Plattenpriester  vor;  vgl.  Luther,  Ref.-hist. 
Sehr.  1,  215:  So  St.  Petrus  Spruch,  da  er  zu  allen  Christen  sagt:  Ihr 
seid  ein  koniklich  Priesterthum,  kann  den  Vorstand  geben,  daß  er  leiblich 
beschäme  und  geschmierte  Priester  bedeute,  daß  also  alle  Christen j  zu 
denen  es  saget  ist  Mann,  Weih,  Kind,  Jung  und  Alt  Platten  und  Ole- 
priest  er  sind:  wan^mb  sollt  niht  auch  jemand  dem  Spruch  St,  Pauli 
ein  solche  Nasen  stellen  kunnten  [so]?  Plattform  steht  früher  als  bei 
Eggers  (1756)  in  Duez,  Nomenciator  237  (1663):  Une  platte  forme 
eine  platform,  una  piatta  formay  plana  forma ;  desgleichen  Plat  former 
bei  Schotelius  532.  Im  Sinne  von  Hochfläche  belegt  es  Lexer  aus  Oken ; 
vgl.  darum  Kant  bei  Engel,  Philos.  f.  d.  Welt  2,  163  (1777):  Du 
Länder  in  diesem  Striche  sind  das,  was  Büache  Platte  form  nennt, 
nehmlich  hohe  und  mehrentheils  waagerecht  gestellte  Ebenen  y  in  denen  die 
daselbst  befindlichen  Gebürge  nirgend  einen  weitgestreckten  Abhang  hohen, 
indem  ihr  Fuß  unter  horizontal-liegendem  Lande  vergraben  ist. 

Plattheit.  Von  den  Belegen  gehen  drei  in  das  18.  Jahrhunder 
zurttck;  der  älteste  ist  der  Wielandische  (Bunkliade  aus  dem  Jahr- 
gange 1778  des  deutschen  Merkur),  sofern  der  angeführte  Satz  nicht 
emt  1798  in  der  Gesamtausgabe  seine  jetzige  Fassung  erhalten  hat. 
Da  nun  Wieland  das  Wort  Plattheit  im  geistigen  Sinne  auch  im 
Jahre  1782  (Hör.  Epist.  1,  S.  69)  hat,  Adelung  aber  (1777)  dasselbe 
noch  nicht  verzeichnet,  so  werden  wir  es  einstweilen  auf  Wieland 
zurtlckführen  müssen.  Unter  Plattkammer  wird  auf  Kammer  im 
fünften  Bande  des  Wb.  verwiesen,  wo  Hildebrand  Sp.  111  darauf 
aufmerksam  macht,  daß  es  in  herrschaftlichen,  fürstlichen  Haushalten 
eine  besondere  Plattkammer  gebe,  wo  Wäsche  geplättet  werde. 
Solche  Plättkammer  (denn  außerhalb  Leipzigs,  bez.  Obersachsens 
spricht  man  das  Wort  mit  dem  Umlaut)  kommt  doch  auch  in  durch- 

34* 


512     A.  OOMBERT,  BEMERKUNGEN  ZUM  DEUTSCHEN  WÖRTERBUCHE. 

auB  unffirBtlichen  Haushaltungen,  z.  B.  in  geräumigen  ländlichen  Pfarr- 
häusern vor,  oft  freilich  muß  auch  der  Flur  zur  Aushilfe  dienen; 
vgl.  Fontane,  Wanderungen  4,  235:  Der  Pfarrfittr  war  in  eine  große 
Plättkammer  umgewandelt  worden,  Plattkopf  im  übertragenen 
Sinne  als  Oegensatz  zu  Spitzkopf  gebraucht  Seume  mit  Vorliebe; 
man  vergleiche  außer  den  drei  von  Lexer  beigebrachten  Stellen  noch 
Werke  2^  1 58 :  j  Demut  und  die  mit  ihr  verwandte  Geduld  sind  Esels- 
tugenden,  die  die  Spitzköpfe  den  Plattköpfen  gar  zu  gern  ein- 
prägen] 2,  212:  Zeitvertreibe  sind  die  Erfindung  der  Spitzköpf f  für 
die  Platiköpfe.  Plattköpfig  wird  nur  aus  Oken  belegt.  Hier  denkt 
man,  auch  wenn  man  kein  Verehrer  Heines  ist  und  dessen  häufige 
Anführung  im  Wörterbuche  nicht  billigt;  doch  sogleich  an  die  bekannten 
Verse  aus  dem  Buche  der  Lieder: 

In  Lappland  sind  schmutzige  Leute, 

Plattköpfig,  breitmäulig  und  klein. 
Plattnasig,  das  übergangen  wird,  steht  bei  Bode,  Tristram  Schandj 
2j  61:  Stellen  Sie  sich  eine  Meine  quappelichte  platnasige  Figur  von 
einem  Doctor  Slop  vor,  Plattnasicht  findet  sich  schon  bei  Schottel 
347\  Plattschnur  (im  Gegensatz  zur  rundgeflochtenen  Schnur)  ist 
heute  ein  bei  Schneidern,  Schneiderinnen  und  Posamentierern  gewöhn- 
liches Wort,  das  aber  in  den  Wörterbüchern  vor  Sanders  nicht  vor- 
kommt. Sanders  bietet  auch  die  entsprechende  Plattlitze.  Plätt- 
stein als  SteUvertreter  des  gewöhnlich  eisernen  Plättbolzens  haben 
wir  bei  Jean  Paul,  Quintus  Fixlein  60,  Hempel  (Werke  Bd.  3):  Sie 
konnte  vor  Vergnügen  den  Plättstein  nicht  in  die  Plätte  schütteln. 
Platz  fehlt  als  Übersetzung  des  lat.  locus  =  Stelle  in  einem 
Buche;  vgL  Belustigungen  des  Verstandes  und  Witzes  1,  S.  23 
(1741):  Daß  diese  gelehrten  Helden  an  der  Poesie  und  Beredsamkeit  einen 
Geschmack  finden  sollten^  weil  sie  große  Plätze  aus  den  aüen  Dichtem 
und  Rednern  auswendig  können  ^  das  wäre  falsch  geschlossen.  Daß  diese 
Übersetzung  von  locus  wenig  Anklang  gefunden  hat  und  eigentlich 
nur  noch  in  dem  Worte  Gemeinplatz  (früher  auch  mit  Gemeinort 
wechselnd)  fortlebt,  ist  bekannt.  Übrigens  braucht  der  Gemeinplatz 
nicht  unmittelbar  aus  dem  Lateinischen  herzurühren,  sondern  kann 
aus  dem  Holländischen  entnommen  sein,  da  in  L.  Meijers  Woorden- 
schat'  452  (Amsterd.  1698,  wann  zuerst  erschienen?)  für  loci  com- 
munes  ghemeene  plaatsen  gegeben  wird.  Oder  ist  umgekehrt  der 
holländische  Ausdruck  nur  die  Übersetzung  eines  noch  älteren,  nur 
bisher  nicht  nachgewiesenen  deutschen?  Zu  Platze  wird  nur  in  der 
Wendung    zu   Platze   legen  =  erlegen,    niederstrecken   vor- 


LITTBRATÜR:  H.  8WEET,  A  HI8TOBT  OP  ENGLI8H  SOUNDS.        513 

geführt;  doch  sind  mir  aus  norddeutscher  (vielleicht  auch  weiter  ver- 
breiteter) Umgangssprache  die  Verbindungen  etwas  zu  Platze 
bringen  oder  womit  zu  Platze  kommen  geläufig  in  dem  Sinne 
des  lat.  in  medio  proponere,  also  zu  Markte  bringen,  öffent- 
lich mittheilen.  Vgl.  Wb.  4,  1,  90  (unter  fräuleinen)  den  nd, 
Beleg  aus  Fr.  Reuter. 

QB088-STBEUTZ.  A.  GOHBEBT. 

Berichtigung  zu  S.  259:  Der  Ausdruck:  Pflichtstunden 
in  der  S.  259  angegebenen  Bedeutung  findet  sich  schon  1868  in  der 
amtlichen  Instruction  für  die  Lehrer  an  höheren  Schulen  der  Provinz 
Brandenburg  §.  4:  Die  2jdhl  der  Pfliehtstunden  beträgt  u.  s.  w. 

Gbt. 

LITTERATÜR. 


A  History  of  English  Sounds  firom  the  earliest  period  with  fall  word-listo. 
By  Henry  Sweet,  M.  A.  BalHol  Coli.,  Oxford;  Hon.  Ph.  D.  Heidelberg. 
Oxford,  Clarendon  Press   1888.  XYI  u.  409  S.  8^   14  sh. 

Als  der  junge  englische  Gelehrte  Henry  Sweet  in  den  Transactions 
der  Londoner  Philological  Society  für  1873 — 74  einen  Anfsatz  von  163  Seiten 
unter  dem  Titel  „The  History  of  English  Sounds '^  erscheinen  ließ,  ahnte 
er  wohl  kaum  den  Erfolg ,  den  das  unscheinbare  Schriftchen  haben  sollte, 
das  auch  noch  für  die  English  Dialect  Society  ausgegeben  und  außerdem 
bald  in  einer  Sonderausgabe  rapid  ausverkauft  wurde. 

In  Deutschland  verdanken  wir  u.  A.  der  Anregung,  eine  Anzeige  des 
Bnches  zu  schreiben,  dem  schwerwiegenden  Aufsatz  ten  Brinks  «Zum  eng- 
lischen Yocalismns^  im  19.  Bande  der  Zs.  f.  deutsches  Alt.  und  deutsche 
Litt.   1876  (1875). 

Seither  hat  die  englische  Philologie  manchen  Schritt  weiter  gethan, 
und  immer  noch  spielte  das  Büchlein  eine  wichtige  Rolle  auch  in  der  lebenden 
Forschung;  doch  auch  Sweet  selbst  war  indessen  nicht  nur  mit,  sondern 
auch  vielfach  bahnbrechend  vorangegangen,  und  dieser  gewaltige  Fortschritt 
in  unserer  Erkenntniß  der  englischen  Sprachgeschichte  tritt  uns  deutlich  aus 
einem  Vergleiche  des  nun  vorliegenden  neuen  Werkes  mit  seinem  ersten 
Entwürfe  entgegen. 

Die  „historische  Grammatik  der  englischen  Sprache^,  und  zwar  zunächst 
Laut-  und  Flexionslehre,  hatte  seit  der  vor  mehr  als  einem  Vierteljahrhundert 
erschienenen  bist.  Gramm,  d.  engl.  Spr.  von  C.  Friedr.  Koch  keine  wissen« 
schaftlich  befriedigende  Gesammtdarstellung  gefunden;  das  Bedürfriiß  nach 
einer  solchen  mußte  ein  um  so  größeres  sein,  als  einerseits  den  Germanisten, 
denen  das  Altengiische  (Angelsächsische)  ein  mit  jedem  Jahre  bedeutsameres 
Arbeitsfeld  wurde,  der  weitere  Verlauf  desselben  von  zunehmender  Wichtig- 
keit wurde,  und  andererseits  die  zahllosen  sogenannten  „  Neuphilologen  **  einer 
wirklich  wissenschaftlichen  Aufhellung  des  Neuenglischen  dringend  bedurften. 


514       UTTERATUB:  H.  SWEET,  A  HI8T0RT  OF  ENGLI8H  SOUNDS. 

Dm  Altengliflche  oder  AngelsftchsiBche  wurde  zuerst  im  Jahre 
1882  doreh  BieverB  epochemachende  AngelsächsiBche  Grammatik  in 
helleres  Licht  gerückt;  wohl  waren  in  Zeitschriften,  besonders  in  Paul-Braunes 
Beitragen,  eine  Beihe  grundlegender  Untersuchungen  namentlich  von  Paul  und 
Slevers  selbst  niedergelegt  worden,  die  eine  Menge  Fragen  der  vergleichend- 
germanischen  Grammatik  in  wesentlich  neuem  Lichte  erscheinen  ließen.  Die 
Yerwerthung  dieses  vielfach  zerstreuten  Materiales  aber  au  einer  zusammen- 
hängenden  Darstellung  des  Angelsftchsischen  war  ein  nicht  hoch  genug  anzu- 
schlagendes Verdienst  Sievers',  was  man  aus  den  Wirkungen  auf  die  Arbeiten 
der  Folgezeit  ersehen  konnte.  Von  dem  Standpunkte  der  neuen  Erkenntniß 
des  Altenglischen  mußten  die  Ausblicke  auf  die  darauf  folgenden  Perioden 
der  englischen  Sprachentwicklung  zwar  auch  wesentlich  neue  sein,  doch  war 
f&r  diese  das  Dunkel  noch  lange  nicht  gelichtet,  und  die  Dinge  lagen  hier 
deshalb  meist  sehr  im  Argen,  weil  viele  Forscher  den  mannigfach  r&thsel- 
haften  graphischen  ErscheiDungen  kritiklos  gegenüberstanden,  anstatt  festen 
Gesetzen  lautlicher  Entwicklang  einerseits  und  graphischen  Traditionen  anderer- 
seits nachzuspüren.  So  entstand  viel£sich  die  Anschauung,  die  Zmschenstufen 
zwischen  Altenglisch  und  Neuenglisch,  das  Mittelenglische,  seien  ein 
buntes  Chaos,  aus  dem  alles  Mögliche  werden  konnte,  so  entstand  u.  A. 
Stratmanns  Mittelenglisehe  Grammatik,  so  noch  in  jüngster  Zeit  die  ein- 
schlftgigen  Partien  in  dem  unglücklichen  Buche  „Encyklopädie  und  Methodo- 
logie der  englischen  Philologie^  von  G.  Körting. 

Daß  das  Mittelenglische  kein  Chaos  von  sprachlichen  Zufällen  und 
Willkürlichkeiten  ist,  zeigte  außer  einigen  feinen  Einzelarbeiten  im  Zusammen- 
hange einer  Gesammtdarstellung  der  Sprache  des  größten  mittelenglischen 
Dichters  ten  Brink  in  seinem  grundlegenden  Werke  über  Chaucers 
Sprache  und  Verskunst,  1884. 

MitSievers  einerseits  und  ten  Brink  andererseits  waren  Ausgangs- 
und  Mittelpunkte  geboten,  an  die  die  Einzelforschung  sich  zielbewußt  und 
erfolgreich  anschließen  konnte,  und  die  letzten  Jahre  haben  auch  auf  dem 
Gebiete  des  Mittelenglischen  ganz  andere,  dauernde  Ergebnisse  gebracht  als 
vordem;  namentlich  sei  hier  Lorenz  Morsbachs  trotz  der  mindestens  an- 
fechtbaren Grundanschauung  lehrreiches  Büchlein:  „Über  den  Ursprung  der 
neuenglischen  Schriftsprache^    1888  genannt. 

Wenn  nun  weitgehende  methodische  Einzelarbeit  auf  dem  Gebiete  des 
Mittelenglischen  und  den  verschiedenen  Stufen  des  Neuenglischen  das  drin- 
gendste Erfordemiß  für  die  Zukunft  ist,  so  war  eine  Zusammenfassung  der 
lautlichen  Entwicklungsreihen  nach  großen  Gesichtspunkten,  und  die  Dar- 
stellung dieser  selbst  nicht  weniger  ein  Bedürfniß.  Eine  solche  wird  uns  in 
der  vorliegenden  neuen  Bearbeitung  der  „History  of  English  Sounds  ^  geboten, 
einer  „histor,  Gramm,  d.  engl.  Spr.  erster  Theil^,  die  Lautlehre  um- 
fzssend,  aus  der  begreiflicherweise  eine  Fülle  werthvoUer  Streiflichter  auch 
auf  flexi vische  Erscheinungen  fallen  muß. 

Die  erste  Auflage  von  1873 — 74  ist  dem  neuen  Werke  gegenüber  ein 
kühner  Entwurf,  der  nun  nur  mehr  historisches  Interesse  hat;  das  neue 
Werk  ist  ein  abgeschlossenes  Lehrbuch,  das  sowohl  dem  Germanisten 
und  Studierenden  der  englischen  Philologie,  als  auch  dem  Schulmann,  sofem 
er  Lehrer  des  Englischen  ist,  unentbehrlich  sein  wird. 


LITTERATÜR:  H.  SWEET,  A  HISTORY  OF  ENGLISH  SOUNDS.        515 

Der  Plan  des  Werkes  ist  ein  äußerst  glücklicher,  indem  der  Dar^ 
stellang  der  einzelnen  englischen  Sprachperioden  einige  Capitel  sprach- 
geschichtlicher Principienlehre  vorangeschickt  werden,  die  Sweet's,  Sievers', 
Faul's  u.  A.  Forschungen  in  der  hei  Sweet  bekannten  klaren  und  ein&chen 
Ausdrucksweise  auch  Anfängern  und  Fernerstehenden  näher  bringen  werden. 
Es  umfaßt  diese  Einleitung  folgende  Abschnitte:  l.Phonetics;  2.  Sound- 
Chan  ge,  und  zwar  Intemal-Isolative,  Internal-Combinative,  Acoustic  Changes, 
Extemal  Changes,  General  Principles;  3.  Origin  of  Speech-Sounds; 
4.  Origin  of  Dialects;  5.  Sound  Representation.  Es  ist  von  diesen 
einleitenden  Capiteln  ein  weit  und  tiefgreifender  Einfluß  auf  die  sprach- 
geschichtlichen Studien  zu  erwarten,  und  wenn  vielleicht  auch  Manche  jetzt 
glauben  werden,  sie  hätten  all  das  längst  vorher  schon  gewußt,  so  wird  es 
wenigstens  erfreulich  sein,  daß  man  in  künftigen  einschlägigen  Arbeiten 
diese  Principien  verwerthet  finden  wird,  die  vorher  in  der  Regel  nicht 
vorwalteten. 

Nebenbei  bemerkt  wird  es  Vielen  willkommen  sein,  hier  in  Kürze  und 
doch  mit  nöthiger  Vollständigkeit  Sweet's  phonetisches  System  und  sein 
Organic  Alphabet,  das  im  Verlaufe  des  Buches  beständig  zur  Tranescription 
verwendet  wird,  dargestellt  zu  finden. 

Den  Inhalt  der  eigentlichen  History  of  English  Sounds  mögen  die 
Überschriften  der  einzelnen  Abschnitte  veranschaulichen. 

Arian  Sounds.  Germanic  Sounds,  kurze,  klare  Übersicht  auf 
Grund  der  neuesten  grammatischen  Forschungen.  Run  es.  Old  English 
Sounds,  hierin  die  Sievers'schen  metrischen  Untersuchungen  mitverwerthet. 
Scandinavian  Sounds,  sehr  werthvoU,  doch  leider  nur  vier  Seiten; 
der  Einfluß  des  Skandinavischen  auf  das  Englische  und  zwar  namentlich  das 
Mittelenglische  ist  ja  bekanntlich  noch  eines  der  peinlichsten  Probleme,  deren 
Lösung  immer  dringlicher  wird.  (In  gleicher  Weise  gilt  dies  vom  nieder- 
deutschen Einflüsse,  beziehungsweise  Einflüssen,  die  Sweet  nicht  besonders 
heranzieht,  deren  Bedeutung  aber  namentlich  durch  Skeat  und  ten  Brink 
eindringlichst  nahegelegt  wurde.  Am  besten  sind  wir  bekanntlich  mit  den 
romanischen  Lehnwörtern  daran ^  die  im  englischen  Sprachkörper  am 
leichtesten  als  fremde  An-  und  Einwüchse  erkannt  wurden  und  deren  Durch- 
forschung von  Seite  hervorragender  Romanisten  schon  deshalb  nicht  ver- 
säumt wurde,  weil  die  rührige  romanische  Sprachwissenschaft  ihrer  nicht 
entrathen  konnte.  Sweet  geht  nur  nebenbei  auf  die  romanischen  Laute  im 
Englischen  ein,  und  zwar  bei  Besprechung  der  mittelenglischen  Orthographie. 
Soviel  läßt  sich  freilich  für  das  Englische  daraus  nicht  gewinnen,  wie  um- 
gekehrt aus  dem  Englischen  für  das  Französische,  doch  wären  einige  wenige 
Seiten  nach  den  trefflichen  Arbeiten  von  ten  Brink,  Sturmfels,  Behrens  ebenso 
leicht  einer  nächsten  Auflage  einzufügen,  als  sie  unentbehrlich  sind.  Die 
bunten  Doppelformen,  in  denen  französische  Lehnwörter  je  nach  Stamm-  oder 
Endungsbetontheit  im  Französischen  ins  Englische  treten,  spiegeln  sich  im 
Mittel-  und  Neuenglischen  zwar  mehr  in  der  Orthographie^  die  sich  auch 
auf  Einheimisches  übertrug,  als  in  der  Aussprache  wieder,  doch  erscheint  mir 
ein  zusammenhängendes  französisch-lautgeschichtliches  Capitel  vor  dem  ortho- 
graphischen wünsch enswerth ,  zumal  da  ja  Sweet  gerade  die  seltene  Gabe 
besitzt,  scheinbar  Verwickeltes  in  treffender  Kürze  klarzulegen.  Fälle,  wie  z.  B. 


516       UTTERATÜB:  H.  SWEET,  A  HISTORY  OF  ENGLI8H  SOUNDS. 

revenge  von  den  endungsbetonten  Formen  des  Verbs  gegenüber  dem  fräs. 
revanche  können  gewissermaßen  als  feste  Werthe  übernommen  werden,  nicht 
so  z.B.  die  Resultate  von  firz.  o  vor  nnd  nach  dem  Tone  n.  A.  m.)  Middle 
English  Sounds.  Hier,  sowie  bei  den  Old  Engl.  Bounds  als  Einleitung: 
Dialeets  und  Texts,  Orthography,  Metre  and  Stress,  Qaantity.  Beachtens- 
werth  ist  die  Periodisierung :  1050—1160  Old  Transition,  — 1300  Early 
Middle  English,  1300—  Late  Middle  Engl.,  1450—1500  Middle  Transition. 
Dabei  scheidet  Sweet  jene  Gruppe  von  Denkmälern,  für  die  ich  kürzlich 
(in  der  Einleitung  zu  meiner  Ausgabe  der  Winteney -Version  der  Regula 
S.  Benedicti)  den  Ausdruck  „Neuangelsäohsisch^  zu  vindicieren  versuchte, 
treffend  ab:  „such  texts  do  not  represent  any  actual  language^.  Bei  den 
Modern  English  Sounds  tritt  begreiflicherweise  das  dialectische  Moment 
zurück,  und  auch  eine  Übersicht  der  Denkmäler  macht  der  Aufzählung  der 
Phonetic  Authorities,  der  Orthographisten ,  Orthoepisten  und  Grammatiker 
von  Palsgrave  bis  Sheridan  (nach  EUis*  großem  Werke  On  Early  English 
Pronunoiation)  Platz.  Das  Modern  English,  was  wir  auf  deutseh  meist 
„Neuenglisch^  nennen,  periodisiert  Sweet  folgendermaßen:  1500 — 1600  First 
Modem  English,  1600—1700  Second  Mod.  Engl.,  1700—1800  Third  Mod. 
Engl.,   1800—1850  Early  Living  English,   1850—1900  Late  Liv.  Engl. 

Schon  bei  der  Besprechung  der  Middle  English  Sounds  wurden  die 
nordenglischen  Dialecte  zu  Gunsten  der  süd-  und  mittelländischen  zurück- 
gesetzt; bei  Sweet,  der  praktisch  und  klar  ein  Ziel  vor  Augen  hat,  handelt 
es  sich  zunächst  darum,  das  was  wir  heute  englische  Schriftsprache  oder 
besser  Gemeinsprache  nennen ,  geschichtlich  in  seinen  Hauptzügen  zu 
begründen,  und  so  stehen  für  das  Mittelenglische  die  südenglischen  und 
mittelländischen  Quellen,  soweit  sie  für  die  Bildung  der  xoM^f  in  Betracht 
kommen,  im  Vordergrunde.  Es  ist  keineswegs  versucht,  die  altenglischen 
Laute  durch  alle  litterarisch  bezeugten  Dialecte  gleichmäßig  zu  verfolgen 
oder,  was  in  diesem  Falle  gleichbedeutend  wäre,  Parallelgrammatiken  der 
einzelnen  Dialecte  zu  liefern.  Für  das  Modem  English  treten  naturgemäß 
die  nordenglischen  Dialecte  gänzlich  zurück,  und  ihr  litterarischer  Reprä- 
sentant, das  sogenannte  „Schottische^,  wird  überhaupt  nicht  weiter  berück- 
sichtigt. Nicht  als  Tadel,  sondern  nur  als  Wunsch  für  eine  nächste  Auflage 
des  Buches,  das  doch  bestimmt  ist,  in  Aller  Händen  zu  sein,  sei  dem  Ver- 
fasser nahegelegt,  ein  Capitel  über  das  ^Schottische^  anhangsweise  beizu- 
fügen. Das  bahnbrechende,  doch  leider  immer  noch  einzig  dastehende  Werk 
über  die  schottischen  Dialecte,  Murray*s  Dialect  of  the  Southern  Counties 
of  Scotland  ist  lange  vergriffen  und  so  selten,  daß  die  Wenigsten  Gelegenheit 
haben,  sich  über  die  richtige  Sachlage  bezüglich  des  Schottischen  zu  be- 
lehren, über  das  die  abenteuerlichsten  Ansichten  noch  nicht  ausgestorben 
sind.  Wenn  nun  aber  auch  das  Nordenglische  zur  Zeit,  wo  es  sich  „Schot- 
tisch^ anstatt  „Inglis^'  nannte,  viel  mehr  vom  Südenglischen  beeinflußt  wurde 
wie  vorher,  so  sind  dennoch  eine  Reihe  namentlich  orthographischer  Sonder- 
entwickelungen zu  wichtig,  um  von  einer  History  of  English  Sounds  aus- 
geschlossen zu  werden;  beispielsweise  sei  nur  auf  Eigennamen  wie  Laing, 
Dalziel,  Mackenzie  u.  A.  hingewiesen. 

Living  English  Sounds,  nur  wenige  Seiten,  weil  in  dem  Vorher- 
gehenden eine  Menge  vorweggenommen,  doch  trefflich ;  beachtenswerth  dabei 


LITTERATUR:  H.  SWEET,  A  HISTORY  OF  ENGLISH  SOUNDS.        517 

u.  A.  die  Andeatungen  über  levelstresSy  und  unter  Quantity  der  quantitative 
Ausgleich  zweier  Silben,  wie  in  better. 

Es  folgen  nun:  PirstWord-List  (Old-Middle-Modern)  und  Second- 
Word-List  (Living-Old).  Erstere  Liste  enthält  2143  (gegen  1751  der  ersten 
Auflage)  Wörter,  nach  den  altenglischen  Yocalen  angeordnet,  in  altenglischer, 
bez.  skandinavischer  Form  mit  ihren  mittelenglischen  und  neuenglischen  Ent- 
sprechungen, die  neuenglischen  in  moderner  Orthographie  und  daneben  in 
phonetischer  Transscription.  Hiebei  sind  die  Ansätze  nicht  etwa  —  was  bei 
der  ersten  Auflage  für  das  Mittelenglische  mit  Becht  beanstandet  wurde  — 
bloß  theoretisch  construiert,  sondern  reichlich  für  alle  Perioden  mit  Belegen 
versehen.  Man  kann  da  wieder  sehen,  was  Sweet  seit  der  ersten  Auflage 
gearbeitet  haben  muß.  Die  Anlage  ist  außerordentlich  praktisch,  wie  Jeder 
aus  dem  Gebrauche,  der  durch  den  Index  to  first  Word-List  wesentlich  er- 
leichtert wird,  ersehen  wird.  Mit  einem  Blicke  sind  die  lautlichen  und  gra* 
phischen  Entsprechungen  klar  zu  übersehen,  und  die  vierte  Columne,  die 
phonetische  Transscription  des  Modemenglischen,  wird  sich  nicht  nur  für 
sprachgeschichtliche  Zwecke,  sondern  auch  allen  denen,  die  sich  über  die 
moderne  Aussprache  belehren  wollen,  nützlich  erweisen.  Mit  unbarmherziger 
Consequenz  werden  nämlich  die  Wörter  dargestellt,  wie  sie  wirklich 
lauten,  und  so  enthält  diese  Liste  thatsächlich  das  beste  und  erste  phone- 
tische Pronouncing  dictionary,  soweit  es  sich  um  „the  majority  of 
the  words  of  Old  English  or  Scandinavian  origin  still  in  common  use**  handelt. 
Ebenso  dankenswerth  ist  die  Second  Word-List,  die,  den  umgekehrten 
Weg  einschlagend,  die  neuenglischen  Wörter  voranstellend,  drei  Columnen 
enthält:  die  phonetische  Transscription,  die  moderne  Orthographie  und  die 
altenglische  Entsprechung  (das  Mittelenglische  und  die  Belege  brauchten  hier 
nicht  wiederholt  zu  werden).  Die  Anordnung  geschieht  hier  nach  den  Vocalen 
der  lebenden  Aussprache. 

Zum  Schlüsse  finden  sich  Tables  über  I.  Sound  Change,  U.  Form  of 
Letters,  III.  English  Vowels  (Alt-,  Mittel-,  Neuenglisch),  ebenso  übersichtlich 
IV.  Old-English  Dialects,  V.  Middle-English  Dialects  (doch  nur  Südlich, 
Ostmittelländisch ,  Kentisch ,  Chaucer ,  dem  Altenglischen  gegenübergestellt, 
entsprechend  der  oben  angedeuteten  Behandlungsweise  im  Texte),  VI.  Modern 
English  Vowels.  —  Contractions. 

Dies  der  Inhalt  des  in  seiner  Behandlungsweise  durchaus  originellen 
Werkes.  Es  ist  echt  englisch,  nicht  nur  in  der  energisch  und  praktisch 
auf  die  Hauptsache  losgehenden  Methode,  sondern  auch  in  der  etwas  an- 
fechtbaren Kühnheit y  nicht  viel  links  noch  rechts  zu  sehen,  sondern  aus 
dem  Ganzen  selbständig  zu  gestalten.  Die  hauptsächlichsten  Leistungen 
Anderer,  besonders  aber  Derer,  die  ihm  congenial  erschienen,  hat  Sweet 
verwerthet,  wie  er  ja  auch  zum  Schlüsse  der  Vorrede  seine  bescheidene  Dank- 
barkeit gegenüber  fremder  Forschung  in  die  schöne  Huldigung  ausklingen 
läßt:  „If  I  had  to  dedicate  this  book,  it  would  receive  on  its  title-page  the 
four  names  of  Bell,  Ellis,  Paul,  and  Sievers.''  Ja,  man  wird  sich  oft 
fragen  müssen,  ob  man  da  und  dort  einen  Paul'schen  oder  Sweet'schen  Ge- 
danken wieder  zu  erkennen  hat.  Im  Einzelnen  aber  wird  man  gewiß  Manches 
vermissen,  was  anderswo  schon  gesagt  worden  ist.  Freilich  dürfte  Niemand 
es  Sweet    verargen,    wenn  er  über    die    zahllosen    deutschen  Einzelarbeiten 


618        UTTERATÜR:  H.  SWEET,  A  HI8T0BY  OF  ENGLI8H  SOUNDS. 

abermals  wie  in  seiner  Vorrede  zu  den  Oldest  English  Tezts  in  Unmatb 
ausgebrochen  wäre,  denn  die  Art,  wie  dieselben  in  die  Öffentlichkeit  dringen 
oder  vielmehr  häufig  lange  verborgen  bleiben,  ist  eine  unsägliche  Misere. 
Am  ehesten  sollten  die  Docenten  an  deutschen  Universitäten  doch  in  der 
Lage  sein,  über  wirklich  Erschienenes  oder  im  Erscheinen  begriffenes  orien- 
tiert zu  sein.  Doch  wie  es  damit  steht ,  dürfte  bekannt  sein.  Wie  viele 
Specialarbeiten  müssen,  nahe  der  Vollendung,  aufgegeben  werden,  weil 
plötzlich  das  gleiche  Thema  anderswo  bearbeitet  erscheint!  Wie  viel  ver- 
lorene Arbeit  und  Verdruß  wäre  alljährlich  da  zu  ersparen,  wo  doch  das 
Arbeitsfeld  noch  genügend  Baum  für  alle  hat!  Wenn  dies  an  deutschen 
Universitäten  der  Fall  ist,  wie  mag  es  dann  Dr.  Sweet  in  Bath  damit  er- 
gehen! So  darf  man  sich  nicht  wundem,  wenn  er  endlich  auf  diese  Einzel- 
heiten verzichtete  und  entschlossen  seinen  eigenen  Weg  ging.  Freilich,  was 
Sweet  ten  Brink  verdankt,  wird  nicht  gesagt,  und  wo  er  dessen  Arbeiten 
nicht  verwerthet,  ist  es  für  sein  Buch  gewiß  nicht  von  Vortheil. 

Sweet  ist  durch  und  durch  Engländer  und  mit  Bewußtsein ;  aus  seiner 
Eigenart  heraus  wollte  er  seine  History  of  English  Sounds  darstellen,  und 
wer  sich  der  daraus  erwachsenden  Vortheile  erfreut,  muß  sich  eben  anch 
damit  zuMeden  geben.  Er  hat  einmal  bei  Besprechung  von  Job.  Storm's 
englischer  Philologie  (in  den  Gott.  Gel.  Anz.  1881,  St  44,  p.  1407)  diesen 
Gelehrten  folgendermaßen  charakterisiert:  „Storm's  Geist  ist  vor  Allem 
praktisch  und  conservativ;  auch  darin  ist  er  echt  englisch,  daß  er  sich 
öfter  scheut,  seine  eigenen  Principien  vollständig  durchzuführen.^' 
Es  ist  merkwürdig,  wie  diese  Charakteristik  auf  Sweet  selbst  anzuwenden 
ist,  vor  Allem  eine  Scheu,  alle  Consequenzen  seiner  Aufstellungen  selbst 
zu  ziehen. 

Wir  Deutsche,  die  wir  leicht  in  den  umgekehrten  Fehler  verfallen, 
/  Theorien  und  Systeme  aufzustellen,  ehe  uns  die  Beobachtung  der  Thatsachen 
die  volle  Berechtigung  dazu  gibt,  werden  in  Sweet^s  Buch  die  zusammen- 
hängende Darstellung  mancher  Lautgesetze  vermissen,  mit  denen  Sweet  an 
verschiedenen  Stellen  operierte,  ohne  ihren  Umfang  fest  abzugrenzen.  So 
wäre  es  beispielsweise  von  Interesse,  über  die  Frage  der  Vocaldehnung  und 
Vocalverkürzung  Sweet' 8  Ansicht  im  Zusammenhange  zu  hören.  W.  Fick*s 
Aufsatz:  Vocalverkürzung  in  englischen  Wörtern  germanischen  Ursprungs 
(Engl.  Studien  VIII,  502—510),  Ferd.  Brück's  Dissertation  „Die  Consonanten- 
doppelung  in  den  mittel  englischen  Comparativen  und  Superlativen  (Bonn  1886) 
haben  werthvolle  Zusammenstellungen  ergeben;  die  Hauptschwierigkeit  liegt 
biebei  freilich  in  der  Chronologisierung  der  Lautgesetze. 

Oder  die  wichtige  Erscheinung,  die  Sweet  group-lengthening  nennt, 
namentlich  die  Längungen  und  späteren  Kürzungen  vor  nd,  ng.  Sweet  berührt 
diese  Punkte  an  verschiedenen  Stellen  verstreut,  ohne  daß  man  ein  klares 
Bild  darüber  gewinnt,  welche  Vocale  vor  nd  und  ng  gelängt  wurden,  welche 
gekürzt  wurden,  und  in  welche  Zeit  die  einzelnen  Erscheinungen  zu  setzen  sind. 
In  §.694  erklärt  er  ö  in  Ipng^  hpndf  comb  entstanden  aus  gronp-lengthened 
Angl.  ä;  warum  haben  wir  aber  heute  hand^  landy  sand^  lamb  n.  s.  w.  gegen- 
über strong,  long,  wrong,  comb^  Die  lebend-englische  Lautform,  die  einzige 
über  die  wir  mit  völliger  Sicherheit  urtheilen  können,  bietet,  als  die  Besul- 
tierende    der   verschiedensten  Kräfte,     meist    den    sichersten  Ausgangspunkt 


lilTTEBATUR:  G.  SWEET,  A  HISTORY  OF  BNQLISH  SOUNDS.       519 

besonders  in  Fällen  wie  der  vorliegende,  in  denen  hente  der  Unterschied 
zwischen  a  and  0  weit  größer  ist  als  zu  einer  Zeit,  wo  a  noch  a  lautete. 
Der  im  Wesentlichen  durchgeführte  Gegensatz  von  land  :  long  u.  s.  w.  dürfte 
doch  wohl  auf  alte  Quantitätsunterschiede  zurückgehen,  indem  die  a-Formen 
die  Kürze,  die  o-Formen  die  Länge  wiederspiegeln;  warum  wir  dement- 
sprechend aber  z.  B.  lamb  auf  kurze  oder  verkürzte  Vocalform  zurückzuführen 
haben,  ergibt  sich  aus  der  Analogie  der  dem  Verkürzungsgesetze  unter- 
worfenen Composita  (Deminutiva)  wie  lamhhiny  lambsivool  u.  a.,  wogegen 
comb  zugleich  als  Verb  dem  Einfluß  etwaiger  Compositionen  widerstehen 
konnte  und  womb  auch  kaum  viel  componiert  erscheinen  dürfte.  Aus  dem 
Verkürzungsgesetze  in  Compositis  erklärt  sich  ebenso  hang  {hangman  u.  a.) 
statt  hong ;  nicht  hieher  gehört  trotz  dem  Anscheine  seines  Zusammenhanges 
mit  band  das  Wort  bondy  bondman  u.  a.  m. ,  denn  dies  ist  etymologisch 
davon  zu  scheiden. 

Für  die  Frage,  wie  lange  die  Lautgruppe  -end  lang  war,  könnte  das  Ver- 
bum  AE  iSnany  NE  lend  vielleicht  einen  brauchbaren  Wink  geben,  ten  Brink 
(Chaucers  Sprache  und  Vk.  §.  50)  erwähnt  bei  Besprechung  AE  schw.  Verba 
mit  (B  im  Stammvocal,  deren  Prät.  und  Particip.  neben  seltenerem  e  ein  a 
zeigen,  „nur  niente,  lente,  weil  in  der  ersten  Hälfte  der  ME  Periode 
mende,  lende  mit  langem  oder  doch  schwebendem  f  galt/  Aus  diesem 
lende,  lende  muß  sich  mit  Noth wendigkeit  ergeben,  daß  T^  lend  nicht 
nach  Analogie  der  Präterita  Spante,  wente,  bente,  sente  oder  des  Partie, 
ent  sich  zu  seinem  länte  einen  Infinitiv  lende  bilden  konnte,  wenn  nicht 
auch  noch  nach  der  ersten  Hälfte  der  ME  Periode  die  Infinitive  spende, 
wende,  bende,  sende,  ende  dem  Inf.  lene  auf  halbem  Wege  entgegen- 
gekommen wären,  d.  h.  also  langes  e  bewahrt  hätten.  Nur  nach  langem  be- 
tonten Yocal  wird  nämlich  die  Lautverbindung  ^nd  unfest,  d.  h«  wechselt  in 
Folge  flexivischer  Einflüsse  (s  des  Genitivs,  des  Plurals^  der  8.  Sing.  Präs. 
bei  Verben  u.  ähnl.)  mit  n,  wie  schon  früh  ME  in  spene  für  spende],  Owl 
a.  Night.  1549,  u.  a.  m.  und  in  NE  tine,  woodbine,  line  :  Urne,  lawn  und 
hind,  round  (Verb,  neben  roun),  sound,  astound  goton{d)  u.  a.  m.  Unbetontes 
and  oder  Composita  wie  handkerchief,  brawnew  zählen  natürlich  nicht  mit. 
Es  konnte  also  ein  lene  nur  an  Formen  wie  wende,  bende,  ende  sich  an- 
schließen ;  es  würde  demnach  nicht,  wie  früher  meist  behauptet  wurde,  lend 
sein  d  und  damit  seine  Kürze  seinem  Prät.  und  Partie,  lent  verdanken,  welches 
nach  bent,  went  u.  a.  den  Infinitiv  mit  einem  gewaltigen  Sprunge  von  lene 
zu  lende  gemacht  haben  müßte,  sondern  umgekehrt  der  Inf.  len{d)e,  nach- 
dem er  einmal  sich  bende,  wende  u.  a.  angeschlossen,  mit  weit  weniger 
Schwierigkeit  sein  ßnt  zu  lent  angeglichen  haben.  Wenn  dies  richtig  ist, 
und  da  sich  lend  neben  dem  älteren  lene  erst  recht  spät  festzusetzen  scheint 
—  nach  Stratmann  und  K.  Oliphant,  The  New  English,  erst  im  Promptorium 
Parvulorum  um  1440  —  würde  die  ganze  Lautgruppe  ^end  noch  um  diese 
Zeit  als  -end  anzusetzen  sein,  während  man  sich  meist  mit  dem  Hinweis  auf 
einige  Doppelschreibungen    {eende)  bei  Wiclif  begnügte. 

Ich  muß  gestehen,  daß  mir  die  Fragen  nach  dem  Umfang  und  den 
Zeiten  der  Längungen  und  späteren  Verkürzungen  vor  Consonantenverbin- 
dungen,  über  die  ich  noch  manche  Vermuthungen  und  Zweifel  vorbringen 
könnte,  die  aber  besser  diese  Anzeige  nicht  belasten,    noch  sehr  der  syste- 


520    E.  STEINMEYBR.  ÜBBB  EINIGE  EPITHETA  D.  MHD.  POB8IE-M5DE  etc. 

matischeii  Untersnehung  bedürfen.  Wie  weit  Sweet  selbst  darüber  zu.  festen 
Ergebnissen  gelangt  ist,  läßt  sieb  ans  seinem  Buche  ans  den  genannten 
Ghründen  durchauB  nicht  erkennen.  Es  liegt  mir  auch  ferne,  ihm  daraus  einen 
Vorwurf  zu  machen,  denn  sein  Buch  enthält  so  massenhafte  Anregungen 
und  kurze  Hinweise,  die  zur  Einzelarbeit  anreizen,  daß  man  dafor  allein 
dankbar  sein  muß.  Welche  Streiflichter  feillen  nicht  auf  die  Flexionslehre  1 
So  sei  nur  beispielsweise  darauf  hingewiesen,  daß  Sweet's  feine  Functions- 
theorie  der  stimmlosen  und  stimmhaften  Consonanten  als  starke  und  schwache 
Formen  eine  Beihe  von  flezivischen  Erscheinungen  naturgemäß  erklärt;  so 
haben  wir  auch  im  Obigen  die  t  in  lent,  went  u.  a.  aufzufassen.  Vgl.  Sweet 
§.  46,  754. 

Auf  weitere  Einzelheiten  einzugehen,  gestattet  der  Baum  hier  nicht,  und 
es  ist  auch  hier  nicht  nöthig.  Mit  freudiger  Dankbarkeit  sei  das  Buch  dem 
Sprachforscher  und  Schulmanne  empfohlen,  nicht  weniger  den  Studenten, 
denen  allen  es  hoffentlich  gar  viel  des  „tedious  toil  and  groping  after  light", 
das  der  berühmte  Verfasser  daran  gewendet,  ersparen  wird. 

FREIBURG  i.  Br.,  Januar  1889.  A.  SCHRÖER. 


Elias  Steinmeyer,  Über  einige  Epitheta  der  mhd.  Poesie.  Bede  beim  An- 
tritt des  Proreetorats.    Erlangen  1889.  20  S.  4. 

Eine  trotz  ihres  geringen  Umfangs  sehr  lehrreiche  und  anregende 
Abhandlung.  St.  zeigt,  daß  manche  Adjective  in  der  mhd.  Dichtung  zu 
gewissen  Zeiten  vornehmlich  im  Reime  vorkommen.  Sie  gehören  somit  nicht 
dem  lebendigen  Sprachschatze  des  betreffenden  Dichters  an,  sondern  sind 
entweder  im  Veralten  oder  erst  im  Aufkommen  begriffen.  Die  erstere  Classe 
fuhrt  zur  Erörterung  der  sogenannten  unhöüschen  Wörter,  die  St.  im  Ganzen 
wie  Bötticher  beurtheilt  (Germ.  XXI,  277).  Von  Vertretern  der  zweiten  Classe 
behandelt  St.  hauptsächlich  die  Adjectiva  klar,  Muoc,  wert,  gehiure.  Er  macht 
es  wahrscheinlich,  daß  sie  aus  dem  Md.  in  den  oberdeutschen  Sprachsehatz 
eingedrungen,  und  daß  insbesondere  Wolfram  den  Vermittler  gespielt. 

Warum  wird  Veldekes  Dichtung  immer  wieder  als  Eneü  citiert,  während 
sie  doch  Eneide  hieß  (vgl.  v.  13510  und  meine  Einl.  S.  88)? 

eiESSEN,  den  31.  December  1889.  O.  BEHAGHEL. 


Mittheilimg. 

Die  Fortführung  von  Bartsch's  Bibliographie  durch  Dr.  Gustav  Ehris- 
mann   wird  im  ersten  Hefte  des  nächsten  Jahrgangs  ihren  Anfang  nehmen. 


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ist  in  dasselbe  alles,  was  die  seitherigen  Stndien  des  Verfassers  nnd  der  Anfschwnng  der 
▼ergleichenden  Alterthumskande  wUhrend  der  letzten  Jahre  an  neuen  Thatsachen  und 
Gesichtspunkten  hervorgebracht  haben.  Der  Verfasser  nimmt  nanmehr  eine  feste  Stellung 
zu  der  Tielbesprochenen  Frage  nach  der  Vorheimat  der  Indogermanen  ein. 


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Carl  Gerold's  Sohn  in  Wien. 


Uuchdruckcrei  von  Carl  Gerold'*  Sohn  in  Wien. 


INHALT. 


S«ite 

Zur  Ronenlehre.    Von  F.  Lpsch 397 

Die  Vorfahren  des  Jordanes.    Von  Tb-,  t.  Orieub^rgtr 406 

flriliva.    Von  Demselben 410 

Die  Sprachbewegong  in  Norwegen.    Von  W.  Qolther...      .  411 

Zu  Gerhard  von  Minden.    Von  R.  Sprenger .419 

Über  dea  gegenwärtigen  Stand  der  Sucbenwirt-Handschriften.  (SehlniS.) 

Von  Fr.  Kratochwil 431 

Zu  Wolfram.    Von  O.  Behaghel 487 

I.  Die  Zeit  seines  Thüringer  Aufenthalts 487 

II.  Zum  Titurel 488 

UI.  Zu  den  Liedern 488 

Fragmente   aua   der  Weltchronik  Rudolfs  von  Ems.    Von  K.  Reißen- 
berger 490 

Jappeatift,    Von  G.  Ehrismann -492 

Bemerkungen  zum  deutschen  Wörterbuohe  (Schluß).  Von  A.  Gombert  493 

Litteratur: 

H.  Sweet,  A  history  of  English  Sounds.    Von  K.  Schraer  .     .      .     .  613       1 
Elias  Steinmeyer,  Ober  einige  Epitheta  der  mhd.  Poeai«*  Reie  Mm  M»-  |i 

tritt  des  Prorectorats.    Von  O.  Behaghel  620 

Mittheilung 620 


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